Vom Mars zur Erde

By Albert Daiber

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Title: Vom Mars zur Erde

Author: Albert Daiber

Illustrator: Fritz Bergen

Release Date: December 1, 2012 [EBook #41523]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VOM MARS ZUR ERDE ***




Produced by Jens Sadowski








Vom Mars zur Erde


Eine Erzählung für die reifere Jugend
von
Dr. Albert Daiber


Verfasser von: »Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars«

Mit sechs Vollbildern von Fritz Bergen

Zweite Auflage


Stuttgart
Verlag von Levy & Müller


Nachdruck verboten.
Alle Rechte, insbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten.
Druck: Chr. Verlagshaus, Stuttgart.




Inhalt

Erstes Kapitel. Der Erdensohn auf dem Mars           1
Zweites Kapitel. Die Sühne                           8
Drittes Kapitel. Eine Sisyphusarbeit                21
Viertes Kapitel. Getäuschte Hoffnungen              37
Fünftes Kapitel. Die Doppelkanäle auf dem Mars      45
Sechstes Kapitel. Ein tapferer Entschluß            61
Siebentes Kapitel. Vorbereitungen zur Rückkehr      69
Achtes Kapitel. Auf der Fahrt im Weltraum           74
Neuntes Kapitel. Eine Station auf dem Monde         89
Zehntes Kapitel. Die drei Freunde                   98
Elftes Kapitel. Wieder auf der Erde                112
Zwölftes Kapitel. Fromme Wünsche                   134








Erstes Kapitel.
Der Erdensohn auf dem Mars.


Phobos und Deimos, die beiden Marsmonde, hingen leuchtenden Kugeln gleich
am nächtlichen Firmamente, der eine aufgehend, der andere bereits zum
Untergange geneigt. Die sternklare Nacht war von märchenhafter Pracht und
Schönheit. Tiefer Friede lag über den weiten Marslanden, die ein einsamer
Erdensohn gedankenvoll durchwanderte. Wie war er hierher gekommen?
Augenblicklich mochten es gegen zweihundert Millionen Kilometer sein, die
ihn von seiner Mutter Erde, von seiner deutschen Heimat, von den Freunden
in Tübingen, der Stätte seines einstigen akademischen Wirkungskreises im
lieben Schwabenlande, trennten. Wie war er hierher gekommen nach dem fernen
Bruderplaneten seiner irdischen Mutter? Fast wie ein Märchen dünkte ihn
jetzt in der Erinnerung die vor drei Jahren von sieben Tübinger Gelehrten
unternommene kühne Forschungsreise durch den Ätherraum, die Qualen des
monatelangen Aufenthaltes in der engen, fest geschlossenen Gondel ihres
kunstvoll gebauten Luftschiffes, die Gefahren, die die tollkühne Reise im
Gefolge gehabt, die Erreichung des Zieles im letzten kritischen Augenblick
. . .

Der Erdensohn, Fridolin Frommherz, der ehemalige Professor der Theologie
und Moralphilosophie an der Universität Tübingen, strich sich mit der Hand
über die gedankenschwere Stirn. War das alles vielleicht nur ein toller
Traum, der ihn neckte? Aber nein, da standen strahlend die beiden Monde,
die ihrer Nähe wegen so viel größer erschienen und in Wirklichkeit doch so
viel kleiner waren als der Trabant der Erde. Viel hundertmal hatte er schon
ihre wunderbare Schönheit staunend betrachtet und sich doch nicht satt
daran gesehen. Und dort jener besonders helle, rötlich strahlende Stern --
das war die Erde, die ferne Heimat. Fridolin Frommherz nickte dem Sterne
zu.

»Ich grüße dich, Mutter Erde! Ich grüße euch, ihr heimgekehrten Freunde! Ob
ihr wohl euer Ziel glücklich erreicht habt? Nie werde ich es erfahren.
Hätte ich mich doch nicht von euch trennen sollen? Siegfried Stiller, du
bester der Freunde, du wolltest es nicht, aber ich konnte ja nicht anders!
Nein, wirklich, ich konnte es nicht verlassen, dieses Paradies, in das wir
den Weg gefunden! Dachte ich zurück an all das Erdenelend, die Lüge, den
Eigennutz, den rohen Kampf ums Dasein, -- mir graute vor einer Rückkehr in
so barbarische Verhältnisse, nachdem ich eine Kultur kennen gelernt, deren
Höhe ich früher kaum geahnt hatte. Nein, hier soll meine Heimat sein, hier
auf dem Lichtentsprossenen, wie die Marsbewohner ihren Planeten so schön
nennen! Im Lichte will ich leben, nicht im Erdendunkel!«

Fridolin Frommherz hatte während seines Selbstgespräches nicht bemerkt, daß
sich ihm ein Greis in langem Silberhaar genaht. Da legte sich eine Hand auf
seine Schulter, und eine Stimme voll tiefen Wohllautes fragte: »Nun, mein
Freund, schon wieder im Selbstgespräch auf einsamer nächtlicher Wanderung?
Quält dich das Heimweh nach der Erde?«

»Nein, nein!« beeilte sich der Erdensohn hastig zu versichern. »Hier will
ich leben, im Lande meiner Wahl! Hier, würdiger Eran, ist das Paradies!«

»Nun,« meinte der Alte mit feinem Lächeln, »etwas scheint dir doch im
Paradiese zu fehlen. Woher sonst dieses ruhelose Wandern, dieses
auffallende Meiden deiner neuen Brüder? Wie gern weiltest du früher, als
deine Erdenfreunde noch auf unserm Lichtentsprossenen wandelten, in meinem
Hause! Jetzt treibt dich etwas hinaus, das dir auch draußen keine Ruhe
läßt. Willst du mir nicht anvertrauen, was dich quält?«

Während dieses Gespräches waren sie langsam weitergeschritten, die beiden
eigenartigen Gestalten, der hochgewachsene Greis im silberweißen Haar, mit
dem edel geformten Antlitz, und der kaum halb so alte Erdensohn mit den
weichen Zügen. Unter seinen Landsleuten hatte er für groß gegolten, seinem
Gastfreunde aber reichte er kaum bis an die Schulter. Beide trugen das
lange, weiße Faltengewand der Marsiten. Langsamen Schrittes näherten sie
sich Lumata, der Stadt, der Eran als Ältester vorstand.

Fridolin Frommherz schwieg eine Weile. Endlich sagte er beklommen: »Du
selbst, würdiger Eran, gabst mir einst zu verstehen, daß du mein
Hierbleiben nicht billigtest. Aus den Blicken deiner Genossen las ich
dasselbe Urteil. >Ein jeder gehört an den Platz, an dem er etwas zu leisten
vermag,< sagt ihr. >Man lebt nicht sich allein, sondern auch der
Gesamtheit.< Ihr münztet diese Worte auf mich und die Erde und fandet es
unrecht, daß ich meine Freunde allein ziehen ließ. Ich aber hatte nur den
einen Wunsch, bei euch zu bleiben. Ich möchte ein nützliches Glied eurer
Marsgemeinde werden. Wenn mir nur jemand dazu helfen wollte!«

»Gewiß hast du recht: es ist zielbewußte, nutzbringende Arbeit, die dir
fehlt,« erwiderte der Greis. »Aber hast du uns denn bisher darum
angegangen?«

»Nein, das nicht! Aber du versprachst mir, nach Angola, an den Hauptsitz
eures Stammes der Weisen, über mein Hierbleiben zu berichten. Von dort aus
hoffte ich mein künftiges Leben geregelt zu sehen. Monate sind darüber
verflossen. Noch weiß ich nicht einmal, ob der hohe Rat den Fremdling in
euern Gefilden dulden wird, und quälend lasten die Ungewißheit und dieses
tatenlose Dasein auf meiner Seele.«

»Die Antwort aus Angola ist eingetroffen. Um dir dies mitzuteilen, habe ich
dich aufgesucht.«

Mit einem Ruck blieb Fridolin Frommherz stehen. Lebhaft wandte er sich dem
Greise zu, als er fragte: »Und wie lautet diese Antwort?«

»Du möchtest nach Angola kommen.«

Enttäuscht sah der Erdensohn vor sich hin. »Ist das alles? Braucht man fünf
volle Monate Zeit, um eine so kleine Botschaft zu senden?« wollte er sagen,
aber er besann sich eines Bessern und schwieg. Wenn die ernsten,
ehrwürdigen Greise, die dem Stamme der Weisen angehörten und den Rat der
Alten, die oberste Behörde des Marsvolkes, bildeten, wenn diese etwas
taten, so war es wohl erwogen und tief begründet. Ihm ziemte kein Mäkeln.
Zu deutlich aber malte sich die Enttäuschung in seinen Zügen.

»Wir werden schon morgen früh reisen,« sagte Eran freundlich.

»Du begleitest mich?« fragte Fridolin Frommherz voll Freude.

»Ja, mein Freund. Du weißt, daß ich selbst im Rate der Alten sitze. Nun
aber komm und pflege noch ein paar Stunden der Ruhe. Sieh, wir haben
bereits Lumata wieder erreicht.«

In der Tat tauchten die ersten weißschimmernden Häuser der Stadt vor den
nächtlichen Wanderern auf. Sie standen nicht aneinander gereiht, sondern
vereinzelt inmitten wohlgepflegter Gärten, umgeben von Beeten mit duftenden
Blumen und Bäumen mit myrten- und lorbeerähnlichen Blättern. Süßer
Wohlgeruch erfüllte die Luft. Die Häuser waren meist einstöckig und hatten
flache Dächer.

»Gute Nacht, Freund Fridolin!« sagte Eran, als sie dessen Behausung
erreicht hatten und die breiten Marmorstufen zur säulengetragenen Vorhalle
emporstiegen. »Ich werde dich morgen beizeiten rufen lassen. Unser Weg ist
weit.«

»Gute Nacht, Eran! Hab' Dank!«

Sie trennten sich beim Eintritt ins Haus, doch lange noch lag der Erdensohn
wach auf seinem bequemen Lager. Er wurde das quälende Unbehagen, das ihn in
den letzten Wochen und Monaten verfolgt hatte, auch jetzt nicht los. Immer
wieder stand ihm die irdische Heimat vor Augen und die Zeit, da er hierher
gekommen war. Ihrer sieben waren sie gewesen, lauter gelehrte Professoren
der Tübinger Universität. >Die sieben Schwaben< hatten sie sich oft im
Scherze genannt. Ein Schwabe war der Erfinder ihres Luftschiffes gewesen,
ein Schwabe hatte das neue, leichte Gas zur Ballonfüllung entdeckt, wodurch
erst eine Reise außerhalb der Erdatmosphäre ermöglicht wurde. Schwaben
waren als die Ersten mit dem merkwürdigen Luftschiffe aufgestiegen, hatten
als die ersten Erdgeborenen den weiten Ätherraum durchfurcht und waren nach
unendlicher Mühsal auf dem Mars gelandet. Sieben waren gekommen und hatten
zwei Jahre im Marsparadiese gelebt, aber nur sechs hatten, vom
Pflichtgefühl getrieben, die Heimreise angetreten, einer hatte den
Drückeberger gespielt, und dieser Eine war er, war Fridolin Frommherz.

Mit heißem Kopfe wälzte er sich auf seinem Lager umher. Da war er wieder an
demselben Punkte der Erinnerungen wie alle Abende! Hatte er denn wirklich
unrecht getan? War es denn nicht verständlich, daß er solchen
paradiesischen Zuständen, wie er sie auf dem Mars, dem Lichtentsprossenen,
gefunden, die Heimat und die Erde geopfert hatte? Warum nagte denn ständig
etwas an seinem Herzen?

Damals, als der Ballon seine sechs kühnen Gefährten entführte, war Eran mit
den Bewohnern Lumatas zugegen gewesen. Voll Hochachtung hatten sie den
scheidenden Erdensöhnen und lieb gewordenen Freunden die Hand zum Abschied
gedrückt. Er, Fridolin Frommherz, hatte sich verborgen gehalten, aus
Furcht, wider seinen Willen zur Mitreise genötigt zu werden. Erst als die
Taue gekappt waren und das Luftschiff bereits wieder in seinem Elemente
schwebte, war er herbeigeeilt, um den Freunden ein letztes Lebewohl
zuzuwinken. War das recht gewesen? Die Röte der Scham, die ihm bei diesem
Gedanken ins Gesicht stieg, war Antwort genug auf seine Gewissensfrage.

Wieder versuchte er, der lästigen Gedanken Herr zu werden und zu schlafen,
aber es wollte ihm immer noch nicht gelingen. Jetzt sah er Eran vor sich,
wie er mit seinen Genossen heimkehrte, sah sich selbst den Heimkehrenden in
respektvoller Entfernung folgen, hoffte auf die Einladung, sich ihnen
anzuschließen, und vernahm doch kein Wort weder der Ermunterung noch des
Tadels. Wie peinlich war die Lage für ihn gewesen! Da war auch die
Erkenntnis in ihm emporgedämmert, daß seine Stellung als einzelner
Erdensohn zu den Marsiten eine Änderung erfahren müsse, daß es nicht
bleiben könne, wie es früher gewesen war, als noch seine Gefährten hier
oben wandelten. Aber welcher Art würde die Veränderung sein? Anfangs hatte
er sich keine Antwort darauf zu geben vermocht. Bald waren ihm die Marsiten
wieder freundlich und herzlich entgegengetreten. Aber in den fünf Monaten,
die zwischen damals und heute lagen, war ihm doch allmählich der
Unterschied gegen früher klar geworden: es war nicht mehr dieselbe Achtung,
die man ihm bezeigte. Das nagte wie ein Wurm an seiner Seele und vergällte
ihm jeden Genuß trotz der Freundlichkeit und Güte, womit ihn Eran und die
Bewohner Lumatas behandelten. Es litt ihn nie mehr lange im Hause. Planlos
rannte er bald dahin, bald dorthin. Seine täglichen Ausflüge dehnte er
immer weiter aus und ging den Marsiten so viel wie möglich aus dem Wege,
obgleich er merkte, wie diese, aufrichtig betrübt über seine seelische
Verstimmung, die Köpfe schüttelten. Nach einer Nachricht aus Angola hatte
er sich gesehnt, nach einer Regelung seines Daseins, nach Beschäftigung.
War doch die einzige Arbeit, die er noch verrichtete, die Weiterführung der
Zeitrechnung nach irdischem Maßstabe. Mars brauchte zu seiner
Achsenumdrehung vierzig Minuten mehr als die Erde. Sein Tag war also etwas
länger, noch länger das Jahr, das mit seinen 687 Erdentagen nahezu zwei
Erdenjahren gleich kam. Aber er verrichtete diese Arbeit ganz mechanisch
nach einem Schema, das seine Freunde einst benützt hatten, und seine
Langweile wurde dadurch in keiner Weise vermindert.

Nun war also endlich die Botschaft aus Angola da! Was wohl marsitische
Weisheit über den Erdensohn beschlossen hatte?

Noch lange wälzte sich Frommherz auf seinem Lager. Gegen Morgen endlich
fand er ein paar Stunden unruhigen Schlummers, von wirren Träumen
durchsetzt, die ihn bald auf dem Mars, bald auf der Erde, bald im
pfeilschnell durch den Äther schießenden Luftschiff zwischen Himmel und
Erde die krausesten Dinge erleben ließen.




Zweites Kapitel.
Die Sühne.


Bald nach Sonnenaufgang sandte Eran seinem Gaste Botschaft, sich zur
Abfahrt bereit zu halten. Nach einem erquickenden Bade fühlte sich Fridolin
Frommherz neu belebt. Er frühstückte eilig. Vor dem Hause stand ein
bequemer Wagen, der Eran und seinen Gast nach der Hauptstadt bringen
sollte.

Gewöhnlich benützten die Marsiten ihre Kanäle, die breiten Wasserstraßen,
die den ganzen Planeten durchzogen, als Verkehrswege. Sehr schnelle, durch
Elektrizität getriebene Schiffe verkehrten zwischen den einzelnen Orten.
Fridolin Frommherz hatte schon manche kleinere und größere Wasserfahrt
unternommen. Auch der Luftschiffverkehr war stark entwickelt. Diesmal hatte
Eran einen Motorwagen gewählt, der ihn mit dem Erdensohne möglichst rasch
durch die blühende Landschaft nach ihrem Ziele führen sollte. Die beiden
Tagereisen konnten dadurch um eine verringert werden. Sachte glitt der
Wagen dahin. Kaum merkbar war die Erschütterung. Fridolin Frommherz konnte
diese Art Motorwagen nicht genug im Vergleich mit denjenigen auf Erden
rühmen. Wie leicht sie gingen! Kaum wurde etwas Staub aufgewirbelt, keine
Spur üblen Geruches. Der Greis lächelte über seines Gastes Begeisterung.

»Ihr scheint auf Erden in allen Dingen merkwürdig weit zurück zu sein. Von
Benzinmotoren mit ihren vielen Übelständen wissen wir nichts. Wir haben uns
die elektrische Kraft in jeder Form zu nutze gemacht. Wie viele Schätze
laßt ihr brach liegen oder vergeudet sie auf die törichtste Weise! Wir sind
sparsam geworden, und nichts darf in unserem großen Haushalte verloren
gehen. Vergeuder seid ihr, weil eure Natur reicher ist als die unsrige.
Aber auch ihre Fülle nimmt merklich ab. Wir beobachten das schon seit
Jahrhunderten durch unsere Fernrohre. Hätten wir solche kolossale Schätze
an aufgespeicherter Energie, wie ihr sie in euern Meeren, in Ebbe und Flut
besitzt, wahrlich, unsere technischen Leistungen, die du so sehr
bewunderst, wären noch weit bedeutender. Da gäbe es wohl wenig Dinge, die
uns unmöglich wären.«

Mit Entzücken schaute der Erdensohn während der Fahrt immer wieder auf die
gartenähnliche Landschaft. Da war überall die sorgsamste Bewässerung durch
kleine und kleinste Kanäle. Da war kein Fuß breit Landes unangepflanzt. In
üppigem Grün versteckt lagen alle Häuser. Glatt und eben waren die Straßen
und aufs beste unterhalten. Fridolin Frommherz brach oft in laute
Bewunderung aus.

»Ja,« sagte Eran, »du bewunderst mit Recht. Unsere Männer und Frauen aus
dem Stamme der Sorgenden haben da Herrliches geschaffen.«

»Sag, Eran, gibt es denn bei euch gar keine faulen Leute?« fragte der
Erdensohn plötzlich den neben ihm sitzenden, gedankenvoll vor sich
hinblickenden Greis.

Dieser lächelte fein, als er erwiderte: »Gewiß ist auch bei uns mancher von
Natur träge, aber unsere ganzen Einrichtungen, die alle im Wohle der
Gesamtheit gipfeln, lassen die niedern Triebe des Einzelnen nicht voll zur
Entfaltung kommen. Schon das Kind wächst in dem Bewußtsein auf, daß es dem
großen Ganzen zu dienen hat, daß das Wohl des Einzelnen durch das Wohl der
Gesamtheit bedingt wird.«

»Wird nicht dadurch die volle Entfaltung der Persönlichkeit verhindert,
eine gewisse Gleichförmigkeit erzielt?«

»Freund Fridolin, du lebtest nach deiner eigenen Zeitrechnung zwei Jahre
mit deinen Gefährten, nahezu ein halbes Jahr allein unter uns. Du kennst
uns jetzt zur Genüge. Hast du gefunden, daß wir Schablonenmenschen geworden
sind?«

»Nein, wahrlich nicht, würdiger Eran! Nehme ich dich zum Beispiel, so finde
ich bei dir die volle Individualität der Persönlichkeit gewahrt. Doch steht
bei euch die Masse auf einer Höhe der Gesinnung, die unten auf der Erde
erst einige wenige, besonders Vorgeschrittene vertreten.«

»Siehst du, Freund Fridolin, das kommt daher, daß bei uns keiner in einen
Beruf gepreßt wird, der nicht zu seinen natürlichen Anlagen paßt. Frei für
jedermann ist die Schulung, die elementare wie die höhere, die
wissenschaftliche, technische, künstlerische. Der Befähigungsnachweis ist
das einzige, dessen es bei uns bedarf. Alle Stämme, somit auch alle
Berufsarten werden einander gleich geachtet, ob du ein Ackerbauer oder
Dienender aus dem Stamme der Sorgenden, ob du ein Gelehrter aus dem Stamme
der Ernsten, ein Dichter, Maler oder Komponist aus dem Stamme der Heitern,
ein Musiker oder Schauspieler aus dem Stamme der Frohmütigen, ein
Handelsmann aus dem Stamme der Flinken oder ein Industrieller aus dem
Stamme der Findigen bist, das alles gilt uns gleich, vorausgesetzt daß du
deinen selbstgewählten Beruf richtig ausfüllst. Nicht _was_ du bist,
sondern _wie_ du es bist, bestimmt deinen Wert.«

»Und wenn sich einer in der Berufswahl geirrt hat? Solches wird doch auch
bei euch zuweilen vorkommen.«

»Gewiß. Irrtum ist bei keinem Strebenden ausgeschlossen. Aber ein jeder hat
das Recht, solchen Irrtum wieder gut zu machen und auf Grund einer
abgelegten Prüfung in einen andern Stamm überzutreten, denn alle stehen sie
in gleichen Ehren. Über ihnen steht nur der Stamm der Weisen, in den die
Ältesten und Besten, ausgezeichnete Männer und Frauen aus allen Stämmen,
gewählt werden. Sie sind die Hüter des Gesetzes.«

»Welche Höhe der Kultur ist hier auf dem Lichtentsprossenen Gemeingut der
Masse, und wie erbärmlich sieht es dagegen noch unten auf der Erde aus!«
seufzte Fridolin Frommherz.

»Und doch gibt es auch bei euch Menschen von ganz hervorragender Bildung
und edelster Gesinnung,« erwiderte Eran. »Denke nur an deinen
ausgezeichneten Freund Stiller, den Führer eurer kühnen Forschungsfahrt!«

Bei Nennung von seines Freundes Namen wurde dem Erdensohne plötzlich wieder
recht beklommen zumute. Seine Schuld stand ihm wieder vor Augen, und er
erinnerte sich wieder an Zweck und Ziel seiner jetzigen Fahrt durch die
blühende Marslandschaft. Wieder beschlich ihn das alte Unbehagen, und er
wurde schweigsam. Endlich, nach langer, gedankenvoller Pause fragte er
schüchtern: »Würdiger Eran, weißt du nicht, was man in Angola mit mir
vorhat?«

»Nun,« erwiderte dieser, »man wird dir wohl eine Art Sühne auferlegen
dafür, daß du ohne Einverständnis mit deinen Freunden hier zurückgeblieben
bist.«

Fridolins Unbehagen wuchs. »Also eine Strafe?« fragte er beklommen.

»Wenn du es so nennen willst,« erwiderte der Greis mit seinem Lächeln.

»Als freier Mann konnte ich aber doch tun oder lassen, was ich wollte,«
meinte Frommherz etwas unsicher.

»Du bist augenblicklich selbst nicht von dem überzeugt, was du da sagst. Es
gibt auch moralische Verpflichtungen, die sich nicht in vorgeschriebene
Verordnungen fassen lassen. Zudem tadeln wir nicht dein Hierbleiben an
sich, sondern die Art und Weise, wie du es deinen Gefährten gegenüber
durchgesetzt hast.«

Der Erdensohn schwieg betreten und starrte vor sich hin.

Nach einer kleinen Pause fuhr Eran fort: »Doch beruhige dich, mein Freund!
Ich kann dir schon jetzt die Art deiner sogenannten Strafe offenbaren, war
ich es doch, der sie bei Anan, unserm Ältesten, in Vorschlag brachte. Und
daß er meinen Vorschlag annehmen wird, kann ich mit ziemlicher Sicherheit
erwarten.«

»So sage mir, bitte, worin meine Strafe bestehen soll.«

»In einer wissenschaftlichen Arbeit,« antwortete Eran lächelnd.

»Weiter nichts?«

»Nein, mein Freund, weiter nichts, falls du die Herstellung eines
Wörterbuches deiner Sprache nicht als Strafe betrachtest.«

»Nein, gewiß nicht!« erwiderte der Erdensohn, wieder einmal fröhlich
lachend und plötzlich von allem Druck befreit. »Allerdings verstehe ich von
der Herstellung eines Wörterbuches, ehrlich gesagt, nicht allzu viel, aber
ich denke, daß sich die Arbeit bei gutem Willen schon ausführen lassen
dürfte. Aber wozu braucht denn ihr hier oben auf dem Lichtentsprossenen ein
Wörterbuch der deutschen Sprache?«

»Um die Bücher eurer ersten Denker und Dichter, die deine Brüder uns als
Geschenke zurückgelassen haben, im Urtexte lesen zu können.«

»Ein famoser Gedanke, fürwahr!« lobte Frommherz. »Nun habe ich doch wieder
ein Ziel vor Augen und -- ernste Arbeit. Dafür danke ich dir von Herzen,
würdiger Eran. Es ist ein neuer Beweis deiner Güte.«

Bei diesen Worten ergriff er die Hand des neben ihm sitzenden Greises und
drückte sie herzlich.

»Laß gut sein, lieber Fridolin!« wehrte Eran ab.

Sie fuhren eben in die weite, grüne Halle eines herrlichen, sorgsam
gepflegten Baumbestandes ein. Wahre Riesen waren es, die da,
himmelanstrebend, mit breiten Ästen und dichtem Gezweig Schatten spendeten.
Erquickende Kühle umfing die Reisenden. Es ging gegen Mittag, und zwischen
den Feldern und Wiesen war es ihnen warm geworden. Die dünne Atmosphäre des
Lichtentsprossenen gestattete der Sonne, dem »ewigen Lichte«, wie die
Marsiten die Lebensspenderin benannten, trotz der im Vergleich zur Erde
größeren Entfernung eine äußerst intensive Bestrahlung. Zwar schien die
Sonne, vom Lichtentsprossenen aus betrachtet, eben dieser größeren
Entfernung wegen -- sie beträgt im Mittel rund neunundsiebzig Millionen
Kilometer mehr als von der Erde aus -- bedeutend kleiner; doch gab es da
weder Dunst noch Wolken, die den tief dunkelblauen Himmel verhüllten, und
der Boden absorbierte infolgedessen eine bedeutend größere Wärmemenge
. . . Unter dem grünen Blätterdache der Baumriesen aber fühlte sich
Fridolin Frommherz sehr wohl.

»Wie hoch diese Bäume sind,« sagte er bewundernd zu seinem Begleiter. »So
vieles ist groß und wunderbar auf eurem schönen Kinde des Lichts! Wirklich,
mir scheint, als hätte ich niemals auf Erden solche Baumriesen gesehen,
wenigstens nicht beisammen, nicht als Waldbestand.«

»Das mag wohl sein,« erwiderte Eran; »es scheint mir sogar in den ewigen
Naturgesetzen begründet. Kenne ich auch eure irdische Vegetation nicht aus
eigener Anschauung, so habe ich sie mir doch bei aller Ähnlichkeit mit der
unseren stets etwas niedriger vorgestellt als diese.«

»Warum?« fragte der Schwabe erstaunt. »Sind doch die chemischen
Grundstoffe, aus denen sich die organischen Verbindungen aufbauen, bei euch
dieselben wie bei uns! Und Luft und Wasser, Licht und Wärme, wirken sie
nicht auf dieselbe Weise hier wie dort?«

»Du vergißt Eines, lieber Freund,« sagte der Marsite. »Die Schwere ist der
Punkt, in dem zwischen unserm Kinde des Lichts und dem euern der größte
Unterschied besteht, und ich meine, je größer ein Weltkörper ist, desto
drückender müsse auch die Schwere auf seinen Erzeugnissen lasten, desto
kleiner müßten infolgedessen seine Produkte sein. Stelle dir, mein Freund,
einen bewohnbaren Weltkörper von der Größe unseres ewigen Lichtes, unserer
Sonne, vor. Denke dir lebende Wesen auf ihm, die seiner Größe entsprechen.
Wie müßte die Schwere ihres Gestirns auf ihnen lasten! Sie würden sich
unter dem furchtbaren Drucke nicht aufzurichten vermögen; es müßten
kriechende Wesen bleiben. Und von den Bäumen, deren Größe einem solchen
Weltkörper entsprechend wäre, würden sich die Äste nicht auszubreiten
vermögen; sie würden flach am Stamme niederhängen oder gar infolge der auf
ihnen lastenden ungeheuren Schwere von selbst abbrechen, wenn überhaupt ein
Wachstum in bedeutendere Höhen möglich wäre.«

»Und weil eure Schwere geringer ist als die unsere,« fügte der Erdensohn
bei, »seid ihr auch größere, stattlichere Gestalten als wir. Ich habe
daheim unter meinen Landsleuten wie unter meinen Amtsgenossen für groß
gegolten; du, überhaupt die meisten eurer Männer, ihr überragt mich um
Kopfeslänge. -- Doch was ist denn dort?« fragte Fridolin Frommherz, sich
unterbrechend und auf eine lebhaft bewegte Gruppe zeigend, die in kurzer
Entfernung auftauchte.

»Das,« erwiderte Eran, »ist eine Schule. Siehst du nicht dort inmitten der
Knaben den unterrichtenden Lehrer?«

»Eine Schule?« rief der Erdensohn erstaunt. »Sehen bei euch die Schulen so
aus? Was macht denn der Lehrer hier im Walde?«

»Er lehrt die Schüler kennen, was sie sehen, alles, Pflanzen und Tiere, den
Boden und die Gesteine, woraus er zusammengesetzt ist, was sich in ihm
entwickelt, was auf ihm vorgeht, Natur und Menschenwerk.«

»Das ist viel,« sagte Fridolin.

»Ja, es ist viel,« erwiderte Eran. »Ich kenne Alan persönlich. Er ist einer
unserer tüchtigsten Jugenderzieher, doch weit von hier, nahe der Grenze
unseres Nordpolargebietes stationiert. Dort ist infolge des ungünstigeren
Klimas die Bodenproduktion eine andere, eine spärlichere als hier, wo wir
uns etwa auf dem fünfzehnten Breitengrade befinden. Deshalb führt Alan
seine Zöglinge zuweilen in unsere Gegend.«

Der jetzt ganz langsam dahinrollende Wagen war nun dicht zu der Gruppe
herangekommen und hielt. Eran begrüßte den Lehrer mit der den Marsiten
eigenen wohltuenden Herzlichkeit.

»Ich freue mich, dir hier zu begegnen,« sagte er, Alan die Hand reichend.
»Gedeiht dein Werk?«

»Ich bin so glücklich, vieles reifen zu sehen,« sagte der Angeredete, seine
schönen, warmen Augen auf den Greis richtend. »Doch bleibt noch vieles zu
tun.«

»Wohl dir, daß du noch mitten im Schaffen stehst!«

»Ja, die Arbeit macht froh!«

»Leb' wohl, Alan! Werde ich dich bald einmal in Lumata sehen?«

»Zur Zeit der Ruhe hoffe ich auch bei dir einkehren zu können, würdiger
Eran!«

»Das wird mir Freude sein, junger Freund!«

Weiter rollte der Wagen.

»Was für schöne Augen dieser Mann hatte!« sagte der Erdensohn bewundernd.

»Sein Denken und Fühlen spiegelt sich in ihnen,« erwiderte der Greis. »Er
gehört zu unsern Besten. Seine ganze Persönlichkeit setzt er an sein Werk.
Da wird keine Weisheit eingepaukt. Die Kinder lernen sehen und das Gesehene
verknüpfen. Sie sind es, die den Lehrer über Unverstandenes fragen, und
dieser leitet sie an, die Antwort selbst zu finden.«

»Ich wollte, ich wäre auch in dieser Art unterrichtet worden!« meinte der
Schwabe.

Während der Fahrt stärkten sich die Reisenden durch Speise und Trank. Der
bequeme Reisewagen enthielt alles, was sie sich wünschen konnten. Durch
eine sinnreiche Klappvorrichtung stand sogar auf einen Druck mit der Hand
ein zierliches Tischchen vor ihnen, in dessen Schublade kleine Teller und
Bestecke verborgen lagen. Zwei mit Leder ausgeschlagene Kasten in der
Vorderwand des Wagens enthielten in verschiedenen, eigentümlich geformten
Gefäßen Speisen und Getränke genau in der Temperatur, in der sie dem Wagen
übergeben worden waren. Man aß vorzügliche warme Gerichte; man labte sich
an kühlen Getränken genau so wie zu Hause. Sogar Salat gab es, zu dem Eier
gegessen wurden. Die Eier waren weich gesotten, obgleich sie wohl eine
halbe Stunde lang in kochendem Wasser gelegen hatten. Da auf dem
Lichtentsprossenen das Wasser infolge des niedrigeren Luftdruckes schon bei
60° siedet, können die Eier nicht hart werden. Daran war der Schwabe nun
schon lange gewöhnt. Auch eine Waschvorrichtung war an der einen Seite des
Wagens angebracht. Es fehlte wirklich gar nichts, was das Reisen angenehm
und bequem machen konnte.

Nach Verlassen des Waldes sah Fridolin Frommherz zum erstenmal während der
ganzen Fahrt unbebautes Land vor sich. Eine weite Fläche breitete sich da
vor seinen Blicken aus: es war eine Landungsstelle für Luftschiffe.
Kleinere und größere Fahrzeuge lagen da an tief in den Boden eingelassenen
eisernen Ringen verankert. Sie trugen als Aufschrift ihren Namen, Anfang
und Endziel ihrer Fahrt. Da die Witterung infolge der dünnen, wasserarmen
Atmosphäre auf dem Mars ziemlich gleichmäßig war, bedurfte es keiner
besonderen Hallen zur Bergung der Luftschiffe; nur die ausgedehnten Anlagen
zur Gasgewinnung und Füllung der Ballons waren gedeckt. Reges Leben und
Treiben herrschte hier, etwa wie auf einem Bahnhofe auf Erden, nur
übertragen in marsitische Gemessenheit. Es fiel Fridolin auf, daß die
Luftschiffe der Marsiten wohl auch nach dem starren System gebaut waren wie
der »Weltensegler«, der einstmals ihn und seine damaligen Gefährten von der
Erde hinweg durch den Ätherraum geführt hatte, aber die Ballons waren
bedeutend kleiner und schienen doch, nach den umfangreichen Gondeln zu
schließen, eine bei weitem größere Tragkraft zu besitzen. Da gab es nur
zwei erklärende Möglichkeiten: entweder übertraf das Metall, aus dem die
marsitischen Luftschiffe gefügt waren, an Leichtigkeit alles auf Erden
Gekannte, oder das Gas, das zur Füllung des Ballons diente, war noch
unendlich viel leichter als dasjenige, das einst ein schwäbischer Gelehrter
erfunden, und das dann zur Füllung des »Weltenseglers« gedient hatte. Die
langgestreckte, zylindrische Form, vorn und hinten mit ogivalen Spitzen
versehen, schien sich auch hier am besten bewährt zu haben.

Da stiegen Leute ein, dort hob sich ein dicht besetztes Fahrzeug
kerzengerade, ohne jede Schwankung in die Luft. Höher und immer höher stieg
es. Wie weit mußte der Horizont der darin Reisenden sein! Wie klein würden
ihnen die Brüder da unten, die Häuser, die Wiesen, die Bäume erscheinen!
Der Erdensohn fühlte Lust, mit in die Lüfte zu steigen. Vielleicht würde
sich ein anderes Mal Gelegenheit dazu bieten.

»Du wirst noch manchmal hierher oder an einen andern Luftschiffhafen des
Lichtentsprossenen kommen,« sagte Eran.

»Dann will auch ich,« fügte Fridolin bei, »euer herrliches Land wieder
einmal von oben herab schauen.«

Bald darauf trafen sie in Angola ein. Es war das drittemal, daß Fridolin
Frommherz seinen Fuß in das großartige Heim des Stammes der Weisen setzen
sollte. Zweimal war er in Gemeinschaft mit seinen Gefährten hier gewesen.
Das Herz klopfte ihm doch etwas bang und erwartungsvoll, als er die breiten
Marmorstufen zu dem großen Festsaale hinaufstieg. Vor einem halben Jahre
war dort die Abschiedsfeier für seine Freunde und auch für ihn, den
Drückeberger, abgehalten worden.

