Die Flucht der Beate Hoyermann : Roman

By Thea von Harbou

The Project Gutenberg eBook of Die Flucht der Beate Hoyermann
    
This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and
most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this ebook or online
at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States,
you will have to check the laws of the country where you are located
before using this eBook.

Title: Die Flucht der Beate Hoyermann
        Roman

Author: Thea von Harbou

Release date: October 17, 2025 [eBook #77073]

Language: German

Original publication: Stuttgart und Berlin: J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger, 1916

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE FLUCHT DER BEATE HOYERMANN ***



======================================================================

                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
sind stillschweigend korrigiert worden.

Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+, gesperrte so: ~gesperrt~,
=fett gedruckte= so und _kursiv_ so.

=======================================================================




                            Die Flucht der
                            Beate Hoyermann




                              Die Flucht
                          der Beate Hoyermann


                                 Roman

                                  von

                            Thea von Harbou


                            9.-20. Auflage


                         [Illustration: MDCXL]


                       Stuttgart und Berlin 1916
               J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger

                             +A. g. XIII.+


      Alle Rechte, inbesondere das Übersetzungsrecht, vorbehalten

               Für die Vereinigten Staaten von Amerika:
     Copyright, 1916, by J. G. Cotta'sche Buchhandlung Nachfolger.
                         Stuttgart und Berlin


                         Der geliebten Mutter
                             meines Mannes




                                  1


»Hai --! Hai --! Haiiiii --!!«

Der Kuli vor Beates Jinrikisha schrie wie eine Dampfpfeife, als er in
vollem Trabe um die Ecke bog und im Menschengewühl der Hauptstraße
untertauchte.

Für europäische Begriffe schien es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein,
mit einem Jinrikisha in diesen Strom von gelben, hageren, behenden
Leibern, blauen verwaschenen Kimonos und runden Strohdeckeln auf
glattgeschorenen Schädeln hineinzujagen, ohne daß ein Unglück geschah;
und Beate öffnete schon den Mund, um ihrem zweibeinigen Pferd ein
»Mate! Mate! -- Halt! Halt!« zuzurufen.

Aber das gellende »Hai -- haiii --!« des Kulis und die gleichmütige
Unbeirrbarkeit seines Trabens machten die Menschen vor ihm
auseinanderspritzen wie Wassertropfen vor einem Hunde, der in den Fluß
geht.

Nein, sie nahmen ihm seine Rücksichtslosigkeit auch nicht übel. Er war
im Dienst, der Wackere -- wie hätte er anders handeln können?

Er hatte die Ehre -- eine unverdiente, ganz gewiß, aber eine
unbestrittene --, die verehrungswürdige Gemahlin des fremden weißen
Mannes zu fahren, der seit einigen Monaten auf der kleinen Insel wohnte
-- auf der kleinen Insel, die, einer schönen, alten Sage nach, »Garten
des Freundes« hieß.

Von dem Augenblick an, da der fremde weiße Mann mit seiner ehrwürdigen
Gemahlin den Fuß an dieses Ufer gesetzt hatte, war Akira ihnen auf
den Fersen geblieben -- er und noch ein anderer, den Akira unendlich
verachtete.

Dieser andere war dem fremden weißen Manne fast gegen die Kniekehlen
gefahren, der Zudringliche. Er hatte ihn mit Lächeln und Verbeugungen
genötigt, seinen -- nur seinen Jinrikisha zu benutzen! Der Ehrwürdige
möge geruhen, einzusteigen -- er bot ihm den besten Jinrikisha von
ganz Nippon und seine elenden Dienste an, und die Götter sollten ihm
die Stunde seines Todes vergiften, wenn er nicht bereit war, für den
Ehrwürdigen so oft sein Leben einzusetzen, als es ihm belieben würde,
das zu verlangen.

Er, Akira, stand daneben und hörte Mosakus Geschwätz mit dem innigen
Wunsche, ihm dafür seinen traurigen Jinrikisha in Stücke schlagen
zu dürfen. Aber der weiße Mann ließ sich von Mosakus Redesturz
überwältigen; er lachte und stieg ein, während die erlauchte Gemahlin
in Akiras Wagen Platz nahm.

Als ehrgeizige Nebenbuhler, die sie waren, begannen Mosaku und Akira
ein Wettrennen, daß die flachen Strohdeckel auf ihren kahlen Köpfen
hüpften und tanzten, daß ihnen der Schweiß in Strömen von Armen und
Beinen floß. O, sie wollten schon zeigen, was sie konnten -- hai --!

Seit jenem Tage waren Monate verflossen; aber Akira und Mosaku haßten
sich noch immer mit der gleichen Inbrunst, bewachten die Schritte der
erlauchten Fremden mit den Augen der Gabelweihe und kannten keinen
größeren Triumph, als wenn es einem gelang, dem anderen zuvorzukommen
und ihm den Stammgast wegzuschnappen, wenn der weiße Mann oder seine
ehrwürdige Gemahlin einmal allein gefahren zu werden wünschte.

Beate hatte in den ersten Wochen niemals gewußt, wer von den beiden
Gegnern dem anderen durch größere Geschwindigkeit zuvorgekommen war
und in schnellstem Trabe mit ihr davonsauste, sobald sie den Fuß aus
dem kleinen Boot mit dem Drachensegel ans Land gesetzt hatte. Die
japanischen Gesichter erschienen ihr anfangs alle gleich in ihrer
gelbbraunen Blässe, den dunklen, ein wenig schrägen Augen über den
starken Backenknochen und mit dem höflichen -- unverwirrbar höflichen
-- Lächeln.

Erst allmählich lernte sie die Menschen aus dem Volke herauszuschälen
und sich der fremden Seele näherzutasten; und obgleich sie auf den
erdumfassenden Reisen mit ihrem Manne die Menschenseele schon in Häuten
jeder Färbung verkleidet gesehen, hatte sie doch niemals so sehr das
Gefühl des Fremden, gänzlich Unverwandtschaftlichen gehabt wie vor den
Vertretern der gelben Rasse.

Sie hatte das englisch-japanische Wörterbuch im Schoße liegen und
plagte sich mit den geschmeidigen Zahlen: »+Ichi-mai, yo-mai+ --
nein! +Ichi-mai, ni-mai, sam-mai, yo-mai, go-mai+ ... na? ... --
+roku-mai, shichi-mai+ ...«

Sie hatte stets ihren Ehrgeiz darein gesetzt, sich mit der Sprache des
Landes, in dem sie sich längere Zeit aufzuhalten gedachten, vertraut zu
machen.

Als ihr Mann sich um den Residentenposten in Deutsch-Ostafrika bewarb,
lernte sie auf Tod und Leben Kisuaheli und liebte diese ritterliche und
liedhafte Sprache samt allen Rauheiten ihres arabischen Einschlags.
Und als sie so weit war, daß sie dem würdevoll auf der Boma -- der
Festung -- erscheinenden Häuptling des nächsten Dorfes selbst für
seinen Ehrenhammel verbindlichst zu danken vermochte und ihn, der die
Türe nicht wiederfand, höchstselbst hinauszuwerfen sich unterfing --
als sie die kleinen, zwitschernden Liebeslieder ihrer schwarzen Zofe
selber singen konnte und die nachdenklichen und neckischen Sprichworte
dieser Menschen durchdacht hatte, da war für sie ein Weg gefunden zu
der fremden Rasse, den sie gehen konnte, so oft sie die Laune trieb --
und sie war ihn oft gegangen.

Denn es lag die angeerbte Würde tausendjährigen Blutes in der Art, wie
ihr Ardili, der arabische Diener, die Obstschale mit den grünen Orangen
und den roten Bananen darbot, als übe er einen uralten und feierlichen
Opferbrauch.

Und es lag die ganze unendliche Sehnsucht derer, die immer wandern, in
dem schwermütigen Spruch, mit dem der traumkundige Ibrahim ben Massud
sie warnte, vom Wasser des Nils zu trinken.

»Denn wer von diesem Wasser trinkt, Herrin, und geht aus dem Lande, in
dem es fließt, der muß wiederkommen, oder die Sehnsucht tötet ihn ...«

Sie liebte diese Ururenkel eines Herrenvolkes, das mit dem Gestampf
seiner Herden und dem Gebrüll seiner Kriegshörner die Erde beben
gemacht hatte und Paläste baute, um die noch nach tausend Jahren die
Kasuarinen ihre wundervoll geschwungenen Zweige anbetend senkten.

Sie liebte sie, wie sie edle Bronzen liebte, Heldensagen und
fremdartige Tiere -- mit jener beschaulich entzückten, unwachsamen
und eben darum etwas hochmütigen Liebe des Genießenden gegenüber dem
Geschöpf, das nichts von ihm zu fordern hat.

Aber sie sollte nicht Wurzeln schlagen in der afrikanischen Erde.

Eines Tages kam ihr Mann von einem kurzen Marsch ins Innere des Landes
zurück und hatte das Fieber in jedem Blutstropfen. Das beizte ihm das
Weiße in den Augen gelb.

Sie schlug sich mit dem Fieber wie eine verwundete Löwin.

Als der Arzt der Station kam, um nach dem Kranken zu sehen, fand er an
dessen Bett eine Frau, die sehr entschlossen schien, den Tod, der nach
dem flatternden Herzen ihres Mannes greifen wollte, einfach in die Hand
zu beißen.

Ja, das wollte sie. Aber der Tod brauchte seine Hände anderweitig und
ging davon.

Und als sie das begriffen hatte und ihres Sieges gewiß war, fiel sie um
-- schlug mit ganzem Leibe zu Boden und hatte ein freundliches und sehr
zufriedenes Gesicht dabei.

Als sie wieder aufwachte, saß ihr Mann an ihrem Bette und hatte einen
Brief in der Hand; den gab er ihr, als sie wieder vernünftig denken
konnte.

Der Brief war vom Gouverneur und lautete:

»Lieber Hoyermann! Jetzt sind Sie so freundlich und kommen um einen
sehr langen Erholungsurlaub ein, oder der Teufel holt Sie. Kerle
wie Sie kann ich nicht entbehren, wenn es einmal darauf ankommt!
Augenblicklich kann ich's. Also, machen Sie, daß Sie fortkommen und
verfügen Sie sich in eine Gegend, die fieberfrei ist. Möglichst weit
weg von dieser gesegneten Landschaft. Ich habe große Pläne mit Ihnen,
lieber Hoyermann. Das wissen Sie. Und ich habe nicht die Absicht, mir
diese durch eine so abgeschmackte Lächerlichkeit, wie ein Sumpffieber
es ist, zerstören zu lassen. Stellen Sie einstweilen einen tüchtigen
Maat auf Ihren Posten und packen Sie schleunigst Ihre Koffer. Grüßen
Sie mir Ihre tapfere Frau; ich hoffe, Sie beide bald in Daressalam zu
begrüßen ...«

Und sie hatten die Koffer gepackt.

Nicht gern -- o nein! nicht gern ... Aber es war ja kein Abschied auf
immer. Sie würden wiederkommen, ganz gewiß ...

Und auf der Heimfahrt hatten sie Pläne geschmiedet, hatten mit halbem
Leibe über sämtlichen Länder- und Meerkarten der Erde gelegen und den
Globus vor sich um seine Pole tanzen lassen.

Sie wollten die Zeit, die ihnen pflichtenlos gehörte, ausnutzen -- die
Erde kennenlernen und ihre Menschen zwischen Norden und Süden.

Nach kurzem Aufenthalt in der Heimat hatten sie sich in Hamburg
eingeschifft und waren zu den Jagdgründen der Rothäute gefahren.

Sie waren durchaus nicht gesonnen, sich als gesittete Mitteleuropäer zu
benehmen, die sich verfrachten lassen wie jedes beliebige und genügend
frankierte Eilgut. Sie ließen sich durchaus keine Ratschläge erteilen
und beleidigten alle wohlmeinenden Mitreisenden tödlich durch gänzliche
Verachtung ihrer ausgekochten und auf Flaschen gezogenen Erfahrungen.

Einige Jahre unter afrikanischer Sonne stärken das Selbstbewußtsein;
und wenn man es über sich gewann, innerhalb der ersten zehn Wochen
über dieses und jenes nicht tobsüchtig zu werden, dann verläßt man den
schwarzen Erdteil als ein Mensch, der für das Wort »unüberwindliche
Schwierigkeiten« nur ein mildes Erstaunen übrighat.

Gerhard Hoyermann kannte Neuyork und verwahrte sich entschieden gegen
die Zumutung, länger dort zu bleiben, als man unbedingt braucht, um
sich für eine Reise, wie er und seine Frau sie vorhatten, auszurüsten.

Er war bereit, sich mit jedem Yankee, der sich durch seine Meinung
auf die U.S.A.-Hühneraugen getreten fühlte, ihretwegen zu boxen, bis
der Yankee blau war -- aber er fand Neuyork von einer märchenhaften
Scheußlichkeit und wollte seinem Schöpfer danken, wenn er es hinter
sich hatte.

Gewiß, dreißig- bis fünfzigstöckige Häuser mochten ihre Vorzüge haben;
aber leider nicht für ihn. Er fand, daß sie das Gleichgewicht der Erde
störten.

Auch war es gewiß für Leute, die es eilig hatten, in die Stampfmühle
des Lebens zu kommen, von großem Vorteil, daß die +L+-Züge
alle zwei Minuten vorbeirasten und daß die Untergrundbahnen wie
von sechzigtausend Teufeln der Djehennah besessen aus der Tiefe
auftauchten, um mit einem Geheul, als seien sie selbst deswegen
verzweifelt, nach anderthalb Sekunden wieder in ihr zu verschwinden.
Aber er, Gott sei Dank, hatte es nicht eilig. Und seine Frau auch
nicht, nein!

Sie fraßen ihr Leben nicht -- sie verspeisten es, zierlich und
gründlich, mit großem Appetit -- und tranken seine höchsten Genüsse als
edlen Wein aus sehr schön geschliffenen Gläsern.

Was sollten sie in einer Stadt, die beständig im Galopp hinter sich
selbst herrast und bei dem Tanz ums goldene Kalb alle zehn Gebote und
auch das elfte zerbricht, das da lautet: »Du sollst glücklich sein!«

Gerhard Hoyermann wollte nach dem Wilden Westen, erklärte er. Er wollte
die »+bloody grounds+« aufsuchen, in denen Winnetou, der rote
Gentleman, mit seiner Silberbüchse und seinem famosen Rapphengst ...

»Beate, wie hieß der Gaul?«

»Iltschi -- der Wind!« jauchzte Frau Beate.

Schön ... Also wo er mit dem Iltschi spazierengeritten war und den
verfluchten Komantschen das Leben sauer gemacht hatte.

Er, Gerhard Hoyermann, bestand darauf, einen Grislybären zu jagen und
sich dessen Tatzen am Lagerfeuer selbst zu braten. Er wollte nach
Nuggets graben und mit irgendeinem schweigsamen Bronzekopf unter den
Federn des Kriegsadlers eine Pfeife der Freundschaft rauchen -- das
wollte er!

Und wenn er Lust bekam, von den Rocky Mountains im Norden bis zu den
Kordilleren im Süden einen Spaziergang zu machen, dann machte er ihn --
+howgh+!

»Und Ihre Frau --?!«

»Meine Frau --?!«

In Gerhard Hoyermanns Augen lachten die Lichter und tanzten.

»Meine Frau -- die geht mit! Was, Beate --?!«

Und er hatte ihr seine Tatze hingestreckt und nach der ihren gepackt,
die eilig und freudig zu ihm gelaufen kam, und sie hatten sich
angelacht -- hoho! Dröhnend konnte Gerhard Hoyermann lachen! Und sie
jauchzte dazwischen ... Natürlich ging sie mit! Was war da weiter dabei
--?

In allen ihren Adern sprang das rote, brausende Blut ihres Glücks,
das ein seliges Gemisch war von Rausch und Erkenntnis, von aller
Heiligkeit des Kinderglaubens an morgen, von wissendem Besitzergreifen
zweier Seelen, die Ehrfurcht voreinander haben, von dem staunenden
Sichweitertasten, Hand in Hand, in ein Meer von Licht hinein.

Sie hatten zwischen Spiel und Ernst manchen hartatmenden Kampf
gekämpft und sich ganz nahe, Eisenschädel gegen Eisenschädel, in die
blaublitzenden Augen gehaßt. Bis sie erkannt hatten, daß sie Schulter
an Schulter viel weiter kamen als Stirn an Stirn.

Nun liebten sie sich um dieser Erkenntnis willen und gingen in die Welt
hinein, um sich die Welt zu erobern.

Mit dem »Wilden Westen« fingen sie an.

Die »+bloody grounds+« waren leider geschlossen. Wegen mangelnder
Betriebsbeteiligung. Einen Grisly zu schießen, war nicht ratsam, da
diese lieben Tiere in gleicher Heiligkeit und Unverletzlichkeit im
Yellowstonepark lebten wie die Katzen im alten Ägypten. Gerhard sah die
Zweckmäßigkeit dieser Heiligsprechung ein und bedauerte nur, daß er
sich nicht an den Mormonen schadlos halten konnte.

Sie fanden auch Indianer; aber die meisten waren dem Tomahawk
entfremdet und fuhren Automobil. Gerhard meinte, richtige Indianer
könnte man augenscheinlich nur noch von Hagenbeck geliefert bekommen.
Aber er hatte es sich in den Kopf gesetzt, dessen Quelle aufzuspüren.
Und das gelang ihm auch.

Eines Tages begegnete ihnen ein Trupp jener armseligen Überreste,
deren Ahnen Tempel und Städte aus Gold gebaut hatten. Und sie
betrachteten die fremden bleichen Menschen, während sie stumm an ihnen
vorübergingen, mit jenem tragischen Blick schwermütigen Stumpfsinns,
den sterbende Tiere haben.

»Ein Glück,« sagte Gerhard, während er ihnen nachsah, »daß nicht die
Deutschen schuld am Untergang der roten Rasse sind. Wir gingen kurz
nach ihnen drauf am schlechten Gewissen ... Pfui Deibel!«

Beate verstand ihn recht gut. Diese roten Menschen, die nicht klug
genug gewesen waren, sich mit ihren Bezwingern rechtzeitig auf den
Händlerstandpunkt zu stellen, waren ganz umwoben von der Romantik, die
aus ihrem Untergang eine Dichtung machte. Ihre Zeit war vorbei, und
sie starben. Und die deutschen Jungens spielten Indianer, was keinem
anderen Jungen irgendeines anderen Volkes eingefallen wäre. Sie
stellten in ihren Spielen, in denen die Indianer selbstverständlich
Sieger blieben, das Gleichgewicht verletzter Rechte wieder her. Und von
diesen Jungensspielen ein kindischer und herber Hauch war dem Manne
geblieben.

Sie hatten beide, als sie das Land der Untergehenden verließen, das
Gefühl, daß zwischen den Weißen und den Rothäutigen die gleiche
Kluft sich breitete wie zwischen Menschen am Ufer und denen auf
davonfahrendem Schiff. Sie waren zurückgeblieben, die Roten, seit
reichlichen Jahrhunderten. Sie zählten nicht mehr mit -- waren Steine
in einer Sammlung; Schaustücke. Altertümer.

Und nun die Gelben ...

So oft Beate über die gelben Menschen nachdachte, kam sie nach längerer
oder kürzerer Zeit ganz gewiß an eine Mauer, die sich rechts und links
unabsehbar dehnte und anscheinend kein Tor besaß.

Zur Zeit der Pflaumenblüte waren sie herübergekommen und hatten über
der Bucht von Kioto den Berg gesehen, der jener Göttin heilig ist, die
die Bäume blühen macht. In einem fremden und kühlen Blau hatte er sich
aufgereckt, wolkenlos, ohne Nebel, mit dem Strahlenkranze aus Schnee
-- ein günstiges Zeichen für die Ankommenden. Denn es gilt als eine
üble Vorbedeutung, wenn der Reisende, der Japan betritt, den Fujiyama
verschleiert sieht.

Und sie hatten das Märchen der Kirschblüte miterlebt und staunend vor
dem inbrünstigen Entzücken eines ganzen Volkes gestanden, dem sich
in einem rosenrot blühenden Zweige alle Mysterien der Schönheit zu
offenbaren scheinen.

Die Päonien hatten geblüht und die Schwertlilien und die Lotos ...

Und sie standen noch immer an einer Mauer ohne Tor.

Woran lag das?

Beate hatte das Buch in ihrem Schoße schon längst zugeklappt und
blickte mit ihren trinkenden Augen auf alle Bilder am Wege.

Zu beiden Seiten der Straße graue, niedrige Häuser, unwahrscheinlich
dünn und zerbrechlich, wie zur Schau für eine Stunde aufgebaut. Die
Papierwände nach der Straße zu waren zurückgeschoben, denn der Tag war
still und heiß. Alle Pulse des Lebens schienen bloßzuliegen, daß man
den Schlag des Blutes beobachten konnte.

Altertumshändler hockten in ihren Läden, die Tonpfeife im Munde, das
Kohlenbecken neben sich, rund umgeben von verwirrenden Köstlichkeiten
und atemraubendem Schund, mit dem eine fruchtbare Industrie das junge
Japan gesegnet hat.

Beate überlegte, ob sie aussteigen sollte, um eine Stunde in solch
einem Laden zu vertrödeln. Sie konnte es ohne Gefahr tun. Akira lief
ihr nicht davon. Wenn es ihr beliebt hätte, bis zum Sonnenuntergang
vor einem holdseligen Kakemono oder einem schwarzen Lackkästchen mit
goldenen Fischen, die durch einen Wasserfall springen, in Andacht zu
stehen, sich an der kühlen Schwere eines seidenen Kimonos zu entzücken,
in dessen prunkendes Rot silberne Sperlinge gestickt waren, oder
eines von jenen winzigen Spielzeugen zu versuchen, die so einfach und
spitzfindig zugleich waren wie eine Scherzfrage -- sie hätte gewiß sein
dürfen, daß Akira nach Stunden geduldigen Wartens sie mit der gleichen
begeisterten Verbeugung und dem gleichen sanften Lächeln aufgefordert
hätte, in seinem Jinrikisha wieder Platz zu nehmen, als wenn sie nur
zehn Minuten auf sich hätte warten lassen.

Und wenn sie nach Stunden des eifrigsten Herumkramens in allen Winkeln
eines Ladens dennoch nichts gefunden hätte, das sie zu erwerben
wünschte, so würde sie der Besitzer all der verschmähten Herrlichkeiten
ebenso höflich und wortlos lächelnd haben hinausgehen lassen, wie er
sie eintreten ließ, ohne den geringsten Versuch zu machen, ihr etwas
aufzuschwatzen, oder sie zum Wiederkommen aufzufordern.

Aber sie ließ den Plan fallen, weil es ihr Mühe gemacht hätte, sich von
ihren grübelnden Gedanken loszureißen, die sich mit forschendem Eifer
und ein wenig beschämter Traurigkeit der rätselhaften Fremdheit dieses
Volkes nähertasten wollten.

Da draußen jagte die Eisenbahn durch die Reisfelder, in deren unbedingt
bejahendem Grün Männer und Weiber arbeiteten, in den weiten, von
Kanälen durchzogenen Feldern der Ebene wie in den schachbrettgroßen
Fleckchen, die sich die kargeren Hügel erobert hatten.

Über den flachen Dächern der grauen, demütigen Häuser reckten sich die
Telegraphenstangen und waren von einer sinnverwirrenden Fülle, ohne daß
sie eigentlich gestört hätten.

Das war Amerika und Europa, die sich in Japan kühl-höflich eine
Verbeugung machten, ganz ohne jenes verbindliche Lächeln, das ein Teil
von der Seele dieses merkwürdigen Landes zu sein schien.

Aber Amerika und Europa sollten sich nicht einbilden, daß sie jemals
dieses Land für sich erobern könnten -- o nein!

Es schien, daß man Eisenbahnen und Telegraphenstangen brauchte, um
Schritt zu halten. Also baute man Eisenbahnen und pflanzte über den
wimmelnden Gassen der Städte Telegraphenstangen auf. Im übrigen blieb
man Japan ... Die Missionare sämtlicher christlichen Kirchen bekamen
die Gelbsucht und wurden schwermütig angesichts der sanftlächelnden
Unbeirrbarkeit eines Glaubens, dem nicht beizukommen war.

Die Löwen des Shinto hielten gute Wacht vor tausendjährigen Tempeln.

Diese Tempel liebte Beate vor allen Dingen in Japan am meisten. Und zu
ihrem Lieblingstempel war sie jetzt auf dem Weg.

Er war nicht eben einfach. Akira mußte seine ganze Geschicklichkeit
aufwenden, um nicht in einem Gewühl fliegender Händler mit den
wippenden Bambusstangen auf der Schulter steckenzubleiben, nicht mit
einem Rudel seiner Kastengenossen Skandal zu bekommen -- einen höflich
lächelnden Skandal, selbstverständlich, aber nichtsdestoweniger einen
ausdrücklichen --, weil er ihr kleines Zelt an der Straßenecke um ein
Haar überrannt hätte.

Dieses kleine, braungelbe Volk schien ewig in Eile zu sein. Es sauste
auf seinen Stelzenschuhen in heiterster Geschäftigkeit durch die
Straßen, lächelte, verbeugte sich, bahnte sich mit einer wunderlichen
schiffenden Bewegung der vorgehaltenen Hand Wege durch die Menge, mit
denen eine Katze nicht zufrieden gewesen wäre. Jeder schien den anderen
um Entschuldigung zu bitten, daß sein Geschäft ihn nötigte, etwas
Platz für sich zu beanspruchen.

Beate dachte, wie wohl »Himmelkreuzdonnerwetter!« auf japanisch
heißen würde. Aber sie vermutete, daß es dafür keine Bezeichnung gab.
Überhaupt keine in dieser Richtung. Eigentlich war das ein Mangel ...

Hai --! Nun hatten sie die kribbelnden Straßen hinter sich. Die
fremdartige, aber nicht unschöne Melodie der tausend klappernden
Holzsandalen wurde leiser und leiser, verstummte endlich ganz. Akira
keuchte; es ging hügelan. Aber Beate hatte es schon lange aufgegeben,
dem Kuli zuzureden, daß er Schritt fahren möge. Auch ein Jinrikishakuli
hat seine Gesetze. Deren oberstes ist, daß er Trab läuft, bis er
am Ziele ist oder bis ihn der Schlag trifft und ihn von jeder
Verantwortlichkeit entbindet.

Vor einem uralten wunderschönen Torii machte er halt und forderte die
Verehrungswürdige mit einem milden Lächeln auf dem schweißtriefenden
Gesicht auf, sich zu erheben. Beate verließ den Jinrikisha; Akira
verfügte sich in den Schatten und hockte sich auf die Steine neben dem
Torii. Er würde hier einige Dutzend Pfeifen rauchen und warten ...

Beate durchwanderte den kleinen Vorhof, in dem nur ein paar steinerne
Votivlaternen standen und eine ganz verwitterte steinerne Göttin,
nicht größer als ein Kind. Sie drückte die eine Hand mit einer
ekstatischen Gebärde an ihre linke Brust und hielt die andere schmal
und offen aufgerichtet den Betenden entgegen. Ihr Gesicht war von
unendlicher Ruhe erfüllt und lächelte aus halbgeschlossenen Lidern.

Beate nickte ihr zu; sie kannten sich schon und hatten Zuneigung
füreinander.

Als sie den kleinen Vorhof verließ und im Begriff stand, die schmale
Steintreppe hinaufzusteigen, die zum Gipfel des Hügels führte,
begegnete ihr ein Mann; ein Japaner. Er war kein Priester und schien
auch nicht der dienenden Klasse anzugehören. Er grüßte die weiße Frau
ehrerbietig; um den farblosen Mund und in den glänzenden Jetaugen stand
das sanfteste Lächeln Nippons, als er ihr Platz machte und mit seiner
Verbeugung um Verzeihung zu bitten schien, daß seine Gegenwart die
Schritte der Fremden belästigte.

Unwillkürlich sah Beate sich um, als sie ein paar Stufen erstiegen
hatte. Sie begegnete dem aufmerksamen Blick des Japaners, der ihr
nachschaute. Vielleicht hatte sie sich auch getäuscht. Er rief etwas
in seiner gutturalen Sprache, das ihr nicht galt, denn eine Stimme
antwortete von oben. Dann ging er und verschwand im Hofe.

Was ging es sie an --?

Ein kleiner Hain von düsteren, wunderlich zerfetzt aussehenden
Fichtenbäumen nahm sie auf. Er schloß sich wie ein schwerer Mantel um
die Spitze des Hügels und um den Tempel, den er hütete.

In diesem Tempel wohnte sie -- Kwan-on, die milde Göttin, die große
Barmherzigkeit, die auf den ewig seligen Frieden ihrer Göttlichkeit
verzichtete, um den Menschen zu helfen.

Hier wohnte sie, zu der die Betenden flehen und gewiß sind, Erhörung
zu finden. Der volle Mond ist die Aureole ihres unendlich gütigen
Hauptes. In der erhabenen Ruhe ihres Lächelns thront sie über den
Weihrauchwolken -- sie, deren Lobpreisung sich nicht genugtun kann in
köstlichen Worten: »O du Strahlengleiche, die du das Licht über die
Erde ausgießest! O du fleckenlos Reine! O du mit deinen schönen Augen!
...«

Aber es war nicht um der Göttin willen, daß Beate zu diesem Tempel
kam. Sie wollte das Meer sehen. Das Meer von Japan, in dem die kleinen
Inseln liegen, wie Schmuckstücke, von Kindern verstreut.

Sie setzte sich unter einen Fichtenbaum, der, von den Genossen
abgesondert, einsam und spröde zuhöchst auf dem Hügel stand und so
wirkte, als könne er nirgends sonst in der Welt stehen -- faltete die
Hände über dem Knie und träumte.

Gerade unter ihr, von der Flut umspült, lag ihre Insel, der schöne
»Garten des Freundes«. Zur Zeit der Ebbe konnte sie zu Fuß über den
schmeichlerischen Sand gelangen. Jetzt schossen die flinken winzigen
Ruderboote über die glatte See; die wunderlichen Segler, die wie
schwimmende Drachen aussahen, warfen sich in die Brust.

Sehr weit draußen, dem bloßen Auge gerade noch erkenntlich, lag ein
Dampfer scheinbar ruhend auf dem Meer.

Er schien es nicht eilig zu haben.

Von irgendwo her erklang das leise rufende Händeklatschen betender
Priester. Die Gottheiten hatten viele Wohnungen in Nippon. Und wenn
Gebete und Anrufungen sich in goldene Fäden verwandeln würden, müßte
über den Inseln des Ostens ein Netz aus Gold schweben, das den
erhabenen Buddha preist: »Namu Amida Butsu ...«

Beate rieb sich die Stirn; sie mühte sich, ein kleines japanisches
Kinderlied, das sie gestern gelernt, in ihr Gedächtnis zurückzurufen.
Aber es entschlüpfte ihr immer wieder. Und als sie ihr Buch zu Rate
ziehen wollte, hörte sie Schritte hinter sich und wußte sofort, wem sie
gehörten.

Sie war auf einen stürmischen Überfall gefaßt und bereitete sich vor,
ihm würdig zu begegnen; er blieb aber aus.

Sie drehte sich um und sah ihrem Manne ins Gesicht. Das zeigte eine
wunderliche Mischung von Grimm und Belustigtsein.

Vor den Augen seiner Frau schwand der Grimm, und sie begrüßten sich,
wie es ihre Gewohnheit war, solange der Himmel blau schien.

»Tag, Löwin!«

»Tag, Bär!«

Dann rieben sie ernsthaft die Nasen aneinander -- nach Gerhards
Behauptung eine durchaus asiatische Sitte, die nicht ohne Reiz war --,
gaben sich einen europäischen Kuß und nickten sich befriedigt zu.

Beate sagte nichts. Sie wußte ganz genau, daß jetzt eine Explosion
irgendwelcher Art erfolgen würde.

Gerhard warf sich neben ihr auf den Rücken, kreuzte die Arme unter dem
Nacken und fragte: »Weißt du, was das Neueste ist?«

»Nein.«

»Wir stehen unter polizeilicher Bewachung!«

»Ach nee!« sagte Beate sehr begeistert. »Wie kommst du darauf?«

»Soll ein Nilpferd nicht darauf kommen, wenn ihm vom ersten bis zum
letzten Schritt in diesem gesegneten Lande ein Kerl auf den Fersen
klebt, der gar nichts da verloren hat! In den ersten Tagen habe ich
überhaupt nichts gemerkt. Dann glaubte ich, ich hätte mich getäuscht.
Schließlich wurde ich aufmerksam und knöpfte Augen und Ohren gehörig in
Sperrweite ... Bei Gott, Beate, man lauert uns auf!«

»Aber weshalb um alles in der Welt?«

»Weiß der Teufel! Tatsache ist, daß ich keinen Fuß rühren kann, ohne
daß ich an irgendeiner Ecke einen finde, der auf mich aufpaßt, als wäre
ich der japanische Staatsschatz auf Urlaub. Und ich sollte mich sehr
wundern, wenn nicht auch deine Schritte sehr genau bewacht würden.«

»Na wenn schon!« meinte Beate in vollkommener Heiterkeit. »Laß ihnen
doch das Vergnügen ... Wir sehen beide etwas zu wenig japanisch aus, um
in Gefahr zu geraten, für eingeborene Verbrecher gehalten zu werden,
die man möglicherweise inbrünstig sucht, um sie dem Gott der Unterwelt
in den Rachen zu werfen.«

»Im Gegenteil,« sagte Gerhard. »Wir sehen drei Meilen gegen den Wind so
aus, daß die höfliche Bande da unten uns zu Ehren die ›Wacht am Rhein‹
singen würde, wenn sie dazu imstande wäre. Und vielleicht sind wir
ihnen gerade deshalb noch viel interessanter, als wenn wir eingeborene
mehrfache Raubmörder wären.«

»Bär,« sagte die Frau und fuhr ihm in die Haare, »du hast
Halluzinationen!«

»Wenn du Mut hast, dann behauptest du jetzt noch, daß ich für
gewöhnlich darunter leide!«

»Nein, den Mut hab' ich nicht ...«

»Das ist auch dein Glück, Löwin.«

»Aber sonst«, fuhr Beate fort, »wird es mir daran nicht fehlen, und
darauf möchte ich dich noch einmal ausdrücklich aufmerksam gemacht
haben, Bär -- falls du glaubst, mir etwas Wichtiges grammweise
beibringen zu müssen. Kannst es mir alles auf einmal versetzen. Ich
vertrag' schon einen Puff ...«

»Das weiß ich. Ich hab' auch gar nicht die Absicht, homöopathisch
vorzugehen ... Die ganze Geschichte beruht darauf, daß die Bande
irgendwie erfahren haben muß, daß ich deutscher Offizier gewesen bin --
zuerst im Heer, dann in der Schutztruppe. Und daß sie jetzt etwas sehr
Geheimnisvolles hinter der Tatsache vermuten, daß ich mir erlaube, ganz
einfach als Gerhard Hoyermann mit Frau aus Berlin an der Spree hier in
Japan spazierenzugehen.«

»Herrje!« sagte Beate. »Vermuten sie vielleicht in Tokio, daß du ein
Spion in kaiserlich deutschen Diensten seist?«

»Du hast die Tokioter Vermutungen jedenfalls auf die einfachste Formel
gebracht, Löwin,« sagte Gerhard Hoyermann.

Beate sah ihn ungläubig an. Aber er scherzte nicht. Wirklich nicht.

»Das ist ja phänomenal albern!« sagte sie.

»Nicht so sehr, wie du denkst,« meinte Gerhard Hoyermann nachdenklich
und sah in den Himmel hinauf. »Bekanntlich sind diejenigen, die selbst
hinterm Ofen zu sitzen pflegen, sehr rasch zu der Annahme bereit, auch
andere könnten eine Vorliebe für diesen Platz entwickeln.«

»Nun --?«

»Nun -- es war einmal eine Festung, die hieß, wenn ich mich nicht irre,
Port Arthur ... in der gab es keine Scheuerfrau, keinen Briefträger und
kein Waschweib, die nicht im Hauptberuf japanische Offiziere gewesen
wären ...«

»Im Kriege --!«

»Im Frieden.«

Beate dachte nach. Sie hatte das Kinn in die Hände und die Ellbogen auf
die Knie gestemmt und sah mit verschnürten Brauen aufs Meer hinaus.

»Und wenn du Recht hast -- was dann?« fragte sie nach einer Weile.

»Dann -- dürfte es immerhin von Vorteil sein, sich nicht allzu fest auf
das verbindliche Lächeln der gelben Bande zu verlassen,« meinte Gerhard
Hoyermann. »Schließlich sind wir nicht in dieses allerliebste Ländchen
gekommen, um den Rest unseres Urlaubs in getrennten Zellen irgendeines
Untersuchungsgefängnisses zu beschließen.«

»Ohne jeden Grund --?!«

»O, wenn man ~uns~ erst mal hat, wird man den Grund schon
~dazu~ finden,« sagte Gerhard Hoyermann phlegmatisch. »Auch bin
ich fest davon überzeugt, daß die Sicherheitsorgane, die uns unter ihre
Obhut nehmen würden, es mit dem zuvorkommendsten Lächeln von der Welt
täten und daß man sich, wenn unsere gänzliche Harmlosigkeit erwiesen
wäre, in Entschuldigungen und Sympathiekundgebungen ergehen würde,
die ein Pferd nur mühsam aushalten könnte, die einen Menschen aber
vollkommen blödsinnig machen würden. Dann, bitte, beschwere dich! --
Der Kerl, der dich verhaftet hat, wird außer sich sein, daß er dich
belästigen mußte -- er wird den Tag seiner Geburt verfluchen, weil er
gezwungen war, dir Ungelegenheiten zu bereiten. Er wird lächeln und
sich verneigen, wenn du ihm so klar als möglich zu machen suchst, daß
diese Wirtschaft in seinem gottverlassenen Nippon eine riesengroße
Schweinerei sei und daß deinetwegen das ganze Inselreich in den Mond
gesprengt werden könnte ... Aber deine Wochen Haft hast du weg. Und
wenn du aus dem Hafen von Kobe abfährst, wirst du die Entdeckung
machen, daß sich mit dem letzten Boot, das dein Schiff verläßt, ein
Schatten von deinen Füßen gelöst hat, der eine verdammte Ähnlichkeit
mit einem Geheimpolizisten besitzt. Und höchstwahrscheinlich wird er
dich noch vom Boote aus verbindlich lächelnd grüßen ...«

»Ich hoffe, daß du eines schönen Tages Ursache haben wirst, unseren
augenblicklichen Gastgebern deine düsteren Vermutungen abzubitten,«
sagte Beate nicht sehr zuversichtlich.

»Das hoffe ich auch,« antwortete Gerhard Hoyermann. »Zur Sicherheit
möchte ich dich aber trotzdem bitten, geliebte Frau, nicht mehr
allein in dieser reizvollen Landschaft herumzufahren. Denn wenn
dir irgend etwas geschähe, so würde ich, beim Barte des Propheten!
nicht schüchtern sein in der Wahl meiner Mittel, um mir Genugtuung
zu verschaffen, und wenn ich den Minister des Äußeren eigenhändig
verprügeln müßte. Immerhin ist es besser, wenn das nicht notwendig
wird.«

»Vielleicht schonst du dein Organ ein bißchen,« meinte Beate. »Es
könnte ja möglicherweise geschehen, daß irgendwo und irgendwann eine
Prügelei zwischen Gott weiß wem ausbricht; nachher bist du's gewesen.
Außerdem fahre ich nicht mehr allein. Ich bin gar nicht versessen
darauf, eine politisch verdächtige Persönlichkeit zu werden. Der Ruhm,
deine Frau zu sein, genügt meinem Ehrgeiz durchaus.«

»Gott segne diesen Standpunkt!« sagte Gerhard Hoyermann. »Er gibt
mir meine gute Laune wieder. Und wenn du nichts dagegen hast,
lassen wir Akira und Mosaku ein Wettrennen veranstalten, wer uns am
schnellsten nach dem nächsten Theater fährt! Ich habe Sehnsucht danach,
drachenmäulige Teufel, verhexte Katzen und waffenklirrende Samurais zu
sehen. Vorwärts, Frau Beate!«

Als sie am Tempel der Göttin »mit den schönen Augen« vorübergingen,
sahen sie einen Betenden vor dem goldschimmernden Standbild der milden
Göttin Kwan-on.

Er lag auf den Knien und hatte das Gesicht zwischen die flachen Hände
auf den Sockel der Statue gelegt.

Das Antlitz der Göttin hing über ihm, von der Gloriole des runden
Mondes umgeben. Der feierliche Frieden derer, die nichts wünschen,
leuchtete auf ihrer Stirn.

»War der Mensch schon hier, als du kamst?« fragte Gerhard unterdrückten
Tones, während sie durch den Fichtenhain nach der Steintreppe gingen.

»Nein. Wenigstens habe ich ihn nicht bemerkt.«

»Eine verwünscht günstige Stellung, um sein Gesicht nicht sehen zu
lassen,« murmelte Gerhard Hoyermann, indem er rückwärts schaute.

»Hältst du den Mann für den Minister des Äußeren?« fragte Beate und zog
ihn hinter sich drein.

»Man kann nie wissen, was ein Japaner im Nebenberuf ist,« antwortete
ihr Mann. »Und du wirst mir schon erlauben müssen, meine hochgemute
Löwin, daß ich meine Augen schön fleißig spazierenführe.«

Beate blieb stehen, am Fuß der Treppe, die auf den Vorhof mündete.

»Bis jetzt haben wir gescherzt --« meinte sie.

»Ich nicht, Beate ...«

»Du glaubst, daß man uns aus ernsthaften Beweggründen -- beobachtet --?«

»Ich bin überzeugt davon.«

Beate zog die Lippen zwischen die Zähne.

»Und was gedenkst du zu tun?« fragte sie dann und sah zu ihrem Manne
auf.

Gerhard Hoyermann lächelte und zog den Arm seiner Frau an sich.

»Zunächst fahren wir ins Theater, liebste Frau, und freuen uns an dem
Japan, das nicht mehr ist. Und dann -- vielleicht -- werden wir im
›Garten des Freundes‹ Kriegsrat halten ... mit Tystendal, wenn ich ihn
auftreiben kann. Das ist, außer uns beiden, der vernünftigste Mensch,
den ich kenne, und seine hellen Schwedenaugen können uns von großem
Nutzen sein.«

Beate fragte nicht weiter. Sie nahmen in ihren Jinrikishas Platz und
hatten es nicht nötig, die Kulis zur Eile anzutreiben. Akira und Mosaku
liefen wie die Irrsinnigen, versuchten beständig sich zu überholen und
knirschten einander mit freundlich grinsenden Zähnen an, wenn sie Seite
an Seite trabten.

Trotz ihrer Eile erreichten sie die Stadt nicht vor der Dämmerung.

Beate sah zum Himmel empor, dessen merkwürdige Beleuchtung ihr auffiel.
Er war nicht blau, sondern gelb. Sie hatte Färbungen der Luft wie diese
nur noch in der ägyptischen Wüste gesehen, ehe der Khamsin ausbrach.
Die Sonne, die hinter den Inseln ins Meer sank, schien durch den
rötlichgelben Dunst einem grausigen Schicksal entgegenzuwirbeln. Als
sie verschwunden war, wurde der Himmel braun.

Vielleicht, daß ein Gewitter kommt, dachte Beate. Und sie erinnerte
sich der afrikanischen Gewitter, die keinen Donner und keine Blitze
kannten, sondern ein vom Himmel niederstürzendes Wassermeer waren, das
in Flammen stand und brüllte.

Sie kannte die Tage und Nächte Japans nur, wenn sie lächelten, und
freute sich auf ihren Groll.

In den Straßen brannten die Laternen und hingen in der dunstigen Luft,
als schwebten sie frei darin -- ein lose gereihtes, tausendfaches
Geschmeide der Dunkelheit. Über das weiße Papier krochen die
tausendjährigen chinesischen Schriftzeichen, samtschwarz und
verwirrend.

Vor den Theatern, die eine ganze Straße für sich in Anspruch nahmen,
glühten die Laternen rot.

Beate und Gerhard verzichteten darauf, sich Shakespeares
»Sommernachtstraum« oder Goethes »Faust« in japanischer Ausgabe
anzusehen. Sie suchten das alte Japan mit seinen starrenden
Ritterrüstungen, seinen Fratzen und seinen Wundern.

Im Vorraum des Theaters, vor dem Akira und Mosaku einmütig innehielten,
standen Hunderte von kleinen und großen Holzsandalen. Die Fremden zogen
ihre Schuhe aus und fühlten die weichen Matten glatt und reinlich
unter ihren Sohlen. Ein uralter Japaner führte sie die Treppe hinauf
und schob die Rückwand eines kleinen Käfigs beiseite, mit einer tiefen
Verbeugung die verehrten Besucher einladend, darin Platz zu nehmen.

Gerhard und Beate kamen der Aufforderung nach mit dem Gefühl, in eine
Welt zu treten, die weiter von ihren Seelen entfernt lag, als Ostasien
von Westeuropa liegt. Aber sie kamen ohne Maßstab und wollten genießen.
Es schadete nichts, daß ihnen die rauhen und dumpfen Kehllaute der
japanischen Schauspieler unverständlich blieben. Was sie sahen, war
fremd; aber es wurde auch von dem schwarzen und goldenen Gürtel
umspannt, der alles, was Menschenblut in den Adern hat, umrundet.

Rechts und links der Bühne, in kleinen, versteckenden Bambushainen,
saßen die Musikanten, die einen Lärm vollführten, als wollten sie das
Jüngste Gericht herbeirufen. Ein Verbrechen war geschehen. Auf der
Bühne lag eine Frau in ihrem Blut, das träge aus ihrer durchschnittenen
Kehle sickerte. Und ihr Mörder entkam mit dem Schmuck der schönen
Tänzerin. Über den »Blumenweg« schlich er davon, der von der Bühne aus
über die Köpfe der Zuschauer hinweg ins Unbekannte führte.

Die Zuschauer murrten; sie waren unzufrieden damit, daß der Schuldige
entkam. Die Samisenen zirpten und schrillten wie hunderttausend
Zikaden. Die kleinen Trommeln bebten vor Entrüstung.

Beate, von der Unmittelbarkeit und Kraft dieser Darstellung und ihres
Eindrucks gleichermaßen gefangengenommen, suchte mit ihrer Linken
die Hand ihres Mannes. Sie spürte seinen Gegendruck und wollte sich
mit einer Frage an ihn wenden, als die Rückwand ihres kleinen Käfigs
abermals beiseitegeschoben wurde und ein Mann eintrat. Ein Europäer.

Es war der Schwede Tystendal.

»Guten Abend!« grüßte er gedämpft, beugte sich über Beates Hand und
drückte Gerhards Rechte.

Hoyermann betrachtete das Gesicht seines Freundes aufmerksam.

»Freut mich, daß wir uns hier treffen,« meinte er. »Ich möchte etwas
mit Ihnen besprechen und hatte die Absicht, Sie heute noch aufzusuchen.«

»Es ist kein Zufall, daß ich Sie hier finde,« antwortete Tystendal,
ohne Platz zu nehmen. »Ich war bei Ihnen auf der Insel und hörte,
daß Sie in die Stadt gefahren seien, entdeckte Ihre beiden famosen
Kampfhähne vor dieser Türe und kam herauf.«

»Wollten Sie uns nur einen freundnachbarlichen Besuch machen -- oder
kamen Sie aus besonderem Anlaß?« fragte Hoyermann.

»Aus einem erschütternden und schwerwiegenden Anlaß,« sagte der
Schwede. »Sie wissen noch nichts davon, sonst wären Sie wohl nicht hier
... Der österreichische Thronfolger und seine Gemahlin sind in Bosnien
von serbischen Anarchisten ermordet worden ...«

»Herrgott --!« sagte Gerhard Hoyermann fast laut. Beate brachte keinen
Ton über die Lippen. Sie war so weiß im Gesicht, daß es aussah, als
müsse sie ohnmächtig werden. Eine Minute lang machte keiner der drei
Menschen eine Bewegung.

Dann stand Gerhard Hoyermann auf und packte Beate bei der Hand.

»Komm!« sagte er und ging hinter Tystendal aus der Loge.

Auf dem Wege nach der Insel konnten sie nicht miteinander sprechen.
Aber ihre Gedanken gingen die gleichen Wege.

Beate fühlte, ohne sich Rechenschaft über die Ursache geben zu können,
daß hinter dieser Botschaft und der Art, wie Tystendal sie ihnen
überbracht, mehr verborgen lag als die einfach menschliche Teilnahme an
einem Unglück, das zwei Menschen und deren Angehörige getroffen, mehr
als der natürliche Abscheu gegen ein Verbrechen, dessen Beweggrund in
Fanatismus wurzelte.

Zum ersten Male, seit sie Europa verlassen, spürte sie die ungeheure
räumliche Entfernung von der Heimat als etwas Beklemmendes.

»Wir wollen nach Hause,« dachte sie. Und sie sprach es auch aus, als
sie neben ihrem Manne im Boot saß und zur Insel hinüberfuhr.

»Es ist sehr möglich, daß Sie die Heimreise beschleunigen müssen,«
sagte Tystendal.

Beate sah den beiden Männern ins Gesicht. Sie waren sehr ernst, und
um Gerhard Hoyermanns Mund lag jener Zug der Entschlossenheit, um
dessentwillen der Gouverneur von Ostafrika große Pläne mit ihm hatte.

»Glauben Sie,« fragte Beate, während sie nach dem Hause schritten, »daß
dieser gräßliche Mord -- weittragende Folgen haben kann --?«

»Wenn er aus dem Fanatismus anarchistischer Mordbuben entsprang --
nein,« antwortete der Schwede. »Wenn er erkauft wurde -- dann ja ...«

»Ich bin überzeugt davon, daß er gekauft und sehr gut bezahlt worden
ist,« meinte Gerhard Hoyermann.

»Ich auch,« sagte Tystendal.

»Gekauft -- von wem?« fragte Beate mit einem plötzlichen Kältegefühl im
Rücken.

Gerhard Hoyermann zuckte die Achseln.

»Suche, wem das Verbrechen nützt -- ist ein alter juristischer
Weisheitsspruch,« sagte er.

Beate fragte nicht weiter.

Sie betrat ihr Haus, an dessen japanischer Einfachheit und schöner
Echtheit sie sonst so herzliche Freude gehabt, plötzlich nur mit
dem Eindruck, in einem fremden Lande zu sein -- in einem Lande, das
seine Häuser aus Papier baute, das fremde Götter hatte und eine ihr
unverständliche Sprache mit noch unverständlicheren Schriftzeichen. Sie
fühlte, daß sie ungerecht war, aber sie konnte es nicht ändern, daß sie
das zarte Lächeln der Dienerin Umè, die sich zum Gruß vor ihr auf den
Boden warf und ihn dreimal mit ihrer Stirn berührte, mit einem Gefühl
des Widerwillens empfand.

Sie entsann sich, daß dieses Mädchen vor kurzer Zeit seine Mutter
verloren hatte und die Meldung vom Tode dieser Mutter mit demselben
zarten Lächeln zu der Herrin brachte, mit der sie ihr den Tee zu
bringen pflegte.

Das war vielleicht heroisch. Es entsprang vielleicht sogar einer
Erziehung zur inneren Größe, erlittenen Verlust, noch schmerzenden
Kummer unter einem Lächeln zu verbergen, um niemand damit zur Last zu
fallen. Aber Beate dachte, daß der Aufschrei der ins Mark getroffenen
Seele menschlicher und darum wertvoller sei.

Als sie zu den beiden Herren zurückkehrte, fand sie ihren Mann in
seinem Zimmer auf und ab gehend, während Tystendal auf der Lehne des
Schaukelstuhles saß und rauchte. Sie waren in lebhaftestem Gespräch.
Beate winkte ihnen zu, sich nicht stören zu lassen, und setzte sich in
ihre Lieblingsecke, die ein wundervoller alter Kakemono schmückte.

»Was ich sagte, sind alles nur Vermutungen,« meinte Tystendal. »Sie
sind so lange von Europa fortgewesen, daß Sie fast die Fühlung mit
diesem nervösen Erdteil verloren haben. Es mag auch sein, daß man in
den Steppen und im Urwald den Sinn für Kleinarbeit verliert. Uns wird
er anerzogen, selbst gegen unseren Willen. Und ich bin zu sehr Schwede,
um nicht bei jedem Unrecht, das politisch geschieht, russische Hände im
Spiel zu vermuten.«

»Russische Hände vielleicht, aber kein russisches Geld,« sagte
Hoyermann.

»Es ist gleichgültig, wer das Geld gibt. Daß es gebraucht wurde -- und
wozu, scheint mir wichtiger zu sein.«

»Das ist es auch,« gab Hoyermann ohne weiteres zu. »Es liegt aber
auf der Hand, daß keine Bank der Welt etwas um Rußlands schöner
Augen willen tut. Und wenn wir glauben, daß Rußland den Mord am
österreichischen Thronfolger mit geborgtem Gelde bezahlte, dann dürfte
es eben sehr interessant sein, zu erfahren, welche Gegenleistung es als
Zinseszinsen versprach.«

»Truppen,« sagte Tystendal lakonisch.

»Wahrscheinlich ...«

Beate machte eine Bewegung. Christian Tystendal sah zu ihr hinüber und
schüttelte den Kopf mit seinem herzlichen blonden Lächeln.

»Seien Sie unbesorgt, gnädige Frau -- wenigstens vorläufig!« sagte er.
»Wenn Männer auf die Politik zu sprechen kommen, geraten sie meistens
in die Superlative. Auch Truppen sind ein Superlativ ...«

»Denken Sie an die Möglichkeit eines Krieges -- als Folge der Mordtat
in Bosnien?« fragte die Frau mit trockenen Lippen.

»Ich hoffe, daß ich zu schwarz sehe,« antwortete der Schwede. »Die
nächsten Tage werden es zeigen. Österreich wird selbstverständlich
Genugtuung fordern. Wird ihm die gewährt, so sind wir im Irrtum. Wird
sie verweigert, so wissen wir, woran wir sind.«

»Dann, meinen Sie, kommt es zum Kriege zwischen Österreich und Serbien.«

»Unweigerlich.«

»Das ist ja sinnlos,« sagte Beate. »Die serbische Regierung kann sich
und ihr Land doch nicht zum Selbstmord verurteilen, indem sie den Krieg
gegen ein Heer wie das österreichische wagt.«

»Seien Sie versichert, gnädige Frau, daß Serbien -- wenn es diesen
Krieg wagt -- weitgehende Garantien fremder Unterstützung besitzen
wird.«

»Und dann --?«

»Dann haben wir den europäischen Krieg.«

»Sie sind ein Pessimist, lieber Freund ...«

»Im allgemeinen ist das nicht mein Fehler.«

»Um so unheimlicher wirkt es jetzt ... Ich habe, offen gestanden, von
solchen Gesprächen genug für heute, wenn Sie nichts dagegen haben ...
Am Nachmittag erklärt mir mein Mann, daß er und ich unter polizeilicher
Bewachung stünden und durchaus nicht sicher davor wären, aus heiterem
Himmel in ein japanisches Untersuchungsgefängnis zu geraten ... Ein
paar Stunden später kommen Sie und verheißen uns den europäischen
Krieg. Das ist etwas viel auf einmal.«

»Vielleicht hängen diese beiden Umstände enger zusammen, als wir
ahnen,« bemerkte Gerhard Hoyermann, ohne seinen Weg zu unterbrechen.

Beate öffnete den Mund zu einer Entgegnung, aber sie kam nicht dazu,
auszusprechen, was sie auf der Zunge hatte.

»Was war das --?« fragte Tystendal und sprang auf.

Es war ein Ton über das Haus hingerollt, der einem Donner sehr ähnlich,
aber selbst keiner war. Das leichte Gebäude zitterte wie ein Kartenhaus
unter seinem Murren.

»Es klang fast -- wie ein Schuß,« stammelte Beate. Sie griff mit beiden
Händen nach der mildbrennenden Laterne, die neben ihr auf der Matte
stand, ein schimmerndes Viereck, mit Ideogrammen betuscht; sie tanzte
wie behext auf ihren zierlichen schwarzen Lackbeinen.

Gerhard Hoyermann sagte nichts. Er sprang nach der Wand, die das Haus
vom Garten abschloß, und schob sie zur Seite.

Drunten, an dem kleinen Teich, den ein künstlicher Wasserfall nährte,
liefen die beiden Mädchen Beates und die männliche Dienerschaft kopflos
durcheinander. Sie rannten nach dem Meere, wiesen zur Stadt hinüber ...

Über dem milden Hügel der Göttin mit den schönen Augen war der
Himmel kein Himmel mehr. Er hing über ihm und der Stadt gleich dem
aufgehobenen und weitgereckten, widerlich braunen Mantel der Hölle, die
aufgebrochen war und die Erde heimsuchte.

Dieser Mantel war ehern und ein kunstreiches Versteck grausiger Waffen.
Wenn seine Falten sich bewegten, klirrten sie, und die Erde zuckte vor
Entsetzen.

Eine Hand hatte sich aus der Tiefe gereckt und rüttelte an den
Grundfesten der Hügel, daß ihre Fichten durcheinandertaumelten wie
Kinderspielzeuge. Aus dem Innern der Erde klang das rasende Gebrüll
entfesselter Dämonen, die mit der Wucht ihrer anstürmenden Schultern
und Fäuste aus ihrem Kerker brechen wollten und die Klammern der Erde
lockerten. Und das entsetzte Meer wich von dem gerüttelten Eiland
zurück und wurde ihm wieder zugejagt, schäumte und wehrte sich, bäumte
sich auf und schrie ...

Herrgott -- wie konnte das geängstigte Meer schreien ... aufgellend und
röchelnd, im eigenen Geifer erstickt ...

Stoß auf Stoß erschütterte das Land und rieselte verebbend über die
Insel. Und die Menschen im »Garten des Freundes« sahen wie auf eine
Bühne hinüber und sahen das irre Umhertaumeln der wild geschleuderten
Laternen, die von der saugenden Dunkelheit verschlungen wurden und
wie fallende Sterne erloschen, sahen den zuckenden Todestanz einer
verdammten Stadt, deren Dächer, Hauswände und dünnes Gebälk um sich
schlugen wie Ertrinkende in der Flut.

Jetzt warf sich die braune Dunkelheit der Nacht mit ganzem Leibe über
die Verwüstung, um sie zu bedecken. Aber die Stunde wollte sehen, was
sie vollbracht hatte, und sie zündete sich eine Fackel an.

Aus der braunen Finsternis schlug eine Flamme auf -- stach spitz und
nadelscharf hervor wie ein hochgeschnellter Pfeil.

Und nun war es, als sickere aus der geborstenen und zerrütteten Erde
ein Bach aus Feuer, der sich ohne Eile, kurze Wellen als Kundschafter
ausschickend, seinen Weg über das Eiland suchte. Und er wuchs und
überschwemmte, was ihm im Lauf entgegenstand, mit einem ruhigen,
breiten Lohen. Er leistete ganze Arbeit; er ließ nichts übrig. Die
kleinen Kundschafterwellen kletterten vorsichtig über Bambus und
Papier, hielten sich nicht auf, wußten, daß die breite Lohe, die
hinter ihnen kam, wacker am Werke sein würde.

Es sah zierlich und unbegreiflich fürchterlich aus, wie das Feuer über
die Stadt hinspülte, ohne Widerstand zu finden.

Im Geishaviertel war der Brand ausgebrochen. Er machte die Straßen
nackt, hetzte die Menschen in durchsichtige Glut hinein, denn er hatte
fast keinen Rauch, war so heiter wie eine festliche Beleuchtung.

Und der grausige Eindruck des Heiteren in der Verwüstung wurde noch
erhöht durch das leisere Stoßen und Beben der Erde, das wirkte,
als würde die Brust eines riesigen Meerteufels, der aus den Wellen
aufgestiegen war und Narrheiten trieb, vom Lachen erschüttert.

Beate schrie laut auf und rannte ...

»Yuki --! Yuki --!!«

Lief schreiend über den schmalen Strand und ins Meer hinein, in das
ihre Dienerin bis zur Brust hineingewatet war -- packte das Mädchen an
den Schultern und schleppte sie zurück, schüttelte sie in schluchzendem
Zorn ...

»Hast du den Verstand verloren, Mädchen --?!«

Die kleine Yuki, die Schneeflocke vom Gipfel des Fujiyama, warf sich
vor ihrer Herrin auf die Knie, berührte die zitternde Erde mit der
Stirn, streckte die Hände aus, lächelte ... ja, bei allen Göttern! sie
lächelte mit ihrem verstörten Blumengesicht ...

O, die vielverehrte Gebieterin möge ihr verzeihen ... Ihr Vater, ihre
Mutter, ihre kleinen Schwestern und Brüder wohnten in der brennenden
Stadt ... Sie glaubte, sie schreien zu hören ... Sie hatte zu ihnen
laufen wollen, obgleich die Flut gekommen war und die Straße zu einem
kochenden See machte -- sie hatte ihnen helfen wollen ... Es war
sinnlos, natürlich ... Die Herrin möge ihr verzeihen und sich nicht um
den belanglosen Kummer einer kleinen Dienerin das Herz trüben lassen ...

Beate verstand nicht, was das Mädchen stammelte. Sie sah nur das zarte,
vom Grausen geschüttelte Weibgeschöpf, hörte die flatternden Worte
Vater und Mutter, erriet, was sie heißen sollten in dieser Stunde, und
sah das Mädchen lächeln. Sie ertrug das Lächeln nicht. Sie warf sich
auf dem weißen, vom Feuer rot übergossenen Sand in die Knie, wo das
Mädchen lag, und nahm den Wahnwitz seines Lächelns in ihre Arme, um ihn
zu ersticken.

Sie drückte Yukis Kopf an ihre Brust und hielt sie da fest -- fühlte
den Krampf der Angst, der den schmalen Kinderkörper stieß und lähmte,
hob ihn hoch auf ihren Schoß und bedeckte die Augen, die der Brand
gebeizt hatte, mit ihren Händen und ihrem Schluchzen ...

»Lächle nicht, Kind ... um Gottes -- um alles in der Welt -- um der
Barmherzigkeit willen ... lächle nicht --! Schreie --! Schlag um dich
--! Heule wie ein Tier -- aber lächle nicht, Yuki --! Nicht lächeln --!«

Yuki wollte gehorchen; sie mühte sich, die Sprache und die Wünsche der
fremden Frau zu begreifen und ihnen untertan zu sein. O, ihre Verehrung
für die Herrin war sehr groß ...

Aber sie war von Kindheit an gelehrt worden, daß es eine schlechte
Sitte und grobe Unhöflichkeit sei, Fremden ein anderes als ein heiteres
Gesicht zu zeigen und sie mit dem zu belästigen, was jedes Menschen
eigenstes Eigentum ist -- mit Kummer und letzter Not ...

Die Herrin war sehr gütig ... Yuki wollte ihr danken ... Sie hob den
Kopf -- lächelte ...

Die verzweifelten Tränen der fremden Frau fielen auf ihr Gesicht.

Gerhard Hoyermann und der Schwede mühten sich, die Boote ins Wasser
zu bringen. Das Meer tanzte wie verrückt zwischen den beiden Ufern.
Gerhard brüllte nach dem Diener.

Der Mensch kam, starrte seinem Herrn mit offenem Munde ins Gesicht.

Fahren -- hinüberfahren --? Wozu?

»Frag nicht, Mensch --! Greif zu --!« Gerhard zerbiß den kräftigsten
deutschen Fluch zwischen den Zähnen. Tystendal warf seine breiten
Schultern gegen das Boot. An seinen Schläfen sprangen die Adern wie
junge Nattern auf.

Der Diener gehorchte nicht. Er wies mit ausgereckter Hand vor sich hin.

Nun, was er zeigen wollte, war an sich schon beredt genug.

Von drüben, von dem Ufer der Verdammten, stießen Boote ab -- drei,
fünf, acht, ein Dutzend und mehr. Ihre flammenspitzen Segelzacken
wölbten sich, durchglüht von einem brausenden Rot, über den plumpen und
mürrischen Bootsleibern.

Das Meer machte sich einen Spaß mit ihnen.

Warum sollte das Meer feiern, wenn die Erde vom Lachen der
Unterirdischen bebte und Flammen spuckte vor Vergnügen ...

Der Wind, glutheiß vom Spiel des großen Brandes, tollte blind in die
Segel hinein.

Er pfiff, zum Teufel, daß es die Ohren zerschnitt ...

O -- warum verloren die Menschen den Kopf, wenn sie ihn am nötigsten
brauchten? Krachend schleuderten die ersten beiden Boote sich
gegeneinander, wirbelten wie betrunken um sich selbst -- da, das eine
hatte zu tiefen Schluck genommen ... Das breite Segel klatschte aufs
Wasser, versetzte dem Meer eine fürchterliche Ohrfeige ... O, ich will
dich wohl unterkriegen -- eine Welle, die sich rasend reckte -- hach --!

So, nun war es verschwunden ... Menschenköpfe trieben auf der
langanrollenden Flut. Hände griffen ins Leere ...

Und die Flut, so weit das Auge sehen konnte, war bedeckt mit wahnsinnig
tanzenden, hüpfenden, sich fortschnellenden Rotlichtern -- bis auf den
Grund erleuchtet und durchzuckt.

»Herrgott, wir müssen doch helfen --!« schrie Gerhard Hoyermann in Wut
und Ratlosigkeit.

Tystendal zuckte die Achseln. Er schüttelte den Kopf und schlug mit der
Faust gegen das Boot, das träge im Sande lag.

»Es nützt nichts,« sagte er. »Wir können nicht helfen ... Es ist das
Land und sein Schicksal. Erdbeben und Feuer und der Sturm ... Jedes
Jahr fressen sie ganze Städte hinunter -- Städte aus Brettchen und
Papier ... Aber sie bauen sie immer wieder -- aus Brettchen und Papier
... Man muß sie lassen ...«

Hoyermann entgegnete nichts. Er stand, ohne sich zu rühren, und starrte
nach dem Brande hinüber. Beate hatte die Hände um Yukis Kopf gefaltet
und flüsterte törichte, kleine Wortfetzen auf das Mädchen hinunter,
während sie das grausige Schauspiel vor sich mehr fühlte als sah.

Durch den dünnen Vorhang des Feuers konnte sie die Menschen erkennen,
die sich aus der Brandhöhle hinaufretteten zum Hügel über der Stadt.
Da oben stand das wundervolle Bild der Göttin Kwan-on -- der ewigen
Barmherzigkeit. Es stand feierlich und tief gelassen in Stein und Gold,
mit dem ruhigen Monde um das freundliche Haupt ...

Warum hilfst du ihnen nicht? dachte Beate stumpf.

Die Fichten des Hügels waren durcheinandergetaumelt beim ersten Stoß.
Und immer noch bebte die Erde. Vielleicht war das Bild der Göttin
niedergestürzt und lag ohnmächtig zerschellt in seinem zerrütteten
Tempel ...

Nach hundert Tagen würden die Menschen ihr ein neues Standbild
aufgerichtet haben. Denn sie liebten sie, die Göttin mit den schönen
Augen.

Was konnte sie dafür, daß die Dämonen der Unterwelt Herren der Stunde
gewesen waren ... Sie hatte gewiß getan, was sie konnte, Kwan-on, die
Liebliche ...

Auch wenn zu ihren Füßen, unter die sich die Drachen schmiegten, eine
Stadt in Flammen aufging ...

Das Feuer war satt geworden. Es hatte seinen Fraß gierig
hinuntergeschluckt und leckte nur noch mit langer Zunge da und dort
um eine halbverzehrte Beute. Die Glut wurde dunkler und dunkler, zu
bläulichem Rot. Funken stoben, wo ein Pfahl zerbarst. Der Himmel, der
nichts mehr zum Gaffen hatte, zog sich hoch über die Hügel zurück,
wurde kühl und gleichgültig blau -- kümmerte sich um sich selbst und
prunkte in Sternen. Der Himmel und die Sterne schienen unendlich weit
weg zu sein.

Mit ganz erstarrten Gliedern raffte Beate sich auf und taumelte. Yuki
lag ihr zu Füßen, die Stirn am Boden. Sie wollte sich bücken, um
sie aufzuheben; aber in einer plötzlichen Trägheit des Entschlusses
wie ihrer Glieder blieb sie mit hängenden Armen stehen. Der Nacken
schmerzte sie. Sie war müde zum Umfallen. Mit einem dumpfen Blick sah
sie zu ihrem Manne auf. Ihr Kinn zitterte.

»Komm, Kind,« sagte er.

Sie gingen ins Haus. Tystendal folgte ihnen. Wie ein Schatten glitt die
kleine Dienerin an ihnen vorbei. Auf ihrem hilflosen, matten Gesicht
lag die Beschämung darüber, daß sie vergessen hatte, nach dem Essen zu
sehen. Sie war sehr nachlässig gewesen -- die Herrin möge verzeihen ...

Beate schüttelte geistesabwesend den Kopf ... ja, ja -- natürlich ...

Sie ging selbst nach der Küche; sie hatte einen Gast.

Ihre japanische Jungfer -- das Mädchen, dessen Lächeln sie heute so
peinigend empfunden hatte -- stand plötzlich neben ihr und glitt auf
den Boden ...

Die Herrin hatte vergessen, die Schuhe auszuziehen.

»Wie du willst, Umè ...«

Umè lag noch auf den Knien, als Gerhard Hoyermann in die kleine Küche
trat.

»Was ist --?« fragte Beate, aufgeschreckt durch den Ausdruck seines
Gesichts.

»Nichts weiter,« antwortete ihr Mann. »Es hat jemand meinen Koffer
erbrochen und meine sämtlichen Papiere durchstöbert. Gestohlen wurde
nichts ... immerhin -- das Leben in Japan und auf unserer Insel fängt
an, interessant zu werden ...«




                                   2


Es regnete.

Aus tiefhängenden und zerfetzten Wolken, die so ermattet aussahen,
als kämen sie von sehr weit her, fiel der Regen -- unzählig dünnen,
schrägen Strichen gleichend -- über das Land und die zerbrannte Stadt
und über das Meer, von dessen Glätte die Tropfen abprallten wie von
einem gläsernen Spiegel, aufhüpften und zergingen.

Der »Garten des Freundes« duckte sich gleichsam im Regen zusammen und
verschwand zwischen Wasser und Wasser, die dritte und dunkelste Tönung
von Grau zwischen Meer und Himmel bildend.

Seit der Nacht des Erdbebens und des Brandes waren drei Wochen
vergangen; seit acht Tagen wartete Gerhard Hoyermann auf das Schiff,
das ihn und seine Frau zum Hafen mitnehmen sollte, in dem der
Europadampfer einlief.

Der Dampfer kam nicht.

Gerhard Hoyermann hatte sich zur Bucht hinüberrudern lassen, in der
das Schiff anzulegen pflegte. Er hatte jeden Menschen, dessen er
habhaft werden konnte, beim Kragen genommen und eine Auskunft von ihm
gefordert, wann, zum Kreuzmillionendonnerwetter! der Dampfer kommen
würde.

Sein Fluchen wurde nicht begriffen; und der Dampfer würde morgen kommen
-- o ganz bestimmt, morgen!

Dieses Morgen war unsterblich und unerreichbar -- wurde nie zum Heute.

Und sie wollten fort -- so rasch als irgend möglich. Sie hatten genug
von Ostasien, bei Gott! Drüben im alten Europa umgraute sich der
Himmel, wie es schien. Es knurrte in den Wolken, noch nicht eben laut,
aber doch vernehmbar. Wenn das Donnerwetter hereinbrach, mußten sie
dabei sein, das war ausgemacht.

Und nun waren sie festgelegt, weil sie auf einen Dampfer angewiesen
waren, der immer erst morgen kommen würde ...

Gerhard Hoyermann fluchte gottslästerlich. Und es war mehr als Ungeduld
in seinem Fluchen. Es stak ein ganz seiner selbst bewußter Ernst
dahinter. Wenn er auch Beate nichts davon merken ließ.

