Meine Reise um die Welt. Erste Abteilung

By Mark Twain

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Mark Twain

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Title: Meine Reise um die Welt. Erste Abteilung

Author: Mark Twain

Release Date: October 1, 2021 [eBook #66437]

Language: German


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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ERSTE
ABTEILUNG ***




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Mark Twains

Humoristische Schriften

Neue Folge. 3. Band




    Meine
    Reise um die Welt

    Von

    Mark Twain

    Autorisiert

    Erste Abteilung

    Inhalt:

    Im Stillen Ozean -- Australien -- Von Australien
    nach Indien.

    [Illustration]

    Stuttgart
    Verlag von Robert Lutz
    1903.




Alle Rechte vorbehalten.

Druck von A. Bonz’ Erben in Stuttgart.




Inhalt der 1. Abteilung.


    _Im Stillen Ozean._

    Kapitel 1--8. Seite 1--115.

    Abfahrt. -- Das Dampfboot, der Kapitän und die Mitreisenden.
    -- Der Nutzen übler Gewohnheiten. -- Geschichten vom Bumerang
    und außerordentlichem Gedächtnis. -- General Grant und Samuel
    Clemens. -- Eine Geschichte ohne Ende. -- Honolulu sonst und
    jetzt. -- Die Leprakranken auf Molokai. -- Gedanken beim
    Passieren des Aequators. -- Der 180. Längengrad und der
    verlorene Tag. -- Beglückung der Bewohner des Stillen Ozeans
    durch die Fortschritte der Kultur. -- Die Fidschi-Inseln.
    -- Höchst belehrende Vorträge über die Fauna Australiens,
    insbesondere über das Schnabeltier.

    _Australien._

    Kapitel 9--17. Seite 116--182.

    Ein Meerwunder. -- Der Hafen von Sydney. -- Heiße Winde. --
    Sträflingsleben. -- Der australische Squatter. -- Simson und
    Hanuman. -- Lustbarkeiten in Sydney. -- Cecil Rhodes und der
    Haifisch. -- Die Eisenbahn von Sydney nach Melbourne. -- Ein
    unaufgeklärtes Geheimnis. -- Das Preisrennen von Melbourne. --
    Buckleys wunderbare Erlebnisse.

    Kapitel 18--24. Seite 183--262.

    Allerlei Statistisches. -- Das Silberbergwerk von Broken
    Hill. -- Der ›Scrub‹. -- Eingeborene als Pfadfinder. --
    Gründung der Stadt Adelaide, ihr Niedergang und ihre
    Auferstehung. -- Religiöse Toleranz in Südaustralien. -- Das
    Nationalfest der Provinz. -- Das ›Weetweet‹. -- Der weiße
    Mann und der Australneger. -- Die Kolonie Viktoria. -- Ein
    landwirtschaftliches Institut. -- Die Goldbergwerke von
    Ballarat und Bendigo. -- Der Mark Twain-Klub.

    _Von Australien nach Indien._

    Kapitel 25--34. Seite 263--346.

    Der Professor aus Neuseeland. -- Die Ureinwohner Tasmaniens. --
    Robinson, der ›Versöhner‹. -- Ein Empfehlungsbrief. -- Hobart,
    die Hauptstadt Tasmaniens. -- Eisenbahnen in Neuseeland.
    -- Frauenbewegung. -- Auf der ›Flora‹. -- In Auckland. --
    Gedankentelegraphie. -- Die Maori. -- Gluthitze in Australien.




Erstes Kapitel.

        Es kommt vor, daß ein Mensch zwar keine üblen
        Angewohnheiten hat -- aber Schlimmeres.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Der Ausgangspunkt meiner Vorlesungstour um die Welt war Paris, wo ich
seit ein paar Jahren mit den Meinigen lebte. Wir reisten von dort nach
Amerika, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Das war schnell
geschehen. Zwei meiner Angehörigen beschlossen die Reise mitzumachen
-- desgleichen ein Karbunkel. Im Wörterbuch steht: ein Karbunkel oder
Karfunkel ist eine Art Edelstein. Ich muß gestehen, daß der Humor in
einem Wörterbuch schlecht am Platze ist.

Mitten im Sommer brachen wir von New York nach dem Westen auf; alles
Geschäftliche übernahm Herr Pond, bis zum Stillen Ozean. Es war ein
heißes Stück Arbeit und in den letzten vierzehn Tagen obendrein
rauchig zum Ersticken, weil in Oregon und Britisch Columbia gerade die
Waldbrände wüteten.

Während einer Woche genossen wir den Rauch auch noch am Seestrande, wo
wir eine Zeitlang auf unser Schiff warten mußten. Es hatte im Rauch die
Richtung verloren, war auf den Grund geraten und mußte erst gedockt und
aufgezimmert werden.

Endlich wurden die Anker gelichtet, und damit endete unser
Schneckengang auf dem Festland, der vierzig Tage gedauert hatte. Wir
segelten westwärts über die leicht gekräuselte, glitzernde Sommersee,
die, zum Entzücken klar und kühl, von jedermann an Bord freudig begrüßt
wurde. Am willkommensten war sie mir, nach dem Staub, dem Rauch und der
Hitze, die ich in den letzten Wochen durchgemacht hatte. Die Seereise
verschaffte mir eine dreiwöchentliche, fast ununterbrochene Ruhezeit.
Wir hatten den ganzen Stillen Ozean vor uns, und nichts zu tun als
nichts zu tun und uns gemütlich zu fühlen. Victoria, die Hauptstadt
der Vancouver-Insel, leuchtete nur noch schwach aus ihrer Rauchwolke
herüber und wollte eben verschwinden. Wir legten die Feldstecher
beiseite und ließen uns friedlich auf den Klappstühlen nieder, wie
zufriedene Leute. Aber sie brachen unter uns in Trümmer zusammen und
brachten uns in Schmach und Schande vor allen Passagieren. Zum Preis
von guten Stühlen hatten wir sie aus dem größten Möbelgeschäft von
Victoria bezogen, und dabei waren sie keinen Heller per Dutzend wert.
Im Indischen und im Stillen Ozean muß jeder noch immer seinen eigenen
Klappstuhl mit an Bord bringen, wie das in längst vergangenen Zeiten
auch auf dem Atlantischen Ozean Sitte war -- im finstern Mittelalter
der Seereisen.

Unser Dampfer war sonst recht behaglich eingerichtet; wir bekamen
die gewöhnliche Schiffskost -- gute und reichliche Nahrung, von der
Vorsehung gespendet, aber in des Teufels Küche gekocht. Auch die
Mannszucht an Bord war so gut, wie sie überhaupt in jenen Breiten
zu haben ist. Für eine Fahrt in den Tropen war das Schiff nicht
besonders zweckmäßig ausgerüstet, aber das ist ja durchgängig bei allen
Fahrzeugen der Fall, die man nach den Tropen schickt. An Kakerlaken
litten wir keinen Mangel; auch das ist die Regel auf den Schiffen in
jenen Meeren, das heißt, auf allen, die schon längere Zeit im Dienste
stehen.

Der Kapitän war ein junger, schöner Mann, groß und hübsch gebaut; eine
Gestalt, auf der sich eine kleidsame Uniform besonders vorteilhaft
ausnimmt. Er meinte es sehr gut mit uns und war freundlich und höflich,
wie ein vollendeter Kavalier. Durch sein angenehmes, verbindliches
Wesen verwandelte er jeden Raum, den er betrat, sofort in einen Salon;
im Rauchzimmer ließ er sich nicht blicken. Von schlechten Gewohnheiten
war er ganz frei; er rauchte und schnupfte nicht, kaute auch keinen
Tabak; man hörte ihn weder fluchen noch schimpfen, kein grobes oder
unfeines Wort kam je aus seinem Munde. Er machte keine schlechten
Witze, erzählte keine Anekdoten, lachte nie unmäßig oder erhob die
Stimme lauter, als es die Gesetze der Schicklichkeit vorschrieben;
jeder Befehl, den er erteilte, nahm den Ton einer Bitte an. Nach
Tische erschien er mit seinen Offizieren bei der Gesellschaft im
Damensalon, beteiligte sich am Gesang und Klavierspiel oder wendete die
Notenblätter um. Er besaß eine weiche, angenehme Tenorstimme und sang
mit Geschmack und gutem Vortrag. War die Musik zu Ende, so kam eine
Whistpartie an die Reihe, bis es für die Damen Schlafenszeit wurde.
Im Salon brannte das elektrische Licht, solange die Gesellschaft es
irgend wünschte, im Rauchzimmer aber nur bis elf Uhr. Keine von allen
Vorschriften an Bord wurde so streng gehandhabt wie diese. Der Kapitän
erklärte uns, daß er so fest darauf bestehen müsse, weil seine eigene
Kajüte neben dem Rauchzimmer läge, und ihm vom Tabakgeruch übel würde.
Da sich nun aber die beiden Zimmer auf dem Oberdeck befanden, wo immer
frische Luft wehte, begriff ich nicht recht, wie unser Rauch in seine
Kajüte kommen sollte. Die Zimmer waren durch keine Tür verbunden, und
in der dicken Zwischenwand gab es weder Sprünge noch Risse. Für einen
empfindlichen Magen ist aber vielleicht bloß eingebildeter Tabakrauch
schon schädlich.

Mit seiner sanften Natur, dem feinen, liebenswürdigen Wesen, seiner
Lauterkeit in Sitte und Rede, paßte der Kapitän für den herrischen,
rauhen Seemannsberuf so gut wie die Faust aufs Auge. Er war mir ein
rechtes Beispiel von der Ironie des Schicksals.

Obendrein lastete ein Mißgeschick auf ihm; das wußten die Passagiere
und er tat ihnen leid: In der Nähe von Vancouver hatte er bei
einer engen und schwierigen Durchfahrt, wo der dichte Rauch der
Waldbrände alles in Dunkel hüllte, seinen Kurs verloren und war mit
dem Schiff auf die Klippen geraten. Dergleichen würde unsereins
für einen verzeihlichen Irrtum ansehen; bei den Direktoren einer
Dampfschiffgesellschaft gilt es aber als ein Verbrechen. Zwar hatte
das Admiralitätsgericht in Vancouver den Kapitän von aller Schuld
freigesprochen, aber das konnte ihn nicht trösten. Bei seiner Heimkehr
nach Sydney würde ein strengerer Gerichtshof den Fall untersuchen --
das Direktorium der Gesellschaft, auf deren Schiffen der junge Mann
seit Jahren als Steuermann gedient hatte. Dies war seine erste Reise
als Kapitän.

Die Offiziere an Bord waren wackere und gesellige junge Leute, die
sich an allen Belustigungen mit Vergnügen beteiligten, damit den
Passagieren die Zeit nicht lang würde. Die Reisen auf dem Stillen und
Indischen Ozean sind überhaupt wahre Lustfahrten für die Mannschaft.
Unser Zahlmeister, ein junger Schotte, zeigte sich immer aufgeräumt,
gesprächig und voller Leben, und doch war er ein körperlich kranker
Mensch, das sah man ihm an. Aber sein Geist triumphierte über das
Leiden; er besaß eine wunderbare Selbstbeherrschung, redete nie
von seinen Schmerzen und benahm sich ganz wie jemand, der gesund
und kräftig ist. Zu Zeiten litt er jedoch an den entsetzlichsten
Herzkrämpfen, die oft viele Stunden dauerten. Während eines solchen
Anfalls konnte er weder sitzen noch liegen; einmal hatte er sogar
vierundzwanzig Stunden lang aufrecht stehen müssen, bei dem qualvollen
Kampf auf Leben und Tod. Aber tags darauf sprudelte er wieder über von
Lust und Laune, als ob nichts geschehen sei.

Der geistreichste Passagier an Bord, ein Mensch von glänzender
Begabung, war ein junger Kanadier, dem es die Branntweinflasche angetan
hatte. Er stammte aus einer reichen, angesehenen Familie und schien
bestimmt Großes in der Welt zu leisten, doch nützten ihm alle Talente
nichts, weil er seine Trunksucht nicht bezähmen konnte. Schon oft
hatte er das feierliche Versprechen abgelegt, sich des Trinkens zu
enthalten; aber man weiß ja, wie wenig dergleichen törichte Gelübde
einem Menschen helfen, der nicht einen wahrhaft eisernen Willen hat.
Dies Mittel ist in doppelter Hinsicht gänzlich verkehrt: erstens greift
es das Uebel nicht bei der Wurzel an, und zweitens ist jedes Gelübde
irgendwelcher Art etwas durchaus Naturwidriges. Es gleicht einer
klirrenden Kette, die den Träger ohne Unterlaß daran erinnert, daß er
kein freier Mensch ist.

Ja, ich wiederhole es: das Mittel greift das Uebel nicht bei der Wurzel
an. Nicht das Trinken sollte man bekämpfen, sondern das Verlangen nach
geistigen Getränken. Das ist ganz zweierlei. Zu ersterem gehört nur
Willenskraft, die aber sehr stark und ausdauernd sein muß; zu letzterem
nichts als Wachsamkeit und zwar während einer verhältnismäßig kurzen
Frist. Da das Verlangen natürlich der Tat vorangeht, sollte man ihm
auch die erste Aufmerksamkeit widmen. Was nützt es, immer und immer
wieder der Tat zu wehren und das Verlangen ganz frei und unbehelligt
zu lassen? Es macht sich stets von neuem geltend und endlich trägt es
doch den Sieg davon. Sobald das Verlangen Einlaß begehrt, sollte man
ihm die Türe verschließen; man muß unausgesetzt auf seiner Hut sein
und es beizeiten vertreiben; sonst hat es sich fest eingenistet, ehe
man sich’s versieht. Weist man dagegen ein Verlangen nur vierzehn Tage
lang beständig zurück, so kann man fast mit Sicherheit darauf zählen,
daß es nach Ablauf dieser Zeit stirbt. Das ist die einzige Art, um die
Trunksucht zu heilen. Sich nur immer wieder des Trinkens zu enthalten,
ohne gegen das Verlangen zu Felde zu ziehen, scheint mir die törichtste
Kriegsführung, die sich denken läßt.

Ich habe früher auch Gelübde abgelegt und sie gleich darauf gebrochen.
Das ließ sich nicht ändern, denn mein Wille war nicht stark genug. Auch
ärgert es einen im übrigen freien Menschen, sich irgendwie gebunden
zu fühlen, und er zerrt so lange an seiner Kette, bis sie zerreißt.
Deshalb übernahm ich zuletzt gar keine bestimmten Verpflichtungen mehr
und beschloß nur, das schädliche Verlangen zu ertöten, ohne mich der
Freiheit zu berauben, Verlangen und Gewohnheit wieder aufzunehmen,
sobald ich wollte. Nun hatte ich keine Beschwerde mehr. In fünf Tagen
machte ich meinem Verlangen Tabak zu rauchen den Garaus und brauchte
nun nicht mehr auf der Hut zu sein, denn ich empfand niemals einen
sehr heftigen Wunsch danach. Eines Tages wollte ich wieder anfangen
ein Buch zu schreiben, nachdem ich fünfviertel Jahre so gut wie nichts
getan hatte; aber seltsamerweise kam ich damit nicht von der Stelle. Da
versuchte ich zu rauchen, um zu sehen, ob es mir dann gelingen würde.
Und wirklich -- das half. Nun rauchte ich fünf Monate lang täglich
acht bis zehn Zigarren und ebensoviele Pfeifen, bis das Buch fertig
war. Dann rauchte ich ein ganzes Jahr über gar nicht mehr, bis ich ein
neues Buch beginnen mußte.

Ich vermag jede meiner neunzehn schlechten Gewohnheiten beliebig
abzulegen, ohne daß es mir unbehaglich oder lästig wird. Auch Leute wie
Doktor Tanner und andere, die vierzig Tage lang nichts essen, können
das sicherlich nur durchsetzen, weil sie das Verlangen nach Speise
gleich zu Anfang mit Entschlossenheit unterdrücken. Schon nach wenigen
Stunden wird das Verlangen schwach und bleibt bald ganz aus.

Einmal habe ich meine Methode auch in großem Maßstabe als Kur
angewendet. Ich lag schon mehrere Tage am Rheumatismus zu Bett, und
mein Zustand wollte sich nicht bessern. Zuletzt sagte der Doktor:

»Meine Arzneien können Ihnen unmöglich helfen; bedenken Sie nur,
wogegen ich alles ankämpfen muß; Sie rauchen ungemein stark, nicht
wahr?«

»Jawohl.«

»Und trinken sehr viel Kaffee?«

»Jawohl.«

»Auch Tee?«

»Jawohl.«

»Sie essen allerlei durcheinander, was sich nicht zusammen verträgt?«

»Jawohl.«

»Auch trinken Sie jeden Abend zwei Gläser heißen Grog?«

»Jawohl.«

»Nun sehen Sie, das alles leistet mir Widerstand. Wie soll da die
Genesung Fortschritte machen? Sie müssen sich durchaus in allen diesen
Dingen beschränken und ein paar Tage lang weit weniger davon zu sich
nehmen.«

»Das kann ich nicht, Doktor.«

»Warum denn nicht?«

»Mir fehlt die Willenskraft. Sie mir ganz versagen -- das kann ich.
Aber sie nur mäßig zu genießen, geht über mein Vermögen.«

Er meinte, das werde auch dem Zweck entsprechen; morgen wolle er mich
wieder besuchen. Doch wurde er selber krank und konnte nicht kommen; es
war aber auch nicht mehr nötig. Zwei Tage und zwei Nächte lang enthielt
ich mich aller jener Genußmittel, ja ich aß überhaupt nichts und trank
nur Wasser. Nach vierundzwanzig Stunden verlor der Rheumatismus alle
Kraft und verschwand spurlos. Ich war wieder kerngesund, dankte meinem
Schöpfer und nahm meine frühere Lebensweise von neuem auf.

Das Heilverfahren schien mir sehr empfehlenswert und ich riet es einer
Dame an. Sie war sehr leidend und wurde immer schwächer, bis ihr
zuletzt keine Arznei mehr helfen wollte. Als ich ihr sagte, ich könnte
sie ohne allen Zweifel in acht Tagen wieder gesund machen, bekam sie
neuen Mut und versprach, meine Ratschläge pünktlich zu befolgen. Nun
sagte ich ihr, sie solle vier Tage lang weder trinken, noch fluchen,
noch rauchen, noch zu viel essen, dann würde sie ganz hergestellt
sein. Und ich weiß, meine Prophezeiung wäre auch eingetroffen; aber
sie meinte, sie könne nicht aufhören zu rauchen, zu fluchen und zu
trinken, weil sie so etwas überhaupt noch nie getan hätte. Da lag der
Hase im Pfeffer: sie besaß gar keine Angewohnheiten, an die sie sich
jetzt hätte halten können. Da sie versäumt hatte sich rechtzeitig einen
Vorrat anzulegen, der ihr im Notfall zu gute käme, war ihr nicht mehr
zu helfen. Sie glich einem sinkenden Schiff, das keinen Ballast hat,
den man über Bord werfen kann, um das Fahrzeug zu retten. Irgend ein
paar schlechte Gewohnheiten hätten sie noch retten können, aber es fand
sich nichts bei ihr vor, sie war die reinste moralische Bettlerin.
Als sie noch jung genug war, um sich dies oder jenes anzugewöhnen,
hinderten ihre Eltern sie daran, die zwar in der besten Gesellschaft
lebten, aber die Unwissenheit selber waren. Man muß für dergleichen in
der Kindheit sorgen; wenn erst Alter und Krankheit kommen, läßt sich
nichts mehr nachholen, und man hat kein Mittel in der Hand, um sie zu
bekämpfen.

Als junger Mensch faßte ich, wie gesagt, oft die besten Vorsätze und
gelobte auch sie auszuführen, aber ich habe es nie gekonnt, weil ich
meine Gewohnheiten nicht bei der Wurzel packte und das böse Verlangen
ausriß; mehr als einen Monat setzte ich die Tugend nie durch. Einmal
versuchte ich Maß zu halten und eine Weile ging es auch gut. Ich hatte
mich verpflichtet, täglich nur _eine_ Zigarre zu rauchen; das schob ich
immer auf bis zur Schlafenszeit, und dann schmeckte sie mir wundervoll.
Aber das Verlangen verfolgte mich Tag für Tag, vom Morgen bis zum
Abend. Vor Ablauf einer Woche fing ich an, mich nach größern Zigarren
umzusehen, als ich zu rauchen gewohnt war; dann wählte ich noch größere
und immer größere. Als vierzehn Tage um waren, bestellte ich mir
besondere Zigarren; sie wuchsen fort und fort. Am Ende des Monats war
meine Zigarre zu solcher Länge und Dicke gediehen, daß ich sie als
Krückstock hätte brauchen können. Da erkannte ich denn, daß es töricht
sei, sich auf _eine_ Zigarre zu beschränken, weil es den Menschen doch
nicht vor dem Verlangen schützt. Also warf ich mein Versprechen über
den Haufen und war wieder ein freier Mann.

Doch, um wieder auf den jungen Kanadier zu kommen: er war auf
›Monatsgeld gesetzt‹, eine Einrichtung, von der ich bisher noch nie
gehört hatte und die ich mir von den Passagieren erklären ließ. Die
angesehenen Familien in England und Kanada pflegen nämlich ihre
Taugenichtse nicht auszustoßen, solange noch irgend welche Hoffnung
für sie vorhanden ist. Schwindet aber endlich jede Aussicht auf
Besserung, dann wird der Tunichtgut eingeschifft und bekommt nur so
viel Geld in die Tasche -- nein, in des Zahlmeisters Tasche -- um die
Reisebedürfnisse zu bestreiten. Erreicht er den Ort seiner Bestimmung,
so erwartet ihn dort ein Monatsgeld, und vier Wochen später trifft
wieder ein Wechsel im gleichen -- nicht sehr hohen -- Betrage ein.
Damit pflegt er unverzüglich seine monatliche Kost und Wohnung zu
bezahlen -- der Hauswirt sorgt dafür, daß er diese Pflicht nicht
vergißt -- und den Rest noch am selben Abend zu verprassen. Dann treibt
er sich müßig, voll Kummer, Not und Schwermut umher, bis der nächste
Wechsel kommt. Ein solches Leben erweckt das tiefste Mitgefühl.

Wir hatten noch zwei andere Taugenichtse an Bord, die aber dem
Kanadier in keiner Weise glichen; sie besaßen weder seinen Verstand
noch seine hübsche Außenseite, weder sein anständiges Wesen noch seine
Entschlossenheit, Großmut und Höflichkeit. Der eine mochte etwa zwanzig
Jahre zählen, war aber in Kleidung, Sitte und äußerer Erscheinung
eine lebendige Ruine. Er behauptete der Sprößling eines herzoglichen
Hauses in England zu sein, den man, um der Familie willen, nach Kanada
eingeschifft hatte, wo er alsbald in Ungelegenheiten geraten war; jetzt
wurde er nach Australien befördert. Einen Titel hatte er nicht, wie er
sagte; im übrigen ging er jedoch sehr sparsam mit der Wahrheit um. Bei
seiner Ankunft in Australien brachte er es gleich so weit, daß man ihn
ins Loch steckte, und am nächsten Morgen gab er sich bei dem Verhör auf
dem Polizeiamt für einen Grafen aus, konnte aber den Beweis für diese
Behauptung nicht liefern.




Zweites Kapitel.

        Im Zweifelsfall sprich die Wahrheit!

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Am fünften Tag nachdem wir Victoria verlassen hatten, wurde das Wetter
heiß und alle männlichen Passagiere an Bord erschienen in weißen
Leinwandanzügen. Einige Tage später passierten wir den 25. Grad
nördlicher Breite, worauf sämtliche Schiffsoffiziere auf Befehl die
blaue Uniform ablegten und sich in weiße Leinwand kleideten. Auch
die Damen waren bereits ganz in Weiß. Auf dem Promenadendeck sah es
so verlockend kühl und vergnüglich aus, von allen den schneeweißen
Kostümen, wie bei einem großen Picknick.


Aus meinem Tagebuch:

Es gibt mancherlei Uebel in der Welt, denen der Mensch nie ganz
entfliehen kann, er mag reisen so weit er will. Ist man dem einen
glücklich entgangen, so fällt man dem andern sicherlich in die Klauen.
Die Lügengeschichten von Seeschlangen und Haifischen sind wir endlich
los geworden, das ist ein tröstlicher Gedanke. Aber nun kommen wir in
das Bereich des Bumerangs, und es wird uns wieder weh zu Mute. Der
erste Offizier erzählte, er habe einen Mann gesehen, der sich vor
seinem Feinde hinter einem Baum versteckte; aber der Feind schleuderte
seinen Bumerang hoch in die Luft, daß er weit fortflog, dann kam er
zurück, fiel herunter und tötete den Mann hinter dem Baum. Der nach
Australien bestimmte Passagier hatte gesehen, wie dasselbe Geschick
zwei Männer hinter zwei Bäumen ereilte und zwar mit ein und demselben
Wurf des Bumerangs.

Da bei dieser Behauptung alle schwiegen, weil sie ihnen zweifelhaft
erschien, bekräftigte er sie noch durch die Mitteilung, daß sein Bruder
einmal gesehen hätte, wie der Bumerang einen Vogel auf hundert Meter
Entfernung getötet und ihn dann dem _Werfer gebracht hätte_. -- Es gibt
keine Hilfe gegen derlei Uebel; man muß sie eben ertragen.

Vom Bumerang ging das Gespräch auf Träume über -- gewöhnlich ein
fruchtbares Thema zu Wasser und zu Land -- aber diesmal war der Ertrag
nur gering. Dann kam man auf Fälle von außerordentlichem Gedächtnis
zu reden, das hatte bessern Erfolg. Jemand erwähnte den blinden Tom,
einen schwarzen Klavierspieler, der jedes noch so lange und schwierige
Stück richtig spielen konnte, nachdem er es einmal gehört hatte. Ein
halbes Jahr später konnte er es abermals fehlerlos vortragen, ohne es
inzwischen gespielt zu haben. Das auffallendste Beispiel erzählte uns
aber ein Herr, der im Stabe des Vizekönigs von Indien gedient hatte. Er
las uns vieles aus seinem Notizbuch vor, wo er die ganze Begebenheit
auf frischer Tat eingetragen hatte, damit er sie, wie er sagte, Schwarz
auf Weiß besäße und nicht in Versuchung käme zu glauben, er habe sie
geträumt oder erfunden.

Der Vizekönig machte eine Rundreise, und unter den Festlichkeiten, die
der Maharajah von Mysore ihm zu Ehren veranstaltete, war auch eine
Vorstellung der Gedächtniskunst. Nachdem der Vizekönig mit dreißig
Herren seines Gefolges in einer Reihe Platz genommen hatte, wurde
der Gedächtniskünstler, ein vornehmer Mann aus der Brahminenkaste,
hereingeführt und setzte sich ihnen gegenüber auf den Fußboden. Außer
seiner eigenen Sprache konnte er nur Englisch, erbot sich aber, die
gewünschten Gedächtnisproben auch in jeder beliebigen fremden Sprache
abzulegen. Sein merkwürdiges Programm bestand in folgendem: Er ließ
sich von einem Herrn ein Wort aus einem Satze sagen und den Platz
angeben, den es darin einnahm. Das französische Wort _~est~_ wurde ihm
genannt; es war in einem Satz von drei Wörtern das zweite. Ein anderer
Herr gab ihm das deutsche Wort _verloren_, als das dritte in einem
Satz von vier Wörtern. Von dem nächsten Herrn ließ er sich eine Zahl
zum Addieren, dann eine zum Subtrahieren nennen, auch andere Ziffern
aus allerlei Rechenexempeln. Ferner erhielt er einzelne Wörter aus dem
Griechischen, Lateinischen, Spanischen, Portugiesischen, Italienischen
und andern Sprachen, nebst den Angaben ihrer Stelle im Satze. Als ihm
jeder der Anwesenden das Bruchstück eines Satzes oder eine Zahl genannt
hatte, fing er wieder von vorne an und ließ sich das zweite Wort und
seine Stellung im Satze und die zweite Zahl in der Rechnung nennen, und
so immer fort. Wieder und wieder nahm er alles vom Anfang an durch,
bis er die sämtlichen Teile der Exempel und Sätze beisammen hatte,
aber natürlich ganz durcheinander, ohne irgend welche Reihenfolge. Das
dauerte zwei Stunden lang.

Nun starrte der Brahmine eine Weile schweigend und nachdenklich vor
sich hin und begann hierauf alle Sätze in richtiger Wortstellung zu
wiederholen, die verwirrten Zahlen der Rechenexempel zu ordnen und für
jedes die entsprechende Lösung anzugeben.

Beim Beginn der Vorstellung hatte er die Zuschauer aufgefordert, ihn
zwei Stunden lang mit Mandeln zu bewerfen, er wolle dann sagen, wie
viele jeder von den Herren geworfen habe. Dies unterblieb jedoch, weil
der Vizekönig meinte, das Kunststück wäre ohnehin schon anstrengend
genug, man brauche es nicht noch zu erschweren.

Auch General Grant hatte ein treffliches Gedächtnis, besonders für
Namen und Gesichter. Davon hätte ich ein Beispiel zum besten geben
können, aber es fiel mir gerade nicht ein. Bald nach seiner ersten Wahl
zum Präsidenten kam ich von der Küste des Stillen Ozeans in Washington
an, wo ich fremd war und das Publikum noch nichts von mir wußte. Als
ich nun eines Morgens am Weißen Hause vorüberging, begegnete mir
ein Bekannter, ein Senator aus Nevada, der mich fragte, ob ich wohl
Lust hätte, den Präsidenten zu sehen. Ich erwiderte, daß es mir sehr
angenehm sein würde und wir traten ein. Wenn ich aber gedacht hätte,
ich würde den Präsidenten von einer Menschenschar umgeben finden, so
daß ich ihn von ferne in aller Gemütsruhe betrachten könnte, wie die
Katz den Kaiser ansieht, so befand ich mich im Irrtum. Es war noch
früh am Tage und ich ahnte nicht, daß der Senator sich ein Vorrecht
seines Amtes zu nutze machen wollte, um das Staatsoberhaupt in seinen
Arbeitsstunden zu stören. Ehe ich mich’s versah standen wir vor
ihm, und außer uns dreien war niemand zugegen. General Grant erhob
sich langsam vom Schreibtisch, legte die Feder hin und trat mit dem
steinernen Ausdruck eines Mannes, der seit sieben Jahren nicht gelacht
hat und auch in den nächsten sieben Jahren nicht zu lachen gedenkt,
auf uns zu. Er schaute mich groß an, da schwand mir der Mut und ich
senkte den Blick. Ich hatte noch nie einem bedeutenden Manne gegenüber
gestanden und im Bewußtsein meiner eigenen Nichtigkeit überkam mich
eine erbärmliche Angst.

»Herr Präsident,« sagte der Senator, »darf ich mir erlauben, Ihnen
Herrn Clemens vorzustellen?«

Der Präsident hielt meine Hand einen Augenblick teilnahmslos in der
seinen und ließ sie wieder los; er sprach kein Wort und stand nur
stocksteif da. In meiner Not fiel mir auch nicht das geringste ein, was
ich hätte sagen können und ich wünschte mich hundert Meilen weit weg.
Es folgte eine unangenehme, trübselige, entsetzliche Pause. Da kam
mir ein Gedanke; ich sah empor in sein unbewegliches Gesicht und sagte
schüchtern:

»Herr Präsident, ich -- ich bin in rechter Verlegenheit. Sie wohl auch?«

Seine Züge erhellten sich -- nur ganz wenig -- der schwache Schimmer
eines Lächelns, der volle sieben Jahre zu früh kam, blitzte darin auf.
So schnell wie er wieder verschwand, war auch ich zur Türe hinaus.

Zehn Jahre darauf sah ich Grant zum zweitenmal. Ich war inzwischen
eine bekannte Persönlichkeit geworden und hatte den Auftrag erhalten,
bei einem Bankett, das die Armee von Tennessee dem General nach seiner
Rückkehr von der Reise um die Welt in Chicago gab, einen längeren Toast
auszubringen. Mitten in der Nacht war ich angekommen und stand morgens
spät auf. Alle Treppen und Gänge des Hotels waren dicht voll Menschen,
die General Grant erwarteten, der sich auf den für ihn bestimmten Platz
begeben sollte, wo der große Festzug vorüberzog. Ich drängte mich an
einer ganzen Reihe von überfüllten Wohnzimmern vorbei, bis ich endlich
an der Ecke des Hauses ein offenes Fenster sah, das auf eine geräumige,
mit Teppichen und Fahnen geschmückte Plattform hinausging. Als ich sie
betrat, gewahrte ich unter mir Millionen von Menschen, welche die
Straßen besetzt hatten; weitere Millionen schauten aus allen Fenstern
und von den Hausdächern rings umher. Diese Menschenmassen hielten mich
alle für General Grant und brachen in donnernde Hochrufe aus. Es war
aber ein sehr guter Platz um den Festzug zu sehen, deshalb blieb ich
dort.

Nicht lange, so ertönte von ferne Militärmusik; der Zug kam die Straße
herauf und machte sich Bahn durch die jubelnde Menge. An der Spitze
ritt Sheridan, die kriegerischste Gestalt aus dem ganzen Feldzug, in
seiner Generalleutnants-Uniform.

Da trat General Grant Arm in Arm mit Major Harrison auf die Plattform;
ihm folgten paarweise im Galaanzug die Mitglieder des Empfangskomités
mit ihren Abzeichen. Der General sah genau so aus wie vor zehn
Jahren bei jenem unangenehmen Besuch, eisern und unnahbar in seiner
unerschütterlichen Selbstbeherrschung. Harrison kam und führte mich
zu Grant, dem er mich feierlich vorstellte. Aber ehe ich noch die
passenden Worte finden konnte, sagte der General:

»Herr Clemens, Sie sind wohl in Verlegenheit? Ich nicht.« Und dabei
blitzte wieder, wie vor zehn Jahren, jenes schwache Lächeln in seinen
Zügen auf.

Seitdem sind siebzehn Jahre vergangen, und während ich dies schreibe
ist ganz New York auf den Straßen versammelt, um den sterblichen
Ueberresten des großen Kriegers, die man zu ihrem letzten Ruheplatz
unter dem Denkmal trägt, das Ehrengeleit zu geben. Kanonenschüsse und
Trauergeläute schallen durch die Lüfte und viele Millionen Amerikaner
gedenken des Mannes, der die Union gerettet, ihr Banner hochgehalten
und der Volksregierung zu neuem Leben verholfen hat, so daß sie unter
den segensreichen menschlichen Institutionen ihren Platz dauernd
behaupten wird, wie wir hoffen und glauben.


Eine Geschichte ohne Ende.

Abends, wenn wir Männer uns nach dem öden, einförmigen Tageslauf
im Rauchzimmer erfrischen wollten, vertrieben wir uns manchmal die
Zeit damit, unvollendete Geschichten zu vervollständigen. Das heißt,
jemand erzählte eine Geschichte bis auf das Ende und die andern
versuchten den Schluß aus eigener Erfindung zu ergänzen. Wenn jeder,
der wollte, seine Lesart zum besten gegeben hatte, fügte der erste
Erzähler den ursprünglichen Schluß hinzu und überließ uns die Wahl.
Manchmal gefiel uns eines der neuen Enden besser als das alte.
_Eine_ Geschichte jedoch, mit der wir uns am eifrigsten und längsten
beschäftigten, hatte überhaupt keinen Schluß, man konnte daher auch
keinen Vergleich anstellen, ob eine unserer Erfindungen besser gewesen
wäre. Der Erzähler sagte, er könne die einzelnen Tatsachen nur bis
zu einem gewissen Punkte berichten, weiter wisse er selber nichts.
Er hätte die Geschichte vor fünfundzwanzig Jahren gelesen, sei aber
unterbrochen worden, ehe er ans Ende kam. Nun wolle er demjenigen, der
einen befriedigenden Schluß dazu fände, fünfzig Dollars geben; wir
möchten Richter aus unserer Mitte wählen, die zu entscheiden hätten,
wem der Preis gebühre. Das taten wir und gingen der Geschichte wacker
zu Leibe; aber, obgleich wir uns dies und jenes Ende ausdachten, so
verwarfen die Richter doch alles, was vorgebracht wurde -- und sie
hatten recht. Einen befriedigenden Schluß für diese Geschichte hätte
nur der Verfasser selbst möglicherweise finden können, und wenn ihm
das gelungen ist, so möchte ich wohl wissen wie. Ihr Inhalt ist etwa
folgender:

John Brown, ein guter, sanfter, ängstlicher und schüchterner Mensch
von einunddreißig Jahren, wohnte in einem friedlichen Dorfe des
Staates Missouri, wo er das Amt eines Vorstands der presbyterianischen
Sonntagsschule bekleidete. Das war an sich nichts Großes, aber doch
das Einzige, womit er in die Öffentlichkeit trat. Er betrieb es mit
Treue und Eifer und war in aller Bescheidenheit stolz darauf. Jedermann
kannte seine große Menschenfreundlichkeit und die Leute sagten, er
sei ganz aus Güte und Schüchternheit zusammengesetzt. Auf seine Hilfe
könne man immer rechnen, wo sie gebraucht werde und auch auf seine
Schüchternheit, mochte sie am Platze sein oder nicht.

Mary Taylor, ein sittsames, liebenswürdiges und schönes Mädchen von
dreiundzwanzig Jahren, war sein ein und alles, und auch ihr Herz
gehörte ihm fast ganz. Noch schwankte sie zwar, ob sie ihm ihr Jawort
geben sollte, aber er war doch voller Hoffnung. Ihre Mutter hatte
im Anfang allerlei Einwendungen gehabt; jetzt neigte sie sich zu
seinen Gunsten. Offenbar hatte sein warmes Interesse für ihre beiden
Schützlinge und seine Beisteuer zu deren Unterhalt ihr Herz gerührt und
erobert. Diese Schützlinge waren nämlich zwei alte einsame Schwestern,
die in einer Holzhütte an einem entlegenen Kreuzweg, vier Meilen weit
von Frau Taylors Farm wohnten. Eine der Schwestern war irrsinnig und
manchmal sogar gewalttätig, aber das kam nicht häufig vor.

Eines Tages glaubte Brown, daß der rechte Augenblick für den
entscheidenden Antrag gekommen sei. Er nahm allen Mut zusammen und
beschloß, der Mutter, um sie günstig zu stimmen, die doppelte Summe wie
gewöhnlich zu überreichen. War erst ihr Widerstand gebrochen, so durfte
er eines schnellen Sieges gewiß sein.

An einem schönen Sonntagnachmittag machte er sich also bei mildem
Sommerwetter auf den Weg, gehörig ausstaffiert, wie es die Gelegenheit
verlangte. Er war ganz in weiße Leinwand gekleidet, trug ein blaues
Band als Krawatte und enge Lackstiefel; sein Einspänner war der
feinste aus dem ganzen Mietstall, mit einer nagelneuen, weißleinenen
Wagendecke, deren breiter, gestickter Rand an Schönheit und Kunst
seinesgleichen suchte.

Schon war er vier Meilen gefahren, als er in einsamer Gegend über
eine hölzerne Brücke kam; da flog ihm der Strohhut vom Kopfe, fiel
in den Fluß und wurde stromabwärts getrieben, bis er an einem Balken
hängen blieb. Brown besann sich, was er tun sollte; den Hut mußte er
wiederbekommen, das verstand sich von selbst, aber wie ließ sich das
bewerkstelligen?

Da kam ihm ein Gedanke. Die Straße war menschenleer, nichts regte
sich. Ja, er wollte es wagen. Nachdem er sein Tier an den Rain geführt
hatte, wo es nach Belieben grasen konnte, zog er sich aus, legte seine
Kleider in den Wagen, streichelte dem Pferde den Hals, zum Zeichen
beiderseitigen Wohlwollens, und eilte zum Fluß. Er schwamm nach dem
Balken und gelangte rasch wieder in Besitz seines Hutes; als er aber
ans Ufer zurückkehrte, waren Pferd und Wagen fort.

Der Schrecken fuhr ihm in alle Glieder. Da er aber sah, wie das Pferd
im Schritt den Weg weiter verfolgte, trabte er hinterdrein. »Halt,
halt,« rief er, »warte mein gutes Tier!« Aber so oft er nahe genug
herankam und sich im Sprung auf den Wagen schwingen wollte, lief das
Pferd schneller und vereitelte sein Bemühen. In Todesangst rannte der
nackte Mann immer weiter, jeden Augenblick fürchtend, einen Menschen
zu Gesicht zu bekommen. Er bat, er beschwor das Tier stillzustehen;
aber erst als er nicht mehr weit von Frau Taylors Behausung war, gelang
es ihm endlich, in den Wagen zu springen. Rasch warf er das Hemd
über, band seine Krawatte um, schlüpfte in den Rock und langte nach
den -- aber ach, zu spät! Er setzte sich plötzlich nieder und zog die
Wagendecke in die Höhe, denn er sah jemand durch das Hoftor kommen --
eine Frau, wie ihm schien. Eilig lenkte er das Pferd zur Linken auf
den Kreuzweg. Der war schnurgerade und von allen Seiten sichtbar, aber
in einiger Entfernung kam eine Waldecke, wo die Straße eine scharfe
Krümmung machte. Er pries sich glücklich, als er die Stelle erreicht
hatte, ließ das Pferd im Schritt gehen und langte nach den Ho -- aber
leider wiederum zu spät.

Gerade als er um die Ecke bog, stieß er auf Frau Enderby, Frau Glossop,
Frau Taylor und Mary, die zu Fuß einherkamen und sehr müde und
aufgeregt schienen. Sie traten an den Wagen, schüttelten Brown die Hand
und versicherten alle zusammen aufs lebhafteste, wie froh sie wären ihn
zu sehen und was für ein Glück es sei, daß er da wäre. Frau Enderby
fügte mit großem Nachdruck hinzu:

»Mag es auch wie ein Zufall aussehen, daß er gerade jetzt kommt, so
halte ich es doch für eine Sünde, das anzunehmen -- nein, er ist uns
gewißlich vom Himmel gesendet.«

Alle waren gerührt und Frau Glossop flüsterte mit ehrfurchtsvoller
Scheu:

»Da hast du ein wahres Wort gesprochen, Sarah Enderby. Es ist kein
Zufall, sondern die Vorsehung hat es so gewollt. Als Engel hat sie ihn
uns geschickt; er kommt als ein Retter und Befreier. Nun soll mir noch
jemand sagen, daß es keine besonderen Fügungen des Himmels gibt; wir
haben hier den klarsten Beweis vor uns.«

»Ja,« fiel Frau Taylor begeistert ein, »das ist auch meine
Ueberzeugung. Wahrhaftig, John Brown, ich könnte vor Ihnen niederknieen
und Sie anbeten. Fühlten Sie es nicht im Herzen -- trieb Sie nicht eine
innere Stimme hierher? O, ich könnte den Saum Ihrer Wagendecke küssen.«

Er brachte kein Wort heraus; Scham und Furcht lähmten ihm die Zunge.

»Mag man die Sache betrachten wie man will, Julia Glossop,« fuhr Frau
Taylor fort, »in allem läßt sich die Hand der Vorsehung sichtbarlich
erkennen. Gegen Mittag sahen wir den Rauch aufsteigen. ›Die Hütte der
alten Schwestern brennt, Julia‹, sagte ich. Nicht wahr, du kannst es
bezeugen?«

»Jawohl, Nancy, ich stand dicht bei dir und habe es deutlich gehört. Du
warst ganz blaß geworden und sahst so weiß aus wie hier die Wagendecke.«

»Kein Wunder! Und dann rief ich Mary zu, der Knecht solle gleich das
Gefährt anspannen, wir müßten den Aermsten zu Hilfe eilen. Aber der war
aufs Land gefahren, um seine Angehörigen zu besuchen. Ich hatte ihm
selbst erlaubt, über den Sonntag zu bleiben, es jedoch ganz vergessen.
So gingen wir denn zu Fuß und trafen Sarah unterwegs.«

»Ja, und ich ging mit euch,« fiel Frau Enderby ein. »Wir fanden die
Hütte in Asche liegen; die Irrsinnige hatte sie in Brand gesteckt. Die
beiden alten Geschöpfe waren so schwach und hinfällig, daß wir sie
nicht mitnehmen konnten. Wir führten sie an einen schattigen Platz,
machten es ihnen behaglich so gut es ging und zerbrachen uns den Kopf,
wie wir es anfangen sollten, um sie bis nach Nancys Haus zu schaffen.
Da brach ich das Schweigen, und wißt ihr noch, was ich gesagt habe?
›Wir wollen es der Vorsehung anheimstellen!‹ Ja, das waren meine
Worte.«

»Richtig, das hatte ich ganz vergessen. So wahr ich lebe, du hast es
gesagt. Wie wunderbar!«

»Dann sind wir zusammen zwei Meilen weit bis zu Mosleys gegangen, aber
wir fanden niemand zu Hause, alle waren im Feldgottesdienst. Wir kamen
die zwei Meilen zurück und dann noch eine Meile hieher. Und nun schickt
uns die Vorsehung Hilfe in der Not, das seht ihr ja selbst.«

Alle blickten einander an, hoben die Hände empor und riefen wie aus
einem Munde:

»Es ist zu wunderbar!«

»Wie wollen wir es nun aber machen?« fragte Frau Glossop. »Soll Herr
Brown die alten Schwestern einzeln zu Frau Taylor fahren oder sie alle
beide auf einmal in den Wagen setzen und das Pferd am Zügel führen?«

Brown holte tief Atem.

»Ja, das ist recht schwierig zu entscheiden,« meinte Frau Enderby. »Wir
sind alle todmüde, und wenn Herr Brown die beiden schwachen Geschöpfe
in den Wagen heben soll, so muß eine von uns mitgehen und ihm helfen;
allein bringt er das nicht fertig.«

»Wie wär’s denn aber, wenn ich mit Herrn Brown hinführe?« sagte
Frau Taylor, »und ihr andern ginget nach meinem Haus, um alles in
Bereitschaft zu setzen? Wir heben die eine Alte zusammen in den Wagen
und fahren mit ihr --«

»Wer wird denn aber unterdessen auf die andere acht geben?« fragte Frau
Enderby. »Sie kann doch nicht allein im Walde bleiben -- die Irrsinnige
schon gar nicht. Bis man hin- und zurückkommt dauert’s gute anderthalb
Stunden.«

Alle hatten sich, um auszuruhen, neben den Wagen ins Gras gesetzt und
dachten schweigend nach, um einen Ausweg zu finden.

»Jetzt hab’ ich’s,« rief endlich Frau Enderby, frohlockend. »Daß wir
nicht mehr zu Fuß gehen können ist klar; seit Mittag haben wir neun
Meilen zurückgelegt ohne einen Bissen zu essen -- vier Meilen hin,
zwei Meilen zu Mosley macht sechs, und dann noch bis hierher -- es ist
kaum zu glauben! Also, eine von uns muß mit Herrn Brown hinfahren und
mit einer Alten zurückkommen; Brown leistet der anderen Gesellschaft.
Die übrigen gehen nach Nancys Wohnung, ruhen sich aus und warten; dann
fährt eine von uns zurück, holt die andere Alte, und Herr Brown geht zu
Fuß.«

»Vortrefflich,« riefen die Damen, »das können wir tun, so läßt sich’s
machen!«

Frau Enderbys Plan ward sehr gelobt, und um ihren Scharfsinn zu ehren,
beschloß man, daß sie zuerst mit Brown zurückfahren solle. Glücklich
und leichten Herzens standen alle vom Rasen auf, strichen ihre Kleider
glatt und schickten sich zur Heimkehr an, während Frau Enderby schon
den Fuß auf den Wagentritt setzte, um einzusteigen. Da endlich konnte
Brown Worte finden und stieß keuchend hervor:

»Bitte, rufen Sie die Damen zurück -- ich fühle mich unwohl -- ich kann
nicht zu Fuß gehen -- es ist mir völlig unmöglich.«

»O, lieber Herr Brown, Sie sehen wirklich ganz blaß aus! Weshalb habe
ich das nur nicht gleich bemerkt? Kommt alle zurück, hört ihr! Herr
Brown ist krank. Ach, es tut mir so leid. Kann ich Ihnen helfen? Haben
Sie Schmerzen?«

»Nein, o nein, mir fehlt nichts, ich fühle mich nur in letzter Zeit zu
schwach -- sonst hat es gar nichts auf sich.«

Die Damen kehrten um und waren voller Teilnahme und Mitgefühl. Auch
machten sie sich bittere Vorwürfe, weil ihnen Browns blasses Aussehen
nicht sofort aufgefallen war. Augenblicklich entwarfen sie einen neuen
Plan und kamen bald überein, daß es sich so am allerbesten machen
würde: Zuerst wollten sie alle zu Frau Taylor gehen; dort sollte sich
Herr Brown im Wohnzimmer auf das Sofa legen und sich von Mary und
ihrer Mutter pflegen lassen, während die andern Damen erst eine der
alten Schwestern abholten und dann die andere, welcher eine von ihnen
inzwischen Gesellschaft geleistet hatte, und --

Unter solchen Beratungen waren sie zu dem Pferde getreten und
schickten sich an, den Wagen zu wenden. Aber in der höchsten Gefahr
fand Brown die Stimme wieder und das war seine Rettung.

»Meine Damen,« sagte er, »Sie übersehen einen Umstand, der den Plan
unausführbar macht. Wenn Sie die eine alte Schwester nach Hause bringen
und jemand mit der anderen dort bleibt, so sind drei Personen an
Ort und Stelle, wenn eine von Ihnen zurückkommt, um die andere Alte
zu holen. Aber drei haben nicht Platz im Wagen und jemand muß doch
kutschieren.«

»Ganz recht, so ist es,« riefen alle in großer Bestürzung.

»Was sollen wir nur anfangen?« sagte Frau Glossop seufzend; »eine so
verwickelte Geschichte ist mir noch nie vorgekommen. Die Sache mit dem
Wolf, der Ziege und dem Kohlkopf ist dagegen nur ein Kinderspiel.«

Ganz ermattet setzten sie sich abermals nieder, um sich aufs neue das
Hirn zu zermartern und einen Ausweg zu suchen. Mary hatte bisher noch
keinen Vorschlag gemacht, endlich tat sie aber den Mund auf:

»Ich bin jung, stark und gut zu Fuße,« sagte sie, »auch habe ich jetzt
eine Weile ausgeruht. Bringt Herrn Brown in unser Haus und sorgt für
ihn -- man sieht ihm ja an, wie sehr er der Pflege bedarf. Inzwischen
will ich die beiden Alten behüten, in einer halben Stunde kann ich
dort sein. Ihr andern aber führt unsern ersten Plan aus und paßt auf,
bis ein Wagen auf der Landstraße vorbeifährt, den schickt ihr hin und
laßt uns alle drei holen. Die Pächter kommen jetzt bald aus der Stadt
zurück, da braucht ihr nicht lange zu warten. Der alten Polly will ich
schon zureden, daß sie Geduld hat und guten Mutes bleibt -- bei der
Irrsinnigen ist das nicht nötig.«

Der Plan ward reiflich erwogen und gut befunden; etwas Besseres ließ
sich unter den Umständen nicht tun, und den beiden Alten wurde gewiß
die Zeit schon lang. Brown fühlte sich wie erlöst und von Herzen
dankbar. Wenn er nur erst auf der Landstraße war, wollte er schon
Mittel und Wege finden, dem Unheil zu entgehen.

»Die Abendkühle wird früh hereinbrechen,« sagte jetzt Frau Taylor, »und
die armen Abgebrannten haben nichts, um sich zu erwärmen. Nimm die
Wagendecke mit, liebes Kind, das ist wenigstens ein Notbehelf.«

»Das kann ich ja tun, Mutter, wenn du meinst,« versetzte Mary. Sie trat
zum Wagen und streckte die Hand nach der Decke aus --

       *       *       *       *       *

Weiter ging die Geschichte nicht. Der Passagier, der sie uns erzählte,
sagte, er sei vor fünfundzwanzig Jahren, als er sie im Eisenbahnwagen
las, an diesem Punkt unterbrochen worden, weil der Zug von einer
Brücke ins Wasser stürzte.

Zuerst glaubten wir, es würde ein Leichtes sein, die Geschichte zu Ende
zu bringen und gingen sehr zuversichtlich ans Werk. Bald stellte sich
jedoch heraus, daß die Sache keineswegs so einfach war, sondern im
Gegenteil höchst verworren und schwierig. Daran war Browns Charakter
schuld -- seine Großmut und Güte, verbunden mit außerordentlicher
Schüchternheit und Befangenheit, besonders in Gegenwart von Damen.
Ferner kam seine Liebe zu Mary mit ins Spiel, die zwar sehr
hoffnungsvoll, aber noch keineswegs der Erhörung sicher war -- das
heißt, gerade in einem Stadium, wo die größte Vorsicht geboten schien,
um weder einen Mißgriff zu begehen, noch Anstoß zu erregen. Und es galt
die Mutter zu berücksichtigen, die noch schwankte, ob sie einwilligen
solle, und die sich vielleicht jetzt oder nie gewinnen ließ, wenn
man sie geschickt zu behandeln wußte. Im Walde warteten die beiden
hilflosen Alten -- ihr Schicksal und Browns künftiges Lebensglück hing
von der nächsten Sekunde ab. Mary streckte die Hand nach der Wagendecke
aus; es war keine Zeit zu verlieren.

Natürlich konnte der Preis nur jemand zuerkannt werden, der die Sache
zu einem glücklichen Ende brachte. Browns Ansehen bei den Damen durfte
nicht geschmälert, seine Selbstlosigkeit nicht in Frage gestellt, sein
Anstandsgefühl nicht verletzt werden. Er mußte helfen die beiden Alten
aus dem Walde zu holen, so daß man ihn als ihren Wohltäter pries, sein
Lob in aller Munde war und sein Name mit Stolz und Freude genannt wurde.

Wir versuchten es so einzurichten; aber auf allen Seiten stellten
sich uns unüberwindliche Schwierigkeiten entgegen. Natürlich würde
Brown aus Scham und Befangenheit die Wagendecke nicht hergeben wollen.
Dies mußten Mary und ihre Mutter übel nehmen, und auch die anderen
Damen würden sich sehr darüber verwundern, denn ein solches Benehmen,
wo es den unglücklichen Alten zu helfen galt, paßte nicht zu Browns
Charakter; er war ja als Engel vom Himmel gesandt und konnte unmöglich
so eigennützig handeln. Hätte man eine Erklärung von ihm verlangt, so
wäre er viel zu schüchtern gewesen, um die Wahrheit zu bekennen, und
aus Mangel an Uebung und Erfindungsgeist würde ihm keine glaubhafte
Lüge eingefallen sein.

Wir arbeiteten bis drei Uhr morgens an dem schwierigen Problem herum;
aber noch immer langte Mary nach der Wagendecke. Da gaben wir es auf
und ließen sie weiter die Hand danach ausstrecken. -- Nun kann sich der
Leser selbst das Vergnügen machen, zu entscheiden, was aus der Sache
geworden ist.

Am siebenten Tage unserer Fahrt sahen wir eine ungeheure dunkle Masse
in schwachen Umrissen aus den Fluten des Stillen Ozeans aufsteigen und
wußten, daß dies gespenstische Vorgebirge der Diamantfels war, den ich
zuletzt vor neunundzwanzig Jahren erblickt hatte. Wir näherten uns also
Honolulu, der Hauptstadt der Sandwichinseln, die für mich das Paradies
waren; ich hatte die ganze lange Zeit über gewünscht, sie noch einmal
wiederzusehen. Nichts in der weiten Welt hätte mich so aufregen können,
wie der Anblick jenes Bergriesen.

Bei Nacht gingen wir eine Meile vom Ufer vor Anker. Durch meine
Kajütenfenster konnte ich die Lichter von Honolulu funkeln sehen; zur
Rechten und Linken dehnten sich schwarze Gebirgszüge aus. Das schöne
Nuuana-Tal vermochte ich nicht zu entdecken, aber ich wußte, wo es
lag und sah es in der Erinnerung noch deutlich vor mir. Wir jungen
Leute pflegten dies Tal öfters zu Pferde zu durchstreifen und in einer
sandigen Gegend, wo König Kamehameha eine seiner ersten Schlachten
geschlagen hatte, Totenknochen zu sammeln.

Das war ein merkwürdiger Mensch; merkwürdig nicht nur als König,
sondern auch als Barbar. Noch ein kleiner, unbedeutender Fürst,
als Kapitän Cook 1778 ins Land kam, faßte er vier Jahre später den
Entschluß, ›seine Machtsphäre auszudehnen‹. Dies ist die beliebte
Redewendung, durch die man heutzutage bezeichnet, daß jemand Raub
an seinem Nachbar begeht, und zwar zu dessen eigenem Vorteil --
eine Wohltätigkeitsvorstellung, bei welcher als Ort der Handlung
hauptsächlich Afrika benützt wird. Kamehameha unternahm einen
Kriegszug, vertrieb im Lauf von zehn Jahren alle andern Könige und
machte sich zum Herrn der sämtlichen neun oder zehn Inseln, welche die
Gruppe der Sandwichinseln bilden. Aber er tat noch mehr. Er kaufte
Schiffe, belud sie mit Sandelholz und andern heimischen Produkten
und schickte sie bis nach Südamerika und China. Die fremden Stoffe,
Werkzeuge und Gerätschaften, welche die Schiffe zurückbrachten,
verkaufte er an seine Wilden und wurde so der Begründer der
Zivilisation. Ob die Geschichte irgend eines andern Barbaren Aehnliches
aufzuweisen hat, möchte ich bezweifeln. Die Wilden sind meist eifrig
bemüht, dem weißen Manne neue Methoden abzulernen, wie sie einander
umbringen können; aber seine höheren und edleren Anschauungen pflegen
sie sich nicht anzueignen. Bei Kamehameha sehen wir dagegen, daß er
stets bemüht war, alles gründlich zu untersuchen, was ihm die Weißen
Neues boten, und unter den Proben, die er zu Gesicht bekam, eine
einsichtsvolle Auswahl zu treffen.

Nach meiner Meinung bewies er dabei weit größeren Scharfsinn als
sein Sohn und Nachfolger Liholiho. Dieser hätte sich vielleicht zum
Reformator geeignet, aber als König verfehlte er seinen Beruf, und
zwar, weil er zugleich König und Reformator sein wollte. Das heißt
aber, Feuer und Schießpulver untereinander mischen. Ein König sollte
sich verständigerweise mit Reformen nichts zu schaffen machen. Das
Beste, was er tun kann, ist, die Zustände zu lassen wie sie sind, und
wo das nicht angeht, sie möglichst zu verschlechtern. Ich sage das
nicht nur obenhin, denn ich habe mir die Sache reiflich überlegt, damit
ich, falls sich mir einmal die Gelegenheit bietet König zu werden,
gleich weiß, wie ich es am besten anzugreifen habe.

Als Liholiho seinem Vater in der Regierung folgte, fand er sich im
Besitz königlicher Vorrechte und Befugnisse, die ein weiserer Fürst
verstanden hätte mit Vorteil auszunützen. Im ganzen Reich herrschte
nur _ein_ Szepter, das er in Händen hielt, und _eine_ Staatskirche,
deren Haupt er war. Den Oberbefehl seines Heeres, das aus 114 Gemeinen,
27 Generalen und einem Feldmarschall bestand, führte er allein. Ein
stolzer alter Erbadel war im Lande ansässig. Und dann gab es noch eine
merkwürdige Einrichtung, welche ›Tabu‹ genannt wurde. Dies war eine
geheimnisvolle und furchtbare Macht, wie sie kein europäischer Monarch
jemals besessen hat, ein Mittel und Werkzeug von unschätzbarem Wert
für den Gewalthaber. Liholiho war auch Herr und Meister des ›Tabu‹. Es
war die wirksamste und sinnreichste Erfindung, die je gemacht worden
ist, um die Ansprüche des Volkes in bescheidenen Grenzen zu halten.

Dies ›Tabu‹ (das Wort bedeutet ein Ding, das verboten ist) verlangte,
daß beide Geschlechter in verschiedenen Häusern wohnten; aber essen
durften sie nicht in den Häusern, dazu gab es einen andern Ort. Es
untersagte den Frauen, ihres Mannes Haus zu betreten. Auch durften
beide Geschlechter nicht zusammen essen; zuerst aßen die Männer,
und die Weiber mußten sie bedienen. Dann konnten die Weiber essen,
was übrig blieb -- wenn überhaupt noch etwas da war -- und sich
selbst bedienen. Das heißt, sie bekamen nur die Reste der gröbsten,
unschmackhaftesten Kost. Alle guten, leckern und auserlesenen Eßwaren,
wie Schweinefleisch, Geflügel, Bananen, Kokosnüsse, die bessern
Fischsorten und dergleichen, bestimmte das ›Tabu‹ ausschließlich zur
Speise für die Männer. Die Weiber mußten sich ihr Lebenlang mit einem
ungestillten Sehnen danach begnügen, und mußten sterben ohne je zu
erfahren, wie das alles schmeckte.

Diese Regeln waren, wie man sieht, sehr klar und verständlich, auch
leicht zu behalten, und nützlich. Denn auf jeder Uebertretung eines
Verbots aus der ganzen Liste stand Todesstrafe. Was Wunder, wenn die
Frauen es gern zufrieden waren, Haifische, Hundefleisch und Torowurzeln
zu verzehren, da sie andere Nahrungsmittel so teuer bezahlen mußten.

Dem Tode verfiel, wer über verbotenen Grund und Boden ging, wer einen
vom ›Tabu‹ geheiligten Gegenstand durch seine Berührung entweihte,
wer einem Häuptling nicht kriechende Ehrerbietung zollte oder auf des
Königs Schatten trat. Edelleute, Priester und Könige hängten immer bald
hier bald da kleine Lappen auf, um dem Volke kund zu tun, daß der Ort
oder das Ding mit ›Tabu‹ belegt war und der Tod in der Nähe lauerte.
Der Kampf ums Dasein muß wohl zu jener Zeit auf den Inseln höchst
ungewiß und schwierig gewesen sein.

Alle diese Vorteile besaß der neue König, und was war das erste, das
er nach seinem Regierungsantritt tat? Er rottete die Staatskirche
mit Stumpf und Stil aus. Bildlich gesprochen glich er einem Seemann,
der sein wackeres Schiff verbrennt und sich einem unsicheren Floß
anvertraut. Jene Kirche war eine gräßliche Anstalt, die das ganze Land
aufs schwerste bedrückte, und durch düstere, geheimnisvolle Drohungen
alles in Furcht und Zittern erhielt. Sie schlachtete ihre Opfer an
den Altären greulicher Götzen aus Holz oder Stein; sie ängstigte und
schreckte das Volk und zwang es zu sklavischer Unterwürfigkeit gegen
die Priester und durch diese gegen den König! Wahrlich, eine bessere
und zuverlässigere Stütze hätte sich kein König wünschen können! Wenn
ein berufsmäßiger Reformator die furchtbare, verderbliche Gewalt dieser
Kirche zerstörte, so gebührte ihm Lob und Preis; aber ein König, der
das unternahm, verdiente den schwersten Tadel, dem sich höchstens
ein Gefühl des Mitleids zugesellen könnte, daß er so ganz und gar
untauglich für seine Stellung war.

