Der Schimmelreiter

By Theodor Storm

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Title: Der Schimmelreiter

Author: Theodor Storm

Release date: July 10, 2024 [eBook #74008]

Language: German

Original publication: Boston: Ginn and Company, 1908


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SCHIMMELREITER ***

Der Schimmelreiter


Theodor Storm




Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben
Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator
Feddersen, kund geworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich
mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes
beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den
„Leipziger“ oder von „Pappes Hamburger Lesefrüchten“. Noch fühle ich es
gleich einem Schauer, wie dabei die linde Hand der über Achtzigjährigen
mitunter liebkosend über das Haupthaar ihres Urenkels hinglitt. Sie
selbst und jene Zeit sind längst begraben; vergebens auch habe ich
seitdem jenen Blättern nachgeforscht, und ich kann daher um so weniger
weder die Wahrheit der Tatsachen verbürgen als, wenn jemand sie
bestreiten wollte, dafür aufstehen; nur so viel kann ich versichern,
daß ich sie seit jener Zeit, obgleich sie durch keinen äußeren Anlaß in
mir aufs neue belebt wurden, niemals aus dem Gedächtnis verloren habe.


Es war im dritten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, an einem
Oktober-nachmittag—so begann der damalige Erzähler—als ich bei starkem
Unwetter auf einem nordfriesischen Deich entlang ritt. Zur Linken hatte
ich jetzt schon seit über einer Stunde die öde, bereits von allem Vieh
geleerte Marsch, zur Rechten, und zwar in unbehaglichster Nähe, das
Wattenmeer der Nordsee; zwar sollte man vom Deiche aus auf Halligen und
Inseln sehen können; aber ich sah nichts als die gelbgrauen Wellen, die
unaufhörlich wie mit Wutgebrüll an den Deich hinaufschlugen und
mitunter mich und das Pferd mit schmutzigem Schaum bespritzten;
dahinter wüste Dämmerung, die Himmel und Erde nicht unterscheiden ließ;
denn auch der halbe Mond, der jetzt in der Höhe stand, war meist von
treibendem Wolkendunkel überzogen. Es war eiskalt; meine verklommenen
Hände konnten kaum den Zügel halten, und ich verdachte es nicht den
Krähen und Möwen, die sich fortwährend krächzend und gackernd vom Sturm
ins Land hineintreiben ließen. Die Nachtdämmerung hatte begonnen, und
schon konnte ich nicht mehr mit Sicherheit die Hufe meines Pferdes
erkennen; keine Menschenseele war mir begegnet, ich hörte nichts als
das Geschrei der Vögel, wenn sie mich oder meine treue Stute fast mit
den langen Flügeln streiften, und das Toben von Wind und Wasser. Ich
leugne nicht, ich wünschte mich mitunter in sicheres Quartier.

Das Wetter dauerte jetzt in den dritten Tag, und ich hatte mich schon
über Gebühr von einem mir besonders lieben Verwandten auf seinem Hofe
halten lassen, den er in einer der nördlicheren Harden besaß. Heute
aber ging es nicht länger; ich hatte Geschäfte in der Stadt, die auch
jetzt wohl noch ein paar Stunden weit nach Süden vor mir lag, und trotz
aller Überredungskünste des Vetters und seiner lieben Frau, trotz der
schönen selbstgezogenen Perinette- und Grand-Richard-Äpfel, die noch zu
probieren waren, am Nachmittag war ich davongeritten. „Wart nur, bis du
ans Meer kommst,“ hatte er noch an seiner Haustür mir nachgerufen; „du
kehrst noch wieder um; dein Zimmer wird dir vorbehalten!“

Und wirklich, einen Augenblick, als eine schwarze Wolkenschicht es
pechfinster um mich machte und gleichzeitig die heulenden Böen mich
samt meiner Stute vom Deich herabzudrängen suchten, fuhr es mir wohl
durch den Kopf. „Sei kein Narr! Kehr’ um und setz’ dich zu deinen
Freunden ins warme Nest.“ Dann aber fiel’s mir ein, der Weg zurück war
wohl noch länger als der nach meinem Reiseziel; und so trabte ich
weiter, den Kragen meines Mantels um die Ohren ziehend.

Jetzt aber kam auf dem Deiche etwas gegen mich heran; ich hörte nichts;
aber immer deutlicher, wenn der halbe Mond ein karges Licht herabließ,
glaubte ich eine dunkle Gestalt zu erkennen, und bald, da sie näher
kam, sah ich es, sie saß auf einem Pferde, einem hochbeinigen hageren
Schimmel; ein dunkler Mantel flatterte um ihre Schultern, und im
Vorbeifliegen sahen mich zwei brennende Augen aus einem bleichen
Antlitz an.

Wer war das? Was wollte der?—Und jetzt fiel mir bei, ich hatte keinen
Hufschlag, kein Keuchen des Pferdes vernommen; und Roß und Reiter waren
doch hart an mir vorbeigefahren.

In Gedanken darüber ritt ich weiter; aber ich hatte nicht lange Zeit
zum Denken, schon fuhr es von rückwärts wieder an mir vorbei; mir war,
als streifte mich der fliegende Mantel, und die Erscheinung war, wie
das erstemal, lautlos an mir vorübergestoben. Dann sah ich sie fern und
ferner vor mir; dann war’s, als säh’ ich plötzlich ihren Schatten an
der Binnenseite des Deiches hinuntergehen.

Etwas zögernd ritt ich hinterdrein. Als ich jene Stelle erreicht hatte,
sah ich hart am Deich im Kooge unten das Wasser einer großen Wehle
blinken—so nennen sie dort die Brüche, welche von den Sturmfluten in
das Land gerissen werden, und die dann meist als kleine, aber
tiefgründige Teiche stehen bleiben.

Das Wasser war, trotz des schützenden Deiches, auffallend unbewegt; der
Reiter konnte es nicht getrübt haben; ich sah nichts weiter von ihm.
Aber ein anderes sah ich, das ich mit Freuden jetzt begrüßte: vor mir,
von unten aus dem Kooge, schimmerten eine Menge zerstreuter
Lichtscheine zu mir herauf; sie schienen aus jenen langgestreckten
friesischen Häusern zu kommen, die vereinzelt auf mehr oder minder
hohen Werften lagen; dicht vor mir aber auf halber Höhe des
Binnendeiches lag ein großes Haus derselben Art; an der Südseite,
rechts von der Haustür, sah ich alle Fenster erleuchtet; dahinter
gewahrte ich Menschen und glaubte trotz des Sturmes sie zu hören. Mein
Pferd war schon von selbst auf den Weg am Deich hinabgeschritten, der
mich vor die Tür des Hauses führte. Ich sah wohl, daß es ein Wirtshaus
war; denn vor den Fenstern gewahrte ich die sogenannten „Ricks“, das
heißt auf zwei Ständern ruhende Balken mit großen eisernen Ringen, zum
Anbinden des Viehes und der Pferde, die hier haltmachten.

Ich band das meine an einen derselben und überwies es dann dem Knechte,
der mir beim Eintritt in den Flur entgegenkam. „Ist hier Versammlung?“
frug ich ihn, da mir jetzt deutlich ein Geräusch von Menschenstimmen
und Gläserklirren aus der Stubentür entgegendrang.

„Is wull so wat,“ entgegnete der Knecht auf Plattdeutsch—und ich erfuhr
nachher, daß dieses neben dem Friesischen hier schon seit über hundert
Jahren im Schwange gewesen sei—„Diekgraf und Gevollmächtigten un wecke
von de annern Interessenten! Dat is um’t hoge Water!“

Als ich eintrat, sah ich etwa ein Dutzend Männer an einem Tische
sitzen, der unter den Fenstern entlanglief; eine Punschbowle stand
darauf, und ein besonders stattlicher Mann schien die Herrschaft über
sie zu führen.

Ich grüßte und bat, mich zu ihnen setzen zu dürfen, was bereitwilligst
gestattet wurde. „Sie halten hier die Wacht!“ sagte ich, mich zu jenem
Manne wendend; „es ist bös Wetter draußen; die Deiche werden ihre Not
haben!“

„Gewiß,“ erwiderte er; „wir hier an der Ostseite aber glauben jetzt
außer Gefahr zu sein; nur drüben an der andern Seite ist’s nicht
sicher; die Deiche sind dort meist noch mehr nach altem Muster; unser
Hauptdeich ist schon im vorigen Jahrhundert umgelegt.—Uns ist vorhin da
draußen kalt geworden, und Ihnen,“ setzte er hinzu, „wird es ebenso
gegangen sein; aber wir müssen hier noch ein paar Stunden aushalten;
wir haben sichere Leute draußen, die uns Bericht erstatten.“ Und ehe
ich meine Bestellung bei dem Wirte machen konnte, war schon ein
dampfendes Glas mir hingeschoben.

Ich erfuhr bald, daß mein freundlicher Nachbar der Deichgraf sei; wir
waren ins Gespräch gekommen, und ich hatte begonnen, ihm meine seltsame
Begegnung auf dem Deiche zu erzählen. Er wurde aufmerksam, und ich
bemerkte plötzlich, daß alles Gespräch umher verstummt war. „Der
Schimmelreiter!“ rief einer aus der Gesellschaft, und eine Bewegung des
Erschreckens ging durch die übrigen.

Der Deichgraf war aufgestanden. „Ihr braucht nicht zu erschrecken,“
sprach er über den Tisch hin; „das ist nicht bloß für uns; Anno 17 hat
es auch denen drüben gegolten; mögen sie auf alles vorgefaßt sein!“

Mich wollte nachträglich ein Grauen überlaufen. „Verzeiht!“ sprach ich,
„was ist das mit dem Schimmelreiter?“

Abseits hinter dem Ofen, ein wenig gebückt, saß ein kleiner hagerer
Mann in einem abgeschabten schwarzen Röcklein; die eine Schulter schien
ein wenig ausgewachsen. Er hatte mit keinem Worte an der Unterhaltung
der andern teilgenommen; aber seine bei dem spärlichen grauen Haupthaar
noch immer mit dunklen Wimpern besäumten Augen zeigten deutlich, daß er
nicht zum Schlaf hier sitze.

Gegen diesen streckte der Deichgraf seine Hand. „Unser Schulmeister,“
sagte er mit erhobener Stimme, „wird von uns hier Ihnen das am besten
erzählen können; freilich nur in seiner Weise und nicht so richtig, wie
zu Haus meine alte Wirtschafterin Antje Vollmers es beschaffen würde.“

„Ihr scherzet, Deichgraf!“ kam die etwas kränkliche Stimme des
Schulmeisters hinter dem Ofen hervor, „daß Ihr mir Euren dummen Drachen
wollt zur Seite stellen!“

„Ja, ja, Schulmeister!“ erwiderte der andere, „aber bei den Drachen
sollen derlei Geschichten am besten in Verwahrung sein!“

„Freilich!“ sagte der kleine Herr; „wir sind hierin nicht ganz
derselben Meinung“; und ein überlegenes Lächeln glitt über das feine
Gesicht.

„Sie sehen wohl,“ raunte der Deichgraf mir ins Ohr; „er ist immer noch
ein wenig hochmütig; er hat in seiner Jugend einmal Theologie studiert
und ist nur einer verfehlten Brautschaft wegen hier in seiner Heimat
als Schulmeister behangen geblieben.“

Dieser war inzwischen aus seiner Ofenecke hervorgekommen und hatte sich
neben mir an den langen Tisch gesetzt. „Erzählt, erzählt nur,
Schulmeister,“ riefen ein paar der Jüngeren aus der Gesellschaft.

„Nun freilich,“ sagte der Alte, sich zu mir wendend, „will ich gern zu
Willen sein; aber es ist viel Aberglaube dazwischen und eine Kunst, es
ohne diesen zu erzählen.“

„Ich muß Euch bitten, den nicht auszulassen,“ erwiderte ich; „traut mir
nur zu, daß ich schon selbst die Spreu vom Weizen sondern werde!“

Der Alte sah mich mit verständnisvollem Lächeln an. „Nun also!“ sagte
er. „In der Mitte des vorigen Jahrhunderts, oder vielmehr, um genauer
zu bestimmen, vor und nach derselben, gab es hier einen Deichgrafen,
der von Deich- und Sielsachen mehr verstand, als Bauern und Hofbesitzer
sonst zu verstehen pflegen; aber es reichte doch wohl kaum; denn was
die studierten Fachleute darüber niedergeschrieben, davon hatte er
wenig gelesen; sein Wissen hatte er sich, wenn auch von Kindesbeinen
an, nur selber ausgesonnen. Ihr höret wohl schon, Herr, die Friesen
rechnen gut, und habet auch wohl schon über unseren Hans Mommsen von
Fahretoft reden hören, der ein Bauer war und doch Bussolen und
Seeuhren, Teleskopen und Orgeln machen konnte. Nun, ein Stück von solch
einem Manne war auch der Vater des nachherigen Deichgrafen gewesen;
freilich wohl nur ein kleines. Er hatte ein paar Fennen, wo er Raps und
Bohnen baute, auch eine Kuh graste, ging unterweilen im Herbst und
Frühjahr auch aufs Landmessen und saß im Winter, wenn der Nordwest von
draußen kam und an seinen Läden rüttelte, zu ritzen und zu prickeln, in
seiner Stube. Der Junge saß meist dabei und sah über seine Fibel oder
Bibel weg dem Vater zu, wie er maß und berechnete, und grub sich mit
der Hand in seinen blonden Haaren. Und eines Abends frug er den Alten,
warum denn das, was er eben hingeschrieben hatte, gerade so sein müsse
und nicht anders sein könne, und stellte dann eine eigene Meinung
darüber auf. Aber der Vater, der darauf nicht zu antworten wußte,
schüttelte den Kopf und sprach: „Das kann ich dir nicht sagen; genug,
es ist so, und du selber irrst dich. Willst du mehr wissen, so suche
morgen aus der Kiste, die auf unserm Boden steht, ein Buch, einer, der
Euklid hieß, hat’s geschrieben; das wird’s dir sagen!“

——Der Junge war tags darauf zum Boden gelaufen und hatte auch bald das
Buch gefunden; denn viele Bücher gab es überhaupt nicht in dem Hause;
aber der Vater lachte, als er es vor ihn auf den Tisch legte. Es war
ein holländischer Euklid, und Holländisch, wenngleich es doch halb
Deutsch war, verstanden alle beide nicht. „Ja, ja,“ sagte er, „das Buch
ist noch von meinem Vater, der verstand es; ist denn kein deutscher
da?“

Der Junge, der von wenig Worten war, sah den Vater ruhig an und sagte
nur: „Darf ich’s behalten? Ein deutscher ist nicht da.“

Und als der Alte nickte, wies er noch ein zweites, halb zerrissenes
Büchlein vor. „Auch das?“ frug er wieder.

„Nimm sie alle beide!“ sagte Tede Haien; „sie werden dir nicht viel
nützen.“

Aber das zweite Buch war eine kleine holländische Grammatik, und da der
Winter noch lange nicht vorüber war, so hatte es, als endlich die
Stachelbeeren in ihrem Garten wieder blühten, dem Jungen schon so weit
geholfen, daß er den Euklid, welcher damals stark im Schwange war, fast
überall verstand.

„Es ist mir nicht unbekannt, Herr,“ unterbrach sich der Erzähler, „daß
dieser Umstand auch von Hans Mommsen erzählt wird; aber vor dessen
Geburt ist hier bei uns schon die Sache von Hauke Haien—so hieß der
Knabe—berichtet worden. Ihr wisset auch wohl, es braucht nur einmal ein
Größerer zu kommen, so wird ihm alles aufgeladen, was in Ernst oder
Schimpf seine Vorgänger einst mögen verübt haben.

Als der Alte sah, daß der Junge weder für Kühe noch Schafe Sinn hatte
und kaum gewahrte, wenn die Bohnen blühten, was doch die Freude von
jedem Marschmann ist, und weiterhin bedachte, daß die kleine Stelle
wohl mit einem Bauer und einem Jungen, aber nicht mit einem
Halbgelehrten und einem Knecht bestehen könne, ingleichen, daß er auch
selber nicht auf einen grünen Zweig gekommen sei, so schickte er seinen
großen Jungen an den Deich, wo er mit andern Arbeitern von Ostern bis
Martini Erde karren mußte. „Das wird ihn vom Euklid kurieren,“ sprach
er bei sich selber.

Und der Junge karrte; aber den Euklid hatte er allzeit in der Tasche,
und wenn die Arbeiter ihr Frühstück oder Vesper aßen, saß er auf seinem
umgestülpten Schubkarren mit dem Buche in der Hand. Und wenn im Herbst
die Fluten höher stiegen und manch ein Mal die Arbeit eingestellt
werden mußte, dann ging er nicht mit den andern nach Hause, sondern
blieb, die Hände über die Knie gefaltet, an der abfallenden Seeseite
des Deiches sitzen und sah stundenlang zu, wie die trüben Nordseewellen
immer höher an die Grasnarbe des Deiches hinaufschlugen; erst wenn ihm
die Füße überspült waren, und der Schaum ihm ins Gesicht spritzte,
rückte er ein paar Fuß höher und blieb dann wieder sitzen. Er hörte
weder das Klatschen des Wassers noch das Geschrei der Möwen und
Strandvögel, die um oder über ihm flogen und ihn fast mit ihren Flügeln
streiften, mit den schwarzen Augen in die seinen blitzend; er sah auch
nicht, wie vor ihm über die weite, wilde Wasserwüste sich die Nacht
ausbreitete; was er allein hier sah, war der brandende Saum des
Wassers, der, als die Flut stand, mit hartem Schlage immer wieder
dieselbe Stelle traf und vor seinen Augen die Grasnarbe des steilen
Deiches auswusch.

Nach langem Hinstarren nickte er wohl langsam mit dem Kopfe, oder
zeichnete, ohne aufzusehen, mit der Hand eine weiche Linie in die Luft,
als ob er dem Deiche damit einen sanfteren Abfall geben wollte. Wurde
es so dunkel, daß alle Erdendinge vor seinen Augen verschwanden und nur
die Flut ihm in die Ohren donnerte, dann stand er auf und trabte
halbdurchnäßt nach Hause.

Als er so eines Abends zu seinem Vater in die Stube trat, der an seinen
Meßgeräten putzte, fuhr dieser auf: „Was treibst du draußen? Du hättest
ja versaufen können, die Wasser beißen heute in den Deich.“

Hauke sah ihn trotzig an.

—„Hörst du mich nicht? Ich sag’, du hätt’st versaufen können.“

„Ja,“ sagte Hauke; „ich bin doch nicht versoffen!“

„Nein,“ erwiderte nach einer Weile der Alte und sah ihm wie abwesend
ins Gesicht,—„diesmal noch nicht.“

„Aber,“ sagte Hauke wieder; „unsere Deiche sind nichts wert!“

—„Was für was, Junge?“

„Die Deiche, sag’ ich!“

—„Was sind die Deiche?“

„Sie taugen nichts, Vater!“ erwiderte Hauke.

Der Alte lachte ihm ins Gesicht. „Was denn, Junge? Du bist wohl das
Wunderkind aus Lübeck!“

Aber der Junge ließ sich nicht irren. „Die Wasserseite ist zu steil,“
sagte er; „wenn es einmal kommt, wie es mehr als einmal schon gekommen
ist, so können wir hier auch hinterm Deich ersaufen!“

Der Alte holte seinen Kautabak aus der Tasche, drehte einen Schrot ab
und schob ihn hinter die Zähne. „Und wieviel Karren hast du heut
geschoben?“ frug er ärgerlich; denn er sah wohl, daß auch die
Deicharbeit bei dem Jungen die Denkarbeit nicht hatte vertreiben
können.

„Weiß nicht, Vater,“ sagte dieser, „so, was die andern machten;
vielleicht ein halbes Dutzend mehr; aber—die Deiche müssen anders
werden!“

„Nun,“ meinte der Alte und stieß ein Lachen aus; „du kannst es ja
vielleicht zum Deichgraf bringen; dann mach’ sie anders!“

„Ja, Vater!“ erwiderte der Junge.

Der Alte sah ihn an und schluckte ein paarmal; dann ging er aus der
Tür; er wußte nicht, was er dem Jungen antworten sollte.


Auch als zu Ende Oktobers die Deicharbeit vorbei war, blieb der Gang
nordwärts nach dem Haf hinaus für Hauke Haien die beste Unterhaltung;
den Allerheiligentag, um den herum die Äquinoktialstürme zu tosen
pflegen, von dem wir sagen, daß Friesland ihn wohl beklagen mag,
erwartete er wie heut die Kinder das Christfest. Stand eine Springflut
bevor, so konnte man sicher sein, er lag trotz Sturm und Wetter weit
draußen am Deiche mutterseelenallein; und wenn die Möwen gackerten,
wenn die Wasser gegen den Deich tobten und beim Zurückrollen ganze
Fetzen von der Grasdecke mit ins Meer hinabrissen, dann hätte man
Haukes zorniges Lachen hören können. „Ihr könnt nichts Rechtes,“ schrie
er in den Lärm hinaus, „so wie die Menschen auch nichts können!“ Und
endlich, oft im Finstern, trabte er aus der weiten Öde den Deich
entlang nach Hause, bis seine aufgeschossene Gestalt die niedrige Tür
unter seines Vaters Rohrdach erreicht hatte und darunter durch in das
kleine Zimmer schlüpfte.

Manchmal hatte er eine Faust voll Kleierde mitgebracht; dann setzte er
sich neben den Alten, der ihn jetzt gewähren ließ, und knetete bei dem
Schein der dünnen Unschlittkerze allerlei Deichmodelle, legte sie in
ein flaches Gefäß mit Wasser und suchte darin die Ausspülung der Wellen
nachzumachen, oder er nahm seine Schiefertafel und zeichnete darauf das
Profil der Deiche nach der Seeseite, wie es nach seiner Meinung sein
mußte.

Mit denen zu verkehren, die mit ihm auf der Schulbank gesessen hatten,
fiel ihm nicht ein, auch schien es, als ob ihnen an dem Träumer nichts
gelegen sei. Als es wieder Winter geworden und der Frost
hereingebrochen war, wanderte er noch weiter, wohin er früher nie
gekommen, auf den Deich hinaus, bis die unabsehbare eisbedeckte Fläche
der Watten vor ihm lag.

Im Februar bei dauerndem Frostwetter wurden angetriebene Leichen
aufgefunden; draußen am offenen Haf auf den gefrorenen Watten hatten
sie gelegen. Ein junges Weib, die dabei gewesen war, als man sie in das
Dorf geholt hatte, stand redselig vor dem alten Haien. „Glaubt nicht,
daß sie wie Menschen aussahen,“ rief sie; „nein, wie die Seeteufel! So
große Köpfe,“ und hielt die ausgespreizten Hände von weitem
gegeneinander, „gnidderschwarz und blank, wie frisch gebacken Brot! Und
die Krabben hatten sie angeknabbert; und die Kinder schrien laut, als
sie sie sahen!“

Dem alten Haien war so was just nichts Neues. „Sie haben wohl seit
November schon in See getrieben!“ sagte er gleichmütig.

Hauke stand schweigend daneben; aber sobald er konnte, schlich er sich
auf den Deich hinaus; es war nicht zu sagen, wollte er noch nach
weiteren Toten suchen, oder zog ihn nur das Grauen, das noch auf den
jetzt verlassenen Stellen brüten mußte. Er lief weiter und weiter, bis
er einsam in der Öde stand, wo nur die Winde über den Deich wehten, wo
nichts war als die klagenden Stimmen der großen Vögel, die rasch
vorüberschossen; zu seiner Linken die leere weite Marsch, zur andern
Seite der unabsehbare Strand mit seiner jetzt vom Eise schimmernden
Fläche der Watten; es war als liege die ganze Welt in weißem Tod.

Hauke blieb oben auf dem Deiche stehen, und seine scharfen Augen
schweiften weit umher; aber von Toten war nichts mehr zu sehen; nur wo
die unsichtbaren Wattströme sich darunter drängten, hob und senkte die
Eisfläche sich in stromartigen Linien.

Er lief nach Hause; aber an einem der nächsten Abende war er wiederum
da draußen. Auf jenen Stellen war jetzt das Eis gespalten; wie
Rauchwolken stieg es aus den Rissen, und über das ganze Watt spann sich
ein Netz von Dampf und Nebel, das sich seltsam mit der Dämmerung des
Abends mischte. Hauke sah mit starren Augen darauf hin; denn in dem
Nebel schritten dunkle Gestalten auf und ab, sie schienen ihm so groß
wie Menschen. Würdevoll, aber mit seltsamen, erschreckenden Gebärden;
mit langen Nasen und Hälsen sah er sie fern an den rauchenden Spalten
auf und ab spazieren; plötzlich begannen sie wie Narren unheimlich auf
und ab zu springen, die großen über die kleinen und die kleinen gegen
die großen; dann breiteten sie sich aus und verloren alle Form.

„Was wollen die? Sind es die Geister der Ertrunkenen?“ dachte Hauke.
„Hoiho!“ schrie er laut in die Nacht hinaus; aber die draußen kehrten
sich nicht an seinen Schrei, sondern trieben ihr wunderliches Wesen
fort.

Da kamen ihm die furchtbaren norwegischen Seegespenster in den Sinn,
von denen ein alter Kapitän ihm einst erzählt hatte, die statt des
Angesichts einen stumpfen Pull von Seegras auf dem Nacken tragen; aber
er lief nicht fort, sondern bohrte die Hacken seiner Stiefel fest in
den Klei des Deiches und sah starr dem possenhaften Unwesen zu, das in
der einfallenden Dämmerung vor seinen Augen fortspielte. „Seid ihr auch
hier bei uns?“ sprach er mit harter Stimme; „ihr sollt mich nicht
vertreiben!“

Erst als die Finsternis alles bedeckte, schritt er steifen, langsamen
Schrittes heimwärts. Aber hinter ihm drein kam es wie Flügelrauschen
und hallendes Geschrei. Er sah nicht um; aber er ging auch nicht
schneller und kam erst spät nach Hause; doch niemals soll er seinem
Vater oder einem andern davon erzählt haben. Erst viele Jahre später
hat er sein blödes Mädchen, womit später der Herrgott ihn belastete, um
dieselbe Tages- und Jahreszeit mit sich auf den Deich hinausgenommen,
und dasselbe Wesen soll sich derzeit draußen auf den Watten gezeigt
haben; aber er hat ihr gesagt, sie solle sich nicht fürchten, das seien
nur die Fischreiher und die Krähen, die im Nebel so groß und
fürchterlich erschienen; die holten sich die Fische aus den offenen
Spalten.

Weiß Gott, Herr!“ unterbrach sich der Schulmeister, „es gibt auf Erden
allerlei Dinge, die ein ehrlich Christenherz verwirren können; aber der
Hauke war weder ein Narr noch ein Dummkopf.“

Da ich nichts erwiderte, wollte er fortfahren; aber unter den übrigen
Gästen, die bisher lautlos zugehört hatten, nur mit dichterem
Tabaksqualm das niedrige Zimmer füllend, entstand eine plötzliche
Bewegung; erst einzelne, dann fast alle wandten sich dem Fenster zu.
Draußen—man sah es durch die unverhangenen Fenster—trieb der Sturm die
Wolken, und Licht und Dunkel jagten durcheinander; aber auch mir war
es, als hätte ich den hageren Reiter auf seinem Schimmel vorbeisausen
gesehen.

„Wart’ Er ein wenig, Schulmeister!“ sagte der Deichgraf leise.

„Ihr braucht Euch nicht zu fürchten, Deichgraf!“ erwiderte der kleine
Erzähler, „ich habe ihn nicht geschmäht und hab’ auch dessen keine
Ursach’“; und er sah mit seinen kleinen, klugen Augen zu ihm auf.

„Ja, ja,“ meinte der andere, „laß’ Er Sein Glas nur wieder füllen.“ Und
nachdem das geschehen war, und die Zuhörer, meist mit etwas verdutzten
Gesichtern, sich wieder zu ihm gewandt hatten, fuhr er in seiner
Geschichte fort:

„So für sich, und am liebsten nur mit Wind und Wasser und mit den
Bildern der Einsamkeit verkehrend, wuchs Hauke zu einem langen, hageren
Burschen auf. Er war schon über ein Jahr lang eingesegnet, da wurde es
auf einmal anders mit ihm, und das kam von dem alten weißen
Angorakater, welchen der alten Trien’ Jans einst ihr später
verunglückter Sohn von seiner spanischen Seereise mitgebracht hatte.
Trien’ wohnte ein gut Stück hinaus auf dem Deiche in einer kleinen
Kate, und wenn die Alte in ihrem Hause herumarbeitete, so pflegte diese
Unform von einem Kater vor der Haustür zu sitzen und in den Sommertag
und nach den vorüberfliegenden Kiebitzen hinauszublinzeln. Ging Hauke
vorbei, so mauzte der Kater ihn an, und Hauke nickte ihm zu; die beiden
wußten, was sie miteinander hatten.

Nun aber war’s einmal im Frühjahr, und Hauke lag nach seiner Gewohnheit
oft draußen am Deich, schon weiter unten dem Wasser zu, zwischen
Strandnelken und dem duftenden Seewermut, und ließ sich von der schon
kräftigen Sonne bescheinen. Er hatte sich tags zuvor droben auf der
Geest die Taschen voll von Kieseln gesammelt, und als in der Ebbezeit
die Watten bloßgelegt waren und die kleinen grauen Strandläufer
schreiend darüber hinhuschten, holte er jählings einen Stein hervor und
warf ihn nach den Vögeln. Er hatte das von Kindesbeinen an geübt, und
meistens blieb einer auf dem Schlicke liegen; aber ebenso oft war er
dort auch nicht zu holen; Hauke hatte schon daran gedacht, den Kater
mitzunehmen und als apportierenden Jagdhund zu dressieren. Aber es gab
auch hier und dort feste Stellen oder Sandlager; solchenfalls lief er
hinaus und holte sich seine Beute selbst. Saß der Kater bei seiner
Rückkehr noch vor der Haustür, dann schrie das Tier vor nicht zu
bergender Raubgier so lange, bis Hauke ihm einen der erbeuteten Vögel
zuwarf.

Als er heute, seine Jacke auf der Schulter, heimging, trug er nur einen
ihm noch unbekannten, aber wie mit bunter Seide und Metall gefiederten
Vogel mit nach Hause, und der Kater mauzte wie gewöhnlich, als er ihn
kommen sah. Aber Hauke wollte seine Beute—es mag ein Eisvogel gewesen
sein—diesmal nicht hergeben und kehrte sich nicht an die Gier des
Tieres. „Umschicht!“ rief er ihm zu, „heute mir, morgen dir; das hier
ist kein Katerfressen!“ Aber der Kater kam vorsichtigen Schrittes
herangeschlichen; Hauke stand und sah ihn an, der Vogel hing an seiner
Hand, und der Kater blieb mit erhobener Tatze stehen. Doch der Bursche
schien seinen Katzenfreund noch nicht so ganz zu kennen; denn während
er ihm seinen Rücken zugewandt hatte und eben fürbaß wollte, fühlte er
mit einem Ruck die Jagdbeute sich entrissen, und zugleich schlug eine
scharfe Kralle ihm ins Fleisch. Ein Grimm, wie gleichfalls eines
Raubtiers, flog dem jungen Menschen ins Blut; er griff wie rasend um
sich und hatte den Räuber schon am Genicke gepackt. Mit der Faust hielt
er das mächtige Tier empor und würgte es, daß die Augen ihm aus den
rauhen Haaren vorquollen, nicht achtend, daß die starken Hintertatzen
ihm den Arm zerfleischten. „Hoiho!“ schrie er und packte ihn noch
fester; „wollen sehen, wer’s von uns beiden am längsten aushält!“

Plötzlich fielen die Hinterbeine der großen Katze schlaff herunter, und
Hauke ging ein paar Schritte zurück und warf sie gegen die Kate der
Alten. Da sie sich nicht rührte, wandte er sich und setzte seinen Weg
nach Hause fort.

Aber der Angorakater war das Kleinod seiner Herrin; er war ihr Geselle
und das einzige, was ihr Sohn, der Matrose, ihr nachgelassen, nachdem
er hier an der Küste seinen jähen Tod gefunden hatte, da er im Sturm
seiner Mutter beim Porrenfangen hatte helfen wollen. Hauke mochte kaum
hundert Schritte weiter getan haben, während er mit einem Tuch das Blut
aus seinen Wunden auffing, als schon von der Kate her ihm ein Geheul
und Zetern in die Ohren gellte. Da wandte er sich und sah davor das
alte Weib am Boden liegen; das greise Haar flog ihr im Winde um das
rote Kopftuch: „Tot!“ rief sie, „tot!“ und erhob dräuend ihren mageren
Arm gegen ihn: „Du sollst verflucht sein! Du hast ihn totgeschlagen, du
nichtsnutziger Strandläufer, du warst nicht wert, ihm seinen Schwanz zu
bürsten!“ Sie warf sich über das Tier und wischte zärtlich mit ihrer
Schürze ihm das Blut fort, das noch aus Nas’ und Schnauze rann; dann
hob sie aufs neue an zu zetern.

„Bist du bald fertig?“ rief Hauke ihr zu, „dann laß dir sagen: ich will
dir einen Kater schaffen, der mit Maus- und Rattenblut zufrieden ist!“

Darauf ging er, scheinbar auf nichts mehr achtend, fürbaß. Aber die
tote Katze mußte ihm doch im Kopfe Wirrsal machen; denn er ging, als er
zu den Häusern gekommen war, dem seines Vaters und auch den übrigen
vorbei und eine weite Strecke noch nach Süden auf dem Deich der Stadt
zu.

Inmittelst wanderte auch Trien’ Jans auf demselben in der gleichen
Richtung; sie trug in einem alten blaukarierten Kissenüberzug eine Last
in ihren Armen, die sie sorgsam, als wär’s ein Kind, umklammerte; ihr
greises Haar flatterte in dem leichten Frühlingswind. „Was schleppt Sie
da, Trina?“ frug ein Bauer, der ihr entgegenkam. „Mehr als dein Haus
und Hof,“ erwiderte die Alte; dann ging sie eifrig weiter. Als sie dem
unten liegenden Hause des alten Haien nahe kam, ging sie den Akt, wie
man bei uns die Trift- und Fußwege nennt, die schräg an der Seite des
Deiches hinab oder hinauf führen, zu den Häusern hinunter.

Der alte Tede Haien stand eben vor der Tür und sah ins Wetter: „Na,
Trien’!“ sagte er, als sie pustend vor ihm stand und ihren Krückstock
in die Erde bohrte, „was bringt Sie Neues in Ihrem Sack?“

„Erst laß mich in die Stube, Tede Haien! Dann soll Er’s sehen!“ Und
ihre Augen sahen ihn mit seltsamem Funkeln an.

„So komm’ Sie!“ sagte der Alte. Was gingen ihn die Augen des dummen
Weibes an.

Und als beide eingetreten waren, fuhr sie fort: „Bring’ Er den alten
Tabakskasten und das Schreibzeug von dem Tisch—Was hat Er denn immer zu
schreiben?—So; und nun wisch’ Er ihn sauber ab!“

Und der Alte, der fast neugierig wurde, tat alles, was sie sagte; dann
nahm sie den blauen Überzug bei beiden Zipfeln und schüttete daraus den
großen Katerleichnam auf den Tisch. „Da hat Er ihn!“ rief sie; „Sein
Hauke hat ihn totgeschlagen.“ Hierauf aber begann sie ein bitterliches
Weinen; sie streichelte das dicke Fell des toten Tieres, legte ihm die
Tatzen zusammen, neigte ihre lange Nase über dessen Kopf und raunte ihm
unverständliche Zärtlichkeiten in die Ohren.