Tystendal war kein Schwätzer. Auch kein Schwarzseher -- nein. Es war
immer ratsam, seine Worte, wenn sie ernsthaft klangen, auch so zu
nehmen. Hoyermann war sehr geneigt, das zu tun und sich danach zu
richten. Auch Tystendal wollte nach Schweden zurückkehren.

»Ich glaube,« hatte er gemeint, »daß unser kleines Europa in der
nächsten Zeit bedeutend interessanter sein wird als alle buddhistischen
Tempel, Teehäuser und Schwerttänzer -- interessanter als ganz Asien
zusammengenommen.«

Hoyermann hatte ihm nicht widersprochen.

Aber es war, wie es schien, nicht ganz einfach, von Asien loszukommen.

Mißmutig ließ Gerhard Hoyermann die Bucht, in der er sich nach der
Ankunft des Dampfers erkundigt hatte, im Rücken. Das »Morgen, Herr!«
des Narren, der ihn täglich mit einem strahlenderen Gesicht empfing, um
von morgen zu schwatzen, war ihm ein Klotz im Wege. Er mußte über ihn
weg, es half nichts.

Als er nach der Straße einbog, die durch das abgebrannte Häusergewirr
sich gleichsam krummgezogen von der Hitze mit neuen und sinnlosen Ecken
wand, schritt ein Mann neben ihm her, doch immer so, daß drei Schritte
Wegs zwischen ihnen blieben. Der Mann trug einen Strohmantel, wie ihn
die Japaner zum Schutz gegen den Regen tragen, hatte den flachen Hut
sehr tief gezogen und stelzte auf unsagbar schmutzigen Beinen und
klappernden Holzsandalen halb trabend durch den Schlamm der Straße.

Gerhard Hoyermann achtete nicht auf den Menschen, bis dieser, die
Straße kreuzend, an ihm vorüberglitt und in gutem, sehr verständlichem
Deutsch vor sich hinsprach: »Bitte, beachten Sie mich scheinbar nicht.
Geben Sie mir keine Antwort und machen Sie keine Bewegung, die verraten
könnte, daß ich zu Ihnen rede ...«

Die Jagd auf Leoparden und Elefanten hatte Gerhard Hoyermann gegen
Überraschungen abgehärtet; er rührte keine Muskel im Gesicht, ging
gleichgültig weiter.

Der Fremde, der mit tiefgeneigtem Kopf gegen den schrägen Regen
anlief, blieb immer in der gleichen Entfernung von ihm, sprang auf
seinen fausthohen Stelzen unter den schmutzverkrusteten Beinen über
Lachen, verkohltes Bambusgestänge und gestürzte Telegraphenstangen.
Das asiatische Feuer hatte vor Europa und Amerika nicht haltgemacht.
Verwirrt und geängstigt krochen die zerglühten Drähte übereinander.

»Ich bitte Sie,« fuhr der Fremde fort, »mich in zwei Stunden bei Ihnen
zu erwarten. Ich werde pünktlich sein. Es handelt sich um Dinge von
höchster Wichtigkeit ... Guten Abend ...«

Gerhard Hoyermann sah aus verschleierten Augenwinkeln, wie der
Strohmantel neben ihm abermals die Straße kreuzte und dann mit einem
wunderlich hüpfenden Gang, wie Stelzvögel mit gestutzten Flügeln ihn
haben, in der nächsten Gasse verschwand. Er hütete sich, den Kopf zu
wenden, um ihm nachzusehen. Er hatte bereits genug in diesem Lande
erlebt, um neugierig auf das Weitere zu sein; das wollte er sich nicht
durch vorzeitige Forschungen verscherzen.

»Dieser Strohigel«, dachte er, während er sich zur Insel hinüberrudern
ließ, »sprach ein wunderbar farbechtes Brandenburger Deutsch. Er hat in
mir den Landsmann erkannt und spielt ein wenig den Geheimnisvollen, um
mich mit desto mehr Aussicht auf Erfolg anzupumpen. Wenn der Bursche
gut spielt, werde ich ihm alles japanische Kleingeld, das ich noch
besitze, mit Genugtuung überlassen. Ich will froh sein, wenn ich's
nicht mehr nötig habe. Sela!«

»Löwin,« sagte er zu seiner Frau, nachdem er, wie gewöhnlich, im
Bestreben, das Zimmer auf europäische Art zu öffnen, das ganze Haus an
den Rand des Verderbens gebracht hatte, »was hältst du von Japanern,
die Deutsch sprechen -- das Deutsch der Gegend, in der der liebe Gott
den Streusand aufbewahrt, -- dich beschwören, so zu tun, als wüßtest du
von nichts etwas, und sich im übrigen für zwei Stunden später bei dir
anmelden?«

Beate, die ihren Mann vom Garten aus hatte heimfahren sehen und schon
aus seinem grimmigen Gesicht erriet, daß der Dampfer wieder einmal für
morgen verkündigt worden war, packte zum achten Male seit einer Woche
ihren Handkoffer aus und sah, auf den Knien liegend, zu Gerhard auf.
Ein Blick des Hausherrn fegte Yuki und Umè aus dem Zimmer. Auf weißen
Socken trippelnd glitten sie hinaus; doch versäumten sie nicht, sich
auf der Schwelle zu Boden zu werfen und mit der Stirn die Matte zu
berühren. Wenn der Gebieter unhöflich und barbarisch war, so konnte sie
das noch längst nicht veranlassen, es auch zu sein.

»Soll deine Frage ein Preisrätsel darstellen?« fragte Beate dagegen.

»Das kommt darauf an. Vielleicht ist es wirklich ganz lohnend, ihrer
Lösung nachzuspüren. Jedenfalls möchte ich dich bitten, deine hübschen
Lauscher etwas hochzustellen, wenn der Kerl tatsächlich kommen sollte.
Und ich wüßte wahrhaftig nicht, warum er sonst so geheimnisvoll getan
hat.«

Beate sah vor sich hin.

»Willst du nicht Tystendal benachrichtigen?« fragte sie.

»Warum?«

»Falls der Mensch unheimlich wird ...«

»I Gott bewahre! Ein Mensch ohne übertriebenes Reinlichkeitsbedürfnis;
das dürfte aber auch das einzige sein, worin er unangenehm werden
könnte. Möglich, daß er die Gewohnheit hat, ins Zimmer zu spucken. Im
übrigen hat er's wahrscheinlich nur auf meinen Geldbeutel abgesehen.
Sollte aber mehr hinter der Geschichte stecken, dann sind wir beide
Manns genug, mit ihr fertig zu werden -- was, Beate?«

»Gott sei Dank!« sagte Frau Beate.

»Übrigens kannst du deine Koffer gleich wieder packen, Löwin. Wir
reisen morgen auf jeden Fall. Wenn der verfluchte Dampfer wieder
ausbleibt -- worauf ich völlig vorbereitet bin --, dann pfeifen wir auf
ihn und rudern oder segeln mit unserem Drachen los. Das Wetter klärt
sich auf. Ich habe die Warterei satt. Teils zu Wasser, teils zu Lande
werden wir schon dahin kommen, wohin wir wollen; jedenfalls brauchen
wir kaum mehr Zeit dazu, als wenn wir hier noch vierzehn Tage auf den
Dampfer warten, der nie kommt. Einverstanden?«

»Vollkommen.«

»Schön. Dann überlasse ich dich jetzt deinem Schicksal und deinen
beiden pechäugigen Schneegänsen. Du hörst es ja, wenn jemand kommt,
und kannst dich danach richten. Bin neugierig, ob der Strohigel
pünktlich ist!« --

Der Strohigel war pünktlich. Ein paar Minuten vor der angegebenen Zeit
trat Takejiro, Hoyermanns persönlicher Diener, in das Zimmer seines
Herrn und meldete mit einer Stimme, die von Feierlichkeit überströmte,
daß ein fremder Mann den Hochgeehrten zu sprechen wünsche.

»Hat er seinen Namen genannt?«

Nein, das hatte der Fremde nicht getan. Er hatte gesagt, der
Hochgeehrte wisse Bescheid ...

»Führe den Mann herein, Takejiro!«

Der Diener nahm diesen Auftrag entgegen, als wäre ihm befohlen worden,
den Einzug einer Gottheit auf passende Art zu regeln. Er zog sich
zurück, und eine Minute später glitten die Wände des Zimmers vor dem
Fremden auseinander.

Die beiden Männer standen sich gegenüber.

Gerhard Hoyermann betrachtete seinen Gast etwas unsicher. Der Strohigel
hatte sich verwandelt. Der japanische Mummenschanz war von ihm
abgefallen; nach seinem sonstigen Äußeren zu schließen, hatte er ein
Vollbad genommen und stellte sich in einer fast etwas zu tadellosen
europäischen Ausgabe als ein kleiner, schlanker und sehniger Mensch
vor, mit sehr schwarzem, unnötig langem Haar, sorgfältig rasiert und
mit einem ausgezeichneten Gebiß. Seine Hände waren Bastlerhände,
unschön, aber willenskräftig. Sie hatten die Angewohnheit, auf
Gegenständen, die sie berührten, sehr lange liegenzubleiben. Sie sogen
sie gleichsam in sich auf, als hätten sie die Absicht, das Gefühlte
nötigenfalls auch im Dunkeln wiederzuerkennen.

Der Fremde verneigte sich; er lächelte nicht. Seine dunklen,
zufassenden Augen glitten durch das Zimmer.

»Mit wem habe ich das Vergnügen?« fragte Gerhard Hoyermann mit einer
gewissen Unbeirrtheit.

Der Fremde sah ihn an.

»Ich habe mich auf eine sehr ungewöhnliche Weise bei Ihnen eingeführt,«
meinte er, ernst wie zuvor. »Sie würden mir einen besonderen Gefallen
erweisen, wenn Sie mir erlaubten, bei der Methode zu beharren. Ich
bin leider -- gewissermaßen -- gezwungen dazu. Wenn ich Ihnen sagte,
daß ich Schmidt oder Lehmann hieße, so würden Sie mir wahrscheinlich
nicht glauben und darum geneigt sein, auch meine übrigen Behauptungen
in Zweifel zu ziehen. Es liegt mir aber sehr viel daran, bei Ihnen
Glauben zu finden. Also lassen wir den Namen beiseite. Das hat für Sie
wie für mich den Vorteil, daß Sie gegebenenfalls, wenn Sie nach mir
gefragt werden, seelenruhig einen Eid darauf ablegen können, mit einem
Menschen meines Namens niemals gesprochen zu haben.«

»Könnte ein Gespräch mit Ihnen unter Umständen belastend werden?«
fragte Gerhard Hoyermann und stand noch immer.

»Allerdings,« antwortete der Fremde.

Gerhard Hoyermann schmunzelte.

»Bitte, nehmen Sie doch Platz!« sagte er und wies auf einen der
amerikanischen Schaukelstühle, die zwar die Echtheit der japanischen
Zimmer mordeten, aber für die europäische Art des Sitzens unerläßlich
waren.

Der Fremde setzte sich.

»Ihre Frau Gemahlin befindet sich im Nebenzimmer,« stellte er in
verbindlichem Tone fest.

»Stört Sie das?« fragte Gerhard Hoyermann gelassen.

»Durchaus nicht -- im Gegenteil. Da Sie Ihrer Frau Gemahlin den Inhalt
unseres Gesprächs doch mitteilen würden ...«

»Unbedingt.«

»... so ist es sicherlich einfacher für Sie, wenn sie ihn unmittelbar
aus erster Hand erfährt.«

»Falls sich das Zuhören lohnt?«

»Jetzt sage ~ich~: Unbedingt!«

»Sie haben uns also interessante Mitteilungen zu machen?«

»Sehr interessante ...«

»Bitte,« sagte Gerhard Hoyermann mit einer Handbewegung. Er hatte die
Backenmuskeln ein wenig gesenkt und die Oberlippe zwischen die Zähne
gezogen. Seine vollkommen ruhigen blauen Augen schlossen den Fremden
ein, der sich ihnen nicht entzog.

»Ich nehme an, daß Sie mich für eine Art von Hochstapler halten,«
begann der Fremde.

»Nein,« entgegnete Hoyermann. »Vor zwei Stunden glaubte ich allerdings,
daß es sich -- um eine Geldangelegenheit handeln würde. Das scheint
aber nicht der Fall zu sein ...«

»Keineswegs. Ich werde von meinen Auftraggebern zu meiner vollen
Zufriedenheit bezahlt und bin außerdem nicht davon abhängig -- mehr
Liebhaber in meinem Beruf. Die Bitte, mit der ich zu Ihnen komme --
denn es handelt sich in der Tat um eine Bitte --, bezieht sich auf
Ihren Aufenthalt in Japan ...«

»Der sich nur noch auf Tage erstrecken wird; wir stehen im Begriff,
abzureisen.«

»Ich weiß, daß Sie die Absicht haben,« meinte der Fremde mit einem
leisen Zucken seiner Augendeckel. »Sie erkundigen sich seit acht Tagen
regelmäßig nach der Ankunft des Dampfers, mit dem Sie reisen wollen.
Seien Sie versichert, daß dieser Dampfer innerhalb der nächsten
vierzehn Tage nicht kommen wird -- nicht bis zur völligen Klärung der
europäischen Lage.«

»Das wird mich sehr kühl lassen,« sagte Gerhard Hoyermann. »Meine Frau
hat bereits die Koffer gepackt, die wir morgen im Segelboot verstauen
werden. Wir fahren nicht um die Inseln herum, sondern wir überqueren
sie. Die Eisenbahnen und Jinrikishas werden wohl noch in Tätigkeit
sein, wo wir zu fahren wünschen. Einsperren wird man uns ja wohl nicht
so ohne weiteres, solange es ein deutsches Konsulat in Tokio gibt --
wie?«

»Nein, einsperren würde man Sie nicht,« sagte der Fremde etwas zögernd.
»Im Gegenteil -- man würde Sie ein wenig spazierenfahren. Japan
ist nicht allzu groß, aber immerhin geräumig genug, daß man einen
Landfremden durch sämtliche Provinzen reisen lassen könnte -- jeden Tag
in einer anderen --, bis der Dampfer, mit dem er nach Europa fahren
wollte, hundert Meilen vom Hafen ist.«

»Man wünscht also, deutsch gesagt, meine Rückkehr nach Europa zu
hintertreiben?«

»Ja.«

»Wer ist dieses ›Man‹?«

»Als höchste Instanz -- die japanische Regierung.«

Gerhard Hoyermann stand auf und begann im Zimmer hin und her zu gehen.
Der Fremde saß still, in seinen Stuhl zurückgelehnt; er betrachtete
seine Fingerspitzen.

»Ich will Ihnen etwas sagen,« begann Hoyermann nach einer Weile und
blieb stehen. »Vor vierzehn Tagen hätte ich wahrscheinlich geglaubt,
Sie seien ganz einfach ein Gespensterseher oder ein Betrüger, der den
Versuch machte, für eine Warnung vor nicht bestehenden Gefahren eine
Belohnung zu erpressen ... Aber ich habe in der Zwischenzeit allerhand
erlebt, was mir Ihre Reden sehr glaubhaft erscheinen läßt ...«

»Ich weiß,« warf der Fremde ein. »Man hat in der Brandnacht Ihre Koffer
erbrochen und Ihre Papiere untersucht ...«

»Woher wissen Sie das -- Herr?«

»Sie sprechen manchmal etwas zu laut -- für japanische Verhältnisse,«
sagte der Fremde freundlich. »Und Sie haben aus Ihrer Entrüstung über
den Vorfall durchaus kein Hehl gemacht, als Sie sich mit Ihrem Freunde
Tystendal in dessen Wohnung darüber unterhielten. Übrigens hatte
ich etwas Ähnliches erwartet, denn ich wußte, daß Sie keinen Brief
erhalten, der nicht zuvor von der japanischen Geheimpolizei unbemerkt
geöffnet wurde ... Das war auch der Grund, warum ich Ihnen nicht
schreiben durfte, sondern gezwungen war, mich Ihnen auf der Straße zu
nähern ...«

Gerhard Hoyermann stand vor dem kleinen Fremden und blickte auf
ihn hinunter. Sein Gesicht verlor allmählich das, was Beate den
Ferienfahrplan nannte: die unbekümmerten und fröhlichen Züge, die ins
Grünblaue der Welt gehen. Es sammelte sich und verschloß sich mit
plötzlich harten Lippen, und seine Pupillen zogen sich zusammen, als
fiele ein jähes Licht in sie hinein.

»Ich weiß, was Sie denken,« meinte der Fremde. »Sie sind ebenso
verwundert wie empört ... Wenn Sie länger in Japan lebten -- jahrelang,
wie nun ich --, dann würden Sie weder das eine noch das andere mehr
sein. Die japanische Polizei ist in der Hand eines geschickten Mannes
das wunderbarste Instrument, das man sich denken kann. Es hat immer
den rechten Ton, versagt niemals und hat das vollkommene Taktgefühl
einer gutgeschmierten Maschine. Ich bin fest davon überzeugt, daß
Sie vom ersten Tage Ihres japanischen Aufenthalts an keinen einzigen
unbewachten Schritt getan haben.«

»Zu diesem Zweck --« begann Hoyermann, unterbrach sich aber sofort mit
der Frage: »Glauben Sie, daß meine Dienerschaft bei der Durchsuchung
meiner Koffer beteiligt war?«

»Sehr wahrscheinlich.«

»Ich werde die Kerle heute noch hinauswerfen ...« murmelte Hoyermann.

Der Fremde schüttelte den Kopf.

»Tun Sie das nicht. Sie wechseln nur die Namen -- weiter nichts.
Wenn Sie sich zwanzig Diener vorstellen ließen und alle wieder
wegschickten, um den einundzwanzigsten zu nehmen, so würde eben dieser
Einundzwanzigste derjenige sein, der im voraus für Sie bestimmt war. Es
ist eine bewunderungswürdige Organisation.«

»Sie werden entschuldigen,« sagte Hoyermann, »wenn ich augenblicklich
zu sehr Partei bin, um für diese bewunderungswürdige Organisation
die nötige Objektivität zu besitzen. Ich bin der harmloseste
Mitteleuropäer, den sich die japanische Regierung wünschen kann, und
will meinerseits in Ruhe gelassen werden.«

»Ihre Harmlosigkeit ist es eben, die man bezweifelt.«

»Und warum, zum Teufel hinein --?!«

»Sie waren deutscher Offizier ...«

»Ich war in der Schutztruppe.«

»Zuletzt -- ja. Vor sechs Jahren waren Sie noch Oberleutnant im
preußischen Heer, traten dann zur Schutztruppe über und sind
schließlich auch aus dieser ausgetreten ...«

»Allerdings. Ist das in japanischen Augen ein Verbrechen?«

»An sich -- nein. Aber wenn ein ehemaliger Oberleutnant Seiner Majestät
des Deutschen Kaisers plötzlich als Privatmann in Japan auftaucht,
dann erinnert man sich hier an die Gepflogenheit, daß Offiziere, die
in irgendeinem fremden Lande besondere Studien treiben wollen, aus dem
Heere ausscheiden, um -- wenn ihre Studien allzu eingehend befunden und
unter richterliche Beleuchtung gezogen werden -- ihre Regierung nicht
zu kompromittieren ...«

»Ah --!« machte Gerhard Hoyermann. »Man glaubt, ich sei ein Spion ...«

»Ja.«

»Zu solchen -- Ausflügen pflegt man im allgemeinen seine Frau nicht
mitzunehmen ...«

»Warum nicht? Um so harmloser wirken sie.«

»Pfui Deibel!« sagte Gerhard Hoyermann.

Der Fremde hob die Schultern.

»Sie kennen dieses Volk nicht,« meinte er. »Man wollte neulich Ihre
Papiere durchsuchen und machte sich den großen Brand zunutze. Wäre
der Brand nicht infolge des Erdbebens ausgebrochen, so würde man ihn
vielleicht angelegt haben, unbekümmert darum, daß eine Stadt dabei
zugrunde ging. Eine Stadt ist etwas sehr Geringfügiges, wenn es um die
Sicherheit Nippons geht, nicht wahr? Und es gäbe unter denen, die im
Feuer Hab und Gut verloren, kaum einen Menschen -- nein, ich glaube
wirklich, keinen einzigen --, der es nicht selbstverständlich fände,
alles zu verlieren für das große Nippon. Begreifen Sie das?«

»O ja,« sagte Gerhard Hoyermann mit großem Nachdruck. »Das begreife ich
sehr gut ...«

»Es ist eine Art von Religion -- das Hohelied des Vaterlandsdienstes
in die Lehre des Shinto hineingegossen. Diese Menschen haben nichts,
was sie nicht opfern würden, wenn es um die Größe und Ehre Nippons
geht. Sie besitzen tatsächlich alles nur gewissermaßen auf Widerruf:
Leben, Vermögen, Freiheit, Glück ... Sie haben in Wahrheit nichts zu
verlieren, weil sie nichts in Wahrheit ihr eigen nennen, -- und es ist
ein sehr weises Wort Goethes, der sagt: ›Fürchterlich ist einer, der
nichts zu verlieren hat‹ ... In der Tat -- fürchterlich gefährlich ...«

Gerhard Hoyermann erwiderte nichts. Er ging im Zimmer auf und ab und
hatte den Kopf gesenkt.

»Im übrigen«, fuhr der Fremde fort, »bin ich nicht zu Ihnen gekommen,
um über die Psyche des Japaners mit Ihnen zu philosophieren ...«

»Es ist ein sehr reizvolles Thema,« murmelte Hoyermann.

»Aber ein unerschöpfliches. Während der fünf Jahre, die ich in Japan
bin, war es mein Steckenpferd, die japanische Seele zu analysieren.
Es ist mir nicht gelungen. Das einzige Ergebnis meiner Schürfungen
liegt in der Erkenntnis dessen, was den Ostasiaten vom Westeuropäer
trennt -- und es kann sein, daß auch das ein Trugschluß ist --: die
Verschiedenheit der Ehrbegriffe ...«

»Ist die so schwerwiegend?« fragte Gerhard Hoyermann mit einem
flüchtigen Lächeln.

»Urteilen Sie selbst. Ich will Ihnen zwei winzige Geschichten erzählen,
die den Japaner vollkommen widerspiegeln ... Ein Europäer hilft
einem Japaner aus großer Verlegenheit, indem er ihm eine ziemlich
beträchtliche Summe leiht. Der Japaner gibt die geliehene Summe nach
geraumer Zeit zurück mit der Versicherung, daß er seinem Helfer aus
der Not bis an sein Lebensende die unverbrüchlichste Dankbarkeit
bewahren werde. Bei irgend einer späteren Gelegenheit geraten die
beiden Männer in einen heftigen Zwist, und der Europäer läßt sich im
Laufe der Auseinandersetzung dazu hinreißen, den Japaner zu ohrfeigen.
Der Japaner will sich auf ihn stürzen, bezwingt sich aber, verneigt
sich lächelnd und geht. Zu Hause angelangt, schreibt er dem Europäer
einen Brief, in dem er ihm mitteilt, daß er von ihm aufs tödlichste
beleidigt worden sei, daß ihm die Dankbarkeit gegen seinen einstigen
Wohltäter jedoch verbiete, sich an ihm zu rächen. Er wähle darum den
einzigen Weg, der ihm übrigbleibe, um die Schmach von sich abzuwaschen.
Nachdem er den Brief sorgfältig gesiegelt und fortgeschickt, begeht er
Harakiri, indem er sich den Bauch aufschlitzt ...«

»Und die andere Geschichte?« fragte Gerhard Hoyermann, seinem Gaste den
Rücken zugewendet.

Der Fremde lächelte.

»Die zweite Geschichte ist noch bedeutend kürzer, aber nicht
minder lehrreich,« sagte er. »Ein Japaner bittet die Götter um
Erfüllung seiner heißesten Wünsche -- er hat sie ihnen, glaube ich,
aufgeschrieben -- und legt ein Gelübde ab, ihnen dafür einen Torii aus
edelstem Metall zu erbauen. Seine Wünsche werden erfüllt, und er baut
den Göttern einen Torii aus drei winzigen Stahlnadeln ...«

»Und die Summe von beidem: -- eine erhabene Schweinebande,« sagte
Gerhard Hoyermann, ohne sich umzuwenden.

»Mag sein. Auf jeden Fall ein Menschenschlag, der eine andere Ehre hat
als wir. Sie haben ein anderes Gut und Böse als wir -- als die ganze
übrige Welt, mit der wir rechnen müssen. Es wird gut sein, wenn wir das
beizeiten erfassen und uns danach richten.«

»Wer -- wir?«

»Wir -- von der anderen Seite der Erde ...«

»Falls es der Zweck Ihres Herkommens war,« sagte Gerhard Hoyermann,
»mir diese Warnung zu übermitteln und mich -- trotz aller
Schwierigkeiten, die ihr entgegenstehen -- zur beschleunigten Abreise
aus Japan zu veranlassen, so begegnen sich unsere Wünsche. Ich reise
so bald als möglich, und wenn ich persönlich die japanische Regierung
von der Grundlosigkeit ihres Verdachts gegen mich überzeugen müßte, um
loszukommen.«

Der Fremde stand auf.

»Im Gegenteil,« sagte er langsam. »Der Zweck meines Herkommens
war, Sie zu bitten, nicht nur Ihre Reise nach Europa bis zu einem
bestimmten Zeitpunkt aufzuschieben, sondern auch keinerlei Schritte
zu unternehmen, den Verdacht der japanischen Regierung gegen Sie zu
entkräften ... Es ist von alleräußerster Wichtigkeit, daß dieser
Verdacht gegen Sie bestehen bleibt, bis --«

»Bis --?«

»Bis die Person, gegen die er sich eigentlich richten müßte, Zeit
gefunden hat, ihre Aufgabe zu erfüllen ...«

»Diese Person sind Sie?« fragte Gerhard Hoyermann mit einem ruhigen
Blick.

»Ja.«

»Sie sind also --«

»Was ich bin,« fiel ihm der Fremde sehr rasch in die Rede, »darauf
kommt es jetzt nicht an. Man pflegt im allgemeinen unserem Beruf einen
etwas anrüchigen Namen zu geben; auch darauf kommt es nicht an. Nichts
ist jetzt wichtig als die Tatsache, daß ich in diesem Beruf eine
Aufgabe zu erfüllen habe, die ich keinem sonst anvertrauen kann. Denn
niemand -- außer mir -- der Nichtjapaner ist, geht unbeargwöhnt durch
dieses Land. Mich haben die Jahre sanktioniert, in denen ich, mich
von Reis und Tee nährend, auf mein einstiges Vaterland, meine frühere
Religion und alle Gewohnheiten von ehemals spuckte. Ich gelte als
Überläufer, werde als solcher verachtet und nicht bewacht. Glauben Sie
mir, Herr Hoyermann, man muß sein Vaterland sehr lieben, um so leben
zu können ... Nun, verzeihen Sie, ich wollte nicht von mir persönlich
reden ... es ist eine fast dienstliche Angelegenheit, in der ich zu
Ihnen gekommen bin ...«

»Ich habe Sie sehr gut verstanden,« sagte Gerhard Hoyermann. Nach einer
Pause fuhr er fort: »Sie sprachen von einem bestimmten Zeitpunkt, bis
zu welchem ich meine Heimreise verschieben sollte. Welcher ist das?«

»Die russische Kriegserklärung an Österreich.«

»Sie rechnen mit aller Bestimmtheit auf sie?«

»Ich habe Nachrichten aus zuverlässigster Quelle, daß Rußland bereits
in aller Stille mobilisiert.«

»Gegen Österreich --?«

»Und gegen Deutschland -- natürlich ...«

»Das wissen Sie?« fragte Gerhard Hoyermann und schlug mit der Faust
auf die Lehne des Stuhles -- »und dabei verlangen Sie von mir,
Mensch, daß ich noch einen Tag länger in diesem gottverfluchten Nest
sitzenbleiben soll, während es zu Hause um Kopf und Kragen geht --?!«
Er stieß beide Hände vor sich hin, als schöbe er etwas weit von seiner
Brust ab. »Nee, mein Bester! Zu dem Handel suchen Sie sich gefälligst
einen anderen! Mich kriegen Sie nicht dazu!«

»Ein anderer steht mir leider nicht zur Verfügung,« sagte der Fremde
mit völlig unbewegtem Gesicht. »Ich würde Sie sonst ganz gewiß nicht
belästigt haben. Es bleibt mir aber keine Wahl. Obgleich ich fest davon
überzeugt bin, daß das Deutschtum in Ostasien augenblicklich auf einem
verlorenen Posten kämpft und sehr bald gänzlich außer Gefecht gesetzt
sein wird, halte ich es doch für meine Pflicht, bis zum letzten Moment
auf meinem Posten auszuhalten. Zu diesem Zweck ist es sehr notwendig,
daß ich eine Nachricht, die mir persönlich überbracht werden soll, hier
in Ruhe erwarten und dann meinerseits persönlich weiterbringen kann, da
sowohl Briefe als Depeschen -- Chiffredepeschen nicht ausgeschlossen,
denn sie würden einfach nicht befördert werden -- für mich nicht
in Betracht kommen. Man war mir auf der Spur ... Seit Beginn der
europäischen Krise ist man in Ostasien sehr nervös geworden ... Es
blieb mir nichts anderes übrig -- ich brachte die Spürhunde Haganés,
der selbst der schlauste seiner Hunde ist, auf Ihre Fährte ...«

»Sie waren allerdings nicht heikel in der Wahl Ihrer Mittel,« meinte
Hoyermann mit einem kurzen Lachen.

»Was wollen Sie ... es werden weit schmutzigere Mittel für weit
wertlosere Ziele tagtäglich in der Politik angewandt, und die meisten
werden durch den Erfolg gerechtfertigt und durch den Mißerfolg
gerichtet.«

»Ihre Philosophie, Herr, ist mir jetzt völlig egal, -- mich kümmert
nur das eine, daß Sie mich veranlassen wollen, hier hockenzubleiben,
während bei uns in Deutschland womöglich schon die scharfen Patronen im
Lauf sind!« sagte Hoyermann und schlug mit der Faust in die Luft. »Wäre
ich doch bloß meinem ersten Trieb gefolgt und wäre abgereist, als ich
vom Mord in Serajewo hörte!«

»Sie würden vermutlich auch nicht weiter als bis zum Suezkanal gekommen
sein,« meinte der Fremde. »Wofür glauben Sie, daß England seine Flotte
gebaut hat?«

»England --?«

»Wir sprachen vom europäischen Konflikt ... Rechnen Sie England nicht
mit zu Europa?«

»Unsere eigenen Vettern ...?«

»Hm ...« machte der Fremde. Er räusperte sich. »Was das betrifft,
so kommen in den besten Familien Streitigkeiten vor, sobald es sich
um Geldangelegenheiten handelt. Die Gründe, um derentwillen es zum
europäischen Kriege kommt, mögen sein, was sie wollen, -- in jedem
Falle wird es ein Wirtschaftskrieg; und was ist der anderes als eine
Geldangelegenheit ... wenigstens für den, der ihn anzettelt ...«

»Sie sehen die Dinge von einem übelkeiterregenden Standpunkt, Herr ...«

»Ich sehe sie vom Standpunkt des Kaufmanns aus London City und der
Bank von England. Wenn Sie mir heute nicht glauben, werden Sie es in
vier Wochen tun. Vielleicht auch schon eher. Es kommt auf die Geduld
des Deutschen Reiches an, wie viele Armeekorps Rußland gegen seine
Westgrenzen marschieren lassen kann, ehe ihm von deutscher Seite aus
der Krieg erklärt wird. Von diesem Augenblick an, dürfen Sie überzeugt
sein, ist die Hauptsprache des Krieges die englische. Ganz besonders in
Amerika und Japan ...«

»Ich glaube Ihnen heute schon,« sagte Gerhard Hoyermann und bog den
Kopf in den Nacken. »Pfui Deibel!«

»Wir werden in der nächsten Zeit noch öfters Gelegenheit haben, ›Pfui
Deibel!‹ zu sagen,« meinte der Fremde. »Das schadet nichts; es stärkt
das Rückgrat und das Bewußtsein der Berechtigung, gegen allerhand
Gesindel loszugehen, ohne Samthandschuhe.«

»Und ausgerechnet dabei soll ich nicht mit zupacken!« Gerhard Hoyermann
lachte grimmig. »Nee, mein Bester! Sie können sagen, was Sie wollen!
Ich habe auch eine Pflicht zu erfüllen -- da drüben, wo Deutschland
liegt! Hier mit meinen zwei gesunden Fäusten! Ich will zu meinem
Regiment. Da können sie jetzt bestimmt jeden brauchen, der ein Gewehr
anzupacken weiß. Und wenn ich weiter nichts tun könnte, als Rekruten
drillen für den Felddienst -- das wäre mir wurscht. Aber dabei sein
will ich ... Ich reise ...«

»Ich weiß nicht,« begann der Fremde und räusperte sich, »ob ich mich
so außerordentlich unklar ausdrücke ... Wenn ich mich nicht irre, Herr
Hoyermann, erlaubte ich mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre
Abreise -- selbst wenn sie Ihnen gelänge ...«

»Darauf können Sie sich verlassen ...«

»Gut. Nehmen wir das vorläufig an ... -- doch zu keinem anderen
Ziele führen würde, als daß Sie bestenfalls irgendwo in ein
Konzentrationslager kämen. Glauben Sie wirklich, daß die Gegner
Deutschlands die Rückkehr seiner wehrfähigen Männer aus dem Ausland
zulassen würden?«

»Wir würden es tun ...«

»Ja ... Wir sind bei allen solchen Dingen von einer bedauerlichen
Anständigkeit, die kein anderes Ergebnis hat, als daß sie mißverstanden
und als Schwäche gedeutet wird. Ich glaube aber, daß es weder sehr
angenehm ist, interniert zu werden, noch daß es für das Land, dem Sie
doch helfen wollen, den geringsten Zweck hat. Die einzige Art, auf die
Sie Ihrem Vaterlande einen Dienst erweisen können, ist, daß Sie mir
helfen, meine Botschaft unbehelligt an ihren Bestimmungsort zu bringen.
Bitte, geben Sie mir jetzt eine klare Antwort -- ja oder nein. Meine
Zeit ist leider nicht unbemessen, und ich stehe beständig in Gefahr,
den rechten Augenblick zu versäumen.«

Gerhard Hoyermann sagte weder ja noch nein. Er ging im Zimmer auf und
ab und rannte mit dem Kopf gegen unsichtbare Hindernisse.

Der Fremde war aufgestanden und wartete, den Hut in der Hand. Sein
Gesicht war weder ungeduldig noch besorgt. Er schien seiner Sache gewiß
zu sein.

»Sie sagten,« fing Hoyermann endlich an, »daß ich bis zum Ausbruch des
drohenden europäischen Krieges hierbleiben sollte ... Dann bin ich
meiner Verpflichtung ledig?«

»Ja.«

»Das ist eine Verspätung von mindestens acht Wochen ...« murmelte
Hoyermann.

»Ich fürchte, Sie kommen auch dann noch reichlich zur Zeit, wenn es
Ihnen gelingen sollte, durchzubrechen,« meinte der Fremde. »Dieser
Krieg wird, wenn er in der Tat ausbrechen sollte, nicht in acht Wochen
beendet sein. Denn es geht um die Erbfolge in der Welt, das können Sie
mir glauben. Und jeder wird sich um sein Letztes wehren müssen ...«

Gerhard Hoyermann blieb stehen und dachte nach. Und dann schob er mit
einem Ruck, der das Kartenhaus ins Wanken brachte, die Zimmerwand
beiseite, die ihn von seiner Frau trennte.

»Komm herein, Kamerad,« sagte er. »Du sollst mir helfen ...«

Der Fremde grüßte die junge Frau mit einer Höflichkeit, die seinen
fünfjährigen Aufenthalt in Japan bestätigte. Beate sah ihn ernst und
schweigsam an. Sie war sehr blaß.

»Nun, Beate --? Du weißt, worum es sich handelt?«

»Ja.«

»Und was sagst du?«

»Ich glaube,« antwortete Beate mit trockenen Lippen, »daß du tun mußt,
was er von dir verlangt.«

»Ich danke Ihnen, gnädige Frau,« sagte der Fremde.

Beate erwiderte nichts. Sie sah ihren Mann an. Ihre Augenlider
zitterten.

Gerhard Hoyermann wandte sich um.

»Es ist gut,« sagte er. »Ich bleibe. Acht Wochen früher oder später --
es macht so viel nicht aus. Aber ich stelle eine Bedingung.«

»Bitte ...«

»Ich kenne Sie nicht. Ich habe keinerlei Bürgschaft dafür, daß Sie
nicht im Auftrage unserer Gegner handeln, wie Sie handeln. Diese
Bürgschaft will ich haben. Am liebsten eine schriftliche. Welcher Art
-- das überlasse ich Ihnen ...«

»Ihr Verlangen ist sehr gerechtfertigt,« meinte der Fremde. »Ich hätte
daran denken sollen. Aber ich hole es nach. Hierher will ich nicht zum
zweiten Male kommen. Ich kann nicht vorsichtig genug sein ... Bestimmen
Sie, wo Sie mich in einer Stunde -- oder wann es Ihnen beliebt --
treffen wollen ...«

Gerhard Hoyermann überlegte.

»Wenn ich nicht komme, so wagen Sie nichts dabei,« meinte der Fremde,
der sein Zögern mißverstand. »Es steht dann Ihrer Abreise nichts im
Wege.«

»In einer Stunde am Tempel der Kwan-on,« sagte Gerhard Hoyermann.

»Ich werde pünktlich dort sein.«

Der Fremde verneigte sich und ging.

Gerhard und Beate sahen sich an. Minuten vergingen. Dann sagte der
Mann, während er sich mit der Hand über die Stirn fuhr: »Nun mußt du
deine Koffer wieder auspacken, arme Beate ...«

»Ich habe es schon getan,« antwortete die Frau mit ihrem stillen
Gesicht. Dann, als hätte sie einen Stoß von innen her erhalten, warf
sie ihrem Manne die Arme um den Hals und fragte, Herz an Herz gedrängt:
»Wir werden uns nie trennen, Gerd, nicht wahr --? Was auch geschehen
mag -- was du auch tun willst, Gerd -- wir werden uns nie trennen,
nicht wahr --?«

»Ich weiß es nicht, mein Liebling,« sagte Gerhard Hoyermann. Und als
der halb unbewußte Blick seiner Augen den Jammer der ihren ergriffen,
fuhr er fort: »Wir werden tun, was wir müssen, geliebte Frau ... und
was gut ist -- ja, das werden wir tun ...«

»Woher willst du wissen, was das Gute ist?« murmelte sie, die Hände auf
seinen Schultern.

»Man weiß es immer,« sagte Gerhard Hoyermann nachdenklich. »Man tut es
nur nicht immer ...« Er nahm das Gesicht seiner Frau in beide Hände und
sah sie an, ein wenig mitleidig und ein wenig froh. »Wir beide, Beate
-- wir werden es wissen und tun ... Das ist gewiß.«

Sie entgegnete nichts mehr. --

Eine halbe Stunde später machte sich Gerhard Hoyermann auf den Weg zum
Tempel der Kwan-on.

Mosaku, im Strohmantel, triefend vor Nässe, trabte mit offenem
Munde. Sein bellendes »Hai!« fuhr in die Menschen hinein, die mit
Papierschirmen, auf die der Regen trommelte, über die Lachen und Löcher
der Straße stelzten. Gerhard Hoyermann sah heute gleichsam durch die
Menschen hindurch. Er bemerkte keine Gesichter. Seine zusammengelegten
Hände öffneten und schlossen sich gedankenlos. Der Regen schlug auf
ihn nieder. Er war lichter als vor ein paar Stunden; morgen gab es
vielleicht einen schönen Tag.

Und Gerhard Hoyermann dachte, wie wohl zu Hause der Himmel aussehen
mochte.

Nichts auf der Welt schien ihm jetzt wichtiger zu sein, als zu wissen,
ob es daheim regnete oder ob die Sonne schien ...

Am Vorhof des Tempels angelangt, stieg er aus und stieg die glitschigen
Stufen zum Gipfel des Hügels hinauf. Es war kein Mensch weit und breit
zu sehen. Auch nicht der Fußtritt eines Menschen. Die Fichten um den
Tempel der Göttin mit den schönen Augen standen zum Teil entwurzelt,
und der Regen wusch die letzte Erde von den zersprengten lebendigen
Seilen, mit denen sie in der Erde verankert gewesen.

Der Fremde war nicht gekommen.

Gerhard Hoyermann sah auf die Uhr.

Er trat in den Tempel; kein Priester, kein Betender war zu erblicken.

Als Gerhard Hoyermann zum zweiten Male nach der Zeit sah, waren zwanzig
Minuten über die bestimmte Zeit verstrichen.

»Um so besser,« sagte Hoyermann halblaut. »Dann reisen wir also morgen
...«

Nach weiteren zehn Minuten beschloß er, noch einmal rund um den Tempel
zu gehen, um ja sicher zu sein, daß er den Fremden nicht an falscher
Stelle gesucht.

Als er die Rückwand des Tempels erreicht hatte, fand er ihn.

Es war schon sehr dämmerig, und der Regen trübte den Tag noch mehr.
Aber Gerhard Hoyermann erkannte den Mann sofort.

Er lag neben einer umgestürzten Fichte auf dem Rücken; sein langes Haar
fiel ihm in die Augen, die nach oben starrten und einen merkwürdigen
fischigen Glanz hatten. Der Mund stand offen und war so sehr verzerrt,
daß es schien, als grinse er in einem ungeheuren, lautlosen Gelächter.
Die starken weißen Zähne bleckten ganz entblößt.

Der Mann war tot.

Er war erwürgt worden; mit einem guten Griff.

Dschiu Dschitsu, dachte Hoyermann mechanisch. Er schüttelte sich, in
einem plötzlichen Zittern wütendster Wut. Dann packte er den Toten,
dessen Last er nicht fühlte, und schleppte ihn in den Tempel der
Kwan-on.

»Mag sie samt denen, die zu ihr beten, zusehen, wie sie mit ihm
fertigwerden,« dachte er...

Als er heimkam, trat ihm Beate mit der Frage entgegen, ob er Takejiro
entlassen habe.

»Nein.«

»Er ist aber fort, samt seinen Sachen.«

»Laß ihn laufen,« sagte Gerhard Hoyermann schwerfällig. Er setzte sich
und legte den Kopf in die Hände.

»Was hast du?« fragte seine Frau und griff nach seiner Schulter.

Da erzählte er ihr.

Beate wurde grau im Gesicht.

»Glaubst du,« sagte sie und würgte an den Worten, »daß Takejiro ...
euch belauscht hat und dann ...«

»Sehr möglich ...«

»Und du willst ihn laufen lassen --?!«

Gerhard Hoyermann zuckte die Achseln.

»Was willst du? Wenn er den Mord im Auftrag der Polizei beging, was
mich gar nicht wundern würde und sehr wahrscheinlich ist, denn der Tote
war entschlossen und tüchtig in seinem Fach --, dann wird die Polizei
ihn schützen. Und wenn wir oder irgend jemand sonst bei der deutschen
Gesandtschaft vorstellig würden und diese die Bestrafung des Mörders
forderte, dann sei versichert, daß sich irgendeiner finden würde,
der den Mord auf sich nähme und sich hängen ließe für den wirklichen
Mörder, der vielleicht seinem Lande noch nützlich sein kann ...«

Er stand auf und reckte die Schultern.

»Wir leben nicht unter Menschen -- wir leben unter Begriffen, Beate ...
Und die haben in einem Lande, wie dieses ist, das ewige Leben ...«

Er hatte das Wort noch im Munde, als Tystendal hereintrat. Er hatte ein
Zeitungsblatt in der Hand ...

»Das Ultimatum Österreichs an Serbien,« sagte er.

»Gut!« sagte Gerhard Hoyermann nachdrücklich.




                                   3


Beate lag in ihrem Zimmer, dessen papierene Wände in der Nacht wie
Milchglas matt schimmerten, und wartete auf ihren Mann.

Umè hatte der Herrin das Lager aus vielen kostbar seidenen und
wattierten Futons übereinander geschichtet und auch das hölzerne
Bänkchen bereitgestellt, auf das die Japanerinnen ihre kunstvoll
frisierten Köpfe legen und das, nach unerforschtem Brauch, so heilig
ist, daß niemand es versehentlich stößt, ohne es um Verzeihung zu
bitten. Die Herrin hatte zwar erklärt, seiner nicht zu bedürfen, aber
Umè hielt es immerhin für besser, wenn es an seinem Platze stand.

Draußen schritt eine wunderschöne Sommernacht über Land und See.
Die Frösche quakten, aber ganz fern; manchmal rief ein Vogel einen
einzigen, schwermütigen Laut in die milde Tiefe der Dunkelheit. Unten
am Teich schwatzte der kleine Wasserfall.

Beate lag auf dem Rücken und hatte den Kopf ganz in den Nacken gebeugt.
Sie hatte ein Gefühl, als träte jede einzelne Minute auf ihren Leib,
und sie könnte sich nicht wehren. Ihre weit offenen Augen sahen gegen
die Decke des niedrigen Zimmers; aber sie waren wie blind.

Sie lauschte.

Es war schon sehr spät -- weit nach Mitternacht. Gerhard hatte sich in
der Stadt mit Tystendal verabredet. Sie waren jetzt oft zusammen, die
Freunde; öfter noch als sonst. Und wenn er dann nach Hause kam, blieben
doch seine Augen wie weit fort, und seine Liebkosungen waren ein wenig
traurig.

Jedesmal, wenn er sie dann küßte, beugte sich Beate in seinen Armen
zurück und hielt mit ihren Händen seinen Nacken und sah ihn verzweifelt
an. Sie wollte ihn fragen: »Was hast du? -- Was verschweigst du mir?«
Aber sie fragte nicht. Sie hatte Angst vor seiner Antwort.

Aber nun ertrug sie es nicht mehr.

Vom ersten Tage ihrer Ehe an war sie gewöhnt gewesen, daß sie beide
alles, was sie zwischen zwei Dämmerungen erlebt hatten, zusammenpackten
und zueinander brachten, um es auszutauschen. Sie pflegten sich
gegenseitig bei den Ohren zu nehmen und dem anderen vorzuwerfen, daß er
verschwenderisch und aus der Maßen leichtsinnig sei, um sich am Ende
dieser Auseinandersetzungen mit blanken Augen anzulachen -- Gerhard
mit seinem urwalderschütternden Gedröhn und sie mit ihrem leichtfüßigen
Jauchzen darüberkletternd: »Hohoho, meine Löwin --!« ... »Bär! Bär, du
hast eine schwarze Nasenspitze -- hahei!«

Nein, sie waren ganz taumelig -- total verrückt -- und glücklich,
glücklich -- glücklich -- ach! Die ganze Welt tanzte in der Hand ihres
vergnügten Schöpfers ...

Nun, seit Tagen, schwiegen sie voreinander.

Aber sie wollte nicht mehr schweigen. Sie wollte nicht mehr, weil sie
nicht mehr konnte. Sie würde ihn fragen, beide Hände auf seine Brust
gelegt, als wollte sie an seinem Herzen anpochen ... Gerd --?

Dann mußte er Antwort geben.

Und darum wartete sie auf ihn mit offenen Augen, während sie in ihrem
Zimmer mit den milchigen Wänden lag und die Dunkelheit um das Haus
herfloß wie ruhig ziehendes, tiefes Wasser um einen gläsernen Schrein.

Die kleineren Sterne waren schon unsichtbar geworden, als Gerhard
Hoyermann nach Hause kam. Beates Ohren, durch das schweigsame Lauschen
in die Stille hinein geschärft, hörten das Knirschen des feinen Sandes,
in dem das Boot auflief, und dann die Schritte ihres Mannes, die sich
dem Hause näherten.

Aber er kam nicht herein.

Sie hörte, wie er stehenblieb und dann zögernd wieder ging; doch nicht
zu ihr. Er ging durch den Garten. Nun entfernten sich seine Schritte;
nun kamen sie wieder näher; sie wanderten um das stille, wartende
Haus, ruhelos und müde; so wie Verbannte um die Grenzen ihrer Heimat
schleichen, dachte Beate. Sie lag noch immer, als könnte sie sich
nicht rühren, mit offenen Augen und Lippen, die eine uneingestandene
Bitterkeit ein wenig herbe machte.

Doch als die Schritte draußen den Weg zu ihr nicht finden konnten,
obgleich es schien, als sehnten sie sich sehr, hereingerufen zu werden,
stand sie auf und tastete sich, unsicheren Ganges, nach der Tür, die
auf die Veranda führte. Sie schob sie auf und beugte sich, vortretend,
über das schmale Geländer.

Die Nacht war nicht dunkel. Sie konnte den Mann gut sehen, der mit
gesenktem Kopf unter den Pflaumenbäumen hinging. Er trug den Hut in der
Hand.

»Gerd --!« rief sie halblaut.

Er fuhr zusammen und kam auf sie zu -- so eilig, als wollte er einer
Frage zuvorkommen.

»Mein Liebling ...«

»Ich hörte dich durch den Garten gehen ... Warum kommst du nicht
herein?«

»... Ich wollte dich nicht wecken.«

»Ich schlief nicht ...«

Er entgegnete nichts, sondern kam herauf und in das Zimmer, in das
Beate zurückgetreten war. Sie wartete, ob er etwas sagen würde. Er
schwieg aber, strich nur, als er an ihr vorüberging, mit seiner Hand
über ihre Schulter. Ein sinnloses Schluchzen stieg der Frau in die
Kehle. Aber es wurde nicht laut.

Sie legte sich nieder und wartete. Plötzlich, als fühlte er die Stille
des Zimmers körperlich und peinigend, sagte er laut: »Tystendal läßt
sich dir empfehlen ...«

»Danke schön ... Warst du mit ihm allein?«

»... Entschuldige ... was fragtest du?«

Beate schluckte. »Laß nur, es war nichts Wichtiges ...«

»Ob ich mit ihm allein war ... ja, natürlich ... Habe ich dir seine
Grüße ausgerichtet?«

Beate gab keine Antwort. Er schien auch keine erwartet zu haben, denn
er fragte nicht zum zweiten Male. Er legte sich nieder, atmete tief und
lag still.

»Gute Nacht, mein Liebling,« sagte er halblaut mit jener schweren und
traurigen Zärtlichkeit, die sie ganz verstörte. »Schlaf gut ...«

Sie gab ihm den Wunsch nicht zurück.

Sie wartete eine Weile und horchte auf seine Atemzüge. Sie fühlte, daß
er nicht einschlafen konnte. Sie richtete sich behutsam auf und beugte
sich über ihn. Seine Augen standen weit offen.

Da legte sie ihre Hände auf seine Brust, so wie sie es hatte tun wollen
und sich gesehnt zu tun, und fragte: »Gerd ...?«

»Ja, Beate?«

»Gerd, warum verschweigst du mir auf einmal so vieles?«

Er sagte nichts. Sie fühlte sein Herz unter ihrer Hand.

»Früher«, fuhr sie fort -- und ihre Stimme war wie die des kleinen
Vogels, der in der Nacht nach seinem Freunde rief -- »sprachen wir
zueinander von jeder Stunde des Tages, von den fröhlichen und den
traurigen. Ich weiß nichts, was ich dir jemals nicht gesagt hätte,
und glaube nicht, daß du mir etwas verschwiegst ... Ich kam immer zu
dir gelaufen und mußte alles erzählen, und so tatest du auch, und wir
teilten uns hinein -- ... War das schön?«

»Ja, Beate ...«

»Und wenn wir Sorgen hatten oder Kummer -- und wenn wir einmal nicht
wußten, wo ein noch aus ... Gerd, wir haben uns so fest bei der Hand
gehalten und sind uns so nahe gewesen in schweren und schwersten
Stunden, daß es war, als läge alle Last auf ~einer~ Schulter, und
doch war's deine und meine ... Aber wir spürten die Last kaum, weil wir
zusammen gingen ... Ich glaubte, ich sei dir ein guter Kamerad gewesen
...«

»Das warst du, Beate -- weiß Gott!«

»Warum schiebst du mich dann jetzt beiseite, Gerd?«

»Das tu' ich nicht -- nein ... Ich wollte nur noch ein wenig warten,
Beate ... Wir werden leicht feige, wenn wir wehtun müssen, nicht wahr?«

»Mußt du mir weh tun, Gerd?«

»Ja, mein Liebling ...«

»Ich will dir schon stillhalten.«

Gerhard Hoyermann hob die Hand und legte sie um den Nacken seiner Frau.

»Ich möchte jetzt wohl dein Lächeln sehen,« sagte er nachdenklich. »Ich
weiß noch, wie du damals lächeltest, als ich nach Hause kam und sagte:
›Ich habe das Fieber‹ ... ›Das wollen wir schon unterkriegen‹ sagtest
du und lächeltest und warst so weiß wie dein Kleid ... Damals warst du
ergreifend schön; ich hab's nie vergessen können ...«

»Sprich nicht von damals,« sagte Beate und netzte ihre spröden Lippen.
»Sprich von heut.«

»Ja. Das muß ich auch ... Nun, der Krieg ist erklärt ...«

»Zwischen Österreich und Serbien?«

»Ja.«

Beate sagte nichts. Erst nach einer Weile fragte sie: »Und Rußland?«

»Rußland mobilisiert ...«

»Aber ... der Zar -- hast du die Depeschen nicht gelesen, die zwischen
dem Zaren und dem Kaiser gewechselt worden sind? Der Zar hat sein
Ehrenwort gegeben.«

»›Ehrenwort‹ klingt anders in russischer Sprache als in deutscher,«
sagte Gerhard Hoyermann mit einiger Bitterkeit.

»Du glaubst also -- daß der europäische Krieg unvermeidlich sein wird?«

»Ich hoff's, Beate -- ich hoff's --!« rief der Mann und hob die Arme
über den Kopf. »Herrgott, wenn wir nur jetzt nicht wieder zurückzucken!
Wenn wir nur jetzt fest bleiben! Wenn es nur um Gottes willen nicht
wieder wie damals wird bei der Marokkogeschichte! Wir gehen vor die
Hunde, wenn der Krieg nicht kommt! Rußland, England, Frankreich treten
uns mit den Stiefelabsätzen im Gesicht herum -- und wenn wir jetzt
unsere Stellung in der Welt nicht wahren, fressen sie uns auf wie
die Geier ein Aas --! Ach wir -- wir mit unserer blonden, satten,
himmelstürmenden Gutgläubigkeit --! Wir Narren, wir Hanswurste der
Weltgeschichte! -- Wir haben die Kraft und die Begabung, um dem ganzen
Erdball unseren Stempel aufzuprägen -- und wir bücken uns und heben den
Abfall auf, den die Herren an der Tafel uns übriglassen ...! Sag mir
nichts, Beate -- es muß einmal herunter! Es würgt mich lange genug ...«

»Ich sage nichts, Gerd ...«

»Sieh dir unsere Kolonien an -- was sind sie? Ein Flicken auf der
Landkarte! Wir plagen uns nach dem Worte der Bibel mit Dornen und
Disteln um den Acker herum ... und bei den anderen trägt er, kaum daß
sie säen, zweimal Frucht. Warum? -- weil wir zu spät kamen! Sieh dir
unsere Flotte an! Ja! -- ja! Sie entwickelt sich und wächst, und es
stehen Kerle an ihrer Spitze, bei denen einem das Herz im Leibe lacht
... Und laß den Krieg kommen -- was dann? Dann fegen die englischen
Kreuzer das Weltmeer rein, und wir müssen hinunter, und sie bleiben
obenauf! Warum? -- weil wir zu spät kamen! Glaube mir, Beate: es wird
Zeit, daß wir hochgerüttelt werden! Uns muß man schon hart packen,
wenn wir's glauben sollen, daß es ernst gemeint ist! Uns muß man schon
mit Kolbenstößen auf den Platz befördern, auf den wir von Rechts wegen
gehören -- und auch dann bitten wir noch vielmals um Entschuldigung,
daß wir uns erlauben, das tüchtigste Volk zwischen beiden Polen zu sein
...«

»Du mußt nicht hart sprechen von Deutschland,« sagte Beate; »nicht hier
...«

»Warum tu' ich's denn?« fragte der Mann und richtete sich auf. »Weil
ich das Land liebe -- liebe mit einem solchen Zorn und einer solchen
Inbrunst, daß ich daran innerlich zugrunde gehen könnte ... Und darum
wünsche ich ihm den Krieg -- ja, das tue ich!«

Es war eine Weile still zwischen den zwei Menschen. Beate sah vor sich
hin.

»All das«, meinte sie dann, »war es nicht, was du mir sagen mußtest,
Gerd. Ich warte noch darauf ... Du sagtest, du müßtest mir weh tun ...
Tu's! ... Ich kann's schon ertragen, wenn es von dir kommt ...«

Gerhard Hoyermann lag ganz still. Beate konnte sein Gesicht nicht
erkennen, aber sie fühlte, daß er sie nicht ansah.

»Beate,« fing er an und hob die Hand zu ihrem Arm, »wenn wir in
Deutschland wären und es gäbe Krieg ...«

Er hielt inne. Beate sagte nichts. Sie saß aufrecht in den seidenen
Decken und hatte die Finger ineinandergeschlungen. Sie wußte, was
nun kommen würde. Sie wußte auch, daß er hoffte, sie würde ihm das
bittere Wort aus dem Munde nehmen. Aber sie tat es nicht. Sie spürte
das aufdämmernde Wissen von dem, was er sagen wollte, wie einen
galligen Geschmack im Munde und dachte, ungerecht vor Jammer: Mag er es
auskosten, das Bittere, das er mir zu trinken gibt ...

»Ich glaube, du würdest wohl weinen, Beate, wenn ich in den Krieg
ginge,« fuhr Gerhard Hoyermann fort, und seine Stimme klang merkwürdig
still. »Aber du würdest mich nicht zurückzuhalten suchen, wenn ich mich
freiwillig stellte bei meinem alten Regiment -- nicht wahr?«

Beate schwieg. Alle ihre Muskeln spannten sich unbewußt, wie bei einem
Menschen, der einen schweren Stoß erwartet; sie hielt den Atem zurück.

»Warum antwortest du mir nicht, Beate?«

»Sprich weiter,« murmelte sie zwischen den Zähnen.

»Es ist nicht viel zu sagen, liebste Frau ... Du bist immer tapfer
gewesen, warst ein guter Kamerad und hast den Kopf nicht verloren,
wenn du auch wußtest -- damals in Afrika --, daß ich nicht von jedem
Ausmarsch wiederzukommen brauchte. Du ließest mich immer ohne Klage
gehen, denn ich hatte meine Pflicht zu tun. Und wenn du sie auch
nicht immer liebtest, so hast du sie doch geachtet ... Mehr will ich
schließlich auch heute nicht von dir ... Du sollst mich gehen lassen
und tapfer sein ...«

»Gehen ... wohin?«

»Nach Hause, Beate ...«

»Das können wir ja nicht -- wir kommen ja nicht mehr durch ... sagte
der fremde Mensch neulich -- und Tystendal meinte es auch ...«

»Es handelt sich nicht um uns, Beate -- es handelt sich nur um mich,«
sagte Gerhard Hoyermann.

»-- Was sagst du --?«

»Ich würde versuchen, allein durchzukommen ... Ein Mann kann hundert
Wege gehen, die einer Frau versperrt sind; wir müßten uns trennen,
Beate -- ja!«

Beate holte tief Atem. Und dann hob sie die Hand und strich damit durch
die Luft, als schnitte sie etwas mitten entzwei.

»Niemals!« sagte sie. Sie sagte es ohne jede Leidenschaft, mit einem
tief schwingenden Ton. Aber das Wort stand wie ein Baum.

»Doch, Beate -- doch!«

»Niemals! Und wenn du hunderttausendmal dein ›Doch!‹ sagst, -- ich
antworte dir hunderttausendmal ›Niemals!‹ Du hast mich eine tapfere
Frau genannt. Gut. Das will ich sein. Es war noch kein Weg in unserem
Leben, den wir nicht zusammen gegangen sind, und wenn ihn nie zuvor
eine Frau gegangen war. Ich trenne mich nicht von dir, Gerd -- mag
kommen, was will! Es kann dein Ernst nicht sein, das von mir zu
verlangen ...«

Er wollte reden, aber sie verschloß ihm den Mund mit der Hand, und
ihre fiebernden Worte überstürzten sich und bebten jetzt vor Angst
wie frierende Vögel, weil sie fürchteten, doch -- doch vielleicht
vergeblich zu sein.

»Du mußt mich nicht mißverstehen, Gerd ... es ist nicht, daß du in
den Krieg willst ... Gott im Himmel, das weiß ich, daß ich dich da
nicht festhalten dürfte -- und wenn ich weinte ... ich bin eine Frau,
Gerd ... und Bäume, in die man mit der Axt hineinschlägt, die weinen
auch ... Nein, nein, ich ließe dich gehen! Ich würde vielleicht auch
fröhlich tun und sagen, daß ich ganz voller Zuversicht sei und wüßte,
du kämst mir wieder ... Das ist es nicht, Gerd -- das nicht! Aber
daß du fortgehen willst von hier -- und mich zurücklassen -- und ich
weiß nicht, ob dir deine Flucht gelingt, ob du -- Gott weiß, auf
welchen Wegen -- nach Deutschland gelangst ... Soll ich hier sitzen,
Tage um Tage und Wochen um Wochen, und nicht wissen, wo du bist -- ob
daheim oder in Gefangenschaft oder irgendwo im Kriege -- soll hier
in den Nächten liegen und die Stunden über mich hingehen fühlen und
Narrenspiele treiben mit sinnlosen Orakeln: Lebst du? Bist du tot --?
Soll keinen Brief von dir erwarten dürfen -- nichts dir selber geben
... soll meine Angst und meine Hoffnung, die beide keinen Bürgen haben,
auf die weißen Blätter schreiben und denken: Vielleicht wirst du sie
niemals lesen ...! Das kannst du nicht von mir verlangen, Gerd --? Das
kannst du nicht von mir verlangen --!«

Sie schluchzte auf und erstickte den jämmerlichen Laut mit beiden
hochgerissenen Händen, die sie an den Mund preßte. Sie wollte nicht
weinen, nein; das war nicht die Stunde zum Weinen; sie mußte die
Gedanken klar behalten, um den großen Kampf gut führen zu können.
Weinen ist ein Entspannen aller Kraft -- und sie brauchte ihre straffen
Kräfte.

Sie war nicht erfahren in Weibesmitteln, hatte niemals solche Waffen
geübt noch gebraucht; doch mit dem Tastsinn ihrer verzweifelten Angst
griff sie unbewußt nach der stärksten. Sie gab sich ganz auf und hin,
warf sich gleichsam muskellos, den Jammer ihrer Seele ganz entblößend
und aussagend, in die Hände des Mannes und rief seine Großmut an ...

»Du sagst, ich sei tapfer, Gerd ... ich bin's auch -- aber nicht ohne
dich! Ich bin feige und elend ohne dich ... Wenn du mir heute sagst:
Ich will im Ruderboot mit dir über den Atlantischen Ozean -- da besinn'
ich mich nicht einen Augenblick, ich fahre mit dir ... Und wenn du quer
durch Sibirien laufen willst oder durch Tibet -- sag mir nur, wann du
aufbrechen willst; ich gehe mit ... Ich will mich verkleiden -- als
Mann, als was du willst. Du wirst mich nie müde finden, nie ängstlich
oder verdrossen ... Ich will wie dein junger Bruder sein, Gerd -- ganz
unerschrocken, ganz unermüdlich ... Aber laß mich nicht allein --! Laß
mich um Gottes, um Himmels willen nicht allein, Gerd --!«

Sie spürte sein tiefes Atemholen und schob sich näher zu ihm hin,
kauerte sich ganz zusammengeduckt neben seine Brust und schob ihre
flatternden Hände, die wie geblendete Vögel umherirrten, nach seinem
Munde.

»Sprich nicht,« bettelte sie; »sprich noch nicht ... Ich habe dir ja
noch nichts gesagt -- noch nichts von allem, was wichtig ist ... Ich
weiß auch nicht, wie ich es sagen soll ... Der Kopf tut mir weh ... Ich
bin auch nicht beredt -- hab' dich noch nie um etwas so bitten müssen
... Hab Mitleid mit mir, Gerd ... ich geh' daran zugrunde ... Was soll
ich zu dir reden, Gerd ...? Welche Worte muß ich finden, damit du mich
hörst --? Du hörst mich nicht ... du siehst mich nicht an ... Ich liege
hier und bettle um mein Leben, und du siehst mich nicht an ... Hast du
alles vergessen, Gerd, was wir uns gewesen sind? Soll das alles vorbei
sein? -- Ich liebe dich ... ich liebe dich ... Ich kann dir nichts
anderes sagen als dies: Laß mich nicht so bettelarm fortgehen, Gerd ...«

Ihr blutendes Stammeln erlosch; sie beugte den Kopf auf ihre Hände und
weinte.

Gerhard Hoyermann streichelte ihr Haar. Er zog sie zu sich nieder und
hielt sie an seinem Herzen fest. Und als ihr Weinen leiser geworden
war und der Krampf ihres Körpers nachließ, begann er zu sprechen. Er
sprach sehr leise, und sie spürte die Schläge seines Herzens hart und
stark.

»Meine arme kleine Beate ... nun hast du mir dein ganzes Herz gezeigt;
das war schön, Beate -- wunderschön ... Und ich will dir auch das
meine zeigen, damit du nicht dastehen und glauben könntest, du habest
dich vor einem enthüllt, der nicht wüßte, was du damit getan ... Es
ist nicht wahr, daß du unberedt seist, geliebte Frau ... Du hast mir
alles gesagt, was ein Mensch dem anderen sagen kann, um ihn zu sich
hinüberzurufen -- auf die andere Seite ... Ich will nichts anderes tun.
Ich will dir alles sagen. Und ich lege die Entscheidung in deine Hände
... Ja, das tue ich ...«

Beate hielt den Atem an. Sie lag wie eine Tote. Noch ehe er zu sprechen
anfing, wußte sie, was das Ende sein würde. Er kannte sie und wußte,
was er tat, wenn er die Entscheidung in ihre Hände legte.

»Daß wir gemeinsam versuchen könnten, nach Deutschland zu gelangen,
Beate -- daran ist nicht zu denken ... Am allerwenigsten von hier aus
... Bis zum Suezkanal kämen wir -- vielleicht. Dann würden sie uns
wohl aufgreifen ... Wir müßten also hierbleiben. Oder nach Amerika
gehen. Das bliebe sich gleich. Wo wir auch wären, wir wären nirgends
auf deutschem Boden ... Vielleicht würde das Leben, das wir führten,
sehr schön sein, sehr bequem und sorgenlos. Vielleicht wäre die Natur
um uns her so ergreifend schön, daß wir sie schmerzlich lieben müßten.
Vielleicht fänden wir auch Menschen, die uns wert würden -- wer weiß
es? Vielleicht kämen Stunden, in denen wir sehr glücklich wären und uns
aneinanderklammerten und dächten: Gott sei Dank -- Gott sei Dank, daß
wir uns haben und fühlen mit unseren Händen und Lippen ...

»Aber dann, Beate, die anderen Stunden, die ganz gewiß kämen -- und
reichlicher mit jedem Tage ... in denen einer von uns das Wort Krieg
ausspricht ... Im Anfang hätten wir wohl noch den Mut dazu. Dann
hätten wir ihn nicht mehr. Denn wir lieben unsere Heimat, Beate, nicht
wahr? ... Und wir würden denken: Da drüben auf der anderen Seite der
Erdkugel, da ist Krieg. Da ereignet sich das Größte, was Menschen
erleben können. Und wir sind nicht dabei. Deutschland schlägt seinen
wildesten Krieg; aber wir wissen nicht -- bis zum Ende nicht --, ob
es siegt oder unterliegt ... Denn der arme Teufel, den sie neulich
erdrosselt haben, weil er zu gute Ohren hatte, der sprach ganz gewiß
eine bittere Wahrheit, als er sagte, daß die Hauptsprache dieses
Krieges die englische sein wird -- Zeitungsenglisch, Beate. Wenn wir
siegen, werden sie stumm sein; wenn wir unterliegen, werden sie's
verdreifachen -- aber immer werden wir im ungewissen sein. Vielleicht
lügen sie auch -- es ist ihnen schon zuzutrauen -- und dann quälen wir
uns im Dunkeln und schlagen uns Kopf und Hände an türenlosen Mauern
wund ...

»Und wenn wir erst einmal so weit sind -- Beate, ich denke mir dann
meine Tage und Nächte aus ... ja, ja, Geliebte, ganz eigensüchtig denke
ich nur an mich dabei -- den Mann.... Ich sitze hier, die Hände im
Schoß, und genieße mein Dasein, nicht wahr? Ich freue mich am guten
Wetter, gehe auf die Jagd, treibe Sport und lebe meiner Gesundheit,
nicht wahr? Ich kaufe schöne, bunte Stoffe und fremden, verwirrenden
Schmuck und putze meine Frau damit. Ich habe ein gutes Gewissen, denn
ich bin ja verhindert worden, nach Hause zu fahren, um mich zu stellen.
Ich hätte es gern getan, gewiß -- aber man hat mir abgeraten ... Kannst
du dir das ausdenken, Beate?«

Die Frau gab keine Antwort.

»Du sagtest,« fuhr Gerhard Hoyermann fort und zog sie fester an sich,
»du habest mich lieb ... Ich liebe dich, weiß Gott, so sehr, mein Herz,
daß ich keinen Maßstab dafür habe. Du weißt es auch. Wir haben am
Alltag keine Worte dafür; aber tief in uns, wo die Feiertage unserer
Seelen liegen, da sind wir uns dessen ganz bewußt, daß unsere Liebe
etwas unbegreiflich Wundervolles ist. Das will ich uns erhalten. Ich
will nicht, daß wir uns eines Tages mit heimlich feindseligen Blicken
betrachten, wie die Menschen tun, die unglücklich und einsam sind und
ohne Vertrauen zueinander, weil sie sich nicht mehr achten. Das ist
es, Beate ... Wir würden anfangen, uns selbst zu hassen, weil wir um
unserer Liebe willen feige waren. Und dann würden wir unsere Liebe
hassen ... Vielleicht würde ein Tag kommen, wo mich der Ekel vor mir
und meiner Tatenlosigkeit so würgen würde, daß ich nicht gut zu dir
sein könnte, nur weil der Mann und Soldat in mir sich schämten. Und
weil wir ungerecht werden, wenn wir unglücklich sind, darum ließe ich
es dich vielleicht entgelten, und unsere Ehe würde in Scherben gehen.
Kannst du dir die Zeit ausdenken, Beate, da wir es vermeiden würden,
uns in die Augen zu sehen ...? Und die Zeit müßte kommen, weil wir
sind, wie wir sind. Aber ich will sie nicht erleben ...«

»Ich auch nicht,« flüsterte Beate mit einem Schauder, der ihr die Hände
krampfte.

»Nicht wahr, mein Liebling ... Und das kannst du nicht wollen, du,
die mich liebhat, daß ich hier liegen soll wie ein Tier im Käfig,
wie ein -- wie ein leckes Schiff ... es gibt ja keinen Vergleich für
einen Menschen wie mich, mit gesunden Knochen und als tüchtiger Soldat
erprobt, der irgendwo in der Welt dem Herrgott die Tage stiehlt,
während in der Heimat die Erde brennt -- das kannst du nicht wollen,
Beate -- nicht wahr, nein?«

Beate gab auch jetzt keine Antwort. Sie wußte, daß ihr Schicksal
besiegelt war, aber sie begriff es noch nicht. Sie betrog sich noch
selbst.

Natürlich ist das alles Unsinn ... dachte sie. Entweder ich träume --
dann wird es süß sein, aufzuwachen und Gerhard neben sich zu fühlen --
und dann am Morgen ihm den Traum zu erzählen und sich von ihm auslachen
zu lassen ... Oder er spricht wirklich zu mir -- dann scherzt er nur;
er will sehen, was ich ihm antworte ... ich muß ein wenig auf der Hut
sein mit meiner Antwort ... sonst neckt er mich bis ans Ende meiner
Tage damit, daß ich mich -- damals -- ins Bockshorn jagen ließ ...