Jetzt trat er ein in den ihm wohlbekannten Saal. Ein lautes, bewunderndes
Ah! entschlüpfte seinen Lippen. An den Wänden erblickte er die wunderbar
gut getroffenen, künstlerisch ausgeführten Bilder seiner Gefährten und
darunter Marmortafeln, die mit goldenen Inschriften voll Lob und
Anerkennung die Taten seiner fortgezogenen Brüder verkündeten. Da regte
sich wieder im Herzen des Zurückgebliebenen jenes quälende Gefühl von
Gewissensbissen.

Wieder packte ihn wie so oft schon ein Schmerz der Sehnsucht, des Heimwehs,
als er, um die Bilder genauer zu betrachten, näher an sie herantrat.
Ordentlich vorwurfsvoll schienen ihn die Freunde aus ihren Augen
anzublicken. Es war, als ob den Bildern Leben eingehaucht worden wäre, denn
wo sich auch Fridolin Frommherz im Saale hinwandte, um die Gemälde aus der
Ferne auf sich wirken zu lassen, überallhin folgten ihm die Blicke der im
Bilde Verewigten. Nachgerade empfand er dies als unheimlich, um so mehr als
er sich vergeblich nach Eran umsah. Dieser schien nicht mit ihm eingetreten
zu sein. Die feierliche Stille des Saales verstärkte noch das Gefühl des
Unbehagens. Daher war Fridolin froh, als sich endlich eine der Türen
öffnete und Anan hereintrat, gefolgt von Eran und einigen andern alten
Marsiten.

»Ich grüße dich in unserm Angola, dich, den ich allerdings hier nicht mehr
zu sehen erwartet hatte,« begrüßte Anan mit wohlwollender Freundlichkeit
den Erdensohn, ihm die Hand zum Willkomm reichend.

»Verzeih mir, edler Anan, daß ich mich nicht entschließen konnte, zur Erde
zurückzukehren, sondern hier auf dem Lichtentsprossenen zurückblieb,«
sprach Fridolin.

»Ich habe dir nichts vorzuwerfen, mithin auch nichts zu verzeihen,«
entgegnete der ehrwürdige Greis. »Wir haben weder dich noch deine Brüder
zum Fortgehen gedrängt. Es stand euch frei, zu gehen oder zu bleiben. Als
wir hier vernahmen, daß du deine Gefährten nicht begleitet habest, da wurde
einfach der Auftrag, dein Bild zu malen und die Ehrentafel für dich
auszuführen, zurückgezogen. Und bevor wir dich in Angola wiedersehen
wollten, beschlossen wir, erst die Anfertigung der Bilder und Tafeln der
uns so teuren, für immer nun fernen Erdensöhne abzuwarten und sie hier in
diesem Saale aufzustellen. Erst nachdem wir dieser Ehrenpflicht genügt
hatten, riefen wir dich.«

Etwas bedrückt hatte Frommherz der Auseinandersetzung Anans gelauscht. Es
lag eine feine Ironie in den Worten wie in der Handlungsweise des Marsiten.
Daß man ihn zuerst in den Saal gewiesen, in dem nur sein Bild fehlte,
empfand er doch als eine moralische Verurteilung seiner Drückebergerei.
Darauf hinaus lief im Grunde auch Anans Rede.

»Du machst ein betrübtes Gesicht. Was fehlt dir, mein Freund?« fragte Anan
nach kurzem Stillschweigen.

»Ich bin mir bewußt, einen Fehler begangen zu haben,« antwortete Frommherz.

»Den hast du deinen Brüdern gegenüber begangen durch die Art, wie du dich
benahmst. Doch verlieren wir hierüber keine weiteren Worte mehr. Für uns
ist die Sache abgetan.«

»Der ehrwürdige Eran sprach mir von einer Sühne meiner Schuld,« bemerkte
Frommherz.

»Nun ja,« entgegnete der edle Anan. »Du weißt darum. Wir wollten dir hier
in Angola eine deiner würdige Beschäftigung zuweisen, durch die du uns
nützlich sein kannst, natürlich nur wenn du willst.«

»Gewiß, gern, wirklich von Herzen gern,« beeilte sich Frommherz zu
antworten. »Selbst wenn ihr mir keine Aufgabe zugewiesen hättet, würde ich
euch um irgend eine nützliche Arbeit gebeten haben.«

»So bleibt es also bei der Ausarbeitung eines Wörterbuches deiner
Muttersprache,« entschied Anan. »Zieh mit Bentan, unserm wackern Bruder
hier, in sein nahes Heim. Dort kannst du dich in aller Ruhe an die
Erledigung deiner Aufgabe machen. Und von Zeit zu Zeit wird es uns freuen,
dich in diesem Hause bei uns wiederzusehen. Dann wollen wir in anregender
Unterhaltung die Erinnerung an deine ausgezeichneten Gefährten pflegen.«
Ein herzlicher Händedruck, und Anan, der Älteste der Alten, zog sich
zurück.

»Das ist besser abgelaufen, als ich zu hoffen wagte. Ich habe mir in der
letzten Zeit ganz unnützerweise eine fürchterliche Angst gemacht,« murmelte
Frommherz vor sich hin.

»Bist du zufrieden mit dem Ausgange deiner Angelegenheit, Fridolin?«
forschte Eran mit eigentümlichem Lächeln.

»Gewiß, sehr,« gestand Frommherz.

»Nun wohl, so komm! Hier steht Bentan, dein Gastgeber. Sein Heim wird für
lange Zeit wohl auch das deine sein.«




Drittes Kapitel.
Eine Sisyphusarbeit.


Schon seit längerer Zeit weilte Fridolin Frommherz im vornehmen Heim
Bentans, des würdigen Alten, dessen ganzes Wesen und Gebaren seinen Gast
viel an Eran erinnerte, den er aber an Zahl der Jahre übertraf. Das Haus
lag am lieblichen Ufer des tiefblauen Sees von Angola und gewährte von der
Terrasse und den Fenstern der Vorderseite aus einen entzückenden Blick über
die Wasserfläche hinweg nach den fernen, sanften Höhenzügen, die den See
einschlossen.

Ein sorgfältig angelegter, tadellos unterhaltener Garten umgab das Haus von
der Landseite. Alte, immergrüne, lorbeerartige Baumriesen wechselten
gruppenweise ab mit den verschiedensten Arten hochstämmiger, prachtvoller
Palmen. Dazwischen schoben sich Sträucher und Büsche, überladen mit
farbenprächtigen, duftenden Blüten.

Die schönste Blume dieses paradiesischen Sitzes aber war Benta, Bentans
holde Enkelin. Dies erkannte auch Frommherz an, der Benta oft mit einer
jener Lichtelfen verglich, die nach der Sage seiner Heimat von menschlicher
Gestalt, glänzend schön sind, Tanz und Musik lieben und dem Menschen
gegenüber freundliche Gesinnungen hegen.

Und einen solchen Ort hatte man ihm, dem Erdensohne, als Arbeitsstätte zur
Strafe angewiesen! Frommherz lachte laut auf bei diesem Gedanken. Eine
herrlichere Belohnung für sein Zurückbleiben hätte ihm gar nicht gewährt
werden können, wenn, ja wenn nur nicht das verwünschte Wörterbuch gewesen
wäre.

Vom ersten Augenblicke an war Benta dem Gaste des Hauses freundlich
entgegengetreten. Aber in dem Wesen und ganzen Benehmen der graziösen,
jungen Marsitin lag so viel Würde und Erhabenheit, bei aller Bescheidenheit
doch wieder so viel stolzes Selbstbewußtsein, daß Fridolin Frommherz zu
einer Achtung gezwungen wurde, die mehr den Charakter der Ehrfurcht trug.

Oft an den wunderbar schönen Abenden, wenn Phobos und Deimos, die Monde des
Mars, am Himmel ihre stillen, glänzenden Bahnen zogen, saß Frommherz nach
getaner Arbeit auf der Terrasse des Hauses, der liebenswürdigen Einladung
Bentans folgend. In herzlicher, freundschaftlicher Weise unterhielten sich
dann jeweils die beiden Männer. Der alte Marsite mit seinem reichen,
abgeklärten Wissen streute bei diesen Unterhaltungen dann oft goldene
Körner der Weisheit aus, die bei Frommherz auf fruchtbaren Boden fielen und
nach und nach seine bisherige, der Erweiterung noch sehr bedürftige
Lebensauffassung umzuformen begannen.

Hin und wieder erschien an solchen Abenden auch Benta und beteiligte sich
an den Gesprächen der Männer. Besonders lebhaft wurde die Unterhaltung,
wenn Frommherz, durch allerlei Fragen veranlaßt, von der Erde im
allgemeinen, von seiner engeren Heimat aber im besonderen ausführlicher
erzählte, namentlich von dem Leben und Treiben ihrer kernigen Bewohner.

Die genußreichsten Abende aber waren für Frommherz die, an denen Benta
stimmungsvolle Lieder in künstlerisch vollendetem Vortrage zur Harfe sang.
Diese Augenblicke erschienen dem Erdensohne als der Inbegriff des wirklich
göttlich Schönen. Sie ließen ihn seine langweilige Arbeit völlig vergessen
und erweckten in ihm eine Summe wunderbar seliger Empfindungen, wie er sie
bis dahin noch niemals gekannt hatte.

Aber wenn er dann nach einem solchen Abend voll märchenhafter Schönheit und
reinster Glücksempfindung am nächsten Morgen wieder am Schreibtische seines
hohen, luftigen Arbeitszimmers saß, um mit schweren Seufzern an der endlos
scheinenden Lösung seiner Aufgabe weiter zu arbeiten, da verflog vor dem
Realen, Nüchternen im Nu aller ideale Schwung der Gedanken, die Seligkeit
jeglicher Empfindung.

»Ja, ja, ein Wörterbuch zu schaffen, das hat mir gerade noch gefehlt,«
brummte Frommherz eines Tages grimmig vor sich hin, als ein weiteres Jahr
seit seinem Aufenthalte in Angola dahingeeilt war. »Es ist einfach, um aus
der Haut zu fahren. Das ist keine Arbeit für einen Moralphilosophen. Diese
Idee ist, um toll, verrückt zu werden. Hol der . . .« Doch Frommherz
verschluckte das Weitere in edler Selbstbeherrschung und wandte sich seinen
Manuskriptbogen und den Hunderten von losen Zetteln zu, die, in
verschiedenen Stößen verteilt, alphabetisch geordnet vor ihm auf dem Tische
lagen.

Heute packte ihn ob seiner Arbeit eine gelinde Verzweiflung. Bald da, bald
dort griff er einen Zettel heraus, verarbeitete seinen Inhalt, strich das
Geschriebene durch oder warf den unbrauchbar gewordenen mit einem Seufzer
der Erleichterung in den umfangreichen Papierkorb zu seiner Seite. Ein
Kästchen auf dem Schreibtische barg unbeschriebene Zettel, und jeden neuen,
seine Gedankenreihe kreuzenden Einfall notierte Frommherz sorgfältig und
fügte den Vermerk den vielen Hunderten von älteren Blättern bei.

Das war des Fridolin Frommherz täglich sich erneuernde Aufgabe. Fürwahr
eine schwere Sache! Um die Wörterbucharbeiten seiner gelehrten Freunde an
der Tübinger Universität hatte er sich früher niemals bekümmert. Hätte er
einst eine Ahnung gehabt, daß ihm hier oben auf dem Mars eine ähnliche
Arbeit zugemutet werden würde, dann hätte er sich sicherlich mit dem
Studium seiner Muttersprache etwas eingehender befaßt. So aber, ohne jede
tiefere Vorbereitung, ohne jedes Hilfsmittel ein deutsch-marsitisches
Wörterbuch herzustellen, alles hierzu erst aus sich selbst heraus zu
schaffen, diese schier endlose und heillos schwierige Arbeit begann ihm
manchmal das sonst so paradiesisch schöne Dasein auf dem Mars zu versalzen.
Und welch elenden Eindruck machte wiederum auf die Marsiten das
schneckenartige Vorwärtsschreiten einer Arbeit, für die sie sich
außerordentlich interessierten! Schon verschiedene Male hatte der Erdensohn
über den Stand seiner Arbeit seinen Freunden in Angola Vorträge gehalten,
die über die Unregelmäßigkeit der deutschen Sprache die Köpfe schüttelten.
Sie schien den Marsiten noch in einem Entwicklungsstadium zu stecken, das
die ihrige schon seit Tausenden von Jahren überwunden hatte.

Wie rasch und leicht hatten die sieben Schwaben die Sprache ihrer Freunde
auf dem Mars in ihrer edlen Einfachheit erlernt! Nur einer unter ihnen,
Herr Hämmerle, der Philologe, hatte etwas daran auszusetzen gefunden. Er
hatte das Kraftvolle, das in der Unregelmäßigkeit der deutschen Konjugation
und Deklination liegt, dem Ebenmäßigen, Abgeschliffenen, Weichen der
Marssprache entgegengesetzt und den Preis der Schönheit seiner deutschen
Muttersprache zuerkannt.

An dies alles erinnerte sich jetzt wieder Fridolin Frommherz. Er sprang vom
Stuhle auf und maß erregt das Zimmer.

»Wäre ich nicht von der hohen Denkweise der Marsiten felsenfest überzeugt,
wüßte ich nicht auf das bestimmteste, daß ihnen jegliche Quälerei
fernliegt, ich müßte wahrlich annehmen, daß ihnen ein böser Geist diese Art
meiner Beschäftigung angab,« rief er zornig. »Doch was nützt meine
Aufregung? Nichts! Ja, wäre doch nur diese deutsche Muttersprache so glatt,
so regelmäßig, so einfach nach wenigen Regeln zu konstruieren wie das
wohllautende, vokalreiche Idiom der Marsiten! Um wie viel leichter wäre
dann meine Arbeit!« Seufzend strich sich der Gelehrte mit der Linken über
die Denkerstirn. Dann setzte er sich wieder an den Schreibtisch und schrieb
emsig weiter. Da trat Eran in das Zimmer.

»Welch große Überraschung und Freude, dich endlich wieder einmal in Angola
zu sehen!« rief der Schwabe, als er den Eintretenden erkannt hatte.

»Nun, Freund Fridolin, wie geht es dir? Wie weit ist das große Werk
gediehen?« fragte Eran, dem Erdensohne herzlich die Hand zum Gruße
schüttelnd.

»Wie soll es mir gehen, würdiger Eran? Einerseits gut, anderseits
schlecht!«

»Ich verstehe dich nicht!« gestand Eran.

»Nun, ich fühle mich gesund, aber die Arbeit liegt mir sehr auf dem Magen.«

»So, so!« lächelte Eran.

»Ja, dem Himmel sei es geklagt. Die Sache wird schwieriger, je weiter ich
vorwärtsschreite. Aber ich schulde dir noch die Antwort auf deine zweite
Frage. Ich arbeite am G meines Werkes.«

»Wie? Erst am siebenten Buchstaben von den fünfundzwanzig des
Erdenalphabetes? Kaum möglich!«

»Und doch ist es leider so, wie ich dir sage,« antwortete Frommherz
betreten.

»Merkwürdig!« erwiderte Eran, den Kopf schüttelnd. »Du bist doch schon seit
zwei Jahren deiner Zeitrechnung ununterbrochen an der Arbeit. Wann willst
du sie denn beenden?«

»Das weiß ich selbst nicht,« murmelte der Gelehrte, »es wird je länger, je
schlimmer. Da sieh her!« Mit diesen Worten zog er eine große Schublade
seines Schreibtisches auf. Sie war bis oben mit eng beschriebenen Bogen von
stattlicher Größe gefüllt.

»Fast tausend Manuskriptseiten und noch nicht einmal ein Drittel des Werkes
vollendet! Nein, ehrwürdiger Eran, ein so umfangreiches Buch hat Fridolin
Frommherz auf Erden niemals geschrieben! Und da, sieh alle die Zettel und
mühsam gesammelten Notizen -- ihr habt mir wahrlich Schweres aufgebürdet
und laßt mich die Daseinsfreuden auf dem Lichtentsprossenen sauer genug
verdienen.«

Ein Lächeln huschte über Erans milde Züge. »So möchtest du wohl lieber
wieder zur Erde und dein Wörterbuch unvollendet uns zurücklassen?«

»Nein, nein, das doch nicht,« erwiderte Frommherz hastig, und eine
Blutwelle stieg ihm ins Gesicht, als er bei diesen Worten unwillkürlich an
Benta dachte.

»Warum aber klagst du dann? Eine Arbeit, deren Erfüllung keine
Unmöglichkeit, sondern nur eine einfache Frage der Zeit ist, berechtigt
nach meiner Auffassung zu keiner Klage. Und du, mein Freund, hast ja Zeit
in Hülle und Fülle. Niemand drängt dich.«

»Aber dein Erstaunen, deine Äußerungen von vorhin über den langsamen Gang
. . .«

»Galten nicht dir, Fridolin, sondern lediglich deiner komplizierten
Muttersprache,« unterbrach Eran den Erdensohn. »Beruhige dich also, mein
Freund! Gerade das Bewußtsein, uns ein dauerndes Monumentalwerk durch deine
geistige Tätigkeit zu schaffen, sollte dich alle Schwierigkeiten, die dir
dabei entgegentreten, und deren Bedeutung ich gewiß nicht unterschätzen
will, nur um so kraftvoller überwinden lassen.«

»Du sprichst die richtigen Worte zu richtiger Zeit aus, edler Eran! Ich
gestehe dir, daß ich gerade heute meines Werkes wegen recht entmutigt war.
Nun kommst du wie gerufen und belebst mir die gesunkene Hoffnung in
wunderbarer Weise von neuem wieder. Dafür nimm meinen besten Dank!«

»Es bedarf dessen nicht, Freund Fridolin. Im Gegenteil! Ich bin beglückt,
daß du dich wieder selbst gefunden hast, und daß dadurch das frühere, so
feste Vertrauen in dein Können wieder bei dir eingezogen ist.«

Eran erhob sich. »Ich werde jetzt öfter als bisher von Lumata nach Angola
kommen. Wir haben eine Reihe wichtiger Beratungen vor uns. So werde ich
dich in Zukunft in kürzeren Zwischenräumen wiedersehen als in der letzten
Zeit.« Damit verabschiedete sich Eran in liebenswürdiger Weise.

Der Erdensohn vermochte aber nach dem Weggange des ehrwürdigen Alten nicht
gleich wieder seine Arbeit aufzunehmen. Gedanken aller Art bewegten ihn.
Der Appell Erans an sein Ehrgefühl hatte in ihm merkwürdige Gefühle
geweckt. Wie klein kam er sich diesem Marsiten gegenüber vor! Ja, Eran
hatte recht: Man kann, was man wirklich ernstlich will. Und sollte er
umsonst, ohne nennenswerte Gegenleistung nur die Annehmlichkeiten des
Lebens unter diesen ausgezeichneten Menschen hier oben genießen dürfen?
Gerade deshalb waren ja die andern vom Mars wieder fortgezogen, weil sie
der Gastfreundschaft der Söhne des Mars keine ebenbürtige, wirklich
nutzbringende Leistung entgegenzusetzen hatten. Nein, er mußte und wollte
eine Tat vollbringen, die einigermaßen wenigstens einen Gegenwert bot für
das, was er von den Marsiten empfing. Die Art der Arbeit, nicht diese
selbst, die er bisher als eine Last empfunden, sie erschien ihm jetzt als
ein glückliches Mittel zur Abtragung seiner Dankesschuld. Jetzt erst kam
ihm auch mit einem Male die segensreiche Bedeutung seiner Aufgabe zu
vollstem Bewußtsein. Das war keine Sühne, um die es sich hier handelte,
nein, das war der Weg zur zielbewußten Umformung seines eigenen, bisher so
schwankenden Ichs, das ausdauerndem und ernstem Streben wenig geneigt war.

Mit wie großem Mißmute war er heute morgen an sein Werk gegangen! Er
schämte sich in diesem Augenblicke ordentlich deswegen. Nun war eine
Arbeitsfreude, eine Emsigkeit in ihm lebendig geworden, die, endlich zu
vollster Stärke erweckt, nie mehr einschlafen oder versiegen würde, das
fühlte er. Und mit lautem Danke an den Zauberer Eran, der das Wunder fertig
gebracht hatte, nahm Frommherz seine Arbeit wieder auf. Die gehobene
Stimmung, in der sich Bentans Gast befand, fiel dem Alten auf, als er am
Abend des wichtigen Tages mit Fridolin Frommherz zu Tische saß.

»Hat dir Eran heute so freundliche Nachrichten gebracht, daß du entgegen
deiner bisherigen Art so fröhlich deine Arbeit beendet hast?« forschte
Bentan.

»Das nicht,« entgegnete der Schwabe heiter, »aber er hat mir gewisse Worte
gesagt, die mich gewaltig bewegten und mir ein anderes Urteil über meine
Beschäftigung schufen, als ich es bis jetzt gehabt hatte. Und das macht
mich frei und fröhlich zugleich.«

»Ja, ein gutes Wort im rechten Augenblicke hat oftmals schon große,
unerwartete Wirkung geübt,« bemerkte Bentan. »Es freut mich daher auch
besonders, dies aus deinem Munde hören zu dürfen.«

»Eran sagte mir auch, daß er künftighin öfter nach Angola kommen würde, um
an wichtigen Beratungen teilzunehmen.«

»Es laufen sehr ungünstige Berichte aus unsern polaren Regionen ein. Sie
bilden den Gegenstand unserer Besprechungen,« erwiderte Bentan.

»Worin bestehen diese Berichte?«

»Das kann ich dir mit wenigen Worten nicht sagen. Es handelt sich um die
Wasserfrage auf unserm Lichtentsprossenen. Im übrigen müssen wir auch noch
die weiteren Forschungsresultate der zu erneuter Prüfung abgesandten
wissenschaftlichen Expeditionen aus dem Stamme der Ernsten abwarten. Sorge
dich einstweilen nicht unnötig, lieber Fridolin,« fuhr der Greis fort, als
er bemerkte, daß seine Mitteilungen den Freund zu erschrecken schienen. »Du
wirst von mir, wenn wirklich eine Zeit der Not für uns bevorstehen sollte,
im rechten Augenblicke benachrichtigt werden.«

Aber Frommherz' gute Stimmung hatte doch einen leichten Stoß durch Bentans
Bemerkung erhalten. Dem scharfen Auge des Alten war dies nicht entgangen.

»Benta, mein Kind, komm mit hinaus auf die Terrasse und bringe deine Harfe
mit!« bat der Greis seine Enkelin. »Freund Fridolin bedarf der
Erheiterung.«

»Gesang und Harfenspiel, diese Art der Erheiterung lasse ich mir immer
gefallen,« warf Frommherz muntern Tones ein, und der Abend schloß voll
Harmonie und freudiger Glücksempfindung.

In arbeitsfrohem Leben verstrichen die folgenden Monate. Sie förderten das
Vorwärtsschreiten des Werkes. Frommherz fühlte sich hoch befriedigt, als er
sah, wie seine Aufgabe in dem Maße leichter für ihn wurde, als er sie
energischer anpackte. Die heitere Zufriedenheit, die den Gelehrten
beherrschte, vermochten auch die Mitteilungen Bentans nicht wesentlich zu
erschüttern, die der Greis hin und wieder über die Verhandlungen des
Stammes der Weisen machte. Sie behandelten die auffallende Erscheinung des
Rückganges des Eises an beiden Polen des Mars, eine Erscheinung, die, wie
Bentan lächelnd meinte, in grober Weise gegen alle Tatsachen des bisherigen
Abkühlungsprozesses des Lichtentsprossenen verstoße.

»Ich habe mich schon oft verwundert gefragt,« warf Fridolin Frommherz ein,
»warum ihr hier oben auf dem Lichtentsprossenen weniger Polareis habt als
wir auf der Erde. Da ihr um so viel weiter von der Sonne entfernt seid,
müßte doch eigentlich eure arktische Zone viel weiter reichen.«

»Erklärt sich das nicht ganz einfach,« erwiderte der Greis, »durch unsere
geringere Wassermenge, unsere trockenere Atmosphäre, unsern doppelt so
langen Sommer? Wir haben viel weniger Regen, viel geringeren Schneefall als
ihr da unten auf der Erde. Wir werden uns trotz alledem nicht mehr
verjüngen. Die beiden Großmächte beim Bau unseres Lichtentsprossenen, die
Kieselsäure und die Kohlensäure, liegen in ewigem Kampfe miteinander unter
wechselnden Siegen und Niederlagen.«

»Also genau so wie auch auf unserm Planeten,« warf Frommherz ein.

»Ja, wenn es einst der Kohlensäure gelingt, über die Kieselsäure
vollständig zu triumphieren,« fuhr Bentan fort, »so hat die Stunde
geschlagen, in der bei uns alles organische Leben erlöschen muß. Dann zieht
der kalte, starre Tod ein wie auf unsern Monden. Jede Woge, die an die
Felsen brandet, jede Welle, die über das Kieselgestein des Flußbettes eilt,
jeder Regentropfen, der zu Boden fällt -- sie alle stehen mit der
Kohlensäure in innigstem, ewigem Bunde, langsam, aber sicher zersetzen sie
auch das härteste Kieselgestein. Die Kohlensäure verbindet sich mit den
basischen Bestandteilen, und die verdrängte Kieselsäure lagert sich mit dem
Rest von Basen am Grunde der Gewässer. So sind einst jene mächtigen Ton-
und Sandsteinlager entstanden, deren Bildungsvorgänge wir heute noch im
Kleinen verfolgen können. Und die Kohlensäure fällt, an Kalk oder Magnesia
gebunden, gleichfalls zu Boden. Die mächtigen Kreidelager der
Kalksteinformationen, die große Teile der Rinde unseres Lichtentsprossenen
ausmachen, bestehen zur Hälfte ihres Gewichtes aus Kohlensäure, die aus der
Atmosphäre stammt und dem Kreislaufe des Lebens entzogen wurde. Im Innern
dieses Weltkörpers, dort in der Tiefe, ist das Gebiet der Kieselsäure, dort
ist sie die stärkere Säure, dort verdrängt sie die Kohlensäure aus ihren
Verbindungen. Diese auf der Flucht begriffene Kohlensäure kannst du an
unsern Mofetten, an vielerlei Spalten und Rissen des Lichtentsprossenen
beobachten, aus denen Kohlensäure ausströmt. Und da Mars langsam erkaltet
und seine Rinde sich verdickt, so muß diejenige Kraft, die der Kieselsäure
die Oberhand im Kampfe verschafft, die Eigenwärme des Lichtentsprossenen,
fortwährend abnehmen. Damit ist der endliche Sieg der Kohlensäure nur eine
Frage der Zeit.« Bentan schwieg.

»Diesem gewaltigen, unsere Existenz einst vernichtenden Kampfe, stehen wir
wissend, aber machtlos gegenüber,« begann Bentan wieder nach langer Pause.
»Anders aber verhält es sich mit dem Mangel an richtigen Wintern, den wir
seit Jahren schon feststellen können, ferner mit der Abnahme der
Niederschläge aus der Atmosphäre. Diese Erscheinungen stellen uns vor
Aufgaben, die gelöst werden müssen, soll die Gesamtheit nicht schwer
darunter leiden.«

»Kann sich dies aber nicht rasch, vielleicht schon von heute auf morgen
wieder ändern?« fragte der Erdensohn. »Auf unserm Planeten haben wir auch
öfters Perioden übermäßiger Trockenheit, denen dann wieder solche der Nässe
folgen.«

»Eure Erde besitzt eine andere, dichtere Atmosphäre und größere
Wassermengen in Form gewaltiger Ozeane als unser Lichtentsprossener. Andere
Gesetze beherrschen somit dort die atmosphärischen Niederschläge als hier.
Klagen oder jammern werden wir unserer ungünstigen Lage wegen nicht. Wir
ziehen aus den Erfahrungen früherer Zeiten den Schluß, daß nach einer
gewissen Periode des Mangels an dem lebenspendenden Naß wieder ein
Abschnitt des Ausgleiches eintritt, allerdings mit der Neigung zu immer
kürzerer Dauer.«

»Und macht euch diese Aussicht keine schweren Sorgen?«

»Nein! Ganz abgesehen davon, daß sie unnütz wären, so wissen wir auch alle,
daß für unsern Lichtentsprossenen einst die Stunde seines Unterganges
schlagen wird und muß. Licht und Wärme, die uns das ewige Licht, die Sonne,
spendet, nehmen ebenfalls einmal ihr Ende. Nichts währt dauernd, und was
uns ewig, unvergänglich scheint, was wir damit bezeichnen, umfaßt für unser
Begriffsvermögen allerdings kaum vorstellbare, ungeheure Zeitmaße, die aber
an der Weltuhr nur Sekunden, höchstens Minuten anzeigen. Unerbittlich und
unaufhaltsam rollt das Rad der Zeit. Die rasche Vergänglichkeit alles
Irdischen mahnt uns eindringlich, unser Leben würdig aufzufassen,
inhaltsreich zu gestalten und es nicht mit zweckloser Furcht vor dem
Unbekannten, Unerforschbaren auszufüllen oder gar zu verbittern.«

»Das sind tiefe Gedanken, die du da äußerst,« warf der Gelehrte voll
Achtung ein, als Bentan einen Augenblick schwieg. »Wohl denen, die ihnen
nachleben!«

»Alles ist dem Wechsel unterworfen. Welten und Völker verschwinden, andere
tauchen dafür wieder auf,« fuhr der Greis fort, ohne seines Gastes
Bemerkung weiter zu beachten. »Im ewigen Kreislaufe bewegt sich die
Materie, das allein Unsterbliche der gesamten Körperwelt. Und wenn einst
unser Lichtentsprossener nicht mehr sein wird, so ist im Buche der Ewigkeit
und der Unendlichkeit nur ein einziges Blatt gewendet worden. Die ewige
Harmonie und Schönheit des Weltalls hat dadurch nicht gelitten, daß wir
verschwanden. Ein anderer Stern, eine andere Himmelsleuchte ist dann an
unsere Stelle getreten.«

»Eine solche Anschauung, wie du sie mir soeben geoffenbart hast, edler
Bentan, fürchtet auch den Tod nicht,« bemerkte Frommherz, als der Greis
geendet hatte.

»Gewiß nicht, mein lieber Freund Fridolin. Die Grundempfindung unseres
Daseins ist nicht die Angst, sondern die Freude an allen Wundern der
Schöpfung, und diese Freude läßt uns alle in unserm Organismus vorhandenen
Kräfte zweckmäßig ausnützen. Sie erlaubt uns dadurch das große Leben der
Gesamtheit voll und ganz mitzuleben. Sie ist es ferner, die uns zu der
klaren Erkenntnis führt, daß der Tod das natürliche Produkt des Lebens ist,
daß dessen Endlichkeit keine Verzweiflung, sondern nur Versöhnung bedeutet.
Unser Einzelleben ist nur eine unwichtige Episode im allein wichtigen
Gesamtleben, von dem wir selbst nur ein kleinster Bruchteil sind. Das
Bewußtsein, unsern Platz in der Natur nach bestem Wissen und Können
ausgefüllt zu haben, schafft das Gefühl der Ruhe und eine gewisse
Heiterkeit der Stimmung, mit der wir unser eigenes kleines Lebensbuch
abschließen. Unsere Nachkommen treten dann an unsere Stelle. Sie allein
sind es, die uns die Fortdauer unseres individuellen Daseins zeigen.«

»Welch herrliche Worte hast du da gesprochen!« rief der Erdensohn in
aufrichtiger Vewunderung. »Wie ganz anders ist noch in den breitesten
Schichten der sogenannten Kulturvölker unseres Planeten die Auffassung von
Leben und Tod gegenüber euern Anschauungen! Angst und Furcht sind es, die
bei der Mehrzahl der Erdenkinder keine wahre, echte Lebensfreude aufkommen
lassen.«

»Weil ihr euch eben leider noch nicht durchgerungen habt zur vollen, wahren
Nächstenliebe. Diese allein ist die klare Quelle, aus der jener echte
Frohmut sprudelt, der dem Leben den hellen, warmen Sonnenschein verleiht
und dem Tode jeglichen Schrecken raubt.«

Welche Fülle von Weisheit strömte nicht von Bentan aus! Und so war es mehr
oder weniger mit jedem andern Marsiten aus dem Stamme der Weisen, mit dem
der Schwabe in nähere Berührung trat. Wahrlich, dieser Stamm verdiente
seinen stolzen Namen; er machte ihm alle Ehre ohne die kleinste Phrase und
Anmaßung, lediglich durch die edle Gesinnung und hohe Bildung seiner
Vertreter. Hatte den schwäbischen Gelehrten einst das von aller materiellen
Sorge scheinbar freie, ideal schöne Dasein zum Bleiben auf dem Mars
veranlaßt, so pries er jetzt, mehr und mehr zur Selbsterkenntnis gelangt,
das Glück eines Verkehrs mit den Besten des Volkes in Angola. Dieser Umgang
war für ihn eine mächtige Förderung in sittlicher wie geistiger Richtung.
Nun fing er auch an, vieles zu verstehen und zu begreifen, was sein
unvergeßlicher Freund Stiller öfters vorgetragen hatte, wenn er mit ihm
zusammen an schönen Sommerabenden den Neckar entlang bei Tübingen spazieren
gegangen war. Wie manchmal hatte er da heftig dem Freunde widersprochen,
war dessen Anschauungen auf das schroffste gegenübergetreten, ohne für
seine kecken Behauptungen und Entgegnungen auch nur entfernt eine
befriedigende Beweisführung antreten zu können. Wie schnell fertig war er
damals im Aburteilen über Dinge gewesen, die er nur höchst oberflächlich
kannte!

»Sie werden später vielleicht noch einmal anders denken, wenn Sie erst das
Entwicklungsideal der Menschheit durch die reine, durchsichtige Atmosphäre
der naturwissenschaftlichen Weltanschauung zu betrachten vermögen,« hatte
ihm Herr Stiller einmal nach einer heißen Auseinandersetzung geantwortet.
Damals hatte er seines Freundes Behauptung lediglich als Ausdruck der
Hoffart aufgefaßt, heute aber, nach Jahren, fand er, daß Hoffart, Anmaßung
und Selbstüberschätzung nur auf seiner Seite, nicht aber auf der des
treuen, hochgebildeten Freundes gewesen waren.

Wie oft mußte er gerade bei seinen Unterhaltungen mit den Weisen an den
fernen Stiller denken, diesen vortrefflichen Menschen und Mann der
Wissenschaft! Und mit solchen Gedanken begann wieder eine leise Sehnsucht
nach ihm und den andern Gefährten auf der Marsreise, nach der alten, lieben
Heimat sein Herz zu bewegen. Aber sah er dann die holde Benta, hörte er
deren herrlichen Gesang, lauschte er den wundervollen Akkorden, die ihre
zarten Finger der Harfe zu entlocken verstanden, so verschwanden rasch all
die schwachen Regungen des Heimwehs, einer Spezialkrankheit des echten
Sohnes schwäbischer Erde. Dafür umgaukelten liebliche Träume Frommherz'
Sinne, die sich mehr und mehr zu festen Absichten verdichteten, je länger
er im Hause Bentans, des gütigen Alten, lebte.




Viertes Kapitel.
Getäuschte Hoffnungen.


In das Stilleben des Bentanschen Heimes brachte der Besuch eines jungen
Marsiten vom Stamme der Ernsten eine kleine Abwechslung, die besonders von
Benta angenehm empfunden zu werden schien, wenigstens glaubte dies
Frommherz, nicht ohne eine leise Regung von Unbehagen, zu bemerken. Orman,
mit dem alten Bentan schon lange näher befreundet, war mit einer
wissenschaftlichen Expedition, der er als Mitglied angehörte, nach langer
Abwesenheit wieder nach Angola zwecks persönlicher Berichterstattung
zurückgekehrt. Für die Zeit seiner Anwesenheit am Zentralsitze der Weisen
wohnte er, einer Einladung Bentans folgend, bei diesem.

