Königin Heimat : roman

By Rudolf Greinz

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Title: Königin Heimat

Author: Rudolf Greinz

Release date: January 17, 2025 [eBook #75128]

Language: German

Original publication: Leipzig: L. Staackmann Verlag, 1921

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KÖNIGIN HEIMAT ***



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                    Anmerkungen zur Transkription:

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                            [Illustration]




                            =RUDOLF GREINZ=

                           =Königin Heimat=

                                 Roman


                          34. bis 39. Tausend

                            [Illustration]

                    L. Staackmann Verlag in Leipzig




           Druck der Offizin Haag-Drugulin in Leipzig / 1939


          =Copyright 1921 by L. Staackmann Verlag in Leipzig=

                         =Printed in Germany=




                            Erstes Kapitel


Nach einem ungewöhnlich warmen Vorfrühling war neuerdings der Winter
über Land gezogen. In toller Liebesfreude hatte der junge Lenz
verschwenderisch seine Gaben verschenkt. Im Tale standen nicht allein
die Aprikosenbäume schon in voller Pracht, sondern auch die Kirschbäume
hatten ihr Sehnen nach neuem Leben nicht länger zurückhalten können
und keimten und sproßten, bis ihre Blüten barsten und sie wie Bräute
festlich geschmückt des Geliebten harrten.

Aber es war ein rauher Geselle, dem sie arglos vertraut hatten.
Eisiger Wind durchbrauste nun das Tal und brachte Schnee. Viel Schnee,
wie mitten im Winter. Die blütengeschmückten Äste beugten sich
kummervoll unter der schweren Last, die ihre Herrlichkeit verdarb.
Die Berberitzensträucher an den Wegen neigten die zarten grünen Äste
tief der Erde zu, als strebten sie, voll Scham ihre karge Schönheit zu
verbergen vor dem Wüstling, der sie zu vernichten drohte.

Bang und beklommen schauten die Bauern des Tales zu dem bleischweren
Himmel empor. Wenn jetzt noch der Frost dazu kam, dann war's aus mit
dem Erntesegen. Dann mußten die Blüten erfrieren, und die Frühsaat, die
schon so prächtig aufgegangen war, mußte zugrunde gehen.

Und doch waren sie nicht unvorsichtig gewesen mit dem Anbau und hatten
mit einem Wettersturz gerechnet. Freilich, daß er sich so verheerend
einstellen würde, das hatten sie nicht erwartet.

Gar zu früh in der Jahreszeit war es ja auch nicht mehr. Karsamstag
war's und ging dem Wonnemonat Mai entgegen.

Die Glocken der spitzen Kirchtürme in dem Tal läuteten zur
Auferstehungsfeier. Hell und feierlich durchzitterte der Glockenton
die lautlose Stille der Winterlandschaft, schwang sich von Dorf zu
Dorf und kündete den Bewohnern des engen Tales die Botschaft von der
Auferstehung des Herrn.

Sogar die Schwalben hatten sich heuer geirrt und waren zu früh ins
nordische Land zurückgekehrt. Nun umkreisten sie aufgeregt schreiend
die Dächer der Häuser, unter denen sie ihr junges Heim aufgeschlagen
hatten.

Eine Bachstelze hüpfte über den Weg. Zierlich und äußerst vorsichtig
hüpfte sie von Zaun zu Zaun. Drehte das Köpfchen nach rechts und drehte
es dann nach links, als schüttelte sie unwillig ihr Haupt über solche
Art von Schnee und Frühlingslust.

Ein paar Spatzen hatten sich inmitten der kleinen Talstraße
niedergelassen und suchten in dem Schnee nach Körnern. Sie fanden auch
Futter in den Spuren eines Pferdehaufens, der noch dampfte.

Auf den Höhen der Berge jagte der Wind die grauen Wolken auseinander,
trieb sie in rasendem Lauf vor sich her und öffnete der Sonne einen
Spalt, so daß ihr warmer Strahl tröstend die vielen traurigen
Frühlingskinder küssen konnte.

Wie doch so ein Sonnenstrahl mit einem Male alle Unbill vergessen
machte! Ein Aufatmen durchwehte die Natur. Bachstelzchen reckte, so
hoch es konnte, sein zierliches Köpfchen der Sonne entgegen, neugierig
und mißtrauisch zugleich, als wollte es nicht daran glauben, daß seine
mächtige Freundin nun tatsächlich über Kälte und Schnee Siegerin
bleiben werde. Es plusterte sein Gefieder und wetzte das Schnäbelchen
an dem Holzzaun, auf dem es saß. Zu beiden Seiten schloß der Zaun die
kleine Talstraße von den Feldern ab.

Bachstelzchen sah neugierig und mit klugen Äuglein beobachtend umher
und gewahrte, daß der Schnee, der auf dem Zaune lag, zu glitzern anfing
und unter der milden Macht der Sonne sich langsam löste. Da ließ
Bachstelzchen einen frohen jubelnden Triller ertönen und flog davon,
hinauf zu den hohen Wipfeln der Obstbäume, und erzählte diesen, daß sie
nun nicht mehr zu bangen brauchten um den bräutlichen Schmuck.

Ein stämmiger, groß gewachsener Mann ging mit weit ausholenden
Schritten die Straße entlang. Wuchtig, eilig und selbstbewußt. Er sah
weder nach rechts noch nach links, als er das Dorf durchschritt, und
nickte nur flüchtig dankend für den Gruß, den man ihm bot.

Eine Gruppe von kleineren Kindern sah ihm nach. Etwas schüchtern und
verwundert; denn er war ihnen fremd. Sah auch nicht aus, als ob er aus
der hiesigen Gegend stammte; denn seine Kleidung war kein Bauerngewand.
Und doch wieder schien es, nach der sicheren Art seines Ganges zu
urteilen, daß er ein Kind der Berge war und auch hierher gehören mußte.

Außerhalb des Dorfes zweigte ein Seitenweg von der kleinen Talstraße
ab. Führte im schmalen Pfad zwischen Felsen hindurch und zu einem
steilen Bergwald empor.

Ein langsam feierliches Rauschen, an den vollen Ton einer Orgel
gemahnend, durchbrauste den mächtigen Dom des Hochwalds. So feierlich
und weihevoll war es, daß der stämmige Mann unwillkürlich lauschend und
in fast andächtiger Haltung stehen blieb.

Ein seliges Lächeln verschönte einen Augenblick lang das derbe Gesicht
und verlieh ihm schier einen knabenhaften Ausdruck. Aufatmend nahm
der Mann den dunklen Filzhut von dem Kopf, zog ein großes, farbiges
Taschentuch aus seiner Hosentasche und wischte sich, vom raschen Gehen
erhitzt, den Schweiß aus der Stirne.

Eine breite, brutal hohe Stirne bildete den Abschluß des großen, dicken
Kopfes. Das Gesicht war schwammig, braun und aufgedunsen, und die
dunklen, etwas hervorquellenden Augen hatten einen harten, energischen
Ausdruck.

Von festem, unbeugsamem Willen zeugte auch das kurze, massige Kinn und
der breite Mund, dessen auffallend wulstige Lippen nur spärlich durch
einen dunklen Schnurrbart bedeckt wurden. In das schüttere Haupthaar
hatte sich schon stark die graue Farbe gemengt. Wie der Mann jetzt
entblößten Hauptes dastand, konnte man deutlich gewahr werden, daß er
wohl schon über ein halbes Jahrhundert gesehen haben mochte.

Eine geraume Weile hindurch lauschte er reglos der feierlichen Sprache
des Waldes; dann aber entriß er sich gewaltsam dem Zauber, der ihn
gebannt hielt.

Immer mehr gewann die Sonne jetzt an Macht und leuchtete sieghaft und
strahlend über das Tal, vergoldete die schneeigen Spitzen der Berge und
zauberte glitzernde Tropfen von den Ästen der Bäume.

Die dunklen Fichten schüttelten unwillig die Schneelast von sich und
neigten dann ihre Wipfel freundlich einander zu, als erzählten sie sich
die Märe, daß zu ihren Füßen ein Mann ging, der ihnen wohl bekannt war,
den sie aber lange nicht mehr gesehen hatten.

Und lange war es auch her, seit Veit Galler diesen Weg zum letzten Male
geschritten war. Völlig noch jung war er damals gewesen und jung und
ungebrochen das Weib, das ihm zur Seite ging.

Wie der Veit so dastand inmitten der feierlichen Schönheit der Natur,
überkam ihn ein wehmütiges Erinnern an vergangene Tage, und ein
ungewöhnlich weicher Ausdruck milderte die Härte seiner Augen. Nur ganz
kurz und flüchtig. Dann setzte der Mann mit fester Hand den breiten
Filzhut auf den mächtigen Kopf und stieß wuchtig und hart die Spitze
des kurzen Stockes auf den steinigen Boden des Waldes. Der knirschende
Laut der eisernen Spitze des Stockes bewirkte, daß ein paar Krähen in
der Nähe aufgescheucht wurden und mißtönig kreischend davonflogen.

Vom Tal herauf, dort, wo der Wiesenpfad aufhörte und in den steinigen
Waldweg überging, erklangen im gleichmäßigen Abstand jugendlich
elastische Schritte. Ein helles Lied ertönte zweistimmig aus jungen
Männerkehlen.

Veit Galler hatte den Rand des Waldes erreicht. Ein kleines Wiesental,
eingeengt von Bergen, breitete sich in sanftem Anstieg vor ihm aus.

Sein Blick schweifte über das Tal, aus dem er soeben gekommen war. Da
lag, dem Norden zu, ein stattlich behäbiges Dorf.

Die weißen Mauern der Häuser leuchteten auf, vom Sonnenglanz getroffen.
Ein grüner Kirchturm wies, gleich einem spitzen Finger, gegen Himmel,
und das kleine, goldene Kreuz des Turmes funkelte wie ein goldener
Tautropfen.

Der schmale Gebirgsbach durchschlängelte wie ein smaragdenes Band in
anmutigen Windungen das Tal. Die samtbraunen Holzhäuser, die weich in
Wiesen eingebettet, einzeln und in Gruppen bis hoch hinauf die Berge
zierten, ließen ihre winzigen Fensterchen im Sonnenglanze gleich
Diamanten auf dunklem Grunde schimmern.

Ein ernster, düsterer Berg mit breitem Rücken schloß das Tal beinahe
hermetisch von der Außenwelt ab. Zackige Bergspitzen bauten sich im
Süden auf und lugten neugierig über die Höhe des kleinen Hochtales,
das Veit Galler mit weit ausholenden Schritten jetzt durchwanderte.

Ein regelrechtes Bergtal war es, mit schmalem Pfad und einem winzigen
Bächlein. Einige Bauernhöfe, alt, verwittert und aus Holz gebaut, lagen
verstreut umher. Abgesondert voneinander und nur durch einen schmalen
Fußsteig miteinander verbunden.

An einem dieser kleinen Holzhäuser mußte Veit Galler vorbeigehen. Das
lag zu tiefst im Tal und hatte einige Meter ebenen Bodens vor sich.

Ein paar Bretter querten das Bächlein, das im eiligen Lauf von dem
jäh ansteigenden Berg herablief. Eine hohe Felswand, zerklüftet und
zum Teil mit niederem Strauchwerk bewachsen, stand wie ein drohender
Wächter über diesen Ansiedelungen der Menschen.

Der Schnee zeichnete scharf und kantig die Risse des grauen Felsens,
und wie ein weiches, duftiges Schleierband fiel das Bächlein
silberfarbig über die hohe Felswand. Grub sich dann eiligst in die
Bergmatten, floß, geschäftig murmelnd, in rasendem Lauf bis herab
zu dem Holzhaus in der kleinen Ebene und trennte das Haus von dem
gleichfalls aus Holz gebauten Stadel.

Das Haus stand niedrig, wie erdrückt von der Größe seiner Umwelt. Es
war mehr breit als hoch; denn gleich über dem Erdgeschoß ragte schon
das mit Steinen beschwerte Schindeldach herein. Um das Haus, zu dem
ein paar holprige Steinstufen hinanführten, lief ebenerdig eine kleine
Holzaltane. Ohne Schmuck und Zier und nur von dem tief hereinhängenden
Dach schützend gedeckt.

Ein kleiner, blonder Bub, rotwangig und dickköpfig, saß auf der
Schwelle des Hauseinganges. Das hübsche Gesicht war ungewaschen, das
glatte Haar zerzaust und das Näschen feucht.

Der Bub steckte, als er Veit Galler erblickte, vor Verwunderung über
den fremden Mann gleich die ganze Faust in den Mund, glotzte ihn blöde
an und wußte nicht recht, sollte er jetzt davonlaufen oder lieber laut
zu schreien anfangen.

Der Ausdruck des Erstaunens in dem kleinen pausbackigen Gesicht war so
komisch, daß Veit Galler stehen blieb und das Bübl freundlich anredete.

»Wie hoaßt nacher du?« frug er gutmütig und in der Mundart dieser
Gegend.

Der Knirps, der ungefähr sechs Jahre zählen mochte, erhob sich,
spreizte die dicken, kurzen Beine, die in derben langen Hosenröhren
staken, auseinander, wischte sich mit dem Ärmel seiner grauen
Lodenjoppe den Rotz von der Nase und schwieg.

»Kannst nit reden, Bua? Wie du hoaßt, möcht' i wissen!« Veit Galler
schob den Filzhut aus der Stirn und stützte sich mit beiden Händen auf
seinen kräftigen Stock.

Freundlich lachend sah er auf den Kleinen herab, wobei sich die dicken
Lippen auseinander schoben und ein gesundes, raubtierartiges Gebiß
sehen ließen.

Die laute Stimme des Mannes lockte noch mehr Kinder aus dem Innern
des Hauses. Gleich zu viert kamen sie angerannt. Zwei Buben und zwei
Mädeln, bloßfüßig und nicht sehr sauber in ihrer Kleidung.

Veit Galler fletschte sein Raubtiergebiß und meinte anerkennend: »No
mehr Kinder? Wieviel seid's nachher?«

»Elfe!« sagte das größte Kind, ein Mädel mit strohblonden, dünnen
Zöpfen, zog die Schürze über das Gesicht und lief dann, erschrocken
über die eigene Kühnheit, in den dunklen, niedern Hauseingang zurück.

»Elfe! Und du bist der jüngste? Ha?« frug Veit Galler den kleinen
stämmigen Buben, der zuerst dagewesen war.

»Naa!« sagte sein älterer Bruder und rannte, über seine Heldentat
lachend, hinter der Schwester her.

»Tut's enk fürchten vor mir?« frug Veit Galler gutmütig und neigte
sich tief zu den drei Kindern, die wie Schafe eng aneinander gedrückt
dastanden und ihn mit neugieriger Scheu, jedoch sehr eingehend
betrachteten.

»Naa!« schrien sie alle drei zugleich, und flugs eilten sie, eines
hinter dem anderen, in das Innere des Hauses zurück.

Nun kam ein junges Mädel zum Vorschein. Blutjung war sie und
bildhübsch. Klein und zierlich, mit auffallend blassem Gesicht, dunklem
Haar und leuchtenden blauen Augen.

Ein voller kirschroter Mund war wie zur Frage halb geöffnet. Zwei
dunkle Zöpfe umrahmten den feinen Kopf, und nur mühsam hielt das
schmale, schwarze Samtband die kleinen Löckchen zurück, die sich unter
der Haarkrone eigenwillig loslösen wollten und auf die niedere Stirne
des Mädels fielen.

Das Mädel war ärmlich, aber sauber gekleidet, trotzdem sie gerade von
der Arbeit weggelaufen sein mußte. Die dunkelfarbige Schürze war zum
Teil naß. Die Ärmel ihrer dunklen Jacke waren zurückgesteckt, und die
bloßen Arme glänzten rot und feucht und waren mit Seifenschaum bedeckt.

»Teufel!« nickte Veit Galler. »Das lass' i mir g'fallen!« Dabei strich
er sich mit der Hand über den Schnurrbart und reckte sich zu seiner
ganzen stattlichen Größe empor.

Eine tiefe Röte überzog das zarte Gesicht des Mädels unter den
bewundernden Blicken des Fremden.

»Sein das deine G'schwister?« Veit Galler deutete mit dem dicken Finger
seiner plumpen Hand gegen das Hausinnere, und als das Mädel bejahend
nickte, frug er weiter: »Wie hoaßt man's nacher bei enk da?«

»Mei' Vater ist der Söllerbauer!« antwortete das Mädel jetzt mit
heller, wohlklingender Stimme.

»Söllerbauer?« wiederholte der Fremde nachdenklich. »Den müsset i döcht
aa kennen.«

»Seid's nit von da?« frug jetzt das Mädel und sah forschend zu dem
Manne auf.

»Wohl!« nickte der Fremde. »Eigentlich schon. Wirst mi aber
nit kennen.« Sein breiter Mund zeigte noch mehr wie zuvor die
Raubtierzähne. »Vom Bergl drent bin i dahoam.« Er wies mit dem Stock zu
der Anhöhe, die den bewaldeten Abschluß des kleinen Hochtales bildete.
»Wirst schon g'hört haben vom Kramer Veit, ha?« grinste er.

»Der in Amerika ist?« forschte das Mädel neugierig.

»Dersell'!« nickte der Fremde bestätigend. »Der bin i!« fügte er
selbstbewußt hinzu.

Fast ängstlich drückte sich das Mädel an die braune Holzwand ihres
Vaterhauses.

»Brauchst di nit z'fürchten, Madel ...« begütigte der Kramer. »I friß
di nit!« lachte er dann mit seinem breiten, gutmütigen Grinsen.

»I fürcht' mi nit!« erwiderte das Mädel resolut. »I fürcht' mi
überhaupt nit!« wiederholte sie, und ein leichtes Zittern spielte dabei
um die Winkel des kleinen vollen Mundes.

»Na, na!« machte der Kramer Veit zweifelnd. »Wird nit a so weit her
sein mit der Kuraschi.«

»Wollt's nit einer giahn rasten?« lud ihn jetzt das Mädel ein. »Habt's
no a Stuck Weg bis hoam.«

Noch ehe Veit Galler der Aufforderung folgen konnte, bogen zwei
Burschen um die Ecke des Stadels.

»Ah, Regerl!« grüßte der größere von den beiden. »Magst mitgiahn aufi
aufs Alpl?«

Das Gesicht des Mädels verfinsterte sich, als sie mit flüchtigem Blick
die Ankömmlinge streifte und sich dann wie geärgert abwandte.

»Naa!« sagte sie kurz, und ohne auf die Burschen weiter zu achten, lud
sie den Kramer Veit nochmals ein, ins Haus zu kommen. »Kömmt's einer
in die Stuben, Kramer. A Glasl Schnaps ...«

»Du, Regerl, an Schnaps mögen mir aa. Gelt, Florl?« sagte der größere
und kräftigere der beiden jungen Männer lustig.

Sie mochten beide im gleichen Alter sein. Beide wohl kaum über zwanzig
Jahre, hübsch und schlank gewachsen. Nur war der Florl um beinahe einen
Kopf kleiner als sein Kamerad, aber biegsam wie ein junger Tannenbaum
und geschmeidig wie eine Gemse. Das Gesicht war zart und so fein wie
das Gesicht eines jungen Mädchens. Ein brauner, krauser Bart rahmte es
ein, und kleine, helle Augen sahen scharf und listig und unternehmend
zugleich in die Welt.

Die Burschen waren beide im Feiertagsgewand. Der hellgraue kurze
Lodenrock mit den schwarzen abgesteppten Sammetstulpen an den Ärmeln
brachte den jugendlich kräftigen Wuchs aufs vorteilhafteste zur
Geltung. Die dunklen Filzhüte waren mit Rosmarinzweiglein geziert und
saßen keck und schief, tief ins Gesicht gedrückt.

»Hast koa Nagele für'n Huat, Regele?« fragte der Florl und versuchte
dem Mädel in das abgewendete Gesicht zu schauen.

»Naa!« sagte das Mädel, ohne ihn anzublicken. »Wenn jetzt no nix blühen
tut. Weißt wohl.«

Ihr Ton war nun weniger barsch, jedoch ausweichend und leicht verlegen.

»Habt's ös zwoa so schön g'sungen da drunten?« erkundigte sich Veit
Galler und deutete mit dem Kopf in die Richtung des Haupttales, wo
in weiter Ferne das große, behäbige Dorf lag, mit den weißglänzenden
Häusern und der blaßgrünen Kirchturmspitze.

»Habt's uns wohl g'hört?« frug der Florl mit seiner hohen Tenorstimme
übermütig zurück und rückte sich den Hut weit aus der Stirn.

»'s war ja laut g'nug, daß i enk hab' hören können!« lachte der Kramer.
»Und du ...« wandte er sich an den größeren der beiden Burschen, »du
hast ja a sakrisch gute Stimm'! Könntest dir a schian's Geld verdienen
mit dera Stimm' ... wann d' möchtest.«

»Mei!« machte der Florl geringschätzig. »Er singt ja nur die zweite
Stimm'. I sing' die erste!« erklärte er wichtig und mit Stolz.

»Was ist's nacher mit dem Schnaps, Regerl?« gab sein Kamerad dem
Gespräch eine andere Wendung. »So a Stamperl können wir leicht
vertragen, bevor wir aufs Alpl aufi giahn, ha, Florl?« Scherzhaft
drängte er das Mädel vor sich her in das Haus hinein und zwängte es
übermütig an die braune, rohgezimmerte Holzwand des Eingangs.

»Wann i iatz koan Schnaps kriag, Madel, kriag i a Bussel!«

Wie ein junger Bär stand er vor ihr, groß und kräftig und voll von
tollpatschigem Übermut.

Die Arme hielt er ausgebreitet vor dem kleinen Mädel, das sich tapfer
gegen seine Zärtlichkeiten wehrte. Mit beiden Fäusten schlug sie
unbarmherzig auf ihn ein und stieß mit den Füßen um sich, ohne zu
achten, wohin sie ihn traf.

»Aus laßt mi!« schrie sie, hochrot vor Zorn. »Lackel, damischer!«

Der Bursch lachte ihr gutmütig ins Gesicht und beugte sich zu ihr
herab. Ihre Püffe und Schläge machten offenbar nicht den geringsten
Eindruck auf ihn.

»Da schaug oaner an, was dös für a wilder Teufel sein kann!« neckte er
sie. »Magst aufpassen, Florl! Die hat Haar' auf die Zähnd!«

»Laß mi in Fried', du!« Das Regerl wehrte sich noch immer gegen den
starken Griff des Burschen, der sie wie mit Eisenschrauben fest
umklammert hielt.

»An Schnaps oder a Bussel?« fragte der Bursch und machte Miene, sich
das letztere gewaltsam zu nehmen.

Unvermutet stieß ihm der Florl kräftig seinen Fuß in den Rücken.

»Au ... du!« machte der andere, ließ von dem Mädel ab und ballte die
Fäuste gegen den Florl.

»Laß 's Madel in Fried', Wastl!« sagte der Florl drohend und mit
finsterem Gesicht.

»Wöllt's raffen?« lachte der Kramer Veit breit und dröhnend.

»Naa!« machte der Wastl gutmütig. Er hatte jetzt gar keine Absicht
mehr böse zu werden, sondern begriff, daß er in seinem Übermut zu weit
gegangen war.

»Sein wir wieder gut, Regerl?« Freundlich und beinahe bittend hielt er
dem Mädel seine große, breite Arbeitshand entgegen.

»I sag's der Vef!« schmollte das Regerl schon halb versöhnt und
rieb sich mit der flachen Hand die Oberarme, die der Wastl so fest
umklammert hatte. »Völlig blaue Fleck' hat er mir druckt ... der Ruach
... der ungute!« schimpfte sie geärgert.

»Bist schon du ungut!« lachte der Wastl und zeigte zwei Reihen gesunder
Zähne, die blendend weiß in dem dunklen, bartlosen Gesicht leuchteten.

»Hast du jetzt alleweil an Grant ...« wollte er ihr Vorwürfe machen,
aber der Florl zog ihn am Rockärmel gewaltsam mit sich fort, hinein in
die Stube, wo der Kramer Veit bereits im Herrgottswinkel breitspurig
Platz genommen hatte.

»Fein habt's es!« lobte der Kramer, streckte die Füße weit von sich
und lehnte sich so behaglich an das braune Holzgetäfel, als wäre es
eine weichgepolsterte Sofalehne. »Tut das gut!« machte er aufatmend. »I
sag's ja! Schian ist's auf der Welt! Aber am allerschönsten ist's döcht
bei uns in Tirol herin.«

Die beiden jungen Burschen setzten sich zu ihm, jeder an eine andere
Tischecke, und sahen mit leichter Verlegenheit auf ihn. Sie wußten
nicht recht, was sie mit dem Fremden reden sollten.

Der gelbe, unförmliche Kachelofen, der gleich neben der Tür in der Ecke
stand und einen großen Teil des freien Raumes einnahm, sprühte eine
wahre Gluthitze.

Den beiden Burschen wurde es schwül in ihren lichtgrauen Lodenröcken,
und sie zogen dieselben aus und warfen sie in kühnem Schwung seitwärts
über die Achsel, so daß nur die eine Hälfte der Schulter davon bedeckt
wurde, während man auf der andern Seite der Achsel das blühweiße
Leinenhemd mit den langen Ärmeln sehen konnte.

Die Stube war ein mäßig großer, niederer und düsterer Raum. Vier
winzige Fenster, an zwei Seiten des Eckzimmers verteilt, ließen
nur wenig von dem hellen Tageslicht eindringen. Die Fenster waren
vergittert und ohne Vorhang, und die Scheiben waren trübe und
ungeputzt.

Ein viereckiger, rohgezimmerter Tisch stand in der Stubenecke. Kleine
Heiligenbilder in grellbunten Farben zierten die Ecke nebst dem großen,
unschönen Kruzifix. Eine Holztaube, das Sinnbild des heiligen Geistes,
die einmal weiß gewesen sein mochte, jetzt aber schmutziggrau aussah,
hing von der rauchgeschwärzten Stubendecke herab und baumelte an einem
dünnen Faden über dem Tisch.

Eine Holzbank lief längs der Wände entlang und endigte dann als
Ofenbank. Es gab weder Stuhl noch Hocker in der Stube. Nur zwei Bänke
ohne Rückenlehne standen an dem Tisch, und auf ihnen hatten sich die
beiden Burschen niedergelassen.

In einem Holzgehäuse, zur rechten Seite der Türe, war eine alte Wanduhr
eingebaut. Das Gehäuse war wurmstichig, und die bunt gemalten Blumen
waren arg verblaßt.

An der Spitze dieser Uhr aber standen in weißen Farben zwei Namen
geschrieben. Es waren offenbar die Namen der Eltern des jetzigen
Besitzers; denn die Ziffern, welche die beiden Namen trennten, wiesen
eine Jahreszahl auf, die beinahe fünfzig Jahre zurücklag.

In der Stube roch es unangenehm nach saurer Milch und ausgelassenem
Butterschmalz, ein Geruch, der augenscheinlich von der daneben
gelegenen Küche hereindrang. Ein kleines Schubfenster, das offen stand,
gewährte den Ausblick in die rußige, beinahe ganz dunkle Küche mit dem
offenen Herd, auf dem ein Feuerchen lustig flackerte.

Eine Frau in mittleren Jahren streckte neugierig ihren Kopf durch das
Schubfenster.

»Grüß Gott, Bäurin!« grüßte sie der Florl, der gerade mit dem Gesicht
ihr zugewendet dasaß und so der erste war, der sie gewahr wurde.

»Grüß Gott aa!« kam es etwas mürrisch und verdrossen zurück. »Geht's
Feuer machen aufi?« erkundigte sie sich dann mit lässiger Neugierde.

»Ja. Aufs Alpl aufi!« bestätigte der Florl.

Die Kinder hatten sich in die Stube hineingedrängt. Ein halbes Dutzend
an der Zahl und wie die Orgelpfeifen in allen Größen. Sie waren alle
mangelhaft gekleidet, bloßfüßig und sahen schmutzig und ungewaschen aus.

Ein paar der größeren Buben kletterten auf die Ofenbank und liefen
barfüßig, wie sie waren, die Bank entlang, flüsternd und kichernd und
einer über den andern stolpernd.

Die kleineren Kinder drückten sich langsam in die Nähe des Tisches und
starrten mit offenem Munde auf den Fremden, über dessen Anblick sie
sich ersichtlich noch immer nicht beruhigen konnten.

Die Mutter schimpfte mit schriller Stimme aus dem Küchenfenster.

»Werd's aber giahn von der Bank oder nit! Wart' ... i kimm enk!«

Diese Drohung hatte aber nur die Wirkung, daß sie in offenbarem
Ergötzen über den Ärger der Mutter sich mutwillig und polternd von
der Bank herabfallen ließen und sich in einem Haufen am Boden balgten
und ausgelassen Purzelbäume schlugen. Dies wieder bereitete den
andern Kindern ein solches Vergnügen, daß sie sich mit Geschrei und
Gelächter gleichfalls an der Balgerei am Boden beteiligten und so einen
Höllenspektakel verursachten.

Jetzt kam das Regerl in die Stube. Sie trug eine große Schnapsflasche
in der Hand und stellte sie auf den Tisch hin. Dann holte sie aus
einem Seitenkästchen, das in der getäfelten Wand seitwärts des Tisches
angebracht war, ein paar kleine derbe Gläser und goß Schnaps in jedes.

»G'sundheit, Kramer!« sagte sie freundlich und stellte ein volles Glas
vor ihn hin.

»B'scheid tun!« meinte der und hielt ihr das Glas zum Antrinken
entgegen.

Das Mädel nippte leicht und stellte das Glas dann wieder auf den Tisch.

»G'sundheit, Regerl!« stießen nun auch der Florl und der Wastl mit ihr
an.

Die Bäurin trat jetzt mit gemächlichem, etwas schleppendem Gang in die
Stube. Die Neugierde hatte sie hereingetrieben; denn sie wollte den
fremden Besucher doch etwas genauer betrachten.

Sie war nicht allein, sondern hatte ein unförmlich dickes, zappelndes
Kind, das kaum laufen konnte, an ihrem Rocksaum hängen. Die Bäurin war
nicht viel größer wie das Regerl, aber kräftiger als die Tochter und
sah sehr bequem und etwas verdrießlich zugleich aus.

Das Gesicht war sonnverbrannt und schon voll Furchen, war aber trotzdem
noch immer hübsch und sah der Tochter auffallend ähnlich. Die Bäurin
war aber nicht so sauber und ordentlich gekleidet wie das Regerl,
und ihre dunklen Zöpfe, die sie gleichfalls zur Krone gewunden um
den Kopf trug, bekundeten immer eine starke Neigung, ihren Halt zu
verlieren, und mußten von Zeit zu Zeit festgesteckt werden. So hatte
die Bäurin, während sie sich neben dem Fremden auf die Bank niederließ
und ihn seitwärts eingehend und sehr genau musterte, eine fortwährende
Beschäftigung für ihre Hände.

Das unförmig dicke Kind im langen dunklen Kittelchen saß ihr zu Füßen
und bemühte sich vergeblich, unter den Rock der Mutter zu kriechen.
Es hatte offenbar Angst vor dem Fremden und wollte sich vor ihm
verstecken. Da ihm das nicht gelang, fing es in langgezogenen Tönen zu
schreien an.

»Kinder habt's amal g'nug, Bäurin!« lachte Veit Galler und hielt ihr
einladend sein Schnapsglas hin.

»'s tut si schon!« machte die Bäurin gleichgültig, nachdem sie
getrunken und sich mit der flachen Hand den Mund abgewischt hatte.
Dann setzte sie gleich wieder die Beschäftigung mit ihrer Haarkrone
fort. »Können nia z'viel sein zu der Arbeit. Weißt wohl!« fügte sie
erklärend hinzu.

»Jatz aber machen sie amal Arbeit, stell' i mir für!« meinte der Kramer.

»'s tut si schon!« sagte die Bäurin achselzuckend. »Wir machen's nit a
so hoakel. Weißt wohl ...«

»Die Arbeit tut halt 's Regerl!« warf der Florl boshaft ein.

Ein unfreundlicher Blick der Mutter traf den Burschen.

»Geht's di was an?« frug sie scharf.

Das Regerl hatte das schreiende Kind vom Boden aufgenommen und sich mit
ihm auf die Bank zum Ofen gesetzt. Da saß sie nun und spielte mit ihm
und achtete nicht weiter auf die Gäste.

»Ist der Bauer nit dahoam?« erkundigte sich jetzt der Kramer.

»Naa!« Das Weib schüttelte verneinend den Kopf. »Ist Kirchen gangen
mit'm Franzl.«

»Und der Seppl und der Hannes sein mit die Perlmoserischen aufs Alpl
gangen zum Feuer anzünden!« berichtete jetzt einer von den Buben, die
am Boden lagen, wichtig und schob sich näher an den Tisch heran.

»Ist die Vef aa derbei?« forschte der Wastl interessiert.

»Woaß nit!« meinte der Bub achselzuckend. »Kann leicht dabei sein.«

»Mir werd'n iatz giahn müssen, Florl!« mahnte der Wastl zum Aufbruch.

»Hast es so eilig?« frug die Bäurin spitz.

Der Florl kam seinem Kameraden zu Hilfe. »Wir müssen ja no Holz
sammeln, und a Stuck Weg ist's aa no aufi.«

Als sich die Burschen erhoben, schloß sich ihnen der Kramer an. »A
Stückl hab'n wir no den gleichen Weg!« sagte er sich entschuldigend zu
der Bäurin.

»Wo bleibst nacher du?« erkundigte sich die Bäurin, die bis jetzt eine
direkte Frage nach der Herkunft des Fremden vermieden hatte.

»Im Dörfl enten bin i dahoam!« erwiderte dieser. »Der Kramer Veit bin
i!« fügte er breit und selbstbewußt hinzu.

»Dersell'?« Unfreundlich und neugierig zugleich sah die Bäurin zu dem
hochgewachsenen Manne auf. »Bist lang ausg'wesen!« meinte sie dann.
»Die Notburg wird di völlig nimmer kennen.«

»I werd' mi ihr schon zu derkennen geben!« lachte der Kramer Veit laut
und polternd und fletschte sein Roßgebiß. »Die Notburg ist dös schon
g'wöhnt von mir.«

Die Bäurin erhob sich nun gleichfalls von der Bank, auf der sie
gesessen hatte.

»Wie lang ist's her, daß du fort bist auf Amerika?« frug sie und machte
sich neuerdings mit ihren Zöpfen zu schaffen.

»So an die zehn, zwölf Jahr' werden's sein!« lachte der Kramer Veit.

»Oder no länger!« sagte die Bäurin nachdenklich. »I moan, 's Regerl hat
damals no nit amal recht laufen können. I denk's no, als ob's gestern
g'wesen wär'. Bin mit ihr damals im Ladele g'wesen bei der Notburg.
Da bist g'rad a paar Wochen dahin g'wesen, und die Notburg hat mir
recht derbarmt. Und dem Regele hat sie so a schian's Bischkotenherz
g'schenkt. Mir ist völlig fürkömmen, sie hat g'reart g'habt. Aber woaßt
wohl! Fragen hat man die Notburg nia nix derfen. Dös war' alleweil
g'fahlt g'wesen. So an Stolz wia sie g'habt hat.«

Ganz gesprächig war jetzt die Bäurin mit einem Male geworden und auch
ganz zutraulich, während dem Manne, der da vor ihr stand, bei der
Erzählung der Frau offensichtlich immer schwüler und unbehaglicher
wurde. Sein dicker roter Kopf schien noch röter. Das gutmütige Lachen
verschwand vollständig aus seinem Gesicht, das wieder hart und roh
erschien.

»Weiß die Notburg, daß Ihr kommt's?« mischte sich jetzt das Regerl in
das Gespräch. Sie war mit dem Kinde auf dem Arm zu der kleinen Gruppe
getreten, die sich nun verabschiedete.

Veit Galler schüttelte den Kopf.

»Naa!« sagte er und hatte schon wieder den gutmütig freundlichen
Gesichtsausdruck. »I geh' und i komm' g'rad wie's mir paßt. Bin aa
koaner, der viel schreibt. Und bis so a Brief amal zu uns einer kimmt,
da ist man völlig schneller von Amerika herenten!« lachte er.

»Wie lang habt's nacher ummer braucht, Kramer?« erkundigte sich der
Florl interessiert.

»Mei!« Der Kramer zuckte die Achseln. »All's in allen a paar Monat. Man
zählt's gar nimmer, so lang kommt's einem vor.«

»Geh, Florl, geh'n wir!« drängte der Wastl, dem die Erzählung schon
viel zu lange gedauert hatte und der schon die ganze Zeit hindurch den
Florl durch Zeichen zum Aufbruch gemahnt hatte.

»Mei, hast du an Eil!« höhnte das Regele schnippisch. »Wirst's wohl no
epper dermachen, ha?«

Man war jetzt vor die Haustüre getreten. Der Wastl zog, ohne auf das
Regele weiter zu achten, eilig seinen lichtgrauen Lodenrock an und
rückte den schwarzen Filzhut tief ins Gesicht herein.

Dann übersprang er kühn die holprigen Steinstufen und wollte so schnell
er konnte zur Anhöhe hinanlaufen, zu welcher der schmale Wiesensteig
vom Hause weg emporführte.

Das Regele aber ritt der Bosheitsteufel. Sie wußte, weshalb es der
Wastl so eilig hatte, und rächte sich jetzt für seine Neckereien von
vorhin.

»Holla!« rief sie energisch. »Dableiben! An Schnaps habt's kriagt.
Jetzt müßt's oans singen!« befahl sie.

»Natürlich singen!« stimmte der Kramer Veit bei. »Dös g'hört dazu.«

Der Wastl sträubte sich ein wenig.

»An anders Mal singen wir!« meinte er lachend und stieß den Florl, der
ihm nachgekommen war, mit dem Ellbogen an. »Renn'!« flüsterte er ihm zu.

Aber dem Florl war gar nicht um das Rennen zu tun, und er suchte jetzt
dem Regerl einen Gefallen zu erweisen.

»Singen müssen wir schon eins!« meinte der Florl nachdenklich. »Das ist
schon amal so der Brauch, weil wir an Schnaps aa g'habt haben.«

Die Bäurin, umringt von ihrer Kinderschar, stand, die Hände lässig in
die Hüften gestemmt, vor der Haustüre, im Glanze der scheidenden Sonne.

Der Kramer Veit hatte sich breitspurig und erwartungsvoll auf die Bank
vor dem Hause niedergelassen, während das Regele mit dem Kind am Arm zu
den beiden Burschen herabgestiegen war.

»Regerl ...« flüsterte der Florl ganz leise und nur für sie hörbar.

»Laß mi ... du ...« sagte das Mädel unfreundlich und machte sich mit
dem Kinde zu schaffen, das den Florl mit seinen großen, dunkeln Augen
blöde und unverwandt anstarrte und an seinem dicken, roten Fäustchen
lullte.

»Mußt mitsingen, Regerl!« forderte sie der Wastl auf. »Dann gehen wir's
an.«

»I hab' heut' koa Stimm' nit!« sagte das Mädel ausweichend.

»Weil d' nit magst!« widersprach der Wastl geärgert.

Das Mädel zog die Achseln hoch. »Kann aa sein!« meinte sie
gleichgültig.

»Wird's bald?« erklang da die scharfe Stimme der Bäurin vor dem Hause.

Die Burschen sahen ein, daß sie jetzt singen mußten, und einigten sich
rasch durch ein paar Worte über das Lied, das sie zum besten geben
wollten.

Dann stellten sie sich wie regelrechte Sänger in Positur, kehrten
ihre Rückseite den Zuhörern zu, offenbar um ihre eigene Verlegenheit
zu verbergen, und ließen ein helles, fröhliches Lied erklingen. Das
tönte hinaus in den heiligen Frieden der Natur und erzählte von
jugendfrischer Liebe und von der Schönheit ihrer Heimat.

Die steile Felswand, über die sich das silberfarbige Band des kleinen
Baches zog, gab das Echo zurück.

Als das Lied verklungen war, herrschte einen Augenblick lang tiefes
Schweigen. Sogar die Kinder waren ruhig geblieben und wagten sich nicht
zu rühren.

Jetzt meinte der Kramer Veit: »Schön könnt's singen, Buben! Sehr schön.
So was könnt' ein' grad no's Herz auffrischen.«

»Singt's no oans, ös zwoa!« sagte die Bäurin ermunternd.

»I nimmer!« lachte der Wastl und lief jetzt mit weit ausholenden
Schritten seinem Kameraden davon und die sanft ansteigende Wiesenanhöhe
hinauf.

Der Florl suchte verstohlen die Hand des Mädels.

»Wann d' halt do mitgangst, Regerl!« bat er leise und fast demütig.

Jetzt schaute das Mädel zu ihm auf. Es war ein kurzer, flüchtiger
Blick und doch voll von Vorwurf und tiefem Weh.

»Daß du grad so daherreden magst!« sagte sie dann unwirsch und wandte
sich, ohne den Druck seiner Hand zu erwidern, von ihm ab und dem Hause
zu.

Aber der Florl war so leicht nicht loszukriegen. Gewaltsam hielt er
sie zurück. »Aber Feuerlen schaug'n gehst auf d' Nacht, gelt, Regerl?«
flüsterte er innig. »Und das höchste Feuerl ... weißt, ganz droben ...
du kennst ja 's Platzl ... dös ist's meinige. Und i zünd's für di an,
Dirndl! Daß d' es woaßt.«

Nun konnte das Mädel doch nicht anders als lieb sein, und dankbar sah
sie zu dem Burschen auf. Ihre blauen Augen leuchteten, und eine dunkle
Röte übergoß das zarte, auffallend blasse Gesicht.

Der Florl drückte ihr noch rasch die Hand.

»Morgen auf die Nacht, Regerl ...« flüsterte er, und dann eilte er
gewandt und geschmeidig wie eine Gemse dem Wastl nach, der schon einen
tüchtigen Vorsprung gewonnen hatte.

»Sein das zwei Sakramenter!« schimpfte der Kramer Veit gutmütig mit
lautpolternder Stimme. »So a Lungl, wie die haben! Und können nit
amal warten auf unseroans! Ha, Regerl?« Freundlich hielt er dem
kleinen, zierlichen Mädel seine mächtige Hand zum Abschied hin. »Und
vergelt's Gott für'n Schnaps. Und wenn du aufs Dörfl ummikimmst .. a
Bischkotenherz kriagst von mir aa!« lachte er laut und dröhnend.

Mit wuchtigen, weit ausholenden Schritten ging der Kramer Veit jetzt
der Anhöhe des kleinen Bergtales zu.

Die Bäurin und die Kinder vor dem niedern braunen Holzhause sahen ihm
nach, solange sie ihn sehen konnten. Dann, als die massige Gestalt des
Mannes von der Anhöhe verschwunden war, kehrten sie ins Haus zurück.

Das Regele aber, mit dem Kind am Arm, blieb noch lange sinnend stehen.
Sie achtete nicht darauf, daß das Kind unruhig wurde, sondern sah
unverwandt in die Richtung, in der die beiden Burschen den Berg
hinangestürmt waren.

Die Sonne leuchtete nur noch matt auf die höchsten Spitzen der Berge.
Das stattliche Dorf draußen im Haupttal lag schon im Dämmerschein, und
seine weißen Häuser sahen grau und düster aus.




                            Zweites Kapitel


Es dämmerte stark, als der Kramer Veit zum ersten Male seit langen
Jahren sein Heimatsdörfl wiedersah.

Jenseits des kleinen Hochtales fiel der Berg steil ab, und tief drunten
lag auf einem hügeligen Wiesenvorsprung ein winziges Dörflein. Wohl
kaum ein Dutzend Häuser waren es, kleine, braune Holzhäuser, eng um die
Kirche geschart, die keck ihren spitzen Turm gegen Himmel reckte.

Ganz der Sonne ausgesetzt, ohne Wald und mit nur wenigen Obstbäumen,
lagerte das Dörfl auf steilem Wiesenabhang, hart am Ausgang eines
Hochtales, das sich viele Stunden weit bis an die Gletscher erstreckte.

Tief unten im Tal, dort, wo der Wiesenabhang, auf dem das Dörfl war,
aufhörte und steile Felsen eine Schlucht bildeten, brauste der Wildbach.

Drei Hochtäler mündeten hier mit ihren Wildbächen in enger
Nachbarschaft und schluchtartig in das Haupttal ein. Zornig schlugen
die Wellen an die Steine und Felsblöcke, die dem rasenden Lauf der
Wasser hemmend entgegenstanden, und weißer Schaum sprühte jählings in
die Höhe.

Smaragdgrün und sanft leuchtete der Fluß des Haupttales und lud die
drei wildbrausenden Berggesellen ein, ihr Schicksal von nun ab seiner
besseren, milderen Leitung anzuvertrauen.

Veit Galler, der Krämer, blieb, ehe er von der Anhöhe des Berges zu
dem Dörfl herabstieg, überwältigt von dem Ausblick, der sich ihm bot,
stehen.

Beinahe gespensterhaft baute sich die Gebirgswelt der drei Hochtäler in
der Abenddämmerung auf.

Draußen im Haupttal brannten an den Hängen der Berge schon die ersten
Karsamstagsfeuer. Im Dörfl drunten blitzte vereinzelt ein Licht auf.
Im dämmrigen Grau lagen die engen, schluchtartigen Täler, und nur
die Umrisse der gigantischen Bergriesen, zu deren Füßen sie sich
hindehnten, waren noch deutlich zu erkennen.

Veit Galler aber wußte, daß man am hellen Tage von hier oben in eine
wunderbare Welt der Alpen schauen konnte. Kulissenartig schob sich
da Berg an Berg und Wald an Wald, baute sich empor bis zu den kahlen
Felsen und Schrofen, über welche die Spitzen der mit ewigem Eis
bedeckten Ferner ragten.

Vereinzelt standen kleine Hütten in den Tälern und sahen aus wie
winzige Spielzeuge, schier erdrückt von den gewaltigen Bergriesen.

In sehnsuchtsvollen Stunden, in denen das Heimweh mit voller Macht
den Krämer oft befiel, hatte er immer nur dieses eine Bild vor Augen
gehabt, das er jetzt in hereinbrechender Abenddämmerung zum ersten Male
wiederschaute. Das war der Blick von dieser Anhöhe aus, hinein in die
drei Hochtäler mit ihren wildschäumenden Bächen, ihren dunkeln Wäldern
und ihren hohen Bergriesen. Dieser Blick verkörperte seine Heimat und
blieb sein Sehnen in all den langen Jahren, da er in der Fremde weilte.

Veit Galler vergaß die späte Stunde und vergaß, wie nahe er dem Heime
war, in dem sein Weib einsam hauste und wohl auch seiner harrte.

Und sein Herz hämmerte stärker, und seine Füße wurden ihm schwer. Es
war, als ob ihn, da er nun so nahe am Ziel war, die Kräfte verlassen
wollten und eine große Müdigkeit ihn zusammenbrechen ließe.

Das überkam ihn so jäh und gewaltsam, daß der starke Mann, ohne auf den
schneeigen Boden zu achten, sich wie gebrochen niederließ und schwer
den Kopf auf die Arme stützte.

In dieser einsamen Stunde, da er sich seinem Weibe und seinem Heim
so nahe wußte, flammte die Erinnerung an sein vergangenes Leben
übermächtig in ihm auf.

Die Wanderlust hatte den Kramer Veit schon als ganz jungen Burschen
aus der Heimat getrieben. Es gärte in dem jungen Blut und drängte nach
Taten. Die Welt wollte er kennen lernen, wollte sehen, wie es draußen
aussah im Land, in den Dörfern der großen Täler und in den Städten, von
denen er erzählen gehört hatte.

Zu jener Zeit, in der diese Begebenheiten spielen, gab es noch keine
Eisenbahnen, und wer Lust zum Reisen verspürte, mußte entweder wandern
oder sich der Postkutsche anvertrauen. Kein Wunder also, daß die Leute
von damals seßhafter waren wie heutzutage, und daß einer, dem's in der
Heimat zu enge wurde, unangenehm auffiel.

Der Kramer Veit war früh verwaist, ein armes, aber fleißiges und
aufgewecktes Bübl. Als der Metzger draußen von dem stattlichen Dorf
mit den behaglichen, weißen Häusern und dem grünen, spitzen Kirchturm
einmal ins Dörfl heraufkam, um nach Schlachtvieh Umschau zu halten,
fand er Gefallen an dem Veit und nahm ihn mit zu sich in die Lehre.

Von diesem Metzger hatte der Veit das Wandern abgelernt, sagten die
Leute. War ein unruhiges Blut, der Metzger, und hatte nirgends Rast.
Wanderte immer im Lande herum und handelte mit Vieh. Kam bis ins
Salzburgische und hinein nach Südtirol, und einmal war er sogar in Wien
unten gewesen.

Als der Veit älter und verständiger geworden war, da nahm ihn der
Metzger manchmal mit hinaus ins Land. Da mußte er das Vieh auftreiben
zu den Jahrmärkten, die abgehalten wurden.

Dem Veit paßte das Viehtreiben auf die Dauer aber gar nicht, und auch
der Metzgerei konnte er keinen Geschmack abgewinnen.

Resolut und mutig, wie er war, ergriff er die erste Gelegenheit, die
sich ihm bot, und eröffnete einen Handel auf eigene Faust. Er hausierte
mit Waren, handelte mit Schnaps, den die Bauern seiner Heimat im Herbst
aus Obst und Beeren brannten, und er handelte mit feinem Wildleder, aus
dem dann Handschuhe erzeugt wurden.

Der Veit hatte Glück mit seinem Handel und kam auch weit im Land
herum und bis nach Deutschland hinaus. Bald hatte es der Veit so weit
gebracht, daß er ein kleines Gütl in seinem Heimatsdörfl von einer
alten Base übernehmen konnte.

Dann heiratete er die Notburg und richtete einen kleinen Kramladen im
Dörfl ein.

Er und die Notburg hatten einander schon als Kinder gekannt. Hier
oben, an der Stelle, an der er jetzt im Schnee saß und über sein Leben
nachdachte, da hatten er und die Notburg gar oft gesessen, hatten
miteinander geplaudert und gespielt und auch gesungen. Und die hohen
Felswände der Berge jenseits des Baches gaben das Echo ihrer hellen
Kinderstimmen wieder.

Ein Hüterbub war der Veit gewesen, und die Notburg war die Tochter
einer Witwe, die sich bei den Bauern als Schneiderin verdingte.

Schon als Kind mußte die Notburg den Haushalt fast ganz allein
besorgen. Ärmlich und klein genug war er ja. Eine windschiefe Hütte,
baufällig und zerlattert, ein kleines Gärtchen davor und zwei Ziegen im
Stall.

Die Ziegen des Dörfels wurden dem Veit in der schönen Jahreszeit zum
Hüten anvertraut. Mit ungefähr zwanzig Ziegen zog der Bub frühmorgens
aus dem Dörfl, hinauf aufs Joch, dort, wo es die würzigen Alpenkräuter
gab. Und abends kehrte er dann mit seinen Schützlingen wieder zurück.

Wenn die Notburg die Schellen der Ziegen nur von ferne hörte, dann lief
sie, flink wie ein Reh, dem Veit entgegen, um sich ihre Ziegen bei
ihm abzuholen. Dann spielten die beiden Kinder immer erst eine Weile
zusammen und erzählten sich wohl auch die kleinen Erlebnisse des Tages.

Als der Metzger den Veit als Lehrling mit sich fortnahm, da weinte
das kleine Mädel und wollte auch gar keine rechte Liebe mehr für die
zwei Ziegen aufbringen. Sie mochte auch gar nicht mehr zu der Anhöhe
hinaufgehen, wo sie so oft mit dem Veit gesessen war und in die Täler
hinabgesehen hatte. Es gefiel ihr nicht mehr da droben, und sie blieb
lieber im Dörfl herunten und machte sich in der Hütte zu schaffen.

Der Veit aber hatte die einstige Spielgefährtin nicht vergessen, und
obwohl der Weg zu ihr nun stundenweit war, so machte er ihn doch, so
oft er nur konnte.

Und es war immer das gleiche mit den beiden. Obschon oft Monate
dazwischen lagen, bis sie sich wiedersahen, so waren sie sich doch
niemals fremd geworden. Plauderten wie einst als Kinder und vertrauten
einander ihre Zukunftspläne, ihre Wünsche und ihre Sorgen an.

So war aus der Kinderfreundschaft eine regelrechte Jugendliebe
geworden. Bis dann die Unruhe über den Burschen gekommen war und er in
der weiten Welt allein herumzuwandern anfing.

Da sorgte sich die Notburg sehr um ihn und zweifelte, ob er wohl je zu
ihr kommen und sie, wie er gesagt hatte, als sein Weib heimführen würde.

Ein prächtiges, dralles Bauernmädel war die Notburg geworden. Groß und
üppig gewachsen, die dicken, aschblonden Zöpfe um den Kopf gewunden,
und mit einem braungebrannten, bildhübschen Gesicht. Nur die Augen
wollten nicht recht hineinpassen in das frische Bauerngesicht. Die
waren hell und schauten ernst und lachten selten.

Die Notburg war Näherin geworden wie ihre Mutter und ging mit ihr Tag
für Tag zu den Bauern auf die Stöhre.

Bald nähten sie im Dörfl und bald auf den einsamen Berghöfen der
Nachbardörfer. Man hatte sie überall gerne, und wenn die Notburg nicht
gar so abweisend gewesen wäre, dann hätte sie schon öfters Bäuerin auf
einem Berghof werden können.

Es war aber nichts zu machen mit dem Mädel. Sie war einmal zu ernst,
und die Leute fingen an ihr nachzusagen, daß sie hochmütig und stolz
sei.

Als die Mutter starb, hauste die Notburg ganz allein in der baufälligen
Holzhütte. Kümmerte sich nicht viel um die Leute, tat ihre Arbeit und
ging auf Stöhren.

Veit Galler hatte nun so viel Geld aufgebracht, daß er an die Gründung
eines eigenen Heimes denken konnte. Die Leute staunten nicht wenig,
als der Veit das Gütl von der alten Base übernahm, sich den Kramladen
einrichtete und seine Notburg heiratete.

In unmittelbarer Nähe der Kirche war das Heim des jungen Paares.

Lange Zeit hindurch handwerkerte der Veit selber an dem Häusl herum,
das er übernommen hatte. Da gab es viel, was er daran auszubessern und
zu verschönern fand. Mit Lust und Liebe war der junge Kramer bei der
Arbeit und schmückte sein und seiner Notburg Heim von innen und außen.

Neue Fensterläden machte der Veit, strich sie mit grüner Farbe an
und malte bunte Blumen darauf. Die Kinder des Dörfels standen mit
aufgerissenen Augen und Mäulern um ihn herum und bewunderten seine
Kunst.

Das mußte man dem Veit ja lassen. Geschickt war er. Das sagten sie alle
im Dorf. Was der Veit einmal in die Hand nahm, das konnte er auch. Kein
gelernter Maler hätte die Fensterläden schöner machen können, wie der
Kramer Veit das tat.

Als er mit den Fensterläden fertig war, machte er sich daran, einen
schönen Söller rund um das erste Stockwerk seines kleinen Hauses
zu bauen. Strich ihn braun an und schnitzte als Mittelpunkt in das
hölzerne Gitterwerk eine Gemse in Lebensgröße.

Blumenstöcke prangten zur Sommerszeit auf dem Söller, blühende Nelken,
die, in kleine Holzkistchen gesetzt, üppig gediehen und weit über das
braune Gebälk herabfielen. Tiefrote Geranien, grüner, wohlriechender
Rosmarin, Pelargonien und Hortensien in allen Farben, sie alle zierten
und schmückten das Heim des jungen Paares.

Es hieß, daß man weitum gehen müsse, bis man wieder ein so schönes
Häusl fand wie das vom Kramer Veit.

Auch den Kramladen hatte der Veit mit viel Umsicht und Geschick
eingerichtet. So klein er war, so reichhaltig war sein Warenlager.

Da gab es Nägel und Hacken und Zwirn und Strickwolle, Kleiderstoffe und
Stoffe für seidene und baumwollene Schürzen, Bänder und Tücher in allen
Farben und Stoffe für Hemden und Unterröcke. Es gab Kaffee und Zucker,
und ganze Stöße von Seife standen aufgeschichtet herum. Wohlriechende
Seifen waren vorrätig und verlockten die Bäuerinnen zum Einkauf.

Ganze Reihen von Hosenriemen hingen von der niedern Bodendecke
herab. Rosenkränze, aus bunten Glasperlen angefertigt, baumelten
über der Ladenbudel. Es gab Soda und Öl, Bürsten und Besen, und der
durchdringende Geruch von Erdöl schwängerte die Luft des winzigen
Kramladens.

Kerzen aus Talg und Wachsstöcke in allen Größen lagerten in der
Nähe der Eingangstüre, die mit einem kleinen Fensterchen versehen
gleichzeitig als eine Art Auslagekasten diente. Pfeffer und Zimmet gab
es und allerhand fremdartige Gewürze, mit denen die Bäuerinnen nur
wenig anzufangen wußten.

Wenn sie Sonntags nach der Frühmesse zum Einkauf im Ladele waren, dann
belehrte der Kramer Veit eine jede einzelne der Kundinnen über die
Vorzüge der Gewürze und über deren Anwendung, und die Frauen kauften
die Ware und waren stolz auf den Besitz; aber sie benutzten sie nie.

Auch Gebetbücher waren vorhanden, und farbige Heiligenbildchen, lose
und in kleinen Rahmen, hingen in der Nähe der Türe. Blechlöffel,
Schüsseln aus Blech und Schüsseln aus Holz, Krüge und Töpfe und
buntfarbige Schalen standen aufgestapelt am Fußboden umher.

Weiße Zuckerröhrchen und grellrote Zuckerpfeifchen, auf denen man einen
richtigen schrillen Pfiff loslassen konnte, waren für die Kinderwelt
bestimmt. Herrliche Lebkuchen und bunte Zuckerln und ganz hervorragend
gute Biskotenherzen bildeten das Entzücken der bäuerlichen Jugend.

Auf rein gar nichts hatte der Kramer Veit vergessen, und mit allen
Bedürfnissen der Zeit hatte er sein kleines Lager versehen.

Von Zeit zu Zeit nahm der Veit seine Kraxe, belud sie schwer mit
Käselaiben und trug sie hinaus ins Inntal und bis hinauf nach
Innsbruck. Dort veräußerte er den Käs und füllte die Kraxe mit neuer
Ware für seinen Kramladen.

Die Notburg hantierte im Haus herum, pflegte die Blumen am neuen
Söller, pflegte das kleine Gartl am Haus, versorgte den Laden und nähte
in ihren freien Stunden Wäsche und Schürzen und Unterröcke zum fertigen
Verkauf.

Es war alles Glück und stiller Frieden in dem kleinen Häusl am
Kirchplatz. Der Veit und die Notburg hausten gut miteinander, und sie
schienen nur eines für das andere zu leben. Und trotzdem konnte die
Notburg innerlich nie so ganz froh werden. Eine geheime Sorge nagte an
ihr und trübte ihren Blick. Das war die Angst um ihren Mann, die sie
oft plötzlich überfiel und sie ruhelos und schlaflos machte.

Die Notburg fühlte es, noch ehe der Veit es selber so recht wußte, daß
ihn die Heimat anfing zu drücken und zu beengen. Und sie wußte: über
kurz oder lang würde es den Mann hier nicht mehr leiden, und er würde
fortziehen von ihr in eine Welt, die ihrem Sinne fremd war.

In ihrer bangenden Sorge fühlte sie deutlicher, wie er selber das tat,
das erste Wiedererwachen seiner Unrast.

Oft saß das junge Weib in einer der vielen schlaflosen Nächte aufrecht
in ihrem Bett und beobachtete bei dem fahlen Schein des Mondlichtes,
das in die enge Kammer fiel, mit ängstlicher Spannung jeden Zug in dem
Gesicht ihres Mannes, der an ihrer Seite schlummerte. Und angstvoll
sah sie die Unruhe in seinem Gesicht, hörte sie das schwere Atmen der
starken Brust und das rastlose Herumwälzen im Bette.

Sie sah, wie sich die kräftigen Hände zu Fäusten ballten und wie die
Glieder sich wie im Krampfe dehnten und reckten.

Und bei Tage sah ihr scharf beobachtender Blick, wie das Gesicht des
Mannes allmählich den Ausdruck sonnigen Glückes einbüßte, wie es von
Tag zu Tag finsterer und mürrischer wurde, und wie der Veit übellaunig
und wortkarg zu werden begann.

Und die Notburg wußte es mit Bestimmtheit: dies waren die Anzeichen
seiner neu erwachenden Unstetheit, und in heißer Angst betete sie zur
Schmerzensmutter am Seitenaltar der kleinen Dorfkirche mit aller
Inbrunst, deren sie fähig war ...

»Laß mir den Veit, Gottesmutter! Laß ihn nit fortziehen von mir! Laß
mich ein Kind haben, Muttergottes, dann bleibt er lieber bei mir!«

Denn das war der Schatten in der Ehe des jungen Paares. Jahr um Jahr
war vergangen, aber der Kindersegen war ihnen versagt geblieben.

Die Notburg hätte sich mit der Kinderlosigkeit weit eher abgefunden.
Ihr war der Veit alles; aber sie wußte, daß ihr Mann die Kinder liebte.
Und hätten sie nur ein Kind ihr eigen nennen dürfen, wer weiß, ob nicht
doch alles anders für sie gekommen wäre.

So aber kam es, wie es die Notburg in bangen Stunden vorausgeahnt
hatte. Eines Tages war der Veit vor sein Weib hingetreten, hatte ihr
die Hand gereicht und mit scheuem Blick zu Boden geschaut.

»Notburg ...« fing er dann zu reden an, und der Klang seiner sonst
lauten, polternden Stimme war ungewöhnlich weich und innig. »Nimm
mir's nit verübel ...« sagte er stockend und im abbittenden Ton. »I
kann nit anders. I muß fort von da. Von Tag zu Tag hab i's immer mehr
eing'sehen. I pass' nimmer einer da zu enk. Es ist mir alles viel zu
eng umadum ... so eng ... daß i oft mein', i muß dersticken. Lang
hab' i ang'kämpft dagegen ... Notburg ...« fuhr er leise redend fort.
»Kannst mir's glauben oder nit. Weil i dir's nit hab' antun wollen.
Aber jetzt halt' i's nimmer aus, Notburg. I ~muß~ fort.«

Käseweiß im Gesicht war das junge Weib dagestanden, mit hochklopfendem
Herzen und schmalen Lippen. Die preßte sie fest zusammen; denn sonst
hätte sie bei der Rede des Mannes vor Schmerz laut aufgeschrien.

Da sie ihm keine Antwort gab, glaubte der Veit, daß die Notburg es auf
ihre ruhige Art hinnähme und sich gleichmütig damit abfinde. Er faßte
Mut und schaute in das todblasse Frauengesicht.

»Nimm's nit hart, Notburg!« bat er weich und versuchte ihr die eiskalte
Hand zu streicheln. »Nimm's nit hart. Schau ... i kimm ja bald wieder
zu dir zurück. Im Langes bin i wieder da und bleib' bei dir bis zum
Winter. Schau ... grad' der Winter, wenn nit wär'. Der bringt mi um da
bei uns herin. Tag für Tag 's gleiche. Koan Abwechslung und koan Mensch
außer dir, mit dem man a vernünftig's Wörtl dischkurieren könnt'. Und
koa richtige Beschäftigung aa nit. Schau, Notburg, das ist völlig 's
Härtigste für mich. I bin jung und stark, und i ~muß~ arbeiten. I
muß was sehen und derleben, sonst komm' i um. I will arbeiten für dich,
Notburg! Reich sollst sein, wie weit umadum koa zweite mehr, und a
gut's Leben sollst haben. Aber laß mi jetzt fort von da und mach' mir's
nit hart!« -- -- --

Der einsame Mann, der da im Schnee saß und schwer den Kopf in seine
Hände stützte und in der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht
über sein Leben nachdachte, erinnerte sich deutlich an jene erste
Abschiedsstunde. Sie war ihm hart geworden, so hart, wie nichts mehr
seither.

Wohl war die Notburg tapfer geblieben und hatte mit keinem Wort
verraten, wie tief er sie getroffen hatte. Ein Stück des Weges hatte
sie ihn noch begleitet und ihm dann die Hand zum Abschied gereicht.

Es war, als ob der Veit Eis gehalten hätte, so kalt und leblos lag
die Hand der Notburg in der seinen. Und noch viele Wochen hindurch
verfolgte ihn der wehe Blick aus den hellen Augen seines Weibes.

In jener ersten Nacht, in der die Notburg mutterseelenallein in ihrem
Häusl zurückgeblieben war, schrie das Weib wie ein todwundes Tier. Sie
preßte den Mund in das Kopfkissen, um die wilden Schreie ihrer Not zu
dämpfen. Niemand sollte hören, wie sie litt, und kein Mensch sollte
ahnen, wie es innerlich um sie stand.

Ein scharfer Zug um die Winkel ihres Mundes prägte sich seit jener
Nacht in dem hübschen Gesicht ein. Er machte sie um Jahre älter und
ließ sie bitter und vergrämt erscheinen. Aber äußerlich blieb sie
dieselbe, die sie vordem war. Aufrecht und stark, nur wortkarg und so
stolz, daß den Leuten die neugierigen Fragen nach dem Veit im Munde
stecken blieben.

Der Veit hielt Wort. Als sich die ersten Anzeichen des erwachenden
Frühlings zeigten, kam er zurück, frisch und fröhlich wie in den ersten
Jahren ihrer Ehe und laut polternd vor Freude über das Wiedersehen mit
der Notburg.

Aber die Frau war eine andere geworden. Ruhig und schier gleichgültig
empfing sie ihn und zeigte keine Freude. Sie hatte auch keine Freude
über das Geld, das er ihr brachte und mit strahlendem Gesicht ihr
vorzählte. Was war ihr das Geld, nachdem sie ihr Glück dafür hatte
hergeben müssen?

Es war etwas geborsten in der Seele des Weibes. Was weich und hingebend
in ihr gewesen war, das war in den Stunden einsamer Sehnsucht
allmählich erstorben. Und die innere Kälte der Frau war so groß, daß es
den Veit zu frieren anfing in ihrer Gegenwart.

Als der Veit das zweite Mal auf die Wanderschaft ging, fiel ihm der
Abschied leicht. Er war froh, daß er das stille, kalte Gesicht seiner
Frau nicht mehr zu schauen brauchte, das eine fortwährende Anklage für
ihn war.

Und der Veit blieb länger und immer länger von der Heimat fern. Bis er
dann gar nach Amerika gegangen war und im Dörfl als verschollen galt.

Doch immer, wenn der Mann im fremden Lande weilte, verblaßte das Bild
seiner Frau mit dem kalten, reglosen Gesicht, und die Notburg seiner
Jugend erstand ihm aufs neue. Ihr liebes, sanftes Gesichtchen und ihr
hingebendes Wesen war ihm stets gegenwärtig, und der starke Mann, der
im rücksichtslosesten Kampf ums Dasein stand, bangte sich nach ihr und
sehnte sich nach einem guten Wort aus ihrem Munde.

Durch die räumliche Trennung war ihm sein Weib innerlich viel näher
gekommen; er vergaß ihre harte Art und entschuldigte sie.

Er begriff die Schwere ihres Schicksals und nahm sich vor, wieder den
Weg zu ihr zurückzufinden. Bis er dann wieder bei ihr war. Da jagte ihn
ihre abweisende Kälte förmlich von der Heimat fort.

Kein gutes, verzeihendes Wort, kein warmer Blick ... Die Notburg war
grausam geworden zu dem Manne, der stets aufs neue wieder bei ihr seine
Heimat suchte ...

Ein dumpfes, schweres Stöhnen rang sich aus der Brust des einsamen
Mannes.

Grausam! Hatte er ein Recht, sein Weib grausam zu schelten? Hatte er
nicht auf die grausamste Art das Lebensglück der Frau vernichtet?

Veit Galler fühlte die Schwere seiner Schuld, und doch ... er bereute
nichts.

Dem innersten Trieb seiner Natur war er gefolgt. Der Mann mit dem
festen, unbeugsamen Willen gehörte in die Welt hinaus. Dort hatte er
seine Kraft stählen können und hatte es zu etwas gebracht.

Es war ihm nicht immer leicht geworden in der großen Welt da draußen,
dem Veit Galler. Das Leben hatte ihn gar oftmals hart angefaßt; aber
mit zäher Energie und einem eisernen Willen war er stets Sieger im
Kampf geblieben.

Und war ein reicher Mann geworden ...

Wohl kaum einer im ganzen Tale konnte solchen Reichtum aufweisen. Und
das Bewußtsein des erworbenen Besitzes machte den Veit stolz und
selbstbewußt und half ihm immer wieder über die trüben Stunden hinweg,
die auch ihn nicht verschonten.

Der Veit wußte es wohl. All sein Reichtum machte auf die Notburg nur
geringen Eindruck. Mit kalten, gleichgültigen Augen wird sie auch heute
wieder auf das Gold schauen, das er ihr mitgebracht hatte und das er
jetzt spielend in den weiten Taschen seines Rockes klirren ließ.

Der Mond stand nun in seiner kaltsilbrigen Pracht am Firmament, und
viele Tausende von Sternen glitzerten und funkelten am Himmel. Die
Bergfeuer der Karsamstagsnacht flammten zu Hunderten im Tal und an den
Bergen, die mit Lichtern besät bis hoch an den Rand der Almweiden waren.

Veit Galler, der Krämer, genoß die stille Feier, und es kam ihm beinahe
vor, als hätte sich die Heimat heute für ihn geschmückt.

Wie im leichten Silbernebel lagen die drei Hochtäler im Mondenschein.
Die schneeigen Bergkonturen erstanden traumhaft schön wie in einem
Feenland.

Veit Galler, der Krämer, erhob sich von seinem unwirtlichen Sitz,
dehnte und reckte die schweren Glieder und faltete einen Augenblick die
Hände wie zum Gebet.