Und über diesen Gedanken, die sich duckten und krümmten, lag die
Erkenntnis dessen, was wirklich war, richtete sich auf und reckte sich
und griff mit hartem Griff nach allen anderen, verlogenen Gedanken.

»Mein Gott, mein Gott --!« murmelte sie und hob ihre beiden Hände mit
einer ganz verstörten Gebärde zu den Schläfen. Sie preßte die Zähne
in die Lippen, daß sie stöhnen mußte. Ich will mich zusammennehmen,
dachte sie. Sonst verliere ich den Verstand ... und den darf ich nicht
verlieren ...

»Es gibt keinen anderen Weg,« sagte sie vor sich hin; es war aber keine
Frage.

»Wenn's einen gäbe, Beate -- ich hätt' ihn gefunden ... Aber es gibt
keinen. Ich allein schlage mich vielleicht durch. Wenn es mißlingt,
dann hab' ich wenigstens das Bewußtsein, das Menschenmögliche versucht
zu haben. Doch ich hoffe, es gelingt mir. Tystendal wird mir helfen.
Aber ich habe die Entscheidung in deine Hände gelegt, geliebte Frau.
Ich hab' nichts mehr zu sagen ...«

»Es ist auch nichts mehr zu sagen,« antwortete Beate halb gedankenlos.
»Du wirst fortgehen, und ich werde hierbleiben. Es ist eigentlich ganz
einfach. Es ist gar nicht so schwer zu verstehen ... Ich kann mir nur
vorläufig noch nichts darunter denken ... sei nicht böse ...«

»Sei still --!« sagte der Mann, fast rufend.

Und so wie sie lagen, Brust an Brust, spürte eins das Beben des
anderen, den würgenden Jammer vor dem, was kommen würde; und sie küßten
sich, um nicht zu stöhnen.

»Wann willst du fort?« fragte Beate und reckte sich unwillkürlich auf,
als wollte sie den Schlag des Wortes gewappneter empfangen.

»Heute noch, mein Liebling,« sagte Gerhard Hoyermann.

»Heu--te ...?!!« Sie riß sich auf die Knie hoch und beugte sich zurück,
daß sie die Hände gegen die Wand stemmen mußte, um nicht zu fallen.
»Heute -- hast du gesagt --?!«

»Beate, Beate --!« Er sprang auf und griff nach ihren Händen, um sie
aufzuheben, aber sie wehrte sich, schüttelte den Kopf, umschlang seine
Knie und preßte ihre Stirn dagegen.

Sie war nicht mehr tapfer, nein -- sie konnte nicht mehr. Sie wollte
auch nicht mehr. Was lag daran, ob sie kraftlos wurde im Weinen, ob
sie vollkommen ihrem Jammer unterlag. Sie schrie die bittere Not ihres
Herzens aus, und das hilflose Schluchzen rüttelte sie: »Heute, Gerd --
heute --?!«

»Ja ... Es ist gleich, Beate, ob heute oder morgen ... es wäre nur
ein längeres Abschiednehmen ... Liebes Kind -- Beate, als ich vorhin
durch den Garten lief und mich nicht zu dir hineingetraute, da war
ich so feige, daß ich den Gedanken erwog, heimlich, in aller Stille
fortzugehen und dir nur zu schreiben ... Aber ich sehnte mich danach,
den Abschied mit dir zu teilen und deinen Kummer und deine Tränen wie
ein Geschenk zu empfangen und mit mir zu nehmen ... So eigensüchtig war
ich, Beate. Gönn es mir. Es wird für lange Zeit das Letzte sein, was
ich von dir empfange.«

Beate verstand nichts von dem, was er sagte. Der grauende Tag, der die
Dunkelheit auch von ihrem Gesicht wischte, ließ ihre Züge erkennen. Und
Gerhard Hoyermann bückte sich, um diese Züge, die er nicht ertragen
konnte, mit seinen Händen zuzudecken.

Unter seinen Fingern wiederholte sie, wie eine Blöde, ausdruckslos:
»Heute?« Und immer wieder: »Heute --?«

Gerhard Hoyermann sagte nichts. Es war eine Weile völlig still in dem
dämmerigen Zimmer. Dann stand Beate auf; er half ihr, aber sie sah ihn
nicht an.

»Ich muß dann wohl packen -- für dich,« murmelte sie.

»Nein, Beate ... Ich darf nichts mitnehmen. Ich muß fortgehen wie
zu einem Ausflug. Tystendal wird mich abholen, als wollten wir nach
Enoshima -- für ein, zwei Tage ... Du weißt, wie wir beobachtet werden
... Alles hängt davon ab, daß ich unbemerkt von hier fortkomme. Das
Spätere muß sich aus den Umständen ergeben. Ich kann keinerlei Pläne
machen, kann dir auch nichts mitteilen -- entsinne dich, was der Mann,
den sie ermordet haben, von unseren Briefen sagte ... Vielleicht ist es
mir möglich, dir durch Tystendal Nachricht zu schicken ...«

»Er wird dich abholen,« wiederholte sie stumpf.

»Ja.«

Sie nickte vor sich hin. »Das wird wohl das beste sein,« meinte sie und
rieb sich die Stirn, wie ein Mensch, der sich auf sich selbst besinnen
möchte. »Wann wird er kommen?«

»Gegen acht Uhr ...«

»So bald,« sagte sie vor sich hin. Und als er sprechen wollte,
schüttelte sie den Kopf. »Laß nur,« sagte sie. »Es tut nichts. Jede
Stunde ist die gleiche, wenn sie die letzte sein soll. Dann besser
bald. Dann besser gleich. Wir wollen uns nicht aneinander quälen. Du
bist sehr gefaßt. Ich will es auch sein. Du sollst dich nicht in mir
getäuscht haben ...«

Gerhard Hoyermann sah seine Frau an und schüttelte den Kopf.

»Jetzt bist du ein wenig ungerecht gegen mich, Beate,« sagte er still.

Sie stand mit hängenden Armen.

»Es mag sein,« antwortete sie und sah vor sich hin. »Aber du mußt mich
jetzt schon lassen, wie ich bin. Sonst ... stehe ich nicht sehr fest
auf den Füßen. Und das muß ich doch ... Vielleicht ist es notwendig,
daß eine Frau ganz ausgelöscht wird, wenn der Mann für einen ganz nur
männlichen Gedanken brennt. Ich glaub' es fast und sehe es auch ein.
Aber es wird dadurch nicht leichter ... Morgen schon ... und später
jeden Tag und jede Nacht, Gerd, will ich dir alles abbitten, was jetzt
in mir an Bitterkeit ist; heute laß mich nur ... Es tut zuweilen
ganz gut, ungerecht zu sein, und es hilft einem weiter als alle gute
Erkenntnis ...«

Sie tat ein paar Schritte und blieb verwirrt stehen, als er ihr in den
Weg trat.

»Wo willst du hin, Beate?«

»Ich weiß es nicht,« sagte sie. Und sie sagte die Wahrheit.

Da nahm er sie in seine Arme ...

Es war der kleinen pechäugigen Umè durchaus nicht abzugewöhnen gewesen,
daß sie einfach in das Schlafzimmer ihrer Gebieterin und deren
verehrungswürdigen Gemahls trat, wenn sie es für angemessen hielt.
Der Verehrungswürdige hatte sich das schon zu verschiedensten Malen
verbeten, ohne die Kraft seiner Stimme im geringsten zu schonen, und
hatte sich etliche Gelegenheiten, seine Wurfsicherheit zu erproben,
nicht entgehen lassen. Aber Umè wußte, was sich für eine japanische
Dienerin schickte. Sie sammelte die Gegenstände, die ihr an den Kopf
geflogen waren, sorgfältig auf und stellte sie dem Gebieter mit einer
untertänigen Verbeugung für späteren Gebrauch wieder zur Verfügung.
Und blieb ... Lag an der Türe auf den Knien und blieb. Daß ein Mensch
sich wusch, war ja nichts, dessen er sich zu schämen gehabt hätte.
Höchstens, wenn er sich nicht wusch.

An diesem Morgen erwachte Umè eher als sonst. Sie erwachte von einem
Ruf oder einem Schrei, von dem die Luft noch zu beben schien, und sie
wußte doch nicht, ob er wirklich war oder ob sie ihn nur geträumt.
Aber vielleicht hatte die Herrin nach ihr gerufen. Umè stand auf und
schlüpfte, ohne sich anzumelden, wie es ihre bescheidene Erziehung
forderte, durch die auseinandergeschobenen Wände ins Zimmer ihrer
Herrin.

Nein, die Herrin schlief nicht mehr. Sie stand aufrecht mitten in dem
zarten, weiten Gemach, dessen Gartenwand von der aufgehenden Sonne in
einen einzigen roten Schimmer verwandelt schien, und sie löste sich aus
den Armen ihres lieben Herrn, als sie Umè eintreten hörte, wandte sich
um und sah das Mädchen an.

Und obgleich sie lächelte und ganz gewiß nicht zürnte, fiel Umè beim
Anblick dieses Lächelns lautlos auf die Knie, neigte die Stirn zu Boden
und stand auf und ging hinaus.

Beate rief sie zurück.

»Willst du dem Herrn das Bad zurechtmachen, Umè?«

Gewiß, wenn die Herrin befahl ... Umè war in großer Verwirrung. Sie
mußte doch wohl geträumt haben, als sie den Schrei hörte. Und dann
hatte die Sonne sie geblendet, als sie vor dem Antlitz ihrer Herrin
erschrak. Sie schämte sich sehr.

Das ganze Haus wurde lebendig. Es nahm ein Bad in der sprühenden Sonne,
die über das Meer und den feuchten Sand tanzte. Die Schwertlilien, die
um den kleinen Teich her standen, taten sich weit auf und schienen vor
Entzücken zu beben. Turmhoch über der Insel, in einer Luft, die vor
Licht und Frische glitzerte, stand eine Gabelweihe und fiel und schwang
sich wieder auf, die Morgenbeute in den Fängen.

Umè haßte die Gabelweihen und die Krähen gleichermaßen und wußte viele
Spottlieder auf sie ...

Aber jetzt war keine Zeit zum Singen. Der verehrungswürdige Gebieter
wünschte zu frühstücken. »Sofort!« hatte er gesagt.

Wenn der Verehrte mit der Stimme Emm-As, des Gottes der Unterwelt,
seine Wünsche durch das Haus donnerte, glaubte Yuki keine Veranlassung
zu haben, sich besonders zu beeilen. Sie lächelte dann ermutigend und
versprach, daß der Verehrte in kürzester Zeit zufriedengestellt sein
würde -- ein Versprechen, das sie niemals hielt.

Aber wenn er sehr ruhig sprach, Yuki ansah und »Sofort!« sagte, dann
bebte die kleine Kochfrau. Und dann verdarb sie regelmäßig den Tee.

Heute half ihr die Herrin bei dem wichtigen Amte der Teebereitung.
Und obgleich Yuki in der Tiefe ihres japanischen Herzens feststellte,
was sie längst wußte -- daß die hochverehrten Menschen mit der weißen
Haut nicht die geringste Ahnung von der Feierlichkeit besaßen, mit
der echter Tee bereitet sein wollte, noch von den dabei zu wahrenden
Regeln der Höflichkeit und der Schönheit --, so lag doch etwas in den
Bewegungen, mit denen die fremde, weiße Frau ihrem lieben Herrn das
Frühstück bereitete, das die kleine Yuki nachdenklich stimmte.

Drüben am Strand, den die Ebbe freilegte, hockten Akira und Mosaku
bei ihrem Kohlenfeuer, klopften die Pfeifen aus und stopften sie und
grinsten sich feindselig an. Sie erhofften viel vom heutigen Tage, denn
das Wetter war schön wie eine junge Frau am Morgen der Hochzeit.

Die Wildtauben schwatzten im Gehölz ...

Gerhard und Beate gingen zusammen durch den Garten. Sie gingen Arm
in Arm geschlungen und hielten sich an den Händen. Eine Stunde
hatten sie noch Zeit. Und der Mann sah sich nicht um in dem Lande,
das er verlassen wollte. Aber die Frau ließ ihre Augen über den
Garten hingehen, über die Bäume, den Teich und die Blumen, über
die mildfarbigen Steine und künstlichen Grotten, über den kleinen
Wasserfall, die Goldfische und den klaren Sand der Wege -- über all die
in sich selbst entzückte Schönheit eines Gartens, den die Pflege von
Jahrzehnten zum Meisterwerk geschaffen hatte -- als ob sie es sei, die
Abschied nehmen mußte -- nicht der Mann.

Und ganz gewiß würde sie seine Schönheit von nun an nicht mehr sehen ...

Plötzlich sagte sie: »Ich werde es wissen, wenn du tot bist ...«

Er drückte ihre Hand.

»Wenn du es kannst, denke fröhlich an mich. Ich habe es immer gefühlt,
wenn du mit deiner großen Zuversicht bei mir warst ...«

»Ja,« antwortete sie. »Ich werde es wissen, wenn du tot bist.«

Sie sprach diese Worte, als hätte sie mit ihnen eine tiefe Kraft aus
sich geschöpft. Sie holte ruhiger Atem, nachdem sie sie gesprochen.

Gerhard sagte: »Du kannst dich auf Tystendal verlassen wie auf mich
selbst. Wir haben alles Notwendige verabredet. Laß die Zeit sich
klären. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, wird er dich zu seiner
Mutter bringen. Von Schweden aus gelangst du ohne Schwierigkeiten nach
Deutschland.«

»Du mußt nicht an mich denken,« sagte sie mit einem flüchtigen Lächeln.

Als sie an das Ende des Gartens gekommen waren, blieb Beate stehen. Sie
blickte auf die Uhr an ihrem Handgelenk.

»Tystendal wird gleich kommen,« sagte sie und schluckte. Sie hob den
Kopf.

»Laß dich noch einmal recht ansehen,« murmelte sie. Sie legte ihre
Hände auf seine Schultern, und während sie mit ganz geweiteten Augen
in sein Gesicht sah, ließ sie ihre Finger niedergleiten über seine
Arme und Hände, legte sie auf seine Brust und tastete nach seinem
Herzen, als fürchtete sie, blind zu werden und ihn nie wiederzusehen.
Sie lächelte dabei und sah ihn immer an. Ihre Lippen standen ein wenig
offen, als suchten sie irgendein Wort, das sie nicht finden konnten.

»Mein geliebter Mann,« sagte sie. Es klang fast einfältig.

Und ehe der Mann ihr antworten konnte, kam der Diener und meldete, das
Boot des erwarteten Freundes seines verehrten Herrn sei soeben an Land
gestoßen.

»Es ist gut,« sagte Gerhard Hoyermann.

Beate senkte den Kopf. Sie wandten sich und gingen nach dem Hause.

Der Schwede kam ihnen nicht entgegen. Er erwartete sie im
Empfangszimmer, wo Yuki bereits auf den Knien lag, um für den
verehrten Gast den Tee zu bereiten.

Beate streckte dem Freunde ihres Mannes die Hand entgegen. Er sah sie
an und wollte reden, aber er tat es nicht. Er küßte ihr die Hand. Dann
schüttelte er Hoyermann die Rechte. Die Diener warteten. Drunten am
Strande schwatzten die Bootsleute.

»Hoffentlich sind Sie mir nicht böse, gnädige Frau,« begann der
Schwede, »daß ich Ihnen Ihren Herrn Gemahl für ein paar Tage entführe.
Aber wenn man Sie ansieht, glaubt man's Ihnen, daß Sie zu angegriffen
sind, um mit von der Partie zu sein ...«

»Es tut mir selbst sehr leid,« antwortete Beate. »Enoshima soll sehr
schön liegen und viel Interessantes bieten ... Stammen die reizenden
japanischen Perlmutterarbeiten nicht aus Enoshima?«

»Ich werde dafür sorgen,« sagte Tystendal, »daß Ihr Gatte Ihnen das
Hübscheste mitbringt, was wir gemeinsam bei sämtlichen Künstlern
auftreiben können.«

»Danke!« sagte Beate mit erlöschendem Laut.

Die beiden Männer sahen sich an.

»Fertig?«

»Ja.«

»Dann können wir also aufbrechen ...«

»Ich bin bereit ...«

»Auf Wiedersehen, gnädige Frau!« sagte der Schwede und beugte sich zum
zweiten Male über Beates Hand.

Unwillkürlich deckte er diese Hand auch mit seiner anderen, als wollte
er sie wärmen. Dann ließ er sie los, verbeugte sich und ging aus dem
Zimmer.

»Auf Wiedersehen, Beate!« sagte auch Gerhard Hoyermann.

»Auf Wie--«

Sie fuhr sich mit der Linken nach dem Halse -- nach der Stirn, lächelte
und hob ihr weißes Gesicht den Lippen ihres Mannes entgegen. Sie schloß
die Augen, und für die Dauer eines Kusses, den drei sanfte, staunende
und unbewußt etwas verächtliche Pechaugenpaare beobachteten, krampften
sich ihre Finger in den Stoff seines Rockes. Dann lösten sie sich.

»Auf Wiedersehen, Gerd!« sagte die Frau.

»Beate ... Beate, wir sehen uns wieder ...«

»Ja, ganz gewiß ...«

»Leb wohl ... sag mir noch irgendein Wort ...«

»Ich weiß nichts, Gerd ... Ich liebe dich -- ist es das?«

»Ja, Beate.«

»Ich liebe dich,« wiederholte sie. Sie hatte das Lächeln jener Frauen,
die für ihren Glauben starben. Und sie schien dem Tode nicht fern zu
sein.

»Nun mußt du gehen,« sagte sie. »Leb wohl ...«

Er ließ ihre Hände los. Sie fielen an ihr nieder, als wären sie leblos,
aus Holz.

Er ging.

Beate trat auf die Veranda, um ihm nachzusehen. Sie beugte sich über
das Geländer. Vor weniger als zwölf Stunden hatte sie auch hier
gestanden und ihn zu sich gerufen. Wenn sie ihn jetzt noch rief --
vielleicht kehrte er um ... Aber sie rief ihn nicht ...

Sie sah ihn unter den Bäumen, die am Ufer standen, verschwinden,
ging die Stufe zum Garten hinunter und nach dem Strande. Als sie ihn
erreichte, war das Boot schon abgefahren, und die weichen Morgenwellen
glitten unter ihm geschmeidig fort. Der Wind lag im Segel, das sich in
die Brust warf wie ein Schwan.

Beate ließ ihr Taschentuch wehen. Sie sah nichts. Von den Männern einer
sprang auf und winkte mit dem Arm -- schrie ihr etwas zu -- aber sie
hörte nichts. Vielleicht sollte sie heimgehen. Vielleicht war es nicht
gut, daß sie hier stand und ihnen nachsah. Sie neigte den Kopf und ging
zum Hause zurück, ohne sich noch einmal umzusehen.

Sie ging in ihr Schlafzimmer, das Umè schon längst in Ordnung gebracht
hatte; denn sie war eine gewissenhafte kleine Dienerin und ängstlich
bemüht, ihre Herrin immer zufriedenzustellen.

Fest davon überzeugt, daß die Herrin wieder vergessen hatte, beim
Eintritt ins Haus die Sandalen abzustreifen, ging sie ihr nach, um den
Fehler gebührend wieder gutzumachen. Aber als sie einen Blick in das
Gemach der Herrin getan, kehrte sie um und schlüpfte in die Küche, wo
Yuki Kuchenteig bereitete und sang.

Sie sang ein kleines Lied, wie es einsame Wanderer singen, die in der
Fremde sein müssen und an die Heimat denken:

  »Wenn ich auch verarmt und glückberaubt
  Fern von dir ein totes Leben führe --
  Lasse du im Frühling, neubelaubt,
  Tausend Blüten duften um dein Haupt,
  Süßer Pflaumenbaum vor meiner Türe ...«

»Sei still, Yuki,« sagte Umè. »Die Herrin schläft.«

Sie irrte sich; ihre Herrin schlief nicht. Und sie wäre von dem Dröhnen
der mächtigsten Tempelglocken Buddhas, des Erhabenen, ebenso wenig
aufgeweckt worden wie von dem Singen Yukis.

Aber die kleine Dienerin hatte noch nie einen ohnmächtigen Menschen am
Boden liegen sehen, und darum war ihr Irrtum verzeihlich. Denn für eine
japanische Frau wäre es keinesfalls schicklich gewesen, die Besinnung
zu verlieren.




                                   4


Wie auch die übrige Welt sich zum Ausbruch des europäischen Krieges
stellen mochte, -- die japanischen Zeitungsjungen jedenfalls riefen
den Segen der Gottheit auf ihn herab, denn er hob ihre Kaste zu den
Höhen eines Triumphes, wie sie ihn seit den Tagen von Port Arthur nicht
wieder erlebt.

Das Klappern ihrer dienstfertigen Holzsandalen wuchs zum Getöse an, und
ihre Stimmen gellten übereinander weg:

»Die Kriegserklärung Deutschlands an Rußland --!«

»Die Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich --!«

»Die Deutschen haben Luxemburg besetzt --!«

»Einmarsch der Deutschen in Belgien --!«

»Die Kriegserklärung Englands an Deutschland --!«

»Der Beginn der Feindseligkeiten --!«

O, es war herzerhebend, wie der Nachrichtendienst arbeitete. Es war ein
Vermögen zu verdienen durch Zeitungsüberschriften. Man berauschte sich
an Druckerschwärze. Der hypnotische Wahnsinn des allgemeinen Schreiens
benebelte die Gehirne; der Veitstanz der großen Worte brach aus und
griff um sich wie Flugfeuer.

»Schwere Niederlage der Deutschen bei Metz --!«

»Die Russen auf dem Vormarsch gegen Wien und Berlin --!«

»Selbstmord des deutschen Kronprinzen --!«

Die englischen Redaktionen zermarterten sich die Hirnkästen, um ihre
Kunden zufriedenzustellen. Man zog den europäischen Krieg auf Flaschen
und schenkte ihn möglichst vorteilhaft aus. Wo die Tatsachen mangelten,
behalf man sich mit Erfindungen -- alles nur den Kunden zuliebe ... Man
war es ihnen schuldig; sie mußten auf ihre Kosten kommen.

Nichts Neues? -- O doch, bitte: Die deutsche Flotte bei Wilhelmshaven
vernichtet --! Falls sie genaue Zahlen wünschten, -- es sollte auf ein
paar Kreuzer oder Linienschiffe nicht ankommen, nein ...

Beate kaufte keine Zeitungen mehr. Mochten die Jungen neben ihrem
Jinrikisha herlaufen, ihr das letzte gellende Ereignis in die Ohren
trompetend, -- sie wandte nicht mehr den Kopf danach. Sie warfen ihr
die druckfeuchten Blätter in den Schoß; sie strich mit der Hand darüber
und ließ sie in den Schmutz der Straße fallen.

Da gehörten sie hin ...

Sie hatte ein anderes Gesicht bekommen, die junge Beate Hoyermann. In
wenigen Tagen waren ihre Lippen schmal und hart geworden, und ihre
Mundwinkel hatten sich gesenkt. Der Kummer hatte das Werk angefangen,
und der Ekel hatte es vollendet. Sie war mager geworden, denn sie aß
seit Tagen fast nichts, weil alles in ihrem Munde zu Galle wurde.

Die Zeit war vorbei, da sie auf ihren Fahrten mit Akira oder Mosaku
japanische Vokabeln und Sprichworte lernte. Sie fragte der fremden
Seele nicht mehr nach. Die ganze Erdkarte schien für sie ausgelöscht zu
sein bis auf den kleinen Fleck, der Deutschland hieß. Den aber liebte
sie.

Und sie liebte ihn mit der zornigen Sehnsucht, aller Welt ins Gesicht
zu schreien, wie sehr sie ihn liebte. Obgleich sie sehr wohl fühlte,
daß dies weder der Ort noch die Stunde dafür sei.

Tystendal hatte ihr einen Boten geschickt. Seinen schwedischen Diener,
der nichts als seine Muttersprache verstand. Tystendal hielt einen
schweigsamen Diener für vorteilhafter als einen sprachgewandten. Er
behielt ihn so lange, bis er ihn beim Versuch einer fremdsprachigen
Unterhaltung ertappte; dann entließ er ihn. Da er seine Untergebenen
ausgezeichnet bezahlte, zogen sie es vor, sich aufs Schwedische zu
beschränken.

Lars Larssen hatte der Herrin im »Garten des Freundes« einen Brief
überbracht, ohne ein Wort zu verlieren. Der Brief enthielt drei Zeilen
und eine Nachschrift.

»Da ich es in Ihrem Interesse nicht für ratsam halte, wenn ich ohne
Gerhard von Enoshima zurückgekehrt bei Ihnen erscheine, bitte ich Sie,
sich meinem Diener rückhaltlos anzuvertrauen.

  Tystendal.

Verbrennen Sie diese Zeilen, noch ehe Sie fortgehen.«

Beate hatte nicht einen Augenblick gezögert, die Aufforderung
Tystendals zu befolgen. Sie tat es vielmehr mit dem Nachdruck und der
Entschiedenheit eines Menschen, der gewillt ist, alle Dinge auf ihre
Brauchbarkeit für einen einzigen und sehr bestimmten Zweck zu prüfen
und sie, falls sie tauglich befunden wurden, sich unbedingt dienstbar
zu machen.

Lars Larssen war ihr vorangegangen, denn der Strand war trocken von
Küste zu Küste, hatte sich in seinen Jinrikisha gesetzt und dem
herbeistürzenden Akira einen Wink gegeben, ihm mit der weißen Frau zu
folgen. Akira erkundigte sich bei seinem Kastengenossen nach dem Ziele
der Fahrt und erhielt eine Auskunft, die ihn bleich machte. Er beschloß
jedoch, ans Ziel zu kommen oder vor seinem Jinrikisha den Geist
aufzugeben, und trabte herzhaft hinter seinem um vieles jüngeren und
sehnigeren Führer drein.

Nach einer Fahrt von mehr als einer Stunde hielten sie an einem
Tempelhof, den Beate nicht kannte. Aber das wollte wenig sagen in
diesem Lande der Tempel. Sie stieg aus und folgte dem Schweden, der
sie über Treppen und Höfe zu einem anderen Tor führte, vor dem er
stehenblieb und zwei der herbeistürzenden Jinrikishabesitzer mit
Beschlag belegte. Diesen sagte er ein einziges Wort und erntete dafür
ziemliche Betroffenheit. Dann fuhren sie davon, und Beate erkannte
bereits nach einigen Minuten, daß sie nach einem kleinen Umweg auf
derselben Straße zurückfuhren, auf der sie gekommen waren.

Diese Vorsichtsmaßregel, die im natürlichen Zusammenhang mit ihrer
Notwendigkeit wenig geeignet war, das Gefühl persönlicher Sicherheit zu
verstärken, weckte in Beate das instinkthafte Aufhorchen, das die Tiere
der Wildnis haben. Durch ihr Leben in dem ostafrikanischen Vulkangebiet
war sie daran gewöhnt worden, jeden Aufenthalt in einem fremden Lande
als Freundschaft mit einem zahmen Löwen zu betrachten. Wenn die
prankenbewehrte Majestät im Vollbesitz ihres Gebisses und schlechter
Laune ist, läßt sich schwer für sie einstehen. Ohne einen sehr
dringenden Grund hetzte Christian Tystendal die Frau, die er gebeten,
zu ihm zu kommen und den Brief, in dem er sie dazu aufforderte, zu
verbrennen, nicht durch die halbe Provinz hin und her. Im Gegenteil.
Und Beate Hoyermann war entschlossen, den Grund in seiner ganzen
Tragweite kennenzulernen.

Ihre erste Frage, als sie Tystendal gegenüberstand, galt ihm.

Der Schwede war ihr bis an die Grenze seines japanischen Besitztums
entgegengegangen, und das bedeutete von seinem Hause aus einen Weg von
fünf Minuten, wenn man sich nicht sehr beeilte. Der Garten war gewiß
der schönste, den liebevolle Künstlerhände nach einem japanischen Traum
von Anmut und Zierlichkeit geschaffen; aber die beiden Menschen des
Abendlandes, die ihn durchschritten, verstanden weder den Tiefsinn von
kleinen bunten Steinen am Saum von schneeweißen Wegen, die nur zum
Beschauen, nicht zum Betreten auf ihrer Inselwelt waren, noch hörten
sie den Schwung und erstarrten Rhythmus jener hochgewölbten Brücken,
die über einen Teich führen, als läge am anderen Ufer das Land der
ewigen Glückseligkeit.

»Warum der Umweg?« hatte Beate gefragt.

»Trauen Sie Akira so unbedingt?« fragte der Schwede dagegen.

»Er sieht sehr harmlos aus,« meinte Beate nach einem kleinen Zögern.

»Um so besser eignet er sich für gewisse Zwecke seiner Obrigkeit,«
sagte Tystendal ernst. »Ich bin jedenfalls zu dem Entschluß gekommen,
keinem Menschen zu trauen, bevor ich ihn geprüft habe. Auf diese Weise
kann ich nur noch angenehm enttäuscht werden.«

»Sie sind Skeptiker, Herr Tystendal ...«

»Allerdings ... da ich die Menschen kenne.«

»Ist das die notwendige Folge davon?«

»Für mich war sie es, gnädige Frau ...«

Beate schwieg.

»Wir sind vollkommen ungestört,« fuhr Tystendal mit einem zugleich
brüderlichen und ehrfürchtigen Lächeln fort und blickte auf die
schmalen Hände der Frau, die sich gedankenlos öffneten und schlossen.
»Fragen Sie mich alles, was Sie fragen wollen, gnädige Frau. Soweit es
in meiner Macht liegt, will ich Ihnen Antwort geben.«

»Wo ist mein Mann?« fragte Beate.

»Soviel ich weiß, noch in Japan,« antwortete der Schwede. »Die Schiffe
laufen nicht aus. Die Kriegserklärung zwischen England und Deutschland
hat die Schiffe von der See in die Häfen gescheucht. Sie werden eine
Weile brauchen, bis sie sich wieder hinaustrauen ...«

»Hat er mir ... noch etwas Besonderes sagen lassen?« fragte Beate
weiter. Sie sah vor sich hin, in den Himmel hinauf.

»Er hat mir einen Brief gegeben,« sagte der Mann. Und er dachte,
während er neben ihr stehenblieb und auf sie niedersah: »Wunderlich
sind sie, die Frauen ... Sie stehen da und lächeln, wenn sie Abschied
nehmen. Und ein Glück wirft sie um.«

Es war ihm nicht wohl zumute.

Er gab ihr wortlos den Brief, den sie empfing, als sei er eine
zerbrechliche Schale; und so auch hob sie ihn an die Lippen ... Wenn
sie allein wäre, dachte der Mann, dann würde sie auf den Knien liegen
und mit geschlossenen Augen weinen.

»Gnädige Frau!« sagte er bittend.

Erst nach einer Weile antwortete sie mit einem so sanften Ernst, daß
er den Kopf senkte, als hätte sie ihm die Hand aufs Haar gelegt: »Wenn
Sie einmal eine Frau haben werden, Herr Tystendal, dann wünsche ich ihr
und Ihnen, daß Sie es nie nötig haben mögen, sich solch einen Brief zu
schreiben ... Aber wenn Sie es tun müssen, dann wünsche ich Ihnen, daß
Ihr Brief für die Frau, die Sie lieben, so viel vom Kostbarsten des
Lebens bedeuten möge wie dieser Brief für mich. Denn dann müssen Sie
sehr glücklich miteinander werden ...«

»Ich danke Ihnen für diesen guten Wunsch, gnädige Frau,« sagte der
Schwede etwas schwermütig.

Sie hatten das Haus erreicht und betreten. Der Diener schob die Wände
des Empfangszimmers vor ihnen auseinander.

»Es ist eine nordische Sitte,« meinte Tystendal, »daß man seine Gäste
an der Schwelle willkommen heißt. Ich habe sie fast vergessen; aber
ich möchte Ihnen beim Kommen und Gehen sagen: Gott segne Sie, Beate
Hoyermann, um Ihrer großen Liebe willen ...«

Er neigte sich vor ihr und ließ sie allein, um ihr Zeit zu lassen, den
Brief ihres Mannes zu lesen. Aber sie las ihn nicht. Sie fühlte ihn nur
mit gleitenden Fingern und sah sich verloren um. Sie würde noch viele,
viele Tage Zeit haben, diesen Brief zu lesen. Und sie bedurfte jetzt
aller ihrer Kräfte, die sie durch den Brief vielleicht verlor. Sie war
nicht hierhergekommen, um sich auf den Boden fallen zu lassen und die
Hände zu ringen. Sie war gekommen, um Auskunft und Rat und, wenn es
möglich war, auch Hilfe zu holen, und darum sah sie sich das Zimmer, in
dem sie stand, mit Augen an, die seinen Besitzer durch die Umgebung, in
der er lebte, ganz ergründen wollten.

Die Wohnung Christian Tystendals war ein wunderliches Gemisch von
Sybariten- und Spartanertum. Er schien die Liebhaberei zu haben, seine
Mahlzeiten im Liegen einzunehmen, und hatte sich aus allen Zeiten
und Weltteilen zusammengeschleppt, was die verschiedensten Begriffe
menschlicher Bequemlichkeit hervorgebracht hatten. Seine Mahlzeiten
selbst aber waren auf die Notwendigkeit, das Leben zu erhalten,
beschränkt und dienten außerdem lediglich als Überleitung zu dem Genuß,
unter vollkommenem Stillschweigen, höchstens in Gesellschaft eines
naturwissenschaftlichen oder geschichtlichen Buches, eine Zigarre,
einen Tschibuk oder eine Wasserpfeife zu rauchen.

Er betrachtete die Kunst in allen ihren Erscheinungen als persönliche
Angelegenheit des Empfängers und hatte den Mut, Berühmtheiten des
Tages schon am Morgen abzulehnen, ehe ihnen vom Abend das Todesurteil
gesprochen wurde. Er war in allen Dingen, auf die es ankam, ganz gewiß
ein Mensch, über den sich seine Nachbarn -- sofern er welche besaß --
in mehr als üblichem Maße ärgerten, weil er unabhängig und gleichgültig
war. All dies zusammengenommen, glaubte Beate, daß er der Mann sei, an
den sie sich wenden mußte, um ihr Ziel zu erreichen.

Dieser Gedanke machte sie sehr ruhig, und als Christian Tystendal
wieder eintrat, ganz darauf vorbereitet, sie über dem Briefe ihres
Mannes, im Jammer ihrer Tränen zu finden, saß sie mit einem stillen
und willensstarken Gesicht, ein wenig gerader aufgerichtet als
sonst, im Sessel neben seinem Schreibtisch, hatte die Hände im Schoß
zusammengelegt und sah ihm mit Augen entgegen, die schon auf ihn
gewartet hatten. Woraus Christian Tystendal die Schlußfolgerung zog,
daß Frauen im allgemeinen immer das Gegenteil von dem tun, worauf der
Mann vorbereitet war.

Während der Diener den Tee brachte und einschenkte, schwiegen sie
beide; doch als sich die Türe hinter ihm zugeschoben hatte, begann die
Frau, und ihre Worte sprangen wie ein Pfeil auf das Ziel: »Was haben
Sie mir zu sagen?«

»Zunächst das eine, das mir das Wichtigste ist,« antwortete der Schwede
sehr nachdrücklich. »Ihr Mann ist mein Freund; wir haben in letzter
Zeit Stunden gemeinsam verlebt, die uns zusammengeschweißt haben. Daran
bitte ich Sie zu denken und als Gerhard Hoyermanns Frau immer und
bedingungslos über mich zu verfügen.«

»Danke,« sagte Beate einfach und sah ihn mit ruhigen Augen an. »Ich
werde es tun.«

»Gut. Und nun zu Ihnen, gnädige Frau ... Ihre Lage ist nicht ganz
einfach. Es kann den japanischen Behörden nicht verborgen bleiben,
daß Ihr Mann verschwunden ist. Sie dürfen sogar fest davon überzeugt
sein, daß sie recht bald darauf aufmerksam werden. Für diesen Fall
halte ich es durchaus nicht für ausgeschlossen, daß der Verdacht,
der durch den Tod jenes armen Narren eingeschläfert wurde, von neuem
auflebt und sich auch gegen Sie richtet. Sie haben es nie versäumt,
Ihr Deutschtum und Ihre Vaterlandsliebe in einer Weise zu betonen, die
jedes Mißverständnis in dieser Richtung ausschließt. Und bei einiger
Beobachtungsgabe, die ich der japanischen Geheimpolizei in hohem Maße
zutraue, wird man zu dem Schluß kommen, daß Sie sehr wohl die Frau
sind, von Gefühlen zur Tat überzugehen.«

»Und die Folgen davon?«

»Welche das auch sein mögen -- auf keinen Fall dürfte es im Sinne Ihres
Mannes sein, wenn Sie sich ihnen aussetzten,« sagte Tystendal.

»Weiter ...« sagte Beate und sah ihn aufmerksam an.

»Ich möchte Sie darum bitten, sich in den Schutz irgendeiner
Persönlichkeit zu begeben, die nicht nur dadurch, daß sie Ihnen
Gastfreundschaft gewährt, jeden Verdacht gegen Sie von vornherein
entkräftet, sondern durch ihre Stellung auch in der Lage ist, Sie gegen
jeden Übereifer zu schützen, von welcher Seite der auch kommen möge.«

»Und welche Persönlichkeit meinen Sie?«

»Den amerikanischen Konsul.«

»Danke,« sagte Beate. »Der Mann spricht Englisch. Wahrscheinlich denkt
er auch in dieser Sprache. Wir würden uns schwerlich verstehen.«

»Er ist der Vertreter einer neutralen Macht, gnädige Frau.«

»Es gibt keine Neutralität der Gesinnung,« sagte Beate. »Jeder ergreift
Partei, wenn auch nicht jeder die Konsequenzen zieht. Ich will es
lieber nicht darauf ankommen lassen, die Probe auf die Gesinnung des
Amerikaners zu machen. Ich wüßte nicht, was mich veranlassen könnte,
die Farben des neutralen Sternenbanners für waschecht zu halten. Der
Grundstock der amerikanischen Presse ist das englische Geld; das wollen
wir nicht vergessen. Haben Sie die Zeitungen gelesen?«

»Ja.«

»Und glauben Sie, was Sie da gelesen haben?«

»Ich denke gar nicht daran,« antwortete der Schwede kopfschüttelnd.

»Ich danke Ihnen.«

»Es scheint eine Art von Delirium über die amerikanische Presse
gekommen zu sein,« fuhr Tystendal fort. »Jede Zeitungsüberschrift
eine Kinoreklame ... Dabei kann man ihnen allein nicht einmal die
Verantwortung zuschieben. Sie drucken, was ihnen die englischen Kabel
übermitteln. Denn es gibt keine deutschen Kabel mehr. Und wir können
uns ziemlich fest darauf verlassen, daß den Herren der Vereinigten
Königreiche, die Amerika mit Kriegsberichten versorgen, bei der
Übersetzung Ihrer Generalstabsmeldungen -- soweit sie sich auf deutsche
Siege beziehen -- plötzlich die Vokabeln ausgehen werden.«

Beates Lippen verzogen sich in schmerzlichem Hohn.

»Nun!« sagte sie und beugte sich im Sitzen vor. »Glauben Sie
wirklich, lieber Freund, ich würde es gelassen mit ansehen, wenn der
amerikanische Konsul mit seiner ehrenwerten Familie beim Frühstück die
deutsche Flotte verspeist, beim Dinner den Kronprinzen mit englischer
Soße und beim Abendessen drei bis vier deutsche Armeekorps +à
la+ Eiffelturm zubereitet --? Ich würde ihm, wenn er es wagte,
zu behaupten, daß er den Wahnsinn seiner Zeitungen für wahr hielte,
diese seine sämtlichen Zeitungen an den Kopf werfen, so wahr ich Beate
Hoyermann heiße. Und hätte im gleichen Augenblick sein Haus verlassen.
Und dann stünde ich auf demselben Fleck wie vorher.«

»Gut, gut,« sagte Tystendal mit einem flüchtigen Lächeln. »Ich ziehe
meinen Antrag zurück. Und ich bitte Sie, mir Ihre Vorschläge zu machen.
Denn ich müßte mich sehr in Ihnen täuschen, wenn Sie nicht bereits Ihre
festen Pläne hätten, Frau Beate Hoyermann ...«

»Sie haben Recht,« antwortete Beate. »Und mein Plan ist sehr einfach
... Ich will nach Deutschland zurück.«

Christian Tystendal sah die Frau, die vor ihm saß, an und zog die
Augenbrauen hoch.

»Wenn Sie das einen einfachen Plan nennen, so möchte ich wissen, was
Sie unter einem verwickelten verstehen, gnädige Frau,« sagte er, ohne
zu lächeln.

»Ich glaube, Sie mißverstehen mich,« antwortete Beate. »Ich bin mir der
Schwierigkeiten durchaus bewußt. Aber ich habe mich entschlossen, es
mit ihnen aufzunehmen ... Und ich wende mich nun an Sie, weil Sie der
Freund meines Mannes sind. Sie haben mir gesagt, daß ich mich auf Sie
verlassen kann; nun nehme ich Sie beim Wort.«

Christian Tystendal stand auf und begann im Zimmer hin und her zu
gehen. Die Augen Beates folgten ihm mit großer Aufmerksamkeit. Sie
unterbrach sein Nachdenken mit keiner Bewegung.

»Würde es Sie sehr stören, gnädige Frau,« begann der Schwede nach einer
Pause, »wenn ich mir eine Zigarre ansteckte?«

»Höchstens als Symptom,« meinte Beate. »Denn mein Mann pflegte zur
Zigarre zu greifen, wenn die Sachlage kritisch wurde ...«

»Abermals eine Ähnlichkeit zwischen Ihrem Manne und mir,« sagte der
Schwede trocken.

Beate legte die Hände zusammen. »Sie müssen ganz offen sein,« meinte
sie mit jener aufmerksamen und sanften Gelassenheit, um derentwillen
Gerhard Hoyermann seine Frau »Kamerad« zu nennen liebte.

»Das muß ich wirklich, gnädige Frau,« antwortete Tystendal. Er setzte
sich ihr gegenüber und betrachtete den Brand seiner Zigarre. »Wie haben
Sie sich Ihren Weg nach Deutschland gedacht?«

»Über Kiautschou,« sagte Beate. »Das ist deutscher Boden. Und da finde
ich deutsche Menschen. Von dort aus will ich mir schon weiterhelfen.«

Christian Tystendal zog die Oberlippe zwischen die Zähne. »Ich fürchte,
gnädige Frau, wenn Sie nach Kiautschou gingen ... Sie würden dort nicht
lange auf deutschem Boden stehen ...«

»Was heißt das ...?«

»Der Hafen von Tsingtau ist zu günstig für die englische Schiffahrt,
als daß sie nicht wünschen sollte, ihn, wenn nicht selbst zu besetzen,
so doch wenigstens den Deutschen zu entreißen. Und das wird sie sehr
bestimmt und sehr bald tun ...«

»Nein --!«

»Ja, gnädige Frau.«

»Sie glauben ernsthaft, daß England seine Truppen herüberschicken
wird, um Kiautschou zu erobern --?!«

»Das wird England nicht nötig haben,« meinte der Schwede. »Es wird an
sein Ziel kommen und die eigenen Truppen sparen.«

»Glauben Sie,« fragte Beate mit einem bitteren Lächeln, »daß der
Gouverneur von Kiautschou das Pachtgebiet gutwillig übergibt?«

»Ganz gewiß nicht. Aber wie stark die Truppen, über die er verfügt,
auch sein mögen, -- die Feinde werden, wenn sie es für nötig halten,
in der zehnfachen Übermacht sein und vollkommen ausreichend, um das
deutsche Gebiet von der Seeseite her wie vom Lande abzuschnüren.«

»Über chinesischen Boden hinweg?«

Tystendal zuckte die Achseln.

»China«, antwortete er, »ist weder ein militärischer noch ein
politischer, sondern höchstens ein geographischer Begriff. Er wird die
japanischen Truppen ganz gewiß nicht aufhalten.«

»Was für Truppen?« fragte Beate.

Der Mann blickte zu ihr hin und nickte. »Ja, ja, meine gnädige
Frau -- der arme, tote Narr, der, wie mir Ihr Mann erzählte, den
Wesensunterschied zwischen der asiatischen und der europäischen Rasse
in der Verschiedenheit der Ehrbegriffe suchte, war vielleicht ein
größerer Weiser, als wir dachten ... Ich bin fest davon überzeugt,
daß Japan sich die Ehre, seinen ehemaligen Lehrer und Meister abwürgen
zu helfen, außerordentlich hoch bezahlen läßt. Aber es wird das Geld
einstecken und sich feierlich auf den Bündnisvertrag mit England
berufen, um vor der Welt im Recht zu sein ... Wenn der Deutsche die
Leidenschaft des Lehrens hat, so hat der Japaner die des Lernens.
Und wie der eine ein unübertrefflicher Lehrer ist, so ist der andere
ein unübertrefflicher Schüler, aber im Grunde genommen ist es für
jeden Schüler ein befriedigendes Gefühl, seinen Lehrer zu besiegen;
er glaubt damit sein Meisterstück zu machen und sich die innerliche
Unabhängigkeit von dem Besiegten zurückzukaufen. Es mag abscheulich
sein, aber es ist menschlich. Und um so menschlicher, je abscheulicher
es ist. Damit müssen wir rechnen, Frau Beate!«

»Sie müssen aber doch einen Grund für ihr Vorgehen angeben ...« meinte
Beate.

»Mein Gott, der Grund ... Kain erschlug seinen Bruder Abel wegen eines
Opferfeuers. Vielleicht wird dieser ›Grund‹ später einmal das Gelächter
der Weltgeschichte; augenblicklich handelt es sich um ein Geschäft.«

Beate richtete sich auf und bog den Kopf in den Nacken.

»Sie rechnen also damit,« zog sie den Schluß, »daß Japan über kurz oder
lang auf die Seite von Deutschlands Feinden treten wird?«

»Ja,« nickte der Schwede.

»Und trotzdem machten Sie mir vorhin das Anerbieten, in Japan zu
bleiben?«

»Trotz aller Ihrer Einwände, gnädige Frau, halte ich meinen Vorschlag
nach wie vor für den besten, den Ihnen ein Freund machen kann,« sagte
Tystendal ernst.

»Das gibt mir leider den Beweis, daß Sie eine sehr falsche Meinung von
mir haben,« antwortete Beate und stand auf.

Auch der Mann erhob sich. Sie standen sich gegenüber.

»Liebe gnädige Frau,« sagte der Schwede, ohne sich zu bewegen, »ich
bitte Sie herzlich -- im Namen Ihres Mannes, den Sie lieben --, keine
Unbesonnenheit zu begehen!«

Beate fuhr sich mit beiden Händen nach den Schläfen. »Unbesonnenheit!«
wiederholte sie, und ihre Augen wurden dunkel. »Ich will Ihnen etwas
sagen, Herr Tystendal! Wenn ich hier bliebe in diesem Lande, das
demnächst mit uns im Kriege sein wird -- unter diesem Volke, das die
Ausbildung seines Heeres deutschen Offizieren verdankt, das an unseren
Universitäten gelernt hat und bei unseren Ingenieuren in die Schule
gegangen ist --, dann würde ich nicht nur vielleicht, sondern ganz
gewiß eine Unbesonnenheit begehen! Denn ich könnte nicht schweigen!
Ich müßte mir's von der Seele herunterreden -- allen Groll und allen
Schmerz und alle Verachtung -- und alle meine himmelhohe Zuversicht
für die deutsche Sache! Und wenn die Herren Japaner bis dahin keinen
Grund gehabt hätten, mich mit mißtrauischen oder feindseligen Augen zu
betrachten, -- dann würden sie ihn bekommen!«

»Niemand würde Sie mit feindseligen Augen betrachten,« sagte der
Schwede. »Im Gegenteil! Ich bin fest davon überzeugt, daß Japan alles
tun wird, den drohenden wie den verwirklichten Kiautschoukonflikt als
eine Episode hinzustellen, die auf seine sonstigen guten Beziehungen
zum Deutschen Reich nicht den geringsten Einfluß hat, und wird diese
Bemühung durch besondere Zuvorkommenheit gegen die Angehörigen der
deutschen Nation unterstreichen ...«

»O, ganz gewiß!« sagte Beate. »Sie würden uns das Herz aus der
Brust nehmen und lächelnd versichern, daß es nur +ad majorem
gloriam+ Nippons und ohne jede böse Absicht gegen uns geschehen
sei. Aber ein höflicher Henker ist auch ein Henker, und ich für meine
Person ziehe den Haß, der mir ins Gesicht springt, bei weitem der
lächelnden Klugheit vor, die aus dem Kriege eine Geschäftsepisode
macht und durch eine Verbeugung ihre Gemeinheit zu entschuldigen
sucht. Und wenn mein Entschluß, dieses Land zu verlassen und nach
Deutschland zurückzukehren, schon vorher sehr fest war, -- jetzt ist er
unerschütterlich geworden.«

»Und wie wollen Sie das anfangen?«

»Ich weiß es nicht. Ich hoffe, daß Sie mir helfen werden.«

»Nein, gnädige Frau,« sagte der Schwede.

»Sie verweigern mir Ihre Hilfe?«

»Ich weigere mich, bei einem Unternehmen mitzuwirken, das, wie ich
bestimmt weiß, die Billigung Ihres Mannes nicht haben würde.«

Beate lächelte. Und dies Lächeln war so wenig die Antwort, die der Mann
erwartet hatte, daß er glaubte, die Frau habe ihn mißverstanden.

»Sie sagen, Sie kennten meinen Mann gut,« meinte Beate. »Ich kenne
ihn besser, und er kennt mich. Ich sage Ihnen heute -- und hoffe, es
wird ein Tag kommen, an dem Sie die Bestätigung meiner Worte erhalten:
In dem Augenblick, wo mein Mann erfährt, daß zwischen Japan und
Deutschland der Krieg ausgebrochen ist, weiß er, daß ich nicht mehr in
Japan bin. Und wenn wir uns wiederfinden sollten -- vielleicht erst
sehr spät, vielleicht schon bald, wer kann das sagen? --, dann werde
ich ihm nichts zu sagen und zu erklären brauchen; er wird alles im
voraus begreifen und billigen. Denn er kennt mich und liebt mich, wie
ich bin ... Ich weiß den Weg noch nicht, den ich gehen muß, aber ich
werde ihn ganz gewiß finden. Und es wird kein anderer Unterschied sein
als der: ob ich ihn mit Ihrer Hilfe finden werde oder ohne sie. Ich
habe Ihnen meinen Entschluß mitgeteilt und werde Sie ganz gewiß nicht
zu beeinflussen suchen. Aber je rascher Sie sich entscheiden, um so
dankbarer werde ich Ihnen sein.«

Christian Tystendal antwortete nicht. Er sah vor sich nieder, und in
seinem Gesicht spielten die Muskeln. Beate ließ ihm Zeit. Aber als die
Minuten vertropften, ohne daß er sprach, nahm sie die Rede wieder auf,
und ihre Stimme war die eines Menschen, der seiner selbst ganz gewiß
ist und darum sanft und heiter sein kann.

»Als ich von Gerhard Abschied nahm, da haben Sie mich vielleicht für
eine sehr tapfere Frau gehalten, Herr Tystendal. Aber Sie haben sich
getäuscht. Ich war damals schon entschlossen, ihm nachzugehen --
wenigstens so weit, daß ich -- die deutschen Verlustlisten in die Hand
bekam. Ich wollte seine Spur finden und wissen: er ist da oder dort.
Dann wollte ich auf mich nehmen, was das Schicksal mit mir vorhat. Und
arbeiten wollte ich. Es wird genug zu tun geben für eine Frau, die
zugreifen kann und will. Und ich wollte an Gerhard schreiben: Ich bin
hier; sorge dich nicht um mich -- ich bin nun ganz ruhig; ich warte ...
Dann hätte mein Leben doch einen Sinn ... Aber wenn ich hier bliebe
oder irgendwo sonst, wo nicht Deutschland ist, dann würde ich nicht
leben ...«

Tystendal räusperte sich, aber er sagte nichts. Beate senkte den Kopf.

»Sie kennen uns erst so kurze Zeit,« sagte sie, fast ohne die Lippen
zu bewegen. »Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen werden, was wir in
unserer Ehe einander geworden sind ... Ich glaube, Sie denken nicht
sehr hoch von den Frauen ... Vielleicht gehören Sie zu jenen Menschen,
deren Sehnsucht nach der Frau so grenzenlos ist, daß sie notwendig
enttäuscht werden müssen ... Mein Mann und ich, wir sind zwei Bäume,
die zusammenwuchsen ... Sind Sie einmal durch einen Wald gegangen
und haben zwei Bäume klagen hören, an deren ganz verschlungenen
Stämmen der Sturm riß? -- Es klingt, als läge im Gebüsch ein Tier,
das verendet ... Und wenn man sie trennt, dann bluten sie ... Niemand
weiß um unsere Liebe ... Wenn wir vor den Menschen stehen, dann lachen
wir uns an und sind Geschwister. Aber wenn wir allein sind und unser
selbst bewußt werden, dann beben wir im Innersten vor großem Glück
und Staunen und stehen manchmal, wie Menschen in einem allzu starken
Licht, mit geblendeten, geschlossenen Augen und sind alle beide mit
lachenden Lippen und tanzenden Herzen sehr zum Knien und Weinen
geneigt ... Ich will, daß Sie mich verstehen, lieber Freund, und darum
spreche ich Ihnen von unserer Liebe ... Wenn ich dahin gehen will,
wo ich wenigstens Nachricht von meinem Manne erhalten kann, und wäre
es die schlimmste -- die Nachricht von seinem Tode --, dann ist das
nicht, weil ich unbesonnen bin. Es ist auch nicht das Abenteuer einer
unternehmungslustigen Frau. Es ist einfach eine Notwendigkeit für mich
-- ein Mut, der einer Feigheit sehr ähnlich sieht; denn ich weiß: ich
würde das Leben nicht ertragen ... Da haben Sie die ganze Wahrheit. Und
ich schwöre Ihnen, sie ist bitterlich wahr ...«

»Ich glaube Ihnen, Frau Beate,« sagte der Schwede mit einem trinkenden
Atemzug. Er sah etwas verträumt aus. Dann gab er sich einen Ruck und
fuhr fort: »Und ich werde Ihnen helfen ...«

»Danke,« antwortete Beate Hoyermann. Sie schien ihrer Sache ganz sicher
gewesen zu sein. Sie sah den Mann mit ruhigen und freundlichen Augen
wartend an, daß er lächeln mußte, als er ihrem Blick begegnete.

»Sie müssen mir etwas Zeit lassen,« meinte er. »Ich war, weiß Gott,
so wenig auf Ihren Plan vorbereitet wie auf meinen Tod. Und wir
müssen mit höchster Überlegung zu Werke gehen. Von der Verantwortung
abgesehen, die ich auf mich nehme und der ich nichts als die Wahrung
alleräußerster Vorsicht entgegenzusetzen habe, würden Sie, gnädige
Frau, bei einem möglichen Scheitern Ihres Vorhabens in eine sehr
viel unangenehmere Lage geraten, als Sie je erlebt haben. Deutsche
oder österreichische Schiffe kommen für Sie nicht mehr in Betracht;
es handelt sich nur um ein feindliches oder ein neutrales, was auf
dasselbe herauskäme; denn Sie würden auch auf einem holländischen
Dampfer der Durchsuchung des Schiffes durch englische Kreuzer nicht
entgehen. Und es ist durchaus nicht sicher, ob man nicht vorziehen
würde, Sie als deutsche Frau höflichst aufzufordern, mit nach England
zu reisen. Möglich, daß man Ihnen nach einiger Zeit die Heimreise
nach Deutschland gestattete. Aber es ist nicht sicher. Und Sie würden
in England nicht weiter noch näher von Deutschland und der Wahrheit
entfernt sein als in Japan oder Amerika. Das sehen Sie ein, nicht wahr?«

»Ohne weiteres.« Beate hatte sich wieder gesetzt und die Hände im Schoß
zusammengelegt, wie es ihre Gewohnheit war, wenn sie sich vollkommen
sammeln wollte.

»Also --«

»Also werde ich nicht als Deutsche reisen,« sagte Beate.

»Mit falschem Paß ...«

»Mit einem englischen Paß.«

»Warum gerade mit einem englischen?«

»Ich spreche Englisch wie Deutsch, mit dem Londoner Akzent ...«

»Gut, sehr gut ...« Tystendal ging im Zimmer hin und her; er hatte eine
gerötete Stirn. Beate rührte sich nicht. Der Diener trat ein und räumte
die unberührten Tassen fort; er ging wieder hinaus und schob die Türe
zu. Obgleich Tystendal ihn nicht bemerkt zu haben schien, hatte der
Eintritt des fremden Menschen doch seine Gedanken unterbrochen und in
eine neue Bahn gejagt. Er sah dem Diener nach und brummte. »Hm ...«

Endlich wandte er sich mit einer entschlossenen Bewegung zu der
wartenden Frau und schlug die flache Hand auf den Schreibtisch.

»Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit, gnädige Frau -- ich muß eine Reise
machen ... Seien Sie versichert, daß ich keine Stunde verlieren werde;
aber zwei bis drei Tage brauche ich notwendig, um die Sache ins Geleise
zu bringen ... Ich hoffe, ich werde zu Ihrer Zufriedenheit arbeiten.
Vertrauen Sie sich mir an?«

»Ja.«

»Und lassen Sie mir in allen Entschließungen freie Hand?«

»Vollkommen.«

»Danke, gnädige Frau! Mehr brauche ich nicht zu wissen.«

Beate erhob sich. Sie reichten sich die Hände.

»Auf Wiedersehen, mein Freund!«

»Auf Wiedersehen, Frau Beate ... Gott segne Sie ...«

»Ich werde Tag und Nacht auf Sie warten.«

»Ich komme, sobald ich Ihnen etwas Greifbares zu bringen habe. Aber
seien Sie mit jeder Stunde auf Ihre Abreise vorbereitet ...«

»Gut,« sagte Beate ernst.

Sie fuhr auf demselben Wege zurück, auf dem sie gekommen war. Bevor sie
die Insel erreichte, war es Nacht geworden. --

Als Umè vier Tage später ins Schlafgemach ihrer Herrin trat, um sie zu
wecken, fand sie das Zimmer leer.

Sie dachte: Die verehrungswürdige weiße Frau wird zum Baden ans Meer
gegangen sein, und hockte sich auf die Fußmatte, um geduldig zu warten.

Aber sie wartete umsonst. Ihre Herrin kam nicht wieder ...




                                   5


Die »Princeß of India« war eine schöne, starke und schnelle Riesin. Sie
bebte vor verhaltener Kraft. Drei Tage länger, als sie zuerst gewollt,
hatte sie im Hafen vor Anker liegen müssen. Der Gipfel des Fujiyama
hatte sich ihr nicht entschleiert; der Regen, der schräge Regen eines
wohlwollenden Gottes, hatte ihr die Flanken gewaschen. Nun war sie
ihn leid. Sie wollte in die Sonne hinein und glänzend, rauschend und
brausend, von Musik umspült wie von den langen Wogen des Ozeans und der
Luft ihre neuen Ziele suchen.

Die »Princeß of India« war das erste Schiff, das nach Ausbruch des
europäischen Krieges einen japanischen Hafen verließ. Um so mehr
Fahrgäste hatten sich an Bord gedrängt. Es waren fast durchweg
Angehörige der britischen Nation, die nach Southampton zurück wollten.
Und die meisten hatten es sehr eilig. Sie wollten noch rechtzeitig
in Europa ankommen, um den Einzug der siegreichen französischen
und russischen Truppen in Berlin mitzuerleben und die Heimkehr
der Lorbeergekrönten nach Paris. Die hübschen Töchter von Sir Hugh
Trelawney fürchteten ernsthaft, daß der Krieg schon längst durch die
Zerschmetterung Deutschlands beendet sein würde, wenn die »Princeß of
India« in den Heimatshafen einlief.

Im übrigen war die Stimmung an Bord so heiter wie möglich. Niemand
ließ es sich in den Sinn kommen, dem Kriege einen ernsthaften oder gar
besorgten Gedanken zu widmen. Man befand sich auf dem Meere -- das
hieß, man befand sich auf englischem Grund und Boden. Und man fuhr mit
einem englischen Schiffe -- das hieß, man war so sicher wie beim lieben
Gott.

Die Musik spielte »+Rule, Britannia!+« und »+God save our
gracious king!+« und verzichtete auf Richard Wagner. Das war
vielleicht das einzige Auffallende an dieser ganzen Fahrt.

Außer den englischen Reisenden -- die »Princeß of India« hatte nahezu
achthundert Gäste an Bord -- fuhren nur wenige Ausländer mit. Ein
lungenkranker Chilene, der nach Heluan wollte, aber alle Aussicht
besaß, sich schon lange vor seiner Ankunft in Ägypten an Whisky und
Sodaeiswasser zu Tode getrunken zu haben. Ein Schweizer Missionar
mit seiner Frau und zwei Töchtern, den die Aussichtslosigkeit seiner
Bestrebungen auf japanischem Boden an den Rand des Tiefsinns gebracht
hatte; er hoffte, in der Umgebung von Benares davon geheilt zu werden,
ohne für diese Annahme den leisesten Grund zu haben ... Und eine
Russin, die bereits von Afrika aus mit der »Princeß of India« nach
Japan gefahren war und nun wieder umkehrte, ohne japanischen Boden
betreten zu haben.

Der Grund ihrer Reise war, daß sie das Grab ihres ältesten Sohnes
hatte aufsuchen wollen. Dieses Grab war das Meer des Ostens. Jewgenij
Iwanowitsch Petulikow war bei der großen Vernichtung der Zarenflotte im
russisch-japanischen Kriege mit der »Ossljabja« untergegangen.

Als die »Princeß of India« bei der Hinfahrt, von Süden her, in die
japanischen Gewässer kam, hatte sich Jelisaweta Petulikowa, die Witwe
des Iwan Petulikow, zum ersten Male während der ganzen Reise aus ihrer
Kabine aufgemacht, um den Kapitän zu suchen. Und dann fragte sie ihn,
während auf ihrem erschöpften Gesicht, das sie seit dem Tode ihres
Sohnes nicht mehr schminkte und dem der Puder den Ton von welkendem
Flieder gab, ein unaussprechlicher Schrecken ausgeprägt war, wann die
»Princeß of India« in die Seestraße von Korea komme.

»Überhaupt nicht,« hatte der Kapitän geantwortet.

Er mußte es wissen. Lisa Petulikowa glaubte ihm und ergab sich.

Sie war von ihrem Gute aus, das in der Nähe von Moskau lag -- kaum
hundertzwanzig Kilometer westlich davon --, in Begleitung ihres
jüngeren Sohnes nach Afrika gefahren, hatte sich dort nach dem ersten
Dampfer erkundigt, der nach Japan wollte, und hatte auf der »Princeß of
India« die Reise angetreten.

Jewgenij Iwanowitsch war ihr Gott gewesen. Die Liebe einer Mutter lag
nicht in ihrem Wesen; Jewgenij Iwanowitsch war nicht ihr Sohn, er
war ihr Ritter. Er kam nur selten nach dem Gute seines Vaters, aber
wenn er kam, brachte er alles Brausen seiner Jugend, allen Leichtsinn
seiner Zärtlichkeit, allen Rausch der Siegesgewißheit mit und
überschüttete die immer noch sehr schöne Frau, die seine Mutter war,
mit Liebkosungen, mit Geschenken, mit Verheißungen für die Zukunft,
wenn er eine Braut gefunden haben würde und einen Palast in Petersburg
am Wassilij Ostrow besaß und die Mutter bei ihnen wohnen sollte ...
Aber er fand die Frau nicht, die er suchte. Sie mußte wie seine Mutter
sein -- das war die Schwierigkeit ...

Jewgenij Iwanowitsch lachte sein heiterstes Lachen, während er so
sprach. Und seine Mutter sah ihm mit Entzücken nach, wenn er pfeifend
durch die alten Zimmer des Gutshauses schritt und sich in den Hüften
wiegte.

Solange Jewgenij Iwanowitsch lebte, war Lisa Petulikowa eine junge Frau.

Aber dann starb er. Und Kyrill, sein Bruder, war nicht der Mensch,
sein Erbe anzutreten. Als er den Bruder verlor, war er zwölf Jahre
alt, und es diente seinem schüchternen und vom eigenen Unwert gänzlich
überzeugten Wesen nicht zum Vorteil, daß er gleichsam im Schatten der
Trauer um einen Toten aufwuchs.

Die beiden Brüder hatten sich nur selten gesehen. Lisa Petulikowa war
der Meinung gewesen, daß es für Kyrill das beste war, in einem sehr
vorzüglichen Institut des Auslandes erzogen zu werden. Sie schickte den
Knaben nach Paris, von wo aus er nur zu den großen Festen nach Hause
kam.

Erst als Jewgenij Iwanowitsch gestorben war, rief die Mutter nach ihrem
jüngeren Sohne und behielt ihn bei sich; sie brauchte einen Menschen,
der geduldig zuhörte, wenn sie von dem Toten sprach und sein Leben im
Erzählen zu einer Legende schuf, bis sie sie auswendig hersagen konnte.

Geduld war die eigentümlichste Eigenschaft von Kyrill Petulikow. Er
kannte seinen Bruder kaum und hatte ihn nicht geliebt -- wenigstens
nicht mehr als alle Menschen, denen er stets mit Sanftmut und dem
besten Willen zum Frieden entgegentrat. Er hatte den Bruder im
Gedächtnis als etwas sehr Lautes -- etwas, das die Wände beben machte,
wenn es die Türen ins Schloß jagte und mit den Absätzen in die Dielen
hackte -- das, wenn es betrunken war -- und das war nicht selten --,
die Knechte prügelte und die Hunde mit Stühlen warf, um ihnen beiden,
Menschen wie Tieren, am anderen Morgen strahlend abzubitten -- etwas,
das viel und eigentlich ohne rechten Grund zu lachen pflegte, im Gras
lag und schwermütige Lieder sang -- etwas, dem die Weiber nachliefen
wie die Ziegen einem, der Salz trägt -- etwas, das im Lichte stand und
sich nicht kümmerte, auf wen es seinen Schatten legte.

Er hatte keine Ursache, seinen Bruder anzubeten, wie die Mutter es tat.
Aber da er fühlte, daß es für Lisa Petulikowa zum Zweck des Lebens
geworden war, von Jewgenij Iwanowitsch zu reden, so saß er Abend für
Abend neben ihr und hörte ihr zu. Das war alles, was er für seine
Mutter tun konnte. Ihr den Toten zu ersetzen, vermochte er nicht --
hätte er auch nie versucht. Und da wurde Lisa Petulikowa sehr rasch
eine alte Frau, die nicht mehr acht auf sich gab, ein wenig liederlich
herumging und ihr Haar nachlässig ordnete. Aber sie trug noch immer
ihren schönen Schmuck und hatte ihn auch für die Reise nicht abgelegt,
obgleich sie an Ceylon und den beiden Indien vorüberfuhr, indem sie in
der Kabine saß und Patiencen legte, die nie aufgingen.

Sie haßte die Menschen, die fröhlich waren, obgleich Jewgenij
Iwanowitsch starb -- und die Erde, den Himmel und das Meer, die schön
waren, ohne daß er sich ihrer freuen konnte.

Außerdem war sie leidend. Und als sie die Nachricht bekommen hatte, daß
sie das Ziel ihrer Reise nicht erreichen würde, fiel sie gleichsam in
sich zusammen. Gewiß, man konnte in Japan aussteigen und ein anderes
Schiff nehmen, das durch die Straße von Korea fuhr. Aber zu diesem
Vorschlag, den Kyrill ihr machte, schüttelte Lisa Petulikowa hartnäckig
den Kopf. Nein, sie wollte auf diesem Schiffe bleiben und umkehren und
nach Hause fahren.

Diese ungeheuerliche Reise, die sie unternommen hatte, um das Grab
ihres Abgotts zu besuchen, bedeutete den höchsten Einsatz von
Willenskraft und Unternehmungsgeist, den sie in ihrem ganzen Leben
aufgewendet hatte. Nun war alles sinnlos gewesen -- und wurde durch
seine Sinnlosigkeit grotesk, eine Narrheit, die dem Mitleid nicht näher
stand als dem Spott.

Alles, was sie an innerlichen Kräften besaß, hatte sie für diese
närrische Reise aufgewendet. Ein Mehr davon war in ihr nicht übrig.
Sie ließ sich zu Boden fallen, und da wollte sie liegenbleiben.
Wer sie aufhob, wußte sie nicht und dankte es ihm nicht. Da sie an
Herzkrämpfen litt, brauchte sie eine ständige Wache für die Nacht. Eine
Stewardeß übernahm die Pflege. Es war ein stilles, etwas schweigsames
Mädchen, aus Sheffield gebürtig, früher in Diensten auf der
»North-Carolina«, die in San Franzisko beheimatet war. Aber nun wollte
sie nach Hause. Sie hieß Kate Mathew und hatte blondes Haar.

Kyrill Petulikow pflegte bis gegen Mitternacht bei seiner Mutter
zu wachen. Dann kam das Mädchen und nahm seine Stelle ein. Aber
nicht immer ging er dann. Er setzte sich meistens in eine Ecke des
behaglichen und nicht engen Raumes und blieb dort, ohne sich zu rühren,
stundenlang, die Hände auf den Knien zusammengelegt, mit gesenktem
Kopfe, von dem die dunklen Haare weich und locker in die Stirn fielen.
Wenn das Mädchen sich umgewandt hätte, dann wäre sie seinem Blick
begegnet, der still und gleichsam ausruhend auf ihr lag. Aber sie
wandte sich nicht um.

Sie sprachen fast gar nicht miteinander. Er war des Englischen so wenig
mächtig wie sie des Russischen. Einmal redete er sie französisch an,
und sie antwortete in der gleichen Sprache, aber so einsilbig, daß er
wieder verstummte. Personen dienenden Standes gegenüber war Kyrill
Petulikow immer etwas befangen. Es war ihm stets peinlich, die Dienste
eines Menschen in Anspruch zu nehmen, so hoch er sie auch bezahlte.
Er war ein Narr im Trinkgeldgeben und schämte sich für die Leute, die
es annahmen. Aber während er Kate Mathew beobachtete, kam er zu dem
Ergebnis, daß es unmöglich sein würde, ihr eine Fünfpfundnote in die
Hand zu drücken.

In einer Nacht, da die Kranke besonders heftig an Herzkrämpfen gelitten
hatte und Kate Mathew sie in den Armen hielt und stützte und leise,
unverständliche Worte zu ihr sprach, auf die die Kranke mit wirren
Augen horchte, fing Kyrill Petulikow zu reden an.

Er beugte sich in seinem Sessel vor und schüttelte den Kopf.

»Sie sind nicht immer Stewardeß gewesen,« meinte er halblaut, und es
war kaum eine Frage.

Kate Mathew stand einen Augenblick, ohne sich zu bewegen, und dann
wandte sie sich mit einer Art betonter Festigkeit nach dem Manne um.

»Warum glauben Sie das?« fragte sie und schob mit dem Ton ihrer Stimme
das Gespräch weit von sich ab. Aber das hörte Kyrill Petulikow nicht,
oder er wollte es nicht hören. Er lächelte ein wenig.

»Ich habe ohne Unterlaß auf Ihre Hände gesehen,« sagte er mit einer
gewissen schwermütigen Heiterkeit, für die er keinen Grund hätte
angeben können. »Sie haben helfende Hände, aber keine dienenden. Ihre
Hände tun, was getan werden muß, von selbst, wie von innen heraus. Man
muß ihnen nichts befehlen. Sie wissen mit ihren eigenen Nerven, was das
Notwendige und das Gute ist. Dienende Hände sind gehorsam -- das ist
alles. Wenn man sie nicht schickt und leitet, irren sie sich leicht und
greifen fehl. Aber Ihre Hände irren sich niemals. Und ich möchte auf
Ihre Hände schwören, daß sie nur dienen, weil etwas außerhalb ihres
Wesens sie dazu zwingt.«

Kate Mathew antwortete nicht gleich. Die halblauten und ruhigen Worte
des Mannes, der mit seinen stillen Augen zu ihr hinsah, waren so völlig
sanft und voller Erkenntnis, daß es sinnlos gewesen wäre, sie verwirren
zu wollen.

