Zum wilden Mann

By Wilhelm Raabe

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Title: Zum wilden Mann

Author: Wilhelm Raabe

Release Date: July 23, 2007 [EBook #22123]

Language: German


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Zum wilden Mann.

Eine Erzählung
von
Wilhelm Raabe.


Mit dem Bildnis des Verfassers.


Leipzig

Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.




Erstes Kapitel.


Sie machten weit und breit ihre Bemerkungen über das Wetter, und es war
wirklich ein Wetter, über das jedermann seine Bemerkungen laut werden
lassen durfte, ohne Schaden an seiner Reputation zu leiden. Es war ein
dem Anscheine nach dem Menschen außergewöhnlich unfreundlicher Tag gegen
das Ende des Oktober, der eben in den Abend oder vielmehr die Nacht
überging. Weiter hinauf im Gebirge war schon am Morgen ein gewaltiger
Wolkenbruch niedergegangen, und die Vorberge hatten ebenfalls ihr Teil
bekommen, wenn auch nicht ganz so arg als Volk, Vieh, Wald, Fels, Berg
und Thal weiter oben. Sie waren unter den Vorbergen nordwärts vollkommen
zufrieden mit dem, was sie erhalten hatten, und hätten gern auf alles
weitere verzichtet, allein das Weitere und Übrige kam, und sie hatten es
hinzunehmen, wie es kam. Ihre Anmerkungen durften sie freilich darüber
machen; niemand hinderte sie.

Es regnete stoßweise in die nahende Dunkelheit hinein, und stoßweise
durchgellte ein scharfer, beißender Nordwind, ein geborener Isländer
oder gar Spitzbergener, aus der norddeutschen Tiefebene her die Lüfte,
die Schlöte und die Ohren und ärgerte sich sehr an dem Gebirge, das er,
wie es schien, ganz gegen seine Vermutung auf seinem Wege nach Süden
gefunden hatte. Er war aber mit der Nase darauf gestoßen oder vielleicht
auch darauf gestoßen worden und heulte gleich einem bösen Buben, der
gleichfalls mit dem erwähnten Glied auf irgend etwas aufmerksam gemacht
und hingewiesen wurde. Ohne alle Umschreibung: der Herbstabend kam
früh, war dunkel und recht stürmisch; -- wer noch auf der Landstraße
oder auf den durchweichten Wegen zwischen den nassen Feldern sich
befand, beeilte sich, das Wirtshaus oder das Haus zu erreichen; und wir,
das heißt der Erzähler und die Freunde, welche er aus dem deutschen Bund
in den norddeutschen und aus diesem in das neue Reich mit sich
hinübergenommen hat, -- wir beeilen uns ebenfalls, unter das schützende
Dach dieser neuen Geschichte zu gelangen.

Der Abend wird gemeiniglich eher Nacht, als man für möglich hielt; so
auch diesmal.

Es ist recht sehr Nacht geworden. Wieder und wieder fegt der Regen in
Strömen von rechts nach links über die mit kahlen Obstbäumen eingefaßte
Straße. Wir halten, kurz atmend, die Hand über die Augen, uns nach einem
Lichtschein in irgend einer Richtung vor uns umsehend. Es müssen da
langgestreckte, in ihrer Länge kaum zu berechnende Dörfer vor uns, dem
Gebirge zu, liegen, und der geringste Lampenschimmer südwärts würde uns
die tröstende Versicherung geben, daß wir uns einem dieser Dörfer
näherten. Vergeblich!

Pferdehufen, Rädergeroll, Menschentritte hinter uns? Wer weiß?

Wir eilen weiter, und plötzlich haben wir das, was wir so sehnlich
herbeiwünschen, zu unserer Linken dicht am Pfade. Da ist das Licht,
welches durch eine Menschenhand angezündet wurde. Eine plötzliche
Wendung des Weges um dunkles Gebüsch bringt es uns überraschend schnell
vor die Augen, und wir stehen vor der Apotheke »zum wilden Mann.«

Ein zweistöckiges, dem Anscheine nach recht solides Haus mit einer
Vortreppe liegt zur Seite der Straße vor uns, ringsum rauschende,
triefende Bäume -- gegenüber zur Rechten der Straße ein anderes Haus --
weiter hin, durch schwächeren Lichterschein sich kennzeichnend, wieder
andere Menschenwohnungen: der Anfang einer dreiviertel Stunde gegen die
Berge sich hinziehenden Dorfgasse. Das Dorf besteht übrigens nur aus
dieser einen Gasse; sie genügt aber dem, der sie zu durchwandern hat,
vollkommen; und wer sie durchwanderte, steht gewöhnlich am Ausgange
mehrere Augenblicke still, sieht sich um und vor allen Dingen zurück und
äußert seine Meinung in einer je nach dem Charakter, Alter und
Geschlecht vermiedenen Weise. Da wir den Ausgang oder Eingang jedoch
aber erst erreichen, sind wir noch nicht hierzu verpflichtet. Wir suchen
einfach, wie gesagt, vorerst unter Dach zu kommen und eilen rasch die
sechs Stufen der Vortreppe hinauf; der Erzähler mit aufgespanntem Schirm
von links, der Leser, gleichfalls mit aufgespanntem Schirm, von rechts.
Schon hat der Erzähler die Thür hastig geöffnet und zieht sich den
atemlosen Leser nach, und schon hat der Wind dem Erzähler den Thürgriff
wieder aus der Hand gerissen und hinter ihm und dem Leser die Thür
zugeschlagen, daß das ganze Haus widerhallt wir sind darin, in dem Hause
sowohl, wie in der Geschichte vom w i l d e n  M a n n! -- -- Daß wir uns
in einer Apotheke befinden, merken wir auf der Stelle auch am Geruche.

Die erleuchteten zwei Fenster, welche wir von der durchweichten, regen-
und sturmwindgeschlagenen Landstraße aus erblickten, waren die der
Offizin, und die Lampe an der Decke darin warf ihr Licht durch die
breiten Schiebfenster auch auf die Hausflur. In der pharmaceutischen
Werkstätte herrschte außer dem bekannten Duft die gleichfalls
wohlbekannte Ordnung und Reinlichkeit der deutschen Apotheken. Die
weißen, mit blauen Buchstaben und hin und wieder mit schwarzen
Totenköpfen und den beiden Armknochen bezeichneten Büchsen und Gläser in
den Fächern an den Wänden, die blanken Mörser und grünschwarzen
Steinreibeschalen, die Wagschalen und alle übrigen Gerätschaften sahen
ordentlich angenehm und anlockend aus. Wäre die schreckliche Bank, auf
welcher die Meisten von uns schon einmal in fiebernder Angst und
Beklemmung saßen und warteten, nicht gewesen, das Werkzeug und Geräte
der hohen Kunst hätte jedermann das höchste Vertrauen einflößen müssen.

Aber die böse Bank! Der abgeriebene schlimme Stuhl! -- Wir saßen eben
schon darauf -- vielleicht wohl am hellen, frostklaren Winternachmittag,
oder noch viel schlimmer in der stillen, warmen, der entsetzlichen,
wenngleich noch so schönen Sommernacht; wir trauen den Büchsen und
Gläsern, den Flaschen, Wagschalen und Reibeschalen wenig, wir erinnern
uns nur, wie wir damals dem ruhiggemessenen, geheimnisvollen Wirken des
Mannes hinter dem Arbeitstische wild und dumm zusahen.

In der Offizin befand sich augenblicklich niemand; aber es fiel noch ein
Lichtschein aus einem anstoßenden Zimmerchen, dessen Thür halb geöffnet
stand. Und mit dem Scheine drang ein anderer Duft ein, der die
apothekarische Atmosphäre einer auffälligen Veränderung und Entmischung
unterwarf; _herba nicotiana_ gehört freilich ebenfalls zu den
offizinellen Gewächsen. Wir folgen d i e s e m Geruch und treten in das
Nebengemach.

Das Ding in dem engen Raume ließ sich ganz gemütlich an. Aus der einen
Ecke versendete ein eiserner Ofen eine behagliche Wärme, in der anderen
war gegen einen mächtigen gepolsterten Lehnstuhl, der leer stand und von
dem später noch die Rede sein wird, ein runder Tisch gezogen, an welchem
auf gleichfalls gepolsterten, hochlehnigen Stühlen sich die jedesmaligen
Gäste, mit der Pfeife im Munde und ein offizinelles oder nicht
offizinelles warmes oder kaltes Getränk vor sich, den Aufenthalt
sicherlich recht bequem und behaglich machen konnten. Gegenwärtig jedoch
hatte nur der Herr des Hauses, der Besitzer der Apotheke »zum wilden
Mann«, allein auf seinem Stuhle Posto gefaßt, und ob er an diesem
stürmischen Abend wirklich noch jemand zum Besuch erwartete, und ob
wirklich jemand der Erwartung entsprach, können wir augenblicklich noch
nicht angeben. Wir sind mit der Schilderung unserer Bühne noch nicht
zustande und fahren vorerst darin fort.

Das Kabinettchen hinter der Offizin war mit einer gelblichgrauen,
grauschwarz geblümten Tapete, soweit sich das überblicken ließ,
ausgeklebt. Auf der Fensterbank stand neben einigen Blumentöpfen ein
Käfig mit einem schlafenden Zeisig, der jedesmal, wenn ein Baumzweig im
Garten, vom Winde gepackt und geschleudert, schärfer an der Glasscheibe
herkratzte, oder wenn ein Regenstoß heftiger an der Scheibe trommelte,
fester und behaglicher im Gefühle seiner Sicherheit sich in eine
Federkugel zusammenzog.

Eine Eckschenke mit allerlei Tassen, bunten Töpfen und Gläsern und auf
ihr eine ausgestopfte Wildkatze in einem Glaskasten dürften in der
Inventaraufnahme nicht zu vergessen sein. Ein vordem recht blumiger,
aber nunmehr längst verblaßter und abgetretener Teppich bedeckte den
Boden; von der Decke hing eine künstlich geflochtene Graskrone, ein
Staub- und Fliegenfänger herab; und wenn wir nun noch den Bildern an den
Wänden einige Worte gewidmet haben werden, so hindert uns weiter nichts,
fürderzugehen und interessanter zu werden.

Die Bilder an den Wänden freilich waren schon an sich interessant. Ihre
Anzahl allein mußte jeden eintretenden Betrachter höchlichst in
Erstaunen setzen und für eine geraume Zeit in ein mundoffenes
Umherstarren an allen vier Wänden, nach allen vier Himmelsgegenden.
Hatte er sich von seiner Überraschung erholt, so konnte er anfangen zu
zählen oder die Zahl wenigstens annähernd zu schätzen. Beides aber war
schwer, denn die Bilder und Bildchen unter Glas und Rahmen bedeckten in
kaum zu berechnender Menge die Wände von oben bis unten, das heißt so
weit nach unten, als es nur irgend möglich war. Alle Arten und Formate
in Kupferstich, Stahlstich, Lithographie und Holzschnitt, alle
Gegenstände und Situationen im Himmel und in der Hölle, auf Erden, im
Wasser, im Feuer und in der Luft, schwarz oder koloriert.

Viele Ramberg'sche und Chodowiecki'sche Kunstschöpfungen, unzählige
Scenen aus dem Leben Friedrichs des Zweiten und Napoleons des Ersten,
die drei alliirten Monarchen in drei verschiedenen Auffassungen auf dem
Leipziger Schlachtfelde, die am Palmbaum hängende Riesenschlange, an
welcher der bekannte Neger hinaufklettert, um ihr die Haut abzuziehen,
Scenen aus dem Corsar, »ein Gedicht von Lord Byron«, Modebilder, ein
Porträt von Washington, ein Porträt der Königin Mathilde von Dänemark
und des Grafen Struensee und, verloren unter all der bunten, kuriosen
Nichtsnutzigkeit, zwischen zwei Straßenscenen aus dem Jahre 1848, ein
echter alter Dürer'scher Kupferstich: _Melancholia_!

Wir beendigen die Kalalogisierung. Dreißig Jahre hatte der während
dieser dreißig Jahre fest an seine Offizin gebundene Apotheker Philipp
Kristeller gebraucht, um seine Bildergalerie zusammenzubringen; es war
ihm also gar nicht zu verdenken, wenn er auf seine Galerie hielt, auf
seine Kunstliebhaberei und seinen Geschmack sich etwas zu gute that.
Sein Hinterstübchen war wohl geziert, und er hatte außerdem noch einiges
andere, worauf er sich etwas zu gute thun durfte.

Wenden wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf den Mann am Tische. Er mochte
ein Alter zwischen den fünfziger und sechziger Jahren erreicht haben,
war von Leibesbeschaffenheit mehr hager als dick, von Farbe mehr gelb
und grau als rot und braun und von Statur mittlerer Größe. Er trug einen
grauen Schlafrock, niedergetretene, dunkelrote Pantoffeln und auf dem
silbergrauen, schlichten Haar eine dunkelgrüne Hauskappe mit
abgegriffener Goldstickerei, einen Kranz von Eicheln und Eichenblättern
darstellend. Er rauchte aus einer langen Pfeife, auf deren Kopf ein
Maikäfer gemalt war, und stützte nachdenklich die Stirn mit der Hand,
den Blick auf den großen, leeren, bequemen Lehnstuhl ihm gegenüber
gerichtet.

Zum ersten Male blickte er empor, als die Thür, welche aus dem
Hinterzimmer nicht in die Offizin, sondern auf die Hausflur führte,
leise geöffnet wurde, und ein alter Frauenzimmerkopf sich hineinschob:

»Aber Bruder, welch ein Wetter!«

»Freilich ein bewegtes Wetter, liebe Schwester.«

Ob die alte Dame die Antwort noch vernommen hatte, muß zweifelhaft
bleiben, denn sie hatte die Thür eben so rasch und leise, wie sie
dieselbe geöffnet hatte, wieder zugezogen.

»Ein vernehmbar bewegtes Wetter, in der That,« murmelte der Apotheker
»zum wilden Mann« lächelnd und nach dem bestürmten Fenster horchend. In
demselben Moment klang die Glocke der Hausthür, und es wurde an das
Schiebfenster der Offizin gepocht. Herr Philipp Kristeller erhob sich,
stellte die Pfeife an den Stuhl und ging gebückt in seine Werkstatt.
Kopfschüttelnd kam er nach einer viertelstündigen Arbeit im Berufe
zurück; die Hausthürglocke erklang von neuem, und eiligen Laufes
entfernte sich jemand, durch die Wasserlachen der Landstraße dem Dorfe
zuplatschend, ohne im geringsten auf seinen Weg Obacht zu haben.

Kopfschüttelnd nahm der Alte seinen Sitz wieder ein, zündete seine
Pfeife von neuem an und sagte:

»Eine ungesunde Jahreszeit -- ein Apothekerherbst. -- Gute Kasse, aber
doch ein schlechtes Geschäft.«

Er seufzte dabei, und das Wort wie der Seufzer zeugten unstreitig von
einem guten Herzen.

Nun saß er wieder einige Minuten, bis er plötzlich zusammenschrak:

»Mein Gott -- ja aber -- ist es denn so?!«

Er erhob sich von neuem hastig, schritt diesmal eilig in die Offizin,
schloß ein Stehpult am Fenster auf, nahm ein Buch hervor und blätterte
darin. Seine Finger zitterten, seine Lippen zuckten, er sah sich mehrere
Male wie zweifelnd in dem aromatisch durchdufteten Raum um: es war kein
Zweifel, jede Büchse und jedes Glasgefäß, mit oder ohne Totenkopf,
befand sich noch auf seinem Platze. Der Apotheker Kristeller schloß das
Buch, legte die Hand darauf und rief:

»Es ist wahrhaftig so! Es ist richtig; heute ist der Tag oder vielmehr
der Abend. Es sind dreißig Jahre auf die Stunde -- ein Jubiläum -- und
ich hatte das vollständig, vollständig vergessen. Dorothea, Dorothea!«

»Lieber Bruder?« klang es draußen schrill.

Der Alte schritt in seiner Aufregung fünf Minuten lang auf und ab; dann
war seine Geduld zu Ende. Er öffnete die Thür:

»Dorette, Dorette!«

»Was giebt es denn, Philipp?« ertönte es aus der Ferne. »Ich höre den
Wind wohl; aber was kann man dagegen thun, -- Thür und Fenster sind
verwahrt, und das Übrige steht in Gottes Hand.«

»Ei, ei,« murmelte Herr Philipp und rief dann: »Es handelt sich nicht um
Wind und Wetter. Komm doch einmal einen Augenblick herein, Dorothea!«

Es dauerte noch verschiedene Augenblicke, ehe das möglich war; aber
zuletzt geschah es doch. Da war das Altjungfergesicht wieder und jetzt
die ganze übrige Figur und zwar mit einem über jeden höflichen Zweifel
erhabenen Buckel zwischen den Schultern.

»Wir haben es augenblicklich ziemlich eilig in der Küche, lieber
Philipp. Wünschest du etwas, bester Bruder?«

»Nein; aber heute vor dreißig Jahren um diese Stunde verkaufte ich in
diesem Hause für den ersten Groschen Wundspiritus. Den Altvater
Zimmermann -- Gott habe ihn selig! -- hatte der Gaul an die Hüfte
geschlagen. Ich habe es mir notirt vor dreißig Jahren, und ich hatte es
gänzlich vergessen -- dem Lehnstuhle dort zum Trotz!«

»O du meine Güte!« rief das alte Fräulein und verschwand nach einigem,
wie es schien, ratlosen Zögern, schlug dann aber die Thür um so heftiger
hinter sich zu. Schon auf dem Hausflur wußte Fräulein Dorette Kristeller
ganz genau, was sie zu thun habe, und man hatte für den ferneren Abend
es noch um ein Bedeutendes eiliger in der Küche der Apotheke »zum wilden
Mann«.




Zweites Kapitel.


Trotz aller geistigen Aufregung mußte der Apotheker Philipp Kristeller
einen erstaunten Blick für die Pforte, durch welche die Schwester so
plötzlich wieder verschwunden war, übrig haben.

»Herr Jesus!« sagte er; und dann versuchte er es von neuem, sich ruhig
zu setzen, allein es wollte nicht angehen. Das bedeutungsvolle Datum
brannte wie in feurigen Ziffern und Buchstaben vor seinen Augen, und so
schob er denn den Stuhl unter den Tisch und schlurfte, immerfort den
Kopf schüttelnd, in seiner Bildergalerie auf und ab; und immer klarer
und deutlicher stieg die Welt, welche vor dreißig Jahren, vor einem
Menschenalter, war, in seiner Seele empor. Ja, von seiner frühesten
Kindheit an lag mit einem Mal alles in den schärfsten Umrissen vor ihm,
und nur seine ihm allzu früh gestorbenen Eltern durchzogen schemenhaft
die helle Landschaft. Dagegen stand der Vormund in derber, ungemütlicher
Deutlichkeit in dem Zauberlicht und in der Mitte der Scenerie jener
kleinen Provinzialstadt jenseits des Gebirges, dem Thüringerlande zu,
mit dem Kyffhäuser in der Nähe und dem Kickelhahn in der blauen
magischen Ferne.

»Der allergewöhnlichste Mensch hat doch immer etwas erlebt, wenn er so
ein Menschenalter über ein Menschenalter hinaus zurückdenken kann,«
murmele der Alte. »Wie lebendig das nun alles ist, was eben tot und
vergessen in meiner Seele lag. Da ist ja der alte Biedermann, der
Grauwacker, mein Lehrherr, mit seinem ganzen Haus und Hauswesen. Welch
ein schnurriger, verbissener Patron er war; und dann die Patronin, ich
meine die Frau Prinzipalin. Herrgott, wie sorgst du in deiner Güte und
Weisheit dafür, daß denen, welchen du einen kleinen Löffel auf den
Lebensweg mitgiebst, auch der Brei nach dem richtigen Maße zugemessen
wird! Ist es mir doch, als verspürte ich heute noch das Magenknurren aus
jener guten, alten Zeit unter dem Zwerchfell. Und es war doch eine
glückliche, gesunde Zeit! Und gelernt hat man auch das Seinige bei dem
alten Grauwacker; man muß es ihm lassen, er verstand das Geschäft, die
Kunst, und er wußte uns darin zurecht zu schütteln. Alles, was nachher
kam --«

Die Glocke der Offizin klingelte von neuem; abermals ging der Apotheker
in seine Werkstatt zu seiner Arbeit, die diesmal etwas länger als vorhin
dauerte. Während er seinen Trank mischte und kochte, führte er im
landläufigen Dialekt eine Unterhaltung, die wir dem Leser nicht
vorenthalten wollen, die Mundart freilich abgerechnet.

»Ihr habt euch bei einem schlimmen Wetter auf den Weg machen müssen,
Gevatterin. Es steht wohl gar nicht gut zu Hause?«

»Wie mit dem Wetter draußen,« sagte das frische, sehr gesunde
Bauerweiblein verdrossen. »Man hat seine liebe Not, daß man sich darüber
selber gern vom Tage thun möchte. Er kann nicht leben und will nicht
sterben; -- ich glaube, er hält sich eben durch das Ärgernis, welches er
uns macht; -- recht machen kann man ihm gar nichts mehr, und von dem
Verdruß lebt er so hin von einem Tage zum andern.«

»Hm, hm,« brummte Herr Philipp.

»Ja, es ist doch so, und der Doktor zieht dann das Beste davon. Das Ding
hat er gestern Abend verschrieben, und es ist uns sehr eilig gemacht;
ich meine aber, Sie wissen es am besten, Herr Kristeller, daß kein Tag
vergeht, an welchem Sie mich nicht auf dieser Bank sitzen sehen. So
dachte ich denn, es hat wohl Zeit bis morgen, und weggeworfenes Geld ist
es doch.«

»Hm, hm,« brummte Herr Philipp, fügte aber diesmal hinzu: »Doktor- und
Apothekerrechnungen zahlt wohl niemand gern; -- aber wir machen es so
billig als möglich, Gevatterin.«

»Wie es sich schickt für eine arme, elende Witfrau,« schluchzte die
muntere Bäuerin hinter ihren Schürzenzipfeln.

»Na, na,« sagte der Apotheker, »zum Teufel, noch lebt er ja! Witfrau?
junge Frau! ei freilich! -- und meiner Meinung nach wird er es noch
manches lange, gute Jahr durchmachen. Der Doktor und ich wollen schon
das Unsrige thun.«

Die untröstliche Gattin auf der Bank stieß einen Ton hervor, der alles
bedeuten konnte: Dankbarkeit, Hoffnung, Freude, Schreck, Mißmut, Ärger
und Hohn. Der Apotheker hatte seine Mixtur fertig, reichte sie durch das
Fenster, und die jammergeschlagene junge Witwe _in spe_ ging ab und zwar
zu seinem innigsten Genügen gerade in ein erhöhtes Aufwüten und Lostosen
des Herbststurmes hinein.

»Die Canaille!« brummte der Alte, als er in seine Bildergalerie
zurückkam und sich unter dem Eindrucke der Unterhaltung wieder recht
fest niederließ, nachdem er mit merklicher Energie vorher frisches Holz
in den Ofen geworfen hatte. »Dies Frauenzimmer hätte mir beinahe meine
süßesten Erinnerungen für jetzt zu nichte gemacht,« murmelte er. »Eben
geriet ich in dieselben hinein, als das Weib die Glocke zog; aber das
ist freilich immer mein Los in der Welt gewesen, und anderen wird es
wohl nicht besser gehen. Und dann ist ja doch auch nichts daraus
geworden, Johanne! Zusammen sind wir nicht gekommen. Jeder hat seinen
eigenen Weg gehen müssen; ich unter so sonderbaren Umständen in diesen
verlorenen Weltwinkel, du, mein armes Kind und Herz, in dein Grab. _Nunc
cinis ante rosa_, einundzwanzig Jahre alt -- ach, Johanne, liebe, liebe
Johanne! -- Ja, ja, es wäre doch schön und gut gewesen, wenn wir
zusammengekommen wären und ich dich heute nach einem Menschenalter hier
bei mir hätte als alte, gute, schöne Frau!«

Es duldete den guten würdigen Herrn an diesem merkwürdigen Abend nimmer
lange auf seinem Sitze. Jetzt holte er ein Paket vergilbter Briefe aus
dem oben erwähnten Pult und löste den Bindfaden davon ab.

»Trockene Blumen und Blätter,« seufzte er. »Alles, was ich da in meinen
Büchsen und Schachteln habe, grünte und blühte auch einmal wie jedes
Wort auf diesem Papier. Apothekerwaren? Droguerien? Nein, nein, nein!
Jenes ist tot und bleibt so; aber dies hier ist noch lebendig und blüht
fort und kennt keine Zeit und keinen Jahreswechsel. Es hat seine Wurzeln
in meiner Seele geschlagen: wie könnte es da welken und zu nichte
werden? In der Sonne, im fliegenden Wolkenschatten, im Mondschein, im
Nebelziehen, im grauen Landregen, im lustigen Schneegestöber liegt das
Thal, liegen die Berge lebendig. Das ist die alte Stadt -- ja, da ist
sie, wie sie war, als wir jung waren; -- jedes Haus ein guter Bekannter.
Da ist das Eckfenster, an welchem ich stets vorbeigehe, wenn der Alte
mich auf die Pflanzenjagd schickt. Da sitzt das gute Kind mit seinem
Nähzeug, und es währt lange, sehr lange, ehe sie mich bemerkt, und noch
länger, ehe ich an die Thatsache glaube, daß sie mir wirklich
entgegenschaut und nachsieht. Es ist lange, lange eine Liebe ohne Worte,
bis der Himmel ein Einsehen hat und ein Regenschauer zur richtigen Zeit
auf einer Landpartie schickt, nachdem er mir vorher die glückselige,
heilbringende Idee eingegeben hat, beim schönsten Sonnenschein und
blauesten Himmel einen Schirm mitzunehmen. So lernten wir uns in der
Nähe kennen -- vom Herzen zum Herzen, von Seele zu Seele. Da ging das
beste Erdenleben an. -- Sie hatte wenig und ich gar nichts; aber der
liebe Gott hatte ungezählte Schätze für uns und gab eine kurze, kurze
Zeit alles mit vollen Händen. Erst im zweiten Sommer nach unserem
geheimen Verlöbnis, nachdem wir ein volles Jahr durch in unserem Glück
und unserer Hoffnung Millionäre gewesen waren, fiel uns ein, darüber
nachzudenken, was wohl weiter daraus werden möge und könne --«

Abermals klang die Glocke und unterbrach den erinnerungsvollen Traum. Es
waren aber diesmal keine Kunden, welche den Apotheker »zum wilden Mann«
störten. Die stets recht deutliche Stimme der Schwester Dorette ließ
sich draußen vernehmen:

»Da sind Sie, meine Herren! Gottlob, daß Sie gekommen sind. Das ist
schön, das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich wußte es aber auch, daß
ich Sie nicht vergeblich bitten würde. Dem Bruder ist die große
Merkwürdigkeit eben erst eingefallen, und da hat es sich mir sogleich
schwer auf das Herz gelegt, und ich habe dann den Fritz losgejagt. Ich
kenne ihn ja nur zu gut, den Bruder; er würde sich ohne gute
Gesellschaft eine traurige Nacht zurecht gemacht haben, seine
melancholischen Einbildungen würden uns kläglich genug mitgespielt
haben. Aber nun ist es gut, denn an diesem Abend gehören wir ja doch
zusammen, und der Bruder wird sich nun recht sehr freuen, -- schönsten
guten Abend, meine Herren!«




Drittes Kapitel.