Tede Haien sah dem zu. „So,“ sagte er; „Hauke hat ihn totgeschlagen?“
Er wußte nicht, was er mit dem heulenden Weibe machen sollte.

Die Alte nickte ihn grimmig an: „Ja, ja; so Gott, das hat er getan!“
Und sie wischte sich mit ihrer von Gicht verkrümmten Hand das Wasser
aus den Augen. „Kein Kind, kein Lebigs mehr!“ klagte sie. „Und Er weiß
es ja wohl auch, uns Alten, wenn’s nach Allerheiligen kommt, frieren
abends im Bett die Beine, und statt zu schlafen, hören wir den Nordwest
an unseren Fensterläden rappeln. Ich hör’s nicht gern, Tede Haien, er
kommt daher, wo mein Junge mir im Schlick versank.“

Tede Haien nickte, und die Alte streichelte das Fell ihres toten
Katers: „Der aber,“ begann sie wieder, „wenn ich Winters am Spinnrad
saß, dann saß er bei mir und spann auch und sah mich an mit seinen
grünen Augen! Und kroch ich, wenn’s mir kalt wurde, in mein Bett—es
dauerte nicht lang, so sprang er zu mir und legte sich auf meine
frierenden Beine, und schliefen wir warm mitsammen!“ Die Alte, als
suche sie bei dieser Erinnerung nach Zustimmung, sah den neben ihr am
Tische stehenden Alten mit ihren funkelnden Augen an.

Tede Haien aber sagte bedächtig: „Ich weiß Ihr einen Rat, Trien’ Jans,“
und er ging nach seiner Schatulle und nahm eine Silbermünze aus der
Schublade—„Sie sagt, daß Hauke Ihr das Tier vom Leben gebracht hat, und
ich weiß, Sie lügt nicht; aber hier ist ein Krontaler von Christian dem
Vierten; damit kauf’ Sie sich ein gegerbtes Lammfell für Ihre kalte
Beine! Und wenn unsere Katze nächstens Junge wirft, so mag Sie sich das
größte davon aussuchen, das zusammen tut wohl einen altersschwachen
Angorakater! Und nun nehm’ Sie das Vieh und bring’ Sie es meinethalb an
den Racker in der Stadt, und halt’ Sie das Maul, daß es hier auf meinem
ehrlichen Tisch gelegen hat!“

Während dieser Rede hatte das Weib schon nach dem Taler gegriffen und
ihn in einer kleinen Tasche geborgen, die sie unter ihren Röcken trug;
dann stopfte sie den Kater wieder in das Bettbühr, wischte mit ihrer
Schürze die Blutflecken von dem Tisch und stakte zur Tür hinaus.
„Vergiß Er mir nur den jungen Kater nicht!“ rief sie noch zurück.

—Eine Weile später, als der alte Haien in dem engen Stüblein auf und ab
schritt, trat Hauke herein und warf seinen bunten Vogel auf den Tisch;
als er aber auf der weißgescheuerten Platte den noch kennbaren
Blutfleck sah, frug er, wie beiläufig: „Was ist denn das?“

Der Vater blieb stehen: „Das ist Blut, was du hast fließen machen!“

Dem Jungen schoß es doch heiß ins Gesicht: „Ist denn Trien’ Jans mit
ihrem Kater hier gewesen?“

Der Alte nickte: „Weshalb hast du ihr den totgeschlagen?“

Hauke entblößte seinen blutigen Arm. „Deshalb,“ sagte er; „er hatte mir
den Vogel fortgerissen!“

Der Alte sagte nichts hierauf, er begann eine Zeitlang wieder auf und
ab zu gehen; dann blieb er vor dem Jungen stehn und sah eine Weile wie
abwesend auf ihn hin. „Das mit dem Kater hab’ ich rein gemacht,“ sagte
er dann; „aber, siehst du, Hauke, die Kate ist hier zu klein; zwei
Herren können darauf nicht sitzen—es ist nun Zeit, du mußt dir einen
Dienst besorgen!“

„Ja, Vater,“ entgegnete Hauke; „hab’ dergleichen auch gedacht.“

„Warum?“ frug der Alte.

—„Ja, man wird grimmig in sich, wenn man’s nicht an einem ordentlichen
Stück Arbeit auslassen kann.“

„So?“ sagte der Alte, „und darum hast du den Angorer totgeschlagen? Das
könnte leicht noch schlimmer werden?“

—„Er mag wohl recht haben, Vater; aber der Deichgraf hat seinen
Kleinknecht fortgejagt; das könnt’ ich schon verrichten!“

Der Alte begann wieder auf und ab zu gehen und spritzte dabei die
schwarze Tabaksjauche von sich: „Der Deichgraf ist ein Dummkopf, dumm
wie ’ne Saatgans! Er ist nur Deichgraf, weil sein Vater und Großvater
es gewesen sind, und wegen seiner neunundzwanzig Fennen. Wenn Martini
herankommt und hernach die Deich- und Sielrechnungen abgetan werden
müssen, dann füttert er den Schulmeister mit Gansbraten und Met und
Weizenkringeln und sitzt dabei und nickt, wenn der mit seiner Feder die
Zahlenreihen hinunterläuft, und sagt: „Ja, ja, Schulmeister, Gott
vergönn’s Ihm! Was kann Er rechnen?“ Wenn aber einmal der Schulmeister
nicht kann oder auch nicht will, dann muß er selber dran und sitzt und
schreibt und streicht wieder aus, und der große dumme Kopf wird ihm rot
und heiß, und die Augen quellen wie Glaskugeln, als wollte das bißchen
Verstand da hinaus.“

Der Junge stand gerade auf vor dem Vater und wunderte sich, was der
reden könne; so hatte er’s noch nicht von ihm gehört. „Ja, Gott
tröst’!“ sagte er, „dumm ist er wohl; aber seine Tochter Elke, die kann
rechnen!“

Der Alte sah ihn scharf an. „Ahoi, Hauke,“ rief er; „was weißt du von
Elke Volkerts?“

—„Nichts, Vater; der Schulmeister hat’s mir nur erzählt.“

Der Alte antwortete nicht darauf, er schob nur bedächtig seinen
Tabaksknoten aus einer Backe hinter die andere. „Und du denkst,“ sagte
er dann, „du wirst dort auch mitrechnen können.“

„O ja, Vater, das möcht’ schon gehen,“ erwiderte der Sohn, und ein
ernstes Zucken lief um seinen Mund.

Der Alte schüttelte den Kopf. „Nun, aber meinethalb; versuch’ einmal
dein Glück!“

„Dank auch, Vater!“ sagte Hauke und stieg zu seiner Schlafstatt auf dem
Boden; hier setzte er sich auf die Bettkante und sann, weshalb ihn denn
sein Vater um Elke Volkerts angerufen habe. Er kannte sie freilich, das
ranke achtzehnjährige Mädchen mit dem bräunlichen schmalen Antlitz und
den dunklen Brauen, die über den trotzigen Augen und der schmalen Nase
ineinanderliefen; doch hatte er noch kaum ein Wort mit ihr gesprochen;
nun, wenn er zu dem alten Tede Volkerts ging, wollte er sie doch besser
darauf ansehen, was es mit dem Mädchen auf sich habe. Und gleich jetzt
wollte er gehen, damit kein anderer ihm die Stelle abjage; es war ja
kaum noch Abend. Und so zog er seine Sonntagsjacke und seine besten
Stiefel an und machte sich guten Muts auf den Weg.

—Das langgestreckte Haus des Deichgrafen war durch seine hohe Werfte,
besonders durch den höchsten Baum des Dorfes, eine gewaltige Esche,
schon von weitem sichtbar; der Großvater des jetzigen, der erste
Deichgraf des Geschlechtes, hatte in seiner Jugend eine solche osten
der Haustür hier gesetzt; aber die beiden ersten Anpflanzungen waren
vergangen, und so hatte er an seinem Hochzeitsmorgen diesen dritten
Baum gepflanzt, der noch jetzt mit seiner immer mächtiger werdenden
Blätterkrone in dem hier unablässigen Winde wie von alten Zeiten
rauschte.

Als nach einer Weile der lang aufgeschossene Hauke die hohe Werfte
hinaufstieg, welche an den Seiten mit Rüben und Kohl bepflanzt war, sah
er droben die Tochter des Hauswirts neben der niedrigen Haustür stehen.
Ihr einer etwas hagerer Arm hing schlaff herab, die andere Hand schien
im Rücken nach dem Eisenring zu greifen, von denen je einer zu beiden
Seiten der Tür in der Mauer war, damit, wer vor das Haus ritt, sein
Pferd daran befestigen könne. Die Dirne schien von dort ihre Augen über
den Deich hinaus nach dem Meer zu haben, wo an dem stillen Abend die
Sonne eben in das Wasser hinabsank und zugleich das bräunliche Mädchen
mit ihrem letzten Schein vergoldete.

Hauke stieg etwas langsamer an der Werfte hinan und dachte bei sich:
„So ist sie nicht so dösig!“ Dann war er oben. „Guten Abend auch!“
sagte er, zu ihr tretend; „wonach guckst du denn mit deinen großen
Augen, Jungfer Elke?“

„Nach dem,“ erwiderte sie, „was hier alle Abend vor sich geht; aber
hier nicht alle Abend just zu sehen ist.“ Sie ließ den Ring aus der
Hand fallen, daß er klingend gegen die Mauer schlug. „Was willst du,
Hauke Haien?“ frug sie.

„Was dir hoffentlich nicht zuwider ist,“ sagte er. „Dein Vater hat
seinen Kleinknecht fortgejagt, da dachte ich bei Euch in Dienst.“

Sie ließ ihre Blicke an ihm herunterlaufen: „Du bist noch so was
schlanterig, Hauke!“ sagte sie; „aber uns dienen zwei feste Augen
besser als zwei feste Arme!“ Sie sah ihn dabei fast düster an; aber
Hauke hielt ihr tapfer stand. „So komm,“ fuhr sie fort; „der Wirt ist
in der Stube, laß uns hineingehen.“


Am anderen Tage trat Tede Haien mit seinem Sohne in das geräumige
Zimmer des Deichgrafen; die Wände waren mit glasurten Kacheln
bekleidet, auf denen hier ein Schiff mit vollen Segeln oder ein Angler
an einem Uferplatz, dort ein Rind, das kauernd vor einem Bauernhause
lag, den Beschauer vergnügen konnte; unterbrochen war diese dauerhafte
Tapete durch ein mächtiges Wandbett mit jetzt zugeschobenen Türen und
einen Wandschrank, der durch seine beiden Glastüren allerlei Porzellan-
und Silbergeschirr erblicken ließ; neben der Tür zum anstoßenden Pesel
war hinter einer Glasscheibe eine holländische Schlaguhr in die Wand
gelassen.

Der starke, etwas schlagflüssige Hauswirt saß am Ende des
blankgescheuerten Tisches im Lehnstuhl auf seinem bunten Wollenpolster.
Er hatte seine Hände über dem Bauch gefaltet und starrte aus seinen
runden Augen befriedigt auf das Gerippe einer fetten Ente; Gabel und
Messer ruhten vor ihm auf dem Teller.

„Guten Tag, Deichgraf!“ sagte Haien, und der Angeredete drehte langsam
Kopf und Augen zu ihm hin.

„Ihr seid es, Tede?“ entgegnete er, und der Stimme war die verzehrte
fette Ente anzuhören, „setzt Euch; es ist ein gut Stück von Euch zu mir
herüber!“

„Ich komme, Deichgraf,“ sagte Tede Haien, indem er sich auf die an der
Wand entlanglaufende Bank dem andern im Winkel gegenübersetzte. „Ihr
habt Verdruß mit Euerem Kleinknecht gehabt und seid mit meinem Jungen
einig geworden, ihn an dessen Stelle zu setzen!“

Der Deichgraf nickte: „Ja, ja, Tede; aber—was meint Ihr mit Verdruß?
Wir Marschleute haben, Gott tröst’ uns, was dagegen einzunehmen!“ und
er nahm das vor ihm liegende Messer und klopfte wie liebkosend auf das
Gerippe der armen Ente. „Das war mein Leibvogel,“ setzte er behaglich
lachend hinzu; „sie fraß mir aus der Hand!“

„Ich dachte,“ sagte der alte Haien, das letzte überhörend, „der Bengel
hätte Euch Unheil im Stall gemacht.“

„Unheil? Ja, Tede; freilich Unheil genug! Der dicke Mopsbraten hatte
die Kälber nicht gebörmt; aber er lag vollgetrunken auf dem Heuboden,
und das Viehzeug schrie die ganze Nacht vor Durst, daß ich bis Mittag
nachschlafen mußte, dabei kann die Wirtschaft nicht bestehen!“

„Nein, Deichgraf; aber dafür ist keine Gefahr bei meinem Jungen.“

Hauke stand, die Hände in den Seitentaschen, am Türpfosten, hatte den
Kopf im Nacken und studierte an den Fensterrähmen ihm gegenüber.

Der Deichgraf hatte die Augen zu ihm gehoben und nickte hinüber: „Nein,
nein, Tede“; und er nickte nun auch dem Alten zu; „Euer Hauke wird mir
die Nachtruh’ nicht verstören; der Schulmeister hat’s mir schon vordem
gesagt, der sitzt lieber vor der Rechentafel, als vor einem Glas mit
Branntwein.“

Hauke hörte nicht auf diesen Zuspruch, denn Elke war in die Stube
getreten und nahm mit ihrer leichten Hand die Reste der Speisen von dem
Tisch, ihn mit ihren dunkeln Augen flüchtig streifend. Da fielen seine
Blicke auch auf sie. „Bei Gott,“ sprach er bei sich selber, „sie sieht
auch so nicht dösig aus!“

Das Mädchen war hinausgegangen. „Ihr wisset, Tede,“ begann der
Deichgraf wieder, „unser Herrgott hat mir einen Sohn versagt!“

„Ja, Deichgraf, aber laßt Euch das nicht kränken,“ entgegnete der
andere, „denn im dritten Gliede soll der Familienverstand ja
verschleißen; Euer Großvater, das wissen wir noch alle, war einer, der
das Land geschützt hat!“

Der Deichgraf, nach einigem Besinnen, sah schier verdutzt aus: „Wie
meint Ihr das, Tede Haien?“ sagte er und setzte sich in seinem
Lehnstuhl auf; „ich bin ja doch im dritten Gliede!“

„Ja, so! Nicht für ungut, Deichgraf; es geht nur so die Rede!“ Und der
hagere Tede Haien sah den alten Würdenträger mit etwas boshaften Augen
an.

Der aber sprach unbekümmert: „Ihr müßt Euch von alten Weibern
dergleichen Torheit nicht aufschwatzen lassen, Tede Haien; Ihr kennt
nur meine Tochter nicht, die rechnet mich selber dreimal um und um! Ich
wollt’ nur sagen, Euer Hauke wird außer im Felde auch hier in meiner
Stube mit Feder oder Rechenstift so manches profitieren können, was ihm
nicht schaden wird!“

„Ja, ja, Deichgraf, das wird er; da habt Ihr völlig recht!“ sagte der
alte Haien und begann dann noch einige Vergünstigungen bei dem
Mietkontrakt sich auszubedingen, die abends vorher von seinem Sohne
nicht bedacht waren. So sollte dieser außer seinen leinenen Hemden im
Herbst auch noch acht Paar wollene Strümpfe als Zugabe seines Lohnes
genießen; so wollte er selbst ihn im Frühling acht Tage bei der eigenen
Arbeit haben, und was dergleichen mehr war. Aber der Deichgraf war zu
allem willig; Hauke Haien schien ihm eben der rechte Kleinknecht.

—„Nun, Gott tröst’ dich, Junge,“ sagte der Alte, da sie eben das Haus
verlassen hatten, „wenn der dir die Welt klarmachen soll!“

Aber Hauke erwiderte ruhig: „Laß’ Er nur, Vater; es wird schon alles
werden.“


Und Hauke hatte so unrecht nicht gehabt; die Welt, oder was ihm die
Welt bedeutete, wurde ihm klarer, je länger sein Aufenthalt in diesem
Hause dauerte; vielleicht um so mehr, je weniger ihm eine überlegene
Einsicht zu Hülfe kam, und je mehr er auf seine eigene Kraft angewiesen
war, mit der er sich von jeher beholfen hatte. Einer freilich war im
Hause, für den er nicht der Rechte zu sein schien; das war der
Großknecht Ole Peters, ein tüchtiger Arbeiter und ein maulfertiger
Geselle. Ihm war der träge, aber dumme und stämmige Kleinknecht von
vorhin besser nach seinem Sinn gewesen, dem er ruhig die Tonne Hafer
auf den Rücken hatte laden und den er nach Herzenslust hatte
herumstoßen können. Dem noch stilleren, aber ihn geistig überragenden
Hauke vermochte er in solcher Weise nicht beizukommen; er hatte eine
gar zu eigene Art, ihn anzublicken. Trotzdem verstand er es, Arbeiten
für ihn auszusuchen, die seinem noch nicht gefestigten Körper hätten
gefährlich werden können, und Hauke, wenn der Großknecht sagte: „Da
hättest du den dicken Niß nur sehen sollen, dem ging es von der Hand!,“
faßte nach Kräften an und brachte es, wenn auch mit Mühsal, doch zu
Ende. Ein Glück war es für ihn, daß Elke selbst oder durch ihren Vater
das meistens abzustellen wußte. Man mag wohl fragen, was mitunter ganz
fremde Menschen aneinander bindet; vielleicht—sie waren beide geborene
Rechner, und das Mädchen konnte ihren Kameraden in der groben Arbeit
nicht verderben sehen.

Der Zwiespalt zwischen Groß- und Kleinknecht wurde auch im Winter nicht
besser, als nach Martini die verschiedenen Deichrechnungen zur Revision
eingelaufen waren.

Es war an einem Maiabend, aber es war Novemberwetter; von drinnen im
Hause hörte man draußen hinterm Deich die Brandung donnern. „He,
Hauke,“ sagte der Hausherr, „komm herein; nun magst du weisen, ob du
rechnen kannst!“

„Uns’ Weert,“ entgegnete dieser—denn so nennen hier die Leute ihre
Herrschaft—„ich soll aber erst das Jungvieh füttern!“

„Elke!“ rief der Deichgraf; „wo bist du, Elke!—Geh zu Ole und sag ihm,
er sollte das Jungvieh füttern; Hauke soll rechnen!“

Und Elke eilte in den Stall und machte dem Großknecht die Bestellung,
der eben damit beschäftigt war, das über Tag gebrauchte Pferdegeschirr
wieder an seinen Platz zu hängen.

Ole Peters schlug mit einer Trense gegen den Ständer, neben dem er sich
beschäftigte, als wolle er sie kurz und klein haben: „Hol der Teufel
den verfluchten Schreiberknecht!“

Sie hörte die Worte noch, bevor sie die Stalltür wieder geschlossen
hatte.

„Nun?“ frug der Alte, als sie in die Stube trat.

„Ole wollte es schon besorgen,“ sagte die Tochter, ein wenig sich die
Lippen beißend, und setzte sich Hauke gegenüber auf einen
grobgeschnitzten Holzstuhl, wie sie noch derzeit hier an Winterabenden
im Hause selbst gemacht wurden. Sie hatte aus einem Schubkasten einen
weißen Strumpf mit rotem Vogelmuster genommen, an dem sie nun
weiterstrickte; die langbeinigen Kreaturen darauf mochten Reiher oder
Störche bedeuten sollen. Hauke saß ihr gegenüber, in seine Rechnerei
vertieft, der Deichgraf selbst ruhte in seinem Lehnstuhl und blinzelte
schläfrig nach Haukes Feder; auf dem Tisch brannten, wie immer im
Deichgrafenhause, zwei Unschlittkerzen, und vor den beiden in Blei
gefaßten Fenstern waren von außen die Läden vorgeschlagen und von innen
zugeschroben; mochte der Wind nun poltern, wie er wollte. Mitunter hob
Hauke seinen Kopf von der Arbeit und blickte einen Augenblick nach den
Vogelstrümpfen oder nach dem schmalen ruhigen Gesicht des Mädchens.

Da tat es aus dem Lehnstuhl plötzlich einen lauten Schnarcher, und ein
Blick und ein Lächeln flog zwischen den beiden jungen Menschen hin und
wieder; dann folgte allmählich ein ruhigeres Atmen; man konnte wohl ein
wenig plaudern; Hauke wußte nur nicht, was. Als sie aber das Strickzeug
in die Höhe zog und die Vögel sich nun in ihrer ganzen Länge zeigten,
flüsterte er über den Tisch herüber:

„Wo hast du das gelernt, Elke?“

„Was gelernt?“ frug das Mädchen zurück.

—„Das Vogelstricken,“ sagte Hauke.

„Das? Von Trien’ Jans draußen am Deich; sie kann allerlei; sie war
vorzeiten einmal bei meinem Großvater hier im Dienst.“

„Da warst du aber wohl noch nicht geboren?“ sagte Hauke.

„Ich denk wohl nicht; aber sie ist noch oft ins Haus gekommen.“

„Hat denn die die Vögel gern?“ frug Hauke; „ich meint’, sie hielt’ es
nur mit Katzen!“

Elke schüttelte den Kopf: „Sie zieht ja Enten und verkauft sie; aber im
vorigen Frühjahr, als du den Angorer totgeschlagen hattest, sind ihr
hinten im Stall die Ratten dazwischen gekommen; nun will sie sich vorn
am Hause einen andern bauen.“

„So,“ sagte Hauke und zog einen leisen Pfiff durch die Zähne, „dazu hat
sie von der Geest sich Lehm und Steine hergeschleppt! Aber dann kommt
sie in den Binnenweg!—Hat sie denn Konzession?“

„Weiß ich nicht,“ meinte Elke. Aber er hatte das letzte Wort so laut
gesprochen, daß der Deichgraf aus seinem Schlummer auffuhr: „Was
Konzession?“ frug er und sah fast wild von einem zu der andern. „Was
soll die Konzession?“

Als aber Hauke ihm die Sache vorgetragen hatte, klopfte er ihm lachend
auf die Schulter: „Ei was, der Binnenweg ist breit genug; Gott tröst
den Deichgrafen, sollt’ er sich auch noch um die Entenställe kümmern!“

Hauke fiel es aufs Herz, daß er die Alte mit ihren jungen Enten den
Ratten sollte preisgegeben haben, und er ließ sich mit dem Einwand
abfinden: „Aber, uns’ Weert,“ begann er wieder, „es tät’ wohl dem und
jenem ein kleiner Zwicker gut, und wollet Ihr ihn nicht selber greifen,
so zwicket den Gevollmächtigten, der auf die Deichordnung passen soll!“

„Wie, was sagt der Junge?“ und der Deichgraf setzte sich vollends auf,
und Elke ließ ihren künstlichen Strumpf sinken und wandte das Ohr
hinüber.

„Ja, uns’ Weert,“ fuhr Hauke fort, „Ihr habt doch schon die
Frühlingsschau gehalten; aber trotzdem hat Peter Jansen auf seinem
Stück das Unkraut auch noch heute nicht gebuscht; im Sommer werden die
Stieglitzer da wieder lustig um die roten Distelblumen spielen! Und
dicht daneben, ich weiß nicht, wem’s gehört, ist an der Außenseite eine
ganze Wiege in dem Deich; bei schön Wetter liegt es immer voll von
kleinen Kindern, die sich darin wälzen; aber—Gott bewahr’ uns vor
Hochwasser!“

Die Augen des alten Deichgrafen waren immer größer geworden.

„Und dann—,“ sagte Hauke wieder.

„Was dann noch, Junge?“ frug der Deichgraf, „bist du noch nicht
fertig?“ und es klang, als sei der Rede seines Kleinknechts ihm schon
zuviel geworden.

„Ja, dann, uns’ Weert,“ sprach Hauke weiter; „Ihr kennt die dicke
Vollina, die Tochter vom Gevollmächtigten Harders, die immer ihres
Vaters Pferde aus der Fenne holt,—wenn sie nur eben mit ihren runden
Waden auf der alten gelben Stute sitzt, hü hopp? so geht’s allemal
schräg an der Dossierung den Deich hinan!“

Hauke bemerkte erst jetzt, daß Elke ihre klugen Augen auf ihn gerichtet
hatte und leise ihren Kopf schüttelte.

Er schwieg, aber ein Faustschlag, den der Alte auf den Tisch tat,
dröhnte ihm in die Ohren; „da soll das Wetter dreinschlagen!“ rief er,
und Hauke erschrak beinahe über die Bärenstimme, die plötzlich hier
hervorbrach. „Zur Brüche! Notier’ mir das dicke Mensch zur Brüche,
Hauke! Die Dirne hat mir im letzten Sommer drei junge Enten
weggefangen! Ja, ja, notier’ nur,“ wiederholte er, als Hauke zögerte;
„ich glaub’ sogar, es waren vier!“

„Ei, Vater,“ sagte Elke, „war’s nicht die Otter, die die Enten nahm?“

„Eine große Otter,“ rief der Alte schnaufend; „werd’ doch die dicke
Vollina und eine Otter auseinander kennen! Nein, nein, vier Enten,
Hauke.—Aber was du im übrigen schwatzest, der Herr Oberdeichgraf und
ich, nachdem wir zusammen in meinem Hause hier gefrühstückt hatten,
sind im Frühjahr an deinem Unkraut und an deiner Wiege vorbeigefahren
und haben’s doch nicht sehen können. Ihr beide aber,“ und er nickte ein
paarmal bedeutsam gegen Hauke und seine Tochter, „danket Gott, daß ihr
nicht Deichgraf seid! Zwei Augen hat man nur, und mit hundert soll man
sehen.—Nimm nur die Rechnungen über die Bestickungsarbeiten, Hauke, und
sieh sie nach; die Kerls rechnen oft zu liederlich!“

Dann lehnte er sich wieder in seinem Stuhl zurück, ruckte den schweren
Körper ein paarmal und überließ sich bald dem sorgenlosen Schlummer.


Dergleichen wiederholte sich an manchem Abend. Hauke hatte scharfe
Augen und unterließ es nicht, wenn sie beisammensaßen, das eine oder
andre von schädlichem Tun oder Unterlassen in Deichsachen dem Alten vor
die Augen zu rücken; und da dieser sie nicht immer schließen konnte, so
kam unversehens ein lebhafterer Geschäftsgang in die Verwaltung, und
die, welche früher im alten Schlendrian fortgesündigt hatten und jetzt
unerwartet ihre frevlen oder faulen Finger geklopft fühlten, sahen sich
unwillig und verwundert um, woher die Schläge denn gekommen seien. Und
Ole, der Großknecht, säumte nicht, möglichst weit die Offenbarung zu
verbreiten und dadurch gegen Hauke und seinen Vater, der doch die
Mitschuld tragen mußte, in diesen Kreisen einen Widerwillen zu erregen;
die andern aber, welche nicht getroffen waren oder denen es um die
Sache selbst zu tun war, lachten und hatten ihre Freude, daß der Junge
den Alten doch einmal etwas in Trab gebracht habe. „Schad’ nur,“ sagten
sie, „daß der Bengel nicht den gehörigen Klei unter den Füßen hat; das
gäbe später sonst einmal wieder einen Deichgrafen, wie vordem sie
dagewesen sind; aber die paar Demat seines Alten, die täten’s denn doch
nicht!“

Als im nächsten Herbst der Herr Amtmann und Oberdeichgraf zur Schauung
kam, sah er sich den alten Tede Volkerts von oben bis unten an, während
dieser ihn zum Frühstück nötigte. „Wahrhaftig, Deichgraf,“ sagte er,
„ich dacht’s mir schon, Ihr seid in der Tat um ein Halbstieg Jahre
jünger geworden; Ihr habt mir diesmal mit all Euern Vorschlägen warm
gemacht, wenn wir mit alledem nur heute fertig werden!“

„Wird schon, wird schon, gestrenger Herr Oberdeichgraf,“ erwiderte der
Alte schmunzelnd; „der Gansbraten da wird schon die Kräfte stärken! Ja,
Gott sei Dank, ich bin noch allezeit frisch und munter!“ Er sah sich in
der Stube um, ob auch nicht etwa Hauke um die Wege sei; dann setzte er
in würdevoller Ruhe noch hinzu: „So hoffe ich zu Gott, noch meines
Amtes ein paar Jahre in Segen warten zu können.“

„Und darauf, lieber Deichgraf,“ erwiderte sein Vorgesetzter sich
erhebend, „wollen wir dieses Glas zusammen trinken!“

Elke, die das Frühstück bestellt hatte, ging eben, während die Gläser
aneinanderklangen, mit leisem Lachen aus der Stubentür. Dann holte sie
eine Schüssel Abfall aus der Küche und ging durch den Stall, um es vor
der Außentür dem Federvieh vorzuwerfen. Im Stall stand Hauke Haien und
steckte den Kühen, die man der argen Witterung wegen schon jetzt hatte
heraufnehmen müssen, mit der Furke Heu in ihre Raufen. Als er aber das
Mädchen kommen sah, stieß er die Furke auf den Grund. „Nu, Elke!“ sagte
er.

Sie blieb stehen und nickte ihm zu: „Ja, Hauke; aber eben hättest du
drinnen sein müssen!“

„Meinst du? Warum denn, Elke?“

„Der Herr Oberdeichgraf hat den Wirt gelobt!“

„Den Wirt? Was tut das mir?“

„Nein, ich mein, den Deichgrafen hat er gelobt!“

Ein dunkles Rot flog über das Gesicht des jungen Menschen: „Ich weiß
wohl,“ sagte er, „wohin du damit segeln willst!“

„Werd’ nur nicht rot, Hauke; du warst es ja doch eigentlich, den der
Oberdeichgraf lobte!“

Hauke sah sie mit halbem Lächeln an. „Auch du doch, Elke!“ sagte er.

Aber sie schüttelte den Kopf. „Nein, Hauke; als ich allein der Helfer
war, da wurden wir nicht gelobt. Ich kann ja auch nur rechnen; du aber
siehst draußen alles, was der Deichgraf doch wohl selber sehen sollte;
du hast mich ausgestochen!“

„Ich hab’ das nicht gewollt, dich am mindesten,“ sagte Hauke zaghaft,
und er stieß den Kopf einer Kuh zur Seite. „Komm, Rotbunt, friß mir
nicht die Furke auf, du sollst ja alles haben!“

„Denk nur nicht, daß mir’s leid tut, Hauke,“ sagte nach kurzem Sinnen
das Mädchen; „das ist ja Mannessache!“

Da streckte Hauke ihr den Arm entgegen: „Elke, gib mir die Hand
darauf!“

Ein tiefes Rot schoß unter die dunkeln Brauen des Mädchens. „Warum? Ich
lüg’ ja nicht!“ rief sie.

Hauke wollte antworten; aber sie war schon zum Stall hinaus, und er
stand mit seiner Furke in der Hand und hörte nur, wie draußen die Enten
und Hühner um sie schnatterten und krähten.


Es war im Januar von Haukes drittem Dienstjahre, als ein Winterfest
gehalten werden sollte, „Eisboseln“ nennen sie es hier. Ein ständiger
Frost hatte beim Ruhen der Küstenwinde alle Gräben zwischen den Fennen
mit einer festen ebenen Kristallfläche belegt, so daß die
zerschnittenen Landstücke nun eine weite Bahn für das Werfen der
kleinen, mit Blei ausgegossenen Holzkugeln bildeten, womit das Ziel
erreicht werden sollte. Tagaus, tagein wehte ein leichter Nordost:
alles war schon in Ordnung; die Geestleute in dem zu Osten über der
Marsch belegenen Kirchdorf, die im vorigen Jahre gesiegt hatten, waren
zum Wettkampf gefordert und hatten angenommen; von jeder Seite waren
neun Werfer aufgestellt; auch der Obmann und die Kretler waren gewählt.
Zu letzteren, die bei Streitfällen über einen zweifelhaften Wurf
miteinander zu verhandeln hatten, wurden allezeit Leute genommen, die
ihre Sache ins beste Licht zu rücken verstanden, am liebsten Burschen,
die außer gesundem Menschenverstand auch noch ein lustig Mundwerk
hatten. Dazu gehörte vor allen Ole Peters, der Großknecht des
Deichgrafen. „Werft nur wie die Teufel,“ sagte er; „das Schwatzen tu’
ich schon umsonst!“

Es war gegen Abend vor dem Festtag; in der Nebenstube des
Kirchspielskruges droben auf der Geest war eine Anzahl von den Werfern
erschienen, um über die Aufnahme einiger zuletzt noch Angemeldeten zu
beschließen. Hauke Haien war auch unter diesen; er hatte erst nicht
wollen, obschon er seiner wurfgeübten Arme sich wohl bewußt war; aber
er fürchtete durch Ole Peters, der einen Ehrenposten in dem Spiel
bekleidete, zurückgewiesen zu werden; die Niederlage wollte er sich
sparen. Aber Elke hatte ihm noch in der elften Stunde den Sinn gewandt:
„Er wird’s nicht wagen, Hauke,“ hatte sie gesagt; „er ist ein
Tagelöhnersohn; dein Vater hat Kuh und Pferd und ist dazu der klügste
Mann im Dorf!“

„Aber, wenn er’s dennoch fertigbringt?“

Sie sah ihn halb lächelnd aus ihren dunkeln Augen an. „Dann,“ sagte
sie, „soll er sich den Mund wischen, wenn er abends mit seines Wirts
Tochter zu tanzen denkt!“—Da hatte Hauke ihr mutig zugenickt.

Nun standen die jungen Leute, die noch in das Spiel hineinwollten,
frierend und fußtrampelnd vor dem Kirchspielskrug und sahen nach der
Spitze des aus Felsblöcken gebauten Kirchturms hinauf, neben dem das
Krughaus lag. Des Pastors Tauben, die sich im Sommer auf den Feldern
des Dorfes nährten, kamen eben von den Höfen und Scheuern der Bauern
zurück, wo sie sich jetzt ihre Körner gesucht hatten, und verschwanden
unter den Schindeln des Turmes, hinter welchen sie ihre Nester hatten;
im Westen über dem Haf stand ein glühendes Abendrot.

„Wird gut Wetter morgen!“ sagte der eine der jungen Burschen und begann
heftig auf und ab zu wandern; „aber kalt! kalt!“ Ein zweiter, als er
keine Taube mehr fliegen sah, ging in das Haus und stellte sich
horchend neben die Tür der Stube, aus der jetzt ein lebhaftes
Durcheinanderreden herausscholl; auch des Deichgrafen Kleinknecht war
neben ihn getreten. „Hör, Hauke,“ sagte er zu diesem; „nun schreien sie
um dich!“ und deutlich hörte man von drinnen Ole Peters knarrende
Stimme: „Kleinknechte und Jungens gehören nicht dazu!“

„Komm,“ flüsterte der andere und suchte Hauke am Rockärmel an die
Stubentür zu ziehen, „hier kannst du lernen, wie hoch sie dich
taxieren!“

Aber Hauke riß sich los und ging wieder vor das Haus: „Sie haben uns
nicht ausgesperrt, damit wir’s hören sollen!“ rief er zurück.

