Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung

By Mark Twain

The Project Gutenberg eBook of Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung,
by Mark Twain

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you
will have to check the laws of the country where you are located before
using this eBook.

Title: Meine Reise um die Welt. Zweite Abteilung

Author: Mark Twain

Release Date: November 5, 2021 [eBook #66673]

Language: German


Produced by: The Online Distributed Proofreading Team at
             https://www.pgdp.net

*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE
ABTEILUNG ***




    Anmerkungen zur Transkription


    Das Original ist in Fraktur gesetzt. Im Original gesperrter oder
    unterstrichener Text ist _so ausgezeichnet_. Im Original in Antiqua
    gesetzter Text ist ~so markiert~. Im Original fetter Text ist =so
    dargestellt=.

    Weitere Anmerkungen zur Transkription befinden sich am Ende des
    Buches.




    Mark Twains

    Humoristische Schriften

    Neue Folge. 4. Band




    Meine
    Reise um die Welt

    Von

    Mark Twain

    Autorisiert

    Zweite Abteilung

    Inhalt:

    Indien. -- Südafrika.

    [Illustration]

    Stuttgart
    Verlag von Robert Lutz
    1903.




Alle Rechte vorbehalten.


Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.




Inhalt der 2. Abteilung.


_Indien._

Kapitel 1--7. Seite 7--103.

Auf der ›Oceana‹ nach Ceylon. -- Colombo. -- Trachten und Kleider.
-- Bombay. -- Ein indisches Hotel. -- Die indische Krähe. --
Lohnverhältnisse. -- Manuel und Satan. -- Der Besuch des Gottes. --
Beim Fürsten des Palitanastaats. -- Die Türme des Schweigens. -- Eine
Dschaina-Gesandtschaft. -- Allerlei Hautfarbe. -- Eine Hindu-Hochzeit.
-- Im Bahnhof und auf der Eisenbahn. -- Beim Gaikowar von Baroda.

Kapitel 8--18. Seite 104--256.

Die Thugs. -- Von Bombay nach Allahabad. -- Die Suttis. -- Major
Sleeman und die indische Witwe. -- ›Pyjamas‹. -- Indische Dörfer.
-- Der geduldige Hindu. -- Die Messe von Allahabad. -- Ein Bungalow
in Benares. -- Indische Religionen. -- Wegweiser für die Pilger in
Benares. -- Das Gangeswasser. -- Der Verbrennungsplatz der Leichen. --
Auf der Moschee. -- Der Gott Sri 108 und sein Schüler. -- Kalkutta und
das Denkmal von Ochterlony. -- Nach Dardschiling im Himalaja. -- Der
Bazar der Tibetaner. -- Eine Talfahrt auf der Draisine. -- Raubtiere
und Schlangen. -- Der indische Aufstand. -- Tadsch Mahal. -- Weitere
Reise durch Indien. -- Satans Entlassung. -- Der Festzug in Jeypore.

_Südafrika._

Kapitel 19--23. Seite 257--330.

Wonne und Erholung auf einer Seefahrt in den Tropen. -- Die Insel
Mauritius. -- Verwüstungen des Cyklone. -- Europäische Kolonien. --
Die Delagoa-Bai. -- Im Hafen von Durban. -- Ein Trappistenkloster.
-- Politische Zustände in Transvaal. -- Die Johannesburger und
Jamesons Einfall. -- Südafrikanische Goldfelder. -- Die Buren. -- Der
Diamantkrater bei Kimberley. -- Große Diamanten. -- Im Bureau der De
Beers-Gesellschaft. -- Cecil Rhodes. -- Kapstadt. -- Rückfahrt nach
England.




Erstes Kapitel.

        Vergib und vergiß! Das ist nicht schwer, wenn man’s nur
        recht versteht: Wir sollen unbequeme Pflichten vergessen
        und uns vergeben, daß wir sie vergessen haben. Bei strenger
        Übung und festem Willen gewöhnt man sich leicht daran.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Montag, 23. Dezember 1895._ Von Sydney nach Ceylon in dem P. und O.
Dampfer ›Oceana‹ abgesegelt. Die Mannschaft besteht aus Laskaren, den
ersten, die ich je gesehen habe. Sie tragen weißbaumwollene Unterröcke
und Beinkleider, einen roten Schal als Gürtel; auf dem Kopf einen
Strohhut ohne Krempe; gehen barfuß; Gesichtsfarbe dunkelbraun, Haar
kurz, glatt und schwarz; schöner Schnurrbart, glänzend, seidenweich
und tiefschwarz. Sanfte, gute Gesichter; willige, gehorsame Leute,
auch arbeitstüchtig. Doch sagt man, daß sie in der Stunde der Gefahr
vor Angst völlig den Kopf verlieren. Sie kommen von Bombay und der
benachbarten Küste.

Die ›Oceana‹ ist ein großes, prächtig ausgestattetes Schiff, das
alle Bequemlichkeit bietet; es hat geräumige Promenadendecks, große
Zimmer und eine gut ausgewählte Offiziersbibliothek, was nicht häufig
vorkommt ... Zu den Mahlzeiten wird man durch Hornsignale gerufen, wie
auf Kriegsschiffen; man ist froh das schreckliche Gong einmal los zu
sein ... Wir haben drei große Katzen an Bord, sehr leutselige Bummler,
die sich auf dem ganzen Schiff herumtreiben; die weiße Katze folgt
dem Proviantmeister überallhin wie ein Hund; auch ein Korb mit jungen
Kätzchen ist da. Wenn das Schiff in den Hafen kommt, sei es in England,
Indien oder Australien, so begibt sich der eine Kater ans Land, um zu
sehen, wie es seinen verschiedenen Familien ergeht, und man bekommt
ihn erst wieder zu Gesicht, wenn das Schiff im Begriff ist, die Anker
zu lichten. Woher er das Datum der Abfahrt weiß, kann niemand sagen;
vermutlich kommt er täglich nach dem Hafendamm und sieht sich um; wenn
viel Gepäck an Bord geschafft wird und die Passagiere sich einfinden,
merkt er daran, daß es auch für ihn Zeit ist, wieder das Schiff zu
besteigen. Wenigstens glauben das die Matrosen ...

_Tischgespräche_: Ein Passagier äußerte: »Meinen Sie, echter Mokka
werde in der ganzen Welt verkauft? Denkt gar nicht daran! Sehr wenige
Fremde, außer dem Kaiser von Rußland, bekommen in ihrem ganzen
Leben auch nur eine Bohne davon zu sehen.« Ein anderer Mann sagte:
»Australischer Wein hat in Australien keinen Absatz. Man schickt
ihn nach Frankreich, von wo er als französische Sorte zurückkommt,
dann kaufen ihn die Leute.« -- Ich habe oft behaupten hören, daß der
französische Rotwein, welchen New York trinkt, meist in Kalifornien
gekeltert wird. Auch erinnerte ich mich, was mir Professor S. einmal
über Veuve Cliquot erzählt hat. Er war bei einem großen Weinhändler zu
Besuch, dessen Wohnort nicht weit von jenem berühmten Weinberg lag, und
sein Wirt fragte ihn, ob in Amerika viel Veuve Cliquot getrunken würde.

»O ja,« erwiderte S., »außerordentlich viel.«

»Kann man die Marke leicht bekommen?«

»Ohne alle Schwierigkeit; sämtliche Hotels erster und zweiter Klasse
führen sie.«

»Was bezahlt man dafür?«

»Je nach dem Hotel fünfzehn bis zwanzig Franken die Flasche.«

»Was für ein glückliches Land! Hier an Ort und Stelle kostet sie
mindestens hundert Franken.«

»Nein!«

»Doch!«

»Sie glauben also, daß wir drüben bei uns nicht echten Veuve Cliquot
trinken?«

»Keine Rede. Seit Columbus’ Zeiten ist noch nicht eine einzige Flasche
vom echten Gewächs nach Amerika gekommen. Der Weinberg, welcher es
liefert, ist so klein, daß er nicht allzuviele Flaschen ergibt, und der
Ertrag wird alljährlich einer einzigen Person zugeschickt -- dem Kaiser
von Rußland. Er kauft die ganze Ernte zum voraus, mag sie klein oder
groß sein.«

       *       *       *       *       *

_4. Januar 1896._ Weihnachten in Melbourne, Neujahr in Adelaide.
Wiedersehen mit den meisten Bekannten in beiden Städten ... Jetzt
liegen wir hier in Westaustralien vor Albany im König Georgs Sund. Es
ist ein ganz vom Land eingeschlossener Hafen oder vielmehr eine Reede
-- anscheinend sehr geräumig, aber kein tiefes Wasser. Ringsum kahle
Felsen und zerklüftete Hügelketten. Die Schiffe kommen jetzt in Menge
an, alles strömt nach der Goldgegend. Die Zeitungen wissen wunderbare
Dinge zu berichten, wie sie immer im Umlauf sind, wenn neue Goldfelder
entdeckt werden. Zum Beispiel: Ein junger Mann hatte eine Parzelle in
Besitz genommen, von der er die Hälfte für fünf Pfund verkaufen wollte;
aber, es fand sich kein Liebhaber. Vierzehn Tage lang harrte er aus,
trotz Hunger und Not, dann stieß er auf eine Goldader und verkaufte die
Grube für 10000 Pfund ... Gegen Sonnenuntergang erhob sich eine frische
Brise, und wir lichteten den Anker. Aus der kleinen tiefen Wasserlache,
auf der wir schwammen, führte ein schmaler, dicht mit Bojen besetzter
Kanal ins Meer hinaus. Ich blieb auf Deck, um zu sehen, wie unser
großes Schiff bei dem starken Wind die Durchfahrt bewerkstelligen
werde. Auf der Kommandobrücke stand der Kapitän, ein wahrer Riese,
neben ihm ein kleiner Lotse in prächtiger Uniform mit Goldschnüren; auf
dem Vorderdeck ein weißer Maat, ein paar Quartiermeister und eine bunte
Menge Laskaren, zur Arbeit gerüstet. Unser Heck war gerade auf den
Eingang des Kanals gerichtet, das Schiff mußte also in der Wasserlache
eine vollständige Schwenkung machen, und das war bei solchem Wind
keine Kleinigkeit. Aber es gelang ganz prächtig mit Hilfe eines
Klüvers. Wir wühlten zwar viel Schlamm auf, kamen aber nicht auf den
Grund und drehten uns in der eigenen Wasserspur um -- anscheinend ein
Ding der Unmöglichkeit. Als wir die Drehung glücklich gemacht hatten
und der Schiffsschnabel nach dem Kanal zu stand, lag die erste Boje
kaum noch hundert Meter vor uns. Es war mir eine Lust gewesen, das
Manöver mit anzusehen; die übrigen Passagiere verzehrten inzwischen ihr
Mittagbrot, meines kam der P. und O. Gesellschaft zugute ... Es zeigen
sich noch mehr Katzen. Smythe sagt, das englische Gesetz befiehlt, auf
der Fahrt Katzen mitzunehmen; er wußte von einem Fall, wo das Schiff
nicht unter Segel gehen durfte, bis man sich ein paar verschafft hatte.
Die Rechnung kam auch gleich mit: »Preis für zwei Katzen -- zwanzig
Schillinge« ... Wir haben einen Geier an Bord mit kahlem rotem Kopf von
seltsamer Form; am Körper hat er hier und da rote Stellen ohne Federn,
seine großen, schwarzen Augen sind von fleischigen, brennendroten
Rändern umgeben. Er sieht wie ein vollkommener Wüstling aus, wie ein
gewissenloser, eigensüchtiger Räuber und Mörder. Und doch bringt der
Vogel nichts Lebendiges um. Weshalb mag ihm die Natur nur eine so
grimmige Außenseite gegeben haben, die gar nicht zu seinem unschuldigen
Geschäft paßt! Er nährt sich nämlich nur von Aas, das ihm um so besser
zusagt, je älter es ist. Trüge er ein schäbiges, schwarzes Federkleid,
so wäre alles in Ordnung; er gliche dann einem Leichenbestatter und
sein Aeußeres würde mit seiner Beschäftigung im Einklang stehen. Der
Geier stammt aus der öffentlichen Menagerie von Adelaide, einer großen
und sehr interessanten Sammlung.

       *       *       *       *       *

_5. Januar._ Um neun Uhr morgens kamen wir am Kap Leeuwin (Löwin)
vorüber und mußten nun, nach der ganz westlichen Fahrt längs dem
Südrande von Australien, unsere Richtung ändern. Wir fahren in einer
schrägen, nordwestlichen Linie nach Ceylon hinauf. Je höher wir kommen,
um so heißer wird es, aber kühl ist es auch hier nicht gerade.

       *       *       *       *       *

_13. Januar._ Eine unerträgliche Hitze. Der Aequator kommt immer
näher; die Entfernung beträgt nur noch acht Grad. Da ist Ceylon!
O, wie wunderschön! Welche tropische Pracht, welcher Reichtum
üppigen Laubwerks! Die Hauptstadt Colombo ist ganz orientalisch und
unaussprechlich reizend ...

In unserm vornehmen Schiff kleiden sich die Passagiere zu Mittag
um. Die schönen, buntfarbigen Toiletten der Damen passen ganz zu der
hochfeinen Ausstattung aller Räume und dem strahlenden Glanz der
elektrischen Beleuchtung. Auf dem stürmischen Atlantischen Ozean sieht
man die Passagiere nie im Gesellschaftsanzug. Höchstens einen Mann,
der sich aber nur einmal während der langen Reise blicken läßt -- am
Abend ehe das Schiff in den Hafen kommt, wenn das Konzert stattfindet
mit Dilettanten-Geheul und Deklamationen. Er übernimmt meist die
Tenorpartie ... Sonderbarerweise ist an Bord viel Cricket gespielt
worden; das Promenadendeck wurde mit Netzen überspannt, so daß der Ball
nicht ins Wasser fallen konnte. Das Spiel nahm einen guten Fortgang und
gewährte die nötige An- und Aufregung ... Jetzt sagen wir der ›Oceana‹
Lebewohl.

       *       *       *       *       *

_14. Januar._ Hotel Bristol. Der Diener Namens Brampy ist ein flinker,
sanfter, lachender, brauner Singhalese mit schönem, glänzend schwarzem
Haar. Er trägt es wie ein Mädchen zurückgekämmt, in einen Knoten
geschlungen und mit dem Schildpattkamm aufgesteckt. Brampy ist schlank
und hübsch von Gestalt. Unter der Jacke hat er ein weißes, baumwollenes
Gewand an, das ihm ohne Gürtel vom Hals bis zu den Füßen herabfällt.
Weder er noch sein Anzug hat irgend etwas Männliches; es ist eine
ordentliche Verlegenheit sich vor ihm auszukleiden.

Wir fuhren nach dem Markt und benutzten zum erstenmal den japanischen
Jinrickscha, einen leichten Karren, den ein Eingeborener zieht.
Anfänglich geht die Fahrt gut von statten, aber für den Mann ist es
eine sauere Arbeit, er ist nicht stark genug. Nach der ersten halben
Stunde hört das Vergnügen auf, der Mann tut einem leid; man hat Mitleid
mit ihm, wie mit einem müden Pferde und kann an nichts anderes mehr
denken. Solche Rickschas sind in Menge vorhanden, und die Taxe ist
unglaublich billig.

Vor Jahren war ich in Kairo; da ist man im Orient -- aber doch nicht
ganz, weil man eine unbestimmte Empfindung hat, daß noch etwas mangelt.
In Ceylon ist das anders, dort fehlt nichts mehr. Der Orient und die
Tropenwelt finden sich da in größter Vollkommenheit vereinigt und unser
natürliches Gefühl sagt uns, daß diese zwei zusammen gehören. Nein, man
vermißte gar nichts. Alle Kostüme waren echt, desgleichen die schwarzen
und braunen Menschen in ihrer unbewußten Nacktheit. Die Gaukler waren
da, mit dem unvermeidlichen Korb, den Schlangen, der Manguste und
allen Vorkehrungen, um aus dem Samenkorn einen Baum mit Laubwerk und
reifen Früchten emporwachsen zu lassen. Ueberall sah man Blumen und
Pflanzen, die man zwar aus Abbildungen kannte, aber in Wirklichkeit
nie erblickt hatte, weil diese seltenen, wunderbaren und köstlichen
Gewächse nur in der heißen Zone, am Aequator, gedeihen. Auch wußte man,
daß in der nächsten Umgegend die tödlichen Giftschlangen und grimmigen
Raubtiere hausen, samt den Affen und wilden Elefanten. In der Luft lag
eine Schwüle, wie sie nur in den Tropen vorkommt, eine erstickende
Hitze, von unbekannten Blumendüften geschwängert; dann verbreitete
sich plötzlich eine purpurne Finsternis, aus welcher grelle Blitze
zuckten; der Donner krachte, der Regen goß in Strömen -- gleich darauf
lachte wieder alles im Sonnenschein. Und weit ab, im undurchdringlichen
Dschungel und dem fernen Gebirge lagen die verfallenen Städte und alten
Tempelruinen als geheimnisvolle Ueberbleibsel von der Herrlichkeit
vergessener Tage und einer verschwundenen Menschenrasse. Auch dies
Bewußtsein war unentbehrlich, wenn es einem wirklich orientalisch zu
Mute werden sollte, denn dabei darf vor allem der Eindruck des Düstern,
Rätselhaften und Altertümlichen nicht fehlen.

Die Fahrt durch die Stadt und am Seestrande entlang war wie ein
Traumbild von tropischem Glanz, Blütenpracht und orientalischem
Farbenreichtum. Die zu Fuß einherwandelnden Gruppen von Männern,
Frauen, Knaben, Mädchen und kleinen Kindern glühten wie Feuerflammen
in ihrer strahlenden Gewandung. Alle Farben des Regenbogens und
leuchtender Blitze mischten sich hier aufs wunderbarste und
verschmolzen zur wohltuendsten Harmonie. Nirgends fühlte sich das Auge
verletzt durch zu grelle Töne, keine Farbe stach unangenehm von der
andern ab; auch wenn verschiedene Gruppen in Berührung kamen, wurde
die wunderbare Farbenwirkung nicht im mindesten gestört. Die Kleider
waren aus dünnem, zartem, sich weich anschmiegendem Seidenstoff, meist
in ganz bestimmten, satten Farben: ein prächtiges Grün, ein prächtiges
Blau, ein prächtiges Gelb, ein prächtiges Lila, ein prächtiges Rubinrot
von leuchtendem Glanz -- so zogen sie in zahllosem Gewimmel, in Massen,
scharenweise vorüber, glühend, blitzend, strahlend -- dazwischen alle
Augenblicke ein so blendendes Feuerrot, daß einem das Herz im Leibe
lachte und man den Atem anhielt vor Staunen. Und wie anmutig waren
diese Trachten! Oft bestand der ganze Anzug einer Frau nur in der
Schärpe, die sie um den Kopf und Leib gewunden hatte, oder der Mann
hatte einen Turban auf und ein paar Lappen nachlässig um die Hüften
geschwungen. Bei beiden kam die dunkle glänzende Haut dazwischen
ungehindert zum Vorschein, und immer erfreute der Anblick der Gestalten
Auge und Herz.

Noch heutigen Tages sehe ich dies köstliche Panorama in seiner
überschwenglichen Farbenfülle und dem Schmelz der bunten Schattierungen
vor mir; die geschmeidigen, halb unbekleideten Gestalten, die schönen
braunen Gesichter, die anmutigen Stellungen und freien, zwanglosen
Bewegungen, bei denen von Förmlichkeit und Steifheit keine Rede war.

Aber ach, da kam ein schriller Mißklang in diesen paradiesischen
Zaubertraum: Aus der Tür einer Missionsschule schritten paarweise
sechzehn kleine, fromme, gesetzte, schwarze Christenmädchen in
europäischem Anzug. Ganz so ausstaffiert hätte man sie an einem
Sommersonntag in jedem englischen oder amerikanischen Dorfe sehen
können. Wie namenlos häßlich waren diese Kleider! Abscheulich,
barbarisch, geschmacklos, unanmutig, alle Gefühle verletzend! Ich
blickte auf die Kleider meiner Damen: sie glichen in vergrößertem
Maßstab genau den greulichen Verunstaltungen, mit denen man jene
armen, kleinen, mißhandelten Geschöpfe quälte -- ich schämte mich, mit
Frau und Tochter auf der Straße zu gehen. Nun sah ich meine eigene
Kleidung an und schämte mich vor mir selber.

Aber was hilft es -- wir müssen uns darein ergeben unsere Kleider zu
tragen wie sie sind und können ihre Daseinsberechtigung nicht leugnen.
Freilich dienen sie dazu, gerade das auszuposaunen, was wir verbergen
möchten -- unsere Unaufrichtigkeit und versteckte Eitelkeit. Wir
heucheln für Anmut, Wohlgestalt und Farbenglanz eine Geringschätzung,
die wir nicht haben, und ziehen die häßlichen Kleider an, um diese
Lüge glaubhaft zu machen und weiter zu verbreiten. Doch täuschen
wir damit unsere Nächsten nicht, und wenn wir nach Ceylon kommen,
werden wir alsbald inne, daß wir uns nicht einmal selbst zu täuschen
vermögen. Ja, gestehen wir es nur: wir lieben leuchtende Farben
und anmutige Trachten, und wenn wir sie zu Hause bei einem Festzug
sehen können, achten wir weder Regen noch Sturm und beneiden die
geschmückten Teilnehmer. Wir gehen ins Theater, staunen die Kostüme
an und sind betrübt, daß wir uns nicht auch so kleiden können. Beehrt
uns der König mit einer Einladung zum Hofball, so betrachten wir
die prächtigen Uniformen und strahlenden Ordenszeichen mit wahrem
Hochgenuß. Wird uns gestattet, einer kaiserlichen Cour beizuwohnen,
so schließen wir uns vorher zu Hause ein, stolzieren stundenlang in
unserm schönen Gala-Anzug einher, bewundern uns im Spiegel und fühlen
uns unaussprechlich glücklich. Auch jeder Beamte im Stabe jedes
Gouverneurs im demokratischen Amerika macht es ebenso mit seiner
neuen Staatsuniform, und wenn man nicht aufpaßt, um ihn rechtzeitig
zu hindern, läßt er sich gewiß auch darin photographieren. So oft ich
die Diener des Lord-Mayors sehe, fühle ich mich unzufrieden mit meinem
Lose. Kurz und gut: unsere Kleider sind seit hundert Jahren nichts als
Lug und Trug gewesen. Sie sind ebenso unwahr wie unschön und vollkommen
geeignet unser inneres Scheinwesen und moralisches Verderben ins rechte
Licht zu stellen.

Der kleine braune Junge, den ich zuletzt unter den sich drängenden
Scharen von Colombo bemerkte, hatte nichts an, außer einem um die
Hüften geschlungenen Bindfaden, aber in meiner Erinnerung bildet der
ehrliche Mangel seiner Bekleidung einen wohltuenden Gegensatz zu der
widerwärtig scheinheiligen Vermummung, in welche man die farbigen
Dämchen aus der Sonntagsschule gesteckt hatte.




Zweites Kapitel.

        Im Wohlstand kann man an seinen Grundsätzen am besten
        festhalten.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_14. Januar abends._ -- Die ›Rosetta‹, mit der wir absegeln, ist ein
schlechtes altes Schiff, das man versichern und untergehen lassen
sollte. Auch hier, wie auf der ›Oceana‹, hält man die Mittagstoilette
für eine Art frommer Pflicht. Aber dergleichen vornehme Formen stehen
in grellem Gegensatz zu der Aermlichkeit der schäbigen Ausstattung des
Fahrzeugs ... Wenn man zum Nachmittagstee eine Limonenscheibe haben
möchte, muß man erst am Schenktisch eine Anweisung unterzeichnen. Und
dabei kostet das Faß Limonen vierzehn Cents.

       *       *       *       *       *

_18. Januar._ Nachdem wir das Arabische Meer durchschifft haben, sind
wir jetzt dicht an Bombay, das wir noch heute abend erreichen sollen.

       *       *       *       *       *

_20. Januar._ Bombay! -- wie ein Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹,
entzückend, verwirrend, bezaubernd! Es ist eine ungeheure Stadt, mit
etwa einer Million Einwohnern, meist braune Leute; die wenigen Weißen,
die man zerstreut unter der Masse der Bevölkerung findet, kommen gegen
alle die dunkeln Gesichter kaum in Betracht. Hier ist es Winter: ein
himmlisches Juniwetter und frisches, köstliches Sommerlaub. Im Schatten
der großen prächtigen Baumreihe dem Hotel gegenüber sitzen malerische
Gruppen von Eingeborenen beiderlei Geschlechts; der Gaukler im Turban
mit den Schlangen und Zauberkünsten ist natürlich dabei. Den ganzen
Tag sieht man die verschiedenartigsten Trachten zu Fuß und zu Wagen
vorüberziehen; es ist, als könnte man nie müde werden, diese endlosen
Wandelbilder, dies glänzende und stets wechselnde Schauspiel zu
betrachten ... Die fest eingekeilte Masse der Eingeborenen im großen
Bazar bot einen wunderbaren Anblick; es war ein Meer von buntfarbigen
Turbans und faltigen Gewändern, zu dem die fremdartigen, prunkvollen
indischen Bauwerke gerade den richtigen Hintergrund bildeten. Bei
Sonnenuntergang folgte ein anderes Schauspiel: eine Fahrt am Seestrande
bis zur Malabar-Spitze, wo Lord Sandhurst, der Gouverneur der
Präsidentschaft Bombay, wohnt. Auf der ersten Hälfte des Weges, den
alle Welt fährt, steht ein schöner Parsenpalast neben dem andern. Die
Privatequipagen der reichen Engländer und vornehmen Eingeborenen haben
außer dem Kutscher noch drei Bediente in wundervollen orientalischen
Livreen. Zwei davon, prächtig anzuschauen, stehen als beturbante
Statuen hintenauf. Manchmal nehmen die öffentlichen Fuhrwerke
dergleichen überschüssige Diener mit: einen zum Fahren, einen um neben
dem Kutscher zu sitzen und ihm zuzusehen, und einen, der hinten auf
dem Tritt steht und schreit, wenn jemand im Wege ist; wenn niemand da
ist, schreit er auch, um nicht aus der Uebung zu kommen. Das alles
bringt Leben und Bewegung mit und erhöht den Gesamteindruck von Hast,
Schnelligkeit und Verwirrung.

In der Nähe der ›Läster-Spitze‹ -- ein sehr bezeichnender Name -- sind
Felsen, auf denen man bequem sitzen kann, um nach der einen Seite
hin den herrlichen Blick auf das Meer zu genießen und auf der andern
die Menge der schön geschmückten Wagen bei der Hin- oder Rückfahrt
vorbeirasseln und -jagen zu sehen; dort haben die Frauen wohlhabender
Parsen in Gruppen Platz genommen, wahre Blumenbeete voll Farbenglanz,
ein unwiderstehlich fesselndes Bild. Trab, trab, trab, kommt es die
Straße entlang, einzeln, zu zweien, in Gruppen und Abteilungen --
das sind Arbeiterscharen, Männer und Frauen, aber nicht gekleidet
wie bei uns. Der Mann, meist eine große, stolze Athletengestalt, hat
außer seinem Lendentuch nicht einen Fetzen an, seine Gesichtsfarbe ist
dunkelbraun, auf der glatten Haut, die wie Atlas glänzt, treten die
Muskeln in Wülsten hervor, als ob Eier darunter lägen. Die Frau ist
gewöhnlich schlank und wohlgebildet, kerzengerade wie ein Blitzableiter
und trägt nur _ein_ Kleidungsstück -- einen langen, hellfarbigen
Stoffstreifen, den sie um Kopf und Leib windet, fast bis zu den Knieen
herunter, und der sich so fest wie ihre eigene Haut an den Körper
schmiegt. Füße und Beine sind nackt, desgleichen die Arme, bis auf
die Gehänge von losen, verschlungenen Silberringen an den Armen und
Fußgelenken. Auch in der Nase trägt sie Schmuck und glänzende Ringe an
den Fußzehen. Beim Schlafengehen wird sie ihr Geschmeide wohl ablegen;
mehr kann sie nicht ausziehen, sonst würde sie sich erkälten. Man sieht
sie meist mit einem großen, schön geformten Wasserkrug von blankem
Metall, den sie mit erhobenem Arm auf dem Kopfe festhält. Aufrecht,
würdevoll und doch mit leichtem, anmutigem Gang kommt sie daher;
ihr gebogener Arm und der blanke Krug erhöhen noch die malerische
Wirkung und machen sie zu einer wahren Zierde für die Straße. Unsere
Arbeiterfrauen können es ihr darin auch nicht entfernt gleichtun.

Farben, wohin man blickt, entzückende, bezaubernde Farben, rings umher
und längs der gewundenen Straße an der großen, bunt schillernden Bucht,
bis man das Haus des Gouverneurs erreicht. Dort stehen, den Turban auf
dem Kopf, die großen Chuprassies, die eingeborenen Diener in ihren
feuerroten Gewändern an der Eingangspforte gruppiert und bilden den
theatralischen Schluß des prächtigen Schauspiels. O, wäre ich doch ein
Chuprassy!

Ja, das ist Indien! Das Land der Romantik und der Träume, wo
fabelhafter Reichtum und fabelhafte Armut wohnt, das Land der Pracht
und Herrlichkeit, der Lumpen, der Paläste und elenden Hütten, der Pest
und Hungersnot, der Schutzgeister und Riesen, wo Aladdins Lampe, Tiger,
Elefanten, die Kobra, der Dschungel zu finden sind, wo hunderterlei
Völker in hunderterlei Sprachen reden, das tausend Religionen und zwei
Millionen Götter hat. Indien ist die Wiege des Menschengeschlechts,
der Geburtsort der menschlichen Sprache, die Mutter der Geschichte,
die Großmutter der Sage, die Urgroßmutter der Ueberlieferung; was
für andere Völker graues Altertum ist, zählt zu Indiens jüngster
Vergangenheit. Es ist das einzige Land unter der Sonne, das für den
Fürsten und den Bettler, den Gebildeten und den Unwissenden, den Weisen
und den Toren, den Sklaven und den Freien den gleichen, unzerstörbaren
Reiz hat. Alle Menschen möchten es sehen, und wer es einmal auch nur
flüchtig geschaut hat, würde die Wonne dieses Anblicks nicht für alles
Schaugepränge eintauschen, das der gesamte übrige Erdball zu bieten
vermag.

Selbst jetzt, nach Ablauf eines Jahres, ist mir die sinnverwirrende
Freude jener Tage in Bombay noch vollkommen gegenwärtig, und ich hoffe,
sie wird mich nie verlassen. Es war alles ganz neu und ungewohnt; auch
warteten die Ueberraschungen nicht erst bis zum nächsten Morgen, sie
waren da, sobald wir das Hotel betraten. In den Hallen und Vorsälen
wimmelte es von braunen Eingeborenen mit Turban, Fez oder gestickter
Mütze, die in baumwollenem Gewand barfuß durcheinander liefen oder
ruhig auf dem Boden saßen und hockten. Einige schwatzten mit großem
Nachdruck, andere saßen still und träumerisch da; im Speisezimmer stand
hinter dem Stuhl jedes Gastes sein farbiger Aufwärter, angekleidet wie
in einem Märchen aus ›Tausend und eine Nacht‹.

Unsere Zimmer waren nach vorn hinaus in einem oberen Stock. Ein
Weißer -- es war ein handfester Deutscher -- führte uns hinauf und
nahm drei Hindus mit, um alles in Ordnung zu bringen. Etwa vierzehn
andere folgten in langem Zuge mit dem Handgepäck; jeder trug nicht mehr
als ein Stück, was es auch sein mochte. Ein starker Eingeborener trug
meinen Ueberzieher, ein anderer einen Sonnenschirm, der dritte eine
Schachtel Zigarren, der vierte einen Roman, und der letzte kam nur
noch mit einem Fächer beladen daher. Sie taten das alles mit großem
Ernst und Eifer; von vorn bis hinten war in dem ganzen Zuge auf keinem
Gesicht ein Lächeln zu sehen. Jeder einzelne wartete, ruhig, geduldig
und ohne die geringste Eile zu verraten, bis er ein Kupferstück
erhielt, dann verneigte er sich ehrfurchtsvoll, legte die Finger an die
Stirn und ging seiner Wege. Diese Leute scheinen sanften und milden
Gemüts zu sein; es lag etwas Rührendes in ihrem Verhalten, das zugleich
für sie einnahm.

Eine große Glastür führte zum Balkon hinaus. Sie sollte geputzt oder
verriegelt werden -- was weiß ich -- und ein Hindu kniete auf dem
Boden, um die Arbeit zu tun. Anscheinend machte er seine Sache ganz
ordentlich, aber das mußte wohl nicht der Fall sein, denn die Miene des
Deutschen verriet Unzufriedenheit, und ohne ein Wort der Erklärung
schlug er den Hindu plötzlich derb ins Gesicht und sagte ihm dann erst,
was er falsch gemacht hatte. Der Diener nahm die Züchtigung demütig
und schweigend hin; auch zeigte weder sein Gesichtsausdruck noch
sein Wesen überhaupt den geringsten Groll. Mir schien es eine wahre
Schande, so etwas in unserer Gegenwart zu tun; seit fünfzig Jahren
hatte ich solchen Auftritt nicht erlebt. Urplötzlich fühlte ich mich
in meine Knabenzeit zurückversetzt und mir fiel ein, daß dies ja die
gewöhnliche Art sei, wie man einem Sklaven seine Wünsche begreiflich
machte -- eine Tatsache, die mir ganz entfallen war. Damals hatte ich
diese Methode richtig und natürlich gefunden, denn ich war von klein
auf daran gewöhnt und glaubte, man mache das nirgends anders; aber ich
erinnere mich recht gut, daß mir bei solchen stumm ertragenen Schlägen
der Empfänger stets leid tat und ich mich für den Strafenden schämte.
Mein Vater war ein edler, gütiger Mann, sehr ernst und enthaltsam, von
strengster Gerechtigkeit und Redlichkeit, ein rechtschaffener Charakter
durch und durch. Zwar war er nicht Mitglied irgend einer Kirche, sprach
auch nie von religiösen Dingen und nahm an den frommen Freuden seiner
presbyterianischen Familie keinen Anteil, doch schien er das nicht als
Entbehrung zu empfinden. Er hat mich, so lange er lebte, nur zweimal
körperlich gezüchtigt und gar nicht hart. Einmal, weil ich ihn belogen
hatte -- was mich höchlich überraschte und mir sein gutes Zutrauen
bewies, denn es war keineswegs mein erster Versuch gewesen. Mich schlug
er, wie gesagt, nur zweimal und seine anderen Kinder gar nicht; aber
unsern kleinen gutmütigen Sklaven Lewis ohrfeigte er häufig für die
geringfügigste Ungeschicklichkeit oder ein kleines Versehen. Mein Vater
hatte von Geburt an unter Sklaven gelebt, und wenn er sie schlug, so
tat er das nach damaliger Sitte, gegen seine Natur. -- Als ich zehn
Jahre alt war, sah ich einmal, wie ein Mann einem Sklaven im Zorn ein
Stück Eisenerz an den Kopf warf, weil er etwas ungeschickt gemacht
hatte -- als ob das ein Verbrechen wäre. Es sprang von seinem Schädel
ab, und der Mensch fiel hin, ohne einen Laut von sich zu geben. Nach
einer Stunde war er tot. -- Ich wußte wohl, daß der Herr das Recht
hatte, seinen Sklaven zu töten, wenn er wollte, aber doch kam es mir
erbärmlich vor und eigentlich unstatthaft, wiewohl ich nicht gescheit
genug gewesen wäre, um zu erklären, was unrecht daran sei, wenn man
mich gefragt hätte. Niemand in unserm Dorf billigte jene Mordtat, aber
es war natürlich nicht viel davon die Rede.

Merkwürdig, wie der Gedanke Raum und Zeit überspringen kann! Eine
Sekunde lang war mein ganzes Ich in dem kleinen Dorf von Missouri
auf der andern Halbkugel der Erde; jene vergessenen Bilder von vor
fünfzig Jahren standen mir lebendig vor Augen, und alles übrige versank
gänzlich vor meinem Bewußtsein. In der nächsten Sekunde war ich schon
wieder in Bombay, während die Backe des knieenden Dieners noch von der
Ohrfeige brannte. Bis zur Knabenzeit -- fünfzig Jahre -- zurück ins
Alter -- abermals fünfzig, und ein Flug um den ganzen Erdball -- alles
in einem Zeitraum von zwei Sekunden!

Verschiedene Eingeborene -- ich weiß nicht mehr wie viele -- begaben
sich nun in mein Schlafzimmer, brachten alles in Ordnung und
befestigten das Moskitonetz. Dann legte ich mich zu Bett, um meine
Erkältung rascher los zu werden. Es war etwa neun Uhr abends und an
Ruhe gar nicht zu denken. Drei Stunden lang dauerte das Geschrei und
Gekreisch der Eingeborenen in der Vorhalle noch ununterbrochen fort,
auch das sammetweiche Getrappel ihrer behenden, nackten Füße hörte
nicht auf. Nein, dieser Lärm! Alle Bestellungen und Botschaften wurden
drei Treppen hinunter geschrieen; es klang wie Aufruhr, Meuterei,
Revolution. Auch noch andere Geräusche kamen hinzu: von Zeit zu Zeit
ein furchtbarer Krach, als ob Dächer einfielen, Fenster zerbrächen,
Leute ermordet würden. Dann hörte man die Krähen krächzen, hohnlachen,
fluchen; Kanarienvögel kreischten, Affen schimpften, Papageien
plapperten, zuletzt erscholl wieder ein teuflisches Gelächter, gefolgt
von Dynamitexplosionen. Bis Mitternacht hatte ich alle nur erdenklichen
Schreckschüsse über mich ergehen lassen und wußte nun, daß mich nichts
mehr überraschen und stören konnte -- ich war auf alles gefaßt. Da trat
plötzlich Ruhe ein -- eine tiefe, feierliche Stille, die bis fünf Uhr
morgens dauerte.

Dann ging der Spektakel aber von neuem los. Und wer hat ihn angefangen?
Die indische Krähe, dieser Vogel aller Vögel. Mit der Zeit lernte ich
ihn näher kennen und war dann ganz in ihn vernarrt. Ich glaube, er ist
der durchtriebenste Spitzbube, der Federn trägt und dabei so lustig
und selbstzufrieden wie kein anderer. Ein solcher Vogel konnte nicht
mit einemmal zu dem geschaffen werden, was er ist: unvordenkliche
Zeitalter haben an seiner Entwicklung gearbeitet. Er ist öfter
wiedergeboren als der Gott Schiwa und hat bei jeder Seelenwanderung
etwas zurückbehalten und es seinem Wesen einverleibt. Im Verlauf seines
stufenweisen Fortschritts, seines glorreichen Vorwärtsschreitens zu
schließlicher Vollendung, ist er ein Spieler gewesen, ein zuchtloser
Priester, ein Komödiant, ein zänkisches Weib, ein Schuft, ein Spötter,
ein Lügner, ein Dieb, ein Spion, ein Angeber, ein käuflicher Politiker,
ein Schwindler, ein berufsmäßiger Heuchler, ein bezahlter Patriot, auch
Reformator, Vorleser, Anwalt, Verschwörer, Rebell, Royalist, Demokrat;
er hat sich überall eingemischt, sich unehrerbietig und zudringlich
benommen, hat ein gottloses, sündhaftes Leben geführt, bloß weil es ihm
das größte Gaudium machte. Und das Ergebnis der stetigen Ansammlung
aller verwerflichsten Eigenschaften ist merkwürdigerweise, daß er
weder Sorge, noch Kummer, noch Reue kennt; sein Leben ist eine einzige
Kette von Wonne und Glückseligkeit, und er wird seiner Todesstunde
ruhig entgegengehen, da er weiß, daß er vielleicht als Schriftsteller
oder dergleichen wiedergeboren wird, um sich dann womöglich als noch
größerer Schwerenöter behaglicher zu fühlen denn je zuvor.

Wenn die Krähe mit großen Schritten breitbeinig einherkommt, dann
seitlich ein paar kräftige Hopser macht, eine unverschämte, pfiffige
Miene aufsetzt und den Kopf schlau auf die Seite legt, erinnert sie an
die amerikanische Amsel. Doch ist sie viel größer und lange nicht so
schlank und wohlgebaut; auch ihr schäbiger grau und schwarzer Rock hat
natürlich nicht den herrlichen Metallglanz, in dem das Federkleid der
Amsel prangt. Die Krähe ist ein Vogel, der nicht schweigen kann; er
zankt, schwatzt, lacht, schnarrt, spottet und schimpft beständig. Seine
Ansicht äußert er über alles, auch wenn es ihn gar nichts angeht, mit
größter Heftigkeit und Rücksichtslosigkeit. Er nimmt sich nicht erst
Zeit nachzudenken, weil er keine Gelegenheit vorbeigehen lassen will,
ohne seine Meinung zum Besten zu geben, selbst wenn es sich gerade um
etwas ganz anderes handelt.

Ich glaube, die indische Krähe hat keinen Feind unter den Menschen. Sie
wird weder von Weißen noch Mohammedanern belästigt, und der Hindu tötet
schon aus religiösen Rücksichten überhaupt kein Geschöpf; er schont das
Leben der Schlangen, Tiger, Flöhe und Ratten. Wenn ich an einem Ende
auf dem Balkon saß, pflegten sich die Krähen auf dem Gitter am andern
Ende zu versammeln und ihre Bemerkungen über mich zu machen; nach und
nach flogen sie näher herzu, bis ich sie fast mit der Hand erreichen
konnte. Da saßen sie und unterhielten sich ohne Scham und Scheu über
meine Kleider, mein Haar, meine Gesichtsfarbe und vermutlich auch über
meinen Charakter, Beruf und politischen Standpunkt, und wie ich nach
Indien gekommen sei, was ich schon alles getan hätte, wie viele Tage
mir zur Verfügung ständen, warum ich noch nicht an den Galgen gekommen
wäre, ob es mir noch lange glücken würde, dem Strick zu entgehen, ob
es da, wo ich herkäme, noch mehr Leute meines Schlages gäbe, und so
immer fort, bis ich es vor Verlegenheit nicht länger aushalten konnte
und sie wegscheuchte. Darauf kreisten sie eine Weile in der Luft, unter
Geschrei, Gespött und Hohngelächter, kamen dann wieder auf das Gitter
geflogen und fingen die ganze Geschichte noch einmal von vorne an.

In wahrhaft überlästiger Weise zeigten sie aber ihre gesellige Neigung,
wenn es etwas zu essen gab. Ohne daß man ihnen erst zuzureden brauchte,
kamen sie auf den Tisch geflogen und halfen mir mein Frühstück
verzehren. Als ich einmal ins Nebenzimmer ging und sie allein ließ,
schleppten sie alles fort, was sie nur tragen konnten, und obendrein
lauter für sie ganz nutzlose Dinge. Man macht sich keinen Begriff
davon, in welcher Unzahl sie in Indien vorkommen, und der Lärm, den sie
verursachen, ist nicht zu beschreiben. Ich glaube, sie kosten dem Land
mehr als die Regierung, und das ist keine Kleinigkeit. Doch leisten sie
auch etwas dafür, und zwar durch ihre bloße Gegenwart. Wenn man ihre
lustige Stimme nicht mehr zu hören bekäme, so würde die ganze Gegend
einen trübseligen Anstrich erhalten.




Drittes Kapitel.

        Durch Übung lernt man leicht Unglück ertragen -- das
        Unglück anderer Leute, meine ich.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


In unsicherm Glanz, wie das Mondlicht am Rande des Horizonts
erscheint, so tauchten die alten Träume von Indiens Herrlichkeit
allmählich wieder in meinem Bewußtsein auf. Das Bild, das mir in den
Knabenjahren lebendig vor der Seele gestanden hatte, als ich noch in
den Märchen des Orients schwelgte, erwachte wieder mit tausend längst
vergessenen Einzelheiten. Zum Beispiel, die barbarische Pracht und die
großartigen, volltönenden Fürstentitel, bei denen einem das Wasser im
Munde zusammenläuft: Nizam von Hyderabad, Maharadscha von Travancore,
Nabob von Jubbelpore, Begum von Bhopal, Nawab von Mysore, Raja von
Gulnare, Abkoond von Swat, Rao von Rohilkund, Gaikawar von Baroda.
Namen wachsen überhaupt dort im Lande wie Pilze. Der große Gott Wischnu
hat ihrer hundertundacht ganz besonders heilige -- sozusagen nur zum
Feiertagsgebrauch. Ich habe die hundertundacht Namen Wischnus einmal
alle auswendig gelernt, aber ich konnte sie nicht behalten und weiß
jetzt keinen einzigen mehr davon.

Romantische Begebenheiten knüpfen sich noch heutigen Tages an die
Namen jener indischen Fürsten, gerade wie in alten Zeiten. Kurz vor
unserer Ankunft war ein solcher Roman vor einem englischen Gerichtshof
in Bombay zur Verhandlung gekommen: Ein junger sechzehnjähriger Prinz
hatte seine Güter, Titel und Würden vierzehn Jahre lang unbehelligt
genossen. Da ward plötzlich behauptet, daß er gar kein Fürstensohn,
sondern ein armes Bauernkind sei, welches man in die fürstliche Wiege
eingeschmuggelt hatte, als der wahre Erbe im Alter von drittehalb
Jahren gestorben war. Genau derselbe Stoff, der so vielen alten
orientalischen Geschichten zu Grunde liegt.

Umgekehrt ging es mit dem Thron des Gaikawar von Baroda, für den
sich eine Zeitlang kein Erbe fand, bis man ihn in der Person eines
Bauernknaben erkannte, der, seiner hohen Abkunft unbewußt, im Schmutz
der Dorfstraße spielte. Sein Stammbaum war jedoch ganz in Ordnung, er
erwies sich als der wirkliche Prinz und herrscht seitdem unangefochten
in seinem Reich.

Auf ähnliche Weise ist kürzlich der Erbe eines andern indischen
Fürstenhauses aufgefunden worden. Seit vierzehn Generationen hatten
seine Vorfahren in niedrigem Stande gelebt. Aber man entdeckte seinen
fürstlichen Ahnen in dem Verzeichnis eines der großen Wallfahrtsorte
der Hindus, wo die Herrscher ihren Namen und das Datum ihres Besuchs
einzuschreiben pflegen. Der eigentliche Zweck dieser Sitte ist, daß man
über die religiösen Angelegenheiten der Fürsten Buch führen und ihr
Seelenheil sichern kann; aber auch die Richtigkeit ihres Stammbaums
läßt sich aus solcher Liste feststellen, wodurch sie noch besonderen
Wert erhält.

Wenn ich jetzt an Bombay denke, glaube ich in ein Kaleidoskop zu sehen;
ich höre das Klirren der Glasstückchen, wenn die schönen Bilder
wechseln und auseinander fallen, um sich zu immer neuen Formen und
Figuren zu vereinigen, bei deren Anblick jeder Nerv in mir vor Wonne
erbebt und Schauer des Entzückens durch meine Glieder rieseln. Die
ganz verschiedenartigen Erinnerungsbilder ziehen immer in gleicher
Reihenfolge, rasch wie ein Traum, an mir vorüber; sie lassen mir das
Gefühl zurück, als hätte das wirkliche Erlebnis kaum eine Stunde
gedauert, während es oft gewiß mehrere Tage in Anspruch genommen hat.

Die Wandelbilder beginnen mit der Wahl eines eingeborenen Dieners,
eines ›Trägers‹, bei der man sehr sorgfältig zu Werke gehen muß, denn
solange er sein Amt versieht, kommt er uns fast so nahe auf den Leib,
wie unsere eigenen Kleider.

In Indien wird der Tag damit eröffnet, daß der ›Träger‹ an die
Schlafzimmertür klopft und dazu eine gewisse Formel hersagt, welche
ausdrücken soll, daß das Bad bereit ist. Es kommt uns vor als ob sie
gar keinen Sinn hätte, aber das ist nur, weil man noch nicht an das
Träger-Englisch gewöhnt ist. Erst mit der Zeit lernt man es verstehen.

Wo diese Sprache herstammt, ist ein Geheimnis; jedenfalls wird man
auf Erden nichts Aehnliches finden und im Paradiese erst recht
nicht -- möglicherweise aber unter den Verdammten. Man mietet einen
›Träger‹, sobald man den Boden Indiens betritt, denn niemand, ob
Mann oder Weib, kann ohne ihn bestehen. Er ist Bote, Kammerdiener,
Zimmermädchen, Aufwärter, Kurier, Jungfer -- alles in einer Person. Bei
seinem Eintritt bringt er, außer einem grobleinenen Wäschesack auch
eine Decke mit; er schläft auf den Steinfliesen vor der Stubentür;
wo und wann er seine Mahlzeiten hält, ist unbekannt; man weiß nur,
daß er im Hause kein Essen bekommt, mag man in einem Hotel wohnen
oder als Gast in einer Privatfamilie. Er bezieht einen hohen Lohn
-- nach indischen Begriffen -- und sorgt selbst für seine Kost und
Kleidung. Wir hatten in drittehalb Monaten drei ›Träger‹, der erste
erhielt monatlich 30 Rupien -- etwa 27 Cents täglich -- die beiden
andern 40 Rupien den Monat. Eine fürstliche Bezahlung! In Indien
erhält der eingeborene Weichensteller auf der Eisenbahn höchstens
7 Rupien monatlich, desgleichen der eingeborene Bediente in einem
Privathaus, und der Knecht auf dem Lande nur 4 Rupien. Die beiden
ersteren beköstigen und kleiden sich und ihre Familien selbst; ob das
der Knecht bei dem Monatslohn von 1 Dollar 8 Cents auch tut, möchte
ich bezweifeln. Vermutlich nährt ihn das Land, und mit seinem Verdienst
bestreitet er den Unterhalt der Familie, nebst einer kleinen Abgabe
für den Priester. Kleidung und Wohnung der Seinigen kosten nichts; sie
leben in einer selbsterbauten Erdhütte, für die sie schwerlich Miete
zahlen und tragen die ersten besten Lumpen; bei Knaben ist selbst das
nicht vonnöten. Uebrigens sind für den Tagelöhner auf dem Lande jetzt
gute Zeiten, er hat nicht immer ein so üppiges Leben geführt. Als der
Hauptbevollmächtigte der Provinzen des Innern unlängst die Klagen einer
Abordnung von Eingeborenen in einem amtlichen Erlaß als unbegründet
zurückwies, erinnerte er sie daran, daß vor kurzem der Tagelohn noch
eine halbe Rupie monatlich betragen habe, täglich nicht ganz einen
Cent, $ 2.90 im Jahr. Wenn ein solcher Lohnarbeiter eine große Familie
hatte -- und mit diesem Reichtum beschenkt der Himmel die armen
Eingeborenen ohne Ausnahme -- so konnte er bei strengster Sparsamkeit
vielleicht 15 Cents vom Ertrag seiner Jahresarbeit erübrigen. Eine
Schuld von $ 13.50 hätte er in 90 Jahren abtragen können, wenn er Leben
und Gesundheit behielt. Man stelle sich nur einmal vor, was das sagen
will: Indien hat verhältnismäßig wenige Städte; fast das ganze Land
ist mit unabsehbaren Feldern bedeckt, die durch Lehmmauern von einander
getrennt sind. Die ungeheure Masse der Bevölkerung besteht also
einzig und allein aus landwirtschaftlichen Arbeitern. Kennt man diese
Tatsachen, so erhält man erst einen Begriff von der grenzenlosen Armut,
die sich hier ansammeln muß.

Der erste Diener, der sich bei uns meldete, wartete unten und schickte
seine Zeugnisse herauf; es war am Morgen nach unserer Ankunft in
Bombay. Wir prüften sie sorgfältig und fanden nichts daran auszusetzen,
bis auf das eine: sie waren alle von Amerikanern ausgestellt. Wir sind
ein zu gutmütiges Volk und bringen es nicht übers Herz, einem armen
Menschen, der sein Brot verdienen muß, durch unser Urteil zu schaden.
So erwähnen wir in dem Zeugnis nur seine guten Eigenschaften, ja,
wir preisen sie nicht selten über Gebühr, und lassen die schlechten
auf sich beruhen. Ueber diese stumme Lüge machen wir uns keine
Gewissensbisse, und doch ist sie im Grunde verächtlicher als eine
ausgesprochene Unwahrheit, mit der man die Leute nicht so leicht
betrügt, weil sie sich durchschauen läßt. In Frankreich ist das
anders; dort hat man wenigstens die Entschuldigung, daß ein Herr
dem entlassenen Diener ein gutes Zeugnis geben und seine Fehler
verschweigen _muß_, er mag wollen oder nicht. Erwähnt man zum Schutz
für den nächsten Brotherrn die Untugenden des Dieners, so kann er auf
Schadenersatz klagen, und der Gerichtshof erkennt seine Forderungen an,
ja, er erteilt dem wahrheitsliebenden Herrn noch eine derbe Rüge, weil
er versucht hat, einen armen Menschen um sein Brot zu bringen und ihm
den guten Ruf abzuschneiden. -- Ich würde dergleichen nicht behaupten,
wüßte ich es nicht aus dem Munde eines berühmten französischen Arztes,
eines geborenen Parisers, der mir sagte, das sei nicht nur allgemein
bekannt, sondern er selber habe in dieser Hinsicht sehr schlimme
persönliche Erfahrungen gemacht.

Die reisenden Amerikaner hatten, wie gesagt, den Manuel X. in seinem
Zeugnis so warm empfohlen, daß Sankt Petrus selbst ihn darauf hin
zum Himmelstor eingelassen hätte, wenn der Heilige, wie ich vermute,
mit den Gepflogenheiten meiner Landsleute nicht gerade sehr vertraut
ist. Der Diener war als ein Ausbund von Geschicklichkeit in allen
Künsten seines vielgestaltigen Berufs geschildert. Mit ganz besonderem
Entzücken wurde seine ausgezeichnete Kenntnis des Englischen erwähnt,
was mich sehr freute, denn ich hoffte, es würde doch etwas Wahres
daran sein.

Einen Diener mußten wir unverzüglich haben; die Meinigen nahmen Manuel
daher für eine Woche zur Probe an und schickten ihn zu mir herauf. Ich
hütete wegen meines Bronchialkatarrhs das Zimmer und sehnte mich nach
einer kleinen Abwechslung und Unterhaltung. Da kam mir Manuel gerade
recht. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt, groß und schlank, hielt sich
aus gewohnheitsmäßiger Ehrerbietung etwas vornüber gebeugt, hatte
ein Gesicht von europäischem Schnitt, kohlschwarzes Haar, ein paar
sanfte, fast furchtsame schwarze Augen, eine sehr dunkle Hautfarbe und
ein glattgeschorenes Kinn. Anders als barhaupt und barfuß habe ich
ihn während seiner Dienstwoche bei uns nie gesehen; die europäischen
Kleider, welche er anhatte, waren schlecht, dünn und sehr abgetragen.

So stand er vor mir, verbeugte sich zum Gruß mit dem ganzen Oberkörper
nach der feierlichen Art der Inder und berührte seine Stirn mit den
Fingerspitzen der rechten Hand.

»Offenbar bist du ein Hindu, Manuel,« sagte ich, »aber du hast einen
spanischen Namen -- wie kommt das?«

Der Diener machte ein verblüfftes Gesicht; er hatte nichts verstanden
und wollte es sich doch nicht merken lassen.

»Name Manuel. Ja Herr,« antwortete er gelassen.

»Das weiß ich, aber woher hast du ihn?«

»O ja, vermutlich. Wird wohl so sein. Vater heißt ebenso, Mutter nicht.«

Ich versuchte mich einfacher auszudrücken, um von diesem gelehrten
Engländer verstanden zu werden, und sprach sehr langsam und deutlich:

»Von -- wem -- hat -- dein -- Vater -- seinen -- Namen?«

»O, der --« sein Gesicht erhellte sich -- »er Christ sein,
portugiesischer -- wohnen in Goa. Ich geboren Goa. Mutter nicht
Portugiesin -- Mutter Eingeborene -- Brahminenkaste -- oberste Stufe --
keine Kaste so hoch wie diese. Ich auch hochgeborener Brahmine. Auch
Christ, wie Vater -- hoher christlicher Brahmine, Herr -- Heilsarmee.«

Diese Worte brachte er stotternd und schwerfällig heraus. Dann kam es
plötzlich wie Begeisterung über ihn und er erging sich in einem langen
Schwall unverständlicher Reden.

»Höre auf,« unterbrach ich ihn. »Hindustani verstehe ich nicht.«

»Nicht Hindustani, Herr -- Englisch. Ich sprechen Englisch immer, den
ganzen Tag, manchmal.«

»Gut, so lasse ich mir’s gefallen; es ist zwar nicht was ich nach
deinem Zeugnis erwartet und gehofft hatte, doch ist es verständlich.
Schmücke es nicht weiter aus. Sprachverschnörkelungen, die den Sinn
beeinträchtigen, sind mir verhaßt.«

»Herr?«

»Das war nur eine allgemeine Bemerkung. Aber sage mir, wie kommst du zu
deinem Englisch? Hast du es gelernt, oder ist es nur eine Gabe Gottes?«

Manuel zögerte mit der Antwort.