Dann schüttelte er das Trübe dieser Stunde von sich und ging mit
festen, sicheren Schritten bergabwärts, seinem Heimatsdörfl zu.




                            Drittes Kapitel


Hoch droben am Berg, an der Seite, wo Veit Galler gesessen war, ohne
zu dessen Höhe hinaufsehen zu können, leuchteten ganz besonders große
Feuer ins Tal hinab.

Fünf Holzstöße brannten da droben in regelrechten Abständen. Fast an
der Spitze des Berges aber loderte in hellen, lustigen Flammen ein
einzelner, mächtiger Holzstoß. Das war das Feuerl, von dem der Florl
seinem Mädel gesprochen hatte.

Der Florl hatte schon seit etlichen Wochen Pech gesammelt und es in
einer der fünf Almhütten, vor denen heute die fünf Höhenfeuer brannten,
aufbewahrt.

Das Pech hatte er sich heute geholt und es mit auf die Höhe genommen,
um es in den mächtigen Scheiterhaufen zu werfen. Denn das Pech machte
den Schein des Feuers ganz besonders hell und die Flammen auflodernd.
Das allerschönste und allergrößte und noch dazu das allerhöchste, das
war das Feuerl von dem Florl.

Das Regele hatte einen weiten Weg tun müssen, um ihr Feuerl auch
richtig sehen zu können.

Sie hatte, nachdem der Veit Galler fortgegangen war, rasch ein
dunkles Tuch übergeworfen und war mit flüchtigen Schritten von daheim
fortgelaufen.

Ganz in unmittelbare Nähe, wo der Krämer saß, war das Mädel in
atemlosem Lauf gekommen, ohne daß der Mann sie bemerkt hätte. Sie hatte
ihn wohl erkannt, huschte aber rasch und lautlos und auf Umwegen an ihm
vorbei, hinunter dem Bergtal zu, wo ein hölzerner, schmaler Steg in
schwindelnder Höhe den brausenden Bach überspannte und zu der andern
Seite des Berges führte.

Bei jedem Schritt, den man da tat, zitterte und krachte das
morsche Holz. Die Brücke schwankte und bog sich, als wollte sie
zusammenbrechen. Man mußte schon ganz schwindelfrei sein, um den engen
Steg, der kaum Raum für eine Person bot, zu überqueren.

Bogenförmig überspannte die Brücke den Bergbach. Ein kleines, niedriges
Geländer zu beiden Seiten sollte Schutz gewähren gegen einen Fall in
die Tiefe. Wohl an die fünfzig Meter ging es hier in den Abgrund, und
brausend tobte der Wildbach in der engen Bergschlucht.

Dieser Steg war der Teufelssteg, und ältere Leute mieden ihn in
abergläubischer Furcht. Nur jene benutzten ihn, welche die Bergmahd
jenseits des Baches zu mähen hatten, oder jene, welche den Weg kürzen
wollten, der zum Nachbarhochtal führte. Die meisten Leute aber gingen
den allgemein üblichen Talweg, wenn er auch zumindest um eine Stunde
länger war.

»Weil's soviel schiach ist über'n Teufelssteg ...« sagten sie. »Und man
kann's doch nit wissen, ob nit amal a Unglück g'schiecht.«

Vor etlichen Jahren war hier auch ein Unglück geschehen, und seither
mied man den Steg noch mehr wie zuvor.

Das war, als die Philomena Abfalter hier ihrem Leben ein Ende gemacht
hatte.

Die Mena ... An die Mena mußte das Regele jetzt lebhaft denken, wie sie
inmitten des leicht schaukelnden Steges stand und in das tobende Wasser
tief drunten schaute.

Ob es bei der Mena wohl auch so gegangen war wie bei ihr?

Das Regele erinnerte sich noch deutlich an die Mena. Ein dickes,
dralles, junges Ding, mit hochroten Backen und lustigen, dunklen Augen.
Und hatte ein Kind gehabt, die Mena.

Das Regele erinnerte sich noch, als ob es gestern gewesen wäre. An
einem Sonntagmorgen war es gewesen vor der Frühmesse. Da hatte die
Mena vor der Kirchentüre knien müssen, einen Strohkranz auf dem Kopf,
und hatte nicht hinein dürfen in das Gotteshaus, bis der Priester kam
und sie aussegnete. Dann erst war die Schuld von ihr genommen und sie
würdig befunden worden, den heiligen Raum zu betreten.

Die Mena war auf den Steinstufen der kleinen Dorfkirche gekniet
und hatte den Kopf fest an die Kirchentüre gedrückt. Das Gesicht
geschwollen und die Augen entzunden von vielem Weinen. Und alle Leute,
die da in die Kirche gingen, mußten an dem gebrandmarkten Mädel
vorbeigehen und sie in ihrer Schande sehen.

Die Burschen schlichen, so schnell sie konnten, an ihr vorbei und zogen
die Köpfe ein. Die Kinder blieben neugierig bei ihr stehen, bis ältere
Leute sie mit barschen Worten gehen hießen.

Die Bäuerinnen und älteren Weiber rafften die Röcke, um nicht
anzustreifen an der Ausgestoßenen. Die Männer taten, als sähen sie das
schluchzende Mädel nicht, und die Altersgenossinnen der Mena machten
schadenfrohe Gesichter oder gaben harte Reden.

Da war nicht einer, der ein gutes Wort für die Gefallene gehabt hätte,
nicht einer, der sich an Christi Wort von der Sünderin erinnert hätte.
Jeder von ihnen wäre sofort bereit gewesen, den ersten Stein zu heben
und ihn auf die arme Sünderin zu schleudern.

Und doch, was hatte die Mena anders verbrochen, als daß sie einen
Burschen lieb gehabt hatte, der sie, weil sie beide arm waren, nicht
heiraten konnte.

Freilich, der Schande hatte er sie dann allein preisgegeben. War
davongezogen, hinaus ins Tal, und hatte sich dort auf einem der
Berghöfe als Knecht verdingt.

Die Mena aber hatte das ganze Leid allein tragen müssen. Gleich einer
mit der Pest Behafteten war man dem Mädel ausgewichen, seit ihre
Schande offenkundig geworden war. An den Sonntagen mußte sie allein
den Kirchgang antreten und sich dann scheu in einem dunklen Winkel der
Kirche verstecken. Jung und Alt höhnte sie laut und wies mit Fingern
nach ihr. Die Bäuerin, bei der sie diente, war hart und ohne Mitleid
bis zu ihrer schweren Stunde.

Alles hatte die Mena ertragen, geduldig und ohne zu murren. Sie wußte
ja, daß sie sich der schwersten Sünde schuldig gemacht hatte und
nun ehrlos geworden war. Aber das Allerhärteste, das war doch die
öffentliche Schaustellung mit dem Strohkranz.

Das Regele war damals noch ein Kind gewesen, und neben der Scheu und
der Aufregung über das außergewöhnliche Ereignis hatte sie doch ein
inniges Mitleid mit dem gebrandmarkten Mädel. Sie getraute sich's
nur nicht merken zu lassen. Aber während der ganzen Messe konnte sie
kein Vaterunser beten und mußte nur immer an das laut und krampfhaft
schluchzende Mädel draußen vor der Kirchentüre denken.

Die Mena hatte diese öffentliche Schande auch nicht überleben können.
Ein paar Tage noch war sie in dem Bauernhof, in dem sie diente, scheu
herumgeschlichen, hatte nichts gegessen und nichts gearbeitet und
nichts geredet. Bis dann der Bauer mit harten Worten sie an die Arbeit
gehen hieß.

Da war das Mädel davongelaufen, und kein Mensch hatte sie mehr zu sehen
gekriegt.

Einige Tage nachher, als man auf die Suche ging, fand man den leblosen
Körper des Mädels zerschellt im Bache auf. Von der Teufelsbrücke war
sie herabgesprungen, und ohne Priester und ohne Gebet war sie in
ungeweihter Erde begraben worden.

Zwei alte und einschichtige Bauersleute, ledige und ehrsame Jungfrauen,
hatten sich um Gotteslohn ihres Kindes angenommen. Das Moidele hieß
es und war ein scheues kleines Mädel mit einem dummen, ausdruckslosen
Gesichtchen.

Hatte nicht viel Pflege, das Moidele, aber genug zu essen. Denn alte
Jungfern, das weiß man wohl, können mit so kleinem Zeug nicht gut
umgehen. Aber sie waren gut zu dem Kind; und wenn es böse Worte waren,
die das Moidele zu hören bekam, dann waren es die Kinder aus der
Nachbarschaft, die sie ihr nachriefen ...

Das Regele beugte sich vor über den Steg, so daß er stark schaukelte
und sie ein leichter Schwindel überfiel.

Wenn sie es jetzt nun auch so machen würde wie die Mena? Ob es wohl
sehr wehe tat ... ein Sprung da hinab ... und alles wäre zu Ende ...

Das Regele aber hatte den Mut dazu nicht. Sie hatte aber auch den Mut
nicht, das auf sich zu nehmen, was die Mena auf sich genommen hatte.

Da droben, dort, wo der Florl das hoch emporlodernde Feuer entzündet
hatte, das jetzt langsam zu verlöschen begann ... dort droben war es
angegangen zwischen ihnen beiden.

Dort, wo heute abend die fünf Holzstöße flackerten, da standen fünf
Almhütten. Eine regelrechte Siedelung war es, und die Leute hierzulande
nennen diese Hütten nicht Almhütten, sondern Asten. Die Aste dient als
Zwischenstation vom Tal zur Alpe. Wenn es am Joch noch zu kalt ist,
dann weidet das Vieh auf der Aste. Das Heu der Almwiesen wird auf der
Aste eingelagert.

Ein lustiges, reges Leben ist da mitunter im Frühjahr und im Herbst auf
den Asten. Und gar erst da droben, wo fünf Asten in enger Nachbarschaft
vereinigt waren. Da wird gesungen und getanzt und auf der Ziehharmonika
oder Zither Musik gemacht.

Der Florl und der Wastl waren beide auf je einer der Asten bedienstet.
Den ganzen Sommer über waren sie da droben. Ein jeder von ihnen hatte
etliche Stück Vieh zu betreuen und nebenbei Käse und Butter zu machen.

Arbeit gab's genug, und der Tag dauerte ihnen niemals lang. Ab und zu
kam Besuch vom Tal herauf. Das waren die Knechte von den Bauern, welche
die Butter und den Käse abzuholen hatten.

Aber noch andern Besuch bekamen die Burschen manchmal, der ihnen lieb
war und den Tag verschönte.

Die Perlmoserischen von dem kleinen Hochtal unten, in dem das Regele
daheim war, besaßen auch eine der fünf Asten.

Gerade zwischen dem Florl und dem Wastl seiner war die von den
Perlmoserischen. Und da hauste der Jackl, der älteste Sohn des
Perlmoser.

Da die Perlmoserischen keine fremden Dienstboten anstellten, mußten die
Töchter, die dem Jackl im Alter am nächsten waren, diejenigen Arbeiten
verrichten, die sonst von Rechts wegen eigentlich den Männern zukamen.
Sie trugen in schwerbeladenen Kraxen Käse und Butter ins Tal und
mähten mit kräftigen Armen, weitausholend das Gras der Almenmahd ihres
Vaters.

Sie waren robuste, kernkräftige Mädeln, die drei Perlmoserischen. Ganz
besonders aber die Genovefa Perlmoser, kurz Vef genannt.

Das war eine Freude, der bei der Arbeit zuzusehen. Wie die schaffen und
tragen konnte mit ihren neunzehn Jahren! Hochgewachsen und üppig war
sie, hatte hellblondes Haar mit dicken Zöpfen, ein zartrosiges Gesicht
und hellblaue, lachende Augen. Lachen tat sie überhaupt gern, die Vef.
Und zeigte dabei gesunde weiße Zähne und entzückende Grübchen in beiden
Wangen.

Kein Wunder, daß dem Wastl die Vef so gut gefiel und daß er allen
Ernstes daran dachte, sie zu heiraten.

Als der Wastl der Vef dies zum erstenmal sagte, da lachte das Mädel,
daß man's weithin hören konnte.

»Möcht' wissen, von was wir zwoa heiraten sollten! Du nix und i nix
... Das gab' a nette Wirtschaft ab! Nua ... i amal nit! Zuerst muß i
wissen, wohin i nacher g'hör' ... sonst lass' i mi nit ein mit dir.«

Und dabei blieb's. Sie war viel vorsichtiger in der Liebe, die Genovefa
Perlmoser, wie das kleine, dumme Regele. Freilich, das Regele war auch
noch jünger, ein halbes Kind und daß der Florl so ungestüm war und
es beim Küssen allein nicht bewenden ließ, das hatte sie wirklich zu
Anfang ihrer Liebschaft nicht wissen können.

Aber schön war's doch gewesen!

Wenn das Regele genauer darüber nachdachte, wie das eigentlich alles
so hatte kommen können, dann mußte sie immer wieder der verflixten
Singerei die Schuld geben. Die und nichts anderes trug die Hauptschuld.
Denn hätte die Perlmoser Vef das Regele nicht immer wieder geholt, daß
sie mit ihr singe, dann hätte der Florl nicht die Gelegenheit gefunden
für seine Annäherung.

Die Perlmoser Vef und das Regele konnten nämlich gar so schön zusammen
singen. Und taten es auch gern. Schon von Kindheit auf übten die beiden
Nachbarskinder die schönsten Lieder und Jodler ein. Das Regele sang
mit glockenheller Stimme und nahm auch den höchsten Ton mit spielender
Leichtigkeit, und die Vef hatte einen weichen, vollen Alt, der warm und
innig klang wie der Ton einer Glocke aus edlem Metall.

An den langen Winterabenden saßen sie gar oft in der überhitzten Stube
beim Perlmoser und sangen. Dann griff die Vef in die Saiten ihrer
Laute, und oft spielte das Regele die Begleitung auf der Zither.

Die schönsten musikalischen Abende hatten sie da oben in ihrem einsamen
Bergtal. Die Vef und das Regele waren so aneinander gewöhnt, daß sie
vermeinten, die eine könne ohne die andere gar nicht so recht singen.

So war es denn auch die Vef gewesen, die das Regele immer wieder
mit hinauf aufs Alpl nahm. Der Mutter war's freilich nicht immer
recht gewesen. Man tut ja gern eine Gefälligkeit und erst gar den
Nachbarsleuten; aber schließlich, das Regele war die Hauptarbeitskraft
zu Hause, und daheim blieb dann die Arbeit liegen. Denn oft kam das
Mädel tagelang nicht vom Alpl herunter.

Daß es da droben oft bis spät in die Nacht hinein lustig zuging, das
wußte die Bäurin sehr wohl. Gar so lang war's ja schließlich nicht her,
seitdem sie selber jung gewesen war. Und sie gönnte ihrem Mädel ja gern
ein bissel Unterhaltung.

Singen und Zitherspielen und auch ab und zu ein bissel Tanz, was war da
viel dabei. Die Mädeln gaben ja acht aufeinander, und das Regele konnte
ja kaum noch als ein richtiges ausgewachsenes Dirndl gelten. Wenigstens
sah die Mutter immer noch das Kind in ihr.

Aber auch die andern Leute nahmen das Regele nicht ernst. So hatte der
Wastl das Regele mehr als einmal mitleidig ein Grispele geheißen, an
dem nichts sei wie Haut und Knochen.

Der Wastl wäre also nicht zu fürchten gewesen. Dem Florl freilich, dem
traute die Bäurin nicht über den Weg. Der hatte ein so übermütiges
Spitzbubengesicht, und die Bäurin konnte ihn überhaupt nicht leiden.
Wenn er einmal beim Söllerbauer zukehrte, dann war sie immer mürrisch
und unfreundlich zu ihm und maß ihn mißtrauisch von der Seite.

Als die Vef wieder einmal zum Söllerbauer herüberkam, um das Regele nur
grad für einen Tag aufs Alpl hinauf auszubitten ... »weil wir's iatz
grad gar so viel gneatig hab'n und 's Grummet döcht aa no trocken einer
bringen möchten ...« da meinte die Bäurin etwas besorgt: »Ös werd's
epper nit grad alleweil arbeiten da oben. I moan völlig, ös tanzt's die
halben Nächt' durch, weil's Madel alleweil gar a so verschlafen ist,
bald's aber kimmt.«

»Tanzen tian mir freilich aa!« lachte die Vef ihr strahlendes Lachen.
»Zu was war'n wir denn jung? Beim Tag arbeiten, daß die Schwarten
krachen, und auf d' Nacht singen und aufspielen und tanzen.«

»Mei ...« machte die Bäurin mürrisch und stemmte nachlässig den Arm in
die breite Hüfte. »I vergunn's enk wohl. Aber 's Regele ist grad so
viel jung no. Die gang' aa g'scheiter schlafen.«

»Sell tut sie schon!« bestätigte das Mädel lebhaft. »Wir schlafen aft
schon aa, bald wir müd sein!« Sie lachte übermütig und zeigte dabei
ihre blendend weißen Zähne.

»Tust mir halt a bissel achten aufs Madel, gelt, Vef?« bat die Bäurin
besorgt. »Woaßt wohl, dö Löder ...«

»Wir sein alleweil beinand, wir Madeln!« beruhigte sie die Vef. »Da
g'schiecht nix. I schau' schon drauf. Und dö Löder haben wohl aa mehr
z' tian, als wie grad auf das Grispele aus zu sein.«

Das Grispele! Dieser Spitzname, den ihr der Wastl aufgebracht, der war
dem Regele geblieben. Und daß man sie noch immer nicht für voll gelten
ließ, das war's ja auch, was dem Florl die Liebschaft mit ihr so leicht
machte.

Niemand außer ihm selber schien das Regele als erwachsenes Mädel zu
betrachten. Das kam daher, weil sie so klein und zierlich war und ein
so kindliches Gesichtchen hatte.

In dem kindlichen Gesicht aber hatte das Regele einen kleinen,
kirschroten Mund, dessen volle Lippen immer leicht fragend offen
standen. Und diese leicht geöffneten Lippen erschienen dem Florl
sehnsüchtig und hungrig und lockten ihn, sie einmal gewaltsam mit den
seinen zu schließen.

Droben, wo das Feuerl heute abend zu höchst brannte, da war's gewesen,
wo der Bursch keck und übermütig das Regele um die Mitte nahm, ihr das
dunkle Köpfchen nach rückwärts bog und sie nach Herzenslust abküßte.

»Du ... lass' mi ...« wehrte sich das Mädel schwach. »I schrei ...«

»Schrei, wenn du kannst ... du ...« neckte sie der Florl übermütig und
zog das zarte Geschöpf zu sich ins Gras herab. Dann nahm er sie wie ein
Kind aufs Knie und busselte sie ab, daß ihr Hören und Sehen verging.

»Hätt' nit denkt, daß deine Busseln gar a so fein schmecken!« neckte er
sie dann. »Völlig nit g'nug kunnt oans kriag'n davon.«

Dem Regele schienen die seinen gleichfalls sehr zu munden. Wenigstens
machte sie keine Miene, sich aus seinen Armen loszureißen, sondern
hielt ihm immer wieder ihr kirschrotes Mäulchen entgegen.

So nahm sich denn der Florl, was ihm das Mädel nicht weigerte. Eine
richtige leichtsinnige Liebschaft war's. Das erste Erwachen der Sinne
zweier unreifer Menschen.

Eine heiße Liebe war's, die an nichts dachte, keine Folgen fürchtete
und nur dem seligen Augenblick sich hingab.

Am Alpl unten merkten sie von nichts. Die Vef konnte mit Recht die
Söllerbäurin beruhigen. Das Regele war abends immer bei ihr und ihren
beiden Schwestern, tanzte und sang mit ihnen und schlief mit ihnen in
der niedern Holzkammer bis zum Morgengrauen.

Tagsüber jedoch, wenn sie das Dirndl bei der Arbeit glaubten, da fand
das Regele immer einen Vorwand, sich von den übrigen abzusondern. Und
die andern achteten nicht weiter auf sie. Was konnte man denn beim
hellichten Tag anders tun als arbeiten?

Der Florl war keck genug und kam nun auch zu seinem Mädel, wenn sie
drunten war im Elternhaus. Schlich zu ihr auf Umwegen und in der
Dunkelheit der Nacht, trotz Wind und Wetter. Und im Winter machte er
den weiten Weg zu ihr vom Tal herauf. Stapfte durch Schnee und Eis, und
der Söllerbauer wunderte sich oftmals in der Frühe, wenn er die Haustür
öffnete und den angefrorenen Schnee gewaltsam mit den Füßen von den
Pfosten stieß, über die frischen Spuren.

»Wer ist denn grad wieder in der Nacht bei all'n Wind und Wetter da
aufergangen? A so a damischer Loder ... a damischer!«

Und der Söllerbauer schüttelte unwillig seinen Kopf. »Dö jungen Leut'
von heutzutags ...« und dann brummte er etwas in seinen struppigen,
leicht ergrauten Bart hinein.

Sein Verdacht lenkte sich auf den Nachbarshof und auf die
Perlmoserischen mit den drei bildsaubern Töchtern. Daß das Regele es
war, die den Fensterlbesuch in der Nacht erhalten hatte, an das dachte
kein Mensch am Hof, am wenigsten der Söllerbauer.

Die Sorge der Mutter um das Dirndl war behoben, sowie sie das Regele
unter dem Schutz des väterlichen Daches wußte. Und gar so tief war die
Sorge auch nicht gewesen. Die Bäurin hatte an mehr zu denken den lieben
langen Tag, wie an das Regele.

Da schrie ein Kind und wollte betreut sein, und dort balgte sich ein
anderes. Da hatte ein Bub ein Loch in die Hose gerissen, und dort stand
eine Schüssel nutzlos herum und war im Wege. Da mußte man schimpfen
und zanken und zwischendurch auch wieder ein bissel arbeiten und dann
wieder nach dem Regele schrein, daß es helfe, die Schäden zu heilen.

In dem täglichen Ärger über Nichtigkeiten eines einförmigen Lebens
kam die Frau gar nicht dazu, sich viel um ihre älteste Tochter zu
bekümmern. Sie war bei ihr, und das genügte ihr. So bemerkte sie es
auch gar nicht, daß das Mädel von Tag zu Tag blässer wurde und mager
und schlecht auszusehen anfing.

Denn nun hatte es das Regele mit der Angst zu tun. Die Folgen ihres
Leichtsinns waren nicht ausgeblieben, und lange dauerte es nicht mehr,
dann würde ihre Schande offenkundig werden.

Das Regele wußte, daß der Vater sie in seinem Zorn halbtot schlagen
würde, und sie fürchtete sich vor dem Ausbruch seiner Wut. So gutmütig
der Söllerbauer für gewöhnlich war, so maßlos heftig konnte er im Zorne
sein. Und das Regele wußte auch, daß sie von nun ab keine gute Stunde
mehr bei der Mutter haben würde. Geächtet und verachtet würde sie
herumgehen, wie damals die Mena.

Wenn das Regele dran dachte, daß sie nur mehr wenige Wochen ihre
Schande würde geheimhalten können, dann überlief es sie eiskalt. Nur
noch ein paar Wochen, und sie wußten es alle, wie es um sie stand ...

Fröstelnd hüllte sich das junge Mädchen in ihr warmes Tuch und starrte
mit großen, ängstlichen Augen in die Tiefe.

Wenn sie nur den Mut aufbrächte, jetzt über den Steg zu springen. Das
Geländer der Brücke war ja so nieder! Obwohl das Regele klein war, so
reicht das Geländer doch kaum bis zur Hälfte ihres Körpers herauf. Sie
brauchte sich also nur ein ganz klein wenig nach vorne zu beugen ...
dann verlor sie das Gleichgewicht. Nur ein ganz ... ganz klein wenig,
und es war geschehen.

Das Regele beugte sich weit nach vorne, hielt sich aber gleichzeitig
ängstlich und krampfhaft mit beiden Händen an dem morschen Holze fest.

Der Steg ächzte und schaukelte in schwingender Bewegung, und unten
spiegelte sich das Mondlicht in dem dunklen Wasser. Dem Regele war es,
als sähe sie aus dem brausenden Gischt ein todblasses Mädchengesicht
auftauchen. Das zwinkerte mit den Augen und winkte ihr zu.

Jetzt, wenn sie die Hände losließ und sich weiter nach vorne beugte ...
Ein Ruck nur, und alles ... alles wäre vorbei.

Und dann?

Daß sie immer wieder sich dieselbe Frage stellen mußte, was dann wohl
kommen würde. Sie mußte die Sache zu Ende denken, ob sie wollte oder
nicht.

Alles, was sie in der Schule gelernt hatte, vom Himmel und von der
Hölle, von der ewigen Verdammnis und endlosen Pein, vom Teufel und von
Verfolgung und Qual, alles fiel ihr in dieser Stunde ein.

Wenn sie jetzt da hinuntersprang, dann würde ihr junger Leib an den
Felsen aufprallen und zerschellen. Das Leben war dann zu Ende und war
doch so schön gewesen. Trotz allem, es war schön, und sie lebte gern.

Sie fürchtete sich jetzt nur vor den Folgen ihres Leichtsinns, aber
sie wollte nicht sterben. Sie hing an dem Leben mit allen Fasern ihres
Herzens. Das fühlte sie jetzt erst so richtig, wie sie mit entsetzten
Augen in die Tiefe starrte.

Mochte das bleiche Gesicht der toten Mena auch locken da unten. Das
Regele würde ihr nicht folgen. Das vorhin war nur so eine Anwandlung
gewesen. Gott sei Dank ... das war nun glücklich überstanden.

Von abergläubischer Furcht gepackt, flüchtete das Mädel jetzt von der
schmalen Brücke fort und achtete in ihrer Angst gar nicht, daß der Steg
in allen Fugen ächzte und krachte und sich heftig schaukelnd bog.

Nur fort ... fort von da! Es war doch nicht ganz geheuer mit dem
Teufelssteg ... Bei einem Haar, und sie hätte sich in den Abgrund
gestürzt. Und das Gesicht der toten Mena hatte sie ganz deutlich aus
dem Wasser aufsteigen sehen ...

Zitternd vor Kälte und Aufregung wickelte sich das Mädel fest in das
warme Tuch ein.

Die Lichter auf den Bergen und im Tal waren nun verglommen, und auch
das Feuerl des Florl war nur mehr ein schwach leuchtender Punkt, gleich
einem verblassenden Stern.

Was der Florl wohl dazu sagen würde, wenn das Regele verschwunden war?
Denn nun stand es in der Einsamkeit dieser Stunde bei dem Mädel fest,
daß sie nicht mehr nach Hause zurückkehren würde. Sie wollte und konnte
sich nicht aus dem Leben schaffen, aber sie wollte sich auch nicht der
Schande preisgeben.

Allmählich hatte das Regele ihren atemlosen Lauf eingedämmt und ging
jetzt, ruhiger geworden, fast langsam die mondbeleuchteten Bergwiesen
hinan, dem Dörfl zu.

Wohin sie jetzt wohl ihre Schritte lenken sollte? Zu dem Florl flüchten
in ihrer Not?

Das hätte wenig Zweck gehabt. Der Florl konnte ihr ja nicht helfen und
sie nicht schützen. Wenn er auch immer wieder versichert hatte: »I
verlass' di nit, Madel. Ganz g'wiß nit. Und wie i 's Geld beinander
hab', heirat' i di ...«

Jetzt konnte er sie ja nicht heiraten. Und bis er das Geld dazu
aufbringen würde, bis dahin konnten sie beide alte Leute werden.

Daß das Leben einen Fehltritt so hart bestrafen mußte! Ob es denn
wirklich vor Gott eine so schwere Sünde war, wenn sich zwei junge
Menschenkinder in Liebe zueinander fanden?

Immer wieder stellte sich das Mädel die gleiche Frage und konnte keine
Antwort darauf finden. Sie schritt nur immer vorwärts, ganz langsam
und bedächtig, als machte sie einen Spaziergang zu ihrem Vergnügen.
Vorwärts ... immer vorwärts, und wußte nicht wohin.

Zu fast mitternächtiger Stunde kam das Regele an dem Haus des Kramer
Veit vorüber. Durch die Ritzen der geschlossenen Fensterläden sah sie
zu ebener Erde Licht schimmern.

Wenn sie da anklopfte? Die Notburg würde aufmachen und sich vielleicht
verwundert nach ihrem Begehr erkundigen. Das Regele sah im Geiste das
gleichgültige Gesicht und die kalten Augen der Frau, und sie fühlte
es deutlich, daß sie der Notburg nicht würde beichten können und auch
nicht dem fremden Manne, der heute heimgekehrt war aus der fernen
Welt. Was würden die beiden wohl verstehen von der Not des kleinen,
leichtsinnigen Mädels?

Sie mußte schon weiter wandern, das Regele. Hinaus aus dem Dörfl und
die Bergstraße hinunter ins Haupttal.

Es war auch gar nichts dabei, in der mondhellen Nacht durchs Tal zu
wandern. So still war's ringsum und so schön. Und je länger sie ging,
desto wärmer wurde ihr, und auch die innere Kälte, die sie frösteln
gemacht hatte, wich von ihr. Allmählich überkam sie eine ruhige
Zuversicht.

Weit, weit fort wollte das Regele ziehen, dorthin, wo kein Mensch sie
kannte. So wie sie war, ohne Geld und ohne Lebensmittel. Wenn sie auch
hungerte. Macht nichts. Das hielt sie schon aus. Nur fort von der
Heimat und der drohenden Schande!

In der Fremde, da würden gewiß gute Menschen sein, die sich ihrer
erbarmten. Und voll Vertrauen auf die Güte unbekannter Leute schritt
das Mädchen mutig fürbaß.

Als das Regele in das Haupttal kam, hinaus in das große Dorf mit den
stattlichen weißen Häusern und der grünen Kirchturmspitze, das sie
von ihrer Heimat aus täglich in der Ferne liegen sah und in dem sie
noch nie gewesen war, da krähte gerade ein Hahn, und ein Nachbarhahn
antwortete ihm in langgezogenen, aufgeregten Tönen. Das Regele aber
wußte, daß es jetzt die dritte Morgenstunde war und daß sie noch weit
gehen mußte, bis der neue Tag zu grauen anfing.

Mechanisch und gleichmäßig ausschreitend durchwanderte das Mädel das
Tal. Alles wär ihr hier fremd und unbekannt, und die Berge, die sich
dunkel und hoch am nächtlichen Himmel aufbauten, waren ihr neu.

Sie ging durch Dörfer und Weiler, hörte das Bellen eines wachsamen
Hundes und hörte wie im Traume das Klingen der Kirchenglocken im
Morgendämmer.

Viele ... viele Stunden ging sie, ohne zu rasten. Sie fühlte keinen
Hunger und keine Müdigkeit. Hatte nur immer das eine Ziel: Fort! Fort
von der Heimat, so weit als möglich.

Die Sonne war mit Pracht aufgegangen und hatte neues Leben in der Natur
erweckt. Leute, die im festlichen Gewand zur Kirche gingen, starrten
verwundert auf das fremde Mädchen. Das Regele grüßte kurz und schritt
rüstig weiter.

Sich nur nicht verhalten im Tal! Leicht konnte man sie daheim schon
vermissen und ihr jemand nachschicken.

Unwillkürlich mußte das Regele über diese Vorstellung lächeln. Kein
Mensch von daheim würde sie jetzt mehr erreichen können, selbst wenn
sie gewußt hätten, wohin sie gegangen war.

Was die wohl sagen würden daheim? Ob sie die Ursache ihres
Verschwindens errieten und ob sie glaubten, daß sie der toten Mena
gefolgt war?

Und der Florl? Wenn das Regele an den Florl dachte, dann schoß es ihr
heiß in die Augen. Sie hatte ihn doch recht ... recht lieb, ihren
Buben, obwohl sie in der letzten Zeit garstig zu ihm gewesen war und
ihm kaum mehr ein gutes Wort vergönnt hatte. Mit Vorwürfen hatte
sie ihn überhäuft und ihm alle Schuld allein beigemessen. Der Florl
war immer gleich gut und zart geblieben, hatte sich mit keinem Wort
verteidigt und hatte ihr nur tief in die Augen geschaut.

Ob sie ihn wohl je wiedersehen würde, ihren Florl? Und ob sie wohl
jemals wieder in die Heimat zurückkehren würde?

Je höher die Sonne am Himmel stand, desto fremder und verlassener kam
sich das Mädel vor. In der Dunkelheit der Nacht war sie tapfer und
mutig gewesen. Nun wurde sie mit jedem Schritt, den sie tat, immer
kleinmütiger und verzagter. Sie fing an, sich vor den Menschen, die ihr
begegneten, zu fürchten, und wich scheu vor ihnen aus. Rannte, ohne
auf die Müdigkeit, die sich nun bei ihr einstellte, zu achten, von der
Straße fort, querfeldein, und schlich gleich einer Diebin den Waldsaum
entlang.

Die Zeit dehnte sich, und der Weg wurde dem Mädel immer beschwerlicher.
Allmählich aber neigte sich auch dieser Tag dem Abend zu. Die Glieder
des Mädchens wurden schwer, und arger Hunger quälte sie.

Das Regele aber fand nicht den Mut, bei einem der zahlreichen
Bauernhöfe anzuklopfen und um Obdach oder Essen zu bitten. Wie eine
Bettlerin wäre sie sich vorgekommen, und die Menschen, von denen sie
Güte und Barmherzigkeit erhofft hatte, erschienen ihr jetzt hart und
grausam.

Ein schönes, weites Tal breitete sich am Ausgang ihres Heimatstales
vor ihren Augen. Ein mächtiger, kahler Berg stand blockartig da.
Rötliche Felsen, von dem Schein der sinkenden Sonne noch röter gefärbt,
erhoben sich drohend über dem Tal. Ein breiter Fluß durchzog in ruhigem
Lauf das Tal und nahm den grünen Waldbach ihrer Heimat sanft kosend in
sich auf.

Eine tiefe Sehnsucht nach der Enge ihrer Hochtalheimat überkam das
einsame Mädchen. Es gefiel ihr nicht hier draußen. Der kahle Berg, an
dem weder Höfe noch Felder und Bäume standen, erschien ihr häßlich,
und sie fürchtete sich beinahe vor ihm. Ausgestoßen und von aller Welt
verlassen fühlte sie sich hier. Und war müde und so hungrig.

Am Rand eines Waldes, abseits von Weg und Häusern, setzte sich das
Regele nieder, barg das dunkle Köpfchen in ihr Tuch und weinte. Sie
wagte sich jetzt auch gar nicht mehr fort von da. Wollte hier ausruhen
und im Freien nächtigen.

Zwei junge Mädchen, die vorübergingen, blieben stehen und sprachen
das Regele an. Wer sie sei und woher sie komme? Das Regele schaute
verwundert zu ihnen auf. Die beiden Mädeln mochten um einige Jahre
älter sein wie sie selber und sprachen in einer Mundart, die ihr fremd
und schwer verständlich war.

Schöne Kleider trugen sie, prächtige Hüte mit breiten Krempen, goldenen
Quasten an der Seite und goldener Stickerei an der Innenseite. Und
schwarze Seidenbänder hingen bis fast zum Rocksaum herunter. Noch nie
hatte das Regele eine so kostbare Tracht gesehen; denn jene ihrer
engern Heimat war weit schlichter.

Die hellen Seidenschürzen und das schwarze Sammetmieder, die silbernen
Kettenschnüre um den Hals mit der großen steinbesetzten Schließe, das
alles gefiel dem Regele so ausnehmend gut, daß sie, obwohl sie mühsam
verstand, was die Mädeln zu ihr sagten, doch gleich Zutrauen zu ihnen
faßte.

Allmählich verständigten sich die drei; denn auch den beiden Mädchen
war die langgezogene, singende Sprache des Regele ungeläufig. Aber sie
fanden doch heraus, daß das Regele von weit her gekommen war, müde und
hungrig sei und kein Obdach für die Nacht habe.

»Wohin willst nachher?« erkundigte sich die eine von ihnen mit leichtem
Mißtrauen und musterte das Regele eingehend vom Kopf bis zu den Füßen.

»An Dienst suchen.«

»In Innsbruck oder in Schwaz?« fragte die andere.

Das Regele hatte bis jetzt überhaupt nicht daran gedacht, wohin sie
gehen würde. Sie fragte daher, um einer direkten Antwort auszuweichen,
etwas verlegen zurück: »Wie weit ist's nachher noch hin?«

»Auf Schwaz, meinst?«

»Ja!« antwortete das Regele aufs Geratewohl.

»Heut' kommst amal nimmer hin!« erklärte ihr das eine der Mädeln
resolut. »Heut' bist überhaupt zu müd' dazu. Kannst mit uns geh'n, wenn
d' willst. Wir haben schon a Platzl für dich über Nacht. Und a warm's
Essen kriagst aa. Brauchst nit zu rearen deswegen!« setzte sie tröstend
hinzu, da sie sah, daß dem Regele schon wieder die hellen Tränen in die
Augen schossen.

Ein Obdach für die Nacht und ein warmes Essen hatte sie also. War aber
doch heilsfroh, das Mädel, als sie am nächsten Morgen wieder ihren Weg
fortsetzen konnte. Sie sah das Mißtrauen in den forschenden Blicken der
Leute und fürchtete ihre neugierigen Fragen. Und immer wieder mußte sie
lügen und neue Ausflüchte ersinnen. Durfte ja nicht sagen, daß sie das
Regele war vom Söllerbauer und von daheim fortgelaufen war.

Eine warme Milchsuppe zum Frühstück hatten sie ihr auch noch gegeben
im Bauernhof. Waren gute Menschen, aber es gefiel ihnen nicht, daß das
Regele allen Fragen nach ihrer Herkunft hartnäckig auswich.

Eines wußte nun das Regele. Daß sie sich im Unterinntal befand und daß
sie nur mehr etliche Wegstunden bis nach Schwaz zu gehen brauchte.

Das mußte eine große, ansehnliche Ortschaft sein! Die Leute sprachen
davon mit Stolz, und das Regele bekam völlig Angst vor den vielen
Häusern, die es dort geben sollte.

Es war Ostermontag und ein Feiertag. Das Regele hatte tags zuvor
mit keinem Gedanken daran gedacht, daß Ostertag war. Wohl sah sie
die sonntäglich gekleideten Menschen zur Kirche gehen und hörte das
feierliche Läuten der Glocken. Aber sie achtete nicht darauf, war viel
zu beschäftigt mit ihren eigenen Gedanken und ihrem Unglück.

Jetzt, da sie ausgeruht und neu gestärkt war, da war sie auch wieder
zuversichtlicher geworden. Nun sah sie den stattlichen Ort vor sich
liegen. Sacht ansteigend lehnte er sich hingebreitet zu Füßen eines
Berges.

Eine große Kirche mit grünlich schillerndem Kupferdach erhob sich aus
dem Gewirr großer und kleiner Häuser. Und noch ein paar andere Kirchen
gab es da, Kirchen mit spitzen Türmen, wie sie in ihrem Heimatstal zu
sehen waren. Und Häuser standen da in engen Gassen und in Straßen und
Häuser inmitten blühender Gärten.

Die Häuser in den Straßen erschienen ihr hoch, und die Enge der Gassen
bedrückte sie so, daß sie kaum atmen konnte. Ratlos stand das Mädel auf
dem Hauptplatz des Ortes und wußte nicht, was anfangen.

Wie am Tage zuvor gingen auch hier festlich geschmückte Menschen an ihr
vorbei und der Kirche zu. Die war grau und mächtig und sah düster und
vornehm aus. Und die Glocken des Turmes läuteten langsam, feierlich und
dumpf.

Die Menschen hier hatten es eiliger wie draußen am Land. Waren mehr
beschäftigt mit sich und schauten weniger verwundert auf das fremde
Mädel in seinem ärmlichen Aufzug.

Das Regele hatte noch niemals so viele Menschen gesehen und drückte
sich beklommen und scheu in eine der stillen Seitengassen in der Nähe
der Kirche. Sie wartete, bis die Glocken verstummt waren und die
Straße, die zur Kirche führte, leer geworden war. Dann schlich sie
aus dem dämmrigen Gäßchen hervor und ging zur Kirche. Vorsichtig und
unbeholfen setzte sie Schritt für Schritt, denn sie schämte sich, daß
ihre grobgenagelten Bergstiefel auf dem Pflaster der stillen Straße
mißtönigen Lärm verursachten.

Ein mächtiger, altehrwürdiger und düsterer Bau war diese Kirche. Und
war gesteckt voll Menschen. Lange Zeit konnte das Regele überhaupt
nichts ausnehmen in dem Dämmer des hohen Gewölbes und hörte nur, daß
ein Priester von der Kanzel herab predigte. Wie aus weiter Ferne
hallten die Worte an ihr Ohr, Worte, deren Sinn sie nicht verstand.

Am Hochaltar brannten dicke Wachskerzen auf hohen Leuchtern. Und
mächtig durchbrauste die Orgel den heiligen Raum. Ein prunkvolles
Hochamt wurde abgehalten, mit Priestern in kostbar gestickten Gewändern
und mit Ministrantenbuben, die große silberne Rauchfässer schwangen.

Der Duft des Weihrauchs war stark und dem Mädchen ungewohnt, so daß sie
eine leichte Übelkeit befiel. Ein altes Weiblein, das betend in ihrer
Nähe stand, nahm sie bei der Hand und führte sie vor die Kirchentüre in
die frische, laue Frühlingsluft.

»Bist wohl fremd da, Madel, gelt?« frug sie das Regele teilnehmend und
sah ihr forschend in das blasse, müde Gesicht. Das Regele nickte stumm,
konnte aber kein Wort hervorbringen.

»Wo bleibst denn?« erkundigte sich das Weiblein weiter.

Erschrocken und furchtsam schaute das Mädel auf. Sie hatte sich auf der
Steintreppe der Kirche niedergelassen und schwer den schmerzenden Kopf
in die Hand gestützt.

»Wo du bleibst?« wiederholte die Alte ihre Frage.

Das Regele wies mit der Hand vor sich hin. »Da!« sagte sie tonlos. Sie
fand auch jetzt den Mut nicht, die Wahrheit einzugestehen.

»Hast Verwandte da, ha?«

Wieder nickte das Mädel und barg den Kopf in beide Hände. Daß es ihr so
schwer fiel, mit den Menschen zu reden, die es vielleicht gut mit ihr
meinten!

Die Alte sah, daß das fremde Mädel keine Auskunft geben wollte und
plagte sie nicht weiter mit ihren Fragen.

»Ist dir schon wieder besser, gelt?«

Das Regele nickte bestätigend. In Wahrheit aber fühlte sie sich schwach
und krank.

Die Alte war wieder in die Kirche zurückgegangen, und das Regele
schleppte sich müde und elend von dem Kirchenportal fort und schlich
langsam und demütig durch stille, einsame Gäßchen bis hinauf zu den
letzten Häusern, die zu Füßen eines alten Turmes lagen. Hier oben in
freier Höhe mit dem weiten Blick ins Inntal wurde ihr leichter.

Es war schön da oben. Grüne Felder und Wiesen im Tal und blühende Bäume
und schöne alte Gärten, vielfach von grauen Mauern abgeschlossen. Kein
Schnee lag mehr im Tal, nur die Höhen der Berge bedeckte er noch, und
warmer, milder Sonnenschein verschönte die altersgrauen Häuser des
Ortes.

An der grauen Mauer eines Gartens hatte sich das Mädel niedergelassen
und sah mit den Augen blinzelnd in den lachenden Sonnenschein. Hier
blieb sie bis zum Abend. Kein Mensch störte sie hier, und kein Mensch
sah sie.

Als es dämmerte, ballten sich schwere Wolkenmassen, und ein heftiger
Wind, vom Oberland kommend, brachte Regenschauer.

Nun mußte das Regele sich doch um ein Obdach umsehen. Sie erhob sich
schwerfällig, zog das warme Tuch über den Kopf und ging weiter. Aber
so sehr sie sich auch vornahm, an einer der nächstgelegenen Türen
anzuklopfen, fand sie doch nie den Mut dazu. Ihr Herz hämmerte heftig,
und die Angst vor fremden, unbekannten Menschen steigerte sich fast von
Minute zu Minute.

Nein. Sie brachte es nicht über sich, um Obdach zu betteln. Sie mußte
schon aushalten in Regen und Kälte. Zitternd drückte sie sich an die
Mauer eines kleinen Hauses, dessen vorspringendes Dach einigen Schutz
gegen den Anprall des vom Wind gepeitschten Regens gewährte.

Vielleicht führte ihr doch der Zufall wieder einen mitleidigen Menschen
in den Weg, der sich ihrer dann annehmen würde!

Und das Regele zog fröstelnd das Tuch enger an sich, preßte die Arme
fest zusammen und horchte ängstlich auf Tritte, die vielleicht näher
kommen würden. Aber Stunde um Stunde verrann, und kein Mensch kam an
dem Häuschen vorbei, an dem das Regele zusammengekauert saß.

Wer wohl in dem Haus wohnen mochte? Wenn sie sich nun doch ein Herz
faßte und an der Tür pochte? Man würde ihr auftun und sie ausfragen.
Vielleicht hielt man sie auch für eine Diebin und jagte sie davon.

Der Regen, vom Wind getrieben, schlug ihr immer unerträglicher ins
Gesicht. Das vorspringende Dach, das sie bis jetzt vor Nässe geschützt
hatte, bot nun gegen Wind und Regen keinen Schutz mehr. So sehr sich
das Regele auch an die Mauer drückte, sie wurde doch immer nässer. Die
Zähne klapperten vor Kälte, und die Füße und Hände wurden ihr steif.

Da fiel es dem Regele ein, daß unten bei der großen Kirche, in der sie
heute war, lange Arkadengänge um den Friedhof führten. Die würden ihr
für den Rest der Nacht Schutz gegen die Unbill des Wetters gewähren.

Der Friedhof lag knapp neben der mächtigen alten Kirche, und das Regele
hielt die Arkaden für kleine Kapellen. Sie wußte nicht, daß unter jedem
dieser Bogengänge eine Grabgruft sich wölbte. Sie dachte auch in ihrer
Sehnsucht nach einem Stückchen trockenen Bodens nicht an die Nähe der
Gräber und freute sich nur auf den Schutz gegen Regen und Sturm, den
sie nun finden sollte.

Knapp hinter der Kirche führte eine niedere Pforte über etliche
Steinstufen in den Gottesacker. Einen Augenblick zögerte das Mädchen,
weiterzugehen. Es schauerte sie, als sie ringsum Gräber sah. Die weißen
Marmorsteine leuchteten in der Dunkelheit. Gespenstisch quiekten
morsche Holzkreuze in dem Sturmwind.

Ängstlich und behutsam ging das Regele durch die Arkaden und spähte im
Finstern nach einem Platz, der ihr den Ausblick auf den Friedhof etwas
verdeckte.

Gräber, überall Gräber. Sie gewöhnte sich schon allmählich an den
Anblick. Fühlte gar keine Angst mehr und ging weiter. Suchte nach einem
Ruheplatz für die Nacht in dem Arkadengang.

Hier und da leuchtete ein kleines Öllicht in einer Mauernische. Das
Flackern der kleinen Flamme im Windzug war unheimlich und gespenstisch.

Wenn sie doch nicht hierher gekommen wäre! Jetzt beim Scheine eines
heller flammenden Öllichtes sah sie es erst, daß auch die Arkaden
Gräber waren. Sie sah hinab in eine dunkle Gruft, die mit einem Gitter
zugedeckt war. Nun fing sie zu laufen an, wollte fort von hier, hinaus
ins Freie, und wußte in ihrer Aufregung nicht mehr, welchen Weg sie
gekommen war.

Durch den Lärm ihrer eigenen Schritte erschreckt, hielt sie inne und
lauschte. Es kam ihr vor, als hörte sie gedämpft stöhnende Laute in
ihrer Nähe. Vom Turm der nahen Kirche schlug die Glocke. Ob wohl am
Ende doch eine Kirchentüre offen geblieben war?

Behutsam schlich das Regele jetzt den dunklen Säulengang entlang.
Endlos kam ihr dieser vor, und weit entfernt erschien ihr auf einmal
die Kirche, die am Ende des Friedhofs stand. Es war ihr, als erweiterte
sich das Feld der Toten, und es erschien ihr nicht mehr still und
lautlos, sondern es war, als regte sich's an allen Ecken und Enden.
Bei jedem ächzend knarrenden Laut eines Grabkreuzes zuckte das Mädel
in abergläubischer Angst zusammen und bekreuzigte sich. Kalter Schweiß
stand ihr auf der Stirn, und sie faltete betend die Hände.

»Heilige Muttergottes, hilf mir! Nimm mich in deinen Schutz!«

Es war das erste Gebet, welches das Regele seit ihrer Flucht gesprochen
hatte.

Wenn nur diese Nacht schon vorüber wäre ...

Das Regele dachte jetzt nicht mehr an ihr Unglück und weshalb sie von
daheim weggelaufen war. Dachte nicht an Schlaf und Hunger, der sie
quälte, sondern fühlte sich nur namenlos verlassen.

Auf den Steinfließen kniete sie im Säulengang und rang betend ihre
Hände.

»Heilige Mutter Maria, hilf mir!«

Und dann ein Schrei, wild und wie in Todesnot.

Dort ... dort drüben ... ganz in ihrer Nähe, hinter einem der
unheimlich weiß schimmernden Marmorsteine sah sie es wieder ... das
bleiche Gesicht der toten Mena ... und es war, als käme es immer näher
heran ... schwebte ihr zu ... näher ... immer näher ... so greifbar
nahe, daß das Regele den eisigen Hauch des Grabes zu fühlen glaubte.
Das war so unheimlich und schauerlich, daß sie gellend in die Nacht
schrie.

»Heilige Muttergottes, hilf!« ...

Am Morgen fand der Mesner, als er das Kirchentor zu öffnen kam, ein
blutjunges, fremdes Bauernmädchen besinnungslos im Arkadengang auf.

Man brachte das Regele ins Spital zu den Barmherzigen Schwestern.
Wochenlang lag sie schwer krank und im Fieber.

Und gebar einen Buben ...

Mit dem Kinde im Arm ging sie dann, als man sie wieder gesund aus dem
Spital entließ, aus der großen Ortschaft fort.

Wußte nicht wohin und kümmerte sich nur wenig darum. Es war ja auch so
gleichgültig. Ein herber, scharfer Zug hatte sich um die Winkel des
kirschroten Mundes eingegraben, den der Florl so gern geküßt hatte. Das
Regele dachte jetzt nicht mehr an den Florl. Sie dachte an nichts und
wollte auch an nichts denken.

Hartnäckig hatte sie im Spital ihren Namen verschwiegen und nicht
gesagt, wer der Vater ihres Kindes sei. Nichts erzählte sie den
Schwestern. Gar nichts. Und wenn sie auch noch so teilnehmend fragten.

Die Schwestern hielten sie für verstockt und ließen sie ziehen. Gaben
ihr noch fromme Lehren mit auf den Weg und ermahnten sie, brav zu
bleiben.

Das Regele schaute einen Augenblick verwundert auf. Brav! Sie war doch
immer brav gewesen. Hatte gebetet und gearbeitet, und das bißchen
leichtsinniger Liebe hatte sie hart genug büßen müssen ...

Das Mädel schaute nachdenklich auf das kleine Bündel, das sie im warmen
Tuche eingewickelt im Arme trug. Was sie nur mit dem Kinde anfangen
sollte! Wo würde sie denn Arbeit finden mit der kleinen Last?

Die Sonne brannte heiß auf die staubige Landstraße. Das Regele fühlte
keine Hitze, sie war nur müde und verzagt. Am Rande des Weges setzte
sie sich ins Gras und weinte still in sich hinein.

So fand sie Veit Galler, der Krämer, und nahm sich ihrer an.

»Tuifl, Madel, i moan, di kenn i!« sagte er in seiner lauten,
polternden Art und fletschte die Raubtierzähne.

Ein freudiges Erkennen kam in das verhärmte Gesicht des Mädels.

»Bist ja 's Regele vom Söllerbauer, ha?« fragte der Kramer laut
und pflanzte sich in seiner ganzen Größe vor dem schmächtigen Ding
auf. »Und dös ist g'wiß a Bua und g'hört dem Sakra, dem Florl, ha?«
erkundigte er sich und wies mit seinem plumpen Finger auf das kleine
Bündel. »Hat wohl alles b'standen, der Teufelskerl ...« erzählte er
dann weiter. »Völlig verzweifelt ist er g'wesen, weil sie di nirgends
aufg'funden haben!« berichtete der Kramer, setzte sich zu dem Mädel am
Wegrand hin und brachte sie zum reden.

Es war, als ob alles Schwere mit einem Male von dem Mädel genommen
worden sei. Mit leuchtenden Augen sah sie zu dem großen Manne auf, der
aus ihrer Heimat gekommen war und ihr von daheim erzählte.

Eine große innere Ruhe überkam das Regele. Voll Vertrauen war sie und
voll froher Hoffnung. Sie fühlte Zutrauen zu dem Kramer, fühlte die
warme Menschengüte trotz der groben, polternden Art seines Wesens.

»Ja ... und iatz, Madel? Was iatz?« Ernst und forschend sah der Kramer
Veit in das blasse Gesicht. »Bist völlig a bissl schmal g'worden, kimmt
mir für ...« meinte er mitleidig und fuhr ihr behutsam streichelnd mit
der Hand über die Wangen.

Das Regele zuckte die Achseln. »Woaß nit!« sagte sie leise und tonlos.

»Wohin nachher mit dem Fratz'n, ha?« frug der Kramer Veit über eine
Weile und schaute neugierig in das verdeckte Bündel, das im Arm des
Regele lag. »Ist völlig a braver Bua, ha?« erkundigte er sich dann.
»Weil er nit amal rearen tut.«

»'s tut sich schon!« machte das Regele gleichgültig. Man sah, sie hatte
wenig Freude an dem Kind.

»Hast dir schon was ausdenkt, Madel?« forschte der Kramer Veit weiter.

»Naa.«

»Nit? Ja ... und nachher?«

»Woaß nit!« sagte das Regele gleichgültig.

Veit Galler maß das Mädel, das ihm zur Seite saß, mit scharfen Blicken.

»Ist dir hart gangen, Madel?« forschte er.

Das Regele nickte bejahend, und heiße Tränen fielen ihr über die
Wangen. Dann erzählte sie alles ... alles, was sie erlebt hatte, dem
Kramer Veit.

Ohne sie mit einem Wort zu unterbrechen, hatte der Kramer zugehört.
Als das Regele zu Ende war, herrschte eine Weile tiefes Schweigen.

»Ja ... und iatz?« wiederholte der Kramer seine Frage von vorhin.

»Woaß nit!« erwiderte das Regele. Es klang aber weniger traurig und
weniger mutlos wie zuvor.

Der Veit dachte nach. Lange ... lange Zeit. Und ruhig saß das Mädchen
an seiner Seite und schaute ihm zuweilen ängstlich fragend in das
derbe, kraftvolle Gesicht.

»Woaßt was ...« brach da der Veit das Schweigen. »Gib mir den Buab'n.
I tausch ihn aus. Bring ihn ins Dörfl eini zur Notburg und bring dir
dein' Florl dafür. Und ös zwoa tut's heiraten. Das bitt i mir aus! Nit
da bei uns herin. Da geht's nit. Wir sein no nit so weit. Aber i nimm
enk mit. Außi in die Welt. Da, wo enk koa Mensch fragt, ob's a Geld
habt's zum heiraten. Seid's jung, ös zwoa, und könnt's, wenn's brav
bleibt's, enker Glück machen. Magst, Dirndl? Schlag ein!«

Gutmütig hielt er dem Mädel seine große Hand hin. Und das Regele schlug
ein. Voll Dankbarkeit. Fragte nicht lange, was sie und der Florl wohl
würden tun müssen in der Welt da draußen. War zufrieden und voll
Vertrauen auf den Kramer Veit.

Veit Galler aber nahm das kleine, zappelnde Bündel, lud es auf seine
Kraxe, auf der er von Innsbruck kommend wieder einmal Waren für das
Ladele besorgt hatte, und brachte es der Notburg zu.




                            Viertes Kapitel


In der kleinen, behaglich ausgestatteten Stube, die an den Kramladen
anstieß, saß die Notburg und arbeitete. Einen ganzen Stoß Wäsche hatte
sie vor sich auf dem Tisch aufgestapelt, und neben ihrem Sitz auf
der Holzbank, die rings um die getäfelten Wände lief, lag noch ein
ansehnlicher Pack zum Ausbessern. Socken und Unterhosen und weiße und
farbige Hemden lagen da hübsch säuberlich gewaschen und geordnet zur
Flickarbeit hergerichtet.

Recht zerlumpt war er eigentlich wieder heimgekommen, der Veit. So viel
Wäsche und Zeug er auch mitgebracht hatte, überall fehlte etwas.

Zwei große Holzkoffer hatte der Bote, der einmal in jeder Woche seinen
mit Blachen überspannten Wagen hinaus ins Inntal fuhr, für den Veit
Galler mitgebracht. Bis zu dem stattlichen Dorf, dem Hauptort des
Tales, lieferte der Bote das Gepäck. Von dort aus mußte es abgeholt
werden; und da die beiden Koffer zum Aufladen für einen Maulesel
viel zu unbequem und schwer gewesen wären, mußte sich der Veit einen
Leiterwagen und ein Pferd ausborgen und sein Gepäck selber ins Dörfl
hinaufbringen.

Das gab ein Geschau, als der Kramer Veit mit den großen, dunkel
angestrichenen Holzkoffern angerückt kam. Und ein neugieriges Fragen
von allen Seiten war es, was für schönes, wertvolles Zeug denn wohl in
dem Gepäck verborgen sein würde.

»Mei ...« machte die Notburg und hob die Achseln gleichgültig. »Halt
aa grad' Wäsch' und a bissel a G'wand. Muß halt erst z'sammg'flickt
werden, weil's aa grad' umadum z'rissen ist.«

»Freilich! Freilich!« pflichtete ihr die Fragerin, eine ältere Bäuerin
aus dem Nachbarhause, bei. »An oanschichtig's Mannsbild ... woaß man
wohl! Hat aa koan Mensch nit, der ihm eppas antat'! Wirst eppar gar
nimmer fertig werd'n mit der Arbeit, bis er wieder fort geht, der Veit,
ha?« fragte sie mit lauerndem Blick.

»Ah wohl. I dermach's leicht no!« erwiderte die Notburg kurz und
schroff.

»Freilich! Freilich! Derweil hast aa leicht. Woaß man wohl!« stimmte
die Nachbarin eifrig zu.

Sie hätte gar zu gerne etwas von dem Inhalt der beiden Koffer gesehen
und war herüber gekommen, der Notburg ihre Hilfe beim Auspacken
anzubieten. Die Notburg aber ließ die Koffer inmitten der kleinen
Wohnstube stehen, wie sie waren, und klappte nur noch rasch die Deckel
zu, ehe sie sich gegen die Besucherin wandte.

Die blieb unter der Türe stehen und getraute sich nicht weiter
hereinzukommen und auch nicht mehr weiter zu fragen. Die Notburg
machte ein so entschiedenes, abweisendes Gesicht und war so gar nicht
zugänglich für kleine nachbarliche Vertraulichkeiten.

Wenn man's so recht betrachtete, war der Veit gerade auch nicht zu
neiden mit seinem mürrischen Weib, dachte die Bäuerin bei sich. Dann
kehrte sie wieder langsam in ihr eigenes Haus zurück und sah von dort
aus noch eine Weile neugierig durch das kleine Gitterfenster hinüber
zum Kramer.

Geschah der Notburg eigentlich doch ganz recht, der Z'widerwurzen, wenn
ihr der Mann bald wieder durchging. Es war kein freundlicher Blick,
den die Nachbarin hinüber warf zur Notburg, deren Gestalt für einen
Augenblick am Hauseingang zu sehen war.

Das glaubte einmal kein Mensch der Notburg, daß der Veit weiter nichts
als Wäsche und Kleider in den Koffern hatte! War ein recht ungut's
Ding, die Notburg! Hätte doch auch ein bissl was reden und deuten
können, was in den beiden Koffern steckte!

Gar nicht mehr loskommen konnte die Nachbarin von den Koffern.
So geheimnisvoll und fremdländisch wie die aussahen! Und sollten
ordentlich schwer gewesen sein. »Völlig nit zum derlupfen ...«
erzählten die beiden Burschen, die dem Kramer Veit beim Abladen der
Koffer behilflich gewesen waren.

Und der Veit hatte gar so viel lustig und selbstzufrieden
dreingeschaut. War in Hemdärmeln vor der Türe gestanden und hatte grad'
kommandiert. Und aus vollem Halse gelacht hatte er, weil ihm der eine
Koffer beinahe aus den Händen gerutscht war.

Die Leute munkelten im Dörfl, daß dieser Koffer bestimmt voll Gold
gewesen war; denn ein paar Weiber, die beim Abladen ganz in der Nähe
gestanden waren, hätten darauf schwören können, daß sie deutlich etwas
darin hatten herumrollen hören, das wie Gold geklungen habe.

Die Notburg hätte es weiter auch nicht nötig gehabt, so g'sparig zu
tun und den ganzen lieben langen Tag über ihrer Flickerei zu hocken.
Natürlich! Von reichen Leuten konnte man sparen lernen, und geizig
waren sie beide ganz gleich, die Notburg und der Veit.

Kaum daß sich der Kramer etliche Wochen daheim ausgerastet hatte, war
er schon wieder auf und davon gegangen. Hatte seine Kraxen auf die
Schulter genommen und war damit nach Innsbruck hinauf gewandert. Ganz
wie in früheren Jahren, da er noch kein so wohlhabender Mann gewesen
war.

Nur war die Kraxe, die er aus dem Tal hinaustrug, diesmal leer gewesen
und nicht mit Käselaiben schwer beladen wie in früheren Zeiten, so daß
man oft vor lauter Gewicht den Kopf des Trägers kaum mehr sehen konnte.
Ein bißchen bequemer und leichter hatte sich's der Kramer Veit also
doch jetzt eingerichtet.

Die Leute im Dörfl sahen und belauerten ganz genau, was bei dem Kramer
vorging. Und die Notburg hatte jetzt oft auch an Werktagen einen ganz
regen Geschäftsverkehr im Ladele. An den Sonntagen aber, gleich nach
der Frühmesse, da gab's im Ladele jetzt Hochbetrieb. Aus den Berghöfen
der Nachbartäler kamen die Bauern und kauften ein. Sie mußten sich doch
mit eigenen Augen überzeugen, wie der Kramer Veit eigentlich jetzt
ausschaute, und was er zu erzählen wußte.

Die Weiber kamen ins Ladele, kauften ein paar Kleinigkeiten und fingen
an, der Notburg ausführlich über ihr eigenes Leben und Treiben zu
berichten. Dabei spähten sie neugierig durch die Türe, die ins Innere
des Häuschens führte, ob sie den Veit nicht doch zu sehen kriegten.
Und wenn er sich nicht zeigte, dann fragten sie nach ihm. Wenn sie
schon einmal da herinnen waren, dann wollten sie ihn wenigstens auch zu
Gesicht kriegen.

Es war sonderbar, wie rasch die Kunde von der Heimkehr des Kramer Veit
nach überallhin gedrungen war. Eine Neuigkeit benötigt weder Post noch
andere Verbindungsmittel. Sie fliegt förmlich durch die Luft, eilt von
Mund zu Mund bis in die entlegensten Berghöfe. In der Einsamkeit sind
die Menschen hungrig nach Ereignissen. Es berichtet der eine dem andern
ungefragt, was er gehört hat und was sich im Umkreis ereignet hat.

Auch die Männer kamen an den Sonntagen nach der Frühmesse ins Ladele.
Standen mit ihren steifen, ungelenken Beinen breitspurig herum,
entzündeten sich umständlich ihre Pfeifen oder klopften die Asche
heraus und redeten dabei auf ihre Weise mit dem Kramer Veit. Sie
sprachen mit ihm ganz wie in früheren Zeiten, als ob er nie von ihnen
fortgewesen wäre, und sie lobten ihn untereinander, weil er sich immer
gleich geblieben war, gar nicht stolz geworden war und Anteil nahm an
ihren Interessen ganz so wie in früheren Jahren.

Auch die Weiber sprachen sich leicht mit dem Veit. Viel leichter
wie mit der Notburg, der man ja jedes Wörtl förmlich aus dem Mund
herausziehen mußte.

Das war beim Veit anders. Der erzählte ihnen frisch und lustig, was sie
wissen wollten, und lachte mit ihnen ... laut und polternd, daß es eine
Freude war, ihn anzusehen.

Das gab oft einen Spektakel ab im Ladele! Die Notburg war an den vielen
Lärm gar nicht mehr gewöhnt und bekam einen ganz wirbligen Kopf davon.
Denn all die Jahre her, wo sie einsam hier gehaust hatte, war der
Geschäftsbetrieb nur flau gewesen. Auch an Sonntagen. Da kamen wohl
auch die Bäurinnen, aber sie hielten sich nicht lange auf im Ladele.
Denn ratschen und sich miteinander unterhalten, das konnte man am
Dorfplatz draußen weit besser, als in dem engen Raum drinnen.

Jetzt aber, da der Veit hier war, jetzt war's völlig unterhaltsam
da drinnen. Der erzählte mit seiner lauten, polternden Stimme, und
die Weiber brauchten sich keinen Zwang anzutun, um ihre Stimmen
einzudämmen, sondern konnten auch mitreden, wie ihnen der Schnabel
gewachsen war.

Reden aber, besonders wenn es recht freundlich klingen soll, bedeutet
bei den Bergbauern, daß sie sich gegenseitig mit der ganzen Kraft,
deren ihre Lungen fähig sind, anschreien. Das Schreien, das sind sie so
gewohnt und merken es gar nicht. Würden es auch arg verübeln, wenn man
sie darauf aufmerksam machte.

Sie wohnen entlegen und oft stundenweit entfernt voneinander und
begegnen sich nur selten. Sehen sie einmal einen zufällig des Weges
kommen, dann grüßen sie ihn von ferne. Bieten ihm die Tageszeit und
halten für eine Weile mit der Arbeit im Feld inne. Und er ruft ihnen
den Gruß zurück und fügt wohl auch ein scherzhaftes Wörtl hinzu.

Oft können sie die Gesichter gegenseitig kaum richtig unterscheiden
und sehen nur von ferne, ob es ein Bekannter ist, und ob er jung oder
alt sei. Aber sie hören gegenseitig ihre Stimmen und rufen sich die
Neuigkeiten aus der Ferne zu.

So ein Geschnatter am Sonntagmorgen, wenn sich Bergbäurinnen
zusammenfinden, muß man gehört haben! Das schreit und lärmt in
langgezogener, etwas singender Mundart. Lauter gute, freundliche Worte,
die aber ungeübten Ohren unverständlich und rauh vorkommen.

Veit Galler, der Krämer, aber verstand sie, und ihn störte der Lärm
der schreienden Stimmen nicht im mindesten. Er freute sich über den
heimischen Klang wie ein Kind, und dieser erschien ihm wohltönend und
schöner wie Musik.

Völlig beliebt hatte sich der Kramer Veit seit seiner Rückkehr bei den
Bergbauern gemacht. Von allen Seiten lud man ihn ein, doch auch einmal
zu ihnen zu kommen und einen Schnaps bei ihnen zu trinken.

Die Leute im Dörfl waren nicht so zuvorkommend wie die Bergeler. Das
kam daher, weil sie den Veit doch für einen ihnen Fremdgewordenen
hielten, für einen, der sich von ihnen zum Teil losgesagt hatte und
besser geworden war wie sie. Es war hauptsächlich Neid und Mißgunst,
die da keine richtige Freundschaft zu ihm aufkommen ließen ...

Der Kramer Veit keuchte die kleine, sonnige Bergstraße vom Tal herauf
ins Dörfl. Hochbeladen war die Kraxe, und obenauf hatte er ein
sonderbares Bündel geschnürt.

Aus den Türen und Fenstern guckten die Weiber und Kinder verstohlen auf
den Kramer und rieten, was wohl in dem Bündel sein würde. Ein junger
Bursch stand am Dorfplatz beim Brunnen und tränkte eine Kuh.

»Hast schwar aufg'laden, Kramer?«

»Ja. 's tut sich.«

Weiter ging der Kramer bis vor sein Haus hin. Dort machte er auf der
Holzbank Rast und stellte die Kraxe nieder. Wischte sich umständlich
mit dem rotgeblumten Taschentuch den triefenden Schweiß von dem Gesicht
und klopfte dann an das Fenster der Stube, wo die Notburg in einer Ecke
über ihre Arbeit vertieft dasaß.

»Notburg!«

Die Notburg sah von ihrer Arbeit in der Stubenecke auf, legte dieselbe
langsam aus der Hand, ging gemächlich und ohne Aufregung zu dem
Fenster hin, öffnete es und versuchte den Kopf durch das vergitterte
Fensterkreuz zu stecken. Sie sah die Kraxe auf der Bank unten vor dem
Fenster stehen, sah, daß der Veit wieder einmal schwer aufgeladen
hatte, und schaute in sein erhitztes, fröhliches Gesicht.

»Kommst nit einer?« fragte sie den Mann.

»Naa!« lachte der Veit breit zu ihr hinauf und zeigte fletschend seine
gelbweißen Zähne, über die sich die wulstige Oberlippe weit nach oben
schob. »Komm' du z'erst außer!« forderte er sie auf und machte dabei
ein ganz pfiffiges Gesicht.

»Zu was denn?« frug sie mürrisch zurück.

Die Notburg war im Lauf der Jahre etwas dick und schwerfällig geworden
und liebte es nicht, unnötigerweise von ihrer bequemen Ruhe aufgestört
zu werden.

»I hab' dir was mitbracht, Notburg ...« sagte der Veit und dämpfte
seine Stimme geheimnisvoll. »Geh' nur her da. Kimm ...« lud er sie ein
und winkte ihr mit dem Finger seiner plumpen Hand. »Du kannst besser
umgehen mit dem Zeug wia i. Bin froh, wenn i's abg'laden hab'!« fügte
er erleichtert aufatmend hinzu und runzelte leicht die Stirne.