Der jugendlich schöne Marsite, der reinste Apoll, wie ihn der Schwabe im
geheimen und nicht ohne einen gewissen Anflug von Neid bezeichnete, war dem
alten Gaste des Hauses sofort mit der so gewinnenden, weil aufrichtigen
Herzlichkeit entgegengetreten, die den Marsiten in ihrem Verkehre überhaupt
eigen war. Das Gebaren und Auftreten Ormans war offen und klar. Er war ein
Mann ohne Furcht und Tadel. Reiches Wissen, gepaart mit jener echten
Bescheidenheit, die nur das Produkt wahren Selbsterkennens ist, machte
Orman besonders sympathisch. Und diese Sympathie wäre auch bei Fridolin
Frommherz vollkommen gewesen, wenn seine Gefühle für Benta, die strahlend
schöne Marsitin, etwas weniger selbstsüchtig gewesen wären. So aber empfand
der Erdensohn Ormans Anwesenheit als eine gewisse Gefahr für sich selbst.

Verglich er sich nur allein schon äußerlich mit Orman, so fiel die Prüfung
leider sehr zu seinem Nachteil aus, ganz abgesehen von der geradezu
imponierenden Bildung des Marsiten. Das Schwabenalter hatte Fridolin
Frommherz seit kurzem glücklich erreicht. Wollte er also ein eigenes Heim
gründen, so durfte er damit nicht lange mehr zögern. Dieser Gedanke hatte
erst mit dem Erscheinen Ormans eine bestimmtere und deutlichere Form
angenommen, und aus diesem Gedanken heraus wuchs noch ein zweiter: durch
die Heirat mit einer Marsitin sich gewissermaßen das legitime Bürgerrecht
auf dem Lichtentsprossenen zu sichern. Nun mußte ihm dieser Orman in die
Quere kommen, gegen den sich schlechterdings auch gar nichts einwenden
ließ!

So scharf und mißtrauisch der Gelehrte auch Benta und Orman beobachtete, er
konnte nicht das geringste entdecken, was seiner Eifersucht irgend welchen
Schimmer von Berechtigung hätte verleihen können. Harmlos und fröhlich
verkehrten die jungen Leute miteinander. Nur wollte es Frommherz vorkommen,
als ob Bentas Freundlichkeit gegen Orman doch noch um einen Ton wärmer,
herzlicher gehalten sei als gegen ihn: ein qualvoller Zustand für ihn, der
zum ersten Male in seinem Leben von Amors schlimmem Pfeile getroffen worden
war. Diese heimliche Liebe -- denn daß es eine solche sei, wurde Frommherz
schließlich klar -- machte ihn halb krank und raubte ihm die Lust zu
jeglicher ernsten Arbeit.

Hin und wieder besann sich Frommherz, was er unter diesen Umständen tun
oder unternehmen solle. Aber kaum war eine Idee gefaßt, als eine andere
neue die alte erste wieder umstieß. Nur so viel stand für den Gelehrten
fest: solange Orman im Hause Bentans weilte, konnte und durfte er nicht mit
dem ehrwürdigen Greise über seine Liebe reden. Sollte er sich eine
Abweisung holen, womit er ja möglicherweise auch zu rechnen hatte, nun
wohl, so wollte er sie erst nach Ormans Abreise einstecken. Er wollte sich
wenigstens vor Orman nicht lächerlich machen.

Endlich mußte der junge Marsite wieder fort. Der Ernst der Zeit und seine
Pflichten riefen ihn wieder an die Arbeit. Frommherz atmete ordentlich
erleichtert auf. Nach und nach fand er auch seine alte Ruhe und Heiterkeit
wieder und mit ihr den früheren Arbeitseifer. Ein unbestimmtes Gefühl hielt
Frommherz ab, mit Benta selbst zuerst eine offene Aussprache zu suchen. Und
auch mit Bentan, dem Alten, wollte sich keine passende Gelegenheit finden
lassen, die dem Erdensohne erlaubt hätte, mit Mut und Zuversicht seinen
Wünschen lauten Ausdruck zu verleihen.

Gerade die Mitteilungen Ormans über die zunehmenden ungünstigen
Wasserverhältnisse auf dem Mars hatten Bentans ganze Aufmerksamkeit in
Anspruch genommen und ihn auch den etwas veränderten Gemütszustand seines
Gastes während Ormans Anwesenheit übersehen lassen. Auch war jetzt Bentan
selbst viel beschäftigt. Dazu kamen noch die vielen Versammlungen der
Stammesältesten, Besuche anderer Brüder Bentans, kurz in Angolas sonst so
stillen Straßen und Plätzen herrschte seit einiger Zeit ein regeres Leben
als je. So verschob Frommherz sein Anliegen von einer Woche zur andern und
suchte durch strenge Arbeit seine Leidenschaft zu betäuben.

Die gute Weiterentwicklung seines gewaltigen Werkes wirkte auf seine
Stimmung so günstig ein, daß er endlich auch den Mut fand, in eigener Sache
handelnd vorzugehen. Eines Abends, nachdem schon Monate seit Ormans
Fortgang verflossen waren, entschloß sich Frommherz, mit Bentan über die
Frage der Ehe im allgemeinen und über eine Heirat mit Benta im besonderen
zu reden. Benta hatte sich auf ihr Zimmer zurückgezogen. Die beiden Männer
saßen allein auf der Terrasse des Hauses und genossen den herrlichen Abend
mit seinem klaren, milden Mondlicht. Schweigend starrte Frommherz hinaus in
die Pracht der Nacht, die ihn immer von neuem wieder durch das reizvolle
Spiel ihrer beiden Monde bezauberte, trotzdem er sich nun schon länger als
fünf Jahre auf dem Mars befand.

»Wunderbar, märchenhaft schön ist doch bei euch hier oben die Nacht!« rief
der Gelehrte, das lange Schweigen unterbrechend.

»Ich weiß und kenne nichts anderes,« entgegnete Bentan lächelnd.

»Aber ich!« antwortete der Schwabe. »Unsere Mondnächte auf der Erde bieten
nicht diese eigenartige Schönheit.«

»Dafür besitzt ihr ja auch nur einen Trabanten, eine Leuchte. Unser
Verdienst ist es nicht, daß wir deren zwei haben.«

»Sie passen aber in würdiger Weise zu euerm Leben voll Licht, ja sie
ergänzen es in harmonischer Form. Am Tage das strahlende Licht der Sonne,
in der Nacht der milde, versöhnende, zur Ruhe förmlich einladende
Silberglanz der Monde, alles hell, licht wie ihr selbst!«

»Nun, dieses Leben, das du so rühmst, hat auch seine Schatten und seine
Unvollkommenheiten. Und wohl uns, daß es so eingerichtet ist,« erwiderte
Bentan. »Ein gewisser Kampf ums Dasein ist nun einmal untrennbar mit der
Existenz eines jeden Lebewesens verknüpft. Er ist die Ursache aller
Entwicklung und Vervollkommnung. Darüber sind wir froh und dankbar
zugleich. Dieser Kampf ums Dasein wird bald unseres Volkes ganze Kraft in
Anspruch nehmen.«

»Des Wassers wegen?« fragte Herr Frommherz.

»Ja, wie du weißt.«

»Ich sehe aber deshalb noch keine drohende Gefahr.«

»Weil du eben unsere Verhältnisse noch zu wenig kennst, Freund Fridolin.
Für Angola ist die Wasserfrage, dank unterirdischen Zuflüssen zum See, noch
nicht so empfindlich geworden wie an andern Orten unseres
Lichtentsprossenen. Trotzdem aber ist eine Abnahme des Seespiegels deutlich
wahrnehmbar.«

»Was wollt ihr aber in dieser Sache unternehmen?«

»Eine Änderung unseres gesamten Kanalsystems,« antwortete Bentan so ruhig,
als ob es sich um die einfachste Angelegenheit handelte.

»Das ist ja eine Riesenarbeit!« rief der Erdensohn in ehrlichem Erstaunen.

»Sie muß ausgeführt werden. Vor dem imperativen Muß tritt alles zurück. Wir
alle ohne Unterschied des Stammes werden im Dienste der Allgemeinheit die
große Aufgabe zu lösen suchen.«

»Auch ich will mich freudig daran beteiligen, soweit ich es vermag, fühle
ich mich doch eins mit euch,« bemerkte Frommherz.

»Du sollst uns dabei willkommen sein,« erwiderte Bentan herzlich.

»Der Gedanke, ganz in euch aufzugehen, mir gewissermaßen das Bürgerrecht
hier zu erwerben, bewegt mich schon lange,« hub Frommherz nach längerer
Pause zu sprechen an. »Ich möchte nicht mehr als Gast, sondern als Marsite
angesehen werden.«

»Wirst du denn anders als ein solcher behandelt?« Diese Frage Bentans
brachte Frommherz ein wenig aus der Fassung.

»Hm, hm, ich kann mich sicherlich nicht beklagen, nein, im Gegenteil. Nur
möchte ich, -- ja, wie soll ich mich gleich ausdrücken? Ich möchte in allem
als euresgleichen gelten.«

»Du bist uns kein Fremder, Freund Fridolin. Wir betrachten dich daher auch
schon lange als Mitglied der großen Marsgemeinde. Ich hoffe, daß dich diese
Worte befriedigen,« entgegnete Bentan freundlich.

»Sie ehren mich, aber sie erfüllen nicht meine besonderen Wünsche.«

»Und worin bestehen diese? Erkläre dich deutlicher.«

»Für immer auf dem Lichtentsprossenen zu weilen.«

»Niemand von uns weist dich fort. Im übrigen war dies ja auch gewiß schon
damals deine Absicht, für immer bei uns zu bleiben, als du deine Brüder
ohne dich von hier fortziehen ließest,« entgegnete Bentan mit eigenartiger
Betonung.

»Das alles ist nicht das, was ich will. Ein Heim mein eigen nennen, in
Generationen fortleben . . .«

»Nun verstehe ich dich endlich, lieber Freund Fridolin,« begann Bentan
ruhig, als der Erdensohn, plötzlich unsicher geworden, in seiner Rede
stockte. »Du möchtest heiraten. Ist es nicht so?«

»Getroffen!« gestand der Gelehrte, ordentlich froh, von Bentan so rasch
begriffen worden zu sein.

»Zu jung dazu bist du nicht mehr,« warf Bentan lächelnd ein.

»Nicht wahr? Das finde ich ebenfalls.«

»Ich möchte aber bezweifeln, ob sich dein Wunsch verwirklichen läßt. Du
bist ein Sohn der Erde und gehörst auch in der Liebe zu ihr. Was
Lichtentsprossen ist, soll sich wieder mit Lichtentsprossenem verbinden,
nicht mit Fremdem. Von einem Durchbrechen dieser Auffassung verspreche ich
mir persönlich nichts Gutes. Doch ferne sei es von mir, dir jede Hoffnung
nehmen zu wollen. Prüfe dich nochmals, und dann handle. Du weißt, daß bei
uns keine materiellen Erwägungen bei der Eheschließung mitsprechen. Bei uns
hat die Frau eine vornehme und hohe Stellung in der Kultur gerade deshalb,
weil sie sich bescheidet, die Ergänzung des Mannes zu sein. Frei wählt sie
denjenigen Mann, dessen Persönlichkeit mit der ihren wirklich und
wahrhaftig wahlverwandt ist. Mit dem, was er ist, mit seiner ganzen
Stellung wirbt bei uns der Mann um das Weib. Dadurch ist bei uns die
Eheeinrichtung zu einer hehren Wahrheit geworden, die sich sehr scharf von
den ehelichen Zuständen der Erde unterscheidet, über die, wie ich mich noch
genau erinnere, als deine Gefährten noch bei uns weilten, ihr uns hier in
Angola Vortrag gehalten habt.«

»Warum soll aber dieser Unterschied eine Erfüllung meines Wunsches
unmöglich machen? Auch auf der Erde gibt es, glaube es mir, edler Bentan,
manche glückliche Ehen, die nach denselben oder doch ähnlichen Grundsätzen
geschlossen worden sind wie hier oben.«

»Das mag sein. Es sind und bleiben aber seltene Ausnahmen. In dieser
Richtung sind mir eure völlig miteinander übereinstimmenden und vernichtend
lautenden Urteile allein maßgebend. Deine Brüder waren viel zu ernste und
wahre Männer, als daß ihre Aussagen dem geringsten Zweifel unterzogen
werden dürften. Im übrigen habe ich dir nur gesagt, was ich von deiner
Absicht halte. Ich möchte dich nur gern vor Enttäuschungen bewahren. Es
steht dir völlig frei, nach Gutdünken zu handeln.«

Eine lange Pause trat ein. Frommherz war durch die Wendung, die das
Gespräch genommen, sehr niedergedrückt. Er hatte auf eine Ermunterung,
nicht auf eine Ablehnung gerechnet; denn darauf liefen Bentans Worte doch
hinaus. Aber er wollte trotzdem nicht ohne weiteres auf seine Neigung zu
Benta verzichten und die Angelegenheit noch in dieser Stunde zu einer
definitiven Klärung bringen.

»Ich bekenne dir offen, ehrwürdiger Bentan, daß ich mich schon sehr an den
Gedanken gewöhnt hatte, mit dir und deiner Familie durch das Band der
Verwandtschaft in innigste Beziehungen gebracht zu werden, kurz, Benta als
Gattin erringen zu dürfen, für die ich eine warme und ehrliche Neigung
empfinde.«

»Mein lieber Freund Fridolin, ich freue mich, daß du dich frei und
rückhaltslos mir gegenüber äußerst. Ebenso will ich dir antworten. Benta
will, solange ich noch lebe, überhaupt nicht heiraten. Sie will durch die
Pflichten der Ehe nicht von der Pflege ihres Großvaters abgelenkt werden.
Diesen Entschluß hat sie freiwillig, ohne irgendwelche Beeinflussung schon
gefaßt gehabt, bevor du in unser Haus kamst.«

»Wie gern würde ich warten,« warf der Gelehrte ein.

»Es würde dir nichts nützen, denn Benta wird später Orman als Gatten
wählen.«

»Also hat mich meine Ahnung nicht betrogen,« seufzte Frommherz.

»Sieh, mein Freund, es ist wirklich besser, du beherzigst meinen Rat und
verzichtest auf eine Verbindung mit einer Tochter unseres Volkes.
Vielleicht kommt einst noch die Stunde, wo du froh darüber sein wirst, über
deine Person und deine Zukunft frei verfügen zu können.«

»Dieser Verzicht auf meine schönsten Träume ist wirklich schmerzhaft,«
erwiderte Frommherz wehmütigen Tones.

»Das tut mir aufrichtig leid. Aber durch die Kraft der Selbstbeherrschung
wirst du über das Gefühl des Schmerzes rasch hinwegkommen. Du bist mir
sympathisch. In unserem Zusammenleben bewies ich dir dies. Und diese
Sympathie wird dir auch ferner von mir gewahrt werden.«

»Um eines bitte ich dich noch, ehrwürdiger Bentan, rede nicht mit Benta
über das, was ich dir vorgebracht.«

»Das hätte ich auch ohne deine Bitte nicht getan. Ich möchte nicht den
harmlos schönen Verkehr zwischen dir und meiner Enkelin stören, sondern
mich auch fernerhin an ihm erfreuen.«

»Ich danke dir,« erwiderte der Erdensohn, ergriffen von der schlichten
Größe des Alten. Einer Regung des Herzens folgend, streckte er ihm die
Rechte entgegen, die Bentan innig drückte.

Damit war Fridolin Frommherz' Liebestraum zu Ende. Es bedurfte aber seiner
ganzen Kraft der Selbstüberwindung, um die Wunde, die seinem Herzen
geschlagen worden war, nach und nach zum Vernarben zu bringen. Und der
Segen der Arbeit half ihm über seinen Kummer weg.




Fünftes Kapitel.
Die Doppelkanäle auf dem Mars.


Unterdessen war vom Stamme der Weisen die Wasserfrage sehr energisch
behandelt worden. Das, was Bentan darüber vor kurzer Zeit seinem Gaste
erzählt hatte, sollte nun sofort ohne Verzug in Angriff genommen werden.
Zum ersten Male in seinem Leben sah der schwäbische Gelehrte mit staunender
Vewunderung die großartige Wirkung des Solidaritätsgefühles eines ganzen,
großen, Millionen umfassenden Volkes. Diese Wirkung flößte ihm geradezu
Ehrfurcht ein. Sie offenbarte ihm, zu welcher Höhe der Leistung die
Humanität und ihr Produkt, die Nächstenliebe, diese edelste der
menschlichen Tugenden, ausgedehnt werden konnten, wenn sie in Fleisch und
Blut eines sittlich und körperlich gleich gesunden Volkes übergegangen sind
wie hier auf dem Mars.

Keine unnütze Klage, kein lauter Ton des Jammerns bewegte die gewaltigen
Massen, die nun alle in den Dienst des Großen und Ganzen, in den Kampf für
das Wohl der Gesamtheit traten. Alle Lasten, alle Einschränkungen, die
jedem einzelnen durch die Ausführung der Riesenwerke auferlegt wurden, trug
dieser im stolzen Bewußtsein, daß er für alle einzutreten habe, alle
zusammen aber auch ihn wieder schützen würden. Das ewige und felsenfeste
Prinzip, der fundamentale und unverwüstliche Bestandteil der echten,
natürlichen Moral, im Wohle, im Gedeihen des Nächsten nur sein eigenes zu
suchen und zu finden, zu wissen, daß die blühende Menschheit allein das
Paradies, eine verkümmerte aber nichts anderes als die Hölle vorstelle,
diese Grundsätze waren die organischen Triebkräfte der Marsiten. Und sie
bewährten sich glänzend in diesen Zeiten der Gefahr.

Die sieben Stämme der Marsiten waren wie auf einen Zauberspruch hin in
einen einzigen großen, den der Sorgenden, umgewandelt. Während die älteren,
körperlich weniger leistungsfähigen Männer die leichteren Arbeiten der
Landwirtschaft, die Erziehung der Jugend und die Pflege der Gebrechlichen
und Kranken übernahmen, trat die gesamte Masse der kräftigen Marsiten an
die Ausführung eines zweiten Kanalsystems auf dem Lichtentsprossenen. Dank
der Entwicklung und dem unvergleichlich hohen Stande der technischen
Wissenschaften bei den Marsiten konnte die ungeheure Arbeit mit Hilfe von
Maschinen aller Art verhältnismäßig rasch gefördert werden. Längs den
bisherigen Hauptkanälen wurden kleinere, schmälere angelegt und sorgfältig
ausgemauert, um jedem nennenswerten Wasserverluste zu begegnen. In der Nähe
der alten Riesensammelbecken wurden neue, kleinere geschaffen. Um Verlusten
durch Verdunstung an der Wasseroberfläche vorzubeugen, wurden die
Sammelseen kuppelartig mit Asbestplatten überwölbt, titanenhafte
Riesenbauten, wie sie der Erdensohn hier zum ersten Male sah.

In den polaren Regionen, gegen den Nord- und Südpol zu, wurden Reihen
enormer Stauwerke mit Schleusen angelegt, die die Wasserabgabe nach den
neuen Kanälen und Sammelbecken genau zu regulieren hatten. Der Wasserbedarf
wurde für die Zwecke des Ackers und Gartenbaues wie für den allgemeinen
Verbrauch und Verkehr auf eine bestimmte Menge festgelegt, die ausreichen
mußte.

Auch Fridolin Frommherz hatte Angola verlassen, um an dem Bau der neuen
Kanäle tätigen Anteil zu nehmen. Hoch oben im Norden, dort wo der »Berg des
Schweigens«, die höchste Erhebung der nördlichen Marshemisphäre, seinen
schneebedeckten Gipfel erhob, sollten ganz neue Abflußrinnen und
Sammelbecken gebaut werden. Kein Tropfen des geschmolzenen Schneewassers
sollte womöglich mehr verloren gehen. Der Schwabe kannte den Ort. Drei
seiner ehemaligen Gefährten hatten vor Jahren kurz vor ihrer Rückkehr zur
Erde den einsamen Berg bestiegen. Bis zum Fuße war er damals mitgekommen.
Jetzt führte ihn das Luftschiff mit einer Anzahl jüngerer Marsiten, unter
ihnen Zaran, ein Neffe des alten Eran, in jene dünnbevölkerte, kühle
nördliche Gegend.

Von dem Luftschiffhafen in Angolas Nähe stiegen sie auf, früh, sehr früh am
Morgen. Noch schien der Traum der Nacht über den Wipfeln der nahen
Waldriesen zu schweben. Tiefdunkelblau war der klare Himmel, als der
Luftschiffhafen unter den Reisenden zu versinken schien. Bald erschienen
ihnen die Zurückgebliebenen wie kleine Kinder. Dort drüben lag Angola mit
seinen weißen Palästen. Wie Spielzeug, auf einen grünen Teppich gestellt,
sahen die Häuser aus. Höher stieg das Luftschiff, und weiter wurde der
Horizont. Die große Gleichmäßigkeit in der Bebauung, der fast regelmäßige
Wechsel von Feldern, Waldstrecken und kleineren Orten inmitten herrlichen
Gartenlandes, eine gewisse Gleichförmigkeit des meist flachen, nur von
niederen Hügelreihen durchzogenen Geländes fiel Fridolin Frommherz von der
weitschauenden Höhe herab ganz besonders auf.

Sie steuerten direkt nordwärts. Angola, das auf dem fünfzehnten Grade
nördlicher Breite lag, war längst verschwunden. Aus der subtropischen Zone,
die auf dem Mars schon mit dem dreizehnten Breitengrade beginnt, waren die
Reisenden in die gemäßigte Zone eingetreten. Fridolins Blick schweifte bald
rückwärts, bald vorwärts in der Fahrtrichtung. Unter ihm schimmerten die
Kanäle, die unzähligen Wasserstraßen der Marsiten, wie in flüssiges Silber
getaucht. Motorboote schossen darauf nach allen Richtungen, doch meistens
nordwärts. Das Luftschiff überholte sie alle, immer in gerader Richtung,
kein Hindernis kennend, nicht Felder und Wälder, nicht Berg und Tal -- das
idealste aller Verkehrsmittel.

Schon jenseits des fünfunddreißigsten Breitegrades war die gemäßigte Zone
überflogen. Es begann die spärlich bevölkerte kühle Region. Das war die
Gegend, die die Wasserstraßen speiste, an deren Vorhandensein die Existenz
der ganzen Marsbevölkerung gebunden war. Hier schauten des Erdensohnes
Augen von oben herab ein Bild, das ihn fast heimatlich berührte: dunkle
Wälder, mehr Nadelholz als Laubbäume, wechselten mit saftigen grünen Wiesen
und schimmernden Seen. Gebirgszüge schoben sich dazwischen, deren höchste
Gipfel mit Schnee bedeckt waren. Felder sah man immer weniger, je weiter
man nach Norden kam. Größere Orte fehlten in dieser Gegend fast ganz. Nur
weit auseinanderliegende, sehr kleine Kolonien von emsig arbeitenden
Marsiten erblickten die Reisenden. Und noch immer flogen sie nordwärts ohne
Aufenthalt. Jetzt hatten die Felder fast ganz aufgehört; doch sah man noch
immer zahlreiche Viehherden auf kräftigen Bergweiden. Am späten Nachmittage
grenzte sich ein besonders hoher Berg scharf vom Horizonte ab. Er stand
isoliert. Mit einer dichten Schneekappe war seine stolze Pyramide verhüllt.

»Sieh dort,« sagte Zaran zu Fridolin, »den Berg des Schweigens, unser
Ziel!«

Wenige Häuser standen am Fuße des Bergriesen. Das Luftschiff hielt darauf
zu und ging sicher und ohne jede Schwankung dicht neben den Behausungen auf
einer Art Bergwiese vor Anker. Ein ernster, wortkarger Mann mit leicht
ergrautem Haupt- und Barthaar trat den Reisenden entgegen. Nach kurzem
Gruße sagte er: »Für Unterkunft ist so gut wie möglich gesorgt,« und wies
auf einen langgestreckten Hüttenbau wenige Schritte von der Landungsstelle
des Luftschiffes. Die Ankömmlinge dankten und zogen sich in ihr reinliches,
luftiges Massenquartier zurück, wo sie alles zu ihrer Bequemlichkeit
Erforderliche sowie Lebensmittel aller Art in ausreichendem Maße vorfanden.
Von den übrigen Bewohnern dieser kleinen Kolonie hatten sie niemand
gesehen. Wie wenig neugierig doch die Leute hierzulande waren!

Der Erdensohn schlief in der reinen Bergluft vorzüglich. Bei Tagesgrauen
sollte die Arbeit beginnen. Früh am andern Morgen stand Fridolin Frommherz
am Fuße des Berges und betrachtete ihn genau. Steil fielen seine Hänge zur
Talsohle ab. Die Bergwiesen hörten bald auf. Schwärzlicher Sand, das
Produkt verwitterter Lava, trat dem Auge allenthalben entgegen. Es war
gewiß nicht leicht, diesen Riesen zu erklimmen. Und wie viel schwerer mußte
es noch sein, die zur Arbeit notwendigen Werkzeuge und Maschinen bis zu
solch schwindelnder Höhe hinaufzuschaffen!

»Komm, Freund,« rief da Zaran dem Sinnenden zu, »das Luftschiff ist
bereit!«

»Das Luftschiff?« wiederholte Fridolin erstaunt.

»Nun ja, es soll uns und die übrigen Arbeiter zur Höhe befördern.«

Also kein mühsames, ermüdendes Erklimmen des Bergriesen, wie Fridolin
gedacht! Hinaufgetragen zu werden, war freilich bequemer und ging rascher
von statten.

Sie stiegen ein, ihre Reisegefährten vom gestrigen Tage mit ihnen und
ebenso der wortkarge Marsite, der sie am Abend zuvor empfangen und begrüßt
hatte. Rasch wich die Talsohle unter ihnen zurück, ein wunderbar leuchtend
grünes Bild im Lichte der aufgehenden Sonne. Kerzengerade stiegen sie in
die Höhe. Mit vollendeter Sicherheit arbeitete das Höhensteuer. Lautlose
Stille lagerte auf dem Berge des Schweigens, der seinen Namen mit vollem
Rechte zu tragen schien. Weder Mensch noch Tier war zu sehen; nicht einmal
das Rauschen eines auf dieser Seite zu Tale plätschernden Baches vernahm
das lauschende Ohr. Auch die Reisenden waren schweigsam. War es der
Eindruck, den die schweigende Natur auf ihre Gemüter machte, oder war es
der Ernst der bevorstehenden Arbeit, der sie bereits in seinem Banne hielt?

Schon nach zweistündigem Steigen hatte das Luftschiff die Höhe des Berges
erklommen, noch eine Schwenkung nach Osten -- nun ließ es sich leicht und
sicher in einer Mulde unterhalb des Gipfels nieder. Die Reisenden stiegen
aus. Da lag neben ihnen im Krater des früheren Vulkans ein smaragdgrüner,
mit Blumen umsäumter See. Warm fühlte sich hier der Boden an, und keine
Spur von Schnee war zu finden. Somit schien die vulkanische Tätigkeit des
Berges noch nicht ganz erloschen zu sein. Aber kaum hundert Schritte
weiter, da schlugen wieder Eis und Schnee den Boden in ihre Fesseln.

Hier oben hatte die Arbeit der Marsiten bereits begonnen. Da waren Menschen
und Maschinen in voller Tätigkeit. Es galt, dem Abfluß des Sees eine neue,
schmälere, ausgemauerte Rinne zu schaffen, in der kein Tropfen des so
kostbar gewordenen Wassers mehr versickern konnte. Dann sollte der kleine
Kratersee selbst mit Asbestplatten überwölbt werden, um das Verdunsten
seines warmen Wassers möglichst zu verhindern. Der wortkarge Marsite, der
die neue Arbeitskolonne hierhergebracht, aber während der ganzen Fahrt
keine Silbe gesprochen, nur in tiefem Nachdenken vor sich hin geschaut
hatte, wies jetzt jedem seinen Arbeitsplatz an. Fridolin führte er zu einer
neuen Maschine, die von ihm allein bedient werden sollte. Es war eine Art
Trockenbagger, womit der Boden in der bereits abgesteckten Linie für die
neue Wasserrinne ausgehoben werden sollte. Der Erdensohn, der als
ehemaliger Theologe von Maschinentechnik so gut wie gar nichts verstand und
an körperliche Arbeit nicht gewöhnt war, sah etwas zaghaft auf die vor ihm
stehende große eiserne Maschine. Mit kurzen, klaren Worten erklärte ihm der
Marsite deren Handhabung. Die Aushebungsvorrichtung war automatisch und
regulierte sich bei richtiger Einstellung von selbst. Mit scharfer Kante
versehene Eimer schleiften dicht auf dem Boden und brachten, ebenfalls
automatisch, das losgelöste Material hoch und ließen es auf die
Ablagerungsflächen gleiten. Trotz ihrer dauerhaften Konstruktion war die
Maschine außerordentlich leicht beweglich, was teils einer sinnreichen
Vorrichtung, teils der geringeren Schwere infolge des verminderten
Luftdrucks zuzuschreiben war. So war es für den Erdensohn nicht allzu
schwer, den merkwürdigen Bagger allein zu bedienen.

Fridolin arbeitete und wunderte sich dabei, wie leicht ihm alles wurde.
Solche Muskelkraft hatte er auf Erden nie besessen. Es war doch etwas
Schönes um die verminderte Schwere. Freilich trat in der ganz
außerordentlich dünnen Luft auf solcher Bergeshöhe lebhafteres Atmen, eine
höhere Spannung der Blutgefäße ein; aber er gewöhnte sich rascher, als er
selbst gedacht, an diese Erscheinungen. Nur eins blieb ihm immer gleich
sonderbar und wollte ihm nicht recht gefallen: das war die bedeutend
abgeschwächte Stimme. So dünn war hier oben die Luft, daß sie den Schall
nur noch schwach verbreitete. Sogar die Arbeit all der wackern Männer nahm
dem »Berge des Schweigens« seinen Charakter nicht.

Und nun reihten sich die langen Tage rastloser Arbeit vom Sonnenaufgang bis
zu ihrem Untergange. Nicht nur dem See wurde eine neue Abflußrinne
gegraben, den ganzen Berg von der Schneegrenze bis zu seinem Fuße
durchfurchten bald solche auszementierte Rinnen, die zu tieferen Rinnsalen
zusammenflossen und sich zeitweilig in überwölbten Becken sammelten. Der
schweigsame Marsite überwachte alle diese Arbeiten; überall kontrollierte
er, ordnete er an, und ein jeder fügte sich seinen Befehlen.

»Wer ist der seltsame Mann?« hatte der Erdensohn schon am ersten Tage
gefragt, und als es Feierabend wurde, hatte ihm Zaran seine Geschichte
erzählt:

»Du weißt, Freund Fridolin, daß die polaren Regionen unseres
Lichtentsprossenen, im Norden wie im Süden, fast ausschließlich von unsern
Gesetzesübertretern bewohnt werden. Wer sich gegen seinen Bruder, gegen das
allgemeine Wohl verfehlt, muß seinen Fehltritt durch Arbeit für die
Allgemeinheit wieder sühnen. Während dieser Zeit wird sein Name aus den
Listen unserer Stämme gestrichen. Namenlos zieht er dorthin, wo unsere
Wasserstraßen ihren Ursprung nehmen. Da unsere ganze Existenz von der
Erhaltung des Wassers abhängt, ist das Instandhalten unserer Wasserläufe
die wichtigste Arbeit für das Gemeinwohl. Dieser Arbeit haben sich somit
unsere Brüder ohne Namen zu unterziehen. Es ist dies die einzige Strafe,
die wir kennen. Nach einer dem Maße seiner Übertretung entsprechenden Zeit
guter Führung steht es dem hierher Verwiesenen frei, wieder zu seiner
Familie zurückzukehren. Viele aber ziehen es vor, hier zu bleiben und ihr
ganzes Leben fortan in den Dienst ihrer Brüder zu stellen. Das tat auch
der, nach dem du mich vorhin fragtest. Mutan hieß er und gehörte dem Stamme
der Findigen an. Ich kenne ihn von Lumata her, wo er unser Nachbar war.
Doch war er in seiner Jugend dem Ernste des Lebens abgeneigt und allzuviel
auf sich selbst bedacht. Seine Pflichten gegen die Gesamtheit erfüllte er
so mangelhaft, daß er in die Region der Vergessenen verwiesen wurde. Hier
ist ein anderer aus ihm geworden. Der Ernst des Lebens hat ihn gepackt und
ihn so sehr von seiner hohen Aufgabe, der Arbeit für seine Brüder,
durchdrungen, daß er es ablehnte, wieder nach Lumata heimzukehren. Er blieb
im Lande der Vergessenen, an dem Orte, wo die Arbeit einen ganzen Mann aus
ihm gemacht. Er hat uns seither mit den großartigsten Erfindungen auf
technischem Gebiete überrascht. Wo es eine besonders schwierige Aufgabe zu
lösen gibt, versucht sich Mutan daran. Seinem scharfen Verstande, seiner
außerordentlichen Geschicklichkeit scheint nichts zu schwer. Die Maschine
zum Beispiel, an der du vorhin arbeitetest, hat er ebenfalls erfunden. Und
du wirst noch viel Großes von ihm schauen.«

Fridolin Frommherz hatte schweigend zugehört. Zarans Erzählung hatte einen
eigentümlichen Eindruck auf ihn gemacht. Dieser Mutan, dessen ernstes,
kluges Antlitz ihn merkwürdig fesselte, hatte nichts anderes getan, als »zu
viel an sich gedacht«. Und er, Fridolin? Hatte nicht auch er »zu viel an
sich gedacht«, als er seine Gefährten verlassen hatte und auf dem
Lichtentsprossenen zurückgeblieben war? Wenn man ihn mit solchem Maße
messen wollte, dann müßte er auf die Erde zurückkehren und dort den Rest
seiner Tage dem Dienste der Menschheit weihen, die er eigenmächtig
verlassen hatte.

Rasch schüttelte Fridolin Frommherz jedoch diesen Gedanken ab. Nein, der
Lichtentsprossene war jetzt seine Heimat, die Marsiten die Brüder seiner
Wahl; zu ihnen gehörte er, und ihnen diente er auch jetzt in den schweren
Tagen ihres Existenzkampfes. Aber sooft er Mutan begegnete, kehrte der
Gedanke an seine Verpflichtungen gegen die Erde zurück.

Wunderschön war es für Fridolin, in den klaren Nächten das Polarlicht mit
seinen zuckenden Strahlen und wechselnden Farben zu beobachten. Noch lieber
aber sah er von seiner weitschauenden Höhe nach der Erde aus. Als hellster
der Sterne hing sie am nächtlichen Firmamente, stets von ihrem treuen
Trabanten gefolgt, der als winziges Sternlein bald rechts, bald links von
ihr erschien, da in ihren Strahlen verschwindend, nach einiger Zeit dort
wieder auftauchend, in ständigem Wechsel. Freilich, wenn die Erde in
Marsnähe war, dann war sie nur als schmale Sichel sichtbar; aber gerade die
Beobachtung ihrer Phasen war für den Erdensohn besonders interessant. Schon
mit bloßem Auge war ein deutliches Zu- und Abnehmen zu sehen, mit den
außerordentlich scharfen Instrumenten der Marsiten aber waren nicht nur die
Beleuchtungsverhältnisse, waren auch Erdteile und Meere, ja selbst die
größeren Länder zu erkennen. Wie oft grüßte der Schwabe vom Berge des
Schweigens aus mit dem Auge die deutsche Heimat! Eine eigentümliche
Erscheinung fiel ihm beim Beobachten der Erde durch das Teleskop des
öfteren auf: er sah deutlich, daß die Strahlen der Sonne auch noch nach
solchen Punkten der Erdoberfläche hindrangen, für die sie eigentlich schon
untergegangen sein mußte. Er befragte Zaran darüber.

»Das kommt von der Dichte eurer Atmosphäre her,« meinte dieser. »Je dichter
die Luftschicht ist, desto mehr bricht sie die einfallenden Lichtstrahlen.
Diese Lichtbrechung ist bei der Beobachtung entfernter Weltkörper geradezu
ein Beweis für das Vorhandensein einer Atmosphäre. Laß uns das Teleskop
einmal nach einem unserer Monde richten. Sieh, dort geht uns Phobos heute
schon zum zweitenmal auf! Siehst du etwas von einer Lichtstrahlenbrechung?«

»Nein,« erwiderte Fridolin, »da fällt die Erscheinung ganz weg.«

»Weil die kleinen Monde in der Regel ihre Atmosphäre nicht festzuhalten
vermögen, euer Erdtrabant so wenig wie Phobos und Deimos. Dort drüben steht
Venus. Versuch es einmal bei jenem fernen Kinde des Lichts!«

»Die Erscheinung ist wieder da,« rief Fridolin erfreut, »und zwar in noch
höherem Maße als bei der Erde.«

»Die Venus-Atmosphäre scheint etwas dichter als die irdische zu sein.«

So brachten auch die Abende dem Erdensohne gar vieles Schöne, Neue und
Interessante.