Die beiden Herren, zu denen die Schwester Dorette der melancholischen
Einbildungen ihres Bruders wegen sofort geschickt hatte, nachdem er ihr
die Bedeutung des heutigen Abends zugerufen, waren der Pastor des Ortes,
Herr Schönlank, und der Förster Ulebeule. Ersterer kam, dicht in den
Mantel gewickelt, mit seiner Laterne und seinem Regenschirm, letzterer,
jeglicher Witterung Trotz bietend, in kurzer, grünkragiger Flausjacke,
den derben, eisenbeschlagenen Hakenstock unterm Arme. Beide aber
schüttelten sich vor allen Dingen tüchtig auf der Hausflur und sagten
wie jedermann weit und breit:

»Brr, welch' ein Wetter!«

Und der Förster fügte noch hinzu:

»Das nennt man freilich auch, unterm Wind sich anschleichen; aber ein
Vergnügen war es gerade nicht. Na, Pastore, hier haben wir Überwind, und
für das Übrige wird Fräulein Dorette zu sorgen wissen.«

Der Alte im Hinterstübchen, welcher anfangs etwas betroffen gehorcht,
hatte sich schnell in die Situation gefunden. Ein Lächeln auf seinem
gutmütigen Gesichte wurde immer breiter und sonniger, und jetzt riß er
seinerseits die Thür auf, welche aus seinem Schlupfwinkel auf die
Hausflur führte, und rief in heiterster Laune:

»Herein, herein, und gelobt seien alle melancholischen Phantasien, wenn
sie einem so erwünschte Gesellschaft ins Haus führen. Das war ein
Gedanke -- das war eine That, Dorette! Herein, liebe Freunde, -- das ist
freilich ein Abend, um eine Nacht daraus zu machen, und letzteres wollen
wir und zwar, wie es sich gehört! Herein, und jeder an seinen Platz, und
ein Vivat für die alte Apotheke!«

»Davon nachher, wenn wir erst Chinesien auf dem Tische haben werden,«
sagte der Förster, seinen Stock in den Winkel stellend. »Fürs erste,
alter Bursch, ganz sedate unsere beste Gratulation zum glorwürdigen
Jubiläum. Wenn der Pastor das noch einmal und mit Salbung vorträgt, so
habe ich auch nichts dagegen; aber wenn wir den Hasenfuß, den Physikus
hier hätten, so würde der uns allen den Rang ablaufen; ein
hirschgerechterer Jäger für einen Glückwunsch und Trinkspruch soll noch
gefunden werden; aber er ist über Land geholt.«

»Und wird zu Hause meine Benachrichtigung vorfinden,« sagte Fräulein
Dorette Kristeller.

»Schön,« sprach der Förster, »unter den Umständen kriegen wir ihn
sicherlich noch zu Gesicht. Übrigens würde er es schon ganz aus
Naturanlage gewittert haben, daß wir uns hier rudelten. Bis Mitternacht
bleiben wir ja doch wohl vergnügt beisammen?«

»Natürlich! Hurra!« rief der Apotheker, und der Pastor brachte nun
wirklich in Erwartung Chinesiens, das heißt der Punschbowle, fein,
zierlich und schicklich seine Gratulation gleichfalls an.

Unterdessen hatte sich das ganze Haus mit eigentümlichen, anmutigen
Düften, die den Apothekendunst ihrerseits sieghaft bekämpften, gefüllt.
In des Hauses Küche hatte ein merkwürdig lebendiges Treiben begonnen;
allerlei Gerät rasselte und klirrte fröhlich durcheinander. Punkt neun
Uhr stand die erste dampfende Schale auf dem Tisch, und nicht sie
allein, sondern, was dazu gehörte, ebenfalls. Für fünf Minuten fand des
Apothekers Schwester nun auch Muße, sich zu den Männern zu setzen und
die ersten Belobungen derselben in Empfang zu nehmen.

Die Belobungen kamen zu rechter Zeit; aber dann trat für einige
Augenblicke das Stillschweigen ein, welches immer entsteht, wenn ein des
Nachdenkens würdiges Getränk auf den Tisch gesetzt wird. Daß dieses
Stillschweigen schnell überwunden wird und ein jeder sich merkwürdig
rasch mit der Feierlichkeit des Momentes abzufinden weiß, ist bekannt.

»Also wirklich bereits ein volles Menschenalter!« rief der geistliche
Herr. »Ich hielt es im Anfang fast für unmöglich; aber nun, da ich im
Stillen nachgerechnet habe, finde ich und gebe zu, daß es sich in der
That also verhält. Ich hatte mich in jenem Jahre gerade mit meiner guten
Friederike in den Stand der heiligen Ehe begeben, und mein ältester
Sohn, der Inspektor, ist wahrlich seitdem bereits achtundzwanzig Jahre
alt geworden.«

»Wahrhaftig, Pastore, und wenn ich daran denke, wie Ihr schlecht bei
Leibe hier ankamt, und Euch ansehe, wie Ihr jetzo da sitzt, so brauche
ich gar nicht an den Fingern abzuzählen, um an die dreißig Jahre zu
glauben. Übrigens empfing ich euch alle hier und machte euch die
Honneurs des Ortes. Zuerst rücktet Ihr ein, Pastore, und heiratetet
Eures Vorgängers Tochter; und nachher kam der gleichfalls noch anwesende
Jubilant, um die gesunde Gegend mit seinen Pillen und Mixturen noch
gesunder zu machen. Den Doktor rechne ich gar nicht; denn ein Mensch,
der erst ein Dutzend Jahre unter uns haust, ist eben gar nicht zu
rechnen.«

»Der liebe Gott hat Euch wirklich in Eurem Einzuge gesegnet, lieber,
alter Freund,« sagte der Pastor zum Hausherrn. »Eure zwei Vorgänger
hatten mit großer Schnelligkeit in diesem Hause Bankerott gemacht; Ihr
aber hattet Glück --«

»Und Verstand,« fiel der Förster Ulebeule ein, »den richtigen Verstand
von der Sache; denn in einer so gesunden Gegend, wie die hiesige zum
Exempel, legt sich der richtige Apotheker eben auf etwas anderes, zum
Beispiel auf einen neuen Magenbitter, wie der >Kristeller< einer ist,
auf die Fruchtsäfte im Großen, auf den Weinhandel und, nicht zu
vergessen, auf den Kräuterhandel durch ganz Deutschland ins
Unermeßliche. Heute Abend ist denn im natürlichen Verlaufe der Dinge
der Alte da in seinem Schlafrocke der allereinzige von uns, welcher es
zu etwas gebracht hat. Der Doktor wird es nie zu etwas bringen.«

Der geistliche Herr seufzte; aber der Apotheker »zum wilden Mann«, Herr
Philipp Kristeller, seufzte ebenfalls, und als gerade jetzt Wind und
Sturm stärker und böser mit Regen und Schloßen durchs Land fuhren, sah
er wie erschreckt von dem behaglichen Tisch auf das gepeitschte,
klirrende Fenster. Die alte, gute Schwester rückte dichter an ihn heran,
indem sie flüsterte:

»Liebe Herren, man muß niemandem sein Glück vorrücken, es nützt nichts
und hat schon häufig geschadet; das ist meine Meinung. Und ob meines
Bruders Glück gerade so groß gewesen ist, das steht wirklich noch dahin.
Wir haben unser Los und Leben genommen, wie es uns gegeben wurde, das
ist aber auch alles. Auf das Jubiläum aber trinke ich doch, und jetzt
will ich den Spruch ausbringen und sagen: Es lebe die Apotheke >zum
wilden Mann!<«

Sie hatte, während sie redete, die Gläser im Kreise gefüllt, und alle
stießen an, doch mit Nachdenken und Ernst, wie es sich gehörte. Herr
Philipp aber, unruhig auf seinem Stuhle hin- und herrückend, sprach
leise und mehr zu sich selber als zu den andern:

»Es ist eine Nacht dazu -- die rechte Nacht. Es ist mehr als ein
Menschenalter hingegangen, seit das, was ich mein Hauptglück nennen
sollte, an mich kam. Hört nur den Sturm da draußen, wie er sich unbändig
hat, ihr solltet kaum glauben, daß sich morgen vielleicht kein Lüftchen
regen wird, um das letzte Blatt vom Baume zu nehmen. Man sagt, es
verjähre alles; aber es ist nicht wahr. Es kommt alles wieder an einen,
der Sturmwind wie die alte Zeit. Ihr lieben Freunde, wollt ihr mich
anhören, so will ich euch eine Geschichte erzählen, eine kuriose, eine
recht, recht kuriose Geschichte. Ich will euch erzählen, wie ich vor
mehr als dreißig Jahren der Besitzer der Apotheke >zum wilden Mann<
wurde.«

Der Pastor sagte gar nichts; aber auch er rückte näher an Herrn Philipp
heran, berührte ermunternd seinen Ellbogen und bot ihm zu noch größerer
Ermunterung die blank abgegriffene silberne Dose.

»Geschichten höre ich für mein Leben gern, selbst Jagdgeschichten im
Notfall!« rief der Förster eifrig. »Endlich ist das Wild los! hin nach
der Fährt --«

»Einen Augenblick!« bat Fräulein Dorette, »jetzt muß ich noch für eine
Minute in die Küche, nachher bin ich wieder ganz und gar bei dir,
Philipp. Die beiden Nachbarn entschuldigen wohl.«

Sie entschuldigten gern und warteten und machten noch einige Bemerkungen
über die Jahreszeit und die Witterung. Nachdem aber die Schwester
zurückgekommen war, erzählte der Bruder wirklich seine Geschichte --
eine kuriose Geschichte!




Viertes Kapitel.


»Liebe, gute, treue Freunde und Nachbarn,« begann der Mann, der nach der
Meinung des Försters Ulebeule es zu etwas im Leben gebracht, d. h. etwas
vor sich gebracht hatte im Dorfe, »ich habe, ehe ihr kamet, von der
alten Zeit verlockt, schon zweimal meinen Archivkasten da in der Offizin
geöffnet und habe den Staub von der Vergangenheit geblasen; jetzt werde
ich wohl noch ein Dokument daraus hervorholen müssen. Trotz aller
wunderlichen Geheimnisse liegt mein Geschick vollständig klar auf dem
Papiere da; nicht etwa daß ich ein Tagebuch oder dergleichen geführt
hätte, sondern in wirklichen authentischen Schriftstücken, die ich euch
dann auch nachher zu eigener Begutachtung in die Hände geben werde.

»Mein Vater hatte mir einige Tausend Thaler hinterlassen; aber mein
Vormund, ein gutmütiger, wohlmeinender, doch höchst zerfahrener und
leichtsinniger Mann, hatte wenig auf dieselben Achtung gegeben. Als ich
das Geld gebrauchen konnte, war es bis auf ein Minimum verschwunden, und
der Vormund legte mir schluchzend das Bekenntnis ab: er wisse am
allerwenigsten, wo es geblieben sei. Übrigens fügte er zu meinem Troste
hinzu: mit seinem eigenen Vermögen sei es ihm gerade so ergangen. Er war
ein ältlicher Herr mit drei unverheirateten ältlichen Töchtern, und alle
waren meine besten Freunde; -- was blieb mir also übrig, als mit ihnen
zu weinen und so auch meinerseits das trockene Faktum in gegenseitiger
Liebe und Zuneigung feucht zu erhalten. Die drei guten Mädchen sorgten
für meine Wäsche und sonstige Ausstattung, packten mir meinen Koffer,
und so zog ich nach abgethaner Lehrzeit als voraussichtlich ewiges
Subjekt ins Laborantentum hinein und trieb mich fünf oder sechs Jahre
lang so umher durch Süß und Sauer, von einer Epidemie in die andere, von
einem nächtlichen Aufgeklingeltwerden zum andern, von einer Doktorpfote
zur andern, bis ich nach * * * kam, wo ich meine Johanne kennen lernte.
Da, Freund Ulebeule, habe ich wirklich etwas vor mich gebracht, nämlich
die einzigen guten, glücklichen Tage meines Lebens!«

»Gratuliere auch dazu,« brummte der Förster.

»Ja, in die glückliche Zeit meines Daseins war ich hineingeraten, und es
stimmte alles zusammen -- ein ganzes Jahr lang!

»Ich hatte es in jeder Beziehung gut. Mein damaliger Prinzipal war ein
drolliger alter Kauz, über den ich etwas mehr sagen muß; denn er
verdient das, meinet- wie seinethalben in jeder Beziehung. Er war
Apotheker mit Liebe; aber mit einem gewissen Wahnsinn ein Enthusiast für
die hohe Wissenschaft Botanik, und er war in der That ein bedeutender
Pflanzenkundiger. So lange es anging, hatte er seine Provisoren und
Gehilfen die Offizin versorgen lassen und war selber in Wald und Feld
seinem Lieblingsstudium nachgegangen. Als ich aber in sein Haus eintrat,
hatte sich das eben geändert. Er war über sechzig Jahre alt, seine Augen
waren allmählich schwach geworden, sein Rücken steif; und wenn er sich
zwischen Berg und Thal nach einem Gewächs bückte, so kam er nur mit
Stöhnen und einem verdrießlichen Griff nach dem Kreuz wieder in die
Höhe. Ich kam, und er stellte ein botanisches Examen mit mir an, das an
Schärfe nichts zu wünschen übrig ließ, gottlob aber ziemlich gut
ausfiel, und von dem all' mein späteres Wohlsein in seinem Hause den
Ausgang nahm. Nach dem Examen überreichte er mir als Zeichen seiner
Zufriedenheit ein Exemplar von Stöver's Leben des Ritters Karl von Linné
und hielt mir eine Rede über die Märtyrer unserer >Göttin<, und empfahl
mir vorzüglich zur Nachahmung das größte botanische Genie des
sechzehnten Jahrhunderts, den Meister Charles de l'Ecluse, -- Carolus
Clusius aus Arras in den Niederlanden, der im Dienste der Wissenschaft
im vierundzwanzigsten Jahre die Wassersucht bekam, im neununddreißigsten
Jahre in Spanien mit dem Pferde stürzte und den Arm brach und gleich
nach der Heilung den rechten Schenkel; -- der im fünfundfünfzigsten
Jahre in Wien den linken Fuß brach und acht Jahre später sich die rechte
Hüfte verrenkte, -- der fortan an Krücken gehen mußte, einen Bruch und
Steinschmerzen bekam und doch das wundervolle Buch: _Variarum plantarum
historia_ schrieb und für alle kommende Zeiten wie ein glorreich helles
Licht aus dem dunklen Jahrhundert, in welchem er lebte und wirkte,
herüberleuchtete. Darauf schickte er mich in _re herbaria_ auf die Jagd
und blieb selber seufzend zu Hause, versorgte die Praxis und
durchblätterte seine Kräuterbücher, die wirklich merkwürdig in ihrer Art
waren und nach seinem Tode sicherlich auf den Mist geworfen sind. Zu
jeder Jahreszeit fast hatte ich für ihn das Land abzulaufen, denn er
war auch in der Kenntnis der Moose bedeutend, und in den Monaten, wo die
übrige Flora in ihrer Pracht steht, ging ich fast täglich meilenweit ins
Land oder in die Berge, um irgend eine einzige Pflanze zu suchen, auf
deren Besitz und Studium er augenblicklich sein Herz gewendet hatte.
-- Das war eine schöne Zeit! das waren Tage, wie ich sie seit Jahren
nicht in so ununterbrochen glücklicher Folge durchlebt hatte, und da
ich, wie gesagt, auch bald den Namen und das Bild meiner Braut mit mir
auf die Höhen und sonnigen Halden und in die schattigen Thäler nehmen
konnte, so ist denn weiter nichts mit dem Scheine zu vergleichen, wie er
mir damals über der Erde und in der Seele lag. Daß ich Rad durch den
Sonnenglanz auf den Bergen geschlagen hätte, will ich aber nicht gesagt
haben. Im Gegenteil! in die Lust am Leben machte sich immer ein
bänglicher Zug. Kam ich aus meinen Wäldern zurück in die kleine,
winklige Stadt, wieder hinein in das Gewirr und zänkische Durcheinander
selbst dieser wenigen Menschen, so wurde mir oft sogar sehr bänglich zu
Mute.«

»Das geht allen Leuten so, die ihr Geschäft viel im Freien aufhält, mir
auch!« sagte der Förster Ulebeule.

»Aber noch lange,« fuhr der Erzähler, ohne auf die Unterbrechung weiter
zu achten, fort, »noch lange war und blieb im Freien alles für mich
Gegenwart, und erst nach und nach wurde drinnen im Städtchen alles
Zukunft, sorgenvolle, angstvolle, nebelige Zukunft:

»Was soll denn eigentlich zuletzt aus dir und deinem Mädchen werden?

»Ich habe es schon gesagt, daß die richtige Schwerblütigkeit mich erst
im zweiten Jahre meines dortigen Aufenthalts übermannte. Im Anfange
blieben die trüben sorglosen Gedanken bei jedem Ausmarsche innerhalb der
alten Mauern der Stadt eingeschlossen zurück; erst nach und nach
begleiteten sie mich über das Weichbild hinaus und folgten mir weiter
und weiter, bis im dritten Frühlinge der dunkle Finger mir überall auf
meinen Wegen drohte und der Prinzipal die Bemerkung machte, daß ich
anfange, bedeutend abzumagern, und mich wohlmeinend und besorgt an
verschiedene nerven- und magenstärkende Droguen unserer Materialkammer
verwies.

»Ach, kein Arzneistoff konnte mir wieder zu vollerer Leibesrundung
verhelfen! Zwischen Hypochondrie und gutem Lebensmut hin- und
hergeworfen, schweifte ich umher, bis ich den Mann fand, der mir half!

»Meine Herren und lieben Freunde, in eben diesem Sommer machte ich eine
Bekanntschaft, eine seltsame, geheimnisvolle und, wie Johanne sagte,
eigentlich unheimliche Bekanntschaft. Ihr habe ich es zu danken, daß ich
heute der Besitzer dieser Apotheke >zum wilden Mann< bin, und sie ist
bis heute, -- ja bis heute, und also länger als dreißig Jahre das
ungelöste Rätsel, das Mysterium in meinem Leben geblieben --«

»Erzählen Sie, o erzählen Sie!« rief der Pastor atemlos, den Erzähler in
der besten raschesten Mitteilung seines Berichtes aus übergroßer
Spannung unterbrechend, und Herr Philipp Kristeller benutzte die
Gelegenheit, um Atem zu schöpfen, ehe er fortfuhr.

Es schien ihm aber wirklich daran gelegen zu sein, das Geheimnis seines
Lebens von der Seele los zu werden, und so fuhr er fort:

»Ich fand einfach einen Weggenossen und so zu sagen Kollegen auf meinen
Gängen, einen jungen wohlgekleideten Mann, der sich gleichfalls mit der
Botanik beschäftigte, nur um ein Weniges jünger als ich zu sein schien
und sich als ein Naturfreund und Pflanzenkenner auswies, der selbst
meinen Prinzipal im verständnisvollen Eindringen in unsere hinreißende
Wissenschaft übertraf. Aus der Gegend war er nicht, seinen Namen haben
wir nie recht erfahren; wir nannten ihn Herr August und später auch
einfach August. Sein Familienname war das aber jedenfalls nicht.

»Der Zufall stieß uns an einem heißen Julinachmittage auf einer
abgeholzten, glühenden Berglehne unter den manneshohen Fingerhutbüschen
zwischen dem Gewirr der Granitblöcke die Köpfe zusammen und ließ uns
sofort höflich das Handwerk grüßen. Zuerst begrüßten wir jedoch
natürlich höflich uns selber und betrachteten einander. Was der Fremde
an mir sah, weiß ich nicht; mir steht er heute noch so klar und deutlich
wie damals vor den Augen. Es war ein junger Mann, wie gesagt, ungefähr
von meinem Alter, hochgewachsen, wohlgebaut, von schwarzem Haar und mit
einem ernsthaften, energischen Gesicht von etwas gelbweißer, jedoch
keineswegs krankhafter Farbe. Den Kopf trug er ein wenig gesenkt, und
seine Stimme war wohllautend, er gebrauchte sie aber nur zu selten.
Während unseres ganzen Verkehrs überließ er es mir vollständig allein,
die Unterhaltung zu führen; und wie ihr wißt, liebe Nachbarn, bin ich
stets für einen lebhaften mündlichen Verkehr gewesen -- vielleicht oft
nur zu sehr.«

An dieser Stelle hatte die Schwester etwas zu sagen, und etwas unmutig
rief sie:

»Bester Bruder, sie reden im Dorfe doch schon dumm genug von dir!«

Der geistliche Herr lächelte; aber der Förster lachte laut und rief:

»Ja, Fräulein Dorette, für den Anstand ist seine Natur freilich nicht
eingerichtet, das habe ich zweimal in Erfahrung gebracht und werde es
mit meiner Einwilligung nicht zum drittenmal erleben. Das ist so! er
hält jedem Fuchs, der herüberwechselt, eine Standrede, ehe er losbrennt
und vorbeipafft. Aber hingegen bei einem Treiben wäre er wohl an Ort und
Stelle, und eine Hasenklapper ist auch ein recht nützliches Ding.«

»Ich danke Ihnen für Ihre Bemerkung, Ulebeule!« sprach das alte
Fräulein spitz und kurz, und jetzt lächelte Herr Philipp Kristeller und
ließ sich nicht weiter auf seinem Wege aufhalten.

»Ich gab also, wie es nicht anders sein konnte, meiner Natur nach. Ich
erzählte dem neuen Bekannten so nach und nach von allem, was mir an mir,
meinem Leben und Zuständen wichtig dünkte. Um alles, von meiner Geburt
an, wußte er bald Bescheid; was ich von ihm dagegen erfuhr, war so wenig
als möglich, das heißt gar nichts! -- Aber ein guter Gesellschafter war
er doch, und wurde ein immer besserer, je häufiger wir uns trafen. Wir
fingen an, die Plätze miteinander zu verabreden, an welchen wir uns
finden wollten, und er, als der freiere Mann, war stets am Orte.
Manchmal begleitete er mich bis an den Hügelhang, an welchem die Stadt
liegt; allein so oft ich ihn auch einlud, nun auch mit mir in dieselbe
hinunterzusteigen, so lehnte er das stets bestimmt ab, ohne einen Grund
für die Weigerung anzugeben. Am Waldrande über dem Nordthore nahm er
stets Abschied, drückte mir die Hand und ging zurück. In der Stadt und
Umgegend kannte ihn keiner, so oft und viel ich auch die Leute nach ihm
ausfragte. Gesehen hatte ihn wohl mancher, und manchem war er auch in
seinem Wesen und Treiben aufgefallen; doch nähere Auskunft über ihn
wußte niemand zu geben. In einem Dorfe, mitten in den Bergen, hatte er
für ein Pferd und einen leichten Wagen ein Standquartier, doch auch da
nannte man ihn einfach nur Herr August und hielt ihn für einen Studiosen
aus der Universitätsstadt in der Ebene, der, >wie schon viele<, von dort
in die Berge komme, um >die Kräuter zu verstudieren<.«

»Scheint mir eine kalte Fährte gewesen zu sein,« meinte der Förster, und
der Pastor war derselben Meinung.

»Ich gab auch nichts darauf,« erzählte Herr Philipp weiter, »sondern
setzte den Verkehr fort, wie er sich eben machte, und nachdem ich mit
dem Herrn August ein halbdutzend Male zusammengetroffen war, fügte es
der Zufall, daß er auch meine Braut kennen lernte. Die hatte mit ihren
Verwandten und Bekannten an einem schönen Sonntage einen Ausflug in den
Wald gemacht, und da trafen wir, -- als Johanne und ich uns von der
lustigen Gesellschaft abseits geschlagen hatten und allein für uns
gingen, auf einem überwachsenen Pfade auf meinen geheimnisvollen Freund.
Wir gingen Arm in Arm, und er ging wieder einsam, und sein Gesicht war
ernster und trüber denn je. Als er uns erblickte, erhellten sich seine
Mienen zwar, aber nicht auf lange. Er wollte mit uns fröhlich und heiter
sein; aber es gelang ihm schlecht. Er sprach sehr gut und freundlich zu
meinem Schatz; doch je länger er mit uns ging und je munterer wir auf
ihn einplauderten, desto stiller wurde er. Und als nun gar die übrige
Gesellschaft singend, lachend und jubelnd zu uns stieß, da war er
plötzlich wieder verschwunden, und wir sahen ihn an jenem fröhlichen
Tage nicht mehr. >Du, Philipp, der hat ein großes Unglück erfahren oder
windet sich noch durch ein solches<, sagte mir Johanne nachher; >Philipp,
der Mensch thut mir unendlich leid; -- ist es dir denn noch niemals bange
und traurig in seiner Nähe zu Mute geworden?<

»Die Weiber haben in der Hinsicht einen feinen Blick und Sinn, und sie
verstehen es, uns Mannsvolk auf manches aufmerksam zu machen, was man
gefühlt hat, ohne daß es einem im Bewußtsein klar geworden ist. Ich
stutzte, und jetzt zuerst fiel es auch mir bei, daß mein schweigsamer
Freund auch mir schon einige Male sehr leid gethan habe. Bänglich war's
mir freilich noch nicht in seiner Gesellschaft zu Mute gewesen; doch
schon auf dem lustigen Heimwege nach der Stadt war es mir ganz klar, daß
von nun an auch das Bangen mich zu Zeiten wohl überkommen könne. Von
jenem Tage an achtete ich schärfer und schärfer auf meinen Freund
August, und dann einmal fragte ich ihn mit aller Aufbietung meiner
Beredsamkeit und Überredungskraft, was ihm eigentlich fehle und ob es
durchaus nicht möglich sei, daß ich ihm helfe? Ich beschwor ihn
inständigst, doch ein Herz zu fassen und alles, was ihn drücke, mir
mitzuteilen. Ich sagte ihm, daß ich mein Blut und meine Seele dran geben
würde, ihm zu helfen, und fügte auch sonst noch bei, was man bei einer
solchen zum Zittern aufgeregten Gelegenheit ernstlich und innig einem
geliebten, geschätzten und geachteten Menschen sagen kann. Natürlich
versuchte er zu lachen und versicherte mich, er befinde sich körperlich
wie geistig vollkommen wohl, sein Gewissen sei durchaus nicht durch
irgend eine unaussprechliche Schandthat belastet; aber für sein
Temperament könne er freilich nichts, und es sei in der That ein
ziemlich unbehagliches zu nennen und schon Mehreren aufgefallen. Er
sagte, er habe ein unglücklich Blut von seinen Vorfahren geerbt, und
wahr sei, daß er es stets kräftig und aufmerksam im Zaume halten müsse,
wenn nicht jeder Tag, den er lebe, zu einem jähzornigen bösen Ende
gelangen solle. Er dankte mir herzlich für meine Güte, wie er's nannte,
und es war mir fast, als sähe ich eine Thräne in seinen Augen, allein
das mochte doch wohl eine Täuschung sein, denn ein solches römisches
Münzengesicht, wie das seinige, war auf dergleichen Weichheiten hin
nicht in die gehörige Form gegossen.«

»Was für eine Art Visage hatte er, Kristeller?« fragte der Förster
Ulebeule.