Weil er die Torheit beging, seine Staatskirche abzuschaffen und ihre
Götzen zu verbrennen, ist das Königreich jetzt zur Republik geworden.
Das kommt davon!

Zwar läßt sich nicht leugnen, daß es einen Fortschritt in der
Zivilisation und zum Wohl seines Volkes bedeutete, aber geschäftsmäßig
war es nicht, sondern höchst unköniglich und einfältig. Es brachte
auch seinem Hause großen Verdruß. Noch rauchten die verbrannten Götzen
auf den Altären, als amerikanische Missionäre ins Land kamen. Sie
fanden das Volk ohne Religion und beeilten sich dem Mangel abzuhelfen,
indem sie ihm ihre eigene Religion darboten, die mit Dank angenommen
wurde. Aber dem unumschränkten Königtum gewährte sie keine Stütze
und seit jener Stunde begann seine Herrschermacht zu sinken. Als ich
siebenundvierzig Jahre nachher auf die Inseln kam, stellte Kamehameha
V. gerade den Versuch an, Liholihos Mißgriff wieder gut zu machen,
aber es gelang ihm nicht. Er errichtete eine Staatskirche und trat als
Haupt derselben auf, doch war das nichts als Flickwerk und unechte
Nachahmung -- eine Seifenblase, ein leeres Schaugepränge. Die Kirche
besaß keine Macht und brachte dem Könige keinen Nutzen. Sie konnte das
Volk weder aussaugen noch verbrennen und totschlagen; der wunderbaren
Maschinerie, welche Liholiho zerstört hatte, glich sie in keiner Weise.
Es war eine Staatskirche ohne Gemeinde, denn das ganze Volk bestand aus
Nonkonformisten.

Das Königtum selbst war schon längst nur noch ein bloßer Name und
Schein. Die Missionäre hatten es frühzeitig in eine Art Republik
verwandelt, und in letzter Zeit haben es die handeltreibenden Weißen
ganz und gar zum Freistaat gemacht.

In Kapitän Cooks Zeit (1778) schätzte man die eingeborene Bevölkerung
auf 400000 Köpfe, 1836 betrug sie noch etwa 200000, 1866 kaum 50000
und die heutige Volkszählung weist 25000 auf. Alle einsichtsvollen
Leute rühmen Kamehameha I. und Liholiho, weil sie ihrem Volke die
Zivilisation zum Geschenk gemacht haben. Natürlich würde ich das auch
tun, wäre nicht mein Verstand durch Ueberarbeitung jetzt etwas in die
Brüche geraten.

Als ich vor fast einem Menschenalter in Honolulu war, verkehrte ich
dort mit einem jungen amerikanischen Ehepaar, das ein allerliebstes
Söhnchen hatte; leider konnte ich mich mit dem Knaben nicht viel
abgeben, weil er kein Englisch verstand. Er hatte von Geburt an auf
der Pflanzung seines Vaters mit den kleinen Kanakas gespielt und
solches Wohlgefallen an ihrer Sprache gefunden, daß er keine andere
lernen wollte. Einen Monat nach meiner Ankunft zog die Familie von der
Insel fort und alsbald vergaß der Knabe die Kanakasprache und lernte
Englisch; im zwölften Jahre konnte er kein Wort Kanaka mehr. Neun Jahre
später, als er einundzwanzig war, traf ich mit der Familie an einem der
Seen im Staate New York zusammen, und die Mutter erzählte mir von einem
Erlebnis, das ihr Sohn kürzlich gehabt hatte. Er war Taucher von Beruf.
Bei einem Sturm auf dem See war ein Passagierdampfer mit Mann und Maus
untergegangen, und einige Tage darauf ließ sich der junge Mann in
vollem Taucheranzug in die Tiefe und betrat den Speisesaal des Bootes.
Er stand auf der Kajütentreppe, hielt sich mit der Hand am Geländer
fest und starrte in die düstere Flut. Da berührte ihn von hinten etwas
an der Schulter; er wandte sich um und sah einen Toten, der dicht neben
ihm auf und nieder tanzte und ihn forschend zu betrachten schien. Der
Schrecken lähmte ihm alle Glieder. Er hatte, ohne es zu wissen, beim
Herabtauchen das Wasser bewegt, und nun sah er von allen Seiten Leichen
auf sich zuschwimmen, die mit dem Kopfe wackelten und sich hin- und
herwälzten, wie schlaflose Menschen zu tun pflegen. Ihm schwanden die
Sinne; er wurde in bewußtlosem Zustand wieder an die Oberfläche gezogen
und verfiel in eine Krankheit. Mehrere Tage lang redete er in seinen
Fieberphantasien unaufhörlich und fließend in der Kanakasprache und
kein Wort Englisch. Auch als man mich an sein Bett führte, sprach er
mit mir Kanaka, was ich natürlich nicht verstand.

Wir wissen aus medizinischen Büchern, daß derartige Fälle nicht selten
vorkommen; da sollten die Aerzte doch nach einem Mittel forschen, um
solche Resultate öfter erzielen zu können. Wie viele Sprachen und
Tatsachen geraten in unsern Köpfen in Vergessenheit und kommen nie
wieder zum Vorschein, bloß weil man dies Mittel nicht kennt!

Während wir die Nacht über bei der Insel vor Anker lagen, tauchten
allerlei Erinnerungen an Honolulu wieder in mir auf. Entzückende
Bilder zogen ohne Ende an meinem Geiste vorüber und ich erwartete den
kommenden Morgen mit der größten Ungeduld.




Drittes Kapitel.

        Es macht mehr Mühe, Lebensregeln aufzustellen, als das
        Rechte zu tun.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Endlich kam er -- aber wie wurde ich enttäuscht! -- Die Cholera war
in der Stadt ausgebrochen und jeder Verkehr mit dem Ufer untersagt.
So fiel mein neunundzwanzigjähriger Traum plötzlich ins Wasser. Zwar
erhielt ich Grüße und Botschaften von den Freunden am Lande; sie selber
durfte ich nicht sehen. Der Saal stand für meine Vorlesung bereit,
allein ich sollte ihn nicht betreten.

Von unsern Passagieren waren mehrere in Honolulu ansässig und wurden
ans Land gesetzt; doch niemand durfte von dort wieder zurückkehren.
Auch konnten wir die Leute, die bereits eingeschrieben waren, um
mit uns nach Australien zu segeln, nicht auf der Insel abholen; wir
hätten sonst vor Sydney wer weiß wie lange Quarantäne halten müssen.
Tags zuvor wäre es ihnen noch möglich gewesen, nach San Francisco
zu entkommen, aber jetzt war der Hafen gesperrt, und Wochen konnten
vergehen, bevor ein Schiff wagen durfte, sie irgendwohin mitzunehmen.
Uebrigens waren sie nicht die einzigen, denen ein Strich durch die
Rechnung gemacht wurde. Eine ältere Dame aus Massachusetts hatte mit
ihrem Sohn zur Erholung eine Seefahrt unternommen; unversehens waren
sie immer weiter mit uns nach Westen gefahren, hatten mehrmals den
Rückweg antreten wollen und zuletzt den Beschluß gefaßt, von Honolulu
bestimmt umzukehren. Aber, was nützen dergleichen Vorsätze in dieser
Welt! -- Mutter und Sohn sahen sich jetzt gezwungen bei uns zu bleiben,
bis wir Australien erreichten. Von dort konnten sie eine Reise um die
Welt machen oder auf dem nämlichen Wege wieder zurückkehren; in betreff
der Entfernung, der Kosten und des Zeitverlustes kam es ganz auf
dasselbe heraus. So wie so mußten sie ihren beabsichtigten Ausflug von
etwa fünfhundert Meilen auf vierundzwanzigtausend Meilen verlängern.
Das war keine Kleinigkeit.

Auch einen Rechtsanwalt aus Victoria hatten wir an Bord, der von der
Regierung in internationalen Angelegenheiten nach Honolulu geschickt
worden war. Er hatte seine Frau mitgenommen und die Kinder bei den
Dienstleuten zu Hause gelassen -- was sollte er nun tun? Es wäre
Torheit gewesen, auf die Gefahr der Ansteckung hin ans Land zu gehen.
Das Ehepaar beschloß daher, nach den Fidschi-Inseln zu fahren und dort
vierzehn Tage auf das nächste Schiff zu warten, um die Heimreise
anzutreten. Daß es sechs Wochen dauern würde, bis sie ein solches
Schiff zu Gesicht bekamen und sie inzwischen von den Kindern keinerlei
Nachricht erhalten, noch ihnen irgend welche Kunde zukommen lassen
könnten, hatten sie nicht vorausgesehen. Es ist kein Kunststück, in
dieser Welt Pläne zu machen; auch ein Kater kann das tun. Aber man darf
nur nicht vergessen, daß in jenen fernen Meeren menschliches Denken
keinen größeren Wert hat, als eine Kateridee. Seine Bedeutung schrumpft
dort ganz außerordentlich zusammen.

Uns blieb keine andere Wahl, als auf dem Deck im Schatten der
Sonnenzelte zu sitzen und nach den fernen Inseln hinüberzusehen. Wir
lagen in klaren, blauen Gewässern, landwärts wurde das Wasser glänzend
grün und am Ufer brach es sich in einer langen weißen Schaumwelle,
aber ohne Anprall; kein Laut erreichte unser Ohr. Die Stadt schien
wie begraben in undurchdringlichem Laubwerk. Ueber die duftigen Berge
war der zarteste Schmelz und Farbenglanz ausgegossen und die Klippen
hüllten sich in leichte Nebel. Ich erkannte alles wieder. Gerade
so hatte ich es vor langen Jahren erblickt; die Schönheit war noch
unverändert, nichts fehlte an dem entzückenden Bilde.

Und doch hatte sich dort ein Wechsel vollzogen, aber er war politischer
Art und vom Schiff aus nicht zu erkennen. Die damalige Monarchie
hatte sich in eine Republik verwandelt, was aber keinen wesentlichen
Unterschied machte. Nur den alten leeren Pomp und das unnütze, lärmende
Schaugepränge bekommt man nicht mehr zu sehen, und die königliche
Schutzmarke ist allenthalben verschwunden; etwas anderes würde man
jedoch schwerlich vermissen. Jene Scheinmonarchie war schon zu
meiner Zeit höchst absonderlich; hätte sie noch dreißig Jahre länger
bestanden, so wären dem Könige gar keine Untertanen von seiner eigenen
Rasse mehr übrig geblieben.

Wir hatten einen wundervollen Sonnenuntergang. Die weite Oberfläche
des Meeres teilte sich in Farbenstreifen, welche scharf von einander
abstachen. Einige Strecken waren dunkelblau, andere purpurrot oder von
glänzender Bronzefarbe; über die wellenförmige Bergkette breiteten sich
die zartesten braunen, grünen, blauen und roten Schattierungen; manche
der runden schwarzen Kuppen sahen so sammetweich aus wie ein glänzender
Katzenbuckel; man bekam ordentlich Lust sie zu streicheln.

Das allmählich abfallende Vorgebirge, das im Westen weit ins Meer
hinausragte, hatte zuerst ein bleifarbenes, gespenstisches Aussehen,
dann wurde es von einem roten Hauch übergossen, es zerfloß sozusagen
in ein rosenfarbenes Traumgebilde und schien nicht der Wirklichkeit
anzugehören. Urplötzlich aber sah man diesen Wolkenfels in eine wahre
Feuersglut getaucht, die sich in den Wellen widerspiegelte; es war ein
Anblick, bei dem man hätte trunken werden können vor Entzücken.

Zufolge meiner Gespräche mit den Passagieren, die in Honolulu zu
Hause waren, und mit Hilfe einer Skizze von Frau Mary Krout, war ich
imstande, das heutige Honolulu mit dem damaligen zu vergleichen.
Zu meiner Zeit war es ein schönes Städtchen, das aus schneeweißen,
hölzernen Landhäusern bestand, die über und über mit tropischen
Schlingpflanzen bedeckt und rings von Blumen, Bäumen und Sträuchern
umgeben waren; Straßen und Wege, auf Korallengrund erbaut, waren
steinhart, glatt und eben und so weiß wie die Häuser selbst. Schon
der äußere Anblick verriet einen zwar bescheidenen aber behaglichen
Wohlstand, der sich -- das ist nicht zu viel gesagt -- auf alle
Bewohner erstreckte. Kostbare Häuser, Möbel und Zierate gab es
nicht. In den Schlafzimmern brannte man Talglichter und im Salon
eine Tranlampe. Matten aus einheimischem Fabrikat dienten statt der
Teppiche, zwei oder drei Lithographien schmückten die Wände; meist
waren es Bilder von Kamehameha IV., Ludwig Kossuth, Jenny Lind,
oder auch ein paar Kupferstiche, z. B. Rebekka am Brunnen, Moses
schlägt Wasser aus dem Felsen, Josephs Diener finden den Becher in
Benjamins Sack u. dgl. Auf dem Mitteltisch lagen Bücher friedlichen
Inhalts, wie: ›Menschenpflichten‹, Baxters ›Ruhe der Heiligen‹, ›Die
Märtyrer‹ von Fox und Tuppers ›Philosophie in Sprichwörtern‹; auch der
›Missionsherold‹ und Pater Damons ›Freund des Seemanns‹ in gebundenen
Exemplaren.

Der Notenständer neben dem Harmonium enthielt gefühlvolle Liebeslieder,
wie: ›Willie, wo weilst du nur?‹ ›Lieblicher Abendstern‹, ›Wandle doch,
Silbermond‹, ›Sind wir jetzt beinah dort?‹ und ähnliches, nebst einer
Sammlung ausgewählter Hymnen. Auch ein Nipptischchen war vorhanden mit
halb kugelförmigen gläsernen Briefbeschwerern, in denen Miniaturbilder
von Schiffen, Seestürmen mit Staffage und dergleichen zu sehen waren;
ferner Seemuscheln mit Bibeltexten in erhabener Arbeit, Walfischbarten,
in die aufgetakelten Schiffe eingeschnitten waren und allerlei
einheimische Seltenheiten. Erzeugnisse fremder Weltteile fehlten ganz,
denn niemand war auf Reisen gewesen. Man machte wohl Ausflüge nach San
Francisco, aber die wurden nicht mitgerechnet; im allgemeinen blieb man
ruhig im Lande.

Seitdem ist Honolulu jedoch reich geworden, dadurch hat sich vieles
geändert und die alte Einfachheit ist zum Teil verschwunden. Frau
Krout beschreibt die moderne Wohnung wie folgt:

»Fast jedes Haus liegt inmitten ausgedehnter Rasenplätze und
Gartenanlagen, die mit einer Mauer aus vulkanischem Gestein oder
dichten Hecken von glänzendem Hibiskus umgeben sind.

»Im Innern sind die Häuser aufs geschmackvollste und behaglichste
eingerichtet; der Fußboden aus hartem Holz ist mit Teppichen oder
feinen indischen Matten belegt, die Möbel, wie man es in warmen Ländern
liebt, aus Rotang oder Bambusrohr gefertigt. Auch das gewöhnliche
Beiwerk von Raritäten, Büchern und Kuriositäten aus allen Teilen der
Welt ist vorhanden und dient zum Schmuck sämtlicher Räume, denn die
Bewohner der Sandwichinseln sind unermüdliche Reisende.

»Die meisten Häuser besitzen ein sogenanntes ›Lanai‹. Das ist ein
großes, an drei Seiten offenes Gemach, von dem eine Tür oder ein
gewölbter, mit Draperien geschmückter Eingang in das Empfangszimmer
führt. Häufig wölben sich die verschlungenen Zweige des Stechpalmbaumes
darüber zu einem dichten Dach, das weder die Sonne hindurchläßt noch
den Regen, außer bei sehr heftigen Gewittern. An den Seiten werden
Schlingpflanzen gezogen -- Stephanotis oder irgend eine andere der
zahllosen wohlriechenden und blühenden Arten, welche auf den Inseln
wuchern. Gegen Sonne und Regen kann man sich auch durch herabzulassende
Matten schützen.

»Der Fußboden ist meist, der Kühle wegen, ganz unbedeckt oder nur zum
Teil mit Teppichen belegt; auch enthält das ›Lanai‹ bequeme Stühle und
Sofas, und auf den Tischen prangen wundervolle Farnkräuter in Töpfen
oder die schönsten Blumensträuße.

»Das ›Lanai‹ ist das beliebteste Gesellschaftszimmer; hier wird Musik
gemacht, man reicht Eis und Kuchen herum, nimmt Morgenbesuche an und
versammelt sich zum gemeinschaftlichen Ausritt, die Damen in hübschen
geteilten Röcken, die sie der Bequemlichkeit wegen tragen, denn hier
reiten alle auf die gleiche Weise, Europäer und Amerikaner beiderlei
Geschlechts sowohl wie die Eingeborenen.

»Man kann sich kaum vorstellen, wie köstlich bequem und behaglich ein
solcher Raum ist, besonders in einer Villa am Seestrande. Sanfte Lüfte,
von Jasmin und Gardenien durchduftet, wehen herein; man blickt durch
schwankende Zweige von Palmen und Mimosen bald auf die zackigen Berge,
deren Gipfel in Wolken gehüllt sind, bald auf das violettfarbene Meer
mit der weißschäumenden Brandung, die sich fort und fort an den Klippen
bricht und im gelben Sonnenschein oder beim zauberischen Mondesglanz
der Tropen ein noch blendenderes Weiß annimmt.«

Da habt ihr den Unterschied: Teppiche, Eis und Kuchen, Bilder, Lanais,
weltliche Bücher, sündhafte Raritäten aus aller Herren Ländern, und
die Damen sitzen rittlings zu Pferde. Zu meiner Zeit taten das nur
die eingeborenen Weiber, die weißen Damen hatten nicht den Mut, diese
vernünftige Sitte mitzumachen. Damals bekam man auch in Honolulu nur
selten Eis zu sehen. Segelschiffe brachten es zuweilen als Ballast aus
Neuengland, und wenn dann zufällig ein Kriegsdampfer im Hafen lag, so
daß Bälle und Abendgesellschaften sich drängten, wurde der Ballast oft,
nach glaubwürdiger Ueberlieferung, zu sechshundert Dollars die Tonne
verkauft. Jetzt ist die Eismaschine in der ganzen Welt herumgekommen,
und wer will, kann sich die Erquickung bereiten. Selbst in Lappland und
Spitzbergen braucht heutzutage niemand mehr Natureis, ausgenommen die
Bären und Walrosse.

Vom Fahrrad steht in dem Bericht kein Wort; das ist auch nicht nötig.
Wir wissen genau, daß es dort eingeführt ist, ohne uns erst zu
erkundigen, denn, wo wäre es nicht zu finden? Ohne Fahrrad hätten die
Menschen nun und nimmermehr ihre Sommerwohnung auf der Spitze des Mont
Blanc nehmen können; der Grund und Boden dort oben hat nur nominellen
Wert gehabt, ehe wir es kannten. Leider haben die Damen von Honolulu zu
spät gelernt, wie man richtig zu Pferde sitzen muß. Was nützt es ihnen
nun, da doch das Reitpferd sich in der ganzen Welt mehr und mehr vom
Geschäft zurückzieht? In der Hauptstadt der Hawaii-Inseln wird man es
bald nur noch vom Hörensagen kennen.

Zu dieser Inselgruppe gehört auch Molokai, und wir alle wissen, daß
Pater Damien, der französische Priester, einst freiwillig die Welt
verließ, um nach jenem traurigen Aufenthaltsort zu den Leprakranken zu
gehen. Wir kennen auch seine Wirksamkeit unter den armen Ausgestoßenen,
die dort ihr elendes Dasein weiter schleppen und auf den Tod warten,
der sie von ihren Leiden erlösen soll. Was er vorausgesehen hatte, ging
wirklich in Erfüllung: er bekam selbst den Aussatz und starb an der
entsetzlichen Krankheit.

Es gibt aber noch andere Fälle von Selbstaufopferung. Ich erkundigte
mich nach ›Billy‹ Ragsdale, einem halbweißen jungen Mann, der zu meiner
Zeit als Dolmetscher beim Parlament angestellt und ebenso hochbegabt
wie allgemein beliebt war. Ein so vorzüglicher Dolmetscher ist mir
nirgends wieder vorgekommen; wenn er in einer Parlamentssitzung
aufstand und die englischen Reden ins Hawaii, die hawaiischen Reden ins
Englische übertrug, war seine rasche Auffassung und Zungenfertigkeit
wahrhaft staunenswert. Auf eine Frage nach ihm erfuhr ich, daß seine
glänzende Laufbahn ein völlig unerwartetes und rasches Ende gefunden
hat, als er gerade im Begriff stand, ein schönes Mädchen gemischter
Rasse zu heiraten. An einem fast unsichtbaren Zeichen auf seiner Haut
hatte er erkannt, daß ihm das Gift des Aussatzes im Körper stecke.
Niemand wußte um dies Geheimnis; er hätte es noch jahrelang verborgen
halten können. Aber er wollte keinen Verrat an dem Mädchen üben, das
er liebte, und es nicht durch die Heirat zu demselben grauenvollen
Geschick verdammen, dem er entgegenging. So brachte er denn seine
Angelegenheiten in Ordnung, suchte noch einmal seine Freunde auf, nahm
Abschied von ihnen und segelte in dem Lepraschiff nach Molokai. Dort
starb er den langsamen entsetzlichen Tod, den alle Aussätzigen sterben.

Hier möchte ich noch einige Abschnitte aus dem ›Paradies des Stillen
Ozeans‹ von Pfarrer H. H. Gowen einschalten:

»Die armen Leprakranken!« sagt der Verfasser. »Es mag leicht sein, für
die, welche weder Freunde noch Anverwandte unter ihnen haben, das Gebot
völliger Absonderung in seiner ganzen Strenge durchzuführen! Aber, wer
beschreibt die schrecklichen, herzbrechenden Auftritte, welche diese
Gewaltmaßregeln im Gefolge haben?

»Ein Mann aus Hawaii wurde plötzlich festgenommen und fortgeschafft.
Seine Frau, die unmittelbar vor ihrer Entbindung stand, blieb allein
und hilflos zurück. Ohne Not und Gefahr zu achten, unternahm sie die
Reise nach Honolulu und bat so lange und inbrünstig um die Erlaubnis,
ihren leprakranken Mann in die Verbannung begleiten zu dürfen, um dort
wie eine Aussätzige mit ihm zu leben, daß die Behörden ihrem Flehen
nicht widerstehen konnten.

»Ueber eine glückliche Gattin und Mutter in der Blüte der Jahre wird
das Urteil gefällt, daß sich bei ihr die Anfänge der Leprakrankheit
zeigen; man schleppt sie ohne Aufschub aus ihrem Hause fort, und als
der Mann heimkehrt, findet er nur noch seine zwei verlassenen Kleinen,
die nach der verlorenen Mutter schreien.

»Luka Kaaukau, die Frau eines Aussätzigen, lebt seit zwölf Jahren mit
ihrem Mann auf der Leprainsel. Der Unglückliche hat fast keine Gelenke
mehr; seine Beine sind unförmlich und mit Geschwüren bedeckt. Seit vier
Jahren flößt ihm die Frau alle Nahrung ein; er hat schon oft gewünscht,
sie möchte ihn seinem elenden Schicksale überlassen, da sie heil und
gesund ist, aber Luka sagt, daß sie gern dableiben und den Mann, den
sie geliebt hat, pflegen will, bis sein Geist von der Erdenlast befreit
ist.

»Ich selbst,« fährt Pfarrer Gowen fort, »habe manchen schweren Fall
erlebt: Ein Mädchen, das mir scheinbar noch in voller Gesundheit
geholfen hatte die Kirche beim Osterfest zu schmücken, ist, ehe es
Weihnachten war, als unheilbare Leprakranke fortgeschafft worden.
Eine Mutter hat ihr Söhnchen jahrelang im Gebirge verborgen gehalten,
aus Furcht, man möchte es ihr entreißen; selbst ihre besten Freunde
hatten keine Ahnung davon, daß das Kind noch am Leben war. Ein
angesehener Weißer wurde von Frau und Kindern getrennt und gezwungen im
Leprosenhause zu leben, wo er von aller Welt für tot angesehen wird,
sogar von der Lebensversicherungsgesellschaft.«

Und was am meisten unser Mitleid erregt, ist, daß diese armen Dulder
ganz unschuldig leiden. Der Aussatz ist nicht die Folge ihres eigenen
Lebenswandels, sondern ein Fluch, der auf den Sünden ihrer Vorfahren
lastet, während diese selbst von der Krankheit verschont geblieben
waren.

Herr Gowen erzählt uns auch von einer ungemein rührenden und schönen
Einrichtung, die auf der Leprainsel besteht: Wenn der Tod einem
Leidenden die Kerkertür des Lebens auftut, so spielt das Musikchor
eine Freudenhymne, um die Befreiung der gequälten Seele mit Jubel zu
begrüßen.




Viertes Kapitel.

        Es ist leichter, sich ein dutzendmal ins Gesicht tadeln zu
        lassen, als eine einzige unwahre Schmeichelei anzuhören.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Von Honolulu abgesegelt. Aus meinem Tagebuch_:

_2. September._ -- Scharen fliegender Fische -- schlank, wohlgestaltet,
leicht beweglich und glänzend weiß. Im Sonnenschein sehen sie wie ein
Schwarm silberner Obstmesser aus. Sie können über hundert Meter weit
fliegen.

       *       *       *       *       *

_3. September._ -- Frühstück unter 9° 50´ nördlicher Breite. Wir segeln
schräg auf den Aequator zu. Alle, welche die Linie noch nie passiert
haben, sind ungemein aufgeregt; auch ich möchte nichts in der Welt
lieber sehen als den Aequator. Gestern abend erreichten wir die Gegend
der Kalmen, wo vollkommene Windstillen mit täglichen Stürmen und
Regengüssen wechseln, bei denen der Wind fortwährend umspringt, die See
kurze Wellen schlägt und das Schiff wie betrunken hin- und herschwankt.
Derartige Zustände findet man bisweilen auch in andern Regionen, aber
in der Gegend der Kalmen hören sie nie auf; ihr Gürtel um den Erdball
hat eine Breite von zwanzig Grad, und die Schnur, welche man den
Aequator nennt, läuft in der Mitte herum.

       *       *       *       *       *

_4. September._ -- Gestern abend hatten wir eine totale Mondfinsternis,
die etwa bis 7.30 dauerte. Zuerst sah man eine schöne rosige Wolke mit
zerklüfteter Oberfläche, die aus einem kreisförmigen Rahmen hervortrat
-- es erinnerte an eine Portion Erdbeereis. Als der Mond zur Hälfte
wieder sichtbar war, glich er einer goldenen Eichel in ihrem Näpfchen.

       *       *       *       *       *

_5. September._ -- Um Mittag kamen wir dicht an den Aequator heran.
Ein Matrose erklärte einem jungen Mädchen, das Schiff mache so wenig
Fahrt, weil der Erdball in der Mitte eine Ausbuchtung habe, zu der wir
emporklimmen müßten; hätten wir erst beim Aequator die höchste Stelle
erreicht, dann ginge es bergunter mit Windeseile. Der Mann ist voller
Gelehrsamkeit, da kann das Mädchen noch viel profitieren.

_Nachmittags._ -- Wir haben die Linie passiert. Von weitem sah es aus,
als breite sich ein blaues Band quer über den Ozean. Mehrere Passagiere
machten photographische Aufnahmen. Wir hatten keinen Mummenschanz,
keine Narrenspossen und groben Späße, das ist jetzt alles abgeschafft.
In früheren Zeiten kam ein als Neptun verkleideter Matrose mit seinem
Gefolge über den Schiffsbug gegangen, und jeder, der zum erstenmale die
Linie passierte, mußte sich von ihm einseifen und barbieren lassen.
Zum Schluß pflegte man die armen Opferlämmer abzuspülen, indem man
sie von der Raanocke hinunterließ und dreimal ins Meer tauchte. Dies
galt für sehr belustigend -- warum, weiß niemand. Das heißt, ja -- wir
wissen es doch! Auf dem Lande hätten so närrische Veranstaltungen, wie
sie ehemals beim Passieren der Linie Sitte waren, nicht die geringste
komische Wirkung; man würde sie einfach für albern und sinnlos
erklären. Aber die Landratten sollen nur erst einmal zu Schiffe gehen
und eine lange Seereise machen, vielleicht wären sie dann anderer
Ansicht. Auf solcher Fahrt nehmen die Verstandeskräfte gewaltig ab, und
die klügsten Leute geraten bald in eine Gemütsstimmung, bei der sie
eine kindische Unterhaltung jeder vernünftigen Beschäftigung vorziehen.
Man staunt wirklich oft über die Kindereien, mit denen sich erwachsene
Menschen an Bord abgeben und begreift nicht, wie sie dergleichen mit
solchem Eifer betreiben und sich so königlich dabei amüsieren können.
Ich spreche natürlich nur von langen Seereisen, bei denen der Geist
sich allmählich abstumpft und träge und schwerfällig wird. Da verliert
man sein gewöhnliches Interesse an höheren Dingen; nur derbe Späße
sind noch imstande uns aufzurütteln, und ausgelassene Narretei gewährt
uns das größte Vergnügen.

Bei kürzeren Seereisen ist das anders; da hat der Geist nicht Zeit,
auf so traurige Art zu versimpeln, und man schafft sich die nötige
Körperbewegung durch das Beilkespiel. Auch wir vertrieben uns unterwegs
die Zeit damit aufs angenehmste. Vor dem Beginn des Spiels zeichnet der
Quartiermeister die nachstehende Kreidefigur auf das Deck, und jeder
Spieler erhält vier hölzerne Scheiben von der Größe einer Untertasse,
die er mit einer Art Besenstiel, an dem eine hölzerne Mondsichel
befestigt ist, durch einen kräftigen Stoß fünfzehn bis zwanzig Fuß weit
über das Deck befördern muß, so daß sie in einem der Quadrate landen.
Bleibt die geworfene Scheibe dort, bis der erste Gang vorüber ist, so
gilt sie so viel wie die Zahl in dem betreffenden Quadrat. Der Gegner
muß sich bemühen, die feindliche Scheibe hinauszustoßen, besonders
wenn sie auf eine hohe Nummer getroffen hat, und seine eigene an die
Stelle zu setzen. Liegt sie aber auf ~10 minus~ so wird er im Gegenteil
danach trachten, seine Scheibe so zu schieben, daß der andere Spieler
die seinige nicht wieder aus diesem verderblichen Platz herausbringen
kann, weil ihm der Zugang versperrt ist. Nach jedem Gang werden die
Points gezählt; oft können alle Scheiben mitgerechnet werden, aber die,
welche den Kreidestrich berühren, gelten nicht; auch findet manchmal
ein großes Scharmützel statt, so daß keine einzige Scheibe mehr in den
Quadraten liegt. Wenn eine Partei hundert Points hat, ist das Spiel zu
Ende; es dauert meist zwischen zwanzig und dreißig Minuten, was vom
Glück und der Bewegung des Schiffes abhängt. Geht die See hoch, so
ist man genötigt, die Kraft und Richtung des Stoßes genau abzuwägen.
Hebt sich das Schiff, muß man stark stoßen, senkt es sich, so kommt es
darauf an Maß zu halten, da sich die Wirkung nicht leicht berechnen
läßt. Schwankt das Schiff nach rechts, und man zielt nach der linken
oberen Seite der Kreidefigur, so gleitet die Scheibe im Bogen gerade
in ein Quadrat hinein, falls man nämlich genau die richtige Stärke
getroffen hat. Das Spiel ist aufregend, und die meist sehr zahlreichen
Zuschauer lassen es nicht an Beifall oder Hohngelächter fehlen, je
nachdem eins oder das andere am Platze ist. Es erfordert auch viel
Geschicklichkeit, aber da man sich auf die Bewegung des Schiffes nie
verlassen kann, ist es noch mehr Glückssache.

        +-----------+
        |    10     |
        +---+---+---+
        | 8 | 1 | 6 |
        +---+---+---+
        | 3 | 5 | 7 |
        +---+---+---+
        | 4 | 9 | 2 |
        +---+---+---+
        | 10 minus. |
        +-----------+

Um zu entscheiden, wer ›Meister des Beilkespiels auf dem Stillen
Ozean‹ sein sollte, fochten wir großartige Turniere aus, an denen sich
fast alle unsere Mitreisenden männlichen und weiblichen Geschlechts,
sowie sämtliche Offiziere beteiligten. Der Kampf wurde viele Tage
lang mit großer Hartnäckigkeit fortgesetzt, er war sehr lebhaft und
machte uns todmüde, wegen der starken Bewegung, die man bei dem Spiele
hat. Schließlich behauptete Herr Thomas, einer der Passagiere, seine
unbestrittene Meisterschaft.

Bei einem der kleineren Wettkämpfe hatte ich jedoch den Sieg
davongetragen und den ausgesetzten Preis, eine Waterbury-Taschenuhr
gewonnen, die ich im Koffer verwahrte. Neun Monate später, in der
Stadt Prätoria in Südafrika, nahm ich sie wieder heraus, weil meine
eigene Uhr stehen geblieben war, zog sie auf und stellte sie nach der
Turmuhr am Parlamentsgebäude auf 8 Uhr 5 Minuten; dann begab ich mich
in mein Schlafzimmer und ging früh zu Bette, da ich nach einer langen
Eisenbahnfahrt der Ruhe bedurfte. Jene Parlamentsuhr hatte eine ganz
verrückte Eigenschaft, die sonst nirgends in der Welt vorkommt, aber
das wußte ich damals nicht; sie schlägt nämlich, wenn es halb ist,
die nächste volle Stunde und schlägt sie dann abermals zur richtigen
Zeit. Eine Weile rauchte und las ich noch im Bett; als ich aber die
Augen nicht länger offen halten konnte und eben im Begriff war, das
Licht zu löschen, dröhnte es gewaltig vom Turme. Ich zähle zehn
Schläge und lange nach meiner Preisuhr, um sie zu vergleichen. Sie
stand auf 9.30, war also schon eine halbe Stunde zurückgeblieben. Für
eine Dreidollaruhr hatte sie jedenfalls zu geringe Geschwindigkeit,
doch glaubte ich, das veränderte Klima sei schuld. Ich stellte sie
eine halbe Stunde vor, nahm wieder mein Buch zur Hand und wartete. Es
schlug noch einmal zehn; meine Uhr aber zeigte 10.30. Diese übergroße
Eile überraschte mich -- es war zuviel für das Geld. Nachdem ich die
Zeiger um eine halbe Stunde zurückgeschoben hatte, horchte und wartete
ich wieder; ich konnte jetzt nicht anders, denn ich war unruhig und
ärgerlich und fühlte keine Schläfrigkeit mehr. Nicht lange, so schlug
es 11 vom Turme und auf meiner Uhr war es 10.30. Wieder stellte ich sie
eine halbe Stunde vor und fing schon an die Geduld zu verlieren. Da
schlug es noch einmal 11; als ich aber sah, daß die Waterbury-Uhr auf
11.30 zeigte, schleuderte ich sie gegen den Bettpfosten, daß sie in
Stücke ging. Tags darauf, als ich hinter die Geschichte kam, tat mir
das freilich leid.

Doch ich kehre zum Schiff zurück. -- Der gewöhnliche
Durchschnittsmensch ist ein boshaftes Geschöpf, und wenn er das nicht
ist, hat er Freude an handgreiflichen Späßen. Für die Person, die ihm
als Zielscheibe dient, kommt das auf eins heraus, sie wird jedenfalls
zum Opferlamm.

Auf allen Schiffen wird das Abspülen des Deckes in sehr früher Stunde
vorgenommen, aber nur selten trifft man dabei Maßregeln zum Schutz der
Passagiere; es wird ihnen weder vorher angekündigt, noch schickt man
einen Aufwärter hinunter, um die Kajütenfenster zu schließen. So haben
denn die Matrosen beim Deckspülen freie Hand, was sie sich nach Kräften
zu nutze machen. Platsch! schütten sie einen Eimer Wasser längs der
Schiffseite hin, daß es durch die Kajütenfenster fließt und nicht nur
die Kleider der Passagiere, sondern auch diese selbst durchnäßt. Auf
unserm Schiff herrschte diese gute alte Sitte ebenfalls und zwar unter
sehr günstigen Bedingungen, denn in den glühenden tropischen Regionen
wird außen am Fenster ein abnehmbarer Zinkvorsetzer in Form einer
Zuckerschaufel befestigt, um den Wind zu fangen, so daß Luft ins Innere
dringt. Aber auch das Wasser sammelt sich dort und fließt hindurch --
oft in ganzen Strömen. --

Frau J., eine kranke Dame, mußte nach ärztlicher Verordnung auf dem
Sofa schlafen, der unter ihrem Kajütenfenster stand. Jedesmal, daß sie
nicht auf ihrer Hut war und zu lange schlief, überschwemmten sie die
Deckspüler mit einem Wasserguß.

Und erst die Anstreicher -- was hatten die für ein lustiges Leben! Zwar
sollte das Schiff in Sydney einen Monat lang in dem Dock ausgebessert
werden, aber trotzdem wurde es die ganze Fahrt über bald hier bald da
neu angestrichen. Die Kleider der Damen litten fortwährend Schaden,
doch weder Bitte noch Einspruch fand Gehör. Es kam nicht selten
vor, daß eine Dame in der Nähe eines Ventilators oder irgend eines
andern Dinges, das gar nicht angestrichen zu werden brauchte, ihr
Mittagsschläfchen hielt und beim Erwachen entdeckte, daß ein Spaßvogel
sich mit seinen Farbentöpfen über besagten Gegenstand hergemacht hatte,
und ihr weißes Kleid von oben bis unten mit kleinen gelben Ölflecken
bespritzt war.

Die Schiffsoffiziere sind nicht schuld an dieser Farbenkleckserei zu
ungelegener Zeit, sondern der alte Brauch. Seit Noahs Tagen gilt das
Gesetz, daß an einem Schiff während der Fahrt unausgesetzt herumgeputzt
und angestrichen werden muß. Dies Gesetz ist zur Gewohnheit geworden,
und auf der See haben Gewohnheit und Sitte ein ewiges Leben. Der alte
Brauch wird nicht aufhören bis das Meer ausgetrocknet ist.

       *       *       *       *       *

_8. September, Sonntag._ Wir segeln in fast gerader Linie nach Süden,
sodaß wir täglich nicht mehr als zwei Längengrade kreuzen. Heute früh
waren wir beim 178. Grad westlicher Länge von Greenwich; morgen kommen
wir dicht an die Mitte der Erdkugel beim 180. Grad westlicher Länge und
dem 180. Grad östlicher Länge.

Und dann müssen wir einen Tag aus unserm Leben streichen, der auf
immer unwiederbringlich verloren ist. Wir werden alle einen Tag früher
sterben, als es uns seit Anbeginn vom Geschick bestimmt war. Die ganze
Ewigkeit hindurch bleiben wir um diesen einen Tag zurück. Wenn wir
droben zu den Engeln sagen: »Heute ist schönes Wetter!« werden sie
stets erwidern: »Es ist gar nicht heute, sondern morgen!« Wir kommen
nie wieder aus der Verwirrung heraus; unsere Seelenruhe ist auf immer
dahin!

       *       *       *       *       *

_Am nächsten Tage._ Jetzt ist es wirklich zur Wahrheit geworden.
Gestern war _Sonntag_, der 8. September -- und heute steht auf dem
Anschlagbrett am Eingang zur Kajütentreppe: _Dienstag_, 10. September.
Man hat ein unbehagliches Gefühl dabei, als wäre Zauberei im Spiele.
Es ist ja auch wirklich unbegreiflich, wenn man es recht bedenkt,
und man kann sich keine Vorstellung davon machen. Als wir den 180.
Meridian kreuzten, war es am Stern des Schiffes, wo die Meinigen
sich aufhielten _Sonntag_, und am Bug, wo ich war, _Dienstag_. Sie
verzehrten einen halben Apfel am 8. September, und ich aß gleichzeitig
die andere Hälfte am 10. In den fünf Minuten, seit ich sie verlassen
hatte, war ich um einen Tag älter geworden, sie dagegen nicht. Der
Tag, den sie verlebten, erstreckte sich hinter ihnen um die halbe
Erdkugel durch den Stillen Ozean, Amerika und Europa; der Tag, den ich
verlebte, dehnte sich vor mir um die andere Hälfte der Erde aus, bis
beide zusammentrafen. Tage von solchem Umfang waren uns noch niemals
vorgekommen, alle früheren schrumpften im Vergleich dazu in ein
Nichts zusammen. Auch der Temperaturunterschied der beiden Tage war
bemerkenswert; der ihrige war heißer als meiner, wegen der größeren
Nähe des Aequators.

Gerade zur Zeit, als wir den Großen Meridian kreuzten, wurde im
Zwischendeck ein Kind geboren, und nun läßt sich auf keine Weise
feststellen, welches sein Geburtstag ist. Die Wärterin sagt Sonntag,
der Arzt Dienstag. Das Kind selbst wird nie darüber ins klare kommen
und immer zwischen den beiden Tagen schwanken. Dadurch müssen
alle seine Ansichten über Religion, Politik, Liebe, Berufswahl
und dergleichen in Unsicherheit geraten, seine Grundsätze werden
erschüttert, seine Charakterentwicklung gehemmt, und dem armen Ding von
vornherein jede Möglichkeit eines erfolgreichen Wirkens abgeschnitten.

Das sagten alle Leute an Bord. Aber, damit war das Unheil noch nicht
einmal erschöpft. Ein ungeheuer reicher Bierbrauer auf dem Schiff
hatte nämlich schon zehn Tage vorher gesagt, falls das Kind an seinem
Geburtstag zur Welt käme, würde er ihm zehntausend Dollars zum Geschenk
machen. Sein Geburtstag war aber Montag den 9. September.

Wenn alle Schiffe in derselben Richtung -- nämlich nach Westen --
führen, so würde der Welt eine ungeheure Menge wertvoller Zeit verloren
gehen, weil Passagiere und Mannschaften eine solche Unzahl von Tagen
auf dem Großen Meridian über Bord werfen. Aber glücklicherweise segelt
die Hälfte der Schiffe nach Osten, und so entsteht kein wirklicher
Verlust. Diese fischen nämlich die weggeworfenen Tage auf, um sie dem
Zeitvorrat der Welt wieder hinzuzufügen und zwar fast unversehrt, denn
durch das Salzwasser werden sie frisch erhalten und bleiben so gut wie
neu.




Fünftes Kapitel.

        Der Lärm tut nichts zur Sache: Oft gackert eine Henne, die
        nur ein Ei gelegt hat so laut, als hätte sie einen Planeten
        gelegt.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Mittwoch 11. September._ Wir fahren jetzt stetig nach Süden und immer
weiter hinunter auf dem runden Bauch der Erdkugel. Gestern abend sahen
wir den Großen Bären und den Nordstern am Horizont untergehen und aus
unserer Welt verschwinden. Das heißt, irgend jemand hat es gesehen und
mir davon erzählt. Aber das macht keinen Unterschied, mir ist es so wie
so einerlei, da ich die beiden herzlich satt habe. Sie sind ja in ihrer
Art gar nicht übel, aber man will sie doch auch einmal los werden. Ich
hatte jetzt nur noch Interesse für das ›Kreuz des Südens‹, von dem
ich mein Lebenlang gehört hatte, ohne es zu sehen; natürlich brannte
ich vor Verlangen danach. Kein anderes Sternbild verursacht so viel
Gerede. Im allgemeinen habe ich, wie gesagt, gegen den Großen Bären
nichts einzuwenden -- wie sollte ich auch? Er ist ja ein Bürger unseres
Himmelsgewölbes und gehört zum Besitzstand der Vereinigten Staaten.
Aber doch war ich froh, daß er aus dem Wege ging, um diesem Fremdling
Platz zu machen. Nach meinem Dafürhalten brauchte ein Sternbild, von
dem man so viel Wesens macht wie von dem Kreuz des Südens, den ganzen
Himmel für sich allein.

Aber das war ein Irrtum. Heute abend haben wir das Kreuz gesehen;
es ist weder groß noch ungewöhnlich hell. Freilich stand es tief am
Horizont; es wird vielleicht noch schöner, wenn es hoch am Himmel
steht. Sein Name ist sehr sinnreich gewählt, denn es sieht gerade so
aus, wie ein Kreuz aussehen würde, das man ebensogut für etwas ganz
Anderes halten könnte. Aber diese Bemerkung ist viel zu allgemein und
unbestimmt, ich will mich deutlicher ausdrücken: ein Kreuz mag es wohl
sein, doch ist es entweder aus den Fugen gegangen oder verzeichnet,
denn es hat zwar einen langen und einen kurzen Balken, aber letzterer
ist ganz schief geraten.

[Illustration]

Vier große Sterne und ein kleiner bilden das Kreuz. Der kleine Stern
liegt außer dem Strich und verdirbt die Form vollends; er sollte an
der Stelle stehen, wo die Balken zusammengefügt sind. Wenn man nicht
eine gedachte Linie zwischen den Sternen zieht, würde man gar nicht auf
die Idee kommen, daß sie ein Kreuz vorstellen -- oder überhaupt irgend
etwas.

Um den kleinen Stern darf man sich nicht kümmern; er muß ganz beiseite
bleiben, weil er alles verwirrt. Läßt man ihn weg, so kann man aus den
vier Sternen wohl eine Art schiefes Kreuz machen, aber ebenso gut einen
schiefen Drachen oder einen schiefen Sarg.

Mit den Namen, die man den Sternbildern gegeben hat, ist es von jeher
eine heikle Sache gewesen; sie wollen sich diesen Namen durchaus nicht
anpassen und bestehen meist hartnäckig darauf, den Dingen, nach denen
sie benannt sind, in keiner Weise zu gleichen. Zur Beruhigung der
Gemüter sieht man sich zuletzt häufig genötigt, den phantastischen
Namen in einen solchen umzuwandeln, der dem gemeinen Menschenverstand
besser einleuchtet. Wenn es auf mich ankäme, würde ich das ›Kreuz des
Südens‹ nicht den ›Sarg des Südens‹, sondern den ›Drachen des Südens‹
nennen. Kreuze und Särge haben dort oben in dem großen leeren Raum
nichts zu schaffen, aber für einen Drachen ist es gerade der rechte
Platz. In einiger Zeit -- ob über kurz oder lang weiß ich nicht --
wird der ganze Erdball im Besitz der englischredenden Rasse sein
und natürlich auch das Himmelsgewölbe. Dann müssen alle Sternbilder
neugeordnet, blank geputzt und umgetauft werden; die meisten wird man
vermutlich ›Victoria‹ nennen, schon jetzt tragen viele Städte und
Geräte den Namen ihrer britischen Majestät. Aber ein Sternbild wird
auch als ›Drache des Südens‹ droben wandeln oder überhaupt von der
Bildfläche verschwinden.

In den letzten paar Tagen sind wir durch eine förmliche Milchstraße von
Inseln gefahren. Auf der Karte liegen sie so dicht beisammen, daß man
denken sollte, es wäre dazwischen kaum Platz für ein Kanoe -- und doch
bekommen wir selten eine Insel zu Gesicht. Neulich sahen wir einmal
zwei in weiter Ferne gespenstisch und schattenhaft auftauchen, Alofi
und Futuna oder Horne. Auf der größeren herrschen zwei eingeborene
Könige, die einander grimmig befehden. Sie sowohl wie ihre Untertanen
gehören zur katholischen Kirche; französische Missionare haben sie
bekehrt.

Von den unzähligen Inseln in diesen Meeren bezog man früher die
›Rekruten‹ für die Plantagenarbeit in Queensland, und ich glaube, man
holt sie noch jetzt dort her. Fahrzeuge, die in ihrer Ausrüstung den
alten Sklavenschiffen glichen, schafften die Eingeborenen nach jener
großen Provinz Australiens, wo sie als Arbeiter Verwendung fanden.
Anfangs raubte man die Leute ohne alle Umstände, wie die Missionare
bezeugen; von anderer Seite wird das zwar geleugnet, aber es läßt sich
nicht widerlegen. Später verbot das Gesetz, die Eingeborenen gegen
ihren Willen anzuwerben, und die Regierungsbeamten hatten Befehl, auf
allen Werbeschiffen für Aufrechterhaltung des Gesetzes zu sorgen, was
sie nach Aussage der Werber wirklich taten, aber auch oft unterließen,
wie die Missionare behaupten. Ein Arbeiter konnte auf drei Jahre
regelrecht angeworben werden und dann freiwillig noch ebenso lange im
Dienst bleiben, wenn es ihm gefiel. War seine Zeit um, so durfte er
auf seine Insel zurückkehren und erhielt auch die Mittel dazu. Die
Regierung ließ sich dies Geld von dem Arbeitgeber auszahlen, ehe der
›Rekrut‹ ihm überlassen wurde.

Kapitän Wawn, der viele Jahre ein Werbeschiff befehligte, hat ein
Buch über seine Erlebnisse geschrieben, aus dem hervorgeht, daß das
Werbegeschäft im allgemeinen bei den Insulanern sehr beliebt war. Doch
scheint es dabei weder langweilig noch einförmig gewesen zu sein, denn
es bot allerlei kleine Abwechslungen, von denen der Kapitän berichtet,
zum Beispiel die folgende:

»Am Nachmittag, nachdem wir die Leprainsel erreicht hatten, lag der
Schoner, bei fast vollständiger Windstille, im Schutz des gebirgigen
Teils der Insel, etwa dreiviertel Meilen vom Ufer. Wir hatten die
Boote ausgesetzt, konnten sie jedoch in Sicht behalten. Das Werbeboot
war in eine kleine Bucht der felsigen Küste eingelaufen, wo auf
steilem Uferrand eine einsame Hütte lag, hinter der sich dichter Wald
erhob. Das zweite Boot, in dem sich der Regierungsbeamte und der Maat
befanden, lag etwa 400 Meter westwärts.

»Plötzlich hörten wir Schüsse und das laute Geheul der Eingeborenen am
Ufer und sahen das Werbeboot mit anscheinend verminderter Bemannung
das Weite suchen. Das andere Boot fuhr ihm rasch entgegen, nahm es ins
Schlepptau und brachte es zum Schoner zurück. Von der Mannschaft war
kein einziger ohne leichte oder schwere Verwundung davongekommen. Die
Insulaner hatten unsere Leute unter dem Schein der Freundschaft in die
Bucht gelockt; sie umschwärmten den Stern des Bootes, und einige der
farbigen Burschen stiegen sogar an Bord. Urplötzlich schwangen sie
aber ihre Keulen und Tomahawks und gingen zum Angriff über. Der Werber
schützte sich mit den Fäusten gegen die ersten grimmigen Schläge, bis
er Zeit fand, sich des Revolvers zu bedienen. Einer der Matrosen, Tom
Sayers, erhielt einen Hieb mit der Streitaxt, der ihm die Kopfhaut
durchschnitt, aber zum Glück den Schädel nicht spaltete; einem andern,
Babby Towns, wurden beide Daumen zerschmettert, als er die Schläge
abwehren wollte; den linken Daumen, der nur noch an Haut und Knochen
hing, mußte der Wundarzt ganz von der Hand ablösen. Lihu, ein Knabe
aus Lifu, der Diener des Werbers, hatte verschiedene leichte Hieb- und
Stichwunden. Dem unglücklichen Jack, einem ›Rekruten‹ von der Insel
Tanna, der als Bootsmann angeworben war, wurde der Vorderarm von einem
Pfeil durchschossen, der noch auf beiden Seiten herausstak, als das
Boot zurückkam. Der Werber selbst wäre frei ausgegangen, hätte nicht,
gerade im Augenblick der Abfahrt, ein Pfeil ihm die Hand an den Griff
des Steuerruders festgenagelt. Der Kampf war zwar kurz, doch heftig
gewesen; auf feindlicher Seite waren zwei Mann erschossen worden.«

Kapitän Wawns Buch enthält eine große Menge von Beispielen solcher
gefährlichen Zusammenstöße zwischen den Eingeborenen und den englischen
und französischen Werbeschiffen; denn auch die Franzosen betreiben das
Geschäft für die Plantagen von Neu-Caledonien. Die Werber scheinen
daher doch nicht allzu beliebt bei den Insulanern zu sein, wie ließen
sich sonst diese wilden Angriffe und blutigen Kämpfe erklären? Der
Kapitän schiebt freilich die ganze Schuld auf die unverständigen
Philanthropen. Wenn diese sich nur nicht einmischen wollten, meint er,
würden die eingeborenen Väter und Mütter nicht mehr weinen und klagen,
daß man ihre Kinder in die Verbannung schleppt, wo sie nicht selten ein
frühes Grab finden, sondern ohne Frage ganz damit einverstanden sein
und keinen Versuch machen, die freundlichen Werber totzuschlagen.




Sechstes Kapitel.

        Die Geschichte ist eine Prophetin. Sie lehrt, daß wenn ein
        starkes, aufgeklärtes Volk einem schwachen, unwissenden
        Volke etwas nehmen will, was es besitzt, letzteres sich
        friedlich darein ergeben muß.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Eins ist sonnenklar: Kapitän Wawn kann die Missionare nicht ausstehen,
weil sie ihm das Geschäft verderben. Seine Werbefahrten, die er wie
eine Lustpartie betreiben möchte, nennen sie schlechtweg ›Sklavenfang‹
und machen sie ihm zur Last. Die Missionare haben nämlich ihre ganz
eigene, nicht sehr schmeichelhafte Ansicht über den Handel mit
Eingeborenen und die Art, wie die Werber die Gesetze zu umgehen wissen.
Kapitän Wawns Buch ist erst kürzlich erschienen, aber mir liegt noch
eine Broschüre neueren Datums über dasselbe Thema vor, welche soeben
aus der Presse kommt und den Missionar W. Gray zum Verfasser hat. Ich
habe es sehr interessant gefunden, das Buch und die Broschüre zusammen
zu lesen.

Es war mir auch alles leicht verständlich, nur ein Umstand nicht,
auf den ich sogleich zurückkommen will. Warum der Besitzer der
Zuckerpflanzung in Queensland den Kanaka haben will, liegt auf der
Hand: einen so billigen Arbeiter bekommt er schwerlich wieder.
Was der Pflanzer bezahlt ist folgendes: 20 £ an den Werber, der
den Kanaka gedungen -- oder ›gefangen‹ hat, wie die Missionare
sagen; 3 £ Einfuhrgebühren an die Regierung in Queensland und 5 £
für Rückbeförderung des Kanaka, falls er nach Ablauf seiner drei
vertragsmäßigen Jahre noch am Leben ist; an den Kanaka selbst für Lohn
und Kleidung während der drei Jahre 25 £ Summa summarum 53 £ und mit
Verköstigung 60 £. --

Daß dem Werber sein Geschäft gefällt, begreift man ebenfalls. Der
›Rekrut‹ kostet ihn nichts als ein paar billige Geschenke -- die
nicht er erhält, sondern seine Verwandten -- und bringt ihm bei der
Ablieferung in Queensland 20 £ ein. Pflanzer und Werber ziehen also
Gewinn aus dem Handel; aber weshalb der ›Rekrut‹ darauf eingeht, kann
ich durchaus nicht verstehen. Er ist jung und kräftig; daheim auf
seiner Insel führt er ein wonniges Leben, das einem langen, köstlichen
Feiertag gleicht. Will er arbeiten, so braucht er nur jede Woche ein
paar Säcke Kopra zu sammeln, die er für vier bis fünf Schillinge den
Sack verkaufen kann. In Queensland muß er dagegen aufstehen, ehe
der Morgen graut und täglich acht bis zwölf Stunden bei einem viel
heißeren Klima als er gewohnt ist und für einen Wochenlohn, der nicht
einmal vier Schillinge beträgt, in den Zuckerrohrfeldern arbeiten.
Was ihn dazu bewegen kann, bleibt mir ein ungelöstes Rätsel. Der
Pflanzer erklärt es sich auf seine Weise wie ich aus der Broschüre des
Missionars ersehe:

»Wenn der Kanaka seine Heimat verläßt, ist er nur ein gewöhnlicher
Wilder. Er schämt sich nicht, daß er nackt geht und jeden Schmuckes
entbehrt. Wenn er zurückkehrt ist er gut gekleidet, trägt eine
Waterbury-Uhr mit Sekundenzeiger, Kragen, Manschetten, Stiefel und
Schmuck. Er bringt auch ein paar Koffer mit, welche Kleidungsstücke,
Musikinstrumente, Wohlgerüche und andere Luxusartikel enthalten, an
deren Gebrauch er sich gewöhnt hat.« --

Sollte das die Lösung sein? -- Einen Augenblick scheint uns wirklich
ein Licht darüber aufzugehen, was den Kanaka in Verbannung treibt:
Er möchte sich _zivilisieren_. Erst war er nackt und schämte sich
nicht, jetzt trägt er Kleider und hat gelernt sich zu schämen; er war
unwissend, jetzt besitzt er eine Waterbury-Uhr; es fehlte ihm an feiner
Sitte, jetzt trägt er Schmuck und duftet nach Wohlgerüchen; er genoß
daheim kein besonderes Ansehen, jetzt ist er in fernen Ländern gewesen
und hat ein erhöhtes Selbstgefühl.

Das läßt sich hören und klingt gar nicht unwahrscheinlich. Aber der
Missionar will von dieser Erklärung nichts wissen; er zerpflückt sie
schonungslos, bis nichts mehr davon übrig bleibt, indem er fortfährt:

»Mag auch die vorhergehende Beschreibung im allgemeinen richtig sein,
so ist das Nachspiel gewöhnlich folgendes: Die Manschetten und Kragen
werden von den jungen Burschen entweder gar nicht benutzt oder zum
Staat unterhalb des Knies am Bein getragen. Die Uhr wandert zerbrochen
und schmutzig für eine Kleinigkeit zum Trödler, oder das Werk wird
herausgenommen, die Räder auf eine Schnur gezogen und um den Hals
gehängt. Die Messer, Beile, Taschentücher und der Kleiderstoff werden
unter die Freunde verteilt; mehr als ein Stück für jeden gibt es nicht.
Oft geht der Kofferschlüssel auf dem Heimweg verloren, die Koffer
selbst werden für drittehalb Schillinge verkauft, man kann sie in den
Uferdörfern der Insel Tanna verfault umherliegen sehen, (ich sage
das aus eigener Wahrnehmung). Ein heimgekehrter Kanaka geriet einmal
gegen mich in heftigen Zorn, weil ich ihm nicht seine Beinkleider
abkaufen wollte, die gerade für mich paßten, wie er behauptete. Später
verkaufte er sie an einen meiner Lehrer aus Aniwa für ein Paket Tabak
im Wert von dreiviertel Schilling, während er in Queensland gewiß acht
bis zehn Schillinge für das Kleidungsstück bezahlt hatte. Einen Rock
oder ein Hemd zu haben ist nützlich bei kalter Witterung. Auch die
weißen Taschentücher, den ›~senet~‹ (Wohlgeruch), den Regenschirm und
vielleicht den Hut behält der Insulaner; die Stiefel nur, wenn sie
zufällig dem Koprahändler nicht passen. ›~Senet~‹ im Haar, das Gesicht
mit Farbe bemalt, ein schmutziges weißes Taschentuch um den Hals, ein
Stück Schildkrötenschale im Ohr, am Gürtel ein Messer mit der Scheide
und einen Regenschirm in der Hand, so sieht man den heimgekehrten
Kanaka am Tage nach seiner Landung umherstolzieren.«

Bis auf den Hut, den Regenschirm und das Taschentuch ist er
splinternackend. In einem einzigen Tage schmilzt die sauer erworbene
Zivilisation so weit zusammen. Auch diese letzten vergänglichen Dinge
bleiben nicht lange in seinem Besitz. Nur ein Stück seiner Zivilisation
wird er sicherlich nicht wieder los -- nach des Missionars Bericht hat
er nämlich fluchen gelernt. Das ist auch eine Kunst -- und die Kunst
ist lang, wie der Dichter sagt.

Die Gesetze eines Landes werfen stets ein Licht auf seine
Vergangenheit. In Queensland lassen sie tief blicken. Sie zeigen uns,
daß die Mißbräuche, über welche die Missionare klagen, von alters her
bestanden und auch unter dem Schutzgesetz fortbestehen, da die Werber
-- nach Behauptung der Missionare -- das Gesetz zu umgehen wissen, und
der Regierungsbeamte ihnen dabei behilflich ist. Es kommt häufig vor,
daß ein törichter junger ›Rekrut‹ wieder zu Verstande kommt, nachdem
er seine Freiheit auf drei Jahre verkauft hat und für sein Leben gern
die Verpflichtung wieder loswerden und daheim bei seinen Angehörigen
bleiben möchte; dann schüchtert man ihn jedoch durch Drohungen ein,
hält ihn mit Gewalt auf dem Werbeschiff zurück und zwingt ihn, seinen
Kontrakt zu erfüllen. Solche Gewaltmaßregeln verbietet das Gesetz aufs
strengste; der Paragraph 31 befiehlt dem Werber, den Kanaka in diesem
Fall nicht nur freizulassen, sondern ihn wieder ans Ufer zu befördern
und zwar im Boot, weil die Meere von Haifischen wimmeln.

Das Gesetz und die Missionare haben Mitgefühl für den Kanaka, dem sein
Vertrag wieder leid wird, und das ist sehr natürlich, weil er noch jung
und unerfahren ist und sich leicht überreden läßt, zu tun was ihn reut;
der Werber aber kennt kein Erbarmen. »Ein Kapitän, der den Handel viele
Jahre hindurch betrieben hat,« erzählt Gray, »hat mir mitgeteilt, wie
man mit dem kontraktbrüchigen Kanaka verfährt:

»›Wenn ein Bursche über Bord springt,‹ sagte er, ›setzen wir ein Boot
aus, das ihm vorausrudert und sich zwischen ihn und das Ufer legt.
Schwimmt er an dem Boote vorbei, so fährt es immer wieder voraus, bis
der Schwimmer erschöpft ist, freiwillig hineinsteigt und sich ruhig
wieder an Bord zurückbringen läßt. Der Kunstgriff schlägt selten fehl.‹«

Wäre der Schwimmer ein Sohn jenes Kapitäns und seine Verfolger
Eingeborene, so würde er wohl anders darüber denken. Allein die
Fähigkeit, sich in die Lage anderer Leute zu versetzen, ist nicht jedem
gegeben.