»Sie haben Recht,« sagte Kate Mathew nach einer Pause. »Aber ich wäre
Ihnen sehr dankbar, wenn Sie nicht mehr über mich nachdenken wollten,
denn es würde zu keinem Ergebnis führen.«

»Sie können mir verbieten, es Ihnen zu sagen,« meinte Kyrill Petulikow,
»aber Sie können mir nicht verbieten, es zu tun. Ich bitte Sie sehr um
Verzeihung, Miß Mathew, wenn ich Sie mit meiner Teilnahme belästige
... Sie waren sehr gut zu meiner Mutter. Meine Mutter hat Sie gern um
sich herum, was mit sehr wenig Menschen der Fall ist. Darum sprach ich
zu Ihnen ... Wenn Sie Ihren jetzigen Beruf nur aus Zwang erwählt haben
-- unter dem Drucke irgendeiner Not ...«

»Ja ...« antwortete Kate Mathew, da er etwas innehielt und sie ansah.
»Ja, es war eine Not ... Aber nicht, die Sie meinen ... Bitte, wir
wollen nicht mehr davon reden, +m'sieur+ ...«

»Verzeihen Sie mir, Miß Kate,« wiederholte der Russe demütig. »Ich
hoffte, Ihnen helfen zu können.«

Kate Mathew nahm die Schüssel, in der das Eis zerronnen war, und ging
lautlos aus der Kabine. Kyrill Petulikow ging ihr nicht nach. Wenn er
es getan hätte, so würde es ihn vielleicht sehr nachdenklich gestimmt
haben, die Pflegerin seiner Mutter, Stewardeß auf der »Princeß of
India«, zehn Schritte weiter auf einer Treppe sitzend zu finden, wie
sie den Kopf in beiden Händen hielt und sehr leise und sehr inbrünstig
mit ihrem Herrgott deutsch sprach.

Viel Wunderliches hatte geschehen müssen, bis Kate Mathew von der
»North-Carolina« mit dem Engländer nach Europa zurückfuhr ...

Die »North-Carolina« war von Frisko gekommen, und das weibliche
Dienstpersonal hatte Urlaub erhalten, sich in der fremden Stadt ein
wenig umzuschauen. An der Landungsbrücke, wo die Boote anlegten,
hatte ein Mann gestanden und die Mädchen an sich vorübergehen lassen;
und als Kate Mathew kam, war er ihr nachgegangen und hatte, an ihr
vorüberstreifend, ihr eine Fünfpfundnote in die Hand gedrückt und
gesagt, sie möge sich einen Jinrikisha nehmen und ihm folgen.

Das hatte Kate Mathew ohne weiteres getan.

In einem behaglichen Zimmer des Yeddo-Hotels hatte der Mann ihr
auseinandergesetzt, was er von ihr wollte. Es war eine einfache und
klare Sache. Er wünschte ihren Paß, ihre sämtlichen Papiere und ihr
gesamtes Hab und Gut zu kaufen, soweit es sich auf ihren Beruf als
Stewardeß bezog. Darauf würde sie sich in ein sehr hübsches japanisches
Landhaus zurückziehen, das ihr mit allen Bequemlichkeiten der
Verpflegung und einer zahlreichen Dienerschaft zur Verfügung stand --
bis zu dem Tage, wo man sie bitten würde, sich möglichst unauffällig
zu trollen. Dann sollte sie sich beim Konsulat beschweren, daß man
ihr die Papiere gestohlen habe. Sie konnte es ohne jede Gefahr tun.
Ihr Sheffielder Dialekt hätte vor jedem englischen Gerichtshof ihre
britische Waschechtheit bezeugt.

Für das Eingehen auf diesen Plan bot ihr der Fremde die runde Summe von
zweihundert Pfund, zahlbar in zwei Raten: bei der Auslieferung ihrer
Papiere und Ausrüstung und am Ende ihrer Wartezeit.

Kate Mathew von der »North-Carolina« war ein verständnisvolles und
selbstsicheres Mädchen; sie verlangte dreihundert. Und dann tat es ihr
leid, daß sie nicht fünfhundert gefordert hatte. Sie war überzeugt, daß
man ihr auch diese Summe anstandslos bewilligt hätte, und vielleicht
irrte sie sich nicht.

Am Abend des Tages, da Kate Mathew ihr hübsches Landhaus bezog, machte
Christian Tystendal eine nächtliche Bootsfahrt aufs Meer hinaus.

Das Meer dehnte sich über der vollkommenen Dunkelheit der Tiefe
wie eine leichtgewölbte Kuppel über einer Halle aus Saphir. Breit
ausgegossen lag der Schein des Mondes über der ruhigen Bläue. Und
Christian Tystendal lag in seinem Boote auf dem Rücken, spürte
das anschmiegende Gleiten der Wellen unter sich und wartete auf
Monduntergang.

Einmal -- und auch darauf hatte er gewartet -- glitt der Schatten eines
Drachensegels über sein Boot. Und dicht an ihm vorbei, wie eine Möwe,
strich ein kleines, schnelles Schiff. Ein Mann beugte sich über den
Rand und spähte dem Liegenden ins Gesicht.

Aber Christian Tystendal sang mit der Stimme eines Trunkenen, halblaut
und glückselig, das Lied des großen und zeit seines Lebens nicht
nüchternen Dichters Li-tai-po in den Mond hinauf:

  »Trinket der Becher drei, und ihr ergründet die Tiefe der
                                            Weisheitslehre!
  Leeret die Flasche, und ihr erschöpfet die Weisheit der Welt!
  Nur im Becher wohnt das Glück und die Wonne der Erde!
  Laßt mich, des Weines voll, eingehn zur Unsterblichkeit!«

Der Mann im Drachenboot schien keine Ursache zu haben, diese poetische
Weinseligkeit zu stören; das Boot verschwand. Es steht in Japan jedem
Betrunkenen frei, auf die von ihm bevorzugte Weise aus dem Leben zu
verschwinden. Die Behörden kümmern sich lediglich um die übrigen.

Als der Mond hinter dem Hügel der Göttin Kwan-on versunken war und die
Flut einsetzte, trieb das Boot des Jüngers von Li-tai-po an die Insel
mit dem schönen Namen »Garten des Freundes« und lief knirschend am Ufer
auf, unsichtbar vom jenseitigen Lande. Und ein erschrockener Nachtvogel
huschte aus den Zweigen des Pflaumenbaumes, der die Tür des Hauses
bewachte.

Eine Frau war aus dem Hause getreten und im Garten verschwunden.

Sie hatte seit Tagen und Nächten auf das Kommen des Mannes gewartet
und war in jeder Stunde bereit gewesen, mit ihm zu gehen.

Sie wechselten nur wenige Worte.

»Wollen Sie als Stewardeß mit dem nächsten Europadampfer abreisen?«

»Ja.«

Sie hatte sich nicht einen Augenblick besonnen, ehe sie das Wort
aussprach.

»Dann kommen Sie,« sagte Tystendal einfach.

»Was soll ich mitnehmen?«

»Nichts als das Geld, das Sie flüssig haben. Alles andere müssen
Sie von der Eigentümerin Ihrer Papiere übernehmen. Sie sieht Ihnen
soweit ähnlich, daß man eine geschmeichelte Photographie von ihr für
eine miserable von Ihnen halten kann. Mehr brauchten wir nicht für
den Augenblick. Diese flüchtige Ähnlichkeit veranlaßte mich, mit dem
Mädchen in Unterhandlung zu treten, und sie erklärte sich bereit. Wenn
Sie es auch tun, sind wir sehr bald am Ziele.«

Nach fünf Minuten hatte Beate Hoyermann den »Garten des Freundes«
verlassen. Nach zwei Tagen trat die neue Stewardeß auf der »Princeß
of India« ihren Dienst an; sie wurde die Pflegerin von Jelisaweta
Petulikowa. Sie wachte in den Nächten und schlief nicht am Tage; und
manchmal, wenn sie sich allein glaubte, saß sie auf den Treppenstufen
und legte den Kopf in die Hände, horchte auf das unentwegte,
gleichmäßig gesunde Pulsschlagen der Schiffsmaschinen und dachte an
das höllische Feuer, das sie ernährte -- und sehnte sich, einen Weg
zu gehen, den sie nur einmal gegangen war, am zweiten Tage ihres
Hierseins, als sie gegen Morgen für Jelisaweta Petulikowa Eis holen
wollte und sich im Gewirr der Gänge und Treppen verirrte.

Und schließlich war sie dahin gekommen, wo das dumpfe Brausen der
Maschinen zum Tosen wurde und das Zittern des Schiffes zum schwirrenden
Beben -- und hatte umkehren wollen und war stehengeblieben, weil
irgendwo in der Finsternis unter ihr eine Tür sich geöffnet hatte und
ein Bach von düsterem Glutschein sich in die Dunkelheit ergoß.

Eine schmale, steile Leiter führte aus der Tiefe halb empor und brach
ab, als wagte sie sich nicht ins Lichte hinauf, das seine reinere Luft,
seine Kühle und Frische gleich einem Almosen in das Glühen, den Dunst
und die Finsternis hier unten warf.

Diese Leiter kam ein Mann empor. Er tauchte nur halb herauf, und
der Widerschein des Feuers hinter und unter ihm röstete seinen
nackten Rücken, seine Arme und Schultern, während das bleiche Licht
der schwindenden Nacht auf sein Gesicht fiel und seine keuchende,
entblößte Brust badete.

Er stand, die rußigen, vom Schweiß triefenden Fäuste ins Eisengestänge
der Leiter klammernd, und hob das Gesicht, mit offenen Lippen atmend,
wie einer atmet, der hart am Ersticken war; und das von der irrwitzigen
Glut der Tiefe gejagte Herz toste gegen die Rippen, daß es den ganzen
Menschen zu erschüttern schien.

Aber das Grausigste an diesem Menschen waren seine Augen -- die
weitaufgerissenen, blutigen und verdorrten Augen derer, die aus der
Hölle kommen, den Himmel anstarren und wieder hinunter müssen ...

Du Gott -- du großer Gott im Himmel --!!

Der Mann auf der Leiter ahnte nicht, daß zehn Schritte von ihm entfernt
eine Frau stand, die sich bei seinem Anblick rücklings gegen die
schütternde Wand des Schiffsganges warf und beide Hände gegen ihren
Mund preßte, um nicht zu schreien -- und die Zähne tief hineinpreßte in
ihre Lippen, die sich öffnen wollten, und mit flatternden Fingern nach
rechts und links tastete ... nicht nach einem Halt -- nein, nach irgend
etwas, daran sie sich mit ihrem letzten, versagenden Willen festnageln
konnte, um nicht vorwärts zu stürzen, auf den Mann zu, dem die Augen im
Kopfe verkohlt waren von der Arbeit freiwilliger Verdammnis.

Aber sie rührte sich nicht; sie krallte sich die Nägel ins Fleisch
und ging nicht. Sie starrte den Mann mit Blicken an, die ein einziges
stummes Schreien waren; aber sie blieb, wo sie war.

Und erst, als er, mit einem letzten trinkenden Atemzug, die Fäuste vom
Gestänge der Leiter löste und mit tastenden Füßen niedertauchte in das
lohende Schwarzrot des unterirdischen Feuers und verschwand -- da ließ
sie sich, wo sie stand, auf die Knie fallen und schlug mit der Stirn
auf den Boden und streckte die verkrampften Hände vor sich hin -- und
schleppte sich, auf den Knien liegend, zu der Stelle, wo er gestanden
hatte, und drückte den Kopf in ihre Arme und biß in ihr schwarzes Kleid
und stöhnte, lautlos, nach innen hinein: »Gerd --! Gerd --! Gerd!«

Ja, die »Princeß of India« war das erste Schiff gewesen, das Japan
nach Ausbruch des europäischen Krieges verließ; daran hätte sie
denken müssen. Sie hatte nicht daran gedacht. Ihre Gedanken waren im
Grenzenlosen umhergeirrt und hatten den Mann, den sie liebte, gesucht
-- auf dem Wege nach Amerika, nach China, nach Indien ... aber sie
hatte keinen Herzschlag lang daran gedacht, daß sie auf gleichen
Schiffsplanken stehen würden und die Heimat suchen -- in feindlichem
Dienste, mit fremden Namen -- unbekannt sich selbst wie den anderen.

Denn das hatte sie begriffen im Augenblick, wo sie ihn sah: Er durfte
nicht wissen, daß sie auf diesem Schiffe war ... Er mußte den unerhört
schweren Weg, den er gehen wollte, zu Ende gehen ohne einen Gedanken
der Sorge um sie. Wenn ihnen die Entdeckung drohte -- jetzt ... während
der Weiterfahrt ... am Ende ihrer Reise ... mit keinem Blick, mit
keiner Bewegung durften sie voneinander wissen.

Und Kate Mathew schwieg ....

Sie suchte auch den Weg nicht wieder, den sie in jener Nacht, sich
verirrend, gefunden. Sie versagte sich das jämmerliche Glück, da, an
den bebenden Rippen des Schiffs in der Dunkelheit zu kauern und darauf
zu warten, daß vielleicht noch einmal in fünfzig Nächten der Heizer,
dessen Namen sie nicht kannte, heraufkommen würde, um Atem zu holen
nach dem Brodem der Tiefe. Und das einzige, was sie sich gönnte, war,
daß sie, wenn ihre Kranke eingeschlafen war, in irgendeinem Winkel saß
und den Kopf in die Hände legte und in scheuen deutschen Lauten vor
sich hinsprach -- Worte der Zärtlichkeit, die ihr Ziel nicht erreichten
...

Und sie legte die Hand an die Wände des Schiffs, durch die der
Pulsschlag seiner Maschinen zuckte, als suchte sie den Strom, der aus
der Feuerbrandung kam und Leben wurde und Bewegung ...

Und während ihre Hand den Pulsschlag des Schiffes prüfte, spürte sie,
daß er sich veränderte ...

Nein, es war keine Täuschung ...

Der Takt des stählernen Pulses beschleunigte sich, als ob ihm das
Fieber ins Blut gefallen wäre.

Warum hatte es die »Princeß of India« mit einem Male so eilig?

Beate stand auf und wollte die Treppe hinaufsteigen, um an Deck zu
gelangen. Aber im gleichen Augenblick stolperte von droben ein Mensch
die schmalen Stufen hinab, stieß an die Frau, die da im Halbdunkel
stand, und brüllte: »Verdammnis über die Hunde --! Lichter aus!«

Im nächsten Moment erloschen sämtliche Lampen, und Beate stand in
vollkommener Finsternis.

Was hieß das, großer Gott --?!

Beate hörte, daß eine Türe sich öffnete; Schritte kamen den Gang
herauf. Der dünne und scharfe Strahl einer elektrischen Taschenlampe
spießte sich in die Dunkelheit, glitt über ihr Kleid und ihr Gesicht.

»Miß Kate?«

»Ja ...«

»Was geht auf dem Schiffe vor?«

»Ich weiß es nicht. Warum sind die Lampen gelöscht worden?«

Kyrill Petulikow zuckte die Achseln. »Gehen wir hinauf!« sagte er und
beleuchtete die Stufen. Aber die Stewardeß schüttelte den Kopf.

»Ich muß zu der Kranken,« sagte sie.

»Meine Mutter schläft,« antwortete der Russe.

»Sie könnte doch erwachen und würde sich vielleicht ängstigen in der
Dunkelheit.«

»Gut, gut ... Ich danke Ihnen, Miß Kate ... Ich werde Nachricht
bringen, wenn es sich um etwas Besonderes handeln sollte ...«

Er leuchtete ihr nach der Türe seiner Mutter und stieg, als sie
dahinter verschwunden war, die Treppe hinauf. Beate blieb an der
Schwelle der Kabine stehen und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.

Das war sehr merkwürdig, alles ...

Sie spürte das verdoppelte Jagen der Schiffsmaschinen wie ihren eigenen
Pulsschlag durch den ganzen Körper, von den Füßen bis zum Halse. Sie
sah sich um, völlig verständnislos.

Die Kranke lag und schlief. Durch die beiden runden Fenster glotzte
eine bleiche Dunkelheit. Es regnete nicht mehr. Es war windig geworden.
Zuweilen flogen, Möwen gleich, schneeweiße Fetzen von Gischt an den
dicken Scheiben vorbei.

Die »Princeß of India« hatte ihre schöne, schnelle Gelassenheit
verloren; sie raste mit berstenden Lungen vorwärts, vorwärts ...

Plötzlich wurden die Fenster weiß.

Ein tagheller, fressender Schein glitt an ihnen vorbei -- war gleich
wieder erloschen -- und kam wieder ...

Im selben Augenblick trat Kyrill Petulikow in die Kabine.

Er atmete sehr hörbar.

»Was ist?« fragte Beate. Sie stand noch an der Türe. Das spitze Licht
in seiner Hand erhellte ein wenig ihr vorgeneigtes Gesicht.

»Wir werden verfolgt,« antwortete Kyrill Petulikow.

Beate verstand nicht. »Verfolgt --?«

»Ja.« Er sagte es, aber sie hörte es nicht. Sie sah es nur an der
Bewegung seiner Lippen.

Sie wollte weiterfragen, aber sie kam nicht dazu.

Der schwere und rollende Schlag eines Kanonenschusses dröhnte über das
Jagen des Schiffes hin.

Die Kranke fuhr in die Höhe und schrie auf -- schrie zu allen Heiligen
...

Kate Mathew sprang ihr zu Hilfe.

»Heilige Mutter Gottes von Kasan -- was war das --?! Warum wird
geschossen, Kyrill -- Kyrill --?!«

»Ein deutscher Kreuzer verfolgt uns,« antwortete Kyrill Petulikow und
wandte sich nach Kate Mathew um, die fast gefallen wäre.

Aber es war nur ein Augenblick gewesen. Im nächsten hatte sie sich
schon wieder in der Hand.

Und fast ohne ein Wort zu reden, zerrte sie die jammernde und
widerstrebende Frau auf die Füße, half ihr, sich anzukleiden ...
Vorwärts, vorwärts, Lisa Petulikowa -- wir haben bei Gott nicht einen
Augenblick zu verlieren ... Das war ein blinder Schuß ... der nächste
wird scharf sein ... Es ist Krieg, und ein deutscher Kreuzer verfolgt
ein englisches Schiff ...

Ja, das tat er. Er fegte hinter der »Princeß of India« drein, daß die
lohende Glut aus allen Schornsteinen breit flackernd wehte. Er hatte
seinen knappen »Halt!«-Befehl zu dem flüchtigen Schiff hinübergefunkt,
aber die »Princeß of India« ergab sich nicht; sie floh weiter, was
die Maschinen hergeben wollten, und sie jagte ihre Hilferufe in alle
Richtungen der Windrose.

Der Mann am Marconiapparat würgte seine Flüche hinunter; der Schweiß
lief ihm übers Gesicht. Er bekam keine Antwort.

Und drunten im Heizraum standen zehn, zwölf nackte Menschen vor dem
geöffneten Rachen der Hölle, die Weißglut von sich spie, und das Wasser
verdampfte auf ihren krebsroten Körpern und verzischte auf dem Boden
unter ihren Füßen und rieselte und spülte unablässig um sie, während
sie keuchend, knirschend, mit versagenden Lungen und Augen, die aus
den Höhlen quollen, Felstrümmer, Berge von Kohlen in die gefräßige Glut
schleuderten.

Das Schiff stöhnte vor Anstrengung. Das gleichmäßige Sausen der
Maschinen wurde zum Geheul. Auf eine halbe Meile rund um die »Princeß
of India« war das Meer in kochenden Gischt zerschlagen und zerpflügt.

Aber es half ihr nichts ...

Der erste Schuß grollte über die Wellen. Er war ein letzter Haltbefehl.
Er jagte die schlafenden Fahrgäste aus den Betten; halbbekleidet,
grotesk und lächerlich, mitleiderregend hasteten sie die Treppen hinauf
-- drängten sich an das Oberdeck. Männer, Weiber, Kinder taumelten
durcheinander und klammerten sich an jeden Menschen, der ihnen in den
Weg kam -- fragten, heulten, beschwerten sich ...

Der Kapitän der »Princeß of India« war ein ruhiger und kaltblütiger
Mann. Er war fest entschlossen, es aufs Äußerste ankommen zu lassen. Er
ergab sich nicht beim ersten blinden Schuß. Den Revolver in der Hand,
erteilte er seine Befehle. Die Bedienungsmannschaft der Rettungsboote
flog an ihre Plätze. Das ohrenzerreißende Rufen der Trillerpfeife
gellte ununterbrochen über Deck. Das Schiff lag noch immer im bleichen
Dunkel der ersten Morgenstunde.

Aber da kam das weiße Gleißen wieder ... Der breite Keil eines
Scheinwerfers sauste aus der Höhe und Ferne des verfolgenden Kreuzers
mit einem schwingenden Zupacken zu dem fliehenden Schiff hinüber und
hielt es in den Klauen. Ein zweiter legte sich flirrend daneben ...

Zwei Sekunden später blitzte es drüben auf -- das Gebrüll eines
Raubtiers folgte ...

Zweihundert Meter hinter dem gehetzten Schiff schlug das Geschoß
ins kochende Gischten des Kielwassers und schleuderte einen Geiser
sprühender Wassersäulen haushoch in die Luft.

Auf der »Princeß of India« brach eine Panik aus.

Die Fahrgäste taumelten durcheinander, als seien sie betrunken
vom Schrecken. Das Geschrei der Frauen und Kinder übertönte jeden
anderen Laut. In dem weißen und eiskalten Licht der Scheinwerfer, die
das fliehende Schiff nicht aus den Fängen ließen, die es förmlich
aufzusaugen schienen, waren alle Gesichter verzerrt und durch das
Fremde, Niegedachte, Nieerlebte von einer Art grausiger Neugier
gespannt.

Aller Lippen standen offen; alle raunten, murmelten, schrien etwas.

Eine Gruppe von Frauen drängte sich um den Schweizer Missionar,
der barhäuptig und ohne Rock mitten auf Deck stand und mit
unerschütterlicher Stimme und hocherhobenen Armen die kräftigsten
Psalmen Davids sprach; die Stimmen seiner Frau und seiner Töchter
schwangen sich über die seine hinweg wie ein Flug von geängstigten
Tauben.

Die englischen Frauen und Mädchen, die kein Wort von dem verstanden,
was er sprach, merkten doch, daß er ein Geistlicher war und mit dem
Schöpfer des Himmels und der Erde verhandelte; sie warfen sich neben
ihm auf die Knie, reckten die Hände in die Höhe und mischten das irre
Gestammel ihrer Angst mit seinem ruhigen und fast gewaltigen Beten.

Die schneidende Stimme des Ersten Offiziers hallte scharf und hoch über
das ganze Schiff: »Wenn der Befehl zum Verlassen des Schiffes gegeben
wird -- die Frauen zuerst in die Boote --!«

Der Chilene kam, völlig betrunken, die Treppe heraufgestolpert. Er war
kreideweiß im Gesicht.

»Die Boote sollen ins Wasser gelassen werden!« schrie er und rannte
torkelnd in die Menschen hinein. »Wo ist der Kapitän --? Die Boote
sollen ins Wasser gelassen werden --!«

»Verhalten Sie sich ruhig, Herr --!« antwortete ihm der Erste Offizier
mit einem grimmigen Ton.

Aber der Chilene bekam einen mächtigen Verbündeten. Drüben auf dem
deutschen Kreuzer blitzte es zum zweiten Male auf, und das Gebrüll
des Schusses erschütterte die gepeitschte Luft, und diesmal schlug
das Geschoß keine Schiffslänge mehr hinter der »Princeß of India«
ins Wasser. Der aufspringende Wind trieb die Tropfenschleier des
hochgeschleuderten Geisers über die Menschen hin, aus deren Mitte ein
verworrenes Geschrei aufstieg und Worte gewann und schließlich drohende
Fäuste.

»Der Dampfer soll halten --! Der Kapitän soll das Zeichen geben, daß er
halten will --! In einer Minute können wir alle in die Luft fliegen --!«

Der betrunkene Chilene war der Wortführer einer Schar, die ständig
wuchs; er erzwang sich mit den rücksichtslosen Ellbogen der Trunkenheit
und der Angst den Weg zum Kapitän.

»Herr, lassen Sie das Schiff halten!« brüllte er, und um so lauter, je
mehr ihm das Grausen vor dem Erleben dieser Nacht nach der Kehle griff.
»Wir befehlen Ihnen, daß Sie das Schiff halten lassen --!«

»Ich verbiete Ihnen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen,« sagte
der Kapitän sehr scharf, denn er wußte recht gut, daß hinter dem
Chilenen eine brandende Mehrheit stand. Es ging um die Kommandogewalt
auf der »Princeß of India«.

»Ihre Angelegenheiten, Herr --?!« brüllte der Chilene. »Wenn wir von
dem Satan hinter uns in Grund und Boden geschossen werden, so ist
das ebensogut unsere Angelegenheit wie die Ihre --! Und wenn Sie sich
weigern -- Herr, ich sage, wenn Sie sich weigern,« wiederholte er und
schrie in der Fistel, während er dem Kapitän mit beiden Händen vor dem
Gesicht herumfuchtelte, »dann werden wir uns der Leitung des Schiffes
mit Gewalt bemächtigen --! Dann sind Sie Kapitän gewesen! Dann machen
wir selbst die Boote klar --!«

Der Kapitän der »Princeß of India« hob den Revolver in Augenhöhe.

»Den ersten, der sich untersteht, einen Schritt zu tun, den ich nicht
billige,« sagte er klingend, »schieße ich über den Haufen -- auf mein
Wort! Verhalten Sie sich ruhig, Myladies und Gentlemen! Ich habe die
Verantwortung -- das kann Ihnen genügen.«

Es trat ein Augenblick der Stille ein, in dem nichts zu hören war
als das Keuchen des fliehenden Schiffes und das Tosen des Wassers,
nichts als das Schluchzen einiger Frauen und die gehobene Stimme
des Missionars, über dem die volle Heiterkeit einer geliebten
Pflichterfüllung lag.

Das leise Jammern Jelisaweta Petulikowas war verstummt und hatte der
Stumpfheit Platz gemacht, die auf alles gefaßt ist und sich in alles
ergibt. Sie hockte auf ihren eigenen Fersen und war durch nichts zu
bewegen, aufzustehen und sich bequemer unterbringen zu lassen. Sie
hatte den Kopf mit den halbgelösten Haaren in die Arme vergraben und
zitterte unaufhörlich. Sie antwortete auf keine Frage mehr.

Neben ihr standen ihr Sohn und ihre Pflegerin. Und Kyrill Petulikow
ließ seine Augen mit einem sonderbaren Ausdruck auf der Frau ruhen,
deren Blicke nicht den Himmel, nicht das Meer, nicht die Menschen
suchten -- nur das Schiff hinter ihnen -- nur den deutschen Kreuzer.

Kate Mathew wußte es ebensogut wie der Chilene, wie die jammernden
Frauen und Kinder, wie der Kapitän und die Männer, die sich und ihre
Angehörigen mit Rettungsgürteln versahen: das war eine Fahrt auf Leben
und Tod. Und der Kreuzer fraß die Entfernung zwischen sich und dem
Engländer. Er mußte -- er würde ihn einholen ... Der nächste Schuß
würde der »Princeß of India« in den Flanken sitzen, so gewiß da drüben
deutsche Matrosen an den Geschützen standen.

Und wenn sie dann in die Rettungsboote gehen mußten -- die See
war aufgeregt wie die Menschen ... Es gab keine Gewähr gegen das
Unglück. Und der nächste Schuß aus den Kruppschen Geschützen konnte,
zu hoch gehalten, das Deck treffen, an Stelle des Schiffsrumpfes --
konnte mittenhineinschlagen in die Menschenmasse, die sich jammernd
zusammendrängte und sinnlose Schutzwände suchte.

Und doch war der Ausdruck auf dem Gesicht von Kate Mathew, das weiß und
leuchtend im vollen Schein der feindlichen Lichtströme stand, nicht
Furcht, nicht Haß, nicht Verstörtheit noch Ergebenheit ...

In ihren Augen, die sich ganz weit aufgetan hatten, in ihren Händen,
die sich falteten, in dem Sichöffnen ihrer Lippen, die nicht lächelten,
doch stets dazu bereit schienen, lag eine solche Inbrunst der Liebe,
wie Kyrill Petulikow sie noch niemals auf einem Menschengesicht gesehen
hatte.

Und darüber staunte er sehr, und seine Gedanken gingen wunderliche Wege.

Die Frau neben ihm wußte nicht, daß sie beobachtet wurde. Vielleicht
wäre es ihr in dieser Stunde auch gleichgültig gewesen. Sie sah dem
deutschen Kriegsschiff in die flammenwerfenden Augen hinein und spürte
eine närrische Sehnsucht, niederzuknien und zwischen Jauchzen und
Weinen das deutsche Schiff bei Namen zu rufen: »Du --! Du --!«

Sie liebte die Lichtkegel, die die Dunkelheit zerfraßen und das
englische Schiff in den starken Klauen hielten wie an straff
gespannten, bebenden Seilen.

Sie liebte die breite Fahne, die da drüben im Luftzug dieser rasenden
Wettfahrt knatterte und die sie nur mit den Sinnen ihrer Seele hörte
und sah; sie liebte das sprühende Feuer, das aus den drei Schloten
wehte; sie liebte die Rauchstandarte, die im Winde flog und flackte.

Sie liebte -- ja, sie liebte das Aufblitzen und Aufbrüllen der
deutschen Geschütze und würde das Geschoß lieben, das mit jeder Sekunde
hineinschlagen konnte in den Rumpf des englischen Schiffes, und wenn's
auch um den Preis ihres eigenen Unterganges wäre -- sie würde es doch
lieben ...

Denn all dies war ein Stück Heimat -- ein Stück von Deutschland, das
im Kriege stand mit der halben Welt -- etwas von allem, dem in dieser
Zeit ihre tiefste und schmerzlichste und ihre gläubigste Liebe galt --
Heimat, Volk und Vaterland ...

Und der Gedanke erfüllte sie mit einer heimlichen und grenzenlosen
Glückseligkeit: da unten, da, wo das Herz des Schiffes schlug, schlug
auch das Herz eines Menschen, der fühlte wie sie ... Auf diesem von
sinnloser Flucht gejagten Menschenboot, innerhalb dieser keuchenden,
glühenden, von Wut und Angst geschleuderten Menge, die zu Gott im
Himmel um Rettung schrie, war einer, der grimmig und herzlich lachte
-- einer, der nur darauf wartete, daß die »Princeß of India«, die
sich gutwillig nicht ergab, vom nächsten scharfen Schuß des deutschen
Kreuzers getroffen der Vernichtung in den Rachen taumelte -- und wenn
er mit hinunter müßte ... mit einem letzten Gedanken inbrünstigen
Hasses und inbrünstiger Liebe ...

»Nicht ohne mich, mein Mann,« flüsterte Beate und suchte mit ihrer
Hand, wie sie in diesen Tagen oft getan, den Pulsschlag der Maschinen,
die ein Gruß aus der brüllenden Tiefe waren; »nicht ohne mich ...«

Kyrill Petulikow sah, daß ihre Lippen sich regten; aber er verstand
nicht, was sie sagte -- er beugte sich zu ihr ... und im nächsten
Augenblick taumelten sie beide -- wie die Fichten um den Tempel der
Göttin mit den schönen Augen, als das Erdbeben sie warf.

Diesmal hatten sie gut gezielt auf dem deutschen Kreuzer ...

Das dröhnende Rollen des dritten Schusses mischte sich mit dem
kreischenden Laut, der die Flanken der »Princeß of India« zerriß -- und
mit dem aufgellenden Schrei der Menschen, die er halb zu Boden warf.

Jelisaweta Petulikowa lag auf den Knien und krallte ihre beiden
Hände in das Kleid ihrer Pflegerin; der Mund stand ihr offen und war
ganz verzerrt. Sie hatte den Blick einer Wahnsinnigen und schrie
ununterbrochen nach ihrem toten Sohne. Ihr Schreien war das eines
Kindes, das vor Schrecken verrückt geworden ist.

Beate bückte sich zu ihr und nahm den Kopf der Heulenden mit beiden
Armen an ihre Brust. Auch ihre Augen, ihre Lippen standen weit offen --
aber sie lauschte auf etwas anderes.

Mitten in dem tosenden Durcheinander von Rufen, Schluchzen, Brüllen,
Pfeifen hörte sie: die Maschinen der »Princeß of India« arbeiteten
nicht mehr im Takt.

Alle ihre Pulse waren in Verwirrung geraten. Jetzt rasten sie, und
jetzt hielten sie fast gänzlich inne -- und waren wie der Herzschlag
von einem, der mit dem Tode ringt.

Das Geschoß war in den Maschinenraum geschlagen ...

Die »Princeß of India« jagte noch immer wie von tausend Teufeln
besessen durch das zischende Wasser. Aber was sie vorwärts trieb, war
nur noch der eigene Schwung der Bewegung. Sie gehorchte der Steuerung
nicht mehr. Der ungeheure Leib des Schiffes taumelte wie betrunken.

Aus allen geöffneten Ventilen trillerte der abblasende Dampf mit einem
Zischen, das die Ohren taub machte. Das Schiff schrie, als sollten die
Sirenen platzen.

Rauch quoll aus der Tiefe ...

Der Chilene torkelte über das Deck und krallte die Finger in die Luft.

»Feuer --!« gellte seine Stimme auf. Und noch einmal: »Feuer --!«

Dann fiel er hin und schlug mit den Fäusten und Füßen um sich.

In einem Augenblick wußten es alle, daß er Recht hatte: Die »Princeß of
India« brannte in ihrer Tiefe.

Das zerreißende Jammern der Weiber, die ihre Kinder in den Armen
hielten, deckte die Stimme des Kapitäns zu, der den Befehl zum Halten
gab. Er hatte es nicht mehr nötig. Die »Princeß of India« war am Ende
ihrer Kraft. Noch ein paar hundert Meter vorwärts geschleudert ohne
Willen, lag sie treibend auf dem Wasser.

Langsam, unendlich langsam und dennoch merklich, neigte sie sich, wie
ein ungeheurer Riese, dem eine Flechse durchschnitten wurde.

Die Turbogeneratoren, die den Lichtstrom erzeugten, arbeiteten nicht
mehr. Das Schiff war in seinen Tiefen so dunkel wie die Tiefe des
Meeres. Aber die Scheinwerfer des deutschen Kreuzers badeten seinen
Untergang mit weißem, ganz enthüllendem Licht, das ohne alle Wärme
unbarmherzig war.

Das Schiff, das die deutsche Kriegsflagge trug, fegte mit der
wundervollen und federnden Kraft all seiner bedingungslos gehorchenden
Muskeln an die »Princeß of India« heran. In dem Augenblick, da das
erjagte Schiff seine Rettungsboote ins Wasser ließ, setzte auch der
Kreuzer seine sämtlichen Boote aus. Zwischen den beiden Riesen, über
die sich, das Licht der Scheinwerfer für Minuten trübend, der schwere
Qualm der Schornsteine wälzte, tanzten die schnellen und beweglichen
Geschöpfe auf den Kämmen der eingepreßten Wellen, mit ausgestreckten
Riemen, stoßbereit wie Vögel.

»Die Frauen in die Boote --!« brüllte der Kapitän.

»Die Frauen in die Boote --!« brüllten die Offiziere.

Kyrill Petulikow wollte seine Mutter aufheben. Sie sträubte sich;
sie hatte eine wahnwitzige Angst vor den gleichgültigen, langen und
greifenden Wellen, die ein Boot voller Menschen schleudern wie einen
Ball. Sie fühlte nicht, daß die »Princeß of India« sich mehr und mehr
neigte, achtete nicht auf den Rauch, der aus allen Luken dunkel quoll
-- sie fühlte nur, daß sie noch festen Boden unter den Füßen hatte, und
wollte ihn nicht verlassen.

Mit Gewalt schleppten Kyrill und Kate Mathew die Frau, die verzweifelt
um sich schlug, nach der Stelle, wo die Ausbootung vor sich ging.

Der Erste Offizier des deutschen Kreuzers schwang sich an Deck der
»Princeß of India«. Er grüßte den Kapitän.

»Ich bedaure, durch den Fluchtversuch Ihres Schiffes zu Gewaltmaßregeln
gezwungen worden zu sein,« sagte er. »Ich habe jedoch nicht viel Zeit.
Jeden Augenblick können englische Kreuzer auftauchen. Bitte, beeilen
Sie sich. In fünf Minuten muß das Schiff verlassen sein; wir sind im
Krieg.«

Der Kapitän grüßte. Mit der Uhr in der Hand verfolgte der deutsche
Offizier das Fortschreiten der Rettungsarbeit.

Es waren hauptsächlich Frauen an Bord der »Princeß of India« gewesen.
Sie hatten den Kopf verloren und wehrten sich teils verzweifelt
gegen die Hände, die sich nach ihnen ausstreckten, teils sprangen
sie blindlings über Bord, ins Wasser, das über ihnen zusammenschlug
-- in die schon gefüllten Boote hinein, denen, die sich darin
zusammendrängten, daß die Bemannung die Riemen nicht mehr rühren
konnte, auf die Köpfe.

Die Frau und die Töchter des Schweizer Missionars befanden sich im
zweiten Boot und streckten unter jammerndem Schreien die Arme nach dem
Mann und Vater aus, der noch auf Deck des Schiffes stand und unentwegt
seine starken und fast freudigen Gebete in das Toben der Verwirrung
schickte.

Die beiden Töchter von Sir Hugh Trelawney hielten sich eng umschlungen
und warteten, totenblaß und entschlossen, bis die Reihe an sie kommen
würde. Sie schienen sehr geneigt zu sein, dem deutschen Kreuzer die
Vernichtung der »Princeß of India« zu vergeben, weil er seine Sache
sportsmäßig tadellos gemacht hatte. Dafür besaßen sie Verständnis.

»Drei Minuten,« sagte der deutsche Offizier laut.

Der Chilene, den angesichts der doppelten Gefahr von Wasser und
Feuer die Seekrankheit mit allen Krallen gepackt hatte, stieß einen
gurgelnden Schrei aus und arbeitete sich mit wütenden Ellbogenstößen
eine Gasse durch die Frauen, die ihm vorgezogen wurden.

Der Kapitän der »Princeß of India« nahm ihn beim Kragen und schüttelte
ihn wie einen nassen Hund ... »Feigling, infamer --!«

Aber die Angst um sein Leben gab dem Betrunkenen doppelte Kräfte. Er
riß sich los und sprang über die Reling, schlug mit flachem Körper auf
den Rand eines Bootes auf, das eben abstoßen wollte, und glitt ins
Wasser. Von der nächsten Welle zurückgetrieben, stieß das Boot mit
voller Wucht gegen den Körper des Schiffes -- gerade in dem Augenblick,
als der Chilene wieder auftauchte. Er stieß einen grauenvollen Schrei
aus, den niemand hörte, denn die heranrollende Welle spülte über
seinen aufgerissenen Mund ... Ein Matrose bückte sich, um nach dem
Versinkenden zu greifen; aber der ging unter wie ein Sack.

Kyrill Petulikow trug seine Mutter die Treppe hinab; irgend jemand nahm
sie ihm aus den Armen; sie wehrte sich nicht mehr. Sie war ohnmächtig
geworden.

»Miß Kate!« schrie der Russe und sah sich nach allen Seiten um. »Miß
Kate --!«

Kate Mathew antwortete ihm nicht.

Sie wollte das Schiff nicht verlassen, ehe sie nicht mit eigenen Augen
gesehen hatte, daß auch die Heizer alle es verließen. Sie verkroch sich
in einen dunklen Winkel und preßte die Zähne in ihre Hand.

»Nicht ohne dich, Gerd ... nicht ohne dich ...«

Sie hörte das Rufen Kyrill Petulikows, aber sie drückte sich nur noch
tiefer in ihr Versteck ...

»Nicht ohne dich ... nicht ohne dich ...«

Es waren keine Frauen mehr an Bord -- nur sie allein. Die männlichen
Fahrgäste verließen das Schiff, das Personal, die Offiziere -- und die
Heizer. Aber der, den sie suchte, war nicht dabei.

Von den Heizern waren drei oder vier verwundet ... Einen mußten sie
ins Boot hinuntertragen. Sein nackter Oberkörper war mit einem Tuch
verhüllt, das dunkle Flecken zeigte.

Kyrill Petulikow suchte noch immer und rief nach ihr, die nicht hören
wollte.

»Fertig --?«

»Nein, um Gottes willen, nein --!«

»Bitte, beeilen Sie sich -- es ist die letzte Minute ...«

Das Wort jagte die Frau aus ihrem Winkel hervor. Sie wollte in das
Schiffsinnere hinunter. Sie wollte den Mann suchen, den sie vermißte.
Sie würde den Weg wiederfinden, den sie damals gegangen war. Sie würde
nach ihm rufen -- mochte dann geschehen, was wollte ...

Bei dem ersten Schritt, den sie tat, entdeckte Kyrill Petulikow ihren
Schatten. Er stolperte auf sie zu und griff nach ihr.

»Kate -- Kate, haben Sie den Verstand verloren --?!«

Er zerrte sie hinter sich drein; sie wehrte sich wie ein wildes Tier.
Sie wollte ihm sagen: »Lassen Sie mich los! -- Lassen Sie mich frei --!«

Aber in der fürchterlichen Verwirrung dieser Stunde fehlten ihr die
Worte der fremden Sprache. Sie konnte sich nicht besinnen, und wenn der
Weltuntergang daran gehangen hätte, was das für Laute waren, die sie in
diesem Augenblick brauchte. Sie rüttelte an den Armen, die sie hielten,
und biß in die Hand, die ihre Hände fesseln wollte.

Mit schleifenden Füßen hängte sie sich, so schwer sie konnte, an die
Kraft des Mannes, den sie ermüden wollte. Aber sie vermochte nicht,
ihn zu bewegen, daß er sie losließ. Die deutschen Worte sprangen ihr
bettelnd auf die Lippen, aber sie würgte sie mit einer ungeheuren
Anstrengung hinunter. Nichts verraten -- ihn nicht -- sich nicht ...
Heiliger Gott im Himmel!

»Fertig --?«

Der deutsche Offizier sprang in das letzte Boot. Gleichzeitig mit dem
seinen stieß auch das, in dem Kyrill Petulikow, Beate quer vor sich in
den Armen haltend, angelangt war, von der »Princeß of India« ab.

Beate ließ sich zu Boden fallen; sie krallte mit beiden Händen in ihr
Haar.

Als das letzte Boot dreißig Meter von dem verlorenen Schiffe entfernt
war, erschien droben, an der Reling der »Princeß of India«, ein Mann,
dem das Blut über das Gesicht lief. Er hob den nackten Oberkörper; der
linke Arm gehorchte ihm nicht; er winkte mit dem rechten. Und er schrie
mit der ganzen Kraft seiner Lungen zu den deutschen Matrosen hinüber:
»Kameraden --!«

In dem Boot, in dem Kyrill Petulikow saß, entstand eine Bewegung. Eine
Frau war aufgesprungen und hatte sich mit einem Rufe, den niemand
verstand, ins Wasser geworfen, um nach der sinkenden »Princeß of
India« zurückzuschwimmen.

Ein Mann neben ihr, ein englischer Matrose, packte sie bei den Haaren
und hob sie ins Boot zurück, wo sie regungslos liegenblieb.

»Es ist nichts, es ist nichts,« sagte er gleichmütig und schob ihr
seinen Rock unter den triefenden Kopf. »Sie hat wahrscheinlich den
Verstand verloren.«




                                   6


Wellen kamen -- aus einer unendlichen Tiefe her. Sie stiegen auf ...
müde, müde ... waren so dunkel und so schwer wie schwarzer fließender
Marmor. Und immer, wenn sie dem Lichte des Bewußtseins und dem Tage
nahe kamen, ebbten sie langsam wieder zurück und versanken in einem
Meere von Verwirrung und Unlösbarem.

Beate schlief nicht. Sie träumte auch nicht. Sie lag nur unbeweglich
und fühlte mit weit offenen Augen, wie die dunklen Wellen aus ihrer
Tiefe heraufkamen und zu ihr emporstiegen, immer schwerer, immer
breiter -- langrollend und unaufhaltsam. Im nächsten Augenblick würden
sie über sie wegfluten oder sie fassen und mit sich saugen in die
grenzenlose Dunkelheit, aus der sie gekommen waren, um wieder in ihr zu
versinken.

Dann suchte sie irgend etwas, an das sie sich anklammern konnte --
vermochte kein Glied zu rühren und fühlte das Versagen ihrer Lungen,
wollte schreien und schrie doch nicht ...

Denn immer, wenn sie die Lippen öffnen wollte, blitzte als einziges
Licht in der Finsternis das Warnen ihres Verstandes auf: nichts
verraten -- verrate dich nicht ...

Dieses wachende Licht erlosch nicht einmal im Fieber. Aber es war
schuld daran, daß ihr Puls und ihr Hirn nicht zur Ruhe kommen konnten
-- daß sie mit fliegendem Atem und dem Herzschlag eines kleinen
kranken Kindes in der Kabine des holländischen Dampfers lag, der die
Mehrzahl der Fahrgäste von der »Princeß of India« dem deutschen Kreuzer
abgenommen hatte.

Von der »Buitenzorg« wehte der Heimatwimpel; sie kam von Batavia
und wollte nach Amsterdam. Kyrill Petulikow und seine Mutter hatten
beabsichtigt, auf gleichem Wege heimzukehren, wie sie ausgefahren
waren. Aber die Pforte hatte die Dardanellen gesperrt, und schon der
Gedanke an die Möglichkeit, noch einmal zwischen zwei Staaten zu
geraten, die in Meinungsverschiedenheiten waren, genügte, um Lisa
Petulikowa krank zu machen -- um so mehr, als die Ereignisse, die
hinter ihr lagen, ihrer Gesundheit schon einen schweren Stoß versetzt
hatten.

Kate Mathew fehlte ihr.

Die junge Holländerin, die ihre Pflege übernommen hatte, konnte sich
mit ihr nicht verständigen und brachte die Kranke, der alle Nerven
bebten, zu Weinkrämpfen durch die Unerschütterlichkeit ihrer heiteren
Seelenruhe, durch ihre roten Pausbacken und ihre blanken Augen -- und
durch die unschuldige Freude, die sie an den Tag legte, wenn Lisa
Petulikowa das Essen zurückschickte.

Am Tage, bevor die »Buitenzorg« in den Suezkanal einfuhr, fragte Kyrill
Petulikow, ob er Kate Mathew sprechen könne.

Der Schiffsarzt zuckte die Achseln. Gewiß könne er das; aber es sei
die Frage, ob sie ihm antworten würde. Sie war nicht eigentlich krank;
es lag nur eine Starrheit über ihr, wie über einem Menschen, den der
Schreck versteint hat. Es bestand nicht die geringste Gefahr für ihr
Leben; aber es schien, als weigere sie sich, zum vollen Bewußtsein
zurückzukehren. Ihr Geist tastete sich einen weiten Weg zurück, aus der
Dunkelheit ins Licht; aber wenn sie an der Türe des Erkennens stand,
die Klinke schon in der Hand hatte, schauderte sie und kehrte wieder um
-- tauchte von neuem unter im Nichts.

Kyrill Petulikow sagte, er wolle sie trotzdem sprechen. Sie sei
die Pflegerin seiner Mutter gewesen und habe immer gewußt, wie man
am besten mit der Kranken fertig werden konnte. Vielleicht war sie
doch imstande, ihm das Mittel zu nennen, das sie angewandt, um Lisa
Petulikowa zur Ruhe zu bringen ...

»Versuchen Sie's,« meinte der Arzt. »Es wäre ein großes Glück, wenn
es Ihnen gelänge, dieses Mädchen aus seiner Stumpfheit aufzurütteln.
Der Zustand, in dem sie sich befindet, erinnert verzweifelt an eine
beginnende Geisteskrankheit ...«

Kyrill Petulikow antwortete nicht.

Das saubere und freundliche Geritje, das die Kabine mit Kate Mathew
teilte, war sehr erstaunt, als der junge Russe bei ihnen eintrat; es
lächelte sein hübschestes Lächeln und wollte ihm das Feld überlassen.
Aber Kyrill Petulikow nickte ihr zu, sie möge nur getrost dableiben.
Von Geritje wußte er, daß sie kein Französisch verstand.

Kate Mathew hatte seinen Eintritt nicht bemerkt.

Sie lag, wie sie seit vielen Tagen zu liegen pflegte, mit weit offenen,
trockenen Augen, die nichts sahen, und mit krampfhaft geschlossenen
Kinnbacken, als müsse sie etwas in ihrem Munde festhalten, an dem ihr
Leben hing. Ihre Hände, die ganz durchsichtig geworden waren, lagen
bleich und schmal ausgestreckt auf der bunten Decke ihres Bettes. Ihre
Wangen waren so eingefallen, daß sich alle Zähne dahinter abzeichneten.
Sie glich sich selbst so wenig, daß Kyrill Petulikow Mühe hatte, sie
zu erkennen.

Und er dachte, während er auf sie niedersah, daß Kate Mathew nicht der
Mensch war, den die Angst, das eigene Leben zu verlieren, um seinen
klaren, starken Verstand brachte.

Er hatte nicht nach Kate Mathew gefragt um seiner Mutter willen; aber
er glaubte, vielleicht sei die Mahnung an ihre Pflicht das einzige, was
imstande war, die Wand zu durchstoßen, die sie vom Bewußtsein schied.

»Miß Kate,« sagte er behutsam, indem er sich über sie beugte, »meine
Mutter ist sehr leidend; sie verlangt nach Ihnen. Werden Sie kommen?«

Ja, nun war es geschehen. Nun hatte eine andere Hand die Türe
aufgemacht, vor der Kate Mathew sich so geängstigt hatte. Sie schrak
zusammen und faltete die Stirn, als besänne sie sich auf die Worte, die
sie gehört; und dann begriff sie.

Es ging nicht an, daß man sich vor dem Leben verkroch und sich taub und
blind stellte. Das Leben kannte seine Diensttauglichen ganz genau und
rüttelte sie wach, wenn es glaubte, daß es Zeit sei.

Sie war nicht Beate Hoyermann, die sich fallen lassen durfte und ihre
Not austrinken wie eine Schale voll von betäubendem Wein. Sie war
Kate Mathew, Stewardeß auf der »Princeß of India« und Pflegerin einer
kranken Frau, die nach ihr verlangte.

In ihre Augen kam der Blick zurück. Sie faßte die Gegenstände und den
Menschen, der sich über sie beugte, und begriff sie und was sie von ihr
wollten.

»Ja,« sagte sie, die Lippen regend, als müsse sie erst wieder sprechen
lernen. »Ja, ich komme.«

Kyrill Petulikow hatte noch weitersprechen wollen; aber die Enge und
Ungemütlichkeit des Raumes bedrückte ihn.

Er sagte: »Danke, Miß Kate,« und ging hinaus. Auf dem Gang, den sie
durchschreiten mußte, wartete er auf sie.

Er brauchte nicht lange zu warten.

Nach zehn Minuten kam sie aus der Kabine, in dem schwarzen Kleid,
das sie am Tage der Schiffskatastrophe getragen und das um ihren
abgemagerten Körper schlotterte. Sie ging mit ganz unsicheren Füßen und
dennoch eilig, mit den ausgestreckten Fingerspitzen rechts und links
die Wände des Ganges berührend. Ihre Augen standen noch immer viel zu
weit offen, und es sah aus, als hätten sie sich nie mehr geschlossen,
seit sie das Letzte -- das Bild des verwundeten Mannes auf der »Princeß
of India« -- geschaut, und als sähen sie es noch immer. Über ihre
Lippen, die das Fieber verbrannt hatte, flog der Atem. Ihre Füße
schlürften über den Boden, als seien sie sich selbst zu schwer.

Unwillkürlich machte Kyrill Petulikow eine Bewegung, als wollte er ihr
entgegengehen. Aber er besann sich und ließ sie auf sich zu kommen.

Kate Mathews geweitete Augen schienen durch ihn hindurch zu sehen. Er
stand an der Treppe, die zum Deck hinaufführte, und hielt die Kommende
mit einer kleinen Bewegung seiner Hand zurück.

»Verzeihen Sie,« murmelte Kate Mathew und schwankte, als sie
stehenblieb. »Ihre Mutter --?«

»Meine Mutter, Miß Kate,« sagte Kyrill Petulikow mit seinem mildesten
und ehrerbietigsten Lächeln, »mag ein wenig warten ... Sie haben sehr
lange keine Sonne gesehen und keinen Salzwind geatmet ... Das würde
Ihnen gut tun. Und ich möchte Ihnen dies und jenes sagen, ehe Sie zu
meiner Mutter gehen. Bitte, kommen Sie ...«

Sie machte nicht den leisesten Versuch des Widerstandes; sie ging
sofort auf die Treppe zu und begann, die Stufen hinaufzusteigen. Kyrill
Petulikow hatte das Gefühl, daß sie mit derselben Widerstandslosigkeit
in brennendes Feuer hineingegangen wäre, so völlig war sie ihres
eigenen Willens beraubt.

»Hier ...« sagte er und schob ihr einen Stuhl hin. Das Sonnensegel
dämpfte Licht und Wärme. Sie setzte sich und legte die flachen Hände im
Schoß zusammen. Sie sah den Mann nicht an; ihre Augen irrten über das
schöne, stille Meer, wie Vögel, die nicht wissen, wo sie ruhen sollen.

Kyrill Petulikow setzte sich ihr gegenüber.

»Miß Kate,« begann er mit einem vorsichtigen Rufen, als wünschte er,
sie aufzuwecken, damit sie seine Worte gut begriff, »ich möchte Ihnen
sagen ... vielleicht tut es Ihnen gut, das zu wissen ... der Mann,
der -- damals -- auf der ›Princeß of India‹ zurückgeblieben war und
verwundet schien und rief ... er ist gerettet worden ...«

Eine Weile schien es, als hätte die Frau ihn nicht verstanden. Sie
starrte ihn völlig blicklos an. Und dann ging ein Zittern über ihre
Lider, ihre Lippen, über ihre Hände, die sie ihm entgegenhob. Sie
hielt den Atem in der Brust zurück und schluckte krampfhaft, ehe sie
mit einem fast blöden Ausdruck fragte: »Was sagten Sie eben, Kyrill
Petulikow?«

Der Mann wiederholte seine Worte mit einer merkwürdigen Bitterkeit des
Tons. Er sah die Frau an und dachte: Ich bin ein Narr ... Und er stand
auf, um fortzugehen.

Aber er ging nicht.

Kate Mathew hielt ihn zurück -- weit mehr noch durch ihren Blick als
durch die unschlüssige Gebärde ihrer Hände.

»Er ist also gerettet worden?« fragte sie. »Er ist gewiß gerettet
worden?«

»Ja, Miß Kate,« antwortete Kyrill Petulikow.

Kate Mathew schloß die Augen. Und dann lächelte sie.

»Das ist gut,« sagte sie, mit einem schluchzenden Atemholen. »Das ist
gut ...«

Und dann stand sie auf. Sie hatte ihren Willen wiedergefunden, und sie
konnte auch wieder, was sie wollte.

»Sie wünschten mir etwas zu sagen,« meinte sie mit einem helleren Ton
und Blick. Sie stand vor Kyrill Petulikow, als erwartete sie seine
Anordnungen.

»Das Wichtigste habe ich Ihnen gesagt,« entgegnete der Russe ernst.

Die Frau sah ihm ins Gesicht. Und sie begriff, als sie seinem klaren
und etwas schwermütigen Blick begegnete, daß er, wenn auch auf falschem
Wege, zum mindesten ein Stück der Wahrheit erraten hatte. Und sie
begriff zugleich mit dem Instinkt der Frau, die sich in ihrer Liebe
sicher weiß und es nur natürlich finden würde, wenn Gott und seine
Engel, die Menschen und die Tiere und alles, was auf der Welt ist,
einzig dieser Liebe dienen würden, daß hier ein Mensch war, von dem sie
alles erbitten und alles nehmen durfte, weil er wußte, wie groß ihre
Liebe zu einem anderen war.

Sie wollte reden, aber Kyrill Petulikow schüttelte den Kopf.

»Sagen Sie mir jetzt nichts, Miß Kate,« kam er ihr zuvor. »Wenn Sie
die Bitte, die ich an Sie richten will, erfüllen werden, dann haben
wir noch reichlich Zeit vor uns, Geheimnisse aufzuklären -- falls Sie
glauben, daß Sie das tun möchten ...«

»Ihre Bitte, Kyrill Petulikow?«

Er zögerte einen Augenblick. Er schien ein Wort zu suchen, das dem
Mädchen gezeigt hätte, wieviel ihm an der Erfüllung seines Wunsches
lag. Aber dann sagte er ganz einfach: »Ich wäre Ihnen so sehr dankbar,
Miß Kate, wenn Sie meine Mutter nach Rußland begleiteten ...«

Er schwieg und wartete, ob sie etwas sagen würde; aber sie schien
von seinem Vorschlag so überrascht zu sein, daß sie zunächst nichts
erwiderte und ihn auch nicht ansah.

»Meine Mutter,« fuhr Kyrill Petulikow darum nach einer Pause fort, »hat
Sie sehr entbehrt, Miß Kate. Sie haben eine feste und sanfte Art und
sind der einzige Mensch, von dem sich meine Mutter etwas abschlagen
läßt, das ihrer Krankheit förderlich wäre. Wir haben noch eine endlose
Reise vor uns, die der Kriegszustand doppelt erschwert. Die Pforte hat
die Dardanellen gesperrt. Ich glaube kaum, daß meine Mutter die Geduld
besitzen wird, so lange in Ägypten zu bleiben, bis die Meerstraße
wieder geöffnet ist. Wir wollen über Griechenland und Rumänien nach
Rußland reisen ... Sie können sich denken, was solch eine Reise für
meine Mutter bedeutet ... Sie würden ihr alles so sehr erleichtern ...
Und auch mir, Miß Kate ... Aber ich bitte nicht um meinetwillen ...«

»Ich will nicht sofort eine Antwort von Ihnen,« schloß er seine Rede,
da Kate Mathew noch immer schwieg und vor sich niedersah. »Ich will
Ihnen gern Zeit lassen, mit sich zu Rate zu gehen. Ehe wir an die
Weiterreise denken können, bleiben wir mindestens vierzehn Tage in
Kairo. Vielleicht schenken Sie uns diese Zeit und sagen mir dann, was
Sie tun wollen. Ist es Ihnen so recht?«

»Ja,« sagte Kate Mathew mit einem dankbaren Lächeln. Sie holte tief
Atem und sah sich um.

»Was suchen Sie?« fragte Kyrill Petulikow.

Sie zögerte ein wenig; dann sagte sie, während ihr das Blut in die
Schläfen stieg: »Ich habe Hunger ...«

»Gut, gut,« sagte der Russe, nun seinerseits lächelnd. »Wir wollen
also wieder leben, wie es scheint ...«

Die Frau sah ihn an und nickte. Die Tränen standen ihr in den Augen.

»Sie sind sehr gut zu mir,« meinte sie ernst.

Kyrill Petulikow erwiderte nichts ...

Sechs Wochen nach der Abfahrt der »Princeß of India« von Japan kamen
die Fahrgäste der »Buitenzorg« in Ägypten an. Und am Abend des nächsten
Tages mietete Kyrill Petulikow für seine Mutter, deren Pflegerin und
sich die stillsten und schönsten Zimmer von Shephards Hotel in Kairo.

Man hatte ihre Pässe und ihr sehr bescheidenes Gepäck -- die
Riesenkoffer Lisaweta Petulikowas waren mit der »Princeß of India«
untergegangen -- mit einer Gründlichkeit und Strenge durchsucht, die
in schroffem Gegensatz zu der früheren Großzügigkeit der englischen
Zollbeamten stand.

Kairo war nicht mehr die Stadt, die sie sonst gewesen. Sie hatte
sehr viel von den Zügen der Weltdame verloren, sehr viel von ihrer
Lebhaftigkeit, ihrem gastfreien Sinn und ihrer Sicherheit. An deren
Stelle war das Gesicht des Feldherrn getreten, der Soldaten suchte --
Wachsamkeit und Nervosität.

Es gab auf den Straßen sehr viele Männer, die keine Polizeiuniform
trugen, aber auf alles aufpaßten und stets bereit schienen, ihre
Berechtigung dazu nachzuweisen. Sie waren sehr höflich, aber ebenso
bestimmt, wenn sie es für gut befanden, ein Haus, eine Brücke, eine
Straße für etliche Zeit zu schließen. Man erfuhr niemals den Grund
dieser Maßnahmen; aber sie häuften sich von Tag zu Tag.

Kyrill Petulikow ermüdete die Beamten der öffentlichen Sicherheit durch
seine Freude an dem fremden und starken Leben der Stadt, dem er mit
einer sanften Unentwegtheit nachforschte, ohne sich im mindesten um
politische oder militärische Grundsätze zu kümmern. Er geriet mitten
hinein in eine Abteilung frisch angekommener indischer Soldaten, deren
schmale und leidenschaftliche Gesichter er mit einer Art künstlerischer
Freude anstaunte. Er bat sehr höflich um Entschuldigung. Er wußte
mit solchen Dingen nicht Bescheid. Sein Lächeln entwaffnete jede
Entrüstung. Schließlich hatte man sich an ihn gewöhnt und betrachtete
ihn als einen liebenswürdigen und wohlwollenden Halbnarren einer
verbündeten Nation. Sollte man ihn in Gottes Namen laufen lassen ...

Lisa Petulikowa war großmütig genug, ihrer Pflegerin zuzureden, sich
den forschenden und genießenden Streifereien Kyrills anzuschließen.
Aber Kate Mathew machte keinen Gebrauch von dieser Erlaubnis. Die
Augen taten ihr weh, wenn sie über die Straßen ging und die turmhohen
Buchstaben der angeschlagenen Extrablätter ihr in allen Farben
entgegenbrannten.

Ja, die Deutschen hatten Lüttich erobert, hatten Brüssel besetzt und
Maubeuge genommen ... O, niemand dachte daran, zu leugnen, daß sie
tapfere Leute seien, diese armen Soldaten eines wahnsinnigen Kaisers
... Aber dann war die Schlacht an der Marne gekommen -- glorreiche Tage
für Frankreich und seine erhabenen Verbündeten ... mehrere Armeekorps
waren teils gänzlich aufgerieben, teils gefangen genommen ... Und die
Gefangenen erzählten greuliche Dinge über das Gemetzel, das die eigenen
Maschinengewehre in ihren Reihen angerichtet hatten, um Rebellion und
Empörung gegen die Führer zu unterdrücken ...

Ja, die Deutschen hatten die Russen ein wenig geschlagen, nachdem diese
ganz Ostpreußen besetzt und das Land einer Wüste gleich gemacht hatten
... Mein Gott, was hieß das, wenn Rußland ein paar tausend Soldaten
verlor ... Rußland hatte Millionenheere genug ... Und die Russen hatten
Lemberg erobert ...

In wenigen Wochen würden sie in Wien sein und bald darauf in Berlin,
und die Schlacht an der Marne feierte ihren Triumph in der endgültigen
Vertreibung des Feindes bis an das rechte Ufer des Rheins.

Bis Weihnachten war alles erledigt ...

Nun, Kate Mathew, die Engländerin, aus Sheffield gebürtig, hätte
mehr Freude über all diese Dinge an den Tag legen müssen, als sie in
Wirklichkeit tat. Sie war selbst für eine Engländerin ein wenig zu
gleichgültig gegen die Dinge der Weltgeschichte ...

»Miß Kate,« sagte Kyrill Petulikow eines Abends zu dem Mädchen, als sie
der Kranken das Orangenblütenwasser bereitete, »ich kann es begreifen,
daß man nach Japan fährt, ohne den Fujiyama zu sehen; denn wir haben
es in der Tat fertiggebracht, meine Mutter und ich ... Aber daß man in
Kairo ist, ohne die Pyramiden aufgesucht zu haben, das heißt, diese
Methode des Reisens ein wenig zu weit treiben ...«

Kate Mathew begriff sehr gut, daß dies eine Bitte sein sollte. Sie sah
die Kranke an und zögerte.

»Meine Mutter wird Sie entschuldigen,« fuhr Kyrill Petulikow mit
seiner liebenswürdigen Sanftheit fort, gegen die es kein Mittel gab.
»Wir reisen in wenigen Tagen ab ... Es ist ganz gewiß eine besondere
Schönheit der Erde, Sonnenuntergang und Mondaufgang bei der Sphinx von
Gizeh zu erleben ... Verderben Sie mir die Freude nicht -- kommen Sie
mit!«

»Wenn Sie es ausdrücklich wünschen, Kyrill Petulikow -- und Ihre Mutter
es gestattet ...«

»Beides, Miß Kate -- da es nötig zu sein scheint ...«

»Und wann wollen Sie aufbrechen?«

»In zehn Minuten werden die Esel vor der Treppe stehen.«

Der Eseljunge war pünktlich, und Kate Mathew war es auch. Achmed, der
jugendliche und reichlich verschlagen aussehende Besitzer der beiden
Reittiere, beschloß, als er Kyrill Petulikow in Begleitung einer
Dame kommen sah, ihn unerhört zu betrügen, was ihm am Ende auch in
Vollkommenheit gelang.

Da er den Russen französisch sprechen hörte, erwies er ihm die Ehre,
seinen Esel Napoleon zu nennen, während Miß Kate auf Lord Nelson saß.
Vor dem Kriege hatten sie zuweilen auch Bismarck und Radetzky geheißen,
aber seit der europäischen Verwicklung, von der Achmed nichts begriff,
als daß seitdem sein Geschäft zurückging, waren die Vertreter der
Mittelmächte beurlaubt.

Sie ritten langsam, solange sie sich im Getriebe der Straßen befanden,
das sich verstärkte, je mehr sie sich der Nilbrücke näherten.
Wasserverkäufer mit ihren schwappenden Ziegenschläuchen, Obsthändler
und Schuhputzer priesen Gott und sich selbst als die Wohltäter
der Menschheit. Ihre singenden Rufe gingen unter im Geschrei der
Zeitungsverkäufer, die das neueste Extrablatt ausriefen und eine
grellrote, mit schwarzen Schrägstreifen geschmückte Broschüre: »Die
Greueltaten der Deutschen in Belgien, nach amtlich beglaubigten
Aussagen von Augenzeugen!«

Kate Mathew kaufte sich das Heft. Es war billig -- einen Sixpence
kostete es. Der Verleger hoffte auf Massenabsatz, den er wahrscheinlich
auch fand. Kyrill Petulikow sah, daß sie das Heft kaufte, schien sich
ein wenig zu wundern, sagte aber nichts. Kate Mathew hatte das Gefühl,
daß sie ihn in diesem Augenblick enttäuschte, und sie freute sich
darüber. Sie steckte die Broschüre in ihre Manteltasche.

Längs der Straße, durch die sie ritten, säumten zu beiden Seiten,
dichtgedrängt wie Datteln auf einer Schnur, bettelnde Kinder,
Weiber und Greise den Weg, die meisten blind oder mit entsetzlichen
Augenkrankheiten behaftet, von der Not und der Sonne zu Gerippen
gedörrt, mit Lumpen bedeckt, ihre Krankheiten und Gebrechen entblößend;
sie streckten ihre leichendürren Hände aus und murmelten, zu faul, das
Wort »Bakhschisch« in seinem vollen Umfang auszusprechen, unaufhörlich:
»-- schisch, schisch -- schisch ...«

Kyrill Petulikow warf Hände voll kleiner und großer Münzen unter sie,
aber es war ein nutzloses Beginnen; das Elend schluckte seine Gaben ein
wie die Wüste den Tau -- und blieb Elend, wie sie Wüste bleibt.

Eine Schar von schwatzenden Fellachenweibern, verschleiert, dampfend
vor Hitze, kehrte über den Kasr en Nil nach ihrem Dorfe zurück. Über
ihren nackten Füßen klirrten die Spangen. Sie trugen die leeren Körbe
auf den Köpfen und hatten den Gang von jungen trächtigen Gazellen.
Vom Rücken ihrer Mütter herunter bettelten die Kinder, die noch nicht
laufen konnten, mit ausgestreckten Händchen: »--schisch.«

Als Beate den Nil erblickte, hielt sie unwillkürlich ihren Esel an. Sie
blickte nach Süden, woher er kam, und dachte an das Land, in dem seine
Quellen lagen -- das sie geliebt hatte und dessen Wasser sie getrunken.

Ein plötzlicher tiefer Jammer würgte sie am Halse. Kyrill Petulikow
fragte sie etwas; sie gab keine Antwort. Blind vor Tränen, die ihr die
Augen beizten, ritt sie weiter. Sie überließ es dem Russen und Achmed,
mit den bettelnden Bewohnern von El Kafr fertigzuwerden, die die Straße
nach Gizeh belagerten und unermüdlich neben den Fremden herliefen, um
ihnen unechte Skarabäen, falsche Münzen und Mumienglieder aus jüngster
Zeit der Schöpfung aufzudrängen.

Achmed schlug mit dem Stecken unter zornigen Anrufen Allahs,
des Allvermögenden, in das zudringliche Gesindel hinein, wobei
er nicht verfehlte, den scheinbar unerschöpflichen Sack seiner
schwerstwiegenden Schimpfwörter über das Gezücht von Hunden und
Schakalen auszuschütteln. Aber es nützte ihm nur wenig. Bis an die
Türe des Menahouse-Hotels, vor dem die mauerngefaßte Straße zu den
Pyramiden schon in blauem Schatten lag, blieben ihnen die Schmarotzer
der Pharaonen getreu. Dann erkaufte sich Kyrill Petulikow ihren
Verzicht auf weitere Annäherungsversuche durch Vermittlung des Portiers
mit einem Bakhschisch, dessen Höhe ihn für ewige Zeiten zu einem
Nationalheiligen von El Kafr erhob.

Kyrill Petulikow und Beate hatten auf dem Wege von Kairo nach dem
Menahouse-Hotel kaum ein Wort miteinander gewechselt. Jetzt, als
sie nach einer kurzen Pause der Erfrischung ihre Wanderschaft zur
Cheopspyramide fortsetzten, kam er an ihre Seite und sprach sie an.

»Ich wußte nicht, daß Ihnen dieser Ausflug so sehr ungelegen kommen
würde,« begann er das Gespräch. »Ich hätte Sie sonst nicht um Ihre
Begleitung gebeten, Miß Kate.«

Kate Mathew sah geradeaus.

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Kyrill Petulikow,« antwortete sie.
»Ich bin wahrscheinlich sehr ungerecht ... Das wird man, wenn man
unfrei ist. Ich weiß, wie gut Sie es meinen, und danke Ihnen ehrlich
dafür. Aber ich wünschte mir eben so sehr, Sie möchten mich in Zukunft
nur als die dienende Pflegerin Ihrer Mutter betrachten, wie ich mir
anderseits wünschen muß, daß ich von Ihrem guten Willen weniger
abhängig wäre.«

»Sie sind keine Dienerin,« sagte Kyrill Petulikow kopfschüttelnd.

»Ich bin es, denn ich bin im Dienst ...«

»Ja, ja ... Seien wir nicht kleinlich, Miß Kate ... Wenn eine Königin
zum Rocken greift, so wird sie keine Spinnerin; aber sie macht das
Spinnen zu einer königlichen Arbeit.«

»Halten Sie mich für eine verbannte Königin?« fragte Beate,
unwillkürlich lächelnd.

»Vielleicht,« antwortete Kyrill Petulikow etwas verträumt.

»Das ist etwas sehr Trauriges,« meinte die Frau.

»Nein, Miß Kate. Sie sind, so wie Sie nun leben müssen, doch ganz gewiß
ein königlicher Mensch -- wie Raffael ohne Hände der große Maler ...
Irgendein deutscher Dichter hat einmal so etwas gesagt.«

»Sie irren sich, Kyrill Petulikow.«

Der Russe schwieg, aber sie fühlte, daß er es nur tat, um ihr nicht
noch einmal zu widersprechen.