Da kam die Notburg aus der Ladentüre heraus. Langsam und gemächlich und
gar nicht neugierig. Groß und stattlich stand sie unter der Türe im
prallen Sonnenschein des Hochsommertages, und trotz ihrer vorgerückten
Jahre war sie noch immer eine hübsche Frau.

Die schweren Zöpfe, die sie zur Krone gewunden um den Kopf trug, waren
jetzt freilich viel dünner geworden, und das helle Aschblond ihrer
Haare schimmerte im matten Grau. Das schwarze, schmale Samtband, das um
den Scheitel gelegt war und über das sich die Haarkrone aufbaute, stand
gut zu der grauen Farbe und verlieh dem Haar ein äußerst sauberes und
ordentliches Aussehen.

Das einst sonngebräunte Gesicht der Frau war jetzt zart und beinahe
weiß vom vielen Stubenhocken und sah ernst und so strenge aus, als
hätte das Weib niemals im Leben das Lachen gekannt.

Die Notburg hatte es gar nicht eilig mit dem Herauskommen und
war auch nicht im mindesten neugierig auf das, was der Veit ihr
mitgebracht hatte. Sie war nur herausgekommen, um ihm den Willen
zu tun. Freude hatte sie ja doch mit nichts. Es war ihr alles so
furchtbar gleichgültig, und sie gab sich auch gar keine Mühe, ihre
Gleichgültigkeit zu verbergen.

»Wirst Augen machen!« lachte der Veit und sah die Frau listig von der
Seite an, während er die Gurten von der Kraxe zu lösen begann. »Geh'
nur aber da von die Staffeln und schau dir's an!« Und dabei hielt er
der Notburg das Kind vom Regele entgegen, das er oben auf die Kraxe
geschnürt hatte.

Mit ungeschickten Händen hielt er das kleine Bündel, aber doch zart
und fürsorglich. Und seine runden, etwas vorstehenden Augen hatten
einen etwas ängstlichen Ausdruck, als fürchtete er, das winzige
Wesen mit seinen derben Händen zu zerdrücken. Das Kind, das in dem
schwarzwollenen Tuch fest eingewickelt war, wimmerte leise und kläglich.

»Hat Hunger!« sagte der Veit grinsend. »Mußt ihm gleich a Milchele
sieden, Notburg.«

Die Notburg stand wie erstarrt auf der kleinen Treppe, die vom Ladele
herabführte. Beide Hände hatte sie in die Hüften gestemmt. Stand reglos
da und schaute abwechselnd mit ihren hellen Augen auf ihren Mann und
dann wieder auf das schwach wimmernde Bündel in seinen Händen.

»Ha?« frug der Veit lustig. »Hab' i's nit g'sagt, daß du Augen machen
wirst? Gelt, das hättest nit erwartet?« meinte er laut und polternd.

Die Notburg schüttelte langsam den Kopf. Aber sie sagte kein Wort.
Hielt den Mund fest zusammengepreßt, damit ihr ja kein Wörtl auskam,
und schaute nur immer auf den Veit und dann auf das Kind in seinem Arm.

»Jetzt wie, Notburg ...« machte der Veit etwas ungeduldig, da sich die
Notburg noch immer nicht von der Stelle rührte. »Nimm dir's! Es g'hört
dir! Sollst es aufziehen ...« fügte er gutmütig und mit seinem breiten
Grinsen hinzu. »Damit's an ordentlich's Mannsbild abgibt. Da ... nimm's
und schau nit lang!« befahl er. »I hab's iatz lang g'nug g'schleppt und
derheb's schon völlig nimmer!«

Langsam und zögernd kam die Notburg jetzt die Stufen herab dem Manne
entgegen. Sah ihm fest in die Augen ... aber sagte kein Wort. Hielt
dann die Arme ausgebreitet, und der Veit legte das wimmernde Bündel
hinein.

»Jatz wohl!« meinte er erleichtert. »Und iatz kochst ihm a Milchele,
dem Buab'n!« gebot er beinahe herrisch. »A Lungl hat dir der Bua
g'habt unterwegs und a Kraft; möchst es nit glaben, daß der's Kind
vom Söllerbauer sein Regele ist!« erzählte er dann auf seine laute,
polternde Art.

Langsam war die Notburg mit dem jetzt kräftig schreienden Kind in
das Haus hineingegangen und schaute unverwandt in das krebsrote
Gesichtchen. In der Stube drinnen legte sie das Kind auf den Tisch
neben die frisch gewaschene Wäsche, die zu einem Stoß aufgestapelt
dalag. Dann machte sie sich daran, das Kind aus seiner warmen Hülle zu
befreien.

Das Kind, das stundenlang der Sonnenglut ausgesetzt auf der Kraxe
getragen worden war, dampfte förmlich in dem wollenen Tuch vor Hitze.
Jetzt, da es frei und ledig auf dem Tisch lag, ließ es mit Weinen nach
und streckte wohlig die rosigen Glieder. Dann steckte es das Fäustchen
in den Mund, sog eifrig daran, öffnete verwundert die hellblauen Augen
und starrte auf die fremde Frau, die sich zu ihm beugte.

»Mei' Häuterle!« flüsterte die Notburg weich. »Nit amal a ordentlich's
Hemdl hat's an ...« sagte sie leise. »So a Häuterle, an arm's!«

»Gelt?« Der Veit war hinter der Notburg in die kleine Wohnstube
getreten und stand jetzt neben seiner Frau. »A Häuterle ist's, gelt,
Notburg?« fragte er und versuchte ihr in die Augen zu schauen. »Und
gelt, i hab' recht g'habt, daß i dir's bracht hab'?«

Um den streng geschlossenen Mund der alternden Frau zuckte es
leicht. »Was soll denn i damit anfangen?« frug sie schroff und ohne
aufzublicken. »I kann nit umgeh'n mit Kinder. Hab's nia nit g'lernt.«

»Dös lernt sich schon!« versicherte der Veit, und seine Stimme klang
so weich wie seit langen Jahren nicht mehr. »Wirst sehen, Notburg, wie
schnell du dös kannst, dös Kinderwarten. Und wia gern du's kriegen
wirst, dös Häuterle! Völlig wia a eigenes. Pass' auf!« Leicht legte
der Veit seinen Arm um die Hüfte seines Weibes. »Und wenn i nit bei
dir bin, Notburg, nachher ist dir nimmer so derweillang, wirst sehen.
Hast was Lebendig's um dich, das di gern hat und um das di sorgen und
kümmern kannst. Ist dir alm abgangen, a Kindl, Notburg ...« sagte er
weich und fast flüsternd ... »Dir ... und mir aa! I gsteh's ein. Leicht
hätt's mi leichter g'litten da heroben, wenn so a Kleinigkeit im Haus
umanand g'wuzelt war'. Aber lass' lei, Notburg ...« wehrte er ab, als
die Frau Miene machte, sich aus seinem Arm zu lösen. Nur noch etwas
fester umschlang er sie, und es war lange her, daß die Stimme des
derben Mannes so zart und innig geklungen hatte.

»Was uns der Herrgott nit g'schenkt hat, Notburg, das wollen wir uns
iatz selber nehmen. Und wollen das Kindl da aufziechen und es ganz als
wie's unsrige betrachten. Schau, Notburg ...« fuhr er leise redend fort
... »i werd' ja aa alleweil älter ... und gar so lang dauert's nimmer
... kimmt mir vor ... bis i wieder an Fried gib. Ziech mir'n auf,
den Bub'n, Weibl ...« bat er warm und innig ... »damit wir im Alter
no a Freud' erleben miteinander, gelt? Damit i aa weiß, für wem i mi
g'rackert und g'schunden hab', und wem unser Sach' amal g'hört.«

Treuherzig und schlicht klangen die Worte des Mannes, und fest und warm
preßte er die Hand seiner Frau, die kühl wie immer in der seinen lag.

Und der Veit versuchte es, ihr ganz so wie in früheren Zeiten in die
Augen zu schauen. Aber die Notburg hielt den Kopf gesenkt und beugte
sich tief über das kleine Wesen, das vor ihr auf dem Tische lag und
behaglich mit den mageren Beinchen strampelte.

Sie beugte sich so tief über das Kind, die Notburg, damit der Veit
nicht merken solle, daß ihr die Augen feucht wurden und ihr Mund
krampfhaft zuckte vom verhaltenen Weinen. Aber der Veit sah es doch.
Sah's und freute sich. Und tat, was er seit vielen ... vielen Jahren
nicht mehr getan hatte. Er nahm die Notburg um die Mitte, bog ihr den
Kopf zurück und küßte sie auf den Mund. Lange und innig ...

Und als der Herbst kam und Veit Galler abermals in die Fremde zog, da
ging die Notburg ein weites Stück mit ihrem Manne. Fast bis ins Tal
hinab. Und hatte kein wehes Gefühl des Abschieds im Herzen und fühlte
sich auch nicht mehr so trostlos verlassen.

Mann und Frau hatten sich in diesen letzten Wochen ihres Beisammenseins
wieder gefunden. Hatten wieder zueinander geredet wie in ihren
Jugendtagen, hatten Pläne gemacht und von der Zukunft gesprochen.

Und die Notburg wußte und fühlte es jetzt mit Bestimmtheit: nur mehr
etliche Jahrln, und der Veit würde bei ihr bleiben für immer.




                            Fünftes Kapitel


Veit Galler, der Krämer, war diesmal nicht allein fortgezogen aus der
Heimat. Den Florian Siegwein hatte er mit sich genommen und damit im
Dörfl ein übles Gerede angerichtet.

Sie waren schlecht zu sprechen auf den Kramer Veit, im Dörfl. Schon
deshalb, weil er so gottlos gewesen war und das schlechte Mädel,
das Regele, von der Straße aufgeklaubt hatte und sie jetzt irgendwo
versteckt hielt.

Darüber erzürnten sich die Leute recht. Denn wenn ein Mädel wie das
Regele, das beinahe selber noch ein Fratz war, so spottschlecht sein
konnte und ein Kind bekam, dann gebührte ihr die öffentliche Schande.
Wohin sollte denn das führen, wenn man so ein Mädel auch noch in Schutz
nahm und sie der Strafe entzog?

Aber natürlich, der Kramer Veit! Der wußte und verstand wohl alles
besser, was sich schickte, als wie Kirche und Geistlichkeit! War völlig
ein Luthrischer oder gar ein Heid' geworden, der Kramer, und war kein
ordentlicher Christenmensch mehr.

Die Notburg bekam manche bissige Redensart zu hören, weil sie das
Kind vom Regele aufgenommen hatte. So was gab nur böses Beispiel und
munterte förmlich zur Schlechtigkeit auf. Konnte ja alle ledigen
Kinder aufnehmen, die Notburg, wenn sie schon solche Freude am
Kinderwarten hatte.

Das und ähnliches sagten ihr die Nachbarsleute offen ins Gesicht. Aber
die Notburg war keine, der man bissige Reden ungestraft hinreiben
durfte. Kräftig und derb entgegnete sie den höhnischen Angriffen, und
die Weiber wunderten sich nur, wie die Notburg doch immer wieder fest
zu ihrem Manne hielt. Jetzt noch mehr denn zuvor, erschien es ihnen.

Sie fand es offenbar ganz in der Ordnung, daß sich der Veit so
warmherzig um das Regele annahm, und sie begriff es auch, was sie alle
nicht begreifen konnten ... daß er nun gar auch den Florl noch aus der
Heimat fortlockte.

Was der eigentlich mit dem Burschen in der Welt draußen anfangen wolle,
fragten sie immer wieder und schüttelten bedenklich die Köpfe. Gelernt
hatte der Florl ja nichts und konnte wohl kaum seinen Namen richtig zu
Papier bringen. Daß das mit dem Florl und dem Regele auf keinen Fall
ein gutes Ende nehmen würde, das prophezeiten sie einmal alle im Dörfl.

Dem Kramer Veit war es zunächst selbst ein Rätsel, was er mit den
beiden jungen Leuten eigentlich beginnen sollte. Und als er damals
kurze Zeit, nachdem er das Kindl auf seiner Kraxe ins Dörfl getragen
hatte, zu dem Florl aufs Alpl hinaufgestiegen war und ihm getreu alles
von dem Regele berichtet hatte, da fuhr er sich wohl ein über das
andere Mal bedenklich mit der Hand durch das schüttere, graumelierte
Haar.

Neben dem Wasserle auf einer Steinplatte waren die beiden gesessen und
etwas abseits von den Almhütten. Eine Holzröhre, vom Alter völlig mit
Moos bewachsen, leitete quellendes Brunnwasser, und leise murmelte es
durch die Röhre, plätscherte dann geschäftig als Brunnen, ergoß sich
über die holprigen Steine und formte sich dann zu einem Bächlein.
Brunnkresse, tiefblaue Vergißmeinnicht und sattgelbe Dotterblumen
wuchsen am Rande des Bächleins, das die Bergmahd durcheilend ins Tal
hinabrieselte.

»So, Bua ... iatz woaßt es, wie's steht!« sagte der Veit und stierte
ernst und mit nachdenklichem Gesicht vor sich hin. »Und daß du's Dirndl
heiraten mußt ... dös wirst einsehen.«

Forschend und scharf beobachtend sah er auf den Burschen, der ihm zur
Seite saß. In kurzen, abgetragenen Lederhosen und mit nackten Waden und
Füßen. Ein weißes Hemd, das jetzt nicht mehr weiß, sondern schmutzig
grau aussah, ließ vorn die Brust entblößt, die vom Sonnenbrand braunrot
wie die Haut eines Indianers geworden war.

Auf dem Kopf saß keck herausfordernd ein spitzes Filzhütl, das einmal
wohl schwarz gewesen sein mochte, jetzt aber grünlich schillerte.
Eine kurze weiße Hahnenfeder schmückte das Hütl und erhöhte noch das
verwegene Aussehen des Burschen.

Er machte entschieden einen verwilderten Eindruck, der Florl, mit
seinem ungepflegten, vollen braunen Haar, den listigen Augen und dem
krausen Spitzbart, der das feine, sonnverbrannte Gesicht umrahmte.

Wie er so dasaß, die nackten Beine vom Quell des Wassers spielerisch
berieseln ließ und sich dabei eifrig immer wieder die Füße wusch,
schien es, als machte die Rede des Kramers nicht den geringsten
Eindruck auf ihn. Und doch war der Florl ganz bei der Sache und
heilsfroh, als er hörte, daß das Regele am Leben war.

Es war ihm recht, daß der Veit das Kind als sein eigenes behalten
wollte und daß er das Mädel im Inntal draußen in einer Wirtschaft
untergebracht hatte. Für eine Basl hatte der Kramer das Regele bei den
Wirtsleuten ausgegeben.

»A Tochter von a meiniger Basl ... die heiraten soll und halt aa gern
no eppas lernen möcht' ...« log er der Wirtin vor. Er kannte sie schon
seit vielen Jahren, und da er bei ihr stets ein guter Gast gewesen war,
hielt sie große Stücke auf den Veit. Sie fragte auch gar nicht lange
nach der Herkunft des Mädchens, und es genügte ihr, daß das Regele eine
Verwandte vom Kramer Veit war.

Arbeitskräfte konnte man in einem Gasthaus immer brauchen, und
besonders zu Sommerszeiten, wo man noch dazu am Feld draußen alle Hände
voll zu tun hatte. Die Wirtin lud daher das Regele recht freundlich
ein, nur dazubleiben und halt überall zuzugreifen, wo sie eine Arbeit
sähe.

»'s G'wand vom Dirndl bring' i aft schon her, bald i wieder kimm!«
versicherte der Veit, indem er der Wirtin die Hand zum Abschied
hinreichte.

Er hatte es recht eilig, der Kramer, wieder zur Haustüre hinauszukommen
und zu seiner Kraxe, die er abseits vom Hause hatte stehen gelassen.
»Denn sonst hätt' am End' der kloane Sakra 's schreien ang'hebt ...«
erzählte der Veit lachend dem Florl ... »und nachher war's aus und
g'fahlt g'wesen bei der Wirtin ... woaß man wohl!«

Der Florl erklärte sich mit allem einverstanden. Gern wolle er ja das
Regele heiraten, meinte er zögernd, aber ... und dabei stockte er und
rückte unruhig an seinem Filzhütl und schaute nachdenklich hinüber zu
den schwarzgrünen Wäldern in der Tiefe und zu den Bergen hinauf, die im
Hintergrund der drei Hochtäler sich noch majestätischer aufbauten wie
drunten vom Dörfl aus gesehen.

»Aber?« forschte der Kramer Veit und sah mit seinen runden, etwas
hervorstehenden Augen scharf beobachtend auf den Burschen. Seine
wulstige Oberlippe war weit über die gelblichen Zähne emporgeschoben,
so daß es aussah, als lache er. Er lachte aber nicht, der Veit, sondern
war ernst und nachdenklich, wie er sich jetzt mit seinen beiden Händen
schwer auf den dicken Stock stützte.

»Koa Geld, was?« forschte er dann über eine Weile.

»Ja!« nickte der Florl und schlenkerte die braunen, nackten Füße
spielerisch im Brunnenwasser hin und her.

Dann saßen sie beide wieder eine Weile schweigend, und der Quell, der
sie trennte, murmelte und brodelte im Holzrohr. Der Kramer Veit saß
weit nach vorn gebeugt und stützte das kurze, massige Kinn auf die
Hände, mit denen er den Griff des Stockes umklammert hielt.

»Wann i dir aa a Geld leihen tat, damit dir eppas ankaufen kanntest
...« fing der Veit dann langsam zu reden an ... »ös derfets ja do nit
heiraten. Seid's no viel zu jung ... ös zwoa ... saget die Gemeinde.«

Der Florl nickte leicht mit dem Kopf und kraulte sich bedenklich seinen
Bart. Sagte aber kein Wort.

»So hab' i mir halt denkt, und hab's aa mit'n Regele abg'red't ... wann
ös zwoa halt mit mir gangets ... in die Welt außi ... woaßt wohl?«
Forschend sah der Kramer in das junge, etwas leichtsinnige Gesicht des
Burschen.

»Hattest was dagegen, du?« frug er ihn dann, da ihm der Florl die
Antwort schuldig blieb.

Der Florl schüttelte den Kopf. »Hab' nix einzuwenden dagegen!« meinte
er und spielte unablässig mit den Füßen im Wasser herum.

»Also warst nachdem einverstanden damit?« frug der Kramer eindringlich.
»Du und 's Regele geht's mit mir auf Micheli fort, und du heiratest aft
's Madel. Verstanden?«

»Und i heirat' aft 's Madel!« wiederholte der Florl, hörte mit dem
Wasserplätschern auf, sah angelegentlich in die Luft, spitzte den Mund
und stieß einen leichten Pfiff aus.

»Ja ... und ...?« Der Kramer runzelte mißtrauisch die breite, wuchtige
Stirn. »Was paßt dir aft nit?« frug er barsch.

»Mir?« Der Florl schaute spitzbübisch auf den Kramer. »Mir paßt alles.
Aber mei' Bauer ... was der eppar dazu sagt. Hab' nit aufg'sagt auf
Micheli.«

»Ah so! Dei' Bauer!« machte der Kramer Veit. »Werd' halt i a Wörtl
reden müssen mit dein' Bauer!« ...

Mit dem Dienstherrn des Florl hatte der Kramer Veit dann noch eine
langwierige Auseinandersetzung. Er begriff nicht gleich, der Bauer,
weshalb er so mir nichts dir nichts seinen Knecht außerhalb der
üblichen Zeit sollte ziehen lassen. Schließlich gab er aber doch nach,
weil der Kramer unermüdlich und in einemfort auf ihn einredete.

»Muaß halt an andern stellen, der Florl!« meinte der Bauer. »Aft mag
er von mir aus schon giahn, der Hallodri! Hab' ihn sonst nit ungern
g'habt. Hat aufs Viech aufpaßt und koan Arbeit nit g'scheucht. Hat aa
eppas vom Kasen verstanden, der Florl!« lobte er den Burschen. »Hatt'
ihm nia nit aufg'sagt, dem Buab'n ...« fügte er bedauernd hinzu und
klopfte sich umständlich die Pfeife aus. »Nia nit aufg'sagt hatt' i
ihm!« versicherte er nochmals eindringlich ...

»Also ... dös hätt'n wir glücklich bei'nander!« meinte der Kramer Veit
zum Florl, als sich nun auch ein Ersatz für ihn gefunden hatte. »Jatz
war'n wir so weit, und 's Madel braucht nimmer lang zu rear'n draußen,
weil's so viel derweillang hat und ihr's gar so schiach dunkt im Tal
unten!« sagte er breit und polternd. »Aber, mei' Florl ...« meinte der
Veit dann in komischer Verzweiflung ... »was fang' i grad' mit enk zwoa
an! Können tut's ja hinten und vorn nix als wia Lieder singen und a
bissl Zither und Guitarr'g'spiel?«

»Sell aa!« meinte der Florl seelenruhig. »Und Heumachen und Misttragen
und Kuhmelken und an Kas machen ...« zählte der Florl seine Fähigkeiten
an den Fingern ab. »Ist dös weiter nix'n?« frug er lustig.

»Naa!« sagte der Kramer, sehr ernst werdend. »Dös ist nix. Kannst nit
brauchen in die großen Städt' ... woaßt wohl! Aber enker Singerei und
enker G'spiel, dös kann enk vielleicht a Geld einbringen, moanet i!«

Da riß der Florl vor lauter Verwunderung seine beiden Augen auf, so
weit es nur anging. Und wußte nicht, ob bei dem Kramer Veit nicht doch
am Ende ein Radl im Oberstübchen locker geworden sei.

»Dös Singen?« frug er, und nicht nur die Augen, sondern auch der Mund
stand ihm jetzt sperrangelweit offen.

»Ja!« sagte der Kramer ernsthaft. »Dö Singerei. Habt's ja beide koane
unebene Stimmen nit und könnt's wohl aa alle G'sanglen und Jodler, wie
sie da herin bei uns der Brauch sein. Da könnt' völlig a bissel a Geld
außer schau'n bei der Sach' ...« sagte er nachdenklich und gedehnt.

Und dann erzählte der Kramer Veit dem Florl, wie er in Amerika drüben
oft vom Heimweh geplagt worden sei. »Woaßt ... und grad' wenn i so auf
die Nacht unter dö ganz fremden Leut' in an Gasthaus g'hockt bin und dö
so g'racht und g'soffen haben und manchmal aa in dera fremden Sprach'
zu singen ang'hebt haben ... woaßt, Florl ... da ist mir grad' g'wesen,
als müsset i aufspringen und ihnen mit der Hand 's Maul zuheben, damit
sie nimmer singen können. Weil's alle mitanand koa anständige Stimm'
g'habt hab'n und aa koan ordentlich's Liedl nit haben singen können.
Und amal sein wir bei an Haar raufet worden. I und no a paar sölle
Löder. Hab'n grad' g'sungen und schiach tan, bis i's nimmer ausg'halten
hab' und g'sagt hab', sie soll'n 's Maul halten. Mei Lieber ... dös
hattest sechen sollen, wie die aufbegehrt haben! I soll's besser
machen, hab'n sie g'schrien ... wann i's könn', und sie wöll'n mir in
Schädel einhau'n ... hab'n 's g'moant. I hab' mi weiter nit g'fürchtet
vor'n Schädel einhau'n!« Der Kramer Veit fletschte die Zähne und reckte
seine mächtigen Glieder. »Dö hatt'n schon Augen g'macht, bald sie mi
angriffen hatten! Haben's aber nit tan. Sein viel zu viel b'soffen
g'wesen dazu. Aber oans g'sungen hab' i ihnen. A Lied mit an Jodler
drauf! Tuifel ... hab'n dir die Augen herg'macht! Nimmer auslassen
haben's mi und mir grad' oa Glasl Wein und oa Glasl Schnaps ums andere
eingeschenkt. Und alleweil hab' i wieder no oans singen müssen. Weil's
ihnen grad' so viel gut g'fallen hat. Und nix hab' i zu zahlen brauchen
denselbigen Abend. Der Wirt ist kommen und hat mi eing'laden, i soll ja
fein g'wiß wieder kommen und aa eppas singen. Ja mei ...« Der Kramer
Veit hielt mit seiner Erzählung inne und stieß kräftig seinen Stock in
den steinigen Erdboden. »Wenn i dir sag' ... völlig a G'schäft hab' i
dir mit der Zeit mit meiner Singerei g'macht. I hab's bald heraußen
g'habt, daß sich dös umanand g'red't hat, und daß, bald i mit singen
ang'hebt hab' ... die ganze Wirtsstuben voll Leut' g'wesen ist. Da bin
i zum Wirt gangen und hab' g'sagt, daß i nix mehr singen tua, außer er
zahlt mi dafür.« Der Veit grinste breit und schlau. »Ist weiter koa
Arbeit nit g'wesen für mi ... dös glaubt's mir wohl. Hab's gern tan ...
wenn i aa nit grad' an extra gute Stimm' g'habt hab' ... aber verdient
hab' i ganz anständig dermit. Dös Jodeln hab'n 's halt gar so viel gern
g'hört, dö Löder, dö ausländischen.«

Still und beinahe andächtig horchend war der Florl dagesessen und hatte
den Kramer Veit mit keinem Worte unterbrochen. Die beiden saßen wieder
auf der Steinplatte und hatten den murmelnden Brunnen zwischen sich.

Leise und gleichmäßig sprudelte das Wasser aus der Röhre und
plätscherte dann als fröhlicher Bach über die Bergmahd ins Tal hinab.
Abseits grasten die Kühe, und etliche lagerten im Gras und kauten blöde
und bedächtig ihre Mahlzeit wieder.

Die Melcher von den Nachbarasten gingen ihrer Beschäftigung nach.
Lautlos war der Gang der nackten Sohlen, deren Haut schmutzig war und
kräftig und gelb wie gegerbtes Leder. Sie bekümmerten sich nicht viel
um den Kramer Veit, der jetzt schon öfters heraufgekommen war, den
Florl aufzusuchen. Und was die beiden gar so eifrig zu diskurieren
wußten, das würden sie schon noch bald genug erfahren ...

Die Perlmoser Vef lachte aus vollem Halse, als man die Sache eines
Abends beim »hoangarten« besprach. Jetzt war's ja aufgekommen, weshalb
der Kramer Veit zum Florl aufs Alpl gekommen war. Der Florl sollte mit
ihm gehen, das Regele heiraten und im Amerikanischen drenten Tiroler
Lieder singen. Völlig nimmer halten konnte sich die Vef vor lauter
Lachen!

Sie saßen wie immer alle versammelt, die Leute von den fünf Asten,
und warteten im Abenddämmer auf die Dunkelheit der Nacht. Alle kamen
sie herüber zu den Perlmoserischen und saßen dort auf der langen
rohgehobelten Bank vor der Türe. Ein ungewöhnlich dickes Brett war
diese Bank, über ein paar große Steine gelegt und knapp neben der
Eingangstüre, die nieder und rußgeschwärzt in die Küche führte.

Ein kleines Holzgitter schloß die Küche ab, und auf der andern Seite
der Türe war eine runde Öffnung in den Holzbalken der Wand angebracht.
Da floß, von dem Innern der Küche hergeleitet, Trank für die Schweine
in den Trog, der an der andern Seite neben der Türe stand.

Lieblicher Geruch von saurer Milch und Schweineduft durchtränkte
hier die Luft. Grunzend umstanden feiste Mutterschweine den Trog, so
gierig nach Futter, daß sie nicht nur den Rüssel, sondern auch die
Vorderpfoten hineinsteckten. Ängstlich quieckten die Jungen nebenher
und schrien, wenn ein ungeschickter Tritt der Mutter sie traf. Dann
ringelten sie die Schweifchen und rannten im Kreislauf und quietschend
davon. Und Schlamm und Kot bedeckte den etwas sumpfigen Erdboden vor
der Aste.

Auf Holzpfosten gebaut, stand die Hütte da. Wie ein Tier, das seiner
Hinterfüße beraubt ist, stand sie da und spreizte plump und ungeschickt
die Beine. Lehnte sich mit dem Schindeldach, das mit großen Steinen
beschwert war, an die Bergmahd, und große Felsblöcke, welche die Form
von spitzigen Bergen hatten, lagen im Gras und drohten die kleine
Almhütte einzudrücken. Von vorn aus gesehen, standen diese Almhütten
förmlich in der Luft. Wenn man sich etwas bückte, dann konnte man ganz
bequem darunter herumgehen.

Es war eine recht kleine Hütte, die Aste von den Perlmoserischen.
Gleich über dem Erdgeschoß hing das Dach herunter, und eng und nieder
war die rauchgeschwärzte Küche mit dem offenen Herd. Ein viereckiger
Tisch stand in einer Ecke, und zwei winzige Fensterchen, die nicht
größer waren wie Taschentücher, ließen einen Blick tun hinüber in die
Alpenwelt der Hochtäler.

Von der Küche führte eine Tür, die nur schlecht in den Angeln saß, in
einen ganz engen Raum. Ein Verschlag war es und hatte nur eine einzige
Fensteröffnung. Da schliefen die drei Perlmosermädeln, und da hatte
auch das Regele geschlafen, wenn sie mit am Alpl war.

Sie schliefen auf Strohsäcken und ohne Bettstatt. Kein Federbett war
vorhanden, nur ein buntüberzogener Polster und eine grobe Decke. Aber
sie verlangten sich gar nicht mehr, die Dirndln, und es kam ihnen vor,
als könne man in Gottes weiter Welt nirgends einen so köstlichen Schlaf
haben wie hier oben am Alpl ...

»Daß es grad' a so eppas Narrisches aa geben kann!« lachte die Vef
ausgelassen, als die Rede von dem Florl und dem Regele ging. »Der
Kramer Veit muß döcht a halbeter Narr sein ...« meinte sie ... »daß er
auf so a Idee überhaupts kimmt. Der Florl und singen! Und dös Grispele
dazu. Das Regele! Daß dös grad' möglich ist!« wunderte sich das Mädel.
»Dö Amerikaner werden herschaug'n, wenn dös Grispele ang'ruckt kimmt!«
spöttelte die Vef boshaft. Völlig nimmer genug tun konnte sie sich, so
gut gefiel ihr der Spaß.

»Aber a Stimm' hat sie weiter a gute! Da gibt's nix'n nit einzuwenden
dagegen!« verteidigte die Julie, die neben der Vef auf der Bank saß,
das Regele.

Die Julie war die jüngste Schwester der Vef und gleichfalls groß
und üppig gewachsen, obwohl sie erst sechzehn Jahre zählte. War ein
kerngesunder Schlag, die Perlmoserischen. Hellblond und rosig sah die
Julie aus und hatte große blaue, etwas ausdruckslose Augen. Sie war
bei weitem nicht so hübsch wie die Vef, schien aber viel sanftmütiger
und gutmütiger zu sein als diese.

»Dös hab' i aa ... a gute Stimm' ...« erwiderte die Vef verächtlich.
»Grad' a so gut wie 's Regele!«

»Muaßt halt aa mit ummi giahn auf Amerika!« neckte einer, der Melcher,
ein sehniger, älterer Knecht, der in kurzen Hosen und schmutzig
färbigem Hemd auf der niedern Holzbank zwischen den beiden Mädchen saß.
»Könntest dir eppar an Haufen Geld verdienen ...« witzelte der Knecht
weiter, streckte die nackten Beine, die vom Stallschmutz förmlich
starrten, weit von sich, lehnte den Kopf behaglich an die braune
Balkenwand der Hütte und stützte die Hände kreuzweise darunter. Dann
gähnte er ein über das andere Mal laut und herausfordernd. »Uaah!«

»Ja, und du kannst nachher als Gockel mitgiahn ...« neckte die Vef
zurück. »Weil du überhaupt koa Stimm' nit hast!« fügte sie schnippisch
hinzu. »Leicht tragt dös no mehra Geld ein, dös Krahen!«

»Kunnt leicht sein!« mischte sich nun der Wastl in das Gespräch ein.
»Wann oans gar a so schiach tut ... wie du ...« Der Wastl konnte halt
das Necken nicht bleiben lassen, und wenn er nur eine Gelegenheit hiezu
fand, nützte er sie auch weidlich aus.

»Du ...« warnte der Angegriffene. »Gelt, woaßt schon ...!« Boshaft
schielten die kleinen Augen auf den jungen Burschen.

»Mir scheint, der Stanis hat eppar schon z' lang nimmer g'rafft!« sagte
da die Rosina sehr ruhig mit ihrer dunklen, weichen Stimme.

Das sagte sie, weil der Stanis so ab und zu einmal ganz gerne einen
Streit vom Zaune brach, um dabei seine überschüssige Kraft auszulassen.

Der Stanis war schon ein guter Vierziger, war klein und mager und
über und über im Gesicht und am Körper haarig wie ein Aff. Aber er
hatte Muskeln, die so sehnig waren wie Stricke, und die lederfarbige
Haut spannte sich straff über die groben, herausgearbeiteten Muskeln.
Sein dunkles, schmales Gesicht war gefurcht und so hart wie aus Holz
geschnitzt. Die kleinen schwarzen Augen hatten die Schärfe eines Adlers
und zeugten von einem ungewöhnlich heftigen Temperament.

Dieses Temperament mußte ab und zu einmal zum Durchbruch kommen, und
wenn es den Stanis besonders juckte, dann stieg er vom Alpl herunter
ins Tal, ging ins Wirtshaus und soff sich einen tüchtigen Rausch an.

Ohne Rauferei lief die Sache dann niemals ab, und der kleine, sehnige
Melcher blieb fast immer Sieger, auch wenn er seine Kraft mit den
stärksten Burschen messen mußte.

So kam es, daß der Stanis weitum als Raufer gefürchtet war, und die
Burschen am Alpl vermieden es für gewöhnlich, ihn aufzuziehen. Sie
mochten ihn aber sonst gerne leiden, den Stanis; denn er konnte wie
kein zweiter Witze erzählen und boshafte Bemerkungen über andere
machen. Im Schuhplatteln war er allen über, sogar dem Florl und
dem Wastl, und er entwickelte in diesem Tanz eine fast affenartige
Behendigkeit.

Der Florl kam jetzt meist erst später zu den abendlichen Versammlungen
vor der Almhütte der Perlmoserischen und blieb nie lange. Er wußte,
daß es ohne kleine Anzüglichkeiten wegen seiner G'spusi mit dem Regele
nicht abging. Das liebte der Bursch nicht sehr und vermied es daher,
länger als nötig mit den andern zusammen zu sein.

»Könnt' mir einfallen, daß i mit auf Amerika ging'! Gang' mir grad' ab
und a Loch im Kopf. Sischt nix!« sagte da die Perlmoser Vef, um die
beginnende Plänkelei zwischen dem Stanis und dem Wastl abzulenken.
Sie wußte, daß sich der Wastl schon einige Male eine blutige Nase
vom Stanis geholt hatte. »I woaß mir eppas besser's!« fuhr sie fort
und sah auf das halbe Dutzend Mannderleute, die um die Hütte herum
lagerten. Teils hockten sie auf Steinern, teils standen sie auch an
die Balkenwände der Hütte angelehnt. Nur mit Hose und Hemd waren sie
bekleidet, und das Hemd hing lose wie eine Bluse, da es durch keinen
Gurt oder Hosenträger eingeengt war. »Soll'n ja all's Heiden sein, dö
Amerikaner!« fügte die Vef verächtlich hinzu.

»Ja ... und die Madeln tian sie als Sklaven verkaufen!« erzählte der
Wastl wichtig. »Oaner hat's amal verzählt im Dorf draußen. Dersell'
hatt's als ganz g'wiß wahr in an Buach g'lesen.«

Sie waren dem Florl und dem Regele gar nicht neidisch, die Leute vom
Alpl heroben. Nur die Rosina vielleicht, die hatte eine unbestimmte,
leise Neugierde. Sie hätte ganz gerne gewußt, wie es in dem fremden
Lande eigentlich aussah, aber sie hütete sich, irgend etwas von dieser
Neugierde verlauten zu lassen, aus Furcht, von den übrigen ausgelacht
und verhöhnt zu werden.

Die Rosina war die mittlere der drei Perlmoser Mädeln und so
grundverschieden von ihren beiden Schwestern, als ob sie gar nicht zu
ihnen gehört hätte. Schon allein ihrem Äußern nach.

Groß und schlank gewachsen war sie und hatte die tiefbraune Farbe einer
Zigeunerin. Weich und samtartig war der Teint ihres feinen, ovalen
Gesichtes, das verschlossen und streng schaute. Tiefrote Wangen und ein
brennroter kleiner Mund, über dessen vollen Lippen der matte Schatten
eines Schnurrbärtchens sichtbar war. Die kräftigen, schwarzen Brauen
stießen an der Nasenwurzel zusammen, und die dunklen, nicht sehr großen
Augen schauten finster, leuchteten aber strahlend auf, wenn die Rosina,
was selten genug geschah, einmal lachte. Die schwarzen Zöpfe waren viel
zu schwer und massig für den feinen Kopf und drückten die niedere Stirn
wie eine Dornenkrone.

Die Rosina saß meist schweigend da und beobachtete. Hielt auch nie viel
Freundschaft mit ihren Schwestern, war aber gleich diesen eine tüchtige
Arbeitskraft.

Ohne seine drei Mädeln hätte sich der Perlmoser recht schwer getan. Sie
schufteten wie Knechte, so daß er es jetzt wenigstens etwas leichter
hatte und an seiner drückenden Schuldenlast abzahlen konnte. Bis dann
die kleineren Buben herangewachsen waren. Dann würde es auch wieder
besser gehen ...

So oft die Sprache von der bevorstehenden Abreise des Florl ging,
beschlich den Wastl immer ein leises Unbehagen. Er konnte es sich
selbst nicht erklären, weshalb. Auch wenn die Vef noch so übermütig
darüber spottete und witzelte, sah er ihr doch immer nur mit Angst in
die Augen, als traute er ihr nicht so ganz.

Er wußte, daß es um Haus und Hof beim Perlmoser schlecht stand, und
daß der Bauer wiederholt schon hatte alles aufbieten müssen, um sein
Anwesen vor der Gant zu bewahren. Wäre also gerade kein Wunder gewesen,
wenn sich die Vef ins Ausland hätte locken lassen ...

Einmal, da nahm sich der Wastl ein Herz und stellte die Vef zur Rede.
Das war, wie die Perlmoser Mädeln oben am Alpl mit der Grummetmahd
fertig waren und wieder auf etliche Wochen hinunter mußten auf den Hof.

Die Julie und die Rosina waren schon vorausgegangen. Die Vef aber
stand, den plumpen, unförmlichen Korb auf dem Rücken, vor der niedern
Hüttentüre und sah recht angelegentlich ins Tal hinab. Das tat sie
zum Schein, denn in Wirklichkeit hoffte sie, daß sich der Wastl noch
blicken lassen würde, um von ihr Abschied zu nehmen.

Wenn auch die Vef manchmal recht barsch zu dem Burschen war, heimlich
hatte sie ihn lieb. Sie ließ es ihn aber nicht merken, daß ihr keiner
von allen Burschen so gut gefiel wie gerade der Wastl.

So oft auch einer sich dem Mädchen genähert hatte und mit ihr anbandeln
wollte, sie hatte bis jetzt immer einen jeden abfahren lassen. Lachte
die Burschen aus auf ihre übermütige Weise und ließ sich mit keinem ein.

Der Wastl wußte es nie so recht, wie er eigentlich mit der Vef daran
war. Tat er ihr schön, so gab sie ihm eine schnippische Rede, und wenn
er sie dann einige Tage nicht beachtete, dann führte sie geschickt ein
Gespräch mit ihm herbei und war fein und gefügig wie ein Lamberl. So
daß der Wastl wieder dreister wurde und von Liebe sprach. Holte sich
aber dann sofort wieder eine tüchtige Abfuhr von ihr.

»Daß du di grad' nit schamst!« sagte das Mädel dann herrisch. »I sag'
dir's do alleweil, was i denk. Oaner, der umadum nix ist und nix hat
... den mag i nit. Und iatz erst recht nit, weil i wieder dös Unglück
siech mit'n Regele.«

Vor zwei Tagen erst war die Vef mit dem Burschen wieder recht
abscheulich gewesen und hatte es erreicht, daß der Wastl innerlich
recht niedergeschlagen und zerknirscht ihr auf Weg und Steg auswich.
Jetzt aber, da es zum Fortgehen war, stand die Vef schon weit über eine
Viertelstunde vor der Hütte und wartete auf den Wastl. Vielleicht würde
er doch noch kommen, um ihr ein liebes Wörtl zu sagen.

Der Wastl hatte aber doch auch seinen Stolz und war trotzig und kam
nicht. Heimlich beobachtete er sie aber mit gespannter Aufmerksamkeit.
Stand auf dem Heuboden der Tenne, die hinter seiner Aste etwas erhöht
gelegen war, und spähte durch eine Holzritze. Wandte kein Auge von ihr,
und das Herz hämmerte und pochte und war ihm schwer.

Das Warten dauerte dem Mädel nun doch zu lang. Jetzt ging sie, langsam
und bedächtig. Ohne Hut und ohne Kopftuch. Der dunkle, farblose Rock
war hochgeschürzt, so daß man den grellroten Unterrock sah und die
weiße Haut der bloßen Füße. Kräftig und voll setzte die Wade an, und
beim Gehen wiegte sich die üppige Gestalt weich im elastischen Schwung.

Die Sonne sandte noch die letzten Strahlen auf die hellblonde Haarkrone
des Mädchens und ließ sie im goldenen Glanze schimmern. Etwas wie
Enttäuschung spiegelte sich in dem hübschen, rosigen Gesicht ab. Hatte
sie den Wastl nun wirklich endgültig vertrieben? Das hatte er doch noch
nie getan und wenn sie noch so garstig zu ihm gewesen war. Zum Abschied
war er immer gekommen und hatte ihr treuherzig in die Augen geschaut.

Es lag etwas rührend Gutes in diesen Augen und erinnerte an den
demütigen Ausdruck eines treuen Hundes. Gerade diese großen, dunklen
Augen des Burschen, die so schwärmerisch schauen konnten, waren es, die
der Vef so gut gefielen.

Die Vef mußte an der Aste des Wastl vorbeigehen, ehe sie zu dem Abstieg
kam. Vielleicht steckte er doch da drin verborgen und kam dann zu ihr
heraus.

Das Mädel mit dem leeren Rückenkorb ging nun, den einen Arm lässig in
die Hüfte gestemmt, langsamen Schrittes an der Aste vorüber. Sprang,
als sie zu dem sumpfigen Morast kam, der jede dieser Hütten schmückte,
gewandt von Stein zu Stein, die spitz und nicht groß herumlagen und
einen Fußweg darstellen sollten, auf dem man halbwegs trocken gehen
konnte.

Geradeaus sah das Mädel, den blonden Kopf verächtlich erhoben und die
vollen Lippen leicht zum Gesang geöffnet. Ein Liedchen summte sie vor
sich hin und hatte keinen Blick für die Hütte, in der sie den Wastl
vermutete.

Als die Vef schon ein ziemliches Stück zurückgelegt hatte, litt es den
Wastl nicht länger in seinem Versteck. Behend wie eine Gemse kletterte
er über die steile Leiter, die von außen angelehnt zum Heuboden
führte und bei jedem Tritt, den er tat, ganz gefährlich wackelte. Von
rückwärts kletterte er, sich mit den Händen an den Spreißeln haltend,
und dann sprang er bloßfüßig und ohne Kopfbedeckung dem Mädel nach. In
wenigen Minuten hatte er sie eingeholt und rief sie an.

Die Vef blieb stehen und tat verwundert. »Ah ... du bist's?« machte sie
dann gleichgültig. »I hab' mir denkt, du bist mit'n Stanis auf Streb
(Streu) aus?«

»I geh' aft schon!« sagte der Bursch, von ihrem kühlen Ton schon wieder
abgeschreckt. »Hab' dir lei B'hüat Gott sagen wollen.«

Die Vef reichte ihm die Hand hin. »Also, Pfiat Gott nachher und
wohlaufleben!« sagte sie gleichgültig. Der Wastl hielt ihre Hand fest
in der seinen.

»Sag', Vef ...« bat er dann und senkte den Blick scheu zu Boden ...
»aber sag' mir's auf Ehr' und G'wissen, wia's eigentlich steht. I halt'
das einfach nimmer länger aus!« stieß er gequält hervor.

»Was soll i dir sagen? Daß was steht?« frug die Vef resolut.

»I moan ... i will sagen ...« stotterte der Wastl ... »du sollst mi nit
a so schinden, Vef!« brach er los und fuhr sich mit der Hand über die
heiße Stirn.

»I?« heuchelte die Vef verwundert. »I schind' di ja nit. Bist wohl
völlig ganz rapplig worden, moan i!« spottete sie dann.

»Naa, no nit. Aber es könnt's oaner schon no werden mit dir!« sagte der
Wastl kleinlaut.

Das Mädchen tat, als verstünde sie ihn nicht, und schüttelte lachend
den Kopf.

»Jatz sag' mir grad' amal, was du eigentlich willst von mir!« befahl
sie und entzog ihm mit kräftigem Ruck ihre Hand, die er noch immer
festhielt.

»Gern hab' i di ... Madel ...« preßte er gedrückt hervor und wischte
sich mit dem Ärmel seines dunkelfärbigen Hemdes über die feuchte
Stirne. »Gern ...«

»Ja ... und von der Liab alloan wird man nit fett!« unterbrach sie ihn
grausam.

Da sah der Wastl auf und sein weher Blick aus seinen großen,
ausdrucksvollen Augen traf sie ins Innerste. Etwas wie Mitleid regte
sich in ihr und ließ sie sanfter werden.

»Bist ja a dummer Bua ...« fügte sie leise hinzu. »Wia oaner nur a so
dumm sein kann!«

»Also, magst mi do a bissl, Vef?« frug der Wastl mit leiser Hoffnung.

Die Vef schob die vollen Schultern gleichgültig in die Höhe.

»Was nützet's aa, wenn i di möcht'?« frug sie zurück. »I hab' dir's ja
oft und oft schon g'sagt. Zu nix Guten tat' das amal nit führen. Kannt'
sein, daß es mir ging' wia 'n Regele!« Hart preßte sie den vollen,
sinnlichen Mund zusammen und schaute dem Burschen ernst in die Augen.
»'s ist besser a so, Wastl ...« sagte sie jetzt weich ... »Besser für
mi und aa für di!«

»Vef?« Der Wastl hielt jetzt beide Hände des Mädels umklammert. »'s
hoaßt, du habst den Glöschl Hias abg'wiesen. Ist das wahr?«

»Ja!« nickte sie. »I mag ihn nit.«

»Und hätt' do a Güatl unten im Dorf ...« sagte der Wastl sinnend, und
seine tiefe, volle Stimme klang weh und bitter. »Kann vier Küh' halten
und an Ochsen ...« preßte er hervor.

»Von mir aus!« sagte die Vef. »Von mir aus zwölfe! I mag'n nit!«

Da leuchtete es in den Augen des Burschen auf.

»Vef! Auf Ehr' und G'wissen! Hast an andern gern?«

»Geht's di was an?« frug sie scharf zurück und wollte sich gewaltsam
von seinem festen Griff befreien. »Lass' mi ... du ...« gebot sie
energisch.

»Naa, Vef. No nit!« stieß der Wastl hervor. »I will die Wahrheit
wissen!«

»Und nachher?«

»Nachher ...« Der Wastl schöpfte tief Atem. »Nachher ... nachher sag' i
mein' Dienst auf und ...«

»Und?«

»Und geh' ins Tal außi, so weit i derkimm ... grad' fort von da, damit
i di nit alleweil siech!« preßte er heiser hervor.

»So!« Hart kam das Wort aus dem hübschen Mund des Mädels. »Aft gehst,
bald es da nit aushalten kannst!« stieß sie zornig hervor und stampfte
mit dem Fuß auf. »Lettfeig'n, elendige!«

Ihr Zorn machte ihn kühner.

»Aft ist's dir nit recht, Vef ...« jubelte er auf. »Aft soll i bleib'n
...«

»Geh'!« wiederholte sie ... »wenn di g'lustet. I brauch' di nit.«

»Nit?« Zweifelnd sah er ihr in die Augen und wurde auf einmal ganz
zuversichtlich ... »Schau, Vef ... wann du mi grad' a kloans ... kloans
bissele gern haben könntest ... i moan, i wisset an Ausweg, daß wir
zwoa do z'sammenkömmen taten!« sagte er bittend.

»Möchtest amend gar aa auf Amerika ummi?« spöttelte sie schon wieder.

Der Wastl schüttelte den Kopf. »Sell war' nix für mi!« sagte er
schwerfällig. »Könnt' mi nit entschließen dazu. I g'hör' in die Berg'
und du aa ... Madel!« fügte er warm hinzu. »Hab' alleweil an Zweifel
g'habt in die letzten Wochen, ob's di nit do amend ansiecht, dö Sach'
... ob du ...«

Die Vef ließ ihn nicht ausreden, sondern lachte ihm hellauf ins Gesicht.

»A so a Tolm ... a narreter. Ich sag's do alleweil, daß i nit narrisch
bin.«

»Ah nit?« machte der Wastl erleichtert.

»Naa. Aber schon gar nit. Hast mir iatz no a sölle Verrucktheit zu
sagen? I muß iatz hoamgiahn!« sagte sie barsch.

»Zu sag'n hatt' i freili no eppas ...« kam es langsam über die Lippen
des Burschen. »Kann ja a Stückl mit dir giahn, wann's dir recht ist?«

»Von mir aus.«

So gingen die beiden jungen Leute die steile Berghalde hinunter dem
Perlmoserhof zu, der drunten im Tälchen stand. Die sinkende Sonne
leuchtete im feurigen Schein über die Bergspitzen der drei Hochtäler
und übergoß die Gletscher mit ihrem rosenroten Licht.

Da sprach der Wastl von dem Plan, den er in seinem schlichten Sinn
ausgeheckt hatte. Und bei jedem Wort, das er sagte, wurde ihm leichter
und freier ums Herz.

»Siegst, Vef ... wann du mi wirklich gern haben könntest ... grad' a
bissele ... i moan, i könnt's do machen, daß wir a Hoamatl kriagen
taten, wir zwoa!« sagte er weich. »War' freilich nur a kloanwinzig's
Gütl ... aber a Hoamatl war's döcht. Und siegst, Madl ...« fing er
dann über eine Weile wieder zu reden an, da ihn die Vef mit keiner
Silbe unterbrochen hatte ... »die Sach' ist a so. A Bruder von meiner
Mutter's Vater, dersell', der Göd (Taufpate) zu mir g'standen ist ...
der hat a Güatl. Ist an oanschichtig's Mannsbild und ist aa alm a
bißl oanzoachet g'wesen. In der Gungl enten hat er's Güatl. Ganz weit
hinten, wo man sich im Winter völlig nimmer halten kann vor lauter
Schnee und Eis. Bist schon amal drein g'wesen in der Gungl, Vef?«

»Naa.« Die Vef schüttelte verneinend den Kopf, und ihre stets lachenden
blauen Augen bekamen einen ernsten, weichen Schimmer. »Einig'sechen
hab' i wohl oft in die Gungl ...« sagte sie sinnend. »Man sieht ganz
gut eini vom Alpl droben.«

Der Wastl nickte. »Ja!« bestätigte er. »Aber in dö Gegend kannst nit
sechen, wo's Güatl ist. Dös liegt no tiefer drein im Tal. Völlig in a
Schlucht ist's drein, und wia auf der Alm schaut's dir aus da drinnen!«
berichtete er weiter.

»Dös machet nix!« kam es leise über die Lippen des Mädchens.

»Gelt, nit?« frohlockte der Bursch und faßte nach der Hand des Mädels.
»Gelt, a Hoamatl war's döcht?«

Ernst sah das Mädchen vor sich hin.

»Moanst, er übergibt's ... dei' Göd?«

»Wann i zu ihm geh' und 's ihm derklär' und sagen könnt', wia's steht
zwischen uns zwoa ... könnt' sein, daß er's tat'!« meinte er langsam
und schwerfällig. »Und i wollt' arbeiten und schaffen, und nix war' mir
zu viel von der Fruah bis spat. Wann i di nur hätt', Vef!« versprach er
schlicht und innig.

Nun gingen die beiden ein großes Stück des Weges bergab, und keines
sagte ein Wort. Unten sah man schon die grünen Wiesen des Tälchens
liegen und den schwarzgrünen Fichtenwald, der es fast wie ein Kranz
umsäumte. Hand in Hand gingen sie, und es geschah zum ersten Mal, daß
die Vef den Druck des Burschen warm erwiderte.

»Wann i amal wissen tat, wohin i g'höret, aft hatt' i nix dagegen ...«
brach das Mädel dann das Schweigen. »Wann's aa no so kloan war' 's
Hoamatl ...«

Da konnte sich der Wastl nimmer halten. Ganz wild war er vor lauter
Freude.

»Also, hast mi do gern, Madel?« Er schrie die Frage jubelnd heraus, so
daß das Echo von den Felswänden des Berges widerklang.

»Freilich hab' i di gern!« lachte die Vef jetzt und zeigte ihre weißen
Perlenzähne. »Moanst, i hätt' sonst den Glöschl Hias abg'wiesen? Ist ja
a feiner Mensch her.«

»Aber i bin dir der lieber, ha?« Der Wastl wartete die Antwort gar
nicht erst ab. Schaute in die strahlenden Augen des Mädels, die innig
und verheißungsvoll aufleuchteten.

»Madel ... Madel ...« stieß er hervor und zog sie kräftig in seine
jungen, starken Arme und küßte sie.

Freilich, der Korb, den sie am Rücken trug, bildete ein großes
Hindernis für seine stürmischen Gefühle. Der mußte fort. Die Vef war
damit einverstanden, daß er ihr den Korb vom Rücken nahm und im weiten
Bogen gegen das Tälchen hinabwarf. War mit einem Male ganz gefügig, die
Vef, und duldete es sogar, daß der Wastl sie ganz gehörig abbusselte.
Sie setzte sich sogar zu ihm hin ins Gras und schmiegte sich fest und
weich in seinen Arm.

»Hab' di ja alleweil gern g'habt, du Bua, du deppeter! Grad' verstanden
hast mi nit!« gestand sie ihm dann. »Und daß i dir's glei' sag'. Es
bleibt beim busseln ... verstehst mi? Bis wir verheirat' sein und dei'
Göd übergeb'n hat. Jetzt weißt es.«

Ganz resolut war sie nun wieder und so ernst, daß sich der Wastl nimmer
getraute, ihr noch ein Bussel zu geben. Da lachte ihn das Mädel mit
ihren strahlenden blauen, übermütigen Augen an. Schlang ihren vollen,
weichen Arm um seinen Hals und preßte ihren Mund innig und heiß auf den
seinen.

»I bin ja so froh, wenn i di kriag ... Wastl ... so froh ...« flüsterte
sie.

Und lange ... lange saßen die zwei jungen Menschenkinder im Abenddämmer
und hielten sich fest umschlungen. Bis dann die Mondsichel silbern am
Firmament stand und weißer Nebeldunst vom Tal herauf zu den Bergen
stieg. Da erst trennten sie sich, die Vef und ihr Wastl.




                           Sechstes Kapitel


War das ein jauchzendes Glück in dem kleinen Berghöfl in der Gungl!
Drei Jahre hausten sie nun schon da, der Wastl und die Vef und
zwei kleine halbnackte Kinderchen strampelten in der engen Stube,
quietschten vergnügt und gaben der Vef alle Hände voll zu tun.

Glückselig lachte die Vef und sang und schmetterte ihre Lieder hinaus
in die Alpenwelt. Sie schaffte und arbeitete und küßte dann wieder die
kleinen nudeldicken, blonden Buben. Und jeder Tag erschien ihr zu kurz
für das große Glück, das sie genoß. So schön war's auf der Welt und so
herrlich hier hinten im Tal und in dem engen Hüttl, das ihre Heimat
geworden war.

Der Wastl arbeitete wie ein Ackergaul für Weib und Kinder und hatte
keinen anderen Gedanken wie sein junges Weib. Und hohe Zeit war es nun
wieder, daß das zweite Kindl aus der alten, wurmstichigen Holzwiege
kam; denn das dritte hatte schon seine Ankunft angekündigt, und wenn's
mit der Verliebtheit dieser beiden jungen Leute so weiter ging, dann
konnte das kleine Hüttl bald nicht mehr den reichen Kindersegen fassen.

Sie hatten noch etliche Jahre aufeinander warten müssen, die Vef und
der Wastl. Sie seien noch zu jung zum heiraten, hatte die Gemeinde
erklärt; denn so junge unerfahrene Menschen läßt man nicht heiraten.
Die hausten meistens schlecht, brächten ihr Besitztum herunter und
fielen dann der Gemeinde zur Last.

Das konnte man nicht dulden, und deshalb mußte die Liebe der beiden
noch ein wenig gebändigt werden. Bis der Wastl mündig geworden war ...
dann erst übergab ihm der Göd das Gütl und ging in den Austrag.

Es hatte viel Überreden gebraucht, bis sich der alte Mann dazu
verstand. Aber schließlich, alt war er ja genug und auch nimmer ganz
fest mit'n G'sund. Der Winter war hart, rauh und lang in der Gungl
drinnen, und wenn man da jemand bei sich hatte, der einem ein bissl
Arbeit abnahm und auch ein bissl auf einen schaute, so wäre das gerade
ja auch nicht zu verachten, dachte er schließlich bei sich. Aber bis so
ein Bauer die Herrschaft über sein Reich ... und wenn es auch noch so
klein und unansehnlich ist ... aufgibt, braucht's einen gar gewaltigen
Entschluß.

Als der Wastl das erste Mal zu dem Göd kam, um ihm sein Anliegen
vorzutragen, hatte er nur geringen Erfolg.

Der Göd war ein großer, hagerer Mann. Schier Haut und Knochen war
der Alte und gemahnte an einen starken Baum im Hochwald, dessen Mark
verdorrt war. Aber die Knochen waren stark und die Adern straff wie
Stricke. Sein Gang war steif, denn die Beine wollten sich nicht mehr
recht in den Gelenken abbiegen. Der Rücken senkte sich leicht nach
vorne, aber der Göd hielt ihn mit aller Kraft aufrecht.

Er ließ sich nicht so leicht unterkriegen von der Last der Jahre, der
alte Mann! Eisgrau war der Kopf, schmal und knochig, und eine gewaltige
Adlernase ragte kühn aus dem scharfgefurchten, bartlosen Gesicht.

Die kleinen hellen Augen lagen tief in ihren Höhlen, sahen aber scharf
wie die Augen eines Adlers. Und mit diesen scharfen Augen schaute der
Alte jetzt streng und abweisend auf den Wastl, der bittend zu ihm
gekommen war.

»Kannst nit warten, Bua ... bis i hin bin?« frug er mit seiner heiseren
Stimme, die davon zeugte, daß der Göd mit 'm G'sund nit ganz richtig
war. »Aft kriagst alles. Bist ja mei' Godlkind!« fügte er hinzu.

Der Wastl zog den Kopf ein und schaute gedrückt zu Boden.

»Dös kann aa no zwanz'g Jahr' sein!« meinte er. »Und 's Madl ...«

»Mei! 's Madl!« machte der Alte verächtlich. »'s Madl! Dös heirat' halt
derweil an andern.«

»Dös soll sie aber nit!« brach der Wastl leidenschaftlich aus. »Dös
derleid' i nit.«

Der Alte im derben, schäbiggrauen Lodenrock mit den plumpen,
bodenscheuen Hosen und unförmlichen Holzschuhen, saß eine Weile
beobachtend neben dem Burschen auf der Ofenbank der kleinen Stube. Die
flache Hand stützte er schwer auf die Bank, weil ihm das Aufrechtsitzen
hart ankam. Den grünlich schwarzen, spitzen Filzhut hatte er fast bis
über die Augen gerückt, und das rote Halstüchl, das er lose um den
dürren, adrigen Hals geschlungen trug, schien ihm auf einmal viel zu
eng zu werden. Sein zahnloser Mund mit den farblosen Lippen zitterte
leicht und unaufhörlich.

»Dös derleidest nit!« wiederholte der Göd über eine Weile und machte
sich an seinem Halstüchl zu schaffen. »Dös derleidest nit!« brummte er
ein paarmal leise vor sich hin. »Ah a so! Wohl nit!« machte er dann
nachdenklich.

»Naa.«

Langsam und bedächtig nickte der Alte mit dem zittrigen Kopfe. Dann
meinte er schwerfällig: »Unseroans hat aa manches nit derlitten.
Unseroans! 's ist aber aft do aa gangen. Guat ist's gangen. Recht
guat!« wiederholte er.

»Göd!« Gequält sah der Bursch dem Alten in die Augen, die ihn mit einem
Male hart und grausam dünkten. »Seid's iatz an alter Mann, Göd! Und
könnt's Euch leicht nimmer vorstellen, was a junger empfindet. Wenn oan
a Madel alles ist auf der Welt. Himmel und Herrgott und ...«

Da hob der alte Mann den Zeigefinger seiner knochigen rechten Hand
warnend in die Höhe. So steif und ungelenk war der und zitterte
bedenklich.

»Tua nit freveln, Bua!« warnte er. »Der Herrgott ist mehrar wia a Weib!
Tua nit freveln! Nit freveln!« wiederholte er mit seiner heiseren
Stimme. Aber dann gab er doch wenigstens seine Einwilligung, daß der
Wastl die Vef zu ihm bringen durfte.

»Magst sie schon bringen, dei' Madl ...« meinte er, etwas weicher
gestimmt. »Anschaug'n kann i sie ja. Aber das sell sag' i dir glei'
... deswegen übergib i no lang nit. Und wann sie aa no a so a schian's
Fötzl hermacht. Dassell rührt mi nit, sag' i dir. Schon gar nit!« ...

Es hat ihn aber dann doch umgestimmt, den Göd, als er die ehrliche
und fast kindliche Freude des Mädels über das Hoamatl sah. Völlig
gerührt war der alte Mann geworden, weil die Vef alles so schön fand
und die Gegend so lobte. Da wurde ihm der Blick feucht, und die Stimme
zitterte, und der zahnlose Mund zog sich noch mehr in die Breite und
wurde zum freundlichen Grinsen.

»Ah a so!« machte er. »Schian dunkt's di da, Madel! Wohl schian? Ist
freili schian. Freilich! Wann's aa nit extra groß ist. Zwoa Goaß und a
Kuah! Ist wohl epper z'wenig für enk zwoa, ha?«

Die Vef schüttelte den Kopf und lachte wie immer ihr strahlendes
lustiges Lachen.

»Ah sell tut's leicht!« meinte sie sehr zufrieden. »Und halten wollt'
i Enk, Göd ... wie mein' eigenen Vater!« sagte sie warm und nahm die
blutleere kalte Hand des Alten in ihre warme Hand. »Sollt's es recht
... recht fein haben bei uns!« versprach sie.

Der Alte blinzelte mit seinen kleinen Augen, die so tief in ihren
Höhlen lagen, erst auf den Wastl und dann auf die Vef, die vor ihm in
der Stube standen. Dann zog er die scharfe Adlernase ein paarmal in die
Höhe, als müsse er durch sie eine höhere Erleuchtung einschnuppern.

»Ist a toll's Mensch her ... dei' Madl!« lobte er dann befriedigt.
»Und aa a schian's Mensch her. Kannst a Freud' hab'n dermit. A recht a
saubers Mensch, dei' Vef!« murmelte er zufrieden vor sich hin. »Kann aa
ordentlich zugreifen bei der Arbeit ...« überlegte er. »Sölle Arm' wia
die dir herhat ... recht an ordentlich's Weibets, kam' mir amal für!«
nickte er immer wieder vor sich hin.

Damit war die Sache eigentlich gewonnen, und sie hatten nur mehr auf
die Gemeindebewilligung zu warten. Die ließ dann freilich noch ein
paar Jahre auf sich warten, und der alte Mann in der Gungl, der immer
gebrechlicher und kränker wurde, drängte schließlich selber zu der
Heirat und konnte es kaum mehr erwarten, bis das junge Paar in seine
Hütte einzog.

Ein kleines, enges Reich war das Gütl vom Göd. Die Heimat vom Regele
war im Vergleich ein großer Holzpalast.

Der Göd war in eine kleine Kammer neben der Stube gezogen. In der Stube
selbst schliefen die jungen Leute mit ihren Kindern, und in der Küche
wohnten sie zum großen Teil.

Da wiegte die Vef ihr jüngstes Kind und herzte ihren Erstgeborenen im
seligen Glück. Und innig und dankbar genoß sie die Liebe ihres Mannes,
der ihr wie ein treuer Knecht ergeben war.

Das Regiment im Haus aber hatte die Vef inne. Das war nun schon einmal
so. Auch der Alte fügte sich ihr gerne, brummte darüber und schmunzelte
dazu. War nicht mehr zu viel nutz auf der Welt, der alte Mann. Saß
fast den ganzen Tag steif und zittrig in der rauchgeschwärzten kleinen
Kuchel auf der Bank neben dem offenen Herd und wärmte sich. Blinzelte
in die Luft und brummte unverständliche Laute vor sich hin ...

Und wieder war's Sommer geworden in der Gungl. Die Vef hatte den Göd
mit der Aufsicht ihrer Kinder betraut und ging hinaus auf die Mahd,
ihrem Mann zu helfen. Der trug auf hochbeladener Kraxe das Heu in den
Stadel ein, und die Last war so schwer, daß der junge starke Körper bei
jedem Schritt zitterte und die Brust keuchte.

Von steiler Halde trug er das Heu, und langsam und vorsichtig, aber
sicher setzte er die nackten Füße auf den schlüpfrigen Boden. Ein
Fehltritt nur, und der Wastl wäre ausgerutscht, hätte sich, da er
nirgends einen Halt hätte finden können, überkugeln müssen und wäre
abgestürzt.

Ein mühsam schweres Ernten war das hier hinten in der Gungl. Zu
Lasttieren wurden die Menschen, und im mühseligen, nimmer rastenden
Fleiß mußten sie dem spröden Erdreich schier jede Kartoffel abringen.

Die Felswände, mit langen Gräsern bewachsen, die wie Schleier
darüberfielen, ragten glatt und mächtig oberhalb der Mahd zum steilen
Berg empor. Hie und da hatte auf brüchigem Felsvorsprung ein Strauch
oder Bäumchen sich eingenistet, und seine Wurzel gedieh und sog an dem
spärlichen Erdreich, das ihm hier Nahrung bot.

Im engen Tal brauste der Bach. Wild und ungebärdig. Haushohe Felsblöcke
lagen darin und hielten den Wellen Widerpart. Das brodelte und schäumte
und bäumte sich auf in wildem Grimm, formte sich zum Kessel und
spritzte in weißem Gischt zornig empor.

Große und kleinere Felsblöcke lagen auch verstreut in den grasigen
Halden und in unmittelbarer Nähe der Hütte. Ein windschiefer Zaun
grenzte das kleine Besitztum ab und machte es als Anwesen kenntlich.

Sogar eine kleine Gasse führte hier vorbei. Die war so steil und
steinig, daß nur die abgehärteten Füße dieser Bergmenschen ohne
Schmerzen sie gehen konnten. Dieser steinige Weg führte tiefer ins Tal
hinein, bis zu dem Rand des Gletschers. Almen lagen da drinnen, auf
denen zur Sommerszeit das Vieh aufgetrieben wurde.

Die Vef hatte ein hellfärbiges Tüchl schützend gegen den Sonnenbrand
über den Kopf gebunden, die Ärmel ihrer dunklen Jacke weit
zurückgeschoben und den Rock vorne hochgeschürzt. So stand sie auf der
Mahd und zog mit dem Rechen das Heu zu einem Haufen zusammen.

Ziemlich hoch oben auf der Halde arbeitete sie, dort wo die Felswände
anfingen und die Luft schwer zu drücken schien durch die Macht der
emporragenden Wände. Der Wastl trug gerade wieder seine gefährliche
Heulast zum Stadel herab, der knapp hinter seinem Häusl stand.

Im Gassl unten trieb ein Mann etliche Schweine vorbei. »Tschöh ...
tschöh ... tschöh ...« lockte er; denn die Tiere, eigenwillig wie sie
nun einmal sind, wollten nicht vorbei an der Hütte. Offenbar witterten
sie gutes Futter in der Nähe und wünschten Einkehr hier zu halten.

»Tschöh ... tschöh ... tschöh ...« lockte der Mann, und ungeduldig
hieb er mit seinem Stock auf die Schweine ein, daß sie grunzend und
schreiend vorwärts liefen.

Die Vef hielt mit der Arbeit inne und schaute von ihrer Höhe aus
neugierig zu dem Wanderer herab, der sich kleinwinzig ausnahm. Sie
hielt die Hand vor die Augen, um besser zu unterscheiden, wer der
Wanderer sei.

»Weit aus?« rief sie ihm mit ihrer weittragenden vollen Stimme zu.

»Nimmer gar weit!« rief er zurück.

An dem Klang der Stimme erkannte sie ihn.

»Jessas! Der Stanis!« rief sie freudig herunter. »Grüß di Gott, Stanis!«

Und dann warf sie den Rechen beiseite und kam, so schnell sie es
vermochte, über die Halde heruntergelaufen, um den alten Bekannten vom
Alpl zu begrüßen.

»Muaßt schon einer giahn, Stanis ...« lud sie ihn ein. »A Maulvoll
Milch kosten und a Brot und an Butter essen. Hab' erst heut' in der
Fruah frisch gekübelt!« erzählte sie.

»Ja ... und meine Facken?« wies der Stanis ärgerlich mit dem Stock auf
die Schweine, die schon wieder ihren eigenwilligen Weg laufen wollten.

»Dö locken wir einer da und geben ihnen an Trank. Wart', i hilf dir!«
Und resolut wie sie war, half sie dem Stanis die Schweine in den Stall
treiben.

