Der Flieger

By Rudolf Hans Bartsch

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Title: Der Flieger

Author: Rudolf Hans Bartsch

Release date: December 22, 2024 [eBook #74963]

Language: German

Original publication: Berlin: Ullstein & Co

Credits: Peter Becker, Hans Theyer, and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FLIEGER ***



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                              Der Flieger

                                  von

                          Rudolf Hans Bartsch




                            Ullstein-Bücher

                             Eine Sammlung
                        zeitgenössischer Romane


                    Ullstein & Co / Berlin und Wien


                            [Illustration]


                    Ullstein & Co / Berlin und Wien




  Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorbehalten.
  Amerikanisches Copyright 1915 by Ullstein & Co, Berlin.




»Geordnet Leben, ehelich Leben macht Stalltiere, die in der freien
Wildnis und im Losbruch aller Kräfte zugrunde gehen. Raub und Einbruch:
das ist ein unentbehrlich Stück Mann!«

Jetzt hatte er's. Wahr' dich, Wildling; wahr' dich, Tikosch Gabor!
Unten auf der Erde brüllte es, um ihn jaulten und sausten die Kugeln,
und er flog um Leben und Tod! Der Motor gab her, was er konnte, und
sein tiefes Donnern übergrollte das Knattern der Flintenschüsse da
unten. Nur wenn eine Kugel Metall faßte oder an die Versteifungsdrähte
streifte, da biß sich ihr hohes Wimmern durch das Geratter der
Maschine. Der Wind sauste nicht so schneidend durch die Drähte als
dieses Jammern der Geschosse, die blutdürstig aufschrien, wenn sie
vorbeigingen. Wie das hundertfache Juchzen betrunkener Sennbuben mochte
es in einem fort gehen. Uii, wiiiiu! Aber Tikosch Gabor hörte es nicht.
Der Motor donnerte tief und metallen; und Tikosch flog wie im Fieber.
Er wußte nicht, war er verwundet, lebte er überhaupt? Das Blut brauste
ihm und rollte in eins zusammen mit dem knatternden Rasen seines
Flugzeugs.

Das war ein Dahinstürmen durch die kugelzerrissene Luft! Bei Mehadia
war er aufgeflogen. Alle Mädels hatten ihm »Eljen« nachgeschrien und
mit hundert bunten Fahnen gewinkt; die ganze Erde schien voll junger
Verliebtheit, und Tikosch hätte von jeder Küsse haben können, so
viel er nur wollte. In dieser Zeit waren ja alle Mädels zerlöst und
verloren, wenn sie einen von den Soldaten sahen, die sterben gingen.
Aber er hatte nur eine einzige im Sinne, und die mochte ihn nicht.
Da hatte er sich's erbeten, an der Donau hin über serbisches Gebiet
fliegen zu dürfen, um alles unter seine Bomben zu nehmen, was der
Mühe wert war, Wacht- und Zollhaus von Kladowa, Bordoli, Brzapalanka,
und dann, als allerbestes, die Negotiner Eisenbahn, bis zum wichtigen
Knotenpunkte ob Zajetschar samt der Brücke, die bei Vrazograci über
den Timok ging. Zwei Straßen- und eine Eisenbahnbrücke waren dort
nahe beisammen; knallte es dort, so war der fruchtbarste Teil des
Serbenlandes abgesperrt und Wein und Korn in Menge kaputt für die
Zufuhr zum Feindesheer!

Nun war er schon über hundert Kilometer geflogen und hatte überall
Feuer bekommen. Mit wilder Frechheit war er über den Militärstationen
bis auf dreihundert Meter hinuntergegangen, um seine Knallerbsen
hinabzuwerfen. Hatten sie gewirkt? Er wußte nicht viel davon, denn ihr
Aufschlag unten erstickte in dem rasenden Knattern seines Motors und
der Mausergewehre.

Durch die Tragflächen sah er die blaue Luft wie durch ein Sieb, und
Leib und Steuer des Flugzeuges waren durchlöchert. Er allein noch
nicht! Wenigstens fühlte er nichts am Körper und nichts im Hirn als ein
Fiebern, ein dunkles: Weiter, weiter, und das Äußerste gewagt! Dumpf
fühlte er die heulende Wut derer dort unten auf der Erde: über den
siegreichen Raubvogel, der er noch war. Die Stimmen überschlugen sich
vor weinendem Ingrimm, er aber schwamm wieder in die Höhen, schraubte
sich empor wie ein Bussard zum dunklen Sommerhimmel und fuhr hoch
über allen Kugeln in blendendem Sonnenglaste dahin. Nur nach Negotin
kommen; das andere war gleich! Die Donau war sein Wegweiser. Ungeheuer
breit, gelb und träge zog sie ihre zähe Straße. Jenseits das flache
Rumänenland, Auen, Sümpfe, das weißliche Graugrün der Weiden, ganz
stumpf und wie verstaubt; am diesseitigen Ufer jammervolle Lehmhöhen,
immer gleich niedrig längs dem Strome hinkriechend, elende Dörfer,
trostlose Wachhäuser, menschenunwürdige Lehmhöhlen, echt slawische
Trostlosigkeit. Es war wenig Freude, hier seine Visitkarten abzuwerfen.
Aber da kam Prahovo und mit ihm die Bahn. Und die Höhen, jetzt wurden
sie anders! Wunderbar grünend schwang sich der Auslauf der wilden
Golobinje Planina gegen die Donau, diese schwenkte links ab, und
Tikosch flog donnernd über dem halbverwüsteten, aber immer noch reichen
Rebenlande dahin. Rechts die Weingebirge, links und vor ihm die
Sümpfe: Negotin!

Und da war's, wo es ganz böse wurde. Er war der kleinen Brücke ganz
nahe gekommen, die über das versumpfte Flüßchen im Süden der Stadt
führte, und ein wahres Feuerwerk von Geschossen heulte zu ihm empor.
Bedächtig warf er eine Bombe, dann noch eine; die Brücke unten riß sich
auf. Menschen liefen zusammen, heulten und schossen, andere flüchteten,
in Haufen, kreuz und quer über das Feld wie Hasen; ziellos, kopflos.
Er sah alles unter sich, sah, wie die weißen Tauben von allen Dächern
aufstoben und durcheinander schwärmten, wie die Rebhühner aufstanden
und die Hunde wie toll rannten und jafften; und wie im Traum warf
er die dritte Bombe da hinunter in all die Angst und Wut hinein. Da
wimmerte das Drahtgetäu hell auf. Eine Versteifung war zerschossen;
der wirbelnde Propeller schmiß lange Holzsplitter im Kreise herum,
der Motor klatschte ein paarmal. Dann schlug es leicht und beinahe
fühllos gegen seine Hüfte, und heiß kam es an seinem linken Bein
heruntergelaufen; kreuz Teufel, nun war er angeschossen worden. Wird's
was Böses sein? Weh tat's nicht, aber es hieß ausreißen; hoch in die
sichere Abendbläue hinauf.

Er riß das Steuer steil aufwärts, zu steil im ersten Schreck, und der
Monoplan überschlug sich. Heulender Jubel kam von der Erde, aber der
wilde Flieger ließ das Steuer nicht los. Wie zum Hohn für die dort
unten gelang ihm, halb aus Zufall, ein Saltomortale in den Lüften +à
la+ Pégoud, dann drängte er flacher hinauf. Ein tausendstimmiger
Wutschrei hallte ihm lange, lange in seine Adlerhöhen nach, er aber
kreiste immer höher und höher, und bald sangen die Kugeln nicht
mehr. Beinahe friedlich sah die Erde aus, wie eine Landkarte, und
jetzt hielt er die scheuenden Pferde einen Augenblick für Hasen und
die Menschen, die mit roten Gesichtern zu ihm hinaufstarrten, für
Truthühner, so hoch war er schon. Bald sah er einzelne Menschen nicht
mehr, und jetzt nahm er Kurs gegen Norden.

Was tun? Untersuchen konnte er seine Wunde nicht. War eine Ader
zerschossen, nun, dann wurde er schwächer und schwächer und fiel wie
ein todwunder Vogel aus der Luft. Er dachte all das ganz ruhig und
wenig erschrocken durch. Niedergehen konnte er nicht; hier nicht. Sie
hätten ihn mit toller Wonne in Stücke gerissen da unten. Aber hinüber
nach Rumänien? Und kriegsgefangen, entwaffnet, der schöne Taubeflieger
fremde Prise? Er hatte doch sterben oder durchsetzen wollen, was er
sich vorgenommen; die Vrazogracer Brücke, die er sprengen wollte, hatte
er gar nicht erreicht. Später einmal; jetzt mußte er zusehen, wie er
wieder nach Ungarn hinüberkam. Und verzweifelt hielt er das Steuer
fest: gegen Nordwesten.

Wie eine Barre lag die in Abendglut brennende, kühle Planina zwischen
ihm und dem Ziel; tief unten dunkelten die Wälder, näher an ihm
glühten die karstigen Gipfel. Es waren die Berge um den Lukapaß, wohl
zwölfhundert Meter hoch und mehr, und da mußte er drüber. Er zwang
sich, nicht an das heiße Rieseln da unten, an seiner Hüfte, zu denken,
und lenkte seine Taube höher empor. Recht hoch, denn mit dem Motor war
etwas nicht in Ordnung; er hörte es mit klammem Herzen. Nur das jetzt
nicht; das war ein Tod, schlimmer als der des Wolfes unter Hundezähnen.
Wenigstens empor, empor mußte das Flugzeug, und wenn's siebentausend
Meter waren, damit er Luft, eine ganze, lange, schräge Luftbahn bis
nach Österreich und über die Donau unter den Schwingen hatte, wenn
die Maschine aussetzte und er gezwungen war, in langsamem, sparsamem
Gleiten niederzugehen! Wie weit er kommen würde? Er rechnete gar nicht,
er biß bloß die Zähne zusammen wie ein Verzweifelter. Nur Wut war in
ihm, Angst noch nicht -- noch nicht. Aber wenn der Motor versagte? O,
dies wunde, rote, grimmig brennende Abendlicht!

Will denn der Tag kein Ende nehmen? Wenn er niedergehen muß, und sie
sehen ihn, dann ist es um ihn geschehen. In der tiefsten Einsamkeit
der waldigen Planina finden ihn die Tollgewordenen und hetzen ihn mit
Hunden, bis er sich stellt! Tikosch Gabor läßt die eine Hand frei,
tastet nach der Wunde und dann nach seinem großen Kriegsbrowning; eine
Neunmillimeterkugel wird wohl für ihn genügen. Aber die letzte wird es
sein; alle andern müssen in Feindesleiber schlagen!

Und der Motor wird launenhafter und störrischer, Zündungen setzen aus,
Vollgas nimmt er nicht mehr, und Tikosch muß drosseln. Da erholt sich
der Motor; aber mit der jetzigen Tourenzahl kann er wenig Höhe mehr
gewinnen. Tikosch starrt mit glasgewordenen Augen auf das Barometer.
Das steht, steigt wohl auch ein wenig. Also geht es doch bergab:
Teufel, es geht bergab!

Unten wird das Gebirge wilder und einsamer; die Dörfer haben aufgehört;
nur in der Scharte, in der Luka, da ducken sich Häuser, und man sieht
ihn, man sieht ihn sicherlich hier oben. Wäre nur die Nacht schon da,
die gesegnete, verhehlende Nacht der Verfolgten, der Diebe und der
Wundgeschossenen, die sich verkriechen möchten! Der Abend wird weit
und violett, aber Nacht ist es noch nicht. In unverständlicher Größe
und seliger Langsamkeit verdämmert das Land wie immer, und er, er
fliegt in einem kranken Apparate um sein Leben!

Da, östlich von der Luka, ist die Planina gänzlich einsam und rauh. Die
Buchen, die Eichen, die Edelkastanien kriechen nicht eben hoch aus den
steilen Tälern empor, dann kommt Fichtendickicht und dann die karstige
Höhe der Hirten und der Ziegen. Auch die werden ihn sehen, die Hirten;
auch die sind Hatzhunde für ihn, und er ist allein über Feindesland.
Bald muß er hinunter.

Und der Motor zögert und zögert immer mehr.

Da ändert Tikosch Gabor seinen Entschluß. Vorwärts kommt er nicht mehr
weit. Nach Ungarn und über die Donau sind es freilich nur mehr fünfzig
Kilometer; wenn er sich nicht verflogen hat und wenn es ihm gelingt,
das weit nach Serbien einschneidende Donauknie von Milanowatsch zu
finden. Aber geht er nur ein wenig rechts oder links daran vorbei, so
kann es viel weiter werden, und sein Motor hält vielleicht keine zehn
Kilometer aus; wenn er fünfzig in der Stunde fliegt, krank, wie er ist,
so wär's noch ein Glück. Also wunderbarenfalls noch eine Stunde bis
Ungarn! Das aber geht nicht mehr an. Er fliegt also mit gedrosseltem
Motor, immer sinkend, über die Golobinje Planina, dort, wo sie am
ödesten ist und ihn wenige sehen. Dann wird er sich immer links halten,
soweit die Planina unbewohnt und wild ist, bis zum Veliki Krisch hin,
wenn es geht.

Geht? So lange nur kann er fliegen, als sein Apparat über der Kammhöhe
der höchsten Gipfel bleibt; die im Süden haben ihn dann aufgegeben und
glauben, er sei schon nach Österreich hinüber. Ist er aber bis auf
dritthalbtausend herabgesunken, dann muß er schwenken, die Planina
wieder südwärts überfliegen und, auf die Dämmerung trauend, knapp über
den Kamm streichen wie ein Sperber, der Sperlinge vom Boden weghaschen
will, und sofort hinter dem Kamm niedergehen, wo es am höchsten,
einsamsten und ödesten ist. Er hat früher hoch oben, zwischen Luka und
Krivelj mußte es sein, einen Jungfichtenhorst gesehen, wahrscheinlich
eine Neuaufforstung in einer Staatsdomäne. Nun, in jetziger Zeit ist
die Försterei einberufen, und es wird dort einsam sein. Sein Flugzeug
soll in die Schonung hineinfahren, wo sie am dichtesten ist; da findet
es nicht so bald einer.

Und er, er wird dann in der erbarmungslosen Öde dieser verlassenen
Höhen verrecken wie ein wundes Tier. Oder sich ausheilen? Auf eigene
Faust dort oben sein Leben ertrotzen wie ein Mann und Räuber der
Urzeit? Es zuckt in ihm vor Hoffnung. -- Und der Motor versagt
gänzlich.

Da wendet er im düsteren Halbdämmern das kraftlose, stillgewordene
Fahrzeug gegen die verdunkelnden Wälder hinab; in weitem Bogen geht
es gegen Süden. Das da unten wird Plavna sein und das Crnajika. Sie
scheinen ihn dort in ihrer Kriegsbekümmernis und ihrem Abendfrieden
nicht bemerkt zu haben, oder der schweigende Motor täuscht ihnen
einen der vielen Adler dieser ungastlichen Höhen vor. Wer fände auch
sonst ein Vergnügen, jetzt, bei einbrechender Nacht, Kreise zu ziehen
über der Planina, dort, wo sie am rauhesten und fernsten ist?

Nun senkt er sich über den Kamm hin. Keine zwanzig Meter über dem Boden
schießt das Flugzeug des Verzweifelten über die Wasserscheide; dann
hat es wieder Luft unter sich: Abgrund.

Tikosch sucht nach der großen Fichtenschonung; er hat sich den
Rückwechsel genau gemerkt und findet das dunkle Wirrsal der
hunderttausend schwarzgrünen Bäumchen sogleich. Nun gleitet er nahe
an der Erde hin. Gott erhalte, jetzt gilt es. Einer dieser sperrigen
Wipfel kann höher und stärker sein, als er abschätzte, und dann
überschlägt er sich oder wird gepfählt. Aber es muß, es muß! Und mit
zusammengebissenen Zähnen saust er hinein in das krause, grüne Sträuben
und Schnellen der Äste und Wipfel.

Das Flugzeug neigt sich, bohrt sich krachend weiter, senkt sich
abwärts, eine der Tragflächen knarrt, knirscht, knickt tief ein, aber
schon ist der ganze Aeroplan im Netze der Bäumchen, die nur zwei
Klafter hoch sind, gefangen. Schwer atmend klettert Tikosch heraus und
würgt sich in das unermeßliche Dickicht hinein. Das war auf Leben und
Tod gegangen. Und er wirft sich auf die Erde und möchte am liebsten
haben, alles wäre schon zu Ende, wie seine Kräfte es sind.

Eine Weile brüten unsagbare Dumpfheit und Gleichgültigkeit in ihm.
Gerettet? Ha, was: jetzt geht erst die Hetze hinter dem gehaßten,
flügellahmen Geier her! Und er ist schwach und verwundet. Ja: die
Wunde. Er öffnet seine Kleider und sieht die linke Seite an; dann
lacht er leise und grimmig. Gleich neben der Niere kam der Schuß
von unten, und über dem Beckenknochen fuhr er wieder heraus, ganz
nahe unter der Haut; die beiden glatten Schußöffnungen liegen keine
drei Zoll voneinander. Aber nur ein wenig weiter nach hinten, und
der wahnwitzige, betäubende Schmerz eines Nierenschusses hätte ihn
entnervt. Ein wenig weiter abwärts, und der Beckenknochen wäre
zersprengt! Nun war's nur das dicke Lendenfleisch, von großen Adern ist
keine mitgenommen, und die Wunde klebt schon fest am Hemd. Er will sie
nur oberflächlich reinigen; sie ist ja schon halb verharscht.

Und dann kniete der wildeste Leutnant des Ungarlandes, Tikosch Gabor,
im Fichtengewirre nieder und betete zu einem Gotte, von dem er lange,
lange nichts gewußt und dessen Namen er nur in den tollen Flüchen
seines Landes zerfrevelt hatte.




Die Wunde an der Hüfte machte ihn steif und unbehilflich, als er
aufstand, um sich für die einbrechende Nacht zu sichern. Er wollte
gleich das Flugzeug, das ihn verraten konnte, zerlegen und mit den ihm
brauchbaren Teilen einen andern Ort des Waldgebirges am Stol aufsuchen,
in dem er Schutz gefunden hatte. Es schien ihm, als sei er zu nahe am
Weiler niedergegangen, der an der Straße lag da unten, wo sie sich
in weltfremder Einsamkeit durch die Luka zwängte. Aber es war ihm
kaum möglich, zu seinem Führersitze zu gelangen, den man buchstäblich
erklettern mußte, weil er einige Meter hoch in den Bäumen lag. Er
vermochte nur mehr, seinen Schlafsack hervorzuzerren; den breitete er
dicht unter den Tragflächen seiner Maschine aus, schob sich hinein und
schlief auch schon, kaum daß er sich zugedeckt hatte.

Am andern Morgen weckte ihn der schaurige Hauch, der vor Tau und Tag
über die Wälder kommt und Mark und Bein durchfröstelt. In Unbehagen
und Schreck fuhr er empor und wußte sogleich, daß er hier oben in den
Wäldern mitten im Feindesland war, ausgeliefert und schußfrei wie
der Wolf der Höhen! Der Durst quälte ihn, und er hatte kaum mehr ein
Restchen Tee in der Nickelflasche. Dazu schmerzte die Wunde, und nur
leise stöhnend vermochte er sich zu bewegen. Fieber, Fieber!

Einen Augenblick war er im düsteren Schweigen, das noch über den
tiefgrauen Dickungen lag und keinen Vogellaut emporließ, kleinmütig und
überlegte, ob er sich nicht selber dem Feinde stellen solle; es sei
ja nun alles gleich! Aber als der Himmel rot wurde und alles um ihn
her immer heiliger und anbetungsvoller aussah, als die ersten Drosseln
jubelten und in der Luft ein heller Falkenruf klirrte, da trotzte er
sich wieder auf. Mit Anstrengung all seiner Willenskräfte überwand er
den Schmerz und die Fieberschwäche und kletterte zu seinem Flugzeug
empor. Er war doch ausgerüstet, und zum Verzweifeln war noch kein
Grund, solange sie ihn nicht entdeckten. Die paar Hirten und Bauern,
die sein Niedergehen gesehen haben konnten, waren wohl zu träge und
furchtsam, um auf eigene Faust nach ihm zu suchen, und bis die Anzeige
bei den nächsten Behörden Maßregeln erweckte, vergingen zwei Tage. Also
hieß es arbeiten!

Er hatte die lederne Tasche mit allem nötigen Werkzeug rechter Hand vom
Führersitz gehabt. Wo war sie nur jetzt? Ein wilder, hitziger Schreck
durchflutete ihn. Ah, sie wird heruntergefallen sein, als der Aeroplan
sich neigte. Nun hieß es abermals herabklettern und in dem Gewucher des
Dickichts suchen. Das Blinken des kleinen Hammers, der aus der sich
öffnenden Tasche gefallen war, verriet ihm endlich, daß er gerettet
war. Ohne Werkzeug allein in dieser Wildnis, das wäre schlimm gewesen.

Durch das Suchen und Klettern war er warm und biegsamer geworden.
Er begann jetzt, die versteifenden Drähte an den Tragflächen zu
durchfeilen und abzuzwicken, bis die Flächen nachgaben. Es hieß
achtgeben. Immer mehr und mehr neigte sich der Apparat, und wenn er
jäh zu Boden stürzte, so riß er ihn aus seinem Bäumchen mit. Auch
ein Sturz von einer Klafter Höhe konnte jetzt verhängnisvoll werden.
Endlich rollte sich die eine Fläche zusammen, und dumpf krachend
stürzte der Leib des Flugzeugs, Propeller voran, zu Boden. Das Holz
der Flügelschraube zersplitterte, tief grub sich der wuchtige Motor in
den Boden ein. Nun war es ein leichtes, auch die andere Tragfläche,
die wie ein Segel in die Höhe ragte, abzumontieren und nach und nach
Steuer, Gestänge, Räder herunterzunehmen. Ein toller Durst hielt ihn
endlich von der Arbeit, bei der ihm der Schweiß herunterströmte, ab,
und er kroch in allen Lichtungen umher, um von den Gräsern und Farnen
den reichlich gefallenen Tau zu saugen. Diese langsame und spärliche
Art der Wasseraufnahme hatte das Gute, daß er sich nicht überfüllte und
doch nach und nach seine rasende Gier verlor.

Endlich ging er wieder an seine Arbeit. Der Leib des Flugzeugs war
das am schwersten zu Bergende, und er mußte die Nieten durchstemmen,
welche die Schale aus Aluminium zusammenhielten, die ihn bisher
geschützt hatte. Dann nahm er den kleinen Lienemannschen Feldspaten,
das unersetzlichste seiner Stücke in dieser Lage, weil es ihm Beil,
Säge, Schaufel und Bratpfanne hergab, und grub unter den dicksten der
kleinen Fichten ein Loch, in das er den Motor wälzte. Der hatte einen
Zylindersprung! Unglaublich, wie das noch arbeiten konnte, so fein auch
der Riß war, der von der Zündkerze bis zum Kopfe lief! Über den Motor
legte er das Aluminiumblech, zusammengebogen, so gut es ging, und was
sonst noch überflüssig schien. Die Drähte und das Zeug der Tragflächen
behielt er und versteckte sie so gut im Dickicht, daß kein Auge sie
erreichen konnte. Das gab Zeltstoff, vielleicht sogar Kleiderzeug.
Nun bedeckte er das Grab seines Motors sorglich mit Erde und suchte
dann wieder nach Tau. Aber der war in der lastenden Mittagshitze
des Spätsommertages auch in den tiefsten Winkeln der Schattenfarne
verflogen; es hieß einen Bach finden, und wenn's das Leben kostete. So
trat er, den großen Browning an der Seite und den Spaten als Beil in
der Hand, den unsagbar mühsamen Weg durch die verrückte Dickung an,
wo er sich den Weg hauen und schneiden mußte, indes der Durst immer
grimmiger wurde.

Bis in den Nachmittag würgte er sich so weiter bergab; er verzweifelte
vor brennender Qual und warf sich auf die dunkle, magere Walderde,
um sich zu kühlen. Da hörte er durch das Mittagsgurren der wilden
Tauben hindurch ein ganz feines Kichern und Klimpern. Er sprang in
wahnsinniger Freude empor. Herr des Himmels, das mußte eine Quelle
sein! Und nun wand und schnitt er sich weiter, immer das Ohr in
Liebe und Angst nach dem leisen Kichern und Rieseln hin gerichtet,
bis er endlich ein jämmerlich kleines Gerinnsel fand, in dem sich
ein bronzebraun aussehendes Wasserfädlein bergab wand. Für ihn war
es herrlicher als der Ganges! Er warf sich auf den Boden und preßte
Nase und Mund in die Furche wie ein wühlender Eber. Wie das Wasser
schmeckte, wußte er gar nicht. Er trank nur und trank und brauchte
lange, bis er bei dem spärlichen Rinnsal sein entsetzliches Brennen
gestillt hatte. Dann füllte er seine Feldflasche; Gott sei Dank, daß er
sie so groß genommen hatte!

Bisher war er aus dem verworrenen Dickicht noch gar nicht
herausgekommen, wenn auch an einzelnen Stellen freiere Plätze mit
großen Bäumen eingestreut waren. Dort versuchte er es, einen der
Überständer, eine riesige Eibe, die vielleicht ein Jahrtausend alt
war und doch kleiner geblieben war als jeder tüchtige Tannenbaum, zu
ersteigen. Nun konnte er umherspähen.

Wald, Wald ringsum. Gegen Norden Fichten, gegen Süden da und dort
Buchen eingestreut und Eichen. Keine größere Blöße, nur wilde
Windbrüche; kein Zeichen menschlichen Wesens, eine Einsamkeit
sondergleichen, namentlich nach dem Osten zu!

Dieser Waldberg, den sie Kraina nannten, war nur durch eine selten
befahrene Straße, die durch das enge Loch der Luka führte, von der
wilden Golobinje Planina mit dem Stol getrennt, und die ganze Welt
dieser einsamen Höhen war wohl sechzig Kilometer lang und dreißig
breit, ohne daß auch nur ein einziger größerer Ort dringelegen hätte!
In der westlichen Kraina, wo er niedergegangen, war am nächsten der
Weiler Luka und der Flecken Krivelj; aber auch diese waren drei
Wegstunden voneinander getrennt, und zwischen ihnen türmte sich der
steilste Gipfel des Waldgebirges bis nahe an dreizehnhundert Meter
empor: der Stol -- seine Burg! Die Bahn führte weit jenseits im
Moravatale dahin. Er nahm die Karte zur Hand und stellte fest, daß das
kleine Gerinnsel, das ihn hier gerettet hatte, zu dem Quellensystem
der Bjelareka gehören mußte, an dessen Mündung in den Timok vierzig
Kilometer weiter südöstlich die Brücken lagen, die er zerstören
wollte. Nun saß er dort oben in der starren Wildnis, noch zwei Stunden
über Luka, das die nächste menschliche Siedelung war, und begann ein
Leben wie der Fuchs des Waldes; selber Dieb und Räuber, und von allen
verfolgt, die ihn spürten.

Von was nun leben? Fürs erste mußte er unsichtbarer sein als ein
Dachs. Sein Mundvorrat reichte auf ein paar Tage, dann mußte er sich
als Raubtier nähren. Und er hatte kaum hundert Patronen für seinen
Browning bei sich und kein Gewehr! Schießen durfte er in den ersten
Tagen, solange man ihn da oben vermuten konnte, überhaupt nicht, und
eine Wanderung nach Norden, wo er durch das Poretschkatal an die Donau
zu kommen hoffte, war fast gleichbedeutend mit Entdeckung. Er mußte
fürs erste hier oben bleiben und sein Leben mit den Mitteln, die er
auf seinem Flugzeug mitgenommen hatte, neu beginnen und einrichten wie
Robinson.

Vor allem benutzte er den Tunnel, den er sich durch das Fichtendickicht
gehauen hatte, um zur Höhe des Berges zurückzukehren, wo er sein
Fahrzeug und dessen Reste geborgen hatte, um nach und nach alles
Brauchbare näher an das Wässerchen zu schaffen, ohne das er nicht
leben konnte. Hier im dichten Jungholze wollte er bleiben; fürs erste
konnte ihm nur ein Bär oder Wolf gefährlich werden und auch der nur im
Schlafe. Schlimmer war es, wenn sie ihn mit Hunden suchten. Der kleine
Wasserlauf, den er gefunden hatte, war zu unbedeutend, um darin weiter
zu waten und so seine Witterung zu tilgen, damit die Hunde die Spur
verlören. Aber das mußte er nun schon abwarten.