»Ja,« sagte er dann in frommem Ton. »Er sehr gut. Christengott
sehr gut, Hindugott auch sehr gut. Zwei Millionen Hindugott, ein
Christengott. Gehören alle mein, zwei Millionen und ein Gott -- ich
haben sehr viele. Manchmal ich beten zu sie allezeit, gehen jeden Tag
an Altar, geben Geld; gut für mich -- macht mich besserer Mann, gut für
meine Kinder auch, verdammt gut.«

Nun fing er wieder an, allerhand unzusammenhängendes Zeug zu schwatzen,
bis ich unserm Gespräch ein Ende machte und ihm befahl, das Badezimmer
in Ordnung zu bringen und den Boden aufzuwischen -- ich wollte ihn los
sein. Er tat als verstünde er mich, nahm meine Kleider aus dem Schrank
und begann sie zu bürsten. Endlich, nachdem ich ihm meine Wünsche
noch mehrmals in immer einfacheren Worten kundgetan, begriff er was
ich wollte. Er ging hin und holte einen Kuli, um die Arbeit zu tun.
Wenn er sie selbst verrichtete, erklärte er mir, würde er das Gesetz
seiner Kaste übertreten und sich verunreinigen. Er könne sich dann nur
mit großer Not und Schwierigkeit wieder zu Ehren bringen. Dergleichen
Arbeit sei den höheren Kasten streng verboten, sie müßte von den Hindus
der untersten Kaste, den verachteten Sudras getan werden.

Darin hatte Manuel vollkommen recht. Auch haben sich die armen Sudras
anscheinend seit Jahrhunderten in ihr elendes Los ergeben, das sie
sozusagen von Anbeginn der Welt dem Schimpf und der Bedrückung
preisgibt. In den Verordnungen des Manu (900 v. Chr.) steht, daß
wenn sich ein Sudra _nicht auf einen niedrigeren Platz setzt als der
Höhergestellte, er verbannt und gebrandmarkt werden soll_ ... beleidigt
er ein Mitglied der höheren Kaste, _so wird er mit dem Tode bestraft_.
Hört er zu, wenn die heiligen Bücher vorgelesen werden, so soll ihm
_siedendes Oel in die Ohren gegossen werden_; lernt er Stellen davon
auswendig, _so bringt man ihn um_; verheiratet er seine Tochter an
einen Brahminen, _so fährt der Gatte in die Hölle_, weil er sich
durch die Berührung mit einem so unendlich tief unter ihm stehenden
Weibe verunreinigt hat. Auch ist es dem Sudra verboten, _Reichtum zu
erwerben_. »Der Hauptbestandteil der indischen Bevölkerung« (heute
auf 300000000 geschätzt) sagt Bukle »sind die Sudras -- die Arbeiter,
Landbauer und Erzeuger des Wohlstands, und doch hat schon der Name
Sudra eine verächtliche Bedeutung.«

Den armen alten Manuel konnten wir nicht gebrauchen; er mochte wohl
schon zu bejahrt für uns sein. Ueber seine Langsamkeit wollte man
schier verzweifeln und seine Vergeßlichkeit überstieg alle Grenzen. Um
eine Besorgung in der nächsten Straße zu machen, blieb er zwei Stunden
aus und vergaß unterwegs, was er holen sollte. Zum Packen eines Koffers
brauchte er eine Ewigkeit und wenn er schließlich damit zustande
kam, war der Inhalt ein unbeschreibliches Chaos. Auch die Aufwartung
bei Tische besorgte er schlecht, und das ist ein sehr wesentlicher
Mangel, denn wer sich in einem indischen Hotel nicht auf seinen eigenen
Diener verlassen darf, ist übel dran und muß meist hungrig von Tische
aufstehen. Sein Englisch verstanden wir ebensowenig wie er das unsrige,
und als sich herausstellte, daß er selbst nicht verstand was er sagte,
war es hohe Zeit uns von ihm zu trennen. Fortschicken mußte ich ihn,
das ließ sich nicht ändern, aber ich tat es so sanft und freundlich,
wie ich irgend konnte. »Wir müssen scheiden,« sagte ich, »doch hoffe
ich, daß wir uns in einer bessern Welt wiederfinden.« Die kleine
Unwahrheit nahm ich mir nicht übel, sie kostete nichts und ersparte ihm
eine Kränkung.

Sobald er fort war, fiel mir eine Last vom Herzen, ich fühlte frische
Kraft und neuen Mut, meine Unternehmungslust wuchs und ich war bereit
zu allen Taten. Da kam auch schon Manuels neu gemieteter Nachfolger
hereingeflitzt; er berührte seine Stirn, flog hierhin und dorthin auf
sammetweichen Sohlen, brachte in fünf Minuten das ganze Zimmer in die
musterhafteste Ordnung und stand dann ehrerbietig da, weitere Befehle
erwartend. Potztausend, was war das für ein rühriges Kerlchen! Eine
wahre Erquickung nach der schläfrigen alten Schnecke, dem Manuel. Vom
ersten Augenblick an hing mein ganzes Herz voll Liebe und Bewunderung
an dem zweibeinigen, flinken, schwarzen Geschöpfchen, diesem
Inbegriff von Tatkraft, Schnelligkeit und Zuversicht, diesem klugen,
freundlichen, reizenden kleinen Teufel mit den blitzenden Augen. Das
flammendrote Fez mit der feurigen Troddel, das ihm oben auf dem Kopfe
saß und wie eine brennende Kohle glühte, kleidete ihn zum Entzücken.

»Wir werden gut zusammen auskommen,« sagte ich mit innerlichster
Befriedigung. »Wie heißt du?«

Er wickelte seinen Namen der ganzen Länge nach mit geläufiger Zunge ab.

»Warte, laß mich meine Auswahl treffen, zum täglichen Gebrauch -- den
Rest versparen wir uns auf den Sonntag. Sage mir’s noch einmal, aber
abteilungsweise.«

Er tat es; doch war kein kurzer Name darunter, außer Mausa, was mir
nicht passend schien; es erinnerte an Maus und war zu sanft und still
und viel zu unscheinbar für sein prächtiges Wesen.

»Mausa ist kurz genug,« sagte ich nach einiger Ueberlegung, »aber
es gefällt mir nicht; es hat weder Saft noch Kraft und ist nicht
bezeichnend genug -- in solchen Dingen bin ich sehr empfindlich. Was
meinst du, wenn wir dich Satan nennten?«

»Ja Herr -- Satan, sehr guter Name.«

Es klopfte an der Tür; mit einem Sprunge war Satan dort, ein paar
Worte auf Hindustani wurden gewechselt, dann schlüpfte er hinaus. Drei
Minuten später stand er in militärischer Haltung wieder vor mir und
wartete auf meine Anrede.

»Was gibt es, Satan?«

»Gott ist da, wünschen Sie zu sprechen.«

»Wer?«

»Gott. Ich ihn sollen hereinführen?«

»Wie ist denn das möglich? -- ich -- ich weiß wirklich nicht -- so ganz
unvorbereitet -- erkläre mir doch -- ein so ungewöhnlicher Besuch --«

»Hier seine Karte, Herr.«

War es nicht merkwürdig, schrecklich und staunenerregend, daß eine so
hohe Persönlichkeit mich armen Sterblichen besuchen wollte, und mir
wie ein gewöhnlicher Mensch seine Karte hereinschickte -- obendrein
durch Satan? -- Es schien mir ein völlig verwirrendes, undenkbares
Zusammentreffen. Aber wir waren ja in Indien, dem Märchenlande; es gibt
nichts, was dort nicht geschehen könnte!

Die Unterredung fand statt. Satan hatte ganz recht. Mein Besucher war
in den Augen seiner Anhänger wirklich ein Gott und wurde von ihnen
als solcher in aller Demut verehrt und angebetet. An der Göttlichkeit
seines Amtes und Ursprungs zu zweifeln, liegt ihnen ferne. Sie glauben
an ihn, bringen ihm Gaben und Opfer dar und erlangen von ihm Vergebung
ihrer Sünden. Seine Person und alles was diese betrifft, ist ihnen
heilig; sie kaufen sich von dem Barbier die abgeschnittenen Fingernägel
des Gottes, fassen sie in Gold und tragen sie als kostbare Amulette.

Ich versuchte eine ruhige Unterhaltung mit ihm zu führen, aber
ich brachte es nicht zustande. Hättet ihr es tun können? -- Meine
Aufregung, Verwunderung und Neugier waren zu groß; ich verschlang ihn
förmlich mit den Augen. Es war ein Gott, ein wirklicher, anerkannter
und beglaubigter Gott, den ich da vor mir sah; seine Person, sein
Anzug bis in die kleinsten Einzelheiten, hatte ein überwältigendes
Interesse für mich. »Was für ein Unterschied!« dachte ich: »selbst
der höchstgestellte Mensch muß sich am Zoll der Ehrerbietung und
Höflichkeit genügen lassen, den man ihm darbringt, aber _er_ ist der
Empfänger weit köstlicherer Geistesgaben -- vor ihm kniet man, ihn
betet man an! Männer und Frauen legen die Sorgen und Kümmernisse eines
schwerbeladenen Herzens ihm zu Füßen nieder und er verleiht ihnen
Trost und Frieden, so daß sie geheilt von dannen gehen.«

In diesem Augenblick sagte mein erhabener Gast im einfachsten Tone von
der Welt:

»Was mir an der Lebensweisheit Ihres Huckleberry Finn am besten
gefällt, ist --« und dann fuhr er fort, mir sein literarisches Urteil
auf klare und verständige Weise auseinander zu setzen.

O, was für wunderbare Ueberraschungen erlebt man doch in Indien! Ich
gestehe, daß ich nicht ohne Ehrgeiz bin und gehofft hatte, Könige,
Präsidenten und Kaiser würden mich lesen -- aber _so hoch_ hatte ich
mich in meinen Erwartungen nie verstiegen. Wollte ich leugnen, daß mich
das unendlich beglückte, so wäre es falsche Bescheidenheit. Selbst die
größte Anerkennung von seiten eines Menschen hätte mir nicht solche
Freude gemacht, das bekenne ich ganz offen.

Mein Gast blieb über eine halbe Stunde da und war sehr höflich und
liebenswürdig. Die göttliche Würde besteht schon lange in seiner
Familie, seit wann weiß ich nicht. Er ist eine mohammedanische Gottheit
und nimmt auf Erden den Rang eines persischen Prinzen ein, der in
gerader Linie vom Propheten abstammt. Er ist hübsch und noch recht
jung -- für einen Gott -- fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt.
Die göttliche Größe trägt er mit Ruhe und Gelassenheit, wie es sich
für seinen erhabenen Beruf ziemt, und dabei sprach er das Englische
geläufig und rein, wie ein geborener Engländer. Ich glaube nicht, daß
ich übertreibe; ich hatte vorher noch nie einen Gott gesehen, und er
machte mir einen sehr günstigen Eindruck. Als er sich erhob um Abschied
zu nehmen, ging die Tür auf, ich sah draußen ein rotes Fez aufleuchten
und hörte die ehrerbietige Frage:

»Soll Satan Gott hinausbegleiten?«

»Ja.« -- Die beiden unzusammengehörigen Wesen verschwanden vor meinen
Blicken, Satan ging voraus und der _Andere_ folgte ihm.

[Illustration]




Viertes Kapitel.

        Glück zu ertragen verstehen nur wenige. Ich meine andrer
        Leute Glück.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Das nächste Bild in meiner Erinnerung ist das Gouverneurshaus auf der
Malabar-Spitze, wo man von den Fenstern und großen Balkons weit ins
Meer hinausblickt. Seine Exzellenz, der Gouverneur der Präsidentschaft
Bombay, wohnt dort ganz nach europäischer Art, in einem Staatspalast,
der zugleich ein behagliches Heim ist; nur die Leibwache und die Diener
sind Eingeborene. Da war England vertreten mit seiner Macht und den
Errungenschaften seiner modernen Zivilisation; überall herrschten
stille Farben und gediegener Geschmack, ruhige Würde und Vornehmheit.

Nun folgte ein Bild altindischer Kultur in der Behausung von Kumar
Shri Samatsinhji Bahadur, dem Fürsten des Palitana-Staats. Bei unserm
Besuch sahen wir auch dessen Sohn und Erben nebst seinem Schwesterchen.
Die hübsche braune kleine Elfe war zart gebaut, sehr ernsthaft, reizend
anzuschauen und gekleidet wie der zierlichste Schmetterling. Sie machte
uns zwar ein freundliches Gesicht, doch zog sie es anfänglich vor,
ihres Vaters Hand nicht loszulassen, um die Fremden erst näher kennen
zu lernen und zu sehen, wie weit man ihnen trauen dürfe. Die niedliche
kleine Märchenprinzessin mochte etwa acht Jahre alt sein; in drei oder
vier Jahren mußte sie also nach indischem Brauch heiraten. Dann war ihr
freies Leben in Luft und Sonnenschein zu Ende und von einem Verkehr
mit männlichen Besuchern durfte nicht mehr die Rede sein. Gleich ihrer
Mutter wird sie sich auf Lebenszeit im Frauengemach einschließen, sich
aus angeerbter Gewohnheit glücklich fühlen und ihre Beschränkung weder
als lästigen Zwang noch als trübselige Gefangenschaft ansehen.

In seinen Mußestunden unterhält sich der Fürst mit einem Spiel --
aber davon will ich lieber nicht reden; ich könnte es doch nicht so
beschreiben, daß man es versteht. Es ist sehr verwickelt, und obgleich
ich mir alle Mühe gab es zu begreifen, gelang es mir doch nicht; man
sagt, daß nur ein Inder das Spiel erlernen kann. Meine Frau und
Tochter besuchten unterdessen die Fürstin im Frauengemach -- eine
liebenswürdige Dame, die fließend Englisch spricht. -- Auch einen
Turban zu winden war ich nicht imstande; es sieht so einfach und leicht
aus, als wäre es gar keine Kunst, das beruht jedoch auf Täuschung. Der
Inder nimmt das eine Ende eines vierzig bis fünfzig Fuß langen und etwa
einen Fuß breiten, dünnen, zarten Gewebes in beide Hände, windet es
sorgfältig fest um den Kopf, wobei er den Stoff mehrmals dreht -- in
ein paar Minuten ist das Kunstwerk regelrecht vollendet und sitzt wie
angegossen.

Wir interessierten uns sehr für die fürstliche Garderobe, die
Edelsteine und das schön geformte, prächtig verzierte Silbergerät.
Letzteres wird bei den Mahlzeiten gebraucht und im übrigen stets
verschlossen gehalten; nur der erste Diener und der Fürst selber
haben Schlüssel zum Silberschrank. Der Zweck dieser Maßregel ist aber
keineswegs den Silberschatz zu hüten, sondern vermutlich den Fürsten
vor einer Verunreinigung zu schützen, welcher seine Kaste ausgesetzt
wäre, wenn Diener aus einer niederen Kaste die Gefäße berührten;
vielleicht fürchtet seine Hoheit auch Gift! Ich glaube ein besoldeter
Vorkoster muß jede Speise versuchen, ehe der Fürst sie genießt. Das ist
eine alte, weise Sitte im Orient, die gar manchen Vorkoster an Stelle
seines Herren ins Jenseits brachte, denn natürlich ist es der Koch, der
das Gift in das Essen tut. Wäre ich ein indischer Fürst, so würde ich
mit dem Koch speisen und die Stelle des Vorkosters eingehen lassen.

Alle Zeremonien flößen mir stets Interesse ein; auch mit dem indischen
Morgengruß ist eine solche verbunden: Der Sohn berührt dabei
ehrfurchtsvoll des Vaters Stirn mit einem kleinen silbernen Röhrchen,
das in Saft getaucht wird, welcher einen roten Punkt zurückläßt;
hierauf segnet der Vater den Sohn. Wenn wir uns damit begnügen, Guten
Morgen zu sagen, so paßt das zwar zu unsern formlosen Gewohnheiten,
aber für den Orient wäre es lange nicht umständlich und feierlich genug.

Beim Schluß unseres angenehmen Besuchs legte man uns noch, wie es
die Sitte verlangt, große gelbe Blumenkränze um den Hals und versah
uns mit Betelnüssen zum Kauen. Dann begaben wir uns aus diesem
farbenprächtigen, sonnigen Leben nach einem Schauplatz ganz anderer
Art, nach den ›Türmen des Schweigens‹, wohin die Parsen ihre Toten
bringen. Der Name hat einen erhabenen eindrucksvollen Klang, über dem
die Stille des Todes schwebt. Wenn wir von Grabhügel, Grabgewölbe,
Gottesacker und Friedhof reden, so haben diese Wörter zwar auch, durch
die sich daran knüpfenden Gedanken, eine feierliche Bedeutung für uns
gewonnen, aber so majestätisch tönen sie doch nicht an unser Ohr.

Auf einer Anhöhe, mitten in einem tropischen Paradies von Blumen und
Laubwerk, fern vom lärmenden Weltgetriebe, standen die ›Türme des
Schweigens‹ da; ringsum breiteten sich große Haine von Kakaopalmen
aus, dann die Stadt in meilenweitem Umkreis, dahinter das von Schiffen
wimmelnde Meer, und über allem schwebte dieselbe lautlose Stille,
welche droben den Platz der Toten umgab. Die Geier hatten sich
eingestellt; sie saßen am Rande des niedrigen festen Turmes in einem
großen Kreise dichtgedrängt, regungslos, wie aus Stein gemeißelt -- und
warteten. Man war fast versucht, sie für leblose Bildwerke zu halten.
Plötzlich traten die Anwesenden -- es mochten etwa zwanzig Personen
zugegen sein -- ehrfurchtsvoll beiseite, und das Gespräch verstummte.
Ein Leichenzug bewegte sich durch das große Gartentor nach dem Turme
hin. Der Tote lag auf einer flachen Bahre mit einem weißen Tuche
bedeckt, sonst aber unbekleidet; zwischen den Leichenträgern und dem
Trauergefolge ließ man einen Abstand von dreißig Fuß. Die paarweise
einherschreitenden Leidtragenden, in weiße Gewänder gehüllt, waren je
zwei und zwei mit Stricken oder Tüchern zusammengebunden -- das heißt,
im bildlichen Sinne -- eigentlich hielt nur jeder ein Ende in der Hand.
Hinter dem Zuge führte man einen Hund an der Leine. Als die Trauernden
unweit des Turmes angelangt waren -- es darf außer den Trägern mit der
Leiche kein Mensch näher kommen als bis auf dreißig Fuß -- kehrten sie
wieder um und begaben sich nach einem kleinen Tempel im Garten, um für
den abgeschiedenen Geist zu beten. Die Träger schlossen indessen die
Tür auf, welche den einzigen Gang zum Turme bildet und verschwanden
drinnen vor unsern Blicken. Nach einer Weile kamen sie wieder heraus,
Bahre und Leichentuch tragend, und verschlossen die Tür. Nun erhoben
sich die Geier im Kreise, schlugen mit den Flügeln und schossen in den
Turm hinunter, um die Leiche zu verzehren. Als der ganze Schwarm wenige
Minuten später wieder davonflog, blieb nur das völlig abgenagte Skelett
zurück.

Der Gedanke, welcher bei einem Parsenbegräbnis allen Bestimmungen zu
Grunde liegt, ist die Reinheit. Nach den Lehren des Zoroaster sind
die Elemente Erde, Feuer und Wasser geheiligt und dürfen nicht durch
Berührung eines Leichnams befleckt werden. Daher kann man die Toten
weder verbrennen noch begraben, auch ist jedem untersagt, eine Leiche
zu berühren oder den Turm zu betreten, in dem sie liegt. Nur den von
Amtswegen dazu bestimmten Männern wird dies gestattet; sie erhalten
hohen Lohn, führen jedoch ein einsames, trübseliges Leben, denn sie
müssen allen Umgang mit andern Genossen meiden, weil sie sich durch
ihren Verkehr mit den Toten verunreinigen; wer sich zu ihnen gesellt,
wird gleichfalls befleckt. Bei ihrer Rückkehr aus dem Turm wechseln
sie ihre Kleider in einem innerhalb der Tore gelegenen, besonders dazu
bestimmten Gebäude. Den Anzug, welchen sie getragen haben, lassen sie
dort zurück, denn er ist unrein und darf nicht mit hinausgenommen, noch
überhaupt wieder benützt werden. Zu jedem Begräbnis kommen die Träger
in neuen Kleidern. Kein menschliches Wesen, außer den angestellten
Leichenträgern, hat je einen ›Turm des Schweigens‹ nach dessen
Einweihung betreten, bis auf einen einzigen Fall. Es ist jetzt gerade
hundert Jahre her, da drang einmal ein Europäer hinter den Trägern ins
Innere des Turmes, um seine rohe Neugier an dem verbotenen Anblick
des geheimnisvollen Ortes zu sättigen. Name und Stand des frechen
Eindringlings sind unbekannt geblieben; da er jedoch für sein schweres
Vergehen keine andere Strafe seitens der Regierung der Ostindischen
Kompagnie erhalten hat, als einen öffentlichen Verweis, so liegt die
Vermutung nahe, daß es ein Europäer aus angesehener Familie war. In
dem amtlichen Schreiben, welches jene feierliche Rüge enthielt, wurde
zugleich jedem, der sich künftig einer ähnlichen Uebertretung schuldig
machte, angekündigt, man werde ihn, falls er im Dienst der Kompagnie
stehe, sofort entlassen; Mitglieder des Kaufmannsstandes dagegen
sollten ihre Handelsberechtigung verlieren und aus Indien verbannt
werden.

Die ›Türme des Schweigens‹ sind im Verhältnis zu ihrem Umfang nicht
hoch. Will man sich einen ungefähren Begriff von ihrer Form machen, so
stelle man sich einen Gasometer vor, der bis zur Hälfte seiner Höhe mit
festen Granitsteinen ausgemauert ist, durch welche man in der Mitte
einen breiten und tiefen Schacht gebohrt hat. Ringsum auf dem Mauerwerk
liegen die Toten in flachen, rinnenartigen Vertiefungen, welche wie
die Speichen eines Rades in schräger Richtung nach dem Brunnen zu
auslaufen und ihm das Regenwasser zuführen, das durch unterirdische
Kanäle mit Kohlenfiltern wieder abgeleitet wird.

Hat das Skelett einen Monat lang, dem Regen und der glühenden Sonne
ausgesetzt, im Turm gelegen, so ist es vollkommen trocken und rein.
Dann kommen dieselben Träger behandschuht wieder, fassen es mit einer
Zange an und werfen es in den Schacht, wo es in Staub zerfällt.
Andere Völker scheiden ihre Toten voneinander und bewahren die
Standesunterschiede noch im Grabe. Sie bestatten die Leichen von
Königen, Staatsmännern, Generälen, in Tempeln und Pantheons, wie es
ihrem Range gebührt, und die Leichen der Armen und gemeinen Leute an
Orten, die ihrem niedern Stande angemessen sind. Die Parsen dagegen
glauben, daß im Tode alle Menschen gleich sind. Zum Zeichen ihrer
Armut trägt man sie nackt in die Grube, zum Zeichen ihrer Gleichheit
wirft man die Gebeine der Reichen, der Armen, der Berühmten und
der Unbekannten zusammen in denselben Brunnenschacht. Bei einem
Parsenbegräbnis sieht man keine Wagen; wer sich daran beteiligt, sei
er reich oder arm, muß zu Fuße gehen, mag die Entfernung auch noch
so groß sein. Seitdem die Parsen vor zweihundert Jahren, durch die
mohammedanischen Eroberer vertrieben, aus Persien nach jener Gegend
Indiens eingewandert sind, hat sich in den fünf vorhandenen ›Türmen des
Schweigens‹ der Staub aller ihrer Männer, Frauen und Kinder vermischt,
die in Bombay und dessen Umgegend gestorben sind.

Was der Hund bei dem Begräbnis bedeutet, weiß niemand mehr recht zu
erklären; er soll bei den alten Parsen ein heiliges Tier gewesen sein,
das die abgeschiedenen Seelen zum Himmel geleitete. Der Hund, den ich
damals sah, machte mir einen tiefen Eindruck, er war ja ein Rätsel,
zu dem der Schlüssel verloren gegangen ist. Traurig und mit gesenktem
Kopf kam er daher, als sei er bemüht, sich das Sinnbild ins Gedächtnis
zurückzurufen, welches vorzustellen man ihn vor grauen Jahren
beauftragt hatte. Das heilige Feuer, das in der Nähe brennt, bekam ich
nicht zu sehen; die ursprüngliche Flamme soll seit zweihundert Jahren
nicht erloschen sein.

Die Parsen behaupten, daß ihre Art der Totenbestattung der wirksamste
Schutz für die Lebenden ist. Weder Krankheitskeime noch Fäulnis, noch
irgend welche Unreinigkeit wird dadurch verbreitet; keine Hülle, kein
Kleidungsstück, das dem Toten angehört hat, darf wieder mit einem
Lebenden in Berührung kommen. Nichts geht von den Türmen des Schweigens
aus, was der Welt draußen Schaden zu bringen vermöchte. Wir können
den Parsen nur recht geben. In gesundheitlicher Beziehung hat ihr
System dieselben Vorzüge wie die Leichenverbrennung. Wir nähern uns
jetzt langsam aber sicher dieser Bestattungsart. Daß sich die Wandlung
rasch vollziehen wird, kann man nicht erwarten, aber wenn sie nur
allmählich und stetig fortschreitet, so genügt das vollständig. Ist die
Leichenverbrennung erst einmal zur allgemeinen Regel geworden, so wird
unser Grauen davor verschwinden; auch die Toten zu begraben würde uns
Schauer erregen, wenn wir uns vergegenwärtigen wollten, was im Grabe
vorgeht.

Die Parsen sind eine merkwürdige Volksgemeinde. In Bombay leben etwa
60000 und halb so viel im übrigen Indien, aber was ihnen an Zahl
abgeht, ersetzen sie durch ihre Bedeutung. Sie sind hochgebildet,
tatkräftig, unternehmend, reich, dem Fortschritt huldigend, und nicht
einmal die Juden zeigen sich so freigebig und wohltätig gegen jedermann
ohne Unterschied. Viele Hospitäler für Menschen und Tiere sind von den
Parsen erbaut und mit reichen Geldmitteln ausgestattet worden. Sie
sowohl als ihre Frauen haben eine stets offene Hand, wo es sich um
irgend einen großen und guten Zweck handelt. In politischer Hinsicht
bilden sie eine Macht, welche der Regierung wesentliche Unterstützung
gewährt. Die Lehren ihrer Religion sind rein und erhaben, sie halten
unverbrüchlich an ihnen fest und richten ihr ganzes Leben danach ein.

Ehe wir den Garten der ›Türme des Schweigens‹ verließen, warfen wir
noch einen Blick auf die wundervolle Aussicht, welche Ebene, Stadt
und Meer uns boten. Das letzte, was mir dabei ins Auge fiel, war ein
natürliches Sinnbild des Todes: auf einem freien Platz im Garten saß
ein Geier auf dem abgesägten Stumpf eines hohen, schlanken Palmbaums.
Er verharrte regungslos in seiner Stellung, wie ein Steinbild auf einer
Säule; dabei hatte er einen förmlichen Grabesblick, der ganz zu der
Stimmung des Ortes paßte.




Fünftes Kapitel.

        Es gibt einen alten goldenen Spruch, welcher lautet: »Wohl
        dir, wenn du beim Aufstieg zum Hügel des Glücks keinem
        Freunde begegnest.«

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Zunächst wurden wir von Bekannten nach einem Dschain-Tempel
mitgenommen; er war nicht groß und mit vielen flatternden Wimpeln
geschmückt, die an Flaggenstangen befestigt sind; auf den Zinnen des
Daches stehen ringsum eine Unmenge kleiner Götzenbilder. In der Mitte
des innern Raumes sagte ein einsamer Dschain laut seine Gebete her
und ließ sich durch unsere Gegenwart in keiner Weise stören. Seine
Andacht galt einem kleinen, sitzenden, rosig gefärbten Götzen, der sich
etwa zwölf Fuß vor ihm befand und einer schlecht geformten Wachsfigur
glich. Mr. Gandhi, der dem Kongreß der Weltreligionen in Chicago
als Abgeordneter beigewohnt hat, setzte uns die Lehren der Dschaina
in trefflichem Englisch auseinander, aber was er sagte ist meinem
Gedächtnis entschwunden. Ich weiß nur noch, daß sich ihre religiösen
Vorstellungen in erhabene Formen kleiden, und grobe Sinnlichkeit
ihnen fremd ist. Wie sich das mit der Anbetung des rohen Götzenbildes
vereinbaren läßt, kann ich nicht erklären. Vermutlich stellt dieses
ein Wesen dar, das nach vielhundertjährigen Seelenwanderungen, bei
stetiger Zunahme an Frömmigkeit und Tugend, zuletzt zu einem Heiligen,
einer Art Gottheit geworden ist, welche die Anbetung stellvertretend
entgegennimmt, um sie der Himmelsbehörde zu übermitteln. So denke ich
es mir wenigstens.

Von dort begaben wir uns nach Mr. Premchand Roychands Bungalow im
Love Lane, Byculla, wo ein indischer Fürst, der kürzlich von der
Kaiserin Viktoria zum Ritter des indischen Sternordens ernannt worden
war, die Abgesandten der Dschaina empfangen wollte, welche ihm wegen
dieser hohen Ehre ihre Glückwünsche darbrachten. Selbst der größte
indische Fürst verschmäht die Auszeichnung nicht; er erläßt seinen
Untertanen die Steuern und gibt viel Geld aus zur Verbesserung der
öffentlichen Zustände, wenn er dafür die Ritterwürde erlangen kann.
Alljährlich verleiht die Kaiserin verschiedenen einheimischen Fürsten
zum Lohn für ihre Verdienste den Stern von Indien und teilt zugleich
Kanonen an sie aus, welche sie beim Salutschießen abfeuern dürfen.
Ein kleiner Fürst hat drei oder vier Kanonen, die ihm den Ehrengruß
bringen, und mit der Bedeutung des Fürsten nimmt auch die Zahl seiner
Kanonen zu, bis auf elf Stück, ja vielleicht haben manche noch mehr,
aber das weiß ich nicht bestimmt. Mir ist gesagt worden, daß wenn ein
vier Kanonen-Fürst die fünfte erhält, seine Umgebung sehr darunter
leidet, denn solange ihm die Sache noch neu ist, möchte er bei jeder
Gelegenheit Salutschüsse haben, und die ohrenzerreißende Musik will
gar kein Ende nehmen. Wie viele Kanonen so große Herrscher wie der
Nizam von Hyderabad und der Gaikawar von Baroda haben, vermag ich, wie
gesagt, nicht anzugeben.

Als wir das Bungalow betraten, fanden wir die große Halle im Erdgeschoß
bereits voller Menschen, und noch immer kamen neue Wagen vorgefahren.
Die Versammlung bot ein hübsches Schauspiel; alles funkelte und blitzte
wie bei einem Feuerwerk, so bunt waren die Kostüme und so glänzend
die Farben. Ganz besonders merkwürdig fand ich die Ausstellung der
verschiedenen Turbans. Ihre wunderbare Mannigfaltigkeit erklärte sich
dadurch, daß die Mitglieder der Dschaina-Gesandtschaft aus allen Teilen
Indiens stammten und jeder einen Turban trug, wie er in seiner Gegend
Sitte war.

Ich würde dort gern eine Konkurrenz-Ausstellung von christlichen
Trachten und Kopfbedeckungen veranstaltet haben. Dazu hätte ich nur
alle indische Herrlichkeit aus einer Hälfte des Raumes zu entfernen und
diese mit Christen aus Amerika, England und den Kolonien anzufüllen
brauchen, welche Hüte und Kleider trugen, wie sie vor zwanzig,
vierzig, fünfzig Jahren Mode waren oder wie man sie heutzutage hat.
Es wäre eine greuliche Sammlung gewesen, ein Anblick von ausgesuchter
Scheußlichkeit. Auch die weiße Gesichtsfarbe hätte ihr Teil dazu
beigetragen. Sie kommt uns zwar nicht gerade unleidlich vor, solange
wir uns unter lauter Weißen befinden, sehen wir sie aber zusammen
mit einer Menge brauner oder schwarzer Gesichter, so wird uns
augenblicklich klar, daß nur die Gewohnheit sie erträglich macht. Eine
schwarze oder braune Haut ist fast immer schön, eine weiße nur sehr
selten. Will man sich hiervon überzeugen, so braucht man nur an einem
Wochentage in Paris, New York oder London eine Straße hinunterzugehen
-- nicht gerade im vornehmsten Viertel -- und sich zu merken, wie
vielen Menschen mit gutem Teint man auf einer etwa meilenlangen Strecke
begegnet. Neben dunkeln Gesichtern sehen die weißen ausgewaschen,
ungesund, oft förmlich gespensterhaft aus. Schon als Knabe hatte ich
daheim, zur Sklavenzeit vor dem Bürgerkrieg, Gelegenheit gehabt diese
Beobachtung zu machen. Wahrhaft bewundernswert erschien mir aber die
prächtige schwarze Haut der südafrikanischen Zulus aus Durban, die wie
Atlas glänzte. Ich sehe sie noch vor mir, diese schwarzen Athleten,
wie sie mit den Rickschas vor dem Hotel auf Kundschaft warteten.
Die schönen Gestalten waren nur wenig verhüllt durch die leichte
Sommerkleidung, deren schneeiges Weiß das tiefe Schwarz der Neger um
so mehr hervortreten ließ. In Gedanken vergleiche ich jene Zulu-Gruppe
mit den Bleichgesichtern, die soeben an meinem Fenster in London
vorübergehen:

_Erste Dame_: Gesichtsfarbe: neues Pergament.

_Zweite_: Altes Pergament.

_Dritte_: Weiß und rot; sehr hübsch.

_Ein Mann_: Graues Gesicht mit roten Flecken.

_Ein anderer Mann_: Ungesunde, schuppige Haut.

_Mädchen_: Blaßgelb mit Sommersprossen.

_Alte Frau_: Weißlichgrau.

_Metzgerbursche_: Stark gerötetes Gesicht.

_Gelbsüchtiger Mann_: Helle Senffarbe.

_Aeltere Dame_: Farblose Haut mit zwei großen Muttermälern.

_Aelterer Mann_ (dem Trunk ergeben): Kartoffelnase in einem welken, von
feuerroten Falten durchzogenen Gesicht.

_Gesunder junger Herr_: Schöner, frischer Teint.

_Kranker junger Herr_: Weiß, wie ein Gespenst.

Die Hautfarbe unzähliger Menschen ist nur eine matte, charakterlose
Abschattierung dessen, was wir fälschlich ›weiß‹ zu nennen pflegen.
Manche Gesichter sind mit Pusteln bedeckt oder tragen sonstige
Zeichen eines ungesunden Blutes, während andere grell abstechende
Narben und Flecken haben. Im Gesicht des weißen Mannes läßt sich
nichts verbergen; durch alle erdenklichen Zufälligkeiten werden seine
Reize beeinträchtigt. Die Damen schminken und pudern sich, brauchen
Schönheitswasser, Arsenik, und mancherlei Mittel um die Haut zu
glätten; sie streicheln und schmeicheln, sie schmieren und wirtschaften
an ihr herum und geben sich unsägliche Mühe sie zu verschönern. Alles
umsonst. Doch liefern ihre Anstrengungen uns den besten Beweis, welche
geringe Meinung sie von der Beschaffenheit der Haut im allgemeinen
haben. Was sie sich nachzuahmen bestreben, gewährt die Natur nur sehr,
sehr wenigen. Von hundert Personen haben neunundneunzig gewiß einen
schlechten Teint, und wie lange vermag der Hundertste, dem ein guter
verliehen ist, sich denselben zu erhalten? Höchstens zehn Jahre.

Nein, der Zulu ist entschieden im Vorteil. Er hat von Anfang an seine
schöne Gesichtsfarbe und behält sie, solange er lebt. Und wie angenehm
und wohltuend für das Auge ist erst das bestimmte, glatte, fleckenlose
Braun des Inders; es braucht keine Farbe zu scheuen, es paßt zu allen
und erhöht ihren Reiz. Daß sich der Durchschnittsteint des Weißen mit
dieser wundervollen, köstlichen Färbung auch nur entfernt vergleichen
ließe, davon kann gar keine Rede sein.

Doch kehren wir zum Bungalow zurück. Am prächtigsten gekleidet waren
einige Kinder. Von den leuchtenden Farben ihrer kostbaren Stoffe und
den Edelsteinen, mit denen sie behangen waren, ging ein förmlicher
Strahlenglanz aus. Man hielt sie für Mädchen, und doch waren es Knaben,
Natsch-Tänzer von Beruf. Einzeln, zu zweien oder zu vieren standen sie
auf und tanzten und sangen zu den unheimlichen Klängen der Begleitung.
Ihre Stellungen und Bewegungen waren höchst anmutig und kunstvoll, aber
die Stimmen scharf und unangenehm und die Melodien größtenteils sehr
eintönig.

Nicht lange, so erhob sich draußen ein lautes Hurra und Jubelrufen. Es
galt dem Fürsten, der mit Gefolge seinen feierlichen Einzug hielt. Er
war ein stattlicher Herr in wundervollem Kostüm, bedeckt mit Schnüren
von Perlen und Edelsteinen; unter letzteren befanden sich einige
Smaragde von erstaunlicher Größe, die in ganz Bombay wegen ihrer
Schönheit und Kostbarkeit berühmt sind; das Auge konnte sich gar nicht
satt daran sehen. Auch der kleine Prinz, der den Fürsten begleitete,
war eine strahlende Erscheinung.

Langwierige Zeremonien fanden nicht statt. Der Fürst schritt mit
ernster Würde und Majestät auf seinen Thron zu, neben welchem der des
Prinzen stand. Feierlich saßen die beiden da, während sich rechts und
links von ihnen das Gefolge gruppierte. Es war das getreue Abbild
einer Schaustellung, wie wir sie oft in Büchern beschrieben finden.
Seit Salomo einst die Königin von Saba empfing und seine Schätze vor
ihr ausbreitete, haben die Fürsten aller Zeiten es für ihre Pflicht
gehalten, sich mit solchem Gepränge zu zeigen.

Der Führer der Dschaina-Abordnung verlas seine Glückwunschadresse und
steckte sie dann in ein schön verziertes Silberrohr, das er dem Fürsten
ehrfurchtsvoll überreichte, worauf dieser es ohne weiteres einem seiner
Beamten einhändigte. Ich will die Adresse hier mitteilen, denn es ist
interessant zu sehen, wofür die Untertanen eines indischen Fürsten
unter der heutigen englischen Herrschaft ihrem Monarchen alles zu
danken haben. Zur Zeit seines Großvaters, vor anderthalb Jahrhunderten,
als sich England noch nicht in die indische Verwaltung einmischte,
hätte man sich bei der Dankadresse sehr kurz fassen können. In jenen
Tagen der Freiheit würde das Volk dem Fürsten gedankt haben:

1. Daß er nicht aus bloßer Laune zu viele seiner Untertanen erschlagen
habe.

2. Daß er sie nicht durch Erhebung willkürlicher Abgaben gänzlich
ausgesogen und der Hungersnot preisgegeben habe.

3. Daß er nicht unter nichtigem Vorwand die Reichen getötet und ihr
Vermögen eingezogen habe.

4. Daß er die Angehörigen des Königshauses nicht getötet, geblendet,
eingekerkert oder verbannt habe, um seinen Thron gegen Verschwörungen
zu sichern.

5. Daß er sich nicht habe bestechen lassen, irgend einen seiner
Untertanen heimlich den Banden berufsmäßiger Thugs zu überliefern,
damit sie ihn im Hinterhof des Fürstenschlosses nach Belieben ermorden
und ausplündern konnten.

Das waren die gebräuchlichsten Maßregeln der Fürsten in alter Zeit;
aber diese sowohl wie einige andere, nicht minder harte, sind unter
der englischen Herrschaft schon längst abgeschafft worden. Bessere
Mittel und Zwecke sind seitdem an ihre Stelle getreten, wie uns die
Glückwunschadresse der Dschaina sofort beweisen wird. Dieselbe lautete:

    »Allergnädigster Fürst! -- Wir, die unterzeichneten Mitglieder
    der Dschaina-Gemeinde von Bombay, nähern uns Eurer Hoheit mit
    aufrichtiger Freude, um wegen der kürzlich erfolgten Ernennung
    Eurer Hoheit zum Ritter des erhabenen Sternordens von Indien,
    unsere herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Vor zehn Jahren
    durften wir Eure Hoheit unter Umständen in dieser Stadt
    willkommen heißen, welche in der Geschichte Ihrer Herrschaft
    eine denkwürdige Episode bezeichnen; denn ohne die Besonnenheit
    und Großmut, welche Eure Hoheit in den Verhandlungen zwischen
    dem Palitana Dunbar und der Dschain-Gemeinde an den Tag
    legten, hätte der versöhnliche Geist unseres Volkes keine
    Frucht tragen können. Das war der erste Schritt Eurer Hoheit
    bei Uebernahme der Verwaltung, durch welchen Sie sich nicht nur
    die dankbare Anerkennung der Dschain-Gemeinde, sondern auch
    der Regierung von Bombay gesichert haben. Nachdem nun Eure
    Hoheit zehn Jahre lang alle Erfahrung, Kraft und Fähigkeit
    in den Dienst der Verwaltung gestellt hat, ist Eurer Hoheit
    verdientermaßen die erhabene und ehrenvolle Auszeichnung der
    Ernennung zum Ritter des Sternordens zu teil geworden, den
    kein anderer Fürst vom Range Eurer Hoheit, soviel wir wissen,
    je zuvor erhalten hat. Wir können Eurer Hoheit die untertänige
    Versicherung geben, daß wir auf diese Ehrenbezeigung aus der
    Hand Ihrer Majestät, unserer gnädigsten Kaiserin und Königin,
    nicht weniger stolz sind als Eure Hoheit selbst. Wir verdanken
    Eurer Hoheit während dieser zehn Jahre die Einrichtung vieler
    Faktoreien, Schulen, Hospitäler und dergleichen im Staate,
    und wir hoffen, daß Eure Hoheit noch lange mit Weisheit und
    bewährter Umsicht über das Volk herrschen werde, um die vielen
    von Eurer Hoheit gütigst angebahnten Reformen auch künftig
    in Gnaden zu fördern. Indem wir nochmals unsere wärmsten
    Glückwünsche aussprechen, verharren wir als Eurer Hoheit
    untertänigste Diener.«

Faktoreien, Schulen, Hospitäler, Reformen! Das sind die Sachen, welche
die Fürsten Indiens neuerdings unterstützen und wofür sie Orden und
Kanonen erhalten!

Auf die Adresse antwortete der Fürst kurz und bündig, dann unterhielt
er sich noch ein paar Augenblicke mit dem einen oder andern der Gäste
auf Englisch und mit mehreren Beamten in einer indischen Sprache;
zuletzt wurden, wie gewöhnlich, Kränze verteilt und die Festlichkeit
war zu Ende.




Sechstes Kapitel.

        Jeder Mensch hat ein Geburtsrecht auf etwas, das alle
        seine andern Besitztümer überdauert -- es ist sein letzter
        Atemzug.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Am selben Abend, gegen Mitternacht, wohnten wir noch einem andern
Feste bei, nämlich einer Hindu-Hochzeit, oder richtiger gesagt, einer
Verlobungsfeier. Bisher hatte sich auf den Straßen, durch die wir
fuhren, stets ein buntes, malerisches Schauspiel entfaltet, sie waren
von einer zahlreichen, lärmenden Menge angefüllt gewesen; jetzt fand
nichts dergleichen statt. Es herrschte überall Totenstille; selbst das
Geschrei der Krähen war verstummt. Aber leer konnte man die Straßen
doch nicht nennen, denn auf dem Boden lagen schlafende Eingeborene zu
Hunderten, der Länge nach ausgestreckt und bis über den Kopf fest in
Decken gewickelt. So starr und regungslos lagen sie da, daß man sie für
Tote halten konnte.

Damals hatte die Pest, welche jetzt in Bombay wütet, noch nicht ihren
Einzug in die Stadt gehalten. Heute[1] stehen die Läden verödet da, die
Hälfte der Bewohner hat die Flucht ergriffen und die Zurückgebliebenen
kommen massenhaft an der Krankheit um. Ohne Zweifel sehen die Straßen
jetzt bei Tage so aus wie damals zur Nachtzeit. Als wir immer weiter
in dem Hindu-Viertel vordrangen und in enge, düstere Gassen gelangten,
mußten wir sehr behutsam fahren, weil der Wagen beinah nicht Raum genug
fand, um zwischen den Schläfern durchzukommen, die sich allenthalben
gelagert hatten. Von Zeit zu Zeit huschte eine Schar Ratten in dem
ungewissen Dämmerschein dicht vor den Hufen der Pferde vorüber --
dieselben Ratten, welche jetzt in Bombay die Pest von Haus zu Haus
schleppen. Die Kaufläden sind nur eine Art Verschläge -- kleine Buden,
die nach der Straße zu offen stehen. Man hatte die Waren fortgenommen
und ganze Familien schliefen auf den Ladentischen, meist beim Schein
einer Oellampe. Es sah aus wie eine Totenwacht.

    [1] Der Verfasser schrieb dies 1897.

Endlich bogen wir um eine Ecke und hatten eine förmlich strahlende
Beleuchtung vor uns. Das Haus der Braut war in ein Lichtmeer von
Gasflammen getaucht, welche die mannigfaltigsten Figuren bildeten.
Auch drinnen prangte alles in hellstem Glanze -- Kostüme, Spiegel,
Beleuchtung, Farben brachten im Verein mit der ganzen Ausschmückung
der Räume eine so feenhafte Wirkung hervor, als hätte sie Aladdins
Wunderlampe hergezaubert.

Die Braut war ein zierlich gebautes, schmuckes kleines Ding von zwölf
Jahren, sehr kostbar gekleidet, aber mehr wie ein Knabe. Sie bewegte
sich ungezwungen unter den Gästen oder blieb stehen, um sich mit
diesem oder jenem zu unterhalten und ihren Hochzeitsschmuck befühlen
und bewundern zu lassen. Am schönsten fand ich eine Schnur großer
Diamanten, an welcher ein prächtiger Smaragd hing.

Der Bräutigam war nicht zugegen; er beging eine besondere
Verlobungsfeier in seinem väterlichen Hause. Wie man mir sagte, mußte
sowohl er wie die Braut eine Woche lang alle Abend Gäste empfangen,
welche fast die ganze Nacht hindurch im Hochzeitshause blieben. Dann
heirateten sich die Brautleute, falls sie noch am Leben waren. Die
Kinder zählten beide zwölf Jahre -- ein ältliches Paar nach indischen
Begriffen -- sie hätten schon seit einem Jahre verheiratet sein sollen;
einem Fremden kamen sie freilich noch jung genug vor.

Etwas nach Mitternacht erschienen ein paar berühmte und hochgeschätzte
Natsch-Tänzerinnen in den prachtvollen Sälen, um ihre Kunst zu zeigen.
Zu ihrem Gesang und Tanz machten Männer auf sonderbaren Instrumenten
eine unheimliche, lärmende Musik, bei deren Klängen mich eine Gänsehaut
überlief. Ein Tanz der Mädchen sollte einen Schlangenzauber darstellen.
Mir schien zwar die Flötenbegleitung, welche dazu ertönte, wenig
geeignet, irgend etwas zu bezaubern, doch versicherte mir ein vornehmer
Hindu, daß die Schlangen solche Musik sehr lieben; sie kommen aus
ihren Höhlen heraus und lauschen ihr mit allen Zeichen von Wonne und
Wohlbehagen. Bei einer Vorstellung in seinem Garten, sagte er, seien
einmal sechs Schlangen von den Tönen der Flöte herbeigelockt worden und
man hätte sie nicht bewegen können sich wieder zu entfernen, bevor die
Musik zu Ende war. Ihre gefährliche Nähe war zwar keinem Anwesenden
erwünscht, weil sie sich frech und allzu vertraulich benahmen, aber
natürlich wollte niemand sie töten, denn der Hindu hält es für Sünde,
irgend ein Geschöpf umzubringen.

Gegen zwei Uhr morgens verließen wir die Festlichkeit. Unterwegs sah
ich noch ein Bild, das sich mir tief ins Gedächtnis eingeprägt hat.
Eine glänzend erleuchtete Vorhalle, zu der mehrere Treppenstufen
emporführten, überall schwarze Gesichter und gespenstische, weiße
Gewänder; in ihrer Mitte eine wahre Riesengestalt, den Turban auf dem
Haupte, mit einem Namen, der zu ihrer Größe paßte: Rao Bahadur Baskirao
Balinkanje Pitale, Vakeel seiner Hoheit des Gaikawar von Baroda. Der
Mann gehörte notwendigerweise zur Vervollständigung des Gemäldes,
aber wenn er Smith hieße, hätte es den ganzen Eindruck verdorben. Auf
beiden Seiten der engen Straße hatte man die Häuser in der bei den
Hindus gebräuchlichen Weise illuminiert. Viele Dutzende von Gläsern
mit brennenden Lichtern waren wenige Zoll von einander auf großen
Lattengestellen befestigt, so daß sie leuchtende Sterne bildeten, deren
Strahlenglanz sich grell von dem schwarzen Hintergrund abhob. Als wir
weiter durch die düstern Gassen fuhren, verschmolzen in der Ferne alle
Sternbilder zu einer einzigen Lichtmasse, die wie eine große Sonne in
der Finsternis glühte.

Dann folgte wieder jene tiefe Stille; Ratten huschten über den Weg,
überall lagen unbewegliche Gestalten auf der Erde und rechts und links
sah man die offenen Buden gleich Särgen, in denen Leichen zu liegen
schienen, welche von flackernden Totenlampen unheimlich beleuchtet
wurden. Seitdem ist ein Jahr vergangen, und wenn ich die Kabeldepeschen
aus Indien lese, meine ich das alles mit eigenen Augen im voraus
gesehen zu haben, wie in einem prophetischen Traum. Die eine Depesche
lautet: »In dem Stadtteil der Eingeborenen stocken die Geschäfte,
die meisten Läden sind geschlossen. Man hört nur Klagelaute und den
Schritt der Leichenträger, alles übrige Leben scheint erstorben.« In
einer andern heißt es: »325000 Bewohner haben die Stadt verlassen, und
verbreiten die Pest über das ganze Land.« Drei Tage später kommt die
Nachricht: »Die Einwohnerschaft ist auf die Hälfte herabgesunken.«
Die Flüchtlinge haben die Epidemie in Karachi eingeschleppt. »220
Krankheitsfälle, 214 Tote.« Tags darauf: »52 neue Fälle, sämtlich mit
tödlichem Verlauf.«

So fürchterliche Verwüstungen wie der ›Schwarze Tod‹ vermag keine
Krankheit anzurichten, es gibt keine, welche ähnliches Grauen und
Entsetzen im Gefolge hat. Wir können uns von dem Schrecken, der in
solcher verpesteten Stadt herrscht, nur eine schwache Vorstellung
machen. Zwar gibt die wilde Flucht einer halben Million Einwohner
Zeugnis von ihrem Seelenzustand, aber wer schildert die Qual und
Todesangst derer, die zurückbleiben müssen und sich rettungslos dem
unaufhaltsam nahenden Verhängnis preisgegeben sehen?

Indien ist einzig in seiner Art und es hat das alleinige Recht auf
verschiedene Spezialitäten von überwältigender Großartigkeit. Wenn
irgend ein Land sonst eine Merkwürdigkeit besitzt, ist sie doch nicht
sein ausschließliches Eigentum; man findet das Gegenstück in einem
andern Lande. Aber Indien hat Wunderdinge erzeugt, die ihm allein
gehören, niemand wagt sein Patentrecht anzutasten, Nachahmungen sind
gänzlich ausgeschlossen. Und dabei welche Größenverhältnisse, welche
Majestät! Wie fremdländisch und unheimlich sind die meisten dieser
Erfindungen.

Von dem Schwarzen Tod haben wir schon gesprochen. Er ist Indiens
eigenstes Werk. In Indien wurde dieser mächtige Fürst der Schrecken
geboren.

Auch den Wagen des Juggernaut hat sich Indien ausgedacht. Desgleichen
die Suttis. Es leben noch Menschen, zu deren Zeit sich achthundert
Witwen in einem Jahre, freiwillig und unter Frohlocken, mit den
Leichen ihrer Ehemänner verbrennen ließen. Noch in diesem Jahre würden
es abermals achthundert tun, wenn die britische Regierung es ihnen
gestattete.

Auch eine Hungersnot wie in Indien gibt es nirgends. Wenn anderswo
Mangel eintritt, ist es ein verhältnismäßig unbedeutendes,
vorübergehendes Ereignis; die indische Hungersnot aber bricht herein
gleich einer verheerenden Flut und tötet Millionen, wo an andern Orten
Hunderte sterben würden.

Indien hat zwei Millionen Götter und betet sie sämtlich an. In
religiöser Beziehung sind alle andern Länder Bettler und Indien der
einzige Millionär.

Alles nimmt dort einen Riesenmaßstab an -- sogar die indische Armut hat
nirgends auf Erden ihresgleichen. Der Reichtum aber verfügt über solche
Schätze, daß man für die größten Summen ganz kurze Wörter erfinden
mußte. Um hunderttausend auszudrücken, sagt man ein _~lakh~_, und ein
_~crore~_ bedeutet zehn Millionen.

Im Innern seiner Granitberge hat Indien, mit namenloser Geduld,
Dutzende von großen Tempeln in den Fels gehauen, sie durch großartige
Säulenhallen und Statuen geschmückt und ihre ewigen Mauern mit stolzen
Gemälden bedeckt. Es hat sich starke Burgen von solchem Umfang
errichtet, daß selbst die großen Musterfestungen der übrigen Welt
dagegen wie Spielzeug aussehen. Seine Paläste sind aus dem erlesensten
Baumaterial und mit so viel Feinheit und Kunstfertigkeit ausgeführt,
daß man sie anstaunt wie Wunderwerke; um eins seiner Grabmäler -- den
Tadsch-Mahal -- zu sehen, reisen die Menschen rund um die Erde. Achtzig
Völker, die achtzig Sprachen reden, bewohnen das Land, ihre Zahl
beläuft sich auf dreihundert Millionen.

Und zu Indiens merkwürdigsten Eigentümlichkeiten gehört noch das
Kastenwesen und das Geheimnis aller Geheimnisse -- die satanische
Genossenschaft der Thugs.

Im Anfang aller Dinge hatte Indien einen Vorsprung vor der ganzen
übrigen Welt. Es besaß die früheste Kultur, die erste Anhäufung
materieller Reichtümer, eine Menge der tiefsten Denker, der größten
Weisen, Fruchtbarkeit des Bodens, reiche Bergwerke und große Wälder.
Hätte man da nicht meinen sollen, es würde seine Führerschaft auch
ferner behaupten und eines Tages, statt sich in Demut einem fremden
Machthaber zu unterwerfen, selbst die Welt beherrschen und jeder
Nation, jedem Volksstamm der Erde Gesetze vorschreiben? -- Und doch
ist eine solche Oberherrschaft Indiens von jeher unmöglich gewesen. Wo
es achtzig Völkerschaften und Hunderte von Regierungen gibt, kann von
einheitlicher Macht nicht die Rede sein. Das Hauptgeschäft des Lebens
wird Kampf und Streit, gemeinsame Ziele und Zwecke sind ausgeschlossen;
aus solchen Elementen entsteht keine Weltherrschaft. Nicht nur durch
die Verschiedenartigkeit der Sprachen, sondern vor allem durch das
Kastenwesen mag die Zersplitterung entstanden sein. Dadurch wurde
das Volk in einzelne Schichten geteilt und diese wieder in Ober- und
Unterschichten, welche kein Gefühl der Zusammengehörigkeit miteinander
verband. Bei solchen Zuständen war eine gesunde Entwicklung der
Vaterlandsliebe völlig undenkbar.

Hätte es in Indien nicht so viele Reiche und Völker gegeben, so würden
auch die Thugs dort schwerlich haben entstehen und gedeihen können.
An jeder Grenze wurden Reisende und Kaufleute fortwährend belästigt,
denn überall stießen sie auf Wächter und Zollhäuser; Dolmetscher,
welche alle Sprachen verstanden, gab es so gut wie gar nicht, auch
herrschte ein fortgesetzter Kriegszustand bald in diesen bald in jenen
Reichen. Das alles hinderte die Sicherheit des allgemeinen Verkehrs und
öffnete dem Räuberwesen Tür und Tor -- was jedem gescheiten Menschen,
den seine angeborene Neigung zu diesem Beruf trieb, auf der Stelle
einleuchten mußte. Da es nun in Indien durchaus nicht an klugen Leuten
fehlte, die sich zum Räuberwesen hingezogen fühlten, bildete sich auf
ganz natürliche Weise die Genossenschaft der Thugs, um einem längst
empfundenen Bedürfnis zu entsprechen.

Um welche Zeit das geschehen ist, weiß niemand; vermutlich schon
vor Jahrhunderten. Was uns am meisten dabei Wunder nimmt ist, daß
es gelingen konnte, die unheilvolle Verbindung so lange geheim zu
halten. Englische Kaufleute hatten schon seit zweihundert Jahren in
Indien Handel getrieben, ohne je etwas davon zu hören, und doch wurden
alljährlich Tausende in ihrer nächsten Nähe von den Thugs umgebracht.

