Kriegsgefangen : Erlebtes 1870.

By Theodor Fontane

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Title: Kriegsgefangen
        Erlebtes 1870.

Author: Theodor Fontane

Release date: February 2, 2025 [eBook #75277]

Language: German

Original publication: Germany: Decker, 1871

Credits: Peter Becker, Richard Scheibel and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This transcription was produced from images generously made available by Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KRIEGSGEFANGEN ***

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Anmerkungen zur Transkription

  Das Original ist in Fraktur gesetzt, fremdsprachige Passagen in
  Antiqua.

    Besondere Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der
    folgenden Symbole gekennzeichnet:
        gesperrt:                   #Raute#
        fremdsprachige Passagen:    ≈Doppelwelle≈

  Einige wenige offensichtliche Druckfehler wurden stillschweigend
  korrigiert.

  Fußnoten sind an das jeweilige Kapitelende gestellt.

  Detaillierte Hinweise zu Änderungen gegenüber dem Original am
  Textende

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Kriegsgefangen.

Erlebtes 1870.


[Illustration]




Kriegsgefangen.

[Illustration]

Erlebtes 1870

von

Th. Fontane.


[Illustration:]


Berlin, 1871.

Verlag der Königlichen Geheimen Ober-Hofbuchdruckerei
(R. v. Decker).




Das Uebersetzungsrecht ist vorbehalten.




Meinen Freunden

dankbar gewidmet.




Inhalt.

[Illustration]


   I. Abtheilung.                           Seite

   „In’s alte, romantische Land”                1

   1. Domremy                                   3

   2. Neufchateau                              19

   3. Langres                                  32

   4. Von Langres bis Besançon                 53

   5. Die Citadelle von Besançon               65

   6. Rückblicke                               90


  II. Abtheilung.

  „≈Comme officier supérieur≈”                103

   1. Von Besançon bis Lyon                   105

   2. Lyon                                    115

   3. Moulins                                 126

   4. Gueret                                  141

   5. Poitiers-Rochefort                      154

   6. Marennes                                162


  III. Abtheilung.

  ≈Ile d’Oléron≈                              175

   1. Die Insel Oléron                        177

   2. Ankunft                                 182

   3. Die Citadelle                           188

   4. Rasumofsky                              193

   5. Blanche                                 202

   6. ≈Le Rempart≈                            207

   7. Mittag                                  212

   8. Theestunde                              216

   9. Regentage                               229

  10. Der Ueberfall von Ablis                 244

  11. Drei von den 3. Garde-Ulanen            256

  12. Fünf vom 14. Jäger-Bataillon            265

  13. Begräbniß                               275

  14. Sturm im Glase Wasser                   280

  15. „≈Sentinelle, prenez garde à vous.≈”    288


  IV. Abtheilung.

  Frei                                        293

   1. Unverhofft kommt oft                    295

   2. Der letzte Sonntag                      303

   3. Der letzte Abend                        311

   4. Abschied                                321

   5. Rückreise                               327


[Illustration]




„In’s alte, romantische Land.”




1. Domremy.

  Wie heißt der Ritter?

    Baudricourt. Er steht
  Kaum einen Tagesmarsch von #Vaucouleurs#.

  * * *

  Ich bin nur eines Hirten niedre Tochter
  Aus meines Königs Flecken #Domremy#,
  Der in dem Kirchensprengel liegt von Toul.
    (Jungfrau von Orleans.)


Am 2. Oktober war ich in Toul. Ich kam von Nancy. Nancy ist eine
Residenz, Toul ist ein Nest. Es machte den Eindruck auf mich wie
Spandau vor dreißig Jahren. Die Kathedrale ist bewunderungswürdig, das
Innere einer zweiten Kirche (St. Jean, wenn ich nicht irre) von fast
noch größerer Schönheit, aber von dem Augenblick an, wo man mit diesen
mittelalterlichen Bauten fertig ist, ist man es mit Toul überhaupt.

In 2 Stunden hatt’ ich diese Sehenswürdigkeiten hinter mir und dennoch
war ich gezwungen, 2 Tage an dieser Stelle auszuhalten. Dies hatte
darin seinen Grund, daß unmittelbar südlich von Toul das Jeanne
d’Arc-Land gelegen ist, und daß es, Dank dem Kriege und den
Requisitionen, unmöglich war, in der ganzen Stadt einen Wagen
aufzutreiben. Die Partie selber aufzugeben schien mir unthunlich, ich
hätte jede Mühe und jeden Preis daran gesetzt. Endlich, am Nachmittage
des zweiten Tages, hieß es: Madame Grosjean hat noch einen Wagen. Ich
athmete auf. In einem schattigen Hinterhause, dicht neben der
Kathedrale, fand ich die genannte Dame, die bei zurückgeschlagenen
Gardinen in einem großen Himmelbette saß. Sie war krank, abgezehrt,
hatte aber die klaren, klugen Augen, die man so oft bei hektischen
Personen findet, und die nie eines Eindrucks verfehlen. Wir
unterhandelten in Gegenwart zweier Gevatterinnen, die mindestens eben
so gesund waren, wie Madame Grosjean krank. Das Geschäftliche
arrangirte sich leicht; nur ein Uebelstand blieb, an dem auch jetzt
noch die Partie zu scheitern drohte: das einzig vorhandene Gefährt, ein
≈char à banc≈, war nämlich zerbrochen und Mr. Jacques, Schmied und
Stellmacher, hatte erklärt, überbürdet mit Arbeit, die Reparatur nicht
machen, keinesfalls aber den Wagen abholen lassen zu können. In diesen
letzten Worten schimmerte doch noch eine Hoffnung. Ich eilte also auf
die Straße, engagirte zwei Artilleristen vom Regiment
»Feldzeugmeister«, spannte mich selbst mit vor, und im Trabe jagten wir
nun mit der leichten Kalesche über das holprige Pflaster hin, in den
Arbeitshof des Mr. Jacques hinein. Dieser war ein Hüne, also gutmüthig
wie alle starken Leute. Meine Beredsamkeit in Etappen-Französisch
amüsirte ihn ersichtlich und wir schieden als gute Freunde, nachdem er
versprochen hatte, bis Sonnenuntergang die Reparatur machen zu wollen.
Er hielt auch Wort.

In der Dämmerstunde klopfte es an meine Thür. Ein Blaukittel trat ein,
theilte mir mit, daß er der »Knecht« der Madame Großjean sei, und daß
wir am andern Morgen 7 Uhr fahren würden. Soweit war Alles gut. Aber
der Blaukittel selbst flößte mir wenig Vertrauen ein, am wenigsten, als
er schließlich versicherte: die Partie sei in einem Tage nicht zu
machen, wir würden nach Vaucouleurs fahren, von dort nach Domremy und
von Domremy wieder zurück nach Vaucouleurs, aber mehr sei nicht zu
leisten; in Vaucouleurs müßten wir übernachten. Er berief sich dabei
auf einen russischen Grafen, mit dem er vor Jahresfrist dieselbe Partie
gemacht habe, und begleitete seine Rede, die mir aus nichts als aus den
vollklingenden Worten ≈»Kilometer«≈ und ≈»quatre-vingt-douze«≈ zu
bestehen schien, mit den allerlebhaftesten Gesten. Ein starker Verdacht
schoß mir durch den Kopf; wer indessen viel gereist ist, weiß aus
Erfahrung, daß auf solche Anwandlungen nicht allzuviel zu geben ist,
und ich entließ ihn ohne Weiteres mit einem kurzen: ≈Eh bien, demain
matin 7 heures≈. Ich freute mich sehr auf diesen Ausflug. Das
Mißtrauen, das so plötzlich in mir aufgestiegen war, galt mehr dem
Blaukittel in Person, als der Gesammtsituation, und dieser Person
glaubte ich schlimmsten Falls Herr werden zu können. Ich lud meinen
Lefaucheux Revolver und wickelte ihn derart in meine Reisedecke, daß
ich durch einen Griff von rechts her in die nun muffartige Rolle
hinein, den Kolben packen und eine »Gefechtsstellung« einnehmen konnte.
Ich #muß# dies erwähnen, weil es zu einer späteren Stunde von
Wichtigkeit für mich wurde. Daß ich den Revolver nicht mit mir führte,
um etwa auf eigene Hand Frankreich mit Krieg zu überziehen, brauch ich
wohl nicht erst zu versichern; man hat aber die Pflicht, sich gegen
≈mauvais sujets≈ und die Effronterien des ersten besten Strolches zu
schützen.

7 Uhr früh rasselte der Wagen über das Pflaster und hielt vor meinem
Hotel. Ich war fertig; eine Viertelstunde später lag Toul hinter uns.

Bis Vaucouleurs sind 3 Meilen. Von rechts her traten mächtige
Weingelände, in der Mitte des Abhangs mit hellleuchtenden Dörfern
geschmückt, bis an die Straße heran; nach links hin dehnten sich
Fruchtfelder, dahinter Bergzüge, oft in blauer Ferne verschwimmend. Es
war eine entzückende Fahrt; die Chaussee bergansteigend und wieder sich
senkend, dann und wann ein Flußstreifen, eine Wassermühle, dazu rund
umher das Herbstlaub in hundert Farben schillernd. Ehe wir noch die
erste große Biegung des Weges erreicht hatten, erfüllte sich, was sich
immer zu erfüllen pflegt: ein Fußgänger stand am Wege und bat,
aufsteigen zu dürfen. Der Kutscher stellte ihn mir als einen seiner
»Freunde« vor. Ich kann nicht sagen, daß er mir dadurch besonders
empfohlen worden wäre, und ich rückte meine Reisedecke unwillkürlich
etwas zurecht. Ich hatte aber unrecht. Der neue Fahrgast erwies sich
als ein freundlicher, angenehmer Mann; plaudernd über Krieg und Frieden
fuhren wir um 10 Uhr in Vaucouleurs hinein.

Ein reizender kleiner Ort. Der Kutscher hatte zwei Stunden dafür
festgesetzt, Zeit genug, die alte Kapelle und das leidlich
wohlerhaltene Schloß des »Ritters Baudricourt«, das die Stadt
beherrscht, zu besuchen. Ueber diese Erinnerungsstätte zu berichten,
ist hier nicht der Ort. Um 12 Uhr weiter nach Domremy.

Domremy — das von den Bewohnern dortiger Gegend immer nur Dórmy
ausgesprochen wird — liegt noch drittehalb Meilen südlich von
Vaucouleurs. Das Terrain verändert sich hier etwas und nimmt mehr und
mehr den Charakter eines Defilees an. Die Höhenzüge zur Rechten bleiben
dieselben, aber von gegenüber treten die Berge näher heran, während
unmittelbar zur Linken ein breites Wiesenthal sich zieht, drin die
Meuse fließt; das Ganze nicht ohne Reiz, aber ein wenig kahl und
verbrannt, voll frappanter Aehnlichkeit mit dem Nuthethal, das sich von
Potsdam aus, an Saarmund vorbei, bis hinauf an die alte sächsische
Grenze zieht. Halben Wegs erreicht man Burey en Vaux, das Dörfchen,
wohin Jeanne d’Arc zu ihrem Oheim Durand Laxart ging, als sie im
elterlichen Hause nicht länger wohlgelitten war; dann (zur Linken) ein
mittelalterliches, halb schloßartiges Gehöft, bis endlich, bei einer
Biegung des Weges, Domremy selbst mit einzelnen seiner blitzenden
Dächer sichtbar wird. #Nicht# mit seiner Kirche. Es hat nur eine
Kapelle, die, etwas tief gelegen, sich hinter Pappeln und anderem
Baumwerk versteckt.

Die letzten zehn Minuten vor Einfahrt in das Dorf waren die schönsten.
Es war, als ob die Reisegötter hier noch einmal den Zweck verfolgten,
ein Uebriges für mich thun und die ganze Scene künstlerisch abrunden zu
wollen. Ein Geistlicher in weißem Haar und breitkrämpigem Hut kam des
Weges; wir grüßten einander. Ein Hirt folgte; strickend schritt er
seiner Heerde vorauf. Durch die herbstlich klare Luft zogen Tausende
von Sommerfäden, und auf meine neugierige Frage, welchen Namen diese
weißen Fäden in Frankreich führten, antwortete mein Kutscher: ≈les
cheveux de la St. Vierge≈. War es denkbar, unter glücklicherer
Vorbedeutung in das Dorf der Jeanne d’Arc einzuziehen? Und doch
täuschten alle diese Zeichen.

Um 3 Uhr etwa fuhren wir in die Hauptstraße von Domremy hinein. Es ist
ein Dorf von mittlerer Größe, eher klein. Der Eindruck, trotz hellen
Sonnenscheins und des weißen Anstrichs der Häuser, war ein düsterer;
Alles schien auf Verfall und Armuth hinzudeuten. In der Mitte des
Dorfes hielten wir vor einem rußigen, anscheinend herabgekommenen
Gasthause, das in verwaschenen Buchstaben die Inschrift trug: ≈Café de
Jeanne d’Arc≈. Es war unheimlich. Ich hatte dieselbe, mich direkt ins
Herz treffende Empfindung wie am Abend vorher, wo der Blaukittel mich
besucht und seine Botschaft ausgerichtet hatte.

Ich eilte, mich diesem Eindruck zu entziehen; die geweihte Stätte, wo
»la Pucelle« geboren wurde, schien mir der geeignetste Platz dazu. Ich
brach also unverzüglich auf. Es waren nur 150 Schritt; in einem Stück
Gartenland lag das ehrwürdige Gemäuer. Ich zog die Glocke an einem
sauberen drahtgeflochtenen Gitterthor, das den Garten von der Straße
schied. Eine »Religieuse« öffnete und machte die Führerin. Und siehe
da, als ich erst in der Nische über der niederen Eingangsthür das in
Stein gemeißelte Bild der gewappneten Jungfrau, innerhalb des Hauses
selbst aber den alten eichenen Wandschrank sah, der ihr Jahre lang als
Truhe gedient hatte, fiel alles Mißtrauen wieder von mir ab und ich
fühlte mich ganz dem Zauber dieser Stunde hingegeben. Ich machte meine
Notizen, trat dann zurück in den Garten und versenkte mich noch einmal
in den Anblick dieses in Geschichte und Dichtung gleich gefeierten
Ortes. Convolvulus rankte sich um die Stämme einiger Cypressen;
Resedabeete füllten die Luft mit ihrem Duft, die Religieuse sprach
leise freundliche Worte; — alles war Poesie.

In unmittelbarer Nähe des Hauses »de la Pucelle« liegt die Kapelle. Sie
ist gothisch. Einige Glasfenster, namentlich eines, dessen bunte
Scheiben das Wappen der Jeanne d’Arc aufweisen, deuten auf das 15.
Jahrhundert zurück; das meiste aber ist modern. Ich verweilte wohl eine
Viertelstunde an dieser Stelle, mir jedes Kleinste einprägend, und trat
dann wieder vor das Portal der Kapelle, zu deren Linken sich eine
Statue der Pucelle erhebt. Diese kniet im Gebet, preßt die linke Hand
aufs Herz, während sie die rechte gen Himmel hebt; — eine wohlgemeinte,
aber schwache Arbeit.

Ich klopfte eben mit meinem spanischen Rohr an der Statue umher, um
mich zu vergewissern, ob es Bronce oder gebrannter Thon sei, als ich
vom Café de Jeanne d’Arc her eine Gruppe von 8 bis 12 Männern auf mich
zukommen sah, ziemlich eng geschlossen und unter einander flüsternd.
Ich stutzte, ließ mich aber zunächst in meiner Untersuchung nicht
stören und fragte, als sie heran waren, mit Unbefangenheit: aus welchem
Material die Statue gemacht sei? Man antwortete ziemlich höflich: »aus
Bronce«, schnitt aber weitere kunsthistorische Fragen, zu denen ich
Lust bezeugte, durch die Gegenfrage nach meinen Papieren ab. Ich
überreichte ein rothes Portefeuille, in dem sich meine
Legitimationspapiere befanden, selbstverständlich nur #preußische#. Man
suchte sich darin zurecht zu finden, kam aber nicht weit und forderte
mich nunmehr auf, zu besserer Feststellung sowohl meiner Person, wie
meiner Reiseberechtigung ihnen in das Wirthshaus zu folgen.

Die ganze Scene, so peinlich sie war, hatte, der Gesammthaltung der
Dorfbewohner nach, nicht gerade viel Bedrohliches gehabt und schien
nach unserem Eintreten in das Wirthshaus, wo bald Wein und Reimser
Biscuit herumgegeben wurden, ein immer helleres Licht gewinnen zu
wollen. Ich machte alle Umstehenden, deren Zahl von Minute zu Minute
wuchs, mit dem Inhalt meiner Legitimationspapiere bekannt und setzte
ihnen offen den Zweck meiner Reise und dieser speziellen Excursion nach
Domremy auseinander, was alles wohl aufgenommen wurde. Aber der kleine
Lichtstrahl, der eben durchbrechen wollte, sollte bald wieder
schwinden. Ich war eben noch im besten Peroriren, als ein junger Bauer,
der sich mit meinem Stock zu thun gemacht hatte, die Krücke aus der
Stockscheide zog und mit einem »≈ah, un poignard≈« die mir zuhörende
Gesellschaft überraschte. Es durchfröstelte mich etwas, weil ich klar
einsah, was jetzt nothwendig kommen mußte. Ich faßte mich aber schnell
und zur Initiative greifend, die allein einem Schlimmeren vorbeugen
konnte, sagte ich mit Ruhe: ≈Naturellement, Messieurs, je suis armé≈.
Ich sprach es so, daß man heraushören #mußte#: mit diesem Poignard
allein ist es nicht gethan. Man verstand mich auch sofort und von
mehreren Seiten hieß es jetzt: »≈ah, ah! sans doute un revolvèr≈«,
während Andere dazwischen riefen: »≈où est-il? où sont ses effets?
cherchez! apportez!≈« Man brachte alsbald meine Reisedecke und bestand
seltsamerweise darauf, daß ich sie selber öffnen solle. Es war, als
hätt’ ich sie mit Torpedos geladen. Ich konnte mich selbst in diesem
Augenblicke eines Lächelns nicht erwehren, löste die Riemen, wickelte
die Decke auseinander und überreichte meinen Revolver. Er ging von Hand
zu Hand; ich konnte wahrnehmen, daß er mit sehr verschiedenen Gefühlen
betrachtet wurde.

Die Situation war bereits heikel genug, aber schlimme Momente kommen
nie allein; so auch hier. In eben diesem Augenblick, wo die Stimmung
gegen mich ziemlich hoch ging, drängte sich durch den dichtesten Haufen
ein wüst aussehender Geselle, der, gedunsen und kurzhalsig, seiner
apoplektischen Anlage durch 6 Litre Wein täglich zu Hülfe zu kommen
schien, stellte sich sperrbeinig vor mich hin, schlug mit der Faust auf
seine Brust und erklärte mit lallender Zunge: »≈Je suis le Maire.≈«
Dies kam mir #sehr# ungelegen. Ich griff zu einem verzweifelten Mittel
und sagte ihm unter Verbeugung, »daß ich erfreut sei, ihn zu sehen«,
was bei Einzelnen (ich hatte also richtig gerechnet) sofort eine
gewisse Heiterkeit zu meinen Gunsten erweckte und die Gebildeteren
veranlaßte, die Dorfobrigkeit, die noch allerhand faselte, bei Seite zu
schieben. Dies war sehr wichtig für mich. Solch trunkener Imbecile, an
dem Alles, was Vernunft und Wahrheit ist, nothwendig scheitern mußte,
war das Schlimmste, was mir in solchem Momente begegnen konnte.

Einer aus dem Kreise der Minorität trat jetzt an mich heran und fragte
ruhig: ob ich damit einverstanden sei, daß man mich nach Neufchateau
auf die Souspräfektur führe? Ich mußte lächeln; ebenso gut hätte er
mich fragen können, ob ich damit einverstanden sei, gehängt zu werden?
Ich mußte eben tragen, was über mich beschlossen wurde.

Meine Einwilligung war kaum ausgesprochen, als man meinen Kutscher, der
mich übrigens #nicht# verrathen hatte, antrieb, seinen Braunen wieder
einzuspannen. Ich bezahlte meine Zehrung, die Wirthin nahm das Geld und
sah mich theilnahmsvoll an. Sie schien sagen zu wollen: die Welt ist
toll geworden. Im Moment, wo ich auf den Flur hinaustrat, legte ein
hübsch aussehender, rothblonder Mann seine Hand auf meine Schulter und
flüsterte mir zu: »≈Monsieur, encore un moment!≈« Er wies auf ein
großes Hinterzimmer, in das er voranschritt; ich folgte. Als wir allein
waren, zeigte er mir ein Papier, das an seiner Spitze ein umstrahltes
Dreieck und in dem Dreieck, soviel ich erkennen konnte, einige
hebräische Zeichen trug. »≈Connaissez vous cela?≈« Es schien mir ein
Freimaurer-Papier. Ich antwortete: »Nein«, hinzusetzend, daß ich die
Bedeutung allerdings zu kennen glaubte. »≈Ah! c’est bon!≈« Er steckte
sein Papier wieder ein und ich war entlassen. Ob er wirklich meine
Freilassung durchsetzen wollte, oder ob das Ganze umgekehrt nur eine
Falle war, darüber kann ich bloß Vermuthungen hegen. Das Eine ist so
gut möglich, wie das Andere.

Wir stiegen auf. Rechts der Kutscher, links ein Franctireur, ich
eingeklemmt zwischen beiden; hinter uns, auf einem Strohbündel, lagen
zwei Blousenmänner. Die Sonne war im Niedergehen, der Abend klar und
schön; so ging es auf Neufchateau zu.




2. Neufchateau.

  ≈What may this mean,
  That thou
  Revisit’st thus the glimpses of the moon?≈

     * * *

      ≈How now! a rat?≈
            Hamlet.


Die Blousenmänner schliefen; mein Nachbar der Franctireur aber
plauderte und rauchte seine Cigarrette. Er war frisch, patriotisch,
bescheiden; meine Situation flößte ihm eine gewisse Theilnahme ein. Ich
fragte nach dem Souspräfekten. Der Franctireur nannte mir den Namen:
Mr. Cialandri, ein #Corse#. Ich kann nicht sagen, daß mir bei diesem
Zusatz besonders wohl geworden wäre. Ein Corse! Die Engländer haben ein
Schul- und Kinderbuch, das den Titel führt: »Peter Parley’s Reise um
die Welt, oder was zu wissen noth thut.« Gleich im ersten Kapitel
werden die europäischen Nationen im Lapidarstyl charakterisirt. Der
#Holländer# wäscht sich viel und kaut Tabak; der #Russe# wäscht sich
wenig und trinkt Branntwein; der #Türke# raucht und ruft Allah. Wie oft
habe ich über Peter Parley gelacht. Im Grunde genommen stehen wir aber
allen fremden Nationen gegenüber mehr oder weniger auf dem
Peter-Parley-Standpunkt; es sind immer nur ein, zwei Dinge, die uns,
wenn wir den Namen eines fremden Volkes hören, sofort entgegentreten:
ein langer Zopf, oder Schlitzaugen, oder ein Nasenring. Unter einem
Corsen hatte ich mir nie etwas anderes gedacht als einen kleinen
braunen Kerl, der seinen Feind meuchlings niederschießt und drei Tage
später von dem Bruder seines Feindes niedergeschossen wird. Man kann
daraus abnehmen, welcher Trost mir aus der Mittheilung erwuchs, daß Mr.
Cialandri ein Corse sei.

Es dunkelte schon, als wir in Neufchateau einfuhren. Die Straßen waren
wenig belebt; nach einigem Hin- und Herfragen hielten wir vor der
Souspräfektur. Der Anblick war der freundlichste von der Welt. Ein
Gitter, ein kiesbestreuter Vorhof, dahinter eine Villa, im
italienischen Castell-Styl aufgeführt. Das Baumaterial war rother
Ziegel; Wein und Pfirsich rankten am Spalier. Nach erfolgter Anmeldung
wurde ich Trepp’ auf geführt. In einem mit türkischem Teppich
ausgelegten Salon saßen die Damen des Hauses; ein Diener brachte eben
die Lampen; ich verneigte mich. Mr. Cialandri empfing mich an der
Schwelle des dahinter gelegenen Zimmers, das dieselbe Eleganz zeigte:
Marmorkamin, breite Spiegel, Fauteuils. Auf einem derselben wurde ich
gebeten, Platz zu nehmen. Mr. Cialandri setzte sich mir gegenüber. Das
Kaminfeuer beleuchtete seine Züge.

Es war ein schmächtiger Mann, von vollkommen weltmännischer Tournüre,
dabei augenscheinlich krank. Er entschuldigte sich, daß er im
Flüstertone sprechen müsse. Sein Auge war dunkel, sein Teint erdfahl;
wenn sich irgend eine Blutrache an ihm vollzogen hatte, so konnte sie
nur den Charakter anhaltender Aderlässe gehabt haben. Er drückte sein
Bedauern aus, bei den Zeitläuften, die leider herrschten, mich nicht
ohne Weiteres in Freiheit setzen zu können; der Capitain der
Gensdarmerie, nach dem er bereits geschickt habe, werde das Weitere
veranlassen.

Die Situation, Alles in Allem genommen, schien mir nicht hoffnungslos;
aber sie sollte sich bald verändern. Der Capitain trat ein, verbeugte
sich leicht und nahm dann den mit leiser Stimme gegebenen Bericht des
Souspräfekten entgegen. Dann und wann warf er ein kurzes Wort ein und
blickte, scharf musternd, mit seinen dunklen Augen zu mir herüber. Ich
hasse im Allgemeinen nichts mehr als diese thörichten Augenkämpfe, die,
aus einer falschen Vorstellung von Muth und Mannhaftigkeit
hervorgehend, schon so viel Unheil angerichtet haben; #diese# Blicke
aber hielt ich aus. Woher mir, bei sonstiger Scheuheit, die Kraft dazu
kam, weiß ich nicht. Gleichviel, ich hielt aus. Gefühl der Unschuld,
Abwehr gegen offenbare Provokation, endlich die ruhige Ueberzeugung,
daß man durch sich Kleinmachen noch nie das Herz eines Feindes erobert
hat — all’ das mochte zusammenwirken.

Der Capitain wandte sich jetzt an mich:

≈Vous êtes officier prussien?≈

≈Non!≈

≈Vous avez fait une „excursion” à Domremy?≈

≈Oui!≈

≈Vous suivez votre armée?≈

≈Oui et non! En tout cas je n’en dépends pas.≈

≈Ah, ah! — Vous avez été à Toul?≈

≈Oui!≈

≈A Nancy!≈

≈Oui!≈

≈Vous êtes médecin?≈

≈Non.≈

≈Mais vous portez la croix rouge!≈

≈Oui; comme légitimation.≈

≈Ah, ah!≈

Nun folgte wieder ein Geflüster und eine Seitenmusterung, worauf ich
gebeten wurde, ihm zu folgen. Ich verbeugte mich gegen den
Souspräfekten, die Damen im Salon erwiederten höflich meinen Gruß und
ich stieg rasch in den Flur des Hauses nieder. Im Hinaustreten auf den
Vorhof besann sich der Capitain (wofür ich ihm danke) plötzlich eines
Besseren, ließ eine Hinterpforte öffnen und führte mich auf abgekürztem
Wege und durch Straßen, wo Niemand unserer achtete, in das Gefängniß
der Stadt.

Es war ein weitschichtiges Gebäude, Corridore, ein Gewirr von Treppen;
endlich öffneten wir ein Zimmer, darin der Greffier von Neufchateau
seine Wohnung hatte. Im Kamin knackten die großen Scheite; die Flamme
schlug hoch auf und gab dem niedrigen aber geräumigen Gemach mehr
Licht, als die kleine Lampe, die auf dem Tische stand. Im Moment
unseres Eintretens erhob sich der Greffier, nahm die Lampe, schlug den
Schirm zurück und schritt uns entgegen. Ich war wie vom Donner
getroffen; das leibhaftige Ebenbild meines Vaters stand vor mir. Wir
schrieben den 5. Oktober; vor drei Jahren, fast um dieselbe Stunde, war
er gestorben; — hier sah ich ihn wieder, frisch, lebensvoll, hoch
aufgewachsen, mit breiten Schultern und großen Augen, im Auge selbst
jene Mischung von Strenge und Gutmüthigkeit, wie sie ihm eigenthümlich
gewesen war.

Der Capitain übergab mich dem Greffier, der den vollklingenden Namen
Mr. Palazot führte, verbeugte sich gegen mich mit einem Anflug von
Ironie und ließ mich mit meinem Hüter allein. Ich war jetzt Gefangener.

Mr. Palazot rückte seinen Stuhl vom Kamin an den Tisch, stellte die
üblichen Fragen und machte einige Notizen, nachdem ich Uhr und Geld und
ein kleines Perlmuttermesser, das gerade ausgereicht haben würde, einen
Maikäfer zu ermorden, bei ihm deponirt hatte. Nachdem so alles
Dienstliche abgemacht worden war, glättete sich die Stirn des Alten! er
warf ein neues Scheit in die Flamme und forderte mich auf, an seiner
Mahlzeit teilzunehmen. Es waren Carotten in einer Petersiliensauce. Ich
lehnte dankend ab, bat aber um ein Glas Wasser und einen Löffel Cognac.
Mein alter Gascogner nickte, gab in die Küche hinaus die Ordre und
alsbald erschien Madame Palazot, um mir das Gewünschte zu bringen. Wir
saßen nun zu dritt um den runden Tisch und sprachen von Krieg und
Frieden. Die üblichen Trivialitäten wurden ausgetauscht und aufs Neue
festgestellt, daß Krieg eine sehr böse und Friede eine sehr schöne
Sache sei. Nachdem wir uns innerhalb dieses Glaubensbekenntnisses
gefunden, wurden die Herzen immer offener. »Madame«, eine herzensgute
Frau, holte das Bild ihres Sohnes, eines hübschen Husaren-Offiziers,
dessen Regiment die großen Kavalleriechargen bei Mars la Tour
mitgemacht hatte und von dem seit der Einschließung von Metz keine
Nachrichten mehr eingetroffen waren. »≈Il est mort≈«, — dabei liefen
der Alten die Thränen über das Gesicht; der Alte sah starr vor sich
hin, spießte eine Carotte auf, legte aber die Gabel wieder nieder, ohne
gegessen zu haben. Ein braunfleckiger, weißer Hühnerhund, der dem Sohn
gehörte, stimmte winselnd in die Familientrauer mit ein. Eine halbe
Stunde später kam Besuch, ein junger Advokat, natürlich Republikaner.
Mr. Palazot war Orleanist. Die Debatte wurde immer lebhafter, der
Advokat sprach sich mehr und mehr in Feuer und Flamme hinein:
»≈L’Alsace et la Lorraine à l’Allemagne?! jamais, jamais! Vous voulez
une guerre d’extermination, une guerre à outrance, — eh bien vous
l’aurez.≈« Mir schwindelte der Kopf. Die furchtbaren Aufregungen dieses
Tages, die sich immer wieder aufdrängende Frage: »was wird?« die
Diskussionen in einer fremden Sprache, — eine völlige Erschöpfung kam
über mich und ich bat, mich in mein Zimmer zu führen. Ich glaube, ich
sagte wirklich #Zimmer#.

Es mochte 9 Uhr sein. Mad. Palazot, auf meine Bitte, gab mir vier
wollene Decken mit; der Alte selbst nahm ein Licht und führte mich in
mein »Zimmer« hinüber. Es trug die Inschrift »≈cachot≈«. Wir sagten
einander gute Nacht, der Bolzen wurde vorgeschoben.

Ich kann nicht sagen, daß mich ein Schrecken angewandelt hätte; im
Gegentheil, ich hatte das Gefühl einer innerlichen Befreiung; ich war
#allein#. In diesem Wort liegen Himmel und Hölle. Ich empfand zunächst
nur jenen. Der übliche Gefängnißapparat, der Schemel, der Wasserkrug,
das eiserne Bett machten mich lächeln. Ich sprach vor mich hin: alles
ächt. Das Ganze hatte zudem nichts Abschreckendes. Die Wände waren
weiß, die Laken sauber, durch das breite Gitterfenster fiel das
Mondlicht bis in die halbe Tiefe des Zimmers, drunten, in weißem
Schimmer, lag die Stadt. Ich schritt eine Viertelstunde lang auf und
ab; dann entkleidete ich mich und wickelte mich in die Decken. Ich war
todmüde und hoffte »einen guten Schlaf zu thun«.

Es war anders beschlossen. Ich mochte 5 Minuten geschlafen haben, als
mich ein lautes Nagen und Knabbern weckte. Ich fuhr auf und horchte.
Kein Zweifel, Ratten. Wie mir dabei zu Muthe wurde, kann ich nicht
beschreiben. Ich wußte sofort: einen Schlaf giebt es in dieser Nacht
nicht mehr für dich. Hätt’ ich auch anders darüber gedacht, die
Bewohner hinter Wand und Diele hätten mich bald eines andern belehrt.
Nie hab’ ich diese Thiere mit solcher Frechheit sich gebehrden sehen;
sie waren überall; zupften und zerrten an den Decken, ließen sich durch
mein Husten und Zurufen nicht im Geringsten stören und machten, wenn
sie unter dem Fußboden geschwaderartig und mit stampfendem Gepolter
hinjagten, den Eindruck einer infernalen Kavallerie auf mich. Jeden
Augenblick mußt’ ich fürchten, daß sie mein Bett mit Sturm nehmen
würden.

Der erste Seufzer kam aus meiner Brust. Bis dahin hatt’ ich mich
gehalten. Ich stand auf, kleidete mich an, wickelte mich in meine
Reisedecke und setzte mich auf das Fensterbrett, das gerade breit genug
war, meinem Körper Platz zu geben. In solcher Stellung, nur mal rechts,
mal links meine Rückenlehne suchend, durchwachte ich die Nacht, zählte
ich die Viertelstunden. Das höllische Gethier, das mich einfach als
einen Eindringling betrachtete, ließ übrigens auch jetzt nicht von mir
ab; sie drängten sich an den Schemel, den ich als eine Art Treppenstufe
an das Fenster geschoben hatte und suchten diesen zu erklettern; als
sie aber ihre Anstrengungen scheitern und mich beständig auf Wache
sahen, gaben sie endlich ihre Chargen auf. Um 4 Uhr wurde es still; um
5 Uhr dämmerte es.

Um 7 Uhr erschien Mr. Palazot. Ich sagte ihm, daß ich nicht geschlafen
hätte und weshalb nicht. Er lächelte. »Ja, ja.« Am Kaminfeuer sollten
jetzt die Gespräche vom Abend vorher wieder aufgenommen werden; aber,
trotz angeborner Höflichkeit, — ich konnte nicht. Eine Viertelstunde
lang, während ich wieder ein wenig Wasser und Cognac trank, hielt ich
es aus; dann fragte ich ihn, ob er mir wohl erlauben wolle, in seinem
Sorgenstuhl den versäumten Schlaf der Nacht nachzuholen? Er nickte, gab
mir sein bestes Kissen und ich rückte mich zurecht. An Schlaf war
natürlich nicht zu denken, auch lag mir nur an Ruhe, an der
Möglichkeit, mir selber anzugehören.

So saß ich eine Stunde; das Feuer knisterte, der Hühnerhund gappste
nach den Fliegen, der Alte las, Mad. Palazot ging leise, wie auf
Socken, auf und ab. Mit dem Schlage neun wurde es draußen laut; schwere
Schritte klangen auf der Treppe; drei Gensdarmen, große schöne Leute,
traten ein. Unter ihrer Eskorte, so erfuhr ich jetzt, sollte ich nach
der Festung Langres, zum Brigadegeneral gebracht werden. Abschied war
bald genommen: meiner freundlichen Wirthin sprach ich die Hoffnung aus,
daß sie ihren Sohn wiedersehen möge. Sie weinte: ≈jamais, jamais!≈

Der Bahnhof lag an der entgegengesetzten Seite der Stadt. Ich mußte
also die Hauptstraße der ganzen Länge nach passiren. Es war eine Art
Volksfest; die Nachricht von meiner Verhaftung hatte sich schon am
Abend vorher in allen Schichten der Bevölkerung verbreitet. Als ich so
Haus bei Haus, an den Gruppen Neugieriger vorüber mußte, ging mir die
Strophe eines alten Liedes durch den Sinn:

  Mary Hamilton schritt die Straß entlang,
  Alle Mädchen schauten herfür,
  Die Männer und die Frauen
  Standen fragend in der Thür.

So das Lied. Mary Hamilton schritt auf einen Hügel zu, um dort zu
sterben. #Wohin schritt ich?#




3. Langres.

    Was schüttelt Dich nun? was erschüttert den
  Sinn? Ein innrer Schauer durchfährt mich.
        Egmont.


Von Neufchateau bis Langres werden 12 Meilen sein. Wir machten die
Fahrt in vier Stunden, im Allgemeinen durch Neugier, oder Schlimmeres,
wenig belästigt. Die einzige Klasse von Personen, die sich hier, wie
auch späterhin, durch eine gewisse feindselige Zudringlichkeit
auszeichnete, waren Beamte niedern Grades, die in noch junger Beziehung
zum »rothen Bändchen« standen, kleine Carrièremacher, die auf diese
Weise ihrer nationalen, aber mehr noch ihrer persönlichen Eitelkeit
fröhnen wollten. Sie traten an das Coupéfenster, unterwarfen mich einem
Kreuzverhör, musterten mich, und verschwanden wieder. Sie waren nicht
geradezu unhöflich, nur das ganze Verfahren überhaupt bildete eine
Unart.

Es war gegen 2 Uhr, als wir Langres erreichten. In halbstündiger
Entfernung vom Bahnhof, auf einem Bergrücken, lagen Stadt und Festung;
dort mußten wir hinauf. Trotz Oktober war eine glühende Hitze; die
Sonne stach. Halben Wegs bat ich, einen Augenblick rasten zu dürfen;
man war sogleich bereit, und stellte mir anheim, diese Berg-Ersteigung
in so viel Etappen zu machen, wie mir bequem sei. Endlich waren wir
oben, das Festungsthor nahm uns auf.

Gefängnisse und Verhörslokale, zu meinem nicht geringen Leidwesen,
lagen hier, wie an allen anderen Orten, die ich zu passiren hatte,
immer am entgegengesetzten Ende der Stadt, so daß ich das
Spießruthenlaufen durch eine feindlich gesinnte Bevölkerung gründlich
kennen lernte. Ich erweiterte auf die Weise zwar meine Städtekenntniß,
aber ich hätte auf diesen Wissenszuwachs gern Verzicht geleistet. Die
Straßenjugend, auch hier in Langres, war ziemlich arg hinter mir her,
namentlich in den engeren Gassen, und wenn mir von den Zurufen auch
vieles entging, so hatte ich doch gerade Ohr genug, um das immer
wiederkehrende »≈pendre≈« und »≈fusiller≈« sehr deutlich herauszuhören.

Endlich standen wir vor dem Verhörslokal; die Militairgerichtsbarkeit
der Brigade hatte hier ihren Sitz. Man führte mich in ein niedriges
Büreau-Zimmer, an dessen großem Doppel-Schreibtisch zwei Capitaine
beschäftigt waren. Der Gensdarmerie-Wachtmeister entlud seine
Ledertasche und legte allerhand Papiere, darunter auch die
Legitimationskarten, Briefe und Notizbücher, die man mir in Domremy
abgenommen hatte, auf den Tisch. Der scharfe Gang bergan (der
eingebüßten Nachtruhe ganz zu geschweigen) hatte mich so angestrengt,
daß ich einer Ohnmacht nahe war. Da ich aber zugleich empfand, daß es
auf die Antworten, die ich hier zu geben haben würde, sehr erheblich
ankommen müsse, so bat ich zuvor um ein Glas Wasser. Man brachte mir
Wein. Ich stürzte es herunter und war nun wie neubelebt. Die Fragen,
die an mich gerichtet wurden, waren dieselben wie in Neufchateau, aber
ruhiger, weniger feindselig. Man wollte auch hier einen Offizier aus
mir herauspressen, um so mehr als das vom Gensdarmeriecapitain
ausgestellte Begleitpapier mich ohne weiteres als einen solchen
angemeldet hatte, meine Erscheinung und Sprachweise aber, vor allem die
Notizen meines Taschenbuchs, die ein Interprete rasch durchfliegen
mußte, schienen im Ganzen die Situation zu meinen Gunsten zu ändern. Es
kam nur darauf an, ob dieser Eindruck dauern oder durch irgend etwas
anderes paralysirt werden würde.

Das ganze Verhör hatte kaum 10 Minuten gedauert; ich wurde entlassen
und durch meine Begleiter einige Straßen weiter in ein graues
schloßartiges Gebäude geführt. Ich betrat es mit einer gewissen
Zuversicht, die sich darauf gründen mochte, daß ich, am Schluß meines
Zwiegesprächs mit den beiden Capitainen, das Wort »Kaserne« gehört zu
haben glaubte, ein Wort, das mir in der Lage, in der ich mich befand,
schon halb wie Freiheit klingen mußte. Ich sollte indeß nicht lange in
diesem Irrthum bleiben. Ein kleiner, schwarzäugiger Franzose (Monsieur
Bourgaut, wie ich später erfuhr) nahm mich in Empfang, stellte die
üblichen Fragen und führte mich dann Trepp’ auf, über lange Corridore
hin, in ein geräumiges, in allem übrigen aber meinen Erwartungen wenig
entsprechendes Zimmer. Mr. Bourgaut selbst war ungemein beweglich und
geschäftig, plapperte mit halblauter Stimme lange Sätze vor sich hin,
die ich nicht verstand und verschwand dann rasch, nachdem er sich wie
ein Kreisel verschiedene Male umgedreht hatte. Das Ganze gefiel mir
nicht allzu sehr. Mit einer Art Sehnsucht dachte ich an meinen alten
Palazot zurück.

Ich war nun allein und suchte mich mit meiner neuen Behausung bekannt
zu machen. Die Thür war auf geblieben, das schien mir ein gutes
Zeichen, aber freilich auch das einzige. Das breite Fenster war dicht
vergittert, der Deckenkalk in großen Stücken herabgestürzt, die Dielen
zernagt oder durchgetreten. An den weißen Wänden war nichts sichtbar
als breite, braune Flecke, wo es durchgeregnet, und lange schmale
Streifen, mal grau, mal roth, wo ein Vorbewohner ein Zündholz probirt
hatte. Der Kamin war zugemauert, nur ein zweihandgroßes Loch hatte man
gelassen, das jetzt durch einen rostigen Eisenschieber geschlossen war.
Der Zugwind machte, daß dieser Schieber beständig hin und her
klapperte, was mir alsbald unerträglich wurde. Ich wollte also durch
eingeklemmtes Papier nach Möglichkeit Ruhe schaffen und zog den
Schieber in die Höhe. In dem dunklen Loch dahinter lagen abgenagte
Knochen. Es war nichts Aengstliches, nur Ueberreste eines Mahls, das
ein Gefangener von besserem Appetit als ich selber, an dieser Stelle
eingenommen hatte; aber ich kann doch nicht sagen, daß ich angenehm
dadurch berührt worden wäre.

Ich trat nun an das Fenster und durch die Gitterstäbe hinunterblickend,
mußte ich jetzt den letzten Rest der Vorstellung aufgeben, daß ich mich
in einer Kaserne befände. Aus dem von allen vier Seiten
eingeschlossenen Hofe, zum Theil unter den Säulen, die ihn
colonnadenartig umstanden, saßen 20 oder 30 Graujacken und zupften
Wolle. Ich wußte nun wo ich war. Auch an der allerdirektesten
Bestätigung sollte es alsbald nicht fehlen. Monsieur Bourgaut erschien
mit einem Tische in der Thür, drehte sich mit demselben wieder dreimal
herum, schob ihn in eine der Ecken und sagte dann, als er meiner in der
Fensternische gewahr wurde: »≈Retirez vous; vous ne connaissez pas ces
gens là bas; ce sont des Condamnés≈«. Es überlief mich ein wenig. Im
Verlaufe meiner Kriegsgefangenschaft bin ich später Tag um Tag mit
»Condamnés« zusammengewesen und habe dabei erfahren, daß auch ein wegen
Trunkenheit oder Disciplinarvergehen zu drei Tagen Gefängniß
Verurteilter diesen für unser Ohr entsetzlichen Namen führt. Damals
aber waren mir die Condamnés noch einfach »Verdammte« und ich hatte
durchaus das Gefühl mich »≈tra la perduta gente≈« zu befinden.

Ich wurde gefragt, welches Nachtessen ich zu nehmen wünsche? Ich bat
nur um etwas Thee. Mr. Bourgaut äußerte sich zustimmend (leider wieder
in längerer Rede) und empfahl sich. Es begann nun zu dämmern; in ihren
schweren Holzschuhen klappten und polterten die Condamnés über alle
Treppen und Gänge des ehemaligen Schlosses hin; die Riegel wurden
vorgeschoben; nur mein Zimmer blieb zunächst noch offen. Die Thür war
leise angelegt. Ich schritt in der Diagonale auf und ab, überlegte,
berechnete, balancirte, ein letzter Tagesschimmer leuchtete noch einmal
über den Dachfirst gegenüber; dann wurd’ es dunkel. Ich setzte meine
Marschübungen fort. Plötzlich stutzte ich, als ich von der Thür her
zwei feurige Punkte auf mich gerichtet sah. Ich erschrak, aber nur, um
im nächsten Momente mich desto freier zu fühlen. Eine prächtige Katze
hatte ihren halben Körper durch die Thürklinse geschoben und folgte
unter leisem Spinnen, mit dem Ausdruck der Verwunderung, meinem
endlosen Auf und Ab. Ich rief »Miß, Miß«, besann mich dann aber rasch,
daß die französischen Katzen eine andere Anrede verlangen und legte in
das landesübliche »≈mimi≈« meinen allerzärtlichsten Ton. Ich hatte wohl
Grund dazu. Der Anblick meines liebsten Freundes hätte mir nicht so
viel Trost gegeben. Ich wußte jetzt, daß ich die nächste Nacht schlafen
würde. Und danach vor allem stand mein Sinn.

Selbst Mr. Bourgaut, der noch einmal wiederkam, um mir meinen
Abend-Thee zu bringen, konnte mich in diesem Vorsatz und dieser
Hoffnung nicht stören, so wenig auch die Worte, mit denen er sich mir
empfahl, geeignet waren, meiner Nachtruhe Vorschub zu leisten. Er nahm
nämlich eine gewisse feierliche Haltung an und erklärte dann, um vieles
deutlicher und accentuirter als gewöhnlich: ≈Demain matin, Mr. le
Général, en présence des autorités civiles et militaires, #décidera
votre sort#≈.

Dies »≈décidera votre sort≈« hatte einen ziemlich finstern Klang, und
ein nahe liegendes Reimwort antwortete in mir darauf; aber das
Physische war doch in diesem Augenblicke mächtiger, als alles andere;
ich trank meinen Thee und 5 Minuten später schlief ich fest.