Vor dem Hause stand der Dritte der Angemeldeten. „Ich fürcht’, mit mir
hat’s einen Haken,“ rief er ihm entgegen; „ich hab’ kaum achtzehn
Jahre; wenn sie nur den Taufschein nicht verlangen! Dich, Hauke, wird
dein Großknecht schon herauskreteln!“

„Ja, heraus!“ brummte Hauke und schleuderte mit dem Fuße einen Stein
über den Weg; „nur nicht hinein!“

Der Lärm in der Stube wurde stärker; dann allmählich trat eine Stille
ein; die draußen hörten wieder den leisen Nordost, der sich oben an der
Kirchturmspitze brach. Der Horcher trat wieder zu ihnen. „Wen hatten
sie da drinnen?“ frug der Achtzehnjährige.

„Den da!“ sagte jener und wies auf Hauke; „Ole Peters wollte ihn zum
Jungen machen; aber alle schrien dagegen. ,Und sein Vater hat Vieh und
Land,‘ sagte Jeß Hansen. ,Ja, Land,‘ rief Ole Peters, ,das man auf
dreizehn Karren wegfahren kann!‘—Zuletzt kam Ole Hensen. ,Still da!‘
schrie er; ,ich will’s euch lehren: sagt nur, wer ist der erste Mann im
Dorf?‘ Da schwiegen sie erst und schienen sich zu besinnen; dann sagte
eine Stimme: ,Das ist doch wohl der Deichgraf!‘ Und alle anderen
riefen: ,Nun ja, unserthalb der Deichgraf!‘—‘Und wer ist denn der
Deichgraf?‘ rief Ole Hensen wieder; ,aber nun bedenkt euch recht!‘—Da
begann einer leis zu lachen, und dann wieder einer, bis zuletzt nichts
in der Stube war, als lauter Lachen. ,Nun, so ruft ihn,‘ sagte Ole
Hensen; ,ihr wollt doch nicht den Deichgrafen von der Tür stoßen!‘ Ich
glaub’, sie lachen noch; aber Ole Peters’ Stimme war nicht mehr zu
hören!“ schloß der Bursche seinen Bericht.

Fast in demselben Augenblicke wurde drinnen im Hause die Stubentür
aufgerissen, und: „Hauke! Hauke Haien!“ rief es laut und fröhlich in
die Nacht hinaus.

Da trabte Hauke in das Haus und hörte nicht mehr, wer denn der
Deichgraf sei; was in seinem Kopfe brütete, hat indessen niemand wohl
erfahren.

—Als er nach einer Weile sich dem Hause seiner Herrschaft nahte, sah er
Elke drunten am Heck der Auffahrt stehen, das Mondlicht schimmerte über
die unermeßliche weißbereifte Weidefläche. „Stehst du hier, Elke?“
fragte er.

Sie nickte nur. „Was ist geworden?“ sagte sie; „hat er’s gewagt?“

—„Was sollt’ er nicht!“

„Nun, und?“

—„Ja, Elke; ich darf es morgen doch versuchen!“

„Gute Nacht, Hauke!“ Und sie lief flüchtig die Werfte hinan und
verschwand im Hause.

Langsam folgte er ihr.


Auf der weiten Weidefläche, die sich zu Osten an der Landseite des
Deiches entlangzog, sah man am Nachmittag darauf eine dunkle
Menschenmasse bald unbeweglich stillestehen, bald, nachdem zweimal eine
hölzerne Kugel aus derselben über den durch die Tagessonne jetzt von
Reif befreiten Boden hingeflogen war, abwärts von den hinter ihr
liegenden langen und niedrigen Häusern allmählich weiterrücken; die
Parteien der Eisbosler in der Mitte, umgeben von alt und jung, was mit
ihnen, sei es in jenen Häusern oder in denen droben auf der Geest,
Wohnung oder Verbleib hatte; die älteren Männer in langen Röcken,
bedächtig aus kurzen Pfeifen rauchend, die Weiber in Tüchern und
Jacken, auch wohl Kinder an den Händen ziehend oder auf den Armen
tragend. Aus den gefrorenen Gräben, welche allmählich überschritten
wurden, funkelte durch die scharfen Schilfspitzen der bleiche Schein
der Nachmittagssonne, es fror mächtig; aber das Spiel ging unablässig
vorwärts, und aller Augen verfolgten immer wieder die fliegende Kugel;
denn an ihr hing heute für das ganze Dorf die Ehre des Tages. Der
Kretler der Parteien trug hier einen weißen, bei den Geestleuten einen
schwarzen Stab mit eiserner Spitze; wo die Kugel ihren Lauf geendet
hatte, wurde dieser, je nachdem, unter schweigender Anerkennung oder
dem Hohngelächter der Gegenpartei in den gefrorenen Boden
eingeschlagen, und wessen Kugel zuerst das Ziel erreichte, der hatte
für seine Partei das Spiel gewonnen.

Gesprochen wurde von all den Menschen wenig; nur wenn ein Kapitalwurf
geschah, hörte man wohl einen Ruf der jungen Männer oder Weiber; oder
von den Alten einer nahm seine Pfeife aus dem Mund und klopfte damit
unter ein paar guten Worten den Werfer auf die Schulter: „Das war ein
Wurf, sagte Zacharies und warf sein Weib aus der Luke!“ oder: „So warf
dein Vater auch; Gott tröst’ ihn in der Ewigkeit!“ oder was sie sonst
für Gutes sagten.

Bei seinem ersten Wurfe war das Glück nicht mit Hauke gewesen; als er
eben den Arm hinten ausschwang, um die Kugel fortzuschleudern, war eine
Wolke von der Sonne fortgezogen, die sie vorhin bedeckt hatte, und
diese traf mit ihrem vollen Strahl in seine Augen; der Wurf wurde zu
kurz, die Kugel fiel auf einen Graben und blieb im Bummeis stecken.

„Gilt nicht! Gilt nicht! Hauke, noch einmal,“ riefen seine Partner.

Aber der Kretler der Geestleute sprang dagegen auf: „Muß wohl gelten;
geworfen ist geworfen!“

„Ole! Ole Peters!“ schrie die Marschjugend. „Wo ist Ole? Wo, zum
Teufel, steckt er?“

Aber er war schon da. „Schreit nur nicht so! Soll Hauke wo geflickt
werden! Ich dacht’s mir schon.“

—„Ei was! Hauke muß noch einmal werfen; nun zeig’, daß du das Maul am
rechten Fleck hast!“

„Das hab ich schon!“ rief Ole und trat dem Geestkretler gegenüber und
redete einen Haufen Gallimathias aufeinander. Aber die Spitzen und
Schärfen, die sonst aus seinen Worten blitzten, waren diesmal nicht
dabei. Ihm zur Seite stand das Mädchen mit den Rätselbrauen und sah
scharf aus zornigen Augen auf ihn hin; aber reden durfte sie nicht,
denn die Frauen hatten keine Stimme in dem Spiel.

„Du leierst Unsinn,“ rief der andere Kretler, „weil dir der Sinn nicht
dienen kann! Sonne, Mond und Sterne sind für uns alle gleich und
allezeit am Himmel; der Wurf war ungeschickt, und alle ungeschickten
Würfe gelten!“

So redeten sie noch eine Weile gegen einander; aber das Ende war, daß
nach Bescheid des Obmanns Hauke seinen Wurf nicht wiederholen durfte.

„Vorwärts!“ riefen die Geestleute, und ihr Kretler zog den schwarzen
Stab aus dem Boden, und der Werfer trat auf seinen Nummerruf dort an
und schleuderte die Kugel vorwärts. Als der Großknecht des Deichgrafen
dem Wurfe zusehen wollte, hatte er an Elke Volkerts vorbeimüssen: „Wem
zuliebe ließest du heut deinen Verstand zu Hause?“ raunte sie ihm zu.

Da sah er sie fast grimmig an, und aller Spaß war aus seinem breiten
Gesichte verschwunden. „Dir zulieb!“ sagte er; „denn du hast deinen
auch vergessen.“

„Geh nur; ich kenne dich, Ole Peters!“ erwiderte das Mädchen, sich hoch
aufrichtend; er aber kehrte den Kopf ab und tat, als habe er das nicht
gehört.

Und das Spiel und der schwarze und weiße Stab gingen weiter. Als Hauke
wieder am Wurf war, flog seine Kugel schon so weit, daß das Ziel, die
große weißgekalkte Tonne, klar in Sicht kam. Er war jetzt ein fester
junger Kerl, und Mathematik und Wurfkunst hatte er täglich während
seiner Knabenzeit getrieben. „Oho, Hauke!“ rief es aus dem Haufen; „das
war ja, als habe der Erzengel Michael selbst geworfen!“ Eine alte Frau
mit Kuchen und Branntwein drängte sich durch den Haufen zu ihm; sie
schenkte ein Glas voll und bot es ihm. „Komm,“ sagte sie, „wir wollen
uns vertragen: das heut ist besser, als da du mir die Katze
totschlugst!“ Als er sie ansah, erkannte er, daß es Trien’ Jans war.
„Ich dank dir, Alte,“ sagte er; „aber ich trink das nicht.“ Er griff in
seine Tasche und drückte ihr ein frischgeprägtes Markstück in die Hand.
„Nimm das und trink selber das Glas aus, Trien’; so haben wir uns
vertragen!“

„Hast recht, Hauke!“ erwiderte die Alte, indem sie seiner Anweisung
folgte; „hast recht; das ist auch besser für ein altes Weib, wie ich!“

„Wie geht’s mit deinen Enten?“ rief er ihr noch nach, als sie sich
schon mit ihrem Korbe fortmachte; aber sie schüttelte nur den Kopf,
ohne sich umzuwenden, und patschte mit ihren alten Händen in die Luft.
„Nichts, nichts, Hauke; da sind zu viele Ratten in euren Gräben; Gott
tröst’ mich; man muß sich anders nähren!“ Und somit drängte sie sich in
den Menschenhaufen und bot wieder ihren Schnaps und ihre Honigkuchen
an.

Die Sonne war endlich schon hinter den Deich hinabgesunken; statt ihrer
glimmte ein rotvioletter Schimmer empor; mitunter flogen schwarze
Krähen vorüber und waren auf Augenblicke wie vergoldet, es wurde Abend.
Auf den Fennen aber rückte der dunkle Menschentrupp noch immer weiter
von den schwarzen, schon fern liegenden Häusern nach der Tonne zu; ein
besonders tüchtiger Wurf mußte sie jetzt erreichen können. Die
Marschleute waren an der Reihe; Hauke sollte werfen.

Die kreidige Tonne zeichnete sich weiß in dem breiten Abendschatten,
der jetzt von dem Deiche über die Fläche fiel. „Die werdet ihr uns
diesmal wohl noch lassen!“ rief einer von den Geestleuten, denn es ging
scharf her; sie waren um mindestens ein halb Stieg Fuß im Vorteil.

Die hagere Gestalt des Genannten trat eben aus der Menge; die grauen
Augen sahen aus dem langen Friesengesicht vorwärts nach der Tonne; in
der herabhängenden Hand lag die Kugel.

„Der Vogel ist dir wohl zu groß,“ hörte er in diesem Augenblick Ole
Peters’ Knarrstimme dicht vor seinen Ohren; „sollen wir ihn um einen
grauen Topf vertauschen?“

Hauke wandte sich und blickte ihn mit festen Augen an: „Ich werfe für
die Marsch!“ sagte er. „Wohin gehörst denn du?“

„Ich denke, auch dahin, du wirfst doch wohl für Elke Volkerts!“

„Beiseit!“ schrie Hauke und stellte sich wieder in Positur. Aber Ole
drängte mit dem Kopf noch näher auf ihn zu. Da plötzlich, bevor noch
Hauke selber etwas dagegen unternehmen konnte, packte den Zudringlichen
eine Hand und riß ihn rückwärts, daß der Bursche gegen seine lachenden
Kameraden taumelte. Es war keine große Hand gewesen, die das getan
hatte; denn als Hauke flüchtig den Kopf wandte, sah er neben sich Elke
Volkerts ihren Ärmel zurechtzupfen, und die dunkeln Brauen standen ihr
wie zornig in dem heißen Antlitz.

Da flog es wie eine Stahlkraft in Haukes Arm; er neigte sich ein wenig,
er wiegte die Kugel ein paarmal in der Hand; dann holte er aus, und
eine Todesstille war auf beiden Seiten; alle Augen folgten der
fliegenden Kugel, man hörte ihr Sausen, wie sie die Luft durchschnitt;
plötzlich, schon weit vom Wurfplatz, verdeckten sie die Flügel einer
Silbermöwe, die, ihren Schrei ausstoßend, vom Deich herüberkam;
zugleich aber hörte man es in der Ferne an die Tonne klatschen. „Hurra
für Hauke!“ riefen die Marschleute, und lärmend ging es durch die
Menge: „Hauke! Hauke Haien hat das Spiel gewonnen!“

Der aber, da ihn alle dicht umdrängten, hatte seitwärts nur nach einer
Hand gegriffen; auch da sie wieder riefen: „Was stehst du, Hauke? Die
Kugel liegt ja in der Tonne!“ nickte er nur und ging nicht von der
Stelle; erst als er fühlte, daß sich die kleine Hand fest an die seine
schloß, sagte er: „Ihr mögt schon recht haben; ich glaube auch, ich hab
gewonnen!“

Dann strömte der ganze Trupp zurück, und Elke und Hauke wurden getrennt
und von der Menge auf den Weg zum Kruge fortgerissen, der an des
Deichgrafen Werfte nach der Geest hinaufbog. Hier aber entschlüpften
beide dem Gedränge, und während Elke auf ihre Kammer ging, stand Hauke
hinten vor der Stalltür auf der Werfte und sah, wie der dunkle
Menschentrupp allmählich nach dort hinaufwanderte, wo im
Kirchspielskrug ein Raum für die Tanzenden bereitstand. Das Dunkel
breitete sich allmählich über die weite Gegend; es wurde immer stiller
um ihn her, nur hinter ihm im Stalle regte sich das Vieh, oben von der
Geest her glaubte er schon das Pfeifen der Klarinetten aus dem Kruge zu
vernehmen. Da hörte er um die Ecke des Hauses das Rauschen eines
Kleides, und kleine feste Schritte gingen den Fußsteig hinab, der durch
die Fennen nach der Geest hinaufführte. Nun sah er auch im Dämmer die
Gestalt dahinschreiten und sah, daß es Elke war; sie ging auch zum
Tanze nach dem Krug. Das Blut schoß ihm in den Hals hinauf, sollte er
ihr nicht nachlaufen und mit ihr gehen? Aber Hauke war kein Held den
Frauen gegenüber; mit dieser Frage sich beschäftigend, blieb er stehen,
bis sie im Dunkel seinem Blick entschwunden war.

Dann, als die Gefahr, sie einzuholen, vorüber war, ging auch er
denselben Weg, bis er droben den Krug bei der Kirche erreicht hatte und
das Schwatzen und Schreien der vor dem Hause und auf dem Flur sich
Drängenden und das Schrillen der Geigen und Klarinetten betäubend ihn
umrauschte. Unbeachtet drückte er sich in den „Gildesaal“; er war nicht
groß und so voll, daß man kaum einen Schritt weit vor sich hinsehen
konnte. Schweigend stellte er sich an den Türpfosten und blickte in das
unruhige Gewimmel; die Menschen kamen ihm wie Narren vor; er hatte auch
nicht zu sorgen, daß jemand noch an den Kampf des Nachmittags dachte,
und wer vor einer Stunde erst das Spiel gewonnen hatte; jeder sah nur
auf seine Dirne und drehte sich mit ihr im Kreis herum. Seine Augen
suchten nur die eine, und endlich—dort! Sie tanzte mit ihrem Vetter,
dem jungen Deichgevollmächtigten; aber schon sah er sie nicht mehr, nur
andere Dirnen aus Marsch und Geest, die ihn nicht kümmerten. Dann
schnappten Violinen und Klarinetten plötzlich ab, und der Tanz war zu
Ende; aber gleich begann auch schon ein anderer. Hauke flog es durch
den Kopf, ob denn Elke ihm auch Wort halten, ob sie nicht mit Ole
Peters ihm vorbeitanzen werde. Fast hätte er einen Schrei bei dem
Gedanken ausgestoßen; dann—ja, was wollte er dann? Aber sie schien bei
diesem Tanze gar nicht mitzuhalten, und endlich ging auch der zu Ende,
und ein anderer, ein Zweitritt, der eben erst hier in die Mode gekommen
war, folgte. Wie rasend setzte die Musik ein, die jungen Kerle stürzten
zu den Dirnen, die Lichter an den Wänden flirrten. Hauke reckte sich
fast den Hals aus, um die Tanzenden zu erkennen; und dort, im dritten
Paare, das war Ole Peters; aber wer war die Tänzerin? Ein breiter
Marschbursche stand vor ihr und deckte ihr Gesicht! Doch der Tanz raste
weiter, und Ole mit seiner Partnerin drehte sich heraus. „Vollina!
Vollina Harders!“ rief Hauke fast laut und seufzte dann gleich wieder
erleichtert auf. Aber wo blieb Elke? Hatte sie keinen Tänzer, oder
hatte sie alle ausgeschlagen, weil sie nicht mit Ole hatte tanzen
wollen?—Und die Musik setzte wieder ab, und ein neuer Tanz begann; aber
wieder sah er Elke nicht! Doch dort kam Ole, noch immer die dicke
Vollina in den Armen! „Nun, nun,“ sagte Hauke; „da wird Jeß Harders mit
seinen fünfundzwanzig Demat auch wohl bald aufs Altenteil müssen!—Aber
wo ist Elke?“

Er verließ seinen Türpfosten und drängte sich weiter in den Saal
hinein; da stand er plötzlich vor ihr, die mit einer älteren Freundin
in einer Ecke saß. „Hauke!“ rief sie, mit ihrem schmalen Antlitz zu ihm
aufblickend; „bist du hier? Ich sah dich doch nicht tanzen!“

„Ich tanze auch nicht,“ erwiderte er.

—„Weshalb nicht, Hauke?“ Und sich halb erhebend, setzte sie hinzu:
„Willst du mit mir tanzen? Ich hab’ es Ole Peters nicht gegönnt; der
kommt nicht wieder!“

Aber Hauke machte keine Anstalt. „Ich danke, Elke,“ sagte er; „ich
verstehe das nicht gut genug; sie könnten über dich lachen; und
dann...“ Er stockte plötzlich und sah sie nur aus seinen grauen Augen
herzlich an, als ob er’s ihnen überlassen müsse, das übrige zu sagen.

„Was meinst du, Hauke?“ frug sie leise.

—„Ich mein, Elke, es kann ja doch der Tag nicht schöner für mich
ausgehen, als er’s schon getan hat.“

„Ja,“ sagte sie, „du hast das Spiel gewonnen.“

„Elke!“ mahnte er kaum hörbar.

Da schlug ihr eine heiße Lohe in das Angesicht. „Geh!“ sagte sie; „was
willst du?“ und schlug die Augen nieder.

Als aber die Freundin jetzt von einem Burschen zum Tanze fortgezogen
wurde, sagte Hauke lauter: „Ich dachte, Elke, ich hätt’ was Besseres
gewonnen!“

Noch ein paar Augenblicke suchten ihre Augen auf dem Boden; dann hob
sie sie langsam, und ein Blick, mit der stillen Kraft ihres Wesens,
traf in die seinen, der ihn wie Sommerluft durchströmte. „Tu, wie dir
ums Herz ist, Hauke!“ sprach sie; „wir sollten uns wohl kennen!“

Elke tanzte an diesem Abend nicht mehr, und als beide dann nach Hause
gingen, hatten sie sich Hand in Hand gefaßt; aus der Himmelshöhe
funkelten die Sterne über der schweigenden Marsch; ein leichter Ostwind
wehte und brachte strenge Kälte; die beiden aber gingen, ohne viel
Tücher und Umhang, dahin, als sei es plötzlich Frühling geworden.


Hauke hatte sich auf ein Ding besonnen, dessen passende Verwendung zwar
in ungewisser Zukunft lag, mit dem er sich aber eine stille Feier zu
bereiten gedachte. Deshalb ging er am nächsten Sonntag in die Stadt zum
alten Goldschmied Andersen und bestellte einen starken Goldring.
„Streckt den Finger her, damit wir messen!“ sagte der Alte und faßte
ihm nach dem Goldfinger. „Nun,“ meinte er, „der ist nicht gar so dick,
wie sie bei euch Leuten sonst zu sein pflegen!“ Aber Hauke sagte:
„Messet lieber am kleinen Finger!“ und hielt ihm den entgegen.

Der Goldschmied sah ihn etwas verdutzt an; aber was kümmerten ihn die
Einfälle der jungen Bauernburschen. „Da werden wir schon so einen unter
den Mädchenringen haben!“ sagte er, und Hauke schoß das Blut durch
beide Wangen. Aber der kleine Goldring paßte auf seinen kleinen Finger,
und er nahm ihn hastig und bezahlte ihn mit blankem Silber; dann
steckte er ihn unter lautem Herzklopfen, und als ob er einen
feierlichen Akt begehe, in die Westentasche. Dort trug er ihn seitdem
an jedem Tage mit Unruhe und doch mit Stolz, als sei die Westentasche
nur dazu da, um einen Ring darin zu tragen.

Er trug ihn so über Jahr und Tag, ja der Ring mußte sogar aus dieser
noch in eine neue Westentasche wandern; die Gelegenheit zu seiner
Befreiung hatte sich noch immer nicht ergeben wollen. Wohl war’s ihm
durch den Kopf geflogen, nur gradenwegs vor seinen Wirt hinzutreten;
sein Vater war ja doch auch ein Eingesessener! Aber wenn er ruhiger
wurde, dann wußte er wohl, der alte Deichgraf würde seinen Kleinknecht
ausgelacht haben. Und so lebten er und des Deichgrafen Tochter
nebeneinander hin; auch sie in mädchenhaftem Schweigen, und beide doch,
als ob sie allzeit Hand in Hand gingen.

Ein Jahr nach jenem Winterfesttag hatte Ole Peters seinen Dienst
gekündigt und mit Vollina Harders Hochzeit gemacht; Hauke hatte recht
gehabt: der Alte war auf Altenteil gegangen, und statt der dicken
Tochter ritt nun der muntere Schwiegersohn die gelbe Stute in die Fenne
und, wie es hieß, rückwärts allzeit gegen den Deich hinan. Hauke war
Großknecht geworden und ein Jüngerer an seine Stelle getreten; wohl
hatte der Deichgraf ihn erst nicht wollen aufrücken lassen.
„Kleinknecht ist besser!“ hatte er gebrummt; „Ich brauch ihn hier bei
meinen Büchern!“ Aber Elke hatte ihm vorgehalten: „Dann geht auch
Hauke, Vater!“ Da war dem Alten bange geworden, und Hauke war zum
Großknecht aufgerückt, hatte aber trotz dessen nach wie vor auch an der
Deichgrafschaft mitgeholfen.

Nach einem andern Jahr aber begann er gegen Elke davon zu reden, sein
Vater werde kümmerlich, und die paar Tage, die der Wirt ihn im Sommer
in dessen Wirtschaft lasse, täten’s nun nicht mehr; der Alte quäle
sich, er dürfe das nicht länger ansehn.—Es war ein Sommerabend; die
beiden standen im Dämmerschein unter der großen Esche vor der Haustür.
Das Mädchen sah eine Weile stumm in die Zweige des Baumes hinauf; dann
entgegnete sie: „Ich hab’s nicht sagen wollen, Hauke; ich dachte, du
würdest selber wohl das Rechte treffen.“

„Ich muß dann fort aus eurem Hause,“ sagte er, „und kann nicht
wiederkommen.“

Sie schwiegen eine Weile und sahen in das Abendrot, das drüben hinterm
Deiche in das Meer versank. „Du mußt es wissen,“ sagte sie; „ich war
heut morgen noch bei deinem Vater und fand ihn in seinem Lehnstuhl
eingeschlafen; die Reißfeder in der Hand, das Reißbrett mit einer
halben Zeichnung lag vor ihm auf dem Tisch;—und da er erwacht war und
mühsam ein Viertelstündchen mit mir geplaudert hatte, und ich nun gehen
wollte, da hielt er mich so angstvoll an der Hand zurück, als fürchte
er, es sei zum letzten Mal; aber...“

„Was aber, Elke?“ frug Hauke, da sie fortzufahren zögerte.

Ein paar Tränen rannen über die Wangen des Mädchens. „Ich dachte nur an
meinen Vater,“ sagte sie; „glaub’ mir, es wird ihm schwer ankommen,
dich zu missen.“ Und als ob sie zu dem Worte sich ermannen müsse, fügte
sie hinzu: „Mir ist es oft, als ob er auf seine Totenkammer rüste.“

Hauke antwortete nicht; ihm war es plötzlich, als rühre sich der Ring
in seiner Tasche; aber noch bevor er seinen Unmut über diese
unwillkürliche Lebensregung unterdrückt hatte, fuhr Elke fort: „Nein,
zürn nicht, Hauke! Ich trau’, du wirst auch so uns nicht verlassen!“

Da ergriff er eifrig ihre Hand, und sie entzog sie ihm nicht. Noch eine
Weile standen die jungen Menschen in dem sinkenden Dunkel beieinander,
bis ihre Hände auseinanderglitten, und jedes seine Wege ging.—Ein
Windstoß fuhr empor und rauschte durch die Eschenblätter und machte die
Läden klappern, die an der Vorderseite des Hauses waren; allmählich
aber kam die Nacht, und Stille lag über der ungeheuren Ebene.


Durch Elkes Zutun war Hauke von dem alten Deichgrafen seines Dienstes
entlassen worden, obgleich er ihm rechtzeitig nicht gekündigt hatte,
und zwei neue Knechte waren jetzt im Hause.—Noch ein paar Monate
weiter, dann starb Tede Haien; aber bevor er starb, rief er den Sohn an
seine Lagerstatt: „Setz dich zu mir, mein Kind,“ sagte der Alte mit
matter Stimme, „dicht zu mir! Du brauchst dich nicht zu fürchten; wer
bei mir ist, das ist nur der dunkle Engel des Herrn, der mich zu rufen
kommt.“

Und der erschütterte Sohn setzte sich dicht an das dunkle Wandbett:
„Sprecht, Vater, was Ihr noch zu sagen habt!“

„Ja, mein Sohn, noch etwas,“ sagte der Alte und streckte seine Hände
über das Deckbett. „Als du, noch ein halber Junge, zu dem Deichgrafen
in Dienst gingst, da lag’s in deinem Kopf, das selbst einmal zu werden.
Das hatte mich angesteckt, und ich dachte auch allmählich, du seiest
der rechte Mann dazu. Aber dein Erbe war für solch ein Amt zu klein—ich
habe während deiner Dienstzeit knapp gelebt—ich dacht’ es zu
vermehren.“

Hauke faßte heftig seines Vaters Hände, und der Alte suchte sich
aufzurichten, daß er ihn sehen könne. „Ja, ja, mein Sohn,“ sagte er,
„dort in der obersten Schublade der Schatulle liegt das Dokument. Du
weißt, die alte Antje Wohlers hat eine Fenne von fünf und einem halben
Demat; aber sie konnte mit dem Mietgelde allein in ihrem krüppelhaften
Alter nicht mehr durchfinden; da habe ich allzeit um Martini eine
bestimmte Summe, und auch mehr, wenn ich es hatte, dem armen Mensch
gegeben; und dafür hat sie die Fenne mir übertragen; es ist alles
gerichtlich fertig.—Nun liegt auch sie am Tode; die Krankheit unserer
Marschen, der Krebs, hat sie befallen; du wirst nicht mehr zu zahlen
brauchen!“

Eine Weile schloß er die Augen; dann sagte er noch: „Es ist nicht viel;
doch hast du mehr dann, als du bei mir gewohnt warst. Mög’ es dir zu
deinem Erdenleben dienen!“

Unter den Dankesworten des Sohnes schlief der Alte ein. Er hatte nichts
mehr zu besorgen; und schon nach einigen Tagen hatte der dunkle Engel
des Herrn ihm seine Augen für immer zugedrückt, und Hauke trat sein
väterliches Erbe an.

—Am Tage nach dem Begräbnis kam Elke in dessen Haus. „Dank, daß du
einguckst, Elke!“ rief Hauke ihr als Gruß entgegen.

Aber sie erwiderte: „Ich guck nicht ein; ich will bei dir ein wenig
Ordnung schaffen, damit du ordentlich in deinem Hause wohnen kannst!
Dein Vater hat vor seinen Zahlen und Rissen nicht viel um sich gesehen,
und auch der Tod schafft Wirrsal; ich will’s dir wieder ein wenig lebig
machen!“

Er sah aus seinen grauen Augen voll Vertrauen auf sie hin: „So schaff
nur Ordnung!“ sagte er; „ich hab’s auch lieber.“

Und dann begann sie aufzuräumen: das Reißbrett, das noch dalag, wurde
abgestäubt und auf den Boden getragen, Reißfedern und Bleistift und
Kreide sorgfältig in einer Schatullenschublade weggeschlossen; dann
wurde die junge Dienstmagd zur Hülfe hereingerufen und mit ihr das
Geräte der ganzen Stube in eine andere und bessere Stellung gebracht,
so daß es anschien, als sei dieselbe nun heller und größer geworden.
Lächelnd sagte Elke: „Das können nur wir Frauen!“ Und Hauke, trotz
seiner Trauer um den Vater, hatte mit glücklichen Augen zugesehen, auch
wohl selber, wo es nötig war, geholfen.

Und als gegen die Dämmerung—es war zu Anfang des Septembers—alles war,
wie sie es für ihn wollte, faßte sie seine Hand und nickte ihm mit
ihren dunkeln Augen zu: „Nun komm und iß bei uns zu Abend; denn meinem
Vater hab’ ich’s versprechen müssen, dich mitzubringen; wenn du dann
heimgehst, kannst du ruhig in dein Haus treten!“

Als sie dann in die geräumige Wohnstube des Deichgrafen traten, wo bei
verschlossenen Läden schon die beiden Lichter auf dem Tische brannten,
wollte dieser aus seinem Lehnstuhl in die Höhe, aber mit seinem
schweren Körper zurücksinkend, rief er nur seinem früheren Knecht
entgegen: „Recht, recht, Hauke, daß du deine alten Freunde aufsuchst!
Komm nur näher, immer näher!“ Und als Hauke an seinen Stuhl getreten
war, faßte er dessen Hand mit seinen beiden runden Händen. „Nun, nun,
mein Junge,“ sagte er, „sei nur ruhig jetzt, denn sterben müssen wir
alle, und dein Vater war keiner von den Schlechtsten!—Aber, Elke, nun
sorg’, daß du den Braten auf den Tisch kriegst; wir müssen uns stärken!
Es gibt viel Arbeit für uns, Hauke! Die Herbstschau ist in Anmarsch;
Deich- und Sielrechnungen haushoch; der neuliche Deichschaden am
Westerkoog—ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht, aber deiner, gottlob,
ist um ein gut Stück jünger; du bist ein braver Junge, Hauke!“

Und nach dieser langen Rede, womit der Alte sein ganzes Herz dargelegt
hatte, ließ er sich in seinen Stuhl zurückfallen und blinzelte
sehnsüchtig nach der Tür, durch welche Elke eben mit der Bratenschüssel
hereintrat. Hauke stand lächelnd neben ihm. „Nun setz’ dich,“ sagte der
Deichgraf, „damit wir nicht unnötig Zeit verspillen; kalt schmeckt das
nicht!“

Und Hauke setzte sich; es schien ihm Selbstverstand, die Arbeit von
Elkes Vater mitzutun. Und als die Herbstschau dann gekommen war und ein
paar Monde mehr ins Jahr gingen, da hatte er freilich auch den besten
Teil daran getan.


Der Erzähler hielt inne und blickte um sich. Ein Möwenschrei war gegen
das Fenster geschlagen, und draußen vom Hausflur aus wurde ein Trampeln
hörbar, als ob einer den Klei von seinen schweren Stiefeln abtrete.

Deichgraf und Gevollmächtigte wandten die Köpfe gegen die Stubentür.
„Was ist?“ rief der erstere.

Ein starker Mann, den Südwester auf dem Kopf, war eingetreten. „Herr,“
sagte er, „wir beide haben es gesehen, Hans Nickels und ich: der
Schimmelreiter hat sich in den Bruch gestürzt!“

„Wo saht Ihr das?“ fragte der Deichgraf.

—„Es ist ja nur die eine Wehle; in Jansens Fenne, wo der
Hauke-Haien-Koog beginnt.“

„Saht ihr’s nur einmal?“

—„Nur einmal; es war auch nur wie Schatten, aber es braucht drum nicht
das erste Mal gewesen zu sein.“

Der Deichgraf war aufgestanden. „Sie wollen entschuldigen,“ sagte er,
sich zu mir wendend, „wir müssen draußen nachsehen, wo das Unheil hin
will!“ Dann ging er mit dem Boten zur Tür hinaus; aber auch die übrige
Gesellschaft brach auf und folgte ihm.

Ich blieb mit dem Schullehrer allein in dem großen öden Zimmer; durch
die unverhangenen Fenster, welche nun nicht mehr durch die Rücken der
davorsitzenden Gäste verdeckt wurden, sah man frei hinaus und wie der
Sturm die dunklen Wolken über den Himmel jagte. Der Alte saß noch auf
seinem Platze, ein überlegenes, fast mitleidiges Lächeln auf seinen
Lippen. „Es ist hier zu leer geworden,“ sagte er; „darf ich Sie zu mir
auf mein Zimmer laden? Ich wohne hier im Hause; und glauben Sie mir,
ich kenne die Wetter hier am Deich; für uns ist nichts zu fürchten.“

Ich nahm das dankend an, denn auch mich wollte hier zu frösteln
anfangen, und wir stiegen unter Mitnahme eines Lichtes die Stiegen zu
einer Giebelstube hinauf, die zwar gleichfalls gegen Westen hinauslag,
deren Fenster aber jetzt mit dunklen Wollteppichen verhangen waren. In
einem Bücherregal sah ich eine kleine Bibliothek, daneben die Porträte
zweier alter Professoren; vor einem Tische stand ein großer
Ohrenlehnstuhl. „Machen Sie sich’s bequem!“ sagte mein freundlicher
Wirt und warf einige Torf in den noch glimmenden kleinen Ofen, der oben
von einem Blechkessel gekrönt war. „Nur noch ein Weilchen! Er wird bald
sausen; dann brau’ ich uns ein Gläschen Grog, das hält Sie munter!“

„Dessen bedarf es nicht,“ sagte ich; „ich werd’ nicht schläfrig, wenn
ich Ihren Hauke auf seinem Lebensweg begleite!“

—„Meinen Sie?“ und er nickte mit seinen klugen Augen zu mir herüber,
nachdem ich behaglich in seinem Lehnstuhl untergebracht war. „Nun, wo
blieben wir denn?—Ja, ja; ich weiß schon! Also:

Hauke hatte sein väterliches Erbe angetreten, und da die alte Antje
Wohlers auch ihrem Leiden erlegen war, so hatte deren Fenne es
vermehrt. Aber seit dem Tode, oder richtiger, seit den letzten Worten
seines Vaters war in ihm etwas aufgewachsen, dessen Keim er schon seit
seiner Knabenzeit in sich getragen hatte; er wiederholte es sich mehr
als zu oft, er sei der rechte Mann, wenn’s einen neuen Deichgrafen
geben müsse. Das war es; sein Vater, der es verstehen mußte, der ja der
klügste Mann im Dorf gewesen war, hatte ihm dieses Wort wie eine letzte
Gabe seinem Erbe beigelegt; die Wohlersche Fenne, die er ihm auch
verdankte, sollte den ersten Trittstein zu dieser Höhe bilden! Denn,
freilich, auch mit dieser—ein Deichgraf mußte noch einen andern
Grundbesitz aufweisen können!—Aber sein Vater hatte sich einsame Jahre
knapp beholfen, und mit dem, was er sich entzogen hatte, war er des
neuen Besitzes Herr geworden; das konnte er auch, er konnte noch mehr;
denn seines Vaters Kraft war schon verbraucht gewesen, er aber konnte
noch jahrelang die schwerste Arbeit tun!—Freilich, wenn er es dadurch
nach dieser Seite hin erzwang, durch die Schärfen und Spitzen, die er
der Verwaltung seines alten Dienstherrn zugesetzt hatte, war ihm eben
keine Freundschaft im Dorf zuwege gebracht worden, und Ole Peters, sein
alter Widersacher, hatte jüngsthin eine Erbschaft getan und begann ein
wohlhabender Mann zu werden! Eine Reihe von Gesichtern ging vor seinem
innern Blick vorüber, und sie sahen ihn alle mit bösen Augen an; da
faßte ihn ein Groll gegen diese Menschen, er streckte die Arme aus, als
griffe er nach ihnen, denn sie wollten ihn vom Amte drängen, zu dem von
allen nur er berufen war.—Und die Gedanken ließen ihn nicht; sie waren
immer wieder da, und so wuchsen in seinem jungen Herzen neben der
Ehrenhaftigkeit und Liebe auch die Ehrsucht und der Haß. Aber diese
beiden verschloß er tief in seinem Innern; selbst Elke ahnte nichts
davon.

