Die Anthropophagie

By Richard Andree

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Title: Die Anthropophagie

Author: Richard Andree

Release date: June 18, 2025 [eBook #76335]

Language: German

Original publication: Leipzig: Verlag von Veit & Comp, 1887

Credits: Peter Becker and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net (This file was produced from images generously made available by The Internet Archive)


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE ANTHROPOPHAGIE ***


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                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1887 so weit
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                                  DIE

                            ANTHROPOPHAGIE.

                      EINE ETHNOGRAPHISCHE STUDIE

                                  VON

                            RICHARD ANDREE.

                            [Illustration]

                               LEIPZIG,
                        VERLAG VON VEIT & COMP.

                                 1887.




               Von demselben Verfasser erschien früher:

                              DIE METALLE

                         BEI DEN NATURVÖLKERN.

                         MIT BERÜCKSICHTIGUNG

                     PRÄHISTORISCHER VERHÄLTNISSE.

         Mit 57 Abbildungen im Text, gr. 8. 1884. geh. 5 _M._


                        _Demnächst_ erscheint:

                               GRUNDRISS

                                  DER

                            ANTHROPOLOGIE.

                                  Von

                            Dr. E. Schmidt,
              Privatdozenten an der Universität Leipzig.

              gr. 8. Mit zahlreichen Abbildungen im Text.

                      Leipzig.      Veit & Comp.




                                  DIE

                            ANTHROPOPHAGIE.

                      EINE ETHNOGRAPHISCHE STUDIE

                                  VON

                            RICHARD ANDREE.

                            [Illustration]

                               LEIPZIG,
                        VERLAG VON VEIT & COMP.
                                 1887




        Das Recht der Herausgabe von Übersetzungen vorbehalten.


              Druck von +Metzger+ & +Wittig+ in Leipzig.




Vorwort.


Bei der Anthropophagie ist zu unterscheiden zwischen der zufälligen
oder notgedrungenen und der gewohnheitsmäßigen. Die erstere, welche
infolge von Hungersnot, bei Belagerungen, Schiffbrüchen u. s. w.
überall und zu allen Zeiten vorkommt, ist hier ausgeschlossen. Sie
bietet kein ethnologisches Interesse. Zur Darstellung soll dagegen die
gewohnheitsmäßige Anthropophagie gelangen, welche einen Teil der Sitten
eines Volkes ausmacht. Mit dieser allein habe ich es zu thun; die
Thatsachen sollen möglichst vollständig vorgeführt, die verschiedenen
Stufen und die Ursachen, die gleichfalls sehr mannigfacher Art
sind, erläutert werden. Zunächst behandle ich die Anthropophagie in
vorgeschichtlicher Zeit, woran sich eine kurze Übersicht der alten
geschichtlichen Nachrichten über den Kannibalismus anschließt, kurz
deshalb, weil dieses Thema bereits wiederholt bearbeitet worden ist.
Es schließt sich daran ein Kapitel über die anthropophagen Überlebsel
Europas, über dasjenige, was in Sagen, Märchen, Volkssitten und
Aberglauben auf ehemaligen Kannibalismus in Europa schließen läßt.
Dann folgt jener Teil meiner Arbeit, auf welchen ich den Nachdruck
lege: die heutige Verbreitung und Ausübung der Anthropophagie, wobei
die Thatsachen in geographischer Ordnung vorgeführt werden. Eine
Ableitung der Ergebnisse aus dieser Stoffsammlung ergiebt sich dann von
selbst und die verschiedenartigen Beweggründe, sowie die allgemeinen
Betrachtungen über die noch bei Millionen heute herrschende
Menschenfresserei, das allmähliche Schwinden derselben, gleichlaufend
mit dem Vordringen der europäischen Einflüsse und unserer Civilisation,
können klar gelegt werden.

Bereits in den Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig 1873
habe ich eine Abhandlung über die Verbreitung der Anthropophagie
veröffentlicht, welche der nachstehenden Darstellung zu Grunde
liegt. Seit jener Zeit hat sich der Stoff gehäuft, es sind nicht
nur zahlreiche Belege, namentlich Afrika betreffend, hinzugekommen,
sondern auch die Frage nach der prähistorischen Anthropophagie ist
jetzt eingehender erörtert worden, als es nach dem damaligen Stande
der Wissenschaft der Fall sein konnte. Da jene kleine Abhandlung oft
verlangt wurde und an einem weniger zugängigen Orte sich befindet, so
habe ich mich entschlossen, dieselbe in ausführlicherer und mit den
neuesten Ergebnissen der Wissenschaft vermehrter Form hier wieder zu
veröffentlichen.

  +Leipzig+, im Juli 1886.

  =Dr. R. Andree.=




Inhalt.


                                                                   Seite

  +Die prähistorische Anthropophagie+                                  1

  Der primitive Mensch als Jäger 1. -- Höhlen der Quaternärzeit mit
  Menschenknochen 2. -- Zweifel an der prähistorischen Anthropophagie
  2. -- Kannibalen von Chauvaux 3. -- Analogien mit heutigen
  Naturvölkern 3. -- Prähistorische Anthropophagie in Frankreich 4. --
  Grotta dei Colombi 5. -- Grotte von Peniche 5. -- Die Höhle von
  Holzen 5. -- Höhle von Scharzfeld 6.


  +Überlebsel im Volksglauben+                                         6

  Mythen und Überlieferungen der klassischen Völker 6. -- Anthropophagie
  und Folklore 7. -- Der wilde Jäger und deutsche Menschenfressermärchen
  7. -- Striglen der Neugriechen 8. -- Aberglauben verknüpft mit
  dem Genusse von Menschenfleisch 8. -- Kannibalismus in der russischen
  Volkslitteratur 9. -- Finnische Sagen und Märchen 9. -- Märchen der
  Turkvölker Sibiriens 10. -- Grabschändungen und anthropophager
  Aberglauben 11.


  +Alte geschichtliche Nachrichten über Anthropophagie+               12

  Nachrichten bei Herodot und Strabo 12. -- Massageten, Issedonen,
  Derbiker 13. -- Irland 13. -- Griechische Mysterien 14. -- Römischer
  Aberglaube 14.


  +Asien+                                                             15

  Malayischer Archipel 15. -- Marco Polos Bericht über Sumatra 15. --
  Die Batta 16. -- Die Dajaks 18. -- Philippinen 19. -- Die Manobos 19.
  -- Die Asuan 19. -- Samojeden 20.


  +Afrika+                                                            21

  Guineaküste und Nigerdelta 21. -- Sierra Leone 22. -- Bonny 22. --
  Bassam 22. -- Aschanti 23. -- Dahomeh 24. -- Hutchinsons Schilderungen
  aus dem Nigerdelta 25. -- Bischof Crowthers Zeugnis 26. -- Altcalabar
  27. -- Die Tangale 27. -- Äquatoriales Westafrika 27. -- Die
  „Anziquen“ 27. -- Die Fan 28. -- Die Kissama 30. -- Die Kimbunda
  31. -- Die Jagas und das Sambamentofest 31. -- Kannibalenhöhlen
  im Basutolande 32. -- Südafrika 35. -- Centralafrika 36. --
  Darfor 36. -- Burum 36. -- Die Niam-Niam 36. -- Die Monbuttu 38. --
  Mambanga 39. -- Manjuema 40. -- Kongovölker 41. -- Haiti und
  der Wodudienst 42.


  +Australien+                                                        43

  Westaustralien 43. -- Südaustralien 44. -- Victoria 45. --
  Neu-Süd-Wales 46. -- Queensland 46. -- Nordaustralien 48. --
  Tasmania 48.


  +Die Südsee+                                                        48

  Die Polynesier eine Kannibalenrasse 48. -- Mythologisches 49. --
  Neu-Guinea und Nachbarschaft 49. -- Louisiade-Archipel 51. --
  Bismarck-Archipel   52. -- Salomonen 52. -- Neu-Hebriden 54. --
  Neu-Caledonien 57. -- Loyalty-Inseln 59. -- Fidschi-Inseln 59. --
  Sandwich-Inseln   63. -- Markesas-Inseln 64. -- Paumotu 65. --
  Gesellschafts-Inseln 66. -- Samoa-Inseln 67. -- Tonga-Inseln 68. --
  Neu-Seeland 68. -- Mikronesien 71.


  +Amerika+                                                           72

  Die Cariben Westindiens 72. -- Mexiko 73. -- Yukatan 76. --
  Centralamerika 76. -- Peru 76. -- Gebiet des Amazonas 77. --
  Südamerika 78. -- Die Kaschibos 79. -- Mesayas und Miranhas 80. --
  Die Apiacas 82. -- Die Tupi 83. -- Die Botokuden 87. -- Die Puris 89.
  -- Araukaner 89. -- Die Feuerländer 90. -- Eskimos 91. --
  Tinné-Indianer 91. -- Chippeways 92. -- Potowatomis 93. -- Sioux und
  Mohawks 94. -- Prähistorischer Kannibalismus in Florida 95. -- Die
  Hametze auf Vancouver 96.


  +Ergebnisse+                                                        98




+Die prähistorische Anthropophagie+.


Schon die weite Verbreitung, welche die Anthropophagie bei
niedrigstehenden Naturvölkern der Gegenwart besitzt und die zahlreichen
Nachrichten über dieselbe bei frühgeschichtlichen Völkern in den
Werken des klassischen Altertums legen die Vermutung nahe, daß auch
in vorgeschichtlicher Zeit Völker existierten, welche unter die
Anthropophagen gerechnet werden müssen. Es scheinen aber auch direkte
Beweise hierauf hinzudeuten.

Der prähistorische Mensch, der gleichzeitig mit den großen, jetzt
meist ausgestorbenen Säugetieren, dem Höhlenbären, dem Mammut, Ren,
Höhlenlöwen, dem haarigen Rhinoceros u. s. w., lebte, war Jäger und
ernährte sich zum großen Teil vom Fleische der Jagdtiere, deren Felle
wohl zu Kleidungsstücken verarbeitet wurden. Die Knochen der erlegten
Tiere wurden, wie zahlreiche Höhlenfunde beweisen, mit der Steinaxt
oder dem Feuersteinmesser geöffnet; an der Art und Weise nun, wie
namentlich die langen Röhrenknochen zerbrochen oder geöffnet sind, will
man erkennen können, ob dieses von Menschenhand geschehen sei. Für
die Zeitbestimmung der Funde ist dieses von der größten Wichtigkeit,
denn wenn die Knochen im +frischen+ Zustande von den Menschen geöffnet
waren, so konnte über die Gleichalterigkeit des Menschen und der
betreffenden Tiere kein Zweifel aufkommen.

Die Jagdmittel, welche die primitiven Höhlenmenschen besaßen, waren
sicher nur unvollkommener Art, schwer wurde es ihnen, die großen Tiere
zu überwältigen und wenn einmal die Jagd versagte und Hungersnot
herrschte, so ist es nur zu leicht erklärlich, daß der primitive
Mensch prähistorischer Zeit zum Anthropophagen wurde, wie heute noch
der Hunger selbst in Kulturländern zum Kannibalismus zwingt. Jenem,
dem zahlreiche Empfindungen und Begriffe noch fehlten, die uns heute
geläufig sind, wie z. B. Schamhaftigkeit oder Pietät, konnte es kaum
einen Unterschied machen, ob er Fleisch von einem Jagdtiere oder
Menschen verzehrte, wenn er nur seinen Hunger zu stillen vermochte.
Verzehrte der Mensch in der Quaternärzeit seinesgleichen, so wird er
sich auch an dem Mark der Menschenknochen erlabt haben, wie er sicher
die Markknochen der großen Säugetiere mit Steinhammer und Flintmesser
öffnete, um deren Inhalt zu verzehren. Findet man daher im Inhalt der
Höhlen der Quaternärzeit Menschenknochen, welche in absichtlicher Weise
geöffnet erscheinen und die Spuren der menschlichen Bearbeitung zeigen,
so kann man wohl schließen, daß sie zu dem Zwecke zerbrochen wurden, um
das Mark zu Nahrungszwecken zu erlangen. Eine große Anzahl Entdeckungen
sind nach dieser Richtung hin in der letzten Zeit gemacht worden; man
hat die deutlichsten Beweise künstlicher Öffnung von Markknochen, die
Schnitte der Feuersteingeräte an denselben finden wollen und sich immer
mehr der Ansicht zugeneigt, daß man es mit Überresten prähistorischer
Kannibalenmahlzeiten in solchen Fällen zu thun hat.

Allemal kommt es hierbei aber auf eine sehr genaue Untersuchung der
Menschenknochen an, auf die Art und Weise, wie dieselben geöffnet
wurden. Das Zerschlagen und Öffnen kann zu verschiedenen Zwecken
stattgefunden haben; es ist bekannt, daß heute noch einzelne Völker
das Mark von Röhrenknochen nur gewinnen, um damit Felle zu gerben.
Das kann auch bei einem prähistorischen Volke der Fall gewesen sein
und dann ist es ausgeschlossen, hier aus dem Knochenbefunde auf
Anthropophagie zu schließen. Mit absoluter Sicherheit wird sich niemals
sagen lassen: die und die aufgefundenen, zerschlagenen und geöffneten
Menschenknochen sind die Überreste einer kannibalischen Mahlzeit
oder das prähistorische Volk, welches in dieser oder jener Höhle
hauste, bestand aus Kannibalen. Es hat daher auch die Vorstellung von
prähistorischen Anthropophagen wiederholt Gegner gefunden. Mögen nun
aber auch die Schlüsse, welche man auf prähistorischen Kannibalismus
aus den zerschlagenen Menschenknochen zieht, hinfällig sein --
die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit für letztere ist trotzdem
vorhanden; sie werden gestützt durch die Analogie, welche zwischen den
vorgeschichtlichen Völkern und den heute der Anthropophagie ergebenen
Naturvölkern besteht, eine schlagende Analogie, die nicht mehr
besonders hervorgehoben zu werden braucht.