Ich weiß nicht wie lange. Aber mitten in der Nacht fuhr ich auf. Der
Körper hatte sich ein Genüge gethan und die unruhige Seele, die bis
dahin vergeblich den wie todt Schlafenden gerüttelt und geschüttelt
hatte, hatte ihn jetzt plötzlich ins Leben zurückgeweckt. Es war
»≈demain matin≈«. Ich hörte nur eins: »≈décidera votre sort≈«. Welches?
Eine furchtbare Angst ergriff mich und mit übergeschäftiger Phantasie
fing ich an zusammen zu addiren, was alles gegen mich sprach. Es gab
eine hübsche Summe. Luneville, Nancy, Toul waren die drei Punkte, von
woher man die Preußen erwartete. Ich #kam# von Toul. Der ganze Weg, den
ich gemacht, war ein Defilee. Man hatte Waffen bei mir gefunden. Das
rothe Kreuz, das an meinem Arm prahlte, war ich nicht befugt zu tragen,
wenigstens nicht nach Anschauung unserer Feinde. Meine
Legitimations-Papiere, die alle mehr oder weniger auf Anrufung der
preußischen Militair-Autoritäten zu meinem Schutz und zu meiner
Unterstützung hinausliefen, sprachen mehr gegen als für mich. Wie
federleicht wogen dagegen die paar Aufzeichnungen meines Notizbuches,
die alles waren, was ich direkt und unverzüglich zu meiner
Vertheidigung beibringen konnte! Ich sah nur schwarze Kugeln in die
Urne fallen und — ≈mon sort #fut# décidé≈. Eine halbe Stunde lag ich
so, oder vielleicht länger, ich weiß es nicht. Dann hatt’ ich mich mit
der Gewißheit meines Schicksals auch wieder gefunden. Eine Fassung kam
über mich, deren ich mich nicht für fähig gehalten hätte. Ich war
fertig mit Allem und bat Gott, mich bei Kraft zu erhalten und mich
nicht klein und verächtlich sterben zu lassen. Genug davon. War es
Erschöpfung, oder war es die Ruhe vollster Ergebung, — ich schlief
wieder ein.

Mit dem Morgengrauen war ich wach. Ob mir’s ein Traum eingegeben,
gleichviel, es stand plötzlich für mich fest, daß #Alles# davon
abhänge, einen wenigstens vorläufigen Beweis zu führen, daß ich nicht
preußischer Offizier sei. Von dem Momente ab, wo es mir geglückt sein
würde, diese Annahme zu erschüttern, werde man nichts mehr übereilen,
und erst über die nächsten 24 Stunden hinweg, müsse sich, bei
Nachforschung und ruhiger Ueberlegung, meine absolute Unschuld wie von
selbst ergeben. Um 6 Uhr saß ich an dem langen Tisch, den Mr. Bourgaut
am Abend vorher zurecht gerückt hatte, um 8 Uhr war ich in Brouillon
und Abschrift mit einem langen Memoire fertig, das bereits um 9 Uhr auf
dem Büreau des Generals lag. »≈Donnez-moi du temps et vous me donnez
tout≈« hieß es darin. Den Beweis meiner Nicht-Militairschaft hatte ich
bis zur Evidenz geführt. Woher mir in einer fremden Sprache, die ich
stets über Gebühr vernachlässigt hatte, die Möglichkeit kam, ohne
Diktionnair oder sonstiges Hilfsmittel, ein solches Memoire zu
schreiben, weiß ich nicht. Oder sag’ ich lieber: ich weiß es.

Der Vormittag verging, der Nachmittag, der Abend. ≈Les autorités
civiles et militaires≈ waren nicht zusammengetreten. Es fiel mir wie
eine Last von der Brust, ich athmete auf und als mir mein
zappelmännischer Mr. Bourgaut, mit dem ich mich, trotz seiner
schießenden schwarzen Augen, mehr und mehr auszusöhnen begann, am Abend
den Thee brachte, flüsterte er mir freundlich zu: ≈Tout va bien,
tranquillisez-vous≈! »≈Tranquillisez-vous≈«. Das klang besser als
»≈Décidera votre sort≈«. Ich schlief fest. Auch der nächste Tag verging
ohne Kriegsgericht. Ich durfte jetzt annehmen, daß ich gerettet sei.
Ich fühlte mich dem Leben wiedergegeben.

Ich blieb noch eine kurze Zeit in Langres, während welcher Epoche hin
und her verhandelt wurde, was man eigentlich mit mir machen solle?
Meine vollkommenste Unschuld war evident, dennoch konnte man sich nicht
entschließen, mir ohne Weiteres die Freiheit zurückzugeben. Es geschah,
was immer in solchen Fällen zu geschehen pflegt: #eine# Autorität schob
einer #andern# die Verantwortlichkeit zu. Es wurde beschlossen, mich
von der Brigade an die Division zu verweisen. Ehe dies aber ausgeführt
wurde oder auch nur bestimmt zu meiner Kenntniß gelangte, vergingen
noch drei Tage. Diese waren mein Idyll zu Langres.

An dem ersten dieser drei Tage wurde mir in aller Morgenfrühe »Monsieur
Louis«, der Sohn des Hauses, durch Papa Bourgaut vorgestellt und von
diesem Moment an war ich nicht mehr Alleinbewohner meines Gefängnisses,
sondern theilte es mit »≈mon cher Louis≈«. Es war ein allerliebster
Junge, dreizehnjährig, frisch, naiv, voller Begabung, namentlich nach
der Seite des Künstlerischen hin. Der Umstand, daß gerade die großen
Ferien waren, machte es ihm möglich, 12 Stunden des Tages mein
Gesellschafter zu sein. Ich gewann den Jungen lieb, aber 12 Stunden war
doch fast zu viel.

Wunderbares Leben, das in solchem Gefängniß, wenigstens zeitweilig, an
der Tagesordnung ist. Sehr viel anders, als es der Draußenstehende sich
ausmalt. Wir begannen in der Regel mit einer Stunde deutschen
Unterricht. Er hatte Lesebücher, darin auch viele deutsche Gedichte
eingestreut waren, unter andern Claudius’ »Abendlied«. Und so lasen wir
denn:

  Der Mond ist aufgegangèn,
  Die goldenen Sterne prangèn,

immer mit dem Accent auf der letzten Sylbe, was einen unendlich
komischen Eindruck machte. Nach dem deutschen Unterricht kamen Räthsel
und Rebus an die Reihe, worin er mir unendlich überlegen war. Dann
schritten wir zu den verschiedensten Gesellschaftsspielen; wir
arrangirten mit großen Zwei-Sousstücken eine Art Boccia, die darauf
hinauslief, das ausgeworfene Zwei-Sousstück zu treffen, oder ihm
möglichst nahe zu kommen; dann gingen wir zum ≈jeu au bouchon≈ über,
das, dem eben absolvirten Boccia verwandt, die Pointe verfolgte, einen
mit Sousstücken belegten #Pfropfen# zu treffen, bis zuletzt jenes
bekannte Geduldspiel, das im Französischen ≈junchets≈, im Englischen
und Holländischen »Spilleken«, im Deutschen aber #Zitterspiel# heißt,
alles andere in den Hintergrund drängte. Wir spielten es mit
Schwefelhölzern, oft mehrere Stunden lang; an einem dicken Exemplar,
das eigentlich aus drei, durch Phosphormasse zusammengeklebten Hölzchen
bestand, hing in der Regel der Sieg. Es galt als Zehner.

Waren wir dann ermüdet von dem vielen Spielen, so wußte cher Louis
durch eine Art ernsteren Sport die Nerven wieder zu beleben. Er hatte
ein kleines Pistolet, dessen Lauf nur etwa die Dicke einer Rabenfeder
besaß, und gegen welches die rostigen Schlüsselbüchsen meiner Jugend
wahre Monstrekanonen waren. Dieses Pistolet handhabte ≈cher Louis≈ nun
mit eben soviel Kühnheit wie Geschick. Er holte eine Schachtel mit
Amorces, d. h. also mit Knallpapieren, deren jedes nur die Größe eines
kleinen Stückchens englischen Pflasters hatte. Diese Amorces verwendete
er doppelt: zunächst als #Zünd#pulver, indem er eins der Stückchen
Papiere auf die #Pfanne# legte, dann aber namentlich auch als
eigentliche Explosionsmasse, indem er aus etwa 6 oder 8 Amorces die
Knallsubstanz sandkorngroß herausschälte und mit diesen 6 oder 8
Körnchen die Waffe lud. Ein Schrotkorn, das dem Kaliber entsprach,
wurde aufgesetzt. Nun hefteten wir eine Papierscheibe an die Wand, und
während Papa Bourgaut unten in seinem entlegenen Büreauzimmer Listen
schrieb und revidirte, standen wir hier oben mit unserer Mordwaffe und
feuerten auf 5 Schritt ins Schwarze, daß der Kalk von den Wänden flog.

Endlich am Mittag des fünften Tages — ich hatte all die Zeit über von
Kaffee und Thee gelebt — erschien mein »≈Gardien-chef≈« (Bourgaut), um
mir mitzutheilen, daß ich am nächsten Morgen nach Besançon transportirt
werden würde. Er hielt eine lange Rede, noch länger als gewöhnlich. Ich
konnte nicht völlig folgen und bat ihn, mir den Inhalt aufzuschreiben.
Er war bereit. Zum Unglück schrieb er aber ebenso rasch wie er sprach,
und ich war wenig gebessert. In dieser Verlegenheit blieb mir, nach dem
Verschwinden des Papas, nur der Appell an ≈cher Louis≈. »≈Louis, dites
moi, qu’est c’est que ça?≈« Der Junge las, las wieder, drehte das
Papier, endlich schüttelte er den Kopf und sagte ruhig: »≈ce n’est pas
français≈«. In naiver Weise, ohne Beimischung von eigentlicher
Unbescheidenheit, sprach sich darin das Gefühl jener Ueberlegenheit
aus, das immer die Söhne über den Vater haben. Nach Scheiterung beim
Sohne mußte ich am Ende, wohl oder übel, an die erste Instanz zurück.
Papa Bourgaut nahm die Anfrage weiter nicht übel und faßte nunmehr
epigrammatisch die Situation dahin zusammen: »≈renvoyé dans votre pays
par la Suisse, ou autorisation supérieure pour séjourner en France≈«.
In diesen paar Worten lag ein ganzer Himmel. Das »≈Renvoyé≈« ergab sich
danach als das stärkste Strafmaß, das mir zudiktirt werden konnte, wohl
aber war mir die Möglichkeit gegeben, im Lande bleiben und meine
Schlachtfelder-Studien fortsetzen zu können. Ich war wie genesen,
betrachtete mich als frei und hundert freundliche Bilder des
Wiedersehens stürmten auf mich ein. Das Gefühl des Glückes war so groß,
daß ich die Frage, »ob ich unter diesen Umständen wohl geneigt sei, ein
ordentliches Abendmahl einzunehmen«, sofort mit einem herzlichen »ja«
beantwortete. Acht Uhr wurde festgesetzt und Seitens der Familie
Bourgaut der Wunsch ausgesprochen, daß ich das Mahl in ihrem
Familienzimmer einnehmen möchte. Ich rüstete mich also mit aller
möglichen Feierlichkeit, klopfte meinen Rock an allen vier Bettpfosten
aus, streichelte den hart mitgenommenen Sammtkragen und knöpfte die Uhr
ein, die bis dahin, ordnungsmäßig deponirt, nur für diese feierliche
Gelegenheit wieder eingehändigt worden war.

Punkt 8 Uhr trat ich in den Salon, ein großes Hinterzimmer, das sich
bis dahin meinen Blicken verborgen hatte. Es war sehr sauber gehalten,
auf der Heerdstelle brannten große Scheite Buchenholz; während über dem
Kamin, in einer Art von Aureole, die Photographien aller derer hingen,
die dem Hause Bourgaut anverwandt oder zugethan waren. Ich musterte sie
alle und versuchte mich in Hypothesen über Charakter und
Lebensstellung. Wir nahmen endlich Platz, ≈cher Louis≈, der etwas
neckisch und übermüthig war, wurde ein paar Mal mit »≈ce n’est pas
poli≈« zur Ruhe verwiesen, die gute Laune erlitt aber durch solche
Zwischenfälle keine Einbuße, und die Riesentaube, die mir endlich durch
Madame Bourgaut vorgesetzt wurde und freilich einer ganz anderen
Geflügelgattung anzugehören schien, als jener furchtbare
Sperlingsbraten, der bei uns zu Lande unter diesem Namen servirt zu
werden pflegt, war nur im Stande, die gute Laune zu steigern. Das Fest
stand auf seiner Höhe, als beim dritten oder vierten Glase Wein eine
mittelalterliche Dame eintrat, die den Namen »Tante« führte. Sie war
sehr stark, unverheiratet und von heiteren Gesichtszügen. Wir sprachen
von »≈cher Louis≈«, dessen Pathe sie war, und die Bemerkung drängte
sich mir auf, ob ihr Liebling, eben unser Freund Louis, nie Geschwister
gehabt habe? Als dies verneint wurde, ging ich zu der heiklen, übrigens
von der Statistik oft aufgeworfenen Frage über: wie es nur komme, daß
die Franzosen meist 2, die Deutschen meist 4 und die Engländer meist 14
Kinder hätten? Diese letztere Zahl, mit der ich es nicht allzu genau zu
nehmen bitte, gab nun das Signal zu allgemeiner Heiterkeit. Die Tante,
die zu fühlen schien, daß sie es wohl verdient hätte in England geboren
zu sein, befand sich ≈au comble du bonheur≈ und ihr Lachen fing an mich
mehr oder weniger zu beunruhigen. Es war nur möglich, durch irgend eine
Diversion weiterem Unheil vorzubeugen; ich brachte also ein halbes
Dutzend Toaste aus, gleichviel was, ließ Frieden, Freiheit, Völkerglück
leben, stieß mit Allen an, mit der Tante dreimal, und trat dann, etwas
abrupt, meinen Rückzug an, ohne das Ende der Festlichkeit abgewartet zu
haben.

Oben rollte ich meine paar Sachen in die Reisedecke hinein und warf
mich aufs Bett. In 12 Stunden hoffte ich in Besançon, in 24 Stunden in
Freiheit zu sein.

Es war anders beschlossen.




4. Von Langres bis Besançon.

  Ei, wie geputzt! das schöne junge Blut!
  Wer soll sich nicht in euch vergaffen?
    Faust.


Besançon, wie schon angedeutet, erschien mir lediglich als Etappe
zurück in die Freiheit. Ganz abgesehen von den direkten Zusicherungen
Mr. Bourgauts, glaubte ich, nach einem gewissen ästhetischen Gesetz,
die Lösung des Konflikts innerhalb der nächsten 24 Stunden erwarten zu
müssen. Mein Leben hatte mir bis dahin immer den Gefallen gethan, sich
nach künstlerischen Prinzipien abzurunden, derart, daß ich nicht nur
Exposition, Schürzung und Lösung des Knotens jederzeit bequem
verfolgen, sondern auch in einem gewissen Verwickelungsstadium genau
vorhersagen konnte: nun kommt noch #das#, dann dämmert es wieder und
dann wird es Tag. So, guter Dinge, stand ich auch vor #diesem#
Erlebniß. Der dritte Akt, der tragisch werden wollte, schien mir mit
allen Fährlichkeiten überwunden, selbst der vierte Akt (die Tante und
der Taubenbraten) lag glorreich hinter mir und ich blickte auf Besançon
wie auf ein bloßes Schlußtableau, in dem, nach dem Vorbilde des
Fürsten, der plötzlich seinen Stern zeigt und alles glücklich macht,
ein alter wohlwollender General auftreten und mir sagen würde: »≈Mr.
F.≈, wir beklagen die Ungelegenheiten, die wir Ihnen gemacht haben; Sie
sind ein lieber Mensch; reisen Sie glücklich.« Es ging aber diesmal
alles verquer; von regelrechter Entwicklung keine Rede. Immer neues
Wirrsal. Erst als ich ganz resignirt war, wurd’ es besser.

Ich fahre jetzt in Darstellung meiner Erlebnisse fort. Sechs Uhr früh
am anderen Morgen trat ich in den Hof des Gefängnisses; die Gensdarmen
warteten schon. Ein kurzer Abschied; dann ging es im Geschwindschritt
bis an den Bahnhof. Diesmal #bergab#. Die frühe Morgenstunde sicherte
einigermaßen vor der Zudringlichkeit der Bevölkerung.

Es war naßkalt; ein heftiger Regen hatte erst gegen Morgen aufgehört;
alle Thüren des Wartesaals standen offen. Ich fand hier Gesellschaft,
die gleich mir ins Land hinein transportirt werden sollte, aber nicht
nach Besançon. Einer von ihnen war ein gefangener Unteroffizier vom 32.
Regiment (Meiningen). Wir fröstelten alle, die Gensdarmen in ihren
Mänteln nicht ausgenommen. Nach etwa halbstündigem Warten setzten wir
uns in ein Coupé (immer 2. Klasse) und fuhren südwärts. Ich fragte, ob
ich mich mit meinem Landsmann in deutscher Sprache unterhalten könne,
was ohne Weiteres zugestanden wurde. In welche Lebensschicksale man in
solchen Zeiten Einblick gewinnt! Dieser gefangene Unteroffizier, seines
Zeichens eigentlich ein kleiner Kaufmann aus Cöslin, war 24 Jahre alt
und seit zwei Jahren verheirathet. Mit dem Moment seiner Einberufung
hatte er seinen Kramladen geschlossen und seine Frau den
Schwiegereltern zurückgeschickt; er selbst war zum 32. Regiment
beordert worden. Bei Wörth am Knie verwundet, hatte er nach seiner
Wiederherstellung sich mit einigen Kameraden durchzuschlagen und die
preußischen Marschlinien wieder zu gewinnen gesucht, war aber auf
diesem Wege »beim Absuchen eines Dorfes« (denn die armen Kerle hatten
nichts) von Franctireurs umstellt und nach kurzem Kampfe, wobei ihm die
linke Hand zerschmettert wurde, als »Marodeur« eingefangen worden. Da
saß er mir nun gegenüber, keinen Pfennig in der Tasche, blaß,
rothblond, mager, ein krankes Eichkätzchen, nur weniger warm bekleidet.
Er hatte nichts als seinen Waffenrock, seine zerschossene Hand und eine
Photographie seiner Frau, die er mir zeigte. Ich gab ihm etwas Geld,
was er anfangs nicht nehmen wollte; »er brauche nichts, allabendlich
werde er in ein französisches Hospital abgeliefert, wo ihn die
»Schwestern« bis diesen Tag gütig gepflegt und verbunden hätten.« Es
kam kein Klagelaut über seine Lippen; man transportirte ihn nach
Marseille. »Da ist es wärmer« setzte er hinzu, während ihn die
Morgenfrische kalt überlief.

Mein Gespräch mit dem landsmännischen Unteroffizier mochte eine
Viertelstunde gedauert haben; es war nun Zeit mich meinen eigentlichen
Begleitern zu widmen. Sie ließen mir auch keine Wahl; namentlich der
eine, ein alter Chasseur d’Afrique, der 20 Jahre in Algier gewesen war,
bemächtigte sich meiner. Wie ein Sturzbach brach es über mich herein.
Wer dabei geneigt sein möchte anzunehmen, daß solche Passivität, solch
bloßes Stillhalten, zu dem ich mich verurtheilt sah, am Ende nicht als
große Anstrengung betrachtet werden könne, der irrt. Ein taubes,
#theilnahmloses# über sich ergehen lassen wird von dem Sprecher sehr
bald als solches erkannt und als persönliche Beleidigung empfunden; es
handelte sich also für mich darum, immer auf dem ≈qui vive≈ zu sein und
jeden Augenblick zu wissen, was obenauf schwamm. Ich wurde ganz
erschöpft und mit eigenthümlichen Empfindungen gedachte ich einer
Strachwitz’schen Douglas-Ballade.

  Sie ritten vierzig Meilen fast
  Und sprachen Worte nicht vier.

Beneidenswerther Douglas! Wir hatten noch nicht vier Meilen gemacht und
waren längst in die Tausende hinein.

Endlich heuchelte ich Schlaf, schloß mit krampfhafter Gewalt die Augen,
als vermöcht’ ich durch gesteigertes Zudrücken auch eine größere
Garantie der Ruhe zu gewinnen, und rasselte nun in wachen Träumen ins
Land hinein. Etwa halben Wegs erreichten wir Gray, einen größeren Ort,
wo angehalten wurde. Es gab ein wirres Durcheinander, dem ich mich,
durch Ausharren auf meinem Platze, zu entziehen suchte; aber ich sollte
nichtsdestoweniger in die bunte Scene, als eine Art Mitspieler,
hineingezogen werden. Das Coupé stand offen, Hunderte, die ein
Unterkommen suchten, starrten hinein und verschwanden wieder, sobald
sie die Plätze belegt oder besetzt sahen, bis plötzlich aus einer
dieser auf und ab wogenden Gruppen ein herzliches Lachen und zugleich
die Worte zu mir herklangen: ≈Bon jour, Monsieur; vous souvenez-vous de
Domrémy?≈ Einen Augenblick, weil ich das Wort »Domremy« nicht deutlich
gehört und #ohne# dies Wort keinen Schlüssel zum Verständniß hatte,
starrte ich wie verwirrt in die beständig grüßende und nickkopfende
Soldatengruppe hinein, bis es mir endlich wie Schuppen von den Augen
fiel. Der Vorderste, in rother Schärpe und Hahnenfeder war einer jener
Herren, die meine Verhaftung vor dem Hause der »Pucelle« herbeigeführt,
hinterher aber freilich die Rechnung wie quitt machend, durch ihren
Beistand mich vor den Insulten des Dorfpöbels gerettet hatten. Gerade
eine Woche war seitdem vergangen. Die ganze Franctireursschaft von
Domremy zog jetzt südwärts, um sich dem großen, unter Garibaldi zu
bildenden Freicorps anzuschließen. Unser Wiederzusammentreffen, so weit
von dem Schauplatz unserer ersten Begegnung entfernt, weckte allgemeine
Heiterkeit, auch bei denen, die blos flüchtig davon hörten, und alles
drängte herbei, um die augenblickliche Bahnhofs-Sehenswürdigkeit von
Gray wie einen alten Bekannten zu grüßen.

Hier in Gray ging auch der 32er Unteroffizier auf eine andere Bahnlinie
über; wir anderen fuhren, unter Beschreibung einer Curve, zunächst auf
Auxonne zu. Dies ist abermals ein Kreuzungspunkt; wir mußten die Wagen
wechseln und hatten eine halbe Stunde Zeit, um ein kleines Dejeuner zu
bestellen. Ein interessanteres Frühstück hab’ ich all mein Lebtag nicht
eingenommen. Es traf sich, daß wir unter den Ersten im Wartesalon
waren, also einen guten Platz und einen Imbiß erhalten konnten, eh’ der
Rest, der, von einer Seitenlinie her, ziemlich gleichzeitig mit uns
eintraf, seinen Sturm auf das Büffet ausführen konnte. Es waren etwa
500 Soldaten, die sich alle auf Dijon, Belfort und Besançon zu
dirigirten. Wenn ich sage 500 Soldaten, so giebt dies freilich eine nur
sehr unvollkommene Vorstellung von dem »Wallenstein’s Lager«, das sich
auf 10 Minuten hier in Scene setzte. Theaterhaft bunt drängten sich
Linie, Gardes mobiles und Legionaire; die Hauptmasse bildeten die
Franctireurs. Ich konnte sie nicht ansehen, ohne immer wieder an einen
lesenswerten Aufsatz Hugo v. Blomberg’s zu denken: »Ueber das
Theatralische im französischen Volkscharakter.« Welche natürliche
Begabung sich zurecht zu machen, sich zu drapiren und ornamentiren! Es
war nicht Einer unter ihnen, von dem man nicht hätte sagen können:
seht, welch ein Bild! Bei jedem ein Ueberschuß von Roth, aber immer
kleidsam, als Gürtel, Schärpe, Aufschlag. Viele hatten ein Gefühl
davon, wie hübsch sie aussahen, und schritten an dem breiten
Pfeilerspiegel des Wartesalons nie vorüber, ohne einen Blick
hineinzuthun und sich »befriedigend« zu finden. Alle Jahrgänge waren
vertreten und neben rothbäckigen jungen Leuten, die kaum die
Kinderschuhe ausgezogen, bewegten sich Weißköpfe, alte Troupiers, die
ersichtlich froh waren, aus dem langweiligen Alltagsleben heraus und
wieder in frisches Wasser hinein zu kommen. An Haß oder Hohn gegen den
»Prussien«, als den sie mich natürlich sofort erkannten, war gar nicht
zu denken; sie waren zu gutmüthig dazu, vielleicht auch zu sehr mit
sich selbst beschäftigt. Eine Frage aber drängte sich mir beständig
auf: Wer regiert diese Truppe? Sie schienen absolut führerlos zu sein.

Nach halbstündigem Aufenthalt ging es weiter auf Besançon zu. Wir kamen
bald in seine Nähe und fuhren gegen 2 Uhr in den weiten Kessel hinein,
in dem die Stadt gelegen ist. Die Befestigungen derselben umgürten
nicht unmittelbar die Stadt, sondern sind auf den einschließenden
Bergen gelegen. Bis zum Ausbruch des Krieges, vielleicht bis zur
Kapitulation von Sedan, war »≈la Citadelle de Besançon≈« das eigentlich
beherrschende Fort. Von dem Augenblick an aber, wo es feststand, daß
der Krieg auch hier seinen Schauplatz suchen werde, mußte man sich wohl
oder übel überzeugen, daß die Citadelle zwar die Stadt beherrsche,
ihrerseits aber von den nahegelegenen Kuppen #höherer# Berge beherrscht
#werde#. Man schritt denn auch sofort zur Befestigung und Armirung
dieser eigentlich dominirenden Punkte und in diesem Augenblicke mag
Besançon als eine der am besten befestigten Festungen des Landes
gelten.

Der Weg vom Bahnhof bis zur Kommandantur war wieder so weit wie
möglich; wir mußten durch die ganze Stadt hindurch. Ich habe Besançon
nachher noch öfter passirt (beispielsweise wenn die Verhöre
stattfanden) und ich fasse gleich an dieser Stelle zusammen, wie es
sich mir #überhaupt# präsentirte. Daß es zur Hälfte aus Uhrmachern
besteht (20,000) und als der eigentliche Konkurrenzort von Genf zu
betrachten ist, setze ich als bekannt voraus. Die Stadt macht einen
sehr guten Eindruck, wohl zumeist deshalb, weil sie einen bestimmten
Charakter, ein Gesicht für sich hat. Alle charakteristischen Städte
wirken viel anheimelnder, als die architektonisch-korrekten; ja die
#malerische# Schönheit — ich erinnere nur an Kopenhagen — ist so
entschieden siegreich über die #bauliche#, daß wir zuletzt jede Stadt
schön nennen, die wie ein reizendes #Bild# uns berührt.

Als eine solche präsentirt sich auch Besançon. Seine Quaderhäuser, mit
keinem anderen Façadenschmuck als einem Balkon oder einem Bogen am
Fenster, sind freilich weder sonderlich originell, noch pittoresk;
desto mehr jedoch sind es seine Kirchen. Vor allem die alte Kathedrale.
Aber nicht sie allein. In der Mitte der Stadt erhebt sich ein moderner
Bau, die Johannis- oder Magdalenenkirche. Ich bin, was den Namen
angeht, meiner Sache nicht sicher. Desto sicherer steht das Bild vor
meinem Auge. Pfeiler mit korinthischem Kapitell schaffen eine
griechische Front, aus der zugeschrägt ein tumulusartiger Thurm
aufwächst, der gewiß der Schrecken jedes geschulten Architekten ist.
Aber nicht des Malers. Man verweilt mit Interesse bei dieser
Baumeisterlaune und ein goldenes, weithin leuchtendes Kreuz, das aus
Stäben reich geflochten wie eine Riesen-Filigranarbeit das Ganze
bedeutungsvoll abschließt, adelt es und giebt ihm den kirchlichen
Charakter.

Wir hatten endlich die Kommandantur, die hier den Namen »≈la Division≈«
führt, erreicht und nahmen in einem Vorzimmer auf einem
Armensünderbänkchen Platz. Ein beständiges Kommen und Gehen von
Adjutanten und Ordonnanzen; so vergingen fast zwei Stunden. Die
Gensdarmen, die nach ihrem Mittagbrod verlangten, wurden ungeduldig.
Endlich erschien ein blasser Herr, dessen ausgearbeiteter, beinahe
kahler Schädel in einem argen Größen-Mißverhältniß zu dem kleinen
Gesichte stand. Die Augen waren klug und lebhaft. Er musterte mich
scharf und rasch mit einem bloßen Streifblick, wie Leute das thun, die
für das Beleidigende des Anstarrens eine feine Empfindung haben. Er
überreichte dann dem Gensdarmerie-Brigadier mehrere Papiere; ich hörte
meinen Namen und gleich darauf die ruhige Weisung: »≈à la Citadelle≈«.




5. Die Citadelle von Besançon.

    ≈Misery acquaints a man with strange
  bedfellows.≈
        ≈Shakespeare (Tempest).≈


Ich hatte dies »≈à la Citadelle≈« keineswegs erwartet, vielmehr von
unmittelbarer Freilassung und Unterbringung in einem Hotel geträumt;
nichtsdestoweniger erschreckte mich diese Ordre nicht geradezu. Ich
entsann mich eines Besuches, den ich vor vielen Jahren einmal auf der
Spandauer Citadelle gemacht hatte, und knüpfte an Festungshaft, die für
mich ohnehin nur 24 Stunden dauern konnte (so wähnte ich), die
Vorstellung von Nachmittagskaffee und einer Partie Sechsundsechszig.
Welche Illusionen!

Der Berg war wieder sehr hoch. Wir passirten zunächst im Hinaustreten
aus der Stadt ein triumphbogenartiges, höchst pittoreskes Portal,
hinter dem sich (schon am Abhange des Citadellberges) die Kathedrale,
eine mächtige Jesuiterkirche, erhob. Ich suchte mir ihr Bild
einzuprägen, reckte den Hals und stieg immer höher; alles im
Geschwindschritt. In Freiheit — bei attestirter Herz- und
Lungenschwäche — hätte ich geglaubt, auf dem Platze bleiben zu müssen;
#hier# ging es. Auf dem niedrigen aber breiten Mauerwerk, das den Weg
einfaßte, streckten sich die dienstfreien Mannschaften der Citadelle
und schliefen in den allerwunderlichsten Positionen. Die meisten lagen
auf dem Bauch und hatten ein oder auch beide Beine rechtwinklig in die
Höhe. An ihnen vorbei, über eine Zugbrücke hin, mündete der Weg endlich
auf einen Vorplatz, den allerhand Bauten unregelmäßig umstanden. An der
einen Steinwand, dicht neben einem schmalen Thorwege, hing ein Brett
mit verwaschener Inschrift: ≈Prison militaire≈.

Das sah nicht sehr einladend aus; meine Hoffnungen sanken jetzt rapide,
wie das Wetterglas bei Erdbeben. Die Ablieferung erfolgte unter den
üblichen Formalitäten und ein alter Sergeant führte mich an ein
langgestrecktes Haus mit fünf Thüren, deren Inschriften auf ≈Prévenus≈,
≈Disciplinaires≈ und ≈Condamnés≈ lauteten. Es hatte aber mit diesen
Unterschieden nichts auf sich, alles wurde durch einander geworfen.
Nachdem wir in die verschiedenen Thüren hineingeguckt, kehrten wir
endlich zur ersten zurück, und der Sergeant belehrte mich dahin, daß
ich hier zu wohnen haben werde. Es war ein gewölbter Raum von
bedeutender Tiefe, in dem damals 12 Pritschen standen; auf der zwölften
befand sich ein Berg von Strohsäcken; ein Dutzend Gefangene gingen im
Zimmer auf und ab oder saßen auf den Bettständen umher. Mein Eintreten
machte nicht das geringste Aufsehen; man war an solche Erscheinungen
gewöhnt. Ich legte mein kleines Bündel (mein Reisegepäck war in Toul
geblieben) auf ein Wandbrett und setzte mich, um mich von der
Anstrengung des Bergsteigens zu erholen. Die erste Anfrage, die an mich
erging, war: »ob ich mich für die »Abendsuppe« einschreiben lassen
wolle«, was ich ohne Weiteres ablehnte, da ich doch mindestens
dieselben Ansprüche wie in Neufchateau und Langres auch an #dieser#
Stelle glaubte erheben zu können. Ich begab mich denn auch in das
Büreau des Vorstandes, welcher letztere den Titel »≈Monsieur le
Principal≈« führte und stellte ihm mein Anliegen vor, das auf ein
Zimmer und selbstständige Beköstigung lautete, aber rundweg
abgeschlagen wurde. Dies sei unmöglich. In einem ≈prison militaire≈
existire dergleichen nicht.

Gut. Ich kehrte auf meinen Bettplatz zurück, kreuzte die Hände über’m
Knie und starrte in’s Blaue, soweit dies an diesem Orte möglich war.
Nach einer halben Stunde, auf ein Signal, das mir entgangen war,
stürzte alles auf den Hof und kehrte nach 2 Minuten mit der schon
erwähnten »Abendsuppe« zurück, die ich so stolz abgelehnt hatte. Ich
sollte indeß nicht zu kurz kommen. Ein junger badischer Gefreiter, mit
dem ich mich gleich in den ersten Minuten bekannt gemacht hatte,
stellte einen glücklich eroberten Kübel vor mich hin und forderte mich
auf zu kosten. Ich mußte es schon Artigkeits halber. Es war heißes
Wasser, mit Brot und Kartoffel, durch etwas Salz und Zwiebel
schmackhaft gemacht. Ich aß und nahm von da ab an der allgemeinen
Gefangenenkost Theil. Sie bestand in einer Fleischsuppe Morgens und
einem halben Laib Brod. Wein, Käse und die Abendsuppe waren erlaubte
Extras, für die aber gezahlt werden mußte. Mir wurde später (als ich
leicht erkrankte) #Thee# bewilligt; aber dabei blieb es. Ich habe dies
ohne besonderes Herzeleid ertragen und an mir selber wieder die alte
Wahrnehmung gemacht, daß die sogenannten »verwöhnten Leute«, wenn sie
nicht absolute Gecken sind, sich in den Wechsel der Glücksumstände am
leichtesten finden. Die Bekanntschaft mit den Finessen und Delikatessen
des Lebens macht zuletzt ziemlich gleichgiltig dagegen; ihr Werth ist
ein relativer, oft geradezu ein imaginairer, und die flüchtigste
Erkenntniß davon macht es einem verhältnißmäßig leicht, #diese# Art von
Opfer zu bringen.

Es hatte freilich bei #dieser# Art von Opfern nicht sein Bewenden;
Härteres, #sehr# Hartes wurde mir zugemuthet. Indessen es sei drum. Die
Dinge liegen hinter mir, und es thut nicht gut, ja es schädigt einen
geradezu, die ganze ≈petite misère≈ eines solchen Daseins auf den Tisch
zu legen. Misère weckt Mitleid, aber auch ≈dégoût≈. Es ist, als ob es
auch von #diesen# Dingen hieße: ≈aliquid haeret≈. Ich lasse Gras
darüber wachsen und führe lieber Erlebnisse vor, über die leichter und
lachender zu berichten ist. Ich beginne mit Schilderung einzelner
Persönlichkeiten, die mir das Schicksal zu Bettgenossen gab. Mit
einigen war ich die ganze Zeit über, volle 18 Tage, zusammen, andere
schieden früher, theils um ihre Freiheit wiederzufinden, theils um in
Kriegsgefangenschaft landeinwärts geführt zu werden.

Ich lasse dem #deutschen# Elemente, das anfangs ziemlich stark
vertreten, zuletzt nur noch in einzelnen Exemplaren vorhanden war, den
Vortritt. An der Spitze desselben, nicht seinen Jahren, aber allem
andern nach, stand der junge badische Gefreite, »≈le caporal badois≈«,
dessen ich schon erwähnt habe. Wir schlossen eine Freundschaft, soweit
dies der Altersunterschied zuließ.

Er war aus Pforzheim, eines reichen Fabrikanten Sohn, und würde,
frischen, braven Herzens wie er war, nach dem Vorbilde der »400
Pforzheimer« gewiß tapfer gefallen sein, wenn ihn das Schicksal in eine
ähnliche Situation gestellt hätte. Aber gleich im ersten Gefecht, das
er mitzumachen hatte, war ihm der Auftrag geworden, nicht in
Gemeinschaft mit 399 andern, sondern #ganz allein#, eine
Munitionscolonne aus Saint-Dié, wenn ich nicht irre, herzubeordern; auf
diesem Einsamkeitsmarsche war er durch ein Dutzend Franctireurs
umstellt und gefangen genommen worden. Seine äußere Erscheinung ließ
ihn im ersten Augenblick kaum als reicher Leute Kind erkennen. Der
badische Waffenrock, den er trug, saß noch schlechter als ein
preußischer (was viel sagen will) und in Folge dicker Leibbinden und
Unterhosen hatte sich das ganze Brust- und Rückenstück des Rockes nach
oben geschoben. Der Eindruck davon verschwand aber in demselben Moment
wo er lachte, und er lachte viel. Er präsentirte dann vier
Schneidezähne, die nur an den Rändern leise lädirt, eine feine kaum
haarbreite Goldeinfassung erhalten hatten. Unverkennbar ein
zahnärztliches Meisterstück und muthmaßlich enorm theuer. Diese vier
Zähne wirkten wie die Visitenkarte eines Banquiersohnes. Wir waren fast
14 Tage zusammen und plauderten das Mannigfachste durch. Er schwärmte
für Preußen, hielt uns ohne Weiteres für ein Heldengeschlecht und hatte
bei seinem ersten Verhör dem Colonel eine Rede in diesem Sinne
gehalten, die freundlich aufgenommen und ein paar Tage später in den
Lokalblättern von Besançon ≈in nuce≈ gedruckt worden war. Ich muß
hinzufügen, daß er geläufig französisch sprach. Dies alles war gut;
aber weitaus am meisten interessirte es mich doch, wenn er leuchtenden
Auges über den Juwelenhandel einen kleinen Vortrag hielt. Dann erschloß
sich mir eine neue Welt. Gerade auf diesem Gebiet hatte ich wenig
Gelegenheit gehabt, mich zu orientiren. So jung er war, so sprach er
doch von Smaragden, wie andere junge Leute von schönen Augen sprechen.
Er schilderte mir einen Besuch in einem Pariser Juwelenladen, den er im
Sommer 1870, kurz vor Ausbruch des Krieges, gemacht hatte, wobei ihm
die Sorglosigkeit, mit der die Besitzer ihr Geschäft betrieben, das
Imponirendste gewesen war. Auf eine bloße Empfehlungskarte hin, hatte
man ihm für 6000 Francs Smaragden mit nach Pforzheim gegeben, alles
rasch und ≈sans phrase≈, während junge und alte Juwelenkäufer (meist
Juden) an den andern Tischen des Lokals standen, die Diamanten aus
ihren Baumwollpacketen herausnahmen, nebeneinander auf die flache Hand
legten und minutenlang sich in den Anblick dieser Herrlichkeit
vertieften; dabei zugleich jede kleinste Werth- und Schönheitsnüance
erkennend. »Das #Bijouterie#-Geschäft«, so schloß er wohl, »hat seine
Reize, aber es ist klein, ärmlich, prosaisch neben dem #Steinhandel#.«

Ein #zweiter# Deutscher unserer Colonie führte den Namen: »≈le cocher
de Bismarck≈«. Er trug ein ächt preußisches Kutscher-Costüm mit
Stulpstiefeln, Wappenknöpfen und breiter Goldborte, und war in der Nähe
von Epinal, auf Spionage hin, verhaftet worden. Eine wunderliche Figur,
gutmüthig und schlau zugleich; bei Fritzlar im Hessischen zu Hause. Was
ihn mir interessant machte, war, daß er 17 Jahre lang als
Kunstreiter-Groom die Loissets, die Franconis, die Cinisellis begleitet
hatte. Ich darf sagen, in jeder Stadt Europas über 50,000 Einwohner war
er gewesen; er wußte in Petersburg, Konstantinopel und Lissabon gleich
vortrefflich Bescheid, sprach ein gutes Französisch, ein leidliches
Englisch und hatte von allen andern Sprachen wenigstens eine
oberflächliche Kenntniß. Ich muß bemerken, daß er niemals den
Gesellschaften als solchen, sondern immer nur einem einzelnen
hervorragenden Mitgliede derselben als Reitknecht und Pferdepfleger
angehört hatte. Die längste Zeit über war er bei einem ungarischen
Schärpen- und Reifenspringer gewesen, von dem er mit ungeheuchelter
Hochachtung sprach. Er betrachtete dies alles als ernsthafte #Kunst#,
lobte die Ordnungsliebe, die Sauberkeit, die Gewissenhaftigkeit seines
Herrn, stellte der Mehrzahl der Damen die glänzendsten Tugendzeugnisse
aus und ließ mich wieder recht empfinden, wie sehr wir Draußenstehenden
auf diesem wie auf ähnlichen Gebieten mit unsern Vorstellungen in die
Irre gehen. Die Welt ist oft schlechter als wir sie nehmen, aber noch
öfter vielleicht ist sie besser.

Der Dritte, zu dem ich in Beziehung trat, war »≈le maître d’école≈«,
ein Deutsch-Franzose. Ich konnte mich anfangs nicht mit ihm befreunden,
theils weil er etwas Sonderbares, beinahe Unheimliches in seinem
tiefliegenden Auge hatte, theils weil ich das Bild des »Schulmeisters«
aus den Geheimnissen von Paris nicht los werden konnte. Es kam dazu,
daß er sich beim Sprechen etwas zierte und durch Correctheit und
obligate Nasaltöne den »≈maître d’école≈« beglaubigen wollte. Er war,
wie so viele andere, denuncirt und verhaftet worden, weil er mit einem
preußischen Offizier gesprochen hatte. Endlich kam der ersehnte Tag der
Freiheit; daheim in Lothringen saß seine Frau mit sechs Kindern. Aber
wie hin kommen? Er fragte mich, ob ich ihm das Reisegeld geben könne.
Ich that es ohne Weiteres. In solchen Zeiten empfindet man doppelt:
gieb, auf daß #Dir# gegeben werde. Dem Manne traten die Thränen in die
Augen und er dankte mir herzlich, übrigens ohne sich das Geringste zu
vergeben. Der eigentliche Gewinner war ohnehin ich. Hatte ich dem Manne
einen Dienst geleistet und seine Dankbarkeit erworben, so war ich ihm
doch ungleich mehr verpflichtet, daß er mir die Gelegenheit dazu
gegeben hatte. Die Kunde von dieser Großthat lief wie ein Feuer durch
die ganze Citadelle von Besançon; ich war auf einen Schlag »etablirt«,
man gab mir ungesucht eine exceptionelle Stellung und der alte
Sergeant, auf den ich wohl noch zurückkomme, adressirte sich immer mit
den Worten an mich »≈un homme comme vous≈«. Ich hatte Ursach, mich
Alles dessen zu freuen; zugleich empfand ich schmerzlich die furchtbare
Macht des Geldes. Wen diese Worte etwas verwunderlich anblicken, der
vergesse nicht, daß unter Blinden der Einäugige König ist. Es schlug
vielleicht manch gütigeres Herz auf der Citadelle von Besançon; aber
was frommte es, so lange sich diese Güte nicht »berechnen« und nicht in
Zahlen ausdrücken ließ.

Neben dem Schulmeister schlief »≈le bon tireur≈«, ein schöner Mann, an
dem nur auszusetzen war, daß er es zu sehr wußte. Er kam aus Rom, hatte
ein Jahr lang der Legion von Antibes angehört, und diente jetzt, wie
viele andere seiner alten Kameraden, in einem Marsch-Bataillon. Die
Geschenke hübscher Frauen, dazu die zahlreichen Prämien, die er sich
als brillanter Schütze erworben (er trug immer einen breiten Leibgurt,
der in Front die Lederhülsen für mindestens 30 Patronen aufwies),
hatten ihn sichtlich verwöhnt und gaben seinem elastischen Gange,
seiner beinahe eleganten Tournure doch ein Maß von Prätension, das zu
seiner Stellung nicht paßte. Er war wegen Hochfahrenheit zahllose Male
bestraft und saß jetzt hier, weil er auf den Zuruf seines Capitains
»≈vous êtes un lâche≈« geantwortet hatte »≈pas plus que vous≈«. Er
machte beständig Vorstellungen an den General, in denen er eine
ähnliche kecke Sprache führte und sich auf sein gutes Recht steifte,
»weil er zuerst beleidigt worden sei«. Auf meine Bemerkung, daß solche
Eingaben, in so selbstbewußtem Tone abgefaßt, in Preußen ganz unmöglich
seien, antwortete er nur mit superiorem Lächeln: »≈Je sais, je sais:
vous avez encore le régime du bâton; nous sommes plus libre en
France.≈« Er ließ sich das auch nicht ausreden.

Eine andere Figur war »≈le raconteur≈«, der Liebling und das Ferment
der ganzen Gesellschaft. Er machte mir das Bett, gab mir sein
Strohkissen, deckte mich mit seiner Decke zu, so daß ich eigentlich
nicht weiß, wie er sich durch die kalten Nächte durchgeschlagen hat. Er
war ein ausgesprochener Humorist und hatte, neben seinem
Spaßmacherthum, vor allem auch jene Herzensgüte, ja jene Feinheit der
Empfindung, die den wirklichen Humoristen allemal charakterisirt. Er
erzählte sehr gern, aber im Erzählen beobachtete er beständig, ob er
vielleicht Anstoß gäbe, oder durch ein Zuviel die Geduld erschöpfe;
glaubte er derartiges wahrzunehmen, so schwieg er sofort und wartete
ab, bis er ermuntert wurde, den Faden wieder aufzunehmen. Er hatte ein
Paar Diensthosen verkauft, um seine Kameraden in Wein freihalten zu
können; darauf hin war er, nachdem ihn eben #diese# Kameraden angezeigt
hatten, zu 6 Monaten verurtheilt worden. Für mich ein offenbarer
Vortheil. Ich liebte ihn förmlich. Bei weiterer Schilderung meiner Tage
in Besançon komme ich auf ihn zurück.

Der letzte, von dem ich zu sprechen gedenke, war »≈le penseur libre≈«,
ein kleiner, kratzbürstiger Kerl, nah an funfzig, seines Zeichens ein
»Kommissionär in Hülsenfrüchten«. Er war eingesperrt worden, weil er
den Preußen eine Ladung Mehl verkauft hatte. In einem scharfen
Gegensatz zu dieser merkantilen Beschäftigung stand sein geistiges
Leben. Er war Philosoph; sein Lieblingsschriftsteller Victor Cousin,
dessen gediegene Uebersetzungen der klassischen Literatur, griechisch
wie lateinisch, er besaß, beziehungsweise auswendig konnte. In einer
Anzahl kleiner blauer Notizbücher, die er als ≈Vademecum≈ auch mit ins
Gefängniß genommen, hatte er sich die Weisheit des Alterthums für den
Hausgebrauch zurecht gemacht. Gleich den zweiten Tag fragte er mich, ob
es mir Recht sei, Seneca’s Betrachtungen über den Tod, über das ruhige
sich schicken ins Unvermeidliche, zu lesen? Ich hielt es für artig,
»ja« zu sagen, und mußte nun zwei Stunden lang meinen Kopf und meine
Augen anstrengen, um mich in diesen »Blaubüchern« zurecht zu finden,
die für mich wenigstens das Schicksal aller ≈blue books≈ theilten,
ziemlich langweilig zu sein. Solche Gedanken aus sich heraus zu
gebären, sie #selbstständig# zu haben, kann Trost verleihen und das
Gemüth adeln; es zurecht gemacht an sich herantreten sehen, ist
mindestens unfruchtbar. Da wirkt ein Gesangbuchvers von Paul Gerhardt
doch anders! Es blieb nun aber nicht blos bei Seneca. Dieser furchtbare
penseur libre hatte, mit Hülfe seines Victor Cousin eine eminente
Kenntniß von Plato, Tacitus, Plutarch und vielen andern noch, und
vielleicht niemals hat ein deutscher ≈homme de lettres≈ vor einem
französischen Hülsenfruchthändler eine so kümmerliche Rolle gespielt,
wie ich. Er wußte Alles, ich wußte nichts. Glücklicherweise war ich
nicht in der Stimmung, über diese constanten Niederlagen mich besonders
zu grämen. Auch bin ich ihm das Zeugniß schuldig, daß er mich nie
ironisch behandelte, und sein offenbares Uebergewicht keinen Augenblick
mißbrauchte.