So suchte er sich denn nicht zu weit von seinem Gerinnsel eine höher
gelegene Stelle, wo die Fichten so dicht standen, daß sie einen
undurchdringlichen Verhau bildeten, zu dem er sich einen Zugang hieb,
den man nur kriechend passieren konnte. Mit den abgehauenen Zweigen
verblendete und verbarrikadierte er das Dickicht noch mehr, so daß man
auch nicht auf eines Schrittes Länge das Zelt sehen konnte, das er sich
in den Horst hineingebaut hatte, und das aus dem Zeug der Tragflächen
bestand. Unter ihm grub er eine Erdhütte, und das Zeug bedeckte er
mit Zweigen, damit das Graugelb des Stoffes nicht hervorleuchte. In
diesem Zelte brachte er seinen kleinen Vorrat an Konserven und Zwieback
unter, seine Werkzeugtasche und den Draht, der ihm nach dem Aufspannen
des Daches noch geblieben war; das übrige Zeug rollte er zu einer
Lagerstätte zusammen, auf die er seinen Schlafsack legte. Es war,
für die Notlage, in der er sich befand, gar nicht ohne Gemütlichkeit
anzusehen, wie er sich hier eingenistet hatte.

Dann musterte er das Handwerkszeug, mit dem er dieses vertrackte
Leben führen sollte. Er hatte außer seiner automatischen großen
Kriegspistole, seinem Säbel, kurzem Spaten und dem Feldstecher noch
eine Werkzeugtasche, eine Eßschale, eine Feldflasche und einen
Taschenfilter; das war alles. Ein einziges Paar allerdings sehr fest
genähter Schuhe, drei Hemden und ganz wenig Unterwäsche und sein
Fliegerpelz aus Leder bildeten seine Garderobe.

Nun dachte er lange Zeit nach: »Bleibe ich in meiner österreichischen
Offiziersuniform, so haben sie mich auf den ersten Blick weg. Nähe ich
mir aus dem Lederrock da eine Bunda zusammen, deren unbehilflicher
Schnitt mich vor jedem Verdacht schützen wird, ein Gentleman zu sein,
so werde ich als Spion gehängt, wenn sie mich hoppkriegen. Immerhin:
besser etwas länger frei zu sein und dauerhaft in Leder gebunden, als
mich vom nächsten Menschen, der mich sieht, mit Zetermordio verfolgt zu
wissen.«

Und er machte sich ans Schneiderhandwerk, trennte das Schuppfell aus
seinem Pelz und schnitt sich nach den zu weit gewordenen Linien des
ledernen Überzuges eine tüchtige Jacke, die er sich dann wie ein
Sattler mit Ahle, Pfriem und ungebleichtem groben Zwirn nähte, den er
bei sich hatte.

Dabei hatte er wieder Hunger bekommen, und mit leisem Grauen dachte er
wieder: wie soll ich mich hier nähren? Der nächste Maisacker lag weiß
Gott wo. Er hatte einige tief unter Planina gesehen, als er noch der
Adler dieser Höhen war; aber das gab eine stundenlange Wanderung!

Und er mußte sich die ersten Tage ducken wie ein Tier, auf dessen
Wundfährte die Schweißhunde arbeiten! So suchte er denn im Walde nach
Pilzen, deren er wenige fand, und nach Beeren. Es begann die Zeit der
Brombeeren, und das war sein Glück, denn in diesem Waldgewirr waren die
langen, stachlichten Ranken reichlich vorhanden. Er aß, was er konnte,
denn die Dämmerung brach herein und er mußte sich mit den Gaben des
Waldes tüchtig anstopfen, um seine Konserven, von denen er ja doch
immer zu einer soliden Grundlage bedurfte, möglichst zu schonen.

Dann ging er, wie er ausgezogen war: immer vorsichtig in dem kleinen
Wasserrinnsel bleibend, um seine Witterung zu tilgen, bergauf zu seinem
Zelt im Dickicht zurück.




In der Nacht erwachte er; Stimmen, die sich vielfältig im nahen
Holze zuriefen, dann der Jagdlaut von Bracken weckten ihn. Sie waren
auf seiner Fährte; Himmel, sie suchten ihn mit Jagdhunden! Er hörte
deutlich, wie einer der Kerle seinen Hund anfeuerte. »+Pazek, pridi!
Rako, pravdo!+« Und das Jaffen und Schnaufen der gierigen Kreatur
zerriß seine Nerven, wie es immer näher kam.

Tikosch riß seinen Browning hervor, repetierte eine Patrone in den Lauf
und ersetzte sie im Magazin; das andere Magazin nahm er in die Linke.
Er konnte jetzt in wenigen Sekunden fünfzehnmal schießen -- dann aber
war es aus. Das schwur er sich aber: jeder von den fünfzehn Schüssen
muß im hellroten Leben sitzen. »Hund oder Mensch, ich schieße nur auf
zehn Schritt!« Dann war sein Blut wie Eis, und er wartete, Todesgrimm
in allen Adern, auf das kurze, furchtbare Halali! Mit Spannung
zählte er die Stimmen, die zwischen dem Geläute der Hunde im Walde
umherschwirrten; es konnten zehn Männer sein, wenn sie alle schrien,
und drei oder vier Hunde. Wenn er die alle niederschießen könnte? Bloß
einen Schuß braucht er für sich selber.

Da: es bricht in der Nähe und schnauft; einer der Hunde ist es. Das
Mondlicht ist karg, und das ist gut so; denn da muß er auf drei
Schritt schießen und braucht sich nicht zu verraten, ehe nicht alles
verloren ist. Der Hund faselt am Bächlein hin und her, überfällt es
-- eisig sinkt alle Hoffnung in dem Bedrohten herab. Aber die Bestie
planscht ins Wasser zurück und sucht bergab weiter; die eine Gefahr ist
fürs erste vorbei. Der Leutnant wartet und wartet auf sein Ende, den
Browning in einer Hand, die bisher noch nie bebte, die aber jetzt, wo
Schrecken und Hoffnung zehnmal in der Minute wechseln, vor Aufregung
zu zittern beginnt. Wieder und wieder hallt die Ball der Meute näher,
kommen die Stimmen wie ein Fiebertraum über ihn, neben ihn; das
wechselnde Aufleuchten der Fackeln dringt bis in seine Dickung. Dann,
endlich, endlich geht die Hatz abseits in den Wald hinein und weiter
bergauf.

Wenn sie oben die vergrabene Maschine finden, dann ist er ja doch
verloren! Und so horcht er und horcht immer noch, auch wie das
flüsternde Geheimtuen der südlichen Spätsommernacht allein um ihn
raunt. Er hört die Hunde nicht mehr, er sieht die Fackeln nicht mehr
ihre Feuerstreifen zwischen die Stämme schießen, aber sein Hirn gibt
aus Eigenem fernes Rüdengeläute her, seine Augen blitzen Truglichter,
bis er nicht mehr weiß, was wirklich ist und was Sinnensport! Er
zerbricht sich den Kopf mit der Berechnung, wie weit es bis zu dem
vergrabenen Aeroplan sein könne, und ob der vereinigte Standlaut
der Hunde und das Jauchzen der Finder bis zu ihm herdringen könnte!
Dann horcht er wieder. Die Siebenschläfer klettern in den Zweigen,
die Nachtschwalbe klagt in der Luft, und zwei Eulen schreien so
fürchterlich und unirdisch auf, daß ihm das Blut erstarrt, weil er
nicht weiß, wer in der Nähe so gellend jammert. Wieder reißt er den
Browning in die Höhe, aber nichts kommt. Glücklich, wer die Stimmen
des Waldes alle kennt und der Natur Bruder geblieben ist; er darf
schlafen, wo andere ringsum das Grauen und den Tod ahnen müssen.

Endlich löst sich die wahnwitzige Anspannung in ein dumpfes Brüten, aus
dem ein todgleichgültiger, unwiderstehlicher Schlaf wird. Mit einem
derben: »Sollen sie machen, was sie wollen,« wirft er sich hin und weiß
auch schon nichts mehr.




Der jubelnde Morgen aller Vögel weckt ihn, und sogleich grübelt er
nach: Bin ich gerettet oder nicht? Die Fährte seiner Verfolger darf er
nicht nachsuchen, denn so gescheit sind sie sicher, auf ihre eigene
Spur eine Wache gesetzt zu haben, die auf den nachspähenden Entronnenen
paßt!

So wird er lange Zeit nicht wissen, ob sie seine Flugmaschine gefunden
haben oder nicht, und das zerpreßt ihm mit furchtbaren Zweifeln die
Seele.

Vier Tage sitzt der junge Mensch verkrochen und fiebernd im Dickicht
und wagt sich nicht hervor. Vier Tage, ohne zu wissen, wovon er am
fünften leben soll, denn seine Vorräte sind am dritten Tage zu Ende
gegangen, und der Hunger beginnt mit dem öden Übelbefinden des leeren
Magens seine Kurve, die bis zu Wahnvorstellungen steigen wird und zu
einem Ende führt, für das Tikosch das Wort Tod nicht gelten lassen mag;
verrecken nennt er es, wenn er dran denkt.

Aber frische Fährten darf er im Walde nicht hinterlassen, viele Tage
lang; denn ihr Haß ist fürchterlich, und sie suchen immer noch, das
weiß er. Aber noch eins weiß er: daß ~sein~ Wille, zu leben und
zu entrinnen, noch größer und zäher ist als die Wut der andern, ihn zu
fangen; und also muß er siegen, wenn nicht das Glück wider ihn ist.

So sitzt er und wartet auf seine Stunde wie der Wolf im Lager. Er
weiß, daß er von jetzt ab bei Tage schlafen und bei Nacht schleichen
muß, wie ein Raubtier, und überlegt, wie er den streifenden Hatzhunden
entgehen soll, ohne sich durch einen Schuß zu verraten.

Aber in all dem Elend dieser ungewissen Tage hat er sich zu seinen
Waffen eine neue gefertigt, die ihm in diesen Umständen nützlicher sein
muß als seine Pistole.

Nahe an seinem Dickicht stand eine große Eibe, einer jener
aussterbenden schwarzen Urbäume, deren Holz so zähe und elastisch ist,
daß man nie einen dieser Bäume vom Sturme zerbrochen sieht. Aber eine
stürzende Tanne hatte dem düstern Baum im letzten Winter einen langen
Ast abgeschlagen, der zur Erde hing und jetzt ziemlich ausgetrocknet
war. Tikosch wußte, daß das Eibenholz sich für den Bogen am besten
eignet, und er schnitzte mühsam an dem dicken Bügel zu einer Armbrust
und dem Schafte dazu. Mit dem Meißel stemmte er das Loch für den
Bügel und für den Abzug aus, den er aus Teilen seines Flugzeuges
zurechtfeilte. Nach zwei Tagen konnte er den Bogen durch den Schaft
stecken, und nun band er von einem Ende des Bügels bis zum anderen
mit großer Geduld einen Faden von dem starken, ungebleichten, groben
Zwirn, den er hatte, um den andern: jeden stark anspannend und für
sich geknüpft, bis der ganze Strang die Stärke einer Sehne erreicht
hatte, wie er sie an mittelalterlichen Armbrüsten kannte. Er versuchte,
zu spannen; unmöglich! Der Zug des Bogens mußte hundert Kilogramm
übersteigen, und das war ihm recht; so bekam er einen weiten Schuß!
Nun machte er den doppelarmigen Hebel zurecht, mit dem er die Sehne zu
zwingen hoffte, aber zweimal mußte er den Arm des Hebels verlängern und
verstärken, weil er sich bog oder nicht genug Kraft ergab.

Endlich spannte er die wuchtige Wehr und ließ den Bogen bangen Herzens
leer abschnellen, ob die Sehne aushielt. Und sie riß nicht.

Von dem Augenblick zog in den einsamen Mann ein Gefühl von Stolz und
Kraft, das ihn sich allmächtig fühlen ließ! Er hatte eine herrliche
Schießwaffe, die ohne einen anderen Laut als das Klappen der Sehne den
Bolz, dem er eine Spitze aus dickem Draht und Federn aus Lederflecken
gegeben hatte, auf sechzig Gänge mit tödlicher Kraft trug! Er übte
nach den Bäumen mit der einfachen Zielvorrichtung, die er seiner Waffe
hatte geben können: die Treffsicherheit war nicht sehr groß, aber
genügend: auf die sechzig Schritte, auf die sein Bolz noch einen Ast
von der Stärke eines Handgelenkes durchschlug, vermochte er ein Ziel
von Kopfgröße zu treffen. Ach, wenn es nur einen Hasen, nur eine
Waldtaube in der Nähe gegeben hätte! Ihn hungerte so bitterlich! Aber
das Dickicht schwieg, und in den helleren Wald wagte er sich nicht.
Dort riefen die wilden Tauben im Holze; unendlich sanft klang ihr
friedliches, dunkles Abendlied aus den Kronen der Fichten. Wenn er
nur eine einzige herunterholte? Die Baumkronen lohten hochrot, der
Unterwald war grau und lichtlos geworden, und wenn er Beute haben
wollte, so war es höchste Zeit! Er wurde beinahe toll bei dem Gedanken,
sich ein Lagerfeuer zünden zu können, über dem am Spieße der kleine,
aber herrliche Braten duftete.

Der Magen krampfte und krampfte sich ihm, die wildgewordene Phantasie
glühte und schwelgte in dem einen Bilde herum, bis er alle Vorsicht
vergaß und im Bachbette aufwärts schlich, das dürstende Ohr nach dem
dumpfen, heulenden Ruhuu, Ruhuu hingierend!

In weitem Bogen zog er in den Wald nach der Schlafstelle der schönen
Vögel zu, die da wohl zu zehn und zwölfen in den Bäumen saßen. Endlich
hörte er das Kichern ihrer Flügel, wenn sie aufflogen und sich
umstellten. Es klang geradezu höhnisch, und ihm zuckte jeder dieser
Töne ins Herz, denn die Vögel konnten ihn eräugt haben und abstreichen;
dann kam die Nacht, und es war wieder nichts als das Wühlen in seinen
leeren Eingeweiden! Er stand und starrte zu den Baumkronen. »Wech,
wech, wechwechwech« ging es da und dort mit dem hohen, pfeifenden Laut
der Schwingen, aber er sah die Vögel nicht; das Unterholz war zu dicht,
und wenn er aus dem Schutze der Baumkronen trat, dann hatten sie ihn
schneller eräugt als er sie, die Aufmerksamen.

Endlich begann ein Tauber leise zu heulen, etwas höher im Ton der
nächste, und dem hungernden Raubtier da unten zuckte und riß das
Herz. Er schlich näher, bis der eine Tauber mit der tiefen, murrenden
Stimme den Schlußruf tat; den aber kannte Tikosch nicht, dieses kurze
»Huck«, auf das der Vogel aufmerksam um sich zu äugen pflegt. Und ehe
der Schleichende noch den blaugrauen Vogel gesehen hatte, klatschte
der aus der nächsten Fichtenkrone empor ins flüssige Abendgold hinauf
und zog in reißender Schnelle über den Wäldern dahin, weit, weit fort!
Als hätte die Liebe des Schöpfers und aller Menschen ihn verlassen,
sah Tikosch dem Vogel nach, dem drei andere folgten, und er hätte vor
Jammer und Wut am liebsten herausgebrüllt. Zwei Schritte nur machte
er und vertrat damit den ganzen übrigen Schwarm der Tauben, deren
Schwingen wie Hohngelächter über ihm wichelten. Falkenschnell sausten
die abstreichenden Vögel dahin, und der Wald war leer und entgöttert.
Mitleidloses Schweigen blieb in den Baumkronen zurück, und der junge
Mensch war hilflos wie ein verlassenes Kind. Oh, zum Fuchse, zur Katze
zurück in die Schule! Neue Sinne erziehen an Stelle der Stadtdumpfheit,
sonst mußte er verhungern trotz Waffe und Wild! Und er schlich weiter,
das Wühlen des Hungers in den Eingeweiden und das brennende Verlangen
im Herzen, zu leben, zu leben!

Aber der Abend schlug immer düsterer seine Schwingen um seine Augen,
und bald war alles undeutlich geworden im Walde und auf den Schlägen.
Da lenkte er verzweifelnden Herzens seine Schritte abwärts nach den
Dörfern, um zu sehen, ob er ein paar Maiskolben stehlen könnte.
Langsam und vorsichtig folgte er dem Wasserläufchen, das nach Süden
lief, wo nach seiner Karte das Dorf Krivelj liegen mußte. Die Nacht
war ihm jetzt willkommen, denn er wäre am liebsten mitten ins Dorf
eingebrochen, um zu rauben, was er erraffen konnte.

Der Hunger hatte ihn furchtlos und verzweiflungsvoll gemacht, und
wenn er daran dachte, wie jetzt die Kammern der Bauern voll Schinken
und Würste hingen, trat ihm der Schaum vor den Mund, und er mußte
mit Gewalt ein dumpfes Brüllen unterdrücken, das ihm von einer
unwiderstehlichen Gier entpreßt wurde.

Wenn sie ihn fingen, es war ihm gleich. Vielleicht hatten sie seinen
Flug schon vergessen, vielleicht konnte er sich für einen Versprengten
ausgeben; denn seine Leute würden wohl schon längst mit den Serben
handgemein geworden sein.

Wie es denen wohl erginge? Er wußte von aller Welt gar nichts, und
was ihn sonst in ein Fieber von Sorge gestürzt hätte, das konnte er
jetzt unwillig abschütteln. Es war ihm alles gleichgültig, was mit
Österreich war; nur essen wollte er, fressen! Und er schlich und
pürschte mit verhaltenen Tritten in die tiefwerdende Nacht hinein dem
Tale zu. Das Gehen im Wasser wurde immer schwieriger und schmerzlicher;
die aufgeweichten Schuhe gaben in den Nähten nach, aber er mußte
im Bache bleiben, obwohl ihn das Fieber und die Kälte schüttelten.
Stundenlang ging er so. Da hörte er das Anschlagen eines Hundes, und
zusammenfahrend stand er stille.

Durch die Bäume schimmerte eine hellere Blöße; etwas Sternenlicht war
über einer Wiese, und dorthin schlich er mit klopfendem Herzen. Nun sah
er auch den Mond, der klein und schmal über die Berge heraufgekommen
war und ihm leuchten sollte. Er wartete, bis der Hund wieder anschlug;
nach dieser Richtung ging er dann. Es war die Gefahr, auf die er
zuging, aber auch das Ende dieses schwindelnden, brennenden, tobenden
Hungers! Fiebernd schwankte er dahin, und das Blut kreiste wunderlich
in seinem Hirn. Ihm war jetzt alles wie ein sonderbarer Traum, und er
mußte sich immer wieder zusammennehmen, um sich nicht niederzulegen
und weiterzuschlafen, weil er oft meinte, flüchtig erwacht zu sein und
innezuwerden, daß er da zwecklos aus dem Bette gestiegen sei und in
der Nacht umherirre. Dann wußte er plötzlich wieder, daß es ums Leben
ging, und hochgespannt schlich er weiter, wo der unsichtbare Hund sein
dunkles, veränderliches Wesen hatte. Es war ein großes Tier mit tiefer
Stimme, aber er fürchtete es nicht; er suchte es, und es ärgerte ihn
das Wandern der Stimme, die bald da, bald dort anschlug und knurrte.
Tikosch wurde wütend. Nicht, weil der Hund offenbar frei umherstrich
und ihm gefährlich werden konnte, sondern weil dies kreisende Suchen
mit dem Gehör ihm stets wieder jenes wunderliche Bewußtloswerden
brachte, aus dem er sich mit allen Kräften losreißen mußte, sonst sank
er vor Schwäche hin und wurde gefunden. Er ging über Wiesengrund,
dann über ein Krautfeld, dann wieder über Wiese, und seine Augen
durchbrannten die Düsternis, ob nichts anderes kommen wollte: Obstbäume
oder ein Kartoffelacker gar! Auf einmal kam er an ein höheres Feld, und
mit unbeschreiblichem Entzücken erkannte er die Töne leisen Sägens,
die im Nachtwinde von den langen Maisblättern ausgingen, die sich
aneinander rieben!

Da war Nahrung. Er schlich mit brennendem Begehren hin, griff in die
Stauden und suchte mit bebenden Händen nach einem Kolben, den er mit
einer Andacht losbrach und enthüllte, wie ein Priester das erste
Allerheiligste, das er genießen darf. Ein leises Weinen, ein süßes,
leichtes, seliges Kinderweinen erschütterte ihn dabei unsagbar sanft
und lieblich.

Das Leben war plötzlich wie ein leises, liebes Lied geworden. Der
Mais war hier, hoch oben in den Bergen, noch grün und milchig, und er
biß gleich in die rohen Kolben und zerkaute das süßliche Fleisch der
schwellenden Körner mit namenloser Inbrunst.

Da hörte er das Schnauben eines Tieres in der Nähe und hielt in der
gefährlichen Gereiztheit einer Bestie inne, die man beim Fraße bedroht.
Eine dumpfe Wut, in diesem unsagbaren Entzücken gestört werden zu
sollen, kochte in ihm auf. Ah! Der Hund suchte und schnoberte nach ihm,
der sollte die Menschenjagd büßen. Tikosch hatte seine Armbrust, so
umständlich sie auch zusamt dem lästigen langen Hebel zu tragen war,
bei sich behalten, und mit bebenden Händen spannte er die Sehne und
klemmte den Bolzen zwischen die haltende Feder und den Schaft; dann
setzte er sich kauernd auf die Erde und erwartete seinen Todfeind.

Ein gereiztes Knurren sagte ihm, daß der Hund seine Witterung in der
Nase hätte. Aber dies drohende Knurren, das in solcher Verlassenheit
und solcher Nacht manches starke Herz hätte zittern lassen, wurde ihm
zum gierigen Entzücken. Schoß er mit seiner geräuschlosen Waffe die
Bestie, so hatte er Zeit, Zeit, die ganze Nacht, zum Plündern von Feld
und Baum und Stall!

Er hatte wieder all seine Nerven und Sehnen beisammen und duckte in
sich selber zusammen, die Armbrust an der Wange: wartend, in zitternder
Freude und Gespanntheit. Und der Hund schnob und schnaufte sich näher
heran. Der Wind stand vom Felde nach der Wiese, und Tikosch wußte, aus
einem ihm bisher unbegreiflichen Instinkte heraus, daß der Hund gegen
den Wind kommen müsse. Er horchte gar nicht mehr in das Sägen und
Rascheln des Feldes hinein, sondern bohrte seine Augen in das matte
Dämmern der Wiese.

Wirklich kam die Bestie dort geschlichen; undeutlich, schwarz und so
riesenhaft, daß er zuerst glaubte, es sei ein Stück Großvieh. Aber
er wußte, wie die Dunkelheit verzerrt, und paßte scharf auf. Nun war
der Hund so nahe, daß der junge Offizier das gierige Hecheln des
aufgeregten Atems hören konnte; der Hund stand, und eine unbestimmte
Sorge schien ihn zu überkommen. Wenn die feige Bestie nun nur nicht
ihrer Zwiestimmung in einem ungeheuerlichen Lärme Luft zu machen
suchte! Rühren durfte sich der gestellte Mann auf keinen Fall, so daß
der Hund im ungewissen blieb, was das für fremde Witterung war. Endlich
schlich das große düstere Tier wieder näher, gierig windend, so daß
sein Atem pfeifend durch die Nase ging. Zehn Schritt noch, dann stand
es wieder und knurrte.

Tikosch blieb ganz still in sich zusammengepreßt, und lange, lange
Minuten lauerten sich so die beiden die Gewißheit ab. Endlich schien
der Hund zu glauben, hier schliefe ein Mann, und kam vorsichtig
schnuppernd noch näher heran, so daß der Offizier sah, wie sein
Rückenhaar vor Aufregung hochgesträubt war wie bei einer Hyäne. Mit
hohem Widerrist und gesenktem Kreuze wie eine solche stand die Bestie
einen Augenblick, dann duckte sie vorne zusammen und kroch näher;
Tikosch sah nur Haupt und Schultern und dahinter die klamme Rute, die
vor Wut und Erregung zuckte.

Drei Schritt! Tikosch ging mit der Schußwaffe mitten zwischen die
schwefelgrünen Lichter des großen, gefährlich nahen Tieres hinein und
drückte in unsäglicher Anspannung allen Willens, den einen Punkt zu
treffen, ab. Es krachte wie brechendes Bein, und der Hund sank nach
vorne zusammen, ohne einen Laut zu geben.

Da stand Tikosch auf, straffte sich, und ein Gefühl sprudelnden
Stolzes quoll in ihm empor, dessen wilde Freude am liebsten in einen
furchtbaren Siegesschrei ausgebrochen wäre. Er dämpfte sich, trat zum
Hunde und riß dem verendeten mit großer Anstrengung den Bolzen aus
der Stirne: bis ins halbe Hirn hatte sich der gebissen! Dann packte
er das mächtige Tier an der Rute und schleifte es über die Wiese zum
Bach, gab ihm dort einen Fußtritt, und es kollerte bergab, so weit, als
Tikosch nur wünschen konnte. Denn hier ging es sehr steil hinab. Ein
fernes Planschen des Wassers verriet ihm, daß die Bestie fürs erste
gut verdeckt läge; dann kehrte der frohgewordene Feldräuber wieder zu
seinem Mais zurück und begann mit vollen Händen zu stehlen!

Er aß diesmal nicht mehr; er dachte nur an Vorrat und band sich die
saftigen Kolben zu einem großen Pack zusammen.

Dann ging er ein Kartoffelfeld suchen, fand es auch und grub sich
hier, wühlend wie ein Eber, die größten und schwersten Knollen heraus,
den ganzen Rucksack schwer voll. Nun schlich er sich, nach dem Hause
spähend, weiter; aber ehe er in einer dunklen Erhöhung einen mächtigen
Hof erkennen konnte, jaffte hoch und aufgeregt ein Hündlein hinter den
dunklen Mauern, und der verhohlene Vogelfreie erschrak dermaßen, daß er
zuerst kaum von der Stelle konnte.

Mit zitternden Knien und größter Anstrengung trug er jetzt seinen
schweren Raub dem Bergwalde zu, fand seinen Wegweiser, den Bach, trat
ins Wasser und kämpfte sich darin über Kies und schlüpfrigen Schlamm
unter unsagbarer Mühe und Schmerzen seinen Weg bergauf, Stunde um
Stunde, bis das Sternbild des großen Wagens über den Bäumen gänzlich
auf dem Kopfe stand und weit über Mitternacht ansagte.

Fünf Stunden hatte der kleine Raubzug gedauert, und es mochte gegen
zwei gehen, als Tikosch in seinem Dickicht anlangte und erst todmüde
auf die Erde hinsank, ehe er Willenskraft genug fand, sich die
verquollenen Schuhe von den Füßen zu ziehen und die kalten, erstarrten
Beine abzureiben, damit er sich nicht zu sehr erkälte.

Trotz der Anstrengung war ihm nicht warm geworden: das machten der
Hunger und das Fieber, das ihn immer noch nicht gänzlich verlassen
hatte. Dazu spürte er in der verheilenden Wunde wieder lebhaftere
Schmerzen. Aber all das tat ihm jetzt nichts, wo er zu essen hatte.

Er war so sicher, beinahe übermütig geworden, daß er es zum erstenmal
wagte, ein Lagerfeuer zu entzünden. Mit der letzten Kraft, die ihm
geblieben war, zerrte er aus dem Holzvorrat, den er sich vorsorgend
schon früher zusammengetragen hatte, ein paar kurzgehackte Stücke
hervor, legte sie auf Reisig und entzündete sie. Dann rückte er an die
Flamme, und indem er die Kartoffeln hineinlegte und die Maiskolben
an kleinen Spießen über das liebe, lichte Feuer hielt, zog längst
entbehrte Wärme in ihn und gab ihm Mut und Kräfte wieder. Er konnte es
kaum erwarten, bis die Maiskolben geröstet waren, und die Kartoffeln
sangen noch leise, als er sie aus der kleingewordenen Glut zog. Nun
warf er nur von Zeit zu Zeit mehr ein kleines Scheit in die Flamme,
damit er Wärme und Licht in einem hätte, und hielt eine Mahlzeit,
beißend, schlingend, schmatzend und ungeheuer gierig! Dabei durchdrang
ihn ein Entzücken, das war so schwindelnd und ungeheuer, daß alle
Liebe, die er je genossen hatte, elend und schal neben dem ungeheuren
Aufschwunge seines Lebens erschien, der ihm jetzt beschieden war, weil
er sich sattessen konnte!

Das Glück brauste und jubelte in ihm, und er schnaufte und weinte in
einem Atem vor Gier und Lust! Er entsann sich, daß Verhungernde mit
dem Essen nicht aufzuhören vermöchten, bis sie stürben, aber das kam
ihm jetzt gleichgültig, klein und nichtig vor. Es war ein solcher
Aufflug, solch ein ins Ungeheure gepreßtes Lebensgefühl in diesem Fraß,
nach den elenden Tagen, daß er dafür gerne gestorben wäre. Endlich
lachte er doch leise und sagte sich: »Vieh! Vieh!«

In unbändigem Glück und Behagen lehnte er sich zurück, hielt die Beine
ans Feuer, drehte und wendete sich, um die göttliche Wärme recht und
überall zu empfangen und durchzufühlen, und kam sich vor wie der König
dieser hohen Wälder.

Das stürmende Glück ging immer mehr in ein menschlicheres und sanftes
Hinträumen über, und zum erstenmal in diesen Tagen der Verfolgung und
Not überblickte Tikosch seine Lage klarer und musterte auch seine
Vergangenheit, wie einen Traum, den man staunend überblickt und
bedenkt, nachdem man erwachte.