Der erste, welcher auf Kannibalismus in vorgeschichtlicher Zeit schon
vor vierzig Jahren hinwies, war Professor ~A. Spring~ in Lüttich,
welcher die Höhlen von Chauvaux bei Namur in Belgien durchforschte
und hier in großer Masse Menschen- und Tierknochen mit Asche und
Kohlenstücken vermengt vorfand. Alle Röhrenknochen waren zerschlagen,
„um zu dem Marke zu gelangen“, und ein Unterschied zwischen Menschen-
und Tierknochen fand hierbei nicht statt. Wohl aber durfte ~Spring~
sich wundern, daß kein einziger Knochen einem alten Mann oder
einer alten Frau angehört hatte, denn sämtliche Überreste stammten
von Jünglingen, jungen Frauen oder Kindern, woraus ~Spring~ auf
Feinschmeckerei der alten kannibalischen Höhlenbewohner schließt,
die nicht von der Not gedrängt, nur das zarte Fleisch jugendlicher
Genossen verzehrten. ~Spring~s Darlegungen erregten anfangs heftigen
Widerspruch, aber dem massenhaften von ihm vorgelegten Material
gegenüber neigte sich die Wagschale mehr zu gunsten seiner Ansicht.[1]

Nachdem durch ~Spring~ einmal der Kannibalismus des vorhistorischen
Menschen angeregt worden war, begannen die Forscher eifrig nach neuen
Belegen zu suchen und die aufgefundenen Menschenknochen unter dem
Gesichtspunkte der Anthropophagie zu betrachten. Besonders reiche
Beweise brachte man aus Frankreich bei, denen gegenüber die Zweifel zu
schwinden begannen, zumal es ja an und für sich nicht die geringste
Unwahrscheinlichkeit darbietet, daß unsere Vorfahren demselben Gelüste
gehuldigt haben, welches unter den heutigen Naturvölkern noch so weit
verbreitet ist. Wie bei den Australiern und nach ~Schweinfurth~ bei
den Niam-Niam, nach ~Bowdich~ bei den Aschanti noch heute Schädel- und
Knochenstücke von Menschen als Zierat getragen werden, so schmückten
die alten Bewohner des Departements Aveyron in Südfrankreich sich mit
durchbohrten Menschenzähnen, die, an Schnüren aufgereiht, als Ketten
getragen wurden, wie ~Cartailhac~ nachgewiesen hat.[2] Es mag uns in
diesem Falle freistehen, ein pietätvolles Erinnerungszeichen an einen
Verstorbenen nach Art der Australier oder an eine Siegestrophäe nach
Art der Niam-Niam zu denken, die von einem erschlagenen, möglicherweise
verzehrten Feinde herrührt. ~F. Garrigou~, der es sich zur besondern
Aufgabe setzte, die Anthropophagie der „Renntierfranzosen“
nachzuweisen, hat dafür eine Anzahl Beweise gesammelt.[3] Er führt aus,
daß die Menschenknochen, welche zuerst mit Tierknochen in den zur
Renntierzeit gerechneten Höhlen des Thals von Tarascon (Ariège), von
Sabart (Sounchut) von Niaux-Grande und Niaux-Petite, von Bédeillac etc.
im südlichen Frankreich vorkommen, für ihn als _restes de repas faits
par l’homme_ gelten. Er hat dann seine Beweise durch Belege aus dem
Departement Lot vermehrt, wo namentlich in der Höhle Cuzoul de Mousset
viele zerschlagene und kalcinierte Menschenknochen auf Kannibalismus
deuten.[4] In den Dolmen des Departements Lozère hat ~Prunières~ neben
einem mit Bronzeschmuck versehenen Skelette, Knochen von alten und
jungen Menschen, nur Bruchstücke, im „angenagten“ Zustande, nebst
einem aufgeschlagenen Röhrenknochen gefunden, die auf Kannibalismus
hinwiesen; Zweifel, welche der verdiente ~Broca~ erhob, schienen durch
eingesandte Belegsstücke widerlegt.[5] ~Felix Regnault~ behauptete
mit vielen Beweisstücken den Kannibalismus der alten Bewohner von
Montesquieu im Departement Ariège. Die zerbrochenen Menschenknochen
wurden dort zusammen mit Feuersteingeräten und den Knochen vom
Höhlenbär, Hirsch, Ochs, Pferd, Hund und der Höhlenhyäne gefunden;
die Menschenknochen waren _cassés par des instruments tranchants_ und
zwar nach einer ganz bestimmten Weise, die ~Regnault~ als _bec de
flûte_ bezeichnet.[6] ~A. Roujou~ bringt von der Station Villeneuve St.
Georges (Steinzeit) Beweise für die Anthropophagie bei.[7]

In der vortrefflichen Arbeit von ~Eduard Piette~ über die Grotte von
Gourdan, Departement Haute Garonne[8], wird die Frage aufgeworfen, ob
die alten Renntierjäger, deren Spuren dort massenhaft vorhanden sind,
auch Anthropophagen waren? Zahlreiche menschliche Schädelfragmente
mit sehr deutlichen Spuren von Schnitten, als ob die Schädelhaut mit
Feuersteingeräten abgezogen worden wäre, wurden dort aufgefunden. Dann
zerlegte man den Schädel, wie die Bruchstücke beweisen, und suchte
wohl zum Gehirn zu gelangen. Bemerkenswert ist, daß man nur Schädel
und Atlasknochen, keine anderen menschlichen Teile in der Grotte
fand. ~Piette~ meint, daß die Renntierjäger von Gourdan eine Art von
Kopfschneller gewesen seien, welche die Häupter ihrer Feinde als
Siegestrophäen in die Grotte hineinbrachten, diese dort skalpierten
und dann das Gehirn verzehrten. Für diese Ansicht sprechen genau die
Kopfjäger von der Insel Lazon, über welche freilich damals ~Piette~
noch nicht unterrichtet sein konnte (siehe unten).

Bei den Ausgrabungen in der Grotta dei Colombi auf der Insel Palmaria
(Golf von Spezia) hat ~Capellini~ neben rohen Feuersteinwerkzeugen,
Topfscherben und Knochennadeln, Knochen von Ziegen, Schweinen, Rindern
etc. auch Oberschenkelbeine gefunden, die vom Feuer versengt sind und
an der hinteren Fläche Einschnitte tragen, „die daher rühren, daß man
mit einem Feuerstein das Fleisch abgeschnitten hat“. Nach ~Capellini~s
Meinung gehören sie einem Affen (_Macacus inuus_) an; aber die
Untersuchungen von ~Boyd Dawkins~ und Prof. ~Busk~ haben ergeben, daß
es sich hier um das Oberschenkelbein eines etwa achtjährigen Kindes
handelt. Aus der Roheit der aufgefundenen Artefakte geht hervor, daß
in der Höhle sehr niedrig stehende Wilde lebten, welche auf Grund des
obigen Fundes für Kannibalen angesehen werden.[9]

Auf der iberischen Halbinsel sind die Menschenknochen, welche sich
in den neolithischen Ablagerungen der Grotte von Peniche vorgefunden
haben, von ~Delgado~ als Beweise für den Kannibalismus der Vorzeit
angesprochen worden. Ein zur Prüfung dieser Frage auf dem Lissabonner
prähistorischen internationalen Congress 1880 niedergesetzter Ausschuß
war geteilter Ansicht, indem einzelne Mitglieder zustimmten, andere die
Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit prähistorischer Anthropophagie in
diesem Falle zugaben und wieder andere dieselbe leugneten.[10]

Was schließlich unser Vaterland betrifft, so ist auch dieses nicht
frei befunden von prähistorischen Kannibalen. In einer der Bronzezeit
zugerechneten Höhle beim Dorfe Holzen, unweit Eschershausen, hat ~A.
Wollemann~ an den Herdstellen Anhäufungen von Menschenknochen gefunden,
deren Röhrenknochen sämtlich zerschlagen und angebrannt waren, „so daß
an den Feuern ohne Zweifel einst Menschen verbrannt wurden“. Unverletzt
dagegen waren die kein Mark enthaltenden Knochen; ~Wollemann~ deutet
daher die Knochenreste als Überbleibsel kannibalischer Mahlzeiten[11],
eine Ansicht, der sich unter näherer Begründung auch Prof. ~Nehring~
angeschlossen hat.[12]

Mindestens den Verdacht der Anthropophagie erregen die alten
Höhlenbewohner der neolithischen Zeit, welche in der Einhornhöhle
bei Scharzfeld am Harze wohnten. ~C. Struckmann~, der diese Höhle
untersuchte, fand darin zahlreiche menschliche Gebeine ohne jede
Ordnung wild durcheinander zwischen den zerschlagenen Tierknochen und
Topfscherben, also inmitten der Küchenabfälle. Ein Knochen scheint
nachweisbar von Menschenhand gespalten. Sichere Beweise aber, daß die
Mehrzahl der Knochen absichtlich wegen der Markgewinnung geöffnet
wurde, fehlen.[13]


  [1]  ~A. Spring~, Rapport sur un mémoire sur l’éthnographie de l’homme
       du renne par ~Ed. Dupont~. Bull. de l’acad. royale du Belgique.
       T. XXII. No. 9 und 10.

  [2]  In ~Mortillet~s Matériaux pour l’histoire positive et
       philosophique de l’homme III. 65.

  [3]  L’Anthropophagie chez les peuples des âges du renne etc. Bull. de
       la soc. d’Anthropol. 1867. 326.

  [4]  Bull. d. l. soc. de Géologie de France. T. XXVI. 461.

  [5]  Bull. d. l. soc. d’Anthropol. 1868. 317. 404.

  [6]  Bull. d. l. soc. d’Anthropol. 1869. 476. 485.

  [7]  Bull. d. l. soc. d’Anthropol. 1866. 607. 611 und 1867. 239.

  [8]  Bull. d. l. soc. d’Anthropol. 1873. 407.

  [9]  ~Boyd Dawkins~, Die Höhlen. Deutsch. Leipzig 1876. 208. und
       Archiv für Anthropologie. IV. 163.

  [10] Archiv für Anthropologie. XIII. Supplement. 106-108.

  [11] Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft. 1883.
       517.

  [12] Daselbst. 1884. 88.

  [13] Archiv für Anthropologie. XIV. 227-229.




+Überlebsel im Volksglauben+.


Wie die vergleichende Mythologie in den Volksmärchen und Sagen reichen
Stoff zum Wiederaufbau der alten Götterwelt gefunden hat, so können,
und mit noch größerem Rechte, die Anklänge, welche Märchen und Sagen
verschiedener, heute auf einer hohen Kulturstufe stehender Völker an
Menschenfresserei zeigen, als Überlebsel aufgefaßt werden und dazu
dienen, das ehemalige Vorhandensein der Anthropophagie bei solchen
Völkern darzuthun. Mit größerem Rechte sage ich, weil die Analogie der
Naturvölker, bei denen heute noch die Anthropophagie in ausgedehntem
Maße herrscht, hier bestätigend zu Hilfe kommt, eine Analogie, die bei
Götterrekonstruktionen nicht im gleichen Maße zur Seite steht.

Was in den Mythen und Überlieferungen der klassischen Völker von
menschenfressenden Göttern und Helden berichtet wird, gehört auch in
das Gebiet, welches hier berührt wird; die Anschauung ist dieselbe,
wie in unseren heutigen Märchen und Sagen von Menschenfressern, wenn
auch eine Niederschrift schon vor tausenden von Jahren erfolgte. An das
Treiben der Höhlenkannibalen, wie prähistorische Funde es uns kennen
lehren, oder wie es unsere Zeit in den Höhlen des Basutolandes gesehen
hat, erinnert die Schilderung der Odyssee, wo der Kyklop Polyphem nach
den Gefährten des Dulders von Ithaka griff,

    Deren er zween anpackt, und wie junge Hund’ auf den Boden
    Schmettert: blutig entspritzt ihr Gehirn und netzte die Erde.
    Dann zerstückt’ er sie Glied vor Glied, und tischte den Schmaus auf,
    Schluckte drein, wie ein Leu des Felsengebirgs, und verschmähte
    Weder Eingeweide, noch Fleisch, noch die markichten Knochen.

Tantalus, der am Tische der Götter speisen durfte, suchte deren
Allwissenheit zu prüfen, indem er ihnen das Fleisch seines wegen
Blutschande zerstückelten Sohnes Pelops vorsetzt. Nur Demeter ißt
aus Versehen von der Schulter, während die übrigen Götter die Speise
erkennen. Atreus tötet die beiden Söhne des Thyestes, läßt die
zerstückelten Leichname teils kochen, teils braten und setzt dem Vater
beim Gastmahle das Fleisch zu essen, das Blut unter den Wein gemischt
zum Trinken vor. Und so öfter.