Nach wenigen Wochen schon war der ganze Berg des Schweigens kanalisiert.
Die Arbeitsmaschinen hatten geradezu Wunderbares geleistet; die Kraft der
Männer war sehr geschont worden. Nach und nach war die Arbeitskolonie mit
sämtlichen Maschinen zu Tale vorgerückt. Aber da fanden die Ankömmlinge
nicht mehr die einsame Region vor, die sie verlassen. Zu Tausenden und
Abertausenden schafften hier die Marsiten, die sonst die nördliche
gemäßigte oder die tropische Zone bewohnten. Überall, soweit das Auge
schaute, waren bereits die neuen Kanäle ausgehöhlt, die breiten Hauptadern
wie die viel hundertfachen Verzweigungen angelegt. Maschinen waren da
aufgestellt, die der Erdensohn nie zuvor gesehen, und deren Zweck ihm doch
jedesmal bei genauem Anschauen fast von selbst offenbar wurde, so genial
einfach und praktisch war alles, was auf dem Lichtentsprossenen erdacht und
konstruiert wurde. Rasch schritt das Auszementieren des neuen Kanalnetzes
vorwärts. Die Arbeit drängte, stand doch der lange polare Winter vor der
Tür. Vor seinem Eintritt sollte die Kanalisierung bis zur gemäßigten Zone
vorgeschritten sein. Dort würde man noch lange arbeiten können, wenn die
arktischen Zonen schon in Eisesfesseln lagen. Und hinderte der strenge
Marswinter die Arbeit auch dort, dann kanalisierte man den Tropengürtel,
der kein Eis kannte.

Aber noch aus einem andern Grunde drängte die Arbeit: das Wasser war wie
alles andere auf dem Lichtentsprossenen spezifisch leichter als auf der
Erde. Es kochte schon bei sechzig Grad, war folglich auch rascherem
Verdunsten ausgesetzt, und dem mußte so schnell wie möglich
entgegengearbeitet werden. Natürlich war das Wasser infolge seines
geringeren spezifischen Gewichtes auch minder tragfähig; aber das konnte
hier nicht in Betracht kommen, standen doch die Schiffe, die in raschem
Laufe auf seinem Rücken dahintrieben und die Arbeitenden mit allem
Notwendigen versorgten, ebenfalls unter dem Einfluß der geringeren Schwere.
Charakteristisch für das Wasser auf dem Lichtentsprossenen waren auch die
gewaltigen Wellen, die sich nicht nur auf dem großen Ozeane, der einen Teil
der Südhalbkugel deckt, -- das einzige ausgedehnte Wasserbecken auf dem
Mars, -- sondern auch auf den kleineren Seen der Nordhalbkugel beim
geringsten Anlaß bildeten. Die im Vergleich zur Erde bei weitem leichteren
Wassermoleküle unterlagen geringerer Anziehung der Masse ihres Weltkörpers
und stiegen deshalb oft durch den einfachen Vorgang der Wellenbildung ohne
besonders heftigen Wind oder gar Sturm zu ganz außerordentlicher Höhe
empor. Diesen Vorgang beobachtete Fridolin Frommherz ganz besonders gern.

Als dann der Winter die polaren Zonen auf dem Mars in Eisesfesseln schlug,
waren die hauptsächlichsten Arbeiten in diesen Gegenden vollendet, die
Arbeiter bereits in die gemäßigte Zone übergegangen. Nie hätte es sich
früher der Erdensohn träumen lassen, daß man solche Riesenbauten in so
kurzer Zeit durchführen könnte. An einem einzigen Kanale auf Erden wurden
oft zehn, fünfzehn und noch mehr Jahre gebaut; hier waren Hunderte von
Kanälen in der kurzen Zeit eines polaren Marssommers -- doppelt so lang wie
ein irdischer Sommer in arktischem Gebiete -- hergestellt worden; aber
nicht nur Hunderttausende, sondern Millionen hatten da mitgearbeitet. Die
Solidarität der Marsiten hatte ein Wunder vollbracht.

Ganz eingestellt wurden die Arbeiten der Marsiten in den polaren Gegenden
auch im Winter keineswegs. Die Hauptsache war vollendet; doch galt es, da
und dort noch die letzte Hand anzulegen. Auf vorzüglich gebauten, äußerst
leichten Segelschlitten glitten die Männer über die Eisflächen bald dahin,
bald dorthin. Die Schlitten waren gefüttert und mit einem Zeltdache zum
Schutze gegen scharfe Winde versehen. Übrigens war die Kälte, obgleich sie
bedeutende Grade erreichte und bis sechzig Grad unter den Nullpunkt sank,
leicht zu ertragen, weil die Luft vollkommen trocken, frei von Wasserdampf
war. Auf ihren eisernen Kufen glitten die Schlitten dahin wie auf
Schlittschuheisen. Das Segelwerk, das aus einer Brigantine und einem
Klüversegel bestand, gestattete die Benützung jeder Windrichtung, und wenn
es so eingestellt war, daß der Schlitten mit vollem Rückenwinde fahren
konnte, war die Geschwindigkeit des leichten Fahrzeuges staunenerregend. Es
flog förmlich dahin und schien kaum mehr den Boden zu berühren.

Der Schwabe aber zog in diesen Wintertagen mit der Mehrzahl der Marsiten
erst in die gemäßigte, dann in die äquatoriale Region, das große Werk
fortführend, das in den Polgebieten begonnen worden war.

Und als die ungeheure Arbeit nach Jahr und Tag glücklich beendet und die
alten sozialen Verhältnisse wiederhergestellt worden waren, da zeigte sich
die segensreiche Wirkung der Arbeit aller für alle: die vielen und großen
Landstrecken, die aus Mangel an Wasser seit längerer Zeit schon brach
lagen, sie wurden nun wieder produktiv und lieferten Nahrung. Gärten, die
schon verödet waren, erwachten zu neuem grünendem und blühendem Leben.

Überall auf dem Lichtentsprossenen waren alle damit beschäftigt, die
letzten Spuren der Wassersnot zu verwischen, der Landschaft wieder ihr
altes, glanzvolles Gewand zurückzugeben. Auch der Schwabe hatte an dem
Werke des Gemeinwohles redlich mitgearbeitet, hatte mitgegraben,
mitgemauert und mitgehämmert. Die Arbeit kam ihm anfänglich schwer und
sonderbar vor, mit der Zeit aber gewöhnte er sich an seine neue Art der
Beschäftigung. Und diese, verbunden mit dem lebhaften Verkehr mit Marsiten
aller Klassen, hatte nach und nach in Frommherz eine große innere
Umwandlung hervorgebracht. Hohe Gedanken bewegten ihn.

Das einzigartige Beispiel der Solidarität, das dem Erdensohne hier oben
geboten worden, die zarte Sympathie jedes einzelnen Marsiten für seinen
Mitbruder, eine Sympathie, die sich überhaupt auf alle fühlenden Wesen
erstreckte, hatte ihn zu tiefem Nachdenken angeregt. Er erkannte, daß auf
dem Lichtentsprossenen die höchste Stufe der moralischen Kultur tatsächlich
erreicht war. Er begriff jetzt, daß in dem Maße, in dem die Gefühle der
Liebe und Sympathie und die Kraft der Selbstbeherrschung durch die
Gewohnheit verstärkt werden und das Vermögen des Nachdenkens klarer wird,
auch der Mensch in den Stand gesetzt wird, die Gerechtigkeit der Urteile
seiner Mitmenschen zu würdigen. Erst dadurch vermag dann ein Mensch,
unabhängig von den Gefühlen der Freude oder des Schmerzes, die er einen
Augenblick hindurch empfindet, seinem Benehmen eine gewisse bestimmte
Richtung zu geben.

So war jeder Marsite, dank der sorgfältig geleiteten Entwicklung seiner
Geisteskräfte und der natürlichen Moral, gewissermaßen der wirkliche und
wahre Richter seines eigenen Betragens. Was den schwäbischen Gelehrten
früher bei den Marsiten rein äußerlich schon so sympathisch berührt und mit
geheimnisvoller Macht angezogen hatte, er hatte nun in den Jahren der
gemeinsamen Arbeit mit ihnen den Schlüssel zu diesem wahren, wissenden,
freien und edlen Bruderbunde gefunden. Die gesunde Harmonie zwischen
Selbstliebe und Nächstenliebe, das war die Ursache der wunderbaren Moral
und des Blühens des Brudervolkes auf dem Mars. Und Frommherz dankte dem
Geschick, das ihn zu diesem Volke gebracht, wo er so unendlich viel zu
lernen vermocht und sich selbst zu echter Menschenwürde hinauf entwickelt
hatte. Langsam zog in ihm ein Sehnen ein, der Apostel wahren Menschentums
auf der Erde zu werden. Dort besaß er einen Freund, der Ähnliches einst
gewollt. Damals hatte er ihn nicht verstanden. Jetzt wünschte er dem
Beispiele Siegfried Stillers, des ausgezeichneten Freundes und Mannes, zu
folgen.

Aber zunächst trat ein Ereignis ein, das das Volk des Mars, das soeben an
Körper und Geist frisch verjüngt aus dem gewaltigen Kampfe um seine
vornehmste Existenzbedingung siegreich hervorgegangen war, in aufrichtige
Trauer versetzte. Anan, der Älteste der Alten, der Vorsteher des Stammes
der Weisen, hatte den Tribut dem Alter entrichtet und war sanft
entschlafen. Ein inhaltsreiches Leben voll Licht und Segen war damit zu
natürlichem Abschlusse gelangt. Vertreter aller Stämme eilten nach Angola,
um Anan die letzten Ehren zu erweisen und Zeugen der Beisetzung seiner
Asche in Angolas Ehrenhalle zu sein, dem Pantheon der Marsiten.

»Dem Boden keine Leichen! Rasch verlodernde Glut umfange auf dem
Lichtentsprossenen die erkalteten Schläfen!« Diese Art der Bestattung war
auf dem Mars üblich. Sie galt als die allein würdige und wurde auch als
bester Trost für die Hinterlassenen betrachtet. Am dritten Tage nach dem
Tode Anans, als die untergehende Sonne mit ihren letzten Gluten
purpurfarbene Tinten an den Himmel malte, wurde der offene Sarg mit dem
Entschlafenen zur Feuerstätte getragen. Dem flammenden Abendrote gleich,
sollte auch Anan leuchtend eingehen in den Schoß der Ewigkeit. Ergreifende
Musik wechselte auf dem Wege mit dem Gesange von Trauerliedern.

Als die Nacht hereingebrochen und Anans Asche in eine Urne von schwarzem
Marmor gesammelt worden war, wurde diese unter Fackelbeleuchtung nach der
Ehrenhalle gebracht, um hier beigesetzt zu werden. »Den Geschiedenen zur
Ehre, den Lebenden zum Vorbild,« das waren die Worte, die in goldenen
Lettern über der säulengetragenen Vorhalle prangten, die zu der herrlichen
Stätte ewigen Friedens der hervorragendsten Marsiten führte. Eine kleine
Nische nahm die Urne auf, und auf einer Marmortafel eingemeißelt befand
sich ein kurzer Auszug aus Anans Leben und Wirken. Das Bruderlied der
Marsiten, von allen gesungen, schloß die Feier.




Sechstes Kapitel.
Ein tapferer Entschluß.


An die Stelle Anans trat Bentan. Das Leben in Angola bewegte sich wieder in
den alten, vornehm ruhigen Bahnen der Gleichmäßigkeit. Der Gelehrte hatte
sein Werk vollendet. In der ersten feierlichen Versammlung des Stammes der
Weisen unter Bentans Vorsitz übergab der Erdensohn sein fertiges Wörterbuch
der deutsch-marsitischen Sprache, eine Arbeit von über elf Jahren nach
Erdenmaß. Der Dank der Weisen wurde ihm für seine anerkennenswerte Leistung
ausgesprochen.

Frommherz war lange mit sich zu Rate gegangen, ob er diesen Augenblick des
Abschlusses und der Übergabe seines Werkes nicht dazu benützen solle, dem
ihn mehr und mehr beherrschenden Wunsche nach Rückkehr zur Erde passenden
Ausdruck zu verleihen. Nach längerem Schwanken entschloß er sich dazu. Mit
Bentan selbst hatte er noch nicht darüber gesprochen. Er fand es für
besser, zuerst vor den versammelten Vertretern des Stammes der Weisen sein
Anliegen vorzubringen und nachher mit Bentan das Nähere zu beraten.

Am Schlusse der Sitzung bat Frommherz um das Wort. In längerer Rede
schilderte er, wie sich bei ihm nach und nach der Wunsch entwickelt habe,
dahin wieder zurückzukehren, von wo er einst hergekommen war. Nachdem nun
seine Aufgabe hier auf dem Lichtentsprossenen erfüllt sei, auf dem er so
unendlich viel gelernt, habe er sich eine andere schwere Aufgabe gestellt:
in seinem engeren wie weiteren Vaterlande unten auf der Erde eine aller
Übertreibung ferne und daher auch allein vernünftige Nächstenliebe in der
Weise zu lehren, wie sie hier oben ausgeübt werde, Jünger für seine Lehre
zu werben und den Versuch zu machen, diesen praktischen und segensreichen
Altruismus der Marsiten in der öffentlichen Meinung seiner alten Heimat
mehr und mehr einzubürgern. Der fragwürdigen Kultur der Gegenwart mit ihrer
Lüge und rohen Selbstsucht wolle er im Vereine mit andern energisch
entgegentreten und gegen sie kämpfen, damit den später geborenen
Geschlechtern endlich ein Leben der Wahrheit, der Nächstenliebe und des
Frohmutes beschieden sein möge. Die Menschlichkeit werde dann eine wirklich
vollendete Tatsache, nicht mehr bloß ein Begriff und nur in Gedanken
vorhanden sein.

»Erst langsam, Schritt für Schritt erklomm ich unter eurem Einflusse den
Weg zur sonnenbeschienenen Höhe abgeklärter Lebensauffassung,« fuhr
Frommherz fort. »Nun erst verstehe ich voll und ganz auch die
Handlungsweise meiner Freunde, als sie von hier fortzogen, während ich
damals wähnte, daß sie eine übereilte Tat, eine unentschuldbare Torheit
begangen hätten. Eine späte Erkenntnis, nicht wahr? Würde ich nicht eure
Gesinnungen, eure hohe Denkweise genau kennen, so würde ich die Frage einer
Rückkehr niemals zur Sprache gebracht haben. So aber weiß ich, daß ihr
meine Handlungsweise von heute begreift. Ich bin gewiß, daß ihr meine Bitte
in ernste Erwägung ziehen und sie auch gern erfüllen werdet, falls ihr
nicht Unmöglichkeiten der verschiedensten Arten entgegenstehen, die ich
nicht zu beurteilen vermag.« Mit diesen Worten schloß Fridolin Frommherz
seine Rede, die von der Versammlung mit großer Aufmerksamkeit angehört
worden war.

»Zieh dich für einige Augenblicke zurück, lieber Freund Fridolin. Wir
wollen sofort über dein Anliegen beraten und werden dich nachher rufen
lassen, um dir unsere Entscheidung mitzuteilen,« bat Bentan freundlich.

Der Erdensohn gehorchte. Seine Stimmung war eine gehobene, fast stolze, als
er den Saal verließ, um im Garten vor dem Palaste umherzugehen, bis er zur
Entgegennahme der Antwort auf seine Rede wieder gerufen werden sollte. Wie
ganz anders empfand er doch heute als vor mehr denn elf Jahren am gleichen
Orte! Bedrückt, wirr, unsicher, zerfallen mit sich selbst und seinen
Freunden, im Kampfe widersprechendster Gefühle war er damals aus dem Saale
fortgegangen, und heute beherrschte ihn eine tiefe Genugtuung darüber, daß
er sich endlich selbst wiedergefunden und den Vorschlag des Fortgehens vom
Mars von sich aus, freiwillig gemacht hatte. Er konnte in der Zukunft den
Marsiten nichts mehr von wirklicher Bedeutung bieten als Gegenwert für die
an ihm geübte großartige Gastfreundschaft. Dies sah er klar ein. Die Tat
seiner Freunde erschien ihm heute in ihrer vollen sittlichen Größe. Ob sie
wohl damals die Erde, die Heimat wieder erreicht hatten, die Tapfern? Ob er
sie wiedersehen würde?

In dem Maße, als er sich selbst mit dem Gedanken der Rückkehr vertraut
gemacht hatte, beschäftigte er sich auch mehr mit den fernen Freunden. Die
Gefahren und Entbehrungen der Reise durch den Weltenraum schlug Frommherz
nicht mehr so hoch an. Die Erinnerung an die Leiden der Herfahrt war bei
ihm im Laufe der vielen Jahre ziemlich verblaßt. Auch vertraute er der
technischen Überlegenheit der Marsiten, die sie so oft schon bewiesen, daß
er an einem richtigen Gelingen der Reise nicht im geringsten zweifelte.

Trotz seiner fünfzig Jahre, die der Gelehrte nun zählte, sprang er noch
elastischen Schrittes die breite Treppe hinauf, die zum Saale führte, als
er gerufen wurde. Feierliche Stille herrschte in dem großen Raume. Die
wohlwollenden Blicke der Alten ließen den Schwaben einen günstigen Ausgang
seiner Sache hoffen.

»Mein lieber Freund und Bruder,« begann Bentan zu sprechen. »Dein
Entschluß, zur Erde zurückzukehren, um dort in der uns geschilderten Weise
tätig zu sein, ehrt dich und findet auch unsere vollste Billigung. Er hat
uns mehr erfreut als überrascht, denn wir alle, Anan schon vor Jahren,
sahen voraus, daß du dauernd bei uns doch nicht bleiben würdest. Dein
Entschluß hat uns deshalb besonders gefreut, weil er uns beweist, daß du
gleich deinen Gefährten, die bei uns geweilt, derselbe wackere Mann und
Schwabe bist, für den wir dich immer hielten. Wir werden uns mit dem Stamme
der Findigen und der Ernsten in Verbindung setzen, damit deinem Wunsche so
bald wie möglich entsprochen werden kann. Du sollst zu jenem fernen Kinde
des Lichtes gebracht werden in ähnlicher Weise, wie du einst von dort zu
uns kamst. Und nun kann ich dir im Namen meiner Brüder hier eröffnen, daß
wir beschlossen haben, dein Bild und die Gedenktafel nach deiner Abreise an
der Stelle dieses Saales anbringen zu lassen, die hiefür schon so lange
vorher bestimmt war.« Ein feines Lächeln huschte bei diesen Worten über
Bentans geistvolles Gesicht. »Die sieben Schwaben, die einzigen Erdensöhne,
die je auf dem Lichtentsprossenen gewesen und auf ihm gelebt, sie sind dann
im Bilde und in der Erinnerung für immer bei uns harmonisch vereint. Von
Herzen wünschen wir dir schon jetzt, daß du die trauten Stätten deiner
Kindheit und Jugend nach so langer Abwesenheit glücklich wiedersehen
mögest. Glaube mir, lieber Freund Fridolin, niemand reißt sich ungestraft
aus dem Boden, aus dem er entsprossen, und in dem allein die festen Wurzeln
seiner Existenz liegen. Die Wahrheit dieses Satzes hast du ja auch an dir
selbst erfahren dürfen. Triffst du deine sechs Freunde und Brüder unten auf
der Erde gesund wieder an, was wir hoffen wollen, so überbringe ihnen
unsere innigsten Grüße. Sage ihnen, daß wir ihr Andenken in hohen Ehren
halten, und daß wir es einem heiligen Vermächtnisse gleich ungeschmälert
unsern Nachkommen überliefern werden. Zieh hin in Frieden, mein Freund!
Bewahre auch du uns nach deiner Abreise dieselbe treue Gesinnung, die wir
dir stets bewahren werden.«

Nach Bentan erhob sich Eran, der die Last seiner Jahre noch mit
erstaunlicher Kraft trug und von seiner Geistesfrische noch nicht das
geringste eingebüßt hatte.

»In der Nähe von Lumata sind die kühnen Erdensöhne einst mit ihrem
Luftschiffe angekommen,« sprach er. »Von dort aus haben sie auch, bis auf
Freund Fridolin, die Heimreise angetreten, nachdem sie lange Zeit meine
lieben Gäste gewesen. Und so möchte ich nun die Bitte aussprechen, daß die
Rückkehr des letzten Schwaben ebenfalls von jener historischen Stätte in
Lumata aus erfolgen möge. Bis zu seiner Abreise lade ich Freund Fridolin
ein, bei mir wieder sein altes Heim beziehen zu wollen.«

»Deiner Einladung, ehrwürdiger Eran, leiste ich gern Folge,« antwortete der
Gelehrte.

»Gut, so soll auch der Bitte unseres Bruders Eran entsprochen werden und
die Abfahrt so bald wie möglich von Lumata aus stattfinden,« entschied
Bentan.

Am Abend des denkwürdigen Tages saß Fridolin Frommherz zum letzten Male mit
Bentan auf der Terrasse von dessen Hause. Morgen wollte er Angola
verlassen, um mit Eran zusammen nach Lumata zu ziehen.

»Habe ich dich nicht heute mit dem Entschlusse meiner Rückkehr zur Erde
überrascht?« fragte er seinen Gastgeber.

»Durchaus nicht!« entgegnete Bentan ruhig. »Ich erwartete die Äußerung
dieses Wunsches und finde, daß du für ihn sehr geschickt den richtigen
Augenblick gewählt hast.«

»Ja, der Gedanke, den Lichtentsprossenen zu verlassen, hat unendlich lange
Zeit bei mir zum Reifen gebraucht,« erwiderte Frommherz.

»Das wirklich Gute bedarf immer einer angemessenen Zeit zur Entwicklung.«

»Gewiß! Ob ich nicht aber schon früher hätte fortziehen sollen?«

»Ich glaube nicht. Ich habe den Eindruck, daß du zur richtigen Zeit den
richtigen Weg gefunden hast. Deine Arbeit hier ist vollendet. Du warst uns
auch nebenbei in den Jahren der Gefahr und Not ein schätzenswerter,
fleißiger Beistand. Und jetzt, wo du dich uns gegenüber durch deine
Gegenleistungen von jeder moralischen Verpflichtung gewissermaßen befreit
hast, konntest du deiner Bitte auch den berechtigtsten Ausdruck verleihen.«

»Es freut mich aufrichtig, daß du so denkst, ehrwürdiger Bentan.«

»Nun, mein lieber Freund Fridolin, bist du jetzt nicht selbst froh darüber,
daß ich dir einst abriet, eine Ehe hier einzugehen? Sieh, damals schon
ahnte ich das, was heute gekommen ist. Ich wies auf die Stunde hin, die
möglicherweise erscheinen könnte, in der du gern frei über deine Person
verfügen möchtest. Heute hat diese Stunde geschlagen.«

»Du warst der sie Ahnende, der Weitsichtige, dafür danke ich dir. Aber
trotzdem, als Gatte Bentas würde ich wohl niemals den Gedanken einer
Rückkehr gefaßt haben.«

»Nicht du ihn, er aber dich. Doch gleichviel, es ist gut so, glaube es mir,
lieber Fridolin,« erwiderte Bentan lächelnd.

»Benta, mein Kind, komm zu uns,« bat der Alte seine Enkelin, die soeben auf
der Terrasse erschien, um nach dem Großvater zu sehen. »Bringe deine Harfe
und erfreue uns mit deinem Spiele. Es ist, wie du ja weißt, Freund
Fridolins letzter Abend, den er hier bei uns verbringt. Verschönere ihn
noch durch Musik und Gesang.«

Benta, herangereift zur voll entfalteten Schönheit des Weibes, entsprach
sofort der Bitte des Großvaters. Welch wunderbare Töne die Marsitin diesen
Abend ihrem Instrumente zu entlocken verstand! Noch nie zuvor wähnte
Frommherz Benta so meisterhaft spielen gehört zu haben. Und der Gesang!
Welch eine Summe von Gefühlen der Freude und Sehnsucht, stillen Schmerzes
und unbestimmbaren Wehs löste er nicht im Empfinden des Sohnes der
schwäbischen Erde aus!

Als Benta geendet hatte, stand der Gelehrte auf und reichte ihr tief
ergriffen mit Worten herzlichen Dankes die Hand. »Lebe wohl, Benta! Nie
werde ich deiner vergessen. Für immer wird mit der Erinnerung an meinen
langen Aufenthalt hier oben auch dein strahlendes Bild verknüpft sein. Möge
dir die Zukunft alles Gute in dem reichen Maße bringen, wie du es
verdienst. Das wünsche ich dir zum Abschiede.«

»Auch ich werde dir stets ein freundliches Erinnern bewahren,« antwortete
Benta herzlich. »Wenn ich später Gattin und Mutter geworden bin, so werde
ich meinen Kindern von dem wackern Freunde unseres Hauses, dem fernen
Erdensohne, erzählen, der sich bei uns so heimisch gefühlt, und dessen
Andenken wir alle dauernd in Ehren halten. Nimm dieses Andenken von mir mit
dir! Reise glücklich!« Nochmals ein inniger Händedruck, und Benta war
eilenden Schrittes im Hause verschwunden.

Frommherz hielt in seiner Hand ein kleines Etui. Als er es öffnete, fand er
in ihm ein meisterhaft ausgeführtes, edel eingerahmtes Miniaturbild Bentas.

»Welch große Freude macht mir dieses Bild,« rief Frommherz beglückt. »Ich
werde das kostbare Andenken zu schätzen wissen.«

»Daran zweifeln wir nicht,« bemerkte Bentan. »Erlaube mir, daß der
Großvater sich auch zur Enkelin gesellt.« Mit diesen Worten übergab er
seinem Gaste ein gleiches Etui mit seinem Bilde.

»Ihr beschenkt mich, der so wie so für immer euer Schuldner bleiben muß.«

»Sprich nicht davon! Nun laß auch mich dir Lebewohl sagen, denn morgen
früh, bevor ich aufstehe, bist du schon fort von hier. Mögest du glücklich
die Erde und deine Heimat wieder erreichen! Unsere aufrichtigsten Wünsche
für dein Wohlergehen begleiten dich.« Bentan umarmte den Erdensohn, küßte
ihn auf die Stirn und zog sich dann still in sein Gemach zurück.




Siebentes Kapitel.
Vorbereitungen zur Rückkehr.


Eine geraume Zeit schon befand sich Fridolin Frommherz wieder in seinem
alten Heim in Lumata. Die Kunde von seiner bevorstehenden Abreise nach der
Erde war ihm von Angola aus nach Lumata vorausgeeilt, und als er mit dem
würdigen Eran dahin zurückkehrte, war sein Empfang überall recht herzlich.
Aus dieser Aufnahme an dem alten Orte seines ersten Aufenthaltes fühlte der
Gelehrte deutlich heraus, wie die Marsiten seinen Entschluß beurteilten.
Unverhohlen wurde ihm jetzt eine Achtung gezeigt, die ihm einst, nach der
Trennung von seinen Gefährten, in diesem Umfange nicht bewiesen worden war.

Mit Energie wurde an der Herstellung des Luftschiffes gearbeitet, das in
jeder Hinsicht befähigt sein mußte, nicht nur den Weltenraum zu
durchschneiden, sondern auch die Marsiten, die des Erdensohnes Begleitung
bilden sollten, wieder auf den Lichtentsprossenen zurückzubringen. Die
großartige Entwicklung der technischen Wissenschaften auf dem Mars
ermöglichte die verhältnismäßig rasche Konstruktion eines den höchsten
Anforderungen genügenden Luftschiffes. Trotzdem aber verstrichen mit der
Erfüllung dieser wichtigen Aufgabe noch mehrere Monate.

Inzwischen wurden in Fridolins Herz wieder mehr und mehr die alten
Erinnerungen wach. Waren es doch nun schon vierzehn Jahre, seit er von
Cannstatts Wasen unter großem Hallo der Bevölkerung, unter dem Hurra von
Hunderttausenden aus nah und fern Herbeigeeilter abgefahren war. Das
fünfzehnte Jahr nach Erdenmaß war angebrochen, und noch immer weilte er in
Lumata. Jetzt brauchte es nur noch weniger Wochen Geduld, und die ernste
Stunde des Abschiedes für immer vom Mars und seinem edlen Volke sollte
schlagen. Für diese Riesenreise wurde alles in tadelloser, umsichtiger
Weise vorbereitet. Täglich wanderte der Erdensohn hinaus auf die ihm
wohlbekannte Wiese, auf der einst der »Weltensegler«, das Luftschiff, das
ihn und seine Gefährten hierhergebracht hatte, niedergegangen war, und auf
der nun auch sein Luftschiff gebaut wurde, und verfolgte den Fortschritt
der Arbeit.

Wenn Fridolin Frommherz auch die technischen Schwierigkeiten bei der
Herstellung eines Weltfahrzeugs von Cannstatt her nicht gänzlich unbekannt
waren, so vermochten doch die verwickelten Berechnungen, die dem
kunstvollen Bau zu Grunde lagen, sein Interesse nicht dauernd zu fesseln.
Er hatte allen Respekt vor der Technik und der mathematischen Wissenschaft,
aber kein richtiges Verständnis für sie. Ja, wenn Siegfried Stiller, sein
Freund, der berühmte Astronom, noch hier gewesen wäre! Der hatte einst den
»Weltensegler« bauen lassen nach seinen eigenen Berechnungen, hatte sich
alle bislang auf Erden errungenen technischen Fortschritte und Erfahrungen
zunutze gemacht und hatte ein Werk geschaffen, das die Bewunderung aller
Kulturnationen der Erde gewesen. Wie würde Freund Stiller gestaunt haben,
hätte er das Luftschiff der Marsiten sehen und seinen raschen Bau verfolgen
können!

Wie Freund Stiller so bauten auch die Marsiten nach dem starren System.
Aber hier auf dem Lichtentsprossenen war alles viel einfacher,
selbstverständlicher, fügte sich viel müheloser ineinander als beim
»Weltensegler« und war vor allem viel leichter als bei diesem. Denn wie
alles andere, so stand auch die Technik hier auf einer auf Erden nicht
gekannten erstaunlichen Höhe. Da wurden Metallegierungen hergestellt, die
in Bezug auf Leichtigkeit und Widerstandsfähigkeit alles auf Erden Gekannte
weit in den Schatten stellten.

Mit einer nahezu undurchdringlichen Stoffhülle aus seidenartigem Gewebe
wurde der Ballon wie mit einer schützenden Außenhaut umgeben. Zwischen
dieser und dem eigentlichen Ballon befand sich ein isolierender Luftraum,
der gleichsam eine Vermittlung zwischen den eisigen Temperaturen des
Ätherraumes und den gemilderten Temperaturen des Balloninnern herstellen
und einer Abnahme des Ballonvolumens infolge zu starker Abkühlung
entgegenwirken sollte.

Und wie bequem war die Gondel eingerichtet! Da war nichts vergessen, was
eine wochenlange Reise durch den eisigkalten, lichtlosen Ätherraum
erträglich gestalten konnte. In der Gondel befanden sich aber auch die
exaktesten Meßapparate, alles zu Höhen- und Positionsbestimmungen innerhalb
der Atmosphäre des Mars oder der Erde Erforderliche, auch die Vorrichtungen
zur Handhabung der Höhen- und Seitensteuer, große Mengen fester,
komprimierter Luft nebst einem außerordentlich handlichen
Zerstäubungsapparat, aufgespeicherte Elektrizität teils zur Fortbewegung,
teils zur Beleuchtung und Wärmeerzeugung; wurde doch die Temperatur im
Ätherraum auf hundertundzwanzig bis hundertundfünfzig Grad unter Null
geschätzt! Die an den Wänden angebrachten Lagerstätten ließen sich in die
Höhe klappen, wodurch tagsüber bedeutend an Raum gewonnen wurde. Auf die
praktischeste Weise waren Nahrungsmittel und andere Vorräte ebenfalls an
den Wänden untergebracht.

Fridolin Frommherz hatte das Gefühl, als könne seinen Freunden vom Mars
eine Weltenfahrt überhaupt nicht mißlingen, und freute sich über die
sichtbaren Fortschritte, die der Bau des eigentümlichen, seiner Vollendung
mehr und mehr entgegengehenden Luftschiffes machte. Ihm zu Ehren sollte es
den Namen »Fridolin Frommherz« tragen.

Als die große Arbeit endlich vollendet und der Tag der Abreise bestimmt
worden war, erboten sich fünf Marsiten aus dem Stamme der Ernsten und der
Findigen als freiwillige Begleiter des Erdensohnes. Es waren Sirian, der
Erbauer des Luftschiffes, der nun auch sein Lenker sein wollte, Zaran,
Parsan, Alan und Uschan. Zaran war ein Neffe des alten Eran. Der kühne Flug
sollte am fünfunddreißigsten Tage der »Zeit der Ruhe« angetreten werden.
Fridolin Frommherz zählte nach Erdenrechnung den siebenten Februar.

Am Abend vorher gab Eran dem Scheidenden zu Ehren ein Gastmahl, zu dem von
allen Seiten die Eingeladenen herbeiströmten. Auf blumengeschmückter Tafel
wurde dem Erdensohne noch einmal alles dargebracht, was der
Lichtentsprossene Herrliches an Früchten, Fischen und ähnlichen Dingen zu
bieten vermochte. Die ersten Künstler aus dem Stamme der Frohmütigen
verschönten mit Musik und Gesang und erhebenden Vorträgen den Abend. Dann
erhob sich Eran, der ehrwürdige Greis. In längerer Rede warf er einen
Rückblick auf den einstigen Besuch der sieben Schwaben, von denen der eine
nun so viele Jahre länger unter den Marsiten geweilt und die bei ihnen
bestehenden allgemeinen wie besonderen Lebensbedingungen am gründlichsten
kennen zu lernen Gelegenheit gehabt habe. Daß Freund Fridolin gleich seinen
Brüdern sich unten auf der Erde dem großen Werke der Menschenverbrüderung
widmen wolle, das sei der Grund seiner Rückkehr, den er, Eran, in seinem
ganzen sittlichen Umfange zu schätzen wisse. Möchte dem Tapfern ein schöner
Erfolg beschieden werden! In Lumata aber solle nun das schon längst
geplante Denkmal ausgeführt werden, das bestimmt sei, für immer die
Erinnerung an den Besuch der Erdgeborenen an dieser Stelle festzuhalten.

Als der ehrwürdige Greis im Silberhaar geendet hatte, dankte Fridolin
Frommherz mit wenigen, aber tiefempfundenen Worten für all das Gute und
Schöne, das ihm auf dem Lichtentsprossenen zuteil geworden, und das er nie
vergessen werde. Die Sehnsucht nach dem Mars-Paradiese und die Erinnerung
an die schönste Zeit seines Lebens werde ihn nie verlassen, ebensowenig
aber werde er jemals vergessen, welcher Höhe der Kultur die Menschheit
fähig sei, und was er auf dem Lichtentsprossenen gelernt, werde er auf
Erden zu verwirklichen suchen. Dann habe er nicht umsonst gelebt.

Musik und Gesang schlossen die schöne Feier.

Dann kam für Fridolin Frommherz die letzte Mondnacht auf dem Mars mit all
ihrem Zauber zweier Leuchten. Noch einmal wanderte er ganz allein hinaus
vor die Stadt, atmete noch einmal in tiefen Zügen die wunderbar weiche und
doch würzige Luft, schaute trunkenen Auges den fast durchsichtig klaren
Himmel und die vielen, unzähligen Welten, die da oben in eigenem oder
erborgtem Glanze strahlten, und gelobte sich noch einmal, den Glauben
festzuhalten an den endlichen Sieg des Guten. So, wie es auf dem
Lichtentsprossenen war, mußte es einmal auf Erden werden. Kein Mißerfolg
würde künftig diese Zuversicht zu erschüttern vermögen.

In gehobener Stimmung kehrte der Erdensohn in Erans gastliches Heim zurück,
um noch ein paar Stunden der Ruhe zu pflegen.