»Ein Gesicht wie die Kaiser Nero, Caracalla oder Caligula auf ihren
Dukaten!« erläuterte der Pfarrherr, und der Apotheker »zum wilden Mann«
schüttelte den Kopf, glaubte sich aber jeder anderen Antwort überhoben
und ging in seiner Erzählung weiter:

»Meine Braut hatte ihm sehr gefallen. Er lobte ihr Äußeres und alles,
was sie während des kurzen Zusammenseins gesprochen hatte, ausnehmend.
Er nannte sie ein liebes, braves Mädchen -- was sie wirklich auch war
-- und er sprach mit tiefen Seufzern den Wunsch aus, eine ihr gleichende
Schwester zu haben. Da erkundigte ich mich denn selbstverständlich noch
einmal nach seinen Familienverhältnissen, er aber versicherte mich, daß
er ganz allein in der Welt stehe, Vater und Mutter durch den Tod
verloren und Geschwister nie gehabt habe; und wie um das Gespräch
schnell zu wenden, fragte er seinerseits, ob der Tag meiner Hochzeit
bereits festgesetzt sei.

»Als ich ihm nun gesagt hatte, wie es sich damit verhalte, seufzte er:
>O, könnte ich Ihnen helfen, Philipp, so würde es heute noch geschehen!<
-- -- Wie er mir half, und weshalb der Ehrensessel da seit dreißig
Jahren leer steht und auf ihn wartet, das will ich euch jetzt sagen.«




Fünftes Kapitel.


Die kleine Gesellschaft in dem bilderreichen Hinterstübchen der Apotheke
»zum wilden Mann« war dicht am Tische zusammengerückt. Sie wußten, daß
der alte Freund nicht übel zu erzählen verstehe, doch so wie heute hatte
er seine Gabe noch nicht gezeigt. Dem Förster Ulebeule war die Pfeife
ausgegangen, Schwester Dorette hielt die Hand des Bruders fest in der
ihrigen und der Pastor _loci_ klopfte leise mit der Dose auf dem Tische
und sagte:

»Also endlich! -- Kein Mensch sollte es doch für möglich halten, daß
einen solch braves Möbel, wie ein weichgepolsterter Lehnstuhl, dreißig
Jahre lang auf die Folter spannen könne. Lieber Kristeller, dieser
Sessel da hat mich in der That dreißig Jahre lang auf die Folter
gespannt!«

Sie lachten doch trotz ihrer Erregung, und der Herr Philipp lachte mit
und erzählte dann weiter.

»Der Sommer ging, der Herbst kam. Es wurde September und es wurde
Oktober, und die Pracht und Fülle der Natur ging für dieses Jahr auf
die Neige. Mein Prinzipal, der zur Zeit der Äquinoktialstürme stets
anfing, an Gesichtsschmerzen zu leiden, war gezwungen, mich nun fester
an die Offizin zu binden. Es ging wohl ein Monat hin, ehe er mich wieder
in die Weite schickte; -- am 15. Oktober aber jagte er mich drei Meilen
weit nach jener berühmten Felsgruppe, die ihr alle unter dem Namen der
Blutstuhl kennt, einer Moosart wegen, die um diese Zeit dort blühte und
zwar nur dort allein.

»Ich war damals auf dem Blutstuhle, doch nachher nicht wieder. Ich habe
eine Furcht vor dem wilden Orte behalten, trotzdem daß damals mir das
gegeben wurde, welches dieses Haus in meinen Besitz brachte und mir das
Leben, wie ich es geführt habe, möglich machte. Das Rätsel liegt noch
ungelöst da. Wenn ihr, meine Freunde, nachher euren Scharfsinn daran
prüfen wollt, so soll es mir lieb sein. Ich habe es aufgegeben, nachdem
ich ein Menschenalter darüber habe nachgrübeln müssen, und jetzt wird es
ja auch wohl gleichgültig sein, ob einer hier im Kreise noch zuletzt das
rechte Wort findet. Jenen Tag aber, diesen mir bedeutungsvollen 15.
Oktober, werde ich euch nun mit allen seinen Umständen so genau als
möglich schildern, und ihr müßt es euch schon gefallen lassen.«

»Kein Hase macht neugieriger seinen Kegel als ich!« rief der Förster.

»Lieber Gott, welch ein Abend!« sagte der geistliche Herr. »Hören Sie
nur diesen Sturm! O erzählen -- erzählen Sie!«

In der That ein stürmischer Abend! Je weiter die Nacht vorschritt, desto
wilder tobte es von Norden her gegen das Gebirge heran, und die Apotheke
»zum wilden Mann« bekam ihr volles Teil.

»Solch ein Wetter war es an jenem Tage nicht,« sagte Herr Philipp in
seinem gewohnten Tone, ruhig und gelassen, wie jemand, der eben ein
Menschenalter Zeit hatte, ein Erlebnis zu überdenken. Er wurde aber
auch noch einmal unterbrochen, denn es kam ein Kunde und holte für einen
Groschen Bittersalz und setzte eine Viertelstunde lang dem Verkäufer
auseinander wozu; -- was beides auch Zeit hatte bis morgen, wie Ulebeule
mürrisch bemerkte. Die Schwester jedoch benutzte die Pause, die
chinesische Schale auf dem Tische von neuem zu füllen, und endlich
erfuhren die Freunde doch, was der Apotheker Kristeller an jenem 15.
Oktober erlebte.

»Um neun Uhr morgens zog ich mit meinem Auftrage, das Frühstück in der
Tasche, die Botanisierbüchse auf dem Rücken, vom Hause, das beiläufig
das Zeichen >Zum König David< führte, ab; bei stiller Luft und dichtem
Nebel und diesmal im höchsten Grade geknickt und gebrochen. Ich hatte
Grund dazu, melancholisch auch in die schönste Witterung hineinzusehen!
Am Abend vorher hatte Johanne's Onkel mich bitten lassen, ihn doch
einmal auf ein Viertelstündchen zu besuchen, und ich hatte ihn besucht,
und er hatte mich zwei Stunden lang unterhalten. Zwei Stunden lang hatte
er mir eindringlich zugeredet, endlich doch ein Einsehen zu haben und
mir meine Lebensaussichten einmal recht klar zu machen und seine Nichte
-- nicht unglücklich! Kurz gesagt, er hatte mich aufgefordert, meiner
Braut ihr Wort zurückzugeben, und dafür seiner -- des Onkels -- ewigen
Freundschaft und Zuneigung gewiß zu werden. Und der Mann hatte in allem,
was er sagte, Recht gehabt, und er hatte nicht nur verständig, sondern
auch gutmütig gesprochen. Ohne die geringste Leidenschaft und
Zornmütigkeit hatte er mir seine und der Welt Meinung vorgetragen: er
hatte nichts gegen mich einzuwenden -- ich war ihm sogar sehr lieb und
wert, -- und doch! Ich war eben nach Hause gegangen oder vielmehr
getaumelt und hatte die Nacht über auf dem Stuhle vor meinem Bette
gesessen und die Stirn mit beiden Händen gehalten -- durch dieses
verständige Zureden unfähig zu allem und jedem Überlegen und
vernünftigem Überdenken: daß Johanne, meine arme, liebe Johanne, diese
selbige Nacht durchweint habe, wußte ich dazu. Betäubt verstand ich den
Prinzipal, der ebenfalls an Schlaflosigkeit litt, kaum, als er schon um
fünf Uhr mit dem Nachtlichte in der Hand an meine Thür kam, um mir
seinen neuen Herzenswunsch mitzuteilen und mir seinen Auftrag für den
Tag zu geben. Verdrießlich ging er, nachdem ich ihn endlich begriffen
hatte, seinen verbundenen Kopf schüttelnd, und ich hörte ihn noch auf
der Schwelle deutlich genug murren:

»>Auch der wird mir wieder mal unter den Händen zum Narren!<

»>Schreiben Sie dem Mädchen einen braven, ehrlichen, freundlichen Brief,
in welchem Sie das Nötige mit etwas Poesie meinetwegen sagen. Ich will
ihn abgeben und das Meinige, ohne Poesie natürlich, beimerken -- und
dann lassen Sie dem Jammer und meinetwegen auch sich selber in Ihrem
Elend alle Zeit -- es wird schon alles recht werden,< hatte mir der
Onkel vorigen Abend zum Beschlusse seiner schönen Rede geraten, -- und
dabei sollte man denn nicht zum Narren werden!! -- Das blühende Moos
drei Meilen ab vom >König David<, dem Hause des Herrn Onkels und meiner
Braut, war unter diesen Umständen in Wahrheit der einzige Trost, der mir
in der Welt wuchs. Ein Tag wurde wenigstens durch den Weg und das
Aufsuchen für mich und mein armes Kind gewonnen, und wie sich der Mensch
in seinen Nöten an den e i n e n Tag, die e i n e Stunde, die e i n e
Minute klammert, wer hätte das nicht schon in irgend einer Weise
erfahren?

»Ich schlich selbstverständlich unter Johanne's Fenster vorbei. Mein
Mädchen erblickte ich nicht; aber den Onkel sah ich. Er stand mit der
Pfeife hinter den Scheiben und schien nach dem Thermometer zu sehen;
seine eigene Temperatur hatte sich seit gestern Abend nicht verändert,
denn er zog höflichst die Nachtmütze ab und erhob dabei den
Zeigefinger. Der Gestus konnte nichts anderes bedeuten als: Vergessen
Sie nicht, mein Bester, was ich Ihnen gesagt habe; ich bestehe darauf
und weiß, was uns allen gut ist; -- ich bin ein alter erfahrener Kerl
und kenne die Welt ein wenig genauer als ihr guten, jungen,
leichtsinnigen, unerfahrenen Leute -- Auch ich grüßte so höflich und
submiß, wie ich noch nie einen Menschen gegrüßt hatte, und schleppte
mich seufzend matt weiter durch den grauen Dunst des Herbstmorgens.

»>O wie voll Dornen ist diese Werkeltagswelt<, läßt der englische Poet
Shakespeare eine seiner erdichteten Personen in einem seiner Stücke
sagen. Ich habe diesen Poeten immer gern gelesen und besitze eine
Übersetzung von ihm und habe mir vieles darin unterstrichen. Das Wort
von den Dornen und der Alltagswelt fiel mir diesmal auf die Seele, und
ich wiederholte es mir fort und fort bis auf die Berge hinauf. Freilich
war mir jetzo die Welt nach allen vier Himmelsgegenden durch das
dichteste Dornengestrüpp verwachsen, und daß es eine erbärmliche und in
ihrer Gewöhnlichkeit thränenreiche Werkeltagswelt war, das konnten mir
der Boden unter den Füßen und das Luftgewölbe über mir bezeugen.

»Der Nebel blieb wohl hinter mir in den Thälern zurück; aber in meiner
Brust nahm ich die Trübe auf die sonnigsten Gipfel mit empor. Ich
schritt rasch zu und tauchte mehrmals das Taschentuch in einen kalten
Waldbach, um es mir dann auf die heiße übernächtige Stirn und die
fiebernden Schläfen zu drücken. Um sah ich mich nicht, und es ist ein
Irrtum oder gar eine Lüge, wenn man behaupten will, daß einem
unglücklichen oder von Not und Sorge bedrängten Menschen eine schöne
Gegend und herrliche erhabene Aussicht zum Heil und zur Genesung
gereiche. Es ist einfach nicht wahr!

»Im Gegenteil, nichts ist schlimmer für einen Kummervollen,
Schmerzbeladenen als eine weite sonnenklare, in allen süßen Farben der
Erde leuchtende Fernsicht, hoch von einer Bergspitze aus. Es ist arg und
eigentlich furchtbar, aber es ist so: den Sturm, den Regen läßt man sich
in der bösen Stimmung gefallen; aber die Schönheit der Natur nimmt man
als einen Hohn, als eine Beleidigung und fängt an, alle sieben
Schöpfungstage zu hassen.«

Der Pastor schüttelte hier bedenklich den Kopf; Fräulein Dorette
Kristeller nickte zwar, aber sah doch auch ziemlich bedenklich und trübe
drein; der Förster Ulebeule jedoch klopfte mit der Pfeife auf den Tisch
und rief:

»Wahrhaftig, es ist etwas dran! Es ist bei mehrerem Nachdenken sogar
ziemlich viel dran. Jeder Kümmerer -- will sagen jedes durch einen alten
Schuß oder durch Krankheit sieche Stück Hochwild will auch von der
Pracht der Schöpfung, an der es in gesunden Tagen sein Wohlsein und
seine Freude hat, nichts mehr wissen. Und wer viel Umgang mit den Tieren
gehabt hat, der weiß, wie wenig der Unterschied zwischen ihnen und dem
Menschen zu bedeuten hat in allen Dingen, die mit Erde, Wasser, Licht
und Luft zusammenhängen. Ihr waret damals ein richtiger Kümmerer,
Kristeller. Der Onkel hatte Euch nicht übel angeschossen, und manch
einen in Eurer Lage hat das Schicksal bald darauf als tot verbellt.«

»Nun lasset uns weiter hören!« rief der geistliche Herr, und sie hörten
weiter.

»Was mir selten in der mir so bekannten Gegend passiert war, hatte ich
heute zu erleben; ich verlor mehrmals meinen Weg und fand ihn stets nur
mit Mühe wieder. Die Lebensverwirrung und schlimme Ratlosigkeit war
außer mir wie in mir; aber mein Pfad ging doch immer aufwärts und einen
Kompaß führte ich am Uhrgehäuse glücklicherweise auch mit mir. So wand
ich mich durch den Buchenwald und dann hinein in die Tannenwälder, an
steilen Lehnen, von denen die wunderlichen Granitblöcke der Urzeit in
wahrhaft gespenstischen Formationen herabgerollt waren, schräg in die
Höhe. Dann ging es über kahle, gleichfalls mit wildem, phantastisch
übereinander gestürztem Felsgetrümmer bedeckte Hochebenen -- aus dem
Nebel in das Sonnenlicht. Die Sonne schien um Mittag herbsthell, und ich
holte Atem, auf meinen Weg und die durchwanderten Thäler zurückblickend.
In den Thälern hielt sich der Nebel den ganzen Tag über, und als ich
nach einer Ruhestunde weiterging, schlich er mir leise wieder nach und
holte mich am Nachmittag, als ich den berühmten Platz, zu dem mein
Prinzipal mich diesmal hingesendet hatte, zu Gesichte bekam, richtig
wieder ein; aber freilich nicht mehr als der dichte Qualm der Tiefe,
sondern als ein leichter, alles in ein Zaubertuch einwickelnder Dunst.
Bei einer Wendung des Weges lag die unbeschreiblich grotesk zerklüftete
Steinmasse -- der Blutstuhl, vor mir da. Aus dem Tannendickicht
vortretend, erblickte ich seine höchste Platte sechzig bis achtzig Fuß
über mir; und langsam und ermüdet stieg ich nun noch über den mit kurzem
Gras bewachsenen Boden, um im Schutze der untersten Blöcke Kräfte zu
sammeln für das Suchen und Finden meiner seltenen Lichen-Art.

»Ihr, Ulebeule, kennt den Blutstuhl. Es ist ein Labyrinth von
Steinklötzen, das einen ziemlich bedeutenden Raum auf der Bergebene
einnimmt. Viele der Gruppen führen wunderliche sagenhafte Namen, die
höchste ist auf ausgewaschenen Treppenstufen zu erklimmen, und von ihr
hat das ganze Geblöck seinen Namen, und in ältester heidnischer Urzeit
unseres Volkes hat es denselben als Opferstelle vielleicht mit vollem
Recht geführt.

»Ich verzehrte vor allen Dingen trotz meiner trüben Seelenstimmung den
mitgebrachten Proviant nicht ohne Appetit; dann begab ich mich an die
Lösung meiner Aufgabe, die gar nicht so leicht war. Das winzige,
kriechende Ding, das mein Alter in einem frischen Exemplare zu besitzen
wünschte, wuchs keineswegs in jeder Spalte des Blutstuhles. Und mit den
Erlebnissen des letzten Abends, den Bildern der schlaflosen Nacht und
dem Onkel mit der Zipfelmütze am Morgen vor den schwimmenden Augen ließ
sich auch schlecht suchen.

»So kroch und kletterte ich zwischen dem Gestein umher: eine Flechte
fand ich nicht; aber ich fand etwas anderes, nämlich ein Vermögen!«

»Ah!« sagte die Zuhörerschaft in dem Hinterstübchen der Apotheke »zum
wilden Mann«.

»Mühselig in meiner vergeblichen Bemühung hatte ich mich so ziemlich bis
an die Basis der oberwähnten abgeplatteten Gipfelfelsmasse, der
eigentlichen Opferklippe, emporgearbeitet, als plötzlich ein Mensch, wie
es schien im hastigen Aufklimmen von der entgegengesetzten Seite her auf
der Platte erschien und einen Schrei ausstieß, der mich erschreckt
zurückfahren ließ. Die Gestalt, vom Dunst wie alles umher leicht
verschleiert, warf die Arme empor, griff mit beiden Händen in die Haare
und fiel mit einem neuen Aufschrei erst in die Kniee und dann ganz zu
Boden. Ich stand und hielt mich zitternd an dem nächsten Granitblocke,
und es dauerte einige Zeit, ehe ich mich so weit gefaßt hatte, um mir
die Frage vorzulegen: Was ist das?

»Ja, was war das? was konnte das sein? Ein Betrunkener? Ein
Wahnsinniger? Ein Epileptiker? Ein lebensmüder Unglücklicher, der sich
diesen Ort ausgesucht hatte, um gerade jetzt daselbst zu Ende zu kommen
mit sich? Alle diese Vorstellungen schossen mir nun blitzschnell
nacheinander durchs Gehirn; aber von der Höhe der Opferklippe kam keine
Antwort auf meine Frage.

»Und es ist deine Pflicht nachzusehen, was und wer es ist! rief es in
mir. Mit zusammengekniffenen Lippen, fest aufeinander gesetzten Zähnen
faßte ich Mut, packte meinen Wanderstock fester, um im Notfall auch auf
einen Angriff gerüstet zu sein, und stieg langsam und vorsichtig die
Steinstufen hinauf, die auf die heilige Opferstelle unserer Vorfahren
führten. Scheu und behutsam hob ich das Kinn auf die Platte; da lag er!
-- Langausgestreckt, bewegungslos, das Gesicht auf den Stein gedrückt,
lag der Unglückliche da, und rasch sprang ich meinerseits nun hinauf,
trat zu ihm, faßte ihn an der Schulter, sprach ihm zu, und nach einer
Weile erhob er auch das Gesicht und stierte mich an.

»Jetzt schrie ich fast, wie er vorher. Es war mein Kamerad, mein
geheimnisvoller Freund, mein botanischer Wissenschaftsgenosse, und zwar
mit Zügen so verstört, so von Schmerz, Angst und Zorn verwüstet, daß ich
es euch wahrlich nicht, wie es war, schildern kann.

»Langsam, wirklich wie aus einem epileptischen Zustande sich erhebend,
stand er auf, sah mich blind und meinungslos an, bis ihm nach und nach
das Bewußtsein von Ort, Zeit und Zustand zurückkam.

»>PhilippO AugustSeid Ihr es, der mich hier gefunden hat?<

»>O und Ihr -- was habt Ihr? was ist Euch geschehen? Ich möchte Euch so
gern helfen.<

»>Und könnt es ganz und gar nicht. Es wäre besser, Ihr ginget und ließet
mich hier, wie Ihr mich fandet. Ich bin für keines Menschen Gesellschaft
mehr tauglich.<

»Er sprach dieses alles so vernünftig, so gesetzt und ruhig, daß seine
Verstörung mir dadurch nur noch herzzerreißender in die Seele drang. Ich
wollte seine Hand fassen, doch er zog sie schnell und wie ergrimmt
zurück und schrie:

»>Nein, nein! das ist zu Ende, Herr -- Herr Kristeller. Ich habe heute
mit dieser Hand mein Schicksal besiegelt und werde sie niemandem mehr
als Zeichen der Freundschaft, der Zuneigung, der Liebe geben. Haltet
mich nicht für einen Narren -- o ich wollte, ich wäre es; aber ich bin
es nicht! Seit drei Tagen wäre es mir eine Wohlthat, wenn die letzte
Faser, die den Geist noch an eure Welt -- eure Alltagswelt bindet,
abrisse, und wenn man mich fände, wie man sonst wohl schon arme irre,
verlorene Menschen in der Wildnis gefunden hat. Kein anderes Gesicht
wäre mir heute so lieb gewesen als das deinige, Philipp; aber meine Hand
gebe ich dir doch nicht. Sieh da rund herum, sieh, wie die Städte und
Dörfer ausgestreut sind; -- sieh, alle diese hunderttausend
Menschenwohnungen sind mir von jetzt an verschlossen: ich habe keinen
Verkehr mit euch mehr, ich bin allein; es giebt keinen anderen Menschen
mehr auf Erden, der so allein ist wie ich!<

»>Aber ich bin da! mich hat das Schicksal gerade zu dieser Stunde zu dir
geführt, um bei dir zu bleiben! Meine Braut, mein Mädchen habe ich
verloren, oder sie soll mir doch genommen werden. Mir ja auch
verschließt sich die Welt. Laß uns einander zum Rat und Trost sein!<

»Nun war es, als ringe er in der Tiefe seiner Seele mit einem gewaltig
starken Gegner, und dann war es, als ob er dem Feinde obgesiegt habe,
und dann war es, als stehe er triumphierend mit dem Fuße auf der Brust
des Niedergeworfenen. Er knirschte mit den Zähnen und rieb sich die
rechte Hand, als sei sie feucht und er müsse sie trocknen. Zuletzt sah
er mich scharf und kalt an und sagte leise:

»>Lieber Herr, Sie können mir doch von keinem Nutzen sein. Ich bitte
Sie, sich keine Mühe zu geben. Sehen Sie, Kristeller, ich habe nie in
meinem Leben anders gesprochen, als meine Meinung war. Auch ist heute
Methode in meinem Wahnsinn gewesen; ich habe mich nicht ohne eine
gewisse Absichtlichkeit auf diesem kalten und harten Steine
niedergeworfen. Mein Herzblut ist durch diese Rinne niedergelaufen, wie
einst das Blut der fränkischen Gefangenen aus dem Heerbann des Kaisers
Karl durch dieselbe niederrieselte. Übrigens bin ich allein und will
allein sein. Gehen Sie, bester Herr, ich verstehe Ihre Gefühle, Ihre
gute Gesinnung gegen mich vollkommen, und wir wollen auch sicherlich
einander treu im Gedächtnis behalten, -- leben Sie wohl, Philipp
Kristeller.<

»Das war kühl und abstoßend genug, aber ich war auch Psycholog genug, um
zu wissen, aus welchem ganz anders bewegten Grunde dieser Ton
heraufquoll. Es ging nicht an, den Unglücklichen vor das Gericht der
Eigenliebe zu ziehen und mit einem: So empfehle ich mich denn höflichst
-- umzudrehen und geärgert nach Hause zu laufen.

»>Es ist ja möglich, daß wir heute für immer Abschied voneinander nehmen
müssen<, sagte ich; >aber weshalb sollen wir es denn in dieser Art thun?<«

»Da brachen dem anderen die Thränen aus den Augen.

»>Nein, nein<, schluchzte er, >du hast Recht, es ist doch nicht die rechte
Art!<

»Er warf mir die Arme um den Hals und küßte mich und schien mich nun
nicht von sich lassen zu können.