Auch der freie Geist des Kapitäns Wawn empört sich gegen das
Schutzgesetz; es bereitet ihm viel Aergernis und vergiftet sein Leben,
gerade so, wie es die Missionare tun. Wie sehr er sich nach der guten
alten Zeit sehnt, die auf immer dahin ist, kann man in seinem Buche
lesen; man meint ordentlich ihn zwischen den Zeilen weinen und fluchen
zu hören, wenn er schreibt:

»Lange Zeit durften wir alle Ausreißer, die den Vertrag an Bord
unterzeichnet hatten, einfangen und festnehmen. Aber die ›eisernen
Verordnungen‹ des Gesetzes von 1884 machten dem ein Ende. Sie gestatten
dem Kanaka den dreijährigen Vertrag zu unterzeichnen, in dem Schiff
spazieren zu fahren, sich füttern zu lassen und sich gütlich zu tun und
dann auf und davon zu gehen, sobald es ihm beliebt. Nur darf er seine
Vergnügungsfahrt nicht bis nach Queensland ausdehnen.«

Missionar Gray dagegen, nennt jene ›eiserne Verordnung‹ ein
Possenspiel. »Unter dem Schutz des Gesetzes,« sagt er, »wird gegen die
Eingeborenen weit mehr Grausamkeit und Ungerechtigkeit verübt, als
durch gesetzwidrige Taten. Die bestehenden Verordnungen sind ungerecht
und in hohem Grade mangelhaft und werden es ewig bleiben.« Er belegt
diese Behauptung auch durch Gründe, die ich jedoch des Raumes wegen
hier nicht anführen kann.

Wenn indessen der Kanaka von seinem dreijährigen Studium der
Zivilisation in Queensland keinen andern Vorteil davonträgt als ein
Halsband, einen Regenschirm und eine höchst unvollkommene Ausbildung
des Fluchens, dann muß wohl der ganze Profit des Handels dem
weißen Manne zugute kommen. Es läßt sich schon hieraus mit einiger
Bestimmtheit die Schlußfolgerung ziehen, daß der Handel von Rechts
wegen abgeschafft werden sollte.

Man hat übrigens allen Grund anzunehmen, daß dies bald von selbst
geschehen wird. Innerhalb der nächsten zwanzig oder dreißig Jahre
müssen die Bezugsquellen des Handels versiegen, weil dann die Inseln
gänzlich entvölkert sein werden. Für weiße Leute ist Queensland sehr
gesund, die Ziffer der Sterbefälle beträgt nur 12 auf das Tausend; bei
den Kanaken ist sie aber weit höher, im Jahre 1893 belief sie sich nach
statistischen Angaben auf 52 und 1894 (im Mackay-Bezirk) auf 68. In
den ersten sechs Monaten ist das Klima für den Kanaka ganz besonders
gefährlich, von 1000 der neuen Ankömmlinge sterben oft 180, während die
Sterbeziffer auf seiner heimischen Insel sich in Friedenszeiten auf
12 und in Kriegszeiten auf 15 vom Tausend beläuft. Der Aufenthalt in
Queensland, der ihm Gelegenheit gibt, Zivilisation, einen Regenschirm
und ungenügende Uebung im Fluchen zu erwerben, ist also zwölfmal so
tödlich für ihn als ein Krieg.

Demnach verlangt die christliche Nächstenliebe, ja schon die bloße
Menschlichkeit, daß man die Leute sämtlich nach ihrer Heimat
zurückschickt. Wenn, statt der Werber, Krieg, Pestilenz und Hungersnot
bei ihnen einkehrten, würden sie nicht aussterben.

Zum Besten der Inseln des Stillen Ozeans und ihrer Bevölkerung hat
schon vor Zeiten -- das heißt vor fünfundfünfzig Jahren -- ein
redegewaltiger Prophet den Mund aufgetan. Er sprach sogar etwas
allzufrüh. Das Prophetentum ist zwar kein schlechtes Geschäft, aber
es bringt mancherlei Gefahr. Der Prophet, den ich meine, war Seine
Ehrwürden, der Doktor beider Rechte M. Russel aus Edinburgh.

»Soll sich die Flut der Zivilisation nur bis zum Fuß des Felsengebirges
wälzen?« fragt er. »Soll das Licht der Wissenschaft in den Wellen des
Stillen Ozeans untergehen? Nein, der große Schöpfungstag, der vor vier
Jahrtausenden begann, nähert sich endlich seinem Ende, die Sonne der
Menschheit hat den ihr bestimmten Lauf vollbracht. Aber lange bevor
ihre letzten Strahlen im Westen verlöschen, ist ihr Licht schon von
neuem über den Inseln der östlichen Meere aufgegangen ... Wir sehen,
wie sich das Geschlecht Japhets aufmacht, um die Inseln zu bevölkern
und den Grund zu einem neuen Europa und einem zweiten England in den
Regionen des Südens zu legen. Aber vernehmt das Wort der Weissagung:
›Er soll in den Zelten Sems wohnen und Canaan wird sein Diener
sein‹. Sein Diener -- nicht sein Sklave. Der anglosächsischen Rasse
ist das Szepter des Erdballs verliehen, aber weder die Peitsche des
Sklavenvogts noch die Marterwerkzeuge des Henkers. Der Osten soll sich
nicht mit denselben Greueln beflecken wie der Westen; der furchtbare
Krebsschaden einer geknechteten Rasse soll nicht an dem Mark der Söhne
Japhets im Lande der Sonne zehren. Wenn der Brite die Völker, unter
denen er wohnt, nicht zu vernichten, sondern immer mehr zu humanisieren
trachtet, je weiter er vorwärts dringt, wenn er mit ihnen in Eintracht
steht, statt sie zu Sklaven zu machen, dann u. s. w. u. s. w.«

Und er schließt seine Vision mit einem Aufruf aus Thomson:

    »Komm, holder Fortschritt, wandle deine Bahn!
    Mach dir die Welt als Herrscher untertan!« --

Jawohl, der holde Fortschritt ist gekommen, wie wir gesehen haben. Er
hat die Zivilisation, die Waterbury-Uhr, den Regenschirm und die Kunst
des Fluchens mitgebracht, auch einen Mechanismus, um die Völker zu
humanisieren und nicht auszurotten, samt der Sterbeziffer von 180 auf
das Tausend; kurz, er hat alles aufs beste in Gang gebracht.

Aber, der Prophet, der zuletzt das Wort ergreift, ist immer im Vorteil
gegenüber dem Pionier, der das Amt zuerst übernimmt. Hören wir, was der
Missionar Gray sagt:

»Es liegt mir schwer auf dem Herzen, daß eine christliche Nation
wie wir, diese Rassen vertilgt, um sich selbst zu bereichern.«
Und er schließt seine Broschüre mit einer harten Anklage, deren
ungeschminkte, offenherzige Sprache ebenso beredt ist, wie der blumige
Wortschwall seines Vorgängers im Prophetenamt.

»Was ich gegen den Kanaka-Handel mit Queensland einzuwenden habe,«
sagte er, »ist folgendes:

»1. Er wirkt im allgemeinen demoralisierend auf die Kanaken, stürzt sie
in Armut, beraubt sie ihres Bürgerrechts und entvölkert die Inseln,
welche sie bewohnen.

»2. Der Handel schadet dem Ansehen des weißen Arbeiters im
landwirtschaftlichen Betrieb von Queensland und verkürzt jedenfalls
seinen Lohn.

»3. Das ganze System bringt in gesundheitlicher Beziehung große
Gefahren mit sich, sowohl für das Festland von Australien als auch für
die Inseln.

»4. In sozialer und politischer Hinsicht macht die Fortdauer des
Kanaka-Handels jede feste Vereinigung der Kolonien in Australien
unmöglich.

»5. Die gesetzlichen Vorschriften, welche für diesen Handel in
Queensland bestehen, sind ungeeignet zur Verhinderung von Mißbräuchen;
auch werden sie stets mangelhaft bleiben, das liegt schon in der Natur
der Sache.

»6. Das ganze System steht in völligem Widerspruch zu dem Geist und
den Lehren des Evangeliums Jesu Christi, welches uns befiehlt, dem
Schwachen Hilfe zu leisten, während der Kanaka geschunden und mit Füßen
getreten wird.

»7. Der Handel gründet seine Berechtigung auf die Annahme, daß Leben
und Freiheit für einen Farbigen weniger Wert haben als für einen
Weißen. Er hat sich aus der Sklavenjagd entwickelt und wird sich
niemals weit von seinem Ursprung entfernen.«




Siebentes Kapitel.

        Ehrlich währt am längsten, sagt das Sprichwort; aber mit
        dem Schein der Ehrlichkeit kommt man oft sechsmal so weit.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Aus dem Tagebuch.

Seit einigen Tagen durchschiffen wir eine unsichtbare Wildnis von
Inseln und bekommen manchmal die eine oder andere in schattenhaftem
Umriß zu Gesicht. Auf der Karte erscheint das Insel-Gewirr
undurchdringlich und ihre Zahl ohne Ende. Jetzt sind wir mitten in der
Gruppe der Fidschis, die aus 224 Inseln und Inselchen bestehen. Das
Gewirr erstreckt sich westwärts vor uns bis nach Australien, geht im
Bogen hinauf nach Neuguinea und immer weiter bis Japan; hinter uns
dehnt es sich nach Osten durch sechzig Längengrade über den ganzen
Stillen Ozean aus; nach Süden zu liegt Neuseeland. Unter diesen
Myriaden soll auch irgendwo Samoa sein; auf der Karte kann ich es nicht
finden. Wer aber dorthin gehen möchte, braucht nur der Anweisung zu
folgen, die Robert Louis Stevenson dem ~Dr.~ Conan Doyle und Mr. J. M.
Barrie gegeben hat:

»Fahrt nach Amerika,« sagt er, »und quer durch den Kontinent bis San
Francisco, dann noch zweimal links um die Ecke, und ihr seid am Ziel.«
-- Eine nette Beschreibung!

       *       *       *       *       *

_Mittwoch, 11. September._ Wenn man sich einer der Fidschi-Inseln
nähert, sieht man zuerst rings herum einen breiten Gürtel von blendend
weißem Korallensand, dahinter hohe schlanke Palmen, unter denen die
Hütten der Eingeborenen zwischen dem Buschwerk zum Vorschein kommen;
weiter zurück eine Strecke ebenes Land von tropischem Pflanzenwuchs
bedeckt und ganz im Hintergrund die malerischen Formen der wilden
Gebirgszüge. Liegt nun noch im Vordergrund ein altes Wrack hoch oben
auf der Uferklippe -- wie wir es sahen -- so läßt das ganze Bild vom
künstlerischen Standpunkt aus nichts zu wünschen übrig.

Am Nachmittag erblickten wir Suva, die Hauptstadt der Gruppe, und
fuhren in den kleinen geschlossenen Hafen ein, der mit seinen glänzend
blauen und grünen Gewässern im Schutz der umgebenden Hügel still und
friedlich daliegt. Ruderboote schwammen vom Ufer herbei, sie waren
mit Eingeborenen bemannt, den ersten, welche wir zu sehen bekamen.
Daß sie bei der Hitze keine überflüssige Kleidung trugen, konnte man
ihnen nicht verargen. Es waren große, muskelstarke Männer mit dunkler
Haut, ebenmäßigem Gliederbau und klugen, charaktervollen Gesichtern.
Ich glaube kaum, daß man irgendwo unter den farbigen Rassen schöneren
Gestalten begegnen wird.

Wir gingen alle ans Ufer, um die Insel in Augenschein zu nehmen und
eine Mahlzeit am Lande zu halten, was der größte Hochgenuß für einen
Seereisenden ist. Dort sahen wir noch mehr Eingeborene: runzlige alte
Weiber mit flachen Brüsten, junge dralle Dirnen, deren freundlich
lachender Ausdruck und anmutige Bewegungen den wohlgefälligsten Anblick
boten; hübsche junge Frauen von edlem Wuchs, die den Kopf hoch trugen
und in ihrer unbewußten Würde stattlich einhergeschritten kamen;
majestätische junge Männer, wahre Athletengestalten, in lose, weiße
Gewandung gekleidet, welche die bronzefarbene Brust und die Beine nackt
ließ. Auf dem Kopf hatten sie eine förmliche Bürste von dichtem Haar,
das vom Schädel abstand und brennend ziegelrot gefärbt war. Vor kaum
sechzig Jahren steckten sie noch in tiefer, geistiger Finsternis; jetzt
ist das Fahrrad auch bis zu ihnen gedrungen.

Wir schlenderten in den Straßen der kleinen Stadt der Weißen umher und
über die Berge auf Pfaden und Wegen, die zu europäischen Wohnhäusern,
Gärten und Pflanzungen führten. Die großen Blüten der Hibiskussträucher
mit ihrem feurigen Rot blendeten uns förmlich die Augen. Bei einem
alten englischen Kolonisten blieben wir endlich stehen, um ein paar
Fragen an ihn zu richten und uns teilnehmend über die furchtbare Hitze
zu äußern. Darüber verwunderte er sich jedoch höchlich.

»Das nennen Sie heiß?« fragte er. »Da sollten Sie einmal im Sommer hier
sein.«

»Ist denn nicht Sommer? Es sieht doch täuschend so aus. In keinem Lande
der Erde würde man es für etwas Anderes halten. Was fehlt denn daran?«

»Ein halbes Jahr. Wir sind jetzt mitten im Winter.«

Ich litt schon seit mehreren Monaten an Husten und Schnupfen, und ein
so plötzlicher Wechsel der Jahreszeiten mußte mir schädlich sein.
Natürlich erkältete ich mich gleich von neuem.

Vor vierzehn Tagen haben wir Amerika im Sommer verlassen, jetzt ist es
Winter und in einer Woche, bei unserer Ankunft in Australien werden wir
mitten im Frühling sein. Diese plötzlichen Sprünge von einer Jahreszeit
in die andere sind höchst verwunderlich.

Nach Tische traf ich im Billardzimmer einen Bewohner der Insel, dem
ich schon früher in einem anderen Weltteil begegnet war, auch machte
ich ein paar neue Bekanntschaften und wir fuhren zusammen aus, um
den Gouverneur auf seinem Landsitz zu besuchen, der hoch und luftig
gelegen, ein viel behaglicheres Klima hat, als die niederen Regionen,
wo der Winter ein strenges Regiment führt und einem fast das Haar
versengt, wenn man den Hut abnimmt, um zu grüßen. Von dem Hause seiner
Excellenz hat man einen herrlichen Blick über das Meer, die Inseln und
die zackigen Bergspitzen, während ringsum alles wie traumversunken in
jener heiteren, ungestörten Ruhe zu schlummern scheint, welche dem
Leben auf den Inseln des Stillen Ozeans seinen Hauptreiz verleiht.

Einer meiner neuen Bekannten war mir durch seine ungewöhnliche
Größe aufgefallen; ich sah noch bewundernd zu ihm empor, als er
neben dem Gouverneur auf der Veranda stand. Da trat der Diener, ein
Fidschi-Insulaner heraus, um uns zum Tee zu rufen -- und jener große
Mann wurde zum Zwerge. Oder, wenn auch das nicht, so schien doch
der Abstand gewaltig. Der farbige Riese war gewiß ein abgesetzter
Inselkönig. Ich glaube, bei unserem Gespräch dort auf der Veranda wurde
auch erwähnt, daß die eingeborenen Könige und Häuptlinge, sowohl auf
den Fidschi- wie auf den Sandwichinseln viel mächtiger von Gestalt sind
als der gemeine Mann. Die weißen, faltigen Gewänder, in die der Diener
gekleidet war, schienen wie für ihn geschaffen; ein europäischer Anzug
hätte ihm seine Würde und Eigentümlichkeit genommen. Das weiß ich ganz
gewiß, denn es ist bei jedem Menschen der Fall, der unsere moderne
Kleidung trägt.

Man sagt, daß sich die Anhänglichkeit und Verehrung, welche die
Eingeborenen der Person ihres Häuptlings zollten, noch unverändert
erhalten hat. Das Oberhaupt eines Stammes der Fidschianer in der
Hauptstadt ist ein gebildeter junger Herr, der ganz wie ein vornehmer
Europäer gekleidet geht; aber seine Tracht vermag ihm nicht die
Ehrfurcht des Volks zu rauben. Der Stolz auf des Häuptlings hohen Rang
und alte Abkunft besteht fort, trotz seiner verlorenen Herrschermacht
und der Hexenkunst seines Schneiders. Er braucht sich weder durch
Arbeit zu entwürdigen, noch sein Herz mit niederen Erdensorgen zu
belasten; der Stamm schützt ihn vor jedem Mangel und gibt ihm die
Mittel, ein Herrenleben zu führen, um sein Ansehen zu bewahren. Ich
sah ihn unten in der Stadt einen Augenblick im Vorbeigehen. Vielleicht
ist er ein Abkömmling des letzten Königs -- dessen Name so schwer zu
behalten ist und dem man mitten in der Stadt ein großes, steinernes
Denkmal gesetzt hat. Ja so -- Thakombau heißt er, eben fällt es mir
wieder ein. Der Name kommt einem so leicht aus dem Kopf, es ist gut,
daß er auf dem Granitblock steht.

Im Jahre 1874 trat dieser König die Fidschi-Inseln an England ab. Man
sagt, der englische Bevollmächtigte habe den armen Thakombau trösten
wollen, indem er versicherte, die Uebergabe seiner Herrschaft an
England sei nur eine Art Wohnungswechsel, wie ihn der Einsiedlerkrebs
vornimmt, worauf Thakombau die rührende Antwort gab: »Nur mit dem
Unterschied, daß der Einsiedlerkrebs in eine unbewohnte Muschel
kriecht, aber mein Gehäuse ist nicht leer.«

Dem Könige scheint damals übrigens, wie ich gelesen habe, nur die
Wahl zwischen zwei Uebeln freigestanden zu sein. Er schuldete den
Vereinigten Staaten eine große Summe, die er ohne Aufschub bezahlen
mußte, sonst drohte man sein Land mit Krieg zu überziehen. Um die
Fidschianer vor diesem Schicksal zu bewahren, trat er das Land an
Großbritannien ab, und eine Klausel des englischen Vertrags verbürgte
die schließliche Tilgung seiner Schuld an Amerika.

Vor Zeiten war das Volk sehr kriegerisch gesinnt und seinem
Götzendienst mit großem Eifer ergeben. Die Häuptlinge waren stolze
Gebieter und lebten in mancher Hinsicht auf sehr großem Fuße; alle
hatten mehrere Weiber, die vornehmsten oft fünfzig Stück. Starb ein
Häuptling und sollte begraben werden, so erdrosselte man vier oder fünf
seiner Weiber und legte sie zu ihm ins Grab.

Im Jahre 1804 gelang es siebenundzwanzig britischen Sträflingen, von
Australien nach den Fidschi-Inseln zu entkommen; sie brachten auch
Flinten und Schießbedarf mit. Man stelle sich nun vor, welche Macht
diese Waffen ihnen verliehen! Hätten sie verstanden die Gelegenheit zu
benutzen, wären sie tatkräftige nüchterne Menschen gewesen, so war ihre
Herrschaft gesichert -- sie konnten siebenundzwanzig Könige werden,
von denen jeder acht oder neun Inseln unter seinem Szepter hatte.
Allein sie verscherzten ihr Glück und vergeudeten ihr Leben in üppiger
Schwelgerei. Die meisten starben eines gewaltsamen ehrlosen Todes. Nur
einer, ein Irländer Namens Connor, scheint eine Ausnahme gemacht zu
haben. Er hatte den Ehrgeiz, fünfzig Kinder groß zu ziehen, brachte
es aber nur auf achtundvierzig und konnte sich über diesen Mißerfolg
sein Lebenlang nicht zugute geben. Das war eine Habgier seltsamer Art;
mancher Vater wäre sich schon mit 40 Kindern reich genug vorgekommen.

Ja, die Fidschianer sind eine schöne Rasse; auch fehlt es ihnen nicht
an Klugheit und Wißbegierde. Ihre wilden Vorfahren hatten eine Art
Unsterblichkeitslehre -- das heißt, in beschränktem Sinne. Sie glaubten
nämlich, daß ihre toten Freunde nur in ein glückliches Jenseits
hinübergingen, wenn man imstande war, ihre Körperteile zu sammeln.
Das machten sie zur Bedingung. Um dem Missionar zu beweisen, daß
seine Lehre viel zu allgemein und unbegrenzt sei, lenkten sie seine
Aufmerksamkeit auf gewisse, nicht zu bestreitende Tatsachen: Viele
ihrer Freunde, sagten sie, seien zum Beispiel von Haifischen gefressen
worden; die Haifische wären dann ihrerseits von andern Leuten getötet
und verzehrt worden; später wurden diese zu Kriegsgefangenen gemacht
und die Feinde verspeisten sie.

Dadurch seien die ursprünglichen Personen zu Fleisch und Blut der
Haifische und diese zu Bestandteilen der Kannibalen geworden. Wie
sollte man nun die Glieder jener Personen wieder ausfindig machen und
zusammensetzen können? Diese Schwierigkeit verursachte den Fidschianern
tausend Zweifel, und sie waren nicht davon abzubringen, daß die
Missionare die Sache gar nicht mit dem gehörigen Ernst und der ihr
gebührenden Aufmerksamkeit erwogen hätten.

Die Missionare brachten diesen schwer zu befriedigenden Wilden viele
schätzenswerte Dinge bei und lernten auch ihre Vorstellungen kennen,
von denen eine besonders zart und poetisch war. Die armen, einfachen
Naturkinder glaubten nämlich, daß die Blumen, nachdem sie verwelkt
sind, vom Winde emporgetragen werden und droben, auf den himmlischen
Gefilden, ewiglich in unvergänglicher Schönheit blühen!




Achtes Kapitel.

        Er war so bescheiden wie eine Zeitung, wenn sie von ihren
        eigenen Vorzügen spricht.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Ja, das Inselgewirr im Stillen Ozean, wie wir es auf der Karte sehen,
ist eine Täuschung. Weite Meereswüsten liegen zwischen den einzelnen
Gruppen; auch ist noch vieles über die Inseln, deren Bewohner und
Sprachen, bisher unerforscht geblieben. Zum Beweis hierfür erwähne ich
nur die Tatsache, daß vor zwanzig Jahren zwei fremde, einsame Wesen auf
die Fidschis gebracht wurden, die aus einem unbekannten Lande kamen
und eine unbekannte Sprache redeten. Viele hundert Meilen entfernt von
jeder bisher entdeckten Insel, hatte ein vorüberfahrendes Schiff sie in
einem kleinen Kanoe auf dem Meer treiben sehen und an Bord genommen.
Als man sie fand waren sie nichts als Haut und Knochen; niemand konnte
verstehen, was die Leute sagten, und sie haben das Land ihrer Herkunft
nie genannt, wenigstens keinen Namen, der auf irgend einer Karte steht.
Jetzt sind sie dick und wohlgenährt und freuen sich ihres Lebens. Im
Logbuch des Schiffes ist die Länge und Breite eingetragen, unter der
sie gefunden wurden; Aufschluß über ihre verlorene Heimat wird man
vielleicht nie erhalten.[1]

Klingt das nicht höchst seltsam und romantisch? -- Ueberhaupt ist
ja diese Inselwelt der richtige Schauplatz für alle phantastischen,
geheimnisvollen Traumgebilde -- und noch manches andere: Wer in der
großen Welt Schiffbruch gelitten hat beim Kampf ums Dasein, der findet
hier in der erhabenen Einsamkeit, in der Schönheit und tiefen Ruhe der
Natur, was er für sein wundes Herz bedarf; Menschen, welche die Welt
eines Verbrechens wegen ausstößt, Leute, die ein träges, sorgloses
Leben führen möchten, und andere, die gern frei umherschweifen, weil
sie Abenteuer und Abwechslung lieben, sie alle finden hier was sie
brauchen. Auch können Glücksritter, die auf bequeme Weise Geld zu
erwerben und Handel zu treiben wünschen, daneben noch manches Eheband
knüpfen, das nicht allzu fest hält, auch nicht erst vor Gericht mit
vielen Kosten gelöst werden muß. Jeder, der sich in seinem Spaß und
Zeitvertreib nicht beschränken lassen will, gelangt hier mühelos zu
vollem Lebensgenuß.

       *       *       *       *       *

Neu gestärkt und erfrischt segelten wir weiter.

       *       *       *       *       *

Die gebildetste Persönlichkeit bei uns an Bord war ein junger Engländer
aus Neuseeland. Von Beruf Naturforscher, besaß er tiefe, gründliche
Kenntnisse in seinem Fach und betrieb es mit wahrer Leidenschaft. Er
hatte auch eine ziemliche Rednergabe, und wenn er vom Tierreich sprach,
hörte man ihm mit Vergnügen zu. Was er sagte war sehr belehrend, nur
manchmal schwer aufzufassen, weil er allerlei technische Ausdrücke
brauchte, die über unser Verständnis gingen. Wenigstens lagen sie
ganz außerhalb meines Horizonts, aber, da er uns gern erklärte, was
wir nicht begriffen hatten, machte ich mir eine Pflicht daraus,
diese Gelegenheit zur Bereicherung meines Wissens nicht unbenützt
vorbeigehen zu lassen. Ich war zwar in Naturgeschichte für einen Laien
ziemlich bewandert, aber erst durch seinen Unterricht erhielt was ich
wußte, eine klare, wissenschaftliche Form und bekam wirklichen Wert.

Hauptsächlich interessierte er sich für die Fauna Ozeaniens, über die
er ebenso genaue wie erschöpfende Studien gemacht hatte. Von den dort
eingeführten Kaninchen und ihrer wunderbaren Fruchtbarkeit war mir
schon viel zu Ohren gekommen; im Gespräch mit ihm erfuhr ich jedoch,
daß die Kaninchenplage über alle meine Begriffe ging und im Handel
und Verkehr die lästigste Störung verursacht. Er erzählte mir, das
erste Kaninchenpaar, welches man nach Ozeanien brachte, habe sich
so wunderbar vermehrt, daß die Tiere schon nach einem halben Jahr
das ganze Land bedeckten, und man die dichte Masse mit Laufgräben
durchziehen mußte, um von Stadt zu Stadt zu kommen.

Der gelehrte Herr sagte mir auch allerlei von Würmern, vom Känguruh
und andern ~Coleoptera~ und versicherte, er kenne die Geschichte und
Lebensweise aller dieser ~Pachydermata~. Das Känguruh habe Taschen, in
die es seine Jungen hineinstecke, wenn es keine Aepfel fände. Der Emu
wäre so groß wie ein Strauß und sähe diesem ähnlich, er fräße alles
durcheinander, selbst Ziegelsteine. Zwischen einem Dingo und einem Dodo
sei nur der Unterschied, daß sie beide nicht bellten, sonst glichen sie
einander aufs Haar. Aber ein Dingo wäre gar kein Dingo, sondern einfach
ein wilder Hund.

Unter den einheimischen Vögeln, sagte er, sei der schönste der
Paradiesvogel, dann käme der Leierschwanz. Aber, der ›Sonnenvogel‹
sei gar kein Vogel, sondern ein Mensch. ›Sonnenvogel‹ ist nur
die australische Bezeichnung für einen Herumtreiber, Trinker und
Schmarotzer, der zur Zeit der Schafschur unter dem Vorwand Arbeit zu
suchen, das Land durchstreift. Er weiß es dabei so einzurichten, daß
er immer erst nach Sonnenuntergang bei einer Schafweide anlangt, wenn
das Tagewerk zu Ende ist. Was er sucht, ist nur Whisky, Abendbrot,
Nachtlager und Frühstück; das läßt er sich geben und dann verschwindet
er wieder. Der Naturforscher sprach auch vom Glockenvogel, der den
ganzen Tag mit kurzen Unterbrechungen aus der Tiefe des Waldes sein
weiches, wundervolles Geläute ertönen läßt. Der ›Sonnenvogel‹ liebt ihn
sehr und betrachtet ihn als seinen besten Freund; denn, da er weiß, daß
es überall, wo der Glockenvogel sich aufhält, nur Wasser zu trinken
gibt, geht er stets nach einer andern Richtung. Der sonderbarste Vogel
von allen, sagte der Gelehrte, sei der ›lachende Hans‹ und der größte,
die jetzt ausgestorbene Moa. Dieser Riesenvogel war dreizehn Fuß hoch;
er konnte über einen gewöhnlichen Menschen hinwegschreiten und ihm
dabei den Hut samt dem Kopf abreißen. Flügel hatte er nicht, war aber
ein Schnelläufer; die Eingeborenen benützten ihn als Reitpferd, er
konnte hintereinander vierhundert Meilen ohne Ermüdung zurücklegen,
vierzig Meilen die Stunde. Als die Eisenbahn nach Neuseeland kam, lebte
er noch und war als Postbote angestellt. Gleich anfangs führte die
Bahnverwaltung einen Fahrplan ein, wie er noch heutigen Tages besteht,
nämlich wöchentlich zwei Schnellzüge, mit zwanzig Meilen die Stunde. Um
den Postbetrieb zu bekommen, mußte die Eisenbahngesellschaft erst die
Moas vertilgen.

Die seltsamen Abweichungen von den bestehenden Gesetzen, welche sich
die Natur in Australien erlaubt, ließen sich, meinte der Gelehrte, am
besten beim Schnabeltier beobachten, das eine wunderliche Verbindung
von Vogel, Fisch, Amphibium, Grabetier, Reptil, Christ und Vierfüßler
sei. An Vielseitigkeit des Charakters und der Beschaffenheit stehe das
Schnabeltier, auch Ornithorhynchus genannt, weit über allen anderen
Geschöpfen der Welt.

»Man kann es zu jeder Tierart zählen und wird nicht irre gehen,« sagte
er. »Es ist ein Fisch und verbringt sein halbes Leben im Wasser, die
übrige Zeit aber als Landtier auf dem Ufer, und da es nicht weiß,
wo es ihm besser gefällt, ist es ein Amphibium. Es hält Winterschlaf
sobald in der Welt nicht viel los ist und es Langeweile hat, vergräbt
sich auf dem Grunde einer Pfütze im Schlamm und haust dort zur
Abwechslung ein paar Wochen. Zu den Enten gehört es auch, denn es hat
einen Entenschnabel und Schwimmhäute an den Füßen. Fisch und Vierfüßler
zugleich, rudert es mit den Schwimmfüßen im Wasser oder stampft
damit auf dem Lande umher; auch für einen Seehund kann es gelten,
weil es einen Pelz hat wie er. Das Schnabeltier ist Fleischfresser,
Pflanzenfresser, Insektenfresser und Würmerfresser, denn es nährt
sich von Fischen, Gras, Schmetterlingen und allerlei Gewürm, das es
im Schlamm findet. Offenbar ist es ein Vogel, da es Eier legt und sie
ausbrütet, aber auch ein Säugetier, denn es säugt seine Jungen. Daß
es eine Art Christ ist, wird niemand bestreiten, da es Sonntagsruhe
hält, wenn es sich beobachtet weiß, diese Pflicht jedoch unterläßt,
wenn keiner es sehen kann. Es hat Geschmack für alles, nur keinen
geläuterten und nimmt alle Sitten und Gewohnheiten an, die es gibt, mit
Ausnahme der guten.

»Charles Darwin hat die Theorie über die Entstehung der Arten
aufgestellt, nach welcher der Kampf ums Dasein mit dem ›Ueberleben
des Passendsten‹ endet. Das Schnabeltier aber hat das unbestrittene
Verdienst, dies Experiment selbst ausgeführt und damit zuerst den
Beweis geliefert zu haben, daß sich Darwins Theorie auch in der Praxis
bewährt. Beiden gebührt daher der gleiche Ruhm.

»Als die Sündflut kam, flüchtete es sich nicht in die Arche Noäh,
dort würde man seinen Namen vergebens suchen. Nein -- es besaß
Selbstlosigkeit genug, um draußen zu bleiben und an der praktischen
Entwicklung der Theorie zu arbeiten, auch war ja kein Geschöpf der
Welt für dies Werk so gut ausgerüstet wie das Schnabeltier. Die Arche
schwamm dreizehn Monate auf den Wassern, welche die Erde überfluteten,
so daß nirgends Land zu erblicken war. Es gab weder Speise noch Trank
mehr für ein Säugetier; kein Pflanzenwuchs, kein Nahrungsmittel war
übrig geblieben, und das Salzwasser der Meere hatte sich mit den
reinen Fluten des Himmels gemischt, so daß kein gewöhnliches lebendes
Wesen es hätte trinken können. Aber dieser Zustand der Dinge war dem
Ornithorhynchus gerade recht. Das Wasser seiner Flußheimat hatte immer
den Salzgeschmack der Meeresfluten gehabt, und die Wogen, welche über
die Berggipfel dahinrollten, führten zahllose Stämme von Waldbäumen
mit sich. Auf diesen schiffte der Ornithorhynchus friedlich weiter und
schwamm von einer Zone zur andern, von einer Halbkugel zur andern,
in aller Behaglichkeit und Gemütsruhe. Voll Interesse für den stets
wechselnden Schauplatz seiner Fahrt und dankbar für die ihm verliehenen
Vorrechte, verfolgte er in stets wachsender Begeisterung die
Entwicklung der großen wissenschaftlichen Theorie, für deren Wahrheit
er -- wenn ich mich so ausdrücken darf -- bereit war, sein Leben, sein
Glück und seine Ehre einzusetzen.

»So lebte das Schnabeltier in ruhigem Wohlbehagen, wie jemand der
sein genügendes Auskommen hat. Von allem, was es zu einem glücklichen
Dasein bedurfte, mangelte ihm nichts. Wollte es einen Spaziergang
machen, so kroch es auf dem Baumstamm entlang; bei Tage träumte es
unter dem Blätterdach und schlief nachts in dessen Schutz. So oft das
Tier wollte, konnte es ein Schwimmbad nehmen; hatte es Verlangen nach
Pflanzenkost, so fraß es Baumblätter, unter der Rinde grub es nach
Würmern und Larven oder fing es sich einen Fisch; wollte es Eier haben,
so brauchte es sie nur zu legen. Wenn alles Gewürm in einem Baume
verzehrt war, so schwamm es nach einem andern hin, und Fische gab es
stets in solchem Ueberfluß, daß es nur die Qual der Wahl hatte. Bekam
es aber Durst, so schlürfte es mit Wonne die salzige Mischung, an der
ein Krokodil umgekommen wäre.

»Als das Schnabeltier endlich nach seiner dreizehnmonatlichen
Forschungsreise in allen Zonen auf einem Berggipfel gelandet war,
stieg es ans Ufer und dachte stolzen Mutes: ›Mögen die, welche nach
mir kommen, Theorien erfinden, und sich in ihrer Phantasie mit
dem ›Ueberleben des Passendsten‹ beschäftigen; _aber ich habe die
Möglichkeit zuerst durch die Tat bewiesen_.‹

»Dies wunderbare Geschöpf,« fuhr der Gelehrte fort, »stammt gleich
dem Känguruh und vielen andern merkwürdigen Tierarten Australiens
aus einer Erdperiode, in der vom Menschen noch keine Spur vorhanden
war. Damals führte ein viele hundert Meilen breiter und Tausende
von Meilen langer Riesendamm von Australien nach Afrika hinüber;
die Tierwelt beider Erdteile war die nämliche und gehörte jener
geologischen Epoche der Urzeit an, welche die Wissenschaft unter dem
Namen ›alte rote totliegende ~Post-Pleosaurius~-Formation‹ kennt.
Später versank der Riesendamm im Meere und gewaltige Erderschütterungen
hoben das afrikanische Festland um tausend Fuß höher als vormals,
während Australien seinen alten Standpunkt behauptete. In dem neuen
afrikanischen Klima entwickelte sich notwendigerweise auch die Tierwelt
ganz anders und begann die Formen abzustreifen, wodurch neue Familien
und Arten entstanden. Die Tiere in Australien dagegen blieben wie sie
waren, bis auf den heutigen Tag. Auch der afrikanische Ornithorhynchus
hat sich im Lauf einiger Millionen Jahre immer weiter entwickelt und
eine Eigenheit nach der andern abgelegt, bis das ganze Geschöpf in
seine Teile zerfiel und sich zersplitterte. Wenn man jetzt in Afrika
einen Vogel oder Vierfüßler sieht, eine Otter oder einen Seehund, so
kann man darauf wetten, daß es irgend ein Ueberbleibsel des wunderbaren
Urgeschöpfs ist, von welchem ich rede -- das der Inbegriff aller Arten
war und doch keiner einzelnen angehörte -- dem überreich begabten ~E
Pluribus Unum~ der Tierwelt.

»Dies ist die Lebensgeschichte des ältesten und ehrwürdigsten
Geschöpfs, das heutzutage auf Erden lebt, des ~Ornithorhynchus Platypus
Extraordinariensis~, das Gott noch lange erhalten möge!«

Zu so hohem Schwung erhob sich der Naturforscher bisweilen in seiner
Schilderung, wenn er von dem Gegenstand mächtig ergriffen war, und
zwar nicht nur in Prosa, nein, auch in gebundener Rede. Er hatte viele
Verse gemacht und lieh den Passagieren sein Manuskript; ja, er erlaubte
ihnen sogar eine Abschrift davon zu machen. Ein Gedicht, welches mir
am erhabensten von allen erschien, und in dem auch die wenigsten
technischen Ausdrücke vorkommen, will ich hierhersetzen:


Aufforderung.

    Aus deinem Schlammbett komm,
    Du liebes Schnabeltier,
    Und willig gib und fromm,
    Jetzt Red’ und Antwort mir.

    Noch ist mir unbekannt
    Dein Stamm und deine Art,
    Weshalb dein Körperbau
    So ganz und gar apart.

    Du trägst den Biberschwanz,
    Die Schwimmhaut statt der Klaun,
    In deiner Schnauze ist
    Manch scharfer Zahn zu schaun.

    Auch dir, mein Känguruh,
    Mit kurzem Vorderfuß
    Und spitzem Rattenkopf
    Entbiet’ ich meinen Gruß!

    Wer lehrt’ dich kühnen Sprung?
    Wer gab den Beutel dir?
    Geschöpf aus frührer Zeit,
    Warum weilst du noch hier?

    Versteint im Erdenschoß,
    All’ deine Freunde ruhn.
    Was willst in fremder Welt
    Du hier allein noch tun?




Neuntes Kapitel.

        Bemitleidet die Lebenden, beneidet die Toten.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_15. September_ abends. -- Jetzt sind wir dicht an Australien. Sydney
ist nur noch fünfzig Meilen entfernt.

Das hatte ich eben geschrieben, als die Passagiere auf Deck gerufen
wurden, wo es etwas Schönes zu sehen gab. Es war sehr dunkel; das
Auge konnte kaum fünfzig Meter in der Runde über die Meeresfläche
schweifen, weiterhin verdüsterte sich alles und entschwand dem Blick.
Wer aber eine Weile geduldig in die Finsternis hineinschaute, wurde
reich belohnt. Nicht lange da erschien eine Viertelmeile entfernt ein
blendend heller Schein oder Strahl auf dem Wasser, so plötzlich und
mit so wundervollem Glanz, daß man unwillkürlich den Atem anhielt. Die
Lichtmasse dehnte sich rasch im Zickzack bis zur ungeheuern Länge der
fabelhaften Seeschlange aus; man glaubte jeder Bewegung ihres Körpers
folgen zu können. Sowohl das Kielwasser hinter dem Schweif, als auch
die Wellen, die vor dem Kopf dahinschossen, waren wie in Feuersglut
getaucht. Und mit welcher blitzartigen Geschwindigkeit das Ungetüm
daherkam! Ehe man sich’s versah, war der fünfzig Fuß lange, feurige
Drache vorbeigestürmt und im Nu verschwunden. Aber auf demselben
Fleck, von wo er gekommen war, leuchtete es wieder auf; es folgte ein
zweiter Strahl, ein dritter, ein vierter, die sich mit rasender Eile
in Seeschlangen verwandelten. Einmal sahen wir sechzehn zu gleicher
Zeit aufblitzen und auf uns zuschießen. Die sich in zahllosen Windungen
schlängelnden Feuerströme boten einen Anblick von zauberhafter
Schönheit, ein Schauspiel so voller Glut und Glanz, wie es die meisten
jener Zuschauer wohl erst nach ihrem Tode wieder zu sehen bekommen
werden.

Und was war es? -- Nichts anderes als zahlreiche Scharen von Delphinen,
die sich im phosphoreszierenden Meere tummelten. Sie vereinigten
sich gleich darauf zu einem prächtigen, wilden, verworrenen Knäuel
unter dem Bug des Schiffes, wo sie wohl eine Stunde lang ihr
munteres Spiel trieben. Bald schnellten sie in die Höhe, hüpften und
vergnügten sich auf allerlei Weise, bald schossen sie Purzelbäume
vor dem Schiffsschnabel und darüber hinweg ohne sich je zu stoßen
oder den Vordersteven zu berühren, obgleich sie sich ihm stets auf
Zollweite näherten. Es waren Delphine von gewöhnlicher Größe, 8--10
Fuß lang, aber bei jeder Bewegung ihres Körpers schlängelten sich
feurige Schneckenwindungen weithin nach rückwärts über das Wasser.
Dies glänzende Gewirre bot einen geradezu entzückenden Anblick, auch
rührten wir uns nicht von der Stelle, bis das Schauspiel zu Ende war;
dergleichen bekommt man im Leben schwerlich ein zweitesmal zu sehen.
Die Delphine sind zwar stets voller Lust und Beweglichkeit und haben
nichts als Possen im Kopf wie die Spielkätzchen, aber so ausgelassen
wie an jenem Abend hatte ich sie noch nie gesehen, sie waren förmlich
wie betrunken.

Als wir uns Sydney bis auf dreißig Meilen genähert hatten, kam das
große elektrische Licht zum Vorschein, das auf einem der hohen Wälle
angebracht ist. Aus dem winzigen Lichtfunken wurde allmählich eine
Riesensonne, die das dunkle Firmament wie mit einem fernhin leuchtenden
Schwert zerteilte.

Der Hafen von Sydney ist durch eine steile Felswand abgeschlossen, an
welcher der neue Ankömmling auch nicht die kleinste Oeffnung bemerken
kann. Der richtige Eingang liegt in der Mitte, ist aber so leicht zu
übersehen, daß selbst Kapitän Cook vorübersegelte, ohne ihn zu finden;
dicht daneben ist ein falscher, der jenem gleicht und ehemals bei
Nacht dem Schiffer oft gefährlich geworden ist, als die Einfahrt noch
keine Beleuchtung hatte. Auch eins der schrecklichsten Trauerspiele
auf dem wilden, ruchlosen Meer, der denkwürdige Schiffbruch des
›Duncan Dunbar‹ entsprang aus dieser Ursache. Es war ein prächtiges
und sehr beliebtes Segelschiff, welches von einem Kapitän befehligt
wurde, der bei den Passagieren in hoher Gunst stand und sich des
besten Rufes erfreute. In Sydney erwartete man die Rückkunft des
Schiffes von England und zählte die Stunden bis zu seinem Eintreffen,
denn es hatte eine große Menge Mütter und Töchter an Bord, die wegen
der Erziehung der letzteren lange von den Ihrigen getrennt gewesen
waren, und nun Freude und Leben in die verwaisten Heimstätten Sydneys
zurückbringen sollten. In Australien und Indien, wo die Beziehungen
zu dem Mutterlande so zahlreich sind, weiß man mehr als sonstwo was
es heißt, wenn der Mensch Schiffe mit dem Liebsten, das er auf Erden
hat, befrachtet und sie von den tückischen Winden -- nicht vom Dampf
-- befördern lassen muß. Nur dort erfahren die Menschen, wie angstvoll
das Warten ist und wie groß das Entzücken, wenn das Fahrzeug mit ihren
Kleinodien in den sicheren Hafen einläuft und Furcht und Qual vorüber
ist.

An Bord des ›Duncan Dunbar‹ waren die Heimkehrenden eifrig mit
Vorbereitungen beschäftigt, als es zu dämmern begann, denn sie sollten
ja, noch ehe der Tag zu Ende ging, mit ihren Lieben vereint sein.
Frauen und Mädchen legten die Kleider ab, die sie unterwegs getragen
hatten, und schmückten sich aufs beste -- die armen Bräute des Todes!
Aber, sei es nun, daß der Wind sich gelegt hatte oder die Entfernung
falsch berechnet war -- noch kam die Landzunge nicht in Sicht, als
schon das Dunkel hereinbrach. Unter gewöhnlichen Verhältnissen würde
der Kapitän wohl auf offener See geblieben sein, um erst den Morgen
zu erwarten; aber da er die vielen flehenden Blicke sah und auf
allen Gesichtern sich die bitterste Enttäuschung malte, mag ihn sein
Mitgefühl bewogen haben, die schwierige Einfahrt trotz der Finsternis
zu wagen. Schon siebzehnmal war er in den Hafen von Sydney eingelaufen
und glaubte seiner Sache ganz sicher zu sein. So steuerte er denn in
gerader Linie auf die falsche Oeffnung los, die er für die richtige
hielt. Als er seinen Irrtum erkannte, war es bereits zu spät. Das
Schiff war rettungslos verloren, die hochgehende See riß es mit sich
fort und schleuderte es auf die spitzen Klippen am Fuß der Felswand,
daß es mit Krachen zerbarst und zersplitterte. Von der ganzen holden
Schar liebreizender Frauen und Mädchen blieb auch nicht eine am Leben.

Jeder Fremde, welcher an der Unglücksstätte vorbeifährt, bekommt diese
traurige Geschichte zu hören. Sie wird niemals veralten, wie vielen
künftigen Geschlechtern man sie auch noch erzählen mag. Der namenlose
Jammer, welchen sie in sich schließt, muß jedes Herz erschüttern.

Zweihundert Personen befanden sich an Bord, aber nur ein Matrose
entging dem Tode. Eine ungeheure Woge warf ihn an die Felswand, wo
er in halber Höhe auf einem schmalen Klippenvorsprung die Nacht über
liegen blieb. Unter andern Umständen wäre er dort elend verschmachtet,
da seine Auffindung undenkbar schien. Allein, als sich am andern
Morgen die entsetzliche Nachricht verbreitete, daß der ›Duncan Dunbar‹
angesichts der Heimat gescheitert sei, strömten die Bewohner der
Stadt scharenweise hinaus und spähten von der Felswand ins Meer.
Da sah einer, der sich weit vorbeugte, den Mann, welcher durch ein
Wunder dem Tode entronnen war. Man brachte Stricke herbei und das
schier unmögliche Rettungswerk gelang. Der Matrose war ein Mensch mit
praktischen Anlagen; er mietete einen Saal in Sydney und stellte sich
dort für ein kleines Eintrittsgeld so lange dem Publikum aus, bis seine
Einnahme den Ertrag der Goldfelder in jenem Jahre überstiegen hatte.

Wir fuhren ein, gingen vor Anker und schifften am andern Morgen unter
manchem Ach und Oh der Bewunderung durch die Buchten und Krümmungen des
schönen, geräumigen Hafens, der ein Wunder der Welt und das Herzblatt
von Sydney ist. Daß die Bewohner stolz auf ihren Hafen sind und kaum
Worte finden können, um ihrer Begeisterung Luft zu machen, ist sehr
begreiflich. Ein heimgekehrter Bürger wollte wissen, was ich dazu
sagte, und ich sprach ihm meine Gefühle nach besten Kräften aus, in
der Hoffnung es würde ihm genügen. Herrlich, rief ich, wunderschön!
Dann aber gab ich unwillkürlich Gott die Ehre. Der Bürger schien jedoch
nicht zufrieden.

»Natürlich ist der Hafen schön,« sagte er, »allein damit ist noch nicht
alles gesagt; Sydney gehört auch dazu, um die Schönheit vollkommen zu
machen, beide zusammen vollenden erst das Ganze. Den Hafen hat Gott
geschaffen, dagegen läßt sich nichts einwenden, aber Sydney ist ein
Werk des Teufels.«

Ich hatte diesem, seinem Freunde, nicht zu nahe treten wollen und
stammelte eine Entschuldigung. Daß Sydney dazu gehörte war ganz
richtig; der Hafen an sich wäre nur halb so schön ohne die Stadt.
Er hat etwa die Form eines Eichenblatts -- in der Mitte eine breite
Fläche des herrlichsten blauen Wassers und rechts und links schmale,
tiefeinschneidende Buchten zwischen hohen, bewaldeten Landzungen,
welche nach beiden Seiten abfallen wie Grabhügel. Auf dem Rücken ihrer
Berge stehen hier und da prächtige Villen, halb im Laubwerk versteckt,
die man mit Entzücken betrachtet, während das Schiff sich der Stadt
nähert. Sydney erhebt sich auf einer Hügelgruppe und deren Ausläufern
in wellenförmigen Linien, welche überall durch Türme, Kirchen und
Prachtgebäude unterbrochen werden, die aus der Häusermasse hervorragen.
Dadurch erhält erst der Gesamteindruck seinen großen malerischen Reiz.

Die schmalen Buchten, die sich, wie gesagt, sehr tief ins Land
hineinerstrecken, winden sich hierhin und dorthin, bis in die
verborgensten Winkel und wimmeln fortwährend von Vergnügungsbooten
mit Gesellschaften, die auf Entdeckungsreisen aus sind, oder irgendwo
Picknicks halten wollen. Zuverlässige Leute sagen, daß, wer diese
Buchten alle durchschiffen will, eine Wasserfahrt von mindestens
siebenhundert Meilen machen muß. Aber, es gibt hier zu Lande auch viele
Lügner, die, wenn sie einmal im Zuge sind zu übertreiben, sich nicht
scheuen, die Behauptung aufzustellen, daß die Meilenzahl doppelt so
groß ist.




Zehntes Kapitel.

        Eure menschliche Umgebung, _die_ macht das Klima.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Der Oktober war vor der Tür, der Frühling hatte sich eingestellt. Alle,
die man fragte, erklärten, daß es Frühling sei, aber in Canada hätte
man ihn, ohne den geringsten Argwohn zu erregen, für Sommer verkaufen
können. Solches Wetter ist bei uns zu Hause wunderschön, wenn man
nämlich einen Aufenthalt im Gebirge oder am Seestrande macht. Aber dort
nannten sie es kühl und behaupteten, wer wissen wolle was Wärme sei,
müsse im Sommer nach Sydney kommen, und um die eigentliche Hitze kennen
zu lernen, brauche man nur etwa tausend Meilen nach Norden zu gehen; in
der Nähe des Aequators legen die Hennen gebackene Eier.

Kapitän Sturt, der große Forschungsreisende, macht folgende
Beschreibung von der Hitze:

»Der Wind, der den ganzen Morgen aus N.O. geblasen hatte, wurde zum
heftigen, alles ausdörrenden Sturm. Ich werde seine verheerende Wirkung
nie vergessen. Zwar suchte ich Schutz hinter einem großen Gummibaum,
aber die glühenden Windstöße waren so entsetzlich, daß ich glaubte, das
_Gras müsse in Brand geraten_. Ein unerträglicher Zustand, der alles
Leben zu vernichten drohte. Die Pferde standen mit dem Rücken nach dem
Winde und senkten die Nase tief zu Boden; sie hatten nicht Muskelkraft
genug, um den Kopf in die Höhe zu halten; alle Vögel waren verstummt,
und die Blätter des Baums, unter dem wir saßen, fielen massenhaft
von den Zweigen. Zur Mittagszeit nahm ich meinen Thermometer, der in
127° geteilt war, aus dem Futteral; das Quecksilber stand auf 125°.
Ich glaubte, das könne nicht richtig sein und legte das Instrument
in die Gabel eines nahen Baumes, wo es dem Einfluß von Wind und
Sonne ausgesetzt war. Als ich eine Stunde später danach sah, war das
Quecksilber bis zur Spitze gestiegen und hatte die Kugel zersprengt,
was wohl noch kein Reisender je zu berichten gehabt hat. Mir fehlen
die Worte, um dem Leser auch nur eine schwache Vorstellung von der
intensiven, atembeklemmenden Glut zu geben, welche während der Zeit
herrschte.«

Wenn solche heiße Winde über Sydney dahinwehen, führen sie manchmal
einen sogenannten ›Staubregen‹ mit sich, der auch in andern Städten
Australiens häufig genug vorkommt. Selbst erlebt habe ich keinen, aber
nach der Schilderung zu urteilen, welche Mr. Gane davon gibt, muß die
Naturerscheinung den in Nevada herrschenden Alkalistaubwirbeln nicht
unähnlich sein.

»Je mehr wir von der Höhe hinabstiegen,« sagt Gane, »um so größer
wurde die Hitze, bis wir die hübsche Stadt Dubbo erreichten, die nur
sechshundert Fuß über dem Meeresspiegel auf einer weiten Ebene liegt
... Bei trockenem Wetter zerkrümelt der Erdboden förmlich und die
Oberfläche bedeckt sich mit einer dicken Staubschicht. Weht nun der
Wind aus einer gewissen Richtung, so hebt er die ganze Schicht in einem
Stück in die Luft empor, gleich einer langen, schwärzlichen Wolke.
Bei solchem Staubregen kann man die Hand kaum vor Augen sehen, und der
Unglückliche, den er im Freien überrascht, muß so schnell wie möglich
ein schützendes Obdach suchen. Jede gute Hausfrau, welche die dunkle
Säule im Wirbel auf ihr Heim zusteuern sieht, beeilt sich, Türen und
Fenster zu schließen. Eine Dame, die mehrere Jahre in Dubbo wohnte, hat
mir gesagt, daß wenn man aus Nachlässigkeit das Fenster des Wohnzimmers
beim Staubregen offen läßt, der Staub so dick auf dem Teppich liegt,
daß man ihn mit einer Schaufel fortschaffen muß.«

Wahrscheinlich in ganzen Wagenladungen. Nein, so schlimm ist es in
Nevada doch nicht.




Elftes Kapitel.

        Leben ist Leiden. Selbst die verborgene Quelle des Humors
        ist nicht Freude, sondern Schmerz. Es gibt keinen Humor im
        Himmel.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Kapitän Cook hat Australien im Jahre 1770 entdeckt und achtzehn Jahre
später gründete die britische Regierung ihre dortige Sträflingskolonie.
Alles in allem wurden im Lauf von dreiundfünfzig Jahren 83,000
Sträflinge nach Neusüdwales eingeschifft. Sie trugen schwere Ketten,
wurden schlecht genährt und von ihren Aufsehern arg mißhandelt. Bei
der geringsten Uebertretung der Regel drohten ihnen harte Strafen; sie
standen unter der ›grausamsten Zucht, die je geübt worden ist‹, sagt
ein Schriftsteller.

Damals kannte das englische Gesetz kein Erbarmen. Für geringfügige
Vergehen, die heutzutage mit einer kleinen Geldbuße oder ein paar
Tagen Gefängnis bestraft würden, schickte man Männer und Frauen auf
sieben oder vierzehn Jahre bis ans andere Ende der Welt und für schwere
Verbrechen auf Lebenszeit.

Kinder, die ein Kaninchen gestohlen hatten, kamen auf sieben Jahren
nach der Strafkolonie.

Als ich vor dreiundzwanzig Jahren in London war, hatte man eben eine
neue Strafe eingeführt, um dem Garrottieren und der Mißhandlung
von Ehefrauen Einhalt zu tun -- fünfundzwanzig Hiebe mit der
neunschwänzigen Katze auf den nackten Rücken. Man sagt, diese
furchtbare Strafe habe auch den verstocktesten Bösewicht bekehrt, und
kein Mensch sei je imstande gewesen, nach dem neunten Hiebe seine
Gefühle noch für sich zu behalten; gewöhnlich fing das Klagegeheul
schon früher an. Die Wirkung des Gesetzes auf die Garrottierer und
schlechten Ehemänner war ganz vortrefflich, aber es kam dem modernen
London zu unmenschlich vor und wurde wieder aufgehoben. Manches arme,
zerschlagene englische Eheweib hat seitdem Anlaß gehabt, diese grausame
Nachsicht einer sentimentalen Menschlichkeit bitter zu beklagen.

Fünfundzwanzig Hiebe! In Australien und Tasmanien erhielt der Sträfling
fünfzig für jedes kleine Vergehen; oft fügte ein roher Beamter noch
fünfzig hinzu und abermals fünfzig, solange das unglückliche Opfer
die Qual aushielt ohne den Geist aufzugeben. In einer alten amtlichen
Urkunde habe ich von einem Fall in Tasmanien gelesen, wo ein Sträfling,
der ein paar silberne Löffel gestohlen hatte, dreihundert Hiebe
erhalten hat. Und das war noch nicht die höchste Zahl. Wer teilte sie
aber aus? Häufig ein anderer Sträfling, zuweilen der beste Kamerad des
Unglücklichen, und er mußte die Peitsche mit allem Nachdruck führen,
sonst bekam er sie selber zu kosten zum Lohn für sein Erbarmen,
ohne daß er dem Freunde damit einen Dienst geleistet hätte. Das
Strafinstrument wanderte nur in eine andere Hand, bis das Urteil in
vollster Ausdehnung vollzogen war.

Das Sträflingsleben in Tasmanien war so unerträglich, und ein
Selbstmord so schwer auszuführen, daß die Menschen in ihrer
Verzweiflung sich zuweilen zusammentaten und durch das Los bestimmten,
wer von ihnen einen aus ihrer Zahl töten sollte, damit dem Leben des
Mörders und der Augenzeugen seiner Tat durch Henkers Hand ein Ende
gemacht würde.

Dies sind nur Beispiele aus einer ganzen Flut ähnlicher Fälle, nur
schwache Andeutungen, welche die Unsumme von Leiden ahnen lassen, die
das Sträflingsleben mit sich brachte und von denen wir uns schaudernd
abwenden.




Zwölftes Kapitel.

        Wir können uns das Wohlgefallen anderer Menschen sichern,
        wenn wir uns nichts zu schulden kommen lassen und ihnen zu
        Diensten sind; aber unser eigener Beifall ist hundertmal
        mehr wert, und es ist noch kein Mittel entdeckt worden, uns
        den zu sichern.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Vier Jahre nach Ankunft der ersten Sträflinge zählte die Kolonie
deren etwa 2500. Einige -- vielleicht eine ziemliche Menge -- waren
wohl sehr schlechte Menschen, selbst für die damalige Zeit; aber die
meisten werden vermutlich nicht viel verderbter gewesen sein, als es
die Leute, die daheim blieben, im allgemeinen waren. Wir können kaum
umhin das zu glauben. Ein Volk, das es unentwegt mit ansehen konnte,
wie man Frauen, die von Frost und Hunger getrieben ein Stück Speck oder
einen alten Lumpen stahlen, an den Galgen brachte, wie man Knaben ihrer
Mutter und den Vater seiner Familie entriß, um sie wegen ähnlicher
kleiner Vergehen auf lange Jahre in die Strafkolonie zu schleppen --
ein solches Volk läßt sich doch unmöglich als ›zivilisiert‹ bezeichnen.
Auch muß sein Fortschritt in der Zivilisation weder rasch noch
bedeutend gewesen sein, da alle wußten wie es jenen Unglücklichen in
der Verbannung erging und sich vierzig Jahre lang ruhig darein ergaben.

Wenn wir uns zudem noch den Charakter und das Verhalten der hohen
Herren und der Beamten vergegenwärtigen, welche für Aufsicht, Ernährung
und Zucht der Sträflinge zu sorgen hatten, so finden wir auch da keinen
wesentlichen Unterschied der Moral oder Gesittung im Vergleich mit den
Sträflingen selbst oder ihren Volksgenossen im Heimatland. Sie standen
so ziemlich alle auf der gleichen Stufe.

Nicht lange, so begannen sich auch freiwillige Ansiedler in der Kolonie
niederzulassen, und diese sowohl als die schon beträchtliche Anzahl der
Deportierten, bedurften des Schutzes für den Fall, daß Zwistigkeiten
unter ihnen selbst oder mit den Eingeborenen entstünden. Letztere
kamen auch einigermaßen in Betracht, wiewohl sie sehr wenig zahlreich
waren. Zu einer Zeit, als man sie noch ziemlich ungestört ließ, weil
sie niemand im Wege standen, rechnete man in Neusüdwales etwa einen
Eingeborenen auf ein Gebiet von 45,000 Morgen.

Wie sollte man die Kolonie schützen? Kein Offizier der regulären
Armee hätte sich um einen Dienst am andern Ende der Welt beworben,
bei dem weder Ehre noch Auszeichnung zu holen war. So sah sich denn
England genötigt, eine Art uniformierter Bürgermiliz auszurüsten und
einzuschiffen, das sogenannte ›Korps von Neusüdwales‹, das aus tausend
Mann bestand.

Für die Kolonie war das ein furchtbarer Schlag, der sie fast zu Boden
schmetterte. Anschaulicher hätte der moralische Zustand Englands
außerhalb der Gefängnisse gar nicht dargestellt werden können, als
durch diese Korps. Die Kolonisten zitterten vor Angst, daß man ihnen
nächstens auch noch eine Schiffsladung von Adligen herüberbringen würde.

Anfänglich vermochte die Kolonie sich noch nicht selbst zu erhalten.
Nahrung, Kleidung und alle andern Lebensbedürfnisse wurden aus England
geschickt und in großen Warenhäusern der Regierung aufgestapelt. An
die Sträflinge verteilte man was sie brauchten, und den Ansiedlern
verkaufte man es mit einem kleinen Profit über den Selbstkostenpreis.
Diesen Umstand machte sich das Korps zu nutze. Sämtliche Offiziere
begannen Handel zu treiben und zwar auf völlig gesetzlose Weise. Allen
Warnungen und Verboten der Regierung zum Trotz führten sie Spirituosen
ein und errichteten eigene Branntweinbrennereien im Lande. Sie
schlossen einen Bund, der den Markt beherrschte und die Regierung samt
allen andern Händlern boykottierte; auch verstanden sie es, ihr Monopol
streng aufrecht zu erhalten. Kam ein mit Rum befrachtetes Schiff an,
so wurde außer ihnen kein Käufer zugelassen, und sie zwangen den
Eigentümer, seine Ladung zu dem niedrigen Preise herzugeben, welchen
sie bestimmten. Durchschnittlich kauften sie den Rum zu zwei Dollars
die Gallone und verkauften ihn zu zehn Dollars; ja, sie machten den
Rum zur Hauptwährung im Lande, denn Geld gab es damals so gut wie gar
nicht. Achtzehn oder zwanzig Jahre lang beherrschten sie die Kolonie
ausschließlich und setzten ihren verderblichen Einfluß fort, bis es
endlich der Regierung gelang, sie zu besiegen und zu vernichten.

Es kann kaum Wunder nehmen, daß sich bei diesen Verhältnissen die
Trunksucht unter der gesamten Einwohnerschaft verbreitete; mancher
Ansiedler hatte seine Farm nach und nach gegen Rum verschachert, und
die Offiziere des Korps waren steinreich geworden. Wenn ein Farmer
sich vor Durst nicht mehr zu lassen wußte, nahmen sie ihren Vorteil
wahr, um ihn bis aufs Blut zu schinden. Einmal verkauften sie einem
Mann eine Gallone Rum, die zwei Dollars wert war, für ein Grundstück,
dessen Preis später bis auf 100,000 Dollars stieg.