Einen Arm unter dem Kopfe, lag so der junge Offizier an seinem einsamen
Lagerfeuer in der Urwildnis des Veliki Krisch.

Wie war er nur da hergekommen? Ah, ja, sein toller Flug! Und die
vermaledeite Brücke bei Zajetschar steht noch immer; die hat er gar
nicht gesehen. Vielleicht kommt man zu Fuße hin? Eine Sprengbüchse und
ein paar Bomben sind drüben am Stol vergraben; wer weiß, was man wieder
unternehmen kann, seit man wieder bei Kräften ist!

Wie kam er damals nur auf jene tolle Idee? Befohlen war ihm der Flug
nicht worden. Und Tikosch Gabor lächelt wehmütig; er hat in seiner
Seele wieder Platz für Menschentum und Allzumenschliches. Wenn ihn
die frische, aufrechte deutsche Beamtentochter, der er so gar
nicht gefallen hatte, jetzt sähe! Aus Grimm und Verzweiflung über
ihre Abweisung war er unter die Flieger gegangen und hatte ihr's
geschrieben, daß er ins Herz Serbiens hineinsausen würde, um dort zu
wüten und zu sterben. Er, der ihr zu unbändig, zu viehisch erschienen
war, der Wohlerzogenen, weil er einmal betrunken sein mochte, wie's
eben der Ungar pflegt unter Freunden. Und einen schwäbischen Lehrer
hatte sie ihm vorgezogen!

Häh! Der hätte da stehen sollen, in der Nacht, im Kukuruzacker, der
riesigen Dogge gegenüber! Oder er hätte mal fliegen sollen wie Tikosch.
pfeifende Kugeln ringsum! Oder mit Hunden gehetzt im Walde ducken, oder
hungern, wund und fiebernd! Nein, die Weiber sind nicht auszurechnen.
Nimmt die ein Lamm statt eines Löwen!

Stolz und grimmig lächelt der junge Offizier. Er ist doch ein Mann,
dem ein Weib nicht nein sagen sollte! Sein Antlitz ist wohl ein wenig
hunnisch, aber energisch und schön; die Gestalt wie aus Stahldraht
gedreht, schlank und mit spielend elastischen Muskeln, und Mut hat er
für drei!

Aber doch: es hat ihn ein schmierblonder Kandidat ausgestochen!

Tikosch grübelt. Er hat den Lehrer auf Tod und Leben fordern wollen,
trotzdem Margit für ihn bat. Die Kameraden jedoch haben ihm gesagt,
es wäre kein Kampf gleich auf gleich, und stolz lächelnd hat Gabor
verzichtet, den Schulfuchs zu erschlagen. Wenn Fräulein Margit das
halbe, zahme Kindergelichter, das der ihr zeugen wird, lieber ist
als rassige Jungen, wie er sie ihr gäbe, soll sie's mit dem blonden
Thaddädl halten. Er wird davonfliegen und lachen.

Und er ist davongeflogen.

Jetzt hat er seinen eigenen Herd. Ja, seinen selbstgegründeten; mitten
im Urwald und ohne Weib und solche Faxen. Hunger, Elend und Triumph
hat er nacheinander kennen gelernt, und heute hat er auch das Stehlen
gelernt.

Immerhin; vielleicht kommt es noch zum Straßenraub. Ein rechtes
Mannesleben sollte überhaupt voll solcher Dinge sein. Als Offizier
kommt er hier nicht weit; also wird Tikosch Gabor Räuber werden. Er
lacht behaglich, überlegt, wie das ginge, wünscht sich sehr ein paar
Gesellen und schläft auch schon gut und ausgiebig, so daß er den
werdenden Tag nicht sieht und nicht die schaurige Morgenkälte fühlt,
die vor Hahnenkraht alles durchdringt. Er schläft und träumt, daß er
sich zu nahe ans Feuer gelegt habe und das verbrenne ihn jetzt. Jähe
fährt er weg davon und empor, und dann lacht er.

Es war die helle, heiße, brühende Herbstvormittagssonne, die sich ihm
vollhin auf den Pelz gelagert hat, wohl schon seit einer Stunde. Ah:
Behagen über Behagen! Und nun gibt's ein Frühstück am Lagerfeuer, wie
schon lange keines mehr, und dann ein wenig Jagd, ein wenig Verfolgung
und Gefahr -- es ist doch ein famoses Leben. Und seine Wunde scheint in
dieser einen Nacht verheilt, seit er sich wieder sattgegessen hat.

Bloß eines fehlt ihm noch zum vollkommenen Glück: ein wenig Salz und
Butter zu seinen Kartoffeln! Für ein Pfund Butter gäbe er jetzt dem
Lehramtskandidaten die ganze sanfte und hochgebildete Margit. Und
Tikosch kann jetzt auch wieder fluchen; es gelingt ihm leicht und
lästerlich gut.

Vorläufig will er schleichen und pirschen lernen und sich trotz der
gestrigen Enttäuschung einen Braten holen; Gott wird ihm schon einen
Hasen in den Weg schicken. Sonst muß er's wieder mit den scheuen
Waldtauben versuchen. Vielleicht geht es in der Mittagsstille; da
schlafen sie ja auf ihren Bäumen, nachdem sie Wasser aus dem Bach
aufgenommen. Oder bei der Tränke? Ja, da konnte er eine überraschen.
Und der einsame Jäger nahm sein Schießzeug und verlor sich im Walde.

Aber manche Fehlpirsch, manchen mißglückten Schuß kostete es noch,
bis Tikosch mit den Pirschregeln und mit seiner mittelalterlichen
Waffe vertraut genug war, um das scheue Wild auf vierzig oder gar
fünfzig Gänge zu treffen. Die Schußleistung, das Streubild war auf
diese Distanz allein schon der Größe dieser Vögel entsprechend, und
der kleinste Zielfehler bedeutete einen Hungertag! Der Offizier
lernte, seine Willenskraft, seine Nerven auf bisher ganz ungeahnte
Weise anzuspannen und alle Energie in einen einzigen Augenblick zu
pressen. Nicht einmal in den kritischen Momenten, wo sein Luftfahrzeug
in Windstößen zu schlingern begonnen hatte, bedurfte es solcher
Zusammenfassung aller Willensmächte auf einen Punkt hin wie jetzt
im Augenblick des Schusses, um zu treffen! Nun hatte Tikosch fast
jeden zweiten Tag eine Zutat für seine Kartoffeln und Maiskolben, an
der ihm freilich der ungewohnte Mangel von Salz und Fett empfindlich
wurde. Nur der wütende Hunger vermochte ihn, die reizlose Kost
hinunterzuschlingen; denn der Versuch, sich ein paar Körnlein Salz zu
verschaffen, wäre mit dem Leben doch zu teuer bezahlt gewesen.

Eines aber wuchs von neuem in ihm empor, seit die äußerste Not und mit
ihr die Gleichgültigkeit gegen alle andern Erscheinungen dieses Lebens
gestillt waren. Er sehnte sich nach Menschen. Und mehr noch; er konnte
sich wieder dem Luxus der Vaterlandsliebe hingeben. Als der Hunger
nicht mehr durch Mark und Bein nagte, da begann wieder die Angst: Was
ist mit meinem Österreich? Vierzehn Tage waren seit der Kriegserklärung
verflossen, und das Land hier ringsum blieb still und friedlich. Er
horchte oft in die ferne Bergnacht hinaus, ob sie ihm nicht das Grollen
eines Kanonengewitters zutragen wollte. Umsonst. Am Abend gurrten in
unsäglichem Frieden die Hohltauben und die Ringeltauben in Felsen und
Wäldern, die Wipfel rauschten sanft, und mit immer gleichem Lächeln
sprach der Gott der Höhenfernen stets sein sanftes:

»Warum seid ihr mir in die Irre gegangen? Ihr würgt euch, und ich
bleibe der Friede. Die Not in meinem Reiche ist kurz, auch wenn täglich
der Falke unter die kleinen Vögel stößt; ihr aber habt euch an einem
künstlichen Frieden Ekel gefressen, so daß der Völkerwahnsinn nun um
so schauerlicher ausbricht! Wäret ihr bei mir geblieben, ihr würdet
täglich das Glück eurer Seele haben, das da heißt: Gott anschauen.«

Es war fast unerträglich, dieser ewig gütige Friede! Was geschah dort
hinter den Bergen? War Österreich einmarschiert, warum kam keine
Unruhe unten in die Dörfer, die er fernehin in immer gleichem Frieden
liegen sah? Die Transporte besorgte ja die Bahn, darum sah er keine
Züge von Troß und Wagen. Aber die Menschen arbeiteten wie sonst; sie
sahen klein aus wie suchende Sperlinge, dort auf den Feldern der
Tiefe, und nichts schien sie zu vermögen, unruhige, gestörte Ameisen
zu werden! Oder hatte Rußland eingegriffen? Tikosch wußte, daß der
unersättliche Barbarenstaat des Ostens nur auf die Gelegenheit lauerte,
Österreich zu überfallen, und der Gedanke, daß jetzt im Norden die
Hunderttausende Österreichs gegen die Millionen Rußlands einen Kampf
voll Verzweiflung und übermenschlicher Anstrengung rängen, trieb ihm
die heiße Feuchte aus allen Poren.

Und er war hier gefangen! Sollte er, immer die Nächte durchwandernd,
seinen Weg bis zur Save nordwärts suchen und ins Ungarland
zurückschwimmen? Die Wunde war nahezu geheilt, eine kleine Steifheit
im Kreuz, die übergeblieben war, konnte ihn nicht arg hindern. Aber
dennoch hielt ihn ein Rest von Hoffnung und Trotz hier auf seinem
Berge fest. Erst mußte er auf irgendeine Weise erfahren, wie es mit
dem Kriege stand; und war Österreich in Bedrängnis, dann sprengte er
den Serben ihre Eisenbahnbrücke ob Zajetschar auch ohne Flugzeug: und
sollten sie ihn dafür in Stücke reißen!

Was lag an ihm, Geld hatte und wollte er keines, Glück war ihm nicht
beschieden, und das einzige, was er von diesem Leben ersehnt hatte,
ein wenig Frauenliebe, war ihm brennend mißraten! Dies verschmähte
Mannesdasein, dem die Vergötterung fehlte, konnte nur durch eigene
Achtung zu Inhalt kommen; sich selber wollte Tikosch Gabor anbeten
lernen und sich sagen: »Du bist ein Held!« Von dieser Art waren bisher
die einzigen Sensationen seines Lebens gewesen: waghalsige Ritte, von
denen das ganze Komitat sprach, und nun sein toller Flug, der ihm
mißlungen war, und dessen Ziel der Dickkopf nun erst recht nicht aus
den Augen ließ. Alles, was sonst das Leben vertieft und schön, aber
auch allzu begehrenswert macht, war von Tikosch bisher unbeachtet
gelassen worden. Um Kunst kümmert sich der Ungar an sich schon wenig.
Auch seine Natur, die Natur der Puszten, kennt nur eine eintönige,
eine große, aber einzige Linie und beschäftigt weder die Augen noch die
Phantasie ungewöhnlich. Man liebt sie und läßt sie sein, wie sie ist,
oder erobert sie zu Pferde. Für die Städte und ihre Oberflächlichkeiten
hatte der junge Offizier so wenig Sinn wie für ihre Tiefen. Über die
Kabaretts und über die Theater lachte er mit derselben Verachtung.
Gelehrsamkeit, Wissenschaft und Philosophie waren von ihm bisher mit
den Worten abgetan worden: »Das Zeug ist alles nur für die langhaarigen
Ehrenmänner am Kaffeehaustischel; sollen's damit glücklich sein und
mich in Ruh' lassen.«

Jetzt aber, in der grandiosen Schweigsamkeit alles dessen, was um ihn
lebte, ging ihm ein tiefes Unbehagen auf, wie hilflos er eigentlich
wurde, wenn er in sich selber sank! Immer wieder mußte er, da alles
sich von ihm abgewandt hatte, was ihn sonst unterhalten konnte, in
die Tiefen seiner eigenen Brust hinuntersteigen. Er versuchte, sein
ungeschultes Hirn zum Grübeln zu bringen, und fand alles leer. Oder
vielmehr, er war des Denkens ungewohnt und hilflos wie ein Kind.
»Wozu bin ich eigentlich gemacht: Ich, Tikosch Gabor? Und was war
beabsichtigt, weil ich auf die Welt kam? Was hat mich bisher getrieben?
Was habe ich Gutes getan und warum habe ich so viel Haß gehabt? Warum
frag' ich mich jetzt drüber?« Solche Schürfungen nahm er nun in sich
selber vor, und wenn er aus solchen Gedankennächten fruchtlos wieder an
den Tag geriet, kam er sich vor wie ein verlegner Teckel, der zwecklos
in einen leeren Fuchsbau eingefahren war. Einen kleinen, buckligen Kerl
im Szegediner Offizierskaffeehaus hatte er immer ausgelacht, wenn der
behauptete, die ganze Welt gehöre ihm. »Warum? Wie? Wo?« hatte Tikosch
vergnügt geschrien, und der kleine Hascher hatte dann immer mit einem
großen Stolze gesagt: »Ich bin ein Philosoph.« Ja, der arme Kerl hatte
sich sogar zu der Behauptung verstiegen, nicht Kraft noch Kühnheit
mache den Mann aus, denn dann sei jeder Gorilla besser als Tikosch,
aber ~denken~ müsse man können; damit sei man ein Gott! »Denken;
das ist der ganze Mann.«

»Weiß der Teufel,« sagte Tikosch jetzt öfter zu sich selber, »jetzt
möcht' ich wirklich was von so einer Philosophie dahaben.« Und er
dachte nicht ohne Neid an den kleinen Buckligen im Kaffeehaus zu
Szegedin und auch an den blonden, schwäbischen Schullehrer, der die
schöne Margit mit einer rührend tiefsinnigen Betrachtung über das Leben
der Bienen, die er studiert hatte, als wären's Menschen, zuerst auf
sich aufmerksam gemacht hatte. Da nun die Lebensumstände, in denen
sich Tikosch jetzt befand, Dinge wichtig machten, an die er früher
auch nicht den kleinsten Gedanken verwendet hatte, wie die Lebensweise
der wilden Tauben und der Hasen, der wilden Hummeln, deren Honig er
rauben lernte, und sogar der Mücken, aus deren Gehaben er das Werter
hervorahnen lernte, so begann er eine Art richtiger Scheu für alles
Wesen der Natur zu empfinden, und die ist ja der Anfang aller Religion.
Sich als Teil empfinden, um sich als Einzelnes dafür um so inniger zu
bilden, das ist die Schrift Gottes, die er uns gegeben, sie zu suchen,
zu erkennen und zu befolgen.

Solche Erwägungen kamen ihm aber nur dann, wenn seine Sorgen und sein
Hunger für die nächste Zeit gestillt waren, und er empfand diese
Würdelosigkeit seines Wesens mit einigem Ärger. Denn all diese schönen
Dinge, Heldentum, Vaterland und Philosophie, waren augenblicklich
verschwunden, sobald die gemeine Notdurft in ihm rebellierte. Oft war
ihm zum Beispiel die Sorge um sein Vaterland durchaus nicht sehr viel
wichtiger, als wie er zu einem Happen Salz gelangen könnte. Denn die
Gier nach Salz und auch die nach etwas Fett war in ihm mit tierischer
Gewalt gewachsen und gewachsen, und wurde nun schon so groß, daß er
beschloß, ein Teil seiner geübten Vorsicht außer acht zu lassen und
sich die ersehnte Würze zu verschaffen, auch wenn es ihm an den Kragen
ginge. Er schämte sich, aber der Trieb blieb stark.

Da entsann er sich eines Tages, als er vor sich selber nach einer
Ausflucht suchte, daß das Verlangen nach Salz ja auch in den Tieren
sehr lebendig sei, und er dachte der Rehe, denen in seiner Heimat die
Jägerei eigene Salzlecken errichtete. Gibt bei uns der Jäger seinen
Rehen Salz, folgerte er, so wird es hier der arme Bergbauer wenigstens
seinen Ziegen nicht vorenthalten. Und er begann, Losung und Fährten
der Ziegen in den Planinen zu erforschen, wenn er auch dabei wieder in
Gefahr kam, mindestens mit einem Wolfshunde anbinden zu müssen.

Auf einer dieser Streifereien gelangte er in die Nähe eines jener
weltlich simplen Hirtenobdächer der serbischen Planinen, von denen
man glauben möchte, daß sie für nicht mehr da seien als für die Dauer
jenes Unwetters. Und doch gibt es dort viele Menschen, die ihr ganzes
Leben unter diesen paar zusammengetragenen Steinen verbringen! Es war
ein ganz niederer Bau, eher einer Höhle ähnlich als einer Hütte, den
er entdeckt hatte. Aber wichtig war es für ihn, daß alle Ziegen der
Gegend täglich zweimal dorthin wallfahrteten. Es gab also Salz dort,
und mit zitterndem Herzen legte sich Tikosch tausend Schritt über dem
zusammengewürfelten Hirtengeklüfte auf die Lauer; er, selber ärmer als
diese ärmsten Menschen, um sie bei guter Gelegenheit zu bestehlen.
Und mit der Geduld eines Bussards wartete und wartete er, bis endlich
einmal der Hirte, ein Greis, der nur einen Knaben bei sich hatte, die
Hütte verließ, um offenbar ins Tal um Proviant und Nachrichten zu
gehen; denn beide waren mit geflochtenen Tragkörben beladen, in denen
sie zugleich Schafkäse, den man hier auf der Ovcina bereitete, zu Tale
trugen.

Als sie eine halbe Stunde weit waren, hielt es den Verfolgten nicht
länger, und er schlich sich zur Hütte. Ein Hund war nicht da, es rührte
sich nichts, und trotzdem bebten dem jungen Manne die Knie; er schämte
sich. Der einfache Holzriegel des kaum fünf Fuß hohen Raumes war von
außen mit wenig List und Kunst zu öffnen. Was schloß er auch ab? So
konnte Tikosch bald in das mehr als antik einfache Gelaß treten, nein,
kriechen; denn es war für einen aufrecht stehenden Mann zu niedrig.
Die Hirten hatten es denn auch nur als Schlaf- und Vorratskammer
eingerichtet. Von den wenigen Dingen, die der armselige Raum enthielt,
einem gemeinsamen Streulager mit schmutzigen Ziegenfellen, einer
Tonlampe und etwas halbzerbrochenem Geschirr, sah der Ausgehungerte
denn auch nichts, sondern suchte nur nach einem, nach Salz.

Wirklich fand er einen groben Klumpen Viehsalz; derbes, aber ziemlich
reines Rohsalz von roter Farbe, an dem er gierig leckte, um es dann
zitternd zu sich zu stecken. Ein zweiter Blick zeigte ihm noch eine
lange und verschimmelte Speckseite. Auch diese riß er an sich, wurde
brennendrot vor Scham, legte sie wieder weg, nahm sie wieder, roch mit
nicht zu beschreibender Wonne daran und tat sie wieder fort.

Dann überlegte er, daß er ja ein Goldstück an ihre Stelle legen könnte,
ein Goldstück, das in diesen Höhen der äußersten Armut den vierfachen
Wert haben mußte und den zehnfachen der Speckseite! Aber das Gepräge
war österreichisch und verriet ihn sicherlich. Den Leckstein allein
konnten die Ziegen gestohlen haben, die in die schlechtverwahrte Hütte
eingedrungen waren; der Speck mußte ernsteren Verdacht erregen. Und ihn
den Bedürftigen einfach zu entwenden, das vermochte der ritterliche
Ungar nicht, und wenn er im Anblick der Köstlichkeit hätte verhungern
müssen! Ein schwerer, schwerer Kampf lag nur in dem Gedanken, er
könnte das herrliche Stück irgendwie bezahlen.

Aber das ging nur an, wenn er sogleich zehn Meilen zwischen sich und
sein verstecktes Lager am Stol legen konnte.

Dann war es nichts mit der Sprengung der Brücke.

Und Tikosch Gabor nahm von der wundervollen Speckseite mit geblähten
Nüstern Abschied; nicht ein einziges Stückchen hatte ihm sein Stolz
davon zu genießen erlaubt.

Er schlich sich mit seinem Zweipfundstück Salz davon, im köstlichen
Gefühle, heut abends eine Mahlzeit halten zu dürfen, wie kein römisches
Leckermaul sie je gekannt. In der Morgendämmerung hatte er auf dem
Ansitze einen feisten Hasen erlegt, der ihn das fehlende Fett nicht
empfinden lassen würde. Kartoffeln waren auch noch vorhanden; Tikosch
war schwindlig vor Glück.

Abends, in seinem sicheren Versteck am Lagerfeuer, genoß er den
gewürzten Braten, zu dem er noch Wacholderbeeren und den Thymian des
Waldraines getan hatte. Er aß mit bebenden Händen und kam sich über
alle Begriffe von Gott begnadet vor. Nur fehlte ihm in seinem Glücke
jemand, mit dem er es teilen konnte, ein Gefährte, mehr als je! Tikosch
war stets gesellig, konnte nur genießen, wenn er sah, wie es auch
anderen schmeckte, und brauchte in Leid und Freude Menschenaugen,
die ihm alles widerspiegelten, was er selber empfand. Er war kein
Schwätzer, aber er lachte und tollte gar zu gern, wie ein rechtes Kind,
das er stets geblieben war. Und wie einem Kind war ihm jetzt auch bange.

Es kam sogar, daß er in seiner Einsamkeit leise ein altes, unsagbar
trauriges Lied zu singen begann, das so recht aus der endlosen braunen
Steppe seiner Heimat geboren war und von hoffnungsloser Liebe und
Abschied ging.

Tikosch sang es langgezogen und andächtig durch bis zu einer Strophe,
bei der sie immer alle zu weinen pflegten, wenn es die Zigeuner den
betrunkenen Kavalieren vorgespielt hatten.

Und wenn auch der gute Leutnant seit vierzehn Tagen keinen Tropfen
Spiritus in irgendwelcher Form gesehen hatte, so heulte er bei der
rührsamen Stelle pünktlich und jämmerlich drauflos. Es dauerte eine
ganze Weile, bis das erledigt war; dann wurde ihm wohler und leichter,
er setzte sich wieder aufrecht, strich zufrieden und halb beschämt
seinen kleinen Schnurrbart und dachte eingehend und angestrengt daran,
wie er es einrichten könnte, zu irgendeiner menschlichen Gesellschaft
zu kommen, der er sein bedrängtes Herz ausschütten konnte. Denn mit
sich selber allein wußte er ganz und gar nichts anzufangen.

Hier oben freilich kam er auf keinen grünen Zweig mit seinen Plänen.
Er wäre fest entschlossen gewesen, mit der nächstbesten Zigeunerbande
Bruderschaft zu machen, aber das Land war leer von ihnen.




In den nächsten Zeiten aber wuchs dieser Wunsch zu immer mächtigerer
Sehnsucht empor:

»Einen Menschen gib mir; guter Gott, gib mir einen Menschen!«

Aber der Wald schwieg, und wenn in der Ferne ein Mann über die Planina
wanderte, zog sich ihm dennoch das Herz zusammen, denn jede Begegnung
bedeutete ja den Tod oder Gefangenschaft. Am grimmigsten war ihm
zumute, wenn einer einen Hund bei sich hatte. Vor den Menschen war ein
Verbergen möglich, vor den Hunden nicht; sein ganzes Mannestum und
sein Stolz empörte sich aber bei dem Gedanken, von einem Tier, das er
verachtete, zustande gebracht und gestellt zu werden! Von einem Hunde,
diesem Kontrapunkt der menschlichen Niedertracht; dem Tier, das feige
allem nachsetzt, was läuft und flieht, das nach dem Flüchtigen schnappt
und den sich Stellenden fürchtet, das stinkt, Kot frißt, aller Armen
und Zerlumpten erklärter Feind und des Peitschenmeisters Bauchkriecher
ist!

Es brachte ihm das Blut zum Sieden, wenn er das giftige Gekläff eines
Hundes nur von ferne hörte. Wo immer es sich unauffällig tun ließ,
schoß er jede dieser Bestien, die er im Walde traf.

Einmal hörte er, als er auf Wildtauben an der Tränke lauerte, das
tiefe, mürrische Geläut eines großen Hundes, und sogleich zuckte ihm
das zornige Herz empor, das von diesem seltsamen Hasse erst seit dem
Tage erfüllt war, seit man ihn selber mit Hunden gehetzt und er ein
Verfemter geworden war.

Lieber wollte er Jäger als Wild sein, und sooft er einen dieser
Verfolger und Peiniger seiner Nächte gestreckt hatte, war ihm leichter.

Er schlich, wie stets in solchem Falle, im Bachbette näher; bergab,
dorthin, wo der Jagdlaut erscholl.

Er war schon ganz nahe und spannte sein Schießzeug, als eine dunkle,
klangvolle Frauenstimme dem Tiere in rumänischer Sprache gebot, stille
zu sein und sich zu legen. Betroffen stand der Offizier und war wie
gebannt. Eine Frau hätte er hier oben in der Wildnis nicht erwartet,
und mit klopfendem Herzen beschloß er, Weib und Hund an sich unbemerkt
vorbeizulassen. Aber nur menschliche Tritte kamen an ihn heran; der
Hund schien weiter unten den Zugang aus dem Tale zu bewachen.

Tikosch wagte nicht mehr, sich in das dichte Gestrüpp zurückzuziehen.
Um keinen Lärm zu machen, drückte er sich nur oberhalb des größeren und
tiefen Kolkes, den der Bach hier machte, ins Buschwerk. Ging es gut, so
kam sie unbemerkt vorbei.

Entdeckte ihn aber der Hund, so war das viel schlimmer, als wenn ihn
ein Mann ertappt hätte; denn Mann und Hund wären dem wildentschlossenen
Jungen nicht lebend ins Tal gekommen. Dem Weibe gegenüber war er
hilflos, und vielleicht das erstemal in diesen abenteuerlichen Tagen
kam das Zittern nervöser Furcht in seine Glieder. Endlos dauerte es,
bis er das Blitzen eines hellen Kleides durch die Sträucher sah, und
noch länger schien es ihm, bis er wußte, mit wem er zu tun haben
würde. Dann aber merkte er bald, daß er mehr sehen sollte, als er sich
erwartet hatte.

Ein ernstes, großes, dunkles Mädchen stand plötzlich am Tümpel des
Baches. Sie trug die schöne und einfache Volkstracht dieser Gegenden.
Nur schien es Tikosch, als ob die Stickerei des Hemdes, das den
Hauptteil dieser Tracht ausmacht, ungewöhnlich kunstvoll und reich
wäre; so nahe stand sie schon unter ihm. Sie horchte nach dem Hunde
hinunter, der wieder rege zu werden begann, und rief: »+Couche,
Pouilly!+« Dies letztere Wort, das dem Scherzruf Bully verwandt
sein mochte, rief sie mit so unleugbar französischer Betonung, daß der
erstaunte Offizier, der längst jede ihrer vornehmen Bewegungen mit
Bewunderung verfolgt hatte, bei sich dachte: »Aber das ist ja eine
Dame!«

Das Mädchen, dessen sehr ernstes und regelmäßiges Gesicht er jetzt
genau sehen konnte, streifte kurzweg ihren Rock herab und war im
Begriff, ihr Mieder zu öffnen, das seine letzten Bedenken über
ihre vornehme Herkunft zerstreuen mußte, als der junge Offizier in
besinnungsloser Angst, ohne zu bedenken, was daraus werden könnte,
rief: »+Fermez, fermez, madame! Faites attention!+«

Die Wirkung dieser Worte, aus dem Dickicht der wildesten hochserbischen
Planina gerufen, war denn auch eine ruckartige.

Das schöne Geschöpf wurde blaß über ihr ganzes Gesicht, und ihre Augen
staken mit dem Ausdruck hilflosen Schreckens an dem Gebüsche, aus
dem die französischen Worte gekommen waren, und in welchem sie, da
die Sonnenstrahlen prall auf die Zweige vor ihr fielen, nichts mehr
sehen konnte. Sie vermochte kein Glied zu rühren, und die einzige
Reflexbewegung galt dem Schutze der oben entblößten Brust.

»+Voilà, qui vive?+« »Wer ruft hier?« fragte sie endlich mit
tonloser Stimme.

Und Tikosch, wieder mit seinem gar nicht guten Französisch:

»Ein armer Verfolgter, meine Dame, der sehnlich bitten muß, daß Sie ihn
weder sehen, noch sich seiner Anwesenheit in diesen Wäldern erinnern,
wenn Sie diesen Platz verlassen haben werden. Darum bitte ich Sie
flehentlich. Als Kavalier verriet ich mich Ihnen. Aus Ritterlichkeit,
um die unbelauschte Stunde einer schönen Frau nicht auszunutzen. Haben
Sie auch so viel Zartgefühl, ein Leben, das Tag und Nacht bedroht ist,
zu schonen und zu vergessen, wer Ihnen hier begegnet ist! Mehr verlange
ich nicht.«

»Ein Verfolgter!«

Das junge Weib bekam Mut und Fassung wieder.