Wie einstmals, als Fridolins sechs Gefährten schieden, so zog auch diesmal
Eran mit der gesamten Bevölkerung Lumatas am andern Tage in aller Frühe mit
dem Abreisenden hinaus auf die historisch gewordene Wiese. Ein
Händeschütteln, laute Zurufe glücklicher Reise von allen Seiten, eine
letzte Umarmung Erans, dann bestieg Fridolin Frommherz als letzter die
Gondel. Die Taue wurden gekappt; das Luftschiff setzte sich in
pfeilschnelle Bewegung und trug den kühnen Schwaben hinweg aus dem
Paradiese des Mars der heimatlichen Erde zu.




Achtes Kapitel.
Auf der Fahrt im Weltraum.


Einen langen Abschiedsblick voll Liebe und Dankbarkeit warf Fridolin
Frommherz aus seiner luftigen Höhe hinab auf den Lichtentsprossenen, auf
dem er so viel Gutes genossen, wo sein ganzes inneres Wesen umgeformt
worden war. Den inhaltreichsten Abschnitt seines Lebens hatte er da
verlebt. Nie würde er den strahlenden Bruderplaneten seiner irdischen
Mutter wieder betreten. Wie in flüssiges Gold getaucht flimmerten und
funkelten da unten die langen Wasserlinien der Kanäle, die er mit hatte
bauen helfen. Es war, als wiche die Landschaft da unten zu des Erdensohnes
Füßen immer mehr zurück, als wäre sie es, die sich fortbewegte, als stände
das Luftschiff still, so sicher und ohne Schwankung trug es seine Insassen
in die Höhe. Schon waren die Freunde da unten kaum noch als winzige Punkte
sichtbar; Bäume und Bauten erschienen wie kurze Striche. Und bald schwanden
auch sie; es blieb nur das sonnige Glitzern und Flimmern, das auf der
vergoldeten Landschaft lag, bis auch dieses erlosch und beim Verlassen der
Marsatmosphäre die Nacht des Ätherraumes die kühnen Luftschiffer umfing.

Künstliches Licht, künstliche Erwärmung, künstliche Luftverteilung waren in
Tätigkeit getreten. Man begann, es sich in der Gondel bequem zu machen, die
fünf Marsiten natürlich nur, soweit es ihnen der strenge Dienst gestattete.
Fridolin Frommherz, der einzige Passagier, aber richtete sich nach
Geschmack und Gutdünken ein. Seinem Wunsche gemäß sollte auch er zuweilen
zur Bedienung der Instrumente Verwendung finden; doch war er
naturwissenschaftlich und technisch zu wenig geschult, um regelmäßigen
Dienst an verantwortungsreichen Posten tun zu können. So blieb ihm freie
Zeit in Fülle.

Die Schrecknisse einer Weltenreise hatte der Erdensohn schon einmal
durchgekostet. In den vierzehn Jahren, die darüber verflossen waren, war
die Erinnerung daran stark verblaßt. Jetzt lebte sie allmählich kräftiger
wieder auf. Besonders lebhaft standen ihm zwei Dinge vor Augen: die
Langeweile, die ihn und seine Gefährten von damals geradezu krank gemacht
hatte, als die Reise nach monatelanger Dauer noch immer kein Ende nahm, als
der Aufenthalt in der engen Gondel unerträglich geworden, und die
Sparsamkeit, die ihnen damals in Bezug auf den Wasserverbrauch auferlegt
gewesen war. Die Langeweile würde sich diesmal bei Fridolin Frommherz
weniger fühlbar machen, war er doch ein anderer, ein geistig Höherstehender
geworden, der diese letzten Wochen des Verkehrs mit Marsiten wohl
auszunutzen wissen würde; auch würde bei der außerordentlich entwickelten
Technik und bei der Geschicklichkeit der Marsiten die festgesetzte
Reisedauer von drei Monaten kaum überschritten werden.

Wie aber stand es mit dem Wasserverbrauch? Fridolin sah sich um. Das neben
seinem Bett befindliche und wie dieses aufklappbare Waschbecken schien ihm
größer als einst beim »Weltensegler« zu sein. Durfte er daraus auf größere
Mengen mitgenommenen Wassers schließen? Wo das wohl untergebracht sein
mochte? Zaran, der Neffe des alten Eran, begegnete seinem suchenden Blick.

»Fehlt dir etwas, Fridolin?« fragte er freundlich. »Gern erfüllen wir deine
Wünsche, wenn das im engen Gondelinnern möglich ist.«

»Hab' Dank, Zaran!« erwiderte der Erdensohn. »Mir fehlt nichts. Ihr habt ja
so vortrefflich für alles gesorgt. Ich fragte mich bloß, wo ihr die für die
lange Reise notwendige Wassermenge untergebracht habt. Der eiserne Behälter
dort und die wenigen wasserführenden Röhren dürften doch wohl nicht
genügen.«

»Komm mit!« sagte der Marsite lachend und führte den Erdensohn zu einem
sehr kompliziert aussehenden Apparate, den er durch einen leichten Druck
mit der Hand in Tätigkeit setzte. Ein frischer Windhauch strich da
plötzlich über Fridolins Stirn. Er atmete mit Wonne die rasch sich
erneuernde Luft. Nach wenigen Augenblicken sah er, wie an einem Teile des
Apparates sich kleine Wassertropfen sammelten und in einen eigens zu diesem
Zwecke vorhandenen Behälter flossen.

»Woher kommt das Wasser?« fragte er erstaunt.

»Aus der verbrauchten Luft,« antwortete der Marsite, und als Fridolin
Frommherz ihn nicht zu verstehen schien, fuhr er fort: »Siehst du, lieber
Freund, das ist unser System der Sparsamkeit, das wir überall zu üben
gewohnt sind. Es darf in unserm Haushalte nichts verloren gehen. Dieser
Apparat hier ist so konstruiert, daß ich aus ihm nicht nur die Luft
erneuern, sondern auch in ihm die verbrauchte Luft sammeln kann. Die
letztere spaltet sich wieder in ihre Elemente, die alsbald von neuem
verwertet werden können. Was aber an Wasserdampf in ihr vorhanden ist, das
zwingen wir zum Niederschlag, zur Sammlung in diesem Behälter.«

»Wie sinnreich! Wie außerordentlich praktisch!« rief Fridolin froh
erstaunt. »Aber wird uns das so gewonnene Wasser auch genügen?«

»Nein, lieber Freund, sicherlich nicht! Ich wollte dir bloß zeigen, wie man
sparen kann. Wir führen außer einer ziemlich beträchtlichen Menge
natürlichen Wassers auch alles zur künstlichen Wasserbereitung Notwendige
mit uns. Sei also ohne Sorge! An Wasser werden wir auf der langen Reise
keinen Mangel leiden.«

Da winkte Sirian, der am Steuer stand, den Erdensohn zu sich heran.

»Willst du einen Blick auf unsere große nächtliche Leuchte werfen?« fragte
er. »Die kleine hast du bereits im Gespräch mit Zaran verpaßt.«

Rasch trat Fridolin an das vordere Fenster.

»Nein,« sagte Sirian, »sieh hier hinaus!« Dabei schob er eine am Boden der
Gondel befindliche Klappe zurück. Darunter befand sich ein kleines,
festverschlossenes Fenster aus glimmerartiger Substanz. Durch dieses bot
sich Fridolin Frommherz ein wundervoller Anblick. Das Luftschiff schwebte
gerade mitten über Deimos, dem großen Marsmonde. Gewaltige gelbbraune
Bergriesen starrten zwischen weiten, öden Sandflächen empor. Alles kahl,
leer, ausgebrannt, aber bestrahlt von solch grellem Sonnenlichte, daß
Fridolin Frommherz geblendet die Augen schloß und sich vom Fenster
abwandte. Als er die Augen wieder öffnete, sah er Sirian in flinker
Tätigkeit mit einem Apparate, der einem Fernrohre glich und doch wieder
eine Menge Teile zeigte, die ein Fernrohr sonst nicht zu besitzen pflegt.

»Was macht Sirian da?« fragte er leise, um den Arbeitenden nicht zu stören,
den ebenfalls herbeigekommenen Uschan.

»Photographische Aufnahmen der Mondlandschaft,« erwiderte dieser ebenso
leise. »Wir verbinden mit deiner Heimbeförderung nach der Erde noch eine
Reihe wissenschaftlicher Aufgaben. Ist doch Sirian einer unserer
bedeutendsten Astronomen. Du wirst noch mehr als einmal zu staunen
Gelegenheit haben.«

»Werdet ihr auch den Mond der Erde besichtigen?« fragte Fridolin.

»Diesen erst recht. Nach unsern eigenen nächtlichen Leuchten, die wir
übrigens aus unsern sehr scharfen Fernrohren schon genau kennen, gelangen
wir eher wieder einmal, nach der Erde und deren Monde nicht wieder.«

»So werdet ihr euch wenigstens eine Zeitlang auf Erden aufhalten, euch
ausruhen, erholen und dabei ihre Einrichtungen studieren?«

»Nein, lieber Freund,« erwiderte Uschan. »Wir haben die strikte Weisung
sofortiger Rückkehr. Uns genügt die Schau von oben aus der Luft herab. Da
sehen wir zur Genüge, was die Erde als Weltkörper ist und zu bedeuten hat.
Ihre Einrichtungen kennen wir durch dich und deine Brüder. Unsere Kultur
ist die ältere, vorgeschrittenere; wir können von euch nichts lernen. Das
Ziel der Menschenentwicklung aber liegt vorwärts, nicht rückwärts.«

Fridolin Frommherz schwieg. Was hätte er auch darauf erwidern können?
Uschan hatte nur allzusehr recht. Die irdischen Einrichtungen mußten
Menschen von so hoher Kultur, wie es die Marsiten waren, barbarisch
erscheinen.

»Sage einmal, Freund Fridolin,« wandte sich Sirian, der seine
augenblickliche Arbeit vollendet hatte, an den Erdensohn, »wie kamt ihr da
unten auf der Erde auf den Gedanken, unserm Lichtentsprossenen den Namen
»Mars« zu geben?«

Fridolin Frommherz überlegte eine Weile.

»Sein rötliches Licht mag wohl die Ursache zu seiner Benennung gewesen
sein,« sagte er dann. »Es lebte auf Erden einmal ein starkes, kriegerisches
Volk. Dem galt Tüchtigkeit im Kampfe, Mut und Ausdauer und Tapferkeit in
solchem Maße als höchste Tugend, daß es sich eigens einen Gott des Krieges
formte. Mars benannte es ihn. Phobos und Deimos waren seine Söhne.«

»Was aber haben wir und unsere Monde mit einem phantastischen Gotte des
Krieges zu schaffen? Wir kennen keinen Krieg, nur friedliche Schlichtung
aller Streitfragen. Einmal freilich hat es auch bei uns Zeiten gegeben, da
Bruderblut floß. Mit Grauen und Abscheu gedenken wir ihrer heute. Seit
Jahrtausenden schon sind sie überwunden.«

»Hätte man unten auf der Erde von euch und eurer hohen Kultur gewußt,«
sagte Fridolin, »man hätte euerm Planeten sicherlich einen würdigeren Namen
gegeben. So aber mahnte sein rötlicher Glanz die Menschen an die blutige
Fackel des Krieges, und der Name des Kriegsgottes ward zu dem euren.«

                   *       *       *       *       *

Mehrere Wochen schon waren Fridolin Frommherz und die fünf kühnen Marsiten
unterwegs. Störungen waren nicht eingetreten. Fast täglich waren kleine
Meteoriten, von der Größe des Luftschiffes angezogen, auf dieses gestürzt,
ohne ihm Schaden zuzufügen. Einmal war es auch einer wahren himmlischen
Kanonade von lauter kleinen Wurfgeschossen ausgesetzt gewesen, und Fridolin
Frommherz fing es schon an etwas unheimlich zumute zu werden -- eine breite
Narbe auf seiner Stirn legte Zeugnis ab von einer früheren Begegnung mit
einem Meteoritenschwarm -- aber auch der ging diesmal vorüber, ohne Schaden
zu stiften.

Die wissenschaftlichen Apparate waren in beständiger Tätigkeit und
erforderten so große Aufmerksamkeit von seiten der fünf Marsiten, daß der
Erdensohn meist auf sich allein und die eigene Gesellschaft angewiesen war.
Trotzdem zeigte sich das Gespenst der Langweile nur sehr selten. Denn was
gab es nicht alles in diesem Gondelinnern zu sehen, zu lernen, in das
Tagebuch einzutragen! Einen breiten Ring von Meteoren hatte das Luftschiff
vorhin durchschnitten. Viele hundert Millionen Kilometer sollte seine
Länge, Hunderttausende von Kilometern die Tiefe und die Breite betragen --
wer vermochte sich das vorzustellen?

Fridolin Frommherz schüttelte den Kopf.

»Mit solchen Zahlen bin ich nicht zu rechnen gewöhnt,« sagte er; »es ist
mir unmöglich, eine klare Vorstellung damit zu verbinden.«

Da rief ihn Sirian an das Teleskop.

»Sieh hier, wonach ich suchte! Nach unsern Erfahrungen der König eines
jeden Meteoritenringes.«

Ein lautes, bewunderndes Ah! entschlüpfte Fridolins Lippen. Ein Komet! Ein
glänzender König inmitten seiner dunkeln Dienerschar. Es war ein Komet mit
wunderbar leuchtendem Kopfe, von schimmernder Nebelhülle umgeben und einem
sich über Hunderttausende von Kilometern erstreckenden glänzenden Schweife.
Und durch diesen Schweif hindurch schimmerte ein Stern, eine Sonne, die
noch millionenmal weiter entfernt war als der schöne Fremdling inmitten des
Meteoritenschwarmes. Und so wunderbar hell leuchtete der Stern, als ob
keine verschleiernde Hülle zwischen ihm und dem menschlichen Auge läge. Wie
leicht und durchsichtig und luftig die gasförmige Substanz eines solchen
Kometenschweifes sein mußte!

Zuweilen zeigte Sirian dem Erdensohne Sterne, die aus weiter,
nachtschwarzer Ferne auftauchten, wenn das Luftschiff auf seiner Fahrt die
Lichtstrahlenbahn eines solchen Gestirnes kreuzte. Dann trat Sirians
wundervolles Teleskop wieder in Tätigkeit, und was er da Fridolin Frommherz
vor Augen führte und erklärte, machte diesen fast schwindeln. Es eröffnete
sich ihm ein Blick in die wahre Weltgeschichte, in den Werdegang der
Himmelskörper, wenn er die zahllosen Sonnen im unbegrenzten Raume, im
schrankenlosen All ihre verschlungenen Bahnen ziehen sah, wenn er
leuchtende, über ungeheure Räume des Himmels verteilte Nebelflecke durch
das Spektroskop als sehr verdünnte, glühende Gasmassen erkannte, wenn er an
andern Stellen die Nebelflecke sich bereits zu Sternen verdichten sah --
Nebelflecke, die vielleicht in so unberechenbaren Fernen lagen, daß das von
ihnen ausgehende Licht wohl Hunderte von Jahren unterwegs gewesen war, ehe
es Fridolins Auge traf. Da sollten sich seine Augen und seine Gedanken, die
Augen und die Gedanken eines kleinen Menschenkindes, an ein fortwährendes
Kreisen von wirbelnden, leuchtenden Welten gewöhnen, die sich ruhelos im
Universum jagten, eine jede mit eigener Bewegung, eine jede auf ihrer
eigenen Bahn und doch alle gehorchend denselben unabänderlichen Gesetzen.
Myriaden von lodernden Sternen, werdenden und gewordenen Sonnen -- welche
Phantasie wäre kühn genug, solches zu erfassen?

»Freund Fridolin,« sagte Sirian eines Tages, nachdem er Uschan das Steuer
übergeben und sich's an einem der auf- und abklappbaren Tische der Gondel
bequem gemacht, »wir werden in wenigen Stunden außerordentlich
Interessantes schauen.«

»Ungeahnt ist die Fülle des Neuen und Interessanten auf solch
außergewöhnlicher Reise!« antwortete der Erdensohn fröhlich. »Doch sag mir,
Sirian, ist's ein neuer Komet, dem wir begegnen werden? Oder wieder eine
jener wunderbar glänzenden Sonnen, deren Entfernungen ihr mit Zahlen
berechnet, die mich schwindeln machen?«

»Diesmal ist's keines von beiden,« versetzte der Marsite. »Wir kommen sehr
nahe an einem der kleinsten Kinder des Lichts vorbei.«

»Nahe an einem Planeten kommen wir vorbei?« rief Fridolin Frommherz
erstaunt. »Wie ist das möglich? Nie habe ich gehört, daß zwischen Mars und
Erde die Bahn eines Planeten läge!«

»Es handelt sich um eines jener äußerst kleinen Kinder des Lichts, die ihr,
wie ich aus deinen Karten und Büchern sah, Planetoïden nennt.«

»Aber die liegen doch jenseits der Bahn des Lichtentsprossenen, zwischen
Mars und Jupiter,« beharrte der Schwabe.

»Im allgemeinen hast du ganz recht,« erwiderte Sirian, »deshalb sind diese
Planetoïden, um mich deines Namens zu bedienen, auch von uns viel besser
gekannt als von euch. Ihr zählt ihrer etwa fünfhundertundfünfzig, aber ich
sage dir, daß ihre Zahl mit tausend noch viel zu niedrig angegeben ist. Ein
riesiger Weltkörper muß da einmal geborsten sein, wo nun seine Trümmer in
stark exzentrischen Bahnen das ewige Licht umkreisen. Da ist nun eines
jener Trümmerstücke, -- Eros nennt ihr den Planetoïden auf euren
Himmelskarten, -- dessen Bahn hält sich näher an der Sonne als die aller
andern Planetoïden, und so bedeutend reicht sie zwischen Marsbahn und Sonne
hinein, daß sie im Mittel innerhalb der Bahn des Lichtentsprossenen liegt.
Eros kann der Erde fast um ein Drittel, rund um vierzehn Millionen
Kilometer näher kommen als unser Lichtentsprossener, und Eros ist's, den
wir jetzt treffen werden.«

»Das ist ja eine herrliche Aussicht!« rief der Erdensohn froh. »Aber sag
mir, Sirian, birgt diese Begegnung keine Gefahr für uns?«

»Von Gefahren sind wir auf einer solchen Reise jede Minute umgeben. Ich
halte es für möglich, daß wir uns Eros nähern können, ohne selbst Schaden
zu nehmen, ist er doch nicht größer als einer unserer kleinen Marsmonde.
Wir werden gerade auf ihn zuhalten, unter Umständen sogar in seine
Atmosphäre eindringen.«

»Eine Atmosphäre hat der kleine Planet auch?« fragte Fridolin erstaunt.
»Also hat er doch etwas vor euren Monden voraus!«

»Ja,« sagte Sirian, »durch das Spektroskop haben wir festgestellt, daß
nicht nur dieses kleine Kind des Lichts, sondern auch seine etwas größern
Geschwister Ceres, Pallas, Juno und Vesta eine Atmosphäre, ähnlich der
unsrigen, besitzen. Mehr zu erkennen, war uns bei der Winzigkeit des Eros
nicht möglich. Jetzt aber werden wir sehen, ob er Wasser und Festland,
Berge und Täler und lebende Wesen birgt, die uns ähnlich sind.«

Aller Erwartungen waren aufs höchste gespannt, als das Luftschiff wirklich
wenige Stunden später Eros ganz nahe kam. Aber der kleine Planet verhüllte
den Beobachtern sein Antlitz. Dunst, Nebel und Wolken machten seine
Oberfläche für den Weltraum unsichtbar. Durch die Trübung seiner Atmosphäre
wurde das Sonnenlicht so sehr nach außen zurückgeworfen, daß es wie ein
undurchdringlicher blendender Lichtschein über ihm lag.

»Seht ihr den Dunst und die Wolken?« rief Sirian, der die Steuerung wieder
übernommen hatte. »Eros hat nicht nur Luft, sondern auch Wasser, die
Grundbedingung jedes organischen Lebens. Laßt uns nun in seine Atmosphäre
eindringen, um zu sehen, ob er auch festes Land besitzt!«

Mit Aufbietung aller seiner technischen Hilfsmittel suchte Sirian nun sein
Luftschiff so langsam wie möglich zu Fall zu bringen. Das war infolge der
Anziehung des kleinen Weltkörpers, dessen Masse doch der des Luftschiffs
viel hundertmal überlegen war, eine äußerst schwierige Sache. Obgleich das
Steuer der Hand Sirians beim leisesten Druck gehorchte, erreichte die durch
die Reibung mit der Erosatmosphäre beim Eintritt in dieselbe erzeugte Hitze
einen sehr hohen Grad. Glücklicherweise waren auch die oberen Luftschichten
um Eros lebhaft bewegt und brachten den Reisenden, die die Gondelluken
öffneten, etwelche Kühlung.

»Eine Bergspitze!« rief Zaran plötzlich.

Und wirklich, über einen dichten Wolkenschleier empor ragte der Gipfel
eines Berges, mit sanftem Grün überzogen. Eine Vegetation besaß der kleine
Eros also auch. Und nun teilten sich die Wolken. Da lag Land unter den
Reisenden, Wald und Feld und Wiesenland und dann das offene Meer. Aber so
klein war der ganze Weltkörper, daß die Insassen des Luftschiffes von ihrem
hohen Standpunkte aus Nord- und Südpol zugleich schauen konnten. Beide
waren auffallend stark abgeplattet. Staunend sagte sich der Schwabe, daß
die Oberfläche dieser ganzen Halbkugel des Eros kaum mehr als die
Oberfläche eines kleinen deutschen Fürstentums betrage. Und solch ein
winziges Weltganzes führte hier ein kosmisch unabhängiges Dasein! Während
sich Fridolin noch darüber wunderte, wurde es fast plötzlich Nacht.

»Wie schade,« bedauerte der Erdensohn, »schon Nacht, und wir haben erst so
wenig gesehen!«

»Wir werden nach Osten fahren,« sagte da Sirian, »der Sonne entgegen. Eros
dreht sich -- nach Erdenzeit -- in fünf Stunden und vierzehn Minuten um
seine Achse. Die Dauer seiner Nacht kann also nicht mehr als zwei Stunden
und sieben Minuten betragen. Diese wenigen Nachtstunden kürzen wir für uns
noch um die Hälfte ab, indem wir der Sonne entgegenfahren.«

Sie fuhren nach Osten. Und über der östlichen Halbkugel, über einer ganz
neuen Gegend, ging bald darauf die Sonne wieder auf. Wohl angebautes
Hügelland lag jetzt unter ihnen. Es bildete eine äquatoriale Wasserscheide.
Nordwärts und südwärts zogen schmale Flußläufe bis in die winzigen polaren
Meere. Ungefähr ein Viertel des kleinen Weltkörpers war mit Wasser bedeckt,
drei Vierteile bestanden aus Festland. Höhere Berge waren auf der östlichen
Halbkugel nicht vorhanden.

Sirian brachte das Luftschiff noch mehr zum Sinken.

»Wir wollen Umschau halten nach lebenden Wesen, die uns ähnlich sind,«
sagte er. »Deuten doch die bebauten Felder zur Genüge darauf hin, daß Eros
bewohnt ist.«

Alle Insassen des Luftschiffes schauten gespannt durch die Gondelluken
abwärts. Und wirklich, da unten rotteten sie sich zusammen, die Bewohner
dieses winzigen Weltkörpers. Wie abwehrend erhoben die einen die Arme,
andere ballten die Fäuste und schüttelten sie gegen das Luftschiff.
Verwünschungen, in einer eigentümlich rauhen Sprache ausgestoßen, trafen
das Ohr der Reisenden. Trotzdem sank das Luftschiff weiter. Deutlich konnte
man jetzt die teils ängstlichen, teils zornigen Gesichter der in grobe,
aber bunte Gewebe gehüllten Leute erkennen, Männer, Frauen und Kinder. Es
waren große, stattliche Gestalten, ebenmäßig gewachsen, mit reichem Haar,
das den Männern bis auf die Schultern hing, während die Frauen das ihrige
im Nacken zu einem Knoten geschlungen trugen.

»Wo sind denn ihre Wohnungen?« fragte Fridolin. »Vergeblich schaue ich nach
Häusern aus.«

»Siehst du nicht dort, in die Hügelreihen eingebrochen, jene rechteckigen
Öffnungen?« rief Uschan. »Offenbar sind das die Eingänge zu einer Art von
Höhlenstadt, wohl zum Schutze gegen den außerordentlich langen, strengen
Eroswinter errichtet.«

»Also bloß Höhlenbewohner,« sagte Fridolin im Tone des Bedauerns.

»Lieber Freund, bedenke, daß die Bahn dieses kleinen Planeten in der Zeit
seiner Sonnenferne noch jenseits der Bahn unseres Lichtentsprossenen liegt,
daß Eros den eisigen Weltraum zwischen Mars und Jupiter durcheilt, wo ihn
die Sonnenstrahlen so schräg treffen, daß kaum ein fahles, graues Licht,
ohne wärmende Kraft, seine kurzen Tage erhellt. Du kennst die eisigen
Temperaturen des Weltraumes. Ihnen ist Eros auf seiner stark exzentrischen
Bahn, nach Erdenmaß gemessen, nahezu ein Jahr lang ausgesetzt. Wunderst du
dich noch, daß seine Bewohner lieber im Innern ihres Bodens Schutz und
etwas Wärme suchen, statt Häuser zu bauen?«

Fridolin wunderte sich nicht mehr. Sirian brachte jetzt das Luftschiff
wieder zum Steigen.

»Wir haben gesehen, was wir sehen wollten,« sagte er, »und wollen diese
armen Wesen nicht länger ängstigen. Sie scheinen zwar intelligent, aber im
Vergleiche mit uns noch auf einer ziemlich niedrigen Stufe der Entwicklung
zu stehen.«

»Auch sie werden einst, in hunderttausend Jahren vielleicht, zur Höhe der
gepriesenen Kultur des Lichtentsprossenen emporsteigen,« rief Fridolin
Frommherz begeistert.

»Nein, lieber Freund,« sagte Sirian, »du irrst dich; unsere Höhe werden die
Erositen nicht erklimmen.«

»Wie?« fragte der Erdensohn erstaunt, »ist es möglich, daß du Wesen, die
schon eine gewisse Kulturstufe erreicht haben, die Fähigkeit der
Weiterentwicklung absprichst?«

»Das tue ich nicht,« erwiderte Sirian; »ich denke nur, daß es unsern
Erositen an Zeit fehlen wird, so hoch zu steigen. Ihr kleiner Planet wird
seine Atmosphäre nicht festzuhalten vermögen. Vielleicht schon in tausend
Jahren ist alles Leben auf ihm erloschen, verschwunden seine Luft,
verdunstet sein Wasser; kalt und starr und tot wie unsere Monde zieht dann
Eros seine Bahn um das ewige Licht.«

Da warf der Erdensohn einen wehmütigen, bedauernden Blick auf die kleine
Welt hinab, die infolge ihrer Winzigkeit zu einem vorzeitigen Absterben
verurteilt war, und es war doch so schön, zu wachsen und sich zu
entwickeln!

Dann verließ das marsitische Luftschiff die Atmosphäre des Eros und
schwebte wieder draußen im kalten, lichtlosen Ätherraume der Erde zu.

Eines Nachts -- schon befanden sich die Reisenden in der Anziehungssphäre
der Erde, und Fridolin Frommherz genoß noch den tiefen, ungestörten Schlaf
in der absoluten Stille des Weltraumes -- da wurden die Insassen der Gondel
plötzlich vom wachenden Uschan geweckt.

»Ein glühender Körper nähert sich unserm Luftschiff,« sagte er. »Zwar ist
er noch fern, aber grell sticht sein Glanz vom undurchdringlichen Dunkel
des Raumes ab. Er scheint unsere Bahn zu kreuzen. Wir müssen zu wenden
suchen.«

Noch ehe Uschan ausgesprochen, war Sirian an der vorderen Luke.

»Ein Meteorit von ungeheuren Dimensionen!« rief er, mit aller Macht das
Steuer rückwärts drehend. »Wir müssen so rasch wie möglich aus seiner
gefährlichen Nähe, sonst sind wir verloren!«

Da sich aber das Luftschiff schon im Bereiche der irdischen Anziehung
befand und der Erde mit einer Geschwindigkeit von fünfunddreißigtausend
Kilometer in der Stunde entgegenstrebte, gehorchte es der steuernden Hand
nicht mehr unbedingt. Statt zu wenden oder seitwärts auszuweichen,
verlangsamte sich nur seine Bewegung unter dem ausgeübten Drucke, aber die
Richtung blieb dieselbe. Es war das erstemal seit der Abfahrt vom
Lichtentsprossenen, daß den kühnen Durchschiffern des Ätherraumes Gefahr in
nächster Nähe drohte. Was tun? Immer näher raste die gewaltige, glühende
Kugel mit nicht zu bestimmender Geschwindigkeit, wohl Tausende von
Kilometern in einer einzigen Minute. Das Herz schlug in diesem Augenblicke
nicht nur dem Erdensohne rascher. In wenigen Minuten mußte der Zusammenstoß
erfolgen. Noch einmal drehte Sirian das Steuer mit aller Kraft.

»Es wird nichts mehr nützen,« murmelte er dabei, »selbst wenn jetzt das
Wenden gelingt; wenn wir wirklich noch ausweichen können, werden wir von
der vielleicht tausendmal größeren Masse des Meteoriten angezogen werden --
sein gluthauchender Schlund wird uns nur ein paar Augenblicke später
verschlingen.«

Da geschah etwas so Wunderbares, wie es keiner der Insassen des
marsitischen Luftschiffes in solcher Schönheit und Großartigkeit je erlebt
hatte: der Meteorit platzte, zerbarst in Tausende von sich jagenden Teilen.
In allen Farben sprühten sie auf, stürzten auf einander, platzten von neuem
in immer neuem Farbenspiel; grüne, gelbe, rote, blaue Flammen durchzuckten
den nachtschwarzen Ätherraum, züngelten empor in lodernder Glut und
erloschen.

Und als es wieder Nacht um sie geworden, da wußten die kühnen Reisenden,
daß sie gerettet waren, gerettet im Augenblicke höchster Gefahr, als selbst
marsitische Technik und Gewandtheit gegenüber den Allgewalten der Natur zu
versagen drohten.

Und immer weiter flog das Luftschiff, unbeirrt von allem, was ihm
begegnete, mit wunderbarer Sicherheit von Sirians Führerhand direkt auf die
Erde zu gesteuert. Der Besuch auf dem Monde, das erste Verlassen der Gondel
seit nahezu drei Monaten, stand als nächstes Ereignis bevor.




Neuntes Kapitel.
Eine Station auf dem Monde.


»Wir haben Glück,« sagte Sirian zufrieden lächelnd, als sich die kühnen
Reisenden dem toten Sohne der Mutter Erde näherten, »denn der Mondtag neigt
sich seinem Ende zu.«

»Warum wünschtest du am Abend auf dem Monde zu landen?« fragte Fridolin
Frommherz.

»Weil ich seinen Tag wie seine Nacht kennen lernen möchte.«

»Wäre das nicht auch möglich gewesen, wenn wir morgens oder mittags
angekommen wären?«

»Lieber Fridolin, bedenke die Länge eines Mondtages! Vierzehn Erdentage
bilden einen einzigen Tag auf dem Monde, vierzehn weitere Tage eine einzige
Mondnacht!«

Fridolin Frommherz war an eines der Fenster getreten. Eine solche
überwältigende Lichtfülle strömte ihm entgegen, daß er geblendet die Augen
schloß. Uschan reichte ihm ein schwarzes Glas, und nun war es den Augen des
Erdensohnes möglich, hinabzuschauen auf die in grellstem Sonnenlichte
strahlende Mondlandschaft, über der das Luftschiff schwebte. Da stiegen
hohe, schroffe Felsenmassen zu unheimlicher Höhe empor, lange, tiefschwarze
Schatten werfend, die im Gegensatz zu dem blendenden Lichte doppelt schwarz
erschienen. Fürchterliche Abgründe gähnten ihm aus Riesenkratern entgegen,
aus deren Tiefe sich wiederum ein spitzer, kegelförmiger Berg erhob. Da
türmten sich Gipfel an Gipfel, da klafften Spalten und weiteten sich Täler,
übergossen vom grellsten, durch keine Atmosphäre gemilderten Sonnenglanz
und mit schwarzen Schatten, die an Dunkelheit und Schärfe ihresgleichen
nicht hatten. Vergeblich aber suchte das Auge nach einem Tropfen Wasser,
nach einer Spur von Grün.

Langsam brachte Sirian das Luftschiff zum Sinken. Mit großer Sicherheit
landete es auf einer weiten, sandigen Fläche. Zaran brachte sechs
eigentümliche, vollständig durchsichtige und doch äußerst feste,
glockenartige Kopfbedeckungen herbei. Fridolin Frommherz stülpte die seine,
dem stummen Beispiele der Marsiten folgend, über den ganzen Kopf bis zum
Halse, wo sie fest geschlossen wurde.

»Wozu das?« wollte er fragen, aber niemand hatte jetzt Zeit, ihm Auskunft
zu geben. Jetzt öffnete Sirian die Gondeltür und betrat als Erster den
Boden, auf dem noch kein Wesen geatmet hatte. Rasch folgten die übrigen.
Alle beteiligten sich an der Arbeit des Festlegens ihres Luftschiffes. Doch
schien es Fridolin Frommherz, als müsse die Arbeit ganz besonders schwierig
sein. Immer wieder prüfte Sirian die Anker und Ketten und festigte bald da
bald dort. Auf dem Lichtentsprossenen war es anders gewesen. Weder Landung
noch Festlegen hatte da bei Luftschiffahrten besondere Schwierigkeiten
verursacht. Keiner der Marsiten sprach ein Wort; auch hörte Fridolin keine
Kette klirren, keinen Hammerschlag, noch irgend ein Geräusch der Werkzeuge,
die doch in voller Tätigkeit waren. Eine geisterhafte Stille herrschte,
eine Stille, die unheimlich war und bedrückte. Der Erdensohn sah sich um.
Da wölbte sich über ihm ein dunkler Himmel, schwarz wie Tinte, wolkenlos,
darin brannte eine Sonne, die er selbst durch sein geschwärztes Glas kaum
zu betrachten vermochte, und neben der Sonne standen Tausende von
glänzenden Sternen, die trotz Sonnenglanz am schwarzen Himmel funkelten.
Und ein großer, dunkler, von hellem Lichtrande umgebener Körper hing am
Himmel. Das mußte die Erde sein. Dreizehnmal so groß muß sie, vom Monde aus
gesehen, sich ausnehmen wie der Vollmond, von der Erde aus betrachtet!

»Wie seltsam das alles ist, der Himmel so schwarz und die Sterne am Tage
sichtbar!« sagte Fridolin Frommherz zu den Marsiten, die endlich ihre
Arbeit vollendet zu haben schienen. Merkwürdig gedämpft klang ihm die
eigene Stimme entgegen. Von den Marsiten erhielt er keine Antwort. Da war
Totenstille rings umher. Da vernahm man keinen Ton. Da bewegte sich kein
Lufthauch, da plätscherte kein Bach, da schwirrte kein Vogel, da summte
kein Käfer; lautlos waren die Tritte der Menschen, die hier gingen. Die
Sonne brannte, und nichts milderte ihre Glut; trotz Sonnenglut aber war der
Boden eisig kalt, seine Temperatur unter Null Grad.

»Wie kommt es, daß der Boden bei dieser Hitze so kalt ist?« fragte der
Erdensohn.

Wieder erhielt er keine Antwort. Die Marsiten, die jetzt mit Messungen und
photographischen Aufnahmen beschäftigt waren, schienen seine Worte gar
nicht gehört zu haben. Keiner der sonst so freundlichen Männer wandte sich
nach ihm um. Da fing es Fridolin an, unheimlich zu werden. Rasch trat er
auf den ihm zunächst stehenden Zaran zu und faßte ihn am Ärmel. Der Marsite
wandte das Gesicht dem Erdensohne zu und neigte sich so weit zu ihm, bis
seine glockenartige Kopfbedeckung die Fridolins berührte. Dann fragte er
freundlich:

»Was fehlt dir, lieber Freund? Kann ich dir helfen?«

»Ich fragte vorhin, warum trotz Sonnenglut der Boden hier so furchtbar kalt
ist; aber keiner von euch antwortete mir.«

»Weil wir deine Frage nicht hören konnten,« sagte Zaran lächelnd.