Als die Kolonie etwa zwanzig Jahre lang bestanden hatte, entdeckte
man, daß sich das Land vorzüglich zur Schafzucht eigne. Damit war sein
Wohlstand begründet, es trat mit seiner Wolle in den Welthandel ein;
bald fand man auch reiche Schätze an Edelmetallen, Einwanderer strömten
herbei, auch Kapitalien blieben nicht aus.

So hat sich im Laufe der Zeit das große, begüterte und aufgeklärte
Staatswesen von Neusüdwales gebildet. Bergbau, Schafzucht, Straßen-
und Eisenbahnen, Dampferlinien, Zeitungen, Schulen, Universitäten,
botanische Gärten, Bildergalerien, Bibliotheken, Museen, Hospitäler
-- alles ist dort in Fülle vorhanden. Jede Art von Kultur, jedes
praktische Unternehmen findet Anklang und bereitwillige Förderung;
Kirchen gibt es wie Sand am Meere, und Rennbahnen im Ueberfluß.




Dreizehntes Kapitel.

        Durch Erfahrung sollen wir zwar klüger werden, aber nicht
        allzu klug. Eine Katze, die sich einmal auf den heißen
        Ofendeckel gesetzt hat, vermeidet den Platz in Zukunft und
        tut recht daran. Aber sie will sich auch auf keinen kalten
        Ofendeckel setzen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


In allen Kolonien, wo Englisch gesprochen wird, herrscht die
überschwenglichste Gastfreundschaft; auch Neusüdwales mit seiner
Hauptstadt bildet keine Ausnahme von dieser Regel, wie ich aus eigener
Erfahrung bezeugen kann.

Sydney hat 400,000 Einwohner, und einem Fremden, der aus Amerika kommt,
fällt zuerst auf, daß die Stadt achtmal so groß ist als er erwartet
hatte. Bei näherer Betrachtung findet er dann, daß sie ganz englisch
ist, mit amerikanischem Aufputz. Kommt er später nach Melbourne, so
erinnert ihn dort auch der Baustil häufig an Amerika, und man könnte
ihm leicht weiß machen, eine Photographie des prächtigsten Teils der
Geschäftsgegend stelle das Straßenbild einer großen amerikanischen
Stadt dar.

Man sagte mir, daß die schönsten Gebäude Eigentum der Squatter sind
und von ihnen bewohnt werden, wenn sie zur Stadt kommen. Da sieht man
recht, welchen Einfluß eine Veränderung von Klima und Lebensart nicht
nur auf die Tiere, sondern auch auf die Wörter haben kann. Wenn wir
in Amerika von einem Squatter reden, so meinen wir immer einen armen
Menschen, aber in Australien versteht man darunter einen Millionär. Bei
uns besitzt der Squatter höchstens ein paar Morgen, und oft ist sein
Rechtstitel obendrein zweifelhaft, in Australien hat die Grenzlinie
seines Grundstücks die Länge einer Eisenbahn; bei uns gehören dem Manne
vielleicht zwei Dutzend Stück Vieh, in Australien zwischen 50,000 und
einer halben Million. In Amerika ist der Squatter ein Mensch ohne
Einfluß und Ansehen, niemand nimmt den Hut vor ihm ab; in Australien
tut man das immer, denn er ist ein hochgeehrtes und wichtiges Mitglied
der Gesellschaft. Hat man bei uns einen Onkel, der Squatter ist, so
übergeht man es mit Stillschweigen; in Australien hängt man es an die
große Glocke. Die Freundschaft mit einem Squatter nützt in Amerika
nichts; aber wer in Australien einen Freund hat, der Squatter ist, kann
mit Königen zu Nacht speisen, wenn gerade welche in der Umgegend sind.

In Australien braucht man zum Unterhalt für ein Schaf etwa drittehalb
Morgen Weideland, (manche Leute sagen doppelt so viel); hat nun ein
Squatter eine halbe Million Schafe, so ist sein Grundbesitz nach
ungefährer Schätzung so groß wie der Staat Rhode Island. Der Wollertrag
bringt ihm jährlich vielleicht eine halbe oder eine Viertelmillion
Dollars ein.

Meistens bewohnt er seinen Palast in Melbourne, Sydney oder einer
anderen großen Stadt und macht nur dann und wann Ausflüge zu den
Schafherden in seinem Reich, das viele hundert Meilen entfernt auf der
weiten Ebene liegt, um nach den Scharen seiner berittenen Aufseher,
Hirten und andern Hilfsmannschaften zu sehen. Dort hat er ein
geräumiges Wohnhaus, und wenn er jemand besonders wohl will, so ladet
er ihn auf eine Woche bei sich zu Gaste. Er macht es ihm behaglich,
zeigt ihm seinen großen Industriebetrieb bis ins einzelne, speist,
trinkt und raucht mit ihm und setzt ihm von allem das Beste vor, was
nur für Geld zu haben ist.

Auf einem dieser riesigen Landgüter liegt eine ziemlich große Stadt,
die ich selbst gesehen habe. Man findet dort alle Geschäfte und
Gewerbe vertreten, welche die Menschen zu betreiben pflegen; die Stadt
selbst aber und der Grund und Boden, auf dem sie erbaut ist, sind
Eigentum des Squatters. Vermutlich gehört das gar nicht einmal zu den
Ausnahmefällen. Australien liefert der Welt nicht nur schöne Wolle,
sondern auch Hammelfleisch. Die neue Erfindung des Transports ganzer
Schiffsladungen gefrorenen Fleisches hat diesen großartigen Handel
erzeugt. In Sydney besuchte ich ein Exporthaus, wo man täglich tausend
Hammel schlachtet, reinigt und fest gefrieren läßt, um sie nach England
einzuschiffen.

Zwischen Australiern und Amerikanern kann ich, weder was Kleidung,
Lebensart, Sitte, Aussprache, noch ihr Wesen im allgemeinen betrifft,
einen nennenswerten Unterschied finden. Vorübergehend erinnern die
Australier zwar an ihren englischen Ursprung, aber durchaus nicht so
stark, daß es auffallend wäre. Sobald der Fremde vorgestellt ist,
bekommt der Verkehr einen ungezwungenen, herzlichen Anstrich, was ganz
amerikanisch ist. Englische Steifigkeit und englisches Selbstbewußtsein
fallen fort, wenn ich so sagen darf, und nur die englische
Freundlichkeit bleibt noch übrig.

Auch daß in den Familien das Tischgespräch lebhaft und natürlich ist,
ohne Zwang und Förmlichkeit, erinnert an Amerika. Das bringt wohl der
streng demokratische Geist mit sich, der in Australien vorherrscht und
alles steife Wesen, das aus dem Unterschied des Ranges entspringt, von
vornherein ausschließt.

Sowohl in England wie in den Kolonien findet der Vorleser bei seiner
Zuhörerschaft eine merkwürdig lebhafte und verständnisvolle Aufnahme.
Wo sich in England die Massen versammeln, schwindet der Kastengeist und
mit ihm die englische Zurückhaltung. Für den Augenblick ist völlige
Freiheit und Gleichheit hergestellt; ja, der Einzelne fühlt sich so
sehr aller Fesseln entledigt, daß er die gewohnte Vorsicht vergißt
und seinen augenblicklichen Gefühlen ungehindert freien Lauf läßt.
Er klatscht ganz allein Beifall, wenn ihm danach zu Mute ist -- eine
Kühnheit, die man in der übrigen Welt nur höchst selten antrifft.

Macht man dagegen die Bekanntschaft des Engländers, wenn er allein ist
oder in eine kleine, ihm fremde Gesellschaft tritt, so bleibt er ernst
und verschlossen. Er ist dann stets auf der Hut und läßt sich durch
nichts von seinem gemessenen Wesen abbringen. Dadurch ist er in den
falschen Ruf gekommen, daß er überhaupt weder Sinn noch Verständnis
für den Humor hat. Natürlich sind englischer und amerikanischer Humor
wesentlich verschieden, aber auch letzterer stammt doch ursprünglich
aus England und ist nur durch neue Verhältnisse und eine andere
Umgebung beeinflußt worden. Ich habe nie humoristischere Tischreden
gehört, als gerade in Neusüdwales. Die eine hielt ein Engländer im
Klub, die andere ein Australier.




Vierzehntes Kapitel.

        Es gibt Leute, welche die Schuljungen oberflächlich und
        leichtsinnig schelten. Und doch war es ein Schuljunge, der
        gesagt hat: ›Glauben ist, wenn man was glaubt und dabei
        weiß, es ist nicht so.‹

            _Querkopf Wilsons Kalender._


In Sydney hatte ich einen Riesentraum, den ich einem Missionar
erzählte, welcher aus Indien kam und seine Verwandten in Neuseeland
besuchen wollte.

Mir träumte nämlich, das sichtbare Weltall sei die leibliche
Erscheinung Gottes; die großen Himmelskörper, die wir in Entfernungen
von vielen Millionen Meilen von einander am Firmamente funkeln sehen,
wären die Blutkügelchen in seinen Adern, und wir und die anderen
Geschöpfe die Mikroben, durch welche das Blut auf tausendfältige Art
belebt wird.

Herr X., der Missionar, dachte eine Weile nach, dann sagte er: »An
Großartigkeit hat der Traum jedenfalls nicht seinesgleichen, denn er
umfaßt das ganze Universum. Auch scheint mir, daß er als Erklärung
für etwas gelten kann, was sonst beinahe unerklärlich ist -- nämlich
für den Ursprung der heiligen Sagen der Hindus. Vielleicht haben die
Hindus sie auch nur geträumt und beim Erwachen geglaubt, es seien
göttliche Offenbarungen. Es hat ganz den Anschein, denn ihr Maßstab ist
von so ungeheurer Größe, daß man unmöglich annehmen kann, die Priester
hätten mit wachen Sinnen diese kolossalen Phantasiebilder ausgeklügelt.«

Er erzählte mir verschiedene Sagen, an welche, wie er behauptete, alle
Hindus, selbst in den höchsten und gebildetsten Klassen, felsenfest
glaubten; und gerade diese Leichtgläubigkeit hielt er für ein großes
Hindernis bei dem Missionswerk.

»Zu Hause können die Leute nicht begreifen, warum das Christentum in
Indien so langsame Fortschritte macht,« sagte er. »Man hat gehört,
daß die Hindus leicht zu überzeugen sind und eine natürliche Vorliebe
für Wunder haben. Da meinen nun viele, man brauche nur die Wahrheiten
des Christentums zu verkünden und durch die biblischen Wunder zu
bekräftigen, dann würden die Hindus sich bekehren und alle ihre Zweifel
überwunden sein. Aus der Tatsache, daß das Christentum so wenig Eingang
in Indien findet, zieht man den sehr natürlichen Schluß, daß wir schuld
daran sind, weil wir die Lehren und Wunder nicht mit dem nötigen Eifer
verbreiten.

»Aber die Sache ist keineswegs so einfach, wie der Laie denkt. Die
Aufgabe wird uns dadurch erschwert, daß wir -- um ein kriegerisches
Bild zu brauchen -- zwar gutes Pulver in den Kanonen, aber statt
der Kugeln nur einen Ladepfropfen haben. Das heißt -- unsere Wunder
machen keinen Eindruck; die Hindus sind gleichgültig dagegen, weil
sie selbst viel merkwürdigere haben. Ihre eigene Religion wird in
allen Einzelheiten durch Wunder belegt, und wir müßten ihnen auch
für unsere sämtlichen Glaubenssätze auf die gleiche Art den Beweis
liefern. Als ich meine Missionsarbeit in Indien begann, unterschätzte
ich die Schwierigkeiten der Aufgabe bedeutend, aber ich wurde bald
eines Besseren belehrt. Gleich unsern Freunden daheim glaubte ich,
man könne die kindlich Wundersüchtigen am besten zur Aufnahme des
Evangeliums bewegen, wenn man ihnen als Vorbereitung staunenerregende
Wundergeschichten erzählte. So begann ich denn voller Vertrauen ihnen
von den Wunderdingen zu berichten, die Simson -- der stärkste Mann, den
es je gegeben -- vollbracht hat.

»Zuerst malte sich die lebhafteste Spannung in den Mienen meiner
Zuhörer, aber als ich weiter in der Geschichte kam, sah ich zu meiner
Betrübnis, wie das Interesse der Leute sich mehr und mehr verringerte.
Das war mir unverständlich; es überraschte und enttäuschte mich in
hohem Grade. Zuletzt verwandelte sich das schwindende Interesse sogar
in völlige Gleichgültigkeit, die bis zum Schluß unverändert blieb,
trotz aller meiner Bemühungen.

»Ein guter, alter und sehr gebildeter Hindu klärte mich über den
Sachverhalt auf: ›Wir Hindus,‹ sagte er, ›erkennen einen Gott an
dem Werk seiner Hände -- ein anderes Zeugnis gibt es für uns nicht.
Offenbar ist das bei euch Christen auch der Fall. Wenn jemand Dinge
tut, die er als Mensch nicht vollbringen könnte, so wissen wir, daß
ein Gott ihm dazu die Kraft verleiht. Mir scheint, auch die Christen
haben kein anderes Mittel, um zu sehen, ob ein Mensch aus eigener Macht
handelt oder als Werkzeug eines Gottes. Ihr erkanntet, daß in Simsons
Haar eine übernatürliche Macht lag, denn sobald er es verloren hatte,
war er nicht stärker als alle andern Menschen. Wie gesagt, so machen
wir es auch. Es gibt viele Völker in der Welt, und jede Völkergruppe
hat ihre eigenen Götter und betet die fremden Götter nicht an. Jedes
Volk hält seine Götter für die stärksten und vertauscht sie nur mit
andern Göttern, wenn diese erwiesenermaßen größere Kraft besitzen. Der
Mensch ist ein schwaches Geschöpf, er braucht die Hilfe der Götter --
ohne sie vermag er nichts. Soll er nun sein Geschick schwachen Göttern
anvertrauen, wenn es stärkere gibt? Das wäre Torheit. Nein, wenn er
vernimmt, daß andere Götter stärker sind als seine eigenen, so soll
er sich taub dagegen stellen, denn es ist eine Sache von größter
Wichtigkeit. Aber, wie läßt sich erkennen, ob seine Götter stärker sind
oder die der anderen Völker? -- Es gibt nur ein Mittel: er muß die ihm
bekannten Werke seiner Götter mit den Taten der fremden Gottheiten
vergleichen. Das tun wir, und fühlen uns gerade deshalb nicht zu den
Göttern irgend eines andern Volkes hingezogen. Aus den Werken unserer
Götter ersieht man, daß sie am stärksten und mächtigsten sind. Die
Christen haben nur wenige Götter, die obendrein neu sind und nach
unserer Meinung nicht sehr stark. Zwar wird sich ihre Zahl vermehren,
denn das ist bei allen Göttern geschehen, aber erst in langer, langer
Zeit, wenn viele Jahrhunderte vorbei sind. Die Zahl der Götter nimmt
langsam zu, was ja ganz natürlich ist, da für sie tausend unserer Jahre
nur ein Augenblick sind. Zwischen der Geburt unserer Götter liegen
Millionen von Jahren. Auch ihre Kraft wächst nur allmählich. Im Lauf
der Jahrtausende hat sich die Stärke unserer Götter aufs wunderbarste
vergrößert. Dafür haben wir zahllose Beweise, teils durch ihre eigenen
Werke, teils durch die Taten gewöhnlicher Menschen, denen sie göttliche
Kraft verliehen. Auch euer Simson besaß übernatürliche Stärke; als er
die Seile von frischem Bast zerriß, Tausende mit dem Eselskinnbacken
tötete und die Tore der Stadt auf seinen Schultern forttrug, ergriff
euch Staunen und Entsetzen, weil ihr wußtet, daß nur ein Gott ihm
solche Stärke geben konnte. Aber von den Hindus ließ sich nicht
erwarten, daß sie sich über diese Kraftproben verwundern sollten. Sie
haben dieselben natürlich mit dem verglichen, was Hanuman vollbrachte,
als die Götter seine Muskeln mit ihrer Kraft begabten, und da machte
ihnen Simson keinen Eindruck mehr -- wie Sie gesehen haben.

»›In uralter Zeit nämlich, vor vielen Jahrhunderten, als unser Gott
Rama mit dem bösen Gott von Ceylon Krieg führte, beschloß er, das
Meer zu überbrücken, um Ceylon und Indien zu verbinden, so daß seine
Heere bequem hinüberschreiten könnten. Er schickte seinen Feldherrn
Hanuman aus, um die Bausteine zur Brücke herbeizuschaffen und gab ihm
göttliche Kraft, wie sie euer Simson hatte. In zwei Tagen legte Hanuman
fünfzehnhundert Meilen bis zum Himalaya zurück, nahm eine zweihundert
Meilen lange Kette dieses hohen Gebirges auf seine Schultern und machte
sich damit auf den Weg nach Ceylon.

»›Es war Nacht, und als er über die Ebene kam, hörten die Bewohner
von Govardhun, wie das Erdreich unter dem Donner seiner Fußtritte
erbebte. Da liefen sie hinaus und sahen den Himalaya mit seinen gen
Himmel ragenden Schneegipfeln vorüberziehen! Auf den Abhängen des
riesigen Gebirges funkelten die Lichter von tausend schlummernden
Dörfern; es sah aus, als kämen sämtliche Sternbilder in langem Zuge
durch die Luft geflogen. Während die Leute noch gaffend dastanden,
stolperte Hanuman, und bei der Erschütterung riß sich ein kleiner,
zwanzig Meilen langer Bergrücken von rotem Sandstein los und fiel
zu Boden. Jetzt, nach vielen Jahrhunderten, ist er zwar zur Hälfte
verschwunden, aber die andern zehn Meilen stehen noch heutigen Tages
in der Ebene von Govardhun, als ein Zeugnis von der Macht, welche
unsere Götter den Sterblichen verleihen können. Daß Hanuman das
Gebirge nur durch göttliche Kraft nach Ceylon tragen konnte, liegt
auf der Hand. Seine eigene Stärke hätte dazu nicht genügt; also weiß
man, daß ihm die Götter ihre Kraft gaben, so gut wie man von Simson
weiß, daß er die Stadttore mit göttlicher Kraft und nicht mit seiner
eigenen getragen hat. Zwei Dinge werden Sie mir aber zugeben müssen:
Erstens, daß durch Simsons Kraftprobe der Vorrang eurer Götter vor
den unsrigen nicht erwiesen ist, und zweitens, daß ihr kein anderes
Zeugnis dafür habt, als eure Ueberlieferung, während bei Hanumans
Großtat die Ueberlieferung noch aufs kräftigste durch ein sichtbares
und greifbares Zeugnis festgestellt und bestätigt wird: Wir besitzen
das Sandsteingebirge, und solange es vorhanden ist, kann man nicht an
der Tatsache zweifeln. Habt ihr etwa die Stadttore?‹«




Fünfzehntes Kapitel.

        Wer ängstlich ist, verlangt den zehnten Teil von dem, was
        er haben möchte; wer kühn ist fordert das Doppelte vom
        Normalwert und ist mit der Hälfte zufrieden.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Bei allen öffentlichen Einrichtungen ist man in Australien erstaunlich
freigebig. Städte, die in Amerika durchschnittlich so und so viele
hundert Dollars für ihr Rathaus, ihre Hospitäler, Irrenhäuser, Parks
und botanischen Gärten ausgeben, würden in Australien ebenso viele
Tausende darauf verwenden. Ich habe in einer australischen Ortschaft
von viertausend Einwohnern ein geräumiges, gut ausgestattetes Hospital
in hübschem Baustil gesehen, das ganz auf Kosten der Bürger und
benachbarten Pflanzer errichtet worden ist und auch seine laufenden
Ausgaben von ihnen bezahlt erhält. Dergleichen wäre anderswo
vollkommen unerhört. Das Städtchen stand eben im Begriff, elektrische
Straßenbeleuchtung einzuführen, hatte also London überholt. London wird
noch durch Gas verdunkelt, und die Beleuchtung ist obendrein in manchen
Gegenden zu sehr verteilt; die Gaslaternen stehen so weit auseinander,
daß es eine Kunst ist, sie zu finden, wenn nicht der Mond scheint.

Der botanische Garten von Sydney ist achtunddreißig Morgen groß,
wundervoll angelegt und reich an Gewächsen aus allen Ländern und
Zonen der Welt. Er liegt auf einer Anhöhe mitten in der Stadt, so
daß man den Hafen überblickt, und stößt an die Anlagen, welche zum
Regierungsgebäude gehören. Diese umfassen sechsundfünfzig Morgen
und stehen in Verbindung mit öffentlichen Spielplätzen, deren
Flächeninhalt zweiundachtzig Morgen beträgt. Außerdem gibt es noch den
Zoologischen Garten, die Rennbahn und einen großen Kricket-Platz, wo
die internationalen Wettspiele stattfinden. Man hat also Raum genug, um
in aller Ruhe müßig und beschaulich umherzuliegen oder sich Bewegung zu
machen, wenn man eine derartige Anstrengung vorzieht.

Gesellige Freuden gibt es in Sydney viererlei: Wer sich beim
Gouverneur ins Fremdenbuch schreibt, erhält -- falls gegen seine
Person nichts vorliegt -- eine Einladung zum nächsten Ball, der dort
im Hause stattfindet. Ein solches Fest ist sehr unterhaltend, denn
man trifft da alle Welt, außer dem Gouverneur selbst, und kann neue
Bekanntschaften machen. Der Gouverneur pflegt in England zu sein, wie
immer. Auf dem australischen Continent sind vier oder fünf Gouverneure
angestellt; wie viele gebraucht werden, um die fernen Inselgruppen
zu regieren, weiß ich nicht, jedenfalls kriegt man keinen zu sehen.
Wenn sie ernannt werden, kommen sie aus England, lassen sich feierlich
in ihr Amt einsetzen, geben einen Ball und beteiligen sich an dem
Bittgebet um Regen; dann besteigen sie das Schiff, fahren wieder nach
Hause und überlassen dem Vize-Statthalter alle Arbeit. Ich war drei
und einen halben Monat in Australien und habe nur einen einzigen
Gouverneur gesehen; alle andern waren in der Heimat. Vielleicht würde
der Gouverneur nicht so flüchtig in Australien weilen, wenn seine
Tatkraft dort durch einen Krieg, ein Veto oder dergleichen in Anspruch
genommen wäre, aber das ist nicht der Fall. Krieg gibt es nicht,
ein Veto hat er nicht, und so fehlt es ihm wirklich an genügender
Beschäftigung. Australien zieht vor, sich selbst zu regieren und zwar
mit unermüdlichem Eifer; auch wacht es so argwöhnisch über seine
Unabhängigkeit, daß es alle Vorschläge der kaiserlich britischen
Regierung, ihm dabei zu helfen, eigensinnig von der Hand weist. Das
kaiserliche Vetorecht besteht zwar als Tatsache, aber meist nur dem
Namen nach.

Die Berufsgeschäfte des Gouverneurs sind viel eingeschränkter und daher
anstrengender als in den Vereinigten Staaten. Er ist das scheinbare
Staatsoberhaupt und das wirkliche Haupt der Gesellschaft, der Vertreter
von Kultur, Bildung, Geschmack, feinen Sitten und Religion, die er
durch sein Beispiel fördern muß, damit sie wachsen, blühen und gute
Früchte tragen. Er führt die Moden ein und gibt den Ton an; sein
Ball ist der Ball aller Bälle, und unter seinem Schutz nimmt das
Pferderennen einen gedeihlichen Fortgang. Gewöhnlich ist er ein Lord,
und das trifft sich günstig, denn seine Stellung zwingt ihn, großen
Aufwand zu treiben, und dazu besitzt ein englischer Lord meist die
genügenden Mittel. --

Zweitens kann man sich in Sydney das Vergnügen machen, der Admiralität
einen Besuch abzustatten. Die zierlichen diensttuenden Boote fahren
den Fremden nach dem Gebäude, das auf einer Anhöhe liegt, von der man
ins Meer hinaussieht. Sowohl dort wie auf dem Flaggschiff wird eine
Gastfreundschaft geübt, die dem Empfang beim Gouverneur in keiner Weise
nachsteht. Der kommandierende Admiral auf einer Flottenstation in
britischen Gewässern ist einer der ersten Großwürdenträger des Reichs,
und bewohnt ein Prachtgebäude, wie es seinem Range gebührt.

Die dritte eigentümliche Lustbarkeit, welche Sydney bietet, ist eine
Spazierfahrt im Hafen auf einer schönen Dampfbarkasse. Man wird dazu
von seinen reicheren Bekannten, die ein eigenes Vergnügungsboot
besitzen, häufig eingeladen, und die Fahrt ist so reizend, daß einem
die Zeit wie im Fluge vergeht.

Als vierte Art der Unterhaltung kommt zuguterletzt noch der
Haifischfang. Im Hafen von Sydney wimmelt es von diesen
menschenfressenden Raubfischen; man findet nirgends in der Welt
schönere Exemplare. Viele Leute erwerben ihren Lebensunterhalt mit dem
Fang, denn die Regierung zahlt eine Belohnung dafür. Je größer der Hai,
desto höher ist die Prämie, und manche Fische sind zwanzig Fuß lang.
Man bekommt aber nicht nur das ausgesetzte Geld, sondern darf auch
alles behalten, was sich im Magen des Haifisches findet, und manchmal
ist sein Inhalt wertvoll genug.

So rasch wie der Hai, schwimmt kein anderer Fisch; der schnellste
Dampfer kann sich nicht mit ihm messen. Auch treibt er sich überall in
den Meeren herum und besucht alle Küsten der Erde auf seiner rastlosen
Wanderschaft. Davon kann ich eine Geschichte erzählen, die noch nie
zuvor im Druck erschienen ist:

Im Jahre 1870 kam ein junger Fremdling nach Sydney und begann alsbald
eine Beschäftigung zu suchen; aber er kannte niemand, hatte auch keine
Empfehlungsbriefe und bekam daher keine Arbeit. Zuerst wollte er
ziemlich hoch hinaus, aber als die Zeit verging und sein Geld mehr und
mehr zusammenschmolz, nahmen auch seine Ansprüche ab. Schließlich würde
er gern jede Dienstleistung übernommen haben, um nur sein tägliches
Brot und ein Obdach zu finden; aber das Glück war ihm abhold, nirgends
wollte sich eine Aussicht eröffnen. Endlich war auch sein letztes Geld
ausgegeben; er irrte den ganzen Tag und die folgende Nacht auf den
Straßen umher und zerbrach sich den Kopf, was er anfangen sollte. Alles
Denken war umsonst, es fiel ihm nichts ein und sein Hunger wuchs von
Stunde zu Stunde. In der Morgendämmerung schweifte er ziellos außerhalb
der Stadt am Hafen umher und sah einen Schiffer schlaftrunken am Ufer
sitzen. Als er an ihm vorüberkam, blickte der Mann auf und rief ihm
zu: »Heda, junger Bursche, nehmt einmal meine Angel ein Weilchen,
vielleicht bringt mir das Glück.«

»Wenn’s Euch aber Unglück brächte?«

»Das glaub’ ich kaum. Schlimmer wie’s heute nacht gewesen ist, kann’s
sowieso nicht werden. Also versucht’s nur getrost.«

»Gut, es gilt. Aber was bekomm’ ich dafür?«

»Den Haifisch, wenn Ihr einen fangt.«

»Einverstanden! Ich glaub’, ich würd ihn verzehren samt allen Gräten.
Her mit der Angel!«

»Da habt Ihr alles. Jetzt geh ich eine Strecke weiter, um Euch den Fang
nicht zu verderben, denn ich weiß aus Erfahrung -- oho! zieht die Leine
ein, rasch, rasch, ein Fisch hat angebissen. Hab’ mir’s doch gleich
gedacht! Sobald ich Euch zu Gesicht bekam, wußt’ ich, daß Ihr ein
Glückskind seid. Nun, da haben wir ihn ja -- am Land ist er!«

Es war ein ungewöhnlich großer Hai, wohl neunzehn Fuß lang, wie der
Fischer sagte, während er dem Tier den Bauch aufschnitt.

»Nehmt nur alles heraus, junger Mann; es finden sich da manchmal Dinge,
die gar nicht zu verachten sind. Ich will einstweilen einen neuen
Köder aus dem Korb holen und dann versuchen, ob mir das Glück jetzt um
Euretwillen günstig ist.«

Als der Fischer wiederkam, hatte sich der Fremde eben die Hände
gewaschen und schickte sich an, zur Stadt zurückzukehren.

»Was, Ihr wollt fort?«

»Ja. Lebt wohl!«

»Aber, wie wird’s mit dem Haifisch?«

»Was soll mir der Fisch nützen?«

»Viel, sehr viel. Ihr seid mir der Rechte. Wißt Ihr denn nicht, daß die
Regierung Euch achtzig Schilling Belohnung dafür zahlt? In klingender
Münze. Na, was sagt Ihr dazu?«

»Laßt Euch das Geld auszahlen.«

»Und soll ich’s behalten -- he?«

»Jawohl.«

»Na, Ihr gefallt mir. Seid so ’ne Art Sonderling, wie mir scheint. Ja,
ja, man kennt den Vogel nicht immer an den Federn. Eure Kleider sehen
recht schäbig aus, und doch müßt Ihr reich sein.«

»Das bin ich auch.«

In tiefen Gedanken schritt der junge Mann langsam zur Stadt zurück.
Einen Augenblick blieb er vor dem besten Restaurant stehen; aber er sah
seine Kleider an, ging vorüber und ließ sich in der nächsten Schenke
ein Frühstück geben. Es war sehr reichlich und kostete fünf Schillinge.
Er zog ein Goldstück heraus, und als es gewechselt war, warf er einen
Blick auf das Silbergeld und murmelte: »Zum Einkauf von Kleidern reicht
es doch nicht!«

Um halb zehn Uhr saß der reichste Wollmakler in Sydney daheim im
Wohnzimmer; er hatte seinen Morgenimbiß eingenommen und sich eben in
die Zeitung vertieft. Da steckte ein Diener den Kopf herein.

»Vor der Tür steht ein Sonnenbruder, Herr, und fragt nach Ihnen.«

»Was fällt dir ein, mir mit solchem Anliegen zu kommen; schick’ ihn
fort.«

»Ich hab’s versucht, aber er will nicht gehen.«

»Was -- er weigert sich -- das ist sonderbar. Entweder muß er verrückt
sein, oder -- ein ungewöhnlicher Mensch. Ist er verrückt?«

»Nein, Herr. Danach sieht er nicht aus.«

»Hat er denn gesagt, was er von mir will?«

»Nur, daß er Sie in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen muß.«

»Und fortgehen will er nicht? Hat er das gesagt?«

»Ja, er versichert, er bliebe an der Tür stehen, bis er Sie zu sehen
bekommt, und wenn’s den ganzen Tag dauern sollte.«

»Na, wenn er wirklich nicht verrückt ist, so laß ihn heraufkommen.«

Der Sonnenbruder trat ein. »Nein, der ist bei Sinnen,« dachte der
Makler, »das sieht man auf den ersten Blick. Also muß er kein
gewöhnlicher Mensch sein. -- Sagen Sie mal, mein Lieber,« fügte er laut
hinzu, »was wollen Sie eigentlich? Aber rasch, ohne unnütze Worte, ich
habe keine Zeit zu verlieren.«

»Ich möchte Sie bitten, mir 100000 Pfund zu leihen.«

»Himmel! (Es ist ein Irrtum -- er muß doch verrückt sein. Nein --
unmöglich -- mit solchen Augen!) Das versetzt einem ja den Atem! Wer
sind Sie denn, wenn ich fragen darf?«

»Jemand, den Sie nicht kennen.«

»Und Sie heißen?«

»Cecil Rhodes.«

»Nein, den Namen hab’ ich noch nie gehört. Aber, sagen Sie mir doch --
nur wegen der Merkwürdigkeit -- wie kommen Sie darauf, sich mit Ihrem
seltsamen Verlangen an mich zu wenden?«

»Weil ich die Absicht habe, innerhalb der nächsten sechzig Tage
hunderttausend Pfund für Sie und ebensoviel für mich zu machen.«

»Wahrhaftig! Sehr außergewöhnlich -- da möchte ich doch -- setzen
Sie sich -- was Sie sagen interessiert mich -- nicht Ihr Plan, nein,
aber Sie selbst. Es liegt etwas Bestrickendes in Ihrem Wesen, so ein
angeborenes -- ich weiß nicht recht, wie ich es nennen soll -- das aus
Ihnen spricht. Also -- wenn ich Sie recht verstehe -- so haben Sie den
Wunsch --«

»Ich sagte -- die Absicht.«

»Jawohl, aber warten Sie -- ich will erst ein wenig im Zimmer
umhergehen -- Sie haben mich überrascht -- und scheinen gar nicht
aufgeregt -- ich will suchen mich zu beruhigen. -- -- -- So, nun kann
mich nichts mehr aus der Fassung bringen. Heraus mit Ihrem Plan --
reden Sie!«

»Ich will den diesjährigen Wollertrag kaufen, mit sechzigtägiger
Lieferungsfrist!«

»Was -- den ganzen Ertrag?«

»Ja, die sämtliche Wolle.«

»Unsinn! Wissen Sie denn, auf welche Summe sich das belaufen wird?«

»Auf zwei und eine halbe Million Pfund Sterling, vielleicht noch etwas
mehr.«

»Da sind Sie recht berichtet. Und wissen Sie auch, wieviel das
Sicherheits-Depositum auf sechzig Tage betragen würde?«

»Gerade hunderttausend Pfund -- welche ich mir von Ihnen borgen will.«

»Die Rechnung stimmt. Meiner Treu, ich wollte Sie hätten das Geld, nur
zur Befriedigung meiner Neugier. Was würden Sie denn damit anfangen?«

»Ich werde damit in sechzig Tagen zweihunderttausend Pfund gewinnen.«

»Das heißt, Sie möchten das tun, wenn --«

»Ich werde es tun.«

»Sie sprechen ja mit ganz wunderbarer Bestimmtheit. Man sagt, das läßt
auf einen klaren Kopf schließen. Ich fange wirklich an, es nicht für
ganz unmöglich zu halten, daß Sie einen vernünftigen Zweck im Auge zu
haben meinten, als Sie hier in dies Ihnen fremde Haus kamen mit dem
ausfahrenden Plan, die Wollschur der ganzen Kolonie auf Spekulation zu
kaufen. Reden Sie nur dreist heraus -- Sie erschrecken mich nicht --
ich bin jetzt auf alles gefaßt. _Weshalb_ wollen Sie die Wolle kaufen?
Und weshalb glauben Sie dabei eine so große Summe gewinnen zu können?«

»Ich glaube es nicht -- ich weiß es.«

»Aber woher sind Sie denn Ihrer Sache so gewiß?«

»Weil Frankreich an Deutschland den Krieg erklärt hat, und der Preis
der Wolle in London vierzehn Prozent in die Höhe gegangen ist und noch
steigt.«

»Wirklich, meinen Sie? Da sind Sie doch sehr im Irrtum. Sie dachten
wohl, ich würde vom Donner gerührt sein bei Ihrer Nachricht?
Fehlgeschossen, mein Bester. Da, lesen Sie die Morgenzeitung. Das
schnellste Schiff unserer Flotte ist gestern abend um elf Uhr
eingetroffen. Vor fünfzig Tagen hat es London verlassen und bringt alle
neuesten Nachrichten. Nirgends läßt sich eine Kriegswolke sehen, und
was die Wolle betrifft, so ist sie der flaueste Artikel auf dem ganzen
englischen Markt. Nun, was haben Sie dagegen einzuwenden? Warum sitzen
Sie in solcher Gemütsruhe da, wenn --«

»Weil ich spätere Kunde habe.«

»Spätere Kunde? Unmöglich! Die unsere ist in fünfzig Tagen
brühsiedendheiß aus London gekommen mit dem --«

»Meine Nachricht ist zehn Tage alt.«

»Das klingt ja nach Münchhausen. Wo stammt sie denn her?«

»Aus dem Bauch eines Haifisches.«

»Da hört denn doch alles auf! Soll ich die Polizei rufen -- mein
Schießgewehr holen -- die ganze Stadt in Aufruhr bringen? Sie reden im
Wahnsinn; alle Irrenhäuser der Welt müssen in Ihrer Person -- --«

»Setzen Sie sich und nehmen Sie Vernunft an. Wozu solche Aufregung?
Warten Sie doch erst, ob ich meine Behauptung beweisen kann, ehe Sie
mich einen Narren schelten.«

»O, ich bitte tausendmal um Entschuldigung; im Grunde ist es ja gar
keines Aufhebens wert, wenn man einen Haifisch nach England schickt, um
den Marktbericht zu holen -- -- -- was schreiben Sie denn da?«

»Ich bin gleich fertig; nur ein paar Zeilen; meine Aussage in betreff
des Haifisches nebst einigen andern Dingen. So, nun setzen Sie Ihren
Namen darunter.«

»Lassen Sie doch sehen -- Sie behaupten -- wahrhaftig, das ist
interessant. Wenn Sie mir die Beweise liefern, sollen Sie das Geld
haben, meinetwegen die doppelte Summe, und wir teilen den Gewinn. Wo
ist denn die Nummer der zehn Tage alten Londoner ›Times‹? Zeigen Sie
mir doch das Blatt!«

»Da, sehen Sie her -- auch diese Knöpfe und das Tagebuch haben dem
Manne gehört, den der Haifisch verschlungen hat. Wahrscheinlich trug
sich das Unglück in der Themse zu, denn die letzte Notiz hier ist aus
London, vom selben Datum wie die Nummer der ›Times‹ -- da steht’s:
›Der Krieg ist erklärt! Ich reise noch heute nach Deutschland ab, um
mein Leben auf dem Altar des Vaterlandes niederzulegen‹. Das heißt, der
brave Mensch wollte in den Kampf ziehen, aber er kam nicht weit; ehe
der Tag zu Ende war, verschlang ihn der Haifisch.«

»Schade um ihn. Aber wir wollen den Mann ein andermal beklagen;
jetzt haben wir dringendere Geschäfte. Ich will gleich unter der
Hand alles in Bewegung setzen und die Wolle kaufen. Das wird die
niedergeschlagenen Gemüter unserer Händler einstweilen wieder
aufrichten. Freilich nur vorübergehend, aber nichts ist ja von Dauer
in dieser Welt. Wenn sie nach sechzig Tagen die Ware abliefern müssen,
werden sie nicht wissen, wie ihnen geschieht und meinen, der Blitz
hätte sie getroffen. Aber, das läßt sich nicht ändern, und wir haben
dann noch immer Zeit, mit ihnen zu trauern. Kommen Sie nur jetzt zu
meinem Schneider. Wie war doch schon Ihr Name?«

»Cecil Rhodes.«

»Der ist schwer zu behalten. Aber wenn Sie am Leben bleiben, werden Sie
schon noch dafür sorgen, daß alle Welt ihn kennt. Es gibt dreierlei
Menschen -- gewöhnliche, außergewöhnliche und verrückte. Ich hoffe
nicht fehl zu gehen, wenn ich Sie zu den außergewöhnlichen zähle.«

Das Geschäft gelang und verschaffte dem jungen Fremdling das erste
Vermögen, womit er seine Taschen füllte.




Sechzehntes Kapitel.

        In jedem Beruf muß einer, dem es glücken soll, gesunden
        Menschenverstand zeigen; nur bei der Rechtspflege ist es
        sicherer, ihn zu verbergen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Eigentlich sollten sich die Bewohner Sydneys vor den Haifischen
fürchten, aber sie sind weit davon entfernt -- warum, weiß ich nicht.
Samstags machen die jungen Leute gewöhnlich eine Segelfahrt, und das
Wasser ist oft ganz bedeckt mit kleinen Booten. Nicht selten schlägt
eins aus Zufall um, was Anlaß zu den tollsten Possen gibt; häufig
bringen die Burschen ihr Boot auch absichtlich zum kentern, so daß die
Insassen ins Wasser fallen, trotzdem sie sehen, daß die Haifische in
der Nähe nur darauf lauern. Rasch klettert dann alles wieder hinein,
manchmal heil und ganz -- aber nicht immer. Während ich in Sydney war,
geschah es, daß ein Knabe bei der Mündung des Paramattaflusses aus dem
Boot fiel. Auf sein Hilfegeschrei sprang ein Knabe aus einem andern
Boot ins Meer, um ihn vor den herbeischwimmenden Haifischen zu retten.
Die Untiere machten jedoch mit allen beiden nur kurzen Prozeß.

Die Regierung zahlt, wie gesagt, eine Prämie für den Fang. Um das Geld
zu verdienen, befestigen die Fischer ein Stück saftiges Hammelfleisch
als Köder an den Angelhaken oder das Schleppnetz. Die Kunde hiervon
verbreitet sich wie ein Lauffeuer, und nun kommen die Haifische aus dem
ganzen Stillen Ozean herbeigeschwommen, um sich an der leckern Speise
gütlich zu tun. Wenn das so fortgeht, wird die Haifischzucht bald eins
der erträglichsten Gewerbe in der Kolonie werden.

Im Mai war ich in New York krank gewesen, hatte mich dann
zweiundachtzig Tage lang erträglich wohl befunden, und war auf dem
Schiff wieder erkrankt. Auch in Sydney bekam ich einen Rückfall,
aber erst nachdem ich manchen schönen Ausflug gemacht und alle meine
Vorlesungen gehalten hatte. Doch ging mir wegen dieser Krankheit mein
Besuch in Queensland verloren, da es unter diesen Umständen nicht für
ratsam gehalten wurde, nordwärts zu reisen, wo die Hitze noch größer
war.

So wandten wir uns denn nach Südwesten und fuhren mit der Eisenbahn
siebzehn Stunden nach Melbourne, Hauptstadt der Kolonie Victoria, das,
erst sechzig Jahre alt, bereits eine halbe Million Einwohner zählt. Auf
der Karte scheint die Entfernung nur klein, aber das ist in einem so
großen Lande wie Australien mehr oder weniger bei allen Entfernungen
der Fall. Die ganze Kolonie Victoria sieht auf der Karte nicht viel
größer aus, wie eine englische Grafschaft und hat doch denselben Umfang
wie England, Schottland und Wales zusammengenommen.

Melbourne abgerechnet, scheint Victoria einer kleinen Zahl von
Squattern zu gehören, von denen jeder Schafweiden besitzt, die etwa so
groß sind, wie der Staat Rhode Island. Wenigstens muß man das aus dem
Gerede der Leute schließen; doch ist die Wollindustrie dort lange nicht
so ausgedehnt wie in Neusüdwales. In Victoria fehlt es auch nicht an
andern Hilfsquellen, es wird viel Weizen gebaut, und die Weinkultur ist
sehr bedeutend.

Wir fuhren nachmittags mit dem Vieruhrzug von Sydney ab und zwar
in einem ganz amerikanischen, höchst vernünftig eingerichteten
Schlafwagen, der sauber, schön und neu war und in keiner Weise an die
Eisenbahnen erinnerte, wie sie meist auf dem europäischen Festland
sind. Aber unser Gepäck wurde gewogen und besonders bezahlt, was ebenso
europäisch wie lästig ist.

Wir hatten Rundreisebillets nach Melbourne, von da nach Adelaide in
Südaustralien und dann wieder zurück bis nach Sydney -- zwölfhundert
Meilen mehr als wir wirklich fahren wollten. Da aber die Rundreise
nicht teurer war als ein gewöhnliches Billet, so hielten wir es doch
für besser, uns die größte Meilenzahl zu kaufen, die man für den Preis
haben konnte, obgleich wir sie, aller Wahrscheinlichkeit nach, nicht
benützen würden. Der Mensch hat stets ein natürliches Verlangen, von
etwas Gutem mehr zu bekommen als er braucht.

Jetzt muß ich aber noch eine Merkwürdigkeit erwähnen, das
wunderlichste, seltsamste, unerklärlichste und erstaunlichste Ding in
seiner Art, das ganz Australien aufzuweisen hat: An der Grenze zwischen
Neusüdwales und Victoria wurden die sämtlichen, zahlreichen Insassen
des Zuges, morgens bei Laternenlicht, in einer hoch gelegenen Gegend,
wo es bitterkalt war, aus ihren behaglichen Betten geholt, um den Wagen
zu wechseln. Und doch geht die ganze Bahn von Sydney nach Melbourne
ohne Unterbrechung fort! Der Gedanke kann nur einem vollständig
vernagelten Hirn entsprungen sein, und eine vorsintflutliche
Gesetzgebung muß die Verordnung erlassen haben.

Bis zur Grenze ist die Eisenbahn nämlich schmalspurig und von da bis
Melbourne hat sie eine größere Schienenweite. Das ist so von den
beiden Regierungen, welche die Bahn erbaut haben und denen sie gehört,
wohlweislich eingerichtet. Ihre gegenseitige Eifersucht scheint der
Hauptgrund dieses merkwürdigen Zustands der Dinge zu sein. Man gibt
zwar noch andere Gründe dafür an, aber sie kommen nicht in Betracht, da
sie das Unerklärliche doch nicht erklären könnten; übrigens habe ich
sie auch vergessen.

Alle Passagiere ärgern sich über die verschiedene Schienenweite,
und wie lästig ist sie erst für den Frachtverkehr! Nutzlose Kosten,
Verzögerungen und Unbequemlichkeit aller Art sind unzertrennlich damit
verbunden; kein Mensch hat einen Vorteil davon.

Unser Wagenwechsel fand in Albury statt, und dort sahen wir auch
bei Sonnenaufgang die ferne Kette der ›Blauen Berge‹. Sie tragen
ihren Namen mit Recht! ›Auf mein Wort,‹ wie der Australier sagt, ein
solches Blau sucht seinesgleichen. Es ist bald tief, stark glänzend,
wundervoll, erhaben, majestätisch -- eine einzige blaue Masse; bald
sanft leuchtend oder durchsichtig, als hätte man im Innern ein Feuer
angezündet. Das Blau des Himmels erlosch davor, es nahm eine weißliche,
ausgewaschene Farbe an und sah bleich und ungesund aus neben jener
wahrhaft köstlichen Bläue.

Ein Bürger von Albury sagte mir, das wären gar keine Berge, sondern
Haufen von Kaninchenleibern, die man so lange der Luft und Fäulnis
ausgesetzt hätte, daß sie davon ganz blau aussähen. Vielleicht sprach
der Mann die Wahrheit; aber ich habe so viele Reiseberichte gelesen,
daß ich alle Belehrung, welche mir unerbeten, auf nicht amtlichem Wege
zu teil wird, nie ohne Mißtrauen aufnehme. Die Reisenden werden oft in
ganz unverantwortlicher Weise durch falsche Angaben irre geführt. Die
Kaninchenplage in Australien ist freilich sehr groß gewesen, und wenn
es sich nur um _einen_ Berg handelte, so wollte ich es gern glauben.
Aber ein ganzer Gebirgszug -- das ist doch wohl übertrieben.

Wir frühstückten auf dem Bahnhof. Alles war billig und gut, außer
dem Kaffee. Die Preise bestimmt die Regierung selbst und läßt sie
öffentlich anschlagen. Daß wir männliche Bedienung hatten, war etwas
Ungewöhnliches in Australien; meistens findet man Kellnerinnen, das
heißt junge Damen, die man für Prinzessinnen halten könnte. Wie sie
gekleidet gehen? -- So, daß sie in Europa beim Gala-Empfang einer
Königin Bewunderung erregen müßten. Selbst Fürstinnen und Herzoginnen
ziehen sich nicht so an. Ihre Mittel würden es ihnen zwar erlauben,
aber sie brächten es doch nicht zu stande.

Den ganzen Morgen über fuhren wir in der Ebene dahin, durch lichte
Wälder von großen Gummibäumen, deren Rinde in langen, gerollten
Streifen herunterhing, wie die Haut von Kranken, die sich nach dem
Scharlachfieber schälen. Ueberall standen winzige Hütten, teils aus
Holz, teils aus graublauem Wellblech; auf den Zäunen und Türschwellen
sah man Scharen kleiner stämmiger Buben, in einfacher Kleidung, die
ihren Altersgenossen an den Ufern des Mississippi zum verwechseln
ähnlich waren. Auch an Dörfern kamen wir vorüber, deren saubere
Bahnhofsgebäude von oben bis unten mit Anzeigen beklebt waren. Wir
sahen allerlei Vögel, aber weder ein Känguruh, noch einen Emu, weder
ein Schnabeltier, noch einen Vorleser, auch keinen Eingeborenen; alles
Wild war im Lande wie ausgestorben. Aber nein -- ich habe mich geirrt.
Unter Eingeborenen versteht man nur Weiße, die in Australien zur Welt
gekommen sind. Ich hätte sagen sollen, daß ich keine Wilden, keine
Schwarzen gesehen habe -- und zwar bis auf den heutigen Tag nicht. Die
großen Museen sind voll von Wundern aller Art, aber was den Fremden
am meisten interessieren würde, sucht er dort vergebens. Auch in
Amerika haben wir zahllose Museen, allein man findet nicht eine einzige
amerikanische Rothaut darin. Das ist so verkehrt, wie nur irgend
möglich, aber merkwürdigerweise habe ich früher noch nie daran gedacht;
es fällt mir heute zum erstenmal ein.




Siebzehntes Kapitel.

        Der Mensch hat einen Sinn für das was recht ist und einen
        Sinn für das was unrecht ist. Die Geschichte lehrt uns,
        daß er den ersteren gebraucht, um dem rechten aus dem Wege
        zu gehen und den letzteren, um aus dem Unrechten Nutzen zu
        ziehen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Seit vielen Jahren schwebte über mir ein Geheimnis, das sich nirgends
anders enträtseln ließ, als in Melbourne. Die Sache verhielt sich
folgendermaßen:

Ich war im Jahre 1873 mit Frau und Kind eben in London angekommen,
als ich aus Neapel eine Zuschrift erhielt, unter der ein mir
unbekannter Name stand. Es war nicht Bascom und auch nicht Henry,
aber der Bequemlichkeit halber will ich den Briefsteller Henry Bascom
nennen. Das Schreiben bestand aus etwa sechs Zeilen auf einem weißen
Papierstreifen, der am untern Ende abgerissen war. Im Lauf der Jahre
erhielt ich noch viele solche Streifen, die alle einander an Form und
Größe völlig gleich sahen; auch der Inhalt war meist der nämliche: der
Schreiber forderte mich auf, mit den Meinigen an dem und dem Tage nach
seinem Landsitz in England zu kommen, um ihm einen achttägigen Besuch
zu machen. Der Zeitpunkt für Ankunft und Abreise war genau angegeben.
Diese Einladungen erfolgten stets lange im voraus; wenn wir in Europa
waren, etwa drei Monate, waren wir in Amerika, schon ein halbes oder
ein ganzes Jahr vorher. Auch der Zug, mit dem wir kommen und gehen
sollten, war jedesmal in dem Schreiben bestimmt erwähnt.

Jener erste Brief setzte einen Tag in drei Monaten für unsere Ankunft
fest; wir sollten am sechsten August mit dem Nachmittagszug 4.10 von
London abfahren und im Wagen abgeholt werden. Eine Woche später würde
uns der Wagen wieder zu dem und dem Zug auf den Bahnhof bringen. Als
Nachschrift standen noch die Worte darunter:

»Sprechen Sie mit Tom Hughes.«

Ich zeigte dem Verfasser von ›Tom Brown in Oxford‹ den sonderbaren
Brief, und er sagte:

»Nehmen Sie die Einladung mit Dank an.« Hierauf schilderte er mir
Herrn Bascom als einen genialen, hochgebildeten und in jeder Beziehung
außergewöhnlichen Mann, einen so edlen und reinen Charakter, wie
man ihn nur selten findet. Auch sei es schon der Mühe wert, eine
weite Reise zu machen, um Bascom Hall -- eins der stattlichsten
herrschaftlichen Schlösser aus der Zeit der Königin Elisabeth -- in
Augenschein zu nehmen. Herr Bascom sei eine gesellige Natur und sehe
gern interessante und liebenswürdige Menschen bei sich. Man könne daher
dort im Hause stets die angenehmsten Bekanntschaften machen.

Wir statteten damals den Besuch ab und noch mehrere andere im Lauf der
nächsten Jahre, den letzten 1879. Bald darauf trat Bascom auf seinem
eigenen Dampfer eine Reise um die Welt an. Er wollte lange fortbleiben,
alles mit Muße betrachten und in den fremden Ländern auch Vögel,
Schmetterlinge u. dgl. sammeln.

Am 2. Juli 1881, dem Tage, an welchem Präsident Garfield von dem Mörder
Guiteau tödlich verwundet wurde, kam in dem kleinen Badeort am Sund von
Long Island, wo wir unsere Sommerfrische hielten, ein Brief mit dem
Poststempel Melbourne an. Er war an meine Frau adressiert, da ich aber
Bascoms Handschrift erkannte, machte ich ihn auf. Der Brief enthielt
wie gewöhnlich nur ein paar Zeilen auf einem Papierstreifen, aber ihr
Inhalt war sehr merkwürdig und ganz anders als sonst. -- Vielleicht
könne es den Kummer meiner Frau lindern -- so ungefähr lautete das
Schreiben -- wenn sie erführe, wie erfolgreich die Vorlesungstour
ihres Gatten in Australien von Anfang bis zu Ende gewesen sei. Der
Briefsteller könne das nach bestem Wissen bezeugen und die Mitteilung
hinzufügen, daß der allzu frühe Tod ihres Gatten von der ganzen
Bevölkerung aufs tiefste beklagt werde. Sie würde das jedoch ohne
Zweifel bereits aus Zeitungstelegrammen ersehen haben. Alle Beamten und
Würdenträger der Kolonie und der städtischen Regierung wären bei dem
Begräbnis zugegen gewesen. Schreiber dieser Zeilen hätte zwar leider
Melbourne nicht mehr rechtzeitig erreichen können, um die Leiche noch
einmal zu sehen, doch hätte er es sich nicht versagen wollen, als
Freund der Familie wenigstens unter den Hauptleidtragenden zu sein.

            Unterschrieben: ›Henry Bascom‹.

Wenn er doch den Sarg hätte öffnen lassen! Das war mein erster Gedanke.
Er würde sich dann überzeugt haben, daß es die Leiche eines Betrügers
war, er hätte sie öffentlich versteigern und mir das Geld schicken
können und das ganze Trauergefolge, samt der betrübten Regierung, würde
sich die Tränen aus den Augen gewischt haben.

Damals ließ ich die Sache auf sich beruhen. Ich hatte schon früher
mehrmals die Polizei in Anspruch genommen, um mich gegen meine
lebendigen Vorlesungs-Doppelgänger in Amerika zu schützen; doch war
man ihrer niemals habhaft geworden. Auch andere meiner Kollegen hatten
umsonst versucht, _ihre_ betrügerischen Duplikate zu entlarven. Was
sollte es da wohl nützen, einen abgeschiedenen Geist zu beunruhigen?
-- So störte ich denn seinen Frieden nicht; aber neugierig war ich
doch, Näheres über die Vorlesungstour jenes Menschen und seine
letzten Lebensstunden zu erfahren. Ich wollte warten, bis ich Bascom
wiedersähe, und mir alles von ihm erzählen lassen; er starb jedoch,
ohne daß wir uns zuvor noch einmal im Leben trafen, und dann dachte ich
nicht mehr an jenes Ereignis.

Als ich jedoch die Reise nach Australien plante, war meine Neugier
wieder erwacht. Sehr natürlich -- denn, wenn die Zuhörer meiner
Vorlesungen etwa gesagt hätten, ich sei recht fade und langweilig,
im Vergleich zu dem, was ich vor meinem Tode gewesen, so würde die
Einnahme darunter gelitten haben.

Wie sehr war ich nun überrascht, als mir die Zeitungsredakteure in
Sydney sagten, sie hätten _von jenem Betrüger noch nie etwas gehört_.
Ich mochte sie ausfragen so viel ich wollte, sie wußten nichts von ihm
und zweifelten an der ganzen Geschichte. Mir war das unverständlich;
doch glaubte ich, in Melbourne würde sich die Sache leicht aufklären
lassen. Die Regierung und das übrige Trauergefolge mußten sich doch
noch an den Leichenzug erinnern. Bei dem Festessen, das mir die
Journalisten gaben, stellte sich jedoch heraus, daß auch sie nichts
hatten verlauten hören und mir keine Auskunft geben konnten.

So blieb, zu meiner großen Enttäuschung, das Geheimnis nach wie vor
in Dunkel gehüllt. Ich hoffte nun nicht mehr, daß ich die Lösung des
Rätsels noch auf Erden erfahren würde und suchte mir die Sache aus
dem Sinne zu schlagen. Aber endlich, gerade als ich es am wenigsten
erwartete -- doch nein, hier ist nicht der richtige Platz, um die
übrige Geschichte zu erzählen; ich werde in einem viel späteren Kapitel
wieder darauf zurückkommen.

       *       *       *       *       *

Die Stadt Melbourne hat eine ungeheure Ausdehnung und Bauwerke von
hervorragender Pracht und Größe. Ihre Straßenbahnen sind vortrefflich,
sie besitzt Museen, höhere und niedere Schulen, öffentliche Gärten,
Gas, Elektrizität, Bibliotheken und Theater. Sie ist der Mittelpunkt
für den Bergbau, die Wollindustrie, für Kunst und Wissenschaft,
man findet dort Gewerkvereine, Schiffe, Eisenbahnen, einen Hafen,
gesellige Vereinigungen, Journalistenklubs, Rennvereine und einen
Klub der Squatter, dem ein wundervoll eingerichtetes Haus gehört,
auch so viele Banken und Kirchen, wie irgend nebeneinander bestehen
können. Kurz, Melbourne hat alles, was zur modernen Großstadt gehört;
es ist die bedeutendste Stadt auf dem australischen Festland und den
Inseln und füllt ihren Posten als solche mit Ehre und Würde aus. Einen
besonderen Vorzug besitzt es aber noch, den man nicht mit andern
Dingen zusammenwerfen darf. Es ist nämlich das Zentrum für den Kultus
des Pferderennens. Sein Rennplatz ist das Mekka von Australien.

Am 5. November, dem alljährlichen Festopfertag, stehen auf einer
Strecke, die länger ist, als von New York nach San Francisco, und
breiter als von den nördlichen Seen bis zum Golf von Mexiko, sämtliche
Geschäfte völlig still; Männer und Frauen jedes Standes und Ranges,
deren Mittel es erlauben, lassen daheim alles stehen und liegen,
und kommen herbeigeströmt. Schon zwei Wochen vor dem bestimmten
Tage beginnen die Scharen sich zu Schiffe und mit der Eisenbahn
einzufinden; täglich erscheinen sie in immer dichteren Schwärmen, bis
alle Transportmittel die Last kaum mehr zu bewältigen vermögen und
die Hotels und Wohnhäuser von oben bis unten vollgestopft sind. Zu
Hunderttausenden sieht man sie anmarschieren, wie glaubwürdige Zeugen
versichern, um den Riesenplatz und die Tribünen zu füllen. In ganz
Australien bekommt man nirgends ein ähnliches Schauspiel zu Gesicht.

Das Preisrennen von Melbourne ist es, zu dem alle diese Menschen
zusammenströmen. Die Festkleider sind schon lange vorher bestellt; sie
müssen an Pracht und Schönheit alles überstrahlen, was je dagewesen
ist; keine Kosten werden gescheut, und man verbirgt sie sorgfältig vor
neugierigen Blicken, bis der große Tag erscheint, dem man sie geweiht
hat. Ich meine natürlich die Toiletten der Damen; aber das versteht
sich ja von selbst.

Die Tribünen bieten denn auch einen wundervollen, blendenden Anblick;
man sieht dort die zauberhaftesten Farben, die entzückendste Schönheit.
Der Champagner fließt in Strömen, die allgemeine Stimmung ist lebhaft,
aufgeregt, glücklich; jeder wettet, und Unsummen werden gewonnen
oder verloren. Tag für Tag finden Wettrennen statt, wobei stets die
ausgelassenste Lust und Laune herrscht. Nachdem das Programm des
Tages erschöpft ist, tanzen die Leute noch die ganze Nacht hindurch,
um sich für das Rennen des nächsten Tages zu stärken. Am Schluß der
großen Woche sichern sich die Menschenmassen zuguterletzt Unterkunft
und Fahrgelegenheit für das nächste Jahr; dann verstreut sich alles,
jeder kehrt nach seiner fernen Heimat zurück, zählt seinen Gewinn oder
Verlust, bestellt die Kleider zum nächsten Preisrennen, legt sich zu
Bett, schläft vierzehn Tage lang und steht endlich mit dem traurigen
Gedanken wieder auf, daß man ein ganzes Jahr warten muß, bevor man sich
wieder aus vollster Seele seines Lebens freuen kann.

Das Preisrennen von Melbourne ist das Nationalfest Australiens. Seine
Wichtigkeit läßt sich gar nicht hoch genug anschlagen. Jeder andere
Fest- oder Feiertag irgend welcher Art, den die Kolonien begehen,
wird durch seinen Glanz verdunkelt. Zwar feiert man noch allerlei,
teils aus Gewohnheit, teils von Amts wegen, aber nicht so gründlich,
so allgemein, so aus freien Stücken, wie das große Wettrennen. Es hat
seinesgleichen in keinem andern Lande der Welt. Je näher dies höchste
Fest des Jahres herankommt, um so glühender wird die Erwartung, die
Vorbereitung und die allgemeine Glückseligkeit; man denkt und redet
überhaupt nichts anderes mehr.

In Amerika haben wir keinen Tag im Jahr, der so wie dieser die
Gesamtbevölkerung beseligen kann. Wir feiern den vierten Juli,
Weihnachten und das Dankfest. Aber keiner dieser drei Festtage hat
einen Vorrang vor dem andern, und keiner ist, wie gesagt imstande, das
ganze Volk zu beglücken. Von zehn erwachsenen Amerikanern empfinden
mindestens acht ein wahres Entsetzen vor dem vierten Juli mit seinem
gefährlichen Höllenspektakel und wünschen sich Glück, daß er vorüber
ist -- wenn sie noch am Leben sind. Auch das Nahen des Weihnachtsfestes
bringt vielen trefflichen Menschen Qual und Pein. Sie müssen ganze
Wagenladungen von Geschenken kaufen und wissen nie, ob sie den
Geschmack der Empfänger getroffen haben. Drei Wochen lang arbeiten sie
im Schweiße ihres Angesichts und wenn der Weihnachtsmorgen anbricht,
fühlen sie sich so enttäuscht und so unzufrieden mit ihren Leistungen,
daß sie sich am liebsten hinsetzen möchten, um sich nach Herzenslust
auszuweinen und nur in dem Gedanken Trost finden, daß bloß einmal
im Jahr Weihnachten ist. Unser Dankfest wird seit einiger Zeit ganz
allgemein durch ein Festessen gefeiert. Das Dankgefühl ist bei uns
jedoch weit weniger verbreitet. Zu verwundern braucht man sich darüber
nicht. Zwei Drittel des Volkes haben jetzt das ganze Jahr hindurch
so wenig Glück und ein so schweres Leben, daß ihre Festfreude sich
bedeutend abkühlt.