Ich versuche nun, nachdem ich den Leser mit den »Spitzen der
Gesellschaft« bekannt gemacht habe, ihm im Weiteren einen Tag zu
schildern, wie wir ihn in der Citadelle zuzubringen pflegten.

Um 6 Uhr rasselte draußen das Schlüsselbund, die schwere Thür wurde
geöffnet, der Sergeant trat ein, und das Abzählen begann, um
festzustellen, daß über Nacht nichts von der Heerde verloren gegangen
sei. Wir waren zuletzt 22 in einem ursprünglich für höchstens 12
Personen bestimmten Raum. Dem Ueberwerfen der nothwendigsten
Kleidungsstücke folgte draußen auf dem Hof der Waschprozeß;
abgetrocknet wurde an den Bettlaken, die von der Nacht her noch etwas
Wärme conservirten. Einige Aristokraten der Gesellschaft, zu denen ich
leider nicht gehörte, hatten es bis zu einem Handtuch gebracht. Nur ein
Stück »≈Monstre-Savon≈« war mir von Langres her geblieben.

Nun begann der Morgenspaziergang, und zwar in einem mit Flußkieseln
bestreuten Hofe, der 40 Schritt lang und 15 Schritt breit sein mochte.
Von diesen 15 Schritt in der Breite waren aber wieder 5 Schritt zu
einer Art Terrasse abgeschnitten, welche letztere ein Allerheiligstes
bildete, das von uns nicht betreten werden durfte. Es war die
»Gartenanlage« der Citadelle, auf deren Beeten etwas Kerbel und
Petersilie, an der Wand aber ein wie verkrüppelte Georginen aussehendes
Strauchgewächs wuchs. Es trug Tomaten-Aepfel, die nicht reif werden
wollten.

Wie es für etwa 80 Menschen möglich wurde, auf diesem Stückchen Hof ein
oder zwei Stunden lang spazieren zu gehen, weiß ich nicht; gleichviel
es geschah. Der blaue Himmel, die Morgenfrische thaten meinen Sinnen
wohl, nur wurde dies Behagen, durch unliebsame Töne aus der Ferne her,
häufiger unterbrochen, als mir angenehm sein konnte. Es war in der
Regel 7 Uhr; eine Salve krachte herüber; das Echo antwortete in den
Bergen. Eine Gruppe trat dann zusammen, einer warf den Cigarren-Rest in
die Luft und sagte ruhig: heute werden drei erschossen. Ich konnte
nicht gleichgültig dabei bleiben; wie ein physischer Schmerz ging es
mir oft durch die Brust.

Die Promenade wurde fortgesetzt; die Meisten lachten, plauderten;
wenige trugen schwer. Zwischen 8 und 9 hieß es in viertelstündigen
Pausen: »≈à l’eau≈«, »≈du pain≈«, »≈la commission≈«, Schlachtrufe, die
jedesmal ein halbes Dutzend Personen abriefen, die nun Wasser und Brod
für die Gesammtheit herbeizuschaffen, oder aber (»≈la commission≈«),
die #Extras# in Empfang zu nehmen und zu vertheilen hatten. Alle diese
Rufe waren aber bedeutungslos neben dem Rufe »≈à la soupe≈«, der
ungefähr um 9½ Uhr laut wurde. Nun stürzte Alles der Küche zu und
kam mit Schüsseln und Kübeln zurück, die eine leidlich gute
Fleischbrühe enthielten; die einzig warme Mahlzeit, die
vorschriftsmäßig und gratis verabreicht wurde. Ein gutes Stück Fleisch
war wie ein Gewinn in der Lotterie.

Nach der Suppe begann eigentlich wieder eine mehrstündige
Einschließung, die von 10 Uhr früh bis 4 Uhr Nachmittags zu dauern
hatte. Dies wurde aber nie in voller Strenge inne gehalten, eines
Theils wohl, weil wir ohnehin über alle Gebühr hinaus eingepfercht
waren, andern Theils, weil wir tagelang Regenwetter hatten, und die uns
dadurch auferlegte, totale Einsperrung an den klaren Tagen, schon um
unserer Gesundheit willen, wieder ausgeglichen werden sollte. Ein
starker Bruchtheil der Gesellschaft zog sich aber um 10 oder 11 von
selbst, aus eigenem Antrieb, in die Kasemattenräume zurück, um sich zu
strecken oder Briefe zu schreiben, oder Dame zu spielen. Dies letztere
geschah in ziemlich ingeniöser Weise. Auf jeder Pritsche befand sich
ein mit Bleistift oder Dinte aufgezeichnetes Damenbrett, dessen Steine
einerseits aus den leicht beschaffbaren Kieseln des Hofes, andererseits
aus rund geschnittener Brodkruste bestanden. Alle Franzosen spielten es
gern und mit besonderem Geschick. Mitunter verirrte sich ein
Zeitungsblatt in unsere Mitte; hinter dem letzten Bettstand, der mit
seinen aufgetürmten Strohsäcken wie ein Schirm wirkte, etablirte sich
auch wohl eine geheime Piquetpartie; unbeweglich daneben saß der
≈penseur libre≈ und las Abhandlungen über die Frage: »Wann einer
Zeugenaussage zu trauen sei und wann nicht.«

Endlos waren diese Stunden von 10 bis 4; sie hatten aber doch ihre
Unterbrechungen, einmal, wenn der Kommandant der Citadelle und der
Ronden-Offizier ihren Umgang hielten, namentlich aber, wenn »Neue«
eintrafen oder die in bloßer Untersuchungshaft gehaltenen aus dem
Verhör in der Stadt zurückkamen. Durch diese Elemente hingen wir mit
der Welt zusammen und folgten dem Laufe der Politik und des Krieges. Ob
das Berichtete wahr war oder nicht, war der Mehrzahl völlig
gleichgültig; es unterhielt doch. Den einen Tag war General Moltke
erschossen, den nächsten Tag gefangen, den dritten hatte er einem
Kriegsrathe präsidirt; der König, der Kronprinz, Prinz Friedrich Karl,
alle waren sie einige Tage lang todt, um dann wieder unter den Lebenden
zu erscheinen. Es fiel keinem ein, sich über diese Widersprüche zu
verwundern; man nahm sie als selbstverständlich hin; ja, man war
vielleicht dankbar dafür. Der Stoff wuchs auf diese Weise. Etwa in der
Mitte des Monats erschien Garibaldi in Besançon; drei, vier Tage später
hieß es, »die Preußen rücken an«; mit beiden Nachrichten hatte es
ausnahmsweise seine Richtigkeit. Es wurde viel von »in die Luft
sprengen« gesprochen, und im Großen und Ganzen bemächtigte sich des
deutschen Elements ein wenig behagliches Gefühl bei der Aussicht, von
den eigenen landsmännischen Granaten todtgeschossen zu werden. Ich
machte dem liebenswürdigen Kommandanten der Citadelle, der sich oft
halbe Stunden lang mit mir unterhielt, eine halb scherzhafte
Vorstellung darüber, worauf er ruhig antwortete: »Ja, diese
#Obergewölbe# sind in 5 Minuten weggeblasen«. Der Trost, der uns daraus
erfloß, war begreiflicherweise gering.

Die Preußen (es war die badische Division) hatten sich uns inzwischen
mehr und mehr genähert. Am 23. hieß es: Heute giebt es eine Schlacht; 8
Kilometer von hier, bei Chatillon #müssen# sie zusammenstoßen. Und in
der That, es kam zu einem Gefecht. Wir hörten deutlich den Donner der
Kanonen und von dem Tisch unseres Gefängnisses aus, der uns gestattete,
durch die obersten Scheiben hindurch, über die Festungsmauer
fortzusehen, folgten wir einzelnen Bewegungen nachrückender
französischer Bataillone. Einige von uns schwuren, den Lichtstreifen
fliegender Granaten deutlich an dem schwarzgrauen Regenhimmel gesehen
zu haben. Um 5 Uhr Abends kam Meldung aus der Stadt: »≈1200 Badois sont
captivés, ils arriveront ce soir encore.≈« Zwei Stunden später trafen
auch wirklich die Gefangenen ein. Es waren aber nur fünf. Als ein
echter Oberländer gefragt wurde: »wo denn die 1200 seien«, antwortete
er ruhig: »’s is halt a Trost, wenn mer mit 500 ins Gefecht geht, kann
mer nit 1200 verliere«. Ich übersetzte es, was sofort allgemeine
Heiterkeit erweckte. Von Groll keine Spur.

So war es Sonntag den 23. Oktober. Aehnlich an anderen Tagen. Wir
lebten von Gerüchten. Erst die »Abendsuppe«, die bei Dunkelwerden
servirt wurde, machte regelmäßig der politischen Diskussion und — dem
Tage selbst ein Ende. Mit dem Moment, wo die Blechlöffel wieder hinter
dem Brett steckten, fiel der Vorhang. Die Nacht begann.

Nun rasselte, wie am Morgen, das Schlüsselbund; der Sergeant, ein alter
≈grognard≈, passirte abermals unsere Reihen mit hochgehobener Laterne,
zählte die Häupter seiner Lieben und verschwand dann mit einem
freundlich-bärbeißigen: ≈bon soir, messieurs.≈ Eine halbe Stunde später
lag alles ausgestreckt unter den Decken, jeder mit einer Nachtmütze
über der Stirn und nur »≈le raconteur≈« hockte noch auf seinem
zusammengerollten Zeugbündel und wartete auf das Signal zum Erzählen.
Er war die Scheherezade dieses Kreises, dem die Aufgabe oblag, den
Sultan »Volk« in Schlaf zu erzählen. Es gab ein halbes Dutzend
Lieblingsgeschichten: ≈le dragon vert, le curé et le saint esprit,
Milord à Paris≈, — alle liefen sie auf Liebesabenteuer, auf Spott gegen
die Geistlichkeit und auf Ridikülisirung der Engländer hinaus. Das
letztere war meist das Wirksamste. Unendliche Heiterkeit begleitete
diese Vorträge, und nie hätte ich es für möglich gehalten, in einem
Kasemattengefängniß einem solchen Uebermaß von guter Laune, von Lachen
und Ausgelassenheit zu begegnen. Ich stimmte dann und wann mit ein,
ohne recht zu wissen, um was es sich handelte. Das Lachen selbst war so
herzlich, daß es mit fortriß.

Diese Erzählungen dauerten oft 2 Stunden. Um 8 Uhr hielten dann mehrere
Trommeln und Hörner, eine Art großer Zapfenstreich, ihren Umgang um die
Citadelle, und in dem Moment, wo sie schwiegen, klangen von Besançon
die Abendglocken der Cathedrale herauf. Ein paar leidenschaftliche
Raucher fuhren manchmal mit dem Streichholz über die Wand hin, um die
verglimmende Pfeife neu zu beleben; ein flüchtiges Licht blitzte durch
den dunklen Raum; noch ein paar Züge, dann schliefen auch sie. Alles
still.

Nacht lag über der Citadelle von Besançon.




6. Rückblicke.

  So lang der Wirth nur weiter borgt,
  Sind sie vergnügt und unbesorgt.
                            Faust.

  Es kann die Ehre dieser Welt
  Dir keine Ehre geben,
  Was Dich in Wahrheit hebt und hält
  Muß in Dir selber leben.


Ich war 18 Tage in Besançon; am 29. Oktober verließ ich es, um, quer
durch Frankreich hindurch, über Lyon und Moulins, dann über Poitiers
und Rochefort nach der Insel Oléron im atlantischen Ocean geschafft zu
werden. Die letzten drei Tage auf der Citadelle waren mir in
verhältnißmäßigem Comfort vergangen; ich hatte sie, in Folge
eingetretener Intervention, im Offizier-Gefängniß zugebracht, wo ich,
in allem was Speis’ und Trank angeht, in der angenehmen Lage gewesen
war, meiner Gewohnheit gemäß oder wie es im Französischen heißt — »im
Einklang mit meinem ≈ancien régime≈« leben zu können. Ein Ausdruck, der
mich jedesmal amüsirte. Ueber diese »guten Tage von Besançon« berichte
ich in aller Kürze im Eingange des nächsten Kapitels; aber #hier#
schon, als am passendsten Platz, versuche ich die Eindrücke
wiederzugeben, die ich in fast dreiwöchentlichem Zusammenleben mit
französischen Soldaten und Civilpersonen verschiedenster Art, von dem
Charakter des Volkes, von den Vorzügen und Schwächen desselben
empfangen habe.

Es ist Pflicht zu sagen, daß diese Eindrücke die allerangenehmsten
waren und daß ich mir keine Nation denken kann, die in #so# vielen,
ihrer aufs Gerathewohl gewählten Repräsentanten im Stande wäre, ein
günstigeres Urtheil hervorzurufen. Im Allgemeinen wird man sagen
können, daß, je nach den Landestheilen, in denen man lebt, auf 10 oder
7 oder 5 Individuen immer ein unleidlicher Mensch kommt; hier lebte ich
mit 70 oder 80 Gefangenen zusammen, die in der Zeit meiner Anwesenheit
zwei oder dreimal wechselten (so daß ich etwa 200 verschiedene Personen
kennen lernte) und nicht die geringste Unannehmlichkeit, geschweige
Unart habe ich zu erfahren gehabt; sie waren alle verbindlich,
rücksichtsvoll, zuvorkommend, dankbar für jeden kleinen Dienst, nie
beleidigt durch Widerspruch, vor allem #ohne Schabernack und ohne
Neid#. Wir könnten, nach #dieser# Seite hin, viel von ihnen lernen. Es
offenbarte sich mir ein unerschöpflicher Schatz von Gutmütigkeit,
leichtem Sinn und heiterer Laune. Lauter Sanguiniker. Viele waren
eitel, andere ruhmredig. Wenn ich aber den Rodomontaden dieser letztern
scherzhaft erwiderte, hatte ich jedesmal die Lacher auf meiner Seite.
Von nationaler Gereiztheit keine Spur, wiewohl sie alle, ohne Ausnahme,
voll lebhaften, patriotischen Gefühls waren. Auch ihr #Bildungsgrad#,
um das noch zu bemerken, hatte mindestens, bei sonst gleichen
Voraussetzungen, das Niveau des unsrigen, wie ich denn überhaupt
glaube, daß wir uns nach #dieser# Seite hin, allzu selbstgefälligen
Vorstellungen hingeben. Wir glauben eine Art #Schul-Monopol# zu
besitzen und es giebt Leute unter uns, die, einen alten »Dieterici« in
der Hand, wo möglich den Beweis führen möchten, daß jenseit der
deutschen Grenze alles Lesen und Schreiben aufhöre, wie etwa 20,000 Fuß
hoch das Athmen aufhört.

Ich #meinerseits# habe indessen immer nur gefunden, daß die Bewohner
anderer Kulturländer, besonders der westlichen, nicht schlechter lesen,
wohl aber erheblich besser schreiben können, als die Menschen bei uns.
So in England, Schottland, Dänemark; so auch wieder in Frankreich. Die
statistischen Zahlen um deshalb zu befehden, fällt mir nicht ein; sie
werden schon richtig sein. Es wird unzweifelhaft, namentlich in England
und Frankreich, ganze Volksschichten geben, die ich nicht kennen
lernte, #unterste# Schichten, die von der Schule unberührt, mithin auch
unerobert blieben; die Zahlen sollen also bestehen bleiben. Aber
gestützt auf eben diese Zahlen wächst für viele unter uns ein falsches
#Gesammtbild# empor, ein Bild, das von vornherein verschoben und immer
ins #Dunkle# retouchirt, schließlich einfach zu einem Zerrbild wird.
Hinterm Berge wohnen auch Leute. — Ich kehre nun zu meinen
Mitgefangenen zurück.

Sie waren liebenswürdig, gutherzig, neidlos (so etwa sagt’ ich); aber
so angenehm der Eindruck war, den sie als Individuen hervorriefen, so
traurig war der Eindruck, den jeder einzelne als Theil des Ganzen
machte. Sie boten das Bild völliger Zerfahrenheit, zu nichts eine
Herzensstellung einnehmend, als zu »≈La France≈« und zur
Ruhmesgeschichte ihres Landes. Dies ist etwas, aber nicht viel; oft
mehr eine Gefahr, als ein Segen. Losgelöst von allem Tieferen wird auch
die Vaterlandsliebe (die #dann# nur eine gewisse Form persönlicher
Eitelkeit ist) leicht zu einer Carrikatur, überschlägt sich und gewinnt
den Charakter des Hohlen, einer schillernden Seifenblase, eines Nichts.
Diese Wahrnehmung hatte ich sehr oft. Ein fester, schöner Glaube
existirte an nichts, weder an die Dinge der sichtbaren noch der
unsichtbaren Welt. Die Geistlichkeit wurde beständig verhöhnt, der
Kaiser war ein Spott, die Marschälle ein Gegenstand der Verachtung; ich
begegnete keiner anderen Ueberzeugung als der einen, daß #alles
käuflich sei#. Sedan war ein »≈job≈« im großen Stil; nur Mac-Mahon
behielt seinen diamantnen Glanz. Der französische Soldat hielt aus bei
ihm, wie der österreichische (1866) bei Benedek. Aber diese eine
leuchtende Ausnahme zeigte nur die Zweifelstrübe, in der man alles
andere erblickte, desto deutlicher. Regierung, Kirche, Gesetz, alle
drei waren nach ihrer Meinung nur da, um das Volk in Banden zu schlagen
und #sich selbst# zu behaupten und zu bereichern. Alles Einzelne sich
selber Zweck, nie im Dienst einer Idee, nie im Dienst des Ganzen! Der
Eindruck war kläglich und zeigte den tiefsten Verfall. Wie oft sprach
es still in mir: glücklich das Land, das diesen Heimsuchungen noch
nicht erlegen ist. Das Furchtbare einer Revolution, sie sei nun
berechtigt gewesen oder nicht, habe ich nie so lebendig empfunden wie
hier. Die klugen Engländer! Sie haben dasselbe gethan, aber sie haben
#eines# vermieden: #das Brechen mit der Tradition#.

So viel über meine Mitgefangenen. Auch noch ein Wort über
Wahrnehmungen, die ich, während der schlimmen Tage (denn sie waren
nicht alle schlimm) an mir selber machte.

Ich hob schon hervor, wie gleichgültig mich der Wechsel der äußern
Glücksumstände, der Wegfall des sogenannten Comfort berührte; ich fand
bald heraus, daß sich bei einer dünnen Fleischbrühe, einem Glase
Landwein und einigen Schnitten Weißbrod sehr wohl leben lasse, im
Grunde genommen besser als bei Majonnaisen und Nußtorte. Beiläufig eine
furchtbare Zusammenstellung, die durch einen zwischengeschobenen
Rehrücken nicht besser wird. Tag um Tag wurde ich an den Ausspruch
eines gefeierten Wiener Arztes erinnert, der mir vor Jahren
versicherte, »daß er erst Herr seiner Zeit und seines Geistes geworden
sei, seitdem er von einer Tasse Bouillon, etwas Brod und einigen Rüben
oder Erdäpfeln lebe.« Ich meinerseits trank viel #Thee#, aber nur um
mich zu erwärmen und durch Wärme gesund zu erhalten; von Wohlgeschmack
konnte bei dem seltsamen Gebräu, das auf der Citadelle von Besançon den
Namen »Thee« usurpirte, keine Rede sein.

So gleichgültig wie gegen allerhand »Lebensbedürfnisse«, die
schließlich eben #keine# Lebensbedürfnisse sind, beobachtete ich mich
auch gegen gewisse Ansprüche und Feinfühligkeiten des #Ehrenpunktes#.
Was mir, vier Wochen früher, ganz speziell auch auf #diesem# Gebiete
als eine Lebens-Unerläßlichkeit erschienen wäre, erschien mir jetzt als
Luxus und weil als Luxus auch als entbehrlich und abthubar. Dies
überraschte mich, als ich erst dazu kam, über diese Dinge nachzudenken,
am meisten; doch haben mir andere seitdem versichert, daß sie dieselbe
Gleichgültigkeit gegen all diese mannigfachen Formen und Scenen der
Erniedrigung, die eben keinem Gefangenen erspart werden, empfunden
hätten. Das durch die Straßen Geschleppt-, das Angegafft- und
Angestarrtwerden, das Geschrei und Gejohle des Pöbels, die
zudringlichen Fragen, das Hutabziehen- und Geradestehenmüssen, das
Abgezählt werden bei erhobener Laterne, all das war lästig,
bedrücklich, zu Zeiten #sehr# unangenehm; ich kann mich aber keines
Momentes entsinnen, wo ich all dies als ehrenrührig empfunden hätte.
Die Gefangenen, auf ihrem Transporte quer durchs Land, wurden meistens
gekettet; ich wartete ruhig auf den Moment, wo mir ein gleiches Loos
zufallen würde. Es blieb aus, es blieb mir erspart. Ich weiß aber, daß
auch #das# mich in meinem Gleichmuth wenig gestört haben würde. Man hat
das Gefühl des völligen Preisgegebenseins, des Ueberantwortetseins auf
Gnade und Ungnade und empfindet deutlich, daß die Uebergriffe, die sich
der Machthaber erlaubt, wohl die #Ehre dieses Machthabers, nicht aber
die eigene treffen können#. Vieles zudem, was Flitter ist, wird in
solchen Momenten als Flitter erkannt. Das Meiste, worin wir stecken,
ist #konventionell#! Der Stein des Gassenbuben, der gegen uns erhoben
wird, mag alles treffen, nur unsere Ehre nicht. Wie eine Zauberformel,
die hieb- und schußfest macht, schützt uns das alte: ≈Sancta
simplicitas.≈

Ich litt nicht unter dem Wegfall dessen, was man mit größerem oder
geringerem Recht als die künstlich gesteigerten Ansprüche einerseits
des Wohllebens, andererseits eines gewissen Gefühls-Luxus, ansehen
kann, aber ich litt dafür unter dem Wegfall #solcher# Dinge, die sich
der gebildete Mensch recht- und #pflicht#mäßig zur zweiten Natur
gemacht hat, unter dem Wegfall der Sauberkeit und alles dessen, was zum
geistigen Bedürfniß gehört.

Die Unmöglichkeit einer gewissen, wenn auch bescheidentlichen Pflege
des Körpers wurde peinlich genug von mir empfunden, und diese
Empfindung glaub ich, hat man nicht als etwas künstlich
Hinaufgeschraubtes anzusehen. Es ist Pflicht, auf eine Reihenfolge,
oder eine bestimmte Zubereitung von Schüsseln, wie bescheiden diese
immerhin sein mögen, auf launenhafte, unmotivirte Angewöhnungen, vor
allem auf alles, was den Charakter der #Verwöhnung# trägt, verzichten
zu können, aber es ist #nicht# Pflicht, #nicht# in der Ordnung, sich
gegen die Wasch- und Wasserfrage in allen ihren Stadien, in gleicher
Weise gleichgültig zu stellen. Es giebt freilich, und dies ist nicht
ironisch gemeint, einen äußersten Erhabenheits-Standpunkt, wo auch
#dies# wieder als ein Aeußerliches und Gleichgültiges abfällt, wie die
Geschichte der Märtyrer und der Heiligen lehrt, aber mit diesem Maße
hat der moderne Mensch nicht Anspruch gemessen zu werden. Für uns
liegen die Dinge so, daß mit dem Gefühl des äußerlichen Unsauberseins
mehr und mehr auch die Vorstellung einer gewissen innerlichen
Unreinheit über uns kommt, ein Gefühl, das uns gradatim allen Muth und
alle Zuversicht raubt, und uns schließlich dahin bringt, im tiefsten
Mißtrauen gegen uns selbst, jede Unbill als etwas Selbstverständliches
und Wohlverdientes hinzunehmen.

Ich litt hierunter, während der ersten Wochen in Besançon, wie schon
angedeutet, ziemlich erheblich; worunter ich aber doch noch mehr litt,
das war, daß auch meinem Geiste alles frische Wasser genommen wurde,
sich drin zu erlaben; die Berührung mit geistig Ebenbürtigem hörte auf
und ich verfiel der Phrase, dem Geschwätz, der Trivialität. Es bildete
sich eine Conversationsform aus, die ich als Greffier-, Schließer- und
Gensdarmen-Unterhaltung bezeichnen möchte, eine unsagbar schreckliche
Form geistigen Verkehrs, immer dasselbe, so daß ich zuletzt genau
berechnen konnte: »jetzt kommt das«. Der Wiederkäuungsprozeß erreichte
Grade, daß man sich das Leben hätte wegwünschen mögen. Das Aufsagen
meines auswendig gelernten Spruches von: »Reise auf den
Kriegsschauplatz, Anwesenheit in Toul und Verhaftung in Domremy«, weil
es sich hierbei um #Tatsächliches# handelte, um Realitäten, die Niemand
besser kannte, als ich, war dabei lange nicht das Schlimmste. Das
Schlimmste war die Conjectural-Strategie und die in den Wolken
schwebende hohe Politik, die ich ≈nolens volens≈ treiben mußte! Fragen,
über die sich Generalstab und Cabinet bis diese Stunde den Kopf
zerbrechen, hatte ich längst gelöst. Ich ließ beständig Armeen
marschiren, diese Armeen immer neue Curven und Schleifen bilden,
hunderttausende von Franzosen wurden bald hier, bald dort
gefangengenommen und nur drei Generale ließ ich als widerstandsfähig
und selbst gefahrdrohend für uns gelten, die alten Wintergenerale:
Dezember, Januar und Februar. So viel als Stratege. Meine
eigentlichsten Unthaten verübte ich aber doch als Taschen-Bismarck. Ich
schrieb die Waffenstillstands-Paragraphen, entwarf Präliminarien,
setzte den Tag des Friedens-Abschlusses auf 24 Stunden ganz genau fest
und zog die künftige Grenzlinie zwischen Frankreich und Deutschland mit
einer Sicherheit, die nur durch meine genaue Berechnung der
Kriegskosten übertroffen wurde. Ich habe (sonst gewissenhaft und
beinahe peinlich in Sachen der Unterhaltung) während dieser
Gefängnißwochen wahre Berge von Schwatzsünden auf mein Haupt geladen
und muß dennoch schließlich mich selber wieder dahin rechtfertigen, daß
ich nicht gut anders konnte, wenn ich nicht durch kühle Reservirtheit
alle Wohlgeneigtheit meiner Machthaber einbüßen wollte. Ich hatte
beständig ein Gefühl der Scham und des Unwürdigen, das in diesem
Auftischen vager, fundamentloser Hypothesen und willkürlicher
Redensarten lag, und dennoch

                  ... war es Sünde,
  So es noch einmal vor mir stünde,
  Ich thät es wieder, thät es doch.

[Illustration]




»≈Comme officier supérieur.≈«




1. Von Besançon bis Lyon.

  An der duftverlornen Gränze
  Jener Berge tanzen hold
  Abendwolken ihre Tänze.

  * * *

  Trübe wirds, die Wolken jagen
  Und der Regen niederbricht.
      Lenau.


Die letzten dreimal 24 Stunden meiner Gefangenschaft in Besançon
hatten, wie zu Eingang des vorigen Kapitels bereits bemerkt, ein
heitereres Kleid getragen als die vorausgehenden Wochen, freundlichere
Tage bereiteten sich für mich vor, wenngleich ich, in demselben Moment,
in dem sie begonnen, die bis dahin immer noch gehegte Hoffnung auf das
Bourgautsche »≈renvoyé dans votre pays≈« zu Grabe tragen mußte. Meine
#Freisprechung# erfolgte, aber nicht meine #Freilassung#. Ich habe bei
diesen Vorgängen noch einen Augenblick zu verweilen.

Am 15. Tage meiner Gefangenschaft erschien der Citadell-Kommandant,
mein besonderer Freund und Fürsprecher, in der großen Kasematten-Halle,
um mir mitzutheilen, daß sich das Kriegsgericht inzwischen von der
Wahrheit meiner Aussagen, will also sagen von meiner vollständigen
Unschuld, überzeugt habe. Der General indessen sei nichts destoweniger
der Ansicht, daß ich als Kriegsgefangener im Lande verbleiben müsse.
Wie aus meinem Notizbuche, meinen Papieren und meinen eigenen Angaben
hervorgehe, sei ich nicht nur mit vielen preußischen Offizieren
bekannt, sondern habe auch »militairische Augen«, denen die Zustände
und Vorgänge im Lande, die Befestigungen und Truppenbewegungen nicht
entgangen sein würden. Darauf hin sei es unmöglich, mich in meine
Heimath zu entlassen; ich würde vielmehr, mit einer Anzahl badischer
Gefangener, nach der Insel Oléron im atlantischen Ocean transportirt
werden.

So freundlich diese Worte gesprochen wurden, so trafen sie mich doch
zunächst sehr hart. Ich hatte mich eben immer noch mit Illusionen
getragen. Der Kommandant nahm dies wahr und gütigen Sinnes fuhr er
fort: »ich bin im Uebrigen erfreut, die böse Nachricht, die ich Ihnen
bringen mußte, durch eine gute einigermaßen balanciren zu können. Se.
Eminenz der Cardinal hat sich für Sie verwandt. Sie werden in Folge
dieser Verwendung als ≈officier supérieur≈ angesehen und bei ihrem
Eintreffen auf ≈île Oléron≈ einer relativen Freiheit theilhaftig
werden; Sie werden sich auf der Insel ungehindert bewegen können. Die
Bevölkerung der Westdepartements, besonders der Inseln, ist
liebenswürdig, gastfrei, human. Ich werde Ihnen zudem eine Empfehlung
an einen Freund und Verwandten mitgeben. Ihre Abreise wird sich noch
einige Tage hinausschieben; bis dahin aber werden Sie bereits all der
Vorrechte theilhaftig sein, die Ihnen von diesem Augenblick an
zuständig sind. ≈Mr. le Principal≈ (dies war die euphemistische
Bezeichnung für den Greffier) wird das Weitere veranlassen.« Ich
dankte; ein Soldat nahm mein Bündel und, unter Händeschütteln von
meinen Mitgefangenen Abschied nehmend, übersiedelte ich nunmehr
unverzüglich in das, auf einem anderen Citadellhofe gelegene,
aristokratische Viertel.

Ich blieb hier noch drei und einen halben Tag. Das Leben gewann wieder
Reiz; ich konnte schreiben, Zeitungen lesen, mich sammeln, ungestört
meinen Gedanken nachhängen. Es waren glückliche Tage. Meine besondere
Freude war der Kommandant, dem ich, wie schon erwähnt, von Anfang an so
viele Freundlichkeit zu verdanken gehabt hatte. »≈He took a fancy for
me.≈« Freilich hatte ich für diese Freundlichkeit auch meinerseits
schwer zu zahlen, denn eine Nachmittagsconversation, die nie unter zwei
Stunden, einmal aber volle #vier# Stunden dauerte, war eine Anstrengung
für mich, an die ich mit einem leisen Schauder zurückdenke. Es trat
dabei schließlich, mal für mal, ein Zustand völliger Erschöpfung ein,
in dem ich schon längst nicht mehr einen Gedanken, aber zuletzt auch
kein einzig Wort mehr finden konnte. Wie immer dem sei, es war
wohlgemeint, und ich befand mich genau in einer Lage, in der mir das
Wohlwollen eines Menschen, noch dazu eines Vorgesetzten, #Alles#
bedeuten mußte.

Am 29. Oktober, drei und eine halbe Woche nach meiner Gefangennehmung
in Domremy, wurde ich in meine eigentliche Kriegsgefangenschaft, »≈far
in the West≈« abgeführt. Die Reise quer durchs Land, so lehrreich, so
anregend, so bedeutungsvoll sie war, war doch ein neues Schreckniß. Wer
als Kriegsgefangener durch Frankreich geschleppt worden ist, weiß, was
das sagen will. Die Begegnungen und Erlebnisse auf dieser zehntägigen
Reise gebe ich nun in diesem zweiten Abschnitt.

Sechs Uhr früh (am 29.) traten wir auf dem Hofe an, außer mir noch 5
kriegsgefangene Badenser. Im Geschwindschritt ging es den Berg
hinunter, an Jesuitenkirche und Kommandantur vorbei, auf den Bahnhof
hinaus. Die Bevölkerung ließ uns ruhig ziehen. Der Nebel fiel fast wie
ein Regen.

Von Besançon bis Lyon werden noch nah an 30 Meilen sein. Die Landschaft
bot anfangs nichts Besonderes, nur wo wir Flüsse zu passiren hatten,
zeigten sich Bilder von eigenthümlichem Reiz. An den Ufern hin, oft auf
Landzungen, die sich bis in die Mitte des Stroms erstreckten, erhoben
sich schloßartige Gehöfte mit Rundthurm und Spitzdach; hohe
italienische Pappeln, die alle noch ihr herbstlich gelbes Laub trugen,
bildeten die Avenuen oder standen in Gruppen um das Gehöft umher; es
berührte mich, als wäre ich all diesem auf Gallerien, in breitem
goldenen Rahmen schon mal begegnet.

So ging es 15 oder 20 Meilen weit. Da änderte sich das Bild. Wir hatten
die Jura-Kette blau und duftig zur Linken, nach rechts hin dehnte sich
ein Flachland, eine fruchtbare Niederung, von Waldstreifen und kleinen
Höhenzügen coulissenartig durchzogen. Am fernen Horizont, nach eben
dieser Seite hin, hing der gelbglühende Ball der Sonne und lieh allem
ein entzückendes Licht; es war als sähe man eine der weitgedehnten
Veduten Claude Lorrains. Dann kam eine große Stadt, #Bourg# (Hauptort
im Departement Ain), dessen berühmte Kirche Brou, mit den reichen
Mausoleen des Hauses Savoyen, umblitzt vom Wiederschein der sich
neigenden Sonne, an dem nach Osten hin wolkengrauen Himmel stand.

Von Bourg traten wir ersichtlich in eine mehr südliche Landschaft ein.
Namentlich die Architektur, das Aussehen der Dörfer, gewann einen
abweichenden Charakter, alle Gothik hörte auf und das Flachdach, die
italienische Vigne, wurde allgemein.

Zwischen 4 und 5 gelangten wir in den Bereich der Rhone. Alles Land war
überschwemmt, Häuser und Bäume wuchsen wie aus einem großen See heraus,
bis wir in der Dämmerstunde die aufgeworfenen Erdbefestigungen und bald
darauf auch den ersten, weit vorgeschobenen Bahnhof Lyons erreichten.
Als wir in der #zweiten# Bahnhofshalle hielten, war es dunkel; dazu
regnete es. Dies galt immer als ein Glück. Es war gleichbedeutend mit
Wegfall jeder Volks-Escorte.

Vom Bahnhofe aus ging es zunächst eine Steintreppe hinauf; damit hatten
wir das Niveau der Stadt gewonnen, die in gedämpftem, flackerndem
Lichterglanze vor uns lag. Wir passirten eine Rhonebrücke (so schien es
mir wenigstens), tausend Gasflammen warfen hüben und drüben ihren
Schein in den breiten Strom, einige erleuchtete Pfeiler, wie
Wahrzeichen für die Schiffahrt, schienen daraus hervorzuragen. Dann kam
ein großer Platz; nach links hin schimmerte ein Standbild halb
nebelhaft, und in einiger Entfernung an ihm vorbei marschirten wir in
eine der langen Straßen hinein, die von verschiedenen Seiten her auf
den Platz mündeten. Nach 10 Minuten hielten wir vor dem Gefängniß,
pochten und traten in den Hof.

Es goß jetzt in Strömen. Die Gensdarmen und einige unliebsame
Gestalten, die trotz ihrer Uniformen stark an 1793 erinnerten, sprachen
lebhaft hin und her; endlich wurde ich aufgefordert, einzutreten. Die
armen Badenser wollten folgen, aber man stieß sie unter Geschrei in den
Hof zurück. Ich erachtete jetzt den Augenblick für gekommen, ein
Schreiben vorzuzeigen, das mir, kurz vor meinem Aufbruch von Besançon,
unterschrieben und untersiegelt eingehändigt worden war, und so zu
sagen meine französische Ernennung zum »≈officier supérieur≈«, zugleich
die Aufforderung an alle Militair- und Civilbehörden enthielt, »mir die
meinem Range schuldigen Ehren« (»≈dû à mon rang≈«), zu erweisen. Das
Papier wurde gelesen; der diensttuende Sergeant indeß, ein frecher,
verlebter, verliederter Kerl, hatte wenig Lust, Notiz davon zu nehmen
und erklärte, es sei unmöglich. Inzwischen waren andere Beamte
erschienen, unter ihnen der eigentliche »≈gardien-chef≈«, ein geborner
Pariser, an dem nichts auszusetzen war, als daß er für seine Stellung
zu sanft und zu gebildet sprach. Auch das kann zu einem Fehler werden.
Man denke sich einen Scharfrichter, der seinem Opfer zuflüstert: »Das
Leben ist der Güter Höchstes nicht.« Wie immer dem sei, die
wohlaccentuirte Rede meines neuen »Principal« hat wenigstens das Gute,
daß Platz für mich geschafft und eine Art »Fremdenstube« zu meiner
Aufnahme hergerichtet wurde. In diese trat ich jetzt ein. Im ersten
Augenblick erschrak ich, denn sie war nichts als eine vergrößerte
Alte-Wäschkiste, auf die ganz und gar die Beschreibung paßte, die
Falstaff, in den ≈Merry wives of Windsor≈, von einem solchen
Wirthschaftsstücke entwirft. Eine unglaubliche Lokalität! Bettlaken,
Strümpfe, Chemisen aller Arten und Grade lagen in den Ecken
aufgeschichtet, dazwischen halb-erbrochene Bücherkisten, Koffer von
Seehundsfell, die längst die letzte Borste eingebüßt; an den Riegeln
aber hingen rothe Militairhosen (letzte Garnitur), verstaubte
Uniformstücke, ein verrosteter Degen und Spinnweben in langen Fahnen.
Besonders bedrohlich erschien mir ein großer aufgeplatzter Sack mit
Kalbshaar, der mitten im Zimmer lag und eine Art Gebirgsstock für alles
übrige bildete. Einen ähnlich ängstlichen Eindruck machte das Bett,
aber der ≈gardien-chef≈, der selbst empfinden mochte, wie wenig das
alles zu den Ansprüchen eines ≈officier supérieur≈ stimmte, half aus
eigenen Mitteln nach und erschien mit einem brauncarirten Plumeau, mir
dadurch für meinen Lyoneser Aufenthalt einen Comfort und einen Luxus
schaffend, den ich während all der Wochen meiner Gefangenschaft, weder
vorher noch nachher, gehabt habe. ≈Enfin≈ — ich kauerte mich in meinem
Bett zurecht, zog meinen Körper gerade ausreichend zusammen, um unter
dem etwas knapp bemessenen Federkissen Platz zu finden und schlief ein,
während die Spinneweben leise über mir wehten.




2. Lyon.

    Hört ihr’s wimmern hoch vom Thurm?
    Das ist Sturm.

    * * *

  Nicht daß man in schweigende Nacht mich warf,
  Macht mir das Herz so schwer,
  Als daß ich #Dich# nicht hören darf,
  Mein tief aufdonnerndes Meer.
        Strachwitz.


In aller Frühe war ich wach, machte meine Toilette und sah alsbald eine
junge Frau, die Besitzerin eines nahe gelegenen Cafés, erscheinen, die
nach meinen Befehlen fragte. Ich bestellte möglichst viel, da ich nach
gerade einzusehen begann, daß der ≈officier supérieur≈ sein Patent
weniger aus dem Portefeuille, als aus dem Portemonnaie zu beweisen habe
und daß überall räthselvoll-geheime Beziehungen zwischen den
Gefängniß-Autoritäten und den nahegelegenen Restaurants beständen. Wer
#diese# für sich hatte, hatte sich alsbald auch die Geneigtheit jener
erworben: mit Liberalität gelangte man fast bis an die Grenzen der
Libertät.

Die Freundlichkeit der jungen Frau, die all die Tage über fast immer
selbst kam und an der fremdländischen Unterhaltungsweise ersichtlich
ein Gefallen fand, that mir wohl und war jederzeit wie ein Lichtschein,
der in den grauen Dämmer meines Gefängnisses fiel. Ich sog mir noch
einen #besondern# Trost daraus, da ich offen bekennen will, die Tage
meines Aufenthalts in Lyon unter einem beständigen Herzschlagen
zugebracht zu haben. Ich war durch lange Unterhaltungen, die ich in
Besançon geführt, noch mehr durch die Lyoner Journale, die ich während
der letzten Tage auf der Citadelle regelmäßig zu lesen pflegte, über
die Stimmung der Rhone-Hauptstadt vollkommen aufgeklärt und hatte mit
allem Fug und Recht das bange Gefühl, mich auf einem Krater zu
befinden. In Besançon hatten die Obrigkeiten geherrscht, hier herrschte
bereits die Masse, oder stand doch jeden Augenblick auf dem Punkt, die
Herrschaft an sich zu reißen. Vor drei Tagen war das Redaktionslokal
des »≈Salut public≈«, vor fünf Tagen die Wohnung des für
imperialistisch geltenden Divisions-Generals vom Volke gestürmt worden;
ich konnte, Angesichts dieser Thatsachen, die Frage nicht los werden:
»was nun, wenn diese Septembriseurs in die Gefängnisse einbrechen und
furchtbar Musterung halten?« Hinterher ist über solche Anwandlungen von
Furcht gut lachen, im Momente selbst aber war die Situation alles
andere eher als lächerlich.

Es geschah überdies allerhand, das nicht gerade angethan war, das
fehlende Gefühl der Sicherheit mir wieder zu geben. Verschiedene Leute
aus der Stadt, vielleicht Freunde des Gefängnißvorstandes, kamen, um
mit mir zu politisiren; sie waren alle artig, fast verbindlich in ihren
Formen, aber ersichtlich aufgeregt und zerstreut.

Endlich sollt’ ich erfahren, was die Ursache war: »#Bazaine hatte
capitulirt#«; die Nachricht drang bis in meine vergitterte Zelle.
Einige Stunden später ward es mir gegenüber wieder bestritten, aber
nur, weil man es bestreiten wollte. Ich war übrigens fast eben so
aufgeregt, wie die Franzosen, die kamen und gingen.

Die letzten Besucher hatten mich eben verlassen und ich suchte es mir
in einer Art Gartenstuhl, während ich die Füße auf den aufgeplatzten
Sack mit Kalbshaar stellte, möglichst bequem zu machen, als draußen,
von den Thürmen der unmittelbar anstoßenden Kathedrale hernieder ein
Läuten begann, wie ich es all mein Lebtag nicht gehört habe, vielleicht
auch nicht wieder hören werde. Eine tiefgestimmte Riesenglocke gab alle
10 Sekunden einen Schlag, eine zweite Glocke, in regelmäßigen
Schwingungen, rollte klangvoll und gewaltig dazwischen; hinein aber in
dies großartig ernste und zugleich melodische Concert klang das
disharmonische Geschrei und Geächz kleiner und allerkleinster Glocken,
wie wenn in Posaunentöne hinein ein halbes Dutzend Pickelflöten
kreischt. Es war tiefe Klage, lauter Hilferuf, leises Gewimmer; eine
unbeschreibliche Angst bemächtigte sich meiner, hörbar schlug mir das
Herz. Was war es? war ein Feuer ausgebrochen? nein! kein Lichtschein
röthete den Himmel, keine Wagen und Spritzen rasselten über das
Pflaster hin; nur ein lautes Geschrei von Menschenstimmen kam die
Straße herauf, immer näher. Ich war ganz sicher, daß sich ein
Volksaufstand vorbereite, daß »≈la terreur≈« heranziehe und seine
Herrschaft proklamire. Was war zu thun? ich sah stumm vor mich hin und
wartete ab. So ging es eine Viertelstunde, dann war alles wie
abgeschnitten; die Glocken schwiegen, das Gekreisch draußen war
vorübergezogen, alles still.

In Fieberhast lief ich alle Möglichkeiten durch, endlich hatt’ ich es:
der andere Tag (2. November) war #Todtentag#. Dies Glocken-Wehklagen
hatte den Tag aller Seelen eingeläutet.

Der Allerseelentag verlief ruhig, weniger Geräusch als sonst war
äußerlich wahrnehmbar; nur im Gefängniß selber belebte sich’s über den
Alltagsverkehr hinaus. Das machte, sieben norddeutsche Schiffscapitaine
waren von Marseille her als Gefangene eingetroffen und warteten in
einem kleinen Büreauzimmer auf den Bescheid des Lyoner
Divisions-Generals, der über ihren weiteren Verbleib entscheiden
sollte. Man schwankte zwischen Tours, Clermont und Moulins. Es war um
die Mittagsstunde, als ich, durch freundliche Vermittlung des
≈gardien-chef≈, Gelegenheit fand, meinen Landsleuten mich vorzustellen.
Wir verplauderten eine angenehme halbe Stunde, gegenseitig unsere
Herzen ausschüttend. Es waren sämmtlich Pommern und Mecklenburger, der
Mehrzahl nach große, breitschultrige Leute, aber alle von jenem
sentimalen Zug, dem man bei starken Naturen, namentlich auch bei
Seeleuten, so oft begegnet. Sie hatten alle etwas Trauriges,
Verschleiertes im Auge und nur die Wahrnehmung beruhigte mich (sie
waren eben beim zweiten Frühstück), daß ihr frischer, meerentstiegener
Appetit unter dieser Stimmung keinen Augenblick gelitten habe. Mehrere
Limburger Käse, die sie in flachen runden Schachteln, genau so wie man
Feigen verschickt, mit sich führten, verschwanden im Umsehn. Einer, ein
Kleiner, mit genirtem Blick, nahm an der allgemeinen Sentimentalität
nicht Theil; er war offenbar der Klügste und hatte sich, auf mir
unerklärliche Weise, sogar mit #neuen# deutschen Zeitungen auszurüsten
gewußt. Vielleicht ein kühner Griff in ein Marseiller Lesecabinet! Als
die Reihe des Erzählens an mich kam und mein herkömmliches Sprüchel:
»Toul, Jungfrau von Orleans, Vaucouleurs und Domremy« diesmal in
deutscher Sprache von mir aufgesagt worden war, fragte der Kleine nach
meinem Namen. Ich nannte ihn. Er lächelte listig-vertraulich und
überreichte mir gleich darauf eine neueste, höchstens 5 oder 6 Tage
alte Nummer der »Hamburger Börsenhalle«, worin ich in einer Berliner
Correspondez die Geschichte meiner Verhaftung las. Ich kann wohl sagen,
daß das einen sonderbaren Eindruck auf mich machte.