Daß es auch amtliche Berichte über die Thugs gibt, habe ich erst
neuerdings erfahren. Es war mir von großem Wert, das betreffende
Schriftstück eine Zeitlang zur Einsicht zu erhalten.




Siebentes Kapitel.

        Feind und Freund müssen zusammen wirken, um unserm Herzen
        wehe zu tun; der eine streut die Verleumdung aus, der
        andere hinterbringt sie uns.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Aus dem Tagebuch. 28. Januar._ -- Wir machen jetzt
Reisevorbereitungen, die hauptsächlich in der Anschaffung von Betten
bestehen. Im Schlafwagen der Eisenbahn, manchmal auch in Privathäusern
und in neun Zehnteln aller Hotels muß man Betten mitbringen. Das ist
unbegreiflich und doch wahr. Die Einrichtung stammt aus alter Zeit
und ist jetzt anscheinend unnötig, aber sie hat seltsamerweise alle
Zustände überlebt, die sie einst zur Notwendigkeit machten. Als sie
eingeführt wurde, gab es weder Eisenbahnen noch Hotels; der Weiße
machte seine gelegentlichen Reisen zu Pferde oder im Ochsenwagen und
fand die Nachtherberge auf einer der kleinen Poststationen, welche
die Regierung in gewissen Entfernungen von einander anlegen ließ
-- sie boten ein Obdach, weiter nichts. Wer ein Bett haben wollte,
mußte selbst dafür sorgen. Jetzt wohnen die ansässigen Engländer
in geräumigen, bequem eingerichteten Häusern, und es muß sich
ganz sonderbar ausnehmen, wenn ein halbes Dutzend Gäste in solche
moderne Wohnung mit Decken und Kopfkissen einziehen, die sie überall
herumwerfen. Doch der Mensch findet sich in alles, sobald es Sitte und
Brauch ist.

Man kann die Betten, nebst einem Behälter aus Gummistoff im ersten
besten Laden kaufen. Das hat nicht die geringste Schwierigkeit.

       *       *       *       *       *

_30. Januar._ Vor Abgang des Zuges bot der Bahnhof ein merkwürdiges
Schauspiel. Das Gebäude ist sehr groß, aber es war als hätte sich dort
die ganze Welt versammelt: eine Hälfte drinnen, die andere draußen,
alle mit berghohen Bettstücken und anderm Gepäck beladen. Beide Hälften
versuchten zu gleicher Zeit aneinander vorbei durch eine enge Tür zu
kommen. Diese zwei Menschenströme bestanden aus sanften, geduldigen,
langmütigen Eingeborenen, unter denen sehr wenige Weiße verstreut
waren. Nur die Hindu-Diener der Europäer legten zeitweise ihre
natürliche Sanftmut ab und maßten sich das Vorrecht der Weißen an, alle
Farbigen beiseite zu schieben, um rascher für sich Bahn zu machen. Es
war eine Schande, wie herrisch und unverschämt sich zum Beispiel unser
Satan dabei benahm. Vermutlich ist er auf einer früheren Stufe der
Seelenwanderung ein fanatischer Thug gewesen.

Drinnen im Bahnhof fluteten Massen von Eingeborenen, in sämtliche
Farben des Regenbogens gekleidet, nach allen Seiten wirr durcheinander.
Voll Eifer und Hast, in der Angst sich zu verspäten, strömten sie
nach den langen Wagenreihen hin, wo sie im Innern mit ihren Packen
und Bündeln verschwanden, von immer neuen Menschenfluten gefolgt.
Und mitten in diesem Wirrwarr und Getöse saßen -- anscheinend in
voller Gemütsruhe -- zahlreiche Gruppen von Farbigen auf den nackten
Steinfliesen: schlanke, braune Mädchen, alte, graue, runzlige Weiber,
kleine Kinder mit weichen Gliedern, alte und junge Männer und braune
Knaben; lauter arme Leute, aber der weibliche Teil, sowohl groß wie
klein, mit billigen, glänzenden Ringen an Nase, Zehen, Armen und
Beinen geschmückt, die vermutlich ihren einzigen Reichtum ausmachten.
Schweigend und geduldig saßen sie da mit ihren armseligen Bündeln,
Körben und Hausgeräten und warteten auf ihren Zug, der zu irgend einer
Stunde des Tages oder der Nacht abfahren würde. Sie hatten die Zeit
nicht gut berechnet, aber was schadete das -- vom Schicksal war es so
über sie verhängt, wozu sich da beunruhigen? Zeit hatten sie vollauf,
endlose Stunden lagen vor ihnen, und was geschehen sollte, würde
geschehen -- keine Macht der Erde konnte es beschleunigen.

Die Eingeborenen reisten dritter Klasse für ein unglaublich billiges
Fahrgeld. Man packte sie eng zusammen in Wagen, von denen jeder etwa
fünfzig Personen fassen konnte. So geschah es oft, daß Brahminen der
höchsten Kaste in persönliche Berührung mit Leuten aus der niedrigsten
Kaste gebracht und folglich verunreinigt wurden, was natürlich jedem in
die Verhältnisse Eingeweihten höchst anstößig vorkam. Es konnte sich
leicht ereignen, daß ein Brahmine, der keine Rupie besaß, dicht neben
den reichen Erbherrn aus einer niedern Kaste zu stehen kam, welcher
Inhaber eines alten, mehrere Ellen langen Titels war. Trotz seiner
erhabenen Würde mußte der arme Brahmine sich darein ergeben, denn falls
einer von beiden Erlaubnis erhielt, bei den geheiligten Weißen Platz zu
nehmen, so war es sicherlich nicht er, sondern der unwürdige Reiche.
Der Zug hatte eine endlose Reihe solcher Wagen dritter Klasse, denn
die Hindus reisen in ganzen Horden. Was für eine erbärmliche Nacht
mögen sie da drinnen verlebt haben.

Als wir bei unserm Wagen anlangten, fanden wir Satan und Barney
mit ihrem Gefolge von Hindus, welche Bettstücke, Sonnenschirme und
Zigarrenkisten trugen, schon in voller Tätigkeit. Barney war eine
Abkürzung; unsern zweiten Diener bei seinem eigentlichen Namen zu
nennen hätte zuviel Zeit gekostet. Wir fanden die innere Einrichtung
des Coupés keineswegs unbehaglich, aber von einer Einfachheit, wie
man sie selbst in Frankreich und Italien nicht kennt. Die Wände
aus billigen, zum Teil rohen Brettern gezimmert, mit dunkler Farbe
angestrichen ohne alle Verzierung. Der Boden war ohne Decke, aber nur
zu bald sollte fingerdicker Staub darauf liegen. An einer Seite des
Coupés befand sich ein Netz zur Aufnahme des Handgepäcks, auf der
entgegengesetzten eine Tür, die immer wieder aufsprang, man mochte sie
schließen so oft man wollte; sie führte in einen kleinen Toiletteraum,
wo man sein Handtuch aufhängen konnte, falls man eins hatte. Man
kauft die Handtücher mit den Betten, auf der Eisenbahn werden keine
geliefert. An jeder Seite der Wand lief der ganzen Länge nach ein
breites Ledersofa hin, und über demselben hing an Riemen ein flaches
Schlafbrett mit ledernem Ueberzug; es wird nachts heruntergelassen
und bei Tage an der Wand fest gemacht, wo es niemand im Wege ist. So
bleibt der große Mittelraum frei und man kann sich ungehindert darin
ausbreiten. Eine so bequeme Einrichtung habe ich noch in keinem Lande
gefunden, auch ist man ganz ungestört, weil meistens nur zwei Fahrgäste
in einem Coupé sitzen; aber selbst vier Personen haben hinreichend
Platz, ohne einander im geringsten zu beengen. Sogar auf unsern
amerikanischen Eisenbahnen, die sonst besser sind als alle andern,
fühlt man sich nicht so gemütlich wie hier, weil zu viele Reisende in
einem Wagen fahren.

Ueber den Sofas befanden sich längs des ganzen Coupés große
blaugefärbte Fensterscheiben. Das blaue Licht sollte die Augen vor dem
blendenden Sonnenschein schützen, und wer Luft haben wollte, ließ die
Fenster herunter. Zwei Oellampen an der Decke brannten so hell, daß man
lesen konnte, wollte man es dunkel haben, so zog man einen Schirm aus
grünem Stoff davor.

Während wir vor der Abfahrt draußen noch mit Freunden sprachen,
ordneten Barney und Satan drinnen unser Handgepäck, samt Büchern,
Früchten und Sodawasserflaschen in den Netzen; die Bettsäcke und das
schwere Gepäck schafften sie in das Waschkabinett, hingen Mäntel,
Sonnenhelme und Handtücher auf die Haken und befestigten die beiden
Schlafbretter an der Wand; dann nahmen sie ihre eigenen Betten auf die
Schulter und begaben sich nach der dritten Klasse.

So waren wir nun in dem hübschen, großen, hellen, luftigen und
behaglichen Raum ganz für uns, konnten nach Belieben auf- und abgehen,
uns hinsetzen und schreiben oder bequem ausgestreckt lesen und rauchen.
Die Mitteltür am vorderen Ende des Coupés führte in ein zweites, genau
ebenso eingerichtetes, das meine Frau und Tochter inne hatten. Als wir
gegen neun Uhr abends an einer Station hielten, fanden sich Barney und
Satan wieder ein; sie schnallten die großen Bettsäcke auf und ordneten
die Matratzen, Bettücher, bunten wollenen Decken und Kopfkissen auf den
Sofas beider Coupés zu einem vollständigen Lager. Zimmermädchen gibt es
in Indien nicht, offenbar ist weibliche Bedienung dort ganz unbekannt.
Zuletzt schlossen die Diener die Verbindungstür, räumten flink bei uns
auf, legten unsere Nachthemden aufs Bett, stellten die Pantoffeln
zurecht und zogen sich wieder in ihr Quartier zurück.

       *       *       *       *       *

_31. Januar._ Mir war das alles ganz neu und ich fühlte mich so
behaglich, daß ich solange wie möglich wach blieb und einen Bericht
über die merkwürdigen Thugs las. Sie folgten mir auch in meine Träume
und wollten mich erdrosseln. Ihr Anführer war der riesengroße Hindu,
welcher mir bei meiner Rückkehr von jener Verlobungsfeier um zwei Uhr
nachts in der grellen Beleuchtung einen so malerischen Eindruck gemacht
hatte -- Rao Bahadur Baskirao Balinkanje Pitale, Vakeel des Gaikawar
von Baroda. Durch ihn war mir die Einladung seines Herrn überbracht
worden, welche mich nach Baroda rief, um dem Fürsten eine Vorlesung
zu halten; ich war auf dem Wege dahin, und jetzt behandelte mich der
Mensch so schlecht! Aber im Traum ist ja alles möglich.

_Baroda._ -- Wir kamen um sieben Uhr morgens an, als es eben dämmerte.
Es war ungemütlich, zu so früher Stunde an einem fremden Orte
auszusteigen, zumal die matt schimmernden Laternen im Bahnhof uns
den Eindruck machten, als sei es noch Nacht. Allein die Herren, die
sich mit großer Dienerschaft zu unserm Empfang eingefunden hatten,
ließen uns keine Zeit zum Besinnen. Bald waren wir draußen, dann
ging es rasch weiter im milden Dämmerlicht und binnen kurzem hatte
man uns alle behaglich untergebracht. Zahlreiche Diener standen zu
unserer Verfügung, deren Aufseher so vornehme Beamte waren, daß es
uns ordentlich in Verlegenheit setzte. Wir fügten uns jedoch der
Landessitte, das Benehmen der Herren war höchst verbindlich und
gastfreundlich, sie sprachen einheimisches Englisch, es ging alles
vortrefflich und das Frühstück kam uns sehr gelegen.

Jenseits der Wiese sah man durch das offene Fenster einen indischen
Brunnen; zwei Ochsen gingen mit langsamen Schritten den allmählich
abfallenden Weg herauf und hinunter, um Wasser zu ziehen. Das
Klagegestöhn der Maschine unterbrach die Stille, es waren nicht gerade
melodische Laute, aber doch lag eine sanfte, träumerische Schwermut
darin, als wehklagten abgeschiedene Geister und als würden alte
Erinnerungen wieder lebendig; denn natürlich pflegten die Thugs ihre
Opfer in jenen Brunnen zu werfen, nachdem sie ihnen den Garaus gemacht
hatten.

Nach dem Frühstück begann für uns ein sehr ereignisreicher Tag. Wir
fuhren auf gewundenen Pfaden durch einen ungeheuren Park mit stolzen
Waldbäumen, dicht verschlungenen Dschungels und einem Gewirr von
allerlei reizenden Gewächsen. An einer Stelle stürmten plötzlich
drei große graue Affen quer über den Weg. Das war keine angenehme
Ueberraschung; solche Bestien gehören in eine Menagerie, in der Wildnis
machen sie einen unnatürlichen Eindruck und sind nicht an ihrem Platze.

Mit der Zeit erreichten wir die Stadt und fuhren mitten hindurch. Sie
war ganz und gar indisch, vermodert und zerfallen und schien über alle
Begriffe alt zu sein. Höchst merkwürdig fanden wir die Häuser, deren
ganze Vorderseite mit schön verschlungener Holzschnitzerei geschmückt
war, die der feinsten Spitzenarbeit glich, und außerdem mit rohen
Bildwerken, welche Elefanten, Fürsten und Götter in den schreiendsten
Farben darstellten.

In den engen, winkligen Gassen lag im Erdgeschoß ein Laden am andern;
die winzigen Buden waren über und über mit unglaublichem Krimskrams
angefüllt, der verkauft werden sollte, oder es hockten darin fast
völlig nackte Eingeborene bei ihrer Arbeit; sie klopften, hämmerten,
verlöteten und bronzierten allerlei, sie nähten, kochten, maßen Korn ab
und mahlten es oder besserten Götzenbilder aus; gleichzeitig wälzte
sich eine zerlumpte, lärmende Menschenschar unter den Hufen unserer
Pferde und allenthalben umher. Und dazu diese Gerüche, diese Dünste,
dieser Gestank! Es war alles wundervoll und entzückend!

Man stelle sich einmal vor, wie es sein muß, wenn ein Zug Elefanten
durch solche enge Straßen schreitet, auf beiden Seiten anstößt und
die Farbe von den Häusern wetzt. Wie groß müssen die Tiere und wie
klein dagegen die Gebäude aussehen! Und wenn die Elefanten gar in
ihren glänzenden Hof-Schabracken einherkommen, welcher Abstand gegen
diese schmutzige, armselige Umgebung! Liefe nun einmal ein Elefant
in rasender Wut durch diese Stadtteile und schlüge nach rechts und
links mit dem Rüssel um sich, wie sollten ihm da die Menschenmassen
ausweichen? Daß Elefanten manchmal Wutanfälle bekommen ist ja eine
erwiesene Sache.

Wie alt mag die Stadt wohl sein? Man kommt an massiven Bauwerken und
Denkmälern vorbei, die so zerfallen und abgelebt aussehen, so müde
und altersschwach, so verstört und verdummt vor lauter Anstrengung
sich an Dinge zu erinnern, die sie längst vergessen hatten, ehe es
überhaupt eine Geschichte gab, daß man meinen sollte, sie stünden seit
Erschaffung der Welt auf ihrem Fleck. Baroda ist eins der ältesten
Reiche Indiens; es hat sich von jeher durch barbarische Pracht und
Herrlichkeit und die unermeßlichen Schätze seiner Fürsten berühmt
gemacht.

Als wir die Stadt hinter uns gelassen hatten, fuhren wir lange durch
offenes Gelände an abgelegenen Dörfern vorbei, die ganz von tropischen
Pflanzen überwuchert waren. Ueberall herrschte Sabbatstille und man
hatte das Gefühl tiefster Einsamkeit, denn die Eingeborenen glitten wie
Geister vorüber, man vernahm keinen Tritt ihrer nackten Füße; andere
sah man gleich Traumgestalten in der Ferne verschwinden. Dann und wann
zog eine Reihe stattlicher Kamele auf den leisen Sohlen, die ihnen die
Natur verliehen hat, geräuschlos an uns vorbei -- ein interessanter
Anblick. Nur einmal ward die tiefe Ruhe dieses Paradieses unterbrochen,
als ein Zug eingeborener Strafgefangener mit dem Aufseher daherkam und
wir das Klirren ihrer Ketten vernahmen. An einem entlegenen Orte ruhte
ein heiliger Mann unter einem Baum -- ein nackter, schwarzer Fakir. Er
war nichts als Haut und Knochen und über und über mit weißlichgrauer
Asche bestreut.

Nach einiger Zeit kamen wir zu den Elefantenställen und ich machte
einen Spazierritt. Man forderte mich dazu auf; ich selbst hatte nicht
das geringste Verlangen danach, aber ich tat es doch, damit man nicht
denken sollte, ich hätte Angst -- was allerdings der Fall war. Auf
Befehl kniet der Elefant nieder -- erst mit einem Vorderbein, dann mit
dem andern -- man steigt die Leiter hinauf in die Howdah, das Zelt auf
seinem Rücken, dann erhebt er sich wieder -- erst eine Seite, dann die
andere -- gerade wie ein Schiff über die Wogen fährt; wenn er dann
mit Riesenschritten umhergeht, erinnert auch sein Schwanken an die
Bewegung eines Schiffes. Sein Treiber, der Mahout, bohrt ihm mit einem
großen, eisernen Stachelstock in den Hinterkopf; man verwundert sich
über des Mannes Kühnheit und erwartet jeden Augenblick, daß der Elefant
die Geduld verlieren wird, aber es geschieht nichts dergleichen. Der
Treiber redet dem Elefanten die ganze Zeit über mit leiser Stimme
zu; dieser scheint ihn auch zu verstehen und ganz vergnügt zu sein,
er gehorcht wenigstens jedem Befehl aufs bereitwilligste. Unter
den fünfundzwanzig Elefanten waren zwei so große, wie sie mir noch
nie vorgekommen sind. Hätte ich geglaubt, daß ich mir die Furcht
abgewöhnen könnte, so würde ich mir einen davon hinter dem Rücken der
Polizei angeeignet haben.

In dem Howdah-Haus sah ich viele silberne Sessel, auch einen von Gold
und einen von altem Elfenbein; Kissen und Baldachine waren aus reichen,
kostbaren Stoffen. Die Garderobe der Elefanten befand sich gleichfalls
dort: ungeheuere Sammetdecken mit schwerer Goldstickerei, silberne und
goldene Glocken, welche mit Stricken aus kostbarem Metall befestigt
werden, und riesige Reifen von massivem Gold, die der Elefant an
den Fußgelenken trägt, wenn er sich aus Staatsrücksichten bei einer
Prozession beteiligt.

Die Kronjuwelen bekamen wir leider nicht zu sehen, worüber wir
sehr enttäuscht waren, denn ihre Menge und Kostbarkeit ist so
außerordentlich, daß sie die zweitgrößte Sammlung in Indien bilden.
Statt dessen zeigte man uns irrtümlicherweise den neuen Palast, mit
dessen Besichtigung wir alle Zeit verschwendeten, die uns noch zur
Verfügung stand. Das war sehr schade, denn der neue Palast ist ein
europäisch-amerikanischer Mischmasch, von dem sich nur sagen läßt, daß
er Unsummen gekostet hat. Nach Indien paßt er ganz und gar nicht; es
ist eine Frechheit von ihm, sich dort einzudrängen. Der Baumeister
hat zu seinem Glück rechtzeitig die Flucht ergriffen. Hier wären die
Thugs am Platze gewesen; man hat doch unrecht getan, sie ganz zu
unterdrücken. Der alte Palast dagegen ist orientalisch, wundervoll und
wie für das Land geschaffen. Er wäre schon groß, wenn er nur aus der
mächtigen Halle bestände, in denen die Durbars, die Staatsaudienzen
des Fürsten stattfinden. Zu Vorlesungen ist sie nicht geeignet wegen
der verschiedenen Echos, aber für Durbars und sonstige Staatsaktionen,
zu denen man sie braucht, ist sie ausgezeichnet. Wenn die Halle mir
gehörte, würde ich jeden Tag ein Durbar halten und nicht nur zweimal im
Jahre, wie es hier geschieht.

Der Fürst ist ein gebildeter Herr, er besitzt europäische Kultur
und ist fünfmal in Europa gewesen. Man sagt, daß dies ein kostbares
Vergnügen für ihn ist, da er sich manchmal bei der Ueberfahrt genötigt
sieht aus Gefäßen zu trinken, deren sich auch andere Leute bedienen,
und das verunreinigt seine Kaste. Um wieder zu Ehren zu kommen muß er
nach verschiedenen berühmten Hindutempeln wallfahrten und dort ganze
Vermögen opfern. Seine Untertanen sind sehr fromm, wie alle Hindus, und
würden sich nicht zufrieden geben, solange ihr Fürst unrein ist.

Wenn wir auch die Juwelen nicht besichtigen konnten, so haben wir
doch die silberne und die goldene Kanone des Fürsten gesehen -- es
schienen mir Sechspfünder zu sein. Sie werden nur bei ganz besondern
Staatsangelegenheiten zum Salutschießen gebraucht. Ein Ahnherr des
jetzigen Gaikawar ließ die silberne Kanone anfertigen und einer
seiner Nachfolger bestellte eine goldene, um ihn auszustechen.
Derartige Geschütze passen vortrefflich nach Baroda, wo man seit
alter Zeit Schaugepränge in großem Stil geliebt hat. Für Rajahs und
Vizekönige, die dort zum Besuch kamen, veranstaltete man oft Tiger- und
Elefantenkämpfe, Illuminationen und Elefanten-Prozessionen von wahrhaft
großartiger Pracht.

Was ist dagegen unser Zirkus mit all seiner Herrlichkeit! --




Achtes Kapitel.

        Hätte der Mensch immer Gelegenheit zum Morden, wenn ihn
        Mordlust überfällt, so kämen viele an den Galgen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Auf der Eisenbahn._ Vor fünfzig Jahren, in meiner Knabenzeit, drangen
in unser entlegenes, schwach bevölkertes Mississippi-Tal sagenhafte
Gerüchte von einer Genossenschaft berufsmäßiger Mörder, die in Indien
hausen sollte, einem Lande, das uns tatsächlich ebenso fern lag wie
die Sterne, die droben am Himmel funkelten. Man erzählte, es gäbe dort
eine Sekte, deren Mitglieder sich Thugs nennten und zu Ehren eines
Gottes, dem sie dienten, den Wanderern an einsamen Orten aufzulauern
und sie umzubringen pflegten. Jeder hörte diesen Geschichten gern zu,
aber man glaubte sie nicht, oder doch nur mit Vorbehalt. Man nahm an,
daß sie sich auf dem weiten Wege bis zu uns lawinenartig vergrößert
hätten, auch waren sie bald wieder verschollen. Da erschien Eugène Sues
›Ewiger Jude‹ und machte eine Zeitlang viel von sich reden. Eine Figur
des Romans ist ›Feringhea‹, der furchtbare, geheimnisvolle Inder, ein
Häuptling der Thugs, glatt, listig und todbringend wie eine Schlange.
Durch ihn wurde das Interesse für die Thugs von neuem erweckt, aber
nach kurzer Zeit schlief es abermals ein und zwar auf immer.

Dies mag wohl auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, doch war
es der natürliche Lauf der Dinge, wenigstens auf unserer Halbkugel.
Was man von den Thugs wußte, stammte der Hauptsache nach aus einem
Regierungsbericht, von dem in Amerika schwerlich jemals etwas verlautet
ist. Man pflegt dergleichen amtliche Schriftstücke nicht ohne weiteres
in Umlauf zu setzen; nur gewissen Leuten läßt man sie zukommen, und ob
diese sie lesen ist noch sehr die Frage. Ich selbst habe vor einigen
Tagen zum allererstenmal von diesem Bericht gehört und ihn mir zu
verschaffen gewußt. Er fesselt mich ungemein und macht jene alten
Märchen aus meinen Knabenjahren zur Wirklichkeit.

Major Sleeman, der in Indien diente, hat das Thug-Buch, von dem ich
rede, im Jahr 1839 abgefaßt. Es wurde 1840 in Kalkutta herausgegeben,
ein dicker, plumper Band, der uns zwar keine hohe Meinung vom damaligen
Stand der Buchdruckerkunst beibringt, aber vielleicht als Erzeugnis
einer amtlichen Druckerei aus alter Zeit und fernen Landen gar nicht
so übel war. Dem Major fiel die Riesenaufgabe zu, Indien von den
Thugs zu befreien und er hat sie mit siebzehn Gehilfen, die unter
seiner Oberleitung standen, glücklich vollbracht. Die Reinigung der
Augiasställe war nichts dagegen.

Damals schrieb Hauptmann Valencey in einer Zeitung, die in Madras
erschien: »Wenn der Tag kommt, an dem jenes weit verbreitete Uebel
in Indien ausgerottet und nur noch dem Namen nach bekannt ist, wird
dies viel dazu beitragen, die britische Herrschaft im Orient auf ewige
Zeiten zu befestigen.«

Er hat die Größe und Schwierigkeit des Werkes, durch dessen Vollendung
sich England ein unsterbliches Verdienst erworben hat, in keiner Weise
überschätzt.

Von dem Vorhandensein der furchtbaren Sekte waren die britischen
Behörden schon seit 1810 unterrichtet, doch ahnte kein Mensch ihre
weite Ausdehnung; man legte ihr nur geringe Bedeutung bei und erst
1830 wurden systematische Maßnahmen zu ihrer Unterdrückung getroffen.
Damals war es Major Sleeman gelungen, den Thug-Häuptling Eugène Sues
in seine Gewalt zu bekommen, und der furchtbare Feringhea ließ sich
bewegen Kronzeuge zu werden. Die Enthüllungen, die er machte, waren
so ungeheuerlicher Art, daß sie Sleeman ganz unglaublich schienen.
Er hatte in dem Wahn gelebt, er kenne sämtliche Verbrecher in seinem
Bezirk und hatte die schlimmsten höchstens für Diebe und Spitzbuben
gehalten. Feringhea machte dem Major jedoch klar, daß er die ganze
Zeit über von Scharen berufsmäßiger Mörder umgeben gewesen sei, die
ihre Opfer in seiner nächsten Nähe begruben. Sleeman hielt das für
Hirngespinste, aber Feringhea sagte: »Komm und siehe selbst!« Er
führte ihn an eine Grube, in der hundert Leichname lagen, erzählte ihm
alle näheren Umstände ihrer Ermordung und nannte die Namen der Thugs,
welche die Tat vollbracht hatten. Sleeman traute seinen Augen kaum;
er nahm einige von jenen Thugs gefangen und stellte Einzelverhöre mit
ihnen an, nachdem er Sorge getragen, daß sie sich nicht unter einander
verständigen konnten. Auf die unbeglaubigten Aussagen eines Inders
wollte er sich nicht verlassen. Aber, o Schrecken! die gesammelten
Zeugnisse ergaben nicht nur, daß Feringhea die Wahrheit geredet hatte,
sondern lieferten zugleich den Beweis, daß die Banden der Thugs in
ganz Indien ihr furchtbares Gewerbe trieben. Nun tat die Regierung
ernstliche Schritte zur Vertilgung der Sekte und man verfolgte
sie zehn Jahre lang mit unerbittlicher Strenge, bis sie gänzlich
ausgerottet war. Eine Räuberbande nach der andern wurde gefangen, vor
Gericht gestellt und bestraft. Ueberall spürte man die Thugs in ihren
Schlupfwinkeln auf und machte Jagd auf sie. Die Regierung brachte alle
ihre Geheimnisse ans Licht und ließ die Namen sämtlicher Mitglieder
der Banden, sowie den Geburtsort und Wohnplatz jedes einzelnen aufs
genauste verzeichnen.

Die Thugs waren Anbeter des Gottes Bhowanee, dem sie alle Wanderer
opferten, welche ihnen in die Hände fielen. Die Sachen der Getöteten
behielten sie jedoch für sich: dem Gotte war nur an dem Leichnam etwas
gelegen. Bei der Aufnahme in die Sekte fanden feierliche Zeremonien
statt; jeder neue Bekenner wurde unterwiesen, wie er die Erdrosselung
mit dem heiligen Tuch zu vollziehen habe, doch war ihm erst nach langer
Uebung gestattet, selbständig handelnd vorzugehen. Nur ein erfahrener
Würger war im stande, die Erdrosselung so rasch zu bewerkstelligen,
daß der dem Tode Geweihte auch keinen Laut mehr von sich geben konnte;
jeder dumpfe Schrei, jedes Stöhnen, Seufzen oder Schnappen nach Luft
mußte verhindert werden. In einem Augenblick schlang sich das Tuch
um den Hals des Opfers, es ward plötzlich zusammengezogen, der Kopf
fiel lautlos nach vorn, die Augen traten aus ihren Höhlen und alles
war vorüber. Vornehmlich gaben die Thugs wohl acht, daß sie auf keinen
Widerstand stießen, auch forderten sie ihr Opfer meist auf sich
niederzusetzen, weil sich das Geschäft so am bequemsten verrichten ließ.

Alle Zustände und Einrichtungen Indiens waren den Thugs ausnehmend
günstig: Eine öffentliche Fahrgelegenheit gab es nicht, man konnte auch
kein Gefährt mieten. Der Reisende mußte zu Fuß gehen, wenn er nicht
einen Ochsenwagen benützen oder sich ein Pferd für die Gelegenheit
kaufen konnte. Sobald er die Grenze seines kleinen Fürstentums
überschritten hatte, war er unter Fremden; dort kannte ihn niemand,
er blieb unbeachtet, kein Mensch vermochte mehr anzugeben, wohin er
seine Schritte gelenkt hatte. Weder in Städten noch Dörfern pflegte der
Reisende einzukehren; er hielt außerhalb derselben Rast und schickte
seine Diener in den Ort, um Lebensmittel zu kaufen. Einzelne Höfe
gab es nicht; auf der öden Strecke zwischen zwei Dörfern fiel der
Wanderer dem Feinde leicht zur Beute, besonders da er meist bei Nacht
weiterzog, um der Hitze zu entgehen. Unterwegs gesellten sich häufig
Fremdlinge zu ihm und boten ihm an, zu gegenseitigem Schutz die Fahrt
gemeinsam fortzusetzen; das waren meistens Thugs, wie der Wanderer
bald zu seinem Verderben erfuhr. Die Güterbesitzer, die eingeborene
Polizei, die kleinen Fürsten, die Dorfrichter und Zollwächter steckten
oft mit den Räubern unter einer Decke, gewährten ihnen Schutz und
Obdach und lieferten ihnen die Reisenden aus, um Anteil an der Beute
zu haben. Dadurch ward es der Regierung zuerst fast unmöglich gemacht
die Uebeltäter zu fangen, weil die wachsamen Freunde ihnen zur Flucht
verhalfen. Und so zogen denn handeltreibende Leute aus allen Kasten
und Ständen, paarweise oder in Gruppen, schutzlos, bei schweigender
Nacht, auf den Pfaden des weiten Ländergebiets einher, Kostbarkeiten,
Geld, Juwelen, kleine Seidenballen, Gewürze und allerlei Waren mit sich
führend -- es war ein Paradies für die Thugs.

Bei Eintritt des Herbstes pflegte die Genossenschaft ihre zum
voraus verabredeten Zusammenkünfte zu halten. Um sich untereinander
zu verständigen brauchten die Thugs, selbst wenn sie aus den
verschiedensten Gebieten stammten, keine Dolmetscher wie andere Völker.
Sie hatten ihre eigene Sprache und geheime Zeichen, an denen sich
die Genossen erkannten; alle waren untereinander befreundet, selbst
die Unterschiede der Kaste und Religion traten in den Hintergrund, wo
Hingebung an den Beruf ins Spiel kam. Der Moslem und der Hindu aus
höherer oder niederer Kaste, standen sich als Thugs gleich Brüdern
treulich zur Seite.

War eine Bande versammelt, so ward Gottesdienst gehalten und man
wartete auf die Omen. Das Geschrei verschiedener Tiere hatte eine gute
oder schlechte Vorbedeutung, wie jedermann wußte. Erfolgte ein böses
Omen, so gab man das Vorhaben auf und die Leute gingen wieder nach
Hause.

Schwert und Tuch galten als heilige Symbole der Thugs. Das Schwert
beteten sie daheim an, ehe sie zur Versammlung gingen, und das Tuch,
mit dem sie ihre Opfer würgten, verehrten sie gemeinschaftlich. Meist
verrichtete der Häuptling der Bande die religiösen Zeremonien selbst,
nur die Kaets beauftragten damit gewisse angestellte Erwürger, Chaurs
genannt. Diese Kaets hielten so streng an ihren gottesdienstlichen
Gebräuchen fest, daß es nur dem Chaur gestattet war, die geheiligten
Gefäße und was sie sonst dabei benützten, anzurühren.

Zwei charakteristische Merkmale sind dem Raubsystem der Thugs
besonders eigen: die größte Vorsicht, Ausdauer und Geduld bei
Verfolgung der Beute und gänzliche Erbarmungslosigkeit im Moment der
Tat.

Vor allem richteten sie ihr Augenmerk darauf, daß sie an Zahl der
Reisegesellschaft, welcher ihr Angriff galt, mindestens vierfach
überlegen waren. Offene Feindseligkeiten vermieden sie und überfielen
ihre Opfer nur, wenn diese nichts Böses ahnten. Oft reisten sie
tagelang in ihrer Gesellschaft und suchten durch allerlei Künste ihr
Vertrauen und ihre Freundschaft zu gewinnen. Sobald ihnen dies gelungen
war, gingen sie an ihr eigentliches Geschäft: Zuerst wurden ein paar
Thugs vorausgeschickt, um bei dunkler Nacht den günstigsten Schauplatz
für die Ermordung zu wählen und die _Gräber zu graben_. Wenn die
übrigen den Ort erreichten, ward unter dem Vorwand, etwas zu rasten
und eine Pfeife zu rauchen, Halt gemacht. Man schlug der Gesellschaft
vor, sich niederzusetzen. Auf einen Wink des Hauptmanns nahmen einige
Thugs den Reisenden gegenüber Platz, andere setzten sich neben sie und
fingen ein Gespräch mit ihnen an, während die geübtesten Würger sich,
des verabredeten Zeichens harrend, in ihrem Rücken aufstellten. Dies
Zeichen war gewöhnlich irgend eine alltägliche Bemerkung: »Bringt den
Tabak,« oder etwas derart. Oft verging noch eine beträchtliche Zeit,
nachdem jeder der Handelnden seinen bestimmten Platz eingenommen hatte;
der Hauptmann wartete erst, ob auch alles ganz sicher sei. Unterdessen
spann sich die Unterhaltung einförmig weiter; düstere Gestalten
huschten im Hintergrund hierhin und dorthin bei dem ungewissen
Dämmerschein; die Nacht war still und friedlich und die Reisenden
überließen sich arglos der angenehmen Ruhe, ohne zu ahnen, daß die
Todesengel sie von allen Seiten umgaben. Jetzt war der Augenblick da;
das verhängnisvolle Wort: »Bringt den Tabak,« wurde gesprochen. Sofort
entstand eine rasche aber lautlose Bewegung. Im gleichen Moment hielten
die Männer, welche neben den Reisenden saßen, ihre Hände fest, die vor
ihnen ergriffen ihre Füße und taten einen kräftigen Ruck, während ein
Mörder jedem Opfer von hinten das Tuch um den Kopf schlang und zuzog
-- der Kopf des Erdrosselten sank auf die Brust, das Trauerspiel war
zu Ende. Nun wurden die Leichen ausgeplündert, und in den Gräbern
verscharrt; darauf packte man die Beute zusammen, die mitgenommen
werden sollte. Nachdem dann die Thugs noch zum Schluß dem Gotte
Bhowanee ihren frommen Dank dargebracht hatten, zogen sie weiter, um
noch mehr heilige Taten zu verrichten.

Aus Major Sleemans Bericht ergibt sich, daß die Reisenden meist in
kleiner Anzahl beisammen waren, in der Regel nicht mehr als zwei,
drei oder vier. Die Thugs dagegen zogen in Banden von zehn, fünfzehn,
fünfundzwanzig, vierzig, sechzig, hundert, hundertfünfzig, zweihundert,
zweihundertundfünfzig Mann umher, ja, es wird sogar eine Bande von
dreihundertzehn Mann erwähnt. Bei solcher starken Ueberzahl kann man
ihren Fang nicht besonders groß nennen, wenn man bedenkt, daß sie
durchaus nicht wählerisch waren, sondern wo und wie sie konnten jeden
umbrachten, ob reich oder arm, oft sogar Kinder. Manchmal töteten
sie auch Frauen, aber das galt für sündhaft und brachte Unglück. Die
günstige Jahreszeit für ihre Raubzüge dauerte sechs bis acht Monate.
In einem solchen Jahrgang töteten zum Beispiel die sechs Banden
von Bundelkund und Gwalior, welche zusammen 712 Köpfe zählten, 210
Menschen. Die Thugs von Malwa und Kandeisch waren 702 Mann stark und
mordeten 232. Die Kandeisch- und Berar-Banden, 963 Mann, brachten 385
Leute um.

Bettler gelten in Indien für heilig, und manche Banden schonten ihr
Leben, andere dagegen mordeten nicht nur sie, sondern sogar den Fakir,
diesen Inbegriff aller Heiligkeit, der nichts als Haut und Knochen ist,
sich Staub und Schmutz auf das buschige Haupthaar streut und seinen
nackten Körper über und über mit Asche bepudert, daß er aussieht wie
ein Gespenst. Mancher Fakir verließ sich jedoch allzu fest auf seine
unverletzliche Heiligkeit. Von einem solchen Fall wird uns in Sleemans
Buch unter andern Großtaten Feringheas berichtet. Er war einmal mit
vierzig Thugs ausgezogen und sie hatten schon neununddreißig Männer und
eine Frau getötet, ehe der Fakir zum Vorschein kam.

»Wir näherten uns Doregow,« lautete der Bericht, »trafen auf drei
Brahminen, dann auf einen Fakir zu Pferde, der sich ganz mit Zucker
bekleistert hatte, um die Fliegen herbeizulocken, von denen er über und
über bedeckt war. Wir jagten ihn fort und töteten die drei andern.

»Hinter Doregow stieß der Fakir nochmals zu unserer Gesellschaft und
zog mit uns bis Raojana; wir begegneten sechs Hindus, die von Bombay
nach Nagpore wollten. Den Fakir vertrieben wir durch Steinwürfe,
töteten die sechs Leute in ihrem Lager und begruben sie im Gebüsch.

»Am nächsten Tage stellte sich der Fakir wieder ein; erst in Mana
wurden wir ihn los. Hinter dem Orte trafen wir drei Sepoys und hatten
fast den Platz erreicht, der zu ihrer Ermordung bestimmt war, als der
Fakir abermals erschien. Nun endlich riß uns die Geduld und wir gaben
Mithoo, einem unserer Gefährten, fünf Rupien, daß er ihn umbringen und
die Sünde auf sich nehmen sollte. Alle vier wurden erdrosselt, also
auch der Fakir. In seinem Gepäck fanden sich zu unserer Ueberraschung
dreißig Pfund Korallen, dreihundert fünfzig Schnüre kleine Perlen,
fünfzehn Schnüre große Perlen und ein vergoldetes Halsband.«

Ob wohl Mithoo, der allein die Sünde trug, sich die unerwartete
Beute ganz aneignen durfte, oder ob er sie mit den Gefährten teilen
mußte und nur die Sünde für sich behielt? -- Wie schade, daß der
Regierungsbericht uns gerade diesen interessanten Umstand verschweigt!

Feringhea fürchtete sich selbst nicht vor den Mächtigen der Erde. Einen
Elefantentreiber des Rajahs von Oodeypore erdrosselte er ohne weiteres.
Er hat auf jenem Raubzug nicht weniger als hundert Männer und fünf
Frauen umgebracht.

Unter den Unglücklichen, welche den Thugs zum Opfer fielen, waren
Personen jeden Standes und Ranges; nur den Weißen taten sie nichts zu
Leide. Die Liste verzeichnet:

Eingeborene, Soldaten, Fakirs, Bettler, Träger des heiligen Wassers,
Zimmerleute, Hausierer, Schneider, Schmiede, eingeborene Polizisten,
Kuchenbäcker, Stallknechte, Pilger, Chuprassies, Weber, Priester,
Bankiers, Schatz-Träger, Kinder, Kuhhirten, Gärtner, Ladenbesitzer,
Palankin-Träger, Landleute, Ochsentreiber, Diener, die Beschäftigung
suchten, Frauen, die sich verdingen wollten, Schafhirten,
Bogenschützen, Aufwärter, Bootsleute, Händler, Grasmäher.

Selbst einen fürstlichen Koch verschonten sie nicht, ebenso wenig
den Wasserträger des Herrschers über alle Fürsten und Könige, des
Generalgouverneurs von Indien. Ja, eine Bande war sogar grausam genug,
armen, herumziehenden Komödianten das Leben zu nehmen, und trotzdem sie
auf demselben Raubzug auch noch einen Fakir und zwölf Bettler töteten,
beschützte sie ihr Gott Bhowanee: Sie wollten einen Mann im Walde
erdrosseln, während gerade viele Leute in der Nähe vorbeigingen, zogen
aber die Schlinge nicht fest genug, und der Mann stieß einen lauten
Schrei aus. Da ließ Bhowanee im gleichen Augenblick ein Kamel durch das
Dickicht brechen, dessen Gebrüll den Angstschrei übertönte, und ehe der
Mann den Mund wieder öffnen konnte, war sein Atem entflohen.

Die Kuh ist in Indien ein so heiliges Tier, daß schon ihren Hirten
zu töten für frevelhaft gilt. Das wußten die Thugs recht gut, aber
bisweilen war ihr Blutdurst so groß, daß sie dennoch einige Kuhhirten
umbrachten. Ein Thug, der solche Missetat verübt hatte, bekennt:

»Unser Glaube verbietet das aufs strengste; es kann nur Unheil daraus
entstehen. Ich lag nachher zehn Tage am Fieber darnieder. Tötet man
einen Mann, der eine Kuh führt, so bringt es Unglück; hat er keine Kuh
bei sich, dann schadet es nichts.« Ein anderer Thug, der bei dieser
Gelegenheit die Füße des Opfers gehalten hatte, fürchtete für sich
keine schlimmen Folgen, »weil das Mißgeschick für solche Tat immer nur
den Erwürger selbst, nicht seine Gehilfen bedroht, und wenn er deren
auch hundert gehabt hätte.«

Während vieler Menschenalter durchwanderten Tausende von Thugs Indien
in allen Richtungen. Ihr Räuberhandwerk war zu einem Beruf geworden,
der sich vom Vater auf den Sohn und Enkel forterbte. Von sechzehn
Jahren an konnte ein Knabe schon Mitglied der Verbindung werden, und
siebzigjährige Greise waren noch in voller Tätigkeit.

Was fesselte die Leute aber an ihr Mordgeschäft, worin bestand der Reiz
desselben? Teils trieb sie offenbar Frömmigkeit, teils Beutegier dazu,
aber das Hauptinteresse scheint doch das Vergnügen an der Jagd selbst
gewesen zu sein, die Mordlust, welche auch dem weißen Manne im Blute
steckt. Meadows Taylor schreibt in seinem Roman: ›Bekenntnisse eines
Thug‹:

»Wie leidenschaftlich liebt ihr Engländer nicht die Jagd! Ganze Wochen
und Monate widmet ihr diesem aufregenden Zeitvertreib. Um Tiger,
Panther, Büffel oder Eber zu töten, strengt ihr eure ganze Tatkraft an,
ja ihr setzt selbst das Leben aufs Spiel. Wir Thugs aber verfolgen ein
weit edleres Wild!«

Vielleicht liegt hierin wirklich der Schlüssel des Rätsels, das
die Entstehung und Verbreitung der furchtbaren Sekte umgibt. Dem
Menschengeschlecht im großen und ganzen ist die Mordgier eigen, es
ergötzt sich am Töten lebender Geschöpfe wie an einem Schauspiel.
Wir weißen Leute sind nur etwas verfeinerte Thugs, denen ihr dünner
Anstrich von Zivilisation wie ein lästiger Zwang erscheint. Als Thugs
haben wir uns vor noch gar nicht so langer Zeit an den Metzeleien
der römischen Arena ergötzt und später an dem Feuertod, welcher
zweifelhaften Christen durch rechtgläubige Christen auf öffentlichem
Marktplatz bereitet wurde. Noch jetzt gehen wir mit den Thugs in
Spanien oder in Nimes zu den blutigen Greueln der Stiergefechte hinaus.
Keiner unserer Reisenden, welches Geschlechts oder welcher Religion
er auch sein mag, hat je der Anziehungskraft der spanischen Arena zu
widerstehen vermocht, wenn sich ihm Gelegenheit bot, dem Schauspiel
beizuwohnen. Auch zur Jagdzeit sind wir fromme Thugs: wir hetzen das
harmlose Wild und töten es mit Wonne. Aber _einen_ Fortschritt haben
wir doch gemacht. Zwar ist er nur winzig und kaum der Rede wert, so
daß wir nicht nötig hätten besonders stolz darauf zu sein, aber es
ist immerhin ein Fortschritt zu nennen, daß es uns nicht mehr Freude
macht, hilflose Menschen niederzumetzeln oder zu verbrennen. Von diesem
höheren Standpunkt aus können wir mit selbstgefälligem Schaudern
auf die indischen Thugs herabsehen; auch dürfen wir zuversichtlich
hoffen, daß einst der Tag erscheinen wird, an dem unsere Nachkommen in
künftigen Jahrhunderten mit ähnlichen Gefühlen auf uns herabschauen.




Neuntes Kapitel.

        Der Kummer ist sich selbst genug; aber um eine Freude voll
        und ganz zu genießen, muß man jemand haben, mit dem man sie
        teilen kann.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Wir fuhren mit dem Nachtzug von Bombay nach Allahabad. In Indien ist es
Landessitte, das Reisen am Tage möglichst zu vermeiden; dabei ist nur
der Uebelstand, daß man sich zwar die beiden Sofas ›sichern‹ kann, wenn
man sie vorausbestellt, aber man erhält keinerlei Fahrkarte oder Marke,
durch welche man sein Eigentumsrecht zu beweisen vermag, falls dasselbe
in Zweifel gezogen wird. Das Wort ›besetzt‹ erscheint am Fenster des
Coupés, aber für wen weiß niemand. Kommt mein Satan mit meinem Barney
an, ehe ein anderer Diener zur Stelle ist, legen sie meine Betten auf
die beiden Sofas und stehen Wache bis wir eintreffen, dann geht alles
gut. Verlassen sie aber den Posten um eine Besorgung zu machen, so
können sie bei der Rückkehr finden, daß unsere sämtlichen Bettstücke
auf die oberen Schlafbretter befördert worden sind, und ein paar andere
Dämonen das Lager ihrer Herren auf unsern Sofas bereitet haben, vor
denen sie Wache halten.

Dieses System lehrt uns Höflichkeit und Rücksicht üben, doch gestattet
es auch unberechtigte Uebergriffe. Ein junges Mädchen pflegt einer
älteren Dame, wenn diese später kommt, den Sofaplatz einzuräumen, den
die Dame meist mit freundlichem Danke annimmt. Aber bisweilen geht es
dabei auch anders zu. Als wir im Begriff waren Bombay zu verlassen,
lagen die Reisetaschen meiner Tochter auf ihrem Sofaplatz. Da kam im
letzten Augenblick eine amerikanische Dame mittleren Alters in das
Coupé gestürmt, hinter ihr die mit dem Gepäck beladenen eingeborenen
Träger. Sie schalt, brummte, knurrte und versuchte sich möglichst
unausstehlich zu machen, was ihr auch gelang. Ohne ein Wort der
Erklärung warf sie Reisekorb und Tasche meiner Tochter auf das obere
Brett und pflanzte sich breit auf das Sofa hin.

Bei einem unserer Ausflüge verließen wir, Smythe und ich, auf einer
Station unser Coupé, um etwas auf und ab zu gehen; als wir zurückkamen,
fanden wir Smythes Betten im Hängebrett, und ein englischer
Kavallerie-Offizier lag lang und bequem ausgestreckt auf dem Sofa, wo
Smythe noch soeben geschlafen hatte.

Es ist abscheulich, daß dergleichen unsereinem Spaß bereitet, aber wir
sind nun einmal so geschaffen. Wäre das Mißgeschick meinem ärgsten
Feinde zugestoßen, es hätte mir kein größeres Vergnügen machen können.
Wir freuen uns alle, wenn es andern Leuten schlecht geht, ohne daß
wir Unbequemlichkeiten davon haben. Smythes Aerger machte mich so
glücklich, daß ich gar nicht einschlafen konnte, weil ich mich in
Gedanken zu sehr daran ergötzte. Er glaubte natürlich, der Offizier
hätte den Raub selber begangen, während ihn der Diener zweifellos
ohne Wissen seines Herrn ausgeführt hatte. Den Groll über diesen
Vorfall bewahrte Smythe getreulich im Herzen; er schmachtete nach
einer Gelegenheit, sich dafür an irgend jemand schadlos zu halten,
und dies Verlangen ward ihm bald darauf in Kalkutta erfüllt. Von dort
unternahmen wir eine vierundzwanzigstündige Fahrt nach Dardschiling.
Da aber der Generaldirektor Barclay alle Vorkehrungen getroffen
hatte, damit wir es unterwegs recht bequem haben sollten -- wie
Smythe versicherte -- so beeilten wir uns nicht allzusehr auf den
Zug zu kommen. Im Bahnhof herrschte, wie gewöhnlich in Indien, ein
entsetzliches Gewühl, ein unbeschreiblicher Lärm und Wirrwarr. Der
Zug war übermäßig lang, denn sämtliche Eingeborene des Landes reisten
irgendwohin; die Bahnbeamten wußten nicht, wo ihnen der Kopf stand und
wie sie alle die aufgeregten Leute, die sich verspätet hatten, noch
unterbringen sollten. Wo das für uns bestimmte Coupé war, konnte uns
niemand sagen; keiner hatte Befehl erhalten dafür zu sorgen. Das war
eine große Enttäuschung, auch hatte es ganz den Anschein als würde
die Hälfte unserer Gesellschaft zurückbleiben müssen; da kam Satan
spornstreichs angerannt, um zu melden, daß er ein Coupé gefunden habe,
in dem noch ein Hängebrett und ein Sofa leer waren. Dort hatte er unser
Gepäck hineingeschafft und uns das Lager bereitet. Wir stiegen eilends
ein. Der Zug war gerade im Fortfahren, und die Schaffner schlugen
eine Waggontür nach der andern zu, als ein Beamter des ostindischen
Zivildienstes, unser guter Freund, atemlos gelaufen kam. »Ueberall habe
ich nach Ihnen gesucht,« rief er. »Wie kommen Sie hierher? Wissen Sie
denn nicht --«

Indem fuhr der Zug ab, und der Schluß des Satzes entging uns. Jetzt
kam für Smythe die Gelegenheit seinen Racheplan auszuführen. Er nahm
sofort seine Betten vom Schlafbrett, tauschte sie gegen diejenigen
aus, welche herrenlos auf dem Sofa mir gegenüber lagen und begab sich
seelenvergnügt zur Ruhe. Gegen zehn Uhr nachts hielten wir irgendwo und
ein großer Engländer, der wie ein hoher Militär aussah, stieg bei uns
ein. Wir taten, als schliefen wir. Trotz der verdunkelten Lampen war es
aber hell genug, daß wir sehen konnten, welche Ueberraschung sich in
seinen Zügen malte. Hoch aufgerichtet stand er da, starrte sprachlos
auf Smythe herab und versuchte die Lage der Dinge zu begreifen. Nach
einer Weile sagte er:

»Nein, so was!« -- weiter nichts.

Aber es war mehr als genug und leicht verständlich. Es sollte heißen:
»So was ist doch unerhört! Eine solche Unverschämtheit ist mir mein
Lebtag noch nicht vorgekommen.«

Er setzte sich auf seinen Koffer; wir aber schielten wohl zwanzig
Minuten lang mit halbgeschlossenen Augen zu ihm hinüber und
beobachteten, wie ihn die Bewegung des Zuges rüttelte und schüttelte.
Sobald wir an eine Station kamen, erhob er sich; wir hörten ihn noch im
Fortgehen murmeln: »Ich muß ein leeres Sofa finden, sonst warte ich bis
zum nächsten Zuge!«

Bald darauf kam sein Diener, um das Gepäck zu holen.

So war denn Smythes alte Wunde geheilt und sein Rachdurst gestillt.
Aber schlafen konnte er ebensowenig wie ich; unser Wagen war ein
ehrwürdiger, alter Kasten voller Schäden und Gebrechen. Die Tür ins
Waschkabinett zum Beispiel schlug fortwährend an und spottete aller
unserer Bemühungen sie zu befestigen. Als der Morgen dämmerte, standen
wir wie zerschlagen auf, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Auch jener
Engländer war auf der Station ausgestiegen und wir hörten, wie jemand
zu ihm sagte:

»Also haben Sie Ihre Fahrt doch nicht unterbrochen?«

»Nein,« lautete die Antwort, »der Schaffner konnte mir ein Coupé
anweisen, das zwar bestellt aber nicht besetzt worden war. Ich bekam
einen großen Salonwagen für mich ganz allein, wahrhaft fürstlich,
versichere ich Ihnen. Ein solcher Glücksfall ist mir noch nie
begegnet.«

Natürlich war das unser Wagen. Wir siedelten sogleich mit der ganzen
Familie dahin über. Den Herrn Engländer lud ich jedoch ein zu bleiben,
was er auch annahm. Ein sehr liebenswürdiger Mann, Oberst bei der
Infanterie. Daß Smythe ihm sein Lager geraubt hat, erfuhr er nicht; er
glaubt, Smythes Diener hätten es ohne Wissen seines Herrn getan. Man
half ihm zu dieser Ueberzeugung und störte ihn nicht darin.

In Indien werden die Züge ausschließlich von Eingeborenen bedient, auch
alle Stationsbeamten -- außer an Hauptplätzen -- sind Eingeborene,
desgleichen die Polizisten und die Angestellten im Post- und
Telegraphendienst. Lauter sehr freundliche und gefällige Leute. Eines
Tages war ich aus dem Schnellzug gestiegen, um mich mit Entzücken an
dem Schauspiel zu weiden, das jede große Station in Indien bietet.
Die bunten Scharen der Eingeborenen, welche auf dem breiten Perron
rastlos durcheinander wirbelten, fesselten mich dergestalt, daß ich
alles andere darüber vergaß. Als ich mich umwandte sah ich, daß mein
Zug soeben zum Bahnhof hinausfuhr. Ich wollte mich ruhig hinsetzen, um
den nächsten Zug abzuwarten, wie ich es zu Hause getan hätte; an eine
andere Möglichkeit dachte ich nicht. Da trat ein eingeborener Beamter,
der eine grüne Flagge in der Hand hielt, höflich auf mich zu: »Wollten
Sie nicht mit dem Zuge weiter?« fragte er.

Als ich dies bejahte, ließ er seine Flagge wehen, der Zug kam zurück,
und er half mir mit solcher Ehrerbietung einsteigen, als wäre ich der
Generaldirektor selber gewesen. Ein gutherziges Volk, diese Hindus!
Unfreundliche, mürrische Mienen, welche Bosheit und schlechte Gemütsart
verraten, sind eine solche Seltenheit, daß es mir oft vorkam, als müsse
ich die Mordgeschichten der Thugs geträumt haben. Freilich wird es auch
unter den Indern schlechte Menschen geben, aber jedenfalls in großer
Minderzahl. Eins ist gewiß: es ist das interessanteste Volk in der
ganzen Welt und dabei unerklärlich und unbegreiflich in seinem Wesen
wie kein anderes. Sein Charakter, seine Geschichte, seine Religion,
seine Sitten sind voller Rätsel, die nur noch unverständlicher werden,
wenn man uns Aufschluß darüber gibt. Weshalb und auf welche Weise so
seltsame Dinge wie die verschiedenen Kasten, die Thugs, die Suttis
entstanden sein können, geht über unsere Begriffe.

Für die Sitte der Witwenverbrennung hat man zum Beispiel folgende
Erklärung: Eine Frau, die ihr Leben freiwillig hingibt, wenn ihr Gatte
stirbt, wird augenblicklich wieder mit ihm vereinigt, und sie genießen
fortan im Himmel zusammen ewige Freuden; die Familie errichtet ihr
ein Denkmal oder einen Tempel und hält ihr Andenken in hohen Ehren.
Der Opfertod der Frau verleiht auch allen ihren Angehörigen eine
besondere Auszeichnung in den Augen des Volkes, die sich dauernd auf
ihre Nachkommenschaft vererbt. Bleibt sie dagegen am Leben, so erwartet
sie Schmach und Schande; wieder verheiraten kann sie sich nicht,
die Familie verachtet sie und sagt sich von ihr los; freundlos und
verlassen fristet sie ihr jammervolles Dasein.