—Als das neue Jahr gekommen war, gab es eine Hochzeit; die Braut war
eine Verwandte von Haiens, und Hauke und Elke waren beide dort geladene
Gäste; ja, bei dem Hochzeitessen traf es sich durch das Ausbleiben
eines näheren Verwandten, daß sie ihre Plätze nebeneinander fanden. Nur
ein Lächeln, das über beider Antlitz glitt, verriet ihre Freude
darüber. Aber Elke saß heute teilnahmlos in dem Geräusche des Plauderns
und Gläserklirrens.

„Fehlt dir etwas?“ fragte Hauke.

—„O, eigentlich nichts; es sind mir nur zu viele Menschen hier.“

„Aber du siehst so traurig aus!“

Sie schüttelte den Kopf; dann sprachen sie wieder nicht.

Da stieg es über ihr Schweigen wie Eifersucht in ihm auf, und heimlich
unter dem überhängenden Tischtuch ergriff er ihre Hand; aber sie zuckte
nicht, sie schloß sich wie vertrauensvoll um seine. Hatte ein Gefühl
der Verlassenheit sie befallen, da ihre Augen täglich auf der
hinfälligen Gestalt des Vaters haften mußten?—Hauke dachte nicht daran,
sich so zu fragen, aber ihm stand der Atem still, als er jetzt seinen
Goldring aus der Tasche zog. „Läßt du ihn sitzen?“ frug er zitternd,
während er den Ring auf den Goldfinger der schmalen Hand schob.

Gegenüber am Tische saß die Frau Pastorin; sie legte plötzlich ihre
Gabel hin und wandte sich zu ihrem Nachbar: „Mein Gott, das Mädchen!“
rief sie; „sie wird ja totenblaß!“

Aber das Blut kehrte schon zurück in Elkes Antlitz. „Kannst du warten,
Hauke?“ fragte sie leise.

Der kluge Friese besann sich doch noch ein paar Augenblicke. „Auf was?“
sagte er dann.

—„Du weißt das wohl; ich brauch dir’s nicht zu sagen.“

„Du hast recht,“ sagte er; „Ja, Elke, ich kann warten—wenn’s nur ein
menschlich Absehen hat!“

„O Gott, ich fürcht’, ein nahes! Sprich nicht so, Hauke; du sprichst
von meines Vaters Tod!“ Sie legte die andere Hand auf ihre Brust: „Bis
dahin,“ sagte sie, „trag’ ich den Goldring hier; du sollst nicht
fürchten, daß du bei meiner Lebzeit ihn zurückbekommst!“

Da lächelten sie beide, und ihre Hände preßten sich ineinander, daß bei
anderer Gelegenheit das Mädchen wohl laut aufgeschrien hätte.

Die Frau Pastorin hatte indessen unablässig nach Elkes Augen
hingesehen, die jetzt unter dem Spitzenstrich des goldbrokatenen
Käppchens wie in dunklem Feuer brannten. Bei dem zunehmenden Getöse am
Tische aber hatte sie nichts verstanden; auch an ihren Nachbar wandte
sie sich nicht wieder; denn keimende Ehen—und um eine solche schien es
ihr sich denn doch hier zu handeln—schon um des daneben keimenden
Traupfennigs für ihren Mann, den Pastor, pflegte sie nicht zu stören.


Elkes Vorahnung war in Erfüllung gegangen; eines Morgens nach Ostern
hatte man den Deichgrafen Tede Volkerts tot in seinem Bett gefunden;
man sah’s an seinem Antlitz, ein ruhiges Ende war darauf geschrieben.
Er hatte auch mehrfach in den letzten Monden Lebensüberdruß geäußert;
sein Leibgericht, der Ofenbraten, selbst seine Enten hatten ihm nicht
mehr schmecken wollen.

Und nun gab es eine große Leiche im Dorf. Droben auf der Geest auf dem
Begräbnisplatz um die Kirche war zu Westen eine mit Schmiedegitter
umhegte Grabstätte; ein breiter blauer Grabstein stand jetzt aufgehoben
gegen eine Traueresche, auf welchem das Bild des Todes mit stark
gezahnten Kiefern ausgehauen war; darunter in großen Buchstaben:

    Dat is de Dot, de Allens fritt,
    Nimmt Kunst un Wetenschop di mit;
    De kloke Mann is nu vergån
    Gott gäw em selik Uperstån.

Es war die Begräbnisstätte des früheren Deichgrafen Volkert Tedsen; nun
war eine frische Grube gegraben, wohinein dessen Sohn, der jetzt
verstorbene Deichgraf Tede Volkerts, begraben werden sollte. Und schon
kam unten aus der Marsch der Leichenzug heran, eine Menge Wagen aus
allen Kirchspielsdörfern; auf dem vordersten stand der schwere Sarg,
die beiden blanken Rappen des deichgräflichen Stalles zogen ihn schon
den sandigen Anberg zur Geest hinauf; Schweife und Mähnen der Pferde
wehten in dem scharfen Frühjahrswind. Der Gottesacker um die Kirche war
bis an die Wälle mit Menschen angefüllt, selbst auf dem gemauerten Tore
huckten Buben mit kleinen Kindern in den Armen; sie wollten alle das
Begraben ansehen.

Im Hause drunten in der Marsch hatte Elke in Pesel und Wohngelaß das
Leichenmahl gerüstet; alter Wein wurde bei den Gedecken hingestellt; an
den Platz des Oberdeichgrafen—denn auch er war heut nicht
ausgeblieben—und an den des Pastors je eine Flasche Langkork. Als alles
besorgt war, ging sie durch den Stall vor die Hoftür; sie traf
niemanden auf ihrem Wege; die Knechte waren mit zwei Gespannen in der
Leichenfuhr. Hier blieb sie stehen und sah, während ihre Trauerkleider
im Frühlingswinde flatterten, wie drüben an dem Dorfe jetzt die letzten
Wagen zur Kirche hinauffuhren. Nach einer Weile entstand dort ein
Gewühl, dem eine Totenstille zu folgen schien. Elke faltete die Hände;
sie senkten wohl den Sarg jetzt in die Grube: „Und zur Erde wieder
sollst du werden!“ Unwillkürlich, leise, als hätte sie von dort es
hören können, sprach sie die Worte nach; dann füllten ihre Augen sich
mit Tränen, ihre über der Brust gefalteten Hände sanken in den Schoß.
„Vater unser, der du bist im Himmel!“ betete sie voll Inbrunst. Und als
das Gebet des Herrn zu Ende war, stand sie noch lange unbeweglich, sie,
die jetzige Herrin dieses großen Marschhofes; und Gedanken des Todes
und des Lebens begannen sich in ihr zu streiten.

Ein fernes Rollen weckte sie. Als sie die Augen öffnete, sah sie schon
wieder einen Wagen um den anderen in rascher Fahrt von der Marsch herab
und gegen ihren Hof herankommen. Sie richtete sich auf, blickte noch
einmal scharf hinaus und ging dann, wie sie gekommen war, durch den
Stall in die feierlich hergestellten Wohnräume zurück. Auch hier war
niemand; nur durch die Mauer hörte sie das Rumoren der Mägde in der
Küche. Die Festtafel stand so still und einsam; der Spiegel zwischen
den Fenstern war mit weißen Tüchern zugesteckt und ebenso die
Messingknöpfe an dem Beilegerofen; es blinkte nichts mehr in der Stube.
Elke sah die Türen vor dem Wandbett, in dem ihr Vater seinen letzten
Schlaf getan hatte, offen stehen und ging hinzu und schob sie fest
zusammen; wie gedankenlos las sie den Sinnspruch, der zwischen Rosen
und Nelken mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben stand:

    Hest du din Dagwerk richtig dån
    Da kommt de Slap von sülvst heran.

Das war noch von dem Großvater!—Einen Blick warf sie auf den
Wandschrank; er war fast leer, aber durch die Glastüren sah sie noch
den geschliffenen Pokal darin, der ihrem Vater, wie er gern erzählt
hatte, einst bei einem Ringreiten in seiner Jugend als Preis zuteil
geworden war. Sie nahm ihn heraus und setzte ihn bei dem Gedeck des
Oberdeichgrafen. Dann ging sie ans Fenster, denn schon hörte sie die
Wagen an der Werfte heraufrollen; einer um den andern hielt vor dem
Hause, und munterer, als sie gekommen waren, sprangen jetzt die Gäste
von ihren Sitzen auf den Boden. Händereibend und plaudernd drängte sich
alles in die Stube; nicht lange, so setzte man sich an die festliche
Tafel, auf der die wohlbereiteten Speisen dampften, im Pesel der
Oberdeichgraf mit dem Pastor; und Lärm und lautes Schwatzen lief den
Tisch entlang, als ob hier nimmer der Tod seine furchtbare Stille
ausgebreitet hätte. Stumm, das Auge auf ihre Gäste, ging Elke mit den
Mägden an den Tischen herum, daß an dem Leichenmahle nichts versehen
werde. Auch Hauke Haien saß im Wohnzimmer neben Ole Peters und anderen
kleineren Besitzern.

Nachdem das Mahl beendet war, wurden die weißen Tonpfeifen aus der Ecke
geholt und angebrannt, und Elke war wiederum geschäftig, die gefüllten
Kaffeetassen den Gästen anzubieten; denn auch der wurde heute nicht
gespart. Im Wohnzimmer an dem Pulte des eben Begrabenen stand der
Oberdeichgraf im Gespräche mit dem Pastor und dem weißhaarigen
Deichgevollmächtigten Jewe Manners. „Alles gut, Ihr Herren,“ sagte der
erste, „den alten Deichgrafen haben wir mit Ehren beigesetzt; aber
woher nehmen wir den neuen? Ich denke, Manners, Ihr werdet Euch dieser
Würde unterziehen müssen!“

Der alte Manners hob lächelnd das schwarze Sammetkäppchen von seinen
weißen Haaren: „Herr Oberdeichgraf,“ sagte er, „das Spiel würde zu kurz
werden; als der verstorbene Tede Volkerts Deichgraf, da wurde ich
Gevollmächtigter und bin es nun schon vierzig Jahre!“

„Das ist kein Mangel, Manners; so kennt Ihr die Geschäfte um so besser
und werdet nicht Not mit ihnen haben!“

Aber der Alte schüttelte den Kopf „Nein, nein, Euer Gnaden, lasset
mich, wo ich bin, so laufe ich wohl noch ein paar Jahre mit!“

Der Pastor stand ihm bei: „Weshalb,“ sagte er, „nicht den ins Amt
nehmen, der es tatsächlich in den letzten Jahren doch geführt hat?“

Der Oberdeichgraf sah ihn an: „Ich verstehe nicht, Herr Pastor!“

Aber der Pastor wies mit dem Finger in den Pesel, wo Hauke in langsam
ernster Weise zwei älteren Leuten etwas zu erklären schien. „Dort steht
er,“ sagte er, „die lange Friesengestalt mit den klugen grauen Augen
neben der hageren Nase und den zwei Schädelwölbungen darüber! Er war
des Alten Knecht und sitzt jetzt auf seiner eigenen kleinen Stelle; er
ist zwar etwas jung!“

„Es scheint ein Dreißiger,“ sagte der Oberdeichgraf, den ihm so
Vorgestellten musternd.

„Er ist kaum vierundzwanzig,“ bemerkte der Gevollmächtigte Manners;
„aber der Pastor hat recht: was in den letzten Jahren Gutes für Deiche
und Siele und dergleichen vom Deichgrafenamt in Vorschlag kam, das war
von ihm; mit dem Alten war’s doch zuletzt nichts mehr.“

„So, so?“ machte der Oberdeichgraf; „und Ihr meinet, er wäre nun auch
der Mann, um in das Amt seines alten Herrn einzurücken?“

„Der Mann wäre es schon,“ entgegnete Jewe Manners; „aber ihm fehlt das,
was man hier „Klei unter den Füßen“ nennt; sein Vater hatte so um
fünfzehn, er mag gut zwanzig Demat haben, aber damit ist bis jetzt hier
niemand Deichgraf geworden.“

Der Pastor tat schon den Mund auf, als wolle er etwas einwenden, da
trat Elke Volkerts, die eine Weile schon im Zimmer gewesen, plötzlich
zu ihnen: „Wollen Euer Gnaden mir ein Wort erlauben?“ sprach sie zu dem
Oberbeamten; „es ist nur, damit aus einem Irrtum nicht ein Unrecht
werde!“

„So sprecht, Jungfer Elke!“ entgegnete dieser; „Weisheit von hübschen
Mädchenlippen hört sich allzeit gut!“

—„Es ist nicht Weisheit, Euer Gnaden; ich will nur die Wahrheit sagen.“

„Auch die muß man ja hören können, Jungfer Elke!“

Das Mädchen ließ ihre dunklen Augen noch einmal zur Seite gehen, als ob
sie wegen überflüssiger Ohren sich versichern wolle: „Euer Gnaden,“
begann sie dann, und ihre Brust hob sich in stärkerer Bewegung, „mein
Pate, Jewe Manners, sagte Ihnen, daß Hauke Haien nur etwa zwanzig Demat
im Besitz habe; das ist im Augenblick auch richtig, aber sobald es sein
muß, wird Hauke noch um soviel mehr sein eigen nennen, als dieser,
meines Vaters, jetzt mein Hof an Dematzahl beträgt; für einen
Deichgrafen wird das zusammen denn wohl reichen.“

Der alte Manners reckte den weißen Kopf gegen sie, als müsse er erst
sehen, wer denn eigentlich da rede. „Was ist das?“ sagte er; „Kind, was
sprichst du da?“

Aber Elke zog an einem schwarzen Bändchen einen blinkenden Goldring aus
ihrem Mieder. „Ich bin verlobt, Pate Manners,“ sagte sie; „hier ist der
Ring, und Hauke Haien ist mein Bräutigam.“

—„Und wann—ich darf’s wohl fragen, da ich dich aus der Taufe hob, Elke
Volkerts wann ist denn das passiert?“

—„Das war schon vor geraumer Zeit; doch war ich mündig, Pate Manners,“
sagte sie; „mein Vater war schon hinfällig worden, und da ich ihn
kannte, so wollt’ ich ihn nicht mehr damit beunruhigen; itzt, da er bei
Gott ist, wird er einsehen, daß sein Kind bei diesem Manne wohl
geborgen ist. Ich hätte es auch das Trauerjahr hindurch schon
ausgeschwiegen; jetzt aber, um Haukes und um des Kooges willen, hab’
ich reden müssen.“ Und zum Oberdeichgrafen gewandt, setzte sie hinzu:
„Euer Gnaden wollen mir das verzeihen!“

Die drei Männer sahen sich an; der Pastor lachte, der alte
Gevollmächtigte ließ es bei einem „Hmm, hmm!“ bewenden, während der
Oberdeichgraf wie vor einer wichtigen Entscheidung sich die Stirn rieb.
„Ja, liebe Jungfer,“ sagte er endlich, „aber wie steht es denn hier im
Kooge mit den ehelichen Güterrechten? Ich muß gestehen, ich bin
augenblicklich nicht recht kapitelfest in diesem Wirrsal!“

„Das brauchen Euer Gnaden auch nicht,“ entgegnete des Deichgrafen
Tochter, „ich werde vor der Hochzeit meinem Bräutigam die Güter
übertragen. Ich habe auch meinen kleinen Stolz,“ setzte sie lächelnd
hinzu; „ich will den reichsten Mann im Dorfe heiraten!“

„Nun, Manners,“ meinte der Pastor, „ich denke, Sie werden auch als Pate
nichts dagegen haben, wenn ich den jungen Deichgrafen mit des alten
Tochter zusammengebe!“

Der Alte schüttelte leis den Kopf „Unser Herr Gott gebe seinen Segen!“
sagte er andächtig.

Der Oberdeichgraf aber reichte dem Mädchen seine Hand: „Wahr und weise
habt Ihr gesprochen, Elke Volkerts; ich danke Euch für so kräftige
Erläuterungen und hoffe auch in Zukunft, und bei freundlicheren
Gelegenheiten als heute, der Gast Eures Hauses zu sein; aber—daß ein
Deichgraf von solch junger Jungfer gemacht wurde, das ist das
Wunderbare an der Sache!“

„Euer Gnaden,“ erwiderte Elke und sah den gütigen Oberbeamten noch
einmal mit ihren ernsten Augen an, „einem rechten Manne wird auch die
Frau wohl helfen dürfen!“ Dann ging sie in den anstoßenden Pesel und
legte schweigend ihre Hand in Hauke Haiens.


Es war um mehrere Jahre später: In dem kleinen Hause Tede Haiens wohnte
jetzt ein rüstiger Arbeiter mit Frau und Kind, der junge Deichgraf
Hauke Haien saß mit seinem Weibe Elke Volkerts auf deren väterlicher
Hofstelle. Im Sommer rauschte die gewaltige Esche nach wie vor am
Hause; aber auf der Bank, die jetzt darunterstand, sah man abends meist
nur die junge Frau, einsam mit einer häuslichen Arbeit in den Händen;
noch immer fehlte ein Kind in dieser Ehe; der Mann aber hatte anderes
zu tun, als Feierabend vor der Tür zu halten; denn trotz seiner
früheren Mithilfe lagen aus des Alten Amtsführung eine Menge
unerledigter Dinge, an die auch er derzeit zu rühren nicht für gut
gefunden hatte; jetzt aber mußte allmählich alles aus dem Wege; er
fegte mit einem scharfen Besen. Dazu kam die Bewirtschaftung der durch
seinen eigenen Landbesitz vergrößerten Stelle, bei der er gleichwohl
den Kleinknecht noch zu sparen suchte; so sahen sich die beiden
Eheleute, außer am Sonntag, wo Kirchgang gehalten wurde, meist nur bei
dem von Hauke eilig besorgten Mittagessen und beim Auf- und Niedergang
des Tages; es war ein Leben fortgesetzter Arbeit, doch gleichwohl ein
zufriedenes.

Dann kam ein störendes Wort in Umlauf.—Als von den jüngeren Besitzern
der Marsch- und Geestgemeinde eines Sonntags nach der Kirche ein etwas
unruhiger Trupp im Kruge droben am Trunke festgeblieben war, redeten
sie beim vierten oder fünften Glase zwar nicht über König und
Regierung—so hoch wurde damals noch nicht gegriffen—wohl aber über
Kommunal- und Oberbeamte, vor allem über Gemeindeabgaben und -lasten,
und je länger sie redeten, desto weniger fand davon Gnade vor ihren
Augen, insonders nicht die neuen Deichlasten; alle Siele und Schleusen,
die sonst immer gehalten hätten, seien jetzt reparaturbedürftig; am
Deiche fänden sich immer neue Stellen, die Hunderte von Karren Erde
nötig hätten; der Teufel möchte die Geschichte holen!

„Das kommt von eurem klugen Deichgrafen,“ rief einer von den
Geestleuten, „der immer grübeln geht und seine Finger dann in alles
steckt!“

„Ja, Marten,“ sagte Ole Peters, der dem Sprecher gegenüber saß; „recht
hast du, er ist hinterspinnig und sucht beim Oberdeichgraf sich ’nen
weißen Fuß zu machen; aber wir haben ihn nun einmal!“

„Warum habt ihr ihn euch aufhucken lassen?“ sagte der andere; „nun müßt
ihr’s bar bezahlen.“

Ole Peters lachte. „Ja, Marten Fedders, das ist nun so bei uns, und
davon ist nichts abzukratzen; der alte wurde Deichgraf von seines
Vaters, der neue von seines Weibes wegen.“ Das Gelächter, das jetzt um
den Tisch lief, zeigte, welchen Beifall das geprägte Wort gefunden
hatte.

Aber es war an öffentlicher Wirtstafel gesprochen worden, es blieb
nicht da, es lief bald um im Geest- und unten in dem Marschdorf, so kam
es auch an Hauke. Und wieder ging vor seinem inneren Auge die Reihe
übelwollender Gesichter vorüber, und noch höhnischer, als es gewesen
war, hörte er das Gelächter an dem Wirtshaustische. „Hunde!“ schrie er,
und seine Augen sahen grimm zur Seite, als wolle er sie peitschen
lassen.

Da legte Elke ihre Hand auf seinen Arm: „Laß sie; die wären alle gern,
was du bist!“

—„Das ist es eben!“ entgegnete er grollend.

„Und,“ fuhr sie fort, „hat denn Ole Peters sich nicht selber
eingefreit?“

„Das hat er, Elke; aber was er mit Vollina freite, das reichte nicht
zum Deichgrafen!“

—„Sag es lieber: er reichte nicht dazu!“ und Elke drehte ihren Mann, so
daß er sich im Spiegel sehen mußte, denn sie standen zwischen den
Fenstern in ihrem Zimmer. „Da steht der Deichgraf!“ sagte sie; „nun
sieh ihn an; nur wer ein Amt regieren kann, der hat es!“

„Du hast nicht unrecht,“ entgegnete er sinnend, „und doch... Nun, Elke;
ich muß zur Osterschleuse, die Türen schließen wieder nicht!“

Sie drückte ihm die Hand: „Komm, sieh mich erst einmal an! Was hast du,
deine Augen sehen so ins Weite?“

„Nichts, Elke, du hast ja recht.“

Er ging; aber nicht lange war er gegangen, so war die
Schleusenreparatur vergessen. Ein anderer Gedanke, den er halb nur
ausgedacht und seit Jahren mit sich umhergetragen hatte, der aber vor
den drängenden Amtsgeschäften ganz zurückgetreten war, bemächtigte sich
seiner jetzt aufs neue und mächtiger als je zuvor, als seien plötzlich
die Flügel ihm gewachsen.

Kaum daß er es selber wußte, befand er sich oben auf dem Haffdeich,
schon eine weite Strecke südwärts nach der Stadt zu; das Dorf, das nach
dieser Seite hinauslag, war ihm zur Linken längst verschwunden; noch
immer schritt er weiter, seine Augen unablässig nach der Seeseite auf
das breite Vorland gerichtet; wäre jemand neben ihm gegangen, er hätte
es sehen müssen, welche eindringliche Geistesarbeit hinter diesen Augen
vorging. Endlich blieb er stehen: das Vorland schwand hier zu einem
schmalen Streifen an dem Deich zusammen. „Es muß gehen!“ sprach er bei
sich selbst. „Sieben Jahr im Amt; sie sollen nicht mehr sagen, daß ich
nur Deichgraf bin von meines Weibes wegen!“

Noch immer stand er, und seine Blicke schweiften scharf und bedächtig
nach allen Seiten über das grüne Vorland; dann ging er zurück, bis wo
auch hier ein schmaler Streifen grünen Weidelands die vor ihm liegende
breite Landfläche ablöste. Hart an dem Deiche aber schoß ein starker
Meeresstrom durch diese, der fast das ganze Vorland von dem Festlande
trennte und zu einer Hallig machte; eine rohe Holzbrücke führte nach
dort hinüber, damit man mit Vieh und Heu- und Getreidewagen hinüber und
wieder zurück gelangen könne. Jetzt war es Ebbezeit, und die goldene
Septembersonne glitzerte auf dem etwa hundert Schritte breiten
Schlickstreifen und auf dem tiefen Priel in seiner Mitte, durch den
auch jetzt das Meer noch seine Wasser trieb. „Das läßt sich dämmen!“
sprach Hauke bei sich selber, nachdem er diesem Spiele eine Zeitlang
zugesehen; dann blickte er auf, und von dem Deiche, auf dem er stand,
über den Priel hinweg, zog er in Gedanken eine Linie längs dem Rande
des abgetrennten Landes, nach Süden herum und ostwärts wiederum zurück
über die dortige Fortsetzung des Prieles und an den Deich heran. Die
Linie aber, welche er unsichtbar gezogen hatte, war ein neuer Deich,
neu auch in der Konstruktion seines Profiles, welches bis jetzt nur
noch in seinem Kopf vorhanden war.

„Das gäbe einen Koog von zirka tausend Demat,“ sprach er lächelnd zu
sich selber; „nicht groß just; aber...“

Eine andere Kalkulation überkam ihn: das Vorland gehörte hier der
Gemeinde, ihren einzelnen Mitgliedern eine Zahl von Anteilen, je nach
der Größe ihres Besitzes im Gemeindebezirk oder nach sonst zu Recht
bestehender Erwerbung; er begann zusammenzuzählen, wieviel Anteile er
von seinem, wie viele er von Elkes Vater überkommen, und was an solchen
er während seiner Ehe schon selbst gekauft hatte, teils in dem dunklen
Gefühle eines künftigen Vorteils, teils bei Vermehrung seiner
Schafzucht. Es war schon eine ansehnliche Menge; denn auch von Ole
Peters hatte er dessen sämtliche Teile angekauft, da es diesem zum
Verdruß geschlagen war, als bei einer teilweisen Überströmung ihm sein
bester Schafbock ertrunken war. Aber das war ein seltsamer Unfall
gewesen; denn so weit Haukes Gedächtnis reichte, waren selbst bei hohen
Fluten dort nur die Ränder überströmt worden. Welch treffliches Weide-
und Kornland mußte es geben und von welchem Werte, wenn das alles von
seinem neuen Deich umgeben war! Wie ein Rausch stieg es ihm ins Gehirn;
aber er preßte die Nägel in seine Handflächen und zwang seine Augen,
klar und nüchtern zu sehen, was dort vor ihm lag: eine große deichlose
Fläche, wer wußt’ es, welchen Stürmen und Fluten schon in den nächsten
Jahren preisgegeben, an deren äußerstem Rande jetzt ein Trupp von
schmutzigen Schafen langsam grasend entlang wanderte, dazu für ihn ein
Haufen Arbeit, Kampf und Ärger! Trotz alledem, als er vom Deich hinab
und den Fußsteig über die Fennen auf seine Werfte zuging, ihm war’s,
als brächte er einen großen Schatz mit sich nach Hause.

Auf dem Flur trat Elke ihm entgegen. „Wie war es mit der Schleuse?“
frug sie.

Er sah mit geheimnisvollem Lächeln auf sie nieder. „Wir werden bald
eine andere Schleuse brauchen,“ sagte er; „und Sielen und einen neuen
Deich!“

„Ich versteh’ dich nicht,“ entgegnete Elke, während sie in das Zimmer
gingen; „was willst du, Hauke?“

„Ich will,“ sagte er langsam und hielt dann einen Augenblick inne, „ich
will, daß das große Vorland, das unserer Hofstatt gegenüber beginnt und
dann nach Westen ausgeht, zu einem festen Kooge eingedeicht werde: die
hohen Fluten haben fast ein Menschenalter uns in Ruh’ gelassen; wenn
aber eine von den schlimmen wiederkommt und den Anwachs stört, so kann
mit einem Mal die ganze Herrlichkeit zu Ende sein; nur der alte
Schlendrian hat das bis heut so lassen können!“

Sie sah ihn voll Erstaunen an. „So schiltst du dich ja selber!“ sagte
sie.

—„Das tu ich, Elke; aber es war bisher auch soviel anderes zu
beschaffen!“

„Ja, Hauke; gewiß, du hast genug getan!“

Er hatte sich in den Lehnstuhl des alten Deichgrafen gesetzt, und seine
Hände griffen fest um beide Lehnen.

„Hast du denn guten Mut dazu?“ fragte ihn sein Weib.

„Das hab’ ich, Elke!“ sprach er hastig.

„Sei nicht zu rasch, Hauke; das ist ein Werk auf Tod und Leben; und
fast alle werden dir entgegen sein, man wird dir deine Müh’ und Sorg’
nicht danken!“

Er nickte. „Ich weiß!“ sagte er.

„Und wenn es nun nicht gelänge!“ rief sie wieder; „von Kindesbeinen an
hab’ ich gehört, der Priel sei nicht zu stopfen, und darum dürfe nicht
daran gerührt werden.“

„Das war ein Vorwand für die Faulen!“ sagte Hauke; „weshalb denn sollte
man den Priel nicht stopfen können?“

—„Das hört’ ich nicht; vielleicht, weil er gerade durchgeht; die
Spülung ist zu stark.“—Eine Erinnerung überkam sie, und ein fast
schelmisches Lächeln brach aus ihren ernsten Augen. „Als ich Kind war,“
sprach sie, „hörte ich einmal die Knechte darüber reden; sie meinten,
wenn ein Damm dort halten solle, müsse was Lebigs da hineingeworfen und
mit verdämmt werden; bei einem Deichbau auf der andern Seite, vor wohl
hundert Jahren, sei ein Zigeunerkind verdämmet worden, das sie um
schweres Geld der Mutter abgehandelt hätten; jetzt aber würde wohl
keine ihr Kind verkaufen!“

Hauke schüttelte den Kopf „Da ist es gut, daß wir keins haben, sie
würden es sonst noch schier von uns verlangen!“

„Sie sollten’s nicht bekommen!“ sagte Elke und schlug wie in Angst die
Arme über ihren Leib.

Und Hauke lächelte; doch sie fragte noch einmal: „Und die ungeheuren
Kosten? Hast du das bedacht?“

„Das hab’ ich, Elke; was wir dort herausbringen, wird sie bei weitem
überholen, auch die Erhaltungskosten des alten Deiches gehen für ein
gut Stück in dem neuen unter; wir arbeiten ja selbst und haben über
achtzig Gespanne in der Gemeinde, und an jungen Fäusten ist hier auch
kein Mangel. Du sollst mich wenigstens nicht umsonst zum Deichgrafen
gemacht haben, Elke; ich will ihnen zeigen, daß ich einer bin!“

Sie hatte sich vor ihm niedergehuckt und ihn sorgvoll angeblickt; nun
erhob sie sich mit einem Seufzer: „Ich muß weiter zu meinem Tagewerk,“
sagte sie, und ihre Hand strich langsam über seine Wange; „tu du das
deine, Hauke!“

„Amen, Elke!“ sprach er mit ernstem Lächeln; „Arbeit ist für uns beide
da!“

—Und es war Arbeit genug für beide, die schwerste Last aber fiel jetzt
auf des Mannes Schulter. An Sonntagnachmittagen, oft auch nach
Feierabend, saß Hauke mit einem tüchtigen Feldmesser zusammen, vertieft
in Rechenaufgaben, Zeichnungen und Rissen; war er allein, dann ging es
ebenso und endete oft weit nach Mitternacht. Dann schlich er in die
gemeinsame Schlafkammer—denn die dumpfen Wandbetten im Wohngemach
wurden in Haukes Wirtschaft nicht mehr gebraucht—und sein Weib, damit
er endlich nur zur Ruhe komme, lag wie schlafend mit geschlossenen
Augen, obgleich sie mit klopfendem Herzen nur auf ihn gewartet hatte;
dann küßte er mitunter ihre Stirn und sprach ein leises Liebeswort
dabei, und legte sich selbst zum Schlafe, der ihm oft nur beim ersten
Hahnenkraht zu Willen war. Im Wintersturm lief er auf den Deich hinaus,
mit Bleistift und Papier in der Hand, und stand und zeichnete und
notierte, während ein Windstoß ihm die Mütze vom Kopf riß, und das
lange, fahle Haar ihm um sein heißes Antlitz flog; bald fuhr er,
solange nur das Eis ihm nicht den Weg versperrte, mit einem Knecht zu
Boot ins Wattenmeer hinaus und maß dort mit Lot und Stange die Tiefen
der Ströme, über die er noch nicht sicher war. Elke zitterte oft genug
für ihn; aber war er wieder da, so hätte er das nur aus ihrem festen
Händedruck oder dem leuchtenden Blitz aus ihren sonst so stillen Augen
merken können. „Geduld, Elke,“ sagte er, da ihm einmal war, als ob sein
Weib ihn nicht lassen könne; „ich muß erst selbst im reinen sein, bevor
ich meinen Antrag stelle!“ Da nickte sie und ließ ihn gehen. Der Ritte
in die Stadt zum Oberdeichgrafen wurden auch nicht wenige, und allem
diesen und den Mühen in Haus- und Landwirtschaft folgten immer wieder
die Arbeiten in die Nacht hinein. Sein Verkehr mit anderen Menschen
außer in Arbeit und Geschäft verschwand fast ganz; selbst der mit
seinem Weibe wurde immer weniger. „Es sind schlimme Zeiten, und sie
werden noch lange dauern,“ sprach Elke bei sich selber und ging an ihre
Arbeit.

Endlich, Sonne und Frühlingswinde hatten schon überall das Eis
gebrochen, war auch die letzte Vorarbeit getan; die Eingabe an den
Oberdeichgrafen zu Befürwortung an höherem Orte, enthaltend den
Vorschlag einer Bedeichung des erwähnten Vorlandes, zur Förderung des
öffentlichen Besten, insonders des Kooges wie nicht weniger der
Herrschaftlichen Kasse, da höchstderselben in kurzen Jahren die Abgabe
von ca. 1000 Demat daraus erwachsen würden,—war sauber abgeschrieben
und nebst anliegenden Rissen und Zeichnungen aller Lokalitäten, jetzt
und künftig, der Schleusen und Siele und was noch sonst dazu gehörte,
in ein festes Konvolut gepackt und mit dem deichgräflichen Amtssiegel
versehen worden.

„Da ist es, Elke,“ sagte der junge Deichgraf, „nun gib ihm deinen
Segen!“

Elke legte ihre Hand in seine: „Wir wollen fest zusammenhalten,“ sagte
sie.

„Das wollen wir.“


Dann wurde die Eingabe durch einen reitenden Boten in die Stadt
gesandt.