»>Lebe denn wohl, du Guter, -- denke nur an mein Elend und nichts
anderes an mir! Sieh mir nicht nach; du sollst noch einmal von mir
hören, Philipp! Lebewohl, lebewohl!<

»So hielten wir uns lange, und dann schieden wir in der That
voneinander. Ich habe ihn nicht wiedergesehen; aber gehört habe ich
freilich noch einmal von ihm; -- er hat mir einen Brief geschrieben; und
ich bin seit dreißig Jahren der Besitzer der Apotheke >zum wilden
MannDein Freund hat mir leid gethan und ein Bangen erregt durch sein
Wesen; aber nie ein Grauen, als ob er ein schlechter, ein böser Mensch
sei. Ich habe ein großes Mitleiden mit ihm gehabt und hätte ihm gern
helfen mögen in seinem Unglück. Aber sieh, Philipp, er hat mir auch
immer den Eindruck gemacht, als ob er stets genau überlege und wisse,
was er sage und thue. Er hat in seiner Melancholie einen klugen klaren
Kopf; und was uns jetzt so wunderlich scheint und aller Welt als eine
Verrücktheit vorkommen würde, das hat er auch bedacht und sich zurecht
gelegt, und er wird sicher das Beste für sich gefunden haben. Ich
glaube, du darfst das Geld nehmen und es versuchen, dein Glück darauf zu
bauen. Wir wollen es verwalten wie ein Darlehn, Philipp; wir wollen dem
Geber täglich seinen Stuhl an unseren Tisch setzen, wir wollen stets den
besten Platz für ihn frei halten; wir wollen ihn von einem Tage zum
anderen erwarten, und -- dem Onkel wollen wir von einer Erbschaft
sprechen, und du kannst das nur gleich thun; ich nehme die Verantwortung
für die kleine Notlüge gern auf mein Gewissen.<

»Seht, Nachbarn, das ist denn der Grund, weshalb der Sessel da stets
leer steht, weshalb immer ein Platz an meinem Tische offen gehalten
worden ist, diese ganzen letzten einunddreißig Jahre durch; der Freund
ist aber bis heute nicht zurückgekehrt! Mein Leben von meiner Ankunft
unter euch kennt ihr; -- ihr wißt, wie ich diese bereits zweimal in Gant
geratene Offizin übernahm, und wie es mir in schwerer Arbeit glückte,
den Platz zu behaupten, der meinen Vorgängern so gefährlich geworden
war! Ihr wißt aber auch --«

»Welch einen großen Schmerz du zu erdulden hattest, Bruder?« rief die
alte Schwester leidenschaftlich erregt. »Nein, nein, sie haben wohl
davon gehört; aber das rechte Wissen haben sie doch nicht davon.«

»Es war sehr traurig, Fräulein Kristeller,« sprach der Pastor, und
Ulebeule seufzte schwer und murmelte:

»Ja, ja; aber Ihr seid nicht der Erste, Philipp, dem solcherart das Glas
vor dem Munde weggeschlagen wird.«

»Das Haus stand; aber die Braut, die junge Frau sollte nicht einziehen.
Sie starb an dem Tage, auf welchen die Hochzeit festgesetzt war, und an
ihrer Stelle habe ich meinem armen Bruder seine Wirtschaft geführt,
diese dreißig Jahre hindurch, dieses Menschenalter, von welchem an
diesem stürmischen Abend so viel die Rede gewesen ist.«

»Und wir haben unsere Tage in der Stille doch gut verlebt,« sagte der
Apotheker »zum wilden Mann« wehmütig lächelnd. »Wir sind in Frieden grau
geworden, und der Sturm, der vor dem Fenster vorbeibraust, kümmert uns
wenig mehr. Der freie Stuhl ist leer geblieben, und der, für welchen der
Sitz aufbewahrt wurde, hat seine Ruhe wohl auch gefunden, an einem
anderen Orte weit in der Fremde; hoffentlich nachdem er sich, wie er in
seinem wilden Briefe da sagt, zu den Menschen zurückgefunden hatte. Wir
aber, die wir hier miteinander alt geworden sind, wir wollen in Treue
und guter Gesinnung auch fernerhin bei einander bleiben und kein
Ärgernis an einander über die nächste Begegnung hinaus weiter tragen.«

»Das wollen wir!« sprachen beide Männer wie aus einem Munde.

»Gewiß, gewiß,« sagte das Fräulein.




Siebentes Kapitel.


Der Regen hatte augenblicklich aufgehört; aber der Wind war dafür um ein
ziemliches heftiger geworden. Nach dem, was da erzählt worden war, ließ
sich ein gleichgültiges Gespräch nicht leicht anknüpfen, und doch fühlte
jeder das Bedürfnis dazu im hohen Grade.

Als Ulebeule sich endlich zusammennahm und kläglich sagte:

»Es ist doch ein tüchtiger Wind!« machte Fräulein Kristeller freilich
die dazu gehörende Bemerkung:

»Ach ja, und die armen Leute, die jetzt auf dem Wasser sind!« aber das
Gespräch war damit doch wieder zu Ende und fiel kläglich zu Boden. Herr
Philipp hatte seinen schicksalvollen Brief wieder in das gelbgewordene
Couvert geschoben und trat eben mit demselben in die Thür seiner
Offizin, als er stehen blieb und rief:

»Da ist der Doktor!«

»Der Doktor!« riefen aufatmend und mit glatt auseinander sich legenden
Mienen alle ihm nach. »Der Doktor! richtig, er wird es sein.«

Er war es. Man vernahm draußen vor den Fenstern der Offizin, nicht des
Hinterstübchens, Rädergeknarr, das Stampfen eines Gaules,
Peitschengeknall und dazwischen eine laute joviale Stimme:

»Holla, heda! Giftbude! Lichter an die Fenster! Bist du da, Friedrich,
so reiß' das Scheunenthor auf und leuchte, daß wir die Karete und uns
aus der Sündflut und dem sonstigen Orkane in Sicherung bringen!«

Das alte Fräulein lief schnell hinaus und dem gern gesehenen dritten
Hausfreunde entgegen. Behaglicher lehnten sich der Förster und der
geistliche Herr auf ihren Stühlen zurück. Der Apotheker stand lächelnd
mit seinem vergilbten Briefe in der Hand da und horchte mit den andern.
Schon hörte man jetzo auf der Hausflur des Doktors lustige Stimme,
dazwischen die Stimme Dorothea's, und dann sprach noch jemand darein,
gleichfalls kräftig-heiter.

»Er kommt nicht allein. Er bringt uns einen Gast oder sich einen
Patienten mit,« sprach der Apotheker »zum wilden Mann«, und sofort
zeigte es sich, daß das erstere der Fall war. Weit flog die Thür, die
von der Hausflur in das bilderreiche Hinterstübchen führte, auf, und mit
dem Landphysikus _Dr._ Eberhard Hanff trat der Gast ein, höflich auf der
Schwelle um den Vortritt sich mit Fräulein Dorothea bekomplimentierend.

»Keine Umstände, Herr Oberst,« rief der Doktor, den ältlichen,
breitschulterigen, stattlichen alten Herrn mit dem schneeweißen Haar,
den schwarzen scharfen Augen im munteren tiefgebräunten Gesichte weiter
vorschiebend. Und ohne alle weiteren Umstände stellte er vor:

»Colonel Dom Agostin Agonista -- im Dienste Seiner Majestät des Kaisers
von Brasilien, -- von mir aufgegriffen auf dem Wege zum wilden -- ach,
Herrje, Punsch?! -- o Oberst, habe ich es nicht gesagt? Fräulein
Dorette, Sie wissen meine Gefühle und Gemütsstimmungen doch immer auf
drei Meilen Weges hinaus zu ahnen; -- Punsch!! Die Herren werden sich dem
Herrn Oberst am besten selber bekannt machen. Ach, Fräulein Dorette, je
bösartiger die Witterung, desto inniger die Ahnung Ihrerseits; --
erlauben Sie mir, daß ich Ihnen die Hand küsse.

»Lassen Sie das dumme Zeug nur und hängen Sie lieber Ihren Mantel an den
Haken,« sprach die Schwester des Apothekers, »der Herr Oberst ist uns
sehr willkommen, und wir bitten höflichst, Platz zu nehmen.«

Der Landphysikus pflegte die Leute, die er dann und wann auf seinen
Berufswegen »als Gäste aufgriff« und in irgend ein beliebiges Haus mit
sich nahm, stets in einer ähnlichen Weise vorzustellen und sie dadurch
gewöhnlich in nicht geringe Verlegenheit zu bringen. Der brasilianische
Oberst jedoch ließ sich nicht so leicht in Verlegenheit setzen. Er
wendete sein munteres, vernarbtes altes Soldatengesicht heiter und hell
im kleinen Kreise umher und sagte mit dem leisesten Anhauch eines
fremdartigen Accentes:

»Meinerseits nenne ich dieses einen raschen Überfall, meine Dame und
meine Herren, und bitte sehr um Entschuldigung wegen dieses nächtlichen
Eindringens. Der Herr Doktor fand mich freilich in einer höchst
erbärmlichen Schenke am Wege durch den Sturm und die Nacht festgehalten
hinter dem Tische und hat in der That in der freundlichsten Weise den
barmherzigen Samariter gespielt. Er nahm mich in seinen Wagen auf und
bot mir ein besseres Nachtquartier in dieser Ortschaft an. Ich folgte
ihm gern, und dann hielt er vor diesem Hause an, -- um einen
>Kristeller< zu nehmen, wie er sagte, -- auf einen Moment, wie er sagte,
und ich kam mit ihm herein, um auch einen >Kristeller< zu mir zu nehmen,
und mein Name ist wirklich Agonista, und ich bin Oberst in
brasilianischen Diensten.«

»Mein Name ist Kristeller; aber der Doktor, mein lieber Freund, nennt
einen Liqueur so, dessen Erfindung mir gelungen ist, Herr Oberst,« sagte
der Apotheker. Ȇbrigens ist uns allen hier Ihr Eintritt in unseren
kleinen Kreis eine Ehre und ein großes Vergnügen.«

Der Pastor und der Förster sprachen nun gleichfalls ihre Befriedigung
über die zeitgemäße Ankunft des interessanten Fremden aus. Man
schüttelte sich die Hände und schob von neuem die Stühle an den Tisch.

»O -- Fräulein Dorette, ich habe Ihnen wie gewöhnlich mein Kompliment zu
machen!« rief der Landphysikus _Dr._ Eberhard Hanff, in Extase nach
einem langen Zuge die Nase aus dem Dampfe des Getränkes des Abends in
die Höhe hebend. »Finden Sie jetzt nicht auch, Colonel, daß wir hier
besser aufgehoben sind als dort in der Kneipe >zum Krug ohne Deckel<
oder wie die Räuberhöhle sonst heißt? he, und wie wehrte und sperrte
man sich gegen das bessere Verständnis eines landkundigen Mannes!«

»Es ist gewiß besser hier,« sagte der Soldat mit einer Verbeugung gegen
die Schwester des Hausherrn. »Man wehrt sich oft gegen sein Glück,
Senhora -- man sollte es nicht thun.«

Die Übrigen gaben dem Oberst natürlich recht, und dann redete man ebenso
selbstverständlich von neuem eine geraume Zeit über das Wetter; doch
dann auch über die Wege, über die Wegschenke, in welcher der Doktor den
Fremden gefunden hatte, über die Gegend im allgemeinen und besondern,
über das frühe Abziehen der Zugvögel in diesem Jahre, über dieses und
jenes: nur der Apotheker »zum wilden Mann« nahm an dieser Unterhaltung
wenig Anteil.

Er, Philipp Kristeller, saß seinem brasilianischen Gaste gegenüber. Den
alten Brief hatte er nicht wieder in sein Pult verschlossen, sondern,
durch die plötzliche Ankunft des Doktors und des Fremden daran
gehindert, ihn wieder mit sich gebracht und auf dem Tische von neuem vor
sich niedergelegt. Er stützte jetzt den Ellenbogen darauf und lächelte
in das Gespräch der Übrigen hinein, doch wie abwesend und den eigenen
Gedankengespinnsten nachgehend. Daß der so plötzlich und unvermutet in
seinem stillen Hauswesen erschienene ausländische Herr seine innere
Erregung vermehrte, konnte man nicht sagen, doch richtete er, der
Hausherr, dann und wann verstohlen forschend den Blick auf den Gast; und
die Antworten, die er sodann auf an ihn gerichtete Fragen gab, waren
noch um ein weniges zerstreuter.

Der Arzt erkundigte sich zuerst scherzhaft nach dem Grunde, und Ulebeule
antwortete für den Apotheker.

»Laßt ihn, Medicus, hat sich der Bär erniedrigt, so wird er sich wohl
bald um so mehr erheben; denn wozu hat er seine Hinterpranken sonsten?
fragt man in Polackien. Wäret ihr eine Viertelstunde früher gekommen, so
hättet ihr uns a l l e insgesamt in einer noch viel kurioseren Stimmung
angetroffen. Wie die Hasen ihre Hexensteige durchs Korn, so haben wir
uns an diesem Abend unsere Wege durch die angenehme Unterhaltung
gebissen. O, wir haben seltsame Historien vernommen!«

»Ulebeule!« rief der Apotheker; doch der Förster war in seinem Eifer
nicht imstande, auf den Ruf zu hören.

»Ich sage Ihnen, Doktor, es ist ein Jammer und Schade, daß Fräulein
Dorette's Punsch Sie und den Herrn Oberst nicht ein wenig früher
angeludert hat. Wie Federwild sind die merkwürdigsten Geschichten um uns
her aufgestoben. Wir wissen jetzt, weshalb sich dreißig Jahre lang
keiner von uns in diesen Lehnstuhl da hat setzen dürfen; -- wir wissen,
in welcher Weise unser Freund Philipp bei uns ankam, -- wir haben viel
gehört von Liebe und Tod, von wilden Männern und alten Geldbriefen, wie
nicht jedermann solche von der Post zugeschickt kriegt. Waren Sie jemals
in Ihrem Leben auf dem Blutstuhle, Doktor?«

»Ulebeule?!« rief jetzt auch der geistliche Herr, und diesmal hörte der
Förster.

»Nun, nun, -- ja, ja, Ihr habt recht!« brummte der redselige Waidmann
kleinlaut. »Nehmt's nicht übel, Kristeller, da Ihr selber so vertraulich
waret --«

Herr Philipp füllte freundlich dem biederen Hausfreunde das Glas und
reichte ihm die Hand; doch nun sagte der Doktor Hanff:

»Zu den kuriosen Geschichten sind wir, die wir unsererseits dergleichen
vielleicht auch dann und wann erlebten, diesmal zu spät gekommen. Aber
eine Frage erlaube ich mir doch: habt ihr diesen guten Trunk hier jener
Historien wegen etwa zusammengebraut?«

Der brasilianische Oberst Dom Agostin Agonista, der die ganze Zeit
hindurch mit nachdenklichen Augen auf den leerstehenden Ehrensessel
geschaut hatte, sah jetzt scharf auf und hell und heiter im Kreise
umher, zuletzt am schärfsten auf den Herrn des Hauses. Währenddessen
antwortete der Pastor dem Physikus und den forschenden Blicken des
Colonels zugleich mit:

»Sie sind zu einem eben so freudigen wie ernsthaften Gedächtnisfeste
gerade noch zur rechten Zeit gekommen, lieber Doktor. Unser Freund
Kristeller sitzt heute gerade dreißig Jahre hier in diesem Hause >zum
wilden Mann<, Herr Oberst. Er ist uns und allen Bewohnern der Gegend
weit und breit ein lieber, treuer Freund und Helfer ein ganzes
Menschenalter durch gewesen; den Punsch hat uns Fräulein Dorothea
improvisiert, und Ihre Einladung würden Sie zu Hause vorgefunden haben,
lieber Doktor.«

»Den Umweg habe ich mir demnach gespart,« lachte der Landphysikus. »Mein
Herr Vater verwunderte sich gleich über meine verständige Nase, als die
Wickelfrau mich ihm auf die Arme legte.«

Noch eine Bemerkung über seinen Hausschlüssel anfügend, sah der Humorist
des Ortes von einem zum anderen, aber man lächelte diesmal nur, man
lachte nicht mit oder hielt sich gar vor Lachen am Tische. Am
vergnügtesten sah noch der Oberst aus, und dieser erhob nunmehr auch
sein dampfendes Glas und sprach:

»So erlaube ich mir denn, als ein wie vom Himmel in diese Behaglichkeit
hineingefallener Fremdling gleichfalls auf diesen schönen und wichtigen
Gedenktag und Abend zu trinken. Dreißig Jahre sind eine lange Zeit;
manches wird darin anders -- Gesichter und Meinungen. Und meine gnädige
Dame und meine guten Herren, auch ich kann heute ebenfalls ein mir sehr
merkwürdiges und folgenreiches Gedächtnisfest feiern; -- auch mir sind
heute gerade dreißig Jahre vergangen, seit ich zum erstenmale im Feuer
stand und zwar an Bord der chilenischen Fregatte >Juan Fernandez< gegen
den >Diablo blanco<, den weißen Teufel, ein Schiff der Republik Haity,
um am folgenden Morgen mit einem Holzsplitter in der Hüfte und einem
Beilhieb über der Schulter im Raum des Niggerpiraten aus der
Bewußtlosigkeit aufzuwachen!«

»Wozu man freilich heute noch gratulieren kann,« brummte der Doktor,
während die anderen auf andere Weise ihr Interesse und Mitgefühl
kundgaben.

»Wozu ich mir ganz gewiß heute noch Glück zu wünschen habe,« sagte der
tapfere alte Krieger, »denn in diesem gottverdammten Schiffsraume, dem
schwärzesten, stinkendsten Loche, das je auf dem Wasser schwamm, lernte
ich einen Arzt kennen, der eine Kur an mir verrichtete, wie sie keinem
europäischen Mediziner gelungen wäre --«

»Das wäre der Teufel!« rief der europäische Physikus.

»Der war es so zu sagen auch,« sprach gelassen der brasilianische
Oberst, »und er klopfte mich auf die Schulter und sagte: >Senhor, eine
Zeit lang hat jedermann auf Erden das Recht, den Narren zu spielen, nur
darf er das Spiel nicht über die gebührliche Zeit fortsetzen, er macht
sich sonst lächerlich; Ihr gefallt mir, Senhor, und ich meine es gut mit
Euch, -- diesmal kommt Ihr noch mit dem Leben davon; erinnert Euch
meiner und ruft mich, wenn Ihr mich braucht; ich stehe immer an Eurem
linken Ellbogen.< -- Meine Herrschaften, das Ding verhielt sich wirklich
so, und ich habe den Schwarzen jedesmal, wenn ich ihn nötig hatte,
gerufen, und mich stets wohl dabei gefunden. Vorher war's mir herzlich
schlecht in der Welt ergangen, und ich hatte mich recht übel darin
befunden.«

Der geistliche Herr rückte ein wenig ab von dem sonderbaren Gaste,
Fräulein Dorothea Kristeller murmelte:

»Ei, ei! hm, hm;« -- der Apotheker sagte noch immer nichts; aber
Ulebeule rief entzückt:

»Das ist ja aber heute wie ein Abend aus dem Tausendundeinenachtbuche!
Wir sind drin im Erzählen, und wenn's nach mir geht, bleiben wir bis zum
Morgen dabei. Lieber Herr Oberst, unser alter Philipp da hatte vom
Anfange an auch nicht die Absicht, uns alles das, was er uns berichtet
hat, zu beichten; er geriet nur so ganz allgemach auf die Fährte, und
wir haben ihn nur durch gute Ermunterung darauf gehalten. Herr Oberst,
nehmen Sie sich gütigst ein Exempel und erzählen Sie weiter von den
Mohren. Der Abend ist ganz darnach; -- was meinen Sie, Pastore?«

Der Pastor war wieder zugerückt und bot dem fremden Kriegsmann die Dose.

Dom Agostin Agonista lächelte gutmütig und sagte vergnügt:

»Ich weiß nicht, was für wilde Historien unser freundlicher Herr Hospes
von sich erzählt hat; mein Leben ist sicherlich ins Wilde geschossen und
hat Früchte gebracht, die auf jedem Markte Verwunderung erregen müssen.
Zuerst wucherte das Gewächs phantastisch ins Kraut, und mehr als ein
Botanikus wartete mit Spannung auf die überirdischen Blüten und Früchte.
Jawohl! Der große Hurrikane kam, der Wind und Sturm über Land und See,
-- die Blätter wurden weggefegt, die Blüten, oder was so aussah, dito.
Endlich fand sich so ungefähr drei bis vier Fuß unter der Erde etwas,
was mit der Kartoffel einige Ähnlichkeit hatte -- allerlei Knollen durch
Fasern aneinanderhängend -- ungenießbar, zäh, ein abgeschmacktes Produkt
der alten Mutter Erde. Dazu hat man es denn gebracht, meine
Herrschaften, und der einzige Trost ist nur, daß eben nicht ein jeder
nach seiner Wahl ein Pomeranzen-oder Palmenbaum werden kann. Je früher
aber der Mensch herausfindet, in welche Klasse er nach Linné oder Buffon
gehört, desto besser ist es für ihn und desto schneller kommt er zur
Ruhe und zur Zufriedenheit mit seinen Zuständen. So lange er's noch
nicht heraus hat, spuckt er Gift und Galle in den schönsten Sonnenschein
hinein und macht Brüderschaft mit dem Schneegestöber und Winterwinde.
Ich halte das auch für eine Philosophie, Herr Kristeller.«

»Das ist es auch, Herr Oberst,« sagte Herr Philipp. »So lange aber der
Mensch jung ist, findet er die große Wahrheit selten. Ja, Viele -- die
Meisten finden sie nie und glauben an ihre Palmbaumberechtigung bis zum
Ende.«

»Und das ist ein Glück,« rief der wetterfeste, philosophische
Kriegsmann, »denn ohne diese glückliche Illusion würde die ganze
Menschheit doch nichts weiter sein als ein sich elend am Boden
hinwindendes Geschling und Gestrüpp. Übrigens sind die Kartoffeln und
die Trüffeln gar nicht zu verachten.«

»Aber mit dem Mohrenschiff und dem schwarzen Satan, der den verehrten
Herrn Oberst so zutraulich auf die Schulter klopfte, hat dieses alles
doch eigentlich nicht das Geringste zu schaffen -- nicht wahr?« fragte
Ulebeule.

»Bravo, Förster!« rief der Doktor. »Ihr seid und bleibt ein
hirschgerechter Waidmann. Tago! Tago! Ihr laßt Euch wahrlich nicht von
der Fährte abbringen. Geben Sie sich nur drein, Oberst, und erzählen Sie
uns von dem Mohrenschiffe und Ihren sonstigen spaßhaften und ernsthaften
Erlebnissen. Die Nacht ist schwarz genug dazu, und wir sind ganz Ohr.«

Nun schien der richtige Ton für die folgende Unterhaltung gefunden zu
sein; aber in demselben Moment jagte der Colonel Agonista alle, nur den
Hausherrn nicht, in hellster Überraschung, ja im jähen Schrecken von den
Stühlen empor.

Er hatte sein Glas erhoben und sagte jetzt langsam und ruhig:

»Lassen Sie uns anstoßen auf das Wohl aller wetterfesten Herzen,
gleichviel ob sie ihre Schlachten innerhalb ihrer vier Wände
durchfechten oder durch Blut und Feuer über den halben Erdball
herumgeworfen werden. Kennst du mich nicht mehr, Philipp? Kennst du mich
wirklich nicht mehr, Philipp Kristeller?!«

       *       *       *       *       *

Der Apotheker »zum wilden Mann« hatte den Geldbrief, der bis jetzt unter
seinem Ellenbogen gelegen hatte, gefaßt und in der zitternden Hand
zusammengeknittert. Seit fünf Minuten schon wußte er, wer sein Gast war,
und der Oberst Dom Agostin Agonista hatte das auch gewußt. Nun aber
griff die Schwester zu und stützte den Bruder; der Oberst faßte ihn von
der anderen Seite und so erhob er sich jetzo mühsam wie die Übrigen,
legte beide Arme dem Gaste um die Schultern, legte ihm das Gesicht an
die Brust und stöhnte:

»Nach einem Menschenalter also!«

Der Doktor, der Pastor und der Förster verwunderten sich, ein jeder auf
seine Manier, und es währte eine ziemliche Weile, ehe jedermann wieder
Platz genommen hatte.

Endlich saßen sie wieder; der Oberst aber nicht auf dem ihm so lange
Zeit aufbewahrten weichen Ehrenplatz. Dom Agostin hatte, nachdem er die
Ehre zuletzt fast grob zurückgewiesen hatte, mit zierlicher, drängender
Höflichkeit Fräulein Dorette Kristeller in den Lehnstuhl niedergesetzt,
und diese behielt denn auch den Platz, nachdem sie ihren Protest
eingelegt hatte.

»Gegen die Gewalt kann ich nicht an, Herr Oberst, aber behaglich sitze
ich hier wahrhaftig nicht, und in die Wirtschaft muß ich auch jeden
Augenblick hinaus.«

Das war richtig. Die chinesische Bowle mußte noch zweimal im Verlaufe
der Nacht gefüllt und das Gastzimmer ebenfalls doch auch für den
geheimnisvollen, abenteuerlichen Freund hergerichtet werden. Dazwischen
erzählte der alte Soldat, ohne sich im geringsten zu sperren, dem
»Wilden Mann« seine Geschichte. Was darin zu Tage kam, hätte jeden Tisch
voll Philister (unter anderen Umständen) bewogen, erst von dem munteren
Erzähler leise abzurücken, dann nach und nach mit den Gläsern und
Pfeifen sich nach einem anderen Platze umzusehen und dann -- bis zum
Nachhausegehen -- von dem neuen Stuhl aus verstohlen, furchtsam und
verblüfft über die Schultern nach dem unheimlichen fidelen alten
südamerikanischen Burschen hinzustieren.




Achtes Kapitel.


Das kahle Gezweig kratzte nicht mehr so ärgerlich wie vorher an den
Fensterscheiben des Hinterstübchens in der Apotheke »zum wilden Mann«.
Der Förster Ulebeule hatte den Kopf in die Nacht hinausgesteckt, ihn
zurückgezogen und den im Zimmer Anwesenden die tröstliche Versicherung
gegeben:

»Es klärt sich richtig auf. Man sieht die Sterne durchs Gewölk. Der Wind
hat ordentlich über unseren Köpfen und Schornsteinen aufgeräumt. Ich
kenne das und wette, daß wir morgen einen ganz klaren Tag haben werden.«

Dies fiel in die Pause nach dem wundervollen Ereignis und
Wiederzusammenfinden in der Apotheke »zum wilden Mann«.