»Schlagt dir guat an, die Gungl!« neckte der Stanis, als er in der
Küche beim Tische saß und aus der hölzernen Milchschüssel trank.
»Ausgezeichnet!« Vom Fuß bis zum Kopf musterte er sie dreist und
frech. »Hast no mehra sölle Fratzen?« meinte er dann, auf die beiden
Kinderchen deutend.

»Bis iatz grad lei dö zwoa!« sagte die Vef und hielt dem Stanis voll
Stolz das nackte dicke Bübl entgegen, damit er es gebührend bewundern
solle.

»Wia alt bist aft'n du?« frug der Stanis und beugte sich zu dem
größeren Kinde, das nur mit dem färbigen Hemdchen bekleidet am Boden
saß.

»Der? Der ist zwoa Jahr auf Martini und der kloane acht Monat. Aber
so viel a braver! So viel a braver Bua!« lobte sie und putzte das
kleine Stumpfnäschen mit ihrer Schürze. »Gelt, Ahndl, brav ist er, der
Luisele?«

Der Alte auf der Herdbank, im Lodenrock und mit dem Hut am Kopf,
brummte mit seinem zittrigen, zahnlosen Mund unverständlich vor sich
hin. Die Vef war aber ganz zufrieden mit dem, was sie für eine Antwort
hielt. Gleich wandte sie sich wieder dem Stanis zu. »Gelt, und toll ist
er?« frug sie voll Mutterstolz.

»Was geiht's aft eppar iatz ab? Zwilling?« frug der Stanis boshaft.

»Von mir aus aa. Je mehr Kinder, desto liaber!« lachte die Vef.

Da mußte der Stanis laut herauslachen über das ehrliche Geständnis.

»Wo hast aft dein' Alten, den Wastl?«

»Werd' glei kömmen.« Sie öffnete die Türe und rief mit ihrer schönen
dunkeln Stimme den Namen ihres Mannes.

»Wastl! Einer giahn! Der Stanis ist da!«

Es dauerte eine Weile, bis der Wastl kam. Der Stanis aber erzählte
indes, was sich in der Heimat draußen in der letzten Zeit ereignet
hatte.

»Der Kramer Veit ist wieder kömmen!« berichtete er nach einer kleineren
Pause.

»Ah wohl!« machte die Vef interessiert und setzte sich mit dem jüngsten
Kind am Schoß zu dem Stanis auf die Bank hin, während das größere auf
allen Vieren am Boden herumkroch. »Wohl wieder kömmen?« frug sie. »Hat
er was verzählt vom Regele und vom Florl? Sein's iatz verheirat' ... dö
zwoa?« forschte sie neugierig.

»Freilich verheiratet. Sein aa mitkömmen dö zwoa!« berichtete der
Stanis und schnitt sich mit seinem großen Taschenmesser ein gewaltiges
Stück Brot ab, das er dann fingerdick mit Butter bestrich.

»Was du nit sagst? Da sein's?« verwunderte sich die Vef.

Da kam der Wastl zur Stubentür herein und mußte sich tief bücken, damit
er nicht an den Balken anstieß. »Grüaß di Gott, Stanis!«

»Grüaß Gott aa!«

Er sah gealtert aus, der Wastl, mitgenommen von der harten Arbeit, und
tiefe Furchen hatten sich vorzeitig in dem jungen, wetterharten Gesicht
eingegraben.

»Horch, Wastl, was der Stanis verzählt!« rief die Vef wichtig. »Der
Florl und 's Regele sein hoamkömmen mit'n Kramer Veit.«

»Wohl kömmen? Ah so!« sagte der Wastl und setzte sich aufatmend neben
sein Weib. Sein Gesicht war noch aufgedunsen und hochrot von der
schweren Arbeit, und dicke Schweißtropfen standen auf der Stirn und
machten das hereinhängende schwarze Haar feucht glänzen. »Was machen's
nacher, dö zwoa?« erkundigte sich der Wastl ziemlich gleichgültig.

»Faulenzen tian's!« sagte der Stanis scharf. »Und nobel sein dir dö
zwoa g'worden! Am hellichten Werktag laufen's im Sonntagsg'wand umadum!«

»Haben's Kinder?« forschte die Vef interessiert.

»Naa. Haben koane.«

»Nit?« meinte sie verwundert und drückte ihr kleines Bübl, das vor
Wonne krähte und sie aus hellen runden Augen anlachte, innig an ihre
volle Brust. »Koane Kinder?«

»Aber dös oane ... dös Büabl ... dös hat die Notburg no alleweil?« frug
der Wastl.

»Dös hat die Notburg no alleweil!« bestätigte der Stanis. »Laßt's aa
nit her, die Notburg, und recht hat sie!« erzählte er weiter. »Söllene
zwoa, wie dir dö sein!« sagte er verächtlich und kaute laut schmatzend
sein Butterbrot.

»Ja ... und haben's aft döcht a Geld verdient mit der Singerei?« frug
die Vef weiter.

»Freilich! A woltern a Geld haben's verdient, sagt der Kramer Veit.
Söllene zwoa, wie dir dö sein!« entrüstete er sich weiter. »Wöllen iatz
no a paar Madeln und Buab'n mitlocken zu dera Singerei Aber dem Kramer
Veit ist die Sach' nit ganz g'recht. Er tu' da nimmer mit, hat er
erklärt.« Verächtlich spuckte der Stanis im weiten Bogen zur Seite.

»Dös sell glab' i schon!« meinte der Wastl schwerfällig, äußerte sich
aber in keiner Weise, wieso er zu dieser Ansicht kam.

»Ja, und was sagt aft der Söllerbauer dazu?« frug die Vef interessiert.

»Nix'n sagt er. Was soll er aa sag'n? Aber dei' Vater larmt dir anders,
Vef!«

»Mei' Vater?«

»Freili ... dei' Vater.«

»Ja ... z'wegen was denn?« frug die Vef betroffen. »Was geht denn dös
mein' Vater an?«

»Wann die Rosina aa mittuan will, bei dera Singerei.«

»Dö Rosina?« Die Vef war aufgesprungen und legte den Säugling achtlos
in die Wiege hinein. Dann stemmte sie beide Hände in die Hüften. War
ein stattlich schönes Weib geworden, die Vef, trotz der ärmlichen
Kleidung und trotz des Kindersegens. »Jatz bin i's do nimmer! Die
Rosina? Ja ... was sagst aft iatz du, Wastl?« frug sie ihren Mann
scharf, als ob dieser Schuld an der Sache trüge.

»Nix sag' i. Soll halt giahn, wenn sie's g'lustet.«

»Kimmst du bald amal zur Rosina, Stanis?« erkundigte sich die Vef.

»Kann leicht sein.«

»Sag' ... sie soll einer giahn zu mir in die Gungl. Lang dauert's ja
do nimmer, bis das Kloane kommt, und da mag sie mir auswarten. Und dö
Flausen, dö treib' i ihr aft aus, dös woaß i!« erklärte das junge Weib
resolut ...

Die Rosina hat sich aber bei der Vef nicht blicken lassen. Die Julie
war statt ihrer gekommen zum Auswarten, und der Florl und das Regele
waren auch mitgekommen, um die alten Freunde aufzusuchen.

Die Vef und der Wastl rissen da freilich beide Augen auf, als sie das
Regele und den Florl wiedersahen. So verändert, wie die waren, und
kamen ihnen so fremd vor, daß sich der Wastl und auch die Vef anfangs
wirklich hart taten mit reden.

Das Regele tat ganz besonders geziert und redete eine Sprache, wie man
sie in dieser Gegend herum nicht gewohnt war. Und fein angezogen war
sie! Hatte ein schwarzsamtenes Miederleibchen und ein helles Seidentuch
darein gesteckt, und ihr Hals guckte blühweiß und schlank daraus
hervor. Eine große goldene Brosche hielt das Tüchl ziemlich tief am
Halsausschnitt zusammen, und in den zierlichen Ohren hatte sie ein Paar
goldene Ohrgehänge, die viel zu lang und schwer waren für die feinen
Läppchen und sie unnatürlich in die Länge zogen.

Aber dem Regele schienen die schweren Ohrringe ganz besonders gut zu
gefallen; denn sie drehte und wendete das feine Köpfchen nach allen
Seiten, um sie ja recht zur Geltung zu bringen. Wie ein kokettes
verliebtes Kanarienvogerl war sie und lachte lieb und zutraulich, wenn
sie mit dem Wastl sprach. Und wenn sie mit der Vef sprach, dann war
es, als ob ein ganz klein wenig Herablassung in ihrem Blick läge. Und
eine helle Seidenschürze hatte das Regele, die so kostbar war wie jene,
welche die reichen Bäurinnen nur an den allerhöchsten Festtagen zu
tragen pflegten.

Die Vef konnte sich im Anfang gar nicht satt sehen an dem Regele. So
gut gefiel sie ihr. So fein und nobel wie sie aussah und so hübsch und
jung dabei. Wie ein junges Dirndl von zwanzig Jahren war das Regele und
sah gar nicht aus wie eine verheiratete Frau.

Der Florl erzählte lachend, wie man das Regele draußen in der Welt
immer für ein Fräulein halte, und wie es kein Mensch wisse, daß das
bildhübsche Tiroler Mädel seine rechtlich angetraute Gattin sei.

»Fräulein Regina sagen die Leut' zu mein' Grispele!« lachte der Florl
überlaut, und es klang doch etwas erzwungen, wenn man mit feinem
fühlendem Ohr zu hören verstand. Wenigstens erschien das dem Wastl
so, der, die Arme auf die Knie gelegt, vornüber geneigt dasaß und
aufmerksam zuhorchte.

»Und Verehrer hat dir die ...« prahlte der Florl weiter und legte
seinen Arm um die zierliche Figur der kleinen Frau ... »könnt' eins
völlig eifersüchtig werden, wie dö fremden Mannderleut' damit tun ...«
meinte er.

Die Vef schlug die vollen Arme über den Kopf zusammen.

»Und dös derlabst du, Florl?« frug sie voll Verwunderung. »Und bist nit
amal eifersüchtig?«

Hellauf lachte da der Florl und zog das Regele eng an sich. »Ist ja do
~mei'~ Weibl!« sagte er stolz. »Und g'hört koan als mir alloan.
Und dös andere, dös g'hört mit zum G'schäft!« erklärte er.

»Was g'hört mit zum G'schäft?« frug da der Wastl auf seine
schwerfällige Art und runzelte bedenklich die Stirn. »Wann i mei' Weib
...«

»Bua, das verstehst du nit!« erklärte ihm der Florl mit herablassender
Miene. »Dös ist dir ganz an andere Sach' und nit a so wie bei uns
herinnen. Siehst, wann sich so a frisches Tiroler Dirndl hinstellt
und zu jodeln anfangt, dann ist's aa jedesmal, als ob ihr alle Herzen
zufliegen taten. Aber das Jodeln und schian singen allein tut's nit.
Kannst mir's glauben. Da muß aa a bißl a Aufmachung dabei sein. Eppas
fürs Aug'. Und zu der Aufmachung g'hört's aa, daß wir's nit an jeden
auf die Nas'n binden, daß wir verheirat' sein. A ledig's Dirndl wirkt
besser als wie a verheirat's Weib. Kannst mir glauben.«

Selbstbewußt und energisch hatte der Florl gesprochen, und die Vef
und der Wastl hatten ihm in lautloser Stille zugehört. Sie saßen
in der düstern Küche am Tisch und bewirteten ihre Gäste mit Milch
und Butterbrot. Am Boden rutschte das älteste Bübl in seinem grauen
Flanellhemdchen, und das jüngste strampelte in der Wiege und schrie
gebieterisch nach der Mutter.

Die Vef eilte zu ihm und nahm es auf ihren Schoß. Der Göd saß auf der
Herdbank, den Hut am Kopf und wie immer in seinem grauen, abgetragenen
Lodenrock mit den schwarzen Samtaufschlägen an den Ärmeln, und murmelte
leise und unverständlich vor sich hin und bezeigte keinerlei Interesse
an den fremden Besuchern.

Die Julie hatte sich schon heimisch gemacht; denn sie sollte ja nun
etliche Wochen bei der Schwester bleiben. Sie hatte das Werktagsgewand
angezogen und versuchte nun eine kleine freundschaftliche Annäherung
mit dem kleinen blonden Buben am Fußboden herbeizuführen. Der wich ihr
aber standhaft aus, rutschte so weit er konnte von ihr weg und zu dem
Alten hinüber, der auf der Herdbank saß.

Von da aus betrachtete er die Julie neugierig, aber mit ausgesprochenem
Mißtrauen; und als die Julie ihre Annäherungsversuche so weit trieb,
daß sie den Kleinen auf ihren Arm nahm, da brüllte der Wicht ganz
ungebärdig und wollte sich gar nicht mehr beruhigen lassen.

Erst als die Vef den Buben nahm und ihn mit einem tüchtigen Klaps
dem Wastl aufs Knie setzte, hörte er zu schreien auf. Er sah aber
unausgesetzt und mit zornigem Gesichtchen zu der neuen Tante hinüber,
stets bereit, bei dem geringsten Annäherungsversuch von ihrer Seite in
ein erneutes Gebrüll auszubrechen.

»Der hat a Stimm'!« meinte der Florl anerkennend, und das Regele
schnitt ein so wehleidiges und zimperliches Gesicht, daß man es ihr
wohl anmerken konnte, wie unleidlich und zuwider ihr Kindergeschrei
geworden war.

»Gibt amal an guten Sänger ab ... mit der Lungl!« erklärte der Florl
mit Bestimmtheit.

»Möchtest ihn leicht mitnehmen auf deine Reisen?« lachte die Vef und
schaukelte ihren Jüngsten unaufhörlich im Arm hin und her.

»Den? Naa. Der ist mir no zu jung!« sagte der Florl lachend. »Aber enk
zwoa, di und den Wastl! Enk könnt' i gut brauchen.«

Dem Wastl war, seit der Florl und die Regina zu Besuch hier weilten,
etwas beklommen zumute. Er wußte nicht recht, was es war, aber es
freute ihn durchaus nicht, daß die beiden zu ihnen gekommen waren. Er
fühlte: diese beiden paßten nicht mehr zu ihnen und auch nicht mehr in
die Einsamkeit dieser Berge.

Aus dem Florl war ein Herr geworden. Ein viel feinerer Herr wie aus
dem Kramer Veit, der sich trotz jahrelanger Abwesenheit von der Heimat
in Sprache und Art doch immer gleichgeblieben war. Der Florl aber fand
nicht mehr den richtigen Ton, wenn er mit seinen Landsleuten sprach. Es
war etwas Fremdes in seinem Wesen, etwas, das sowohl den Wastl wie auch
die Vef von ihm abstieß.

Ein selbstbewußter und selbstsicherer Mann war der Florl geworden. Die
elastische, biegsame Figur von ehedem hatte er eingebüßt, war voll und
breitschultrig geworden, und die Tracht der Heimat, die er trug, paßte
so wenig zu ihm, daß es aussah wie eine Verkleidung und als habe er sie
nur zum Spaß angezogen.

Das feine, beinahe mädchenhafte Gesicht, das dem Florl früher eigen
war, sah jetzt schwammig und aufgedunsen aus und zeugte vom gesättigten
Genuß. Er hatte das Zarte und Frische eingebüßt und auch den übermütig
verwegenen Ausdruck, und etwas Bestimmtes, berechnend Schlaues war an
dessen Stelle getreten. Der kurze, braune Krausbart, der das Gesicht
umrahmt hatte, war jetzt nach städtischer Mode zugestutzt, und die
hellen Augen schauten herausfordernd und etwas frech in die Welt.

Als der Florl jetzt die Antwort gab, schaute der Wastl bis ins Innerste
erschrocken auf sein Weib. Die Vef aber lachte nur, laut und übermütig,
wie sie es stets getan hatte, und küßte ihr blondes Bübl, das auf ihrem
Schoße jauchzte und lachte, leidenschaftlich.

»So a Tolm ... a narrischer!« schimpfte sie dann lustig darauf los.
»Wir sollten da mittian? Nit zwanz'g Ross' bringeten mi amal außi aus
der Gungl!« erklärte sie mit Bestimmtheit.

Erleichtert schaute der Wastl zu dem Göd hinüber, der noch immer
teilnahmslos dasaß und nur leise mit dem Kopfe nickte.

»Könnt ihr zwei nimmer singen?« frug da das Regele in ihrer gezierten
Sprache, die sie sich zugelegt hatte. »Habt's es ganz verlernt bei
enkerer Arbeit?« Eine leise Geringschätzung lag in dieser Frage. Die
Vef parierte aber kräftig den Hieb.

»Ah wohl!« sagte sie resolut. »Singen können wir no gut. I und mei'
Wastl. Leicht besser wia ös zwoa!«

»Geht's, singt's amal oans!« forderte die Julie auf um dem Gespräch,
das jetzt peinlich zu werden drohte, eine andere Wendung zu geben.

Da sangen die Vef und ihr Wastl, und der Florl und das Regele hörten
zu. Schönheit und unverbrauchte Kraft lag in ihren Stimmen und eine
Wärme und Innigkeit, wenn sie von der Heimat sangen, daß es dem Florl
ganz eigen ums Herz wurde.

~Diese~ Innigkeit, das wußte er, die brachte weder er noch das
Regele mehr auf, wenn sie den fremden Menschen draußen die Lieder ihrer
Heimat sangen. Und beifällig nickte er immer wieder mit dem Kopfe, und
als die beiden geendigt hatten, da jubelte es in ihm auf, und übermütig
sprang er empor, hob sein Regele wie ein Kind in die Luft und wirbelte
sie im Tanz in der Küche herum.

Er pfiff und klatschte dazu mit den Händen, schlug sich aufs Knie und
auf die Fußsohlen und führte einen regelrechten und ausgelassenen
Schuhplattler auf. Und es war so befreiend frisch und ungezwungen, so
voll Lebensfreude und toller Lebenslust, ein Tanz voll von Naturkraft
und echtem Triebgefühl, wie er nur in Gottes herrlicher Bergwelt
entstehen kann und nur hier vollendet in seiner echten, ungekünstelten
Wirkung getanzt werden kann.

Das Regele wiegte sich geschmeidig und neckisch in ihren Hüften und
jauchzte und lachte, da sie den Florl so übermütig sah, und freute
sich wie ein Kind. Und jetzt erst, nachdem das Echte, Ursprüngliche in
diesen beiden jungen Menschen wieder zum Durchbruch gekommen war, jetzt
war auch die alte Herzlichkeit zwischen den Freunden wiederhergestellt.

Jetzt wurden der Wastl und die Vef zutraulicher und redeten mit ihren
Besuchern wie in alten Tagen. Erzählten ungezwungen von sich und
berichteten Nichtigkeiten ihres täglichen Lebens, die sie erfüllten
und die ihnen wichtig erschienen. Und das Regele und der Florl hörten
ohne zu unterbrechen zu, und es war ihnen, als wäre alles, was sie von
diesem schlichten Leben getrennt hatte, verschwunden ... als lebten
sie selber wie zuvor dieses schlichte Leben der Heimat, in dem sie
wunschlos glücklich waren.

Da der Wastl und die Vef fertig waren mit ihren Berichten, erzählten
der Florl und das Regele alles, wie es ihnen ergangen war in der
fremden Welt da draußen. Und je mehr sie ins Erzählen kamen, desto
fremder wurden sie wieder diesen schlichten Bergleuten, die ihnen
zuhörten.

Sie erzählten, wie sie zu Beginn ihrer Reisen hatten in kleinen
Wirtschaften singen müssen; und das Regele hatte dann einen
Teller nehmen müssen und war von Tisch zu Tisch gegangen, um Geld
einzusammeln. Aber dann war es ihnen besser und immer besser ergangen.
Man lobte ihren Gesang und drängte sich, um sie zu hören. Und
jetzt sangen der Florl und das Regele nur mehr in großen Sälen mit
weißgedeckten Tischen und mit großen Spiegelscheiben, von denen viele
Kerzenlichter ihren Schein zurückwarfen.

Die Leute, die kamen, um ihren Gesang zu hören, trugen herrliche
Kleider aus Samt und Seide und die Frauen funkelnde Edelsteine im Haar
und an den Hälsen, und ehe sie in den Saal zu dem Regele und dem Florl
durften, mußten sie Geld bezahlen, und das Geld wurde dann zu gleichen
Teilen geteilt und gehörte dem Florl, dem Regele und dem Kramer Veit.

»Ja ... aber iatz tut er ja nimmer mit, der Kramer Veit?« frug die
Vef neugierig. »Z'wegen was eigentlich?« Sie hatte mit leuchtenden
Augen zugehört, und ihre Wangen flammten; denn alles, was der Florl
und das Regele erzählten, kam ihr so wunderbar und herrlich und schier
unglaublich vor.

Der Florl runzelte leicht geärgert die Stirn und schob sein graues
Lodenhütl mit dem auffallend großen Gamsbart weit gegen den Hinterkopf
zurück.

»An altmodischer Mensch ist's, der Kramer Veit!« sagte er unwirsch.
»Kann nimmer mittun mit junge Leut'!«

»Er derleid't's nit, daß i mi a bißl schian außerputz'!« machte das
Regele schnippisch und mit gekränkter Miene.

Der Wastl sah das Regele verständnislos an. »Ah nit?« frug er dann, nur
um etwas zu sagen.

»Die Sach' ist nämlich so!« erklärte der Florl wichtig. »Wenn man an
Unternehmen in die Höh' bringen will, dann muß man sich aa a bißl an
den G'schmack von die Leut' anpassen. Verstehst?«

»Naa!« sagte der Wastl, und die Vef hörte schweigend zu.

Die Julie hatte es nun doch fertiggebracht, daß sie den kleinen Neffen
dem Wastl abnehmen durfte, und das hellblonde, pausbäckige Büabl saß
jetzt ganz gefügig, aber doch noch mit lauerndem Mißtrauen auf ihrem
Schoß und duldete es, daß sie ihm liebkosend mit ihrer Arbeitshand über
den kleinen Lockenkopf fuhr.

»Anpassen, dös heißt, man muß den Leuten erstens zeigen, daß wir
richtige Bauersleut' sein. Das haben's nämlich gern, weil sie's nit
kennen und aa nit verstiahn. Und das Jodeln, das hören sie ganz
besonders gern und unsere Sprach' aa. Völlig derkugeln tun sie sich,
wenn wir so richtig zu reden anfangen. Und haben aa a Freud' mit uns.
A richtige Freud'. Kann's nit anders sagen. Aber siehst, Wastl, so wia
wir iatz da sitzen in dem G'wand, das paßt nit ganz zu dem G'schmack
von die herrischen Leut'. Das muß man verstehn, und das versteht der
Kramer Veit nit. Das G'wand ist zu armselig und sieht nach nix aus. Dös
muß man a bißl herrichten, damit's wirkt.«

»Woaßt ...« verfiel nun das Regele in ihrem Eifer wieder in die alte
ursprüngliche Mundart ... »der dunkle Kittel da geht do absolut nit für
an feinen Konzertsaal. Der muß a bißl kurz sein, daß man die Schuh'
g'siecht und a bißl was von die Strümpf' aa ... und's Miederleibl,
dös g'hört aa a bißl tiefer ausg'schnitten ... woaßt ... so bis a so
daher.« Und sie zeigte wichtig mit der Hand den Ausschnitt des Halses
an, der einen schönen Teil der Büste enthüllte.

»Was? A so tief? Und all's nacket?« rief die Vef verwundert. »Da tat' i
mi amal schamen!« erklärte sie energisch. »Als a Halbsnacketer vor alle
Mannsbilder so dazustiahn!«

Das Regele lachte geziert. »Mei ... dös g'wöhnt man schon ...« meinte
sie leicht verlegen ... »und nachdem, weißt, man schaut aa wirklich
viel schöner aus a so.«

Die Julie riß ihre Augen auf, so weit es nur anging, und der Mund blieb
ihr offen stehen vor Staunen. Der Wastl aber meinte langsam und sehr
schwerfällig: »Und dös derlabst du, Florl? Dei' Weib und ...«

»Mei' lieber Wastl!« Der Florl lachte laut und polternd. Es klang
beklommen, dieses Lachen und nicht so urwüchsig und befreiend, wie
dasjenige vom Kramer Veit. »Wann's a Geld ... viel Geld eintragt ...
warum nit? Das derlabest du aa.«

»I tat's schon nit! So a Fackerei!« entrüstete sich die Vef und sprang
in hellichtem Zorn von ihrem Sitz auf. Den Säugling übergab sie jetzt
ihrem Mann und machte sich am offenen Herd zu schaffen. Blies das Feuer
an und holte die Muspfanne von der rauchgeschwärzten Wand herab, und
an dem geräuschvollen Geklapper mit der Pfanne erkannte der Wastl, daß
die Vef innerlich sehr zornig war. Und das freute ihn, und es freute
auch den Alten, der regungslos dasaß und leise und unverständlich mit
zahnlosem Munde vor sich hin murmelte.

Eine Weile herrschte eine beklemmende Stille in der kleinen Küche.
Keines sprach ein Wort. Der Florl und das Regele fühlten: diese
Menschen hatten kein Verständnis für ihren Geschäftsgeist. Gerade so
wenig wie der Kramer Veit, der nicht mehr mittun wollte.

Das Regele schaute angelegentlich durch die winzige Fensterscheibe,
um ihre Verlegenheit zu verbergen. Draußen hatten sich schwere
Gewitterwolken zusammengezogen, und dicke Tropfen prallten heftig ans
Fenster. Dicht ballten sich die Nebel und zogen, vom Sturm gejagt, im
eiligen Flug schwarzgrau durchs Tal heraus.

»Schau, Florl ...« brach das Regele die Stille ... »wia's da schiach
außerkimmt. So schiach!« sagte sie etwas furchtsam.

Da hob der Alte auf der Herdbank den Kopf horchend empor. »Schiach?«
frug er mit seiner zittrigen, hohlen Stimme. »Schiach? Mensch ... was
die Natur fürer bringt ... dös ist niemals schiach. Ist schian und
gewaltig. Weil's von unserm Herrgott selber kimmt.«

Ein greller Blitz leuchtete im scharfen Zickzack durch das Dunkel der
Küche, in der jetzt auf dem Herd das Feuer loderte. Und mächtig krachte
der Donner. Majestätisch und gewaltig war diese Sprache der Natur und
hallte wider im vielfachen Echo von den nahen Felswänden der Berge.
Und zornig schäumten die Wasser im Wildbach drunten und brausten so
grimmig, daß ihr Toben in der kleinen Hütte deutlich vernehmbar war.

»A Hochwetter!« sagte der Wastl und sah besorgt durch eine andere der
winzigen Fensterscheiben. »'s werd do koa Muhr nit niedergiahn.«

»Tian wir beten!« mahnte die Vef.

Sie knieten alle wie sie waren auf den rauhen, holprigen Holzboden der
kleinen Küche nieder. Auch der Florl und das Regele. Und der Göd war
aufgestanden, steif und hager, und nahm den Hut vom Kopfe und betete
laut und mit zittriger Stimme den Wettersegen.

Und das Regele deckte die Augen mit ihren Händen; denn sie fürchtete
sich vor den zuckenden Blitzen und hatte Angst vor den Gewalten der
Natur, die so mächtig waren.

Und es war doch die Sprache der Heimat, die zu diesen Menschen redete
in den Donnern des Hochwetters, im brausenden Tosen des Wildbaches, im
Heulen des Sturmes, im gewaltigen Niederrauschen des Regens, im Ächzen
und Krachen und Stöhnen der vom Sturm gerüttelten Bäume. Die Heimat
sprach zu ihnen in ihren Schrecknissen und in ihren Segnungen ... die
heilige Heimat.

Mit ihrer strahlenden Sonne sah sie in ihre Hütten. Mit ihren Schauern
machte sie ihre Herzen erbeben ... die heilige Heimat. Sie gab ihnen
Obdach und Nahrung. Mit ihren Bergen ragte sie über ihren Freuden und
über ihrem Leid. Ihre Erde durchpflügten sie. Aus ihr wuchs Korn und
Frucht. Und sie dankten es ihr gläubigen Herzens ... der heiligen
Heimat.

Und Gott, der Allmächtige, Allgütige und Allbarmherzige, hatte
in seiner ewiglichen Fürsorge die Heimat im Ratschluß seines
unerforschlichen Willens über sie alle gesetzt als Herrscherin
und Mutter, als Sachwalterin seiner unerschöpflichen Güter, als
Statthalterin seiner Macht, als eine Königin von Gottes Gnaden.

Über alle Menschen ist sie gesetzt im Namen Gottes, mächtiger und
unvergänglicher als jegliches Herrschergeschlecht dieser Erde ... die
Königin Heimat. Sie segnet alle und sorgt für alle und hat alle in Eid
und Pflicht genommen und straft alle, die ihr die Treue brechen. Wir
sind in ihrer Macht ... Kinder und Untertanen zugleich ... Wer fern von
ihr stirbt, dessen Seele sehnt sich nach ihrer Erde ...

Und sie läßt uns ziehen ins fernste Land ... und lächelt dazu ... die
Königin Heimat ... Ein Würzelein hat sie heimlich eingegraben in unsern
Herzen. Das gräbt sich bei Tag und gräbt sich bei Nacht immer tiefer
und tiefer und wächst zum Baum, zum mächtigen Baum und trägt wehe
Frucht. Trägt bittersüße Frucht. Wer davon gekostet, will zurück dahin,
wo seine Wiege stand, wo er die ersten Lieder hörte, den ersten Boden
trat, das erste Brot aß. Ihre Untertanen sind wir allzumal. Keine Macht
ist größer auf Erden, weil keine Macht uns so weithin erreicht wie ihre
Macht, die über uns gesetzt ist im Namen Gottes ...

Und der Göd betete mit gefalteten, knochigen Händen, mit den sehnigen
Händen, die ein langes Menschenalter gearbeitet hatten in ihrem Dienst,
treu und unermüdlich, und die in Ehren zittrig geworden waren in ihrem
Dienst ... betete gläubig ... Herr Jesu Christ in Deinem Himmelreich
... Schütz' uns vor Dunnder, Blitz, Hagel und Wetterstreich ... Schütz'
uns, unser Vieh und unser Korn ... Such' uns nit heim mit Deinem
Zorn ... Laß Wetters G'walt vorübergehn ... Wollen allzeit in Deinem
heiligen Dienste stehn ... Wollen nit wanken und weichen von Deiner
Himmelstür ... Sind selber zu schwach, drum sorg' Du in Deiner Allmacht
für ... Vater unser, der Du bist in dem Himmel, geheiliget werde Dein
Name!




                           Siebentes Kapitel


Als der Florl und das Regele zum erstenmal ihr Kind aufsuchten,
hatten beide ein etwas beklommenes Gefühl. Etwas wie Scham und eine
innere Verlegenheit war es, diesem Kinde gegenüberzutreten, das ihr
eigen Fleisch und Blut war und dem sie bis jetzt so fremd und fast
interesselos gegenübergestanden hatten.

Ohne elterliche Liebe und Fürsorge war es bisher aufgewachsen, und die
Notburg hatte ihm Vater und Mutter ersetzen müssen, und wahrlich, die
Frau hatte getreulich ihre Pflicht erfüllt.

Der kleine Anderl hatte nur eine große Liebe, und das war die zu seiner
Pflegemutter. Und die Notburg hätte ein eigenes Kind nicht lieber haben
können und nicht besser betreuen können, wie das fremde Kind vom Regele.

Sie pflegte und wartete den kleinen Anderl, hätschelte ihn und
verwöhnte ihn auch, so daß sich die Nachbarsleute gar oft darüber
aufhielten. Sie werde keinen Dank dafür ernten, die Notburg, meinten
sie; und die Notburg erwiderte scharf, daß sie wegen des Dankes
überhaupt nichts tue und daß die Leute vor ihren eigenen Türen kehren
sollten, ehe sie sich in ihre Angelegenheiten mischten. Sie war noch
immer die alte Notburg, nur etwas älter geworden und auch etwas milder
in ihrem Wesen.

Ein schmächtiges, lang aufgeschossenes Kind war der kleine Anderl, der
nun schon das erste Jahr zur Schule ging und recht fleißig lernte. So
erzählte wenigstens die Notburg und lobte ihn sehr und konnte sein
Talent und seinen Eifer nicht genug rühmen. Er war ein aufgeweckter,
bildhübscher kleiner Kerl, der Anderl, der, wie es schien, das Mundwerk
von der Mutter und die Frechheit vom Vater her geerbt hatte.

Seine Eltern betrachtete der Anderl keineswegs mit liebenswürdigen
Augen. Zeigte überhaupt gar keine Freude über den elterlichen Besuch,
so daß ihn die Notburg wiederholt strenge ermahnen mußte, doch
freundlich zu sein und schön das Handerl zum Gruß zu geben.

»Jatz, Anderl, wer bin denn epper i?« frug der Florl und griff dem
Kleinen unters Kinn. »Kennst mi nit, gelt?«

Der Anderl spreizte, wie er das vom Kramer Veit abgeguckt hatte,
breitspurig die magern Beinchen, die in langen Hosenröhren staken,
auseinander, verzog schmollend das Mäulchen und sah trotzig zu Boden.

»Hast koa Zung', Anderl?«

Der Anderl streckte unartig seine Zunge heraus, so weit er nur konnte,
aber redete kein Wort.

»Aber Anderl!« sagte die Notburg entsetzt. »Wo hast denn iatz dös
wieder her?«

»Vom Moidele!« sagte der Bub triumphierend und mit dem strahlenden
Augenaufschlag seiner Mutter. »Vom Moidele!«

Das Regele in ihrem feinen Staat machte sich jetzt an den Buben heran
und wollte ihn von der Notburg, zu der er sich geflüchtet hatte,
wegziehen. Der Anderl aber steckte seinen Kopf in die dunkle Schürze
seiner Pflegemutter und schlug abwehrend mit den Beinen um sich.

»Laß mi ... du ...« schrie er ungebärdig.

Die Notburg fuhr dem Kinde mit linder Hand über den dunklen Lockenkopf.
»Muaßt brav sein, Büabl ...« mahnte sie mit guter Stimme. »'s ist dei'
Muatter!«

»Naa!« wehrte sich der kleine Bursch energisch. »I mag nit.«

»Magst mi nit, Anderl?« schmeichelte das Regele. Sie versuchte, so
gut sie konnte, den richtigen Ton zu ihrem Kinde zu finden. Es war
aber doch schon lange her, seitdem das Regele in der Kinderstube
ihrer Mutter herumhantiert hatte, und sie schien die Art, mit Kindern
umzugehen, gründlich verlernt zu haben. Zum mindesten gelang es ihr
hier nicht bei dem kleinen Anderl. Der blieb störrisch und abweisend
und widerstand hartnäckig ihren Koseworten, und ihre Verlegenheit nahm
zu, je mehr sie sich um den Kleinen mühte.

»Schau ... Anderl, i hab' dir was mitgebracht!« lockte das Regele
neuerdings.

Der Anderl zog für einen Augenblick das Gesicht aus der Schürze der
Notburg hervor und sah neugierig auf das Geschenk, das ihm das Regele
jetzt aus einem Päckchen wickelte. Eine schöne silberne Uhr war es,
mit einer dicken Kette daran, viel zu groß und schwer noch für den
Knirps.

»Schau, Anderl ... g'hört dir!« lockte das Regele den Buben an sich
heran, während sie sorgfältig Papier um Papier von Uhr und Kette löste,
in dem beides verpackt war, und die schönen Sachen dann dem Kinde zum
Bewundern hinhielt.

»G'halt' dir's!« machte das Büabl und versteckte sich abermals unter
der Schürze der Pflegemutter. »I brauch' nix von enk zwoa.«

»Aber Anderl ... Anderl ...« mahnte die Notburg ehrlich bestürzt. »Wer
wird denn a so sein.« Und hilflos sah sie auf das Kind, das ungebärdig
jeden Annäherungsversuch seiner Eltern von sich wies.

»Brauchet halt a Tracht Prügel, der Bua!« konstatierte der Florl
unmutig. »Ist arg verzogen, kommt mir vor.«

»Der ist ja völlig aufg'hetzt gegen uns!« sagte das Regele beleidigt.
»Dös hätt's ja grad aa nit braucht!« setzte sie schnippisch hinzu.

Die Notburg zog den Kopf des Anderl gewaltsam aus ihrer Schürze hervor
und fuhr ihm mit der Hand leicht und beruhigend über das erhitzte
Gesichtl.

»Aufg'hetzt hab' i den Buben nit!« erwiderte sie sehr ruhig. »Er tut
halt a bißl fremden, der Bua!« fügte sie entschuldigend bei. Und dann
fragte sie ihn weich und gut, und das Regele neidete ihr für einen
Augenblick diese mütterlich gütige Nachsicht ... »Sag', Anderl ... für
wen hast denn alle Abend beten müssen?«

Man hätte es dieser ernsten, wortkargen Frau niemals zugemutet, wie
zart und innig ihre Stimme klingen konnte. Und das Regele fühlte in
dieser Stunde keine Dankbarkeit für die Güte dieser Frau, sondern nur
wütendblinde Eifersucht. Sie war ihr neidig um die Liebe dieses Kindes,
das ihr eigen war, und fühlte sich innerlich hilflos und beraubt.

»Für wen hast gebetet, Anderl?« wiederholte die Notburg ihre Frage von
vorhin.

»Für di!« erklärte der Bub trotzig.

»Für mi? Und für wen no?« frug die Notburg leise.

»Für mein' Vater!« sagte der Bub eigensinnig. Man sah es deutlich,
daß er damit nicht den Florl meinte, von dem er sich immer noch im
kindlichen Trotz abwandte.

Das Regele verzog spöttisch den Mund. »Für'n Kramer Veit, gelt?« frug
sie schnippisch.

»Ja. Für densell!« erklärte der Anderl frech. »Weil i den mag!« sagte
er eigensinnig.

»Und uns magst nit?« frug der Florl unmutig und mit zusammengezogenen
Brauen.

»Naa. Enk mag i nit!« sagte der Bub sehr bestimmt.

»Und warum magst uns nit?« forschte der Florl weiter. »Wir haben dir ja
nix getan.«

»'s Moidele hat g'sagt, so zwoa wie ös seid's, soll man nit mögen!«
erzählte der Kleine.

»So zwoa wia ös seid's ...« Der Hieb saß fest. Wiederholt hatten sie,
seit sie nun in der Heimat weilten, diese Rede der Geringschätzung
gehört. Zuerst vom Söllerbauer, dem Vater der Regina, und dann vom
Perlmoser, und jetzt hörten sie sie aus dem Munde ihres Kindes.

»Ös habt's enk ja nia nit bekümmert um mi ...« fuhr der Kleine altklug
zu reden fort. »Wie soll denn i enk mögen?« Und eigensinnig stampfte
der Bub mit beiden Füßen und hatte jetzt mit seinem frechen Gesichtl
eine so auffallende Ähnlichkeit mit dem Florl von einst, wie er noch am
Alpl droben war, daß der Florl ungeachtet seines Ärgers hellauflachen
mußte.

»Ist ja recht nett von dir!« meinte er dann trocken, spitzte die Lippen
und pfiff leise vor sich hin.

»Wer ist denn das Moidele, das dich so aufg'hetzt hat?« frug das Regele
über eine Weile, in der eine peinliche Stille in der kleinen Wohnstube
der Notburg geherrscht hatte.

»Das ist halt sei' G'spielin!« erklärte die Notburg. »Schon woltern
alt für ihn, aber a bissele schwach da oben.« Die Notburg tupfte mit
dem Finger auf die Stirn. »Ist schon bald ausg'schult, 's Madl, spielt
aber mit'n Anderl, als ob sie erst sieben oder acht Jahr' alt wär'. Du
kennst sie epper wohl no ...« wandte sie sich dann an das Regele. »'s
Kind von der Mena ist's ... woaßt wohl ... die sell, die ins Wasser
gangen ist.«

Da wurde das Regele ganz still und in sich gekehrt und sagte kein Wort
mehr. Sie mahnte ihren Mann aber bald zum Aufbruch; denn es wurde ihr
auf einmal schwül in der kleinen, sauber hergerichteten Stube.

Sie mochte nicht gerne erinnert werden an jene harten Stunden
seelischen Erlebens, welche die schwersten waren in ihrem jungen
Dasein. Wozu auch? Diese Zeiten gehörten ja nun, Gott sei Dank, der
Vergangenheit an, und sie brauchte nicht mehr daran zu denken. Und sie
dachte auch nie mehr daran, wenn sie draußen war in der großen Welt,
die voll Glanz und Erfolg für sie war.

Seitdem sie aber wieder in der Heimat weilte, lebten die alten
Erinnerungen mächtig in ihr auf. Das Regele wäre eigentlich froh
gewesen, wenn sie nur wieder bald hätte fort dürfen. Es gefiel ihr im
Grunde alles nicht mehr so recht in der Heimat. Die Leute sahen sie
mit scheelen Augen an, das fühlte sie gar wohl, und ihr und des Florl
nobles Auftreten schien ihnen nicht viel Eindruck zu machen.

Auch bei ihren Angehörigen fand sie nur wenig Entgegenkommen und
Verständnis. Dem Söllerbauer gefiel es zwar, daß der Florl viel Geld
aufzuweisen hatte; denn für Geld hat der Bauer immer ein Verständnis.
Daß aber die jungen Leute nur durch ihr Singen allein das Geld
erworben hatten, das wollte dem schwerfälligen Dickschädel nicht recht
einleuchten.

»Dös ist a Faulenzerei und a Lotterei!« erklärte er mit Bestimmtheit.
»Und so eppas tuat a rechtschaffener Mensch nit. Handeln ... ja ...
dös lass' i gelten ... und nebenbei singen ... wia dös der Kramer Veit
macht. Aber lei so umananderziechen und 's Maul aufreißen und singen
... dös ist koa Arbeit nit!« sagte er mißbilligend.

Die Söllerbäuerin hatte ihre ganze Überredungskunst aufbieten müssen,
daß der Vater überhaupt die jungen Leute unter sein Dach aufnahm. Gar
nicht wollte er sich dazu verstehen. Bis die Bäurin zornig wurde und
ihn anschrie. Da gab er nach; denn der Gewalt dieser Stimme unterwarf
er sich. Aber innerlich grollte er noch immer über »dö elendige
Faulenzerei« und brummte darüber, »daß man sich vor die Leut' schamen
muaß, wia dö zwoa Tagdieb' nix tian wia umananderziagen.«

Der Florl und das Regerl waren recht niedergeschlagen und betraten das
elterliche Heim mit geduckten Köpfen und mit dem demütigenden Gefühl,
hier bloß geduldet zu sein.

Es war ein recht bescheidenes Kämmerlein, welches das junge Paar
bewohnte, und niemand im Haus achtete sonderlich auf sie. Sie gingen
alle ihrer Arbeit nach wie sonst und hatten, da es Sommer war, alle
Hände voll zu tun.

Und es war schon wirklich so, wie es der Söllerbauer in seinem Zorn
hinausschrie. Arbeiten mochten sie nimmer, die beiden. Das schienen sie
gründlich verlernt zu haben. Etliche Wochen waren sie nun schon daheim
und hätten sich vom Faulenzen und Nixtun eigentlich schon erholt haben
können, meinte der Söllerbauer.

Wenn die andern, ja sogar die Bäurin, jetzt im Morgengrauen an die
Arbeit gingen, dann schliefen der Florl und das Regele bis tief in den
Tag hinein. Sogar eine eigene Bedienung beanspruchten sie; denn dem
Regele fiel es nicht im Traum ein, auch nur einen Stiefel zu putzen,
geschweige denn ihre Kammer aufzuräumen.

Dazu hatte sie sich ihre jüngere Schwester, die Zenz, abgerichtet. Denn
das Regele mußte die Pfötchen hübsch weiß und zart erhalten für den
Winter, wo sie wieder auf Reisen mit dem Florl gehen wollte.

Was aber den Söllerbauer am meisten gegen die jungen Leute erboste, das
war, daß ihnen jeder Sinn für bäuerlichen Fleiß und bäuerliche Arbeit
abhanden gekommen war. Denn nicht ein einziges Mal hatten sie mit
zugegriffen bei der Feldarbeit. Und wenn alle am Hof, auch die Bäurin
und das jüngste der Kinder, das noch kaum einen Rechen ordentlich
halten konnte, draußen bei der Heumahd waren und im Sonnenbrand
schufteten, daß ihnen der dicke Schweiß von der Stirne perlte, da
spazierten der Florl und das Regerl in ihren feinen Gewändern müßig
herum, besuchten Bekannte oder machten Ausflüge in die Nachbartäler.

Sie fühlten es gar wohl, die jungen Leute, daß man sie in der
Heimat als Müßiggänger verachtete und ihnen nur wenig Freundschaft
entgegenbrachte. Sie merkten es, wenn sie zum Nachbar hinüber auf dem
Perlmoserhof zum »Hoangart« kamen, daß ihnen der Perlmoser am liebsten
die Türe vor der Nase zugeworfen hätte.

Und als es gar erst aufkam, daß sie die Rosina zu der verflixten
Singerei beredet hatten, da war es bei dem Perlmoser aus und vorbei.
Wie zwei Vagabunden wies er ihnen grob die Türe. Und sie sollten sich
nicht mehr unterstehen und sein ehrliches Haus betreten. Das sei zu
schade »für söllene zwoa ... wia ös seid's!« schrie er sie an.

Überall, wohin sie kamen, fühlten sie offen oder versteckt das gleiche
Mißtrauen. Nur ein paar von den ganz jungen Leuten schlossen sich ihnen
an und lauschten gierig auf die Erzählungen aus der Fremde.

Der Florl biß die Lippen zusammen, und zwei eigensinnige Falten
prägten sich in seine glatte, junge Stirne ein. Er litt unter der
Mißachtung seiner Landsleute weit mehr als das Regele, die wie ein
eitles Pfauenweibchen leichtsinnig und geputzt herumging. Sie achtete
scharf auf die neidischen Gesichter ihrer Geschlechtsgenossinnen;
denn sie wußte genau: neidig waren sie ihr ... trotz allem. Der Florl
aber schwor es sich, daß sie ihn und sein Weib einmal noch weit mehr
beneiden sollten wie den Kramer Veit.

»Platzen soll'n 's no vor Neid!« sagte er oft wütend zu dem Regele
und ballte die Fäuste. »I werd' ihnen den Faulenzer und Tagdieb schon
geben! Wenn i erst mehr Geld hab' ... die soll'n Augen machen. Nachher
kriechen's vor mir, das weiß i!«

Das Regele dachte nicht viel darüber nach, auf welche Weise denn der
Florl noch mehr Geld zusammenbringen wollte. Sie war zufrieden, daß er
das mit ihr überhaupt besprach, und hatte volles Vertrauen zu ihm, daß
er es auch erreichen würde.

Sie teilte auch nicht die Sorgen ihres Mannes um die allernächste
Zukunft, die ihn jetzt oft arg bedrückten. Und diese Sorgen waren
eigentlich recht schwer und verursachten dem Florl viel Kopfzerbrechen.
Aber er wußte: durchhalten müsse er um jeden Preis. Feig durfte er
nicht sein, sondern er mußte das Angefangene mit Energie vertreten.

Der Kramer Veit hatte sich, das stand unwiderruflich fest, von dem
Florl losgesagt. Er tue bei dem neuen Unternehmen nicht mehr mit, hatte
er ganz entschieden erklärt.

»Denn siegst, Florl ...« meinte der Veit, als sie wieder einmal
zusammen über die Sache sprachen ... »eigentlich hab' ich's oft schon
bereut, daß i dich und 's Regele damals mit auf meine Reisen g'nommen
hab'. I hätt's nit tun sollen ... dös ist mir klar g'worden!« sagte er
sehr ernst. »Ös zwei seid's ... nimm mir's nit verübel, Florl, aber i
muß es sagen ... andere Menschen g'worden da draußen. Die Luft hat enk
g'schadet ... dö habt's nit vertragen.«

Schwer und wuchtig legte der Kramer Veit seine Hand auf die Schulter
des Florl, der vor ihm in fast demütiger Haltung stand. Gegen die
urwüchsige, bodenständige Kraft dieses Mannes kam der Florl nicht auf.
Beinahe wie ein Schulbub nahm er sich gegen den Veit aus, und der Florl
wußte es auch, daß ihm der Kramer in jeder Hinsicht weitaus überlegen
war.

»Und i mag's nit verantworten, Florl ...« fuhr der Kramer Veit zu reden
fort, und seine Stimme klang ungewöhnlich weich ... »daß jetzt no
andere junge Leut' in dös fremde Erdreich verpflanzt werden. 's tuat
ihnen nit gut!« sagte er mit einem Anflug seiner gewöhnlichen Energie.
»I weiß es bestimmt. 's geht wie mit 'n Edelweiß. Wie schön blüht der
am Joch droben. Aber Bua ... tua'n aber vom Joch und pflanz' ihn im Tal
herunten ein ... wia sieht er nachher aus? Ist a Edelweiß und do keiner
mehr. A traurige Blüah ... daß oan 's Herz schwer werden könnt', wenn
man ihn siecht.«

Schier traurig sah der Kramer Veit auf den Florl herab, den er weitaus
überragte. »Grad a so wie du und 's Regele. Seid's Bauern und do keine
mehr. Und, desweg'n sag' i mi los von enk!« fuhr er leiser sprechend
fort. »Verantwort' du's ... wenn du kannst, Florl ... was du aus die
jungen Mannder und die Dirndeln machst. Und i rat' dir's gut ...«
beinahe drohend kam es über die Lippen des Kramer Veit ... »lass' die
Händ' weg davon! 's geht nit gut aus, das was du sinnst und planst.«

Wie ein Vater zu seinem Sohn, so hatte Veit Galler, der Krämer, zu dem
Florl gesprochen. Voll Nachsicht und voll Güte. Aber er war nicht zu
bewegen gewesen, dem Florl auch nur einen Groschen für sein Unternehmen
vorzustrecken. Und das war die große Sorge, die den Florl jetzt Tag und
Nacht drückte.

Zwei Burschen und zwei Dirndeln wollten in diesem Herbst mit dem
Florian Siegwein und seiner Frau in die Welt hinausziehen, und von
nun ab würde der Florl für sechs Personen aufzukommen haben. Dies
erforderte Geld ... viel Geld. Alle Ersparnisse, die er und die Regina
in diesen Jahren gemacht hatten, würden daraufgehen und trotzdem bei
weitem nicht hinreichen, sein Unternehmen zu decken ...

Der Tag der geplanten Abreise rückte immer näher, und dem Florl wurde
es immer schwüler. Noch einmal nahm er sich ein Herz und wanderte mit
der Regina übers Bergl hinüber zum Dörfl und zum Kramer Veit.

Er sei gekommen, um Abschied zu nehmen und das Kind noch einmal zu
sehen, sagte er erklärend und nicht ohne Wehmut. Denn es war ihm, als
ob er Abschied nähme von einem guten Vater, der bis jetzt schützend
seine starke Hand über ihn und sein junges Weib gehalten hatte.

Der Florl und die Regina hatten sich in der Stube neben dem Kramer Veit
auf die Bank gesetzt und redeten lange kein Wort. Die Notburg saß wie
immer im Herrgottswinkel, tief über eine Näharbeit gebeugt, und der
kleine Anderl spielte mit dem Moidele und sah abwechselnd zum Fenster
hinaus. Er achtete nur wenig auf seine Eltern, war aber freundlich
und nicht mehr so trotzig zu ihnen wie im Anfang. Mit ernstem Sinnen
stierte der Florl eine Weile vor sich hin, und der Veit kannte gar wohl
die schwere Sorge, die auf dem jungen Mann lastete.

»Bua ...« brach der Kramer nun das Schweigen ... »i rat' dir no amal.
Lass' gut sein! Bleibt's daheim, du und 's Regele!« meinte er. »Schau,
i leih' enk a Geld. Baut's enk eppas! Arbeitet's! Schaut's, daß ös a
Wirtschaft gründen könnt's!« sagte er immer eindringlicher. »Gabst
kein' unebenen Wirt ab, du, und 's Regele war' ganz a saubere Wirtin.«

Mit einem Anflug seiner alten polternden Heiterkeit fletschte der Veit
die Raubtierzähne und schaute dabei fast zärtlich auf die beiden jungen
Leute, die geduckt und kleinlaut neben ihm auf der Bank saßen.

»Könnt's fein hausen miteinander ...« meinte der Kramer ... »und
könnt's no etline Kinder kriagen und ...«

Da lachte das Regele laut und geziert. »Könnt' mir einfallen! Sölle
Balgen aufziehn! I weiß mir was Besseres!«

Erschrocken hielt die Notburg mit ihrer Näharbeit inne und starrte
auf das junge Ding, das so gottlose Reden tat. Und als müsse sie den
kleinen Anderl vor dieser Mutter schützen, rief sie laut seinen Namen,
und das Kind sprang zu der Pflegemutter und schmiegte sich schmeichelnd
an sie. Fast hätte sich die Notburg bekreuzigt, so frevelhaft und
gottlos kam ihr die Rede des jungen Weibes vor.

Der Florl aber lenkte ein und entschuldigte das Regerl.

»Sie moant's nit so, 's Regele ...« sagte er beschwichtigend. »Leicht
... wenn wir a Heimatl hätten ... leicht wär's anders dann ... gelt,
Regele?«

Es lag etwas in dem Ton des Mannes, das den leichten Sinn der jungen
Frau bezwang. Etwas Inniges und Warmes, das sie längst nicht mehr bei
ihm kannte. Heiß schoß es ihr in die Augen, und ganz verlegen stammelte
sie: »Ja ... freilich ... siegst wohl ...« und jetzt wandte sie sich an
die Notburg ... »Unseroans kann do nit an Kinder denken, in der Fremd'
draußen.«

Der Kramer Veit war ein viel zu guter Menschenkenner, als daß er dem
Regele ihr vorlautes Reden weiter nachgetragen hätte. Er wußte: dieses
Weib war noch weich und zu biegen. Noch war sie unverdorben, und wenn
sie in die Heimaterde zurückversetzt wurde, konnte sie gedeihen wie
ehedem. Er sah dem Florl forschend ins Gesicht und wußte, daß der Sinn
des Mannes schwerer zu wandeln sei. Er sah den listig schlauen Ausdruck
in den hellen Augen und den eigenwilligen intelligenten Zug in dem
jungen Gesicht, der von Kraft und Zähigkeit sprach.

»Schlag' ein ... Florl ...« sagte der Kramer Veit über eine Weile und
hielt ihm seine Hand ausgestreckt entgegen. »Schlag' ein! I mach' an
Wirt aus dir! Magst?«

Fast war's wie damals droben am Alpl. Nur daß der Florl es jetzt
gelernt hatte, vorsichtig und genau alle Seiten einer Sache zu
überlegen, ehe er zusagte. Der Vorschlag des Kramer Veit gefiel
ihm nicht übel ... aber auf das Reisen mochte er doch nicht ganz
verzichten. Die große Welt da draußen lockte verführerisch mit ihrem
gleißenden Schimmer und mit ihrem süßen, betäubenden Gift. So suchte er
denn nach einem Ausweg und unterhandelte mit dem Kramer.

»Sag', Kramer, wo tat'st du's hinbauen ... die Wirtschaft?« frug er
ernst und nachdenklich.

»Wohin du willst. Wir da herinn' können überall a gut's Gasthaus
brauchen.«

Und wieder dachte der Florl nach und brauchte lange Zeit dazu. Und der
Kramer störte ihn mit keiner Silbe und keinem Blick.

»Eppar da aufi ...« frug der Florl dann, streckte den Kopf etwas zum
Fenster vor und zeigte mit der Hand auf die steile Wiese, die zu jener
Stelle führte, an welcher der Veit als Kind mit seiner Notburg so oft
gesessen hatte.

Nun war der Kramer doch etwas verblüfft; denn diesen Vorschlag hatte er
nicht erwartet.

»Da aufi?« frug er verständnislos. »Da geht dir do koa Mensch nit hin,
Florl!« sagte er kopfschüttelnd.

»Ah wohl! I moanet wohl!« sagte der Florl zuversichtlich. »Wenn du
baust ... sag'n wir bis in zwoa Jahr' ist die Sach' fertig ... und 's
Regerl und i fahr'n auf als Wirt und Wirtin. War's g'recht, Kramer?«

Noch immer verstand der Veit den Florl nicht.

»Ja und die Gäst' ...?« Seine dunklen runden Augen standen dem Kramer
Veit jetzt noch mehr hervor wie gewöhnlich, vor lauter Staunen.

»Die Gäst'? Die bring' i von draußen mit!« erklärte der Florl ganz
bestimmt.

»Von draußen ...?«

Der Florl nickte. »Ja. Sollst sehen, Kramer, daß das möglich ist. A
neu's Unternehmen.« Der Florl erhob sich, und jetzt war er es, der dem
Kramer aufmunternd auf die Schulter schlug. »Und da tust du mit, Veit.
Wirst's sechen ... 's geht.«

Und jetzt hielt er dem Kramer Veit die Hand zum Einschlag hin. Aber der
Kramer war genau so vorsichtig, wie es vorhin der Florl gewesen war,
und zögerte einzuschlagen.

»Du willst dö Fremden ins Land einerzügeln ... in unser Landl?« frug
er zögernd und fast so schwerfällig, als wie der Wastl in der Gungl
drinnen es getan haben würde.

»Ja. In unser Landl!« nickte der Florl. »Wir brauchen uns do nit
zu schamen damit. Sollen nur kommen die Fremden und sich die Augen
außerschaug'n, wenn sie unsere Berg' sechen. Schian ist's bei uns da,
Kramer ...« der Florl streckte die Arme in ehrlicher Begeisterung ...
»wia nirgends in der Welt, kimmt mir für. I und mei' Weib, wir hab'n
nit viel Rar's derlebt da, seit wir wiederkömmen sein. Aber ~eins~
hab'n wir derlebt, und dös war das G'fühl, daß wir ~da~ und
nirgends sonst dahoam sein. Und desweg'n, Kramer, wenn du Wort halt'st
und baust ... daß wir aa a eigenes Dach kriegen ... i schwör' dir's ...
daß i's heilig halten will und rechtschaffen wirtschaften.«

Es war lange her, seit der Florl dem Kramer Veit so gut gefallen hatte
wie in dieser Stunde. Und trotzdem überlegte er noch, ehe er auf den
Vorschlag einging.

»Wann wollt's denn fort ... Bua?« frug der Kramer nach einer kleinen
Pause, in der er tief nachdenklich dasaß und den Kopf schwer in die
Hand gestützt hielt.

»Morgen in einer Woche.«

»Und du nimmst die andern mit?«

»Ja!« kam es sehr bestimmt zurück. »I nimm sie mit und bring' sie
wieder, wie sie iatz sein. I versprich dir's, Veit.«

Da schüttelte der Kramer Veit den Kopf. »Dös kannst nit halten ... dös
Versprechen!« sagte er fast tonlos. Dann aber gab er sich einen Ruck,
so daß seine kernige, kräftige Gestalt zur vollen Geltung kam. »Aber
dös andere ... dös mit der Wirtschaft ... dös will i mir überleg'n und
dir no Botschaft bringen, eh' du fortziehst. Kann sein, daß i die Sach'
mach' ... kann sein aa nit.« ...

Und in einigen Tagen darauf ging der Kramer Veit übers Bergl hinüber
zum Söllerbauer und fragte nach dem Florl. Und sagte diesem in seiner
geraden, offenen Weise, daß er die Sache mit dem Bau machen wolle.

»Soll a schian's Häusl abgeben ... Florl ... daß du a Freud' hast. Nit
zu groß und nit zu klein. Grad g'recht für enk und etliche Fremde, die
ihr mit einerbringen wollt's. Aber nacher, Florl ... dös versprichst
mir ... nacher steckst es auf ... dö Singerei ... gelt?« Treuherzig und
wie abbittend schaute der Kramer Veit in die Augen des Florl.

Der Florl sah eine Weile zu Boden, ehe er antwortete.

»Wann wir a Heimat haben ... 's Regele und i ... und uns halten können
... i mein' ... wann sich die Sach' aa rentiert ... nacher glaub' i's
selber, daß i kein Verlangen mehr hab' ... mi Abend für Abend vor
die Leut' hinzustellen und ihnen eppas vorzusingen!« sagte der Florl
zögernd. »Aber rentier'n muß sich's halt ordentlich ... dös verstehst
wohl, gelt, Kramer?« -- -- --

Ganz zufrieden war der Kramer Veit ja nicht mit dieser Antwort.
Aber er baute trotzdem. Er baute, weil ihn das neue Unternehmen
interessierte und seinen regen Geist beschäftigte. Auf diese Weise ging
ihm der erste Winter, den er wieder in der Heimat verlebte, rasch und
abwechslungsreich dahin. Er hatte einen Plan und spann ihn aus. -- -- --

Kaum waren zwei Jahre verflossen, da zogen der Florian Siegwein und
seine Frau Regina als Wirtsleute in das Haus, das der Kramer Veit hoch
droben überm Dörfl mit dem Blick auf die drei Hochtäler und die Berge
und Gletscher im Hintergrund erbaut hatte.




                            Achtes Kapitel


Der Winter war lang und schwer in der Gungl. Wenn draußen im Tal an
den geschützten Stellen der Schnee den warmen Strahlen der Sonne zu
weichen begann und die Hänge der Berge ab und zu ihr weißes Kleid
mit dem grünen vertauschten, dann merkte man hier drinnen im engen,
schluchtartigen Hochtal nur wenig von dem werdenden Frühling.

Ein einsames, abgeschlossenes Dasein war es eigentlich schon hier
herinnen. Dieser letzte Winter ganz besonders erschien der Vef endlos
und lange. Wenn sie nicht ihre drei Kinderchen gehabt hätte, die ihr
vollauf zu schaffen machten, dann hätte sie wohl oftmals Heimweh
verspürt nach dem Perlmoserhof. Denn so weltabgeschieden war man dort
oben doch nicht wie hier in der Gungl.

Schließlich war sie ja noch jung, die Vef, und hätte manchmal ganz gern
einen Hoangart mit Nachbarsleuten gehabt. So aber war außer dem Wastl
und dem Göd rein gar niemand vorhanden, mit dem man hätte diskurieren
können. Und der Göd zählte schon bald nicht mehr. Von Tag zu Tag
schwand seine Kraft, und der Vef war oft recht bange davor, daß der
alte Mann just in der allerschlimmsten Zeit dahinsterben könnte. So
mitten im Winter, wenn sie oft wochenlang von aller Welt abgeschlossen
lebten und der Schnee so hoch vor ihrer Hütte lag, daß sie kaum zu den
Fensterscheiben hinausschauen konnten.

Mit vieler Müh' mußte da der Wastl den Schnee rings um die Hütte und
bis zum Stadl hinüber wegschaufeln, eine Arbeit, die ihm fast keinen
Tag erspart blieb. Denn täglich erneuten sich die Massen des Schnees
und fielen dicht und unaufhörlich und hüllten neidisch jeden Ausblick,
auch den nächsten, in ein undurchdringlich weißes, wirbelndes und
flatterndes Tuch.

Wenn der Alte von der Gungl justament in so einer bösen Zeit
dahingegangen wäre, dann hätte es geschehen können, daß man die Leiche
vielleicht gar etliche Wochen im Haus hätte behalten und unter Dach
einfrieren lassen müssen. Wie dies in abgeschlossenen Hochtälern
bei strengen Wintern vorzukommen pflegt. In der engen Hütte, wo
buchstäblich eines über das andere stolperte, auch noch eine Leiche
zu beherbergen, dieser Gedanke allein machte das junge Weib in
abergläubischer Furcht schaudern.

Es war ein weiter Weg zurückzulegen bis zum nächsten Kirchdorf. So an
die vier Stunden rechnete man im Sommer, wenn die Wege gut und gangbar
waren. Im Winter aber, bei Schnee und Eis, wo man sich jeden Schritt
erst bahnen mußte, konnte man völlig die doppelte Zeit rechnen.

Eigentlich war's ja nicht zum verwundern, wenn die Vef manchmal recht
übellaunig war und mehr schimpfte, als gerade notwendig gewesen wäre.
Manchen Tag hatte sie in diesem letzten Winter, an dem ihr der Wastl
rein gar nichts recht machen konnte. Denn daß ihre üble Laune in der
Hauptsache ihr Mann zu fühlen bekam, das war eigentlich nur natürlich.
Und der Wastl gewöhnte sich auch daran und sah es ein, daß sein junges,
lebensprühendes Weib eben doch oft unter der Einsamkeit litt. Ein
Glück, daß sie die Kinder hatte, die ihren Sinn ablenkten.

Als es draußen im Tal schon wieder zu sprossen und blühen anhub und
herinnen in der Gungl die dichte, festgefrorene Schneedecke unter
der warmen Frühlingssonne allgemach dahinschmolz, da war es mit der
Lebenskraft des alten Göd auch zu Ende.

Ohne Schmerzen und ohne eigentliche Krankheit war der Alte
dahingegangen. Ausgelöscht wie ein Licht, das kein Öl mehr hatte.
Auf seinem gewöhnlichen Platz auf der Bank am Herd war der alte Mann
eingeschlummert. Am Nachmittag, als es zu dunkeln anfing und sie alle
in der Küche waren. In seinem gewöhnlichen Anzug, den Hut am Kopf und
in dem grauen kurzen Lodenrock mit den schwarzen Samtstulpen, so war er
dagesessen, hatte sich nur mühsam aufrecht halten können und hatte wie
immer unverständlich und leise vor sich hingemurmelt.

Und auf einmal war er ganz still geworden. Und die Vef, die am Herd
herumhantierte, glaubte, er sei eingeschlafen, wie das schon öfters der
Fall gewesen war. Die Kinder spielten und kreischten, und der Wastl
wiegte das Jüngste in der Wiege.

Sie war wieder einmal recht übellaunig gewesen heute, die Vef, und der
Wastl vermied es, viel mit ihr zu reden. Würde schon wieder besser
werden mit dem Humor, wenn erst der Schnee ganz dahin war und man
wieder mehr hinaus konnte ins Freie.

Der Wastl gab sich den Anschein, als bemerke er die schlechte Laune
seines Weibes gar nicht, obwohl die Vef alles tat, um nur ja recht
viel Lärm zu verursachen. Sie klapperte in überflüssiger Weise mit der
Pfanne und warf die Deckel auf dem Fußboden herum, und als sie endlich
mit der Kocherei fertig war, rief sie laut und mit zorniger Stimme:
»Essengiahn!«

Sie mußte ein Ventil haben, die Vef, um jeden Preis, und wenn ihr
schon kein Mensch den Gefallen erwies, sie zu ärgern, dann mußte sie
eben ohne Ursache schreien. Der Wastl folgte gehorsam und schweigend
dem zornigen Ruf, ließ den Säugling in der Wiege liegen und ging
mit schwerfällig langsamen Schritten zu dem Tisch, wo die Muspfanne
aufgetragen stand.

»Essengiahn!« wiederholte die Vef scharf, als sich der alte Mann noch
immer nicht von seinem Platze rührte. Der Göd aber hörte ihren Ruf
nicht mehr ...

Bis ins Innerste ihres Herzens war die Vef erschüttert, und ihr ganzer
Unmut war mit einem Male verflogen.

»Wastl ... der Göd ...« Das war alles, was sie herausbrachte, als
sie die regungslose Gestalt des alten Mannes sah, der tief in sich
zusammengesunken war und den Kopf hängen ließ. Die Augen lagen starr
und gebrochen in den tiefen Höhlen.

»Jessus Maria!«

Es war ihnen beiden doch recht überraschend gekommen, dieses jähe
Ende des Alten. Und so sehr sich die Vef den Winter über vor dem Tod
gefürchtet hatte, so bitter griff es ihr jetzt ans Herz, da er nun
wirklich Einkehr hielt in ihre kleine Hütte.

Noch nie war ihr ein naher Verwandter gestorben, und niemals noch hatte
sie einen Menschen sterben sehen. Um den eigenen Vater hätte das junge
Weib nicht mehr und nicht ehrlicher weinen können wie um den Göd ihres
Mannes. Sie schüttelte den Alten und rüttelte ihn und wollte es gar
nicht glauben, daß er nun wirklich dahingegangen war.

»Göd! Göd!« schluchzte sie laut und fassungslos.

Der Wastl zog sie sanft von dem Toten fort. »Laß gut sein, Vef! Den
weckst du nimmer auf.«

Einige Tage später luden sie die Leiche des Alten von der Gungl auf
einen Schlitten und brachten ihn zum nächsten Kirchdorf. Der Wastl
hatte bitten gehen müssen, daß Leute vom Tal hereingekommen waren, um
ihm bei dieser traurigen Pflicht zu helfen.

Es kam der Vef recht hart an, daß sie nicht einmal beim Begräbnis dabei
sein konnte. Sie hatte ihn lieb gehabt, den Alten. Das fühlte sie jetzt
erst. Recht lieb ... Und eine Leere war da plötzlich um sie, eine Leere
und Kälte, daß sie sich in dem kleinen Raum fast zu fürchten anfing.

Doppelt einsam und verlassen kam sie sich jetzt vor. Daß man so gar
keinen Menschen um sich hatte, der einem ein wenig beigestanden wäre!
Die Vef mußte bei ihren Kindern zurückbleiben, während sie draußen im
Tal den toten Göd in die geweihte Erde betteten.

Er fehlte der Vef an allen Ecken und Enden, der alte Mann. Die Leute in
der Einsamkeit der Berge gewöhnen sich mehr aneinander und hängen auch
mehr aneinander. Und immer wieder mußte die Vef an den Alten denken,
wie gut er gewesen war und wie er nie ein anderes Wörtl als wie ein
liebes für sie übrig hatte.

»Jetzt hat man gar kein' Menschen mehr, mit dem man a Wörtl reden
könnt' ...« sagte das junge Weib, wenn sie abends noch eine Weile
mit ihrem Mann in der spärlich erleuchteten Küche saß; und der Wastl
stimmte ihr dann traurig bei.