»Ihr konntet nicht?«

»Nein, lieber Fridolin! Du vergißt, daß der Mond keine Atmosphäre hat, und
wo keine Luft ist, kann auch keine Schallvermittlung stattfinden.«

»Selbstverständlich!« sagte Fridolin Frommherz; »das kam mir augenblicklich
gar nicht zum Bewußtsein, weil wir doch atmen.«

»O ja,« lächelte Zaran, »durch die in unsern Glocken mitgenommene, sich
langsam verflüchtigende, für etwa sechs Stunden ausreichende Luft. Wenn ich
meine Glocke mit der deinigen in Berührung bringe, trägt mir die darin
eingeschlossene Luft die von deiner Stimme erzeugten Schallwellen zu. Ist
aber nur der kleinste Zwischenraum vorhanden, so dringt kein Laut über die
Wandung deiner Glocke hinaus. Der Hinweis auf das Fehlen der Luft
beantwortet zugleich auch deine Frage von vorhin. Weil keine Lust da ist,
die die Sonnenhitze zurückhält, ist hier der Boden ewig kalt. Was du auch
Seltsames auf dem Monde siehst, es findet alles seine Erklärung in dem
Mangel an Luft.«

Der Erdensohn wußte genug. Weil keine Luft da war, schien ihm auch der
Himmel schwarz statt blau, weil keine Luft da war, waren die Sterne neben
der Sonne am Tage sichtbar, weil keine Luft da war, glühte die Sonne so
heiß, waren die Schatten so schwarz, war kein Wölkchen am Himmel, kein
Tropfen Wasser in Schluchten und Tälern, entsetzliche Öde, starrer Tod
überall.

Sirian winkte und gab den Gefährten durch Zeichen zu verstehen, daß man den
nächsten Berg ersteigen wolle. Fridolin Frommherz wunderte sich darüber. Es
war ein Riesenkegel, nach oberflächlicher Schätzung wohl nahezu dreitausend
Meter hoch. Und den wollte Sirian erklimmen ohne Vorbereitungen, ohne
Mitnahme von Proviant, bei Sonnenuntergang und mit einem Luftvorrat, der
höchstens noch für fünf Stunden reichte? Man setzte sich in Bewegung. Wie
leicht sie alle gingen! Keine Spur von anstrengendem Klettern,
beschleunigter Herztätigkeit, mühsamem Atmen. Haushohe Felsen wurden in
kühnem Sprunge genommen. So frei, so leicht fühlte sich der Erdensohn ohne
Atmosphärendruck; das eigene Gewicht war so verringert, daß er die
mächtigsten Felsen ohne Mühe erklomm. Riesenblöcke hob er mit den Armen
hoch wie kleine Holzstücke, und als er seinen schweren goldenen Chronometer
aus der Tasche zog, war die Uhr leicht wie ein Stückchen Papier. Jetzt war
ihm auch klar, warum hier auf dem Monde die Verankerung des Luftschiffes so
viele Schwierigkeiten hatte: es war auf dem atmosphärenlosen Monde zu
leicht.

Als sie die Höhe erreichten, standen sie am Rande eines schauerlich tiefen
Kraters mit weitem, ringförmigem Walle. Aber auch der Vulkan war tot. Da
gab es keine Feuersäule, keinen Aschenregen, keine flüssige Lava, keine
dampfenden Spalten, nichts, was auf ein glühendes Innere unter der harten
Außenkruste hätte schließen lassen. Ausgestorben jede Spur von Leben!

Hinter den jenseitigen Bergen versank langsam die Sonne. Ein Kälteschauer
durchzuckte die Gefährten; ihre Glieder zitterten. Der kleine Teil von
Wärme, den der Mond während seines langen Tages aufgenommen, strahlte
hinaus in den eisigen Weltraum. Auf dem Boden, dessen Temperatur vorher
schon unter dem Gefrierpunkt gewesen, vermochten jetzt die Füße kaum mehr
zu stehen. Sirian gab das Zeichen zu raschester Rückkehr. Fast plötzlich,
ohne jede Dämmerungserscheinung, ohne Farbenzauber beim Sonnenuntergang,
war die Nacht hereingebrochen. Aber dunkel war sie nicht. Mit blendendem
Glanze leuchteten die Sterne, und die Erde, die eine wahre nächtliche Sonne
zu sein schien, strahlte jetzt in zurückgeworfenem Sonnenlichte so
wunderbar herrlich, daß jeder Fels, jede Spalte, jeder Stein der
Mondlandschaft mit hellem Glanze übergossen schien.

Glücklich, aber fast starr vor Kälte erreichte die schweigende kleine
Gesellschaft ihr Luftschiff. Nicht nur Fridolin Frommherz, auch die
Marsiten atmeten auf, als die Anker gelichtet waren und die Entfernung
zwischen ihnen und dem toten Monde immer größer wurde.

Es mochten etwa 30 Stunden seit der Abfahrt vom Monde verstrichen sein --
ungefähr zehn Uhr abends nach Erdenzeit -- als das Luftschiff der Marsiten
so langsam und vorsichtig wie nur möglich in die Erdatmosphäre eintrat.
Langsam? Trotz aller Hemmungsvorrichtungen legte das Fahrzeug noch
fünfundzwanzig Kilometer in der Sekunde zurück! Erst durch die Reibung beim
Eintritt in die Atmosphäre verlangsamte sich sein Lauf bedeutend; aber die
gehemmte Bewegung setzte sich in Wärme um. Glücklicherweise ließen die
Isoliervorrichtungen nichts zu wünschen übrig, und die erzeugte übermäßige
Hitze strömte rasch durch die geöffneten Luken hinaus in die kühlen, dünnen
oberen Luftschichten. Jetzt gehorchte das Fahrzeug der Steuerung wieder
vollständig. Absichtlich brachte es Sirian nur sehr langsam zum Sinken. In
einer Höhe, wo die Luftdichtigkeit ungefähr der geringen Dichte der
Marsatmosphäre entspricht, wollte er kreuzen, um am Morgen zu erkennen,
über welchem Erdteile er sich befand, und dann Freund Fridolin in seiner
Heimat Schwaben, womöglich am Orte seines einstigen Aufstieges, zu landen.
Die Dunkelheit der Nacht machte augenblicklich ein Orientieren auf der
Erdoberfläche unmöglich. Der grauende Morgen erst würde ein Umsehen
gestatten. Die Luft war unnatürlich ruhig und für die Höhe, in der sich das
Luftschiff befand, merkwürdig schwül. Da wurde ganz unvermittelt das
Fahrzeug von wilden Schwankungen erfaßt, erst hin und her und dann mit
einem heftigen Rucke tiefer herabgerissen. Es war, als stieße es ringsum an
schwere Gegenstände an.

»Was ist das?« fragte Fridolin Frommherz erschrocken.

»Wir sind in widerstrebende Winde geraten. Hört, wie jetzt das unheimliche
Brausen des Sturmes durch die dunkle Nacht klingt! Noch sind wir in
schwarzer Finsternis, aber gleich wird ein Gewitter losbrechen, wie wir
Marsiten es noch nie erlebt haben.«

Kaum hatte Sirian ausgesprochen, als die Insassen des Luftschiffes
plötzlich, von greller Helligkeit geblendet, die Augen schlossen. Und jetzt
zuckte ein rascher, schneidender Blitzstrahl durch die Dunkelheit, und ein
fürchterlicher Donnerschlag folgte, noch ehe das Licht des Blitzes ganz
erloschen war. Blitz auf Blitz zerriß nun die Wolken, die sich in schweren
Regen auflösten, so daß die elektrischen Funken vom Wasser knisterten.

Mitten in einem großartigen Gewitter befand sich das marsitische
Luftschiff, fort und fort in grelles elektrisches Licht getaucht, und wenn
Sirian das Steuer berührte, ging ein phosphoreszierendes Leuchten über
seine Hände.

Mit staunender Bewunderung, ohne eine Spur von Furcht oder Bangen, folgten
die Marsiten dem ihnen unbekannten Schauspiel eines irdischen Gewitters.
Aber rasch steuerte Sirian wieder in die Höhe, in die obersten
Luftschichten. Hoch über dem Gewitter sich haltend, wollte er warten, bis
der Sturm sich ausgetobt hätte. Doch während des Emporsteigens zogen die
Blitze feurige Flammenlinien rund um das Luftschiff. Es stieg wie in einem
Feuermeere. Plötzlich aber war es über die Wetterwolken emporgekommen.
Unter ihm lagen die wildstürmenden Luftschichten; unter ihm zuckten die
Blitze hinüber und herüber; oben aber wölbte sich ein ruhiger Sternenhimmel
in mildem Glanze, und friedliche Mondstrahlen stiegen hinab auf die
sturmbewegten Wolken. Es war ein Schauspiel, wie es schöner kaum gedacht
werden konnte, und die Marsiten freuten sich über das Erlebnis.

»Sieh, mein Freund,« sagte Sirian zu dem Erdensohne, »du hast in den
vierzehn Jahren, die du nach deiner Rechnung bei uns weiltest, kein
einziges wirkliches Gewitter gesehen. Kleinere elektrische Entladungen
kommen wohl auch in unserer dünnen, wasserdampfarmen Atmosphäre vor; doch
was sind sie im Vergleich mit der Großartigkeit eurer Gewitter! Und diese
herrlichen Wolkenbildungen! Welche Fülle reichen, lebenspendenden Wassers
bergen sie! Nimm dagegen unsere klare, dünne, durchsichtige Atmosphäre! Ihr
bißchen Wasserdampf schlägt sich in den Sommermorgen als Tau nieder auf die
durstige Vegetation. Der Winter bringt uns wohl leichten Regen- und
Schneefall -- aber hast du bei uns je wirkliche Wolken gesehen? Fallen
Regen und Schnee nicht vielmehr als feiner Niederschlag, wie aus einem
zarten Nebel herab? Hätten wir eure Wolken, wahrlich, wir hätten unser
Kanalnetz nicht zu ändern brauchen.«

Fridolin Frommherz nickte.

»Ich liebte euren wunderbar klaren Himmel, die Durchsichtigkeit eurer Luft,
den ungetrübten Glanz eurer Gestirne, -- aber du hast recht, die Erde mit
ihren Wolken ist von Natur doch wohl reicher als der Lichtentsprossene.«

»Auch wir waren einmal so reich an Wasser, wie ihr es jetzt noch seid, und
es wird einmal die Zeit kommen, da ihr so wasserarm sein werdet, wie wir es
jetzt, sind. Dann ist bei uns schon alles Leben erloschen; dann ist nicht
nur der letzte Rest unseres Wassers, dann ist auch unsere Luft
verschwunden, und der starre Tod hält unsern Lichtentsprossenen umfangen.
Und abermals schwinden die Jahrmillionen, -- dann seid auch ihr nicht mehr;
andere Gestirne und andere Wesen sind an unserer wie an eurer Stelle. --
Doch nun laßt uns wieder zur Ruhe gehen; seht, das Gewitter hat ausgetobt!
Lautlos und ruhig schwebt das Luftschiff jetzt wieder in der gereinigten
Atmosphäre.«

Es war inzwischen schon Mitternacht vorüber. Nach wenigen Stunden, beim
ersten Morgengrauen, sollte des Erdensohnes engere Heimat gesucht werden.




Zehntes Kapitel.
Die drei Freunde.


Jedes Jahr am 7. Dezember versammelten sich sechs Gelehrte im Hause ihres
Freundes Stiller auf Stuttgarts waldumrauschter, grüner Bopserhöhe. Es
waren die Teilnehmer an jener ersten kühnen Weltfahrt durch den Ätherraum,
die den Bruderplaneten Mars zum Ziele gehabt hatte. Bei ihrer Zusammenkunft
feierten sie den Jahrestag des Aufstieges nach jener fernen, wunderbaren
Welt und tauschten alte, liebe Erinnerungen aus an das eigenartige,
idealschöne Leben, das die Gelehrten zwei volle Jahre lang auf dem Mars
hatten führen dürfen.

Eine Nachahmung hatte die gefahrvolle Reise nicht mehr gefunden. Die
Gelehrten hatten berichtet, daß von den Marsiten weitere Besuche auf ihrem
Planeten nicht mehr angenommen, sondern mit aller Entschiedenheit
abgewiesen werden würden, damit die Höhe einer Jahrtausende alten Kultur
nicht durch schlechtes Beispiel Schaden leide. Diese Behauptung der
Zurückgekehrten wurde zwar allgemein verlacht und dahin ausgelegt, daß aus
sehr durchsichtigen Gründen die klugen Herren Professoren aus Tübingen sich
für immer den Rekord der Weltenreisen sichern wollten. Aber auch ein
merkwürdiges Mißgeschick, das die Zurückgekommenen verfolgte, trug dazu
bei, andern kühnen Luftschiffern die Lust zu nehmen, das gewagte
Experiment, über den Erdenkreis hinauszuschweifen, nachzumachen. Nein, die
hochentwickelte, moderne Luftschiffahrt hatte wahrlich Praktischeres zu
tun, als fragwürdige Planetenfahrten auszuführen, deren Gelingen nur das
Spiel des blinden, launischen Zufalles war.

Andere, wichtigere und aktuellere Fragen, als nach fernen Sternen zu
blinzeln, bewegten die hastenden, unruhigen Menschen. Und so wurde kaum
noch der heldenmütigen Reise gedacht. Das Rad der Zeit rollte weiter, es
ließ die Erinnerung an die wichtige Großtat bei der Menge mehr und mehr
verblassen. Nur als ein Jahr nach der Rückkehr der sechs Schwaben vom Mars
ein Obelisk auf dem Cannstatter Wasen errichtet und feierlich enthüllt
worden war, da gingen die Wogen der Begeisterung noch einmal hoch, da waren
die gelehrten »Weltensegler« wieder einmal Gegenstand allgemeiner
Huldigung.

Wie still war es aber seitdem wieder geworden, still auch im kleinen Kreise
der Freunde, die seit der Rückkehr in die Heimat durch das trauliche,
brüderliche Du inniger als je miteinander verbunden waren! Es schien, als
ob sie nachgerade die Erde, die sich so stolz Welt nennt, immer weniger
verstünden oder die Welt sie nicht mehr, trotz der unverdrossenen Mühe, die
sie sich gaben, Marssches Licht in das Durcheinander irdischer Auffassung
zu tragen.

In dem kleinen Freundeskreise war es in den elf Jahren, die jetzt seit
ihrer Rückkehr vom Mars verflossen waren, allgemach lichter geworden. Rasch
nacheinander waren drei der Teilnehmer an jener ewig denkwürdigen Reise
gestorben, und nur drei waren noch übrig geblieben: Siegfried Stiller, der
Astronom und Führer der Expedition, Bombastus Brummhuber, der Philosoph,
und Parazelsus Piller, der Arzt.

In altgewohnter Weise saßen heute, am Jahrestag ihrer Abreise, die drei
Freunde im großen, wohldurchwärmten Balkonzimmer des Stillerschen Hauses
beieinander. Von da aus genoß man einen herrlichen Blick über Stuttgart weg
bis nach Cannstatt hin. Ein leichter Frost war eingezogen. Da und dort
waren die dunkelgrünen Tannen mit silbernem Reif behangen. Um so
behaglicher ließ es sich in dem vornehm ausgestatteten Gemache sitzen. Eine
tiefe Stille herrschte, denn jeder der Herren war gerade mit seinen eigenen
Gedanken beschäftigt.

»Was wohl Fridolin Frommherz macht?« entfuhr es unwillkürlich den Lippen
Pillers, des Arztes, der im bequemen Lehnstuhle saß und sinnend den Himmel
betrachtete.

»Daran dachte auch ich in demselben Augenblicke,« entgegnete Stiller
lächelnd.

»Nun, wie soll es dem Ausreißer dort oben gehen? Natürlich nur gut,« warf
Brummhuber ein.

»Das können wir nur vermuten, mit Bestimmtheit aber nicht sagen, lieber
Brummhuber,« erwiderte Stiller sanft.

»Was vermuten! Was nicht mit Bestimmtheit sagen!« schrie Piller, dessen
Stimmung seit Jahren schon mehr und mehr gereizt geworden war. »Ich sage
euch, der Knabe Fridolin hat es besser als wir. Wie kann es einem Menschen
im Paradiese der Marsiten, bei diesem geistig und körperlich gleich
hervorragend gesunden Volke anders gehen als gut, als ausgezeichnet? Mich
interessiert auch deshalb nicht, wie er sich befindet, nur was der
Drückeberger treiben mag dort oben auf dem Lichtentsprossenen.«

»Er schreibt möglicherweise noch an dem deutsch-marsitischen Wörterbuche,«
lachte Brummhuber. »Weißt du noch, Stiller, wie Eran, der würdige
Patriarch, von dieser Art der Bestrafung des Ausreißers sprach, als du ihn
der Nachsicht der Marsiten besonders empfahlst?«

Der Angeredete nickte lächelnd.

»Wohl bekomm's ihm! Die Arbeit hätte ich auf keinen Fall ausgeführt,«
erwiderte Piller finstern Tones.

»Mühevoll ist sie, gewiß,« bestätigte Stiller. »Fridolin wird aber ohne
Zweifel seine Aufgabe gelöst haben, wenn auch erst nach Überwindung einer
langen Reihe von Schwierigkeiten verschiedenster Art.«

»Recht hat er gehabt, daß er oben geblieben ist,« knurrte Piller.

»Nein, lieber Freund, dreimal nein! Doch streiten wir nicht über diesen
Punkt! Darüber einigen wir uns zu meinem aufrichtigen Bedauern nie, wie mir
scheint.«

»Piller neidet Frommherz eben den guten Marstropfen,« spottete Brummhuber.

»Hat etwas Wahres, was du sagst, Brummhuberchen. Im übrigen, Stiller,
bringe eine Flasche des heimischen Nektars von Neckars Halden, Zuckerle
genannt. Ich habe eine sehr empfindliche Anwandlung von Schwäche.«

»Piller, wir kennen dich und deine vielen Schwächeanfälle,« antwortete
Brummhuber, während Stiller aus dem Zimmer trat und den Befehl erteilte,
den gewünschten Wein herbeizubringen.

Als der Gelehrte in das Gemach zurücktrat, fielen gerade die letzten
Strahlen der untergehenden Sonne durch dessen hohe und breite Fenster. Eine
Fülle goldenen Lichtes umspielte die hohe Gestalt des Gelehrten und seinen
feingeschnittenen Kopf.

»Eran, nur etwas verjüngt,« rief Piller, als er seinen Freund in dieser
Beleuchtung erblickte.

»Wahr gesprochen! Stiller hat eine merkwürdige Ähnlichkeit mit Eran,«
bestätigte Brummhuber.

»Eine Ähnlichkeit, wenn auch nur äußerlich, mit diesem vortrefflichen
Weisen der Marsiten könnte mich nur ehren,« entgegnete Stiller ernst:

»Du hast sie, und zwar in geradezu staunenerregendem Maße, seitdem du älter
geworden bist. Haar und Bart sind ja jetzt auch bei dir weiß geworden. Und
fällt das Licht auf dein Gesicht wie soeben, so ist diese Ähnlichkeit
tatsächlich frappierend. Es fehlt dir nur noch die Kleidung, und du
könntest sofort an Stelle Erans in den Stamm der Weisen in Angola
eintreten.«

»Brummhuber hat recht. Du bist Erans getreues Ebenbild,« fügte Piller bei.

»Diesem ehrwürdigen Alten zu gleichen, ihm ähnlich zu werden an Adel der
Gesinnung und der Empfindung, und das Ideal meines Strebens hienieden wäre
der Erfüllung nahe,« sprach Stiller leise, wie wehmütig vor sich hin.

»Na, kommen schon wieder trübe Gedanken?« polterte Piller.

»Nein,« entgegnete Stiller ruhig, »dafür aber hier der gewünschte Wein,«
als soeben die Türe aufging und der Bediente eintrat, auf einem silbernen
Präsentierbrett den Wein mit Gläsern tragend.

Nachdem die Gläser mit dem duftenden, rötlich schimmernden Weine gefüllt
waren, ergriff Stiller sein Glas und sprach: »Weihen wir den ersten Schluck
der Erinnerung an den heute zum vierzehnten Male wiedergekehrten Tag des
Antrittes unserer Weltenreise.«

Die Gläser klangen zusammen. Piller hatte den Inhalt des seinen mit einem
Schlucke geleert, füllte es sich von neuem wieder, räusperte sich und rief:
»Der zweite Schluck, er gelte dem Andenken unseres Lebens auf jenem
Planeten voll Licht und Freude.« Wieder leerte sich Pillers Glas.

»Und ich bringe heute, erlaubt es mir, liebe Freunde, zum ersten Male mein
Glas dem Andenken an Fridolin Frommherz,« sprach Brummhuber.

»Soll gelten, als drittes Glas. Frommherz' Sünde sei hiermit in Gnaden
verziehen,« erwiderte Piller, indem er in andächtigem Zuge sein Glas
austrank.

»Warum uns denn heute immer und immer wieder der Fridolin einfallen muß?«
schimpfte Piller nach einer Weile und begann sich heftig zu schneuzen, um
sein gestörtes seelisches Empfinden wieder herzustellen.

»Mir will heute die Erinnerung an ihn auch nicht aus dem Kopfe,«
versicherte Brummhuber. »Wäre er nicht so unendlich weit von uns entfernt,
jede Möglichkeit einer Rückkehr ausgeschlossen, so würde ich glauben, daß
er nach dem bekannten Sprichwort urplötzlich erscheinen müßte.«

»Und warum sollte dies ein Ding der Unmöglichkeit sein?« fragte Stiller.
»Sind wir hinauf und wieder heruntergekommen, ebensogut oder womöglich noch
besser oder leichter dürften die Marsiten mit Freund Fridolin den Weg zur
Erde finden, wenn sie ernstlich wollten.«

»Ja, wenn sie wollten! Die werden es aber bleiben lassen, unserer Erde
einen Besuch abzustatten nach den schwarzen Bildern, die wir oben von ihr
entworfen haben,« knurrte Piller.

»Ja, wir malten recht düster damals in Angola,« warf Brummhuber ein.

»Aber durchaus wahr. Und rückhaltsloseste Wahrheit und Offenheit waren wir
den edlen Marsiten schuldig,« bemerkte Stiller.

»O Angola!« seufzte Piller, sich wieder kräftig schneuzend. »Doch was nützt
die Sehnsucht nach diesem Eden? Vorbei, vorbei für immer!«

»Sei aufrichtig dankbar für die herrliche Erinnerung daran, die dir
geblieben ist,« verwies ihn Stiller.

»Laß mich lieber Lethe trinken und schieb mir die Flasche zu, Freund
Siegfried,« bat Piller. Lächelnd gehorchte Stiller.

»Immer derselbe!« tadelte Brummhuber. »So treibst du es an jedem siebenten
Dezember, seit wir wieder hier unten weilen.«

»Mensch und Freund, wie prosaisch bist du wieder einmal! Wie wenig
verstehst du mich! Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide, kann
auch ich mit dem Dichter sagen.«

»Wir wollen dir deshalb auch mildernde Umstände zubilligen, Piller, und
eine neue Flasche bestellen, wenn wir auch dein sogenanntes Leiden nur cum
grano salis gelten lassen,« entgegnete Stiller mit freundlichem Lächeln und
die Klingel ziehend.

»Stiller, altes Haus, du verstehst mich immer wieder am besten,« lobte
Piller.

»Als ob zu diesem Verständnis viel gehören würde!«

»Gut gebrummt, Brummhuberchen! Doch hier kommt neue Labung. Mit Wärme füllt
der edle Wein mein ganzes Ich.«

»Das wissen wir schon lange, Piller. Es bedarf wahrlich keiner besonderen
Betonung mehr.«

»Brummhuber, heute bist du einmal deines Namens wieder vollkommen würdig.«

»Hoffe es auch sonst immer zu sein.«

»Kann es nicht ohne reservatio mentalis bestätigen.«

»Bleib mir damit vom Leibe, Piller, sonst werde ich wirklich brummig.«

»Friede, meine lieben Freunde, Friede!« mahnte Stiller.

»Ich bin stets friedvoll gestimmt, und nichts liegt mir ferner, als diese
hehre Stunde des Zusammenseins durch Streit zu entweihen. Schon die Blume
dieses heimischen Nektars wirkt dämpfend auf jegliche Empfindung und stimmt
versöhnungsvoll,« entgegnete Piller.

»Du bist und bleibst der Alte,« erwiderte Stiller und klopfte ihm auf die
Schulter.

»Warum soll ich mich ändern? Bin ich dir doch bislang gut genug gewesen!«

»Und wirst es auch stets bleiben, lieber Freund,« versicherte ihm Stiller.

»Auch mir,« fügte Brummhuber fröhlich bei.

Der Dezemberabend fing an in den gemütlichen Raum seine leichten Schatten
zu werfen.

»Soll ich Licht machen?« fragte Stiller seine Gäste.

»Nein, noch nicht!« bat Brummhuber. »Es läßt sich in der Dämmerstunde so
hübsch träumen.«

»Und auch plaudern,« warf Piller ein. »Ich bewundere immer von neuem wieder
dein schönes Heim, das du dir hier geschaffen hast, Stiller. Es ist wie du
selbst.«

»Wie meinst du das?«

»Nun, gediegen, vornehm, ruhig und voll stillen Zaubers.«

»Ja, bei Freund Stiller läßt es sich leben. Da fühlt man sich beinahe so
wohl geborgen wie auf dem Mars,« bemerkte Brummhuber.

»Für uns das Angola Schwabens,« fügte Piller bei.

»Ihr übertreibt, beste Freunde,« erwiderte Stiller heiter. »Und doch freuen
mich diese Vergleiche gerade von euch. Was wart ihr für nüchterne,
poesielose Menschen, bevor ihr nach dem Mars kamt, und welch große
Umformung eures ganzen Innern brachte der Aufenthalt dort oben mit sich!«

»Man macht nicht umsonst, ungestraft eine solche Exkursion,« antwortete
Piller trocken.

»Nun, dieses Resultat will ich mir gern gefallen lassen,« entgegnete
Stiller.

»Und doch, es ist wahr: ungestraft waren wir nicht so lange auf dem
Lichtentsprossenen. Erinnerst du dich noch jenes letzten, herrlichen Abends
in dem Palaste der Weisen in Angola?«

»Ja, noch sehr gut,« erwiderte Stiller leise.

»Wohl! Fremdlinge werden wir da sein, wo wir geboren wurden, wo wir früher
gelebt, gerungen, für unsere heiligste Überzeugung gestritten haben. Diese
mir unvergeßlich gebliebenen Worte sprachst du damals. O Stiller, wie sehr
hast du recht gehabt!« Es klang wie ein schlecht unterdrückter Schrei des
Schmerzes, diese Entgegnung Pillers.

»Mein lieber Freund, steht es so mit dir?« Stiller war, überrascht durch
diese an Piller ganz ungewöhnliche Gefühlsäußerung, aufgestanden und auf
ihn zugetreten, ihm die Rechte auf die Schulter legend.

»Mein treuer Gefährte,« sprach er sanft, »du leidest ja auch an Heimweh
nach dem Mars wie wir. Zum ersten Male offenbarst du es uns. Und dennoch!
Wir müssen es zurückdrängen um des Großen willen, das wir hier unten
verfolgen.«

»In dieses Granitgebirge menschlicher Vorurteile und Blindheit, Schwäche
und Feigheit einen Tunnel der Aufklärung zu bohren, ist nahezu ein Ding der
Unmöglichkeit, sintemalen eine Maschine, die das fertig brächte, niemals
erfunden werden dürfte,« antwortete Piller gereizt.

»Denn die Dummheit währet ewiglich,« fügte Brummhuber hinzu.

»Warum auf einmal so kleinmütig, meine Freunde?« fragte Stiller. »Dir,
Brummhuber, will ich zugeben, daß die Dummheit niemals völlig ausgerottet
werden kann, weil sie nichts anderes bedeutet als geistige
Minderwertigkeit. Minderwertige Menschen aber wird es immer geben.«

»Sehr wahr!« warf Piller ein.

»Nun wohl! Diese Menschen vor verhängnisvoller Tätigkeit zu bewahren, sie
von verantwortungsvollen Posten auszuschließen, ist kein Ding der
Unmöglichkeit. Schon jetzt wird diese Scheidung, eine Art gesunder Auslese,
bis zu einem gewissen Grade da und dort auch durchgeführt. Je mehr die
naturwissenschaftliche Bildung Gemeingut aller wird, um so weniger wird
sich der Dumme breitmachen können.«

»Keine Frage. Wir sind aber leider noch sehr weit von deinem Ideale
entfernt.«

»Gewiß, lieber Piller. Um aber auf deine Worte von vorhin zurückzukommen,
so benötigen wir gar nicht dieses Tunnels, den du sinnbildlich anführtest.
So schnell geht es mit dem Vorwärtsschreiten der Menschen nicht, wie der
Bohrer den Granit zu durchlöchern vermag. Ist auch gut so. Das Beste
benötigt der längsten Reisezeit. Und verwittert nicht schließlich auch der
härteste Granit nur allein durch äußere Einflüsse? Seht, meine lieben
Freunde, so ist es auch mit unserm Wirken. Wir müssen froh sein, wenn wir
da und dort aus dem die Menschheit so fürchterlich tyrannisierenden System
alter, unnatürlicher Einrichtungen, aus dem scheinbar so unzerstörbar fest
verankerten Bau der unser Dasein beherrschenden Lügen einzelne Steine
herausbröckeln, dem Prozesse der weiteren Verwitterung die Wege öffnen.
Unsere kleine Gemeinde von heute wird sich morgen mehren. Was ist ein
Jahrhundert Kulturarbeit? Ein Tropfen im Ozean des Lebens! Diese Tatsache
muß uns bescheiden machen, darf uns aber nicht entmutigen. Einst muß eine
Zeit kommen, -- dies ist meine feste Überzeugung! -- die in ähnlicher Weise
das Menschheitsideal verwirklicht, wie wir es oben auf dem Mars kennen
gelernt haben. Sie vorbereiten zu helfen, jeder an seinem Platze und zu
seiner Zeit, ist die Aufgabe dessen, der auf den Ehrentitel eines
wirklichen Menschen Anspruch erhebt.«

Stiller schwieg. Seine kleine Rede hatte ihre Wirkung auf die beiden
Freunde nicht verfehlt. In Gedanken versunken, saßen sie da. Inzwischen war
auch in dem Zimmer die Dämmerung der Nacht gewichen.

»Glänzt dort drüben am südlichen Himmel nicht Mars?« fragte Brummhuber, der
zufällig aus seinem tiefen Sinnen erwacht war und einen Blick durchs
Fenster geworfen hatte.

»Wahrhaftig, er scheint es wirklich zu sein,« rief Piller, der dem
Beispiele Brummhubers gefolgt war.

»Ihr habt recht, liebe Freunde, es ist Mars, der nun wieder in die Nähe der
Erdbahn gelangt ist. Ich lade euch ein, mit mir hinüber in mein
Observatorium zu kommen und den Planeten durch das Teleskop näher zu
betrachten.«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiderten die Freunde wie aus einem Munde.

»So laßt uns gehen! Ich habe euch Interessantes zu zeigen, das ich schon
seit einiger Zeit am Lichtentsprossenen beobachtete.«

Bald nachher befanden sich die Herren in dem Stillerschen Arbeitsraume. Das
große Teleskop wurde eingestellt, und die Betrachtung des fernen
Weltkörpers begann.

»Fällt dir nichts am Mars auf, Piller?« fragte Stiller seinen Freund,
nachdem dieser lange den Planeten durch das Fernrohr angesehen.

»Täuschen mich meine Augen nicht, so sehe ich neben den uns ja persönlich
bekannten Kanälen feine, dunkle Linien.«

»Sehr richtig. Und vielleicht sonst noch etwas?«

»Halt, ja, noch große, weiße, flächenartige Punkte, zu denen strahlenförmig
die dunkeln Linien hinführen. Was dies wohl alles zu bedeuten hat? Das
existierte doch noch nicht, als wir oben waren.«

»Nein. Ich will es dir nachher zu erklären suchen. Mein Kompliment aber für
dein scharfes Auge und dein gutes Unterscheidungsvermögen.«

Piller wurde jetzt von Brummhuber am Instrumente abgelöst.

»Wirklich es ist so, wie Piller sagte. Mir kommt es auch noch vor, als ob
die Eismassen der polaren Zonen gegen früher ganz bedeutend zurückgegangen
wären,« äußerte Brummhuber nach sorgfältiger Prüfung.

»Auch du siehst vollkommen richtig, Brummhuber. Wir wollen jetzt ins warme
Haus zurückkehren und nachher diese neuen, eigenartigen Erscheinungen auf
dem Mars besprechen.«

In dem Speisezimmer nahmen die drei Freunde zunächst ein bescheidenes
Abendessen ein. Dann zogen sie sich wieder in das Balkonzimmer zu
gemütlicher Plauderei zurück.

»So, Freund Stiller, erkläre uns nun das, was uns am Mars aufgefallen ist,«
bat Piller, sich bequem in seinem Lehnstuhle ausstreckend.

»Auch ich bin außerordentlich gespannt darauf,« bemerkte Brummhuber.

»Das, was ihr heute abend gesehen habt, entdeckte ich schon vor längerer
Zeit. Ja, ich darf ohne Übertreibung sagen, daß ich die euch ausgefallenen
Veränderungen gewissermaßen in ihrem Entwicklungsgange verfolgt habe.«

»Was du nicht sagst! Aber warum sprachst du uns niemals davon?« warf Piller
überrascht ein.

»Weil ich das Ende erst abwarten, mir vor allem aber zuerst selbst eine
möglichst einwandfreie Erklärung dieser Veränderungen geben wollte.«

»Und hast du sie gefunden?« fragte Brummhuber.

»Ich glaube, ja!«

»Wie interessant! Stiller, du bist und bleibst ein Kapitalmensch.«

»Danke für deine gute Meinung, Freund Piller. Die Reduktion, der Schluß vom
Allgemeinen auf das Besondere war aber im vorliegenden Falle keine allzu
große Schwierigkeit, zumal wir ja unsern schönsten Lebensabschnitt dort
oben verlebt und die eigenartigen Verhältnisse des Planeten aus eigener
Anschauung kennen gelernt haben.«

»Immer derselbe bescheidene Mann,« brummte Piller. »Doch, bitte, fahre
fort.«

»Jene feinen Linien, die ihr längs den alten Kanälen gesehen habt, sind
neue Wasserstraßen, die flächenartigen Punkte erkläre ich mir als
überdeckte Sammelbecken oder Stauwerke riesigster Konstruktion, alles
ausgeführt, um einer drohenden Wassersnot zu begegnen. Daß eine solche auf
dem Mars tatsächlich vorhanden sein muß, beweist mir die starke Abnahme der
Eismassen an den beiden Polen. Eure Beobachtungen glaube ich somit mit
wenigen Worten ziemlich richtig gedeutet zu haben.«

»Alle Wetter, du magst recht haben,« erwiderte Piller. »Ich empfinde
aufrichtiges Mitgefühl mit den Marsiten, die so schwer um die
Grundbedingung ihrer Existenz kämpfen müssen. Aber eine Frage! Ändert sich
die Lage nicht auch wieder einmal zum Guten da oben?«

»Diese Frage glaube ich bejahen zu dürfen nach dem, was ich auf dem Mars
selbst gehört habe,« antwortete Stiller.

»Eine wahre Beruhigung! Aber mit Bewunderung muß uns erfüllen, was wir
geschaut haben. Das neue Kanalsystem konnte gewiß nur durch die Arbeit
aller ausgeführt worden sein,« äußerte sich Brummhuber.

»Ohne Zweifel. Dafür sind es eben die Marsiten. Nur ein solches Volk von
dieser hohen Kultur kann Bauten dieser gewaltigen Art für das allgemeine
Wohl ausführen.«

»So ist es, wie du sagst, Stiller,« bestätigte Piller.