Sehr reich an Beziehungen zur Anthropophagie ist das Gebiet dessen,
was wir heute unter der Bezeichnung „Folklore“ zusammenfassen.
Jedoch kann dieses Kapitel nicht eingehend hier behandelt werden, da
der Schwerpunkt meiner Arbeit auf ethnographischem Gebiete liegt;
aber zeigen läßt sich, daß in der Volkslitteratur die wesentlichen
Gesichtspunkte, welche bei der Anthropophagie in Betracht kommen,
von dem rohen, sättigenden Genuß des Menschenfleisches, also der
rein materiellen Seite, bis zu den damit verknüpften verfeinerten
abergläubigen Wahnvorstellungen vorhanden sind.

Der wilde Jäger oder Wod jagt und erlegt (in den pommerschen Sagen)
ein paar Frauenzimmer und wirft denen, die ihm bei der Jagd behilflich
waren, als Speise und Belohnung ein Frauenbein zu. „Hast mit jacht,
kâst uk mit frête.“[14] So verlangt der wendische Bauer von Dissenchen
in der Lausitz im Übermut vom Nachtjäger die Hälfte des Jagdertrags. Da
bekommt er die Hälfte eines Menschen.[15] Als die Hexen in Swinemünde
hungrig waren, sagte die eine zur anderen: Drüben unsere Nachbarin
liegt in den Wochen, da wollen wir ihr Kind holen und es schlachten.[16]

Nach dem altertümlichen serbischen Volksglauben fressen die Hexen
das Herz aus dem Leibe des Menschen. In einem Liede[17] ruft ein
Hirtenknabe, den seine Schwester nicht erwecken kann: Hexen haben mich
ausgegessen, Mutter nahm mir das Herz, Base leuchtete ihr. Daß der
nämliche Wahn unter den alten Deutschen herrschte, bezeugen Stellen
der Volksrechte: _si stria hominem comederit_.[18] Unsere heutigen
Märchen stellen die Hexen als Waldfrauen dar, die sich Kinder zur
Speise füttern und mästen[19], also rein materiell das Fleisch genießen.

Die Striglen der Neugriechen hingen mit den Strigen des
griechisch-römischen Altertums zusammen, jenen boshaften Zauberfrauen
des populären Aberglaubens, von denen man erzählt, daß sie des Nachts
in Vogelgestalt zu den Wiegen der Kinder flögen und diesen das Blut
aussaugten. In einer unter Johannes’ von Damaskus Namen überlieferten
Abhandlung werden die στριγγαι nach damaliger volkstümlicher
Auffassung geschildert als nachts durch die Luft fahrende Frauen,
welche die kleinen Kinder erwürgen oder ihnen die Leber ausfressen.
Der altertümliche Strigenglaube hat sich noch an einzelnen Orten
Griechenlands erhalten.[20]

Auch jener Zug, welcher bei den heutigen Anthropophagen
charakteristisch ist und häufig wiederkehrt, die völlige Vernichtung
des gehaßten Feindes dadurch, daß man ihn verspeist, ist schon
vorhanden in unseren Volksmärchen. Die Stiefmutter Schneewittchens
verzehrt Leber und Lunge von einem Frischlinge im Wahne es seien Leber
und Lunge des von ihr gehaßten Schneewittchen.

Es zeigen sich desgleichen in der Volkslitteratur jene abergläubischen
Vorstellungen, die mit dem Genusse von Menschenfleisch noch heute
bei den anthropophagen Naturvölkern verknüpft sind, nämlich, daß der
Verspeisende besondere Kräfte und Eigenschaften dadurch erhalte. „Wer
ein gekochtes Menschenherz ißt, wird unsichtbar.“[21]

Nicht anders die Chinesen noch heute, bei denen dieser Aberglaube bis
zur Ausführung herrscht. _The people in the district Cheung-lok seized
a youth, carried him to the top of a hill, where they killed him and
ate his heart_ (1871).[22] Ein englischer Kaufmann in Schanghai betraf
seinen chinesischen Diener darüber, wie er ein Menschenherz nach Hause
brachte, um es dort zu kochen und zu verzehren. Es sei das Herz eines
Taipingrebellen, sagte er, und er esse es, um tapfer zu werden.[23]

Auch dämonische Verwandlungen werden durch den Genuß von
Menschenfleisch bewirkt. So wird bei den Indern der Knabe Vijayadatta
dadurch, daß ihm Menschenhirn an die Lippen spritzt, zum mörderischen,
leichenzerfleischenden Rakschasa[24] und nach dem Volksglauben im
Braunschweigischen, muß jeder, der Menschenfleisch kostet, auf immer
Menschenfresser werden. Bei Seesen ging ein Mädchen durch den Wald,
dem begegnete eine Menschenfresserin, die der Kleinen Wurst anbot.
Da kam eine weiße Katze, die warnte das Mädchen, ja die Wurst nicht
anzunehmen, denn sie war aus Menschenfleisch. Die Katze hängte hierauf
die Würste an die Büsche, da kamen Raben und Wölfe und fraßen sie auf.
Seit jener Zeit mögen Raben und Wölfe am liebsten Menschenfleisch.[25]

Daß in der russischen Volkslitteratur Spuren vorhanden sind, die auf
alte Menschenopfer und Kannibalismus hindeuten, hat ~Wojewodsky~
nachzuweisen unternommen. Er führt ein Volkslied an, in welchem ein
Rätsel aufgegeben ist: Ein menschlicher Körper wird in seine Teile
zerlegt und diese werden zu allerlei verbraucht, z. B. aus dem Blut
wird Bier gebraut, aus dem Fette macht man Lichter u. dergl. Mit
Rücksicht auf die einzelnen Teile werden einzelne Fragen vorgelegt,
wie: Was ist das? Etwas Liebes brennt vor mir als Licht. ~Wojewodsky~
leitet die Entstehung jener Gedichte aus einer Zeit her, in welcher
noch Kannibalismus herrschte.[26] Auch das russische Märchen von der
schönen Wasilissa gehört hierher. Sie kommt zu einer Hexe, Baba-Jaga,
welche im dichten Walde eine Hütte bewohnt. Der Zaun um die Hütte
besteht aus Menschenknochen, auf denselben sind Menschenschädel
befestigt, an der Thür statt der Pfosten Menschenbeine, statt der
Riegel Hände; in der Nacht leuchten an den Schädeln die Augen u. s. w.
Den knöchernen Schädeln werden auch heute noch magische Wirkungen in
Rußland zugeschrieben.[27]

Die Märchen und Sagen der finnischen Völker im Innern des europäischen
Rußland zeigen ebenfalls Anklänge an ehemalige Menschenfresserei. Ein
wotjäkisches Märchen[28] berichtet von dem schlauen Knaben Wanka, den
eine Hexe durch ihre Tochter braten lassen will. Die Tochter befiehlt
ihm sich auf die Schaufel zu setzen, um ihn in den geheizten Backofen
zu schieben; er stellt sich aber ungeschickt und als die Tochter es
ihm vormacht, schiebt er diese schnell in den Ofen, wo sie gebraten
wird. Nun kommt die Alte zu Hause, sieht in den Ofen und spricht: „Ach,
Wanka, wie schön du gebraten bist.“ Sie zieht den Menschenbraten hervor
und verzehrt ihn. Sie verspeist somit ihr eigenes Kind und diesen
Zug finden wir auch anderweitig und die Backofengeschichte spielt
gleichfalls in deutschen Märchen.

In den Märchen und Sagen der Turkvölker Südsibiriens leben auch die
Menschenfresser fort, wiewohl wir bei den heutigen Viehzüchtern jener
Gegenden keinerlei Spuren von Kannibalismus nachzuweisen vermögen. In
dem von den Altajern erzählten Märchen von Tardanak und Täktäbäi Märgän
werden deutliche Menschenfressergeschichten erzählt, wie in unseren
Kindermärchen.[29]

Tardanak wird von dem siebenköpfigen Jälbägän in einen Sack gesteckt
um als Speise zubereitet zu werden; mit List befreit er sich daraus,
schneidet den Kindern Jälbägäns die Köpfe ab und kocht deren Leiber in
einem Kessel. Da kehrt Jälbägän zurück:

    Sah das Fleisch, welches im Kessel gekocht war.
    Als er das Fleisch sah, sprach er:
    Meine Kinder haben gut gethan,
    Den Tardanak haben sie getötet
    Und gekocht, das ist gut.
    Das im Kessel befindliche Fleisch nahm und aß er.

So ist also auch hier der Menschenfresser geprellt und verzehrt die
eigenen Kinder im Wahne, einen Fremden zu essen.

Die Anschauungen, wie sie in den Märchen und im Volksaberglauben hier
uns entgegentreten, namentlich der Wahn, dass im menschlichen Fleische
und Blute Heilkraft vorhanden sei, sie bestehen noch jetzt beim
gemeinen Volke und äußern sich praktisch.

Als die Hinrichtungen in Deutschland noch öffentlich waren, ist es
häufig vorgekommen, daß Zuschauer ihre Taschentücher in das Blut
hingerichteter Verbrecher eintauchten, um sie dann zu Heilzwecken zu
benutzen, gerade so wie der arme Heinrich des Hartmann v. d. Aue durch
das Herzblut einer reinen Jungfrau vom Aussatz geheilt werden sollte.
Bei Daber in Pommern wurde eine Kindsmörderin hingerichtet; als ihr
Blut umherspritzte, drängten sich alle Leute, die etwas zu verkaufen
hatten, besonders Bäcker und Brauer, heran, um in einem Lappen einige
Tropfen davon aufzufangen. Der Lappen mit solchem Blut wurde von den
Bäckern in den Brotteig, von den Brauern in das Bier getaucht, damit
sie Kundenzulauf erhielten.[30]

Mit solchem Aberglauben hängen auch sich wiederholende Grabschändungen
zusammen, wobei den Leichen Blut oder Stückchen Fleisch entnommen
werden, um sie Erkrankten einzugeben, wie derlei Fälle 1871 und 1877
festgestellt sind zu Rostasin bei Lauenburg (Pommern) und Heidemühl
(Kreis Schlochau). Gottfried Dallian aus Neukirch bei Elbing ermordete
und beraubte am 31. Dezember 1865 die ledige Elisabeth Zernickel
und verzehrte, wie die Gerichtsverhandlung ergab, einen Teil ihres
ausgebratenen Bauchfleisches „um Ruhe in seinem Gewissen zu finden“.
Die Herzen ungeborener Kinder gelten vielfach als Schutzmittel für
Räuber und Diebe. Sie werden roh, sowie sie dem Leibe der Mutter
entrissen waren, gegessen.[31] Berliner Zeitungen vom 13. November 1879
meldeten:

„In einem Gebüsch im Friedrichshain, gegenüber der Elbinger Straße,
fand man gestern früh um 8 Uhr einen Sarg, dessen Deckel abgehoben
war und in welchem die nur spärlich bekleidete Leiche eines etwa ein
Jahr alten Mädchens lag. Die sofort benachrichtigte Polizei des 51.
Reviers konstatierte eine grausige Verstümmelung der Leiche: Brust
und Leib waren aufgeschnitten und Herz, Leber und Lunge gewaltsam aus
dem Körper gerissen. Die sofort angestellten Ermittelungen ergaben,
daß das Kind die erst am Mittwoch der vorigen Woche am Keuchhusten
verstorbene, Sonntag begrabene Emma Schönberg, das Töchterchen des
in der Fischerstraße 29 wohnenden Schuhmachermeisters Schönberg,
ist. Die Bestattung hatte auf dem katholischen Kirchhof in Weißensee
stattgehabt. Der Chef der Kriminalpolizei, Graf Pückler und der
Staatsanwalt haben alle zur Entdeckung der Thäter führenden Maßregeln
selbst angeordnet.“ Offenbar liegt hier ein ähnlicher Fall vor, wie die
bereits oben gemeldeten. Man sieht also, wie die düstern Anschauungen,
die mit ehemaliger Anthropophagie zusammenhängen, bis auf unsre Tage
in der Hauptstadt des deutschen Reichs in niederen Volksschichten
fortbestehen, Anschauungen, denen wir bei ganzen Völkern im folgenden
noch sehr häufig begegnen werden. Ich nehme, der Parallele wegen, hier
einen Fall vorweg.

Die mohammedanischen Nubier, mit denen ~S. W. Baker~ seinen
Eroberungszug 1872 nilaufwärts nach Unjoro unternahm, waren
nicht frei von dem schrecklichen Aberglauben, dass das Verzehren
von Menschenfleisch besondere Eigenschaften verleihe. „Diese
abergläubischen Leute hatten die Vorstellung, dass jede abgeschossene
Kugel einen Mann aus Unjoro töten würde, wenn sie nur ein Stückchen von
der Leber ihrer Feinde verzehren könnten. Sie hatten daher die Leber
eines Erschossenen herausgeschnitten, unter sich verteilt und positiv
roh verzehrt. Den Körper hatten sie mit ihren Schwertbajonetten in
Stücken zerlegt, welche sie, zur Warnung für die Leute von Unjoro, auf
die Büsche gehängt hatten.“[32]


  [14] ~Jahn~, Volkssagen aus Pommern. No. 19 und 21.