»Gar kein' Menschen. Freilich. Aber wir haben ja no uns selber, Vef,
und aa no die Kinder!« tröstete er dann ...

Das war in jenem ersten Jahr gewesen, nachdem die Rosina mit dem Florl
und dem Regele in die Welt hinaus gewandert war. Die Vef hatte oft an
diese Schwester denken müssen an den langen, düstern Winterabenden. Was
die Rosina wohl treiben würde, und ob sie auch Sehnsucht empfand nach
der Heimat?

Es war merkwürdig. Je länger die Zeit verging, desto mehr sehnte sich
die Vef fort von der Gungl. Und der erste Winter nach dem Tod des Göd
war noch schlimmer wie der vorhergehende. Da überkam es die Vef mit
seltsam starker Macht, die Sehnsucht nach der alten Heimat und die
Sehnsucht nach dem Alpl hinauf, wo man so unbändig toll und lustig
sein konnte.

Die Vef sprach auch mit dem Wastl darüber. Der kannte diese Sehnsucht
nicht, hatte kein Verlangen nach den Menschen, war glücklich und
zufrieden mit seinem Schicksal und freute sich an seinem Weib und
seinen Kindern.

Zu Lichtmeß schon sollte der vierte Sproß ihrer Ehe kommen, und gleich
nach Weihnachten traf die Julie in der Gungl ein, um abermals bei der
Schwester auszuwarten. Die Julie brachte wenigstens ein bissl Leben in
das einförmige Dasein, und die Vef atmete förmlich auf, als die Julie
fröhlich und lachend den Kopf zur Hüttentür hereinsteckte.

Was die Julie aber auch für Neuigkeiten mitbrachte! Schon in
diesem Frühjahr, so erzählte sie, werde der Neubau vom Kramer Veit
fertiggestellt sein. Ein großes, zweistöckiges Haus sei das und ganz
aus Holz gebaut.

Wahre Wunder wußte die Julie darüber zu berichten. Alle Leut' sagten es
weitum: »So eppas schian's, wie die Wirtschaft vom Kramer Veit, könnt'
man do völlig nur in der Stadt finden. Und da kennet man's halt do, daß
der Veit eppas von der Welt g'sechen und erfahren hat.«

»Du ... Wastl ... dös muß i mir anschaug'n giahn!« sagte die Vef ganz
begeistert, und ihre Augen, die jetzt immer etwas trübe und matt
schauten, leuchteten aufgeregt bei den Schilderungen der Julie, wie die
Augen eines Kindes vor der Christbescherung.

»Die Julie kann derweil bei die Kinder bleiben, und i geh' auf a Woch'n
hoam außi. Gelt, Wastl?« sagte die Vef bittend und in beinahe demütigem
Ton.

Der Wastl nickte gutmütig. »Freilich. Bleib' nur glei a paar Wochen
draußen!« meinte er in seiner schwerfälligen Art. »Nachher g'freut's
di da herin wieder um so besser!« setzte er hinzu und stopfte sich in
aller Behaglichkeit seine Pfeife.

»Ja!« machte da die Julie etwas gespreizt. »Aber i werd' enk halt
nimmer einer kommen können.«

»Nit?« frug die Vef verwundert. »Ja, warum denn nit?«

»I bin halt ang'stellt im Fruahjahr, woaßt wohl. Muß Kellnerin machen
in der neuen Wirtschaft draußen!« antwortete die Julie und spielte
recht angelegentlich mit ihrem Schürzenband.

»Beim Florl?« frug der Wastl gedehnt und nicht ohne Interesse.

»Freilich. Der Kramer Veit hat mi aufg'nommen dafür. Und ... damit
ihr's aa gleich wißt's. I geh' enk überhaupts nimmer da einer in enkere
Daxhöhl'n ... wann ihr leicht wieder a Kloans kriagen sollt. I siech
nit ein, zu was grad i alleweil daheim herhocken soll. Und wo die
Rosina so a fein's Leben hat.«

»Du willst do nit aa no mit'm Florl mitgiahn?« fragte die Vef jetzt
ehrlich erschrocken.

Die Julie lachte geziert und laut. »Ja ... warum denn nit? Was die
Rosina kann ... kann i döcht aa no. Möcht' grad wissen, wer mir dös
verbieten soll?«

»Ja ... und dei' Vater?« frug der Wastl sehr ernst nach einer kleinen
Weile.

»Mei! Soll amal übergeb'n, der Vater, wenn er sich nit anders
aussiecht.« Die Julie hob gleichgültig ihre vollen Schultern in die
Höhe. »Der Jackl wartet eh' schon hart und möcht' alleweil gern
heiraten. Und i bin mir aa zu gut dazu, lei alleweil grad in Mistkorb
am Buckel zu tragen!« erklärte das Mädel entschlossen. »Und wo der
Florl a so gute G'schäft' macht und 's Regele a so a nobles Weibets
ist. Naa ... i bleib' nimmer dahoam. Dessell' woaß i g'wiß. Glei' wenn
der Florl kimmt, sag' i's ihm!« erklärte die Julie sehr energisch. In
diesem Augenblick erinnerte sie ganz an die resolute Art der Vef, nur
daß sie trotz allem nicht so temperamentvoll und auch nicht so hübsch
war wie diese.

»Du solltest halt heiraten ... Julie ...« mahnte die Vef nach einer
kleinen Pause, in der sie nachdenklich und sinnend dagesessen war.

»Heiraten? Moanst?« Die Julie lachte laut heraus. Es klang schrill und
häßlich, dieses Lachen. »Und in a söller Daxhöhl'n leben wia du und oa
Kind ums andere hab'n?« frug sie spöttisch. »Naa, mei' Liabe! I tat' mi
bedanken dafür! Die Rosina ... ja ... die hat an anders Leben wie du.
Geld g'nuag und schiane G'wander und braucht nix zu arbeiten und sich
um nix zu kümmern. War' oans ja dumm, wenn's nit aa mittat'« ...

Seit jener Unterredung mit der Julie wurde die Vef noch launenhafter.
Jetzt schrie sie nicht allein den Wastl an, sondern auch die Kinder
waren ihr überall im Wege, und sie teilte Püffe und Schläge aus, ohne
eine wirkliche Ursache dafür zu haben.

Als dann nach Lichtmeß das Kleine kam, zeigte die Vef nur wenig Freude
an diesem Kind. Es war ein Mäderl und hatte die dunklen Augen und
das dunkle Haar vom Wastl. Die ersten drei waren Buben und blond und
helläugig wie ihre Mutter.

Die Vef hatte in diesem einen Jahr, nachdem der Göd gestorben war, ihr
übermütiges Lachen eingebüßt. Wenn's so weiter ging mit ihr wie bisher,
dann würde sie früh altern und ein böses und zänkisches Weib werden.

Dieses Gefühl hatte wenigstens der Wastl, und es drückte ihn schwer,
daß er so gar nichts dagegen zu tun vermochte. In ruhigen Stunden
der Überlegung sagte sich die Vef das auch selber, und sie war
ehrlich genug, die Ursachen dieser inneren Wandlung zu erforschen und
schonungslos einzugestehen ...

Das war im Frühsommer, und die Julie war längst wieder daheim und
wahrscheinlich schon in ihrer neuen Stellung als Kellnerin tätig. Da
fügte es sich, daß die Vef und der Wastl wieder einmal wie in früheren
Zeiten ruhig und vertraulich miteinander sprachen.

Seit Wochen hatten sie arges Regenwetter gehabt in der Gungl. Naßkalt
war es und unlustig wie mitten im Winter, so daß sie in der Stube
hatten heizen müssen. Die Nebel hingen dicht und schwer ins Tal herab
und kürzten die langen Sommertage und machten sie grau und bleiern. Die
Heumahd hatte zurückstehen müssen, und teilweise war ihnen das Heu
während der Arbeit verfault.

Zu solchen Zeiten konnte man hier drinnen nicht viel anderes anfangen,
als trübselig in der Stube hocken und geduldig die besseren Zeiten
abwarten, die ja doch wieder kommen mußten.

Der Wastl hatte die Zeit aber doch genützt. Hatte draußen vor der
Hütte den ganzen Tag hindurch Holz gespalten und den Vorrat dann
fein säuberlich an die Wände der Hütte aufgeschlichtet. Das weit
vorspringende, mit Steinen beschwerte Schindeldach schützte das Holz
vor Nässe, und die Luft trocknete es aus, und bis zum Winter würde der
Vorrat rings um das Haus und bis nahezu unter das Dach hinaufreichen
und das Häusl so gleich einer zweiten Mauer wärmend umgeben.

Seit dem Tod des alten Göd hatten sie nun etwas mehr Platz in der
kleinen Hütte und brauchten die Stube nicht mehr als Schlafraum zu
benutzen. Sie hatten jetzt, wie andere Bauersleute auch, ihre richtige
Wohnstube, und die Vef hätte eigentlich recht zufrieden und glücklich
sein können, wenn sie eben noch dieselbe gewesen wäre wie ehedem. So
aber nagte der Neid an ihr und machte sie unzufrieden und launisch. Sie
gestand es dem Wastl aufrichtig ein, an jenem Abend, als er müde vom
Holzhacken noch eine Weile bei ihr in der Stube saß.

»Weißt, Wastl ...« begann die Vef zögernd ... »amal muß i döcht an
offenes Wörtl mit dir reden.«

Die jungen Eheleute saßen allein in ihrer kleinen Stube. Seite an
Seite auf der Bank im Herrgottswinkel. Die Kinder schliefen bereits
in der Kammer nebenan. Ein Talglicht brannte am Tisch und warf seinen
matten Schein gespenstig durch die niedrige braune Balkenstube.

Und draußen plätscherte der Regen einförmig und unaufhörlich, wie
jetzt schon seit vielen Tagen. Der Wastl sah müde und schläfrig aus
und gähnte laut und ausgiebig von Zeit zu Zeit. Die Vef, in ihrem
einfachen Arbeitsgewand, mit der dunkelfärbigen Schürze, hatte die
Ärmel aufgestülpt und ihre nackten, schöngeformten Arme auf den Tisch
gelegt und stützte ihren Kopf schwer mit der rechten Hand.

»Wenn man's so recht bedenkt ...« fuhr die Vef zu reden fort ... »so
haben wir zwei do eigentlich a recht's Hundeleben da herinnen. Schinden
und rackern uns und bringen's unser Lebtag auf kein' grünen Zweig.«

Jetzt hielt die Vef mit reden inne und wartete, was ihr Mann darauf zu
sagen hätte.

Der Wastl aber sagte gar nichts. Er gähnte nur und bereitete sich
vor, nun baldmöglichst in die Schlafkammer zu verschwinden. Denn nun,
wußte er, würde der gemütliche Plausch, den er heute abend mit der Vef
gehabt hatte, wieder in einer Schimpferei über die Gungl und die hier
herrschende Öde und Langeweile enden. Das war jetzt immer so gewesen
in der letzten Zeit, und da konnte man eben nichts dagegen tun, als
schleunigst die Flucht zu ergreifen.

Die Vef beobachtete mit festen, forschenden Blicken ihren Mann, wie sie
so in nachlässig bequemer Haltung auf den Tisch gestützt neben ihm saß.

»Wastl ...« fing sie dann neuerdings zu reden an, und ihre Stimme klang
sanft und mild wie schon lange nicht mehr ... »ist dir nit schon selber
der Gedanken kömmen ... daß wir's uns eigentlich aa besser einrichten
kannten? Schau ... wir waren do no nit alt ... sein all's beide junge
Leut', und's ist völlig schad' um uns, daß wir uns da herinn lebendig
eingraben tian. Wenn wir halt do eppas Besseres finden taten ... eppas
... i moan ...« Und jetzt stockte sie, leicht verwirrt, und sah fast
hilfesuchend zu ihrem Mann auf, der an die Holzwand zurückgelehnt dasaß
und die Arme verschränkt unter dem Kopf hielt.

Der Wastl sagte noch immer kein Wort, starrte mit leeren, schläfrigen
Augen in die Luft und schwieg. Er war klug und vorsichtig geworden, der
Wastl, und wollte nicht durch irgend eine Unvorsichtigkeit den Zorn
seines Weibes erregen. Und dann begriff er es überhaupt nicht, auf was
die Vef mit ihrem Gerede eigentlich hinauswollte.

Sie mußte also schon deutlicher werden. Das sah sie ein, und die
Schwerfälligkeit und Begriffstützigkeit ihres Mannes brachte ihr das
Blut in Wallung, so daß sie sich geärgert erhob und mit der flachen
Hand zornig auf die Tischplatte schlug.

»Stell' di nit a so deppat!« fuhr sie ihn an. »Du weißt recht gut, was
i moan! Verkaufen sollst dö Lotterhütt'n ... dö elendige! I mag nimmer
bleib'n da herin!«

Der Wastl war über den jähen Ausbruch seines Weibes zu tiefst
erschrocken.

»Aber Vef ...« stammelte er und sah ihr mit seinen guten, treuen Augen
ins Gesicht. »Aber Vef!«

»Ja ... freilich! Dös ist wohl alles, was du kannst!« höhnte das Weib.
»Aber Vef! Aber Vef! Aber nix da ... sag' i ... i mag nimmer! Tu, was
du willst ... aber no an Winter in dem Sauloch da herinnen halt' i
einfach nit aus!« schrie sie ihn aufgebracht und zornig an.

»Ist dös dei' Ernst, Vef?« brachte der Wastl sehr langsam und mit
gepreßter Stimme hervor. »'s ist döcht unser Hoamatl. Hast's do amal
gern g'habt ... Vef ... 's Hoamatl ...« sagte er innig und mit Wärme.

»Freilich. Weil i nix Besseres kennt hab' ... Aber iatz bin i nimmer
so dumm!« Das Weib stemmte ihre vollen Arme in die üppigen Hüften und
stellte sich resolut vor ihrem Mann auf. »Moanst, dös wurmt mi nit,
daß i alloan so dumm g'wesen bin und g'heirat' hab'? Reu'n tuat's
mi, soviel i Haar' am Kopf hab' ... daß d' es woaßt. Verkümmern
und versauern kann i da herin und bin döcht nix als wia an arm's
Lotterweib. Und die Rosina und die Julie haben's schianste Leben! Und
wenn iatz aa no die Julie an Haufen Geld verdient, aft kannst mi gern
hab'n!« schrie sie wütend. »Aft renn' i dir davon, so wie i bin ... und
geh'aa no singen. Daß d' es woaßt!«

So zornig und aufgebracht war die Vef, daß sie sich nicht mehr anders
helfen konnte und beide Hände vors Gesicht hielt und laut zu weinen
anfing. Ratlos saß der Wastl da und wußte nicht, was reden und deuten.
Er fühlte nur, wie eine schwere Traurigkeit über ihn kam, die sich
ihm beklemmend aufs Herz legte. Und sagte kein Wort, der Wastl. Nur
das Atmen kam ihn hart an, war schwerer, als wenn er draußen die
Zentnerlast auf der Kraxen von den Schrofen herabtrug.

Allmählich beruhigte sich die Vef wieder, und ihr Weinen wurde leiser
und weniger leidenschaftlich.

»Vef ...« bat da der Wastl leise ... »kann dös wirklich dei' Ernst
sein? Unser Hoamatl ... und die Kinder ...« Er brachte nichts mehr
hervor. Die Worte blieben ihm in der Kehle stecken, und es würgte ihn
und stieg ihm heiß und bitter in die Augen.

Da wurde das Weib wieder ganz ruhig. Sie hatte ihn ja doch lieb, ihren
Wastl, und auch die Kinder. Und wollte ihm gewiß nicht wehe tun. Nur,
daß der Hunger nach Leben und Genuß in ihr erwacht war, daß sie sich
jetzt unzufrieden fühlte und innerlich elend.

»Schau ... Wastl ...« fing die Vef nun neuerdings zu reden an und legte
ihren vollen Arm um den Hals des Mannes. »Schau ... i will di ja nit
kränken. Tu mir's nit verübeln. 's hat außer ~müssen~! Siegst ...
wann nit alleweil der Vergleich da war' ... wann i nit alleweil an die
Rosina und an die Julie denken müaßat ... aft war' i nit so g'worden.
Wann dös mit die zwoa nit kömmen war' ... meiner Seel' und Treu ... i
war' zufrieden g'wesen mit unserm Hoamatl. Woaßt wohl selber, wia i mi
g'freut hab' drauf, gelt? Und siegst, Wastl, seit der Göd nimmer ist
... ist's grad, als wenn unser guter Schutzgeist dahin war'. Siegst ...
~der~ hat einerpaßt in die Gungl. Und du paßt aa einer ... Aber i
... i pass' nimmer her! Der Göd ... dersell hat nix Schianeres kennt
als wie die Schrofen und Berg' und dös Rauschen vom Bach drunten. I
hab'n oft zuag'schaut, wia er dag'standen ist vor der Hütt'n. Z'morgens
in der Fruah, wenn die Sonn' ang'hebt hat zu leuchten droben auf die
Wänd'! Völlig an Andacht ist dös g'wesen. Und wia a Heiliger ist er
mir oft fürkömmen ... wia oaner, der die Berg' anbeten tut. Und er hat
betet, der Göd! I hab's g'sechen. In koaner Kirch' hätt' dös schianer
sein können, als wenn der alte Mann, der's kaum mehr derstanden hat,
vor der Hütt'n g'wesen ist, den Huat abertan hat und die dürren Händ'
g'faltet hat. Aft ist mir fürkömmen, da droben in die Wänd' ...
zuhöchst auf die Gipfel oben ... da müsset der Gottvater selber sein
und aberschaun. Und oftmals hab' i mir vorg'stellt ... wenn in der
Fruah die weißen Wolken aufg'stiegen sein und die Sonn' durchg'leuchtet
hat, daß alles nur oa Silberglanz g'wesen ist vor lauter Pracht ...
daß die Wolken a Vorhang wären und das Allerschianste, das es gibt,
versteckt halten taten. Siegst, Wastl ...« die Vef lachte leise und
träumerisch ... »a so bin i g'wesen. Fast kindisch ... kannst mir's
glauben!« beichtete sie. »I hab' mir fürg'stellt ... dös Allerschianste
hinter den silbrigen Wolkenglanz ... dös müaßet a Königin sein. Woaßt
... so ... wie si halt unseroans a Königin vorstellt. Auf und auf
voll Glanz und Gold. Hatt' nit viel g'fahlt, und i hatt' sie am End'
wirklich no g'sechen ... dö Königin!« lächelte das junge Weib wehmütig.
»Weil's mir so ans Herz g'riffen hat, wenn i den alten Göd in aller
Herrgottsfruah zum Himmel aufi hab' beten sechen.«

Die Vef hielt einen Augenblick inne und fuhr sich mit der Hand
nachdenklich über die Stirne. »Siegst, Wastl ...« fuhr sie dann leise
zu reden fort ... »da ist mir g'wesen ... wenn i grad a so wie der Göd
fromm sein kunnt und so wie er die gewaltige Liab zur Heimat hätt'. I
hab' alleweil g'moant, i hätt' die richtige Liab zu unsere Berg'. Aber
naa, Wastl, iatz woaß i's erst ... i kenn' sie gar nit. Der Göd ... ja
... dersell hat sie g'habt. Aber er war halt aa alt, und i bin jung.
Kimmt mir für ... wir haben a neue Zeit kriagt. 's muß wohl a so sein!
Ganz g'wiß! Weil's uns junge Leut' forttreibt von der Heimat.« Traurig
neigte das junge Weib ihren Kopf und machte eine kleine Pause, ehe sie
mit ihrer Beichte weiterfuhr.

»'s will mir nimmer g'fallen da herin, Wastl!« sagte sie beinahe
tonlos. »So fein's mi amerst dunkt hat ... völlig schiach kimmt's mir
iatz zeitenweis für.«

Es war ganz still in der kleinen Stube. Nichts regte sich wie draußen
vor den Fenstern das monotone Rieseln des Regens. Und ab und zu der
schwere Atem des Mannes, der regungslos an der Seite seines Weibes saß
und mit tieftraurigen Augen vor sich hinstarrte.

»Z'erst ist's angangen ...« fuhr die Vef über eine Weile mit ihrem
Bekenntnis fort ... »wia der Florl und die Regina da herin g'wesen
sein. Da hab' i ang'hebt zu sinnieren. Hat mir nit eing'leuchtet,
daß iatz gar aa mei' eigene Schwester auf die Wanderschaft geht.
Hab' alleweil an sie denken müssen. Und meiner Seel' ... oft ist mir
fürkömmen in denselbigen Winter ... i muß auf und davonrennen. Grad ...
daß der Göd no g'lebt hat. Und vor densell hatt' i mi g'schamt. Woaß
nit, was es war! Hätt's nia nit verlauten lassen können vor ihm, daß
mir eppas nit passen tat' in der Gungl. Leicht war's ... weil i a Scheu
g'habt hab' vor seiner heiligen Liab zu die Berg' ... Kann sein, daß es
dös war!« sagte sie leise und sehr nachdenklich. »Aber ... i hab' die
Liab nimmer, Wastl. Hab' an Unrast in mir und möcht' außi ... grad fort
und in die Welt außi.« Das junge Weib hatte sich erhoben und breitete
sehnsuchtsvoll die Arme aus.

»Wastl!« sagte sie warm und voll inbrünstiger Sehnsucht. »Wenn's oan
so forttreibt wia mi ... aft ist koa Halten mehr. 's Bluat pumpert
mir oft in Kopf, daß i moan, er muß derspringen. Und 's hilft koa
Denken mehr und koa Überlegen. Und aa die Kinder ... dö können mi aa
nimmer halten. Siegst, Wastl, wann i's bedenk' ... oans nach'n andern
kimmt ang'ruckt bei uns. Dauert nimmer lang, und wir derfuttern's
nimmer. 's Güatl ist zu kloan dazu. 's sein Lotterkinder aft ... koane
Bauernkinder mehr. Und wenn du no so schuftest und rackerst und i no a
so alle Fleck' fürer such' zum flicken und ausbessern ... 's hilft nix.
Wann die Fleck' für die G'wander größer werden, aft haben wir koa Geld
mehr zum kaufen. Und dös ist's. Da stell' i mir für: grad an etline
Jahrln vielleicht ... und wir hatten 's Geld beinand und könneten uns
an ordentlich's Gütl kaufen. Etline Jahrln lei ... so lang wir jung
sein ... dös tun, was der Florl tut und 's Regele und die Rosina. Wir
zwoa ... du und i, Wastl ... wir singen besser, wie die alle mitnander.
Und wann's uns a Geld eintragt ... z'wegen was sollen grad wir a so
dumm sein und 's nit aa tian. Sag' ... Wastl ... moanst nit aa ... 's
war' besser, wir sperreten die Hütt'n zua und holen uns das Geld für a
schianer's Hoamatl?«

So weich und innig und so voll Liebe konnte das Weib sprechen. Ganz
Hingebung war sie jetzt und ganz demutsvoll. Fest umschlang ihr
weicher Arm den Nacken ihres Mannes, und ihr Mund küßte den seinen so
glühend und leidenschaftlich wie nur in der ersten Zeit ihrer jungen,
genießenden Liebe.

Wie ein Rausch überkam es den Mann. In den Händen dieses Weibes war
er Wachs, fügte sich nach ihrem Willen, welcher der weitaus stärkere
war. Unter ihren schmeichelnden, glühenden Küssen schwanden ihm die
Bedenken. Das Schwere, Beklemmende, das ihm auf der Seele lag, wich
vor der Seligkeit ihrer hingebenden Leidenschaft. Wohl dachte er an die
Trennung von seinen Kindern ... doch die Liebe zu seinem Weibe überwog
die Liebe zu den Kindern. An eine Trennung von ihr hätte er niemals zu
denken vermocht.

In dieser Stunde aber wurde der Wastl seiner Heimat untreu. Und treulos
wurde das Weib, das einstmals nichts Schöneres, Herrlicheres und
Heiligeres gekannt hatte wie ihre Kinder und das bescheidene Hüttl vom
alten Göd in der Gungl.




                            Neuntes Kapitel


Der Florian Siegwein und seine Frau Regina waren aufgezogen mit ihrem
ganzen Staat in das große Gasthaus, das der Kramer Veit hoch überm
Dörfl droben mit dem Ausblick auf die drei Hochtäler erbaut hatte.

Seit der Florl auf eigene Faust auf Reisen gegangen war, duldete er
es nicht mehr, daß man das Regele für ein lediges Fräulein hielt. Vor
aller Welt galt sie nun als seine Gattin, und der Florl hielt strenge
auf Sitte und Zucht bei seinen Leuten.

Man mußte es dem Florian Siegwein lassen. Er war ein anderer, besserer
geworden in diesen letzten beiden Jahren. Der leichtsinnige Zug von
einst war aus seinem Gesicht vollständig verschwunden und hatte einem
berechnenden Ernst Platz gemacht.

Der Florian hatte, gleich dem Kramer Veit, jetzt die Gefahren erkannt,
die ihn und seinesgleichen in der Welt draußen bedrohten. Und er war
mit sich strenge ins Gericht gegangen. Hatte überlegt, daß er nur durch
eiserne Selbstzucht und großen sittlichen Ernst sein Unternehmen vor
moralischem Untergang würde bewahren können.

Er hatte erkannt, daß diese jungen Menschen, die sich seiner Führung
anvertrauten, mit fester, straffer Hand geleitet werden mußten. Er
war sich der großen Verantwortung, die er übernommen hatte, bewußt
geworden und wurde ein strenger, aber umsichtiger Führer seiner kleinen
Truppe.

Der Florian Siegwein hatte das Versprechen, das er damals dem Kramer
Veit gab, getreulich eingehalten. So wie er die jungen Leute übernommen
hatte, so brachte er sie wieder in die Heimat zurück. Und trotzdem
hatte der Kramer Veit doch auch recht behalten. Sie waren doch, eines
wie das andere, von Grund aus verändert. Unverdorben in Sitte und
Moral, das waren sie zwar alle geblieben, und das war einzig und allein
dem starken, ernsten Willen des Florian Siegwein zu verdanken.

Sie wußten es nicht und erkannten es auch nicht. Waren wie Kinder, die
sich willenlos einem Lehrer fügen mußten. Und murrten wie Kinder und
lehnten sich oftmals auf gegen seine Anordnungen. Und doch folgten und
gehorchten sie.

Der Florian Siegwein war in diesen Jahren innerlich zu einer
Persönlichkeit herangereift. Er überragte sie alle weitaus an Verstand
und Willen und leitete sie klug und weise und führte sie von Erfolg zu
Erfolg.

Was für ein schwaches, hilfsbedürftiges Kind war dagegen seine Frau
geblieben! Die Regina war ihrem Manne keine Gefährtin, kein guter
Kamerad, der Freud' und Sorge mit ihm teilte. Sie war eine zierliche
Puppe, eitel und gefallsüchtig und mit dem Verstand eines lieben
kleinen Vögelchens.

Dem Florl war sie aber recht, gerade so wie sie war. Er hätte sie gar
nicht anders haben mögen. In ihrer naiv kindlichen Art, so harmlos und
unbefangen, war sie für ihn noch immer dasselbe Regele vom Alpl droben,
das Regele seiner Jugend und seiner erwachenden Sinne; und in ihr
liebte er nicht allein das Weib, sondern sein ganzes Jugendidyll und
seine engere Bergheimat.

Mit rührender, fast ritterlicher Aufmerksamkeit sorgte er dafür, daß
sie die Stellung voll einnahm, die ihr als seiner Gattin gebührte. Das
vertrauliche »Du«, das unter den Landsleuten üblich war, hatte der
Florian beibehalten. Nur war jetzt aus dem Florl der Florian und aus
dem Regele die Regina geworden.

Dieser feine Unterschied, so unbedeutend er an sich war, brachte
es doch mit sich, daß eine gewisse Distanz zwischen ihm und seinen
Mitgliedern gewahrt wurde. Der Florian und die Regina waren eben doch
andere wie der Florl und das Regele, die ihnen von Jugend auf so
vertraut waren.

Der Florian Siegwein verstand sein Geschäft, das mußte man ihm lassen.
In diesem Unternehmen war er sicher dem Kramer Veit überlegen. Einen
wahren Siegeszug durch deutsche Länder hatte er mit seiner kleinen
Truppe unternommen und redlich mit ihnen den Gewinn geteilt. Und
das war es wohl auch, was ihm so viel Achtung und Autorität unter
seinen Mitgliedern eintrug. Seine unbedingte Ehrlichkeit und sein
großer Gerechtigkeitssinn. Er duldete auch nicht die geringste
Ungerechtigkeit. Und wenn ein Streit oder eine Verstimmung unter
seinen Leuten herrschte, so war stets er das versöhnende und
ausgleichende Element.

Daß der Florian Siegwein aber auch die sittlichen Gefahren, welche die
schlichten Bauersleute in den großen Städten bedrohten, erkannte und
mit starker Hand zu verhüten wußte, das war wohl sein allergrößtes
Verdienst und zeugte von seiner außergewöhnlichen Intelligenz.

Die hübschen Tirolerinnen in der schmucken Tracht ihrer Heimat erregten
nicht nur Aufsehen, sondern auch das ganz besondere Wohlgefallen
junger, reicher Herren. Und wenn der Florl damals, als er noch mit dem
Kramer Veit gereist war, leichtsinnig darüber hinwegkam, daß man sein
Regele so umschwärmte, so erkannte er jetzt die Gefahr und stemmte sich
mit der ganzen Kraft seiner Bauernnatur dagegen.

Er hatte sich eine eigene, fast ritterliche Art im Verkehr mit seiner
Frau angewöhnt. Er wußte: nur wenn Mann und Frau einig waren ... wenn
die Frau dem Manne heilig blieb und er ihre Reinheit schützend hütete,
konnten sie bei ihrer Truppe vorbildlich wirken.

Und der Florian Siegwein wünschte es vom ganzen Herzen, vorbildlich
zu wirken. Es war richtig. Er wollte Geschäfte machen und viel Geld
verdienen. Aber nichts Unreines und Unehrenhaftes durfte an diesem
Gelde kleben. Das mußte ~rein~ erworben werden; denn der Florian
Siegwein wollte in der Heimat als ein ganzer Kerl und ein ehrlicher
Mann dastehen.

Niemals duldete er es, daß eines seiner Mitglieder allein zu Gast
geladen wurde. Wenn junge Kavaliere sich an die Mädchen heranmachten
und sie zu Gastmählern einladen wollten, dann winkte der Florian in
seiner jovialen, gemütlichen Art, der man nichts übelnehmen konnte, ab.

»Ah naa!« sagte er dann wohl. »Dös geht nit. Die Rosina kann da nit
alloan hingehn. Da gehn wir glei' alle mit. Sein oa Familie ... wir
Tiroler und haben halt Zeitlang ohne einander!« Und dann lachte er laut
und übermütig, so daß die andern unwillkürlich mitlachen mußten. Gegen
diese Art war nicht aufzukommen, und der Florian war schlau und pfiffig
genug und auch jeder List gewachsen.

So kamen denn die Tiroler immer wie eine Herde zu den Einladungen, mit
denen man sie überhäufte. In die feinsten Kreise wurden sie geladen,
auf Schlösser und Burgen, und ganz besonders war es die Rosina, die
manchen Träger von uraltem Adel zu ihren Verehrern zählte.

Sie ließ sich umschwärmen, wie das früher das Regele getan hatte,
mit einer kindlichen Freude darüber und mit der Gefallsucht eines
Kanarienweibchens.

Vor der eigenartigen dunklen Schönheit der Perlmoser Rosina hatte die
kleine zierliche Regina in den Hintergrund treten müssen. Und das war
dem Florian sehr recht; denn jetzt hätte er es nicht mehr ertragen,
so wie einstens seine Frau von einem Schwarm von Verehrern umgeben zu
sehen.

Noch eines hatte der Florian in dieser Zeit verstehen gelernt. Das war
jene Erkenntnis, die der Kramer Veit besaß, vom echten Bauerntum, das
in fremdes Erdreich versetzt verderben mußte. An das Verderben glaubte
er zwar nicht, aber er sah es an sich selbst und sah es an den andern
und erkannte es auch, daß sie alle andere Menschen geworden waren.
Menschen mit der Sprache und mit dem Gehaben von Bauern, die sich
aber doch besser dünkten wie diese und die Arbeit ihrer Jugend gering
schätzten oder gar verachteten.

Und der Florian Siegwein sagte sich: wenn ein Unglück über einen dieser
Menschen hereinbräche, daß er seine Stimme oder sein gutes Aussehen
einbüßte, so würde er lieber betteln gehen als arbeiten wie ehedem.
Und der Florian wußte: darin lag die schwere Schuld, die er auf sich
geladen hatte. Ein müßiges, faules Leben hatte er sie gelehrt, ein
Leben des Scheinglanzes und der Üppigkeit. Und wenn er jetzt an die
bösen Worte vom Perlmoser und vom Söllerbauer dachte, dann mußte er ...
wollte er gerecht bleiben ... ihnen beistimmen. Diese Schuld konnte er
nur dadurch mildern, indem er trachtete, daß sie Geld ... viel Geld
einnahmen.

Ein wahrer Hunger nach Geld war in dem Florian, und diese Gier nach
Geld teilte auch seine Frau, die Regina. In diesem Punkt verstanden und
fanden sich die Eheleute ganz genau.

Die Regina verstand nicht viel von der inneren, seelischen Entwicklung,
die ihr Mann in diesen Jahren genommen hatte. Sie bemerkte sie wohl
kaum und kümmerte sich auch nicht darum. Sie sah nur, daß das
Unternehmen auch ohne den Kramer Veit gedieh, und sie war stolz auf
ihren Florl, der seine Sache so gut machte.

Sie begriff es auch nicht, weshalb der Florian so strenge mit den
beiden Dirndeln war und ihnen so gar keine Freiheit gestatten wollte.
Und der Florian gab sich auch keine Mühe, sie darüber aufzuklären. Er
verlangte von ihr, wie von den übrigen, unbedingten Gehorsam, auch in
solchen Sachen.

»Denn,« sagte er, »wo mehrere Leut' beinander sind, muß einer da sein,
der leitet. Und das bin jetzt amal ich. Und wann i a Sach' vorwärts
bringen soll, nacher heißt's parieren ... grad wie beim Kaiser.
Da heißt's einfach: I schaff' an, und du folgst. Und so mach' i's
aa!« erklärte der Florian mit einer Energie, die keinen Widerspruch
erwartete und auch nicht geduldet hätte.

Die Regina freute sich schon seit vielen Monaten auf das neue Haus
in der Heimat und brannte förmlich darauf, sich als Wirtin zeigen
zu können. Der Florian hatte auch in diesem Unternehmen eine große
Geschicklichkeit bewiesen, und wenn nicht alle Berechnungen trogen,
dann würden die jungen Pächtersleute schon in diesem allerersten Sommer
ihr Haus voll von Fremden haben.

Beinahe ein kleiner Hofstaat war es, den der Florian Siegwein und seine
Ehefrau mit in die Heimat brachten. In drei zweispännigen Kutschen
kamen sie draußen in dem stattlichen Dorf angefahren. In der ersten saß
der Florian mit seiner Frau ganz allein, und nur mächtige Koffer waren
rückwärts und auf den Kutschbock aufgeladen.

In dem zweiten Wagen fuhren die Perlmoser Rosina und die drei andern
Mitglieder der kleinen Sängertruppe. In dem letzten Wagen aber saß das
Personal des neuen Gasthofes, das der Florian draußen in deutschen
Landen aufgenommen hatte.

Da war eine tüchtige Köchin, eine ältere Person, die schon viel
Erfahrung auf ihrem Gebiete besaß, und ein jüngeres Stubenmädchen und
ein Hausdiener. Mit diesen drei gewandten Gehilfen getraute sich der
Florian seinen Gasthof zur Zufriedenheit der Gäste zu führen.

Vor allem hatte der Florian Siegwein großes Zutrauen in die Umsicht der
Köchin, der er die Rechte einer Leiterin einräumte und die noch dazu
die etwas schwierige Aufgabe übernahm, die junge Frau Siegwein mit den
Obliegenheiten einer Wirtin bekannt zu machen.

Die Regina hatte sich ihre Pflichten nun allerdings ganz anders
vorgestellt. Sie glaubte, daß es genügen würde, wenn sie mit einem
zierlichen weißen Spitzenschürzchen von Zimmer zu Zimmer huschte und
sich dann hauptsächlich in dem geräumigen Speisezimmer bei den Gästen
aufhielte. Aber die Leiterin, die der Florian gemietet hatte, bestand
darauf, daß die Frau Siegwein auch den Pflichten einer Wirtin allen
Ernstes nachkam.

Ein stummer Kampf spielte sich nun täglich zwischen diesen beiden
Frauen ab. Die Regina schraubte sich, wo sie nur konnte, von ihren
Verpflichtungen, mußte aber doch allmählich dem starken Willen ihrer
Köchin unterliegen ... und je mehr sich das Haus mit Gästen füllte,
desto anstrengender wurde die Tätigkeit der jungen Wirtin.

Der Florian hatte gleich den richtigen großen Zug in die Sache
gebracht. Die Gäste, die ins Tal kamen, waren ausschließlich reiche
und vornehme Leute. Menschen, die es trieb, diese reisenden Bauern
in ihrer eigenen Heimat zu sehen und dabei ein Land, das bisher dem
Fremdenverkehr so gut wie verschlossen geblieben war, kennen zu lernen.

In großen vierspännigen Reisewagen kamen die Fremden ins Land.
Durchfuhren zuerst die breiten Täler und zweigten dann von der gut
gepflegten Heerstraße auf die steinige, holprige Straße des Tales ab.

In dem ansehnlichen Dorf mit seinen weißen, stattlichen Häusern und der
grünen Kirchturmspitze mußten sie alle Halt machen. Denn bis hierher
nur ging der fahrbare Weg. Von dort aus übernahm der Florian Siegwein
den weiteren Transport zu seinem Alpengasthof. Und es war abermals der
Kramer Veit, der dem Florl da helfend zur Seite gestanden hatte.

Ohne die Umsicht dieses Mannes wäre das Werk wohl niemals so gut
gelungen. Bis in die kleinste Kleinigkeit hatte sich der Kramer Veit
bekümmert, und auf alles war er bedacht gewesen. Er hatte junge
Burschen gemietet, die mit Maultieren hinunter ins Tal zogen und das
Gepäck der Fremden hinauf ins Dörfl lieferten.

Fünf bis sechs solcher Burschen trieben alltäglich ihre Maultiere in
den Hauptort des Tales. Denn alles, Wein und Eßwaren und was es so gab,
mußte auf den Rücken der Maulesel auf den Berg geliefert werden. Und
wenn der Weg zum Dörfl den Fremden zu weit oder zu beschwerlich war,
so standen Sattel zum Reiten zur Verfügung, und von der kundigen Hand
ihrer Führer geleitet gingen die Maulesel dann ihren gleichmäßigen und
ungemein sicheren Trott.

Eine ganz neue Industrie hatte sich da den Bewohnern des Tales
eröffnet. Sie hatten jetzt alle zu arbeiten für die Fremden, die
Bäcker, die Fleischer, die Schuster, der Wagner, der Schmied und der
Sattler. Die Handwerker des stattlichen Dorfes hatten bis jetzt ein
recht beschauliches Dasein geführt. Nun hatten sie mit einem Male alle
Hände voll zu tun und nahmen unerwartet viel Geld ein. So viel Geld in
wenigen Monaten wie sonst wohl kaum in Jahren.

Kein Wunder, daß der Florian Siegwein gar bald ein hochgeachteter
Mann im ganzen Tale war, und daß man ihn grüßte wie einen feinen,
gebietenden Herrn. Aber auch die Bauern im Dörfl bekamen nun eine
andere Meinung von dem Florian und der Regina. Jetzt schalt man sie
nicht mehr Tagediebe, die dem Herrgott den Tag wegstehlen, jetzt zollte
man ihrem Unternehmen Achtung, und die Bauernweiber kamen vom Dörfl
herauf zur Regina, um sie zu begrüßen, und brachten ihr als »Grüß
Gott« Butter und Eier und Käse mit. Und die Regina fühlte sich als
Gebieterin in ihrem Reich, war freundlich und herablassend, bestellte
Milch und Butter und Eier und zahlte gut.

Sie hatten es bald heraußen, die schlauen Bäuerinnen, daß sie von der
Regina jeden Preis für ihre Waren verlangen durften. Denn wenn das Haus
voll von Leuten war, dann mußte die Regina eben bezahlen, was gefordert
wurde.

Diese geschäftlichen Verhandlungen spielten sich dann meistens in aller
Herrgottsfrühe und in der Küche des Gasthauses ab. Da saß die Regina
am großen Küchentisch, hatte eine färbige Schürze vorgebunden und
eine Schüssel voll Kartoffeln vor sich stehen, die sie putzen wollte.
Sie tat so, als schälte sie die Kartoffeln, kam aber nie sonderlich
vorwärts mit ihrer Arbeit. Die eigentliche Arbeit leistete die Zenz,
ihre jüngere Schwester. Die hatte sich die Regina zur Hilfe genommen,
und die schaffte und sorgte mit Lust und Ausdauer, wie sie es drüben im
Elternhaus seit Jugend auf gewohnt gewesen war.

Die Regina aber saß jetzt am liebsten in der Küche und leitete von
hier aus ihren Hausstand. Da sah und hörte sie alles, was vorging, und
sie naschte von den guten Speisen und achtete doch scharf darauf, daß
nichts vergeudet wurde. Diese Übersicht und ein gewisses Mißtrauen
gegen alles, was etwa zu ihrem Nachteil geschehen könnte, hatte sie
sich überraschend schnell angeeignet.

Allabendlich zog die Regina eines ihrer feinen städtischen Gewänder
an, belud sich überreich mit goldenen Ketten, Ringen, Broschen und
Armbändern und ging hinüber in das große Eßzimmer zu den Fremden. Dort
ging sie von Tisch zu Tisch, lachte und plauderte und scherzte mit den
Gästen und war wieder das liebe, sorglose Regele von einst.

Die Perlmoser Julie hatte als Kellnerin alle Hände voll zu tun. Ein
Glück, daß sie zwei Helferinnen hatte; denn allein wäre sie ihrer
Aufgabe wohl oft nicht gewachsen gewesen. Ihre Schwester, die Rosina,
und die Zeißler Anna, die auch mit auf Reisen gegangen war, halfen ihr
auf Geheiß des Florian Siegwein dabei.

»Müaßt's halt a bissl arbeiten helfen, ös zwei!« hatte der Florl schon
während des Winters zu ihnen gesagt. »Nachher g'halt' i enk bei mir im
Haus über'n Sommer, und ös braucht's nix zu bezahlen. Aber natürlich,
faulenzen, dös gibt's nit. Das kann i nit derlauben.«

Sie überanstrengten sich zwar nicht, die beiden Dirndeln mit ihrer
Arbeit. Sie spielten sich ein bissl zum Zeitvertreib und überließen der
Julie ruhig und ohne Gewissensbisse den Löwenanteil. Sie schliefen,
wie einst der Florl und das Regele, bis tief in den Morgen hinein und
durchsangen und durchtanzten die halben Nächte.

Es ging oft hoch her da oben in dem Alpengasthof. Und oftmals kamen die
Burschen vom Dörfl herauf, um zuzuschauen beim Tanz. Aber der Florl
gestattete ihnen das Zuschauen nicht. In seiner jovialen Art lud er sie
ein, mitzutun und ließ ihnen eine Maß Wein nach der andern vorstellen.

Das Wirt spielen, das verstand er großartig, der Florian Siegwein. Er
wußte ganz genau, daß ihm der Wein, den er den Burschen spendete, zum
Schluß etliche Flaschen Sekt eintragen würde. Denn erst dann, wenn auch
die Burschen da waren, kam die Unterhaltung richtig in Schwung. Dann
wurde nicht nur gesungen und getanzt, sondern auch tüchtig gezecht.

Auch der Stanis vom Alpl droben fand sich nun öfters hier ein und
erfreute sich an dem freien Wein. Er war immer noch ein ausgezeichneter
Schuhplattler, und wenn der kleine, haarige, schwarze Kerl mit seiner
tollen, affenartigen Behendigkeit zu tanzen anfing und dazu seine
frechen Witze riß, dann jubelten ihm die Fremden zu und freuten sich
an dieser derben Urwüchsigkeit. Und wäre der Stanis jünger gewesen, so
hätte er vielleicht noch manche Eroberung unter den feinen Stadtdamen
machen können.

Da waren der Tobias Scholl und der Simeringer Franzl, die beiden
Burschen, die mit dem Florian auf Reisen gegangen waren. Es war schwer
für diese beiden jungen Leute, eine Beschäftigung über Sommer zu
finden. Sie eigneten sich zu nichts mehr so recht, wollten nirgends
anpacken und verursachten dem Florian viel Kopfzerbrechen.

Beschäftigen mußte er sie, das wußte der Florian ganz genau; denn so
lange Zeit hindurch müßig im Haus herumzusitzen, das konnte bei diesen
starken jungen Männern zu nichts Gutem führen. So wies er sie denn an,
den Fremden als Führer in den Bergen zu dienen. Sie waren ja in den
Bergen aufgewachsen, kannten alle Wege und Fährnisse und vermochten
daher mit Leichtigkeit dieses Amt zu versehen.

Mit diesen Burschen gut auszukommen war für den Florian weit schwerer
als wie mit den beiden Dirndeln. Ganz besonders schwierig war es hier
in der Heimat, wo der Ton zwischen den Fremden und den Sängern ein viel
mehr ungezwungener war wie draußen in den Städten. Und der Florian
Siegwein hatte manchen harten Kampf mit den Burschen auszufechten.

Oft dehnten sich die Zechgelage bis in die ersten Morgenstunden, und
es geschah, daß der Franzl und der Tobias wiederholt nicht mehr ganz
nüchtern waren. Gerade das, was der Florl auf seinen Reisen so strenge
zu verhüten gewußt hatte, passierte ihm in der Heimat und bereitete ihm
schlimme Stunden der Sorge.

Seine Interessen als Wirt verboten es ihm, mit jener unnachsichtigen
Strenge dagegen vorzugehen, wie das in der Stadt der Fall gewesen war.
Hier konnte er nur durch Güte und Zureden dagegen einwirken. Der Erfolg
war, daß die Burschen immer wieder rückfällig wurden, so sehr sie dem
Florian auch Besserung versprochen hatten ...

Eines Tages war der Wastl zu dem Florian gekommen und hatte ihm sein
Anliegen vorgetragen. Gerade mitten im Hochsommer war's, wo ein Bauer
nur schwer von seiner Arbeit fort konnte. Der Florian war daher nicht
wenig verwundert, als er den Wastl in der Bauernstube seines Gasthauses
sitzen sah. Im Feiertagsgewand war der Wastl und schaute ziemlich
gedrückt und kleinlaut drein.

Als der Florian hörte, um was es sich handelte, hatte er zuerst das
Gefühl, als müsse er den Wastl mit aller Macht von seinem Vorhaben
abbringen. Er tat ihm leid, dieser Mann, der so mit allen Fasern seines
Herzens in der Heimaterde wurzelte. Ein Unrecht war's, ihn fortzunehmen
von hier. Das wußte und erkannte der Florian. Und deshalb zögerte er,
auf den Vorschlag des Wastl einzugehen.

»Weißt was, Wastl ...« sagte der Florian und pflanzte sich breitspurig
vor dem schlichten Bauersmann auf ... »i nahmet di und dei' Weib gern
mit. Vom Herzen gern. Dös woaßt. Aber ... eigentlich ... i muß dir's
döcht sagen, Mensch ... die Sach' paßt do nit für di! Sollst dir's
do no gründlich überlegen. Schau ... a Hoamatl legt man nit weg wia
an alt's G'wand. Überleg' dir's no ... Wastl!« riet ihm der Florian
eindringlich.

Der Wastl saß schwerfällig und ungeschickt auf dem Holzsessel und
fühlte sich äußerst unbehaglich in der ganzen Umgebung. Er zog den Kopf
ein und starrte nachdenklich zu Boden.

»Hab's schon überlegt, Florl ...« sagte er dann traurig. »Die Vef
will's a so haben. Kannst nix machen. Sagt, unser Güatl ist zu kloan
für uns alle. Wir sollen Geld verdienen, damit wir a größeres Güatl
kaufen können!« erklärte er dem Florl entschuldigend.

Da überkam den Florian Siegwein ein ehrliches Mitleid mit dem
Jugendfreund. Er wußte es bestimmt: ein Bauerngut würden die beiden,
waren sie erst draußen gewesen, niemals erwerben. Und der Florl sagte
ihm das auch ehrlich ins Gesicht. Aber der Wastl glaubte es nicht. Er
dachte, daß er für seinen Teil die Sehnsucht nach der Bauernschaft
niemals im Leben würde verlieren können. Und so wie er es fühlte,
glaubte er es auch von seinem Weibe.

Der Florian Siegwein sah, daß der Sinn des Jugendfreundes nicht zu
wandeln war. Schließlich hatte er ja seine Pflicht erfüllt und den
Wastl gewarnt. Wenn der es nicht anders haben wollte, weshalb sollte
er, der Florian, seinem eigenen Glück hindernd im Wege stehen?

Denn der Florian wußte: es war ein Glück für ihn, wenn sich das Ehepaar
Sebastian und Genovefa Hagspiel seiner kleinen Künstlertruppe anschloß.
Solche Sänger, wie diese beiden, fand der Florian Siegwein so schnell
nicht wieder. So sagte er denn, innerlich freudig erregt, dem Wastl zu
und gab ihm den Handschlag. Der Handschlag aber bedeutet für den Bauer
dieser Gegend sein Ehrenwort und gilt ihm heilig.

Und der Wastl leerte seinen Wein hastig und ging mit seinen
ungeschlachten Beinen so schnell als er nur konnte von dem Hause fort.
Der Florian stellte sich auf die Veranda seines Hauses und schaute
ihm nach, wie er schwerfällig und doch rasch den Berg zum Dörfl
hinuntersprang und dann plötzlich unschlüssig stehen blieb und die
Richtung gegen das kleine Hochtal zu einschlug.

Er war in diesen Jahren, seit er in der Gungl hauste, ein richtiger
Bergbauer geworden, der Wastl. Schon etwas steif in den Gliedern und
ungelenkig beim Gehen. Die harte Arbeit bringt es mit sich, daß sie
rasch altern, die Bauern. So dachte der Florian Siegwein. Und wünschte
in seinem Herzen, daß der Wastl heute doch nicht zu ihm gekommen wäre.




                            Zehntes Kapitel


Das war ein trauriger Auszug aus der Heimat. Am Vorabend des
Rosenkranzfestes war es, das in die zweite Hälfte des Oktobers fällt.

In aller Herrgottsfrühe zogen sie aus. Der Tag begann sich kaum zu
lichten, und dicht und schwer hingen noch die weißen Nebel ins Tal
herab. Naßkalt und unlustig war der Morgen. Einer jener Herbstmorgen,
an dem es noch unentschieden ist, ob er sich zum schönen oder
schlechten Tag auswächst.

Weiß glitzerte der Reif, und die langen Fäden des Grases, die von den
glatten Felswänden herabfielen, hingen welk und müde und zeugten davon,
daß die Natur im Sterben begriffen war.

Die Vef hatte ihr bestes Feiertagsgewand angelegt und trug ihr jüngstes
Kind im Arm, während der Älteste in langen und unförmigen Höschen und
mit einem Hut am Kopf, der das Gesichtchen fast ganz verdeckte, tapfer
neben seiner Mutter einherlief und sich an ihrem hochgesteckten Rocke
festhielt.

Voran ging der Wastl und hatte die wenigen Habseligkeiten auf seine
Kraxe geladen. Obenauf steckte ein blondes Büblein sein Köpfchen
heraus und guckte mit ängstlichen Augen umher, während der Vater den
Zweitjüngsten auf dem Arme trug.

Er hatte gleichfalls sein bestes Gewand angelegt, der Wastl, weil es
ihn die Vef so hieß. Die Vef hatte in diesen letzten Tagen, die sie
noch in der Gungl hausten, mehr denn je das Regiment geführt. Mit dem
Wastl war nicht viel anzufangen. Wie einer, der im Traume wandelt, war
er gewesen. Hatte geduldig alles getan, was ihm die Vef gebot, ohne
Widerspruch und ohne zu murren. Aber sein müdes, trostlos trauriges
Gesicht reizte die Vef mehr, als wenn er sich ihr widersetzt hätte ...
und mehr denn je schrie sie in dieser Zeit im Hause herum.

Vielleicht wollte sie durch ihr zornig herrisches Gehaben den inneren
Vorwurf niederkämpfen, der leise mahnend an ihr Gewissen klopfte. Sie
wollte nicht gemahnt werden, die Vef, wollte nicht daran denken, daß
ihre Kinder nun obdachlos sein würden, und sie betäubte ihr Gewissen
damit, indem sie sich einredete, nur eben diesen Kindern zuliebe
geschehe alles, was sie vorhatte.

Ihr Bruder Jakob, derselbe, der früher droben am Alpl als Senner tätig
war, hatte sich mit dem Schwager geeinigt und das kleine Gütl in der
Gungl in Pacht genommen. Ein Glücksfall war das für den Jackl, genau
so wie damals für den Wastl. Denn nun konnte er seinen längst gehegten
Wunsch erfüllen und heiraten.

Der Vater Perlmoser war noch rüstig beim Zeug und dachte ... trotzdem
er sich noch immer recht hart mit der Wirtschaft tat ... gar nicht
daran, seinen Hof dem Sohn zu übergeben. Leicht hätte der Jackl alt und
grau werden können, bis es dem Perlmoser einmal eingefallen wäre, seine
Herrschaft abzutreten.

So war denn der Jackl voll Dankbarkeit und versprach dem Wastl gern
alles, was dieser haben wollte. Der Wastl hatte aber nur eine Bedingung
gemacht, und diese war, daß der Jackl den Martl zu sich nehmen sollte,
sobald er verheiratet war.

Der Martl, das war der älteste Sohn des Wastl und der Vef, das kleine
blonde Bübl, das heute, trotzdem es noch nicht einmal fünf Jahre
zählte, so tapfer wie ein Erwachsener in dem kalten Oktobermorgen
neben der Mutter herlief. Gerne hatte der Jackl diese Verpflichtung
übernommen und es dem Schwager in die Hand hinein versprochen, das Kind
wie ein eigenes zu halten.

Die Vef verstand diese Forderung ihres Mannes nicht so ganz. Erst, als
sich der Wastl näher erklärte, begriff sie.

»Woaßt ...« sagte der Wastl in seiner schwerfälligen Weise zu dem
Schwager ... »'s kam' mi halt so viel hart an, wann i mir fürstellen
müaßet ... fremde Leut', und wann's aa der Bruder von mein' eigenen
Weib ist ... hauseten in mein' Hoamatl. Wann i aber woaß, daß a
meiniger Bua no herinnen ist ... aft ist's mir völlig a bissl leichter.
Aft stell' i mir für, daß du und dei' Weib 's Güatl ... mei' Güatl ...
für mein' Buab'n halten tatet's. Woaßt, Jackl, aft ist's do no alleweil
unser Hoamatl, und sell ist leichter zu tragen, wenn man dran denkt,
als wia's war, wenn koaner mehr von uns da herin hauset.«

So traurig und gedrückt sagte das der Wastl, daß der Vef die hellichten
Tränen in die Augen schossen. Sie überwand aber diese Schwäche und
suchte rasch nach einer Ausflucht, um wieder zornig schreien zu können.

Dem Wastl war es recht schwer geworden, seine Kinder unterzubringen.
Völlig darum betteln hatte er müssen. Zuerst war er zu den
Schwiegereltern in das kleine Hochtal hinaufgegangen. Da war er aber
schlecht angekommen, als er sein Anliegen vorbrachte.

Der Perlmoser schrie und tobte, als er von dem Entschluß des Wastl
hörte. Was? Jetzt wollte auch noch seine dritte Tochter diesen
Narrenturm mitmachen und auf Reisen gehen? Wollte gar ihre Kinder im
Stich lassen und sie den Großeltern aufhalsen?

»Recht kommod ... so eppas!« rief der Perlmoser zornig. »Aber da wird
nix draus ... daß d' es woaßt. Wann schon du koa Ehr' und G'wissen mehr
hast ... i hab' oans. Und für so eppas gib i mi nit her! Ös habt's
dahoam zu bleiben! Verstanden?« schrie der alte Mann erbost.

Er war ein harter Bauernschädel, der Perlmoser, und nur schwer von
einer einmal vorgefaßten Meinung abzubringen. Der Perlmoser war wohl
fast der einzige Bauer im ganzen Umkreis, der seine Ansicht über den
Florl und die Regina auch jetzt noch beibehalten hatte. Und so erzürnt
war er noch immer über diese beiden, daß er sie, wenn er zufällig
einmal mit ihnen zusammentraf, hartnäckig übersah und ohne Gruß an
ihnen vorüberging.

Und unversöhnlich war der Bauer auch mit seinen Töchtern, der Rosina
und der Julie. Als die Rosina im Frühling heimgekommen war und auf
den Perlmoserhof zu den Eltern kam, da war der Alte genau so grob mit
der Tochter wie damals mit dem Florl und der Regina. Sie habe nichts
verloren auf seinem Hof, sagte er ihr klipp und klar, und es sei ihm
lieber, wenn sie ihm überhaupt nicht mehr unter das Gesicht käme.

Die Rosina war schwer beleidigt, um so mehr, da sie viel Geld
mitgebracht hatte, das sie der Mutter heimlich zustecken wollte. Aber
keinen Knopf durfte die Bäurin von der Rosina annehmen. Bei Heller und
Pfennig mußte sie's der Tochter zurückbringen, als der Bauer hinter die
Sache kam.

»Und ehnder verreck' i ... als daß i mir von so oaner eppas schenken
lasset!« rief der Perlmoser zornig. »Soll arbeiten ... das Mensch ...
wia amerst ... aft war' uns g'holfen. Aber so a Lottergeld brauch' i
nit!« erklärte er energisch und ohne einen Widerspruch zu dulden.

Der Perlmoser war in jeder Hinsicht unversöhnlich geblieben. Um keinen
Groschen durfte dem Florian Siegwein für seinen Gasthof etwas geliefert
werden. Er wußte es wohl, der Bauer, daß der Florian hohe Preise für
Butter, Milch und Rahm bot, und für den Perlmoser wäre es recht bequem
gewesen, wenn er seine Produkte gleich hätte herabliefern können, statt
sie den zeitraubenden Weg ins Tal hinaus zum Verkauf tragen zu lassen.

Sein harter Bauernschädel ließ das aber nicht zu. Nie und nimmer, so
hatte er geschworen, würde er der »Bande« da drüben etwas liefern,
und hatte sich deswegen sogar mit den Nachbarsleuten verfeindet. Der
Söllerbauer hatte gleich den übrigen Bauern seine Meinung über den
Florian geändert und war stolz auf seinen Schwiegersohn geworden.
Gleich den andern umschmeichelte er jetzt den Mann, der neues Leben und
viel Geld ins Land hereinbrachte ...

Der Wastl dachte daran, wie er jetzt mit seiner Last am Rücken und
dem Knaben im Arm gebückt durchs Tal herausschritt, wie hart das
damals gewesen war, für seine Kinder ein Unterkommen zu finden. Die
Perlmoserin hatte sich endlich ins Zeug gelegt und für die Enkelkinder
ein gutes Wörtl bei dem Großvater geredet.

Die Perlmoserin war eine robuste, etwas vierschrötige Person, anfangs
der Fünfzig. Ein Arbeitstier und von unermüdlichem Fleiß, wie es selten
zu finden war. Von dieser Mutter hatten die drei Perlmosermädeln wohl
die Lust an der Arbeit gelernt, die für sie früher nur ein frohes
Spiel gewesen war. Sie war mittelgroß, die Perlmoserin, und hatte
ein gutmütiges, beschränkt dummes Gesicht. Es war stark gerötet und
mochte in der Jugend wohl einmal so zart und rosig gewesen sein wie das
ihrer beiden blonden Töchter. Jetzt aber war es schwammig und etwas
aufgedunsen, und die hellen Augen hatten ihren Glanz eingebüßt. Das
blonde Haar war dünn und farblos geworden, und die Zöpfe reichten kaum
mehr aus, sie um den breiten Kopf zu legen. Nur mühsam konnten sie
noch zum Kranz geordnet werden; aber das schmale schwarze Samtband,
das die Perlmoserin gleich den übrigen Bäurinnen als Abschluß am
Haarscheitel trug, verdeckte zum Teil den spärlichen Wuchs und erhöhte
zugleich den Eindruck der Sauberkeit und Ordnung, den die Bäurin stets
zu machen pflegte.

Von jeher war der Perlmoser unumschränkter Herr und Gebieter im Hause
gewesen, und sein Weib hatte nie auch nur den leisesten Versuch gewagt,
sich gegen ihn aufzulehnen. Und als die Bäurin jetzt auf einmal sich
auf die Seite des Schwiegersohnes stellte und gegen ihren Mann auftrat,
war dieser zuerst so erstaunt über diese Kühnheit, daß es ihm einfach
die Rede verschlug.

Lange hatte es die Bäurin mit angehört, wie der Vater auf den Wastl
einschrie, zornig und ohne Gerechtigkeit, und hatte wie immer kein Wort
darein geredet. Bis ihr Mitleid für die Kinder die Oberhand gewann und
sie sich gegen ihren Mann auflehnte.

»Jatz bist aber amal stad ... du ...« fuhr sie den Bauer an ...
»und laßt mi aa amal a Wörtl reden.« Die Bäurin stand in der Mitte
der Stube, stemmte den einen Arm in die breit ausladende Hüfte und
gestikulierte, während sie sprach, aufgeregt mit der rechten Hand. »Und
i moanet amal so!« sagte sie resolut. »Grad gar a so unrecht hat ja die
Vef nit mit dem, was der Wastl verzählt. Siegst es wohl selber, wie wir
zu fretten haben mit unserer Kutt' Kinder. Und 's Geld soll man nia nit
verachten, kimmt's von woher derwill. Und gar a so g'fahlt kann dös ja
weiter aa nit sein ... wenn der Mann mit sein' Weib in die Welt ziacht
... weil draußen a Geld zu holen ist. Und wenn dös wahr ist, was du
sagst ...« jetzt wandte sich die Frau mit Energie an den Schwiegersohn
und sah ihn herausfordernd und fast böse an ... »und ös nachher,
bald's ös das Geld beinander habt's, a rechtschaffen's Güatl kauft's
und wieder christliche Bauersleut' werden wollt's ... aft nimm i enk
meintswegen oans oder zwoa Kinder!« erklärte sie mit Bestimmtheit.
»Mehr wia zwoa kann i nit haben. Muaßt halt schaug'n, wo du sie
unterbringst, die andern zwoa. Und 's allerkloanste nimm i aa nit!«
sagte sie und wandte sich wieder gleichgültig ihrer Arbeit zu. »Will
mein' Fried' haben bei der Nacht. Hab' g'nug Kinderg'schrei g'habt in
mein' Leben ...« setzte sie bissig hinzu und schaute den Wastl dabei
so böse und vorwurfsvoll an, als ob ihn eine Schuld an dieser Tatsache
träfe.

Ein echtes, warmfühlendes Frauenherz war dieses derbe Bauernweib
trotz ihrer scheinbaren Rauheit und ihrer groben Worte. Der Wastl war
heilsfroh und vom Herzen dankbar, daß er nun wenigstens zwei seiner
Kinder gut untergebracht wußte. Der Perlmoser zankte wohl noch eine
Weile mit seinem Weib und schimpfte noch tüchtig über den Wastl und die
Vef, schließlich aber war er doch damit einverstanden, und der Wastl
machte sich daran, ein gutes Platzl für seine andern beiden Kinder zu
finden.

Niemand wollte sie nehmen im Dörfl, die Kleinen, bis sich der Wastl
schließlich an die zwei alten Jungfern erinnerte, die das Kind
der toten Mena aufgezogen hatten. Das Moidele diente, seitdem sie
ausgeschult war, bei der Notburg. Das hatte der Kramer Veit so haben
wollen, und so waren die beiden alten Weibsleute wieder allein.

Zwei eingetrocknete kleine, verhutzelte Weiblein waren die beiden
alten Jungfern, und man hieß sie allgemein die Kirchenmäuseln. Sie
hatten nicht viel zu tun in ihrem armseligen Hüttl, und diese wenige
Arbeit kam ihnen oft recht hart an. Da sie aber vom Herzen fromm und
gottesfürchtig waren und nicht allein zur Kirche liefen und mit den
Lippen beteten, sondern auch nach Christi Gebot zu leben strebten,
handelten sie nach dem Worte des Herrn: »Und wer eines dieser Kleinen
in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf.«

So ungelegen ihnen die kleine Einquartierung auch kam, so sagten sie
doch nicht nein. Der Martl und die kleine Toni sollten also der Obhut
der alten Weiblein übergeben werden ... der Martl nur so lange, bis ihn
der Onkel wieder mit in die Gungl hinein nahm.

Und heute sollten die vier Kinder zu ihren Pflegeeltern geliefert
werden. Ein Glück nur, daß sie so klein waren und noch nicht begriffen,
um was es sich handelte. Auch der Martl verstand es nicht, daß es ein
Abschied werden sollte. Er war nur freudig erregt, daß er heute mit den
Eltern fortgehen durfte, hinaus ins Tal und zu den Großeltern, die er
nicht kannte. Noch nie war er aus der Gungl herausgekommen, und auch
bei der Vef war es lange her, seitdem sie zum letztenmal im Kirchdorf
gewesen war.

Es war ein eigenes Gefühl, das die Vef beherrschte. Jetzt, da ihr Wille
erfüllt war, da sie vor dem ersehnten Ziele stand, schien es fast,
als hätte sie die Freude an der Sache verloren. Ohne Schmerz und ohne
Traurigkeit war sie, aber sie fühlte auch keine Erlösung und keine
Hoffnungsfreudigkeit in sich.

Als sie ihrem Bruder Jackl, der schon ein paar Tage zuvor das Gütl
übernommen hatte, die Hand zum Abschied reichte und mit ihren Kindern
in den grauen Oktobermorgen hinaustrat, als ein scharfer Wind ihr rauh
und kalt ins Gesicht pfiff, da durchlief es den Körper des jungen
Weibes wie Eisesschauer.

Sie mußte gewaltsam an sich halten, um nicht das Klappern ihrer Zähne,
das von ihrem inneren Frost kam, hören zu lassen. Um keinen Preis
wollte sie ihre Schwäche den Wastl merken lassen. Sie ~mußte~ fest
bleiben und froh erscheinen, damit sein schwacher Wille sich an ihrem
starken stützen konnte. Eine innere Leere löste aber dann die Kälte ab
und machte sie gefühllos für alles, was um sie war.

Sie hörte es nicht, daß der kleine Bub, der ihr zur Seite lief,
plapperte und neugierige Fragen tat, und sie hörte auch nicht, daß er
mit weinerlicher Stimme über die Kälte zu klagen anhub, und sah nicht
die blaugefrorenen Händchen des Kindes.

Je länger sie gingen, desto höher stiegen die Nebel, wurden leichter
und wurden weißer. Nur oben über den jäh abfallenden Felswänden zu
beiden Seiten des schluchtartigen Tales ballten sich die Wolken noch im
finsteren Grau.

Mit keinem Blick hatten sie auf das Gütl zurückgeschaut, weder der
Wastl noch sein Weib. Gingen vorwärts ... immer vorwärts ...

Das Kind schlief in dem Arm seiner Mutter selig und sanft und
lächelte im unbewußten Traum. Aber die Vef achtete auch nicht auf den
schlafenden Säugling, so wenig wie auf das trippelnde Bübl an ihrer
Seite, das immer verzagter wurde und sich hilflos an der Mutter Rock
klammerte.

Das Weib schaute mit leeren, glanzlosen Blicken vorwärts ... dorthin,
wo ihr Mann gebückt und schwer mit seinen Kindern schritt. Sie sah
ihn aber nicht, den Wastl, und sah auch nicht das kleine blonde
Kinderköpfchen, das ab und zu sich von seinem hohen Lager neugierig
emporstreckte. Sie sah und hörte nichts, die Vef ... und fühlte auch
nichts. Schritt nur immer gleichmäßig weiter, fest und entschlossen und
mit ödem Herzen.

Fast erging es dem Wastl besser wie seinem Weib. Denn er erlebte in
seinem Innern wenigstens die Schwere dieser Stunde. Er fühlte das
unruhige Pochen seines Herzens, fühlte die Traurigkeit des Abschieds
von Heim und Kindern, fühlte die beklemmende Angst vor einem ungewissen
Schicksal und fürchtete sich vor dieser Zukunft. Und wenn es auch
traurig war, so war es doch ein inneres Erleben, das so stark und
überwältigend wurde, daß es sich dann in schweren Tränen löste.

Der Wastl weinte ... Warm rieselten ihm die dicken Tropfen über die
Wangen ... und waren wie Frühlingsregen, wohltuend und erlösend.

Auf diesem langen, schweigsam traurigen Weg überdachte der Wastl noch
einmal sein ganzes Leben. So einfach wie es war, rauh und hart und doch
auch schön. Ein kleines Bergbauernbübl war er gewesen, einer von vielen
Kindern, und konnte noch kaum richtig lesen und schreiben, als ihm die
Mutter begraben wurde.

Und deutlich war ihm in dieser Stunde jener erste heiße Schmerz seines
Lebens wieder gegenwärtig. Eine hitzige Krankheit hatte die Mutter
jäh dahingerafft. Etliche Tage bloß, und sie war tot. Doch ehe sie
starb, rief der Vater seine Kinder in die Kammer der Mutter, damit sie
Abschied von ihr nehmen konnten.

Der Wastl sah alles wieder deutlich vor seinen Augen. Bleich und
abgezehrt lag die Mutter in der düsteren kleinen Kammer, welche die
Kinder und den Vater kaum fassen konnte. Dumpf und stickig war die
Luft. Ein Wachsstock brannte in der Nähe des Bettes, und eine alte Dirn
betete laut und mit klagender Stimme. Und der Vater kniete mit seinen
Kindern an dem Lager der sterbenden Frau.