Daß sie es vorzieht solchem Elend durch den Tod zu entfliehen, ist
sehr begreiflich. Aber was der Ursprung dieser seltsamen Sitte ist,
bleibt trotzdem ein Rätsel. Vielleicht wurde sie auf Befehl der Götter
eingeführt; aber haben diese auch bestimmt, daß man eine so grausame
Todesart wählen sollte? Hätte ein sanfterer Tod nicht dieselben Dienste
getan? Kein Mensch weiß darauf eine Antwort.

Man wäre geneigt anzunehmen, daß die Witwen sich überhaupt nicht
freiwillig verbrennen ließen, sondern es nur nicht wagten sich der
öffentlichen Meinung zu widersetzen. Dieser Standpunkt läßt sich
jedoch unmöglich festhalten; er stimmt nicht mit den geschichtlichen
Tatsachen überein. Major Sleeman erzählt in einem seiner Bücher einen
höchst charakteristischen Fall:

Als er im März 1828 die Verwaltung am Nerbuddastrom übernahm, beschloß
er kühn, dem Zug seines mitleidigen Herzens zu folgen und die Suttis
auf eigene Verantwortung in seinem Bezirk zu verbieten. Daß sie acht
Monate später auf Befehl der Ostindischen Regierung gänzlich untersagt
werden würden, konnte er nicht voraussehen. Am 24. November -- einem
Dienstag -- starb Omed Sing Opaddia, das Haupt einer der angesehensten
und zahlreichsten Brahminenfamilien der Gegend, und eine Abordnung
seiner Söhne und Enkel erschien vor Sleeman, mit der Bitte, der alten
Witwe zu gestatten sich mit der Leiche ihres Gemahls verbrennen zu
lassen. Der Major drohte jedoch, jeden streng zu bestrafen, der seinem
Befehl zuwider handeln und der Selbstverbrennung der Witwe Vorschub
leisten würde. Er stellte eine Polizeiwache am Nerbudda-Ufer auf, wo
die fünfundsechzigjährige Witwe schon seit dem frühen Morgen bei ihrem
Toten saß und wartete. Als die abschlägige Antwort eintraf, blieb sie
Tag und Nacht am Rande des Wassers sitzen, ohne zu essen und zu trinken.

Am folgenden Morgen wurde die Leiche ihres Gemahls in einer etwa acht
Quadratfuß breiten und drei bis vier Fuß tiefen Grube in Anwesenheit
von mehreren tausend Zuschauern verbrannt. Hierauf watete die Witwe
nach einem nackten Felsen im Bette der Nerbudda; alle Fremden hatten
sich zerstreut, nur ihre Söhne und Enkel blieben in ihrer Nähe,
während die übrigen Anverwandten des Majors Haus umringten, um ihn
zu überreden, sein Verbot zurückzunehmen. Die Witwe widerstand allen
Bitten der Ihrigen, die sie sehr liebten und ihr Leben zu erhalten
wünschten, sie verweigerte jede Nahrung und blieb auf dem nackten
Felsen sitzen, der sengenden Sonnenhitze bei Tag und der strengen
Kälte bei Nacht ausgesetzt, nur mit einem dünnen Stück Zeug über der
Schulter. Am Donnerstag setzte sie, zum Beweis, daß nichts sie von
ihrem Vorhaben abbringen könne, die Dhadscha, einen groben, roten
Turban auf und brach ihre Armbänder in Stücke, wodurch sie gesetzlich
für tot galt und auf immer aus ihrer Kaste ausgeschlossen war. Hätte
sie jetzt noch das Leben erwählen wollen, so konnte sie nie mehr zu
ihrer Familie zurückkehren. Sleeman wußte sich keinen Rat. Wenn sich
die Frau zu Tode hungerte, so war ihre Familie beschimpft und die
Aermste starb unter langsameren Qualen, als wenn man ihr gestattete
sich zu verbrennen. Als der Major sie am vierten Tage nach dem Tode
ihres Mannes noch mit der Dhadscha auf dem Kopfe an derselben Stelle
sitzen fand, redete er sie an. Sie sagte ihm mit großer Gelassenheit,
daß sie entschlossen sei, ihre Asche mit der ihres verstorbenen Gatten
zu mischen; sie würde geduldig seine Erlaubnis abwarten, überzeugt,
Gott werde ihr Kraft geben, ihr Dasein bis dahin zu fristen, obgleich
sie weder essen noch trinken wolle. Dann blickte sie nach der Sonne,
die eben über der Nerbudda aufging und sagte ruhig: »Meine Seele weilt
schon fünf Tage lang bei der meines Gatten, in der Nähe jener Sonne,
nur meine irdische Hülle ist noch übrig, und ich weiß, du wirst bald
gestatten, daß sie sich in jener Grube mit seiner Asche vermischt, weil
es nicht in deinem Wesen und Brauch ist, die Qual einer armen, alten
Frau mutwillig zu verlängern.«

Sleeman versicherte ihr, es sei sein Wunsch und seine Pflicht sie zu
retten und zu erhalten. Er wolle den Ihrigen die Schmach ersparen für
ihre Mörder zu gelten. Doch sie erwiderte, deswegen sei sie unbesorgt.
Ihre Kinder hätten alles mögliche getan, um sie zu bewegen unter ihnen
zu leben. »Hätte ich eingewilligt, so würden sie mich geliebt und
geehrt haben, das weiß ich. Doch übergebe ich sie alle deiner Obhut und
gehe zu meinem Gatten Omed Sing Opaddia, mit dessen Asche die meinige
sich schon dreimal auf dem Scheiterhaufen vermischte.«

Dies bezog sich auf die Seelenwanderung. Sie waren nach ihrer
Ueberzeugung schon dreimal als Mann und Weib auf Erden gewesen.
Seit sie ihre Armbänder zerbrochen und den roten Turban aufgesetzt
hatte, hielt sie sich für bereits gestorben, sonst hätte sie nicht so
unehrerbietig sein können, den Namen ihres Gatten auszusprechen. Es war
das erstemal in ihrem Leben, daß sie dies tat, denn in Indien nennt
keine Frau, aus welchem Stande sie auch sei, jemals den Namen ihres
Mannes.

Sleeman hoffte noch immer sie zu überreden. Er drohte ihr, die
Regierung werde die steuerfreien Güter, von denen ihre Familie so lange
gelebt habe, einziehen; auch werde kein Stein den Platz bezeichnen,
wo sie sterbe, im Fall sie auf ihrem Entschluß beharre. Bliebe sie
aber am Leben, so solle eine glänzende Wohnung unter den Tempeln ihrer
Ahnen für sie gebaut und eine schöne Summe zu ihrem Unterhalt bestimmt
werden. Aber sie lächelte nur, streckte den Arm aus und sagte: »Mein
Puls hat lange aufgehört zu schlagen, mein Geist ist entwichen; ich
werde bei dem Verbrennen nicht leiden. Wenn du einen Beweis willst, so
laß Feuer bringen und sieh, wie es diesen Arm verzehrt, ohne daß es mir
Schmerz verursacht.«

Da der Major erkannte, daß alle seine Bemühungen vergebens waren, ließ
er die Oberhäupter der Familie rufen und erklärte ihnen, er werde
gestatten, daß sich die Witwe verbrennen dürfe, wenn sie sich alle
durch eine feierliche Urkunde verpflichten wollten, in ihrer Familie
nie wieder eine Sutti zu halten. Sie gingen darauf ein und die Schrift
ward aufgesetzt und unterzeichnet. Als man der Witwe am Sonnabend gegen
Mittag den Beschluß verkündete, zeigte sie sich hocherfreut. Um drei
Uhr waren die Zeremonien des Badens vorüber, und in der Grube brannte
ein helles Feuer. Fast fünf Tage hatte die Frau ohne Speise und Trank
zugebracht; als sie vom Felsen ans Ufer kam, netzte sie erst ihr Tuch
im Wasser des heiligen Stromes, denn ohne diese Vorsichtsmaßregel wäre
sie durch jeden Schatten, der auf sie fiel, verunreinigt worden. Von
ihrem ältesten Sohn und einem Neffen gestützt schritt sie nach dem
Feuer hin, eine Entfernung von etwa 150 Metern.

Wachen waren aufgestellt, und niemand durfte sich auf fünf Schritt
nähern. Sie kam mit ruhigem freudevollem Gesicht herbei, blieb einmal
stehen, schaute aufwärts und sagte: »Warum hat man mich fünf Tage
von dir, mein Gatte, entfernt gehalten?« Als sie zu den Wachen kam,
blieben ihre Begleiter zurück; sie schritt noch einmal um die Grube,
hielt einen Augenblick inne und während sie ein Gebet murmelte, warf
sie einige Blumen ins Feuer. Dann trat sie ruhig und standhaft bis an
den Rand, stieg mitten in die Flamme, setzte sich nieder und lehnte
sich zurück als ruhe sie auf einem Lager; ohne einen Schrei auszustoßen
oder ein Zeichen des Schmerzes von sich zu geben, wurde sie vom Feuer
verzehrt.

Das ist schön und großartig! Es erfüllt uns mit Ehrfurcht und
Hochachtung. Was der altgewohnten Sitte ihre unwiderstehliche Macht
verlieh war die Riesenkraft eines Glaubens, welcher durch immer neue
Todesopfer lebendig erhalten wurde. Aber, wie die ersten Witwen dazu
kamen, die Sitte einzuführen, bleibt in Dunkel gehüllt.

Sleeman sagt, daß bei der Witwenverbrennung gewöhnlich einige
Musikinstrumente spielten, aber nicht, wie man gemeinhin glaubt, um das
Geschrei der Märtyrerin zu ersticken, sondern um zu verhüten, daß ihre
letzten Worte gehört werden; denn diese galten für prophetisch, und
wenn sie Unglück weissagten, hielt man es für besser, daß die Lebenden
darüber in Unkenntnis blieben.




Zehntes Kapitel.

        Er hatte viel mit Aerzten zu tun gehabt und sagte: Es gibt
        nur ein Mittel um gesund zu bleiben, man muß essen was
        einem nicht schmeckt, trinken, was man nicht mag und tun,
        was man lieber bleiben ließe.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Es war eine lange Reise, zwei Nächte und anderthalb Tage von Bombay
ostwärts nach Allahabad, aber sehr interessant und nicht ermüdend.
Das heißt, zuerst fühlte ich mich höchst unbehaglich, aber daran
waren die ›Pyjamas‹ schuld. Dieser lästige Nachtanzug besteht aus
Jacke und Beinkleidern; er ist entweder von Seide oder aus einem
rauhen, kratzigen, dünnen Wollstoff, der einem die Haut reibt wie
Sandpapier. Die Hosen haben Elefantenbeine und eine Elefantentaille,
keine Knöpfe am Bund, sondern eine Schnur, um die überflüssige Weite
zusammenzuziehen; die lose Jacke wird vorn zugeknöpft. In einer warmen
Nacht sind einem die Pyjamas zu heiß, und man friert darin, wenn
die Nacht kalt ist. Ich wollte nicht gegen die Sitte verstoßen und
versuchte es mit dem Kleidungsstück, aber es war mir unerträglich, ich
mußte es wieder ablegen. Der Unterschied zwischen Tag- und Nachtanzug
ist nicht groß genug. In einem Nachthemd fühlt man sich wohlig und
erfrischt, von beengendem Zwang erlöst, frei und ungebunden. Statt
dessen hatte ich die erstickende, bedrückende, aufreibende und quälende
Empfindung, angekleidet im Bette zu liegen. Während der warmen Hälfte
der Nacht bekam ich von der rauhen Wolle ein solches Jucken auf der
Haut, daß ich wie gekocht und im Fieber dalag; verfiel ich auf kurze
Zeit in Schlaf, so peinigten mich Träume, wie die Verdammten sie
haben mögen -- oder haben sollten. In der kalten Hälfte der Nacht
fand ich aber keine Zeit zum Schlafen, weil ich genug damit zu tun
hatte, mir wollene Decken zu stehlen. Aber was nützen wollene Decken
unter solchen Umständen? Je mehr man aufeinander häuft, um so fester
korkt man die Kälte ein, daß sie nicht heraus kann. Die Beine werden
einem zu Eisklumpen und man weiß genau, wie es sein wird, wenn man
eines Tages im Grabe liegt. Sobald ich einen Augenblick zu Verstande
kam, entledigte ich mich der Pyjamas und genoß mein Leben fortan auf
vernünftige und behagliche Weise.

Der Tag fängt auf dem Lande in Indien früh an. Endlos dehnt sich die
vollkommen flache Ebene im grauen Dämmerlicht nach allen Seiten aus.
Schmale, festgetretene Fußpfade durchziehen sie überall; nur von Zeit
zu Zeit ragt auf der ungeheuern Fläche eine Gruppe gespenstischer
Bäume empor, zum Zeichen, daß da ein Dorf liegt. Auf den Pfaden
sieht man allenthalben braune, hagere, nackte Männergestalten und
schlanke Frauen, die an ihr Tagewerk eilen; die Frauen mit kupfernen
Wassergefäßen auf dem Kopf, die Männer mit der Hacke in der Hand.
Uebrigens ist der Mann nicht ganz nackt, einen weißen Lappen hat er
immer um; dies Lendentuch ist eine Art Binde, ein weißer Strich auf
seiner braunen Person, wie der Silberbeschlag, der mitten um ein
Pfeifenrohr läuft. Trägt er noch einen luftigen, bauschigen Turban,
dann ist das der zweite Strich. »Ein Mensch, dessen Kleidung aus einem
Turban und einem Taschentuch besteht,« so beschreibt Miß Gordon
Cumming sehr richtig den Eingeborenen.

Den ganzen Tag lang fährt man durch die einförmige, staubfarbene
Ebene, an den verstreuten Baumgruppen und den Lehmhütten der Dörfer
vorbei. Daß Indien nicht überall schön ist, läßt sich nicht leugnen,
und doch übt es einen unwiderstehlich bestrickenden Zauber aus. Woher
das kommt ist schwer zu sagen; man hat nur das unbestimmte Gefühl, daß
es der uralte, geschichtliche Boden ist, dem dieser Reiz entspringt.
Die Wüsten Australiens und die starren Eisfelder Grönlands besitzen
keine solche Macht über uns; wir sehen sie in ihrer ganzen Kahlheit und
Häßlichkeit, weil sie keine ehrwürdige Geschichte haben, die uns von
menschlichen Leiden und Freuden in längst vergangenen Jahrhunderten
erzählt.

Auf der langen Fahrt bis Allahabad kamen wir nur an Dörfern vorbei,
die innerhalb verfallener Mauern lagen. Ein solches indisches Dorf
ist nicht schön; ein Teil der schmutzfarbenen Lehmhütten ist meist
vom Regen verwittert, so daß sie vermoderten Ruinen gleichen. Auch
Viehherden und Ungeziefer leben innerhalb der Mauern, wie mir scheint,
denn ich sah dort Kühe und Ochsen ein- und ausgehen, und so oft ich
einen der Dorfbewohner gewahrte, juckte er sich. Letzteres ist zwar
nur ein Indizienbeweis, aber ich glaube, daß er schwerlich trügt.

Mich interessierten die indischen Dörfer, weil ich in Major Sleemans
Büchern allerlei darüber gelesen hatte. Er schildert die Teilung
der Arbeit, die unter der Bevölkerung herrscht. Der Grund und Boden
Indiens, sagt er, bestehe aus lauter einzelnen Feldern, die zu
den Dörfern gehören. Neun Zehntel der ganzen Einwohnerschaft sind
Ackerbauer und wohnen in den Dörfern. Doch hält sich jedes Dorf auch
gewisse bezahlte Arbeiter, Handwerker und andere Leute zum allgemeinen
Dienst, deren Geschäft in der Familie bleibt und sich von Vater auf
Sohn weiter erbt. Solche Berufsarten sind: Priester, Grobschmied,
Zimmermann, Rechnungsführer, Waschmann, Korbflechter, Töpfer, Wächter,
Barbier, Schuhmacher, Klempner, Zuckerbäcker, Weber, Färber u. a. m. Zu
Sleemans Zeit gab es auch viele Hexen, und aus praktischen Gründen ließ
niemand seine Tochter gern in eine Familie heiraten, zu der keine Hexe
gehörte. Man brauchte ihre guten Dienste, um die Kinder vor dem Unheil
zu schützen, das ihnen sonst die Hexen der Nachbarfamilien ohne Zweifel
angetan hätten.

Der Beruf der Hebamme blieb stets in der Familie des Korbflechters.
Seiner Frau gehörte das Amt, mochte sie etwas davon verstehen oder
nicht. Ihre Einnahme war nicht so groß: für einen Knaben erhielt sie
25 Cents, und halb so viel für ein Mädchen. Die Geburt einer Tochter
kam unerwünscht, wegen der furchtbaren Kosten, die sie mit der Zeit
verursachen würde. Sobald sie alt genug war, um der Sitte gemäß
Kleider tragen zu müssen, galt es für eine Schande, wenn die Familie
sie nicht verheiratete. Den Vater brachte jedoch die Heirat der
Tochter an den Bettelstab, denn er mußte, nach altem Herkommen, beim
Hochzeitsgepränge und dem Festschmaus alles verausgaben, was er besaß
und entlehnen konnte, so daß er vielleicht nie wieder im stande war
sich emporzuarbeiten.

Aus Furcht vor solchem unvermeidlichen Ruin tötete man in früherer
Zeit viele Mädchen gleich nach der Geburt, bis England die grausame
Sitte mit eiserner Strenge abschaffte. »Bei dem Spiel der Dorfkinder,«
sagt Sleeman, »hörte man niemals Mädchenstimmen.« Schon aus dieser
gelegentlichen Bemerkung läßt sich entnehmen, wie allgemein der
Mädchenmord in Indien verbreitet war.

Das Hochzeitsgepränge besteht nach wie vor im Lande, weshalb auch noch
hie und da neugeborene Mädchen umgebracht werden, aber ganz heimlich,
weil die Regierung sehr wachsam ist und jede Uebertretung des Gesetzes
mit strengen Strafen bedroht.

In einigen Teilen Indiens gibt es in den Dörfern noch drei besondere
Angestellte. Erstens den Astrologen, der dem Bauer sagt, wann er säen
und pflanzen, eine Reise machen oder ein Weib nehmen soll, wann er
ein Kind erwürgen, einen Hund entlehnen, auf einen Baum steigen, eine
Ratte fangen und seinen Nachbar betrügen darf, ohne die Rache des
Himmels auf sein Haupt zu ziehen. Auch die Träume legt er ihm aus,
falls der Mann nicht klug genug ist, sie sich selbst aus der Mahlzeit
zu erklären, die er vor Schlafengehen zu sich genommen hat. Die beiden
andern Angestellten sind der Tiger- und der Hagelbeschwörer. Ersterer
hält die Tiger fern, wenn er kann und bezieht auf alle Fälle sein
Gehalt; letzterer beschützt das Dorf vor Hagelschlag oder gibt an,
aus welchem Grund sein Geschäft mißlungen sei und läßt sich denselben
Lohn bezahlen, mag der Hagel kommen oder ausbleiben. Wer in Indien
seinen Lebensunterhalt nicht verdienen kann, muß wirklich auf den Kopf
gefallen sein.

Auch die Gewerkvereine und der Boykott sind alte indische
Einrichtungen. Es gibt eben nichts, was nicht dort seinen Ursprung
hätte. »Die Straßenkehrer,« sagt Sleeman, »zählen zur niedrigsten
Kaste; alle andern Kasten verachten sie und ihr Amt, aber sie selbst
sind stolz darauf und dulden keine Eingriffe in ihr Monopol. Das
Recht, in einem gewissen Stadtteil die Straßen zu kehren, gehört einem
bestimmten Mitglied der Kaste an; wagt sich ein anderes Mitglied in
diesen Bezirk, so wird es ausgestoßen -- niemand darf mehr aus seiner
Pfeife rauchen oder aus seinem Kruge trinken -- der Missetäter kann die
Wiederaufnahme in die Kaste nur dadurch erlangen, daß er für sämtliche
Straßenkehrer ein Festmahl veranstaltet. Beleidigt ein Hausbesitzer
den Straßenkehrer seines Bezirks, so bleibt aller Abfall und Kehricht
solange bei ihm liegen, bis er den Mann wieder versöhnt hat, kein
anderer Straßenkehrer getraut sich den Schmutz fortzuschaffen. Die
Bürger der Städte müssen sich von diesen Leuten oft unglaublich viel
gefallen lassen; ja die Tyrannei, welche die Innung der Straßenkehrer
ausübt, ist noch heutigen Tages eins der größten Hindernisse aller
sanitären Reformen in Indien. Zwingen kann man diese Menschen nicht,
denn kein Hindu oder Muselmann würde ihre Arbeit verrichten, und
sollte es ihm das Leben kosten; nicht einmal prügeln würde er den
widerspenstigen Straßenkehrer, um sich nicht zu verunreinigen.«

Allahabad bedeutet die ›Stadt Gottes‹. Das Hindu-Viertel habe ich nicht
gesehen; der englische Teil der Stadt hat schöne, breite Alleen und
auf Raumersparnis ist gar keine Rücksicht genommen. Alle Einrichtungen
lassen auf Luxus und Bequemlichkeit schließen; mir scheint, die Leute
führen dort ein so heiteres, sorgloses Leben, wie man es nur bei einem
guten Gewissen haben kann, wenn diesem ein genügendes Konto auf der
Bank zur Seite steht.

Am Morgen nach unserer Ankunft in Allahabad stand ich in aller Frühe
auf und ging auf der Veranda, die rings um das Haus läuft, an den
schlafenden Dienern vorbei, die bis über die Ohren in ihre wollenen
Decken gewickelt, vor der Tür ihrer Herren lagen. Ich glaube, kein
indischer Diener schläft jemals in einem Zimmer. Vor einer Tür sah ich
einen Hindu kauern. Die gelben Schuhe seines Herrn waren geputzt und
bereit gestellt; nun hatte er nichts mehr zu tun als zu warten, bis
er gerufen würde. Es war bitter kalt, aber der Mensch blieb geduldig
und regungslos wie ein Steinbild auf demselben Fleck. Ich konnte es
kaum mit ansehen. Gern hätte ich zu ihm gesagt: »Stehe doch auf und
mache dir Bewegung, um dich zu erwärmen, was hockst du da in der
Eiseskälte, das verlangt niemand von dir.« Allein mir fehlten die
Wörter. Die einzige Redensart, die mir einfiel war »Jeldy jow,« und
was sie bedeutete, wußte ich nicht. So ging ich denn notgedrungen
stumm vorbei, entschlossen nicht mehr an den Menschen zu denken; aber
seine nackten Beine und Füße kamen mir nicht aus dem Sinn und zwangen
mich immer wieder, die Sonnenseite zu verlassen und bis zu dem Punkt
zurückzugehen, wo ich ihn sehen konnte. Eine Stunde verging, ohne daß
er seine Stellung auch nur im geringsten veränderte. Ob das Sanftmut
und Geduld, Seelenstärke oder Gleichgültigkeit verriet, will ich nicht
entscheiden; aber der Anblick quälte mich und verdarb mir den ganzen
Morgen. Nach zwei Stunden riß ich mich endlich aus seiner Nähe los;
mochte er sich nun allein weiter kasteien so viel er wollte. Bis dahin
war er um keines Haares Breite von seinem Platz gewichen; ich sehe ihn
noch immer deutlich vor mir und werde die Erinnerung wohl ewig mit
mir herumtragen. Wenn ich von der Geduld und Ergebung der Inder bei
ungerechter Behandlung, in Schmerz und Unglück lese, so steigt sein
Bild vor mir auf. »Jeldy jow!« (mach daß du weiter kommst!) ruft man
dem Inder in seiner Not seit ungezählten Jahrhunderten zu. Hätte ich
es nur damals auch gesagt, es wäre gerade das Richtige gewesen; aber
leider war mir, wie gesagt, die Bedeutung des Wortes entfallen.

Im Morgenlicht unternahmen wir eine lange zum Teil wunderschöne Fahrt
nach der Festung. Der Weg führte unter hohen Bäumen an Häusergruppen
und am Dorfbrunnen vorbei, wo man zu andern Tageszeiten malerische
Scharen von Eingeborenen fortwährend lachend und schwatzend hin- und
hergehen sieht. Diesmal trafen wir sie bei ihren Waschungen; die
kräftigen Männer ließen das klare Wasser reichlich über die braunen
Körper strömen, ein erfrischender Anblick, der meinen Neid erregte,
denn die Sonne hatte sich schon an ihr Geschäft gemacht, den Tag
über tüchtig in Indien einzuheizen. Viele Hindus nahmen ein solches
Morgenbad; die Frühstückstunde nahte heran, und kein Hindu darf essen,
ehe er die vorgeschriebene Waschung beendet hat.

Als wir in die heiße Ebene kamen, wimmelte es auf allen Pfaden von
Wallfahrern und Wallfahrerinnen. Hinter der Festung, wo die heiligen
Ströme Ganges und Jumna ineinander fließen, sollte eine der großen
religiösen Messen Indiens gehalten werden. Eigentlich gibt es drei
heilige Ströme; der dritte fließt zwar unter der Erde und niemand
hat ihn gesehen, aber das schadet nichts, wenn man nur weiß, daß
er da ist. Die Pilger stammten aus den verschiedensten Gegenden
Indiens; einige waren monatelang unterwegs gewesen; arm, hungrig und
abgemattet, waren sie bei Staub und Hitze geduldig weiter gewandert,
von unerschütterlichem Glauben und Vertrauen gestützt und aufrecht
erhalten. Jetzt strahlten alle vor Glück und Zufriedenheit, denn bald
winkte ihnen der reichste Lohn für ihre Mühsal. Sie sollten Läuterung
von jeder Sünde und Unreinheit in dem heiligen Wasser finden, welches
alles was es berührt, sogar Totes und Verwestes, rein machen kann. Wie
wunderbar ist doch die Kraft eines Glaubens, welcher Alte und Schwache,
Junge und Leidende treibt, ohne Zaudern und ohne Klage die unerhörten
Anstrengungen einer solchen Reise, samt allen Entbehrungen, die sie mit
sich bringt, geduldig auf sich zu nehmen! Ob es aus Furcht geschieht
oder aus Liebe, weiß ich nicht, aber was auch immer der Beweggrund
sein mag, die Sache selbst ist für uns kühle Verstandesmenschen
vollkommen unbegreiflich. Nur wenige auserlesene Naturen unter den
Weißen besäßen einen ähnlichen Opfermut; wir übrigen wissen genau, daß
wir außer stande wären, uns dazu aufzuschwingen. Da wir aber alle die
Selbstaufopferung gern im Munde führen, so darf ich hoffen, daß wir
wenigstens groß genug denken, um sie bei dem Hindu würdigen zu können.

Jedes Jahr strömen zwei Millionen Eingeborene zu dieser Messe herbei.
Wie viele die Reise antreten und unterwegs vor Alter, Mühsal, Krankheit
und Mangel sterben, weiß niemand. Alle zwölf Jahre ist ein besonderes
Gnadenjahr, und die Pilger kommen in noch größeren Massen gezogen,
das ist schon seit undenklichen Zeiten so gewesen. Man sagt übrigens,
daß es für den Ganges nur noch _ein_ zwölftes Jahr geben wird, dann
soll dieser heiligste aller Flüsse seine Kraft verlieren und erst nach
Jahrhunderten werden die Pilger wieder zu seinen Ufern wallfahrten,
wenn die Brahminen verkünden, daß er seine Heiligkeit wiedergewonnen
hat. Was die Priester damit bezwecken, daß sie sich diese Goldmine
verschließen, kann ich nicht sagen. Aber mir ist nicht bange, sie
werden wohl wissen was sie tun. Ehe man sich’s versieht werden sie
dem Volk der Inder eine Ueberraschung bereiten, welche beweist, daß
sie ihren Vorteil nicht aus den Augen gelassen haben, als sie auf den
Marktwert des Ganges verzichteten.

Wir begegneten vielen Eingeborenen, welche heiliges Wasser aus den
Flüssen geholt hatten. Man bietet es in ganz Indien zum Verkauf aus,
auch soll es oft bei Hochzeiten becherweise verteilt werden.

       *       *       *       *       *

Die Festung ist ein ungeheueres, altes Gebäude und hat in religiöser
Beziehung Erlebnisse der mannigfaltigsten Art zu verzeichnen. In dem
großen Hof steht seit über zweitausend Jahren ein Monolith mit einer
buddhistischen Inschrift. Vor dreihundert Jahren wurde die Festung von
einem mohammedanischen Kaiser erbaut und nach dem Ritus seiner Religion
eingeweiht; auch ein Hindutempel mit unterirdischen Gängen voller
Heiligtümer und Götzenbilder befindet sich daselbst, und seitdem die
Festung den Engländern gehört, besitzt sie eine christliche Kirche. So
ist für das Seelenheil aller gesorgt.

Von den hohen Wällen schauten wir auf die heiligen Flüsse hinab, die
sich an diesem Punkt vereinigen. Das Wasser des blaßgrauen Jumna
sieht klar und rein aus, der schlammige Ganges aber ist trübe, gelb
und schmutzig. Auf der schmalen, gebogenen Landzunge zwischen den
Flüssen erhob sich eine Zeltstadt mit zahllosen, wehenden Wimpeln und
großen Scharen von Pilgern. Man hatte Mühe dorthin zu gelangen, aber
interessant war es, sobald man unten ankam, wenn auch sehr unruhig.
Eine ganze Welt bewegte sich dort in rastloser, lärmender Tätigkeit,
teils mit religiösen, teils mit kaufmännischen Angelegenheiten
beschäftigt. Die Mohammedaner fluchen und verkaufen, während die Hindus
kaufen und beten, denn die Messe ist zugleich ein Jahrmarkt und ein
religiöses Fest. Eine Unmenge von Leuten badete, betete und trank
das heilige Wasser; kranke Pilger kamen von weither im Palankin, um
durch ein Bad Heilung von ihrem Uebel zu finden oder an den gesegneten
Ufern zu sterben und sicher in den Himmel zu kommen. Auch viele Fakirs
waren da; sie hatten sich ganz mit Asche bestreut und ihr Haar mit
Kuhdünger zusammengeklebt, denn die Kuh und alles was von ihr stammt
ist heilig. Der gute Hindubauer malt oft die Wand seiner Hütte mit dem
Dünger an oder formt daraus allerlei Figuren, mit denen er den Estrich
des Fußbodens verziert. In den Zelten saßen auch ganze Familien bei
einander, die schrecklich und wunderbar bemalt waren und nach ihrer
Stellung und Gruppierung zu urteilen, die Angehörigen großer Gottheiten
vorstellten. Ein heiliger Mann saß dort schon Wochen lang nackt auf
spitzen Eisenstäben und schien sich gar nichts daraus zu machen.
Ein anderer Heiliger stand den ganzen Tag auf einem Fleck und hielt
seine abgezehrten Arme regungslos in die Höhe; er soll das schon seit
Jahren tun. Neben jedem dieser frommen Büßer lag ein Tuch am Boden,
auf das milde Spenden gelegt wurden; selbst die ärmsten Leute gaben
eine Kleinigkeit in der Hoffnung, das Opfer werde ihnen Segen bringen.
Zuletzt kam noch eine Prozession nackter, heiliger Männer singend
vorbeigezogen -- da riß ich mich los und ging meiner Wege.




Elftes Kapitel.

        Wer sich seiner Sittsamkeit rühmt, gleicht einer Statue mit
        dem Feigenblatt.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Die Reise nach Benares nahm nur wenige Stunden in Anspruch. Wir machten
sie bei Tage; der Staub spottete aller Beschreibung -- er legte sich in
einer dicken, aschgrauen Schicht auf den Menschen und verwandelte ihn
in einen Fakir, bei dem nur der Kuhdünger und die Heiligkeit fehlte.
Nachmittags hatten wir in Mogul-Serai Wagenwechsel -- ich glaube,
so heißt der Ort -- und mußten zwei Stunden auf den Zug nach Benares
warten. Wir hätten auch einen andern Wagen nehmen und nach der heiligen
Stadt fahren können, aber dann wären wir um die schöne Wartezeit
gekommen. In andern Ländern ist ein langer Aufenthalt auf einer Station
unangenehm und ermüdend, aber in Indien hat man kein Recht, sich über
Mangel an Unterhaltung zu beklagen. Das Gewimmel der Eingeborenen in
ihrem bunten Schmuck, das Gedränge, das Leben, der Wirrwarr, der stets
wechselnde Glanz der verschiedenen Trachten -- wo fände man Worte, um
diesen Anblick in seinem ganzen Zauber zu schildern! Die zweistündige
Wartezeit verging nur allzu schnell. Ein besonders interessantes
Schauspiel gewährte uns noch ein eingeborener kleiner Fürst aus
den Hinterwäldern mit seiner Ehrengarde, einer Bande von fünfzig
dunkeln Barbaren, zerlumpt aber sehr farbenprächtig und mit rostigen
Feuersteingewehren bewaffnet. Ich hätte es nicht für möglich gehalten,
daß die bunte Mannigfaltigkeit des Gesamtbildes noch irgend welchen
Zuwachs erhalten könnte, als aber dieser ›Falstaff mit seinen Gesellen‹
anmarschiert kam, trat alles andere dagegen in den Hintergrund.

Mit der Zeit fuhren wir ab und erreichten bald die Vorstädte von
Benares, dann mußten wir wieder warten. Auch hier gab es etwas
zu beobachten, nämlich eine Gruppe kleiner Palankins. An solchem
Leinwandkasten hat man nicht viel zu sehen, wenn er leer ist; sitzt
aber eine Dame darin, so erwacht unser Interesse. Die Kasten,
welche etwas abseits standen, waren dreiviertel Stunden lang den
erbarmungslosen Strahlen der Sonne preisgegeben. Ihre Insassen mußten
kerzengerade darin ausharren, sie hatten keinen Raum, um ihre Glieder
zu strecken; da es jedoch Haremsdamen waren, die ihr Lebtag in der
Gefangenschaft ihres Frauengemachs schmachten müssen, so machte es
ihnen vielleicht weniger aus. Wenn die Haremsdamen auf Reisen gehen,
trägt man sie in solchen Leinwandkasten bis zur Bahn, und im Zuge
werden sie vor allen Blicken verborgen. Viele Leute bedauern sie, und
früher tat ich das auch ganz aus freien Stücken, doch jetzt zweifle ich
stark, ob das Mitgefühl überhaupt angebracht ist. Während wir in Indien
waren, machten einige gutherzige Europäer in einer Stadt den Vorschlag,
man möchte den Haremsdamen einen großen Park zur Verfügung stellen, wo
sie in sicherer Abgeschlossenheit unverschleiert umhergehen könnten,
um sich an Luft und Sonnenschein zu erfreuen, wie noch nie in ihrem
Leben. Obgleich man die wohlwollende Absicht nicht verkannte, welche
dem Plan zu Grunde lag, so wurde er doch im Namen der Haremsdamen
auf das entschiedenste abgelehnt. Sie hatten den Gedanken offenbar
höchst anstößig gefunden, etwa wie wenn man Europäerinnen auffordern
wollte, sich in mangelhafter und wenig anständiger Bekleidung in einem
abgelegenen Privatpark zusammen zu finden. So verschieden sind die
Begriffe von Schicklichkeit!

Major Sleeman schildert einmal die Entrüstung einer Dame aus vornehmer
Kaste, als sie ein paar englische Mädchen unverschleiert über die
Straße gehen sah. Der Anblick verletzte ihr Anstandsgefühl aufs tiefste
und sie begriff nicht, wie jemand so schamlos sein könne, sich über
alle Regeln hinwegzusetzen und seine Person auf solche Art zur Schau zu
stellen. Dabei waren aber die Beine der sittlich empörten Dame bis weit
über die Kniee entblößt. Kein Zweifel, sowohl die jungen Engländerinnen
als die indische Dame waren die Lauterkeit und Sittsamkeit selbst; sie
betrachteten die Sache nur von verschiedenem Standpunkt aus. Da es nun
Millionen verschiedener Regeln über Sitte und Anstand gibt, so ist auch
der Standpunkt der Menschen ein millionenfach verschiedener und keiner
kann den seinigen ohne Schaden mit dem eines andern vertauschen. Ich
glaube, alle menschlichen Regeln sind mehr oder weniger blödsinnig,
aber das schadet nichts. Wie die Sachen jetzt stehen ist in den
Irrenhäusern nur so viel Platz als man für die vernünftigen Menschen
brauchen würde; wollten wir alle Verrückten einsperren, so würde uns
bald das nötige Baumaterial mangeln. --

Man hat eine weite Fahrt durch die Vorstädte von Benares, ehe man das
Hotel erreicht. Ueberall sieht es trübselig aus. Staubiges, dürres
Land, zertrümmerte Tempel, eingesunkene Gräber, verfallene Lehmmauern,
ärmliche Hütten; wohin man blickt Altersschwäche und Dürftigkeit.
Zehntausend Hungerjahre sind vonnöten, um einen solchen Zustand
hervorzubringen. Das Hotel sah recht behaglich aus, aber wir zogen vor,
in einem etwas entfernten Nebenbau zu wohnen, der einstöckig war wie
ein Bungalow und rings von einer Veranda umgeben. Es gibt zwar Türen in
Indien, aber ich möchte wohl wissen wozu! Schließen kann man sie nicht,
und gewöhnlich hängt ein Vorhang in der Oeffnung, zum Schutz gegen die
grelle Sonne. Doch dringt hier niemand unbefugt in die Privatgemächer
ein und man ist sicher, nicht gestört zu werden. Weiße Leute lassen
sich natürlich vorher anmelden, und die eingeborenen Diener zählen
nicht mit. Sie gleiten barfuß und geräuschlos herein und stehen mitten
im Zimmer, ehe man sich’s versieht. Zuerst bekommt man einen Schreck
und gerät manchmal in Verlegenheit, aber man muß sich darein finden und
wird es mit der Zeit gewöhnt.

In unserm ›Compound‹, dem eingezäunten Hof, stand ein heiliger
Feigenbaum, auf dem ein Affe wohnte. Für den Baum interessierte ich
mich anfangs sehr, denn es war der berühmte ›Peepul‹, in dessen
Schatten man keine Lüge sagen kann; er bestand jedoch die Probe
nicht, und ich ging enttäuscht von dannen. Nicht weit davon war ein
Brunnen, aus dem ein paar Ochsen stundenlang, unter leisem Knarren
der Winde, Wasser heraufzogen; die Kleidung der beiden Hindus, welche
dies Geschäft beaufsichtigten, bestand wie gewöhnlich aus ›Turban und
Taschentuch‹. Außer dem Baum und Brunnen war im Hofe nichts zu sehen,
und mir machte die vollkommene Ruhe und Einsamkeit nach dem ewigen Lärm
und Gewirr den wohltuendsten Eindruck.

Wir bewohnten unser Bungalow ganz allein und gingen zu Tische in das
Hotel, wo die übrigen Gäste abgestiegen waren. Angenehmer hätten wir
es gar nicht haben können. Zu jedem Zimmer gehörte das gewöhnliche Bad,
ein Raum von zehn bis zwölf Fuß im Quadrat, mit einer ausgemauerten und
gepflasterten Vertiefung in der Mitte. Wasser gab es so viel man wollte
und es wäre herrlich gewesen, hätte man nur bei der Hitze das warme
Wasser ganz fortlassen und ein kaltes Bad nehmen dürfen, aber das war
verboten, weil es der Gesundheit schädlich ist. Man warnt den Fremden
davor, in Indien kalt zu baden; doch selbst die klügsten Fremden sind
töricht genug, den guten Rat nicht zu befolgen und müssen es büßen. Ich
war der klügste Tor, der in jenem Jahre des Weges kam. Zwar bin ich
jetzt noch klüger -- aber leider zu spät!

Benares hat mich nicht getäuscht. Es verdient seinen Ruf als große
Sehenswürdigkeit. An einer tiefen Bucht des Ganges amphitheatralisch
auf einem Hügel erbaut, den es ganz bedeckt, bildet es eine feste
Masse, die nach allen Richtungen hin von labyrinthartig verschlungenen
Spalten durchzogen wird, welche Straßen vorstellen. Mit seinen hohen
schlanken Minarets und den beflaggten Tempelkuppeln und Spitzen gewährt
die Stadt vom Fluß aus gesehen einen höchst malerischen Anblick. Es
wimmelt darin wie in einem Ameisenhaufen; ein Wirrwarr ohne gleichen
herrscht in den engen Straßen. Auch die heilige Kuh läuft dort nach
Belieben umher, holt sich ihren Zehnten aus den Kornläden, ist überall
im Wege und eine große Plage für alle Welt, weil man sie nicht
belästigen darf.

Benares ist zweimal so alt wie die Geschichte, Ueberlieferung und Sage
zusammengenommen. In Mr. Parkers klar und übersichtlich geschriebenem
›Führer durch Benares‹ steht, daß nach Anschauung der Hindus die
Erschaffung der Welt dort ihren Anfang genommen hat. Mitten in das
uferlose Meer stellte der gute Gott Wischnu ein aufrechtes ›Lingam‹
hin, das zuerst nicht größer war als ein Ofenrohr; allmählich
erweiterte er es, bis es zehn Meilen im Durchmesser hatte. Da ihm
aber das noch immer nicht genügte, baute er die ganze Erdkugel herum.
Also liegt Benares in ihrem Mittelpunkt, und das wird als ein Vorzug
angesehen.

Die Geschichte der Stadt ist sowohl in geistlicher als in weltlicher
Beziehung höchst wechselvoll gewesen. Ursprünglich herrschten die
Brahmanen dort viele Jahrhunderte lang, dann trat in neuerer Zeit,
vor etwa 2500 Jahren Buddha auf, und während zwölf Jahrhunderten war
Benares buddhistisch. Die Brahmanen bekamen jedoch abermals die
Oberhand und haben sich seitdem nicht wieder verdrängen lassen. In
den Augen der Hindus ist die Stadt unbeschreiblich heilig, aber sie
ist auch ebenso ungesund und riecht ganz pestilenzialisch. Benares
gilt als Hauptquartier des Brahmanismus, und die Priester bilden ein
Achtel seiner Gesamtbevölkerung, doch sind ihrer nicht zu viel, da ganz
Indien für ihren Unterhalt sorgt. Aus allen Himmelsgegenden drängen
sich die Pilger herbei, um mit ihren Ersparnissen die Taschen der
Priester zu füllen. Der Strom der frommen Spenden versiegt nie. So eine
Priesterstelle am Ufer des Ganges ist der einträglichste Posten von der
Welt. Ihr heiliger Inhaber sitzt sein Lebenlang in großem Staat unter
seinem Regenschirm, segnet alle Pilger, steckt seine Gebühren ein und
wird fett und reich dabei; die Stelle erbt sich von Vater auf Sohn
weiter und weiter durch alle Zeiten hindurch und bleibt als dauernder,
gewinnbringender Besitz in der Familie.

Als mir ein amerikanischer Missionar in Bombay sagte, die Zahl aller
protestantischen Missionare in Indien beliefe sich auf 640, kam mir
das zuerst sehr viel vor. Nachher überlegte ich mir die Sache. _Ein_
Missionar auf 500000 Eingeborene, das ist ja so gut wie nichts; wenn
die 640 gegen das wohlverschanzte Lager von 300000000 anmarschieren,
ist doch das Verhältnis gar zu ungleich, die Uebermacht zu groß.
In Benares allein hätten 640 Missionare alle Hände voll zu tun, um
gegen die 8000 Brahmanenpriester aufzukommen, die ihnen feindlich
gegenüberstehen. Unsere Missionare haben von jeher in alle Teile der
Welt eine starke Ausrüstung von Hoffnung und Vertrauen mitgenommen.
Die besitzt auch Mr. Parker, sonst würde er nicht aus statistischen
Angaben, welche andern Mathematikern höchst bedenklich erscheinen, so
günstige Schlüsse ziehen. Er sagt zum Beispiel:

»Während der letzten Jahre haben die Scharen der Pilger fortwährend
zugenommen, wie wir aus sicherer Quelle wissen. Aber diese religiöse
Erweckung -- wenn man den Ausdruck gebrauchen darf -- trägt alle Spuren
des Todes an sich. Es ist nur noch ein krampfhaftes Ringen, ehe die
völlige Auflösung eintritt.«

Auf ähnliche Weise hat man bei uns seit Jahrhunderten den Untergang
der römisch-katholischen Macht vorausgesagt. Oft schon waren wir ganz
bereit sie zu Grabe zu tragen, und doch mußte die Bestattung aus
allerlei Gründen -- weil das Wetter zu schlecht war oder dergleichen --
immer wieder verschoben werden. Durch diese Erfahrung klug geworden,
sollten wir, meine ich, erst abwarten, bis sich der Leichenzug in
Bewegung setzt, ehe wir den Hut in die Hand nehmen, um uns am Begräbnis
des Brahmanismus zu beteiligen. Eine Religion zu Grabe zu tragen ist
offenbar eine der ungewissesten Unternehmungen auf dieser Welt.

Gern hätte ich mir irgend welchen Begriff von der Theologie der Inder
gemacht, aber die Sache war allzu verwickelt und die Schwierigkeiten
unüberwindlich. Nicht einmal über das Abc kommt man hinaus. Es gibt
eine Dreieinigkeit -- Brahma, Wischnu und Schiwa -- scheinbar von
einander unabhängige Mächte, aber ganz sicher ist das nicht, denn in
einem Tempel steht ein Bildwerk, das alle drei Gottheiten in einer
Person zusammenfaßt. Jeder der drei Götter hat mehrere Benennungen, er
hat auch Frauen mit verschiedenen Namen und Kinder, die bald so bald
so heißen; dadurch entsteht eine heillose Verwirrung, aus der man sich
in keiner Weise zurechtfinden kann. Ein Versuch, sich die Scharen der
niederen Gottheiten einzuprägen, ist nicht der Mühe wert; ihre Unmenge
ist allzu groß.

Will man sich einiges sparen, so könnte man füglich den obersten von
allen Göttern, Brahma, ganz beiseite lassen, denn er scheint keine
große Rolle in Indien zu spielen. Am meisten Verehrung genießen Schiwa
und Wischnu nebst ihren sämtlichen Angehörigen. Schiwas Symbol, das
›Lingam‹, mit welchem Wischnu die Schöpfung begann, wird allgemein
angebetet; man begegnet ihm in Benares auf Schritt und Tritt, das Volk
bekränzt es mit Blumen und bringt ihm Gaben dar. Meist sieht es aus wie
ein aufrecht stehender Stein in Form eines länglichen Fingerhuts und
Mr. Parker sagt, daß es mehr ›Linga‹ als Einwohner in Benares gibt.

Die Stadt hat viele mohammedanische Moscheen, und Hindutempel ohne
Zahl. Diese wunderlich geformten, mit reichen Steinornamenten
versehenen Pagoden füllen alle Straßen. Aber auch der Ganges selbst, ja
jeder einzelne Wassertropfen darin gilt als Heiligtum. Das Hauptprodukt
von Benares, dieser heiligsten aller heiligen Städte, für welche der
fromme Hindu eine unbegrenzte Liebe und Verehrung empfindet, ist
_Religion_. Alle andern Erzeugnisse des Bodens oder Gewerbefleißes
haben im Vergleich hierzu nicht die geringste Bedeutung.

»Wenn der Pilger,« sagt Mr. Parker, »der sich vor Alter und Müdigkeit
fast nicht mehr auf den Füßen zu halten vermag, schweißtriefend, vom
Staub geblendet und halbtot vor Erschöpfung, der Backofenhitze seines
Eisenbahnwagens entsteigt und kaum den heiligen Boden berührt hat, so
hebt er die abgezehrten Hände empor und ruft mit frommer Begeisterung:
›Kaschi ji ki jai -- jai -- jai! Heiliges Kaschi (Benares), sei mir
gegrüßt! Heil, Heil dir!‹ Erwähnt ein Europäer in irgend einer fernen
Stadt Indiens gelegentlich im Bazar, daß er früher einmal in Benares
gewohnt hat, so werden gleich Stimmen laut, welche Glück und Segen auf
sein Haupt herabwünschen. Denn, wer in Benares geweilt hat, ist der
Seligste aller Sterblichen.«

Liest man diese rührende Beschreibung, so erscheinen dagegen unsere
eigenen religiösen Gefühle farblos und kalt. Da nun aber die Religion
ihr Leben aus dem Herzen schöpft und nicht aus dem Kopfe, so werden wir
das von Mr. Parker angekündigte Begräbnis des Brahmanismus wohl noch
auf unbestimmte Zeit vertagen müssen.




Zwölftes Kapitel.

        Wer einem Volk seinen Aberglauben vorschreibt, hat mehr
        Einfluß als wer ihm seine Gesetze macht, oder seine Gesänge.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Die Stadt Benares ist eine einzige große Kirche, eine Art religiöser
Bienenstock, in dem jede Zelle als Tempel, Altar oder Moschee dient.
In diesem großen theologischen Vorratshaus kann man sich alle nur
erdenklichen irdischen oder himmlischen Güter verschaffen.

Ich will hier einen Wegweiser für den Pilger zusammenstellen, aus dem
sich erkennen läßt, wie brauchbar, wie nützlich und vollständig dieses
Religions-System ist. Wer mit dem ernstlichen Wunsch, seine geistliche
Wohlfahrt zu fördern, nach Benares geht, wird es mir Dank wissen. Daß
die Tatsachen, die ich angebe, richtig sind, unterliegt keinem Zweifel;
ich habe sie teils in Mr. Parkers ›Führer durch Benares‹ gefunden,
teils hat er sie mir bei unserer mündlichen Unterhaltung mitgeteilt.

1. _Reinigung._ -- Bei Sonnenaufgang gehe zum Ganges hinab, bade dort,
bete und trinke etwas Wasser. Dies dient zur allgemeinen Läuterung.

2. _Schutz gegen den Hunger._ Um dich im Kampf gegen dies traurige
Erdenübel zu stärken, verrichte eine kurze Andacht im Tempel der Kuh.
Am Eingang steht ein Bildnis von Ganesch, einem Sohne des Gottes
Schiwa, das einen Elefantenkopf auf einem menschlichen Körper trägt,
Gesicht und Hände sind aus Silber. Bete es an und gehe dann weiter auf
eine bedeckte Veranda, in der roh geschnitzte, häßliche Götzenbilder
stehen. Dort findest du Andächtige, die mit Hilfe ihrer Lehrer in
den heiligen Büchern lesen. Gib eine Beisteuer zu ihrem Unterhalt
und betritt dann den Tempel, einen düstern, übelriechenden Raum voll
heiliger Kühe und Bettler. Letzteren spende ein Almosen und küsse allen
Kühen, die frei herumlaufen, ehrfurchtsvoll den Schwanz, denn dieser
ist ganz besonders heilig; tust du das, so wirst du an selbigem Tage
keinen Hunger leiden.

3. _Der Freund des armen Mannes._ -- Diesen Gott mußt du zunächst
anbeten. Er wohnt im Grunde eines steinernen Brunnens im Tempel zu
Dalbhyesvar, der im Schatten eines hohen Peepul-Baumes auf einem
Felsvorsprung am Ganges steht. Gehe daher zum Fluß zurück. Der ›Freund
des armen Mannes‹ ist der Gott weltlichen Glückes im allgemeinen und
außerdem auch ein Regengott. Er wird dir irdische Güter gewähren, wenn
du ihn anbetest, oder einen Regenguß -- vielleicht auch beides. Er ist
Schiwa unter fremdem Namen und weilt in Form eines steinernen ›Lingam‹
auf dem Grunde des Brunnens. Begieße ihn mit Gangeswasser und er wird
dir zum Dank für die Huldigung seine Gaben spenden. Kommt der Regen
nicht gleich, so gieße immer mehr Wasser in den Brunnen, bis er ganz
voll ist. Dann bleibt der Regen gewiß nicht aus.

4. _Fieber._ Der Kedar Ghaut ist eine breite steinerne Treppe, die zum
Fluß hinabführt. Auf halber Höhe findest du einen Behälter, in dem
das Schmutzwasser zusammenläuft. Trinke davon soviel du willst, es
vertreibt das Fieber.

5. _Blattern._ -- Gehe von da geradeswegs nach dem Haupt-Ghaut.
Stromaufwärts kommst du an ein kleines weißgetünchtes Gebäude; es
ist ein Tempel, welcher der Göttin der Blattern, Sitala, geheiligt
ist. Doch findest du nur ihre Stellvertreterin, dort hinter einem
Metallschirm, eine rohe menschliche Gestalt, der du Anbetung erweisen
sollst.