Wir politisirten auch ein wenig. Das Hauptgespräch drehte sich
natürlich um die Capitulation von Metz. Ich sagte ihnen, »die Sache
würde neuerdings wieder bestritten«, worauf der Kleine mir zuflüsterte:
»wir wissen nur zu gut, daß es wahr ist; wir haben es, so zu sagen, an
uns selber erfahren. Die Nachricht war noch keine 2 Stunden in
Marseille bekannt, als wir von Oran her landeten und durch die Stadt
mußten. An diesen Marsch will ich denken. Die Aufregung war furchtbar;
das Hafenvolk drohte uns, drängte sich an uns, warf mit Steinen, neben
uns her aber, in dichten Colonnen, zogen die Mobil- und Nationalgarden
und trugen große schwarze Fahnen, zum Zeichen der Trauer. Wir waren
froh, als wir unter Dach und Fach waren.«

Einer der Capitaine, ein großer, schöner Mann, mit einem langen
schwarzen Sappeurbarte, war nicht nur verheirathet, sondern hatte auch
seine kleine blonde Frau, eine Rostockerin, mit auf die Fahrt genommen;
eine »Hochzeitsreise nach Konstantinopel« in glücklicher Mischung des
Nützlichen mit dem Angenehmen. Die Frau regierte natürlich, und zwar
nicht nur #ihren# Mann, sondern auch die sechs andern, was bei der
besondern Stellung, die sie einnahm, keinen Augenblick zu verwundern
war. Sie sprach ein leidliches Französisch, machte deshalb den
Interpreten und focht für die #Gesammtheit# alle Kämpfe siegreich
durch. Ihr Ehegespons war ihr eigentlich nur »beigegeben«. Dies hatte
seine gute Seite, aber doch auch seine schlimme. Ueberall wo die 7
Capitaine eintrafen, wurden 6 in’s Militairgefängniß abgeführt, der
siebente aber, der junge Gemahl, folgte seiner Frau in das beste Hotel
der Stadt und bezog Zimmer mit ihr. Er war ihr ≈ad latus≈. Dies, um es
zu wiederholen, hatte unzweifelhaft sein Angenehmes, aber ebenso wenig
ließ sich verkennen, daß der so Bevorzugte seiner Königin gegenüber
einer gewissen hofstaatlichen Abhängigkeit bereits völlig verfallen
war. Er wußte es übrigens selbst und trug es mit ritterlichem Anstand.

Wir trennten uns, nachdem wir einen gemeinschaftlichen ≈Café noir≈
eingenommen hatten, der, in richtiger Rollenvertheilung, meinerseits
aus Kaffee und Cognac, seitens der Capitaine aus Cognac und Kaffee
hergerichtet worden war.

Unter allen Gefangenen, mit denen ich durch Monate hin in Berührung
gekommen bin, waren die Schiffscapitaine (diese wie andere, denen ich
später begegnete) immer die behäbigsten, die am besten situirten, und
dennoch flößten sie mir stets eine ganz besondere Theilnahme ein. Dies
mochte darin seinen Grund haben, daß jeden Einzelnen sein Schicksal
völlig unvorbereitet, wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen
hatte. Selbst #ich#, bei aller Friedfertigkeit meines Berufs, war doch
immerhin mit dem Bewußtsein in Frankreich eingerückt, daß eben Krieg
sei und daß ich die Chancen und Gefahren des Krieges bis zu einem
gewissen Grade zu theilen haben werde. Anders diese Capitaine. Sie
hatten in tiefem Frieden ihren heimatlichen Hafen verlassen, in tiefem
Frieden Gibraltar und die Dardanellen passirt, und sahen sich, ohne die
geringste Kenntniß von dem, was sich inzwischen in der Welt zugetragen
hatte, plötzlich unter Breitseiten genommen und fortgeführt. Man kann
sagen, sie waren noch eher Kriegs#gefangene#, als sie vom Kriege selber
wußten.

Noch am Abend des Allerseelentages theilte mir mein ≈gardien-chef≈ mit,
daß ich am andern Morgen weiter escortirt werden würde, wahrscheinlich
nach Moulins. Er lud mich zugleich ein, ihn auf eine halbe Stunde in
seiner Wohnung zu besuchen. Ich folgte der Einladung und erfuhr die
Auszeichnung, daß mir zu Ehren eine große papperne Kathedrale, die von
einem Zellengefangenen angefertigt worden war, durch ein kleines
Wachslicht erleuchtet wurde. Ich bewunderte alles, verbreitete mich
ausführlicher über Architekturformen, Wachslichte und Isolirhaft und
nahm dann Abschied von meinem freundlichen Wirth und Chef.

Ich kroch zum letzten Male unter das Plumeau und schlief wie in meinen
besten Tagen.




3. Moulins.

  Was ist das?! Deutlich (nur getrübt
  Vom Dunst der hin und wieder schiebt)
  Ein Tisch, ein Licht, in Thurmes Mitten,
  Und nun, nun kömmt es hergeschritten,
  Ganz wie ein Schatten an der Wand,
  Es hebt den Arm, es regt die Hand, —
  Nun ist es an den Tisch geglitten.
      Annette Droste-Hülshoff.


Sieben Uhr am andern Morgen nach Moulins. Die Stadt (Lyon) war noch
ziemlich still; auf dem großen Platze, an dessen einer Seite unsere
Straße mündete, sah ich jetzt das Reiterbild des ersten Kaisers im
Morgenlichte aufragen; an der Stelle aber, wo ich bei meiner Ankunft
tausend im Wasser sich spiegelnde Lichter gesehen zu haben glaubte,
exercirte jetzt eine ganze Brigade Mobilgarde in breiten Zugfronten;
was mir bei Dunkel und niederfallendem Regen als das Bett der Rhone
erschienen war, war eine breite, mit Bäumen und Obelisken besetzte
Esplanade. Man achtete unserer wenig; einige Hälse drehten und reckten
sich nach uns, ein paar Minuten später hatten wir unsere Plätze im
Coupé eingenommen.

Das Land war ziemlich reizlos auf viele Meilen hin. Ich begann schon
die Ursache davon in mir selber zu suchen und einfach anzunehmen, daß
das Auge des Gefangenen todt sei für die Schönheiten der Natur, als ich
plötzlich, etwa an der Grenze des Departements Allier, gewahr wurde,
daß es doch an der Landschaft und nicht an mir selber gelegen haben
müsse. Wir traten mehr und mehr in ein entzückendes Stück Natur ein,
das ich vielleicht am besten als das »Land um Vichy« bezeichne, denn an
diesem berühmten Brunnen- und Badeort kamen wir auf Entfernung von
wenigen Stunden vorüber.

Ich muß die Scenerie dieses Departements Allier, die mir ganz
eigenthümlich zu sein schien, näher zu beschreiben suchen. Alle
Landschaft, die ich bis dahin in Frankreich gesehen hatte, in
Lothringen, Champagne, Franche Comté, war durch wenige Linien
wiederzugeben: weite Höhenzüge und weite Thäler dazwischen. Eine
Landschaft derart entbehrt nicht eines gewissen großen Stils, aber
immer wiederkehrend, immer in derselben Weise mit Wein oder Laubholz
besetzt, wirkt sie zuletzt monoton und giebt sich — weil alles große
Flächen bietet, selbst die Berghänge — um vieles öder, trister, als sie
in Wahrheit ist. Hier plötzlich nun traten wir in ein Gebiet ein, das
sich vorgesetzt zu haben schien, diese bisherigen Eindrücke alle auf
einen Schlag zu balanciren. Die Hügel schoben und #drängten# sich so
#dicht# aneinander, als wären sie aus einer Riesenspielzeugschachtel
genommen, während sie in Zahl und Form mich beständig an die endlosen
Kuppen und Kegel des historischen Dreiecks zwischen Main und Tauber
erinnerten. Aber diese #Gedrängtheit# der Landschaft war doch nur
#eine# Seite derselben; schöner und charakteristischer noch berührte
mich der tiefe, flußdurchschlängelte Wiesengrund, der sich um jeden
Hügel sorglich herumlegte und diesen, wie mit Bewußtsein, zu einer
kleinen Berginsel gestaltete. Dazu hatte alles einen satten,
#braungrünen# Ton, der mich mehr als einmal an Ruysdael erinnerte, von
dem ich noch 4 Wochen vorher einiges Treffliche in Nancy gesehen hatte.

Bei St. Marie des Fosses war ein längerer Aufenthalt; wahrscheinlich
die Station, von wo aus in ruhigen Zeiten die Diligencen und
Journalieren nach Vichy hinüberfahren; riesige, halb abgerissene
Affichen deuteten darauf hin. Eine Stunde später fuhren wir in den
Bahnhof des Bischöflichen Moulins ein.

Ein Bischofssitz! das war eins. Vor allem aber heimelte der Name mich
an; was konnte reizender klingen als #Moulins#. Ich stellte es mir vor
als von Wind- und Wassermühlen umgeben, die einen still und lauschig,
die andern rasch und plauderhaft, und dazwischen eine Bevölkerung von
Klosterschülern und Mühlknappen, die einen schwarz, die andern weiß,
aber alle gleichmäßig heiter, ihr Leben theilend zwischen Singen und
Angeln. Nie war eine Vorstellung falscher gewesen.

Schon auf dem Bahnhofe (es war 4 Uhr Nachmittags) wurden wir umringt.
Der Weg führte durch eine Vorstadt, die zu gutem Theile aus dem
Stadtpark und ähnlichen Anlagen bestand; hier, auf zahllosen Bänken,
war die Kindermuhme und ihr Anhang zu Hause, hier tobte der Gamin statt
des erwarteten stillen Klosterschülers, und ehe 5 Minuten um waren,
hatten wir ein Gefolge, das nach Hunderten zählte. Allerhand Blaukittel
gesellten sich hinzu, drohende Worte aussprechend, und während wir
sonst daran gewöhnt waren, unsere Gensdarmen das neugierig andrängende
Volk bei Seite schieben zu sehen, zeigten sie hier eine unverkennbare
Verlegenheit und ließen den tobenden Menschenhaufen gewähren. So ging
es in die Stadt hinein, ein paar steile Gassen hinan, dann hatten wir
die Straßenfront des Gefängnisses, ein Stück Mauer mit einem
eingebauten Conciergenhaus, erreicht. Unter Gezische und den üblichen
Schmeichelworten verschwanden wir in dem niedrigen Portal.

Hier war kaum Aufenthalt. Wir traten alsbald auf einen Hof hinaus, der
von verschiedenen Baulichkeiten, kreuz und quer und hoch und niedrig,
umstellt war und warteten unseres Looses. Der
Gensdarmerie-Wachtmeister, dem ich meine mehrerwähnte »Bestallung«
schon vorher überreicht hatte, machte inzwischen vor dem
Büreau-Personal meinen Anwalt; einer der Herren zuckte verlegen die
Achseln, kam mir aber bis zur Schwelle entgegen und bat mich
einzutreten. Ich folgte. Es zog auf dem Hofe empfindlich; nichts
destoweniger wär’ ich lieber draußen geblieben, so stickig war die Luft
des kleinen Zimmers, in dessen einer Ecke ich Platz nahm. Ein eiserner
Ofen, gegen dessen ganzes Geschlecht ich eine Todfeindschaft
unterhalte, stand glühend in der Mitte und das Kohlengas legte sich wie
betäubend um meine Sinne. Ich wurde aber mit Gewalt aus diesem Zustand
gerissen; ein elegant gekleideter Herr, stark, kurzhalsig, das Bild des
Apoplektikus, erschien in der Thür und trat auf mich zu. Er musterte
mich; das Kinn saß ihm in einem türkisch geblümten Shawl, das bekannte
rothe Band blühte im Knopfloch; so entspann sich folgende knappe
Unterhaltung:

≈Vous êtes arrêté?≈

≈Oui.≈

≈Où donc?≈

≈A Domremy.≈

≈Comme espion?≈

≈Oui.≈

≈Que vous êtes?!≈

Ich hatte nicht Geistesgegenwart genug, einfach zu schweigen, sondern
lehnte diese Bezeichnung kurz ab. Dies war offenbar ein Fehler.
Indessen man ist klüger, wenn man vom Rathhause kommt. Die Unterredung
selbst habe ich hierher gesetzt, weil sie die #einzige# Insolenz ist,
der ich während der ganzen Zeit meiner Gefangenschaft ausgesetzt
gewesen bin. Ich hatte viel zu ertragen, auf noch mehr zu verzichten,
aber nach #dieser# Seite hin wurde ich geschont.

Inzwischen hatten die Beamten, denen mein Patent wieder viel Sorge
gemacht hatte, über mich »befunden« und waren schlüssig geworden, daß
ich, in meiner Eigenschaft als »≈officier supérieur≈«, in der
Infirmerie des Hauses untergebracht werden solle. Man entschuldigte
sich einigermaßen, daß man nichts Besseres habe; das ganze Gefängniß
sei ein alter Donjon der Grafen von Bourbon; sehr mittelalterlich, eine
Art »Bastille«. »≈Tout-à-fait dans le style #avant# 1793≈«, setzte der
Eine lächelnd hinzu.

Wir stiegen nun eine Art Wendeltreppe hinauf, wie sie alle alten Thürme
haben, geriethen auf einen holprigen Steinflur, der von der Seite her
durch ein kleines rundes Thürfenster ein spärliches Licht erhielt, und
tappten nun auf eben diese Lichtstelle zu. Es war die »Infirmerie«. Der
Schließer schob einen Riegel zurück und wir traten ein. Ich konnte im
ersten Augenblick, bei dem Dunkel, das auch #hier# noch vorherrschte,
nur wahrnehmen, daß wir uns in einem ungewöhnlich großen Raum befanden;
ob Saal, Halle, oder Kornboden war zunächst nicht zu unterscheiden.
Schreck und Heiterkeit wechselten in meiner Stimmung; alles war
gespenstisch und lächerlich zugleich. E. T. A. Hoffmann hätte hier eine
glückliche Stunde feiern können. Auch in mir überwog bald ein gewisses
poetisches Interesse jede andere Regung. Der Schließer führte mich an
einen Bettstand, der für mich hergerichtet worden war, legte mein
Gepäck zu Füßen und wünschte mir gute Nacht.

Ich setzte mich neben mein Bündel auf die Eisenkante des Bettes, um
zunächst einige Orientirung zu gewinnen. Dies dauerte auch nicht lange.
Es war eine mächtige, quadratische Halle, in der ich mich befand, mit
tiefen Fensternischen und zahlreichen Bettständen; alle mit dem
Kopfende der Wand zu. Mitten durch den Raum, nach Art einer Brücke, war
ein großer Bogen gespannt, der ein zweites Stock trug. Unter diesem
Bogen, genau im Centrum des Ganzen, stand ein flacher Kochofen, aus
dessen drei Löchern ein Lichtschein aufstieg, derselbe, der uns, als
wir noch draußen umhertappten, den Weg hierher gezeigt hatte. Jetzt sah
ich, bei eben diesem Schimmer, daß drei vermummte Gestalten um den Ofen
her saßen. Mitunter, wenn einer der drei mit einem Schüreisen in die
Gluth fuhr, wurd’ es auf einen Moment etwas heller und ich konnte dann
erkennen, daß es blutjunge Leute waren, die hier fröstelnd und
zusammengekauert sich an der spärlichen Gluth zu wärmen suchten. Ich
trat jetzt an sie heran. Einer erhob sich, um mir seinen Stuhl
anzubieten, was ich auch annahm. Ich versuchte nun eine Conversation;
die Antworten blieben aber einsilbig, bis aus einer Ecke am Fenster her
endlich meine Unterhaltungsversuche aufgenommen und ich verbindlich
eingeladen wurde, »doch mehr ins Licht zu rücken«.

Dies hätt’ ich nun wohl gleich bei meinem Eintreten gethan, wenn die
Ecke am Fenster damals schon eine Lichtecke gewesen wäre; sie war es
aber erst während der letzten Minute geworden, wo, nach mehreren
gescheiterten Versuchen, eine Art Küchenlampe glücklich in Brand
gesetzt worden war. Ich dankte jetzt dem Sprecher zunächst und rückte
dann in den Lichtkreis ein, der einen Durchmesser von 4 Schritt haben
mochte; alles andere lag nach wie vor in Dämmer.

Ich befand mich nunmehr in dem Westend der Infirmerie, in dem
»aristokratischen Viertel«, das, wie ich bald erfahren sollte,
ausschließlich aus den beiden »≈cuisiniers≈« des Gefängnisses bestand.
Im ersten Augenblicke wußte ich nicht, ob sie Haus-Beamte oder
Mitgefangene wären, doch ließen ihre eigenen Mittheilungen mich nicht
lange in Zweifel darüber. Mein- und Dein-Fragen, falsche Wechsel,
unmotivirte Schwüre, so schien es mir, hatten sie hierher geführt. Es
war ein Junger und ein Alter. Der #Junge# war Koch von Fach, hatte in
Homburg, Aachen, Baden-Baden die große Schule durchgemacht und peinigte
mich durch lange Schilderungen des Koch- und Bade-Lebens, die er mit
Fistelstimme und einer unheimlich geschraubten Begeisterung vortrug.
Gemüthlicher war der #Alte#. Er war über sechszig, trug eine Brille mit
ungewöhnlich großen Gläsern und war seines Zeichens ein lateinischer
Sprachlehrer aus Moulins. Seit Jahr und Tag kochte er nun als
Auxiliar-cuisinier die Gefangenensuppe und behandelte den Wechsel der
Dinge ≈en philosophe≈. Dabei republikanisirte er scharf. Ich mußte
immer an »Vater Karbe« denken. Den Verdacht, daß er eigentlich ein
verkleidetes altes Weib sei, was das Gespenstische steigerte, bin ich
übrigens nie ganz los geworden. Doch mag das auf sich beruhn.

Dieser Alte dirigirte nun die Infirmerie. Er hatte Streichhölzer, Salz,
zwei Handtücher und ähnliche Luxusartikel; sein eigentliches Ansehn
beruhte aber doch auf seiner »Bibliothek« und vor allem auf jener
Küchenlampe, die ich ihn eben hatte anzünden sehen. Diese Lampe wurde
denn auch von ihm selber, wie von allen Mitgefangenen gehegt und
gepflegt; alles putzte an ihr herum, um sie hübsch blank zu erhalten,
und rührend war es geradezu, mit welcher Liebe und Zartheit ihr
defekter Cylinder behandelt wurde. Anderthalb Stunden lang, wie ich
mich am andern Tage überzeugen konnte, drehte sich alles um ihn. Der
Cylinder (ein sogenannter Bauchcylinder) hatte nämlich außer den ihm
rechtmäßig zustehenden zwei Löchern oben und unten, noch zwei
Seitenlöcher gerade an der Bauchstelle und diese Havarie immer wieder
auszubessern war die Aufgabe aller Insassen der Infirmerie, besonders
der beiden Cuisiniers. Es wurden zwei Stückchen Papier geschnitten von
der Größe einer Kartoffelscheibe und am Rande hin mit angefeuchteten
Oblatenschnitzeln besetzt. Dies kunstvoll hergerichtete Pflaster wurde
dann auf die große Wunde gelegt, der gestörte Luftzug war nun wieder
hergestellt und alles drängte sich an den Tisch, um das abermals
gelungene Werk zu begrüßen. So war es am zweiten Tag.

Auch gleich der erste Abend, trotzdem alles schon geschehen war, ließ
mich noch Einblick gewinnen in eine »Reparatur«. Der Alte, der (schon
von Metier wegen) an Klassizität meinem ≈penseur libre≈ in Besançon
wenig nachstand, unterhielt mich eingängig noch eine halbe Stunde; dann
ging ich zu Bett. Am Fenster brannte das Lämpchen und hatte seinen
Lichtkreis. In diesem Lichtkreis saß der lateinische Lehrer und
Auxiliar-Koch und las in Rabou’s »≈La grande Armée≈«. Weißhaarig, die
große Brille auf der großen Nase, sah er aus wie eine Eule. In dem
weiten Rest des Zimmers herrschte Dämmerung. Das Feuer in dem Kochofen
wurde immer kleiner; wenn einer der drei Umsitzenden aufstand und auf
und ab schritt, tanzten riesige Schatten an Wand und Decke hin. Es war
wie die Laterna magica in Kindertagen. Das Getrappel über uns, wo
Gefangene auf und ab liefen, um sich zu erwärmen, hörte endlich auf;
alles wurde still. Nur die Cylinderlampe brannte dankbar die Nacht
hindurch.

Als ich aufstand, waren die Cuisiniers nicht mehr zugegen; der
Küchendienst hatte sie bereits abgerufen. Statt ihrer machten sich
jetzt die Drei, die am Abend vorher beim Kochofen so tapfer ausgehalten
hatten, im Zimmer zu schaffen, wuschen, fegten, lüfteten und beeilten
sich, mir meine Wünsche zu erfüllen, mein Leben erträglich zu machen.
Ich ließ Wein und Cognac kommen, und half dadurch ihrem Eifer nach. Sie
versicherten sämmtlich, daß ihre Krankheit (wir waren ja in einer
»Infirmerie«) darunter nicht leiden würde. Der eine, ein Luxemburger,
hatte die Gelbsucht. Ich lasse dahin gestellt sein, ob der Hausarzt
später die Zustände gerade #dieses# Patienten verbessert gefunden hat.

Um 10 Uhr war ich so weit, mich, ein Buch in der Hand, in eine der
großen Fensternischen setzen zu können. Diese Nischen hatten über 7 Fuß
Tiefe. Zu Füßen des alten Donjon lag Moulins, jetzt so schön und
lachend, wie ich es mir vordem gedacht hatte. Um die goldenen Spitzen
seiner Cathedrale spielte das Frühlicht und durch den Schimmer hin
flogen die Tauben.

Ich begann zu blättern. Es war das Buch, das der Alte bis spät in die
Nacht hinein emsig studirt hatte: »≈La grande Armée≈«. Ich las 50
Seiten: das Lager bei Boulogne, die Capitulation von Ulm, Austerlitz,
zuletzt Jena, — nach diesem hatte ich genug; ich war verstimmt. Und ich
glaube mit Grund. »Solche Bücher,« sagt’ ich mir, »schreibst Du selbst.
Sind sie #ebenso#, so taugen sie nichts. Die bloße Verherrlichung des
Militairischen, ohne sittlichen Inhalt und großen Zweck, ist
widerlich.« Damit klappte ich das Buch zu und sah wieder auf die
Cathedrale hinüber.

Dann machte ich meinen Spaziergang von Thür zu Fenster und von Fenster
zu Thür, bis um Mittag die ersehnte Nachricht kam, »morgen früh weiter
ins Land hinein«.

Wohin, wußte Niemand.




4. Gueret.

  Der König, der nie stirbt, soll aus der Welt
  Verschwinden? der dem Schwachen beisteht,
  Der den #Neid# nicht kennet, denn er ist der Größte!
      (Jungfrau von Orleans.)


Nach meiner Berechnung mußte die Weiterreise auf #Tours# gehen, also
nach dem Sitz der »provisorischen Regierung«. Ich wünschte dies, und
hatte bereits eine Anrede an den Minister Cremieux fertig, der dann,
dacht’ ich, seinem Collegen Gambetta ein paar Worte zuflüstern und nach
zustimmendem Kopfnicken dieses letztern, meine Freilassung anordnen
würde. All dies scheiterte aber vorweg an #einer# unerbittlichen
Thatsache: es ging #nicht# auf Tours. Die nächste Etappe hieß #Gueret#.

Die Fahrt dorthin war insoweit eine höchst angenehme, als das
Landschaftsbild, das ich zum Beginn des vorigen Kapitels zu beschreiben
versucht habe, sich fortsetzte. Dicht in einander geschobene Berg- und
Hügelpartien, schmale Wiesengründe, Wasserläufe, dazwischen Tunnel,
Brücken, Viadukte, die Kuppen und Abhänge mit Kastanien, Nußbaum und
den verschiedensten Obstarten, aber #nicht# mit Weingeländen besetzt, —
so ging es durch diese schönen, aber verhältnißmäßig wenig fruchtbaren
Landschaften hin, die den Namen des Departements »≈La Creuze≈« führen.

Am Mittag schon, bald nach 1 Uhr, trafen wir in Gueret ein. »Ein
freundliches Städtchen«, hatten uns die Gensdarmen gesagt, die ihrer
Sache selbst so sicher waren, daß sie die Karabiner, die mir immer mehr
fürs Volk als für uns da zu sein schienen, auf dem Bahnhof ließen, also
uns nahezu unbewaffnet in die Stadt begleiteten. Diese steckte reizend
in den Bergen; hier und dort wuchs ein Thurm, eine Esse über die
Pappeln hinaus und graue Rauchwolken lagen wie schwebend, fast
unbeweglich, in der stillen, regenschweren Luft. Wir passirten eine
Plantage, einzelne Gehöfte, Niemand zeigte sich; mit dem Eintreten in
die Stadt aber gestaltete sich das Bild wie immer. Hunderte von Jungen,
die in dem scheinbar menschenleeren Ort wie Pilze aus der Erde wuchsen,
umdrängten uns im Nu, alte Weiber, von denen jedes einzelne in eine
beliebige Macbeth-Aufführung ohne die geringste Kostüm-Veränderung
hätte eintreten können, erschienen in allen Thüren und unter dem
Geschrei: Bismaarck, Bismaarck (immer mit langgezogenem a) verschwanden
wir endlich im Gefängnißthore. Ich muß übrigens hinzufügen, daß das
Ganze doch mehr den Charakter einer Volksbelustigung hatte. Gueret
bezeichnete in dieser Beziehung die Grenze. Von da ab wurde es immer
besser, bis zuletzt, auf dem Küstenstriche des Westens, jeder Beisatz
von Verbissenheit aufhörte.

Das »Büreau« des Gefängnisses bestand aus drei Personen, aus dem
Schließer, dem ≈gardien-chef≈ und der Frau dieses letzteren, einer
großen braunäugigen Person von etwa sechsunddreißig, die nach der Art,
wie sie uns musterte, eine Vergangenheit haben mußte. Selbst mit einer
Lücke neben dem einen Augenzahn wußte sie geschickt zu kokettiren; sie
gehörte eben zu denen, denen #alles# dienen muß, die oberen und die
unteren Mächte. Ihr Beistand schien mir gewichtig. Ich machte einen
Versuch, mich ihrer zu versichern, doch hatte sie Verstand und
Erfahrung genug, um einen jungen Badenser mit Vollbart und rothen
Backen vorzuziehen.

Inzwischen war mein vielcitirtes Beglaubigungspapier (»≈comme officier
supérieur≈«) wieder vorgezeigt worden und schuf hier eine völlige
Verwirrung. Man wußte offenbar nicht, was man daraus machen sollte. Die
ganze Scene erinnerte mich lebhaft an die Vorgänge, die sich in kleinen
Badeörtern mit Filial-Apotheken regelmäßig zu wiederholen pflegen, wenn
Lehrling, Gehülfe, Prinzipal das aus der großen Stadt kommende Rezept
nicht entziffern, das neueste Modemittel nicht errathen können und nach
langem Getuschel und Aufwand einiger Fremdwörter endlich erklären: ein
solcher Arzneikörper existire nicht. So schien auch der ≈gardien-chef≈
entschlossen, nicht geradezu die Existenz eines officier supérieur,
aber doch die Verpflichtung seinerseits bestreiten zu wollen, in
#seinem# Gefängnisse einen solchen unterzubringen. Man kam endlich
überein, gar nichts zu thun und mir die Initiative zu überlassen.

Wir stiegen nunmehr die Treppe hinauf; ein großer viereckiger Raum
wurde geöffnet, die Badenser traten ein und man wartete ersichtlich, ob
ich folgen würde. Ich folgte aber #nicht#. Dies machte einen Eindruck,
und in rascher Ausnutzung des Moments bat ich jetzt um ein apartes
Zimmer. Man weigerte sich auch nicht, blieb aber der Rolle treu, Alles
der historischen Entwickelung zu überlassen, und ließ mich zunächst,
das Weitere abwartend, in eine nebenangelegene Zelle eintreten. Sie war
absolut kahl. Ich sagte ruhig: ≈ah, c’est bon; seulement la fourniture
là, — elle n’est pas très complète≈. Dieser Hohn wirkte; der
≈gardien-chef≈ lächelte verlegen, und ehe er sich noch besinnen konnte,
schob ich ein: ≈du feu me paraît indispensable; naturellement je le
payerai≈. Das war das erlösende Wort und ohne Säumen wurde ich nunmehr
in ein #drittes# Zimmer geführt, das als Schmuckkästchen der
Gesammtlokalität zu gelten schien. Es war gewiß auch das beste, was man
hatte, aber immer noch trist genug. Das Bett bestand aus einem
Strohsack, der Kamin war ein großes schwarzes Loch und das Geflecht des
Binsenstuhls hing wie ein Strohwisch nach unten. Es wirkte beinahe
unheimlicher als der Nachbar-Raum; dennoch hatte ich nach gerade
Erfahrung genug, um gleich zu erkennen, daß hier die Elemente zur
Entwickelung gegeben waren. Es kam nur auf die rechte Hand an. Ich
stellte mich also vor den Schließer hin, versicherte ihm, daß ich einen
starken Appetit hätte und ihn bitten müsse, mir ein Diner und eine
Flasche vom besten Wein zu bestellen. Ich fügte einen Frank für seine
vorläufige Bemühung hinzu. Ersichtlich betroffen, willigte er ein. In
der Thür rief ich ihn zurück und flüsterte vertraulich: Sie sorgen wohl
für ein #Feuer# und ein gutes #Bett#. Er versprach Alles. Ich hatte
meinen Zweck erreicht. Diner und Wein, die mir gleichgültig waren,
fielen ihm schließlich als gute Prise zu, aber drei wollene Decken sah
ich sich über die Matratze breiten und im Kamin flackerten und
prasselten alsbald die großen Scheite von Kastanienholz. Eine Stunde
später war das Zimmer wie umgewandelt. Ich saß auf dem Stuhl, der sein
Geflecht wieder gewonnen hatte, wiegte mich hin und her und blickte
träumend in die immer ruhiger werdende Flamme. Liebe, freundliche
Gesichter traten mir entgegen; ich sah deutlich die großen klugen Augen
meines Lieblings; es war mir, als spräch’ es lieb und traut in mein
Ohr. So saß ich im Gefängniß zu Gueret, schwere Tage hinter mir,
schwere Tage vor mir, und schrieb Verse in mein Notizbuch.

  O trübe diese Tage nicht,
  Sie sind der letzte Sonnenschein,
  Wie lange, und es lischt das Licht
  Und unser Winter bricht herein.

  Dies ist die Zeit, wo jeder Tag
  Viel Tage gilt in seinem Werth,
  Weil man’s nicht mehr erhoffen mag
  Daß so die Stunde wiederkehrt.

  Die Fluth des Lebens ist dahin,
  Es ebbt in seinem Stolz und Reiz,
  Und sieh’, es schleicht in unsern Sinn
  Ein banger, nie gekannter Geiz;

  Ein süßer Geiz, der Stunden zählt
  Und jede prüft auf ihren Glanz,
  O sorge, daß uns keine fehlt
  Und gönn’ uns jede Stunde #ganz#.

Der andere Morgen war hell und sonnig; aber ein scharfer Wind pfiff.
Ich mußte trotzdem in den Hof hinunter, um meine Morgentoilette zu
machen. Es war also immer noch dafür gesorgt, daß die Bäume nicht in
den Himmel wuchsen. An einem steinernen Brunnentrog badete ich den
Oberkörper; eine »≈Brosse à dents≈« und ein geschliffenes Flacon mit
≈Esprit de Menthe≈ (Souvenirs von Langres her), die ich beide auf den
breiten Rand des Steintrogs legte, nahmen sich in dieser Umgebung
ziemlich wunderlich aus.

Etwa um 10 Uhr erhielt ich Besuch, der dann fast bis zum Moment meiner
Weiterreise keinen Augenblick abriß. Der erste, der erschien, war ein
Arzt, ein Mann von etwa sechszig, klugen Auges, mit Doktorhut und
Doktorstock. Er habe gehört, so führte er sich ein, daß ich aus Berlin
sei; »ob ich den berühmten Professor Wirscho kenne«? Ich stutzte einen
Augenblick, fand mich aber schnell zurecht und erkannte, daß unser
Virchow gemeint sei. Das gab nun ein Hin und Her. Er sprach lebhaft und
voll Verbindlichkeit gegen die Deutschen, deren Wissenschaftlichkeit er
auf allen Gebieten anerkannte. Auch in der Medizin. Nach so viel
empfangenem Lob, glaubte ich schließlich auch ein Uebriges thun zu
müssen und bemerkte, »daß die Pariser Schule wohl ebenbürtig sei«. Dies
machte indessen gar keinen Eindruck auf ihn, und nur zum Zeichen, daß
er meine Worte wohl verstanden habe, begann er seinen nächsten Satz mit
der leichthingeworfenen Bemerkung: »≈naturellement, l’école de Paris
c’est la première du monde≈« und fuhr dann in seinen
Auseinandersetzungen, namentlich in einer Parallele zwischen Virchow
und anderen deutschen Physiologen fort. Es war spezifisch französisch.
Ich bemerke noch, daß er sich lebhaft nach dem ≈Dr.≈ Jacoby in
Königsberg erkundigte, der überhaupt, neben Bismarck und Moltke, die in
ganz Frankreich am meisten besprochene Persönlichkeit war. Jeder kannte
ihn und Jeder knüpfte Hoffnungen an ihn. Der Ertrinkende greift nach
einem Strohhalm.

Sehr bald nach dem Doktor erschien der #Vicar#. Ein großer, schöner
Mann, blond, von den freundlichsten Augen und dem gefälligsten Wesen.
Ueberhaupt war ich von hier ab in keinem Gefängniß mehr, in dem ich
nicht den Besuch eines Geistlichen, oft von zweien, empfangen hätte.
Dies ist eine sehr schöne Sitte. Freilich müssen die Geistlichen danach
sein. Wenn sie kommen, um einem die Hölle heiß zu machen, oder auch
nur, um einen Sermon zu halten, steif, langweilig, salbungsvoll, so
sind sie unerträglich, wenn sie kommen, wie diese französischen
Aumoniers, so kann kein Herz so roh, so verschlossen, so religionslos
sein, daß es nicht Freude empfände an so menschlich schönem Zuspruch.

Dieser Vicar war nun von einer ganz besonderen Liebenswürdigkeit, fein,
klug, unterrichtet. Schade, daß ich erst um eine Stunde später erfuhr,
wer er eigentlich war; unsere Unterhaltung würde sonst einen noch
freieren Verlauf genommen haben. Er lenkte nämlich bald ins Politische
hinüber, verwarf das #Empire# in lebhaften Ausdrücken, ein Bild 20
jähriger Corruption vor mir entrollend, beleuchtete dann die
#Republik#, die in Frankreich eigentlich ohne wahren Boden, vielmehr
abwechselnd ein Schatten oder ein Schrecken sei und versicherte mich
dann einmal über das andere, daß alles Heil lediglich in
Wiederanknüpfung an den abgerissenen Faden, lediglich in Legitimismus,
in #≈Henri-quint≈# zu finden sei; der Orleanismus werde dann #später#
(durch die Verhältnisse legitim geworden) die große Erbschaft antreten.
Wie mir das im Ohr klang! Nach dem wüsten Geschrei in Lyon und Moulins
endlich wieder eine Menschenstimme! Ich fühlte mich wie mir selbst
zurückgegeben und vergaß fast, daß ich in einem Gefängniß sei. Ich sage
»fast«. Es wäre besser gewesen, ich hätt’ es #ganz# vergessen; neue
weitere Aufschlüsse würden der Lohn gewesen sein. Aber ich konnte das
alles in jenem Augenblick nicht wissen! Neben dem lebhaftesten
Interesse, mit dem ich folgte, lief doch immer wieder die Frage her:
Wer ist es, der diese Sprache führt. Will man dich aushorchen? Sollen
sich neue Verlegenheiten für dich bereiten! So blieb ich vorsichtig,
abwägend, auf meiner Huth, ich bekämpfte sogar einzelne seiner Sätze,
Auslassungen über ≈Henri-quint≈, die ich wenigstens #prinzipiell# ohne
Weiteres hätte unterschreiben müssen. Wie gesagt, ich hätt’ es
rückhaltlos wagen können. Der junge Vikar, der anderthalb Stunden lang
die Grundsätze der Legitimität vor mir verfochten hatte, war ein
Vicomte d’Ussel, ein jüngerer Sohn der gleichnamigen, im Departement la
Creuze begüterten Grafen-Familie. Der Legitimismus der Familie war
übrigens kein Geheimniß; ihr Ansehn nur um #so größer#. Der Respekt,
mit dem ich, noch am andern Tage, ein halbes Dutzend Personen darüber
sprechen hörte, war sehr unrepublikanisch.

Dem Besuche des Vicars folgte der des Geistlichen selbst, eines Mannes
von funfzig, heiter wie jener (der Vicomte), aber von ersichtlich
anderer politischer Richtung. Er kam vorwiegend, um mir mitzutheilen,
daß er seit 3 Monaten einen Berliner Gast auf seiner Pfarre beherberge:
den Pater Rouard, Prior des Dominikanerklosters zu Moabit. Bei Ausbruch
des Krieges habe derselbe Berlin verlassen, um nicht das von
#Confessions# wegen bereits Erlebte, von #Nationalitäts# wegen noch
einmal zu erleben. Wie gern hätte ich ihn gesehen! In solchen Momenten
wiegt nicht das was trennt, sondern nur das, was verbindet. Aber es war
zu spät. Ehe sich eine Annäherung ermöglichte, waren wir bereits auf
dem Wege nach Poitiers.




5. Poitiers-Rochefort.

  #Jetter#. #Diese# Kerle sind wie Maschinen,
    in denen ein Teufel sitzt.

  #Vansen#. Sie sehen nicht aus, als wenn
    sie so bald Brüderschaft mit uns trinken
    würden.
        Egmont.


Um 4 Uhr nach Poitiers. Wie schön der Name in meinem Ohre klang! Aber
seitdem Moulins meine Erwartungen so arg getäuscht hatte, hatt’ ich den
Muth verloren, meiner alten Neigung zu leben und auf Namen und
Namensklang zu bauen.

Wir hatten eine stärkere Begleitung als gewöhnlich. Die Folge war, daß
#ein# Coupé (oder wie es in Frankreich heißt, ein »Compartiment«) für
die Gesammtheit von Gefangenen und Gensdarmen nicht ausreichte und eine
Theilung vorgenommen werden mußte. Der »Brigadier« und ich sonderten
uns aus und bezogen ein Nachbar-Coupé. Dies war zunächst sehr angenehm;
man hatte freie Bewegung, konnte rechts und links in die Landschaft
hineinblicken und rechts und links die Stationen mustern. Dazu kam ein
direktes Angewiesensein auf einen Begleiter, der nach Sprache, Haltung,
Benehmen eher ein »Brigadier« in #unserem#, als in französischem Sinne
war. Er hatte etwas Distinguirtes, war leicht, gefällig, unterrichtet,
dabei ohne alle Renommisterei, weder persönliche noch nationale. Unter
allen Gensdarmen, die ich in Frankreich kennen gelernt habe (wenigstens
40 an der Zahl), war er unstreitig der Sanspareil; die ganze Klasse
verdient es aber, daß ich ihr an dieser Stelle, wo ich ohnehin bald von
ihr Abschied nehmen werde, eine warme Lobrede halte. Sie waren alle
gut. Im ersten Moment in der Regel nüchtern, steif, selbst ein wenig
schroff, kehrten sie nach 10 Minuten regelmäßig die gemüthliche Seite
heraus, waren mittheilsam, ertrugen Widerspruch, luden mich zu ihrem
Frühstück ein (was ich auch in der Regel annahm), und erwiesen sich als
absolut unbestechlich, selbst in Kleinigkeiten. Sie mieden,
klugerweise, auch den Schein. So oft ich einen Versuch machte, mich am
Buffet zu revanchiren, meine Anerbietungen wurden stets artig aber
entschieden abgelehnt. Ich war #ihr# Gast, nicht sie die meinigen. Dazu
ein wahres Elite-Corps. Große, schöne Männer zwischen dreißig und
vierzig, vielfach aus den Kürassier-Regimentern, am liebsten aus der
Artillerie genommen; alles Leute, die in der Krim, in Italien und
Mexiko mitgefochten hatten, von Algier und Kabylien gar nicht zu
sprechen. Wenige, die #nicht# die Solferino-Medaille trugen. Alle die
liebenswürdigen Züge des alten Soldaten waren bei ihnen heimisch; nie
verstimmt, nie feindselig, immer ein Schutz, immer zu Zuspruch geneigt;
— dabei (vielleicht ihr hervorstechendster Zug) von einer unsagbaren
Verachtung gegen die Populace und gegen die Militairspielerei, die sich
vor ihren Augen breit machte. Möglich, daß sie #später#, als sich die
aus dem Boden gestampften Armeen mit rühmlicher Bravour in den Tod
stürzten, eine veränderte Stellung zu dieser Frage einnahmen; im
Dezember lagen die Dinge anders als im Oktober.

Ich kehre nunmehr zu meinem »Brigadier« zurück. Er erzählte mir viel
von der Familie des Vicomte d’Ussel, dessen älterer Bruder sein
Escadronchef gewesen war, lobte die Gesinnung und Noblesse des alten
Adels und that mir durch die Einfachheit und Leichtigkeit seiner
Unterhaltung geradezu wohl. Er war auch der einzige, der Verstand und
Takt genug besaß, sich in große politische Gespräche gar nicht
einzulassen.

All dies machte die Fahrt nach Poitiers zu einer sehr angenehmen; aber
sie hatte doch auch ihre unangenehme Seite. Bis dahin immer warm
zusammengepfercht, mußte hier die freiere Bewegung und die frischere
Luft mit einer sehr empfindlichen Kälte bezahlt werden, die nur wuchs,
wenn ich auf die mondbeschienene fast wie in einem dünnen
Schneeschleier daliegende Landschaft sah. Ich wurde der Schönheit
dieser Bilder nicht recht froh und segnete die Stunde, als wir endlich
zwischen 10 und 11 durch die glitzernden Felsmassen hindurchfuhren, auf
deren Höhe sich Poitiers erhebt. Das allgemeine Frösteln spornte zur
Eile; im Geschwindschritt ging es, über wohl 100 Steinstufen, die
Berglehne hinan, bis wir, durch ein Gewirr von Gassen hindurch
(natürlich völlig unbelästigt) das Gefängniß erreichten.

Es war 11 Uhr; alles schlief. Die verschiedenen Beamten in zum Theil
fragwürdigen Costümen erschienen staffelförmig, nach dem Grade ihres
Ranges; der vornehmste zuletzt. Die üblichen Fragen und Schreibereien
erfolgten rasch; ich bat um ein Kaminzimmer, wurde geschäftsmäßig nach
der Ausreichendheit meiner Kassenbestände befragt und erhielt das
Gewünschte ohne Weiteres, nachdem ich die ausreichenden Garantieen
gegeben hatte. Diese nüchtern-geschäftsmäßige Behandlung, wie immer in
Geldsachen, war auch hier das beste. Daran muß ich noch, wie vorhin ein
Lob der französischen Gensdarmerie, so hier ein Lob der französischen
Beamten knüpfen, so weit ich sie kennen gelernt habe, sowohl hier in
Poitiers, wie #überhaupt#. Sie waren nämlich nie ärgerlich und gereizt,
nie #schlechter Laune# und sind mir nach #dieser# Seite hin geradezu
als ein Muster erschienen. Es spricht sich darin entweder eine gewisse
#Wohlerzogenheit# oder ein tiefgehender, längst Allgemeingut gewordener
#humaner Zug#, oder aber drittens eine richtige Vorstellung vom
#Metier#, von der Beamtenpflicht aus. Wahrscheinlich wirkt alles drei
zusammen. Alle diese Beamten wurden unseretwegen aus dem ersten Schlaf
geholt, die Unbequemlichkeit war groß; aber ich habe keine
unfreundliche Miene, keine gerunzelte Stirn gesehen. Im Gegentheil, man
war artig und zeigte eine gewisse Theilnahme. Es war #Dienst# und damit
abgemacht.

Unser Gefängniß zu Poitiers war das besteingerichtete unter allen die
ich kennen lernte; es hatte etwas von der Opulenz eines großen Bahnhofs
oder eines Musterkrankenhauses. Am andern Morgen erschien ein
Mitgefangener, um ein Kohlenfeuer zu machen und überhaupt auf 8 Stunden
in meinen Dienst zu treten. Es war ein Pariser, ein allerliebster Kerl,
der sich auf die Kunde hin, »daß ich aus Berlin sei«, zu diesem Dienst
gemeldet hatte. Wir wurden bald gute Freunde. Er hatte nämlich in
Constantine, ich glaube ein halbes Jahr lang (von 1864 auf 65)
Offiziers-Burschendienste beim Ulanen-Lieutenant v. Prittwitz gethan,
der damals nach Paris kommandirt, auch nach Algier gegangen war, um die
Kämpfe gegen Kabylien mitzumachen. Von diesem seinem ehemaligen Herrn
sprach er nun mit der größten Anhänglichkeit, betrachtete jene Wochen
als die beste Zeit seines Militärdienstes und schilderte mir in
lebhaften Farben das Aufsehn, das sein »Lieutenant« gemacht habe, als
er das erste Mal, in vollem Ulanen-Aufputz durch die Straßen von
Constantine gegangen sei, um sich dem General zu präsentiren. Ich
versprach, bei meiner Rückkehr nach Berlin, seinem Herrn von ihm zu
erzählen. Vielleicht lösen diese Zeilen mein Wort ein. Sein Name war
Louis Charbault, Voltigeur im 93. Regiment.

Die anderen Begegnungen in Poitiers waren die herkömmlichen, so daß ich
— und um so lebhafter, als der schlechtziehende Kamin meine Zelle mehr
und mehr mit Kohlengas zu füllen begann — mit wahrer Freude die
Nachricht begrüßte: um 4 Uhr nach #Rochefort#. Die Fahrt war der vom
Tage vorher sehr ähnlich, nur mit dem einen Unterschiede, daß wir
diesmal wieder »gekeilt in drangvoll fürchterliche Enge« saßen, was
ich, als das kleinere von zwei Uebeln, freudig willkommen hieß. Um 11
Uhr Ankunft. Rochefort ist noch 2 Meilen von der Küste entfernt, aber
die Fluth dringt bis hierher vor und macht es zu einer Seestadt. An den
Brücken, am Bollwerk hin, lagen Briggs und Dreimaster; ihr Raaen- und
Spierenwerk schimmerte phantastisch im Mondenlicht. Im Gefängniß
wiederholten sich die Scenen vom Tage zuvor. Es war bitterkalt. Der
Schließer, trotz später Stunde, brachte mir noch ein Abendbrot, das aus
Landwein, großen Birnen und einigen Nüssen bestand. Gut gemeint, aber
wenig geeignet mich zu erwärmen. Ich wickelte mich in mein Reiseplaid,
ganz dicht und fest wie man ein Kind wickelt, und schob mich vorsichtig
unter die Decken, aus meinem Ueberzieher gleichzeitig eine Art Koppel
aufbauend, die sich über Brust und Kopf wölbte. So schlief ich endlich
ein, träumend von Schneestürmen, und daß ich am Wege eingeschlafen und
erfroren sei.




6. Marennes.

    Es rauscht kein Wald, mit hartem Schrei
    Nur fliegt die Wandergans vorbei,
    Am Strande weht das Gras.
        Th. Storm.

  Gebt uns ein Lied!
                  »Wenn ihr begehrt, die Menge.«
  Nur auch ein #nagelneues# Stück.
        Faust.


Bedrückend, wie der Traum, war das Erwachen. Bleiern lag es um meine
Stirn; als ich mich erheben wollte, fiel ich kraftlos zurück, das
Gespenst des Nervenfiebers stand vor mir. Wer einmal das Heraufziehen
dieses schweren Gewitters an sich beobachtet hat, behält eine
Erinnerung davon auf Lebenszeit. Ich kam aber drüberhin; wahrscheinlich
hatte mich der Kohlendampf vom Tage vorher nur betäubt und ließ meinen
Zustand schlimmer erscheinen als er war. Es war Mittag, als ich in den
Hof hinunterstieg, um mich in frischer Luft zu erholen.