Die Kinder schluchzten laut und herzzerbrechend. Und alle kamen sie,
vom Größten bis zum Kleinsten, zur Mutter und baten um den Segen, den
die schwache Hand kaum mehr zu geben vermochte.

Das war hart gewesen ... Viel schwerer eigentlich als das, was nachher
folgte. Härter, als da man die Tote zu Grabe trug, und härter als jene
Zeit, in der nach Jahresfrist die Stiefmutter ins Haus zog.

Eines nach dem andern hatten sie dann fortgemußt vom Vaterhaus. Als
Kinder noch waren sie zu fremden Leuten in Dienst gekommen und hatten
arbeiten müssen wie die Erwachsenen.

Wie schwer das ist für Kinder, dieser Frondienst ums tägliche Brot!
Die schwachen jungen Glieder tagtäglich im Morgengrauen vom harten
Strohlager erheben, wo es noch so schön gewesen wäre zu schlafen! Bei
Wind und Regen und in der Kälte viele Stunden am Acker zu arbeiten,
bloßfüßig und mit nackten Beinen und blaurot vor Frost; denn man war
ja zu arm, um warmes Zeug zu besitzen, und auch zu arm, um sich ein
zweites Paar Schuhe anzuschaffen. Und dieses eine, das man besaß, mußte
man schonen für den Kirchgang am Sonntag.

Ein karger Lohn war's, der für die Leistung dieser Kinder bezahlt
wurde. Kaum ausreichend im Jahr für ein neues Gewand. Und in all der
Armut, all der harten Arbeit, die viel zu schwer für die weichen
Muskeln der Kinder war, noch die große, brennende Sehnsucht in den
jungen Herzen nach dem eigenen Heim. Diese heiße Sehnsucht, die den
Wastl niemals verlassen hatte von jener Stunde an, da er aus dem
Vaterhaus hatte fort müssen ... bis zu der Zeit, als er mit seiner Vef
in das Gütl vom Göd eingezogen war.

Und jetzt ... Jetzt hatte er sein Heim abgebrochen, ohne Zwang und ohne
innern Trieb ... nur weil sein Weib es so hatte haben wollen ...

Immer weiter entfernten sich die Wanderer von ihrer Heimat. Und immer
lichter und heller wurde es um sie her, bis die Sonne siegreich
und strahlend durch das Gebälke der Wolken brach und die weißen
aufsteigenden Nebel im silbrigen Schimmer leuchteten.

Majestätisch war das ... dieses langsame Ansteigen der hellglänzenden
Nebel ... und war wie ein Vorhang, der einen unendlich großen,
herrlichen Raum zu verhüllen hatte.

Und in all der tiefen Traurigkeit seines Herzens erinnerte sich der
Wastl an die Worte, die sein Weib damals zu ihm gesprochen hatte.
Erinnerte sich an die Vorstellung, die ihr oft gekommen war, wenn
durch die weißen aufsteigenden Wolken die Sonne sieghaft leuchtete.
Wie die Vef sich in ihrem einfachen Sinn einbildete, daß hinter diesem
Wolkengebälk ein schönes, glänzendes Weib sich verborgen hielte ...
eine Königin ... voll Pracht und Glanz.

Eine Königin ... Und hieß Königin Heimat ... Königin Heimat ...

Leise kamen die Worte über die Lippen des Mannes.

Königin Heimat ...

Und noch einmal sprach er sie leise vor sich hin ... voll inniger
Andacht ... wie ein Gebet ...

Und dann überquerte er mit schweren, aber sicheren Schritten die
schmale Brücke, die über den Bach hinüberführte, und lenkte auf den Weg
ein, der von der Gungl abbog und zu dem Teufelssteg hinaufging. Denn
dieser Weg war kürzer. Und hinter dem Wastl folgte sein Weib mit ihren
Kindern. Schweigend und mit leeren, geradeaus gerichteten Blicken und
mit einem toten Herzen.

Denn alle Liebe, die sie einstmals zu der Heimat gehabt hatte, war in
ihr erstorben.




                            Elftes Kapitel


Ein leuchtender Stern war mit Genovefa Perlmoser, verehelichter
Hagspiel aufgegangen. Fast über ganz Europa leuchtete dieser Stern, und
sieghaft erklang ihre herrliche weiche Frauenstimme nicht nur in den
feinen Sälen der großen Städte, sondern auch vor Fürsten und Königen
und Königinnen.

Florian Siegwein hatte, als er die Vef für seine kleine Gesellschaft
gewann, wirklich einen Haupttreffer gemacht. Sie wurde der glänzende
Stern seiner Sängerschar und verdunkelte alle, die um sie waren.

Fünf Jahre waren vergangen seit jenem traurigen Auszug aus der Gungl.
Fünf Jahre! Dem Wastl erschienen sie endlos lange, und er erlebte sie
wie einer, der in Verbannung schmachten mußte. Der Vef aber war es nur
wie ein kurzer, rauschender Traum.

Es war staunenswert, wie diese Jahre die Vef gewandelt hatten.
Ein üppig schönes Weib war sie geworden, voll Reife und hungriger
Lebenslust. Ihr sonniges Wesen, ihr strahlendes Lachen und ihr
urwüchsiger Humor bewirkten, daß ihr wie im Sturme alle Herzen zuflogen.

Es verehrten sie nicht nur die feinen Herren der Stadt, sondern auch
hochgeborene Damen von Rang und Stand liebten und schätzten sie und
nahmen sie gleich einer ebenbürtigen Freundin gastlich in ihrem Hause
auf.

Und staunenswert war es, wie rasch die Vef sich diesem neuen Leben
anzupassen verstand. Wohl blieb sie ihrem Wesen nach die bäuerliche
Frau aus den Tiroler Bergen, aber gerade das bildete einen ihrer
Hauptreize, der sie so schätzenswert und anmutig zugleich machte.

Während ihre beiden Schwestern und ganz besonders die Regina die feinen
Damen der Stadt krampfhaft nachzuäffen suchten, gab sich die Vef
nicht die geringste Mühe, eine andere zu scheinen, als die sie war.
Unverändert blieb sie ihrer Sprache treu, und wenn man ihre Ausdrücke
nicht verstand, dann erklärte sie dieselben in ihrer lustigen,
ungekünstelten Weise. Und hatte dann immer die Lacher auf ihrer Seite.

Es war ein bewußtes Bauerntum, das die Vef zur Schau trug. Sie schämte
sich nicht darob, daß sie ungebildet und unwissend war, daß ihre Art,
sich zu geben, auffiel ... im Gegenteil betonte sie immer wieder ihre
Abstammung und war stolz darauf. Und gerade das war es, was sie frei
und ungezwungen machte und ihr jene selbstverständliche Leichtigkeit
im Benehmen verlieh, die sonst nur den Gebildeten von guter Abkunft
auszeichnet.

Als die Vef zum erstenmal aus ihren Bergen kam und vor die große
Öffentlichkeit trat, da fühlte sie wohl ein leises Unbehagen. Eine
Schüchternheit und Angst vor dem Ungewohnten, die ihr das Blut zu Kopfe
trieb und den Schmelz ihrer Stimme beeinträchtigte.

Die Vef erkannte mit der ihr angeborenen Intelligenz, daß ihre
Schüchternheit ihr zum Verhängnis werden konnte, und kämpfte mit aller
Macht dagegen an. Niemand, der sie jetzt sah und hörte, hätte geahnt,
daß dieses sieghaft stolze Weib, das da auf der Bühne stand und die
Lieder ihrer Heimat mit einer süßen Innigkeit und Hingabe sang, trotz
allem noch immer mit einer inneren Scheu zu kämpfen hatte.

Wie keine der andern verstand sie es gar bald, sich eine ungezwungene
Haltung zu geben, und wie keine der andern trug sie voll Anmut und
Würde die Tracht ihres Landes.

Freilich ... diese Tracht, die der Florian Siegwein für die Damen
seiner Truppe ersonnen hatte, besaß nur mehr geringe Ähnlichkeit mit
den schlichten Gewändern der Heimat. Aber sie war geschickt gewählt
und wirkte in dem strahlenden Licht der großen Säle. Auch die Männer
hatten auf Geheiß des Florian Siegwein ihr Gewand ändern müssen. Aber
sie waren weitaus echter und waren im Vergleich zu den Damen auch
ungezwungener und echter in ihrem ganzen Gebaren.

Der Wastl ganz besonders hatte sich gar nicht verändert. Er blieb der
gleiche ungeschlachte Bauersmann in Rede und Gebärde, der er drinnen
in der Gungl war, etwas schwerfällig von Begriff und langsam und sehr
bedächtig in seinen Äußerungen.

Sich auf ebener Erde zu bewegen fiel ihm schwer. Die Glieder, die
von Jugend an nur das Steigen gewohnt waren, wollten sich nicht mehr
gelenkig abbiegen lassen, und er fühlte sich auf dem glatten Boden der
Straßen so unbeholfen wie ein Kind, das erst das Gehen lernen mußte.

Und rührend unbeholfen war er in den glänzenden, hellerleuchteten
Festsälen, wo die Spiegel an den Wänden glitzerten und die Kleider
und der Schmuck der Damen ihn blendeten. Da wurde es ihm so wirbelig
im Kopf, daß er, der nie in seinem Leben selbst auf den höchsten
Bergspitzen einen Schwindel gekannt hatte, umzufallen vermeinte. Denn
alles drehte sich mit ihm im Kreise, und die Luft und der Lichterglanz
beklemmten ihn, und er fühlte sich tief unglücklich. Er machte gar
keine gute Figur, der arme Wastl, und manchmal sang er in seiner
Verwirrung so falsch und schlecht, daß es den Florian fast gereute, ihn
mitgenommen zu haben.

Aber die Vef brachte ihn dann schon wieder zurecht. Die schimpfte und
greinte mit ihm nach einer jeden solchen Entgleisung so energisch und
zornig, wie sie es in der Gungl drinnen getan hatte.

Völlig wohl tat es dem Wastl, dieses Schimpfen. Das war doch wieder
seine alte Vef, ~sein~ Weib, nicht die gewandte, schöne Frau,
welche all die fremden Leute so verehrten.

Daß diese strahlend schöne Frau ausgerechnet einen solchen Bauer zum
Manne haben mußte, konnten sie alle nicht begreifen. Und wie eine
Klette klammerte sich der Wastl an die Vef, wich nie und für keinen
Augenblick von der Seite seiner Frau, und hatte doch weder Eifersucht
noch Mißtrauen gegen sie. Er vertraute seinem Weibe unbedingt und war
von ihrer großen, unwandelbaren Liebe zu ihm felsenfest überzeugt.

Die Vef hatte einen andern Ton in die kleine Sängertruppe gebracht.
Der Florian Siegwein war jetzt nicht mehr wie ehedem unumschränkter
Herr und Gebieter; denn die Vef widersetzte sich ihm in allen Dingen,
die ihr nicht unbedingt einleuchteten. Ihr starker, ausgeprägter
Wille wollte sich einer Bevormundung, und wenn dieselbe auch in der
besten Absicht geschah, nicht unterordnen. So kam es, daß es jetzt oft
Uneinigkeiten gab ... wo sonst nur Harmonie und Disziplin geherrscht
hatten.

Der Florian Siegwein hatte oft einen harten Stand mit der Vef und
recht viel Arger. Ihr hochmütiger Sinn vertrug es absolut nicht, daß
der Florian der Regina eine Sonderstellung einräumte. Daß die kleine,
unbedeutende Regina Herrin sein sollte, das vertrug die Vef nun einmal
gar nicht.

Es kam oft zum Streit zwischen den beiden Frauen, und die Lage wurde so
unerquicklich, daß es die Regina vorzog, überhaupt nicht mehr mit auf
Reisen zu gehen, solange die Vef dabei war.

Auf die Vef aber konnte der Florian nicht mehr verzichten. Und als ihm
die Vef im dritten Winter ihres Beisammenseins nach einem heftigen
Wortkampf mit der Regina die Alternative stellte, entweder sie oder die
Regina müsse weichen, da entschied sich der Florian im Interesse seines
Unternehmens zugunsten der Vef.

Zum Glücke fügte er seiner Frau keinen sonderlichen Schmerz dadurch zu.
Der Regina gefiel das Wirtin spielen so ungemein gut, daß sie auch in
den Wintermonaten recht gerne daheim blieb.

Der Florian und die Regina hatten nach einer kinderlosen Ehe jetzt
die Aussicht auf Familienzuwachs. Und seit das Kleine da war, blieb
die Regina doppelt gerne zu Hause. Es war ihr doch mit der Zeit etwas
unbequem geworden, so unstet von Ort zu Ort zu wandern und immer, ob
man wollte oder nicht, zu singen. Jetzt, da sie ihr eigenes Heim hatten
und da sie geachtet waren in der Heimat, gefiel es ihr wieder so gut in
den Bergen wie in ihrer Jugend.

Sie verlangte sich gar nicht mehr fort und freute sich innig an dem
Kinde, das ihnen nun doch noch beschert worden war. Alle Zärtlichkeit,
die in ihrem weichen Gemüte vorhanden war, verschwendete sie an ihr
Töchterchen. Spielte mit ihm wie mit einer Puppe und freute sich in den
langen Wintermonaten auf den Frühling, der den Florian brachte und die
Menge fremder Gäste.

Für die Heimat war die Regina also doch wieder zurückgewonnen worden.
Der Kramer Veit sah dies und freute sich von ganzem Herzen darüber und
besprach es auch mit der Notburg. Und er und die Notburg und der kleine
Anderl kamen oft zu der Regina hinauf und plauderten mit ihr.

Ein ehrliches, freundschaftliches Verhältnis war es, das den Kramer
Veit und seine Frau mit der Regina verband, und die Notburg sorgte und
kümmerte sich um die Regina wie eine Mutter um ihre Tochter. Nur der
Anderl, der konnte sich für seine junge Mutter immer noch nicht recht
erwärmen. Die Mutter Notburg sei ihm lieber, erklärte er lachend, aber
mit Bestimmtheit, und es tat der Regina nun auch gar nicht wehe, und
sie warb auch nicht mehr um seine Liebe, da sie einsah, daß sie diese
ja doch nie würde erreichen können.

Die Zenz, die Schwester der Regina, regierte im Haus und tat alle
Arbeit. Sie hatte sich in diesen fünf Jahren zur eigentlichen Leiterin
des Alpengasthofes herangebildet und war unermüdlich tätig von
frühmorgens bis in die späte Nacht hinein.

Die Regina war für eine richtige Arbeit wohl für immer verloren. Von
Jahr zu Jahr wurde sie bequemer und rührte sich nur noch wenig aus der
geräumigen Gasthausküche. Hier schien es ihr ganz besonders gut zu
gefallen, und sie saß am Küchentisch und schälte Kartoffeln. Hatte eine
große färbige Schürze vorgebunden, die ihr feines städtisches Gewand
verdeckte, und schälte unermüdlich ihre Kartoffeln. Eine nach der
andern. Das war die leichteste Arbeit und befriedigte sie vollkommen.

Sie trug jetzt nur mehr die Kleider der feinen Damen und wählte sich
solche in möglichst bunten Farben aus. Je bunter und greller sie waren,
desto größere Freude hatte sie daran. Der Florian brachte ihr, so oft
er heimkam, gleich eine ganze Auswahl von Kleidern und Stoffen mit, und
er kannte den Geschmack seiner Frau und richtete sich danach.

Mit der Zeit büßte die Regina ihre zierliche, schlanke Figur ein, und
das Fett setzte sich, da sie nur wenig Bewegung machte, aber gut und
viel aß, reichlich bei ihr an. Sie wurde rund und schwerfällig, blieb
aber das gutmütige, etwas beschränkte Ding, das sie immer gewesen war.
Sie keifte nicht und zankte nicht und plagte ihren Mann auch nicht
durch ihre Eifersucht.

Nur einen wunden Punkt hatte die Regina, und der war die Sucht nach
Geld. Diese Gier artete beinahe in Geiz aus und überfiel sie oft heftig
wie eine Krankheit. Bei solchen Geizanfällen konnte die Regina höchst
ungemütlich werden, und wenn die Zenz nicht gewesen wäre, die immer
wieder vermittelnd eingegriffen hätte, dann hätte es wohl geschehen
können, daß der Regina oft mitten in der Hauptsaison alle Dienstboten
auf und davon gelaufen wären.

Nichts vergönnte sie dann den Dienstboten und zählte ihnen buchstäblich
jede Kartoffel und jedes Stück Brot in den Mund. Aber die Zenz war der
versöhnende Ausgleich, und da sie und nicht die Regina die eigentliche
Regentin des Hauses war, wachte sie darüber, daß jedes zu seinem Rechte
kam.

Das Alpengasthaus, das der Kramer Veit dem Florl erbaut hatte, war
jetzt schon viel zu klein geworden, um alle die fremden Gäste fassen
zu können, die nun jeden Sommer wiederkehrten. Der Florian hatte schon
einen großen Teil seiner Schuld an den Kramer Veit abgezahlt, und Veit
Galler sann nach neuen Mitteln, um seine noch immer rege Schaffenskraft
zu betätigen.

Er fühlte, es war an der Zeit, das Unternehmen, das er gemeinsam
mit dem Florian Siegwein ins Leben gerufen hatte, zu vergrößern. So
erbaute er denn eine schöne Villa, in der Nähe des Dorfes. Ein feines,
gemauertes Haus, das weiß leuchtete wie die Häuser draußen in dem
stattlichen Dorf. Und hier sollten jene Fremden wohnen, denen es droben
im Gasthof zu lärmend war.

Viel Ruhe fanden ja die Gäste nicht da oben während der Hauptsaison;
denn fast jede Nacht dauerten die Gesänge mit Lautenspiel und die Tänze
bis in den frühen Morgen hinein.

Die Notburg machte Hauswirtin in der Villa, und das Moidele, das Kind
der toten Mena, half ihr bei dieser Arbeit. So unruhig es droben im
Gasthof war, so friedlich und still war es hier unten in der Villa. Und
hatte auch einen wundervollen Ausblick, das Haus des Kramer Veit.

Außerhalb des Dorfes, dort, wo der Weg hinunterführte zu dem
Teufelssteg, stand es. Man hörte das Rauschen und Brodeln des wilden
Gebirgsbaches, und die Luft hier war besonders frisch, und abends pfiff
es eisig von den Fernern herüber.

Es war seltsam, wie gut sich die Notburg in all den Jahren erhalten
hatte. Wohl war ihr Haar jetzt schlohweiß geworden, aber ihr ernstes
Gesicht war noch immer schön, und die hellen Augen hatten einen warmen,
mütterlichen Ausdruck. Der herbe, festgeschlossene Mund war milder und
weicher geworden, und ein zufriedenes, stilles Glück ging von dieser
Frau aus.

Veit Galler, der Krämer, hatte recht getan, als er damals das fremde
Kindl seinem Weibe heimgetragen hatte. Es hatte ihnen beiden das
Glück gebracht und jene Wärme, die der Mann so sehr hatte entbehren
müssen. Man fühlte sich jetzt wohl in der Nähe dieser Frau, und ihre
mütterliche Sorge umgab alle, die um sie waren.

Einen großen Schatz von Liebe und Fürsorge barg dieses Frauenherz und
hatte nur einmal verkümmern müssen, so daß es erstorben schien. Jetzt
aber, da das Schicksal ihr ein spätes Glück beschieden hatte, da sie
für den Mann und auch für ein Kind sorgen durfte, jetzt erst erschloß
sich der ganze Reichtum dieses Herzens und wuchs von Jahr zu Jahr.

Auch das Moidele hatte in dem Haus des Kramer Veit eine Heimat gefunden
und in der Notburg eine Mutter, die sie belehrte und für sie sorgte.

In der Villa des Kramer Veit wohnten auch der Wastl und seine Frau. Es
war merkwürdig, wie wenig die Notburg mit der Vef anzufangen wußte.
Fast war's wie Mißtrauen und schlecht verhehlte Abneigung, welche die
Notburg gegen diese Frau empfand.

Sie konnte es nun einmal nicht fassen, daß eine Mutter ihre Kinder
im Stiche ließ, um Gold und Ehren nachzujagen. Am liebsten hätte sie
der Vef das Obdach verweigert, aber das konnte sie nicht wegen der
Freundschaft mit dem Florian Siegwein. Die Vef hatte sich mit der Zeit
zu einer Machtstellung emporgearbeitet und war für den Florian jetzt
völlig zu einer Tyrannin geworden. Sie war sich ihres Wertes für ihn
vollkommen bewußt und handelte auch danach.

Der Wastl ging in der Heimat geduckt und gequält einher. Er war wohl
der einzige der kleinen Sängerschar, der das Arbeiten nicht nur
nicht verlernt hatte, sondern dem die Arbeit auch noch ein Bedürfnis
geblieben war. All die Zeit, die sie in der Heimat weilten, fühlte
sich der Wastl doch wieder wie von einem schweren Alpdruck befreit.
In dieser Luft konnte er wieder leichter atmen und fast so gut und
traumlos schlafen wie vor Jahren.

Er half dem Kramer Veit, wo er nur immer konnte, griff ungeheißen bei
jeder Arbeit zu und scheute vor nichts zurück. Wie ein Knecht schuftete
der Wastl von früh bis spät für den Kramer, bis es dann wieder mit
einem Male über ihn kam. Jenes alte Elend, unter dem er immerwährend
litt ... die Sehnsucht nach dem eigenen Herd und die Sehnsucht nach
seinen Kindern.

Das überfiel den Mann so jäh und heftig wie eine Krankheit, so daß er
an allem die Lust verlor und tagelang nur vor sich hinbrütete ... mit
keinem Menschen sprach und auch nichts arbeitete.

Dann strich er einsam über die Wiesen und starrte stundenlang in die
Richtung, wo in der Ferne die Berge aus der Gungl herübergrüßten. Und
dann wieder wanderte der Wastl und legte weite Wege zurück. Und kein
Mensch wußte, wohin er ging.

Kein Mensch ... außer dem Kramer Veit. Der ahnte, daß der Wastl
Ausschau hielt nach einem neuen Heim ... aber er wußte genau, daß alle
Mühe, je wieder einen eigenen Herd zu gründen, vergebens sein würde. Er
wußte: die Vef hatte die Lust an der Bauernschaft für immer verloren
... und er wußte: sie hatte auch die Liebe zu ihren Kindern eingebüßt.

Wie wenig sich diese Frau überhaupt um ihre Kinder kümmerte! Mit
Ingrimm sah es die Notburg und besprach es auch mit ihrem Manne.

Die Vef schämte sich ihrer Kinder vor den vornehmen Fremden, schämte
sich, daß sie so derb und unwissend waren, und bestand mit der ihr
eigenen Energie darauf, daß der Wastl die beiden Buben von den
Großeltern fortnahm und sie in ein Institut brachte. Dort sollten sie
Bildung lernen und Städter werden. Und als der Wastl, gehorsam wie
immer, ihr auch diesen Willen tat, da nahm sich die Vef fest vor, ihrem
Manne einmal klipp und klar zu erklären, wie sie sich ihre Zukunft von
nun ab vorstellte.

Das war, als der Wastl wieder einmal seinen trübsinnigen Anfall hatte
und sich tagelang nicht sehen ließ. Er ging der Vef absolut nicht ab,
der Mann, und sie machte sich auch keine Sorgen um ihn. War froh, daß
sie ihn ein bissl los hatte und sie sich droben im Gasthaus ungestört
mit ihren Freunden unterhalten konnte.

Daß sich ihr Mann gar so getreulich an ihre Fersen heftete, das paßte
der Vef schon längst nicht mehr. Er hinderte sie in ihrer Freiheit,
und seine traurige, stille Art reizte sie. Sie fühlte seinen stummen
Vorwurf und wußte, an welcher Sehnsucht er krankte.

In diesen letzten Jahren waren sich Mann und Frau innerlich immer
fremder geworden. Denn auch die Vef machte den Mann für ein verfehltes
Leben verantwortlich. Sie fühlte sich durch ihn gebunden und lechzte
förmlich nach ihrer Freiheit. Was bedeutete ihr, der gefeierten Frau,
noch dieser einfältige Bauer, dem das Leben, das sie führten, eine
fortgesetzte Pein war? Was waren ihr die Kinder, die sie ihm geboren
hatte? Einmal ... ja, da hatte sie diese Kinder liebgehabt. Von ganzem
Herzen.

Und um dieser Kinder willen ... so redete sie sich ein ... war sie
in die Welt gezogen. Jetzt aber waren ihr die Kinder fremd geworden,
und sie fühlte wenig mehr, als einzig nur die Last, sie versorgen zu
müssen. Die Liebe, die sie einstmals mit dem Wastl verbunden hatte, war
erkaltet. Und mit dieser erstorbenen Liebe war auch die Zuneigung zu
ihren Kindern verschwunden.

Dem Kramer Veit machte das verstörte Wesen des Wastl ernste Sorge. Er
teilte auch der Vef seine Besorgnisse mit, und das war's, was die Vef
dazu brachte, einmal offen mit ihm über ihren Mann zu reden.

Es ging schon wieder gegen die Neige des Sommers, und droben im
Gasthaus traf der Florian Anordnungen für die neue Winterreise. In der
Villa des Kramer Veit, die er zum Teil selbst bewohnte, saßen sie im
Abenddämmer in der gut eingerichteten Wohnstube und warteten auf den
Wastl. Die Notburg und der Anderl und der Veit und die Vef.

Es war Zufall, daß die Vef sich einmal in der Wohnstube der Notburg
aufhielt. Für gewöhnlich mied sie den Umgang mit dieser Frau genau so,
wie ihr die andere auswich. Sie hatten sich herzlich wenig zu sagen,
diese beiden Frauen; und wenn sie jetzt scheinbar in voller Harmonie
nebeneinander saßen, so war das lediglich dem Umstand zu verdanken,
daß das Moidele, von der Notburg geschickt, die Vef vom Alpengasthof
heruntergeholt hatte.

Die kleine Toni, die bei den Kirchenmäuseln untergebracht war,
lag krank und hatte ein hitziges Fieber. Eines der beiden alten
verhutzelten Weiblein war noch am späten Nachmittag gekommen und hatte
der Notburg die Botschaft gebracht. Und diese hatte dann das Moidele
sofort zu der Vef geschickt, da der Wastl wieder einmal tagelang
fortgeblieben war.

Die Vef war zu ihrem Töchterchen geeilt und fand dieses glühheiß und im
Fiebertraum. Das erzählte sie jetzt, und der Kramer Veit erbot sich,
noch in dieser Stunde zu dem Arzt zu gehen, der draußen im Tal in dem
großen Dorf wohnte.

Es regnete in Strömen, und die Nebel legten sich dicht und schwer von
den Bergen herab. Die Notburg machte ein besorgtes Gesicht; denn sie
sah es nicht gerne, daß ihr Mann stundenlang der Unbill der Witterung
ausgesetzt war. Wenn er auch rüstig und noch ungebrochen war, der Veit,
der allerjüngste war er ja trotzdem nicht mehr und auch nicht mehr so
widerstandsfähig wie in früheren Jahren.

In der Vef regte sich das Gewissen, und sie war aufgeregt und sehr
beunruhigt. Dieser Erregung machte sie Luft, indem sie heftig über den
Wastl zu schimpfen anfing.

»A so a spinnet's Mannsbild!« brach die Vef über eine Weile die tiefe
Stille, die sich fast beängstigend über die Stube gelegt hatte ...
»Rennt grad' umadum und laßt nix sehen und nix hören von sich. Daß
grad' i an söllen Tolm hab' derwischen müssen!« sagte sie unwirsch und
voll Vorwurf.

Sie gaben ihr keine Erwiderung. Weder der Veit, noch die Notburg.
Hielten sich zurück und schauten schweigend vor sich hin. Der Anderl
aber, der ein halbwüchsiger Bursch war, schlank und schmächtig, konnte
sich nicht enthalten und erwiderte der Vef resolut und frech nach
Jungenart.

»Kümmerst di ja sischt aa blutswenig um ihn. Brauchst iatz aa nit grad'
schimpfen anz'heben.«

»I schimpf' ja nit!« meinte die Vef ruhiger. »Aber hergehn soll er,
bald man ihn braucht.«

»Braucht'n koa Mensch nit!« erklärte der Anderl. »Kann do nit helfen.
Und an Doktor derholen wir aa no fürs Tonele.«

»Könnt' ja oaner von oben abi giahn ins Dorf!« meinte die Notburg
über eine Weile. »Sein ja g'nuag sölle junge Löder oben. 's Kind kann
man nit ohne Hilf' lassen über Nacht!« fügte sie bedenklich und voll
Mitleid hinzu.

Der Anderl war schon bei der Tür draußen und lief so rasch er konnte in
dem strömenden Regen hinauf zum Alpengasthof. Ein warmherziger Bub war
der Anderl, voll Mitgefühl für das Leid der andern.

Die Vef war doch recht unruhig über ihr krankes Kind. Je dunkler es
wurde, desto ungemütlicher wurde es ihr. Sie hielt das ruhige Sitzen
und Herwarten nicht mehr aus. Stand auf und schaute durchs Fenster. Sah
die schweren, dunklen Wolken, die sich beklemmend und drückend übers
Tal senkten, und schwer legte sich ihr die Angst aufs Herz.

»Wird wohl nit g'fährlich krank sein ... 's Tonele?« frug die Vef über
eine Weile. Heiser und stockend kam ihr die Frage über die Lippen. Sie
erschrak über den Klang ihrer eigenen Stimme. So fremd und hohl und
ungewöhnlich laut kam er ihr vor.

Und wieder erhielt sie keine Antwort. Weder vom Veit, noch von der
Notburg. Die saßen am Tisch in der Wohnecke, und der Veit stützte seine
Arme schwer auf die Platte. Es war unerträglich für die Vef, dieses
Schweigen. Daß diese beiden alten Leute auch gar nicht reden wollten.
Und daß der Wastl gar nicht herging, wenn sie einmal wirklich Verlangen
nach ihm trug.

»Meinst, Notburg ... 's Tonele wird wieder?« wandte sich die Vef mit
ihrer Frage direkt an die Frau, die reglos an der Seite ihres Mannes
saß. Ihr schlohweißes Haar hob sich hell ab in dem Dämmer der Stube, so
daß es beinahe leuchtete.

Die Notburg zuckte die Achseln. »Woaß nit!« sagte sie trocken und ohne
Mitgefühl.

Sie empfand auch nur wenig Mitleid mit der Vef. Geschah ihr schon
recht, wenn sie es auch einmal mit der Angst zu tun bekam und mit dem
Gewissen. Ganz recht geschah ihr. Sollte nur leiden ... das Weib!

So dachte die Notburg und schaute hart und strenge auf das ruhelose
junge Weib, das in ihrer Stube, von innerer Qual getrieben, unruhig
umherging.

Und wieder herrschte Schweigen in der Stube. Und immer ruheloser ging
die Vef in dem Zimmer herum und schaute dann wieder abwechselnd zum
Fenster hinaus.

»Könnt's koa Licht nit machen?« frug sie über eine Weile in ihrer
herrischen Art. »Man g'siecht ja nix mehr.«

Schweigend stand die Notburg auf und zündete eine schöne Lampe an,
die über dem Tische hing. Es machte alles in der Stube den Eindruck
von Behagen und bürgerlicher Wohlhabenheit. Ohne Prunk, schlicht und
einfach hatte es der Kramer Veit eingerichtet, so wie es zu diesen
Leuten und ihrer Umwelt paßte.

Die Vef trug nun für gewöhnlich nicht mehr die Tracht ihrer Heimat,
sondern hatte städtische Gewänder angelegt. Im Gegensatz zur Regina
aber wählte sie stets dunkle, unauffällige Farben und war ohne
Schmuck und Zier. Auch heute trug die Vef ein einfaches, aber elegant
geschnittenes Kleid, das ihre volle Figur zur besten Geltung brachte.
Ihr Gesicht war bleich, und dunkel und aufgeregt flackerten die
hellen, sonst so strahlenden Augen. Das blonde Haar trug sie wie immer
zur Krone um den Kopf gelegt, und weich schmiegten sich vereinzelte
Löckchen um ihre feine Stirn.

Der Kramer Veit war alt geworden in diesen Jahren. Alt und sorgenvoll,
aber aufrecht und noch immer kraftstrotzend. Viele Furchen durchzogen
die breite, etwas brutale Stirn, und das derbe, dröhnende Lachen kam
jetzt nur selten mehr über seine Lippen. Er hatte eine nachdenkliche
Art, der Veit, und war schweigsamer und viel zurückhaltender wie in
früheren Zeiten.

Jetzt, nachdem das Licht entzündet war und sein heller Schein das
geräumige Zimmer angenehm erleuchtete, saßen die drei Menschen wieder
schweigend beisammen. Die Vef zwang sich dazu, ruhig zu scheinen, und
doch pochte ihr das Herz fast hörbar und raubte ihr beinahe den Atem.

Immer wieder sah sie ihr krankes Kind, wie es fiebernd in seinem
armseligen Bettchen lag, die Wangen hochgerötet und die großen dunklen
Augen glänzend und angstvoll. Hatte wenig Liebe in seinem jungen
Leben genossen, das Tonele ... und wußte nichts von Muttersorge
und Zärtlichkeit. Wenn die Vef zu ihr kam, so wich ihr das kleine
fünfjährige Mädele scheu aus wie einer Fremden; denn sie hatte Angst
vor der Mutter, die so nobel war und ganz anders gebietend und anders
in ihrem Wesen wie alle die Bäuerinnen, die sie kannte.

Der Kramer Veit schaute unverwandt und scharf beobachtend auf die Frau
mit dem blassen Gesicht und den angstvollen Augen. Dann hub er auf
einmal zu reden an. Ruhig und sachlich, wie es seine Art war.

»Vef!«

Das Wort schreckte die Frau aus ihrer quälenden Nachdenklichkeit auf.

»Kimmt dir nit für, Vef ... du g'hörest jetzt wo anders hin?« frug
der Veit langsam und eindringlich, aber in dem gütigen Ton eines
nachsichtigen Vaters.

Einen Augenblick war es, als senkte die Frau reuevoll ihren schönen,
fein geformten Kopf. Nur einen kurzen Augenblick. Dann schaute sie
gleich wieder herrisch wie immer auf den Mann, der diese vorwurfsvolle
Frage an sie gewagt hatte.

»Wie meinst?« frug sie scharf und sah mit herausfordernden Blicken auf
Veit Galler.

»I mein' ...« sagte der Kramer sehr gelassen ... »daß eine Mutter ...
und wenn sie auch die vielbewunderte Vef ist ... zu ihrem kranken Kind
g'hört. Und i mein' no mehr!« setzte er mit Nachdruck hinzu. »Willst
hören, Vef ... was i no mein'?«

Der Kramer hatte sich erhoben, breit und wuchtig, und pflanzte sich
vor der Frau auf. Mit ruhigen, kalten Augen schaute die Vef zu ihm
empor. Hatte die Hände lässig in den Schoß gelegt und die Lippen fest
aufeinander gepreßt.

»Vef ...« fing der Kramer abermals zu reden an, und seine Stimme klang
gut und weich. »Leicht nutzt's eppas ... wann i heut' zu dir red'.
Kann sein, daß die Angst um dei' Kind dich zur Besinnung bringt. Kann
sein aa nit. Aber siegst ... so wie du jetzt bist und lebst ... bringst
euch ins Unglück. Hast kein Haus und kei' Dach und kein' Mann und kei'
Kind mehr. Kennst nur mehr eins ... dich selber! Das ist's, Vef! Grad
das allein! Die Lieb zu dir selber. Ist alles g'schwunden bei dir,
kommt mir für ... alles ... nur nit die Eigenlieb. Und siegst, Vef ...
wann eins aufhört, für andere Menschen zu leben und ein's nur alleweil
sich selber zum Mittelpunkt im Leben macht ... aft ist's grob g'fahlt.
Das ist koa Glück nit ... das ist a Rausch. 's Glück schaut anders aus,
Vef. Frag' mei' Weib ... die Notburg ... was Glück ist. Die kann dir's
sagen. Hat lang warten müssen drauf ... die Haut ... bis es kommen ist
zu ihr. Aber es ~ist~ kommen. Weil sie gedient hat dafür. Und
kommet aa zu dir, Vef ... wann du möchtest!«

Der Kramer Veit hielt eine Weile mit reden inne und fuhr sich mit der
Hand über die Stirne, als müsse er eine böse Erinnerung aus seinen
Gedanken verscheuchen. Unverwandt und wie hypnotisiert schaute ihm
die Vef in die Augen, preßte die blassen Lippen fest aufeinander,
unterbrach ihn aber mit keinem Wort.

»'s war' no nit zu spat für enk ...« sagte der Kramer eindringlich und
legte seine derbe Arbeitshand schwer auf die Schulter der Frau ...
»wann du grad wollen tatest, Vef. Schau dein' Mann an, den Wastl! Kann
sein, daß du koa Lieb mehr hast für ihn. Aber er ... ~er~ hat di
gern, Vef! Kennt ... kimmt mir für ... koan Herrgott und koan Heiligen
nit ... als grad sei' Weib.« Und jetzt erhob der Kramer Veit seine
Stimme, und sie klang drohend und mahnend zugleich. »Vef! A söllene
Liab wirft man nit fort. Weil's eppas Seltenes ist und fast heilig. Und
oans sag' i dir! Schau ... daß es anders wird zwischen dir und dein'
Mann. Besinn' dich, daß du sei' ~Weib~ bist und die Mutter von
seine Kinder. Könnt' sein, daß er ein schlecht's End' nimmt ... der
Wastl ... könnt' sein ... daß dir dann die Reu' kimmt ... bald's zu
spat ist.«

Die Vef hatte, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken, zugehört.
Reglos saß sie vor dem Mann und war noch blässer wie zuvor.

Und einen Augenblick lang schaute sie dann nachdenklich zu Boden. Und
dann erhob sie sich, und stolz und aufrecht stand sie vor dem Kramer
Veit und sah ihm ernst in die Augen.

»Soll wohl wieder Bäurin machen, meinst?« frug sie ruhig, aber ohne
Schärfe.

»Braucht nit zu sein.« Der Veit hob die Schultern leicht. »Könnt' aa
sein ...«

»Veit ...« Die Vef ließ ihn nicht ausreden. »Gib dir koa Müh' nit. Grad
du solltest es besser verstehn, wie mir ist. Grad du! Glaubst wirklich,
daß a Weib wie ich noch g'schaffen ist für an Bauersmann? Glaubst nit
... daß es besser wär' ... besser für mi ... und aa für ihn ... wenn er
mich meine Weg' allein gehn ließ'? War' hart für ihn ... i gib's zu
... aber nur für a kurze Zeit. So hängt er sich an mich wie a Kletten
und lebt a Leben, das ihn umbringt. Das Leben aber ist Leben für
mich .. ich brauch's, und er verdirbt dabei. Veit ...« sagte die Vef
entschlossen ... »wann du dem Wastl wirklich was Gut's tun willst ...
dann bring' ihn dazu ... daß er wieder a Bauer wird. Soll mich lassen
und die Kinder zu sich nehmen. 's war' aft nit viel anders ... als wenn
i g'storben wär'. Und wenn er's tät', aft war's a wirkliche Liab ...
kimmt mir für.« --

Noch in später Nacht kam der Wastl nach Hause. Müde und bis auf die
Haut durchnäßt. Und ging noch in derselbigen Stunde mit seinem Weib ins
Dörfl hinein, wo das Tonele zum Sterben lag.




                           Zwölftes Kapitel


Sie blieben die ganze Nacht bei dem kranken Kinde und wachten bei ihm.
Der Doktor kam zu später Stunde, untersuchte das Kind sorgfältig und
sprach ihm das Leben ab.

Eine schwere Halsbräune hatte das Tonele befallen, und mühsam rang
das Kind nach Atem. Die beiden alten Weiblein, die bisher das Tonele
betreut hatten, machten verzagte Gesichter. Sie verstanden nicht
viel von Krankenpflege und standen den Anordnungen des Arztes völlig
verständnislos gegenüber.

Dumpf und schwer war die Luft in der länglich schmalen Kammer, in der
das kranke Kind lag, und die Vef riß Türe und Fenster auf, um dem Kind
Erleichterung zu verschaffen.

Etwas von dem Geiste der Vef, wie sie vordem gewesen, war in dieser
Nacht wieder in der Frau wach geworden. Jetzt war sie mit einem Male
wieder die umsichtig sorgende Mutter, die sie drinnen in der Gungl
gewesen war. Sie hieß die beiden alten Weiblein, die ihr im Wege waren,
aus der Kammer sich entfernen. Freundlich, aber sehr bestimmt sagte sie
es ihnen. Sie sollten ausruhen, und wenn sie ihrer bedürfte, dann würde
sie sie holen kommen. Und sie und ihr Mann würden bei dem Kinde bleiben
bis zuletzt.

Wie hart das war, dieses Sterben des Kindes. Der Wastl saß in einem
Winkel und verdeckte sich die Augen. Er konnte den Todeskampf nicht mit
ansehen. Das Tonele bäumte sich und rang nach Luft, und dann wieder
faltete es betend die kleinen rauhen Hände und konnte doch nicht
sprechen. Und war blaurot im Gesichtchen und röchelte und wehrte sich
verzweifelt gegen den Erstickungstod.

Und doch wieder mußte der Wastl aufschauen ... hinüber zu dem Bettchen
des Kindes ... zu seinem Weibe ... das in dieser Stunde wieder zur
Mutter geworden war. Als ob sie all die Jahre, in denen sie dieses
Kind vernachlässigt hatte, einbringen müßte, so zärtlich und liebevoll
umsorgte sie es.

Sie kniete an dem Bett des Kindes, bleich und ernst, und starrte
unverwandt auf das zermarterte Gesichtchen. Und wenn die Not des Kindes
sich steigerte und es sich bäumte und wand und die kleinen Hände sich
hilflos in der Luft krampften ... dann nahm die Vef mit starkem Arm
ihr Kind zu sich und barg es an ihrer Brust. Fand kein Trosteswort
und kein Gebet ... und keine Träne. Aber die Hand, mit der sie die
glühheiße Stirn des Kindes liebkoste, war lind und weich und beruhigte
es. Die Todesqual in den Augen des Kindes linderte sich, und es schaute
verwundert und beinahe froh. Zum ersten Male in ihrem jungen Leben
fühlte das Tonele die Nähe einer Mutter ... fühlte ihre Liebe und ihre
Sorge.

Und das machte ihr den Tod leichter ... denn als er kam ... lag sie im
Arm der Mutter, und ihr zuckender, kleiner Körper krampfte sich Schutz
suchend an ihrer Brust.

Und die Vef hielt die Leiche ihres Kindes ... solange, bis die Wärme
aus ihm gewichen war ... wortlos und mit trockenen Augen. Und dann
legte sie das Tonele auf sein armseliges Bettchen, kniete vor ihm hin
und schluchzte laut auf, aber ohne Tränen.

Ein kleines Öllicht brannte auf der Kommode, die in der Nähe des
Bettchens stand. Und eine geweihte Wachskerze ... die hatte der Wastl
angezündet, als es zum Sterben kam. Und jetzt stand der Wastl neben
seinem Weib am Bett des toten Kindes und versuchte sie zu trösten.

»Vef!« Mehr brachte er nicht heraus; denn es würgte und stieß ihn, und
wie ein wundes Tier warf er sich über die Leiche des Kindes und weinte
laut. Weinte seinen ganzen Schmerz sich von der Seele ... sein ganzes
Leid und das Elend seines Lebens.

Und als die Vef diesen elementaren Ausbruch tiefster Herzensnot
vernahm, der so unbändig wild war und fast nichts Menschliches mehr
an sich hatte, da trieb es das Weib fort. Sie floh ... wie von Furien
gepeitscht von der Seite ihres Mannes ... hinaus ins Freie ... in den
Regen und die Kälte eines frühen Herbstmorgens. Und lief hinüber zu
der Notburg und warf sich zu Füßen der Frau und barg den Kopf in ihren
Schoß.

»Notburg! Notburg!«

Das war alles.

Und die Frau erkannte die Not dieser Stunde und war gut zu der Vef.
Beugte sich über die Verzweifelte und streichelte ihr weich wie einem
Kinde über das blonde Haar. Sie sagte kein Wort, aber ihre innere Güte
legte sich warm auf das Herz des hart ringenden Weibes ...

Sie hatten das Tonele schön aufgebahrt in der Stube der beiden alten
Jungfern. In einem weißen Kleidchen, das die Notburg genäht hatte,
lag das Kind da, und ein weißes Kränzlein schmückte das dunkle Haar.
Und friedlich, wie schlafend sah das Tonele aus, hatte die Händchen
gefaltet und einen glückseligen Zug in dem wachsbleichen Gesichtchen.
Zwei Kerzen brannten zu ihren Häupten, und Blumen waren über die weiße
Decke gelegt. Und die Nachbarn kamen, um an der Leiche des Kindes zu
beten und sie zu ehren.

Die alten verhutzelten Jungfern gingen im Hause umher, so lautlos und
still, als sie es nur vermochten. Hielten den Rosenkranz in den welken
Händen, aber machten verzagte, hilflose Gesichter und hatten feuchte
Augen. Und dankten allen, die gekommen waren, das tote Tonele zu ehren.

Armes Tonele! Wenn sie's doch erlebt hätte, diese Ehrung! Unbeachtet
war sie herumgeschlichen ... überall und allen im Wege ... und überall
und bei allen überflüssig.

Sie waren immer gut mit dem Kinde gewesen, die beiden Kirchenmäuseln,
und hatten ihr nie ein böses Wort gegeben. Und doch fühlte es das
kleine Mädele mit dem feinen Gefühl des verlassenen Kindes, daß sie
nur eine überflüssige Last für alle bedeutete. Scheu drückte sie
sich in den Winkeln des Hauses herum, spielte einsam in dem kleinen
Garten und wich allen aus. Sah alle, die sie ansprachen, mit großen,
furchtsamen Augen an und blieb meistens die Antwort auf die Fragen
schuldig, die man an sie gerichtet hatte. Zu niemandem faßte das Kind
Zutrauen, und für niemanden hatte sie eine herzliche Liebe.

Und nun, da sie gestorben war, da war sie zu Ehren gekommen. Ihr Vater
weinte um sie, und ihre Mutter und die Großeltern vom Perlmoserhof. Und
die Julie kam und die Rosina und brachten ihr Blumen, und hatten doch
so selten ein gutes Wörtl übrig gehabt für das einsame Kind ...

Der Kramer Veit hatte sich des Wastl angenommen. Nachdem sie die
Kleine begraben hatten, hatte Veit Galler, der Kramer, den Wastl am
Arm genommen und war mit ihm hineingegangen in die Gungl. Er wußte gar
wohl, was dem Mann jetzt not tat.

Ein paar Tage sollte der Wastl wieder drinnen leben in der alten Heimat
und sich an seinem ältesten Buben freuen. Der Martl gedieh und blühte
und wuchs, daß es eine Freude war. Und war so ganz das lebfrische
Bauernbübl, wie es der Wastl und auch der Veit einmal selber gewesen
waren.

Und drinnen in der Gungl, in dem Heim des alten Göd, da sprach der
Kramer Veit mit dem Wastl. Redete ernst mit ihm, wie ein Mann zum
andern.

»Schau, Wastl ...« sagte er, als die beiden eines Abends allein vor der
Hüttentür saßen ... »i mein' dir's gut. Lass' jetzt die Vef ... leicht
wird's wieder alles gut zwischen enk zwoa. Bleib' du daheim. Geh'
nimmer außi in die Welt. Du paßt nit dafür. Kimmt mir für ... sie hat
no alleweil an guten Kern ein, die Vef. Hat's halt, wie i's selber amal
g'habt hab', an Unruh' ... die sie forttreibt. Bin aa anders g'worden
mit die Jahr' und wieder a ganz seßhafter Mensch. Überwind' di, Wastl,
und bleib' bei uns da. I hab' Arbeit g'nug für di, und nachher ...
in an Jahr a zwoa übernimmst a Gütl und nimmst deine Buben zu dir.
Probier's halt, Wastl ... Bleib' daheim!«

Es war eine herrlich stille Nacht. Eine jener festlich hellen
Septembernächte, in denen auf sammetdunklem Teppich die Milliarden
Sterne unruhig fiebrig glitzern und funkeln, und der Mond sein kaltes
und doch so prunkvolles Silberlicht über die Berge verschwenderisch
ausgießt.

Man konnte alles deutlich unterscheiden, und alles schien in kalter
Pracht verklärt in dem hellen Schein des Mondes. Die kleine Hütte mit
ihrem windschiefen, steinbeschwerten Schindeldach ... die ragenden
Felswände und nahen Felsblöcke, die steilen Mahden und der brausende,
weißschäumende Bergbach. Sein Rauschen und Brodeln hatte in der
heiligen Stille der Nacht etwas Feierliches, und doppelt friedlich und
fast weihevoll lag ringsum die Natur.

Gar nichts hatte sich in der Gungl verändert, war alles ganz genau
so, wie es der Wastl damals hinterlassen hatte. Das Holz war als
Wintervorrat rings um die Hütte aufgeschichtet wie ehemals, nur waren
die Leute jetzt andere, die in der Hütte hausten. Und führten genau
dasselbe Leben, das der Wastl und die Vef auch geführt hatten. Etliche
kleine Kinder schrien und kreischten und krabbelten in der Stube und
Küche herum. Und das junge Weib des Jackl drinnen in der Hütte betreute
ihre Kinder und hantierte in der Küche herum, und zankte dann und wann
mit ihnen und dem Mann. Genau so wie damals des Wastls Weib, die Vef.

Wie in einem wachen Traum kam sich der Wastl vor, als er jetzt mit
dem Kramer Veit vor der Hütte saß. Mußte sich Mühe geben, um daran zu
glauben, daß es jetzt anders war, daß er hier als ein Fremder zu Besuch
weilte, und daß die schreienden und zappelnden Kinderchen in der Hütte
drinnen nicht die seinen waren.

Wie ausgelöscht erschienen ihm diese letzten fünf Jahre, ausgetilgt aus
seinem Leben, und es war ihm, als sei es erst gestern gewesen, daß er
als Bauer hier gearbeitet hatte. So innerlich ruhig und gefaßt war der
Wastl lange ... lange nicht mehr gewesen wie in diesen letzten Tagen.

Und die gute Rede des Kramer Veit fiel heute auf einen fruchtbaren
Boden. Wohl viel mehr, als es der Fall gewesen wäre, wenn die Vef ihre
Absicht hätte zur Ausführung bringen können, mit dem Wastl über ihre
Zukunft zu sprechen.

Der Wastl dachte tief und lange darüber nach. Vielleicht hatte der
Kramer recht. Wenn er sich trennte von der Vef ... vielleicht rief er
dann die Sehnsucht nach ihm in ihr wach. Denn trotz ihrer abweisenden
Kälte, trotz der Gleichgültigkeit, die sie für ihre Kinder bis jetzt
gehabt hatte ... alle Liebe zu ihnen war doch nicht erstorben. Das
hatte der Wastl durch den Tod des kleinen Tonele erfahren.

Und der Wastl dachte und hoffte, daß vielleicht doch noch ein kleiner
Rest von der alten Liebe zu ihm in dem Herzen seines Weibes vorhanden
sein könnte. Fand sich nur schwer zurecht mit seinem Gedankengang, der
Wastl, und war froh, daß der Kramer Veit so wortlos still an seiner
Seite saß und ihn mit keinem Wort aus seiner Nachdenklichkeit störte.

Und endlich hub der Wastl zu reden an.

»Moanst ... Kramer ...« begann er langsam und schwerfällig ... »'s
könnt' der Vef lieb sein ... wann i bei die Kinder bleiben tat'?«

»I moanet schon!« bestätigte der Kramer gleichfalls sehr ernst und
nachdenklich. Und wieder versenkte sich der Wastl in seine eigenen
Gedanken.

»Leicht war's ... weil sie sich g'schamt hat mit mir?« fing er dann
neuerdings zu reden an, und mit bangen Blicken schaute er auf den
Kramer, um in dessen Gesicht die Antwort abzulesen.

»Kann sein!« bestätigte der Kramer kurz und hüllte sich leicht
fröstelnd in den dunklen städtischen Überrock, den er auch hier noch
immer zu tragen pflegte. »Kann sein.«

Der Wastl stützte die Arme schwer aufs Knie und verdeckte sich die
Augen mit seinen beiden Händen. Und sagte lange nichts mehr.

»Wann i's wisset ...« hub er dann neuerdings sehr langsam zu reden an
... »ganz bestimmt wisset ... daß sie wieder kommet zu mir ...« heiser
und gepreßt kam jedes Wort aus der Kehle des Mannes, so daß es war, als
müsse er den Laut gewaltsam hervorstoßen ... »i bringet dös Opfer ...
i tat's, Veit. War' hart ... aber i tat's!« wiederholte er dann noch
einmal.

Er konnte sich eine Trennung von der Vef noch immer nicht vorstellen.
Konnte nicht begreifen, wie sein Leben sein würde ohne dieses Weib, das
ihn nach wie vor in allen seinen Sinnen gefangen hielt. Je abweisender
die Vef mit ihm gewesen war, desto treuer und unterwürfiger war er
ihr. Und je heftiger und glühender seine Sehnsucht nach ihr war, desto
widerwärtiger wurde er ihr.

Auch der Tod ihres Kindes hatte da keine Änderung in ihren Gefühlen
bewirkt. Folternde Gewissensbisse hatten das Weib in jener Nacht zu
Füßen der Notburg getrieben. Reue und ein übermächtiges Mitleid mit
dem kleinen Wesen, dem sie nie eine Mutter war. Aber ihr Durst nach
Erleben, ihre Sehnsucht, zu genießen ... ein freies, unabhängiges Weib
zu sein, waren so gewaltig und stark in ihr, daß sie jede andere Regung
niederrangen und ertöteten ...

Als der Wastl und der Kramer Veit wieder aus der Gungl ins Dörfl
zurückkamen, da hörten sie, daß die Vef mit ihren beiden Schwestern
abgereist war. Und die Notburg überbrachte dem Wastl die Botschaft
seines Weibes: er möchte ihr nicht folgen und ihr auch nichts verargen.
Aber hierher zurückkehren würde sie nie mehr wieder.

Trotz aller guten Vorsätze, die der Wastl in der Gungl drinnen gefaßt
hatte, traf es ihn doch recht hart. Er duckte sich, als ihm die Notburg
in ihrer ruhigen und guten Art die Worte der Vef sagte, wie unter
Peitschenschlägen und schaute die Notburg verstört und aus todwunden
Augen an.

Aber dann blieb er doch daheim und arbeitete und schuftete für den Veit
wie ein Knecht und suchte Vergessen in seiner Arbeit ...

Und als der Frühling den Florian Siegwein mit seiner kleinen
Sängerschar wieder in die Heimat brachte, da fehlte die Vef und mit ihr
ihre Schwester, die Rosina.

Es hieß, daß die Rosina geheiratet habe. Irgend einen vornehmen Herrn,
der in einem fernen Lande wohnte. Aber der Florian wich allen Fragen
nach der Vef aus. Und auch die Julie und die andern wußten nichts zu
berichten, als daß die Vef mit ihrer Schwester gezogen sei und nicht
mehr in die Heimat zurück wollte.




                          Dreizehntes Kapitel


Er hatte die Lust am Reisen völlig verloren, der Florian Siegwein.
Am liebsten wäre er jetzt daheim geblieben bei der Regina und seinem
kleinen Töchterchen. Der Ärger, den er fortwährend mit der Vef und auch
mit den übrigen Mitgliedern hatte, verleidete ihm die Freude an seinem
Unternehmen.

Aber der Florian brauchte Geld, und zwar viel Geld, denn sein Geschäft
in der Heimat dehnte sich immer mehr aus und verschluckte große Summen.
Der Florian hatte bauen müssen; denn das Gasthaus war viel zu klein
geworden für all die fremden Besucher, die nun aus aller Herren Ländern
in immer reicherer Zahl herbeiströmten.

Ein stattlicher, großer Neubau erhob sich jetzt neben dem alten
Haus und war mit allem Behagen eines vornehmen Hotels ausgerüstet.
Bescheiden und unansehnlich wirkte das Holzhaus, das der Kramer Veit
errichtet hatte, neben dem großen Mauerblock, der weiß und protzig
dastand und so gar nicht in diese Alpengegend hereinpaßte.

Mit jedem Jahr vermehrten sich die Fremden, und die Bauern im Dörfl
verstanden ihren Vorteil und richteten sich nach den Bedürfnissen
der fremden Besucher ein. Wer nur eine überflüssige Stube hatte,
der verwendete sie als Fremdenzimmer, und drunten im Hauptort des
Tales hatte sich ein ganz besonders lebhafter Verkehr entwickelt.
Postkutschen fuhren und Wägen, zweispännige und vierspännige; und
vornehme Leute hielten sich oft wochenlang in dem Dorfe auf.

Veit Galler aber hatte seinen Kramladen verkauft. Wie der Florian
Siegwein die Freude am Reisen verloren hatte, so hatte der Kramer die
Lust an den Fremden eingebüßt. Denn sie brachten einen Ton ins Land,
der dem Kramer nicht gefallen wollte.

So sehr er früher stolz gewesen war, wenn Fremde die Schönheit
seiner Heimat staunend bewunderten, so wenig gefiel ihm die tolle
Ausgelassenheit, der sich manche der Fremden hingaben. Er empfand es
wie die Entweihung eines Heiligtums, daß man droben im Gasthaus nur
Tanz und Trunk zu kennen schien, statt sich, wie es vordem doch der
Fall gewesen war, dem stillen Zauber der Einsamkeit und der Berge
hinzugeben.

Freilich, jene ersten Fremden waren auch andere Menschen gewesen.
Vornehme Leute, während es jetzt in der Hauptsache junge, genußsüchtige
Menschen waren, die hier eine Abwechslung ihrer Lebensweise suchten
und auch fanden. Und der Florian, der sich mit seinem Neubau in große
Schulden gestürzt hatte, betrachtete jetzt seine Sängerreisen nur mehr
als ein Geschäftsunternehmen, um für seinen Alpengasthof fürs erste
immer neue Gäste anzuwerben und zweitens, damit er eher seine Schulden
daheim abzahlen konnte.

Mit der Lust an der Sache entglitten ihm auch die Zügel, an denen
er vordem seine kleine Truppe so stramm geleitet hatte. Schon der
fortwährende Kampf mit der eigenwilligen Vef hatte den Florian
mürbe gemacht. So strenge er einstmals über Sitte und Moral seiner
anvertrauten Schar gewacht hatte, so nachsichtig war er mit der Zeit
geworden.

Der Florian wußte es, und es wußten auch die andern, daß sowohl die Vef
wie die Rosina einen lockeren Lebenswandel führten. Aber sie sprachen
nicht darüber; denn sie schämten sich, daß es in der Heimat bekannt
würde.

Noch hatten sie die Scheu vor der Heimat, diese reisenden Leute;
wollten nicht gering geachtet werden und empfanden es wie eine eigene
Schande, daß die beiden Perlmoser Schwestern sich über die herkömmliche
Sitte hinwegsetzten. Denn die Rosina war wohl einem Manne in ein
fremdes Land gefolgt, aber nicht als dessen ehelich angetrautes Weib.
Und die Vef war mit der Schwester gegangen, nicht als Schutz für diese,
sondern um ungehindert ihr eigenes Leben führen zu können.

Wild und schäumend war dies Leben und voll Genuß und brachte das Weib
körperlich und seelisch herab. Denn bis zu jener Stunde, da der Wastl
sie freigab, war sie als Weib rein geblieben. Voll innerlicher Gier
nach Lust und Genuß und trotzdem rein. Jetzt, da sie sich frei fühlte,
überkam es sie wie ein wirbelnder Rausch. Nicht einer Liebe allein
frönte sie, sondern nahm ... völlig toll geworden, was sich ihr bot.
Kannte keine Schranke und kein Gesetz. Kannte nur eines: leben und
genießen.

Dies alles wußte der Florian ganz genau, und es verdroß und schmerzte
ihn, und er war doch ohnmächtig dagegen. Die Verhältnisse waren stärker
geworden, als er selber war. Mehr denn je war er gerade jetzt auf die
Vef angewiesen; denn er brauchte Geld. Und dieses Geld konnte ihm nur
die sieghaft lockende Stimme der Vef verschaffen.

Den ganzen verbissenen Ingrimm, den der Florian Siegwein sowohl gegen
die Vef wie gegen die Rosina empfand, ließ er letztere entgelten. Mit
der Rosina hatte der Florian kurz vor seiner Rückkehr in die Heimat
noch einen heftigen Auftritt gehabt. Und hatte sie mit barschen Worten
fortgehen heißen. Sie solle sich nicht unterstehen und wieder zu ihm
kommen, sagte er. Dirnen könne er nicht gebrauchen. Und höhnisch
herausfordernd hatte ihn die Rosina gefragt: »Aber die Vef? Gelt ... da
denkst anders? Die darf wiederkommen, ha?«

Der Florian hatte sich wortlos abgewendet und sich so heftig auf die
Unterlippe gebissen, daß sie blutete. Die Vef ... ja, die war die
Mächtige und Starke und hielt ihn in der Hand.

Der Florian Siegwein war verdrossen und verschlossen in diesem Sommer
und vermied es, wenn er konnte, sowohl mit dem Kramer Veit als mit dem
Wastl zusammenzutreffen. Er hatte genug zu tun droben in dem Gasthof
und nur wenig Zeit übrig für die alten Freunde. Der Kramer Veit suchte
ihn auch nicht auf. War unwirsch und sehr wortkarg, der Kramer, in
dieser Zeit. Aber der Wastl machte sich auf den Weg und ging zu dem
Florian hinauf. Kam zu ihm ein über das andere Mal und bat und flehte.

»Nimm mi wieder mit, Florl ...« sagte er in dem treuherzig bittenden
Ton eines hilflosen Kindes. »I halt's nit aus dahoam.« Aber der Florian
blieb hart. Er wußte, daß die Vef die Trennung von ihrem Manne wünschte
und wagte es nicht, ihr entgegen zu sein, so sehr ihm auch der Wastl
innerlich erbarmte.

»Schau, Wastl ... verlang' dir's nimmer, das Leben!« versuchte der
Florian den alten Freund zu trösten. »Hast's ja viel schöner daheim.
I tauschet glei' mit dir, wenn i könnt', und hänget die verflixte
Singerei auf'n Nagel!« redete er ihm gut zu. Aber der Wastl wollte
keinen Trost.

»Du ... ja ... Du hast dei' Weib dahoam. Das ist anders!« sagte er
einfach, aber der Ton schnitt dem Florl ins Herz.

Völlig aufdringlich war der Wastl dem Florian geworden, je näher der
Tag der Abreise herankam. Wollte absolut mit und lungerte und lauerte
um den Alpengasthof herum und bat und flehte, sowie er den Florl zu
Gesicht bekam. Schließlich wurde der Florl grob gegen ihn. Konnte sich
nicht anders helfen.

»Wenn i dir's sag' ... daß i di nit brauchen kann!« fuhr er den Wastl
unwirsch an. »Sei do koa Lapp nit! Die Vef will di nit, und i brauch'
di nit. Hast ja überhaupt koa Stimm' mehr!« sagte er brutal.

Da ging der Wastl, aber nicht hinunter zum Kramer Veit und der Notburg,
sondern hinaus in das stattliche Dorf im Tal. Dort wußte er von einem
Mann, der ihm das Gütl vom Göd abzukaufen wünschte. Und der Wastl
verkaufte sein Heimatl und bekam Geld dafür. Der kleine Martl aber
mußte hinaus, Bauernknecht machen auf einem fremden Hof, wie es der
Vater in der Jugend gemußt hatte. Und der Jackl und sein Weib fluchten
dem Wastl; denn der Wastl hatte ohne Rücksicht gehandelt und sie alle
obdachlos gemacht.

Der alte Perlmoser wetterte und schrie. Verfluchte alle, die Töchter
und den Schwiegersohn und den Florian Siegwein und den Kramer Veit.
Denn dieser war der eigentliche Urheber an allem Leid, das über den
Perlmoserhof gekommen war.

Ein rüstiger alter Mann, verbissen und innerlich mit allen zerfahren,
das war der Perlmoser. Und sein Weib, die Perlmoserin, alt und
gebrochen, legte sich nieder zum sterben. Sie war ehrlich müde geworden
am Leben und verstand die Zeit und ihren Wandel nicht. War gut für das
Weib, daß es sterben durfte.

So hatte denn der Jackl wieder ein Heim für sich und die Seinen; denn
der Vater übergab ihm nun den Hof und ging in den Austrag. Stellte nur
die eine Bedingung. Niemals dürfe der Jackl den Siegweinischen drüben
auch nur ein Ei abliefern. Und niemals dürfe er einen Verkehr haben
mit den Schwestern und mit des Siegweins Leuten. Das versprach der
Jackl und hielt es auch. -- -- --

Und abermals waren etliche Jahre vergangen, und droben im Alpengasthof
feierte man ein Fest. Die Perlmoser Julie hielt Hochzeit, heiratete,
aber keinen der feinen Herren, die ihre Verehrer waren, sondern einen
der Sänger, die mit dem Florian gereist waren. Und wollten in der
Heimat bleiben, die jungen Leute, einen Gasthof auftun, drunten in der
Nähe der Schlucht, wo die drei Wildbäche ineinanderflossen.

Es ging hoch her bei der Hochzeitsfeier der Julie. War ein halb
städtisches und halb ländliches Fest. Mehr ein Theater, um den fremden
Gästen einmal die Gebräuche einer Bauernhochzeit vorzuführen. Es
fehlten die Verwandten und nächsten Freunde der Braut, und der Florian
mußte Brautvater und die Regina Brautmutter machen.

In langem Zug zogen sie vom Gasthof herab in die kleine Dorfkirche, und
die Bauern des Dörfels schauten bei dem eigenartigen Schauspiel zu und
lachten darüber. Sie lachten über den koketten Aufzug der Braut, die
sich in ihrer Bühnentracht zur Kirche begab, und viele empörten sich
über den schamlosen Ausschnitt des schwarzen, samtenen Miederleibchens.
Aber den Fremden, die in der Hauptsache das Kirchlein füllten, gefiel
es, und sie hielten die pomphafte Aufmachung für echten Bauernbrauch.

War eigentümlich, wie wenig die Fremden in Wirklichkeit von dem wahren
Bauerntum in sich aufnahmen. Sie lebten oft wochenlang unter den
Bauern, sahen ihre Arbeit und hörten ihre Sprache. Aber von ihren
wirklichen Sitten, von ihren Gebräuchen und ihrer Art ahnten sie
nur wenig. Die Bauern blieben verschlossen und mißtrauisch gegen
alles Fremde und nützten nur ihren Vorteil aus. Waren freundlich und
erwiderten die Anreden, aber sie sprachen anders wie sonst und über
Dinge, die dem Bauer eigentlich gleichgültig sind.

Am Abend der Hochzeit hielt der Florian Siegwein zu Ehren des
Brautpaares einen großen Bauernball ab. Und alle, die da wollten,
konnten kommen, um mitzutanzen. Es tanzte das Stadtfräulein mit dem
Melcherknecht vom Alpl droben und der feine Stadtherr mit der derben
Bauernmagd, und bis zum frühen Morgengrauen dauerte das Fest.

Auch der Stanis hatte sich eingefunden und wirbelte mit affenartiger
Behendigkeit im tollen Tanz. Es war erstaunlich, wie geschmeidig der
Melcher trotz seiner vorgerückten Jahre noch geblieben war. Konnte es
im Schuhplatteln noch immer mit den jüngsten Burschen aufnehmen und war
rauflustig trotz seines stark ergrauten Bartes wie in jungen Jahren.
Sie vermieden es noch immer, die jungen Burschen, mit dem Stanis
anzubandeln; denn sie fürchteten sich, eine Niederlage zu erleiden.

Und heute hatte der Stanis wieder einmal weit über den Durst getrunken.
War aber trotzdem immer noch standfest auf den Beinen, der kleine Kerl,
und ließ auch nicht einen einzigen Tanz aus. Und just die feschesten
Tänzerinnen wählte er sich. Er machte Witze, daß die Damen erröteten
und die Burschen vor Vergnügen laut gröhlten.

Die Herren aber, die es hörten, ärgerten sich über den ausgelassenen
alten Kerl und verlangten von dem Florian Siegwein, daß er ihn
entferne. Dem Stanis gefiel es jedoch so ausgezeichnet auf dem Ball,
daß er gutwillig gewiß nicht ging. Das wußte der Florian ganz genau und
war einigermaßen in Verlegenheit, wie er den Stanis losbringen sollte.

Es fand sich keiner der Burschen, der den Stanis mit Gewalt
hinausgeschmissen hätte. Sie wollten es nicht verderben mit ihm; denn
sie mochten ihn alle gut leiden und fürchteten seine Rache. Aller List,
die sowohl der Florian wie auch die Regina anwandten, widerstand der
Stanis.

Er wünschte diese tolle Nacht voll auszunützen und blieb ... allen
Bemühungen zum Trotz ... fest auf seinem Posten. Hüpfte und tollte und
gröhlte und wurde den Damen immer aufdringlicher. Er küßte sie beim
Tanz ganz ungeniert auf den Mund, gerade so, als ob es eine Bauerndirn
gewesen wäre; und ganz verliebt tat er mit einer kleinen blonden Frau,
die ihm besonders gut zu gefallen schien.

Wie eine Klette hing er sich an ihr an, umarmte sie mit tolpatschiger
Zärtlichkeit und ließ sie nicht mehr los. Und alles Wehren der jungen
Frau war vergeblich. Auch als sich der Florian, von dem Gatten der Dame
aufgestachelt, dem Stanis energisch in den Weg stellte, half es nichts.
Der Stanis parierte dem Florian einfach nicht, frech und unverschämt
wie ein Junger.