6. _Der Schicksalsbrunnen._ -- Den suche zunächst auf. Er gehört zum
Dandpan-Tempel, der in der Stadt liegt. Durch ein viereckiges Loch im
Mauerwerk fällt von oben das Licht herein. Tritt mit scheuer Ehrfurcht
herzu, denn es handelt sich hier um die wichtigsten Dinge. Beuge dich
nieder und schaue hinein. Sind die Schicksalsgötter deinem Leben
günstig, so erblickst du dein Antlitz tief unten im Brunnen. Haben
sie dein Verderben beschlossen, so verhüllt plötzlich eine Wolke die
Sonne und du kannst nichts sehen. Dann hast du kaum noch ein halbes
Jahr zu leben. Vielleicht stehst du schon an des Todes Tür. Verliere
keine Zeit, laß ab von dieser Welt, bereite dich auf das Jenseits. Dazu
bietet sich dir die beste Gelegenheit dicht nebenan. Wende dich um und
bete zu dem Bilde des großen Schicksalsgottes Maha Kal, das sichert
dein Glück im künftigen Leben. Ist dein Atem noch nicht entflohen, so
mache einen letzten Versuch, ob dir nicht eine kleine Verlängerung
deines Lebens auf Erden gewährt wird. Die Möglichkeit ist nicht
ausgeschlossen, denn in dem wundervoll eingerichteten Vorratshaus für
weltliche und geistliche Güter kann man alles haben. Laß dich

7. -- nach dem _Lebensbrunnen_ tragen. Er ist im Vorhof des verfallenen
ehrwürdigen Briddhkal-Tempels, der zu den ältesten Heiligtümern von
Benares gehört. An einem Steinbilde des Affengottes Hanuman vorbei,
gelangt man auf den mit Trümmern bedeckten Höfen zu einer seichten
Zisterne mit stehendem Wasser. Sie riecht wie der beste Limburger
Käse; der Schmutz von den Waschungen aller Kranken und Aussätzigen hat
sich dort angesammelt. Aber was tut das? Bade dich darin mit Dank und
Andacht, denn dies ist der Jungbrunnen, das ›Wasser des langen Lebens‹.
Dein graues Haar wird verschwinden mit allen Runzeln; Gliederweh,
Sorgenlast und Altersschwäche werden von dir abfallen; jung, frisch,
elastisch, und begierig den Wettlauf des Lebens von neuem zu beginnen,
entsteigst du dem Bade. Natürlich stürmen nun auch die mannigfachen
Träume und Wünsche der holden Jugendzeit wieder auf dich ein. Deshalb
gehe dahin, wo du

8. -- die _Erfüllung der Wünsche_ findest, nämlich in den
Kemeschwar-Tempel, welcher Schiwa, dem Herrn der Wünsche geweiht
ist und hole dir die Gewährung der deinigen. Liegt dir etwas an
Götzenbildern, so kannst du dort in den zahllosen Tempeln genug zu
sehen bekommen, um ein ganzes Museum auszustaffieren. Vermutlich wirst
du nun mit neuem Eifer anfangen Sünden zu begehen; ich kann dir daher
nur raten, häufig eine Stätte aufzusuchen, wo du

9. _zeitweilige Reinigung von Sünden_ erhältst. Dies ist der Brunnen
des Ohr-Rings, der weihevollste Ort in ganz Benares, das Allerheiligste
in der Vorstellung des Volkes, dem man sich nur in tiefster Ehrfurcht
nahen darf. Das Wasserbecken ist mit einem Gitter umgeben, zu dem
steinerne Treppen hinabführen. Natürlich ist das Wasser nicht rein; wie
wäre das möglich, da fortwährend Menschen darin baden. Wie lange man
auch dort stehen mag, immer sieht man die Sünder in ununterbrochener
Reihe hinab- und heraufsteigen. Mit Sünde beladen gehen sie hinunter
und frei von Schuld kommen sie wieder herauf. »Der Lügner, der Dieb,
der Mörder, der Ehebrecher, waschen sich hier und werden rein,« sagt
Mr. Parker in seinem Buch. Gut, daß ich Mr. Parker kenne und glaube was
er sagt; hätte jemand anderes das behauptet, so würde ich ihm raten,
sofort ins Wasser hinunterzusteigen und sich tüchtig abzuwaschen. --
Jugend, langes Leben, Sündenreinheit sind zwar köstliche Gaben, aber
das ist noch nicht genug. Vor allem mußt du dich

10. _deiner Seligkeit versichern_. Das kannst du auf mancherlei Art.
Erstens, wenn du im Ganges ertrinkst, aber das ist nicht angenehm.
Oder du stirbst in Benares; dabei ist jedoch zu bedenken, daß du gerade
außerhalb der Stadt sein könntest, wenn dein letztes Stündlein kommt.
Am sichersten ist eine Wallfahrt rund um die Stadt. Du mußt sie barfuß
machen und der Weg ist vierundvierzig Meilen lang, weil er eine Strecke
weit über Land führt, so daß der Marsch wohl fünf bis sechs Tage
dauern kann. An Gesellschaft wird es dir aber nicht mangeln. Scharen
beglückter Pilger ziehen dieselbe Straße; der Farbenglanz ihrer Kleider
gewährt dir ein schönes Schauspiel, auch erheitern ihre Loblieder und
heiligen Triumphgesänge dir das Herz und lassen dich keine Ermüdung
spüren. Von Zeit zu Zeit triffst du auf einen Tempel, wo du ausruhen
und dich mit Speise erfrischen kannst. Ist deine Wallfahrt zu Ende, so
hast du dir die Seligkeit sicher erworben. Aber du wirst ihrer doch
vielleicht nicht teilhaftig, außer wenn du

11. _deine Erlösung eintragen_ lässest. -- Dies kannst du im Sakhi
Binayak Tempel tun. Du darfst es ja nicht versäumen, weil du sonst
nicht beweisen kannst, daß du die Pilgerfahrt wirklich gemacht hast,
falls man es dir einst bestreiten sollte. Ueber der Tür dieses
Heiligtums, das hinter dem Kuh-Tempel liegt, ist ein rotes Bildnis
von Ganesch mit dem Elefantenkopf, dem Sohn und Erben des Gottes
Schiwa, der sozusagen Kronprinz des theologischen Kaisertums ist.
Der Gott im Tempel hat das Amt deine Wallfahrt einzutragen und sich
für dich zu verbürgen. Ihn selber bekommst du zwar nicht zu sehen,
aber ein Brahmane empfängt dich, besorgt dein Geschäft und läßt sich
das Geld dafür auszahlen. Falls er letzteres vergißt, darfst du ihn
daran erinnern. Er weiß jetzt, daß deine Seligkeit gesichert ist, aber
natürlich möchtest du es auch gern selbst erfahren, dazu brauchst du nur

12. an den _Brunnen zur Kenntnis der Seligkeit_ zu gehen. Er ist dicht
beim Goldenen Tempel. Da steht ein Stier aus einem einzigen schwarzen
Marmorblock gemeißelt und viel größer als irgend ein lebendiger Stier,
der dir jemals vorgekommen ist; auch ein Bildnis von Schiwa wird dort
gezeigt, eine große Seltenheit! Sein Lingam hast du vielleicht schon
fünfzehntausendmal gesehen, aber dies hier ist Schiwa selbst und
man sagt, das Porträt sei sehr ähnlich. Es hat drei Augen; so viele
besitzt kein anderer Gott. Ueber dem Brunnen ist ein schöner steinerner
Baldachin, der auf vierzig Säulen ruht; wie allenthalben in Benares,
beten auch hier Scharen von andächtigen Pilgern. Das heilige Wasser
wird ihnen eingelöffelt, und dabei durchströmt sie zugleich die klare
und feste Zuversicht ihrer Erlösung. Man sieht es ihnen am Gesicht an,
daß sie das höchste Glück gefunden haben, welches es auf Erden gibt,
dem sich keine andere Freude vergleichen läßt. Wer das Wasser getrunken
und seine Einzahlung gemacht hat, was sollte der noch begehren? Gold,
Edelsteine, Macht oder Ruhm? -- In einem Augenblick ist das alles
nichtig und wertlos geworden und zu Staub und Asche zerfallen. Die Welt
hat dem Menschen nichts mehr zu bieten, sie muß sich ihm gegenüber für
bankerott erklären. --

Ich will nicht behaupten, daß alle Pilger ihre Andacht immer genau
in der Reihenfolge verrichten, wie mein Wegweiser sie angibt, aber
es wäre gar nicht so übel, wenn sie es täten. Sie hätten dann
einige feste Anhaltspunkte, ein bestimmtes Ziel und brauchten ihre
gottesdienstlichen Uebungen nicht aufs Geratewohl zu betreiben: Das
Gangesbad am Morgen erregt des Pilgers Eßlust; sie vergeht ihm, wenn
er die Kuhschwänze küßt. Nun sehnt er sich nach weltlichen Gütern; er
eilt hin und gießt Wasser auf Schiwas Symbol. Das sichert ihm sein
irdisches Glück, bringt ihm aber auch einen Regenschauer, von dem
er das Fieber bekommt. Zur Heilung trinkt er das Schmutzwasser am
Khedar Ghaut, das Fieber verläßt ihn, aber er bekommt die Blattern.
Um zu wissen, welche Wendung es mit ihm nehmen wird, geht er zum
Dandpan-Tempel und sieht in den Brunnen hinab. Die Sonne umwölkt sich,
sie zeigt ihm, daß er dem Tode nahe ist. Was kann er da Besseres tun,
als sich seine Seligkeit im Jenseits zu sichern? Das geschieht mit
Hilfe des großen Schicksalsgottes. Nun ist ihm der Himmel gewiß, er
wird daher vermutlich Sorge tragen, noch solange wie möglich auf Erden
zu bleiben. In dieser Absicht geht er zum Briddhkal-Tempel und gewinnt
Jugend und langes Leben durch ein Bad in der scheußlichen Pfütze, die
selbst eine Mikrobe umbringen würde. Die Sündenlust erwacht mit der
Jugend von neuem; er sucht den Tempel der ›Erfüllung der Wünsche‹ auf,
um sein Verlangen zu stillen. Im Brunnen des Ohr-Rings reinigt er sich
dann von Zeit zu Zeit von Sünden und stärkt sich zu ferneren verbotenen
Genüssen. Da er aber ein Mensch ist, kann er sich der Zukunftsgedanken
nicht entschlagen. Deshalb macht er die große Wallfahrt rund um die
Stadt, sichert sich seine Erlösung, läßt sie eintragen und verschafft
sich noch die persönliche Gewißheit seines künftigen Heils durch einen
Gang nach dem Brunnen zur ›Kenntnis der Seligkeit‹. -- Nun ist er aller
Sorgen ledig, er kann tun und lassen was er will und genießt einen
Vorzug, den er einzig und allein seiner Religion verdankt: Sollte er
hinfort auch noch Millionen Sünden begehen, so schadet es nichts und
niemand kann ihm etwas dafür anhaben.

So ist das ganze System klar und übersichtlich zusammengestellt und
läßt an Vollständigkeit nichts zu wünschen übrig; ich möchte es allen
empfehlen, denen die andern Religionen zu anspruchsvoll in ihren
Forderungen erscheinen und zu beschwerlich für die kurze Spanne unseres
mühevollen Erdenlebens.

Aber ich will niemand durch falsche Vorspiegelungen täuschen und so
muß ich noch eines Umstands erwähnen, der in meinem Wegweiser fehlt.
Trotz aller Mühe und Kosten, die sich der Pilger gemacht hat, kann sein
ganzes Werk zu Schanden werden, wenn er zufällig auf das andere Ufer
des Ganges gerät und dort stirbt. Er würde dann sofort wieder lebendig
werden, jedoch in der Gestalt eines Esels. Gegen die Verwandlung in
einen Esel hat der Hindu aber eine merkwürdige Abneigung -- und doch
wäre es für ihn gar kein schlechter Tausch. Er fände dadurch Erlösung
aus der sklavischen Abhängigkeit von 2000000 Göttern und 20000000
Priestern, Fakirn, heiligen Bettlern und andern frommen Bazillen; auch
der Hindu-Hölle könnte er entfliehen und desgleichen dem Hindu-Himmel.
Würde sich der Hindu nur aller dieser Vorteile bewußt, er ginge sofort
über den Ganges und stürbe am andern Ufer.

Benares ist ein religiöser Vulkan. In seinen Eingeweiden sind die
theologischen Kräfte schon seit Jahrtausenden geschäftig; es donnert
und grollt und kracht, es wühlt und erbebt, es brodelt und kocht, es
flammt und raucht darin ohne Unterlaß. Am Fuß des Kraters aber haben
kleine Gruppen von Missionaren voller Hoffnung Posten gefaßt. Sie
gehören zu den Missionsgesellschaften der Baptisten, der Wesleyaner,
der Londoner Mission, der Kirchenmission, der Zenana-Bibelmission und
der Heilsmission. Die Haupterfolge erzielen sie in ihren Schulen unter
den Kindern. Das ist auch sehr natürlich, denn erwachsene Menschen
halten sich überall mit Vorliebe an das Religionsbekenntnis, in dem sie
erzogen worden sind.




Dreizehntes Kapitel.

        Runzeln sollten nur die zurückgebliebenen Spuren des
        Lachens sein.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


In einem der Tempel von Benares sahen wir einen frommen Mann, der
auf seltsame Weise »schaffte, daß er selig würde«. Er hatte einen
ungeheuern Klumpen Lehm neben sich liegen und knetete daraus winzige
Götter, kaum größer als eine Erbse; in jeden steckte er ein Reiskorn,
vermutlich an Stelle des Lingams. Die Arbeit ging ihm bei der großen
Uebung, die er hatte, sehr schnell von der Hand; täglich verfertigte
er zweitausend solche Götter und warf sie dann in den heiligen
Gangesstrom. Für dies fromme Werk wurde ihm hohe Anerkennung von allen
Gläubigen zu teil -- und viele Kupfermünzen. So hatte er ein sicheres
Einkommen auf Erden und erwarb sich zugleich einen Ehrenplatz im
Jenseits.

Von der Flußseite gesehen, gewährt Benares einen herrlichen Anblick.
Drei Meilen weit sind die hohen Felsenufer von oben bis hinunter
zum Wasserspiegel mit lauter prachtvollen und malerischen Bauwerken
besetzt; der Fels selbst ist ganz verschwunden, Tempel, Hallen, Paläste
wechseln miteinander in bunter Reihe und viele breite Treppen aus
Marmorquadern führen zum Fluß hinab. Ueberall ist Leben und Bewegung;
in alle Farben des Regenbogens gekleidet, strömt die Menge die Stufen
herauf und hinunter, oder drängt sich auf den langgestreckten Terrassen
am Uferrand, wie ein großer wandelnder Blumengarten.

Alle jene Prachtbauten sind Werke der Frömmigkeit. Die Paläste gehören
eingeborenen Fürsten, deren Heimat meist fern von Benares ist. Doch
kommen sie von Zeit zu Zeit zur heiligen Stadt, um sich Seele und
Leib durch den Anblick ihres angebeteten Ganges und ein Bad in seinen
Fluten zu erquicken. Auch die schönen Treppen sind fromme Stiftungen,
so gut wie die zahllosen, reich geschmückten kleinen Tempel, durch
deren Errichtung sich die wohlhabenden Hindus irdisches Ansehen und
die Hoffnung auf künftige Belohnung erwerben. Ein reicher Christ, der
bedeutende Summen für religiöse Zwecke verwendet, ist eine Seltenheit;
aber unter den Hindus lebt niemand, der seiner Religion nicht die
größten Geldopfer brächte. Auch bei uns gibt der Arme etwas für die
Kirche aus, behält jedoch noch das Nötigste zu seinem Lebensunterhalt
zurück. Der arme Inder bringt sich dagegen täglich für seine Religion
an den Bettelstab. Trotz seiner vielen frommen Spenden bleibt dem
reichen Hindu noch immer genug an weltlichen Gütern übrig und er erntet
obendrein hohen Ruhm; aber der arme Hindu ist wirklich zu bemitleiden:
er gibt alles hin, was er hat, und es trägt ihm doch keine Ehre ein.

Wir machten zwei- bis dreimal die gebräuchliche Fahrt flußaufwärts
und abwärts, wobei wir auf dem Deck der großen Arche, die mit Rudern
fortbewegt wird, unter einem Zeltdach auf Stühlen saßen. Ich hätte noch
vielmals so hin- und herfahren können und zwar mit stets gesteigertem
Interesse und Genuß, denn je öfter man die Paläste und Tempel sieht, um
so mehr bewundert man sie, was ja bei dergleichen Prachtgebäuden der
Fall ist. Auch den Badenden hätte ich gern noch länger zugeschaut; es
war ein Vergnügen zu sehen, wie geschickt sie aus ihren Kleidern hinaus
und wieder hereinschlüpften ohne zuviel von ihrer bronzefarbenen Haut
zu zeigen; ihr frommes Gebärdenspiel und die andächtige Art, wie sie
die Gebetskügelchen durch die Finger gleiten ließen, wäre mir nicht zum
Ueberdruß geworden.

Nur eins konnte ich kaum noch mit ansehen, nämlich wie sie sich den
Mund mit dem scheußlichen Wasser ausspülten und es tranken. An einer
Stelle, wo wir eine Weile anlegten, ergoß sich ein stinkender Strom
aus einem Abzugskanal und machte das Wasser rings umher trübe und
schmutzig; auch ein angeschwemmter Leichnam kreiste darin und tauchte
auf und nieder. Zehn Schritte unterhalb aber, standen Männer, Frauen
und hübsche junge Mädchen bis an die Brust im Wasser, schöpften es in
der hohlen Hand und tranken. Ja, der Glaube kann Wunder wirken, davon
erhielt ich hier den Beweis. Die Leute tranken das greuliche Zeug nicht
etwa um ihren Durst zu löschen, sondern um Seele und Leib inwendig zu
läutern. Nach ihrer Lehre macht das Gangeswasser augenblicklich alles
was es berührt vollkommen rein. Deshalb nahmen sie weder an dem Schmutz
des Abzugskanals noch an der Leiche den geringsten Anstoß; das heilige
Wasser hatte sie ja berührt, sie waren so rein wie frisch gefallener
Schnee und konnten niemand besudeln. Jener Anblick wird mir ewig
unvergeßlich sein -- aber sehr gegen meinen Willen.

Noch ein Wort über das schmutzige Gangeswasser, das doch alles zu
reinigen vermag: Als wir mehrere Wochen später nach Agra kamen,
hatte sich dort gerade ein Wunder zugetragen -- den Gelehrten war
eine große wissenschaftliche Entdeckung geglückt. Durch dieselbe
wurde festgestellt, daß das von uns vielgeschmähte Gangeswasser
wirklich das mächtigste Reinigungsmittel der Welt ist. Eine bedeutende
Errungenschaft der modernen Naturkunde! Man hatte sich schon längst
darüber verwundert, daß die Cholera zwar in Benares häufig wütet, sich
jedoch nie über den Stadtbezirk hinaus verbreitet. Mr. Henkin, ein von
der Regierung zu Agra angestellter Naturforscher, beschloß das Wasser
zu untersuchen. Er ging nach Benares und schöpfte Wasser am Ausfluß
der Abzugskanäle in der Nähe der Badetreppen. Die Probe ergab, daß ein
Kubikzentimeter dieses Wassers Millionen von Cholerabazillen enthielt;
nach Ablauf von sechs Stunden waren sie alle tot. Nun zog Henkin
einen schwimmenden Leichnam ans Land; in dem Wasser, das von diesem
abtropfte, wimmelte es von Cholerakeimen, aber nach sechs Stunden lebte
kein einziger mehr. Auch sämtliche Bazillen, die Henkin in großer
Menge in das Gangeswasser brachte, starben unfehlbar innerhalb sechs
Stunden. Er wiederholte denselben Versuch mehrmals mit reinem Wasser,
das gänzlich bakterienfrei war. Sobald er Cholerakeime hineinbrachte,
vermehrten sie sich massenhaft, und nach sechs Stunden lebten viele
Millionen darin.

Jahrhunderte lang sind die Hindus fest überzeugt gewesen, daß das
Gangeswasser nicht nur vollkommen rein ist und durch nichts beschmutzt
werden kann, sondern auch unfehlbar alles läutert, was damit in
Berührung kommt. Weil sie das auch heutigen Tages noch glauben, trinken
sie es und baden darin, ohne sich um schwimmende Leichen oder den
_scheinbaren_ Schmutz zu kümmern. Durch die Wissenschaft belehrt,
werden wir die Hindus jetzt wohl kaum noch deswegen verspotten dürfen,
wie wir es seit vielen Generationen getan haben. Wie mögen sie wohl vor
grauen Jahren hinter das Geheimnis des Wassers gekommen sein? Hatten
sie vielleicht schon damals Bakteriologen? -- Wir wissen es nicht. Nur
soviel wissen wir, daß sie bereits eine Zivilisation besaßen, als wir
noch tief in der Barbarei steckten.

Doch jetzt möchte ich von etwas anderem reden, nämlich von dem
Verbrennungsplatz der Leichen. Fakirs pflegt man nicht zu verbrennen;
sie bekommen, dank ihrer Heiligkeit, auch ohnedies im Jenseits einen
guten Platz, wenn man sie den Wellen des geweihten Stromes übergibt.
Wir sahen, wie man einen solchen frommen Bettler bis in die Mitte des
Ganges ruderte und dort über Bord warf. Er war zwischen zwei großen
Steinplatten festgeklemmt.

Eine halbe Stunde lag unser Boot am Verbrennungsghat und wir sahen
neun Leichen von den Flammen verzehren. Dann hatte ich ganz genug.
Das Trauergefolge begleitet die Bahre durch die Stadt und bis hinab
zum Ghat; dort überlassen die Träger den Toten mehreren Eingeborenen
aus einer niederen Kaste, ›Doms‹ genannt, und die Trauernden begeben
sich auf den Heimweg. Ich hörte kein Schluchzen, sah keine Tränen, der
Abschied ging ruhig vor sich. Alle Ausbrüche von Kummer und Schmerz
werden offenbar in häuslicher Zurückgezogenheit abgemacht. Die toten
Frauen bringt man in einer roten, die Männer in einer weißen Umhüllung.
Man legt sie am Uferrand ins Wasser, während der Holzstoß bereitet wird.

Der erste Tote, welchen die ›Doms‹ auswickelten um ihn zu waschen, war
ein wohlgenährter, stark gebauter, schöner alter Herr gewesen, dem
man keine Krankheit ansah. Aus trockenem Holz wurde ein Haufen lose
zusammengeschichtet, der Leichnam darauf gelegt und mit brennbaren
Stoffen bedeckt. Dann begann ein nackter heiliger Mann, der etwas
abseits auf einer Erhöhung saß, mit großem Nachdruck zu reden und zu
schreien. Der Lärm dauerte eine ganze Weile und stellte vermutlich
die Leichenpredigt vor. Einer der Leidtragenden war zurückgeblieben,
als sich die andern entfernten, nämlich der Sohn des Verstorbenen, ein
hübscher, brauner etwa zwölfjähriger Knabe mit ernster, gefaßter Miene.
Er war in ein weißes, wallendes Gewand gekleidet und hatte die Pflicht,
seinen Vater zu verbrennen. Man gab ihm eine Fackel in die Hand, und
während er siebenmal langsam um den Holzstoß schritt, predigte der
nackte Schwarze auf der Anhöhe noch lauter und ungestümer als zuvor.
Als der Knabe den siebenten Rundgang beendet hatte, berührte er mit
der Fackel zuerst seines Vaters Haupt und dann die Füße. Helle Flammen
sprangen scharf knisternd empor, und der Knabe zog sich zurück. Der
Hindu wünscht sich keine Tochter, weil ihre Hochzeit unerschwingliche
Kosten verursacht, er wünscht sich einen Sohn, um einst im Tode auf
ehrenvolle Art aus der Welt scheiden zu können. Und eine größere Ehre
gibt es nicht für den Vater, als wenn ihm sein Sohn den Scheiterhaufen
anzündet. Wer keinen Sohn hat, ist übel daran und sehr beklagenswert.
Im Hinblick auf die Unsicherheit des menschlichen Lebens heiratet der
Hindu schon als Knabe, um einen Sohn zu bekommen, der ihm nach dem Tode
den letzten Dienst erweisen soll. Wird ihm kein Sohn geboren, so nimmt
er einen Knaben an Kindesstatt an. Das genügt für alle Zwecke.

Unterdessen nahm die Verbrennung jenes Leichnams und einiger andern
ihren Fortgang. Es war ein grausiges Geschäft. Die Heizer blieben dabei
nicht müßig; sie liefen flink umher, schürten das Feuer mit langen
Stäben und warfen von Zeit zu Zeit mehr Holz hinein; auch hoben sie
oft Schädel und Knochen in die Höhe, um sie zu zerschlagen und wieder
in die Flammen zu stoßen, damit sie rascher von der Glut verzehrt
würden. Ein widerwärtiger Anblick! Für die Hinterbliebenen hätte er
unerträglich sein müssen. Mein Verlangen, die Leichenverbrennung zu
sehen, war ohnehin nicht groß gewesen und wurde bald gänzlich gestillt.
Aus Gesundheitsrücksichten wäre es zwar ratsam, die Feuerbestattung
allgemein einzuführen, aber diese Form derselben wirkt höchst abstoßend
und ist durchaus nicht empfehlenswert.

Natürlich gilt das Feuer für heilig und muß bezahlt werden.
Gewöhnliches Feuer ist verboten, weil es kein Geld einbrächte. Man
sagte mir, daß eine einzige Person -- vermutlich ein Priester -- das
Monopol besitzt, alles heilige Feuer zu liefern, für das er einen
beliebigen Preis fordern kann. Mancher Leidtragende hat für eine
Feuerbestattung schon tausend Rupien entrichtet. Von Indien aus ins
Paradies zu kommen ist wirklich ein sehr kostspieliges Ding; man muß
jede einzelne Kleinigkeit, die dazu gehört, teuer bezahlen, um die
Priester zu mästen.

In der Nähe des Verbrennungsplatzes stehen ein paar altersgraue
Steine aus der Zeit, als die Sutti noch gestattet war. Ein Mann und
eine Frau, die Hand in Hand miteinander gehen, sind roh in den Stein
geschnitten, der die Stelle bezeichnet, wo die Witwe ehemals den
Feuertod erlitten hat. Mr. Parker sagt auch, daß sich die Witwen noch
heutigen Tages verbrennen lassen würden, wenn die englische Regierung
es nicht strengstens untersagte. Jede Familie, die auf einen der
kleinen Denksteine zeigen und sagen kann: »Hier hat sich unsre Ahnfrau
verbrannt!« wird von allen beneidet.

Ein seltsames Volk, diese Hindus! Alles Leben ist ihnen heilig, nur
das des Menschen nicht. Selbst das Ungeziefer verschonen sie, und
der fromme Dschain setzt sich auf keinen Stuhl, ohne ihn vorher
abzuwischen, um ja auch nicht das winzigste Insekt zu töten. Es
betrübt ihn, daß er Wasser trinken muß, weil der Inhalt seines Magens
vielleicht den Mikroben nicht zuträglich sein könnte. Und doch ist
Indien die Heimat der Thugs und der Sutti. Es wird unsereinem schwer,
das zusammen zu reimen.

Wir gingen auch zu dem Tempel der Thug-Göttin Bhowanee oder Kali oder
Durga -- sie trägt alle diese Namen und noch viele andere. Sie ist die
einzige Gottheit, der etwas Lebendiges geopfert wird; man schlachtet
ihr Ziegenböcke. Affen wären billiger und sind überreichlich vorhanden.
Da sie heilige Tiere sind, benehmen sie sich sehr unbescheiden und
klettern überall herum, wo sie wollen. Der Tempel und die Vorhalle
sind mit wunderschönen steinernen Ornamenten geschmückt, desto
häßlicher ist das Götzenbild. Es ist wirklich kein Vergnügen Bhowanee
anzusehen; sie hat ein Gesicht von Silber mit einer heraushängenden,
hochrot angemalten, geschwollenen Zunge und trägt ein Halsband von
Totenschädeln.

Ueberhaupt sind die zahllosen Götzenbilder in Benares alle roh, häßlich
und mißgestaltet. Die ganze Stadt ist voll davon; sie ängstigen einen
nachts im Traum, und nirgends hat man Ruhe vor ihnen. Kann man ihren
Anblick in den Tempeln nicht länger ertragen und geht zum Strom hinaus,
so findet man dort riesengroße, mit bunten Farben bemalte Götzen
nebeneinander am Ufer hingestreckt, und wo irgend noch Raum ist, steht
ein Lingam. Schwerlich hat Wischnu vorausgesehen, was aus seiner Stadt
werden würde, sonst hätte er sie Götzenheim oder Lingamburg genannt.

Die höchsten Türme von Benares sind die beiden schlanken, weißen
Minarets auf der Moschee des Aurengzib, die einem überall zuerst ins
Auge fallen. Die Aussicht von oben ist wundervoll, doch wurde sie mir
ganz durch einen großen, grauen Affen verdorben, der auf dem Dach der
Moschee die wildesten Sprünge machte. Es ist kaum zu glauben, wie
unvernünftig ein solches Tier ist! Der Affe schwang sich über dem
gähnenden Abgrund durch den leeren Raum bis zu irgendeinem steinernen
Vorsprung, der viel zu weit entfernt für ihn war, so daß er ihn nur mit
knapper Not erreichte und sich mit den Zähnen festhalten mußte. Mich
machte das so nervös, daß _ich_ immer nur nach dem Affen hinsah und die
Aussicht ganz darüber vergaß. So oft er einen seiner tollkühnen Sätze
ins Blaue hineintat, verging mir der Atem; wenn er nach einem Anhalt
griff, klammerte ich mich selbst aus Mitgefühl krampfhaft fest und
schnappte nach Luft, während er sich ganz gleichgültig und unbekümmert
stellte. Wohl ein Dutzendmal kam er nur gerade noch mit dem Leben davon
und beunruhigte mich dermaßen, daß ich ihn am liebsten auf der Stelle
totgeschossen hätte; doch ging mich die Sache im Grunde ja gar nichts
an.

Die Aussicht möchte ich allen Fremden aufs dringendste empfehlen, was
man davon genießt ist prachtvoll. Ganz Benares, der Fluß und die Gegend
ringsum liegen ausgebreitet vor unsern Blicken da. Wenn nur der Affe
nicht wäre! -- Mein Rat ist also: nehmt eine Flinte mit und seht euch
die Aussicht an!

Der nächste Anblick, der sich uns bot, war weniger aufregend:
Ein Eingeborener malte ein Bild auf Wasser -- eine mir ganz neue
Kunstleistung. Der Mann streute verschiedenfarbigen feinen Staub
auf die Oberfläche eines Wasserbeckens und daraus entwickelte sich
allmählich ein hübsches, zartes Gemälde, das durch einen Hauch wieder
zerstört werden konnte. Es kam mir vor wie ein Gleichnis und Sinnbild,
welches die Unbeständigkeit alles Irdischen predigt. Nach meinem vielen
Umherstöbern unter den verfallenen Tempeln, die auf Ruinen standen,
welche wiederum auf den Trümmern und Ruinen früherer Zeitalter erbaut
gewesen waren, lag mir der Gedanke nahe, daß alle die gewaltigen
Steinbauten in ihrer Art ganz ebenso vergänglich sind, wie Bilder, die
man auf Wasser malt.

In Benares ist es auch gewesen, wo der kühne Generalgouverneur von
Ostindien, Warren Hastings, im Jahre 1781 mit knapper Not einer großen
Gefahr entging. Mit einer Handvoll eingeborener Soldaten und drei
jungen englischen Offizieren hatte er den Rajah Cheit Singh in seiner
eigenen Festung gefangen genommen, weil dieser sich weigerte, eine
Geldstrafe von 500000 Pfund Sterling zu bezahlen, die Hastings im Namen
der Ostindischen Kompagnie über ihn verhängt hatte. So fest war damals
seine Herrschaft in Indien begründet und so zuversichtlich rechneten
die Engländer auf die oft erprobte Unterwürfigkeit des indischen
Volkes, daß sie bei dem Zug in das entlegene Fürstentum, wo sie von
aller Hilfe abgeschnitten waren, nur leere Kanonen mitnahmen und
ihren Pulvervorrat zurückließen. Durch einen Zufall ward dies jedoch
verraten, und nun brach ein Aufstand los, bei dem die drei Engländer
samt den hilflosen Sepoys erschlagen wurden. Hastings selbst entkam
im Dunkel der Nacht glücklich aus Benares. Vor Ablauf eines Monats
kehrte er jedoch mit genügenden Streitkräften zurück, stellte Ruhe und
Ordnung wieder her, entthronte den Rajah und gab dem Fürstentum einen
andern Herrscher.

In eine so kritische Lage hat sich Hastings nie wieder gebracht. Er
war ein hochbegabter Mann, und wenn auch an seinem Namen mancher
Flecken haftet, den nichts zu tilgen vermag, so läßt sich doch nicht
bestreiten, daß er das indische Reich für England gerettet hat. Einen
bessern Dienst hätte er aber zugleich auch der indischen Nation nicht
leisten können, welche seit Jahrtausenden unter dem Druck einer
erbarmungslosen Tyrannei geschmachtet hatte.




Vierzehntes Kapitel.

        Es zeugt von Mangel an Ehrfurcht, wenn man den Gott anderer
        Menschen mißachtet.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


In Benares besuchte ich auch einen lebendigen Gott; es war der zweite,
den ich zu sehen bekam. Von allen großen und kleinen Weltwundern, die
mir je vorgekommen sind -- und ich habe, so viel ich weiß, fast alle
besichtigt -- hat mir, glaube ich, nichts einen so überwältigenden
Eindruck gemacht wie diese beiden Götter. Eine Erklärung hierfür zu
finden fällt mir nicht schwer: Wenn wir etwas ein Wunder nennen, so tun
wir das in der Regel nicht, weil es _uns_ außergewöhnlich erscheint,
sondern weil _andere_ Leute etwas Besonderes darin sehen. Fast alle
Wunder bekommen wir erst aus zweiter Hand. Ist ein Ding berühmt, so
brennen wir vor Verlangen danach und wenn wir es sehen, erfüllt es
stets unsere Erwartung. Der Anblick eines Gegenstandes, welcher in den
Herzen einer großen Menschenzahl Begeisterung und Ehrfurcht entzündet
oder ihre Liebe und Bewunderung weckt, gewährt uns einen Genuß, den
wir mehr als alles andere schätzen. Wir fühlen uns hoch beglückt und
dauernd bereichert, wir möchten die Erinnerung daran um keinen Preis
hergeben.

Wie manche Sehenswürdigkeit der Welt haben wir von tausend
Schriftstellern unser Lebenlang mit Entzücken preisen hören! Wir
pilgern um den Erdball, sind von ihrem Anblick berauscht und halten die
Gefühle, welche uns überwältigen, für unsere eigenen, während wir nur
von der Blume eines Weines trunken sind, der andern Leuten gehört. Aber
alle Erdenherrlichkeit, die wir staunend erblicken, ist doch nichts
im Vergleich zu einer Person, die lebt, atmet, redet, und von vielen
Millionen Menschen in frommem, aufrichtigem, unerschütterlichem Glauben
für einen Gott gehalten und in Demut angebetet wird.

Als ich den Gott sah, war er sechzig Jahre alt. Er heißt Sri 108 Swami
Bhaskarananda Saraswati; doch ist das nur _eine_ Form seines Namens,
eine Abkürzung, wie man sie etwa im Gespräch mit ihm wählen würde.
Wollte man ihm einen Brief schreiben, so würde es sich schon aus
Höflichkeit empfehlen, eine längere Anrede zu gebrauchen; nicht etwa
den ganzen Namen, aber wenigstens so viel davon:

Sri 108 Matparamahansaparivraiakacharyaswamibhaskaranandasaraswati.

Hochwohlgeboren auf der Adresse hinzuzufügen ist unnötig. Das Wort Sri,
mit dem der ganze Schwall beginnt, ist an sich schon ein Ehrentitel.
›108‹ gibt, glaube ich, die Zahl seiner übrigen Namen an. Da auch
Wischnu 108 Namen hat, die er nur bei besonderen Gelegenheiten braucht,
wird es wohl eine beliebte Sitte im Orden der Götter sein, sich
solchen Extravorrat anzulegen. Aber auch ohne die 108 andern ist der
abgekürzte Name schon ein recht hübsches Besitztum; er besteht aus 58
Buchstaben, wenn ich mich nicht verzählt habe. Dagegen können selbst
die längsten deutschen Wörter nicht aufkommen und sind ein für allemal
vom Wettbewerb ausgeschlossen.

Sri 108 S. B. Saraswati hat erreicht, was die Hindus den ›Zustand der
Vollendung‹ nennen. Andere Hindus gelangen dazu nur durch zahllose
Seelenwanderungen, bei welchen sie wieder und immer wieder in den
verschiedensten Gestalten auf Erden geboren werden. Das ist eine
langwierige Arbeit, die oft Jahrhunderte oder Jahrtausende in Anspruch
nimmt, und bei der man allerlei Gefahr läuft. Man kann zum Beispiel,
wie bereits erwähnt, das Unglück haben, einmal auf dem falschen Ufer
des Ganges zu sterben und als Esel wieder zur Welt zu kommen, so
daß man einen ganz neuen Anlauf nehmen und viele Entwicklungsstufen
nochmals durchmachen muß. Von alledem ist Sri 108 S. B. S., als er
zur Vollendung hindurchdrang, auf immer erlöst worden. Er nimmt
nicht länger teil an dem Wesen dieser Welt; alles Irdische ist von
ihm ausgeschieden, er ist vollkommen heilig und rein. Ja, er gehört
überhaupt nicht mehr der Erde an, sondern steht ihr fremd gegenüber,
ihre Schmerzen, Kümmernisse und Sorgen erreichen ihn nicht. Seine
Heiligkeit kann durch nichts mehr entweiht, seine Reinheit durch nichts
befleckt werden. Wenn er stirbt geht er zum Nirwana ein, wird in das
Wesen der höchsten Gottheit mit aufgenommen und hat Frieden in Ewigkeit.

Die heiligen Schriften der Inder lehren, wie man zu diesem Zustand
emporklimmen kann, aber es kommt höchstens einmal in tausend Jahren
vor, daß ein Prüfungskandidat ihn wirklich erreicht. Sri 108 hat
sämtliche vorgeschriebene Stufen von Anfang bis zu Ende durchgemacht,
und ihm bleibt nun nichts mehr zu tun übrig, als zu warten, bis er aus
dieser Welt abberufen wird, von welcher sein Los getrennt ist und die
ihm nichts mehr zu bieten hat. In der ersten Stufe war er ein Schüler
und erwarb Kenntnis der heiligen Bücher. In der zweiten wurde er
Bürger, Hausvorstand, Gatte und Vater. Dann nahm er, wie geboten ist,
auf immer Abschied von seiner Familie und wanderte fort. Er zog in eine
ferne Wüste und brachte die vorschriftsmäßige Zeit als Einsiedler zu.
Darauf wurde er zunächst Bettler, »wie es die Schrift befiehlt«; er
durchwanderte Indien und nährte sich von den Gaben der Mildtätigkeit.
Vor einem Vierteljahrhundert erreichte er die höchste Reinheit, welche
keines Gewandes bedarf, denn Nacktheit ist ihr Symbol. Er legte daher
das Lendentuch ab, dessen er sich zuvor bedient hatte. Jetzt könnte
er sich nach Belieben wieder damit gürten, denn ihn kann nichts mehr
beflecken -- für gewöhnlich verschmäht er es jedoch.

Ich glaube, das sind noch nicht alle Stufen, aber die andern fallen mir
gerade nicht ein; jedenfalls hat er sie durchgemacht. Während seiner
langen Prüfungszeit hörte er nicht auf, sich in frommer Weisheit zu
vervollkommnen und Erklärungen der heiligen Bücher zu schreiben. Auch
in religiöse Betrachtungen über Brahma hat er sich versenkt und das tut
er noch.

In ganz Indien wird sein Bildnis aus weißem Marmor verkauft; er bewohnt
ein gutes Haus in Benares, das von einem schönen, großen Garten umgeben
und eingerichtet ist, wie es seinem hohen Range zukommt. Auf der
Straße kann er sich natürlich nicht blicken lassen. Für Götter wäre
es in allen Ländern mit Unbequemlichkeiten verbunden, wenn sie frei
umhergingen. Wollte jemand, den wir als Gott anerkennen und verehren,
durch unsere Stadt spazieren und man erführe an welchem Tage, so
würden alle Geschäfte stillstehen und der Verkehr ins Stocken geraten.

Das Wohnhaus des Gottes ist zwar behaglich, aber doch in Anbetracht
der Umstände sehr bescheiden. Er brauchte nur den Wunsch zu äußern,
so würden ihm seine Anhänger mit Freuden einen Palast bauen. Manchmal
empfängt er die Gläubigen einen Augenblick, spricht ihnen Trost zu
und gibt ihnen seinen Segen; darauf küssen sie ihm die Füße und gehen
beglückt von dannen. Da er ein Gott ist, legt er auf Rang und Stand
keinen Wert, vor ihm sind alle Menschen gleich. Er empfängt wen er will
oder verweigert seinen Anblick. Manchmal läßt er einen Fürsten vor
und schickt den Bettler fort; ein andermal empfängt er den Bettler,
und der Fürst muß seiner Wege gehen. Doch nimmt er überhaupt nur
wenige Besucher irgendwelcher Klasse an, da er die Zeit für seine
Betrachtungen zu Rate halten muß. Mr. Parker, den Missionar, würde er,
glaube ich, jederzeit empfangen, weil er ihm leid tut. Er selbst tut
aber Mr. Parker ebenso leid, und dies Mitgefühl ist gewiß ein Segen für
alle beide.

Bei unserer Ankunft mußten wir noch eine Weile im Garten herumstehen;
die Aussichten waren nicht sehr günstig, denn Sri 108 S. B. S. hatte an
diesem Tage alle Maharajas fortgeschickt und nur den gemeinen Pöbel
empfangen; da wir nun weder das eine noch das andere waren, ließ sich
nicht voraussagen, was wir zu erwarten hatten. Bald erschien jedoch ein
Diener und sagte, es wäre schon recht, der Gott würde kommen.

Ja, er kam wirklich und ich habe ihn gesehen, diesen Gegenstand der
Anbetung für Millionen. Mich durchbebte ein nie gekanntes Gefühl -- ich
wollte, es strömte mir noch durch die Adern. Und doch war er für mich
kein Gott, sondern nur ein Schaustück. Der heilige Schauer, der mich
durchzitterte, war nicht mein eigener; ich empfing ihn aus zweiter Hand
von den unsichtbaren Millionen seiner Anbeter. Durch die Berührung mit
ihrem Gott war ich in elektrische Verbindung mit ihrer Riesenbatterie
geraten und bekam die ganze Ladung auf einmal zu fühlen.

Sri 108 S. B. S. war groß und hager. Sein scharfgeschnittenes Gesicht
hatte einen ungewöhnlich durchgeistigten Ausdruck und er sah mich mit
dem tiefen Blick seiner Augen gütig an. Er schien viel älter als seine
Jahre, aber das mochte wohl von seinen Studien und Betrachtungen, dem
Fasten und Beten und dem harten Leben herrühren, das er als Einsiedler
und Bettler geführt hatte. Empfängt er Eingeborene hohen oder niederen
Ranges, so geht er ganz nackt; aber jetzt trug er ein weißes Tuch um
die Lenden, ein Zugeständnis, das er vermutlich den Vorurteilen der
Fremden machte.

Sobald sich meine Verzückung etwas gelegt hatte, kamen wir gut
miteinander aus, und er erwies sich mir als ein sehr angenehmer
und freundlicher Gott. Er hatte viel vom Religionskongreß und der
Weltausstellung in Chicago gehört und sprach mit großem Interesse
darüber. Wenn die Leute in Indien auch von Amerika sonst nichts wissen,
dies Ereignis ist ihnen bekannt, und sie werden Chicago sobald nicht
vergessen.

Zu meiner Freude schlug der Gott mir vor, ob wir nicht unsere
Autographen austauschen wollten. Zufolge dieser zarten Aufmerksamkeit
glaubte ich an ihn, wenn ich auch vorher meine Zweifel gehabt
hatte. Er schrieb mir eine Widmung in sein Buch, das ich stets mit
ehrfurchtsvoller Scheu betrachtete, obgleich die Wörter von rechts
nach links gehen und ich es daher nicht lesen kann. Diese Art Bücher
zu drucken, halte ich für ganz verkehrt. Das Werk enthält die von ihm
verfaßten, umfangreichen Erklärungen zu den heiligen Schriften der
Hindus; könnte ich sie entziffern, so würde ich selbst versuchen
nach der Vollendung zu streben. Ich überreichte ihm ein Exemplar von
Huckleberry Finn, weil ich glaubte, es würde ihm zur Abwechslung von
seinen Betrachtungen über Brahma eine kleine Erholung sein. Er sah
recht müde aus, und wenn ihm mein Buch auch vielleicht nichts nützt, so
wird es ihm doch gewiß nichts schaden.

Sri 108 S. B. S. hat einen Schüler, der unter ihm seine Studien
betreibt -- Mina Bahadur Rana -- doch bekamen wir ihn nicht zu
sehen. Er trägt Kleider und ist noch sehr unvollkommen. Eine kleine
Abhandlung, die er über seinen Meister geschrieben hat, habe ich mir
angeschafft. Es ist auch ein Holzschnitt darin, welcher Lehrer und
Schüler zusammen auf einer Matte im Garten sitzend darstellt. Das Bild
ist sehr gut getroffen und die Stellung genau dieselbe, welche Brahma
mit Vorliebe einnimmt; man braucht dazu lange Arme und geschmeidige
Beine; nur Götter können diese so übereinander schlagen -- Götter und
der Kautschukmann. In der gleichen Stellung ist auch im Garten ein
Marmorbild von Sri 108 S. B. S. in Lebensgröße zu sehen.

Eine sonderbare Welt, in der wir leben -- und am allermerkwürdigsten
geht es in Indien zu. Jener Schüler, Mina Bahadur Rana, ist ganz und
gar kein gewöhnlicher Mensch, er besitzt eine außerordentliche Begabung
und hohe Bildung; eine glänzende weltliche Laufbahn lag vor ihm. Noch
vor zwanzig Jahren stand er im Dienst der Regierung von Nepal und
nahm am Hofe des Vizekönigs von Indien eine hervorragende Stellung
ein. Er war tüchtig in seinem Beruf, ein tiefer Denker, wohlhabend
und kenntnisreich. Da ergriff ihn plötzlich das Verlangen, sich einem
religiösen Leben zu weihen, er legte sein Amt nieder, wandte der
Eitelkeit und allem Behagen dieser Welt den Rücken, zog sich in die
Einsamkeit zurück und lebte in einer armen Hütte. Dort studierte er die
heiligen Schriften und vertiefte sich in Betrachtungen über Tugend und
Frömmigkeit, die er zu erringen strebte. Diese Art Religion gleicht
der unsrigen. Christus hat den Reichen geboten ihre Güter den Armen
zu geben und ihm nachzufolgen, nicht in weltlichem Wohlleben, sondern
in Dürftigkeit. Unsere amerikanischen und englischen Millionäre tun
das täglich und bezeugen so vor aller Welt den ungeheueren Einfluß der
Religion; aber von manchen Leuten werden sie wegen dieser Entsagung
und Pflichttreue verhöhnt und auch über Mina Bahadur Rana wird man
spotten und sagen, er sei verrückt geworden. Gleich vielen Christen
von edlem Charakter und hohen Geistesgaben hat auch er sich das
Studium seiner heiligen Schriften und die Abfassung von Büchern zu
ihrer Erklärung und Auslegung als Lebensaufgabe gewählt; er hat sich
diesem Beruf mit aller Liebe hingegeben und ist fest überzeugt, daß
es keine törichte, nutzlose Zeitverschwendung, sondern die würdigste
und ehrenvollste Beschäftigung ist, der er sich widmen kann. Dennoch
gibt es viele Leute, welche jene Christen verehren und preisen, den
Inder aber einen Narren schelten. Das tue ich nicht. Er besitzt meine
vollste Hochachtung und die biete ich ihm nicht als etwas Gemeines und
Alltägliches dar, sondern als eine große Seltenheit und Kostbarkeit.
Die gewöhnliche Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie gang und gäbe ist,
kostet nichts. Ehrfurcht vor dem, was uns selbst heilig ist: vor
Eltern, Religion, Gesetz, Vaterland, Achtung vor unsern eigensten
Ueberzeugungen, sind uns so natürliche Gefühle, daß wir ohne sie
ebensowenig leben könnten, wie ohne zu atmen. Das Atemholen rechnet man
sich aber nicht als persönliches Verdienst an. Schwer und verdienstvoll
ist dagegen eine andere Art der Ehrfurcht, nämlich die Hochachtung,
die wir aus freien Stücken den politischen und religiösen Anschauungen
eines Menschen zollen, obgleich sie nicht die unsrigen sind. Wir können
seine Götter nicht anbeten und seine Politik nicht teilen -- das
erwartet auch niemand von uns; aber seinen Glauben an sie könnten wir
doch achten, wenn es uns auch sauer wird; ja, wir könnten ihn selber
achten, wollten wir uns rechte Mühe geben. Freilich, schwer ist es,
ganz entsetzlich schwer, fast ein Ding der Unmöglichkeit, und deshalb
versuchen wir es lieber gar nicht. Glaubt ein Mensch nicht wie wir
glauben, so nennen wir ihn einen Toren, und dabei bleibt es. Das heißt
in unsern Tagen, weil wir ihn jetzt nicht mehr verbrennen können.

Als wir von dem Gott in Benares Abschied nahmen und uns entfernten,
trafen wir am Gartentor mit einer Gruppe von Eingeborenen zusammen,
welche ehrerbietig warteten -- ein Rajah, der aus einem entlegenen Teil
Indiens kam und einige weniger vornehme Leute. Der Gott winkte sie zu
sich heran, und im Hinausgehen sahen wir noch, wie der Rajah vor ihm
kniete und demutsvoll seine heiligen Füße küßte.

Eine bequeme Eisenbahnfahrt von siebzehn und einer halben Stunde
brachte uns nach Kalkutta, der Hauptstadt Indiens, die zugleich auch
die Hauptstadt von Bengalen ist. Die Bevölkerung besteht wie in Bombay
aus fast einer Million Eingeborenen und einer kleinen Zahl Weißer.
Kalkutta ist eine riesengroße und schöne Stadt, man nennt es die
Stadt der Paläste. Es ist reich an geschichtlichen Erinnerungen und
reich an britischen Errungenschaften auf militärischem, politischem
und kaufmännischem Gebiet. Man bekommt dort die Früchte des Wirkens
der beiden großen Helden Clive und Hastings zu genießen, aber das 250
Fuß hohe Monument, welches man meilenweit in der Runde sieht, trägt
den Namen Ochterlony. Mag man in Kalkutta sein wo man will, überall
muß man an Ochterlony denken und sich den Kopf darüber zerbrechen,
was das Denkmal wohl zu bedeuten hat. Gut, daß Clive nicht von den
Toten zurückkommen kann, er würde sonst glauben, es sollte seinen Sieg
bei Plassey verewigen und müßte zu seiner Kränkung erfahren, daß er
sich geirrt hat. »Mit dreitausend Mann,« würde er sagen, »habe ich
sechzigtausend bezwungen und das Reich gegründet, aber man hat mir
kein Denkmal gesetzt. In der Schlacht bei Ochterlony hat der General
vielleicht mit einem Dutzend Soldaten eine Billion Feinde geschlagen
und die Welt errettet.«

Aber das ist nicht richtig. Ochterlony war ein Mann, keine Schlacht. Er
hat dem Lande auch gute und ehrenhafte Dienste geleistet, wie hundert
andere tapfere, rechtschaffene und hochbegabte Engländer. Indien ist
ein fruchtbarer Boden, um Männer zu erzeugen, die groß sind im Kriege
wie im Frieden und bescheiden bei all ihrer Größe. Daß man ihnen
Denkmäler setzt, erwarten sie nicht; auch Ochterlony hat das schwerlich
getan -- wenigstens sicherlich nicht, ehe Clive und Hastings versorgt
waren.

Wollte man in Indien jedem zum Lohn für ausgezeichnete Taten, treue
Pflichterfüllung und fleckenlosen Lebenswandel ein Denkmal setzen, es
würde der Gegend ein einförmiges Ansehen geben. Die Handvoll Engländer
regieren die Myriaden Inder anscheinend mit Leichtigkeit und ohne daß
irgend welche Reibung entsteht. Sie können das, weil sie richtigen
Takt, Tüchtigkeit und treffliche Verwaltungskunst besitzen, welche von
gerechten, freisinnigen Gesetzen unterstützt wird, und weil sie den
Eingeborenen stets Wort halten, wenn sie ihnen ein Versprechen gegeben
haben.

England liegt weit von Indien; man erfährt dort wenig von den großen
Diensten, welche die indischen Beamten dem Lande leisten; denn der
Ruhm wird durch Zeitungskorrespondenten verbreitet, und diese schickt
England nicht nach Indien, sondern nach dem europäischen Festland, um
über die Taten aller kleiner Fürsten und Herzöge Bericht zu erstatten,
damit man weiß, wo sie auf Besuch sind und wen sie heiraten. Ein
britischer Beamter kann oft dreißig oder vierzig Jahre in Indien
gelebt haben und wegen seiner hohen Verdienste von einer Ehrenstufe
zur andern gestiegen sein, bis er Vizekönig wird und ein großes Reich
mit vielen Millionen Untertanen regiert. In jedem andern Lande wäre er
ein berühmter Mann, aber, wenn er wieder nach England kommt, ist er im
Grunde so gut wie unbekannt und zieht sich in ein bescheidenes Eckchen
zurück. Erst nach seinem Tode liest man mit Staunen den Bericht über
seine glänzende Laufbahn in irgend einer Londoner Zeitung.

In Kalkutta gab es viel zu sehen, aber wir hatten nur wenig Zeit
dazu. Die von Clive erbaute Festung, der große botanische Garten, die
Spazierfahrt der vornehmen Welt auf dem Maidan und eine glänzende Revue
der Garnison nebst den Manövern der eingeborenen Soldaten, bei denen
alle Waffengattungen große militärische Tüchtigkeit bewiesen und deren
Schluß die Erstürmung eines indischen Forts bildete -- das waren die
Hauptsehenswürdigkeiten, die wir in Augenschein nahmen. Dann machten
wir noch eine Lustfahrt auf dem Hugli und teilten unsere übrige Zeit
zwischen geselligem Verkehr und dem indischen Museum. Letzteres ist
eine wahre Schatzkammer für indische Altertümer, zu deren Besichtigung
man mindestens einen Monat haben sollte; ja, ich könnte diese schönen
und wunderbaren Dinge ein halbes Jahr lang ansehen, ohne daß sie ihren
Reiz für mich verlieren würden.

Es war Winter in Kalkutta, ›kaltes Wetter‹, wie uns jedermann
versicherte. Aber, wer an 138° im Schatten gewöhnt ist, hat kein Urteil
über dergleichen. Jedenfalls war dies kalte Wetter zu warm für die
Fremden, und wir brachen deshalb nach Dardschiling am Himalaja auf. Es
ist eine Reise von vierundzwanzig Stunden.




Fünfzehntes Kapitel.

        Es gibt 869 verschiedene Arten der Lüge; aber nur eine von
        allen ist ausdrücklich verboten: »Du sollst nicht falsch
        Zeugnis reden wider deinen Nächsten.«

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Aus dem Tagebuch. 14. Februar._ Wir reisten nachmittags um 4.30 ab und
fuhren bis zur Dämmerung durch tropische Vegetation; dann bestiegen wir
ein Boot, das uns ans andere Ufer des Ganges brachte.

       *       *       *       *       *

_15. Februar._ -- Mit der Sonne aufgestanden. Ein strahlender,
frostkalter Morgen. Doppelte Flanellunterkleider machen sich notwendig.
Die Gegend ist vollständig eben und dehnt sich in verschwommenen Farben
weiter und immer weiter, bis ins Unendliche aus. -- Wie üppig, wie
hoch und mächtig ist doch der Bambus mit seinem duftig zarten Laub!
Wohin das Auge blickt, sieht man die baumartigen Gräser gleich riesigen
Pflanzengeysern emporschießen, bis ihr grüner Sprühregen sich in der
Ferne in Dunstwolken zu verwandeln scheint. Auch an Bananenfeldern
kamen wir vorbei, wo der Sonnenschein die glasierte Oberfläche der
großen niederhängenden Blätter streifte. Häufig sahen wir Palmenhaine
und vereinzelte Exemplare dieser malerischen Familie, die eine
wirkungsvolle Abwechslung in das Landschaftsbild brachten. An den hohen
schlanken Stämmen hingen die Blätter zerrissen und zerfetzt umher,
als wollte die Natur einen Regenschirm darstellen, der unversehens in
einen Wirbelsturm geraten ist und es sich nicht merken lassen will.
Und überall sahen wir im gedämpften Morgenlichte Dörfer auftauchen,
zahllose Dörfer, die kein Ende nehmen wollten. Mit Stroh gedeckt, aus
reinen, neuen Rohrmatten aufgebaut, lagen sie dichtgedrängt zwischen
Palmengruppen und Bambusgräsern. In Abständen von kaum dreihundert
Metern kamen immer neue dutzendweise zum Vorschein. Es war eine
mächtige, viele hundert Meilen lange und breite Stadt, die aus lauter
Dörfern bestand. Eine so ungeheure Stadt habe ich noch nie gesehen, es
gibt keine zweite auf der ganzen Erde, und eine Einwohnerzahl hat sie,
wie ein europäisches Königreich. Wir sahen diese Menschen auf beiden
Seiten der Eisenbahn und vor uns, soweit das Auge reichte -- eine
endlose Menge nackter Gestalten. Meile auf Meile flogen wir dahin, aber
immer waren sie da, auf beiden Seiten und vor uns, die braunen nackten
Männer und Knaben, die auf den Feldern ackerten und pflügten. Wir
gewahrten kein einziges Weib, kein Mädchen bei der Feldarbeit, während
der ganzen zweistündigen Fahrt.

Wenn wir den armen Heiden die neueste Zivilisation bringen, sollten
wir zugleich die Gelegenheit benützen, auch unsere Kultur durch einige
ihrer barbarischen Sitten zu bereichern. Das Recht hierzu kann uns
niemand bestreiten. Heben wir jene Völker auf eine höhere Stufe, so
sind wir auch befugt, uns selbst mit ihrer Hilfe um neun oder zehn
Grade aufwärts zu bringen. Vor Jahren verlebte ich einige Wochen in dem
bayrischen Bade Tölz. Die Gegend ist katholisch, und nicht einmal in
Benares ist die Bevölkerung so durch und durch religiös und so eifrig
in ihrer Frömmigkeit, das erkennt man auf den ersten Blick. Damals
schrieb ich in mein Tagebuch: »Gestern machten wir eine wunderschöne
Spazierfahrt über Land; doch wurde mein Vergnügen durch den Anblick
ehrwürdiger Großmütter mit grauen Haaren, die im Felde arbeiteten, sehr
beeinträchtigt. Siebzig- und achtzigjährige Frauen mähten Korn, banden
Garben oder luden das Heu auf den Wagen.«

An andern Orten in Bayern sah ich, wie Weiber schwere mit Bierfässern
beladene Karren zogen. In Oesterreich fand ich oft eine Frau neben
einer Kuh an den Pflug gespannt, den ein Mann führte. Ich sah ein altes
gebücktes Weib, zusammen mit einem Hunde angeschirrt, einen beladenen
Schlitten über gepflasterte und ungepflasterte Straßen ziehen, während
der Fuhrmann, ein kräftiger Mensch von kaum dreißig Jahren, nebenher
ging und seine Pfeife rauchte. Auch die Wäscherinnen in Frankreich kann
ich nicht vergessen, die bei strömendem Regen und so naßkaltem Wetter,
daß man keinen Hund hinausjagen würde, in ihrer gewöhnlichen Kleidung
vor meinen Hotelfenstern in der Rhone wuschen, bis die Dunkelheit ihrer
Arbeit ein Ende machte. Dann kam ein starker Bursche -- vielleicht der
Enkel der alten Großmutter -- im sichern Schutz seines Regenschirms,
trocken und wohlbehalten auf einem Eselwagen gefahren und befahl den
Weibern in herrischem Ton, die sechs schweren Körbe mit nasser Wäsche
aufzuladen, die ein Mann kaum von der Stelle gebracht hätte. Die bis
auf die Haut durchnäßten Frauen gehorchten ohne Murren, und während der
Franzose vom Wagen stieg und ins Wirtshaus ging, wo ich ihn später bei
einer Flasche Wein sitzen sah, trabten sie geduldig heimwärts hinter
dem Karren drein.

Doch ich kehre nach Indien zurück. Im Lauf des Nachmittags näherten wir
uns dem Gebirge. Wir verließen den Hauptbahnzug und stiegen in eine
Zweigbahn, die aus kleinen mit Leinwand gedeckten Wagen bestand, von
denen jeder etwa für zwölf Personen Platz hatte. Wurden die Vorhänge
aufgezogen, so saß man ganz im Freien, fühlte sich äußerst behaglich,
konnte die frische Luft einatmen und sich nach allen Seiten umsehen.
Es war eine Vergnügungsfahrt, nicht nur dem Namen nach, sondern in
Wirklichkeit.