  [15] ~Veckenstedt~, Wendische Sagen. Graz 1880. 43.

  [16] ~Kuhn~ und ~Schwartz~, Norddeutsche Sagen. No. 32.

  [17] Vuk. Nr. 363.

  [18] In der lex sal. 67. ~Grimm~, D. M. 611.

  [19] ~Grimm~, Kindermärchen. 51. 56. 113. Auch der siebenbürgische
       Menschenfresser mästet die drei Schwestern mit Stritzeln und
       Nüssen. ~Haltrich~, Deutsche Volksmärchen aus Siebenbürgen.³ No.
       38.

  [20] ~B. Schmidt~, Volksleben der Neugriechen. 136.

  [21] ~Grohmann~, Aberglauben aus Böhmen. No. 1448.

  [22] ~W. Lobscheid~, Evidence of the affinity of the Polynesians and
       American Indians. Hongkong 1872. 62.

  [23] ~Tylor~, Early history of Mankind. London 1865. 131.

  [24] ~Brockhaus~, Somadeva. 142.

  [25] ~Colshorn~, Märchen und Sagen. Hannover 1854. No. 8.

  [26] Parallel läuft eine tschechische Sage, mitgetheilt von ~G.
       Krek~, Einleitung in die slawische Literaturgeschichte. Graz
       1874. 265.

  [27] Nach einem Referat von ~L. Stieda~ im Archiv f. Anthropologie.
  XI. 348.

  [28] ~M. Buch~, Die Wotjäken. Helsingfors 1882. 116.

  [29] ~Radloff~, Volkslitteratur der türkischen Stämme Süd-Sibiriens.
       St. Petersburg 1866. I. 28. 32.

  [30] ~Jahn~, Volkssagen aus Pommern. No. 440.

  [31] ~Mannhardt~, Die praktischen Folgen des Aberglaubens. Berlin
       1878. 17 ff.

  [32] ~S. W. Baker~, Ismailia. London 1874. II. 354.




+Alte geschichtliche Nachrichten über Anthropophagie+.


Den Übergang aus der vorgeschichtlichen Zeit zum Kannibalismus der
Gegenwart vermitteln uns eine große Anzahl historischer Belegstellen
in den Schriften der Alten, die sämtlich, mit größerer oder geringerer
Wahrscheinlichkeit, einzelne Völker oder Völkerstämme der alten Welt
des Kannibalismus bezichtigen, in ihrer Gesamtheit aber jedenfalls den
Beweis herstellen, daß die Anthropophagie im Altertum eine Thatsache
war. Hier, wo der Schwerpunkt auf die Anthropophagie bei den Völkern
der Gegenwart gelangt ist, kann dieses Kapitel nur kurz behandelt
werden, um so mehr, als dasselbe schon wiederholt bearbeitet worden
ist.[33]

~Herodot~ wie ~Strabo~ sind eine wahre Fundgrube von Nachrichten
über alte Anthropophagen; bemerkbarer Weise beschuldigen sie jedoch
meistens solche Völker, die an der Peripherie ihres geographischen
Wissens wohnten, Stämme im heutigen Rußland und in Mittelasien. Wenn
unter den Massageten, so heißt es beim ~Herodot~[34], Jemand ein sehr
hohes Alter erreicht, so kommen seine nächsten Blutsverwandten zusammen
und opfern ihn und mit ihm mehrere Schafe. Nach vollbrachtem Opfer
kocht man sowohl den geopferten Anverwandten, als die geschlachteten
Schafe und verzehrt beide gemeinschaftlich. Die Massageten halten
diese Behandlung ihrer Anverwandten für ein großes Glück. Solche
Personen jedoch, die an Krankheiten sterben, verzehren sie nicht,
sondern begraben sie; dies wird aber als ein Unglück beklagt, da dem
Gestorbenen nicht die Ehre des Begräbnisses im Leibe seiner Verwandten
zu teil geworden. Gleichfalls nach ~Herodot~[35] war es unter den
Nachbarn der Massageten, den Issedonen, Sitte, daß die Söhne nach
dem Tode der Väter Opfertiere schlachteten, dann die gestorbenen
Väter wie die geschlachteten Tiere zerstückelten, beides kochten und
verzehrten. Besonders aber hoben sie die Schädel der Verstorbenen als
große Heiligtümer auf, fassten sie in Gold und brauchten sie bei ihren
jährlichen Opfern. ~Herodot~ nennt selbst in Indien mehrere Völker[36],
unter welchen entweder die Kinder ihre verstorbenen Eltern verzehrten,
oder wo man jeden kranken Verwandten bald umbrachte, damit das Fleisch
sich nicht verschlechtere, weil es zum Verzehren bestimmt war.
~Aristoteles~ hebt die Anthropophagie einiger Völker am Pontus hervor;
es sei dieses, sagt er, tierische Wildheit (θηριότης), krankhaftes
Gelüste wie bei den Schwangeren. ~Strabo~ berichtet ganz ähnliches
von den Derbikern in Margiana. Sie erwürgen Greise, sobald sie das
siebzigste Jahr zurückgelegt haben und die Verwandten verzehren deren
Fleisch. Alte Frauen von gleichem Alter werden zwar erwürgt, aber nicht
gegessen, sondern begraben.[37]

Von Irland (Ἰέρνη) erzählt ~Strabo~[38], daß seine rohen Bewohner
„sowohl Menschen- als Vielfresser sind und es für rühmlich halten,
ihre verstorbenen Eltern zu verzehren und sich öffentlich zu begatten,
sowohl mit andern Frauen, als mit ihren Müttern und Schwestern.
Doch auch dieses erzählen wir nur so, ohne glaubwürdige Zeugen zu
haben; obgleich wenigstens die Menschenfresserei auch eine Skythische
Sitte sein soll und in Belagerungsnöten auch die Kelten, Iberer und
mehrere andere dasselbe gethan haben.“ Desgleichen bemerkt ~Diodorus
Siculus~, daß unter den wilden Bewohner des Nordens und an den Grenzen
Skythiens es Menschenfresser gäbe, wie unter den Briten, welche
die Iris genannte Insel (das heutige Irland) bewohnen.[39] Bei den
blutigen Bacchanalen, die Omophagien genannt wurden und die man alle
drei Jahre beging, geschah es nach dem Zeugnis des ~Porphyrius~,[40]
daß man, namentlich auf Chios und Tenedos, einen Menschen gliedweise
zerstückelte und dessen Fleisch roh verschlang. Aber nicht allein
auf Griechenland beschränkten sich solche Mysterienbräuche. Nach
~Sallust~[41] tranken Catilina und seine Genossen zur Bekräftigung
ihres Bundes nicht bloß Menschenblut unter Wein gemischt, sondern es
wurde auch nach den bestimmten Versicherungen der Alten ein Knabe
geopfert, auf seine Eingeweide geschworen und davon gegessen. ~Juvenal~
redet von den Knabengedärmen, welche der Haruspex durchwühlt. Kleine
Kinder zu religiösen Zwecken geopfert zu haben macht ~Horaz~ in seiner
fünften Epode der vormals geliebten Canidia zum Vorwurf. Unter den
christlichen Vätern erwähnt ~Tertullian~ die Schauerlichkeit, wie man
bis auf seine Zeit im Bunde des Jupiter Menschenblut getrunken.[42]
~Juvenal~, welcher unter Domitian nach Ägypten verbannt wurde,
warf auch den Ägyptern vor, dass sie den Genuß von Menschenfleisch
gestatteten.[43] Noch in die ersten christlichen Jahrhunderte hinein
hören wir die Beschuldigung des Kannibalismus vorgetragen. Der heilige
~Hieronymus~, welcher gegen Ende des vierten und im Anfang des fünften
Jahrhunderts schrieb, schildert als Augenzeuge, daß die Atticoten sich
von Menschenfleisch nährten und den Busen der Weiber und den Hintern
als besondere Leckerbissen genossen.[44]

Das Angeführte genügt immerhin, um das Vorhandensein der Anthropophagie
im Gesichtskreise der Alten nachzuweisen und den Zusammenhang
festzustellen, welcher zwischen den Kannibalen der vorgeschichtlichen
Zeit und jenen der Gegenwart besteht. Eine nur zu reiche Ausbeute auf
diesem Felde werden wir aber halten, wenn wir uns den Völkern der
Gegenwart zuwenden und unsern Rundgang mit Asien beginnen.


  [33] ~Petrus Petitus~, De natura et moribus anthropophagorum. Utrecht
       1688. Eine im Archiv für Anthropologie IV. 245-286 befindliche
       Abhandlung darf nur mit der allergrößten Vorsicht benutzt
       werden. Eine sehr gute und klare Übersicht giebt Dr.
       ~Leonard Korth~ „Geschichtliches und Geographisches über den
       Kannibalismus“. Ausland 1883. 1001. Aus dieser Übersicht habe
       ich im nachstehenden einiges entlehnt.

  [34] ~Herodot~ I. 216.

  [35] ~Herodot~ IV. 26.

  [36] ~Herodot~ III. 38. 97. 99.

  [37] ~Strabo~ p. 520 ed. Casaub.

  [38] p. 201 ed. Casaubon.

  [39] Editio ~Dindorf~ et ~Müller~. Paris 1855. p. 273.

  [40] abst. II. 55.

  [41] Catil. 22.

  [42] Adv. gnost. c. 7. Et Latio in hodiernum diem Jovi media in urbe
       humanus sanguis ingustatur.

  [43] Sat. XV. Noch im 13. Jahrhundert werden die Ägypter, und zwar
       das ganze Volk, der Menschenfresserei angeklagt. Damals bereiste
       ein Arzt aus Bagdad, ~Abd-Allatif~ ihr Land: „Als die Armen
       Menschenfleisch zu essen begannen, waren Abscheu und Erstaunen
       darüber so außerordentlich, daß die fürchterlichen Berichte
       nicht aufhörten, das Tagesgespräch zu bilden. Endlich gewöhnte
       sich aber das Volk daran und erlangte solchen Geschmack an der
       schrecklichen Nahrung, daß selbst reiche und geachtete Leute sie
       als gewöhnliche Speise zu sich nahmen und selbst Vorräte von
       Menschenfleisch anlegten.“ Winwood Reade, Savage Africa. London
       1863. 157. Bei dem alten Kulturvolke der Ägypter läßt sich
       dagegen keine Spur von Anthropophagie darthun.

  [44] Sanctus ~Hieronymus~, adversus Jovinianum. lib. II. t. IV. 2ᵃ
       pars. p. 202 der Folioausgabe. Paris 1706. Quum ipse
       adolescentulus in Gallia viderim Atticotos, gentem britannicam,
       humanis vesci carnibus; et quum per sylvas porcorum greges et
       armentorum pecudumque reperiant, pastorum nates et feminarum
       et papillas solere abscindere, et has solas ciborum delicias
       arbitrari. Daß diese Stelle sich auf Anthropophagie beziehe, ist
       bestritten worden (Archiv für Anthropol. IV. 252).




+Asien+.


+Malayischer Archipel.+ Die Zeugnisse für die Anthropophagie im
indischen Archipel beginnen mit dem 13. Jahrhundert, mit ~Marco Polo~,
welcher die verschiedenen Inseln desselben erwähnt und die sechs
„Königreiche“ von Giava minore (Sumatra) schildert, die er besuchte.
Dagroian, sagt er, ist eins der Königreiche, welches eine besondere
Sprache hat. Man erzählte mir von einem abscheulichen Gebrauche, daß,
wenn einer krank ist, sie zum Zauberer senden, ob er wohl genesen
könne; sagen diese Teufel nein, so schicken die Verwandten zu einem
besonders dafür Angestellten, welcher den Kranken erwürgen muß. Hierauf
schneiden sie ihn in Stücken, und die Verwandten verzehren ihn mit
vielem Vergnügen, selbst bis auf das Mark der Knochen; denn -- sagen
sie -- wenn irgend etwas von ihm übrig bleibt, werden daraus Würmer
entstehen, welchen Nahrung mangelt und die so, zur großen Qual der
Seele des Verstorbenen, sterben würden. Die Knochen werden dann in
irgend eine Felsenhöhle getragen, damit die wilden Tiere sie nicht
berühren können. Wenn sie einen Fremden gefangen nehmen, so verzehren
sie ihn auch.[45] Ob nun hier speziell die heutigen menschenfressenden
Batta gemeint sind, läßt sich nicht mehr nachweisen.