Philipp Kristeller hatte bis jetzt die Hand seines Wohlthäters noch
nicht losgelassen. Die beiden alten Freunde saßen nebeneinander, und der
Oberst hielt spielend in der Linken den Brief, den er vor einunddreißig
Jahren in der Lebensverzweiflung geschrieben und mit 9500 Thalern in
Staatspapieren für den botanischen Studiengenossen beschwert hatte.
Jetzt zum erstenmal entzog er die rechte Hand dem Freunde vom
Blutstuhle, warf das letzte Endchen seiner Cigarre hinter sich und zog
eine kurze Pfeife heraus, die er aus einem sehr exotisch, sehr
indianisch aussehenden Tabaksbeutel füllte und plötzlich -- ehe er durch
einen hastigen Griff und Ruf des Apothekers daran gehindert wurde, in
Brand setzte. Ehe er dran gehindert werden konnte, hatte Dom Agostin
Agonista ein bedeutendes Stück von seinem verjährten, wild-phantastischen
Schreiben abgerissen, es regelrecht zu einem Fidibus zusammengedreht und
denselben zu dem Zwecke verwendet, zu welchem man eben einen Fidibus
gebraucht. In demselben Moment fing er gelassen und gemütlich an, seine
Geschichte zu erzählen, und sie ging gut an, nämlich mit den Worten:

»Nicht wahr, Doktor, wer noch keinen Menschen umgebracht hat, der wird
sich nur schwer in die Gefühle eines, der's bereits fertig brachte,
hineinfinden. Erschrecken Sie nur nicht zu arg, meine Herrschaften; ich
habe mich allmählich hineingefunden; -- es lernt sich alles in der Welt
und wird zur Gewohnheit, das Hängen und Erschießen wie -- das Köpfen.
Ich stamme aus einem der anrüchigsten Geschlechter Deutschlands und
hatte drei Tage vor dem Zusammentreffen mit meinem Freund Philipp
Kristeller auf dem Blutstuhle gethan, was ich mußte. Um es kurz zu
sagen, so hatte ich, unter Billigung und Beistand von Staat und Kirche,
einem nichtsnutzigen Mitbruder im Wirrwarr dieser Welt auf offenem Felde
und vor zehntausend Zuschauern den Kopf abgeschlagen. Erschrecken Sie
nicht, bestes Fräulein -- auch das ist eine verjährte Geschichte.«

Ja, was half es zu sagen: Erschrecken Sie nicht! --? sie fuhren doch
alle zusammen, selbst Herr Philipp Kristeller.

»Das Amt, das meine Vorfahren seit mehr als zweihundert Jahren in
ununterbrochener Geschlechtsfolge verwaltet hatten -- rühmlich verwaltet
hatten, war eines Tages auf mich übergegangen, und ich habe es ausgeübt
-- einmal! -- wie gesagt, drei Tage vor jenem Anfall vom Veitstanz, in
welchem der da mich auf dem Blutstuhl fand. Sieh, Philipp, d a s  w a r
e s! und deine Johanne hatte wohl Recht, wenn sie schon lange vor jenem
letzten Zusammentreffen dich auf mancherlei an mir aufmerksam machte,
was ihr nicht gefiel. Ach Gott, ich wollte, ich könnte es dem armen
guten Kinde heute abend auch sagen, wie gut sie mir stets gefiel. Sie
ist also tot -- ein Menschenalter tot? ach Philipp, Philipp, du hast es
kaum wissen können, wie viel Sonnenschein von ihr ausging, wo sie ging
und stand, und wie schwarz und scheußlich mir die Welt in dem schönen
Lichte vorkam. Auch verjährt! da wir noch am Leben sind und es uns wohl
geht, so wollen wir von uns reden. -- Ich war wunderlich erzogen worden.
Mein Großvater August Gottfried Mördling hatte das schlimme Erbamt noch
im reichlichen Maße und als finsterer Enthusiast bekleidet; mein Vater
hatte dagegen das Glück gehabt, daß in seine ganze, freilich nicht sehr
lange Lebenszeit nicht ein einziges Mal die unangenehme Notwendigkeit
fiel, die Kammer im Oberstock des Hauses aufzuschließen und mit dem Auge
und dem Finger an der Schärfe des breiten Schwertes mit der Jahreszahl
1650 hinauf und hinunter zu fahren. Von meiner Mutter weiß ich wenig zu
sagen. Sie war eine kränkliche, verdrossene Frau, und ich habe nur eine
Haupterinnerung von ihr, nämlich daß sie eine ausgebreitete
Geflügelzucht trieb und das Schlachten der Hühner, Puter, Enten, Tauben
und Gänse stets selber besorgte und zwar mit großer Kunstfertigkeit und
einer gewissen wilden Energie. Mein Vater, ein sanfter, gebildeter Mann,
der Schiller verehrte, Goethe verstand, für Uhland schwärmte und mich
erzog, ging bei solchen Exekutionen stets mit raschen Schritten vom Hofe
oder aus der Küche weg, indem er murmelte: O du grundgütiger Himmel! --
Mein Vater, Alexander Franz Mördling, war auch gereist, sowohl als
Kunst- wie als Naturliebhaber, er war in Frankreich, England und Holland
gewesen, sprach recht gut englisch und französisch und erzog mich nur zu
gut. Er machte auch mich zu einem gebildeten Menschen, der über Sonnen-
und Mond- Auf- und Untergänge zu reden wußte, und vor allen Dingen ein
Herbarium anzulegen verstand. Als die echten, richtigen Autodidakten
machten wir uns beide unsere Welt zurecht, -- eine Welt, aus der keiner
von uns beiden berufsmäßig herausgerufen werden durfte, ohne halb
verrückt zu werden und ganz zu Grunde zu gehen. Unser Erbhof lag
natürlich außerhalb der Stadt, versteckt im Grün, von uralten Linden
überschattet, durch hohe Mauern und ein gewaltiges Thor geschützt -- ein
Haus aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts, warm im Winter, kühl im
Sommer -- ein Generalsuperintendent hätte drin wohnen und seine
Predigten abfassen können. Der Schall und Spektakel der Leute draußen
drang kaum zu uns; und wenn mein Papa mir unsere eigentlichen Zustände
keineswegs vorenthielt, so machte die Kenntnis davon durchaus keinen
niederdrückenden Eindruck auf mich. Es lag für den Knaben sogar ein Reiz
darin -- man war allein, aber man war auch etwas, was die anderen nicht
waren; -- liebes Fräulein, man saß wie ein geheimnisvoller Affe auf der
Mauer und grinste die Jungen drüben jenseits des Grabens, die nicht zu
grinsen wagten, so zu sagen unheimlich-vornehm an. Sie glauben es mir
nicht, Fräulein Dorette, aber es verhielt sich doch so. Da mein Vater in
seiner Abgeschiedenheit erträglich behaglich und zufrieden seine Tage
verbrachte, so hatte ich um so weniger Grund, mich über mein Schicksal
zu beklagen. Wir hatten durch Sommer und Winter unsere kleinen Freuden,
-- und Matthias Claudius würde sich sicherlich wohl in unseren
Beschäftigungen und träumerischen Grübeleien und Liebhabereien gefühlt
haben. Ja, es fällt mir erst jetzt bei: vom alten Wandsbecker Boten
hatte mein Alter das Meiste in seiner Natur; -- er konnte es sicherlich
nicht ahnen, welch ein Meister Urian in seinem Söhnchen steckte. -- Aber
endlich kam ein Winter, in dem mein Vater bei hohem Schnee und
hartgefrorenem Boden mit Tode abging; und ich ein mündiger, erwachsener
Mensch, der allem, was außerhalb unserer Hofmauer lag und vorging,
gänzlich unmündig gegenüberstand, ihn sterben sah.«

An dieser Stelle stand der Erzähler, der Oberst Dom Agostin Agonista auf
und ging zum Fenster, um nach dem Wetter zu sehen.

»Es ist das einzige, was einem bei außergewöhnlich unruhigen
Gemütsbewegungen hilft,« sagte er zurückkommend und seinen Stuhl wieder
einnehmend. »Übrigens hat der Herr Förster recht; es wird klar, und wir
werden morgen wohl einen schönen Tag haben. Wo war ich doch stehen
geblieben? Ja so, beim Tode meines Vaters und dem, was damit
zusammenhing. Ich muß die Herren und das Fräulein also noch eine Weile
inkommodieren.«

Sie hatten ihm alle, bis auf den Apotheker, starr und mit immer noch
hoch emporgezogenen Augenbrauen auf den Rücken gesehen, den er ihnen
zudrehte, als er aus dem Fenster guckte. Als er sich umwendete, wandte
ein jeder, nur der Apotheker nicht, die Augen wo anders hin und that so
unbefangen als möglich.

»Das nennst du uns inkommodieren, August?« fragte Philipp Kristeller
vorwurfsvoll zärtlich.

»Augustin -- Agostin -- Agostin Agonista, wenn es dir einerlei ist,
alter Bursch,« lachte der brasilianische Oberst und -- erzählte weiter:

»Wir waren allein im Hause, mein Vater, ich und eine alte Hexe von Magd,
die uns Beide seit meiner Mutter Tode in der raffiniertesten
Knechtschaft hielt. Mein Vater hatte schon längere Zeit gekränkelt, sich
selber bedoktert und war nun mit seiner Kunst zu Ende. Lieber Doktor,
der städtische Arzt, den wir zum Schluß herbeiriefen, konnte auch weiter
nichts thun, als die Achseln zucken, -- und, Freund Philipp, in der
Nacht vor seinem Abscheiden überlieferte mein Vater mir die Schlüssel zu
dem Archive unseres Hauses! Drei Tage nach seinem Begräbnis öffnete ich
den schwarzen Eichenschrank, in welchem die seit fast zweihundert Jahren
recht ordentlich geführte Chronik unserer Familie aufbewahrt wurde, und
trat damit in die Krisis ein, während welcher mein alter Philipp da und
seine so junge und schöne Johanne meine Bekanntschaft machten und so
viele Gründe hatten, sich über mich zu verwundern. Ich fand in dem
Schranke ein von meinen Vorvätern zusammengeschriebenes dickleibiges
Manuskript in schwarzem Lederband mit Messingecken und Haspen. Sie
hatten regelrecht Buch geführt, und es war ein recht nettes Hauptbuch
draus geworden mit allen Zahlen und sonstigen Belegen! Und ich las und
rechnete es nach bis auf meinen Herrn Großpapa hinunter -- ich las es
vom Anfang bis zum Ende, Wort für Wort, Datum für Datum, Zahl für Zahl;
und als ich in der dritten Nacht gegen zwei Uhr morgens von der
gräulichen Lektüre aufstehen wollte, da konnte ich nicht. Ich saß fest
im Stuhl, gerädert von unten auf, und draußen war es grimmig kalt -- der
Hofhund heulte und weinte vor Frost, und ich fühlte den Frost
gleichfalls bis in die Knochen, und dazu, halb wahnsinnig, mein Leben,
Fühlen, Denken, Meinen abgebrochen, wie wenn ein Stock übers Knie
abgebrochen worden wäre. Meine grimmige Hexe von Haushälterin hatte mich
am Ofen aufzuthauen wie ein steifgefrorenes Handtuch, und es währte
länger als eine Woche, ehe sich die allernotwendigste animalische Wärme
wieder in mir bemerkbar machte. Ich lag länger als eine Woche im Bett
und klapperte geistig und körperlich mit den Zähnen; dann aber lief ich
hinaus und lief mich warm durch das winterliche Land -- blieb vierzehn
Tage für diesmal vom Hause weg und suchte mir zu der Wärme auch den
Schlaf zu erlaufen, erlief mir jedoch nur die scheußlichsten aller
Träume. Es ist ein Wunder, daß keiner es mir heute ansieht, was für ein
Narr ich damals war! Nach meiner Rückkehr saß ich bis zum Frühjahr als
ein Idiot am Herde, und ohne den Frühling wäre ich sicherlich als ein
Idiot im Landesirrenhause elend und erbärmlich verkommen; und
eigentlich, lieber Philipp, habe ich über jene Periode meines Daseins
nichts mehr zu sagen. Ich fuhr in meinem Einspänner über die Grenze,
mietete in einem Dorfe eurer Provinz ein Absteigequartier und ging dann
in die Berge: -- da trafen wir uns, und du hieltest mich für einen
übergeschnappten Privatgelehrten, dem seine Freunde seiner Gesundheit
wegen geraten hatten, sich ein wenig auf die Botanik zu legen.«

»Ich habe meinen Freunden bereits vorhin mitgeteilt, mit welchem Respekt
mich deine Wissenschaft erfüllte,« rief der Apotheker »zum wilden Mann«,
und sie nickten rund um den Tisch und sprachen:

»Ja, ja! o freilich!«

Der Oberst Dom Agostin Agonista aber sah selbst in dieser Nacht zum
erstenmale sehr ernst, ja fast böse und finster drein und sagte:

»Ich würde dir im Laufe der Zeit meine Umstände wohl klarer erschlossen
haben, Philipp, ich würde dir alles von mir und meinem Leben erzählt
haben; aber dein Liebeswesen hat mich dran gehindert und mir den Mund
zugehalten. Lieber Junge, wenn mir etwas die Welt noch mehr verleidete,
so war das deine Braut. Bei Gott, ich habe euch oft gehaßt wegen eurer
Seligkeit, -- o Philipp Kristeller, in mehr als einer Stunde hätte ich
euch mit Vergnügen eine Fallgrube für eure Zärtlichkeit graben können.
Wäre das Eifersucht gewesen, so wär's schlimm genug gewesen; aber es war
noch schlimmer, es war Neid, der nichtswürdige zähnknirschende Neid.
Ach, Freund, Freund, damals hatte ich wahrhaftig nicht die Absicht, dir
im Leben auf die Beine und, so weit ich es konnte, zu einer Frau zu
helfen! Mußte da erst das Ärgste kommen, um mir den Sinn vollständig zu
wenden, und das Ärgste kam; -- gottlob, sage ich heute! -- Von einer
meiner vorgeblichen botanischen Rasereien ins Wilde zurückkehrend, fand
ich einen Brief zu Hause, ein Schreiben mit dem Siegel der
Oberstaatsanwaltschaft drauf. Ich wurde durch dieses Reskript umgehend
nach der nächsten Kreisstadt beordert, und was die hohe Behörde da von
mir verlangte und zu verlangen berechtigt war, das können die Herren und
die gütige Senhora sich sicher selber vorstellen; ich habe gewiß nicht
nötig, mit dem Finger die Richtung anzudeuten. Man legte mir ein vom
Landesherrn bereits unterzeichnetes Todesurteil vor, und ich hatte noch
drei Wochen Zeit, mich und meinen Patienten auf die mir obliegende
Operation vorzubereiten. Während dieser drei Wochen sahest du mich
nicht, Philipp Kristeller; aber du fandest mich drei Tage nach
vollbrachtem Amtsgeschäft auf der Opferklippe. Ja, ja, meine Herren,
nach gethaner Arbeit ist gut ruhen, und auch das war ein
Erholungsausflug! -- Ich hatte meine Sache gut gemacht und war gelobt
worden, von den Behörden, den Zeitungen und dem zuschauenden Pöbel; aber
ich trug schwer an der Ehre. Buchstäblich, -- ich trug meinen still und
um einen Kopf kürzer gemachten Patienten, minus diesen Kopf auf dem
Rücken, und ich hatte ihn eben auf den Blutstuhl hinaufgeschleppt, als
mein Freund Philipp die Klippe von der anderen Seite her erkletterte.
Seht, es ist immer von den Gefühlen des armen Sünders auf dem
Hochgerichte die Rede; aber diesmal waren auch die des Scharfrichters
bemerkenswerth; -- reden wir nicht davon: ich trug, wie gesagt, den
Rumpf des armen Teufels von dem Gerüste hinunter; er hing mir auf dem
Rücken, die Hände schleiften auf dem Boden nach, und ich hielt auf jeder
Schulter einen Fuß im blauen wollenen Strumpfe gepackt! So hab' ich ihn
auf den Blutstuhl hinaufgeschleift; und als du mich fandest, Philipp
Kristeller, auf dem Felsen liegend, das Gesicht zu Boden gedrückt, da
saß der Halunke auf mir, kopflos -- hatte mir eine Kralle in das
Nackenhaar gewühlt und sang sein diabolisches Triumphlied über mich --
ein Bauchredner sondergleichen; aber höchst widerlich, selbst heute
abend noch, nach einunddreißig Jahren ruhigeren Nachdenkens und kühlerer
Überlegung!«




Neuntes Kapitel.


Der Oberst schwieg und fuhr sich mit dem Taschentuche über die Stirn.
Man räusperte sich rund um den Tisch; der Förster und der Pastor hüllten
ihre Verlegenheit in die dichtesten Tabakswolken, der Landphysikus
schien die seinige in sich ertränken zu wollen, und alle drei -- sonst
gar nicht übele Leute -- sahen in diesem Momente merkwürdig stupide aus.
Fräulein Dorette Kristeller im Ehrenstuhle hatte sich soweit als möglich
aus dem Lichtschein in die Dämmerung zurückgezogen; man hörte sie leise
ächzen und seufzen, ja es schien sogar, als ob sie stoßweise in ihr
Taschentuch hineinschluchze. Eine solche Geschichte erzählte man trotz
allem nicht ungestraft, -- selbst im Kreise seiner allerbesten Freunde
nicht.

Dem alten Soldaten entging der gemachte Eindruck keineswegs, aber
nachdem er seinerseits die widerliche Erinnerung mit einer Hand- und
Armbewegung so zu sagen vom Tische gewischt hatte, stützte er beide
Ellenbogen auf die Platte und schaute munterer denn je um sich. Er
hatte, wie sich gleich auswies, noch extraordinärere Dinge in seinem
späteren Leben durchgemacht, er hatte nicht wie die anderen still im
Winkel gesessen, er hatte sich allerlei um die Nase wehen lassen, was
die meisten Leute für Sturm genommen haben würden, er aber nur noch für
Wind hielt. Er war nicht umsonst kaiserlich brasilianischer
Gendarmerieoberst geworden.

»Lieber, guter August -- Augustin,« flüsterte der Apotheker, »du bist
als ein eigentumsloser Bettler in deiner Verwirrung in die Welt
hinausgelaufen; -- du hast mir das Erbe deiner Väter überwiesen --«

»So ist es! Niemals hat ein Mensch mit gleich leerer Tasche dem alten
Europa den Rücken gewendet!«

»O meine Johanne -- meine liebe, arme Johanne!« seufzte der Apotheker
leise; aber da that der Abenteurer und Soldat einen sehr feinfühligen
Griff in die Ideenfolge seines Jugendbekannten.

»Nein, nein, Philipp, bei allen Mächten, nein! es ist nicht so! Das ist
nicht der Geschäftsgang zwischen Himmel und Erde! Du würdest sie doch
verloren haben -- o, um meine Hinterlassenschaft hat sie dir das
Schicksal nicht sterben lassen! Was hatte ihr Dasein und Geschick mit
dem zu schaffen, was alles an den Thalern hing, die ich damals auf der
Flucht von mir warf und dir an den Hals, weil du mir zufällig zunächst
standest. Das Kind ist nicht daran gestorben, Philipp! Ihr hättet ein
schönes Leben auf die Erbschaft meiner Vorväter gebaut, wenn die Schöne,
die Gute dir nicht doch hätte sterben müssen; und dann -- -- wer hier
unter uns hat wohl ein besseres Los gezogen als sie?«

Die Frage erforderte eine Antwort, und jeder gab sie auf seine Weise,
doch laut bejahete oder verneinte niemand. Der Apotheker »zum wilden
Mann« drückte zum hundertstenmale dem Obersten Agonista die Hand, und
dieser schüttelte sie ihm wiederum herzhaft und rief:

»Was kann es alles helfen -- jeder erlebt sein Leben, und wer noch mit
dem nötigen Humor davon zu erzählen weiß, der ziert jegliche Tafelrunde,
und selbst die Weisesten, Ehrwürdigsten und Ehrbarsten können ihn ruhig
ausreden lassen. Jetzo will ich einmal eine weise Bemerkung machen,
nämlich daß der größte Verdruß der Menschen im einzelnen daraus
entspringt, weil sie die Welt im ganzen für zu still halten. Meine
Herrschaften, die Welt ist nicht still, und man muß den Wirrwarr nur
recht kennen lernen, um das, was einem vom ersten Seufzer bis zum
letzten passiert, nach dem richtigen Maße zu schätzen. Hol der Teufel
die Narren, denen ihre vier Wände auf den Kopf zu fallen scheinen:
steigt aufs Dach jedesmal, wenn's euch zu angst wird und überzeugt euch,
daß das Firmament fürs erste noch nicht die Absicht hat,
zusammenzubrechen. Also, ich stand ohne einen Heller in der Tasche auf
dem Kai zu Neu-Orleans, so ungefähr in der Stimmung eines Menschen, der
aus einem schweren Rausch erwacht, übernächtig sich die Stirn reibt und
doch den kühlen Morgenwind mit Wohlbehagen auf seinen Schläfen fühlt.
Was aus mir werden mochte, war mir ganz gleichgültig. Ich war zu allem
bereit, zum Leben wie zum Sterben, und verkaufte, da ich Hunger hatte,
um wenigstens das allernächste Behagen noch einmal festzuhalten, mein
Halstuch und mein Taschentuch an einen wandernden Trödler. Traktierte
darauf meinen ersten guten Bekannten auf amerikanischem Boden, den
einarmigen Mulatten Aaron Toothache, und zwar in einem Lokale, in dem
Volk zusammensaß, von welchem man hier am Tische kaum einen Begriff
haben kann. Hier lernte ich einen Haufen Gesindel von vorbenanntem
Fregattschiff der Republik Chile, dem braven >Juan Fernandez<, kennen,
und wir gefielen uns gegenseitig. Wie die Bekanntschaft endlich im
Schiffsraume des >weißen Satans< auslief, habe ich euch bereits
mitgeteilt.«

Sie waren ihm während der letzten Minuten alle auf den Leib gerückt. Sie
schienen nach seinen letzten Äußerungen ihre geheime Scheu und Abneigung
gegen ihn gänzlich überwunden zu haben! Sie waren ihm so dicht an die
Ellenbogen gerückt, daß ihm die Luft auszugehen schien. Blasend machte
er eine Armbewegung, um sie wieder ein wenig von sich zurückzudrängen,
und wir -- wir machen es vollständig umgekehrt, als die aufs Äußerste
gespannten Lauscher in der Hinterstube der Apotheke »zum wilden Mann«:
wir rücken ab vom Kaiserlich brasilianischen Gendarmerieoberst Dom
Agostin Agonista.

Was dieser wunderliche Erzähler jetzt zu erzählen hatte, war freilich
bunt genug und voll Feuerwerk und Geprassel zu Wasser und zu Lande;
allein das alles war doch schon von anderen hunderttausendmal erlebt und
mündlich oder schriftlich, ja sogar dann und wann durch den Druck
mitgeteilt worden. Wir lassen ihn, den Oberst Agonista so ungefähr um
ein Uhr morgens noch einmal mit der flachen Hand über den Tisch
streichen und seine jetzige Lebens- und Weltanschauungsweise in ein
kurzes Wort zusammenfassen.

»Also im zweiten Jahre meiner Abfahrt von Hamburg stand ich als
Gefreiter in dem Peloton, das als Executionskommando in den
Festungsgraben befehligt worden war. Der Lieutenant hob den Degen, und
-- wir gaben Feuer: ich ohne Umstände wie die anderen. Von dem
Augenblicke an war ich von meiner europäischen Lebensbürde vollständig
frei. Ich machte mir aus dem Tage, der gestern war, und dem, der
vielleicht morgen sein konnte, nicht das Geringste mehr; -- juchhe, wie
der Dichter stellte ich meine Sache auf nichts! So bin ich immer bei
mir, und zwar bei mir allein gewesen: auf dem Marsche, wie in der
Wachtstube, am Feuer in der Indianerhütte wie in den Salons der
Präsidialstädte. Ja, meine Herrschaften, habe ich da drüben manchen
Präsidenten in mancher Republik kommen und gehen sehen, habe selber
geholfen, den Excellenzen Stühle zuzurücken oder sie ihnen unterm Sitze
wegzuziehen, wie's sich gerade schickte. Venezuela machte mich zum
Luogotenente, Paraguay zum Major; aber Seine Majestät Dom Pedro von
Brasilien war am gnädigsten gegen mich, und so fand ich denn auch am
meisten Gefallen an ihm. Wir beide haben jetzt manch liebes Jahr das
vielfarbige Gesindel in Rio Janeiro zur Ordnung und Tugend angehalten:
er durch regelrecht richtige konstitutionelle Güte, ich durch flache
Säbelhiebe und im Notfall durch einen kurzen Galopp, drei Schwadronen
hinter einander, rund über das Pack weg. Meine Herren und Sie, liebes
Fräulein, Sie werden sicherlich noch einmal erschrecken und mich von der
Seite ansehen; aber es ist nicht anders, und bei der Wahrheit soll der
Mensch bleiben: wenn ich das Köpfen aufgegeben habe, so habe ich mich
desto energischer auf das Hängen gelegt und gefunden, daß es eine viel
reinlichere Arbeit ist und seinen Zweck ebenso gut erfüllt. Was aber das
Gehängtwerden anbetrifft, so habe ich selber die Schlinge mehr als
einmal um den Hals gefühlt, gottlob ihn aber stets noch glücklich
herausgezogen. Ei ja, ich komme jetzt ganz gut mit jedermann aus -- bin
hoffähig und reite bei feierlichen Aufzügen am Kutschenschlage Ihrer
kaiserlichen Majestäten. Komme ich nach Rio heim, so werde ich mich
verheiraten; denn für ein ferneres junggesellenhaftes Umherschweifen
wird's allmählich ein wenig spät. Doch davon morgen, und nun vor allen
Dingen das letzte Glas von diesem höchst vortrefflichen Getränk und dazu
ein Rat, Wunsch und Trinkspruch: Verehrte Freunde, da wir einmal da
sind, so leben wir, wie es eben gehen will; und da das, was uns endlich
aus dem Dasein hinausschiebt, immer am Werk ist, so schieben wir ohne
Skrupel gleichfalls; -- vor allen Dingen aber lebe e r hoch -- mein
Freund, mein lieber, alter, guter Freund Philipp Kristeller und mit ihm
wachse, blühe und gedeihe fort und fort seine Apotheke >zum wilden
Mann!<«

Das riefen sie alle nach und klangen die Gläser an einander, und dabei
erhoben sie sich und standen verwirrt, schwankend ob all des
Abenteuerlichen, das der Abend enthüllt und gebracht hatte. Wie die
Gäste Abschied von dem Hausherrn, seiner Schwester und dem Oberst
Agostin Agonista nahmen, wußten sie selbst nachher kaum anzugeben.

Der Oberst aber sagte:

»Philipp, einen Schlafrock und ein Paar Pantoffeln bitte ich mir aus.
Ich will es doch wenigstens einmal noch behaglich im deutschen
Vaterlande haben.«

Die beiden Freunde vom Blutstuhl umarmten sich noch einmal; wir aber
begleiten den Förster Ulebeule und den Pastor ein Endchen auf ihrem Wege
nach ihren Wohnungen.




Zehntes Kapitel.


Daß sie, der Förster, der Pastor und der Landphysikus _Dr._ Hanff, ihren
freundlichen Wirten gute Nacht oder vielmehr guten Morgen gesagt hatten,
stand fest.