Nach einer Weile hielten wir an einem kleinen hölzernen Bahngebäude
mitten im dichten Walde unter großen Bäumen, Gebüsch und
Schlingpflanzen in der Nähe eines düstern Dschungels. Hier haust der
bengalische Königstiger in großer Menge und benimmt sich sehr frech und
rücksichtslos. Von der einsamen kleinen Station wurde einmal folgende
Depesche an den Bahnhofsinspektor in Kalkutta abgesandt: »Ein Tiger
frißt eben den Bahnwärter auf der vorderen Veranda. Telegraphieren Sie
mir Verhaltungsmaßregeln.«

Ich ging dort zum erstenmal auf die Tigerjagd und tötete vierzehn
Stück. Bald fuhren wir weiter, und der Zug klomm den Berg hinauf. An
einer Stelle kamen sieben wilde Elefanten über die Schienen, aber zwei
von ihnen liefen davon, ehe ich sie erreichen konnte. Die Fahrt im
Gebirge beträgt vierzig Meilen und dauert acht Stunden. Sie sollte eine
ganze Woche in Anspruch nehmen, weil sie so interessant, aufregend,
wild und entzückend ist. Die tropische Vegetation war vollständig
vertreten. Ich glaube der Dschungel enthielt Exemplare jeder seltenen
oder merkwürdigen Baum- und Buschart, von der wir jemals gehört haben.
Aus dieser Schatzkammer der Pflanzenwelt muß der ganze Erdball mit
allen Gewächsen versehen worden sein, die für uns am köstlichsten und
wertvollsten sind. Es ist reizend, wie sich der Weg fortwährend dreht
und windet. Er führt bald unter hohen Felsenklippen hin und her, die
in Laubwerk und Schlingpflanzen förmlich begraben sind, bald am Abhang
unergründlich tiefer Schluchten entlang. Dabei begegnet man fort
und fort endlosen Reihen malerisch aussehender Eingeborener, welche
Lasten den Berg hinauftragen oder von ihrer Arbeit in den Teegärten
droben zurückkehren. Einmal trafen wir auch auf einen Hochzeitszug im
bunten Flitterstaat. Die hübsche, kindliche Braut guckte zwischen den
Vorhängen ihres Palankins heraus und zeigte ihr Gesicht mit solchem
Vergnügen, wie es nur junge und glückliche Menschen empfinden, wenn sie
etwas Verbotenes tun.

Wir kamen allmählich bis zu den Wolken hinauf und schauten von unserer
luftigen Höhe hernieder auf ein wunderbares Bild: Von Wolkenschatten
gefleckt, mit glänzenden Strömen durchzogen, lag die indische Ebene
vollkommen flach, aber weich und anmutig in der glühenden Hitze da.
Gerade unter uns, tiefer und immer tiefer, bis zum Tal hinab, schob
sich ein Gewirr kahler Bergspitzen durcheinander, über welche sich
Straßen und Pfade, gleich mattgelben, schmalen Bändern, in zahllosen
deutlich erkennbaren Krümmungen und Windungen schlängelten.

Als wir die Höhe von 6000 Fuß erreichten, umgab uns eine dichte
Wolkenschicht, welche die übrige Welt vor unsern Blicken derart
verhüllte, daß sie überhaupt nicht wieder zum Vorschein kam. Wir
klommen nun noch 1000 Fuß höher, dann senkte sich der Weg und wir
erreichten Dardschiling, das 6000 Fuß über der Ebene liegt.

Auf unserer Fahrt hatten wir in vielen Gebirgsdörfern eine ganz
neue Gattung Eingeborener zu sehen bekommen, die größtenteils dem
kriegerischen Stamme der Ghurkas angehörten. Sie sind nicht groß, aber
stark gebaut und voll Tatkraft, auch liefern sie die besten Soldaten
unter den eingeborenen britischen Truppen. Ihre Frauen kamen uns
scharenweise entgegen; sie kletterten den steilen Weg vom Tal bis zu
ihrer Wohnstätte in den Bergen vierzig Meilen weit empor und hatten
dabei noch schwere Körbe auf dem Rücken, zu deren besserem Halt sie ein
Gurtband um die Stirn trugen. Wieviele hundert Pfund die Last wog, will
ich gar nicht erst sagen; es würde mir doch niemand glauben. Es waren
noch junge Frauen, die unter ihrer zentnerschweren Bürde so leicht
einherschritten, als ob sie zum Tanze gingen. Man sagte mir, eine Frau
könne ein Klavier auf dem Rücken den Berg hinan tragen, und das hätten
schon viele getan. Wären es alte Frauen gewesen, so würde ich die
Ghurkas für ebenso unzivilisiert halten wie die Europäer.

Am Bahnhof von Dardschiling warten auf den Reisenden statt der
Droschken eine Menge offener Särge, in die man steigt, um sich von
Männern auf der Schulter die steilen Wege zur Stadt hinan tragen zu
lassen.

Oben fanden wir ein ziemlich behagliches Hotel, dessen Besitzer die
Bequemlichkeit und Sorglosigkeit selber war. Er überläßt die Wirtschaft
dem Heer seiner indischen Diener und kümmert sich um nichts. Das
heißt, nein -- die Rechnung sieht er doch durch, und der Fremde wird
wohl daran tun, seinem Beispiel zu folgen. Ein Bewohner des Hotels
sagte mir, daß der Gipfel des Kinchinjunga oft von Wolken verhüllt
wird, so daß die Fremden schon manchmal drei Wochen lang gewartet
haben und zuletzt doch fortgehen mußten, ohne ihn zu Gesicht zu
bekommen. Trotzdem waren sie nicht enttäuscht, denn als man ihnen die
Hotelrechnung einhändigte, fanden sie diese so hoch, daß sie überzeugt
waren, es könne überhaupt nichts Höheres auf dem Himalaja zu sehen
geben. Doch das halte ich für erlogen.

Nach meiner Vorlesung ging ich noch abends in das Klubhaus, wo es mir
sehr gut gefiel. Wegen seiner hohen Lage bietet es umfassende Aussicht;
man kann dreißig Meilen weit bis zur Grenze sehen, wo drei oder vier
Länder zusammenstoßen, Nepal glaube ich und Tibet, die beiden andern
weiß ich nicht mehr.

Am nächsten Morgen, es war Sonntag, kamen Bekannte in aller Frühe
mit Pferden, und unsere Gesellschaft unternahm einen Ritt nach
dem Aussichtspunkt, von wo sich Kinchinjunga und Mount Everest am
vorteilhaftesten darstellen. Ich zog jedoch vor, zu Hause zu bleiben,
denn ich fand es kalt, und die Pferde waren mir so wie so fremd. Mit
ein paar wollenen Decken und meiner Pfeife saß ich zwei Stunden lang
am Fenster und sah wie die Sonne die Morgennebel vertrieb, wie sie die
Schneespitzen eine nach der andern blaßrot und goldig malte und zuletzt
den ganzen mächtigen Gebirgsstock in ein Meer der herrlichsten Farben
tauchte.

Der Kinchinjunga kam zwar nur dann und wann zum Vorschein, doch hob er
sich jedesmal mit großer Klarheit gegen den Himmel ab. Er ragte 28000
Fuß über der Meeresfläche in das blaue Gewölbe hinauf, meilenweit über
mir, so hoch wie ich mein Lebtag kein Land gesehen hatte. Mount Everest
ist noch 1000 Fuß höher, doch gehörte er nicht zu dem Haufen von
Bergspitzen, die sich da vor mir auftürmten. Daß ich ihn nicht zu sehen
bekam, machte mir keinen Kummer; ein Berg von so übermäßiger Höhe würde
mir unangenehm gewesen sein.

Von den Hinterfenstern des Hauses ging ich dann nach der Vorderseite,
wo ich den Rest des Morgens damit verbrachte, die dunkelfarbigen
Genossen der verschiedenen Stämme vorbeifluten zu sehen, die aus ihren
fernen Heimstätten im Himalaja kamen.

Jedes Alter und Geschlecht war vertreten und die Rassen waren mir ganz
neu, obwohl die Tibetaner durch ihre Tracht an Chinesen erinnerten. Daß
die Gebetsmühle häufig in Anwendung kam, brachte mir die Leute näher
-- ich fühlte mich ihnen verwandt. Auch wir lassen uns oft beim Gebet
durch unsern Pfarrer vertreten; zwar wirbeln wir ihn nicht um einen
Stock herum, doch ist das kein wesentlicher Unterschied. --

Stundenlang sah ich den Strom an mir vorübereilen; schade, daß das
seltsame, fesselnde Bild dort so gut wie verloren war. Hätte sich der
bunte Schwarm durch die Städte Europas oder Amerikas ergossen, welches
Labsal wäre es für die Menschen gewesen, denen das ewige Einerlei der
Zirkusvorstellungen nicht mehr genügt. Was führte aber die Eingeborenen
in solcher Unmenge herbei? -- Sie hatten sich aufgemacht, um den Bazar
zu besuchen, wo sie Waren zum Verkauf ausbieten wollten. Später nahmen
wir diesen fremdartigen Kongreß wilder Völkerschaften gleichfalls in
Augenschein. Wir drängten uns hier und da durch die Menge und kamen
zu dem Schluß, daß es schon allein um dieses Schauspiels willen der
Mühe wert sein würde, von Kalkutta herzureisen, selbst wenn es keinen
Kinchinjunga und Mount Everest auf der Welt gäbe.




Sechzehntes Kapitel.

        Es gibt zwei Zeiten des Lebens, in denen der Mensch sich
        hüten sollte zu spekulieren: wenn seine Mittel es ihm nicht
        erlauben, und wenn sie es ihm erlauben.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Am Montag und Dienstag genossen wir bei Sonnenaufgang eine mittelgute
Aussicht auf die großartige Gebirgslandschaft. Inzwischen hatten wir
uns erfrischt und abgekühlt, so daß wir uns stark genug fühlten, es
wieder mit der Hitze der unteren Welt aufzunehmen.

Wir fuhren mit dem gewöhnlichen Zug noch die fünf Meilen bis zum
höchsten Punkt hinauf, um von da aus die 35 Meilen lange Rückfahrt
anzutreten. Wir bestiegen eine kleine sechssitzige, mit Leinwand
überspannte Draisine, welche die Größe eines Schlittens hatte und so
niedrig war, daß sie den Boden zu berühren schien. Eine Lokomotive
oder sonstige Triebkraft brauchte sie auf den abschüssigen Wegen nicht,
nur eine starke Bremse, um ihre Fahrgeschwindigkeit zu mäßigen, und
damit war sie versehen. Man erzählte uns von einer Unglücksfahrt, die
der Generalleutnant von Bengalen einmal mit solcher Draisine gemacht
hat: Der Wagen war aus den Schienen gekommen und hatte die Insassen in
den Abgrund geschleudert. Zwar ist die Geschichte gänzlich erfunden,
doch verfehlte sie ihre Wirkung auf mich nicht, denn sie machte mich
ängstlich. Ein Mensch der Angst hat ist aber nicht schlafmützig,
sondern munter und aufgeweckt; seine Spannung bei einem neuen und
gewagten Unternehmen wird durch die Furcht wesentlich erhöht. Daß
ein Unfall leicht möglich war, lag auf der Hand: ein kleiner Stein,
der aus Zufall auf die Schienen geriet oder in böswilliger Absicht
dorthin gelegt wurde, genügte, um den Wagen an irgend einer scharfen
Biegung zu entgleisen und nach Indien hinunter zu befördern. War auch
der Generalleutnant der Gefahr entgangen, so gab mir das noch keine
Bürgschaft dafür, daß ich ebensoviel Glück haben würde. Als ich dastand
und von meiner luftigen Höhe hinabsah auf das indische Kaiserreich,
das 7000 Fuß unter mir lag, kam es mir doch recht unangenehm und
halsbrecherisch vor, aus dem Wagen in eine solche Tiefe geschleudert zu
werden.

Für mich war übrigens die Gefahr nicht groß. Wenn uns Unglück drohte,
so befiel es jedenfalls Mr. Pugh, den Inspektor der indischen Polizei,
unter dessen Schutz wir von Kalkutta heraufgekommen waren. Er hatte
lange als Artillerieoffizier gedient, war nicht so ängstlich wie
ich, und wollte uns, mit einem Ghurka und einem andern Eingeborenen,
als Lotse in einer Draisine vorausfahren. Sahen wir seinen Wagen in
den Abgrund stürzen, so brauchten wir nur so rasch wie möglich zu
bremsen und uns nach einem andern Lotsen umzutun. Das war eine höchst
zweckmäßige Einrichtung. Auch daß Mr. Barnard, der erste Ingenieur des
Bergbezirks, die Leitung unseres Wagens übernahm, diente mir zu großer
Beruhigung, denn er hatte die Fahrt schon sehr oft gemacht.

Anscheinend war alles sicher, nur _ein_ Punkt blieb unentschieden: der
fahrplanmäßige Zug sollte unmittelbar nach unserm Wagen abgelassen
werden und konnte uns leicht über den Haufen rennen. Ich war im stillen
überzeugt, es würde geschehen.

Vor uns fiel die Straße steil ab und wand sich dann wie ein
Korkzieher, um Klippen und an Abgründen entlang, tiefer und immer
tiefer hinunter. Eine steile Rutschbahn, die in endlosen Krümmungen
abwärts führt, hätte nicht ungemütlicher aussehen können.

Jetzt ließ Mr. Pugh seine Flagge wehen und flog davon, wie der Pfeil
vom Bogen, und ehe ich noch Zeit hatte, aus dem Wagen zu springen,
fuhren wir ihm nach. Mich durchrieselte ein Schauer, wie ich ihn
ähnlich nur bei meiner allerersten Schlittenfahrt von einem steilen
Berggipfel empfunden habe. Der Atem verging mir, aber doch war es ein
Gefühl himmlischer Lust, eine plötzliche ungeheuere Aufregung, eine
Mischung von Todesangst und unaussprechlichem Entzücken, die für uns
Menschen, glaube ich, die höchste Wonne auf Erden ist.

Wie eine Schwalbe im Flug über den Boden schießt, so glitt der
Lotsenwagen den Berg hinunter; leicht, rasch und anmutig schwebte er
auf den geraden Strecken dahin und überwand spielend alle Biegungen
und Krümmungen. Wir jagten ihm nach und flogen mit Blitzesschnelle an
Vorgebirgen und Klippen vorbei; zuweilen hatten wir ihn fast eingeholt
-- wir hofften schon, es würde uns gelingen. Aber der Lotse trieb nur
seinen Scherz mit uns; kaum kamen wir ihm in die Nähe, so ließ er die
Bremse los, der Wagen tat einen Satz um die Ecke, und wenn wir ihn ein
paar Sekunden später wieder zu Gesicht bekamen, sah er nicht größer
als ein Schubkarren aus, so weit war er entfernt. Auch wir machten uns
einen ähnlichen Spaß mit dem Eisenbahnzug. Oft stiegen wir aus, um
Blumen zu pflücken oder am Abgrund sitzend die Aussicht zu bewundern;
dann hörten wir plötzlich ein dumpfes Brüllen, das immer lauter
wurde, und sahen den Zug hinter und über uns in Schlangenwindungen
heranstürmen. Wir brauchten jedoch erst abzufahren, wenn die Lokomotive
dicht bei uns war -- im Nu blieb sie weit dahinten. Sie mußte bei jeder
Station Halt machen, und das gab uns immer wieder einen Vorsprung.
Unsere Bremsvorrichtung war so ausgezeichnet, daß wir den Wagen auf dem
steilsten Abhang augenblicklich zum Stillstand bringen konnten.

Das wunderschöne Landschaftsbild bot die großartigste Abwechslung,
und wir hatten alle Muße es zu betrachten, ohne daß uns der Zug dabei
hinderlich war. Brauchte er die Straße für sich, so bogen wir rasch
in ein anderes Geleise, ließen ihn vorbeifahren, holten ihn dann
später ein und stachen ihn unsererseits wieder aus. Einmal hielten
wir an, um den Gladstone-Felsen zu betrachten, auf dem die Natur im
Laufe der Jahrtausende ein sprechend ähnliches Bildnis des ehrwürdigen
englischen Staatsmannes gemeißelt hat, das als Huldigung für ihn gerade
rechtzeitig fertig geworden ist.

Wir sahen auch einen Banianen- oder Götzenbaum, welcher von seinen
sechzig Fuß hohen Zweigen herab, säulenförmige Stützen zur Erde sandte;
ganz wie der große, spinnebeinige Banianenbaum mit seiner Wildnis von
Pflanzensäulen, den wir im botanischen Garten zu Kalkutta bewundert
hatten. Auch ganz laublose Bäume fielen uns auf, deren zahllose Aeste
und Zweige von einer Unmenge feurig leuchtender Schmetterlinge bedeckt
schienen. Es waren aber in Wirklichkeit Blüten, welche scharlachroten
Schmetterlingen täuschend ähnlich sahen.

Als wir einige Meilen bergab gefahren waren, machten wir Halt, um eine
tibetanische Theatervorstellung mit anzusehen, welche am Bergabhang
unter freiem Himmel stattfand. Die Zuhörerschaft bestand aus Ghurkas,
Tibetanern und andern absonderlichen Leuten. Ebenso fremdartig wie
das Stück selbst, waren auch die Kostüme der Darsteller. Sie traten
einer nach dem andern vor und begannen sich mit ungeheuerer Kraft und
Schnelligkeit im Kreise zu drehen, was von den übrigen mit furchtbarem
Lärm und Getöse begleitet wurde. Zuletzt wirbelte die ganze Truppe wie
der Wind tanzend und singend umher und wühlte den Staub auf. Es war ein
altes, berühmtes, geschichtliches Schauspiel, das die Leute aufführten;
ein Chinese erklärte es mir auf Pidgin-Englisch, während es vor sich
ging. Das Stück war schon ohne die Erklärung unverständlich genug, aber
durch diese wurde sein Sinn erst recht dunkel. Als Drama mochte das
alte, historische Kunstwerk wohl seine Mängel haben, aber betrachtete
man es als wilde, barbarische Darstellung, so spottete es jeder Kritik.

Weiter abwärts stiegen wir wieder aus, um zu beobachten, welche
merkwürdige Schleife die Bahn hier macht. Als der Zug in die Kurve
einbog, sahen wir die Lokomotive unter der Brücke verschwinden auf der
wir standen, gleich darauf kam sie wieder zum Vorschein und jagte ihrem
eigenen Schwanze nach; sie erreichte ihn, überholte ihn, lief an den
letzten Wagen vorbei und begann nun ein Wettrennen mit dem hintern Ende
des Zuges. Es kam mir vor wie eine Schlange, die sich selber auffrißt.

Auf halber Höhe des Berges hielten wir eine Stunde Rast in Mr. Barnards
Hause und nahmen Erfrischungen ein. Während wir auf der Veranda saßen
und durch eine Lichtung des Waldes nach dem fernen Gebirgspanorama
hinüberblickten, hätten wir fast gesehen, wie ein Leopard ein Kalb
zerriß, (er hatte es tags zuvor getan). Es ist eine wilde, reizende
Gegend. Ringsum in den Wäldern ertönte Vogelgesang, auch ein paar
Vögel, die mir damals noch unbekannt waren, ließen ihr Lied erschallen:
der Gehirnteufel und der Kupferschmied. Der Gehirnteufel fängt leise
an zu singen, aber sein Ton wird beständig lauter und lauter, er
steigt in spiralförmigen Windungen in die Höhe, immer schärfer, immer
schneidender, quälender, schmerzhafter, unleidlicher, aufdringlicher,
unerträglicher; zum Wahnsinn treibend, bohrt er sich tiefer und tiefer
in des Hörers Kopf, bis zuletzt bei ihm eine Gehirnentzündung eintritt,
die den Tod zur Folge hat. Ich bringe einige dieser Vögel mit nach
Amerika, wo sie ohne Zweifel großes Aufsehen erregen werden; man
glaubt, daß sie sich in unserm Klima so rasch vermehren lassen, wie die
Kaninchen.

Der Gesang des Kupferschmieds klingt in gewisser Entfernung wie
Hammerschläge auf Granitgestein; geht man weiter, so nimmt das Hämmern
einen metallischen Klang an, man meint, der Vogel bessere einen
Kupferkessel aus. In noch größerer Entfernung klingt es zwar auch laut
und kräftig, aber ganz als würden Fässer verspundet; merkwürdigerweise
tönt das Klopfen in nächster Nähe sanft und melodisch, doch hört es gar
nicht auf und wird zuletzt so einförmig, daß man aus der Haut fahren
möchte; man fühlt sich unsäglich elend, der Kopf schmerzt einem zum
Zerspringen und man verliert den Verstand. Auch diesen Vogel nehme ich
mit und will ihn bei uns einbürgern.

Neu gestärkt stiegen wir wieder in die Draisine und fuhren weiter den
Berg hinunter; bald flogen wir, bald machten wir Halt, bis wir die
Ebene erreichten und in den gewöhnlichen Personenzug nach Kalkutta
einstiegen. Das war der genußreichste Tag, den ich auf Erden verlebt
habe. Es gibt kein himmlischeres, aufregenderes, entzückenderes
Vergnügen, als eine Fahrt in der Draisine vom Himalaja hinunter.
Nichts, gar nichts läßt der wonnevolle Ausflug zu wünschen übrig, außer
daß er statt fünfunddreißig Meilen mindestens fünfhundert Meilen lang
sein möchte.




Siebzehntes Kapitel.

        Gib deine Illusionen nicht auf. Hast du sie verloren, so
        magst du zwar noch dein Dasein fristen, aber _leben_ im
        eigentlichen Sinne kannst du nicht mehr.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


So weit ich es beurteilen kann, hat sich der Mensch mit der Natur um
die Wette bemüht, Indien zu dem merkwürdigsten Lande zu machen, welches
die Sonne bescheint. Unter all seinen Wundern habe ich bis jetzt eines
noch unerwähnt gelassen, nämlich den großen Reichtum an blutgierigen
Raubtieren, den es besitzt.

Seit vielen Jahren ist die britische Regierung unausgesetzt bemüht
gewesen, die gefährlichen wilden Tiere in Indien auszurotten. Sie
hat es sich große Summen Geldes kosten lassen, doch kann man aus den
jährlich von ihr veröffentlichten Listen ersehen, wie schwierig das
Unternehmen ist.

Diese amtlichen Berichte weisen eine ganz ähnliche Gleichförmigkeit
auf, wie die statistischen Angaben über die Todesfälle und Todesarten
in den Hauptstädten der Welt. Man braucht sich nur mit der
betreffenden Statistik der letzten Jahre vertraut zu machen, um fast
genau vorhersagen zu können, wie viele Menschen in London, Paris oder
New York nächstes Jahr durch Selbstmord enden oder an der Schwindsucht,
dem Krebs, der Tollwut sterben, wie viele aus dem Fenster fallen oder
von Droschken überfahren werden. So läßt sich auch im indischen Reich
mit Sicherheit aus den Verzeichnissen früherer Jahre schließen, wie
viele Leute durch Bären, Wölfe oder Tiger im laufenden Jahre umkommen
oder wie viele dieser Bestien von der Regierung erlegt werden. Ja man
kann diese Zahlen mit ziemlicher Genauigkeit auf fünf Jahre im voraus
berechnen.

Mir liegt ein statistisches Verzeichnis aus sechs aufeinander folgenden
Jahren vor, aus dem sich ergibt, daß der Tiger in Indien alljährlich
800 und einige Personen tötet und die Regierung doppelt so viele Tiger.
In sechs Jahren hat der Tiger 5000 Menschen weniger 50 umgebracht und
die Regierung 10000 Tiger weniger 400.

Der Wolf tötet etwa 700 Personen im Jahr, und 5000 von seinem Stamme
fallen dafür zum Opfer; der Leopard bringt durchschnittlich 230 Leute
um, verliert aber 3300 Anverwandte, und dem Bären kosten die 100
Personen, die er im Jahre tötet, 1250 seiner eigenen Familie.

Den gewaltigsten Kampf mit dem Menschen besteht jedoch der Elefant,
der König des Dschungels; er verliert jährlich vier von seiner
Genossenschaft, rächt sich aber durch den Tod von 45 Personen. Tiere
bringt der Elefant nur wenige um, vielleicht 100 in sechs Jahren, meist
die Pferde der Jäger; in demselben Zeitraum tötet der Tiger mehr als
84000 Stück Vieh, der Leopard 100000, der Bär 4000, der Wolf 70000, die
Hyäne mehr als 13000, andere Raubtiere 27000 und die Schlangen 19000,
was die großartige Gesamtsumme von 300000 oder durchschnittlich 50000
Stück im Jahr ausmacht. -- Die Regierung vertilgt während der nämlichen
Zeit 3201234 Raubtiere und Schlangen. Zehn für eins.

Die Schlangen töten viel lieber Menschen als Tiere, und es wimmelt
in Indien von gefährlichen Giftschlangen. Die schlimmste, die es
überhaupt gibt, ist die Kobra; gegen sie erscheint die Klapperschlange
als das harmloseste Geschöpf von der Welt. Bei meinen statistischen
Ermittelungen bin ich zu dem Ergebnis gelangt, daß die Raubtiere in
sechs Jahren 20000 Personen töteten und die Schlangen 103000. In
demselben Zeitraum vertilgt die Regierung 1073546 Schlangen. Es
bleiben noch immer genug übrig.

In Indien schwebt man beständig in Todesgefahr und kommt oft nur knapp
mit dem Leben davon. In jenem Dschungel, wo ich so viele Elefanten und
sechzehn Tiger erlegt habe, wurde ich von einer Kobra gebissen; die
Wunde heilte jedoch wieder, was alle Welt in Erstaunen setzte. So etwas
kommt in zehn Jahren höchstens einmal vor. Im gewöhnlichen Lauf der
Dinge wäre schon nach einer Viertelstunde der Tod eingetreten.

       *       *       *       *       *

Von Kalkutta aus verfolgten wir bei unserer Fahrt durch Indien eine
Art Zickzackweg in nordwestlicher Richtung. Wir fuhren durch lange
Strecken, die wie ein einziger Garten aussahen: viele Meilen weit war
alles mit den schönen Blumen bedeckt, aus deren Saft das Opium bereitet
wird, und bei Muzaffurpore gerieten wir mitten in die Indigokultur.
Eine Zweigbahn sollte uns in der Nähe von Dinapore an den Ganges
bringen, doch sie hielt an jedem Dorfe an, ohne daß jemand einstieg
oder Fracht verladen wurde; überall schwatzten die Eingeborenen wer
weiß wie lange mit ihren Freunden, die Zeit verstrich, und wir machten
uns schon darauf gefaßt, statt sechs Stunden, eine Woche unterwegs zu
bleiben. Da beschlossen die englischen Offiziere, diese Schneckenbahn
in einen Schnellzug umzuwandeln. Sie gaben dem Lokomotivführer eine
Rupie, und das Mittel half. Es ging nun wie der Wind; der Zug machte
neunzig Meilen in der Stunde. Im Morgengrauen fuhren wir über den
Ganges und erreichten noch glücklich unsern Anschluß. Bald waren wir
wieder in Benares, und nach einem vierundzwanzigstündigen Aufenthalt an
diesem merkwürdigen Hauptsitz der Frömmigkeit, setzten wir unsere Reise
nach Lucknow fort, wo die Engländer während des indischen Aufstands
im Jahre 1857 die großartigsten Beweise von Mut und Standhaftigkeit
gegeben haben, welche die britische Geschichte jemals zu verzeichnen
hatte.

Die Hitze war unbeschreiblich, alles Gras auf der weiten Ebene versengt
und verdorrt von der glühenden Sonne, der Boden mit gelblichem
Staub bedeckt, der in Wolken durch die Luft wirbelte. Aber zu jener
Schreckenszeit, als die Entsatztruppen nach dem belagerten Lucknow
marschierten, herrschte noch eine ganz andere Temperatur -- 138 Grad
Fahrenheit im Schatten.

Es scheint jetzt eine ausgemachte Sache zu sein, daß eine der
Hauptursachen des Aufstandes die Besitzergreifung des Königreichs
Oudh durch die Ostindische Kompagnie war, eine Tat, welche Sir Henry
Lawrence »die größte Ungerechtigkeit« nennt, »die je verübt worden
ist«. -- Schon im Frühling 1857 machte sich ein aufrührerischer Geist
in vielen eingeborenen Regimentern bemerkbar, der mit jedem Tag weiter
um sich griff. Die jüngeren Offiziere nahmen die Sache sehr ernst; sie
hätten den Ungehorsam gern sofort im Keime erstickt, doch fehlte ihnen
die nötige Machtbefugnis. Die höheren Militärs waren meist bejahrte
Männer, die längst nicht mehr hätten im aktiven Dienst sein sollen.
Sie legten den etwaigen mißlichen Vorkommnissen wenig Wert bei, da sie
große Stücke auf die eingeborenen Truppen hielten und nicht glaubten,
daß diese sich durch irgend welche Umstände zur Empörung treiben lassen
würden. Lächelnd hörten die Greise das unterirdische Grollen des
Vulkans, auf dem sie standen und meinten, es habe nichts zu bedeuten.

So hatten denn die Anstifter des Aufstandes völlig freie Hand.
Ungehindert zogen sie von einem Lager zum andern, schilderten den
eingeborenen Soldaten, wie ungerecht die Bedrückung des Volks durch
die Engländer sei und fachten unversöhnlichen Groll und Rachedurst in
allen Herzen an. Sie wurden überdies in ihrem Vorhaben durch zweierlei
sehr wesentlich unterstützt: Zu Clives Zeiten waren die eingeborenen
Truppen nur ungeordnete, schlecht bewaffnete Haufen gewesen, gegen
welche die gutgeschulten englischen Soldaten, trotz ihrer Minderzahl,
leichtes Spiel gehabt hatten. Jetzt bestand fast die ganze britische
Kriegsmacht aus eingeborenen Regimentern, die wohlgeübt, trefflich
bewehrt und von den Briten selbst in der Kriegführung unterrichtet
waren; sie hatten alle Macht in Händen, denn die wenigen englischen
Bataillone, über welche Indien verfügte, waren im ganzen Lande
zerstreut. Noch größeren Einfluß auf die unzufriedenen Gemüter übte
aber eine alte Prophezeiung, welche besagte, daß genau hundert Jahre
nach der Schlacht, durch welche Clive das Reich gegründet hatte, die
Macht der Briten in Indien von den Eingeborenen zerstört und ihrer
Herrschaft ein Ende gemacht würde. Die eingeborenen Truppen hatten im
allgemeinen eine heilsame Furcht vor den englischen Soldaten und würden
vielleicht allen Ueberredungskünsten der Aufwiegler widerstanden haben,
aber einer Prophezeiung vermag kein Inder sein Ohr zu verschließen.

Der indische Aufstand brach am 10. Mai 1857 zu Mirat aus und
hatte eine lange Reihe von Greueltaten im Gefolge. Nana Sahibs
Niedermetzelung der wehrlosen Besatzung nach der Uebergabe von Cawnpore
fand im Juni statt, und dann begann die lange Belagerung von Lucknow.
England hat eine alte, ruhmvolle Kriegsgeschichte hinter sich, aber
in keinem Abschnitt derselben erscheint es uns größer, als bei der
Unterwerfung des Aufstandes. Die Briten wurden sozusagen im Schlafe
überfallen; sie waren unvorbereitet und zählten nur wenige Tausend in
einem Meer von feindlichen Völkerschaften. Monate mußten vergehen,
bis die Nachricht England erreichte und Hilfe kam. Aber die tapfern
Offiziere verloren keinen Augenblick durch Zaudern und Schwanken. Mit
heldenhafter Entschlossenheit und Hingebung leisteten sie Widerstand
gegen die erdrückende Uebermacht und führten den scheinbar völlig
aussichtslosen Kampf zum glänzenden Siege.

Ich habe alle denkwürdigen Orte besucht, welche damals Zeugen der
entsetzlichsten Schreckensszenen und des größten Heldenmutes gewesen
sind; auch das kostbare Denkmal über dem Brunnen in Cawnpore habe
ich gesehen, in welchen Nana Sahib die verstümmelten Leichen der
hingemordeten Frauen und Kinder werfen ließ. Das Andenken an die
furchtbaren Leiden und Großtaten jener Zeit wird von den Nachkommen
heilig gehalten und in treuer Erinnerung bewahrt.

In Agra und später in Dehli sahen wir viele Forts, Moscheen und
Grabmäler aus der Glanzzeit der mohammedanischen Kaiserherrschaft,
welche an Größe, Pracht und Reichtum alles übertrafen, was die
übrige Welt in dieser Beziehung zu bieten vermag. Die Kostbarkeit
des Baumaterials und der Ausschmückung machen sie zu Wunderwerken
ersten Ranges. Zum Glück hatte ich noch nicht viel darüber gelesen
und folglich auch meine Phantasie nicht übermäßig erhitzt; ich konnte
einen natürlichen und vernünftigen Maßstab anlegen und mich durch den
herrlichen Anblick innerlich ergreifen, beglücken und erheben lassen,
ohne Trauer und Enttäuschung zu empfinden.

Ich will ihre Pracht und Schönheit nicht eingehend beschreiben; nur von
einem dieser weltbekannten Bauwerke, dem berühmtesten von allen, dem
Tadsch Mahal bei Agra möchte ich noch ein Wort sagen. Ich hatte mich
im voraus viel zu viel mit den verschiedenen literarischen Ergüssen
über den Tadsch beschäftigt. Jetzt sah ich ihn bei Tage und sah ihn im
Mondlicht, von nah und von ferne; ich wußte, daß er ein Weltwunder war
und seinesgleichen weder auf Erden hatte noch jemals haben würde --
aber _mein_ Tadsch war es nicht. Meinen Tadsch hatte ich mir nach den
Phantasiegebilden einer Schar leicht erregbarer Literaten erbaut, und
er hatte sich so fest in meinem Kopfe eingenistet, daß er durch nichts
wieder herauszubringen war.

Wie hatten mir diese Schriftsteller aber den Tadsch geschildert? -- Ich
will nur einige Auszüge wiedergeben: »Die innere Ausschmückung,« heißt
es, »besteht aus kostbaren Steinen, Achat, Jaspis und dergleichen,
mit denen jede vorspringende Stelle geschmückt ist -- in dekorativer
Beziehung steht der Tadsch einzig in der Welt da -- er bildet die
Grenze, wo die Baukunst aufhört und die Juwelierarbeit beginnt -- der
Tadsch besteht ganz aus Marmor und Edelsteinen -- er ist mit reicher
Mosaikarbeit aus Juwelen verziert, welche köstliche Blumenmuster bildet
-- der Tadsch ist ein Kunstwerk von vollendeter Schönheit -- ein
Mausoleum von ungeheuerer Größe -- ein Marmor-Wunder mit Blumen aus
Edelgestein u. s. w. --«

Das ist alles wahr und richtig. Auch wissen die Schriftsteller
selbst recht gut, wie es gemeint ist, denn sie kennen den Wert ihrer
Worte. Der Leser aber faßt diese ganz anders auf. Er nimmt seine
Einbildungskraft zu Hilfe, und ehe er sich’s versieht, erhebt sich vor
seinen Blicken ein über und über mit Juwelen bedeckter Tadsch, so hoch
wie das Matterhorn.

Es ist mit solchen Beschreibungen ein eigenes Ding; sie stimmen zwar
mit der Wahrheit überein, aber doch dienen die Worte meist nur dazu,
die Tatsachen zu verdunkeln.

Als ich den Niagarafall zum erstenmal sah, schaute ich gen Himmel, denn
ich erwartete einen mindestens sechzig Meilen breiten und sechs Meilen
hohen Wassersturz zu erblicken -- ein Atlantischer Ozean sollte sich
meiner Meinung nach von einem Gipfel so hoch wie der Himalaja ergießen.
Als ich statt dessen die kleine nasse Schürze gewahrte, die man zum
Trocknen aufgehängt hatte, überwältigte mich die spielzeugartige
Wirklichkeit dergestalt, daß ich auf der Stelle in Ohnmacht fiel.

Niemals hätte ich weder dem Niagara noch dem Tadsch Mahal in die Nähe
kommen sollen! Wäre ich meilenweit fortgeblieben, so würde ich mir
meinen eigenen mächtigen Niagara, der vom Himmelsgewölbe herabstürzt,
unversehrt erhalten haben, und mein Tadsch würde sich noch jetzt aus
farbigen Nebelgebilden auf Regenbogen von Edelsteinen erbauen, die auf
Säulenhallen aus Mondschein ruhen. Wer seiner Phantasie nicht Zaum und
Zügel anlegen kann, sollte niemals ausziehen, um eins der berühmten
Weltwunder mit Augen zu sehen. Seine Vorstellung davon wird immer
mindestens vierzigmal besser und schöner sein als die Wirklichkeit.

Vor vielen vielen Jahren habe ich mir in den Kopf gesetzt, daß der
Tadsch unter den Kunstschöpfungen des Menschen, was Anmut, Schönheit,
Glanz und Pracht betrifft, genau denselben Platz einnimmt, auf den
unter den Schaustellungen der Natur der Rauhreif ein Anrecht hat. Ich
habe den Tadsch niemals mit irgend einem Tempel oder Palast verglichen,
welchen Menschenhand erbaut hat, er war für mich nichts mehr und nichts
weniger als die architektonische Verkörperung des Rauhreifs.

Hier in London sprach ich neulich einmal voll Begeisterung mit meinen
englischen Freunden vom amerikanischen Rauhreif; aber sonderbarerweise
hatten sie nie etwas davon gehört und verstanden mich nicht. Ein Herr
sagte, er habe den Rauhreif noch in keinem Buch erwähnt gefunden.
Das ist sehr sonderbar, aber ich erinnere mich auch nicht, je etwas
darüber gelesen zu haben, während sich doch andere Naturerscheinungen
-- zum Beispiel die Färbung des amerikanischen Herbstlaubs -- der
allgemeinsten Aufmerksamkeit erfreuen.

Und doch erregt der Rauhreif jedesmal bei uns das größte Aufsehen.
Wenn er kommt, fliegt die Kunde durch das ganze Haus von Zimmer zu
Zimmer, und selbst der trägste Schläfer springt aus dem Bette, um
ans Fenster zu eilen. Meist tritt er mitten im Winter ein und treibt
sein Zauberwesen bei nächtlicher Stille und Dunkelheit. Ein feiner
Sprühregen fällt viele Stunden lang auf die kahlen Zweige und Aeste
der Bäume und gefriert daran fest. Bald ist der Stamm und das ganze
Geäst, ja selbst das kleinste Zweiglein mit einer Kruste von klarem Eis
überzogen, der Baum sieht aus wie ein Skelett aus kristallhellem Glas.
Ueberall hängen Fransen von kleinen Eiszapfen herab, manchmal auch nur
runde Perlen, gleich gefrorenen Tränen.

In der Morgendämmerung hellt sich das Wetter auf, die Luft ist frisch
und rein, der Himmel wolkenlos, es herrscht tiefe Stille, kein
Windhauch erhebt sich. Schnell ist die Nachricht verbreitet; Große und
Kleine kommen in Decken und Tücher gehüllt an das Fenster gestürzt, wo
sie dicht aneinander gedrängt regungslos verharren und schweigend die
feenhafte Erscheinung in den Anlagen betrachten. Alle wissen, was jetzt
kommen wird und warten auf das Wunder. Man vernimmt keinen Laut, außer
dem Ticken der Wanduhr, und eine Minute nach der andern verrinnt. Da
schießt plötzlich die Sonne feurige Strahlen auf jeden der Geisterbäume
und verwandelt ihn in lauter glitzernde funkelnde Diamanten. Die
Zuschauer halten den Atem an, die Augen werden ihnen feucht, doch ihre
Spannung läßt nicht nach -- es kommt noch mehr. Die Sonne steigt höher,
sie überflutet den Baum vom höchsten Gipfel bis zum niedrigsten Ast
mit einem weißen Strahlengewand, und dann geschieht urplötzlich ohne
jede Vorbereitung das Wunder aller Wunder, das seinesgleichen nicht
auf Erden hat: ein Windstoß bewegt auf einmal die Aeste und der ganze
weiße Baum zerstäubt und sprüht nach rechts und links und überallhin
funkelnde Edelsteine von allen nur denkbaren Farben. Wie er sich
rüttelt und schüttelt wirbeln blitzende Rubinen, Smaragde, Diamanten
und Saphire durch die Luft. Es ist das glänzendste, köstlichste,
blendendste, feenhafteste Schauspiel, das man auf Erden haben kann --
eine Erscheinung von so göttlicher, berauschender Schönheit und so
unaussprechlichem, überirdischem Glanz, wie man sie außerhalb der
Himmelstore schwerlich wieder zu sehen bekommt.

Warum hat denn kein Maler je versucht, den Rauhreif auf die Leinwand
zu zaubern? -- Farben und Pinsel müssen wohl außer stande sein,
die Herrlichkeit dieser sonnendurchglühten Juwelen naturgetreu
wiederzugeben. Eine größere Strahlenpracht findet man nirgends im
Reiche der Schöpfung; unter den Menschenwerken aber läßt sich, nach
meinem Gefühl, nur der Tadsch Mahal mit der Schönheit des Rauhreifs
vergleichen.




Achtzehntes Kapitel.

        Nimm dir vor, an jedem Tage etwas zu tun, wozu du keine
        Lust hast. Dann wird dir die Erfüllung deiner Pflichten
        bald keine Last mehr sein.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Wir wanderten nun zufriedenen Sinnes weiter durch das indische Land. In
Lahore lieh mir der Vizestatthalter einen Elefanten. Eine so großartige
Aufmerksamkeit hatte mir noch niemand erwiesen, und da es ein schönes,
wohlerzogenes, leutseliges Tier war, fürchtete ich mich auch nicht
vor ihm. Ich ritt sogar ganz zuversichtlich durch die engen Gassen
im Stadtteil der Eingeborenen, wo alle Pferde beim Anblick meines
Elefanten vor Schrecken scheu wurden, und die Kinder ihm fortwährend
vor die Füße kamen. Er schritt mit mir majestätisch mitten auf der
Straße einher und zwang alle Welt ihm auszuweichen oder sich die Folgen
selbst zuzuschreiben. Ich glaube, mit der Zeit würde ich einen Ritt auf
dem Elefanten jeder Beförderungsart vorziehen. Wer auf seinem Rücken
thront, dem braucht vor keinem Zusammenstoß zu bangen, wie gewöhnlich
beim Reiten oder Fahren. Auf dem hohen Platz genießt man das Bewußtsein
großer Würde und eine wunderschöne Aussicht ins Weite; man kann aber
auch allen Leuten in die Fenster sehen und wissen, was sie in ihren
Familien treiben.

Wir fuhren bis nach Rawal Pindi an der afghanischen Grenze und dann
wieder zurück nach Dehli, um die alten wundervollen Bauwerke in
Augenschein zu nehmen, ohne sie zu beschreiben. Wir suchten auch den
Schauplatz des tollkühnen Angriffs auf, durch den die Briten beim
indischen Aufstand Dehli mit Sturm nahmen und sich unsterblichen
Ruhm erwarben. In dem Hause, wo damals das Hauptquartier des
englischen Generals war, fanden wir gastliche Aufnahme und konnten
uns von allen Reiseanstrengungen ausruhen. Die Besitzung gehörte
jetzt einem Engländer, der so gänzlich zum Orientalen geworden war,
daß er sogar einen Harem hatte. Ein weitherziger Mann, wie es wenige
gibt: für seinen Harem hat er eine Moschee gebaut und für sich eine
englische Kirche. Sein historisch interessantes Wohnhaus steht in
einem großen Garten und ist von stattlichen Bäumen umgeben, in denen
Affen hausen. Die Affen sind unverschämt und unternehmungslustig, sie
kennen keine Furcht, überfallen das Haus bei jeder Gelegenheit und
schleppen alles fort, was ihnen in die Hände fällt -- lauter Dinge,
die sie nicht brauchen können. Eines Morgens, als der Hausherr sein
Bad nahm, war das Fenster offen geblieben, und auf dem Sims stand
ein Topf mit gelber Farbe, in welchem der Pinsel steckte. Ein paar
Affen zeigten sich am Fenster, und um sie zu verscheuchen warf der
Herr seinen Schwamm nach ihnen. Statt zu erschrecken kamen sie ins
Zimmer gesprungen, bespritzten ihn über und über mit dem Farbenpinsel
und jagten ihn hinaus. Darauf strichen sie die Wände, den Fußboden,
den Wasserbehälter, die Fenster und Möbel gelb an; sie wollten eben
auch noch das Ankleidezimmer auf gleiche Weise malen, als die Diener
herbeikamen und sie vertrieben.

Zwei dieser ungezogenen Gesellen stahlen sich morgens früh in mein
Zimmer durch ein Fenster, dessen Läden ich nicht geschlossen hatte.
Als ich aufwachte, sah ich den einen vor dem Spiegel stehen und sein
Haar bürsten, während der andere sich meines Taschenbuchs bemächtigt
hatte, die humoristischen Notizen las -- und weinte. Der Affe mit der
Haarbürste kümmerte mich nicht, aber das Benehmen des andern kränkte
mich tief; es kränkt mich heute noch. Ich warf meinen Schuh nach ihm
-- das hätte ich nicht tun sollen, denn unser Wirt hatte mir gesagt,
man dürfe sich nie mit den Affen einlassen. Aus Rache bombardierten sie
mich nun mit allen Sachen, die sie aufheben konnten, dann wollten sie
noch mehr aus dem Badezimmer holen, aber ich warf rasch die Tür hinter
ihnen ins Schloß.

       *       *       *       *       *

Zu Jeypore in Rajputana machten wir einen längeren Aufenthalt. Wir
wohnten dort in der kleinen Vorstadt der europäischen Beamten, welche
einige Meilen von der Hindustadt entfernt liegt. Es waren überhaupt nur
vierzehn Europäer da und wir fühlten uns ganz wie zu Hause.

Der indische Diener ist in mancher Beziehung ein wahrer Schatz, nur
muß man ihn beaufsichtigen, und das tun die Engländer. Wenn sie ihn
ausschicken um eine Besorgung zu machen, genügt ihnen nicht, daß der
Mann sagt, er hätte den Auftrag erfüllt. Schickte man uns Obst oder
Gemüse, so kam immer eine Quittung mit, die wir unterzeichnen mußten,
sonst hätten die Eßwaren vielleicht nicht den Ort ihrer Bestimmung
erreicht. Stellte uns ein Herr seinen Wagen zur Verfügung, so stand auf
dem Papier von dann und dann, bis dann und dann -- so daß der Kutscher
und seine zwei oder drei Untergebenen uns nicht mit einem Teil der
festgesetzten Zeit abspeisen konnten, um sich selbst mit dem Rest eine
lustige Stunde zu machen.

Wir wohnten sehr angenehm in unserm zweistöckigen Gasthaus mit dem
großen Hof, den eine mannshohe Lehmmauer umgab. Die Gasthofsbesitzer,
neun Hindubrüder, waren mit ihren Familien in einem einstöckigen
Gebäude einquartiert, das auf einer Seite des Hofes lag; die Veranda
sah man stets von Scharen hübscher brauner Kinder besetzt, zwischen
denen mehrere Väter eingekeilt saßen und ihre Huka rauchten. Neben
der Veranda stand ein Palmbaum, auf dem ein Affe sein einsames Leben
führte; er sah immer traurig und schwermütig aus und die Krähen plagten
ihn sehr.

Daß die Kuh frei umherlief gab dem Hof ein ländliches Ansehen; auch
ein Hund war da, der stets in der Sonne lag und schlief, so daß er den
allgemeinen Eindruck von Ruhe und Stille verstärken half, wenn die
Krähen einmal durch Abwesenheit glänzten. Diener in weißen, faltigen
Gewändern gingen zwar fortwährend ab und zu, aber sie glitten nur wie
Gespenster lautlos auf ihren nackten Füßen vorüber. Ein Stück die Gasse
hinunter hauste ein Elefant unter einem hohen Baum. Er wiegte sich hin
und her und streckte den Rüssel aus; bald bettelte er um Speise bei
seiner braunen Herrin, bald schäkerte er mit den Kindern, die zu seinen
Füßen spielten. Auch Kamele waren in der Nähe, aber sie gehen auf
sammetweichen Sohlen und paßten ganz zu der friedlichen Heiterkeit der
Umgebung.

Nur eines machte mich unglücklich: Wir hatten unsern Satan verloren;
er war zu meinem tiefsten Kummer kürzlich von uns geschieden und meine
Trauer um ihn war groß. Noch jetzt, nach vielen Monaten, vermisse ich
ihn schmerzlich. Nie werde ich vergessen, wie er alles im Umsehen
fertig brachte, er flog nur so von einem Geschäft zum andern. Zwar
machte er es nicht immer recht, aber _gemacht_ wurde es jedenfalls und
zwar urplötzlich, ohne Zeitverlust. Man sagte ihm zum Beispiel: »Packe
die Koffer und Handtaschen, Satan!«

»Ja, Herr!«

Dann entstand rasch ein Klopfen und Hämmern, ein Sausen und Brausen --
Kleider, Jacken, Röcke und Stiefel wirbelten eine Zeitlang durch die
Luft, und schon im nächsten Augenblick berührte Satan seine Stirn und
verbeugte sich:

»Alles fertig, Herr!«

Es war unglaublich; mir wurde ordentlich schwindlig davon. Zwar
zerknitterte er die Kleider sehr und hatte anfänglich keinen andern
Plan bei der Arbeit, als jedes Ding in den falschen Koffer zu tun. Aber
darin besserte er sich bald, obgleich er es sich nie ganz abgewöhnte.
Noch bis zuletzt pflegte er in die der Literatur geheiligte Reisetasche
allen Kram hineinzupfropfen, für den sich sonst kein bequemer Platz
fand. Verbot man ihm das bei Todesstrafe, so geriet er nicht im
geringsten aus der Fassung; er machte ein freundliches Gesicht, sagte:
»Ja, Herr!« und tat es schon am nächsten Tage wieder.

Satan war immer geschäftig; rechtzeitig waren die Zimmer aufgeräumt,
die Stiefel glänzend gewichst, die Kleider gebürstet, die Waschschalen
mit reinem Wasser gefüllt. Schon eine Stunde, ehe ich meinen
Gesellschaftsanzug zur Vorlesung brauchte, lag alles für mich bereit
und Satan kleidete mich von Kopf bis zu Fuß an, trotz meines festen
Vorsatzes dies selbst zu tun, wie ich es mein Lebenlang gewohnt gewesen
war.

Er schien zum Herrschen geboren und tat nichts lieber als mit
Untergebenen zu streiten, sie herunterzumachen und zu überschreien. Am
meisten in seinem Element war er auf der Eisenbahn. Durch die dichteste
Masse der Eingeborenen stieß und drängte er sich, bis der Weg für ihn
und die neunzehn Kulis in seinem Gefolge frei war; jeder von ihnen trug
irgend ein kleines Gepäckstück, einen Handkoffer, Sonnenschirm, Schal,
Fächer oder dergleichen, keiner mehr als einen Gegenstand, und je
länger der Zug, um so zufriedener war mein Satan. Meist steuerte er auf
irgend einen bestellten Schlafwagen los, verschwor sich hoch und teuer,
daß er uns gehöre und fing an des Besitzers Sachen hinauszubefördern.
War unser eigener Wagen gefunden, so hatte er in zwei Minuten die
Bündel aufgeschnallt, die Betten gemacht und alles zurecht gelegt;
dann steckte er den Kopf zum Fenster hinaus und verschaffte sich den
köstlichen Genuß, auf seine Bande Kulis zu schimpfen und mit ihnen nach
Herzenslust über die Bezahlung zu streiten, bis wir ankamen, dem Lärm
ein Ende machten und ihm befahlen, die Leute zu befriedigen.

Ich glaube, der kleine schwarze Teufel war der größte Krakeeler in
ganz Indien, und das will viel sagen. Mir persönlich war sein Lärmen
sehr angenehm, aber die Meinigen gerieten oft ganz außer sich darüber.
Sie konnten sich nicht daran gewöhnen und fanden es unleidlich; es
verstieß gegen alle ihre Begriffe von Wohlanständigkeit. Wenn wir
noch sechshundert Meter weit von einem der großen Bahnhöfe waren,
hörten wir oft einen wahren Heidenlärm, ein gellendes Geschrei und
Gekreisch, ein Poltern und Wüten. Ich ergötzte mich dann sehr über den
Höllenspektakel, aber meine Familie sagte voll tiefer Beschämung:

»Da kannst du’s wieder hören -- das ist Satan! Weshalb gibst du ihm
nicht seinen Laufpaß?«

Und richtig -- mitten in dem riesigen Menschengewühl stand der kleine
schwarze Knirps und zappelte an allen Gliedern, wie eine Spinne, die
Bauchgrimmen hat. Seine schwarzen Augen blitzten, die Troddel auf
seinem Fez tanzte in der Luft und sein Mund strömte ganze Fluten von
Schelt- und Schimpfwörtern über die erstaunten Kulis aus, die um ihren
Lohn bettelten.

Ich war ganz verliebt in ihn, das leugne ich nicht; aber meine
Angehörigen konnten kaum mehr von ihm sprechen ohne sich aufzuregen.
Noch heutigen Tages bin ich untröstlich über seinen Verlust und wünsche
ihn mir zurück, während bei ihnen das gerade Gegenteil stattfindet.
Er war aus Surat gebürtig; zwischen seiner Vaterstadt und Manuels
Geburtsort lagen zwanzig Breitegrade, aber der Abstand zwischen ihren
Charakteren, ihrer beiderseitigen Gemütsart und Handlungsweise war noch
unendlich viel größer. Manuel hatte ich gern; aber meinen Satan liebte
ich. Sein wirklicher Name war so recht indisch, daß ich ihn nie recht
begriffen habe, er klang wie Bunder Rao Ram Chunder Clam Chowder; für
den Alltagsgebrauch war eine Abkürzung entschieden bequemer.

Als er etwa zwei oder drei Wochen bei uns war, fing er an allerlei
Mißgriffe zu begehen, die ich nur mit Mühe wieder gutmachen konnte. In
der Nähe von Benares stieg er zum Beispiel auf einer Station aus, um zu
sehen, ob er nicht mit irgend jemand Streit anfangen könnte. Nach der
langen, ermüdenden Fahrt bedurfte er einer Erholung. Er fand auch was
er suchte, setzte jedoch sein Spektakeln etwas zu lange fort, und der
Zug fuhr ohne ihn ab. Da waren wir nun in der fremden Stadt und hatten
kein Zimmermädchen -- eine große Unbequemlichkeit! Wir sagten ihm, das
dürfe nicht wieder vorkommen, worauf er sich verbeugte und »Ja, Herr!«
sagte, so lieb und freundlich wie immer.

In Lucknow beging er den großen Irrtum sich zu betrinken. Ich sagte,
der arme Mensch hätte das Fieber bekommen, und die Meinigen gaben ihm
aus Mitgefühl und Besorgnis ein Chininpulver ein, das ihm wie Feuer
in den Eingeweiden brannte. Die Gesichter, welche er dabei schnitt,
brachten mir einen bessern Begriff vom Erdbeben in Lissabon bei,
als alle Gemälde und Beschreibungen dieses Naturereignisses. Auch
am nächsten Morgen war sein Rausch noch nicht verflogen, doch hätte
ich der Familie seinen Zustand gewiß verbergen können, wäre er nur
zu bewegen gewesen, noch ein Chininpulver einzunehmen. Aber obgleich
er nicht recht bei Sinnen war, kam ihm doch dann und wann wieder ein
lichter Augenblick. Er machte einen ungeschickten Versuch sich zu
verbeugen und lallte mit unbeschreiblich dummem Lächeln: »Bitte nicht,
Mem Saheb, bitte nicht, Missy Saheb, kein Pulver für Satan, bitte.«

Eine innere Stimme verriet ihnen, daß er betrunken sei, und nun wurde
ihm aufs bestimmteste angekündigt, man werde ihn augenblicklich
entlassen, falls so etwas wieder vorkäme. »Bitte, bitte«, murmelte er
in rührselig weinerlichem Ton unter vielen Verbeugungen.

Es verging kaum eine Woche, da hatte sich der Unglücksmensch schon
wieder betrunken und diesmal, o Jammer, nicht im Hotel, sondern im
Privathause eines englischen Herrn und obendrein in Agra! Also mußte
er fort. Als ich es ihm ankündigte, sagte er demutsvoll: »Ja, Herr!«
machte seine Abschiedsverbeugung und verließ uns auf Nimmerwiederkehr.
Gott weiß, ich hätte lieber hundert Engel hergegeben als diesen einen
reizenden Teufel. Wie vornehm sah er aus, wenn er in einem feinen Hotel
oder Privathaus Staat machen wollte! Er war dann vom Kopf bis zu den
nackten Füßen ganz in schneeweißen Musselin gekleidet, hatte einen
feuerroten, mit Goldfaden gestickten Gürtel um die Hüften, und auf dem
Haupt einen seegrünen Turban, wie ihn nur der Großtürke trägt.

Ein Lügner war er nicht; doch wird er wohl mit der Zeit einer werden.
Einmal sagte er mir: als Knabe hätte er die Kokosnüsse immer mit den
Zähnen aufgebissen. Als ich ihn fragte, wie er sie habe in den Mund
stecken können, antwortete er, damals sei er sechs Fuß hoch gewesen
und habe einen ungewöhnlich großen Mund gehabt. Um ihn in die Enge zu
treiben, erkundigte ich mich, wie ihm denn der sechste Fuß abhanden
gekommen wäre, worauf er erwiderte, ein Haus sei auf ihn gefallen
und er habe seitdem seine frühere Statur nie wieder erlangen können.
-- Wenn ein sonst wahrheitsliebender Mensch sich einmal derartige
Abschweifungen von dem wirklichen Sachverhalt gestattet, gerät er
leicht immer tiefer in die Unwahrheit hinein, bis er schließlich zum
Lügner wird.