Die Anthropophagie hat sicher in früherer Zeit weit ausgedehnter als
jetzt auf Sumatra geherrscht, und erst als der Islam sich an den Küsten
verbreitete und eine Anzahl kleiner mohammedanischer Staaten entstand,
wurden die Anthropophagen nach dem Innern zurückgedrängt, wo wir nun
in den Batta den letzten Rest derselben finden. Es ist der Venetianer
~Nicolo di Conti~, der uns wohl die früheste bestimmte Nachricht
bringt, daß die Batta entschiedene Anthropophagen seien. Er hatte 25
Jahre lang Asien bereist und erhielt 1444 vom Papste ~Eugenius~ IV.
Absolution dafür, daß er während dieser Zeit seinen Christenglauben
verleugnet hatte. Auf Sumatra verbrachte ~Conti~ ein Jahr, er
berichtet, was damals von großer Wichtigkeit, daß dort vortrefflicher
Pfeffer wachse, und daß in einem Teile des Landes, „Batech“ genannt,
das Volk Menschenfleisch esse.[46]

Die Batta, ein vergleichsweise hochstehendes malayisches Volk, mit
eigentümlicher Schrift und Litteratur, bewohnen im Innern Sumatras
die Hochebenen von Tobah, Sipirok, Sikunna und erstrecken sich
nordwärts bis über Singkel, wo das Pupa- und Duragebirge die Grenze
zwischen ihnen und den Atschinesen bildet. Im Süden reichen sie bis
in die Gegend von Ajer Bangis. Bei ihnen ist die Anthropophagie,
wie aus den mannigfachsten Zeugnissen hervorgeht, so eigentümlicher
Art und entspringt aus so merkwürdigen Motiven, daß wir hier etwas
ausführlicher uns damit beschäftigen müssen. Oft angezweifelt,
hat ~William Marsden~ in seinem immer noch brauchbaren Werke über
Sumatra die Thatsache, daß die Batta immer Anthropophagen sind,
festbegründet.[47] Die Batta, sagt er, essen nicht Menschenfleisch,
um den Hunger zu stillen, oder aus Mangel an anderen Nahrungsmitteln,
ebenso wenig wird es, wie unter den Neuseeländern, als ein Leckerbissen
gesucht. Sie essen es bloß als eine Art von Ceremonie, um ihren Abscheu
gegen das Laster durch eine schmähliche Strafe an den Tag zu legen
und als einen schrecklichen Beweis des Hasses und der Verspottung
ihrer unglücklichen Feinde. Die Gegenstände dieser unmenschlichen
Mahlzeiten sind im Kriege gemachte Gefangene und Missethäter, die
großer Verbrechen überwiesen sind. -- -- Nachdem das Urteil vollzogen,
wird der Unglückliche an einen Pfahl gebunden; das versammelte Volk
wirft seine Lanzen nach ihm in einer gewissen Entfernung, und sobald
er tödlich verwundet ist, laufen sie wüthend hin, schneiden Stücken
aus seinem Leibe mit ihren Messern, tauchen sie in die Schüssel mit
Salz und Citronensaft, rösten sie ein wenig über einem Feuer, das zu
dem Zweck bereitet wird, und verzehren die Bissen mit einem wilden
Enthusiasmus. Zuweilen verzehren sie den ganzen Körper, und man hat
Beispiele, daß sie mit noch erhöhter Barbarei das Fleisch mit den
Zähnen abgerissen haben. Folgen bei ~Marsden~ einzelne Belege.

Der Botaniker ~Charles Miller~, der gleichzeitig mit ~Marsden~
über Sumatra schrieb[48], bestätigt gleichfalls, daß die Batta
„Menschenfleisch eher zur Erschreckung der Feinde, denn als gewöhnliche
Nahrung essen; demungeachtet ziehen sie es allem übrigen vor und
sprechen mit besonderer Entzückung von den Fußsohlen und flachen
Händen als herrlichen Leckerbissen“.

Sehen wir hier nun Rachsucht als Ursache des Kannibalismus, so
erstaunen wir nicht wenig, wenn wir durch ~Franz Junghuhn~ erfahren,
daß die Menschenfresserei bei den Batta in einigen Fällen sogar
gesetzlich als Strafe vorgeschrieben ist und zwar dann, wenn ein
niedrig stehender Mann mit der Frau eines Radscha Ehebruch getrieben
hat, wenn Jemand sich des Landesverrats, der Spionage oder Desertion
zum Feinde schuldig gemacht und wenn ein Feind mit den Waffen in der
Hand gefangen genommen wird. Im letztern Falle ist ein Auffressen bei
lebendigem Leibe vorgeschrieben, in den beiden erstern Fällen ein
Verzehren, nachdem der Betreffende getödtet worden ist.[49] Daß der
Kannibalismus der Batta in der That integrierender Teil des Adat (der
Gesetzgebung) ist, bestätigt neuerdings Dr. ~S. Friedmann~[50], und der
amerikanische Reisende ~Albert S. Bickmore~[51] führt eine Reihe von
Beispielen an, daß noch vor kurzem, aller holländischen Oberaufsicht
zum Trotz, jene fürchterlichen Gesetze streng ausgeführt werden. Eine
Folge dieser fortgesetzten Übung des Kannibalismus ist gewesen, daß
ein Geschmack am Menschenfleisch bei einzelnen Batta sich eingestellt
hat, wie denn der Radscha von Sipirok dem niederländischen Gouverneur
von Padang versicherte, daß er zwischen dreißig- und vierzigmal
Menschenfleisch gegessen, und daß er in seinem ganzen Leben nie etwas
genossen habe, das ihm halb so gut schmeckte.[52]

Auf den übrigen Inseln des malayischen Archipels dürfen wir die
Anthropophagie größtenteils als eingegangen betrachten. Zwar herrschen
dort barbarische Gebräuche, wie das Kopfschnellen, noch immer im
ausgedehnten Maßstabe, aber Kannibalismus nicht mehr. Der Malaye
zeichnet sich durch Blutdurst aus, ja er ist nach ~Müller~[53] der
Kannibale κατ’ εξοχην; um so erfreulicher, daß die Menschenfresserei
bis auf geringe Spuren im Archipel verschwunden ist. Zu ~Pigafetta~s
Zeiten scheint sie noch weiter verbreitet gewesen zu sein, denn er
führt mehrere zu den Molukken gehörige Inseln -- die sich heute nicht
mehr identifizieren lassen --, ferner das Innere, damals noch von
Heiden bewohnte Amboinas, endlich Buru an, wo Kannibalen hausen.[54]
Mit dem Vordringen des Mohamedanismus ist die Anthropophagie auch hier
ausgerottet worden.

Einst mag auch bei den Dajaks auf Borneo die Anthropophagie weit
verbreitet gewesen sein; heute lassen sich nur verhältnismäßig geringe
Spuren derselben nachweisen. Am schlimmsten scheint es hiermit noch
bei den Kajans im Innern zu stehen, wie aus dem Zeugnisse ~Spenser
St. John~s hervorgeht. Das Fleisch eines im Kriege gefallenen Feindes
nahmen sie in Körben mit sich, um es Abends im Lager zu rösten und zu
verspeisen. Als 1855 mehrere Muka-Leute in Bintulu hingerichtet wurden,
versicherten einige Kajans sich des Fleisches, das sie brieten und
verspeisten. _Perhaps to strike terror into their enemies_, sagt unsere
Quelle.[55]

Von den Tring-Dajaks am Mahakkanflusse in Südostborneo giebt Bock auf
das entschiedenste an, daß sie Kannibalen seien. Augenzeuge ist er
indessen nicht gewesen. Eine Tringpriesterin erklärte ihm, daß die
innere Fläche der Hände, das Fleisch an den Knieen und das Gehirn die
größten Leckerbissen seien; der Häuptling des Stammes berichtete, daß
sein Volk nicht jeden Tag Menschenfleisch äße, dieses wäre nur ein
Festmahl bei Schädeljagden.[56] Im Verein mit der letzteren Thatsache
läßt sich hier Rachsucht als Motiv des Kannibalismus der Dajaks
annehmen.

Von Celebes sagt ~Bickmore~, daß im Innern ein Kopfjägervolk wohne,
welches die Küstenstämme Turaju nennen und das Menschen fressen soll.
~Barbosa~, dessen Werk 1516 erschien, und der mit ~Magalhaes~ später
ermordet wurde, behauptet ähnliches von allen Einwohnern der Insel zu
seiner Zeit. Er sagt, wenn sie nach den Molukken kämen, um Handel zu
treiben, pflegten sie den König jener Inseln zu bitten, er möge die
Güte haben, ihnen die Leute zu überlassen, die er zum Tode verurteilt
hätte, damit sie an den Leichen solcher Unglücklichen ihren Gaumen
befriedigen könnten, „als ob sie um ein Schwein bäten“.[57]

+Philippinen.+ Schon als die Spanier unter ~Magalhaes~ nach den
Philippinen kamen, finden wir bei deren Bewohnern wenigstens eine
beschränkte Anthropophagie erwähnt. ~Antonio Pigafetta~, der
überlebende Reisegefährte des großen Seemanns und der Schilderer seiner
Fahrten, berichtet nämlich[58]: „An einem Vorgebirge dieser Insel
Buthuan und Callaghan (Busuagan und Calamianes?) erzählte man uns als
eine zuverlässige Sache, daß an dem Ufer eines gewissen Flusses einige
haarigte große Männer wohnten, die sehr tapfer mit Bogen und hölzernen
Degen einer Hand breit stritten; und wenn sie einige ihrer Feinde
getötet hatten, sogleich das Herz roh mit Pomeranzen- und Citronensaft
fräßen. Diese haarigten Menschen heißen Benaian“.

Den Namen Benaian finden wir wieder in Cap Benuian, der Nordspitze der
Insel Mindanao, und es ist erlaubt, hierbei an den Stamm der Manobos zu
denken, ein heidnisches malayisches Volk an der Ostküste von Mindanao.
~Semper~[59] erzählt nämlich von ihren nächtlichen Überfällen und fügt
hinzu: „Ist der Feind glücklich niedergeworfen und getötet, so zieht
der anführende Bangani (Priester) ein heiliges, nur diesem Dienste
geweihtes Schwert, öffnet der Leiche die Brust und taucht die Talismane
des Gottes, die ihm um den Hals hängen, in das rauchende Blut ein. Dann
reißt er das Herz oder die Leber heraus und verzehrt ein Stück davon,
als Zeichen, daß er nun seine Rache an dem Feinde befriedigt habe. Dem
gemeinen Volk wird es nie gestattet, Menschenfleisch zu kosten; es ist
das Vorrecht, aber auch die Pflicht des fürstlichen Priesters.“

Desgleichen giebt ~Jagor~[60] uns Nachrichten, welche wenigstens
das sporadische Vorkommen der Anthropophagie auf den Philippinen
annehmbar erscheinen lassen. Er erzählt, daß fast in jedem größern
Dorfe auf Samar und Leyte unter den Bisaya-Indiern ein oder mehrere
Asuán-Familien wohnen, „die allgemein gefürchtet und gemieden, wie
Ausgestoßene behandelt werden und sich nur unter einander verheiraten
können. Sie stehen im Rufe Menschenfresser zu sein. Vielleicht stammen
sie von solchen ab? -- Der Glaube ist sehr allgemein und festgewurzelt.
Darüber zur Rede gestellt, antworten alte einsichtsvolle Indier, sie
glaubten allerdings nicht, daß die Asuánen jetzt noch Menschen fräßen,
aber ohne Zweifel hätten ihre Vorfahren es gethan“.

Im Zusammenhang mit der bekannten Kopfjägerei, und Rachsucht als
Beweggrund zeigend, steht eine kannibalische Gewohnheit des Stammes
der Gaddanen auf Luzon. Nach Dr. ~José de la Campa~ entnehmen sie den
abgeschlagenen Köpfen ihrer Feinde das Gehirn, um es zu verzehren.[61]
Die prähistorische Analogie für diese Art der Anthropophagie scheint
-- bevor letztere bekannt war -- in den Höhlenbewohnern von Gourdan
(Pyrenäen) durch ~Piette~ nachgewiesen.[62]

+Asiatisches Festland.+ Das asiatische Festland angehend, so kommen
auch hier einzelne Berichte vor, welche diese oder jene Völkerschaft
der Anthropophagie bezichtigen. Indessen hier kann es sich nur um
einen Nachhall früherer Unsitte handeln, oder einen gelegentlichen
Kannibalenschmaus aus Hungersnot. Vergebens aber sehen wir uns nach
Zeugnissen um, welche gewohnheitsmäßige Anthropophagie bei einem
asiatischen Volke -- die Batta ausgenommen -- heute bestätigen. Der
Vollständigkeit halber wollen wir indessen hier anführen, was wir
an Andeutungen gefunden haben. Staatsrat ~von Eichwald~ giebt an,
daß noch im Jahre 1863 bei den Ostjaken infolge von Hungersnot das
Verzehren von Kindern vorgekommen sei.[63] Derselbe will auch die
Samojeden des Kannibalismus bezichtigen, da der Name derselben sich
aus dem Russischen sehr gut als „Selbstesser“ erklären läßt. Indessen
bemerkt ~Fr. Müller~[64] mit Recht, daß dieser Name der Volksetymologie
zu Liebe aus Samod entstanden sein dürfte, mit welcher Bezeichnung
noch gegenwärtig um Archangel die Samojeden von den Russen bezeichnet
werden. Er ist wahrscheinlich mit dem Namen Suomi (Finne) und Same
(Lappe) verwandt und datiert aus der Zeit, wo Finnen, Lappen und
Samojeden in unmittelbarer Nähe zusammenwohnten. Die Kaschmiris
berichten, daß die Darden Anthropophagen seien, und ein Dardenstamm
sagt dies dem andern nach, wiewohl dies nach ~Leitner~ unbegründet ist;
doch soll unter ihnen das Trinken des Blutes vom Feinde vorkommen.[65]

Auf Hörensagen beruhen die Angaben des Mönchs ~Rubruk~ (~Rubruquis~,
~Ruysbroek~), daß bis zu seiner Zeit (13. Jahrh.) die Bewohner von
Tebec (Tibet) die abscheuliche Sitte gehabt haben sollen, die Eltern
nach dem Tode zu verzehren, sie seien deshalb von den Nachbarn
verabscheut worden.[66]


  [45] I viaggi di Marco Polo. Ausgabe von ~Lodovico Pasini~. Venezia
       1857. 157.