„Sie wollen bemerken, lieber Herr,“ unterbrach der Schulmeister seine
Erzählung, mich freundlich mit seinen feinen Augen fixierend, „daß ich
das bisher Berichtete während meiner fast vierzigjährigen Wirksamkeit
in diesem Kooge aus den Überlieferungen verständiger Leute oder aus
Erzählungen der Enkel und Urenkel solcher zusammengefunden habe; was
ich, damit Sie dieses mit dem endlichen Verlauf in Einklang zu bringen
vermögen, Ihnen jetzt vorzutragen habe, das war derzeit und ist auch
jetzt noch das Geschwätz des ganzen Marschdorfes, sobald nur um
Allerheiligen die Spinnräder an zu schnurren fangen.

Von der Hofstelle des Deichgrafen, etwa fünf- bis sechshundert Schritte
weiter nordwärts, sah man derzeit, wenn man auf dem Deiche stand, ein
paar tausend Schritt ins Wattenmeer hinaus und etwas weiter von dem
gegenüberliegenden Marschufer entfernt eine kleine Hallig, die sie
„Jeverssand,“ auch „Jevershallig“ nannten. Von den derzeitigen
Großvätern war sie noch zur Schafweide benutzt worden, denn Gras war
damals noch darauf gewachsen; aber auch das hatte aufgehört, weil die
niedrige Hallig ein paarmal, und just im Hochsommer, unter Seewasser
gekommen und der Graswuchs dadurch verkümmert und auch zur Schafweide
unnutzbar geworden war. So kam es denn, daß außer von Möwen und den
andern Vögeln, die am Strande fliegen, und etwa einmal von einem
Fischadler dort kein Besuch mehr stattfand; und an mondhellen Abenden
sah man vom Deiche aus nur die Nebeldünste leichter oder schwerer
darüber hinziehen. Ein paar weißgebleichte Knochengerüste ertrunkener
Schafe und das Gerippe eines Pferdes, von dem freilich niemand begriff,
wie es dort hingekommen sei, wollte man, wenn der Mond von Osten auf
die Hallig schien, dort auch erkennen können.

Es war zu Ende März, als an dieser Stelle nach Feierabend der
Tagelöhner aus dem Tede-Haienschen Hause und Iven Johns, der Knecht des
jungen Deichgrafen, nebeneinander standen und unbeweglich nach der im
trüben Mondduft kaum erkennbaren Hallig hinüberstarrten; etwas
Auffälliges schien sie dort so festzuhalten. Der Tagelöhner steckte die
Hände in die Tasche und schüttelte sich: „Komm, Iven,“ sagte er, „das
ist nichts Gutes; laß uns nach Haus gehen!“

Der andere lachte, wenn auch ein Grauen bei ihm hindurchklang: „Ei was,
es ist eine lebige Kreatur, eine große! Wer, zum Teufel, hat sie nach
dem Schlickstück hinaufgejagt! Sieh nur, nun reckt’s den Hals zu uns
hinüber! Nein, es senkt den Kopf, es frißt! Ich dächt’, es wär’ dort
nichts zu fressen! Was es nur sein mag?“

„Was geht das uns an!“ entgegnete der andere. „Gute Nacht, Iven, wenn
du nicht mitwillst; ich gehe nach Haus!“

—„Ja, ja; du hast ein Weib, du kommst ins warme Bett! Bei mir ist auch
in meiner Kammer lauter Märzenluft!“

„Gut’ Nacht denn!“ rief der Tagelöhner zurück, während er auf dem Deich
nach Hause trabte. Der Knecht sah sich ein paarmal nach dem
Fortlaufenden um; aber die Begier, Unheimliches zu schauen, hielt ihn
noch fest. Da kam eine untersetzte, dunkle Gestalt auf dem Deich vom
Dorf her gegen ihn heran; es war der Dienstjunge des Deichgrafen. „Was
willst du, Karsten?“ rief ihm der Knecht entgegen.

„Ich?—nichts,“ sagte der Junge; „aber unser Wirt will dich sprechen,
Iven Johns!“

Der Knecht hatte die Augen schon wieder nach der Hallig. „Gleich; ich
komme gleich!“ sagte er.

„Wonach guckst du denn so?“ frug der junge.

Der Knecht hob den Arm und wies stumm nach der Hallig. „Oha!“ flüsterte
der Junge; „da geht ein Pferd—ein Schimmel—das muß der Teufel
reiten—wie kommt ein Pferd nach Jevershallig?“

—„Weiß nicht, Karsten, wenn’s nur ein richtiges Pferd ist!“

„Ja, ja, Iven; sieh nur, es frißt ganz wie ein Pferd! Aber wer hat’s
dahin gebracht; wir haben im Dorf so große Böte gar nicht! Vielleicht
auch ist es nur ein Schaf; Peter Ohm sagt, im Mondschein wird aus zehn
Torfringeln ein ganzes Dorf. Nein, sieh! Nun springt es—es muß doch ein
Pferd sein!“

Beide standen eine Weile schweigend, die Augen nur nach dem gerichtet,
was sie drüben undeutlich vor sich gehen sahen. Der Mond stand hoch am
Himmel und beschien das weite Wattenmeer, das eben in der steigenden
Flut seine Wasser über die glitzernden Schlickflächen zu spülen begann;
nur das leise Geräusch des Wassers, keine Tierstimme war in der
ungeheueren Weite hier zu hören; auch in der Marsch, hinter dem Deiche,
war es leer; Kühe und Rinder waren alle noch in den Ställen. Nichts
regte sich; nur was sie für ein Pferd, einen Schimmel, hielten, schien
dort auf Jevershallig noch beweglich. „Es wird heller,“ unterbrach der
Knecht die Stille, „ich sehe deutlich die weißen Schafgerippe
schimmern!“

„Ich auch,“ sagte der Junge und reckte den Hals, dann aber, als komme
es ihm plötzlich, zupfte er den Knecht am Ärmel. „Iven,“ raunte er,
„das Pferdsgerippe, das sonst dabeilag, wo ist es? Ich kann’s nicht
sehen!“

„Ich seh’ es auch nicht! Seltsam!“ sagte der Knecht.

—„Nicht so seltsam, Iven! Mitunter, ich weiß nicht, in welchen Nächten,
sollen die Knochen sich erheben und tun, als ob sie lebig wären!“

„So?“ machte der Knecht; „das ist ja Altweiberglaube!“

„Kann sein, Iven,“ meinte der Junge.

„Aber, ich mein’, du sollst mich holen; komm, wir müssen nach Haus! Es
bleibt hier immer doch dasselbe.“

Der Junge war nicht fortzubringen, bis der Knecht ihn mit Gewalt
herumgedreht und auf den Weg gebracht hatte. „Hör’, Karsten,“ sagte
dieser, als die gespensterhafte Hallig ihnen schon ein gut Stück im
Rücken lag, „du giltst ja für einen Allerweltsbengel; ich glaub’, du
möchtest das am liebsten selber untersuchen!“

„Ja,“ entgegnete Karsten, nachträglich noch ein wenig schaudernd, „ja,
das möcht’ ich, Iven!“

„Ist das dein Ernst?—dann,“ sagte der Knecht, nachdem der Junge ihm
nachdrücklich darauf die Hand geboten hatte, „lösen wir morgen abend
unser Boot; du fährst nach Jeverssand; ich bleib’ so lange auf dem
Deiche stehen.“

„Ja,“ erwiderte der Junge, „das geht! Ich nehme meine Peitsche mit!“

„Tu das!“

Schweigend kamen sie an das Haus ihrer Herrschaft, zu dem sie langsam
die hohe Werfte hinanstiegen.


Um dieselbe Zeit des folgenden Abends saß der Knecht auf dem großen
Steine vor der Stalltür, als der Junge mit seiner Peitsche knallend zu
ihm kam. „Das pfeift ja wunderlich!“ sagte jener.

„Freilich, nimm dich in acht,“ entgegnete der Junge; „ich hab’ auch
Nägel in die Schnur geflochten.“

„So komm!“ sagte der andere.

Der Mond stand, wie gestern, am Osthimmel und schien klar aus seiner
Höhe. Bald waren beide wieder draußen auf dem Deich und sahen hinüber
nach Jevershallig, die wie ein Nebelfleck im Wasser stand. „Da geht es
wieder,“ sagte der Knecht; „nach Mittag war ich hier, da war’s nicht
da; aber ich sah deutlich das weiße Pferdsgerippe liegen!“

Der Junge reckte den Hals. „Das ist jetzt nicht da, Iven,“ flüsterte
er.

„Nun, Karsten, wie ist’s?“ sagte der Knecht. „Juckt’s dich noch,
hinüberzufahren?“

Karsten besann sich einen Augenblick; dann klatschte er mit seiner
Peitsche in die Luft. „Mach’ nur das Boot los, Iven!“

Drüben aber war es, als hebe, was dorten ging, den Hals und recke gegen
das Festland hin den Kopf Sie sahen es nicht mehr; sie gingen schon den
Deich hinab und bis zur Stelle, wo das Boot gelegen war. „Nun, steig
nur ein!“ sagte der Knecht, nachdem er es losgebunden hatte. „Ich
bleib, bis du zurück bist! Zu Osten mußt du anlegen; da hat man immer
landen können!“ Und der Junge nickte schweigend und fuhr mit seiner
Peitsche in die Mondnacht hinaus; der Knecht wanderte unterm Deich
zurück und bestieg ihn wieder an der Stelle, wo sie vorhin gestanden
hatten. Bald sah er, wie drüben bei einer schroffen, dunkeln Stelle, an
die ein breiter Priel hinanführte, das Boot sich beilegte und eine
untersetzte Gestalt daraus ans Land sprang.—War’s nicht, als klatschte
der Junge mit seiner Peitsche? Aber es konnte auch das Geräusch der
steigenden Flut sein. Mehrere hundert Schritte nordwärts sah er, was
sie für einen Schimmel angesehen hatten; und jetzt!—ja, die Gestalt des
Jungen kam gerade darauf zugegangen. Nun hob es den Kopf, als ob es
stutze; und der Junge—es war deutlich jetzt zu hören—klatschte mit der
Peitsche. Aber—was fiel ihm ein? Er kehrte um, er ging den Weg zurück,
den er gekommen war. Das drüben schien unablässig fortzuweiden, kein
Wiehern war von dort zu hören gewesen; wie weiße Wasserstreifen schien
es mitunter über die Erscheinung hinzuziehen. Der Knecht sah wie
gebannt hinüber.

Da hörte er das Anlegen des Bootes am diesseitigen Ufer, und bald sah
er aus der Dämmerung den Jungen gegen sich am Deich heraufsteigen.
„Nun, Karsten,“ frug er, „was war es?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Nichts war es!“ sagte er. „Noch kurz
vom Boot aus hatt ich es gesehen; dann aber, als ich auf der Hallig
war—weiß der Henker, wo sich das Tier verkrochen hatte, der Mond schien
doch hell genug; aber als ich an die Stelle kam, war nichts da als die
bleichen Knochen von einem halben Dutzend Schafen, und etwas weiter lag
auch das Pferdsgerippe mit seinem weißen, langen Schädel und ließ den
Mond in seine leeren Augenhöhlen scheinen!“

„Hmm!“ meinte der Knecht; „hast auch recht zugesehen?“

„Ja, Iven, ich stand dabei; ein gottvergessener Kiewiet, der hinter dem
Gerippe sich zur Nachtruh’ hingeduckt hatte, flog schreiend auf, daß
ich erschrak und ein paarmal mit der Peitsche hintennach klatschte.“

„Und das war alles?“

„Ja, Iven; ich weiß nicht mehr.“

„Es ist auch genug,“ sagte der Knecht, zog den Jungen am Arm zu sich
heran und wies hinüber nach der Hallig. „Dort, siehst du etwas,
Karsten?“

—„Wahrhaftig, da geht’s ja wieder!“

„Wieder?“ sagte der Knecht; „ich hab die ganze Zeit hinübergeschaut,
aber es ist gar nicht fortgewesen; du gingst ja gerade auf das Unwesen
los!“

Der Junge starrte ihn an; ein Entsetzen lag plötzlich auf seinem sonst
so kecken Angesicht, das auch dem Knechte nicht entging. „Komm!“ sagte
dieser, „wir wollen nach Haus: von hier aus geht’s wie lebig, und
drüben liegen nur die Knochen—das ist mehr, als du und ich begreifen
können. Schweig aber still davon, man darf dergleichen nicht verreden!“

So wandten sie sich, und der Junge trabte neben ihm; sie sprachen
nicht, und die Marsch lag in lautlosem Schweigen an ihrer Seite.

—Nachdem aber der Mond zurückgegangen und die Nächte dunkel geworden
waren, geschah ein anderes.

Hauke Haien war zur Zeit des Pferdemarktes in die Stadt geritten, ohne
jedoch mit diesem dort zu tun zu haben. Gleichwohl, da er gegen Abend
heimkam, brachte er ein zweites Pferd mit sich nach Hause; aber es war
rauhhaarig und mager, daß man jede Rippe zählen konnte, und die Augen
lagen ihm matt und eingefallen in den Schädelhöhlen. Elke war vor die
Haustür getreten, um ihren Eheliebsten zu empfangen. „Hilf Himmel!“
rief sie, „was soll uns der alte Schimmel?“ Denn da Hauke mit ihm vor
das Haus geritten kam und unter der Esche hielt, hatte sie gesehen, daß
die arme Kreatur auch lahme.

Der junge Deichgraf aber sprang lachend von seinem braunen Wallach:
„Laß nur, Elke; es kostet auch nicht viel!“

Die kluge Frau erwiderte: „Du weißt doch, das Wohlfeilste ist auch
meist das Teuerste.“

—„Aber nicht immer, Elke; das Tier ist höchstens vier Jahr alt; sieh es
dir nur genauer an! Es ist verhungert und mißhandelt; da soll ihm unser
Hafer guttun; ich werd’ es selbst versorgen, damit sie mir’s nicht
überfüttern.“

Das Tier stand indessen mit gesenktem Kopf, die Mähnen hingen lang am
Hals herunter. Frau Elke, während ihr Mann nach den Knechten rief, ging
betrachtend um dasselbe herum; aber sie schüttelte den Kopf: „So eins
ist noch nie in unserm Stall gewesen!“

Als jetzt der Dienstjunge um die Hausecke kam, blieb er plötzlich mit
erschrocknen Augen stehen. „Nun, Karsten,“ rief der Deichgraf, „was
fährt dir in die Knochen? Gefällt dir mein Schimmel nicht?“

„Ja—o ja, uns’ Weert, warum denn nicht!“

—„So bring die Tiere in den Stall, gib ihnen kein Futter; ich komme
gleich selber hin!“

Der Junge faßte mit Vorsicht den Halfter des Schimmels und griff dann
hastig, wie zum Schutze, nach dem Zügel des ihm ebenfalls vertrauten
Wallachs. Hauke aber ging mit seinem Weibe in das Zimmer; ein Warmbier
hatte sie für ihn bereit, und Brot und Butter waren auch zur Stelle.

Er war bald gesättigt; dann stand er auf und ging mit seiner Frau im
Zimmer auf und ab. „Laß dir erzählen, Elke,“ sagte er, während der
Abendschein auf den Kacheln an den Wänden spielte, „wie ich zu dem Tier
gekommen bin: Ich war wohl eine Stunde beim Oberdeichgrafen gewesen; er
hatte gute Kunde für mich—es wird wohl dies und jenes anders werden als
in meinen Rissen; aber die Hauptsache, mein Profil, ist akzeptiert, und
schon in den nächsten Tagen kann der Befehl zum neuen Deichbau da
sein!“

Elke seufzte unwillkürlich. „Also doch?“ sagte sie sorgenvoll.

„Ja, Frau,“ entgegnete Hauke; „hart wird’s hergehen; aber dazu, denk’
ich, hat der Herrgott uns zusammengebracht! Unsere Wirtschaft ist jetzt
so gut in Ordnung, ein groß Teil kannst du schon auf deine Schultern
nehmen; denk’ nur um zehn Jahr weiter—dann stehen wir vor einem andern
Besitz.“

Sie hatte bei seinen ersten Worten die Hand ihres Mannes versichernd in
die ihrigen gepreßt; seine letzten Worte konnten sie nicht erfreuen.
„Für wen soll der Besitz?“ sagte sie. „Du müßtest denn ein ander Weib
nehmen; ich bring’ dir keine Kinder.“

Tränen schossen ihr in die Augen; aber er zog sie fest in seine Arme.
„Das überlassen wir dem Herrgott,“ sagte er; „jetzt aber, und auch dann
noch sind wir jung genug, um uns der Früchte unserer Arbeit selbst zu
freuen.“

Sie sah ihn lange, während er sie hielt, aus ihren dunkeln Augen an.
„Verzeih, Hauke,“ sprach sie; „ich bin mitunter ein verzagt Weib!“

Er neigte sich zu ihrem Antlitz und küßte sie: „Du bist mein Weib und
ich dein Mann, Elke! Und anders wird es nun nicht mehr.“

Da legte sie die Arme fest um seinen Nacken: „Du hast recht, Hauke, und
was kommt, kommt für uns beide.“ Dann löste sie sich errötend von ihm.
„Du wolltest von dem Schimmel mir erzählen,“ sagte sie leise.

„Das wollt ich, Elke. Ich sagte dir schon, mir war Kopf und Herz voll
Freude über die gute Nachricht, die der Oberdeichgraf mir gegeben
hatte; so ritt ich eben wieder aus der Stadt hinaus, da, auf dem Damm,
hinter dem Hafen, begegnet’ mir ein ruppiger Kerl; ich wußt’ nicht,
war’s ein Vagabund, ein Kesselflicker oder was denn sonst. Der Kerl zog
den Schimmel am Halfter hinter sich; das Tier aber hob den Kopf und sah
mich aus blöden Augen an; mir war’s, als ob es mich um etwas bitten
wolle; ich war ja auch in diesem Augenblicke reich genug. „He,
Landsmann!“ rief ich, „wo wollt Ihr mit der Kracke hin?“

Der Kerl blieb stehen und der Schimmel auch. „Verkaufen!“ sagte jener
und nickte mir listig zu.

„Nur nicht an mich!“ rief ich lustig.

„Ich denke doch!“ sagte er; „das ist ein wacker Pferd und unter hundert
Talern nicht bezahlt.“

Ich lachte ihm ins Gesicht.

„Nun,“ sagte er, „lacht nicht so hart; Ihr sollt’s mir ja nicht zahlen!
Aber ich kann’s nicht brauchen, bei mir verkommt’s; es würd’ bei Euch
bald ander Ansehen haben!“

Da sprang ich von meinem Wallach und sah dem Schimmel ins Maul und sah
wohl, es war noch ein junges Tier. „Was soll’s denn kosten?“ rief ich,
da auch das Pferd mich wiederum wie bittend ansah.

„Herr, nehmt’s für dreißig Taler!“ sagte der Kerl, „und den Halfter
geb’ ich Euch darein!“

Und da, Frau, hab’ ich dem Burschen in die dargebotene braune Hand, die
fast wie eine Klaue aussah, eingeschlagen. So haben wir den Schimmel,
und ich denk’ auch, wohlfeil genug! Wunderlich nur war es, als ich mit
den Pferden wegritt, hört’ ich bald hinter mir ein Lachen, und als ich
den Kopf wandte, sah ich den Slowaken; der stand noch sperrbeinig, die
Arme auf dem Rücken, und lachte wie ein Teufel hinter mir darein.“

„Pfui,“ rief Elke, „wenn der Schimmel nur nichts von seinem alten Herrn
dir zubringt! Mög’ er dir gedeihen, Hauke!“

„Er selber soll es wenigstens, soweit ich’s leisten kann!“ Und der
Deichgraf ging in den Stall, wie er vorhin dem Jungen es gesagt hatte.

—Aber nicht allein an jenem Abend fütterte er den Schimmel; er tat es
fortan immer selbst und ließ kein Auge von dem Tiere; er wollte zeigen,
daß er einen Priesterhandel gemacht habe; jedenfalls sollte nichts
versehen werden.—Und schon nach wenig Wochen hob sich die Haltung des
Tieres; allmählich verschwanden die rauhen Haare; ein blankes, blau
geapfeltes Fell kam zum Vorschein, und da er es eines Tages auf der
Hofstatt umherführte, schritt es schlank auf seinen festen Beinen.
Hauke dachte des abenteuerlichen Verkäufers. „Der Kerl war ein Narr
oder ein Schuft, der es gestohlen hatte!“ murmelte er bei sich
selber.—Bald auch, wenn das Pferd im Stall nur seine Schritte hörte,
warf es den Kopf herum und wieherte ihm entgegen; nun sah er auch, es
hatte, was die Araber verlangen, ein fleischlos Angesicht; draus
blitzten ein Paar feurige braune Augen. Dann führte er es aus dem Stall
und legte ihm einen leichten Sattel auf; aber kaum saß er droben, so
fuhr dem Tier ein Wiehern wie ein Lustschrei aus der Kehle; es flog mit
ihm davon, die Werfte hinab auf den Weg und dann dem Deiche zu; doch
der Reiter saß fest, und als sie oben waren, ging es ruhiger, leicht,
wie tanzend, und warf den Kopf dem Meere zu. Er klopfte und streichelte
ihm den blanken Hals, aber es bedurfte dieser Liebkosung schon nicht
mehr; das Pferd schien völlig eins mit seinem Reiter, und nachdem er
eine Strecke nordwärts den Deich hinausgeritten war, wandte er es
leicht und gelangte wieder an die Hofstatt.

Die Knechte standen unten an der Auffahrt und warteten der Rückkunft
ihres Wirtes. „So, John,“ rief dieser, indem er von seinem Pferde
sprang, „nun reite du es in die Fenne zu den andern; es trägt dich wie
in einer Wiege!“

Der Schimmel schüttelte den Kopf und wieherte laut in die sonnige
Marschlandschaft hinaus, während ihm der Knecht den Sattel abschnallte
und der Junge damit zur Geschirrkammer lief; dann legte er den Kopf auf
seines Herrn Schulter und duldete behaglich dessen Liebkosung. Als aber
der Knecht sich jetzt auf seinen Rücken schwingen wollte, sprang er mit
einem jähen Satz zur Seite und stand dann wieder unbeweglich, die
schönen Augen auf seinen Herrn gerichtet. „Hoho, Iven,“ rief dieser,
„hat er dir Leids getan?“ und suchte seinem Knecht vom Boden
aufzuhelfen.

Der rieb sich eifrig an der Hüfte. „Nein, Herr, es geht noch; aber den
Schimmel reit’ der Teufel!“

„Und ich!“ setzte Hauke lachend hinzu. „So bring’ ihn am Zügel in die
Fenne!“

Und als der Knecht etwas beschämt gehorchte, ließ sich der Schimmel
ruhig von ihm führen.

—Einige Abende später standen Knecht und Junge miteinander vor der
Stalltür; hinterm Deiche war das Abendrot erloschen, innerhalb
desselben war schon der Koog von tiefer Dämmerung überwallt; nur selten
kam aus der Ferne das Gebrüll eines aufgestörten Rindes oder der Schrei
einer Lerche, deren Leben unter dem Überfall eines Wiesels oder einer
Wasserratte endete. Der Knecht lehnte gegen den Türpfosten und rauchte
aus einer kurzen Pfeife, deren Rauch er schon nicht mehr sehen konnte;
gesprochen hatten er und der Junge noch nicht zusammen. Dem letzteren
aber drückte etwas auf die Seele, er wußte nur nicht, wie er dem
schweigsamen Knechte ankommen sollte. „Du, Iven!“ sagte er endlich,
„weißt du, das Pferdsgeripp’ auf Jeverssand!“

„Was ist damit?“ frug der Knecht.

„Ja, Iven, was ist damit? Es ist gar nicht mehr da; weder Tages noch
bei Mondschein; wohl zwanzigmal bin ich auf den Deich hinausgelaufen!“

„Die alten Knochen sind wohl zusammengepoltert?“ sagte Iven und rauchte
ruhig weiter.

„Aber ich war auch bei Mondschein draußen, es geht auch drüben nichts
auf Jeverssand!“

„Ja,“ sagte der Knecht, „sind die Knochen auseinandergefallen, so
wird’s wohl nicht mehr aufstehen können!“

„Mach keinen Spaß, Iven! Ich weiß jetzt; ich kann dir sagen, wo es
ist!“

Der Knecht drehte sich jäh zu ihm: „Nun, wo ist es denn?“

„Wo?“ wiederholte der Junge nachdrücklich. „Es steht in unserem Stall;
da steht’s, seit es nicht mehr auf der Hallig ist. Es ist auch nicht
umsonst, daß der Wirt es allzeit selber füttert; ich weiß Bescheid,
Iven!“

Der Knecht paffte eine Weile heftig in die Nacht hinaus. „Du bist nicht
klug, Karsten,“ sagte er dann; „unser Schimmel? Wenn je ein Pferd ein
lebig’s war, so ist es der! Wie kann so ein Allerweltsjunge wie du in
solch Altemweiberglauben sitzen!“

—Aber der Junge war nicht zu bekehren: wenn der Teufel in dem Schimmel
steckte, warum sollte er dann nicht lebendig sein? Im Gegenteil, um
desto schlimmer!—Er fuhr jedesmal erschreckt zusammen, wenn er gegen
Abend den Stall betrat, in dem auch sommers das Tier mitunter
eingestellt wurde, und es dann den feurigen Kopf so jäh nach ihm
herumwarf. „Hol’s der Teufel!“ brummte er dann; „wir bleiben auch nicht
lange mehr zusammen!“

So tat er sich denn heimlich nach einem neuen Dienste um, kündigte und
trat um Allerheiligen als Knecht bei Ole Peters ein. Hier fand er
andächtige Zuhörer für seine Geschichte von dem Teufelspferd des
Deichgrafen; die dicke Frau Vollina und deren geistesstumpfer Vater,
der frühere Deichgevollmächtigte Jeß Harders, hörten in behaglichem
Gruseln zu und erzählten sie später allen, die gegen den Deichgrafen
einen Groll im Herzen oder die an derart Dingen ihr Gefallen hatten.


Inzwischen war schon Ende März durch die Oberdeichgrafschaft der Befehl
zur neuen Eindeichung eingetroffen. Hauke berief zunächst die
Deichgevollmächtigten zusammen, und im Kruge oben bei der Kirche waren
eines Tages alle erschienen und hörten zu, wie er ihnen die Hauptpunkte
aus den bisher erwachsenen Schriftstücken vorlas: aus seinem Antrage,
aus dem Bericht des Oberdeichgrafen, zuletzt den schließlichen
Bescheid, worin vor allem auch die Annahme des von ihm vorgeschlagenen
Profiles enthalten war, und der neue Deich nicht steil wie früher,
sondern allmählich verlaufend nach der Seeseite abfallen sollte; aber
mit heiteren oder auch nur zufriedenen Gesichtern hörten sie nicht.

„Ja, ja,“ sagte ein alter Gevollmächtigter, „da haben wir nun die
Bescherung, und Proteste werden nicht helfen, da der Oberdeichgraf
unserm Deichgrafen den Daumen hält!“

„Hast wohl recht, Detlev Wiens,“ setzte ein zweiter hinzu; „die
Frühlingsarbeit steht vor der Tür, und nun soll auch ein
millionenlanger Deich gemacht werden—da muß ja alles liegen bleiben.“

„Das könnt ihr dies Jahr noch zu Ende bringen,“ sagte Hauke; „so rasch
wird der Stecken nicht vom Zaun gebrochen!“

Das wollten wenige zugeben. „Aber dein Profil!“ sprach ein dritter, was
neues auf die Bahn bringend; „der Deich wird ja auch an der Außenseite
nach dem Wasser so breit, wie Lawrenz sein Kind nicht lang war! Wo soll
das Material herkommen? Wann soll die Arbeit fertig werden?“

„Wenn nicht in diesem, so im nächsten Jahre; das wird am meisten von
uns selber abhängen!“ sagte Hauke.

Ein ärgerliches Lachen ging durch die Gesellschaft. „Aber wozu die
unnütze Arbeit; der Deich soll ja nicht höher werden als der alte,“
rief eine neue Stimme; „und ich mein’, der steht schon über dreißig
Jahre!“

„Da sagt Ihr recht,“ sprach Hauke, „vor dreißig Jahren ist der alte
Deich gebrochen; dann rückwärts vor fünfunddreißig, und wiederum vor
fünfundvierzig Jahren; seitdem aber, obgleich er noch immer steil und
unvernünftig dasteht, haben die höchsten Fluten uns verschont. Der neue
Deich aber soll trotz solcher hundert und aber hundert Jahre stehen;
denn er wird nicht durchbrochen werden, weil der milde Abfall nach der
Seeseite den Wellen keinen Angriffspunkt entgegenstellt, und so werdet
ihr für euch und euere Kinder ein sicheres Land gewinnen, und das ist
es, weshalb die Herrschaft und der Oberdeichgraf mir den Daumen halten;
das ist es auch, was ihr zu eurem eigenen Vorteil einsehen solltet!“

Als die Versammelten hierauf nicht sogleich zu antworten bereit waren,
erhob sich ein alter weißhaariger Mann mühsam von seinem Stuhle; es war
Frau Elkes Pate, Jewe Manners, der auf Haukes Bitten noch immer in
seinem Gevollmächtigtenamt verblieben war. „Deichgraf Hauke Haien,“
sprach er, „du machst uns viel Unruhe und Kosten, und ich wollte, du
hättest damit gewartet, bis mich der Herrgott hätt zur Ruhe gehen
lassen; aber—recht hast du, das kann nur die Unvernunft bestreiten. Wir
haben Gott mit jedem Tag zu danken, daß er uns trotz unserer Trägheit
das kostbare Stück Vorland gegen Sturm und Wasserdrang erhalten hat;
jetzt aber ist es wohl die elfte Stunde, in der wir selbst die Hand
anlegen müssen, es auch nach all unserm Wissen und Können selber uns zu
wahren und auf Gottes Langmut weiter nicht zu trotzen. Ich, meine
Freunde, bin ein Greis; ich habe Deiche bauen und brechen sehen; aber
den Deich, den Hauke Haien nach ihm von Gott verliehener Einsicht
projektiert und bei der Herrschaft für euch durchgesetzt hat, den wird
niemand von euch Lebenden brechen sehen; und wolltet ihr ihm selbst
nicht danken, euere Enkel werden ihm den Ehrenkranz doch einstens nicht
versagen können!“

Jewe Manners setzte sich wieder, er nahm sein blaues Schnupftuch aus
der Tasche und wischte sich ein paar Tropfen von der Stirn. Der Greis
war noch immer als ein Mann von Tüchtigkeit und unantastbarer
Rechtschaffenheit bekannt, und da die Versammlung eben nicht geneigt
war, ihm zuzustimmen, so schwieg sie weiter. Aber Hauke Haien nahm das
Wort; doch sahen alle, daß er bleich geworden. „Ich danke Euch, Jewe
Manners,“ sprach er, „daß Ihr noch hier seid und daß Ihr das Wort
gesprochen habt; ihr andern Herren Gevollmächtigten wollet den neuen
Deichbau, der freilich mir zur Last fällt, zum mindesten ansehen als
ein Ding, das nun nicht mehr zu ändern steht, und lasset uns demgemäß
beschließen, was nun not ist!“

„Sprechet!“ sagte einer der Gevollmächtigten. Und Hauke breitete die
Karte des neuen Deiches auf dem Tische aus. „Es hat vorhin einer
gefragt,“ begann er, „woher die viele Erde nehmen?—Ihr seht, soweit das
Vorland in die Watten hinausgeht, ist außerhalb der Deichlinie ein
Streifen Landes frei gelassen; daher und von dem Vorlande, das nach
Nord und Süd von dem neuen Kooge an dem Deiche hinläuft, können wir die
Erde nehmen; haben wir an den Wasserseiten nur eine tüchtige Lage Klei,
nach innen oder in der Mitte kann auch Sand genommen werden!—Nun aber
ist zunächst ein Feldmesser zu berufen, der die Linie des neuen Deiches
auf dem Vorland absteckt! Der mir bei Ausarbeitung des Planes
behülflich gewesen, wird wohl am besten dazu passen. Ferner werden wir
zur Heranholung des Kleis oder sonstigen Materiales die Anfertigung
einspänniger Sturzkarren mit Gabeldeichsel bei einigen Stellmachern
verdingen müssen; wir werden für die Durchdämmung des Prieles und nach
den Binnenseiten, wo wir etwa mit Sand fürlieb nehmen müssen, ich kann
jetzt nicht sagen, wieviel hundert Fuder Stroh zur Bestickung des
Deiches gebrauchen, vielleicht mehr, als in der Marsch hier wird
entbehrlich sein!—Lasset uns denn beraten, wie zunächst dies alles zu
beschaffen und einzurichten ist, auch die neue Schleuse hier an der
Westseite gegen das Wasser zu ist später einem tüchtigen Zimmermann zur
Herstellung zu übergeben.“

Die Versammelten hatten sich um den Tisch gestellt, betrachteten mit
halbem Aug’ die Karte und begannen allgemach zu sprechen; doch war’s,
als geschähe es, damit nur überhaupt etwas gesprochen werde. Als es
sich um Zuziehung des Feldmessers handelte, meinte einer der Jüngeren:
„Ihr habt es ausgesonnen, Deichgraf; Ihr müsset selbst am besten
wissen, wer dazu taugen mag.“

Aber Hauke entgegnete: „Da ihr Geschworenen seid, so müsset ihr aus
eigener, nicht aus meiner Meinung sprechen, Jakob Meyen; und wenn ihr’s
dann besser sagt, so werd’ ich meinen Vorschlag fallen lassen!“

„Nun ja, es wird schon recht sein,“ sagte Jakob Meyen.

Aber einem der Älteren war es doch nicht völlig recht; er hatte einen
Bruderssohn; so einer im Feldmessen sollte hier in der Marsch noch
nicht gewesen sein; der sollte noch über des Deichgrafen Vater, den
seligen Tede Haien, gehen!

So wurde denn über die beiden Feldmesser verhandelt und endlich
beschlossen, ihnen gemeinschaftlich das Werk zu übertragen. Ähnlich
ging es bei den Sturzkarren, bei der Strohlieferung und allem anderen,
und Hauke kam spät und fast erschöpft auf seinem Wallach, den er noch
derzeit ritt, zu Hause an. Aber als er in dem alten Lehnstuhl saß, der
noch von seinem gewichtigen, aber leichter lebenden Vorgänger stammte,
war auch sein Weib ihm schon zur Seite: „Du siehst so müd aus, Hauke,“
sprach sie und strich mit ihrer schmalen Hand das Haar ihm von der
Stirn.

„Ein wenig wohl!“ erwiderte er.