»Wenn Sie bedroht sind, haben Sie von mir nichts zu fürchten,« sagte
sie ruhig. »Kommen Sie hervor und erzählen Sie! Ich gebe Ihnen mein
Versprechen, Sie nie zu verraten, wenn Sie auch gemeingefährlich sein
sollten, und Sie zu unterstützen, wenn mir das gut und recht erscheint.«

Tikosch zögerte noch.

»Nun gut, wer sind Sie?« rief die schöne Rumänin ins Gebüsch hinauf.

»Ein österreichischer Offizier.«

»Ah, da können Sie also Deutsch?«

»Ja!« rief Tikosch freudig, als er die Sprache hörte, die seine gute
Mutter sehr geliebt hatte.

»Kommen Sie ruhig zu mir,« sagte sie lächelnd. Und in dieser Stimme
und in diesen Worten lag eine solche heilandsichere Verheißung von
Güte und Glück, daß ihm das Herz entbrannte. Er brach die Zweige, die
ihn schützten, auseinander und kam auf sie zu; sehr verlegen, weil
er knapp am Bachufer balancieren mußte, um nicht in lächerlichster
Weise ins Wasser zu plumpsen. So hatte sie reichlich Zeit, ihren
Rock wiederzunehmen und dabei sein schwedisches Lederwams, seine
Fliegerkappe, die ihn wie einen Kreuzfahrer in der Kettenhaube
erscheinen ließ, und seine Armbrust anzustaunen.

»Herrgott, sind Sie mal eine Erscheinung!« sagte sie in freundlichem
Ernst, aber mit ehrlichem Staunen. »Das sieht man nicht alle Tage!«

Endlich stand Tikosch vor der ernsten, dunkelfarbigen jungen Dame und
stellte sich mit allen Formen eines Weltmannes vor. Er erzählte, wie er
hier mitten in Feindesland so recht buchstäblich vom Himmel gefallen
wäre, und wie sein Vorhaben, die Brücke von Zajetschar zu sprengen,
mißglückt sei.

»Ah,« sagte sie lächelnd, »da sind Sie also der heruntergeschossene
Flieger, über den die hiesige Presse so sehr triumphierte, und den sie
von Wölfen auf dem Lissatz zerreißen hatte lassen?«

»Man sucht mich also nicht mehr?« fragte Tikosch aufatmend. »Sagen Sie
mir um Gottes willen, gnädige Frau --«

»Fräulein«, unterbrach sie ihn: »Livia Ternaveanu. Ich bin den
Österreichern gut.«

»Oh,« rief er, »so sagen Sie mir schnell, wie geht es meinen Leuten?
Ich bin seit vier Wochen hier oben im Urwalde, ich bin beinahe
verhungert und habe von den Menschen nichts gesehen und gehört als ihre
Hunde und ihr fernes Johlen und Singen auf den Höhen! Ich weiß gar
nichts, und es zerreißt mir das Herz!«

»Ihren Landsleuten geht es gar nicht gut. Die Serben haben sie bei
Schabatz über die Save und bei Valjevo über die Drina zurückgeworfen,
und die Russen haben sie in großen Schlachten in Galizien immerwährend
geschlagen.«

»Aber das ist ja unmöglich!« schrie Tikosch erbleichend. Ihm war zumute
wie einem Manne, der sein Weib blind vertrauend geliebt hatte und sie
in den Armen eines anderen ertappen mußte.

»Wo stehen die Serben jetzt? Und wo die Russen?«

»Die Russen in Galizien.«

»Bis wo?«

»Bis Lemberg.«

»Wo waren die Schlachten?«

»Alle bei Lemberg.«

»Und die Russen kommen nicht weiter? Gott sei Dank! Von wem haben Sie
Ihre Nachrichten?«

»Seit den letzten vierzehn Tagen nur aus serbischen Zeitungen.«

»Und sind die Serben in Österreich?«

»Nein, nur eben wollten sie über die Save, aber da haben sie große
Verluste erlitten und mußten zurück.«

»Ja, aber Mädel, da ist doch gar nichts verloren!« jubelte der Offizier
und vergaß vor Freude allen Respekt. »Kind, da ist viel, viel gelogen
worden! Ich kenn' doch die Saubagasch! Und der Österreicher ist bloß in
der Defensive! Da kann er unbezwinglich sein; war es immer in solcher
Lage! Herrgott, so eine schöne Zeitung wie ich hat noch kein Mensch der
Welt gehabt!«

Und überglücklich faßte er sie an den Armen, als wollte er sie im
Kreise schwenken. Aber da knurrte ganz nahe der große Hund, der sich
beim Gespräche der beiden manierlich herangeschlichen hatte.

»Bist du still,« rief Livia ernst. Und man hätte sehen können, daß sie
sich von dem kostbaren Fliegerleutnant ganz gern ein bißchen hätte
wirbeln lassen. Aber dem war die Lust vergangen.

»Diese Hunde,« sagte er grimmig. »Seit Wochen hasse und fürchte ich
nichts als sie. Wissen Sie, daß man mich mit Bluthunden verfolgt und
gesucht hat? Ganz nahe waren sie mir schon!«

»Armer Mensch,« sagte Livia ruhig. »Nun wollen wir überlegen, was für
Sie zu tun möglich ist. Haben Sie Wünsche? Ich würde mich getrauen,
Sie über die Donau nach Rumänien zu schaffen; von dort können Sie nach
Österreich. Wir sind neutral.«

»Wer alles ist denn nicht neutral?« fragte Tikosch.

»Später, später,« lächelte sie. »Jetzt nur das eine. Was haben Sie für
Wünsche?«

»Speck, vor allem Schweinespeck oder sonst ein gutes Fett,« sagte
Tikosch ehrlich.

Da lachte das ernste Mädchen zum ersten Male ein wenig, machte aber
gleich wieder ein besorgtes Gesicht. »Leiden Sie denn Hunger?« fragte
sie.

Da erzählte er ihr all seine Abenteuer und seine Not; wie schwer es ihm
geworden war, auch nur einen einzigen Vogel zu erbeuten, als er dem
Hungertode nahe gewesen war, wie er aufs Feld stehlen gegangen war und
den Hund erschießen mußte, wie er dann weiter gelebt hatte, und wie
der Besitz eines einzigen Stückes Salz ihm wichtiger geworden war als
alles, was ihm sonst hoch und teuer schien, samt dem Vaterlande!

Und in drollig unbehilflicher Form erzählte er dann, als sie ihm Platz
neben sich auf dem Waldgrunde anbot und er mit mehr Behagen berichten
konnte, was ihn seit Tagen am meisten erstaunte und beschäftigte,
was er nie gedacht und von sich erwartet hätte: daß er in dieser
Waldesstille zum Grübler geworden sei, der es sich in den Kopf gesetzt
hatte, zu erfahren, warum er auf die Erde gestellt worden sei! Das
Fräulein sei offenbar sehr gebildet und wisse viel mehr als er selber.
Wenn er öfter mit ihr darüber reden könnte?

»Also Speck und Metaphysik sind die beiden Bedürfnisse der Wüste,«
sagte sie mit einem kaum merkbaren Lächeln und fuhr fort. »Ich bin in
einem Schweizer Pensionat erzogen worden und habe dort wenig von diesen
Dingen gelernt. Aber grübeln habe auch ich viel müssen. Meine Brüder
sind ganze Franzosen geworden und leben so unsinnig in den Tag hinein,
daß wir schon beinahe als verarmt gelten könnten. Da sucht man sich
von den Lehren der Weltleute und Kavaliere gerne abzukehren. Lieber
Herr Leutnant, jenes Leben macht nur leer und arm, oder unglücklich!
Ich habe versucht, anderswo einen billigeren Trost zu suchen, wie er
auch nur für arme Leute zu wachsen scheint. Mutter und ich, wir haben
uns bei Rgotina auf unser Waldgut zurückgezogen und besitzen auch
hier in der Nähe einen Meierhof, der wegen seiner abgeschiedenen Lage
unnutzbar und deshalb auch glücklicherweise unverkäuflich ist. Hier
in der Einsamkeit wurde mir allerlei offenbar, wovon die Verschwender
und Modemenschen nichts wissen können. Nichts wissen dürfen; denn sie
müßten dann verzweifeln!«

»Und das ist?« fragte Tikosch andächtig.

»Das ist, daß man zu sich selber und damit zu Gott kommt, und das geht
nur in der Einsamkeit und in der aufrichtig gebliebenen Familie Gottes;
so nenne ich nämlich die Steine, Bäume und Tiere. Hätte ich das
Leben der Reichen führen dürfen wie meine Brüder, und in Nizza meinen
Champagner trinken, ich wäre verlorengegangen wie sie. Hätte ich dort
dem Gassenvolke glänzende Kleider vorführen können, ich wäre verdammt
von Gott, wie alle Reichen. So aber ist mir jeder Tag ein neues Wunder,
und ich sehe Gott überall: in den Tieren und den Bäumen und in mir
selber. Vielleicht ist es auch Ihnen bestimmt, durch diese Einsamkeit
nach innen reich zu werden. Bisher haben Sie hier freilich zu wenig von
den einfachsten Gütern des Daseins genossen. Denn es ist leider so, daß
man seine Seele nur erheben und reinigen kann, wenn die Not nicht zu
drückend ist und die einfachsten Bedürfnisse befriedigt sind. Man muß
freie Zeit haben. Aber da ich nun für Butter aufs Brot sorgen werde,«
(sie lächelte wieder ein wenig) »so werden Sie finden, daß Ihr Leben
hier ein sehr gesegnetes sein wird im Vergleich zu dem Dasein Ihrer
Brüder unter dem unerbittlichen Gott der Russen.«

»Haben die einen anderen Gott?« rief er, weil sie das wieder so ernst
sagte.

»Ich glaube es sicherlich. Vielleicht liegt dieses Heidentum, diese
Vielgötterei in meinem römischen Blute. Aber kein Priester wird mir
weismachen können, daß der Gott der üppigen Wälder und Wässer, der
Weingärten und Edelkastanien dieses kleinen, familienhaften Landes
mit seinen milden Wintern kein anderer ist als der Gott der endlos
traurigen Steppen, des Lehms, der Nebel, der gedrückten Schwermut in
allen Hirnen und der Massen, die nur Zahl sind und keine Bedeutung
der einzelnen kennen. Jedes Land hat seine eigene Gottheit, und wenn
ein solches Land in einen fremden Staat hineingezwungen wird, so muß
zwischen den beiden Völkern ein Krieg sein, der nie sterben kann, bis
sie nicht wieder getrennt sind und jedes seinem eigenen Gotte gehört.
Ist denn nicht den Italienern und auch einem Volke wie euch Deutschen
nicht eher wohl geworden, als bis ihr vereinigt waret? Es ist Sünde
wider den heiligen Geist, Völker mit verschiedenen Göttern aneinander
fesseln zu wollen.«

»Das ist wahr,« sagte Tikosch; »in der Schule habe ich gelernt, daß die
Alten zuerst bei jedem Volke ihren eigenen Gott hatten. Erst die großen
Zwingmeister und Eroberer, zuerst Cyrus, dann Alexander und endlich
die Römer, begannen, das zu leugnen und die Götter zu mischen. Und als
man den einzigen Allgott gefunden hatte, da suchte sich doch jeder
Ort seinen eigenen Heiligen für den Himmel. Nun, meiner Treu, ich
bin neugierig, ob ich mich mit der Gottheit dieser Höhen und Wälder
verstehen und vertragen werde, wenn sie anfängt, mich anständiger
zu behandeln als bisher. Aber ich habe ja nun Ihre Protektion als
Priesterin?«

Livia, die wenig Vergnügen an dem scherzhaften Tone fand, mit dem der
Leutnant ihren ernsten Glauben behandelte, lenkte ab und bat ihn, ihr
sein Versteck zu zeigen. Da führte er sie treuherzig in sein Kamp,
dessen Zigeunerhaftigkeit ihr großes Vergnügen bereitete.

»Hier werde ich Ihnen die Hauswirtschaft führen helfen,« sagte sie, als
sie wieder aus seinem Erdloch unter der Zeltplache herausgekrochen war.
»In jedes eigene Haus gehört eine Frau.«

Und am Abend kam sie sehr vorsichtig und schwer beladen und bewaffnet
herauf und brachte ihm in einem Korbe Leckerbissen, bei deren Anblick
ihn schwindelte.

»Lassen Sie sehen,« bat er und hob den Decke! ab. »Wahrlich, echter,
edler, perlblasser Schweinespeck! Ich kann es kaum glauben, daß es
Menschen gibt, die bei solch einem Anblick nicht in die Knie brechen
und sich feierlich an die Brust schlagen! Oh, und duftendes Brot!
Und Wein! Heiland, jetzt weiß ich, daß Du Deine Symbole nicht für
satte Menschen gewählt hast, und daß dem Reichen Dein Himmel ewig
verschlossen sein muß! Weinen könnte ich! Und das ist ein Schinken! Wie
lange mag es her sein, daß ich so einen nur in fiebernden, verliebten
Träumen sah? Und nun ist solch ein Überfluß zu mir gekommen. O
Fräulein, liebes Gotteskind, ich bin ganz verzagt, ob Sie mir nicht
am Ende nur so wunderschön vorkommen, weil Sie in Begleitung dieser
göttlichen Tugenden sind!«

Nun lachte sie gern.

Sie ließ ihn sein Lagerfeuer machen, packte einen Topf aus, in dem sie
ihm alle Gewürze der Küche mitgebracht hatte, und stellte Wasser an die
Flamme, denn sie wollte ihm gegen den empfindlich scharfen Herbstabend
einen wirklichen Tee kochen, mit Rum drinnen.

Er aber zerteilte seine heutige Jagdbeute, einen Hasen, und steckte die
Stücke an einen Spieß aus Wildkirschholz.

Zärtlich verteilte er den Speck, den sie ihm gebracht hatte, unter das
Fleisch und ließ es in gehobener Stimmung braten und bräunen.

Er hätte am liebsten vor Entzücken laut geschrien, als der
gottesdienstliche Opferduft emporzusteigen begann.

»Noch etwas habe ich Ihnen gebracht,« sagte sie und zeigte ihm die
Flinte, die sie mitgetragen hatte. »Es ist nur ein Vorderlader,«
sagte sie, »denn es wäre aufgefallen, wenn ich meinem Bruder eines der
teuren modernen Gewehre entwendet hätte, die unten im Zimmer hängen.
Aber das nahm ich aus der Rumpelkammer; es war einmal ein luxuriöses
englisches Gewehr, und für die paar Schüsse, mit denen Sie sich Ihren
Lebensunterhalt verdienen, reicht auch die langsame Ladeweise. Schießen
können Sie jetzt ruhig, man ist das in diesen Wäldern gewöhnt, und an
Sie denkt niemand mehr. Hier ist das Pulverhorn, hier der Schrotbeutel
und die Zündhütchen.«

Tikosch war vor Glück sprachlos, bekam Tränen in die Augen, und als
er ihr die Hände küßte und sie seine Ergriffenheit fühlte, überkam
sie selber die Rührung, dieses einsame Menschenkind mit geringer Gabe
so reich und glücklich gemacht zu haben. Lange Zeit sprachen sie
nichts und schufen schweigend an dem köstlichsten Abendessen, das sie
beide je genossen hatten. Denn auch ihr war das Abenteuerliche ihres
Zusammenseins mit dem Verfemten aufregend und bedeutend wie noch nichts
in ihrem Leben.

Bald saßen sie denn in der wunderbar ernsten Waldnacht am Feuer, und
sie legte ihm zu essen vor, als wäre sie seine Frau, und hatten sich
doch erst vor ein paar Stunden im wilden Walde getroffen. Die hohen
Bäume rauschten, als spräche ihnen Gott selber das Tischgebet dazu,
das fremde Mädchen saß im Feuerschein wie eine antike Göttin, die
einem Heimatlosen helfen gekommen war, und ihre Schönheit und die
prangende Fernheit der Bergnacht waren so geheimnisreich, daß er immer
wieder glaubte, alles sei unwirklich und ein wunderbarer Traum. Sie
aber erzählte von dem Leben in diesen Wäldern, die schon am Morgen zu
ihr ins Bett hereinrauschten und sie Tochter nannten, von ihrer guten
alten Mutter und den Männern, die öfter zu ihnen nach Rgotina kamen und
sich um sie bewarben. Aber keiner habe das Gottnahe, das sie bei einem
beseelten Menschen brauche und suche. Sie sprachen alle vom Tage, von
Genüssen, die keine seien, von eitlen Dingen und Wünschen, und wüßten
gar nicht, wie oft Livia zu den selbstgefälligen Herren im stillen
sagte: »Ihr Tiere, ihr armen, eitlen Tiere!«

Tikosch aber, wie sie von Männern sprach, die sie begehrten, fühlte
ein dumpfes, banges Brennen in seinem Innern, und er begann sie, die
er kaum kannte, auch schon mit allen Schmerzen der Eifersucht und
Liebesangst zu verlieren. Ob sie nicht auch über ihn, der bisher
gedankenlos in den Tag hineingelebt hatte, im geheimen sagen müßte:
»Du Tier«? Er fragte sie mit ehrlicher Besorgnis darüber aus und tat
das in so unbeholfenen Worten, daß sie ihn gut und warm ansah und
antwortete:

»Nein, denn Sie sind zwar noch nicht das, was ich von einem Mann
erwarte, aber auch nicht, was jene leider rettungslos schon geworden
sind. Sie sind ein Kind und stehen noch am Scheidewege.«

»Dann lehren Sie mich,« sagte der junge Mensch, »denn Sie sind viel
gescheiter als ich. Wenn Sie mich nur nicht verachten, dann ist schon
vieles gut.«

Er griff nach ihrer Hand, sie ließ sie ihm, und als er sie bat, weiter
von sich zu erzählen, tat sie es in ihrer ruhigen, ernsten Art, ohne
zu wissen, wie er immer nur sie ansah und ihre große Schönheit ermaß.
Auf diese Weise wußte er oft gar nicht, was sie sagte, sondern war bloß
bemüht, möglichst viel von dem dunklen und tonreichen Klange ihrer
Altstimme in sich zu saugen.

Als sie endlich merkte, wie dürstend er sie ansah, brach sie sogleich
auf, ließ sich aber von ihm ein Stück begleiten und versprach ihm, bald
wiederzukommen.




Es kamen nun Tage, die er nie und nimmer zu Ende gehen lassen mochte.
Livia saß beinahe alle Abend an seinem Feuer, und einmal, als Sturm
im Walde war, kam sie sogar zu ihm in das Zelt, wo sie sehr nahe bei
ihm sitzen mußte. Als sie aber inne ward, wie er zu zittern und heiser
zu werden begann, stand sie entschlossen auf und ging, während er
in seinem verlassenen Wüstenheim auf die Stelle hinstürzte, wo sie
gelehnt hatte, und sein Antlitz unter leidenschaftlichen Rufen und
Bitten und Fragen dort eingrub, wo noch Wärme von ihr war. Der Einsame
liebte sie seit dem ersten Abende aus allen Kräften und ahnte, daß er
sie für immer verscheuchen würde, wenn er ihr das sagte. Denn da sie
ihm geistig überlegen war, glaubte er nie und nimmer, daß sie zu ihm
herabsteigen könnte. Jede Anspielung, wie schön sie sei, schnitt sie
kurz entzwei und sagte ihm: »Dazu bin ich nicht bei Ihnen. Ich bin Ihre
Schwester, solange Sie verlassen sind. Es ist mir lieb, daß ich Ihnen
gefalle, aber wir werden in kurzer Zeit weit auseinander sein und uns
im Leben nicht mehr sehen. Trüben wir nicht diese lieben, traurigen
Herbsttage, wo jede Minute ein Abschiednehmen ist.«

Bei solchen Antworten wurde ihm bange und klamm in der Seele, und
hoffnungslos schaute er sich die göttlich-regelmäßigen Züge dieses
ernsten, großgeschnittenen Mädchenantlitzes an, das so gar keine
Schwäche und Fassungslosigkeit bergen wollte. Unerringbar sicher saß
sie neben ihm in der einsamsten der Waldnächte und fürchtete nichts, am
wenigsten sich selber!

Wenn er nun an den grellen Herbsttagen allein über den Wäldern war
und das weite, feindliche und doch so schöne Land in silberner
Unendlichkeit rings unter ihm lag, da ahnte er die wehe Schönheit
seines Daseins, von dem er immer noch nicht wußte, wie es enden! Denn
er wollte nicht aus dem Lande fliehen, ohne seine Aufgabe getan zu
haben. Manchmal dachte er daran, daß Livia, deren Landsitz nahe bei der
bewußten Timokbrücke lag, ihm helfen könnte. Aber dann sah er wieder
ein, daß er das Mädchen weder in ein solches Geheimnis ziehen, noch es
mit ins Verderben reißen durfte. So saß er und sann in den immer bunter
werdenden Herbst hinein.

Das Gebirge dort ist voll wunderbarer Gegensätze. Die Höhen des Stol
und der benachbarten Golobinje Planina sind karstig, die Abhänge mit
wirren, wilden Wäldern in der Bergabfolge von Fichte, Buche, Eiche,
dann Edelkastanien und Nußbäumen. Unsagbar einsam und fast gar nicht
besiedelt sind diese Berge, von denen das Volk fabelt, sie seien voll
Alben und Vilen -- bösen Feen, die keinen Menschen in ihr unberührtes
Reich eindringen lassen. Der Wanderer, der gezwungen über die Höhen
muß, wagt kaum laut zu atmen. Denn wenn er seine Stimme erhöbe oder
gar sänge, dann schlagen ihn die Feen der Wälder mit Blindheit, und
er kommt nie aus den Irrnissen dieser gefeiten Höhen heraus. Findet
er aber, ein armer, tastender Blinder, dennoch wieder den Weg aus dem
Elfenbann ins Tal, so bringt er von dort oben die Gabe der Dichtkunst
mit und kann als Guslar, als wandernder Rhapsode, von dem singen, was
seine Augen dort oben zum letzten Male Wunderbares gesehen.

Davon hatte Livia dem jungen Manne erzählt, und dieser sah jetzt
mit immer größer werdender Ergriffenheit über dieses stille Reich
der Farben, der Fernen und der Geheimnisse. Er selber kam sich
wie verzaubert vor, und sein Herz brannte in Schönheit und in
Abschiedsschmerzen wie diese Wälder. Es war wunderschön, hier nahe am
Tode, nahe an Gott zu lieben und zu wissen: all dieses ist vergeblich.
Er mußte mit dem sanften Mitleide des Mädchens vorliebnehmen, das er
vielleicht bald zum letzten Male gesehen haben würde, aber alles das
war so rein, so ferne, so verklärt, daß in ihm und um ihn Schönheit war.

Diese seltsame Liebe war ihm gerade so recht, wie sie war: mit ihrem
reißenden Weh, mit ihrer wissenden Vergeblichkeit, mit der Ahnung
ihres Endes und mit der stillen Gebethaftigkeit ihrer Träume. Er hatte
immer auf die Weiber herabgesehen; diese kam ihm wie eine Göttin vor,
die man nicht freien kann, und von der er gern Rat und Lehre nahm. Ihre
antik schönen Glieder gehörten in einen Tempel, und die häßliche, immer
gleiche Niederlage des Mädchenstolzes anderer griff nicht an ihre hohe,
reine Ruhe.

Einmal lobte sie mit leisen Worten seine Zurückhaltung. Da sagte er:
»Meine Livia, ich weiß, daß ich nicht an Sie heranreiche, und daß ich
Ihrer nicht wert bin. Lassen Sie lieber mich selber das sagen, ehe Sie
es mir andeuten.«

Das Mädchen lächelte. »Sie werden Frauen genug besessen haben, um sich
durch die Ruhe meines Herzens nicht gedemütigt zu fühlen.«

»Die Weiber, die ich errungen hab', die haben mich nie stolz machen
können. Und alle, deren Liebe mich hätte erheben können, grad' die
haben mich nie mögen,« sagte er traurig. »Ich weiß nicht, woran das
liegt; vielleicht weil ich immer alles dran gesetzt hab', nichts
anderes zu sein als ein famoser Viehskerl. Die tollsten Streich', die
ärgsten Raufereien, die halsbrechendsten Ritt' und die gewagtesten
Flüg' hab' immer ich machen wollen. So ist mir weder Zeit noch Lust für
die Versenkung geblieben in diese Dinge des Innern. Die Weiber, die mir
in großer Zahl und stürmisch Beifall geklatscht haben, denen war ich
zwar der vollkommenste von allen Männern, aber sie selber waren die
unvollkommensten von allen Weibern. Schön, o ja, das waren sie schon,
und rassig! Aber da und da« (er schlug sich auf Kopf und Herz) »nix!«

Und er erzählte ihr von dem blonden, kindlich aussehenden Mädchen,
das Margit hieß und ein heiteres kleines Ding schien, das man nur so
mit einem Finger mitzunehmen brauchte. An einem Tanzabend hatte er
getrunken, wie es bei ihnen allen eben Brauch war, und da wollte sie
nicht mit ihm zum Tschardasch antreten. Er nahm sie gewaltsam an der
Hand und sagte: »Nicht nur für diesen Tanz, sondern fürs ganze Leben
laß ich dich nicht mehr los.« Da hatte ihm das kleine Ding geantwortet:
»Ihnen und allen andern kommt dieser Antrag vielleicht als Ehre vor,
die Sie mir erweisen, und deshalb danke ich Ihnen aus ganzem Herzen
für Ihre gute Absicht. Aber mit Reiten und Trinken allein ist mir
nicht gedient. Sie haben mich beleidigt, indem Sie mich so rüde an
der Hand halten und reißen, und ich kann mich Ihnen jetzt nicht ohne
peinliches Aufsehen entziehen. Ich werde also mit Ihnen tanzen, Herr
Leutnant, um der Uniform, die Sie tragen, und Ihrem mutigen und geraden
Wesen die Ehre zu erweisen, die Sie verdienen. Dann aber werde ich den
Ballsaal verlassen, und Sie werden gestatten, daß mich der Mann führen
darf, für den sich mein Herz und meine Achtung entschieden haben. Und
Sie werden so ritterlich sein, keine Rache an ihm zu nehmen.« Und als
er vor dem Blick ihrer ruhigen, blauen Augen und solchen Worten auf
den Tanz gänzlich verzichtete, war sie freundlich dankend mit dem
stillsten Wasser der Garnison, einem unscheinbaren, blonden, schwachen
Schullehrer davongegangen. »Und wer weiß,« schloß er wehmütig, »wie der
Mann aussehen wird den Sie mir vorziehen werden ...«

»Ich ziehe Ihnen niemanden vor,« sagte Livia ruhig. »Sie sind mir der
liebste Mensch, den ich je gesehen habe, und wie oft mich eine tiefe
Rührung überkommt, wenn ich aus dem Fenster in Ihre Bergeinsamkeit
hinaufschaue und Sie dort oben ausgeliefert, aber mutig weiß, das mag
ich Ihnen nicht vorzählen. Aber ich habe stets ein Gefühl, so zwischen
Mutter und Schwester, wenn ich bei Ihnen bin. Wenn Sie damit zufrieden
sein können, so mache ich Ihnen einen Vorschlag. Ich werde jetzt bald
zur Mutter nach Rgotina hinunter müssen. Nur Ihnen zuliebe bin ich hier
oben geblieben, und solange der Herbst schön ist, bleibe ich auch da.
Aber mein Wort bindet mich, mit dem ersten bösen Wetter zur Mutter zu
kommen. Im Hause selbst kann ich Sie dort nicht verstecken. Aber ich
kann Sie zu Gefährten bringen, wenn Ihnen die nicht gar zu bedenklich
sind,« fuhr sie fort und lächelte in sich hinein. »Sie sind nicht der
einzige Schützling, den wir in diesen Tagen vor der serbischen Wildheit
schützen müssen. Da sind drei arme Handwerksburschen aus Ihrem und
aus dem deutschen Lande, denen wir auf eine Weise Unterschlupf gegeben
haben, die uns nicht bloßstellt, wenn man die armen Kerle ja aufgreifen
sollte. Sie haben ein Lager, das ganz dem Ihren ähnlich ist, nur in
reicherer und gütigerer Lage; dort warten sie, bis das Land hier herum
von den Österreichern besetzt ist oder eine andere Gelegenheit sich
bietet, um ungefährdet zu entfliehen. Denn Geld, mit dem sie sich
vielleicht durchschlagen könnten, haben weder sie noch ich selber!«

Tikosch hörte nur mit halbem Ohr auf ihren Vorschlag. Alles, was er
deutlich wußte, war die Abweisung seiner Liebe, und als sie ihn fragte,
ob er ihren Plan gut fände, da sagte er kalt: »Ich bleibe hier oben.«

Traurig wandte sie sich zum Gehen. »Ich kann nicht anders,« sagte sie
leise. »Verzeihen Sie mir.« Und sie schritt durch das Dickicht, indem
sie den herrlichen Leib durch die Ranken bog und wand. Er sah ihr nach,
und das Herz sott und brühte in ihm vor Weh und wild anspringendem
Zorne.