Ich mochte während dieses Spaziergangs auf alle die mich sahen einen
ziemlich tristen Eindruck gemacht haben, denn bei meiner Rückkehr in
den großen Corridor überraschte mich die Meldung, daß ich umquartiert
worden sei. Der Direktor habe es so angeordnet. Ich ging, um zunächst
meinen Dank auszusprechen und stieg dann treppauf in meine neue
Behausung. Es war das Arbeits- und Wohnzimmer des Sohnes (jetzt bei der
Armee in Paris), das man mir eingeräumt hatte und der langentbehrte
Anblick des Wohnlichen that mir in diesem Augenblick der Erschöpfung
und des Kleinmuths unendlich wohl. Der Gesunde kann diese Dinge leicht
entbehren, dem Kranken sind sie ein Labsal. Ein Schreibtisch, ein
Bücherbrett, ein paar Bilder, über die Fliesen waren Teppichstreifen
gelegt; im Kamin brannte ein hohes Feuer, auf dem Sims standen ein paar
Vasen, dazwischen ein Spiegel. Ich sah hinein. Das erste Mal seit 5
Wochen! Ich konnte nicht finden, mich verbessert zu haben.

Zu Seiten des Kamins stand ein breiter Stuhl, ein gesticktes Kissen war
in die Rückenlehne gelegt. Ich suchte unter den Büchern, wählte eine
»≈Archéologie chrétienne≈« und rückte nun vor das Feuer. Von Notre-Dame
und der Reimser Kathedrale lesend, vergingen die Stunden; ehe noch der
Abend kam, war ich genesen. Der Direktor erschien, um nach meinem
Befinden zu fragen. Wir sprachen von unseren Söhnen, der seine #in#
Paris, der meine #davor#; die Väter saßen hier friedfertig bei
einander. Wir kamen auch auf das Gefängnißwesen. »Das Reglement ist
gut, aber kein Reglement erschöpft alle Fälle und Möglichkeiten; es
heißt eben auch da: der Buchstabe tödtet, der Geist macht lebendig.«
Wie sehr empfand ich die Wahrheit alles dessen. Einer solchen ideellen
Auffassung ihres schweren und wichtigen Berufs bin ich bei den
französischen Gefängnißvorständen #mehrfach# begegnet. Sie erkannten
ihre Pflicht darin, zu erheben, nicht niederzudrücken; keine
Sentimentalität, aber Humanität. Alle diese Männer #empfanden sich als
Träger einer Aufgabe# und nahmen eine Stellung zu dieser.

Die Insel Oléron, für die wir, meine badischen Mitgefangenen wie ich
selbst, bestimmt waren, konnte von Rochefort aus zu #Schiff#, die
Charente hinunter, ohne weitere Zwischenstationen in höchstens vier,
fünf Stunden erreicht werden; die Behörden zogen es aber vor, uns —
unter Ausschluß dieses Flußweges — so weit wie möglich den #Land#weg
machen zu lassen, d. h. also, bis zu einem äußersten, vorspringenden
Punkte hin, dem dann die Insel auf kaum Kanonenschußferne gegenüber
liegt. Diese Bevorzugung des Landweges vor dem Wasserwege schuf uns
noch eine Etappe. Diese Etappe war #Marennes#.

Der Weg von Rochefort bis Marennes betrug wenig über zwei Meilen; es
war also eine gute Gelegenheit gegeben, unser durch Eisenbahnfahrten
nur mäßig in Circulation gehaltenes Blut durch einen vierstündigen
Marsch wieder frisch und umlaufslustig zu machen. Die Nachricht davon
wurde auch mit allgemeinem Jubel aufgenommen; ich als »≈officier
supérieur≈« indeß erhielt die Zusicherung eines Wagens, womit ich denn
auch, trotz aller Wertschätzung energischen Blutumlaufs, schließlich
sehr einverstanden war.

Um 9 Uhr setzte sich die Colonne in Bewegung. Ich sage absichtlich die
Colonne, denn wir waren am Tage vorher durch zwölf andere Gefangene,
meist Matrosen und Schiffsjungen, verstärkt worden und musterten jetzt
im Ganzen 18 Mann. Es war ein vollständiger Zug. Erst 2 berittene
Gensdarmen, dann mein Fuhrwerk, dann die Colonne, dann wieder
Gensdarmen, dann Volk. So ging es bei schönstem Wetter aus Rochefort
hinaus; die Luft war frisch, aber nicht scharf, die Sonne fiel auf die
generalsartigen Wachstuchhüte der Gensdarmen und ließ diese hell
erglänzen. Die Stimmung aller war wie der Morgen.

Ich marschirte eine Viertelmeile mit, weil ich, zunächst wenigstens,
wie alle anderen das Bedürfniß nach Bewegung hatte, dann nahm ich
meinen Platz auf dem Gefährte ein. Es war ein zweirädriger Bau, von dem
ich unentschieden lasse, ob der Verbrecherkarren oder die norwegische
Carriolpost in ihm vorwog; was das Balancirbrett anging, das dem
Kutscher und mir als Sitz diente, so war es ganz und gar skandinavisch,
nur der Skudsjunge fehlte. Statt dessen hatte auf dem rechten
Brettflügel ein Alter in einem Schafpelz mit langhaariger
#Ziegenfell#-Pellerine Platz genommen. Dies sah unendlich komisch aus.
Er plauderte viel, aber sehr geschickt und suchte namentlich alle
langen Sätze zu vermeiden, ganz ersichtlich, um mir die Conversation zu
erleichtern.

So ging es fast eine Meile, wo wir in einem großen Dorfe, ich glaube
St. Agnair, eine erste Rast machten. Die Auberge hatte ganz den
Charakter einer spanischen Posada; alles war räucherig und geschwärzt,
ein Hängekessel über dem Feuer, Heiligenbilder, die Weiber alt und
häßlich, und inmitten dieser Wüstheit ein großes Bauer mit
Canarienvögeln, deren hellgelbes Gefieder wunderbar kontrastirte mit
dieser Fülle von Schwarz und Rauch. Ich bestellte Kaffee und gerieth
beim Anblick einer großen Kaffeemühle, die herbeigeschleppt wurde, in
solche Freudigkeit, daß ich auf einem Schemel am Feuer Platz nahm und
energisch zu drehen begann, während in das Gesumm des brodelnden
Wassers hinein die Scheite knackten und die Canarienvögel sangen.

Nach einer guten halben Stunde ging es weiter, immer in demselben
Aufzuge. Das landschaftliche Bild aber wurde von hier ab ein völlig
anderes. Bis St. Agnair hin waren wir durch eine einfache
Flachlandsgegend gezogen, die ebenso gut auch bei Alt-Landsberg oder
Jüterbog hätte liegen können; jetzt erst traten wir in ein Terrain ein,
das diesen Küsten eigentümlich ist, in die »Marais« (Meersümpfe),
angeschwemmtes, dem Meere entwachsenes Land, das aber immer noch
zweilebig geblieben ist und in seinem Luch- und Sumpfcharakter nicht
recht weiß, wozu es sich halten soll. In anderen Gegenden ist dies
angeschwemmte Land, wie beispielsweise an der schleswig-holsteinischen
Westküste, ein vorzüglicher, die besten Ernten gebender Boden, hier
aber erweist er sich als stumpf, lehmarm, unfruchtbar und trägt nur
eine kümmerliche Kruste, gerade stark genug, um ein mittelmäßiges Gras
zu produciren und eine ziemlich ausgedehnte Viehzucht zu gestatten.
Dabei ungesund wie alle Sumpfgegenden.

Die schon mit südlicher Kraft wirkende Sonne an diesem Küstenstriche
hat es aber doch ermöglicht, in diesen »Marais« eine eigene Industrie
groß zu ziehen, die nicht nur vielfach die Bevölkerung nährt, sondern
auch landschaftlich diesen Gegenden einen besondern Stempel aufdrückt.
Das ist die Seesalzfabrikation. In große flache Teiche wird, mit Hülfe
der Fluth wenn ich nicht irre, das Seewasser geleitet und durch den
einfachen Prozeß der Verdunstung auf Seesalz hin bearbeitet. Mit großen
Krücken, den »≈râbles≈«, werden die Krystalle herausgefischt und dann
in daneben befindlichen, meist backofenartigen Strohhütten aufbewahrt.
Auf Meilen hin sieht das Auge nichts wie Wiesen, Teiche und
Strohdächer. Sehr monoton, aber sehr eigenthümlich.

Nach abermals anderthalb Stunden erreichten wir eine scharfe Biegung
der Chaussee, die Straße begann ein wenig zu steigen und der Thurm von
Marennes, eine hohe gothische Spitze, wurde sichtbar. Wir hatten von
dieser Wegebiegung aus nur noch eine gute halbe Stunde; das belebte
wieder. Die etwas aus Schritt und Tritt gekommene Colonne ordnete sich,
die Gensdarmen, die sich nach deutschen Kommandos erkundigt hatten,
kommandirten unter Lachen: »links, rechts, links, rechts«, und von der
Front her erscholl jetzt der Ruf: #singen#. Ich drehte mich um und
nickte ihnen zu, wurde aber in demselben Augenblick von dem bangen
Gedanken erfaßt: was wird es jetzt geben? was wird gesungen werden?
Richtig, die Wahl überstieg noch meine kühnsten Erwartungen; ein
Badenser intonirte: »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten«, und die
Matrosen fielen sofort heiser und wehmuthsvoll ein: »daß ich so traurig
bin«. Sie waren aber alles andere eher wie traurig; namentlich der
eine, ein bildhübscher Kerl, der unserem Steffeck in seinen besten
Tagen wie ein Zwillingsbruder ähnlich sah, hatte in St. Agnair dem
»≈vin blanc≈« erheblich zugesprochen und hin und her wankend machte er
jetzt allerdings den Eindruck einer gewissen Auflösung, aber nicht in
Schmerz.

Endlich war man mit allen Versen durch, eine kleine Räusperungspause
trat ein, die uns bis auf 1000 Schritt an die im Mittagslichte hell
daliegende Stadt führte. Ein Wäldchen, Birken und Eichen, eine sauber
gehaltene »Plantage«, lag uns bereits zur Rechten und schon begannen
einzelne Spaziergänger sich unserem Zuge anzuschließen. Das gab neuen
Künstlermuth, und siehe da, ein alter anhaltiner Marketender, der beim
Butteraufkauf in der Nähe von Laon von Franctireurs gefangen genommen
worden war, kommandirte jetzt mitten aus der Colonne heraus: »Die Wacht
am Rhein.« Ich mußte laut auflachen. Eine auf die größte Dummheit
gesetzte Prämie hätte keine bessere Wahl zu Stande bringen können. Die
Colonne war aber so unkritisch wie möglich; ein halbes Dutzend Stimmen
unterstützten die Forderung, und unter der in jeder Strophe auf’s Neue
abgegebenen Versicherung, daß »lieb Vaterland ruhig sein könne«, zogen
wir, hundert Meilen westwärts des Rheins, als #Kriegsgefangene# in
Marennes ein. Die halbe Stadt hatte sich schon vorher uns zugesellt. Es
war, wie wenn die Puppenspieler irgendwo einziehen. Ich als Direktor.
Mein Alter mit der Ziegenfell-Pellerine sah aus wie der Zauberer der
Gesellschaft. Unzweifelhaft erstes Mitglied.

Das Gefängniß nahm uns auf; Besuche kamen, wir waren weit mehr eine
Sehenswürdigkeit, als wie Feinde. Der Souspräfekt begrüßte mich; ein
feiner, blaß und kränklich aussehender Herr, der mich lebhaft an Mr.
Cialandri, den Souspräfekten in Neufchateau, erinnerte. Was lag alles
dazwischen! Tod und Leben.

Wir hatten ziemlich freie Bewegung, jede kleine Annehmlichkeit wurde
gewährt, freilich für Summen, die an’s Lächerliche grenzten. Ich
bezahlte ein Hammelcotelett wie ein Diner bei Very. Gegen Abend
erschienen der Maire und sein erster Secretair in meiner Zelle. Es kam
Licht; die beiden Herren nahmen auf einer Bank Platz, ich auf dem
Bettrand; so plauderten wir. Sie waren, als #Schäfer verkleidet#, bei
Sedan von den Preußen gefangen genommen worden und hatten beide auf dem
Punkte gestanden, ihre Schlachten-Amateurschaft mit dem Leben zu
bezahlen. Herzog Wilhelm von Mecklenburg hatte sie gerettet und
freigegeben. Da waren sie nun wieder in Marennes. Als Dritter im Bunde
saß ich daneben! Meine Amateurschaft für romantische Plätze hatte mich
auf französischer Seite in dieselbe bedrohliche Situation gebracht. Wir
tauschten unsere Erlebnisse aus, zugleich unsere Befriedigung
#darüber#, daß wir es überhaupt noch konnten.

Dann trennten wir uns, der Schließer entschuldigte sich, daß er
»schließen« müsse; eine halbe Stunde später schloß ich die Augen.

In der Nacht horchte ich auf, ob ich nicht den Wogengang des »Atlantic«
hörte, dem ich jetzt auf eine halbe Stunde nahe war. Mitunter schien es
mir, als rausche und grüße es herüber.

Aber es war nur der Wind, der durch den Kamin fuhr.

[Illustration]




≈Ile d’Oléron.≈




1. Die Insel Oléron.

  Auf dem erhöhteren Fels erscheint ein zerfallenes Vorwerk,
  Mit Schießscharten versehn, sei’s, daß hier immer ein Wachtthurm
  Ragte, den offnen Strand vor Algiers Flagge zu hüten,
  Sei’s, daß gegen den Stolz Englands und erfahrene Seekunst
  Erst in der jüngeren Zeit es erbaut der Napoleonide.
      Platen.


Zwischen den Mündungen der Loire und Gironde, aber mehr in Nähe dieser
letzteren, buchtet der atlantische Ocean ziemlich tief ins Land hinein
und schafft hier eine Küstenformation, die eine Landung des Feindes
begünstigt. Es handelte sich also seit lange darum, das Land an dieser
verwundbaren Stelle fest zu machen. La Rochelle und Rochefort, die an
dieser Bucht gelegen sind, wurden Festungen. Dies genügte aber nicht.
Die #Annäherung# mußte bereits erschwert werden und hierzu boten die
vorgelegenen Inseln die beste Gelegenheit. Die kleineren wurden ihrem
ganzen Umfange nach in Forts verwandelt, die größeren wurden mit einem
Kranz von Werken umgeben. Dieser größeren Inseln waren zwei: Isle Ré
und Isle d’Oléron, von denen man jene als ein Außenfort von La
Rochelle, diese von Rochefort ansehen kann. Zwischen beiden, als ein
Punkt von besonderer Wichtigkeit, liegt noch die kleine Insel Aix. Zu
allen Zeiten hatte diese Inselgruppe eine Bedeutung in der Geschichte
des Landes; schon das Mittelalter kannte ein »#Oleronisches# Seerecht«
(ich glaube das älteste), und was die Befestigungswerke angeht, so
fügte jede neue Regierung seit den Tagen Ludwigs XIV. das eine oder
andre hinzu.

Eine ganz besondere Wichtigkeit gewannen diese Inseln während des
25jährigen Kampfes Englands gegen die Republik und das Empire. Hier
spielte der letzte Akt des Kaiserreichs. Zwischen Isle Ré und Isle
d’Oléron, die Ausgänge schließend, lag die englische Escadre unter
Admiral Hotham, die Auftrag hatte, eine Flucht des Kaisers zur See zu
hindern; in vorderster Reihe der Bellerophon, Capitain Maitland. Am 3.
Juli war der Kaiser in Rochefort, am 12. Juli auf Isle d’Aix, wo er am
14. die berühmt gewordenen Zeilen an den Prinz-Regenten richtete: »≈En
butte aux factions qui divisent mon pays, et à l’inimitié des plus
grandes puissances de l’Europe, j’ai consommé ma carrière politique. Je
viens, comme Thémistocle, m’asseoir sur le foyer du peuple britannique;
je me mets sous la protection de ses lois, que je réclame de Votre
Altesse Royale, comme celle du plus puissant, du plus constant, du plus
généreux de mes ennemis.≈«

Den Tag darauf begab sich der Kaiser an Bord des Bellerophon, um
Frankreich nicht wiederzusehen. Am 26. Juli lag er auf der Rhede von
Plymouth, am 16. Oktober, am Jahrestage der Schlacht von Leipzig,
landete er auf St. Helena.

Seit 1815 wurde die Inselgruppe vor Rochefort und La Rochelle nur immer
als Detentionsort genannt, zumal während der ununterbrochenen Kriege
jenes zweiten Kaiserreichs, das sich mit den Worten introducirt hatte,
der Friede sein zu wollen. Anno 54 und 55 waren Russen, Anno 59
Oesterreicher hier in Gefangenschaft; im Winter 70 auf 71 machte die
Insel die Bekanntschaft der Preußen und Bayern.

Isle d’Oléron ist 4½ Quadratmeile groß, also ebenso groß wie Wollin,
etwas größer wie Fehmarn. Die Bevölkerung, ziemlich zahlreich und
wohlhabend, hat sich in zwei Städten und vier Dörfern concentrirt. Die
beiden Städte sind Chateau und St. Pierre. St. Pierre ist um etwas
größer, steht aber an Bedeutung hinter Chateau zurück. Hier ist die
Citadelle, hier sind die Forts und Kasernen, hier wohnen die Behörden;
es ist der beherrschende Punkt, während St. Pierre, als behagliche
Ackerstadt, inmitten der Insel liegt. Der Boden von Isle d’Oléron
wechselt zwischen großer Fruchtbarkeit und Sterilität; weite Strecken
sind Sumpfland wie die Marais zwischen Rochefort und der Küste, und
hier wie dort hat man diese unfruchtbaren, wenn auch jetzt trocken
gelegten Sümpfe zur Gewinnung von Seesalz hergerichtet, ganz in der
Art, wie ich es in dem Kapitel Marennes beschrieben habe. Der ärmste
Theil der Bevölkerung lebt von dieser Salz-Industrie; andere sind
Schiffer, Fischer und versorgen den inländischen Markt mit Fischen und
Austern, von denen sich die letzteren (sie sind grünlich und von einem
aparten Wohlgeschmack) der besonderen Geneigtheit der Pariser Gourmands
erfreuen. Die Wohlhabenden auf Isle d’Oléron sind die Ackersleute;
einige Wenige treiben Handel.

Dies war die Insel, für die wir bestimmt waren, der wir jetzt zufuhren.




2. Ankunft.

  Steige, Insel, aus dem blauen
  Reinen Wogenbad empor,
  Hell ist schon die Stadt zu schauen
  Und das weiße Haus am Thor.

      B. v. Lepel. (Die Wittwe von Capri.)


Marennes liegt nicht so unmittelbar am Meere, daß sich von hier aus die
Ueberfahrt nach der Insel ermöglicht hätte; es bedurfte also noch eines
kurzen Marsches, um die eigentliche Fährstelle zu erreichen. Diese ist
ein einzeln stehendes Gehöft, das nach der Seeseite zu einen Quai
bildet. An diesem Quai liegt das Dampfschiff, das den bescheidenen
Dienst einer Fähre versieht.

Es regnete, als wir in das Fährhaus eintraten, und so hatten es denn
die hohen, durchwärmten Räume mit ihren flackernden Feuern
verhältnißmäßig leicht, einen anheimelnden Eindruck auf uns zu machen.
Es war aber nicht blos der Gegensatz von draußen und drinnen, der uns
hier mit einem lebhaften Behagen erfüllte, die Ordnung, die Sauberkeit,
die Wohlhabenheit, die hier unverkennbar zu Hause waren, trugen das
Ihrige dazu bei. Inmitten des großen Gastzimmers standen zwei riesige
Betten von Nußbaumholz mit grünen Decken und Vorhängen von derselben
Farbe. Das Holz war spiegelblank und gab einen ordentlichen Glanz durch
das ganze Zimmer hin.

Die Beherrscherin dieser Räume war eine Frau von Mitte siebzig, klein,
aber mit großen, klugen Augen voll unerloschenen Feuers, unverkennbar
eine Person, die vor 50 Jahren allen jungen Männern zwischen Marennes
und Isle d’Oléron die Köpfe verdreht hatte. Sie wählte mich gleich aus
der Gruppe heraus, um mir in einer liebenswürdigen, kleidsamen und
ihrem Alter entsprechenden Weise den Hof zu machen. Dabei beherrschten
ihre Augen mitten im Geplauder den ganzen Haushalt, nichts entging ihr
und man sah, daß alles ängstlich nach ihr hinüber fragte.

Es ist sehr interessant, derartige Frauen zu beobachten; sie bilden
eine ganze Gruppe. Von Jugend auf gewöhnt zu gefallen, Aufmerksamkeit
zu erregen und eine #Macht# auszuüben, bleibt ihnen eine gewisse
Koketterie (die nach den Jahren sich #modelt#) bis in ihr höchstes
Alter hinein, während zugleich ihre Siegergewohnheit sich zu jener
absoluten Herrschergewalt ausbildet, von der die Haushaltungen und ihre
#nominellen# Vorstände zu erzählen wissen. Diese Alte, die mir mit
Eleganz, Schelmerei und mütterlichem Wohlwollen den Kaffeetisch
arrangirte, während ihr Augenzwinkern durch drei Stuben hin dirigirte,
war ein Musterstück ihrer Gattung. Ein Haus- und Eheherr, den ich in
Verdacht hätte haben können, der zeitige Bewohner einer jener blanken
Nußbaumbettstellen zu sein, war nicht sichtbar; — ich vermuthe #längst#
seinem Geschick erlegen.

Der Regen legte sich, der Dampfer zischte, die Gensdarmen mahnten zum
Aufbruch; eine Viertelstunde später schwammen wir zwischen Festland und
Insel; noch zehn Minuten (durch die übliche Unterhaltung, die mich am
Beobachten hinderte, leider getrübt) und wir lagen an dem Quaderdamm
von Isle d’Oléron. Im Geschwindschritt, durch Neugierige wenig
belästigt, ging es auf die Commandantur zu.

Sie lag am andern Ende der Stadt; wir hielten vor einem Gartenzaun,
über dessen Spitzen allerhand Baum- und Strauchwerk hinüberwuchs; das
Ganze mehr idyllisch, nach Art einer Pfarrerwohnung, als
kommandanturhaft-militairisch. So war auch das spalierumhegte Haus, in
das wir jetzt eintraten. Wir wurden rangirt; ich, in einigem Abstand,
erhielt den rechten Flügel; es fehlte mir nur noch der Sponton des
Unteroffiziers. Dann erschien ein freundlicher Herr in Civil mit dem
üblichen Ponceau im Knopfloch, das aber diesmal eine rothgefärbte
beinerne Rosette war und aussah wie eine kleine Schachfigur. Der Herr
selbst war Capitain Forot, Bataillonschef, Kommandant von Isle
d’Oléron. Er musterte uns, entließ die Colonne und bat mich, ihm in
sein Zimmer zu folgen. Hier wurde ich den Damen vorgestellt, unter
denen sich, neben der Frau vom Hause, eine hübsche blonde, eben erst
verheiratete Elsässerin befand, deren eigentliche, stillschweigend
verabredete Aufgabe dahin ging, im Verkehr mit den täglich
eintreffenden Gefangenen den Interpreten zu machen; eine Aufgabe, deren
sie sich aber nach Möglichkeit entschlug, indem sie, wie mir Capitain
Forot vertraulich versicherte, ihre Zeit lieber dahin anlegte,
»Vormittags Briefe zu schreiben und Nachmittags zu weinen.« Er setzte
hinzu: »So ein Krieg, der in die Flitterwochen fällt, ist allerdings
das Empörendste, was man sich denken kann.«

Wir plauderten das Uebliche, und der Friede (wie immer) wurde wieder
auf Tag und Stunde durch mich festgestellt. Inzwischen waren einige
Flaschen Straßburger Bier erschienen, die junge Elsässerin präsentirte
das vaterländische Gebräu und ich letzte mich nach 6 Wochen zum ersten
Male wieder an einer Art Gerstensaft. Es war ein sehr mäßiges Produkt,
aber, wie immer auch, es war doch #Bier#, hatte etwas von jenem
nervenstärkenden Bitterstoff, der die Hauptsache bleibt, und so kam es
mir vor, als ob ich Gesundheit tränke. Capitain Forot ließ bald die
Politica fallen und ging in den Ton über, der seiner feinen und
liebenswürdigen Natur der entsprechendste war, in humoristische
Neckerei. Sein Hauptstichblatt war die junge Blondine mit ihrem
antecipirten Wittwenschmerz; aber auch ich erhielt meinen Theil und
mußte mir Scherze über die Gefahren des Romanticismus gefallen lassen.
Ich that es nur zu gern. Es waren doch wieder verwandte, anheimelnde
Töne. »≈Enfin≈, so schloß er, ich sehe die Tage heraufziehen, wo Sie
die Gefangenschaft auf Isle d’Oléron segnen werden; Sie werden einen
guten Stoff gewinnen und Ihr zukünftiger Biograph einen noch besseren.«




3. Die Citadelle.

  Wir wollen uns den grauen Tag
  Vergolden, ja vergolden.
      Th. Storm.

  ≈Thy fire, thy wine,
  All is mine.≈


Inzwischen wurde gemeldet, daß der »Fournisseur« eingetroffen sei, eine
behäbige Person mit rothblondem Bart und Klapphut, etwas Engländer,
etwas Hecker-Struve und ganz Fournisseur. Unter seinem Beistand sollte
eine Wohnung für mich gesucht werden, und zwar auf der »Citadelle«. Wir
schritten zu Dritt dieser zu, passirten ein Glacis, dann ein paar
Brücken und Thore und standen nunmehr auf einem Triangel-Hof, dessen
drei Seiten von eben so vielen kasernenartigen Gebäuden umstellt waren.
Zwei davon waren bereits mit Gefangenen belegt; die dritte Seite, die
die Offiziersquartiere enthielt, war noch frei.

Wir traten in diese dritte Seite ein. »Ich muß nun schon ein Uebriges
für Sie thun«, sagte der Kommandant, »wie könnten Sie Ihre Tage besser
verbringen, als angesichts des ewigen Meeres!« damit wurde ein Zimmer
aufgeschlossen, das die prosaische Inschrift trug: »≈No. 7:
Lieutenant≈«, das aber allerdings durch seine großen Fenster hindurch
einen entzückenden Blick auf das Meer gestattete. Ich schwankte einen
Augenblick; dann hatte ich meine Wahl getroffen und erwiderte ihm
lachend, daß ich nicht gern zum zweiten Male als Opfer des
Romanticismus fallen möchte; Aussicht sei viel, aber Comfort sei mehr.
»Nehmen wir ein anderes.« Damit traten wir in einen Nebenraum, der den
Eindruck machte, als müsse die Heerdplatte hier noch warm sein, als sei
das »Camp« an dieser Stelle vor wenig Stunden erst abgebrochen.
Vielleicht war es so. Aber es konnte mich auch hier nicht halten, denn
die Fensterscheiben, bis zu beträchtlicher Höhe, waren mit lauter, aus
rothem Papier geschnittenen Teufelchen beklebt, die sich unter einander
neckten, Gesichter schnitten und unanständige Geberden ausführten.
Beneidenswerther, der hier in einer Art Mischgattung von
Höllenbreughels und Struwelpeter sich verewigt hatte! #Meine# Nerven
wären diesem Anblick nicht gewachsen gewesen, und so schieden wir denn
auch von diesem Raume. Ein drittes Zimmer »≈No. 9: Capitaine≈«
entsprach endlich meinen Wünschen; der Kommandant empfahl sich und der
Fournisseur fing an seine Notizen zu machen. Eine Stunde später wurde
ein Karren abgeladen; Matratzen, Decken, Gardinen erschienen in buntem
Durcheinander, sogar eine endlose gelbe Fahne mit einer Grecque-Borte,
die den Anspruch erhob (er blieb unerfüllt), als Betthimmel installirt
zu werden.

Beinah gleichzeitig war aus der benachbarten Cantine ein alter, dort
beschäftigter Invalide bei mir eingetreten, um seine vorläufigen
Dienste anzubieten. Ich bat ihn, mir Holz und Cognac zu bringen, um
meinem Frösteln, denn es regnete und stürmte wieder, auf doppeltem Wege
beikommen zu können. Der Alte lächelte. Ich hätte nichts fordern
können, das ihm lieber gewesen wäre. Eine Viertelstunde später — ich
war inzwischen allein geblieben und lief auf und ab, um mich zu
erwärmen — erschien er mit einer unglaublichen Menge Holz und einer
Quartflasche ≈Eau de vie≈. Ich kann wohl sagen, daß ich erschrak. Das
Ganze, in seiner Massenhaftigkeit, hatte etwas, wie wenn sich ein
Caraiben-Fest vorbereiten solle. Auf viel was Besseres lief es auch
wirklich nicht hinaus. Das Holz waren gespaltete Eichenrippen eines
gestrandeten Schiffes, in dem noch die großen rostigen Nägel steckten,
rostig vom Seewasser und langem Liegen im Regen. Der Alte packte einen
wahren Scheiterhaufen auf, schob einige Strohwische drunter und
verschwand mit der Versicherung, »daß es gleich brennen würde«. Es
brannte auch, aber wie. Große Massen Rauch schlugen in das Zimmer
hinein; ich begann zu blasen und zu pusten, opferte eine ganze
Schachtel Streichhölzer; alles umsonst; es blieb ein Schwelfeuer, die
Augen fingen an zu thränen und ich nahm endlich den Wasserkrug, um
dieser Herrlichkeit ein Ende zu machen. Mir blieb nichts als der
Cognac. Ich stürzte ein viertel Glas voll hinunter. Furchtbar. Wer aber
will dies blinde Vertrauen tadeln.

Nach einer Stunde kam der Alte. Er sah listig genug aus; wenigstens
schien es mir so. Ich lehnte entrüstet jeden Conversationsversuch ab,
stellte die grünglasige dicke Bouteille auf den Scheiterhaufen, der
eigentlich nie gebrannt hatte, und forderte ihn auf, persönlich und
sachlich zu verschwinden.

Das war es, was er gewollt hatte. Er nickte, packte alles auf seinen
Arm, steckte die Flasche in seinen weitabstehenden Westenflügel und
empfahl sich unter den landesüblichen Höflichkeitsformen.

Ich höre noch sein »≈bon soir, Monsieur≈«.




4. Rasumofsky.

  Hier fragt niemand, was Einer glaubt,
  Was nicht verboten ist, ist erlaubt.
      Wallensteins Lager.


Bequartiert war ich nun; alles war da, nur die oberste Dienstcharge,
die zu besetzen war, war noch unbesetzt geblieben, — der Bursche fehlte
noch. Aber auch darüber wurde ich beruhigt. »≈Demain matin≈«.

≈Demain matin≈ kam und beinahe gleichzeitig mit ihm erschien ein
Hausbeamter, um mir, vorbehaltlich meiner Zustimmung, meinen
zukünftigen Burschen, den Verwalter meiner Wirtschaft, vorzustellen,
Max Rasumofsky. Er gefiel mir auf der Stelle; daß er ein schwarzer
Husar war, besagten die Ueberreste seiner Uniform, daß er ein Pole war,
entnahm ich seinem Namen, daß er ein Schneider war, ergaben die ersten
Recherchen. Ich hatte also alles in ihm vereinigt, was man von einem
Burschen Tüchtiges erwarten kann: Husar, Pole, Schneider. Ich griff zu
und hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Er war, was der militairische
≈terminus technicus≈ #schneidig# und #findig# nennt. Unschätzbare
Eigenschaften überhaupt; im Besondern auch hier.

Seine »Schneidigkeit« fiel natürlich in die Zeit #vor# seiner
Gefangenschaft, und was die Beweise dafür angeht, so bin ich zum besten
Theile auf seine eigene Berichterstattung angewiesen. Wer aber viele
Leute hat erzählen hören, weiß bald, ob er Dichtung oder Wahrheit vor
sich hat. Rasumofsky war als »Spitze« in einen Wald eingeritten, hatte
Feuer bekommen und den Fehlschuß des nächststehenden Franctireurs mit
einem Treffer aus seinem Karabiner erwidert, aber dies erste Lächeln
des Sieges war auch das letzte gewesen. Wie aus einem Bienenkorb
schwärmten die feindlichen Schützen aus, hundert Kugeln pfiffen um ihn
her, eine riß ihm den Stiefelhacken weg und schlug klirrend den
Steigbügel in Stücke, er selbst war ungetroffen und die Möglichkeit der
Rettung lag noch vor ihm; da traf eine zweite Kugel die Kruppe seines
Schimmels, Pferd und Reiter stürzten und im nächsten Moment war er
umringt, gefangen. Ein junger deutsch sprechender Offizier, mit breiter
rother Schärpe, sprang auf ihn ein: »Warum hast Du geschossen?« »Wozu
hab’ ich denn meinen Karabiner? Wir kriegen die Waffen, um sie zu
gebrauchen.« Der Offizier lachte. »Was wird nun aus Dir.« »Nun, ich
werde todtgeschossen.« »Sei kein Narr; Du bist ein guter Husar und kein
Haar soll Dir gekrümmt werden.« Die Franctireurs nahmen ihn in die
Mitte, wickelten die lange Hängetasche um eine ihrer Flinten und
schleppten den Todtenkopf-Husaren im Triumphe fort.

Wenn mir nun die Schneidigkeit Rasumofskys so gut wie gewiß war, so war
ich seiner #Findigkeit# ganz und gar sicher. Es war ganz unglaublich,
was er alles »gefunden« hatte, namentlich in den Tagen, die dem Siege
von Wörth unmittelbar folgten. Mehrere Spiele Karten, eine
Straußenfeder, ein schwarzer Schleier mit Goldsternchen, eine Flasche
Anisette. Diese war das Beste. Ein paar französische
Generals-Epauletten begleiteten ihn mehrere Tage und bildeten noch in
Oléron den Lichtpunkt seiner militairischen Erinnerungen, aber er
brachte es mit ihnen nicht über einen idealen Genuß hinaus, der zuletzt
zu einer freiwilligen Trennung führte. »Wo haben Sie sie denn
gelassen?« »Ich habe sie wieder weggeworfen.« Dabei klang nichts von
Klage oder Betrübniß mit ein; nur die Freude lachte ihm aus den Augen,
das blanke Spielzeug ’mal besessen zu haben. Das ist die echte
Findigkeit. Die Freude auch an dem, was man nicht brauchen kann.

Ich wäre aber undankbar, wenn ich Rasumofskys Findigkeit lediglich in
die Vergangenheit stellen und übersehen wollte, daß dieselbe auch bis
in die Gegenwart hineinragt. Auch hier noch, unter den erschwerendsten
Umständen, »findet« er beständig, und zwar in echter Burschentreue
nicht für sich, sondern #mir# zu Liebe. Es tauchen Schuhbürsten,
Theelöffel, Lichtscheeren auf, deren Ursprung nachzuforschen ich
wohlweislich unterlasse; seine eigentlichste Begabung zeigt er aber im
Anfahren von Holz. Ich habe hierüber längere Unterredungen mit ihm
gehabt, in denen wir die feinsten Fragen berührt haben. Er hat mir
schließlich mit siegreicher Beredsamkeit auseinandergesetzt, daß mir
Holz geliefert werden #müsse#, daß eine bloße Verschwörung existire,
mich um täglich einen Franken zu bringen, und daß er die Verpflichtung
habe, diesen im Dunkel wühlenden Mächten entgegen zu arbeiten. Ich habe
endlich geschwiegen, was er als Zustimmung gedeutet hat. Seitdem
verfolgt er mit scharfem Auge jede morsche oder durchgetretene Diele,
das handbreite Loch durch einen raschen Griff um das Doppelte oder
Dreifache erweiternd; wer will in diesen dunklen Korridoren am Ende
nachweisen, ob der Schwamm oder die Ratten oder Rasumofsky dem ohnehin
immer geschäftigen Zahn der Zeit vorgegriffen haben? Die Asche im Kamin
ist schließlich stumm wie das Grab. Die Dielenausbeute verschwindet
aber neben dem, was die Fensterladen liefern. Rasumofsky hat nämlich
entdeckt, daß von den drei Querhölzern, die dem ganzen Fensterladenbau
erst Halt geben, mindestens eins entbehrt werden könne, und dies eine
(immer das schrägstehende, weil es das längste ist) ist dem Kamine
rettungslos verfallen. Wie die Laden selbst sich halten werden, wenn
erst die großen Stürme kommen, muß abgewartet werden. Vielleicht
erblüht uns aus ihrem völligen Zusammenbrechen eine neue Ernte.

Es geht ein leiser Zug von Incorrektheit durch unsern gesammten Wandel
hier, und so kann es nicht überraschen, daß in dem Verhältniß zwischen
Rasumofsky und mir manches blos auf den Schein gestellt ist. Eine
gesellschaftliche Lüge, wie so vieles andere! Dieser Schein tritt in
nichts so hervor wie in der Kleiderreinigungsfrage. Jeden Morgen, wenn
das Feuer angezündet und das Theewasser in die ersten Kohlen gestellt
ist, tritt Rasumofsky mit einer gewissen Adrettheit an mein Bett, um
von der Stuhllehne den Rock, den Ueberzieher, die Beinkleider zu nehmen
und damit im Flur, wo sich auch wirklich ein großer Kleiderriegel
befindet, zu verschwinden. In kürzester Zeit ist er wieder da, so daß
ich mich überzeugt halte, daß er der gesammten Kleiderdreiheit nur eine
frische Brise und den Anblick der Morgensonne gönnt. Mit komischer
Sorglichkeit breitet er, bei seinem Wiedererscheinen, die drei
Kleidungsstücke über dieselbe Lehne aus, von der er sie eben entführte.
Dies wiederholt sich jeden Tag. Ich war einen Augenblick geneigt,
dieser Komödie ein Ende zu machen, aber ich habe mich eines Besseren
besonnen. Es ist ganz gleichgültig hier, ob der Rock blank ist oder
nicht, aber das #Prinzip# muß gewahrt und die Verpflichtung immer neu
anerkannt werden. So hat denn das Schauspiel seinen Fortgang. Zwei
Stunden später ≈mutatis mutandis≈ erlebt es seine Wiederholung. Ich
werde dann gebeten, eine halbe Stunde spazieren zu gehen, um durch die
Zimmerreinigungs-Procedur nicht gestört zu werden. Aber auch hier kommt
es ausschließlich zu einer Lüftung; dann ziehe ich in die alten lieben
Räume wieder ein. Die Ordnung der Dinge ist inzwischen durch keine
übergeschäftige Hand gestört worden.

Wir leben gut, einträchtig, friedfertig mit einander, ich theile meine
Neuigkeiten und meine Mahlzeiten mit ihm, und mein Cognac-Conto bei Mr.
Vimenet, dem kleinen freundlichen Kaufmann in der Stadt, wird lediglich
ihm zu Liebe mit immer neuen Francs beschwert; aber all dies hat ihn
doch nicht veranlassen können, mir eine angemessene #Rang#stufe
anzuweisen. Er nennt mich »Herr Leutnant«. »Gleich, Herr Leutnant«, »zu
Befehl, Herr Leutnant«, damit muß ich mich begnügen. Meine Jugend kann
es nicht sein, die ihn hindert, mich avanciren zu lassen, ja er macht
nach #dieser# Seite hin völlig entgegengesetzte Bemerkungen, die auch
wieder weit über das Wünschenswerthe hinausgehen; es muß also irgend wo
anders fehlen. Ich habe dieser Thatsache gegenüber den einzigen,
leidigen Trost, daß sich alle Dinge im Leben nach einem
Ausgleichungsprinzip reguliren, und daß ich, vom Feinde ohne Verdienst
und Würdigkeit zum ≈Officier supérieur≈ ernannt, in dieser Degradirung
sich nur ein Gesetz ewiger Gerechtigkeit vollziehen sehe.

In unsern politischen Anschauungen sind wir einig. Sie finden immer
wieder in dem Satze Ausdruck, daß der Friede unterzeichnet werden
müsse, damit wir Weihnachten zu Hause sind. Ob dabei Straßburg und Metz
wieder an Deutschland kommen, oder nur eins von beiden, hat uns noch
nicht lebhaft beschäftigt, am wenigsten entzweit. Ich habe ihn in
Verdacht, daß er eine mehr als ruhige Position zu dieser Frage
einnimmt.

Sei’s drum. Das »Weihnachten zu Hause« steht wohl noch manchem
Gefangenen und Nichtgefangenen im Vordergrund. Die diesen Egoismus
abgethan haben und in großem Empfinden über sich selbst hinauswachsen,
#ihre# Zahl ist klein.

Warum sollte Rasumofsky unter diesen Wenigen sein!




5. Blanche.

  Jung,
  Auf dem Sprung,
  Nicht bös,
  Graziös.


Auch ein weibliches Wesen ist um mich her, das in meinem Haushalt die
Ergänzung zu Rasumofsky bildet. Es ist, um mich in Rückertschen
Anklängen zu bewegen, eine feine Reine, schlanke Kleine, die ich mit
Rücksicht auf ihre Erscheinung #Blanche# getauft habe. Sie ist ganz
weiß und nur auf der Stirne, als Zeichen edelster Abstammung, hat sie
einen braunen und schwarzen Tigerstreifen. Sie ist noch ganz Kind, ganz
unbefangen, faßt das Leben von der heiteren und Vergnügungs-Seite auf
und betrachtet sich selbst als bloßes Ornament des Daseins. Sie kennt
keine andere Pflicht als die, sich zu putzen und sich streicheln zu
lassen; sie könnte nach allem eine Engländerin sein. Nur ihrer Grazie
nach ist sie Französin.

Ich engagirte sie zunächst aus bloßen Nützlichkeitsrücksichten und
erwartete von ihr, wie jetzt das Modewort lautet, einen »≈guerre
d’extermination≈« gegen den Erbfeind; aber niemals ist eine Erwartung
gründlicher getäuscht worden. Sie scheint kaum zu wissen, daß es Feinde
giebt, geschweige Erbfeinde; sie führt ihren Exterminations-Krieg gegen
Gardinenkanten, gegen alles, was Puschel oder Quaste heißt; über Nacht
aber, wenn der Feind seine Vorposten schickt, horcht sie auf, spinnt
dann einen Augenblick vergnüglich und schläft wieder ein. Dennoch —
dies Anerkenntniß bin ich ihr schuldig — übt sie einen gewissen
Einfluß, aber freilich ohne die geringste Ahnung davon; sie wirkt wie
das #Bild# des Tigers, das die Chinesen, zum Schrecken für den Feind,
an die Außenwand des Hauses stellen.

Sie ist ganz Spielzeug und ich habe es längst aufgegeben, Ernsteres von
ihr zu erwarten. Es liegt nicht in ihr. Sie ist mir Schauspiel,
Augenweide, Circus-Schönheit, im Hoch- und Weitsprung gleich
ausgezeichnet, und den Tag über an der Klingelschnur zu Hause. Sie
behandelt dieselbe als Trapez, was sie ungehindert kann, da die
betreffende, aus Bast geflochtene Corde, das Schicksal der meisten
ihrer Schwestern theilt, eine bloße höchst fragwürdige Stubendekoration
zu sein.

Blanche, wie gesagt, ist die Ergänzung zu Rasumofsky; was jener meinem
Geiste ist, ist diese meinen Sinnen. Wenn ich mit dem erstern, in jener
Simplicität, die alles Große begleitet, die Tagesangelegenheiten
behandle, also in rascher Reihenfolge die Fragen stelle: Wie ist das
Wetter? Was macht Paris? Nichts von Frieden? — so gehört mein #Auge#
ganz der kleinen Weißen, die wie ein alabasterner Briefbeschwerer auf
meinem Schreibtisch neben mir liegt. Nun erhebt sie sich, um zwischen
Uhr, Theetasse und Dintenfaß jene Spaziergänge auszuführen, die eben
nur jenem Geschlechte möglich sind, dem Blanche angehört. Werde ich
endlich ungeduldig, so weiß sie diese Ungeduld zu sänftigen. Der Tisch
hat einen Aufsatz von sechs Fächern, jedes nur so groß, um eine Hand
hineinzulegen. In alle sechs Fächer duckt sie sich der Reihe nach
hinein und blickt mich aus dieser Umrahmung schelmisch an. Das sind die
letzten Mittel, denen nicht zu widerstehen ist.

Um 8 Uhr, nachdem wir unsern Thee genommen, für den sie eine
distinguirte Vorliebe zeigt, gehen wir zu Bett; sie ist aber noch nicht
müde und unterhält mich eine Viertelstunde lang durch die wunderbarsten
Capriolen. Um halb neun endlich, wo abwechselnd ein Trompeter von den
Schleswiger Husaren und den Garde-Ulanen auf den Kasernenhof tritt, um
die preußischen Cavallerie-Signale zu blasen, wird Blanche stiller und
schiebt sich, wie zu einer letzten Liebkosung, an meinen Hals zwischen
Kopf und Schulter. So vergehen Minuten. Eine Viertelstunde später tritt
aus dem Kasernenflügel gegenüber ein #französischer# Trompeter auf den
Hof hinaus und antwortet dem Preußen oder besiegelt den Appell.

Nun weiß Blanche, daß es Zeit ist. Sie erhebt sich summend und spinnend
und legt sich am Fußende des Bettes auf die vierfach zusammengefaltete
Reisedecke.

Das Feuer im Kamin erlischt. So schlafen wir bis die Reveille uns
weckt.




6. ≈Le Rempart.≈

  Schon geht es, buntgeschuppt, in seiner Pracht einher;
  Dem Goldfisch ist es gleich, dem blitzenden, das #Meer#.
      Freiligrath.


Um 8 Uhr früh, oder wenig später, trat ich allmorgendlich auf den
Wallgang (»≈le Rempart≈«) hinaus, der sich auf dem 15 Schritt breiten
Terrain zwischen meiner Kaserne und dem Meere hinzog. Zehn Schritt von
diesen 15 gehörten einem langen, in zahllose Beete getheilten
Gartenstreifen an; auf dem 5 Schritt breiten Rest erhob sich der
»≈Rempart≈« selber. Dieser war nicht ein gewöhnlicher zugeschrägter
Wall mit Grasdossirung und einem Fußsteig oben, sondern ein aus
senkrechten Quadern aufgeführtes Mauerwerk, das, wahrscheinlich noch
aus der Vauban-Zeit stammend, mit Steinbrüstung und ausbuchtenden
Banknischen zwischen zwei Bastionen hinlief. Die Entfernung zwischen
diesen, also die ganze Länge des ≈Rempart≈, betrug 150 Schritt. Das
Bewegungs-Minimum, das ich mir Tag für Tag zum Gesetz gemacht hatte,
bestand in einem zehnmaligen auf und ab, wodurch ich es auf 3000
Schritt brachte. Um nicht immer zählen zu müssen, hatte ich mir an
einem Ende des Ganges zehn weiße Steinchen auf die Brüstung gelegt, von
denen ich jedesmal eines zu mir steckte, bis ich durch war.

Diese Morgenspazierzüge, denen ich, bei schönem Wetter, noch eine kurze
Mittags- oder Nachmittags-Promenade folgen ließ, waren meine besondere
Freude, und ich darf sagen, die schönsten und poetischsten Stunden
meiner Oléron-Tage auf diesem prächtigen ≈Rempart≈ zugebracht zu haben.
Je nach der Stunde, zu der ich heraustrat, fand ich Fluth oder Ebbe,
begrüßte ich das steigende oder das schwindende Meer. War Ebbe, so lag
der Wasserarm, der unsere Insel vom Festlande trennte, zur Hälfte wie
eine Sandbank da; die Boote und Luggerschiffe standen wie Spielzeug auf
dem von Rinnen und Wasserlachen durchzogenen Schlick; über diese
Schlickfläche hin aber, die Rinnen und Tümpel mit allerhand Bretterwerk
überbrückend, schritten die Schiffer und Schifferfrauen, ihren Fang
heimtragend oder zu neuem Fange sich rüstend. Mehr dem Ufer zu,
unmittelbar zu Füßen des Rempart, trieben die hochbeinigen Strandläufer
ihr possirliches Spiel; mit weißer Brust und schwarzen Flügeln,
trippelnd, pfeifend und nahrungsuchend, liefen sie heerdenweise über
den lehmigen Grund hin.