  [46] Purchas His Pilgrims. The Third Part. London 1625. 128. -- Was
       ~Odoardo Barbosa~ (1516), ~Beaulieu~ (1622), ~de Barros~ (1558)
       u. a. über die Anthropophagie der Batta sagen, mag nachgelesen
       werden in ~J. R. Forster~ und ~M. C. Sprengel~: Beiträge zur
       Völker- und Länderkunde. Leipzig 1783. III, 298.

  [47] Beschreibung der Insel Sumatra. Leipzig 1785, 387.

  [48] Account of Sumatra. Philosophical Transactions vol. LXVIII. I.
       1778. 161.

  [49] ~Franz Junghuhn~, die Battaländer auf Sumatra. Berlin 1847. II.
       155 ff.

  [50] Die ostasiatische Inselwelt. Leipzig 1868. II. 45 f.

  [51] Reisen im ostindischen Archipel. Aus dem Englischen. Jena 1869.
       323. 337. 338. 339.

  [52] ~Bickmore~ a. a. O. 323.

  [53] Allgemeine Ethnographie. Wien 1873. 295.

  [54] ~Pigafetta~, Erste Reise um die Welt. In ~M. C. Sprengel~
       „Beiträge zur Völker- und Länderkunde“. Vierter Teil. Leipzig
       1784. 138. 139. 141.

  [55] ~Spenser St. John~, Forests of the far east. I. 123. 124.

  [56] ~C. Bock~, Unter den Kannibalen auf Borneo. Jena 1882. 152. 153.

  [57] ~Albert S. Bickmore~ a. a. O. 70.

  [58] ~Pigafetta~ a. a. O. 110.

  [59] Dr. ~C. Semper~, Die Philippinen und ihre Bewohner. Würzburg
       1869. 62.

  [60] ~F. Jagor~, Reisen in den Philippinen. Berlin 1873. 236.

  [61] Mitteilungen der Wiener anthropologischen Gesellschaft.
       Verhandlungen 1884. 53.

  [62] Oben S. 4.

  [63] Archiv für Anthropologie. III. 333.

  [64] Allgemeine Ethnographie. 337. Anmerkung.

  [65] Dr. ~G. W. Leitner~, Results of a tour in Dardistan etc. Vol. I.
       Part. III. 9. Anmerkung. Lahore 1873.

  [66] Recueil des voyages publié par la Société de Géographie. Paris
       1839. IV. 289.




+Afrika+.


+Guineaküste und Nigerdelta.+ Der verdiente Anthropologe ~Waitz~ war
geneigt, die Anthropophagie bei den Bewohnern Afrikas schon vor einem
Vierteljahrhundert für fast eingegangen zu betrachten[67], und nur noch
mit den Verleumdungen in Verbindung zu bringen, welche ein Negerstamm
gern über den andern aussprengt. So führt er nur wenige auf die
Westküste und das Nigerdelta bezügliche Beispiele an, ohne großen Wert
darauf zu legen und bemerkt nur, daß wohl Feindschaft und Rachsucht die
Triebfedern des einst weit verbreiteten Kannibalismus gewesen seien,
wie der überall weit verbreitete Ausdruck „den Feind auffressen“,
d. h. zu Grunde richten, noch andeute.[68] Abgesehen jedoch von den
zahlreichen Beispielen, welche neuere Reisende beibringen, lagen schon
zu ~Waitz~ Zeit gehäufte Beweise des Kannibalismus in Afrika vor, der
dort noch immer eine klassische Stätte hat. Im mohammedanischen Afrika
ist die Anthropophagie so ziemlich verschwunden und der Sudan kennt sie
kaum. Sie tritt dagegen gleich in dem noch dem Fetischdienste ergebenen
Küstensaume auf und reicht, mit geringen Unterbrechungen, von Sierra
Leone bis an den Gabon und darüber hinaus.

Daß es bei den Westafrikanern sich auch um reine Gefräßigkeit und
nicht nur um religiöse oder andere Beweggründe bei der Anthropophagie
handelt, dafür liegen die Beweise vor. ~T. J. Hutchinson~, lange Jahre
britischer Konsul in Westafrika, berichtet: „Ich habe (1860) in einer
in Sierra Leone erscheinenden Zeitung gelesen, daß der Missionar
~Priddy~ mit eigenen Augen sah -- nicht, daß er bloß davon hörte --
wie Körbe mit getrocknetem Menschenfleisch umhergeschleppt und der
Inhalt zum Zwecke des Verzehrens verkauft wurde. Das Fleisch stammte
von Gefallenen aus einer Fehde zwischen den Susu- und Timney-Stämmen.
Die Thatsache ist bei Gelegenheit der 67. Jahresversammlung der
Missionsgesellschaft konstatiert worden und sie hat sich ereignet in
einer unserer Kolonieen, auf welche unsre Regierung schon 8 Millionen
verwendet hat.“ Auf einem Palmölhulk bei Bonny (Nigermündung) wurde, in
Gegenwart des Kapitän ~Straw~, ein Ju-ju-Mann von ~Hutchinson~ wegen
seines notorischen Kannibalismus und darüber, daß er am Tage zuvor
einen Menschenkopf, der als Leckerbissen galt, verzehrt habe, zur Rede
gestellt. Kaltblütig antwortete er: _I no eat him, for my cook done
spoil him; he no put nuff pepper on him._ Also weil der Koch den Kopf
nicht genug gepfeffert hatte, verschmähte ihn der Kannibale.[69]

Wenn ~Hutchinson~ auch das Hinterland von Liberia als Stätte des
Kannibalismus anführt, so spricht er nicht aus eigener Erfahrung. An
und für sich erscheint die Sache nicht unwahrscheinlich, wir bemerken
nur, daß der amerikanische Neger ~Anderson~, der es bereiste und ein
Buch darüber schrieb, durchaus nichts von Anthropophagie in jenen
Gegenden berichtet.

Der französische Viceadmiral ~Fleuriot de Langle~, ein genauer Kenner
der afrikanischen Westküste, bringt Belege bei, daß die Schwarzen im
Hinterlande von Bassam (Guineaküste) ihre Kriegsgefangenen verzehren.
„Jene von N’diou sind Fremde, die, so sagte man mir, aus dem
Gebirge herabkommen. Sie gehören zu den Bambaras. Die Quaquas haben
gleichfalls diesen abscheulichen Gebrauch, und er mangelt auch nicht
den Bourbourys, sie haben acht senegal’sche Jäger verschlungen, die
sie aus einem Hinterhalt gefangen nahmen, und man mußte diesen Schimpf
durch Verbrennung von Badou, Mapoyenne u. s. w. rächen.“ Ein gewisser
Pieter, der in ~Fleuriot de Langle~s Berichten eine Rolle spielt, war
zu zehn Unzen Strafgeld verurteilt worden, weil er einen seiner Sklaven
aufgefressen hatte.[70] Die Sache ist dort übrigens nicht neu, denn von
Groß-Bassam an der Guineaküste berichtet bereits ~Hecquard~, daß die
dortigen Neger noch aus Aberglauben gelegentlich Kannibalen seien. So
findet bei der Gründung eines neuen Dorfes ein Menschenopfer statt; aus
den Eingeweiden des Geopferten weissagen die Fetischeros; Herz, Leber
und die übrigen Eingeweide werden mit einer Henne, einer Ziege und
einem Fische gekocht und alle Festteilnehmer sind dann gezwungen, von
dem Mahle zu essen. Solche Fälle ereigneten sich noch 1850.[71]

Bei den Aschanti ist Anthropophagie nur eine sehr vereinzelte
Erscheinung, die keineswegs auf das ganze Volk sich ausdehnt und wenn
sie vorkommt, auf Aberglauben zurückzuführen ist. ~Bowdich~, dessen
Werk über Aschanti auch heute noch eine der vorzüglichsten Quellen
über dieses Land ist, erzählt folgendes: „Die Fetischmänner, die der
Armee folgen, schneiden einigen Feinden das Herz aus, und nach vielen
Zeremonien und Verzauberungen mit allerlei geweihten Kräutern essen
alle die, welche noch nie zuvor einen Feind getötet haben, einen Teil
davon; denn man sagt, wenn sie es nicht thäten, so würde ihre Kraft
und ihr Mut im Geheimen durch die Geister der Gebliebenen gequält
werden. Man sagt, daß der König und alle die Großen das Herz eines
berühmten Feindes unter sich teilten; doch flüsterte man sich dies
nur zu. Dagegen rühmten sie sich, die kleineren Gebeine und Zähne des
erschlagenen Monarchen bei sich zu tragen. Man zeigte mir einen Mann,
der das Herz des Feindes, den er getötet hatte, immer auffraß.“[72]

So wenig Wert wir hierauf legen, um im allgemeinen die Aschanti als
Anthropophagen zu erklären, eben so gering sind die Anhaltepunkte, die
benachbarten Dahomeher denselben beizugesellen, so übel berüchtigt
sie auch sonst wegen ihrer Menschenopfer sind. Zwar erzählt ~Robert
Norris~[73], daß bei gewissen Menschenopfern „der Körper des
preisgegebenen fast ganz aufgefressen werde“, indessen wollen wir
diese vereinzelte Nachricht auf sich beruhen lassen, zumal andere
Berichterstatter, die in Abomeh die „großen Gebräuche“ mit ansahen,
wohl der Schauderdinge genug erzählen, von Anthropophagie indessen
nichts wissen. Manches deutet jedoch darauf hin, daß die Dahomeher
+ehemals+ Anthropophagen waren. Der dänische Arzt ~Isert~ erzählt,
daß noch zu seiner Zeit (zweite Hälfte des vorigen Jahrhunderts) der
König von Dahomeh in das in einer Schale aufgefangene Blut der beim
Jahresfeste hingerichteten Schlachtopfer einen Finger tauchte und
diesen ableckte. ~Isert~ vermutet hierin wohl mit Recht einen letzten
Rest, gleichsam ein Sinnbild der ehemaligen Menschenfresserei.[74]

Wir führen gern alle Zeugnisse an, welche bei der Anschuldigung der
Anthropophagie entlastend wirken können; bei der Gegend, der wir uns
jedoch nun nähern, dem Nigerdelta, Calabar u. s. w., vermögen wir nur
in den schwärzesten Farben zu schildern, wobei sehr unverdächtige und
mit dem Lande durch viele Jahre hindurch vertraute Männer unsre Führer
sind: Consul ~Hutchinson~ und der schwarze Bischof ~S. A. Crowther~.

~Hutchinson~[75] erzählt, daß Consul ~Campbell~ aus Lagos ihm
geschrieben habe, wie die Edjo (Edschu) im Nigerdelta allgemein als
Kannibalen gelten. In Brass und Bonny (beide im Nigerdelta) verzehre
man alle Kriegsgefangenen, in dem Wahne, dadurch tapferer zu werden.
Consul ~Hutchinson~ bezweifelte die Thatsachen, bis es ihm gelang, sich
durch den Augenschein von der Richtigkeit zu überzeugen.