»Kaltes, langweiliges Laster, geh zum Teufel!« entfuhr es ihm im
ersten Zorne mit dem alten Reiterton, den er längst abgetan zu haben
glaubte. Aber als die Büsche nicht mehr knackten und die unsägliche
Bergeinsamkeit ihn wieder in ihre Arme geschlossen hatte, da schrie
und betete seine Seele ihr nach und er nannte sie, in jugendhafter
Erinnerung, Pallas Athene und Schutzgöttin. Sie aber kam nicht wieder.




Es ging ein Tag um den andern in leuchtender Gleichheit dahin. Tikosch
schoß mit seinem Vorderlader das Wild der Planinen und der Wälder und
sagte zu dem Gewehre: »Knall', knall', meine Flinte, daß dich die
Herrin hört und sagt: Er grüßt mich! Und wenn sie es nicht hören will,
so bring' mir die Serbenhunde auf den Hals, ein Dutzend und mehr, damit
ich mich wehren kann wie ein hauendes Schwein! Nur vergessen, wie stolz
und schlank und schön das Mädel ist, das verhexte, verruchte!«

Und er weinte vor Wut und Scham, verschmäht zu sein.

Dann wieder zog die endlose Weichheit des Gottes dieser stillen Höhen
in seine Seele ein, und er litt in einer wehen Süßigkeit dahin, wie er
sie nie gekannt hatte. Alles schien ihm schön, und sein Leid war ihm
rasend lieb. Es strömte ein Seufzen und Klagen unablässig, still und
köstlich aus seiner Wunde, so wie Honig aus reifen und vollen Waben
rinnt. Und der über alles Singen und Sagen goldene Herbst sah ihm zu
und stimmte ihn wie ein göttlicher Sänger seine Harfe.

Er kam sich vor wie der einzige Mensch auf Erden; allein mit der
Natur, rings um sich Tiefe und Tod. Blieb er hier oben, so war es ein
beständiges Verbluten, aber Gott sang immer reiner sein ewiges Lied
in ihm. Er begriff nun, wie Livia die Bäume und Felsen Geschwister
nennen konnte; ihm waren sie es auch geworden, und ihnen erzählte er
sein Leid. Wunderbar gütig hielten die Bäume zu ihm, die er umschlang
und ihnen sagte, was er Livia nicht sagen durfte; ihre Rinde bewahrte
ihren Namen wohl zehn- und zwölfmal. Das sanfte Rauschen ihrer Zweige
sprach mit ihm, das Fallen, Fliegen und Treiben ihrer Blätter rief ihm
zu: »Sieh her, auch wir verlieren unser Schönstes und Liebstes.« Und
das Stöhnen der Äste, wenn Sturm im Walde war, schrie wie mit seiner
eigenen Stimme zu Gott: »Warum hast Du mich verlassen?« So wuchs er
in unsagbarem Weh und ansaugender Liebe in diese ferne, verschollene
Welt hinein, und oft überraschte ihn der Gedanke: »Hier möchte ich mein
Leben verbringen.«

Die Fernen waren immer noch silbrig, der Himmel strahlte in Gold
und Blau, und weithin sah man ins angstvoll stille Land, in dem
Kriegssorge wohnte. Da mußte Livia noch unten im Waldhause sein, und
er sandte der Nahen und endlos Fernen seine wundesten Grüße über die
Baumwipfel hinab. Dann aber, eines Nachts, als um Sonnenuntergang das
Abendrot gebrannt hatte wie das zerrissene Herz Gottes, als die Fernen
schmerzlich scharf und rein ringsum herübergeschaut hatten, da kam
ein hochherrlich warmer Sturm über die Wälder und raubte ihnen mit
lachender, johlender Gewalttat Milliarden von Blättern. Es brauste
wie die Orgel des ersten Gottesdienstes nach Weltuntergang, wenn die
Entsetzten und Erlösten das »Herrgott, wir loben Dich« anstimmen
müssen. Die gewaltigen Äste hagelten dicht um das Versteck, unter dem
sich Tikosch zu ducken versuchte. Aber da sein Herz von dem Aufruhr
angesteckt wurde, litt es ihn nicht in der dumpfen Luft seiner
unterirdischen Hütte, und er trat mit offener Brust in den kämpfenden
Wald und sang und schrie mit. Es machte ihn wie toll, daß er wieder
schreien, schreien konnte, er, der so lange still gewesen war und nicht
mucken durfte.

In der Sturmnacht hörte ihn niemand, und wie ein frecher Knabe aus
sicherer Ferne schrie er wilde Kriegsworte und Herausforderungen ins
serbische Land hinunter, forderte er Gott heraus, ihn mit einem Blitz
zu zerspellen, und sprang lautlachend zur Seite, als ein Baum sich
neben ihm wie ein niederkniender Beter neigte und dem Herrn der Wälder
krachend zu Füßen sank.

»Hoho, er reagiert,« schrie Tikosch, »er hat mich gehört und gibt mir
einen Deuter, der ewig hochmütige Schweigsame!« Er war wie toll; der
Aufruhr des Himmels und der Wälder steckte ihn an wie eine Carmagnole
des Satans, und so schrie und tanzte er aus dem Walde auf die felsige
Blöße hinaus, juchte die gehetzten Wolken an wie der wilde Jäger sein
Schattenwild und wünschte nichts mehr und sehnlicher, als daß die alte
Sage zu dieser Stunde wahr würde und der verdammte Hackelberg da oben
über die Wipfel käme und ihn mitnähme! Den Reiter und Flieger, für
den auf Erden keine Liebe wuchs, und der gern verdammt wäre zu ewigem
Hetzen in der Luft, immer nur mit Hunden und Pferden und Raubvögeln, zu
denen er ja gehören mußte!

Endlich war er müde geworden, und lachend über seine eigene Tollheit
und doch mit beschämtem und wundem Herzen suchte er seine überzeltete
Erdhütte auf.

Die ersten, schweren Tropfen, mit Hagelgeschossen untermischt, schlugen
gerade auf ihn hernieder wie Hetzpeitschenhiebe. Ungeheuer prasselte
der Regen über sein Dach herab, hob und blähte es, riß daran und schlug
seine nassen Schauer bis hinein. Da verkroch sich Tikosch fröstelnd
in seinen Schlafsack und horchte lange, lange auf das Schauern,
Sturmheulen und Anschlagen der Wolkenbruchsaat an sein leichtes Zelt.

Am andern Tage geschah etwas Wunderbares. Er mußte spät eingeschlafen
und so übermüdet sein, daß er es gar nicht hörte, wie jemand durch den
Tunnel im Gebüsche bis an seine Behausung kam. Livia hatte schon die
Zeltwand zurückgeschlagen und sah zu ihm herein, als er, geblendet vom
blaßgrauen Regenhimmel, erwachte und im Erkennen des schönen Mädchens
regungslos liegen blieb, als wollte er ein Wunder nicht stören und
zerstieben machen.

Aber Livia begann zu sprechen: »Ich habe Sorge um Sie gehabt in dieser
schrecklichen Nacht, die die letzte war, die ich hier oben verbringen
durfte. Ich bringe Ihnen zum Abschied noch alles, was Ihnen an Nahrung
dienlich sein kann, und wenn Sie Ihren halsstarrigen Entschluß ändern
wollten, so habe ich Ihnen auf dieser Karte mit einem roten Strich den
Weg bezeichnet, auf dem Sie in der Nacht unbemerkt bis nach Rgotina
kommen können. Nein, bleiben Sie liegen, ich muß wieder gehen. Gott sei
mit Ihnen, und seien Sie vernünftig!«

Sie beugte sich zu dem jungen Menschen, der erschreckt stillhielt, und
küßte ihn auf die Stirne.

»Lebwohl, mein Bruder,« sagte sie leise. Dann war sie auf und fort.

Und im Walde war Regen; grauer, eintöniger Regen, der so still über
dem Lande hinging, daß nicht einmal die Nebel, die naßschauernd über
die Kämme des Stol und der Planina zogen, lebhafter wanderten. Es war
ein müder, träger Luftzug, der sie trug. Sonst pfiff es immer auf
diesen karstigen Höhen, jetzt langweilten sich die Wolken unschlüssig
dort umher und weinten, weinten um den Sommer, der tot war. Ein Tag
war wie der andere, und die Wildtauben waren fort; der Waldhase
lag melancholisch in seiner Sasse, und kein Reh schritt durch die
triefenden Wälder. Immer war es gleich, und wie ein zwecklos trödelnder
Mensch mit den Fingern an hoffnungslosen Fensterscheiben, so trommelte
tagaus, tagein der Regen auf die Plache des Zeltdaches, bis sie
regelmäßige Tropfenzeilen und Regenfäden da und dort durchließ, die ihm
die Erde feuchteten, auf der sein Lager war.

»Gott kann sich sehr versagen,« dachte Tikosch in der Sprache
des schönen, abgewanderten Mädchens. Und alles in ihm war bange,
hoffnungslos und grau wie diese nutzlosen Tage.

Endlich ward ihm der Regen und die Verschleierung der ganzen kleinen
Welt, die ihm zur Verfügung stand, zu viel, und er bedachte, daß er von
der Höhe des Stol aus die Timokbrücke nicht sprengen konnte.

Es mußte sich doch eine Möglichkeit finden, in der schmerzlichen, aber
dennoch beseligenden Nähe Liviens weilen zu können. Er konnte auch
dabei die gute Gelegenheit, seine Sprengbüchse zärtlich an die Brücke
zu binden, wahrnehmen. Nur Livia durfte dabei nicht, wie sie sich
auszudrücken pflegte, »bloßgestellt« werden. Er dachte an das bei dem
Mädchen seltene Lachen, mit dem sie von der Gesellschaft erzählte, der
er sich hätte anschließen sollen, und mutmaßte ein paar versprengte
österreichische Soldaten oder Deserteure, die er vielleicht durch seine
Tatkraft dem lieben Vaterlande zurückgewinnen, ja wohl gar mit ihnen
Großes vollbringen könnte!

Dieser Gedanke, mit ein paar verwegenen Kerlen nach Betyarenart auf
eigene Faust Krieg zu führen, machte ihn ganz heiß vor Freude, und für
den Augenblick wenigstens war alle Weichheit und aller pantheistische
Dusel der letzten verliebten Tage von ihm abgefallen. Er glühte und
plante. Ah, Bandenführer sein, das wäre herrlich!




Die Gegend von Rgotina gehört zu den schönsten und fruchtbarsten
Serbiens, und wenn auch der Wein, der zwischen Metopnica und Zajetschar
wächst, nicht an den von Negotin herankam, so ist es doch ein gutes
Land. Von Bor und Brestowatsch her geht die Bahn, die Serbien mit
Kohle versorgt, und die Ausläufer des Stol und des Veliki Krisch
tragen über der Weinregion Wälder von Edelkastanien in unermeßlicher
Fruchtbarkeit. Dort sind große Besitze, welche die herrliche Waldfrucht
nur als Mast für Borstenvieh benützen, und wie in den Eichenwäldern
des nördlichen Serbiens werden hier die Schweine im Herbst in die
Edelkastanienwälder getrieben, um sich einen Ranzen anzufressen. Sind
die herrlichen Bäume alt und fruchtarm geworden, so werden Bestände
von oft riesiger Ausdehnung auf einmal abgeholzt. Nur ein paar
früchtereichere Bäume bleiben als Überständer zur Samenaufzucht stehen.
Mit der hat es übrigens keine große Not, denn die Edelkastanie, an
Form, Laub und Frucht schon der König aller europäischen Waldbäume, ist
es auch dadurch, weil sie in buchstäblichem Sinne genommen unsterblich
ist. Ihre Triebkraft ist bei gutem Boden so ungeheuer, daß rings
um den abgesägten Wurzelstock in gedrängter Menge die Stockloden
wieder austreiben, die zuerst ein wucherndes Gestrüpp und dann, sich
ineinander schließend, wieder Bäume bilden, deren jeder aus fünf oder
sechs ineinander wachsenden Einzelbäumen besteht. Dieser Vorgang
erklärt die ungeheure Dicke vieler alter Edelkastanien, deren stets
hohler Kern an Stelle des gefallenen Mutterbaumes steht. Oft wohnen
ganze Zigeunerfamilien in solch hohlen Riesenbäumen, die ihnen ein
Zimmer von vier und fünf Meter Durchmesser bieten; die Küche wird dann
angesetzt und vorgebaut, und die Nahrung liefert der gesegnete Baum
gleich selber dazu.

Bei dem üppigen Wuchse dieser Bäume und den ungeheuren Besitzen jener
Gegend gibt es dort Kahlschläge von dreihundert Joch Grundfläche, die
sich in wenigen Jahren mit dem drei bis vier Meter hohen Gewucher
der Stockloden bedecken, die unübersehbar und undurchdringlich
zusammenwachsen und für alle Wesen, die auf Erden verfolgt sind, eine
Schutzwildnis bilden, die ein Entdecktwerden unmöglich macht. Solch
eine Waldwirrnis hatten die Brüder Ternaveanu auf dem Gewissen. Als
sie einst in Monte Carlo Geld brauchten, schlugen sie einen Maronenwald
von über fünfhundert Morgen nieder, ließen das Holz den Timok abwärts
in die Donau schwimmen und verkauften es an der unteren Donau als Faß-,
Bau- und Brennholz recht gut. Nun stand ein Gebiet, das in Stunden
nicht umkreist werden konnte, seit über einem Jahrzehnt im üppigen
Nachwuchern der Stockloden, in deren Wirrsal niemand eindringen konnte.
Ringsum war Hochwald, und gegen Trnawatsch, das ein Dorf am Timokufer
ist, begann der Sumpf.

Dorthin zog jetzt Tikosch, hochbepackt wie ein Hausierer, und es war
ein Nachtmarsch auf Leben und Tod. Denn er hatte seine Bomben und
Sprengbüchsen neben seinen Vorräten und Waffen nicht liegen lassen
wollen. Von der ungeheuren Kastaniendickung hatte er durch Livia genaue
Kenntnis, und nach fünfstündigem Nachtmarsche und übermenschlicher
Anstrengung erreichte er den Berg über Rgotina. Auf dem ganzen Saumwege
von diesem Orte über die Luka war ihm niemand begegnet. Denn die
abergläubischen Slawen fürchten die Nacht in den Wäldern wie kleine
Kinder, und oft geschieht es, daß sogar Gendarmen entsetzt mitten aus
einem Patrouillengange zurückflüchten, weil sie eine Waldfee, eine
Vila, im Walde leuchten gesehen hatten: ein Strunk faulen Holzes!

Es graute schon, als Tikosch nach Livias genauer Zeichnung die
Kastaniendickung fand, deren Eingang sie ihm sorgfältig nach geheimen
Zeichen an ein paar auffälligen Überständen beschrieben hatte. Aber
es wurde beinahe Tag, und er verzweifelte schon fast an der Güte und
Treue des Mädchens, bis er endlich in das ungeheuerliche Gewirre
dieser südländischen Waldesfruchtbarkeit hineinfand. Langsam und mit
katzenartiger Vorsicht, überall auf Verrat gefaßt, schlich er den
schmalen Pfad unter den Wedeln der Stockausschläge vorwärts, die oft
höher waren als ein eingeschossiges Haus.

Lange, lange war nichts als dichte, braune und gelbgrüne Wildnis.
Er glaubte sich verirrt und stieg auf einen der Überständer, eine
herrliche Buche, deren gewaltiges Astwerk schon nahe am Boden begann,
wie an einem Baume aus den Tropen. Denn der Wald durfte nicht ganz
eintönig aus Kastanien wiedergebaut sein. In mäßiger Höhe schon
gewahrte Tikosch ein kleines Rauchfädlein aus dem lederbraunen Gewirre
der herbstfarbenen Blätterwildnis auftänzeln. Da der zarte und
vorsichtige Rauch gerade gegen die aufgehende Sonne zu emporkräuselte,
hatte er leichte Orientierung und pirschte sich in ungemeiner Vorsicht
näher.

Jetzt entschied sich vielleicht sein ganzes Leben. An der Treue
Liviens zweifelte er in diesem Augenblicke zwar nicht mehr. Aber
wen und was er hier finden würde, das zog ihm das Herz zusammen.
Kannte denn Livia die Gesellen, über die sie kaum ein paar ironische
und vorsichtige Worte verloren hatte? Tikosch betete, daß die neuen
Freunde, zu denen er stoßen wollte, nur um Gottes willen kein Prinzip
haben möchten; dann wollte er sie schon lenken und überreden. Aber wenn
da irgendwelche politische Fanatiker am Lagerfeuer saßen, dann ging
es ihm nicht gut. Nur keine Serben, nur keine Mazedonier, nur keine
Russophilen, griechische Christen, kurz, nur keine irgendwie gearteten
Programmmenschen! Sonst war er verloren, denn Fanatiker für Österreich
durfte er hier nicht erwarten. »Herrgott,« betete er, »gib, daß es
vollendete, ganz charakterlose Haderlumpen sind, mit denen du mich hier
zusammenführst! Die stehen, für mich wenigstens, dem Menschentum in
Tagen, wie diese sind, am nächsten!«

Dann begann er, über eine kleine Lichtung zu spähen, die sich im
Gestrüppe vor ihm aufzutun schien, und in deren Mitte ein mächtiger
Kastanienbaum stand.

Man stritt in leisen Worten dort.

»Scheckensimon, steig wieder auf den Baum!«

»Nee, 'ck will erst nochmal 'ne Grock.«

»Woher willst denn nacher den Rum kriegen?«

»Wir fangen ins 's serbischen Transport wech.«

»Wenn du so viel säufst, Scheckensimon,« sagte eine unermeßlich sanfte
Stimme, »so kommst du nicht mehr auf unsern Bergfried hinauf; aber
wenn du infolge des Glückes aller Betrunkenen dennoch hinaufkämest,
so schliefest du da oben ein. Geh, wir sind milde genug mit dem
Wachdienst. Bei jeder anderen Partei würdest du erschossen. Um unserer
Sicherheit willen, Scheckensimon!«

Tikosch hatte genug gehört und gesehen, um Vertrauen zu haben.
Das waren: ein Österreicher, der Aussprache nach ein Tiroler, ein
Norddeutscher und ein etwas verkommener Gebildeter, der Hochdeutsch
sprach. Mit denen ließ sich paktieren.

»Kinder, der Scheckensimon gehört auf den Baum, aber an einen Strick,«
sagte er gemütlich und durchbrach das Gestrüpp, indem er den drei
blaublaß gewordenen Kerlen freundlich entgegentrat. Sie standen
entseelt und mißfarbig wie gerupfte Hühner vor ihm. »Ist das eine
saumäßige Unvorsichtigkeit!« schalt Tikosch auf sie ein. »Hat keiner
von euch eine Autorität vor den andern!«

»Wollten wa uns ausbitten,« knurrte Scheckensimon, der seine Haltung
bei den freundlichen Scheltworten wiedergewann. »Wir sind 'ne
Republike.«

Tikosch lachte und fragte mit dem alten Zauberworte: »Kunde?«

»Kenn's, kenn,« sagten alle drei auftauend und in fragender, banger
Freude! Teurer Heimatlaut, Handwerksgruß der Nichtstuer, Kennzeichen
aller Freiesten der Freien, aller, die nichts und doch alles besitzen,
aller Walzenbrüder und Wanderphilosophen, die zwar der Bürger wenig
liebt, die aber der Heiland des Ur- und Wanderchristentums insonderheit
in sein Herz geschlossen zu haben schien!

»Na,« sagte der Leutnant, »mit der Schlamperei in eurem Wachdienst muß
das ein End' nehmen, sonst kommen wir alle viere an den Galgen!«

»Alle viere!« Mit Brudergefühlen, die bei diesem Worte rascher
erwachten, als es sonst wohl der Fall gewesen sein würde, sahen die
drei Vagabunden den seltsamen Neuling an. Auch er musterte sie, als er
ihnen die Hände reichte, und sagte:

»Ich bin der Aviatiker.«

Tikosch wußte, daß diese Herren alle einen Künstlernamen zu tragen
pflegten, weil sie ihren eigenen durch häufigen Mißbrauch meistens ein
wenig in Mißkredit gebracht hatten.

»Nanu, Aviatiker,« sagte der Norddeutsche, »woll aus'm Zuchthaus
ausgeflogen?«

Tikosch, dem der Vorrat rotwelscher Worte nicht sehr reichlich floß,
und der einsah, daß er nur das Mißtrauen der dreie ernten würde, wenn
er seine Stellung als Tippelkunde würde festhalten wollen, besann sich
einen Augenblick. In der Lage, in der er sich befand, mußte Vertrauen
gegen Vertrauen stehen, und der lustige Ungar, dem ohnedies immer das
Herz auf der Zunge lag, schwankte nicht lange.

»Hört also,« sagte er zu den dreien. »Ich will euch meine ganze
Geschicht' wahrhaftig erzählen. Vor allem also: das Fräulein Ternaveanu
hat mir den Weg zu euch ang'sagt.«

»Alle Wetter,« sagte der Scheckensimon und lud ihn freundlich ein, am
Feuer Platz zu nehmen. Dann stellte er dem Leutnant sich und seine
Freunde vor.

»Wenn der Herr ein Spion ist,« sagte er, »so kann er nicht mehr
erraten, als er schon erspäht hat, nämlich daß wir existieren. Sonst
haben wir keiner was andres auf dem Ehrenschild als einen kleinen
Einbruch in'n Weinkeller; und wir sind freie Männer, und bei jetzigen
Zeitläuften wollen wa's auch bleiben. Da seine deutsche Sprache uns
sagt, daß er uns kaum unter die serbischen Soldaten stecken wollen
wird, so kann der Aviatiker ruhig wissen, wer und was wir sind. Also,
und denn!«

So machte Tikosch jetzt die denkwürdige Bekanntschaft dreier
außerordentlich freier Männer mitten in einer Zeit, da sogar die
Republikaner sehr stark zu Botmäßigkeit neigten. Der scheckige Simon
war ein Schuster aus der hannöverschen Gegend, und seinen Namen hatte
er sichtlich von der gefleckten Farbe seiner Haut, die eine Zeichnung
aufwies wie das schönste Reptil. Er war untersetzt, etwas wohlbeleibt,
frech und behäbig zugleich, mit einem gutmütig spottenden Schmunzeln
um den Mund. Er beteuerte, nur Umstände halber in Serbien zu sein,
da ihn der Krieg hier überrascht hätte. Er würde aber für diesmal
und ausnahmsweise, wenn sich eine Gelegenheit böte, doch lieber nach
Deutschland zu seiner Truppe einrücken, selbst wenn er dort Schuhe
machen müßte, einen Beruf, den er nur in größter Notlage ausübte.

»Aber wa könn' auch mit der Schieße umgehen, und Männer wie ich hat
mein Vaterland nötich,« sagte er stolz und streichelte das Gewehr
des Tikosch. »Das is'nn Vorderlader,« sagte er. »So'nn hatten die
Österreicher Anno sechsundsechzig, und drum verloren sie ihre Chose.
Wir ha'm das Mauser mit Muster +S+!«

Der zweite hieß der Schlampenschneider und war ein Tiroler, dem
alles recht und alles gleichgültig war, wenn er nur zu essen und zu
trinken hatte. Im übrigen war dieser Mensch von einer Zähigkeit und
Wetterhärte wie das Wild auf der Höh'. Er konnte im Regen schlafen
und dreimal des Tages in seinen Kleidern naß werden und wieder darin
trocknen, ohne daß er fror oder sich erkältete. Er war gutmütig und
wußte auf die Frage des Tikosch, warum er nicht zur Truppe eingerückt
sei, nichts anderes zu sagen als: »Miar hat's halt nöt pascht.«

Der dritte aber, der nasse Heinrich, begann Tikosch bald am meisten zu
interessieren. Denn an die gleiche Frage, warum er nicht kämpfe, schloß
er eine so lückenlose Kette von Vernunftfolgerungen, daß Tikosch gleich
sah: hier war ein Philosoph von der Sorte, zu der er gerne in die Lehre
gegangen wäre!

Der nasse Heinrich war ein Schlesier aus dem Kuhländchen und sprach
ein ganz einwandfreies Deutsch, als er eine drollige Rede gegen den
Kriegsdienst und die Verkürzung menschlicher Freiheit hielt, die
ungefähr so ging:

»Erstens bin ich eine Intelligenz und sehe leider genau, was weiß
ist und was schwarz. Ob auch meine näheren und ferneren Vorgesetzten
Intelligenzen sind, das habe ich nach allen Beispielen, die ich bisher
in Erwägung ziehen konnte, sehr zu bezweifeln. Wie soll ich nun meinen
ganz lichten Willen und mein überhelles Hirn unter das Kommando eines
dumpferen Kopfes stellen, von dem ich vollkommen deutlich erkenne, wie
er mich sicher und unfehlbar in das große Heringspökelfaß führt, wo die
Granaten am dichtesten stille Leute machen? Nein; wenn schon gestorben
sein muß, dann auf eigene Fasson. Ich will wissen, warum und ob es sich
lohnt, ein so gescheites Dasein wie das meine aufzugeben.

Des weiteren habe ich gefunden, daß ein Leben recht die Mitte halten
muß zwischen besinnungsloser Streberei und Quietismus, wie das in
meinen Büchern heißt. Du mußt wissen, Aviatiker, daß ich viel lese.
Aber Quietismus, das ist besonnene Faulenzerei. Christus, Mohammed und
Buddha haben ihn zwar gepredigt, waren aber Orientalen. Wir Abendländer
können nun keine Ruhe geben, und da haben wir insoferne recht, als
Besonnenheit, wenn sie nicht auch praktisch geübt wird, keinen Wert
nicht hat. Was? Wo aber braucht es mehr praktischer Übung in der
Lebensführung, wo gibt's mehr Kampf, wo zeigt sich unsre Überlegenheit
besser, als in dem Berufe, dem die gesamte zivilisierte Welt wie ein
Mann als Feind gegenübersteht? In dem Berufe der Lilien auf dem Felde,
als welche wir uns darstellen! Wir Sonnenbrüder vom faulen Pelz, wir
von der Walze, wir müssen uns jede freie Stunde erhungern, erfechten,
erwandern, oft genug erstehlen. Natürlich halten das nur Leute aus,
die ihre eigenen Gedanken haben und an sich selber eine bessere
Gesellschaft haben, als die gesicherten Dutzend weisen Bürgerheringe an
ihren Stammtischen sie uns zu bieten vermögen.

Siehst du, Aviatiker: ich war bestallter Schulmeister in Odrau, und ich
verließ den Ofen mit den gebratenen Äpfeln der Behaglichkeit darauf,
um mich in Sturm und Regenschauern umzutun. Ja. Denn da war ich stets
in der unmittelbaren Nähe Gottes. Wenn wir uns ein Feldfeuer anzünden,
dann erkennt Unsereiner, weiß der Himmel, daß es einen Gott des Feuers
gibt, und daß die Flamme heiliges Leben in Essenz enthält! Verstehst
du mich, Aviatiker? Nur das täglich schwer eroberte Leben ist der
Religion nahe! Ich bin in Italien gewesen und in Griechenland. Nur eine
Meinungsverschiedenheit meiner Gefährten hier hindert mich, mit ihnen
abermals den Himmel aufzusuchen, unter dem die Ölbäume wachsen. Es ist
da unten auch rauh und es stöbert der Schnee uns auch in Hellas recht
wüste um den Schafpelz, wie schon in der Odyssee zu lesen steht:


  Jetzo kam graulich die Nacht des verdunkelten Mondes und rastlos
  Regnete Zeus, laut sauste der West mit ergossenen Schauern!


Wie, Aviatiker, da staunst du! Kannst du die Odyssee auswendig? Nein,
armer Kerl, hab' ich mir gedacht. Da geht es wunderbar weiter, wie sie
im Felde frieren: die Griechen! Und wie Odysseus beinahe vor Frost zu
sterben meint, bis er sich durch eine List 'nen Mantel verschafft. Ich
habe schon in den verlassenen Heiligtümern des Äolos und des Apollon
geschlafen. Ich, der erste Mensch seit dritthalbtausend Jahren, der
die Götter erkennt und gläubigen Herzens zu ihnen betet! Draußen
herum heulte Boreas seine Wut über die götterlosen Menschen, aber mir
wehte er Blätter über Blätter in den Steinrund herein zum Schutze,
und wenn sich die Oliven knarrend bogen, fröstelte meine Seele in der
wonnigen Erkenntnis, wie nahe ich den alten Göttern sei. Oh, oh, die
alten Götter, die alle noch da sind, die aber ein immer naturferneres,
stupides Menschengeschlecht zu begreifen verlernt hat!

Und jetzt wollen wir ans Frühstück.«

Der nasse Heinrich brachte einen schwärzlichen Klumpen aus dem Feuer
vor sich und zerschlug ihn. Es war Lehm, in den er Fleisch geknetet
hatte, das mit Fett umwickelt war und nun in der hartgebrannten Kruste
rosig und in all seinem Safte geblieben war.

»Scheckensimon, die Flasche!«

Und mit ernstem Gesichte weihte der nasse Heinrich die ersten Tropfen
eines ganz ausgezeichneten Pflaumenbranntweins seinen Lieblingsgöttern,
dem Phöbus, dem Pan und dem Äolos. Dann begann ein herrliches
Frühstück, und dem Offizier war ganz wunderbar zumute, den närrischen,
davongelaufenen Schulmeister hier in Feindesland so unbekümmert zu
finden, als gäbe es keine Staaten und keinen Weltkrieg und keine
wackligen Zivilisationsdogmen.