Sie gingen allein. Achmed war bei seinen Eseln zurückgeblieben; die
drei Beduinen, die ihnen bei der Ersteigung der Cheopspyramide helfen
sollten, waren vorausgegangen und erwarteten sie am Fuße des Grabmals.
Die Sonne stand nur noch zwei Hände breit über dem Horizont. Die Luft
war sehr dunstig.

Als sie droben standen, ging die Sonne unter.

Und die drei braunen Männer, denen die weißen Mäntel um die langen,
hageren Glieder schlugen, lösten sich die Gürteltücher von den Hüften,
breiteten sie aus und warfen sich zum Beten auf ihr Gesicht.

»Es ist kein Gott außer Gott ...«

Kyrill Petulikow und Beate hatten sich am Rande der platten Kuppe
niedergelassen und schwiegen.

Unter ihnen, vom Sande der Jahrtausende halb begraben, lag die Sphinx
und wandte ihr fremdes, strenges Haupt nach Osten, gen Sonnenaufgang.
Fern drüben schimmerten die Kanäle, vom Grün der Sykomoren überlaubt.
Und ganz verloren im Duft des Sonnensinkens ruhte die Stadt -- die
»Siegreiche«. Ihre schlanken, unwirklich zarten Kuppeln und Minarette
blickten aus den Träumen einer anderen Welt herüber zu den lastenden
Gräbern ihrer Königsahnen, und mitten zwischen beiden pfiff der
Schnellzug von Assuan.

Beate Hoyermann sah und hörte dies alles und bemerkte es doch nicht.
Sie spürte in der Tasche ihres Mantels das grell gebundene Heft über
die Greueltaten der Deutschen in Belgien, und sie kam sich vor, im
Angesicht der ausgebreiteten Herrlichkeit zu ihren Füßen, wie ein
Mensch, der Brot braucht und jemand schenkt ihm eine Perlenkette.

»Sagen Sie mir, Kyrill Petulikow,« flüsterte sie, um die Betenden nicht
zu stören, »würde es schwierig sein, von Rußland aus nach Schweden zu
reisen?«

Kyrill Petulikow sah aus, als müsse er seine Gedanken erst
zusammenrufen, ehe er antworten konnte.

»In Rußland ist alles schwierig,« meinte er dann; »aber in den meisten
Fällen ist es eine Geldfrage.«

»Das würde keine Rolle spielen ...«

»Wie die Verhältnisse jetzt im Kriege liegen, kann ich natürlich nicht
sagen, da ich Rußland verlassen habe, bevor der Krieg ausgebrochen war.
Aber ich glaube, mit einigem guten Willen wäre es zu erreichen, daß Sie
Schweden ... Übrigens, was wollen Sie in Schweden, Miß Kate?«

»Ich suche eine Brücke, um nach Hause zu kommen,« antwortete Beate.

»O -- und Sie wollen mit uns nach Rußland fahren --?«

»Es bleibt sich gleich für mich, auf welchem Umweg ich nach Hause
reise,« antwortete Beate etwas herb. Sie merkte an seinem Schweigen,
daß er diese Herbheit sehr wohl empfand. Mit einer unwillkürlichen und
starken Gebärde faltete sie die Hände.

»Es ist, wie es scheint, eine unglückliche Bestimmung, Kyrill
Petulikow, daß ich auf alle Ihre guten Worte eine rauhe Antwort haben
muß, wenn ich nicht heucheln will ... Aber in alles, was ich denke,
redet mir der Krieg hinein ... Wenn ich zu anderen Zeiten und nicht
als die Kate Mathew, die Sie kennen, auf dem Gipfel der Cheopspyramide
säße, dann würde ich's vielleicht den Männern da drüben nachtun, meine
Augen nach Sonnenaufgang wenden und anbetend sprechen: ›Es ist kein
Gott außer Gott‹ ... Aber dies ist dafür nicht die Stunde ... Und zu
anderen Zeiten wäre ich vielleicht sehr stolz darauf gewesen, daß
Ihnen und Ihrer Mutter so viel daran liegt, daß ich mit Ihnen reise --
und daß Sie mir die Kranke anvertrauen. Aber heute ist die Reise nach
Rußland für mich nichts als ein Weg, der auch ein anderer sein könnte,
um mich nach Hause zu bringen -- und den ich nur darum gehe, weil er
vielleicht trotz allem der beste ist ...«

»Sie nehmen großen Anteil am Kriege,« meinte der Russe nach einer Pause.

»Ja, das tue ich ... Sie nicht?«

»Nein,« sagte Kyrill Petulikow. »Nicht sehr. Nicht so, wie Sie es
meinen.«

»Das wundert mich,« meinte Beate und schüttelte den Kopf.

Kyrill Petulikow schwieg. Er wandte den Kopf von Beate ab und schaute
nach Westen, wo die Sonne nun ganz versunken war, wo die Wüste anfing
und die Nacht. Sie kam sehr rasch, ohne Dämmerung; alle Farben
erloschen, als stürben sie für immer. Die Unendlichkeit der erstarrten
Wellen im »Meere ohne Wasser« schien gleichsam mit geschlossenen Augen
unter dem blassen Himmel zu liegen, an dem die Sterne groß und weit
voneinander verstreut zu funkeln begannen.

Der Wind, der während des ganzen Tages fast unfühlbar gewesen, machte
sich nun auf und wehte von Nordwesten, mit einem langen, sehr sanften
Hauchen, schwermütig und einsam. Das kaum hörbare Gleiten, Rieseln und
Beben des Sandes wurde in der Vollkommenheit der Stille ringsum ein
Klang.

Die Sphinx war ganz in Dunkelheit versunken. Über Kairo, jenseits des
Nils, war der Himmel trüb golden vom Widerschein der erleuchteten Stadt.

Die Beduinen hatten sich niedergehockt und schwatzten leise
miteinander. Allmählich verstummten sie auch. Ihre weißen Burnusse
schimmerten in der Finsternis.

»Jetzt bin ich Ihnen ganz fremd geworden,« sagte Kyrill Petulikow nach
einer tiefen Stille, ohne sich umzuwenden.

»Ist es nicht ein wenig sonderbar,« meinte Beate dagegen, »wenn ein
Mensch -- und noch dazu ein Mann -- eines der größten Ereignisse der
Weltgeschichte miterlebt und sagt, er nehme keinen rechten Anteil
daran?«

»Was nennen Sie miterleben?« fragte Kyrill Petulikow. »Zur selben Zeit
auf der Welt sein? Ich bin nie Soldat gewesen und werde es nie sein
können.«

»Und ich bin eine Frau,« sagte Beate, -- »ich bin auch nie Soldat
gewesen und habe meinen Platz ein gut Stück hinter der Front, wo diese
auch sein möge ... Aber wer seine Heimat und sein Vaterland liebt, der
erlebt den Krieg mit allen Nerven und Fasern seines Herzens, und wenn
er nie einen Schuß mit eigenen Ohren zu hören bekommt.«

»Ich weiß nicht, ob ich mein Vaterland liebe,« sagte Kyrill Petulikow.

»Dann wollen wir nicht mehr über den Punkt sprechen,« antwortete Beate
und richtete sich ein wenig auf.

Es war wieder still zwischen ihnen. Kyrill Petulikow stützte den Kopf
in die Hand.

»Ich wünschte mir doch, Sie hörten mich an,« meinte er schließlich, und
seine stille Stimme tastete sich vorsichtig durch die Dunkelheit, als
sei sie ein lebendiges Wesen, das in der großen Einsamkeit verirrt und
müde nach Hause verlangte. »Aber ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen
können, Miß Kate. Wir sind einander so unendlich fern und fremd. Wenn
wir reden, so müssen wir unsere Worte im Geist aus zwei verschiedenen
Sprachen in eine dritte übersetzen; glauben Sie, daß es dann wirklich
noch dieselben Worte sind, die wir gedacht haben? Und warum soll ich es
Ihnen nicht sagen, Miß Kate ... ich habe es mir sehr gewünscht, einmal
mit Ihnen zu sprechen ... wie man eben nur ein einziges Mal mit einem
Menschen spricht, in besonderen Stunden, die nie wiederkommen ... Und
nun habe ich nicht den Mut dazu ... Denn man kann sein Tiefstes nicht
so hinschütten in den Sand, vor die Füße eines Menschen, der nicht
darauf achtet -- wenn man weiter mit ihm leben will. Es darf keine
Scham zwischen zwei Menschen sein, die unter einem Dache wohnen ...
Scham ist schlimmer als Haß; und manchmal ist sie seine Mutter ... Man
muß seine Seele in zwei Hände legen können, die sich zu einer Schale
zusammenfügen. Dann ist das Reden leicht ... Aber ich weiß nicht, ob
Sie mir Ihre Hände so geben wollen ...«

»Das will ich, Kyrill Petulikow,« sagte Beate geduldig.

»Ja, vielleicht. Aber Sie wissen nicht, ob Sie es bis zum Ende wollen.
Wer sind Sie und wer bin ich? Ich kenne nicht einmal Ihren Namen. Denn
Sie sind nicht die Kate Mathew, für die Sie sich ausgeben; daraus haben
Sie mir gegenüber nie ein Hehl gemacht, und das danke ich Ihnen. Und
ich möchte doch gern wissen, wie Sie eigentlich heißen, damit ich Sie
manchmal bei Namen nennen kann, wenn ich Sie selber rufe und nicht
irgendeine fremde Frau ... Und ich möchte, daß Sie mich nennen, wie
mich meine Freunde nennen, Kyrill Iwanowitsch ... Ah, ich möchte, daß
Sie ein wenig Russisch könnten, um mir dieses oder jenes Wort zu sagen,
das nur in der Muttersprache einen Sinn hat ...«

»Um Russisch zu lernen,« meinte Beate, »werde ich wohl kaum genügend
Zeit haben, Kyrill Iwanowitsch ... Aber bei Namen will ich Sie gerne
nennen, wenn Sie es wollen. Vielleicht kommt auch einmal eine Stunde,
in der ich Ihnen meinen Namen sagen werde ... Aber dann müßte es
Frieden sein, oder wir müßten einander in meiner Heimat wiedersehen,
was ich schwerlich glauben kann, solange es Krieg ist. Können Sie sich
nicht an Miß Kate gewöhnen?«

»Nein,« sagte der Russe kopfschüttelnd. »Miß Kate ist irgend jemand,
aber nicht Sie ... Ich hatte eine kleine Schwester, die Mascha hieß.
Sie ist als Kind gestorben; meine Mutter liebte sie nicht sehr. Meine
Mutter liebte nur Jewgenij Iwanowitsch, der ein schöner und starker
Mensch war und immer lachte ... Meine kleine Schwester war kein
heiteres Kind, aber wir liebten uns sehr. Und sie war ein schönes Kind,
obwohl sie immer vor irgend etwas zu zittern schien und sich in sich
selbst verkroch. Als sie starb und begraben werden sollte, versteckte
ich mich auf dem Friedhof in ihrem Grabe. Aber sie entdeckten mich, wie
sie den Sarg hinunterließen, und zogen mich herauf, und meine Mutter
war ganz verstört, weil sie sich vor allen Menschen meiner schämen
mußte. Ich habe meine Schwester nie vergessen. Sie ist in mir lebendig
geblieben, mit mir gewachsen und nun groß geworden. Aber nun weiß ich
nicht mehr, wie sie aussieht, und manchmal quält mich das ... Wenn ich
Ihren Namen nicht wissen soll, so möchte ich Sie Mascha nennen. Und der
Name ist sehr schwer von trauriger und inniger Verehrung ...« Kyrill
Petulikow lächelte ein wenig. »Das mag daher kommen, daß ich als Knabe
glaubte -- und heute noch nicht ganz sicher bin, ob ich mich in meinem
Glauben getäuscht habe --, daß meine kleine Schwester nun viel klüger
und stärker sei als ich, weil sie das Leben und den Tod gleichermaßen
überwunden hatte und bei Gott war, der sie liebte ...«

Kyrill Petulikow schwieg. Beate hatte den Arm aufs Knie gestemmt und
ihr Kinn in die Hand gelegt. Sie sah mit ganz verträumten Augen in den
grenzenlosen Schatten des »Meeres ohne Wasser« hinab.

»Soll ich nun sprechen?« fragte der Mann behutsam.

»Ja ... ja ...«

»Ich glaube, Sie lieben Ihr Vaterland sehr, Miß Kate, nicht wahr ...«

»Ja, weiß Gott ...«

»Sie lieben es, weil Sie an seine Zukunft glauben -- ist es das?«

»Ich weiß nicht, was der Grund ist -- und ob man überhaupt einen
braucht, um zu lieben. Aber ich glaube an seine Zukunft, und ich liebe
es ...«

»Ich könnte mir denken, daß es so wäre,« fuhr der Russe fort, »daß man
sein Vaterland mit dem Gefühl umschlösse, das eine Mutter, die nicht
wie die meine ist, für ihr Kind haben mag. Ja, das ist wunderlich,
nicht wahr ... Wir sind doch selbst die Kinder des Landes und müßten zu
ihm aufschauen als zu dem Älteren -- dem, das vor uns war, geheiligt
durch Überlieferungen, durch die Größe des Vergangenen -- das Geliebte
um der Ehrfurcht willen ... Und dennoch weiß ich: wenn ich mein
Vaterland lieben würde, dann würde ich es tun in einem Gefühl -- jenem
sehr verwandt, das wir für die Jüngeren haben, für die, die sind, wenn
wir nicht mehr sein werden, für die Kommenden, die Zukünftigen ... in
einem Gefühl des grenzenlos beglückten Beiseitestehens, unverlangend,
voller Ergriffenheit, dankbar und vertrauend ...«

»Ja,« murmelte Beate.

»Und ich könnte mir auch denken, wenn das Land, das man so liebt, in
den Krieg zöge, daß man mit jedem Herzschlag, mit jedem Atemzug und
jedem Gedanken bei ihm wäre in Angst oder Zuversicht, weil es um ein
Höher oder Tiefer die Würfel schüttelte ...«

»Ja ... ja ...«

»Ich könnte mir auch denken, daß man im Kriege sein Bestes opfert,
sein Leben wegwirft und fühlt: es ist nicht zuviel ... Denn das Opfer
ist gut und hat einen Sinn. Es wird Früchte tragen und gesegnet sein
... Das liebe Land, das geliebte Land wird größer durch die Opfer, die
es fordert -- wir fallen ihm wie Ähren dem Schnitter, damit es neue
Aussaat hat -- dieses Land, das junge, das zukünftige -- das Land von
morgen ... Ja, das wäre schön. Das könnte einem dazu verhelfen, sein
Leben zu lieben, nur um es als gedoppeltes Opfer darbringen zu können
... Aber Opfer, die Rußland gebracht werden, haben keinen Sinn ...«

»Das ist ein sehr hartes Wort, Kyrill Iwanowitsch ...«

»Sie werden Rußland sehen, Miß Kate -- Sie werden es mit Ihren klaren
germanischen Augen sehen und werden sagen: er hatte Recht, der Kyrill
Iwanowitsch ... Glauben Sie mir, es ist ein sinnloser Zufall, daß
die Grenze Europas quer durch Rußland läuft. Wir gehören nicht mehr
zu Europa. Wir sind Asien. Wir sind ein Koloß auf tönernen Füßen.
Unsere Dichter -- und wir haben herrliche Dichter! -- halten uns den
Spiegel vors Gesicht: Seht -- seht, wie ihr in Wahrheit ausseht ... Wir
betrachten uns und nicken: Ja, ja, du hast Recht, Brüderchen ... aber
was willst du? So sind wir nun einmal -- Gott hat uns so geschaffen
... Wenn ich das Saufen lasse, Brüderchen, so wird die Welt darum
nicht besser. Und der Schnaps schmeckt mir; warum soll ich ihn nicht
trinken, wenn er mir schmeckt? Er ist dazu da, um getrunken zu werden.
Und wenn ich ein Beamter bin, so ist es nicht schön von mir, wenn ich
mich bestechen lasse -- aber sage selbst, Brüderchen: soll ich das Geld
einem anderen lassen, einem Amtskollegen, der es doch auch nur versäuft
--? Wir sind allzumal Sünder vor Gott; aber Gott ist gut, er verzeiht
uns ...

»Es gibt auch andere -- Schwärmer, ja ... die machen Revolutionen.
Und es gibt auch Schurken; die machen den Krieg. Die einen wollen das
Heil für Rußland, die anderen für sich selbst. Und die Revolutionen
kosten Blut und Geld, und der Krieg kostet Blut und Geld, und wenn
irgend jemand dabei gewinnt, so ist es nicht Rußland. Wir haben uns in
eine Sackgasse verrannt und finden nicht den Mut zur Umkehr, das ist
es ... Wenn der russische Soldat sich schlägt und sich opfern läßt,
wie man Stiere opfert -- glauben Sie, er weiß, wofür er sich schlägt
und geopfert wird? Es ist ein Bild zum Heulen, Miß Kate: Millionen von
Menschen, die dumm und gutmütig in den Krieg ziehen -- für nichts ...
Denn wenn dieser Krieg überhaupt einem Lande Nutzen bringt, dann wird
es nicht Rußland sein.«

»Warum,« fragte Kate Mathew etwas hart, »gab sich Rußland dann zum
Schilde von Mördern her?«

»Ich glaube, diese Frage wird man Ihnen in London besser beantworten
können als in Petersburg,« antwortete Kyrill Petulikow vorsichtig.

Kate Mathew wollte etwas sagen, aber sie verschluckte es.

»Vielleicht wird man einmal behaupten,« fuhr Kyrill Petulikow fort,
»daß dieser Krieg auch von Rußlands Seite aus wirtschaftlichen Gründen
geführt worden ist. Und die Worte vom eisfreien Hafen und vom Einfluß
in Kleinasien werden wieder auftauchen ... Aber der schönste eisfreie
Hafen kann dem russischen Reiche das nicht geben, was es braucht: eine
andere Volksseele ...«

Beate hob den Kopf.

»Ich habe bisher geglaubt, daß die russische Volksseele sehr
liebenswert sei,« meinte sie.

»Ja. Für die anderen. Wir sind so unendlich sanft, nicht wahr ... Wir
sind die Ergebungsvollen und die Ungefährlichen. Wir haben das Lächeln,
das Christus hatte, als er seinen Feinden verzieh -- wissend und
wehrlos. Darum wurde er auch ans Kreuz geschlagen. Aber mit all unserer
sanften Ergebung in den Willen Gottes, der in Rußland sehr schlechte
Statthalter besitzt, sind wir so weit gekommen, daß wir keine Rettung
für den Staat mehr haben als Krieg oder Revolution. Und beide sind
zwecklos. Man rettet einen blutkranken Menschen nicht dadurch, daß man
ihn wirtschaftlich unabhängig macht; man erleichtert ihm höchstens sein
Siechtum. Aber darauf kommt es nicht an ... Man müßte ihm ein Bethesda
weisen, in dem er sich gesund baden könnte, und das liegt nicht am
Persischen Golf und nicht am Bosporus. Das müßte im Herzen Rußlands
selber liegen ...«

»Was nennen Sie das Herz Rußlands?« fragte die Frau.

»Das Herz jedes Volkes -- seine Mütter,« antwortete der Russe.

Kate Mathew machte eine Bewegung. »Die Mütter,« wiederholte sie. Und
unwillkürlich kam das Wort sehr versonnen aus ihrem Munde.

»Ja -- die Mütter ...«

Es war wiederum eine Weile zwischen den beiden Menschen ganz still. Und
als Kyrill Petulikow weitersprach, geschah es so leise und so stockend,
daß die Frau Mühe hatte, ihn zu verstehen.

»Vielleicht ist es nur ein neues Narrentum -- wer weiß es? --
Vielleicht sucht man immer in dem das Alleinseligmachende, was man
selbst am meisten entbehrt ... Vielleicht ist es eine Torheit mehr, die
Genesung des russischen Volkes in einem Traum von sehr mütterlichen
Frauen zu suchen ... Ich weiß es nicht ... Und wenn ich es auch gewiß
wüßte -- das wäre noch kein Schritt weiter zur Erfüllung dieses
Traumes. Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß Unglück zur Stärkung eines
Menschen notwendig und gut sei ... Die Glücklichen sind die Starken ...
Und wir sind nicht glücklich. Wir betrinken uns nicht um des schönen
Rausches willen und feiern unsere Feste nicht, weil wir das Leben
lieben. Wir betrinken uns, weil wir dann vergessen, und sind ekstatisch
heiter in der Erkenntnis, daß wir nichts anderes haben als den Taumel.
Und dann kommen die grauen Stunden der Ernüchterung, aus denen es
keine Errettung gibt als die neue Trunkenheit des Vergessens ... Und
wir müssen sehr viel vergessen und haben nichts, daran wir uns gern
erinnern -- nicht einmal die Stunden, da wir Kinder waren. Wir haben
auch keine Hoffnungen -- wir haben nur das Vergessen.«

»Sie sprechen von sich selbst,« meinte Beate halblaut. Es war eine
Mahnung.

»Ich spreche von mir wie von hundert und tausend anderen. Wir sind
arm und müde, weil unsere Kindheit arm und müde ist und sehr einsam.
Wir wissen nicht, was wir lieben sollen, und lieben uns selbst am
wenigsten. Es ist etwas Gespenstisches um unsere Heiterkeit wie um
unsere Trauer. Wir wissen, daß wir krank sind, aber wir glauben an
keinen Arzt. Die Schönheit der Erde stimmt uns traurig. Denn es hat uns
niemand gelehrt, als wir Kinder waren, daß sie für uns schön ist und
uns gehört. Das Leben schenkt uns nichts, wir müssen uns alles erobern,
ohne Eroberer zu sein. Denn niemand sagt uns, wenn wir Kinder sind,
welchen Weg wir gehen müssen, um glücklich zu werden; vielleicht wissen
unsere Mütter es selber nicht; auch das mag sein. Diese Frauen, die
immer ein wenig träge sind, die das Leben bitter gemacht hat, weil sie
es nicht verstanden, das Leben auszulachen -- die legen ihre breiten
Schatten auf unsere kindischen Wege und nehmen uns den Glauben daran,
daß unsere Zukunft einmal schöner sein könnte als ihre Gegenwart. Sie
lieben uns vielleicht als Menschen, wenn wir erwachsen sind. Aber sie
lieben uns nicht als Kinder, die beständig fragen, wünschen und hoffen.
Und das Erbe dieser Frauen ist es, das ein Volk von Männern mit sich
schleppt. Die Freudlosigkeit, die wir ererbt haben, die Sanftheit des
Entsagens und der Unglaube an morgen -- das ist's, woran wir elend
geworden sind. Aber nun liegt es uns im Blute ...«

»Vielleicht«, sagte Beate nach einer Stille, »wird dieser Krieg das
alles wachrütteln, was an Liebe, an Kraft und Hoffnung im russischen
Volke schläft ...«

»Wenn es eine Liebe ist, so ist es eine verzweifelnde,« antwortete
Kyrill Petulikow. »Denn wir werden am Ende dieses Krieges an nichts
reicher sein als an Gräbern.«

»So mutlos sind Sie ...«

»Ja ...«

Beate Hoyermann wandte den Kopf und sah dem Manne ins Gesicht.

»Sie sind nicht glücklich, Kyrill Iwanowitsch,« sagte sie gelind.

»Wer ist glücklich?« fragte der Russe mit einem Lächeln.

»Ich,« sagte die Frau. Dann verstummte sie. Sie legte ihren Kopf in
beide Hände.

»Nun wissen Sie,« fuhr Kyrill Petulikow fort, »warum ich an dem großen
Kriege weniger Anteil nehme, als Sie von einem Manne erwarteten --
und vielleicht auch zu erwarten berechtigt waren. Man kann ein großes
Unglück lieben, wenn es der Weg zu großen Zielen ist. Aber das Sinnlose
kann man nicht lieben ... Ich bin ein Bauer, wenn Sie so wollen, und
mein Vaterland ist meine Erde, die nimmt und gibt. Aber der Bauer
treibt keine Politik und kümmert sich nicht um die Händel der Welt,
solange man ihm die Äcker nicht verwüstet. Und auch dann denkt er:
Sie mögen die Städte und die Dörfer niederbrennen -- die Erde können
sie nicht verbrennen. Und das ewige Gesetz von Saat und Ernte bleibt
bestehen, wenn alle anderen Gesetze aufgehoben werden. Was will ich
mehr?«

»Es würde Sie also nicht bekümmern, wenn Rußland schwer geschlagen
würde?« fragte Beate Hoyermann.

»Nein, Miß Kate. Denn wenn die Männer, die Rußland in den Krieg
geschickt haben, Recht behielten, dann wäre das ein viel größeres
Unglück für das Land als eine Niederlage.«

»Und nach der Niederlage -- was dann?«

»Was dann? -- Nichts ... Sommer und Winter, Frost und Hitze, Samen und
Ernte -- Tag und Nacht ...«

»Und Sie stehen abseits und bauen den Acker. Auch das ist schön ...«

»Sie irren sich, Miß Kate. Sie denken jetzt, auch Bauerndienst sei
Vaterlandsdienst. Aber daran habe ich nicht gedacht. Und auch bei dem,
was ich tun will, wenn ich in Rußland sein werde, denke ich nicht an
Vaterlandsdienst ...«

»Was wollen Sie tun, Kyrill Iwanowitsch?«

Der Russe gab keine Antwort. Sie hörte an seinem Atmen, daß er reden
wollte, aber er schien die Worte nicht zu finden, die er suchte. Beate
Hoyermann ließ ihm Zeit. Und dann fragte sie noch einmal und mit aller
Zartheit einer guten Schwester: »Mascha fragt, was Sie tun wollen,
Kyrill Iwanowitsch ... Mögen Sie es ihr nicht sagen?«.

Er schwieg aber.

Beate fragte nicht weiter. Den Kopf in die Hand gelehnt, sah sie in
die Dunkelheit hinein, die immer blasser und blauer geworden war. Im
Nordosten über der Stadt war der Mond heraufgekommen. Er badete die
Stirn der Sphinx mit einem kühlen, weißen Licht. In El Kafr heulten die
Hunde; sie hatten Furcht. Die Nacht am Saume der Wüste hatte keinen
Frieden; sie war ganz unerlöst und schön wie eine schöne Tote.

»Warum fragten Sie mich, Miß Kate?« sagte Kyrill Petulikow tonlos.

»Sie wollten mich wie Ihre Schwester nennen -- warum tun Sie's nicht?«

»Ich weiß nicht, ob Sie mir antworten würden, wie Mascha getan hätte
...«

»Versuchen Sie's nur, Kyrill Iwanowitsch,« sagte die Frau, in der
stillen Sicherheit ihres Herzens gütig und fest.

Kyrill Petulikow holte tief Atem.

»Sie haben meinen Bruder nicht gekannt,« begann er. »Er war der Abgott
meiner Mutter, weil er ihr Ritter war. Während er lebte, liebte sie
ihn; als er gestorben war -- und als ein Held gestorben --, betete sie
ihn an ... Miß Kate, Kain war kein Russe ... Was wissen wir, wieviel er
litt, bevor er Abel erschlug?«

»Haßten Sie Ihren Bruder so sehr?« fragte Beate mit einer schweren
Bewegung.

»Nein. Ich haßte ihn nicht. Aber ich wünschte, ihm ähnlich zu sein.
Jewgenij Iwanowitsch ähnlich sein, das hieß: ganz sorglos, ganz
leichtsinnig, ganz ohne Schwermut sein, niemand in Wahrheit lieben und
die Liebe aller besitzen. Ich wünschte mir nur eine Liebe: die meiner
Mutter. Diese Sehnsucht meiner Kindheit und meiner Knabenjahre ist mir
sehr treu geblieben ... bis auf den heutigen Tag ... Und vielleicht
habe ich das Mittel gefunden, meine Mutter zu zwingen, daß sie mich
wenigstens nach meinem Tode liebt ...«

»Wollen Sie sterben, Kyrill Iwanowitsch?«

»Nein. Nicht so ... so ohne Sinn ...« Kyrill Petulikow beugte den Kopf
in den Nacken und sah in den lichtgetränkten Himmel hinauf. »Es ist
vielleicht eine närrische Torheit ... nun, was mehr? In meinem Leben
ist nichts, das weise wäre. Und ich kenne nichts Schöneres, als zu
fliegen -- die Erde unter sich wegsinken zu sehen -- losgelöst zu sein
von allen Gesetzen, denen wir hier unten dienstbar sind ... Ich habe
einen Freund, der auch Flieger ist; er war nicht sehr glücklich vordem
... Nun hat er den Rausch gefunden, dem kein Ekel folgt ... dieses
Gaukeln mit dem Tode ... Mein Bruder ging in den Krieg und fand den Tod
im Meere ... Da sie mich als Soldat nicht brauchen können und meine
Mutter mir das nicht verzeiht ...«

»O Kyrill Iwanowitsch --!«

»Was wollen Sie, Mascha? Es ist so ... Sie liebt mich nicht, weil sie
nicht stolz auf mich sein kann. Und es mag närrisch sein, das gebe ich
freilich zu -- aber ich sehne mich nach der armen Rechtfertigung meines
Lebens, daß ich den Tod nicht fürchtete ... und daß meine Mutter es
erfahren wird ... ja, danach sehne ich mich sehr ...«

»Sie lieben Ihre Mutter, Kyrill Iwanowitsch ...«

»Ja,« sagte der Mann. »Ja, ich liebe meine Mutter ... Oder ich weiß
nicht einmal, ob ich sie liebe ... Ich möchte nur, daß sie mich liebt
und daß ich ein Recht dazu hätte, es von ihr zu fordern -- da sie mir
das Recht nicht schenkt ...«

»So einsam sind Sie?« murmelte die Frau.

»Wir alle sind einsam, der eine mehr, der andere weniger, Mascha ...
Und dieses große Einsamsein macht uns zu Schwächlingen ... Jetzt
spreche ich, weil es Nacht ist und weil wir am Rande der Wüste sind
und gleichsam unkörperlich zwischen zwei Ewigkeiten. Morgen, wenn es
Tag sein wird und wir in der Stadt einander wiedersehen werden, bereue
ich es wahrscheinlich, daß ich ein Schwächling war und Sie beim Namen
meiner toten Schwester nannte, um Ihnen meine tiefste Seele in die
Hände zu schütten ... Kennen Sie die Sage von den Memnonsäulen? ...
Ich glaube, wir alle haben eine Stunde, in der wir zu klingen anfangen
... Und dann verstummen wir wieder und sind Stein ... Man sagt, die
Memnonsäulen klingen bei Sonnenaufgang ... Sie sind in mein Leben
hineingetreten, Mascha, wie ein starkes, klares Licht und haben alles
in mir zum Klingen gebracht, was steinern war ... Sie brauchen nicht
zu erschrecken ... Was ich sage, ist ganz ehrfürchtig und ohne Wunsch.
Ich habe Sie an jenem Tage -- in jener Nacht, da die ›Princeß of India‹
unterging, gesehen, wie Sie sich mit beiden Händen ins Haar griffen,
weil da auf dem untergehenden Schiffe ein Mann war, dem das Blut übers
Gesicht lief, und ich habe ihre irren Augen gesehen und die Gebärde,
mit der Sie sich ins Meer warfen ... Und ich habe Sie gesehen, wie Sie
die Augen schlossen, als ich Ihnen sagte, der Mann sei gerettet worden
... Sie haben Ihr Geheimnis, und ich rühre nicht daran. Und ich sage
Ihnen, was ich davon erriet, nur, um Sie meiner ganz sicher zu machen
...«

Beate Hoyermann faltete die Hände und hob sie vor ihre Stirn; und dann
ließ sie sie auf die Knie fallen und reckte sich in den Schultern.

»Ich will kein Geheimnis vor Ihnen haben, Kyrill Iwanowitsch,« sagte
sie fest, und die Worte fielen klingend in die Stille. »Ich habe Ihr
Vertrauen genommen wie ein Geschenk und gebe Ihnen das meine ... Der
Verwundete, den Sie auf dem Schiffe gesehen haben, war mein Mann.«

Kyrill Petulikow sagte nichts. Er wartete.

»Er hat als Heizer die Reise auf der ›Princeß of India‹ angetreten, wie
ich als Stewardeß, um nach Hause zu gelangen ...«

»Nach England?«

»Nach Deutschland ...«

Stille ...

Kyrill Petulikow hob die Hand und fuhr sich über die Stirn.

»Sie müssen Ihr Vaterland sehr lieben,« sagte er still.

»Das tun wir. Und nun habe ich's in Ihre Hände gelegt, Kyrill
Iwanowitsch, ob ich den Weg nach Hause finden werde oder nicht ...«

Kyrill Petulikow lächelte schwermütig.

»Sie irren sich, Mascha ... Selbst wenn ich wollte -- ich könnte nichts
gegen alle Ihre Schritte tun. Ich glaube, Sie sind einer von jenen
Menschen, die in ihrer Liebe gehen wie in einem Mantel aus Stahl und
Gold; nichts kann sie verletzen noch aufhalten. Wie die Heilige der
Sage gehen sie mit schlafwandlerischer Sicherheit über Drachen und
Teufel, die sich unter ihre Füße werfen ... Das Leben ist sehr seltsam,
Mascha. Immer gibt es uns so viel, daß wir von dem, was mehr wäre,
träumen müssen ... Auch das ist sehr schön ... Ich will Ihnen helfen
...«

»Geben Sie mir die Hand, Kyrill Iwanowitsch,« sagte Beate.

Der Russe nahm die Hand, die sie ihm gab, und hob sie an seine Lippen.
Aber er küßte sie nicht. Er bog den Kopf in den Nacken und gab ihre
Hand wieder frei.

»Wollen wir gehen?« fragte er, atemholend.

Beate stand auf. Sie weckten ihre schlafenden Helfer und begannen den
Abstieg, dem der Mond leuchtete.

»Ich möchte noch einmal der Sphinx ins Gesicht sehen,« sagte Beate.

Schweigend wanderten sie durch den feinen losen Sand.

Das volle Licht des Mondes lag auf dem kantigen Schädel des Rätsels der
Jahrtausende. Und um den Mund der steinernen Riesin lag der grauenhafte
Zug des Alleswissens und der Erkenntnis in das Nichts alles Irdischen.
Und ihre toten Augen, die dem Sonnenaufgang entgegensahen, waren voll
grenzenloser Gleichgültigkeit gegen das Lebende.

Schweigend, wie sie gekommen waren, gingen die Menschen.

Auf dem Heimwege nach Kairo, den Achmed der Eseljunge nur unter
standhaften Anrufungen Allahs auf sich nahm, blieb Kyrill Petulikow,
plötzlich anhaltend, stehen.

»Was war das?« fragte er und neigte den Kopf auf die Seite.

Beate hatte nichts gehört. Achmed, der an die Dämonen der Wüste dachte,
fing an, die heilige Fatah zu beten.

Über sein Flüstern hinweg ging ein heller, bretterner Ton. Es klang,
wie wenn dünne, harte Hölzer sehr rasch gegeneinandergeschlagen werden.

»Gewehrfeuer,« flüsterte Beate. Sie kannte den Laut aus ihren
ostafrikanischen Tagen.

Kyrill Petulikow trieb seinen Esel an. Achmed trabte ihm dicht zur
Seite. Er fürchtete sich anscheinend bedingungslos vor Menschen und
Geistern.

Plötzlich stieg aus dem trübgoldenen Schimmer der noch fernen Stadt
eine feine, sehr helle Flamme nadelspitz in die Luft. Und Sekunden
später folgte der Knall, den die Entfernung schwächte.

»Das sieht nicht sehr nach nächtlicher Übung aus,« murmelte der Russe.

Als sie näher kamen, schwirrte die Luft von einem grellen, doch schon
erstickenden Geschrei.

An der Nilbrücke standen zwei Posten, das Gewehr schußfertig in der
Hand. Sie verweigerten die Freigabe des Weges in die Stadt.

»Was ist denn los?« fragte Kyrill Petulikow durch Beates Vermittlung,
die sich als gute Britin auswies. Die Posten zuckten die Achseln.
Achmed schimpfte und machte sich mehrerer Beamtenbeleidigungen
schuldig. Nach einer Stunde ergebnislosen Hinundherredens kam die
Ablösung der Wache aus der Stadt, mit ihr ein Offizier, an den sich
Kate Mathew wandte, um gegen den Eingriff in die von Gott und aller
Welt anerkannte persönliche Freiheit jedes britischen Staatsangehörigen
Verwahrung einzulegen.

Der Offizier hörte sie ruhig bis zu Ende und sagte dann, ziemlich
einsilbig: »Es ist Krieg ...«

»In Ägypten --?!«

»Es scheint so ... Sie können weiterreiten ... Gute Nacht ...«

»Was heißt das?« fragte Kyrill Petulikow unterdrückten Tones, als sie
die Brücke hinter sich hatten.

Beate zuckte die Achseln. Sie atmete fieberhaft, und ihre Augen
funkelten vor Freude.

»Wartet --!« sagte sie vor sich hin, und nun sprach sie deutsch.
»Wartet nur!«

Am anderen Morgen erfuhren sie, daß in dieser Nacht zwanzig
Rädelsführer eines meuternden indischen Regiments erschossen worden
seien. Ein Pulvermagazin war in die Luft geflogen ...

Die Stadt war ruhig ...




                                   7


                            »Lieber Freund!

Ich schreibe Ihnen englisch, weil mir das sicherer erscheint. Ob der
Brief überhaupt in Ihre Hände kommen wird, das weiß Gott. Vielleicht
sind Sie gar nicht mehr in Japan. Vielleicht haben Sie meine Zeilen,
die ich aus Kairo an Sie richtete und die Ihnen soviel erzählen
sollten, auch nicht mehr erhalten. Manchmal, wenn ich mir überdenke,
was ich erlebt habe, seit Sie mir im ›Garten des Freundes‹ in Ihr
kleines Boot halfen, glaube ich meiner eigenen Erinnerung nicht und bin
wie im Traum. Aber das Leben träumt nicht, das ist sehr wirklich und
läßt es uns fühlen.

Seit vierzehn Tagen sind wir nach einer endlosen und höchst
ungemütlichen Reise auf dem Gute Lisa Petulikowas. Sie würden
wahrscheinlich sehr erstaunt sein, wenn Sie dieses Gut kennenlernten.
Es ist größer als manches kleine deutsche Fürstentum, und das
Herrenhaus sieht aus wie eine große Scheune. Ein langgestreckter,
einstöckiger Kasten, grau beworfen, mit winzigen Fenstern. Das Land
ist so flach wie ein Tisch, aber nicht reizlos, namentlich nicht jetzt,
da der Schnee kniehoch liegt.

Ja, mein Freund, als wir uns trennten, war es Sommer auch hier. Nun ist
es November geworden und Winter. Seit drei Monaten weiß ich nicht mehr,
wo meine Gedanken den Mann suchen sollen, den sie lieben. Sie haben
mir redlich geholfen, den Weg zu finden, der mir versperrt zu werden
drohte, um wenigstens nach Europa zu gelangen. Nun bin ich in Europa.
Bin ich meinem Ziele näher? Ich weiß es nicht!

Die Überwachung aller Grenzen -- auch der neutralen -- ist so streng,
daß es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein scheint, ohne genügenden
Ausweis an sein Ziel zu kommen ... Sie wissen, ich kann mich nicht
deutlicher ausdrücken. Ich fürchte schon bei jedem Wort, zuviel gesagt
zu haben. Von Rumänien oder Griechenland aus wäre ich als Kate Mathew
wohl nach Österreichs Grenze gekommen -- aber als Kate Mathew nicht
hinüber. Und da wohl Kyrill Petulikow weiß, wer ich bin, aber nicht
seine Mutter, habe ich es vorgezogen, in dieser Richtung keine weiteren
Schritte zu unternehmen, sondern auf bessere Gelegenheit zu warten ...

Meine dringlichste Bitte an Sie, lieber Freund, ist nun die: Schicken
Sie einen genauen Bericht der Vorkommnisse in Japan in ihren ganzen
Einzelheiten an eine schwedische Persönlichkeit, zu der Sie Vertrauen
haben und an die ich mich wenden kann, wenn ich von Rußland aus über
Schweden nach Hause zu kommen versuche. Und teilen Sie mir mit, ob Sie
das getan haben und was Sie mir weiterhin raten. Selbstverständlich
werde ich auch alle anderen Wege einzuschlagen versuchen, aber ich
möchte die Beruhigung haben, daß ich mich im Notfall auf Sie berufen
kann und wenigstens einen ungefähren Zeitpunkt vor Augen habe, an dem
ich auf meine Heimkehr rechnen kann.

Wie ich mich danach sehne, kann ich Ihnen nicht schildern. Sie wissen
es! Denn Sie wissen, wie ich mich nach Hause gesehnt habe. Meine
Gefangenschaft hier ist eine sehr gelinde, denn Kate Mathew genießt das
Vertrauen, das die Behörden für das Haus Petulikow haben, mit. Aber
meine Nerven ertragen es doch nicht mehr allzulange, nichts zu wissen
und alles zu befürchten ... Der Krieg geht seinen fürchterlichen Weg,
und ich erhalte keine Nachricht ...

Übrigens geht es mir nicht schlimmer als den meisten russischen
Familien selbst. Die mörderischsten Schlachten werden geschlagen, aber
weder das Ergebnis noch die Verluste werden bekannt. Die russischen
Mütter und Frauen brauchen ihr ergebenes Lächeln jetzt sehr notwendig
und auch ihre Dumpfheit gegen das Schicksal. Ich, weiß Gott, besitze
weder das eine noch das andere ...

Was soll ich Ihnen noch schreiben? Meine Tage sind einförmig in
verschiedenste Pflichten eingeteilt. Die oberste heißt Lisa Petulikowa.
Sie bedarf meiner, und das macht mich ein wenig ruhig in aller
Unruhe, daß ich doch einem Menschen etwas nützen kann, wenngleich ich
tausendmal lieber in einer Seuchenbaracke daheim Pflegerin wäre. Die
Menschen hier sind gut gegen mich. Und ich bin ungerecht, ich weiß es,
denn es geht mir wohl. Aber ich wäre doch lieber zu Hause und teilte
die Not meines lieben Landes, als daß ich hier in der braven Sicherheit
der Fremde sitze.

Man redet in den Zeitungen viel von dem baldigen Ende Deutschlands.
Nun, dann wäre der Krieg aus ... Was soll ich darüber sagen? Ich kann
es mir nicht denken, daß das wahr sein soll. Wir hören hier nur die
Kriegsberichte der Entente ...

Und Kiautschou ...

Lieber Freund, Sie waren ein sehr, sehr guter Prophet ...

Was soll ich Ihnen noch erzählen? Es ist sehr schwer, Lebensberichte um
den halben Erdball herumzuschicken. Alles wird schwerfällig und unklar.
Auch muß ich immer denken, daß der Brief doch nicht in Ihre Hände
kommen wird, und das macht mich ganz unfrei.

Ich lerne Russisch. Kyrill Petulikow gibt sich viel Mühe mit mir. Wenn
nicht diese verwirrende Fülle fremder Schriftzeichen wäre, käme ich
wohl noch rascher voran. Aber ich fürchte -- oder ich hoffe, -- mein
Aufenthalt in Rußland wird nicht ausreichen, um mir die Sprache ganz zu
eigen zu machen.

Kyrill Petulikow bastelt halbe Tage und Nächte lang an seiner
Flugmaschine. Er behauptet, eine Erfindung gemacht zu haben. Ich
verstehe nichts vom Technischen, aber er hat einen ansteckenden Eifer.
Ich fange wirklich an, mich auch dafür zu interessieren. Im Grunde
genommen ist es ganz einfach. Die Beherrschung einiger Handgriffe --
nicht einmal so sehr viel körperliche Kräfte gehören dazu. Nur die
Nerven muß man in der Hand behalten -- und namentlich dann, wenn es das
Menschlichste wäre, die Augen zuzumachen und das Ende dem Zufall zu
überlassen. Manchmal denke ich ...«

Beate Hoyermann unterbrach sich im Schreiben, richtete sich auf und sah
gerade vor sich hin. Dann legte sie die Feder aus der Hand und stützte
den Kopf in die Hände.

Es war drei Uhr nachmittags und dämmerte schon. Aber das Schneeleuchten
gab noch ein feines, unirdisches Licht.

Das Zimmer, in dem Beate Hoyermann wohnte, lag im Giebel des Gutshauses
und schaute mit seinen drei niedrigen Fenstern auf das flache Feld
hinaus. Der Himmel über dem Felde war so ungetönt wie Wasser. Seit
Wochen hing er voller Schnee. Und Schnee lag, grenzenlos weit und
dicht, über dem demütigen Lande.

Beate liebte das Bild, das sich ihr von ihrem Platze aus bot, mit einer
Art von schmerzlicher Liebe. Es störte sie nicht; es war traurig und
still und paßte zu sehnsüchtigen Tagen und schlaflosen Nächten gut.

Nach Westen zu schloß ein Wald den Augenkreis -- einer von jenen
unendlichen Wäldern, die tief und unerforschlich sind wie die Wüste
und wie das Meer. Er schien ganz unlebendig; die Bäume standen
bewegungslos. Wenn eine Axt sie getroffen hätte, so wäre ein Klang
durch sie hingefahren wie von zerspringendem Kristall. Zuweilen
strichen die Krähen von ihren Horsten aufs Feld hinaus oder zum
Gutshof hinüber. Sie starben zu Tausenden in den strengen Stunden der
Frühdämmerung. Wenn der Wind ging, blies er ihre Federn in Wolken über
das fleckenlose Weiß rundum.

Tausend Schritte vom Gut entfernt lagen die geduckten Holzhäuser der
Bauern, bis an die Fenster im Schnee versunken. Manchmal -- ganz selten
-- kam ein Wagen, ein Schlitten aus der Stadt; die zwei Pferde, eins
vor das andere gespannt, dampften, daß sie kaum zu erkennen waren.
Und ihre kleinen Glocken klangen -- es war ein fast rührender Klang in
dieser furchtbaren und ihrer selbst ganz unbewußten Einsamkeit, in die
er sich verirrt hatte und sich selbst zum Trost geschaffen schien.

Beate beschloß, ihren Brief selbst in die Stadt zu bringen und auf
die Post zu tragen. Sie schloß ihn mit drei Worten, unterschrieb und
steckte ihn in den Umschlag, den sie offen ließ, schrieb die Adresse
in russischen und englischen Worten und fügte den Absender dazu. Bei
all dem dachte sie: Es ist sinnlos, daß ich es tue; Tystendal wird den
Brief nie bekommen. Aber das hoffende »Vielleicht doch!« behielt die
Oberhand.

Sie verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter, die, mit weißem
Sande bestreut, vor Sauberkeit leuchtete.

Dmitri, der Diener Kyrill Petulikows, tauchte aus dem Winkel neben
der Türe seines Herrn auf, wie ein alter lichtscheuer Kauz ins Helle
blinzelnd.

»Dmitri, wo ist dein Herr?«

Der Alte deutete mit dem Kopf nach dem Hofe hinaus, in der Richtung
der Werkstatt, die Kyrill Iwanowitsch sich eingerichtet hatte. Dmitri
sprach nicht gern. Seine Stimme war wie eingerostet und schwer aus
ihrem Verlies heraufzulocken. Aber er hatte Ohren wie eine Katze und
Augen wie ein Sperber und hätte sich für seinen jungen Herrn lebendigen
Leibes zerreißen lassen. Und er liebte die junge fremde Frau, die mit
seinem Herrn gekommen war, weil er es wohl gemerkt hatte, daß Kyrill
Iwanowitsch vom Morgen bis zum Abend nach den Händen dieser Frau
blickte, daß sie seine Herrin geworden war und daß seine Seele sich vor
ihr bückte bis auf die Erde. Da hatte sich auch Dmitri stillschweigend
in ihren Dienst gestellt.

Als er ihr den Pelz umgegeben hatte und sie die Mütze über das Haar
zog -- denn der Weg bis zum Werkstattschuppen genügte, um sich die
Ohren zu erfrieren, wenn man aus dem Süden kam --, blieb der Alte vor
ihr stehen, und seine wunderlichen Kropfbewegungen deuteten darauf,
daß Dmitri sprechen wollte, was immer, seiner Seltenheit entsprechend,
einiger Vorbereitungen bedurfte.

Beate, die mit ihren Gedanken sehr fern war, bemerkte es nicht. Sie
wandte sich zum Gehen. Aber der Alte trat ihr in den Weg und legte die
Hand auf die Klinke, die sie erfassen wollte.

Beate blieb stehen und sah ihn an.

»Nun, Dmitri!« sagte sie zuredend und lächelte, denn sie wußte, daß ihr
sehr junges Russisch auf eine harte Probe gestellt werden würde.

Dmitri bückte sich, um den Saum ihres Kleides an die Lippen zu ziehen.

»Ich bitte dich um Vergebung, Mütterchen!« sagte er, mit einer gewissen
Feierlichkeit. »Aber es ist nicht gut ...«

»Was ist nicht gut, Dmitri --?«

»Es ist nicht gut, was unser Herr tut, Mütterchen ... Ich sage es dir,
Mütterchen, und ich weiß, was ich sage ...«

»Was tut denn unser Herr, das nicht gut wäre?« fragte Beate geduldig.
Sie sah ein, daß sie so leichten Kaufes nicht davonkommen würde, und
lehnte sich gegen die Wand.

»Was er tut, Mütterchen, das heißt Gott versuchen -- in Wahrheit,
Mütterchen, das heißt Gott versuchen,« sagte der Alte und rüttelte die
aufgehobene Hand. »Sascha Alexandrowitsch, der auch ein Flieger war und
unseren Herrn dazu verleitet hat, daß er es ihm nachtut, war ein kühner
junger Mann und fürchtete den Tod nicht. Aber er liebte ihn auch nicht
-- er liebte das Leben mehr ... Aber unser Herr liebt das Leben nicht,
und das ist Sünde ...«

»Warum glaubst du, daß er das Leben nicht liebt?« fragte Beate mit
einer unwillkürlichen Schwermut, der sie sich nicht entziehen konnte.

»Du gehst ihm nicht nach, Mütterchen -- du siehst ihn nicht ... Ich
gehe ihm nach, und ich sehe ihn. Ich habe meine scharfen Augen noch,
obgleich ich alt geworden bin, und ich gebrauche sie, meine scharfen
Augen ... Wenn unser Herr zum Flug aufsteigt -- die Pest über die
Maschinen, Mütterchen: sie denken nicht, sie sind tot --, gehe ich aufs
Feld hinaus und warte, bis der Herr wiederkommt. Wenn er wiederkommt,
kreist er über dem großen Felde wie ein Adler. Ich stehe unter ihm im
Schnee und recke meine alten Arme hoch und schreie, denn ich glaube in
jedem Augenblick: nun stürzt er, dein Herr ... Aber er hört mich nicht
-- wie sollte er? Er ist viel zu hoch über mir, um mich zu hören. Und
doch kann ich das Schreien nicht lassen; es preßt mir das Herz aus dem
Halse, Mütterchen, dem Herrn zuzusehen ... Er fliegt nicht, wie die
Vögel tun ... Fliegen ist ein schönes Ding, und Sascha Alexandrowitsch
lachte immer, wenn er davon erzählte ... Aber der Herr fliegt nicht, --
er stürzt und steigt, stürzt und steigt -- wie die Lerchen tun ... Aber
eines Tages wird er stürzen und nicht mehr steigen ... Er wird fallen
und ein Loch in die Erde hineinschlagen, tief genug für ein Grab ... Er
wird das tun, weil er Gott versucht und weil er das Leben nicht liebt,
Mütterchen -- ich, Dmitri, sage es dir ...«

»Warum sagst du es mir, Dmitri,« meinte Beate und sah über den Alten
fort ins Leere, »und sagst es nicht dem Herrn selbst? Er würde auf
dich hören.«

Der Alte schüttelte den Kopf.

»Er würde auf mich nicht hören und nicht auf Lisa Petulikowa und auf
Sascha Alexandrowitsch auch nicht, Mütterchen ... Er würde sagen,
daß wir töricht seien, weiter nichts. Und er würde mir vielleicht
verbieten, ihm nachzugehen und ihm zuzusehen, wenn er über dem großen
Felde fliegt ... Aber auf dich würde er hören, Mütterchen; darum sage
ich es dir. Und du mußt mit ihm reden, daß er davon abläßt, Gott zu
versuchen. Denn was er tut, ist eine schwere Sünde, für die er verdammt
werden wird, wenn er nicht davon läßt. Niemand darf sein Leben so
wegwerfen, wie unser Herr es tut ... Sprich zu ihm, Mütterchen, ich
bitte dich darum ...«

»Ich will es versuchen, Dmitri,« sagte Beate und wandte sich zum Gehen.
»Aber du mußt es nicht auf meine Schultern schieben, wenn dein Herr
auch auf mich nicht hört ...«

Dmitri antwortete nicht. Er bückte sich, um Beates Kleid zum zweiten
Male an die Lippen zu ziehen. Mit einer tiefen Verbeugung öffnete er
das schwere Haustor vor ihr und ließ sie hinaus.

Wie ein bissiger Hund sprang der Wind in den Flur hinein.

Beate hob den Muff vors Gesicht und stemmte die Stirn dem Druck der
eisigen Luft entgegen. Es schneite nicht, aber der Wind blies die
scharfgeschliffenen Kristalle von den Dächern und ließ sie tanzen; sie
zerschnitten die Haut wie unsichtbare winzige Messer. Auf dem Wege
vom Haus zum Werkstattschuppen jenseits des Hofes hatte sich der Muff
Beates vom Hauch ihres Mundes mit Eis bedeckt.

Die Werkstatt Kyrill Petulikows war ein sehr großer, niedriger Raum, an
den sich der Schuppen für die Flugmaschine anschloß. Kyrill hatte sich
die Werkstatt selbst gebaut, indem er die alte Scheune ausräumte und in
alle vier Ecken einen mächtigen Herd einsetzte. Auf diesen Riesenherden
brannten die Feuer unausgesetzt. Es wäre sonst vor Kälte nicht zu
ertragen gewesen. Im Schein der Feuer arbeitete Kyrill Petulikow am
Schraubstock. Mitten im Raum stand der rohe Tannentisch, mit Werkzeugen
aller Art bedeckt. Kyrill Petulikow hatte keinen Gehilfen; er tat alles
selbst. Und wenn Beate ihn bei seiner Arbeit beobachtete, fühlte sie,
daß dies die einzigen Stunden waren, in denen Kyrill Petulikow etwas
wie Glück empfand.

Sie trat bei ihm ein, ohne anzuklopfen. Sie wußte, daß es ihn freute,
wenn sie wie eine Schwester, unangemeldet, zu allen Stunden, zu ihm
kam. Er saß auf der Ecke der Hobelbank und prüfte das Gewinde einer
Schraube. Als er die Türe gehen hörte, hob er den Kopf und grüßte die
Frau mit seinem stillen Lächeln, das immer unerwidert blieb.

»Lassen Sie sich nicht stören,« sagte Beate etwas schüchtern, da sie
russisch sprach. Ihrer Gewohnheit getreu, ging sie der fremden Sprache
mit großer Hartnäckigkeit zu Leibe. Sie versäumte keine Gelegenheit,
sich darin zu üben.

»Setzen Sie sich, Mascha,« entgegnete Kyrill Petulikow und schob mit
der Hand einen Haufen von Berechnungsplänen von einem hölzernen Schemel.

Sie setzte sich und sah ihm zu.

»Sind Sie zufrieden mit Ihrer Arbeit?« fragte sie nach einer Weile.

»Ja, Mascha ... Aber Sie kamen nicht, um mich das zu fragen, nicht
wahr?«

»Nein,« sagte sie ehrlich und sanft.

In seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Er nahm die Feile zur Hand.

»Ich bin gekommen,« fuhr sie fort, »um Sie zu fragen, Kyrill
Iwanowitsch, ob ich heute noch zur Stadt fahren könnte -- oder ob Sie
anders über die Pferde verfügt haben.«

»Warum fragen Sie das, Mascha?« sagte Kyrill Petulikow und sah sie
kopfschüttelnd an. »Sie wissen, daß Sie die Herrin in diesem Hause
sind, solange Sie darin wohnen. Ich bin eigensüchtig: ich hoffe,
daß es lange ist. Sie wünschen sich das Gegenteil, und ich sehe Sie
nie nach der Stadt fahren, Mascha, ohne daß ich darauf vorbereitet
wäre, Sie nicht wiederkommen zu sehen. Aber ich bitte Sie -- nicht
um meinetwillen, sondern weit mehr noch für Sie selbst und Ihren
eigenen Wunsch --: unternehmen Sie nichts Unbedachtes ... Sie kennen
Rußland und seine Verhältnisse nicht. Sie kennen vor allem nicht die
russische Polizei. Es genügt der allergeringste Anlaß, um Sie den
Behörden verdächtig zu machen. Dann wird man Ihnen den Paß abfordern,
und dann sind Sie jeder Willkür ausgeliefert. Als Ausländerin sind Sie
den Leuten sowieso eine unheimliche Erscheinung. Erkennt man Sie als
Deutsche, Mascha, so stehe ich für nichts ein ...«

»Ich werde vorsichtig sein,« versicherte sie mit einem Lächeln,
das seiner Sorge dankte. »Ich werde auch nichts unternehmen, ohne
Sie um Rat gefragt zu haben. Aber setzen Sie sich in meine Lage,
Kyrill Iwanowitsch ... Ich bin nicht Ihr Gast -- ich bin durch die
Verhältnisse eine halbe Gefangene, und während ich hier sitze und die
Hände in den Schoß lege, bricht vielleicht mein ganzes Leben zusammen,
und ich weiß es nicht einmal ... Ich will nach Hause ... Ich muß nach
Hause ... Geben Sie mir ein wenig Hoffnung, daß ich bald nach Hause
komme, Kyrill Iwanowitsch -- und ich will mich gedulden ...«

Kyrill Petulikow arbeitete schweigend. Dann sagte er: »Ich verspreche
Ihnen, daß ich in nächster Woche nach Moskau fahren werde, um mich für
Sie einzusetzen, daß man Ihrem Wege nach Schweden nichts in den Weg
stellt. Vielleicht gelingt es mir; es kommt auf die Stunde an. Niemand
kann in Rußland sagen, was ein Beamter tun wird, wenn er schlechter
Laune ist. Der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit. Er ist sogar sehr
weit ... Aber ich will es versuchen ... Genügt Ihnen das?«

»Ja, Kyrill Iwanowitsch -- ich danke ...«

»Danken Sie mir nicht, Mascha,« sagte Kyrill Petulikow leise.

Sie schwiegen beide.

Kyrill Petulikow schob einen der riesigen Holzklötze, die am Herde
lagen, an die Flamme, die ihn spielend zu belecken anfing. Mit einem
verlorenen Blick sahen der Mann und die Frau dem Spiele zu; aber ihre
Gedanken gingen sehr verschiedene Wege.

»Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, Mascha,« begann der Russe,
»daß Sie sich beeilen müssen, wenn Sie heute noch in die Stadt wollen?
Es dunkelt früh, und die Wege sind keine Wege mehr ... Sie haben mir
nie erlaubt, Sie zu begleiten, und ich achte Ihre Gründe, obgleich
sie ein wenig schmerzlich für mich sind ... Aber Sie können mir nicht
verwehren, daß ich mich um Sie sorge ...«

»Dazu haben Sie keinen Grund, Kyrill Iwanowitsch,« antwortete Beate.
»Ich nehme mich schon in acht ... aber ich kann nicht fortgehen, ohne
Ihnen gesagt zu haben --«

»Was -- Mascha?«

Sie hob den Kopf und sah ihn an.

»Kyrill, warum spielen Sie mit dem Tode?«

Er machte eine Bewegung, mehr des Erstaunens als des Unwillens.

»Wer hat Ihnen gesagt, daß ich das tue?«

»Ich weiß es, das ist genug. Warum tun Sie das, Kyrill?«

»Nun,« fragte der Russe versonnen, »und wenn ich es tue? Das Spiel ist
schön!«

Sie schüttelte den Kopf mit ernsten Augen. »Es ist ein unedles Spiel,
Kyrill Iwanowitsch ...«

Er lächelte. »Wie Sie das sagen, Mascha! -- So ernsthaft, als wenn Ihr
Herz es sagte ... Und das fragt nichts danach ... Seien Sie unbesorgt
... Wir spielen mit dem Leben oder mit dem Tode -- es kommt am Ende auf
eins heraus; nur daß das Spiel des Todes keinen Ekel kennt. Und das
ist schon viel wert ... Als ich den Gedanken faßte, Flieger zu werden,
hatte er einen Sinn. Jetzt hat die Wirklichkeit einen anderen. Und ich
liebe sie beide und weiß manchmal nicht, welcher der stärkere ist.
Das, was ich auf der Erde niemals hatte, das breite und zufriedene
Herrengefühl -- da oben habe ich es. Und wenn ich es ausgekostet habe,
was soll ich dann die Gewohnheit an seine Stelle treten lassen, und
die Übung an die Stelle der Kühnheit? Das wäre schal, Mascha -- das
wünschen Sie mir nicht ...«

»Sie sagen es also -- Sie sagen es, daß Sie das Leben wegwerfen
wollen!« rief die Frau mit einem tiefen und schönen Zorn.

Er schüttelte den Kopf. »Nicht ohne Zweck, Mascha -- ganz gewiß nicht
ohne Zweck ... Seien Sie unbesorgt ...«

Sie stand auf und legte ihm die Hände auf den Arm.

»Ich will nicht, daß Sie so reden!« sagte sie und rüttelte ihn, während
ihr die Tränen übers Gesicht liefen.

Kyrill Petulikow beugte den Nacken. Er schob ihre Hände von seinem Arm.

»Bitte, tun Sie das nicht --!« sagte er leise.

Beate Hoyermann ging.

Er sah ihr einen Augenblick nach; dann nahm er die Schraube wieder zur
Hand. Aber er arbeitete nicht. Der Widerschein der großen Feuer spielte
in seinen dennoch unerhellten Augen ...

Eine halbe Stunde später wateten die Pferde, die Dmitri lenkte, durch
den kniehohen Schnee der Straße, die zum Dorfe führte. Es war ein
weiter Weg nach der Stadt; sie würden die Gäule wechseln müssen.

Als sie das Dorf hinter sich hatten, blies der Wind über die flachen
Felder. Die Bäume am Straßenrand waren bis zu den Kronen eingeweht. Es
war nicht mehr so kalt, wie es am Morgen gewesen war; Schnee drohte in
dem tiefgespannten, gleichsam gelockerten Himmel.

Beate hatte sich an diese Schlittenfahrten auf Straßen, die keine
Straßen waren, allmählich gewöhnt. Sie wußte schon, wie man sich
festhalten mußte, um nicht zermalmt und zerschleudert am Ziele
anzukommen. Die Pferde stöhnten und dampften. Dmitri fluchte vor sich
hin und redete den Gäulen zu, indem er ihnen schmeichelte ...

»Vorwärts, vorwärts, meine Täubchen, meine Schwalben -- vorwärts,
meine Prinzessinnen, meine Edelsteine! Ihr, schneller als der Wind und
ausdauernder! Vorwärts, lauft, lauft, meine goldenen Rosen! Ihr sollt
in Hafer stehen bis an die Augen! Ihr sollt Brot und Zucker haben und
Schnaps zu saufen! Brecht euch das Genick, aber lauft!«

Schließlich erstickte auch sein Gemurmel hinter dem Vorhang aus
dampfendem Eis, zu dem sein Bart geworden war.

Im Hause des Postmeisters, wo sie die Pferde wechseln mußten, war
Beate wohlbekannt; sie hatte immer die Taschen voll Süßigkeiten für das
Kindergewimmel, das vom ersten Schneefall bis zur Schmelze nicht vom
Backofen herunterkam.

In dem niedrigen halbdunklen Raum, der vor Hitze zu beben schien,
knisterten die Holzkohlen des Samowars, und es dauerte keine Minute,
daß vor Beate das glühende Glas mit frischem Tschai stand. Während
Dmitri und der Postmeister die Pferde aussträngten und wechselten, saß
Beate am Herde und ließ die Kinder auf sich herumklettern, und unter
ihren Füßen balgten sich friedlich die Schweine und die Hühner -- die
Überreste des Paradieses, auf die mit weltabgewandten Augen die bunten
Heiligenbilder niederblickten.

Es war völlig Abend geworden, als Dmitris Schlitten in die Stadt einbog.

Die Stadt war nicht groß -- ein sehr weit vorgeschobener Vorposten von
Mütterchen Moskau. Zur Zeit des Friedens hatte sie einen starken und
gesunden Pulsschlag. Aber der Krieg hatte ihr das beste Blut aus den
Adern gepumpt; das dralle junge Weib war zur Vettel geworden.

Wie immer, wenn sie in die Stadt fuhr, hatte Beate alle Hände voller
Aufträge für das Gut. Aber da es ihr darum zu tun war, möglichst rasch
wieder nach Hause zu kommen, übertrug sie die Erledigung der Hälfte
Dmitri und erklärte ihm, sie werde sich zu Fuß auf den Weg machen, das
übrige besorgen und nach einer Stunde im Gasthof sein, wo er ausspannte.

Dmitri war mit dieser Anordnung durchaus nicht einverstanden. Und er
wußte, auch sein Herr hätte es nicht geduldet, daß die Frau, die er
Mascha nannte, zu Fuß wie eine Bäuerin durch die schmutzigen Gassen der
Stadt lief, sich neben stinkende Weiber in die Läden drängte und sich
mit den betrügerischen Hundesöhnen von Kaufleuten bei jedem Handel um
dreißig Kopeken die Lunge aus dem Halse schreien mußte.

Aber Dmitri hatte den bedingungslosen Gehorsam der Leibeigenen noch
im Blute; er widersprach nicht; er bückte sich vor der jungen Frau
und tat, wie sie ihm gesagt hatte ... In einer Stunde, wie die Herrin
befohlen, würde er wieder zur Stelle sein, gut, gut ... Gott schütze
dich, Mütterchen ...

Beate ging zuerst nach der Post und gab ihren Brief an Tystendal
auf. Um zu bezahlen, zog sie ihre Pelzhandschuhe aus, die sie
behinderten. Ein Mann stieß an sie an; die Handschuhe fielen zu
Boden. Er entschuldigte sich sehr höflich und bückte sich, um seine
Ungeschicklichkeit wieder gutzumachen. Beate dankte freundlich und
gedankenlos. Sie verließ das Postgebäude und sah nach ihrem Zettel,
auf den sie die notwendigen Besorgungen aufgeschrieben. Sie konnte ihn
aber nicht finden.

Sie entsann sich, daß sie ihn in den rechten Handschuh gesteckt, um ihn
immer griffbereit zu haben. Wahrscheinlich war er ihr bei dem kleinen
Zwischenfall in der Post verlorengegangen. Sie nahm es nicht sehr
schwer. Sie hatte ein gutes Gedächtnis und würde wohl nichts vergessen.
Schlimmstenfalls wiederholte sie an einem der nächsten Tage ihre Fahrt.

Sie blickte auf die Uhr und setzte ihren Weg beschleunigten Schrittes
fort. Die Zeit drängte. Lisa Petulikowa liebte es nicht, wenn sie
warten mußte.

Als Beate auf die Straße trat, hörte sie in der Entfernung lebhaftes
Schreien und Rufen, ohne sonderlich darauf achtzuhaben. Aber das
Schreien lief ihr in den Weg. Es spülte sich von weit her heran wie
eine ständig steigende Flut, auf der, gleich weißen Gischtflocken,
die hellen Stimmen von Weibern tanzten. Was sie riefen, war nicht zu
verstehen, aber das Brausen der Rufe war nicht freundlich.

Unwillkürlich blieb Beate stehen. Kyrill Petulikow hatte ihr genug von
den Aufläufen in russischen Städten erzählt, daß sie wünschen mußte,
keinem zu begegnen. Sie sah sich um, unschlüssig, wohin sie sich wenden
sollte. Aber sie kam nicht dazu, für sich selbst einen Entschluß zu
fassen. Was sie sah, mehr noch als was sie hörte, hielt sie fest auf
der Stelle, wo sie stand.

Am äußersten Ende der Straße, in der das Postgebäude lag, erschien ein
Mensch -- ein Mann, der in lang flatterndem Kaftan, barhäuptig, in
Sprüngen wie ein gehetzter Hund, über den Schneeschlamm des Fahrweges
setzte. Den Kopf über die Schulter gewandt, rannte er taub und blind
drauflos. Beate sah, daß er alt war; die langen, schmutzigen Locken
hingen ihm grau um das zerpflügte Gesicht. Der Mund stand ihm offen;
bei jedem Sprunge, den er tat, pfiff ihm der Atem durch die klaffenden
Lippen.

Die Menschen auf der Straße blieben stehen und gafften. Ein Jude, der
um sein Leben lief -- nun ja, was weiter? Die einen spuckten aus, die
anderen lachten ...

Aber dann überlegten sie ... Warum lief der Jude um sein Leben? Er
wurde verfolgt -- was hatte er getan? Gleichgültig, was er getan hatte
... Man mußte ihn aufhalten ... He --! He ...! Zwei -- drei -- fünf der
Gaffer schlossen sich zu einem neuen Trupp von Verfolgern zusammen.

Aus der Richtung, von der der Flüchtende gekommen war, schwoll das
Geschrei näher heran. Immer spritzten die gellenden Stimmen der Weiber
über das dumpfere Brausen hinaus. Jetzt spülten sie um die Ecke, die
ersten trüben Wellen einer Empörung, die satt werden wollte.

»Haltet den Juden fest --! Haltet ihn fest, den Hundesohn --!«

Schrille Pfiffe von rechts, von links ...

»Was hat er denn getan -- was --? Was ...?!«

Nun, was wird er getan haben! Es war eine sehr einfache Sache ... O,
es gab noch eine Gerechtigkeit auf der Welt --! Die Gerechtigkeit soll
leben ...

Michail Michailowitsch war ein guter Wirt; seine Kneipe erfreute sich
des regsten Besuches, denn er war ein gemütlicher Mann und verstand
es, zur rechten Zeit beide Augen zuzudrücken ... Nein, niemand hatte
Ursache, sich über Michail Michailowitsch zu beklagen ...

Aber der Zar -- Gott segne ihn! -- hatte in seiner Weisheit verboten,
daß irgend jemand im russischen Reiche Schnaps ausschenken sollte.
Gegen den Willen des Zaren gab es keine Auflehnung. Es wurde kein
Schnaps mehr ausgeschenkt; die Welt wurde so nüchtern wie am ersten
Tage ihrer Schöpfung.

Doch das Unglück -- oder die Gerechtigkeit (für die Sünder ist die
Gerechtigkeit immer das Unglück) -- wollte es, daß gestern Abend
ein paar Dutzend Soldaten in die Stadt einrückten, die nach Moskau
weiterbefördert werden sollten. Es war Krieg, und man brauchte die
Soldaten, gut --!

Als sie ankamen, waren sie so nüchtern wie frisches Stroh. Heute
hatte man sie sternhagelvoll in sämtlichen Kammern der Kneipe Michail
Michailowitschs zusammensuchen müssen.

Die Offiziere hatten geflucht, daß die Fenster bebten. Sie hatten
geschworen, der Ursache dieser Schweinerei auf den Grund zu kommen. Sie
hatten den Wirt in den Hof geschleppt und ihm mit der blanken Klinge
unter der Nase herumgefuchtelt: »Kerl, wo hast du den Schnaps her, den
du gestern nacht an die Soldaten verkauft hast --?! Weißt du nicht, du
Dreckseele, daß es verboten ist, Schnaps zu verkaufen --?!«

Michail Michailowitsch fiel auf die Knie und beschwor seine sämtlichen
Ahnen in ihren Gräbern: er hatte keinen Schnaps -- nicht ein Fäßchen,
nicht ein Glas voll, so wahr er selig werden wollte!

Aber die Juden hatten Schnaps -- ja, die verbargen ihn in ihren Kellern
...

Sein Nachbar -- der hatte Schnaps! Man mußte nur suchen! Die Fässer
würden ja wohl noch übrig sein.

War sein Nachbar ein Jude --?