»Unser Fridolin wird da wohl auch mitgearbeitet haben,« lachte Brummhuber.
»Seine Paradiesesidylle hat dadurch einen bösen Stoß erhalten.«

»Wer weiß?« entgegnete Stiller. »In der strengen Arbeit liegt der Segen.
Sie allein berechtigt uns, als Gegenwert eine gewisse Summe an Freuden und
Annehmlichkeiten vom Leben zu erwarten. Dies gilt auch für unsern
Frommherz. Gerade dieser Riesenkampf ums Dasein dort oben, den ich in den
stillen Stunden der Nacht von hier aus mit meinem Fernrohre verfolgen
konnte, machte auf mich, nachdem ich über seine Ursache endlich klar
geworden war, einen außerordentlich tiefen Eindruck. Ein Volk, dessen
Solidaritätsgefühl eine derartige Probe auf seine Echtheit auszuhalten
vermag, muß aus aller Not und Gefahr stets siegreich hervorgehen. Welch ein
Vorbild für uns! Ob wir es wohl jemals erreichen werden?«

Piller mußte sich nach diesen Worten seines Freundes wieder kräftig
schneuzen. »Pygmäen sind und bleiben wir dagegen,« knurrte er.

»Hältst du dich vielleicht für einen?« fragte Brummhuber spottend.

»Nimm dich in acht, Brummhuber! Fordere meinen Zorn nicht heraus!«

»Die Frage hatte eine gewisse Berechtigung,« bemerkte Stiller. »Das
Vorwärtsschreiten menschlichen Geistes kannst du nicht bestreiten. Nimm es
dir selbst ab, Freund Piller. Jeder Fortschritt in der tieferen Erkenntnis
der Wahrheit bedeutet zugleich den Fortschritt in der höheren Ausbildung
unserer menschlichen Vernunft. Nur durch Vernunft und Wahrheit können wir
des Menschen schlimmste Feinde, die Unwissenheit und den Aberglauben,
bekämpfen. Nur dadurch steigen wir höher auf der Leiter der sittlichen
Vervollkommnung.«

»Stiller, alter Freund, ich lasse dir ja gerne das letzte Wort, so laß mir
für heute wenigstens den letzten Trunk!«

»Sollst ihn haben, du ewig Durstiger. Aber dann zu Bett. Der morgige Tag
ruft uns wieder nach Tübingen, und es ist schon sehr spät geworden.«

»Gut, daß wir bei dir zu Hause sind,« lachte Piller fröhlich, als der Wein
vor ihm stand. »So läßt sich ein Schlummerschöpplein noch gemütlich
schlürfen. Prosit!«




Elftes Kapitel.
Wieder auf der Erde.


Ein Frühling mit all seiner Pracht hüllte in ein Meer von Blüten die Bäume
und Sträucher auf den Wiesen und in den Gärten des gesegneten Neckartales.
Mai war es geworden. Ein schöner, warmer Morgen folgte einer Nacht voll
Milde und Wohlgeruch. Die Sonne war noch nicht aufgegangen. Die Rötung des
östlichen Himmels verkündete aber ihr baldiges Nahen. Die Distelfinken
begannen bereits ihre ungestümen Triller zu schmettern; die Amseln sangen
da und dort auf der Spitze eines Baumes sitzend ihr melodisches Morgenlied;
die Sperlinge trieben sich in gewohnter Weise lärmend und mit einander
zankend in Scharen herum, als ein ungewohnt heftiges Rauschen in der Luft
die Vogelwelt auf Cannstatts Wasen in ihrem lauten Tun und Treiben
plötzlich innehalten und erschreckt die Flucht ergreifen ließ.

Mit großer Geschwindigkeit senkte sich von oben herab ein eigenartig
gebautes Luftschiff, wie es in dieser Form und Größe hier noch niemals
vorher gesehen worden war. Ohne auch nur die geringsten Schwankungen zu
zeigen oder sich zu überstürzen, erfolgte der fallartige Abstieg des
Flugschiffes mitten auf dem großen Platz des Cannstatter Wasens. Es mußte
meisterhaft gesteuert werden; denn mit einem Ruck hielt das gewaltige
Fahrzeug, auf dem Boden angekommen, still, ohne irgendwelche Befestigung
durch Taue oder Anker. Die Gondel lag direkt auf dem Boden.

Von verschiedenen Seiten, so vom nahen Untertürkheim und von Cannstatt aus,
war die verblüffend sichere Landung des eigentümlichen Luftschiffes bemerkt
worden. Man sah auch ferner, daß der Gondel ein Mann in sonderbarer
Kleidung entstieg. Kaum hatte der Angekommene die Gondel verlassen, als das
Fahrzeug sich wieder hob und mit einer staunenerregenden Schnelligkeit im
Luftmeere verschwand. Dies alles war das Werk von wenigen Augenblicken.

Der Mann, der hier gelandet worden, war stehen geblieben und schaute dem
sich entfernenden Flugschiffe nach, solange es noch gesehen werden konnte.
Dann erst wandte er sich um und betrachtete, langsam vorwärtsschreitend,
die Gegend. Sie schien ihm bekannt zu sein, denn er lenkte seine Schritte
gegen Cannstatt zu. Da fiel sein Blick auf einen mächtigen Obelisken, der
sich auf der linken Seite seines Weges erhob und von einem hohen
Eisengitter umgeben war.

Professor Fridolin Frommherz, denn das war der der Gondel entstiegene
Fremdling, schritt, neugierig geworden durch das imposante Denkmal, auf den
Gedenkstein zu. Überrascht und freudig berührt blieb er vor dem Obelisken
stehen. Auf der ihm zugewandten Seite des Monumentes las er die
eingemeißelten und vergoldeten Worte:

ZU EWIGEM RUHM UND ANDENKEN AN DIE UNVERGLEICHLICH KÜHNE IN IHREM ERFOLGE
EINZIG DASTEHENDE FAHRT SCHWÄBISCHER SÖHNE DURCH DEN WELTENRAUM. DAS
DANKBARE VATERLAND.

Auf der zweiten Seite war zu lesen:

VON DIESEM PLATZE HIER FUHREN DIE WELTENSEGLER NACH DEM FERNEN PLANETEN
MARS AB 7. XII. 19 . . . IHRE NAMEN LAUTEN: S. STILLER, P. PILLER, D.
DUBELMEIER, H. HAEMMERLE, B. BRUMMHUBER, T. THUDIUM, FR. FROMMHERZ.

Die dritte Seite trug die Mitteilung:

NACH NAHEZU DREIJÄHRIGER ABWESENHEIT UND ZWEIJÄHRIGEM AUFENTHALT AUF DEM
MARS KEHRTEN SECHS DER KÜHNEN WELTENSEGLER GLÜCKLICH WIEDER IN DIE HEIMAT
ZURÜCK. OKTOBER A. D. 19 . . .

Und hier auf der vierten Seite, da wahrhaftig, da war ja von ihm selbst die
Rede. Frommherz las:

ZUR ERDE NICHT MEHR ZURÜCKGEKEHRT, FÜR IMMER AUF DEM MARS GEBLIEBEN DER
SIEBENTE TEILNEHMER DER WELTENFAHRT FRIDOLIN FROMMHERZ.

»Der erste Gruß der Heimat und wahrlich kein übler,« sprach Herr Frommherz
vor sich hin, als er den Obelisken sattsam von allen Seiten betrachtet
hatte.

»Wie froh bin ich, gleich bei meinem Betreten des heimatlichen Bodens
vernehmen zu dürfen, daß meine Gefährten glücklich wieder heimgekehrt sind.
Ich fasse dies als ein gutes Vorzeichen auf.«

Ohne daß Frommherz es bemerkte, hatte sich inzwischen eine Anzahl
Neugieriger um ihn versammelt, die den Mann mit den langen, wirren Haaren
und dem großen ungepflegten Bart und seine auffallende und sonderbare
Kleidung voll Staunen betrachteten. Woher der wohl gekommen sein mochte?
Keiner wagte dem sichtbar Verwahrlosten näher zu treten und ihn direkt zu
fragen. Ein unbestimmtes Gefühl respektvoller Scheu hielt die Leute zurück.

In ruhiger Würde und edler Haltung, die auf die sich mehrenden Neugierigen
ihren Eindruck nicht verfehlte, wandte sich Frommherz von dem Denkmal weg
und schritt weiter Cannstatt zu, hinter ihm der Menschenhaufen, der in dem
Maße anschwoll, als die Stadt näher kam. Schutzmann Dietrich begann eben
gegen den Wasen zu die erste Morgenrunde zu machen. Nach neuer Abwechslung
in seinem Berufe lüstern und in jedem ihm nicht näher bekannten
menschlichen Individuum wenigstens einen halben Gauner witternd, stürzte er
sich, mit nur schwer unterdrücktem Freudenschrei, auf den ahnungslos
daherschreitenden Frommherz.

»Halt, Mann!« gebot er, den Fremdling von oben bis unten mit finstern
Blicken musternd, eine Prüfung, die sehr zu Ungunsten des Wandersmannes
auszufallen schien, trotz oder gerade wegen der auffallend schönen
Gepäcktasche, die der Fremde bei sich trug, und die zu seinem saloppen
Äußern durchaus nicht passen wollte. Des Schutzmanns Gesicht verdüsterte
sich in drohendster Weise.

»Woher des Wegs?« fragte er kurz und grob.

»Von da oben!« Mit diesen Worten wies Frommherz gen Himmel.

Der Handbewegung des Gelehrten folgte unwillkürlich der Blick des
Schutzmannes. »Machen Sie keinen Unsinn! Ich verbitte mir das!« schrie er.
»Also nochmals, woher kommen Sie?«

»Von jenseits des Erdenkreises,« antwortete Frommherz lächelnd.

Diese Antwort ging über Schutzmann Dietrichs schwaches Begriffsvermögen.

»Der Mann hier ist mit einem Luftschiffe gekommen. Ich sah es von weitem,«
mischte sich jetzt einer der neugierigen und freiwilligen Begleiter des
Gelehrten in das Verhör.

»So, so, ist das also ein solcher Reisender?« erwiderte der Schutzmann
etwas gedehnt. »Ja, jetzt fahren sie öfters über die Grenzen weg in unser
Land hinein und stellen allerlei Unfug an.« Wieder traf Frommherz ein
finsterer Blick unverhohlenen Mißtrauens.

»Wer sind Sie?« inquirierte der Schutzmann weiter.

»Ein engerer Landsmann, ein Schwabe wie Sie!«

»Das glaub' ich nicht. Sie sehen gar nicht so aus. Wo sind Ihre
Ausweispapiere?«

»Ich führe keine bei mir.«

»Das genügt! Also schriftenlos und herumvagabundierend. Sie kommen mit mir
zur Polizei,« entschied der Vertreter der heiligen Hermandad.

»Die Sache wird sich bald klären,« erwiderte Frommherz und folgte seinem
grimmigen Führer. Die Geschichte fing an, ihm Spaß zu machen, war sie doch
so recht heimatlich.

Herr Polizeikommissarius Gustav Grobschmiedle, zu dessen Abteilung
Schutzmann Dietrich gehörte, war nicht wenig überrascht, als die Tür seines
Amtszimmers aufging und über dessen Schwelle ein höchst merkwürdig
gekleideter Mann trat, hinter ihm der Polizist mit schlauem Lächeln.

»Ein richtiger Vagabund im Fastnachtsanzug,« brummte Herr Grobschmiedle vor
sich hin, als er den sonderbaren Fremden von der Seite mit stolzer,
verächtlicher Amtsmiene gestreift hatte.

»Rapportiere gehorsamst, Herr Kommissär, daß ich diesen Mann hier, weil
schriftenlos und in unpassendem Aufzug sich am frühesten Morgen auf dem
Wasen herumtreibend, als verdächtig aufgegriffen habe.«

Während der Schutzmann seinen Bericht herausschmetterte, legte Frommherz in
aller Seelenruhe, sein elegantes Bündel auf die Bank an der Wand. Der
Kommissär und der Schutzmann hatten sein Tun scharf beobachtet. Ihre Blicke
begegneten sich. »Diese kostbare Tasche muß der Kerl irgendwo gestohlen
haben,« drückte die Augensprache der beiden deutlich aus.

Der Eingelieferte wandte sich nun nach dem Beamten um. In seinen klaren,
blauen Augen lag ein so hoher, zur Achtung zwingender Ausdruck, daß der
Kommissär unwillkürlich etwas höflicher, als es sonst seine Gepflogenheit
war, das Verhör begann.

»Ihr Name?«

»Fridolin Frommherz.«

»Geboren?«

»26. September 19 . .«

»Wo?«

»In Cannstatt.«

»Beruf?«

»Früher Professor an der Landesuniversität in Tübingen.«

»Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, nur streng der Wahrheit
entsprechende Angaben zu machen.«

»Für mich ganz selbstverständlich!«

»Letzter Aufenthaltsort?«

»Lumata.«

»Lu--Lu--Lu--ma--mata?«

»Lumáta! Das a scharf gesprochen,« korrigierte Frommherz.

»Kenn' ich nicht. Wo liegt denn der Flecken?«

»Auf dem Mars.«

»Mars? Was ist denn das für ein Land?«

»Das ist ein Planet, ähnlich unserer Erde, nur einige Millionen Kilometer
von ihr entfernt.«

»Herr, Sie wollen mich scheint's nur zum besten haben?« brauste Herr
Grobschmiedle auf.

»Durchaus nicht, mein Lieber.«

»Ich bin nicht Ihr Lieber. Verstehen sie mich?« brüllte der Kommissar.

»Gewiß! Ich habe ja noch glücklicherweise ein gutes Gehör.«

»Der Mann soll mit einem Luftschiffe gekommen sein,« warf Schutzmann
Dietrich ein.

»Sie hab' ich nicht danach gefragt,« schnaubte Herr Grobschmiedle seinen
Untergebenen an.

»Es ist so, wie der Mann sagt,« bestätigte Frommherz.

»Und Sie haben nur zu antworten, wenn ich Sie frage,« schrie der Kommissär
zornig. »Sie stehen hier vor einem Vertreter der Staatsgewalt und haben
sich dementsprechend zu benehmen.«

Über das Gesicht Frommherz' huschte ein spöttisches Lächeln.

»Warum lachen Sie?«

»Nur über die Art meines ersten Empfanges in der teuren Heimat nach mehr
als vierzehnjähriger Abwesenheit.«

»Sie haben keine Ausweispapiere bei sich?« fuhr der Beamte fort, ohne die
Bemerkung Frommherz' zu beachten.

»Nein, ich sagte dies bereits dem Schutzmann.«

»Das ist sehr verdächtig. Zu ihrem anstößigen Aufzug paßt überdies die
Tasche nicht, die Sie da mitbrachten. Und . . . hm . . . und Ihre übrigen
Angaben glaube ich Ihnen einfach nicht.«

»Das verüble ich Ihnen nicht im geringsten, zumal dieser Glaube Ihre
Privatsache ist,« erwiderte der Gelehrte.

»So geben Sie also zu, unwahre Angaben gemacht zu haben?«

Aber der Kommissär hatte kaum diese verletzenden Worte gesprochen, als sich
Frommherz in voller Größe stolz aufrichtete.

»Mein Herr!« redete er den Kommissär an. »Sie mögen meine Angaben in
Zweifel ziehen, das ist, wie ich sagte, Ihre persönliche Angelegenheit.
Ihre Pflicht aber ist es, diese Angaben zunächst ruhig und sachlich auf
ihre Richtigkeit zu prüfen. Das muß ich auf das entschiedenste verlangen.
Es ist ein Akt selbstverständlicher Billigkeit. Bis jetzt bereitete mir die
Art, wie ich hier nach meiner Rückkehr von einem fernen Weltkörper
empfangen und behandelt wurde, einen gewissen Spaß. Es ist höchste Zeit,
ihm nun ein Ende zu machen. Haben Sie die Güte, sofort nach Tübingen an
Herrn Professor Stiller zu depeschieren. Dieser Herr wird nicht nur
umgehend die Angaben über meine Person als völlig richtig bestätigen,
sondern auch jede gewünschte Bürgschaft Ihnen gegenüber leisten, damit ich
aus dieser geradezu unwürdigen Behandlung tunlichst schnell befreit werden
kann.«

Staunend hatte der Kommissär dieser Rede gelauscht. So wie dieser Mann da
hatte noch niemals vorher ein Eingelieferter mit ihm zu sprechen gewagt.
Sein sonst so stark ausgeprägter Beamtendünkel hatte zum ersten Male eine
kräftige Erschütterung erfahren. Verlegen kratzte sich Grobschmiedle hinter
dem Ohre. Wenn der Kerl nun doch kein Spitzbube wäre? Der Kommissär
erinnerte sich plötzlich, daß ihm schon mancher gewandte und wohlgekleidete
Gauner aus den Fingern geschlüpft war, und daß er sich umgekehrt schon an
manchem Unschuldigen vergangen hatte, nur weil er verschüchtert war und
äußerlich einen weniger günstigen Eindruck gemacht hatte. Verschiedene
Klagen waren hin und wieder gegen seinen Übereifer laut geworden und hatten
ihm derbe Nasenstüber und Warnungen von seiten seiner Vorgesetzten
eingetragen.

Der augenblickliche Fall war verzwickt und mahnte zur Vorsicht. So viel
stand fest. Aber das Mißtrauen war nun einmal in ihm rege. Fortlassen
konnte und durfte er doch nicht ohne weiteres einen Menschen, der nicht
einmal das geringste glaubwürdige Ausweispapier mit sich führte.

»Ich bin zu meinem Vorgehen Ihnen gegenüber kraft des Gesetzes berechtigt,«
erklärte er endlich nach längerer Überlegung.

»Das mag sein. Dieses Gesetz hindert Sie aber gewiß nicht, meinem Wunsche
zu entsprechen und sogleich Erkundigungen über mich einzuziehen,«
entgegnete Frommherz bestimmten Tones.

»Hm, hm, nein, das allerdings nicht. Wer zahlt aber die Depesche?«

»Natürlich ich!« Frommherz schloß seine Tasche auf, entnahm ihr eine alte
seidene Börse, in der er noch einige Dutzend deutscher Goldstücke
aufbewahrt hatte.

»So setzen Sie selbst die Depesche auf,« antwortete Grobschmiedle
auffallend milder gestimmt, als er die gut gefüllte Börse des Fremden
erblickte, und schob ihm ein Telegrammformular mit Feder und Tinte zu.

Frommherz warf mit kräftigen Zügen folgende Depesche auf das Papier:
»Professor Dr. Stiller, Universität Tübingen. Heute früh vom Mars hier
gelandet, wurde ich von Cannstatts Polizei in Verwahr genommen, weil keinen
befriedigenden Ausweis über meine Person in Marsitenkostüm besitzend.
Befreie mich sofort aus der komisch-kritischen Lage, in die ich geraten.

Herzlichen Freundes- und Brudergruß
Fridolin Frommherz.«

»Besorgen Sie die Depesche, Dietrich,« befahl der Kommissär.

»Ich habe noch eine kleine Bitte!«

»Was soll's sein?« brummte der Beamte.

»Würden Sie mir nicht eine Tasse Tee oder Kaffee nebst einigen Brötchen
gestatten?«

»Warum nicht,« entgegnete der Kommissär, der inzwischen die Depesche
gelesen und durch ihren Inhalt sich mehr und mehr aus der Rolle des
Anklägers und Beschuldigers in die des unbewußt Schuldigen fallen fühlte.

Das Telegramm war aufgegeben. Frommherz hatte mit Behagen sein erstes
frugales Frühstück auf Erden wieder im Amtszimmer des Polizeigewaltigen
verzehrt und machte nun in seinem Tagebuche die letzten Notizen. So waren
gegen zwei Stunden ruhig verflossen, als in sausender Geschwindigkeit ein
Autoelektrik in Cannstatts Mauern einfuhr und vor dem Polizeikommissariat
hielt. Dem Wagen entstiegen drei Herren. Die Türe des Amtszimmers wurde
hastig aufgerissen, und herein stürzte als erster Piller.

»Ha, er ist's, er ist's tatsächlich! Ich kenn' ihn an der Narbe auf seiner
Stirn. Her an meine Brust, Fridolin, Freund und Bruder!« schrie Piller voll
freudiger Aufregung und umarmte den von seinem Sitze Aufgestandenen.

Auch Stiller und Brummhuber begrüßten den so unerwartet wiedergekehrten
Freund auf das innigste. In Piller aber kochte es wie in einem Vulkane über
den seinem Freunde angetanen Schimpf.

»So, also da herein in dieses übelriechende Wachtlokal haben sie dich
geschleppt, nachdem du kaum den Boden des teuren Schwabenlandes betreten?«
wetterte er. »O heilige Einfalt, dreimal gebenedeite Dummheit!«

»Der Herr hatte keine Ausweispapiere,« suchte sich der Kommissär zu
entschuldigen. »Auch der ganze Aufzug war uns verdächtig, kurz . . .« aber
Piller ließ Herrn Grobschmiedle nicht ausreden.

»Mensch, ihre pyramidale Dummheit hat Sie heute zu einem weltberühmten Mann
gemacht und Ihnen die Unsterblichkeit gesichert. Hier steht der Gelehrte,
der nach vierzehnjährigem Aufenthalte auf dem Planeten Mars wieder zur Erde
zurückkehrte, und den zuerst zu empfangen und zu begrüßen Sie die hohe Ehre
hatten. Und wie würdig haben Sie sich dieser Ehre gezeigt!« brüllte Piller
heraus und wand sich förmlich vor Lachen. »So etwas an Tollheit kann
wahrlich nur bei uns vorkommen! Ein Schwabenstreich, wie er im Buche
steht!«

»Laß gut sein,« bat Frommherz den Aufgeregten. »Der Mann tat ja nur seine
Pflicht. Jetzt ist ja alles wieder gut. Das einzig Richtige ist, wir lachen
über die Sache.«

»Fridolin hat recht. Freuen wir uns, daß er wieder bei uns ist, und
verzeihen wir den Mißgriff des Beamten,« riet Stiller.

Der Kommissär, der schon die Dienstentlassung vor Augen sah, atmete
erleichtert auf, als er diese Worte hörte. Und als Frommherz auf ihn zutrat
und ihm mit freundlichem Zuspruche die Hand zum Abschiede reichte, da
schimmerte es feucht aus den Augen des Gefühlsregungen sonst wenig
zugänglichen Polizeibeamten.

»Nun heraus aus der Bude und nach dem Kursaal!« drängte Piller.

»Ich habe das dringende Bedürfnis nach einem Bade,« erklärte Frommherz.

»Sollst es haben! Währenddessen bestellen wir ein ordentliches Essen und
besorgen dir hier einen modern irdischen Anzug; denn im Marsitenkostüm, an
dem die Spuren deiner Reise kleben, kannst du nicht unbelästigt unter
Erdenmenschen wandeln,« bemerkte Piller.

»Habe es bereits erfahren,« entgegnete Frommherz lächelnd.

Dann stiegen die Herren in das Auto, und hinaus ging es an Cannstatts
schönsten Ort.

Mit Blitzesschnelle hatte sich inzwischen von der Vorstadt Cannstatt aus in
ganz Stuttgart das Gerücht verbreitet, der siebente und letzte der
Gelehrten, der einst auf dem Mars zurückgeblieben, sei heute in aller Frühe
von dort wieder zurückgekehrt und auf dem Wasen aus einem Fahrzeuge
gestiegen, wie es in dieser Form und Größe bisher hier noch nicht erblickt
worden sei. Nach der Landung habe sich das Luftschiff schleunigst wieder
entfernt. Anfänglich wollte man die Nachricht nicht glauben. Aber als es
hieß, der Zurückgekehrte sei von der Polizei einige Stunden hindurch
zurückgehalten worden, wurden von vielen Seiten Anfragen an das
Kommissariat gerichtet, das das Gerücht als vollkommen wahr bestätigte.
Auch das Erscheinen der drei berühmten Weltensegler und allgemein gekannten
Tübinger Professoren auf dem Polizeiamte in Cannstatt hatte begreifliches
Aufsehen erregt, das um so größer wurde, als kurz darauf mit den drei
gelehrten Herren zusammen eine vierte Persönlichkeit im Kostüm eines alten
Griechen mit wirrem Kopf- und Barthaar das Kommissariat verließ und gegen
den Kursaal zu abfuhr. Nun war es vollkommen klar, daß diese vierte
Persönlichkeit niemand anders als Professor Frommherz sein könne.

Als die vier Freunde sich soeben am einladend gedeckten Tische im Kursaal
niedergelassen und ihrer Freude über die endliche Wiedervereinigung von
neuem Ausdruck verliehen hatten, erschien der Oberbürgermeister von
Stuttgart Dr. Graus mit dem Bürgerausschuß-Obmann Dr. Herlanger, um
Professor Frommherz wenigstens von sich aus, wie er betonte, zu begrüßen
und zugleich sein Bedauern über den Übereifer der Polizei auszusprechen.

»Hätten wir auch nur die leiseste Ahnung von Ihrer Rückkehr gehabt, wir
würden Sie in gleich ehrender offizieller Weise bei uns willkommen geheißen
haben wie seiner Zeit Ihre Freunde,« sprach der Stadtgewaltige.

»Daran zweifle ich nicht,« entgegnete Frommherz, »aber es entspricht mehr
meinem innern Empfinden, einfach und still, ohne öffentliche Feier und
Begrüßung zur Heimat zurückgekommen zu sein. Im übrigen wäre es mir
schlechterdings auch nicht möglich gewesen, Ihnen vorher meine Ankunft
anzuzeigen.«

»Er hätte eben außerhalb Deutschlands landen müssen wie wir, dann wäre es
gegangen,« schmunzelte Piller vergnügt. »Nehmen Sie an unserm Tische Platz,
Herr Oberbürgermeister, und feiern Sie mit uns zusammen des Freundes
unverhoffte Rückkehr.«

Doch der Oberbürgermeister lehnte dankend ab und empfahl sich.

»Herr Ober,« rief Piller, »bitte, kommen Sie einmal hierher.« Der
Oberkellner gehorchte. »Lassen Sie niemand, wer es auch sei, in unser
Zimmer herein. Wir wollen ungestört für uns sein.«

»Ich verstehe,« erwiderte der Befrackte dienstbeflissen.

»Gut gemacht!« lobte Brummhuber. »Wir könnten sonst kein Wort mehr ruhig
miteinander sprechen.«

»Und nachher fahren wir zu mir in mein Heim auf den Bopser. Das soll nun
auch einstweilen das deine sein, Fridolin. Von Tübingen lassen wir uns für
die nächsten Tage Dispens erteilen,« schlug Stiller vor. Die Freunde waren
damit einverstanden.

»Den ersten Gruß der Heimat brachte mir gewissermaßen der Obelisk,«
erzählte Frommherz. »In seiner Nähe landete unser Luftschiff, und so erfuhr
ich durch seine Inschrift, daß ihr alle einst glücklich und wohlbehalten
wieder zurückgekommen seid, was mich außerordentlich gefreut hat. Was
machen Hämmerle, Thudium und Dubelmeier?«

»Sind leider inzwischen gestorben,« antwortete Brummhuber.

»Wie sehr bedaure ich diese traurige Kunde!«

»Wir werden dir gelegentlich das Nähere darüber erzählen. In dieser Stunde
des Wiedersehens wollen wir alles Traurige von uns fernhalten,« bemerkte
Stiller.

»Stiller hat recht! Sage mir aber zunächst, Fridolin, bist du absichtlich
oder unabsichtlich auf dem Wasen niedergegangen?« fragte Piller.

»Mit vollster Absicht, schon des großen Platzes wegen, auf dem das
gewaltige, für ununterbrochene Hin- und Rückfahrt eingerichtete Fahrzeug
mit aller Sicherheit landen konnte.«

»Das ist ein Grund, der gelten kann. Wieviel Marsiten begleiteten dich?«

»Fünf in jeder Hinsicht ausgezeichnete Männer, darunter auch Zaran, Erans
Neffe.«

»Einige Stunden oder Tage hätten sich deine Begleiter ohne Schaden auf der
Erde und in unserm Schwabenlande aufhalten können. Daß sie uns keiner
weiteren Beachtung würdigten und sofort wieder dahin den Kurs lenkten,
woher sie gekommen waren, das hätte kein Sterblicher unseres Planeten
fertig gebracht. Welch ein Mangel an Neugierde, vor allem aber, welch große
Nichtachtung liegt auch in diesem hastigen, einer Flucht gleichkommenden
Verschwinden!« urteilte Piller.

»Sie wollten mit der Erde nichts zu tun haben, nicht einmal berührt,
gestreift werden durch den Hauch ihres Lebens,« entschuldigte Frommherz
seine Begleiter.

»Kein Kompliment für uns,« lachte Brummhuber.

»Sicherlich nicht. Aber sie handelten korrekt, folgerichtig,« antwortete
Frommherz.

»Und taten ungefähr dasselbe, was du vorhin selbst getan hast, Piller,«
fügte Stiller hinzu.

»Ich? Wieso?« fragte Piller erstaunt.

»Ja, du. Du verbatst dir ja auch, nachdem der Oberbürgermeister von
Stuttgart hier gewesen, jeden weitern Besuch und Verkehr von außen her und
wolltest dadurch unsere geschlossene Gesellschaft vor aller Profanierung
schützen. Just so machten es aber auch die Marsiten,« erwiderte Stiller.

Die Herren lachten.

»Stiller ist immer noch derselbe,« erklärte Piller seinem Freunde
Frommherz. »Seiner Dialektik bin ich nicht gewachsen.«

»Wie lange warst du unterwegs?« forschte Brummhuber.

»Genau nach Erdenmaß gemessen drei Monate.«

»Nur?«

»Lange genug, trotzalledem.«

»Gewiß! Und die furchtbaren Gefahren und Entbehrungen, die wir bei unserem
Fluge durch den Weltenraum einst durchgemacht, werde ich niemals vergessen,
und würde ich so alt wie Methusalem,« gestand Brummhuber offen.

»Wie ging es denn dir unterwegs? Eine etwas verspätete Frage, nicht?«
fragte Stiller herzlichen Tones.

»Verhältnismäßig erträglich. Doch gab es auch allerlei Gefahren zu
bestehen, und ich glaube, daß meine Marsiten bei aller Kühnheit,
Unerschrockenheit und Geschicklichkeit, die sie bewiesen, froh sein werden,
wenn sie glücklich wieder auf ihrem wunderschönen Planeten angelangt sein
werden.«

»Ja, es ist ein irdisches Paradies, dieses Land des Mars. Wie oft hat uns
danach schon das Heimweh, die Sehnsucht gepackt!« seufzte Piller.

»Es war aber doch besser, meine Freunde, daß ihr nicht oben geblieben
seid.«

»Mein lieber Fridolin, damals, als wir fortzogen, warst du völlig anderer
Meinung,« entgegnete Brummhuber.

»Gewiß. Ich habe sie aber seitdem geändert, nicht infolge äußerer,
veränderter Lebensbedingungen auf dem Mars, nein, von Innen nach langen,
schweren Kämpfen, langsam aus mir selbst heraus. Ich fand, daß Freund
Stiller recht hatte, daß er eine sittliche Tat vollbrachte, als er mit euch
zur Erde wieder zurückkehrte und ein Leben voll Mühe und Enttäuschung dem
ruhiger und angenehmer Beschaulichkeit vorzog. Und als ich mich endlich zu
dieser Erkenntnis durchgerungen hatte, da reifte in mir der Entschluß, dem
gegebenen Beispiele zu folgen. So kam ich wieder und bekenne ohne Zögern,
daß ich dadurch den Fehler, den ich einst durch meine Abtrennung von euch
beging, wieder gut zu machen suchte.«

»Ich weiß nicht, ob du recht getan hast,« bemerkte Piller. »Oft war ich der
Meinung, als ob du den besten Teil gewählt, wir aber töricht gehandelt
hätten, deinem Beispiele nicht gefolgt und oben geblieben zu sein.«

»Wir mußten fortgehen. Wie oft sagte ich das schon!« rief Stiller. »Daß
Freund Fridolin sich im Laufe der Jahre meine Anschauung auf dem Mars zu
eigen gemacht und sich ebenfalls zur Rückkehr entschlossen hat, ist der
schönste Beweis für die Richtigkeit unserer Handlungsweise.«

»Dagegen läßt sich nun so wie so nichts mehr einwenden,« warf Brummhuber
ein. »Jetzt sind wir wieder unten auf der Erde und werden wohl auch für
immer hier unten bleiben müssen.«

»Wir passen auch nicht zu den Marsiten. Das wußten unsere Gastgeber
ebenfalls ganz genau. Ihr Wesen, in vielem mit dem unsern verwandt, ist,
wenn ich mich so ausdrücken darf, ätherischer, feiner geprägt. Dadurch war
schon eine Scheidewand zwischen ihnen und uns gezogen. Und was konnten wir
ihnen, den so Hochstehenden, bieten? Doch nur sehr wenig, lange nicht
genügend, um ihre großartig geübte Gastfreundschaft auch nur einigermaßen
befriedigend wieder auszugleichen,« sprach Frommherz.

»Das stimmt,« bestätigte Piller.

»Was von der Erde stammt, ist eben anders geartet als das dem Mars
Entsprossene,« fuhr Frommherz fort. »Die feinen, aber doch merkbar
trennenden Unterschiede lernte ich in den langen Jahren meines Aufenthaltes
nach und nach kennen. So wage ich denn zu sagen, daß wir uns oben als
alleinstehende Männer, ohne Familie, ohne die Möglichkeit in dem Marsvolke
selbst aufzugehen, am Ende innerlich als Fremde gefühlt haben würden, trotz
der Schönheit des Daseins, der Herzlichkeit und Liebenswürdigkeit unserer
Freunde.«

»Was Fridolin soeben ausgesprochen, vertrat ich in ähnlicher Weise einst in
Angola. Ganz besonders danke ich unserm Freunde für sein offenes
Bekenntnis. Die Gefühle reinen Glückes bei der Erinnerung an jene
unvergeßlich schöne Zeit auf dem Mars bleiben bestehen, solange wir noch
atmen dürfen, aber das tief Schmerzliche, das nun einmal jeder großen
Entsagung anhaftet, es ist durch Fridolins Worte, durch seine freiwillige
Rückkehr zu uns wesentlich gemildert worden,« bemerkte Stiller.

Piller schneuzte sich wieder kräftig. »Finden wir uns damit ab, soweit es
möglich ist,« entgegnete er nach kurzer Pause. »Unser irdisches Leben
scheint sich nun einmal nicht harmonisch gestalten lassen zu wollen. Die
wirklich schönste Melodie des Lebens, die meinen Enthusiasmus erweckt, die
mich, den realen Praktiker der Wissenschaft, in holde Träume zu wiegen
vermocht, ich hörte sie niemals hier unten, sondern wohl zum ersten und
auch letzten Male oben auf dem Lichtentsprossenen.«

Erstaunt blickte Fridolin Frommherz auf Piller. Eine solche Sprache hatte
er früher, in alter Zeit, von dem allem Idealen so wenig geneigten Manne
niemals gehört.

»Ja, ja, unser Freund Piller hat sich seit seinem Aufenthalte auf dem Mars
in dieser Richtung etwas gebessert,« erklärte Stiller, der den erstaunten
Blick Fridolins bemerkt und richtig verstanden hatte.

»Es ging uns allen mehr oder weniger gleich,« ergänzte Brummhuber.

Eine tiefe Stille trat ein. Da schlugen zuerst leise, dann immer kräftiger
anschwellende Akkorde einer ausgezeichneten Musik außen vor dem Kursaale an
ihr Ohr. Sie formten sich zu einer imposanten Melodie, der die vier
Gelehrten, angenehm überrascht, lauschten. Es war die Hymne, die
Kapellmeister Klingler vor elf Jahren bei Anlaß des Einzuges der sechs
zurückgekehrten Schwabensöhne in Stuttgart komponiert hatte, und die er nun
Frommherz zu Ehren mit seiner Kapelle da draußen vortrug.

»Dahinter steckt der Oberbürgermeister! Jetzt begreife ich, warum er unsere
Einladung zum Bleiben ablehnte und so hastig verschwand,« rief Piller.

»Eine liebenswürdige Aufmerksamkeit, fürwahr, die ich dankbar anerkenne,«
lobte Frommherz.

Einige weitere, ausgesucht schöne Musikvorträge folgten der »Hymne an
Schwabens kühnste Söhne«. Dann zog die Kapelle wieder ab.

»Für uns ist es nun auch Zeit, an den Aufbruch zu denken,« mahnte Stiller.