»Die Kultur ist nur mehr bei unsereins, und die Staaten erkenne ich
seit dem Aufhören der Naturreligionen nicht an,« sagte der nasse
Heinrich.

Angelegentlich rückte der Leutnant zu dem Philosophen, auf den er ja
zwar lachend heruntersah, den er aber in einem Winkel seines Herzens
dennoch anregend, ja aufregend fand, und fragte ihn heimlich: »Sag'
mir, da du doch so sehr gebildet bist: Genügt dir denn der Umgang von
die zwei Kerl'n, die doch unter dir stehn, und zwar recht weit?«

»Da irrst du aber gehörig!« rief der nasse Heinrich. »Abgesehen
davon, daß mindestens der scheckige Simon ein großer Philosoph ist,
steht kein Mensch tief da, der alle Tage so nahe mit Gott zu tun hat
wie wir; denn der ist die Natur! Dazu haben wir eine oft sorgenvolle
und oft so freudige Interessengemeinschaft, daß wir uns endlos zu
unterhalten wissen und immer Gesprächsstoff haben, aber schon sehr
gehaltvollen! Kannst du sowas von irgendeiner Frau Pastor oder einem
Landesgerichtsrat auch behaupten? Wenn ja, dann muß er von seinen
Gaunern erzählen, die sind das einzige, was ihm von wahrem Leben
begegnet!«

Die Sonne fiel steigend auf das kleine Rund inmitten der tollwuchernden
Jungkastaniendickung, und behaglich grunzend lag der Scheckensimon
im warmen Gnadenlichte. Der Schlampenschneider hatte schweigend
gegessen und dem Aviatiker gutmütig die besten Bissen zugeschoben,
jetzt schlief er. Dem nassen Heinrich aber tat es wohl, seine Lehren
in ein dürstendes Gemüt zu versenken. Er saß am Feuer, eine Schnitte
Fleisch auf Brot gelegt in der mageren Hand, die dürftige Gestalt
zusammengekauert wie ein hockender Neger, das spitze Gesicht aufmerksam
und frisch, die Nase fröhlich in der Luft, die pfiffigen Äuglein hell
aufblitzend. Er hatte einen genialen Schwung, sich das lange, blonde
Haar, das ganz verwachsen und verwittert war, aus dem Gesicht zu
streichen, und schüttelte es gleich wieder wuschelköpfig hinein, wenn
er irgend was verneinte.

Tikosch sah den unscheinbaren und doch so zähen Gesellen belustigt
an, und ihm war wohl, wie schon lange nicht. Eine liebe, geborgene
Stimmung überkam ihn mit leichter Schläfrigkeit, und nur um was zu
sagen, fragte er noch, wie sich denn die Gesellen zu den Nachrichten
aus dem Norden stellten, und ob sie Sicheres über den Gang der Dinge da
oben wüßten.

»Was gehen uns die da oben an?« sagte der nasse Heinrich. »Die haben
uns außerhalb ihrer Gesetze gestellt, und wir haben sie dafür aus
unsern Herzen geschoben. Denn sie haben eine andere Seele, die mit
Kohle und Zement mehr zu tun hat, als gut und gottesmöglich ist. Alles
haben sie auf stupide Zahl und Maße hinauflizitiert, und nun sitzen sie
ja mitten drin in den Folgerungen ihres Massenwahnsinns. Jeder nimmt
heutzutage an dem heillosen Morden teil, ob er inneren Soldatenberuf
habe oder nicht, und so hocken sie und schießen und stürmen, ohne
persönliches Emporwachsen. Ja, ja, diese zehntägigen Schlachten, in
denen der einzelne nichts sein darf als eine kleine, kleine Ziffer!«

Der lange Simon gab ein Wort herüber. »Zehntägige Schlachten; das
macht, in einer modernen Schlacht messen sich nicht die Überlegenheiten
zweier Herrschernaturen, sondern die Angst zweier Feldherrn
voreinander.«

Mit einer Art belustigtem Respekt sah nun Tikosch zu dem Schuster
hinüber, während er über die drastische Kritik des Vagabunden lachen
mußte. »Ich möchte nich' Feldherr sein,« sagte der scheckige Simon
noch, gähnte und wollte gerade einschlafen, wie der vorbildliche
Schlampenschneider, als der nasse Heinrich sagte: »Halt, Simon! Unser
Gast wird jetzt noch, da er gegessen hat, nach antikem Gastrecht um
seinen Namen und Stand gefragt, damit wir über sein ferneres Schicksal
in unserem Kreise entscheiden können. Hör' zu, dann brauchen wir den
Schlampenschneider nicht in unserm Rate; er wird majorisiert.«

Und Tikosch setzte sich zurecht, wischte sich den ansteckenden Schlaf
wieder aus den Augen und erzählte offenherzig seine ganze Geschichte
bis auf den Umstand, daß er Leutnant war; denn der hätte verstimmend
wirken können. Sondern er sagte, daß er Feldwebel wäre.

»Tut nichts. Das sah ich aus deinem etwas hunnischen Habitus und
deiner geringen klassischen Bildung,« tröstete ihn der nasse Heinrich
freundlich. »Aber was nicht ist, kann noch werden. Es wird noch 'n ganz
brauchbarer Tippelkunde aus dir werden.«

Tikosch schämte sich ein wenig. Auch seine Neigung zur schönen Rumänin
verriet er nicht und sagte nur, daß sie ihn aus Mitleid gefüttert und
dann hierher geschickt hatte.

»Dann müssen wir'n auch all behalten,« sagte der Scheckensimon und sah
den nassen Heinrich an, der gedankenvoll nickte.

»Die Livia,« sagte er dann in einer Art Wehmut, »die kenne ich nun seit
meiner zweiten Griechenlandsfahrt. Damals war sie noch ein reicher
Backfisch und hat viel gelacht, wie ich ihr meine Gotteserkenntnisse
vortrug. Aber dann haben ihre Brüder den ganzen Familienübermut
durchgebracht, und wie sie arm wurde und ein eleganter Offizier sie
verließ, weil sie nichts hatte, da war sie reif. Sie ist meine einzige
Schülerin in dieser zum Irrtum verdammten Welt, und sie ist dankbar
wie ein reines Tier. Also auch an dir, Aviatiker, ist sie zur Nausikaa
geworden. Ja, ja, sie ist ein seltenes Geschöpf. Zum Beispiel, sie wird
nie heiraten. Denn wer einmal von der geheimnisvollen Nilschlange des
Jenseitsgedankens gebissen wurde, der kann nur einsam bleiben oder
einen Halbgott freien. Und woher sollte ein solcher kommen? In diesem
Lande. Und woher bei uns, im Lande der Hosen mit den Bügelfalten!«

Damit legte er sich nieder und schlief auch schon.

Der Scheckensimon aber weckte den Schlampenschneider und sagte:

»Schlampenmann, du bist heute +du jour+.«

Der Angeredete gähnte, streckte sich und kletterte dann wortlos auf die
große Edelkastanie, in deren Krone Tikosch einen sehr bequemen Sitz
erblickte, von dem es sich im Sonnenscheine dieses milden Tages ganz
behaglich Wache halten lassen mochte.

Im Kreise der drei Seltsamen umherblickend und im Gefühle, wieder bei
Menschen, ja bei seltsamen und nicht gewöhnlichen Erdenkindern zu
sein, wuchs das Gefühl der Behaglichkeit auch in ihm so sehr, daß er
sich vertrauensvoll ausstreckte und entschlief, als sänge ihm Mutter
ein sicheres Schlummerlied. Es war aber nur die riesige Edelkastanie,
die im Ostwinde, der das schöne Wetter gebracht hatte, eintönig
rauschte und sauste. Und da wußte er auch schon nichts mehr von Gefahr,
Weltkrieg und Massenwahnsinn. Die Natur hatte ihn in ihre Arme genommen.

Zu Hause bei ihrer sorgenvollen Mutter saß die schöne Livia.

»Du lädst dir nichts als Ungelegenheiten mit solchen Strolchen auf und
schiebst dabei die geringe Aussicht beiseite, doch noch an den Mann zu
kommen,« sagte die alte Dame, die mit ihrer Tochter nur Französisch
sprach. »Hast du den österreichischen Leutnant gar nicht gefragt, ob er
vermögend ist oder nicht?«

»Es würde nichts entscheiden, das weißt du ja,« erwiderte Livia ruhig.

»Nicht? Wenn wir unser Gut entschulden könnten? Wenn die Brüder wieder
ein menschenwürdiges Dasein führen könnten?«

Livia sagte nichts mehr. Die Mutter kannte nur die Brüder und hätte das
schöne Mädchen ruhig verkauft sehen können, wenn ihre geliebten Lumpe
wieder an der Riviera ihren Sekt und ihre Dirnen gehabt hätten.

»Ein Glück,« grollte die Mutter, »daß deine Brüder nicht hier
sind. In ihrem Haß gegen alles, was deutsch ist, gingen sie deinem
Fliegerleutnant scharf zu Leibe.«

»Sie haben so wenig in sich selber und so wenig Eigenes, daß sogar
ihr Haß ein französischer ist,« erwiderte Livia ruhig. »Sie waren
nie in Deutschland und kennen das Leben dort so wenig wie all unsere
Bojarensöhne. Aber den Haß, den haben sie.«

Und Livia ging fort, durch das Haus, durch den Wald, in die Einsamkeit
hinaus, die ihr allein Mutter und Bruder war.

Sie dachte an Tikosch und prüfte sich wieder und wieder. Männer von
jener Art, die lärmt, trinkt, reitet und ficht, hatte sie durch die
Brüder und ihre Freunde genügend kennen gelernt. Sie wußte, daß diese
Rasse, so sehr sie männlich genannt werden durfte, nie viel Größe und
Güte in sich barg. Tikosch würde sie auch nur so lange achten, als er
sie nicht besaß. Unterlag sie ihm, so ritt, trank, raufte und flog er
wieder, und alles war wie zuvor, nur sie selber war Dienerin eines
Herrn, dem sie im geheimen unbequem war wegen ihrer hellen, scharfen
Augen, die alles Niedrige und Tierische durchschauten. Wenn Tikosch zu
denen dreien im Kastaniendickicht kam, dann entschied es sich übrigens,
wohin er gehörte. Siegten die drolligen Lehren des nassen Heinrich
und brachen die wilde Gleichgültigkeit dieser Reiternatur, dann war
Seele in ihm. Schlug er die Philosophie selbst dann in den Wind, wenn
sie in Not und Waldeinsamkeit zu ihm kam, dann war er ein Verlorener
für sie und ihr Haus, mochte er für seinen Staat noch so sehr das
Prachtexemplar bedeuten.

Schwach war sie nicht, und Sinnlichkeit reichte nicht an ihre einsamen
Stunden heran. Aber sie hätte gern einen starken Mann und Kinder
gehabt. Darum wünschte sie sehnlich, Tikosch möchte doch den Weg aus
seinem Walddickicht zu den drei Walzenbrüdern finden. Daß es die Tage
her so unerbittlich und seelenbedrängend geregnet hatte, dankte sie
den Göttern des nassen Heinrich sehr, dem Pan, dem Aeolos und dem
Sonnengotte. Nun ging sie gegen das Dickicht, um zu sehen, ob der
Trotzkopf schon kirre geworden und heruntergekommen sei, aus seiner
Luchshöhle oben in der sturmübertosten Planina. Aber sie stockte bald
wieder gedankenvoll und kehrte zerstreut um.




Es war herbstlich geworden, so schön auch die sonnigen Spätsommertage
ihr blitzendes Seidennetz über die Wälder spannen. Die silbernen
Marienfäden segelten, und aus den großen Kastanienbäumen fielen die
ersten reifen, süßmehligen Früchte. Es war gut sein und schön am
Lagerfeuer; die Gesellen rösteten sich die Himmelsgabe als wohlige
Zutat zu dem, was ihnen der neue Kamerad mit der Flinte im Walde
geholt hatte, und als es Abend ward, rückten sie nah zusammen und
erzählten Geschichten. Dabei kam allerdings an das Licht, warum der
philosophische Vagabund Heinrich »der nasse« hieß. Denn alle Abend
trank er so viel, bis ein reichlicher Tränenstrom sein zärtliches Herz
erleichterte. »Er hat alle Vesperzeit das heulende Elend,« sagte der
Norddeutsche, der Scheckige, der dem Offizier immer sympathischer zu
werden begann. Denn dem war es ernst mit seiner Sehnsucht, zu seinem
kämpfenden Volke einzurücken.

»Bei Prahovo an der Donau unter der großen Insel ist der Strom schmal;
da weiß ich 'n Kahn, der nur für uns Kunden versteckt ist und uns
allen von der fahrenden Gilde gehört. Er ist so gut versteckt, daß sie
'n noch nie gefunden haben. Denn die Serben bewachen alles, was nach
Rumänien rübergehen will. Uns aber wer'n sie nicht erwischen. Wenn wir
eine Nacht lang rüstig wandern, so sind wir am Fluß; aber 'rüberfahren
könn' wir erst in der andern Nacht, denn es dauert eine halbe Stunde,
bis man drüberkommt, so groß ist das Wasser selbst dort noch. Und wenn
wir noch so gut marschieren, es sind doch gute fünfzig Kilometer, und
es wird grau werden, bis wir hinkommen. Da heißt sich's verstecken, den
Tag über, wie wir hier allemal zu leben gewohnt waren. Um Mitternacht
fahren wir dann ins Rumänische hinüber und schlagen uns von dort am
hellen Tage nach Ungarn durch. Herrgott, in welcher Sprache soll'n wir
denn dann fechten?«

Der nasse Heinrich hatte sich erst in seiner ganzen Andacht den
Hasenbraten schmecken lassen und dann die süßen Maronen. Aber er trank,
obwohl er den Göttern spendete, gar nicht antik. Denn Wasser mischte
er in seine Pulle durchaus nicht, sondern benahm sich ihr gegenüber so
großzügig, daß sie bald leer war und er voll.

»Simon, was willst du dort oben tun?« bat er. »Simon, sie werden dich
zum Krüppel schießen! Komm mit mir 'runter nach Hellas! Wenn's dort
oben eine Zeit gäbe wie sonst, ja, wie sonst! Och, mein Deutschland,
um die Zeit, da man in den Zimmern den Ofen zum ersten Male bullern
hört, da bist du so schön, daß ich oft schon bürgerliche Triebe mächtig
in mir erwachen fühlte und an gebratenen Äpfeln beinahe grundsatzlos
geworden wäre. Ach, ich hätt' ja schon so oft heiraten können!«

Und er trank wieder und sank in tiefes Sinnen.

»Aber jetzt denkt jeder nur an Schießen und Stechen, und wer daheime
sitzt, liest die verflixten Zeitungen und studiert Karten.«

Er sank wieder eine Zeit in Schweigen. Dann brach die erste Rührung
hervor, als er weinerlich ergänzte:

»Oder Verlustlisten.«

Die andern drei waren ernst und still, das Feuer brannte klein und
vorsichtig. Die Nacht war schneidend kalt, und jeder drehte sich, um
gelegentlich auch seine Hinterseite zu wärmen. In dieser Beschäftigung
hörten sie alle nur mit halbem Ohr auf die sattsam bekannten
abendlichen Klagen des nassen Heinrich. Nur dem Leutnant war das
neu, und er hörte dem sonderbaren Patron zu, der so wetterhart und
lebensstark und dennoch in allem, was sonst den ganzen Mann erfordert,
so weichlich war. Mit ein paar kurzen Worten sagte er ihm das auch:

»Mich wundert, woher du die Kraft nimmst, dies Leben zu ertragen, immer
in Lebensgefahr, immer frierend oder hungernd, immer in denselben
Lumpen; bald schauernd vor Regennässe, bald verschmachtend, und doch
bist du an dieser einen Stelle heikler als ein Hund am Bauch: dort, wo
es heißt: Pflicht!«

»Ich bin allein geboren und habe allein zu sterben,« sagte der nasse
Heinrich mit wiedererwachender Klarheit. »So geht es niemanden was an,
wenn ich mein Leben auch abgesondert von den allgemeinen Bemerkungen
eurer Weisheit führe. Du bist wohl noch nie in einer Großstadt im
Kaffeehause gesessen, mein lieber Aviatiker, wo solche Genies ihre
Ecken haben, die immer noch auf den Ruhm warten. Sonst wüßtest du, daß
es kein nutzloseres Ding für den Staat gibt als eine große Intelligenz
ohne Güte. Leute wie du sind das Richtige für das allgemeine Wohl; sie
fühlen sich als Kanonenfutter geheiligt. Aber sobald ein Gehirn die
ganze zwecklose Grausamkeit des Geborenwordenseins zu erkennen fähig
ist, so ist es für die Allgemeinheit verloren und sucht nur mehr sich
selber zu retten, wie ein Kopfloser auf einem sinkenden Schiff. Drum
hat der Staat die Einrichtung getroffen, daß die Schiffsoffiziere mit
Revolvern auf diejenigen schießen, die allzu deutlich auf ihre eigene
Haut bedacht sind, und das ist ganz recht und billig. Ich für mein
sterblich Teil würde auch auf einem sinkenden Schiffe an die Frauen
und Kinder denken. Das kann ich dir versichern. Aber ich habe nicht
Lust genug, ohne Not mit den andern ihr trauriges Spiel zu machen.
Daß wir alle mit'nander ~ein~ Wesen sind, das ist die Erkenntnis
des Herzens. Daß wir einsam sind, ist die Erkenntnis des Kopfes. Wenn
du gut beraten sein willst, so wisse, daß das Hirn der irrende Teil
ist, und daß näher an der göttlichen Erkenntnis der ist, der sich für
andere totschießen läßt. Er weiß mehr als der gescheiteste Professor
an der berühmtesten Universität! Ogottogott! Aber ich! Ich bin ja
so unglücklich, daß ich so intelligent bin! Ich schäme mich ja so
durchdringend, daß ich es aus Gründen der Hochschätzung meiner Person
vermeide, mich für alle zu opfern, was der Weisheit und Güte letzter
Schluß wäre. Das ist mir versagt, oh, das ist mir versagt!« Und der
nasse Heinrich begann zu heulen und zu jaffen wie ein Hund, der bei
Nachtfrost ausgesperrt wurde.

Mit seltsamen Gefühlen sah Tikosch auf dieses Musterbeispiel eines
gänzlich Freien, der sich selber anklagte. Er überlegte, ob er in
seiner simplen Freude, das Gefährliche zu wagen, nicht eine bessere
Antwort dem höhnischen Gotte gab, der das Leben als Fraß des Todes
schuf, als dieser Genießer, der dem Leben unwürdig bettelnd nachkroch
und nur sich selber kannte.

Und in das erbärmliche Weinen des haltlosen Trunkenen, dem der Tiroler
gleichmütig, der Hannoveraner mitleidig schmunzelnd horchte, klang
seine entschlossene Soldatenstimme:

»Komm, scheckiger Simon, mit dir hab' ich ein gutes deutsches Wort zu
reden.«

Beide verschwanden im Busch, und Tikosch schlug mit dem Gefährten
den Weg nach dem Timok ein. Er gab dem Deutschen seine geladene
Schrotflinte, zog seine Repetierpistole hervor, und vorsichtig,
als ahne er, daß irgendein Soldatenstück im Werke sei, folgte der
Scheckensimon dem neuen Kameraden.

Als sie weit genug waren und das Weinen des Betrunkenen nicht mehr
hören konnten, erzählte Tikosch dem Hannoveraner seine ganze Geschichte
mit völliger Offenheit und sagte, als der gute dicke Kerl beim Erwähnen
der Tatsache, daß Tikosch Leutnant wäre, mit einem kurzen Ausruf der
Freude stramm stehen blieb:

»Simon, auf dich zähle ich. Wir wollen hier mitten in Feindesland für
unser verbündetes Vaterland kämpfen. Da unten ist die große Lebensader
des Serbenreiches nach Osten; die Brücke, die zwei Eisenbahnen an die
rumänische Grenze bringt! Hier holen sich die Serben alles, was sie
brauchen. Das Negotiner Land ist reich, aus Rumänien bekommen sie
russische Hilfe dazu. Wenn wir diese eine Brücke sprengen, so treffen
wir die Kerle in den Magen.«

»Haben denn der Herr Leutnant die Mittel, die Brücke zu sprengen?«
fragte der scheckige Simon.

»Simon, wir sind in der gemeinsamen Not Kameraden geworden, und
für euch bin und bleibe ich der arme Kunde, als der ich unter euch
vertrauliche Aufnahme gefunden habe. Wir sind per Du. Jetzt wollen wir
rekognoszieren.«

Der Deutsche ging mit beflügeltem Eifer mit. Die Sache gefiel ihm
über die Maßen; namentlich, als ihm Tikosch sagte, daß er den
Neuangeworbenen sicherlich für eine soldatische österreichische
Auszeichnung melden könnte, wenn die Geschichte gut ginge. »Denk dir,
Simon, was für ein Furore die große goldene Tapferkeitsmedaille auf
deiner Brust bei euch oben machen tät! Ich nehm' dich gleich, nachdem
wir gesehen haben, was mit der Brucken zu machen ist, für den Kaiser
in Eid, und du bist dann Soldat. Die Tapferkeitsmedaille ist dann nur
deine eigene Sach'!«

»Donnerwetter, wenn ich mit der fechten gehe, kann ich bei jedem
Landrat anklopfen: dann rücken sie mit silbernen Halbmärkern 'raus,«
sagte Simon begeistert.

Vorsichtig schlichen die neuen Gesellen zur Brücke, die ein zartes,
dunkles Eisengewebe über den raschen Bergfluß spann. Das Mondlicht,
das im Schwinden war, zeigte ihnen den Posten, der auf der Brücke hin
und her schlenderte. Er war in Nationalkleidung, also kein geschulter
Soldat. Aber jenseits des Flusses, knapp an der Brücke, stand eine
Bretterbaracke, aus der ein kleines, rötliches Licht in die Nacht
hinaus sagte, daß dort eine Wachabteilung ihren Sitz hatte, welche
gegen Bulgarien zu scharf aufpaßte.

»Wir müssen ins Wasser, sonst sehen sie uns,« sagte Tikosch.

»Donnerwetter,« fluchte der Scheckensimon, aber er stieg entschlossen
hinter dem Leutnant das Steilufer hernieder, warf die Kleider ab und
panschte leise in die herbstkalte Flut.

»Gib acht, Simon! Ich schwimme über den Fluß und untersuche den
Pfeiler, der drüben im tiefen Wasser steht. Du watest bis an die
Brücke. Entdeckt uns der Posten, so schieß' ihn nieder, und der zweite
Schuß gehört dem ersten, der ihm zu Hilfe kommt. Sie werden verschlafen
und verwirrt sein. Kannst du schwimmen?«

»Ja.«

»Werden wir gesehen, so schwimmen wir bis in die Donau hinunter! Bei
Tag werden wir in den Dickungen schlafen; fangen sollen sie uns nicht!
Was?«

Die Ausforschung der Brücke gelang aber ohne Störung. Hier, weitab vom
Feinde, glaubten die schlecht geschulten Komitatschis nicht an Gefahr,
und der Posten langweilte sich in dumpfer Zwecklosigkeit auf der Brücke
hin und her.

Tikosch sah bald, wo im Pfeiler das Sprengloch für die Mine war, das
an jeder Brücke angebracht ist, und es tat ihm nur leid, daß er die
Ekrasitbüchse nicht gleich zur Hand hatte. Aber beim Emporklettern
wäre er ja doch entdeckt worden. Es mußte ein eigener Plan entworfen
werden. Aufmerksam prüfte Tikosch die ganze Gegend, merkte sich jeden
Busch, hinter dem man Versteck finden konnte, und besonders die
Umgebung des Wachhauses prägte er sich aufs beste ein. Dann schwamm
er wieder über den Fluß zurück, dessen reißende Strömung ihn so weit
nach abwärts trug, daß er erst nach langem Flußaufwandern den wartenden
Simon, schon in ehrlicher Angst, antraf, weil er glaubte, der Leutnant
müsse ertrunken sein.

Tikosch kleidete sich an. Beide schnapperten vor Kälte, lachten aber.

»Und nun Laufschritt,« kommandierte Tikosch, als sie aus dem Bereich
der Wache gekommen waren. Und fröhlich liefen sie bergauf, erreichten
die Straße, die in dritthalb Stunden nach Rgotina führte, und waren
bald wieder warm und aufrecht.

In der Dickung empfing sie der Schlampenschneider in seiner
phlegmatischen Art, aber doch mit Vorwürfen. »Da laßt ös ein alleinig
mit der b'soffenen Metten in der Nacht!« brummte er. Aber Simon warf
einen raschen Blick auf den nassen Heinrich, der in steinfestem Schlafe
lag, und erzählte dann klipp und klar den ganzen Plan des Leutnants. Ob
der Tiroler mittun wollte?

»Wär net schlecht,« schmunzelte der; »unsereiner hat doch nie net das
Vaterland im Stich lassen.«

So hatte Tikosch zwei Mann für seinen Kaiser angeworben, und es galt
nur noch, den nassen Heinrich zur Tat zu überreden.

»Er wird mithalten,« sagte der scheckige Simon. »Aber nach Österreich
geht der nicht mit uns. Ihr werdet sehen, in Rumänien sagt er uns
Adjes und wendet sich ins Griechische hinunter. Er kann kein Schnee
vertragen, der länger liegen bleibt als bis zur nächsten Sonne; das ist
einmal seine Eigenheit, und er nennt's Religion.«

Zufrieden und neubelebt, daß es mal was Ordentliches zu tun gab in
ihrem zwecklosen Dasein, legten sich alle dreie nieder. Der scheckige
Simon tat noch ein paar Scheite ins Feuer, liebe Wärme zog sich an
ihren müden Gliedern entlang; dann schliefen sie, tief und getrost.




Am anderen Morgen erwachte Tikosch schon frühe. Der Gedanke an das nahe
Ziel und seine baldige Rückkehr zu den Fahnen seines Kaisers ließ ihm
keine Ruhe. Auch mußte er Wild für die drei Gefährten beschaffen. Denn
seit der nasse Heinrich einen der kleinen Feldkeller der Weinbauern,
wie sie dort zahlreich in die Abhänge gegraben und ohne richtige
Aufsicht sind, allzu freigebig geplündert hatte, war man in der hier
dichter bevölkerten Gegend doch etwas aufmerksamer geworden und
fahndete nach rumänischen Zigeunern, die man als Täter vermutete. Es
hieß sich also am Tage still im Dickicht verhalten; von Stehlen oder
gar von Fechten war natürlich keine Rede, und selbst der Weg zur immer
freigebigen Livia stand nur in solchen Nächten offen, wo wegen Sturm
und Regen kein Hund sich ins Freie wagte.

Vor Tagesanbruch mußten sie also versorgt sein, und Tikosch hatte das
Glück, zum ersten Male in diesem an größerem Wild armen Lande einen
kapitalen Rehbock zu strecken, den die reichliche Herbstäsung, um nicht
zu sagen die Mast der Edelkastanien, in seinen Bereich herübergezogen
haben mochte. Schwerbeladen kam er zu seinen Genossen, die ihn mit
Jubel empfingen. Dem nassen Heinrich sah man von seinem tiefen Trunk
wenig an. Er vertrug dergleichen ohne Nachwirkungen, und Tikosch
benützte das erhöhte Behagen, das den verlaufenen Schulmeister bei
einer gerösteten Rehleber überkam, um ihm seinen Plan mitzuteilen.
Er zögerte auch nicht, den Gesellen ausgiebigen Lohn in Gold zu
verheißen, und war entschlossen, die ganze große Summe, die er bei sich
trug, beim Übertritt auf österreichische Erde hinzugeben.

Heinrich neigte den Kopf hin und her. »Das wäre ein Fall, wo man
des Erfolges ziemlich sicher sein kann,« sagte er. »Wenn schon der
Aviatiker in Dingen seelischer Erkenntnis nie ein überragender Kopf
sein wird, so habe ich das Gefühl, daß er eine schneidige Führernatur
ist, und überdies: Wenn jemand etwas will, so setzt er's durch. Die
an der Brücke wollen nichts als ihre Ruhe, und das ist zu wenig. Die
friedlichen Kerle werden im Grunde genommen froh sein, wenn die Brücke
kaputt ist und sie infolge Verstärkung der Wache weniger dabei zu tun
haben werden, wenn man sie wieder aufbaut. Ich werde euch also in allem
beistimmen und helfen, wenn ihr mich dafür sicher in rumänisches Land
bringt. Von dort hoffe ich infolge der Empfehlungen der schönen Livia
schon weiterzukommen. Aber als Soldat in Eid nehmen? Für eine der
Parteien, die jetzt um die Weltherrschaft zu raufen meinen, in die sich
ja doch der Amerikaner und der Asiate teilen werden? Ne! Das ist mir zu
töricht.« Und dabei blieb er; man mußte zufrieden mit dem sein, was er
versprochen hatte.