Das war ein eigenthümliches Bild; aber groß und erhebend war es, wenn
nun die Fluth unhörbar herankam, immer wachsend, immer steigend, bis
die erste leise Brandungswelle das Mauerwerk des vorspringenden
Bastions und eine Minute später den Quadernfuß des zurückgelegenen
≈Rempart≈ traf. War nun ein grauer Tag, oder kämpften noch die
Morgennebel mit dem Licht, so zeigte das Meer, das in beständigem
Kommen und Gehen den Schlick aufrührte, eine gelbe, wenig anmuthende
Farbe, und die #Schönheit# des Bildes begann erst #jenseit# der
Wasserfläche, dort wo das Ufer drüben in leiser Windung einen Kranz von
Dünen und Dörfern und eingestreuten Kirchen flocht; zog aber die Sonne
siegreich herauf, so begannen nun jene Licht- und Farbenwunder, wie sie
nur der kennt, der von Stunde zu Stunde dem kaleidoskopischen Spiel des
Meeres und dem Beleuchtungswechsel seiner Ufer folgt.

Die Landschaft drüben, graublau am Morgen, schimmerte Mittags wie in
Gold, bis sie bei untergehender Sonne tief in Roth sich tauchte; das
Meer selber aber, in noch rascherem Changiren, lief alle Töne der
Farbenskala durch, wenn diese Töne nicht gar (wie auch wohl geschah)
regenbogenartig #nebeneinander# lagen; chamoisfarben, grasgrün,
tiefdunkelblau glitzerte dann, wie eine Schlange, die leis sich hebende
Fluth.

Nicht müde wurde ich dieser Farben und Bilder, und selbst an
Regentagen, die auch ihren Zauber hatten, versuchte ich es, auf kurze
Minuten hin, an dieser bevorzugten Stelle auszuhalten; nur die
#Sturmtage#, an denen im Monat November nicht eben Mangel war, fegten
mich gewaltsam vom ≈Rempart≈ hinunter, und zwangen mich, meinen
Morgenspaziergang unten auf dem zehn Schritt breiten Gartenstreifen zu
machen. Der Sturm heulte dann über mich hin. Aber auch sein bloßes
Drüberhingehen reichte schon aus, alles was hier unten noch grünte,
erzittern zu machen. Die letzte Malve, losgerissen vom Stock, schwankte
hin und her, die gelbe Studentenblume duckte sich noch ängstlicher
unter die in Samen geschossenen Salatstauden als an andern Tagen, und
der zarte Duft verspäteter Levkojen verflog unbeachtet in der
vibrirenden, oft wie vom Donner durchrollten Luft. Die Blumen lebten
hier Tag um Tag wie Gefangene, aber wenn der Sturm über sie hinfuhr,
waren sie vollends wie niedergetreten.

Ein Gefangener ist empfindlich gegen solche Eindrücke. Sie los zu
werden, trat ich dann über die Treppenstufen rasch auf den Rempart
hinaus. Es wetterte; ich hielt den Hut mit beiden Händen, und der
Gischt sprang bis über die Brüstung. Aber ich athmete auf und sah nach
Osten hin, wo mir die Heimath lag und die Freiheit.




7. Mittag.

  Ein Schornstein raucht, der Wind steht her,
  Ein warmes Dach, was braucht man mehr!
  Mittag.
      Scherenberg.


Der Vormittag, der dem Morgenspaziergang folgte, gehörte der Arbeit.
Himmlische Ruhe! Wie leicht, wie behaglich es aus der Feder floß! So
kam Mittag heran.

Um 12 Uhr präcis klopfte es, und auf mein nach Gutdünken abgegebenes
»≈Entrez≈« oder »Herein«, erschien Madame la Cantinière, eine
freundliche, bleichsüchtige Frau, die nach unendlichen Knixen und
Begrüßungen und unter einem Schwall von Redensarten, aus denen ich mir
nur die Stichworte aussuchte, meine Hauptmahlzeit servirte. Diese
führte abwechselnd den Namen Dejeuner oder Diner, ohne daß die
wechselnde Bezeichnung den geringsten Einfluß auf die Sache selbst
geübt hätte. Ein Tisch existirte nicht; der Schreibtisch war
sakrosankt; so blieb denn nur die Kommode, die zum Zeichen ihrer
Doppelbestimmung, und so zu sagen als »Tischtuch in Permanenz«, eine
auseinandergefaltete Serviette trug. Einen Wechsel derselben hab ich
nicht erlebt. Auf diese Unterlage nun stellte Madame la Cantinière das
zusammengeklappte Tellerpaar, das wie eine große Muschel aussah, aber
in der Regel einen Kern barg, der, seinem ganzen Gefüge nach, alles
andere eher war als eine Molluske. An vier Tagen von fünf war es ein
Stück in die Pfanne geworfenes Rinderfleisch, ein Rundstück, mit
gedörrten Kartoffeln und Seesalz garnirt, an das ich nun ≈coûte qu’il
coûte≈ heran mußte. Ich zwang es auch in der Regel, wiewohl ich sagen
muß, daß es für das, was man mit funfzig Jahren von Zähnen noch übrig
hat, eine Schule und eine Prüfung war. Die genaue Vertheilung von einem
Korn Seesalz auf je ein Stück Kartoffel, etwa wie ein Conditor die
Törtchen mit Kirsche oder Pistazie belegt, gewährte mir dabei eine
kleine Unterhaltung. Ich machte es sorglich und gewissenhaft, das
jedesmalige Größenverhältniß wohl abwägend. Dazu trank ich Landwein,
der einen unglaublich schönen Namen hatte, aber nach dumpfem Faß
schmeckte und dem ich durch Zucker und Wasser aufzuhelfen suchte.

Was die Arrangements angeht, so darf ich wohl hinzusetzen, daß ich
meine Mahlzeit nothgedrungen im Stehen einnahm, da die Kommodenkästen
keinen Stuhl gestatteten und daß ich (man erhält in gewöhnlichen
Lokalen immer nur eine #Gabel#) dies unvollkommene Besteck durch ein in
Besançon erobertes Klappmesser vervollständigte, dessen Klinge sich wie
Blech bog. Wie man es stellte, so stand es.

Dies alles war die gebrechliche Seite des Diners, aber das Dessert
brachte alles wieder ins Reine. Ich schälte sorglich, nachdem das
Klappmesser in der Kaminasche einen Läuterungsprozeß durchgemacht
hatte, eine große Goldreinette, und begann nun, Scheibe auf Scheibe,
mit immer erneuter Freudigkeit zu genießen, während Blanche mit den
Schalen spielte und neben mir bereits das Wasser brodelte, das 10
Minuten später braun und duftig in das von dem Landwein desinfizirte
Glas floß. Im Schlurfen des geliebten Trankes vergaß ich vieles, und
vieles stieg lächelnd und grüßend herauf.

Die gebauchte Blechkanne aber, von einfach sinnreicher Construktion,
aus der mir so viele freundliche Minuten erblühten, ich habe sie als
Erinnerungsstück mit heimgenommen.




8. Theestunde.

  Den Erzähler indessen umwimmelt es, übers Knie
  Beide Hände gefaltet in horchender Wißbegier;
  Roland singt er, er singt das gefabelte Schwert Rinalds.
      Platen. (Bilder Neapels.)


Von sechs bis acht war Theestunde und — Empfang. Man wußte das
schließlich in der ganzen Kaserne und so hatt’ ich denn meist um diese
Zeit Besuch. Mitunter drängte es sich, und in diesem Falle war es
nichts Kleines, mit drei Gläsern und einer Zuckerdüte das leibliche,
und mit Hülfe einer Unterhaltung, die vom Hundertsten aufs Tausendste
sprang, das geistige Bedürfniß der Gäste zu bestreiten. Aber dies alles
geschah doch im Ganzen nur selten, so selten, daß ich beinah glaube, es
unterblieb aus Rücksicht, und sobald Neu-Ankommende merkten »es ist
schon Besuch da«, kehrten sie einfach um.

In der Regel kam man zu zweien, so daß wir uns zu Dritt an den Kamin
setzen konnten; Rasumofsky als dienender Bruder im Hintergrunde. Das
Hauptpaar waren zwei Einjährige, ein Bayerscher Chevauxlegers, Graf A.,
und ein Frankfurter Dragoner, eines Großweinhändlers Sohn. Sie waren
sehr verschieden, aber jeder angenehm und tüchtig in seiner Art. Der
Dragoner, ein stattlicher Rheinfranke, hatte das Breite, Männliche des
ganzen Stammes; jener, der Chevauxlegers, war heiter, liebenswürdig,
und vor allem ganz blond, was mich bei seinem italienischen Namen und
seiner italienischen Mutter immer am meisten verwunderte. Beide
sprachen vollkommen französisch[1] und hatten, wie die sprachliche
Fähigkeit, so auch den moralischen Muth, jederzeit für die Interessen
ihrer Mitgefangenen einzutreten. Das machte sie natürlich beliebt. Bei
dem jungen Grafen kam noch hinzu, daß er keine Spur von Standesdünkel
zeigte; er half, unterstützte, interpretirte, aber in allem Uebrigen
war er einfacher Reitersmann, wie jeder andere. Es waren sehr
liebenswürdige junge Männer, fein, rücksichtsvoll, unterrichtet, aber
eines werden sie mir nicht übel nehmen: sie waren keine brillanten
Unterhalter, so daß ich mitunter einen schweren Stand hatte. Die
Conversation begann immer mit den Tagesfragen, die theils ihrer
Einfachheit, theils ihrer geringen Zahl halber, schnell erledigt waren.
Der Mensch wird in solchen Zeiten auf einen gewissen Naturstandpunkt
herabgedrückt; aller Luxus fällt ab; es handelt sich für Vornehm und
Gering um dieselben Dinge, und so nimmt auch die Unterhaltung
entsprechende Formen an. Es war kein Unterschied, ob ich mit Rasumofsky
oder mit diesen beiden feingebildeten Herren sprach; es wurden
dieselben Fragen gestellt, dieselben Bedenken, Klagen und Hoffnungen
laut. Es ist begreiflich, daß ein solches Fünf-Minuten-Material für
anderthalb Stunden nicht ausreichte, die Rede stockte, und da ich kein
Freund der »Ausschweige-Soiréen« bin, so fiel mir, wie schon
angedeutet, die nicht leichte Aufgabe zu, wie für den Thee so auch für
den Unterhaltungsstoff zu sorgen. Alle meine alten Steckenpferde mußten
aus dem Stall und nie hab ich in Völkerpsychologie und vergleichender
Stamm- und Racenforschung so geschwelgt, als an meinem Kamine in
Oléron. Wenn ich dann über die Weltherrschafts-Qualität der
germanischen Race, über die Nicht-Gefahr des Panslavismus, über die
Wellenbewegungen im Volksleben, über die eigentlichen und
uneigentlichen Demokratien meine freien Vorträge gehalten und der Graf
(darin ganz Graf) mit völligster Ungenirtheit sich ausgegähnt hatte,
zogen sich gegen acht die beiden Herren zurück und ließen mich mit
Rasumofsky und eine halbe Stunde später mit Blanche allein.

Diese zwei Volontairs waren die Aristokratie der Gesellschaft. Es kamen
aber auch andre, gewöhnlich paarweise, ein Preuße und ein Bayer; immer
beste Freunde.

Das #erste# Paar war Sergeant Polzin von den Schleswigschen Husaren und
Unteroffizier Vollnhals vom 11. bayrischen Regiment. Sie hatten den
Ueberfall von Ablis gemeinschaftlich durchgemacht und sich bei jener
Gelegenheit bewährt und gefunden. Es waren ein paar Typen Norddeutscher
und Süddeutscher Soldatenschaft. Polzin, wie schon sein Name angiebt,
ganz Pommer, stammte im dritten oder vierten Gliede aus einer
Sergeanten-, Gensdarmen- und Steueraufseher-Familie (auch eine Art
Adel), soldatisches Vollblut nach Abstammung und Trainirung. Wie so
viele Kinder solcher Beamten war er in #Annaburg# erzogen. Das sind die
Plätze, die, wie sie aus einer Eigenart heraus entstanden, nun diese
Eigenart auch weiter fortbilden. »Scharf aber jut«, dahin faßte Polzin
selber sein Urtheil über diese Militair-Erziehungsanstalt zusammen. Mit
Vorliebe sprach er vom Jahre 48, wo er, damals zehn Jahre alt, jedesmal
mit dem Gefühl auf Wache gezogen sei, daß sich die ganze Demokratie der
Nachbarschaft an seiner kleinen Bajonettspitze brechen werde. Seitdem
waren viele Jahre ins Land gegangen; er hatte Provinzen und Armeecorps
gewechselt; jetzt stand er in #Schleswig#. Er war stolz auf sein
Regiment, aber doch noch stolzer auf #Preußen#. »Diese Schleswiger — so
sagte er wohl, wenn er ans Fenster trat, und unten seine eignen
stattlichen Leute in hellblau und weiß über den Kasernenhof
hinschreiten sah — diese Schleswiger, sehen Sie, ein richtiger Preuße
is in solchen Kerl nicht ’reinzukriegen; nichts Adrettes, Strammes.
Aber das muß wahr sein, tapfer sind sie; sie stehen wie die Mauern. So
recht Kerle auf die man sich verlassen kann. Sie halten aus bis
zuletzt.« Uebrigens hielt sich Polzin, auch darin alt-preußischen
Traditionen huldigend, nur selten mit
#Thee# auf. Die Theestunde war für ihn ein bloßer Name. — Aus ganz
andrem Holze war Unteroffizier Vollnhals. Diese Bayern, wenn man sie zu
nehmen versteht und ihren kleinen Schwächen etwas nachsieht, vor allem
sich nicht über sie erheben will, sind überhaupt entzückend. Von ihrem
Muth red’ ich nicht erst. Er ist auch in diesem Kriege wieder
sprüchwörtlich geworden. Neben diesem Muthe aber haben sie noch etwas
Naives, das den Verkehr mit ihnen sehr angenehm macht. Sie haben alle
etwas Männliches, individuell Freiheitliches, und sind auf jede Gefahr
hin widerstandsbereit, wenn man das Letzte in ihnen herausfordert; aber
#bis dahin# sind sie wie die Kinder und haben vor jeder Potenz des
Lebens, es sei Amt, Wissen, Vermögen, einen ungeheuchelten Respekt.
Dies alles trat auch bei meinem Vollnhals hervor. Er wußte recht gut,
daß er sich bei Ablis wie ein Held geschlagen hatte und erzählte mir
lächelnd, daß die französischen Offiziere sich unter einander
angestoßen und sich zugeflüstert hätten »das ist er«, aber bei allem
Heldenthum und aller naiven Freude darüber, war er bescheiden und
dankbar für jeden Beweis von Aufmerksamkeit.

Das #zweite# Paar war ein Gefreiter vom 96. Regiment, ein Sachse
(Altenburger), dessen Namen ich vergessen habe, und Sergeant Genzel von
den 10. Ulanen. Der Gefreite war ein guter, umgänglicher Mensch, aber
doch ein wahres Kreuz für mich. Man urtheile selbst. Ich liebe die
Sachsen, bin dankbar für glückliche Tage und Jahre, die ich unter ihnen
verlebte und habe vor ihrer Energie, Zähigkeit und
#Durchschnittsgebildetheit# allen möglichen Respekt; aber in dieser
letztern Eigenschaft steckt doch auch wiederum ihr Schreckniß. Lebhaft
und intelligent von Natur, gut erzogen und von Jugend auf mit
Zeitungslektüre und Kannegießer-Weisheit vollgestopft, treten sie mit
der größten Ungenirtheit an all und jede Frage heran und wissen ganz
genau, daß Freiheit der Kirche vom Staat, oder Freiheit der Schule von
beiden, oder Confessionslosigkeit, oder Kindergärtnerei einzig und
allein noch die Menschheit retten können. Sie haben immer eine
≈Revalenta arabica≈ oder einen Hoffschen Malz-Bonbon ≈in petto≈, womit
alle Schäden der Gesellschaft kurirt werden können. Während es in
Norddeutschland, namentlich an den Küsten hin, immer noch eine
Bauernweisheit giebt, giebt es in Sachsen einen allgemeinen
Winkeladvokatenschnack, der nach unten hin imponirt, nach oben hin aber
nervös macht. Von diesem Schnack leistete auch mein 96er sein
vollgewogen Theil. Er hatte in dem Reisebündel eines später
eingetroffenen Gefangenen ein »Dresdener Journal« vom 27. September
gefunden und mit Hülfe dieses zwei Monate alten Zeitungsblattes
terrorisirte er seine Mitgefangenen und löste alle schwebenden Fragen.
— Desto brillanter war Sergeant Genzel. Er war ein Halberstädter, also
#auch# sehr gebildet, aber denn doch aus ganz anderem Holze
#geschnitten.
Schon physisch. Ein großer, schöner Mann, breitschultrig, bärtig, der
immer, um Hauptes Länge alle anderen überragend, wie ein Halbgott über
den Kasernenhof hinschritt. Als ich ihn das erste Mal bei mir sah,
sprach er wenig und erzählte nur, wie er gefangen nach Orleans
hineingeschleppt worden sei. »Man warf mit Steinen, man spie vor mir
aus, und #Damen#, #nicht# Weiber, stürzten auf mich los und hielten
ihre kleinen weißen Fäuste mir drohend ins Gesicht. Ich schritt ruhig
weiter, aber in mir dacht’ ich unwillkürlich an unsern unsterblichen
Schiller und sprach halblaut vor mich hin: #da werden Weiber zu
Hyänen#.« Dies Citat hatte er wie eine Visitenkarte bei mir abgegeben,
und ich wußte nun, woran ich war. Er war von der höhern Ordnung. — An
anderen Abenden, die jenem ersten Besuche folgten, kam er dazu, seine
Schicksale, seine Gefangennehmung und die Gefechte, die dieselbe
begleiteten oder ihr vorausgingen, ausführlicher zu erzählen. Er that
dies ganz wie ein vornehmer Mann und legte in allem was er vortrug den
Accent immer auf die #Gesinnung#, nicht auf die That. Das bloße
Todtschlagen imponirte ihm gar nicht, im Gegentheil, alles Massacre
verletzte nur sein ästhetisches Gefühl. Er hatte einen Einzelkampf mit
einem Turco gehabt, der in eine Schmiede retirirte und sich hier mit
außerordentlicher Bravour vertheidigte. Endlich packte ihn Genzel und
spaltete ihm den Nacken. Aber in seinem Vortrag ging er rasch drüber
hin. Er liebte es nicht, auch noch seine Erzählungen roth zu färben.
Wie unser Schicksal übrigens so oft an unsrer Gesinnung hängt, so auch
bei ihm; — sein chevalereskes Empfinden hatte ihn in Gefangenschaft
geführt. Ein junger Offizier des Regiments verlor in der Attacke sein
Pferd. Genzel, verbindlich wie immer, sprang aus dem Sattel und
präsentirte das seine. Ein Dank, und weiter ging es in den Feind. Aber
nach fünf Minuten schon riefen die Signale zurück; man war in
Kartätschfeuer hineingerathen; kehrt, rückwärts! und der mächtige
Genzel trabte nun zu Fuß nebenher. Endlich verließ ihn die Kraft; unter
einem Blutsturz brach er zusammen. Er hatte in jener Unglücksstunde wie
seine Freiheit so auch seine Stimme eingebüßt; er sprach heiser
seitdem. Man schleppte ihn nach Orleans hinein, Frauen insultirten ihn
(wie schon erzählt), endlich trat ein Elsässer Offizier an ihn heran
und rief ihm zu: »wißt Ihr, was wir jetzt mit Euch machen könnten?!«
»Mit mir machen?« schrie der empörte Genzel, »#gar nichts# könnt Ihr
mit mir machen; #todtschießen# könnt Ihr mich und dafür will ich Euch
noch dankbar sein. Geht erst hin und lernt wie man einen anständigen
Soldaten behandelt.« Das half. Solche Anreden halfen immer. Wer zu
reden verstand, war durch. Das Wort ist in Frankreich eine größere
Macht als bei uns.

Das #dritte# Paar, das Abends zum Thee kam, war Unteroffizier #Janeke#
von den Garde-Ulanen und Sergeant #Heglmaier# vom 6. oder 9.
Bayerischen Jäger-Bataillon. Doch bin ich der Zahl nicht sicher. Diese
waren ≈Inséparables≈ geworden, liebten sich schwärmerisch und machten
beständig Pläne, wie sie sich gegenseitig in München und Potsdam
besuchen würden. Janeke, persönlich äußerst bescheiden, hatte doch,
wenn er #Potsdam# nannte und seinem Freunde den großen Springbrunnen in
Aussicht stellte, ein ungeheures Gefühl von Superiorität, etwa wie wenn
er in der Lage wäre, den Vorhang von einer neuen Welt wegziehen zu
können. Heglmaier, ein oberbayrischer, rothblonder Mann, von besondrer
Gutmüthigkeit, ließ sich das alles gefallen. Er mochte denken: »der
Preuß ist fünfmal so stark als der Bayer, muß auch Berlin-Potsdam
fünfmal so schön sein als München.« Vielleicht aber dacht’ er auch gar
nichts, ja, ich halte dies für das Wahrscheinlichere. Er war nämlich
ein musikalisches Genie, und neben seiner Liebe zu Unteroffizier Janeke
füllten nur Virtuosenträume und Concertpassionen seine Seele aus. Ich
wurde durch eine feierliche Morgenvisite, die mir Janeke noch in den
letzten Tagen meiner Gefangenschaft machte, in diese Zustände seines
Freundes eingeweiht. Nach einer Vorrede hieß es: »ich sei mit dem
Kommandanten so gut wie befreundet; derselbe würde mir gewiß etwas zu
Gefallen thun. Heglmaier könne es nicht mehr aushalten; ich möchte also
den Antrag stellen, daß die #Insel Oléron nach einer Zither durchsucht
würde#. Heglmaier wolle dann ein Concert für die Verwundeten geben.«

So waren die Paare, die sich abwechselnd zum Thee bei mir versammelten.
Mit herzlichem Vergnügen denke ich an jene Stunden zurück. Sie gönnten
mir Einblick in das Leben unsres Volks, in seine Kraft und seine Güte.

[1] Unter den Gefangenen, auch schon in Besançon, befanden sich stets
sehr viele, die französisch sprachen. Dies hatte darin seinen Grund,
daß die Meisten weggefangene Patrouillen waren und daß zum Patrouillen-
und Recognoscirungs-Dienst, so lang es sich ermöglichte, immer
wenigstens
#ein# Französischsprechender genommen wurde.




9. Regentage.

                    Du strebst vergebens des Menschen
  Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden,
  Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner Gesinnung.
      Göthe. (Episteln.)


Sturm- und Regentage, und ihrer waren nicht wenige, unterbrachen den
gewöhnlichen Tagesgang und gehörten vorwiegend der Arbeit und der
#Lektüre#.

Der Lektüre! Unter gewöhnlichen Verhältnissen freilich hätt’ es
nothwendig schlecht damit stehen müssen, da ich nichts besaß als ein
kleines unterwegs aufgekauftes Eisenbahn-Coursbuch und eine drei Jahr
alte Nummer des Witzblattes »≈La Lune≈«, die ich in einem
Kommodenkasten leidlich wohlerhalten vorgefunden hatte. Der Leser mag
sich berechnen, wie weit das reichte. Es hätte aber keinen Kommandanten
aus Oléron geben müssen, wenn diese Verlegenheit eine dauernde hätte
sein sollen; — Capitain Forot hatte kaum von meinem Wunsche gehört, als
auch schon Rasumofsky erschien, um mir, mit Gruß und besten
Empfehlungen, drei Bücher zu überreichen, ein kleines, ein großes und
ein #sehr# großes.

Mit dem kleinen wollt’ es nicht gehen. Ich glaube, es hieß »eine Reise
ins Freie« und schilderte in unangenehm pointirter Sprache eine rasche
Reihenfolge von Coupé-Aventuren: auflodernde Leidenschaft (natürlich
immer von unwiderstehlicher Gewalt), intervenirende Gatten,
≈high-life≈-Duelle, todtgeschossene Grafen etc. Noch ehe ich bis Seite
100 gekommen war, warf ich das Zeug in die Ecke. Es war mir um einen
Grad #zu# Französisch.

Ich ging nun an das #große# Buch. Es war das »Memorial von St. Helena«,
das bekannte Tagebuch des Grafen Las Cases. Ich sage »bekannt«, aber
freilich wohl den meisten Menschen (wie mir selber) nur dem Namen nach.
Man muß gefangen sein, um dergleichen nachzuexerciren. Ich las mit dem
größten Interesse. Gleich die ersten Kapitel (die Einschiffung
Napoleons auf dem Bellerophon und die vorhergehenden Verhandlungen mit
dem englischen Capitain Maitland) versetzten mich genau in jene Insel-
und Städte-Gruppe, innerhalb deren ich mich jetzt befand; Einzelnes,
was ich auf den ersten Seiten dieses dritten Abschnitts über Oléron
gesagt habe, ist diesen Las Cases-Memoiren entnommen. Die Lektüre,
neben manchem anderen, hatte den besonderen Reiz für mich, daß sie in
einem gewissen, übrigens höchst pikanten Durcheinander des Stoffs, zu
einer Art General-Revue meines historischen Wissens wurde, zu einer
großen Repetition, bei der ich die Befriedigung hatte, leidlich gut zu
bestehen. Dieser Reiz steigerte sich noch dadurch, daß ich mich fähig
fühlte, mit Kritik zu lesen; selbst diesem #Quellen#buche gegenüber
glückte es mir, die Fehler, die Illusionen, die absichtlichen
Täuschungen zu erkennen. Nicht Frankreich hatte diesen 25jährigen
Riesenkampf verschuldet, sondern England. #Pitt# hatte diesen Brand
entzündet, halb aus nationalem Egoismus, halb aus
Legitimitäts-Donquixoterie. Das alles war so ruhig, so bestimmt gesagt,
durch Las Cases so überzeugungsvoll bestätigt, daß ich Tage lang in
meinem Innersten wie beunruhigt war. Ich mußte, während draußen Sturm
und Regen an die Fenster schlugen und Rasumofsky ein Scheit nach dem
andern auf den Herd legte, förmliche Kämpfe in mir durchmachen, hatte
aber die Freude, mit gestärkter Ueberzeugung zu meinen alten Fahnen
zurückkehren zu können. Das Nationalitätsprinzip hatte gegen den
Napoleonischen #Weltmonarchie#-Gedanken gestritten; — es wird noch auf
lange hin ein Ruhm Pitts bleiben, #jenes# siegreich vertheidigt zu
haben.

Meine eigentlichste Freude war aber doch das »#sehr# große Buch«, in
dem sich nicht eigentlich lesen, sondern nur naschen ließ. Es war in
reicher Schale das süßeste Dessert. Wenn mir Las Cases anfing etwas zu
substantiell zu werden, so schob ich dies ≈pièce de résistance≈ bei
Seite, um von dem Confektteller und seinen Knallbonbons zu nehmen.

Dieses »sehr große Buch« hieß Autographen-Album, war in rothen Maroquin
gebunden und enthielt, in Facsimiles, die handschriftlichen
Aufzeichnungen von mehr als tausend Personen, Celebritäten aus aller
Welt Enden, zu elf Zwölftel natürlich Franzosen. Deutsche fast gar
nicht. Ich gebe Einiges aus diesem Schatz. Die Personen, die jene
Aufzeichnungen gemacht, theilen sich, wie mir scheinen will, in sieben
Gruppen: die Historischen, die Ernsthaften, die Heiter-Graziösen, die
Falsch-Bescheidenen, die Bequemen, die Geistreichen und die bedenklich
Geistreichen.

#Die Historischen#. Den Reigen eröffnet hier Louis Napoleon selbst, mit
einem am 5. Dezember 1848 geschriebenen Briefe. Es heißt am Schlusse
desselben: ≈Lorsque une révolution est dans le vrai elle produit de
grands hommes et de grandes choses, lorsqu’elle est dans le faux elle
ne produit que #du bruit et des larmes#.≈ Das war drei Jahre vor dem
Staatsstreich. Was lag alles dazwischen! Ich mußte unwillkürlich auch
an die #jüngste# Phase französischer Entwicklung denken: ≈Lorsqu’elle
est dans le faux, elle ne produit que #du bruit et des larmes#≈. Neben
diesen Zeilen des Vaters befindet sich eine leicht hingeworfene
Federzeichnung Lulus: alte Troupiers, die auf Wache ziehen. Darunter in
schöner, fast schon ausgeschriebener Handschrift: Louis Napoleon.

Das nächste Blatt bringt Folgendes von der Hand des Bürgerkönigs:
≈J’abdique cette couronne que la voix nationale m’avait appelé à
porter, en faveur de mon petit-fils le Comte de Paris. Puisse-t-il
réussir dans la grande tâche qui lui échoit aujourd’hui. 24 Février
1848. #Louis Philippe#.≈ Dies »≈aujourd’hui≈«, 23 Jahre vertagt, ist
vielleicht
#heute#.

Unmittelbar darunter: ≈Soldati. Ciò che offro a quanti vogliono
seguirmi eccolo: fame, freddo, sole, non pane, non caserne, non
munizioni, ma avvisaglie continue, stenti, battaglie, marcie forzate e
fazioni alla bajonetta. Chi ama la patriami seguite. #Garibaldi#.≈ So
schrieb er 1849. Der Zauber auch #dieses# Namens ist verblaßt.

#Die Ernsthaften#. ≈La #modestie# est
une grande lumière, elle laisse l’esprit toujours
ouvert et le coeur toujours docile à
la vérité. #Guizot#.≈

≈#Le rationalisme#! c’est l’homme fait
Dieu à la place du Dieu fait homme. #Molé#.≈

≈Je ne puis refuser ma signature. Quant
à la prose et aux vers, n’y comptez pas.
J’adore Homère, Sophocle, Euripide, mais
les ingrats ne m’ont rien révélé. J. #Ingres#.≈

≈Sancta Maria, mater Dei, ora pro nobis
peccatoribus, nunc, et in hora mortis nostrae.
#Louis Veuillot#.≈

Dieser Anruf an die heilige Jungfrau ist mir in einem Autographen-Album
fast zu ernsthaft erschienen; das ostensive Karte-Abgeben als »Katholik
quand même« verstößt gegen den guten Geschmack.

Viel beweglicher als diese Worte aus der kirchlichen Welt wirken die
nachstehenden aus der Bühnenwelt. Das Profane schlägt das Heilige.

≈Lorsqu’on a mis le pied une fois dans
la fatale carrière du théâtre, il faut la parcourir
jusqu’au bout, épuiser ses joies et
ses douleurs, vider sa coupe et son calice,
boire son miel et sa bile; il faut finir comme
on a commencé, mourir comme on a vécu,≈
≈mourir comme est mort Molière, au bruit
des applaudissements, des sifflets et des
bravos! Mais lorsqu’il est encore temps de
ne pas prendre cette route, lorsqu’on n’a
pas franchi sa barrière, il faut n’y pas
entrer. Croyez-moi sur mon honneur,
croyez-moi. #Frédérick Lemaître#.≈

Hieran reihen sich noch zwei Aufzeichnungen Duclercs und Odilon
Barrots, in denen sich zugleich eine tiefe politische Verstimmung, ein
Haß gegen das kaiserliche Gouvernement ausspricht:

≈Les meilleurs gouvernements tombent,
mais — #les pires aussi#. #Duclerc#.≈

≈Silence, on nous écoute! l’an de grâce
1852. #Odilon Barrot#.≈

Das Album erschien Anfang der 60er Jahre, als das Kaiserthum auf der
Höhe seines Ansehens stand. Der Herausgeber hielt es deshalb für
nöthig, diesen Hohn Odilon Barrots mit einer spöttischen Bemerkung
seinerseits zu begleiten und fügte deshalb ziemlich witzig hinzu: »Mr.
Odilon Barrot ist bekanntlich der einzige #Odilon# in Frankreich, der
Herrn #Barrot# für ernsthaft nimmt.«

#Die Heiter-Graziösen#. In dieser Gruppe
habe ich nur #einen# Namen zu verzeichnen: Eugène Scribe. Auf den
verschiedensten Blättern des Albums fand ich seine Signatur; fast immer
waren es vierzeilige Verschen, immer Ausdrücke des liebenswürdigsten
Naturells.

    ≈#Sur un parapluie#.
  Ami commode, ami nouveau
  Qui, contre l’ordinaire usage,
  Reste à l’écart, quand il fait beau,
  Et se montre les jours d’orage!≈

Seiner in der Nähe von Paris erbauten Villa hatte er folgende, in
diesem Album von ihm wiedercitirte Inschrift gegeben:

  ≈Le théâtre a payé cet asyle champêtre,
  Vous qui passez, merci! je vous le dois peut-être.≈

#Die Falsch-Bescheidenen#. Hier begegnen wir einigen Namen und
Berühmtheiten ersten Ranges:

  ≈Mon nom n’est point digne de figurer
dans un recueil. #V. Broglie#.≈

  ≈Ni le mien non plus. #George Sand#.≈

  ≈Ni le mien non plus. #Eugène Sue#.≈

Alle drei finden aber rasch ihre Verurtheilung. Gleich der folgende
(Viennet) schreibt unter die drei Bescheidenen: ≈O triple orgueil≈, und
Charles Filipon geht noch einen Schritt weiter und fügt hinzu:
≈Farceurs!≈

#Die Bequemen#. Die Gruppe dieser ist
sehr groß. Sie besteht zunächst aus solchen, die, kritiklos und
mittelmäßig beanlagt, sich keinen Augenblick geniren, den allergrößten
Gemeinplatz niederzuschreiben. Hier befindet sich denn auch der einzige
Deutsche, der gewürdigt worden ist, einen Platz in diesem Album
einzunehmen, #Johannes Ronge#. Er schrieb: #Saarbrücken#, den 8.
Februar 1863. Keine Verdammung, keine Ketzer mehr. Es giebt nur einen
Gott für alle Kirchen und alle Völker. Es ist nicht leicht möglich,
trivialer zu sein. Einem Franzosen gelingt es aber schließlich #doch#:
≈Aimons-nous les uns les autres. #Havin#.≈ Hoffen wir, daß diese Worte
wenigstens in Damengesellschaft geschrieben wurden.

≈L’esprit n’est jamaix vieux tant que le
coeur est jeune. #Paul Lacroix#.≈

≈La jeunesse n’a pas assez souffert pour
savoir consoler. #Legouvé#.≈

Zu dieser Gruppe der »Bequemen« gehören aber vor Allem auch diejenigen,
die (weil beständig in Autographen-Contribution genommen) ihren
bestimmten Album-Vers ein für allemal bei sich führen und jahraus
jahrein mit denselben Vierzeilen debütiren.

    ≈Au clair de la lune,
    Mon ami Pierrot,
    Prête-moi ta plume
    Pour écrire un mot.≈
        ≈#Jules Sandeau#.≈

  ≈C’était, dans la nuit brune
  Sur le clocher jauni,
    La Lune
  Comme un point sur un J.[2]≈
      ≈#Alfred de Musset#.≈

  ≈La cigale ayant chanté
      Tout l’été
  Se trouva fort dépourvue
  Quand la bise fut venue.≈
      #≈Jules Janin.≈#

Der Herausgeber fügt in Betreff dieser drei scherzhaft hinzu: »≈Se sont
donné le mot pour ne pas perdre de #copie#.≈«

Wir haben solche Album-Versler, die das »Copie-Recht nicht verlieren
wollen«, namentlich auch in Deutschland. Einfälle, Impromptus sind
nicht unsere starke Seite.

#Die Geistreichen#. Es hätte kein #französisches#
Album sein müssen, wenn diese Gruppe nicht am stärksten vertreten
gewesen wäre. Vieles war entzückend.

    ≈Je me résigne et je signe.≈
          ≈#Montalembert#.≈

    ≈Je ne sais quoi dire et j’en fais l’aveu.≈
          ≈A. #Thiers#.≈

    ≈Le goût est le sentiment prompt d’un
  esprit bien fait.≈
          ≈Le Duc #de Noailles#.≈

    ≈L’esprit qu’on veut avoir, gâte celui
  qu’on a.≈
          ≈Le prince #de la Moskowa#.≈

    ≈J’en fais moi-même en ce moment la
  triste expérience.≈
          ≈#de Persigny.#≈

    ≈Ce n’est pas la fortune qui vient en
  dormant, c’est le terme.≈
          ≈Emile Marco #de St. Hilaire.#≈

    ≈Les hommes se suivent et ne se ressemblent
  pas.≈
          ≈#Carnot#≈ (Sohn des alten).

    ≈L’or est une chimère pour celui qui
  n’a pas le Sou.≈
            ≈#Peupin#≈, Uhrmacher,
            später Tresorier der Kaiserin.

    ≈Quelle est la femme qui ne fait pas ce
  qu’elle dit? Celle qui jure de n’aimer jamais,
  ou d’aimer toujours.≈
          ≈#Charles Briffault.#≈

Also etwa:

Welche Frau hält gewiß nicht, was sie verspricht? Die, die da schwört,
niemals zu lieben oder immer.

  ≈L’amour est comme l’opéra.  On s’y
  ennuie, mais on y retourne.≈
      ≈#Gustave Flaubert#.≈
  (Verfasser von »Madame Bovary« und »Salambo«.)

  ≈Il est plus facile de #faire# ce qu’on
  doit, que de le #payer#.≈
        ≈#Jacques Herz#, frère de Henri.≈

  ≈#Rêver#, c’est le bonheur; #attendre#
  c’est la vie.≈
        ≈#Victor Hugo#.≈

Die Auswahl, die ich hier getroffen, ließe sich verzehnfachen. Nur sehr
selten überschlägt sich die Geistreichigkeit. Ein Schriftsteller
dritten Ranges schreibt einfach seinen Namen und fügt hinzu: ≈Mon nom
est assez≈. Noch weniger angenehm berühren die Worte der Rachel:

≈Oh, réclames!! Avis aux lecteurs. Je rentrerai à la comédie française
Samedi≈ ≈prochain par le rôle de Phèdre. Paris, 18. Novembre 1849.≈

Die Rachel, deren häßliche, vor #nichts# zurückschreckende Gewinnsucht
ein öffentliches Geheimniß war, durfte solchen Scherz nicht wagen.

Ich schließe mit den handschriftlichen Aufzeichnungen zweier Engländer:
≈All that I could say of my books, I have said in them.
#Charles Dickens#.≈ Wie liebenswürdig!

In derselben Gesellschaft befand sich auch der »Vater der Friedens- und
Manchester-Schule«. Aufgefordert, sich ebenfalls einzutragen, schrieb
er einfach:

≈Richard Cobden. Paris, 30. Auguste 1849.≈

Ganz charakteristisch. In allem der ≈Matter-of-fact≈-Mann!


[2] In #Freiligraths# vorzüglicher Uebersetzung, die fast das Original
schlägt:

  Den Mond durch Nebel scheinen
  Hoch überm Thurme sieh’,
  Wie einen
  Punkt über einem i!




10. Der Ueberfall von Ablis.

#Schleswiger Husaren und elf vom 11. Bayrischen
Regiment.#

  Wir standen, keines Ueberfalls gewärtig,
  Bei Neustadt schwach verschanzt in unsrem Lager,
  Als gegen Abend, unser Vortrab fliehend
  Ins Lager stürzte, rief, der Feind sei da.
      (Wallenstein.)


Von 6 an war Plauderstunde. Dann kamen, wie schon in einem früheren
Kapitel erzählt, die Avantageure, Sergeanten und Unteroffiziere (meist
Cavalleristen), um, ein Glas Thee in der Hand und die Füße am Kamin,
die Tagesereignisse durchzusprechen: wer krank sei? wer gestorben sei?
ob es noch lange dauern werde? ob der Cantinier den Cours des
Papierthalers abermals um 5 Sgr. herabgedrückt habe? ob die angesagten
Oefen und Strohsäcke eine Wirklichkeit werden oder eine Mythe bleiben
würden? Es waren nicht gerade welterschütternde Fragen, die uns
beschäftigten und die an zweiten und dritten Abenden mit derselben
Hingebung behandelt wurden, wie am ersten; die Hauptunterhaltung
blieben aber doch die Kriegsabenteuer, namentlich die Momente der
#Gefangennehmung#, und aus der Fülle von Stoff, der damals vor mir
ausgeschüttet wurde, geb ich das Nachstehende.


Sergeant #Polzin# erzählt:

Unsere Division (Herzog Wilhelm von Mecklenburg) lag in Rambouillet.
Wir waren 5 Regimenter stark: Brandenburgsche Kürassiere, Fürstenwalder
Ulanen, Zieten-Husaren, — das waren die alten; dazu zwei neue: die 15.
Ulanen und die 16. Husaren, beides Schleswig-Holsteiner. Ich stand bei
den 16. Husaren, 3. Eskadron.

Am 7. Oktober Mittags wurden wir allarmirt und auf einer der nach
Chartres führenden Chausseen (nicht auf der Hauptstraße) bis zum Dorfe
#Ablis# vorgeschoben. Wir waren die äußerste Spitze. In Chartres stand
der Feind.

Es mochte 5 Uhr sein, als wir in Ablis einrückten; es dämmerte schon.
Wir suchten das Dorf ab, fanden nirgends Verdächtiges, besetzten die
nach Süden zu gelegenen Gehöfte und stellten Doppelposten an die vier
Ausgänge des Dorfes. Das sah sehr gut aus und konnte einen Rekruten
beruhigen, aber nicht einen Alten. Es war ein Fehler von Grund auf.
Unser Rittmeister behandelte uns wie Infanterie; wir waren aber nicht
hierher geschickt worden, um Schützen oder Jäger zu spielen. Wir waren
#Husaren#; wir mußten Spielraum haben. Statt dessen hatten wir
#Barrikaden#. Unsinn. Sie kamen uns später theuer genug zu stehen.

Um 9 Uhr — wir lagen schon bei unseren Pferden —rückte noch eine
Unterstützung für uns ein: 60 Mann vom 11. Bayrischen Regiment. Nun
sicherlich wär’ es an der Zeit gewesen, unsere Husaren wieder zu
Husaren zu machen und nach allen vier Seiten hin Vedetten zu stellen
und Recognoscirungspatrouillen auszuschicken; aber nichts von dem allen
geschah. Wir sollten als »Infanterie« zu Grunde gehen.

Eine halbe Stunde später nach Einrücken der Bayern schlief alles fest.
Ich allein wachte. Ich hatte in dem Gehöft, in dem wir lagen, den
ganzen Abend über ein Kommen und Gehen bemerkt, ein Tuscheln und
Flüstern und dann wieder ein rasches Abbrechen, wenn sie sich
beobachtet glaubten; — das ganze Nest war mir unheimlich vorgekommen;
es stand fest in mir, daß es was geben müsse. Bei jedem Geräusch
horcht’ ich auf; aber es war nichts. Ich hört’ es noch Mitternacht
schlagen; dann fiel ich in tiefen Schlaf wie die andern.

Es mochte 3 Uhr sein, als es an die Stallthür pochte; klick, klack. Ich
sprang auf und rief noch in halbem Schlaf: »gleich, gleich«; aber
während ich noch auf die Stallthüre zutappte, steigerte sich das
Klopfen so, daß es kein Klopfen sein konnte; klick, klack; wie wenn
Steine aufs Dach fallen. Jetzt wußt ich was los war; ’raus Kerls, wir
sind überfallen«.

In meinem Stall lagen 10 Mann. Wie ein Wetter waren sie auf; aller
Schlaf wie weggeblasen; Karabiner in Hand stürzten wir hinaus. Als wir
in die Dorfgasse traten, stand schon alles im Gefecht. Von rechts her,
aus der Mitte des Dorfs, wo die beiden Gassen sich schneiden, hörten
wir das Commando der Bayrischen Offiziere, von links her blitzten die
Karabinerschüsse der Unseren, oder leuchtete mitunter das Blau und Weiß
der Uniformen. Der Feind schien überall. Im Einverständniß mit den
Bewohnern drang er weniger durch die Eingänge des Dorfs, als durch die
Häuser und Gärten vor; aber noch war nicht alles verloren. Die Bayern,
ersichtlich, hielten Stand; ja, wir konnten hören, daß sie Terrain
gewannen. Wir riefen uns einander zu. Wenn wir jetzt als richtige
Husaren, unsere Pferde unterm Leibe, in die zerstreut kämpfenden Feinde
hineingefahren wären und in immer wiederholtem Auf- und Niederjagen die
beiden Dorfstraßen leer gefegt hätten, während die Bayern die vier
Eckhäuser am Kreuzungspunkt besetzt hielten, so wären wir vielleicht
durch gewesen. Aber die verd... Barrikaden! Keine 50 Schritt freie
Bewegung. Wir scheiterten, weil wir uns statt auf die Pferde, auf den
Karabiner verlassen mußten. Jeder kann nicht jedes.

So knatterte es hin und her. Unsere dünne blaue Linie wurde immer
dünner; die anstürmenden Franctireurs drängten uns von der Straße auf
das Gehöft, von dem Gehöft in die Ställe; hier standen wir jetzt
rathlos bei unsren Pferden; von außen her, durch Thüren und Luken,
knallte der Feind aufs Gerathewohl in die dunklen Räume hinein.
Unteroffizier Balzer, eines reichen Gutsbesitzers Sohn, unser Aller
Liebling, sprang, als er Mann und Pferd neben sich fallen sah, mitten
in den Haufen der Draußenstehenden hinein und rief: Pardon! Sein gutes
Gesicht, seine bittende Stimme schienen ihn retten zu sollen: der
Zunächststehende setzte das Gewehr ab und sah ihn an; aber im selben
Augenblick sprang ein Zuave vor und jagte ihm mit einem Deutsch
gesprochenen »stirb Hund« die Kugel durch den Kopf.

Wir andern kapitulirten. Alle Offiziere waren todt; wir waren noch 56
Mann.


#Corporal Vollnhals erzählt#:

Wir rückten um 9 Uhr ins Dorf, drin wir die Schleswiger Husaren schon
vorfanden. Wir waren 60 Mann unter Oberlieutenant #Schneider# vom 11.
Regiment, 1. Bataillon (Regensburg). Die Ausgänge waren von den Husaren
besetzt; wir verdoppelten die Posten, legten eine Feldwache von 30 Mann
nordwestlich und bezogen mit dem kleinen Rest, der uns blieb,
Allarmquartiere in der Mitte des Dorfs. Ich war im Dorf.

Um 3 Uhr knatterte es draußen. Der Feind griff von allen Seiten
gleichzeitig an; so hieß es denn Knäuel bilden, um die Zurückgehenden
aufnehmen und den Feind, woher er auch komme, erwarten zu können.
Unsere ausgestellten Posten waren sämtlich weggeschossen worden; die
zurückgehende Feldwache hatte schwere Verluste gehabt, so musterten wir
denn nur noch 40 Mann. Mit diesen galt es jetzt das Dorf zu halten.
Nach Süden hin, in geringer Entfernung, standen die Husaren.

Eine Viertelstunde lang ging es. Wir attakirten mit dem Bajonet und
drängten das, was uns gegenüber stand, mehrmals bis an die
Einfassungsmauer zurück; aber jedesmal wenn wir anschlugen, um eine
volle Salve in den dichten Haufen hinein abzugeben, hieß es aus dieser
Masse heraus: »schießt nicht Kinder, wir sind ja Preußen«. Im selben
Augenblick trafen uns Kugeln von #hinten# her. Nun machten wir Kehrt,
glaubten wirklich den Feind blos im Rücken und in unsrer Front die
Preußen zu haben, aber im selben Moment, wo wir die Schwenkung gemacht,
umzischten uns auch schon wieder die Kugeln unserer vermeintlichen
Deutschen Brüder. Wir wußten nicht ein noch aus, und zuletzt von Wuth
und Todesangst getrieben, schossen wir blind in alle Haufen hinein, um
dem Spiel ein Ende zu machen.