Als die Herren aus dem Gebäude traten, wurden sie durch eine zweite
Aufmerksamkeit des Oberbürgermeisters von Stuttgart überrascht. Die
weißgekleidete Tochter des städtischen Oberhauptes in Gesellschaft einiger
anderer ebenfalls festlich geputzter Mädchen übergab mit einer kurzen
Ansprache Frommherz einen frischen Lorbeerkranz, dessen seidene Schleifen
die Farben der Residenz und des Landes trugen. Frommherz nahm den
Lorbeerkranz mit Worten herzlichen Dankes entgegen und schüttelte jedem der
blühenden, ihn mit scheuer Ehrfurcht betrachtenden Menschenkinder warm die
Hand.

Stiller war unterdessen ins Haus zurückgeeilt und hatte ein kurzes
Zwiegespräch mit dem Wirte gehalten. Nun kam er wieder zurück und lud die
Mädchen im Namen des Gefeierten zu einer Erfrischung ein, die von ihnen mit
Jubel angenommen wurde.

»In unserm großen Auto haben die Kinder auch noch Platz. Wir bringen sie
hinauf nach Stuttgart,« schlug Stiller vor.

Gern willigten die andern Freunde ein. Mit welch stolzer Befriedigung
fuhren nachher die Mädchen, die nun jede Scheu verloren hatten, mit ihren
berühmten Begleitern durch Cannstatt, über die Karlsbrücke und durch die im
Gewande des Frühlings prangenden Anlagen nach Stuttgart! Die Freude über
die ihnen erwiesene Auszeichnung leuchtete aus den strahlenden Augen der
Kinder, als sie auf dem Schloßplatze aus dem Auto stiegen und sich von den
Gelehrten verabschiedeten. Unter den brausenden Hochrufen einer rasch sich
ansammelnden Menschenmenge fuhren die Freunde Stillers Heim zu.

»Einfach, aber würdig war der Empfang. Er hat mir gefallen und mich
vollkommen befriedigt,« erklärte Frommherz.

»Wahrhaftig, mir machte er einen besseren Eindruck als der unsere damals,
als wir auf dem Hasenberge ankamen,« meinte Brummhuber.

»Weil er sich unvorbereitet, so ganz aus sich selbst heraus vollzog,«
bemerkte Stiller.

Die Herren hatten es sich im Hause ihres Freundes bequem gemacht und saßen
in anregendem Gespräche in dem bekannten großen Balkonzimmer.

»Wenn große Ereignisse mein seelisches Empfinden berühren, so fühle ich
stets einen merkwürdigen Durst und . . .« Doch Stiller ließ seinen Freund
Piller nicht ausreden. »Ich verstehe dich auch ohne diese Einleitung,«
lachte er fröhlich. »Piller ist nämlich immer noch derselbe Durstige wie
früher,« erklärte er Frommherz. »Du sollst deinen Trunk haben, lieber
Piller. Wir alle wollen ein Glas auf das Wohl des teuren, uns
wiedergeschenkten Freundes leeren.«

Der Wein wurde gebracht. Die Gläser hatten ausgeklungen. Der Abend senkte
langsam seine Schatten auf das Häusermeer im Tale, während die Bopserhöhe
sich noch in den Strahlen der untergehenden Sonne golden badete. Da
begannen unten in der Stadt die Glocken anzuschlagen.

»Wir haben doch meines Wissens morgen keinen Festtag, der am Abend vorher
eingeläutet werden sollte?« fragte Brummhuber.

»Nicht daß ich wüßte,« erwiderte Piller.

»Es gilt ohne Zweifel unserm Freunde Fridolin,« bemerkte Stiller. »Die alte
Heimat will ihrem wiedergekehrten Sohne durch den ehernen Mund der Glocken
lauten Willkomm bieten.«

»Du magst recht haben,« erklärte Brummhuber.

Eine volle halbe Stunde währte das harmonische Geläute, dann verstummte es
. . .

Und die Sonne, die Spenderin alles Lichtes und Lebens, war inzwischen im
Westen verglüht. Leise bewegten sich im leichten Abendwinde die blühenden
Bäume an der Talseite und sandten ihren Duft herauf zu den Gelehrten, die
da an den offenen Fenstern des Gemaches saßen und die Lieblichkeit des
Landschaftsbildes still genossen.

»Was kommt denn da die Weinsteige herauf?« fragte Brummhuber erstaunt und
machte seine Freunde auf eine Masse von Lampions aufmerksam, die sich einer
feurigen Schlange gleich gegen die Bopserhöhe zu bewegten.

»Fridolin, das gilt dir,« lachte Piller.

»Ich bin wirklich begierig, was dir und uns noch diesen Abend bevorsteht,«
äußerte sich Stiller. »Unser Oberbürgermeister scheint die kurze Zeit heute
fieberhaft ausgenützt zu haben, um deine Rückkehr würdig zu ehren.«

»Das kommt mir auch so vor,« antwortete Frommherz. »Ich würde aber am
liebsten auf jede weitere Ehrung verzichten. Ähnlich äußerte ich mich dem
Oberbürgermeister gegenüber ja schon am Kursaale.«

»Ergib dich in dein unvermeidliches Schicksal, Freund Fridolin! Ohne Sang
und Klang darf dieser denkwürdige Tag nicht in der unwiederbringlich
verlorenen Vergangenheit verschwinden,« sprach Piller.

Näher dem Hause kam der Zug. Es war die Liedertafel von Stuttgart, die da
durch den Garten zog und sich vor dem Hause aufstellte. Eine feierliche
Stille trat ein. Dann intonierte der große Männerchor das prachtvolle Lied:
»Des Vaterlandes Gruß.«

Frommherz, tief bewegt durch den vollendet schönen Vortrag, war mit seinen
Freunden zu den Sängern getreten und dankte ihnen mit innigen Worten.
Stiller lud die Sänger zu einem kühlen Trunke ein. Piller sorgte,
unterstützt durch die Dienerschaft des Hauses, für das Getränk, und bald
entwickelte sich in dem Garten ein feucht-fröhliches Sängerleben. Noch ein
Lied zum Abschied, dann ein Hoch auf den Zurückgekehrten, und der
Männerchor bewegte sich in der gleichen Weise, wie er gekommen, abwärts,
der Stadt wieder zu. Am mitternächtigen Himmel aber stand in strahlender
Schönheit Mars, das freiwillig aufgegebene Paradies der Söhne Schwabens.




Zwölftes Kapitel.
Fromme Wünsche.


Während die führenden Zeitungen am Tage nach Frommherz' Rückkehr den
Gelehrten in achtungsvoll gehaltenen Leitartikeln begrüßten und feierten,
saßen die Freunde in Stillers gemütlichem Balkonzimmer und lauschten dem
Berichte des Weltenseglers. Aber ohne Mißton in der Begrüßung durch die
Presse sollte es leider nicht abgehen.

Das seit kurzer Zeit bestehende Organ »Der Volksmund«, das seine
Unbedeutendheit durch maßloses Schimpfen auf alles, was ihm nicht in den
Kram paßte, zu decken suchte, brachte einen Artikel, der nicht nur gegen
Frommherz allein, sondern auch gegen die übrigen kühnen Marsbesucher
gerichtet war. »Warum,« so fragte das Organ, »ist dieser Mann
zurückgekommen? Entweder hat man ihn fortgewiesen, wo er war, oder er ist
selbst gegangen -- was wir annehmen wollen -- weil eben auf jenem Planeten
die Lebensbedingungen doch nicht die sind, von denen seine Freunde einst
vor Jahren so viel Aufhebens machten. Schon damals war es zu verwundern
gewesen, daß die Herren ein Eldorado verlassen haben, in dem ihren eigenen
Aussagen nach Milch und Honig fließen und alles vollkommen sein sollte.
Ihre Behauptungen konnte man natürlich nicht widerlegen, und so mußte man
sie eben achselzuckend und zweifelnd für einstweilen annehmen.

Nun aber, da Fridolin Frommherz wieder auf die Erde niedergestiegen, hat er
seinen großsprecherischen Freunden unwillkürlich eine höchst derbe Lektion
erteilt und sie durch seine Rückkehr gewissermaßen Lügen gestraft. Kein
vernünftiger Mensch kann allen Ernstes mehr glauben, daß Mars das
sogenannte Paradies sein soll. Eva und Adam sind, biblisch gesprochen, auch
nicht freiwillig aus dem Paradiese fortgegangen, noch weniger aber ziehen
Männer, die, wie die Weltreisenden, von Jugend auf nur an Wohlleben gewöhnt
sind, von einem Orte weg, der angeblich das wirkliche Schlaraffenland
vorstellt. Da steckt anderes dahinter, das man natürlich nicht zu gestehen
wagt, um sich billige Lorbeeren um den kecken Kopf zu legen,« schloß der
Artikel.

Das Blatt war mit der Morgenpost Stiller zugesandt worden. Er würde es gar
nicht weiter beachtet haben, da aber der Artikel selbst mit dicken roten
Strichen umgeben war, so erregte dies Stillers Interesse. Er überflog den
Inhalt kurz und wandte sich dann dem zurückgekehrten Freunde zu.

»Fridolin, bitte, eine kleine Unterbrechung in deiner Erzählung. Das
Machwerk, das ich hier in der Hand habe, verdient allerdings keine
besondere Beachtung, das wäre gewissermaßen eine Ehrung, aber es zeigt
doch, auf welchem Tiefstand der Gesinnung sich noch manche Menschen
bewegen, die sich anmaßen, legitime Vertreter der öffentlichen Meinung zu
sein.«

Stiller las den Artikel vor. Er regte nur Piller auf. »Giftkröten, die man
zertreten sollte,« schimpfte er.

»Leichtfertige Menschen dieser Art sind mehr zu bedauern als zu verdammen,«
antwortete Stiller.

»Ach was bedauern,« knurrte Piller. »Ausreißen muß man das Unkraut.«

»Damit bin ich nur insofern einverstanden, als es sich um wirklichen
Auswurf des Menschengeschlechtes handelt. In vorliegendem Falle aber ist es
tatsächlich der Mangel an Einsicht, an wirklicher Bildung, dieser
fundamentalen Grundlage der vernünftigen Selbstkritik, der uns hier
gegenübertritt, und das ist es, was ich bedaure.«

»Ich stimme dir bei,« sprach Frommherz. »Ein Mensch, der sich seiner Würde
als solcher bewußt ist, wird niemals niedrig denken und handeln. Die
Menschen auf die Höhe des wahren Menschentums zu heben, an dieser Arbeit
kräftig mitzuwirken, war ja einer der treibenden Gründe meiner Rückkehr.«

»Eine Sisyphusarbeit,« rief Piller.

»Ausdauer und fester Wille werden sie bewältigen und ihr schließlich zum
Erfolge helfen. Nicht uns wird sie gelingen, nein, dazu bedarf es der Zeit
von Jahrhunderten, aber als Arbeiter im Dienste des Wahren, Guten und
Schönen müssen wir schon jetzt unser Bestes zur Verwirklichung des
Menschheitsideales beizutragen suchen. Doch nun fahr in deinem Berichte
fort, Fridolin,« bat Stiller.

Frommherz schilderte seinen Freunden, wie die ihrer Abreise folgenden Jahre
auf dem Mars mit der Bearbeitung des Wörterbuches vorübergegangen seien,
wie er im Hause Bentans in Angola gelebt und auch dort einen zarten
Liebestraum geträumt habe. Er verschwieg nicht den Schmerz, den die
Entsagung, der Verzicht auf die Erfüllung seiner sehnsüchtigen Wünsche ihm
zuerst verursacht habe, in der Arbeit aber habe er den besten Trost und
Wiederaufrichtung gefunden und später Bentans ablehnende Haltung seinem
Herzenswunsche gegenüber als völlig berechtigt und nur seinem eigenen Wohle
dienend anerkennen müssen. Dann berichtete er ausführlich von dem
Riesenwerke, das die Marsiten ausgeführt.

Mit außerordentlicher Teilnahme hörten die drei Freunde von dieser
gewaltigen Tat des Solidaritätsgefühles der Marsiten.

»Großartig, wirklich großartig!« rief Piller, erregt vom Stuhle
aufspringend und mit hastigen Schritten das Zimmer messend. »Und denke dir,
Fridolin, Stiller hat das von hier aus mit dem Fernrohre verfolgt! Noch vor
wenigen Monaten, am 7. Dezember letzten Jahres, sprachen wir in diesem
selben Zimmer davon, und unser Freund zeigte uns nachher das veränderte
Kanalsystem auf dem Mars durch das Teleskop.«

»Benötigst du nicht wieder eines Schöppleins?« foppte Brummhuber.

»Warum nicht? Doch ich werde dir brummigem Huber mit dem vortrefflichen
Namen einmal beweisen, daß auch ich verzichten kann. Fridolin, fahre fort!«

Frommherz erzählte von der umformenden Wirkung, die die gemeinsame Arbeit
mit den Marsiten, ihr Näherkennenlernen in den Jahren der Not in seinem
Denk- und Empfindungsvermögen nach und nach hervorgebracht, und wie dadurch
von ihm endlich auch die frühere Handlungsweise des Freundes Stiller
begriffen worden sei. Mit dem Begreifen sei dann der Entschluß in ihm
gereift, dem gegebenen Beispiele zu folgen und in gleichem Sinne wie
Stiller auf der Erde zu wirken. Nach Anans Tode sei Bentan an dessen Stelle
getreten, und in der ersten Versammlung des Stammes der Weisen unter
Bentans Vorsitz habe er sein Anliegen vorgebracht, das von den Marsiten auf
das günstigste aufgenommen worden sei.

»Es war in demselben Saale des Palastes in Angola, in dem wir sieben einst
zum letzten Male zusammen waren,« fuhr Frommherz fort. »Dort befinden sich
eure Bilder mit den nähere Angaben tragenden Marmortafeln. In hohem,
ehrendem Andenken lebt ihr dort oben weiter. Und von allen Seiten,
besonders aber von dem ehrwürdigen Eran, wurden mir für euch die innigsten
Grüße und die besten Wünsche für euer Wohlergehen mitgegeben. Und nun hat
der Tod drei von uns weggerafft, die ich nicht mehr sehen durfte.

Meine Reise war lang, aber sehr erträglich. Einige Male kam unser Fahrzeug
in die gefährliche Nähe einer Kometenbahn; fast wären wir mit einem
Meteoriten von gewaltigen Dimensionen zusammengestoßen, und beim Eintritt
in die Erdatmosphäre drohten die Blitze des schrecklichsten Gewitters, das
ich je erlebt, unser Luftschiff zu entzünden; sonst aber verlief der Flug
durch den ungeheuren Weltenraum günstig. Ein Blick auf Eros und ein Besuch
auf dem Monde bot eine Fülle des Interessanten, von dem ich euch einmal
eingehend berichten werde. In Sibirien, beim Baikalsee, trafen wir auf die
Erde. Von dort nahm das Luftschiff den Kurs nach Westen. Vorgestern abend
kamen wir über Stuttgart an, das ich sofort trotz der bedeutenden Höhe, in
der unser Luftschiff schwebte, an seiner eigenartigen Lage wiedererkannte.
In aller Frühe wurde ich gestern, meinem Wunsche entsprechend, auf dem
Wasen abgesetzt.«

Eine lange Pause trat ein, als Frommherz seine inhaltreiche Erzählung
beendigt hatte. Stiller berichtete nun über seine und seiner Gefährten
Rückkehr zur Erde vor elf Jahren, den Empfang an den verschiedenen Orten
der Welt und schließlich den Einzug in Stuttgart. Dann erzählte er von dem
Tode der drei Freunde. Hämmerle sei drei Jahre nach der Rückkehr gestorben,
nachdem er lange gemütskrank gewesen. Dann sei Thudium ganz plötzlich,
unvermittelt eingegangen in das Schattenreich. Ihm sei Dubelmeier gefolgt,
der an Arterienverkalkung gelitten, obgleich Piller dies nicht gelten
lasse, sondern behaupte, Dubelmeier sei lediglich aus Mangel an Durst
vorzeitig in die Grube gefahren.

Seit Jahren schon hätten sie in Tübingen einen Bund gegründet, der in Wort
und Schrift für das wahre Menschentum und die natürliche Moral eintrete und
den Kampf gegen alles Unwahre energisch und mit sichtbarem Erfolge
aufgenommen habe. Hier in seinem Heim sei die Stätte, wo sich die
ehemaligen Gefährten der Planetenfahrt zeitweise immer zusammenfänden, um
alten Erinnerungen an den Aufenthalt auf dem prächtigen Mars in ungestörter
Weise zu leben.

Jetzt sei er, Fridolin, das vierte hochwillkommene Mitglied in diesem
engsten Bruderbunde, der, einem Mutterkristalle vergleichbar, aus dem
Strome des ihn umfließenden Lebens noch manchen andern edlen Kristall zur
Angliederung anziehen werde.

Während Frommherz' und Stillers Berichten waren die Stunden in raschem
Fluge herumgegangen. Nach dem Mittagessen wollten die Freunde einen kleinen
Spaziergang durch den Bopserwald machen, als der Diener die Ankunft von
zwei Herren meldete, die Stiller in einer dringenden Angelegenheit zu
sprechen wünschten. Die abgegebenen Karten lauteten auf Julius Schnabel und
Adolf Blieder.

»So, so, die sind es, die Pfuscher am »Weltensegler« von ehemals,« bemerkte
Piller spöttisch, als er einen raschen Blick auf die Karten geworfen hatte.

»Ich kann sie nicht gut ablehnen,« entgegnete Stiller. »Da ich aber vor
euch kein Geheimnis zu wahren habe, so mögen sie mir in eurer Gegenwart
sagen, was sie von mir wollen.«

»Wird was Gescheites sein,« brummte Piller. »Doch immerhin, laß sie
eintreten.«

Die beiden Herren, die im Laufe der Jahre, dank ihrem Wohlleben, körperlich
sehr gewichtige Männer geworden waren, betraten das Zimmer und begrüßten
Stiller freundlich.

»Die Herren Piller und Brummhuber kennt ihr. Dies hier ist Herr Frommherz,
der gestern vom Mars zurückkam und auf dem Wasen landete,« stellte Stiller
vor.

»Seinetwegen kommen wir ja zu dir,« trompetete Schnabel, sich vor Frommherz
verneigend, so gut es eben seine Körperfülle zuließ.

»Nun, so setzt euch zunächst und dann bringt euer Begehr vor,« bat Stiller.
Die Herren folgten der Einladung.

»Du weißt, daß wir vor Jahren schon in den Vorstand der Kommission für das
Denkmal gewählt wurden, das dir und deinen berühmten Herren Begleitern auf
deiner Marsreise zu Ehren gesetzt wurde.«

»Nicht meinen Begleitern, sondern meinen Gefährten und Freunden und nicht
auf meiner, sondern auf unserer gemeinsamen Marsreise, mein lieber
Blieder,« korrigierte Stiller.

»Nun ja, also . . . . hm, was wollte ich gleich sagen?«

»Das kann ich doch nicht wissen,« antwortete Stiller lächelnd.

»Von dem Denkmal,« kam Schnabel dem Verlegenen zu Hilfe.

»Ja, von dem Denkmal. Nun, das macht uns der Rückkehr des Herrn Frommherz
wegen rechte Sorgen.«

»Wieso?« fragte Stiller erstaunt.

»Es entsteht die Frage einer Änderung, und letztere ist eine kostspielige
Sache.«

»Eine Änderung?«

»Ja,« nahm jetzt Schnabel das Wort, »diese völlig unerwartete Rückkehr des
Herrn Frommherz stellt uns vor eine schwierige Entscheidung.«

»Deshalb kommt ihr zu mir, nicht wahr?«

»Ja!«

»Wo liegt denn diese Schwierigkeit?« forschte Piller.

»In der Inschrift der vierten Seite,« gestand Herr Blieder.

»Ah, jetzt verstehe ich. Natürlich ein höchst schwieriger Fall,« erwiderte
Piller nicht ohne Hohn.

»Gewiß,« antwortete Herr Schnabel, Pillers Hohn nicht bemerkend. »Es
handelt sich möglicherweise um eine Abtragung des ganzen Denkmals, denn die
einmal eingehauenen Worte lassen sich von dem Obelisken nicht so einfach,
wie Sie vielleicht glauben mögen, wegmeißeln, ohne dem Ganzen ein
verändertes und unschönes Aussehen zu geben.«

»Was wissen denn Sie, was ich deshalb glaube?« entgegnete Piller grob.

»An uns, als die Vorsitzenden des Denkmalkomitees,« fuhr Herr Schnabel
fort, »ist seit gestern die Aufgabe herangetreten, umgehend einen Vorschlag
dem Stadtrat einzureichen zwecks Änderung, und da befürchten wir recht
lebhafte und unangenehme Debatten.«

»Ja, aber lieber Schnabel, was berührt denn mich das?« meinte Stiller
lächelnd.

»Vielleicht weißt du uns einen praktischen Rat oder Ausweg aus der Sache.«

»Eine verzweifelt dumme Geschichte,« spottete Piller.

»Nicht wahr?« klagte Herr Blieder in aufrichtiger Verlegenheit.

»Das will ich meinen,« bestätigte Piller ernsten Tones.

Frommherz und Brummhuber mußten über die komisch traurigen Gesichter der
beiden Besucher unwillkürlich lächeln. Stiller selbst schien in Gedanken
verloren.

»So laßt doch auf der fraglichen Seite des Obelisken, auf der es sich um
Frommherz handelt, die weitern Worte einmeißeln: Nach 14 ½ jähriger
Abwesenheit am 5. Mai . . . wieder vom Mars zurückgekehrt. Sollte das nicht
gehen?«

»Das Ei des Columbus,« rief Herr Schnabel voll Freude. »Du hast es
getroffen! Wie einfach und klar lag eigentlich die Lösung, so daß es mir
jetzt schon ganz unbegreiflich erscheint, nicht von selbst darauf gekommen
zu sein.«

»Ja, das Allereinfachste ist mitunter das, was uns am meisten
Kopfzerbrechen verursacht,« erwiderte Herr Stiller, seine ehemaligen
Schulgenossen mit überlegenem Lächeln betrachtend. »Wir haben dies
ebenfalls bei der Konstruktion des >Weltenseglers< vor fünfzehn Jahren
erlebt, nicht wahr?«

»Gewiß, gewiß,« beeilte sich Herr Blieder zu bestätigen.

»Dafür haben aber auch die Herren Ruhm und Ehre geerntet, dank Columbus
Stiller,« rief Piller.

Herr Schnabel und Herr Blieder sahen bei diesen Worten etwas verdutzt auf
Piller. Es wurde ihnen vor dem Gelehrten mit seinen scharfen Augen und dem
spöttischen Lächeln um die Mundwinkel unbehaglich zumute, und so beeilten
sie sich mit Worten des Dankes für den erteilten Rat zu gehen.

»Die gehören zu jener Klasse von Parasiten, die auf Kosten anderer leben,«
äußerte sich Brummhuber, als die beiden das Zimmer verlassen hatten.

»Du hast recht,« bestätigte Piller. »Mir sind Leute, die sich immer mit den
Federn anderer zu schmücken suchen, im Grunde der Seele zuwider.«

»Harmlose Strohköpfe,« suchte sie Stiller zu entschuldigen.

»Nur bedingt harmlos, lieber Stiller,« entgegnete Piller. »Die Dummheit
paart sich oft genug mit der Heimtücke, und von letzterer sind Schnabel und
Blieder nicht gänzlich frei.«

»Verlassen wir das Thema!« bat Stiller. »Es lohnt sich wirklich nicht,
darüber weiter zu sprechen; denn die beiden sind tatsächlich zu unbedeutend
für uns.«

Als die Gelehrten ihren geplanten Spaziergang ausführen wollten und soeben
aus dem Hause traten, fuhr ein elegantes Autoelektrik vor. Ihm entstieg der
Graf von Neckartal.

»Gut, daß ich Sie noch treffe, meine verehrten Herren,« rief er heiter.
»Ich sauste hier herauf, um unsern berühmten, der Heimat wiedergeschenkten
Professor Frommherz zu begrüßen. Lassen Sie mich Ihnen die Hand zum
Willkomm drücken. Dem goldenen Lorbeerkranz entgehen Sie nicht,« erklärte
der Graf, Frommherz umarmend und mit ihm und den übrigen Herren ins Haus
eintretend.

»Wer hätte geglaubt, daß Sie den herrlichen Mars gegen die in Extremen sich
bewegende Erde je wieder eintauschen würden!« fuhr Herr von Neckartal fort,
als sich die Herren gesetzt hatten. »Wie eine Bombe schlug gestern die
Nachricht ein. Ich sage Ihnen, die erstaunten und verblüfften Gesichter
hätten Sie sehen sollen, als es hieß, unser letzter Marsreisender sei
wieder auf schwäbischem Boden erschienen. Einfach zum Heulen vor Vergnügen!
Frommherz, ich will gewiß kein Unkraut säen, aber mancher wünschte Sie im
ersten Augenblicke wieder dahin zurück, woher Sie kamen.«

»Kenn' ich doch meine lieben Deutschen und kann's mir also in etwas
vorstellen,« warf Piller lachend ein. »Unser Freund kam eben gegen alle
Regeln der Gesellschaft unangemeldet zurück, ohne vorherige Erlaubnis.«

»Daß Sie gerade auf dem Wasen landen mußten, würde man schließlich noch
hingenommen haben, aber das blitzschnelle Verschwinden Ihres Luftschiffes
von hier wurde zuerst als eine grobe Beleidigung der Hauptstadt empfunden.
Einige Tage wenigstens hätte es sich mit seinen Insassen unsern guten
Stuttgartern schon zeigen dürfen. Gerade auf die Bekanntschaft mit den
Marsiten war man allgemein gespannt, und die Enttäuschung, diese
merkwürdigen Menschen nicht gesehen zu haben, war groß.«

»Gekränkte Neugier und Eitelkeit, nichts anderes,« bemerkte Stiller. »Ich
habe doch meinen Landsleuten schon öfters erklärt, daß die Bewohner des
Mars gewichtige Gründe hätten, den Verkehr mit uns abzulehnen.«

»Nun, der erste Unmut darüber ist rasch verflogen gewesen. Viel dazu trug
bei, als das Abenteuer unseres lieben Frommherz mit der Polizei bekannt
wurde.«

»So etwas kann vorkommen,« entschuldigte Frommherz.

»Immerhin ein gelungener, unsterblich lächerlicher Streich. Aber jetzt
komme ich mit einer Bitte zu Ihnen, mein lieber Frommherz,« fuhr der Graf
fort. »Halten Sie sich nicht fern von uns, sondern schenken Sie uns die
Ehre Ihres baldigen Besuches. Wir sind außerordentlich begierig auf das,
was Sie uns sagen wollen, und möchten von Ihnen schon heute abend, falls
Sie nicht zu müde sind, einige Mitteilungen entgegennehmen. Ich wurde
gestern in unserm Vereine von allen Seiten bestürmt, Sie darum zu bitten.«

»Ich werde Ihrem Wunsche in bescheidenem Umfange zu entsprechen suchen,«
antwortete Frommherz. »Wann soll ich erscheinen?«

»Um acht Uhr in der Liederhalle.«

»Gut! Ihr kommt doch mit mir, meine Freunde?«

»Selbstverständlich,« knurrte Piller, ehrlich zornig über die seinem
Freunde gemachte wenig rücksichtsvolle Zumutung.

»Also bis heute abend, meine Herren. Auf Wiedersehen und besten Dank für
Ihr Entsprechen!« Damit verabschiedete sich der Graf von Neckartal.

»Kaum zurück, wirst du zu einem Vortrage gepreßt, mit dem es wahrlich keine
Eile gehabt hätte,« polterte Piller, als der Graf gegangen war.

»Er wird kurz genug ausfallen, laß mich nur machen,« erwiderte Frommherz
lächelnd. »Ihr habt ja durch eure Publikationen über den Mars und seine
Bewohner, wie ihr mir gesagt, genügende und erschöpfende Schilderungen
gegeben. Somit bleibt mir glücklicherweise nur wenig mehr zu erklären
übrig.«

»Es ist gut, daß du meine Größe hast, Fridolin. So kann ich dir mit
entsprechender Kleidung für heute abend aushelfen. Auch mein Diener Hans,
ein ehemaliger Haarkünstler, wird dir deine Marsitenmähne nach
augenblicklicher Erdenmode um- und zustutzen,« sprach Stiller. »Und nun
laßt uns noch ein wenig den schönen Tag genießen und durch Wald und Flur
streifen!«

Pünktlich um acht Uhr betraten die berühmten Gelehrten die festlich
bekränzte und erleuchtete Liederhalle. Graf von Neckartal führte Herrn
Frommherz in den großen Saal, der bis auf den letzten Platz von Stuttgarts
bestem Publikum besetzt war. Minutenlanges Händeklatschen und Bravorufen
empfing Frommherz, als er mit seinem Führer langsam und würdevoll dem
Podium zuschritt, auf dessen Hintergrund seine drei Freunde Platz genommen.

Eine kurze, offizielle Begrüßungsrede des Vorsitzenden schloß mit einer
scharfen Verurteilung des heutigen, im »Volksmund« erschienenen Artikels.
Nun erhielt Frommherz das Wort.

»Verehrte Anwesende!« hub er mit seiner klangvollen Stimme zu sprechen an.
»Nehmen Sie zuerst meinen verbindlichen Dank für den Willkomm, den Sie mir
geboten. Daß mein Fortgehen vom Mars, auf dem ich während vierzehn Jahren
gelebt, Ihnen eine große Überraschung bereitet hat, ist nach dem, was Sie
von jenem Planeten durch meine Freunde gehört haben, nur zu leicht
begreiflich. Es werden Sie daher die Gründe besonders interessieren, die
mich zur Rückkehr in die alte schwäbische Heimat veranlaßten. Ich muß dabei
etwas weiter ausholen.

Wie Sie wissen, war ich einst Professor religiöser Ethik an der Universität
in Tübingen, als ich diese Professur aufgab, um mit meinen Gefährten und
treuen Freunden die gewagte Reise nach dem fernen Kinde des Lichtes zu
unternehmen. Meine Beschäftigung mit der Pflege des Geistes in
ethisch-religiöser Richtung hatte mir meinen Glauben an den Wert unserer
Kultur wie auch an die der führenden Nationen der Mutter Erde in starkes
Wanken gebracht. Was sah ich in dieser Richtung überall hier unten? Eine
Ablösung des Menschen von seiner natürlichen Basis. Als Folge davon ein
künstliches Dasein mit Tausenden von Bedürfnissen, mit tausendfachen
Abhängigkeitsverhältnissen und einer dadurch bedingten untergehenden
individuellen Selbständigkeit.

Eine Weichlichkeit der Seele, ein betrübendes Siechtum der Kraft und des
Selbstvertrauens bei zunehmendem Raffinement des Lebens. Immer weniger
wurde das Leben hier eigenes Leben und bei allem Prunke äußerer Erfolge
wurde es mehr und mehr ein unglückliches, haltloses Dasein. Ob dies heute
gegen früher um vieles besser geworden ist? Ich wage zu zweifeln.

Ein schrankenloser Egoismus beherrschte alle und alles. Dem heftigsten
Kampfe um die materiellen Güter, um Macht und Erwerb und um die Sicherheit
für die Zukunft folgten ebenso heftige, rasch wirkende Genüsse, die Körper
und Geist der Menschen gleich verderblich schädigten. Das Ich war der
Götze, dem auch die ideellen Güter geopfert wurden. Das war die Signatur
unserer so sehr gepriesenen Kultur, und ich fürchte, daß sie es
wahrscheinlich auch noch heute ist.

Und nun kamen wir nach dem Mars. Was wir dort sahen und erlebten, wissen
Sie ja zur Genüge aus den Schilderungen meiner Freunde. Die hohe Kultur des
Marsvolkes aber bannte mich in ihren wunderbar schönen Zauberkreis. Ich war
unsagbar glücklich darüber, das Ideal des Daseins da oben in vollendeter
Form vorgefunden zu haben. Die Erde reizte mich nicht mehr zur Rückkehr,
und so ließ ich meine Freunde fortziehen und blieb allein, gegen ihren
Willen, zurück.

Welch ein Gegensatz besteht zwischen dem Leben dort und hier! Das Prinzip
des naturgemäßen Lebens, das ich hier unten vertrat, dort oben traf ich es
verwirklicht. Und das Resultat ist daher keine kranke, sondern eine
gesunde, frohe und frische Kultur, getragen von jener wahren, echten
Menschlichkeit, die nur im Wohle des Nächsten das eigene Glück erblickt.
Auf dem Mars ist jeder einzelne von Jugend auf gewöhnt, sich geistig und
körperlich zu beschäftigen. Er findet daher keine Zeit, allzuviel an sich
selbst zu denken, sein eigenes Ich in den Vordergrund zu stellen, einem
Subjektivismus zu frönen, der hier unten eine so große und verderbliche
Rolle spielt.

Die Pflege des Idealen, die Gattungsliebe, nur von dem Wunsche beseelt, der
Gesamtheit zu dienen, lediglich beeinflußt von der Rücksicht auf das Wohl
aller, schafft bei den Marsiten als natürliche Folge jenes wunderbare
Gleichgewicht des Innern, das ihrer materiellen Tätigkeit, dem auch auf dem
Mars bestehenden Kampfe ums Dasein jegliches Schädigende, Verletzende und
Giftige vorwegnimmt. Ein gereiftes, hochstehendes Volk, gleich kräftig und
gesund an Körper wie an Geist, ein Volk, bei dem die Solidarität die
Haupttriebkraft seines ganzen Handelns bildet.

Welch großartiger Leistungen diese Solidarität fähig ist, habe ich oben auf
dem Planeten selbst erfahren dürfen. Sie war es, die mich aufrüttelte, die
mir meinen den Freunden gegenüber begangenen Fehler des eigenmächtigen,
egoistischen Zurückbleibens zu klarem Bewußtsein brachte und in mir den
Wunsch reifen ließ, in ehrlicher Weise meinen Fehler gut zu machen. So
entschloß ich mich zur Rückkehr zur Erde, um, mit meinen Freunden wieder
vereint, gemeinsam an dem schwierigen Werke der Menschenerhebung weiter zu
arbeiten. Eine dankbare Aufgabe ist dies nicht, das weiß ich wohl, aber ich
frage danach nicht. Ich will praktisch hier unten verwerten, was in mir
oben lebendig geworden ist. Meine heutige Religion ist die des Erbarmens,
der Nächstenliebe.

Langsam ist der Gang der menschlichen Entwicklung. Dornenvoll ist deren
Bahn, aber trotzdem unhemmbar in ihrem Vorwärtsschreiten. Der Menschheit
das strahlende Banner der Wahrheit, der Vernunft und der natürlichen Moral
auf diesem Wege voranzutragen, betrachte ich als die Pflicht eines jeden,
dem das Wohl seiner Brüder, die Förderung wahren Menschentums am Herzen
liegt.

So bin ich also zurückgekommen und habe Ihnen offen den Beweggrund
mitgeteilt, der mich in den Dienst einer Pflicht ruft, der ich fortan den
Rest meines Lebens weihen will. Ich habe gesprochen.« Mit leichter Neigung
des Kopfes gegen die Zuhörer verließ Frommherz das Podium.

Die wenigen, aber bedeutungsvollen Worte des Redners hatten auf die
Versammelten außerordentlich tief eingewirkt. Sie offenbarten die sittliche
Größe des Mannes, vor der sich jeder der Anwesenden unwillkürlich
achtungsvoll verneigte. Wenn auch mancher der Erschienenen einen
Reisevortrag voll Abenteuer und aufregender Erlebnisse zu hören erwartet
hatte, so fühlte er sich für den Ausfall durch das, was Frommherz
gesprochen, nicht nur reichlich entschädigt, sondern auch geistig
merkwürdig bewegt. Es waren diesen Abend Samenkörner ausgestreut worden,
die da und dort auf wirklich fruchtbaren Boden fielen.





Anmerkungen zur Transkription


Das Inhaltsverzeichnis wurde vom Ende zum Anfang des Buches verschoben.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.





End of the Project Gutenberg EBook of Vom Mars zur Erde, by Albert Daiber

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK VOM MARS ZUR ERDE ***

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electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
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property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
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of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
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liability to you for damages, costs and expenses, including legal
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LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
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TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

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receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

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providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
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that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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