»Mach' di ... du ...« warnte der Stanis und schob den Florian mit einem
seiner kunstvollen Rauferkniffe, die ihn so unüberwindlich machten,
beiseite, so daß der stämmige Mann in weitem Bogen in den Saal flog.

»Hast g'nuag iatz ... Florl ... oder magst no oane fangen?« höhnte er
ihn dann.

Sie standen alle im Kreise um den Rauflustigen, der die junge Frau mit
dem einen Arm fest umklammert hielt, so daß sie ihm nicht entfliehen
konnte. Und da viele der Burschen stark angetrunken waren, belustigten
sie sich über den witzigen alten Kerl, lachten ihm zu und forderten ihn
noch zum Widerstand auf.

»Recht, Stanis! G'halt dir's lei dei' Weibl!« rief einer.

»Gib ihr a Bussl!« munterte ihn ein anderer auf. Niemand schien ein
Gefühl für die Lage der Dame zu haben, die ganz verzagt zu weinen
begann. Daß dieser Spaß so enden würde, das hatten sie sich denn doch
nicht vorgestellt.

Die meisten Herren und Damen hatten, als die Situation ungemütlich
wurde, den Saal fluchtartig verlassen, so daß zuletzt nur die
Bauernburschen mit ihren Dirndeln übrig blieben. Der Gatte der Dame sah
sich allein und verlassen dem Stanis gegenüber.

»Lassen Sie meine Frau los ... unverschämter Kerl!« sagte er zornig.
Er war jung, stattlich und groß und von vornehmer Herkunft.

Boshaft blinzelte der Melcher aus seinen kleinen schwarzen Augen zu dem
Herrn empor.

»Ist's leicht dei' Weibl?« höhnte er.

Der Herr gab dem frechen Kerl statt jeder Antwort eine schallende
Ohrfeige. Das half. Mit einem so jähen Ruck ließ der Stanis sein Opfer
los, daß die junge Frau taumelnd nach rückwärts fiel und von einigen
hilfsbereiten Burschen aufgehoben werden mußte.

Der Stanis aber sprang, einer Wildkatze ähnlich, seinen Gegner an.
Umklammerte ihn und würgte ihn am Hals. Der Fremde wehrte sich mit viel
Geschick, und der Florian eilte zur Hilfe herbei, dazu noch einige der
Burschen. Aber der Stanis klammerte sich an den Fremden und hing ihm
am Halse. Die Püffe und Stöße, die der Stanis nun von allen Seiten
erhielt, reizten ihn zur höchsten Wut.

Noch nie war es vorgekommen, daß er bei einer Rauferei unterlegen wäre.
Und daß sie nun alle gegen ihn waren, empfand er als Heimtücke und
Niedertracht. Er kannte keinen Unterschied des Standes, der Stanis.
Rauferei blieb Rauferei. Wer auf dem Tanzboden anwesend war, mußte sich
seine Späße eben gefallen lassen. Und wer das nicht wollte, mit dem
raufte er halt. Aber die andern sollten ihn in Ruhe lassen und sich
nicht einmischen. Mit dem hearrischen Tolm wollte er allein fertig
werden.

Der Stanis brüllte, außer sich vor Zorn, wie ein wildes Tier, als man
ihn gewaltsam von dem Herrn zu trennen versuchte. Seine Füße baumelten
in der Luft, und seine Hände umklammerten den Hals seines Gegners, daß
dieser blaurot im Gesicht wurde und hart nach Luft rang.

Und in dieser Angst stieß er den Stanis mit den Füßen und brachte ihn
zu Fall. Fiel aber über ihn, denn der Kerl ... toll vor Wut ... ließ
nicht von ihm ab. Und pfauchte und pfiff vor sinnlosem Zorn. Und würgte
den Hals des Fremden, der schwer über ihm lag. Und der Stanis fühlte,
wie seine Finger, die sich in den Hals des Gegners gleich Eisenklammern
einkrallten, gewaltsam gelöst wurden, und in seiner sinnlosen Wut, die
tierisch und nicht menschlich war, öffnete er den Mund und biß in das
Fleisch des Gegners.

Ein weher Schrei und dann ein pfauchender Laut und noch ein Biß, und
Blut quoll aus dem Gesicht des fremden Herrn.

Der Stanis aber ließ von seinem Opfer ab. Er hatte dem Gegner die
Nase abgebissen, und mit der Tat kehrte ihm die Ruhe wieder und das
Bewußtsein. Er fühlte aber keine Reue, sondern stolze Genugtuung. Denn
nun war er trotz der Überzahl der Gegner doch nicht unterlegen.

Und gleich einem Sieger schaute er im Kreise herum, schaute auf die
angstvoll erschrockenen Gesichter und auf das entstellte blutige
Antlitz des Fremden. Und lachte ... Lachte ... und ließ sich willig
und ohne Gegenwehr hinabführen in das stattliche Dorf, wo der Gendarm
wohnte ...

Als ihn die Richter für seine rohe Tat zu einigen Jahren Zuchthaus
verurteilten, da lachte der Stanis nicht mehr. Es war das Schlimmste,
was ihm widerfahren konnte, diese jahrelange Freiheitsberaubung. Und
es schürte nur noch mehr den Haß, den er in seinem Innern stets gegen
die fremden Leute gehabt hatte. Aber er bereute seine Tat trotz allem
nicht.




                          Vierzehntes Kapitel


Ohne Rast und Ruh' folgte der Wastl seiner Frau. Wie eine fixe Idee war
es, die ihn nicht mehr los ließ. Umsonst bat und warnte der Kramer Veit.

»Wastl, vertu' dei' Geld nit. Wirst no a Lump auf die Weis' ...« Es
half nichts. Er dachte nicht mehr an die Heimat und nicht mehr an
die Kinder. Hatte nur immer den einen Gedanken: die Vef. Und oftmals
überkam ihn eine große brennende Angst um sie. Ein Unglück könnte ihr
widerfahren, wenn er nicht bei ihr wäre. Er müsse sie schützen, müsse
in ihrer Nähe weilen.

Dann ließ er die Arbeit in der Heimat, zu der er doch immer wieder
zurückkehrte, und folgte der Vef von Stadt zu Stadt und von Land zu
Land, solange ihm das Geld ausreichte.

Die Glanzzeit des Florian Siegwein und seiner Sängerschar hatte längst
ihren Höhepunkt erreicht, und es ging allmählich, aber stetig abwärts
mit ihnen. Wohl sangen sie nach wie vor in den großen Sälen der Städte
und nur vor gutem Publikum. Aber jene ersten vornehmen Kreise, die sich
ehedem für die reisenden Tiroler interessierten, hatten sich langsam
zurückgezogen.

Sie erhielten keine Einladungen mehr auf die Schlösser der Fürsten und
durften auch nicht mehr vor gekrönten Häuptern singen. Der Florian
hatte in den letzten Jahren arges Pech gehabt. Der Simeringer Franz,
der vom Anfang an eine Hauptstütze seiner Gesellschaft gewesen war,
hatte sich immer mehr dem Trunke ergeben, so daß er schließlich seine
Stimme einbüßte und durch eine andere Kraft ersetzt werden mußte.

Nun reiste der Simeringer Franz auf eigene Faust, warb etliche Leute
in der Heimat an und verursachte dem Florian Siegwein manchen Verdruß.
Denn er war nicht wählerisch, der Simeringer Franz, sang in Weinkneipen
und rauchigen Bierlokalen und achtete nicht auf den Ruf seiner Leute.

Das ärgerte den Florian, da oft durch eine Verwechslung seine eigene
Truppe in Mißkredit geriet. Mit dem Simeringer Franz zu reisen erschien
verlockender wie mit dem Florian Siegwein. Denn der Florian kämpfte
tapfer und mit zäher Energie, um seiner Truppe den vornehmen Ruf, den
sie einmal besessen hatte, wieder zu erobern.

Es gab viel Zank und Streit, und schließlich trennte sich auch der
Tobias Scholl von dem Florian und ging zu dem Simeringer Franz über.
Die Zeißler Anna, die auch von allem Anbeginn mit dem Florian reiste,
war in der Fremde gestorben. Lungenkrank, stellten die Ärzte fest,
die sie monatelang in dem Spital einer Großstadt pflegten. Und einsam
und von allen verlassen betteten sie die junge Tirolerin ins fremde
Erdreich.

Es war nur noch die Vef übrig von den alten Kräften des Florian
Siegwein, und auch ihre sieghaft schöne Stimme hatte nachgelassen und
war im Verblassen. Der Lebenswandel, den die Vef führte, war nicht ohne
Folgen für ihre Gesundheit geblieben. Das üppig schöne Weib welkte
dahin und alterte in wenigen Jahren. Mit allen Mitteln der Kunst
erhielt sie sich nun. Sie wußte, daß ihre Schönheit ihr einziger Besitz
war.

Die Vef hatte keine Freude über die Anhänglichkeit ihres Gatten. Für
sie war die Vergangenheit erloschen, und sie hatte gebrochen mit allem,
was ihr einst lieb und teuer gewesen war.

Sie wies den Wastl von sich, hart und schroff. Aber ohne Erfolg.
Wie mit Blindheit war der Mann geschlagen. Ahnte nichts von ihrem
Lebenswandel und wollte vielleicht auch nichts ahnen. Nach wie vor
blieb sie für ihn die Vef, die er einstmals geliebt hatte. Die resche,
resolute Frau mit dem guten und keuschen Herzen. Und niemand war, der
den Mut gehabt hätte, ihm die Augen zu öffnen. Bis er selbst dahinter
kam.

In diesem letzten Winter war die Not an den Wastl herangetreten. Er war
nun endgültig fertig mit dem Gelde, das er für sein Gütl in der Gungl
erlöst hatte, und mußte knausern und sparen. Noch etliche Wochen würde
es ihm reichen, und dann mußte er, wollte er nicht verhungern, sich um
einen Verdienst umtun.

Die Arbeit scheute er nicht, der Wastl. Wäre selig gewesen, wenn er nur
wieder hätte arbeiten dürfen. Aber arbeiten war gleichbedeutend mit
der endgültigen Trennung von seinem Weibe, und diese, das wußte er aus
Erfahrung, konnte er auf die Dauer nicht ertragen.

Er hungerte und darbte und schlief in den elenden Schlafstellen der
großen Städte, nur um sein Geld zu strecken, und suchte sich dann
und wann einen Gelegenheitsverdienst. Aber gut bezahlte Arbeit war
nur selten zu finden, und wenn sich der Wastl als Taglöhner gar zu
sehr herunterkommen ließ, dann wurde es ihm noch schwerer gemacht wie
bisher, sich seiner Frau zu nähern. Das wußte er bestimmt.

Als die Not ganz groß geworden war, da nahm sich der Wastl ein Herz,
um mit seinem Weibe zu reden. Fast kam's ihm vor wie damals droben am
Alpl, als er um die junge Vef geworben hatte.

Dasselbe wochenlang währende Hangen und Bangen und genau dieselben
quälenden Zweifel, ob er ihr doch noch gefallen könnte ... und doch
wieder das feste, überzeugte Zutrauen zu ihr. Genau wie in jener fernen
Zeit, so redete er auch jetzt sich tagelang zu, ehe er den Mut fand,
die Vef zu stellen.

Sie war ja immer ein bissl schroff und zuwider gewesen, die Vef,
und war, als sie sich damals dann ausgesprochen hatten, doch eine
kreuzbrave Frau geworden. Und dieser gute Kern steckte sicher trotz
allem immer noch in ihr. War halt jetzt durch das üppige Leben ein
bissl arg verwöhnt und halt auch noch launischer wie ehedem.

So redete sich's der Wastl immer wieder ein. Und wenn die Vef hörte,
wie es um ihn stand, wie die alte Liebe zu ihr gleich stark und mächtig
in ihm war wie damals am Alpl droben, wie er jetzt sogar hungerte
und fror und um sie litt, dann würde das Mitleid für ihn sicher die
Oberhand gewinnen. Und weiß Gott, vielleicht ging sie dann doch mit ihm
in die Heimat zurück ...

Ein nebliger, naßkalter Wintertag war's, ohne Schnee und mit feinem,
rieselndem Regen. Einer jener öden, grauen Tage, die in der Großstadt
so trostlos traurig sind. Düster und schwer ist die Luft, und die
Straßen sind glitschig vom feinen Regen, der dünn und unablässig
niederträufelt.

Das ist das Wetter, wo die Menschen, innerlich erstarrt, sich nach
Licht und Sonne und Wärme sehnen. Und alle, die da Frohsinn suchen und
Glück, eilen ... Nachtfaltern gleich ... die das Licht umschwärmen, in
festlich geschmückte Räume. Sie eilen zu Tanz und Spiel und Konzerten
und Theatern und suchen Vergessen vor der inneren Leere ihrer Herzen.

Der Florian Siegwein hatte mit seinen Leuten schon etliche Wochen in
der großen Stadt gastiert. Allabendlich sangen die Tiroler, und die
Säle waren von Gästen gefüllt wie immer. Und sieghaft schön wie immer
stand die Vef vor ihrem Publikum und sang ihre lockenden Lieder. Aber
ihre Stimme klang nicht mehr so frisch und so innig, und die blühenden
Farben des Gesichts wurden durch Schminke ersetzt.

Der Florian rechnete es sich im geheimen aus, wie lange die Vef wohl
noch als Lockvogel zu gebrauchen sein würde. Kaltblütig, ohne Illusion
und ohne Mitleid mit ihr. Denn er wußte, daß sie dann arm sein würde
und sich kümmerlich durchbringen müßte.

Sie hatte keine Ersparnisse gesammelt, die Vef, hatte im wilden
Taumel gelebt und das Geld, das sie verdiente, mit vollen Händen
hinausgeschmissen. Daß sie einmal arm und unbrauchbar sein würde, das
erfüllte den Florian Siegwein mit einer Art boshafter Genugtuung.

Sie hatte ihm viel zu viel Ärger bereitet, diese Frau, und hatte
ihn ihre Macht immer wieder fühlen lassen, so daß alles menschliche
Mitgefühl mit ihr einem geheimen Rachedurst gewichen war. Jetzt war sie
ihm nur mehr ein Rechenexempel, und mit scharfem Ohr und unnachsichtig
scharfem Blick gewahrte der Florian Siegwein alle Mängel ihrer Stimme
und ihrer Erscheinung, und insgeheim hielt er Umschau in der Heimat
nach einer Nachfolgerin für die Vef.

Der Wastl aber bemerkte keinerlei Veränderung an der Vef. Wenn die Vef
sang, so fehlte er nie unter den Zuhörern, und ihre Stimme hatte für
ihn nach wie vor den süßen, einschmeichelnden Zauber, den sie stets
gehabt hatte. Und gleich begehrenswert erschien ihm das Weib, das
seine Schönheit so verführerisch zur Schau zu stellen wußte. Dieser
herrliche, blendend weiße Nacken und die volle Büste, ihre stolze,
vornehme Haltung, welche der einer Königin gleichkam. Voll und reich
war das blonde Haar und drückte das feine, etwas schmal gewordene
Gesicht gleich einer schweren Krone.

Dem Wastl gefiel sein Weib mit jedem Abend, an dem er sie sah, immer
nur noch besser. Kein Wunder, daß sie so viele Verehrer besaß und daß
man sie mit vielen schönen Blumenspenden ehrte. Da war auch nicht eine
einzige Frau im Saal, die es der Vef an Schönheit hätte gleichtun
können.

Oft spähte der Wastl heimlich im Saal herum. Und musterte mit
kritischem Auge die Frauen, die zugegen waren. Aber die Vef ... seine
Vef ... war und blieb doch immer die Schönste von allen.

So stolz war der Wastl auf sein Weib! Und wenn am Schluß des Konzertes
reicher Beifall die Sänger lohnte, dann raste der Wastl wie toll vor
Begeisterung und riß die andern stürmisch mit. Er vergaß, wie sehr er
unter dieser Frau zu leiden hatte, vergaß seine Entbehrungen und seine
Sehnsucht nach ihr und war nur noch stolz auf sie. Und dieser Stolz
erhob ihn über sich und seine Not und machte ihn widerstandsfähig und
steigerte nur immer brennender sein Verlangen nach ihr.

Und heute abend, als sie die Vef wieder einmal ganz besonders stürmisch
gefeiert hatten, da lauerte der Wastl am Ausgang des Saales, um mit der
Vef zu sprechen. So hatte er der Vef oft aufgepaßt, und sie war, je
nach ihrer zufälligen Laune, gut oder auch abweisend gegen ihn gewesen.

Anfangs freilich war sie nur hart zu ihm gewesen. Hatte ihn gehen
heißen und zornig mit dem Fuß aufgestampft. Als sich aber der Wastl
dann doch immer wieder einfand und sich durch gar nichts abschrecken
ließ, da siegte die Gutmütigkeit in dem Herzen des Weibes, und sie
duldete es, daß er sie nach Hause begleitete und ihr von den Kindern
sprach. Und oftmals gab sie ihm auch Geld für die Kinder, aber sie trug
kein Verlangen, sie zu sehen oder in die Heimat zurückzukehren.

War die Vef aber übel gelaunt, dann schnappte sie den Wastl ab, resolut
und grob, und zankte mit ihm, weil er sie nicht in Ruhe ließ, und der
Wastl schlich dann mit eingezogenem Kopfe und schwerem Herzen gedrückt
davon, um schon am nächsten Abend sich wieder bei ihr einzufinden.

Sie war nicht gut gelaunt heute, die Vef, als sie den Wastl sah. Im
Dunkel der Nacht stand er an der Ausgangstüre, und die Laterne der
Straße warf einen schrägen Schein auf das Pflaster. Das Licht spiegelte
sich in den Pfützen und zitterte verlöschend auf dem glitschigen
Gehsteig.

Mit aufgestülptem Kragen und in Pelze gehüllt eilten die Leute in die
Dunkelheit der Nacht. Die Vef kam am Arme eines Verehrers, in kostbares
Pelzwerk gekleidet, zu dem Wagen, der für sie bereit stand. Große
Diamanten funkelten in ihren Ohren, und zornig zog sie die Stirn in
Falten, als der Wastl auf sie zukam.

»Grüß dich, Vef!« Er streckte ihr mit glücklichem Lachen seine große,
derbe Hand entgegen. »Grüß dich, Vef!« wiederholte er.

Die Vef achtete nicht darauf. »Bist schon wieder da?« sagte sie
unwirsch. »I kann di heut' nit brauchen. Wir feiern Abschied!« erklärte
sie mit Bestimmtheit und wollte an dem Mann vorübergehen und in den
offen gehaltenen Wagen steigen.

Der Wastl aber vertrat ihr den Weg. »I hätt' zu reden mit dir, Vef ...«
stieß er heiser hervor. Sein Herz klopfte ihm zum Zerspringen. Zornig
stampfte die Vef mit dem Fuße auf.

»Pack' dich!« zischte sie. Und der Herr an ihrer Seite hob sie rasch in
den Wagen und warf den Schlag zu.

»Schnell!« befahl er dann dem Kutscher. Und die Pferde zogen mit jähem
Ruck an, stampften und wieherten vor Freude, daß sie nun laufen durften.

Das alles geschah so eilig, daß der Wastl beinahe unter die Räder
gekommen wäre. Denn als er das giftige, herrische Wort der Vef hörte,
traf es ihn wie Peitschenschlag ins Gesicht. Und einen Augenblick
taumelte er ... nur einen kurzen Augenblick, dann schoß ihm das Blut
heiß und schwer zu Kopf.

»Pack' dich!«

Und der andere hatte sie ... sein Weib in den Wagen gehoben und war mit
ihr davongefahren.

Der Wastl lief, was er laufen konnte. Ohne Besinnen. Durch die Straßen
und Gassen und Gäßchen und über die Plätze der großen Stadt lief er.
Nur nach. Immer nach! Nur nicht den Wagen aus den Augen verlieren.
Er mußte es wissen, wohin die Vef in der Nacht fuhr. Mit ihm ... dem
anderen.

Er merkte es nicht, wie ihm die Leute scheu auswichen und ihm
mißtrauisch nachschauten. Er sah nichts als nur den Schein der beiden
Wagenlichter in der Ferne und verfolgte ihn mit Anspannung seiner
ganzen Kräfte. Mitten durch das Gewühl der Menschen zwängte er sich und
folgte jeder Straßenbiegung, die das Gefährt nahm.

Ließ es nicht aus den Augen ... keine Minute lang ... und sah von
ferne, wie der Wagen Halt machte und der fremde Herr mit der Vef unter
dem Torbogen eines hohen Hauses verschwand.

Er durfte nicht in das Haus hinein, der Wastl. Sein Klopfen blieb
ungehört, und niemand kam, der ihm Auskunft über die Bewohner des
Hauses gegeben hätte.

Daß die Vef nicht in diesem Hause wohnte, das wußte der Wastl bestimmt.
Denn der Florian Siegwein hatte es bis jetzt immer durchgesetzt, daß
die Mitglieder seiner Truppe gemeinsam mit ihm unter einem Dache
lebten. »Sein oa Familie ... wir Tiroler ...« pflegte der Florian noch
immer zu sagen und wußte es doch genau, daß das alles nur mehr Schein
war und das Wort zur Phrase geworden war.

War eine Eifersucht in dem Wastl. Quälend und brennend. Der fremde Herr
... die Vef ... sein Weib ... und war da drinnen in dem düstern, hohen
Haus.

Bis zum Erwachen des neuen Tages stand der Wastl auf seinem Posten am
Eingang des Hauses. Er fühlte nicht Kälte und Frost und hatte doch die
Glieder starr vor Frost. Es tobte und brannte ihm der Kopf ... Daß er
an nichts anderes denken konnte, nur immer wieder den einen Gedanken
... die Vef ... da drinnen mit dem fremden Herrn ... Und pack' dich!
hatte sie zu ihm gesagt.

Wie langsam die Stunden in dieser Nacht verrannen! Irgendwo schlug
eine Kirchturmuhr in der Ferne. Anfangs zählte der Wastl die Schläge
mechanisch ... ohne zu denken. Eins ... zwei ... drei ... Dann aber
achtete er nicht mehr darauf. Stand nur immer Posten in der Einsamkeit
der Nacht.

Menschenleer und verlassen war die Gasse. Mußte ziemlich entfernt sein
von dem Innern der Stadt. Er kannte sie nicht, die enge Gasse, und
wußte auch nicht, wo er sich befand. Es interessierte ihn auch gar
nicht. Nur eines interessierte ihn, und nur eines dachte er ... die Vef.

So düster, wie die Gasse war, und so hoch die Häuser. Hatten dicke
graue Mauern und hohe, vergitterte Fenster. Häßlich war's und unlustig,
fast zum Fürchten. Der Wastl hätte nicht hier wohnen mögen. War weit
schöner und freier gewesen sein Heimatl in der Gungl, und war dort
nicht so schwer zum Atmen wie hier, und wenn die Nebel auch noch so
dicht und schwer über die Felsenwände herabhingen.

Die Gungl und der Göd und die Kinder ... das Tonele, das gestorben
war ... und die Vef ... An alle mußte der Wastl in dieser langen
Nacht denken. Gar an alle. Und war ihm, als wären sie bei ihm ...
Bis die Gedanken dann wieder wie ein toller Reigen in seinem Kopf
herumwirbelten und er an nichts mehr denken konnte als: die Vef ... und
da drinnen ... ehrlos ...

Von ferne hörte der Wastl das Rollen eines Wagens. Es kam immer näher
und näher. Einförmig und gemächlich trabten die Hufe der Pferde auf dem
steinigen Pflaster. Hatten es gar nicht eilig und kamen dann doch immer
näher und näher und hielten vor dem großen Hause, wo der Wastl Posten
gestanden hatte.

Er drückte sich, um nicht gesehen zu werden, hinter einen Pfeiler
des hohen Eingangsportales und starrte, die Hände fest in seinen
Manteltaschen haltend, unverwandt auf die Türe, durch die sein Weib
kommen mußte.

Die Pferde stampften unruhig, und der Wastl wagte jetzt kaum mehr zu
atmen.

Lang dauerte das Warten, so lange, daß der Kutscher, der anfangs vor
dem Wagen auf und ab gegangen war, sich in das Wageninnere setzte und
dort zu schlafen schien.

Und wieder schlug die Uhr am Turm der fernen Kirche. Ein leiser Lärm
regte sich entfernt und ganz allmählich. Die Großstadt erwachte und mit
ihr die Melodie des Alltags. Milchgefährte rasselten, und vereinzelte
Fußgänger kamen. Und alles hatte noch den Flüsterton der Nacht. Und
die Dunkelheit der Nacht wich von der Gasse wie ein schweres Tuch und
machte einem leichteren schwarzgrauen Schleier Platz.

Der Kutscher stieg fröstelnd aus dem Wagen, rieb sich die Hände und
schritt stampfend und ärgerlich auf und ab. Und unruhig scharrten die
Pferde und neigten die Köpfe einander zu, als wollten sie miteinander
heimlich bereden, weshalb sie im Grauen des frühen Morgens hier zu
warten hatten.

Fest lehnte sich der Wastl an den Pfeiler, hinter dem er versteckt
stand. Starrte mit brennenden Augen auf die Tür und krampfte die Fäuste
in den Taschen des Mantelrocks.

Und dann öffnete sich die Tür mit leisem Krachen ganz leise und
sacht ... und noch ein Flüstern hinter der Türspalte ... ein matter
Lichtschein ... und der Schatten eines Weibes.

Und der Wastl stand und horchte und sah ... klar und deutlich, wie sich
ein Männerarm um den Nacken seines Weibes legte ... sah, wie sich ihr
Kopf zurückbeugte, und sah, wie ihre vollen Lippen sich dem fremden
Herrn lüstern darboten. Und knirschend preßte er die Zähne aufeinander
und klammerte sich mit beiden Händen an den Pfeiler, um nicht wie ein
gereiztes Tier auf das Weib zu springen.

Leichtfüßig wie ein junges Mädchen lief die Vef, ohne den Wastl zu
sehen, über den Gehsteig zu dem Wagen hinüber. Der Kutscher schlug den
Schlag zu und stieg auf den Bock.

»Hü!« Die Pferde zogen an, und mit einem wilden Satz sprang der Wastl
auf den Tritt des Wagens und öffnete die Wagentüre. Ein erschreckter
Schrei aus Frauenmund ... Der Kutscher hörte ihn nicht; denn der Lärm
der rollenden Räder auf dem Steinpflaster übertönte ihn.

Wie ruhig und kalt überlegend der Wastl mit einem Male geworden war.
Redete und handelte, als ob er ein Fremder sei und nicht er selber.

Wie selbstverständlich setzte er sich der Vef gegenüber, die sich fest
in die weichen Polster schmiegte. Kalkweiß war sie im Gesicht und hatte
Angst.

»Brauchst dich nit zu fürchten, Vef. I tu' dir nix!« sagte der Mann
sehr ruhig, aber seine großen, dunklen Augen, die immer so gut
schauten, hatten einen fremden, wilden Blick.

»I schrei ...« stieß die Vef geängstigt hervor. »I ...«

Da lachte der Wastl rauh und hart. »Tu's ...« höhnte er boshaft. »Damit
die Leut' kommen und mich von mein' Weib trennen?«

Und dann beugte er sich weit zu ihr hinüber, so daß sein Gesicht das
ihre fast berührte, und preßte ihre beiden Hände so fest in den seinen,
daß es sie heftig schmerzte.

»Wo bist g'wesen ... Vef?« stieß er heiser und gebieterisch hervor. »Wo
bist g'wesen?«

Die Vef schauderte in ihrem kostbaren Pelzwerk vor innerer Angst und
Kälte. Aber sie war nicht feig.

»Aus lass' mich! Du!« befahl sie resolut und sah ihn mit zornfunkelnden
Augen an.

Aber der Wastl ließ nicht los, sondern zog das Weib immer näher an
sich heran, bis sie vor ihm auf den Knien zu liegen kam. Wie mit
Eisenklammern hielt er sie und beugte sich über sie.

»Du ...« keuchte er wild und zornig. »Du ... und a söllene bist! Und
mei' Weib!«

»Lass' mich, du!« fauchte ihn die Vef wie eine Wildkatze an und wand
und krümmte sich unter seinem festen Griff.

»Bin dir g'folgt wia a Hund ...« keuchte der Wastl außer sich ... »hast
mi um alles bracht ... und jetzt no um mei' Ehr! Du ...«

»Lass' mich!« zischte die Vef in ohnmächtiger Wut. »Lass' mich ... mi
graust vor dir!«

Da war's geschehen. Ein wilder Schrei des Mannes, und dann hieb er
auf das Weib ein. Brutal und unbarmherzig. Schlug auf sie ein, ohne
zu denken, wohin er traf. Und unter seinen Hieben kamen ihr die
Tränen. Stolze Tränen ... denn sie verbiß den Schmerz und ertrug die
Züchtigung. Krümmte sich lautlos und ohne Gegenwehr unter der Wucht
seiner Kraft.

Und als der Wagen sein Ziel erreicht hatte, sprang der Wastl heraus.
Und die Vef folgte langsam und gebrochen. Breitspurig ... ganz Bauer
... trotz des städtischen Gewandes, das er trug, stellte er sich vor
ihr auf. Und spie zur Erde. Und die Vef wandte sich, ohne ein Wort zu
sagen, dem Hause zu, in dem sie wohnte, aschfahl und müde und gebeugt.
Und in ihren hellen, sonst so sonnigen Augen lauerte ein tiefer Haß
gegen den Mann, der sie gezüchtigt hatte und der ihr Gatte war.

Aufrecht, wie lange nicht mehr, ging der Wastl seines Weges. Ging durch
die Straßen der Stadt, die sich im frühen Wintermorgen immer mehr
belebten, ging achtlos und ohne Gedanken ... viele ... viele Stunden.
Wie ein Traumwandelnder ... Fühlte nichts und empfand nichts. Nur leer
war's in ihm ... trostlos leer.

Der rieselnde Regen des Vortages hatte sich in einem feinen Schneefall
aufgelöst. Und ein scharfer Wind blies eisig dem Wandernden ins
Gesicht. Unermüdlich ging er ... ohne Nahrung und ohne Trunk ... Bis es
ihn am späten Nachmittag zu frieren anhub. So heftig, daß ihm wie einem
Kranken die Zähne klapperten.

Da kehrte der Wastl in eine Schenke ein. Und trank ... trank sinnlos
und ohne Wahl ... und trank, bis er wie ein Tier betäubt unter dem
Tisch der Schenke lag.




                          Fünfzehntes Kapitel


In seinen besten Jahren hatte der Tod den Florian Siegwein
dahingerafft. Ohne Krankheit und ohne Vorbereitung. Ein Schlaganfall
war's, und sie hatten ihn tot in seinem Bette gefunden.

Die Regina erfuhr es erst nach Wochen, als er schon in dem fremden
Erdreich schlummerte. Und das war ihr das Allerhärteste. Daß er so weit
von der Heimat entfernt hatte sterben müssen und daß sie nicht einmal
zu seinem Grabe konnte. Auch daß sie nicht hatte bei ihm sein dürfen
und ihm vielleicht doch noch einen Liebesdienst hätte erweisen können.

Sie hatten immer gut miteinander gehaust, die Regina und ihr Florian.
Und viel zu früh hatte der Tod dem Wirken dieses Mannes ein Ziel
gesetzt.

In der Heimat wenigstens war er unersetzlich. Alles, was er hier ins
Leben gerufen hatte, war unfertig und benötigte die starke Hand eines
fähigen Mannes. In keiner Weise aber war die Regina dieser Sache
gewachsen.

Eine kleine Kolonie von Häusern war da oben neben dem großen
Alpengasthof erstanden, und alle gehörten sie dem Florian Siegwein.
Er hatte, ganz nach dem Vorbild der großen Städte, ein Kaffeehaus
errichtet, wo es feines Backwerk gab und ein eigener Zuckerbäcker
während der Sommermonate seines Amtes waltete. Eine Kramerei mit
großen Schaufenstern hatte er gleichfalls hier oben aufgetan, die alle
Bedürfnisse der verwöhnten Großstädter decken sollte.

Und alles war aus Holz gebaut, im ländlichen Stil mit Schindeldächern
und Altanen, von denen hochrote Nelken üppig herunterhingen. Nur der
Block des neuen Hotels, das der Florian neben dem alten Bau des Kramer
Veit hatte erstehen lassen, leuchtete grellweiß und störte in seiner
Aufdringlichkeit die ganze Gegend.

Die Regina hatte sich nach dem Tod ihres Mannes ihre beiden jüngeren
Brüder, den Seppl und den Hannes zur Stütze eingetan, und die taten
redlich, was sie konnten, um der Schwester zu helfen. Wohl hatten
sie beide schon zu Lebzeiten des Florian etliche Jahre unter diesem
gearbeitet, aber es fehlte ihnen beiden an der nötigen Übersicht, das
groß angelegte Unternehmen richtig zu leiten.

In der Hauptsache mußten sie sich auf fremde Leute verlassen, und diese
geschickt auszuwählen oblag von nun ab der Regina. Sie, die seit Jahren
nicht mehr aus dem Tal herausgekommen war, mußte, so schwer es ihr auch
wurde, nun wieder in die Stadt fahren, um neues Personal anzuwerben.
Und so geschickt und treffsicher der Florian stets seine Leute zu
finden wußte, so ungeschickt machte es die Regina.

Wohl war sie stets von ihrer Schwester, der Zenz, begleitet, die noch
immer wie ein guter Geist ihr zur Seite stand. Aber in der Stadt fühlte
sich das einfache Bauernmädel so unbehaglich, daß sie bestrebt war, so
schleunigst, als sie nur konnte, wieder nach Hause zu gelangen.

Und Menschenkennerin war die Zenz ebensowenig eine, wie es die Regina
war. Die beiden Frauen trafen ihre Wahl in der Hauptsache nach den
Empfehlungen schlauer, gewinnsüchtiger Dienstvermittlerinnen und zogen
auf diese Weise Menschen in ihr Heimatstal, die besser nie dorthin
gekommen wären.

Die Moral mancher dieser Leute war auf solchem Tiefstand, daß sie
viel Unheil stifteten und der Kramer Veit mit Recht in immer größere
Empörung geriet. Und völlig machtlos war dem allen gegenüber die
Regina. Sie schwamm wie eine Ertrinkende in dem reißenden Strom des
großen Unternehmens und hatte nur immer dagegen anzukämpfen, daß nicht
doch noch alles zu guter Letzt in Brüche ging.

So gut sie es verstand, kämpfte sie dagegen, aber ihr Kampf war
einseitig und unklug und bestand hauptsächlich darin, immer wieder die
Preise für die Fremden zu erhöhen. Und dann zu knausern. Das Knausern
betrieb die Regina so gründlich und so unvernünftig, daß ihren beiden
Brüdern schließlich die Geduld riß und sie die geizige Frau im Stiche
ließen.

Auf eigene Faust gründeten die beiden nun Unterkunftshäuser für die
Fremden in einem der naheliegenden drei Hochtäler, heirateten und
blieben zum Teil Bauern und zum Teil Gastwirte.

Der Kramer Veit und die Notburg hatten sich mit der Zeit gänzlich von
der Regina zurückgezogen. Sie verstanden sich nicht mehr mit der Frau,
die habgierig und dumm und doch wieder zu faul für rührige Arbeit war.

Auch der Anderl kam nur wenig mehr zu seiner Mutter hinauf und sie
hegte auch kein Verlangen nach ihm. War nun schon ein gestandener
junger Mann, der Anderl, und sah, auf den ersten Blick, dem Florl zum
Sprechen ähnlich, so wie er in seiner Jugend gewesen war am Alpl droben.

Frisch und keck war der Anderl und geschmeidig von Gestalt. Und doch
war es etwas ganz Eigenes um den Anderl. War ein sinnender junger
Mensch, ein Träumer und Schwärmer, und hatte keine rechte Freude zur
Bauerschaft und keine zum Handelsmann.

Das war das Leid des Kramer Veit und seiner Notburg. Sie wußten
nicht recht, was sie mit dem Burschen machen sollten. Jetzt wäre er
eigentlich in dem Alter gewesen, wo andere Burschen ans Heiraten
denken. Aber der Anderl, blitzsauber wie er war, machte sich nichts
aus den Mädeln. Er neckte sie wohl und scherzte mit ihnen, aber für
keine einzige zeigte er ein tieferes Interesse. Und so schön wie es der
Anderl gehabt hätte. Er brauchte nur zu wollen, und gleich hätte ihm
der Kramer Veit die schmucke Villa übergeben.

Neben seiner Villa hatte Veit Galler schon seit etlichen Jahren einen
großen Stall erbaut. Zehn Kühe standen darin, und viel Grund, Felder
und Äcker ringsum hatte er erworben. Das wäre so sein Herzenswunsch
gewesen. Ein richtiger Bauer sollte der Anderl werden, einer, wie es
der alte Perlmoser war, der nichts Schöneres auf der Welt kannte als
die Scholle, auf der er stand und arbeitete.

Der Anderl kannte freilich auch nichts Schöneres wie seine Heimat, aber
er diente ihr anders, als es der Veit für ihn erwünschte. Er diente ihr
mit seinem jungen, starken und sehnenden Herzen, ehrfurchtsvoll und
erschaudernd vor ihrer Pracht und Größe.

Schon als er noch ein kleiner Bub war, gab es für ihn nichts Höheres,
als barfüßig in Hemd und Hose draußen zu liegen im Feld, die Hände
unterm Kopf und den Himmel anstarrend. Einsame Plätze suchte er aus,
dort, wo selten der Fuß eines Fremden sich hinverirrte. Und lag und
träumte viele ... viele Stunden. Aber die Liebe zur Bauerschaft,
die fehlte ihm. Wohl arbeitete er fleißig und unablässig, aber der
Veit merkte es gut, er arbeitete aus Pflichtgefühl und nur, um den
Pflegeeltern Freude zu bereiten.

Der Martl, der älteste Sohn des Wastl und der Vef, hatte jetzt auch ein
Heim gefunden beim Kramer Veit. Er diente dort als Knecht und war treu
und fleißig.

Ein Heim für die Verlassenen und Unglücklichen war das Haus des Kramers
und seiner Frau geworden. Als der Wastl sich immer mehr dem Trunke
ergab und ein richtiger Lump geworden war und sich nur mehr selten in
der Heimat blicken ließ und die Vef sich auch nicht mehr um ihre beiden
Buben kümmerte, da brachte man die Kinder von der Stadt zurück und zum
Kramer Veit.

»Veit ...« sagte der Gemeindevorsteher ... »du und dei' Weib ...
ös zwoa vermögts es. Nehmt's enk an drum ... damit sie nit aa no
verlottern.«

Und sie nahmen sich an um die beiden blonden Buben der Vef und waren
nun in ihrem Alter mit Kindern reich gesegnet. Der Anderl und das
Moidele, die das Kind der toten Mena war, und dann der Martl und seine
beiden Brüder. Und alle hatten sie ein Heim und Liebe und Sorgfalt
gefunden.

Daß es wirklich eine so echte christliche Nächstenliebe geben konnte,
wie die alten Kramersleute sie aufbrachten?

Wenn der Anderl so stundenlang in seinen Wiesen lag und in den blauen
Himmel hinein träumte, dann sinnierte er sich's aus in seinem Kopf und
verglich.

Ringsum, wohin er schaute, Selbstsucht und Gier nach Geld. Gier nach
Lust und Vergnügen, wie bei den fremden Leuten droben im Hause seiner
Mutter. Und Sucht nach Geld und Gewinn, wie es die Bauern im Dörfl
machten, die mit jedem Jahr immer schlauer und gerissener wurden.
Und dann wieder hartnäckigster Eigensinn, aus übergroßer Selbstliebe
entsprungen, der die Schuldlosen traf, wie drüben beim alten Perlmoser
und seinem Sohn, dem Jackl. Denn die Perlmoserischen wollten nichts zu
tun haben mit den arm gewordenen Verwandten und sagten sich los von den
drei Buben der Vef. Und doch nur deswegen, weil der Bauernstolz des
Alten zu tiefst getroffen worden war. Das konnte er nicht verzeihen,
und das machte ihn hart und unchristlich.

Droben im Hotel tanzte und sang und spielte und liebte man und war voll
Lebenslust und toller Freude. Und der Anderl, der zum Mann geworden
war, dachte nach und verglich. Verglich aus seinem eigenen Leben; denn
er kannte gar wohl die Geschichte der jungen Liebe seiner Eltern.

Damals, als seine junge Mutter mit ihm schwanger ging, als sie, ein
halbes Kind, vor der Heimat und der drohenden Schande floh ... da
waren sie alle hart gewesen zu dem Mädchen. Keines hätte sich ihrer
angenommen, und hätten sie verderben lassen, wenn der Veit Galler nicht
gewesen wäre.

Der hatte das wahre Christentum erkannt und ausgeübt. Er und die
Notburg ... die schweigsame Frau mit dem tiefen Gemüte. Von ihr hatte
der Knabe das Sinnieren gelernt, von ihr das Träumen und auch das
gerechte Abwägen der Handlungen anderer Menschen.

Das ganze Tal hatte aus dem Unternehmen des Florian Siegwein Vorteil
gezogen. Eine neue Zeit hatte er damit ins Leben gerufen, und nun, da
er tot war, sprachen die Menschen übel von ihm.

Sie sprachen von seinem unverantwortlichen Leichtsinn und von
seiner wilden Spekulationsgier und von den vielen Schulden, die er
hinterlassen hatte, und auch davon, wie dumm und ungeschickt die Regina
jetzt wirtschaftete. Und viele gab es unter ihnen, die da schadenfroh
es sich an den Fingern abzählten, wie lange die Frau sich wohl noch
würde halten können, ehe die Flut des Unheils über sie mit Macht
hereinbrechen würde.

Sie alle waren Christen ... fromme, gläubige Christen. Wenn der Ruf
der Glocken erscholl, dann eilten sie zur Kirche und falteten die
Hände. Und ihre Lippen sprachen Gebete, von denen die Herzen nichts
wußten. Sie beichteten und gingen zum Tische des Herrn. Und begingen
doch wieder alle jene Sünden, die sie zu unterlassen gelobt hatten.
Sie duldeten die lockeren Sitten der Fremden, schlossen die Augen und
taten, als bemerkten sie es nicht. Denn sie erkannten den Vorteil, der
ihnen durch die Fremden wurde, und waren nur darauf bedacht, ihn auch
richtig auszunutzen.

Und der Anderl brütete und dachte nach. Dachte über die Ursachen,
weshalb die Fremden den Charakter seines Volkes verdarben.

Der wahre Geist des Christentums fehlte ihnen allen. War nicht
eingedrungen in ihre Herzen; denn sie beteten wohl, aber sie lebten
nicht nach der Lehre des Herrn. Wohl wetterten und eiferten die
Priester in den Kirchen gegen die Fremden. Sie eiferten aber gegen sie,
weil es Andersgläubige waren ... Ketzer ... die einem fremden Glauben
angehörten. In diesem Glauben sahen sie die Gefahr für das Volk,
und die Gefahr lag anderswo und nicht in dem von der Geistlichkeit
verurteilten ketzerischen Glauben. Die Gefahr erstand aus dem Innern
des Volkes in seiner Gier nach Geld und in der Gier nach Genuß.

Christi Lehre! Wie wenige erkannten sie ... wie wenige verstanden sie.

Und der junge Anderl glaubte nun seinen wahren Beruf entdeckt zu
haben. Ein Priester wollte er werden ... ein Priester des Herrn und ein
wahrer Diener seines Volkes ...

Einmal sprach Veit Galler, der Kramer, davon, daß er mit dem Anderl das
Grab des Florian Siegwein aufsuchen wollte, das so weit und verlassen
in fernen Landen lag. Wie einen Sohn hatte Veit Galler den Florl
geliebt ... trotz allem Groll, den er oftmals gegen ihn hegte. Und
trauerte redlich und aufrichtig um ihn.

Es kam ihn hart an, das Reisen; denn der Kramer Veit war alt und
gebrechlich geworden. Und die Notburg machte ängstliche, besorgte
Augen. Der Veit aber wußte sie zu trösten.

Es war ja, wie man erzählte, nun nicht mehr so beschwerlich, das
Reisen. An vielen Orten hatten sie eine neue Erfindung eingeführt.
Wagen, die auf Eisenschienen rollten und von einer Maschine gezogen
wurden. Da ging's schon leichter und auch rascher, das Reisen ...

Und als die schöne Jahreszeit kam, da wanderte der Kramer Veit mit
seinem Pflegesohn hinunter ins Tal. Ging schon recht nach vorne
gebeugt, der Veit, und nicht mehr so wuchtig und selbstherrlich wie
einst. Und neben ihm der junge Anderl, schlank und biegsam und voll
Jugendkraft. Und hatte im Rucksack drinnen eine sonderliche Gabe für
den toten Vater. Einen großen Topf voll Heimaterde und ein junges
Fichtenbäuml. Das sollte Wache halten auf dem Grabe des Tirolers ...

Auf dieser langen Fahrt, die sie gemeinsam unternommen hatten, gestand
der Anderl dem Kramer Veit den heißen Wunsch seines Lebens.

Und Veit Galler neigte sein schneeweißes Haupt und redete lange kein
Wort. Und dann: »Ist mir recht, Anderl. Und wird der Muatter Notburg aa
recht sein. Ist was Gutes und Braves. Aber Anderl ...« voll schauten
die großen erkennenden Augen des Alten auf den jungen Mann ... »die
Menschen machst aa du nit anders. Kannst mir's glauben. Die bleiben,
wie sie sein. Aber lass' di's deswegen nit verdrießen, Bua. Gutes tun
kann man überall ... und aa als Bauer und als Geistlicher. Ist mir
recht ... Bua ... Ganz recht.«

Aber lieber wäre es dem alten Kramer doch gewesen, wenn der Anderl
geheiratet hätte und ein Bauer geblieben wäre. Aber er sagte kein Wort
davon. -- -- --

Und nun hausten sie daheim schon übers Jahr ohne den Anderl, und die
Notburg freute sich, daß ihr die Augen feucht wurden, wenn sie daran
dachte, daß ihr Anderl ... ihr Kind ... das sie aufgezogen hatte und
das so ganz nach ihrem Sinn geworden war ... die heiligen Weihen
empfangen sollte.

Die Regina nahm die Nachricht von der Berufswahl ihres Sohnes
ziemlich gleichgültig entgegen. Es interessierte sie nur wenig. Sie
war mürbe geworden in dem harten Kampf um ihre und ihrer Tochter
Existenz. -- -- --

Und Jahre vergingen. In jenem Sommer, da man den Anderl zum Priester
weihte, trieben die Gläubiger die Regina und ihre Tochter von Haus und
Hof.

Ein wahres Glück, daß der Veit Galler noch lebte und die Notburg. Denn
die Regina war bettelarm geworden.




                          Sechzehntes Kapitel


Die reisenden Tiroler Sänger waren nach dem Tode des Florian Siegwein
nach allen Windrichtungen hin zerstreut worden. Eine Zeit hindurch
leitete zwar die Vef die kleine Truppe, aber sie verstand diese Sache
genau so schlecht, wie die Regina die Führung daheim loshatte.

Kein halbes Jahr dauerte die Herrlichkeit, und die ganze Truppe hatte
sich aufgelöst. Und neue Gesellschaften schossen auf wie Pilze im Wald.
Reisten mit Erfolg und auch ohne Erfolg, aber jene Höhe des Ansehens,
die der Florian Siegwein einmal errungen hatte, war niemandem mehr von
ihnen beschieden.

Mit der Vef aber ging es von dieser Zeit an immer mehr abwärts. Jenem
tollen Sinnestaumel, dem sie sich hingegeben hatte, folgte der Ekel und
Abscheu der Übersättigten. Sie war unfroh und unglückselig geworden und
verfluchte sich und ihr ganzes Leben.

Und jetzt nach dem Tode des Florian Siegwein trat die Sorge um
ihre Zukunft immer drohender an sie heran. Eine Zeit, nachdem die
Gesellschaft, die sie zu führen versucht hatte, in Brüche gegangen war,
lebte die Vef ganz nach ihrem Geschmack. Und fühlte sich frei und aller
Fesseln ledig. Bis der Überdruß begann und die Not dräuend vor ihr
stand.

Da sank sie zur Dirne herab, liebte ohne innere Neigung und ließ
sich erhalten. Sie wechselte die Männer wie die Kleider, halb aus
ungezähmter Sinnenlust und teilweise aus Berechnung. Bis sie erkannte,
daß diese Art von Leben sie vollends an den Abgrund bringen würde. Da
machte die Vef eine innere Wandlung durch. Raffte den letzten Rest
ihres besseren Menschen mit einem Anflug ihrer alten Energie zusammen
und versuchte es noch einmal, ein anderer Mensch zu werden.

Aber es war zu spät für sie geworden. An Seele und Leib war das Weib
gebrochen, und ihre weiche, volle Stimme, die so edel geklungen hatte
wie Metall, war rauh und hart geworden. Mit Mühe und Not konnte die Vef
noch eine Stellung als Sängerin erreichen.

Der Simeringer Franz nahm sie halb aus Mitleid in seine Truppe auf.
Schließlich hatte die Vef ja einmal einen großen Ruf besessen und
konnte mit ihrem Namen noch als Lockvogel gelten. Das Publikum, vor dem
sie nun in minderen Lokalen zu singen hatte, gröhlte ihr freudig zu und
überschüttete sie mit Beifall. Und lächelnd dankte die Frau und litt
doch schwer unter ihrem gedemütigten Stolz.

Eine welke, früh gealterte Frau war die Vef geworden und trug den Keim
eines schweren Siechtums in sich. Sie wußte und fühlte es genau, wie es
um sie bestellt war, und sehnte in manchen bangen Stunden den Erlöser
Tod herbei. Aber der Tod kommt nicht, wenn er als Erlöser dienen soll.
Läßt sich Zeit denn sein Opfer ist ihm sicher.

Der Glaube, in dem die Vef aufgewachsen war, verbot den Selbstmord. Und
inmitten ihres Unglücks hatte die Frau diesen Glauben nicht vergessen
und war wieder gläubig geworden. Sie fürchtete sich vor dem, was nach
dem Tode kommen würde, und ertrug ein Leben, das ihr mit jedem Tage nur
zur vermehrten Qual wurde.

Von stolzer Höhe war sie herabgesunken, mußte froh sein, daß man sie
vor einem anmaßenden, frechen Publikum singen ließ, mußte lachen und
scherzen und schamlose Witze erdulden. Und heiß brannte ihr der Kopf,
und der Rest eines Stolzes, der ihr immer noch geblieben war, empörte
sich in ihr. Ganz war sie denn doch noch nicht zur Dirne geworden.
Hatte noch Scham in sich trotz allem.

Die Reue kam ... die Reue über ihr verfehltes Leben, das sie allein
verschuldet hatte. Wie anders ... ganz anders hätte es doch für sie
kommen können! Nur nicht daran denken ... nicht an das Vergangene
denken! Nicht an die Heimat und nicht an ihr stilles Glück in der Gungl
... das einmal so jauchzend groß und so rein gewesen war ... nicht an
den Wastl, ihren Gatten, und nicht an die Kinder.

Die Kinder ... ihre blonden Buben ... Jetzt nach den langen Jahren
einer selbstgewollten Trennung überkam sie oft eine brennende Sehnsucht
nach ihren Kindern und auch nach dem Wastl.

Nie mehr wieder war er ihr nach jener Züchtigung in den Weg getreten.
Aber die Vef hatte gehört, daß er ein Säufer geworden war und arg
verkommen sei.

Eine Verworfene war sie geworden ... ausgestoßen von allem, was ihr
einstmals heilig war, und mußte tot sein für die Ihren.

Der Göd ... der Alte in der Gungl ... der kam ihr in einsamen Stunden
auch öfters in den Sinn ... Was der wohl sagen würde ... wenn er sie
jetzt so sehen könnte? Hatte große Stücke auf sie gehalten, der Göd ...
Warum sie wohl in letzter Zeit so häufig an den Alten denken mußte? Und
auch an das Tonele, ihr kleines, verlassenes Töchterchen, das so früh
hatte sterben müssen! ... Müssen? ... Dürfen! ... Die Vef wäre froh
gewesen, wenn sie an Stelle ihres Kindes zu tiefst unter der Erde hätte
liegen dürfen ...

Auch die Schminke vermochte den raschen Verfall ihrer körperlichen
Schönheit nicht mehr zu verdecken. Hohläugig war sie nun geworden, und
ihr strahlendes, sonniges Lachen war für immer geschwunden. Dickes,
aufdringliches Rot milderte die fahle Blässe ihrer eingefallenen
Wangen, und um den vollen, sinnlichen Mund, der so glühheiß und
versengend zu küssen verstanden hatte, gruben sich tiefe Falten des
Leides ein.

In diesen Zeiten innerer Wandlung tat die Vef etwas, das sie lange ...
endlos lange nicht mehr getan hatte. Sie suchte die Kirchen auf und
murmelte Gebete. Sie besann sich auf die Gebete ihrer Jugend ... allein
sie waren ihrem Gedächtnis entschwunden. Nur immer ein paar Sätze von
jedem wußte sie, und an viele erinnerte sie sich überhaupt nicht mehr.
Das war qualvoll und ließ keine Andacht in ihr aufkommen.

Sie besuchte die Gottesdienste ... ohne inneren Trost. Denn sie
lauschte nicht den Worten des Predigers, sondern suchte in den
Gesichtern des Volkes. Sie suchte nach den Spuren, die das Leben in
den Gesichtern eingegraben hatte. Und verstand zu lesen. Sah viel Leid
... endloses Leid ... und sah hinter manchem andächtigen Gesicht das
Laster lauern. Sah Heuchelei und Geiz und Lieblosigkeit, aber wenig
Frömmigkeit.

Und angewidert verließ die Frau die überfüllten Kirchen der Städte. Sie
konnten ihr keinen Trost geben, konnten ihr die Gebete ihrer Jugend
nicht wiederbringen. Es war alles hohl ... öde ... und liebeleer in dem
fremden, flachen Land.

Je kränker sich die Frau fühlte, desto mehr überkam sie die brennende
Sehnsucht nach ihrer Heimat. Nur wieder einmal die Berge sehen ... ihre
Berge ... Es kam ihr vor, als könnte die frische Bergluft alles Üble
von ihr fortfegen. Als könnte sie wieder rein werden in der geheiligten
Luft.

So wollte sie nicht ins Heimatstal zurück. So viel Stolz besaß sie. Man
sollte sie dort nicht sehen in ihrer Schande. Ihr Land war groß und
beschränkte sich nicht allein auf ihre engere Heimat. Überall ragten
die gleichen Berge, überall war dieselbe herzerfrischende Alpenluft.
Dorthin wollte sie gehen, wo sie unerkannt leben konnte, und wollte
trachten, sich noch einmal Arbeit zu verschaffen.

Einen letzten Rest von goldenem Geschmeide besaß die Vef noch.
Geschenke aus ihren besten Zeiten, da man sie mit Schmuck überhäuft
hatte. Gab eine stattliche Summe ab, als sie es verkaufte. Und deckte
vollauf die Reisekosten, und blieb noch was übrig, daß sie wohl eine
geraume Zeit davon leben konnte. Wenn sie recht sparsam war, wohl auch
ein Jahr.

Da konnte sie's schon wagen, dem Simeringer Franz zu kündigen, ehe er
sie vor die Türe setzte. Denn daß er dies über kurz oder lang doch tun
würde, das wußte die Vef genau.

Er war ein grober Patron, der Franz, und ohne jedes Zartgefühl. Etliche
Male hatte er ihr in seinem Rausch die Kündigung schon angedroht; denn
er ärgerte sich, daß die Vef alt geworden war und seinem Publikum nicht
mehr recht gefallen wollte. So war's ihm denn recht, daß die Vef ihn
verließ, und er kümmerte sich nicht weiter um ihr Schicksal. Sollte
halt schauen, wie sie sich weiter durchbrachte, die alte Vettel!

Und sie brachte sich durch. Schlecht und recht. In Innsbruck, der
Hauptstadt ihres Landes, hatte sie sich niedergelassen mit allen guten
Vorsätzen. Wollte ehrliche Arbeit suchen, die Frau ... aber wer gibt
einem kranken Weibe Verdienst? Und das Rackern und Schuften, wie sie es
in ihrer Jugend gekannt hatte, das hatte sie auch gründlich verlernt.
Wäre auch zu schwach gewesen dazu, um als Taglöhnerin zu dienen.

Etwas war ihr ja noch geblieben. Ihre Zither. Und mit dieser zog die
Vef von Schenke zu Schenke und spielte auf. Sang Lieder dazu ... mit
rauher, hohler Stimme, halbe Nächte lang, und verdiente sich auf diese
Weise ihren Unterhalt.

Man warf ihr Geldstücke auf den Teller, wenn sie von Tisch zu Tisch
absammeln ging, machte schlechte Witze und wurde oft auch dreist. Denn
dieses Publikum bestand zumeist aus derben Männern. Taglöhner und
Dienstmänner, die ihren Spaß haben wollten. Waren gutmütige Leute,
die ihr auch etwas vergönnten und sie nicht schalten wie jene harten
Menschen der Großstädte, weil sie alt und reizlos für sie geworden war.

Diese hier waren wohl derbe Männer, aber ohne Laster, und freigebig
zahlten sie der Frau oft Wein und Schnaps oder Käse und Bier. Und die
Vef nahm es, dankte, lächelte ihr fahles Lächeln und spielte und sang.
Abend für Abend.

Bis ihr einmal der Wastl, ihr Gatte, wieder in den Weg kam.

Hatte ein recht unstetes Leben geführt, der Wastl, in all diesen
Jahren. War daheim gewesen und hatte sich irgendwo als Knecht verdingt.
Hielt aber nicht lange aus daheim. Mußte wieder trinken ... sein
Elend zu vergessen suchen. Aber Trunkenbolde können die Bauern nicht
gebrauchen.

Es fiel dem Wastl mit der Zeit schwer, einen neuen Dienst in der Heimat
zu finden. So wanderte er von Ort zu Ort, arbeitete und versoff dann
wieder das Geld, das er sich verdient hatte. Bis er nach Innsbruck kam.
Dort wurde er Taglöhner und schuftete und rackerte sich wie in alten
Zeiten und kam dann wieder ganze Tage hindurch nicht mehr aus seinem
Rausch heraus.

Dann war er womöglich noch gutmütiger wie im nüchternen Zustand. Lud
alle ein, die um ihn saßen, daß sie seine Gäste sein sollten, und
kriegte zum Schluß immer das besoffene Elend. Heulte wie ein Kind und
ließ sich dann ruhig von den Kameraden aus der Schenke führen. Und wenn
das Geld zu Ende war, dann arbeitete er wieder. Das war das Leben, das
der Wastl in diesen letzten Jahren geführt hatte.

Sie kannten ihn alle in den Innsbrucker Schankwirtschaften, in denen er
verkehrte, und mochten ihn gut leiden.

Jemand hatte es erfahren und herumgesprochen. In einer Weinkneipe in
der Altstadt spielte und sang allabendlich eine Frau, die einmal eine
gefeierte Sängerin gewesen war. Und hieß Genovefa Hagspiel.

Das Gerücht kam dem Wastl zu Ohren und traf ihn wie ein Schlag.

Die Vef ... und hier ... und wieder in der Heimat.

Wie ein Kreisel wirbelte dieser Gedanke den ganzen Tag im Kopfe des
Mannes.

Die Vef ... und wieder in der Heimat ... Er mußte sie sehen ... die Vef
... mußte hingehen, dort, wo sie war und spielen sollte ... Ob sie sich
wohl recht verändert hatte ... die Vef ...

Endlos lange dauerte ihm heute der Tag, und er bekam völlig
Herzklopfen, als es endlich Abend wurde.

Die Vef ... und wieder in der Heimat ...

Alles Leid hatte er vergessen ... vergessen, daß sie treulos war und
zur Dirne herabgesunken ... dachte gar nicht daran ... dachte nur immer
wieder das eine ... daß sie wieder hier war ... und in seiner Heimat
weilte.

Und dann sah er sie.

Sie saß allein an einem kleinen Tische in einer Fensternische und
spielte die Zither. In einem dunkeln Gewande war sie, ohne Schmuck und
ohne Zier. Nur in den Ohren trug sie schwere Goldgehänge. Die wirkten
auffallend und im seltsamen Kontrast zu der fast ärmlichen Kleidung der
Frau und zogen an den kleinen Ohren, daß es aussah, als müßten sie ihr
wehe tun.

Die Vef hatte sich von dieser allerletzten Erinnerung an eine glänzende
Vergangenheit noch nicht trennen können. Der Wastl kannte diesen
Schmuck sehr wohl. Er war selber dabei gewesen, als eine Fürstin,
hingerissen von dem innigen Ton ihrer Stimme, eigenhändig der Vef die
Ringe in den Ohren befestigte.

Sah recht elend aus, die Vef, und war mager und schmal geworden. Hatte
die stolze, sieghafte Haltung völlig eingebüßt und zog ... wie im
Schmerze ... die Schultern ein. Die blonde Haarkrone, die noch immer
in üppiger Fülle prangte, drückte schwer auf das leidende Gesicht, und
müde und mit leerem Blick schauten die hellen großen Augen.

Das war also die Vef ... seine Vef ... die er im hohen Zorn gezüchtigt
hatte. Jetzt reute es ihn, da er sie so elend sah, und er schämte
sich, daß er jemals die Hand gegen sie erhoben hatte.

Ob sie ihm wohl noch böse war, die Vef?

Ganz scheu verkroch sich der Wastl in eine Ecke des Lokales. Es war
ein gemütlicher, nicht sehr großer Raum, und die Gäste wurden von
einer einzigen Kellnerin bedient. Dick lag der Tabaksqualm über dem
rauchgeschwärzten Getäfel der Stube, und matt leuchteten die Lampen,
die von der Überdecke herabhingen. Große und kleinere runde Tische
standen umher, und grellrote Vorhänge verdeckten die Fensterscheiben
und wehrten den Ausblick auf die schmale Gasse.

Es gab guten Wein hier drinnen, echten Traminer und Kaltererseewein,
und das Lokal war besser als jene Wirtschaften, in denen der Wastl für
gewöhnlich zu verkehren pflegte.

Mit einem Kameraden war der Wastl hierhergekommen, und die Vef hatte
ihn nicht bemerkt. Unverwandt starrte der Wastl zu der Fensternische
hinüber, wo die Vef saß und spielte.

Und dann sang sie Lieder ... Lieder, die sie in der Heimat schon
gesungen hatte. Dem Wastl war es, als seien die Jahre seit damals
verschwunden ... als überbrückte die Gegenwart alles Böse der
Vergangenheit.

Wie in einem Traum saß er da, trank nichts und sprach nichts und
lauschte nur. Schloß die Augen und ließ die Stimme seiner Frau auf sich
wirken.

Er hörte es wohl, daß der Schmelz dieser Stimme geschwunden war,
und trotzdem übte sie auf ihn doch die gleiche Zauberkraft aus wie
damals, als sie so seltsam berückend, süß und innig erklungen hatte.
Und so sehr war der Wastl diesem Zauber verfallen, daß er es gar nicht
bemerkte, wie die Vef mit ihrem Lied zu Ende war. Saß da und schloß die
Augen und träumte im Wachen.

»Du ...« Sein Kamerad, der ihm zur Seite saß, stieß ihn unsanft mit
dem Ellenbogen in die Rippen. »Zum schlafen hab' i di weiter nit mit
da einer g'nommen. Geh' halt hoam, wann's dir nit g'fallt!« fügte er
geärgert hinzu.

Er war ein älterer Mann, derb und ungeschlacht in seinem Äußeren
und von gedrungener Gestalt. Der rötliche Bart stand ihm wirr im
Gesicht, und buschige rotblonde Brauen verdeckten zum großen Teil die
dunkeln Augen. Seit einiger Zeit arbeiteten sie gemeinsam in einer
Zimmermannswerkstätte und wußten nur wenig voneinander. Vertrugen sich
gut, waren aber keine Freunde.

Jedenfalls ahnte der Mann nicht, daß die Sängerin die Frau des
Wastl war. Sie nannten sich beide nur bei den Vornamen und kannten
gegenseitig nicht einmal ihre Familiennamen. Daß der Wastl, den der
Mann in seiner Gutmütigkeit aufgefordert hatte, mit hierher zu kommen,
jetzt gar zu schlafen anfing, das ärgerte ihn ganz gewaltig, und er
schämte sich für ihn.

Der Wastl schrak bei den Worten des Mannes jäh zusammen. Und starrte
hinüber zu der Fensternische, aber das Lied war verklungen, und die Vef
war aufgestanden und schritt nun langsam, den Teller in ihren Händen
haltend, von Tisch zu Tisch.

Sie mußte nun gleich in seiner Nähe sein. Schon war sie am Nebentische,
und der Wastl hörte das Klingen der Münzen auf dem Teller und hörte,
wie sie mit gedämpfter Stimme sich für die Gaben bedankte. Und sein
Herz klopfte laut, und seine Schläfen hämmerten.

Jetzt ... jetzt mußte sie hinter ihm stehen ... er fühlte es förmlich,
wie sie hinter ihm stand ... glaubte den Hauch ihres Atems zu spüren
... Ob sie ihn wohl erkannte ... ob sie sich noch vor ihm grauste ...
wie damals ...

Und abermals weckte ihn sein Nachbar aus dem aufgeregten Gedankengang,
indem er ihn unwillig anstieß.

»Du ... wird's bald? Ha? Freigebig bist ja grad' aa nit!« sagte er
ärgerlich.

Da zog der Wastl, ohne auf die Vef zu schauen, schwerfällig und
umständlich seine Geldbörse aus der Tasche und entnahm derselben ein
großes Geldstück Das größte, das er finden konnte. Und er legte es auf
den Teller der Vef, und seine Hand zitterte stark.

Klirrend rollte das Stück auf dem Teller umher, so daß es beinahe zu
Boden gefallen wäre. Die Vef beugte sich nach vorn, um es zu fangen,
und der Wastl starrte hilflos und erschrocken zu ihr empor. Da
begegneten sich ihre Augen zum ersten Male wieder.

Ein Zittern und Beben ging durch den Körper der Frau und ein tiefes
Erschrecken, und klirrend brach der Teller, den sie fallen ließ, in
viele Scherben ...

Sie hatten kein Wort miteinander gewechselt, der Wastl und die Vef.
Nicht an jenem Abend und nicht an den Abenden, die diesem einen folgten.

Der Wastl fehlte nun nie mehr in dieser Weinschenke. Kam und lauschte
voll stiller Andacht der Stimme seiner Frau und blieb immer nüchtern.
Und wenn sie Geld einsammelte, dann hatte er das größte Stück, das er
besaß, für sie bereit. Und mit abgewendetem Gesichte stand die Vef da
und dankte ihm mit keinem Wort und keinem Blick. Und war doch innerlich
froh, daß der Wastl in ihrer Nähe weilte, fühlte sich geborgen und von
seiner Treue behütet; denn sie wußte, der würde, wenn es zum letzten
kam mit ihr, sie nicht verlassen.

Der Wastl aber konnte den Mut nicht finden, sich seiner Frau zu nähern.
Er litt nur immer unter der einen Vorstellung, daß er die Frau einmal
gezüchtigt hatte, roh und brutal, und schämte sich dessen.

Das dauerte Wochen hindurch, und die Vef spielte und sang unermüdlich
und an jedem Abend.

Und einmal kam ein Fremder in die Schenke. Ein reisender Handwerker,
der vom Ausland in die Stadt gekommen war. Der Wein mundete ihm
vorzüglich, und er trank mehr, als ihm gut tat. Er hörte die Lieder
der Vef und hörte das Spiel der Zither, und alles war ihm ungewohnt
und gefiel ihm ausnehmend wohl. Und da er viel Geld bei sich hatte und
sich einen recht vergnügten Abend machen wollte, warf er es der Vef
achtlos und in reichlicher Menge zu und hieß sie im herrischen Ton
weitersingen, als sie zur gewohnten Stunde Schluß machen wollte.

»Sing' ... Alte!« rief er aufgeregt und polternd. »Sing'! Ich will's!«
Und abermals warf er ihr Geld zu ... brutal ... wie man einem Tier
einen Brocken Fleisch zuwirft.

Das ärgerte die Frau, und sie schob das Geld, ohne es zu berühren,
beiseite und packte ruhig und schweigend ihre Zither ein.

»Willst nicht ... was?« rief der Fremde dröhnend und schaukelte sich
auf seinem Sessel herausfordernd hin und her. Er war ein Mann in
mittleren Jahren, klein und schwammig, und sein kahler Kopf glühte
brennrot vom ungewohnten Weingenuß. »Da ... noch mehr?« Und abermals
flog ein Geldstück zur Vef hinüber, die es nicht beachtete.

»Hast wohl den Liebsten daheim? Wie?« gröhlte er zynisch.

Zornig schaute die Frau auf. Dann nahm sie schweigend ihren Hut und
Mantel und wollte an dem Fremden vorüber der Türe zu gehen. Der Fremde
stellte sich ihr mit seinem Stuhl in den Weg.

»Na ... wart' nur!« rief er polternd. »Erst will ich dich mal richtig
besehen ...« Er streckte ihr unversehens die Beine entgegen, so daß die
Vef zu stolpern kam und ihm, das Gleichgewicht verlierend, im Arme lag.
Der Fremde wieherte laut und trunken.

»Ha! Ha! Ha! Ha! So eine biste! So leicht machst du's einem?« gröhlte
er. »Na ... was kostet die Nacht, Schätzchen?«

Sie waren schon alle aufmerksam geworden auf die beiden, und eine
lautlose Stille war entstanden, so daß man jedes Wort deutlich
vernehmen konnte.

Und viele kicherten dann und stießen sich an, und wieder andere
munterten den Fremden zu weiteren Dreistigkeiten auf.

Eine fahle Blässe, die man trotz der Schminke sehen konnte, überzog das
Gesicht der Vef. Ihr alter Stolz erwachte. Beschimpfen, sich öffentlich
zur Dirne stempeln lassen, das ließ sie sich denn doch nicht bieten.
Und mit einem Anflug ihrer alten ehemaligen Energie hieb sie dem
Fremden eine so kräftige Ohrfeige herunter, daß es laut schallte.