Ein polnischer Jude, meine Herren -- ein krummer Hund, der es mit den
Deutschen gehalten hatte. Niemand wußte, mit wem er es jetzt hielt --
er trieb sich in den Nächten viel draußen herum ... Wenn man seiner
habhaft wurde, kam sicherlich manches an den Tag, wovon man sich bis
heute nichts hatte träumen lassen ...

Aber der Jude wartete es nicht ab, daß man ihn fing wie eine Maus in
der Falle. Er kannte die russischen Gefängnisse und die russische
Polizei. Und er wußte, wenn die russische Polizei einen Schuldigen
brauchte, dann fand sie ihn, und wenn der, den sie finden wollte, ein
Jude war, dann war er schuldig, und hätte der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs selber für seine Unschuld gezeugt.

Die Keller des Juden waren ebenso frei von gefüllten wie von leeren
Fässern, und drüben bei Michail Michailowitsch brauchte man nur ein
paar Säcke voll Lumpen wegzuräumen, um zu entdecken, was man suchte.
Aber Michail Michailowitsch war ein getreuer und gehorsamer Untertan
des Zaren und ein gutgläubiger Christ, und er würde einen Eid schwören,
so hoch und teuer man es nur irgend von ihm verlangte, daß er von dem
Vorhandensein der Fässer nichts geahnt bis zu dem Augenblick, da man
sie ihm zeigte -- und daß der verfluchte Hund, der beschnittene, die
Fässer heimlich in den Keller von Michail Michailowitsch geschafft
hatte, um ihm zu schaden ...

Der Jude, dem die Verfolgung von Jahrhunderten ein gutes Gehör vererbt
hatte, lief, sobald der Tumult in der Nachbarschaft nach der Polizei
schrie, zu seiner Frau und seiner Tochter, die an der Schwindsucht
litt; er jagte sie, wie sie gingen und standen, auf die Straße hinaus
-- durch die Hintertüre, nach der Judengasse. Er ließ ihnen nicht so
viel Zeit, sich warm anzukleiden. Die Kälte konnte barmherzig sein --
die Polizei gewiß nicht ...

Die Frau warf der Tochter eine Tischdecke um den Kopf und die
Schultern; sie hasteten über die unerhellten Stiegen ihres Hauses. Die
Frau hielt die Hintertüre offen und schrie nach ihrem Manne. Sie wollte
nicht ohne ihn davon.

Aber er jagte sie -- er fand harte Worte für die schlechte Mutter, die
ihr Kind in die Hände der Henker fallen lassen wollte ... Willst du
wohl gehen --?!

Das Weib und das Mädchen drückten sich schluchzend an den Mauern
entlang; sie wandten bei jedem Schritt die Köpfe nach dem Gatten und
Vater. Aber der kam nicht.

Es war nicht genug, daß er Frau und Kind zur Flucht verholfen -- er
mußte auch die Verfolger auf sich hetzen -- er selbst ... Sie durften
nicht Zeit gewinnen, um nachzuforschen, wieviel Türen das Haus des
Juden hatte ...

Und er rannte und rannte. Und die Meute hinter ihm drein ... O, es war
eine lustige Jagd, wahrhaftig! Sie rafften Schneeballen auf, so groß
wie Kindsköpfe. Steine waren darin versteckt und Eisklumpen ... Um so
besser flogen sie. Und wie sie flogen --! Da hatte einer den Juden am
Kopfe getroffen ... Taumelst du, Jude --? Du sollst noch ganz anders
taumeln --! Wartet, wartet --! Sperrt ihm den Weg ab! O zum Teufel,
ihr seid nicht schnell genug! Er hat Feuer unter den Sohlen, der Jude
--! Da ist er euch unter den Händen entwischt ... Gelächter, Fluchen,
Pfeifen ...

Und plötzlich ein wiehernder Schrei -- er liegt! Er liegt --! Ein
Klumpen Eis -- wer hat ihn geworfen? es muß, bei den Heiligen, eine
wackere Faust gewesen sein! -- der hat ihn zwischen den Schultern
getroffen. Und da ist er gestolpert und gefallen ...

Nun liegt er im Schneeschlamm, der ihm den Mund füllt ... Ersticken
sollst du daran, schmutzige Bestie ... Aber erst sollst du gestehen: Wo
hast du den Schnaps her, Hundesohn --?!

»Ich habe keinen Schnaps, ihr Herren ...«

Seht doch, seht doch -- sie will leugnen, die Dreckseele! Hund, man
wird dir das Geständnis aus allen Gedärmen treten --! Wo hast du den
Schnaps her -- hörst du nicht? Sie wollen eine Antwort, die Frager ...

»Ich habe keinen Schnaps, ihr Herren! Ich habe keinen! Und wenn ihr
mich totschlagt, ich weiß nicht, was ihr wollt --!«

»Man wird dich totschlagen, sei ganz ruhig -- aber alles zu seiner
Zeit! Erst gestehe! Du hast den Soldaten gestern Schnaps verkauft!«

»Nein, nein, nein --!«

»Willst du die Wahrheit sagen, du Mistkäfer?!«

»Ich sage die Wahrheit ...«

Er sagt sie mit blutigem Munde. Er liegt am Boden, sie lassen ihn nicht
aufstehen. Fußtritte regnen auf seinen Rücken, auf seine Hüften. Er
soll gestehen. Er gesteht nichts, weil er nichts zu gestehen hat. Sie
müssen von ihm ablassen -- es ist nichts aus ihm herauszubekommen.

Aber die Menge hat einen Gedanken! Daß man nicht schon viel eher
auf diesen erleuchteten Gedanken gekommen ist! Mag sein, daß dieser
Jude nichts zu bekennen hat, daß er sogar unschuldig ist, so
unwahrscheinlich das auch wäre ... Aber es gibt viele Juden in der
Stadt! Wenn man bei denen nachforschte ...

Begeistert greifen sie den Gedanken auf ...

Zum Judenviertel --! Zum Judenviertel!

Was scheren sie sich noch um den Einzelnen, der am Boden liegt und dem
das Blut aus Nase und Mund läuft und den Schnee rot färbt ... Jetzt
haben sie höhere Ziele ... Die Polizei setzt sich an die Spitze der
Menge ... Hunderte, Tausende folgen ihr. Das Geschrei löst sich auf
in johlende Lieder. Sie müssen sich Luft machen; die Begeisterung
macht sie trunken. Es gilt eine heilige Sache -- eine herrliche Sache,
Brüderchen ... die Juden haben unseren Herrn ans Kreuz geschlagen ...
wir wollen ihn rächen ... Wer nicht mittut, ist ein schlechter Christ
und ein Lump ...

Beate steht, die Hände rückwärts an die Hauswand stemmend; ihre Augen
klaffen vor Grauen und Entsetzen und jammervollem Mitleid. Sie will
schreien, aber der Laut erstickt ihr auf den Lippen. Sie will sich
wehren, aber sie muß mit. Wenn sie nicht zertreten und zerrissen sein
will von der Horde, die der Mordrausch toll gemacht hat, dann muß sie
mit, eine Welle im siedenden und brodelnden Strom. Und sie taumelt
vorwärts und sieht -- muß sehen und hören ...

Ohne Füße gleichsam geht sie diesen Weg ...

In der Judengasse sind alle Fenster und Türen geschlossen und
verriegelt. Seht doch -- das schlechte Gewissen! Wie sie sich
verkriechen! Wie sie ihre stinkenden Höhlen verrammeln! Es soll euch
nichts nützen -- ihr Kinderschlächter!

Wo haben sie die Äxte, die Hacken, die Steine her? Niemand weiß es.
Aber mit einem Male sind alle Fäuste bewaffnet und hochgeschwungen. Ein
Steinhagel prasselt gegen das erste beste Haus ... Kriech aus deinem
Loch, du Hundeseele ...!

Willst du nicht? Nur Geduld -- Geduld, sie werden dich schon holen --!

Ein Axthieb schmettert gegen die Haustür ... Weicht doch zurück, zum
Teufel -- ich kann nicht ausholen ... Zum zweiten Male ... klingend
trifft Eisen auf Eisen ... das Schloß kreischt und singt ...

Die gutgefügten Bänder platzen beim vierten, fünften Hieb ...

Aber die Türe gibt noch nicht nach, so wütend sich auch die Schultern
des Stärksten dagegen pressen. Sie haben den Eingang durch Möbel
verstellt -- o, einmal werden sie doch nachgeben müssen ... fester --
fester --! Noch einmal -- hoi --!

Nun haben sie's erzwungen ... Sich stauend, stoßend und drehend
schwemmen die Angreifer in das gestürmte Haus ...

Die Weiber bleiben auf der Straße. Mit offenen Mäulern und zuckenden
Fäusten. Die Männer werden ihnen die Beute schon zutreiben; sie
brauchen sich keine Mühe zu geben, selbst die Judenbrut aus den
Schlupfwinkeln zu zerren.

Im Innern des Hauses erhebt sich ein jämmerliches Geschrei ... Sie
schleifen die Kinder aus den Betten, in die sie sich verkrochen hatten
... Ein junges Weib, eine Mutter, der das Haar in langen wirren
Strähnen um die zerkratzten Wangen hängt, klammert sich an den Arm
eines Kerls, der so lang ist wie Saul und einen Säugling hoch über
seinen Kopf hält ...

»Gib deinen Schmuck her, Judenhexe, oder ich schlage dir mit deinem
eigenen Wechselbalg den Schädel ein ...!«

Das Weib reißt sich die dünnen Goldringe aus den Ohren, zwei, drei
Ringe von den Fingern ...

»Da -- da, nimm --!«

»Das ist nicht genug ... Du hast mehr, viel mehr, meine Taube --!«

»Nein, Herr, nein -- lieber, guter Herr, ich habe nicht mehr! Will ich
tot hinfallen, wenn ich mehr habe!«

»Such nur -- du wirst schon noch was finden, das du vergraben hast!«

»Herr, Herr -- ich habe nichts mehr -- nichts!«

»Such, Hündin -- sage ich dir!«

Das Kind schreit auf ...

Und das junge Weib, dem die Verzweiflung fast die Augen aus den Höhlen
treibt, greift nach ihm, kann es nicht erreichen -- springt mit
versagenden Flechsen, unter dem johlenden Gelächter der anderen -- und
wendet sich plötzlich, reißt laut heulend alle Fächer, alle Schränke,
alle Schübe auf, daß die Kästen herausfallen und ihr Inhalt sich in den
Stuben verstreut ...

»Da --! ... Da -- ... da --!!«

Fluchend bückt sich der Kerl und läßt das Kind fallen. Das Weib fängt
es auf, wendet sich zur Flucht.

»Wohin willst du, Kröte --? Hiergeblieben!«

Sie duckt sich, kriecht in eine Ecke, hält ihr Kind auf dem Schoß und
schlägt die Arme über dem Kopf zusammen.

Die Beute war ganz gut -- aber sie muß noch besser werden. Das lohnt
sich nicht, das Gewerbe ... Was ist da unten los? -- Ein junger Bursche
spielt auf der Ziehharmonika.

O Nikolai Sontscheff -- du bist eine Seele -- ein Gemüt von Wachs ...
Und außerdem bist du betrunken, Brüderchen! Wo hast du den Schnaps her
--?

Nikolai Sontscheff gröhlt aus vollem Halse:

  »Meines Mädchens rote, rote Lippen ...«

Zum Teufel mit den roten Lippen deines Mädchens, Geizkragen -- wo hast
du den Schnaps gefunden --?

Geht zu Michail Michailowitsch, ihr Narren -- er wird ihn euch schon
verschaffen! Michail Michailowitsch ist ein braver Junge und schlauer
als ihr Dummköpfe alle miteinander ...

Nimm dich in acht, Brüderchen -- du wirst dich um den Hals reden ...
die Polizei ist da ...

Hol' der Henker die Polizei -- wo ist sie?

Verschwunden ...

Was ging es die Polizei an, wie sich das Volk mit den Juden
auseinandersetzte? Michail Michailowitsch hatte jedem der Beamten
zwanzig Rubel in die Hand gedrückt ... Gott segne ihn ... Die Polizei
hatte seine Keller durchsucht und nicht das geringste gefunden. Das
genügte für eine Berichterstattung vollständig. Michail Michailowitsch
war ein Ehrenmann; wenn man ihm ein Winkchen gab, fand die Polizei
vielleicht Gelegenheit, die zwanzig Rubel auf gute Weise wieder
loszuwerden ...

Was in der Judengasse vorging, stand auf einem ganz anderen Blatt ...

Nikolai Sontscheff kletterte auf einen Mauervorsprung. Er schrie, bis
alle auf ihn horchten.

Was wollt ihr hier in der jämmerlichen Gasse, in den Rattenlöchern, ihr
Esel und Narren! Warum, wenn ihr euch schon das Vergnügen machen wollt,
die Juden auszuräuchern und ihre starren Beutel ein wenig zu schröpfen
-- warum, im Namen der ganzen Hölle, frage ich euch, geht ihr nicht
dahin, wo das Gold in Haufen zu finden ist --? Warum sucht ihr nach dem
Abfall, wo ihr die ganze Tafel voller Herrlichkeiten haben könnt --?

Er hat Recht --! Freilich hat er Recht, der wackere Nikolai --!
Vorwärts, vorwärts -- zu den Reichen! Zu den verdammten Blutsaugern,
die auf ihren Goldsäcken sitzen! Wir wollen sie heruntertreiben, bei
den Heiligen! Sie sollen uns Gold und Kleider, zu essen und zu trinken
geben! Wir wollen an ihren Tischen sitzen, in ihren Betten schlafen ...
Ihre Weiber sollen uns bedienen ... Wir wollen sie tanzen machen --
hoch Nikolai Sontscheff -- hoch --!

Hierhin, dahin brandeten die Wellen -- wo war der kürzeste Weg zum
Ziel? Da lag ein Garten mitten vor ihnen, verschneit und einsam -- das
Haus hinter den Bäumen mit toten Fenstern, geschlossenen Läden, ein
Bild der Verlassenheit.

Wem gehört der Garten, wem gehört das Haus --?

Irgend jemand brüllt den Namen: »Schirmer -- Andrew Schirmer --!«

Ein Deutscher -- was?

Nun, mein Gott, ein Deutscher -- das kann man nicht sagen ... Er lebt
seit dreißig Jahren hier.

Das ist ganz gleichgültig -- er ist trotzdem ein deutsches Schwein!
Wäre er sonst geflohen? Du siehst ja, daß er nicht zu Hause ist! Er ist
ausgerissen, der Feigling!

Nun, was das betrifft -- Nikolai Sontscheff hat ein wunderbares
Geschick, immer einen erhöhten Standort zu finden, von dem aus er
seine Reden in die Menge schleudert -- was das betrifft, gute Freunde
-- vertraut euch meiner Führung an! Ich zeige euch Nester, in denen die
Vögel noch sitzen ...

Was -- Deutsche --?

Deutsche, bei meiner armen Seele --! Die schönsten und reichsten Läden
der ganzen Stadt gehören den deutschen Schweinen! Und den Juden --!
Wer weiß, ob die nicht überhaupt unter einer Decke stecken? Ob die
nicht schuld an allem sind, was der Krieg über uns bringt? Wer hat ihn
angezettelt? Die Deutschen -- komme die Hölle über sie dafür!

Was -- die Hölle --! ~Wir~ wollen über sie kommen! Jetzt -- auf
der Stelle! Mach voran, Nikolai Sontscheff! Zeig uns den Weg --!

  »Meines Mädchens rote, rote Lippen
  Küss' ich morgens, mittags und am Abend!«

sang Nikolai Sontscheff und ließ die Ziehharmonika quieken.

Beate Hoyermann raffte ihren Mantel zusammen und lief -- lief wie eine
Hirschkuh auf der Flucht. Von rechts, von links wurden ihr Püffe und
Stöße zuteil. Sie fühlte nichts, sie lief. Man schrie ihr nach -- he,
he -- was hat sie es so eilig --? Sie hörte nichts, sie lief. Menschen
kamen ihr entgegen, Gesichter beugten sich zu ihr, Hände streckten sich
nach ihr aus. Sie sah nichts, sie lief.

Sie lief, und vor ihren Augen flirrte das Blut. Sie kam in die Straße,
wo Dmitri auf sie warten sollte. Er war nicht da. Der Schlitten war
nicht da. Frische Spuren zerschnitten den Schneeschlamm. Und dennoch
schrie Beate mit aller Kraft ihrer Lungen, als müßte -- müßte der Mann
sie hören: »Dmitri --! Dmitri --!«

Was wollte sie von ihm? Er sollte ihr helfen! Helfen -- wobei? -- Mein
Gott, wobei --?! Beim Warnen, beim Retten ...

»Dmitri --! Dmitri --!!«

Keine Antwort ...

Sie stürzte vorwärts, aufs Geratewohl in eine Straße hinein. Da standen
Menschen, anständig gekleidete Menschen ... Sie rannte auf diese
Menschen zu ...

»Helfen Sie! Um Gottes willen, helfen Sie!«

Niemand verstand sie -- sie hatte deutsch gesprochen ... Sie rang die
Hände und hob sie vor die Stirn ... Mein Gott, mein Gott, was sollte
sie tun --?!

Das Gebrüll der Menschen, die auf Raub ausgingen wie die Tiere der
Wildnis, kam näher und näher heran. Worte schäumten auf: »Nieder mit
den Deutschen! Nieder mit den Juden --! Schlagt sie tot, die verdammten
Hunde --! Hängt sie --! Hängt sie --!«

In dem Eckhaus der Straße, Beate zunächst, wo ein freier Platz sich
breitete, erloschen plötzlich die Lichter.

Die Tür des Ladens schloß sich. Irgend jemand mühte sich, die Rolläden
herabzulassen. Aber die Mechanik versagte, oder die Hände waren
ungeschickt. Schiefhängend verbargen sie nur halb die weiße Schrift auf
den großen Scheiben.

Vielleicht hatte ein Fernruf den Besitzer des Ladens gewarnt.
Vielleicht war in dieser behexten Stadt ein Mensch, der alle warnen
wollte, die deutsche Namen trugen oder jüdischen Ursprungs waren,
mochten sie außerdem so gute Russen sein wie der Zar selbst.

Aber er konnte so schnell nicht warnen, wie der Pöbel an sein Werk
ging. Und die herabgelassenen Läden boten dem auch keinen Widerstand --
sie reizten ihn nur noch mehr.

Was --? Wollten die Hunde sich verstecken? Wollte man sie um ihr
schönes Vergnügen bringen -- um ihre Beute, um ihren herrlichen Raub
--?!

Hoch die Stangen, die Gitter -- auf, auf --!

Glas splitterte und knirschte unter wütenden Tritten ... Wie hieß der
Name, der auf den Scheiben stand? Lochmann -- Julius Lochmann. Wagte es
die schmierige Seele wahrhaftig noch, in einer gut russischen Stadt,
auf russischem Grund und Boden russisches Geld verdienen zu wollen? --
Warte --! Dafür sollst du bluten! Wir wollen dein Geld schon finden --
und dich dazu!

Wer wohnt da drüben? Konstantin Abramow ... Ein Jude --? Nein, nein! --
Wer weiß das? -- Zum mindesten stammt er von Juden ab. Nieder mit dem
Juden --!

Nikolai Sontscheff trat mit dem Stiefelabsatz in die Spiegelscheibe
hinein. Unter dem brausenden Gelächter der Menge begann er, die Juwelen
und Goldsachen der Auslage mit vollen Händen unter die Weiber zu
streuen, die sich darum die Gesichter blutig schlugen ...

Aber es war zu dunkel -- viel zu dunkel --! Sie hatten die Lampen
ausgelöscht, die deutschen Hunde! Glaubten Sie vielleicht, im Dunkeln
entkommen zu können? He, ihr Schlauberger, ihr sollt eine Fackel auf
euren Weg bekommen, daß euch die Augen tränen sollen ...

Fäuste donnerten an eine gutrussische Tür.

»Aufgemacht, Väterchen -- wir brauchen deine schöne Lampe!«

Erschrockene Gesichter zeigten sich an den Fenstern.

»Was ist, um der Heiligen willen?!«

»Laßt die Heiligen ungeschoren -- wir wollen eure Lampe haben! Was
braucht ihr eine Lampe? Es soll euch bald hell genug werden ... Oder
steckt ihr vielleicht mit den deutschen Hunden unter einer Decke --?«

»Nein, nein ...« Es gab keinen Schwur, der hoch genug gewesen wäre, um
in dieser Stunde die Gemeinschaft mit den Deutschen abzuschwören ....

Die Lampe wurde aus dem Fenster gereicht. Sie flackerte; die
Stichflamme zuckte aus dem Zylinder ...

He, he, meine blonde Schöne, nicht so hitzig ...

Nikolai Sontscheff stand auf einem Prellstein und sang aus voller Kehle
...

Geh herunter, besoffenes Schwein -- du nimmst mir den besten Platz weg
--!

Und der lange Kerl, der in der Judengasse zwei Ohrringe und drei dünne
goldene Reifen erbeutet hatte, gab dem Betrunkenen einen Stoß, daß er
in den Schnee torkelte. Gelächter wusch über ihn weg ... Er raffte
sich fluchend auf und trat seinem Gegner in die Kniekehle, daß der
vornüberschlug, in die Scherben eines Fensters hinein. Die Wucht des
Angriffs nahm auch ihm das Gleichgewicht; sie lagen in Schlamm und
Scherben und verbissen sich ineinander; um sie herum färbte sich der
Schnee blutrot ...

Und dann zuckte eine Flamme auf. Eine breite, schöne und sehr helle
Flamme. Jemand, der sein Geschäft verstand, hatte die brennende
Petroleumlampe in ein Lager von Seidenstoffen geschleudert. Die Lampe
war gesprungen, und das Öl lief breit lohend über die köstlichen
Stoffe. Nun war die Straße bedeutend heller erleuchtet, als sie es
jemals auf Kosten der Stadt gewesen.

Willst du deine Lampe bezahlt haben, Väterchen? Komm heraus und hole
dir, was du willst ... Alle Schätze stehen dir zur Verfügung ... Gold,
Edelsteine, Seide und Pelze ... Ist deine Tochter blond, Väterchen? --
Dann nimm den schwarzen, er wird sie wunderbar kleiden ... Eine Fürstin
hätte dreitausend Rubel und mehr dafür bezahlen müssen. Du bekommst
ihn für eine Petroleumlampe. Preise dein Schicksal und die Gnade der
Heiligen und greif zu ...

Da drüben heulen sie, die deutschen Wölfe ... Man hat sie zu Paaren
getrieben und kitzelt sie mit langen guten Messern ... O, nur ein
wenig, nur zum Spaß ... Es soll ihnen nicht ans Leben gehen ...
Obgleich es gut wäre, wenn man sie samt und sonders mit einem guten
Strick aus der Welt beförderte ... Was meinst du, Brüderchen? Haben
sie's etwa nicht verdient?

Kniet nieder, ihr schmutziges Gesindel, und bittet um euer Leben ...!

Greise, Frauen und Kinder -- weiter niemand ... Die Männer waren schon
längst aus der Stadt getrieben worden -- nach Sibirien verschickt --
geradeswegs aus den Betten in die Untersuchungsgefängnisse und dann in
die Bahnwagen. Man machte wirklich nicht viel Federlesens mit ihnen
... Warum sollte man es mit denen machen, die übriggeblieben waren?

Die eine oder andere der Frauen war schön ... Und wenn man ihnen die
Kinder nahm, wurden sie vielleicht auch willfährig.

»He, du Kleine, komm her --!«

Das Kind, von den Flammen, dem Geschrei, dem Blut im Schnee und an den
Fäusten der Männer zu Tode geängstigt, verkroch sich noch tiefer hinter
den Rock seiner Mutter, die am Boden lag und heulte.

»Komm her, sag' ich dir --!«

Das Kind gehorchte. Aber die Mutter fuhr in die Höhe, schnellte auf,
als seien ihre Knie von Stahl.

»Rühr das Kind nicht an!« schrie sie. Allen Jammer, alle Verzweiflung,
allen Haß funkelten ihre Augen dem Menschen entgegen, der nach ihrem
Kinde griff.

»Ruhig, ruhig, meine Taube -- sonst wird man es dir beibringen ...«

»Seht doch, seht doch --! Wassilij Petrow im Kampf mit der deutschen
Wölfin! He, he, Wassilij -- nimm dich in acht! Sie hat blanke Zähne!«

»Willst du loslassen, verdammte Bestie?!«

Aber das Weib ließ nicht los. Sie hatte ihm die Zähne in die Hand
gegraben und krallte sich in seinen Rock.

»Du Teufel --! Du elender Teufel --!«

Wassilij Petrow wehrte sich nicht sehr. Er war mehr erstaunt als
erzürnt. Er sah auf die Frau hinunter, die ihm mit den Zähnen am
Leibe hing -- und dann machte er eine Bewegung -- nur eine ganz
kleine. Er war ein starker Kerl, der Wassilij -- alle Achtung! Wie sie
beiseiteflog, die deutsche Beißzange -- wie ein Sack Lumpen ...

Da lag sie ...

Wassilij Petrow bückte sich über sie ... »Nun, meine Taube --? Wirst du
jetzt vernünftig sein --? Komm her --!«

Er richtete sich auf. Eine Faust war ihm ins Gesicht geschlagen. Die
Faust einer Frau, die mit ihrem Leibe die Liegende deckte.

»Du Feigling --!« sagte die Frau mit einer ganz tiefen, schwingenden,
von Ekel und Empörung gesättigten Stimme. Ihre Augen sprühten ihn an.
»Du Feigling --!«

Wo kam die fremde Frau her? Sie sprach deutsch ... Sie trug einen
kostbaren Pelz und hatte blonde Haare ...

Nikolai Sontscheff duckte sich, schlich an den Häusern hin und rannte
zuletzt ...

Eine dürre, schmutzverkrustete Hand schob sich vor Beates Mund. Eine
Stimme zischelte ihr am Ohr: »Wenn der Frau Baronin lieb is ihr Leben,
soll se sein ganz still und laß mich machen.«

Beate bog den Kopf zurück; ihre Augen suchten. Sie kannte den Mann,
der sich vor ihr hin in den Schnee warf, ihre Füße küßte und ihr Kleid
und einen Schwall von russischen Worten über sie ergoß. Allmählich
verstand sie ... ja, ja, der gute alte Nathan, der Raritätenhändler
aus der Jüdengass' -- Nathan Löb hieß er, nun besann sie sich ... Der
wollte sie schützen. Der gab sie für eine Russin aus -- vielleicht gar
für eine Fürstin, alter Nathan, wie? -- es kam dir nicht darauf an
... Du merktest nur, daß die deutsche Frau, die freundlich zu dir, zu
deiner Frau und deiner Tochter gewesen war, in eine brandhelle Gefahr
hineingelaufen war mit ihrem zornigen und von Mitleid überströmenden
Herzen ... Und da sannst du dir ein gutes Märchen aus, braver alter Löb
...

Aber es sollte dir nichts helfen -- und der Frau auch nicht, vor der
du dich als ein lebendiger Schild aufgerichtet hattest ... Nikolai
Sontscheff hatte flinke Füße, trotz seiner Betrunkenheit ... Und er
hatte ganz genau gewußt, wo er die Polizei finden würde ... Bei Michail
Michailowitsch ...

Eine Hand legte sich auf die Schulter der Frau. Sie fuhr herum ...

»Was ist --?!«

»Kommen Sie ...«

»Wohin --?«

»Auf die Wache ...«

Vor Beates Augen tanzte die ganze Welt. Sie straffte sich in den Knien;
aber sie schwankte doch.

»Was soll ich -- auf der Wache --?!«

»Das werden Sie dort erfahren ... Kommen Sie ...«

Sie ging.

Nathan Löb, der alte Raritätenhändler aus der Jüdengass', blieb auf den
Knien liegen und drückte seinen mürben, ratlosen Kopf in beide Hände ...

Die Polizisten führten Beate durch drei, vier Gassen; sie kamen an ein
sehr langgestrecktes, graues Gebäude mit vergitterten Fenstern. Posten
schritten davor auf und ab. Sie wandten neugierig die Köpfe.

Durch zwei eiserne Tore und einen Gang, in dessen steinernen Gewölben
sich die Laute ihrer Füße fingen, kamen sie auf einen engen,
viereckigen Hof, der völlig leer war. Eine Türe tat sich auf. Ein
dunkler Flur ... Stufen, ausgetreten und krumm ... eine Öllampe an
der Windung der Treppe; Tabaksqualm -- Stimmen und Faustschläge auf
dröhnende Tischplatten. Dann abermals eine Tür, die sich öffnete ...

Um einen Tisch, den die Holzwürmer zerfressen hatten, saßen fünf oder
sechs Polizisten, die beim Eintritt der Frau und ihrer Begleiter
die Köpfe wandten. Sie spielten Karten und ließen sich nicht stören.
Nur einer, der auf einem dreibeinigen Schemel an der Tür gesessen
hatte, stand auf, wechselte ein paar Worte mit den Neuangekommenen
und verschwand, ohne einen Blick auf Beate geworfen zu haben, im
Nebenzimmer.

Einige Augenblicke später stand Beate Hoyermann vor einer Schranke,
die sie von mehreren Beamten trennte, deren Tätigkeit vor kurzem auch
das Kartenspiel gewesen sein mußte, denn die französischen Blätter und
Haufen von kleinen und großen Münzen lagen noch auf den Tischen.

Einer von Beatens Begleitern erstattete Meldung. Der älteste der
Beamten forderte die Frau mit einer Handbewegung auf, näher zu treten.
Beate gehorchte, ohne zu zögern. Sie sammelte alle ihre Kraft.

»Darf ich fragen, Madame,« begann der Russe in fließendem Deutsch, »wie
es gekommen ist, daß Sie sich in eine Angelegenheit des Straßenpöbels
mischten?«

Beate, die auf eine andere Frage vorbereitet gewesen war, zögerte
einen Augenblick. Aber dann hob sie den Kopf in den Nacken und sagte,
ebenfalls deutsch redend: »Weil ich zu meinem Bedauern feststellen
mußte, M'sieur, daß die Polizei nicht zur Hand war, um wehrlose Frauen
und Kinder vor der Gemeinheit des Straßenpöbels zu bewahren.«

Der Beamte sah seine Kollegen an und lächelte ein wenig.

»Deutsche Frauen und Kinder -- nicht wahr?« fragte er weiter.

»Allerdings, M'sieur ...«

»Und eben, weil es deutsche Frauen und Kinder waren, fühlten Sie sich
veranlaßt, sie in Ihren Schutz zu nehmen ...«

»Die Nationalität würde in keinem Falle bei mir eine Rolle spielen,
wenn es sich um die Verhütung einer Gemeinheit handelt,« sagte Beate
etwas herb.

»Sehr anerkennenswert ... Aber man hat gehört, wie Sie Deutsch
sprachen, Madame ...«

»Sie selbst sprechen ein ausgezeichnetes Deutsch, M'sieur ...«

»Es ist ein Vergnügen, mit Ihnen zu verhandeln, Madame -- Sie führen
eine vortreffliche Klinge,« sagte der Beamte mit einer Verbeugung.
Beate antwortete nicht.

Der Beamte nahm ein Aktenformular aus dem Pult und legte es vor sich
hin.

»Wenn ich recht unterrichtet bin, wohnen Sie augenblicklich auf dem
Gute von Kyrill Iwanowitsch Petulikow -- nicht wahr?«

»Ich bin die Pflegerin seiner Mutter,« sagte Beate.

Der Beamte lächelte leicht.

»Es dürfte Ihnen nicht unbekannt sein,« sagte er, »daß man Sie in der
Stadt in nähere Beziehung zu Kyrill Petulikow selbst als zu seiner
Mutter bringen will, Madame ...«

Beate verstand nicht gleich. Und dann lief ihr das Blut übers Gesicht.
Im nächsten Augenblick war sie kalkweiß bis zu den Lippen.

»M'sieur,« sagte sie, und ihre Augen funkelten, »ich genieße den
ehrerbietigsten Schutz im Hause Kyrill Petulikows, den sich eine
verheiratete Frau wünschen kann.«

Der Beamte verbeugte sich.

»Sie sind also verheiratet?«

»Ja.«

»Mit wem?«

»Das tut nichts zur Sache.«

»Ganz wie Sie wollen, Madame ... Gestatten Sie mir eine andere Frage:
--« und er nahm einen Brief aus dem Aktenbogen, den er Beate reichte
... »haben Sie dieses Schreiben verfaßt und heute zur Post gegeben?«

Beate nahm den Brief nicht; sie erkannte ihn beim ersten Blick. Es war
der, den sie an Tystendal geschrieben.

»Ja,« sagte sie.

»Sie werden es begreiflich finden, Madame, daß sich der Staat in diesen
Zeiten -- zur eigenen Sicherheit -- um die Angelegenheiten seiner
Bürger mehr noch als sonst bekümmern muß ...«

Er sah die Frau an; aber Beate schwieg.

»Der Brief ist geöffnet an uns übergeben worden; und die Polizei hat
ihn gelesen ... Er enthält einige Punkte, die im Zusammenhang mit
anderen Ereignissen nicht uninteressant für uns waren ... Doch zuvor
noch etwas anderes.« Er nahm abermals den Aktenbogen zur Hand. »Haben
Sie dies hier geschrieben?«

Beate nahm den Zettel, den er ihr bot.

»Ja,« sagte sie. Es war der Zettel, den sie auf der Post verloren zu
haben glaubte. Sie wurde rot vor Zorn.

»Wie kommt es, Madame,« fuhr der Beamte in seinem Verhör fort, »daß sie
deutsche Worte mit russischen Buchstaben geschrieben haben?«

»Zur Übung,« sagte Beate einfach.

»So ... Sie lernen also Russisch?«

»Ja. Ist das ein Verbrechen?«

»Etwas Ähnliches, Madame ... Wenigstens in diesen Zeiten ...«

»Das verstehe ich nicht.«

Der Beamte zuckte die Achseln.

»Es muß um so verwunderlicher erscheinen, als Sie -- nach diesem
Brief zu urteilen -- die Absicht haben, Rußland recht bald wieder zu
verlassen!«

»Bei der ersten Gelegenheit, die sich mir bietet.«

»Das heißt -- Sie wünschen nach Deutschland zurückzukehren,« sagte der
Beamte, ohne Beate anzusehen.

»Ja,« sagte sie kurz und fest. Wenn ihr Leben davon abgehangen hätte --
es wäre ihr unmöglich gewesen, »nein« zu antworten.

»Sie sind also deutsche Staatsangehörige?«

»Ja.«

»Mit einem deutschen Manne verheiratet?«

»Ja.«

Der Beamte machte eine Pause.

Dann wandte er sich Beate ganz zu und sah ihr mitten ins Gesicht.

»Darf ich um Ihren Paß bitten, Madame?« sagte er mit vollkommener
Höflichkeit.

Beate öffnete ihre Tasche, die sie im Muff getragen hatte, und übergab
ihm den Paß. In diesem Augenblick wußte sie, daß sie verloren war. Sie
stand aufrecht und still.

Der Beamte prüfte den Paß, ohne daß sich in seinem Gesicht irgendeine
Regung gezeigt hätte.

»Dieser Paß ist gefälscht?« fragte er.

»Es ist der Paß einer anderen,« antwortete Beate.

»Weiß Kyrill Iwanowitsch oder seine Mutter, daß Sie Deutsche sind?«

»Nein,« sagte Beate, ohne sich zu besinnen.

Der Beamte schob den Paß zu den übrigen Stücken der Akten.

»Ich bedaure, Madame, durch Ihr Verhalten dazu gezwungen zu sein, Sie
verhaften zu lassen,« sagte er höflich, aber sehr ernst.

Beate schluckte.

»Warum?« fragte sie dann. Sie fragte es fast nur, um Zeit zu gewinnen.

»Sie stehen unter dem dringenden Verdacht der Spionage ...«

»Das ist ein Irrtum,« sagte Beate still.

»Ich hoffe es um Ihretwillen, Madame,« antwortete der Beamte.

Er drückte auf einen Klingelknopf. Einer der Polizisten trat ein. Der
Beamte sagte ihm nur zwei Worte. Der Polizist öffnete die Tür ...

Und Beate folgte ihm ...




                                   8


Nathan Löb hatte keinen Schlitten, aber er hatte einen Karren. Und er
besaß keine Pferde, aber er besaß Freunde. Das kam auf eins heraus.

Er schickte seinen Sohn in den Hof hinunter; er mußte den Karren
abladen, die Räder losschrauben und den Karren auf Kufen setzen. Das
war eine Arbeit von zwanzig Minuten. Und Nathan Löb selber lief in der
Nachbarschaft umher und fragte, wer ihm zwei Pferde leihen wollte. Da
er ein ehrlicher Mann war, fügte er gleich hinzu, es sei sehr möglich,
daß er die Pferde zu Tode jagen würde. Aber Nathan Löb stand im Rufe,
zwei Pferde recht gut ersetzen zu können. Er bekam sie.

Er sagte keinem Menschen, wohin er fahren wollte. Er dachte: was einer
nicht weiß, das verrät er nicht. Als er die Stadt hinter sich hatte,
hieb er auf die Gäule ein, daß sie den Schlittenkarren hinter sich
dreinrissen, als säße ihnen der Satan im Genick. Sie hatten es nicht
allzu schwer. Sie liefen auf der Spur eines anderen Schlittens, der die
gleiche Richtung hielt. Und dem Mann, der diesen Schlitten gelenkt
hatte, mußte es auch nicht auf das Leben oder die Beine seiner Pferde
angekommen sein. Der Schlitten hatte Sprünge gemacht wie ein Ball ...

Als Nathan Löb beim Postmeister anlangte und Pferde von ihm forderte,
sagte der Mann, er habe keine. Nathan Löb griff in die Tasche seines
Kaftans und klimperte mit gutem Silber. Der Postmeister blieb dennoch
bei seiner Behauptung. Nathan Löb sagte, er wolle die Pferde kaufen
und ihm außerdem die anderen überlassen. Der Postmeister führte ihn in
den Stall und zeigte ihm die Gäule, die er drin stehen hatte. Aber sie
standen nicht, sie lagen. Ein Knecht rieb sie mit Strohwischen. Nathan
Löb betrachtete sie, schüttelte den Kopf und ging hinaus. Nein, die
konnte er nicht brauchen. Sie dampften noch von der letzten Fahrt. Und
das war keine gute gewesen.

Die Frau des Postmeisters, die auf dem Ofen lag und ihr jüngstes
Kind säugte, wollte wissen, was es denn drin in der Stadt gegeben
habe ... Der Dmitri vom Gut sei dagewesen, habe die halbtoten Pferde
ausgewechselt und sei wie verrückt gewesen. Was habe es denn gegeben,
bei allen Heiligen --?

Nathan Löb blinzelte.

»Nu -- was soll es gegeben haben --? Nichts ... Die Leute machten sich
ein Späßchen ... Warum sollen sie sich nicht ein Späßchen machen bei
den ernsten Zeiten, so gut sie es verstehen? -- Hübsche Kinderchen hast
du, Mütterchen, unberufen -- und gesunde Kinderchen ... Hundert Jahre
sollst du werden und hundert Enkel haben, Mütterchen ... Gute Nacht ...«

Die Postmeisterin zog ihr Jüngstes fester an sich und seufzte. Sie
stützte den Ellbogen auf und legte das Gesicht in ihre flache Hand.
Dann hustete sie .... Es war Winter. Und der Winter pflegte sehr lange
zu dauern ... Nun, man mußte Geduld haben ... Einmal nahm alles ein
Ende ...

Nathan Löb fuhr weiter ...

Zwanzig Werst hinter dem Postmeisterhause, etwa auf halbem Wege zum
Gut, lag ein dunkler Klumpen im Schnee. Das war der Schlitten von
Dmitri. Er war umgefallen und halb im Schnee versunken. Dmitri hatte
die Pferde ausgesträngt. Das eine stand mit hängendem Kopfe, und der
Wind blies ihm die lange Mähne um Hals und Augen. Das andere lag am
Boden; es war tot. Der Schlag hatte es getroffen. Unter seinen Nüstern
fletschten die ganz entblößten Zähne. Der Schaum an den Lefzen war zu
Eis geworden.

Mit triefendem Gesicht arbeitete Dmitri, um den Schlitten wieder
aufzurichten. Er wandte sich, wischte sich den Schweiß aus den Augen
und winkte.

»Jude, hilf mir und gib mir deine Pferde!«

Nathan Löb betrachtete sich das Bild. Er schüttelte den Kopf.

»Warum soll ich dir geben meine Pferde, daß du mir die fährst auch
noch kaput?« fragte er. »Wenn du willst fahren aufs Gut, Dmitri, komm
auf meinen Karren. Wirst du fahren e bissel langsamer, aber sicherer
mit dem alten Juden. Wenn mer hat Eile, is e totes Pferd nix nutz.
Oder biste gefahren wie meschugge, bloß um dich selber zu bringen in
Sicherheit --?«

Dmitri sagte nichts. Er spannte das ledige Pferd neben dem ersten des
Juden ein, kletterte auf den Karren und griff nach den Zügeln. Aber
Nathan Löb schüttelte den Kopf und hielt sie fest. Dmitri ließ ihn
gewähren. Er merkte sehr bald, daß der Jude die Gäule nicht schonte.
Als sie auf dem Gute anlangten, war es zehn Uhr.

Lisa Petulikowa schlief noch nicht. Sie wartete auf ihre Pflegerin. Es
war noch niemals vorgekommen, daß Kate Mathew länger als vier Stunden
in der Stadt geblieben wäre, ohne auf irgendeinem Wege Nachricht zu
schicken, daß sie aufgehalten worden sei. Kyrill Iwanowitsch hatte
alle Welt angerufen -- niemand wußte etwas. Mit einem Male hatte das
Amt keine Antwort mehr gegeben, was die Unruhe und Besorgtheit noch
gesteigert hatte.

Kyrill Iwanowitsch war im Begriff gewesen, den nächsten besten
Ackergaul zu nehmen, um nach der Stadt zu reiten und nach Beate zu
suchen. Aber Lisa Petulikowa lag ihm mit ihrer krampfhaften Furcht vor
dem Alleinbleiben vor den Füßen. Sie traute keinem Menschen außer ihm,
Kate Mathew und Dmitri. Wenn alle sie zu gleicher Zeit verließen, würde
sie verrückt werden vor Angst.

Also blieb er.

Das Zimmer Beatens war das einzige, von dem aus man nach der Landstraße
blicken konnte, die zur Stadt führte. Kyrill Petulikow hatte es noch
nie betreten. Jetzt schlich er um die Türe herum wie ein Verfluchter um
die Kirchentür. Und endlich drückte er die Klinke nieder.

Das Zimmer war unverschlossen. Kate Mathew hatte keine Geheimnisse, die
man mit Schlüsseln sichern konnte. Die warme Dunkelheit und der Duft
des Menschen, der es bewohnte, gab ihm etwas von der Lebendigkeit des
Menschen selbst. Die drei kleinen Fenster glotzten bleich und in ihrer
Dreiheit gespenstisch wie die Augen eines Märchenwesens.

Kyrill Petulikow drückte den Kopf an die kühle, gleichgültige Scheibe.
Er war sehr hilflos, weil er schweigsam sein mußte. Er starrte die
Straße an, als sei sie verantwortlich für das, was auf ihr entlang
kommen mußte -- und endlich auch kam.

Mit zwei Pferden war Dmitri fortgefahren; mit dreien kam er zurück.
Kyrill Petulikow war sehr geneigt, diesen unvermuteten Zuwachs des
Reichtums für ein böses Zeichen zu halten. Für sein Wesen war das
Unvermutete und Unvorhergesehene auch immer das Unglückbringende.

Er lief quer durch das ganze Haus; Lisa Petulikowa öffnete ihre Türe;
ein Lichtschein fiel auf die ersten Treppenstufen; die anderen verloren
sich im Dämmer des Lämpchens vor dem bunten Heiligenbild.

»Kyrill --! Kyrill, wohin läufst du so --?«

»Sie kommen!« antwortete Kyrill Petulikow. Er riß seinen Hut vom Nagel
und zerrte an den Riegeln der mächtigen Haustür. Lisa Petulikowa beugte
sich über das Treppengeländer.

»So nimm doch den Pelz, Kyrill!« rief sie. »Willst du dir den Tod holen
--? Was willst du mit dem Hut anfangen? Der Wind bläst ihn dir fort,
ehe du ans Tor gekommen bist ... Um der Heiligen willen, Kyrill, laß
dir den Pelz bringen! Es ist dein Ende, wenn du so hinausgehst --!«

Kyrill rüttelte an der Türe, die er nicht öffnen konnte, weil die
Riegel seinen unruhigen Händen widerstanden.

Die Stimme Lisa Petulikowas jammerte fort; hinter ihrer breiten Gestalt
tanzte das Licht ihres Zimmers.

»Sprich nicht zu mir, hörst du --!« schrie Kyrill Petulikow in einer
plötzlichen Wildheit. Er sah seine Mutter mit einem Blick an, der sie
von ihrem Posten verscheuchte. Knirschend riß er an dem trägen Eisen,
das endlich nachgab. Die Türe flog auf. Im gleichen Augenblick, da
Kyrill Petulikow auf den Hof hinauslief und der Schneewind ihm den Atem
nahm und den Hut vom Kopfe fegte, läuteten die Schlittenglocken unter
der Einfahrt in das Gut.

Kyrills Augen bohrten sich in die Dunkelheit. Er unterschied zwei
Gestalten auf einem Gefährt, das nicht das seine war, und keine davon
war eine Frau.

»Dmitri --!!«

Niemals in seinem Leben hatte der Diener seinen Herrn in Wut gesehen.
Er hatte sich aus den Decken des Karrens befreit und war von seinem
Sitz gesprungen, bevor Nathan Löb die Pferde zum Stehen bringen konnte.

Jetzt fiel er mitten im Schnee auf die Knie.

»Herr, -- Herr, ich kann nichts dafür --! Bei der Seele meiner toten
Mutter -- ich kann nichts ...«

»Wo hast du die Frau gelassen --?!«

Kyrill Petulikow stand vor ihm, barhäuptig, Dampf vor dem Munde. Er
schüttelte den Diener an beiden Schultern, wie ein starker Hund ein
Wild schüttelt.

»Wo hast du die Frau gelassen -- du ...?!«

»Ich kann nichts dafür, Herr! -- Ich kann nichts dafür --!«

»Wofür kannst du nichts! Willst du reden? -- Wofür kannst du nichts
--?!«

»Ich kann nichts dafür, Herr -- bei meiner armen Seele! -- Ich kann
nichts dafür!«

Kyrill Petulikow ließ ihn los. Dmitri fiel ganz in sich zusammen
und lag, ohne sich zu rühren, im Schnee, den Kopf zwischen die
Hände drückend, als erwarte er einen Hieb ins Genick. Ratlos und in
erbitterter Verzweiflung blickte Kyrill Petulikow auf das Bündel
Menschheit zu seinen Füßen nieder, das der Schreck um jeden Rest seines
Verstandes gebracht zu haben schien.

Ein vorsichtiger Finger rührte ihn an.

»Wollen wir nicht gehen ins Haus, Herr?« fragte Nathan Löb zuredend.
»Es nützt nichts, daß Sie schlagen Ihren Diener zu Brei ... sind
andere, die müßten zerschlagen werden, da drin in der Stadt ... Muß
noch vieles geschehen in dieser Nacht, Herr, wenn es nicht sein soll zu
spät ... Hat Dmitri gemeint, Eile sei das Beste ... Hat er gefahren ein
Pferd zu Tode. Hat er es gut gemeint -- nu ... kann er dafür, daß er
war allein und wußte nicht zu helfen sich selbst und der Herrin?«

»Wo ist sie?« fragte Kyrill Petulikow. Er hatte nichts von allem
gehört, was der Jude sagte. Er hatte nur begriffen, daß der Jude etwas
von dem wußte, was geschehen war -- vielleicht auch alles. Er fragte
und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, die vom Schweiße troff: »Wo
ist sie --? Weißt du, wo sie ist --?«

»Gehen wir ins Haus, Herr!« bat der Jude und zerrte an Dmitri, der noch
immer wie ein Sack am Boden lag. »Willst du aufstehen, alter Bursche
--? Wird dich der Herr nicht fressen, weil du ein Narr gewesen bist!
Steh auf -- he!«

Dmitri rührte sich nicht. Der Jude zuckte die Achseln und wandte sich
ab. Kyrill war ins Haus gegangen; er wartete, in der Türe stehend, auf
Nathan Löb. Als sie verschwunden waren, taumelte Dmitri von den Knien
auf, klopfte sich den Schnee vom Leibe und rieb sich den Schädel. Und
dann fing er die Pferde ein und brachte sie in den Stall. Aber er tat
alles, als sei er betrunken. Als er fertig war, fiel er ins Stroh
zwischen die Hufe der Pferde, die zu müde waren, um zu fressen. Und so
schlief er ein. Denn Dmitri war über siebzig Jahre alt, und das Leben
hatte ihm das Mark aus den Knochen gesogen. Er schnarchte mit offenem
Munde.

Nathan Löb hatte die Haustüre hinter sich geschlossen.

»Wo ist die Frau ...?« fragte Kyrill Petulikow. Er stand mit dem Rücken
gegen den Tisch im Flur gelehnt und stemmte die Hände rückwärts auf
die Platte.

»Müßt' ich lügen, Herr, wenn ich wollte sagen, ich wüßte, wo sie ist,«
antwortete der Jude und hob die Hände. »Aber ich hab' gesehen mit
meinen eigenen Augen, wie sie ist worden verhaftet und fortgeführt ...«

»Was sagst du --?« murmelte Kyrill Petulikow und beugte sich vor.

»Ich sag' die Wahrheit, Herr -- Gott soll mir helfen!«

»Sie ist verhaftet worden --?«

»Verhaftet, Herr!«

»Aber warum -- warum! -- im Namen Gottes?!«

»Nu, Herr -- warum wird mer verhaftet in Rußland? Gott behüte, der alte
Nathan Löb will nichts gesagt haben! -- Aber warum wird mer verhaftet
aus heiterem Himmel als e anständiger und feiner Mensch --? Wenn mer
hat e Herz für die Armen, für die Juden, die se haben ausgeräuchert,
die Henker ... wollen Se verzeihen, Herr ... und für die Deutschen,
denen se haben eingeschmissen die Fenster und die Türen, denen se haben
angezunden die Dächer über den Köpfen, denen se haben gegossen das
brennende Öl über die feinen guten Stoffe und haben e mächtiges Feuer
angerichtet und hineingeschmissen alles, was hat werden können zu Asche
... Se haben können sparen für de ganze Nacht de Straßenbeleuchtung
von der halben Stadt, Herr, wahrhaftig ...«

»Wo ist die Frau --?« fragte Kyrill Petulikow mit einer gewaltsamen
Drehung seines Nackens. Er glaubte den Dunst des Brandes zu riechen,
der schwelend aufstieg von der fernen Stadt.

»Nu, Herr ... ich hab' se gesehen, wie se gekommen is und hat gestanden
neben der Frau, der se wollten das Kind wegnehmen -- wozu? Um se zu
machen gefügig für die Herren ... Ich hab' se gleich gekannt -- is
se doch gewesen freundlich zu mir und zu Rebekka, dem alten Trödler
Nathan Löb seiner Frau, und zu Rahelche, meiner Tochter, die der Herr
mit Krankheit geschlagen hat seit ihrem fünften Jahr ... Is se doch
gekommen oft genug zu dem alten Nathan Löb und hat gekauft -- schöne
Sachen, feine Sachen, Herr -- für e Spottpreis -- weil se is freundlich
gewesen zu meinem Rahelche ... hab' ich se gleich wiedergekannt,
wie se sich hat geworfen über die Frau, die der Kerl hat von sich
weggeschleudert wie 'nen Sack, weil se hat verteidigt ihr Kind, ihr
kleines ... ›Du Feigling!‹ hat se gesagt, was is e deutsches Wort für
en Lumpenkerl -- ›Du Feigling --!‹ Und hat gedeckt mit ihrem Leibe die
Frau, die gelegen hat im Dreck auf der Straße ... Is der Nathan Löb e
alter Mann geworden und hat doch nie gesehen soviel Verachtung und Mut
und hat noch nie gehört soviel Haß, wie is gewesen in den Augen und in
der Stimme von der Frau, die immer freundlich und sanft gesprochen hat
zu Rebekka, meiner Frau, und zu Rahelche, meiner kranken Tochter ...«

Der alte Nathan Löb hob beide Hände, zu Fäusten geballt, und rüttelte
sie gegen einen Unsichtbaren in großer Begeisterung.

»So hat se gemacht, die Frau -- und ›Du Feigling!‹ hat se gesagt ... Es
is geworden förmlich e schönes Wort, wie se das gesagt hat ...«

»Und dann?« fragte Kyrill Petulikow; die Lippen blieben ihm offen
stehen.

»Nu -- hat der alte Nathan Löb gedacht ... Es is e mutige Frau, aber
e unvorsichtige Frau ... hat se gemacht gemeinsame Sache mit den
Deutschen ... hat se Deutsch gesprochen ... ›Du Feigling!‹ hat se
gesagt ... Das wird ihr kosten den Kragen, wenn se wird erkannt als e
Deutsche. Und der alte Nathan Löb hat versucht, zu machen glauben die
Leut', daß die Frau is e reiche, feine Russin, die aus Mitleid sich
annimmt der deutschen Weiber und Kinder ... Aber es is gewesen ze spät
... Es sind gekommen zwei Kerle, die haben verhaftet die Frau und haben
se fortgeführt ...«

»Wohin --?«

»Zum -- Pristaw, Herr ...«

Der alte Nathan Löb sprach das Wort nur zögernd aus. Kyrill Petulikow
starrte ihn an.

»Du weißt noch mehr ...?«

»Ja, Herr ... Ich bin ihr nachgegangen ... hab' gewartet am Tor -- e
halbe Stund -- dann is se wiedergekommen ... zwischen zwei Polizisten
is se gegangen ... die haben se weitergeschafft -- nach dem Gefängnis
...«

Kyrill Petulikow erwiderte nichts. Er machte eine schwerfällige
Bewegung zur Seite hin. Da stand ein Stuhl am Tisch. In den ließ er
sich fallen. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und legte den Kopf
in die verschränkten Hände. Sein weiches dunkles Haar fiel über seine
Finger ...

Oben am Treppengeländer erschien die träge Gestalt von Lisa Petulikowa.
Ihr bleiches, ein wenig gedunsenes Gesicht beugte sich aus dem Dunkel
vor; sie lauschte mit offenen Lippen.

Nathan Löb wartete eine Weile. Er trat von einem Fuß auf den anderen
und zermürbte die alte Pelzmütze zwischen seinen knochigen Händen.

»Herr,« fing er schließlich wieder an, »Se haben gescholten den Dmitri,
weil er hat den Kopf verloren und is davongefahren ohne die Frau ...
Ich hab' ihn gefragt: Dmitri, alter Esel, warum bist du davongefahren
ohne die Frau, wo du hast wissen müssen, se wird kommen in Gefahr
und wo's is gewesen deine Pflicht, se zu behüten vor Schaden. Er weiß
nix, was is vorgegangen, in seinem dummen Schädel. Er is gefahren wie
besessen und hat wollen melden, was is geschehen, auf dem Gut ...
Dmitri, alter Esel, hab' ich gefragt, warum hast du nicht einfach
angerufen den Herrn? -- Hat er gesagt, er weiß nicht Bescheid mit den
neumodischen Erfindungen ... Nu, Dmitri, hab' ich gesagt, wollen wir
hoffen, daß wir kriegen frei die junge Frau -- sonst geht's um deinen
Kopf, weil der Herr wird sehr böse sein auf dich ... Aber Herr -- es
wird nicht gut, was der Dmitri hat schlecht gemacht, wenn wir sitzen
hier und legen den Kopf in die Hände ... Wir müssen etwas tun mit
unsere zwei Händ' für die junge Frau ... noch in dieser Nacht, Herr
... Sonst bringen sie se fort -- nach Moskau oder weiter ... weil es
heißt, se hat gehabt en falschen Paß und hat getrieben Spionage für die
Deutschen ...«

Kyrill Petulikow stand auf und ging im Treppenhaus hin und her, mit
tief gesenktem Kopfe, als suche er den Weg zur Rettung in den weißen,
knirschenden Sandkörnern unter seinen Füßen.

Lisa Petulikowa schlich die Treppe hinab bis zu der Biegung, wo das
Heiligenbild hing.

»Was sagt der Jude?« murmelte sie mit ihrem kurzen Atem.

Kyrill Petulikow blieb stehen. Er sah seine Mutter an, gab aber keine
Antwort. Nathan Löb bückte sich bis zur Erde. Er zog sich nach der Tür
zurück.

»Nun, Kyrill ...«

»Sie ist verhaftet worden,« sagte Kyrill Petulikow.

»Verhaftet -- wer ...«

»Sie -- Kate Mathew ...«

»Kate Mathew --? Warum, um der Heiligen willen --?!«

Kyrill Petulikow sah seiner Mutter in das bleiche, schlaffe, ein wenig
gedunsene Gesicht. Vielleicht kam ihm für einen Augenblick der Gedanke,
sich mit allem, was er fühlte, mit allem, was nun zu einer Tat werden
mußte, der Frau anzuvertrauen, die seine Mutter war. Und vielleicht
hätte Lisa Petulikowa, die trotz ihrer Trägheit und Eigensucht gutmütig
und leicht zu rühren war, die Probe bestanden. Aber Kyrill Petulikow
wagte die Probe nicht. Es stand zuviel auf dem Spiele, um es von der
Laune einer kranken Frau abhängig zu machen. Und Kyrill Petulikow wußte
auch, daß Frauen nicht immer gerecht sind, wenn es sich um eine Frau
handelt.

»Mach dich fertig, Mutter,« sagte er mit einem plötzlichen Entschluß,
»du mußt noch in dieser Nacht zur Stadt und weiter -- mit dem nächsten
Zug, der nach Moskau fährt ...«

»Warum?«

»Du bist hier nicht sicher genug ... Es ist -- es ist etwas
vorgefallen, das mich fürchten läßt, man werde uns auch hier auf
dem Gute belästigen ... Kate Mathew ist als Ausländerin erkannt und
festgehalten worden ... Ich wünsche nicht, daß du in die Angelegenheit
verwickelt wirst ... In Moskau, bei deiner Schwester, bist du davor
sicher ... Du hast eine Schlittenfahrt vor dir, die ein wenig
beschwerlich sein wird -- und dann eine Reise -- nun ja ... aber das
ist das kleinere Übel -- nicht wahr? Es wird mich beruhigen, wenn du in
Sicherheit bist.«

»Und du -- was willst du tun?«

»Ich komme dir nach, sobald ich kann.«

»Und Kate Mathew?«

Kyrill Petulikow zuckte die Achseln. »Ich werde den englischen Konsul
benachrichtigen -- mehr kann ich für sie nicht tun ... Es wird sich
alles aufklären ...«

Lisa Petulikowa sagte nichts mehr. Sie stieg die Treppe wieder hinauf
und rief nach ihrer Jungfer.

Nathan Löb machte ein schlaues und sehr zufriedenes Gesicht.

Kyrill Petulikow stand einen Augenblick, die Hand vor der Stirn; und
sah ins Leere. Dann schien er mit sich im klaren zu sein. Das machte
ihn still und gab ihm seine Sanftheit wieder.

»Du wirst mit uns fahren,« sagte er zu dem Juden. »Und du wirst mir
helfen, nicht wahr? -- Weil die fremde Frau freundlich zu dir und
deiner Frau und deiner kranken Tochter gewesen ist ...«

»Herr, wenn ich nicht helfen wollte mit allem, was der alte Nathan Löb
vermag -- wär' ich dann hergekommen?«

»Es ist gut,« sagte Kyrill Petulikow mit einem flüchtigen Lächeln. »Sag
dem Dmitri, er soll die Pferde einspannen ... Sie werden müde sein;
aber das hilft nichts. Wir werden sie wechseln und ihre Hälse in acht
nehmen ... Nun geh ...«

Nathan Löb zog sich die Pelzmütze über die Ohren und ging. Er mußte
wacker schreien, bevor er den schnarchenden Dmitri wach bekam. Der
kratzte sich den Pferdemist, in dem er gelegen hatte, aus den Haaren
und machte sich wortlos daran, den Befehl seines Herrn auszuführen.
Hätte er ein besseres Gewissen gehabt, so würde er sich wahrscheinlich
geweigert haben, die Pferde noch einmal in die Nacht hinauszujagen.
So aber schwieg er. Nathan Löb schleppte alles Stroh, dessen er
habhaft werden konnte, zusammen und polsterte den Karren damit aus. Er
wünschte, daß Lisa Petulikowa möglichst wenig Grund zu Klagen haben
sollte, denn er hoffte, dann würde sie auch wenig fragen.

Kyrill Iwanowitsch nahm alles Geld, das er im Hause hatte, legte einen
Teil für Lisa Petulikowa beiseite und steckte das übrige zu sich. Er
wußte, er würde es brauchen. Obgleich er sich beeilte, das Notwendige
erwog und tat und nichts vergaß, war über seinem Gang und seinen
Händen etwas von dem Wesenlosen einer Maschine. Er war wie ein Mensch,
der weiß, daß er wach ist, und hofft, daß er träumt -- er überlegte
jeden Schritt der nächsten zehn Stunden mit dem heimlichen Gedanken:
Vielleicht habe ich ihn nicht nötig. Und sein Verstand sprach über
diese Gedanken fort: Dies und noch viel mehr ...

Zuletzt ging er in das Zimmer, das Kate Mathew bewohnt hatte. Er nahm
alles, was er an beschriebenen Papieren fand, ihr Ausgabenbuch, den
kleinen Kalender, auf dem sie sich Notizen gemacht hatte -- selbst
das Löschpapier ihrer Schreibmappe. Er machte ein Bündel daraus, das
er verschnürte und versiegelte und mit sich nahm. Als er an der Türe
stand, sah er sich noch einmal in dem weiten und niedrigen Raume um,
neigte sich, als stünde er vor Lebendigem, löschte das Licht und schloß
die Türe hinter sich.

Er ging die Treppe hinunter und rief nach Lisa Petulikowa. Es war nicht
mehr weit von Mitternacht, aber niemand vom Gesinde hatte sich schlafen
gelegt. Die Mädchen drängten sich im Winkel der Treppe zusammen.
Sie fürchteten sich und schienen darauf zu warten, daß jemand sie
beruhigte. Aber keiner dachte daran. Die Älteste betete ununterbrochen,
ohne zu wissen, was sie sagte. Als Lisa Petulikowa aus ihrem Zimmer
trat und, fast unkenntlich in ihren Pelzen, mit Augen, die von der
Überstürzung aufgerissen und blöde zugleich erschienen, die Stufen
herunterkam, brachen die Mädchen grundlos und dennoch einmütig in ein
jämmerliches Geheul aus.

»Ja, ja, meine Kinder,« stammelte Lisa Petulikowa, mehr erschreckt als
gerührt, mit einem Blick auf ihren Sohn, der schon wartend an der Türe
stand, »ja -- weint nicht ... Warum weint ihr? Ich fahre nach Moskau
... was weiter? Seid nicht närrisch, meine Kinder ...«

Aber nun fand sie selbst, daß sie bejammernswert sei, und weinte
heftig. Die Gebete der ältesten Dienerin wurden fast zu Beschwörungen.
Die Grundlosigkeit und Heftigkeit dieses Jammers gab dem Abschied Lisa
Petulikowas ein Gewicht, als sei er nur die Vorbereitung zu wahrhaftem
Unheil, das gewiß kommen würde. Nur Wassilissa, die Jungfer, hatte
blanke, freche Augen. Sie freute sich auf Moskau, das bei Gott ein
lustigerer Aufenthalt war als dieser Kuhstall zwischen Feldern und Wald.

Sie war die einzige, die mit leichtem Herzen in die Nacht hineinsah.

An den Köpfen der Pferde stand Dmitri und schien bereit, vor seinem
Herrn abermals auf die Knie zu fallen.

»Laß, laß --!« sagte Kyrill Petulikow. »Höre, was ich dir sage,
Dmitri ... Es ist sehr ernst und wichtig, und du wirst gut aufpassen,
verstehst du ...«

»Ich will ewig verflucht sein, Herr ...«

»Laß das -- höre! Du wirst wach bleiben während der ganzen Nacht. Du
wirst an der Türe sitzen und warten, ob ich wiederkomme. Und wenn du
mich rufen hörst, öffnest du die Türe und wirst tun, was ich dir sagen
werde, ohne dich einen Atem lang zu besinnen ... Wenn aber nach mir --
noch in dieser Nacht oder morgen früh -- ein Mensch kommt und fragt
dich nach dem, was in dieser Nacht geschehen ist, so hast du geschlafen
und weder gehört noch gesehen, was vorgefallen ist. Du wirst sagen,
Lisa Petulikowa und ich seien fortgereist, doch du wüßtest nicht wohin
und noch weniger, wann wir wiederkämen ... Hast du mich verstanden?«

»Ja, Herr.«

Drei Minuten später fuhren sie davon. Lisa Petulikowa, ihr Sohn und der
Jude. Kyrill hörte noch, wie Dmitri die Haustür schloß und die Riegel
vorschob. Er wußte, daß das Haus in Flammen aufgehen konnte, aber
Dmitri würde auch dann seinen Posten nicht verlassen.

Wassilissa, die zu den Füßen ihrer Herrin im Stroh kauerte, schlief ...

Kyrill Petulikow spürte den Wind in seinem Gesicht. Er kam von Westen
und roch nach Schnee.

Kyrill Petulikow dachte an die Frau, um derentwillen er diese Fahrt
unternahm.

»Sie wird wissen, daß ich alles für sie tun werde, was ein Mensch tun
kann,« ging es ihm durch den Kopf. »Darum wird sie mutig sein und
warten ...«

Der Gedanke machte ihn ruhig. Aber er irrte sich. Beate Hoyermann
wartete nicht auf ihn ... Und sie war auch nicht mutig.

Sie war es gewesen; ja. Sie hatte sich bei dem ersten Verhör, dem man
sie unterzog, ganz aufrecht gehalten bis zum letzten Augenblick. Auch
als sie merkte, daß sie verloren war. Auch als sie das sicher wußte.

Sie hatte sich von den Polizisten fortführen lassen und nicht den
geringsten Widerstand geleistet, als der eine ihr die Faust zwischen
die Schultern stieß: »Vorwärts, deutsches Schwein -- soll ich dir Beine
machen?«

Sie war still geblieben, als man sie durch die Straßen schleppte und
das Volk, das von der Plünderung der deutschen Läden, dem Feuer und
ihrer Beute, von dem Rausch der Nacht und Grausamkeit noch trunken war,
auf sie aufmerksam wurde, ihr nachzulaufen begann und seine Wut und
seine Freude johlend über sie ergoß.

Es war nicht bei Worten geblieben, freilich, nein ... Sie hatten wissen
wollen, warum man die Frau ins Gefängnis führte. Nikolai Sontscheff
hatte sein Licht leuchten lassen. Noch etwas zerkratzt von seinem
Kampf mit dem stärkeren Gegner, stieg er auf den Vorsprung eines
Kellerfensters, schwang die Arme durch die Luft und brüllte ...

»Das, teure Freunde, war eine deutsche Bestie, die das heilige Rußland
an seine Feinde verriet. Eine Spionin, Herzensbrüder --! Die Geliebte
eines Großfürsten, die in einer Nacht das Einkommen von zwei Ministern
verspielte -- eine von denen, die schuld daran waren, daß das Volk
hungerte --! Hört ihr wohl, sie hat Papiere gestohlen! Festungspläne
hat sie gestohlen und an die Deutschen ausgeliefert --! Sie hat sich
eingeschlichen und Rußlands Gastfreundschaft mißbraucht --! Sie hält
es mit den Juden und liefert ihnen kleine Christenkinder ans Messer
--! Betet zu allen Heiligen, daß man sie aufhängt an einem doppelten
Strick, der ganz gewiß nicht reißt --! Hängen soll sie, die Bestie!«

Nikolai Sontscheff war so betrunken, daß er sich zwischen jedem Satz
seiner geifernden Wut erbrach. Schließlich verlor er das Gleichgewicht
auf seinem erhöhten Standpunkt, stolperte und fiel vornüber. Niemand
kümmerte sich um ihn. Er blieb im Schnee und Schlamm liegen und
schluchzte in herzzerreißendem Mitleid mit sich selbst. Endlich
schlief er ein. Einer seiner guten Bekannten hatte nur auf diesen
Augenblick gewartet, um sich in voller Ruhe über ihn herzumachen und
ihm die Taschen auszuleeren. Er hatte ein gutes Ergebnis, denn Nikolai
Sontscheff war bei der Plünderung eifrig tätig gewesen ...

Kein Mensch hatte ein Wort von dem geglaubt, was der Betrunkene über
die verhaftete Frau an Unflätigkeiten ausgeschüttet hatte. Aber seine
Rede war doch ein willkommener Anlaß gewesen, schmutzige Klumpen harten
Schnees von der Straße aufzuraffen und sie der Frau, die einen Pelz
und einen Schleier trug, an den Kopf zu werfen. Die Polizisten, die
sie führten, ließen das Volk gewähren, bis ein ungeschickt gezieltes
Wurfgeschoß dem einen die Mütze vom Schädel schlug. Mit einem Fluch
wandte sich der Getroffene gegen die Nachdrängenden; -- sie wichen
zurück. Sie begnügten sich damit, der Verhafteten das Geleite zu geben,
bis das Gefängnistor sich hinter ihr schloß.

Mit einer wunderlichen krampfartigen Neugier hatte Beate ihre
Umgebung betrachtet. Das Grausen, das sie aus hundert russischen
Schilderungen zorniger oder entsagender Dichter von den Gefängnissen
des Zarenreiches in sich hinein gelesen, stellte sich noch nicht ein.
Sie war sich noch nicht klar geworden, in welcher Lage sie sich befand.
Noch schien alles ein Scherz zu sein -- ein schlechter und roher Scherz
vielleicht ... Aber kein Ernst -- o nein ... Sie würde eine Nacht
hier zubringen müssen; man würde sie abermals verhören und sich davon
überzeugen, daß sie wahrhaftig keine Spionin sei -- und dann würde man
sie wegschicken ... Ob Dmitri freilich so lange warten würde --?

Armer Bursche ...

Sie hatte noch Zeit, an ihn zu denken, fast mit einem Lächeln. Aber
nicht lange mehr.

Man brachte sie in ein Zimmer, das von der Hitze zu bersten schien. An
dem Tisch in der Mitte, unter einer blakenden Petroleumlampe, saßen ein
paar Kerle, die Schnaps auswürfelten. Beim Eintreten Beatens wandten
sie nur die Köpfe, ohne sich unterbrechen zu lassen.

Einer der Polizisten wollte Bericht erstatten; aber der älteste der
Kerle fuhr ihm entgegen.

»Schweig, Hundesohn --! Hat dir einer zu reden erlaubt?«

Die Polizisten zogen sich nach der Tür zurück. Beate blieb mitten
in dem freien Raum zwischen Tür und Tisch stehen. Noch war kein
eigentlicher Schrecken in ihrem stillen Gesicht. Sie wandte den Kopf
mit einer langsamen und zaghaften Bewegung, wie manchmal Tiere sie
haben, die lange im Dunkeln waren und jäh ins Lichte gebracht werden.
Sie war sehr müde, und die stinkende Hitze des niedrigen Zimmers legte
sich ihr wie ein schnürendes Band um die Stirn.

»Ich bitte Sie um Verzeihung, meine Herren,« sagte sie, und ihre Stimme
klang in der großen Erschöpfung so hoch wie die eines Kindes und ganz
verschleiert, »würden Sie mir gestatten, daß ich mich setze?«

Keiner der Männer gab eine Antwort.

Was den Schmähungen und Mißhandlungen des Pöbels nicht gelungen war,
das gelang der gleichgültigen Unfreundlichkeit. Beate fühlte, daß es
nicht mehr lange dauern konnte, dann würden ihre Nerven nachgeben und
sie selbst in Tränen ausbrechen. Sie senkte den Kopf und biß sich auf
die Lippen. Sie dachte an ihren Mann. »Wenn du da wärst!« -- und:
»Gut, daß du mich so nicht siehst ...« Der Jammer ihrer Verlassenheit
würgte sie in körperlichem Schmerz an der Kehle. Sie legte die Hände
ineinander, als wollte sie sich an sich selbst festhalten.