Auch in andern Ländern feiert man hohe Feste, aber wie gesagt, keins an
dem das ganze Volk so von Herzen Anteil nimmt. Man wird mir daher wohl
zugeben müssen, daß das Preisrennen von Melbourne das Fest aller Feste
ist und vermutlich seinen hohen Rang noch lange Zeit behaupten wird.

Für den Reisenden hat in fremden Landen dreierlei das größte
Interesse: erstens, die Bevölkerung, zweitens, alles was ihm neu ist
und drittens, die geschichtlichen Erinnerungen, welche sich an die
Orte knüpfen. In Städten, die auf der Höhe der modernen Zivilisation
stehen, wird er selten etwas Neues finden. Kennt man solche Städte
in andern Weltteilen, so kennt man tatsächlich auch die großen Städte
Australiens. Zwar sind Unterschiede vorhanden, aber es gehört schon ein
recht geübtes Auge dazu um sie zu entdecken, und der Fremde hat selten
Zeit zu so genauer Beobachtung.

Freilich in den Museen sind endlose Zimmer voll der merkwürdigsten und
anziehendsten Gegenstände. Aber das ist doch mehr oder weniger bei
allen Museen der Fall; ihre Besichtigung macht uns immer Augenweh und
Rückenschmerzen und verzehrt unsere Lebenskraft durch ihr aufreibendes
Interesse. Man nimmt sich stets von neuem vor, nie wieder hinzugehen
-- und tut es schließlich doch. Die Paläste der Reichen in Melbourne
gleichen den Palästen der Reichen in Amerika fast aufs Haar, auch die
Lebensweise darin ist die nämliche, aber weiter geht die Aehnlichkeit
nicht. Die Gartenanlagen, in denen die amerikanischen Paläste liegen,
sind selten groß und oft gar nicht schön; aber in Melbourne haben sie
meist den Umfang von fürstlichen Parks und die Kunst des Gärtners
schafft daraus mit Hilfe des Klimas etwas ganz Zauberhaftes. Manche
Landgüter außerhalb der Stadt sollen sich an Größe und wunderbarem Reiz
mit der Besitzung eines englischen Lords messen können. Aber das weiß
ich nicht aus eigener Anschauung; ich hatte in der Stadt alle Hände
voll zu tun und bin nicht aufs Land hinaus gekommen.

Wie ist aber diese Riesenstadt mit ihren palastähnlichen Häusern und
Landsitzen entstanden? Ein englischer Sträfling hat den ersten Stein
dazu gelegt und das erste Haus gebaut. Die Geschichte Australiens ist
durch und durch romantisch, voll der sonderbarsten, merkwürdigsten
Begebenheiten, gegen die alles andere Neue, das man sieht und hört, in
den Hintergrund tritt. Sie liest sich gar nicht wie Geschichte, sondern
wie eine Sammlung der schönsten Lügen und zwar noch nie dagewesener,
keiner abgedroschenen. Allerlei Ueberraschungen, Abenteuer,
Ungereimtheiten, Widersprüche und unglaubliche Dinge werden einem
aufgetischt; aber sie sind buchstäblich wahr und haben sich wirklich
zugetragen.

Auch die Geschichte des Mannes, der den Grundstein von Melbourne
gelegt hat, ist ein förmlicher Roman. Sein Name war Buckley, und über
kurz oder lang wird man Melbourne in Buckleystadt oder Buckleyburg
umtaufen müssen, um die bisherige Ungerechtigkeit wieder gut zu machen.
Buckley war ein junger, riesenstarker Engländer, der das Maurerhandwerk
betrieb. Später wurde er Soldat und brachte aus den Kriegen mit Holland
eine ehrenvolle Wunde heim; die Narbe trug er sein Leben lang. In
England wurde er eines Tages angeklagt und überführt, gestohlene Waren
verborgen zu haben -- wahrscheinlich im Wert von sechs Schillingen --,
und einstweilen ins Gefängnis geworfen. Dabei schiffte man ihn mit
einer Ladung anderer Sträflinge nach Australien ein -- auf wie viele
Jahre sagt die Geschichte nicht. Dies war der vielversprechende,
ereignisreiche Anfang seines jungen Lebens. Es geschah 1803, als er
dreiundzwanzig Jahre zählte.

Die Fahrt dauerte fünf und einen halben Monat, dann landete das Schiff
nicht weit von der Stelle, wo jetzt Melbourne erbaut ist. Die Gegend
war noch mit wildem Urwald bedeckt, in dem nur Eingeborene lebten.
Die nächste Niederlassung der Weißen, die kleine Kolonie Sydney, lag
viele hundert Meilen entfernt. Man begann sofort eine Sträflingskolonie
einzurichten (die bald wieder aufgegeben wurde), und Buckley legte den
Grundstein des ersten Hauses.

Der schmachvolle Sklavendienst seines neuen Lebens war Buckley ein
Greuel; auch das Klima sagte ihm nicht zu, als im Januar der Hochsommer
kam, und er seine harte Arbeit bei einer Temperatur von 110° im
Schatten verrichten mußte. So machte er denn einen Fluchtversuch und
erlangte glücklich seine Freiheit wieder. Von den Gefährten seiner
Flucht wurde einer durch die Wache erschossen, die andern irrten sechs
Tage lang mit Buckley im Busch umher, dem Hungertode preisgegeben. Da
sie aber sahen, daß ihre Leiden in der Freiheit nicht geringer waren
als beim Sträflingsleben, wo sie doch wenigstens Nahrung erhielten,
kehrten sie wieder um. Buckley wollte sie nicht begleiten und blieb
allein zurück; als Mann von echtem Schrot und Korn dachte er an keinen
Rückzug.

Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, mit den Genossen nach
Kalifornien zu wandern; sie waren eben ungebildete Leute und wußten
wenig von der Erdbeschreibung. Als nun Buckley sich selbst überlassen
war, gab er den Plan auf, teils wegen der Entfernung, teils weil ihm
nicht ganz klar war, in welcher Richtung er Kalifornien zu suchen
hätte. Er beschloß dagegen, nach Sydney zu wandern, ging jedoch fehl
und kam immer weiter von seinem Ziel ab. Lange fristete er sein Leben
mit Beeren, Muscheln und dergleichen, bis er endlich den Eingeborenen
in die Hände fiel. Gerade an jenem Morgen hatte er jedoch, ohne es
zu wissen, einen glücklichen Fund getan. Er hatte einen Speer, der
in einem Grabhügel steckte, herausgezogen und hielt ihn noch in der
Hand, als die Eingeborenen ihn umringten. Sie glaubten, er sei der
wieder lebendig gewordene Insasse jenes Grabes und begrüßten ihn als
Stammesgenossen und Verwandten. In ihrer Freude über seine Wiederkehr
versahen sie ihn alsbald mit Speise und Weibern, auch mit einem Neffen
und andern zum Leben notwendigen Erfordernissen und nahmen ihn gastlich
in ihrer Mitte auf.

Er lebte unter den Wilden und wurde ein wichtiger, einflußreicher
Häuptling des Stammes, lernte dessen Sprache und vergaß mit der Zeit
seine eigene. Ohne jemals wieder einen Weißen zu sehen, brachte dieser
neue Robinson zweiunddreißig Jahre unter so seltsamen Verhältnissen zu,
und kein Mensch ahnte, daß er noch am Leben sei.

So etwas kann auch nur in Australien vorkommen. Die andern Robinsone
verschwinden vielleicht auf vier Jahre, tauchen dann wieder auf und
kommen in Ziegenfelle gekleidet, großprahlerisch einherstolziert;
aber der australische Robinson geht ein ganzes Menschenalter verloren
und kehrt bescheiden zurück, ohne irgend etwas anzuhaben, weil er die
Aufmerksamkeit nicht auf sich zu lenken wünscht.

Heutzutage würden Telegraphen, Zeitungen und illustrierte Journale
sich einer neuentdeckten Persönlichkeit, wie dieser Buckley, annehmen,
seinen Namen in alle Welt posaunen, und ihn zum reichen Manne machen.
Aber der Buckley aus alter Zeit konnte den Roman seines Lebens zu
keinem so glänzenden Abschluß bringen. Er pries sich schon glücklich,
als er zum Leibdiener des kommandierenden Obersten der Kolonie ernannt
wurde und die nötigen Kleidungsstücke erhielt; eine Zeitlang tat er
auch Dienste als Konstabler und Geheimpolizist. Bald legte er jedoch
sein Amt nieder, ging nach Van Diemensland (dem jetzigen Tasmanien)
und wurde zweiter Verwalter im Auswandererheim. Zuletzt erhielt er
den Posten eines Torschließers im Frauenasyl. 1840, als er sechzig
Jahre alt war, heiratete er die Witwe eines Handwerkers. Mit siebzig
Jahren ließ er sich pensionieren und erhielt ein Ruhegehalt von 60
Pfund Sterling, das er noch sechs Jahre lang genießen durfte. Dann nahm
ihn der Tod hinweg, der ihm sein Glück nicht länger gönnen mochte. So
endete denn der wunderbare Lebenslauf des Gründers von Melbourne auf
sehr hausbackene und alltägliche Weise.




Achtzehntes Kapitel.

        Die Engländer kommen schon in der Bibel vor, wo es heißt:
        ›Selig sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich
        besitzen.‹

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Wenn wir bedenken, wie ungeheuer groß der Flächeninhalt des britischen
Kaiserreichs ist, wie bedeutend seine Einwohnerzahl und sein Handel, so
wird es uns schwer zu glauben, daß Australien und Ozeanien wirklich
einen so hervorragenden Anteil an Englands Weltstellung haben, wie man
versichert. Der Länderbesitz aller andern Mächte -- außer Rußland --
ist im Vergleich zum britischen Reich winzig klein, und es übertrifft
selbst Rußland etwa um ein Viertel an Größe, was ich aus sicherer
Quelle weiß. Großbritannien und China herrschen ungefähr über die
gleiche Bevölkerungszahl; jedes dieser beiden Reiche hat 400000000
Untertanen. Da bleiben alle andern Mächte -- auch Rußland -- weit
zurück.

Die vier Millionen Einwohner von Australien scheinen zwar nur ein
Tropfen in dem kaiserlich britischen Meer von vierhundert Millionen
Köpfen; allein, sie gewinnen sehr an Bedeutung, wenn man ihren Einfluß
auf den britischen Welthandel in Betracht zieht. Englands jährliche
Einfuhr und Ausfuhr wird auf drei Billionen Dollars geschätzt[2] und
davon soll mehr als ein Zehntel auf die Ausfuhr und Einfuhr zwischen
Australien und England kommen.[3] Daneben treibt Australien noch
Handel mit anderen Staaten, wodurch ein jährlicher Ertrag von hundert
Millionen Dollars erzielt wird, während der Umsatz innerhalb der
Kolonien sich auf hundert und fünfzig Millionen beläuft.[4]

In runden Zahlen ausgedrückt kaufen und verkaufen also die 4000000
Einwohner jährlich etwa Waren im Wert von 600000000 Dollars, wovon die
Hälfte, wie behauptet wird, aus einheimischen Produkten Australiens
besteht.

Die Ausfuhr der Produkte Indiens trägt jährlich eine Kleinigkeit über
500000000 Dollars ein,[5] woraus sich Zahlen ergeben, die höchst
verwunderlich sind, nämlich:

Indiens Produktion (300000000 Einwohner) $ 500000000.

Australiens Produktion (4000000 Einwohner) $ 300000000.

Demnach produziert der einzelne Inder an Ausfuhrartikeln
durchschnittlich für $ 1.75 im Jahr; der einzelne Australier dagegen
für $ 75!

Nach zuverlässigen statistischen Tabellen, welche von Sir Richard
Temple und andern aufgestellt worden sind, beläuft sich die jährliche
Produktion eines Inders für Ausfuhr und Verbrauch im Lande auf
$ 7.50 oder $ 37.50 für eine Familie von fünf Personen; während die
Durchschnittsproduktion einer ebenso großen Familie in Australien fast
$ 1600 beträgt.

Es gibt doch wirklich nichts Ueberraschenderes in der Welt als Zahlen,
wenn man erst einmal anfängt sich mit ihnen einzulassen.

Wir fuhren von Melbourne mit der Eisenbahn nach Adelaide, der
Hauptstadt der großen Provinz Südaustralien -- eine Reise von siebzehn
Stunden. Unterwegs trafen wir mehrere Bekannte aus Sydney, u. a. einen
Richter, der auf der Rundreise war und in Broken Hill, wo das berühmte
Silberbergwerk ist, eine Gerichtssitzung halten wollte. Der Weg, den er
einschlug, um in jene Gegend zu gelangen, schien uns etwas sonderbar
gewählt: Broken Hill liegt dicht an der Westgrenze von Neusüdwales und
Sydney in dessen äußerstem Osten; die Entfernung zwischen beiden Orten
mag in gerader Linie etwa 700 Meilen betragen, während der Richter
mehr als 2000 Meilen mit der Eisenbahn fahren mußte, nämlich von
Sydney südwestlich bis Melbourne, dann nordwestlich nach Adelaide, von
da zurück nordöstlich und wieder über die Grenze von Neusüdwales bis
Broken Hill.

Die Sache erklärte sich jedoch auf sehr einfache Weise: Vor Jahren
war die Welt plötzlich durch den fabelhaft reichen Silberfund von
Broken Hill überrascht worden. Die Aktien hatten anfänglich nur ein
paar Schillinge gegolten, allein im Handumdrehen stieg ihr Wert bis zu
ganz unglaublichen Summen. Es war einer jener Fälle, wo die Köchin für
ihren Monatslohn einen Anteilschein ersteht, und im folgenden Jahre
ihrer Herrschaft das Haus abkauft und selbst hineinzieht; wo der
Kutscher ein paar Aktien nimmt und nach Monatsfrist eine Bank eröffnet;
wo der gemeine Matrose sich mit dem Preis, den ihn ein Zechgelage
kosten würde, bei dem Unternehmen beteiligt und im nächsten Monat ein
eigenes Handelsgeschäft gründet, mit dem er der Dampfschiffgesellschaft
Konkurrenz macht. Kurzum, es entstand ein förmliches Entdeckungsfieber;
urplötzlich strömten große Menschenmassen auf ein und derselben
Stelle zusammen, und man mußte unverzüglich für ihre Bedürfnisse
sorgen. Adelaide war in nächster Nähe und Sydney weit entfernt; da
baute Adelaide natürlich eine kurze Eisenbahn über die Grenze, bevor
Sydney noch Zeit hatte eine lange Linie zu bauen. Der ganze ungeheure
Handelsprofit von Broken Hill wurde unwiderruflich nach Adelaide
gelenkt, und für Sydney verlohnte es sich später überhaupt nicht mehr
der Mühe, eine Bahn dorthin anzulegen. So steht denn Broken Hill unter
der Gerichtsbarkeit von Neusüdwales, das seine Richter 2000 Meilen weit
schicken muß -- meist durch andere Provinzen -- während Adelaide ruhig
und ohne sich zu beklagen, sämtliche Dividenden einstreicht.

Wir fuhren nachmittags um 4.20 ab und meist durch ebenes Land. Am
Morgen kamen wir in den ›Scrub‹, so heißen die mit verkrüppeltem
Buschwerk bewachsenen Gegenden, welche in den australischen Romanen
eine so große Rolle spielen. Dort lauert der feindliche Eingeborene,
schweift ungesehen umher, macht von Zeit zu Zeit plötzliche Ausfälle,
beraubt und tötet den allzu sichern Ansiedler und schleicht ins
Dickicht zurück, ohne eine Spur zu hinterlassen, welche der weiße
Mann zu entdecken vermöchte. Dort verirrt sich auch die Heldin des
Romanschreibers; alles Suchen nach ihr ist vergebens, sie wandert
hierhin und dorthin, bis sie ermattet und bewußtlos niedersinkt. Die
ausgesandten Retter gehen wenige Meter von der Stelle wo sie liegt
an ihr vorüber, ohne ihre Nähe zu ahnen, und erst viel später findet
irgend jemand zufällig ihr Gebeine und das hinterlassene Tagebuch,
das sie noch mit Aufbietung ihrer letzten Kraft geschrieben hat.
Eine verlorene Heldin im Scrub aufzuspüren, vermag keiner außer dem
eingeborenen Pfadfinder, und der gibt sich nur damit ab, wenn es dem
Romanschreiber in seinen Plan paßt.

Der Scrub erstreckt sein grünes Dickicht viele Meilen weit nach allen
Richtungen und sieht aus wie ein plattes Dach, in dem weder Riß noch
Spalte ist, oder wie eine große Decke ohne Naht. Sich im Scrub zurecht
zu finden ist ein Ding der Unmöglichkeit, er ist pfadlos wie eine
Wasserwüste. Und doch sagt man, daß der Eingeborene verirrte Wanderer
im Scrub, im Busch und in der Wüste aufspüren, ja ihnen selbst über
nackte Felsen oder Sandbänke folgen kann, von denen die Fluten jede
Spur eines Fußtritts hinweggespült haben.

Sowohl aus australischen Büchern, wie aus den mündlichen Schilderungen,
die mir gemacht wurden, habe ich die Ueberzeugung gewonnen, daß der
eingeborene Pfadfinder so viel Schlauheit, Scharfblick, Klugheit und
Beobachtungsgabe besitzt, wie man es bei keinem Volke der Erde, weder
unter Weißen noch Farbigen wiederfindet. In einer von der Regierung der
Provinz Victoria veröffentlichten Beschreibung der Negerbevölkerung
Australiens, heißt es unter anderm, daß der Eingeborene nicht nur an
der Rinde des Baumes die schwache Spur entdeckt, welche das Opossum
beim Klettern zurückläßt, sondern auch irgendwie zu erkennen vermag, ob
die Spur von gestern oder erst von heute herrührt.

Man sagt, der Ansiedler ~A~ habe einmal mit seinem Nachbar ~B~ eine
Wette gemacht, daß ein Eingeborener ~B~’s Kuh wiederfinden würde, wo
und wie er sie auch verbergen möchte. ~B~ zeigte dem Eingeborenen
die Fußspuren der Kuh und läßt ihn dann einschließen und bewachen.
Hierauf führt er das Tier auf eine Straße, von der nach allen Seiten
Kreuzwege abzweigen und die mehrmals wieder in der Runde zurückführt.
Er wählt die schwierigsten Pfade aus, treibt das Tier öfters durch
große Kuhherden, wo seine Spur unter den andern Rindern ganz verloren
geht, und bringt die Kuh schließlich wieder nach Hause. Nun entläßt
man den Eingeborenen aus seinem Gewahrsam, worauf er sofort im
Kreise herumgeht und die Fußspuren aller Kühe solange untersucht,
bis er die richtigen gefunden hat; dann folgt er den verschlungenen
Wanderungen der Kuh, ohne sich beirren zu lassen und entdeckt sie
zuletzt wirklich in dem Stall, wo ~B~ das Tier verborgen hat. Nun sage
mir einmal jemand, wodurch sich die Spuren der einen Kuh von denen
einer andern unterscheiden? Es muß irgend ein Unterschied vorhanden
sein, sonst könnte der Eingeborene sein Kunststück nicht ausführen.
Und wie merkwürdig, daß für den Abkömmling einer Rasse, von der viele
behaupten, sie stehe auf der niedrigsten geistigen Stufe menschlicher
Entwicklung, dieser wesenlose, schattenhafte Unterschied erkennbar ist,
welchen weder ich, noch einer meiner Volksgenossen -- selbst nicht der
verstorbene Sherlock Holmes[6] -- imstande wäre aufzuspüren.




Neunzehntes Kapitel.

        Es ist leichter gar nicht hineinzugehen als wieder
        herauszukommen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Der Zug kam jetzt auf seiner Fahrt durch ein freundliches Hügelland
und schlängelte sich an lachenden, grünen Tälern vorüber. Wir
sahen Gummibäume der verschiedensten Art, darunter wahre Riesen.
Einige hatten die Form und Rinde von Sykomoren, andere sahen
höchst absonderlich aus und erinnerten an die seltsamen Apfelbäume
auf japanischen Bildern. Ein ganz prächtiger Baum war mir völlig
unbekannt; er trug Tannennadeln in großen Büscheln, die untere Hälfte
hatte eine glänzend braune oder dunkle Goldfarbe, der obere Teil ein
kräftiges, lebhaftes, beinahe schreiendes Grün -- die Farbenwirkung war
zauberhaft. Der Baum muß wohl sehr selten sein; alle Exemplare, welche
wir zu sehen bekamen, standen auf einer Strecke, durch die wir in einer
halben Stunde fuhren. Noch ein anderer Baum fiel mir auf, eine Art
Fichte, wie man uns sagte. Die grüne Masse seines Laubwerks schien aus
haarfeinen Fäden gewoben und wölbte sich als Krone über dem geraden,
kahlen Stamme, wie eine aufsteigende zarte Rauchwolke. Er wuchs nicht
gesellig in Gruppen oder Paaren; jeder einzelne Baum stand abgesondert
von seinem Nachbar da. So verteilten sie sich in ihrer einsamen Größe
weit über Abhänge und grasbewachsene, schwellende Hügel, wo der
herrlichste Sonnenschein sie umflutete. Und so lange man den Baum noch
erblicken konnte, sah man auch seinen kohlschwarzen Schatten auf dem
glänzend grünen Teppich an seinem Fuß.

Wir fuhren häufig an blühenden Ginsterbüschen vorbei; die Pflanze
ist aus England eingeführt. Ein Herr, der vorübergehend in unser
Coupé kam, wollte mir den Unterschied zwischen gemeinem Ginster und
Stechginster erklären; es wurde ihm jedoch schwer, da er ihn selbst
nicht wußte. Zur Entschuldigung seiner Unkenntnis sagte er: vor diese
Frage sei er im Verlauf von mehr als fünfzig Jahren, die er bereits in
Australien lebe, noch niemals gestellt worden, und so hätte er sich
nicht damit abgegeben. Zu entschuldigen brauchte er sich eigentlich
kaum, denn nichts ist so allgemein verbreitet wie diese Untugend.
Um alles Neue und Fremdartige bekümmern wir uns, aber sich für das
Nächstliegende zu interessieren verstößt gegen die menschliche Natur.
-- Die verschiedenen Ginsterarten bildeten einen großen Schmuck der
Landschaft. Hier und da hob sich plötzlich ihr grelles Gelb mit
so leuchtendem Schein von dem düstern Hintergrund ab, daß man den
Atem anhalten mußte vor Staunen und Ueberraschung. Dazu kam noch die
einheimische Akazie mit ihrer üppigen Fülle goldgelber Blüten. Sie
wächst als Busch oder Baum und ist wegen ihres Wohlgeruchs bei den
Australiern sehr beliebt, denn den meisten dortigen Blumen fehlt der
Duft.

Der Herr, dem ich den Mangel an Belehrung über die Ginsterarten
verdankte, erzählte mir, er sei vor fünfzig Jahren mit sechsunddreißig
Schillingen in der Tasche aus England in die Provinz Südaustralien
eingewandert. Er kam als Abenteurer, ohne Gewerbe, ohne Beruf, ohne
Freunde, doch hatte er ein bestimmtes Ziel vor Augen: er wollte im
Lande bleiben, bis er sich 200 Pfund Sterling erworben hatte und dann
wieder nach der Heimat zurückkehren. In fünf Jahren hoffte er dies
Vermögen zu sammeln.

»Das ist jetzt über fünfzig Jahre her,« fügte er hinzu, »und ich bin
noch immer da.«

Beim Hinausgehen traf er in der Tür mit einem Freunde zusammen, den er
mir vorstellte. Wir plauderten und rauchten eine Weile miteinander, der
Freund und ich, und dabei kamen wir auf jene Unterhaltung zu sprechen.
Ich sagte, der Gedanke an das halbe Jahrhundert, welches sein Freund
in der Verbannung verlebt habe, sei für mich tief ergreifend, und ich
wollte, es wäre ihm gelungen, die 200 Pfund zu erwerben.

»O, darum machen Sie sich keine Sorge,« erhielt ich zur Antwort. »Ihm
ist es nicht schlecht ergangen, das Glück war ihm hold. Er hat nur aus
Bescheidenheit einige Einzelheiten seiner Geschichte verschwiegen.
Damals kam er gerade rechtzeitig nach Südaustralien, um bei der
Entdeckung der Burra-Burra-Kupferminen mitzuhelfen, die in den ersten
drei Jahren 700000 Pfund Sterling eingebracht haben. Bis jetzt beläuft
sich ihr Gesamtertrag auf 20000000 Pfund, wovon mein Freund seinen
Anteil erhalten hat. Er war noch nicht zwei Jahre im Lande, da hätte er
heimkehren und sich ein ganzes Dorf kaufen können, und ich glaube, wenn
er wollte, könnte er sich jetzt eine Stadt kaufen. Nein, der Mensch
ist nicht zu beklagen; sein Kupfer wurde zu jener Zeit eine wahre
Rettung für Südaustralien, denn eben waren die großen Landspekulationen
fehlgeschlagen und alle Geschäfte lagen darnieder.«

Habe ich’s nicht gesagt? -- Die romanhaftesten Geschichten sind in
diesem Erdteil ganz an der Tagesordnung!

Im Jahre 1829 hatte Südaustralien noch keinen Weißen gesehen. 1836
gründete das britische Parlament dort in der Wüste eine Provinz,
ernannte den Gouverneur und setzte die Regierung ein. Nun bemächtigten
sich eifrige Unternehmer der Sache, man erwarb große Strecken Landes,
beförderte die Einwanderung und lockte die Leute durch glänzende
Versprechungen. In London wurden die Aktien der Gesellschaft fleißig
ausgeboten und Mitglieder aller Stände, selbst des Adels und der
Geistlichkeit, kauften was sie nur bekommen konnten. Die Ansiedlung
begann; in den Sandregionen und den Sümpfen am Meeresstrande, die
der Mangrove-Baum durchwurzelte, wurde Land abgesteckt, wo eine
Stadt gegründet oder eine Farm angelegt werden sollte. Immer neue
Scharen strömten herbei, der Preis für Grund und Boden stieg fort und
fort; alles freute sich seines Lebens und der Schwindel wuchs ins
Riesengroße. Mitten im Sande -- da wo jetzt Adelaide liegt -- sah
man Hütten von Eisenblech und hölzerne Schuppen gleich Pilzen in die
Höhe schießen; in den Wigwams des so rasch entstandenen Dorfes machte
sich jedoch die neueste Mode breit. Reich gekleidete Damen spielten
auf kostbaren Klavieren, Londoner Stutzer mit Frack und Lackstiefeln
stolzierten umher; die feine Gesellschaft trank Champagner und
führte in der armseligen Scheunenstadt ein Leben, wie sie es in den
vornehmen Vierteln der großen Weltstadt gewohnt gewesen. Man errichtete
Prachtgebäude für die Provinzialregierung und mitten in Gärten erhob
sich ein Palast. Der Gouverneur, der darin seinen Sitz hatte, umgab
sich mit einer Leibwache und einem Hofstaat. Straßen, Schiffswerften
und Hospitäler wurden angelegt. Alles auf Kredit, auf dem Papier, für
künstlich gesteigerte oder gefälschte Werte -- nichts als Wind und
leerer Schein!

Vier oder fünf Jahre lang ging die Sache flott, dann brach plötzlich
alles zusammen. Rechnungen für ungeheure Summen, die der Gouverneur
einschickte, wurden vom Schatzamt zurückgewiesen, der Kredit der
Kolonialgesellschaft ging in Rauch auf, es entstand eine Panik, alle
Werte fielen mit rasender Schnelligkeit. Die Einwanderer griffen
entsetzt nach Ranzen und Stab, und die Gegend, in der es noch soeben
von Menschen gewimmelt hatte, wie in einem Bienenkorb, war zur Einöde
geworden.

Adelaide hatte sich schnell entvölkert; es zählte nur noch 3000
Einwohner. Zwei Jahre lang dauerte die Todeserstarrung, es war keine
Aussicht auf Wiederbelebung, allmählich schwand jede Hoffnung. Dann
folgte auf den raschen Niedergang ebenso plötzlich die Auferstehung.
Die wunderbar reichen Kupferminen wurden entdeckt, der Leichnam
erwachte zu neuem Leben und tat vor Freuden einen Luftsprung.

Im Nu war alles wie umgewandelt. Die Wollproduktion nahm einen
gewaltigen Aufschwung, der Getreidebau blühte und zwar so üppig,
daß die kleine Kolonie, welche früher ihr Mehl zu hohem Preise
einführen mußte -- man bezahlte einmal 50 $ für das Faß -- schon
vier oder fünf Jahre nach Auffindung des Kupfers einen bedeutenden
Getreidehandel trieb. Und noch immer war das Glück nicht erschöpft:
Nach einigen Jahren gefiel es der Vorsehung, ihr liebevolles Interesse
für Neusüdwales an den Tag zu legen und vor aller Welt zu bezeugen,
daß diese Kolonie um ihrer hohen Tugend und Gerechtigkeit willen,
einen besonderen Beweis der göttlichen Gnade verdiene. In Broken Hill
wurde -- wie bereits gesagt -- ein Silberschatz von unermeßlichem Wert
entdeckt; aber Südaustralien ging über die Grenze und nahm ihn mit Lob
und Dank in Besitz.

Unter unsern Mitreisenden war ein Amerikaner, der einen Beruf hatte,
den kein anderer Mensch auf Erden betreibt. Er kaufte nämlich
sämtliche Känguruhfelle in Australien und Tasmanien für ein New Yorker
Handelshaus. Die Preise waren nicht hoch, da kein Wettbewerb bestand,
aber doch kosteten ihn die Felle jährlich 30000 Pfund. Das wunderte
mich, da ich mir eingebildet hatte, das Känguruh wäre in Tasmanien
fast ausgestorben und auch auf dem australischen Festland nur noch
selten zu finden. In Amerika werden die Felle gegerbt und zu Schuhen
verarbeitet. Das gegerbte Leder bekommt einen neuen Namen, den ich
jedoch vergessen habe; soviel ich weiß, erinnert er ganz und gar nicht
an seine Abstammung vom Känguruh. Vor einigen Jahren versuchten die
Deutschen eine Zeitlang dem Manne Konkurrenz zu machen; da sie aber
das Geheimnis der Zubereitung des Leders nicht entdecken konnten,
gaben sie das Geschäft wieder auf. Also habe ich wirklich einen
Menschen gesehen, dessen Tätigkeit einzig in ihrer Art ist. Mir fällt
wenigstens kein anderes Beispiel ein, daß ein einzelner einen ganzen
Berufszweig für sich hat. Es gibt mehr als einen Papst, mehr als einen
Kaiser, sogar mehr als einen Gott, der noch auf Erden wandelt und vor
dem die Menschen auf den Knieen liegen. Ich habe selbst in Indien ein
paar solcher Wesen gesehen und gesprochen, und von einem sogar seinen
Autographen erhalten. Der kann mir gewiß noch einmal als Passierschein
irgendwo Einlaß verschaffen.

In der Nähe von Adelaide verließen wir den Zug und fuhren im offenen
Wagen über die Hügel zur Stadt hinunter. Die Fahrt dauerte etwa eine
Stunde und war unbeschreiblich schön. In vielen Windungen zog sich die
Straße an Klüften und Schluchten vorbei und bot die wechselvollsten
Aussichten und Szenerien: Berge, Klippen, Landhäuser, Gärten und Wälder
in wunderbarem Farbenglanz; die Luft war kräftig und frisch, der Himmel
blau, kein Wölkchen verdunkelte die herrliche Sonne. Zuletzt öffnete
sich die Bergkette, und nun breitete sich unten die weite Ebene aus,
die nach allen Seiten hin in zarten, weichen, duftigen Farbentönen mit
der nebligen Ferne verschwamm. An ihrem Rande dicht in unserer Nähe lag
Adelaide.

Wir fuhren hinunter und besichtigten die Stadt, in der nichts mehr
an die elenden Hütten und Holzschuppen erinnerte, aus denen sie zur
Zeit des Länderschwindels bestand. Sie macht im Gegenteil einen ganz
modernen Eindruck mit ihren breiten, dicht bebauten Straßen, den
schönen Privathäusern, die in Laubwerk und Blumen wie begraben sind,
und der stattlichen Menge öffentlicher Gebäude, in edlem, vornehmem
Stil.

Das Land hatte gerade wieder einen großen Glücksfall zu verzeichnen,
der alles in Aufregung brachte. Die Vorsehung wollte jetzt ihr
liebevolles Interesse für die benachbarte Kolonie -- Westaustralien
-- an den Tag legen und vor aller Welt bezeugen, daß sie wegen ihrer
hohen Tugend und Gerechtigkeit einen besonderen Beweis göttlicher
Gnade verdiene. Deshalb war in dieser Provinz kürzlich die goldene
Schatzkammer von Coolgardie eröffnet worden; aber Südaustralien kam
auch diesmal herbeigeschlichen und eignete sich mit Lob und Dank den
riesigen Goldschatz an. Wer brav ist und geduldig wartet, dem fällt
alles in den Schoß; er kann sogar die Pläne der Vorsehung durchkreuzen.

Südaustralien besitzt jedoch auch eigene hohe Verdienste; es gewährt
zum Beispiel jedem Fremden, der dort Zuflucht sucht, die gastlichste
Aufnahme -- ihm und seiner Religion. Nach der letzten Volkszählung hat
es zwar nur 320000 Einwohner, die Verschiedenartigkeit ihrer Religionen
läßt jedoch darauf schließen, daß sich Leute von allen Orten und Enden
des Erdballs darunter befinden. Das Verzeichnis aller dieser Religionen
macht einen höchst merkwürdigen Eindruck; man würde Mühe haben irgendwo
ein ähnliches aufzutreiben. Ich will eine Abschrift davon aus der
amtlichen Liste hierhersetzen:

    Englische Staatskirche          89271
    Römische Katholiken             47179
    Wesleyaner                      49159
    Lutheraner                      23328
    Presbyterianer                  18206
    Independenten                   11882
    Bibel-Christen                  15762
    Aeltere Methodisten             11654
    Baptisten                       17547
    Christliche Brüder                465
    Jüngere Methodisten                39
    Unitarier                         688
    Kirche Christi                   3367
    Gesellschaft der Freunde          100
    Heilsarmee                       4356
    Kirche des neuen Jerusalem        168
    Juden                             840
    Protestanten                     5532
    Mohammedaner                      299
    Anhänger des Konfucius etc.      3884
    Andere Religionen                1719
    Konfessionslos                   6940
    Nicht angegeben                  8046
                                  --------
                                   320431

Unter der Bezeichnung ›Andere Religionen‹, sind nach dem amtlichen
Bericht folgende zu verstehen:

    Agnostiker                     50
    Atheisten                      22
    Christgläubige                  4
    Buddhisten                     52
    Calvinisten                    45
    Christadelphianer             136
    Christen                      308
    Christkapelle                   9
    Christliches Israel             2
    Christlich Soziale              6
    Gotteskirche                    6
    Kosmopoliten                    3
    Deisten                        14
    Evangelisten                   60
    Exklusive Brüder                8
    Freie Kirche                   21
    Freie Methodisten               5
    Evangelische Gemeinde          11
    Griechische Kirche             44
    Hugenotten                      2
    Hussiten                        1
    Ungläubige                      9
    Maroniten                       2
    Mennoniten                      1
    Mährische Brüder              139
    Mormonen                        4
    Naturalisten                    2
    Orthodoxe                       4
    Unbestimmt                     17
    Heiden                         20
    Pantheisten                     3
    Plymouth-Brüder               111
    Rationalisten                   4
    Reformierte                     7
    Freidenker                    258
    Anhänger Jesu                   8
    Shaker                          1
    Sintoisten                     24
    Spiritisten                    37
    Theosophisten                   9
    Sekularisten                   12
    Adventisten                   203
    Gesellschaft f. inn. Mission   16
    Walliser Kirche                27
    Anhänger des Zoroaster          2
    Zwinglianer                     1

Man sieht daraus wie gesund die dortige Atmosphäre für die Religionen
ist. Alle kommen darin fort: Agnostiker, Atheisten, Freidenker,
Ungläubige, Mormonen, Heiden, unbestimmte Bekenntnisse. Und die großen
Sekten der Welt fristen dort nicht nur ihr Dasein, sondern blühen,
gedeihen und breiten sich aus -- alle, außer den Spiritisten und
Theosophisten. Das ist noch die wunderbarste Seite dieser merkwürdigen
Tabelle. Warum spielen die Geister wohl eine so kleine Rolle? Weshalb
verschwinden sie hier fast ganz vom Schauplatz, während man sich doch
aus dem Verkehr mit ihnen in der ganzen übrigen Welt einen willkommenen
Zeitvertreib macht? --




Zwanzigstes Kapitel.

        Der Mensch tut _viel_, um geliebt zu werden; um beneidet zu
        werden, tut er _alles_.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Der botanische Garten von Adelaide ist ein wahres Eden; bei uns zu
Lande wäre aber eine so paradiesische Schöpfung einfach ein Ding
der Unmöglichkeit. Wenn wir auch ein viele Morgen großes Glashaus
mit Dampfheizung bauen wollten, so bliebe das doch immer nur ein
Notbehelf, denn die schwüle Hitze, die enge, dumpfe Luft, die uns
zu ersticken droht, würden wir doch nicht los. In Australien dagegen
lacht die helle Sonne vom blauen Himmel, uns umfächelt ein köstlicher
Windhauch, und wir können alles, was bei uns im Treibhaus wächst,
üppig im Freien wuchern sehen. Als der erste weiße Ansiedler in das
Land kam, war es an Pflanzenarten fast so arm wie die Wüste Sahara;
jetzt findet man dort und in Ozeanien alles was die Erde trägt. Mit wie
gutem Erfolg Australien seinen Tribut von der Flora der ganzen übrigen
Welt eingesammelt hat, erkennt man allenthalben, wohin man blickt, in
Feld, Garten und Wald, sowie in dem üppigen Grün, das die Landstraßen
umsäumt. Bei jedem auffallend schönen und merkwürdigen Baum, Busch
oder sonstigen Gewächs, nach dem man fragt, erhält man sicherlich zur
Antwort, daß es aus irgend einem fremden Lande -- Indien, Afrika,
Japan, China, England, Amerika, Java, Sumatra, Neu Guinea, Polynesien
oder anderswoher stammt.

Im zoologischen Garten von Adelaide sah ich den einzigen ›Lachenden
Hans‹ oder Rieseneisvogel, der sich jemals gestimmt zeigte, mir
Aufmerksamkeit zu erweisen. Er sperrte den langen Schnabel weit
auf und lachte wie ein Dämon oder wie ein Verrückter, der bei dem
abgedroschensten Wortwitz in ein Hohngelächter ausbricht. Es klang
nicht wie tierische Laute; ich wäre überzeugt gewesen, daß ich
einen Menschen lachen hörte, hätte ich den wunderlichen Vogel nicht
vor mir gesehen, dessen Kopf und Schnabel viel zu groß sind für den
übrigen Körper. Mit der Zeit werden alle wilden Tiere Australiens
vermutlich ausgerottet werden, nur dieser Räuber wird übrig bleiben,
weil ihm der Mensch wohlgesinnt ist und ihm nicht nachstellt. Das hat
natürlich seinen guten Grund, wie immer, wenn wir einem wilden Geschöpf
Barmherzigkeit erweisen -- sei es Mensch oder Tier. Man verschont den
Vogel, weil er die Schlangen tötet. Ich kann dem ›Lachenden Hans‹, den
man auch Königsfischer nennt, zu seinem eigenen Besten nur ernstlich
raten, nicht alle zu vertilgen, sondern stets ein paar Schlangen am
Leben zu lassen.

Ebendaselbst sah ich auch den wilden australischen Hund, den Dingo.
Es war ein schönes, ebenmäßig gebautes Tier, das zwar etwas an den
Wolf erinnerte, aber einen freundlichen Ausdruck in den Augen hatte
und gesellige Neigungen zeigte. Der Dingo ist nicht importiert worden.
Als die Weißen zuerst auf das Festland kamen, fanden sie ihn schon in
großer Menge vor. Er gilt für den ältesten Hund in der Naturgeschichte,
man kennt seinen Ursprung und die Gegend, aus der seine Vorfahren
stammen, ebensowenig wie die Herkunft des Kamels. Zwar ist er der
vorzüglichste Hund, den es gibt, denn er bellt nicht; aber er hat
leider in einer schwachen Stunde der Versuchung nicht widerstehen
können und ist in die Schafhürden eingebrochen, um seinen Hunger zu
stillen. Damit war sein Geschick besiegelt; man jagt ihn jetzt, als
wäre er ein Wolf, weil man beschlossen hat ihn zu vertilgen, und dies
Todesurteil wird sicherlich vollzogen werden. Dagegen läßt sich nichts
einwenden, es ist vollkommen gerechtfertigt, denn die Erde ist für den
Menschen geschaffen worden -- das heißt, für den Weißen.

Der Name Südaustralien ist recht unpassend gewählt, weil alle
australischen Kolonien -- außer Queensland -- eine südliche Lage
haben. Man hätte die Provinz Mittelaustralien nennen sollen, denn sie
geht gerade mitten durch das Festland hindurch, wie die eingelegte
Platte in einem runden Tisch. Sie mißt 2000 Meilen von Süden nach
Norden und ihre Breite beträgt etwa ein Drittel der Länge. In einem
winzig kleinen Stückchen der südöstlichen Ecke wohnen neun Zehntel der
Bevölkerung. Das übrige Zehntel verteilt sich in andere Gegenden, wo es
sich nach Gefallen ausbreiten kann -- Raum genug ist dazu vorhanden.
Südaustralien hat in den Jahren 1871 und 72 eine zweitausend Meilen
lange Telegraphenverbindung, zwischen Adelaide und Port Darwin an der
Nordküste, in gerader Linie durch die Wüste und die Wildnis gelegt.
Die Einwohnerzahl betrug damals erst 185000. Es war ein großes
Unternehmen, denn es gab weder Weg noch Steg, und ein Teil der Strecke
-- dreizehnhundert Meilen -- war vorher nur ein einzigesmal von weißen
Männern durchwandert worden. Alle Lebensmittel, alle Stangen und
Telegraphendrähte mußten durch weite Wüsten mitgeführt werden; ja, man
war genötigt, unterwegs Brunnen zu graben, damit Menschen und Tiere
nicht vor Durst umkamen.

Da bereits ein Kabel von Port Darwin nach Java und von dort nach
Indien gelegt war, und auch zwischen England und Indien telegraphische
Verbindung bestand, so brauchte Adelaide nur die Linie nach Port Darwin
zu eröffnen, um mit der ganzen Welt Anschluß zu haben. Das Werk gelang,
und nun konnte man täglich die Schwankungen des Londoner Marktes
beobachten, was den Wollproduzenten Australiens sofort einen ungeheuren
Gewinn brachte.

Einige Monate nach meinem ersten Aufenthalt besuchte ich Adelaide
abermals, um den Nationalfesttag der Provinz mitzubegehen. Alle Welt
strömte nach der benachbarten Stadt Glenelg, wo zur Erinnerung an die
Gründung der Kolonie, die Proklamation von 1836 öffentlich verlesen
wurde. Das Fest ward mit großem Jubel gefeiert; es ist das höchste im
ganzen Jahr, und das will viel sagen in diesem Lande, wo eine Sucht
nach Feiertagen herrscht, die den Engländern sonst fern ist. Es sind
meistens Arbeiterfeiertage, denn in Südaustralien ist der Arbeiter die
Hauptperson: er gibt den Ausschlag bei allen Wahlen, jeder Politiker
bewirbt sich um seine Stimme. Das Parlament ist nur dazu da, um
den Willen des Arbeiters zu verkünden, und die Regierung um ihn zu
vollstrecken. Ueberall in Australien spielt der Arbeiter eine große
Rolle, aber die Provinz Südaustralien ist sein Paradies. Mich freut,
daß er eins gefunden hat, denn es ist ihm sauer genug geworden in der
Welt und er hat es wohl verdient.

Wie duldsam die Provinz in religiöser Beziehung ist, haben wir bereits
gesehen. Sie zeichnet sich aber auch noch auf andere Weise aus: ihre
mittlere Temperatur beträgt 62°, und die Sterblichkeitsziffer 13 vom
1000 -- etwa halb so viel wie in New York. Das heißt, das ist die Zahl
für den Durchschnittsgänger; alte Leute sind ausgeschlossen, denen
kann der Tod hier nichts anhaben, wie es scheint. Es waren ihrer sechs
beim Festbankett zugegen, die sich noch an Cromwell erinnerten; auch
hatten sie die Verlesung der ursprünglichen Proklamation im Jahre 1836
mit angehört. Aeußerlich waren sie zwar von der Zeit nicht unberührt
geblieben, aber ihre Herzen hatten sich jung und froh erhalten. Sie
wurden nicht müde als Redner aufzutreten und Geschichten aus ihrer
Jugendzeit zu erzählen nebst allem was sie erlebt und gelitten hatten,
als es galt, unter harter Arbeit die starken Grundpfeiler ihres
Gemeinwesens, Freiheit und Duldsamkeit, aufzurichten.

Einer der sechs alten Herren machte mir später noch verschiedene
interessante Mitteilungen, hauptsächlich über die Ureinwohner des
Landes, von denen er sagte, sie wären in mancher Beziehung merkwürdig
begabt gewesen und hätten, neben einzelnen unangenehmen Eigenschaften,
auch ihre großen Vorzüge gehabt, weshalb das Aussterben der Rasse
sehr zu beklagen sei. Als Beispiele ihres erfinderischen Geistes
nannte er den Bumerang und das ›Weetweet‹, mit denen sie Wunder der
Geschicklichkeit verrichteten, die kein einziger Weißer je im stande
gewesen sei, ihnen nachzumachen. Nur der Eingeborene, meinte der Alte,
vermöchte die Bewegung des Bumerangs so zu lenken, daß er ihm allen
Willen tut. Auch erzählte er mir die unglaublichsten Dinge, welche die
Neger mit dem seltsamen Wurfgeschoß in seiner Gegenwart vollbracht
hätten; sie sind mir später durch andere alte Ansiedler bestätigt
worden, und auch in australischen Büchern habe ich davon gelesen.

Man behauptet -- und wir wollen es nicht bestreiten --, daß einige
wilde Stämme in Europa den Bumerang schon zur Römerzeit gekannt haben;
Belege hiefür finden sich bei Vergil und noch zwei anderen römischen
Dichtern. Auch den alten Aegyptern soll er nicht fremd gewesen sein.

Dadurch entstehen zweierlei Möglichkeiten: entweder ist jemand in
frühster Zeit mit einem Bumerang nach Australien gekommen, bevor
noch in Europa die Kunde davon verloren gegangen war, oder -- die
Ureinwohner jenes Erdteils haben ihn neu erfunden. Es wird nicht leicht
sein, ausfindig zu machen, auf welche von den beiden Arten die Sache
wirklich vor sich gegangen ist. Aber es hat keine Eile, man kann sich
alle Zeit zu der Untersuchung nehmen.




Einundzwanzigstes Kapitel.

        Wir besitzen in unserm Lande drei unschätzbare Güter, für
        die wir Gott gar nicht genug danken können: Redefreiheit,
        Gewissensfreiheit und die Klugheit, uns weder der ersteren
        noch der letzteren jemals zu bedienen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Ehe ich nach Australien kam, hatte ich überhaupt noch nie von dem
›Weetweet‹ reden hören, auch sind mir nur wenige Leute begegnet, die
selbst gesehen hatten, wie man es wirft. Es gleicht einer dicken
hölzernen Zigarre, welche man mit dem stumpfen Ende an einen biegsamen
Zweig befestigt hat; das ganze Ding ist ein paar Fuß lang, wiegt aber
kaum zwei Lot. Man schnellt es nicht in die Luft, sondern wirft es
eine Strecke weit vor sich auf den Boden, von dem es abspringt, um
ihn in langen Sätzen immer wieder zu berühren, wie der flache Stein,
den ein Knabe über das Wasser hüpfen läßt. Freilich, der Stein findet
auf der glatten Fläche keinerlei Hindernis; ein Mann kann ihn mit
starkem Arm fünfzig bis fünfundsiebzig Meter weit springen lassen. Das
›Weetweet‹ hat es viel schwerer, denn es trifft bald auf Gras, bald
auf Sand und Erde, und doch hat ein geschickter Eingeborener es schon
zweihundert und zwanzig Meter weit hüpfen lassen, bis das Gestrüpp von
Farnkraut und Unterholz ihm den Weg versperrten. Hätte nicht Mr. Brough
Smyth dies mit eigenen Augen gesehen, die Strecke ausgemessen und die
Tatsache in seinem Buch über das Leben der Eingeborenen verzeichnet,
das er im Auftrag der Regierung von Viktoria geschrieben hat, so würde
ich es für unmöglich erklären, daß ein so federleichtes Ding auf
unebenem Boden so weit springen kann. Wie wird aber dies Kunststück
gemacht? -- Niemand weiß das; es verstößt anscheinend gegen alle
Gesetze der Natur, und keiner hat mir das Rätsel lösen können.

Mein Ansiedler sagte, das ›Weetweet‹ sei fast ebenso wunderbar wie
der Bumerang; er hätte es in seiner Jugend ganz unglaublich weit
fliegen sehen. Der Missionar J. G. Wood findet eine große Aehnlichkeit
zwischen den Sprüngen des ›Weetweet‹ und denen einer Känguruh-Ratte,
die angstvoll vor ihren Verfolgern flieht und den langen Schwanz
nachschleppt. »Das ›Weetweet‹,« sagt er, »schießt mit dem zischenden,
unheilverkündenden Laut einer Flintenkugel durch die Luft, erhebt sich
aber höchstens sieben oder acht Fuß vom Boden; es ist ganz erstaunlich,
wie weit die Australneger es werfen können.«

Sie müssen wirklich einen gehörigen Vorrat von Scharfsinn und
Schlauheit besessen haben, diese nackten, spindeldürren Eingeborenen,
wie hätten sie sonst so unnachahmliche Pfadfinder, so unvergleichliche
Bumerang- und Weetweet-Werfer sein können! Wahrscheinlich ist es dem
Rassenhaß zuzuschreiben, daß man so lange in der ganzen Welt der
Meinung war und noch heutzutage behauptet, sie stünden auf einer der
niedrigsten geistigen Stufen.

Träge sind sie allezeit gewesen, das ist wahr, und Trägheit ist ein
schlimmer Fehler, der Todfeind jedes höheren Strebens. Sie hätten doch
gewiß die Kunst erfinden können, wie man ein ordentliches Haus baut,
oder wie man das Land urbar macht und bepflanzt, aber das taten sie
nicht. Sie hatten kein Obdach, gingen nackt einher, nährten sich von
Fischen, Früchten, Beeren und mancherlei Gewürm und blieben bei all
ihrer Schlauheit doch nach wie vor echte Wilde.

Ihr Land, in dem sie hätten wachsen und sich mehren sollen, war so
groß wie die Vereinigten Staaten, und ansteckende Krankheiten wurden
ihnen erst durch die Weißen gebracht, nebst den anderen Wohltaten
der Zivilisation. Trotzdem hat die australische Rasse wohl zu keiner
Zeit mehr als 100000 Köpfe gezählt. Die Ureinwohner duldeten keine
Uebervölkerung; sie beschränkten ihre Zahl mit allem Fleiß, teils durch
Kindermord, teils durch gewisse andere Methoden. Als sie jedoch mit den
Weißen in Berührung kamen, brauchten sie sich in dieser Beziehung nicht
länger zu bemühen.

Die Zunahme der Bevölkerung zu hindern, verstand der Weiße noch viel
besser als der Eingeborene; er konnte die Zahl der Ureinwohner eines
Landes binnen zwanzig Jahren um achtzig Prozent verringern. So weit
hatte es der Australneger noch nie gebracht.

Als die Engländer in den dreißiger Jahren zuerst in Australien
landeten, sollen in der jetzigen Kolonie Viktoria noch 4500 Eingeborene
gelebt haben; davon kamen 1000 auf das sogenannte ›Gippsland‹ von denen
nach vierzig Jahren etwa 200 übrig waren. Der Geelong-Stamm schmolz
noch rascher zusammen: nach zwanzig Jahren lebten von 173 Leuten noch
34 und nach abermals zwanzig Jahren war nur noch ein einziger Mann am
Leben. Die beiden Melbourne-Stämme zählten 300 Köpfe, und 1875, als
die Weißen siebenunddreißig Jahre im Lande waren, höchstens 20. Zwar
haben sich noch hier und da Ueberreste verschiedener Stämme in der
Kolonie Viktoria erhalten, aber Vollblut-Eingeborene sollen jetzt,
wie man mir sagt, eine große Seltenheit sein; nur in den ausgedehnten
Länderstrecken von Queensland trifft man sie noch in ziemlicher Menge.

Die ersten Weißen waren nicht an den Verkehr mit Wilden gewöhnt. Sie
kannten nicht einmal das Grundgesetz der Eingeborenen, wonach der ganze
Stamm für jede Unbill verantwortlich ist, die einer seiner Angehörigen
jemand zugefügt hat. Man darf sich an jedem einzelnen dafür rächen,
ohne erst lange nach dem Schuldigen zu suchen. Wenn nun ein Weißer
einen Neger tötete, so handelten die Eingeborenen nach ihrem uralten
Gesetz und brachten den ersten besten Weißen um, der ihren Weg kreuzte.
Das kam den Europäern ganz schauderhaft vor und sie hielten es in ihrer
Entrüstung für völlig gerechtfertigt, derartige Geschöpfe vom Erdboden
zu vertilgen. Zwar brachten sie nicht alle Schwarzen um, aber doch so
viele, als es ihre eigene Sicherheit verlangte. Diese Vorsichtsmaßregel
haben sie von Anbeginn der Zivilisation bis auf den heutigen Tag stets
angewendet.

In den ›Skizzen aus dem Leben in Australien‹ von Mrs. Campbell Praed,
die ihre Kindheit in Queensland zugebracht hat, finden wir lehrreiche
Beispiele von der Art, wie Weiße und Schwarze einander anfänglich zu
reformieren suchten.

Ueber die Zeit, als die ersten Ansiedler sich in der ungeheuren Wildnis
von Queensland niederließen, berichtet Mrs. Praed u. a.: »Zuerst
zogen sich die Eingeborenen vor den Weißen zurück und beunruhigten
sie wenig; höchstens töteten sie dann und wann ein Stück Vieh aus der
Herde durch einen Speerwurf. Aber die Zahl der Squatter wuchs; jeder
nahm große Strecken Landes für sich in Besitz und brachte zwei oder
drei Dienstleute mit, so daß die Schäferhütten und die Stationen der
Viehzüchter vereinzelt und schutzlos inmitten feindlicher Negerstämme
lagen. Da wurden auch die Raubzüge der Schwarzen häufiger, und
Mordtaten waren bald an der Tagesordnung.

»Wie einsam es im australischen Busch ist, läßt sich kaum in Worten
schildern. Meilenweit dehnt sich der Urwald, den noch nie der Fuß eines
Weißen betreten hat, nach allen Seiten aus. Unabsehbare Strecken sind
mit den mächtigen Stämmen des Eukalyptus bewachsen, welche den roten
Gummi ausschwitzen, der wie phantastische Tropfsteingebilde von den
dünnen Zweigen herabhängt. An den steilen Schluchten wuchert langes
Gras in dichten Massen. Große baumlose Ebenen wechseln mit hügligem
Weideland, das hier und da von einem Gebirgszug, einer tiefen Kluft
oder einem ausgetrockneten Flußbett durchschnitten wird. Alles ist
wild, pfadlos und menschenleer; überall begegnet dem Auge dasselbe
einförmige Grau, außer wo der Akazienbusch zur Blütezeit seine
geflügelten, goldgelben Blumen entfaltet, oder der ›Scrub‹, der in
seiner Undurchdringlichkeit einem indischen Dschungel gleicht, wie ein
grüner, glänzender Gürtel die Einöde durchzieht.

»Das Gefühl der Verlassenheit wird noch durch die seltsamen Laute
der Tierwelt verstärkt, die wohl geeignet sind, selbst starke Nerven
zu erschüttern. Bei Tage hört man zuweilen das Getrampel einer Herde
Känguruhs, die in wilder Flucht dahinstürmen, das Rascheln der
Beutelratte oder den Fußtritt des Dingos, der durch das hohe Gras
zu seiner Höhle schleicht. Dazwischen schwirren Heuschrecken, der
Lachvogel läßt sein dämonisches ha! ha! ha! erschallen, Kakadus und
Papageien kreischen, die Krageneidechse zischt, und zahllose Insekten,
die sich im dichten Unterholz verbergen, summen ohne Unterlaß. Dazu
gesellt sich bei Nacht noch der schauerliche Klagelaut der Sumpfvögel,
das Geheul des Dingos und das ohrenzerreißende Gequake der Frösche.
Kein Wunder, wenn sich bange Furcht in das Herz des einsamen Squatters
schleicht und der Schlaf sein Lager flieht.«

Dies war der Schauplatz, auf dem sich so manches Drama mit blutigem
Ausgang abgespielt hat. Es ließ sich auch kaum etwas Anderes erwarten,
wenn man alle Einzelheiten bedenkt: Die Stationen der Viehzüchter waren
über die ganze ungeheure Wildnis verteilt, kaum ein halbes Dutzend
Leute wohnten beisammen in meilenweiten Zwischenräumen. Sie hatten
große Herden, während die Eingeborenen bei dürftiger Nahrung stets
Hunger litten. Und doch war das Land ihr Eigentum; die Weißen hatten es
nicht gekauft, das konnten sie gar nicht, denn die Stämme besaßen keine
Häuptlinge. Niemand war da, der die Befugnis gehabt hätte, einen Handel
abzuschließen, auch wären die Neger außer stande gewesen, einen solchen
Wechsel des Landbesitzes zu begreifen. Ueberdies verachteten die weißen
Eindringlinge die Stämme, deren Grund und Boden sie in Besitz genommen
hatten, und zeigten ihnen ihre Geringschätzung bei jeder Gelegenheit.
Wie hätte da der Beginn der Feindseligkeiten lange ausbleiben können?

»Auf der Nie Nie-Station,« erzählt Mrs. Praed, »hatte der arglose
Squatter in einer dunklen Nacht seine Hütte, wie er glaubte, vor
jedem Angriff sicher verwahrt und lag, in seine Decke gewickelt, in
festem Schlummer. Da kamen die Schwarzen geräuschlos durch den Kamin
herabgeglitten und schlugen ihm den Schädel ein, während er schlief.«

Diese wenigen Zeilen geben uns einen klaren Einblick in den Stand
der Dinge. Der Kampf hatte begonnen und sollte nicht eher enden,
bis eine der beiden Parteien sich dauernd der Obergewalt bemächtigt
hatte. »Verrat lauerte auf beiden Seiten,« fährt die Erzählerin fort.
»Die Schwarzen töteten die Weißen, sobald diese unbeschützt waren,
und die Weißen erschlugen die Schwarzen massenhaft, ohne Gnade und
Barmherzigkeit, so daß sich mein kindliches Gerechtigkeitsgefühl oft
gewaltig darüber empörte ... Die Neger wurden für wenig besser als
Tiere geachtet und in einigen Fällen hat man sie förmlich _vertilgt wie
Ungeziefer_.

»Ich will nur ein Beispiel anführen: Ein Squatter, dessen Weideplatz
von Negern umschwärmt wurde, denen er feindliche Absichten zutraute,
trat vor seine Hüttentür und hielt ihnen eine Ansprache. Er sagte, es
sei jetzt Weihnachtszeit, und da pflegten alle Menschen sich gütlich zu
tun, sie möchten schwarz oder weiß sein. Nun habe er aber viel Mehl,
Rosinen und allerlei gute Dinge in der Vorratskammer, und er wolle
ihnen einen Pudding machen, wie sie ihn ihr Lebtag noch nicht gekostet
hätten, einen so großen Pudding, daß alle davon essen könnten, bis sie
satt wären. Die Neger hörten auf seine Worte, und da war es um sie
geschehen. Von dem Pudding bekam jeder sein Teil; aber am nächsten
Morgen ging lautes Heulen und Wehklagen durch das Lager. Der Zucker war
mit Arsenik vermischt gewesen.«

Eigentlich war der Squatter ganz in seinem Recht, verwerflich war
nur die Methode. Seine Gesinnung unterschied sich in nichts von
derjenigen, welche der zivilisierte Weiße gewöhnlich gegen den Neger
hegte, aber die Anwendung des Gifts war ungebräuchlich. Darin lag auch
meiner Meinung nach das hauptsächlichste Unrecht. Im übrigen scheint
mir sein Verfahren besser, menschenfreundlicher, rascher und weniger
unbarmherzig als manches andere, welches die Sitte geheiligt hat. Vor
der Anwendung so ungewöhnlicher Mittel muß man sich hüten, weil sie
die Einbildungskraft des Publikums auf krankhafte Weise beschäftigen.
Sie machen den Eindruck nutzloser Grausamkeit und bringen unsere
Zivilisation in Verruf, was bei den alten gewalttätigen Methoden nicht
der Fall ist, weil sie längst hergebracht und also unschuldig sind. In
vielen Ländern haben wir den Wilden angekettet und Hungers sterben
lassen oder ihn am Marterpfahl verbrannt; wir haben die Schwarzen,
samt Frauen und Kindern, mit Hunden durch Wälder und Sümpfe gehetzt,
um uns ein Jagdvergnügen zu machen und haben uns totlachen wollen über
ihre verzweifelten Sprünge, ihr Geschrei und ihr Flehen um Erbarmen.
Wo wir konnten, haben wir dem Neger Grund und Boden genommen und
ihn zu unserem Sklaven gemacht; wir haben ihm täglich die Peitsche
gegeben, seinen Stolz gebrochen, ihn gezwungen zu arbeiten, bis er vor
Erschöpfung zusammenbrach und den Tod als sein einziges Heil ansah.
Wäre es da nicht im Vergleich eine wahre Wohltat gewesen, ihn rasch
durch Gift zu töten? -- Noch heute bleiben wir im Matabele-Land der
vom Alter geheiligten Sitte treu, wir südafrikanischen Millionäre
und englischen Herzöge -- kein Mensch macht ein Aufhebens davon; wer
möchte auch an den alten heiligen Bräuchen rütteln? Wir verlangen nur,
daß keine neuen, aufregenden Methoden eingeführt werden, die unsere
Gewissensruhe stören. Mrs. Praed sagt über den Giftmischer: »Dieser
Squatter verdient, daß sein Name für alle Zeiten mit Abscheu von der
Nachwelt genannt werde.«

Es tut mir leid, dies Urteil zu hören. Ich selbst habe, wie gesagt,
nur das _eine_ an dem Menschen auszusetzen, daß er eine neue Methode
eingeführt hat, die geeignet _ist_, ein schlechtes Licht auf unsere
Zivilisation zu werfen. Das hätte er bleiben lassen sollen. Im übrigen
zeichnete sich dieser Squatter in mancher Beziehung vorteilhaft aus.
Wenn er irrte, so war daran mehr sein Verstand schuld als sein Herz.
Er ist fast der einzige Pionier unserer Zivilisation, von dem die
Geschichte erzählt, daß er sich über die angeerbten Vorurteile seiner
Kaste hinwegzusetzen vermochte und versucht hat, bei dem Verkehr der
höher begabten Rasse mit dem Wilden menschliches Erbarmen walten zu
lassen. Es ist zu beklagen, daß man seinen Namen nicht kennt, denn er
verdient von der Nachwelt mit Preis und Verehrung genannt zu werden.