Der Apotheker hatte sie mit dem Lichte an die Thür begleitet, und sie
standen auf der Landstraße, wo der Doktor seinen Einspänner bereits
wartend fand. Sie vernahmen noch, wie der Hausherr drinnen den Schlüssel
im Schloß umdrehte, und niemand hinderte sie jetzt mehr, ihren
Stimmungen, Gefühlen und Ansichten die Thüren weit aufzuwerfen.

Der Erste, der das Wort ergriff, war natürlich der Doktor, und er rief
von seinem Wagentritt aus:

»Nicht wahr, da hab' ich euch wieder mal einen tollen Gesellen ins Dorf
geschleift? He, ihr hattet wohl kaum eine Ahnung davon, daß es
dergleichen auf Erden geben könne, -- was? Mir gefällt der Kerl
ausnehmend wohl, und ich freue mich unbändig auf eine fernere und
genauere Bekanntschaft, -- zu Worte wird er einen im Laufe der Zeit ja
auch wohl einmal kommen lassen. Wir laden ihn natürlich rund herum der
Reihe nach zum Essen ein.«

»Natürlich, und er soll sich dann auch über uns wundern,« rief Ulebeule,
und der Doktor fuhr ab auf der Landstraße zur Rechten; er hatte ein gut
Stück Weges zu fahren, ehe er seine Behausung erreichte.

Die beiden anderen wendeten sich links, und der geistliche Herr trug
vorsichtig seine Taschenlaterne voran. Wo ihre Wege aber schieden,
standen sie noch einmal still und sahen nach der Apotheke »zum wilden
Mann« zurück. Das Haus lag dunkel da unter dem wieder dunkel und schnell
ziehenden Gewölk. Obgleich der Wind sich ein wenig gelegt hatte und die
Sterne sichtbar waren, trieb sich noch genug bedrohliches Gedünst am
Himmelsgewölbe um, und die Pappeln in der Nähe der Apotheke schwankten
wie betrunkene Gespenster.

»Mir wird jenes Haus dort nie wieder so aussehen, wie ich es bis zum
heutigen Abend gekannt habe,« sagte der Pastor. »Was sagen Sie, lieber
Freund?«

»Das weiß der Teufel!«

Der geistliche Herr zog ein wenig die Achseln zusammen.

»Sie sollten dieses böse Wort vorsichtiger gebrauchen, Bester,« meinte
er. »Freilich, freilich, nach dem, was wir eben vernommen haben -- wer
kann da sagen -- wer da seine Hand im Spiele gehabt hat? Ich lobe mir
Zustände, die auf besseren Grund und Boden gebaut sind als -- -- kurz,
was halten Sie vom heutigen Abend an von den Umständen unseres Freundes
Kristeller?«

»Der Alte ist mir lieber denn je geworden!« rief der Förster voll
Enthusiasmus. »Das nenn' ich einen braven Mann und einen guten Menschen!
Wenn einer es verdiente, diesem famosen Scharfrichter und
brasilianischen Generalfeldmarschall zur richtigen Stunde auf seinem
Wege zu begegnen, so war's unser Philipp. Die Welt oder nur ein Stück
davon würde er freilich nicht erobert haben, aber was man ihm giebt, das
nimmt er mit Bescheidenheit und Dankbarkeit, und für unsere Gegend ist
er doch wirklich diese dreißig Jahre durch ein Segen gewesen.«

»Und der andere -- dieser andere -- dieser Dom -- Dom -- Agonista?!«

»Hören Sie, Pastore, den muß man sich erst bei Tage besehen, ehe man ein
Urteil über ihn abgeben kann; bei Lampenlicht geht nichts in der ganzen
weiten Welt über ihn! das ist ein Prachtkerl; -- wahrhaftig, solch ein
Gesell aus Schmiedeeisen und Eichenholz rückt einem nicht alle Tage an
den Ellenbogen. Was wollen Sie -- ich glaube, ich glaube, mich hat lange
nichts so sehr geärgert, als daß er mir nicht auf der Stelle angetragen
hat, Brüderschaft mit ihm zu machen.«

»Da bin ich denn doch in der That ein wenig weichlicher als Sie, lieber
Ulebeule,« sagte der Pastor mit einem leisen Schauder. »Mir ist dieser
plötzlich wie aus dem Boden aufgestiegene Mensch entsetzlich! Die
Kaltblütigkeit, mit welcher er aus nichts in seinem Leben ein Hehl
machte, griff mir in alle Nerven. Wenn ich zu viel Punsch getrunken
haben sollte, so bin ich nicht schuld daran, sondern dieser -- dieser --
dieser ungewöhnliche Erzähler. Wehren Sie sich einmal gegen ein
fortwährend Einschänken, wenn es Sie fortwährend heiß und kalt
überläuft! Hatten Sie wirklich vorher eine Ahnung davon, daß es solche
Lebenswege und Fata in unseres Herrgotts Welt geben könne?«

»In Büchern habe ich Schnurrioseres gelesen; aber hier hatten wir
freilich einmal das Wirkliche und Wahrhaftige _in natura_. Heiß und kalt
hat mich seine Historie nicht gemacht, aber die Pfeife ist mir ziemlich
oft darüber ausgegangen. Käme einem jeden Abend ein solcher Kerl über
den Hals, so würde einem das Schmauchen auf die allernatürlichste Art
abgewöhnt. Außerdem daß ich einen brasilianischen Obersten noch niemals
mit eigenen Augen gesehen hatte, erzählte dieser Oberst mehr als
brasilianisch gut, und noch dazu ganz und gar nicht aus dem
Jäger-Lateinischen. Das muß ich kennen und hätte es ihm beim ersten
Flunkerwort abgespürt und es ihm merken lassen, nämlich moralisch mit
dem Hirschfänger übers Gesäß: Hoho, das ist für den gnädigsten Fürsten
und Herrn! Hoho, das ist für die Ritter und Knecht'! Dies ist das edle
Jägerrecht!«

»Ulebeule?!« rief der Pastor klagend-vorwurfsvoll.

»Ja, ja, es ist wahr, 's ist spät und es zieht hier arg,« rief der
Förster, »aber die Mohrenschiffgeschichte allein hätte doch auf jedem
Orgelbilde abgemalt werden können; -- bei allem in Grün, man kommt sich
ganz abgeschmackt und verrucht verledert und in seinem Loche versumpft
vor, wenn man es sich überlegt, was man seinerseits hier am Orte vor
sich brachte an Erfahrung, während der sein Gewölle um so viele Nester
herum ablegte.«

»Ich danke dem Himmel dafür, daß er mich hier im Frieden grau werden
ließ. Meine Natur hätte nicht für ein solches Dasein gepaßt.«

»Das brauchen Sie mir nicht schriftlich zu geben,« lachte der Förster;
»aber hat uns nicht gerade dieses kuriose, ins Kraut geschossene
Menschenkind bewiesen, daß niemand weiß, was in ihm steckt und was er
unter Umständen aus sich herausziehen kann? O je, wie oft hab' ich in
meinen jungen Jahren aus Angst oder Verdruß in die weite Welt
hinauslaufen wollen! Nach einem solchen Erzählungsabend begreift man
weniger als je, weshalb man es damals nicht ausführte und seinen
Schulmeistern, Eltern und sonstigen Vorgesetzten durch die Lappen ging.«

»Wir werden alle unsere Wege richtig geführt und sind in guten Händen,«
sprach der geistliche Hirte und trat leider gerade in diesem ganz
unpassenden Moment in eine etwas tiefere Pfütze, in der er ohne Gnade
hätte umkommen müssen, wenn sein handfester Begleiter nicht noch gerade
zu rechter Zeit zugegriffen hätte.

»Bitte ein andermal um denselben Dienst,« sprach Ulebeule gravitätisch;
sonst aber brachte dieser Zufall ihr jetziges Gespräch über das Haus
Kristeller und den Kaiserlich brasilianischen Gendarmerieobersten Dom
Agostin Agonista zu einem Abschluß.

Einiges wurde jedoch noch gesprochen, ehe der Pastor geradeaus seiner
Pfarre zuwanderte und der Förster sich links in den dunkeln Hohlweg
schlug, der zu seiner Försterei führte.

»Wir sehen uns doch morgen? Dieses alles kann doch gewiß nicht passiert
sein, ohne daß man ein weniges mehr davon sieht und hört und sich
darüber ausspricht!«

»Man fühlt freilich das Bedürfnis,« meinte der Pastor, »und ich meine,
wir treffen wohl irgendwo zusammen. Man ist es auch unserm guten
Apotheker schuldig, daß man sich nach seinem Befinden erkundige.«

»Und dem Oberst nicht weniger.«

»Gewiß, gewiß. Nun, wir werden ja sehen. Und nun gute Nacht, oder
vielmehr guten Morgen, mein teurer Freund. Wir sind selten so lange bei
einander geblieben als am heutigen Abend.«

»Und immer war's noch zu früh zum Aufbruch, und ich wäre sofort bereit,
diesen wilden Indianer mit der ersten Dämmerung thauschlägig zu spüren.
Aber der Kerl schnarcht -- ich bin fest überzeugt, er liegt im Bau und
schnarcht wie kein zweiter Mensch mit gutem Gewissen auf zwanzig Meilen
in die Runde. Sapperlot, so wie ich mich aufs Ohr gelegt habe, fange ich
an, vom Blutstuhl und diesem brasilianischen Landdragoner-General zu
träumen, und -- morgen -- morgen -- mache ich -- doch Brüderschaft mit
ihm!«

       *       *       *       *       *

So sprach also die Welt! -- Wenn eine Million Zuhörer in dem
bildervollen Hinterstübchen der Apotheke »zum wilden Mann« dem alten
Philipp Kristeller und dem Obersten Agostin Agonista zugehört haben
würde, so würde diese Million denkender und redender Wesen kaum ein
mehreres und anderes als der Pastor Schönlank und der Förster Ulebeule
bemerkt haben. Der Seelenaustausch in diesen Wendungen genügte übrigens
auch vollkommen: wenden wir uns zu dem greisen Geschwisterpaar in der
Apotheke »zum wilden Mann« und zu seinem eigentümlichen Gaste zurück.




Elftes Kapitel.


Bruder und Schwester saßen allein im jetzt recht frostig werdenden
Hinterstübchen, im erkaltenden Qualm von spirituösem Getränk und
Tabaksdampf. Der Gast war zu Bett gegangen.

Der Hausherr hatte den Freund mit dem Lichte in das behagliche Gemach
die Treppe hinaufbegleitet und noch einmal all sein überquellendes
Gefühl in Wort und Empfindungslaut zusammenzufassen gesucht. Der Oberst
hatte ihn freundlich zu beruhigen bestrebt und dann, noch in Gegenwart
seines guten Philipp's, sehr gegähnt und den Rock ausgezogen. Liebevoll
aber hatte er ihn doch noch einmal von dem ersten Treppenabsatz
zurückgerufen und, ihm die Hand auf die Schulter legend, gesagt:

»Philipp, alter Kerl, lieber Junge, es ist mir in der That ein
herzliches Genügen, unter deinem Dache zu ruhen. Wahrhaftig, in mancher
unbehaglichen, unbequemen Stunde zu Lande und zu Wasser habe ich mir da,
d. h. unter diesem Dache, oft das vorzüglichste Quartier zurecht
gemacht, und jetzt hab' ich die Wirklichkeit, und sie ist wunderbar
wohlthuend!«

An diesen erfreulichen Ausbruch seiner Gefühle hatte er denn freilich
recht praktisch die Frage nach dem Stiefelknecht geknüpft.

Während der Bruder dem Gaste zu seinem Schlafzimmer leuchtete, war
Fräulein Dorette in der Bildergalerie sitzen geblieben, doch hatte sie
den Ehrensessel aufgegeben und sich auf ihrem gewohnten Stuhle
niedergesetzt. Da saß sie, beide Ellenbogen auf den Tisch stützend und
starr durch den Qualm, den die Herren hinterlassen hatten, und über die
leere Punschschale und die gleichfalls leeren Gläser weg auf die
buntbehängte Wand gegenüber sehend. Da saß sie und horchte auf die
Schritte über ihrem Kopfe und dann auf die Schritte des zurückkehrenden
Bruders auf der Treppe.

»Welch ein Erlebnis!« murmelte sie. »Wie fällt das jetzt in unsere Tage?
-- So spät im Leben! -- Und was werden die Folgen sein? -- o, o, o!«

Nun aber trat der Bruder wieder ein und zur Schwester heran. Nun legte
er seinerseits ihr die Hand auf die Schulter:

»Weißt du dich auch noch nicht in dem Glück, das uns dieser Abend
gebracht hat, zurecht zu finden? O Dorette, liebe Dorette, wie schön hat
sich nun alles ineinander gefunden und geschlossen, -- und gerade an
diesem Tage, an diesem Abend. Wer glaubt da an Zufall? Wer hat jemals
deutlicher als wir die Hand der Vorsehung, die alles gut macht, in
seinem Lebenslose erblickt?«

»O!« stöhnte die Schwester. »Ach, Bruder, Bruder, was wird nun aus
unserm Leben werden? -- O, wenn er doch nur früher gekommen wäre! Aber
so spät am Abend -- so spät am Abend -- was sollen wir anfangen?«

Herr Philipp Kristeller hatte sich auf seinem Stuhl niedergelassen und
blickte die Schwester groß und verwundert an.

»Was -- wie meinst du das, Dorothea?«

»Jetzt frage mich nur nicht weiter,« sagte das alte Fräulein scharf. »Es
wird sich ja alles finden -- morgen, übermorgen! Ja morgen ist ja auch
ein Tag! -- Aber man kann es ja nicht lassen. -- Bester Bruder, wenn er
nun bliebe? wenn er sich bei uns niederlassen wollte? Man muß sich ja da
alle möglichen Fragen stellen.«

»Wenn er bliebe? wenn er sich bei uns niederlassen wollte? Aber das wäre
ja herrlich!« rief der Apotheker, entzückt sich die Hände reibend. »Wie
weich und angenehm wollten wir ihm sein Leben machen!«

Verwundert sah er hin, als das Fräulein zweifelnd und melancholisch den
Kopf schüttelte.

»Du glaubst nicht, daß wir das vermöchten, Dorothea?«

»Nein,« erwiderte das Fräulein kurz und sprach unter einem schweren
Seufzer mehr zu sich als dem Bruder:

»Und dann der andere Fall, -- wenn er morgen wieder abreisen will, und
dazu --«

Sie brach ab und vollendete den Satz auch nicht, als der Bruder gespannt
eifrig fragte:

»Und dazu? -- was meinst du? was willst du sagen?«

»Wir müssen es eben abwarten,« sprach Fräulein Dorothea Kristeller
aufstehend. »Etwas anderes läßt sich in dieser Nacht doch nicht bereden;
und jetzt wollen auch wir zu Bett gehen und versuchen zu schlafen.«

Nach diesem saßen sie doch noch, aber stumm, eine gute halbe Stunde
beieinander. Als sie zu Bette gegangen waren, schlief weder Bruder noch
Schwester einen ruhigen Schlaf.

Den ruhigsten Schlaf von allen, deren Bekanntschaft wir diesmal machten,
schlief der brasilianische Oberst Dom Agostin Agonista.

Der lag friedlich auf dem Rücken und lächelte im Schlummer und sogar
beim Schnarchen. Man vernahm ihn so ziemlich durch das ganze Haus, und
wenn er träumte, so träumte er, ganz gegen alle soldatische Sitte und
Gewohnheit, weit in den jungen Tag hinein.

Dieser junge Tag kam frisch, reingewaschen, glänzend und sonnig -- ein
klarster, kalter Oktobertag. Die Berge in ihrem braunen Herbstgewande
hoben sich scharf von dem hellblauen Himmelsgewölbe ab; die leeren
Felder der Ebene lagen bis in die weiteste Ferne klar da; und die
Dörfer, die einzelnen Gehöfte, Anbauerhäuser und Hütten erschienen dem
Auge scharf umzogen, als ob sie dem Spiegel einer _Camera obscura_
entnommen worden und in die Morgenlandschaft hinein aufgestellt seien.

In dieser sonnigklaren Herbstmorgenlandschaft erschien aber die Apotheke
»zum wilden Mann« vor allem Übrigen wie hübsch auf- und abgeputzt. Die
Firma über der Thür glänzte in ihrer Goldschrift weit hin, die
Landstraße nach rechts und links entlang. Und alles, was sonst zu dem
Hause gehörte: Gartengegitter, Stallungen und Mauern, befand sich im
ordentlichsten Zustande. Man sah, daß um jegliches Zubehör dieses
Heimwesens ein sorglicher Geist walte, der seine Freude und sein Genügen
dran habe und sein Möglichstes von Tag zu Tage thue, alles im Hof, Haus
und Garten im guten Stande zu erhalten. Bis auf die vom Sturme der Nacht
zerzausten Sonnenblumen, die noch in ihren welken Resten über den
Gartenzaun hingen, war alles rings um die Apotheke »zum wilden Mann« im
vollsten Sinne des schönen Wortes -- präsentabel.

Und Bruder und Schwester warteten mit dem Kaffee auf den Gast. Eben
hatte er herunter sagen lassen: augenblicklich rasiere er sich und werde
in zehn Minuten erscheinen.

Die Dünste der Nacht waren verscheucht, das Hinterstübchen gekehrt und
mit weißem Sande bestreut. Die Hauskatze putzte sich unter dem Tische,
und der Zeisig zwitscherte lebendig in seinem Bauer; -- es war ein
Vergnügen, Herrn und Fräulein Kristeller an ihrem Kaffeetische sitzen zu
sehen, und -- eingeladen zu werden, gleichfalls daran Platz zu nehmen.

Der Oberst ließ nur wenig über die angegebenen zehn Minuten auf sich
warten. Schon vernahm man seinen martialisch schweren Schritt auf der
Treppe; -- der Apotheker Philipp Kristeller riß die Thür seines
Lieblingsgemaches auf.

»Schönen guten Morgen!« rief der Oberst Dom Agostin Agonista auf der
Schwelle, und Wirte und Gast faßten sich rasch zum erstenmal bei hellem
Tageslicht ins Auge: am schärfsten sah das Fräulein zu; etwas weniger
scharf sah sich der brasilianische Kriegsmann seine Leute an; -- der
Apotheker »zum wilden Mann« sah gar nichts, sein Gast und Freund
schwamm ihm vor den Augen -- wenigstens die ersten Minuten durch.

»Recht alt geworden,« meinte der Oberst bei sich, und er hatte recht.

»Unter anderen Verhältnissen würde ich gar nichts gegen ihn haben,«
sagte das Fräulein in der Tiefe der Seele, »ein anständiger, behäbiger
Herr!«

Der Apotheker Philipp Kristeller sagte gar nichts; er schüttelte von
neuem dem alten wiedergefundenen Freunde -- dem Wohlthäter und Gaste die
Hand und drückte ihn diesmal trotz alles Widerstrebens auf den
Ehrenplatz nieder. Erst als der Oberst saß, sagte Herr Philipp etwas,
und zwar nicht bei sich und in der Tiefe seiner Seele, sondern er rief
es fröhlich und laut:

»August, ich freue mich unendlich, -- du bist merkwürdig jung
geblieben!«

»Bei allen Göttern zu Wasser und zu Lande, ich hoffe das,« lachte der
Oberst Dom Agostin, und es war eine Wahrheit: trotz seiner schneeweißen
Haare und seiner wohlgezählten Jahre war er sehr jung geblieben; aber
das jüngste an ihm war doch seine Stimme.

Diese allein schon konnte als eine Merkwürdigkeit gelten. Mit einem
behaglichen Widerhall erfüllte sie das Haus, ging einem voll und rund
durch die Ohren ins Herz und paßte sich gemütlich, ja sozusagen,
tröstlich-fröhlich allem und jeglichem an, was die Stunde im Guten und
im Bösen bringen mochte. Wer sie von fern vernahm und vorzüglich in
Verbindung mit dem herzlichen Lachen ihres Besitzers, der sagte sich
unbedingt:

»Da freut sich ein braver Gesell seines Daseins.«

Der Oberst schüttelte nun noch einmal dem Fräulein die Hand und sprach
zum Apotheker:

»Ich habe euch heute morgen das Recht gegeben, mich für einen
Langschläfer zu halten, aber ihr werdet wahrscheinlich morgen früh schon
eines Besseren belehrt werden. Gewöhnlich pflege ich drei Stunden vor
Sonnenaufgang auf dem Marsche zu sein. Man lernt das, auch ohne Anlagen
dazu zu haben, unterm Äquator; und wenn ihr eines morgens das Nest ganz
leer finden solltet, so braucht ihr euch auch nicht allzu sehr zu
wundern.«

»O, Freund,« rief der Apotheker, »wir werden dich zu halten wissen! wir
werden dich sicherlich fürs erste nicht loslassen! Du bist unser! Du
darfst nicht gehen, wie du gekommen bist -- du würdest für lange Zeit
alle unsere Freude, unser Behagen mit dir wegführen!«

»Hm,« sagte der Oberst, und dann frühstückten sie gemächlich und der
alte Soldat mit besonders ausgezeichnetem Appetit. Er zeigte auch
beneidenswert wohl konservierte Zähne und wußte sie trefflich zu
gebrauchen.

Nach vollendetem Frühstück lehnte er sich behaglich seufzend zurück und
setzte seine Pfeife in Brand. Dorette ging ihren Hausgeschäften nach,
und die beiden Herren waren allein. Sie plauderten jetzt -- sie konnten
jetzt plaudern -- der Ernst in ihren gegenseitigen Verknüpfungen war
wenigstens für den Moment überwunden; sie hatten die nötige Ruhe zum
harmlosen Schwatzen gefunden, und sie schwatzten miteinander -- zwei
gemütliche ältliche Herren, deren einer etwas mehr von der Welt gesehen
und sich bedeutend besser erhalten hatte, als es dem anderen vergönnt
gewesen war.

Der Brasilianer freute sich über die deutschen Stubenfliegen, welche ihm
um die Nase summten; es war ihm auch durchaus nicht zu verdenken; aber
die Thatsache verdient, in einem eigenen Kapitel behandelt zu werden.




Zwölftes Kapitel.


»Ihr glücklichen Leute wißt es gar nicht, um wie vieles unsereiner euch
zu beneiden hat,« sprach der Oberst. »Da sitzt ihr in eurer täglichen
Behaglichkeit, und wenn ihr euch nicht dann und wann wirklich über die
Fliege an der Wand zu ärgern hättet, so ginge es euch eigentlich zu gut.
Nun guck einer, wie niedlich sich das Ding da auf der Zuckerdose die
Nase wischt und die Flügel putzt! Sollte man es nun für möglich halten,
daß der Gutmütigste von euch hier zu Lande vor Wut außer sich gerät,
wenn das ihm während des Mittagsschlafes über die Stirn spaziert? So ein
Bivouac am Rio Grande ohne Moskitonetz, das würde etwas für euch sein,
um euch Geduld in Anfechtungen zu lehren.«

Der Apotheker lächelte und sagte:

»Unsere Anfechtungen haben wir auch wohl ohne das, lieber August.«

»Lieber Agostin! wenn ich dich bitten darf,« rief der Gast. »Du hast
keine Ahnung davon, wie verhaßt mir dieser frühere August ist. Wenn
jemand seinen alten Adam so vollständig wie ich im Graben ablegt, dann
hält er auch etwas auf seinen neuen Rock. Mein jetziger paßt mir wie
angegossen, bemerke ich dir abermals; -- Dom Agostin Agonista,
Gendarmerie-Oberst in kaiserlich brasilianischen Diensten -- alles in
Ordnung, Patent wie Paß --«

»Ereifere dich doch nicht, Lieber,« sagte der alte Philipp begütigend.

»Ich ereifere mich nicht, ich ärgere mich nur!« rief der Oberst.

»Und zwar wie ein echter Deutscher über die Fliege an der Wand, bester
Augustin,« meinte der Apotheker »zum wilden Mann«; und dann gingen sie
zu etwas anderem über, das heißt, der Oberst fing an, sich sehr genau
nach den Umständen und Lebensläufen der Herren, deren Bekanntschaft er
am gestrigen Abend gemacht hatte, zu erkundigen. Dann erzählte er
seinerseits genauer, auf welche Weise er mit dem Doktor Hanff auf dem
Wege zusammengeraten sei, und dadurch kam er darauf, wie ihn doch nicht
allein der Zufall in diese Gegend geführt habe, sondern wie er in der
That mit der Absicht gekommen sei, sich nach dem alten botanischen Wald-
und Jugendgenossen, nach dem treuen Freunde vom Blutstuhl umzuschauen.

»Ich hatte keine Ahnung, wo du geblieben warst, und ob du überhaupt noch
am Leben seist, Filippo!« rief der Brasilianer. »Aber ich hatte mir
vorgenommen, dich tot oder lebendig zu finden, und es ist mir gelungen.
Eine Maronjagd war es durchaus nicht, Alter. Ich habe es wohl gelernt,
Spuren von Wild und Mensch im Urwalde, wie zwischen den Ackerfeldern und
in dem verworrensten Straßennetz über und unter der Erde zum Zwecke zu
verfolgen. Dich, oder deinen Namen, oder vielmehr einen Schnaps oder
Liqueur deines Namens spürte ich in den Zeitungen aus; -- dem
>Kristeller< ging ich nach, und da bin ich denn, und du wirst es mir
gewiß nicht verdenken, wenn ich im Laufe des Morgens das Getränk an der
Quelle zu erproben wünsche. Es war keineswegs notwendig, daß euer Doktor
mich auf den >Kristeller< aufmerksam machte.«

Der alte Philipp hatte sich während dieser Auseinandersetzung
fortwährend vergnüglichst die Hände gerieben, jetzt sprang er auf,
klopfte den Freund auf die Schulter und rief:

»Also mein >Kristeller< hat dich auf meine Spur gebracht! O, lieber
August--in, ich glaube da wirklich eine wohlthätige Erfindung gemacht zu
haben; ich werde sogleich --«

»Nachher,« sprach der Oberst Agonista. »Sieh, wie herrlich die Sonne
scheint, wie blau der Himmel ist! Philipp, jetzt zeigst du mir vor allen
Dingen dein Heimwesen im einzelnen: Herd und Hof -- ach, wie schade, daß
du mir nicht auch Weib und Kinder und Enkel zeigen kannst! -- und
Garten, die Offizin, das Laboratorium, die Materialkammer, Küche und
Keller, Stall und Viehstand -- alles interessiert mich!«

Da der Hausherr jetzt wieder neben seinem Gaste saß, so klopfte er ihn
nun auf das Knie:

»O Augustin, wie freundlich ist das von dir! Welch' eine Freude machst
du mir da. Sollen wir gleich gehen?«

»Gewiß,« sprach der Oberst Dom Agostin Agonista, sprang auf, drückte den
Tabak in der Pfeife fest und nahm den Arm des Freundes.