—„Und geht es denn?“

„Es geht schon,“ sagte er mit bitterem Lächeln; „aber ich selber muß
die Räder schieben und froh sein, wenn sie nicht zurückgehalten
werden!“

—„Aber doch nicht von allen?“

„Nein, Elke; dein Pate, Jewe Manners, ist ein guter Mann; ich wollt’,
er wär um dreißig Jahre jünger.“


Als nach einigen Wochen die Deichlinie abgesteckt und der größte Teil
der Sturzkarren geliefert war, waren sämtliche Anteilbesitzer des
einzudeichenden Kooges, ingleichen die Besitzer der hinter dem alten
Deich belegenen Ländereien durch den Deichgrafen im Kirchspielskrug
versammelt worden; es galt, ihnen einen Plan über die Verteilung der
Arbeit und Kosten vorzulegen und ihre etwaige Einwendung zu vernehmen;
denn auch die letzteren hatten, sofern der neue Deich und die neuen
Siele die Unterhaltungskosten der älteren Werke verminderten, ihren
Teil zu schaffen und zu tragen. Dieser Plan war für Hauke ein schwer
Stück Arbeit gewesen, und wenn ihm durch Vermittelung des
Oberdeichgrafen neben einem Deichboten nicht auch noch ein
Deichschreiber wäre zugeordnet worden, er würde es so bald nicht fertig
gebracht haben, obwohl auch jetzt wieder an jedem neuen Tage in die
Nacht hinein gearbeitet war. Wenn er dann todmüde sein Lager suchte, so
hatte nicht wie vordem sein Weib nur in verstelltem Schlafe seiner
gewartet; auch sie hatte so vollgemessen ihre tägliche Arbeit, daß sie
nachts wie am Grunde eines tiefen Brunnens in unstörbarem Schlafe lag.

Als Hauke jetzt seinen Plan verlesen und die Papiere, die freilich
schon drei Tage hier im Kruge zur Einsicht ausgelegen hatten, wieder
auf den Tisch breitete, waren zwar ernste Männer zugegen, die mit
Ehrerbietung diesen gewissenhaften Fleiß betrachteten und sich nach
ruhiger Überlegung den billigen Ansätzen ihres Deichgrafen unterwarfen;
andere aber, deren Anteile an dem neuen Lande von ihnen selbst oder
ihren Vätern oder sonstigen Vorbesitzern waren veräußert worden,
beschwerten sich, daß sie zu den Kosten des neuen Kooges hinzugezogen
seien, dessen Land sie nichts mehr angehe, uneingedenk, daß durch die
neuen Arbeiten auch ihre alten Ländereien nach und nach entbürdet
würden; und wieder andere, die mit Anteilen in dem neuen Koog gesegnet
waren, schrien, man möge ihnen doch dieselben abnehmen, sie sollten um
ein Geringes feil sein; denn wegen der unbilligen Leistungen, die ihnen
dafür aufgebürdet würden, könnten sie nicht damit bestehen. Ole Peters
aber, der mit grimmigem Gesicht am Türpfosten lehnte, rief dazwischen:
„Besinnt euch erst und dann vertrauet unserm Deichgrafen! Der versteht
zu rechnen; er hatte schon die meisten Anteile, da wußte er auch mir
die meinen abzuhandeln, und als er sie hatte, beschloß er, diesen neuen
Koog zu deichen!“

Es war nach diesen Worten einen Augenblick totenstill in der
Versammlung. Der Deichgraf stand an dem Tisch, auf dem er zuvor seine
Papiere gebreitet hatte, er hob seinen Kopf und sah nach Ole Peters
hinüber. „Du weißt wohl, Ole Peters,“ sprach er, „daß du mich
verleumdest; du tust es dennoch, weil du überdies auch weißt, daß doch
ein gut Teil des Schmutzes, womit du mich bewirfst, an mir wird hängen
bleiben! Die Wahrheit ist, daß du deine Anteile lossein wolltest und
daß ich ihrer derzeit für meine Schafzucht bedurfte; und willst du
Weiteres wissen, das ungewaschene Wort, das dir im Krug vom Mund
gefahren, ich sei nur Deichgraf meines Weibes wegen, das hat mich
aufgerüttelt, und ich hab’ euch zeigen wollen, daß ich wohl um meiner
selbst willen Deichgraf sein könne; und somit, Ole Peters, hab’ ich
getan, was schon der Deichgraf vor mir hätte tun sollen. Trägst du mir
aber Groll, daß derzeit deine Anteile die meinen geworden sind—du hörst
es ja, es sind genug, die jetzt die ihrigen um ein billiges feilbieten,
nur weil die Arbeit ihnen jetzt zuviel ist!“

Von einem kleinen Teil der versammelten Männer ging ein Beifallsmurmeln
aus, und der alte Jewe Manners, der dazwischen stand, rief laut:
„Bravo, Hauke Haien! Unser Herrgott wird dir dein Werk gelingen
lassen!“

Aber man kam doch nicht zu Ende, obgleich Ole Peters schwieg und die
Leute erst zum Abendbrote auseinandergingen; erst in einer zweiten
Versammlung wurde alles geordnet; aber auch nur, nachdem Hauke statt
der ihm zukommenden drei Gespanne für den nächsten Monat deren vier auf
sich genommen hatte.

Endlich, als schon die Pfingstglocken durch das Land läuteten, hatte
die Arbeit begonnen: unablässig fuhren die Sturzkarren von dem Vorlande
an die Deichlinie, um den geholten Klei dort abzustürzen, und
gleicherweise war dieselbe Anzahl schon wieder auf der Rückfahrt, um
auf dem Vorland neuen aufzuladen; an der Deichlinie selber standen
Männer mit Schaufeln und Spaten, um das Abgeworfene an seinen Platz zu
bringen und zu ebnen; ungeheuere Fuder Stroh wurden angefahren und
abgeladen; nicht nur zur Bedeckung des leichteren Materials, wie Sand
und lose Erde, dessen man an den Binnenseiten sich bediente, wurde das
Stroh benutzt; allmählich wurden einzelne Strecken des Deiches fertig,
und die Grassoden, womit man sie belegt hatte, wurden stellenweis zum
Schutz gegen die nagenden Wellen mit fester Strohbestickung überzogen.
Bestellte Aufseher gingen hin und her und, wenn es stürmte, standen sie
mit aufgerissenen Mäulern und schrien ihre Befehle durch Wind und
Wetter; dazwischen ritt der Deichgraf auf seinem Schimmel, den er jetzt
ausschließlich in Gebrauch hatte, und das Tier flog mit dem Reiter hin
und wieder, wenn er rasch und trocken seine Anordnungen machte, wenn er
die Arbeiter lobte oder, wie es wohl geschah, einen Faulen oder
Ungeschickten ohn’ Erbarmen aus der Arbeit wies. „Das hilft nicht!“
rief er dann; „um deine Faulheit darf uns nicht der Deich verderben!“
Schon von weitem, wenn er unten aus dem Koog heraufkam, hörten sie das
Schnauben seines Rosses, und alle Hände faßten fester in die Arbeit:
„Frisch zu! Der Schimmelreiter kommt!“

War es um die Frühstückszeit, wo die Arbeiter mit ihrem Morgenbrot
haufenweis beisammen auf der Erde lagen, dann ritt Hauke an den
verlassenen Werken entlang, und seine Augen waren scharf, wo
liederliche Hände den Spaten geführt hatten. Wenn er aber zu den Leuten
ritt und ihnen auseinandersetzte, wie die Arbeit müsse beschafft
werden, sahen sie wohl zu ihm auf und kauten geduldig an ihrem Brote
weiter; aber eine Zustimmung oder auch nur eine Äußerung hörte er nicht
von ihnen. Einmal zu solcher Tageszeit, es war schon spät, da er an
einer Deichstelle die Arbeit in besonderer Ordnung gefunden hatte, ritt
er zu dem nächsten Haufen der Frühstückenden, sprang von seinem
Schimmel und fragte heiter, wer dort so sauberes Tagewerk verrichtet
hätte, aber sie sahen ihn nur scheu und düster an, und nur langsam und
wie widerwillig wurden ein paar Namen genannt. Der Mensch, dem er sein
Pferd gegeben hatte, das ruhig wie ein Lamm stand, hielt es mit beiden
Händen und blickte wie angstvoll nach den schönen Augen des Tieres, die
es, wie gewöhnlich, auf seinen Herrn gerichtet hielt.

„Nun, Marten!“ rief Hauke; „was stehst du, als ob dir der Donner in die
Beine gefahren sei?“

—„Herr, Euer Pferd, es ist so ruhig, als ob es Böses vorhabe!“

Hauke lachte und nahm das Pferd selbst am Zügel, das sogleich
liebkosend den Kopf an seiner Schulter rieb. Von den Arbeitern sahen
einige scheu zu Roß und Reiter hinüber, andere, als ob das alles sie
nicht kümmere, aßen schweigend ihre Frühkost, dann und wann den Möwen
einen Brocken hinaufwerfend, die sich den Futterplatz gemerkt hatten
und mit ihren schlanken Flügeln sich fast auf ihre Köpfe senkten. Der
Deichgraf blickte eine Weile wie gedankenlos auf die bettelnden Vögel
und wie sie die zugeworfenen Bissen mit ihren Schnäbeln haschten; dann
sprang er in den Sattel und ritt, ohne sich nach den Leuten umzusehen,
davon; einige Worte, die jetzt unter ihnen laut wurden, klangen ihm
fast wie Hohn. „Was ist das?“ sprach er bei sich selber. „Hatte denn
Elke recht, daß sie alle gegen mich sind? Auch diese Knechte und
kleinen Leute, von denen vielen durch meinen neuen Deich doch eine
Wohlhabenheit ins Haus wächst?“

Er gab seinem Pferde die Sporen, daß es wie toll in den Koog hinabflog.
Von dem unheimlichen Glanze freilich, mit dem sein früherer Dienstjunge
den Schimmelreiter bekleidet hatte, wußte er selber nichts; aber die
Leute hätten ihn jetzt nur sehen sollen, wie aus seinem hageren Gesicht
die Augen starrten, wie sein Mantel flog und wie der Schimmel sprühte!

—So war der Sommer und der Herbst vergangen; noch bis gegen Ende
November war gearbeitet worden; dann geboten Frost und Schnee dem Werke
Halt; man war nicht fertig geworden und beschloß, den Koog offen liegen
zu lassen. Acht Fuß ragte der Deich aus der Fläche hervor; nur wo
westwärts gegen das Wasser hin die Schleuse gelegt werden sollte, hatte
man eine Lücke gelassen; auch oben vor dem alten Deiche war der Priel
noch unberührt. So konnte die Flut, wie in den letzten dreißig Jahren,
in den Koog hineindringen, ohne dort oder an dem neuen Deiche großen
Schaden anzurichten. Und so überließ man dem großen Gott das Werk der
Menschenhände und stellte es in seinen Schutz, bis die Frühlingssonne
die Vollendung würde möglich machen.

—Inzwischen hatte im Hause des Deichgrafen sich ein frohes Ereignis
vorbereitet: im neunten Ehejahr war noch ein Kind geboren worden. Es
war rot und hutzelig und wog seine sieben Pfund, wie es für neugeborene
Kinder sich gebührt, wenn sie, wie dies, dem weiblichen Geschlechte
angehören; nur sein Geschrei war wunderlich verhohlen und hatte der
Wehmutter nicht gefallen wollen. Das Schlimmste war: am dritten Tage
lag Elke im hellen Fieber, redete Irrsal und kannte weder ihren Mann
noch ihre alte Helferin. Die unbändige Freude, die Hauke beim Anblick
seines Kindes ergriffen hatte, war zu Trübsal geworden; der Arzt aus
der Stadt war geholt, er saß am Bett und fühlte den Puls und verschrieb
und sah ratlos um sich her. Hauke schüttelte den Kopf. „Der hilft
nicht; nur Gott kann helfen!“ Er hatte sich sein eigen Christentum
zurechtgerechnet, aber es war etwas, das sein Gebet zurückhielt. Als
der alte Doktor davongefahren war, stand er am Fenster, in den
winterlichen Tag hinausstarrend, und während die Kranke aus ihren
Phantasien aufschrie, schränkte er die Hände zusammen; er wußte selber
nicht, war es aus Andacht oder war es nur, um in der ungeheueren Angst
sich selbst nicht zu verlieren.

„Wasser! Das Wasser!“ wimmerte die Kranke. „Halt mich!“ schrie sie;
„halt mich, Hauke!“ Dann sank die Stimme; es klang, als ob sie weine:
„In See, ins Haf hinaus? O, lieber Gott, ich seh’ ihn nimmer wieder!“

Da wandte er sich und schob die Wärterin von ihrem Bette; er fiel auf
seine Knie, umfaßte sein Weib und riß sie an sich: „Elke! Elke, so
kenn’ mich doch, ich bin ja bei dir!“

Aber sie öffnete nur die fieberglühenden Augen weit und sah wie
rettungslos verloren um sich.

Er legte sie zurück auf ihre Kissen; dann krampfte er die Hände
ineinander. „Herr, mein Gott,“ schrie er; „nimm sie mir nicht! Du
weißt, ich kann sie nicht entbehren!“ Dann war’s, als ob er sich
besinne, und leiser setzte er hinzu: „Ich weiß ja wohl, du kannst nicht
allezeit, wie du willst, auch du nicht; du bist allweise; du mußt nach
deiner Weisheit tun—o, Herr, sprich nur durch einen Hauch zu mir!“

Es war, als ob plötzlich eine Stille eingetreten sei; er hörte nur ein
leises Atmen; als er sich zum Bette kehrte, lag sein Weib in ruhigem
Schlaf; nur die Wärterin sah mit entsetzten Augen auf ihn. Er hörte die
Tür gehen. „Wer war das?“ frug er.

„Herr, die Magd Ann’ Grete ging hinaus; sie hatte den Warmkorb
hereingebracht.“

—„Was sieht Sie mich denn so verfahren an, Frau Levke?“

„Ich? Ich hab mich ob Eurem Gebet erschrocken, damit betet Ihr keinen
vom Tode los!“

Hauke sah sie mit seinen durchdringenden Augen an: „Besucht Sie denn
auch, wie unsere Ann’ Grete, die Konventikel bei dem holländischen
Flickschneider Jantje?“

„Ja, Herr; wir haben beide den lebendigen Glauben!“

Hauke antwortete ihr nicht. Das damals stark im Schwange gehende
separatistische Konventikelwesen hatte auch unter den Friesen seine
Blüten getrieben; heruntergekommene Handwerker oder wegen Trunkes
abgesetzte Schulmeister spielten darin die Hauptrolle, und Dirnen,
junge und alte Weiber, Faulenzer und einsame Menschen liefen eifrig in
die heimlichen Versammlungen, in denen jeder den Priester spielen
konnte. Aus des Deichgrafen Hause brachten Ann’ Grete und der in sie
verliebte Dienstjunge ihre freien Abende dort zu. Freilich hatte Elke
ihre Bedenken darüber gegen Hauke nicht zurückgehalten; aber er hatte
gemeint, in Glaubenssachen solle man keinem dreinreden: das schade
niemandem, und besser dort doch als im Schnapskrug!

So war es dabei geblieben, und so hatte er auch jetzt geschwiegen. Aber
freilich über ihn schwieg man nicht; seine Gebetsworte liefen um von
Haus zu Haus: er hatte Gottes Allmacht bestritten; was war ein Gott
denn ohne Allmacht? Er war ein Gottesleugner; die Sache mit dem
Teufelspferde mochte auch am Ende richtig sein!

Hauke erfuhr nichts davon; er hatte in diesen Tagen nur Ohren und Augen
für sein Weib, selbst das Kind war für ihn nicht mehr auf der Welt.

Der alte Arzt kam wieder, kam jeden Tag, mitunter zweimal, blieb dann
eine ganze Nacht, schrieb wieder ein Rezept, und der Knecht Iven Johns
ritt damit im Flug zur Apotheke. Dann aber wurde sein Gesicht
freundlicher, er nickte dem Deichgrafen vertraulich zu: „Es geht! Es
geht! Mit Gottes Hilfe!“ Und eines Tags—hatte nun seine Kunst die
Krankheit besiegt, oder hatte auf Haukes Gebet der liebe Gott doch noch
einen Ausweg finden können—als der Doktor mit der Kranken allein war,
sprach er zu ihr, und seine alten Augen lachten: „Frau, jetzt kann
ich’s getrost Euch sagen: heut hat der Doktor seinen Festtag; es stand
schlimm um Euch, aber nun gehöret Ihr wieder zu uns, zu den
Lebendigen!“

Da brach es wie ein Strahlenmeer aus ihren dunklen Augen. „Hauke!
Hauke, wo bist du?“ rief sie, und als er auf den hellen Ruf ins Zimmer
und an ihr Bett stürzte, schlug sie die Arme um seinen Nacken. „Hauke,
mein Mann, gerettet! Ich bleibe bei dir!“

Da zog der alte Doktor sein seiden Schnupftuch aus der Tasche, fuhr
sich damit über Stirn und Wangen und ging kopfnickend aus dem Zimmer.

—Am dritten Abend nach diesem Tage sprach ein frommer Redner—es war ein
vom Deichgrafen aus der Arbeit gejagter Pantoffelmacher—im Konventikel
bei dem holländischen Schneider, da er seinen Zuhörern die
Eigenschaften Gottes auseinandersetzte: „Wer aber Gottes Allmacht
widerstreitet, wer da sagt: ich weiß, du kannst nicht, was du
willst—wir kennen den Unglückseligen ja alle; er lastet gleich einem
Stein auf der Gemeinde—der ist von Gott gefallen und sucht den Feind
Gottes, den Freund der Sünde zu seinem Tröster; denn nach irgend einem
Stabe muß die Hand des Menschen greifen. Ihr aber, hütet euch vor dem,
der also betet; sein Gebet ist Fluch!“

—Auch das lief um von Haus zu Haus. Was läuft nicht um in einer kleinen
Gemeinde? und auch zu Haukes Ohren kam es. Er sprach kein Wort darüber,
nicht einmal zu seinem Weibe; nur mitunter konnte er sie heftig
umfassen und an sich ziehen: „Bleib mir treu, Elke! Bleib mir
treu!“—Dann sahen ihre Augen voll Staunen zu ihm auf. „Dir treu? Wem
sollte ich denn anders treu sein?“—Nach einer kurzen Weile aber hatte
sie sein Wort verstanden. „Ja, Hauke, wir sind uns treu; nicht nur,
weil wir uns brauchen.“ Und dann ging jedes seinen Arbeitsweg.

Das wäre soweit gut gewesen; aber es war doch trotz aller lebendigen
Arbeit eine Einsamkeit um ihn, und in seinem Herzen nistete sich ein
Trotz und abgeschlossenes Wesen gegen andere Menschen ein; nur gegen
sein Weib blieb er allezeit der gleiche, und an der Wiege seines Kindes
lag er abends und morgens auf den Knien, als sei dort die Stätte seines
ewigen Heils. Gegen Gesinde und Arbeiter aber wurde er strenger; die
Ungeschickten und Fahrlässigen, die er früher durch ruhigen Tadel
zurechtgewiesen hatte, wurden jetzt durch hartes Anfahren
aufgeschreckt, und Elke ging mitunter leise bessern.


Als der Frühling nahte, begannen wieder die Deicharbeiten; mit einem
Kajedeich wurde zum Schutz der jetzt aufzubauenden neuen Schleuse die
Lücke in der westlichen Deichlinie geschlossen, halbmondförmig nach
innen und ebenso nach außen; und gleich der Schleuse wuchs allmählich
auch der Hauptdeich zu seiner immer rascher herzustellenden Höhe empor.
Leichter wurde dem leitenden Deichgrafen seine Arbeit nicht; denn an
Stelle des im Winter verstorbenen Jewe Manners war Ole Peters als
Deichgevollmächtigter eingetreten. Hauke hatte nicht versuchen wollen,
es zu hindern; aber anstatt der ermutigenden Worte und der dazu
gehörigen zutunlichen Schläge auf seine linke Schulter, die er so oft
von dem alten Paten seines Weibes einkassiert hatte, kamen ihm jetzt
von dem Nachfolger ein heimliches Widerhalten und unnötige Einwände und
waren mit unnötigen Gründen zu bekämpfen; denn Ole gehörte zwar zu den
Wichtigen, aber in Deichsachen nicht zu den Klugen; auch war von früher
her der „Schreiberknecht“ ihm immer noch im Wege.

Der glänzendste Himmel breitete sich wieder über Meer und Marsch, und
der Koog wurde wieder bunt von starken Rindern, deren Gebrüll von Zeit
zu Zeit die weite Stille unterbrach; unablässig sangen in hoher
Himmelsluft die Lerchen, aber man hörte es erst, wenn einmal auf eines
Atemzuges Länge der Gesang verstummt war. Kein Unwetter störte die
Arbeit, und die Schleuse stand schon mit ihrem ungestrichenen
Balkengefüge, ohne daß auch nur in einer Nacht sie eines Schutzes von
dem Interimsdeich bedurft hätte; der Herrgott schien seine Gunst dem
neuen Werke zuzuwenden. Auch Frau Elkes Augen lachten ihrem Manne zu,
wenn er auf seinem Schimmel draußen von dem Deich nach Hause kam: „Bist
doch ein braves Tier geworden!“ sagte sie dann und klopfte den blanken
Hals des Pferdes. Hauke aber, wenn sie das Kind am Halse hatte, sprang
herab und ließ das winzige Dinglein auf seinen Armen tanzen; wenn dann
der Schimmel seine braunen Augen auf das Kind gerichtet hielt, dann
sprach er wohl: „Komm her; sollst auch die Ehre haben!“ und er setzte
die kleine Wienke—denn so war sie getauft worden—auf seinen Sattel und
führte den Schimmel auf der Werft im Kreise herum. Auch der alte
Eschenbaum hatte mitunter die Ehre; er setzte das Kind auf einen
schwanken Ast und ließ es schaukeln. Die Mutter stand mit lachenden
Augen in der Haustür; das Kind aber lachte nicht, seine Augen, zwischen
denen ein feines Näschen stand, schauten ein wenig stumpf ins Weite,
und die kleinen Hände griffen nicht nach dem Stöckchen, das der Vater
ihr hinhielt. Hauke achtete nicht darauf, er wußte auch nichts von so
kleinen Kindern; nur Elke, wenn sie das helläugige Mädchen auf dem Arm
ihrer Arbeitsfrau erblickte, die mit ihr zugleich das Wochenbett
bestanden hatte, sagte mitunter schmerzlich: „Das meine ist noch nicht
so weit wie deines, Stina!“ Und die Frau, ihren dicken Jungen, den sie
an der Hand hatte, mit derber Liebe schüttelnd, rief dann wohl: „Ja,
Frau, die Kinder sind verschieden; der da, der stahl mir schon die
Äpfel aus der Kammer, bevor er übers zweite Jahr hinaus war!“ Und Elke
strich dem dicken Buben sein Kraushaar aus den Augen und drückte dann
heimlich ihr stilles Kind ans Herz.

—Als es in den Oktober hineinging, stand an der Westseite die neue
Schleuse schon fest in dem von beiden Seiten schließenden Hauptdeich,
der bis auf die Lücken bei dem Priele nun mit seinem sanften Profil
ringsum nach den Wasserseiten abfiel und um fünfzehn Fuß die ordinäre
Flut überragte. Von seiner Nordwestecke sah man an Jevershallig vorbei
ungehindert in das Wattenmeer hinaus; aber freilich auch die Winde
faßten hier schärfer; die Haare flogen, und wer hier ausschauen wollte,
der mußte die Mütze fest auf dem Kopf haben.

Zu Ende November, wo Sturm und Regen eingefallen waren, blieb nur noch
hart am alten Deich die Schlucht zu schließen, auf deren Grund an der
Nordseite das Meerwasser durch den Priel in den neuen Koog hineinschoß.
Zu beiden Seiten standen die Wände des Deiches; der Abgrund zwischen
ihnen mußte jetzt verschwinden. Ein trocken Sommerwetter hätte die
Arbeit wohl erleichtert; aber auch so mußte sie getan werden, denn ein
aufbrechender Sturm konnte das ganze Werk gefährden. Und Hauke setzte
alles daran, um jetzt den Schluß herbeizuführen. Der Regen strömte, der
Wind pfiff; aber seine hagere Gestalt auf dem feurigen Schimmel tauchte
bald hier, bald dort aus den schwarzen Menschenmassen empor, die oben
wie unten an der Nordseite des Deiches neben der Schlucht beschäftigt
waren. Jetzt sah man ihn unten bei den Sturzkarren, die schon weither
die Kleierde aus dem Vorlande holen mußten, und von denen eben ein
gedrängter Haufen bei dem Priele anlangte und seine Last dort
abzuwerfen suchte. Durch das Geklatsch des Regens und das Brausen des
Windes klangen von Zeit zu Zeit die scharfen Befehlsworte des
Deichgrafen, der heute hier allein gebieten wollte; er rief die Karren
nach den Nummern vor und wies die Drängenden zurück; ein „Halt!“ schon
von seinem Munde, dann ruhte unten die Arbeit; „Stroh! ein Fuder Stroh
hinab!“ rief er denen droben zu, und von einem der oben haltenden Fuder
stürzte es auf den nassen Klei hinunter. Unten sprangen Männer
dazwischen und zerrten es auseinander und schrien nach oben, sie nur
nicht zu begraben. Und wieder kamen neue Karren, und Hauke war schon
wieder oben und sah von seinem Schimmel in die Schlucht hinab, und wie
sie dort schaufelten und stürzten; dann warf er seine Augen nach dem
Haf hinaus. Es wehte scharf, und er sah, wie mehr und mehr der
Wassersaum am Deich hinaufklimmte und wie die Wellen sich noch höher
hoben; er sah auch, wie die Leute trieften und kaum atmen konnten in
der schweren Arbeit vor dem Winde, der ihnen die Luft am Munde
abschnitt, und vor dem kalten Regen, der sie überströmte. „Ausgehalten,
Leute! Ausgehalten!“ schrie er zu ihnen hinab. „Nur einen Fuß noch
höher; dann ist’s genug für diese Flut!“ Und durch alles Getöse des
Wetters hörte man das Geräusch der Arbeiter; das Klatschen der
hineingestürzten Kleimassen, das Rasseln der Karren und das Rauschen
des von oben hinabgelassenen Strohes ging unaufhaltsam vorwärts;
dazwischen war mitunter das Winseln eines kleinen gelben Hundes laut
geworden, der frierend und wie verloren zwischen Menschen und
Fuhrwerken herumgestoßen wurde; plötzlich aber scholl ein jammervoller
Schrei des kleinen Tieres von unten aus der Schlucht herauf. Hauke
blickte hinab; er hatte es von oben hinunterschleudern sehen; eine jähe
Zornröte stieg ihm ins Gesicht. „Halt! Haltet ein!“ schrie er zu den
Karren hinunter; denn der nasse Klei wurde unaufhaltsam aufgeschüttet.

„Warum?“ schrie eine rauhe Stimme von unten herauf; „doch um die elende
Hundekreatur nicht?“

„Halt! sag’ ich,“ schrie Hauke wieder; „bringt mir den Hund! Bei unserm
Werke soll kein Frevel sein!“

Aber es rührte sich keine Hand; nur ein paar Spaten zähen Kleis flogen
noch neben das schreiende Tier. Da gab er seinem Schimmel die Sporen,
daß das Tier einen Schrei ausstieß, und stürmte den Deich hinab, und
alles wich vor ihm zurück. „Den Hund!“ schrie er; „ich will den Hund!“

Eine Hand schlug sanft auf seine Schulter, als wäre es die Hand des
alten Jewe Manners; doch als er umsah, war es nur ein Freund des Alten.
„Nehmt Euch in acht, Deichgraf!“ raunte der ihm zu. „Ihr habt nicht
Freunde unter diesen Leuten; laßt es mit dem Hunde gehen!“

Der Wind pfiff, der Regen klatschte; die Leute hatten die Spaten in den
Grund gesteckt, einige sie fortgeworfen. Hauke neigte sich zu dem
Alten. „Wollt ihr meinen Schimmel halten, Harke Jens?“ frug er; und als
jener noch kaum den Zügel in der Hand hatte, war Hauke schon in die
Kluft gesprungen und hielt das kleine winselnde Tier in seinem Arm; und
fast im selben Augenblick saß er auch wieder hoch im Sattel und
sprengte auf den Deich zurück. Seine Augen flogen über die Männer, die
bei den Wagen standen. „Wer war es?“ rief er. „Wer hat die Kreatur
hinabgeworfen?“

Einen Augenblick schwieg alles, denn aus dem hageren Gesicht des
Deichgrafen sprühte der Zorn, und sie hatten abergläubische Furcht vor
ihm. Da trat von einem Fuhrwerk ein stiernackiger Kerl vor ihn hin.
„Ich tat es nicht, Deichgraf,“ sagte er und biß von einer Rolle
Kautabak ein Endchen ab, das er sich erst ruhig in den Mund schob;
„aber der es tat, hat recht getan; soll Euer Deich sich halten, so muß
was Lebiges hinein!“

—„Was Lebiges? Aus welchem Katechismus hast du das gelernt?“

„Aus keinem, Herr!“ entgegnete der Kerl, und aus seiner Kehle stieß ein
freches Lachen; „das haben unsere Großväter schon gewußt, die sich mit
Euch im Christentum wohl messen durften! Ein Kind ist besser noch; wenn
das nicht da ist, tut’s auch ein Hund!“

„Schweig du mit deinen Heidenlehren!“ schrie ihn Hauke an, „es stopfte
besser, wenn man dich hineinwürfe.“

„Oho!“ erscholl es; aus einem Dutzend Kehlen war der Laut gekommen, und
der Deichgraf gewahrte ringsum grimmige Gesichter und geballte Fäuste;
er sah wohl, daß das keine Freunde waren; der Gedanke an seinen Deich
überfiel ihn wie ein Schrecken: was sollte werden, wenn jetzt alle ihre
Spaten hinwürfen?—Und als er nun den Blick nach unten richtete, sah er
wieder den Freund des alten Jewe Manners; der ging dort zwischen den
Arbeitern, sprach zu dem und jenem, lachte hier einem zu, klopfte dort
mit freundlichem Gesicht einem auf die Schulter, und einer nach dem
anderen faßte wieder seinen Spaten; noch einige Augenblicke, und die
Arbeit war wieder in vollem Gange.—Was wollte er denn noch? Der Priel
mußte geschlossen werden, und den Hund barg er sicher genug in den
Falten seines Mantels. Mit plötzlichem Entschluß wandte er seinen
Schimmel gegen des nächsten Wagen: „Stroh an die Kante!“ rief er
herrisch, und wie mechanisch gehorchte ihm der Fuhrknecht; bald
rauschte es hinab in die Tiefe, und von allen Seiten regte es sich aufs
neue und mit allen Armen.

Eine Stunde war noch so gearbeitet; es war nach sechs Uhr, und schon
brach tiefe Dämmerung herein, der Regen hatte aufgehört, da rief Hauke
die Aufseher an sein Pferd: „Morgen früh vier Uhr,“ sagte er, „ist
alles wieder auf dem Platz; der Mond wird noch am Himmel sein; da
machen wir mit Gott den Schluß! Und dann noch eines!“ rief er, als sie
gehen wollten; „kennt ihr den Hund?,“ und er nahm das zitternde Tier
aus seinem Mantel.

Sie verneinten das; nur einer sagte: „Der hat sich taglang schon im
Dorf herumgebettelt; der gehört gar keinem!“

„Dann ist er mein!“ entgegnete der Deichgraf. „Vergesset nicht: morgen
früh vier Uhr!“ und ritt davon.

Als er heimkam, trat Ann’ Grete aus der Tür: sie hatte saubere Kleidung
an, und es fuhr ihm durch den Kopf, sie gehe jetzt zum
Konventikelschneider. „Halt die Schürze auf!“ rief er ihr zu, und da
sie es unwillkürlich tat, warf er das kleibeschmutzte Hündlein ihr
hinein. „Bring’ ihn der kleinen Wienke; er soll ihr Spielkamerad
werden! Aber wasch und wärm ihn zuvor; so tust du auch ein gottgefällig
Werk; denn die Kreatur ist schier verklommen.“

Und Ann’ Grete konnte nicht lassen, ihrem Wirt Gehorsam zu leisten, und
kam deshalb heute nicht in den Konventikel.


Und am anderen Tage wurde der letzte Spatenstich am neuen Deich getan;
der Wind hatte sich gelegt; in anmutigem Fluge schwebten Möwen und
Avosetten über Land und Wasser hin und wider; von Jevershallig tönte
das tausendstimmige Geknorr der Rottgänse, die sich’s noch heute an der
Küste der Nordsee wohl sein ließen, und aus den weißen Morgennebeln,
welche die weite Marsch bedeckten, stieg allmählich ein goldner
Herbsttag und beleuchtete das neue Werk der Menschenhände.

Nach einigen Wochen kamen mit dem Oberdeichgrafen die herrschaftlichen
Kommissäre zur Besichtigung desselben; ein großes Festmahl, das erste
nach dem Leichenmahl des alten Tede Volkerts, wurde im deichgräflichen
Hause gehalten; alle Deichgevollmächtigten und die größten
Interessenten waren dazu geladen. Nach Tische wurden sämtliche Wagen
der Gäste und des Deichgrafen angespannt; Frau Elke wurde von dem
Oberdeichgrafen in die Karriole gehoben, vor der der braune Wallach mit
seinen Hufe stampfte; dann sprang er selber hintennach und nahm die
Zügel in die Hand; er wollte die gescheite Frau seines Deichgrafen
selber fahren. So ging es munter von der Werfte und in den Weg hinaus,
den Akt zum neuen Deich hinan und auf demselben um den jungen Koog
herum. Es war inmittelst ein leichter Nordwestwind aufgekommen, und an
der Nord- und Westseite des neuen Deiches wurde die Flut
hinaufgetrieben; aber es war unverkennbar, der sanfte Abfall bedingte
einen sanfteren Anschlag; aus dem Munde der herrschaftlichen Kommissäre
strömte das Lob des Deichgrafen, daß die Bedenken, welche hie und da
von den Gevollmächtigten dagegen langsam vorgebracht wurden, gar bald
darin erstickten.

—Auch das ging vorüber; aber noch eine Genugtuung empfing der Deichgraf
eines Tages, da er in stillem, selbstbewußtem Sinnen auf dem neuen
Deich entlang ritt. Es mochte ihm wohl die Frage kommen, weshalb der
Koog, der ohne ihn nicht da wäre, in dem sein Schweiß und seine
Nachtwachen steckten, nun schließlich nach einer der herrschaftlichen
Prinzessinnen „der neue Karolinenkoog“ getauft sei; aber es war doch
so: auf allen dahin gehörigen Schriftstücken stand der Name, auf
einigen sogar in roter Frakturschrift. Da, als er aufblickte, sah er
zwei Arbeiter mit ihren Feldgerätschaften, der eine etwa zwanzig
Schritte hinter dem andern, sich entgegenkommen. „So wart’ doch!“ hörte
er den Nachfolgenden rufen; der andere aber—er stand eben an einem Akt,
der in den Koog hinunterführte rief ihm entgegen: „Ein andermal, Jens!
Es ist schon spät; ich soll hier Klei schlagen!“

—„Wo denn?“

„Nun hier, im Hauke-Haien-Koog!“

Er rief es laut, indem er den Akt hinabtrabte, als solle die ganze
Marsch es hören, die darunterlag. Hauke aber war es, als höre er seinen
Ruhm verkünden; er hob sich im Sattel, gab seinem Schimmel die Sporen
und sah mit festen Augen über die weite Landschaft hin, die zu seiner
Linken lag. „Hauke-Haien-Koog!“ wiederholte er leis; das klang, als
könnt’ es allezeit nicht anders heißen! Mochten sie trotzen, wie sie
wollten, um seinen Namen war doch nicht herumzukommen; der
Prinzessinnen-Name—würde er nicht bald nur noch in alten Schriften
modern?—Der Schimmel ging in stolzem Galopp; vor seinen Ohren aber
summte es: „Hauke-Haien-Koog! Hauke-Haien-Koog!“In seinem Gedanken
wuchs fast der neue Deich zu einem achten Weltwunder; in ganz Friesland
war nicht seinesgleichen! Und er ließ den Schimmel tanzen; ihm war, er
stünde inmitten aller Friesen; er überragte sie um Kopfeshöhe, und
seine Blicke flogen scharf und mitleidig über sie hin.