In einer Londoner Zeitung stand folgender Artikel zu lesen:

»Wenn wir wissen wollen, auf welche Weise Frankreich die Segnungen
der Zivilisation in seinen auswärtigen Besitzungen verbreitet, so
brauchen wir nur einen Blick nach Neu-Kaledonien zu werfen. Um freie
Ansiedler zur Auswanderung nach dieser Strafkolonie zu bewegen, nahm
M. Feillet, der Gouverneur, den Kanakas ihre besten Pflanzungen
zwangsweise fort und gab ihnen dafür eine lächerliche Entschädigung,
trotz des Einspruchs, den der Generalrat der Insel dagegen erhob. Wer
sich entschloß, übers Meer zu fahren, um sich dort niederzulassen,
wurde sofort Besitzer von zahlreichen Kaffee-, Kakao-, Bananen- und
Brotfruchtbäumen, welche die armen Eingeborenen unter jahrelanger Mühe
und Arbeit großgezogen hatten; diese selber aber behielten nichts, als
ein paar Frankenstücke, die sie in den Branntweinschenken von Noumea
vertrinken konnten.«

Was ist das anders als Beraubung, Unterdrückung und langsamer Mord
durch Mangel und durch das Feuerwasser der Weißen? Der einzige edle,
großmütige und selbstlose Freund, den der Neger je gehabt hat, war
leider nicht zur Stelle, um ihm mit seinem vergifteten Pudding ein
gnädiges, rasches Ende zu bereiten.

Es gibt wunderliche Dinge in der Welt; aber eins der lächerlichsten ist
die Einbildung des weißen Mannes, daß er weniger barbarisch sei als die
andern Wilden.

Die Australneger pflegen sich im allgemeinen nicht von der romantischen
Seite zu zeigen, bis auf einzelne Ausnahmen. Mrs. Praed erwähnt ein
solches Beispiel. Zur Zeit als die Weißen und Schwarzen einander im
ganzen Lande verfolgten und umbrachten, reiste Mr. Murray, (der Vater
von Mrs. Praed) mit Frau und Kindern und einigen schwarzen Dienern
durch die Wildnis, um einer ihm befreundeten Familie beizustehen.
Unterwegs rasteten sie in einer Gegend, wo ein gewisser Donga Billy,
ein starker und berühmter schwarzer Krieger, häufig mit seinen
Gefährten umherschweifte. Bald bemerkte man denn auch die Spuren eines
Negerlagers in nächster Nähe.

»Es stand kein Mond am tiefblauen Himmel,« sagt Mrs. Praed, »nur die
lieben Sterne leuchteten durch die Nacht -- der Orion, das Unterste
zu oberst gekehrt, der Skorpion, das Kreuz des Südens -- und das
Lagerfeuer erhellte einen dunkeln Fleck Erde, wo hohes Gras über alten
Baumstämmen wucherte. Neben den mächtigen Gummibäumen nahmen sich die
Grasbäume mit den langen Büscheln ganz gespensterhaft aus; wie müde
Schildwachen hielten sie ihre braunen Speere in schräger Richtung.
In das Summen der Insekten mischte sich das klägliche Geschrei der
Nachtvögel und das Stampfen der Rosse. Mein Vater saß am Feuer,
beschäftigt, sich eine Peitschenschnur zu flechten, als ich unsern
Tombo heranschleichen sah.

»›Massa, ich glaube es lauern wilde Schwarze im Hinterhalt.‹

»Kaum hatte er das gesagt, als eine zweite dunkle Gestalt aus dem
Schatten der Bäume herangeschlichen kam -- ein Neger, der nur einen
Gürtel trug, sonst war er unbekleidet und mit roter und blauer Farbe
tätowiert und bemalt; am Halse hatte er Schnüre von Schilfperlen und
auf seiner starken Brust hing ein Amulett aus Knochen. Er war mit
Speer, Bumerang und Nulla-Nulla versehen, doch hielt er die Waffen
nicht zum Angriff bereit. Es lag etwas Freimütiges und Furchtloses in
seinem Wesen; offenbar hatte er weder nächtlichen Verrat noch sonst
einen Mordplan im Sinne.

»Mein Vater blickte auf und sah den Schwarzen. Doch griff er nicht nach
seiner Flinte, die in der Nähe des Platzes, wo er saß, an einem Baum
lehnte. Nun entspann sich die folgende Unterhaltung:

»›Murray?‹

»›Ja.‹

»›Ich bin Donga Billy. Meine schwarzen Gefährten sagen, du bist böse
auf mich.‹

»›Ja‹, wiederholte mein Vater mit unerschütterlicher Ruhe; dann
erklärte er, Donga Billy habe häufig auf den Ansiedlungen, die er
besuche, Aufruhr erregt und die Schwarzen veranlaßt, das Vieh mit
Speerwürfen zu töten, deshalb werde er seine Gegenwart in Naraigin, wo
er wohne, nicht dulden.

»›Gut!‹ lautete die Antwort. ›Ich fürchte mich nicht. Ich werde nach
Naraigin kommen. Wenn du böse bist, wirst du eine Pistole nehmen und
ich habe Speer, Nulla-Nulla und Bumerang. Wir wollen sehen, wer von uns
am stärksten ist und den andern tötet.‹

»Als Donga Billy mit seiner Rede fertig war, richtete er sich stolz in
die Höhe wie ein Held und wartete, ob die Herausforderung angenommen
würde.

»›Ja. Ich verstehe. Aber gehe jetzt weg!‹

»›Gut; ich gehe!‹ und er entfernte sich.

»Es vergingen einige Wochen, dann trafen sich die beiden in der
Schlacht. Donga Billy gehörte zu den wenigen Schwarzen, die sich ihrem
Gegner im offenen Kampfe stellen. Dies war vielleicht die erste und
letzte Gelegenheit im Leben des mutigen Eingeborenen, seine Waffen
gegen die Verteidigungsmittel der Weißen zu erproben. Mein Vater
erinnerte sich an jene Herausforderung und suchte ihn im Kampfe auf.
Donga Billy trat ihm tapfer gegenüber und focht wie ein Mann. Meines
Vaters Pferd ward vom Speer getroffen und er selbst mit dem Bumerang
schwer verwundet; aber die Pistole behielt die Oberhand und Donga Billy
ward zu seinen Vätern versammelt.«




Zweiundzwanzigstes Kapitel.

        Es gibt auf der Welt nichts so Unzuverlässiges wie unsere
        linke Hand, außer der Taschenuhr einer Dame.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Man merkt gleich, daß Mrs. Praed eine geborene Schriftstellerin ist:
sie schildert die Dinge so, daß man sie leibhaftig vor sich sieht. Mit
diesem Talent steht sie jedoch nicht allein; Australien ist reich an
Verfassern, in deren Schriften sich die Geschichte des Landes und das
Leben seiner Bewohner getreu widerspiegelt. Aus dem trefflichen Stoff,
der sich ihnen in Fülle bot, haben Marcus Clarke, Ralph Baldrewood,
Gordon, Kendall und andere, eine glänzende, lebenskräftige Literatur
entwickelt, die ihren Platz dauernd behaupten wird. Wahrlich, an Stoff
ist kein Mangel! Ueber die Ureinwohner allein könnte man eine ganze
Büchersammlung schreiben, so bunt und mannigfaltig sind ihre Sitten
und Charaktere, so ganz verschieden von allem Hergebrachten, das für
uns den Reiz der Neuheit verloren hat. Man braucht die romantische
Einkleidung nicht erst zu erfinden, sie bietet sich ganz von selber
dar. In der Geschichte der Ureinwohner, welche die Weißen aufgezeichnet
haben und in ihren Archiven bewahren, findet man alle Fehler und
Tugenden wieder, die ein Menschenkind nur jemals besessen hat:

Der eingeborene Australier ist ein Feigling -- das beweisen zahllose
Beispiele; aber in tausend Fällen hat er auch große Tapferkeit an
den Tag gelegt. Wie verräterisch er ist, läßt sich kaum mit Worten
sagen; doch ist er auch treu, anhänglich und wahrhaftig, was durch
manche edle, hochherzige Tat aufs rührendste und schönste bezeugt
wird. Oft hat er den halb verhungerten Fremden, der ihn um Nahrung
und Obdach bat, erbarmungslos umgebracht, dagegen aber auch einem
verirrten Weißen bereitwillig Hilfe geleistet, der noch tags zuvor
ohne jede Veranlassung auf ihn geschossen hatte, er hat ihn gespeist,
getränkt und ihm den sicheren Weg gezeigt -- auch dafür gibt es
Beweise. Der Wilde entführt seine widerstrebende Braut mit Gewalt,
wirbt mit Keulenschlägen um ihre Gunst und liebt sie dann treulich
ihr Leben lang. Stirbt sie, so nimmt er auf gleiche Art eine andere
Frau, mißhandelt sie täglich zur bloßen Kurzweil und gibt bei
Gelegenheit sein Leben hin, um sie zu schützen, falls ihr von außen
Gefahr droht. Er stellt sich hundert Feinden kühn entgegen, wenn es
gilt, eines seiner Kinder zu retten, und tötet ein anderes Kind mit
eigener Hand, weil er keine zu zahlreiche Familie haben will. Ihn
ekelt vor mancherlei, womit der Weiße sich nährt; aber verdorbene
Fische, gebratenes Hundefleisch, Katzen und Ratten ißt er gern, ja,
er verspeist seinen eigenen Oheim mit besonderem Behagen. Er ist ein
geselliges Geschöpf; doch wenn er seine Schwiegermutter vorbeigehen
sieht, weicht er ihr aus und versteckt sich hinter seinen Schild. Vor
Gespenstern und etwaigen Zufälligkeiten, die seine Seele gefährden
könnten, hat er eine kindische Furcht; drohen ihm aber körperliche
Schmerzen, so kennt er weder Schwäche noch Angst. Allen großen
Sternbildern und selbst vielen kleinen hat der Australneger Namen
gegeben. Er besitzt eine Zeichenschrift, durch welche er Botschaften
an nahe oder ferne Stämme senden kann; auch hat er ein richtiges Auge
für Form und Ausdruck und versteht ein gutes Bild zu zeichnen. Sein
scharfer Blick erkennt die Spur eines Flüchtlings, wo der Weiße nichts
zu sehen vermag, selbst der klügste Europäer begreift nicht, auf
welche Weise er die Fährte entdeckt. Er hat ein Wurfgeschoß erfunden,
das der Weiße lange Zeit vergebens gesucht hat nachzuahmen und über
dessen geheimnisvolle Kraft sich die Mathematiker siebzig Jahre lang
vergebens die Köpfe zerbrochen haben. Der Eingeborene verrichtet
Wunder damit, die dem Weißen ein Rätsel bleiben, selbst wenn man ihm
sagt, wie sie gemacht werden. Kurz, innerhalb gewisser Grenzen ist
der Wilde so aufgeweckt und zeigt einen so scharfen Verstand, wie nur
irgend ein Geschöpf Gottes, und doch ist der Aermste weder im stande
gewesen, ein Zahlensystem auszudenken, das über fünf hinausgeht, noch
ein Gefäß herzustellen, in dem man das Wasser zum Kochen bringen kann.
Es gibt keine zweite Rasse auf Erden, die so merkwürdige Gegensätze
in sich vereinigt; zwar ist sie so gut wie ausgestorben, aber ihre
eigentümlichen Charakterzüge werden in Geschichte und Ueberlieferung
unvergänglich fortleben.

Die folgenden Einzelheiten sind persönlichen Beobachtungen
des Regierungsbeamten Philipp Chauncy entnommen, welche er in
seinem Bericht über die Eingeborenen für das Archiv von Viktoria
zusammengestellt hat. Er rühmt besonders die Schärfe und Genauigkeit
ihres Blicks im Verfolgen der Richtung, die ein Wurfgeschoß nehmen
wird, sowie die Geschmeidigkeit ihrer Glieder und die Schnelligkeit,
mit der sie dem Wurf ausweichen. Von einem Wilden erzählt Chauncy, daß
er eine halbe Stunde lang als Zielscheibe für geübte Cricketspieler
gedient habe, welche versuchten, auf eine Entfernung von zehn bis
fünfzehn Meter aus allen Kräften mit dem Ball nach ihm zu werfen. Er
konnte sich nur mit dem Schilde decken oder durch eine plötzliche
Seitenbewegung dem Wurf entgehen, der ihn, wenn er traf, womöglich
getötet hätte; doch verließ er sich in aller Ruhe auf sein Auge und
seine Behendigkeit.

Dabei ist noch zu bemerken, daß der Schild des Australnegers nicht
breiter ist als ein Ofenrohr und etwa Armeslänge hat; der Weiße könnte
sich unmöglich damit schützen. Und wenn ein Cricketball kunstgerecht
geworfen wird, pflegt er plötzlich noch dicht vor dem Ziel die Richtung
zu ändern, und geradeswegs darauf loszufliegen, statt darüber hinaus
oder seitwärts, wie es den Anschein hatte. Ich selbst wäre nicht im
stande, mich auch nur zehn Minuten lang gegen solche Würfe zu decken.

Wir haben alle schon gesehen, wie ein Zirkusreiter vom Sprungbrett aus
über acht neben einander stehende Pferde hinwegsetzt. Chauncy sah einen
Wilden über elf Pferde springen, und man versicherte ihm, er spränge
gelegentlich auch über vierzehn.

Weit merkwürdiger ist aber noch folgendes Kunststück: Ein Eingeborener
schoß vom Boden aus einen Purzelbaum in der Luft ohne die Hände zu
gebrauchen und stülpte sich dabei einen Hut auf, den ein Reiter,
welcher aufrecht zu Pferde saß, mit der Oeffnung nach oben auf dem
Kopfe trug -- Roß und Reiter waren etwa mittelgroß. Den Hut auf dem
Kopf landete der Wilde glücklich hinter dem Pferde. Die Höhe des
Sprunges und die Sicherheit, mit welcher der Mann dabei genau in den
Hut hineintraf, sind wahrhaft staunenswert. Nun weiß man doch auch, von
wem das Känguruh seine Sprünge gelernt hat.

Sir George Grey und Mr. Eyre berichten, daß die Wilden im Sand
vierzehn bis fünfzehn Fuß tiefe Brunnen gegraben haben, die zwei Fuß
im Durchmesser hatten, ›ganz kreisrund waren und senkrecht in die
Tiefe gingen‹. Wie haben sie das gemacht? -- Sie hatten keine andern
Werkzeuge als ihre Hände und Füße. Wie haben sie den Sand von unten
aus dem Loch geworfen? Wie konnten sie sich in dem zwei Fuß großen
Raum bücken, um ihn auszugraben? Wie schützten sie sich davor, in
dem engen Schacht vom Sande verschüttet zu werden? -- Ich habe keine
Ahnung davon. Es scheint ein Ding der Unmöglichkeit -- und doch ist es
geschehen -- vielleicht haben sie den Sand verschluckt -- wer weiß!

Chauncy spricht voll Bewunderung von der Geduld, der Geschicklichkeit
und wachsamen Klugheit des Eingeborenen, wenn er auf die Jagd geht,
um den Emu, das Känguruh oder irgend ein anderes Wild zu erlegen.
Mit leichtem, geräuschlosem Tritt, kaum den Boden berührend, gleitet
er durch den Busch; sein scharfes Auge erspäht jede Fährte, ein
umgewandtes Blatt, ein geknickter Zweig, ein niedergetretener Grashalm
fesselt seine Aufmerksamkeit. Ihm entgeht nichts, weder auf der Erde
noch oben in den Bäumen, sei es nah oder fern, was ihm zur Nahrung
dienen oder ihn vor drohender Gefahr warnen kann. Am Stamm eines
Baumes, dessen Rinde die hinauf- und herunterkletternden Opossums über
und über zerkratzt haben, vermag er ohne Schwierigkeit zu erkennen,
ob eins der Tiere _am Abend zuvor hinaufgestiegen ist, ohne wieder
herunter zu kommen_.

Das wäre etwas für unsern Fenimore Cooper gewesen! Er hätte diese
Wilden zu schätzen gewußt und würde selbst den dümmsten von ihnen nicht
für den schlausten Mohikaner eingetauscht haben, den er je erfunden hat.

Alle Wilden pflegen Gegenstände in Umrissen auf die Rinde der Bäume
zu zeichnen, aber die Aehnlichkeit mit dem Vorbilde ist nicht groß
und in den Gesichtern fehlt der Ausdruck. Nur der Australier hat
es verstanden, Tiere zu zeichnen, die in Gestalt, Gang und Haltung
richtig sind und voller Geist und Leben. Auch seine Bilder von Weißen
und Eingeborenen sind nicht weniger gut; er kleidet die Weißen sogar
-- Herren wie Damen -- nach der neuesten Mode. Kein ungelehrter
Naturmensch hat wohl je den Stift mit so großem Geschick geführt wie
diese Wilden.

Man wird zugeben müssen, daß sie eine hohe Stelle unter den
Zeichenkünstlern einnehmen, wenn man alle Umstände in Betracht zieht.
Ich würde dem Eingeborenen seinen Platz etwa zwischen Botticelli
und Du Maurier anweisen. Das heißt, er zeichnet nicht so gut wie Du
Maurier, aber besser als Botticelli. Im Ausdruck sowohl als auch in
Bezug auf die Anordnung der Gruppen und sein Lieblingsthema, erinnert
er an beide. Seine ›Kriegstänze‹ aus der australischen Wildnis finden
ihr Gegenstück in Du Mauriers vornehmen Londoner Ballsälen; nur sind
die Tanzenden dort von der Kultur beleckt und haben Kleider an. In
Botticellis ›Frühling‹ ist das Gegenstück zwar noch idealisierter,
trägt aber weniger Kleider und ziert sich um so mehr. Die Absicht der
Künstler mag gut sein, aber -- das ist auch alles!

Der Wilde versteht -- wie bekannt -- Feuer zu machen, indem er zwei
Holzstücke aneinander reibt. Das ist keine Kleinigkeit -- ich habe es
selbst versucht und spreche aus Erfahrung.

Wieviel körperlichen Schmerz der Eingeborene ertragen kann, ist
kaum zu glauben. Henry Wollaston aus Melbourne, der Wundarzt war,
ehe er Prediger wurde, erzählt davon wahrhaft nervenerschütternde
Einzelheiten, mit denen ich den Leser jedoch verschonen will.

Nun werde ich mich wohl endlich von den Wilden losreißen müssen,
was ich höchst ungern tue, denn sie haben für mich eine ganz
außergewöhnliche Anziehung. Seit einem Vierteljahrhundert hat ihnen die
Regierung in allen Kolonien Stationen angewiesen, wo die Ueberlebenden
behaglich untergebracht, gut genährt und auf jede Weise versorgt
werden. Hätte ich das nur gewußt als ich in Australien war, so würde
ich mir die Leute angesehen haben. Ich ginge jetzt gern dreißig Meilen
weit zu Fuß, wenn ich auch nur einen einzigen ausgestopften Wilden zu
Gesicht bekommen könnte.




Dreiundzwanzigstes Kapitel.

        Deinen Anzug magst du meinetwegen vernachlässigen, doch im
        Herzen muß alles sauber sein.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Als wir nach längerem Aufenthalt Adelaide verließen, war unser nächstes
Ziel Horsham in der Kolonie Viktoria, eine ziemlich weite, aber
nicht unangenehme Reise. Das friedliche Landstädtchen liegt in einer
vollkommen flachen Gegend, wie wir sie in australischen Büchern so
oft beschrieben finden: während der kurzen Dürre ist sie grau, kahl,
düster, trübselig, der Boden rissig und versengt, und der erste Regen
verwandelt sie in ein endloses, wogendes Meer von grünem Gras. Horsham
sieht freundlich und einladend aus mit seinen hübschen Häusern und den
Gärten voller Blumen und Gebüschen.

       *       *       *       *       *

_Aus dem Tagebuch. Horsham 17. Oktober._ -- Wundervolles Wetter. Dem
Hotelfenster gegenüber, vor der Londoner Bank von Australien prangt
eine schöne kanadische Pappel im herrlichsten Frühlingsgrün; jedes
einzelne Blatt ist deutlich erkennbar, man meint ordentlich es wachsen
zu sehen. Am Ufer entlang und im hintern Teil des Gartens stehen hohe,
vielästige Bäume mit zartem, gefiedertem Laub, das jeder Windhauch
bewegt und auf deren üppigem Grün die Streiflichter in wechselnden
Farben spielen und funkeln gleich Opalen. Auf meine Frage erfuhr
ich, es seien Pfefferbäume, die aus China stammen; sie haben einen
weichen Seidenglanz und einige tragen lange Büschel mit roten Trauben
wie Johannisbeeren, die sich unter den Blättern verbergen. In der
Entfernung sieht der Baum dadurch bei gewisser Beleuchtung aus, als sei
er in Rosenfarbe getaucht, was seine Schönheit noch erhöht.

Acht Meilen von Horsham ist eine landwirtschaftliche Schule, die wir
besichtigen wollten. Der Vorsteher fuhr uns im offenen Wagen um die
Mittagszeit dorthin; die Luft war ganz still, der Himmel wolkenlos
und strahlender Sonnenschein -- 92° ~F.~ im Schatten. In anderen
Ländern würde eine solche anderthalbstündige Fahrt ohne Schutz und
Schirm die grenzenloseste Erschöpfung zur Folge haben; aber hier, in
diesem köstlichen Klima, ist davon keine Rede. Man fühlte die Hitze gar
nicht; ja, die Luft war überhaupt nicht heiß, sondern herrlich rein
und frisch. Hätte die Fahrt auch den halben Tag lang gedauert, wir
würden kein Unbehagen empfunden haben oder matt und schläfrig geworden
sein. Nur aus der ungewöhnlichen Trockenheit der Atmosphäre, welche in
jener Ebene herrscht, läßt es sich erklären, daß 112° im Schatten dem
Menschen dort nicht beschwerlicher sind als eine Temperatur von 80°
oder 90° in New York.

Unterwegs sahen wir die gewöhnlichen australischen Vögel -- hübsche
kleine grüne Papageien, Elstern und andere; auch den schlanken,
einheimischen Vogel mit dem dunkeln Gefieder und dem Namen, den ich
nie behalten kann; ich weiß nur, daß er mit einem M. anfängt. Er ist
der schlauste von allen Vögeln und plappert geläufiger als ein Dutzend
Papageien.

Die Elster war überall auf Feldern und Zäunen in Menge zu sehen. Dieser
schöne große Vogel hat schneeweiße Flecken und eine tiefe, volltönende
Singstimme. Früher soll er bescheiden und schüchtern gewesen sein,
aber seit er entdeckt hat, daß er der einzige Sänger von Australien
ist, fehlt es ihm nicht an Selbstbewußtsein. Eine zahme Elster zu haben
ist ein großes Vergnügen, denn sie besitzt alle Eigenschaften des
verzogenen Lieblings -- sie ist klug, mutwillig, unverschämt, kommt
nie, wenn man sie ruft, ist immer da, wo man sie nicht braucht und
übt sich mit großem Eifer im Ungehorsam. Man hält sie nicht im Käfig,
sondern läßt sie sich frei im Garten und Haus herumtreiben, gleich
dem Lachvogel. Ob sie sprechen kann weiß ich nicht, aber sie lernt
verschiedene Melodien singen und das Stehlen braucht man sie nicht
erst zu lehren. In Melbourne machte ich die Bekanntschaft einer zahmen
Elster, die seit mehreren Jahren bei einer Dame wohnte und der Meinung
war, das Haus gehöre ihr. Die Dame hatte sie abgerichtet und mußte nun
alles tun, was die Elster wollte. Der Vogel setzte seinen Willen stets
durch; sobald man seine Gegenwart nicht wünschte, kam er zum Vorschein,
er tyrannisierte den Hund und quälte die Katze schier zu Tode. Er
konnte viele Melodien und sang sie alle hinter einander ganz richtig
und im Takt, aber nur wenn er still sein sollte; forderte man ihn auf
zu singen, so war er verhindert und ging seiner Wege.

Lange war man der Meinung gewesen, daß in der dürren, wasserlosen
Umgegend von Horsham keine Obstbäume gedeihen könnten, aber die
landwirtschaftliche Schule hat den Gegenbeweis geliefert. Man zieht
Apfelsinen, Aprikosen, Zitronen, Mandeln, Pfirsiche, Kirschen,
achtundzwanzig verschiedene Apfelsorten, kurz alle möglichen Früchte in
reichster Fülle. Die Bäume schienen das Wasser nicht zu entbehren; sie
sahen sehr kräftig und wohlerhalten aus. Auch stellte man dort Versuche
an, um zu sehen, in welchem Erdboden dies oder jenes Gewächs am besten
gedeiht, und welches Klima ihm am meisten zusagt. Die Landwirte kommen
aus allen Gegenden Australiens herbei und holen sich in der Schule
guten Rat, wie sie ihr Land am vorteilhaftesten anbauen und den größten
Ertrag erzielen können.

Außer einigen Landwirten, welche die Anstalt besuchen, um sich
gründlicher auszubilden, kommen die meisten Zöglinge -- es waren
ihrer vierzig -- als gänzliche Neulinge aus den Städten. Mir schien
es sonderbar, daß junge Leute, die in der Stadt aufgewachsen sind,
Lust haben sollten, eine landwirtschaftliche Schule zu besuchen, aber
die Tatsache steht fest. Es sind sogar sehr tüchtige Schüler, die in
geistiger Beziehung über dem Durchschnittsstandpunkt der ländlichen
Bevölkerung stehen; sie bringen keine ererbten Vorurteile mit und
hängen nicht an uralten, törichten Mißbräuchen, die durch lange
Gewohnheit geheiligt sind.

An drei Tagen in der Woche arbeiten die Zöglinge von morgens bis
abends auf dem Felde, in der Baumschule und bei der Schafschur,
um die praktische Seite ihres Berufs zu erlernen. Die andern drei
Tage studieren sie und hören Vorlesungen über Chemie und ähnliche
Wissenschaften, die für die Landwirtschaft unentbehrlich sind. Wir
sahen die Schüler der zweiten Klasse bei der Schafschur ein Dutzend
Schafe scheren. Es geschah mit der Hand, nicht mit Maschinen. Das Schaf
wurde ergriffen, hingeworfen, festgehalten, und die Schüler nehmen ihm
rasch und geschickt seine Wolle ab. Manchmal schnitten sie freilich
auch ein Stückchen vom Schaf mit fort, aber das tun alle Schafscherer
ohne Gewissensbisse. Sie machen sogar noch weniger Aufhebens davon als
das Schaf selbst, schmieren rasch eine Salbe auf die Stelle und fahren
in ihrem Geschäft fort.

Das Vließ der Tiere war ganz unglaublich dick. Ehe das Schaf geschoren
ist, sieht es aus wie die dicke Frau im Zirkus, nachher gleicht
es einer hölzernen Bank. Die Wolle war bis auf die Haut glatt und
gleichmäßig abgeschnitten, sie kommt in einem Stück herunter und läßt
sich ausbreiten wie eine Decke.

Von Horsham fuhren wir mit der Bahn nach Stawell, das gleichfalls in
der Kolonie Viktoria liegt; in der Umgegend sind reiche Goldbergwerke.
Auf der Bank bewahrt man ein Fünflitermaß, das mit reinem, glänzendem
Goldstaub und Goldsand gefüllt ist, im Kassenschrank; es war ein
angenehmes Gefühl, ihn durch die Finger gleiten zu lassen, vielleicht
würde es noch angenehmer gewesen sein, wäre er daran kleben geblieben.
Auch ein paar Goldklumpen waren da, die sich nicht leicht heben ließen.
Sie hatten einen Wert von 7500 Dollars das Stück und kamen aus einem
ergiebigen Quarzbergwerk, von welchem zwei Drittel einer Dame gehören.
Ihr Einkommen beläuft sich monatlich auf 75000 Dollars; damit läßt sich
der Haushalt schon bestreiten.

In der Nähe von Stawell gibt es nicht nur Gold, sondern auch
ausgedehnte Weinberge, die ein treffliches Gewächs liefern. Am
berühmtesten ist der Musterweinberg des Herrn Irving, dessen
vorzüglicher Champagner und köstlicher Rotwein auch im Auslande beliebt
sind. Für Weißwein hat er vor zwei oder drei Jahren in Frankreich
einen Preis erhalten. Der Champagner wird in einem in den Felsen
gesprengten, unterirdischen Labyrinth aufbewahrt, um ihm während der
dreijährigen Lagerzeit, deren er zu seiner völligen Reife bedarf, eine
stets gleichmäßige Temperatur zu sichern. Ich habe in jenen Gewölben
120,000 Flaschen Champagner liegen sehen. Man sagt, daß die Bevölkerung
der Kolonie Viktoria, die sich auf eine Million beläuft, jährlich
25,000,000 Flaschen Champagner trinkt. Das müssen einmal durstige
Kehlen sein! -- Kürzlich hat die Regierung den Einfuhrzoll auf fremde
Weine heruntergesetzt. Solche Härten bringt der Schutzzoll mit sich.
Wenn ein Mann, im Vertrauen auf die bestehenden Gesetze, jahrelange
Arbeit und große Summen Geldes auf ein tüchtiges Unternehmen verwendet
hat, wird eines schönen Tages das Gesetz zu seinem Schaden umgeändert,
und die eigene Regierung raubt dem Unternehmer seinen rechtmäßigen
Gewinn.

Auf unserm Rückweg nach Stawell sahen wir die ›drei Schwestern‹, eine
merkwürdige Gruppe von Felsblöcken, die auf einer Hochebene liegen,
welche sich allmählich abdacht. Weit und breit ist kein Berg zu
sehen, von dem sie sich hätten loslösen können, vielleicht hat sie
das Gletschereis vor Urzeiten hergeführt. Es sind ganz ansehnliche
Felsstücke. Das eine ist so groß, glatt und ausgebaucht wie ein
Riesenballon in Kugelgestalt.

Die Straße führte durch einen Wald von großen, ausgetrockneten
Gummibäumen, die sehr trübselig dreinschauten; der Boden war
gelblichweiß, vermutlich eine Art Lehmerde. Von Zeit zu Zeit
begegneten wir großen Lastwagen, die von einer langen, doppelten Reihe
Ochsen gezogen wurden; sie fahren oft zweihundert Meilen weit, wie man
mir sagt, und tun den Eisenbahnen großen Abbruch, welche Eigentum der
Regierung sind und auf Staatskosten betrieben werden.

Die traurigen Gummibäume im gelben Lehmboden können als Sinnbild
der Geduld und Ergebung dienen. Zur Not behilft sich der Baum auch
ohne Wasser, doch hat er eine wahrhaft leidenschaftliche Begierde
danach. Auf eine Entfernung von fünfzig Fuß merkt der kluge Gummibaum,
wo Wasser im Boden verborgen ist, und sendet seine langen, dünnen
Wurzelfasern auf die Suche aus. Die finden es richtig und wissen ihm
beizukommen, wäre es auch durch eine sechs Zoll dicke Zementmauer. In
Stawell nahm eines Tages die Wassermenge einer Zementröhrenleitung
bedeutend ab und versiegte zuletzt ganz. Als man die Sache untersuchte,
ergab sich, daß das Rohr verstopft war; man fand es ganz angefüllt
mit einer undurchdringlichen Masse zarter, haarfeiner Wurzelfasern.
Zuerst konnte man sich gar nicht erklären, wie der Faserstoff in das
Rohr gekommen sei, bis man einen fast unsichtbaren Ritz entdeckte,
durch den die Wurzeln sich Einlaß verschafft hatten. Ein Gummibaum,
dessen Standort vierzig Fuß entfernt war, hatte das Rohr angezapft und
seither das Wasser getrunken.

In Australien bekommt der Reisende oft höchst ungewöhnliche
Wolkenbildungen zu Gesicht. So erging es uns auf dem Wege nach
Ballarat, weshalb wir bei dieser Reise mehr vom Himmel als von der
Erde sahen. Anfänglich war das ganze hohe Gewölbe mit winzigen,
blendend weißen Wölkchen bedeckt; sie hatten alle dieselbe Form,
waren an den Enden ausgefasert und durch gleiche Zwischenräume von
einander getrennt, wo das wundervolle Blau durchschimmerte. Es sah
aus, als würden zahllose Schneeflocken vom Sturmwind über den Himmel
gejagt; allmählich flossen die Flocken ineinander, es bildeten sich
lange Streifen und dazwischen mattfarbige Höhlungen, die sich in
scheinbarer Wellenbewegung fortwälzten, wie eine mächtig wogende See.
Dann wurden die Streifen immer dichter und teilten sich schließlich in
unzählige, hohe weiße Säulen von gleicher Größe, die sich quer über den
Himmelsraum perspektivisch aufstellten, so daß sie einen ungeheuren
Säulengang zu bilden schienen -- ohne Zweifel eine Luftspiegelung, die
aus den fernen Toren des Jenseits zurückgeworfen wurde.

Ehe man Ballarat erreicht, kommt man durch große dünne Strecken
hügligen Weidelands; hier und da weilt das Auge mit innigem Vergnügen
auf den goldgelben und dunkelgelben Ginsterhecken -- und auf dem
reizenden See. Der Gedankenstrich ist mit Fleiß eingefügt, um den Leser
aufzurütteln, damit er ja nicht vorübergeht ohne den See zu beachten.
Das wäre ein großer Verlust, denn die australische Eisenbahn führt zwar
häufig an trockenem Land, aber nur äußerst selten an einem schönen See
vorbei. Zweiundneunzig Grad im Schatten und dabei frische, balsamische,
köstliche Luft -- ein ganz herrliches Klima!

Vor sechsundvierzig Jahren war die Stelle, wo das heutige Ballarat
liegt, eine paradiesisch schöne Waldeinsamkeit. Keiner hatte je etwas
davon gehört. Aber am 25. August 1851 wurde in Australien hier zum
erstenmal eine größere Menge Gold entdeckt. Die wandernden Erzschürfer,
die es fanden, gewannen gleich am ersten Tage dritthalb Pfund Gold
im Wert von 600 Dollars. Schon nach ein paar Tagen wimmelte es dort
wie in einem Bienenstock -- eine Stadt war entstanden. Die Nachricht
von dem Goldfund hatte sich mit Blitzesschnelle nach allen Enden der
Welt verbreitet. So urplötzlich ist vielleicht nie zuvor ein Ort zu
allgemeiner Berühmtheit gelangt. Es war, als sei der Name ~BALLARAT~
mit Riesenbuchstaben an den Himmel geschrieben worden, wo alle Welt ihn
gleichzeitig lesen konnte.

Schon auf die Nachricht von den kleineren Goldfunden, die man
drei Monate früher in Australien gemacht hatte, waren Scharen von
Auswanderern nach Neusüdwales aufgebrochen; jetzt strömten ganze
Fluten herbei. In einem einzigen Monat kamen hunderttausend Menschen
aus England in Melbourne an und überschwemmten die Bergwerke. Die
Mannschaft der Schiffe, die sie herübergebracht hatten, zog mit
ihnen, dann folgten die Angestellten aus den Regierungsbureaus,
die Köche, Dienstmädchen, Kutscher, Kammerdiener und das übrige
Hausgesinde; desgleichen die Zimmerleute, Klempner, Buchdrucker,
Berichterstatter, Verleger, Anwälte, Klienten, Schenkwirte, Bummler,
Schwindler, Gauner, Dirnen, Krämer, Metzger, Bäcker, Doktoren,
Apotheker und Wärterinnen; auch die Polizei ging mit, und sogar hohe
Beamte gaben ihre vielbeneideten, angesehenen Stellungen auf, um sich
dem Zuge anzuschließen. Die lawinenartig wachsende Menge stürmte aus
Melbourne hinaus und ließ die Stadt verödet zurück. Es herrschte
eine Sabbatstille, alles war gelähmt und zum Stillstand gebracht;
die Schiffe lagen müßig vor Anker, jedes Leben schien erstorben, nur
Wolkenschatten huschten noch über die leeren Straßen.

Bald war die paradiesische Waldeinsamkeit in Ballarat zerstört: der
Boden aufgerissen, zerkratzt, durchwühlt und ausgeplündert in der
fieberhaften Gier nach den verborgenen Schätzen. Eine himmlische
Gegend zu Schanden zu machen, ihr alle Anmut, Schönheit und
Fruchtbarkeit zu rauben, und sie in eine Stätte des Grauens und
Entsetzens umzuwandeln, versteht wohl niemand besser als die Goldgräber.

Was für Reichtümer wurden aber auch gewonnen! Während der Zeit, die
man brauchte, um das Schiff zu entladen und neu zu befrachten, hatten
die Auswanderer schon ihr Glück gemacht und konnten mit Schätzen
beladen in derselben Kajüte auf immer heimkehren, in der sie arm übers
Meer gekommen waren. Das heißt nicht alle -- aber doch manche. Die
Zurückgebliebenen -- soweit sie Zeit und Tod noch verschont und ihre
unstäte Wanderlust sie nicht fortgetrieben hatte -- habe ich selbst
fünfundvierzig Jahre später in Ballarat gesehen. Einst waren sie jung
und lustig gewesen, jetzt sind sie altersgrau und ernsthaft. Nichts
bringt sie mehr in Aufregung; sie reden von früheren Tagen und leben in
der Vergangenheit, in Rückerinnerungen; die Gegenwart ist für sie nur
ein Traum.

In Ballarat kam das Gold häufig in Klumpen vor; man fand dort größere
als in Kalifornien, ja die größten in der ganzen Welt. Zwei solcher
Goldklumpen hatten zusammen einen Wert von 90000 Dollars und wogen
jeder etwa 180 Pfund. Man bot sie dem ersten besten Armen zum Geschenk
an, wenn er sie auf seine Schultern laden und forttragen könne. So
freigebig hatte der Ueberfluß an Gold die Leute bereits gemacht.

Zuerst war Ballarat eine Zeltstadt und es wimmelte darin wie in einem
Ameisenhaufen. Alle Welt war zufrieden und auch anscheinend glücklich.
Doch das dauerte nicht lange. Die Regierung forderte plötzlich eine
Grubensteuer und zwar eine der schlimmsten Art, denn nicht von dem,
was der Goldgräber gefunden hatte, sollte er die Abgabe zahlen,
sondern von dem, was er möglicherweise finden könnte. Es war eine
Konzessionssteuer, und wer sie nicht bezahlt hatte, durfte nicht
anfangen auf seiner Parzelle zu graben.

Machen wir uns einmal klar, was das heißen will: Kein anderes Geschäft
auf Erden ist so unsicher wie das Goldgraben. Die Parzelle kann gut
sein, aber auch völlig wertlos; sie macht ihren Eigentümer vielleicht
in einem Monat zum wohlhabenden Mann, aber er kann auch ein halbes Jahr
im Schweiße seines Angesichts arbeiten und Zeit und Kraft vergeuden,
weil das zu Tage geförderte Gold nicht die Kosten deckt. Es wäre
gar kein übler Plan, wenn die Regierung dem Bergmann monatlich eine
Summe vorschießen wollte, um ihm Lust zu machen, die Schätze der Erde
auszugraben; aber ihn monatlich im voraus zu besteuern, an so etwas
hätte man in Amerika auch nicht im Traum gedacht. Dort wurde weder für
die Parzelle selbst, noch für den Ertrag, mochte er groß oder klein
sein, irgend welche Abgabe bezahlt.

Die Goldgräber von Ballarat sandten Proteste, Klagen, Bittschriften
ein -- alles umsonst. Die Regierung beharrte auf ihrem Willen; sie
fuhr fort die Steuer zu erheben und zwar unter Gewaltmaßregeln, die
jeden freien Menschen aufs äußerste erbittern mußten. Da zog sich ein
grollendes Gewitter zusammen und der Ausbruch des Sturms ließ nicht
lange auf sich warten.

Es war nur eine kleine Revolution, aber politisch von großer Bedeutung
-- ein Kampf um die Freiheit, eine Auflehnung gegen Willkürherrschaft
und Bedrückung, wie ihn die englischen Barone einst gegen König Johann
geführt, wie er bei Concord und Lexington ausgefochten worden. Dies
neue Beispiel einer verlorenen Schlacht, durch die der Sieg gewonnen
wurde, ist zugleich das schönste, ruhmreichste Blatt in der Geschichte
Australiens -- das Volk weiß es und ist stolz darauf. Das Andenken der
Männer, die auf den Schanzen von Eureka gefallen sind, wird treulich
bewahrt, und Peter Lalor, ihrem Führer, hat man ein Denkmal errichtet.

Die oberen Bodenschichten bei Ballarat waren durch und durch voll Gold;
sie wurden umgegraben, zerwühlt, durchpflügt, zerkrümelt und ihres
kostbaren Schatzes beraubt. Dann ging man tiefer in die Erde hinein,
bis zu dem Kiesbett der alten Bäche und Flüsse; man folgte ihrem Lauf,
grub den Kies aus, förderte ihn eimerweise durch den Schacht zu Tage,
wo er ausgewaschen wurde und einen reichen Goldertrag lieferte. Einige
der größten Goldklumpen fand man in einem alten Flußbett, 180 Fuß unter
der Erde.

Zuletzt kamen die Quarzgänge an die Reihe. Das ist keine Arbeit für
mittellose Leute. Quarzbau und Pochwerke erfordern große Ausdauer,
Geduld und Kapitalien. Es bildeten sich bedeutende Aktiengesellschaften
und mehrere Jahrzehnte lang sind die Gruben jetzt mit Erfolg
ausgebeutet worden und haben reiche Schätze geliefert. Seit 1853 hat
man aus den Goldbergwerken von Ballarat, alles in allem, Gold im Wert
von über dreihundert Millionen Dollars gewonnen. Also hat dieser
kleine, auf der Erdkarte kaum erkennbare Fleck, in vierundvierzig
Jahren etwa ein Viertel von dem Ertrag gehabt, den ganz Kalifornien in
siebenundvierzig Jahren lieferte. Die Summe, welche von 1848 bis 1895
incl. aus Kalifornien bezogen wurde, beträgt nach statistischen Angaben
aus der Münze der Vereinigten Staaten 1265217217 Dollars.

Ballarat ist jetzt eine Stadt von kaum 40000 Einwohnern. Da es aber
in Australien liegt, besitzt es alle Einrichtungen und Vorzüge der
modernsten Kultur, was sich ganz von selbst versteht. Ich sollte wohl
endlich aufhören, diese Tatsache immer wieder zu erwähnen, aber es wird
mir schwer, weil es mich stets von neuem überrascht. So will ich denn
nur noch berichten, daß die kleine Stadt einen Park von 326 Morgen
Flächeninhalt besitzt und einen Blumengarten, der 83 Morgen groß, mit
den kostbarsten Farnkrautanlagen und ungewöhnlich schönen Statuen
geschmückt ist. Besonders bemerkenswert ist auch der künstliche See,
mit einer Ausdehnung von 600 Morgen, auf dem eine kleine Flotte von
Kähnen, Segelbooten und kleinen Vergnügungsdampfern schwimmt.




Vierundzwanzigstes Kapitel.

        Klassisch nennt man Bücher, welche viel gelobt werden, die
        aber kein Mensch liest.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Wieder auf der Eisenbahn -- die Fahrt geht nach Bendigo.

       *       *       *       *       *

_Aus dem Tagebuch: 23. Oktober._ Um sechs Uhr aufgestanden; Abfahrt
7.30; bald kamen wir nach Castlemaine, einem der ältesten und
ergiebigsten Goldfelder, wo wir bis 3.40 auf den Zug warten mußten,
der uns dann in einer Stunde nach Bendigo brachte. Mein Reisegefährte,
ein katholischer Priester, war ein weit besserer Mensch als ich, was
er jedoch nicht zu wissen schien; man mußte ihn lieb haben, weil er so
reich an Gemüt, Geist und Herz war. Er wird noch zu hohen Ehren kommen,
wird Bischof, Erzbischof und Kardinal werden. Und zuletzt hoffentlich
ein Erzengel. Dann wird er sich einmal in der Ewigkeit meiner erinnern,
wenn ich zu ihm sage: »Wissen Sie noch, wie wir mit einander von
Ballarat nach Bendigo gefahren sind -- damals, als Sie nur der einfache
Pater C. waren und ich nichts im Vergleich zu dem, was ich jetzt bin?«

Die Fahrt nach Bendigo hat wirklich volle neun Stunden in Anspruch
genommen. Wir würden sieben Stunden erspart haben, wären wir zu Fuß
gegangen. Aber wir hatten ja keine Eile.

Auch in der Gegend von Bendigo wurden einige der ersten großen
Goldlager entdeckt. Jetzt ist dort der Quarzbau in starkem Betrieb,
ein Geschäft, das mehr Verstand, Ruhe und Ausdauer erfordert als alle
andern, die ich kenne. Der Ort ist voll himmelhoher Schornsteine
und Fördermaschinen; er sieht aus wie eine Petroleumstadt. Nur ein
Beispiel, wieviel Geduld man braucht: Eine dortige Gesellschaft hat
die Tiefbohrungen und das Schürfen _elf Jahre lang_ ununterbrochen
fortgesetzt, ohne eine Spur von Gold zu finden oder auch nur einen
Pfennig Ersatz zu bekommen -- dann stieß sie plötzlich auf eine
Goldader und wurde steinreich. Die elfjährige Arbeit hatte 55000
Dollars gekostet und der erste Fund war ein Goldkorn, so groß wie ein
Stecknadelknopf. Man verwahrt es als ungeheure Kostbarkeit hinter
Schloß und Riegel; der Fremde darf es nur mit abgezogenem Hut in
ehrfurchtsvoller Scheu betrachten. Als man es mir zeigte, kannte
ich seine Geschichte noch nicht. »Es ist Gold,« ward mir gesagt;
»betrachten Sie es genau mit dem Vergrößerungsglas. Wieviel glauben Sie
wohl, daß es wert ist?«

»Etwa zwei Cents, sollte ich meinen, oder vier englische Heller,« war
meine Antwort.

»Hm. Es hat elftausend Pfund gekostet.«

»Sie spaßen wohl?«

»Durchaus nicht. Ballarat und Bendigo haben die drei berühmtesten
Goldklumpen der Welt geliefert und dies hier ist der merkwürdigste. Die
beiden andern haben jeder einen Wert von 9000 Pfund, aber dieser kostet
noch ein paar Tausend mehr. Er ist klein und unansehnlich, trägt jedoch
seinen Namen mit Recht. Er heißt Adam, weil er das erste Goldkorn der
Grube war, und Adams Kinder zählen nach Millionen.«

Jawohl, Geduld ist vonnöten. In einem andern Bergwerk wurde siebzehn
Jahre lang mit großen Unkosten gearbeitet, bis der Erfolg die Mühe
belohnte, und bei einem dritten mußte man sogar einundzwanzig Jahre auf
den Ertrag warten. In beiden Fällen ersetzten sich dann die Auslagen
innerhalb eines Jahres mit Zinseszins.

Bendigo hat noch mehr Schätze geerntet als Ballarat. Beide
zusammengenommen haben etwa Gold im Werte von 650000000 Dollars
geliefert -- halb so viel als Kalifornien.

Daß mein Aufenthalt in Bendigo sich so angenehm und interessant
gestaltete, war hauptsächlich das Verdienst eines gewissen Herrn
Blank. Er machte mir das selber klar, indem er versicherte, er habe
bewirkt, daß die Stadt für mich das Fest im Rathaus veranstaltete,
bei dem mir zu Ehren so viele Reden gehalten wurden, die ich dankend
erwidern durfte; auf seine Veranlassung hin habe man mit mir die schöne
Spazierfahrt durch die Stadt gemacht, um mir alle Sehenswürdigkeiten
zu zeigen; seinem Einfluß sei es zuzuschreiben, daß ich Gelegenheit
erhielt, die großen Bergwerke zu besichtigen und das Hospital, wo
der kranke Chinese lag, der acht Wochen zuvor um Mitternacht in
seiner einsamen Hütte von Räubern überfallen, durch sechsundvierzig
Dolchstöße verwundet und dann skalpiert worden war. Als ich an sein
Bett trat, saß der jammervoll zusammengeflickte und bepflasterte
Unglückliche da, und tat, als ob er eins meiner Bücher läse -- auch
das war eine Veranstaltung des Herrn Blank. Außerdem hatte er sich
nach Kräften bemüht, mir bei dem katholischen Erzbischof von Bendigo
eine Einladung zur Tafel auszuwirken und den anglikanischen Bischof zu
bewegen, eine Abendgesellschaft für mich zu geben. Seinem Einfluß war
es auch zu verdanken, daß der Chef aller Zeitungsredakteure mit mir
in die umliegenden Wälder fuhr, wo sich uns von einem Berggipfel der
herrlichste Ausblick über weite Täler und bewaldete Höhen bot, den ich
in ganz Australien genossen habe. Als mich Blank zuletzt fragte, was
mir in Bendigo den größten Eindruck gemacht hätte und ich erwiderte, es
sei der gemeinnützige Geist und gute Geschmack der Einwohner, der sie
bewogen habe, die Straßen hundertfünf Meilen lang mit schattigen Bäumen
zu bepflanzen -- da teilte er mir mit, daß dies auf seine Veranlassung
geschehen wäre.

Aber, ich stelle Blank vielleicht in ein falsches Licht. Er hat gar
nicht _gesagt_, ich hätte das alles seinem Einfluß zuzuschreiben -- das
wäre ja unhöflich gewesen. Er hat es nur durch die Blume zu verstehen
gegeben, in leisen Andeutungen, so daß ich es von ferne ahnen konnte,
wie man den Wohlgeruch spürt, von dem die Luft erfüllt ist, wenn man im
Sommer durch die Felder geht. Es lag auch in seinen Andeutungen keine
Spur von Prahlerei und Selbstbewußtsein, nichts was man hätte übel
nehmen können -- aber doch _gab er es zu verstehen_.

Blank war ein Irländer, ein gebildeter, ernsthafter Mann, höflich und
freundlich in seinem Benehmen, unverheiratet und dem Ansehen nach 45,
höchstens 50 Jahre alt. Er suchte mich im Hotel auf und da hatten
wir die oben erwähnte Unterhaltung, bei der er mich gleich für sich
einzunehmen wußte, ohne daß es ihm irgend welche Mühe kostete. Teils
gefiel er mir um seines angenehmen, zuvorkommenden Wesens willen,
teils wegen der fabelhaften Vertrautheit mit meinen Werken, welche er
im Laufe des Gesprächs verriet. Er kannte sogar die allerneusten, und
ihr Inhalt war ihm so geläufig, als hätte er sie sein Lebenlang Wort
für Wort studiert. Das schmeichelte mir ungemein; noch nie war ich
so zufrieden mit mir selbst gewesen. Offenbar besaß der Mann einen
ungewöhnlichen Sinn für Humor, doch merkte man seinem Gesichtsausdruck
nichts davon an, er blieb immer ernsthaft und verzog keine Miene. Mich
aber brachte er die ganze Zeit über zum Lachen -- was recht anstrengend
war und zugleich ein großes Vergnügen -- denn alle Witze, die er zum
Besten gab, stammten aus meinen eigenen Büchern.

Beim Fortgehen wandte er sich an der Tür noch einmal um.

»Sie haben sich meiner wohl nicht mehr erinnert?« fragte er.

»Ich? -- Nein, wieso? Sind wir einander schon früher begegnet?«

»Das nicht, aber wir haben Briefe gewechselt.«

»Briefe?«

»Ja, vor vielen Jahren; es können zwölf oder fünfzehn Jahre sein --
vielleicht noch mehr. Aber natürlich --« er schwieg gedankenvoll und
fuhr dann fort: »An Schloß Corrigan werden Sie sich aber jedenfalls
erinnern?«

Nein, der Name kam mir ganz unbekannt vor. Einen Augenblick blieb Blank
mit der Klinke in der Hand zögernd stehen, dann sagte er, ich hätte
mich früher einmal für Schloß Corrigan interessiert; er würde gern
mit mir heute abend bei einem Glase heißen Grogs gemütlich darüber
plaudern, wenn ich ihn besuchen wollte. Da ich zum Mäßigkeitsverein
gehöre und mich freue einmal eine Ausnahme zu machen, nahm ich die
Einladung an.

Als meine Vorlesung um halb elf Uhr aus war, fuhren wir zusammen
nach seiner Wohnung, die sehr hübsch und geschmackvoll eingerichtet
ist und glänzend erleuchtet war. Gute Bilder hingen an den Wänden;
auf dem Kaminsims, in Nischen und Ecken standen allerlei indische
und japanische Vasen und sonstige Zierate; Bücher sah man, wohin man
blickte -- größtenteils meine Werke, was mich mit Stolz erfüllte. Ich
lehnte mich behaglich in die weichen Kissen des Armstuhls zurück und
zündete mir eine Zigarre an. Als der Grog gebraut war, schob mir Blank
einen Briefbogen hin und fragte:

»Kennen Sie das?«

Und ob ich es kannte! Das Papier trug ein verschlungenes Monogramm in
Gold, Rot und Blau, wie es vor Jahren in England Mode gewesen, und
darunter stand in saubern, gotischen Buchstaben mit blauer Druckschrift:

        =Mark Twain-Klub=

        =Schloß Corrigan
        den ... 187...=

»Merkwürdig!« sagte ich. »Wie kommt das in Ihre Hände?«

»Ich war Präsident des Klubs.«

»Nicht möglich! Sie --«

»Jawohl, der erste Präsident. Alljährlich wurde ich wieder gewählt,
solange die Versammlungen in meinem Schloß -- Corrigan -- stattfanden,
fünf Jahre lang.«

Nun zeigte er mir ein Album mit dreiundzwanzig Photographien meiner
Person. Fünf davon waren älteren Datums, die übrigen aus späteren
Jahren; das letzte Bild der Sammlung war erst vor einem Monat bei Falk
in Sydney gemacht.

»Die fünf ersten haben Sie uns geschickt; die übrigen sind gekauft.«

Ich fühlte mich wie im Paradiese. Bis spät in die Nacht hinein saßen
wir beisammen und plauderten ohne Ende über den Mark Twain-Klub vom
Corrigan-Schloß in Irland.

Die erste Kenntnis von diesem Klub hatte ich vor etwa zwanzig
Jahren durch einen verbindlichen Brief auf einem Bogen von der
oben beschriebenen Sorte erhalten, dessen Unterschrift lautete:
»Im Auftrag des Präsidenten. -- C. Pembroke, Sekretär.« Mir wurde
darin gemeldet, der Klub sei mir zu Ehren gegründet worden und man
hoffe, ich werde gegen diesen Beweis der Anerkennung, die man meiner
schriftstellerischen Tätigkeit zolle, nichts einzuwenden haben.

Natürlich sandte ich den gebührendsten Dank und gab mir dabei große
Mühe, meine innere Genugtuung nicht allzusehr durchblicken zu lassen.

Nun begann ein langer Briefwechsel. Mir wurden die Namen der
zweiunddreißig Mitglieder und die Liste des Vorstands: Präsident,
Vizepräsident, Sekretär, Schatzmeister u. s. w. zugeschickt, sowie
der Plan für die Zusammenkünfte, nebst einer Abschrift der Statuten
und anderweitigen Bestimmungen. Einmal monatlich sollten Artikel über
meine Werke verlesen werden und allgemeine, zwanglose Besprechungen
stattfinden; alle Vierteljahre aber eine Geschäftsverhandlung mit
darauffolgendem Abendessen und Tischreden gehalten werden. Die
Zuschrift machte mir große Freude, da sie bewies, mit wieviel Eifer und
Interesse die Mitglieder bei der Sache waren. Zum Schluß bat man um
meine Photographie und ich ging sofort hin, ließ mein Bild machen und
schickte es -- natürlich mit einem Briefe.

Zunächst erhielt ich das Abzeichen des Klubs, ein wahres kleines
Kunstwerk in seiner Art. Auf einem vergoldeten Untergestell erhob
sich ein malerisches Gewirr von Grashalmen und Binsen, daraus schaute
ein emaillierter Frosch hervor, der eine goldene Nadel auf dem
Rücken trug. Fiel das Licht seitwärts darauf, so sah man, daß die
zarten Binsenstengel sich zu einem Monogramm verschlangen -- es war
das meinige! -- Dies kostbare kleine Ding machte mir ein förmlich
kindisches Vergnügen, und ich konnte mich gar nicht satt daran sehen.

Der Klub hielt nun regelmäßige Sitzungen und der Sekretär versah
mich mit reichlicher Beschäftigung für alle meine Mußestunden. Er
erstattete mir ausführlichen Bericht über die Besprechungen meiner
Bücher im Klub. Meistens teilte er sie mir nur in geistvollen Auszügen
mit, was ihm vortrefflich gelang, war aber eine Rede ungewöhnlich
interessant, so stenographierte er sie und schrieb die schönsten
Stellen wörtlich für mich auf. Letzteres tat er besonders bei den fünf
besten Rednern, deren Stil und Ausdrucksweise ebenso verschiedenartig
wie charakteristisch war. Im Laufe der Zeit ward ich mit den
Eigentümlichkeiten dieser fünf Herren so genau vertraut, daß ich über
die Person des jedesmaligen Redners nie den geringsten Zweifel hegte.

Die Berichte wurden mir monatlich eingeschickt, auf großen Foliobogen;
fünfundzwanzig engbeschriebene Seiten, von denen jede etwa sechshundert
Wörter enthielt. Eine Riesenarbeit! Das Schriftstück zu lesen war
trotz seiner Länge sehr unterhaltend, aber es kam unglücklicherweise
nicht allein, sondern war von einer ganzen Liste von Fragen über die
Bedeutung einzelner Stellen und Aussprüche in meinen Büchern begleitet,
auf die der Klub Antwort zu haben wünschte. Jedes Vierteljahr trafen
auch noch die Aufzeichnungen des Schatzmeisters, des Komitees und des
Revisors ein, sowie der Schlußbericht des Präsidenten. Ueber sämtliche
Zuschriften sollte ich meine Meinung abgeben und auch sonst zum Besten
des Klubs allen möglichen guten Rat erteilen.

Mit der Zeit bekam ich ein wahres Grauen vor diesen Sendungen, das
mehr und mehr zunahm, bis mich schon im voraus ein kalter Schauer
überlief, wenn ich nur daran dachte. Denn ich bin von Natur ein träger
Mensch und Briefschreiben ist mir ein Greuel. Sobald die Schriftstücke
ankamen, mußte ich aber, -- um meiner eigenen Gemütsruhe willen --
alles stehen und liegen lassen, mußte mich hinsetzen und mir den Kopf
zerbrechen, bis ich die Antwort glücklich zu stande gebracht hatte.
Im ersten Jahr ging es noch ziemlich gut, aber in den vier folgenden
Jahren war der Mark Twain-Klub vom Corrigan-Schloß meine Qual, mein
Schreckgespenst, der Fluch und das Elend meines Lebens. Auch bekam ich
einen förmlichen Abscheu davor, mich ewig photographieren zu lassen.
Fünf Jahre war ich regelmäßig zum Photographieren gegangen, in der
Hoffnung, den unersättlichen Klub endlich zufrieden zu stellen, da riß
mir der Geduldfaden. Ich empörte mich gegen den unerträglichen Druck,
raffte alle meine Kraft zusammen, zerbrach die Ketten und war wieder
ein freier, glücklicher Mensch. Von jenem Tage an verbrannte ich die
dicken Briefe des Sekretärs sofort nach ihrer Ankunft, und mit der Zeit
blieben sie ganz aus.

Als wir nun an jenem Abend in Bendigo gesellig beisammen saßen,
bekannte ich diese ganze Geschichte ohne jeglichen Rückhalt, und Blank
antwortete mir mit derselben Offenheit. Zuerst schickte er ein Wort
der Entschuldigung voraus und gestand dann freimütig: _er_ sei der Mark
Twain-Klub, und es gebe außer ihm gar keine Mitglieder.

Eigentlich hätte ich mich darüber schrecklich erbosen sollen, aber mir
war gar nicht zornig zu Mute. Blank sagte, er habe nie nötig gehabt,
sein Brot selber zu verdienen, und als er dreißig Jahre alt gewesen
sei, hätte sich der größte Lebensüberdruß seiner bemächtigt. Das Dasein
erschien ihm als Last und Plage, jedes Interesse war für ihn erloschen.
Er war der Verzweiflung nahe und trug sich mit Selbstmordgedanken.
Da kam ihm plötzlich der Einfall, einen Phantasie-Klub zu gründen,
und er machte sich voller Eifer und Hingebung ans Werk. Die Tätigkeit
beglückte ihn und sie wuchs zusehends unter seinen Händen; immer
schwieriger und verwickelter wurden die Geschäfte, die ihm anfänglich
so einfach erschienen. Jede Vergrößerung seines ursprünglichen Planes,
die er sich ausdachte, vermehrte seine Freude und verschaffte ihm neue
Interessen. Er machte selbst den Entwurf zu dem Abzeichen des Klubs,
änderte und besserte tagelang daran und bestellte es endlich in London.
Nur das _eine_ Exemplar für mich wurde gemacht, der ›übrige Klub‹ mußte
sich ohne Abzeichen behelfen.

Die zweiunddreißig Mitglieder und ihre Namen, die fünf besten Redner
und ihr verschiedenartiger Stil, waren lauter Erfindungen von ihm,
ihre Reden und die Berichte darüber verfaßte er selbst. Wenn es nach
ihm gegangen wäre, und ich nicht die Flinte ins Korn geworfen hätte,
würde er den Klub bis auf den heutigen Tag fortgeführt haben. An jedem
einzelnen Bericht hatte er wochenlang im Schweiße seines Angesichts zu
arbeiten. Die Beschäftigung freute ihn, sie machte ihm das Leben wieder
lieb, und er empfand es als einen schweren Schlag, daß er den Klub
eingehen lassen mußte. Auch das Schloß Corrigan lag weder in Irland
noch sonstwo -- er hatte es gleichfalls erfunden.

Eine wunderbare Geschichte von Anfang bis zu Ende! Mir war ein so
mühsam ausgeklügelter, lustiger und arbeitsreicher Spaß noch nie
vorgekommen. Alles in allem war er wirklich gar nicht so übel; ich
hörte Blank ordentlich mit Vergnügen zu, als er ihn mir erzählte, und
doch habe ich mein Lebtag, so lange ich denken kann, einen wahren
Abscheu vor derartigen Scherzen gehabt.