»Auslassen!« fauchte sie zornig gleich einer Wildkatze. »Auslassen!«

»Nee ... nee ... Schätzchen ...« Der Fremde hielt sie fest mit der Hand
gepackt und wollte sie gewaltsam an sich pressen.

Unvermutet und mit einem jähen Satz war der Wastl der Vef beigesprungen
und hielt den Fremden von rückwärts fest umklammert, so daß sich dieser
nicht mehr rühren konnte.

»Heda! Sie!« Der Fremde wandte sich erstaunt dem Wastl zu und glotzte
ihm zornig ins Gesicht. »Was fällt Ihnen ein, Mann? Wollen wohl gar mit
mir kämpfen? Was? Wegen so einer ... Brrr!« Und er schüttelte sich wie
im Ekel.

Dem Wastl stieg das Blut schwer und heiß zu Kopf vor Wut und
unbändigem Zorn. »Was hast g'sagt?« keuchte er und beugte sich drohend
zu dem Fremden vor, so daß diesem sein Atem glühheiß ins Gesicht schlug.

»Sie sind ja betrunken, Mensch!« wollte der Fremde jetzt den Wastl
begütigen. »Machen Sie, daß Sie fortkommen! So 'ne Dirne ist das doch
nicht wert, daß wir Streit miteinander anfangen.«

»Dös nimmst z'ruck ... du!« keuchte der Wastl und ballte beide Fäuste.
»Dös nimmst z'ruck!«

»Nischt nehm' ich zurück!« schrie der Fremde jetzt gleichfalls zornig
gemacht. »Könnt' mir einfallen Wegen so 'ner alten Vettel!« höhnte er
verächtlich.

»Du!«

Wie ein Rasender hatte sich der Wastl über den Fremden geworfen und
würgte ihn.

»Du ... z'rucknehmen ... du ...« keuchte er sinnlos vor Wut. »Die Vef
...«

»'ne Dirne ist's!« schrie der andere zornig. »Sieht ja 'n jeder!«

Da packte ihn der Wastl am Halse und preßte ihm die Kehle zusammen.
Hatte Kräfte, der Mann, und ließ nicht los von seinem Opfer. Sie
schrien und riefen um Hilfe und wollten ihn gewaltsam von dem Fremden
trennen. Aber der Wastl war stärker in seiner rasenden Wut wie sie
alle. Hatte sich auf die Brust des unter ihm Liegenden gekniet und
würgte ihn.

Als sie endlich über den Wastl Herr geworden waren, lag der Fremde
blaurot im Gesicht am Boden ... mit stieren Augen und war tot.

Und aufgebracht und schreiend lieferten sie den Wastl, der zum Mörder
geworden war, der strafenden Gerechtigkeit aus.

Die Vef schlich unbeachtet, müde und gebrochen in das Dunkel der
Nacht hinaus. Schlich wie eine Verbrecherin durch die nur spärlich
erleuchteten Bogengänge der Altstadt, durchwanderte die kleinen Gassen
und Gäßchen, bis sie auf Umwegen zu dem breiten Fluß kam.

Dort stand sie lange und starrte auf die schwarzen Wasser des Inns. Und
dräuend baute sich am andern Ufer in dem Dunkel der Nacht die Bergwand
der Nordkette auf.

Weshalb noch weiter leben? Wozu?

Wenn sie doch den Mut zum Ende fände? Schwer und dumpf schlugen die
Glocken vom nahen Pfarrturm die frühe Morgenstunde.

Und langsam und ganz allmählich lichtete sich das schwere Wolkengebälk,
das den Himmel verdeckte, und wurde grau. Grau und freudlos.

Und ein kalter Wind wehte die welken Blätter eines frühen Herbstes von
den Bäumen herab, daß sie leise raschelnd zur Erde fielen.

Da wandte sich die Frau vom Flusse ab und ging langsam und müde in der
Richtung gegen die Stadt zurück.

Den Mut zum Sterben hatte sie nicht gefunden.




                          Siebzehntes Kapitel


Er war nun aber doch zu der Vef gekommen, der Erlöser, und ehe sie
starb, hatte sie noch eine Freude.

Ein junger Priester war an das Lager der todkranken Frau getreten.
Tröstend und milde, und hatte sie wieder beten gelehrt.

»I kann nimmer beten ...« klagte die Vef traurig. »Sein nur Worte ...
gar nix als Worte. Haben kein' Trost und kein' Inhalt nit.«

»Aber du glaubst, Vef? Glaubst an Gottes Barmherzigkeit?« Eindringlich
klangen diese Fragen und voll verstehenden Mitleids.

»Ja.«

»Und glaubst an seine Gerechtigkeit?«

»Ja.«

»Und ist dir von Herzen leid ... alles, was du Übles begangen ... alles
...«

»Ja.« Schwere Tränen fielen über die abgehärmten Wangen der Frau.
»Alles.«

Und der Priester sprach die Worte des Verzeihens. Segnete die Frau und
sprach sie im Namen Gottes von aller Schuld ledig.

»Hast nit noch einen Wunsch, Vef?«

Kaum merklich schüttelte die Frau ihren Kopf. »Nix mehr ...« sagte sie
leise. »Bin nur mehr müd. Todmüd ...« und schloß die Augen wie zum
Schlafe und hatte dabei ein friedlich seliges Lächeln.

»Nix mehr.«

»Und deine Buben ... Vef ...?«

Da schreckte das Weib zusammen. »Will sie nit sehen, Anderl!« sagte sie
mit einem Anflug ihrer alten Energie. »Nit sehen. 's ist hart ... aber
doch besser so ...« fügte sie leise und stockend hinzu. Und Andreas
Siegwein, der Priester, achtete diesen letzten Wunsch der sterbenden
Frau. Und blieb bei ihr, bis es zum letzten kam.

Und seine Nähe war ihr ein Trost und machte den Tod leicht. Denn
noch einmal durchlebte die Vef in diesen allerletzten Tagen ihres
Erdendaseins das, was das Schönste in ihrem Leben gewesen war. Noch
einmal war sie der Heimat nahe, hörte von allen, die sie gekannt und
lieb gehabt hatte, und fühlte sich wieder als die Vef vom Perlmoserhof,
die sie damals gewesen war.

Sie hörte von ihren Buben, daß sie hochgewachsene, stämmige junge
Männer geworden seien, die ein Heim gefunden hatten beim Kramer Veit.
Und noch ein letztes Mal erstand die Heimat in ihrer ganzen einsamen
und stolzen Pracht vor der sterbenden Frau. Der Perlmoserhof in dem
kleinen, waldumkränzten Hochtal und hoch droben das Alpl mit seiner
herrlichen Fernsicht auf die Bergspitzen und Gletscher im Hintergrund.
Und dann die Gungl und das kleine halbverfallene Hüttl vom alten Göd.

»Anderl ...« Die Vef hauchte das Wort kaum hörbar, so daß der Priester
sich tief über die Kranke beugen mußte, um sie zu verstehen.

»Kennst die Gungl?«

»Nein, Vef.«

Und lange keine Antwort. Mit geschlossenen Augen lag die Frau da
und träumte. Träumte ihren letzten irdischen Traum. Träumte von den
Schrofen und Bergmahden, von dem tobenden Wildbach und den haushohen
Felsen in seinem Bett, welche die smaragdgrünen Wasser zornig brausend
umspülten. Sie hörte sein brodelndes Getöse und hörte dann wieder in
weiter Ferne sanftklingenden Glockenton. Es war als wie das Läuten der
Schellen von weidendem Almvieh.

Das klang so weich und friedlich und brachte innere Ruhe. Und die Frau
lächelte in ihrem Traum. Jetzt war's ja überwunden ... alle Unrast ...
alles Böse ... und alle Sehnsucht. Nun war sie wieder in der Heimat ...
sah die Heimat und fühlte ihren erquickenden Hauch ... wie wohl das tat
... so kühl und feucht ...

So sanft wie die Vef schlummerte! Andreas Siegwein hatte noch nicht
viele Menschen sterben gesehen, aber er fühlte die Nähe des Todes und
betete voll Inbrunst am Lager der Frau.

»Gott schenke ihr einen leichten Tod! Herr! Richte sie nicht nach
Deiner Gerechtigkeit, sondern nach Deiner Barmherzigkeit!«

Kalter Schweiß stand auf der bleichen Stirn des Weibes, das die Hände
wie zum Gebet gefaltet hielt und lächelte. Da entzündete der Priester
das Totenlicht.

»Herr, sei ihrer armen Seele gnädig und barmherzig!« sprach er mit
lauter, wohltönender Stimme.

Die Vef richtete sich noch einmal mit dem Aufgebot ihrer letzten Kräfte
empor. Schaute mit ihren großen, sprechenden Augen verwundert und
erschrocken in dem kleinen, einfach ausgestatteten Mietzimmer umher.

»Dort ... siegst ... die Frau ...« sagte sie stockend und wies mit
matter Hand in die Richtung des Fensters, durch das der helle Schein
der späten Nachmittagssonne fiel. »Siegst ... Anderl ... wie schön ...
und ... leuchtet ... voll ... Gold ... und ... Sonn' ...«

Und dann starb die Vef. Ließ den Kopf wie wohlig ermattet auf das
Kissen ihres Bettes zurücksinken ... seufzte und lächelte. Hatte noch
einmal ihre Königin sehen dürfen, die Perlmoser Vef ... strahlend und
gewaltig und voll Gold ...

Andreas Siegwein, der Priester, aber hatte, nachdem die Vef gestorben
war, noch eine Pflicht zu erfüllen.

Als der Kramer Veit von dem Unglück hörte, das den Wastl zum Mörder
hatte werden lassen, da war er in den Pflegesohn gedrungen. Hatte ihn
gehen heißen, um dem Wastl beizustehen.

»Anderl ... geh' und sag's ihnen ... wie's gangen ist mit'n Wastl!«
hatte er ihn gebeten. »Ist ja do alleweil a braver Mensch g'wesen.
Mußt'n beistehen ... dem Wastl.« Die Stimme des alten Mannes, der nun
zum Greise geworden war, bebte vor innerer Erregung.

Daß das hatte kommen müssen ... Dazu hatte kommen müssen ... Wie ein
Unglück war es dem Kramer, das ihn selber betroffen hatte.

Und keinen wärmeren Fürsprecher hätte der Wastl finden können wie
diesen jungen Priester. Vor den Richtern des Volkes, die zu Gericht
saßen über den Sebastian Hagspiel, sprach Andreas Siegwein und
schilderte den Mann, wie er ihn kannte. Schilderte seine Treue und
große Liebe zu seinem Weibe und schilderte sein Glück und Unglück. Und
die Richter verhängten die mildeste Strafe über den Wastl, die nur
zulässig war.

Und war doch eine jahrelange Zuchthausstrafe und hat den Mann an
Seele und Leib gebrochen. Trotzdem er schon nach wenigen Jahren
begnadigt wurde, kam er als ein kranker Mann in das Siechenhaus seines
Heimatstales zurück.

Oft hatte Andreas Siegwein, der Priester, den Gefangenen aufgesucht.
Hatte ihn getröstet und zur Reue ermahnt. Aber die Reue für seine Tat
fehlte dem Wastl.

»Gib dir koa Müh' nit, Anderl ...« hatte der Wastl immer wieder
erklärt, ruhig und schwerfällig, wie es seine Art war. »I tat's no
amal. Und i hab's tun ~müassen~. 's ist gleich iatz!« fügte er
dann traurig hinzu.

Daß die Vef schon bald nach jener Tat gestorben war, das hatte der
Priester dem Wastl erzählt. Und ruhig und sehr gefaßt hatte ihm der
Mann zugehört. Es war, als empfände er den Tod seiner Frau wie eine
Erlösung. Er sprach nie über sie und war überhaupt noch schweigsamer
wie zuvor. Stierte nur immer so vor sich hin und redete und deutete
nichts.

Andreas Siegwein, der Priester, tat alles, was in seinen Kräften stand,
um dem Wastl zu helfen. Seinen Bemühungen war es in erster Linie zu
verdanken, daß der Wastl anläßlich einer Amnestie schon nach wenigen
Jahren wieder auf freien Fuß gesetzt wurde.

Und dann brachte er ihn in das Siechenhaus, das gleichzeitig auch als
Versorgungshaus diente und in dem großen, stattlichen Dorf im Tal
gelegen war. Das geschah auf ausdrücklichen Wunsch des Wastls. Denn er
wollte wohl in seine Heimat zurück, jedoch nicht im Dörfl selber leben,
aus Rücksicht für seine Söhne. Seine Buben, das war noch der letzte
Stolz und die letzte Liebe, die dem Wastl geblieben war.

Wenn der Wastl den Priester von seinen Söhnen erzählen hörte, so
lauschte er, ohne ihn zu unterbrechen und beinahe andachtsvoll zu. Er
sah sie im Geiste vor sich, die drei Buben, obwohl er sie seit vielen
Jahren nicht mehr gesehen hatte ... sah, wie sie groß und schlank und
biegsam und so blond waren, wie es die Vef gewesen war. Und mußten der
Mutter ähnlich schauen, die drei. Es konnte doch auch gar nicht anders
sein, als daß sie brave, tüchtige und brauchbare Menschen geworden
waren, die Buben. Ein Leuchten verklärte das welkgewordene Gesicht des
Mannes, so oft er an seine Söhne dachte.

Andreas Siegwein aber verschwieg es dem Wastl, und er hatte es auch der
Vef verschwiegen, daß mit den Buben viel Sorge in das Haus des Kramer
Veit eingezogen war. Der Martl, welcher der älteste von den dreien
war, der wäre schon recht gewesen. War ganz nach der Art seines Vaters
geraten. Fleißig und arbeitsam und auch etwas langsam und schwerfällig
von Begriff. Ein Bauer durch und durch, der nichts Schöneres kannte,
als in Gottes herrlicher Natur zu schaffen und zu ackern.

Aber die beiden jüngeren Söhne des Wastl und der Vef ... mit diesen
hatten die alten Kramersleute sich ihr liebes Kreuz eingetan. Hatten
große Rosinen im Kopf, die beiden, und dünkten sich zu gut, um Bauern
zu werden. Natürlich, sie hatten ja auch schon einige Jahre hindurch
eine gute Schule besucht und wären von Rechts wegen dazu bestimmt
gewesen, einmal gebildete Herren zu werden. Daß man sie dann, als
sich die Eltern nicht mehr um sie bekümmert hatten, einfach der
Heimatsgemeinde zustellte, das erfüllte die beiden halbwüchsigen
Burschen mit Empörung.

Ein wilder Haß gegen die Eltern keimte in den jungen Seelen und
vergiftete sie. Man hatte sie willkürlich aus ihrem Erdreich
verpflanzt, und kaum hatten sie anderswo Wurzel gefaßt und sich ihrer
veränderten Lage angepaßt, hatte man sie abermals rauh in eine neue
Umwelt versetzt, ohne Rücksicht auf ihre Gefühle und ihren Geschmack.

Nun sollten sie wieder Bauern werden, jenem Stand angehören, den die
Kameraden in der Schule verlacht hatten, so daß sie sich gar oftmals
darob schämten. Kein Wunder, daß Haß und Groll gegen die Erzeuger
ihres Lebens in ihnen wucherte, und kein Wunder, daß sie nur wenig Dank
fanden für die Wohltaten der alten Kramersleute.

Sie waren von Haus aus liebe, gutherzige Burschen und wollten dem Veit
und seiner Notburg nicht wehe tun. Sie gaben sich auch Mühe, den alten
Leuten zu gefallen, und verletzten sie nie durch eine grobe Rede.

Aber sowohl Veit Galler wie die alte Mutter Notburg merkten es gar
bald, wie es in den Herzen der beiden jungen Leute aussah. Sie mochten
nicht arbeiten, nicht Knechtesdienste leisten. Hockten mürrisch herum
und fühlten sich überall überflüssig.

Da brachte Veit Galler, der Krämer, sie vom Dörfl fort, hinunter
ins Tal und zu einem Handwerker in die Lehre. Sollten ordentliche
Arbeitsleute werden, wenn die Bauerschaft sie nicht freute. Und hatten
trotzdem und zu jeder Zeit eine Heimat droben beim Kramer Veit.

Es tat aber auch das auf die Dauer kein gut. Die beiden wechselten den
Meister und wechselten das Handwerk, und nichts wollte ihnen so recht
gefallen. Bis das Unglück mit dem Vater kam und er zum Mörder wurde. Da
zogen sie beide fort, wurden Sänger, wie es die Eltern gewesen waren,
und reisten in fremden Landen herum. Und kamen dann wieder in die
Heimat zurück und zogen abermals fort. Fahrende Leute ... ohne Rast und
ohne Liebe zur Scholle.

Umsonst war die Fürsorge der Mutter Notburg, umsonst die Warnungen des
alten Kramers. Der Lois, der ältere der beiden, blieb schließlich ganz
fern. Das Predigen der alten Leute hatte er satt. Endlich war er ja alt
genug, um sich das Leben nach seinem Geschmack einzurichten.

Der Michl aber war doch anhänglicher. Der blieb oft viele Monate
hindurch daheim und versuchte es, so zu leben, wie es die Pflegeeltern
von ihm wünschten. Dauerte aber nicht lange, das Bravsein, trotz aller
guten Vorsätze. Und wenn er sich's noch so fest vornahm, seinem Bruder
Martl bei der Arbeit zu helfen, so hielt er es nie länger als etliche
Stunden draußen am Felde aus. Da brannte die Sonne so heiß und stach
ihn und verursachte ihm Durst. Und oben in dem großen Alpenhotel, das
einmal den Siegweins gehört hatte, da lockte die Freude, und da lockte
der Genuß.

Und der Michl war bald mehr droben wie herunten in der Villa vom Kramer
Veit. War ein gern gesehener Gast oben, ein guter Sänger, liebenswert
und dazu noch bildhübsch. Hatte die Augen seiner Mutter, so strahlend
und froh und voll Jugendmut und auch voll Leichtsinn. Und dieser
Leichtsinn brachte ihm Verderben.

Ein paarmal schon hatte ihm der Kramer Veit aus einer bösen Sache
herausgeholfen. Hatte Schulden für ihn bezahlt, die er leichtsinnig
gemacht hatte, und hatte dann ernst mit dem Michl geredet.

»Bua ... auf die Weis' geht's nit. Das tut a Lump und koa ordentliches
Mannsbild. Arbeit' oder geh' auf Reisen ... aber Schulden machen ...
das leid' i nit!« hatte der Kramer in sehr bestimmtem Ton erklärt. War
ein arges Kreuz für den alten Mann, der Michl.

Man konnte ihm nicht feind sein, dem Burschen; und wenn der Veit kein
Geld mehr hergab, dann hatte halt doch die Mutter Notburg immer noch
einen Groschen für den Pflegesohn. Und steckte es ihm heimlich zu.

»Aber g'wiß 's allerallerletzte Mal!« sagte dann die alte Frau schwer
seufzend.

War ein recht geducktes, schlohweißes Mutterl jetzt, die Notburg, und
fiel ihr schwer, etwas hinter dem Rücken ihres Mannes zu tun. Aber der
Bursch erbarmte ihr halt gar zu sehr. Hatte nie Mutterliebe gekannt,
der Häuter, und wär' doch so liebebedürftig gewesen. Und wie er
schmeicheln konnte und so zart und weich und schön mit ihr tat. Immer
wieder glaubte ihm die Notburg, wenn er ihr Besserung versprach und
alle heiligen Eide schwor.

Und als dann die heimliche Kasse der alten Frau nicht mehr ausreichte,
um die Schulden des jungen Mannes zu decken, verfiel er aufs
Schwindeln. Wurde immer dreister und immer raffinierter und machte arge
Lumpereien.

Und eines Tages holte ihn der Gendarm mitten aus einer lustigen
Gesellschaft vom großen Hotel herunter und brachte ihn ins Gefängnis,
das in dem Hauptort des Tales war.

Dieser Schlag traf den Wastl bis ins Innerste seines Herzens, als er
davon hörte. Seit Jahr und Tag lebte der Wastl nun schon im Siechenhaus
und war völlig abgeschlossen von der Außenwelt und ganz zufrieden
mit seinem Dasein. Er hätte es nicht gedacht, daß er noch einmal so
zufrieden werden könnte. Er lebte in der Heimat und doch verborgen vor
allen; er sah täglich die Berge, die er von Jugend auf gekannt hatte,
und genoß den heiligen Frieden dieses schönen Tales.

Was er brauchte, das hatte er, und mehr als das. Denn der Kramer
Veit ließ ihm viel Gutes zukommen durch den Andreas Siegwein. Die
barmherzigen Schwestern, welche die Obhut hatten über das Siechenhaus,
waren gut und liebevoll zu ihm, voll Nachsicht und Verständnis, und
ließen ihm alle Freiheit. Er nützte sie aber nur wenig aus, seine
Freiheit. Hielt sich nur selten außerhalb des Spitalsgartens auf und
war zufrieden, wenn man ihn dort allein auf einer Holzbank sitzen ließ.

Eine hohe Bretterwand umzäunte diesen Garten und schloß ihn gegen
neugierige Blicke von außen ab. Gemüsebeete, von einfachen Blumen
umgeben, waren in dem Garten. Die Schwestern arbeiteten unermüdlich
darin, und Erholungsbedürftige ergingen sich langsam und wohlig
im prallen Sonnenschein. Ab und zu spendete ein Obstbaum mit
weitausragenden Ästen den ersehnten Schatten, und an den Bretterwänden
des Zaunes rankten sich früchtetragende Aprikosenbäume empor.

In einer Ecke des Gartens, hart an der Bretterwand, stand die Bank,
auf welcher der Wastl für gewöhnlich zu sitzen pflegte und sich von
der lieben Sonne bescheinen ließ. Saß oft viele ... viele Stunden da,
einsam und ohne sich eine Gesellschaft zu wünschen.

Er war ein gebrochener, alter Mann geworden, der Wastl, und hatte
eine kranke Brust. Das Gesicht war grau, der Kopf kahl, und der Bart
wucherte üppig und lang und war schneeweiß. Und groß und leer schauten
die dunklen Augen aus dem eingefallenen, schwer durchfurchten Gesicht.

Manchmal gesellte sich ein Kamerad zu dem einsamen alten Manne und
sprach mit ihm. War ein guter Bekannter vom Wastl aus seiner Jugendzeit
und vom Alpl droben. Der Stanis, den sie damals eingesperrt hatten,
weil er dem Fremden die Nase abbiß. Als der Stanis frei kam, war nichts
mehr Rechtes mit ihm anzufangen. Einen gewesenen Zuchthäusler nehmen
die Bauern nur ungern in Dienst, und wenn er auch noch so tüchtig
arbeitet. Und der Stanis war auch recht bockbeinig geworden, und Kraft
hatte er wohl auch nimmer gar viel.

So mühte sich der Stanis nicht lange um einen Dienst. Fand er zufällig
eine Arbeit, so tat er sie im Taglohn, und wenn nicht, dann bettelte
er sich eben durch. Hatte er Geld, dann vertrank er es, und hatte er
keines, dann focht er die Fremden darum an. Lebte so richtig und ohne
Sorgen in den lieben Tag hinein, lieferte ab und zu Räusche und wurde
dann stänkerisch und unangenehm, wie er es ehedem gewesen war.

Schließlich hatte er Aufnahme gefunden im Versorgungshaus, und die
Schwestern mochten den kleinen, beweglichen Kerl, der so gern Scherze
machte, genau so gut leiden, wie ihn seinerzeit die jungen Melker
droben am Alpl gut leiden konnten.

War ganz anstellig, der Stanis, und tat den Schwestern auch manchen
Dienst. Und aus Dankbarkeit gewährten sie ihm dann wieder seine volle
Freiheit. Von dieser machte der Stanis nun allerdings den ausgiebigsten
Gebrauch. Besonders zur Sommerszeit, wenn die Fremden wieder im Tal
waren. Da trieb's den Stanis aus dem Spitalsgarten hinaus und unter
die Fremden, die er dann regelmäßig in der unverschämtesten Weise
anbettelte.

Er umlauerte die Fremden und heuchelte ihnen Demut vor und Achtung,
bis er seine Gabe erhielt. Dankte dann aber kaum dafür; denn er haßte
sie alle, die nicht herein gehörten ins Tal, und sah ihnen mit boshaft
schielenden Augen nach.

So war der Stanis immer in steter Fühlung mit der Außenwelt und wußte
ganz genau, was sich im Ort und in der Umgebung ereignete. Vom Stanis
erfuhr es der Wastl denn auch, daß man heute seinen jüngsten Sohn ins
Gefängnis eingeliefert hatte.

Recht anschaulich schilderte der Stanis den Vorgang. Er hatte es selbst
gesehen, wie der Gendarm mit aufgepflanztem Gewehr hinter dem Michl
einhergegangen war. Und der Michl habe den Kopf eingezogen gehalten
und zu Boden geschaut.

»Weil er si halt g'schamt hat, der Mensch. Woaß man wohl!« schloß der
Stanis kaltblütig seinen Bericht und ahnte nicht, wie tief ins Herz er
damit den Wastl getroffen hatte.

Es war am späten Nachmittag, zur Hochsommerszeit, und die sinkende
Sonne leuchtete rot auf die Bergspitzen des Tales. Ein frischer Wind
zog erquickend über die heißerwärmte Erde, und weit im Norden hinten
ballten sich die ersten Boten eines heranziehenden Gewitters.

Sie saßen noch eine ganze Weile zusammen auf der Holzbank im
Gartenwinkel, die beiden alten Männer. Und keiner sprach ein Wort,
nachdem der Stanis ausgeredet hatte.

Es wunderte den Stanis nun doch, daß das alles den Wastl anscheinend so
kalt und gleichgültig ließ. Schließlich war's ja doch sein Sohn, den
man heute eingeführt hatte. War ihm eigentlich leid um den Michl, dem
Stanis. Denn gebessert, das wußte er aus Erfahrung, kam keiner aus dem
Zuchthaus heraus.

Als es zu dunkeln begann und der Wastl noch immer kein Wort redete,
da riß dem Stanis die Geduld. Etliche Male schon hatte er nach seiner
Schnupftabaksdose gegriffen und energisch auf den Deckel geklopft, ehe
er sich eine Prise nahm. Und hatte dann auch dem Wastl davon angeboten.
Der aber achtete nicht darauf, saß und stierte schweigend vor sich hin.

Boshaft schielte der Stanis aus seinen kleinen schwarzen Augen zu dem
Manne hinüber, der weit nach vorn gebeugt neben ihm auf der Bank saß.

»Werden eini müassen ins Haus!« brach er dann endlich das Schweigen.
»'s wird spat!« mahnte er in unfreundlichem Tone.

Der Wastl erhob sich gehorsam und wollte in der Richtung nach dem
großen Gebäude hingehen. Es war jetzt leer geworden im Garten, und von
der Hauskapelle hörte man das gedämpfte Murmeln des Rosenkranzgebetes.

Der Stanis, der noch immer trotz seines vorgerückten Alters erstaunlich
beweglich war, trat rasch an die Seite des alten gebeugten Mannes und
zupfte ihn energisch am Arm.

»Du ...« machte er leise und sah neugierig zu ihm auf ... »wart' a
bissl ... ha?«

Müde und gleichgültig blieb der Wastl stehen. »Willst eppas?« frug
er ihn und langte in seine Hosentasche nach Geld. Denn da der Stanis
wußte, daß der Wastl oft Geld bekam, pflegte er ihn häufig anzupumpen.

Der Stanis machte aber eine ablehnende Bewegung. »G'halt' dir's!« sagte
er verächtlich. »I hab' di lei eppas fragen wöllen ... di ...« fügte er
eindringlich hinzu.

»Mi ...« Leer und schwer kam das Wort aus dem Mund des Wastl.

»Ja.« Jetzt stellte sich der Stanis in Positur. Wie kampfbereit sah
er aus, so daß der Wastl unwillkürlich erstaunt auf das kleine, dürre
Manndl herabschaute.

»Hast g'hört, was i dir verzählt hab' ... ha?«

»Ja.«

Der Stanis spie, wie er das stets zu tun pflegte, bevor er zu raufen
anfing, ein paarmal verächtlich auf die Erde.

»Hast's begriffen aa ... du ...« frug er scharf und sah lauernd zu dem
andern auf.

»Ja!« nickte der Wastl. Es klang kalt und tonlos.

Jetzt brach die Empörung bei dem Stanis aus.

»Aft begreif' i di nit ... du Depp ... du ...« machte er zornig. »Ist
do dei' Bua ... dei' Kind ...«

»Ja!« sagte der Wastl. »Und nachher?«

»Nachher?« Zornig schaute der Stanis auf den Kameraden. »Nachher? Dös
fragst no ... du? Hast denn koa Bluat mehr ein? Koa G'fühl und koa Herz
mehr? Reißen müasset's di ... kimmt mir für ... an alle Knochen und an
alle Muskeln! Woaßt nit, daß dei' Bua iatz a Lump ist? Begreifst es
nit, daß er erst a richtiger werd', bald's ihn wieder außerlassen? A
Zuchthäusler ... so oaner wia du ... und i oaner bin ... den's alleweil
antreiben wird, Schlechtes zu tun. Oaner, den sie verachten ... dahoam
und in der Stadt ... oaner ...«

Mit einem wilden Schrei warf sich der Wastl über den Stanis und schmiß
ihn zu Boden.

»Stad bist ... du ...« keuchte er außer sich und mit vor Zorn und Wut
blutunterlaufenen Augen. »Stad ... sischt ...«

Der Stanis aber war noch immer so geschmeidig, daß er sich flink wie
ein Aal aus den fest zugreifenden Händen seines Gegners entwand und
dann rasch wieder auf die Füße zu stehen kam. Er war aber keineswegs
empört über den Überfall, sondern ganz im Gegenteil hoch befriedigt
davon. Wie ein naßgewordener Pudel schüttelte er sich die Erde von den
Kleidern und sagte dann sehr ruhig und sehr zufrieden: »Ah ... ah so!
Aft hast döcht no a Seel' ein ... du!«

Und trug dem Wastl nichts nach. Der Wastl hatte sich gleich wieder
beruhigt und war wieder ganz kleinlaut geworden, da er sich über seinen
aufbrausenden Zorn schämte. Sie gingen dann, ohne noch viel miteinander
zu reden, ganz einträchtig ins Haus hinein und zur Ruhe.

Aber der Wastl schlief nicht. Konnte kein Auge zutun in dieser Nacht
und mußte nur immer an den Michl denken und an die Schande, und daß der
Michl nun ein Zuchthäusler wurde.

Die ganze Nacht dachte der Wastl darüber nach und auch den
darauffolgenden Tag, bis es wieder gegen Abend ging und der Stanis
abermals zu ihm in die Gartenecke kam.

Klar und hell hoben sich die Berge im Hintergrund des Tales von dem
tiefblauen Himmel ab. In dieser einsamen Gartenecke hatte man einen
herrlichen Fernblick. Der hohe Zaun verbot den Blick aufs ebene Tal ...
aber weit, dem Süden zu, bauten sich die alten Bekannten des Wastls auf.

Da reckte der Berg, an dessen Lehne der Wastl das Alpl wußte, seine
kecke Waldnase empor, und das winzige Hochtal, in dem der Perlmoserhof
gelegen war, sah von hier aus gesehen einer frischgrünen Wiese ähnlich.
Waldumsäumt und von der ragenden, schroffen Felsenwand des Berges
bewacht. Und ganz putzig nahmen sich die paar Bauernhäuser aus. Dunkel
und braun und die Dächer so eingeschrumpft wie Hüte, die das Gesicht
verstecken sollen.

Ganz zu oberst, am Waldessaum ... das war der Perlmoserhof, und der
Wastl sah mit seinen scharfen Augen ganz deutlich die Zickzacklinie des
Weges, der herab zum Söllerbauer führte und noch weiter herunter gegen
das Haupttal zu.

Wie oft und oft war der Wastl diesen Weg gewandert, jung und frisch und
jauchzend und singend. Damals ... als er noch das ganze Leben vor sich
hatte. Damals ...

Und jetzt sprach der Wastl zu dem Stanis, der schweigend und abwartend
neben ihm saß ... »Hab' denkt, daß alles aus ist ...« fing er
schwerfällig zu reden an ... »daß mi nia nix mehr treffen kunnt. Hab'
denkt ... die Buben sein versorgt und rechtschaffene Menschen. Hab'
nia nit denkt, daß oaner auf so eppas kömmen kunnt ... da bei uns
herinnen!« sagte er, und dumpf und klanglos und todtraurig war seine
Stimme.

»Bei uns herinnen?« Scharf frug es der Stanis. »Z'wegen was denn
nachher nit bei uns herinnen, ha? Ist denn da koa Versuchung nit, ha?
Ausg'rechnet bei uns herin, wo's oaner alleweil vor Augen hat, wia
fein 's Leben sein könnt', wenn man Geld g'nug hat. Kann mir's leicht
fürstellen, wia's den Michl anpackt hat. Ist halt no jung und dumm. Und
im Hotel droben ist a fein's Leben. Sein noble Leut' dort und lassen
sich nix abgehen, woaß man wohl. Woaß wohl selber, wia's mir gangen
ist. Hat mi hinzochen als wia an Falter zum Liacht. Und war' nimmer a
so jung g'wesen wie dei' Bua. Und mehra hab' i kennt ... dö aa alleweil
aufi sein, derweil der Florl no g'lebt hat. Und koan' hat's guat tan.
Koan' oanzigen. G'soffen haben's und g'spielt und g'sungen und g'tanzt.
Haben die Hanswürst' abgeben für dö Fremden ... dö Tuifl ... dö
verfluachten!«

Kräftig spie der Stanis auf den Erdboden des Gartens; denn nun war
er in seinem Element und konnte seinem Haß, den er von jeher schon
immer gegen die fremden Gäste hegte, ungehemmten Lauf lassen. Und
ganz besonders war dieser Haß genährt worden, seitdem er hatte eines
Fremden wegen ins Zuchthaus wandern müssen. Hartnäckig und ohne
Selbsterkenntnis machte er dafür nur die Fremden verantwortlich,
und jetzt, da er mit dem Wastl sprach, teilte er diese einseitige
Ansicht auch diesem mit und brachte den schwerfälligen Mann zu seiner
Überzeugung.

»Wann i derfet, wia i möcht' ... Wastl ...« sagte der Stanis voll
ingrimmigen Hasses ... »woaßt, was i tat'?«

Wortlos und ohne Verständnis schaute ihm der Wastl in die unruhig
flackernden Augen.

»Anzünden tat' i die Bud'n da droben ... dö verdammte ...« flüsterte
der Stanis mit heiserer Stimme. »Alles müsset verbrennen ... nix mehr
derfet man sechen davon. Damit koa Schaden mehr kömmen könnt' ... von
denen da oben.« Er ballte ingrimmig die dürren, knochigen Fäuste in
der Richtung des kleines Hochtales, auf dessen anderer Seite er das
große Fremdenhotel wußte. »Grad' wegen dö ist alles kömmen. Wegen dö
alloan. War'n wir blieb'n, wia wir amerst g'wesen sein ... hatten wir
nix Bess'res kennen g'lernt ... aft warst du mit dein' Weib no alleweil
a Bauer in der Gungl drein. Moanst nit aa, Wastl?«

Der Wastl sagte kein Wort zur Erwiderung, und der Stanis wußte nicht
recht, ob er seinen Haß begriffen und seine Rede auch aufgefaßt hatte.

Er saß noch lange ... lange Stunden in seinem Winkel im Garten, der
Wastl, auch noch, nachdem ihn der Stanis verlassen hatte. Er saß und
starrte in weite Ferne, hinüber zum Hochtal und zum Perlmoserhof. Aber
sein Blick war nicht leer, und die dunklen Augen leuchteten wie seit
langem nicht mehr.

Tagelang wurde der Wastl den bösen Gedanken nicht los. Er verfolgte ihn
bei Tag und Nacht und weckte ihn aus unruhigem Schlummer. Immer nur der
eine Gedanke ... die Rede des Stanis ... sein wilder, unbändiger Haß
und dessen Ursache.

Sollte der Stanis recht haben? Hatten diese fremdländischen Neuerungen
das Unglück in seine Heimat gebracht? Und wieder besprach er's mit dem
Stanis ... lange und eingehend, bis es ihm zur fixen Idee wurde.

Dann wieder kam der Zweifel in seine Seele und eine Unruhe, und er
kämpfte gegen das Böse, das Macht zu werden begann in seinem Herzen. Er
zwang ihn nieder ... den bösen, gewaltsamen Gedanken. Bezwang ihn, bis
er triumphierend wieder aufs neue erstand.

Wenn der Wastl jetzt in seinem Gartenwinkel saß, so brachte ihm
der Blick in die nahen Heimatsberge keine Ruhe mehr und keine
Zufriedenheit. Er sah mit Angst hinüber in die Gegend des kleinen
Hochtals ... mit Angst und nagender Unruhe.

Da drüben ... auf der andern Seite des kleinen Jochberges ... da war
das Dörfl, und in diesem wohnte sein Ältester. Sollte ein tüchtiger
Bauer sein, der Martl, hatte ihn der Anderl immer wieder gelobt. Ob das
aber auch Tatsache war? Der Anderl hatte es ihm ja auch verschwiegen,
daß der Michl ein Lump geworden war und der Lois fern und verschollen
lebte in fremden Landen. Jetzt hatte er es ja alles erfahren, haarklein
und genau erfahren, der Wastl. Und jetzt traute er dem Anderl auch
nicht mehr, wenn er den Martl lobte. Ob der wirklich ein ehrlicher
Bauer war oder auch schon hinaufging in das große Gasthaus und dort zum
Lump wurde?

Er konnte oft gar nicht mehr stille sitzen, der alte Mann, wenn ihn die
Angst um den Martl anpackte. Mußte immer umhergehen, immer auf und ab
und seine Gedanken niederkämpfen ... seine bösen Gedanken ...

Waren sie böse? Wirklich böse? Der Stanis sagte, es wäre eine Wohltat
für das ganze Tal, wenn die Lahn käme oder ein Blitz einschlüge und
alles da droben zugrunde richten würde ... Dann wäre die Luft erst
wieder rein ... so köstlich und unschuldsvoll wie damals, als da droben
nur grüne Wiesen waren und ganz vereinzelt kleine Felsblöcke darin
umherlagerten.

Und wenn das wirklich eine Wohltat war fürs ganze Tal, weshalb führte
der Stanis den Plan nicht aus? Hatte es doch ganz genau und haarklein
ausgeheckt ... wie's gemacht werden müßte ... damit alles da droben ...
das alte und das neue Haus und was noch dazu entstanden war ... von
Grund aus vernichtet würde.

War ein gescheiter Mensch, der Stanis! Schade, daß er so feig war und
sich immer betrank! Er, der Wastl, trank jetzt nie mehr. Hatte keinen
Rausch mehr gehabt, seit damals ... seitdem er die Vef wiedergesehen
hatte.

Die Vef! Und immer wieder die Vef! Er konnte sie halt doch nicht
vergessen, die Vef! Wie schön sie gewesen war ... wie lustig und
jugendfrisch und arbeitsam ... und hatte ihm Kinder geschenkt ... drei
Buben und ein Mädel ... und war dann verkommen ... war eine geworden
... eine ... wie hatte der gesagt ... der Schuft ... den er dann
erwürgt hatte? ... eine Dirne ... die Vef ...

Und immer wieder die gleichen Gedanken ... immer wieder ... wie ein
Mühlrad in seinem Kopf ... drehte sich im rastlosen Kampfe des Guten
mit dem Bösen.

Was war gut und was böse? War er, der Wastl, auch feig wie der Stanis?
Sollte er zugeben, daß auch sein letzter Bub verkam und der Versuchung
unterlag? Wenn er doch nur wüßte, ob ihn der Anderl nicht anlog, ob der
Martl wirklich noch ordentlich war?

Und immer größer die Unrast in der Seele des Mannes, immer größer der
Zwiespalt in seinem Innern, bis er's nicht mehr aushielt und hinging
und sich doch wieder betrank. Toll, wütend und sinnlos. Hatte ja Geld
genug, mehr wie genug vom Kramer Veit. Konnte sich schon etliche
Räusche leisten, der Wastl, und brauchte dann nicht immer nachzudenken
... Das Denken machte ihn ja noch ganz verrückt. War nichts für einen
so alten, einfältigen Menschen ...

Sinnlos wie ein Tier war der Wastl besoffen. Und kehrte dann auch
nicht zurück ins Siechenhaus, sondern verkroch sich in einem Heustadel
außerhalb des stattlichen Dorfes. Wollte sich nicht so zeigen den
Schwestern. Und wollte überhaupt nicht mehr da hinein. Zu was auch? War
doch viel freier und schöner außerhalb des Spitalgartens. Konnte viel
besser draußen herumwandern, der Wastl.

Es war Spätherbst, und der Stadel, in dem der Wastl für diese Nacht
Unterschlupf gefunden hatte war vollgepfropft mit köstlich duftendem
Heu.

Wie das gut tat, wieder einmal im Heu schlafen zu dürfen! Völlig
gesund konnte einen der Duft machen. Und ganz ernüchtert war der Wastl
mit einem Male und gar nicht mehr betrunken. Wühlte sich in das weiche
Heubett ein, tief und wohlig, und schlief.

Und andern Tags schlich er sich heimlich aus dem Stadel, schaute umher,
ob ihn wohl niemand sähe. Wollte nicht mehr zurück ins Siechenhaus,
sondern fort ... tiefer ins Tal hinein ... und noch einmal den Weg
gehen, den er so oft gegangen war, hinauf zum Perlmoserhof und beim
Söllerbauer vorbei und dann hinüber zum Dörfl, um seinen Buben
aufzusuchen, den Martl, und auch den Kramer Veit.

Fühlte sich ganz kräftig und gesund genug zum gehen, der Wastl. So
eine Nacht im Heu kann Wunder tun. Macht einen völlig wieder jung. Und
schnell brauchte er ja nicht zu gehen. Hatte Zeit genug, der Wastl, und
auch Geld genug, wenn ihn hungern sollte.

Und als es Abend wurde, kehrte er in einem Gasthaus ein und aß und
trank. Trank ein Viertele Rotwein um das andere, bis er abermals
betrunken ward. Dann schlich er sich fort und nächtigte wieder in einem
Heustadel. Am zweiten Tage aber erreichte er das Dörfl, wo der Martl
war, sein Bub.

War völlig fremd geworden im Dörfl. Niemand erkannte den alten Mann.
Barhäuptig, auf einen Stock gestützt, schlich der Wastl umher und
merkte es nicht, daß sein Atem keuchte und die kranke Brust schmerzte.
Und der Kopf war ihm dumpf und wirbelig.

Machte am kleinen Gottesacker halt, der Wastl, und betete am Grabe
seines Kindes ein Vaterunser und ging dann in die Kirche. Er getraute
sich nicht zum Kramer Veit und wagte es auch nicht, seinen Buben
aufzusuchen. Wollte warten, bis es dunkel geworden war und dann
heimlich durch die Fenster schauen, um den Martl zu sehen.

Dauerte recht lange bis zum Abend, und der Wastl hatte Hunger und
Durst. Argen Durst, und die Kehle brannte ihm. Konnte nicht so lange
warten bis zum Abend, sondern mußte den Durst löschen gehen, denn er
hatte viel Geld. Geld genug, wenigstens für diese eine Nacht, und
morgen würde dann schon der Kramer Veit für ihn sorgen. Morgen ...

Langsam, müde und geduckt kroch der Wastl, mehr als er ging, den Berg
zu dem großen Hotel hinan.

Es war noch viel feiner jetzt hier oben, so erschien es wenigstens dem
Wastl, als wie es seinerzeit unter dem Florl gewesen war.

Beinahe hätte ihm der Mut gefehlt zum hineingehen. So fein und nobel
sah es von draußen aus. Heller Lichtschein überall ... gerade so wie in
den großen Städten, wo sie gesungen hatten ... zuerst er und die Vef
und dann die Vef allein. Das war damals ... ehe sie eine ...

Er wollte das Wort nicht zu Ende denken. Durst hatte er, nur Durst und
keinen Hunger mehr.

Trinken ... nur trinken ...

Mißtrauisch und argwöhnisch und sehr von oben herab besah sich die
Kellnerin den alten, geduckten Mann in den ärmlichen Kleidern, ehe sie
seinen Auftrag entgegennahm. Ob der wohl zahlen konnte? Und als sie ihm
dann doch mit herablassender Miene die Halbe Rotwein hinstellte, da
forderte sie ihm gleich das Geld dafür ab.

Der Wastl zahlte gelassen und gab ein nobles Trinkgeld. Und trank. Saß
allein in der großen Glasveranda an einem blühweiß gedeckten Tische
und trank. Trank ... wie ein Verdurstender und stierte hinaus in die
einfallende Dämmerung des Herbstabends. Sah mit matten, verschwommenen
Blicken die dunklen Wälder jenseits der drei Hochtäler, sah, wie
sie sich schwarz und düster und gewaltig aufbauten, und hörte das
majestätische Rauschen des nun einsetzenden Abendwindes. Er kam von
drüben her ... dort, wo schon ganz im grauen Dämmer die Gungl lag.

Und der Wastl trank ... trank und bezahlte gewissenhaft und sehr ruhig
alles, was man von ihm forderte. Bis er kein Geld mehr hatte und man
ihn gehen hieß.

Er wollte aber nicht gehen, der Wastl, wollte hier sitzen und noch mehr
trinken. Und noch einmal hieß man ihn gehen, und der Hausknecht kam und
stand in nächster Nähe des Wirtes, bereit, den lästigen Gast an die
Luft zu befördern.

Es war ziemlich leer in dem großen Gasthof; denn Zeit und Stunde waren
spät. Die wenigen, die noch vereinzelt herumsaßen, machten empörte und
angewiderte Gesichter. Den Wirt packte der Zorn, als ihm der Wastl so
hartnäckigen Widerstand entgegenstellte. Gereizt wendete er sich an die
Kellnerin.

»Und überhaupt ... solches Gesindel gehört doch nicht hier herein!«
sagte er scharf. »Das hätten Sie wissen müssen!«

»Gesindel!« Heiß stieg dem Wastl der Schimpf ins Gesicht und
ernüchterte ihn etwas. »Gesindel!« Er ... der Wastl ... ein Bauer ...
einer, der ins Tal herein gehörte ... hier aufgewachsen war und kein
Fremder!

»Gesindel!« Schwerfällig und trunken griff der alte Mann nach seinem
Stock, um ihn dem fremden Wirt ins Gesicht zu schlagen. Die Bewegung
wirkte komisch, so daß die Kellnerin und auch der Wirt unwillkürlich
lachen mußten, und ohne jede Mühe entledigte sich der Hausknecht seines
Amtes. Schob den Wastl, wie der Metzger ein widerspenstiges Kalb vor
sich her schiebt, einfach zur Tür hinaus und verriegelte sie von innen.
Und drinnen im Haus lachten sie über ihn ... roh und unbarmherzig.
Lachten ihn aus, den Wastl ... er hörte ihr Lachen, wie es laut und
höhnisch ihm nachklang.

»Gesindel!«

Wer war hier Gesindel? Er oder die da drinnen? Den Michl, seinen
Jüngsten, hatte doch der Gendarm von hier herausgeholt, erzählte der
Stanis. »Gesindel!«

In dunkler Nacht stand der Wastl vor dem großen Haus und hob drohend
den Stock. »Gesindel!« wiederholte er leise und ingrimmig mit den
Zähnen knirschend. »Gesindel!« Der da drinnen ... der Fremde ... der
hatte kein Recht, ihn das zu heißen. Wußte nichts von ihm ... wußte
nicht, daß er im Zuchthaus gesessen hatte ... wußte nicht, daß die
Vef ...

Und wieder dachte der Wastl den Gedanken nicht zu Ende.

»Gesindel!« hatte der fremde Mann gesagt. »Gesindel!« Er kam nicht los
von dem Wort und wiederholte es immer und immer wieder.

Langsam und scheu umschlich der Wastl in dunkler Nacht den großen Bau.
Halb betrunken und halb wirbelig im Kopf. Denn nun mußte er wieder zu
denken anfangen, der Wastl. Wie ein Mühlrad drehten sich die Gedanken
in seinem Kopf.

Die Vef und der Stanis ... und der Michl ... den sie eingesperrt hatten
... und drunten im Dörfl der Martl ... der vielleicht auch schon ein
Lump geworden war ... weil er der Versuchung nicht widerstehen konnte
und immer in das feine Gasthaus ging ... Und Gesindel hatte der Mann,
der nicht einmal ins Tal gehörte, zu ihm gesagt. Gesindel!

Er murmelte das Wort immer wieder vor sich hin. »Gesindel! Gesindel!«
Und der Stanis ... der hatte gesagt, daß es eine Wohltat wäre für die
ganze Gegend ... eine Wohltat ... wenn ...

War ein gescheuter Mensch, der Stanis. Aber feig! Feig ... weil er sich
betrank und Räusche lieferte. Er, der Wastl, lieferte keine mehr. Nie
mehr wollte er einen liefern. Nie mehr! War jetzt schon wieder ganz
nüchtern, der Wastl ... nur der Kopf ... der war schwer und wirbelte
ihm vom vielen Denken.

Der Wastl umkreiste das Haus und besah es sich von allen Seiten und
schlich dann zum Nebenbau hinüber, zu dem Haus, das der Kramer Veit
damals für den Florl erbaut hatte. Und umkreiste auch das, langsam und
vorsichtig. War ihm gut bekannt ... das Haus. War oft drinnen gewesen
... damals noch, als die Vef lebte.

Und jetzt durfte er nicht mehr hinein. Hatten ihn vor die Türe gesetzt
in stockdunkler Nacht, die da drinnen, und ihm nichts mehr zu trinken
gegeben. Er wollte aber trinken ... er mußte trinken ... um nicht
immer denken zu müssen ... nur nicht immer denken ... an nichts mehr
denken ...

Ein Hund schlug warnend an und zerrte an der Kette. Drohend und zornig.
Und wollte sich nicht beruhigen. Der Wastl setzte sich auf eine der
Bänke, die herumstanden, und horchte. Machte ein pfiffiges Gesicht, der
Wastl ... ganz pfiffig ...

Ging ein Brausen durchs Tal ... von jenseits der Berge kommend, wo
die Wetter sich ansagen. Und war schwarz und schwer und kein Stern am
Himmel und kein Licht mehr drunten im Dörfl.

Dunkel und vornehm und still lag der weiße Block des großen Hotels.
Konnte ihn gut sehen, der Wastl, sehr gut. Trotz der großen Dunkelheit
... Und der Wastl lauschte mit eingezogenem Atem und hörte, wie sich
die Tür auftat und jemand aus dem großen Haus kam und zu dem Hunde
ging, um ihn zu beruhigen.

War zornig, der Hund, und heulte gellend in die Nacht hinein. Und der
Wastl kicherte leise und schadenfroh. Hat schon recht der Hund! Soll
nur heulen. Ganz recht hat er. Sollen alle heulen ... die da droben ...
alle ...

Und wieder schwang der Wastl voll ingrimmigen Hasses seinen Stock gegen
das große Haus.

»Gesindel!« sagte er leise und mit verhaltener Wut. »Gesindel! Alle
seid's Gesindel! Ös da droben! Alle miteinander!«

Sie mußten den Hund ins Haus bringen und einsperren, weil er so zornig
tat. Und der Wastl hörte mit scharfem Ohr, wie er dann trotzdem wieder
zornig knurrte, leise und grollend.

Er hatte ein feines Ohr, der Wastl, und auch noch gute Augen. Waren
scharf und ungetrübt geblieben und konnten gut sehen im Dunkel. Und
hatten erspäht ... wo der große Schupfen war, in dem sie das Futter für
die Maulesel und den Holzvorrat fürs Hotel untergebracht hatten.

»Bei dem müsset man zuerst anfangen!« hatte der Stanis gesagt. War
gescheut, der Stanis! Aber feig!

Ein Sturm hatte sich erhoben in der schwer dunkeln Nacht. Brauste eisig
von den Fernern herüber und kündete wohl frühen Schneefall an.

Es fror den Wastl. Aber er wartete noch. Trotz der Kälte. Wollte ganz
sicher gehen ... bis sie alle schliefen ... und ihn nicht stören
konnten.

Dann erst schlich er sich hinüber. Tat ... wie's der Stanis ausgekopft
hatte. Zuerst der Stadel ... Nein ... das war falsch ... Zuerst das
große Haus ... dann der Nebenbau vom Kramer Veit und dann der Stadel
... So war's recht.

Hatte Mühe, der Wastl, bis er vom Schupfen her das Holz zusammentrug
... Dauerte lange die Arbeit ... und der Sturm brauste und der Hund
knurrte ab und zu und heulte auf in langgezogenen Tönen.

Und dunkel war's ringsum! Stockdunkel. Nichts mehr konnte man
unterscheiden. Gar nichts mehr. Keinen Berg und keine Felder und
auch kein Haus vom Dörfl unten. Würde bald hell werden hier oben und
leuchten. Und der Wastl lächelte vor sich hin, still und vergnügt.

Leise knisterte das Feuer und züngelte sich zur Flamme. Sorgfältig
hatte es der Wastl angelegt ... unter der großen Holzveranda ... wo es
so guten Durchzug hatte und bald hell aufschlug. Wie das brannte! Schön
war's und würde bald ganz hell werden und lichterloh brennen.

Und der Wastl ging zum Nebenbau hinüber ... langsam und sehr vorsichtig
... und zündete dort das Feuer an. Wartete, bis die Flamme loderte, und
lächelte schadenfroh.

»Gesindel!« hatte der fremde Mann ihn beschimpft. »Gesindel! Selber
Gesindel ... spottschlechtes! Zugrund sollt's gehen ... alle
miteinander!«

Und dann zündete der Wastl den Stadel an. Der fing das Feuer, daß es
eine Freude war. Hellauf schlugen die Flammen, vom Winde umtobt.

Schön war das! Herrlich schön. Dieser helle Schein in der dunkeln
Sturmnacht. Und leuchtete so hell, daß der Wastl jetzt alles sehen
konnte. Das Dörfl unten mit der kleinen Kirche und drüben die düster
drohende Bergwand.

Sorgsam ... wie eine heilige Pflicht ... hegte der Wastl die Feuer an
den großen Häusern, trug Holz herüber vom Schupfen und legte zu. Aber
sie brauchten die künstliche Nahrung nicht mehr, sondern fanden von
selbst ihr Futter, die Flammen. Züngelten gierig zum Dachstuhl empor
und nach allem, was morsch und holzig war, und brannten lichterloh und
brausend im Sturmwind.

Er hatte sein Werk gründlich besorgt, der Wastl so wie es immer seine
Art gewesen war. Und durfte nun gehen und sich ausruhen.

Als sie im Hause das Feuer bemerkten, war es zu spät. Nur das Leben
konnten die Bewohner retten und nur wenig von den Habseligkeiten.
Ein Flammenmeer war es im rasenden Sturm, der sich dem Riesenbrand
verbündet hatte. Weithin leuchtete der Feuerschein, die dunkle Nacht
erhellend. Und es krachte und zischte und brauste, und eine ganze
feurige Hölle der Vernichtung war entfesselt. Menschliche Hilfe? ...
Umsonst! Retten, löschen? ... Wer vermochte es, den sturmgepeitschten
Flammen Einhalt zu tun? ... Wehklagend klangen die Glocken im Dörfl
drunten und riefen um Hilfe. Sie riefen vergebens ... Die entfesselten
Elemente waren Herr ... Sturm und Feuer ... und Feuer und Sturm ...
beide verbrüdert und verschworen zur furchtbaren Vernichtung ...

Zu Schutt und Asche war alles niedergebrannt, was da droben stolz
gethront hatte. Alles ausgebrannt, was nicht Stein und Mauer war. Stand
dampfend und rauchend und qualmend ... Ruinen ...

Sie fanden am frühen Tag einen alten Mann. Der irrte umher in den
Wiesen und Feldern, barhäuptig und mit schweren Füßen. Sein Gesicht war
gelb und fahl und die dunkeln Augen leer und ohne Seele.

Und er wußte von nichts mehr, und wußte auch nicht mehr, wer er sei.

Der Wastl hatte den Verstand verloren.




                          Achtzehntes Kapitel


Ein neues Geschlecht war erstanden im Tal. Jene, die damals noch Kinder
waren, als das Regele von Schande getrieben aus der Heimat flüchtete,
waren gereifte Männer und hatten Familien gegründet, und etliche von
ihnen lagen auch schon unter der Erde. Und alle waren sie tot, die
guten Bekannten von einst. Der alte Perlmoser und der Söllerbauer
und sein Weib, und auch die Julie, die dann Wirtin geworden war. Die
Perlmoser Rosina aber blieb verschollen. War nie mehr in die Heimat
zurückgekehrt. Und auch vom Lois, dem Sohn des Wastl, hatte man wenig
mehr gehört.

Das Moidele, die das Kind der toten Mena war, wartete und pflegte die
alten Kramersleute bis zuletzt. War gutmütig und nicht recht gescheut,
aber dankbar und treu und anhänglich. Und die Regina war gestorben und
die alte Mutter Notburg.

Nur der Kramer Veit lebte noch. Wie alt er war? Er wußte es selber
nicht mehr recht. Aber alt, uralt war er. Und hatte sie alle
dahinsterben sehen müssen, die ihm lieb gewesen waren. Auch den Wastl,
den armen Narren.

Den hatten sie nach jener Tat ins Irrenhaus gesteckt und dann nach
einiger Zeit wieder entlassen. War ein gutmütiger Narr, der Wastl, und
lachte immer vergnügt vor sich hin. Tat niemandem etwas zuleide und
folgte den Schwestern des Siechenhauses in dem großen stattlichen Dorf
draußen wie ein kleiner Hund. Und lebte noch etliche Jahre, bis er dann
sterben durfte.

Er hatte sein Weib lange behalten dürfen, der Kramer Veit. Die Regina
war noch vor der Notburg dahingegangen. Und das war gut so; denn mit
der Regina war nicht angenehm zu hausen. Bis zu ihrem Lebensende lebte
sie im eingebildeten Hochmut dahin. Arbeitete nichts und tat nichts und
fühlte sich immer als die Frau Regina Siegwein, zu der sie der Florl
erhoben hatte. Schmückte sich mit ihren feinen Kleidern, die sie aus
besseren Zeiten her besaß. Thronte würdevoll wie eine Fürstin in hellen
Seidenkleidern und mit Schmuck beladen in der großen Stube des Kramer
Veit und ließ sich von dem Moidele bedienen.

War unförmlich dick und fett geworden, die Regina, war voll von Launen
und Kaprizen und hatte kein Verständnis dafür, daß sie nun arm geworden
war und abhängig von anderer Leute Barmherzigkeit. Sie fühlte sich als
die Mutter des zukünftigen Besitzers des Anwesens vom Kramer Veit, und
der Martl war ihr ein Dorn im Auge. Sie konnte die Abneigung gegen ihn
nur schlecht verbergen.

Der Kramer Veit und die Notburg aber hegten einen stillen Wunsch.
Sie redeten nicht darüber. Nur wenn die beiden alten Leute ganz
allein nebeneinander saßen, dann sprachen sie davon, geheim und im
Flüstertone.

Sie hätten es gar zu gern gesehen, wenn der Martl die Tochter der
Regina geheiratet hätte. Aber die jungen Leute fanden sich nicht. Das
Mädel war wie ihr Bruder, der Anderl, und taugte nicht zur Bäuerin. War
still und verträumt und sinnierte viel und einsam.

Und als sie droben, wo das große Alpenhotel gestanden hatte, eine
Kirche erbauten und der Andreas Siegwein dort als Kurat einzog, da nahm
er die Schwester zu sich, damit sie für ihn sorge. Denn unten in der
Villa vom Kramer Veit hauste nun die junge Frau des Martl, die er sich
zum Weibe erkoren hatte, und die Notburg war tot.

Und die junge Bäuerin war frisch und lustig und lachte gern und
sang ihre schmetternden Lieder. War rasch und energisch und voll
Arbeitslust. So recht eine Bäuerin, wie es die Vef auch einmal gewesen
war. Und bekam Kinder. Eines ums andere, blond und pausbäckig und mit
den strahlenden Augen der Vef.

Und das war das Glück für den greisen Kramer Veit. Richtige Bauersleute
waren der Martl und sein Weib, solche vom alten Schlag, wie der
Perlmoser gewesen war und wie es einmal der Wastl und die Vef auch
waren. Richtige Bauersleute, ohne Sehnsucht nach der Ferne und treu der
Scholle, der sie entstammten.

Der Alte mit dem schlohweißen, spärlichen Haar, dem gebeugten Rücken
und den noch immer scharfen dunkeln Augen schaute beobachtend umher.
Und vieles, was er bei dem neu aufwachsenden Geschlechte sah, mißfiel
ihm. Sie waren andere Menschen geworden als ihre Eltern und Großeltern,
mit einem Zug ins Weite und in die Ferne. Denn viele von ihnen
wanderten jetzt von der Heimat ab. Zogen ins Land hinaus als Händler,
zogen in die Städte als Dienstleute und Handwerker, und manche reisten
auch als Sänger umher.

Und jene, die daheim blieben im engen Tal, paßten sich den veränderten
Verhältnissen an. Denn immer größer wurde der Zuzug der fremden Gäste
im Land, und immer neue Fremdenhäuser wurden erbaut. In den tiefsten
Tälern schon hatten sie Unterkunftshäuser errichtet, und die Söhne
und Enkel jenes alten Geschlechtes, dem der Kramer Veit und der alte
Perlmoser entstammten, hausten drinnen als Wirte und als Bauern. Und
vielfach auch als Händler. Aber sie waren mehr Händler und Wirte wie
Bauern.

Die Sitten wurden lockerer im Tal und der Glaube laxer. Und die
Priester wetterten von den Kanzeln gegen den Fremdenstrom, dem sie die
Schuld beimaßen. Der alte Kramer Veit aber schüttelte seinen Kopf, so
oft er davon erzählen hörte. Denn er erkannte den wahren Grund. Und
sprach auch mit dem Anderl darüber ... oft und oft.

»'s sein nit die Fremden ... Anderl. Ganz g'wiß nit. 's sein die Bauern
schuld und ihr Eigennutz. Siegst, Bua! Bin selber a Handler g'wesen
in meine jungen Tag' und hab' viel derlebt. Mit boade Ellbogen hab' i
ausstoßen müassen, damit i mi durchbracht hab'. Und hab' nit alleweil
an die andern denken derfen ... was die fühlen dabei, wenn i ihnen
an Stoß geben hab'. Auf die Weis' hab' i's zu eppas bracht. Bin wohl
alleweil a rechtschaffener Mensch blieben ... aber z'erst hab' i an mi
denkt. An mi alloan. Aft sein erst die andern kömmen. Und so ist's halt
mit die Menschen aa. Jatz ... weil die Fremden im Land sein ... ist die
Krankheit bei die Leut' ausbrochen. Ist wia a Pest. Der Eigennutz und
die Habgier. Geld ... Geld und no mehr Geld. Früher haben sie's nit
derkennt dös Geld ... haben's nit recht begriffen, was es wert ist.
Haben g'schlafen und sein iatz munter g'worden. Und dös ist das neue
G'schlecht ... das viele von uns nimmer begreifen. Die neuen Bauern.«

Und Andreas Siegwein, der Priester, dessen Schläfen nun auch schon
leicht im Silberschmucke prangten, mußte ihm beistimmen.

»Und gottlos sind sie und ohne Glauben ... trotz ihrer Gebete!« sagte
der Priester dann, und sein Mund schloß sich herb und weh. Sie taten
ihm leid ... die Menschen.

»Nit a so gach, Anderl! Nit a so gach!« warnte der Kramer Veit. »'s
braucht alles a Verstehen auf der Welt ... aa das. Ist wia a Rausch
über die Leut' kommen ... dö Erkenntnis vom Geld und seinem Wert. Und
hat sie antroffen ohne Vorbereitung. Siegst, Anderl ... dös ist's,
und dös habt's ös versäumt ... ös Geistlichen. Ös habt's die Bauern
dahindämmern lassen ... weil's enk so gepaßt hat. Aufklären hättet's
müassen ... erziehen ... derweil's Zeit war. Das Unkraut von die Herzen
außerreißen ... den Eigennutz und die Habgier. Zum Stolz hättet's ihr
die Bauern erziehen sollen. Der hätt' müassen so groß werden und so
gewaltig, daß er dös andere Unkraut überwuchert hätt'. Zu stolz sollten
die Leut' sein ... zur Habgier, und zu stolz zum Eigennutz. Dös Drohen
mit'n Tuifl und mit der Höll' alloan tuat's nit. Glaub' mir's, Anderl!
An stolzen Menschen ist's zu schlecht, die Jagd nach dem Geld alloan.
Denn der Stolz aufs wahre Menschentum macht gerecht und gut.«

Und abermals sprach der Priester und lächelte voll Nachsicht und Güte
... »Bist aber doch gegen das Fremde bei uns im Land, Vater? Gesteh's
nur?«

Da seufzte der Alte ... lange und schwer, und sagte nichts. Er hatte
es getroffen, der Anderl. Im Grunde seines Herzens war der Kramer Veit
doch kein Freund der Fremden. Sie brachten ihm die Unruh' ins Land und
die Neuerungen, und allmählich würde ein junges Geschlecht im Tal mit
allen alten Gebräuchen aufräumen. Das schmerzte den alten Kramer und
tat ihm weh.

Er liebte seine Heimat ... so wie sie gewesen war in seiner Jugendzeit.
So rein und unberührt von außen wie damals, da er noch ein Hüaterbübl
gewesen war und mit der kleinen Notburg gespielt hatte.

Und daß damals nach dem großen Brande das neue Hotel nicht mehr an der
alten Stelle errichtet wurde, das geschah auf Betreiben des Kramer
Veit. Veit Galler war angesehen, und sein Wort hatte Geltung in der
Gemeinde. Und Veit Galler, der Krämer, sagte, daß jener Platz da droben
nur Unglück gebracht habe, und daß man ihn von nun ab geheiligt halten
müsse ...

Eine breite Fahrstraße führte vom Tal herauf zu dem neuen Alpenhotel,
das jetzt am Eingang des Dorfes erbaut worden war. Groß und schön lag
es da, und sein Bau paßte sich der Gegend dieses Tales an.

Droben aber, an jener Stelle, wo der Wastl das Feuer angelegt hatte,
stand eine stattliche Kirche. Weiß und freundlich und weit sichtbar
leuchtete der spitze Turm ins Tal. Und viele kamen, um dort zu
wallfahrten ...

Auch der Kramer Veit pilgerte dorthin. Fast jeden Tag, wenn die Sonne
freundlich war und warm. Und wenn es ihm unten im Haus etwas zu lebhaft
wurde vom reichlichen Kindersegen. War halt schon recht ... recht alt,
der Veit, und sehnte sich nach Ruhe.

Hatte sein Geschäft in Richtigkeit gebracht, der alte Mann. Ob er's
auch recht getroffen hatte? Die Bauerschaft mit Vieh und Stall und
Äckern, das sollte dem Martl gehören, wenn der Veit einmal nimmer war.
Die Villa aber und alles Geld, das er besaß, dem Andreas Siegwein und
seiner Schwester.

Ob es so recht war? Gott allein wußte das. Er, der Veit Galler, der
irrende Mensch, glaubte, daß es so gut sei. Und hatte es oftmals im
Leben so geglaubt und trotzdem schlecht getroffen. Wie damals, als er
sich barmherzig um das verlassene Regele angenommen hatte. Und war doch
alles, was jener Tat entsprang, zum Unheil geworden.

Alles? Nein. Das fremde Büabl, das der Kramer Veit damals auf der
Kraxen seinem Weibe in brennender Sonnenglut heimgetragen hatte ... das
war zum Glück gewesen. Für ihn und die Notburg und für alle im Tal.
Denn alle liebten sie den Priester Andreas Siegwein ... der den Stolz
des wahren Menschentums erkannte ... barmherzig war und gut.

Veit Galler, der Krämer, aber wartete auf den Tod. Wartete ruhig
und ohne Bangen ... wie auf einen lieben Freund. Saß droben auf der
Bank vor der neuen Kirche und ließ die Sonne auf seine alten Glieder
scheinen. Und sah hinüber zu den fernen Bergen. Hörte ganz matt nur
mehr und gedämpft das Brausen der drei wilden Gebirgsbäche, die sich
tief drunten im Tal zusammenschlossen, und fühlte den heiligen Frieden
dieser Einsamkeit.

Dort, wo seine Villa stand ... da balgten sich die Kinder des Martl in
den grünen Wiesen. Sie jagten die Kühe und trieben sie im Spiel. Herbst
war's, und der Martl ackerte im Feld. Ging hinterm Pflug einher, mit
schwerfälligem Schritt. Und sein junges Weib schritt vor ihm und führte
den Ochsen. Trug ein helles Tuch überm Kopf als Schutz gegen die Sonne,
die noch heftig brannte.

Wie wohl sie dem Greise tat, diese wärmende Oktobersonne! Und wie wohl
der Frieden des Tales. Jetzt waren sie nun abermals fortgezogen ...
die fremden Gäste ... und geheiligt war das Land.

Mächtig, majestätisch und groß standen die Berge. Und hatten einen
Wolkenschleier ums Haupt gelegt. Wie eine Krone, aus der weiße
Eiszacken frei und ungehemmt zum Himmel ragten. Wie eine Krone war's
... eine silbernschwere leuchtende Königskrone.

Königin Heimat!

Und Veit Galler, der Krämer ... schlief ein, auf der Bank sitzend, die
vor der neuen Kirche stand, und hatte das Gesicht der Sonne zugewendet.

Und wachte nie mehr auf.




                        Werke von Rudolf Greinz


                    In Staackmanns Romanbibliothek

                   Jeder Band in Ganzleinen RM 3.50


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*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KÖNIGIN HEIMAT ***


    

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or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
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