Ich mußte, schreibt er (in den ersten Monaten des Jahres 1859), amtlich
Bonny im Nigerdelta besuchen. Insgeheim wurde mir mitgeteilt, daß dem
Jujuhause gegenüber ein Mann geschlachtet und der Körper verzehrt
werden sollte. Dieser Mann hatte einen Sklaven, der beim Palmölhandel
beschäftigt war, ermordet; die Leiche war in voriger Woche an einem der
Creeks des Hamballalandes verzehrt worden. Die Neger hielten die Sache
geheim, und kein Weißer durfte davon wissen. ~Hutchinson~ wußte sich zu
verbergen und sah, wie am andern Morgen das Schlachtopfer hingerichtet
wurde. „Der Henker ging fort und alle sprangen auf mit einem Geheul
und Geschrei, wie man es von wilden Tieren hört. Sie stürzten auf den
geschlachteten Mann zu, schwenkten ihre großen Messer in der Luft
umher und schnitten Stücke ab. Ich glaubte mich an das jenseitige
Ufer des Styx versetzt, ich sah schwarze Geschöpfe in Menschengestalt
wie gierige Geier. Selbst Knaben und Mädchen trugen Fleischstücke,
von welchen das Blut herabträufelte und den Weg bezeichnete. Ein Weib
riß einer andern Frau zankend und schreiend einen Bissen weg, Fleisch
von einem Manne, der vor wenigen Minuten noch unter den Lebenden war.
Nachdem das Fleisch verteilt war, trug man die Eingeweide fort. Diese
waren für die Iguana, die große Eidechse, bestimmt, die ein Schutzgeist
des Volkes von Bonny ist. Bevor ich meinen Schlupfwinkel verließ,
fragte ich mich, ob ich denn meinen eigenen Augen trauen konnte? Das
Alles geschah im Jahre 1859 nach Christi Geburt, bei Leuten, unter
welchen der europäische Handel seit länger als einem halben Jahrhundert
seinen ‚civilisierenden‘ Einfluß übt.“[76]

Als Ergänzung hierzu führen wir noch folgendes an: Ein ungenannter
britischer Seeoffizier, welcher sich außerordentlich vertraut mit den
Verhältnissen an der afrikanischen Westküste gezeigt hat, berichtete
gelegentlich des Aschantikriegs wiederholt über den Kannibalismus,
der im Nigerdelta herrscht, an die „Times“. „John Jumbo (in England
erzogener Sohn des mächtigsten Bonnyhäuptlings) erzählte mir, daß
Ja Ja’s Leute ihre gefangenen und erschlagenen Feinde gleich als
Rationen behandelten, und Kapitän ~Hopkins~ (englischer Konsul für
die sogenannten ‚Oelflüsse‘) sah, wie sieben Mann ganz nahe bei
Bonny getötet, gekocht und gefressen wurden vor zwei oder drei
Jahren. König Georg Peppel (von Bonny) liebt dies nicht, ebenso wenig
seine Häuptlinge.[77] Doch es ist schwer, die Eingeborenen in den
Landdistrikten von einer gelegentlichen Mahlzeit ‚Menschen-Beefsteak‘
abzuhalten, die, wie ein Bonny-Häuptling sich äußerte, entschieden
dem ‚Ochsen-Beefsteak‘ (_beefee-beefee_) vorzuziehen sei. Doch der
Kannibalismus verliert entschieden an Popularität und wird wohl mit der
gegenwärtigen Generation aufhören.“[78]

Endlich die Zeugnisse des Missionsbischofs ~Samuel Crowther~, der
alljährlich den Niger von der Mündung aufwärts bis zum Benué befuhr,
dessen Berichte im „Church Missionary Intelligencer“ regelmäßig
abgedruckt wurden und fast jedesmal von Klagen überströmen, wie
der Satan unter den Schwarzen noch seine Hand im Spiele habe.
„Wenige Schritte von unserer zeitweiligen Schulhütte, so schreibt
er, steht hier in Bonnytown das große Jujuhaus. Auf den Pfosten
der Eingangsthüren, an den Wänden und dann im Innern sieht man als
Schmuck und Verzierung des Götzenhauses Hunderte von Menschenschädeln
aufgestellt. Man sagt, sie seien von Kriegsgefangenen, welche dem Juju
geopfert wurden; das Fleisch wurde verzehrt, weil man dadurch Rache an
den Feinden zu nehmen gedachte. Draußen, der Vorderseite gegenüber,
befand sich ein etwa sechs Fuß hohes Gerüst, auf welchem die Knochen
der Geopferten lagen. -- -- Ueberall an der Bucht von Benin ist es
während der letztverflossenen Monate sehr unruhig gewesen. Brass, Bonny
und Okrika führten Krieg gegen Neucalabar. Auf einem Zuge gegen den
Feind machten die Leute von Neucalabar 45 Gefangene. Diese alle wurden
getötet und gefressen. Die einzelnen Glieder sind unter das Volk, Alt
und Jung, Weiber und Männer verteilt worden. Jeder trug seinen Anteil
ganz offen nach Hause; mehrere Supercargos, welche von den Schiffen
nach Hause kamen, sind Augenzeugen gewesen. Man macht auch gar kein
Hehl aus der Sache. Bei einer andern Gelegenheit nahmen die Krieger der
Okrika den Neu-Calabaresen 103 Gefangene ab, und zur Wiedervergeltung
wurden diese allesammt totgeschlagen und dann aufgefressen.“[79]

Daß der Kannibalismus vom Nigerdelta aus am Strome weiter aufwärts
reiche, dafür finden wir ebenfalls in ~Crowtherx~s Berichten manche
Belege. Von seiner Reise im Jahre 1872 erzählt er unter andern von
Onitscha (linkes Ufer unter 6° 10′ N.): „Ein europäischer Matrose starb
in der Faktorei und wir suchten einen Begräbnisplatz für ihn. Da noch
niemand im Friedhofe unsrer neuen Kirche beerdigt war, so ließ ich das
Grab dort graben und den Toten nach dem Ritus der Kirche von England
bestatten. Nachdem dies geschehen, erzählten uns einige Mitglieder
der Gemeinde, daß wenn das Grab nicht mindestens eine Woche vor einem
benachbarten Stamme geschützt würde, der kannibalische Gewohnheiten
habe und Obotschi heiße, dieser sicher den Sarg ausgraben und den
Leichnam verzehren würde. Auf diesen Wink hin gab ich dem Agenten
des Handelshauses Auftrag, eine Woche lang Wächter auf dem Kirchhof
während der Nacht aufzustellen, damit das Herankommen der Kannibalen
verhindert werde. Das ist das Volk, welches wir zum Christentum
bekehren sollen!“[80] Auch ~Robins~, der 1864 die Nigerexpedition auf
dem „Investigator“ mitmachte, sagt, der ganze untere Lauf des Stroms
bis Onitscha aufwärts sei von Kannibalen bewohnt.[81]

Noch weiter östlich, am Altcalabar, hausen kannibalische Stämme.
Wie ~Hutchinson~ angiebt, wurde im Jahre 1859 zu Duketown (Atarpah,
linkes Ufer jenes Flusses) auf öffentlichem Markte Menschenfleisch zum
Verkaufe ausgestellt, gerade wie Ochsenfleisch auch.[82]

Spuren des Kannibalismus zeigen sich auch in den Hinterlanden des Niger
und Benue. Die Tangale, ein heidnischer Negerstamm im Süden von Jakoba
in Bautschi, sind nach ~Eduard Vogel~, der sie 1855 besuchte, „wilde
Bursche, die Menschenfleisch allem andern vorziehen. Sie essen alle im
Kriege erlegten Feinde, die Brust gehört dem Sultan, der Kopf als der
schlechteste Teil wird den Weibern übergeben.“[83]

+Äquatoriales Westafrika.+ Unzweifelhaft ist auch das äquatoriale
Westafrika eine Stätte der Anthropophagie. Schon bei den alten
Schriftstellern, wie ~Battel~ und dem Compilator ~Dapper~, finden wir
verschiedene darauf bezügliche Stellen, und ~Huxley~ macht darauf
aufmerksam, daß in ~Ph. Pigafetta~s Uebersetzung von ~Edoardo Lopez~
„Regnum Congo“ (Frankfurt 1598) von dem landeinwärts vom Ogowé
wohnenden Anziquen[84] die Rede ist, welche einander essen und weder
Freunde noch Verwandte schonen. „Ihre Fleischerläden, so heißt es in
dem Bericht, sind mit Menschenfleisch gefüllt statt mit Ochsen- oder
Schaffleisch; denn sie essen die Feinde, die sie im Kampfe gefangen
nehmen. Sie mästen, schlachten und verzehren auch ihre Sklaven, wenn
sie nicht glauben, einen guten Preis für sie noch zu erhalten; überdies
bieten sie sich zuweilen aus Lebensmüdigkeit oder Ruhmsucht -- denn sie
halten es für etwas Großes und für das Zeichen einer edlen Seele, das
Leben zu verachten -- selbst als Speise an. Es giebt allerdings viele
Kannibalen, wie in Ostindien, in Brasilien und anderswo, aber keine
solchen wie diese; denn die andern essen nur ihre Feinde, diese aber
ihre eigenen Blutsverwandten.“[85]

Dieser offenbar übertriebene Bericht ist denn auch mit einer
Illustration versehen, die von den Gebrüdern ~de Bry~ herrührt, und bei
der ein Frankfurter Metzgerladen als Modell gedient hat; nur daß hier
statt der Teile von Ochsen oder Schweinen menschliche Glieder zur Schau
gestellt sind.

Auch ~Edward Bowdich~, derselbe, der sich durch seine Reise nach
Aschanti um die Völkerkunde verdient machte, bringt uns Belege für den
Kannibalismus der Völker am Gabon. Einige Tagereisen weit im Innern,
erzählt er, liegt das Land Kaylee, dessen Bewohner eine vergleichsweise
hohe Stufe einnehmen; aber sie sind Menschenfresser und essen nicht
allein ihre Gefangenen, sondern auch ihre Toten, deren Leichname
sogleich nach ihrem letzten Atemzuge feilgeboten werden. Häufig ißt ein
Vater sein eigenes Kind. Geflügel und Ziegen giebt es hier in Menge,
aber sie werden nicht gegessen, so lange man noch Menschenfleisch haben
kann.[86]

~Bowdich~s „Kaylee“ vermag ich mit keinem Völker- oder Ländernamen auf
unsern heutigen Karten zu identifizieren, indessen dürfte der immerhin
übertriebene Bericht auf die Fan zu beziehen sein. Als ~Du Chaillu~
deren grauenvollen Kannibalismus betonte und das erzählte, was er mit
eigenen Augen gesehen, erhob sich arges Kopfschütteln. Und doch hatte
er nichts neues gesagt.[87]

Als ~Du Chaillu~ von der Corisco-Bai aus vordringend auf die ersten
Fandörfer traf, begegneten ihm sofort Spuren von Kannibalismus; er
traf ein altes Weib, das einen Menschenschenkel schleppte, „gerade als
wollte sie zu Markte damit gehen“, und in einem Palaverhause war ein
Körper verteilt worden; der Kopf wurde für den König aufbewahrt.[88]
Später sah er beim Fankönige Ndiayai, wie der Leichnam eines Menschen,
der an einer Krankheit gestorben, zum Verspeisen verteilt wurde,
worüber er sich nicht wenig entsetzte. „Sie sprachen frei und offen
über die ganze Sache und man sagte mir, daß sie regelmäßig die Toten
der Oscheba kaufen, die umgekehrt wieder die ihrigen kaufen. Sie kaufen
auch die Toten anderer Familien ihres eigenen Stammes und erhandeln
die Körper vieler Sklaven von den Nbichos und Mbondemos, wofür sie
gern Elfenbein geben, einen kleinen Stoßzahn für einen Leichnam.“ Auf
die Autorität des Missionars ~Walker~ am Gabon gestützt, erzählt ~Du
Chaillu~ ferner, daß Fan, die aus dem Innern an den Gabon kamen, dort
einen frischbegrabenen Toten ausgruben, kochten, verzehrten. Andre
räucherten das Fleisch eines Menschen und nahmen es mit sich als
Vorrat. Ohne alle Scham und Scheu betreiben sie die Menschenfresserei
ganz offen; ~Du Chaillu~ sah bei ihnen hochgeschätzte Messer, deren
Heft mit Menschenhaut überzogen war.[89] Noch weiter nach dem Innern
hin verzeichnet ~Du Chaillu~ außer den bereits erwähnten Oscheba auf
seiner Karte noch die Moschobo als Kannibalen.

Mag einige Färbung in diesen, übrigens mit ~Bowdich~ übereinstimmenden
Erzählungen unterlaufen, so sind sie nichtsdestoweniger im allgemeinen
wahr, und an Kontrolle fehlt es keineswegs. ~Winwood Reade~ berichtet
ähnliches, und er bestätigt ausdrücklich die Geschichte, daß die Fans
am Gabon Leichen ausgegraben und verzehrt haben. Nur darin weicht
er von ~Du Chaillu~ ab, daß er angiebt, die Fan schämten sich ihres
Kannibalismus und jedes Dorf schiebe die Sache auf sein Nachbardorf.
Doch bleibt die Thatsache selbst dadurch unberührt, und im Gespräch
mit einem „Veteran-Kannibalen“ erfuhr er, daß Menschenfleisch so
gut und fett wie Ochsenfleisch sei. Der Alte verneinte aber auf das
bestimmteste, daß die Fan ihre Verwandten verzehrten, obgleich alle
Nachbarstämme dies von ihnen behaupten.[90] Jene Menschenfresser
ihrerseits hielten alle Weißen für Kannibalen und glaubten fest,
daß die Sklaven nur darum von ihnen fortgeführt würden, um in fernen
Landen verspeist zu werden. „Warum die Schwarzen besser als die Weißen
schmeckten“, wurde ~Winwood Reade~ gefragt, worauf er „aus Politik“ zur
Antwort gab, das Fleisch der Weißen sei giftig.[91]

Wäre noch weitere Bestätigung des Kannibalismus der Fan notwendig,
so finden wir diese bei französischen Reisenden. Der Marinearzt
Dr. ~Griffon du Bellay~, der mit dem Lieutenant ~Serval~ mehrere
Fahrten vom Gabon aus ins Innere machte und von 1861 bis 1864
vollauf Gelegenheit hatte, die Fan kennen zu lernen, giebt uns
weitere bestätigende Nachrichten, indessen mit dem Zusatze, die Fan
hielten die Sache geheim und schlössen selbst ihre Kinder bei den
Kannibalenschmausereien aus.[92] Nach ~Griffon du Bellay~ sind auch die
Bakalai am Gabon Anthropophagen.[93]

Noch weiter südlich treffen wir in Angola auf die Kissama (Quissama)
am Koanza, die 1870 ~Charles Hamilton~ besuchte. Unter diesem Volke
fand der Reisende noch Kannibalen „weiter nach dem Innern hin“: bei
denjenigen Kissama jedoch, welche am Koanza und dessen Nähe wohnen,
kommt die Anthropophagie nur selten vor. Die wenigen Menschenfresser,
mit welchen Hamilton in Berührung kam, sahen häßlich und ungesund aus.
Interessant ist es von Hamilton zu erfahren, daß die Menschenfresserei,
ähnlich wie bei den Batta auf Sumatra, bei den Kissama als eine Strafe
ausgeübt wird. Wer unter den Kannibalen seine Schulden nicht bezahlen
kann, oder wer ein Verbrechen begangen hat, wird ohne weiteres getödtet
und verzehrt. In neuer Zeit kommt es aber vor, daß „die Aufgeklärteren“
dem Verbrecher die Wahl lassen, ob er sterben oder als Sklave an die
Portugiesen verkauft werden wolle; in der Regel zieht er den Tod vor,
denn die Portugiesen sind außerordentlich verhaßt.[94] Es ist das
Innere des portugiesischen Westafrika von altersher ein bevorzugter
Boden für die mit Anthropophagie verknüpften Greuel gewesen, denn dort
war der Sitz der mit Sagen umwobenen Jagas, worunter Herrscher und Volk
verstanden werden.