—Allmählich waren drei Jahre seit der Eindeichung hingegangen; das neue
Werk hatte sich bewährt, die Reparaturkosten waren nur gering gewesen;
im Kooge aber blühte jetzt fast überall der weiße Klee, und ging man
über die geschützten Weiden, so trug der Sommerwind einem ganze Wolken
süßen Dufts entgegen. Da war die Zeit gekommen, die bisher nur idealen
Anteile in wirkliche zu verwandeln und allen Teilnehmern ihre
bestimmten Stücke für immer eigentümlich zuzusetzen. Hauke war nicht
müßig gewesen, vorher noch einige neue zu erwerben; Ole Peters hatte
sich verbissen zurückgehalten, ihm gehörte nichts im neuen Kooge. Ohne
Verdruß und Streit hatte auch so die Teilung nicht abgehen können, aber
fertig war er gleichwohl geworden; auch dieser Tag lag hinter dem
Deichgrafen.


Fortan lebte er einsam seinen Pflichten als Hofwirt wie als Deichgraf
und denen, die ihm am nächsten angehörten; die alten Freunde waren
nicht mehr in der Zeitlichkeit, neue zu erwerben, war er nicht
geeignet. Aber unter seinem Dach war Frieden, den auch das stille Kind
nicht störte; es sprach wenig, das stete Fragen, was den aufgeweckten
Kindern eigen ist, kam selten und meist so, daß dem Gefragten die
Antwort darauf schwer wurde; aber ihr liebes, einfältiges Gesichtlein
trug fast immer den Ausdruck der Zufriedenheit. Zwei Spielkameraden
hatte sie, die waren ihr genug: wenn sie über die Werfte wanderte,
sprang das gerettete gelbe Hündlein stets um sie herum, und wenn der
Hund sich zeigte, war auch klein Wienke nicht mehr fern. Der zweite
Kamerad war eine Lachmöwe, und wie der Hund „Perle,“ so hieß die Möwe
„Klaus“.

Klaus war durch ein greises Menschenkind auf dem Hofe installiert
worden: die achtzigjährige Trien’ Jans hatte in ihrer Kate auf dem
Außendeich sich nicht mehr durchbringen können; da hatte Frau Elke
gemeint, die verlebte Dienstmagd ihres Großvaters könnte bei ihnen noch
ein paar stille Abendstunden und eine gute Sterbekammer finden, und so,
halb mit Gewalt, war sie von ihr und Hauke nach dem Hofe geholt und in
dem Nordweststübchen der neuen Scheuer untergebracht worden, die der
Deichgraf vor einigen Jahren neben dem Haupthause bei der Vergrößerung
seiner Wirtschaft hatte bauen müssen; ein paar der Mägde hatten daneben
ihre Kammer erhalten und konnten der Greisin nachts zur Hand gehen.
Rings an den Wänden hatte sie ihr altes Hausgerät: eine Schatulle von
Zuckerkistenholz, darüber zwei bunte Bilder vom verlorenen Sohn, ein
längst zur Ruhe gestelltes Spinnrad und ein sehr sauberes Gardinenbett,
vor dem ein ungefüger, mit dem weißen Fell des weiland Angorakaters
überzogener Schemel stand. Aber auch was Lebiges hatte sie noch um sich
gehabt und mit hierher gebracht: das war die Möwe Klaus, die sich schon
jahrelang zu ihr gehalten hatte und von ihr gefüttert worden war;
freilich, wenn es Winter wurde, flog sie mit den andern Möwen südwärts
und kam erst wieder, wenn am Strand der Wermut duftete.

Die Scheuer lag etwas tiefer an der Werfte; die Alte konnte von ihrem
Fenster aus nicht über den Deich auf die See hinausblicken. „Du hast
mich hier als wie gefangen, Deichgraf!“ murrte sie eines Tages, als
Hauke zu ihr eintrat, und wies mit ihrem verkrümmten Finger nach den
Fennen hinaus, die sich dort unten breiteten. „Wo ist denn Jeverssand?
Da über den roten oder über den schwarzen Ochsen hinaus?“

„Was will Sie denn mit Jeverssand?“ fragte Hauke.

—„Ach was, Jeverssand!“ brummte die Alte. „Aber ich will doch sehen, wo
mein Jung’ mir derzeit ist zu Gott gegangen!“

—„Wenn Sie das sehen will,“ entgegnete Hauke, „so muß Sie sich oben
unter den Eschenbaum setzen, da sieht Sie das ganze Haf!“

„Ja,“ sagte die Alte; „ja, wenn ich deine jungen Beine hätte,
Deichgraf!“

Dergleichen blieb lange der Dank für die Hülfe, die ihr die
Deichgrafsleute angedeihen ließen; dann aber wurde es auf einmal
anders. Der kleine Kindskopf Wienkes guckte eines Morgens durch die
halbgeöffnete Tür zu ihr herein. „Na,“ rief die Alte, welche mit den
Händen ineinander auf ihrem Holzstuhl saß, „was hast du denn zu
bestellen?“

Aber das Kind kam schweigend näher und sah sie mit ihren gleichgültigen
Augen unablässig an.

„Bist du das Deichgrafskind?“ frug sie Trien’ Jans, und da das Kind wie
nickend das Köpfchen senkte, fuhr sie fort: „So setz’ dich hier auf
meinen Schemel! Ein Angorakater ist’s gewesen—so groß! Aber dein Vater
hat ihn totgeschlagen. Wenn er noch lebig wäre, so könnt’st du auf ihm
reiten.“

Wienke richtete stumm ihre Augen auf das weiße Fell; dann kniete sie
nieder und begann es mit ihren kleinen Händen zu streicheln, wie Kinder
es bei einer lebenden Katze oder einem Hunde zu machen pflegen. „Armer
Kater!“ sagte sie dann und fuhr wieder in ihren Liebkosungen fort.

„So!“ rief nach einer Weile die Alte; „jetzt ist es genug; und sitzen
kannst du auch noch heut auf ihm; vielleicht hat dein Vater ihn auch
nur um deshalb totgeschlagen!“ Dann hob sie das Kind an beiden Armen in
die Höhe und setzte es derb auf den Schemel nieder. Da es aber stumm
und unbeweglich sitzen blieb und sie nur immer ansah, begann sie mit
dem Kopfe zu schütteln. „Du strafst ihn, Gott der Herr! Ja, ja, du
strafst ihn!“ murmelte sie; aber ein Erbarmen mit dem Kinde schien sie
doch zu überkommen; ihre knöcherne Hand strich über das dürftige Haar
desselben, und aus den Augen der Kleinen kam es, als ob ihr damit wohl
geschehe.

Von nun an kam Wienke täglich zu der Alten in die Kammer; sie setzte
sich bald von selbst auf den Angoraschemel, und Trien’ Jans gab ihr
kleine Fleisch- und Brotstückchen in ihre Händchen, welche sie allezeit
in Vorrat hatte, und ließ sie diese auf den Fußboden werfen, dann kam
mit Gekreisch und ausgespreizten Flügeln die Möwe aus irgend einem
Winkel hervorgeschossen und machte sich darüber her. Erst erschrak das
Kind und schrie auf vor dem großen stürmenden Vogel; bald aber war es
wie ein eingelerntes Spiel, und wenn sie nur ihr Köpfchen durch den
Türspalt steckte, schoß schon der Vogel auf sie zu und setzte sich ihr
auf Kopf oder Schulter, bis die Alte ihr zu Hülfe kam und die Fütterung
beginnen konnte. Trien’ Jans, die es sonst nicht hatte leiden können,
daß einer auch nur die Hand nach ihrem „Klaus“ ausstreckte, sah jetzt
geduldig zu, wie das Kind allmählich ihr den Vogel völlig abgewann. Er
ließ sich willig von ihr haschen; sie trug ihn umher und wickelte ihn
in ihre Schürze, und wenn dann auf der Werfte etwa das gelbe Hündlein
um sie herum- und eifersüchtig gegen den Vogel aufsprang, dann rief sie
wohl: „Nicht du, nicht du, Perle!“ und hob mit ihren Ärmchen die Möwe
so hoch, daß diese, sich selbst befreiend, schreiend über die Werfte
hinflog und statt ihrer nun der Hund durch Schmeicheln und Springen den
Platz auf ihren Armen zu erobern suchte.

Fielen zufällig Haukes und Elkes Augen auf dies wunderliche Vierblatt,
das nur durch einen gleichen Mangel am selben Stengel festgehalten
wurde, dann flog wohl ein zärtlicher Blick auf ihr Kind; hatten sie
sich gewandt, so blieb nur noch ein Schmerz auf ihrem Antlitz, den
jedes einsam mit sich von dannen trug, denn das erlösende Wort war
zwischen ihnen noch nicht gesprochen worden. Da eines Sommervormittags,
als Wienke mit der Alten und den beiden Tieren auf den großen Steinen
vor der Scheuntür saß, gingen ihre beiden Eltern, der Deichgraf seinen
Schimmel hinter sich, die Zügel über dem Arme, hier vorüber; er wollte
auf den Deich hinaus und hatte das Pferd sich selber von der Fenne
heraufgeholt; sein Weib hatte auf der Werfte sich an seinen Arm
gehängt. Die Sonne schien warm hernieder; es war fast schwül, und
mitunter kam ein Windstoß aus Südsüdost. Dem Kinde mochte es auf dem
Platze unbehaglich werden. „Wienke will mit!“ rief sie, schüttelte die
Möwe von ihrem Schoß und griff nach der Hand ihres Vaters.

„So komm!“ sagte dieser.

—Frau Elke aber rief. „In dem Wind? Sie fliegt dir weg!“

„Ich halt’ sie schon; und heut haben wir warme Luft und lustig Wasser,
da kann sie’s tanzen sehen.“

Und Elke lief ins Haus und holte noch ein Tüchlein und ein Käppchen für
ihr Kind. „Aber es gibt ein Wetter,“ sagte sie; „macht, daß ihr
fortkommt, und seid bald wieder hier!“

Hauke lachte: „Das soll uns nicht zu fassen kriegen!“ und hob das Kind
zu sich auf den Sattel. Frau Elke blieb noch eine Weile auf der Werfte
und sah, mit der Hand ihre Augen beschattend, die beiden auf den Weg
und nach dem Deich hinübertraben; Trien’ Jans saß auf dem Stein und
murmelte Unverständliches mit ihren welken Lippen.

Das Kind lag regungslos im Arm des Vaters; es war, als atme es
beklommen unter dem Druck der Gewitterluft; er neigte den Kopf zu ihr.
„Nun, Wienke?“ fragte er.

Das Kind sah ihn eine Weile an. „Vater,“ sagte es, „du kannst das doch!
Kannst du nicht alles?“

„Was soll ich können, Wienke?“

Aber sie schwieg; sie schien die eigene Frage nicht verstanden zu
haben.

Es war Hochflut; als sie auf den Deich hinaufkamen, schlug der
Widerschein der Sonne von dem weiten Wasser ihr in die Augen, ein
Wirbelwind trieb die Wellen strudelnd in die Höhe, und neue kamen heran
und schlugen klatschend gegen den Strand; da klammerte sie ihre
Händchen angstvoll um die Faust ihres Vaters, die den Zügel führte, daß
der Schimmel mit einem Satz zur Seite fuhr. Die blaßblauen Augen sahen
in wirrem Schreck zu Hauke auf „Das Wasser, Vater! das Wasser!“ rief
sie.

Aber er löste sich sanft und sagte: „Still, Kind, du bist bei deinem
Vater; das Wasser tut dir nichts!“

Sie strich sich das fahlblonde Haar aus der Stirn und wagte es wieder,
auf die See hinauszusehen. „Es tut mir nichts,“ sagte sie zitternd;
„nein, sag’, daß es uns nichts tun soll; du kannst das, und dann tut es
uns auch nichts!“

„Nicht ich kann das, Kind,“ entgegnete Hauke ernst: „aber der Deich,
auf dem wir reiten, der schützt uns, und den hat dein Vater ausgedacht
und bauen lassen.“

Ihre Augen gingen wider ihn, als ob sie das nicht ganz verstünde, dann
barg sie ihr auffallend kleines Köpfchen in dem weiten Rocke ihres
Vaters.

„Warum versteckst du dich, Wienke?“ raunte der ihr zu; „ist dir noch
immer bange?“ Und ein zitterndes Stimmchen kam aus den Falten des
Rockes: „Wienke will lieber nicht sehen; aber du kannst doch alles,
Vater?“

Ein ferner Donner rollte gegen den Wind herauf „Hoho?“ rief Hauke, „da
kommt es!“ und wandte sein Pferd zur Rückkehr. „Nun wollen wir heim zur
Mutter!“

Das Kind tat einen tiefen Atemzug; aber erst als sie die Werfte und das
Haus erreicht hatten, hob es das Köpfchen von seines Vaters Brust. Als
dann Frau Elke ihr im Zimmer das Tüchelchen und die Kapuze abgenommen
hatte, blieb sie wie ein kleiner stummer Kegel vor der Mutter stehen.
„Nun, Wienke,“ sagte diese und schüttelte sie leise, „magst du das
große Wasser leiden?“

Aber das Kind riß die Augen auf „Es spricht,“ sagte sie; „Wienke ist
bange!“

—„Es spricht nicht; es rauscht und toset nur!“

Das Kind sah ins Weite. „Hat es Beine?“ frug es wieder; „kann es über
den Deich kommen?“

—„Nein, Wienke; dafür paßt dein Vater auf, er ist der Deichgraf“

„Ja,“ sagte das Kind und klatschte mit blödem Lächeln in seine
Händchen; „Vater kann alles—alles!“ Dann plötzlich, sich von der Mutter
abwendend, rief sie: „Laß Wienke zu Trien’ Jans, die hat rote Äpfel!“

Und Elke öffnete die Tür und ließ das Kind hinaus. Als sie dieselbe
wieder geschlossen hatte, schlug sie mit einem Ausdruck des tiefsten
Grams die Augen zu ihrem Manne auf, aus denen ihm sonst nur Trost und
Mut zu Hülfe gekommen war.

Er reichte ihr die Hand und drückte sie, als ob es zwischen ihnen
keines weiteren Wortes bedürfe; sie aber sagte leis: „Nein, Hauke, laß
mich sprechen: das Kind, das ich nach Jahren dir geboren habe, es wird
für immer ein Kind bleiben. O, lieber Gott! es ist schwachsinnig; ich
muß es einmal vor dir sagen.“

„Ich wußte es längst,“ sagte Hauke und hielt die Hand seines Weibes
fest, die sie ihm entziehen wollte.

„So sind wir denn doch allein geblieben,“ sprach sie wieder.

Aber Hauke schüttelte den Kopf. „Ich hab’ sie lieb, und sie schlägt
ihre Ärmchen um mich und drückt sich fest an meine Brust; um alle
Schätze wollt’ ich das nicht missen!“

Die Frau sah finster vor sich hin. „Aber warum?“ sprach sie; „was hab’
ich arme Mutter denn verschuldet?“

—„Ja, Elke, das hab’ ich freilich auch gefragt, den, der allein es
wissen kann; aber du weißt ja auch, der Allmächtige gibt den Menschen
keine Antwort—vielleicht, weil wir sie nicht begreifen würden.“

Er hatte auch die andere Hand seines Weibes gefaßt und zog sie sanft zu
sich heran. „Laß dich nicht irren, dein Kind, wie du es tust, zu
lieben; sei sicher, das versteht es!“

Da warf sich Elke an ihres Mannes Brust und weinte sich satt und war
mit ihrem Leid nicht mehr allein. Dann plötzlich lächelte sie ihn an;
nach einem heftigen Händedruck lief sie hinaus und holte sich ihr Kind
aus der Kammer der alten Trien’ Jans und nahm es auf ihren Schoß und
hätschelte und küßte es, bis es stammelnd sagte: „Mutter, mein’ liebe
Mutter!“


So lebten die Menschen auf dem Deichgrafshofe still beisammen; wäre das
Kind nicht dagewesen, es hätte viel gefehlt.

Allmählich verfloß der Sommer; die Zugvögel waren durchgezogen, die
Luft wurde leer vom Gesang der Lerchen; nur vor den Scheunen, wo sie
beim Dreschen Körner pickten, hörte man hie und da einige kreischend
davonfliegen; schon war alles hart gefroren. In der Küche des
Haupthauses saß eines Nachmittags die alte Trien’ Jans auf der
Holzstufe einer Treppe, die neben dem Feuerherd nach dem Boden lief. Es
war in den letzten Wochen, als sei sie aufgelebt; sie kam jetzt gern
einmal in die Küche und sah Frau Elke hier hantieren; es war keine Rede
mehr davon, daß ihre Beine sie nicht hätten dahin tragen können, seit
eines Tages klein Wienke sie an der Schürze hierherauf gezogen hatte.
Jetzt kniete das Kind an ihrer Seite und sah mit seinen stillen Augen
in die Flammen, die aus dem Herdloch aufflackerten; ihr eines Händchen
klammerte sich an den Ärmel der Alten, das andere lag in ihrem eigenen
fahlblonden Haar. Trien’ Jans erzählte. „Du weißt,“ sagte sie, „ich
stand im Dienst bei deinem Urgroßvater, als Hausmagd, und dann mußt’
ich die Schweine füttern; der war klüger als sie alle—da war es, es ist
grausam lange her, aber eines Abends, der Mond schien, da ließen sie
die Haffschleuse schließen, und sie konnte nicht wieder zurück in See.
Oh, wie sie schrie und mit ihren Fischhändchen sich ihre harten
struppigen Haare griff! Ja, Kind, ich sah es und hörte sie selber
schreien! Die Gräben zwischen den Fennen waren alle voll Wasser, und
der Mond schien darauf, daß sie wie Silber glänzten, und sie schwamm
aus einem Graben in den anderen und hob die Arme und schlug, was ihre
Hände waren, aneinander, daß man es weither klatschen hörte, als wenn
sie beten wollte; aber, Kind, beten können diese Kreaturen nicht. Ich
saß vor der Haustür auf ein paar Balken, die zum Bauen angefahren
waren, und sah weithin über die Fennen; und das Wasserweib schwamm noch
immer in den Gräben, und wenn sie die Arme aufhob, so glitzerten auch
die wie Silber und Demanten. Zuletzt sah ich sie nicht mehr, und die
Wildgäns’ und Möwen, die ich all die Zeit nicht gehört hatte, zogen
wieder mit Pfeifen und Schnattern durch die Luft.“

Die Alte schwieg; das Kind hatte ein Wort sich aufgefangen. „Konnte
nicht beten?“ fragte sie. „Was sagst du? Wer war es?“

„Kind,“ sagte die Alte; „die Wasserfrau war es; das sind Undinger, die
nicht selig werden können.“

„Nicht selig!“ wiederholte das Kind, und ein tiefer Seufzer, als habe
sie das verstanden, hob die kleine Brust.

—„Trien’ Jans!“ kam eine tiefe Stimme von der Küchentür, und die Alte
zuckte leicht zusammen. Es war der Deichgraf Hauke Haien, der dort am
Ständer lehnte. „Was redet Sie dem Kinde vor? Hab’ ich Ihr nicht
geboten, Ihre Mären für sich zu behalten oder sie den Gäns’ und Hühnern
zu erzählen?“

Die Alte sah ihn mit einem bösen Blicke an und schob die Kleine von
sich fort: „Das sind keine Mären,“ murmelte sie in sich hinein, „das
hat mein Großohm mir erzählt.“

—„Ihr Großohm, Trien’? Sie wollte es ja eben selbst erlebt haben.“

„Das ist egal,“ sagte die Alte; „aber Ihr glaubt nicht, Hauke Haien;
Ihr wollt wohl meinen Großohm noch zum Lügner machen!“ Dann rückte sie
näher an den Herd und streckte die Hände über die Flammen des
Feuerlochs.

Der Deichgraf warf einen Blick gegen das Fenster; draußen dämmerte es
noch kaum. „Komm, Wienke!“ sagte er und zog sein schwachsinniges Kind
zu sich heran; „komm mit mir, ich will dir draußen vom Deich aus etwas
zeigen! Nur müssen wir zu Fuß gehen; der Schimmel ist beim Schmied.“
Dann ging er mit ihr in die Stube, und Elke band dem Kinde dicke
wollene Tücher um Hals und Schultern; und bald danach ging der Vater
mit ihr auf dem alten Deiche nach Nordwest hinauf, Jeverssand vorbei,
bis wo die Watten breit, fast unübersehbar wurden.

Bald hatte er sie getragen, bald ging sie an seiner Hand; die Dämmerung
wuchs allmählich; in der Ferne verschwand alles im Dunst und Duft. Aber
dort, wohin noch das Auge reichte, hatten die unsichtbar schwellenden
Wattströme das Eis zerrissen, und, wie Hauke Haien es in seiner Jugend
einst gesehen hatte, aus den Spalten stiegen wie damals die rauchenden
Nebel, und daran entlang waren wiederum die unheimlichen närrischen
Gestalten und hüpften gegeneinander und dienerten und dehnten sich
plötzlich schreckhaft in die Breite.

Das Kind klammerte sich angstvoll an seinen Vater und deckte dessen
Hand über sein Gesichtlein: „Die Seeteufel!“ raunte es zitternd
zwischen seine Finger; „die Seeteufel!“

Er schüttelte den Kopf. „Nein, Wienke, weder Wasserweiber noch
Seeteufel; so etwas gibt es nicht; wer hat dir davon gesagt?“

Sie sah mit stumpfem Blicke zu ihm herauf, aber sie antwortete nicht.
Er strich ihr zärtlich über die Wangen. „Sieh nur wieder hin!“ sagte
er, „das sind nur arme hungrige Vögel! Sieh nur, wie jetzt der große
seine Flügel breitet, die holen sich die Fische, die in die rauchenden
Spalten kommen.“

„Fische,“ wiederholte Wienke.

„Ja, Kind, das alles ist lebig, so wie wir; es gibt nichts anderes;
aber der liebe Gott ist überall!“

Klein Wienke hatte ihre Augen fest auf den Boden gerichtet und hielt
den Atem an; es war, als sähe sie erschrocken in einen Abgrund. Es war
vielleicht nur so; der Vater blickte lange auf sie hin, er bückte sich
und sah in ihr Gesichtlein; aber keine Regung der verschlossenen Seele
wurde darin kund. Er hob sie auf den Arm und steckte ihre verklommenen
Händchen in einen seiner dicken Wollhandschuhe: „So, mein Wienke,“ und
das Kind vernahm wohl nicht den Ton von heftiger Innigkeit in seinen
Worten—, „so, wärm dich bei mir! Du bist doch unser Kind, unser
einziges. Du hast uns lieb!...“ Die Stimme brach dem Manne; aber die
Kleine drückte zärtlich ihr Köpfchen in seinen rauhen Bart.

So gingen sie friedlich heimwärts.


Nach Neujahr war wieder einmal die Sorge in das Haus getreten; ein
Marschfieber hatte den Deichgrafen ergriffen; auch mit ihm ging es nah
am Rand der Grube her, und als er unter Frau Elkes Pfleg’ und Sorge
wieder erstanden war, schien er kaum derselbe Mann. Die Mattigkeit des
Körpers lag auch auf seinem Geiste, und Elke sah mit Besorgnis, wie er
allzeit leicht zufrieden war. Dennoch, gegen Ende des März, drängte es
ihn, seinen Schimmel zu besteigen und zum ersten Male wieder auf seinem
Deich entlang zu reiten; es war an einem Nachmittage, und die Sonne,
die zuvor geschienen hatte, lag längst schon wieder hinter trübem Duft.

Im Winter hatte es ein paarmal Hochwasser gegeben; aber es war nicht
von Belang gewesen; nur drüben am andern Ufer war auf einer Hallig eine
Herde Schafe ertrunken und ein Stück vom Vorland abgerissen worden;
hier an dieser Seite und am neuen Kooge war ein nennenswerter Schaden
nicht geschehen. Aber in der letzten Nacht hatte ein stärkerer Sturm
getobt, jetzt mußte der Deichgraf selbst hinaus und alles mit eignem
Aug’ besichtigen. Schon war er unten von der Südostecke aus auf dem
neuen Deich herumgeritten, und es war alles wohl erhalten; als er aber
an die Nordostecke gekommen war, dort, wo der neue Deich auf den alten
stößt, war zwar der erstere unversehrt, aber wo früher der Priel den
alten erreicht hatte und an ihm entlang geflossen war, sah er in großer
Breite die Grasnarbe zerstört und fortgerissen und in dem Körper des
Deiches eine von der Flut gewühlte Höhlung, durch welche überdies ein
Gewirr von Mäusegängen bloßgelegt war. Hauke stieg vom Pferde und
besichtigte den Schaden in der Nähe: das Mäuseunheil schien
unverkennbar noch unsichtbar weiter fortzulaufen.

Er erschrak heftig; gegen alles dieses hätte schon beim Bau des neuen
Deiches Obacht genommen werden müssen; da es damals übersehen worden,
so mußte es jetzt geschehen!—Das Vieh war noch nicht auf den Fennen,
das Gras war ungewohnt zurückgeblieben; wohin er blickte, es sah ihn
leer und öde an. Er bestieg wieder sein Pferd und ritt am Ufer hin und
her: es war Ebbe, und er gewahrte wohl, wie der Strom von außen her
sich wieder ein neues Bett im Schlick gewühlt hatte und jetzt von
Nordwesten auf den alten Deich gestoßen war; der neue aber, soweit es
ihn traf, hatte mit seinem sanfteren Profile dem Anprall widerstehen
können.

Ein Haufen neuer Plag und Arbeit erhob sich vor der Seele des
Deichgrafen; nicht nur der alte Deich mußte hier verstärkt, auch dessen
Profil dem des neuen angenähert werden; vor allem aber mußte der als
gefährlich wieder aufgetretene Priel durch neu zu legende Dämme oder
Lahnungen abgeleitet werden. Noch einmal ritt er auf dem neuen Deich
bis an die äußerste Nordwestecke, dann wieder rückwärts, die Augen
unablässig auf das neugewühlte Bett des Prieles heftend, der ihm zur
Seite sich deutlich genug in dem bloßgelegten Schlickgrund abzeichnete.
Der Schimmel drängte vorwärts und schnob und schlug mit den
Vorderhufen; aber der Reiter drückte ihn zurück, er wollte langsam
reiten, er wollte auch die innere Unruhe bändigen, die immer wilder in
ihm aufgor.

Wenn eine Sturmflut wiederkäme—eine wie 1655 dagewesen, wo Gut und
Menschen ungezählt verschlungen wurden—wenn sie wiederkäme, wie sie
schon mehrmals einst gekommen war!—Ein heißer Schauer überrieselte den
Reiter—der alte Deich, er würde den Stoß nicht aushalten, der gegen ihn
heraufschösse! Was dann, was sollte dann geschehen?—Nur eines, ein
einziges Mittel würde es geben, um vielleicht den alten Koog und Gut
und Leben darin zu retten. Hauke fühlte sein Herz stillstehen, sein
sonst so fester Kopf schwindelte; er sprach es nicht aus, aber in ihm
sprach es stark genug: Dein Koog, der Hauke-Haien-Koog müßte
preisgegeben und der neue Deich durchstochen werden!

Schon sah er im Geist die stürzende Hochflut hereinbrechen und Gras und
Klee mit ihrem salzen schäumenden Gischt bedecken. Ein Sporenstreich
fuhr in die Weichen des Schimmels, und einen Schrei ausstoßend, flog er
auf dem Deich entlang und dann den Akt hinab, der deichgräflichen
Werfte zu.

Den Kopf voll von innerem Schrecknis und ungeordneten Plänen, kam er
nach Hause. Er warf sich in seinen Lehnstuhl, und als Elke mit der
Tochter in das Zimmer trat, stand er wieder auf und hob das Kind zu
sich empor und küßte es; dann jagte er das gelbe Hündlein mit ein paar
leichten Schlägen von sich. „Ich muß noch einmal droben nach dem Krug!“
sagte er und nahm seine Mütze vom Türhaken, wohin er sie eben erst
gehängt hatte.

Seine Frau sah ihn sorgvoll an: „Was willst du dort? Es wird schon
Abend, Hauke!“

„Deichgeschichten!“ murmelte er vor sich hin, „ich treffe von den
Gevollmächtigten dort.“

Sie ging ihm nach und drückte ihm die Hand, denn er war mit diesen
Worten schon zur Tür hinaus. Hauke Haien, der sonst alles bei sich
selber abgeschlossen hatte, drängte es jetzt, ein Wort von jenen zu
erhalten, die er sonst kaum eines Anteils wertgehalten hatte. Im
Gastzimmer traf er Ole Peters mit zweien der Gevollmächtigten und einem
Koogseinwohner am Kartentisch. „Du kommst wohl von draußen, Deichgraf?“
sagte der erstere, nahm die halb ausgeteilten Karten auf und warf sie
wieder hin.

„Ja, Ole,“ erwiderte Hauke; „ich war dort; es sieht übel aus.“

„Übel?—Nun, ein paar hundert Soden und eine Bestickung wird’s wohl
kosten; ich war dort am Nachmittag.“

„So wohlfeil wird’s nicht abgehen, Ole,“ erwiderte der Deichgraf, „der
Priel ist wieder da, und wenn er jetzt auch nicht von Norden auf den
alten Deich stößt, so tut er’s doch von Nordwesten!“

„Du hätt’st ihn lassen sollen, wo du ihn fandest!“ sagte Ole trocken.

„Das heißt,“ entgegnete Hauke, „der neue Koog geht dich nichts an; und
darum sollte er nicht existieren. Das ist deine eigene Schuld! Aber
wenn wir Lahnungen legen müssen, um den alten Deich zu schützen, der
grüne Klee hinter dem neuen bringt das übermäßig ein!“

„Was sagt Ihr, Deichgraf?“ riefen die Gevollmächtigten; „Lahnungen? Wie
viele denn? Ihr liebt es, alles beim teuersten Ende anzufassen!“

Die Karten lagen unberührt auf dem Tisch. „Ich will’s dir sagen,
Deichgraf,“ sagte Ole Peters und stemmte beide Arme auf, „dein neuer
Koog ist ein fressend Werk, was du uns gestiftet hast! Noch laboriert
alles an den schweren Kosten deiner breiten Deiche; nun frißt er uns
auch den alten Deich, und wir sollen ihn verneuen!—Zum Glück ist’s
nicht so schlimm; er hat diesmal gehalten und wird es auch noch ferner
tun! Steig nur morgen wieder auf deinen Schimmel und sieh es dir noch
einmal an!“

Hauke war aus dem Frieden seines Hauses hieher gekommen, hinter den
immerhin noch gemäßigten Worten, die er eben hörte, lag—er konnte es
nicht verkennen—ein zäher Widerstand; ihm war, als fehle ihm dagegen
noch die alte Kraft. „Ich will tun, wie du rätst, Ole,“ sprach er; „nur
fürcht ich, ich werd’ es finden, wie ich es heut gesehen habe.“

—Eine unruhige Nacht folgte diesem Tage; Hauke wälzte sich schlaflos in
seinen Kissen. „Was ist dir?“ fragte ihn Elke, welche die Sorge um
ihren Mann wachhielt; „drückt dich etwas, so sprich es von dir; wir
haben’s ja immer so gehalten!“

„Es hat nichts auf sich, Elke!“ erwiderte er, „am Deiche, an den
Schleusen ist was zu reparieren; du weißt, daß ich das allzeit nachts
in mir zu verarbeiten habe.“ Weiter sagte er nichts; er wollte sich die
Freiheit seines Handelns vorbehalten; ihm unbewußt war die klare
Einsicht und der kräftige Geist seines Weibes ihm in seiner
augenblicklichen Schwäche ein Hindernis, dem er unwillkürlich auswich.

—Am folgenden Vormittag, als er wieder auf den Deich hinauskam, war die
Welt eine andere, als wie er sie tags zuvor gefunden hatte; zwar war
wieder hohl’ Ebbe, aber der Tag war noch im Steigen, und eine lichte
Frühlingssonne ließ ihre Strahlen fast senkrecht auf die unabsehbaren
Watten fallen; die weißen Möwen schwebten ruhig hin und wieder, und
unsichtbar über ihnen, hoch unter dem azurblauen Himmel, sangen die
Lerchen ihre ewige Melodie. Hauke, der nicht wußte, wie uns die Natur
mit ihrem Reiz betrügen kann, stand auf der Nordwestecke des Deiches
und suchte nach dem neuen Bett des Priels, das ihn gestern so
erschreckt hatte; aber bei dem vom Zenit herabschießenden Sonnenlicht
fand er es anfänglich nicht einmal; erst da er gegen die blendenden
Strahlen seine Augen mit der Hand beschattete, konnte er es nicht
verkennen; aber dennoch, die Schatten in der gestrigen Dämmerung mußten
ihn getäuscht haben; es kennzeichnete sich jetzt nur schwach; die
bloßgelegte Mäusewirtschaft mußte mehr als die Flut den Schaden in dem
Deich veranlaßt haben. Freilich, Wandel mußte hier geschafft werden,
aber durch sorgfältiges Aufgraben und, wie Ole Peters gesagt hatte,
durch frische Soden und einige Ruten Strohbestickung war der Schaden
auszuheilen.

„Es war so schlimm nicht“, sprach er erleichtert zu sich selber, „du
bist gestern doch dein eigner Narr gewesen!“—Er berief die
Gevollmächtigten, und die Arbeiten wurden ohne Widerspruch beschlossen,
was bisher noch nie geschehen war. Der Deichgraf meinte eine stärkende
Ruhe in seinem noch geschwächten Körper sich verbreiten zu fühlen, und
nach einigen Wochen war alles sauber ausgeführt.

Das Jahr ging weiter, aber je weiter es ging und je ungestörter die
neugelegten Rasen durch die Strohdecke grünten, um so unruhiger ging
oder ritt Hauke an dieser Stelle vorüber, er wandte die Augen ab, er
ritt hart an der Binnenseite des Deiches, ein paarmal, wo er dort hätte
vorübermüssen, ließ er sein schon gesatteltes Pferd wieder in den Stall
zurückführen; dann wieder, wo er nichts dort zu tun hatte, wanderte er,
um nur rasch und ungesehen von seiner Werfte fortzukommen, plötzlich
und zu Fuß dahin; manchmal auch war er umgekehrt, er hatte es sich
nicht zumuten können, die unheimliche Stelle aufs neue zu betrachten;
und endlich, mit den Händen hätte er alles wieder aufreißen mögen, denn
wie ein Gewissensbiß, der außer ihm Gestalt gewonnen hatte, lag dies
Stück des Deiches ihm vor Augen. Und doch, seine Hand konnte nicht mehr
daran rühren; und niemandem, selbst nicht seinem Weibe, durfte er davon
reden. So war der September gekommen; nachts hatte ein mäßiger Sturm
getobt und war zuletzt nach Nordwest umgesprungen. An trübem Vormittag
danach, zur Ebbezeit, ritt Hauke auf den Deich hinaus, und es durchfuhr
ihn, als er seine Augen über die Watten schweifen ließ; dort, von
Nordwest herauf, sah er plötzlich wieder, und schärfer und tiefer
ausgewühlt, das gespenstische neue Bett des Prieles; so sehr er seine
Augen anstrengte, es wollte nicht mehr weichen.