Zuletzt sagte er noch:

»Erinnern Sie sich wohl an einen Brief, der vor etwa fünfzehn Jahren
aus Melbourne bei Ihnen ankam und über Ihre Vorlesungstour in
Australien, Ihren Tod und Ihr Begräbnis berichtete? -- Ein Schreiben
von Henry Bascom, dem Besitzer von Bascom Hall in Upper Holywell?«

»Jawohl.«

»Den Brief habe ich verfaßt.«

»Was sagen Sie!?!«

»Ja, ich habe es getan; warum weiß ich nicht. Der Gedanke fuhr mir
plötzlich durch den Kopf, und ich führte ihn ohne weitere Ueberlegung
aus. Es war sehr unrecht und hätte großen Schaden anrichten können; ich
habe es oft bereut und bitte Sie um Verzeihung. Bascom hatte mich auf
seiner Reise um die Welt mitgenommen, er sprach oft von Ihnen und wie
angenehm ihm Ihre Besuche auf seiner Besitzung gewesen wären. Da kam
ich einmal in Melbourne auf den Einfall; ich ahmte seine Hand nach und
schrieb den Brief.«

So ward mir denn nach vielen, vielen Jahren auch dieses Geheimnis
aufgeklärt.




Fünfundzwanzigstes Kapitel.

        Es gibt Menschen, die im stande sind die edelsten Taten zu
        vollbringen; nur _eines_ ist ihnen unmöglich, sie können
        es nicht unterlassen, Unglücklichen von ihrem Glück zu
        erzählen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Nachdem wir noch Maryborough und einige andere australische Städte
besucht hatten, schifften wir uns nach Neuseeland ein. Wenn es nicht
den Anschein hätte, als wollte ich mich mit meiner Weisheit brüsten, so
würde ich dem Leser sagen, wo Neuseeland liegt. Aber es geht ihm gewiß,
wie es mir erging: er glaubt, daß er es schon weiß. Im allgemeinen ist
man nämlich der Ansicht, daß Neuseeland irgendwo dicht bei Australien
oder Asien liegt und man auf einer Brücke hinübergehen kann -- aber
das verhält sich nicht so. Neuseeland liegt nirgends dicht am Lande,
sondern ganz für sich. Am nächsten ist es noch an Australien, aber
doch durchaus nicht nahe, sondern zwölf- bis dreizehnhundert Meilen
entfernt, und eine Brücke gibt es nicht. Ich weiß das alles von einem
Professor der Yale-Universität, den ich kurz vor meiner Reise nach dem
Stillen Ozean auf einem Eriedampfer traf. Um mit ihm ins Gespräch
zu kommen, brachte ich die Rede auf Neuseeland, in der Meinung, er
werde nach einigen allgemeinen Bemerkungen dies Thema fallen lassen
und von andern, ihm geläufigeren Dingen sprechen. War nur erst
einmal das Eis gebrochen, so konnten wir Bekanntschaft machen und
uns angenehm unterhalten. Zu meiner Ueberraschung setzte ihn jedoch
meine Frage keineswegs in Verlegenheit, er schien sie vielmehr mit
Freuden zu begrüßen. Fließend, ohne Anstoß, frei und zuversichtlich
sprach er über den Gegenstand, während ich ihm mit Staunen und stets
wachsender Bewunderung zuhörte, denn ich sah, daß er nicht nur wußte,
wo Neuseeland lag, sondern auch dessen Geschichte, Politik, Religionen
und Handelsverkehr bis ins einzelne kannte, und in der Flora, Fauna
und Geologie, den Erzeugnissen und klimatischen Verhältnissen der
Insel genau bewandert war. Als er geendet hatte, starrte ich ihn
wie verzaubert an und sagte mir: der Mann weiß alles; im Reiche
menschlicher Erkenntnis herrscht er als König.

Da ich begierig war, ihn noch mehr Wunder verrichten zu sehen, stellte
ich ihm nun andere verfängliche Fragen, aber da erging er sich in
Gemeinplätzen und kam nicht vom Fleck. Sobald man Neuseeland nicht aufs
Tapet brachte, glich er dem seines Haupthaars beraubten Simson und war
schwach, wie andere Menschen auch. Dies Rätsel ging mir so sehr im
Kopf herum, daß ich alle Scheu überwand und ihn geradezu bat, es mir zu
erklären.

Zuerst machte er Ausflüchte, dann meinte er lachend, es verlohne
sich nicht der Mühe, die Sache in Dunkel zu hüllen, er wolle mir das
Geheimnis anvertrauen, und erzählte folgende Geschichte:

»Letzten Herbst saß ich eines Morgens daheim bei der Arbeit, als
eine Visitenkarte mit einem mir fremden Namen hereingebracht wurde;
darunter stand eine Zeile, welche besagte, daß der unbekannte
Besucher ein Professor der Theologie an der Wellington-Universität
in Neuseeland war. Das setzte mich in große Verlegenheit, wegen der
Kürze der Frist. Denn nach der Satzung unserer Hochschule mußte er
von einem Mitglied der Fakultät zu Tische gebeten werden und zwar
noch für den nämlichen Tag; die Einladung auf einen der folgenden zu
verschieben wäre ein Verstoß gegen die herrschende Sitte gewesen.
Diese verlangt außerdem, daß wenn ein fremder Gast zugegen ist, das
Tischgespräch mit einem schmeichelhaften Hinweis auf sein Land, dessen
große Männer, gelehrte Anstalten, Verdienste um den Kulturfortschritt
und dergleichen eingeleitet wird. Dafür ist natürlich der Wirt
verantwortlich; er muß entweder jene Bemerkungen selber machen oder
Sorge tragen, daß ein anderer es tut. Meine Not war groß; je mehr
ich mein Gedächtnis befragte, um so ängstlicher war mir zu Mute. Denn
ich wußte ja gar nichts von Neuseeland, außer allenfalls wo es lag,
nämlich irgendwo dicht bei Australien oder Asien, so daß man auf einer
Brücke hinübergehen kann. Aber vielleicht war selbst das nicht richtig
und jedenfalls genügte es nicht für das Tischgespräch. Es mußte ja
der ganzen Fakultät zur Schande gereichen, wenn ich, ein Professor
der ersten Universität Amerikas, eine so grobe Unwissenheit verriet;
natürlich würde der Gast es weiter erzählen und sich über mich lustig
machen.

»Mich überlief es heiß bei dem Gedanken. Ganz aufgeregt ging ich zu
meiner Frau, sagte ihr alles und bat sie mir beizustehen, worauf sie
vorschlug, sie wolle den Besuch einstweilen empfangen und sagen, ich
sei ausgegangen, werde aber sogleich wiederkommen. Inzwischen solle
ich zur Hintertür hinausschlüpfen und Professor Lawson ankündigen, daß
er den Fremden zu Tische bitten müsse. Lawson wisse ja alles und könne
gewiß die Ehre der Universität retten. Ich folgte ihrem Rat, ward aber
schwer enttäuscht. Lawson -- dies schrecklich gelehrte Haus -- wußte
nichts von Neuseeland, als daß es irgendwo dicht bei Australien oder
Asien läge und man auf einer Brücke hinübergehen könne. Also war ihm
alle seine Gelehrsamkeit nichts nütze, sie ließ ihn im Stich, wo er sie
am nötigsten brauchte.

»Was war zu tun? Der Ruf der Universität stand auf dem Spiel; wir
mußten die andern Mitglieder der Fakultät zu Hilfe holen. Vielleicht
wußte doch einer von ihnen mehr über Neuseeland als wir. Zuerst riefen
wir den Professor der Astronomie ans Telephon; er erwiderte, daß er nur
wisse, Neuseeland läge irgendwo dicht bei Australien oder Asien und man
ginge --

»Wir machten ›Schluß‹ und riefen den Professor der Biologie, welcher
sagte, es sei dicht bei Aust -- Abermals Schluß! -- Nein, das ging
nicht an, wir mußten einen andern Plan ausdenken. Lange überlegten wir
hin und her und trafen endlich folgende Entscheidung: Das Mittagessen
sollte bei Lawson stattfinden, und die Fakultät sofort per Telephon
benachrichtigt werden, daß sie sich vorbereiten und fleißig studieren
müsse, um nach acht und einer halben Stunde, wenn wir zu Tische kämen,
so genau über Neuseeland unterrichtet zu sein, daß wir vor dem Gast
nicht zu erröten brauchten. Um als gebildete Leute zu erscheinen,
mußten wir über Bevölkerungszahl, Politik, Regierungsform, Handel,
Steuern und Produkte des Landes Bescheid wissen, mußten seine alte
und neue Geschichte kennen, nebst den verschiedenen Religionen,
Gesetzen, klimatischen Verhältnissen, den Quellen, aus welchen sein
Einkommen floß und dergleichen mehr; kurz wir mußten die Karten und
das Konversationslexikon in- und auswendig lernen. Während wir uns so
das Nötigste einpaukten, sollten die Damen der Fakultät nach einander,
wie von ungefähr, zu meiner Frau herüber kommen und ihr beistehen, den
Neuseeländer festzuhalten, damit er ja nicht ins Freie gelangen und uns
bei unsern Studien stören könnte.

»Der Plan glückte vollkommen, aber er brachte alles zum Stillstand --
die ganze Kulturarbeit der Universität geriet plötzlich ins Stocken.
Die Annalen von Yale werden noch künftigen Geschlechtern von dem
denkwürdigen Feiertage erzählen, an welchem die Räder des Fortschritts
plötzlich gehemmt wurden und eine Sabbatstille eintrat, während die
Fakultät sich gebührend vorbereitete, um mit Ehren in Gegenwart des
Professors der Theologie aus Neuseeland bei Tische sitzen zu können.

»Als die Essensstunde kam, waren wir alle entsetzlich matt und müde,
aber wohl unterrichtet, das muß ich sagen. Unsere Kenntnisse waren
geradezu erstaunlich, und man konnte sich nicht genug wundern, wie
natürlich und ungezwungen sie uns von den Lippen flossen. Neuseeland
bildete ein völlig unerschöpfliches Thema der Unterhaltung.

»Auf einmal bemerkte jemand, daß unser Gast ganz verblüfft und stumm
dasaß, und wir waren sogleich eifrig bemüht, ihn in die Unterhaltung
zu ziehen. Da tat er den Mund auf und sprach uns in beredten Worten
eine so ehrliche, aufrichtige Bewunderung aus, daß die Fakultät davor
erröten mußte. Er sagte, er fühle sich unwürdig in der Gesellschaft
solcher Männer zu sitzen -- vor Staunen habe er geschwiegen, aber auch
vor Scham über seine Unwissenheit. ›Achtzehn Jahre lebe ich schon in
Neuseeland,‹ fuhr er fort, ›seit fünf Jahren bin ich Professor; ich
sollte das Land und seine Einrichtungen genau kennen und weiß doch so
gut wie nichts davon. Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich in
diesen zwei Stunden bei Tische hundertmal mehr über Neuseeland erfahren
habe, als je zuvor in der ganzen langen Zeit. Darum, bitte, meine
Herren, lassen Sie mich schweigend zuhören und fahren Sie mit diesem
Gespräch fort, bei dem ich Ihnen wenigstens folgen kann. Wenn Sie
irgend ein anderes Thema wählen, um Ihre Gelehrsamkeit zu entfalten,
würde ich mir ja ganz wie verraten und verkauft vorkommen. Wer über ein
so kleines, unbedeutendes Stückchen Erde wie Neuseeland so genaue und
umfassende Kenntnis besitzt, was mag der erst alles von andern Dingen
wissen!‹« --




Sechsundzwanzigstes Kapitel.

        Die allgemeine Menschenliebe ist unser köstlichstes Gut --
        aber, wie selten ist es auch!

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Aus dem Tagebuch. 1. November._ Wir fahren zwischen Tasmanien, dem
früheren Vandiemensland, und den benachbarten Inseln hindurch. Von
diesen Inseln aus haben die armen verbannten Wilden weinend nach ihrem
verlorenen Heimatland hinübergeblickt, und vor Sehnsucht ist ihnen das
Herz gebrochen. Mich freut es, daß die Vertilgung der eingeborenen
Rassen jetzt ein Ende hat, da fast alle so gut wie ausgestorben sind.
Von den Ureinwohnern Tasmaniens lebt wenigstens kein einziger mehr.

James Bonwick sagt in der Einleitung seines Buches über die
›verschwundene tasmanische Rasse‹:

»Die Eingeborenen Tasmaniens glaubten, sie seien allein auf der Welt.
Ihre Haut war dunkel, ihre Augen glänzend; große Zähne, ein starker
Unterkiefer, wolliges Haar, ein gekräuselter Bart, eine platte Nase,
ein Leib voller Narben, wohlgeformte Füße und kleine Hände zeichneten
sie aus. Die zerstreuten Stämme leben von der Jagd, den Ackerbau
kannten sie nicht. Um Feuer zu machen, rieben sie zwei Holzstücke
aneinander und brieten das Fleisch in der Asche. Sie besaßen weder
Haus, noch Kochgerät, noch Kleidung außer rohen Tierfellen, hatten
keine festen Wohnsitze und brauchten auch keine.

»Aber, trotzdem sie auf der tiefsten Stufe der Barbarei standen,
waren sie weder einfältig noch unglücklich. In ihrer tausendjährigen
Abgeschlossenheit hatten sie sich nicht über den rohesten Zustand
erhoben, doch waren sie Menschen und konnten denken und fühlen.

»Sie hatten wenig leibliche, noch weniger seelische Bedürfnisse,
dienten keinen Götzen und kannten keine Form der Gottesverehrung; nur
das wilde, schauerliche Getöse von Sturm und Gewitter erfüllte sie mit
unbestimmter Furcht. Ganz der Erde angehörig, Kinder an Verständnis,
ohne höheres Streben, zufrieden mit der Nahrung und Freude, die ihnen
der Tag brachte, lebten sie sorglos dahin, wie ihre Väter vor ihnen.

»Da landete eine andere Rasse auf der Insel, die auch das springende
Känguruh verfolgte. Der Eingeborene sah einen Menschen gleich ihm,
aber weiß von Haut, welcher Kleider trug und mit dem Donner bewaffnet
war, den er aus dem Himmel entwendet hatte. In jene Täler und Wälder,
wo sich die farbige Rasse solange unbekümmert ihres Lebens gefreut
hatte, brachte der fremde Eindringling Mißtrauen und Arglist. Mit einem
Schlage war alles verwandelt und ein neuer Himmel wölbte sich über den
Menschenkindern.«

Die englische Flagge wurde aufgehißt und, wie in Sydney, eine
Verbrecherkolonie gegründet. Zwar hatte die Regierung strengen Befehl
erteilt, daß die Weißen den Eingeborenen freundlich begegnen und sie
in ihrer Lebensweise nicht stören sollten, aber schon im Jahre 1804
kam es zu einem blutigen Zusammenstoß. Bei einer Känguruhjagd stürmten
etwa vierhundert Eingeborene mit Frauen und Kindern den Berg hinunter;
den englischen Soldaten war die Art der Wilden neu; in der Meinung, das
bedeute einen kriegerischen Ueberfall, feuerten sie auf die harmlosen
Leute und töteten ihrer fünfzig. Die Gegenwart der Frauen und Kinder
war der sicherste Beweis friedlicher Gesinnung, aber das wußten die
Soldaten nicht.

Von da ab scheiterten alle Bemühungen, das Vertrauen der Eingeborenen
wieder zu gewinnen, und sie nährten einen unversöhnlichen Haß gegen
die Weißen. Kein Wunder, denn sie kamen fast nur mit dem Auswurf
derselben in Berührung: mit entflohenen Verbrechern, die als
sogenannte Buschranger in den Wäldern hausten und vor keiner Schandtat
zurückbebten und mit andern Bösewichten, meist früheren Deportierten,
die auf einsamen Stationen als Diener der Weißen zerstreut in der
Wildnis Tasmaniens wohnten, oft mit den Schwarzen in Streit gerieten
und sie niederschossen.

Natürlich übten die Wilden Wiedervergeltung an allen Weißen, die in
ihre Hände fielen, und der Kampf der Rassen ward Jahrzehnte lang
auf beiden Seiten mit großer Grausamkeit fortgesetzt, wie sehr auch
die Regierung bemüht war, eine Versöhnung herbeizuführen und die
Eingeborenen zu schonen. Diese waren nicht zahlreich, aber wachsam,
schlau und behende; sie kannten jeden Schlupfwinkel in ihrem Lande und
es glückte ihnen trotz ihrer geringen Anzahl lange Zeit Widerstand zu
leisten, so daß sie vielen Weißen Tod und Verderben brachten.

Die Regierung ergriff die verschiedensten Maßregeln, um womöglich die
gänzliche Ausrottung der Eingeborenen zu verhindern: Sie wollte diese
auf eine benachbarte Insel schaffen lassen und bot für jeden lebendig
eingelieferten Schwarzen fünf Pfund als Prämie. Einen Wilden zu fangen
ist aber kein leichtes Werk, und bei den Streifzügen der Weißen wurde
meist, um einen Gefangenen zu machen, ein halbes Dutzend getötet. Das
lag nun nicht in den Absichten der Regierung und man schritt daher
zu einem andern Versuch: die Schwarzen wurden alle nach einem Ende
der Insel getrieben und man zog zur Abwehr eine Truppenkette quer
durch das Land. Auch das half wenig, denn die Eingeborenen brachen
unaufhörlich durch und fuhren fort zu sengen und zu morden.

[Illustration]

Nun erließ der Gouverneur eine gedruckte Proklamation, welche den
Schwarzen befahl, die öde Gegend, die man ihnen angewiesen hatte,
nicht zu verlassen! Aber das nützte nichts, weil keiner sie zu lesen
verstand. Es folgte nun eine Proklamation in Bilderschrift, die auf
Bretter gemalt und im Walde angenagelt wurde. Ich füge hier einen
photographischen Abdruck derselben bei.

Ihre Bedeutung war im wesentlichen folgende:

1. Der Gouverneur wünscht, daß Schwarze und Weiße einander lieben
sollen.

2. Er liebt seine farbigen Untertanen.

3. Wenn ein Schwarzer einen Weißen tötet, wird er gehängt.

4. Wenn ein Weißer einen Schwarzen tötet, wird er gehängt.

Die Ausführung ihrer mancherlei Pläne kostete der Regierung etwa 30000
Pfund; mehrere Tausend Weiße strengten jahrelang alle Kraft und allen
Scharfsinn an, um den gewünschten Zweck zu erreichen -- aber, es war
ein erfolgloses Bemühen. Endlich, nachdem die Feindseligkeiten zwischen
beiden Rassen ein Vierteljahrhundert gedauert hatten, wurde der rechte
Mann gefunden. Dies war Georg August Robinson, den die Geschichte ›den
Versöhner‹ nennt. Er war zwar weder ein gebildeter noch ein angesehener
Mann, sondern lebte als gewöhnlicher Maurer in der Stadt Hobart, doch
muß er eine ganz wunderbare Persönlichkeit gewesen sein. Ich wäre gern
weit gereist, um ihn einmal zu Gesicht zu bekommen, denn mag es auch
irgendwo seinesgleichen in der Weltgeschichte gegeben haben, so ist mir
doch davon nichts bekannt.

Die Aufgabe, die er sich stellte, war ein unerhörtes Wagestück. Er
wollte in die Wildnis hinausgehen, wo sich die zu Tode gehetzten
Eingeborenen, die kein Erbarmen kannten, in Sümpfen und Bergschluchten
versteckten; unbewaffnet wollte er unter sie treten und sie durch Liebe
und Güte bewegen, das wilde freie Leben in der Heimat, das ihrem Herzen
so teuer war, aufzugeben und ihm zu den verhaßten Weißen zu folgen.
Unter ihrem Schutz und Schirm und von ihren Wohltaten lebend, sollten
die Eingeborenen dann den Rest ihres Daseins verbringen.

Auf den ersten Blick glaubte man es mit dem Hirngespinst eines
Wahnsinnigen zu tun zu haben; alle Welt lachte und spottete darüber.
Zwanzig Jahre früher hätte auch die Regierung gelacht, aber jetzt
lieh sie dem Plan ihr Ohr; alle vernünftigen Maßregeln waren umsonst
erschöpft worden, weshalb sollte man es nicht einmal mit einer
unvernünftigen versuchen? Es konnte viel Gutes daraus entstehen und
nichts Schlimmes -- außer für den ›Versöhner‹ selbst.

Die Lage der Dinge war einzig in ihrer Art, etwas Aehnliches hatte
die Welt noch nicht erlebt. Die weiße Bevölkerung belief sich im
Jahre 1831 auf vierzigtausend, die Zahl der Eingeborenen betrug
dreihundert, Weiber und Kinder mit eingeschlossen. Die Weißen waren
mit Flinten bewaffnet, die Schwarzen mit Keule und Speer. So hatten
sie einander seit fünfundzwanzig Jahren befehdet, ohne daß die Weißen
den Sieg davontrugen, obwohl sie kein Mittel unversucht ließen, um die
Eingeborenen zu fangen, zu töten und zur Unterwerfung zu zwingen. Die
dreihundert unüberwindlichen Wilden wollten nicht nachgeben, keine
Bedingungen annehmen und sich bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.
Dabei war nicht einmal ein Dichter unter ihnen, der ihren Heldenmut neu
entfachen und ihre beispiellose Vaterlandsliebe in feurigen Gesängen
preisen konnte!

Nach einem Vierteljahrhundert erbitterten Kampfes trotzten die
überlebenden dreihundert nackten Wilden dem Gouverneur und seinen 40000
noch ungebrochenen Mutes. Man wußte sich weder Rat noch Hilfe.

Da ging der Maurer Robinson -- jener Wundermann -- in die Wildnis
hinaus, ohne Waffen und ohne Schutz, nur der Macht seiner Rede, seiner
treuen Augen und seines menschenfreundlichen Herzens vertrauend. Er
spürte die grimmigen Wilden in ihren Schlupfwinkeln auf, folgte ihnen
in die dunkeln Wälder und auf die beschneiten Berggipfel und bezwang
sie durch die Menschenliebe, die in ihm wohnte und mit überzeugender
Gewalt aus seinem Wort und Wesen sprach. Vier Jahre lang ging er
geduldig jeder einzelnen Gruppe der Schwarzen nach über Berg und Tal,
viele hundert Meilen weit. Kam er zuerst in ihre Nähe, so stürmten sie
auf ihn zu, um ihn zu töten, aber er wich und wankte nie, unbewaffnet
stand er vor ihnen und zwang sie ihn anzuhören. Aber alle, die seine
Rede vernahmen, warfen ihre Speere weg und zogen mit ihm.

In vier Jahren hatte er die Eingeborenen sämtlich herbeigebracht, ohne
einen Tropfen Blut zu vergießen; freiwillig waren sie ihm gefolgt,
hatten sich dem Gouverneur als Gefangene ergeben und dem Krieg ein Ende
gemacht, der seit dem Jahre 1804 von vielen Tausenden mit Pulver und
Blei vergebens geführt worden war.

Marsyas, der einst wilde Tiere durch den Zauber seiner Musik gezähmt
haben soll, gehört ins Fabelreich; aber das Wunder, das Robinson
vollbracht hat, ist eine geschichtlich beglaubigte Tatsache, die uns
mit Staunen und Ehrfurcht erfüllt. Weder das Altertum noch die Neuzeit
hat etwas aufzuweisen, das sich ihr an die Seite stellen ließe.

Und zum Andenken des größten Mannes, den Australien und Ozeanien je
hervorgebracht, ist dem ›Versöhner‹ Georg August Robinson von der
dankbaren Nachwelt ein stattliches Denkmal errichtet worden, das in
-- -- ach nein, ich bin im Irrtum -- es ist das Denkmal eines andern
Mannes, dessen Namen ich vergessen habe.

Robinsons eigene Zeitgenossen haben es jedoch nicht an Ehrenbezeigungen
für ihn fehlen lassen und sich dadurch selbst geehrt. Die Regierung
belohnte ihn mit einer großen Summe und verlieh ihm tausend Morgen
Land; das Volk aber hielt Massenversammlungen, um seine Tat zu
verherrlichen und es ward ihm, zum Zeichen der allgemeinen Hochachtung,
ein reiches Geldgeschenk übergeben.

Uebrigens hatte Robinson sein großes Unternehmen nicht unbedachtsam
begonnen; er war kein törichter Schwärmer, der sich blindlings in
Todesgefahr stürzt. Vor allem verlangte er, daß die Feindseligkeiten
seitens der Weißen gänzlich eingestellt würden, solange er sein
Friedenswerk betrieb. Für das Gelingen derselben verließ er sich
vor allem auf seine jahrlange genaue Kenntnis des Charakters der
Eingeborenen, die er als menschliche Wesen betrachtete und nicht als
wilde Bestien, wie es die Leute taten, die seinen Plan verspotteten.
Auch ging er nur ungern allein; aber, obgleich hohe Summen geboten
wurden, fand sich kein Weißer, der ihm unbewaffnet in die Wildnis
folgen wollte, nur mehrere Eingeborene beiderlei Geschlechts, die sich
den Weißen unterworfen hatten, ließen sich überreden, ihn zu begleiten,
trotzdem sie einem beinahe sichern Untergang entgegengingen. Ein
Beweis, wie groß sein Einfluß auf die Gemüter war.

Wenn wir bedenken, welchen Gefahren Robinson und seine schwarzen
Führer trotzen mußten, so erfüllt uns die größte Bewunderung für seine
Kühnheit und ihre unwandelbare Treue. Die wilden Stämme waren nirgends
vereinigt, sie hausten in einzelnen Gruppen von zwanzig, zwölf, sechs
oder selbst drei Personen in den Bergen, und es galt weite Strecken der
ödesten Gegenden zu durchwandern, wo kein lebendes Geschöpf, selbst
kein Vogel zu sehen war, weil sich dort keinerlei Nahrung vorfand.
Mitten im Winter mußten die Friedensboten unter unsagbarer Mühsal über
tiefe, reißende Ströme setzen, sechstausend Fuß hohe Berge erklimmen
und sich durch gefährliches Dickicht ihren Weg bahnen.

»Bei allen Beschwerden und Entbehrungen bewies die kleine Schar
jedoch einen wahren Heldenmut. In einem an den Sekretär Burnett
gerichteten Brief vom 2. Oktober 1844 hat Robinson später die Schrecken
geschildert, welche sie umgaben. Er sagt, die Eingeborenen hätten ein
förmliches Grauen vor den furchtbaren Bergpässen gehabt; sieben Tage
lang seien sie über ›endlose Eisfelder gewandert, wo die Schwarzen
oft über die Hüften im Schnee versanken‹. Doch der ermutigende Zuruf
ihres hochherzigen Freundes hielt die armen, schlecht gekleideten und
genährten, bis aufs äußerste ermatteten Männer und Weiber immer wieder
aufrecht, und sie wankten nicht in ihrer Ergebenheit.«

Bonwick, der uns dies alles schildert, sagt auch, daß Robinsons
friedlicher Sieg über den Big River-Stamm die größte Tat war, die
er vollbracht hat. Dieser Stamm stand unter dem allergefürchtetsten
Häuptling und war der Schrecken der ganzen Kolonie. Lange mußte
Robinson suchen und Drangsale aller Art durchmachen, bis er die
grimmigen schwarzen Krieger endlich im Westen einer wilden Berggegend
des Innern fand. Jetzt kam der entscheidende Augenblick. War auch das
Unternehmen bisher von Erfolg gekrönt gewesen, so hoffte doch Robinson
hier selbst auf kein Gelingen; er glaubte, seine Todesstunde sei
gekommen.

In drohender Haltung, den achtzehn Fuß langen Speer in der Hand,
stand der fürchterliche Häuptling da, hinter ihm seine kampfbereiten
Krieger mit haßerfüllten Mienen, aus denen der alte Ingrimm gegen die
weiße Rasse sprach. »Sie rasselten mit den Speeren und stießen ihr
Kriegsgeschrei aus.« Die Weiber hielten einen neuen Vorrat von Waffen
bereit, und alle harrten nur auf das Zeichen des Häuptlings zum Angriff.

Da nahm Robinson seinen ganzen Mut und alle Ueberredungskunst zusammen.
Er begann seine Ansprache in des Stammes eigenem Dialekt, was den
Häuptling verwunderte und ihm zu gefallen schien.

»Wer seid ihr?« fragte er.

»Eure Freunde.«

»Wo sind eure Schießgewehre?«

»Wir haben keine.«

Der Krieger staunte.

»Und eure kleinen Flinten (Pistolen)?«

»Wir haben keine.«

Es vergingen einige Minuten -- die Stammesgenossen berieten
untereinander. Inzwischen hatten sich Robinsons eingeborene
Begleiterinnen zu den wilden Frauen hinübergewagt, um sie günstig zu
stimmen. Der Häuptling aber trat zu den alten Weibern, welchen »die
eigentliche Entscheidung über Krieg oder Frieden oblag,« um mit ihnen
zu beraten.

»Auf das Schlimmste gefaßt,« fährt Bonwick fort, »harrte die kleine
beherzte Schar des Ausgangs; ihre ängstliche Spannung war jedoch nur
von kurzer Dauer. Da reckten die Frauen des Stammes dreimal die Arme in
die Höhe, das war ein untrügliches Friedenszeichen. Die Speere senkten
sich, und mit einem Seufzer der Erleichterung aus tiefer Brust und
einem dankbaren Blick nach oben wagten die Geretteten näher heran zu
treten. Als die Wilden in ihren Reihen Angehörige des eigenen Stammes
erblickten, stürzten sie jubelnd und weinend auf sie zu. Nun folgte ein
allgemeines Freudenfest, und mit Lachen und frohen Tänzen endete der
ereignisreiche Tag.

»So war auch dieser gefürchtete Stamm zu friedlicher Unterwerfung
gebracht worden. Um eine Handvoll Feinde zu bekämpfen, die sich nur
mit hölzernen Speeren verteidigten, hatte die Regierung Riesensummen
verausgabt und die ganze Bevölkerung der Kolonie zu den Waffen
gerufen -- das erfuhr man jetzt mit Staunen und Ueberraschung. Der
berüchtigte Big River-Stamm, unter dem sich die Europäer in ihrer
Furcht ein ganzes Heer vorgestellt hatten, bestand nur aus sechzehn
Männern, neun Frauen und einem Kinde. Aber wieviel Unheil hatten sie
in der ganzen Gegend angerichtet, welche wunderbaren Märsche hatten
sie gemacht, wieviel Beweise von Mut und kriegerischer Tüchtigkeit
gegeben! Alle eingeborenen Völkerschaften, welche je den Engländern
Widerstand geleistet hatten, sowohl die Zulus in Afrika als die Maori
in Neuseeland und die Araber im Sudan waren besser mit Waffen versehen,
auch weit zahlreicher und erfahrener in der Kriegskunst als die
nackten Tasmanier, die sich als so gefährliche Feinde erwiesen. Mit
Recht hat sie der Gouverneur Arthur eine edle Rasse genannt.«

Ein wunderbares Volk, diese Eingeborenen! Man hätte sie nicht
aussterben lassen, sondern sie mit der weißen Rasse vermischen sollen;
dieser wäre das nur vorteilhaft gewesen, und den Eingeborenen hätte es
keinen Schaden getan. Statt dessen wurde das Leben jener kühnen, wilden
Menschenkinder unnütz vergeudet. Man pferchte sie auf den benachbarten
Inseln in kleinen Ansiedlungen zusammen und die Regierung nahm sich
ihrer väterlich an, ließ ihnen Religionsunterricht erteilen und verbot
ihnen das Tabakrauchen, weil der Superintendent der Sonntagsschule das
Tabakrauchen nicht leiden konnte und das Rauchen für sündhaft erklärte.

Die Eingeborenen waren weder an Kleider noch Häuser, noch regelmäßige
Zeiteinteilung gewöhnt, Kirche, Schule, Sonntagsfeier, Arbeit und alle
andern übelangebrachten Quälereien der Zivilisation hatten keinen Reiz
für sie, und sie wurden die Sehnsucht nach dem freien, ungebundenen
Leben in der Heimat nicht los. Zu spät bereuten sie, ihren Himmel
gegen diese Hölle eingetauscht zu haben. Klagend saßen sie auf den
fremden Felsenklippen und schauten Tag für Tag mit nassen Augen ins
Meer hinaus, wo in der Ferne ihr einstiges Paradies in nebligen
Umrissen auftauchte; so verzehrten sie sich einer nach dem andern in
ungestilltem Verlangen, bis ihnen das Herz vor Heimweh brach.

Nach einigen Jahren war nur noch ein kleiner Ueberrest am Leben. Wenige
schleppten sich weiter bis ins Alter. 1864 starb der letzte Mann und
1876 das letzte Weib; es lebte nun niemand mehr von den Spartanern
Australiens.

Selbst der gutherzigste Weiße ist nun und nimmermehr befähigt für das
Wohl der Wilden zu sorgen, das ist eine alte Erfahrung. Er sollte
nur einmal versuchen den Spieß umzudrehen und sich vorzustellen, wie
ihm zu Mute sein würde, wenn ein wohlmeinender Wilder ihm sein Haus,
seine Kirche, seine Kleider, Bücher und Leckerbissen nehmen und ihn
in eine schauerliche Einöde verbannen wollte, unter Sand und Klippen,
Schnee und Eis, Hagel, Sturm und Sonnenglut, wo Schlangen, Aas und
Gewürm seine einzige Nahrung wären und er kein Obdach, kein Lager,
keine Decke fände, um seinen nackten Leib zu schützen. Das wäre für
ihn die Hölle auf Erden. Warum kann er denn nun nicht einsehen, daß
seine Zivilisation für den Wilden genau solche Hölle ist? Wahrlich, er
sollte Verstand genug haben, um das zu begreifen; aber daran fehlt es
ihm eben, daran hat es ihm zu allen Zeiten gefehlt. Wie wäre er sonst
imstande gewesen, die unglücklichen Eingeborenen zu der entsetzlichen
Qual seiner Zivilisation zu verdammen, und ein solches Verbrechen
obendrein im besten Glauben zu begehen? -- Er sah die armen Geschöpfe
in ihrer Pein, schaute sie voll ratloser Unruhe an und ahnte nicht,
was ihnen fehlen könne. Fast tun uns jene Missetäter leid in ihrer
bodenlosen Unwissenheit; sie haben es so aufrichtig gemeint, sie
waren so reich an guten, menschenfreundlichen Absichten! Weshalb die
verbannten Wilden dahinstarben, war und blieb ihnen unbegreiflich, bis
endlich ein Mann in einem gleichen Fall in Neusüdwales den Ausspruch
tat: »_Sie vergingen vor dem Zorn Gottes, der vom Himmel offenbar wurde
gegen alle Sündhaftigkeit und Gottlosigkeit der Menschen._«

Das erklärt ja die Sache!




Siebenundzwanzigstes Kapitel.

        Wie gut, daß es Narren in der Welt gibt, die den klugen
        Leuten zu ihrem Fortkommen helfen!

            _Querkopf Wilsons Kalender._


»Im rechten Augenblick kommt auch der rechte Mann,« ist ein wahres
Sprichwort. Man muß nur Geduld haben, sein Kommen abzuwarten. In
Robinsons Fall dauerte das ein Vierteljahrhundert, aber als der
Augenblick da war, legte der ›Versöhner‹ seine Maurerkelle hin und
schritt zur Tat. Mir fällt dabei eine Geschichte ein, die mir ein
Kentuckier einmal im Eisenbahnzug erzählt hat; ich will sie hier
wiedergeben, so gut ich sie noch in der Erinnerung habe:

Schon einige Jahre vor Ausbruch des Bürgerkrieges erkannten einsichtige
Leute an deutlichen Zeichen, daß die Stadt Memphis in Tennessee bald
ein großer Stapelplatz für den Tabakhandel werden würde. Memphis hatte
ein Werftboot zum Löschen der Güter, an welches die einlaufenden
Dampfer anlegten. Aller Warenverkehr zwischen den Schiffen und dem
Ufer ging über das breite Deck des Werftbootes hinüber und herüber.
Zur Aufsicht war dabei eine Anzahl junger Beamter angestellt, die
natürlich während einiger Stunden sehr viel zu tun hatten, aber den
Rest des Tages müßig gingen und sich sterblich langweilten. In ihrem
Jugendübermut griffen sie mit Wonne nach dem ersten besten Zeitvertreib
und fanden ihr Hauptvergnügen darin, einander irgend welchen
Schabernack zu spielen. Zur Zielscheibe solcher Späße wählten sie meist
ihren Kameraden Eduard Jackson, der selbst nie jemand etwas zu leide
tat und sich leicht anführen ließ, weil er alles aufs Wort glaubte.

Eines Tages teilte er den Gefährten seinen Plan für die Ferien mit.
Er wollte in diesem Jahre weder auf die Jagd noch auf den Fischfang
gehen, sondern mit dem Sümmchen, das er von seinen vierzig Dollars
Monatsgehalt erspart hatte, eine Reise nach New York machen.

Das war ein großartiges Unternehmen; etwa so merkwürdig wie heutzutage
eine Reise um die Welt. Zuerst glaubten die jungen Leute, Ed sei ein
wenig übergeschnappt; als sie aber sahen, daß es sein Ernst war,
kamen sie sofort überein, daß man die Gelegenheit nicht vorbeigehen
lassen dürfe, ohne ihm einen Streich zu spielen. Es fand eine geheime
Beratung statt und bald war der Plan fertig. Man beschloß, daß einer
der Verschwörer einen Empfehlungsbrief für Ed an Kommodore Vanderbilt,
den berühmten New Yorker Millionär, verfassen solle. Das ließ sich ohne
Schwierigkeit ausführen, auch konnte man Ed leicht überreden den Brief
abzugeben. Aber, was er bei seiner Rückkehr nach Memphis tun würde,
war eine ernstere Frage. Bisher hatte er zwar in seiner Gutherzigkeit
alle Späße geduldig ertragen, diese waren jedoch harmlos gewesen und
nicht dazu angetan ihn öffentlich zu beschämen. Das grausame Spiel
aber, welches die Kameraden jetzt vorhatten, konnte ihnen gefährlich
werden. Er war ein Südländer und er würde sicherlich die Verschwörer
vor Wut umbringen wollen, sobald sie ihm in die Hände fielen! Den Plan
aufzugeben war aber unmöglich. Der herrliche Spaß mußte ausgeführt
werden, mochte daraus werden was wollte.

So wurde denn der Empfehlungsbrief mit aller Sorgfalt und
Ausführlichkeit in durchaus freundschaftlichem Tone entworfen und
›Alfred Fairchild‹ unterschrieben. Der Ueberbringer -- hieß es darin
-- sei der beste Freund vom Sohne des Briefstellers, ein wackerer
junger Mann und trefflicher Charakter, den der Kommodore mit Wohlwollen
aufnehmen möge. »Vielleicht,« -- so fuhr der Schreiber fort -- »hast du
mich, deinen alten Schulkameraden, in den langen Jahren ganz vergessen,
doch wird mein Andenken sofort wieder bei dir lebendig werden, wenn
ich dich daran erinnere, wie wir an jenem Abend den Obstgarten des
alten Stevenson zusammen geplündert haben. Weißt du noch, wie er auf
der Straße hinter uns dreinlief und wir querfeldein rannten, durch
das Hintergäßchen zurückkamen und uns bei seiner eigenen Köchin die
gestohlenen Aepfel für einen Hut voll Dampfnudeln eintauschten? Und
dann damals, als wir -- --« So ging es in dem Briefe immer weiter; alle
möglichen erfundenen Namen früherer Schulgefährten und ihre gemeinsamen
lustigen Streiche und Abenteuer wurden auf die anschaulichste und
geschickteste Weise hineingeflochten.

Als nun der junge Fairchild seinen Kameraden mit großer
Ernsthaftigkeit fragte, ob er einen Brief an Kommodore Vanderbilt zu
haben wünsche, war Eduard Jackson sehr erstaunt, wie sich nicht anders
erwarten ließ.

»Was,« rief er, »du kennst den großen Vanderbilt?!«

»Ich nicht, aber mein Vater. Sie waren zusammen auf der Schule.
Wenn du willst, könnte ich meinen Vater schon bitten, dir einen
Empfehlungsbrief zu schreiben. Ich weiß, er tut es mir zuliebe; in drei
Tagen hast du ihn in Händen.«

Ed fand kaum Worte um seine Freude und Erkenntlichkeit auszudrücken.
Als die drei Tage um waren, erhielt er das Empfehlungsschreiben und
reiste ab, nachdem er noch allen ein herzliches Lebewohl gesagt und
Fairchild dankbar die Hand gedrückt hatte. Als er fort war, wollten
sich die Kameraden im Jubel über den gelungenen Spaß zuerst vor Lachen
ausschütten, dann aber stiegen allerlei Zweifel in ihnen auf, ob die
Täuschung nicht schlimme Folgen haben könne, und sie gerieten in eine
recht kleinlaute Stimmung.

Bald nach seiner Ankunft in New York begab sich der junge Jackson nach
dem Geschäftshaus von Kommodore Vanderbilt und ward in ein großes
Vorzimmer geführt, wo ein paar Dutzend Leute geduldig harrten, bis die
Reihe an sie käme, auf zwei Minuten bei dem Millionär vorgelassen zu
werden. Ein Diener verlangte Jacksons Visitenkarte und erhielt statt
dessen den Brief.

Gleich darauf ward Ed in das Privatbureau geführt. Herr Vanderbilt war
allein und hielt den offenen Brief in der Hand.

»Bitte, nehmen Sie Platz, Herr -- hm --«

»Jackson.«

»Richtig -- also, bitte Herr Jackson, setzen Sie sich. Nach der
Einleitung zu urteilen kommt dieser Brief von einem Jugendfreunde.
Sie entschuldigen wohl -- ich will nur rasch sehen, was er enthält.
Da steht, wir hätten -- ja aber, wer schreibt denn das?« Er wandte
das Blatt und sah nach der Unterschrift. »Alfred Fairchild -- hm --
Fairchild -- der Name ist mir nicht erinnerlich. Kein Wunder -- wie
viele tausend Namen habe ich mit der Zeit vergessen. Und er weiß das
alles noch -- hm -- hm -- aber das ist wirklich gut -- ein köstlicher
Spaß! Ganz deutlich erinnere ich mich nicht daran -- nur eine leise
Ahnung habe ich noch, aber es wird mir wohl alles wieder einfallen.
Ja wahrhaftig, mir ist als sähe ich es vor mir -- nur undeutlich --
aber doch -- es ist ja auch schon so lange her -- auf einige von den
Namen besinne ich mich nicht genau -- aber es wird mir ganz warm ums
Herz dabei, als hätte ich meine verlorene Jugend wieder! -- Doch zu
Gefühlen ist jetzt keine Zeit, das Alltagsleben verlangt sein Recht
-- das Geschäft eilt und die Leute draußen warten -- ich will mir den
Schluß für heute nacht versparen, wenn ich zu Bett gehe -- und von
meinen Jugendtagen träumen. -- Wenn Sie Fairchild wiedersehen -- habe
ich ihn nicht damals Alf genannt? -- so danken Sie ihm herzlich in
meinem Namen und sagen Sie ihm, daß sein Brief mich mitten in meiner
Arbeitslast ordentlich erfrischt und verjüngt hat. Er soll mich stets
bereit finden, für ihn oder einen seiner Freunde alles zu tun, was in
meinen Kräften steht. Sie aber, lieber Jackson, sind mein Gast. Bleiben
Sie nur noch ein Weilchen hier sitzen, bis ich die Leute, die mich
sprechen wollen, abgefertigt habe, dann gehen wir zusammen nach Hause.
Verlassen Sie sich auf mich, mein Sohn, ich werde schon für Sie sorgen.«

Ed blieb eine Woche da und war glückselig. Er hatte keine Ahnung davon,
daß Vanderbilts scharfes Auge ihn täglich beobachtete, um seine Gaben
und Kräfte genau zu prüfen. In seinem Hochgenuß schrieb er gar nicht
nach Hause, sondern sparte alles auf, um es den Gefährten bei der
Heimkehr brühwarm zu erzählen.

Zweimal erinnerte er in größter Bescheidenheit daran, daß sein Besuch
wohl jetzt lange genug gewährt habe; doch der Kommodore erwiderte nur:
»Nein, gehen Sie noch nicht -- ich will Ihnen schon sagen, wann es Zeit
ist.«

Damals war Vanderbilt gerade mit seinen gewaltigsten Kombinationen
beschäftigt, welche darauf ausgingen, die verschiedenen kleinen,
zerstreuten Eisenbahnen in ein einheitliches System zu bringen und dem
ungewiß schwankenden Handel und Verkehr einen festen Mittelpunkt zu
geben. Unter anderm hatte sein weitschauender Blick auch die bereits
erwähnten, wunderbar günstigen Konjunkturen für die Entwicklung eines
großartigen Tabakhandels in Memphis erspäht, die er für seine Zwecke
auszubeuten gedachte.

Als eine Woche um war, rief der Kommodore den jungen Jackson zu sich.
»Sie können nun abreisen,« sagte er. »Aber zuvor möchte ich noch
einmal mit Ihnen von geschäftlichen Dingen reden: In betreff jener
Tabakangelegenheit sind Sie vollkommen unterrichtet; Sie wissen, daß
ich das Geschäft machen will, weil ich es für vorteilhaft halte; auch
in meine darauf bezüglichen Pläne habe ich Sie eingeweiht. Ihren
Charakter und Ihre Fähigkeiten kenne ich jetzt so genau wie Sie sich
selber kennen -- vielleicht besser. Ich brauche einen zuverlässigen
Mann, der imstande ist, die Verwaltung einer so wichtigen Sache zu
übernehmen und mich in Memphis zu vertreten. Diese Stelle habe ich für
Sie bestimmt.«

»Für mich!«

»Ja. Sie werden natürlich als mein Vertreter ein hohes Gehalt beziehen,
das sich mit der Zeit steigern kann. Auch müssen Sie eine Anzahl
Gehilfen haben; gehen Sie bei der Wahl sorgfältig zu Werke, stellen Sie
nur brauchbare Leute an; wenn Sie tüchtige Freunde haben, geben Sie
diesen den Vorzug. Nun leben Sie wohl, mein Sohn, und danken Sie Alf,
daß er Sie mir geschickt hat.«

Sobald Ed in Memphis angekommen war, eilte er nach der Werft, denn er
brannte vor Verlangen, den Gefährten die große Nachricht zu verkünden
und ihnen nochmals für den Brief an Herrn Vanderbilt zu danken. Es war
Mittagszeit, die Sonne glühend heiß und die Werft wie ausgestorben.
Als Ed sich jedoch zwischen den Warenballen durchdrängte, sah er
unter einem Schattendach eine Gestalt in weißem Leinwandanzug auf den
Kornsäcken ausgestreckt im Schlummer liegen.

»Das ist ja Charley Fairchild,« rief er erfreut, trat hinzu und legte
die Rechte zärtlich auf des Schläfers Schulter. Dieser rieb sich die
Augen, blickte auf, ward totenblaß, glitt von den Säcken herunter und
lief davon wie der Wind.

Ed sah ihm verwundert nach. Hatte Fairchild plötzlich den Verstand
verloren? Was bedeutete diese schnelle Flucht? Langsam und nachdenklich
schritt er nach dem Werftboot hin; als er an einem Haufen Frachtgüter
vorbeikam, sah er zwei der Kameraden in heiterm Gespräch beisammen
stehen. Kaum hatten sie ihn erkannt, so verstummte ihr Lachen, sie
stoben auseinander und sprangen wie gehetzt über Ballen und Fässer
davon. Ed wußte nicht, ob er wache oder träume und fand keine Erklärung
für dies wunderliche Benehmen. Auf dem Werftboot angekommen, lehnte
er sich gedankenvoll an das Geländer. Da stürzte plötzlich eine weiße
Gestalt an ihm vorbei und sprang über Bord; prustend und keuchend
tauchte sie wieder auf und eine Stimme rief:

»Geh’ fort! Tu mir nichts! Ich bin’s nicht gewesen. Wahrhaftig, ich
hab’s nicht getan!«

»Was soll denn das heißen? So komm doch herauf! Warum lauft ihr alle
vor mir davon, ich habe doch nichts verbrochen!«

»Ja, bist du denn gar nicht böse auf uns?«

»Bewahre -- weshalb? Ich denke nicht daran.«

»Der Tausend,« brummte der junge Mann im Wasser, »der Mensch hat Lunte
gerochen und den Brief gar nicht abgegeben! Na, meinetwegen, ich werde
mich hüten die Geschichte zur Sprache zu bringen.« Mit triefenden
Kleidern kam er wieder an Bord gestiegen und schüttelte Ed die Hand.
Nun schlichen auch die übrigen Verschwörer -- bis an die Zähne
bewaffnet -- einer nach dem andern herbei. Als sie die friedliche Lage
der Dinge erkannten, feierten sie gleichfalls ein Wiedersehen.

Auf alle Fragen Eds, was ihr sonderbares Benehmen ihm gegenüber zu
bedeuten habe, antworteten sie ausweichend, es sei nur ein Spaß
gewesen, und jeder dachte bei sich: »Er hat den Brief nicht abgegeben,
und diesmal sind wir die Angeführten. Aber zum Glück weiß er es nicht,
und keiner von uns wird dumm genug sein, es ihm zu sagen.«

Nun sollte aber Ed von der Reise erzählen. Er ließ ein paar Flaschen
Wein auf Deck bringen und als sie alle gemütlich beisammen saßen und
die Zigarren brannten, begann er seinen Bericht:

»Als ich Herrn Vanderbilt den Brief übergab --«

»Donnerwetter!«

»Was ist denn los -- was erschreckt ihr mich so?«

»Ach nichts -- es fuhr uns nur eben heraus.«

»Nun, wie gesagt, als ich den Brief übergab --«

»Hast du ihn wirklich abgegeben?«

Sie sahen einander ganz verblüfft an und hörten dann Eds Mitteilungen
mit offenem Munde zu. Die wunderbare Geschichte benahm ihnen schier
den Atem, sie waren stumm vor Staunen und zwei Stunden lang saßen sie
wie versteinert da, ohne einen Laut von sich zu geben. Endlich war Ed
Jackson bis zum Schluß seines Romans gekommen.

»Und euch, Jungens,« sagte er, »verdanke ich das alles; dafür will
ich mich auch erkenntlich zeigen. Welcher Mensch hat wohl je so gute
Freunde gehabt! Jeder von euch bekommt eine Stelle, denn ihr seid
tüchtige Kerls, wenn ihr auch dann und wann einen schlechten Spaß
macht. Dich aber, Charley Fairchild, ernenne ich zu meinem ersten
Gehilfen, weil ich weiß, was du für ein kluger Geschäftsmann bist und
weil du mir den Brief verschafft hast. Auch möchte ich damit deinem
Vater eine Freude machen, der den Brief geschrieben hat und Herrn
Vanderbilt, an den er gerichtet war. Und nun stoßt alle mit mir an, auf
das Wohl des großen Mannes! Hoch soll er leben, dreimal hoch!«

Die Tabakspekulation hatte einen glänzenden Erfolg und so war auch hier
der rechte Mann zur rechten Zeit erschienen, trotzdem er erst hatte von
weither kommen müssen und nur mit Hilfe eines Schabernacks entdeckt
worden war.




Achtundzwanzigstes Kapitel.

        Die Natur hat der Heuschrecke ein Verlangen nach
        Pflanzenkost verliehen; hätte der Mensch die Heuschrecke
        geschaffen, so würde sie nichts als Wüstensand fressen.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


An der Mündung des Derwent liegt, ganz von Laubwäldern umschlossen,
die Hauptstadt Tasmaniens, das freundliche Hobart, auf Hügeln,
die allmählich zum Hafen abfallen und in deren Hintergrund der
Wellingtonberg zu majestätischer Höhe emporsteigt. Die Gegend ist
himmlisch schön; sie bietet mit ihrem Reichtum an Formen und Gruppen,
ihrer Farbenpracht, dem üppigen Grün, den Buchten und Vorgebirgen,
den anmutig welligen Hügeln, dem leuchtenden Sonnenglanz und den
mattschimmernden Fernsichten, ein entzückendes Landschaftsbild.

Mir ist noch keine Stadt vorgekommen, in der alles so von Sauberkeit
und Ordnung strahlt, wie in Hobart; nirgends sieht man hier baufällige,
schäbige Häuser oder eingefallene Zäune; kein Unkraut wächst in den
Vorgärten; im Hinterhof der Armen liegen weder alte Blechbüchsen noch
zerrissene Stiefel oder leere Flaschen, kein Kehricht ist im Rinnstein,
kein Schmutz auf dem Bürgersteig. Selbst die bescheidenste Hütte
sieht aus wie gestriegelt und gebügelt; jede hat ihre Blumen, ihre
Schlingpflanzen, die sie umranken, einen sauberen Zaun mit guter Tür,
und auf dem Fensterbrett liegt die wohlgepflegte Katze und schläft.

Der Kurator des Museums, ein Herr aus Amerika, war so freundlich, uns
die Sammlungen zu zeigen. Wir sahen dort wenigstens ein halbes Dutzend
verschiedener Marsupialia[7], unter andern den ›Tasmanischen Teufel‹,
der zu dieser Gattung gehört, wie ich glaube. Auch ein Fisch war
da, der durch Lungen atmet und im Schlamm weiterlebt, wenn der Fluß
austrocknet. Am merkwürdigsten ist aber ein Papagei, der den Schafen
nachstellt. Auf einer großen Schafweide hat er einmal in einem einzigen
Jahre tausend Stück umgebracht. Da er aber nicht das ganze Schaf
frißt, sondern nur das Nierenfett, so ist die Ernährung des Vogels
sehr kostspielig. Er hackt das Fett mit dem Schnabel heraus und das
Schaf stirbt an der Wunde. Die Geschichte dieses Papageis ist für die
Entwicklungslehre von Wichtigkeit; sie zeigt, daß unter veränderten
Bedingungen eine wesentliche Neubildung stattfinden kann. Als man
zuerst die Schafzucht einführte, wurden gewisse Würmer vertilgt, die
des Papageis Hauptnahrung gebildet hatten. Der Hunger trieb ihn dazu,
Fleischreste zu verzehren, die er noch an den Schaffellen fand, welche
zum Trocknen auf den Zäunen hingen. Bald schmeckte ihm das Nierenfett
der Schafe am allerbesten, aber die Form seines Schnabels hinderte
ihn es sich zu verschaffen. Da kam ihm die Natur zu Hilfe und bildete
seinen Schnabel um, so daß er sich jetzt nach Herzenslust vom Fett
seiner Mitgeschöpfe nähren kann.

Wir fuhren durch ein blühendes, duftendes Zauberland nach dem
Armenasyl, einem geräumigen, bequem eingerichteten Heim mit
Krankenhäusern und dgl. für Männer und Frauen. Dort waren Scharen
der ältesten Leute beisammen, die mir je vorgekommen sind. Man sah
sich plötzlich in eine andere Welt versetzt -- eine unheimliche Welt,
aus der die Jugend verbannt war, und in der nur das Alter mit seinen
zahllosen Runzeln gebückten Ganges umherwandelte. Von den 359 dort
untergebrachten Personen waren 223 frühere Deportierte; sie hätten ohne
Zweifel aufregende Geschichten erzählen können, wären sie mitteilsam
gewesen. Zweiundvierzig hatten das achtzigste Lebensjahr überschritten
und einige waren nahe an neunzig; das durchschnittliche Sterbealter
ist dort sechsundsiebzig Jahre. Nein, in einem so gesunden Orte möchte
ich nicht leben. Siebzig ist ganz alt genug -- später wird die Sache
zu ungewiß. Jugend und Heiterkeit könnten verschwinden, ehe man sich’s
versieht -- und was bleibt dann noch übrig? Nur ein Tod bei lebendigem
Leibe, der weder Wohltäter noch Befreier ist. -- Unter den 185 Frauen
in jenem Asyl waren 81 vormalige Strafgefangene.

Das Dampfboot machte uns einen Strich durch die Rechnung; wir hatten
gedacht, es würde, wie gewöhnlich, lange in Hobart verweilen, statt
dessen fuhr es nach kurzem Aufenthalt weiter, so daß wir Tasmanien nur
wie im Fluge zu sehen bekamen.

Den Abend und die darauffolgende Nacht brachten wir auf dem Meere
zu und erreichten am frühen Morgen die Stadt Bluff am Südende von
Neuseeland. Eigentlich hätten wir nun quer nach der Westküste
hinüberwandern müssen, die reich an den herrlichsten Naturschönheiten
ist; hohe Schneeberge und mächtige Gletscher, wundervolle Seen und
tiefe Buchten, die den norwegischen Fjords nicht an malerischem Reiz
nachstehen, daneben ein Wasserfall, der neunzehnhundert Fuß tief
hinabstürzt; man nennt diese Gegend die Neuseeländer Schweiz. Doch
die Umstände nötigten uns, diesen Besuch auf unbestimmte Zeit zu
verschieben, so leid es uns tat.

       *       *       *       *       *

_6. November._ Ein prächtiger Sommermorgen mit glänzend blauem Himmel.
Hinter Invercargill kamen wir durch meilenweite grüne Ebenen, die mit
Schafen wie beschneit waren -- ein hübscher Anblick. Die Bewohner von
_Dunedin_ sind Schottländer. Auf ihrem Wege von der Heimat in den
Himmel haben sie hier Wohnung genommen, weil sie glaubten, sie wären
am Ziel ihrer Wallfahrt. Die Einwohnerzahl der Stadt wird von dem
Journalisten Malcolm Roß auf 40000 geschätzt; ein Parlamentsmitglied
behauptet dagegen, sie betrüge 60000 -- aber Journalisten können nicht
lügen.

Wir besuchten ~Dr.~ Hockin in seiner Wohnung. Er hat eine gute Sammlung
Bücher über Neuseeland und sein Haus ist ganz mit Altertümern der
Maori und Erzeugnissen ihrer Kunstfertigkeit angefüllt. Von vielen
früheren Häuptlingen der Eingeborenen besitzt er Porträts in farbigen
Holzschnitten. Es sind auch geschichtlich berühmte Leute darunter.
Sie tragen nichts von Barbaren an sich; ihre schönen regelmäßigen
Züge, der kluge Gesichtsausdruck, ihre männlich edle Haltung berühren
den Beschauer aufs angenehmste. Die Ureinwohner von Australien und
Tasmanien sehen wie Wilde aus, aber diese Neuseeländer Häuptlinge
gleichen römischen Patriziern. Sogar die Tätowierung der Bildnisse
ändert daran nichts. Die Linien sind so schön, so leicht und anmutig
gezeichnet, daß man sie nur mit Wohlgefallen betrachtet. Nach den
ersten zehn Minuten hat man sich an die Farben gewöhnt, nach weiteren
zehn Minuten möchte man es gar nicht anders haben, und von da ab macht
jedes unbemalte, europäische Gesicht einen häßlichen, unedlen Eindruck.

       *       *       *       *       *

_9. November._ Der Präsident des Künstlervereins führte uns durch das
Museum und die öffentliche Bildergalerie. Unter den Bildern, die teils
geschenkt sind, teils durch Kauf erworben, gibt es einige sehr schöne.
Von dort gingen wir in die Kunstausstellung, welche eben eröffnet war
und alljährlich stattfindet. Daß eine verhältnismäßig kleine Stadt zwei
solche Kunstanstalten und einen Künstlerverein hat, ist in Australien
etwas ganz Gewöhnliches. Letzterer besitzt ein eigenes Gebäude, das die
Mitglieder auf ihre Kosten errichtet haben.

Ich würde dies Gedeihen der Kunst begreiflich finden, wenn man es
mit einer absoluten Monarchie zu tun hätte, die sich die Mittel
zu ihren Zwecken nicht erst von den Abgeordneten bewilligen läßt,
sondern einfach das Geld benutzt, wozu sie will. Aber die Kolonien
haben republikanische Verfassung und allgemeines Stimmrecht -- in
Neuseeland sogar auch für die Frauen. Sonst pflegen in Republiken
weder die Regierungen noch die reichen Bürger sehr geneigt zu sein,
zur Ausbreitung der Kunst beizutragen; in ganz Australien werden jedoch
Gemälde berühmter europäischer Künstler für die öffentlichen Galerien
angeschafft. Man kauft sie entweder aus Staatsmitteln oder es sind
Geschenke von wohlhabenden Bürgern, welche diese obendrein bei ihren
Lebzeiten machen -- nicht erst wenn sie tot sind.




Neunundzwanzigstes Kapitel.

        Die Sündhaftigkeit des Fluchens liegt nicht in den Worten,
        sondern in dem Zorngeist, der sie gebiert. Das Kind fängt
        schon an zu fluchen, ehe es noch sprechen kann.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_11. November. Auf der Eisenbahn._ Die fahrplanmäßige Zeit unseres
Schnellzugs ist nur zwanzig und eine halbe Meile die Stunde; aber
man möchte gar nicht rascher fahren, um die wechselnde Aussicht auf
Meer und Land nach Wunsch genießen zu können, wozu die behaglich
eingerichteten Wagen die beste Gelegenheit bieten. Sie sind weder
englisch noch amerikanisch, sondern ein Mittelding zwischen beiden,
wie in der Schweiz. An der Seite hin läuft ein schmaler Vorbau,
der mit einem Geländer versehen ist, so daß man während der Fahrt
auf und ab gehen kann; auch gehört zu jedem Waggon eine Wasch- und
Toiletteeinrichtung. Das nenne ich Fortschritt! Da zeigt sich der Geist
des neunzehnten Jahrhunderts! --

Die sogenannten Schnellzüge fahren in Neuseeland zweimal die Woche. Es
ist gut, wenn man das weiß, denn wer mit Zwanzigmeilenschritten das
Land durchmessen will, könnte leicht an einem der fünf falschen Tage
abfahren und in einen Zug geraten, der nicht einmal mit seinem eigenen
Schatten Schritt hält.

Mich erinnerten die angenehmen Bahnzüge in Neuseeland, um des
Gegensatzes willen, an die Zweigbahn von Maryborough auf dem
australischen Festland und die Bemerkungen, welche mir ein Mitreisender
auf der Fahrt über die Bahn und das dortige Hotel gemacht hat.

Ich war unterwegs eine Weile in das Rauchcoupé gegangen, wo sich noch
zwei Herren befanden, die beide rückwärts fuhren und an den äußersten
Enden des Wagens Platz genommen hatten. Ich setzte mich dem einen
gegenüber ans Fenster; dem Anzug nach hielt ich ihn für den Prediger
einer Dissentergemeinde, er hatte ein gutes, freundliches Gesicht und
mochte etwa fünfzig Jahre alt sein. Unaufgefordert zündete er ein
Streichholz an und hielt die Hand davor, bis meine Zigarre in Brand
war. Das weitere entnehme ich meinem Tagebuche:

Um die Unterhaltung in Gang zu bringen, fragte ich ihn einiges über
Maryborough, worauf er mit sehr angenehmer, wohltönender Stimme die
ruhige und bestimmte Antwort gab:

»Es ist eine reizende Stadt, aber das Hotel ist ein wahrer Höllenpfuhl.«

Ich sah ihn verwundert an; es kam mir sehr merkwürdig vor, daß ein
Prediger solchen Ausdruck gebrauchte.