Aber das Spiel war uns bereits theuer zu stehen gekommen. Alle
Offiziere todt. Als ich jetzt an dem Straßenkreuzungspunkte mich
umschaute, sah ich, daß wir nur noch 15 Mann waren. Ich war der einzige
Chargirte und übernahm das Commando. Von allen Seiten gedrängt, zog ich
mich in das zunächst gelegene massive Haus zurück und besetzte den
ersten Stock, nachdem ich die Thür unten, so gut es ging, verrammelt
hatte. An jedem Fenster 4 Mann. Ich postirte sie schräg hinter dem
rechten Pfeiler, so daß sie gedeckt standen und einen sichern Schuß
hatten. Der Himmel war mit uns. Bis dahin war es dunkel gewesen; jetzt
aber dämmerte es, und der erste über die Dächer kommende Tagesschimmer
fiel so hell auf unsere Läufe, daß wir das Korn sehen und scharf zielen
konnten, während die Franzosen unten im Halbdunkel standen. So ging es
fort bis alle Patronen verschossen waren; unser matter werdendes Feuer
hatte ohnehin dem Feinde schon verrathen, wie’s mit uns stand. In
diesem Augenblick rückte die Masse drüben zum Sturme vor; noch einen
letzten Schuß gab ich ab; dann hörten wir wie unten die Fenster und
Hinterthüren eingestoßen wurden und alles treppan lärmte. Eine Salve in
unser Zimmer hinein; vier von meinen Leuten stürzten; ein Chasseur
packte mich beim Kragen und schüttelte mich. Ich stieß ihn in eine Ecke
zurück. Wüthend setzte er mir das Gewehr auf die Brust und drückte los,
während ich eben den Lauf an der Mündung gefaßt hatte. Die Kugel riß
mir die Spitze des kleinen Fingers fort. Jetzt mußte sich’s
entscheiden. Wir wollten uns eben an den Hals fahren, als ein Offizier,
so viel ich verstehen konnte ein Pole, zwischen uns sprang und mich
rettete. Er erklärte uns alle »als in seinen Schutz gestellt«, und als
er sah, daß wir nur noch 11 Mann waren, lobte er uns. Mir nickte er zu,
was er jedesmal wiederholte, wenn er später an mir vorüberkam.


#Sergeant Polzin erzählt weiter#:

Um 5 Uhr früh war alles was von uns noch übrig war, in dem großen
Gastzimmer des einen Gehöftes versammelt; Husaren und Bayern, alles
bunt durcheinander. Verwundete gab es nicht; wenigstens haben wir
nichts davon gehört.

Es war eine wunderliche Beleuchtung; Kaminfeuer und ein halbes Dutzend
Lichter, auf Blaker und Flaschen gesteckt. Zwei oder drei dieser
Lichter standen auf einem großen runden Tisch, der an ein
offenstehendes Fenster gerückt worden war; Tageslicht drang ein. Wir
athmeten auf in dieser Morgenfrische. Auf dem Tische selbst lag alles
aufgeschichtet, was man den Todten draußen an Geld und Geldeswerth
abgenommen hatte; jetzt mußten auch wir deponiren, was wir in unseren
Taschen hatten. Mitunter half eine Franctireur-Hand nach und
beschleunigte die Untersuchung. Nun ging es an ein Sortiren und
Theilen. Ein Zehnthalerschein, dessen Werth der großen Mehrzahl ein
Geheimniß war, wurde verächtlich bei Seite geschoben. In demselben
Augenblick aber fuhr durch die dem Tisch zunächst stehende
Franctireur-Mauer eine Hand hindurch, griff nach dem Schein und sagte
mit unverkennbarem Accent: »#dir# kann ich jrade brauchen«. Es war eine
Art Elite-Corps, mit dem wir es zu thun gehabt hatten,
Fremdenlegionaire, Abhub aus aller Herren Länder, Italiener, Polen,
Hannoveraner, und — wie überall in der Welt — auch Berliner.

Von Geldeswerth war uns allen nur eines geblieben: einem meiner Husaren
hatte ein Seitenschuß die ganze Uhr aus der Kapsel herausgeschossen; an
seiner Uhrschnur hing nichts als die silberne Schale. In gutem Humor
hatte man sie ihm als »Andenken an Ablis« überlassen.

Wir erhielten einen Frühtrunk und einen Bissen Brod; dann ging es auf
Chartres zu. Unter dem Jubel der Bevölkerung zogen wir ein.

Gegen Abend sahen wir von unserem Gefängniß aus, daß sich der Himmel
gegen Norden hin röthete. Wir ahnten was es war, drei Tage später
#wußten# wir es. Die ganze Division war von Rambouillet aus gegen Ablis
vorgerückt, um das Dorf für seinen Verrath zu strafen. In weitem Kreise
standen die Regimenter; dann feuerte die reitende Batterie ihre
Brandgranaten in das unglückliche Dorf, und am andern Morgen war Ablis
ein Aschenhaufen.




11. Drei von den 3. Garde-Ulanen.

  Sie preschten zurück in vollem Galopp, hopp, hopp,
  Daß an der Lanze das Fähnlein stob, hopp, hopp,
    Leb wohl, leb wohl, lieb Kamrad mein,
    Es mußte doch mal geschieden sein,
  Ach ja,
  Er stürzte vom Pferde allda.
      G. Hesekiel.


#Unteroffzier Janeke erzählt#:

Wir lagen bei dem Dorfe Villaines, zwei Meilen nördlich von St. Denis.
Am 3. November früh erhielt ich Ordre, mit vier Mann einen
Recognoszirungsritt bis Ecouen und Sarcelles zu machen und Nachricht zu
bringen, #ob# sie besetzt seien, #wie stark# und #womit#. Das große
Dorf Ezonville war halber Weg. Hier sollte das Absuchen beginnen. »Es
ist nicht #wahrscheinlich#, daß sie schon in Ezonville stecken, aber es
ist
#möglich#. Also aufgepaßt. Und nun mit Gott.«

Wir ritten aus; es nebelte noch. Das erste Dorf, das wir passirten,
hieß Villiers-le-Sec, das zweite Lemesnil-Aubry; der Nebel war
inzwischen gefallen und Alles versprach einen klaren Tag. Wir trabten
nun auf das
#dritte# Dorf zu. Es war Ezonville. Sein heller Kirchthurm blinkte
#schon
durch die Pappeln.

Als wir dicht heran waren, stießen wir auf drei Mann von unserer 5.
Escadron, die schon vor uns ausgeritten waren. Der Gefreite machte
Meldung und stellte sich unter mein Commando. Ich hatte nun 7 Mann und
war guter Dinge; mit sieben Lanzen ist schon was anzufangen.

Ich theilte jetzt meine Streitkräfte in zwei Seiten- und eine
Mittel-Patrouille. Die Mittel-Patrouille (für das Dorf bestimmt) war
die Hauptsache. Diese führte ich selber und suchte mir zwei Mann dazu
aus, die beiden besten. Ich sagte mir so: die drei von der 5. Escadron
mögen gut sein, aber du kennst sie nicht; deine eigenen kennst du:
Rabinsky is ein Deubelskerl, aber Pollacke und unzuverlässig;
Pottmüller is willig, aber noch ein halber Rekrut; bleiben dir noch
Sattler Gemke und der rothhaarige Schindler; #die# nimm, die sind jut.
Und so nahm ich mir denn Gemken und Schindlern; die drei von der 5.
schickt’ ich links um das Dorf rum; Rabinsky und Pottmüller rechts.

Sattler Gemke hatte die Spitze; dreißig Schritt hinter ihm Schindler
und ich; so ritten wir in das Dorf ein. Ich kannt’ es schon von Mitte
Oktober her, wo wir bei hellem Mittagsschein durchgekommen waren. Ein
langes Dorf, blos zwei Reihen Häuser; in der Mitte die Kirche mit einem
Platz. Ich hatt’ es noch gut in Erinnerung.

Die ersten Gehöfte in ihrem weißen Anstrich und mit den Vorgärten, in
denen noch das bunte Laub hing, sahen freundlich genug aus; aber in
jeder Thür stand ein altes Weib, was mir all mein Lebtag nichts Gutes
bedeutet hat. Ich ritt an die erste heran und fragte: »Franctireurs?«
worauf sie mit dem Kopf #schüttelte#, nach Süden hin zeigte und blos
immer wiederholte en bas. Ich sagte »Dank, Mütterchen«, ritt auf die
zweite zu und fragte wieder »Franctireurs?« worauf diese mit dem Kopfe
#nickte#, auch nach Süden zeigte und auch wiederholte en bas.

Ich war jetzt ärgerlich; die eine schüttelte, die andere nickte; ich
warf ihr also einen altmärkischen Morgengruß an den Kopf, den ich hier
nicht wiederholen will. Vielleicht hatte sie’s gut mit mir gemeint. Es
ist schlimm, wenn man sich in fremden Sprachen vernachlässigt hat.

Gemke war uns jetzt erheblich vorauf. Schindler und ich ritten rechts
und links an den Gehöften vorbei; wo es möglich war, hielten wir uns so
dicht an den Häusern hin, daß wir in die Fenster des ersten Stocks
hineinsehen und den Flur und die Zimmer mustern konnten. Aber nirgends
zeigte sich etwas Verdächtiges; die Dorfstraße war leer, die Gehöfte
wie ausgestorben; nur Kinder spielten im Hof. Männer schien es nicht zu
geben.

So waren wir an der Kirche vorbei bis an die letzten, schon vereinzelt
stehenden Häuser gekommen und wollten eben auf Ecouen und Sarcelles zu
uns in Trab setzen, als zwei Schüsse fielen, und Gemke, sein Pferd
herumwerfend, in voller Carriere auf uns zu sprengte. Er hielt seinen
linken Arm in die Höh’, der stark blutete. Jetzt wußt’ ich Bescheid.
»Gemke« rief ich ihm zu »helfen is nich; Sie müssen sehen wie Sie
durchkommen; immer querfeldein; Gott verläßt keinen Ulanen nich.« Ich
sah noch wie er über den Graben setzte. Schindler und ich aber machten
Kehrt und jagten wieder zurück in das Dorf hinein, das wir eben erst
verlassen hatten.

Welch Wechsel! Die Gasse stand jetzt so vollgepfropft als ob Jahrmarkt
oder Hinrichtung wäre. Es war auch so was. Durch diesen Menschenhaufen
mußten wir hindurch. Es schien glücken zu sollen. Die ganze Masse war
ersichtlich noch nicht recht in Ordnung; nur einzelne Schüsse fielen.
So kamen wir bis an den Kirchenplatz, wo die Straße nach links hin
ausbuchtet. Hier war alles leer; ich that einen vollen Athemzug und
dachte so vor mich hin: Janeke, das war überstanden.

Aber ich hatte mich verrechnet. In der zweiten Dorfhälfte hatten sie
derweilen Zeit gefunden sich zurecht zu machen, und als wir jetzt in
die wieder schmaler werdende Gasse hinein wollten, da sahen wir aus
allen Fenstern und Dachluken Gewehrläufe auf uns gerichtet, und gleich
dahinter einen in drei Gliedern stehenden Schützenzug, der uns mit
Flintenschüssen empfing. Ich duckte mich; als wir aber glücklich durch
waren, richtete ich mich hoch auf, um zu sehen, was wir noch vor uns
hätten, und sah nun, daß bis ans Ende des Dorfes hin und drüber hinaus,
alle hundert Schritt eine solche Chaine gezogen war, und daß wir also
auf dem zwischenliegenden freien Raum das Seitenfeuer der Häuser und
das Frontfeuer dieser Chainen auszuhalten haben würden.

An diesen Ritt will ich denken. Schindler, nach links, immer dicht
neben mir; nur so viel Zwischenraum, daß er mit seiner Rechten frei
hantiren konnte. »Mann«, rief ich ihm zu, »wir müssen durch!« Sein
Sommersprossengesicht nickte mir zu und der rothe Spitzbart tupfte ihm
dabei vorn auf die Ulanka und das Kreuz von 66. So ging es hinein;
Schindlers Lanze immer um drei Fuß vor. Ich faßte meinen Säbel
krampfhaft fest und stieß und hieb, aber das war nur Spielerei; davon
ist nicht zu sprechen neben der Lanze meines Rothkopps. Was ich sonst
nur immer gehört hatte, hier sah ich es: die #Lanze ist eine furchtbare
Waffe#. Ich will nicht Zahlen nennen, sie möchten doch nicht geglaubt
werden; zudem bin ich meiner Sache nicht sicher. Ich weiß auch nicht
wie viel der Anprall der Pferde und wie viel die bloße Furcht vor
dieser langvorgestreckten Spitze gethan haben mag, aber das muß ich
sagen, ich habe den Eindruck, daß uns diese eine Lanze unsern Weg durch
all die Colonnen bohrte. Keine Kugel traf; wir hörten nur das Klatschen
auf den Dachziegeln gegenüber.

Jetzt kam wieder eine Lichtung, ein größerer Zwischenraum, und über die
Köpfe der zwei letzten Chainen weg, die den Ausgang sperrten, sah ich
schon die Pappeln der Chaussee und dachte eben in meinem Sinn: »sie
schießen doch zu schlecht«, klatsch, da hatt’ ich eins weg in den
Schenkel, nicht viel, aber mein Pferd mußte scharf getroffen sein, denn
das Blut spritzte hoch auf und meine weißen Fangschnüre waren wie
getränkt damit. Ein Unglück kommt nie allein. In diesem Augenblick rief
Schindler: »Unt’roffizier, ich bin getroffen«, und ich sah deutlich,
daß er zusammenzuckte. »Halt Dich fest,« schrie ich ihm zu, »durch,
durch,« und er packte mit der Linken den Hals seines Braunen und ging
wieder hinein. Es war ein prächtiger Kerl. Aber plötzlich fehlte er
neben mir; mit halbem Blick nach links sah ich, daß Pferd und Reiter
zusammengebrochen waren und daß man über ihn her war. Ich hatte nicht
viel Zeit drüber nachzudenken, denn im nächsten Augenblick war es auch
mit mir vorbei. Mein Pferd, von einer zweiten Kugel in den Kopf
getroffen, stürzte zu Boden; ich lag drunter und verlor die Besinnung.

Als ich wieder zu mir kam, war ich unter einem Dach von Bajoneten. Man
zog mich hervor und schleppte mich im Triumph in die Mitte des Dorfes,
an meinem treuen Schindler vorbei. Er richtete sich noch einmal auf;
der Todesschmerz stand ihm im Gesicht. Es hat nicht lange mehr
gedauert. Einer von den Franctireurs gönnte ihm eine letzte Kugel. Es
war auch das Beste.

Sattler Gemke, wie ich gehört habe, ist durchgekommen und hat seine
Meldung gemacht. Ich gönn’s ihm; einer hat eben Glück vorm andern; die
Loose fallen verschieden. Gemke lebt, Schindler ist todt und ich —
sitze
#hier#.




12. Fünf vom 14. Jäger-Bataillon.

                    ≈Tarry, dear cousin!
  My soul shall thine keep company to heaven,
  Tarry, sweet soul, for mine, then fly a-breast.≈
      ≈Shakespeare. (Henry V.)≈


#Jäger Schoenfeldt erzählt#:

Wir lagen 2 Meilen rechts von Corbeil, die ganze 17. Brigade, das
Grenadier-Regiment aus Schwerin, die Rostocker Füsiliere und unser
Jäger-Bataillon. Alles war guter Dinge; unsere Offiziere wetteten »in 4
Wochen ist es vorbei«; nur in Einem sah es schlecht aus: wir hatten
nichts zu essen. Das ist immer schlimm, aber für einen Mecklenburger
doppelt.

Am 16. Oktober erhielt unser Bataillons-Kommando, Major v. Gaza, einen
Brief von guter Hand, in dem zu lesen stand, daß in dem Städtchen
Nogent ein deutscher Kaufmann wohne, der noch Vorräthe habe und gewillt
sei, sie gegen gute Prozente zu verkaufen. Gut so. Das war just was wir
brauchten. Ein Detachement sollte am andern Morgen aufbrechen, um bei
besagtem Kaufmann für 100 Thaler Brod, Cognac und Taback zu erhandeln.
Mit dem Brod stand es schon seit 14 Tagen schlecht. Ein Wagen, ein
guter Zweispänner, sollte für die Fahrt beschafft werden. Ich erfuhr
spät Abends, daß ich mit von der Parthie sein werde.

Zwei Tage hin, zwei Tage zurück; ich freute mich nicht wenig.

Am 17. früh brachen wir auf; in Mormant sollten wir übernachten und am
Nachmittage des zweiten Tages in Nogent eintreffen. Dies war Alles.
Karten hatten wir nicht. Wir wußten nur dreierlei: Bestimmungsort
Nogent, Richtung nach Osten, Entfernung 10 Meilen. So ausgestattet,
hofften wir in der That uns durchtappen zu können. Wir waren guter
Dinge und ohne Ahnung davon, daß es in Frankreich anderthalb Dutzend
Nogents giebt. Das sollte verhängnißvoll für uns werden.

Das Detachement, wenn ich von mir absehe, war gut gewählt.
Unteroffizier Ellis, Gefreiter Fritsche, Jäger Lübbe, Jäger Jahn; dazu
ich. #Ellis#, Gutsbesitzer, hatte das Jahr vorher als Freiwilliger
beim Bataillon gestanden; #Fritsche#, Schiffscapitain oder Steuermann,
ich weiß nicht genau, war eben aus England zurückgekommen; #Lübbe#,
Apotheker; #Jahn#, Mediciner. Sie waren all aus gutem Hause und
konnten parliren. Jahn am besten. Fritsche war aus Rostock, Sohn des
Professors; Jahn aus Schwerin, Sohn des Hofpredigers. Ich für mein
Theil wußte nichts. Es muß auch solche geben.

Der erste Tag verging ohne Störung. Wir fuhren bei guter Zeit in
#Mormant# ein; vier Meilen waren gemacht. Wir befanden uns hier noch im
Bereich unserer Armeen; Alles war dienstfertig und bereit. So verging
die Nacht.

Sechs Uhr früh saßen wir wieder auf unserem Wagen, die Büchse im Arm,
und trabten auf Nogent zu. Wir hatten am Abend vorher Information
eingezogen und in Erfahrung gebracht, daß wir über #Provins# fahren
müßten. »Immer #ostwärts# die Chaussee hinunter; noch drei Meilen bis
Provins, noch sechs Meilen bis Nogent.« Das schien zu stimmen;
Entfernung und Himmelsgegend waren richtig. Es war aber dennoch falsch.
Wir fuhren auf Nogent #sur Seine#, statt auf Nogent #sur Marne#; das
Marne-Nogent (Eisenbahnstation zwischen Chateau-Thierry und La Ferté)
lag unterm Schutz der Preußischen Bajonete, das Seine-Nogent unterm
Schutz der Franctireurs. Unser Schicksal wollte es, daß wir auf das
#Franctireur#-Nogent zufuhren. Ob uns der Wirth von Mormant (Mormant
#war
Gabelpunkt für beide Wege) absichtlich in die falsche Direktion
schickte? Ich glaub’ es kaum.

Es war ein kostbarer Tag dieser 18. Oktober und heiter wie der Tag
gings in die Landschaft hinein. Fritsche richtete sich hoch auf,
schwenkte seine Büchse und rief, als wir das nächste Dorf passirten:
»Hoch Deutschland; #heut ist der 18. Oktober#!« Wir stimmten jubelnd
ein; die Chaussee hinauf, hinunter, ging es durch die schönen lachenden
Dörfer. So kamen wir nach Provins. Es war gerade Mittag.

Provins ist eine reizend gelegene Stadt am Fuß und Abhang eines Berges;
beinah einsam, vom Berge herab, grüßt eine alte Kirche; durch die Stadt
hin aber schlängelt sich ein Fluß mit Lohmühlen und Gerbereien, und
dazwischen — Rosengärten. Einzelne Stämme standen noch in Blüthe.

Wir fuhren auf den Markt, hielten vor einem Gasthaus um zu futtern und
begannen eben Fragen zu stellen, wie man wohl thut, wenn man sicher und
guter Dinge ist, als wir plötzlich den Marktplatz mit Hunderten von
Menschen sich füllen sahen, viele blos neugierig, aber die meisten
ersichtlich feindselig. Die Antworten auf unsere Fragen wurden immer
kürzer; ein Murmeln begann, ein Andrängen auf unsern Wagen zu, so daß
Ellis, der Ordre hatte alle Häkeleien zu vermeiden, uns schnell
entschlossen zurief »aufsitzen«, und im nächsten Moment schon rasselte
der Wagen wieder über das Pflaster hin, mitten durch die
auseinanderstiebende Menschenmenge hindurch, zur andern Seite der Stadt
hinaus. Ein Gespräch mit dem Wirth hatte uns schon vorher genau die
Richtung angegeben. Die Richtung auf das #falsche# Nogent. Es war noch
drittehalb Meilen.

Das Geschrei der Menge folgte uns, starb aber bald, und der ganze
Vorgang, dem wir bis dahin wenig Bedeutung beigelegt hatten, da wir uns
auf völlig gesichertem Boden glaubten, war schon halb wieder vergessen,
als wir, dreiviertel Meilen hinter Provins, in den Forêt de Sordun
eintraten, der, mehrere Stunden groß, das halbe Terrain zwischen
Provins und Nogent mit seinen Wald- und Berg-Coulissen ausfüllt. Wir
mußten jetzt durch Schluchtenwege hindurch, die zu beiden Seiten sich
bald zu beleben anfingen; hinter jedem Baum trat ein Blaukittel hervor,
einige bewaffnet, andere nicht; auch Frauen und Kinder. Diese begannen
ein Gejohle und Geschrei; alles aber folgte und hing sich wie eine
Heerde Wölfe, die auf den richtigen Moment wartet, an unser Gefährt.

»Nicht umsehen«, kommandirte Ellis und nahm selber die Leinen in die
Hand. Er war ein guter Fahrer und die beiden dampfenden Pferde, die in
Provins ohnehin um ihre volle Ration gekommen waren, griffen jetzt aus
mit ihrer #letzten# Kraft. Das half zunächst; der Wald lag alsbald
hinter uns; nur die besten Läufer hatten Schritt mit uns gehalten;
Nogent konnte keine Stunde mehr ab sein; #wenn# die Pferde aushielten
...?! In diesem Augenblick fuhren wir in ein Dorf hinein; in Mitte
desselben standen die beiden Braunen still; sie konnten nicht weiter.
Ellis warf die Zügel aus der Hand und sprang vom Wagen; wir andern
folgten.

Nur Fritsche blieb oben stehen; er hatte die angeborene Heldennatur und
schrie in das Geschrei des andrängenden Menschenhaufens hinein:
»≈Qu’est c’est-que ça? que voulez-vous?≈« Sie blieben ihm die Antwort
nicht schuldig: »≈Vos fusils! vous êtes prisonniers≈« und im selben
Augenblick stürmten sie auf ihn ein; ein Franctireur, ein schöner
junger Kerl mit Klapphut und rother Schärpe, an ihrer Spitze. Ich seh
ihn noch. Fritsche schlug an und der Franctireur stürzte zu Boden. Ich
habe nie so viel Blut an einem Menschen gesehen. Aber dies Blut kam
über uns. Eh uns noch klar war, was geschehen, waren wir entwaffnet.
Fritsche, der sich auch jetzt noch zur Wehr setzte, wurde vom Wagen
gezerrt und an die Wand des nächsten Hauses gestellt: »≈meurs chien
prussien!≈« Er wußte jetzt, daß er vor dem Tode stand, richtete sich in
die Höh, riß Rock und Weste auf und schrie: ≈tirez≈. Im selben Moment
lag er todt am Boden. Ellis, in Verzweiflung, machte sich gewaltsam
los, um die Hand des Todten noch einmal zu fassen; aber eh er zehn
Schritt gemacht hatte, trafen ihn drei Kugeln in Kinnbacke, Brust und
Schenkel; er kroch jetzt heran und umarmte zärtlich die am Boden
liegende Leiche des Freundes. Selbst die Feinde hielten einen
Augenblick inne und sahen dem grausig-rührenden Schauspiel zu. Aber im
nächsten Augenblick war Lübbe auf den Tod getroffen, und Jahn und ich
wurden an die Bäume der Chaussee gestellt, um hier das Schicksal
Fritsches zu theilen. Ich war fertig und hatte nur noch ein Flimmern
vor den Augen; aber Jahn (Gott segne jede französische Privatstunde,
die er gehabt) sprang jetzt vor und haranguirte die tobende Volksmasse.
Ich weiß nicht mehr, was er sagte, er wird es selber kaum wissen, aber
als er schwieg, setzten sie die Gewehre ab und erklärten uns als
Gefangene. Wir mußten uns jetzt auf die Bank des Wagens setzen, zwei
Franctireurs dicht neben uns; dann wurden die beiden Verwundeten
aufgeladen, zwischen ihnen die Leiche Fritsches. So ging es auf Nogent
zu.

Ellis litt unsäglich. Er beschwor die Franzosen, seiner Qual ein Ende
zu machen. Umsonst. Im Trabe ging es weiter. Als wir Schritt fuhren,
eine Berglehne aufwärts, kam ein Bauer uns nachgelaufen, der den
anstoßenden Acker pflügte. Er verwünschte uns Alle; dann nahm er seinen
Peitschenstock und schlug den sterbenden Ellis ins Gesicht. Das war den
Franctireurs denn doch zu viel; sie sprangen vom Wagen und stießen das
blaukittlige Scheusal in den Chausseegraben hinein.

Um 3 Uhr waren wir in Nogent. Welch Einzug! So hatten wir den »Tag von
Leipzig« gefeiert.

Am 2. November kamen wir hier auf der Insel an. Es war Todtenfest. Das
paßte schon besser.




13. Begräbniß.

  Sie hüllten ihn ein in weißes Lein
  Und trugen ihn dann zur Ruh,
  Die Mönche sangen die Todtenmess’
  Und Litaneien dazu.
         W. Scott.


Arbeit und Lektüre kürzten die Zeit, aber für Jeden, der weder das Eine
noch das Andere hatte, waren es langweilige Tage, #nichts geschah#, und
Sergeant Genzel, wenn er seinen Heine so gut kannte wie seinen
Schiller, durfte citiren:

  Nur wenn sie einen begraben, Bekommen wir was zu sehn.

Leider kam dies »Begraben« bald öfter vor, als auch dem
Zerstreuungssüchtigsten unter uns wünschenswerth sein mochte. Niemand
konnte wissen, wie bald die Reihe an #ihn# kommen würde. Erst starb ein
Alter, ein bayerscher Fuhrmann. Offiziell hieß es, er habe einen
»organischen Fehler« gehabt. So heißt es immer. Der zweite war ein
Cürassier (auch Bayer), den man von Orleans krank hergebracht hatte. Am
22. November begruben wir ihn.

Um 9 Uhr wurd’ es lebhaft. Chorknaben, vier oder sechs, mit weißen
Hemden und rothen fezartigen Mützen, erschienen auf dem Kasernenhofe;
dann kamen drei Geistliche, schwarz und weiß, mit Mitren auf dem Haupt.
Die Bayern standen schon da und formirten sich zu einer Kolonne. Acht
von ihnen, in blankem Helm, trugen den Sarg herbei, der bis dahin in
einem Schuppen gestanden hatte, und setzten ihn auf die Bahre. Es war
eine einfache Holzkiste mit einem zugeschrägten Deckel. Das schwarze
Tuch mit dem silbernen Kreuz wurde drüber geschlagen; dann setzte sich
der Zug in Bewegung, zunächst auf die Stadt und die Kirche zu, die
Chorknaben mit Crucifix und rothen Laternen allen Uebrigen vorauf. So
ging es durch das Portal über die Zugbrücke. Als wir an der Cantine
vorbei kamen, schwenkten einige Leidtragende ab; ihre Empfindungen
nahmen plötzlich eine andere Richtung. Die Mehrzahl folgte.  So
erreichten wir die Kirche, die sich bald füllte; denn auch die Stadt
nahm Theil. Freund und Feind durcheinander, so saßen wir da.

Die acht Bayern hatten inzwischen die Bahre mit dem Sarg in das
Mittelschiff gestellt, unmittelbar in Nähe des hohen Chores, der nur
durch ein vergoldetes Eisengitter von uns und dem Todten geschieden
war. Die geistlichen Herren nahmen innerhalb des Chores Platz; dann
begannen die Litaneien. Es klang misererehaft.

Ich konnte den Worten nicht folgen und betrachtete deshalb lieber die
Kirche. Sie war in gutem Styl aus gutem Materiale gebaut; dabei mit
Bildern reich geschmückt. Die Altar-Nische wies, außer dem großen
Altarbilde, noch zwölf kleinere auf. Aehnlich die ganze Kirche. Mehrere
waren gut, viele mittelmäßig, keins schlecht. Man konnte hier, wie in
jeder französischen Kirche, wahrnehmen, daß die Durchschnittsleistung
nach #dieser# Seite hin besser ist als bei uns. Ich lege nicht viel
Gewicht darauf, aber es ist doch immerhin etwas.

Nun waren die Litaneien vorüber. Die Geistlichen erschienen neben dem
Sarg und lasen die Gebete; ein Chorknabe schwenkte den Weihkessel; dann
that der fungirende Priester dasselbe. Damit war der kirchliche Akt
geschlossen, und der Zug setzte sich aufs Neue in Bewegung, der
Begräbnißstätte zu.

Es war noch eine hübsche Strecke. An zahlreichen Mühlen vorbei (weiße
Rundthürme mit grüner oder rother Dachmütze) ging der Weg. Endlich
sahen wir die weiße Mauer, das Thor stand auf und der Zug bog ein. Die
Stätte machte einen guten Eindruck; Kreuze und Denkmäler, Alles in
Marmor; man ehrte die Todten hier; dazu sprach aus Allem eine gewisse
Wohlhabenheit. Cypressenbäume und wilder Lorber faßten die Gänge und
Steige ein; hier und dort ragte ein Ginsterstrauch, kahl wie ein Besen,
mit seinen hundert Ruthen in die Luft; Hagebutten standen zu Füßen der
Gräber, zwischen ihren großen, rothen Früchten noch mit vereinzelten,
blaßrothen, halbverwaschnen Blüthen geschmückt.

Nun hielten wir am Grabe; die thonige, graublaue Schlickerde lag uns
zur Seite. Der Nordwest ging immer schärfer und mahnte zur Eile. Das
Brett, auf dem der Sarg stand, wurde an die Grube getragen und dann
#gesenkt#, so daß der Todte allmälig hinabglitt. Ein Tau, von zwei
Männern gehalten, regelte das Hinabgleiten. Nun wurde die Planke
zurückgezogen; noch ein kurzes Gebet, dann griffen die Muthigsten in
den nassen Schlick und warfen einen Erdklos hinunter. Damit war es
gethan. In drei Minuten war Alles verschwunden, der Friedhof leer.

Ich konnte so nicht scheiden. Der Todtengräber, ein Alter, kam und
begann zu schaufeln. Ich sah ihm eine Weile zu, sprach zu ihm und
gedachte derer, die, fern in der Heimath des Todten, dieser Stunde
#nicht# gedachten. Dann, an den Hagerosen vorbei, von denen auch nicht
#eine# auf sein Grab gelegt werden wird, trat auch ich meinen Rückweg
an.

So stirbt man in der Fremde.




14. Sturm im Glase Wasser.

          War ich, wofür ich gelte,
    Ich hätte mir den guten Schein gespart,
  Dem Unmuth Stimme nie geliehn.
      (»Wallenstein.«)


Das Sterben wurde bald Tagesordnung auf Oléron. Es konnte kaum anders
sein. Etwa Mitte November trafen 700 Bayern auf der Citadelle ein, die
man, nach Einnahme Orleans, durch General Aurelles de Paladine, in den
dortigen #Lazarethen# zusammengesucht und als »#Gefangene#« nach Oléron
geschickt hatte. Etwa ebenso viele, nach andern Angaben erheblich mehr,
waren nach Pau dirigirt worden.

Dies Verfahren, lediglich um sich vor versammeltem Volk mit einer
erträglich hohen Zahl von Gefangenen brüsten zu können, hatte wenig
einer Gloire-Nation Entsprechendes, dennoch hätte man mit Rücksicht auf
die Nothwendigkeit, dem Volke einen Sporn zu geben, solche Maßregel
verzeihlich, oder meinetwegen selbst #sehr# verzeihlich finden können,
wenn man bei diesem Zusammensuchen etwas humaner vorgegangen wäre. Es
hätte sich dann darüber reden lassen. In solchen Zeiten (leider) muß
zuletzt #Alles# dem letzten großen Zwecke dienen. Aber ein ernster
Vorwurf für die französischen Machthaber, oder für diejenigen, die in
ihrem Namen handelten, wird es bleiben, daß man nicht blos wirkliche
Reconvalescenten und leicht Verwundete, sondern auch Personen
fortschleppte, die dicht vor dem Typhus standen oder ihn kaum erst
überwunden hatten. Unter allen Umständen aber (und das ist das
Geringste, das gefordert werden darf) mußte man, wenn man #so# tief in
die Lazareth-Bestände hineingreifen wollte, vorher wissen, daß man auf
Oléron im Stande sein werde, diesen noch halb Kranken Pflege, oder doch
ein Bett, oder doch eine Decke geben zu können. Statt dessen hatten die
auf Oléron eintreffenden Siebenhundert in den ersten Nächten #kaum#
Stroh. Das war natürlich kein Zustand, um Reconvalescenten aufzuhelfen;
Rückfälle kamen vor, und der Geistliche, die Chorknaben und der
Todtengräber mußten Tag um Tag, in dem Aufzuge den ich geschildert, auf
den Begräbnißplatz hinaus.

Eine Verstimmung über diese Zustände war unausbleiblich; besonders die
Preußen, unter denen sich viele Unteroffiziere und Sergeanten befanden,
waren empört und gaben nach ihrer heimathlichen Art (wer raisonnirte
#nicht# in Preußen!) dieser Empörung einen unverhohlenen Ausdruck. Beim
Cantinen-Grog, auch wohl in der Stadt beim Einkäufemachen, fielen
Worte, »daß dies eine erbärmliche Wirthschaft und ein schlechter Dank
für die Rücksicht sei, die man unsererseits gegen 300,000 Franzosen
bisher beobachtet habe«; Worte, die alsbald von Mund zu Mund gingen und
im Weiterrollen folgende groteske Gestalt annahmen: die tausend
Gefangenen der Citadelle sind im Complott; sie haben vor, die
Wachtmannschaften zu entwaffnen, die Außen-Posten ins Meer zu werfen;
man wird Chateau überfallen und von der ganzen Insel Besitz ergreifen.
Preußische Kriegsschiffe kreuzen bereits in der Nähe. Man wird weitere
Truppen landen, Rochefort einschließen und von dort aus das Land
insurgiren. Ein Napoleonischer Aufstand im Rücken der republikanischen
Armee, — #das# ist der Plan. Der »Gefangene auf Wilhelmshöhe« ist mit
im Komplott.

Wir erfuhren dies wieder und lachten herzlich. Die Heldenrolle, die uns
zudiktirt wurde, hatte etwas Ehrendes und Schmeichelhaftes für uns;
aber bald überzeugten wir uns, daß solche Gerüchte doch höchst
gefährlich für uns seien und unser relatives Wohlleben arg gefährden
könnten. Was aber, namentlich dem engeren Kreise, der sich bei mir zu
versammeln pflegte, das Allerpeinlichste war, war das, daß unser guter
Kommandant #mit# in die Angelegenheit hineingezogen und um seiner
Nachsicht und Güte willen (die übrigens nie in Schwäche ausartete)
bezichtigt wurde, das eigentliche Haupt des Komplotts zu sein.

Wir beschlossen also, nicht nur äußerste Vorsicht zu üben, sondern
namentlich auch die Anstandsbesuche, die wir von Zeit zu Zeit in der
Kommandantur gemacht hatten, einzustellen. Ich wurde dazu noch durch
einen besonderen Vorfall bestimmt, der, so klein und geringfügig er
war, doch am besten zeigte, wie kritisch bereits die Lage geworden war.

Ich hatte bei einem Nachmittagsbesuche eben neben dem Kommandanten
Platz genommen und ließ mir das Straßburger Bier schmecken, das in
einer Steinkruke wie immer auf ein zwischen uns stehendes Tischchen
gestellt worden war, als der eintretende Diener den Kapitain ≈N. N.≈
meldete. Den Namen überhörte ich. Es war, wie ich mich bald überzeugen
sollte, ein See-Kapitain, der zugleich das Kommando über die
Nationalgarden der Insel übernommen hatte. Mein guter Kommandant
nickte, zum Zeichen, daß er bereit sei, den Angemeldeten zu empfangen,
sprang aber in demselben Augenblick, in dem der Diener das Zimmer
verlassen hatte, vom Fauteuil auf, um mit geschwindester
Geschwindigkeit einen großen Wandschrank zu öffnen und die
Steinflasche, sowie die beiden noch halb vollen Biergläser dahinter
verschwinden zu lassen. Der Verschwinde-Akt war kaum ausgeführt, als
der See-Kapitain eintrat und das Dienstgespräch seinen Anfang nahm. Ich
empfahl mich; mein halbes Glas Bier hatte ich eingebüßt. Dies war zu
verschmerzen; der ganze Vorgang bekümmerte mich aber um des
Kommandanten willen. Dieser war nicht nur ein liebenswürdiger, sondern
vor Allem auch ein sehr feinfühliger Mann, der nothwendig eine
Verlegenheit über die Komödie empfinden mußte, zu der er sich
verurtheilt sah.

Er empfand es auch wirklich, so vermuthe ich; vor Allem aber sah er
ein, daß etwas geschehen müsse, um ihn in seiner unhaltbar gewordenen
Stellung neu zu befestigen. Dies zu erreichen, wählte er den klügsten
Weg. Er bat um einen Auxiliar-Kommandanten, dem die
Gefangenen-Angelegenheiten ausschließlich unterstellt werden möchten.
Ein vorzüglicher Schachzug. Seinem Wunsche wurde nachgegeben und auf
#einen# Schlag war er den Verdacht und — die Arbeit los. Den Verdacht
hatte das #Gouvernement# natürlich nie getheilt; aber das war ein
geringer Trost. Ueberall im Lande stand das Volk auf dem Punkt, die
#Entscheidung selbst in die Hand zu nehmen#. Der Einzug von »König
Lynch« war jeden Augenblick möglich.

Wir erhielten in Folge dieser Vorgänge und Gesuche denn auch wirklich
einen Vice-Kommandanten, einen schönen Blaubart, den Baron de la
Flotte, der in Straßburg als Chef eines Mobilgarden-Bataillons
mitkapitulirt und sich, nach seiner Entlassung auf Ehrenwort, aus dem
Lärm des Krieges in die westlichen Departements zurückgezogen hatte. Er
war ein feiner Herr, von vornehmer Haltung, sehr artig und — sehr
bestimmt. Unser »Sturm im Glase Wasser« beruhigte sich und — die
Gerüchte in der Stadt nahmen ein Ende.

Sie nahmen ein Ende in demselben Verhältniß, in dem das #eigene
Schuldbewußtsein# der Behörden und Bewohner sich minderte und sich
mindern #durfte#. Viele Uebelstände, von denen man sehr wohl gewußt
hatte, daß es Uebelstände waren, sie wurden abgestellt; man that was
man konnte, man anerkannte gewisse #Verpflichtungen# und beeiferte
sich, ehrlich und nachdrücklich, diesen Verpflichtungen nachzukommen.
Das half. Der eifrigste und tapferste dabei war der französische Arzt.
Er fuhr nach La Rochelle hinüber, entwarf ein Bild der Lage und
erklärte rund und nett, daß er entschlossen sei, seine Stellung sofort
niederzulegen, wenn nicht die Hälfte seiner Kranken in die großen
Lazarethe von La Rochelle aufgenommen und die ihm verbleibende andere
Hälfte mit allem Nöthigen versehen würde. Drei Tage später fuhren 30
Kranke in einem großen Seedampfer nach La Rochelle hinüber. Alle seine
Forderungen waren bewilligt worden.

So endigte dieser Zwischenfall, der uns, wenigstens in den Augen
unserer Insel-Bevölkerung, bis an die Grenzen der Meuterei geführt
hatte. In Wahrheit aber hieß es selbst von den Verwegensten und
Abenteuerlustigsten unter uns: »Kühn war das Wort, weil es die That
#nicht# war«, und während man die Neu-Erklärung des Kaiserreichs von
#uns
erwartete, beschäftigte uns vorwiegend die Frage, ob der verd...
Cantinier nicht endlich einen besseren Wein anschaffen, oder mit
Rücksicht auf seine Kunden in #Hellblau# »a Bierche« auflegen würde.




15. »≈Sentinelle, prenez garde à vous.≈«

    ≈But where was this?
  »Mylord, upon the #platform# where we watched.«
    I will watch to-night
  Perchance ’t will walk again.≈
        ≈Hamlet.≈


Um Mitternacht (Gott sei Dank) schlief ich fest, wenn nicht das
Zusammenbrechen der verkohlten Scheite mich auf einen Augenblick
weckte. Nur #einmal# wachte ich die Mitternacht heran.

Es war bei Vollmond. Als die zwölf Schläge über den Kasernenhof hin
verklungen waren, hüllte ich mich in Shawl und Kaputze und tappte an
der Wand des Corridors entlang bis an die schmale Hinterthür, die auf
den Wallgang hinaus führte. Entzückendes Bild! Nach rechts hin stand
der Mond und goß sein volles Licht in breitem Streifen über die
Wasserfläche. Kein Lüftchen ging; das Meer wie ein Spiegel; alles
still; ich hörte nichts als in einiger Entfernung den Schritt der
Wachen und am Fuße des Bastions ein leises Brauen und Murmeln, denn die
Fluth kam.

Ein weißer Schimmer lag wie Schnee auf den grauen Fliesen des Rempart
und ich begann jetzt, immer dicht an der Brüstung hin, einen
Mitternachtsgang anzutreten, wie ich gewohnt war an eben dieser Stelle
meinen Morgengang zu machen.

Ich sah hinüber nach dem Festland, das schwach heraufdämmerte. Nahes
und Fernes immer schärfer musternd, empfand ich plötzlich, daß ich dies
alles, an einem #andren# Orte, schon mal gesehen habe: dieselbe
verschwimmende Küste, den Meeresarm, den Wallgang mit seinen Bastionen,
das Portal und die Zugbrücke und dahinter das Fanal. Ich brauchte auch
nicht lange zu suchen: #Helsingör#. Alle Empfindungen, mit denen ich
damals über den »Hamlet-Rempart« hingeschritten war, sie wurden wieder
lebendig in mir. Nur gesteigert. Wohl war das Schloß am Sunde, aus
dessen Dachfirst eine nadelförmige Spitze wie das Horn aus dem Haupte
des Einhorns phantastisch räthselvoll aufwächst, der #ächtere# Ort,
dort war es, wo »≈the majesty of buried Denmark≈« in poetischer
Wirklichkeit gewandelt war, aber #eines# hatte meinem verlangenden Sinn
die Plattform von Helsingör #nicht# geben können: die rechte
#Stunde#. Es war heller Mittag als ich drüber hinschritt. #Hier# hatt’
ich jetzt was mir Helsingör verweigert hatte. »≈’T was now struck
twelve.≈« Für den ächteren Ort hatt’ ich die ächtere Stunde
eingetauscht.

Ich zog meine Kaputze fester an und setzte mich innerhalb eines
Brüstungsvorsprungs auf eine Steinbank, die, hufeisenförmig, diesen
Vorsprung beinah ausfüllte. Ich sah in den Mondstreifen hinein, der in
schräger Linie über das Meer und dann, glitzernd, über die schneeweißen
Fliesen lief und mit schauerndem Entzücken begann ich Lieblingsstellen
zu citiren. Was halb vergessen war, #jetzt# hatt’ ich es wieder. Ort
und Stunde halfen nach. Ich hielt Zwiegespräche, Scene um Scene, Frage
und Antwort.

  Wer bist Du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt
  Und dieser edlen, kriegrischen Gestalt?
  Sag’, ich beschwör dich.

Und dann klang es Antwort:

                    Ich bin
  Verdammt auf eine Zeit lang Nachts zu wandern,
  Und Tags gebannt, zu fasten in der Glut
  Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit
  Hinweggeläutert sind. Wär’ mir’s verstattet
  Das Innre meines Kerkers zu enthüllen,
  So hob ich eine Kunde an, von der
  Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,
  Dir die verworren krausen Locken trennte
  Und sträubte jedes einzle Haar empor
  Wie Nadeln an dem zorngen Stachelthier.

In diesem Augenblick schlug es halb und noch eh der Schlag verklungen
war, mit einer Plötzlichkeit wie ein Schuß fällt, begann jetzt vom
Portal her das Anrufen der ausgestellten Wachen. »≈Sentinelle, prenez
garde à vous!≈« Der nächste Posten nahm den Anruf auf und im fünffachen
Echo lief es jetzt um die Citadelle herum, von Posten zu Posten, bis
der mir zunächst stehende, mit dem die Kette schloß, dieselben Worte
über den Rempart hinrief. Es war, als gälten sie mir selber.

Ich stand jetzt auf, um meinen Rückzug anzutreten. Mich fröstelte. Als
ich durch den Mondstreifen hindurchschritt, der jetzt zwischen mir und
der schmalen Hofthür lag, war mir’s, als streifte mich etwas. Ich
zuckte zusammen und eilte vorwärts.

Der Wachen Ruf war längst verklungen, aber immer noch klang es in mir
nach: ≈Sentinelle, prenez garde à vous.≈

[Illustration]




Frei.




1. Unverhofft kommt oft.

  Andrer Gram birgt andre Wonne;
  Ueber ein Stündlein
  Ist deine Kammer voll Sonne.
      Paul Heyse.


»Es ist gar nicht zu sagen wie schnell ein Ereigniß da ist, wenn man es
#nicht# erwartet hat! Hat man es erwartet, so dauert es viel länger,
#und
manchmal kommt es gar nicht.« Mit diesen Worten etwa beginnt eine
liebenswürdige Roquette’sche Novelle. Die Wahrheit, die sich darin
ausspricht, sollte sich auch an mir erfüllen. »Unverhofft kommt oft.«

Es war Sonnabend den 26. November. Die erste Hälfte des Tages mit
Spaziergang und Arbeit lag hinter mir, das Mittags-Beefsteak war
verzehrt, »in seinem zähen Widerstand gebrochen«, und die Kaffeestunde
umblühte mich bereits. Duft und Wärme füllten das Zimmer. Rasumofsky
war bei mir. Wie die beiden wilden Männer im Preußischen Wappen standen
wir am Kamin, er rechts, ich links, während zwischen uns das Feuer
glühte und die mehrerwähnte bauchige Blechkanne, mitten in die Kohlen
hinein gestellt, eben mit ihrem Deckel zu klappern begann. Es war das
Wasser für den #zweiten# oder Rasumofsky-Aufguß; den ersten hielt ich
bereits in Händen und nippte mit der Bedächtigkeit eines
»Connaisseurs«.

Rasumofsky hatte seinen sentimentalen Tag und sagte: Jott, Herr
Leutnant, wann werden wir wieder den ersten Preuß’schen Kaffe trinken?
Mit Weihnachten wird es nichts.

Nein, Rasumofsky, auf Ostern müssen wir uns gefaßt machen. Vielleicht
sehn wir hier noch den Flieder blühn.

Ach, Herr Leutnant, hier blüht ja gar kein Flieder nich.

Aber Rasumofsky, Sie werden doch diesen Gegenden, die dicht an der
Grenze des Mandelbaums und der Goldorange liegen, nicht den
landesüblichen blauen Flieder absprechen wollen?