Satans Nachfolger war ein Moslemin -- Sahadat Mohammed Khan, ein sehr
dunkler, sehr großer und sehr ernster Mann. Er trug lange faltige
weiße Gewänder, schlich geräuschlos umher, sah aus wie ein Gespenst
und sprach mit leiser Stimme. Wir waren mit ihm zufrieden, denn er tat
seine Pflicht, aber wo _er_ schaltete und waltete schien die ganze
Woche über Sonntag zu sein. Das war zu Satans Zeit anders gewesen.

       *       *       *       *       *

Jeypore ist eine ganz indische Stadt, zeichnet sich aber durch
mancherlei Einrichtungen aus, die es der europäischen Wissenschaft und
dem europäischen Interesse für das Gemeinwohl verdankt. Ich erwähne
nur eine reichliche Wasserversorgung durch Leitungen, welche auf
Staatskosten angelegt sind; allerlei hygienische Vorkehrungen, die
Jeypore zu einem für indische Verhältnisse ungewöhnlich gesunden Orte
machen; einen herrlichen Lustgarten, wo der Eintritt an bestimmten
Tagen nur den Frauen gestattet ist; Schulen, in denen die eingeborene
Jugend in allen schönen und nützlichen Künsten unterwiesen wird,
sowie einen neuen, prächtigen Palast, der ein höchst wertvolles und
interessantes Museum enthält. Wenn der Maharaja kein Verständnis für
solche wohltätige Einrichtungen hätte und sie nicht mit Geldmitteln
unterstützte, würden sie nicht bestehen können; aber _er_ gilt für
einen aufgeklärten und großmütigen Mann, der jedem Fortschritt
zugänglich ist.

Die Bauart von Jeypore ist höchst eigentümlich; es liegt innerhalb
einer hohen mit Türmen besetzten Mauer und wird durch vollkommen
gerade, über hundert Fuß breite Straßen in sechs Teile geteilt. Die
lange Front der Häuser zeigt viele sehr anziehende architektonische
Eigenheiten; kleine malerische Altane mit Säulen und mancherlei
Zieraten unterbrechen überall die Einförmigkeit der geraden Linie;
lauschige Nischen, Simse und vorspringende Erker fallen bald hier
bald da ins Auge; auch sieht man an manchen Häusern merkwürdige
Malereien, und das Ganze hat eine Färbung von schönem, zartem Rosa,
wie Erdbeereis. Wer die breite Hauptstraße hinunterblickt, kann sich
kaum vorstellen, daß sie aus wirklichen Gebäuden besteht. Man hat den
Eindruck, als sähe man ein Gemälde oder Theaterkulissen.

Diese Illusion war besonders stark an einem großen Tage, den wir in
Jeypore erlebten: Ein reicher Hindu hatte auf seine Kosten eine Menge
Götzenbilder anfertigen lassen, die um zehn Uhr morgens in feierlichem
Zuge durch die Stadt gefahren wurden. Die langen Reihen der Dächer,
die zahllosen Balkone, die phantastischen Vogelkäfige und behaglichen
kleinen Nestchen an der Vorderseite der Häuser, waren dicht mit
Eingeborenen besetzt. Jede dieser Gruppen bildete eine feste Masse, die
in den glänzendsten Farben strahlend, sich prächtig gegen den blauen
Himmel abhob und von der Sonne Indiens in ein feuriges Flammenmeer
verwandelt wurde. Auch die breite Straße selbst war, so weit das
Auge reichte, mit bunt geschmückten Menschen angefüllt, die alle
durcheinander wimmelten, sich hierher und dorthin wälzten, sich bald
vom Strom vorwärts treiben, bald im Kreise drehen ließen. Und dabei
diese wundervollen Farben! Von den zartesten, blassesten, weichsten
Schattierungen, bis zu den stärksten, lebhaftesten, grellsten und
glänzendsten Tönen, als käme ein Riesenschwarm bunter Wickenblüten auf
den Flügeln der Windsbraut einhergestürmt. Plötzlich teilte sich dieses
Farbenmeer, um den majestätischen Zug der Elefanten durchzulassen,
die mit ihrem prächtigsten Schmuck angetan, schwankenden Schrittes
daherkamen, gefolgt von langen Reihen phantastischer Wagen und Karren,
welche die verschiedenen Gruppen der ebenso seltsamen wie kostbaren
Götzenbilder trugen. Den Schluß bildete der zahlreiche Nachtrab
stattlicher Kamele mit ihren malerisch gekleideten Reitern.

Alles war so neu und fremdartig, so unbeschreiblich eindrucksvoll und
farbenprächtig, daß wir uns von dem fesselnden Anblick kaum loszureißen
vermochten. Es war der sinnenberückendste Aufzug, den ich je gesehen
habe, und etwas Aehnliches zu erblicken, wird mir schwerlich noch
einmal im Leben zu teil werden.




Neunzehntes Kapitel.

        Katzen haben ein zähes Leben,
        Lügen ein noch viel zäheres.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Ende März segelten wir von Kalkutta ab, hielten uns einen Tag in
Madras, drei Tage in Ceylon auf und fuhren dann westwärts, nach der
Insel Mauritius.

       *       *       *       *       *

_Aus dem Tagebuch, 7. April._ -- Wir sind jetzt weit draußen auf der
glatten Wasserwüste des Indischen Ozeans. Unter dem großen Leinwandzelt
sitzt sich’s behaglich und friedlich im Schatten; wir führen ein Leben,
das ganz ideal genannt werden kann.

Unser Kapitän hat die Eigentümlichkeit, daß die Wahrheit in seinem
Munde immer unglaubwürdig klingt, während ein ernster Schotte an
unserer Tafel jede Lüge, die er vorbringt, wahrscheinlich zu machen
weiß. Tut der Kapitän eine Aeußerung, so sehen sich die Zuhörer
fragend an, jeder denkt: »Ist das auch wahr?« Stellt der Schotte eine
Behauptung auf, so liest man in allen Blicken: »Wie interessant, wie
merkwürdig!« Diese Tatsache läßt sich nur aus der verschiedenen Art und
Weise beider Männer erklären. Der Kapitän trägt aus Schüchternheit und
Mangel an Selbstvertrauen, bei den einfachsten Angaben, die er macht,
eine ängstliche Miene zur Schau. Der Schotte sagt die offenkundigsten
Lügen mit einem Schein strengster Wahrhaftigkeit, so daß man, selbst
gegen besseres Wissen, gezwungen ist ihm zu glauben.

Einmal erzählte uns der Schotte, er habe sich im Springbrunnen seines
Gewächshauses einen zahmen fliegenden Fisch gehalten, der selbst für
seinen Unterhalt sorgte, und sich in den umliegenden Feldern, Vögel,
Frösche und Ratten zur Nahrung fing. Man sah deutlich, daß keiner der
Tischgäste an dieser Geschichte zweifelte.

Als dann später von Zollbelästigungen die Rede war, und der Kapitän
berichtete, wie es ihm einmal in Neapel ergangen sei, tat er es mit so
unsicherem Wesen, daß niemand seinen Worten Glauben schenkte.

Er sagte: »Der Beamte fragte mich mehrmals, ob ich etwas Verzollbares
bei mir hätte und sah mich sehr zweifelnd an, als ich es verneinte. Nun
forderte mich ein Passagier auf, zum Abschied ein Glas Wein mit ihm zu
trinken, was ich jedoch mit dem Bemerken ausschlug, ich hätte soeben an
Bord einen Schluck Cognac genommen. Das hörte der Beamte und ließ sich
einen Sixpence Zollgebühren für den Cognac bezahlen, ferner fünf Pfund
Sterling als Strafe für undeklarierte Ware, fünf Pfund wegen falscher
Angabe, daß ich nichts Verzollbares hätte, fünf Pfund, weil die Ware
verborgen worden sei und fünf Pfund wegen unerlaubten Schmuggels. Alles
in allem fünfundsechzig Pfund und Sixpence für solche Kleinigkeit.«

Ich bin überzeugt, der Schotte sagt lauter Lügen und man glaubt ihm
alles, während der Kapitän, so viel ich weiß, immer die Wahrheit
spricht und doch für einen Lügner gehalten wird. Das ist fast so
merkwürdig wie die Erfahrung, welche ich selbst als Schriftsteller in
dieser Beziehung gemacht habe: ich konnte nie eine Lüge sagen, welche
Zweifel erregte, noch eine Wahrheit, der jemand Glauben schenkte.

       *       *       *       *       *

_10. April._ -- Die See ist blau wie das Mittelmeer, und das ist wohl
eine der himmlischsten Farben, welche die Natur besitzt. --

Wie wunderbar ist doch die verschwenderische Großmut, mit welcher
die Natur ihre Geschöpfe bedacht hat! Das heißt, alle, mit Ausnahme
des Menschen. Für die, welche fliegen, hat sie ein Haus gebaut, das
vierzig Meilen hoch ist, den ganzen Erdball umgibt und ihnen kein
Hindernis bietet. Denen, welche schwimmen, weist sie ein Gebiet an, wie
es kein Kaiser besitzt, ein Gebiet, das vier Fünftel der Erde bedeckt
und meilenweit in die Tiefe geht. Den Menschen dagegen speist die
Natur mit allerlei Brocken und Ueberbleibseln der Schöpfung ab. Sie
hat ihm nur die obere Schicht gegeben, die magere Haut, mit welcher
ein Fünftel der Erde so dünn überzogen ist, daß überall die nackten
Knochen hervorragen. Obendrein liefert die Hälfte seines Gebietes
nichts als Schnee, Eis, Sand und Felsgestein. So verbleibt ihm denn
nur noch ein Zehntel des ganzen Familienerbes als wirklich wertvoller
Besitz. Er kann im Schweiße seines Angesichts kaum genug erwerben, um
sein Leben zu fristen, denn er muß außerdem noch für den Unterhalt
der Könige und Soldaten sorgen, und Pulver herbeischaffen, damit die
Segnungen der Zivilisation weiter ausgebreitet werden. Und doch glaubt
der Mensch, weil er nicht zu rechnen versteht, in seiner Einfalt und
Selbstgefälligkeit, daß die Mutter Natur ihn als das wichtigste Glied
der Familie betrachtet, daß er ihr Lieblingskind ist. Es müßte doch
wahrlich selbst seinem blöden Verstande zuweilen auffallen, welche
sonderbare Art sie hat, ihre Vorliebe zu beweisen.

       *       *       *       *       *

_Nachmittags._ -- Der Kapitän hat uns soeben erzählt, es sei auf
einer seiner Fahrten im Nördlichen Eismeer so kalt gewesen, daß der
Schatten des Schiffsmaats auf dem Deck festfror, und man nur mit
Gewalt zwei Drittel davon wieder loseisen konnte. Alle schwiegen bei
dieser Mitteilung, niemand äußerte ein Wort, und der Kapitän ging ganz
betreten davon. -- Er wird noch alle Lust verlieren, überhaupt etwas zu
sagen.

Es gibt doch nichts Ruhevolleres als einen Tag auf dem Tropenmeer:
die blaue See ist glatt und ohne Bewegung, nur die schnelle Fahrt
des Schiffes erzeugt einen frischen Lufthauch, und bis zum fernsten
Horizont kann man nicht das kleinste Segel erspähen. Es kommen keine
Briefe an, die gelesen und beantwortet werden müssen, man wird nicht
durch Zeitungsnachrichten aufgeregt, durch Telegramme beunruhigt
und erschreckt; die Welt liegt weit abseits, sie ist für uns nicht
vorhanden -- anfangs verblaßte sie wie ein Traum, jetzt ist sie ins
Wesenlose versunken. All ihr Arbeiten und Streben, ihr Glück und
Unglück, ihre Wonne und Verzweiflung, ihre Freuden und Kümmernisse,
ihre Sorgen und Qualen, haben nichts mehr mit unserem Leben zu
schaffen, sie sind vorübergezogen wie ein Sturm, auf den tiefe
Windstille gefolgt ist.

Die in schneeweißes Linnen gekleideten Passagiere versammeln sich in
Gruppen auf dem Deck; sie lesen, rauchen, spielen Karten, plaudern,
halten ein Mittagsschläfchen, kurz tun was sie wollen. Auf andern
Schiffen stellt man fortwährend Berechnungen an, wie lange die Fahrt
noch dauern wird, auf diesen Meeren geschieht das höchst selten.
Kein Mensch kümmert sich um das Anschlagebrett, wo die tägliche
Fahrgeschwindigkeit verzeichnet wird, auch wettet man natürlich nicht
auf den Lauf des Schiffes, wie das bei Reisen über den Atlantischen
Ozean zu geschehen pflegt.

Mir selbst ist es vollständig gleichgültig, wann wir in den Hafen
kommen; auch habe ich noch keinen der andern Passagiere darnach fragen
hören. Wenn es nach mir ginge, würden wir überhaupt nie mehr landen;
denn dies Leben auf dem Wasser hat für mich einen unaussprechlichen
Reiz. Da gibt es weder Ermüdung, noch Abspannung, noch Mißstimmung, man
hat keine Sorge, keine Arbeit, keine Verantwortlichkeit. Wo wäre wohl
auf dem Lande solches Behagen, solche Heiterkeit, solcher Friede und
ein so volles Genügen zu finden? Hätte ich die Wahl, ich segelte endlos
weiter auf diesem wundervollen Meer und schlüge meinen Wohnsitz nie
wieder am festen Lande auf.

       *       *       *       *       *

_Mittwoch 15. April._ -- Mauritius. -- Um zwei Uhr nachmittags gingen
wir bei Port Louis vor Anker. Die Klippen und Spitzen der zerklüfteten
Felsengruppen sind bis zum höchsten Gipfel hinauf bewaldet; auf der
grünen Ebene liegen die Wohnhäuser zwischen tropischen Gebüschen
verstreut. Hier ist der Schauplatz der Geschichte von Paul und Virginie.

       *       *       *       *       *

_Donnerstag 16. April._ -- In Port Louis ans Land gegangen. Wir
fanden in der kleinen Stadt die mannigfaltigsten Nationalitäten und
Hautschattierungen, die uns bisher vorgekommen waren: Franzosen,
Engländer, Chinesen, Araber, Afrikaner mit Wollköpfen oder glattem
Haar, Ostindier, Mischlinge, Quadronen in den verschiedensten Trachten
und Farben. -- Die Geschichte von Mauritius verzeichnet offenbar nur
_eine_ wichtige Begebenheit, und diese hat sich obendrein niemals
zugetragen. Ich meine den romantischen Aufenthalt von Paul und
Virginie, welcher jedermann mit dem Namen der Insel vertraut machte,
während ihre geographische Lage aller Welt verborgen blieb.

       *       *       *       *       *

_18. April._ -- Dies ist das einzige Land auf Erden, wo man den Fremden
nicht fragt: »Wie gefällt Ihnen unsere Gegend?« Alles Reden über die
Insel geht von den Bewohnern selbst aus, der Reisende braucht nur
zuzuhören und erhält allerlei Belehrung. Von einem Bürger erfährt er,
daß Mauritius zuerst erschaffen wurde und dann der Himmel nach dem
Vorbild von Mauritius. Ein anderer erklärt das für Uebertreibung und
behauptet, man lebe in Mauritius durchaus nicht wie im Himmel; wer zum
Beispiel nicht gezwungen wäre in Port Louis zu wohnen, würde sich den
Aufenthaltsort gewiß nicht wählen.

Ein Engländer sagte mir:

»Die Insel ist bekannt wegen der ungewöhnlich langen Quarantäne, welche
die Schiffe für nichts und wieder nichts halten müssen; dieselbe dauert
oft drei bis vier Wochen. Einmal wurde sogar die Quarantäne über ein
Schiff verhängt, weil der Kapitän als Knabe die Blattern gehabt habe.
Außerdem war er auch Engländer. Der französische Einfluß ist von
früherher noch immer am vorherrschendsten auf der Insel; die Zahl der
Engländer ist gering und der Gouvernementsrat besteht fast nur aus
Franzosen.

»Die Bevölkerung beträgt etwa 375000. Die meisten sind Ostindier; außer
ihnen gibt es Mischlinge und Neger, welche Abkömmlinge der Sklaven
aus der Zeit der französischen Herrschaft sind; ferner Franzosen und
Engländer. Die Mischlinge stammen aus Verbindungen von Weißen und
Schwarzen, Mulatten, Quadronen oder Quarteronen; es sind daher alle
nur denkbaren Schattierungen vertreten: ebenholzschwarz, mahagoni,
kastanienbraun, fuchsrot, syrupfarben, dunkelbernsteingelb, hellgelb,
crêmefarben, elfenbeinweiß und aschgrau. Letzteres ist die Farbe,
welche der Angelsachse bei längerem Aufenthalt im Tropenklima annimmt.

»Die meisten Bewohner von Mauritius kennen nichts als ihre Insel und
haben weder viel gelernt noch gelesen -- außer der Bibel oft nur
Paul und Virginie. Von diesem Roman werden jährlich viele Exemplare
verkauft, und es gibt Leute, welche glauben, er wäre ein Teil der
Bibel. Es ist das berühmteste Buch, das je über Mauritius geschrieben
worden ist -- aber auch das einzige. Die drei Hauptländer der Erde
sind nach Ansicht der Bürger: Judäa, Frankreich und Mauritius, und daß
sie in einem der drei geboren sind, erfüllt sie mit Stolz. Rußland
und Deutschland gehören, ihres Wissens, zu England und von letzterem
haben sie keine große Meinung. Wer über die Vereinigten Staaten und den
Aequator etwas hat verlauten hören, glaubt, das seien zwei Königreiche.

»Der Buchhandel auf der Insel ist unbedeutend; für Bildung und
Unterhaltung des Volks müssen die Zeitungen sorgen, welche aus zwei
ureinfach gedruckten Seiten bestehen, die eine mit französischem, die
andere mit englischem Text. Die englische Seite ist eine Uebersetzung
der französischen; einen Korrekturleser gibt es nicht -- der Mann ist
gestorben.

»Und was steht darin? Wo nimmt man auf der kleinen, entlegenen Insel
mitten im indischen Ozean täglich den Stoff her, um eine ganze
Druckseite zu füllen? -- Den muß Madagaskar liefern, Madagaskar und
Frankreich. Ratschläge, die man der Regierung erteilt und abfällige
Bemerkungen über die englische Verwaltung bilden den übrigen Inhalt der
Tagesblätter, deren Besitzer und Herausgeber französische Kreolen sind.

»Das Französische ist Landessprache. Jeder muß es sprechen, er mag
wollen oder nicht. Besonders ohne das Mischlings-Französisch, das die
Leute mit den vielen verschiedenfarbigen Gesichtern reden, kann man
sich hier gar nicht verständlich machen.

»Mauritius war früher sehr wohlhabend, denn man macht hier den besten
Zucker in der ganzen Welt. Aber zuerst verdarb der Suez-Kanal die
Handelsverbindungen der Insel, und dann verschloß ihr der Rübenzucker
mit Hilfe der Zuckerprämien den europäischen Markt. Viele der
größten Zuckerpflanzer befinden sich in Geldverlegenheit und würden
ihre Besitzungen gern für die Hälfte der Summen hergeben, die sie
hineingesteckt haben. Wenn ein Land erst anfängt die Teekultur zu
betreiben, so ist das ein sicheres Zeichen für den Rückgang seines
Hauptprodukts, dafür liefern Bengalen und Ceylon den Beweis. Auch in
Mauritius macht man jetzt Versuche mit der Teekultur.«

       *       *       *       *       *

_20. April._ -- Der jährliche Cyklone richtet oft große Verwüstungen
in den Zuckerfeldern an. Im Jahre 1892 wurden Hunderte von Menschen
durch den Cyklone getötet oder zu Krüppeln gemacht, und der
sündflutartige Regen, der dabei Port Louis überschwemmte, erzeugte
großen Wassermangel. Das ist buchstäblich wahr, denn er zerstörte das
Wasserwerk und die Leitungsröhren, und als sich die Flut verlaufen
hatte, herrschte eine Zeitlang arge Not, weil man kein Wasser bekommen
konnte. -- Die Wut jenes Wirbelsturms war fürchterlich; er machte
ganze Straßen von Port Louis zu Trümmerhaufen, entwurzelte Bäume,
deckte Dächer ab, schmetterte einen Obelisken zu Boden, riß Schiffe
vom Anker los und schleuderte ein amerikanisches Fahrzeug bis in den
Wald hinauf. Ueber eine Stunde lang krachte der Donner ohne Unterlaß,
die Blitze zuckten und der Wind heulte -- es war ein Höllenlärm ohne
gleichen. Dann trat plötzlich Ruhe ein, heller Sonnenschein und völlige
Windstille; die Menschen wagten sich hinaus, um den Verwundeten
beizustehen und nach ihren Freunden und Angehörigen zu suchen. Da brach
der rasende Sturm unvermutet aus einer andern Himmelsgegend von neuem
los und richtete vollends alles zu Grunde.

Die Wege auf der Insel sind fest und eben, die Bungalows bequem
ausgestattet, die Höfe sehr geräumig; längs der Fahrstraßen wachsen
hohe grüne Bambushecken, und -- was ich noch nie gesehen habe --
Hecken von roten und weißen Azaleen, die sich wunderhübsch ausnehmen.
Mauritius ist ein einziger, großer, gartenähnlicher Park. Die wogenden
Zuckerrohrfelder mit ihrem frischen Grün tun dem Auge wohl; überall
entfaltet sich tropischer Pflanzenwuchs in üppigster Fülle, helles
und dunkles Grün, dicht verschlungenes Unterholz von hohen Palmen
überragt, große schattige Wälder mit klaren Flüssen, die sich bald im
Dunkel verlieren, bald lustig wieder ans Tageslicht gesprungen kommen;
auch kleine Berge mit spielzeugartigen Klippen und Felsengruppen hat
Mauritius aufzuweisen und dann und wann einen Durchblick auf das Meer
mit dem weißen Schaum der Brandung. Die Insel ist sehr hübsch in ihrer
Art, doch fehlt ihr das Erhabene, Großartige, Geheimnisvolle, wie
es unersteigliche Bergeshöhen mit Gipfeln, die in den Himmel ragen,
und weite Fernsichten einer Gegend verleihen; der Gesamteindruck ist
reizend, aber nicht überwältigend, er berührt uns angenehm, dringt aber
nicht bis in die Tiefe der Seele.

Als die Franzosen noch Mauritius besaßen, belästigten sie von dort aus
die indischen Kauffahrteischiffe; deshalb nahm ihnen England die Insel
fort und auch das benachbarte Bourbon. Letzteres gab es jedoch wieder
an Frankreich heraus und ließ sich auch Madagaskar fortschnappen,
was sehr zu beklagen ist. England hätte mit geringer Anstrengung die
harmlosen Eingeborenen vor dem Unheil der französischen Zivilisation
schützen können. Leider hat es das unterlassen, und jetzt ist es zu
spät.

Vor der Sünde, einen Raub an Frankreich zu begehen, hätte sich England
schwerlich gescheut. Aller Grundbesitz sämtlicher Staaten der Erde
-- Amerika natürlich nicht ausgeschlossen -- besteht aus gestohlenem
Gut, aus Ländereien, die andern Nationen gehörten, denen man sie
entrissen hat. In Europa, Asien und Afrika ist jeder Fußbreit Land
schon Millionen mal wieder und wieder gestohlen worden. Ein Verbrechen
aber, das seit Jahrtausenden verübt wird, hört auf ein Verbrechen
zu sein und wird zur Tugend. Das Gewohnheitsrecht ist stärker als
jedes andere Gesetz. Auch werden ja heutzutage unter den christlichen
Regierungen die allseitigen Pläne solchen Länderraubs ganz frei und
offen verhandelt.

Ohne Frage lassen die Zeichen der Zeit deutlich erkennen, welchen
Verlauf die Sache nehmen wird: Alle noch unzivilisierten Länder der
Erde müssen unter die Herrschaft der christlichen Staaten Europas
kommen. Mir macht das keinen Kummer, im Gegenteil, ich freue mich
darüber. Vor zweihundert Jahren wäre dies unabwendbare Geschick noch
ein Unheil für die wilden Völker gewesen, aber jetzt wird es, unter
gewissen Umständen, für manche ein Segen sein. Die Europäer sollen nur
je eher je lieber alles Land in Besitz nehmen, damit Friede, Ordnung
und Gerechtigkeit an die Stelle der Bedrückung, des Blutvergießens
und der Gesetzlosigkeit tritt, unter der die Wilden Jahrhunderte lang
geschmachtet haben. Wenn man bedenkt, was zum Beispiel Indien zu der
Zeit gewesen ist, als die Hindus und die Mohammedaner es beherrschten,
und wie es jetzt um das Land steht, wenn man an das frühere Elend der
Millionen zurückdenkt, die heutzutage Schutz und eine menschenwürdige
Behandlung genießen, so wird man zugeben müssen, daß es für Indien kein
größeres Glück geben konnte, als unter britische Oberherrschaft zu
kommen. Geht nun alles Land der wilden Völker in europäischen Besitz
über, und müssen sie selbst sich den fremden Herrschern auf Gnade oder
Ungnade unterwerfen, so wollen wir von Herzen hoffen und wünschen, daß
alle Wilden bei dem Tausch nur gewinnen möchten.




Zwanzigstes Kapitel.

        In der Staatskunst bringe alle Formalitäten in Ordnung und
        kümmere dich nicht um die Moralitäten.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_28. April._ -- Nach Afrika abgesegelt. -- ›Arundel Castle‹ ist das
schönste Dampfboot, in dem ich auf diesen Meeren gefahren bin, es ist
durch und durch modern und das will viel sagen. An einem Mangel, den
man überall trifft, leidet aber auch dieses Schiff: die Betten lassen
zu wünschen übrig. Es ist ein großer Fehler, daß man die Auswahl der
Betten stets dem ersten besten Mann mit starkem Rückgrat anvertraut,
statt einer zarten Frau dies Amt zu übertragen, die von Kindheit auf
an Schlaflosigkeit und Gliederweh gelitten hat. Nichts ist sowohl
diesseits wie jenseits des Ozeans eine größere Seltenheit, als Betten,
welche allen Anforderungen entsprechen. Zwar sind sie in einigen
Hotels der Erde zu finden, aber auf keinem Schiff, weder jetzt noch
in vergangenen Zeiten. In der Arche Noäh waren die Betten geradezu
niederträchtig, und darin liegt die Wurzel des Uebels. Noah hat die
Mode eingeführt und die Welt wird sie mit geringen Abänderungen bis
zur nächsten Sündflut beibehalten.

       *       *       *       *       *

_8 Uhr abends._ -- An der Insel Bourbon vorbeigesegelt; ihr
zerklüftetes, vulkanisches Gebirge hebt sich klar gegen den Himmel ab.
-- Wie töricht ist es doch, erholungsbedürftige Menschen nach Europa zu
schicken. Das Rasseln von Stadt zu Stadt bei Rauch und Kohlendunst, das
ewige Besichtigen von Schlössern und Galerien, ist doch kein Ausruhen
zu nennen! Man trifft fortwährend alte und neue Bekannte, wird zum
Frühstück, zu Mittag, zum Tee ausgebeten und erhält aufregende Briefe
und Depeschen. Auch die Fahrt über den Atlantischen Ozean nützt nichts;
die Reise ist zu kurz und das Meer zu unruhig. Wahre Heilung für Seele
und Leib findet man nur auf dem friedlichen Indischen und dem Stillen
Ozean, wo sich die Zeit so behaglich lang ausdehnt.

       *       *       *       *       *

_2. Mai nachmittags._ -- Ein schönes großes Schiff in Sicht -- fast
das erste, das wir auf der wochenlangen einsamen Seefahrt erblickt
haben. Wir sind jetzt im Kanal von Mozambique zwischen Madagaskar und
Südafrika und steuern in westlicher Richtung nach der Delagoabai.

       *       *       *       *       *

_Montag 4. Mai._ -- Wir dampfen langsam in die ungeheure Bai hinein;
ihre Arme erstrecken sich weit ins Land, bis sie den Blicken
entschwinden. Hier wäre Raum genug für sämtliche Schiffe der Welt, aber
die Bai hat nur geringe Tiefe; oftmals zeigte unser Senkblei nicht mehr
als viertehalb Faden.

Eine 150 Fuß hohe und etwa eine Meile breite Felswand von stark
rötlicher Färbung steigt senkrecht vor uns auf. Auf dem Tafelland
über den roten Felsen sieht man Gruppen hübscher Häuser und Bäume,
dazwischen die grüne, wellenförmige Ebene, wie in England. Siebzig
Meilen lang, bis zur Grenze, gehört die Eisenbahn den Portugiesen
-- täglich fährt ein Personenzug -- weiterhin ist die Bahn Eigentum
der Niederländischen Kompagnie. Haufenweise lagen die Frachtgüter am
Strande umher; Schuppen, um sie unterzubringen, waren nicht vorhanden.
Das ist echt portugiesisch -- Trägheit, Frömmigkeit, Armut und
Unfähigkeit im schönsten Verein.

Die Mannschaft der kleinen Boote und Schlepper besteht aus sehr
muskulösen, kohlschwarzen Wollköpfen.

       *       *       *       *       *

_Winter._ -- Der südafrikanische Winter hat eben angefangen, aber nur
Sachverständige können ihn vom Sommer unterscheiden. Mir ist das sehr
recht, denn ich habe den Sommer herzlich satt, der jetzt für uns schon
ununterbrochen elf Monate lang dauert.

Den Nachmittag brachten wir in Delagoabai am Ufer zu. Der Ort ist
klein; er hat keine Sehenswürdigkeiten, keine Wagen. Die drei
Rickschas waren Privateigentum, wir konnten sie nicht mieten. Die
Portugiesen hier haben eine schöne braune Hautfarbe, wie einige unserer
Indianerstämme; man sieht auch Schwarze mit länglicher Kopfform und
sehr langem Kinn, wie die Neger in den Bilderbüchern, aber die meisten
gleichen den Schwarzen in unsern Südstaaten, haben runde Gesichter mit
platten Nasen und sind gutmütige, lustige Geschöpfe.

Scharen schwarzer Weiber zogen vorüber mit zentnerschweren
Frachtstücken auf dem Kopf. Sie waren Packträgerinnen und arbeiteten
wie die stärksten Männer; doch mußten sie ihre ganze Kraft anstrengen,
um die Last zu bewältigen, man sah, wie ihnen jedesmal beim Aufsetzen
der Füße die Beine zitterten. Wenn sie unbeladen einherkommen, haben
sie einen aufrechten Gang und eine ebenso schöne und stolze Haltung
wie die Indianerinnen. Die Gewohnheit Lasten auf dem Kopf zu tragen,
bringt das mit sich. -- Man sah keine bunten Farben, obgleich es hier
viele Hindus gibt.

       *       *       *       *       *

_6. Mai. -- 3 Uhr nachmittags._ Ganz allmählich machte das Schiff
langsamere Fahrt und dampfte vorsichtig und bedächtig in den hübschen
Hafen von Durban in Südafrika ein.

       *       *       *       *       *

_Aus dem Tagebuch. Hotel Royal._ -- Sehr behaglich; gutes Essen,
gute Bedienung von Eingeborenen; ein sonderbares Gemisch von Altem
und Neuem, Dorf und Stadt, Ureinfachheit und ihrem Gegenteil. Die
elektrischen Glocken geben keinen Ton; der Aufseher im Bureau sagte
mir, sie wären vermutlich in Unordnung geraten, weil einige klingelten
und andere nicht. Als ich ihn fragte, ob es nicht ratsam wäre, sie in
Ordnung zu bringen, sah er mich zweifelnd an, wie jemand der seiner
Sache nicht gewiß ist -- stimmte mir dann aber doch bei.

       *       *       *       *       *

_7. Mai._ -- Um sechs Uhr klopft es laut an meine Tür: Ob meine Stiefel
geputzt werden sollen? Eine Viertelstunde später wiederholtes Klopfen:
Ob wir Kaffee wünschen? Nach abermals fünfzehn Minuten: das Bad für
meine Frau ist fertig; gleich darauf: mein Bad ist fertig. Es klopft
noch zweimal, weshalb weiß ich nicht mehr. Die Diener lärmen draußen
und schreien einander bald dies bald das zu -- gerade wie in einem
indischen Hotel.

       *       *       *       *       *

_Abends._ -- Um vier Uhr nachmittags herrscht drückende Schwüle; eine
halbe Stunde nach Sonnenuntergang zieht man den Sommerüberzieher an, um
acht Uhr den Wintermantel. Daß Durban eine hübsche, saubere Stadt ist,
sieht der Fremde von selbst, man braucht ihn nicht darauf aufmerksam
zu machen. -- Die Rickschas werden von prächtig gewachsenen schwarzen
Zulus gezogen, mit so überschüssiger Kraft, daß es ein wahres Vergnügen
ist ihnen zuzusehen. Gutmütige Menschen -- wie sie lachen und ihre
Zähne zeigen! Die Stunde kostet für eine Person 2 Schilling, für zwei
Personen 3; jede Fahrt drei Pence für die Person. Ein Rickscha-Mann
darf nicht trinken.

Die Polizei besteht nur aus heidnischen Zulus; christliche werden
nicht angestellt. Nach dem Abendläuten darf kein Eingeborener ohne Paß
ausgehen. In Natal kommen auf einen Weißen zehn Schwarze. Die Weiber
sind handfeste, rundliche Gestalten. Sie kämmen ihre Wolle auf dem
Kopf in die Höhe und machen sie mit rotbraunem Lehm steif, daß sie
stehen bleibt. Ist dieser Turm bis zur Hälfte gefärbt, so bedeutet es
Verlobung; die verheiratete Frau färbt ihn ganz.

       *       *       *       *       *

_9. Mai._ -- Gestern machte ich mit Bekannten eine Ausfahrt. Sehr
schöne Straßen über die Hügel, von wo man einen herrlichen Blick auf
die ganze Stadt, den Hafen und das Meer genießt. Ueberall Wohnhäuser,
von grünem Rasen und Buschwerk umgeben; hie und da bildet die brennend
scharlachrote Euphorbia einen scharfen Gegensatz zu dem saftigen Grün
ringsum; Kaktusbäume der verschiedensten Art in Kandelaberform und
einer, dessen Zweige so verrenkt und gekrümmt sind, daß sie aussehen
wie lauter graue, sich windende Schlangen. Auf allen Seiten sieht man
eine Menge der prächtigsten, uns völlig unbekannten Bäume, einige mit
so dichtem, dunkelgrünem Laub, daß sie sofort ins Auge fallen, trotz
der vielen Orangenbäume daneben. Ein Baum hat wunderschöne rote,
aufrechtstehende Büschel, die zwischen seiner grünen Blätterpracht
leuchten wie feurige Kohlen. Auch Gummibäume sind da, und ein paar
hochgewachsene Norfolktannen strecken ihre grünen Wedel himmelan, dann
kommt wieder hohes Bambusgebüsch. Ich sah nur _einen_ Vogel; sie sind
hier selten und singen nicht. Die Blumen haben wenig Duft, sie wachsen
zu schnell. Nirgends habe ich eine so große Mannigfaltigkeit der
herrlichsten Bäume gesehen wie hier, außer in der Nähe von Dardschiling
im Himalaja. Vermutlich ist Natal der Garten von Südafrika, aber ich
habe noch niemand dies Land so nennen hören.

       *       *       *       *       *

Colenso war Bischof von Natal, als er durch seine Schriften einen
solchen Sturm in der theologischen Welt erregte. Noch jetzt sind
alle religiösen Angelegenheiten hier von großer Wichtigkeit. Die
Sonntagsruhe wird eifersüchtig bewacht. Museen und dergleichen
gefährliche Vergnügungsorte sind geschlossen. Eine Fahrt auf der Bai
ist gestattet, aber das Cricketspiel gilt für sündhaft. Eine Zeitlang
fanden Sonntags-Konzerte statt, bei denen kein Eintrittsgeld bezahlt
wurde, sondern der Klingelbeutel herum ging. Dadurch kam jedoch so
beunruhigend viel zusammen, daß man die Sache wieder eingehen ließ. In
betreff der Säuglinge ist man sehr streng. Ein Geistlicher verweigerte
einem Kinde das kirchliche Begräbnis, weil es nicht getauft worden
war. Da ist der Hindu weitherziger. Er verbrennt kein Kind unter drei
Jahren, weil er glaubt, daß es noch nicht der Läuterung bedarf.

Zwei Stunden von Durban entfernt liegt ein großes Trappisten-Kloster,
das ich in Gesellschaft von Mr. Milligan und Mr. Hunter, dem
Generalinspektor der Staatseisenbahnen von Natal, in Augenschein nahm.
Die beiden Herren kannten die Vorsteher des Klosters.

Es war wirklich alles da, was man für so unglaublich hält, wenn man
es in Büchern liest: die harte Arbeit, das Aufstehen zu unmöglichen
Stunden, die karge Nahrung, das grobe Gewand, das harte Lager, das
Verbot der menschlichen Rede, des geselligen Verkehrs, der Gegenwart
irgend eines weiblichen Wesens, jeder Erholung, Abwechslung und
Unterhaltung. Alles wurde durchgeführt -- es war kein Traum, keine
Lüge. Aber selbst wenn man die Tatsache leibhaftig vor sich hatte,
blieb sie ebenso unerklärlich. Es streitet zu sehr gegen die Natur, die
Individualität des Menschen so gänzlich zu unterdrücken.

Wie mag La Trappe nur herausgefunden haben, daß es Menschen gibt, die
in solchem Elend einen Genuß finden? Hätte er mich oder dich um Rat
gefragt, wir würden ihm versichert haben, daß sein Plan zu sehr aller
Reize entbehrte und niemals verwirklicht werden könnte. Aber, da steht
das Kloster und liefert den Beweis, was für ein Menschenkenner La
Trappe gewesen ist. Er hat alles aus dem Leben verbannt, was das Herz
wünscht und begehrt, und dennoch hat der Erfolg seit zweihundert Jahren
sein Werk gekrönt und es wird ohne Zweifel auch ferner blühen und
gedeihen.

Wir Menschen lieben persönliche Auszeichnung -- dort im Kloster gibt
es nichts dergleichen. Wir sind wählerisch in betreff der Speisen
-- die Mönche erhalten Bohnen, Brot und Tee und nicht einmal genug
um sich satt zu essen. Wir betten uns gern weich -- sie liegen auf
Sandmatratzen und haben zwar ein Kissen und eine Decke, aber keine
Leintücher. Bei Tische lachen und plaudern wir gern in Gesellschaft von
Freunden -- hier liest ein Mönch während der Mahlzeit laut aus einem
frommen Buche vor und niemand spricht ein Wort. Wenn wir mit vielen
Gefährten zusammen sind, so machen wir uns einen lustigen Abend und
gehen spät zur Ruhe; hier begeben sich alle schweigend um acht Uhr zu
Bett und obendrein im Dunkeln; sie brauchen nur die lose, braune Kutte
abzulegen, da wäre ein Licht ganz unnötig. Wir schlafen gern in den Tag
hinein -- hier stehen die Mönche nachts zweimal auf zum Gottesdienst
und gehen um zwei Uhr morgens an ihr Tagewerk. Wir wünschen uns leichte
Arbeit oder gar keine -- hier wird den ganzen Tag auf dem Felde
geschafft oder in der Schmiede und andern Werkstätten, wo man Sattler-,
Schuhmacher-, Tischlerarbeit und dergleichen betreibt. Wir lieben die
Gesellschaft von Frauen und Mädchen -- die fehlt hier gänzlich. Wir
sind gern von unsern Kindern umringt und scherzen und spielen mit ihnen
-- Kinder gibt es hier nicht. Es ist kein Billardtisch vorhanden, man
hat keine Spiele im Freien, weder Konzert noch Theater, noch gesellige
Freuden. Auch das Wetten ist hier verboten; wer in Zorn gerät darf
seinen Aerger nicht am ersten besten auslassen, der ihm gerade in den
Weg kommt; man darf sich kein Lieblingstier halten. Nicht einmal das
Rauchen ist gestattet. Weder Tageblätter noch Zeitschriften werden hier
gelesen. Wenn wir fern von der Heimat sind, möchten wir wissen, wie es
unsern Eltern und Geschwistern ergeht und ob sie sich nach uns sehnen
-- hier erfährt man das nicht. Wir lieben freundliche Wohnungen, eine
gefällige Einrichtung, hübsche Möbel, allerlei niedliche Sächelchen und
schöne Farben -- hier ist alles kahl, armselig und düster. Was wünscht
sich der Mensch nicht alles -- führt die Liste selbst weiter fort! --
Aber was ihr auch nennen mögt, in diesem Kloster ist es nicht zu finden.

Und zum Lohn für alle diese Entbehrungen kann man dort weiter nichts
erwerben, wie mir gesagt wurde, als die Rettung seiner Seele.

Es ist wirklich höchst sonderbar und unbegreiflich. Aber La Trappe
kannte, wie gesagt, das Menschengeschlecht und den mächtigen Reiz, der
in diesem reizlosen Dasein lag. Er wußte, daß auf manche Leute ein
solches Leben um so größere Anziehungskraft übt, je abstoßender und
unbehaglicher es ist.

Das Mutterkloster wurde vor fünfzehn Jahren von deutschen Mönchen
gegründet, die arm und fremd waren und keine Unterstützung fanden;
jetzt besitzt es 15000 Morgen Land, baut Korn, Obst und Wein und
betreibt alle möglichen Gewerbe. In seinen Werkstätten werden
eingeborene Lehrlinge in den verschiedensten Handwerken unterrichtet,
mit denen sie sich nach der Entlassung ihr Brot verdienen können, auch
lehrt man sie Lesen und Schreiben. Elf Zweiganstalten des Klosters sind
in ganz Südafrika verbreitet, in denen 1200 eingeborene Knaben und
Mädchen christlich erzogen und zu tüchtigen Handwerkern ausgebildet
werden. Von dem Wirken der protestantischen Mission unter den Heiden
hat man in den kaufmännischen Kreisen der weißen Kolonisten meist keine
hohe Meinung; ihre Zöglinge tragen den Spitznamen ›Reis-Christen‹,
womit ungelernte Müßiggänger gemeint sind, die sich nur um äußerer
Vorteile willen in die Kirche aufnehmen lassen. An der Tätigkeit dieser
katholischen Mönche wird sich aber schwerlich etwas aussetzen lassen,
und ich glaube, es hat auch noch niemand gewagt, sich abfällig darüber
zu äußern.

       *       *       *       *       *

_Dienstag 12. Mai._ -- Die Transvaal-Politik ist in große Verwirrung
geraten. Zuerst jagte die schwere Verurteilung der Johannesburger
Rädelsführer England einen großen Schrecken ein. Unmittelbar nachher
veröffentlichte Krüger die Korrespondenz in Chiffreschrift, aus welcher
hervorgeht, daß der Einfall in Transvaal von Cecil Rhodes und Beit mit
der Absicht geplant worden ist, sich des Landes zu bemächtigen, um es
dem englischen Reich einzuverleiben. Dies brachte einen Umschwung in
den Gefühlen Englands hervor und entfesselte einen Sturm der Entrüstung
gegen Rhodes und die Chartered Company, weil sie der britischen Ehre zu
nahe getreten seien.

Lange war ich außer stande klug aus der Sache zu werden -- sie war mir
zu verwickelt. Aber endlich glaube ich durch Geduld und Nachdenken doch
dahinter gekommen zu sein: Soviel ich verstehe, waren die Uitlanders
und die andern Holländer unzufrieden, weil die Engländer ihnen nicht
gestatteten an der Regierung teil zu nehmen, nur ihre Steuern durften
sie bezahlen. Da geschah es, daß ~Dr.~ Krüger und ~Dr.~ Jameson, denen
ihr ärztlicher Beruf nicht genug einbrachte, in das Matabeleland
einfielen mit der Absicht, die Hauptstadt Johannesburg zu erobern und
Frauen und Kinder als Geißeln gefangen zu halten, bis die Uitlanders
und andere Buren ihnen und der Chartered Company die politischen
Rechte zugestehen wollten, die man ihnen bisher vorenthalten hatte.
Dieser kühne Plan wäre sicherlich gelungen, hätten sich nicht Cecil
Rhodes, Mr. Beit und andere Häuptlinge der Matabele eingemischt
und ihre Landsleute aufgereizt sich zu empören und Deutschland den
Gehorsam aufzusagen. Nun stachelte letzteres wieder den König von
Abessynien auf, die italienische Armee zu vernichten und Johannesburg
zu überfallen. Das alles hatte Cecil Rhodes aber angestiftet, um die
Aktien in die Höhe zu treiben.




Einundzwanzigstes Kapitel.

        Man soll des Buren Fell nicht verkaufen, man fange ihn denn
        zuvor.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Als ich vor einem Jahr den letzten Paragraphen des vorigen Kapitels in
mein Notizbuch kritzelte, tat ich es, um auf drastische Weise zweierlei
zum Ausdruck zu bringen: Erstens, wie widersprechend die Berichte
sind, welche der Fremde von den Einheimischen über die südafrikanische
Politik erhält, und zweitens, was für ein Wirrwarr dadurch im Kopfe des
Fremden entsteht.

Ich sehe jetzt ein, daß ich damals den Zustand der Dinge naturgetreuer
geschildert habe, als ich selber wußte. In jener unruhigen und
aufgeregten Zeit konnten die dortigen Bürger unmöglich die
südafrikanische Politik klar und vernünftig auffassen; nicht nur ihre
persönlichen Interessen, sondern auch ihre politischen Vorurteile
standen ihnen sehr dabei im Wege. Der Fremde aber war natürlich nicht
im stande aus ihren verworrenen Mitteilungen klug zu werden und den
Zusammenhang der Ereignisse zu begreifen.

Mein Aufenthalt in Südafrika war nicht von langer Dauer. Als ich ankam
befand sich das Land noch in der größten politischen Gärung. Vier
Monate waren vergangen, seit Jameson mit 600 bewaffneten Reitern zum
»Schutz der Frauen und Kinder in Johannesburg« die Grenze von Transvaal
überschritten hatte. Am vierten Tage nach seinem Einmarsch besiegten
ihn die Buren in einer Schlacht und führten ihn mit seinen Leuten
gefangen nach der Hauptstadt Prätoria. Jameson und seine Offiziere
waren zur Bestrafung an Großbritannien ausgeliefert und nach England
eingeschifft worden, wo ihr Verhör stattfand. Inzwischen wurden in
Johannesburg vierundsechzig der angesehensten Bürger als Jamesons
Mitverschworene festgenommen. Präsident Krüger verurteilte die vier
Haupträdelsführer zum Tode, die übrigen zu Gefängnis; er verwandelte
jedoch die Strafen in längere oder kürzere Kerkerhaft, in welcher die
vierundsechzig Leute damals noch schmachteten. Vor Mitte des Sommers
waren alle wieder in Freiheit, außer zweien, welche sich weigerten ein
Begnadigungsgesuch zu unterzeichnen. Achtundfünfzig von ihnen mußten
eine Geldbuße von je 10000 Dollars zahlen und die vier Rädelsführer
125000 Dollars per Mann; auf immer aus dem Lande verbannt wurde nur
einer.

Das war eine hochinteressante Zeit für den Fremden; ich schätzte mich
glücklich, mitten in die Aufregung hineingekommen zu sein. Jedermann
äußerte ohne Rückhalt seine Meinung und ich hoffte bestimmt, daß mir
die ganze Angelegenheit, wenigstens von _einer_ Seite, binnen kurzem
verständlich sein würde.

Darin täuschte ich mich jedoch. Die Sache hatte so viel Eigenartiges,
Schwieriges und Unerklärliches, daß ich ihrer nicht Herr wurde.
Persönliche Beziehungen zu den Buren besaß ich nicht, die Anschauungen
ihrer Partei blieben also für mich ein Geheimnis, soweit ich sie nicht
aus den öffentlichen Bekanntmachungen erfuhr. Bald empfand ich denn
auch das tiefste Mitgefühl für die Johannesburger, die im Kerker von
Prätoria lagen, sowie für ihre Freunde und Angehörigen. Durch eifrige
Erkundigungen bei letzteren hatte ich mich über alle Einzelheiten des
Streits in Kenntnis gesetzt und glaubte sie zu verstehen; das heißt,
von ihrem Gesichtspunkt aus und bis auf _einen_ Umstand: Was die
Johannesburger durch eine bewaffnete Erhebung zu erreichen gedachten,
schien niemand zu wissen.

Im Laufe des folgenden Jahres wurde in die Verwirrung jener Tage
genügendes Licht gebracht. ~Dr.~ Jameson ist vor den englischen
Geschworenen erschienen; auch Cecil Rhodes und andere an dem
feindlichen Einfall in Transvaal direkt oder indirekt beteiligte
Personen haben ihre Aussage vor Gericht erstattet, desgleichen Lionel
Philipps und sonstige Mitglieder der Johannesburger Reformpartei,
welche die Revolution als totgeborenes Kind zur Welt brachten.
Weitere Aufklärung erhielt ich auch durch verschiedene Bücher, deren
Verfasser entweder für die Buren oder für Cecil Rhodes oder für die
Johannesburger Partei nahmen. Nachdem ich nun alle jene Aussagen
voreingenommener Zeugen nebst den einseitigen Darstellungen der Bücher
gesammelt hatte, mischte ich sie gut durcheinander, knetete alles
tüchtig durch und tat den Teig in meinen eigenen (vorurteilsvollen)
Backtrog. Durch dies Verfahren bin ich schließlich der verwickelten
südafrikanischen Frage doch noch auf den Grund gekommen. Ich weiß nun,
daß es sich damit in Wahrheit folgendermaßen verhielt:

1. Die Kapitalisten und sonstigen angesehenen Bürger von Johannesburg
litten unter gewissen politischen und finanziellen Unbilden und Lasten,
welche die Transvaal-Regierung ihnen auferlegte. Die Uitlanders
bezahlten vier Fünftel aller Steuern, hatten kein Wahlrecht, konnten
erst nach längerem Aufenthalt im Lande Staatsbürger werden und nach
vierzehn Jahren in den ersten Volksraad gelangen, während die Buren
alle höheren Aemter bekleideten und schon im Alter von sechzehn
Jahren das volle Bürgerrecht hatten. So suchten denn die Uitlanders
durch verschiedene Eingaben, Bittschriften und Vorschläge zu
Gesetzesveränderungen auf friedlichem Wege eine Verbesserung ihrer Lage
herbeizuführen.

2. Cecil Rhodes, Ministerpräsident der Kapkolonie, Millionär, Gründer
und Direktor der sogenannten Chartered Company, verfolgte schon seit
einigen Jahren den Plan, alle südafrikanischen Staaten zu einem
großen Reich unter dem Schutz und Schirm der britischen Flagge zu
vereinigen. So benutzte er denn die Unzufriedenheit der Johannesburger
Reformpartei, um sie zur gewaltsamen Empörung gegen die Burenregierung
zu bewegen. Wenn es zu einem blutigen Zusammenstoß kam, konnte sich
Großbritannien ins Mittel legen; das würden sich die Buren nicht
gefallen lassen, und um sie für ihren Widerstand zu strafen, besetzte
dann England selbstverständlich Transvaal und vereinigte es mit seinem
übrigen südafrikanischen Länderbesitz. Der Plan war keineswegs aus der
Luft gegriffen, sondern ganz verständig und ausführbar.

Von seinem fernen Posten in Kapstadt aus wußte Rhodes die Mißstimmung
der Uitlanders von Johannesburg auf geschickte Weise zu schüren;
er half auch, sie mit Waffen zu versehen. Mehrere Kanonen und
fünfzehnhundert Gewehre wurden, in großen Oelbehältern und Kohlenwagen
versteckt, in die Stadt geschmuggelt. Im Dezember 1895 war das
Reformkomite schon von Bitten zu Drohungen übergegangen, und der
Ausbruch der Revolution schien nicht mehr fern.

Rhodes hatte mit Jameson, dem Befehlshaber der Truppen der Chartered
Company verabredet, daß dieser über die Grenze gehen und mit
sechshundert Mann in Johannesburg einrücken solle. Vorher verlangte
Jameson jedoch -- wahrscheinlich auf Veranlassung seines Herrn und
Meisters -- das Reformkomite solle ihm eine förmliche Aufforderung
schicken, der Stadt zu Hilfe zu kommen. So erhielt er den berühmten
Brief, in dem er gebeten wird nach Johannesburg zu eilen, um sich der
»schutzlosen Frauen und Kinder anzunehmen«. Das war kein schlechter
Gedanke, denn die Verantwortlichkeit für den feindlichen Ueberfall
wurde dadurch zum größten Teil der Reformpartei zugeschoben. Die
Führer derselben mochten dies wohl zu ihrem Schrecken einsehen, denn
sie wollten das verfängliche Schriftstück schon den Tag nach dessen
Absendung an Jameson wieder zurück haben. Es wurde ihnen jedoch
bedeutet, dazu sei es zu spät. Das Original des Briefes war schon an
Rhodes nach der Kapstadt abgegangen. Doch hatte Jameson wohlweislich
eine Abschrift zurückbehalten.

In Johannesburg versuchte man nun mit aller Anstrengung, Jameson von
der Ausführung des Planes abzubringen. Es herrschte Uneinigkeit in
der Stadt; einige wollten Krieg, einige Frieden. Manche stimmten für
eine neue Regierung, andere wünschten die alte beizubehalten und zu
reformieren. Zu Gunsten einer kaiserlich-britischen Kolonialherrschaft
die Regierung in Prätoria zu stürzen, hatten nur ganz einzelne im Sinn.
Und doch trat das Gerücht von Stunde zu Stunde bestimmter auf, daß dies
der Zweck sei, den Cecil Rhodes mit seinem unwillkommenen Beistand
verfolge.

Drei Tage lang ließ sich Jameson zurückhalten, dann beschloß er nicht
länger zu warten. Ohne Befehl -- Rhodes hüllte sich in vorsichtiges
Schweigen -- zerschnitt er die Telegraphendrähte am 29. Dezember und
ging im Dunkel der Nacht über die Grenze. Er hatte 150 Meilen bis
Johannesburg zurückzulegen und hoffte die Stadt ohne Hindernisse zu
erreichen. Allein die Nachricht von seinem Einfall verbreitete sich wie
ein Lauffeuer -- man hatte übersehen, daß _ein_ Telegraphendraht nicht
zerschnitten worden war. Schon wenige Stunden später kamen die Buren
von allen Seiten in Windeseile herbeigeritten, um ihn am Vordringen zu
hindern.

In Johannesburg herrschte Furcht und Schrecken; Frauen und Kinder
wurden bei dem Nahen ihrer Retter eiligst nach Australien eingeschifft
und die friedliebenden Bürger flüchteten scharenweise auf die
Eisenbahnen. Wer zuerst da war hatte es am besten, er konnte sich
einen Platz im Zuge sichern, wenn er ihn acht Stunden vor der Abfahrt
besetzte.

Rhodes telegraphierte den Johannesburger Brief mit dem rührenden
Hilferuf ohne Zeitverlust an die Londoner Presse. Ein so altersgraues
Dokument hatte das Kabel noch nie befördert; der Brief war schon vor
zwei Monaten geschrieben, doch das wußte niemand, das falsche Datum
lautete ja auf den 20. Dezember.

Am Neujahrstag wurde Jameson von den Buren geschlagen; tags darauf
streckte er die Waffen. Er trug die Abschrift des Briefes bei sich,
und wenn er die Anweisung erhalten hatte, im Notfall dafür zu sorgen,
daß das Schriftstück den Buren in die Hände fiele, so führte er
den Befehl pünktlich aus. Man fand den Brief auf dem Schlachtfeld
in Jamesons Satteltasche -- er war ohne jegliche Geheimschrift
in englischer Sprache abgefaßt und mit dem Namen der beteiligten
Personen unterzeichnet. Die Schuld an dem Einfall wurde dadurch auf
die Reformpartei gewälzt, so paßte es in Rhodes’ Berechnung. Das
Original war ja überdies in Amerika, in England und dem übrigen Europa
bekannt, ehe Jameson seine Abschrift auf dem Schlachtfelde verlor.
Letzterer wurde dadurch im Lauf einer einzigen Woche in England zu
einem berühmten Helden gestempelt, in Prätoria zu einem Räuberhauptmann
und in Johannesburg zu einem Narren und ehrlosen Verräter -- das alles
hatte jener alte Brief bewirkt!

Die Mitglieder der Reformpartei waren in einer schwierigen Lage
gewesen. Hindernisse und Verwicklungen engten sie auf allen Seiten
ein. Wie sollten sie ihren vielen und mannigfaltigen Obliegenheiten
nachkommen? --

1. Mußten sie ~Dr.~ Jamesons widerrechtlichen Einfall verdammen und
ihm trotzdem beistehen.

2. Waren sie genötigt der Burenregierung Treue zu schwören und den
Rebellen Reitpferde zu liefern.

3. Mußten sie alle offenen Feindseligkeiten gegen die Burenregierung
verbieten und Waffen unter deren Gegner verteilen.

4. Durften sie nicht in Zwiespalt mit der englischen Regierung geraten,
mußten Jameson unterstützen und der Burenregierung entblößten Hauptes
den neuen Fahneneid leisten.

Sie entledigten sich dieser Pflichten so gut sie konnten; ja, sie
erfüllten sie tatsächlich alle, nur nicht zu gleicher Zeit, sondern
nacheinander; die gleichzeitige Erfüllung derselben wäre wirklich ein
Ding der Unmöglichkeit gewesen.