»Jawohl,« fuhr er gelassen fort, »ein schlechteres Hotel gibt es in
ganz Australien nicht.«

»Schlechte Betten?«

»Nein -- gar keine. Nur Sandsäcke.«

»Auch die Kopfkissen?«

»Versteht sich. Nichts als Sand -- und obendrein kein guter; er backt
zusammen und ist nicht durchgesiebt, sondern grober Kies. Man schläft
wie auf Haselnüssen.«

»Gibt es denn keinen feinen Sand?«

»Die Hülle und Fülle. Man findet in hiesiger Gegend einen so vorzüglich
losen und lockern Sand wie sonst nirgends; aber, den kauft der Wirt
nicht. Er nimmt nur Sand, der sich zusammenbackt und hart wird wie
Stein.«

»Wie sind denn die Zimmer?«

»Acht Fuß groß im Viereck; der Boden ist mit eiskaltem Wachstuch
bedeckt, auf das man treten muß, wenn man am Morgen aus dem Sandloch
kommt.«

»Und die Beleuchtung?«

»Eine Erdöllampe.«

»Die hell brennt?«

»Nein, so düster wie möglich.«

»Ich lasse meine Lampe gern die ganze Nacht brennen.«

»Das geht bei dieser nicht; man muß sie früh auslöschen.«

»Aber man könnte doch nachts Licht brauchen und sie im Finstern nicht
wieder finden.«

»O, man findet sie leicht -- sie stinkt ganz abscheulich.«

»Ist ein Schrank da?«

»Nur zwei Nägel an der Tür, um sieben Anzüge aufzuhängen -- falls man
so viele hat.«

»Eine Klingel?«

»Ist nicht vorhanden.«

»Was tut man denn, falls man Bedienung braucht?«

»Man ruft, aber es kommt niemand.«

»Wenn nun aber das Zimmermädchen den Wassereimer ausgießen soll?«

»Dergleichen gibt es nicht. Außer in Sydney und Melbourne findet man
nirgends Wassereimer in den Hotels.«

»Ach ja, das weiß ich; es ist eine Eigentümlichkeit von Australien
und kommt mir sehr komisch vor. -- Noch eins: ich muß morgen früh im
Dunkeln aufstehen und mit dem Fünfuhrzug weiter reisen. Wenn nun der
Hausknecht --«

»Den gibt es nicht.«

»Oder der Portier --«

»Es ist keiner da.«

»Aber, wer will mich denn wecken?«

»Kein Mensch. Sie müssen von selber aufwachen und sich auch
hinunterleuchten. Es brennt kein Licht, weder im Gang noch anderswo.
Auf der Treppe würden Sie im Dunkeln den Hals brechen.«

»Wer wird mir helfen mein Gepäck hinuntertragen?«

»Niemand. Aber, ich will Ihnen einen Rat geben. In Maryborough wohnt
ein Amerikaner, schon seit einem halben Menschenalter, ein stattlicher
Mann, auch wohlhabend und allgemein beliebt. Machen Sie dessen
Bekanntschaft; dann sorgt er für alles und Sie können in Frieden
schlafen. Morgens weckt er Sie zur rechten Zeit und bringt Sie auf den
Zug. -- Wo haben Sie denn Ihren Geschäftsführer gelassen?«

»In Ballarat. Er macht dort Sprachstudien; auch muß er nach Melbourne
fahren, um alles für Neuseeland vorzubereiten. Es ist mein erster
Versuch, mich allein durchzusteuern, und mir scheint, das ist gar nicht
sehr leicht.«

»Leicht? Wo denken Sie hin -- besonders auf dieser Strecke, der
schwierigsten in ganz Australien. Dazu muß man ein ganz ungewöhnlich
praktischer Mensch sein. Aber, das sind Sie wohl auch?«

»Ich -- hm -- ich glaube -- indessen --«

»Ja, dann werden Sie es nun und nimmermehr allein fertig bringen. Aber
der Amerikaner wird Ihnen helfen, verlassen Sie sich darauf. Haben Sie
Ihr Billet?«

»Ja, zur Rundreise bis nach Sydney.«

»Aha! dacht’ ich mir’s doch! Sie fahren um 5 Uhr morgens über
Castlemaine -- zwölf Meilen -- weil der 7.15 Zug über Ballarat zwei
Stunden länger unterwegs bleibt. Aber Ihr Billet lautet auf Ballarat
-- auf den zwölf Meilen ist es ungültig, und die Regierung gestattet
nicht --«

»Was kümmert es denn die Regierung, welchen Weg ich wähle?«

»Das weiß der liebe Himmel. In der Eisenbahnverwaltung läßt sie sich
nicht drein reden. Zuerst übergab man sie einer Gesellschaft von
Blödsinnigen, das war schlimm; dann rief man Franzosen ins Land, die
verstanden noch weniger davon; zuletzt übernahm die Regierung die
Verwaltung selbst, und nun geht alles rückwärts. Um die Gunst eines
Wählers nicht zu verscherzen, der vielleicht zwei Schafe und einen Hund
besitzt, baut man ihm eine Bahn wohin er will. So kommt es, daß wir zum
Beispiel in der Kolonie Viktoria achthundert Bahnhöfe haben, darunter
achtzig, wo an der Kasse kaum zwanzig Schillinge die Woche einkommen.«

»Fünf Dollars? Sie scherzen wohl!«

»Es ist buchstäblich wahr.«

»Aber auf jedem Bahnhof sind doch drei oder vier Beamte angestellt, die
ihr Gehalt beziehen.«

»Natürlich. Glauben Sie mir, die Bahnlinie verdient nicht einmal den
Zucker in ihren Kaffee. Und gefällig sind die Beamten! Man braucht nur
mit irgend einem Lappen zu wehen, so hält der Zug mitten in der Wildnis
und läßt den Reisenden einsteigen. Das macht alles Kosten. Und wenn in
einer Stadt viele stimmberechtigte Bürger sind, die sich einen schönen
Bahnhof wünschen, so wird er gebaut. Sehen Sie sich nur den Bahnhof
von Maryborough einmal an! Sämtliche Einwohner haben Platz darin,
jeder kann ein Sofa für sich haben und es bleibt noch Raum übrig. Und
eine Uhr ist dort -- ich sage Ihnen, so etwas hat kein Bahnhof in ganz
Europa aufzuweisen. Zum Glück schlägt sie nicht und hat auch keine
Glocken, denn in Australien hört das Gebimmel und das ewige dong-dong
Tag und Nacht nicht auf. Na, bei so vielen Prachtbauten für die
Eisenbahn und Verlust beim Betrieb, können Sie sich schon denken, daß
die Regierung irgendwo sparen muß. Das Betriebsmaterial muß herhalten.
Achtzehn Güterwagen und für die Passagiere zwei elende Hundelöcher,
die so schäbig und liederlich eingerichtet sind wie nur möglich, ohne
hygienische Vorkehrungen, ohne Trinkwasser, mit aller nur denkbaren
Unbequemlichkeit -- das ist der Zug von Maryborough -- und langsam
geht er, wie eine Schneckenpost. So spart die Regierung ihr Geld. Für
Tonnen Goldes baut sie Paläste auf, in denen man ein paar Minuten
warten muß, und deportiert einen dann sechs Stunden lang wie den
gemeinsten Verbrecher, um die vergeudeten Summen wieder einzubringen.
Jeder vernünftige Mensch fühlt sich gern unbehaglich im Wartezimmer,
weil ihm dann die Fahrt in einem hübschen, bequemen Zug eine angenehme
Abwechslung bietet. Aber gesunden Menschenverstand sucht man bei der
Eisenbahnverwaltung vergebens. Und dann steckt sie noch für die zwölf
Meilen eine Extravergütung ein, erklärt ihre eigenen Fahrkarten für
ungültig und -- --«

»Nun aber, jedenfalls kann ich wenigstens --«

»Warten Sie nur, ich bin noch nicht fertig. Ohne den Amerikaner würden
Sie überhaupt nicht fortkommen. Zuerst sieht niemand Ihr Billet an,
der Schaffner läßt es sich erst zeigen, wenn der Zug schon im Abfahren
ist. Dann können Sie kein Extrabillet mehr kaufen, der Zug wartet
nicht, und Sie müssen wieder aussteigen.«

»Aber, kann ich es denn nicht dem Schaffner bezahlen?«

»Er ist nicht berechtigt Geld anzunehmen, und nimmt auch keins. Es
bleibt Ihnen nichts übrig -- Sie müssen heraus. Der Eisenbahnbetrieb
ist hier das einzige, was ganz nach europäischem Muster eingerichtet
ist -- nicht nach englischem, nein, wie auf dem Festland. Alles wird
genau so gemacht, sogar das Wiegen des Gepäcks, diese Erzplackerei,
fehlt nicht.«

Jetzt hielt der Zug an der Station meines Mitreisenden. Beim Aussteigen
sagte er noch: »Jawohl, in Maryborough wird es Ihnen gefallen. Sie
treffen dort sehr gebildete Leute. Eine reizende Stadt! Aber das Hotel
ist ein wahrer Höllenpfuhl!«

Als er fort war, wandte ich mich an den andern Herrn:

»Ihr Freund ist wohl Geistlicher?«

»Nein, aber er treibt theologische Studien.«




Dreißigstes Kapitel.

        Zeit und Flut warten auf niemand! Ein prahlerisches,
        dünkelhaftes Sprichwort, das sich eine Billion Jahre
        erhalten hat, aber heutzutage nicht mehr gilt. Wir,
        mit unsern elektrischen Drähten und den Schiffen mit
        Wasserballast, kehren es um und sagen: Niemand wartet auf
        Zeit und Flut. --

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Auf der Fahrt bis Christchurch glaubt man im heutigen England zu sein
-- die Gegend sieht aus wie ein Garten. Christchurch selbst ist eine
englische Stadt, mit englischen Parkanlagen und einem englischen
Fluß, der sich gleich dem Avon durch die Landschaft schlängelt -- er
heißt auch Avon, aber nach einem Manne, nicht nach Shakespeares Fluß.
An seinen grünen Ufern stehen die stattlichsten und denkwürdigsten
Trauerweiden der ganzen Welt. Sie machen ihrer hohen Abkunft alle Ehre,
denn sie sind aus Ablegern der Weide gezogen, die einst Napoleons Grab
in Sankt Helena beschattete. In dem guten alten Städtchen finden sich
alle Reize und Annehmlichkeiten, alles Behagen und alle Heiterkeit
eines idealen Familienlebens beisammen. Man könnte sich einbilden,
drüben in England zu sein; es fehlt nichts als die Staatskirche und
der Unterschied der Stände.

Das Museum enthält Raritäten. Unter anderm sahen wir ein schönes Haus
der Eingeborenen aus alter Zeit; ganz getreu nach der Natur, sowohl
die grellen Farben als alle Einzelheiten. Jedes Ding war am richtigen
Platz, die hübschen Matten und Teppiche, die künstlichen, wundervollen
Holzschnitzereien, deren Muster und feine Ausführung mit Recht unser
Staunen erregen, wenn wir bedenken, daß die Eingeborenen dazu keine
bessern Werkzeuge hatten, als Feuerstein, Nephrit und Muscheln sie
ihnen lieferten. Auch Totems waren da, Pfähle, auf denen sämtliche
Ahnherren des Stammes, einer über dem andern, abgebildet sind. Die
abscheulichen, häßlichen Teufel waren mit großem Geschick und vieler
Liebe geschnitzt; sie streckten alle die Zunge heraus und falteten
die Hände behaglich über dem Bauche, in dem sie die Ahnherren anderer
Leute begraben hatten. In dem Haus waren auch ausgestopfte Eingeborene
als Staffage, jeder wo er hingehörte, als ob sie leibten und lebten,
sowie ihr ganzes Hausgerät; dicht dabei lag ein geschnitztes und reich
verziertes Kriegskanoe.

Wir sahen auch kleine Götzenbilder aus Nephrit oder Beilstein, die,
aber nur von Eingeborenen hohen Ranges, um den Hals getragen wurden;
ferner Waffen und allerlei Schmuck, aus dem gleichen, ausnehmend
harten Stein ohne jedes eiserne Werkzeug verfertigt. Durch einige
Stücke waren kleine runde Löcher gebohrt; niemand weiß wie das
gemacht wurde, es ist ein Geheimnis, eine verlorene Kunst. Wer jetzt
in ein Stück Nephrit ein Loch gebohrt haben will, muß erst zu einem
Steinschneider nach London oder Amsterdam schicken, wie man mir sagt.

Auch ein ganzes Skelett der Riesen-Moa bekamen wir zu sehen. Es war
zehn Fuß hoch und muß einen netten Anblick gewährt haben, als es
noch ein lebendiger Vogel war. Wie der Strauß brauchte das Tier beim
Kampf nicht den Schnabel, sondern die Füße. Einen solchen Fußtritt zu
bekommen, mag kein schlechtes Vergnügen gewesen sein, etwa wie wenn man
von Windmühlenflügeln in die Luft geschleudert wird.

In den alten, längst vergessenen Zeiten, als das Geschlecht der Moas
noch auf Erden wandelte, müssen sie in großer Menge vorhanden gewesen
sein. Man findet ihre Knochen haufenweise in ungeheuren Gräbern dicht
beisammen liegen, und zwar nicht in Felsenhöhlen, sondern in der
Erde. Niemand weiß, wer sie dort eingescharrt hat. Da es wirkliche
Knochen und keine Versteinerungen sind, können die Moas noch nicht
so gar lange ausgestorben sein. Merkwürdig, daß sie die einzigen
Tiere Neuseelands sind, welche in den so zahlreichen Legenden der
Eingeborenen gar keine Rolle spielen. Dieser Umstand ist sehr
bedeutsam und kann als Indizienbeweis dafür dienen, daß die Moas seit
vierhundert Jahren von der Erde verschwunden sind, denn der Maori
selbst ist nach der Ueberlieferung seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
in Neuseeland ansässig. Der erste Maori kam aus einem unbekannten
Lande, ruderte in seinem Kanoe dahin zurück und kehrte in Begleitung
aller Stammesangehörigen wieder; sie drängten die Ureinwohner in
das Meer oder brachten sie unter den Boden und nahmen die Inseln in
Besitz. So sagt die Ueberlieferung. Die Ankunft jenes ersten Maori
ist begreiflich, denn jeder kann schließlich unversehens an einen Ort
kommen, wohin er nicht will; aber wie der Entdecker ohne Kompaß den Weg
nach der Heimat zurückfand, ist ein Rätsel, das er mit sich ins Grab
genommen hat. Aus seiner Sprache ging hervor, daß er aus Polynesien
stammte. Er hat auch gesagt, woher er kam, aber da er den Namen des
Ortes nicht richtig buchstabieren konnte, fand man ihn nicht auf
der Karte, welche von klugen Leuten gemacht ist, die den Namen ganz
anders buchstabieren. Vor allem müssen doch die Namen richtig auf der
Karte stehen, so daß man sich auf sie verlassen kann; das übrige ist
Nebensache.

In Neuseeland haben die Frauen das Recht, die Mitglieder des
gesetzgebenden Körpers zu wählen, sie selbst dürfen aber nicht
Abgeordnete sein. Das Gesetz, welches ihnen das Stimmrecht verleiht,
wurde 1893 erlassen, als die Einwohnerzahl von Christchurch sich
nach dem Census von 1891 auf 31454 belief. Die erste Wahl, nachdem
das Gesetz in Kraft getreten war, fand im November statt. An der
Wahlurne erschienen 6313 Männer und 5989 Frauen. Diese Zahlen
liefern den Beweis, daß die Frauen der Politik nicht so gleichgültig
gegenüberstehen, wie man uns glauben machen will. Die Gesamtzahl der
stimmfähigen weiblichen Bevölkerung Neuseelands betrug 139915; hiervon
zeichneten 109461 ihre Namen in die Wahllisten ein -- 78,23 Prozent von
allen. 90290 erschienen wirklich an der Wahlurne und gaben ihre Stimmen
ab -- 85,18 Prozent. Eifriger erfüllen die Männer wohl kaum ihre
politischen Pflichten, weder in Amerika noch in andern Ländern. Der
amtliche Bericht spricht sich auch noch in anderer Beziehung günstig
über jene Wahl aus:

»Besonders bemerkenswert,« heißt es, »war der Geist der Ordnung und
Nüchternheit, der unter den Leuten herrschte. Die Frauen wurden auf
keine Weise belästigt.«

Bei uns in Amerika wird als Hauptgrund gegen das weibliche Stimmrecht
regelmäßig der Satz aufgestellt, daß die Frauen nicht zur Wahlurne
gehen könnten, ohne sich tätlichen Beleidigungen auszusetzen.
Dergleichen Weissagungen sind äußerst bequem. Seit im Jahre 1848
die Frauenbewegung begann, haben die Propheten nicht aufgehört zu
verkünden, daß allerlei Unheil daraus entstehen würde; aber in einem
Zeitraum von fünfzig Jahren ist noch nichts davon eingetroffen.
Im Gegenteil, es ist den Frauen gelungen, aus dem amerikanischen
Gesetzbuch eine große Anzahl ungerechter Verordnungen zu entfernen.
Die Männer sollten alle Achtung vor ihren Müttern, Frauen und Töchtern
haben und sie mit ganz andern Augen betrachten, nachdem sie sich
in einer verhältnismäßig so kurzen Frist im wesentlichen aus ihrer
Leibeigenschaft befreit haben. Ohne Blutvergießen hätten die Männer
das nicht zustande gebracht; wenigstens haben sie es bis jetzt noch
nicht getan, vermutlich, weil sie nicht wußten, wie sie es machen
sollten. Aber selbst durch die friedliche und höchst wohltätige
Umwälzung, welche die Frauen bewirkt haben, sind die Männer im
Durchschnitt noch nicht zu überzeugen gewesen, daß die Frau Mut,
Kraft, Ausdauer und Seelenstärke besitzt. Es gehört eben viel dazu,
um den Durchschnittsmann von irgend etwas zu überzeugen. Vielleicht
wird nichts imstande sein, ihn jemals zu der Erkenntnis zu bringen,
daß die Frau ihm im Durchschnitt überlegen ist, und doch scheint das
in mancher wichtigen Einzelheit wirklich der Fall zu sein, wie sich
aus Tatsachen beweisen läßt. Seit Anbeginn der Welt hat der Mann das
Menschengeschlecht regiert, und er wird zugeben müssen, daß die Welt
bis zur Mitte dieses Jahrhunderts im allgemeinen recht träge, dumm
und unwissend war. Jetzt sieht es schon weit weniger unerfreulich
darin aus, und es wird mit der Zeit fort und fort besser. Die Frau
hat gegenwärtig Gelegenheit zu zeigen was sie kann -- und zwar zum
allererstenmal. Wo wird wohl der Mann nach abermals fünfzig Jahren sein
-- das möchte ich wissen.

Im Gesetz von Neuseeland steht folgende Anmerkung:

»Wo in den Verordnungen das Wort _Person_ vorkommt, ist die _Frau_ mit
inbegriffen.«

Das nenne ich doch eine Beförderung! Durch solche Erweiterung des
Begriffs wird die weise Matrone, der eine fünfzigjährige Erfahrung zur
Seite steht, mit einem Schlage in politischer Hinsicht gleichberechtigt
mit dem einundzwanzigjährigen Bürschchen, das kaum trocken hinter den
Ohren ist. Die Einwohnerzahl der Weißen in der Kolonie beläuft sich auf
626000, die der Maori auf 42000. Die Weißen wählen siebzig Mitglieder
in das Abgeordnetenhaus und die Maori vier; auch die Maori-Frauen
stimmen mit bei der Wahl ihrer vier Abgeordneten.

       *       *       *       *       *

_16. November._ Nach einem viertägigen angenehmen Aufenthalt in
Christchurch verlassen wir den Ort heute um Mitternacht. Mr. Kinsey hat
mir einen Ornithorhynchus geschenkt, den ich zähmen will.

       *       *       *       *       *

_Sonntag den 17._ Gestern abend fuhren wir in der ›Flora‹ von Lyttleton
ab.

Ja, wahrlich! Und wer die Fahrt in der ›Flora‹ mitgemacht hat, wird sie
sein Lebtag nicht vergessen, wie alt er auch werden mag. Das Schiff
war auf wahnsinnige Art überfüllt. Wäre es in jener Nacht gesunken,
so hätte man für die Hälfte der Leute, die an Bord waren, keinerlei
Rettungsmittel auftreiben können. Wenn auch die Schiffseigentümer in
technischer Hinsicht keinen Mordversuch gemacht hatten -- von der
moralischen Schuld konnte man sie nicht freisprechen.

Mir wurde ein Verschlag des großen Viehstalls zugeteilt, in welchem
eine lange, doppelte Reihe Schlafkojen angebracht war, immer zwei
übereinander. Ein Kattunvorhang diente als Zwischenwand; auf einer
Seite befanden sich zwanzig Männer und Knaben, auf der andern zwanzig
Frauen und Mädchen. Das Loch war so finster wie die Seele der
Unionsgesellschaft und es roch darin wie in einem Hundestall. Als das
Schiff aufs hohe Meer kam und anfing zu rollen und zu stampfen, fielen
die Gefangenen in ihrer dunkeln Höhle sofort der Seekrankheit zum
Raube. Durch das was nun folgte, wurden alle meine früheren Erfahrungen
dieser Art völlig in den Schatten gestellt. Und dann das Heulen und
Stöhnen, das Geschrei und Gekreische, die Stoßseufzer aller Art -- es
spottet jeglicher Beschreibung.

Die Frauen und Kinder, auch einige Männer und Knaben verbrachten die
Nacht in dem Raume, weil sie zu krank waren, um sich zu rühren; wir
übrigen aber standen allmählich auf und begaben uns nach dem Sturmdeck.

Nie zuvor war ich an Bord eines so abscheulichen Fahrzeugs gewesen. Als
wir uns im Frühstückssalon zwischen den auf dem Boden und den Tischen
dicht aneinander gelagerten, schwitzenden Passagieren hindurchwanden,
ließ der Geruch an Kräftigkeit nichts zu wünschen übrig.

Beim ersten Anlegeplatz stiegen viele von uns aus, um ein anderes
Schiff zu benutzen. Nach dreistündigem Warten fanden wir denn auch in
dem ›Mahinapua‹ gute Unterkunft. Es war ein schmuckes kleines Fahrzeug
von nur 205 Tonnengehalt, reinlich, bequem, gute Bedienung, gute
Betten, ein guter Tisch und kein Gedränge. Die Wellen warfen es hin
und her wie eine Ente, aber es war sicher und seetüchtig.

Ganz früh am Morgen kamen wir an den ›französischen Paß‹, eine enge
Durchfahrt zwischen steilen Felswänden, die nicht viel breiter aussah
wie eine Straße. Die Strömung schoß mit rasender Gewalt hindurch und
das Schiff flog dahin wie ein Telegramm. In einer halben Minute lag der
Engpaß hinter uns und wir kamen an eine breite Stelle, wo großartige
Wasserwirbel in der Nähe von Untiefen fort und fort ihre stolze Runde
machten. Ich fragte mich, wie es dem kleinen Fahrzeug wohl dabei
ergehen würde. Das sollte ich nur allzubald erfahren. Die Wirbel hoben
es auf, warfen es mit Leichtigkeit herum und landeten es ganz behutsam
auf einer weichen, festen Sandbank. So sanft war die Berührung, daß wir
sie kaum fühlten und gerade nur merkten, wie das Schiff erbebte, als
es zum Stillstand kam. Das Wasser war hell wie Glas, man sah deutlich
den Sand auf dem Grunde, und die Fische schienen im leeren Raum
umherzuschwimmen. Rasch wurden die Angeln herausgeholt, aber noch bevor
wir den Köder am Haken befestigen konnten, war das Schiff wieder flott
und segelte auf und davon.




Einunddreißigstes Kapitel.

        Laßt uns Adam, unserm Wohltäter, dankbar sein, daß er den
        ›Segen‹ des Müßiggangs von uns genommen und den ›Fluch‹ der
        Arbeit über uns gebracht hat.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


Am 20. November erreichten wir Auckland und hielten uns einige Tage
in dieser schönen, sehr hoch gelegenen Stadt auf; man hat dort einen
Ausblick über das Meer, an dem man sich gar nicht satt sehen kann. Wir
machten wundervolle Spazierfahrten mit Bekannten in der Umgegend. Von
dem grasbewachsenen Kratergipfel des Mount Eden schweift das Auge über
eine weite und wechselvolle Landschaft: dicht belaubte Wälder, grüne
Hügel, blumige Wiesen und dahinter lange ebene Strecken, auf denen sich
hier und da hohe, ausgebrannte Krater erheben. Weiterhin glänzen und
funkeln blaue Buchten, und in traumhafter Ferne schimmern die Berge
gespenstisch durch ihre Nebelschleier.

Gewöhnlich fährt man von Auckland aus nach Rotorua zu den berühmten
heißen Seen und Springquellen, welche als große Merkwürdigkeit
Neuseelands gelten; aber ich war nicht wohl genug, um den Ausflug zu
unternehmen. Die Regierung hat dort ein Sanatorium errichtet, wo für
den Touristen sowohl wie den Kranken aufs angenehmste gesorgt wird.
Der daselbst angestellte Arzt drückt sich stets sehr mäßig aus, wenn
er von dem Heilerfolg der Bäder bei Rheumatismus, Gicht, Lähmung und
ähnlichen Uebeln spricht; dagegen preist er die Wirkung des Wassers als
unvergleichlich in Fällen von Trunksucht. Der Trinker wird unfehlbar
geheilt, selbst wenn die Krankheit bei ihm noch so chronisch geworden
ist, ja, er verliert sogar die _Begierde_ nach berauschenden Getränken
für alle Zeiten. Sobald es nur erst allgemein bekannt sein wird, daß
für die Opfer des Alkoholismus hier sichere Rettung zu finden ist,
werden die Leute scharenweise aus Europa und Amerika herbeiströmen.

Diese ganze, wegen ihrer Thermalquellen berühmte Gegend Neuseelands
umfaßt eine Landstrecke von über 600000 Morgen oder etwa 1000
Quadratmeilen. Rotorua ist am besuchtesten; es bildet den Mittelpunkt
des schönen, gebirgigen Seedistrikts und dient den Reisenden zum
Standquartier bei ihren Ausflügen. Die Zahl der Kranken ist groß und
wächst beständig. Rotorua ist das Karlsbad Australiens.

In Auckland wird auch der Kauri-Kopal verschifft, hauptsächlich
nach Amerika. Man bringt durchschnittlich 8000 Tonnen des Jahrs zur
Stadt. Unassortiert hat er einen Wert von 300 Dollars die Tonne;
die feinsten Sorten erzielen aber oft einen Preis von 1000 Dollars.
Das Harz kommt in Stücken vor, ist hart und glatt und gleicht dem
Bernstein; auch ist es, wie dieser, hellgelb bis dunkelbraun. Unter den
hellfarbigen Stücken hätte man einige für ziemlich gute Nachahmungen
roher südafrikanischer Diamanten halten können, sie waren so wundervoll
glänzend, glatt und durchsichtig. Der Kauri-Kopal dient zur Bereitung
von Lack und Firnis, er stammt von der Kaurifichte und wird meist aus
dem Boden gegraben, wo das Harz seit Jahrhunderten liegt, da viele
von den Bäumen, aus denen es geflossen ist, der heutigen Vegetation
nicht mehr angehören. ~Dr.~ Campbell in Auckland erzählte mir, er habe
schon vor fünfzig Jahren eine Ladung nach England geschickt, aber ohne
Erfolg. Niemand wußte etwas damit anzufangen und man verkaufte es für
fünf Pfund Sterling die Tonne zum Feueranzünden.

       *       *       *       *       *

_26. November._ 3 Uhr nachmittags abgesegelt. Der Hafen ist schön und
ungeheuer groß; noch stundenweit hat man Land ringsumher. Der Tangariwa
ragt empor -- das ist der Berg, der, wie in Auckland allgemein
behauptet wird, überall gleich aussieht, man mag ihn betrachten von
welcher Seite man will. Ganz richtig -- von welcher Seite man will --
mit dreizehn Ausnahmen ...

Herrliches Sommerwetter. In der Ferne tummelt sich eine große Schar
Walfische. Der Staubregen, den sie emporspritzen, sieht zart und luftig
aus in dem rosigen Schein der untergehenden Sonne oder wenn er sich
abhebt gegen den dunkeln Hintergrund einer Insel, die im tiefblauen
Schatten von Sturmwolken ruht ... Zur Linken erhebt sich ein großer
Felsblock mitten im Meer. Vor einiger Zeit stieß ein Schiff, das im
Nebel zwanzig Meilen aus seinem Kurs gekommen war, bei voller Fahrt
dagegen; 140 Menschen ertranken in den Wellen. Der Kapitän nahm sich
auf der Stelle selbst das Leben, ohne sich erst zu besinnen. Mochte er
schuld an dem Unfall sein oder nicht, er wußte, daß die Gesellschaft,
der das Schiff gehörte, ihn jedenfalls sofort entlassen würde, um
mit ihrer Sorge für die Sicherheit der Passagiere Reklame zu machen.
Dadurch wurde es ihm aber fast unmöglich gemacht, seinen ferneren
Lebensunterhalt zu verdienen.

       *       *       *       *       *

_27. November._ Heute kamen wir bis Gisborne und ankerten in einer
großen Bucht, eine Meile weit vom Ufer. Die See ging hoch und wir
blieben an Bord. Ein kleiner Schleppdampfer, der vom Lande auf uns
zufuhr, war ein Gegenstand atemlosen Interesses. Er klomm bis zum
Gipfel einer Welle, schwankte dort einen Augenblick als ein grauer
Schatten wie betrunken hin und her, in dem vom Sturm zerstäubten
Wasser, tauchte plötzlich in die Tiefe und blieb so lange unsichtbar
bis man ihn für verloren hielt; dann schoß er auf einmal wieder in ganz
schräger Richtung empor, während das Wasser in Strömen vom Vorderdeck
herabstürzte. So trieb es der Dampfer die ganze Zeit über, bis er unser
Schiff erreicht hatte. In seinem Bauche befanden sich fünfundzwanzig
Passagiere, die zu uns an Bord wollten -- Männer und Frauen, meistens
Mitglieder einer reisenden Schauspielertruppe. Die Mannschaft war auf
Deck in Südwestern, wasserdichten Anzügen von gelbem Segeltuch und
hohen Stiefeln. Das Deck stand so schräg wie eine Leiter und schwankte
auf und ab; große Wellen sprangen fortwährend an Bord und rollten
darüber hin. Wir befestigten ein langes Seil an der Raanocke, hingen
einen höchst kunstlosen Korbstuhl daran und ließen ihn im weiten
Himmelsraum wie einen Pendel auf gut Glück hin und her schaukeln. Im
geeigneten Moment wurde er von geschickten Händen hinabgelassen und
drüben fingen zwei Männer am Vorderdeck die gut gezielte Leine auf.
Ein junger Bursche von unserer Mannschaft saß im Korbstuhl, um den
weiblichen Passagieren herüber zu helfen. Sofort erschienen einige
Damen aus der Kajüte, setzten sich ihm auf den Schoß, und wir zogen sie
über uns in den Himmel hinauf. Einige Augenblicke warteten wir noch,
bis das Schlingern des Schiffes sie herüberbrachte, dann ließen wir das
Seil herab und erfaßten den Korb, als er eben das Deck erreichte. So
brachten wir alle fünfundzwanzig an Bord und schafften fünfundzwanzig
unserer eigenen Passagiere in den Schleppdampfer -- darunter mehrere
alte Damen und eine Blinde -- noch dazu ohne den geringsten Unfall. Es
war ein schönes Stück Arbeit.

Wir sind mit unserm Schiff sehr zufrieden, es ist hübsch und geräumig,
auch alles darin bequem und gut in Ordnung. In einem Hotel kommt es
wohl vor, daß man auf eine Ratte tritt, aber an Bord haben wir lange
nichts von Ratten gespürt, außer vielleicht auf der ›Flora‹; aber da
waren wir mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Es ist mir aufgefallen,
daß man nur noch auf Schiffen und in Hotels Ratten findet, wo die
abscheulichen chinesischen Gongs gebraucht werden. Der Grund kann nur
sein, daß die Ratten nicht nach der Uhr zu sehen verstehen, um zu
erfahren, in welcher Tageszeit sie leben, und einen Ort fliehen, an dem
sie nie wissen, wann das Essen fertig ist.

       *       *       *       *       *

_2. Dezember. Montag._ Von Napier nach Hastings benutzten wir den
Schnellzug, der in Neuseeland zweimal die Woche fährt. In Waitukurau
war zwanzig Minuten Aufenthalt und wir nahmen einen Imbiß. Ich saß
oben am Tisch, so daß ich die rechte Wand sehen konnte, während meine
Frau, meine Tochter und Mr. Carlyle Smythe, mein Geschäftsführer,
der Wand den Rücken zukehrten. Auf dieser Wand hingen einige Bilder
ziemlich weit von mir, so daß ich sie nicht deutlich erkennen konnte,
aber nach der ganzen Gruppierung der Gestalten nahm ich an, daß eins
derselben die Ermordung von Napoleons des Dritten Sohn durch die Zulus
in Südafrika darstellte. Ich unterbrach das Gespräch, welches sich eben
um Poesie, Kohlköpfe und bildende Kunst drehte und wandte mich an meine
Frau mit der Frage:

»Weißt du noch, wie die Nachricht in Paris ankam --«

»Daß der Prinz ermordet wäre?«

(Ich hatte genau diese Worte im Sinn gehabt.) »Welcher Prinz denn?«

»Napoleon -- Lulu.«

»Wie kommst du eben jetzt darauf?«

»Ich weiß nicht.«

Höchst sonderbar! -- Wir hatten uns auf keine Weise miteinander
verständigt. Die Bilder waren nicht erwähnt worden und meine Frau
konnte sie nicht sehen. Vor sieben Monaten waren wir nach einem
mehrjährigen Aufenthalt von Paris abgefahren, um diese Reise zu
unternehmen und meine Frau hätte an irgend eine Nachricht denken
müssen, die in jüngst vergangener Zeit nach Paris gekommen war. Statt
dessen dachte sie an ein Erlebnis bei unserm kurzen Besuch in Paris vor
sechzehn Jahren.

Es war ein deutliches Beispiel von Gedankentelegraphie, von
geistiger Wechselwirkung. Ich hatte die Idee aus meinem Hirn an sie
telegraphiert. -- Woher ich das so bestimmt weiß? -- Nun einfach
deshalb, weil es ein Irrtum war. Es ergab sich nämlich, daß jenes Bild
weder die Ermordung Lulus darstellte, noch überhaupt etwas, das sich
irgendwie auf Lulu bezog. Ich mußte ihr den Irrtum telegraphiert haben,
denn außer in meinem Kopfe war er nirgends vorhanden.




Zweiunddreißigstes Kapitel.

        Der Selbstherrscher von Rußland hat mehr Macht als irgend
        ein Mensch auf Erden; aber das Niesen kann er doch nicht
        zurückhalten.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Wanganui 3. Dezember._ Unsere gestrige Fahrt war sehr angenehm
und dauerte vier Stunden. Meinetwegen hätte der Zug sie auf acht
Stunden ausdehnen können. Wenn man sich behaglich fühlt und kein
Grund zur Eile vorhanden ist, liegt mir gar nichts an übergroßer
Schnelligkeit. Nun kenne ich aber kein bequemeres Beförderungsmittel
als einen Neuseeländer Zug. Nirgends findet man außerhalb Amerikas so
vernünftig eingerichtete Eisenbahnwagen. Rechnet man dazu noch den
unausgesetzten Anblick des reizendsten Landschaftsbildes und den fast
gänzlichen Mangel an Staub, so kann man nur jedem raten, der damit
noch nicht zufrieden ist, er soll aussteigen und zu Fuße gehen. --
Würde er dadurch aber anderer Meinung werden? Ganz gewiß. Nach Ablauf
einer Stunde träfe man ihn sicherlich bescheiden wartend neben dem
Schienenstrang, und er wäre froh mit dem Zug weiter fahren zu dürfen.

In der Stadt und Umgegend sieht man viele Leute zu Pferde und hübsche
junge Mädchen in luftigen Sommerkleidern, auch die Heilsarmee und
eine Menge Maori; Gesicht und Körper der älteren sind meist sehr
geschmackvoll bemalt. Jenseits des Flusses liegt das Rathaus der Maori,
ein großes, festes Gebäude, das von einem Ende zum andern mit Matten
ausgelegt und mit reichen, kunstvoll verfertigten Holzschnitzereien
geschmückt ist. Die Maori sind auch sehr höfliche Leute.

Einer der Volksvertreter gab mir die Versicherung, daß die eingeborene
Rasse nicht abnimmt, sondern sich im Gegenteil langsam vermehrt.
Dies ist ein neuer Beweis, daß die Maori, als Wilde, auf einer
hohen Stufe stehen. Ich weiß mich an keine anderen Eingeborenen
irgend welcher Rasse zu erinnern, die so gute Häuser oder so starke,
zweckentsprechende Festungswerke errichtet hätten, die den Ackerbau
so eifrig betrieben oder bei denen die Kriegswissenschaft und
Verteidigungskunst fast bis zu einer Vollkommenheit gediehen wäre,
wie man sie sonst nur bei den Weißen findet. Zählt man hierzu noch
ihre große Geschicklichkeit in der Anfertigung von Booten und ihre
Begabung für die dekorativen Künste, so kann man sie höchstens noch
als Halb- oder Dreiviertel-Barbaren betrachten und ihnen eine gewisse
Zivilisation nicht absprechen.

Es ist schmeichelhaft für die Maori, daß die britische Regierung,
statt sie auszurotten wie die Australneger und die Tasmanier, sich mit
ihrer Unterwerfung begnügt hat. Auch nahmen die Engländer ihnen nicht
alles gute Land fort, sondern ließen ein großes Stück in ihrem Besitz
und schützten sie sogar vor den Landwucherern, wie es die Regierung
von Neuseeland noch heutigen Tages tut. Am schmeichelhaftesten für
die Maori ist jedoch, daß sie ihre eingeborenen Vertreter sowohl im
Ministerium wie im gesetzgebenden Körper haben, und daß auch das
weibliche Geschlecht wahlberechtigt ist. Die Regierung ehrt sich selbst
durch diese Einrichtungen, denn bisher war es in der Welt nicht Sitte,
daß ein Eroberer mit den Besiegten auf so weitherzige Art verfuhr.

Die gebildetsten Weißen, die zuerst unter den Maori lebten, hatten
wirkliche Zuneigung für sie und eine hohe Meinung von ihrer Gesittung.
Ich will nur den Verfasser des ›Alten Neuseeland‹ anführen, sowie
~Dr.~ Campbell von Auckland. Letzterer hatte mit mehreren Häuptlingen
große Freundschaft geschlossen und wußte viel Gutes von ihrer Treue,
Hochherzigkeit und Großmut zu berichten. Er erzählte auch, was sie sich
für wunderliche Begriffe von der Zivilisation der Weißen machten und
wie komisch sie dieselben beurteilten. Einer von ihnen meinte unter
anderm, der Missionar greife alles am unrechten Ende an und kehre das
Unterste zu oberst. »Hat er doch sogar gesagt, wir sollten aufhören,
die bösen Götter anzubeten und um ihren Schutz zu flehen; wir brauchten
uns mit Verehrung und Bitten nur noch an den guten Gott zu wenden. Das
hat ja weder Sinn noch Verstand! Ein _guter_ Gott wird uns doch keinen
Schaden tun!«

Unter den Maori herrschte das ›Tabu‹ in so großartigem Umfang, wie es
für Polynesien paßte. Von einigen Verboten hätte man glauben können,
sie stammten aus Indien oder Judäa. Weder bei den Maori noch bei
den Indern durfte der gemeine Mann an einem Feuer kochen, das von
einem Mitglied der höheren Kasten benutzt worden war. Ebensowenig
gestattete man dem vornehmen Maori oder dem vornehmen Inder sich des
Feuers zu bedienen, an dem der gemeine Mann seine Speise bereitet
hatte. Trank ein Maori oder ein Inder niederen Ranges aus dem Gefäß,
das einem Höhergestellten gehörte, so war das Gefäß verunreinigt und
mußte zerschlagen werden. Auch noch in mancher Beziehung erinnert das
Maori-Tabu an den Kastengeist der Inder.

       *       *       *       *       *

_8. Dezember._ Hier in Wanganui stehen ein paar sonderbare
Kriegerdenkmäler. Das eine ist zum Andenken an die Weißen errichtet,
die bei »der Verteidigung von Ordnung und Gesetz gegen Barbarei und
Fanatismus« gefallen sind. -- Fanatismus -- das Wort sollte unverweilt
entfernt werden, denn es ist sicher nur aus Irrtum und Mangel an
Ueberlegung auf das Denkmal gesetzt worden; wenigstens möchte ich
das zur Ehre der uns stammverwandten englischen Nation annehmen. Man
verpflanze einmal die Inschrift: »welche zur Verteidigung von Gesetz
und Ordnung gegen den Fanatismus gefallen sind,« an den Ort, wo
Winkelried starb, an die Thermopylen oder auf das Bunker-Hill-Monument
-- da wird man einsehen, was das Wort bedeutet und wie verkehrt es in
jenem Fall angewendet ist. Patriotismus bleibt Patriotismus. Nichts
kann ihn herabwürdigen, mag man ihn auch Fanatismus nennen, so viel
man will. Selbst wenn er vom politischen Standpunkt aus tausendmal im
Irrtum ist, so ändert das nichts an der Sache. Der Patriot ist und
bleibt ehrenhaft, edel und groß, er darf getrost das Haupt erheben! Mit
Recht preist man die tapfern Weißen, die im Maorikrieg gefallen sind --
sie verdienen alles Lob. Aber das Wort ›Fanatismus‹ stellt die Sache
so dar, als hätten sie ihr Blut in keinem würdigen Kampfe vergossen,
in einem Kampfe gegen unedle Feinde, die des Opfers nicht wert waren.
Und doch standen sie wackern Männern gegenüber, mit denen zu fechten
keine Schande war, Männern, die für ihre Heimstätten und ihr Vaterland
als tapfere Feinde stritten und einen ehrenvollen Tod fanden. Es würde
dem Ruhm der braven Engländer, die unter dem Denkmal liegen, keinen
Abbruch tun, sondern ihn nur erhöhen, wenn die Inschrift besagte, daß
sie in Verteidigung des englischen Gesetzes und ihrer englischen Heimat
gefallen sind, im Kampf mit Gegnern, die aller Achtung wert waren --
mit den für ihr Vaterland sterbenden Maori.

An dem zweiten Denkmal läßt sich nichts verbessern -- außer mit
Dynamit. Es ist ein Irrtum durch und durch und ein Beweis von großer
Gedankenlosigkeit. Die Engländer haben es zur Erinnerung an die Maori
aufgestellt, die auf Seiten der Weißen _gegen ihre eigenen Landsleute_
kämpften. »Dem Andenken der wackeren Männer gewidmet, die am 14. Mai
1864 gefallen sind etc.,« lautet die Inschrift. Auf der Rückseite
stehen die Namen von ungefähr zwanzig Maori.

Es ist kein Phantasiegebilde von mir; das Denkmal steht wirklich da
und ich habe es gesehen. Welche Lehre für die kommenden Geschlechter!
Es fordert mit dürren Worten zu Verrat, Untreue und Verleugnung des
Patriotismus auf: »Verlasse deine Fahne,« ruft es, »erschlage deine
Landsleute, verbrenne ihre Häuser, sei eine Schande für dein Volk --
solchen Leuten erweisen wir Ehre!«

       *       *       *       *       *

_12. Dezember._ Nach zehnstündiger Eisenbahnfahrt von Wanganui aus,
erreichten wir Wellington ... Eine schöne Stadt, in stolzer Lage;
reger Handel, viel Leben und Bewegung. Ich habe hier drei Tage teils
mit Spazierengehen und angenehmem geselligem Verkehr zugebracht, teils
bin ich in dem herrlichen Garten von Hutt umhergeschlendert, der eine
Strecke weiter am Ufer liegt. Dergleichen sehen wir gewiß sobald nicht
wieder!

Wir packen heute abend unsere Koffer zur Rückreise nach Australien. Der
Aufenthalt in Neuseeland ist zu kurz gewesen, doch sind wir froh, daß
wir es wenigstens flüchtig sehen durften.

Die tapfern Maori haben es den Weißen ziemlich schwer gemacht, sich
im Lande anzusiedeln. Anfangs jedoch empfingen sie die Engländer
freundlich und machten gern Geschäfte mit ihnen. Besonders kauften sie
Flinten, denn sie führten oft zum Zeitvertreib Krieg unter einander,
und die Waffen der Weißen gefielen ihnen weit besser als ihre eigenen.
Ich brauche den Ausdruck ›Zeitvertreib‹ mit gutem Bedacht; sie kamen
wirklich häufig zusammen, ohne daß irgend ein Streit vorlag und
erschlugen einander bloß zum Vergnügen. Der Verfasser des ›Alten
Neuseeland‹ erwähnt einen Fall, wo das siegreiche Heer nur seinen
Vorteil auszunutzen brauchte, um den Feind zu vernichten und es
gleichwohl unterließ. »Denn,« lautete die naive Erklärung, »täten wir
das, so gäbe es keinen Kampf mehr.« Ein andermal ließ die eine Armee
dem Heer, das ihr feindlich gegenüberstand, sagen, ihr sei das Pulver
ausgegangen und sie müsse das Schießen einstellen, falls sie nicht
neuen Vorrat erhalte. Man schickte ihr, was sie brauchte, und die
Schlacht nahm ihren Fortgang.

Wie gesagt, als die Engländer sich zuerst in Neuseeland niederlassen
wollten, ging alles gut. Die Eingeborenen verkauften ihnen Strecken
Landes, ohne die Bedingungen des Vertrages zu verstehen, und die Weißen
kauften von ihnen und kümmerten sich nicht darum, daß die Maori nicht
wußten, was sie taten. Als dann letztere allmählich einsahen, daß
ihnen unrecht geschah, begannen die Zwistigkeiten. Kein Maori hätte
ein Unrecht, das ihm widerfuhr, ruhig erduldet oder sich mit Klagen
begnügt. Das Volk besaß dieselbe Ausdauer wie die Tasmanier und daneben
noch allerlei militärische Kenntnisse; es stand gegen seine Bedrücker
auf und die tapfern ›Fanatiker‹ entfachten einen Krieg, dessen
schließliche Entscheidung erst erfolgte, nachdem mehrere Generationen
zu Grabe gegangen waren.




Dreiunddreißigstes Kapitel.

        Es gibt mancherlei Schutzwehr gegen die Versuchung, aber
        die wirksamste ist Feigheit.

            _Querkopf Wilsons Kalender._


_Freitag 13. Dezember._ Um drei Uhr nachmittags in der ›Mararoa‹
abgesegelt. Eine Sommersee und ein gutes Schiff -- was kann es Besseres
auf Erden geben? --

       *       *       *       *       *

_Montag._ Drei Tage im Paradies. Die See war sonnig, glatt und glänzend
blau wie das Mittelmeer ... Man liegt den ganzen Tag lang auf Deck im
Klappstuhl unter dem Sonnenzelt und liest und raucht im wohligsten
Behagen.

       *       *       *       *       *

_17. Dezember._ Wir sind in Sydney.

       *       *       *       *       *

_19. Dezember. Auf der Eisenbahn._ Ein Mensch von dreißig Jahren stieg
mit vier Reisetaschen ein. Der Mund des schmächtigen Kerlchens sah aus
wie ein verfallener Kirchhof, so vernachlässigt waren die Zähne; sein
Haar bestand aus einer festen Schicht, die mit Pomade zusammengeklebt
war. Er rauchte die wunderbarsten Zigaretten, die wohl aus einer Art
Dung bestehen mußten, denn sie strömten zusammen mit dem Haar einen
ganz ›eingeborenen‹ Geruch aus. Unter seiner tiefausgeschnittenen
Weste kam ein großes Stück des verknitterten, zerrissenen und
beschmutzten Hemdeinsatzes zum Vorschein, mit Knöpfen von Talmigold,
welche schwarze Ringel auf der Leinwand gemacht hatten. Dazu trug er
große unechte Manschettenknöpfe, bei denen man das Kupfer durchsah
und eine schwere Talmi-Uhrkette, die ihm vermutlich nicht verriet,
was die Glocke geschlagen hatte, denn er fragte Smythe, wieviel Uhr
es sei. Einstmals mochte sein Rock wohl auch jung und hübsch gewesen
sein, jetzt war er aber außerordentlich schmutzig, und die hellen
Sonntagnachmittags-Beinkleider, die er anhatte, desgleichen; sein
gelber Schnurrbart war an den Enden kühn in die Höhe gewirbelt, seine
Schuhe von unechtem Glanzleder sahen fuchsig aus. Er war für mich eine
völlig neue Erscheinung -- ein nachgemachter Gigerl; hätten es ihm
seine Mittel erlaubt, so wäre er ein echter gewesen. Jedenfalls war er
mit sich selbst zufrieden, das konnte man an seinem Gesichtsausdruck
sehen, an jeder Bewegung, die er machte, an jeder Stellung, die er
einnahm. Er lebte in einem Gigerl-Traumland, wo all sein schmutziges
Scheinwesen echt und er selbst keine Lüge war. Wenn man sah, wie er
seine kleinen nachgeäfften Künste und Gebärden, seinen falschen Schmuck
und jede seiner gezierten Bewegungen mit Wonne genoß, so verlor die
Kritik ihren Stachel und der Zorn besänftigte sich. Mir schien es
klar, daß er sich einbildete, er wäre der Prinz von Wales und sich
ganz so benahm, wie er glaubte, daß sich der Prinz benehmen würde.
Dem Dienstmann, der ihm seine vier Reisetaschen nachtrug und ins Netz
legte, gab er vier Cents für die Bemühung und entschuldigte sich wegen
der geringfügigen Summe, mit einem leisen Anflug der königlichsten
Herablassung. Dann rekelte er sich auf dem Vordersitz, legte den Arm
unter seinen pomadisierten Kopf, steckte die Füße zum Fenster hinaus
und begann die Rolle des Prinzen zu spielen, wie sie ihm vorschwebte.
Mit erkünstelter Abgespanntheit sah er den blauen Qualm sich von seiner
Zigarette emporkräuseln, sog den Gestank ein und machte ein beglücktes
Gesicht; dann streifte er mit einem zierlichen Schwung die Asche fort
und ließ dabei ganz unabsichtlich seinen Messingring am Zeigefinger mit
der größten Auffälligkeit funkeln. Kurz, er machte alles so täuschend
nach, daß man sich wirklich nach Marlborough House versetzt glaubte.

Auf der Fahrt war auch sonst viel zu sehen: Die wunderschöne Gegend im
Nationalpark am Hawksbury-Fluß, wo die Waldberge einen stolzen Rahmen
um die von See und Strom bewässerte Landschaft bilden und dem Beschauer
in immer neuer Gruppierung die entzückendste Szenerie vorführen.
Weiterhin grüne Ebenen, spärlich mit Gummiwäldern bedeckt; hie und
da eine vereinzelte Hütte, wo die Farmer sich fleißig der Kinderzucht
widmeten; dann dürre, trübselige Strecken ohne Leben. Endlich Newcastle
mit reger Geschäftstätigkeit, die Hauptstadt des reichen Kohlenbezirks.
In der Nähe von Scone viel Landwirtschaft und Weideland, dazwischen
häufig ein sehr lästiges Gewächs, eine kleine stachlichte Birnensorte,
welche der Farmer täglich zu allen Teufeln wünscht. Sie soll von einer
gefühlvollen Dame eingeführt und der Kolonie zum Geschenk gemacht
worden sein ... Den ganzen Tag über eine wahre Siedehitze.

       *       *       *       *       *

_20. Dezember._ Wieder nach Sydney zurück. Noch eben solche Glut. Ich
habe mir in der Zeitung und auf der Landkarte eine Menge absonderlicher
Namen von Städten Australiens zusammengesucht, um ein Gedicht daraus zu
machen. Hier ist die Liste:

    ~Tumut~
    ~Takee~
    ~Murwillumba~
    ~Bowral~
    ~Ballarat~
    ~Mullengudgery~
    ~Murrurundi~
    ~Wagga-Wagga~
    ~Wyalong~
    ~Murrumbidgee~
    ~Wollongong~
    ~Woolloomooloo~
    ~Bombola~
    ~Coolgardie~
    ~Bendigo~
    ~Coonamble~
    ~Cootamundra~
    ~Woolgoolga~
    ~Mittagong~
    ~Jamberoo~
    ~Goomaroo~
    ~Wolloway~
    ~Wangary~
    ~Wanilla~
    ~Worrow~
    ~Koppio~
    ~Yaranyacka~
    ~Yankalilla~
    ~Waitpinga~
    ~Goolwa~
    ~Nangkita~
    ~Myponga~
    ~Penola~
    ~Nangwarry~
    ~Kongorong~
    ~Comaum~
    ~Killanoola~
    ~Naracorte~
    ~Binnum~
    ~Wirrega~
    ~Kondoparinga~
    ~Kuitpo~
    ~Tungkillo~
    ~Onkaparinga~
    ~Talunga~
    ~Yatala~
    ~Parawirra~
    ~Moorooroo~
    ~Munno Parah~
    ~Kapunda~
    ~Keoringa~
    ~Koolywurtie~
    ~Muloowurtie~
    ~Wallaroo~
    ~Yackamoorundie~
    ~Mundoora~
    ~Woolundunga~
    ~Coomooroo~
    ~Booleroo~
    ~Pernatty~
    ~Geelong~
    ~Paramatta~
    ~Toowoomba~
    ~Taroom~
    ~Goondiwirdi~
    ~Narrandera~
    ~Jerrilderie~
    ~Deniliquin~
    ~Oohipara~
    ~Whangerou~
    ~Kawakama~
    ~Whangarei~
    ~Kaiwaka~
    ~Hauraki~
    ~Rangiriri~
    ~Tauranga~
    ~Teawamut~
    ~Taranaki~
    ~Tongariro~
    ~Kaikoura~
    ~Wakatipu.~

Vielleicht tue ich am besten, gleich mit dem Aufbau des Gedichts zu
beginnen; das Wetter soll mir dabei behilflich sein:


Gluthitze in Australien.

        (In leisem Flüsterton zu lesen, wenn die Lichter gelöscht
        sind.)

    Die ~Bombola~ schmachtet im ~Bowral~ Baum,
    Wo ~Mullengudgerys~ Feuerbrand
    Vom Hauch ~Coolgardies~ berührt wie im Traum
    Gespenstisch noch glüht’, als der Tag verschwand.

    Und ~Murriwillumbas~ Klagelied
    Tönt in den Lauben von ~Woolloomooloo~
    ~Wollongong~ sehnt sich im öden Gebiet
    Nach den wonnigen Gärten von ~Jamberoo~.

    Das ~Wallaby~ seufzt nach dem ~Murrumbidgee~,
    Nach dem samtweichen Rasen von ~Munno Parah~,
    Wo die heilenden Wasser von ~Muloowurtie~
    Vorüberfluten bei ~Yaranyacka~.

    Um ~Wolloway~ trauert des ~Koppios~ Herz,
    Er sehnt sich heimlich nach ~Murrurundi~.
    Der ~Whangerou Wombat~ in bitterm Schmerz
    Sieht sich verbannt aus ~Jerrilderie~.

    Der ~Teawamut Tumut~ vom ~Wirrega~-Tal,
    Die ~Nangkita~ Schwalbe, der ~Wallaroo~ Schwan,
    Sie hoffen auf ~Timarus~ Schatten zumal,
    Auf ~Mittagongs~ Duft und der Ruhe Nahn.

    Der ~Keoringa~ Büffel verschmachtet schier,
    Der ~Hauraki~ keucht in der Sonnenglut,
    Der ~Kongorong~ floh ins Schattenrevier,
    Doch im Todesschlaf der ~Goomaroo~ ruht.

    Auf ~Moorooroos~ Flur in dem Höllenbrand
    Stirbt, ach! der ~Yatala Wangary~ hin;
    Und den ~Worrow Wanilla~ zum Waldesland
    Von ~Woolgoolga~ sieht man verzweifelnd fliehn.

    ~Nangwarry~ irrt einsam, ~Coonamble~ vergeht,
    ~Tungkillo Kuitpo~ legt Trauerkleid an.
    Kein rettender Windhauch aus ~Whangarei~ weht,
    Kein West zieht aus ~Booleroo~ kühlend heran.

    ~Myponga~, ~Kapunda~, o schlummert nicht mehr!
    ~Yankalilla~, ~Parawirra~, erwacht!
    Vernimm’s ~Killanoola~ -- der Tod schleicht umher
    Auf ~Penolas~ Warnung gib acht!

    Schon sind ~Tongariro~ und ~Wakatipu~,
    ~Cootamundra~, ~Kaikoura~, verbrannt,
    Von ~Onkaparinga~ bis ~Oamarou~
    Steht in Flammen ~Toowoombas~ Land.

    ~Paramatta~ und ~Binnum~, sie gingen zur Ruh’,
    ~Mundoora Taroom~ ward ihr Grab.
    ~Kawakama~, ~Takee~ -- der Rasen deckt zu,
    Was es Schönstes auf Erden einst gab.

    ~Narrandera~ trauert; dem liebenden Laut,
    Gibt ~Camaroo~ Antwort nicht mehr;
    Wo einst man ~Goolwa~, ~Woolundunga~ erschaut,
    Ist alles öde und leer.

Die Wörter sind für die Poesie wie geschaffen; bessere habe ich mein
Lebtag nicht gehört. Die Liste umfaßt einundachtzig Stück, aber ich
habe nicht alle gebraucht und mir nur vierundsechzig herausgegriffen.
Mir scheint, das ist ein gehöriges Bündel für jemand, der nicht Dichter
von Beruf ist. Vielleicht wäre es einem Hofpoeten besser gelungen,
aber ein Hofpoet bezieht auch Gehalt. Wenn ich Verse mache, bekomme
ich nichts dafür, im Gegenteil, es kostet mich oft noch Geld. Das
beste Wort im ganzen Verzeichnis, das auch am melodischsten girrt und
gluckst ist Woolloomooloo. So heißt ein Ort in der Nähe von Sydney, ein
Lieblingsziel für Vergnügungsausflüge. Es sind nicht weniger als acht o
in dem Namen.


_Schluß der 1. Abteilung._




Fußnoten:


    [1] Forbes, Zwei Jahre auf den Fidschi-Inseln.

    [2] N.S.W. Blaubuch.

    [3] D. M. Luckie.

    [4] Ebda.

    [5] N.S.W. Blaubuch.

    [6] Der berühmte Detektiv in den C. Doyle’schen Erzählungen;
        siehe die _Sherlock Holmes-Serie_, illustr. Ausgabe in 6
        Bänden.

    [7] Die Marsupialia sind Sohlengänger und Wirbeltiere, deren
        Eigentümlichkeit in ihrem Beutel besteht. In einigen
        Ländern sind sie ausgestorben, in andern kommen sie nur
        selten vor. Die ersten amerikanischen Beuteltiere waren
        Stephen Girard, Jakob Astor und das Opossum; auf der
        südlichen Halbkugel sind die hauptsächlichsten Cecil Rhodes
        und das Känguruh. Ich selbst bin das neueste Marsupial,
        auch könnte ich damit prahlen, daß ich den größten Beutel
        von allen habe -- aber, es ist nichts darin.




Verlag von =Robert Lutz= in =Stuttgart=.


Klassische Dramen

und ihre Stätten.

Von =Robert Kohlrausch=.

Mit Text- und Vollbildern von _Peter Schnorr_.

18 Bogen Großoktav. Brosch. M. 5.--, eleg. in Lwd. geb. M. 6.--.

_Aus dem Vorwort_:

»Weit umher bin ich gewandert, um die Blätter zu sammeln, die nun
hier vereinigt sind. Stets hatte ich Begleitung von bester Art. Denn
unsere großen Dichter waren an meiner Seite und ihre Gestalten wiesen
mir den Weg. Die Erdenheimat dieser Gestalten aufzusuchen und sie zu
vergleichen mit ihrer Dichterheimat, das war mein Ziel. Wo der Poet
seinem Werk einen realen, fest bezeichneten Ort zum Hintergrunde
gegeben hatte, da wallfahrtete ich zu dieser durch eine große Dichtung
geheiligten Stätte, um sie auf ihren eigenen Charakter und auf ihre
Beziehung zu jener Dichtung zu prüfen. Mit einem reichen Schatz von
Anregung und Genuß bin ich heimgekehrt und ich hoffe, daß etwas davon
durch dieses Werk auch auf andere übergeht.«

Die Abhandlungen sind mit feinem kritischem Verständnis und
großer Wärme geschrieben, und der schöne, formvollendete Stil
Kohlrauschs trägt noch besonders dazu bei, die Lektüre des Buches
zu einem wirklichen Genuß zu machen. Dazu kommt eine ganze Anzahl
von stimmungsvollen Federzeichnungen nach =Originalaufnahmen des
Verfassers=, so daß die »Klassischen Dramen und ihre Stätten« ein =Buch
von dauerndem Wert= darstellen.




Mark Twains

Ausgew. humoristische Schriften.


Inhalt:

    Bd. I.   Tom Sawyers Streiche und Abenteuer.

    Bd. II.  Abenteuer und Fahrten des Huckleberry Finn.

    Bd. III. Skizzenbuch.

    Bd. IV.  { Leben auf dem Mississippi.
             { Nach dem fernen Westen.

    Bd. V.   Im Gold- und Silberland.

    Bd. VI.  Reisebilder u. verschiedene Skizzen.

Preis des einzelnen Bandes M. 2.50 gebunden.

Preis aller 6 Bände, zusammen bezogen, M. 13.50 gebunden.


_Neue Folge_:

    Bd. I.       Tom Sawyers _Neue_ Abenteuer.

    Bd. II.      Querkopf Wilson.

    Bd. III./IV. Meine Reise um die Welt. 2 Abt.

    Bd. V.       Adams Tagebuch u. a. Erzähl.

    Bd. VI.      Wie Hadleyburg verderbt wurde u. a. Erzähl.

Preis des _einzelnen_ Bandes M. 3.-- gebunden.

Preis _aller_ 6 Bände, zusammen bezogen, M. 17.-- gebunden.




    Weitere Anmerkungen zur Transkription

    Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Die
    Darstellung der Ellipsen wurde vereinheitlicht.

    Korrekturen:

    S. 143: die → die der
      stärker sind oder {die der} anderen Völker

    S. 214 durchschritten → durchschnitten
       ausgetrockneten Flußbett {durchschnitten} wird

*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK MEINE REISE UM DIE WELT. ERSTE
ABTEILUNG ***

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