Endlich, nach mehr als einer halben Stunde, waren die Kerle mit ihrem
Spiel zu Ende, warfen die Karten zusammen und rückten die Stühle vom
Tisch. Der eine, der Beate gerade gegenübersaß, stand auf und trat auf
sie zu.

»Hast du Geld?« fragte er.

»Ja,« antwortete sie.

»Gib es her.«

Sie öffnete ihre kleine Tasche und nahm alles Geld heraus, das sie
besaß. Es waren vielleicht achtzig Rubel.

Der Russe zählte die Summe, blies über die Lippen und steckte das Geld
ein.

»Das ist nicht genug,« sagte er. Seine Kameraden lachten dröhnend.
Beate blickte von einem zum anderen. Sie verstand nichts.

»Ich habe nicht mehr,« meinte sie sanft.

»Du hast ~wohl~ mehr ...«

»Nein ...«

Der Mann ging auf eine Tür im Hintergrund des Zimmers zu, stieß sie auf
und brüllte: »Nastaßja --!«

Ein Frauenzimmer erschien, bei deren Anblick Beate unwillkürlich fror.
Sie hatte anscheinend geschlafen; das Haar hing ihr in die Augen. Sie
keuchte, denn sie war unförmlich dick. Auf der linken Seite ihres roten
Gesichts war ein blauunterlaufenes Mal, das sehr vermutlich von einer
Schlägerei herrührte. Wenn dem so war, so hatte ihr Gegner den Hieb
zu bereuen gehabt, denn es war durchaus unwahrscheinlich, daß dieses
Weib in einem Zweikampf unterliegen konnte, den sie nicht mit einem
Ringkämpfer von Beruf unternahm.

»Nastaßja, meine Taube,« sagte der Mann, der sie gerufen hatte,
»verzeih, daß ich deinen Schlummer störte, aber es gibt zu tun. Nimm
das Weib in deine Obhut und sieh nach, ob sie wirklich nicht mehr als
die paar Rubelchen in der Tasche hat, wie sie behauptet ... Aber sieh
gut nach, hörst du?«

Das Weib sah Beate an; sie fuhr sich mit der Zunge über die dicken
Lippen.

»Komm her,« sagte sie.

Beate folgte ihr. Sie hatte das Gefühl, daß sie ihre Kräfte noch zu
ganz anderen Dingen brauchen würde, und wollte sie nicht verschwenden
in zwecklosem Widerstand. Die Türe schloß sich hinter ihr und der Frau.

»Gib dein Geld her,« sagte das Weib.

»Ich habe nichts mehr, Mütterchen,« antwortete Beate. Ihre Stimme rief.

Das Weib sah sie an. Sie murrte etwas und zog die Augen zusammen. Beate
rang mit der fürchterlichen Übelkeit, die der Dunst des Zimmers, in dem
sie sich befand, in ihr erweckte.

»Es nützt nichts, wenn du lügst,« sagte das Weib. »Ich werde dich
durchsuchen, und das sehr genau. Waska läßt nicht mit sich spaßen,
wahrhaftig ...«

Und sie griff nach dem Mantel ihrer Gefangenen.

Das Entsetzen, das Beate durchfuhr, als sie die rohen Hände an ihrem
Leibe fühlte, machte sie schlau.

»Mütterchen,« sagte sie und bückte sich, um im Nebenzimmer nicht gehört
zu werden, »ich schwöre dir, ich habe kein Geld bei mir ... Ich habe
alles dem Manne gegeben, den du Waska nennst. Ich habe nicht eine
Kopeke mehr in meiner Tasche noch sonst Geld versteckt oder eingenäht
... Aber ich habe ein wenig Schmuck ... nicht viel -- doch immer noch
mehr an Wert als die Rubel, die Waska bekommen hat. Wenn du mich
nicht durchsuchen willst, so will ich ihn dir schenken -- dir allein.
Waska braucht nichts davon zu erfahren, verstehst du ... Wenn du mich
durchsuchst, wirst du den Schmuck auch bekommen, aber ich werde dann
Waska sagen, daß du ihn hast, und dann wirst du teilen oder ihn ganz
hergeben müssen ... Nun, was willst du tun?«

Das Weib drückte die Lider zusammen und verzog den Mund.

»Gib her,« sagte sie unterdrückt.

»Wache an der Tür,« flüsterte Beate.

Das Weib gehorchte. Die Gier hatte sie gepackt.

Beate nahm ihren Trauring und schob ihn mit einer krampfhaften Bewegung
tief in ihr dichtes Haar. Dann zog sie ihre anderen Ringe ab, löste
ihre Schmucknadel und die feine goldene Kette vom Halse, legte die Uhr
auf den Tisch und streckte die nackten Hände vor sich hin.

»Ich bin fertig,« sagte sie, tief atemholend.

Das Weib überschaute ihre Beute, raffte sie mit der Schnelligkeit der
Diebin zusammen und schob sie in das Stroh ihres Bettes.

Sie stieß die Türe auf und sagte verdrossen: »Sie hat nichts, die
Hündin ...«

Beate lehnte sich einen Augenblick gegen den Türpfosten; dann ging sie
weiter und stand vor den Männern still.

»Schafft sie weg,« befahl Waska mit einem Fluch. Die Polizisten nahmen
Beate in die Mitte; sie verließen das Zimmer und schritten durch Gänge
und Gänge über Treppen und winzige Höfe, Luftschächten gleich, in ein
abseits liegendes Gebäude hinein. Es hatte Fenster so groß wie zwei
Hände, und sie waren vergittert.

»Was ist das?« flüsterte Beate mit einem versagenden Laut.

»Wart's ab,« sagte der eine ihrer Wächter. »Du wirst es noch zeitig
genug erfahren.«

Er donnerte mit dem Absatz an eine Tür.

»He --! Schläfst du, Lumpenkerl? Mach auf, es gibt etwas Neues!«

Die Türe ging auf. Ein Licht flackerte in einem schmalen und
schmutzigen Gang. Ein Mann stand auf der Schwelle. Er trug Uniform
und Mütze. Hinter ihm an der Wand lehnte sein Gewehr. Er war sehr
verschlafen.

»O zum Teufel, Bruder, warum kommst du mitten in der Nacht? Es wäre
besser gewesen, du hättest das Frauenzimmer laufen lassen, anstatt mir
Scherereien und Arbeit zu machen ...«

»Halt's Maul, Freund, und mach deine beste Kammer auf. 's ist eine
Spionin, die wir bringen ... eine deutsche Bestie, verstehst du? Gib
acht, daß sie nicht entwischt, sonst gebe ich keine Kopeke für deinen
Hals, Brüderchen ...«

»Wie soll sie entwischen?« brummte der Gefängniswärter. »Aus diesem
Hause entwischt keine Ratte, sei gewiß, Brüderchen ... Ich passe auf
... Ich werde mir ein Liedchen singen, um munter zu bleiben ... Nun,
vorwärts, deutsches Vieh -- kriech in deinen Stall -- pascholl!«

Beate taumelte vorwärts -- in ein dunkles Loch hinein, das völlig leer
zu sein schien bis auf ein wenig Stroh, das sie unter den Füßen fühlte.
Unwillkürlich blieb sie regungslos stehen, als sich die Türe hinter
ihr geschlossen hatte und die Stimmen ihrer Wächter nur noch gedämpft
zu ihr hereindrangen. Sie hatte so viele Schrecknisse durchgemacht an
diesem Tage und in dieser Nacht, daß sie vor jedem Schritt bebte, den
sie zu gehen gezwungen war. Sie hätte sich nicht gewundert, wenn in
der Mitte dieser Gefängniszelle ein Loch gewesen wäre, in das man sie
stürzen lassen wollte, um sie loszusein und nichts von ihrem Verbleib
zu wissen.

Minutenlang stand sie so, die gespreizten Hände ein wenig von sich
abhaltend. Sie hatte Angst -- eine wahnsinnige Angst, deren sie nicht
Herr werden konnte. Die Dunkelheit des Lochs, in dem sie steckte, und
die todestraurige Bleichheit der Nacht, die durch das Fenster hoch über
ihrem Kopfe schimmerte und nur dazu gemacht schien, die Dunkelheit
noch trostloser zu gestalten -- die Stille, die fast einen Körper
gewann und zu wachsen schien, je länger sie währte, die sich auf sie
heranwälzte und unendlich langsam und unendlich sicher ihr die Luft zum
Atmen abschnürte -- der Gestank, der in dem Gefängnisloch herrschte und
förmlich in Wolken zu ihr aufstieg ... alles das vereinigte sich zu
einem Schrecknis, dem ihre höchstgespannte Kraft zu erliegen drohte.
Sie zitterte vom Kopf bis zu den Füßen. Über ihre Lippen kam ein
wimmernder Laut, vor dem sie selbst erschrak. Sie bedeckte sich den
Mund mit ihren Händen und stand ganz still, mit vorgebeugtem Kopfe.

Hinter ihrer Türe rührte sich etwas -- ein Schritt ... Der Wächter ...

Er summte vor sich hin.

Jetzt hörte sie, wie er sein Gewehr aufnahm und die Patronenkammer
füllte ...

Es war also Ernst -- vollkommener Ernst ...

Gott -- großer Gott im Himmel ... Das war ja Wahnsinn ... sie hatte ja
nichts getan, das auch nur im entferntesten den Verdacht gerechtfertigt
hätte, um dessentwillen sie hier war. Warum hatte sie sich nicht
gewehrt? Warum hatte sie nicht zu entkommen versucht -- warum war sie
mitgegangen wie ein Stück Schlachtvieh --?

Es konnte noch nicht zu spät sein! Sie mußte doch mit irgendeinem
Menschen reden können, den sie aufklären konnte ... Man konnte sie
doch nicht ins Gefängnis werfen, ohne sie verurteilt zu haben -- und
verurteilen konnte man sie nicht, denn sie war ja nicht schuldig ...

Sie hörte vor ihrer Türe das gleichmäßige und gelassene Auf und Ab des
Postenschrittes; der Mann summte noch immer vor sich hin. Er hatte
eine hübsche, weiche russische Stimme und sang ein kleines Volkslied;
Beate kannte die Worte gut. Aber sie entsetzte sich vor ihnen in dieser
Umgebung ...

Unwillkürlich wich sie von der Türe zurück und tastete mit der
vorgestreckten Hand an der Mauer hin, ob sie vielleicht auf eine Bank
stoßen würde, um einmal für Sekunden auszuruhen ...

Plötzlich zuckte ihre Hand zurück.

Es war etwas über ihre Finger gelaufen ... Eine Spinne? ... Sie
schleuderte das Unsichtbare von den Fingern ... Aber es war noch da
... Es kroch nicht, nein, es rieselte gleichsam über ihre Haut ...

Sie streifte mit der rechten Hand über ihre linke ... Sie fühlte ...
das war keine Spinne, das war überhaupt nicht ein Tier -- das war eine
Heerschar von gleitenden, behenden und unentwegten Geschöpfen ... Sie
spürte das rasche Rieseln an ihrem Halse; etwas brannte sie -- ein
Tropfen Gift ... Sie schlug sich mit beiden Händen nach der Kehle ...

Da kam ihr ein Geruch in die Nase ...

Und im gleichen Augenblick schrie sie auf, gellend, kreischend, wie von
allen Teufeln der Hölle gepackt -- schlug mit Armen und Händen um sich
und schrie und fühlte, wie unter ihren Kleidern, an ihren Haaren, in
ihrem Gesicht -- bis in ihre Augen hinein das Brennen, Rinnen -- der
höllische Gestank von ihr Besitz ergriff ...

Wanzen ...

Und da war der Mut der Beate Hoyermann zu Ende. Sie fiel auf die Knie
in den Kot des faulenden Strohs, das auf dem Boden der Zelle verstreut
lag, und schlug mit beiden Fäusten gegen die Türe ihres Gefängnisses.
Sie schrie nicht mehr mit offenem Munde, denn die Wanzen waren ihr
über die Lippen gekrochen, und sie hatte sie auf der Zunge gespürt.
Sie schrie mit geschlossenen Zähnen wie ein gefangenes Raubtier, dem
man die Zähne verschnürt hat -- schrie, daß ihr das Blut aus der Nase
sprang -- schlug sich die Fäuste wund an der summenden Türe.

Aber der Wächter hörte sie nicht, denn er wollte sie nicht hören ... O,
er kannte das -- so schrien die meisten, die man dort hineinbrachte in
die hübschen kleinen Zellen des Gefängnisses. So donnerten die meisten
mit den Fäusten gegen die Tür; aber die Türen waren verläßlich, die
hielten fest, auch wenn die Aufgeregtesten statt der Fäuste die Absätze
nahmen. Wenn sie heiser wurden, hörten sie schon auf zu schreien, und
wenn sie sich müde getobt hatten, dann ließen sie auch die Türen in
Ruh. In der zweiten Nacht pflegten sie bereits viel vernünftiger zu
sein. Man mußte ein wenig Geduld mit ihnen haben ...

Der Wächter summte sanftmütig weiter ...

Aber bei Gott, die deutsche Bestie trieb es arg ... Er mußte sie doch
wohl ein wenig zum Schweigen bringen, sonst brachte sie das ganze Haus
in Aufruhr ...

»Willst du still sein, du --?!«

Er stieß den Gewehrkolben gegen die Zellentür, daß sie dröhnte. Aber
die da drin war nicht still, sie rüttelte mit aller Kraft an den Bohlen
und röchelte dazwischen -- als spräche sie mit geschlossenen Zähnen, so
sonderbar klang's --: »Mach auf --! Mach auf --!«

»He, mein Täubchen, das werde ich bleiben lassen ... Es steht eine
strenge Strafe darauf, wenn man sich mit den Gefangenen einläßt -- und
du scheinst mir eine ganz Gefährliche zu sein, Ljuba, meine Liebe ...
Geduld, Geduld -- auch diese Nacht geht vorbei ... Morgen wird man
sehen, was mit dir geschehen muß ...«

Beate konnte ihre Hände nicht mehr rühren. Sie konnte auch nicht
mehr rufen, nicht einmal mehr röcheln. Sie lag vor der Schwelle der
unerbittlichen Türe und brannte am ganzen Leibe in einem fressenden
Feuer des Ekels -- in einem Entsetzen, das keine Worte und fast keine
Gedanken mehr hatte. Sie fuhr sich mit den Händen, an denen die Wanzen
in Trauben hingen, nach dem Gesicht und streifte sich das beißende
stinkende Gezücht von der Stirn, von den Wangen, von der Kehle -- sie
fühlte sich mit Blasen bedeckt wie mit Brandwunden, und ihr Bewußtsein
ging unter in einer so grenzenlosen Verzweiflung, daß sie zu fühlen
glaubte, wie ihr Verstand sich zerrüttete. Dann schlug sie mit der
Stirn gegen die Türe ... Nur ein Ende machen ... ein Ende machen ...
ganz gleich, welches -- nur ein Ende ...

Als sie mit voller Wucht, in der irrsinnigen Hoffnung, sich den Schädel
einzuschlagen, den Kopf gegen die Türe hämmerte, fiel ihr Trauring aus
ihrem Haar und mattklingend vor ihr auf den Boden.

Mein Gott, mein Gott, den hatte sie vergessen ...

Nun suchte sie ihn und fand ihn, hob ihn mit einem jämmerlichen Wimmern
auf und rieb ihn mit einem Zipfel ihres Kleides. Sie lallte etwas, das
ganz Zärtlichkeit und Verzweiflung war, und suchte, worin sie den Ring
verbergen konnte, um ihn nicht vom Schleim des stinkenden Ungeziefers
besudeln zu lassen. Schließlich barg sie ihn in ihrem Munde.

Sie dachte an ihren Mann. Sie nannte sich seinen Namen, wie ein
Ertrinkender nach einem Seile greift. Sie kauerte sich in der Ecke
neben der Türe zusammen und fiel in einen Zustand, der zwischen
völligem Stumpfsinn und heulenden Ausbrüchen ihrer Verzweiflung hin und
her schwankte; schließlich überließ sie sich, ohne mit einem Finger
Widerstand zu leisten, den gierigen, vergiftenden, zerfressenden
Angriffen des Ungeziefers. Sie hoffte sehr, zu sterben. Sie war so ganz
ohne Kraft und Willen, daß man sie hätte abschlachten können; sie würde
sich nicht gewehrt haben ...

Der Kopf sank ihr auf die Brust ...

Und plötzlich hob sie ihn wieder.

Sie hatte etwas gehört -- nicht die Schritte des Postens -- nicht sein
Summen noch das dumpfe Aufstoßen seines Gewehrkolbens auf dem Gange.
Sie hatte eine Stimme gehört ... Die Stimme kannte sie ...

Sie richtete sich mühsam auf; die Knie gehorchten ihr nicht. Ihre
Hände, ihre Füße waren verbrannt von der Fäulnis, in der sie gelegen
hatten ...

Die Stimme vor ihrer Türe sprach mit dem Posten -- ein anderer redete
dazwischen -- das war Waska ...

»Da hast du dein Geld, Hundesohn -- scher dich zum Henker!« zischte er.

»Du wirst dich um deinen Hals bringen, Brüderchen,« murmelte der Posten
halb betrübt.

»Schuft, was geht dich mein Hals an? Kümmre dich um den deinen und mach
dich fort!«

Stille. Tritte, die sich entfernten ...

Und wieder eine Stimme: »Die Schlüssel? -- Wo hast du die Schlüssel
--?!«

»Geduld, Geduld -- ich werde doch die Schlüssel nicht vergessen haben
--! Hier hast du sie, Herr ...«

Ein Kreischen im Schloß der Zellentür; ein Spalt, der sich öffnete;
ein Lichtschein, der dünn und scheu in das Dunkel des Zellenloches
leuchtete; eine Stimme, die rief, als würde sie erwürgt: »Mascha --!«

Beate taumelte vorwärts, in den Lichtstrahl hinein; er fiel auf ihr
Gesicht.

Der Mann an der Türe, der die Lampe hielt, schrie beinahe auf: »Jesus
-- um Gottes willen!!« Und wollte nach ihr greifen. Aber sie wich vor
ihm zurück, schüttelte sich, streckte beide Arme zur Abwehr aus ...

»Rühren Sie mich nicht an! Seien Sie barmherzig -- rühren Sie mich
nicht an --«

Kyrill Petulikow warf einen Blick auf den Menschen neben sich; der
zuckte die Achseln: »Was willst du, Herr? Es ist nun einmal nicht
anders bei uns ... Die Wanzen sind mächtiger als wir ... Niemand kann
etwas gegen sie ausrichten ...«

Kyrill Petulikow stieß die Türe weit auf, daß sie zur Mauer zurückflog.

»Kommen Sie,« sagte er.

Beate taumelte an ihm vorbei, durch die Zellentür, durch die Haustür,
hinaus in den Hof, in dem der Schnee fußhoch lag. Und sie warf sich
in den Schnee und wälzte sich darin -- sprang auf und schüttelte sich
und fiel wieder im Schnee zusammen ... griff mit beiden Händen in das
lockere Weiß und wusch sich das besudelte Gesicht, tauchte die Hände,
die Arme hinein -- hob den Schnee zu ihrem Halse.

Kyrill Petulikow bückte sich zu ihr.

»Mascha, Mascha --! Wir haben keine Zeit zu verlieren --! Stehen Sie
auf --!«

Sie gehorchte. Doch als er sie beim Arm nehmen wollte, wich sie wieder
zurück.

»Das nicht!« sagte sie. »Das nicht ...«

»Wir müssen weiter, Mascha -- Jesus Christus, wir können in jeder
Minute verloren sein ...«

»Gehen Sie ... ich folge Ihnen. Aber rühren Sie mich nicht an --!«

Kyrill Petulikow wandte sich um. Waska trat ihm in den Weg. Er streckte
die Hand aus.

»Herr, mein Geld --?«

»Du wirst es bekommen, wenn wir in Sicherheit sind, nicht eine Minute
eher. Geh voran!«

Waska lächelte schlau. Er nickte und ging. Es schien ihm ein guter
Gedanke gekommen zu sein.

Kyrill Petulikow und Beate folgten ihm auf den Fersen. Sie begegneten
niemand. Es war zwischen zwei und drei Uhr morgens.

Sie kamen auf die Straße, in der das Gefängnis lag. An der nächsten
Ecke hielt ein Schlitten. Ein Mann, bis über die Ohren eingehüllt und
unkenntlich, hielt die Pferde fest. Beate stieg ein; der Mann rührte
sich nicht. Kyrill Petulikow bückte sich zu ihm und flüsterte etwas.
Der Mann nickte und setzte sich neben Beate. Er hob ihr die Pelzdecken
um Knie und Hüften. Seine Hände waren ungeschickt vor Kälte oder
Aufregung.

Kyrill Petulikow nahm die Zügel auf und setzte sich zurecht. In dem
gleichen Augenblick, da er den Pferden die Nagajka über die Rücken
jagte, richtete der Mann im Schlitten sich auf und schleuderte Waska
ein schmales Bündel vor die Füße.

»Tausend Rubel für dich, Brüderchen -- weil du ein braver Schurke bist
--!«

Waska bückte sich ... Die Pferde gingen in wildestem Galopp. Der
Schlitten bog um die Ecke -- das Gefängnis verschwand.

Und der kleine Mann im Schlitten beugte sich vor und suchte die Hände
der Frau, die mit klirrenden Zähnen neben ihm saß, und lachte ...

»Was wird sich freuen Rahelche, mein Kind, und die Rebekka, meine Frau,
daß ich ihnen bringe mitten in der Nacht so e feinen und hochgeehrten
Besuch ...!«

»Nathan Löb?« murmelte Beate. Sie war wie betäubt.

»Der alte Nathan Löb aus der Jüdengass', ja --! Und der alte Nathan Löb
hat viel erleben müssen an Schlimmem und Gutem in beinah sechzig Jahr'
... Aber ihm will scheinen: daß er hat helfen dürfen herauszuholen die
gnädige Frau aus dem Hundeloch, dem Gefängnis ... das ist doch von
seinem ganzen Leben das Beste gewesen ...«

Beate antwortete nicht. Es ging ein ganz verwirrtes Lächeln über ihr
Gesicht. Sie nahm den Ring -- ihren Trauring -- und schob ihn wieder
an seinen rechten Platz. Es ging nicht so leicht. Ihre Finger waren
gequollen und wund, mit Blasen bedeckt.

Beate holte zitternd Atem. Und dann schluchzte sie, den Kopf in die
Hände legend, ganz haltlos, im Jammer aller Erkenntnis dessen, was
hinter ihr lag ...

Der alte Nathan Löb schüttelte den Kopf und seufzte.

»Es is e lumpige Welt,« murmelte er und rückte an seiner Mütze, »e
Welt, als ob se wär' gemacht von e Menschen ... und der wär' gewesen
meschugge ...«




                                   9


Rebekka und das Rahelche hatten nicht viel Zeit gehabt, sich über den
feinen Besuch zu freuen, den Nathan Löb ihnen zwischen Mitternacht und
Hahnenschrei ins Haus brachte.

Kaum eine Stunde waren sie geblieben; Beate warf ihre Kleider, ihre
Wäsche von sich, als seien sie aus den Nesseln des Märchens gewebt, und
wusch sich das Haar, um sich dann vors offene Feuer zu setzen, um es
zu trocknen. Rebekka Löb, die mit solchen Sachen gut Bescheid wußte,
nahm den Pelz der gnädigen Frau und ihre Mütze und steckte beides in
den Backofen, unter dem sie ein Höllenfeuer anschürte. Zuletzt wurden
die ausgeglühten Stücke einem Schneebad unterzogen, geklopft und
gefettet und tadellos befunden. Es bedurfte einiger Mühe, Beate, trotz
aller selbstbeobachteten Gewaltmaßregeln, von der Tadellosigkeit ihres
Eigentums zu überzeugen.

Kyrill redete ihr zu. Und er tat es mit einem so eigentümlichen
Gesicht, daß Beate schließlich dachte, er müsse seine guten Gründe
haben. Vielleicht traute er den Pelzen, die Nathan und Rebekka
eilfertig herbeischleppten, auch nicht ganz, obgleich sie in keinem
russischen Gefängnis gewesen waren. Aber es gab schließlich noch andere
Liebhaber ... hm ...

Nathan Löb hatte im Auftrag von Kyrill Petulikow mitten in der Nacht
zwei sehr gute Schlitten und sämtliche Pferde aufgekauft, die Simon
Asser, sein Freund, vorrätig hatte. Es waren zehn. Mit den Pferden und
Schlitten fuhren Nathan und sein Sohn durch die Stadt voraus, bis auf
die freie Straße, die nach dem Gute Kyrill Petulikows führte. Dort
sollten sie auf ihn und Beate warten.

Beate wand sich die noch feuchten Zöpfe um den Kopf und zog die
Pelzmütze darüber.

Von Rahelche aufs liebevollste ausstaffiert und unter den Schwüren der
Mutter, daß ihre Kleider und Pelze jetzt schöner und sauberer seien,
als sie gewesen, da sie neu waren, kleidete sie sich an und war fertig,
als Kyrill an die Türe klopfte.

»Mascha -- es ist die höchste Zeit ...«

»Ich bin bereit, Kyrill Iwanowitsch ...«

Es waren die ersten Worte, die Beate mit freier Stimme zu ihm sprach,
seit sie das Gefängnis verlassen hatte.

»Nehmen Sie gut Abschied von Rebekka und Ihrer kleinen kranken
Freundin,« sagte Kyrill Petulikow vom Schlitten herunter. »Sie sehen
sie nicht wieder ...«

Er sagte es mit einer gewissen Herbheit und Bitterkeit, die Beate nicht
entgingen -- aber sie fühlte, daß sie sich nicht gegen ihre Person
richteten.

In völliger Dunkelheit waren sie angekommen und fuhren sie weiter. Die
Stadt lag im bleiernen Schlaf, der der Trunkenheit folgt. Sie kamen an
Brandstätten vorüber, die noch rauchten. Niemand kümmerte sich darum.
Je mehr von den Judenlöchern niederbrannten, desto besser ...

Tausend Schritte hinter der Stadt hielten Nathan Löb und sein Sohn.

»Nathan, willst du dir fünfhundert Rubel verdienen?«

Der alte Jude blinzelte vergnügt.

»Nu, Herr -- warum sollt' ich sagen nein --? E gutes Geschäft is e
gutes Geschäft, und mer kann's brauchen ...«

»Dann fährst du mit deinem Sohne querab über die Felder, bis an den
Wald, der die Grenze ist zwischen meinem Gut und dem von Wladimir
Prontoff -- du kennst ihn?«

»Werd' ich ihn ~nicht~ kennen ...! Hab' gemacht oft genug gute
Geschäfte mit dem gnädigen Herrn von Prontoff ...«

»Und kennst auch den Wald -- und wirst ihn finden ...?«

»Der gnädige Herr kann sein ohne Sorge ... Wenn der alte Nathan Löb
sagt, er kennt den Wald, dann findet er ihn auch ...«

»Gut, gut ... Dorthin also fährst du ... brauchst deine Gäule nicht zu
überanstrengen ... Aber dort mußt du warten ... Vielleicht nur kurze
Zeit -- vielleicht eine Stunde -- vielleicht auch noch länger ...«

»Wird der alte Nathan Löb warten, bis der gnädige Herr kommt und
schickt ihn nach Hause.«

»Auf mich, Nathan, mußt du nicht warten,« sagte Kyrill Petulikow mit
einem leisen Lächeln. »Es könnte sonst sein, daß du den Rest deiner
Tage da am Walde zubringen müßtest. Nein ... Aber vielleicht schicke
ich dir meine Leute zu -- den Dmitri und die anderen ... Die nimmst
du in deine Schlitten und fährst mit ihnen zu Wladimir Prontoff und
sagst ihm, er möchte sie in seiner Obhut behalten, bis meine Mutter ihm
Nachricht zugehen ließe -- hast du mich verstanden?«

»Ja, Herr ...« sagte Nathan Löb etwas zögernd und sehr ernst. Er sah
Kyrill Petulikow nachdenklich an und schien nicht zufrieden zu sein mit
dem, was er gehört hatte.

»Dann leb wohl, alter, braver Freund -- und du, Jakob, laß es dir gut
gehen!«

Er drückte dem Vater und dem Sohne herzlich die Hand und reichte dem
Alten die verheißenen fünfhundert Rubel. Aber Nathan Löb nahm sie
nicht.

»Für e Spazierfahrt und e Stund', wo ich soll warten, nehm' ich kein
Geld,« sagte er. »Und das Geld will mer nicht gefallen, Herr -- nichts
für ungut ...«

»Nimm's nur -- nimm's für deine kranke Tochter.«

»Nu, Herr --«

Kyrill warf das Geld in den Schnee.

»Vorwärts, vorwärts --!«

Beate streckte ihre beiden Hände aus.

»Du wirst noch von mir hören, Nathan -- du wirst noch von mir hören!«
rief sie fast schluchzend.

Der alte Jude nickte und lachte.

»Wird mer sein e hohe Ehre und e Freid!« rief er zurück.

Sein Sohn stand still neben ihm. Die listigen und die schwermütigen
Augen des Morgenlandes schauten der Frau nach, die sich zu ihnen
umwandte, so lange sie konnte. Dann gab der alte Nathan Löb seinem Sohn
einen Stoß.

»Gott der Gerechte, Jakob, was stehste da wie Lots Weib? Haste die
Sprach' verloren?«

Der junge Jakob Löb antwortete seinem Vater nicht. Er ging zu seinen
Pferden. Der alte Nathan schaute ihm kopfschüttelnd nach. Aber er
fragte nicht weiter. Sie fuhren schweigsam davon ...

Auch Kyrill und Beate schwiegen zunächst.

Noch immer war die Frau in einem Zustand halber Betäubung, der sich
zum Unglauben gegen sich selbst steigerte, wenn sie dachte: Hier,
auf dieser selben Straße, bin ich gestern gefahren -- es ist noch
keine vierundzwanzig -- noch keine zwölf Stunden her -- und was liegt
dazwischen ... Und was soll nun noch kommen?

»Kyrill Iwanowitsch ...«

»Was wünschen Sie, Mascha ...«

»Warum reden Sie nicht zu mir?«

Der Russe zögerte mit der Antwort. Dann sagte er, mit dem gleichen
bitteren und herben Ton, den sie schon einmal von ihm vernommen: »Ich
schäme mich dessen, was Sie erleben mußten, Mascha -- bei Gott, ich
schäme mich dessen ...«

Sie verstand ihn recht gut.

»Ich weiß Unterschiede zu machen, Kyrill Iwanowitsch, und werde mich
hüten, Ihr Vaterland nach seinen Gefängnissen und seinen Polizisten zu
beurteilen ...«

»Alles in einem Lande ist ein Maßstab -- im guten wie im schlechten,«
antwortete der Russe. Beate schwieg.

Kyrill Petulikow wandte sich um, aber nicht nach ihr. Er sah die Straße
zurück, die sie gekommen waren.

»Schauen Sie nach den Juden aus?« fragte die Frau.

»Nein ...«

Er hieb auf die Pferde ein, zweimal -- dreimal ... Der Schlitten sprang
über Schneewellen und Straßenlöcher. Kyrill Petulikow hatte drei der
Pferde vorgespannt -- die anderen drei trabten frei nebenher.

»Kyrill Iwanowitsch!«

»Mascha --?«

»Ich wollte Sie fragen ... warum schicken Sie Ihre Leute vom Gut davon?«

Abermals wandte der Russe den Kopf über die Schulter. Und spähte ...

»Mag sein, daß es besser für sie ist ...«

»Das verstehe ich nicht, Kyrill ... Wollen Sie nicht offen mit mir
reden?«

»Später, später ...«

Sie kamen an die Postmeisterei.

Kyrill Iwanowitsch sprang vom Schlitten und donnerte an die Haustür.

Ein Licht wurde hinter den trüben Scheiben angezündet. Der Postmeister
kam; er hatte in den Kleidern geschlafen und glotzte verwundert, als er
den gnädigen Herrn vom Gut erkannte.

»Hast du Pferde, Andrej Ljonotschka --?«

»Nein, Herr.«

»Du hast Pferde, gib sie her.«

»Ich hab' keine zum Totfahren übrig, Herr -- oder willst du sie
tauschen?«

»Ich will sie weder totfahren noch tauschen -- ich will sie kaufen, für
mich, verstehst du, Andrej Ljonotschka.«

»Ich will sie nicht verkaufen -- ich will sie eintauschen gegen zwei
von den deinen, Herr, anders nicht ...«

»Kerl, du wirst mir die Pferde geben, die du im Stalle hast, oder ich
zünde dir das Haus überm Kopfe an ... Vorwärts, bring sie her!«

Andrej Ljonotschka wehrte sich bis an die Grenze der Grobheit, aber
Kyrill Petulikow blieb Sieger. Er holte sich die Pferde selber aus dem
Stall, bezahlte sie um das Doppelte ihres Wertes und koppelte sie mit
denen zusammen, die frei liefen.

Sie hatten vor der Postmeisterei eine Viertelstunde Aufenthalt gehabt.
Während der ganzen Zeit hatte Beate das Schreien des kleinen Kindes
gehört, und es hatte ihr weh getan. Sie suchte nach etwas, das sie
ihm hätte schenken können. Aber sie besaß nichts mehr. Sie nahm das
seidene Tuch, das sie um den Hals getragen, und gab es dem Manne, der
verdrossen unter der Türe stand.

»Gib es deinem kleinen Kinde um, wenn es ins Freie geht,« sagte sie.

Andrej Ljonotschka bückte sich bis zur Erde. Er rief dem Schlitten
seine Segenswünsche nach, bis er das Geläut der kleinen Glocken nicht
mehr hörte.

Beate blickte nach ihm zurück.

»Was ist das, Kyrill Iwanowitsch?« sagte sie.

Er wandte den Kopf.

»Was -- Mascha --?«

»Dort hinten -- sehen Sie? Die kleinen schwarzen Punkte im Schnee ...
Ist das Nathan Löb mit seinen Pferden?«

Kyrill Petulikow erwiderte nichts. Er peitschte auf die Pferde, daß
sie sprangen. Der Schlitten tanzte wie ein Boot bei schwerer See --
gerissen und geschleudert. Beate Hoyermann beugte sich vor zu dem Manne.

»Sind es Wölfe, Kyrill Iwanowitsch?«

»Wir haben hier keine Wölfe.«

»Wer ist dann hinter uns? -- Und warum lassen Sie die Pferde so rasen?
Das ist unbarmherzig, Kyrill Iwanowitsch!«

»Vorwärts, vorwärts, meine Schwalben!« schrie der Russe. Die Nagajka
sauste durch die Luft.

»Kyrill -- Kyrill Iwanowitsch --!«

»Vorwärts, vorwärts, meine Lieblinge -- meine Falken --!«

»Kyrill« -- Beate Hoyermann richtete sich auf, hielt sich mit der einen
Hand krampfhaft fest und versuchte mit der anderen, dem Manne in den
Arm zu fallen -- »Kyrill, haben Sie den Verstand verloren --?!«

Keine Antwort. Kyrill Petulikow schlug auf die Gäule ein und rief ihnen
zu. Sie galoppierten, daß ihre Hufe nicht mehr zu unterscheiden waren.
In großen Flocken flog der Schaum von ihren Mäulern.

Beate rüttelte die Schulter des Mannes mit aller ihrer Kraft.

»Ich will jetzt wissen, was das bedeutet!« rief sie leidenschaftlich.

»Später, später, Mascha!«

»Jetzt auf der Stelle --! Ich bin kein Kind. Ich habe genug erlebt,
um noch mehr ertragen zu können! Aber ich will wissen, um was es sich
handelt!«

»Sind sie uns näher gekommen?«

Beate wandte sich um.

»Nein ... Nun sehe ich sie überhaupt nicht mehr ...«

»Wir haben die besseren Pferde,« murmelte Kyrill Petulikow.

»Die besseren -- als wer?« fragte Beate zupackend.

»Als die Kosaken ...«

»Was gehen uns die Kosaken an, mein Gott!«

»Haben Sie vergessen, Mascha, daß Sie vor zwei Stunden noch eine
politische Gefangene waren -- der Spionage angeklagt?«

»Nun --?!«

»Waska hat gute Freunde unter guten Reitern -- und er wird ihnen
nicht verschwiegen haben, daß hier vielleicht noch einmal ein fettes
Trinkgeld zu holen wäre ... Das wollen sie sich nicht entgehen lassen
... Und ich habe sie erwartet. Warum soll ein Verräter nicht zweimal
verraten -- nach rechts und nach links? Er ist vielleicht mitten unter
ihnen ...«

»Und --« Beate fiel im Schlitten auf die Knie ... »und wenn sie uns
einholen?«

»Sie holen uns nicht ein ...«

»Vielleicht nicht unterwegs ... Aber wenn sie aufs Gut kommen?«

»Darum schicke ich die Leute fort ...«

»Und wir --?«

»Wir -- wir werden nicht mehr auf dem Gute sein, wenn sie kommen.«

»Kyrill Petulikow, wohin wollen Sie mich bringen --?!«

Der Mann wandte den Kopf. Für einen Augenblick sahen sie sich ganz nahe
in die Gesichter.

»Wohin ich Sie bringen will? -- Nach Deutschland ...«

Beate stieß einen Schrei aus, den ihre eigenen Hände erstickten.

»Nicht scherzen, Kyrill Iwanowitsch --! Damit nicht --!«

»Bei der Liebe Gottes, Mascha, meine Schwester -- es ist kein Scherz!«

»Kein Scherz --? Ich soll ... ich soll nach Deutschland kommen?« Beate
Hoyermann schluchzte auf; sie lachte, und die Tränen liefen über ihr
Gesicht. »Ich soll nach Deutschland kommen?!«

»Wenn nicht ein Unglück geschieht, Mascha, ja -- dann werden Sie nach
Deutschland kommen!«

»Aber wann -- mein Heiland im Himmel -- wann --?«

»Heute noch -- noch an diesem Morgen ...«

»Heu ...« das Wort erstarb ihr auf den Lippen. Sie richtete sich
auf. »Verlangen Sie von mir, daß ich an Wunder glauben soll, Kyrill
Iwanowitsch?«

»Es bedarf keines Wunders ... Sie brauchen dazu nichts als einen Freund
und eigenen Mut ...«

»Mut habe ich.«

»Wirklich, Mascha? Unbedingten, tollkühnen, todverachtenden Mut --?«

»Allen Mut, den Sie wollen, wenn es sich darum handelt, nach
Deutschland zu gelangen.«

»Das ist gut,« sagte Kyrill Petulikow. »Dann haben Sie auch den Freund,
den Sie brauchen.«

»Sind Sie es, Kyrill Iwanowitsch?«

»Ja, meine Schwester ...«

Sie legte ihre Hände auf seine Schulter. »Ich glaube Ihnen,« sagte sie
einfach. »Ich werde tun, was Sie von mir verlangen. Was haben Sie mit
mir vor?«

»Vertrauen Sie mir Ihr Leben an?«

»Das tue ich.«

»Ohne sich zu besinnen?«

»Ohne mich zu besinnen.«

»Danke, Mascha ... Wenn mein Plan mißlingt, dann werden wir wenigstens
~beide~ nicht mit dem Leben davonkommen. Aber ich werde das
Menschenmögliche tun. Ich werde Sie im Flugzeug mit mir nehmen, die
deutsche Grenze zu überfliegen versuchen und Sie auf deutschem Boden
landen ... Das ist alles ...«

»Kyrill -- Kyrill!«

»Wollen Sie --?«

»Herr mein Gott -- Herr mein Gott ...«

»Sie sagten eben, daß Sie mir Ihr Leben anvertrauten -- und nun nehmen
Sie Ihr Wort zurück ...«

»Nicht um meinetwillen, Kyrill Iwanowitsch! Bei Gott, nicht um
meinetwillen! Es geht auch um ~Ihr~ Leben ...«

»Nun, was weiter?«

»Was weiter? -- Und Ihre Mutter, Kyrill Iwanowitsch?«

Er lachte. »Meine Mutter ist in Moskau sehr in Sicherheit, Mascha, das
dürfen Sie mir glauben ... Und wenn ich ein Unglück hätte, so wäre es
das meine und nicht das meiner Mutter. Auch das dürfen Sie mir glauben
... Sprechen wir nicht mehr, Mascha! Achten wir auf den Weg ... Wir
brauchen noch zehn Minuten ... Können Sie die Reiter hinter uns jetzt
sehen?«

»Ja, ich sehe sie.«

»Sind sie uns nahe?«

»Sie sind so groß wie Krähen, Kyrill Iwanowitsch ...«

»Sie konnten keine frischen Pferde haben -- das war gut,« sagte der
Russe. Er ließ die seinen rasen, als sollten sie den Wind einholen, der
über sie wegjagte -- der von Westen kam. Weder er noch Beate sprachen
mehr ein Wort. Und wenn er sprach, galt es den Pferden ... »Vorwärts,
meine Falken, meine schnellen Falken ...!«

Ein schwarzer Fleck im Schnee, so tauchte das Gut vor ihnen auf. Noch
unterschieden sie kein Licht.

»Mascha!«

»Kyrill Iwanowitsch?«

»Sehen Sie die Verfolger noch?«

»Sie sind näher gekommen ...«

»Wie nahe --?«

»Ich kann es nicht schätzen, Kyrill Iwanowitsch ... Sie sind so groß
wie Füchse ...«

Der Russe stand auf. Im Stehen holte er aus und wirbelte die Nagajka um
den Kopf.

»Vorwärts, meine Falken, meine Tauben, vorwärts --!«

Die ersten Bäume des Dorfes -- wie festgefrorene, entsetzte Gespenster,
die sich am Wegrand reckten und vergebens einem Schrecknis zu
entfliehen suchten ... vorüber ...

Die ersten Häuser, armselig, geduckt -- die Fenster vom Schnee
geblendet ... vorüber ...

Die elende Kirche -- der Friedhof -- vorüber ...

Die letzten Häuser -- wieder freie Straße ...

Schwarz schob sich der Klumpen des Gutes gegen sie heran. Doch brannte
ein Licht hinter den niedrigen Scheiben am Eingang. Das Tor stand
offen; sie stoben in den Hof.

Kyrill Iwanowitsch wickelte die Leinen um seine Hand; er stieß einen
gellenden Pfiff aus.

»Dmitri --!!«

Er stemmte sich rückwärts, als sollten seine Muskeln und Adern bersten.
Die Pferde vor dem Schlitten stiegen kerzengerade und peitschten mit
den Vorderhufen die Luft. Sie geiferten und knirschten; der Schweiß
troff ihnen von den blanken Leibern ...

»Dmitri! Dmitri --!!«

Ein Schatten, gebückt und schwankend, glitt über die hellen Scheiben
-- verschwand. Die Riegel der Haustür kreischten. Der Schlüssel drehte
sich, einmal, zweimal ... Licht fiel durch die sich öffnende Tür.

Kyrill Iwanowitsch war vom Schlitten gesprungen und strängte die Pferde
aus.

»Rufe die Leute zusammen -- alle!« schrie er dem Diener zu. Dmitri
wandte sich um. Er rief etwas ins Haus hinein und winkte. Kyrill
Iwanowitsch trieb die frischen Gäule aus der Stadt vor dem Schlitten
zusammen. »Komm her, -- hilf mir --!«

Dmitri kam.

Im Handumdrehen war der Schlitten neu bespannt. Beate war ausgestiegen.
Sie lehnte mit verhülltem Gesicht an der Hauswand. Sie hörte, was um
sie her vorging, wie durch einen dicken Nebel. Kyrill Petulikow sprach.

»Hört mich gut an, ihr Leute ... Ihr nehmt den Schlitten -- und die
Pferde, die ledig sind -- und laßt sie laufen, was ihre Beine hergeben,
bis ihr an der Grenze des Waldes von Wladimir Prontoff auf den Juden
Nathan Löb trefft. Der wird euch sagen, was ihr weiter zu tun habt.
Aber eilt euch, als hinge euer Leben von eurer Eile ab! Und seht euch
nicht um! Seht euch nicht um -- hört ihr? Und wenn ihr es dennoch tut,
bei Gott, bei den Heiligen, ich prügle den mit eigenen Händen wie einen
Hund, der es wagen sollte, zurückzukommen --! Habt ihr mich verstanden?«

Gemurmel ringsum ... Flüstern ... hastige Schritte ... Die Glöckchen
der Pferde klangen ...

»Dmitri --!«

»Herr!«

»Du hast noch etwas gutzumachen, du weißt es!«

»Ja, Herr!«

»Du wirst der letzte sein, der geht ... Du wirst das Tor abschließen
und verriegeln. Du wirst im Hause alles Licht brennen lassen, damit
niemand auf den Gedanken kommt, es könnte verlassen sein -- hörst du?«

»Ja, Herr.«

»Wenn ich selbst das Gut verlassen habe, wirst du es auch verlassen --
fortgehen und dich nicht umschauen, hörst du?«

»Ja, Herr!«

»Jetzt sollst du mir helfen -- komm!«

Kyrill Iwanowitsch ergriff Beate am Arm.

»Nun ist es Zeit, Mascha ...«

Sie leistete keinen Widerstand. Sie hörte die Hoftür sich in den Angeln
drehen. Sie hörte den weichen Galopp von vielen Pferden, der jenseits
des Gutes verklang. Dmitri lief an ihr vorbei, öffnete die Tür des
Schuppens, an dem die Werkstatt lag.

Mit einer krampfigen Anstrengung blieb sie stehen und riß sich los. Sie
machte eine Bewegung auf das Tor zu. Kyrill Iwanowitsch sprang ihr in
den Weg.

»Was wollen Sie tun, Mascha!«

Ihr Atem flog, daß sie kaum reden konnte.

»Ich will -- ich will mich denen da draußen ausliefern.« Sie wehrte mit
beiden Händen, als er reden wollte. »Lassen Sie mich sprechen, Kyrill
Iwanowitsch! Sie haben das Unerhörteste für mich getan! Kein Bruder,
kein Freund -- mein eigener Mann nicht hätte mehr für mich tun können!
Das -- kann ich nicht von Ihnen annehmen! Der Flug, den Sie unternehmen
wollen, ist das grausigste Spiel mit dem Tode, das ein Mensch sich
ausdenken kann -- grausiger als jedes andere, das Sie bisher gewagt
haben! Ich will nicht die Veranlassung dazu sein -- ich nicht, bei
Gott!«

»Sie haben keinen Mut, Mascha -- das ist es! Sie wagen den Flug nicht
-- das ist es!«

»Ich --! Ich wage ihn nicht --! Kyrill Iwanowitsch, ich will Ihnen
etwas sagen! Als ich hierherkam, als ich Sie mit der Maschine arbeiten
sah, als ich merkte, daß nichts zum Fliegen gehörte als die Kenntnis
von zehn Griffen und Mut -- faßte ich den Entschluß: wenn es mir auf
keine andere Weise gelang, nach Deutschland zu fliehen, dann wollte
ich Sie bitten, mich das Notwendige zu lehren ... Ich wäre mit Ihnen
geflogen, dreimal -- zehnmal -- und eines Tages hätte ich den Flug
allein gewagt -- bei Gott, Kyrill Iwanowitsch, das hätte ich getan! Und
ich hätte Ihnen einen Brief hinterlassen, der alles gesagt hätte, was
nötig gewesen wäre, um mir Ihr Verstehen, Ihr Verzeihen zu sichern.
Aber so nicht! So nicht --! Ich will für mich selbst mein Leben wagen
und werde mich nicht einen Augenblick besinnen -- aber nicht das Ihre,
Kyrill Petulikow! Nicht das Ihre --!«

Er hatte ihre Hände gepackt und hielt sie fest. Sie hatte nicht gewußt,
daß er so viel Kraft besaß. Er stand ganz dicht vor ihr.

»Nun hören Sie mich auch!« sagte er halblaut, und seine Stimme glühte.
»Ich schwöre Ihnen bei dem, was mir das Heiligste auf der Welt ist,
Mascha -- bei Ihrem Haupte und bei Ihrem Leben! -- daß ich mir in
dem Augenblick, wo Sie Ihr Vorhaben, sich auszuliefern, ernstlich
versuchen, eine Kugel durch den Kopf jage. Bei Ihrem Haupte und bei
Ihrem Leben, Mascha! Es ist mein tödlichster Ernst --!«

»Wollen Sie mich unglücklich machen, Kyrill Iwanowitsch --?«

»Ich will Sie retten -- ~das~ will ich! Ich will Sie in Sicherheit
-- ich will Sie nach Hause bringen -- ~das~ will ich! Ich will --
o, weit mehr als das, Mascha -- auch für mich das Höchste und Größte,
das ich gewinnen kann: das Bewußtsein einer Tat, die man vielleicht die
eines Helden nennen kann -- und was mehr wert ist als dies: die Tat
eines guten Menschen ... Sie wissen, daß ich Sie liebe ... Sie fragen
nichts danach -- nun, du großer Gott, was kümmert es Sie auch --? Aber
ich will, wenn wir beide am Leben bleiben, daß Sie an mich denken,
Mascha, meine Schwester, daß Sie mit Achtung und Stolz an mich denken
-- ~das~ will ich! Nun entscheiden Sie sich!«

Beate schlug sich die Fäuste vor die Stirn. Ihre Augen suchten mit
einer Art von Wildheit den wolkenschweren Himmel.

Aber der Himmel gab ihr keine Antwort.

»Es ist gut!« sagte sie und wandte sich nach dem Schuppen, an dessen
Türe Dmitri wartend stand. »Wenn Sie ums Leben kommen, so werden Sie es
wenigstens nicht allein ...«

Sie hatten keine Zeit mehr zu verlieren.

Auf der Dorfstraße fieberte der kurze Galopp kleiner, harter Pferde.

»Vorwärts, Herr -- im Namen Gottes!« schrie Dmitri.

Kyrill Iwanowitsch warf der Frau alles zu, was die Werkstatt an Decken
und Tüchern besaß. Er wickelte ihr selbst den Schal um die Ohren, ließ
nichts als Nase und Augen frei. Durch die ungeschliffenen Gläser der
Brille erschien alles sehr fremd und fern; sie war fast taub und hatte
ein Gefühl, das dem sehr ähnlich war, wenn sie, tief unter stehendes
Wasser tauchend, mit offenen Augen emporblickte.

Sie ließ sich zerren und schieben ...

Die Rückwand des Schuppens, die nach dem freien Felde zu lag, war
klaffend offen. Das bleiche Schneelicht war doppelt unwirklich und wie
von unten, von der Erde her, durchleuchtet unter dem Himmel, den der
wärmere Wind immer bräunlicher färbte. Die Schultern und Fäuste der
beiden Männer stießen und schoben an dem stählernen Riesenflieger,
dessen Flügel in grenzenloser Spannung erstarrt schienen. Sie schrien
sich zu, die Männer -- Beate sah es, aber sie hörte es nicht ...

Aber das hörte sie, daß jenseits des Hofes, vor dem Tor, Geschrei und
Rufen sich erhob und wütende Tritte das Tor summen machten.

Auch Kyrill hatte es gehört. Er wandte das hochrote, schweißtriefende
Gesicht Dmitri zu.

Er schrie etwas ...

Dmitri machte einen Sprung und riß Beate vorwärts.

»Hinauf --!«

Sie kletterte -- vergaß sich zu bücken, rannte mit der Stirn gegen
stählernes Gestäng, daß ihr der Kopf dröhnte -- fiel auf einen schmalen
Sitz.

Der Lärm vor dem Tore steigerte sich zum Geheul. Die Bohlen waren nicht
von Eisen; sie mußten schließlich nachgeben, wenn Fäuste, Fußtritte und
Kolbenstöße weiter gegen sie anstürmten.

Beate zitterte vor Erregung, daß ihr die Zähne gegeneinanderschlugen.
Sie klammerte sich mit beiden Händen rechts und links am stählernen
Leib der Maschine fest. Das Brüllen der Einlaßbegehrenden vor dem Tore
wurde übertönt von dem jäh einsetzenden, tosenden Brummen des Motors.
Kyrill Petulikow tauchte neben ihr auf; er hatte die Fliegerkappe über
den Kopf gezogen. Sein Anzug triefte von Öl. Er streckte eine Hand aus
und schrie Dmitri etwas zu. Beate hörte die Worte nicht, sie erriet
ihren Sinn; er hatte nach dem Hofe gewiesen.

»Halte sie auf!« hießen Wort und Gebärde.

Dmitri fiel auf die Knie. Er bückte sich, raffte sich wieder auf.

Kyrill Petulikow schwang sich in den Führersitz. Er blickte vorwärts
und rückwärts, seine griffsicheren Hände packten zu. Das Brummen des
Motors legte sich wie eine Maske über die Ohren ... Beate schloß die
Augen -- riß sie wieder auf ...

Das tote Geschöpf hatte Leben bekommen.

Es rannte geradeaus, wie blind, nahezu wie wahnsinnig, holperte,
stieß und sprang -- die irrwitzige Angst eines Wesens, das von Feuer
gepeitscht wird, lag über dieser hemmungslosen Vorwärtsbewegung ...

Aber mit einem Male hatte es sich auf sich selbst besonnen. Es löste
sich von der Erde, deren Rauheit und spröde Gesetze nicht für ein Wesen
solcher Art geschaffen waren. Es hob sich; es schwebte ...

Es flog mit der Kraft und dem weitausholenden Schwunge des Triumphes.
Die Stimme des sausenden Stahls wurde zum Siegesgesang. Die Träume
armer Jahrtausende warfen sich -- unsterblich durch die Sehnsucht,
deren Kinder sie waren -- unter die breiten Schwingen des brausenden
Menschengeschöpfs.

Beate wagte nicht, in die Tiefe zu blicken, deren Feindseligkeit
gegen das beschwingte Wesen sie fühlte. Sie rang minutenlang mit dem
schnürenden Gefühl tödlichster Übelkeit, das ihr den Magen und den
Schlund zerwürgte. Der Schweiß brach ihr aus allen Poren. Sie preßte
Zähne und Lippen übereinander und krallte sich die Nägel ins Fleisch.
Mit einer ungeheuren Anstrengung gelang es ihr, den Aufruhr des Körpers
und der Nerven zu überwinden. Tiefatmend öffnete sie die Augen.

Und nun empfand sie, daß sie flog ...

Sie blickte seitwärts in die Dunkelheit der Erde hinab, die unter ihnen
wegzutaumeln schien -- wie von einem ungeheuren Schlund eingesogen.
Und sie bemerkte, daß sie weniger vorwärts kamen, nur daß sich die
Flugmaschine in weiten Spiralen höher und höher schraubte ...

Der dunkle Fleck im weißen Schneefeld unter ihnen -- war das Gut?

Noch während sie es fragend dachte, gewann das Bild unter ihr eine
fremde Farbe. Es rötete sich. Die bläuliche Bleichheit des Schnees
schien wegzuschmelzen, als sei die Erde unter ihr in Brand geraten.
Aber nicht die Erde brannte, sondern das Gut.

Beate Hoyermann wollte schreien: »Kyrill! Kyrill --!« Aber es wäre
sinnlos gewesen; er hätte sie nicht gehört. Und dann -- was hätte er
tun können? Vielleicht sah er alles viel besser als sie, gewohnt, die
Erde aus mehr als Berghöhe zu betrachten. Sie schwieg und starrte auf
das rote Glosten unter sich. Die Lautlosigkeit des irdischen Geschehens
unter ihnen war grausiger als das Brüllen der menschlichen Tiere, deren
Tun sie gestern miterlebt.

Nun stiegen sie nicht mehr; mit einem Schwung stieß sich die Maschine
in die Luft hinein, vorwärts -- und nahm den Flug nach Westen.

Beate beugte den Kopf bis fast auf ihre Knie; sie konnte nicht atmen,
so pfiff ihr der Wind entgegen, nicht fühlbar als etwas, das glitt und
strich, sondern wie ein Brett -- wie ein gepreßter Sack -- unteilbar
und unbeweglich. Sie fühlte eine Faust auf ihrem Kopf ... Sie hatte
nicht gewußt, daß Wind wie schweres Wasser sein kann. Sie bückte sich,
um nicht Widerstand leisten zu müssen; er hätte ihr die Halswirbel
verdreht.

Aber nun, da sie sich bückte, schlug ihr der Öldunst stinkend entgegen
... sie rang sich wieder hoch ... das war unmöglich, unmöglich ...
Sie hielt sich nicht mehr fest; sie nutzte die Hände, sich gegen den
Wind zu schützen und hinter ihnen Atem zu holen. Sie fühlte die kleine
Erleichterung wie ein Geschenk und gab sich ihr hin -- aaah --!

Allmählich löste sich die Taubheit von allen Sinnen. Sie horchte
auf das unentwegte brausende Brummen des Motors und gewann ein
großes Vertrauen zu seiner Kraft und Ausdauer. Sie konnte ein sehr
persönliches Verhältnis zu Maschinen gewinnen. Lokomotiven und
Schiffsturbinen wurden ihr zu wesenhaften Dingen, mit denen man
Zwiesprache halten konnte. Und sie tat es auch mit dem Motor, dem
sausenden Herzen des Flugkörpers ...

Wirst du aushalten? Wirst du gehorsam sein bis zum Ende? Wirst du mir
dienen und die Luft beherrschen? ... Die Maschine donnerte und heulte
ein einziges erschütterndes Ja ...

Und Beate glaubte ihr.

Je ruhiger sie wurde, desto stärker wurde sie sich des Erlebnisses
dieser Stunde bewußt. Sie schaute.

Da waren dunkle und lichte Flecken in der ungeheuren Leere des Raums
vor ihr. Wolken? Sie rasten darauf zu ... Nun spülte es um sie her,
wehende Nebel ... Nässe, eisige Kälte ... Was war das --? Sie bekam den
Wind nicht mehr von vorn -- seitwärts drückte er sich gegen sie an ...
Der Apparat zitterte heftig, er schwankte ...

Die Todesangst krallte sich um das Herz der Frau; sie öffnete die
Lippen zu einem Schrei des Entsetzens ... Aber sie hatte keinen Atem
zum Schreien ... Sie klammerte die Hände um den federnden Stahl, der
ihr als Stütze diente, schloß die Augen und überließ sich dem Sterben
...

War es nur das Gefühl ihrer Ohnmacht, der körperlichen Schwäche --
oder war es Wirklichkeit, daß der riesige Stahlvogel um sich selbst
gewirbelt wurde wie ein Stein, der in einen Strudel fällt --? Tanzte
das donnernde, heulende Menschengeschöpf auf den schiefen Wänden dieses
Luftwirbels den grausigen Todestanz --?

Das Flugzeug schwebte nicht mehr auf seinen weitgespannten Flügeln
-- es taumelte, es rollte wie ein schlechtgeladenes Schiff herüber,
hinüber ... Wie die Saiten einer übergewaltigen Harfe summten und
schwangen die Drähte ... Aber sie hielten -- sie hielten sich gut ...

Und plötzlich ... sank es nicht, nein -- es fiel, fiel wie ein Sack,
lotrecht hinunter, als fiele es in einem luftleeren Raum ... Die Luft
trug es nicht mehr -- sie war gleichsam nicht mehr da ... nicht die
Zeit noch die Tiefe dieses Fallens ließen sich messen ...

Beate hatte ein Gefühl, als sollte ihr der Sturz die Eingeweide aus dem
Halse jagen. Sie biß die Zähne tief hinein in ihre Lippen; in eisigen
Strömen rann ihr der Schweiß über das verzerrte Gesicht ... Sie dachte:
Gott ist nicht in der Welt ... nirgends ist Gott ...

Und dann schwebten sie wieder.

Nach der gräßlichen Leerheit des Luftloches war es nun, als glitte das
Flugzeug auf tragenden Wellen Wassers dahin ...

Triumphierend brüllte die Maschine ...

Beate brach in Tränen aus. Sie machte nicht die geringste Bewegung,
sich diese Tränen abzuwischen -- mochten sie laufen! Es war schön,
zu weinen -- es war wunderschön, ganz einfach loszuheulen ... Alles
war schön -- das Leben, das Atmen, das Fliegen ... Sogar die Kälte,
der Wind und der Ölgestank waren schön ... Alles wirkte so unsagbar
versöhnlich, zum Lächeln und Weinen lockend. Ja, mein Gott -- Nathan
Löb hatte Unrecht ... deine Welt ist ein herrliches Geschöpf ...

Eine Menschenstimme gröhlte hinter ihr ... Ja so, der Kyrill --! Der
Kyrill Iwanowitsch Petulikow! Der sorgte sich um sie und wollte
wissen, ob sie noch lebte! Keine Angst, du lieber, guter Kerl --! Ich
lebe! Und ob ich lebe! Jauchzend, jauchzend lebe ich --! Hei --!

Sie winkte mit der Hand nach rückwärts. Sie verspürte eine sehr
ausgeprägte Lust zum Singen. Aber es singt sich schlecht mit einem
Wollschal von drei Meter Länge und entsprechender Breite rund um
den Kopf gewickelt. Also ließ sie es bleiben. Sie würde noch Zeit
zum Singen haben -- noch viel, viel Zeit ... Wie alt war sie?
Vierundzwanzig Jahre kaum -- noch viele tausend Tage lang konnte sie
singen ...

Wie lange flogen sie nun schon? Sie konnte die Zeit nicht raten. Und
die Winternacht war unendlich lang ... Wo waren sie? Hatten sie sich
trotz des wütenden Kampfes mit der Luft in gerader Richtung halten
können? Flogen sie nach Westen, nach Deutschland -- Herrgott in deiner
blauen Höhe! -- nach Deutschland zu --?!

Wieviel Kilometer durchrasten sie in einer Stunde? Würden sie unterwegs
landen müssen, um Benzin zufassen -- oder trug die Maschine Kyrill
Iwanowitschs genug von ihrer Nahrung bei sich, um achthundert Kilometer
zu überwinden?

Übrigens -- Nahrung ... Es war schon eine gute Weile her, seit sie zum
letzten Mal gegessen hatte. Das fiel ihr jetzt ein -- keineswegs zur
rechten Zeit, wie sie meinte. Aber zum Kuckuck, das fehlte noch, daß
sie nicht einmal vierundzwanzig Stunden fasten konnte, wenn es nach
Hause -- nach Hause ging ...

Sie flogen so hoch, daß sie die Erde nicht erkennen konnte; sie waren
über den Wolken, manchmal versanken sie ganz darin. Dann tauchten sie
wieder auf und erblickten den reineren Himmel. Es war sehr viel stiller
geworden. Die Heftigkeit des Windes flaute mehr und mehr ab; nur tief
unter ihnen jagte er Schneelasten vor sich her; das war schön anzusehen
...

Alle Märchen aus Tausendundeine Nacht, alle erfüllten Sehnsüchte der
Kindheit des Menschen drängten sich zusammen in diesem königlichen
Schweben eines Geschöpfes aus stählernstem Stahl, von Menschen
geschaffen. Beate beugte den Kopf zurück und sah in den Himmel hinauf,
dessen bläuliche Schwärze alle Sterne verschluckt zu haben schien. Er
war ganz lichtlos und unbeschreiblich ernst ...

Sieh mich nicht streng an, dachte Beate. Ich gehe nach Hause ... nach
Hause ...

Mit einem Male weiteten sich ihre Augen. Was war das -- was war das --?!

»Kyrill! Kyrill, was ist das --? Oh -- oooh!«

Vor ihnen, über dem wallenden Ziehen der Schneewolken, erhob sich
etwas -- ein Berg? Ein Riesenfelsen --? Nein, nein, es hätte denn ein
Wunder geschehen müssen, das den gewaltigsten Giganten des Himalaja
hierhergezaubert hätte ... Noch schien es grenzenlos fern und füllte
dennoch aufragend allen Raum zwischen Erde und Himmel. Es ruhte in
unerschütterlicher, erhabenster Gelassenheit mit seiner Grundfläche
tief unter den ziehenden Wolken und hob einen Gipfel -- einen einzigen,
doch war er von zackiger Krone gekrönt -- in das verblassende
Dunkelblau des Himmels hinauf.

Und dieser gekrönte Gipfel, der so weiß war wie die Brustfedern eines
weißen Schwans, begann zu glühen -- er wurde ganz Glut, goldenste Glut.
Und über ihm der Himmel tönte sich lichter und lichter, bis er zu einer
Kuppel wurde, die aus einem einzigen Türkis geschnitten schien. Von
dem Gipfel des fernen Riesen floß das helle Glühen breit ausgegossen
über seine Hänge, und Hunderte, Tausende von zarten Wolken lösten sich
gleich einem Schwarm von Flamingos aus dem Meer der tiefer ziehenden,
bis der stählerne Vogel unter dem Himmel aus Türkis in einem Lichte
schwamm, das seinesgleichen auf der Welt nicht hatte, außer in der
Farbe milder Rosen.

Die Sonne war aufgegangen und warf den Schatten des Flugzeugs in
weichstem Blau über die durchglühten Wolken.

Der Schneeriese der Ferne löste sich auf und verschwand. Die
Offenbarung der Schönheit zerstörte sich selbst. Das Flugzeug stieg
abermals und suchte die höheren Höhen mit der Kraft und Sicherheit des
Adlers.

Beate schloß die Augen und neigte den Kopf auf die Seite. Eine große
Müdigkeit kam über sie; die Erschöpfung des Grauens, der Verzweiflung
und der Angst des Fliehens hatte der süßeren und beinahe tieferen des
Erlöstseins Platz gemacht. Das gleichmäßige, sehr tiefe Brummen des
Motors verklang immer ferner und ferner. -- Sie schlief ein ...

Was sie weckte, war ein Schuß.

Sie öffnete die Augen, doch nur, um sie gleich wieder geblendet zu
schließen. Denn die Sonne stand ihr gerade im Gesicht. Sie brauchte
einige Minuten, um sich zurechtzufinden. Sie blickte sich um --: wo
waren sie --?

Das Meer von Schneewolken unter ihr war verschwunden; sie konnte die
Erde sehen; doch flog ihr stählerner Vogel noch viel zu hoch, als daß
sie mehr zu unterscheiden vermocht hätte als dunklere und hellere
Flächen, zumal die Sonne schräge, blitzende Bänder dazwischen spann.

Aber eines sah sie ... von der Erde unter ihr löste sich eine winzige
weiße Wolke -- und Sekunden später vernahm sie den Knall eines Schusses
... galt das ihnen? Hatte man sie entdeckt --? Und wenn: kam der Schuß
aus russischem oder -- lieber, lieber Gott! -- kam er aus einem
deutschen Geschütz --?!

Sie machte eine Kopfbewegung zur Seite hin -- im gleichen Augenblick
hörte sie die brüllende Stimme Kyrill Petulikows, der sie anrief.

Sie gab ihm mit der Hand ein Zeichen, daß sie ihn hörte, und wandte ihm
so weit als möglich das rechte Ohr zu.

Er brüllte: »Nehmen Sie das weiße Tuch, das zu ihren Füßen liegt, und
lassen Sie es seitwärts flattern ... Wir sind über der deutschen Grenze
und werden beschossen und von deutschen Fliegern verfolgt ...!«

Beate bückte sich und riß das Tuch empor; es war aus leichter, weißer
Wolle und flog ihr fast aus der Hand, als sie sich damit über den Rand
ihres Sitzes beugte.

Gleichzeitig spürte sie, wie das Flugzeug sich tiefer schraubte, und
als sie unwillkürlich nach der Höhe zurückblickte, aus der sie kamen,
entdeckte sie über sich, so nahe, daß sie die Gesichter des Fahrers und
des Beobachters im Gestänge des Apparats erblicken konnte, ein anderes
Flugzeug -- und an den Enden seiner starren Schwingen das Zeichen des
Eisernen Kreuzes ...

Da lachte Beate Hoyermann aus ihrem tiefsten Herzen auf und ließ ihre
weiße Fahne flattern ...

O, schön war das anzusehen, wie sich über ihr, unter ihr, neben ihr die
deutschen Stößer sammelten, schwebten und wachten, daß ihnen die Beute
nicht entkam.

Kyrill Petulikow drosselte den Motor ab -- Beate schloß die Augen
-- he, wollte sie zum Schluß noch schlapp werden --?! In sausendem
Gleitflug glitten sie in die Tiefe ... es war, als sause ihnen die Erde
entgegen zu unabwendbarem Zusammenprall ... Aber die Maschine gehorchte
der Menschenfaust und schwebte noch einmal, wich und lief ... sprang
federnd über die Erdschollen -- stand ...

Hunderte von Menschen rannten auf den Apparat zu. Soldaten in fremden,
graugrünen Uniformen ... Waren das Deutsche?

Beate versuchte sich aufzurichten; es gelang ihr nicht. Die Knie
versagten ihr den Dienst. Kräftig gehoben und geschoben von
unbedenklichen Fäusten, wurde sie aus ihrer Haft befreit und wußte noch
immer nicht, ~wer~ sie befreite ...

Bis einer der Soldaten ihr ins Gesicht sah und laut und fröhlich zu
seinen Kameraden sagte: »Nu kiek mal, Franz -- det is ja 'n Mächen --!!«

Da wußte Beate, wo sie war ...




                                  10


Beate hatte einen wunderschönen Traum.

Sie stand auf einem Turm -- oder der schmalen Spitze eines Berges,
schwindelfrei, leicht und glücklich, und fühlte den Wind, der ihr weich
um die Schläfen spielte. Unter ihr in grenzenloser Tiefe lagen Wälder,
Felder, Wiesen; die Obstbäume blühten. Über einen blanken, blauen See
glitt ein weißes Segel -- das sah sehr lieblich aus.

Und mit einem Male tauchten aus dem blanken, blauen See Hunderte und
Hunderte von weißen Schwänen auf, als würde jede Welle, die das Boot
mit dem gleitenden Segel schuf, zu einem weißen Schwan. Und die weißen
Schwäne hoben sich aus dem Wasser und flogen mit einem weiten, starken
Flügelschwung aufwärts und der Höhe entgegen, auf der Beate stand. Es
waren ihrer so viele, daß sie zusammen wie eine einzige schimmernde
Wolke erschienen, und sie flogen einmütig und schön zu ~einem~
Ziele.

Aber als sie näher kamen, verwandelten sie sich abermals und wurden zu
Hunderten und Hunderten von Flamingos, deren Gefieder die Farbe von
milden Rosen hatte. Und sie erreichten Beate und schwebten um sie her,
immer engere Kreise ziehend -- und endlich waren sie ihr so nahe, daß
ihre Schwingen Beatens Füße streiften.

Und in diesem Augenblick schien der Berg oder der Turm, auf dem sie
gestanden, unter ihr wegzusinken, und sie schwebte frei in der Luft,
getragen und gehütet von den rosenroten Schwingen der Wundervögel. Und
sie ließ sich ruhig sinken und lag mit ausgebreiteten Armen auf dem
Rücken und fühlte die ganze tiefentzückte Seligkeit des Fliegens, das
die Vögel selber haben, wenn sie die Luft mit ihrem klingenden Schrei
erfüllen ...

Und dann erwachte sie ...

Sie war nicht ohnmächtig gewesen, o nein; sie hatte ganz einfach
geschlafen. Köstlich geschlafen wie ein Kind ... Es war ihr nur nicht
ganz klar, wie sie in das Bett geraten war, in dem sie diesen kostbaren
Schlaf vollbracht hatte ... Sie hob den Kopf und sah sich um.

Das war nicht so leicht. Sie mußte über einen Berg von Federbetten
hinweg -- oha! was für Federbetten! Jedes wog einen Viertelzentner,
schlecht gerechnet. Und dann hatte sie einen Wärmkrug an den Füßen; das
war sehr mollig. Im übrigen konnte sie von ihrem Asyl nichts entdecken
als den spielenden Feuerschein an der niedrigen, schneeweißen Decke,
als die rosenroten Rosen und die himmelblauen Vergißmeinnicht, die,
von sinnigen Sprüchen umrahmt, im Innern der mächtig hohen Bettstatt
gemalt waren, als ein Fenster, das die Eisblumen in funkelndes
Kristall verwandelt hatten -- und einen Riesenschrank, gleichfalls
herzerfrischend bemalt und mit einem Schlüssel abgeschlossen, der dem
St. Peters an der Himmelspforte an Gewicht wenig nachgab.