Als die Verbündeten noch beim Frühstück saßen, raschelte das
Gebüsch und Tikosch griff nach dem Browning. Aber der Warnlaut des
Rotkehlchens, ein Zeichen, das die drei Kunden gut kannten, bestimmte
den scheckigen Simon, ihm lachend die Hand auf den Arm zu legen.

Im nächsten Augenblick war Livia bei den Vogelfreien.

Tikosch fühlte, wie ihm das heiße Scharlachrot ins Gesicht strömte,
weil er von dort oben so fügsam heruntergekommen war und sich mit der
fraglichen Gesellschaft schon so gut stand. Aber Livia begrüßte ihn
heiter und vertraulich und zog, nachdem sie den drei Geächteten einen
Korb voll guter Dinge hingestellt hatte, erst den nassen Heinrich
ins Gespräch. Es sei nahe bei Zajetschar, dicht unter den Forts, ein
ländlicher Weinkeller gründlich ausgestohlen worden; ob er davon wisse?
Und der kecke Gesell wurde unter dem Blicke ihrer ernsten klaren Augen
sehr verlegen.

»Also doch,« sagte sie langsam. »Wissen Sie denn nicht, Heinrich, wie
sehr Sie dies Trinken heruntersetzt? Aller Erde König glauben Sie zu
sein mit Ihrer Freiheit und Ihrer Philosophie und lassen sich durch
eine Flasche Branntwein zum schwätzenden, heulenden Spottbild eines
Menschen herunterziehen! Was muß Tikosch von Ihnen denken? Ist denn
nicht das tüchtige, praktische Mannesdasein, wie er es führt, höher und
mehr als das Ihre, das er haltlos gefunden haben muß? Was ist das für
ein starker Kopf, der sich von jeder Weinflasche umwerfen läßt? Sie
entweihen Ihre eigene Religion, und wenn ich nicht wüßte, daß diese
Lehre in einem würdigeren Herzen als dem Ihren groß sein könnte, so
müßte ich an ihr verzweifeln. Ein trauriges Beispiel! Herr Leutnant,
hat er's arg getrieben?«

Das verlegene Lachen des Tikosch sagte ihr mehr, als ihr lieb war. Sie
sah, wie dieser viel simplere Reiteroffizier den großen Philosophen
rasch verachten gelernt hatte.

»Tikosch,« sagte sie, »man muß den Menschen von seinen Erkenntnissen
zu trennen verstehen wie das Gefäß vom Inhalt. Er hat viel erkannt,
was außer ihm heute in der Welt keiner mehr zu empfinden versteht, und
es ist von ihm manches zu lernen. Da er zu frei sein will, ist er zu
sehr Sklave geworden; sehen Sie ihn nachdenklich an, aber verachten
Sie ihn darum nicht. Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Aus
diesem Lande kommen Sie, namentlich seit man wegen des Mundraubs dieser
drei aufmerksam geworden ist, nicht leicht heraus. Zwar Ihre Freunde
hier müssen sehen, wie sie die nahe Grenze erreichen; sie sind weniger
bedroht. Aber der österreichische Offizier würde nicht leichten Kaufes
davonkommen. Ich kann Ihnen nun im Namen meiner Mutter Versteck und
Quartier bei uns anbieten. Schlimmstenfalls müssen Sie Kriegsgefangener
auf Ehrenwort werden, wenn man Ihren wahren Charakter entdeckt.
Ich aber kann Ihnen versichern, daß man Sie dann bei uns lassen
wird. Bis ein solcher Unglücksfall eintritt, gelten Sie für einen
Wirtschaftsbeamten, den wir uns aus der Schweiz zur Verbesserung
unseres Gutes verschrieben haben. Gilt's?«

Und zum ersten Male sah ihn Livia so weiblich und persönlich, ja
beinahe vertraulich an, daß ihm siedigheiß wurde. Er schwieg; das Herz
kämpfte ihm, aber die Entscheidung war nicht sein.

»Eher unglücklich, eher Lieb' und Leben verlieren, als so in kommoder
Sicherheit, derweil meine Kameraden bluten,« sagte er ruhig. »Livia,
wie können Sie einem Offizier das zumuten!«

Da schwieg das Mädchen und sah traurig zu Boden. Auch sie hätte ihn im
Innersten nicht recht achten können, wenn er bei ihr geblieben wäre.
Aber nun, da sie wußte, daß sie ihn verlor, kam die ganze unterdrückte
Torheit dieses Mädchenkopfes mit Macht über sie, und als sie sich
wegwandte, stürzten ihr Tränen heraus.

Tränen des Zornes, verschmäht zu sein, Tränen der Reue, diesen
Mann geschulmeistert zu haben, statt ihn mit all der Wärme und der
berückenden Liebe an sich zu binden, die sie erst jetzt im Augenblicke
des Abschieds voll süßer Torheit in sich brennen fühlte.

»Begleiten Sie mich ein Stück nach Hause,« bat sie einsilbig, und still
und traurig ging Tikosch mit ihr.

»Den kriegt sie noch herum,« sagte der nasse Heinrich. »Er kommt nicht
zu uns zurück.«

»Wetten, daß er ja kommt? Und daß wir die Brücke sprengen!« rief der
scheckige Simon voll Temperament.

Der nasse Heinrich sah den plötzlich so lebhaft gewordenen Phlegmatiker
erstaunt an. »Du hast ja auf einmal ein sonderbares Vertrauen in die
Menschen, Philosoph,« sagte er.

»Mein Lieber,« dozierte der Schuster, »du bist jetzt außer Mode. Ich
war zu lange mit einem bloß gescheiten Menschen zusammen, um nicht
gelernt zu haben, daß es das Herz ist, welches die Wunder vollbringt.«




In einer tiefen, seltsamen Traurigkeit, wie sie nur zwei Menschen
haben, die wissen, daß sie einander nie im Leben wiedersehen werden,
und daß sie doch so viel aneinander verlieren wie nie mehr im Leben,
gingen der stillgewordene junge Offizier und die ernste und stolze
Rumänin nebeneinander durch den Hochwald, der vor dem Dickicht begann.
Der Herbst war hoch in Flammen ausgebrochen, und die Sonne prahlte
in allen Farben, als hätte sie alle Ritterschaften der Welt zu einem
Turnier versammelt. Die blauen Fernen waren noch zarter und winkender
und verschleierter und sehnsüchtiger als sonst, und eine so weiche und
ertötend süße Wehmut durchdrang alles, daß die stärkste Seele wehrlos
und weich bis ins Innerste von dieser Ergriffenheit des Weltvalets
werden mußte.

Beinahe zum ersten Male ging Tikosch scheulos am hellen Tage durch
serbisches Land, der bisher so verkrochen gelebt hatte! Glanz und
Duft im Walde und das Winken der Ferne hatte er stets nur von seinem
Versteck aus gesehen. Nun gehörte es ihm auf einmal ganz an, und er
genoß die Luft, als sei sie von anderem Geschmack, weil er sie offen
wandelnd trinken durfte. Nach Freiheit roch sie und war frisch wie
kühler Eisenduft. Das machte der herbe Geruch der gerbstoffhaltigen
Blätter, die um die beiden Abschiednehmenden goldwinkend umhertanzten
wie Amoretten: +Valete, valete!+ Die herrlich gefärbten machten
den Himmel, dem sie vorüberflogen, noch einmal so blau wie sonst, mit
ihrem grellen Gelb. Ihr Vergänglichkeitsduft, der nur einmal im Jahre
durch die sonnigen Lüfte irrt, zu des Jahres schmerzlich schönster
Zeit, griff ihm durch und durch!

»Es ist ein wunderbarer Tag, dieser allerletzte,« sagte Livia weich.
»Wann wollen Sie die Flucht antreten?«

»Heute nacht,« sprach Tikosch wie im Traum, und es kam ihm vor, als
sei das gar nicht möglich. Dieser Tag war wie mitten aus der Ewigkeit
genommen, und Abschied lag genug und zuviel in seiner wehen Schönheit.
Aber das Schneiden und Brennen in seinem Herzen ließ ihn sich nicht
ganz verlieren.

»Von jetzt ab weiß ich völlig,« sagte er nach einer Weile, »was Sie
den Gott der freien Natur nennen. Daß der in den Mann übersiedelt, der
sich ihm zu ergeben weiß. Ich hab' ihn schon dort oben verstanden,
wenn die Fernen so recht gerufen haben. Da war ich der Höchste und
Einsamste in meiner tödlichen Aufgeschlossenheit. Aber noch besser habe
ich den kapiert, den Sie Gott nennen, wenn's im Walde toll g'worden
war. Da hab' ich begriffen, daß man sich als Bruder des Boreas fühlen
kann, und das Kämpfen und Brüllen des Waldes war mir bekannter als jede
menschliche Red'! Es war schön dort oben wie bei Gott selber, und daß
man ihn in Ewigkeit anschauen und nichts anderes begehren kann, das
versteh' ich jetzt. Nie mehr werde ich ganz von ihm loskommen, seit
ich weiß, wo der Weg zu ihm geht. Und das dank' ich dir, du seltsames
Mädel!«

Er blieb stehen und sah in das weite Land hinaus, über den Fluß und in
die Weingärten, die bald unter dem Walde begannen. In diesem Paradies
konnte er bleiben, an der Seite eines wunderschönen Mädchens, das er
liebte, und das er sich nun doch gewinnen konnte? Er sah sie an, wie
sie wortlos und dennoch mit dringlich leiser Frage neben ihm ging,
schön und leidend wie dieser überirdisch klare, bewußte Herbsttag.
Diese herrlichen Glieder, die nie um eines Mannes willen gebebt hatten,
vibrierten jetzt zum ersten Male in mädchenhaftem Schauern, und das
hochgemute Geschöpf war weich, traumverloren und gelöst; er fühlte es.

»Wenn ich wiederkäme, Livia?«

»Du wirst nicht wiederkommen. Jahrelang wird der Krieg über diesem
unseren Lande liegen und nichts als Haß und Elend daraus saugen.
Vielleicht kommt ihr als Sieger bis daher. Da aber dieses Land entweder
von selbst in eure Hände fallen wird, wenn ihr dem Russen auf der Brust
kniet, oder nie, so müßtest du kommen, wenn ein ungeheures Erleben
sich zwischen dich und mich gedrängt haben wird: in einer Zeit, die
dreifach zählt. Du wirst gejubelt und gefrevelt haben, gelitten,
gehungert, gepraßt, geflucht und gebetet, und deine Seele wird sich mit
Größe und mit Lastern bedeckt haben, von denen jedes einzelne schon
dich von mir trennen wird. Bei deinen Kameraden wirst du lachen über
das stille Gottesgefühl, das ich dir geben wollte, und du wirst wieder
werden, wie du warst, und wie sie sind. Ich weiß das, und ich werde es
mir immer wieder sagen, um dich zu vergessen. Wir sind aus zwei andern
Welten.«

Sie schwieg, denn die Tränen standen ihr nahe, und sie wollte ihn durch
ihre Schwäche nicht begehrlich machen, damit sie nicht sein Opfer
würde; hier, am letzten, nach Glück rufenden Tage in der lockenden
Einsamkeit. Er sah sie an, prüfte sie und wurde wieder irre, so stolz
sah sie aus. Dann blickte er nach dem Süden. Dort lagen klein und
geduckt um die Stadt Zajetschar die Forts, und der Timok ging dahin,
bis zur fernen Brücke, die er heute nacht geprüft hatte. Da riß es sich
in ihm mächtig empor, und er sah alle Schönheit und Weichheit des Tages
und des jungen Weibes nicht mehr. Krieg war ja, Krieg! Und für ein
weichliches Glück war keine Zeit. Die eiserne Tat rief ihn gewaltig an,
und sein Herz wurde wie von Stahl.

»Sie haben recht, Livia,« sagte er fest. »Ich bin zu ganz andern Dingen
auf der Welt, als glücklich zu sein. Es gibt Singvögel, und es gibt
Raubvögel. Den einen gehört die Liebe, den andern der Haß. Ich wäre
doch nie Ihrer wert geworden, weil ich zu schlecht bin für Sie und doch
auch wieder zu gut. Männer gibt es, die man am besten nur auf sich
selber bestehen lassen darf, weil sie nicht gemacht sind, andere zu
beglücken. Meine Arbeit ist anders als die der Erlösernaturen. Leben
Sie wohl; Sie waren mir wie eine Gottheit, und ich werde Sie nie,
nie vergessen! Vielleicht bekehre ich mich einst gänzlich zu Ihrer
Religion, wenn sie mir einen Arm oder einen Fuß abgeschossen haben,
oder wenn ich alt und krank bin; denn für alle Hilflosen und Schwachen
liegt der wunderbarste Trost in dem, was Sie glauben! Vielleicht
sitze auch ich einmal still im Sonnenschein und schaue seltsam
verwandtschaftlich auf diese Wolken, die der Erlösung näher scheinen
als ich. Aber jetzt mag und kann ich nicht.«

Kräftig ergriff er ihre Hand, schüttelte sie und ließ sie los.

Livia blieb stehen.

»Was wollen Sie tun?« fragte sie mit halber Stimme.

»Das ist jetzt Mannes Sache und muß auf sich allein bestehen,«
erwiderte er. »Nochmals tausend Dank, du wunderbares, einsames Mädchen!«

Und er ging von ihr, ohne sich mehr umzusehen. Aber Livia schaute ihm
tiefbewegt nach, wie er mit dem erobernden Schritte des Soldaten das
Weite gewann, ins dichte Holz gelangte, mit kräftiger und biegsamer
Windung des schlanken Körpers ins Dickicht eindrang und verschwand.
Langsam, langsam ging sie heim, allein in diesem eindringlich wehen
Herbste.




Als Tikosch sich leise dem Biwak seiner kleinen Patrouille näherte,
fand er den nassen Heinrich im Begriffe, den Schlampenschneider Wiener
Walzer tanzen zu lehren. Er hielt stille und lauschte, wie der weinende
Philosoph dem phlegmatischen Tiroler zeigte, wie sich die Dame zu
halten hätte und wie der Herr. Aber als er mit zierlicher Verbeugung
auf den scheckigen Simon zuging und den, als den Vorbildlicheren in
Dingen guten Tones, zum Tanze aufforderte, als Simon kokett nach seinem
Jackenzipfel griff und den über den Ärmel legte wie eine Schleppe
und seine Arme um den nassen Heinrich schloß, da wieherte er ein
schallendes Kasernenlachen heraus. Vergessen waren Livia, Pan und
Apollo!

Die Walzenbrüder begrüßten ihn stürmisch, er aber winkte sie heran,
entwarf auf seinem Notizblock einen Plan von Wachthaus und Brücke und
sagte jedem so klar, was er wolle, und wie er das Ding zu sprengen
gedenke, ohne daß sie Gefahr liefen, daß alle gleich voll Eifer bei der
Sache waren und das todsichere Gefühl hatten, das Ding müsse und müsse
glücken!

Dann kam die Nacht, die bänglich erwartete Nacht. Dem nassen Heinrich
hatte Tikosch allen Schnaps fortgenommen. »Bloß dicht vor der Brücke
kriegst du einen ungeheuren Kriegsschluck,« sagte er. Nun fröstelte der
nervöse Philosoph beständig, und tiefes Unbehagen würgte in ihm.

»Hast du Angst?« lachte Tikosch.

Der nasse Heinrich schüttelte etwas kläglich den dünnen, blonden Kopf
mit der spitzen Nase.

»Angst nicht,« sagte er; »nur meine Phantasie arbeitet zu grell und
deutlich alle Konsequenzen voraus.«

»Es gibt keine Konsequenzen,« sagte Tikosch entschieden. »Wir wissen,
wohin wir zu schießen haben, die wissen es nicht. Wir sind die
Entschlossenen, sie die Überraschten. Allen Grund, sich zu fürchten,
haben sie.«

Es ging eine solche Entschlossenheit von dem stahlhart gewordenen Manne
aus, daß der nasse Heinrich, der durchaus nicht energielos war, fühlte,
daß auch in ihm selber dergleichen stak und jetzt stärker und stärker
wurde. Es ist wunderbar, wie das Selbstvertrauen und die Kraft einer
starken Natur ausströmen und sich verteilen kann, wie Christi sieben
Gerstenbrote auf fünftausend! Die drei Vagabunden waren in wenigen
Minuten Männer von Federstahl geworden; unzerbrechbar und doch von
gefährlicher Schnellkraft. Nun schlichen sie durch die Waldnacht und
mieden, heraustretend, sorgfältig die bewachten Weingärten. Erst im
Bachbette, dann durch Ried und Sumpf wateten sie; Tikosch trug seinen
Browning.

In weitem Bogen wichen sie dem nachtstillen Orte Vrazograci aus,
der nur eine Viertelstunde vor der Brücke lag. Näher an der Brücke
steckte Tikosch seine Pistole ein und zog das Jagdmesser, denn es
mußte womöglich stille Arbeit getan werden, damit man sie nicht vom
Orte aus ertappte. Der Hannoveraner hatte den Standhauer und schwang
ihn angriffslustig durch die Luft, daß er pfiff; nur der Tiroler, dem
das Schießen von Kind auf im Blute lag, hatte den Vorderlader bekommen
mit dem scharfen Befehl, erst dann zu schießen, wenn es nichts mehr
zu verheimlichen gab und Not am Manne war. Sein Phlegma verbürgte,
daß er die Ladung im Laufe behielt, wenn nicht der Feind früher
schoß. Der nasse Heinrich trug die Fliegerbomben. Tikosch hatte ihm
gesagt, daß sie erst acht Sekunden nach dem Aufschlagen zündeten, und
zeigte ihm, wie man sie durch Schlag entzünden mußte. Dann hieß es
kaltblütig bis fünf oder sechs zählen, und dann erst sorgsam werfen.
Das hatten sie im Biwak geübt. Stürmte eine Übermacht auf sie zu und
war für das Schnellfeuer der Browning zu stark, so bekamen sie ein paar
»Knallzuckerl«, wie Tikosch seine Bomben nannte, zwischen die Beine.
Das sollte auch auf der Brücke gelten, wenn die ganze Wache auf sie
loskam; so kriegte die Brücke auch gleich was ab. Lief aber alles in
Ruhe ab, so kam die große Sprengbüchse an den Pfeiler; das gab dann
ungleich mehr aus.

Sie bogen nun weit nach Süden aus; der Ort war überwunden.

Gegen die Brücke zu lief ein Bahndamm, und Tikosch hatte geplant,
sich hinter dem Schutze dieses anzuschleichen und auf die Gelegenheit
zu warten. Während sie hier die Telegraphenleitung mehrfach
durchschnitten, kam ein fernes Hallen aus dem Norden, das sich an den
Wäldern und Bergen links immer mehr verwirrte und verstärkte, und
brachte sie zum Lauschen.

»Es ist ein Zug, der von der Donau herkommt; er muß in Trnawatsch
sein,« sagte Tikosch. »Warten wir, bis er in Vrazograci eingefahren
ist, und benützen wir ihn dann, um in seinem Schutze ganz nahe
heranzukommen. Übrigens ist in Zajetschar Knotenpunkt, und kurze Zeit
nach dem Donauzug wird einer von Zajetschar aus abgelassen. Das haben
wir jedesmal gehört in diesen Nächten. Mit dem Donauzug pirschen wir
uns an. Mit dem Zajetscharer Zug überrumpeln wir den Posten auf dem
linken Ufer. Den auf dem rechten nähme ich gerne auch selber auf mich,
denn das wird Arbeit für einen ungewöhnlich geschickten Kerl sein. Aber
ihr könnt keiner die Sprengbüchse sachgemäß befestigen?«

Der scheckige Simon widersprach hartnäckig; den Posten am rechten
Timokufer wollte er allein abtun, und zwar so stille, daß die in der
Baracke gar nichts ahnten. Er hatte seinen Plan, und eine solche
Zuversicht brannte in seinen Augen, daß Tikosch ihn gewähren ließ. Sie
lauerten. Der schwache Mond trat dann und wann hervor und zeigte ihnen,
daß wirklich zwei Posten auf der Brücke hin- und wiedergingen. Der vom
linken Ufer, auf ihrer Seite also, ging stets ein Stück den Bahndamm
entlang gegen Vrazograci, kehrte dann um und ging bis über die Mitte
der Brücke, wo er sich mit dem andern Posten häufig traf. Sie schienen
sich aber dort, in trägem Hinduseln, wenig mitzuteilen, denn oft
machten sie schon dreißig Schritt voneinander kehrt und streiften dann
jeder wieder seine eigene Partie ab. Auch geschah ihr Zusammentreffen
auf der Mitte der Brücke durchaus nicht regelmäßig, sondern meist
kehrte der eine um, wenn er den andern jenseits erscheinen sah. Aber
gerade auf dieses Zusammentreffen gründeten Tikosch und der scheckige
Simon ihren Plan.

Endlich grollte das schwache Donnern des Zuges von Norden heran. Seine
Fenster waren fast gar nicht beleuchtet; es mußten viele Lastwagen
darunter sein. »Da kriegen die Kerle wieder Fraß und Munition von
Rußland über Rumänien,« sagte Tikosch grimmig. »Schade, daß wir nicht
gleich den Zug mit ins Wasser sprengen können!« Der Eisenwurm kroch
heran; langsam wurde das Rollen und Grollen stärker, ging in ein
Donnern über.

Tikosch warf noch einen furchtbaren Blick auf den ahnungslosen Posten,
der auf der linken Bahnseite stand. Ihm gegenüber war ein kleiner
Busch, den sich Tikosch merkte. Er wußte, daß die Posten instinktiv
stehenblieben, wenn ein Zug vorüberrollte, und diesen anstarrten. Durch
das wenige Licht, das aus den Fenstern drang, mußte der Posten doch
immerhin etwas geblendet werden, und wenn er die Stelle erreichte, ehe
der letzte Wagen vorübergerollt war, so konnte er auf einen Erfolg
rechnen.

Als daher der Zug herankam, sagte Tikosch: »Folgt mir, so schnell ihr
könnt!«

Dann sprang er, auf die Dunkelheit und den Umstand bauend, daß die
Augen des Lokomotivführers ans Grelle gewöhnt waren, empor, sobald ihn
die Maschine erreicht hatte, und lief in einem geradewegs verrückten
Tempo neben dem Zuge her, dessen Geschwindigkeit die eines frischen
Radfahrers nicht übertraf. So überholte ihn der Zug nur langsam, wie er
unten am Damme in der Dunkelheit dahinsprang, und der letzte Wagen kam
eben an den Busch, als Tikosch diesen erreichte.

Wie ein Panther sprang der geschmeidige Offizier dicht hinter den
Signallichtern des davoneilenden Zuges über den Damm und sah das
beleuchtete Antlitz des Postens dem Zuge nachstarren; aber das war nur
eines Blitzes Länge so. Denn im nächsten Augenblick hatte sich der
rasend schnelle Ungar auf den emporschreckenden Mann geworfen, die
eine Hand faßte nach der Kehle, die andere stieß zu -- -- lautlos fiel
der Mann um, und über die ihn festhaltenden Hände des Offiziers, der
noch einen Schrei befürchtete, sprang in heißem Strahle das Blut des
Erstochenen.

Tikosch rollte beinahe mit dem Fallenden den Bahndamm herunter, so
schwer sank der hintenüber.

Dann, als er sah, daß der fremde Mann ein schmerzlos und angstfrei
Ende gefunden hatte, glitt er wieder über den Damm zurück, wo die
Gefährten eben ankamen. »Den einen haben wir,« sagte er atemlos, aber
mit grausiger Sachlichkeit. Nun warteten und lauschten sie. Wenn auch
nur ein Mensch im Zuge etwas von den Anspringenden gemerkt hatte, so
blieb die Maschine jenseits der Brücke stehen. Dann hieß es nur schnell
die Bomben werfen, damit wenigstens der Oberbau zertrümmert würde und
die von drüben nicht nachkämen. Aber in ungemindertem Donnern rollte
der Zug weiter gegen Veliki Izbor zu und verrasselte in der Ferne, wo
die steilen Felsenufer der bulgarischen Grenze das Donnern hundertfach
wiederholten.

Aufatmend standen die viere. Nun kam aber das Schwierigste, und so
spannend wurde jetzt die Szene, daß selbst das Herz des Offiziers
zu jagen und tollzuwerden begann. Wie ein Jagdfieber ergriff es
ihn, und er mußte mit aller Gewalt Herr dieser Erregung werden, die
ihn schüttelte, während er dem Toten die Kleider auszog und dem
scheckigen Simon hineinhalf. Grimmig lachend streckte sich der in der
wilden, schmutzigen Tracht des Komitatschis, und wohlgefällig ergriff
er das alte Mausergewehr des Gefallenen. Er erkannte gleich die
deutsche Arbeit. »Da kenn' ich mich aus,« sagte er und schlug an den
Verschluß. Dann sah er nach, ob die Büchse geladen war, nickte kurz und
schritt langsam und hochaufgerichtet mit der ganzen trägen Würde des
Orientalen, dessen Kleider er trug, auf dem Damme nach der Brücke zu.
In entsetzlicher Angespanntheit folgten ihm, an den Damm geduckt, die
drei andern, die eine ganze Weile nur Zuschauer sein durften; denn auf
die Brücke konnte außer Simon sich keiner wagen.

Langsam, schauerlich langsam schritt der Deutsche auf dem Damme dahin,
und Tikosch, der ihn am liebsten befeuert hätte, bewunderte dennoch
klopfenden, jagenden Herzens die entsetzliche Fassung dieses Mannes,
der ganz genau wußte, daß die geringste Eile Verdacht erregen mußte! In
grausig träger Faulheit schlenderte der Mordgierige gegen die Brücke,
kam an das Ufer, drehte sich faul und gelangweilt um, sah hinter sich,
neben sich am Flusse hinab und schien gar nicht mehr von der Stelle
zu wollen. Aber er wartete mit der Gespanntheit einer lauernden Katze
auf den Posten von der andern Seite, der ebenso träge herankam und gar
nicht auf die Brücke zu wollen schien. Und doch mußte er so weit wie
möglich herüber!

Endlich, als sein Kamerad so gar nicht aufhörte, in den Fluß zu
schauen, kam er schlendernd und gleichgültig näher, und eine Welt von
Zwecklosigkeit lag in seinem Todesgange. Denen an der Brücke brannten
und kreisten die Augen, so fressend verfolgten sie ihn mit den Blicken.
Und langsam schlenderte auch der falsche Posten in seinen Opanken vor
sich hin; die beiden kamen sich in unerträglicher Gleichgültigkeit
näher, näher. Nun waren es noch drei Schritt, und Simon brachte es
zuwege, sein Gewehr, Kolben rückwärts, über die Schulter zu nehmen und
sich über das Brückengeländer zu beugen. Da trat der fremde Posten
neugieriger ganz nahe an ihn heran.

Die dreie sahen nur noch, wie der Gewehrkolben des Simon blitzschnell
in die Luft fuhr und herniederzuckte. Das Krachen des furchtbaren
Hiebes verschlang der rauschende Fluß, aber sie hörten es dennoch in
ihrer entflammten Phantasie, so grauenhaft deutlich war ihnen alles.
Und wie vom Blitz erschlagen lag der serbische Mann. Simon beugte sich
noch über ihn, als die drei schon heranwaren, aber da gab es nichts
mehr zu retten; der feindliche Posten war schon hinüber.

Mit schrecklicher Geschwindigkeit entwaffnete ihn Tikosch und gab
Gewehr, Patronentasche und Bajonett an den Tiroler, der seinen
Vorderlader nun an den Schullehrer abtreten mußte. Dann schwang
sich der Offizier, der rasch ein Seil hervorgezerrt und an das
Brückengeländer geknüpft hatte, über die Brüstung, um den Hals die
große Sprengbüchse, und verschwand in der Nacht unter ihnen.

Atemlos lauschten die dreie nach der Baracke, und jede Minute kam ihnen
vor wie eine Stunde. Wenn jetzt Ablösung herauskam! Der Schulmeister
hielt in jeder Hand eine Bombe; nervös zuckten ihm die Arme, aber er
wußte doch, was er zu tun hatte, wenn sie jetzt ertappt wurden. Ja, er
ging sogar ein paar Schritt über den Brückenpfeiler hinaus, damit er
nicht voreilig seinen Leutnant mit absprengte, wenn die von drüben sie
anrannten. Und sie brannten ihre Blicke in die Nacht, lange, lange;
dies Warten war zum Wahnsinnigwerden. Denn jetzt gab es nichts zu sehen
wie früher; nur das Nichts belauschen konnten sie, das Nichts, aus dem
jeden Augenblick der Tod auf sie zuspringen konnte.

Aber die Kerle drüben schienen zu schlafen, wie die ewige Gnade in
dieser schaurigen Zeit!

Endlich, endlich kam Tikosch über den Bord der Brücke geklettert,
keuchend quoll ein unterdrückter Triumphruf aus seinem aufgerissenen
Munde. »Und jetzt hallo, zurück, die Lunte brennt! Brrr! Aber leise,
husch, husch, es dauert eine ganze Weile, bis es knallt, und sie
können noch dreimal herüber!« Und geduckt wie Katzen sprangen die
Verschworenen den tödlichen Weg zurück, den sie gekommen waren, wichen
dem Städtchen ostwärts am Flusse hinbiegend aus und traten dort, wo
die Bahn wieder an die Krümmung des Timok schloß, ans Ufer. Gespannt
horchten sie -- nichts war. Da kam das Rollen des Zuges von Zajetschar,
ganz ferne.