Beide Herren traten ihre Gänge an, durch Haus und Hof, durch Garten und
Ställe, und es war zugleich eine Merkwürdigkeit und ein Vergnügen, wie
verständig und sachkundig der Kriegsmann über alles zu reden wußte, und
-- wie genau er sich jegliches Ding ansah.

Der entzückte Hausherr sprach ihm mehrfach seine Verwunderung darob aus;
aber Dom Agostin lachte und meinte:

»Treibe du dich einmal wie ich ein Menschenalter da drüben um unter dem
Volk und den Völkerschaften, die Affen und sonstigen Bestien
eingeschlossen. Das heißt natürlich als ein von Haus und Anlage aus
überlegender und praktischer Mann, und dann sieh zu, ob du nicht
gleichfalls die Ordnungen der alten Heimat dir im Gedächtnis wachrufen
und täglich gern mit neuen Erfahrungen vermehren wirst. Wenn mich mein
Schicksal zu einem Abenteurer gemacht hat, Philipp, so bin ich doch ein
ganz solider geworden. Daß ich mich demnächst verheiraten werde, glaube
ich euch bereits gestern abend mitgeteilt zu haben.«

»Wenn es wirklich dein Ernst war, Augustin --«

»Mein bitterer Ernst. Ihr schient es alle für einen Scherz zu nehmen;
ich habe das wohl gemerkt. Eigentlich hätte ich das übel aufnehmen
sollen und begreife jetzt auch nicht, weshalb ich nicht sofort um
weitere Aufklärung über euer Lächeln hat; -- dieser Doktor -- Doktor
Hanff schien mir sogar die Schultern in die Höhe zu ziehen. Nun,
schieben wir das alles auf den trefflichen Punsch deiner Schwester; --
ich aber wiederhole es dir, ich bin bis über die Ohren verliebt und
trage das Bild meiner Geliebten in einem Medaillon unter der Weste auf
dem Busen. Du sollst das Porträt sehen, und deine Schwester soll's
nachher auch sehen, und dann will ich eure Meinung ruhig anhören. Es ist
ein Prachtweib und nicht ohne Vermögen; Senhora Julia Fuentalacunas, --
nicht wahr, ein recht wohlklingender Name? Sie kam jung als Julchen
Brandes von Stettin nach Rio und heiratete den Senhor Fuentalacunas vom
Zollamte. Weißt du, lieber Freund, der Rock des Kaisers ist zwar eine
recht kleidsame und honorable Tracht; aber wenn man so die erste Jugend
hinter sich hat, fängt man an, auf die Ehre zu pfeifen und das Behagen
dem Herrendienste vorzuziehen. Ich werde eine Hacienda kaufen und hoffe
als ein begüterter Familienvater meine Tage in Ruhe im Kreise der
Meinigen zu beschließen. Ihr -- du und Fräulein Dorette -- gehört
natürlich zu der Familie, und wir werden ein vortreffliches Leben
miteinander führen.«

»Wie?« -- -- fragte der Apotheker »zum wilden Mann«, Herr Philipp
Kristeller, und sah seinen Gast mit den größesten Augen an.

»Wie ich es sage,« sprach der kaiserlich brasilianische
Gendarmerie-Oberst, den erstaunten Blick seines alten Freundes nicht im
mindesten beachtend, sondern, mitten im Hofraume stehend, rings umher an
den umgebenden Gebäuden emporschauend. Es schien ihm wiederum in der
That bitterer Ernst um das zu sein, was er sagte.

»Ich hoffe, deine Schwester ohne Mühe zu überreden,« fügte er wie
beiläufig an.

Der Apotheker lachte, der Oberst aber lachte ganz und gar nicht mit,
sondern umging die zwei Milchkühe im Stalle mit kritischem Blicke,
klopfte sie auf die Weichen und bemerkte:

»Vor einigen Jahren war ich in Fray Bentos und sah mir das dortige
Fleischextrakt-Institut an. Großartig! -- Sie treiben euch vor den Augen
einen Ochsen in die Retorte und liefern ihn euch nach zehn Minuten in
eine Büchse konzentriert, die ihr in die Hosentasche steckt -- wäre das
Weltmeer nicht da, dem ihr euer Erstaunen zurufen könnt, ihr wüßtet
nirgends damit hin, Philipp. Und vor vierzehn Tagen war ich bei Liebig
in München -- annähernd derselbe Geruch und Duft wie bei dir, nur noch
ein bißchen metallischer; -- Kristeller, da können wir einander
gleichfalls gebrauchen -- ich liefere dir das Vieh, und du lieferst mir
den Extrakt; -- Philipp, ich gebe dir mein Ehrenwort darauf, in drei
Jahren machen wir den Herren zu Fray Bentos eine Konkurrenz, die sie zu
Thränen rühren soll.«

»O Augustin, welch einen prächtigen Humor hast du aus deinem neuen
Vaterlande mit herübergebracht!« rief der Apotheker; »aber --«

»Humor?« fragte der Oberst sehr ernsthaft und setzte fast schreiend
hinzu: »Zahlen! Zahlen! Die eingehendsten, unumstößlichsten
Berechnungen: Hier! -- da!«

Er hatte bereits seine Brieftasche hervorgezogen und las im Fluge dem
Freunde einige in der That sehr eingehend auf die
Fleischextrakt-Fabrikation Bezug habende Zahlenreihen her. Herr Philipp
Kristeller rieb sich in immer größerer Erstarrung die Stirn:

»Die Schwester -- die Schwester sollte das hören,« murmelte er, und
jetzt lächelte auch der Gendarmerie-Oberst endlich wieder einmal und
meinte:

»Ich werde natürlich schon beim Mittagsessen deine gute Schwester mit
unseren Plänen bekannt machen und sie für dieselben zu gewinnen suchen.
Ich bin überzeugt, sie wird sich nicht so steif-verwundert wie du
hinstellen und nur meinen Humor loben.«

»O du großer Gott!« seufzte Herr Philipp.

Die Ziege, welche neben den zwei Kühen im Stall unter der besonderen
Obhut Fräulein Dorette Kristellers ein wohlbehagliches Dasein lebte,
überging der Oberst ohne weitere Bemerkung; dagegen sprach er im
Hühnerhofe kopfschüttelnd:

»Dieses Vieh hier erinnert mich stets merkwürdig lebhaft an meine selige
Mutter.«

Er hatte die Brieftafel in der Hand behalten und machte von Zeit zu Zeit
einige Notizen. Fast zwei Stunden brachten die beiden Herren auf ihrer
Inspektionsreise zu, und als sie ins Haus zurückkehrten, fanden sie den
Landphysikus in der Offizin auf sie wartend und ein Gläschen vom
berühmten Kristeller'schen Magenliqueur vor ihm auf dem Tische.

Mit gewohnter Jovialität begrüßte der Doktor die eintretenden beiden
Herren. Man schüttelte sich bieder die Hände im Kreise und erkundigte
sich gegenseitig auf das Herzlichste nach der Nachtruhe und dem
sonstigen Befinden.

»Was für einen Wochentag schreiben wir denn heute eigentlich?« fragte
der Oberst, seine Brieftasche immer noch in der Hand tragend.

»Das wird Ihnen der Barbier, welcher da eben hinrennt, am besten sagen
können,« lachte der Doktor Hanff, »der Pflug geht den Bauern über die
Wochenstoppeln; es ist Sonnabend --«

»Und morgen besuche ich zum erstenmale seit einem Menschenalter den
deutschen Gottesdienst wieder!« rief der Oberst Dom Agostin Agonista
entzückt. »Übermorgen reise ich ab.«

»August? -- Augustin?« rief erschrocken Herr Philipp Kristeller.

»Herr Oberst?« sprach erstaunt Fräulein Dorette Kristeller.

Aber der Landphysikus, sein Glas energisch zurückschiebend, rief:

»Unter allen Umständen unmöglich, Colonel; der Förster Ulebeule
begegnete mir, er ist mit einer Einladung zum Mittagsessen auf den
Montag unterwegs; für den Dienstag erbitte ich mir die Ehre; am Mittwoch
kommt die Reihe an den Pastor; am Donnerstag -- doch da wollen wir den
übrigen Herren nicht vorgreifen; jedenfalls lassen wir Sie unter keinen
Umständen so rasch fort, Oberst. Wer einen seltenen Vogel wie Sie in den
Händen hat, der hält ihn, so lange es möglich, fest. Geben Sie mir noch
einen >Kristeller<, lieber Kristeller, und nehmen Sie auch einen,
liebster Oberst; Sie scheinen noch gar keine rechte Ahnung davon zu
haben, welche guten und angenehmen Dinge die hiesige Planetenstelle
produziert.«




Dreizehntes Kapitel.


Der Förster, welcher in diesem Augenblick in die Thür trat, vernahm, was
besprochen wurde, und redete sofort mit den Übrigen heftig und dringend
auf den alten, tapferen, südamerikanischen Krieger ein. Dieser aber
wehrte sich stumm nur durch Gesten, zu gleicher Zeit das ihm kredenzte
Spitzglas mit dem Kristeller'schen Magenbitter gegen das Licht haltend
und durchäugelnd.

Jetzt setzte er den Becher an die Lippen -- schlürfte -- hielt ein --
probierte noch einmal mit tieferer Andacht -- goß den Rest mit einer
gewissen wilden Inbrunst die Kehle hinunter -- reichte sofort das Glas
zu neuer Füllung aus der dickbäuchigen grünen Flasche hin und rief:

»Bei meiner Seele, das ist ja wirklich endlich -- endlich einmal ein
G e t r ä n k!«

»Nicht wahr?« fragten der Förster und der Doktor ernsthaft, während der
Apotheker »zum wilden Mann« verschämt-glücklich der Schwester über die
Schulter lächelte.

»Bei den Göttern, das ist ein Getränk, Philipp! Und du bist wahrhaftig
davon der Erfinder? Und du hast das Rezept dazu unter Schloß und Riegel?
-- Und du sitzest hier noch immer in diesem verlorenen Winkel und drehst
dem Doktor da seine Pillen und rührst ihm seine Mixturen zusammen? --
Fräulein Kristeller, ich erbitte mir sogleich nach Tisch ein
Privatgespräch! Meine Herren, dies ändert die Sachlage vielleicht;
lieber Forstmeister, im Laufe des Nachmittags werde ich mir erlauben,
Ihnen Nachricht zu geben, ob ich Ihre Einladung annehmen kann oder
nicht.«

»Bravo!« riefen der Landphysikus und der Förster; der Apotheker sagte:

»Du bleibst also ohne Bedingung, Lieber; und es war auch durchaus nicht
nothwendig, uns einen solchen Schrecken in die Glieder zu jagen. Es war
nicht freundschaftlich und brüderlich, Augustin.«

»Ich bitte noch um einen >Kristeller<,« erwiderte der Oberst. »Philipp,
auf dein Wohl! Ich versichere dich, ich habe dich lieb gehabt; aber
jetzt tritt der Respekt zur Liebe; -- meine Herren, Sie haben diese
dreißig Jahre durch einen großen Mann in Ihrer Mitte gehabt, ohne es zu
wissen. Philipp, dein Schnaps ist wunderbar, was aber meine Abreise
betrifft, so ist Unsereiner stets mit Gewehr über auf dem Marsche, und
man muß eben ein Weib nehmen und ein bürgerlich Geschäft treiben, um das
Stillsitzen zu erlernen. Bei den hohen Göttern, dieses hier ist
vielleicht noch rentabler als Fray Bentos! Kristeller, wir werden drüben
den feurigen siebenten Himmel durch einen Destillierkolben auf die Erde
herunterholen. Fräulein Dorette, wir werden die Sonne und den Blitz auf
Flaschen ziehen und unsere Preise darnach stellen. Kristeller und
Agonista -- Sao Paradiso, -- Provinz Minas Geraes, Kaiserreich
Brasilien! Mit diesem Getränk unter dem Arm kommen wir durch bei allen
Nationen rund um den Erdball. Wir kommen durch, Senhora, und wie gesagt,
nach Tisch erbitte ich mir ein behagliches Plauderviertelstündchen im
Hinterstübchen, Senhora Dorothea.«

Sie lachten alle, nur das Fräulein nicht. Was das Lachen des
erfindungsreichen Hausherrn anbetraf, so machte das einen unbedingt
ratlosen und hilflosen Eindruck. Ein Mensch aber, der ein Leben hinter
sich hatte, wie der Oberst Agonista, durfte in der That die Erde mit
anderen Augen sehen und mit anderen Händen greifen als die
Hausgenossenschaft und die Hausfreunde der Apotheke »zum wilden Mann«,
und konnte auch, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, von den
anderen ganz naiv verlangen, daß man sich auf seinen Standpunkt stelle.
Der Oberst Dom Agostin Agonista konnte wirklich seinen festen
unerschütterlichen Entschluß darlegen, noch einmal, und zwar nach einem
Menschenalter, das Glück und Schicksal seines Freundes Philipp
Kristeller auf die andere Seite zu drehen, und zwar ohne auf irgend
welche Einwürfe und Gegenvorstellungen zu hören.

Da sich jetzt die Hausflur mit allerlei Kunden füllte, so begleitete der
tapfere alte Soldat allein den Förster und den Doktor auf ihrem Wege ins
Dorf zurück. Er ging zwischen ihnen, jeden unterm Arme haltend, und wer
den Dreien begegnete, stehen blieb und ihnen nachsah, der mußte es
zugeben, daß jeder von den Dreien in seiner Art »gut« war. Dazu aber
hielt sich das Gespräch der Herren am alten Philipp und seinem
»Kristeller«; und selbst auf diesem kurzen Wege erhielt der
brasilianische Gendarmen-Oberst noch einige recht nützliche Notizen über
die Apotheke »zum wilden Mann« und kam, heiter pfeifend und die reine,
frische Herbstluft wohlig einschlürfend zurück -- gerade recht zum
Mittagsessen.

Man speiste; man hielt Siesta, -- der Oberst die seinige diesmal in
seinem Ehrensessel im bilderbunten Hinterstübchen.

Punkt drei Uhr trat er erfrischt wiederum in die Offizin, um noch einen
»Kristeller« zu nehmen. Dann wußte er den Weg in die Küche schon ganz
genau und brauchte keinen Führer auf demselben.

»Fräulein Dorette,« sagte er, »jetzt wäre der günstige Augenblick
vorhanden. Soeben habe ich den guten Philipp auf seine Materialkammer
geleitet, und wir beide, liebes Fräulein, haben hier unten das Reich
allein. Kinder, Kinder, ich freue mich kindlich, so familienfreundlich
mit euch zusammen zu sein! Und wir bleiben eine Familie -- nicht wahr,
wir bleiben e i n e Familie? -- Es ist zu prächtig! Da draußen der
deutsche Herbsthimmel, hier innen die deutsche Ofenwärme und -- das
liebe Brasilien wie das Land der Verheißung in der Ferne! Senhora, ich
erlaube mir, Ihnen meinen Arm anzubieten.«

Er führte richtig die alte, ängstlich über die Schulter zurückblickende
Dame in ihre eigene Stube, des Hauses Ehrengemach, und verblieb mit ihr
eine gute halbe Stunde drinnen und zwar in dringlichsten Verhandlungen;
während der Bruder, um seiner Erregungen wenigstens etwas Meister zu
bleiben, in seiner Materialkammer sämtliche Kräutersäcke auf- und
abtürmte und sämtliche Schubladen aufzog und zuschob.

Eine halbe Stunde kann selbst dem phlegmatischsten Menschen unter
Umständen sehr lang erscheinen; das ist eine bekannte Wahrheit, muß hier
jedoch dessenungeachtet wiederholt werden. Dem Apotheker »zum wilden
Mann« erschien der kurze Zeitraum s e h r lang, Fräulein Dorette
hingegen ging er ungemein rasch vorüber.

Schon öffnete der Oberst ihr höflichst die Thür ihrer Putzstube und --
ließ sie heraus. Er blieb drin! -- Sie hielt sich am Thürpfosten wie von
einem Schwindel befallen; -- sie hatte dem braven Kriegsmann einen Knix
machen wollen, allein es war ihr nicht möglich gewesen. Während sie aber
draußen an der Wand lehnte und wie aus plötzlich erblindeten Augen um
sich zu sehen strebte, war der Oberst drinnen leise pfeifend zum Fenster
gegangen und hatte es geöffnet und sich drein gelegt.

Da lag er, schwer auf den Ellenbogen, stieß einen schweren Seufzer aus
und blickte die Landstraße entlang, zur Rechten und zur Linken hin.

Das Fräulein draußen legte jetzt beide Hände an die Schläfen und stieß
gleichfalls einen Seufzer aus und stöhnte dazu:

»Großer Gott, ganz wie ich es mir gedacht hatte! o du lieber Gott, mein
armer, armer Bruder!«

Von seinem Fenster aus rief der Oberst einen vorbeilaufenden Dorfknaben
an:

»Heda, miin Jung', kennst du den Herrn Förster Ulebeule und weißt du, wo
er wohnt?«

»Na?!« fragte der Bengel an der Hauswand empor, entrüstet ob der
Naivetät der Frage.

»Gut, mein Sohn. Ich warte hier mit fünf Groschen in der Hand auf dich.
Lauf' einmal zum Herrn Förster und bestell' einen schönen Gruß von dem
fremden Herrn in der Apotheke, und es würde dem Herrn Apotheker und dem
fremden Herrn ein Vergnügen sein, am Montag bei dem Herrn Förster zu
essen.«

Der Knabe vom Gebirge rannte und sah im Rennen verschiedene Male zurück,
ob der weißköpfige Herr mit dem braunen Gesichte im Fenster auch
wirklich Wort halte und mit dem gebotenen Honorar präsent bleibe.
Drunten im Hinterstübchen, im Ehrensessel des brasilianischen Obersten,
saß Fräulein Dorette Kristeller, stützte die Ellenbogen auf den Tisch
und das Gesicht auf die Hände und ächzte leise:

»Mein Bruder, mein armer Bruder!«




Vierzehntes Kapitel.


Am anderen Tage war Sonntag, ein deutscher Dorf-Sonntag. Die Glocke
läutete zur Kirche, und der Pastor Schönlank hatte seine Predigt fertig
und bereit. Mit dem Gesangbuch seines Freundes Philipp unter dem Arme
und würdig die Schwester des Freundes führend ging auch der
brasilianische Oberst Dom Agostin Agostina in die Kirche und zwar in
Uniform. Er hatte seinen Mantelsack und kleinen Reisekoffer vollständig
ausgepackt und sein Äußeres festtäglich geschmückt. Er trug seine
sämtlichen Orden und sah nicht nur martialisch, sondern wirklich
prächtig und vornehm aus und störte die Andacht des Dorfes durch seine
Erscheinung vollständig. Er sang auch mit. Der Pastor in der Sakristei
vernahm ihn über die Orgel, den Kantor und die Gemeinde weg; -- ein so
sonorer Baß hatte lange nicht die Wölbung des kleinen Gotteshauses
erschüttert. Nach der Kirche hatte der fremdländische Krieger, wiederum
Fräulein Dorette Kristeller am Arme führend, so zu sagen die Parade der
ganzen Gemeinde abzunehmen. Sie bildete Spalier auf seinem Wege, und
gutmütig lächelnd und fort und fort an die Mütze fassend, schritt der
Oberst zwischen der Hecke anstaunender Bauerngesichter durch.

Das Dorf sprach heute nur von ihm; Fräulein Dorothea kam aber sehr
unwohl aus der Kirche nach Hause und fühlte sich gezwungen, sich zu
Bette zu legen und den Rest des Tages darin zu bleiben.

Am folgenden Tage ging der Oberst mit seinem Freunde Philipp zum Förster
Ulebeule auf einen Wildschweinkopf. Fräulein Dorette setzte sich vor die
Rechenbücher des Hauses. Die Herren in der Försterei waren sehr heiter
bei Tische; der Oberst erzählte wieder von der Herrlichkeit seiner neuen
Heimat und brachte die Leute aus dem stillen Erdenwinkel fast außer sich
durch seine Beredsamkeit und die Farbenpracht seiner Schilderungen.
Diesmal forderte er den Doktor auf, mit hinüberzugehen und ein Millionär
und kaiserlicher geheimer Hofmedicus zu werden, und schon bei der
vierten Flasche hatte der Landphysikus es dem Oberst fest versprochen
und durch Handschlag sein Wort besiegelt.

»Mit Ihnen, lieber Pastor, wissen wir weniger da drüben anzufangen,«
rief Dom Agostin, »aber wir holen Sie vielleicht doch noch nach, wenn
wir uns unsere eigenen Hauskapellen errichtet haben.«

Da hatte der geistliche Herr gelächelt, aber etwas kläglich gesagt:

»Wir sind doch wohl zu einer solchen Emigration ein wenig zu alt, Herr
Oberst. Auch würden Sie vorher vor allen Dingen mit meiner guten Frau
reden müssen, theurer Herr.«

»Weshalb sollte ich das nicht, wenn sonst die Bedingungen vorhanden
sind?« fragte der Brasilianer.

Sie waren ungemein vergnügt bei dem Förster Ulebeule, und erst bei weit
vorgeschrittener Dämmerung kamen Philipp und August Arm in Arm und
Schulter an Schulter, angeregt und höchst lebhaft heim zur Apotheke.

»Von dem >Kristeller< erbitte ich mir ein Flacon auf den Nachttisch,
lieber alter Junge,« sprach der Oberst. »Er entzückt mich immer von
neuem, auch nach dem Diner. Pereat Fray Bentos, -- dies hier nenne ich
in Wahrheit eine konzentrierte Bouillon! Der Teufel hole alles Rindvieh
in den Pampas; -- da wir diesen Feuertrank hier am Orte schon so kochen,
wie wird er erst da drüben im Feuerlande ausfallen, Fi--lip--po!«

»De--li--kat!« erwiderte Herr Philipp Kristeller, worauf die beiden
Freunde einander dreimal recht herzhaft abküßten.

Sie saßen übrigens an diesem Abend allein im Hinterstübchen, der Oberst
und der Apotheker »zum wilden Mann«. Fräulein Dorette ließ sich durch
das Hausmädchen entschuldigen und heruntersagen: sie habe arges Kopfweh.

Die beiden Herren ließen sofort hinaufsagen: das thue ihnen sehr leid
und sie wünschten von Herzen eine baldige Besserung; -- nachher saßen
sie noch bis gegen Mitternacht in der Bildergalerie zusammen und
redeten, eingehüllt in Tabaksdampf, von ihrer Jugendzeit.

Als die Uhr Zwölf schlug, stand der Oberst auf und sagte herzlich:

»Du weißt doch nicht ganz, wie gut es mir hier zu Mute ist, Philipp. Wir
wollen uns aber auch von nun an nicht wieder von einander trennen,
Alter! Wir wollen von jetzt an e i n Schicksal und e i n Glück haben,
nicht wahr? Nicht wahr, nicht wahr, es bleibt dabei, Philipp?«

»Es bleibt dabei,« stammelte Herr Philipp Kristeller, und dann ging der
Oberst zu Bett. Er kannte jetzt den Weg zu seinem Schlafgemache bereits
und brauchte kein Geleit mehr. Das »Flacon« mit dem »Kristeller« nahm er
unter dem Arme mit wie am Sonntag das Gesangbuch seines Freundes. Aber
vorher hatte er noch den Freund in den Ehrensessel niedergedrückt; und
in dem Ehrensessel saß Herr Philipp noch eine Weile in der stillen Nacht
und suchte zu überlegen, ehe auch er zur Ruhe ging.

Die Nacht war still, das Haus war still. Eben schlug es ein Uhr, als
oben eine Thür knarrte und ein langsamer leiser Schritt die Treppe
herabkam. Aus dem Überlegenwollen des Hausherrn im Ehrenstuhl des
Obersten war ein ziemlich fester Schlummer geworden. Aus diesem
Schlummer wiederum auffahrend, horchte Herr Philipp: da war der
gespenstische Schritt an der Pforte des Hinterstübchens:

»Wer ist da?« rief der Apotheker auftaumelnd und mit beiden Händen
schwerfällig sich auf die Lehnen des Armsessels stützend.

»Ich bin es, Bruder,« sagte Fräulein Dorette Kristeller, im langen
weißen Nachtrock wie eine moralische Lady Macbeth hereinschwankend. »Ich
bin es, Philipp; ich habe keine Ruhe mehr im Bette, keine Ruhe im ganzen
Hause. Ich glaubte, hier noch einen warmen Ofen zu finden; aber nun ist
es mir lieb, daß auch du noch wach bist, lieber Bruder; -- o Bruder,
Bruder Philipp, es ist wirklich und wahrhaftig sein Ernst!«

»Sein Ernst? Wessen Ernst?«

»Sein bitterer Ernst! O, ich habe es mir gleich so gedacht, als er dich
zuerst so gemütlich auf die Schulter klopfte und ihr alle über seine
wilden Pläne lachtet. Er meint es ja vielleicht auch gut mit uns; aber
elend macht er uns doch. Philipp, er braucht Geld! er braucht sein Geld,
und er ist gekommen, es zu holen!«

Der Apotheker »zum wilden Mann« sah das trostlose alte Jüngferchen
plötzlich mit den glänzendsten, verständnisinnigsten Augen an.