Als er nach Hause kam, ergriff Elke seine Hand. „Was hast du, Hauke?“
sprach sie, als sie in sein düsteres Antlitz sah; „es ist doch kein
neues Unheil? Wir sind jetzt so glücklich; mir ist, du hast nun Frieden
mit ihnen allen!“

Diesen Worten gegenüber vermochte er seine verworrene Furcht nicht in
Worten kundzugeben.

„Nein, Elke,“ sagte er, „mich feindet niemand an; es ist nur ein
verantwortlich Amt, die Gemeinde vor unseres Herrgotts Meer zu
schützen.“

Er machte sich los, um weiteren Fragen des geliebten Weibes
auszuweichen. Er ging in Stall und Scheuer, als ob er alles revidieren
müsse; aber er sah nichts um sich her; er war nur beflissen, seinen
Gewissensbiß zur Ruhe, ihn sich selber als eine krankhaft übertriebene
Angst zur Überzeugung zu bringen.

—Das Jahr, von dem ich Ihnen erzähle,“ sagte nach einer Weile mein
Gastfreund, der Schulmeister, „war das Jahr 1756, das in dieser Gegend
nie vergessen wird; im Hause Hauke Haiens brachte es eine Tote. Zu Ende
des Septembers war in der Kammer, welche ihr in der Scheune eingeräumt
war, die fast neunzigjährige Trien’ Jans am Sterben. Man hatte sie nach
ihrem Wunsche in den Kissen aufgerichtet, und ihre Augen gingen durch
die kleinen bleigefaßten Scheiben in die Ferne; es mußte dort am Himmel
eine dünnere Luftschicht über einer dichteren liegen; denn es war hohe
Kimmung, und die Spiegelung hob in diesem Augenblick das Meer wie einen
flimmernden Silberstreifen über den Rand des Deiches, so daß es
blendend in die Kammer schimmerte; auch die Südspitze von Jeverssand
war sichtbar.

Am Fußende des Bettes kauerte die kleine Wienke und hielt mit der einen
Hand sich fest an der ihres Vaters, der daneben stand. In das Antlitz
der Sterbenden grub eben der Tod das hippokratische Gesicht, und das
Kind starrte atemlos auf die unheimliche, ihr unverständliche
Verwandlung des unschönen, aber ihr vertrauten Angesichts. „Was macht
sie? Was ist das, Vater?“ flüsterte sie angstvoll und grub die
Fingernägel in ihres Vaters Hand.

„Sie stirbt!“ sagte der Deichgraf.

„Stirbt!“ wiederholte das Kind und schien in verworrenes Sinnen zu
verfallen.

Aber die Alte rührte noch einmal ihre Lippen: „Jins! Jins!“ Und
kreischend, wie ein Notschrei, brach es hervor, und ihre knöchernen
Arme streckten sich gegen die draußen flimmernde Meeresspiegelung.
„Hölp mi! Hölp mi! Du bist ja båven Wåter... Gott gnåd de annern!“

Ihre Arme sanken, ein leises Krachen der Bettstatt wurde hörbar; sie
hatte aufgehört zu leben.

Das Kind tat einen tiefen Seufzer und warf die blassen Augen zu ihrem
Vater auf „Stirbt sie noch immer?“ fragte es.

„Sie hat es vollbracht!“ sagte der Deichgraf und nahm das Kind auf
seinen Arm. „Sie ist nun weit von uns, beim lieben Gott.“

„Beim lieben Gott!“ wiederholte das Kind und schwieg eine Weile, als
müsse es den Worten nachsinnen. „Ist das gut, beim lieben Gott?“

„Ja, das ist das Beste.“—In Haukes Innerem aber klang schwer die letzte
Rede der Sterbenden. „Gott gnåd de annern!“ sprach es leise in ihm. Was
wollte die alte Hexe? Sind denn die Sterbenden Propheten—?

—Bald nachdem Trien’ Jans oben bei der Kirche eingegraben war, begann
man immer lauter von allerlei Unheil und seltsamem Geschmeiß zu reden,
das die Menschen in Nordfriesland erschreckt haben sollte; und sicher
war es: am Sonntage Lätare war droben von der Turmspitze der goldne
Hahn durch einen Wirbelwind herabgeworfen worden; auch das war richtig,
im Hochsommer fiel, wie ein Schnee, ein groß Geschmeiß vom Himmel, daß
man die Augen davor nicht auftun konnte und es hernach fast handhoch
auf den Fennen lag, und hatte niemand je so was gesehen; als aber nach
Ende September der Großknecht mit Korn und die Magd Ann’ Grete mit
Butter in die Stadt zu Markt gefahren waren, kletterten sie bei ihrer
Rückkunft mit schreckensbleichen Gesichtern von ihrem Wagen. „Was ist?
Was habt ihr?“ riefen die andern Dirnen, die hinausgelaufen waren, da
sie den Wagen rollen hörten.

Ann’ Grete in ihrem Reiseanzug trat atemlos in die geräumige Küche.
„Nun, so erzähl’ doch!“ riefen die Dirnen wieder, „wo ist das Unglück
los?“

„Ach, unser lieber Jesus wolle uns behüten!“ rief Ann’ Grete. „Ihr
wißt, von drüben, überm Wasser, das alt’ Mariken vom Ziegelhof, wir
stehen mit unserer Butter ja allzeit zusammen an der Apothekerecke, die
hat es mir erzählt, und Iven Johns sagte auch, „das gibt ein Unglück!“
sagte er; „ein Unglück über ganz Nordfriesland; glaub’ mir’s, Ann’
Gret’! Und“—sie dämpfte ihre Stimme—„mit des Deichgrafs Schimmel ist’s
am Ende auch nicht richtig!“

„Scht! scht!“ machten die andern Dirnen.

—„Ja, ja; was kümmert’s mich! Aber drüben, an der andern Seite, geht’s
noch schlimmer als bei uns! Nicht bloß Fliegen und Geschmeiß, auch Blut
ist wie Regen vom Himmel gefallen; und da am Sonntag Morgen danach der
Pastor sein Waschbecken vorgenommen hat, sind fünf Totenköpfe, wie
Erbsen groß, darin gewesen, und alle sind gekommen, um das zu sehen; im
Monat Augusti sind grausige rotköpfige Raupenwürmer über das Land
gezogen und haben Korn und Mehl und Brot und was sie fanden,
weggefressen, und hat kein Feuer sie vertilgen können!“

Die Erzählerin verstummte plötzlich; keine der Mägde hatte bemerkt, daß
die Hausfrau in die Küche getreten war. „Was redet ihr da?“ sprach
diese. „Laßt das den Wirt nicht hören!“ Und da sie alle jetzt erzählen
wollten: „Es tut nicht not; ich habe genug davon vernommen; geht an
euere Arbeit, das bringt euch besseren Segen!“ Dann nahm sie Ann’ Gret’
mit sich in die Stube und hielt mit dieser Abrechnung über ihre
Marktgeschäfte.

So fand im Hause des Deichgrafen das abergläubische Geschwätz bei der
Herrschaft keinen Anhalt; aber in die übrigen Häuser, und je länger die
Abende wurden, um desto leichter drang es mehr und mehr hinein. Wie
schwere Luft lag es auf allen, und heimlich sagte man es sich, ein
Unheil, ein schweres, würde über Nordfriesland kommen.


Es war vor Allerheiligen, im Oktober. Tagüber hatte es stark aus
Südwest gestürmt; abends stand ein halber Mond am Himmel, dunkelbraune
Wolken jagten überhin, und Schatten und trübes Licht flogen auf der
Erde durcheinander; der Sturm war im Wachsen. Im Zimmer des Deichgrafen
stand noch der geleerte Abendtisch; die Knechte waren in den Stall
gewiesen, um dort des Viehes zu achten; die Mägde mußten im Hause und
auf den Böden nachsehen, ob Türen und Luken wohl verschlossen seien,
daß nicht der Sturm hineinfasse und Unheil anrichte. Drinnen stand
Hauke neben seiner Frau am Fenster; er hatte eben sein Abendbrot
hinabgeschlungen; er war draußen auf dem Deich gewesen. Zu Fuße war er
hinausgetrabt, schon früh am Nachmittag; spitze Pfähle und Säcke voll
Klei oder Erde hatte er hie und dort, wo der Deich eine Schwäche zu
verraten schien, zusammentragen lassen; überall hatte er Leute
angestellt, um die Pfähle einzurammen und mit den Säcken vorzudämmen,
sobald die Flut den Deich zu schädigen beginne; an dem Winkel zu
Nordwesten, wo der alte und der neue Deich zusammenstießen, hatte er
die meisten Menschen hingestellt, nur im Notfall durften sie von den
angewiesenen Plätzen weichen. Das hatte er zurückgelassen; dann, vor
kaum einer Viertelstunde, naß, zerzaust, war er in seinem Hause
angekommen, und jetzt, das Ohr nach den Windböen, welche die in Blei
gefaßten Scheiben rasseln machten, blickte er wie gedankenlos in die
wüste Nacht hinaus; die Wanduhr hinter ihrer Glasscheibe schlug eben
acht. Das Kind, das neben der Mutter stand, fuhr zusammen und barg den
Kopf in deren Kleider. „Klaus!“ rief sie weinend; „wo ist mein Klaus?“

Sie konnte wohl so fragen, denn die Möwe hatte, wie schon im vorigen
Jahre, so auch jetzt ihre Winterreise nicht mehr angetreten. Der Vater
überhörte die Frage; die Mutter aber nahm das Kind auf ihren Arm. „Dein
Klaus ist in der Scheune,“ sagte sie; „da sitzt er warm.“

„Warum?“ sagte Wienke; „ist das gut?“

—„Ja, das ist gut.“

Der Hausherr stand noch am Fenster. „Es geht nicht länger, Elke!“ sagte
er, „ruf eine von den Dirnen; der Sturm drückt uns die Scheiben ein,
die Luken müssen angeschroben werden!“

Auf das Wort der Hausfrau war die Magd hinausgelaufen; man sah vom
Zimmer aus, wie ihr die Röcke flogen; aber als sie die Klammern gelöst
hatte, riß ihr der Sturm den Laden aus der Hand und warf ihn gegen die
Fenster, daß ein paar Scheiben zersplittert in die Stube flogen und
eins der Lichter qualmend auslosch. Hauke mußte selbst hinaus, zu
helfen, und nur mit Not kamen allmählich die Luken vor die Fenster. Als
sie beim Wiedereintritt in das Haus die Tür aufrissen, fuhr eine Böe
hintendrein, daß Glas und Silber im Wandschrank durcheinander klirrten;
oben im Hause über ihren Köpfen zitterten und krachten die Balken, als
wolle der Sturm das Dach von den Mauern reißen. Aber Hauke kam nicht
wieder in das Zimmer! Elke hörte, wie er durch die Tenne nach dem
Stalle schritt. „Den Schimmel! Den Schimmel, John; rasch!“ So hörte sie
ihn rufen; dann kam er wieder in die Stube, das Haar zerzaust, aber die
grauen Augen leuchtend. „Der Wind ist umgesprungen!“ rief er—, „nach
Nordwest, auf halber Springflut! Kein Wind;—wir haben solchen Sturm
noch nicht erlebt!“

Elke war totenblaß geworden. „Und du mußt noch einmal hinaus?“

Er ergriff ihre beiden Hände und drückte sie wie im Krampfe in die
seinen. „Das muß ich, Elke.“

Sie erhob langsam ihre dunkeln Augen zu ihm, und ein paar Sekunden lang
sahen sie sich an; doch war’s wie eine Ewigkeit. „Ja, Hauke,“ sagte das
Weib; „ich weiß es wohl, du mußt!“

Da trabte es draußen vor der Haustür. Sie fiel ihm um den Hals, und
einen Augenblick war’s, als könne sie ihn nicht lassen; aber auch das
war nur ein Augenblick. „Das ist _unser_ Kampf!“ sprach Hauke; „ihr
seid hier sicher; an dies Haus ist noch keine Flut gestiegen. Und bet’
zu Gott, daß er auch mit mir sei!“

Hauke hüllte sich in seinen Mantel, und Elke nahm ein Tuch und wickelte
es ihm sorgsam um den Hals; sie wollte ein Wort sprechen, aber die
zitternden Lippen versagten es ihr.

Draußen wieherte der Schimmel, daß es wie Trompetenschall in das Heulen
des Sturmes hineinklang. Elke war mit ihrem Mann hinausgegangen; die
alte Esche knarrte, als ob sie auseinanderstürzen sollte. „Steigt auf,
Herr!“ rief der Knecht, „der Schimmel ist wie toll; die Zügel könnten
reißen.“ Hauke schlug die Arme um sein Weib. „Bei Sonnenaufgang bin ich
wieder da!“

Schon war er auf sein Pferd gesprungen; das Tier stieg mit den
Vorderhufen in die Höhe, dann, gleich einem Streithengst, der sich in
die Schlacht stürzt, jagte es mit seinem Reiter die Werfte hinunter, in
Nacht und Sturmgeheul hinaus. „Vater, mein Vater!“ schrie eine
klägliche Kinderstimme hinter ihm darein; „mein lieber Vater!“

Wienke war im Dunkeln hinter dem Fortjagenden hergelaufen; aber schon
nach hundert Schritten strauchelte sie über einen Erdhaufen und fiel zu
Boden.

Der Knecht Iven Johns brachte das weinende Kind der Mutter zurück; die
lehnte am Stamme der Esche, deren Zweige über ihr die Luft peitschten,
und starrte wie abwesend in die Nacht hinaus, in der ihr Mann
verschwunden war; wenn das Brüllen des Sturmes und das ferne Klatschen
des Meeres einen Augenblick aussetzten, fuhr sie wie in Schreck
zusammen; ihr war jetzt, als suche alles nur ihn zu verderben und werde
jäh verstummen, wenn es ihn gefaßt habe. ihre Knie zitterten, ihre
Haare hatte der Sturm gelöst und trieb damit sein Spiel. „Hier ist das
Kind, Frau!“ schrie John ihr zu; „haltet es fest!“ und drückte die
Kleine der Mutter in den Arm.

„Das Kind?—Ich hatte dich vergessen, Wienke!“ rief sie; „Gott verzeih’
mir’s.“ Dann hob sie es an ihre Brust, so fest nur Liebe fassen kann,
und stürzte mit ihr in die Knie: „Herr Gott und du mein Jesu, laß uns
nicht Witwe und Waise werden! Schütz ihn, o lieber Gott; nur du und
ich, wir kennen ihn allein!“ Und der Sturm setzte nicht mehr aus; es
tönte und donnerte, als solle die ganze Welt in ungeheuerem Hall und
Schall zugrunde gehen.

„Geht in das Haus, Frau!“ sagte John; „kommt!“ und er half ihnen auf
und leitete die beiden in das Haus und in die Stube.

—Der Deichgraf Hauke Haien jagte auf seinem Schimmel dem Deiche zu. Der
schmale Weg war grundlos; denn die Tage vorher war unermeßlicher Regen
gefallen; aber der nasse, saugende Klei schien gleichwohl die Hufe des
Tieres nicht zu halten, es war, als hätte es festen Sommerboden unter
sich. Wie eine Wilde Jagd trieben die Wolken am Himmel; unten lag die
weite Marsch wie eine unerkennbare, von unruhigen Schatten erfüllte
Wüste; von dem Wasser hinter dem Deiche, immer ungeheurer, kam ein
dumpfes Tosen, als müsse es alles andere verschlingen. „Vorwärts,
Schimmel!“ rief Hauke; „wir reiten unseren schlimmsten Ritt!“

Da klang es wie ein Todesschrei unter den Hufen seines Rosses. Er riß
den Zügel zurück; er sah sich um: ihm zur Seite, dicht über dem Boden,
halb fliegend, halb vom Sturme geschleudert, zog eine Schar von weißen
Möwen, ein höhnisches Gegacker ausstoßend; sie suchten Schutz im Lande.
Eine von ihnen—der Mond schien flüchtig durch die Wolken—lag am Weg
zertreten: dem Reiter war’s, als flattere ein rotes Band an ihrem
Halse. „Klaus!“ rief er. „Armer Klaus!“

War es der Vogel seines Kindes? Hatte er Roß und Reiter erkannt und
sich bei ihnen bergen wollen?—Der Reiter wußte es nicht. „Vorwärts!“
rief er wieder, und schon hob der Schimmel zu neuem Rennen seine Hufe,
da setzte der Sturm plötzlich aus, eine Totenstille trat an seine
Stelle; nur eine Sekunde lang, dann kam er mit erneuter Wut zurück;
aber Menschenstimmen und verlorenes Hundegebell waren inzwischen an des
Reiters Ohr geschlagen, und als er rückwärts nach seinem Dorf den Kopf
wandte, erkannte er in dem Mondlicht, das hervorbrach, auf den Werften
und vor den Häusern Menschen an hochbeladenen Wagen umher hantierend;
er sah, wie im Fluge, noch andere Wagen eilend nach der Geest
hinauffahren; Gebrüll von Rindern traf sein Ohr, die aus den warmen
Ställen nach dort hinaufgetrieben wurden. „Gott Dank! sie sind dabei,
sich und ihr Vieh zu retten!“ rief es in ihm; und dann mit einem
Angstschrei: „Mein Weib! Mein Kind!—Nein, nein; auf unsere Werfte
steigt das Wasser nicht!“

Aber nur ein Augenblick war es; nur wie eine Vision flog alles an ihm
vorbei.

Eine furchtbare Böe kam brüllend vom Meer herüber, und ihr entgegen
stürmten Roß und Reiter den schmalen Akt zum Deich hinan. Als sie oben
waren, stoppte Hauke mit Gewalt sein Pferd. Aber wo war das Meer? Wo
Jeverssand? Wo blieb das Ufer drüben?—Nur Berge von Wasser sah er vor
sich, die dräuend gegen den nächtlichen Himmel stiegen, die in der
furchtbaren Dämmerung sich übereinander zu türmen suchten und
übereinander gegen das feste Land schlugen. Mit weißen Kronen kamen sie
daher, heulend, als sei in ihnen der Schrei alles furchtbaren
Raubgetiers der Wildnis. Der Schimmel schlug mit den Vorderhufen und
schnob mit seinen Nüstern in den Lärm hinaus; den Reiter aber wollte es
überfallen, als sei hier alle Menschenmacht zu Ende; als müsse jetzt
die Nacht, der Tod, das Nichts hereinbrechen.

Doch er besann sich: es war ja Sturmflut; nur hatte er sie selbst noch
nimmer so gesehen; sein Weib, sein Kind, sie saßen sicher auf der hohen
Werfte, in dem festen Hause; sein Deich aber—und wie ein Stolz flog es
ihm durch die Brust—der Hauke-Haien-Deich, wie ihn die Leute nannten,
der mochte jetzt beweisen, wie man Deiche bauen müsse!

Aber—was war das?—Er hielt an dem Winkel zwischen beiden Deichen; wo
waren die Leute, die er hierher gestellt, die hier die Wacht zu halten
hatten?—Er blickte nach Norden den alten Deich hinauf, denn auch
dorthin hatte er einzelne beordert. Weder hier noch dort vermochte er
einen Menschen zu erblicken; er ritt ein Stück hinaus, aber er blieb
allein; nur das Wehen des Sturmes und das Brausen des Meeres bis aus
unermessener Ferne schlug betäubend an sein Ohr. Er wandte das Pferd
zurück: er kam wieder zu der verlassenen Ecke und ließ seine Augen
längs der Linie des neuen Deiches gleiten; er erkannte deutlich:
langsamer, weniger gewaltig rollten hier die Wellen heran; fast
schien’s, als wäre dort ein ander Wasser. „Der soll schon stehen!“
murmelte er, und wie ein Lachen stieg es in ihm herauf.

Aber das Lachen verging ihm, als seine Blicke weiter an der Linie
seines Deiches entlang glitten: an der Nordwestecke—was war das dort?
Ein dunkler Haufen wimmelte durcheinander; er sah, wie es sich emsig
rührte und drängte—kein Zweifel, es waren Menschen! Was wollten, was
arbeiteten die jetzt an seinem Deich?—Und schon saßen seine Sporen dem
Schimmel in den Weichen, und das Tier flog mit ihm dahin; der Sturm kam
von der Breitseite; mitunter drängten die Böen so gewaltig, daß sie
fast vom Deiche in den neuen Koog hinabgeschleudert wären; aber Roß und
Reiter wußten, wo sie ritten. Schon gewahrte Hauke, daß wohl ein paar
Dutzend Menschen in eifriger Arbeit dort beisammen seien, und schon sah
er deutlich, daß eine Rinne quer durch den neuen Deich gegraben war.
Gewaltsam stoppte er sein Pferd. „Halt!“ schrie er; „halt! Was treibt
ihr hier für Teufelsunfug?“

Sie hatten in Schreck die Spaten ruhen lassen, als sie auf einmal den
Deichgraf unter sich gewahrten; seine Worte hatte der Sturm ihnen
zugetragen, und er sah wohl, daß mehrere ihm zu antworten strebten;
aber er gewahrte nur ihre heftigen Gebärden, denn sie standen alle ihm
zur Linken, und was sie sprachen, nahm der Sturm hinweg, der hier
draußen jetzt die Menschen mitunter wie im Taumel gegeneinander warf,
so daß sie sich dicht zusammenscharten. Hauke maß mit seinen raschen
Augen die gegrabene Rinne und den Stand des Wassers, das, trotz des
neuen Profiles, fast an die Höhe des Deichs hinaufklatschte und Roß und
Reiter überspritzte. Nur noch zehn Minuten Arbeit—er sah es wohl—dann
brach die Hochflut durch die Rinne, und der Hauke-Haien-Koog wurde vom
Meer begraben!

Der Deichgraf winkte einem der Arbeiter an die andere Seite seines
Pferdes. „Nun, so sprich!“ schrie er, „was treibt ihr hier, was soll
das heißen?“

Und der Mensch schrie dagegen: „Wir sollen den neuen Deich
durchstechen, Herr, damit der alte Deich nicht bricht!“

„Was sollt ihr?“

—„Den neuen Deich durchstechen!“

„Und den Koog verschütten?—Welcher Teufel hat euch das befohlen?“

„Nein, Herr, kein Teufel; der Gevollmächtigte Ole Peters ist hier
gewesen, der hat’s befohlen!“

Der Zorn stieg dem Reiter in die Augen: „Kennt ihr mich?“ schrie er.
„Wo ich bin, hat Ole Peters nichts zu ordinieren! Fort mit euch! An
eure Plätze, wo ich euch hingestellt!“

Und da sie zögerten, sprengte er mit seinem Schimmel zwischen sie:
„Fort, zu euerer oder des Teufels Großmutter!“

„Herr, hütet Euch!“ rief einer aus dem Haufen und stieß mit seinem
Spaten gegen das wie rasend sich gebärdende Tier; aber ein Huffschlag
schleuderte ihm den Spaten aus der Hand, ein anderer stürzte zu Boden.
Da plötzlich erhob sich ein Schrei aus dem übrigen Haufen, ein Schrei,
wie ihn nur die Todesangst einer Menschenkehle zu entreißen pflegt;
einen Augenblick war alles, auch der Deichgraf und der Schimmel, wie
gelähmt; nur ein Arbeiter hatte gleich einem Wegweiser seinen Arm
gestreckt; der wies nach der Nordwestecke der beiden Deiche, dort wo
der neue auf den alten stieß. Nur das Tosen des Sturmes und das
Rauschen des Wassers war zu hören. Hauke drehte sich im Sattel: was gab
das dort? Seine Augen wurden groß. „Herr Gott! Ein Bruch! Ein Bruch im
alten Deich!“

„Eure Schuld, Deichgraf!“ schrie eine Stimme aus dem Haufen. „Eure
Schuld! Nehmt’s mit vor Gottes Thron!“

Haukes zornrotes Antlitz war totenbleich geworden; der Mond, der es
beschien, konnte es nicht bleicher machen; seine Arme hingen schlaff,
er wußte kaum, daß er den Zügel hielt. Aber auch das war nur ein
Augenblick; schon richtete er sich auf, ein hartes Stöhnen brach aus
seinem Munde; dann wandte er stumm sein Pferd, und der Schimmel schnob
und raste ostwärts auf dem Deich mit ihm dahin. Des Reiters Augen
flogen scharf nach allen Seiten; in seinem Kopfe wühlten die Gedanken:
Was hatte er für Schuld vor Gottes Thron zu tragen?—Der Durchstich des
neuen Deichs—vielleicht, sie hätten’s fertig gebracht, wenn er sein
Halt nicht gerufen hätte; aber—es war noch eins, und es schoß ihm heiß
zu Herzen, er wußte es nur zu gut—im vorigen Sommer, hätte damals Ole
Peters’ böses Maul ihn nicht zurückgehalten—da lag’s! Er allein hatte
die Schwäche des alten Deichs erkannt; er hätte trotz alledem das neue
Werk betreiben müssen. „Herr Gott, ja, ich bekenn’ es,“ rief er
plötzlich laut in den Sturm hinaus, „ich habe meines Amtes schlecht
gewaltet!“

Zu seiner Linken, dicht an des Pferdes Hufen, tobte das Meer; vor ihm,
und jetzt in voller Finsternis, lag der alte Koog mit seinen Werften
und heimatlichen Häusern; das bleiche Himmelslicht war völlig ausgetan;
nur von einer Stelle brach ein Lichtschein durch das Dunkel. Und wie
ein Trost kam es an des Mannes Herz; es mußte von seinem Haus
herüberscheinen, es war ihm wie ein Gruß von Weib und Kind. Gottlob,
sie saßen sicher auf der hohen Werfte! Die andern, gewiß, sie waren
schon im Geestdorf droben; von dorther schimmerte so viel Lichtschein,
wie er niemals noch gesehen hatte; ja selbst hoch oben aus der Luft, es
mochte wohl vom Kirchturm sein, brach solcher in die Nacht hinaus. „Sie
werden alle fort sein, alle!“ sprach Hauke bei sich selber; „freilich
auf mancher Werfte wird ein Haus in Trümmern liegen, schlechte Jahre
werden für die überschwemmten Fennen kommen, Siele und Schleusen zu
reparieren sein! Wir müssen’s tragen, und ich will helfen, auch denen,
die mir Leids getan; nur, Herr, mein Gott, sei gnädig mit uns
Menschen!“

Da warf er seine Augen seitwärts nach dem neuen Koog; um ihn schäumte
das Meer; aber in ihm lag es wie nächtlicher Friede. Ein
unwillkürliches Jauchzen brach aus des Reiters Brust: „Der
Hauke-Haien-Deich, er soll schon halten, er wird es noch nach hundert
Jahren tun!“

Ein donnerartiges Rauschen zu seinen Füßen weckte ihn aus diesen
Träumen; der Schimmel wollte nicht mehr vorwärts. Was war das?—Das
Pferd sprang zurück, und er fühlte es, ein Deichstück stürzte vor ihm
in die Tiefe. Er riß die Augen auf und schüttelte alles Sinnen von
sich: er hielt am alten Deich, der Schimmel hatte mit den Vorderhufen
schon darauf gestanden. Unwillkürlich riß er das Pferd zurück; da flog
der letzte Wolkenmantel von dem Mond, und das milde Gestirn beleuchtete
den Graus, der schäumend, zischend vor ihm in die Tiefe stürzte, in den
alten Koog hinab.

Wie sinnlos starrte Hauke darauf hin; eine Sündflut war’s, um Tier und
Menschen zu verschlingen. Da blinkte wieder ihm der Lichtschein in die
Augen, es war derselbe, den er vorhin gewahrt hatte; noch immer brannte
der auf seiner Werfte; und als er jetzt ermutigt in den Koog hinabsah,
gewahrte er wohl, daß hinter dem sinnverwirrenden Strudel, der tosend
vor ihm hinabstürzte, nur noch eine Breite von etwa hundert Schritten
überflutet war; dahinter konnte er deutlich den Weg erkennen, der vom
Koog heranführte. Er sah noch mehr: ein Wagen, nein, eine zweiräderige
Karriole kam wie toll gegen den Deich herangefahren; ein Weib, ja auch
ein Kind saßen darin. Und jetzt—war das nicht das kreischende Gebell
eines kleinen Hundes, das im Sturm vorüberflog? Allmächtiger Gott! Sein
Weib, sein Kind waren es: schon kamen sie dicht heran, und die
schäumende Wassermasse drängte auf sie zu. Ein Schrei, ein
Verzweiflungsschrei brach aus der Brust des Reiters. „Elke!“ schrie er;
„Elke! Zurück! Zurück!“

Aber Sturm und Meer waren nicht barmherzig, ihr Toben zerwehte seine
Worte; nur seinen Mantel hatte der Sturm erfaßt, es hätte ihn bald vom
Pferd herabgerissen; und das Fuhrwerk flog ohne Aufenthalt der
stürzenden Flut entgegen. Da sah er, daß das Weib wie gegen ihn hinauf
die Arme streckte: Hatte sie ihn erkannt? Hatte die Sehnsucht, die
Todesangst um ihn sie aus dem sicheren Haus getrieben? Und jetzt—rief
sie ein letztes Wort ihm zu?—Die Fragen fuhren durch sein Hirn; sie
blieben ohne Antwort: von ihr zu ihm, von ihm zu ihr waren die Worte
all verloren; nur ein Brausen wie vom Weltenuntergang füllte ihre Ohren
und ließ keinen andern Laut hinein.

„Mein Kind! O Elke, o getreue Elke!“ schrie Hauke in den Sturm hinaus.
Da sank aufs neu ein großes Stück des Deiches vor ihm in die Tiefe, und
donnernd stürzte das Meer sich hintendrein; noch einmal sah er drunten
den Kopf des Pferdes, die Räder des Gefährtes aus dem wüsten Greuel
emportauchen und dann quirlend darin untergehen. Die starren Augen des
Reiters, der so einsam auf dem Deiche hielt, sahen weiter nichts. „Das
Ende!“ sprach er leise vor sich hin; dann ritt er an den Abgrund, wo
unter ihm die Wasser, unheimlich rauschend, sein Heimatsdorf zu
überfluten begannen; noch immer sah er das Licht von seinem Hause
schimmern; es war ihm wie entseelt. Er richtete sich hoch auf und stieß
dem Schimmel die Sporen in die Weichen; das Tier bäumte sich, es hätte
sich fast überschlagen; aber die Kraft des Mannes drückte es herunter.
„Vorwärts!“ rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt
gerufen hatte. „Herr Gott, nimm mich; verschon die andern!“

Noch ein Sporenstich; ein Schrei des Schimmels, der Sturm und
Wellenbrausen überschrie; dann unten aus dem hinabstürzenden Strom ein
dumpfer Schall, ein kurzer Kampf.

Der Mond sah leuchtend aus der Höhe; aber unten auf dem Deiche war kein
Leben mehr, als nur die wilden Wasser, die bald den alten Koog fast
völlig überflutet hatten. Noch immer aber ragte die Werfte von Hauke
Haiens Hofstatt aus dem Schwall hervor, noch schimmerte von dort der
Lichtschein, und von der Geest her, wo die Häuser allmählich dunkel
wurden, warf noch die einsame Leuchte aus dem Kirchturm ihre zitternden
Lichtfunken über die schäumenden Wellen.“


Der Erzähler schwieg; ich griff nach dem gefüllten Glase, das seit
lange vor mir stand; aber ich führte es nicht zum Munde; meine Hand
blieb auf dem Tische ruhen.

„Das ist die Geschichte von Hauke Haien,“ begann mein Wirt noch einmal,
„wie ich sie nach bestem Wissen nur berichten konnte. Freilich, die
Wirtschafterin unseres Deichgrafen würde sie Ihnen anders erzählt
haben; denn auch das weiß man zu berichten: jenes weiße Pferdsgerippe
ist nach der Flut wiederum, wie vormals, im Mondschein auf Jevershallig
zu sehen gewesen; das ganze Dorf will es gesehen haben.—Soviel ist
sicher: Hauke Haien mit Weib und Kind ging unter in dieser Flut; nicht
einmal ihre Grabstätte hab’ ich droben auf dem Kirchhof finden können;
die toten Körper werden von dem abströmenden Wasser durch den Bruch ins
Meer hinausgetrieben und auf dessen Grunde allmählich in ihre
Urbestandteile aufgelöst sein—so haben sie Ruhe vor den Menschen
gehabt. Aber der Hauke-Haien-Deich steht noch jetzt nach hundert
Jahren, und wenn Sie morgen nach der Stadt reiten und die halbe Stunde
Umweg nicht scheuen wollen, so werden Sie ihn unter den Hufen Ihres
Pferdes haben.

Der Dank, den einstmals Jewe Manners bei den Enkeln seinem Erbauer
versprochen hatte, ist, wie Sie gesehen haben, ausgeblieben; denn so
ist es, Herr: dem Sokrates gaben sie ein Gift zu trinken, und unsern
Herrn Christus schlugen sie an das Kreuz! Das geht in den letzten
Zeiten nicht mehr so leicht; aber—einen Gewaltsmenschen oder einen
bösen stiernackigen Pfaffen zum Heiligen oder einen tüchtigen Kerl, nur
weil er uns um Kopfeslänge überwachsen war, zum Spuk und Nachtgespenst
zu machen—das geht noch alle Tage.“

Als das ernsthafte Männlein das gesagt hatte, stand es auf und horchte
nach draußen. „Es ist dort etwas anders worden,“ sagte er und zog die
Wolldecke vom Fenster; es war heller Mondschein. „Seht nur,“ fuhr er
fort, „dort kommen die Gevollmächtigten zurück; aber sie zerstreuen
sich, sie gehen nach Hause; drüben am andern Ufer muß ein Bruch
geschehen sein; das Wasser ist gefallen.“

Ich blickte neben ihm hinaus; die Fenster hier oben lagen über dem Rand
des Deiches; es war, wie er gesagt hatte. Ich nahm mein Glas und trank
den Rest. „Haben Sie Dank für diesen Abend!“ sagte ich; „ich denk’, wir
können ruhig schlafen!“

„Das können wir,“ entgegnete der kleine Herr; „ich wünsche von Herzen
eine wohlschlafende Nacht!“

—Beim Hinabgehen traf ich unten auf dem Flur den Deichgrafen; er wollte
noch eine Karte, die er in der Schenkstube gelassen hatte, mit nach
Hause nehmen. „Alles vorüber!“ sagte er. „Aber unser Schulmeister hat
Ihnen wohl schön was weisgemacht; er gehört zu den Aufklärern!“

—„Er scheint ein verständiger Mann!“

„Ja, ja, gewiß; aber Sie können Ihren eigenen Augen doch nicht
mißtrauen; und drüben an der anderen Seite, ich sagte es ja voraus, ist
der Deich gebrochen!“

Ich zuckte die Achseln: „Das muß beschlafen werden! Gute Nacht, Herr
Deichgraf!“

Er lachte: „Gute Nacht!“

—Am andern Morgen, beim goldensten Sonnenlichte, das über einer weiten
Verwüstung aufgegangen war, ritt ich über den Hauke-Haien-Deich zur
Stadt hinunter.





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER SCHIMMELREITER ***


    

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