»Der Teufel, wenn die Zündschnur ausgelöscht wäre oder sonst was nicht
in Ordnung ist!« flüsterte Tikosch. »Wir müßten zurück!«

»Ich kann nimmer,« keuchte der nasse Heinrich. »Das war zu viel!«

»Du wirst,« sagte Tikosch mit erschreckend tierischem Ausdruck in den
Augen.

Er war wild geworden. Wenn der Sprengschuß nicht losging, dann war er
in seiner sinnlosen Wut zu allem fähig.

Der nasse Heinrich senkte sein Haupt und war wieder im Banne des
starken und gefährlichen Kerls, der ihn mit seiner ganzen Gescheitheit
umzudrehen vermochte wie der Riese ein Kind. Er biß sich im geheimen
auf die Lippen, nahm sich vor, diese Gewaltnatur baldigst zu meiden und
dann drüber nachzudenken, ob es ein Mittel des Geistes gegen derartige
tyrannische Energien gäbe.

Aber mehr und mehr stieg sein Unbehagen, unter dem er sich wand und
drehte, weil das Hinhorchen Tikoschens nach der Brücke sich jetzt
gänzlich in Spannung und in einem schrecklichen Blick konzentriert
hatte, den er auf den rebellischen Schwächling heftete. Dieser Blick
drehte und bohrte an ihm wie etwas körperlich Wuchtendes.

»Siehst du, daß du mußt,« sagte der Leutnant mit einem unbeschreiblich
teuflischen Hohn in der Stimme, als hätte er selber seine ungeheure
Gewalt über dieses feine Gehirn erkannt. »Ich wußte schon seinerzeit,
als ich dich das erstemal -- -- --«

Weiter kam er nicht. Ein leiser Schrei Simons, der die Feuergarbe an
der Brücke emporfahren sah, unterbrach ihn. Dann kam ein furchtbarer
Knall; er erschütterte die Nacht und wurde von einem wilden Triumphruf
des Offiziers begleitet, der jetzt wie umgewandelt war. Er lachte, fiel
dem nassen Heinrich um den Hals, schrie ihm zu: »Bruder, Bruder, sei
gut!« Und dann rannten sie um Tod und Leben am Timokufer entlang, erst
an der Lahn, dann ins Wasser springend und watend, soweit es die Ufer
zuließen, die hier bald wieder steiler wurden. Der Fluß riß einen um
den andern dahin, aber immer wieder warf Tikosch ihm den Strick zu, den
er von der Brücke in merkwürdiger Geistesgegenwart noch losgeschnitten
hatte, und rettete so erst den nassen Heinrich, der jetzt wirklich bis
auf die Haut durchgeweicht war, und dann den Tiroler.

Als sie sahen, daß ihre Munition, deren sie jetzt sehr bedurften,
auf diese Weise zu Schaden kommen müsse, bogen sie gegen Westen ab
und kamen hinter Mala Jasikova wieder auf die Straße, ohne etwas von
Verfolgern gesehen zu haben. Denn die drüben, welche glauben mußten,
daß die Brücke von der bulgarischen Seite gesprengt worden war, hatten
genug zu tun, um den Zug von Zajetschar her aufzuhalten. Man hörte sie
brüllen!

»Wenn die Kerle Kavallerie haben, dann geht's heiß zu,« sagte Tikosch.
»Aber zu fürchten ist auch dann immer noch nichts! Sie glauben uns ja
doch am andern Ufer!«

Sogleich wollte der besonnene Simon auch hier die Telegraphenleitung
durchschneiden, wie sie es an der Brücke getan hatten, aber Tikosch
hinderte ihn daran. »Es wäre geradezu ein Wegweiser für unsere
Verfolger,« sagte er. »Unsere Spuren, die sie ja wieder mit Hunden
aufnehmen werden, führen an den Timok gerade an die Stelle, wo die
bulgarische Grenze am nächsten ist! Da wir in den Fluß hinein sind,
müssen sie glauben, wir haben uns hinübergerettet, und uns für eine
bulgarische Bande halten, die sie nicht mehr weiter verfolgen können.
Ich wette, es kommt niemand auf die Idee, daß wir ganz gemütlich im
Lande gegen Negotin weitermarschieren!«

»Aber warum sind wir nicht gleich nach Bulgarien hinüber?« fragte der
Schulmeister.

»Ich danke! Ich habe an ~einem~ neutralen Land, das uns festhalten
kann, gerade genug und will nicht doppelte Grenzschwierigkeiten haben,«
lachte Tikosch und trieb seine Gefährten zu einem Gewaltmarsch an,
bei dem ihre durchnäßten Kleider bald wieder trocken und ihre Körper
warm wurden. So wanderten sie in einem Tempo, das nur abgehärtete
Walzenbrüder zu ertragen vermochten, mit beinahe sechs Kilometer in der
Stunde die ganze Nacht.

Eine Stunde vor Mitternacht war die Brücke in die Luft geflogen, und
mit Anbruch des Tages, der in diesen Herbstzeiten erst lange nach fünf
Uhr zu grauen begann, kamen sie hinter Salasch in ein Hügelland, in dem
die Straße stark zu steigen begann. Bisher waren sie durch fruchtbares
und angebautes Land gewandert, immer flugs im Straßengraben, sooft ein
einsamer Nachtwanderer oder ein Wagen nahekam; jetzt wurde das Land
öde. Links von ihnen zogen sich noch Felder und Viehweiden gegen Sikale
hin, rechts begann aber der Wald, und das Gebirge, durch dessen Paß die
Straße sich wand, mochte immerhin schon als Bergland gelten. Der große
Wald rechts an der Straße war der letzte auf ihrem Wege; denn bis über
Negotin und an die Donau hin gab es außer Fruchtland nur Sümpfe und
bestenfalls Auen. So beschloß Tikosch, hier den Tag zu verschlafen, und
die drei Vagabunden wollten im nächsten Dickicht schon hinfallen, so
müde waren sie.

Tikosch, der auch ein Gefühl hatte, das ihn antrieb, am liebsten auf
dem Bauche weiterzukriechen, hielt sich mit übermenschlicher Gewalt
aufrecht. »Es ist der letzte Tag auf serbischem Boden,« redete er den
Erschöpften zu; »wenn sie uns heute entdecken, ist alles verloren! Es
heißt, alle Kräfte zusammenraffen und eine große, undurchdringliche
Dickung suchen, wie die, an welche wir gewöhnt waren, und die uns ganz
sicher schützte.« Und er trieb sie wieder auf, bis sie an einem ganz
mit Brombeerdorn verwucherten Schlag eine niedrige, wildverworrene
Waldstelle fanden, in die Tikosch den Weg mit Messer und Standhauer
bahnen mußte. Denn seine Kerle waren dazu außerstande und warfen sich
gleich auf die Erde hin, um zu schlafen.

Als Tikosch ihnen inmitten des Jungholzes, das hier aus Buchen und
Eichenhorst bestand, ein Nest geschaffen hatte, trug er die Waffen und
die ganze ärmliche Habe der dreie hinein und entzündete aus trockenen,
kurzen Holzstücken eines jener kleinen Feuer, die beinahe gar nicht
rauchen. Dann bereitete er ein tüchtiges Frühstück und weckte erst
jetzt seine drei armen Teufel, die zuerst nur immer weiterschlafen und
gar nichts essen wollten, bis der nasse Heinrich am Dufte des Tees
merkte, daß das ein Grog war, wie man ihn an der Nordsee braut: bei
dem das Wasser nur die Rolle einer verschämten Anstandsdame spielt. Da
riß er durch seine Begeisterung die beiden andern hin. Diese griffen
jetzt auch nach dem auf einem Spieße gebratenen Fleische vom letzten
Rehbock, den Tikosch hatte schießen können, und so trocken das an
der Sonne Gedörrte auch war, es schmeckte jetzt. Erst als Tikosch
sie wieder satt, erheitert und ganz bei Kräften sah, ließ er sie
weiterschlafen, warf sich selber hin und schlief auch schon während
der Überlegung, ob es sich auf der andern Seite nicht noch behaglicher
läge, ein.

Den ganzen sonnigen Tag raunzten die viere so dahin. Gegen Nachmittag
streckte sich einer, gähnte und suchte nach Futter; die andern folgten
ihm und aßen, was ihnen noch geblieben war: geröstete Maronen, Speck
und kalten Braten, und tranken den letzten Wein, den Heinrich gestohlen
hatte. Dann schliefen sie wieder weiter. Nur Tikosch sah sich die Karte
an und berechnete den Weg, den sie um das dichtbesiedelte Negotiner
Gebiet zu umschlagen hatten, um an die Donau zu kommen, ohne gesehen
zu werden. Denn ihre Vorräte waren zu Ende, und die nächste Nacht mußte
sie auf rumänischem Boden finden.

Dieser Nachtmarsch durch Sümpfe und Auhölzer, oft bloß den Sternen und
dem Kompasse nach, war trotz seiner geringeren Länge von kaum dreißig
Kilometer der anstrengendste, den sie bisher durchgemacht hatten,
und obwohl die viere schon nach Einbruch der Dunkelheit aufgebrochen
waren und über zehn Stunden Nacht vor sich hatten, so war schon ein
ungewisses Licht über der Ebene des Ostens, als sie an dem riesigen
Strome anlangten, wo sie lange, lange in steigender Verzweiflung nach
dem Boote suchten, ohne es zu finden. Keiner erkannte die Gegend, so
düster, neblig und ungewiß war alles.

Der Fluß wurde graulich, und immer noch hatten sie kein Boot. Da
sagte Tikosch entschlossen: »Jetzt gehen wir so weit, bis wir eines
zu rauben oder zu stehlen finden. Wir müssen einfach drüber, und
wenn's knallen sollte. Herrgott, ich würde für einen ordentlichen
Kampf dankbar sein!« Und ohne sich um die verdutzten Gesichter seiner
Genossen, die sich schon sicher gefühlt hatten, zu kümmern, schlug er
den Weg nach dem Orte Prahovo ein.

Es war die höchste Zeit, denn die Gegenstände am Ufer wurden schon
ungewiß und verwaschen sichtbar. »Es muß ein Zollhaus oder sonst was
dort im Dorfe sein; da nehmen wir gleich das offizielle Kriegsboot der
Finanzwache weg! Haha!«

Und wirklich: gleich am Beginne des Ortes lag eine kleine Lehmhütte,
die das serbische Wappen trug. Eine elende Holztreppe führte zur Donau
hinunter, und dort lagen, undeutlich zu sehen, zwei Boote. Tikosch
rannte hin. Besinnungslos, und so schnell er konnte, stürzte er
den Abhang hinab und mußte nun auch die Arbeit allein tun, die er
hier fand. Denn er prallte gerade mitten unter ein halbes Dutzend
von Zollwächtern, die eben auf ihre Boote zukamen, um flußabwärts zu
streifen. Ohne Besinnung riß er den Browning heraus und schoß auf
die schattenhaft sichtbaren Gestalten, indem er so scharf zu zielen
versuchte, als es nur möglich war. Einer fiel, ein zweiter wankte, die
andern schrien auf und schossen blindlings vor sich hin. Tikosch hatte
sich sogleich auf die Erde geworfen und schoß, die Pistole auflegend,
mit noch mehr Besonnenheit nach einem dritten der nebelgrauen Männer,
der auf ihn zugestürzt war. Lang hinschlagend schmetterte auch
der zu Boden, und jetzt kamen mit Hurra und Donnerwetter die drei
Strolche hinterher; die Finanzer prallten zurück und verschwanden im
Morgennebel. Mit rasender Geschwindigkeit durchschnitt jetzt Tikosch
die Stricke, die beide Boote hielten, trieb seine Gefährten hinein und
stieß ab, indem er das andere Boot hinter sich herzog.

Die dreie ruderten verzweifelt in das träge Grau des Stromes hinaus,
und vom Ufer her knallte und prasselte es kopflos und wütend ins Graue
hinein. Der Nebel verbarg die Flüchtlinge; aber da die Wache nach dem
Schlagen der Ruder die Richtung vermuten konnte, so sauste und heulte
es in bedenklicher Nähe dicht um sie. Alle Augenblicke sprühte ein
Wasserschlitz neben ihnen dahin, wenn ein Geschoß den Fluß streifte.
Der nasse Heinrich, der das zweite Boot zu halten hatte, ließ es los.
Dann wurde es stiller. Sie fahndeten dort drüben jetzt offenbar nach
dem anderen Boote.

Tikosch hatte das zwecklose Feuer gar nicht erwidert, um den Gegnern
nicht die Richtung, in der sie hielten, noch deutlicher anzugeben.
Jetzt packte er selber ein Ruder und stemmte sich dagegen, daß es
beinahe brach. Mit leisen Rufen eiferte er seine Gefährten an: »Hallo,
wacker! Die Donau ist hier mindestens ein Kilometer breit, und wir
können sie nur schräge durchrinnen! Das braucht eine halbe Stunde, aber
es muß eine Viertelstunde draus werden! Nasser Heinrich, du Lump hast
das Boot losgelassen? Zieh an, zieh an! Was hast du denn?«

»Ich weiß nicht,« sagte der Vagabund ängstlich; »mich hat's da vorn an
die Brust geschlagen, und jetzt wird mir so warm an der Stelle.«

»Kreuz Teufel!« rief Tikosch leise und sprang zu ihm hin. Er riß ihm
Rock und Hemde auf und sah, daß der verlaufene Schulmeister mitten
durch die Brust geschossen war. »Rudern, rudern, wie die Teufel,«
drängte er, und nachdem er den Ärmsten, der sich gar keiner Gefahr
bewußt schien, notdürftig verbunden hatte, griff er selber zum Ruder.

Aber es schien, als führen sie ins Endlose, ins Nebelreich ohne Trost
und Hoffnung hinein! Dieser Weltenfluß war wie ein großer See, und kaum
eine leise Strömung zeigte die Richtung, wohin er wollte.

Der Verwundete wurde blaß; aber als Tikosch ihn fragte, ob er Schmerzen
hätte, lächelte er ungemein gütig und trostreich und schüttelte den
Kopf. Nur daß er mit dem Atem Beschwerden hatte, war deutlich. Und die
dreie bissen die Zähne aufeinander und ruderten und ruderten.

Der Morgen wurde klarer, die Nebel trieben hier- und dorthin, und wenn
sie einen Augenblick die Ferne preisgaben, sahen die Flüchtlinge große
Segelschiffe wie Geisterbriggs auf den Wassern schweben, geräuschlos,
verschlafen und unbelebt. Endlich hörte selbst die leise, unmerkliche
Strömung auf, die sie bis hier abgetrieben hatte, und Tikosch sah
graulich die Bäume des andern Ufers. »Rumänien!« rief er.

Der nasse Heinrich lächelte noch immer. »Hier werde ich von euch
Abschied nehmen,« sagte er leise. »Ich muß diese dumme Wunde ausheilen,
dann aber gehe ich nach Süden. Ich mag nichts zu tun haben mit den
Händeln der Menschen. Ich bin vielleicht ein Egoist; aber wer wie ich
den alten Göttern so nahe in die unsterblichen Augen geschaut hat,
der kann nie und nimmer zu den Märkten, zum Gewinn und -- -- -- und
solchen Dingen zurück. In Griechenland wird mich die Sonne heilen. In
Griechenland wird mir mein Onkel Boreas seine schönste Musik machen,
die ich so gern habe, und ich werde dabei schlafen wie ein Kind, ohne
daß ein Leutnant mich anschnauzt. Na, nichts für ungut. Ich habe mich
ja doch für einen armen Schulmeister brav genug gehalten.«

Tikosch drückte ihm die Hände; dann stießen sie, unverfolgt und in
großer Stille, an das Ufer, und der Leutnant trug den Wunden mit
behutsamen Händen auf den Grasboden der Au. Hinter den Bäumen glänzte
es feurig empor, die Sonne, die neue Sonne ging auf, unter der sie frei
waren und wieder am Tage leben durften, sie alle, bis auf den einen.

Der sprach noch einige undeutliche Worte, man möge ihn zudecken, es
würde frostig; dann murmelte er etwas vom feurigen Phöbus, riß seine
Augen groß auf, drehte sich neugierig nach dem Morgenrot und starrte so
lange hinein, bis seine Pupillen ganz groß wurden, trotz der blendenden
Glut. Die Augen nahmen den Ausdruck ungeheurer Neugier und Spannung an
und blieben selbst, als der Körper mit einem kleinen Rückchen in sich
zusammensank, eine ganze Weile so, bis Tikosch merkte, daß sie wesenlos
geworden waren.

»Nach Griechenland,« sagte Tikosch wehmütig. »Jetzt ist er nahe
beisammen mit seiner Natur und seinen alten Göttern. Sonne, Wind und
Wald!« Und er griff seufzend nach seinem kleinen Infanteriespaten und
begann das Grab zu schaufeln.




Auf der Gerebenczer Pußta stand das neue Flugzeug des Oberleutnants
Tikosch klar zum Aufstieg. Ein Generalstabsoffizier saß schon im
zweiten Sitz und breitete seine Karten vor sich aus. Tikosch sah seinen
Ettrich-Flieger noch einmal in allen Teilen sorgsam durch, dann ließ er
es sich nicht nehmen, selber den Motor anzuwerfen. In diesem Augenblick
trat ein Mann in der Uniform des deutschen Skutaridetachements, jedoch
mit der großen silbernen Tapferkeitsmedaille geschmückt, auf ihn zu,
machte stramm Stellung und sagte: »Ich wollte dem Herrn Oberleutnant
nur Glück zu seinem Fluge wünschen und mich vor Abschied gehorsamst
für die schöne Eingabe über mich bedanken, der ich die Medaille
verdanke.«

Einen Augenblick starrte Tikosch, der schon ganz bei seinem Fluge
gewesen war, den Khakibraunen verständnislos an, dann aber schrie er
lachend heraus: »Ja, Simon, scheckerter Simon, was machst denn du in
der Maskerad?«

»Ich melde gehorsamst, Herr Oberleutnant, die ist von einem Gefallenen
des deutschen Detachements, und ich liefere sie gleich auf meinem Leibe
nach der Heimat zurück ab. Ich bin telegraphisch angenommen worden, und
Herr Oberleutnant werden verstehen, daß ich doch lieber an der Seite
der eigenen Leute gegen unsre vollen Franzosen gehe, als hier gegen
diese Mistkerls.«

»Du, Mistkerls sind die Serben gerade nicht,« sagte Tikosch. »Sie
schlagen sich wie die Teufel. Aber du willst natürlich besser
verpflegt sein, du alter Lump! Glückliche, ihr da droben in den
Weingärten der Champagne! Unsere armen Kerle da fressen seit Wochen
rohen Kukuruz und sonst nichts. Wenn du zu deinen Kameraden hinauf
kommst, erzähl' ihnen von unsern stillen Tagen im Dickicht! Weißt
du, warum es damals gar so einsam in der Negotiner Gegend war? Die
Timokdivision hat gerade damals den Vorstoß nach Österreich gemacht,
und während wir die Brücke bei Zajetschar gesprengt haben, ist sie mit
Putz und Stengel von den Unserigen aufgerieben worden. Und jetzt geht's
nach Serbien hinein, aber schon ordentlich! Leb' wohl, Simon, grüß'
mir die deutschen Brüder und sag' ihnen, daß wir da herunten noch nie
gewichen sind!«

Er stieg in das Flugzeug. Seine letzten Worte mußte er schreien,
denn der donnernde Motor verschlang jeden anderen Ton. Das Flugzeug
zitterte unter seinen Vibrationen, Simon sprang zur Seite, denn der
Vogel begann zu laufen, erhob sich leicht wippend in die Lüfte und
kreiste empor. Tikosch war wieder in seinem Element. Trunken vor
Glück zog er die scharf entgegenpfeifende Luft ein; das viele Licht
des herrlichen Oktobertages machte ihn wie toll. Und als er, hoch in
den Lüften, ganz klein geworden war für die vielen, die ihm von der
Erde her hoffnungsreich nachsahen, lenkte er den Kurs über die Donau
ins Serbische hinein, für den Plan des großen Angriffes, den die
Österreicher auf die wankenden Mordbrüder zu machen gedachten, klaren
Tisch zu schaffen.

Als sie von Pozarewatsch gegen Palanka flogen, immer von Kugeln
umschwirrt wie von lästigen Fliegen, lachend in ihrer sicheren Höhe,
da zeigte Tikosch dem Generalstabshauptmann links vor sich die kahlen
Höhen des Lissatz.

»Schau, dort hinüber; hinter diesen höchsten Waldbergen, das ganz
Blaue, das ist die Golobinje Planina und der Stol. Dort bin ich aus
der Luft gefallen und hab' dem wilden Wald so recht alle Geheimnisse
abgucken müssen, damit ich nur hab' leben können. Wie Robinson hab' ich
mir alles selber machen und einlernen müssen. Du! Denn wenn sie mich
erwischt hätten, ich wär' massakriert worden. Du, hast du auch schon
philosophische Anwandlungen g'habt?«

»Ja,« schrie der Generalstäbler, was er konnte; denn der Motor donnerte
gar zu prächtig.

»Ich noch nie,« sagte Tikosch, »aber dort oben bin ich ins Grübeln
'kommen. Weißt du, eine Zeit hab' ich die Leut' beneidet, die so
mit einem recht gescheiten Schädel auf die Welt 'kommen sind und
jetzt ihr Leben dazu benützen, um nachzudenken, was mit allen diesen
Verrücktheiten, die wir erleben müssen, gemeint sein könnt'! Alsdann:
da oben im Wald sind auch mir solche Gedanken gewachsen. Du, und ein
Mädel hab' ich dort kennen gelernt, schön und g'scheit wie eine Göttin!
Aber im Grund genommen war sie doch eine Gans. Denn wozu ist das Weib
auf der Welt, als seine Armerln unsereinem um den Hals zu legen? Also,
das hat sie nicht wollen, auch bei keinem andern. Ich hab' damals schon
geglaubt, ich bin keinen luckerten Kreuzer wert. Fazit: das Denken
entnervt und nimmt einem sein Selbstvertrauen; der Mensch soll nicht
denken!«

»Hast recht! Zu große Gescheitheit ist immer das End',« schrie der
Generalstäbler fröhlich zurück. »Das Volk, das am festesten an
irgendeiner Nationaldummheit hängt, lebt am längsten. Erfinden wir für
Deutschland und Österreich einen Spezialjehova. He, he, wo fliegst denn
hin?«

»Herr Hauptmann, ich nehm' Richtung auf das Hügelland im Westen. Ist
das da unten Palanka?«

»Noch weiter nach Süden,« rief der Hauptmann. »Wir müssen uns in
Kragujewatsch umschauen!«

Eine Schrapnellsalve platzte; rings um sie pufften die gelben Wölkchen.
Tikosch lachte.

»Herrgott,« rief er, »müssen sich die Kerl' unten ärgern, daß sie uns
nicht herunterkriegen! Jede Kugel, die sie uns schicken, ersparen wir
einem von unsern Bakas! Schießt's, was ihr habt's, herauf und geht's
betteln!«

Die Tragflächen wurden da und dort durchlöchert, aber selten. Und
wie berauscht, daß sie im feindlichen Feuer, siegreich wie Adler
und lachend über den Grimm der Tiefe, ihren stolzen Zug über das
Himmelsblau schrieben, saßen die beiden kühnen Männer; der eine über
seiner Karte notierend und kurze Weisungen nach vorne rufend, die der
andere jedesmal mit einer neuen graziösen Kurve ausführte, die Hand am
Steuer, den Blick fest und fröhlich, alle Sinne gespannt, alles auf
einen Punkt gerichtet.

Auf einen Punkt!

Ganz, ganz anders als dort oben, in den gotteseinsamen Wäldern des
Stol, wo der Geist sich ins Grenzenlose breiten wollte und zu verzagen
begann! Kein Philosoph: Nein! Aber ein Mann der Tat! -- -- --




In der Sammlung der »~Ullstein-Bücher~« erschienen ferner von

                          Rudolf Hans Bartsch

                           ~Elisabeth Kött~

  Der Aufstieg einer begnadeten Schauspielerin aus den Tiefen des
  Volkes zu den Höhen der Kunst und der Gesellschaft -- eines der
  reifsten und reichsten Werke des berühmten österreichischen Dichters.


                         ~Der letzte Student~

  Ein buntbewegtes Bild von dem Achtundvierziger Revolutionsjahr in
  Wien. Meisterhaft hat Bartsch es verstanden, die Stimmung jener
  welthistorischen Zeit wiederzugeben.


                           Jeder Band 1 Mark




                       Von ~Rudolf Hans Bartsch~

erschienen im Verlag von =L. Staackmann, Leipzig=:


  Frau Atta und der Jäger. 18. Tausend          broschiert M. 4.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  5.--
  --  gebunden in Halbpergament                            "  5.50
  --  gebunden in Leder                                    "  7.--

  Die Geschichte von der Hannerl u. ihren       broschiert "  5.--
      Liebhabern. 25. Taus.
  --  gebunden  in  Leinen                                 "  6.--
  --  gebunden  in  Halbpergament                          "  6.50
  --  gebunden  in  Leder                                  "  8.--

  Schwammerl. 40. Tausend                       broschiert "  4.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  5.--
  --  gebunden in Halbpergament                            "  5.50
  --  gebunden in Leder                                    "  7.--

  Das deutsche Leid. 33. Tausend                broschiert "  5.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  6.50
  --  gebunden in Halbpergament                            "  7.--
  --  gebunden in Leder                                    "  8.--

  Bittersüße Liebesgeschichten. 23. Tausend     broschiert "  4.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  5.--
  --  gebunden in Halbpergament                            "  5.50
  --  gebunden in Leder                                    "  7.--

  Vom sterbenden Rokoko. 30. Tausend            broschiert "  3.50
  --  gebunden in Leinen                                   "  4.50
  --  gebunden in Halbpergament                            "  5.--
  --  gebunden in Leder                                    "  6.50
  --  mit farbigen Lithographien von Hugo Steiner-Prag.
      Ausgabe A in Halbleder gebunden (in Karton)          " 20.--

  Die Haindlkinder. 23. Tausend                 broschiert "  4.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  5.--
  --  gebunden in Halbpergament                            "  5.50
  --  gebunden in Leder                                    "  7.--

  Zwölf aus der Steiermark. 39. Tausend         broschiert "  4.--
  --  gebunden in Leinen                                   "  6.--
  --  gebunden in Halbpergament                            "  6.50
  --  gebunden in Leder                                    "  7.50

  »Seine Bücher sind alle jung ..., von einem starken Gefühl für das
  Gesunde, von einer freudig genießenden Vitalität erfüllt und darum
  so herzerfrischend, wie wenige Bücher unserer Zeit. Wir können,
  mögen sie heute nicht mehr entbehren, ... sie sind Dokumente reinen,
  gütigen Menschentums.«

                                                   ~Reclams Universum.~




                            Ullstein-Bücher

                      Vier vaterländische Romane


                            ~Sturmzeichen~

             Ein Roman von der deutsch-russischen Grenze
                       von ~Richard Skowronnek~

  Packende Bilder, die wie eine Vorahnung des hereingebrochenen Krieges
  wirken, zeigen die todesmutige Bereitschaft der deutschen Truppen zur
  Abwehr der russischen Soldateska und ihrer Kosakenhorden. Ein aus
  der Begeisterung geborenes Werk, eine prächtige Schilderung unseres
  gegenwärtigen nationalen Daseins.


                           ~Lieb Vaterland~

                      Roman von ~Rudolph Stratz~

  Die Geschichte einer jungen Frau, die, von den Stimmen der Fremde
  betört, durch den Schmerz einer großen Enttäuschung zu sich selbst
  und zur deutschen Heimat zurückfindet. Das Werk ist der Roman des
  seiner Ehre und Größe bewußten Deutschtums.


                           ~Ein Winterlager~

                   Roman von ~Franz Adam Beyerlein~

  Tragische Vorgänge von wilder Größe spielen sich in der von
  Kosaken heimgesuchten Neumark ab, und inmitten der schweren Not
  des Siebenjährigen Krieges erfüllt sich ein leidenschaftlicher
  Liebeskonflikt. Dieser Roman Beyerleins ist ein Brevier des
  aufrechten, einer Welt von Feinden trotzenden Preußengeistes.


                         ~Der Krieg im Dunkel~

                 Ein Spionage-Roman von ~Ludwig Wolff~

  Das Werk ist ein groß angelegtes, überwältigendes Zeitbild. Es stellt
  Österreichs Völker und Menschen am Vorabend des Krieges dar, die
  geheime Wühlarbeit Rußlands und die heroische Abwehr. Ein tragisch
  gefestigtes, stolzes Vaterlandsgefühl atmet aus diesem Roman.


                          ~Jeder Band 1 Mark~


                            [Illustration]


                            Ullstein & Co.
                             Berlin SW 68





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER FLIEGER ***


    

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
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freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
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