Ich glaube hier gar nichts mehr. Die Franzosen lügen alle. Wer weiß wo
wir hier sind? Sie können sich gar nicht denken, Herr Leutnant, was die
armen Kerls drüben frieren. Ich glaube, wir sind hier gar nicht
südlich.

Na, Rasumofsky, da können Sie sich nun auf mich verlassen. Funfzehn
Meilen von Bordeaux. Da hilft alles nichts, Geographie und Karten,
damit wissen wir Bescheid.

Er nickte zustimmend.

Und am Ende, so fuhr ich fort, Ostern oder nicht, ich kann es so
schlimm hier nicht finden. Rasumofsky, ich sage Ihnen, alle Dinge haben
zwei Seiten.

Er nickte wieder.

Sehen Sie, es ist jetzt halb zwei; vor einer Viertelstunde erst hab ich
mein Beefsteak gegessen und schon halt’ ich hier ein Glas guten
Javakaffee in Händen. Glauben Sie, Rasumofsky, daß man das haben kann,
wenn man frei ist? Gott bewahre. So ’was hat man nur in Gefangenschaft.

Er griente.

Sie sind ein vernünftiger Mensch, Rasumofsky, und kennen die Welt. Es
wird wohl in Posen auch so sein wie anderswo. Der Hausherr, sehen Sie,
das ist eine ganz sonderbare Stellung. Es wird ihm zwei- bis dreimal
des Tages vorerzählt, er sei ein Tyrann, ein wahrer Pascha, und an
dieser Ehrenerklärung muß er saugen wie an einem Stück Zucker. Nun
sollen die Paschas viel Kaffee trinken. Aber ich sage Ihnen Rasumofsky,
#die# Berliner Tyrannen, die um halb zwei eine Tasse Kaffee kriegen
können,
#die# sind zu zählen. Es ist entweder Wäsche, oder das Wasser kocht
nicht, oder die Schornsteinfeger sind angemeldet. Sehen Sie, man könnte
beinah sagen: nur der Gefangene ist frei.

Hier hielt er sich nicht länger und brach in die Worte aus: ach, Herr
Leutnant, das is ja, als ob ich meinen Rittmeister reden hörte. Grade
so war es in Posen. Es ist zu merkwürdig.

Seine Betrachtungen über dies wunderbare Zusammentreffen wurden durch
ein Klopfen an der Thür unterbrochen. »≈Entrez!≈« Ein preußischer
Infanterist mit einer 25 auf der Achselklappe und einem Klapphut auf
dem Kopf, die ganze Erscheinung der typische Rheinländer, trat ein, um
mich wissen zu lassen: »Monsieur le Commandant (der
Auxiliar-Kommandant) wünschten mich zu sprechen.« Zu Befehl. Ich folgte
unverzüglich.

Der Vice-Kommandant, über den ich in einem früheren Kapitel bereits
berichtet, hatte während der letzten Tage unmittelbar unter mir, in dem
mit rothen Teufelchen garnirten Zimmer, ein Büreau etablirt, in dem
einige französische Marine-Soldaten, unter Assistenz jenes 25ers (eines
Kölners, der brillant französisch sprach), das ganze Schreiber- und
Verwaltungswesen leiteten. Die Federn flogen hin und her; in der Mitte
des Zimmers stand Baron de la Flotte. Ich verneigte mich vor »König
Blaubart«. Mit schätzenswerther Raschheit sprang er gleich in ≈medias
res≈ und erklärte mir: »≈Monsieur le Ministre de la Guerre a ordonné
votre libération; — Monsieur F. vous êtes libre.≈« Ich verneigte mich.
»Im Uebrigen,« fuhr er fort, »muß ich Sie bitten, ein Papier zu
unterzeichnen, in dem Sie sich verpflichten, einerseits, nach dem Maße
Ihrer Kraft, auf die Befreiung eines französischen Oberoffiziers
hinwirken, andererseits gegen Frankreich weder irgend etwas sagen, noch
schreiben, noch thun zu wollen.«

Ich stutzte einen Augenblick, wiederholte überlegend die Worte: »≈ni
dire, ni écrire, ni faire quelque chose contre la France≈« und fragte
dann: ob bei dieser Erklärung aller Accent auf das Wort »≈contre≈«
gelegt würde? Ich nähme dies vorläufig an; hätt’ ich darin Recht, so
würd’ es mir leicht, die geforderte Verpflichtung einzugehen, da in
meinem Herzen nichts lebe, was als eine Empfindung »≈#contre# la
France≈« gedeutet werden könne. Kommandant Blaubart lächelte und machte
eine gefällige, halb zustimmende, halb ablehnende, also, wenn der
Ausdruck gestattet ist, eine neutrale Handbewegung, die etwa ausdrücken
sollte: »dies ist eine heikle Frage; die Entscheidung steht bei Ihnen«
und entließ mich dann mit jenen Formen, die er beherrschte und die ihm
so wohl kleideten.

Rasumofsky erwartete mich oben. Dies Abgerufen-werden zum Kommandanten
war natürlich ein »Ereigniß«, und nach nichts, selbst den Taback nicht
ausgeschlossen, sehnte sich alle Welt so sehr wie nach Neuigkeiten. Ein
wegen »unerlaubter Schiffszwiebacks-Aneignung« zu drei Tagen Gefängniß
verurtheilter Mecklenburger machte sechs Tage von sich reden; man mag
sich also vorstellen, welche Neugiers-Unruhe in Rasumofsky’s Seele seit
meiner Abberufung zum Kommandanten gestürmt hatte.

»Rasumofsky, ich bin frei.«

Der erste Effekt dieser Worte war alles andere eher als heiter. Der
Angeredete, ohne sich Rechenschaft davon zu geben, fühlte klar, daß
seine guten Tage nunmehr gezählt seien, und statt in Kaminfeuer und
Kaffeegrund starrte er wieder in grundlose Langeweile. Er erholte sich
aber schnell und sagte herzlich: »Na, das is schön; da wird sich die
Frau Leutnant freuen. Himmelwetter, wenn unsereins doch mitkönnte!«

Rasumofsky, Sie wissen »≈la paix est prochaine≈«. (So schloß jede
Unterhaltung, die ich mit Franzosen führte.) Sie werden mich in Berlin
besuchen. Tag oder Nacht, alles ganz egal. Sie sollen Kaffee haben.
Dafür bin ich Hausherr.

Ach, Herr Leutnant, Sie sind zu gut.

Ja, Rasumofsky, das war immer mein Fehler. Aber was will man machen.
Hier, alte Seele, haben Sie einen Befreiungs-Franken. Und nun seien Sie
5 Minuten ruhig; ich muß an den Kommandanten schreiben.

Dies geschah. Ich hatte angefragt, ob meiner Abreise am Dienstag nichts
entgegen stehen würde!

Rasumofsky sprang die Treppe hinunter, überreichte meinen Brief unten
im Bureau und flog dann in die Kaserne hinüber, um, als Erster, die
Siegesnachricht zu bringen: mein Leutnant ist frei.

Es ist fraglich, ob die Capitulation von Paris eine ähnliche Sensation
hervorgerufen haben würde.




2. Der letzte Sonntag.

                .... wie der Nebelwind
  Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt.
      Faust.


Noch am Sonnabend Abend war mir mitgetheilt worden, daß der Dienstag
als Abreisetag genehmigt worden sei; gleichzeitig erfuhr ich, daß, bei
Ausstellung meiner Liberations-Ordre, Gambetta lediglich dem Andringen
#Cremieux’# (des Justizministers) nachgegeben habe. Ich erkannte in dem
allem leicht die Zusammenhänge mit der Heimath und wußte genau, wohin
ich den #eigentlichsten# Dank für meine Befreiung zu richten hatte.
Heitern Sinnes erwacht’ ich am andern Morgen. In Traum und Gedanken
übersprang ich die Meilen und die Schwierigkeiten, die noch zwischen Le
Château d’Oléron und der Königgrätzer Straße lagen.

Es war der letzte Sonntag. Der Himmel blau, die Luft weich und warm
(wir waren #doch# südlich, trotz Rasumofsky), so trat ich wieder auf
den Rempart hinaus und begann, im Auf- und Abschreiten, die weißen
Steinchen, die mir, wie der Leser sich erinnert, als Mark- und
Rechenpfennige dienten, in meine Tasche sinken zu lassen, als die
gewöhnliche Sonntagsmorgen-Musik mich in meinem Spaziergang und meinen
Betrachtungen störte. Ich hätte sie #heute# weggewünscht und wenn mich
an den Sonntagen vorher die Cachucha, die George Brown-Arie aus der
Weißen Dame, und einige Piècen aus dem Trovatore, die gerade während
der Kirchzeit gespielt wurden, nur etwas sonderbar berührt hatten, so
berührten sie mich heute unangenehm. Die große Trommel, der Triangel
und das Zusammenschlagen der Becken, das den Castagnettenschlag
ersetzen sollte, wollten mir heut nicht passen. Sonntag früh 9 Uhr, wo
wir gewohnt sind, die Glocken zu hören! Meine Stimmung kam hinzu.

Die Franzosen denken anders darüber, über dies, wie über manches
andere.

Ich kehrte bald in mein Zimmer zurück, kramte, arrangirte und
überlegte, als es klopfte und gleich darauf ein kleiner Herr eintrat,
der mich Anfangs in Zweifel darüber ließ, ob ich ihn für einen
kleinstädtischen Doktor oder einen großstädtischen Küster nehmen
sollte. Er entpuppte sich aber bald als ≈Monsieur le prédicateur
Masson≈, reformirter Geistlicher zu Saint-Pierre auf der Insel Oléron.
Ich kann wohl sagen, daß mir diese Begegnung, nachdem ich so viele
Wochen lang immer im Verkehr mit katholischen Geistlichen gewesen war,
ein besonderes Interesse einflößte. Parallelen mußten sich mir
aufdrängen. Ich bat ihn, Platz zu nehmen. Er that es, aber sehr
unvollkommen.

Den Predigerton habe ich niemals so in Blüthe gesehen, als bei diesem
kleinen Manne. Er war unfähig, ein Wort einfach und natürlich zu
sprechen. Alles war Rede, feierliche Ansprache, wie wenn die
Bürgermeister an den Wagenschlag eines reisenden Prinzen treten. Dieser
Eindruck wuchs dadurch, daß er sich, so oft die Reihe des Sprechens an
ihn kam, von seinem Stuhl erhob, um #stehend# und mit berufsmäßigen
Handbewegungen seine Rede zu halten. Man kann sagen, er taufte und
traute beständig.

Seine erste Ansprache, nach erfolgter Vorstellung, ging dahin, daß sein
Freund und Amtsbruder »≈Monsieur Delmas, Pasteur et Président du
Consistoire≈« ihm eine historische Studie »≈L’Église Réformée de la
Rochelle≈« übersandt habe, zugleich mit der Bitte, dieselbe einem
»≈historien prussien≈«, der sich zur Zeit als Kriegsgefangener auf
Oléron befinde, überreichen zu wollen. Nach sorglicher Durchforschung
aller 1000 Gefangenen war, unter Anwendung des Indicien- oder
Wahrscheinlichkeits-Beweises, der Verdacht des »Historikers« an mir,
als an einem schon früher literarisch Betroffenen, haften geblieben und
da stand ich denn nun, den #einen# Geistlichen vor mir, den #andern#
(seinem besseren Theile nach) in Händen haltend und fühlte zugleich,
nicht ohne eine gewisse Verwirrung, den Schatten eines Lorbers auf
meiner Stirn. In Besançon zum »≈officier supérieur≈«, in Oléron zum
»≈historien prussien≈« kreirt, gewann ich erst Fassung wieder in dem
Gedanken, daß die #Fremde# ihren Mann erkennt und der Heimath (die nie
recht ’ran will) die großen Fingerzeige giebt.

Ich that einen Blick auf den Titel des ziemlich umfangreichen Buches,
versicherte Mr. Masson in aller Wahrheit, daß ich ein Interesse nähme
an der Geschichte des Hugenottenthums in der Vendée und bat ihn, seinem
Amtsbruder in La Rochelle meinen besten Dank für die mir erwiesene Ehre
auszusprechen. Wir gingen dann zu einem Gespräch über die Insel Oléron
über, über die kirchlichen Zustände, über das Verhältniß von Katholiken
und Protestanten, der Zahl wie der gegenseitigen Stimmung nach. Er gab
mir über alles Aufschluß, aber doch in einer gewissen aufgeregten
Zerstreutheit, wie man sie bei Personen zu beobachten pflegt, die
zwischen Braten und Compott eine Tischrede zu halten haben. Sie
memoriren beständig, werden durch die harmloseste Frage ihres Nachbars
wie auf einer gedanklichen Unthat ertappt und geben oft Antworten,
darin sich Worte aus der zu haltenden Rede räthselvoll eingesprenkelt
finden. Dies war auch die Situation von Mr. Masson. Er brach denn auch
schließlich durch die immer drückender werdende Zwangsunterhaltung
hindurch, erhob sich, trat, seinen Cylinderhut in der Hand, drei
Schritt zurück und begann mit gesteigerter Feierlichkeit:

≈Monsieur il n’est pas vraisemblable, que nous nous reverrons ici, que
nous nous reverrons dans ce monde. Mais nous avons une patrie, grande
et éternelle, où n’existe pas de guerre, où la haine, l’animosité ont
cessé, où les peuples demeurent en paix par notre Sauveur Jésus Christ,
par lui, qui est la lumière, l’amour, et la grâce. Voilà où nous nous
reverrons. ...... Monsieur, je vous demande pardon ...... Monsieur, je
suis fâché de vous avoir dérangé ..... Monsieur, j’ai l’honneur .....≈
Während dieser Sätze hatte er seinen Rückzug angetreten, ohne sich
umzudrehen, immer Auge in Auge. Unter beständigen Verbeugungen
begleitete ich ihn bis an die Treppe; hier schieden wir.

Es fiel mir wie eine Last von der Brust. Die letzten Minuten hatten
mich einen schweren Kampf gekostet. Bis zu den Worten: »≈voilà, où nous
nous reverrons≈« war ich ihm ernsthaft und aufmerksam gefolgt, als mir
aber plötzlich klar wurde: er predigt, er #citirt# vielleicht, erfaßte
mich das Komische der Situation mit solcher Gewalt, daß ich nur noch
mit Niederkämpfung meines Krampfes beschäftigt, von allem Weiteren
nichts anderes als einzelne Worte hörte. Niemals hab’ ich das Mißliche
der pastoralen Redeweise #so# empfunden wie hier.

Man spricht davon, daß unser modernes Empfinden den Katholicismus
überwunden habe, er sei durchaus #mittelalterlich#. Es mag sein. Aber,
was unser modernes Empfinden gewiß #auch# überwunden hat, das sind
solche öden Redensarten. Jeder kann sie machen, wie jeder einen Baum
zeichnen oder ein Sonett zusammenstellen kann. Man lockt damit keinen
Hund mehr vom Ofen. Man muß diese Dinge schärfer anzufassen wissen.

#Wir# sind wenigstens auf dem Wege dazu; was ich aber in Frankreich vom
#Protestantismus gesehen habe, machte einen unendlich tristen Eindruck
#auf mich. In Lyon gab mir der ≈gardien-chef≈ (Protestant) ein
#Gebetbuch in die Hand, ich glaube in Genf und Toulouse edirt, das
#Gebete auf ein paar hundert Tage und Situationen enthielt, jedes eine
#halbe bis anderthalb Seiten lang, also an und für sich nicht zu lang
#und in dieser Beziehung hinnehmbar. Ich las zehn oder zwölf und ich
#darf sagen, ich habe nie dürreres Reisig in Händen gehabt.

Keine Spur wahren Lebens, alles fromme Phrase. Die #fromme# Phrase aber
ist die schlimmste.




3. Der letzte Abend.

  Wünsche, Frohsinn, Freunde, Gäste,
  Lichter wie zum Weihnachtsfeste.

  * * *

  Er hatte Tressen an dem Hut
  Und einen Klunker dran.
      M. Claudius.


So kam der letzte Abend heran. Er hatte eine besonders festliche
Erscheinung. Bei Vertheilung meiner Wirthschaftsgegenstände hatte sich
nämlich ein ungeahnter Reichthum an Stearinlichten ergeben und da
Rasumofsky, dem natürlich Alles zufiel, hochherzig erklärte, zu Gunsten
einer Illumination auf diesen Erbschaftstheil verzichten zu wollen, so
hatte sich, unter Heranschleppung aller möglichen Blaker und Leuchter,
die überhaupt aufzutreiben waren, eine feenhafte Beleuchtung bei mir
vorbereitet. Selbst in der anstoßenden Kammer, in zwei Sandhaufen
gestellt, brannten zwei Lichter. Es sah aus wie Weihnachten. Der
Christbaum fehlte, aber sein festlicher Glanz war ausgegossen.

Licht giebt Heiterkeit. Ich ordnete meine paar Habseligkeiten, die mich
in die Heimath zurückbegleiten sollten, setzte mich an den
Schreibtisch, um ein paar Abschiedsbriefe zu couvertiren, und sprang
dann wieder auf, um in meiner Lichter-Allee spazieren zu gehen. Ich bin
ein schlechter Sänger und Pfeifer; aber ich glaube, ich versuchte mich
als beides.

Meine gute Laune hatte noch einen besonderen Grund; es war nämlich
unmöglich, auf Rasumofsky zu blicken, ohne von jenem
Empfindungskontrast berührt zu werden, der vielleicht die Wurzel alles
Humors ist. Von den drei Cardinal-Eigenschaften meines Burschen, um
derentwillen ich ihn überhaupt engagirt hatte, hatte ich bisher nur
#zwei# kennen gelernt, den Polen und den schwarzen Husaren; heute, zum
Abschied, hatte er, mir zur Liebe, auch die #dritte# seiner Qualitäten
hervorgesucht: den Schneider. Das rechte Bein über dem linken Knie, so
saß er da, von Lichtern umstrahlt, vom Kaminfeuer beschienen und nähte
mir, aus blauem Futterkattun, einen Reisesack. Er that es gern, weil er
das Bedürfniß hatte, mir seine Liebe zu bezeigen; aber es war ein
Opfer, das er mir brachte. Alle Augenblick kam Besuch; man lächelte,
und ich sah, wie er sich ärgerte. Endlich half er sich auf die beste
Weise. Er stülpte seine Mütze mit dem Todtenkopf keck auf die linke
Seite und sah jeden Eintretenden so herausfordernd an, daß der Spott
verschwand, noch eh’ dieser Zeit gehabt hatte, sich zu entwickeln. Mir
persönlich gönnte er das herzlichste Lachen und stimmte selber mit ein.

Diese Heiterkeit indeß, die in so Vielem um mich her ihre Nahrung fand,
sollte noch auf eine harte Probe gestellt werden; ja es wurde zehn
Minuten lang so dunkel vor meinen Augen, als ob die Lichter um mich her
mit ziemlich langer Schnuppe gebrannt hätten. Der Leser urtheile
selbst.

Unter den Vielen, die kamen und gingen, befand sich auch unser Kölner
Freund mit dem Klapphut und der 25er Achselklappe. Er kam abermals
»dienstlich«, und zwar diesmal, um mir im Auftrage des Kommandanten
meinen »#Reisepaß#« zu überreichen. Ich dankte, so weit das meine große
Ueberraschung zuließ.

Ich hatte nämlich geglaubt, auf dieselbe Weise, wie ich gekommen war,
nun auch meine Rückreise antreten zu können, und mußte mich jetzt von
der alten Wahrheit überzeugen, daß Freiheit theuer ist und ein
beständiges Daransetzen von Gut und Blut erwartet. Nicht in
Gensdarmenbegleitung (langweilig aber #sicher#) sollte ich mich auf den
Rückweg machen, sondern in völliger Freiheit, #mir selber überlassen#.
Das klang sehr gut, war aber in Wahrheit eine heillose Sache, die
dadurch nicht besser wurde, daß mir ein Umweg, der die Meilenzahl
gerade verdoppelte, als Reiseroute vorgeschrieben war. Hier saß ich am
#Atlantischen# Ocean; bis zum #Mittelländischen# Meer (Cette) mußte ich
hinunter, um dann wieder, an der Rhône hin, bis Lyon und Genf aufwärts
zu steigen! Dieser Umweg war nicht angenehm; aber er kam nicht in
Betracht neben der andern Erwägung, daß ich diese Reise durch bis zum
Fanatismus aufgestachelte Provinzen antreten mußte; #allein#, mit
keinem andern Schutz als einem ≈feuille de route≈ in der Tasche. Alle
Städte, die ich zu passiren hatte, hingen nur lose noch am Faden der
Ordnung; was konnte einem rothrepublikanischen Arbeiterhaufen, wie sie
in Bordeaux, Toulouse, Lyon an der Tagesordnung waren, was konnte ihnen
mein, mit Kritzelhand undeutlich geschriebener Reisepaß bedeuten? »≈A
la lanterne≈«! Ich hatte das Gefühl, durch meine Befreiungsordre auf
einen Vulkan gestellt zu sein. Dies Gefühl war so stark, daß ich einen
Augenblick die große Cortez-Arie »ich bleibe hier« sehr ernsthaft in
Erwägung zog. Dann schämt’ ich mich wieder dieses Kleinmuths.
Rasumofsky, an den ich appellirte, faßte sein Endurtheil in die Worte
zusammen: »i, sie werden ja wohl nich«. Er meinte die Franzosen.

Manchem mögen diese Bedenken, wie ich sie hier ausgesprochen habe, als
Zeichen einer besonderen Aengstlichkeit erscheinen. Ich darf aber
versichern, die Situation war #wirklich# heikel. Nur wer als Gefangener
durch Frankreich geschleppt worden ist, hat ein Urtheil darüber. Scham
und Hoffnung gaben endlich den Ausschlag. Zudem trug mein Paß den Namen
#Gambettas#. Dies war #etwas#. Der einzige Name, der selbst der rothen
Populace einigermaßen imponirte. Wenigstens #damals# noch.

Es liegt in meiner Natur, angesichts aller Dinge, über die ich
#ausnahmsweise# nicht gleich hinweg kann, sorglich zu balanciren und
#nur
zögernd zu einem Entschluß zu kommen; #ist# dieser Entschluß aber
einmal gefaßt, so spring’ ich auch sofort wieder mit beiden Füßen in
die alte Sorglosigkeit hinein und vertraue lachend und heiter meinem
guten Stern.

So that ich auch hier. Es wurde mir erleichtert durch einen Besuch, der
mit der Entscheidung, die ich faßte, fast zusammentraf.

Die Lichter waren schon halb niedergebrannt; Rasumofsky that seine
letzten Stiche und schickte sich eben an, eine Zuckerhut-Strippe (als
Schnurre) durch den Reisesack zu ziehen, als es abermals klopfte.
Herein trat ein großer schöner Mann in der Uniform eines
Zuaven-Tambour-Majors. Langer blauer Rock, blanke Knöpfe, mächtige
rothe Epauletten, auf der Brust drei Orden, der schwarze Vollbart
sappeurartig herniederhängend und auf seiner Oberfläche in zwei
Strehnen geflochten, die, nicht viel dicker wie ein Uhrschnur, auf dem
mächtigen dunklen Bart-Untergrunde lagen. Es war der Cantinier. Man
denke sich mein Erstaunen. Die Schönheit dieses wirklich pompösen
Mannes wurde nur noch von dem Komischen seiner Erscheinung übertroffen.

Er blieb drei Schritte vor mir stehn, verbeugte sich, legte seine linke
Hand auf die Brust und begann feierlich: »Mein Herr. Die Verhältnisse
haben es mir versagt, auf mehrere Schreiben, die ich die Ehre hatte von
Ihnen zu empfangen, schriftlich zu erwidern. Es ist mir Bedürfniß,
persönlich Ihre Nachsicht dafür zu erbitten. Zugleich spreche ich Ihnen
in meinem und meiner Dame Namen mein aufrichtiges Bedauern darüber aus,
Sie so früh aus unserer Mitte scheiden zu sehn. #Sie# werden anders
darüber empfinden, aber genehmigen Sie die Versicherung, daß Sie ein
Gegenstand unsres besonderen Respektes waren.«

Hier schwieg er, verneigte sich wieder und wartete ersichtlich auf
meine Antwort. Ich ging also auch los. »Monsieur le Cantinier, es
gereicht mir zu einer ganz besonderen Ehre, daß ich noch Gelegenheit
finde, Sie in dieser prächtigen Erscheinung vor mir zu sehn. Sie sind
ein schöner Mann; verzeihen Sie die Unumwundenheit meiner
Ausdrucksweise (er verneigte sich), aber wenn es etwas giebt, das im
Stande ist, Ihrer Persönlichkeit Vorschub zu leisten, so ist es #diese#
Uniform. Ich sehe zu meiner besonderen Freude, Sie sind #dekorirt#.
Darf ich fragen .....«

Er wartete das Weitere nicht ab, sondern interpretirte jetzt mit immer
lebhafter werdender Stimme: ≈c’est pour la Crimée, — c’est≈ ≈pour le
Mexique, — et la troisième, celle-ci, est une »décoration spéciale«
pour mes productions sur le cornet à piston.≈

Ich drückte ihm nochmals meine Freude aus, einen alten Soldaten zu
sehn, der wahrscheinlich in drei Welttheilen gefochten habe (er nickte
zustimmend), und glaubte nun, nach so vielen Auseinandersetzungen, das
Ende der Feierlichkeit gekommen, als er plötzlich einen Schritt näher
an mich heran trat und mit bewegter Stimme sagte: ≈Monsieur, je ne
crains pas de vous offenser, si je vous prie .....≈

Ich warf unwillkürlich den Oberkörper zurück.

≈Monsieur≈, fuhr er fort, ≈permettez, que je vous embrasse≈.

In solchen Momenten ist ein muthiges Hinein ins Unvermeidliche immer
das Beste. Nur Initiative kann vor größerem Unheil bewahren. Ich warf
mich also auf ihn, drückte die drei Medaillen an meine Brust und schob
erst meine linke, dann meine rechte Backe an den beiden Flanken seines
mächtigen Hauptes vorbei.

Dann ließ ich los. »Rasumofsky, Licht!« Dieser packte den nächsten
Leuchter, riß die Thür auf und beschleunigte dadurch den Rückzug.

Als er heraus war, sagt’ ich mir: ≈Mr.
#Masson#, encore une fois!≈ Nur unterm
Vergrößerungsglas und — mit rothen Epauletten!




4. Abschied.

            Hin jagt der Kiel; ....
  Und jene Insel voll Erinnerungen
  Sinkt in des Meers, sinkt in des Herzens Tiefe.
      B. v. Lepel.


Um 7 Uhr früh war ich auf. Es dunkelte noch, aber ein großes
Reisigfeuer gab überall hin Licht und Wärme. Um 9½ ging das Schiff.
Gepackt war. Auf dem unter Rasumofskys Händen rasch arrangirten Bett
lagen meine Habseligkeiten: der Hut, der Ueberzieher, die Reisedecke,
zuletzt der blaue Reisesack, der genau das Ansehen jener kattunenen
Hülse hatte, drin der Dorffiedler seine Violine auf die nächste
Kirchweih trägt. Unten am Bett lag Blanche. Sie hatte noch nicht
ausgeschlafen, reckte und streckte sich und sah halb neugierig, halb
mißgestimmt unsrem Treiben zu.

Es schlug 8, das letzte Frühmahl war genommen, Rasumofsky hatte seine
Erbschaft angetreten. Alles war sein. Vor den Sentimentalitäten des
Abschieds wurden wir durch immer neu eintreffende Besucher bewahrt, die
mir Grüße, Briefe, Bestellungen mit in die Heimath gaben. Einige
drangen in mich, einen großen Lärm wegen schlechter Behandlung der
Gefangenen zu machen, was ich aber ablehnte, ihnen nochmals
auseinandersetzend, sie möchten doch, um ihrer eigenen guten Laune
willen, von der Vorstellung ablassen: daß die französischen Gefangenen
in Deutschland ein glückliches und die deutschen Gefangenen in
Frankreich ein unglückliches Leben führten. Es würde sich wohl hüben
und drüben nicht viel nehmen. Gefangen sein, sei immer unangenehm.
Ergebung sei das Beste; an gutem Willen (wie sie zugeben mußten) fehle
es den Behörden nicht. Im Allgemeinen wurde dies gut aufgenommen. Nur
zwei vom 1. Garde-Ulanen-Regiment wollten nicht viel davon wissen. Sie
deuteten leise an: Du hast gut reden.

So kam 9 Uhr. Blanche hatte sich inzwischen erholt und drängte sich an
mir vorbei, ihre Flanken immer dichter an meinem Stiefel streifend;
Rasumofsky hatte die Decke über den linken Arm gehängt und den blauen
Sack in der Rechten harrte er des Zeichens zum Aufbruch. »Nun mit
Gott.« Auf der Thürschwelle wandte ich mich noch einmal und sah in das
Zimmer zurück, drin das Reisigfeuer eben verglühte. Ich warf, ohne
bestimmte Adresse, eine Kußhand hinein, eine Dankesbezeugung gegen den
≈genius loci≈, der es gut mit mir gemeint hatte. Dann treppab, über
Flur und Hof hin, wo noch wieder die Hände geschüttelt wurden, ging es
am Glacis und der Stadt-Enceinte entlang, auf das Hafen-Bollwerk zu, wo
die Dampfer anzulegen pflegten. Ich löste ein Billet; Rasumofsky legte
Decke und Sack auf einen Mühlstein, der Tisch und Stuhl zugleich
vorstellte. So standen wir einander gegenüber.

Ja, Rasumofsky, so geht es.

Ja, Herr Leutnant.

Nun, sei’n Sie vernünftig und kommen Sie bald nach.

Ach, Herr Leutnant (hier kam er mir näher ans Ohr), am liebsten brennt’
ich gleich mit durch.

Unsinn. Ewig kann es nicht dauern. Gott befohlen.

Es zwinkerte ihm etwas um die Augen; ich gab ihm die Hand; dann machte
er Kehrt und ging stramm auf Stadt und Citadelle zu. An höchster
Wegstelle winkte er noch einmal mit einem alten blauen Schnupftuch, das
nicht mehr recht flattern wollte. Dann bog er rechts ein und war mir
entschwunden.

Das Schiff war noch nicht da. Ich setzte mich auf den Mühlstein und gab
mich dem Zauber dieser Minute hin. Es war wie ein Vorschmack der
Freiheit. Hinter mir und zu meiner Rechten lag das Meer, nach links hin
dehnte sich die Insel, vor mir ein Schiffs-Etablissement, halb Werft,
halb Holzhof. Es nebelte leise und durch die stille, wasserreiche Luft
klang gedämpften Tones der schrille Ton mehrerer Sägen, die, ein Mann
oben, ein Mann unten, große Stämme in Bretter zerschnitten. Das ganze
Bild, so einfach es war, war eigenthümlich und einschmeichlerisch, und
dennoch empfand ich, das alles schon einmal gehabt zu haben. Ich sann
hin und her. Da hatt’ ich es. In Linlithgow, angesichts des Schlosses,
drin Maria Stuart geboren wurde, hatte all’ das schon einmal zu mir
gesprochen: derselbe Nebelmorgen, derselbe durchrümpelte Holzhof, vor
allem derselbe gedämpfte Ton auf- und abgehender Holzsägen. Wenn es
etwas geben konnte, den Zauber dieser Minute zu steigern, so war es
#diese# Erinnerung.

Der Dampfer hatte inzwischen angelegt. Ich war der einzige Passagier,
wenn zwei Pferde nicht mitzählen sollen, die, mit krausem Winterhaar
und klumpigen Füßen, wie heruntergekommene Anverwandte der schönen
Percheron-Raçe, auf dem dritten Platz des Schiffes untergebracht waren.
Mit Leichtigkeit löste sich der Dampfer vom Ufer, der Seewind strich
über Deck und ein leises Frösteln schüttelte mich. Aber ich konnte doch
von dieser Stelle nicht scheiden, ohne bis zuletzt eines freien
Umblicks genossen zu haben. Ich stellte mich also auf die Mitte der
Kajütentreppe und blickte von hier aus, die erhöhte Treppenwand als
Windschirm benutzend, nur den Kopf frei, in die Landschaft hinein. An
Büschen und Bojen hin, die das Fahrwasser bezeichneten, glitt der
Dampfer ruhig seine Straße, der Schleier über Oléron wurde dichter,
nichts als der Citadellthurm und rechts daneben das hohe Fanal ragten
noch wie Schattenbilder aus dem Grau hervor. Auf dem Schiffe herrschte
Stille; lautlos dirigirte der Matrose das Steuer, nur die Maschine
prustete, die Pferde stampften und die großen Holzschuhe des
Schiffsjungen klapperten über Deck.

Nun begann das Hohio und das Rufen in den Maschinenraum hinunter; die
Breitseite des Dampfers legte sich an den Quai.

Ich sprang ans Ufer. Festland unter den Füßen. Drüben auf Oléron
verschwanden die letzten Schatten im Nebel.




5. Rückreise.

  Komm mit deinem Scheine
  Süßes Engelbild.
      M. v. Schenkendorf.


Am Ufer hielten Diligencen und Omnibusse, die bis Marennes und
Rochefort gingen; keins dieser großen Gefährte aber hatte Lust, einen
einzigen Passagier landeinwärts zu schaffen. Ich nahm also eine Art
Postkutsche, nicht billig, aber doch immer noch nicht so theuer, wie
wenn man in Mark Brandenburg von Buckow bis Werneuchen fährt, und
rollte bei immer heller werdendem Wetter, die Hauptstraße von Marennes
hindurch, in die dahinter gelegene Landschaft hinein. Ich erkannte all’
die alten Punkte wieder. Dies war das Wäldchen, wo der Marketender die
»Wacht am Rhein« angestimmt hatte; dies war die Wegebiegung, wo mein
Ziegenfell-Kutscher und ein Telegraphen-Beamter ihren großen Disput
begonnen und eine Viertelmeile lang die Worte wiederholt hatten: »≈vous
êtes un malhonnête« und »vous êtes un grossier≈«,[3] und dies endlich
war das Dorf und die Auberge, wo in das Gewirr der Stimmen und das
Geklapper der Kaffeetassen hinein die Schlagtriller der Kanarienvögel
erklungen waren. War jener Tag schön gewesen, so war dieser doch
schöner, trotz eines leisen Druckes, den ich nach wie vor auf dem
Herzen spürte.

Die französischen Kutscher fahren brillant; schon um 2 Uhr rasselte die
Kutsche über das Vorstadtpflaster von Rochefort. An dem alten
Stadtthor, in Nähe einer großen Esplanade, hielten wir.

Ich hatte zwei Gänge in Rochefort zu machen, den einen um der #Pietät#,
den andern um der #Respektabilität# willen. Diesen zweiten Gang macht’
ich zuerst. Es war nämlich unmöglich, den blauen Kattunsack, diese in
ihrer Art vollendete Leistung meines Rasumofsky, als Handgepäck eines
≈première-classe≈-Reisenden beizubehalten; — dieser Sack allein schon
wäre eine beständige Denunciation gewesen. Ein Tausch also mußte sich
nothwendig vollziehen. An einem squareartigen Platz, inmitten der
Stadt, fand ich endlich eine Reiseeffekten-Handlung, trat ein und hatte
einen kleinen degenerirten Franzosen vor mir, der nicht aussah, als ob
er die letzten Kraftanstrengungen der Republik seinerseits unterstützen
wolle. Ich kaufte eine leidlich elegante Tasche, bat, den Prozeß des
Umpackens sofort vornehmen zu können, und löste diese Aufgabe, die bei
der Beschaffenheit meiner Effekten nicht eben leicht war, mit Geschick
und Decenz. Dann überreichte ich den Kattunsack mit der Bitte, diese
blaue Trophäe zur Erinnerung an einen preußischen ≈prisonnier de
guerre≈ aufbewahren zu wollen. Der kleine Mann konnte sich in diesen
Worten nicht gleich zurecht finden; nur drei Nähterinnen, die schon den
Umpackungsprozeß mit Theilnahme verfolgt hatten, kicherten jetzt und
blickten mich freundlich an. Dieser Erfolg genügte mir vollkommen. Ich
grüßte und verschwand.

Mein nächster Gang in Rochefort galt dem Mr. Vignaud, dem Vorstande des
Gefängnisses. Ich hatt’ es noch dankbar in Erinnerung, daß seine
sorgliche Pflege mich vielleicht vor einer ernstlichen Krankheit
bewahrt hatte; so fragte ich mich denn durch Straßen und Gassen durch
und zog alsbald an dem großen Holzgatter die weithin schallende Glocke.
Man empfing mich wie einen alten Bekannten; »der Direktor habe eben von
mir gesprochen«. Dieser saß wie gewöhnlich an seinem Pult und las im
≈Moniteur universel≈ den Meinungsaustausch zwischen dem Grafen Bismarck
und dem Comte Chaudordy über Gefangenenbehandlung hüben und drüben. Ein
sehr zeitgemäßes Thema. Er schob mir das Blatt zur Durchsicht hin; ein
kurzes Gespräch knüpfte sich daran; ich fragte nach dem Sohn, dessen
Zimmer ich bewohnt hatte; er zuckte mit den Achseln, — ein Ballonbrief
war seit Wochen nicht eingetroffen. So schieden wir; ein jeder
gut-national und doch gute Freunde mitten im Kriege.

Der Bahnhof war ziemlich nah. Ich erfuhr, daß in 30 Minuten ein Zug
abgehe, der aber halben Wegs zwischen Rochefort und Bordeaux (in
Angoulème) 4 oder 5 Stunden liegen bleibe, um das Eintreffen des
Hauptzuges von #Orleans# her abzuwarten. Mir brannte der Boden unter
den Füßen. Also weiter.

Um 10 Uhr Abends war ich in Angoulème. Ich nahm einen Imbiß; dann
wurden die Gasflammen am Buffet gelöscht und ein Kellner führte mich
einem Bahnhofsbeamten zu, der nun den Warte-Salon öffnete. Hinter mir
wurde wieder zugeschlossen. Es war ein dunkler Raum; die dicht
aufgeschüttete Kohlenmasse #glühte# nur; große Schatten gingen an der
Decke hin, wenn draußen auf dem Perron sich irgend etwas regte; — es
war die Infirmerie von Moulins ins Elegante übersetzt. An den Wänden
entlang standen Plüsch-Canapés mit großen Kissen vom selben Stoff;
alles bequem und einladend. Ich streckte mich, um ein paar Stunden zu
schlafen. Es wollte aber nicht recht glücken, da ich bald wahrnehmen
mußte, daß ich nicht der einzige Bewohner an dieser Stelle war. Auf
einem zweiten Canapé, das Kopf an Kopf mit dem meinigen stand, wurd’ es
unruhig, drehte und dehnte sich, gähnte dazwischen und gab allerhand
andere Zeichen des Unbehagens. Endlich stand der Unruhige auf und
setzte sich vor den Kamin. Die Kohlengluth gab gerade so viel Licht,
daß ich ihn erkennen konnte. Es war ein junger Mann, wohlwollenden
Gesichts; allem Anschein nach ein Kaufmann.

Nach einer halben Stunde waren wir im Gespräch, und ich darf wohl
sagen, ich schulde ihm den glücklichen Verlauf einer Reise, von der er
mir offen bekannte, daß er sie unter den obwaltenden Umständen für ein
#Wagniß# halten müsse. »Sie müssen sich eilen; keine Aufenthalte; immer
erster Klasse; — die Züge, zum Glück, greifen ineinander ein.« Sein
≈ceterum censeo≈ aber war: »schlafen Sie viel, lesen Sie viel,
#sprechen Sie wenig#«.

Etwa um 2 Uhr Nachts traf der Zug von Orleans ein. An demselben
Vormittage war auf dem Terrain zwischen Artenay und der
Loire-Hauptstadt gekämpft worden; fünf oder sechs Waggons waren mit
bayerischen Gefangenen und Verwundeten gefüllt; namentlich Artillerie.
Sie befanden sich auf dem Wege nach Pau. Ich trennte mich von meinem
freundlichen Berather, wiederholte ihm meinen Dank und weiter ging es,
auf Bordeaux zu. Wir erreichten es 6 Uhr früh. Ein Fiacre führte mich,
über Brücken und Plätze, an einem prächtigen Quai hin, von einem
Bahnhof auf den andern. Nur eine halbe Stunde Rast!

Nun begann ein Fahren Tag und Nacht. Am Nachmittag in Toulouse; am
Abend in Cette. Eine weite Wasserfläche dehnte sich zur Rechten; der
Mond, in breitem Streifen, schimmerte drüber hin. »Was ist das?« Das
mittelländische Meer.

Weiter. Montpellier, Nismes, Tarascon. Hier gingen wir auf die
Marseiller Linie über. Am Morgen in #Lyon#.

Lyon hat acht Bahnhöfe.

≈Où est la gare de Genève?≈

≈C’est ici; voilà.≈

≈A quelle heure part le train?≈

≈A présent. Dans cinq minutes. Dépêchez-vous.≈

Im Fluge löste ich mein Billet und weiter rasselte der Zug auf Genf zu.
Nur noch 20 Meilen bis zur Grenze! Mir begann das Herz höher zu
schlagen. Ich fing auch wieder an zu #denken#. Wie hatt’ ich diese
anderthalb Tage seit Angoulème zugebracht? Getreulich nach der Weisung
meines Berathers. Die Augen geschlossen oder in ein Zeitungsblatt
vertieft, so hatt’ ich die langen Stunden über da gesessen. Auch in der
Nacht war kein Schlaf über mich gekommen. Was geht in solchen Stunden
in einer Menschenseele vor? womit tödtet man die Zeit hinweg? Hier
liegen Fragen für einen Psychologen vor. Das Auge ist todt; die
Landschaft spricht nicht zu ihm; die Bilder fallen auf die Netzhaut,
aber der Nerv, der uns das Bild zum Bewußtsein bringen soll, versagt
seinen Dienst. Und wie keine Bilder #zu# uns sprechen, so sprechen auch
keine Gedanken
#in# uns. Schemen, ein geistlos-geisterhaftes Wesen, ein fieberhaft
durch das Hirn gehetztes Nichts; ein Stunden- und Minutenzählen; immer
dieselbe Frage: wie weit noch, wie viel Meilen noch?

Jetzt, auf dem Wege zwischen Lyon und Genf, war ich wenigstens so weit
gediehen, über das Nichtdenken der vorhergehenden Stunden nachdenken zu
können. Auch #das# schon war ein Gewinn. Dabei begann ich die letzte
Nummer des »≈Salut public≈« auswendig zu lernen.

Nun waren wir in den Jura hinein; die Wälder bereift, die Häupter tief
in Schnee. Ein Sturm pfiff; aber gleichviel, es ging vorwärts. Das war
Bellegarde. Die #letzte# französische Schildwacht, den Kopf in der
Kaputze, sah von der Felsenbrücke hoch oben auf unsren, ihm muthmaßlich
wie Spielzeug erscheinenden Zug hernieder. Fünf Minuten später
rasselten wir an einem mit #Holzbalkonen# umschmückten Hause vorüber,
das die Inschrift trug: »≈Café Guillaume Tell≈«. Also #Schweiz#!

Die »Bise« wehte von den Bergen her; die Maschine keuchte; unter einem
hohlen Gebraus fuhren wir in die Bahnhofshalle ein.

Victoria Hôtel! Ich wählt’ es mit gutem Vorbedacht.

Ein Blick des Oberkellners auf meinen Rochefort-Reisesack (wie hätte
erst Rasumofskys Schöpfung gewirkt!) verurtheilte mich zu drei Treppen.
Als ich in den kleinen Raum eintrat, sang neben mir eine
Pensions-Engländerin die Gnaden-Arie und an dem schlecht eingehakten
Fenster rüttelte und rasselte der Sturm. Gleichviel. Ich warf den
Reisesack in die Ecke, mich selber auf’s Sopha, kreuzte die Hände über
der Brust, athmete hoch auf und sagte das #eine# Wort: Frei.


[3] Ueber diese Streitscene war ich in dem Kapitel Marennes absichtlich
hin gegangen, um den raschen Verlauf der Erzählung nicht zu
unterbrechen. Ich muß aber dieses Vorganges doch noch nachträglich
Erwähnung thun, weil er mir durchaus charakteristisch erscheint. Der
Telegraphen-Beamte, der sich aus einem Mischgefühl von Neugier und
Freundlichkeit unsrem Zuge anzuschließen gedachte, hatte nämlich auf
dem zweirädrigen Karren meines Pellerinen-Kutschers Platz nehmen
wollen, was diesem letzteren unbillig und eine Ueberbürdung seines
Fuhrwerkes schien. Aus dieser Geringfügigkeit entspann sich nunmehr ein
Disput, der mindestens eine Viertelstunde dauerte und während dieser
ganzen Zeit keine andre #Steigerung# erfuhr, als daß jeder der
Streitenden erst ein ≈je vous #assure#≈ und schließlich (als höchsten
Trumpf) ein ≈je vous
#jure#≈ jenen oben citirten, immer wiederholten Worten hinzusetzte. Es
machte einen unglaublich ärmlichen Eindruck, und ich kann sagen, ich
empfand einen gewissen Stolz darüber, in Gegenden zu Hause zu sein,
denen man Reichthum und Produktionskraft nach #dieser# Seite hin nicht
absprechen wird.


#######################################################################

Hinweise zur Bearbeitung

  - Bei Passagen in französischer Sprache ist die Interpunktion
  belassen wie im Original. Sie folgt nicht den französischen Regeln
  der Rechtschreibung.
  - Die Schreibweise "Domremy" (ohne accent aigu) für den Ort im
  französischen Departement Vosges, Französisch "Domrémy", (heute
  Domrémy-la-Pucelle) wurde so beibehalten, bis auf eine Nennung in
  wörtlicher Rede (vous souvenez-vous de Domrémy).
  - Die im Satzbild enthaltenen Trennungen in Linien- oder
  Dekorationsform wurden wie im Original beibehalten, um den
  Gesamteindruck des Druckwerkes möglichst nahe abzubilden.
  - Es wird der alten Schreibweise "vorauf", heute "voraus" gefolgt
  (schritt er seiner Heerde vorauf).
  - Um die Werktreue zu erhalten, wurde die gelegentliche Schreibweise
  "Brot" (z.B.: Es war heißes Wasser, mit Brot) beibehalten, obgleich
  im Buch sonst meist die alte Schreibweise "Brod" zu finden ist (z.B.:
  Weißbrod sehr wohl leben lassen)
  - Die Schreibweise von "nichtsdestoweniger" wurde im Text abweichend
  mit Worttrennung beibehalten, da früher die getrennte Schreibweise
  üblich war und hier möglicherweise eine Mischform vorliegt (Der
  General indessen sei nichts destoweniger).
  - Das Wort "sentimalen" wurde belassen, obgleich es keine übliche
  Schreibweise darstellt. Es handelt sich möglicherweise um eine
  Französisierung des Autors. Ein Schreib-/Satzfehler statt
  "sentimentalen" erscheint wegen gleich drei abweichender Buchstaben
  unwahrscheinlich (aber alle von jenem sentimalen Zug,).
  - Beim Ortsnamen "St. Marie des Fosses" wurde die im Text verwendete
  Bezeichnung beibehalten, da nicht zu ermitteln ist, ob der Autor den
  Namen beabsichtigt oder fehlerhaft verwendet hat. Es handelt sich
  aller Wahrscheinlichkeit nach um den Ort "Saint-Germain-des-Fosses",
  zu dem die im Text beschriebenen regionalen Bezüge passen (Bei St.
  Marie des Fosses war ein längerer Aufenthalt;).
  - Die Schreibweise Vikar und abweichend Vicar wurde wie im Original
  beibehalten (Dem Besuche des Vicars)

#######################################################################





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1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

    This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
        the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
        agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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