»Er braucht sein Geld, und er ist gekommen, es zu holen? Aber Dorette,
das wäre ja wundervoll!«

»Wundervoll?! --«

Herr Philipp Kristeller knöpfte mit zitternder Hand, der kühlen Nacht
zum Trotze, vor innerster Aufregung die Weste auf:

»Dorette, wenn du Recht hättest! -- herrlich, herrlich wäre es! Aber --
wenn das so wäre, so würde er es mir doch wohl zuerst gesagt haben?!«

»Hat er das denn nicht? und zwar auf jede nur mögliche Weise -- fein und
grob!«

Der Apotheker antwortete nichts hierauf. Er ging rasch in dem engen
Raume seiner Bildergalerie auf und ab und rieb sich nach seiner Art die
Hände und murmelte vor sich hin:

»Der Gute -- der Wackere -- mein Gott, welch eine glückselige Nacht! --
Und ich habe ihn ganz und gar nicht verstanden! O diese Weiber, diese
klugen Weiber! Dorette, wenn du recht hättest!«

»Ich habe Recht!« ächzte jetzt das alte Fräulein fast böse. »So setze
dich doch und nimm Vernunft an. Was soll denn aus uns werden, Bruder? Du
bist diese dreißig Jahre lang deinen Liebhabereien und dem Geschäfte
nachgegangen; aber ich habe die Bücher geführt und weiß, wie wir stehen.
O, es reicht noch; aber es reicht auch nur gerade hin, -- und, Philipp,
ich bin fest überzeugt, er holt nicht nur das Kapital, sondern er kann
auch die Zinsen gebrauchen, die Zinsen seit dreißig Jahren!«

»Das vergebe ich ihm so leicht nicht, daß er nicht sofort seinen Wunsch
mir klar und deutlich ausgesprochen hat,« murmelte Herr Philipp, der
durchaus nicht imstande war, sich zu setzen, sondern der fort und fort
auf und ab lief und das Wort der Schwester ganz und gar überhörte. »O
August, August, also endlich ist auch für mich die Stunde da, dir auf
deinem Wege zum Glücke behilflich sein zu können!«

Von der ganzen Fülle dieser Vorstellung überwältigt, stand er jetzt
still, und was er seit nicht zu berechnender Zeit nicht gethan hatte,
das that er jetzt: er gab der Schwester einen Kuß -- einen langen,
herzlichen Kuß, und dann -- nahm er sein Licht und ging seinerseits in
seine Kammer. Er hatte das Bedürfnis, allein zu sein und sich in der
Stille und Dunkelheit der Nacht den frohen nahen Morgen und seine erste
Begrüßung mit dem Freunde, dem Obersten Dom Agostin Agonista,
auszumalen.

Fräulein Dorette stand im Scheine ihres Nachtlichtes mit schlaff
niederhängenden Armen und vor dem Leibe gefalteten Händen, blickte
hinter ihm her und stöhnte:

»Also da sind wir denn! -- o diese Mannsleute! Was soll aus uns werden?
lieber Herrgott, was soll aus uns werden? -- Zu den Pottekudern, seinen
neuen Landsleuten, gehe ich für mein Teil nicht mit! Er wäre freilich
imstande, uns in aller Güte und Zureden mit Haus und Hof mit sich zu
schleppen und uns mitten in der Urwildnis hinzusetzen und eine
Schnapsfabrik auf meines armen Bruders Namen und Liqueur zu gründen.
Aber er soll mir kommen, der Kehlabschneider, der Scharfrichter, der
Menschenschinder, der Henkersknecht. Für alle Freibillets in der Welt
geh' ich mit ihm nicht nach seinem Amerika; am Spieße brät er uns doch,
wenn er uns drüben hat, und wenn er auch noch so schlau hier am Orte den
Gemütlichen, den Vergnügten und den biederen treuherzigen Krieger
spielt.«

Der Oberst Dom Agostin Agonista wurde durch das, was im unteren Teile
des Hauses »zum wilden Manne« vorging, nicht in seinem Schlummer
gestört. Er schlief abermals weit in den hellen Sonnenschein des
Dienstags hinein, und die Flasche mit dem »Kristeller« stand auf seinem
Nachttische, und auch das Spitzglas, das dazu gehörte, hatte der alte
Soldat handgerecht zugerückt. Aber auf dem Stuhle am Bette saß um halb
neun Uhr, seit einer Viertelstunde zärtlich lauschend, Herr Philipp
Kristeller, das Erwachen des Gastes, Freundes und Wohlthäters erwartend.

»Sobald der Gute erwacht, wollen wir überlegen, in welcher Weise es am
angenehmsten und vorteilhaftesten für ihn einzurichten ist,« hatte der
Apotheker, auf den Zehen in die Kammer schleichend, geflüstert; und er
hatte eine gute Stunde zu warten, ehe der Brasilier die Augen öffnete,
sich entsetzlich reckte, gewaltig gähnte und dann, sich überrascht
aufrichtend, rief:

»Diablo! bist du denn das, Filippo? Ei, schönsten guten Morgen! aber
dieses ist einmal freundlich von dir!«

»Guten Morgen, August. Du erlaubst mir wohl, daß ich dich diesmal wieder
August nennen darf; denn ich sitze hier und warte auf dein Erwachen, um
dich recht tüchtig abzukanzeln.«

»Abzukanzeln? weshalb? wieso? warum? wofür?«

»Weil du meiner guten Schwester mehr Zutrauen bewiesen hast als mir,
August.«

»Ah -- -- -- so!« sprach der brasilianische Gendarmerie-Oberst ungemein
gedehnt und legte sich wieder hin -- nämlich mit dem Hinterkopfe in
seine Kopfkissen. Nach einer Pause erst fügte er etwas gedrückt hinzu:

»Und nicht wahr, du giebst mir recht? Dein Entschluß ist gefaßt; -- wir
gehen zusammen über das Weltmeer, um goldene Berge für uns und unsere
Nachkommen aufzuschütten?!«

Herr Philipp schüttelte melancholisch den Kopf.

»Meine Schwester Dorothea und ich doch wohl nicht, aber -- mit dir ist
es freilich etwas anderes. Nein, mein teurer August, du wirst wieder
allein gehen müssen.«

»Aber das macht mir wirklich einen Strich durch alle meine
Berechnungen,« brummte der Kriegsmann verdrießlich.

»Du nimmst unsere besten Wünsche mit hinüber; wir werden in Gedanken
stets bei dir sein.«

»Danke!« sagte der Oberst womöglich noch verstimmter.

»Ich habe den Tisch vor deinem Stuhle bereits zurecht gerückt, mein
guter August. Meine Hausbücher liegen zu deiner Einsicht bereit; du
wirst mit meiner Schwester zufrieden sein, denn sie hat die Bilanz
gezogen. Ich hoffe, du wirst finden, daß wir -- meine Schwester und ich
-- unser -- mein -- dein Vermögen nach bestem Wissen verwaltet haben.«

»Ich komme im Augenblick hinunter, lieber Alter!« rief der Oberst, allen
Mißmut sofort abschüttelnd und mit hellem Lächeln das rechte Bein
blitzartig unter dem Deckbette vorschnellend und mit dem Fuße nach des
Apothekers Reserve-Ehren-Pantoffeln auf dem Boden angelnd. »Im Moment --
in zehn Minuten bin ich drunten bei dir. Philipp, du bist ein
Prachtmensch! und du wirst sehen, daß ich die Welt kenne und auch für
dich das Nutzbringendste zu ergreifen verstehe.«

»Wir warten mit dem Kaffee auf dich, lieber August!«

»Mein schönstes Kompliment im voraus an deine Schwester! Im Augenblick
bin ich bei euch. Nicht wahr, Philipp, dein Rezept für den >Kristeller<
giebst du mir mit hinüber, -- nicht wahr, Alter?«

Der Erfinder des »Kristeller« versprach's, und nach einer Viertelstunde
saß der Oberst Dom Agostin Agonista richtig bei dem Geschwisterpaar im
Hinterstübchen und zwar, ohne alles vorherige Sträuben, im Ehrensessel
und vor den Haus- und Rechnungsbüchern der Apotheke »zum wilden Mann«;
-- Fräulein Dorette Kristeller hatte ihn dazu von Zeit zu Zeit zu
fragen, ob ihm noch eine Tasse Kaffee gefällig sei.




Fünfzehntes Kapitel.


Einen Mann wie den Oberst stelle man einmal unter den Scheffel, wenn er
in einer Gegend gleich der von uns geschilderten ankommt, d. h. aus den
Wolken fällt. Auf Meilen in der Runde gingen bald die fabelhaftesten
Gerüchte über ihn um. Ein wieder wie vor dreißig Jahren mit ein wenig
Bangen gemischter Respekt begleitete ihn in jeglichem Blicke, der ihm
nachgesendet wurde, klang in jedem höflichen Wort, das man an ihn
richtete; nur that er niemanden mehr leid dazu. Der bald so bekannte
Fremdling entsprach in jeder Beziehung den Vorstellungen, die sich die
Landschaft von einem »Wundertier« machte, und die Jovialität in seinem
Wesen und Auftreten nahm der vertraulichen Scheu, die er den Leuten
einflößte, nichts von ihrer Wirksamkeit. Er aber fühlte sich wohl unter
dem Volke der Gegend, genoß die Gemütsbewegungen, die er unter ihm
hervorbrachte und -- aß sich harmlos herum.

Nämlich es hatte sich herausgestellt, daß für die ersten Wochen an ein
Verlassen der Gegend, an eine Abreise aus der Apotheke »zum wilden
Mann« noch nicht zu denken sei.

Der Oberst blieb, und sie luden ihn alle zu Tisch. Nach den Honoratioren
des Dorfes kamen die Gutsbesitzer und reichen Domänenpächter der
Umgegend an die Reihe: der Oberst Dom Agostin Agonista fühlte sich immer
behaglicher in seinem behaglichen Quartier in der Apotheke »zum wilden
Mann«.

Wenn er aber viel abwesend von der Apotheke war, so blieb der alte
Philipp Kristeller desto sedater in seinen vier Pfählen, schrieb viel,
bekam viele Briefe von Banquiers und sonstigen Handelsleuten und trieb
selber allerlei Handel. Er fing an, in Ländereien zu spekulieren und
zwar in seinen eigenen.

Und während der Oberst nicht das Geringste von seiner stattlichen
Rundung einbüßte, wurde Fräulein Dorette Kristeller, die doch wenig
einzubüßen hatte, von Tag zu Tage magerer, und auch der Apotheker fiel
ab, soviel das noch möglich war. Das Geschwisterpaar wurde immer gelber
und gelber; was den Dom Agostin anbetraf, so fingen die Leute an, ihm zu
sagen:

»Herr Oberst, die Luft hier scheint Ihnen gottlob recht gut zu
bekommen.«

Sie bekam ihm wirklich, die Luft der Gegend, und das Gerücht von dem,
was er vor einunddreißig Jahren an dem Besitzer der Apotheke »zum wilden
Mann« gethan hatte, schwebte auch in der Luft über ihm und um sein
weißes, munteres Haupt und verklärte ihn rosig. Die Frauen nannten ihn
einen prächtigen alten Herrn, und die Männer nannten ihn einen
Prachtkerl und fügten hinzu: »Unter Umständen fänden wir auch mit
Vergnügen einen ähnlichen Burschen im Busch und Walde und suchten seine
intimste Bekanntschaft zu machen. Selbst auf die Botanik könnte man in
einem solchen Falle sich mit Pläsier legen.«

Auch der Oberst bekam im Verlaufe der nächsten Woche Briefe. Es langte
ein Packet von Rio Janeiro an, eine Menge Dokumente enthaltend. Dieses
Packet sendete Senhor Joaquimo Pamparente, sein Rechtsbeistand, und Dom
Agonista fand sich bewogen, den Inhalt eingehend mit seinem Freunde
Philipp Kristeller zu besprechen. Er, der Oberst, schrieb an Senhora
Julia Fuentalacunas einen zärtlichen Brief, der aber doch zugleich auch
ein Geschäftsbrief war; -- leider reichte die Zeit zu einer Antwort der
Dame nun nicht mehr.

»Thut nichts,« sprach der zärtliche Krieger, »es wird sich jetzt alles
aufs Beste und Angenehmste arrangieren, wenn ich erst selbst wieder
drüben bin.«

Am meisten verkehrte Dom Agostin in diesen ernsten Geschäftstagen mit
dem heitern Doktor und Landphysikus Hanff. Beide vergnügte Gesellen
hatten Brüderschaft miteinander getrunken, und der Oberst Agonista fuhr
dann und wann des Spaßes wegen mit auf die Landpraxis. Jegliches Wetter
war dabei dem tapferen alten Soldaten recht, und der Doktor, der doch
auch das Seinige vertragen konnte, hatte auch hier seinen Begleiter als
ein Mirakel zu bestaunen.

»Bei den Göttern beider Halbkugeln, du wenigstens gehst mit mir
hinüber,« rief der Oberst, gegen Ende Novembers auf einer dieser Fahrten
den ersten Schnee des Jahres vom Fenster eines Dorfwirtshauses weit im
offenen Lande beobachtend. »Ich habe dir bereits hundertmal das
brillanteste Lebensglück garantiert und ich verbürge mich auch jetzt
wieder dafür. Sieh dir dieses Wetter an; -- ist das ein Klima für
verständige anständige und zu allem Übrigen mit Vernunft und Weib und
Kind begabte Menschen? Ist das eine Gegend, um siebzig Jahre drin alt zu
werden?«

»Meine Frau -- meine Jungen,« murmelte der Doktor.

»Werden sich sehr wohl dort acclimatisieren; ich rede dir ja eben gerade
vom Klima! Ein Jahr läßt du sie hier zurück, um dich drüben behaglich
einzurichten. Im nächsten Herbst führe ich meine Frau nach Paris in die
Honigwochen, und du begleitest mich, d. h. du schlägst deinen Winkel
hierher und holst dein Hauswesen nach. He -- was sagst du? Zum Teufel,
sieh auf den Kirchhof dort im Regen und Schneegestöber und sage mir, ob
es ein Vergnügen und eine Ehre sein wird, dort einst eine
Sandsteinplatte zu haben mit der Inschrift: >Hier liegt der Doktor
Eisenbart?!<«

»Zum Henker, Bruder,« ächzte der Landphysikus, »weißt du, was ich
wollte?«

»Nun?«

»Ich wollte, du wärest geblieben, wo du dich so wohl fühltest. Mein
gesunder nächtlicher Schlaf ist hin, seit du im Lande bist, und wie mir,
so geht es der Mehrzahl meiner Bekannten. Du hast, sozusagen, der ganzen
Gegend die Phantasie verdorben. Ich kenne auf drei Meilen in der Runde
niemanden, der noch ruhig auf seinem Stuhle sitzen kann. Da ist nicht
einer, der nicht hin und her rückt und überlegt und berechnet, was alles
er bis Dato im Leben versäumt habe.«

»Das mag für die Übrigen gelten, aber in deinem Alter hat man noch nicht
das Geringste versäumt, -- da brauchst du nur mich anzusehen. Übrigens
erlaube mir doch ein Wort: ich überrede niemanden! Diablo, wie käme ich
dazu, mit diesem meinem weißen Haar noch einmal von neuem anzufangen,
die Dummheiten meiner Jugend zu wiederholen, um mir eine frische Last
Gewissensbisse aufzuladen? In drei Wochen reise ich jetzt bestimmt; --
bestimmt, das sage ich dir! Bis dahin hab' ich mein altes Vaterland und
sein Verhältnis zu mir wieder in Ordnung gebracht und mache mich auf den
Weg und aufs große Wasser, auch für die alten Freunde in der Apotheke
die Fortuna, die spanische Silberflotte mit zu entern. O, die sollen
bequem hier sitzen bleiben unter ihrem Zeichen >zum wilden Mann<, -- ich
werde für sie handeln, und die nächste Post, die ihr von mir erhalten
werdet, wird das Weitere melden.«

»Er reist in drei Wochen!« seufzte der Doktor, hastig sein Glas
hinuntergießend.




Sechzehntes Kapitel.


Er hatte, wie man zu sagen pflegt, immer auf dem Sprunge gestanden, der
kaiserlich brasilianische Oberst Dom Agostin Agonista, aber diesmal
reiste er wirklich, und zwar auf die Stunde zum angegebenen Zeitpunkt,
nämlich am Mittage des 23. Dezembers. Man hatte ihn natürlich dringend
von allen Seiten aufgefordert, wenigstens das Weihnachtsfest über noch
zu bleiben, doch alles Bitten und Zureden war vergeblich geblieben.«

»Quält mich nicht länger,« hatte er gesagt, »ich kenne meine Natur und
weiß, was ihr gut ist. Diese liebe Feier im gemütvollen Vaterlande,
dieses holde Fest im sinnigen, gefühlvollen Deutschland würde mich zu
weich stimmen, und es ist unbedingt notwendig, daß ich mich, einige Zeit
noch, ein wenig härtlich halte. Ich bin das nicht nur mir, sondern auch
meinen guten braven Freunden in der Apotheke schuldig. Meine
Verpflichtungen erfordern es, was mein Herz auch dagegen zu sagen haben
mag.«

Damit verschwand er, verschwand spurlos, als jedermann bereit stand, ihm
noch einmal die Hand zu drücken und sich ihm zu empfehlen. Der Abschied
war so eigentümlich wie alles andere, was die Ankunft und den Aufenthalt
des Mannes am Orte begleitet hatte. Sie kamen alle zu spät dazu: Herr
Philipp aus seinem Laboratorium, Fräulein Dorette aus der Küche, der
Doktor Hanff von seinem nächstliegenden Patienten.

Der Oberst hatte den Wagen an die Hinterthür bestellt, war einfach
eingestiegen und abgefahren; sein Gepäck hatte er vorausgeschickt, und
die Gegend -- sah ihm nach.

Die aus der Apotheke sagten nichts, sondern seufzten, der Doktor schlug
sich vor die Stirn und rief ein wenig ärgerlich und enttäuscht:

»Ich hätte ihm doch gern noch ein Wort über meine Projekte gesagt! Man
bringt einem doch nicht so um nichts und gar nichts die Gedanken in
Unordnung und das Blut in Wallung; -- Donnerwetter, dieses Brasilien!«

Die übrigen Freunde und Bekannten kamen nach und nach verwundert und
erstaunt an das Fenster der Offizin.

»Er wollte vielleicht alles unnötige Aufsehen vermeiden,« sagte Fräulein
Dorette Kristeller kurz und tonlos. Ihr Bruder war selbst für den Pastor
und für den Förster nicht zu sprechen. Der Apotheker »zum wilden Mann«
fühlte sich durch die Trennung von seinem Jugendfreunde sehr angegriffen
und wünschte einige Tage ganz sich selber überlassen zu bleiben. Die
guten Bekannten begriffen das wohl und ließen das Geschwisterpaar in der
That über das Fest allein.

Über das Fest allein!

       *       *       *       *       *

Da sitzen wir wieder unter den Bildern des Hinterstübchens der Apotheke
»zum wilden Mann«, und es ist der Abend des vierundzwanzigsten
Dezembers. Ein trübes Talglicht in einem schlechten Messingleuchter, den
Fräulein Dorette mit sich ins Zimmer brachte, brennt auf dem Tische. Der
alte Herr saß im Dunkel, bis die alte Schwester dieses Licht brachte; --
im trüben Scheine desselben sitzt er in dem Ehrensessel, und die alte
Schwester hat sich ihm gegenüber niedergelassen. Sie sehen beide
abgemattet-sorgenvoll aus; sie feiern beide eine betrübte Weihnacht.

Nach einem langen Schweigen sagte Fräulein Dorette:

»Plagmann aus Borgfelde will die Kühe gleich nach dem Feste abholen.«

Sie sagte das mit einem tiefen Seufzer; denn Bleß und Muhtz waren ihre
Herzensfreude und ihr Stolz, und sie mußte sich von beiden trennen.

Ihr Bruder nickte bloß und sprach nach einer Pause seinerseits:

»Ich meine, so ungefähr am fünfzehnten Januar würde die beste Zeit für
die Auktion sein.«

Und die Schwester nickte auch und stöhnte:

»Ja, ja, mir ist's recht! mir ist alles recht! o Gott!«

Nun versuchte der alte Herr, um doch etwas für das Fest zu thun, wieder
einmal heiter und ruhig auszusehen und rief:

»Courage, Alte! Wer wird so den Kopf hängen lassen? Du sollst jetzt
einmal zu deinem Erstaunen gewahr werden, mit wievielerlei unnützem
Gerümpel wir uns allgemach auf unserm Lebenswege bepackeselt hatten. Daß
wir die Landwirtschaft -- die Sorge und den Verdruß um Wiese und Feld
los werden, ist im Grunde auch nicht so übel und jedenfalls nicht das
Schlimmste. Offen gestanden, meine Knochen leisteten zuletzt doch nicht
mehr das, was sie früher mit Lust thaten.«

Der Trost war wohl gemeint, aber er half wenig. Plötzlich brach die
Schwester in ein helles, krampfhaftes Schluchzen aus:

»O grundgütiger Heiland, es wäre mir ja alles, alles recht, es kommt nur
so sehr spät! Bruder, es kommt zu spät, dieses Elend! -- Wäre dieser --
Mann um zwanzig Jahre früher gekommen, so würde ich ja mit Freuden mit
deinem Kopfkissen meine Bettdecke hingegeben haben; aber wahrhaftig,
jetzt ist es für uns zu spät im Leben geworden! Die Hypothek, die auf
dem Hause liegt, liegt auch auf mir wie ein Berg! Und dazu keinen --
keinen Menschen, dem man seinen Kummer klagen kann, klagen darf -- ja
klagen darf!«

»Nein,« rief Herr Philipp Kristeller, allen Nachdruck seiner Seele in
das Wort werfend, »nein, was wir hier tragen, das tragen wir für uns
allein! Fremde Nasen dürfen wir gewiß nicht in unser jetziges Dasein
hineinriechen lassen, Dorothea! Es wäre nicht zu rechtfertigen gegen den
Freund -- meinen Freund -- meinen Freund vom Blutstuhle! Ach, fasse nur
Mut, liebe Dorette, und mache mir vor allen Dingen keine solche
verzweiflungsvollen Mienen, du sollst sehen, wir behalten den Kopf doch
noch oben und führen auch unter den jetzigen Verhältnissen ein gutes und
stilles Leben weiter. Was würde meine Johanne sagen, wenn sie bis heute
mein Los mit mir geteilt hätte? Sieh, die Leute können wir denken und
reden lassen, was sie wollen.«

»Und ich sehe sie schon vor mir, wie sie die Köpfe zusammenstecken; der
Pastor und der Ulebeule, die Herren vom Gestüt, der Amtsrichter und der
Doktor. Sie werden sich schöne Historien zusammenphantasieren und uns in
einem bunten Lichte an die Wand hinmalen!«

»Laß sie! möge es nur dem alten tollen Freunde mit seinem jungen Glück
gut gehen! Ich sage dir, liebe Schwester, schon die Gewißheit, daß
niemand es so herzlich mit uns meint als er, wäre mir ein Trost, wenn es
mir vielleicht auch noch so kläglich zu Mute wäre. Jetzt glaubt er, mit
vollen Segeln seinem und unserem Glücke entgegenzuschwimmen; sieh, Alte,
und sein Geld hat doch wenigstens zum zweitenmal einem Menschen für eine
Stunde Behagen gegeben, was man wahrhaftig nicht von jedem Gelde sagen
kann, und wenn es auch wie hier zwölftausend Thaler wären.«

Die Schwester erwiderte nichts hierauf, sondern zuckte nur die Achseln,
welches ihr dann wieder Gewissensbisse machte. Sie stand auf, ging zum
Fenster und sah in den nächtlich winterlichen, gleichfalls schwer mit
Hypotheken belasteten Garten hinaus und wendete sich nach drei Minuten
erst ins Zimmer zurück:

»Es schneit tüchtig, Bruder. Weißt du wohl noch, Philipp, welch ein
Vergnügen und welche geheime Behaglichkeit wir gerade an diesem Tage am
Schnee hatten?«

»Ei gewiß,« rief der Bruder, »wie wären wir sonst wohl dies
Menschenalter durch so gut miteinander ausgekommen? Dorette, heute sind
wir doch die richtigen Narren gewesen, daß wir uns zum erstenmal nicht
einen Tannenbaum mit Lichtern besteckt haben. Allem zum Trotz hätten wir
das thun sollen! Nun das nächste Mal! -- im nächsten Jahre --«

»Wenn dein Freund vom Blutstuhle das Schiff mit den Fässern voll Gold
und Edelsteinen geschickt hat, als Abzahlung -- wenigstens für das
Rezept zum Kristeller! O, und dafür dreißig Jahre lang da seinen
Lehnstuhl frei gehalten zu haben!«

Das war echt weiblich und also nichts dagegen zu machen: der alte Herr
Philipp hielt sich an sein eigen männlich und treu Gemüt, ließ sich das
Wort nicht vor dem Munde abschneiden, sondern schloß seinen Satz:

»Wollen wir das diesmal Versäumte desto herzlicher und herzhafter
nachholen.« Der weiblichen Einschaltung wegen fügte er jedoch im Stillen
noch hinzu: »Wie es auch kommen mag.«

Was die Freunde der Umgegend anbetraf, so verwunderten sie sich in der
That sehr, als im Laufe des Winters und Frühjahrs in der Apotheke »zum
wilden Mann« sich vieles sehr veränderte; -- als die Möbeln aus den
Gemächern abhanden kamen, das Vieh aus den Ställen verschwand, als der
Blumengarten sich in einen Gemüseplatz verwandelte, das zierliche
Dienstmädchen eine andere gute Herrschaft suchte, dem Knechte gekündigt
wurde und es im Kreisblatte zu lesen stand, daß der Apotheker Herr
Philipp Kristeller so und so viel Morgen Wiesen und Ackerfeld an die und
die Bauern der Gemeinde und Feldmark verkauft habe. Als aber die Auktion
in der Apotheke selbst wirklich abgehalten wurde, boten sie
kopfschüttelnd mit; und auf dieser Auktion erstand der Förster des
Apothekers Bildergalerie, der Doktor die chinesische Punschschale und
der Pastor den Ehrensessel des Obersten in brasilianischen Diensten Dom
Agostin Agonista.

Ein kahleres Haus gab es nachher nicht im Orte. Nur der Inhalt der
Büchsen und Gläser in der Offizin blieb verschont; die Freunde und
Bekannten aber überlegten und mutmaßten nach allen Richtungen hin und
kamen zuletzt sämtlich auf die nicht ganz unwahrscheinliche Vermutung,
daß ihr Freund, Herr Philipp Kristeller, in schlechten Papieren ganz
heimlich spekuliert und sich verspekuliert habe.

Natürlich rieten sie ihm dringend, sich doch umgehend an seinen Freund,
den brasilianischen Obersten, zu wenden, und begriffen nicht, aus
welchem Grunde er das so sehr hartnäckig ablehnte.

Ende.





End of the Project Gutenberg EBook of Zum wilden Mann, by Wilhelm Raabe

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Foundation as set forth in Section 3 below.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation web page at http://www.pglaf.org.


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Its 501(c)(3) letter is posted at
http://pglaf.org/fundraising.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at
809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email
[email protected].  Email contact links and up to date contact
information can be found at the Foundation's web site and official
page at http://pglaf.org

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]


Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit http://pglaf.org

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit: http://pglaf.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart is the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For thirty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.


Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.


Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     http://www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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