All das war schön; aber das Schönste war, daß draußen vor der Türe
jemand in scharfem Flüsterton sich folgendermaßen äußerte: »Damliches
Kamel, mußt du mit deinen Riesenlatschen auftrampeln wie'n Nilpferd
--?!«

Herrgott, war das schön ...

Mit einem schluchzenden Lachen wandte Beate den Kopf zur Wand. Ach --!
sie war glücklich! Sie war glücklich! Daheim war sie ... daheim ...

Liebes damliches Kamel, trample du ruhig auf, soviel es dir Freude
macht ... Wenn du mich zu solchem Erwachen weckst, dann soll dich
keiner darum schelten ...

Sie war so munter, als hätte sie vierundzwanzig Stunden geschlafen; nur
die Glieder schmerzten sie und hingen an ihr wie taub. Nun, man macht
nicht umsonst einen Flug von tausend Kilometern, vom Herzen Rußlands
bis nach Deutschland hinein. Aber das schadete nichts. Sie war auf ihre
Schmerzen so stolz, als seien die ihre Erfindung ...

Sollte sie rufen? Nein ... Sie war sehr geneigt, die Dinge auf sich
zukommen zu lassen. Alles, was kam, mußte schön sein ... Denn sie war
daheim -- sie war daheim ... Wenn sie ein Vogel gewesen wäre -- sie
hätte sich aus den drei Worten ein Liedchen gemacht und es unaufhörlich
gesungen.

Noch eine kleine Weile -- nur noch eine kleine Weile in diesem lässigen
Hingegebensein ...

Dann wollte sie fort. Es konnte sie ja keiner mehr hindern, in ihrer
Heimat zu wandern, wohin sie wollte. Wohin wollte sie? Nach Berlin ...
Da gab es Menschen, die ihr sagen würden, wo Gerhard war ... Und wenn
sie ihr sagen mußten, daß er nicht nach Deutschland gelangt sei ...
Nun, dann würde sie auf ihn warten und in der Zwischenzeit beide Hände
kräftig rühren. Arbeit gab es genug ... Und sie war nicht umsonst zwei
schwere Jahre lang die beste Kraft in Doktor Heßreuters Klinik gewesen.

Und wenn sie hören würde, Gerhard sei zurückgekommen und ins Feld --
und sei gefallen ...

Ja so ... ja ...

Es war noch nicht die Zeit, von weißen Segeln und Schwänen zu träumen;
noch nicht die Zeit der sieghaften Gewißheit. Nur des Hoffens -- nur
des Hoffens. Und der Arbeit und der Zuversicht ...

Leise und noch ein wenig mit zerschlagenen Knochen stand sie auf,
flocht sich das Haar und tauchte mit halbem Leibe hinein in ein Ungetüm
von Waschschüssel, deren herzerfrischender Inhalt sie völlig munter
machte. Sie kleidete sich an und öffnete die Stubentür. Der Gang davor
war mit roten Ziegeln ausgelegt, und es duftete im Hause nach Holzbrand
und frischem Kaffee.

Ihr gegenüber war ein weißes Schild über der Türe angebracht, darauf
stand: Gastzimmer. Sie war also in einem kleinen Wirtshaus. Sehr schön!
Dann würde sie ja wohl auch endlich etwas in den Magen bekommen. Das
hatte sie redlich verdient.

Sie trat in das Gastzimmer; eine kleine vergnügte Glocke über der Tür
verkündigte ihren Eintritt mit lang anhaltendem Gebimmel. Die Stube
war leer; aber ein breites Fenster, das von ihr nach der Küche zu
führte, wurde schleunigst aufgeschoben, und eine kleine, dicke Wirtin
mit Backen wie die blankgeriebenen Weihnachtsäpfel, einem blonden
Ringelzöpfchen hoch droben auf dem Kopf und dem gutmütigsten Lächeln
von der Welt fragte aufmunternd, ob die gnädige Frau was zu essen haben
wollte.

»Und ob!« antwortete Beate.

Die beiden Frauen lachten sich an; warum Beate lachte, das wußte sie.
Aber die liebevolle Fröhlichkeit der Wirtin konnte sie sich nicht recht
erklären. Doch sie tat ihr zu wohl, als daß sie sich versucht gefühlt
hätte, nach ihrer Ursache zu forschen.

Während sie auf das Essen wartete, kniete sie auf der Bank am Fenster
und hauchte ein Guckloch in die Eisblumen hinein. Sie wußte nicht,
wo sie war. Das brauchte sie vorläufig auch noch nicht zu wissen.
Innerhalb der deutschen Grenze -- das war genug. Sie kam sich vor wie
eine Prinzessin, die durch die Luft entführt wurde und im Unbekannten
landete. Doch war der Empfang ein zu liebevoller gewesen, als daß sie
sich um das Weitere hätte sorgen müssen.

Sie dachte an Kyrill Petulikow; wo der wohl stecken mochte. Sie hatte
ihm noch nicht einmal gedankt. Und sie schüttelte den Kopf über sich
selbst, weil sie fühlte, daß dieser Mann, der sein Leben für sie gewagt
hatte, der sie mit einem kleinen Vermögen freikaufte und sein Besitztum
um ihretwillen der Plünderung und dem Brande überließ -- der sie liebte
mit einer großen Liebe, ehrfürchtig und ernst, -- daß der nun aus ihrem
Leben gehen würde -- und es schmerzte sie nicht.

Das Gefühl, das sie für ihn hegte und über das sie sich klar werden
wollte, war nicht frei von einem schmerzlichen und ungeduldigen Zorn.
Wie alle glücklichen Menschen hielt sie das Glück für eine Willenssache
und vergaß, daß es eine Eigenschaft ist wie jede andere auch.

Über ihrem Grübeln hatte sie nicht gehört, daß die Türe aufgegangen
war, und wandte sich erst, als sie angerufen wurde.

»Guten Morgen, Mascha!«

Sie streckte ihm die Hand entgegen.

»Guten Morgen, guten Morgen, Kyrill Iwanowitsch! Wie geht es Ihnen?«

»Wie geht es ~Ihnen~, Mascha?« fragte er lächelnd dagegen und
hielt ihre Hand fest.

»O Kyrill Iwanowitsch -- ich bin in Deutschland ... Was soll ich Ihnen
weiter sagen?«

»Nichts, nichts -- das ist genug, nicht wahr? Sie sehen wohl aus, Gott
sei Dank! Und Sie haben rund zwanzig Stunden geschlafen ...«

»Nein!«

»Ja ... Sie taten recht daran. Sie haben wahrhaftig genug hinter sich,
Mascha, meine liebe Schwester ...«

Sie sah ihn an. Nun ergriff er sie doch mit seinem russischen
glücklosen Lächeln, das voller Güte war. Aber Beate Hoyermann hatte
eine ehrliche Seele.

»Seien Sie nicht so freundlich zu mir, Kyrill Iwanowitsch,« sagte sie
und rüttelte leise seinen Arm. »Kurz ehe Sie kamen, war ich in meinen
Gedanken ungerecht gegen Sie.«

»Das können Sie nicht sein, Mascha.«

»Doch, doch, doch --! Kommen Sie mir jetzt nur nicht mit Ihrer
russischen Gottähnlichkeit aus der Karwoche! Ich ~war~ ungerecht,
denn niemand kann aus seiner Haut heraus -- und obwohl ich das weiß,
hatte ich eine kleine Wut auf Sie ...«

»Warum, Mascha?«

»Warum ... Weil Sie unglücklich sind, Kyrill Iwanowitsch -- darum!«

Sein Lächeln verstärkte sich.

»Machen Sie mir daraus einen Vorwurf?« fragte er und setzte sich ihr
gegenüber.

»Ja -- gewiß! Lieber Kyrill, manchmal habe ich Sie im Verdacht, daß Sie
in Ihre Traurigkeit verliebt sind.«

Er wiegte den Kopf. Er lächelte, und seine rechte Hand, die auf dem
Tische lag, zeichnete die Maserung des Holzes nach.

»Vielleicht haben Sie da gar nicht Unrecht, Mascha,« antwortete er.
»Es liegt dem Russen vielleicht im Blute. Was können wir dafür? Wir
sind kein fröhliches Volk und haben gute Gründe. Aber wir haben uns
daran gewöhnt und lieben unsere Schwermut, wie andere Völker ihre
Laster lieben. Das heißt, wir haben aus der Not eine Tugend gemacht
... Vielleicht kommt für uns einmal eine Zeit, in der wir von uns
selbst erlöst werden ... Dann werden wir glücklich sein und unser Glück
lieben. Jetzt sind wir noch sehr weit davon entfernt ... Lassen Sie
uns nur, Mascha, liebe Schwester -- und vor allem: lassen Sie mich. Es
ist alles gut, wie es ist ... Und das Maß meiner Traurigkeit, die Sie
mir zum Vorwurf machen, geht nicht über die Grenze hinaus, an der die
Schönheit verletzt wird. Wenn ich mich nie in schlechterer Gesellschaft
befinde als in der meiner Schwermut, so will ich ganz zufrieden sein
...«

»Ich habe Sie verletzt,« sagte sie leise. Die Tränen traten ihr in die
Augen.

»Gott im Himmel, Mascha -- nein! Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«

»Ich bin ungeschickt, ich weiß es,« fuhr sie fort und senkte den Kopf
mit der Betrübtheit eines Kindes. »Ich möchte Ihnen helfen und weiß
nicht, wie ich es anfangen soll. Ich möchte Sie fröhlich sehen und
finde den Weg nicht dazu.«

Er beugte sich über den Tisch und nahm ihre Hand, die er mit einer
sanften und schönen Bewegung an seine Stirn hob, wo er sie festhielt.

»Sie wissen den Weg wohl, aber Sie gehen ihn nicht und werden ihn nie
gehen,« sagte er mild. »Und das ist herrlich an Ihnen, Mascha, daß
Sie auch die kleinste Gebärde der Liebe nicht an das Mitleid oder die
Freundschaft -- oder die Dankbarkeit verzetteln ... Ich liebe Sie darum
-- ich liebe Sie um dieses leisen Zuckens willen, mit dem Sie Ihre Hand
aus meiner befreien wollen ... Nun gebe ich sie frei -- und Sie nehmen
sie fast eilig zurück, wie das anvertraute und gefährdete Eigentum
eines Dritten. Warum weinen Sie, Mascha, meine liebe Schwester? ...
Sie sind sehr schön, so wie Sie sind ... und unverletzlich in Ihrer
Schönheit ... Darum liebe ich Sie ...«

Beate hatte den Kopf auf die Hände gesenkt und ihre Augen geschlossen.

»Seien Sie still, Kyrill Petulikow,« sagte sie flüsternd.

Er schwieg.

In dem warmen, weiten Zimmer tickte die Uhr eilfertig. Der Kuckuck
sprang aus dem Häuschen und rief zwölfmal. Kyrill Petulikow schaute und
horchte ihm zu und lächelte.

Die Wirtin kam herein und brachte die Teller und Schüsseln auf einem
Brett, auf dem ein Kalb Platz gehabt hätte. Und während sie ihre
Schätze vor den zweien ausbreitete, strahlten ihre wasserblauen
Augen mit einem Ausdruck unverkennbar mütterlichen Stolzes auf Beate
Hoyermann.

»Gesegnete Mahlzeit!« wünschte sie, strich mit der flachen Hand über
das schimmernde Tischtuch und ging davon.

»Wenn ich nur wüßte,« fing Beate an und füllte die Suppe auf, »warum
mich die gute Frau so verklärt anguckt ...«

»Darüber dürfen Sie sich nicht wundern,« antwortete Kyrill Iwanowitsch.
»Sie sind hierzulande eine Berühmtheit geworden, Mascha ...«

»Nein!« sagte Beate in großer Verblüffung.

»... und Sie haben alle Aussicht, es immer mehr zu werden.«

»Gott soll mich bewahren,« sagte die Frau. »Wie kommen Sie auf die
Vermutung?«

»Lesen Sie!«

Er stand auf und holte aus seinem Mantel eine schon ziemlich
verwitterte Zeitung -- eine Nummer der »B. Z.« vom Anfang November.

»Was soll ich damit?« fragte Beate kopfschüttelnd.

»Lesen Sie nur, Sie werden schon finden, worauf es ankommt ... Außerdem
war der Herr, der mir die Zeitung überließ, so freundlich, den Artikel
anzustreichen ...«

Beate entfaltete das Zeitungsblatt mit aller gebotenen Vorsicht, denn
es war gewiß schon durch mehr als hundert Hände gegangen und hielt
nur noch durch gütige Unterstützung von Briefmarkenschnitzeln. Auf
der dritten Seite stand ein rot angemerkter Aufsatz. Er trug die
Überschrift »Als Heizer und Stewardeß nach Deutschland zurück« und war
unterzeichnet Chr. Ty.

»Tystendal!« rief Beate und ließ die Zeitung fallen vor Überraschung.
»Christian Tystendal, der Schwede!«

»Richtig.«

»Ja aber ...« Beate überlas die ersten Zeilen und unterbrach sich von
neuem. »Wie kommt diese Schilderung unserer Flucht aus Japan in die ›B.
Z.‹? Und wie kommt Tystendal dazu, unsere allerprivateste Angelegenheit
in die Öffentlichkeit zu bringen?«

»Nun, Mascha -- eine Tat, die einer Gesinnung entspringt, auf die
ein ganzes Volk stolz sein kann, die darf man wohl getrost in die
Öffentlichkeit bringen; außerdem sind Ihre Namen nicht ausgeschrieben,
wie Sie bemerken werden ...«

»Gut. Aber Tystendal selbst -- was hat er mit der Berliner Presse zu
tun?«

»Er ist Berichterstatter einer führenden schwedischen Zeitung, meine
liebe Mascha, und als solcher im Hauptquartier des Ostens wohl bekannt
und gelitten.«

»Sie scheinen sich sehr geschwind in deutschen Verhältnissen
zurechtgefragt zu haben,« meinte Beate, mehr erstaunt als erfreut.

»Das war nicht schwierig,« antwortete Kyrill Petulikow. »Man kam mir
mit soviel Liebenswürdigkeit entgegen, als sei ich Ihr Bruder. Wir
haben -- das heißt, meine Begleiter und ich -- eine ebenso interessante
wie schöne Autofahrt gemacht, und ich bin mit dem Bescheid entlassen
worden, daß mein Flugzeug zwar bis zum Friedensschluß in deutschem
Gewahrsam bleiben wird -- daß meiner eigenen Abreise aber durchaus
nichts im Wege steht ... Nur hat man mir in meinem Interesse geraten,
den Weg über ein neutrales Land zu nehmen. Ich glaube, die Herren
haben Recht. Die Eisenbahnen der russischen Westgrenze dürften in der
nächsten Zeit nicht eben zu den sicheren Verkehrsmitteln gehören.«

»Sie reisen also über Schweden?«

»Ja.«

»Und wann, Kyrill Iwanowitsch?«

»Sobald ich weiß, daß Sie meiner nicht weiter bedürfen ...«

Er wartete, ob sie eine Bemerkung machen würde, aber Beate schwieg.

»Ich habe den Herren, die uns hier -- gleichsam -- aufgenommen haben,
Ihre Geschichte erzählt,« fuhr der Russe fort. »Ich glaube, keiner ist
darunter, der es sich nicht zur Ehre rechnen würde, Ihnen zu Diensten
zu sein ...«

»Danke,« sagte Beate. »Ich bedarf keines Dienstes mehr, als daß man
mir zur nächsten Bahnstation verhilft und mich gewissermaßen auf
Reichskosten nach Berlin befördert. Vorläufig bin ich mit Tystendal
noch überquer. Ich mag mich nicht anstarren lassen wie ein Kalb mit
zwei Köpfen ... Er hätte seinen Schnabel halten können! Was eine Tat
der Liebe zu meinem Mann und meinem Vaterlande war, wird dadurch ein
wenig zum Abenteuer. Das hätte er bedenken müssen. Und -- das habe ich
nicht verdient ...«

»Seien Sie nicht kleinlich, Mascha,« sagte der Russe freundlich. »Wenn
ich an Tystendals Stelle wäre, würde ich es ebenso machen. Was schön
ist, das soll man bei Namen nennen -- und laut genug, daß die Menschen
darauf hören. Tapferkeit steckt an. Das wissen Sie, nicht wahr? Daß
Sie die Tapferkeit Ihrer Liebe hatten, wird vielleicht bei vielen, die
davon hören, zur Hilfe werden in einem guten Kampf. Das kann Sie nicht
kränken ...«

»Wenn man's so betrachtet ...«

»So betrachten es alle, mit denen ich von Ihnen sprach.«

Kyrill Petulikow war aufgestanden und blickte auf die Frau hinab. Sie
sah ihn mit zurückgebogenem Nacken an und hatte feuchte Augen.

»Mein guter Freund,« sagte sie.

Es war eine Weile still zwischen ihnen.

»Nun will ich Ihnen Lebewohl sagen, Mascha,« sprach er dann mit einer
ganz verhaltenen Stimme, und sein sanftes Lächeln blieb ihm treu. »Ich
nehme zum zweiten Male Abschied von meiner Schwester. Aber Sie leben
und werden glücklich sein, Gott sei Dank ... Leben Sie wohl ...«

»O Kyrill -- nicht so schnell!« sagte Beate erschrocken und heiser. Sie
hielt ihn zurück. Ganz plötzlich empfand sie die Unerträglichkeit des
Gefühls, mit leeren Händen vor einem Menschen zu stehen, der gibt und
gibt, ohne je zu empfangen.

»Was sollte ich länger bleiben, Mascha? Sie bedürfen meiner nicht mehr.
Und -- man hat mir sehr viel Vertrauen erwiesen. Das will ich nicht
mißbrauchen. Ich reise noch heute in der Begleitung einiger verwundeter
Offiziere, die auf Urlaub ins Innere des Landes fahren. Sehr bald werde
ich Deutschland verlassen haben, und sehr wahrscheinlich auf immer. Wir
werden uns nicht wiedersehen; und das ist gut ...«

»Kyrill, Kyrill, wie soll ich Ihnen jemals danken!« flüsterte Beate.
Jetzt hielt sie seine beiden Hände und sah ihn durch Tränen hindurch
unablässig an. Aber es waren keine bitteren Tränen; das fühlte er.

»Würden Sie mir danken, wenn ich das große Los gewonnen hätte?« fragte
Kyrill Petulikow lächelnd.

»Ach nein, mein Freund ...«

»Nun, warum danken Sie mir dann? Ich habe Sie in Ihre Heimat bringen
dürfen. Mein Leben hat seinen Zweck erfüllt. Er war sehr schön und
seine Erfüllung vollkommen. Ich bedarf nichts mehr. Leben Sie wohl ...«

Beate erwiderte nichts. Ihre Lippen zitterten sehr.

»Eins möchte ich wissen,« fuhr Kyrill Iwanowitsch etwas verträumt fort.
»Ich möchte wissen, wie Sie in Wahrheit heißen ...«

»Beate ...«

»Beate ... -- heißt das nicht: die Glückselige?«

»Ich glaube, mein Freund ...«

»Das ist sehr schön ... Glückselige -- Beate ... leben Sie wohl.«

Er küßte ihre Hände und wandte sich zum Gehen.

»Sie werden mir schreiben, Kyrill Iwanowitsch?« fragte die Frau sehr
bittend.

Er lächelte.

»Vielleicht, Beate ...«

Ihre Hände lösten sich von den seinen. Er ging. Die Türe schloß sich
hinter ihm. Und Beate wußte, während sie seine Schritte sich entfernen
hörte, daß Kyrill Iwanowitsch Petulikow ihr niemals schreiben würde
und daß dieser Mensch, der ein Russe war und ein Geschöpf der
unerfüllbaren Träume, aus seinem Leben gehen würde, wie andere Menschen
aus dem Zimmer gehen. Sie hielt ihn nicht zurück; denn sie fühlte, daß
sie dazu kein Recht besessen hätte ...

Ihre Trauer um ihn war ganz gelind und würde keine Narben hinterlassen.
Sie war wie ein starker junger Vogel und ließ sich auf ihrem Flug
ans Ziel nicht niederholen durch Mitleid mit den Flügellahmen. Sie
schüttelte ihre Schwingen und flog und liebte die Sonne ...

Am Abend des nächsten Tages kam sie nach Berlin.

Und während sie mit dem Kraftwagen durch die Straßen fuhr -- nach der
Wohnung ihres Onkels --, las sie die Zeitungen und sah sich um, und das
Herz lachte ihr im Leibe.

Und sie lachte übers ganze Gesicht, als sie vor dem alten Herrn
stand, der die feldgraue Generalsuniform trug, geradeswegs aus dem
Kriegsministerium kam und den Kopf so voll hatte, daß er den Besuch,
den der Bursche meldete, ohne weiteres hinauswerfen lassen wollte. Aber
Beate hatte bereits größere Schwierigkeiten überwunden. Sie nahm die
Festung im Sturm.

»Guten Abend, Onkel,« sagte sie. »Für eine Nacht mußt du mir schon
Quartier geben -- morgen früh gehe ich von ganz allein --«

Sie wollte noch weiter sprechen, kam aber nicht dazu. Exzellenz von
Köstmer, der beim ersten Wort, das sie in der Türe stehend sprach,
einen Ruck bekommen hatte, machte jetzt drei Schritte auf sie zu, nahm
sie in seine Arme und quetschte sie an seine Brust, daß ihr grün und
blau vor den Augen wurde.

»Die Japanerin!« brüllte er entzückt. »Die Stewardeß von der ›Princeß
of India‹!«

Er hielt sie auf Armeslänge von sich ab, betrachtete sie, der der Hut
vom Kopfe gefallen war, mit herzlicher Begeisterung und fuhr fort:
»Mädel, Mädel, was mich das gefreut hat! -- Was mich das gefreut hat,
wie ihr den Schweinepriestern eine Nase gedreht habt! -- Ihr famose
Bande, ihr --! Komm her! Ich muß dir, hol' mich der und jener -- und
ich muß dir noch 'nen Kuß geben!«

»Da hast du ihn!« sagte Beate ohne Zögern und küßte den begeisterten
alten Herrn etwas eilig und ziellos mitten in sein rosiges Gesicht
hinein. »Und jetzt sage mir, Onkel Gustav, woher du um unsere Flucht
auf der ›Princeß of India‹ weißt --?«

»Wenn du mich noch mal Onkel Gustav nennst, liebes Kind, fliegst du
zweimal in Arrest -- erstens für den Onkel, zweitens für den Gustav.
Man sagt jetzt nicht mehr Onkel, sondern Oheim in Preußisch-Berlin und
Umgebung, das mußt du dir merken! Und Gustav ist scheußlich -- einfach
scheußlich --! Habe nie begriffen, wie meine gute Mutter es überleben
konnte, mich mit diesem Namen behaftet auf Erden herumlaufen zu lassen
... Na, sie ist tot, die gute alte Haut -- ich hab' es ihr vergeben,
auch ohne es begriffen zu haben ...«

»Du wolltest mir erzählen, lieber Oheim -- (uff!) -- wie du zu der
Kenntnis von unserer Flucht aus Japan gekommen bist,« mahnte Beate
zurückrufend.

»Eure Flucht aus Japan --?« Exzellenz von Köstmer betrachtete seine
Nichte über den Kneifer weg mit leichtem Erstaunen. »Aber liebes Kind,
das hat doch in der ›B. Z.‹ gestanden -- warte, ich hole dir die
Nummer! Ich hab' sie mir aufgehoben, die Sache hat mir zu viel Spaß
gemacht ...«

»Brauchst dich nicht zu bemühen -- ich kenne sie schon,« sagte Beate
etwas trocken. »Dieser verflixte Tystendal -- dem wünsche ich den
Kuckuck über den Hals ...«

»Tystendal -- wer ist das?«

»Der Verfasser dieses unglückseligen Artikels!«

»Erlaube mal -- was hast du gegen den Mann?!« Exzellenz von Köstmer
ereiferte sich. »Das scheint mir im Gegenteil ein sehr netter junger
Mensch zu sein! Und ein recht begabter auch noch! Der Artikel ist ganz
famos geschrieben -- wirklich ganz famos!«

»Das bestreite ich nicht!« warf Beate ein. »Aber ich wünschte doch, er
hätte es nicht so weit gebracht, daß ich von sämtlichen Menschen, die
mich kennenlernen oder wiedersehen, als die Stewardeß von der ›Princeß
of India‹ abgestempelt werde! Das ist Reklame! Und Reklame kann ich
nicht leiden!«

»Es heißt nicht Reklame, sondern Anpreisung!« sagte Exzellenz von
Köstmer geschwind. »Und außerdem, meine liebe Beate, bist du nicht
recht gescheit! Ob es sich dabei um dich handelt oder nicht -- darauf
kommt es nicht im geringsten an! In dem Aufsatz heißt es wortwörtlich:
›Auf die Gesinnung dieser beiden Menschen, die alles daran setzten
und alles wagten, um in der Stunde, da ihr Vaterland in Gefahr war,
zu ihm zurückzukehren und ihm ihre Kräfte darzubieten -- auf die kann
das ganze deutsche Volk stolz sein!‹ -- Und so ein Beispiel deutscher
Gesinnung soll im Mustopp bleiben, bloß weil du eine beschränkte junge
Dame bist? Nee, mein Mädel! Das muß in die weite Welt -- so weit
als irgend möglich! Wenn's irgend geht, bis nach Amerika und Asien
hinüber! Damit sie die Augen aufsperren lernen, die Herren Feinde und
Neutralen, soweit es noch welche gibt! Das schafft viel mehr Segen als
aller andere Quatsch, der über Deutschland geschrieben wird und den
doch kein Mensch glaubt! Laß du mir den Herrn Tystendal, oder wie er
heißt, in Ruhe! Das ist ein ganz vortrefflicher Mann, dem meine volle
Hochschätzung gehört! Und nun setze dich! Setze dich und erzähle! Wo
kommst du her?!«

»Von Rußland.«

»Wieso?«

»Mit dem Flugzeug von Rußland ...«

»Schwerebrett noch mal!« Exzellenz von Köstmer rieb sich den blanken
Schädel. »Das mußt du mir etwas näher erklären.«

Beate sah ein, daß sie nicht um einen ausführlichen Bericht herumkommen
würde. Sie ergab sich und handelte ihre Erzählung herunter, so
geschwind und knapp, als es nur irgend ging; aber die Zwischenrufe
ihres Zuhörers verdoppelten die Geschichte. Endlich war sie fertig,
holte tief Atem und sah den alten Herrn mit verwirrten Augen lächelnd
an. Der schüttelte anhaltend den Kopf.

»Junge, Junge,« sagte er, »was habt ihr zwei für einen fabelhaften
Dusel gehabt -- einen ganz fabelhaften Dusel!«

»Wer -- ihr zwei?« fragte Beate.

»Du und dein Mann.«

»Mein Mann?« Beate stand auf, als würde sie hochgezogen. »Onkel Gustav,
was weißt du von meinem Mann?«

»Du sollst mich nicht Onkel Gustav nennen, zum Teufel --!«

»Das ist mir jetzt vollständig egal, hörst du --! Sage mir! Sage mir,
was weißt du von meinem Mann?«

»Aber geliebtes Kind, ich begreife gar nicht, warum du weinst!«
Exzellenz von Köstmer sah unglücklich und geärgert aus. »Es ist ihm
doch bisher ganz ausgezeichnet gegangen, Himmelelement --! Es ist doch
nicht der geringste Grund zum Weinen vorhanden! Da auf demselben Stuhl,
auf dem du gerade gesessen hast, hat er auch gesessen -- vor zwei,
drei Wochen ... und hat mir erzählt -- gerade wie du: wie er nach der
Versenkung der ›Princeß of India‹ von dem deutschen Kreuzer aufgenommen
worden ist -- dann später mit einem Dutzend anderer Fahrgäste von
einem Norweger nach Rotterdam gebracht -- netten Unsinn hat er den
Kerls vorgeschwindelt, die das Schiff durchsucht haben -- einen
herzerfreuenden Unsinn, sage ich dir! -- und dann nach Hause gefahren
... Ein bißchen ausgehöhlt erschien er mir -- freilich, es war nicht
einfach, was er erlebt hat ... aber die Augen haben ihm nur so gelacht
... Mädel, du kannst dir was einbilden auf deinen Mann! Wahrhaftig, das
kannst du!«

»Das tu' ich auch!« sagte Beate und weinte heftig. »Und wo ist er
jetzt? Wo ist er jetzt --?!«

»Wo er hingehört, mein Mädel -- bei seinem alten Regiment!«

»Und wo ist sein Regiment?«

»Da fragst du mich zuviel, mein Kind ... Wir leben in der Zeit der
großen Truppenverschiebungen. Ob er im Westen oder Osten ist und ob er
morgen noch an derselben Front ist wie heute, das kann ich dir nicht
sagen. Aber gewiß ist, daß er bis zum heutigen Tage noch heile Knochen
hat und ein tüchtiger Soldat und ein ganzer Kerl ist, daß seine Leute
sich für ihn vierteilen ließen, wenn es darauf ankäme, und daß man
höheren Orts bereits auf ihn aufmerksam zu werden beginnt. Das muß dir
einstweilen genügen, mein Mädel ... Seine Adresse will ich dir geben;
kannst ihm schreiben und ihm einen schönen Gruß von mir bestellen. Und
im übrigen, Kind -- warten, warten und hoffen ... Es ist die ganze
Weisheit, die ich dir geben kann ...«

»Die taugt nichts, mein alter Freund,« sagte Beate und hob das Gesicht
von den Händen. Sie richtete sich auf und sah sich um. »Wo hab' ich
meinen Hut? Ich will noch heute abend zu Doktor Heßreuter. Der soll mir
ein Zeugnis geben und mir einen Platz anweisen, wo ich die Hände rühren
kann. Es ist mir gleichgültig, ob ich in einer Lazarettküche Kartoffeln
schäle oder im Laboratorium Salben quirle oder Binden aufwickle oder
sonst was. Ich will nur arbeiten; helfen will ich. Er wird mir schon
sagen können, wo's am meisten not tut.«

»Wie ich den Heßreuter kenne,« meinte Exzellenz von Köstmer, »wird
er wissen, daß man Frauen wie dich nicht zum Kartoffelschälen oder
Bindenwickeln verwendet; er wird dich dahin stellen, wo's hart auf hart
geht, Beate. Hast du das bedacht?«

»Ich hoffe, daß er das tut,« antwortete Beate still.

»Dann Gott befohlen, mein Kind! Und laß mich von dir hören.«

Beate versprach es. Aber sie schrieb nicht eher an ihren alten
Freund, als bis sie ihm melden konnte, daß sie als Vollschwester dem
Pflegepersonal im Osten zugeteilt worden sei und die Reise nach ihrem
Posten anzutreten im Begriff stehe.

»Der Dienst wird schwer sein,« schrieb sie, »aber ich freue mich auf
ihn. Er wird mir helfen, mich selbst zu vergessen, und die Zeit des
Wartens und Hoffens zu einer gesegneten machen. Von Gerd habe ich keine
Nachricht. Ich habe ihm geschrieben -- Gott weiß, ob er den Brief
erhält. Sobald du etwas von ihm erfährst -- mittelbar oder unmittelbar:
schreibe es mir gleich. Auch das Schlimme. Auch das Schlimmste.
Ich teile meine Not mit Tausenden und will von Tausenden nicht die
Schwächste sein ...« --

Beate hatte Recht gehabt, als sie sagte, ihr Dienst werde schwer sein.
Sie hatte sich sehr bald eine Stellung errungen, die ein Beweis
höchsten Vertrauens ihrer ärztlichen Vorgesetzten war, aber auch an
ihre seelischen und körperlichen Kräfte die äußersten Anforderungen
stellte. Sie versagte niemals. Sie wurde sehr schmal und hatte sich das
Schlafen abgewöhnt. Aber sie hielt stand.

Sie war dem Osten zugeteilt worden, weil sie Russisch verstand und
genügend sprach, um den Schmerzen und Wünschen ihrer slawischen
Pfleglinge ein Dolmetsch zu sein. Und sie hatte deren viele. Und
es wurden immer mehr. Die große Schlacht der Dezembertage wurde
geschlagen, und der Sichelwagen schnitt ...

Sie lagen in einem Dorfe. Einem polnischen Dorfe, das kein ganzes Haus
mehr hatte. Die Straße, von Schnee, Tauwetter und Frost und wieder
Schnee in einen Sumpf verwandelt, quietschte und schlappte unter den
Rädern der Geschütze, der Lastautos, der Wagen und Karren -- unter den
Hufen der Pferde, unter den Stiefeln der durchziehenden Truppen.

Beate horchte auf den Lärm vor ihren Fenstern wie auf eine Musik ...

Da zogen sie nach Osten -- immer weiter nach Osten. Der Dezemberwind
pfiff ihnen um die Ohren. Aber sie sangen -- sie sangen ... Ein Lied
tauchte in das andere hinein. Und es klang dennoch schön ...

Immer, wenn Beate dieses Singen hörte, mußte sie die Zähne
übereinanderbeißen. Es war kein Schmerz, den sie fühlte. Oder wenn es
ein Schmerz war, dann war er sehr süß ...

Sie stand am Fenster des Spelunkensaales, der zu einem Lazarett
umgewandelt worden war, und starrte auf die Straße hinaus. Sie drückte
den Kopf gegen die Scheibe, die gesprungen war, und ließ ihre Gedanken
wandern.

Aber sie hatte wenig Zeit für sich selbst. Sie rüttelte sich selber
hoch und hielt die Hand an der Stirn. Was hatte sie eben noch tun
wollen?

Wasser holen -- das war's ...

Sie nahm die beiden Eimer auf und ging die Treppe hinunter, nach dem
Tor. Sie trat auf die Straße hinaus und drückte sich an den Mauern hin,
um rascher vorwärts zu kommen. Sie mußte um die Ecke herum, nach dem
Markte, wo der einzige Brunnen stand, der noch Wasser gab. Alle anderen
Röhren versagten den Dienst.

Auf dem Markt war ein heilloses Durcheinander von Menschen, Tieren
und Gegenständen, Soldaten, Soldaten so weit das Auge blickte -- und
dazwischen die ehemaligen Herren des Dorfes, jämmerliche Gestalten, die
der Schrecken der Beschießung um die Hälfte ihres Verstandes gebracht
hatte.

Weiber und Kinder hockten auf den Trümmern ihrer Betten und sonstigen
Möbel, ohne den geringsten Versuch zu machen, noch Rettbares zu
retten. Sie waren ganz stumm geworden, ergeben wie betäubte Tiere. Sie
blickten mit verständnislosen Augen auf die fremden Menschen, die an
ihnen vorüberzogen. Die zurückflutenden Truppen der Russen hatten sie
gelehrt, Soldaten für Räuber zu halten, und das deutsche Heer hatte
noch nicht Zeit gehabt, sie eines Besseren zu belehren.

Beate füllte ihre Eimer am Brunnen und wollte nach dem Lazarett zurück.
Aber sie mußte eine kleine Weile warten. Geschütze wateten und knarrten
vorbei. Die Pferde und die Bedienungsmannschaften sahen aus wie aus
Lehm gebacken. Sie starrten von Dreck. Ihr Zug nahm kein Ende.

Beate wurde unruhig. Sie mußte unbedingt auf ihren Posten zurück. Ihre
Augen glitten über die deutschen Reihen, die fünf Schritte von ihr
entfernt vorüberkamen. Sie hoffte, daß die Tracht, die sie trug, ihr
helfen würde, durchzuschlüpfen.

In dem Augenblick, als sie sich an einen Offizier wenden wollte,
hörte sie hinter sich eine Stimme. Die sprach Deutsch und ein sehr
verständliches Deutsch ...

»Was ist denn das für eine verdammte Schweinerei da vorn --?! Wollt ihr
wohl aufpassen, ihr Himmelhunde -- oder soll der ganze Kram zum Teufel
gehen --?«

Der Gegenstand dieser Standpauke war ein Lastauto, das der Fahrer zu
weit nach der Seite gelenkt hatte und das, bis an die Achsen im Dreck
versinkend, sich langsam, aber unaufhaltsam seitwärts zu neigen begann.

Aber das kümmerte Beate nicht. Sie wandte sich um und starrte -- und
ließ ihre Eimer fallen, daß ihr das Wasser in die Schuhe floß -- und
hob die Arme und rief: »Gerd --!!«

Der Mann, den sie angerufen, bekam einen Ruck durch den ganzen Körper.
Er wandte ihr den Kopf zu und öffnete den Mund zu einem Rufe, der nicht
laut wurde ...

Ja, es war Gerd, der da an der Hauswand, der ganz zerschossenen, stand
und die Frau mit der Roten-Kreuz-Binde am Arm anstarrte, als sei sie
strahlendes Gold.

»Beate --! Beate --!«

Und da war es so recht Beate Hoyermann, daß sie, die das Meer und
die Wüste und den Schnee Rußlands und den Sturm der Luft überwunden
hatte, ratlos und verzagt vor dem beispiellosen Dreck einer
russisch-polnischen Landstraße stand und sich nicht vorwärts wagte.

Gerd Hoyermann aber besann sich nicht einen Augenblick. Er tat einen
Satz mitten in den Schlamm hinein und auf die Frau zu -- erreichte
sie und nahm sie in seine Arme ... mochten die Menschen ringsum zu
Hunderten glotzen und flüstern und lachen -- was ging es ihn an? --
Er fühlte die Frau seiner Liebe in seinen Armen und trug sie über die
Straße fort ins nächste beste Haus hinein und ließ sie auch nicht los,
als sie auf steinernen Fliesen standen und auf hölzernen Stufen.

»Beate! -- Beate! -- Beate ...«

Die Frau hatte die Augen geschlossen. Sie sagte nichts. Sie fühlte
seine Lippen auf ihren Lidern, ihrer Stirn, ihren Wangen und Lippen,
auf ihrem Haar, von dem die Haube glitt, und auf ihrem Halse. Sie
klammerte sich an den Mann, den sie liebte mit der ganzen Kraft und
Ausschließlichkeit ihres Herzens, und dachte mitten im Sturm ihres
Glücks und seiner Liebe ganz ruhig und still: Alles war nichts ...
alles Erlebte, alles Erlittene -- alles war nichts ... Nur dies ist
etwas -- etwas und alles ...

»Weinst du, Beate, liebe, geliebte Frau?«

»Nein, Gerd, nein ...«

Sie hob den Kopf, um ihm ihr Lächeln zu zeigen.

»Wie lange hab' ich dich?«

»Minuten, Beate ... Ich muß weiter -- wir sind auf dem Marsch ...
Sprich zu mir, Beate! Sage mir ... Nein, sage mir nichts ... Sieh mich
an, du Liebe, du Geliebte ... Wie ist es dir ergangen? Wie kommst du
hierher?«

»Jetzt nicht,« sagte sie lächelnd. »Ich schreibe dir ... Lange Briefe
will ich dir schreiben ... Hast meinen ersten nicht bekommen?«

»Nein, Geliebte, nichts ...«

»Es macht nichts,« antwortete sie mit ihrem gleichsam horchenden
Lächeln. »Ich schreib' dir einen schöneren ...«

Menschen stolperten an ihnen vorbei. Sie hielten sich an den Händen und
sahen sich an.

»Es ist kein Abschied,« sagte der Mann und preßte ihre Hände. »Es ist
ein Wiedersehen ...«

»Ja,« sagte die Frau.

»Ich muß fort ... Auf Wiedersehen, Beate!«

»Auf Wiedersehen, mein Geliebter ...«

Er küßte sie. Er ging. Sie trat in die Haustür und sah ihn schon nicht
mehr. Jetzt merkte sie es nicht, daß sie über den Kot der Straße
schritt, um an den Brunnen zu gelangen. Sie reckte sich auf den Steinen
und spähte nach rechts und links.

Ihre Augen fanden ihn gleich. Er saß auf einem braunen Pferde und
suchte nach ihr im langsamen Vorwärtsreiten. Sie winkte mit der Hand,
und er winkte wieder.

Ein Lachen lag ihm um die Lippen.

»Auf Wiedersehen, Löwin!«

»Auf Wiedersehen, Bär!«

Und immer wieder: Auf Wiedersehen! -- Auf Wiedersehen --!

Die Soldaten sangen.

An der Ecke der Straße wandte Gerd Hoyermann sich noch einmal um,
stützte die Hand auf die Kruppe des Pferdes und suchte die Augen seiner
Frau. Auf Wiedersehen! -- Auf Wiedersehen --!

Dann war er verschwunden.

Und Beate Hoyermann hob ihre Eimer auf und bückte sich, um Wasser zu
schöpfen ...




                               Druck der
                  Union Deutsche Verlagsgesellschaft
                             in Stuttgart




                   Anzeigen des Cotta'schen Verlages

                                                               Gebunden

  ~Althof, Paul~ (Alice Gurschner), Die wunderbare Brücke
        und andere Geschichten                                  M. 4.--

  --"-- Das verlorene Wort. Roman                               "  4.--

  ~Andreas-Salomé, Lou~, Fenitschka -- Eine Ausschweifung
        Zwei Erzählungen                                        "  3.50

  --"-- Ma. Ein Porträt. 4. Aufl.                               "  3.50

  --"-- Menschenkinder. Novellensammlung. 2. Aufl.              "  4.50

  --"-- Ruth. Erzählung. 6. Aufl.                               "  4.50

  --"-- Aus fremder Seele. Eine Spätherbstgeschichte. 3. Aufl.  "  3.50

  --"-- Im Zwischenland. Fünf Geschichten. 3. Aufl.             "  5.--

  ~Anzengruber, Ludwig~, Letzte Dorfgänge. 2. Aufl.             "  4.50

  --"-- Wolken und Sunn'schein. 6. Aufl.                        "  3.50

  ~Arminius, W.~, Der Weg zur Erkenntnis. Roman                 "  4.--

  --"-- Yorcks Offiziere. Roman von 1812/13. 4. Aufl.           "  5.--

  ~Auerbach, Berthold~, Barfüßele. 44.-46. Aufl.                "  2.50

  --"-- Auf der Höhe. Roman. 2 Bände                            "  4.20

  --"-- Das Landhaus am Rhein. Roman. 2 Bände                   "  4.20

  --"-- Spinoza. Ein Denkerleben                                "  1.70

  --"-- Waldfried. Eine vaterländische Familiengeschichte       "  2.10

  ~Baumbach, Rudolf~, Erzählungen und Märchen. 17. Tsd.         "  3.--

  --"-- Es war einmal. Märchen. 15. u. 16. Tsd.                 "  3.80

  --"-- Aus der Jugendzeit. 10. Tsd.                            "  5.20

  --"-- Neue Märchen. 9. Tsd.                                   "  4.--

  --"-- Sommermärchen. 40. u. 41. Tsd.                          "  4.20

  ~Bertsch, Hugo~, Bilderbogen aus meinem Leben.
        2. u. 3. Aufl.                                          "  4.--

  --"-- Bob, der Sonderling. Seine Geschichte. 4. Aufl.         "  3.50

  --"-- Die Geschwister. Mit Vorwort v. Adolf Wilbrandt.
          12. Aufl.                                             "  3.50

  ~Birt, Th.~, Menedem. Die Geschichte eines Ungläubigen        "  5.--

  ~Böhlau, Helene~, Salin Kaliske. Novellen. 2. Aufl.           "  4.--

  ~Boy-Ed, Ida~, Die säende Hand. Roman. 5. Aufl.               "  4.50

  --"-- Stille Helden. Roman. 8. u. 9. Aufl.                    "  5.--

  --"-- Um Helena. Roman. 3. Aufl.                              "  4.50

  --"-- Ein königlicher Kaufmann. Hanseat. Roman
          18. u. 19. Aufl.                                      "  5.--

  --"-- Das Martyrium der Charlotte v. Stein. 1. u. 2. Aufl.    "  3.--

  --"-- Die Lampe der Psyche. Roman. 3. Aufl.                   "  4.50

  --"-- Nur wer die Sehnsucht kennt. Roman. 8. Aufl.            "  4.50

  --"-- Die große Stimme. Novellen. 3. Aufl.                    "  3.--

  ~Bülow, Frieda v.~, Kara. Roman                               "  5.-

  ~Burckhard, Max~, Simon Thums. Roman. 2. Aufl.                "  4.--

  ~Busse, Carl~, Federspiel. Westliche und östliche
          Geschichten                                           "  4.50

  --"-- Flugbeute. Neue Erzählungen. 2. Aufl.                   "  4.20

  --"-- Die Schüler von Polajewo. 3. u. 4. Aufl.                "  4.--

  --"-- Im polnischen Wind. Ostmärkische Geschichten. 2. Aufl.  "  4.50

  ~Dove, A.~, Caracosa. Historischer Roman. 2 Bände. 2. Aufl.   "  9.--

  ~Ebner-Eschenbach, Marie v.~, Die erste Beichte
        Miniatur-Ausgabe. Mit Porträt. 2. Aufl.                 "  2.--

  --"-- Božena. Erzählung. 12. Aufl.                            "  4.--

  --"-- Erzählungen. 6. Aufl.                                   "  4.--

  --"-- Margarete. 8. Aufl.                                     "  3.--

  ~Ebner-Eschenbach, Moritz v.~, +Hypnosis perennis+ -- Ein
         Wunder des heiligen Sebastian. Zwei Wiener Geschichten "  3.--

  ~Eckstein, Ernst~, Nero. Roman. 9. Aufl.                      "  6.--

  ~El-Correï~, Das Tal des Traumes. Roman. 2. Aufl.             "  5.--

  ~Enderling, Paul~, Zwischen Tat und Traum. Roman              "  5.--

  --"-- Der Hungerhaufen und andere Novellen                    "  3.--

  ~Engel, Eduard~, Paraskewúla und andere Novellen              "  4.50

  ~Fontane, Theodor~, Ellernklipp. 4. Aufl.                     "  4.--

  --"-- Grete Minde. 8. Aufl.                                   "  3.50

  --"-- Quitt. Roman. 6. Aufl.                                  "  4.--

  --"-- Vor dem Sturm. Roman. 17. u. 18. Aufl.                  "  5.--

  --"-- Unwiederbringlich. Roman. 8. Aufl.                      "  4.50

  ~Franzos, K. E.~, Der Gott des alten Doktors. Erzählung.
        2. Aufl.                                                "  3.--

  --"-- Die Juden von Barnow. Geschichten. 10. Aufl.            "  4.--

  --"-- Ein Kampf ums Recht. Roman. 2 Bände. 7. Aufl.           "  7.50

  --"-- Mann und Weib. Novellen. 2. Aufl.                       "  3.50

  --"-- Moschko von Parma. Erzählung. 5. Aufl.                  "  3.50

  --"-- Neue Novellen. 2. Aufl.                                 "  3.--

  --"-- Der Pojaz. Eine Geschichte aus dem Osten.
        9. u. 10. Aufl.                                         "  5.50

  --"-- Der Präsident. Erzählung. 4. Aufl.                      "  3.--

  --"-- Die Reise nach dem Schicksal. Erzählung. 3. Aufl.       "  4.--

  --"-- Judith Trachtenberg. Erzählung. 6. Aufl.                "  4.--

  --"-- Der Wahrheitsucher. Roman. 2 Bände. 3. Aufl.            "  8.--

  --"-- Leib Weihnachtskuchen und sein Kind. Erzählung.
        3. Aufl.                                                "  3.50

  ~Frei, Leonore~, Das leuchtende Reich. Roman                  "  5.--

  ~Frey, Adolf~, Die Jungfer von Wattenwil
         Historischer Schweizerroman. 5. Aufl.                  "  6.--

  ~Fulda, L.~, Lebensfragmente. Novellen. 3. Aufl.              "  3.--

  ~Gleichen-Rußwurm, A. v.~, Vergeltung. Roman                  "  4.50

  ~Grimm, Herman~, Unüberwindliche Mächte. Roman.
        2 Bde. 3. Aufl.                                         " 10.--

  ~Grisebach, Ed.~, Kin-ku-ki-kuan. Chinesisches Novellenbuch   "  4.--

  ~Harbou, Thea v.~, Der unsterbliche Acker. Ein Kriegsroman
        7. u. 8. Aufl.                                          "  3.50

  --"-- Die nach uns kommen. Roman. 4. u. 5. Aufl.              "  4.--

  --"-- Die Flucht der Beate Hoyermann. 9.-20. Aufl.            "  4.--

  --"-- Der Krieg und die Frauen. Novellen. Neue wohlfeile
        Ausgabe. 76.-85. Tausend              M.  1.80 u.       "  3.--

  --"-- Die Masken des Todes. Sieben Geschichten in einer.
          2.-8. Aufl.                                           "  3.50

  ~Hartmann, Alfred Georg~, Die Fahrt ins Himmelreich
        Ein Künstlerroman aus Holland                           "  3.50

  ~Haushofer, Max~, Geschichten zwischen Diesseits und Jenseits
        Ein moderner Totentanz. 2. Aufl.                        "  4.50

  --"-- Planetenfeuer. Ein Zukunftsroman                        "  4.50

  ~Heer, J. C.~, Der lange Balthasar. Dorfroman. 21.-30. Aufl.  "  3.--

  --"-- Da träumen sie von Lieb' und Glück!
        Drei Schweizer Novellen. 26. u. 27. Aufl.               "  4.50

  --"-- Joggeli. Geschichte einer Jugend. 23.-25. Aufl.         "  4.50

  --"-- Der König der Bernina. Roman. 91.-95. Aufl.             "  4.50

  --"-- Laubgewind. Roman. 61.-65. Aufl.                        "  4.50

  --"-- Felix Notvest. Roman. 26.-28. Aufl.                     "  4.50

  --"-- Was die Schwalbe sang. Geschichten für Jung und Alt.
        13.-20. Aufl.                                           "  3.50

  --"-- An heiligen Wassern. Roman. 86.-90. Aufl.               "  4.50


  ~Heer, J. C.~, Der Wetterwart. Roman. 86.-90. Aufl.          "  4.50

  ~Heilborn, Ernst~, Kleefeld. Roman                            "  3.--

  ~Herzog, Rudolf~, Der Abenteurer. Roman. 41.-45. Aufl.        "  5.--

  --"-- Der Adjutant. Roman. 13. u. 14. Aufl.                   "  3.50

  --"-- Die Burgkinder. Roman. 101.-105. Aufl.                  "  5.--

  --"-- Der Graf von Gleichen. Ein Gegenwartsroman.
          29.-33. Aufl.                                         "  4.50

  --"-- Es gibt ein Glück ... Novellen. 34.-36. Aufl.           "  4.--

  --"-- Hanseaten. Roman. 81.-85. Aufl.                         "  5.--

  --"-- Das große Heimweh. Roman. 81.-90. Aufl.                 "  6.--

  --"-- Das Lebenslied. Roman. 76.-80. Aufl.                    "  5.--

  --"-- Die vom Niederrhein. Roman. 61.-65. Aufl.               "  5.--

  --"-- Der alten Sehnsucht Lied. Erzählungen. 13. u. 14. Aufl. "  3.50

  --"-- Die Welt in Gold. Novelle. 16.-20. Aufl.                "  2.50

  --"-- Die Wiskottens. Roman. 111.-120. Aufl.                  "  5.--

  --"-- Das goldene Zeitalter. Roman. 11. u. 12. Aufl.          "  3.50

  ~Heyse, Paul~, L'Arrabbiata. Novelle. 14. Aufl.               "  2.40

  --"-- L'Arrabbiata und andere Novellen. 10. Aufl.             "  4.50

  --"-- Buch der Freundschaft. Novellen. 7. Aufl.               "  4.50

  --"-- Das Ewigmenschliche. Erinnerungen aus einem Alltagsleben
        -- Ein Familienhaus. Novelle. 2.-4. Aufl.               "  5.--

  --"-- Die Geburt der Venus. Roman. 5. Aufl.                   "  5.--

  --"-- In der Geisterstunde und andere Spukgeschichten.
           4. Aufl.                                             "  3.50

  --"-- Über allen Gipfeln. Roman. 9. u. 10. Aufl.             "  4.50

  --"-- Das Haus zum ungläubigen Thomas und andere Novellen     "  4.50

  --"-- Kinder der Welt. Roman. 2 Bände. 29. u. 30. Aufl.       "  6.80

  --"-- Helldunkles Leben. Novellen. 2.-4. Aufl.                "  5.--

  --"-- Himmlische und irdische Liebe und andere Novellen.
           2. Aufl.                                             "  4.50

  --"-- Neue Märchen. 4. Aufl.                                  "  5.--

  --"-- Martha's Briefe an Maria. 2. Aufl.                      "  2.--

  --"-- Melusine und andere Novellen. 5. Aufl.                  "  5.--

  --"-- Menschen und Schicksale. Charakterbilder. 2.-4. Aufl.   "  5.--

  --"-- Merlin. Roman. 12. Aufl. 2 Bände in 1 Band              "  5.80

  --"-- Ninon und andere Novellen. 4. Aufl.                     "  5.--

  --"-- Novellen. Auswahl fürs Haus. 3 Bände. 14. u. 15. Aufl.  " 10.--

  --"-- Letzte Novellen. Mit Begleitwort von E. Petzet.
          2.-4. Aufl.                                           "  3.50

  --"-- Novellen vom Gardasee. 8. u. 9. Aufl.                   "  3.40

  --"-- Meraner Novellen. 12. Aufl.                             "  4.50

  --"-- Neue Novellen. 6. Aufl.                                 "  4.50

  --"-- Im Paradiese. Roman. 2 Bände. 16. Aufl.                 "  6.80

  --"-- Plaudereien eines alten Freundespaars. 2.-4. Aufl.      "  4.50

  --"-- Das Rätsel des Lebens und andere Charakterbilder.
          4. Aufl.                                              "  6.--

  --"-- Der Roman der Stiftsdame. 15. u. 16. Aufl.              "  3.40

  --"-- Der Sohn seines Vaters und andere Novellen. 3. Aufl.    "  4.50

  --"-- Crone Stäudlin. Roman. 5. u. 6. Aufl.                   "  3.40

  --"-- Gegen den Strom. Eine weltliche Klostergeschichte.
           5. u. 6. Aufl.                                       "  3.40

  --"-- Moralische Unmöglichkeiten und andere Novellen.
           3. Aufl.                                             "  5.50

  --"-- Victoria regia und andere Novellen. 2.-4. Aufl.         "  5.--

  --"-- Villa Falconieri und andere Novellen. 2. Aufl.          "  4.50

  --"-- Vroni und andere Novellen                               "  4.50

  --"-- Weihnachtsgeschichten. 4. Aufl.                         "  5.--

  --"-- Xaverl und andere Novellen                              "  4.50

  ~Hillern, W. v.~, Der Gewaltigste. Roman. 5. u. 6. Aufl.      "  4.50

  --"-- 's Reis am Weg. 3. Aufl.                                "  2.50

  --"-- Ein Sklave der Freiheit. Roman. 3. Aufl.                "  6.--

  --"-- Ein alter Streit. Roman. 3. Aufl.                       "  4.--

  ~Hirschfeld, Georg~, Nachwelt. Der Roman eines Starken
        4. u. 5. Aufl.                                          "  5.--

  ~Höcker, Paul Oskar~, Väterchen. Roman. 2. Aufl.              "  4.--

  ~Hofer, Klara~, Alles Leben ist Raub
        Der Weg Friedrich Hebbels. 2. Aufl.                     "  5.--

  --"-- Das Schwert im Osten. Erzählung. 2. u. 3. Aufl.         "  3.--

  ~Hoffmann, Hans~, Bozener Märchen und Mären. 3. Aufl.         "  3.50

  --"-- Ostseemärchen. 3. Aufl.                                 "  4.--

  ~Hopfen, Hans~, Der letzte Hieb. Eine Studentengeschichte.
          6. Aufl.                                              "  3.50

  ~Huch, Ricarda~, Erinnerungen von Ludolf Ursleu dem Jüngeren.
        Roman. 15. u. 16. Aufl.                                 "  5.--

  Jugenderinnerungen eines alten Mannes, siehe ~Kügelgen~

  ~Junghans, Sophie~, Schwertlilie. Roman. 2. Aufl.             "  5.--

  ~Kaiser, Isabelle~, Seine Majestät! Novellen. 2. Aufl.        "  3.50

  --"-- Wenn die Sonne untergeht. Novellen. 3. Aufl.            "  3.50

  ~Keller, Gottfried~, Der grüne Heinrich. Roman
        3 Bände. 81.-85. Aufl.                                  " 11.40

  --"-- Die Leute von Seldwyla. 2 Bände. 89.-94. Aufl.          "  7.60

  --"-- Züricher Novellen. 83.-87. Aufl.                        "  3.80

  --"-- Martin Salander. Roman. 49.-53. Aufl.                   "  3.80

  --"-- Das Sinngedicht. Novellen -- Sieben Legenden.
          71.-75. Aufl.                                         "  2.80

  --"-- Sieben Legenden. Miniatur-Ausgabe. 8. Aufl.             "  3.--

  --"-- Romeo und Julia auf dem Dorfe. Erzählung.
          Miniatur-Ausgabe.  9. Aufl.                            "  3.--

  ~Knudsen. J.~, Angst. Der junge Martin Luther. Berechtigte
        Übersetzung von Mathilde Mann. 2. Aufl.                 "  5.--

  ~Krauel, Wilhelm~, Von der andern Art. Roman                  "  4.--

  --"-- Das Erbe der Väter. Ein Lebensbericht                   "  4.50

  ~Kügelgen, Wilhelm v.~, Jugenderinnerungen eines alten
  Mannes. Original-Ausgabe. 26. u. 27. Aufl.                    "  2.40

  ~Kurz, Hermann~ (Der Schweizer), Sie tanzen
          Ringel-Ringel-Reihn. Roman. 2. u. 3. Aufl.            "  5.--

  ~Kurz, Isolde~, Unsere Carlotta. Erzählung                    "  3.--

  --"-- Italienische Erzählungen. 2. Aufl.                      "  4.50

  --"-- Frutti di Mare. Zwei Erzählungen                        "  3.--

  --"-- Genesung -- Sein Todfeind -- Gedankenschuld.
          Erzählungen                                           "  5.--

  --"-- Lebensfluten. Novellen. 2. Aufl.                        "  4.--

  --"-- Florentiner Novellen. 6. u. 7. Aufl.                    "  4.50

  --"-- Phantasieen und Märchen                                 "  3.--

  --"-- Die Stadt des Lebens. Schilderungen aus der
            Florentinischen Renaissance. 7. Aufl.               "  3.50

  ~Langmann, Philipp~, Leben und Musik. Roman                   "  4.50

  ~Lilienfein, Heinrich~, Von den Frauen und einer Frau
        Erzählungen und Geschichten. 2. Aufl.                   "  3.--

  --"-- Ideale des Teufels. Eine boshafte Kulturfahrt. 2. Aufl. "  3.50

  --"-- Der versunkene Stern. Roman. 2. u. 3. Aufl.             "  6.--

  --"-- Die große Stille. Roman. 4. Aufl.                       "  5.50

  --"-- Ein Spiel im Wind. Roman. 1.-3. Aufl.                   "  5.--

  ~Lindau, Paul~, Die blaue Laterne. Berliner Roman. 2 Bände
        7. Aufl.                                                "  7.50

  --"-- Arme Mädchen. Roman. 11. Aufl.                          "  5.--

  --"-- Spitzen. Roman. 11. u. 12. Aufl.                        "  5.--

  --"-- Der Zug nach dem Westen. Roman. 12. Aufl.               "  5.--

  ~Mahn, Paul~, Der Kamerad. Roman                              "  4.--

  ~Mauthner, Fritz~, Aus dem Märchenbuch der Wahrheit. Fabeln
         und Gedichte in Prosa. 2. Aufl. von »~Lügenohr~«       "  4.--

  ~Meyer-Förster, Wilh.~, Eldena. Roman. 2. Aufl.               "  4.--

  ~Meyerhof-Hildeck, Leonie~, Das Ewig-Lebendige
        Roman. 2. Aufl.                                         "  3.50

  --"-- Töchter der Zeit. Münchner                              "  4.--

  ~Moreck, Curt~, Büßer des Gefühls. Novellen                   "  4.50

  ~Moersberger, Felicitas Rose~, Pastor Verden.
        Ein Heideroman. 2.-5. Aufl.                             "  4.50

  ~Muellenbach, E.~ (E. Lenbach), Abseits. Erzählungen          "  4.--

  --"-- Aphrodite und andere Novellen                           "  4.--

  --"-- Vom heißen Stein. Roman                                 "  4.--

  ~Niessen-Deiters, Leonore~, Leute mit und ohne Frack.
      Erzählungen  u. Skizzen. Buchschmuck von ~Hans Deiters~.
      2. Aufl.                                                  "  4.--

  --"-- Im Liebesfalle. Buchschmuck von ~Hans Deiters~          "  4.--

  --"-- Mitmenschen. Buchschmuck von ~Hans Deiters~             "  4.--

  ~Olfers, Marie v.~, Neue Novellen                             "  4.50

  --"-- Die Vernunftheirat und andere Novellen                  "  4.--

  ~Pietsch, Otto~, Das Gewissen der Welt. Roman. 8. Aufl.       "  6.--

  --"-- Taten und Schicksale. Erzählungen. 1. u. 2. Aufl.       "  3.50

  ~Prel, Karl du~, Das Kreuz am Ferner. Roman. 4. Aufl.         "  6.--

  ~Riehl, W. H.~, Aus der Ecke. Novellen. 5. Aufl.              "  5.--

  --"-- Am Feierabend. Novellen. 4. Aufl.                       "  5.--

  --"-- Geschichten aus alter Zeit. 1. Reihe. 3. Aufl.          "  4.--

  --"-- Geschichten aus alter Zeit. 2. Reihe. 3. Aufl.          "  4.--

  --"-- Lebensrätsel. Novellen. 4. Aufl.                        "  5.--

  --"-- Ein ganzer Mann. Roman. 4. Aufl.                        "  7.--

  --"-- Kulturgeschichtliche Novellen. 7. Aufl.                 "  5.--

  --"-- Neues Novellenbuch. 3. Aufl.                            "  5.--

  ~Rittberg, Gräfin Charlotte~, Der Weg zur Höhe. Roman         "  4.--

  ~Rommel-Hohrath, Clara~, Im Banne Roms. Roman                 "  5.--

  ~Roquette, Otto~, Das Buchstabierbuch der Leidenschaft.
        Roman. 2 Bände                                          "  5.--

  ~Rosner, Karl~, Der deutsche Traum. Ein Wiener Roman
        aus der Revolutionszeit. 1.-5. Aufl.                    "  5.50

  ~Seidel, Heinrich~, Leberecht Hühnchen. Gesamt-Ausgabe.
        12. Aufl. (61.-65. Tsd.)                                "  5.--

  --"-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 1. Reihe. 2. Aufl.
        (4. u. 5. Tsd.)                                         "  5.--

  --"-- Vorstadtgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe.
        (4. Tsd.)                                               "  5.--

  --"-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausg. 1. Reihe.
         2. Aufl. (3. Tsd.)                                     "  5.--

  --"-- Heimatgeschichten. Gesamt-Ausgabe. 2. Reihe             "  5.--

  --"-- Von Perlin nach Berlin. Aus meinem Leben.
         Gesamt-Ausgabe                                         "  5.--

  --"-- Phantasiestücke. Gesamt-Ausgabe                         "  5.--

  ~Seidel, Heinrich~, Reinhard Flemmings Abenteuer zu Wasser
        und zu Lande. 3 Bände. 10. Tsd.                      je M. 4.--

  --"-- Wintermärchen. 2 Bände. 4. Tsd.                      je "  4.--

  --"-- Ludolf Marcipanis und Anderes. Aus dem Nachlasse
        herausgegeben von H. W. Seidel. 2. Tsd.                 "  4.--

  ~Seidel, H. Wolfgang~, Erinnerungen an Heinrich Seidel.
        2. Aufl.                                                "  5.--

  ~Skowronnek, R.~, Der Bruchhof. Roman. 5. Aufl.               "  4.--

  ~Speidel, Felix~, Hindurch mit Freuden. Novellen              "  4.--

  ~Stegemann, Hermann~, Der Gebieter. Roman                     "  3.50

  --"-- Stille Wasser. Roman                                    "  4.--

  ~Steinart, Armin~, Der Hauptmann. Eine Erzählung aus dem
  Weltkriege. 6.-10. Aufl.                                      "  3.50

  ~Stratz, Rudolph~, Alt-Heidelberg, du Feine ...
  Roman einer Studentin. 15.-17. Aufl.                          "  5.--

  --"-- Buch der Liebe. Sechs Novellen. 4. Aufl.                "  3.50

  --"-- Die ewige Burg. Roman. 8. Aufl.                         "  4.50

  --"-- Der du von dem Himmel bist. Roman. 8. u. 9. Aufl.       "  4.50

  --"-- Du bist die Ruh'. Roman. 9. u. 10. Aufl.                "  4.50

  --"-- Es war ein Traum. Berliner Novellen. 6. Aufl.           "  4.50

  --"-- Seine englische Frau. Roman. 36.-40. Aufl.              "  5.50

  --"-- Für Dich. Roman. 26.-28. Aufl.                          "  5.--

  --"-- Gib mir die Hand. Roman. 12.-14. Aufl.                  "  5.--

  --"-- Herzblut. Roman. 22. u. 23. Aufl.                       "  5.--

  --"-- Ich harr' des Glücks. Novellen. 6. Aufl.                "  4.50

  --"-- Der arme Konrad. Roman. 5. u. 6. Aufl.                  "  4.50

  --"-- Liebestrank. Roman. 16.-20. Aufl.                       "  5.--

  --"-- Montblanc. Roman. 10. Aufl.                             "  4.--

  --"-- Du Schwert an meiner Linken
  Ein Roman aus der deutschen Armee. 41.-45. Aufl.              "  5.50

  --"-- Stark wie die Mark. Roman. 28.-30. Aufl.                "  6.--

  --"-- Die zwölfte Stunde. Novellen. 1.-5. Tsd.                "  3.--

  --"-- Der weiße Tod. Roman. 24. u. 25. Aufl.                  "  4.--

  --"-- Die letzte Wahl. Roman. 7. u. 8. Aufl.                  "  5.--

  ~Sudermann, Hermann~, Es war. Roman. 56.-58. Aufl.            "  6.--

  --"-- Geschwister. Zwei Novellen. 35.-37. Aufl.               "  4.50

  --"-- Jolanthes Hochzeit. Erzählung. 31.-33. Aufl.            "  3.--

  --"-- Der Katzensteg. Roman. 101.-105. Aufl.                  "  4.50

  --"-- Das Hohe Lied. Roman. 61.-65. Aufl.                     "  6.--

  --"-- Die indische Lilie. Sieben Novellen. 21.-25. Aufl.      "  4.--

  --"-- Frau Sorge. Roman. 156.-160. Aufl. Mit Jugendbildnis    "  4.50

  --"-- Im Zwielicht. Zwanglose Geschichten. 37. u. 38. Aufl.   "  3.--

  ~Telmann, Konrad~, Trinacria. Sizilische Geschichten          "  5.--

  ~Trojan, Johannes~, Das Wustrower Königsschießen
  und andere Humoresken. 4. u. 5. Aufl.                         "  3.--

  ~Uxkull, Gräfin Lucy~, Rote Nelken. Ein sozialer Roman        "  5.--

  ~Vockeradt, Emma~, Wanderer im Dunkeln. Roman                 "  4.--

  ~Vogt, Martha~, An schwarzen Wassern. Zwei Novellen           "  3.50

  ~Vollert, Konrad~, Sonja. Roman                               "  5.50

  ~Voß, Richard~, Alpentragödie. Roman. 5. u. 6. Aufl.          "  5.50

  --"-- Römische Dorfgeschichten. 5. vermehrte Aufl.            "  4.50

  --"-- Erdenschönheit. Ein Reisebuch. 2. Aufl.                 "  3.50


  ~Voß, Richard~, Du mein Italien. Aus meinem römischen Leben
  2. u. 3. Aufl.                                                "  5.50

  --"-- Der Polyp und andere römische Erzählungen. 2. Aufl.     "  5.--

  --"-- Richards Junge (Der Schönheitssucher). Roman. 3. Aufl.  "  6.--

  ~Watzdorf-Bachoff, E. v.~, Maria und Yvonne
  Geschichte einer Freundschaft. 2. Aufl.                       "  4.50

  ~Wilbrandt, Adolf~, Adams Söhne. Roman. 3. Aufl.              "  5.50

  --"-- Adonis und andere Geschichten. 3. Aufl.                 "  4.--

  --"-- Meister Amor. Roman. 3. Aufl.                           "  4.50

  --"-- Das lebende Bild und andere Geschichten. 3. Aufl.       "  4.--

  --"-- Dämonen und andere Geschichten. 3. u. 4. Aufl.          "  4.--

  --"-- Der Dornenweg. Roman. 5. Aufl.                          "  5.--

  --"-- Erika -- Das Kind. Erzählungen. 3. Aufl.                "  4.50

  --"-- Fesseln. Roman. 3. Aufl.                                "  4.--

  --"-- Franz. Roman. 3. Aufl.                                  "  4.50

  --"-- Die glückliche Frau. Roman. 4. Aufl.                    "  4.--

  --"-- Fridolins heimliche Ehe. 4. Aufl.                       "  3.50

  --"-- Schleichendes Gift. Roman. 3. Aufl.                     "  4.--

  --"-- Hermann Ifinger. Roman. 7. Aufl.                        "  5.--

  --"-- Irma. Roman. 3. Aufl.                                   "  4.--

  --"-- Hildegard Mahlmann. Roman. 4. Aufl.                     "  4.50

  --"-- Ein Mecklenburger. Roman. 3. Aufl.                      "  4.--

  --"-- Novellen                                                "  4.--

  --"-- Opus 23 und andere Geschichten. 2. Aufl.                "  4.--

  --"-- Die Osterinsel. Roman. 6. Aufl.                         "  5.--

  --"-- Vater Robinson. Roman. 3. Aufl.                         "  4.--

  --"-- Familie Roland. Roman. 3. Aufl.                         "  4.--

  --"-- Die Rothenburger. Roman. 9.-11. Aufl.                   "  4.--

  --"-- Der Sänger. Roman. 4. Aufl.                             "  5.--

  --"-- Die Schwestern. Roman. 2. u. 3. Aufl.                   "  4.--

  --"-- Sommerfäden. Roman. 2. u. 3. Aufl.                      "  4.--

  --"-- Am Strom der Zeit. Roman. 2. u. 3. Aufl.                "  4.--

  --"-- Die Tochter. Roman. 2. u. 3. Aufl.                      "  4.--

  --"-- Vater und Sohn und andere Geschichten. 2. Aufl.         "  4.--

  --"-- Villa Maria. Roman. 3. Aufl.                            "  4.--

  --"-- Große Zeiten und andere Geschichten. 3. Aufl.           "  4.--

  ~Wildenbruch, E. v.~, Schwester-Seele. Roman.
          20. u. 21. Aufl.                                      "  5.--

  ~Wohlbrück, Olga~, Die neue Rasse. Roman. 2.-5. Aufl.         "  6.--

  ~Worms, C.~, Aus roter Dämmerung. Baltische Skizzen. 2. Aufl.  "  3.50

  --"-- Du bist mein. Zeitroman. 2. Aufl.                       "  5.--

  --"-- Erdkinder. Roman. 4. Aufl.                              "  4.50

  --"-- Die Stillen im Lande. Drei Erzählungen. 2. Aufl.        "  4.--

  --"-- Überschwemmung. Eine baltische Geschichte. 2. Aufl.     "  3.50

Für geheftete Exemplare beträgt der Preis 1 Mark weniger





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE FLUCHT DER BEATE HOYERMANN ***


    

Updated editions will replace the previous one—the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for an eBook, except by following
the terms of the trademark license, including paying royalties for use
of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for
copies of this eBook, complying with the trademark license is very
easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation
of derivative works, reports, performances and research. Project
Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may
do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected
by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark
license, especially commercial redistribution.


START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE

PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase “Project
Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg™ License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

    This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
        the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
        agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.