Bei der ganzen Angelegenheit hat für mich die militärische Frage
ein größeres Interesse als die politische, denn ich habe immer eine
besondere Vorliebe für den Krieg gehabt. Das heißt, ich meine für
Reden über den Krieg und Erteilung militärischer Ratschläge. Wäre ich
am Morgen nach der Grenzüberschreitung bei Jameson gewesen, ich hätte
ihm geraten, wieder umzukehren. Die Truppen, die er befehligte, waren
nicht alte, kriegstüchtige Briten, sondern größtenteils ungeübte junge
Burschen. Wie sollten sie vom Pferde herab, im Gewühl der Schlacht
sicher zielen und treffen? Das war unmöglich, besonders weil es gar
nichts gab, wonach man schießen konnte, als Felsen, hinter denen nach
altem Brauch und Herkommen die Buren steckten, denn auf freiem Felde
kämpften sie niemals. Die dreihundert Scharfschützen der Buren hinter
den Felsen konnten aber natürlich Jamesons Reitern übel mitspielen. Um
im Kampf gegen die Buren Sieger zu bleiben, brauchten die Engländer
nicht allein Mut, sondern auch Vorsicht, ganz wie wir beim Krieg gegen
die Rothäute. Die tapfern Briten, die den verborgenen Buren offen
entgegentraten, hatten sich die Folgen selbst zuzuschreiben.

Das Land war voller Hügelketten, Klippenreihen, Bodensenkungen, Gräben
und Moränen -- für Reitergefechte völlig unbrauchbar. Jameson feuerte
seine Geschütze auf die Felsen ab -- er verdarb die guten Felsen
und verschwendete seine Munition -- aber wieviel Schaden er auch
anrichtete, die Buren zeigten sich nicht. Nun strömten seine Scharen
in langer Linie kühn voran, die Buren schossen aus dem Hinterhalt und
nach der ersten Salve waren zwanzig englische Sättel leer. Es dauerte
nicht lange, so lagen sechzig Prozent der Angreifer tot oder verwundet
am Boden; letztere wurden von den Buren gefangen in das Hospital nach
Krügersdorp gebracht; sie selbst hatten nur vier Mann eingebüßt, von
denen zwei aus Versehen durch ihre eigenen Leute getötet worden waren.
Jamesons Truppen kamen den Buren überhaupt nicht nahe genug, um sie
»rund um Transvaal herumzujagen«, wie sie geprahlt hatten. Nachdem auch
ein letzter verzweifelter Angriff fehlgeschlagen war, ließ Jameson die
weiße Flagge wehen und ergab sich.

Die britische Methode der Kriegsführung läßt sich, wie gesagt, den
Buren gegenüber durchaus nicht mit Glück anwenden. Wenn mir die
Führung eines solchen Feldzugs übertragen worden wäre, hätte ich
die Sache ganz anders angefangen. Den Charakter des Buren habe ich
studiert: Am meisten schätzt er die Bibel, und sein Lieblingsessen ist
›Biltong‹ -- an der Sonne getrocknete Fleischstreifen. Die liebt er
leidenschaftlich, und es ist ihm auch gar nicht zu verdenken.

Um die Buren zu bekriegen, wäre ich nur mit Flinten ausgezogen und
hätte die schweren Kanonen zu Hause gelassen, die nur unnütz den Marsch
aufhalten. Heimlich würde ich mich bei Nacht bis zu einer Stelle
schleichen, die etwa eine Viertelmeile vom Lager der Buren entfernt
ist, um dort eine fünfzig Fuß hohe Pyramide von Biltong und Bibeln zu
bauen und meine Leute dahinter zu verbergen. Am nächsten Morgen würden
die Buren Kundschafter ausschicken, der ganze Schwarm käme auf einmal
herbeigestürmt, meine Truppen könnten sie umringen und Mann gegen Mann
im freien Felde kämpfen. Dann würden sich die Verluste auf beiden
Seiten etwas gleichmäßiger verteilen.




Zweiundzwanzigstes Kapitel.

        Selbst die Tinte, mit der die Weltgeschichte geschrieben
        wird, ist nichts als flüssig gemachtes Vorurteil.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Der Herzog von Fife hat als Zeuge ausgesagt, daß Mr. Rhodes ihn
betrogen habe. Mit den Johannesburgern hat es Mr. Rhodes ganz ebenso
gemacht. Er hat sie ins Unglück gestürzt, ist aber selbst weit vom
Schuß geblieben. Ein gescheiter Kopf war er von jeher, darüber sind
alle einig. Nur einmal hätte man fast an dieser Tatsache irre werden
können. Es war zur Zeit seines letzten Raubzugs im Matabele-Land; das
Kabel verkündete laut, er sei unbewaffnet dahin gegangen, um einige
feindliche Häuptlinge zu besuchen. Als man aber dies tollkühne Beginnen
bei Lichte besah, stellte sich heraus, daß eine Dame teil daran
genommen hatte, welche ebenfalls unbewaffnet war.

Manche Leute glauben, Mr. Rhodes sei gleichbedeutend mit Südafrika;
andere halten ihn nur für einen wichtigen Teil des Landes. Nach ihrer
Meinung besteht Südafrika aus dem Tafelberg, den Diamantgruben, den
Johannesburger Goldfeldern und Cecil Rhodes. Die Goldfelder sind
wirklich höchst wunderbar. In sieben oder acht Jahren wuchs dort in
der Wüste eine Stadt von 100000 Einwohnern empor, Schwarze und Weiße
zusammengenommen; aber nicht etwa eine gewöhnliche Bergwerksstadt
von hölzernen Baracken, sondern durch und durch aus dauerhafterem
Baumaterial. Nirgends in der Welt findet man einen solchen Goldreichtum
wie in der Umgegend von Johannesburg. Mr. Bonamici, mein dortiger
Geschäftsführer, gab mir eine kleine Goldstufe, auf welcher
statistische Angaben über den Goldertrag seit der frühesten Zeit bis
Juli 1895 eingeritzt waren. Sie bekunden den Riesenfortschritt in der
Ausbeute. Im Jahre 1888 belief sich der Ertrag auf 4162440 $; in den
nächsten sechstehalb Jahren betrug die Totalsumme 17585894 $ und in dem
einen Jahr bis Juni 1895 gewann man einen Goldwert von 45553700 $.

Das Kapital für den Bergwerksbetrieb stammt aus England, die
Grubeningenieure kommen aber aus Amerika; auch bei den Diamantgruben
spielen sie die erste Rolle. Südafrika ist das Paradies für den
wissenschaftlich gebildeten Hüttenmann. Die Amerikaner nehmen dort die
besten Stellen ein und werden sie auch zu behaupten wissen; ihr Gehalt
ist so hoch, wie es nicht ein einzelner, sondern eine ganze Familie von
Ingenieuren in Amerika beziehen würde.

Die Aktionäre der einträglichen Goldgruben erhalten bedeutende
Dividenden, und doch ist das Gestein nicht sehr reich nach
kalifornischen Begriffen; wenn eine Tonne den Wert von zehn oder
zwölf Dollars liefert, ist man schon zufrieden. Das Gold ist so sehr
mit unedlen Metallen versetzt, daß der Ertrag vor zwanzig Jahren
nur etwa halb so groß gewesen wäre, als jetzt. Damals machte es
sich nicht bezahlt, wenn man aus solchem Gestein noch etwas anderes
als das grobkörnige reine Gold gewinnen wollte. Bei dem heutigen
Cyanid-Verfahren aber beträgt die Gesamtausbeute an Gold in der ganzen
Welt jährlich fünfzig Millionen mehr, die früher zu den Abfällen
geworfen wurden.

Das Cyanid-Verfahren war für mich ganz neu und sehr interessant; auch
von den großartigen und kostspieligen Bergwerksmaschinen hatte ich
manche noch nie gesehen; mit dem übrigen Betrieb der Goldbergwerke war
ich jedoch völlig vertraut. Da ich früher einmal selbst Goldgräber
gewesen bin, verstand ich gerade so viel davon wie die Leute in
Johannesburg, nur nicht, wie man Geld damit erwirbt. Dagegen erfuhr
ich viel Neues über die Buren, von denen ich noch nichts wußte. Was
man mir dort sagte, wurde mir später auch in andern Teilen Südafrikas
bestätigt. Fasse ich nun alle jene Berichte zusammen, so erhalte ich
von dem Buren folgendes Bild:

Er ist sehr fromm, entsetzlich unwissend, schwerfällig, eigensinnig,
gastfrei, bigott und träge; schmutzig in seinen Gewohnheiten,
ehrlich bei Unterhandlungen mit den Weißen, hartherzig gegen seine
schwarzen Diener, ein guter Schütze und Reiter, der Jagd sehr ergeben;
eifersüchtig auf seine politische Unabhängigkeit, ein guter Gatte
und Vater. Die Buren leben ungern in Städten zusammengedrängt, sie
lieben die Einsamkeit und Absonderung auf dem großen, entlegenen,
menschenleeren ›Veld‹. Ihre Eßlust ist ungeheuer und sie sind nicht
wählerisch bei Befriedigung derselben -- haben sie Schweinefleisch,
Mais und Biltong in genügender Menge, so verlangen sie weiter
nichts. Um ein Tanzvergnügen mitzumachen, bei dem auch die Nacht
hindurch wacker geschmaust und gejubelt wird, scheuen sie einen
tüchtigen Ritt nicht; aber zu einer Gebetsversammlung reiten sie gern
noch zweimal so weit. Sie sind stolz auf ihre Abstammung von den
Holländern und Hugenotten, stolz auf ihre religiöse und militärische
Vergangenheit, auf die Großtaten ihres Volks in Südafrika -- ihre
kühnen Entdeckungsreisen in feindliche und unbekannte Einöden, wo sie
den Belästigungen der ihnen verhaßten Engländer entgehen konnten.
Sie rühmen sich ihrer Siege über die Eingeborenen und die Briten,
am meisten jedoch der persönlichen und überschwenglichen Gnade und
Fürsorge, welche die Gottheit ihren Angelegenheiten allezeit hat zu
teil werden lassen.

Die Buren können durchschnittlich weder lesen noch schreiben, Zeitungen
sind zwar vorhanden, aber niemand fragt danach; bis vor kurzem gab
es keine Schulen, die Kinder lernten nichts. Was in der Welt Neues
geschieht, ist dem Buren gleichgültig, es geht ihn nichts an. Das
Steuerzahlen ist ihm verhaßt, und er lehnt sich dagegen auf. Seit
drittehalb Jahrhunderten hat er in Südafrika stockstill gestanden
und würde am liebsten bis ans Ende aller Zeiten auf demselben Fleck
bleiben, denn die fortschrittlichen Gedanken der Uitlanders sind ihm
ein Greuel. Zwar dürstet er nach Reichtum, wie andere Menschen auch,
aber ein reicher Viehstand ist ihm lieber als schöne Kleider und
Häuser, Gold und Diamanten. »Hätte man das Gold und die Diamanten doch
nie entdeckt,« denkt er, »dann wäre der gottlose Fremdling nicht ins
Land gekommen, der Unruhstifter mit seiner Sittenverderbnis!«

Jeder, der Olive Schreiners Bücher kennt, wird was ich hier anführe in
der Hauptsache bestätigt finden. Und daß sie ein ungünstiges Vorurteil
für den Buren hat, ist ihr noch von niemand vorgeworfen worden.

Was läßt sich nun aber nach alledem von dem Buren erwarten? Was
kann aus solchem Stoff entstehen? Eine Gesetzgebung, sollte man
meinen, welche die Religionsfreiheit einschränkt, dem Fremden die
Wahlberechtigung und Wählbarkeit verweigert, den Bildungs- und
Erziehungsanstalten wenig förderlich ist, die Goldproduktion
einschränkt, das Eisenbahnnetz nicht erweitert, den Ausländer hoch
besteuert und den Buren freiläßt.

Die Uitlanders scheinen indessen ganz andere Dinge erwartet zu haben.
Warum weiß ich nicht. Es ließ sich vernünftigerweise nichts anderes
voraussehen. Ein runder Mensch paßt nicht gleich in ein viereckiges
Loch; man muß ihm erst Zeit lassen, seine Form zu ändern. Gewisse
Verbesserungen wurden schon vor Jamesons Ueberfall vorgenommen und
seitdem ist noch manche Reform eingeführt worden. Es sitzen weise
Männer im Rate der Transvaal-Regierung und ihnen ist der Fortschritt
zu danken, welchem die große Masse der Buren bis jetzt noch kaum
zugänglich ist. Wäre die Regierung weniger weise, so hätte sie Jameson
aufgehängt und aus einem gewöhnlichen Piraten einen heiligen Märtyrer
gemacht. Aber auch die Weisheit hat ihre Grenzen, und wenn man Mr.
Rhodes jemals fängt, wird man ihn sicherlich aufknüpfen und zu einem
Heiligen machen. Diese höchste aller menschlichen Würden sollte ihm
noch verliehen werden, nachdem er schon alle übrigen Titel getragen
hat, welche irdische Größen bezeichnen.

Den Johannesburgern sind bereits viele ihrer ursprünglichen
Forderungen bewilligt worden; auch ihre übrigen Beschwerden dürften mit
der Zeit schwinden. Sie sollten froh sein, daß die Steuern, mit denen
sie so unzufrieden waren, von der Burenregierung erhoben wurden, statt
von ihrem Freunde Rhodes und seiner raubsüchtigen Südafrikanischen
Gesellschaft; denn letztere nimmt die Hälfte von allem in Beschlag,
was die Opfer ihrer Habgier beim Grubenbau gewinnen, sie begnügt sich
nicht mit einem Prozentsatz. Stünden die Johannesburger unter _ihrer_
Gerichtsbarkeit, sie wären längst im Armenhaus. Der Name Rhodesia ist
gut gewählt, um das Land zu bezeichnen, wo Raub und Plünderung an der
Tagesordnung sind und unter dem Schutz des Gesetzes nach Gutdünken
betrieben werden können.

Auf mehreren langen Fahrten lernten wir die Eisenbahnen der Kapkolonie
kennen. Alle Einrichtungen sind bequem, man findet die größte
Sauberkeit und in den Nachtzügen behagliche Betten. Es war Anfang Juni
und Winterzeit: bei Tage eine angenehme Wärme, nachts frisch und kühl.
Während man durch das Land fuhr, atmete man den ganzen Tag über mit
Wonne die kräftige Luft und schaute auf die braune sammetweiche Ebene
hinaus, an deren Horizont mattschimmernde Hügelketten wie in einem
fernen Traumland zu verschwimmen schienen. Wie tief blickte man in den
Himmel hinein mit seinen fremden, seltsamen Wolkengebilden, wie flutete
ringsum der herrlichste Sonnenglanz in verschwenderischer Fülle! Für
mich hatte der Veld im ersten Winterkleid einen ganz besonderen Reiz.
Wir kamen durch weite Strecken, wo der Boden sich wellenförmig hebt
und senkt und sich endlos ausdehnt, gleich dem Ozean. Von dem hellsten
bis ins dunkelste Braun waren dort alle Schattierungen vertreten, die
sich zum schönsten Orangegelb, Purpur und Scharlachrot wandelten, wo
die Ebene mit den bewaldeten Hügeln und den nackten, roten Felsklippen
zusammenfließt und der Himmel die Erde berührt.

Ueberall, von Kapstadt bis Kimberley und von Kimberley bis Port
Elizabeth und East London haben die Städte eine zahlreiche Bevölkerung
von zahmen Eingeborenen. Man hatte sie nicht nur gezähmt, sondern
vermutlich auch christianisiert, denn sie trugen die abscheuliche
Kleidung, wie sie bei unsern christlichen zivilisierten Völkern
Sitte ist. Einige von ihnen hätten sich sonst durch hervorragende
Schönheit ausgezeichnet. Die häßlichen Kleider, der ihnen eigene
schleppende Gang, das sorglose Lachen und ihre gutmütigen Gesichter
mit dem zufriedenen, glücklichen Ausdruck machten sie zu einem
täuschenden Ebenbild unserer amerikanischen Schwarzen. Wo nun alles
andere vollkommen harmonisch und durch und durch afrikanisch war,
kam plötzlich ein Schwarm solcher Eingeborenen gegangen, die gar
nicht dorthin paßten. Sie brachten einen Mißklang in die Stimmung, es
entstand ein halb afrikanisches, halb amerikanisches Gemisch und der
ganze Eindruck war verdorben.

An einem Sonntag sah ich in King Williams Town wohl ein Dutzend
farbige Weiber, die nach neuster Mode kostbar und auffallend in die
widersprechendsten und grellsten Farben gekleidet waren. Sie kamen über
den großen, leeren Platz geschritten und zeigten in Gang und Miene jene
schmachtende Vornehmtuerei, jenes innige Wohlgefallen an ihrem Putz,
das ich so genau kannte und das für mich stets eine wahre Augenweide
ist. Mir war, als sei ich nach fünfzigjähriger Trennung wieder unter
guten alten Freunden und ich blieb stehen, um sie herzlich zu begrüßen.
Sie brachen in ein kameradschaftliches Lachen aus, ihre weißen Zähne
blitzten mir entgegen; alle antworteten auf einmal, doch verstand ich
kein Wort von dem was sie sagten. Das verwunderte mich höchlich; es war
mir auch nicht im Traum eingefallen, daß sie eine andere Sprache reden
könnten als Amerikanisch.

Auch die weichen, wohlklingenden Stimmen der afrikanischen Frauen
erinnerten mich an die Sklavinnen aus meiner Kinderzeit. Ich folgte
einigen bis in den Oranje-Freistaat, das heißt, durch die ganze
Hauptstadt Bloemfontein, nur um den Laut ihrer Stimme und ihr lustiges
Lachen zu hören.

Auf unsern Eisenbahnfahrten durch das Land hatte ich Gelegenheit
viele Buren zu sehen, die auf dem einsamen Veld leben. Eines Tages
stiegen in einem Dorf hundert zusammen aus der dritten Klasse, um sich
auf der Station gütlich zu tun. Ihr Anzug interessierte mich. Etwas
so Häßliches an Form und unharmonischer Zusammenstellung der Farben
war mir noch nicht vorgekommen. Der Anblick regte mich in seiner Art
fast ebenso auf, wie das Schauspiel, welches mir die geschmackvollen
Trachten und schönen glänzenden Gewänder auf den indischen Stationen
bereitet hatten. Ein Mann trug Beinkleider aus geripptem Baumwollzeug
von dem abscheulichsten verschossenen Gelbbraun, das ich je gesehen
habe, und sie waren obendrein neu, die Farbe war absichtlich
gewählt, nicht durch irgend ein Mißgeschick entstanden. Ein langer,
vierschrötiger Lümmel hatte einen zerknitterten grauen Schlapphut mit
breiter Krempe auf dem Kopf, rosinfarbene Hosen und einen scheußlichen,
nagelneuen Tuchrock, der mit seinen wellenförmigen, breiten gelben
und braunen Streifen ein Tigerfell nachahmen sollte. Nach meiner
Meinung verdiente der Mensch gehängt zu werden; als ich aber den
Stationsvorsteher fragte, ob sich das nicht bewerkstelligen ließe,
verneinte er es auf grobe Weise und mit ganz unnötiger Heftigkeit. Im
Fortgehen murmelte er noch etwas in den Bart, das wie ›Esel‹ klang;
auch lenkte er die öffentliche Aufmerksamkeit auf mich und man zeigte
mit Fingern nach mir. Das hat man davon, wenn man versucht etwas Gutes
zu tun, es ist der Lohn der Welt!

An jenem Tage erzählte mir ein Mitreisender im Zuge noch allerlei von
den Buren. Er sagte, daß sie früh aufstehen und ihre Schwarzen an die
Arbeit treiben (sie müssen die Herden draußen auf der Weide hüten),
dann setzen sie sich hin um zu essen, zu rauchen und zu schlafen; gegen
Abend überwachen sie das Melken u. dgl., essen, rauchen und schlafen
wieder, und gehen bei Dunkelwerden wieder zu Bett in den wohlriechenden
Kleidern, die sie den ganzen Tag über und an jedem Werktag seit Jahren
getragen haben. Auch von ihrer bekannten Gastfreiheit wußte er ein
Beispiel zu berichten: Einmal machte ein hochwürdiger Bischof von Amts
wegen eine Reise durch den Veld, wo es keine Gasthäuser gibt. Zur Nacht
kehrte er bei einem Buren ein, und als das Abendessen vorüber war, wies
man ihm sein Bett an. Er war müde und angegriffen von seinem Tagewerk,
kleidete sich aus und lag bald in tiefem Schlaf. In der Nacht ward ihm
so eng und beklommen zu Mute, daß er erwachte; da sah er den alten
Buren und seine dicke Frau rechts und links von ihm im Bett liegen; sie
hatten alle ihre Kleider anbehalten und schnarchten laut. Ihm blieb
nichts übrig als sich still zu verhalten und sein Geschick zu ertragen;
er quälte sich wachend bis zur Morgendämmerung, dann schlummerte er
noch ein Stündchen ein. Als er die Augen wieder aufschlug, war der alte
Bur fort, aber die Frau lag noch an seiner Seite.




Dreiundzwanzigstes Kapitel.

        Es gibt keinen Breitegrad auf der ganzen Erdkugel, der sich
        nicht einbildet, daß er eigentlich von Rechts wegen der
        Aequator sein solle.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Unter den Naturerscheinungen von Südafrika interessierte mich --
nächst Mr. Rhodes -- der Diamantkrater am meisten. Die Goldfelder im
›Rand‹ sind von erstaunlicher Größe; keine Goldgrube der Welt kann
sich neben ihnen blicken lassen, aber, wie gesagt, den Betrieb kannte
ich schon. Auch der Veld macht einen gewaltigen Eindruck, doch ist er
im Grunde nur eine edlere, schönere Abart unserer großen Prairie. Die
Eingeborenen boten mir viel Anziehendes aber wenig Neues, und in den
Städten fand ich mich meist von Anfang an ohne Führer zurecht, denn
ich kannte die Straßen auswendig, da ich sie unter andern Namen in den
Städten anderer Länder genau so gesehen hatte. Nur die Diamantgruben
waren für mich eine vollständige Neuheit, die mich ganz und gar
gefangen nahm. Es leben nur wenige Leute, die den Diamanten in seiner
Heimat besucht haben. Gold findet man an zahlreichen Orten, aber
der Diamant ist nur an drei oder vier Stellen in der Welt heimisch;
es lohnt wohl der Mühe um den Erdball zu segeln, wenn man dafür die
kostbarste und auserlesenste Seltenheit aus der Schatzkammer der Natur
zu sehen bekommt.

Die Diamantlager bei Kimberley wurden im Jahre 1869 entdeckt; in
Anbetracht der besonderen Umstände muß man sich nur verwundern, daß die
Afrikaner sie nicht schon seit fünftausend Jahren kennen und ausbeuten.
Man fand die ersten Diamanten offen auf der Oberfläche liegen; sie
waren glatt und durchsichtig und schienen Feuer zu speien, wenn die
Sonne sie bestrahlte. Hätte man nicht meinen sollen, der Wilde würde
sie jederzeit höher geschätzt haben als alles andere auf der Welt,
mit Ausnahme von Glasperlen? -- Seit zwei oder drei Jahrhunderten
haben wir ihm sein Land, sein Vieh, seinen Nachbar und alles was
er sonst noch zu verkaufen hatte, für Glasperlen abgehandelt. Es
ist daher höchst verwunderlich, daß er sich den Diamanten gegenüber
so gleichgültig verhalten hat; denn er muß sie, ohne Zweifel,
unzähligemale aufgelesen haben. Daß die Afrikaner nicht versuchten
sie an die Weißen zu verkaufen, ist sehr natürlich, denn die Weißen
besaßen ja schon Glasperlen von viel gefälligerer Form in Hülle und
Fülle. Aber die ärmeren Schwarzen, deren Mittel ihnen nicht erlaubten
sich mit wirklichem Glas zu schmücken, hätten sich doch damit begnügen
können die glitzernden Dinger zu tragen; sie wären dem weißen Händler
aufgefallen, er hätte eine Probe mit nach Hause genommen und nachdem
ihre Natur erkannt worden war, würden die Glücksjäger scharenweise nach
Afrika geströmt sein. Die Weltgeschichte ist manchmal recht sonderbar,
eines ihrer seltsamsten Vorkommnisse ist aber ohne Frage, daß man die
Diamanten Jahrhunderte lang auf der Erde funkeln ließ, ohne daß sich
irgend ein Mensch darum kümmerte.

Durch einen Zufall wurde die Wahrheit endlich offenbar: In einer
Burenhütte auf der weiten, einsamen Ebene bemerkte ein fremder
Reisender, daß ein Kind mit einem glänzenden Gegenstand spielte. Man
sagte ihm, es sei ein Glasstückchen, das auf dem Veld gefunden worden
wäre. Er kaufte es für eine Kleinigkeit, nahm es mit, und da er kein
ehrlicher Mann war, machte er einem anderen Fremdling weiß, es sei ein
Diamant. Er ließ sich 125 Dollars dafür bezahlen und war so vergnügt
über den ungerechten Handel, als ob er ein gutes Werk getan hätte. In
Paris verkaufte der betrogene Fremde das vermeintliche Glasstück für
10000 Dollars an einen Pfandverleiher; dieser ließ sich dafür von einer
Gräfin 90000 Dollars zahlen; die Gräfin verkaufte es einem Bierbrauer
für 800000 Dollars, der Bierbrauer ließ sich dafür vom König ein
Herzogtum und einen Stammbaum verleihen und der König verpfändete den
Diamanten. So hat sich die Sache in Wirklichkeit zugetragen.

Die Kunde von der großen Entdeckung verbreitete sich mit
Blitzesschnelle und das südafrikanische Diamantenfieber brach aus.
Jener erste Reisende, der so unehrlich war, erinnerte sich auf einmal,
daß er gesehen hatte, wie ein Fuhrmann auf steilem Wege sein Wagenrad
mit einem Diamanten gehemmt hatte, der so groß war wie ein Kinderkopf.
Sofort gab er alle andern Geschäfte auf und zog aus, um jenen Diamanten
zu suchen. Dabei hatte er jedoch keineswegs die Absicht, irgend jemand
wieder um 125 Dollars zu betrügen, denn er war unterdessen in sich
gegangen.

Wir wollen die Sache nun von ihrer lehrreichen Seite betrachten:
Die Diamanten liegen nicht in fünfzig Meilen langen Felsschichten
eingebettet, wie das Johannesburger Gold, sondern sie verteilen sich in
den Schuttmassen, welche, wenn man so sagen will, den Schacht eines
scharf abgegrenzten Brunnens ausfüllen; außerhalb der Brunnenwände
finden sich keine Diamanten. Dieser Schacht ist nichts anderes als ein
großer Krater, dessen Oberfläche mit Gras überwachsen ist und sich auf
keine Weise von der Ebene ringsumher unterscheidet. Das Weideland über
dem Diamantenkrater von Kimberley war groß genug, um einer Kuh Nahrung
zu geben, und von der Weide, die im Innern verborgen war, hätte sich
ein Königreich satt essen können. Aber die Kuh wußte nichts davon und
verscherzte ihr Glück.

Der Kimberley-Krater hat einen solchen Umfang, daß das römische
Kolosseum Platz darin fände; wie weit sich die Einsenkung in die
Tiefe erstreckt, weiß niemand, denn man ist noch nicht bis zum Boden
des Kraters gekommen. Ursprünglich war das ganze senkrechte Loch mit
einer festen, bläulichen Masse von vulkanischem Tuffstein angefüllt,
in welcher sich die Diamanten verteilen gleich den Rosinen in einem
Pudding. So tief wie sich das blaue Gestein in das Erdinnere erstreckt,
wird man auch Diamanten darin finden.

In der Nähe gibt es noch drei oder vier berühmte Krater, alle in
einem Umkreis von kaum drei Meilen Durchmesser. Sie gehören der De
Beers-Gesellschaft, die vor zwölf oder vierzehn Jahren von Mr. Rhodes
gegründet wurde. Auch noch andere Krater, die zur Zeit das Gras
bedeckt, sind Eigentum der De Beers, welche genau wissen, wo sie liegen
und sie eines schönen Tages öffnen werden, wenn die Gelegenheit günstig
ist.

Anfänglich waren die Diamantenlager im Besitz des Oranje-Freistaats;
aber durch eine wohlüberlegte ›Berichtigung‹ der Grenzlinie wurden
sie der Kapkolonie einverleibt und kamen unter britische Herrschaft.
Ein hoher Beamter des Freistaats sagte mir, man habe der Republik
400000 Dollars Entschädigung, Schmerzensgeld, oder wie man es nennen
will, ausgezahlt, und nach seiner Meinung hätte die Regierung klug
daran getan, die Summe anzunehmen und jeden Streit zu vermeiden, da
alle Macht auf der einen und alle Schwäche auf der anderen Seite war.
Jetzt gräbt die De Beers-Gesellschaft wöchentlich Diamanten im Wert von
400000 Dollars aus. Das Kapland hat zwar den Grund und Boden erhalten,
aber nicht den Gewinn, denn die Gruben sind, wie gesagt, Eigentum von
Mr. Rhodes, den Rothschilds und anderen De Beers-Leuten, die keine
Abgaben bezahlen.

Heutzutage stehen die Gruben unter Leitung der fähigsten
amerikanischen Grubeningenieure und werden nach wissenschaftlichen
Grundsätzen ausgebeutet. Großartige Maschinen sind in Tätigkeit,
um das blaue Gestein zu zerkleinern, aufzuweichen und solange zu
bearbeiten, bis jeder Diamant, den es enthält, aufgefunden und in
Sicherheit gebracht worden ist. Ich sah den ›Konzentratoren‹ bei ihrer
Arbeit zu; sie standen vor großen Behältern voll Schlamm, Wasser
und unsichtbaren Diamanten, und man sagte mir, daß ein Mann täglich
dreihundert Wagenladungen aufgeweichtes Gestein -- zu 1600 Pfund die
Ladung -- durchrühren, auspumpen, zubereiten und in drei Wagenladungen
Schlamm umwandeln könne. Man brachte in meinem Beisein die drei
Wagenladungen Schlamm auf die Siebsetzmaschine, welche sie auf eine
Viertelladung reinen, dunkelfarbigen Sandes reduzierte. Dann ging es
zu den Sortier-Tischen, wo ich sah, wie die Arbeiter den Sand rasch
und geschickt ausbreiteten, ihn hin- und herfegten und jeden Diamanten
herausnahmen, den sie aufblitzen sahen. Ich beteiligte mich eine
Weile daran und fand einen Diamanten, der halb so groß war wie eine
Mandel. Dies Fischen ist sehr aufregend; mich durchbebte jedesmal
ein Freudenschauer, wenn ich einen der funkelnden Steine aus dem
dunkeln Sand hervorglänzen sah. Könnte ich mir doch dann und wann zum
Festtagsspaß diesen Zeitvertreib machen!

Natürlich fehlt es dabei auch nicht an Enttäuschungen. Zuweilen findet
man einen Diamanten, der keiner ist, sondern nur ein Stück Bergkrystall
oder ein ähnlich wertloses Ding. Der Sachverständige unterscheidet es
meist von dem Edelstein, den es nachäffen will. Im Zweifelfall legt er
es auf eine Eisenplatte und schlägt mit dem Schmiedehammer darauf. Ist
es ein Diamant, so bleibt es heil und ganz, alles andere wird zu Pulver
zermalmt. Diese Probe gefiel mir so sehr, daß ich immer wieder mit
Vergnügen zusah, wie oft sie auch vorgenommen wurde. Man setzt dabei
nichts aufs Spiel, und die Spannung ist ein großer Genuß.

Die De Beers-Gesellschaft läßt täglich 8000 Wagenladungen -- etwa 6000
Tonnen -- blaues Gestein verarbeiten und gewinnt daraus drei Pfund
Diamanten, die in rohem Zustand einen Wert von 50000 bis 70000 Dollars
haben. Nachdem sie geschliffen sind, wiegen sie weniger als ein Pfund,
ihr Wert ist aber vier- bis fünfmal größer als vorher.

Die ganze Ebene in jener Gegend ist einen Fuß hoch mit dem blauen
Gestein bedeckt, so daß sie aussieht wie ein gepflügtes Feld. Die
Gesellschaft läßt die Stücke ausbreiten, um sie längere Zeit der Luft
auszusetzen, weil sie dann leichter zu bearbeiten sind, als wenn sie
unmittelbar aus der Grube kommen. Würde der Betrieb jetzt eingestellt,
so könnte man von dem Gestein, das dort auf dem Felde liegt, noch drei
Jahre lang täglich 8000 Wagenladungen nach den Sortierwerken bringen.
Die Felder sind eingezäunt, sie werden bewacht und nachts durch hohe
elektrische Scheinwerfer beleuchtet, was sehr zweckmäßig ist, da dort
Diamanten im Wert von fünfzig bis sechzig Millionen Dollars liegen und
an unternehmungslustigen Dieben kein Mangel herrscht.

Auch im Schmutz der Straßen von Kimberley sind Reichtümer verborgen.
Vor einiger Zeit erteilte man den Bewohnern unbeschränkte Erlaubnis sie
aufzuwaschen. Von allen Seiten strömten Leute herbei, die Arbeit wurde
sehr gründlich verrichtet und eine reichliche Diamanternte gehalten.

Die Grubenarbeiter sind Eingeborene, die zu vielen Hunderten in Hütten
wohnen, welche innerhalb eines großen, umzäunten Hofes stehen. Es
ist ein lustiges, gutmütiges Volk und sehr gefällig; der Kriegstanz,
den sie vor uns aufführten, war das wildeste Schauspiel, das ich je
gesehen habe. Während ihrer Dienstzeit, welche, wenn ich nicht irre, in
der Regel drei Monate dauert, dürfen sie den Hof nicht verlassen. Sie
steigen in den Schacht hinunter, tun ihre Arbeit, kommen wieder herauf,
werden durchsucht und gehen zu Bett oder machen sich irgendwo eine
Kurzweil auf dem Hofe. Das ist ihr Lebenslauf, tagaus, tagein.

Man glaubt, daß es ihnen jetzt nur selten gelingt, Diamanten zu
stehlen. Früher verschluckten sie dieselben oder erfanden andere
Methoden sie zu verbergen. Aber der Weiße läßt sich jetzt schwer
überlisten. Ein Mann schnitt sich sogar ins Bein und versteckte einen
Diamanten in der Wunde, doch selbst dieser Kunstgriff schlug fehl. Wenn
die Leute einen schönen, großen Diamanten finden, liefern sie ihn im
allgemeinen lieber ab, statt ihn zu stehlen. Im erstern Falle erhalten
sie eine Belohnung, im letzteren kommen sie höchstwahrscheinlich
in Ungelegenheiten. Vor einigen Jahren fand ein Schwarzer in einer
Grube, die nicht den De Beers gehörte, den Diamanten, von welchem man
sagt, er sei der größte, den die Welt je gesehen habe. Zum Lohn dafür
wurde er vom Dienst befreit, erhielt eine wollene Decke, ein Pferd
und 500 Dollars. Das machte ihn zu einem Krösus; er konnte sich vier
Weiber kaufen und behielt noch Geld übrig. Ein Eingeborener, der vier
Weiber hat, braucht nicht mehr für seinen Unterhalt zu sorgen und keine
Hand zur Arbeit zu rühren, er ist ein vollkommen unabhängiger Mensch.

Jener Riesen-Diamant wiegt 971 Karat. Er soll so groß sein, wie ein
Stück Alaun oder wie ein Mundvoll Zuckerkant, manche behaupten sogar,
wie ein Klumpen Eis. Aber diese Angaben schienen mir unwichtig und
obendrein unzuverlässig. Der Diamant hat einen Fehler im Innern,
sonst würde er von völlig unerschwinglichem Werte sein. So wie er
ist, schätzt man ihn auf 2000000 Dollars, folglich müßte er nach dem
Schleifen 5000000 bis 8000000 Dollars kosten; wer den Diamanten jetzt
kauft, kann also viel Geld ersparen. Er ist Eigentum eines Syndikats
und hat bisher keinen zahlungsfähigen Käufer gefunden, so ist er denn
ein totes Kapital, bringt nichts ein und hat, außer dem glücklichen
Finder, noch niemand reich gemacht.

Der Eingeborene fand ihn in einer Grube, welche im Kontrakt bearbeitet
wurde. Das heißt, eine Gesellschaft hatte sich für eine bestimmte Summe
und eine Abgabe vom Ertrag das Vorrecht erkauft, 5000000 Wagenladungen
blaues Gestein aus der Grube zu holen. Bei der Spekulation war kein
Gewinn erzielt worden; doch gerade am Tage, ehe der Kontrakt ablief,
kam der Schwarze mit dem Diamanten angegangen. Auch die Diamantenfelder
sind nicht arm an überraschenden Episoden, wie man sieht.

Zwar wird der bekannte Koh-i-Noor mit Recht wegen seiner Größe und
Kostbarkeit gepriesen, doch kann er sich nicht mit drei andern
Diamanten messen, die zu den Kronjuwelen von Portugal und Rußland
gehören sollen, und von denen einer den Wert von 20000000 Dollars hat,
während der zweite auf 25000000 Dollars geschätzt wird und der dritte
auf 28000000 Dollars.

Das sind in der Tat wunderbare Diamanten -- mögen sie der Sage
angehören oder der Wirklichkeit -- aber der Edelstein, mit welchem
jener Fuhrmann, von dem ich oben sprach, auf dem steilen Weg seinen
Wagen gehemmt hat, war doch noch viel größer. In Kimberley traf ich mit
dem Manne zusammen, der vor achtundzwanzig Jahren selbst mit angesehen
hatte, wie der Bur den Diamanten unter das Wagenrad schob. Als er
mir versicherte, der Stein sei eine Billion Dollars wert, wenn nicht
darüber, glaubte ich es ihm aufs Wort. Der Mann hat siebenundzwanzig
Jahre seines Lebens darauf verwendet nach dem Diamanten zu suchen und
wird wohl seiner Sache gewiß sein.

Wer sich das langwierige, mühevolle und kostspielige Verfahren
angesehen hat, durch welches die Diamanten aus der Tiefe der Erde
ans Licht gefördert und von den Schlacken befreit werden, die sie
einschließen, der sollte zum Schluß nicht verfehlen, dem Bureau
der De Beers in Kimberley einen Besuch abzustatten, wo täglich der
Ertrag der Gruben abgeliefert, gewogen, sortiert, geschätzt und bis
zum Einschiffen in eisernen Schränken verwahrt wird. Ohne besondere
Empfehlungen erhält niemand Einlaß an diesem Ort, und aus den
zahlreichen Warnungstafeln und Schutzvorrichtungen, die allenthalben
angebracht sind, können selbst bekannte und gutempfohlene Personen
leicht ersehen, daß sie keine Diamanten stehlen dürfen, wenn sie sich
nicht Unannehmlichkeiten aussetzen wollen.

Wir sahen die Ausbeute jenes Tages in glänzenden kleinen Häufchen auf
weißen Papierbogen liegen. Zwischen den einzelnen Diamanthäufchen
war auf dem Tisch immer ein Fußbreit Raum gelassen. Der Tagesertrag
stellte einen Wert von 70000 Dollars dar. Im Lauf eines Jahres kommen
dort auf die Wage etwa eine halbe Tonne Diamanten, welche achtzehn
bis zwanzig Millionen Dollars einbringen; der Profit beträgt ungefähr
12000000 Dollars.

Das Sortieren wird von jungen Mädchen besorgt; es ist eine hübsche,
reinliche, nette, aber vermutlich recht qualvolle Arbeit. Täglich
lassen die Mädchen reiche Schätze auf der Hand funkeln und durch die
Finger gleiten und gehen doch abends so arm zu Bette, wie sie morgens
aufgestanden sind, und das einen Tag wie alle Tage.

Auch in ihrem Urzustand sind die Diamanten wunderhübsch anzusehen;
sie haben verschiedene Formen, eine glatte Oberfläche und abgerundete
Ränder, niemals scharfe Ecken. Es gibt Diamanten in allen Farben und
Schattierungen, vom klarsten Weiß des Tautropfens bis zum wirklichen
Schwarz; die meisten sind hell und strohfarben. Wenn sie so glatt
und rund, so durchsichtig und schillernd daliegen, meint man einen
Haufen Fruchtbonbons zu sehen. Mir schien, als müßten diese rohen
Edelsteine weit schöner sein als geschliffene. Erst als eine Sammlung
geschliffener Diamanten hereingebracht wurde, erkannte ich meinen
Irrtum. Einem Rosen-Diamanten mit natürlichem Farbenspiel läßt sich
an Schönheit nichts vergleichen, außer ein Ding, das ganz und gar
nicht kostbar ist und ihm doch täuschend ähnlich sieht. Das ist vom
Sonnenlicht durchglühtes Meerwasser, dessen Wellen den weißen Ufersand
bespülen.

       *       *       *       *       *

Noch vor Mitte Juli kamen wir nach Kapstadt, dem Endpunkt unserer
Reise in Afrika. Nun waren wir ganz befriedigt, denn als wir den hohen
Tafelberg über uns thronen sahen, wußten wir, daß wir alle großen
südafrikanischen Sehenswürdigkeiten in Augenschein genommen hatten,
außer Cecil Rhodes. -- Ich weiß wohl, das ist keine unbedeutende
Ausnahme. Denn mag nun Mr. Rhodes der erhabene und verehrungswürdige
Patriot und Staatsmann sein, für welchen ihn viele halten, oder der
Teufel in Menschengestalt, für den ihn die übrige Welt ansieht,
jedenfalls ist er die imposanteste Persönlichkeit im britischen Reich,
außerhalb Englands: Wenn er auf dem Kap der Guten Hoffnung steht,
fällt sein Schatten bis zum Zambesi. Er ist der einzige Kolonist in
den britischen Besitzungen, dessen Kommen und Gehen allerwärts auf der
Erde besprochen und verzeichnet wird, dessen Reden das Kabel unverkürzt
nach allen Enden der Welt entsendet und der einzige Ausländer von nicht
königlichem Geblüt, dessen Ankunft in London ebenso viel Aufsehen
macht, wie eine Sonnenfinsternis.

Daß er kein Findelkind des Glückes, sondern ein außerordentlicher
Mensch ist, leugnen auch seine liebsten südafrikanischen Feinde nicht,
soweit mir ihr Zeugnis bekannt ist. Die ganze Welt Südafrikas -- Freund
wie Feind -- sieht mit ehrfurchtsvollem Schauer zu ihm empor. Dem einen
Teil erscheint er als Bote Gottes, dem andern als ein Abgesandter
des Satans; das Volk ist sein Eigentum, mit einem Hauch kann er es
beglücken oder ins Verderben stürzen; viele beten ihn an, viele
verabscheuen ihn, aber kein kluger Mann wagt ihm zu fluchen, und selbst
die Unvorsichtigen tun es nur in leisem Flüsterton.

Was verschafft ihm aber diese gefürchtete Oberhoheit? Ist es sein
ungeheuerer Reichtum, von dessen Fettöpfen für eine Menge Menschen Lohn
und Unterhalt herabträufeln, was sie zu einem willfährigen Untergebenen
macht? Ist es seine persönliche Anziehungskraft und Ueberredungskunst,
mit der er alles hypnotisiert, was in den Bannkreis seines Einflusses
gerät? Sind es seine majestätischen Gedanken und Riesenpläne für
die Machterweiterung des britischen Reiches, sein patriotischer und
selbstloser Ehrgeiz? Will er den segensreichen Schutz und die gerechte
Herrschaft Englands über die weiten Länder des heidnischen Afrikas
ausbreiten, damit der dunkle Erdteil vom Ruhme des britischen Namens
wiederstrahlt? Oder beansprucht er die Erde als sein Eigentum und
halten seine Freunde so standhaft an ihm fest, weil sie glauben, er
wird sie bekommen und auch ihnen etwas abgeben? -- Was auch immer des
Rätsels Lösung ist, das Endresultat bleibt dasselbe.

Jedenfalls steht die Tatsache fest, daß Rhodes tun kann was er will,
ohne seine Herrschaft und seinen ungeheuern Anhang zu verlieren. Der
Herzog von Fife sagt selbst, ›er habe ihn betrogen‹, doch läßt sich
der Herzog in seiner Ergebenheit dadurch nicht irre machen. Rhodes
bringt die Reformpartei durch seinen Einfall in Transvaal in große
Not, aber die meisten glauben, er habe es gut gemeint. Er beklagt
die schwerbesteuerten Johannesburger und macht sie sich zu Freunden;
gleichzeitig verlangt er von seinen Ansiedlern in Rhodesia fünfzig
Prozent und sichert sich dadurch ihr Vertrauen und ihre Zuneigung in
solchem Maße, daß sie in Verzweiflung geraten, sobald sich nur das
Gerücht verbreitet, die Chartered Company solle aufgelöst werden.
Er fällt ins Land der Matabele ein, die er beraubt, erschlägt, und
sich dienstbar macht; dafür wird er von allen Charter-Christen mit
Lobsprüchen überhäuft. Er hat die Briten verführt, tonnenweise
wertlose Charter-Papiere für Noten der Bank von England zu kaufen,
und doch streuen ihm die Beraubten Weihrauch, als dem Gott künftigen
Ueberflusses. Er hat alles getan, was sich irgend tun ließ, um seinen
Sturz vorzubereiten; ein Dutzend großer Männer wären an seiner Stelle
sicherlich zu Fall gekommen. Er aber steht bis zum heutigen Tage auf
seiner schwindelnden Höhe unter dem Himmelsdom, als ein Wunder seiner
Zeit, als das Geheimnis des Jahrhunderts; die eine Hälfte der Welt
hält ihn für einen geflügelten Erzengel und die andere für einen
geschwänzten Teufel.

Ich bewundere ihn sehr, das gestehe ich ganz offen, und wenn seine Zeit
kommt, will ich mir ein Ende von seinem hanfenen Strick zum Andenken
kaufen.




Vierundzwanzigstes Kapitel.

        Ich bin mehr gereist als irgend ein Mensch und habe die
        Entdeckung gemacht, daß selbst die Engel kein reines
        Englisch sprechen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Den majestätischen Tafelberg habe ich jedenfalls gesehen. Er ist 3000
Fuß hoch; hat aber auch eine Höhe von 17000 Fuß. Man kann sich auf
diese Zahlen verlassen, denn ich weiß sie aus dem Munde der zwei
Bürger von Kapstadt, welche am besten darüber unterrichtet sind,
weil sie sich das Studium des Tafelbergs zum Lebensberuf gemacht
haben. Die Tafelbai wird so genannt, weil sie ganz eben ist. Das
Schloß des kommandierenden Generals ist vor dreihundert Jahren von
der Holländisch-Ostindischen Kompagnie erbaut worden. Auch die St.
Simons-Bai habe ich gesehen, wo der Admiral wohnt, ferner war ich
im Gouvernements-Haus und im Parlament, wo sich die Abgeordneten in
zwei Sprachen stritten und sich in keiner verständigten. Ich besuchte
den Klub und fuhr auf den schönen, gewundenen Straßen, die sich am
Meeresufer und an den Bergen entlang ziehen, durch das Paradies, wo die
Villen liegen. Auch in den hübschen alten holländischen Wohnhäusern aus
früherer Zeit, die noch jetzt so behaglich sind, verweilte ich als Gast.

       *       *       *       *       *

Am 15. Juli traten wir in dem ›Norman‹, einem prächtigen, trefflich
ausgestatteten Schiff, die Rückfahrt nach England an, die kaum vierzehn
Tage währte, und bei der wir uns nur in Madeira aufhielten. Eine solche
Reise ist wie zum Ausruhen geschaffen für müde Leute, und deren hatten
wir viele an Bord. Mir war zu Mute, als hätte ich statt ein Jahr lang,
Jahrhunderte lang Vorlesungen gehalten, und die meisten Johannesburger
auf unserm Schiff waren noch sehr angegriffen von ihrer fünfmonatlichen
Einkerkerung im Gefängnis zu Prätoria.

Unsere Reise um die Erde endigte am Landungsplatz von Southampton,
wo sie vor dreizehn Monaten begonnen hatte. Eine Weltumsegelung in
so kurzer Zeit schien mir eine schöne und große Tat, auf die ich mir
heimlich nicht wenig einbildete. Aber nur einen Augenblick. Dann
kam ein astronomischer Bericht von der Sternwarte und verdarb mir
die ganze Freude: In der fernsten Ferne des Himmelsraumes war erst
kürzlich ein neuer großer Weltkörper aufgetaucht, dessen Licht mit
solcher Schnelligkeit reiste, daß es in ¹/₇ Sekunde die ganze Strecke
durchmessen könnte, die ich zurückgelegt hatte. -- Des Menschen Stolz
verlohnt sich nicht der Mühe; immer lauert etwas im Hinterhalt, das ihn
zu Falle bringt.

[Illustration]




    Die folgenden Ankündigungen des Verlags
    werden gefl. Beachtung empfohlen.




Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=.


    =Bismarck-Anekdoten.= Heitere Szenen, Scherze und Charakterzüge
        aus dem Leben des ersten deutschen Reichskanzlers.
        Bearbeitet von =Fr. Schmidt-Hennigker=. 4. vermehrte Aufl.
        239 S. Preis geh. M. 2.50 eleg. i. L. geb. M. 3.50.

Das Buch enthält eine Fülle von Anekdoten, angefangen mit Bismarcks
frühester Jugend und fortgeführt bis an seinen Lebensabend, und fesselt
den Leser von Anfang bis zu Ende. Der Charakter des großen Deutschen
Bismarck kann dem Leser nicht besser offenbart oder näher gerückt
werden als durch diese zahlreichen kleinen Züge.


    =Humor Friedrichs des Großen.= Anekdoten, heitere Szenen und
        charakteristische Züge aus dem Leben König Friedrichs II.
        Bearb. von =Fr. Schmidt-Hennigker=. 5. vermehrte Aufl.
        192 S. Preis geh. M. 2.--, eleg. i. L. geb. M. 3.--.


    =Marokkanische Geschichten= v. =A. J. Dawson=. Autoris.
        Uebersetzung von =Hans Lindner=. 2 Bände ~à~ M. 2.50
        brosch., M. 3.50 eleg. geb. -- Jeder Band einzeln käuflich.

Das =Berliner Tageblatt= schreibt: »Diese Geschichten tragen den
Stempel der Wahrheit und die echte maurische Farbe. Man liest da von
schrecklichen Kerkern, von barbarischen Zuständen, kulturfeindlichen
Sitten, seltsamen Menschenschicksalen, von fanatischen Anschauungen,
und innerhalb dieser Bücher tauchen stolze Rassefiguren auf, verwegene
Scheikhs, opfermutige Mädchen mit glutvollen Augen und hingebender
Liebe, heißblütige Haremsdamen und fanatische Muselmänner. Alles,
was diesem halbzivilisierten Volke seine Physiognomie gibt, bildet
in diesem Buche die Steine zu einem charakteristischen Kulturbilde
im farbenprächtigen Rahmen einer vom Sonnenlicht umflossenen
Orientlandschaft.«


Bret Harte’s

Ausgewählte Erzählungen.

In 4 Oktavbänden ~à~ M. 2.-- brosch., M. 3.-- eleg. geb.

Jeder Band einzeln käuflich.

=Inhalt=: Bd. I. =Drei Teilhaber.= Roman. -- Bd. II. =Jack Hamlin als
Vermittler= u. a. Erz. -- Bd. III. =Das jüngste Fräulein Piper= u.
a. Erz. -- Bd. IV. =Das Licht im Felsenkessel= nebst einigen kleinen
Geschichten.

Bret Harte ist neben Mark Twain in Europa der beliebteste und
gelesenste Schriftsteller Amerikas. Er ist unerschöpflich in der
Kunst, dem fernen Westen Amerikas eigentümliche Charakterfiguren und
originelle Handlungen zu schaffen. Die Sammlung bringt eine Auswahl
seiner besten Erzählungen der neueren Zeit und zumeist solche, die =zum
erstenmale in deutscher Sprache= erscheinen. Bd. 3 und 4 befinden sich
in Vorbereitung.


=Trilby.= Roman von =G. du Maurier=.

Deutsche Ausgabe. =11. Aufl.= Brosch. M. 4.50 geb. m. G. M. 5.50.

Der Roman ist von internationaler Berühmtheit und hat namentlich auch
in Deutschland einen großen Leserkreis gefunden. Der Reiz des Buches
liegt nicht in dem Hypnotismus, der darin eine gewisse Bedeutung
erlangt, sondern in der Herzlichkeit und Gemütlichkeit der Erzählung,
die das menschliche Interesse in hohem Grade fesselt. Wir lachen und
weinen in einer Gesellschaft interessanter und meist liebenswürdiger
Menschen, welche sich um die Gestalt der seelenvollen Trilby
gruppieren.


Bekenntnisse eines Arztes.

Von =W. Weressájew=.

Einzige vom Verfasser genehmigte Uebersetzung von =Heinr. Johannson=.

286 Seiten, nebst Porträt des Verfassers.

=Preis geh. M. 2.--, in Leinwand geb. M. 3.--=,

-- 3. Auflage. (6. u. 7. Tausend.) --

Peter Rosegger schreibt:

»=Wieder einmal ein Buch, das in der ganzen zivilisierten Welt Aufsehen
macht. Und mit Recht, es ist eines der ernstesten, redlichsten
und nützlichsten Werke, die je geschrieben wurden.= Der Verfasser
erzählt mit erschütterndem Freimut seine Erfahrungen als Arzt, seine
Enttäuschungen, seine Mißerfolge, seine Verzweiflung an der Medizin
und -- seine Hoffnung auf sie. Seitdem ich dieses Buch las, steht
der ärztliche Beruf in meinen Augen größer da. Weressájew, der junge
russische Arzt, gesteht ein, wie unendlich gering sein Können ist
trotz unermüdlicher Studien und Forschungen, wie wenigen er geholfen,
wie viele er durch sein Irren geschädigt, getötet hat! Und doch
möchte ich gerade diesen Weressájew zu meinem Arzt wählen. Wenn alle
Aerzte so wären wie der Verfasser dieses Buches, so gewissenhaft und
so aufrichtig, dann würde der ärztliche Stand bei allen vernünftigen
Leuten höher dastehen als jetzt.

Der Verfasser der »Bekenntnisse eines Arztes« ist -- das sieht man auf
jeder Seite -- =ein ganzer, ein guter und treuer Mensch. Aber er ist
auch ein großer Schriftsteller. Sein Buch ist glänzend geschrieben.= Es
hat in kurzer Zeit ungeheure Verbreitung erlangt, die es verdient.«


Sherlock Holmes-Serie

Gesammelte Detektivgeschichten

von

Conan Doyle

Illustriert von Rich. Gutschmidt und anderen.

=Vollständig in 6 Bänden= (ca. 1800 Seiten).

=Preis brosch. M. 12.--, in Lwd. geb. M. 18.--= bei Bezug auf einmal;
der einzelne Band kostet brosch. M. 2.25, in Lwd. geb. M. 3.25.

Die Ausgabe bringt folgende Werke:

      I. Späte Rache.

     II. Das Zeichen der Vier.

    III. Der Bund der Rothaarigen u. A.

     IV. Das getupfte Band u. A.

      V. Fünf Apfelsinenkerne u. A.

     VI. Der Hund von Baskerville.

_Jeder Leser_, auch der gebildetste und anspruchsvollste, wird an
diesen _ausserordentlich fesselnden Geschichten_ grossen Gefallen
finden und den scharfsinnigen Beobachtungen und Schlussfolgerungen
Sherlock Holmes’ seine Bewunderung zollen. Wer einmal eine dieser
spannenden Erzählungen gelesen hat, der kann es sich nicht versagen,
auch die andern kennen zu lernen.




Mark Twains

Ausgew. humoristische Schriften.


Inhalt:

    Bd.   I. =Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.=

    Bd.  II. =Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.=

    Bd. III. =Skizzenbuch.=

    Bd.  IV. { =Leben auf dem Mississippi.=
             { =Nach dem fernen Westen.=

    Bd.   V. =Im Gold- und Silberland.=

    Bd.  VI. =Reisebilder u. verschiedene Skizzen.=

Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden.

Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden.


Neue Folge:

    Bd.  I. =Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.=

    Bd. II. =Querkopf Wilson.=

    Bd. III./IV. =Meine Reise um die Welt.= 2 Abt.

    Bd.  V. =Adams Tagebuch= u. a. Erzähl.

    Bd. VI. =Wie Hadleyburg verderbt wurde= u. a. Erzähl.

Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden.

Preis _aller_ 6 Bände, zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden.




    Weitere Anmerkungen zur Transkription


    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 165: Janesch → Ganesch
      Eingang steht ein Bildnis von {Ganesch}

    S. 311: konnte → kannte
      denn ich {kannte} die Straßen auswendig

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ZWEITE
ABTEILUNG ***

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the
United States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for an eBook, except by following
the terms of the trademark license, including paying royalties for use
of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for
copies of this eBook, complying with the trademark license is very
easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation
of derivative works, reports, performances and research. Project
Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away--you may
do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected
by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark
license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you will have to check the laws of the country where
  you are located before using this eBook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that:

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg-tm trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation's website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without
widespread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This website includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.