Mit Opfergebräuchen vermischt ist die gelegentliche Anthropophagie bei
den Kimbunda (portugies. Westafrika). Damit die Regierung des Fürsten
glücklich ausfalle, wird der Ouri-Kongo geopfert, der tapferste unter
allen Kriegsgefangenen. Durch das Verzehren seines Fleisches wird auch
der Fürst tapfer. ~Ladislaus Magyar~ berichtet als Augenzeuge: Der
Wahrsager zerlegt den Rumpf, reißt die Eingeweide heraus und wahrsagt
daraus. Dann werfen seine Gehilfen die Eingeweide weg, mit Ausnahme des
Herzens. Endlich wird der Kadaver in kleine Stücken zerschnitten und
unter den anwesenden Hokaführern verteilt, wobei der Wahrsager Sorge
trägt, daß jeder außer dem Stück Fleisch auch etwas vom Herzen bekomme
(wohl weil letzteres als Sitz der Tapferkeit gedacht ist). Der Fürst
und die Kriegshäupter mischen das erhaltene Menschenfleisch mit Hunde-
und Rindfleisch, kochen es an den vielen Feuern und essen es. Sie
glauben nun infolge dessen eine solche Kraft zu erlangen, daß sie immer
mit Erfolg gegen ihre Feinde kämpfen werden.[95]

Menschenopfer mit Anthropophagie verknüpft fanden am Hofe der Jagas bei
der Sambamento genannten Festlichkeit noch zur portugiesischen Zeit in
Kassanje statt. Wenn der Nicango, das Schlachtopfer, auserwählt war,
wurde er bei Hofe mit denselben Ehren wie der Fürst selbst behandelt,
ein Verfahren, daß wir auch anderweitig bei den dem Tode geweihten
Opfern finden (Mexiko, Brasilien). Am Tage des Festes wurde der Nicango
vor den Jaga geführt mit dem Rücken dem letzteren zugewendet, worauf
der Jaga mit einem halbmondförmigen Messer den Rücken des Nicango
durchschnitt, bis er zum Herzen gelangt, das er herauszog. Er nahm
einen Bissen davon, den er dann wieder ausspuckte und ließ dann das
Herz verbrennen. Unterdessen hielten die Macotas (Hofwürdenträger)
das Schlachtopfer so, daß sein Blut über die Brust und den Bauch des
Jaga strömte; nachdem dieses geschehen, rieben sie sich selbst den
Körper damit ein, dabei ausrufend: Groß ist der Jaga! Der Leichnam
des Nicango wird dann abseit enthäutet, in kleine Stücken zerhackt und
mit Ochsen-, Hunde- und Hühnerfleisch zusammen gekocht. Dieses Gericht
wird zuerst dem Jaga, dann seinen Würdenträger und zuletzt allem Volk
zur Speise vorgesetzt. Wer sich weigert davon zu essen, verfällt der
Sklaverei. Mit Gesang und Tanz endigte das Sambamentofest. Früher
erhielt auch der portugiesische Direktor der Messe in Kassanje sein
Teil von dem Gericht, wofür er ein Fäßchen Branntwein spendete.[96]

+Südafrika.+ Erst in der letzten Zeit haben wir Nachrichten von
dem Vorhandensein der Anthropophagie auch an der Südspitze Afrikas
erhalten, und die Kannibalenhöhlen im Basutolande haben nicht geringes
Aufsehen erregt. Das Basutoland liegt zwischen dem Oranjefreistaat
und den englischen Besitzungen mitten inne und war der Schauplatz
fortwährender Kriege zwischen den Weißen sowohl und den Basuto,
als zwischen eingebornen Stämmen selbst. Während der Verwilderung
und Hungersnot, die infolge dieser Kriege eintrat, soll erst der
Kannibalismus entstanden sein. Die ausführlichsten Nachrichten über
denselben erhielten wir durch ~James Henry Bowkwer~, Dr. ~Bleek~ und
Dr. ~John Beddoe~.[97] ~Bowker~ besuchte 1868 eine der Höhlen, die
in der Nähe der verlassenen Missionsstation Cana gelegen ist. „Der
Eingang, sagt er, liegt unter weit vorstehendem und überhängendem
Gestein und bildet so ziemlich in der ganzen Breite der Höhle einen
weiten, von der Natur gewölbten Bogen. Die Länge der Höhle beträgt etwa
130, die Breite 100 Ellen. Die hohe, gewölbte Decke ist von Rauch und
Ruß geschwärzt; auf dem Fußboden lagen ganze Haufen von Menschenknochen
umher, teils förmlich aufgeschichtet, teils überall zerstreut. Auch
vor der Höhle lagen auf dem Abhange, soweit das Auge reichen konnte,
Knochen und Schädel umher, letztere in außerordentlich großer Menge
und zumeist von Frauen und Kindern. Sie waren vermittels stumpfer Äxte
oder auch geschärfter Steine in Stücke geschlagen worden, gleich den
Markknochen, welche man dann der Länge nach gespalten hatte. Nur an
einigen wenigen waren Spuren von Feuer zu bemerken; die Höhlenmänner
zogen das Kochen dem Braten vor.“

„Man kann sich denken, unter welcher Aufregung ich diese düstere Höhle
untersuchte. Der Führer geleitete mich an eine Stelle, wo einige
rauhe, unregelmäßige Stufen in eine dunkle Galerie führten; dort
wurden die Schlachtopfer aufbewahrt, bis an sie die Reihe kam. An ein
Entrinnen von dort war nicht zu denken. Bei Wilden, welche etwa durch
Hungersnot zum äußersten getrieben werden, um ihr nacktes Leben zu
fristen, findet der Kannibalismus eine Erklärung. Mit dem Volke hier
aber verhält sich die Sache ganz anders. Diese Menschen bewohnen ein
fruchtbares Land, in welchem auch Wild in Menge vorhanden ist. Aber
trotzdem machten sie nicht bloß Jagd auf ihre Feinde, um dieselben
aufzufressen, sondern sie verzehrten sich untereinander, sie machten
Gefangene von ihrem eigenen Stamme, und wenn eben keine anderen
Schlachtopfer vorhanden waren, dann kamen ihre eigenen Kinder und
Weiber an die Reihe. Eine träge oder zanksüchtige Frau wurde sofort
schnell abgethan und gab ein leckeres Mahl; ein Kind, das zu viel
schrie, wurde ohne weiteres still gemacht und abgekocht; Kranke und
Schwache ließ man nicht etwa des natürlichen Todes sterben, sie hätten
ja dann nicht den Magen stillen können. So war es mit diesem Volke
beschaffen. Man sagt zwar, daß sie den Kannibalismus schon seit vielen
Jahren aufgegeben hätten, ich fand aber in der Höhle ganz untrügliche
Beweise dafür, daß die Praxis noch nicht verloren gegangen ist, denn
einige Knochen waren sehr frisch; sie hatten augenscheinlich einem
starkknochigen Mann angehört, dessen Schädel hart wie Erz war; an den
Gelenken befand sich noch Mark und eine fettige Substanz. Er konnte
erst vor einigen Monaten geschlachtet worden sein.“

„Diese Höhle gehört zu der größten in der ganzen Gegend und diente den
Kannibalen als eine Art Hauptquartier. Vor dreißig Jahren war übrigens
das ganze Land vom Molutaflusse bis zum Caledon, dann auch ein Teil der
Region am Putesanaflusse von Anthropophagen bewohnt, welche Schrecken
unter den umwohnenden Stämmen verbreiteten. Sie schickten Jagdpartien
aus, welche sich in der Nähe betretener Pfade oder Gärten, Triften und
Trankplätze in den Hinterhalt legten und es vorzugsweise auf den Fang
von Frauen und Kindern abgesehen hatten.“

„Noch heute leben viele alte Kannibalen, und an demselben Tage, an
welchem ich jene Höhle besuchte, machte ich mit einem derselben
Bekanntschaft. Er ist nun etwa sechzig Jahre alt. Als er noch in der
Höhle hauste, fing er einst drei junge Weiber; davon nahm er eines zu
seiner Gefährtin, die beiden andern wurden gekocht. Jene Ehe ist dann
eine recht glückliche gewesen, und die Frau Gemahlin hat sich bald
an die neue Lebensweise gewöhnt; man zeigte mir den Winkel, welcher
dieser glücklichen Familie zum Aufenthalt gedient.“

So weit ~Bowker~. Der deutsche Sprachforscher Dr. ~Bleek~ fügte dem
Aufsatze einige Bemerkungen hinzu, welche für die Geschichte dieses
Kannibalismus von Interesse sind. Danach findet man weiteres darüber
in dem Werke: „Relation d’un voyage d’exploration au nordest de la
colonie du Cap de bonne Espérance par ~Arbousset~ et ~Daumas~“,
Paris 1842, 105-123. Die Reise fällt in das Jahr 1836. Ferner kurze
Notizen in ~Edward Salomon~s „Two lectures on the Native Tribes of the
interior“, Capstadt 1855, 62 bis 64. ~Salomon~ zufolge fand sich der
Kannibalismus bei vier Stämmen; zwei davon, die Bakufeng und Makatla,
sind Betschuanen; die beiden andern, Bamakakana und Bamatlapatla,
sind Kaffern. Höchst wahrscheinlich wurden sie Kannibalen infolge
der Kriege, durch welche jene Gegenden arg verwüstet wurden. Die
Liebhaberei nach Menschenfleisch blieb, als die Not längst vorüber war,
und der Kannibalismus hielt sich dann längere Zeit. Die einheimische
Sage der Zulu wie der Betschuanen weiß viel von den Amazimu und Marimo,
den Menschenfressern, zu erzählen.[98]

Dr. ~John Beddoe~ endlich berichtet über die Art und Weise, wie
die Anthropophagen mit ihren Schlachtopfern umgingen, und zwar war
das Verfahren ein außerordentlich regelmäßiges, man kann sagen mit
Fleischerkunst ausgeübtes. Jeder Schädel ist vermittels einer Axt am
Nasenbein querüber auseinander gehauen; die Backenknochen wurden als
unbrauchbar weggeworfen. Dann wurde in den Oberkopf ein Loch geschlagen
und das Hirn herausgezogen. Die Rippenstücke wanderten in den Kochtopf.
Die Röhrenknochen wurden der Länge nach gespalten, und dann nahm man
das Mark heraus. Vielfach bemerkte man noch die Knorpel und sah man
Spuren von Messerschnitten an den Schädeln, von denen das Fleisch
streifenweise abgelöst wurde. Alle Europäer (Boers), welche bei dem
Angriffe auf Thaba Bosiu (Moscheschs Feste im Basutolande) fielen,
wurden sofort aufgefressen, weil man wähnte, daß dadurch ihr Mut in den
Leib der Kannibalen übergehen würde.

Daß die Anthropophagie in Südafrika nicht bloß auf die Basuto
beschränkt bleibt, hat ~Karl Mauch~ angedeutet.[99] Er selbst hat zwar
keinen Fall von Kannibalismus darthun können, indessen fand er, daß die
Eingebornen allgemein davon sprachen. „Am glaubwürdigsten, schreibt
er, scheint mir noch die Aussage meines Dolmetschers 1871 zu sein.
Als wir nämlich in die Nähe von Lomando, einem Baromapulana-Häuptling
in den östlichen Zoutpansbergen kamen, riet mir der Dolmetscher ja
recht vorsichtig zu sein, insofern Lomando ein unversöhnlicher Feind
der Boers sei. Unter andern erwähnte er auch, daß er (Lomando) sich
öfter junge Mädchen im Felde fangen lasse, um sie zu schlachten und
aufzuessen; besonders sollen die Schamteile für ihn das Leckerste
daran sein. Was das Aussehen dieses Häuptlings betrifft, so entspricht
es ganz solcher Möglichkeit; ich habe nirgends eine Physiognomie
beobachtet, welche so sehr der tierischen sich nähert: breite,
aufgeworfene Lippen mit ungemein stark ausgebildeten Freßwerkzeugen;
die Lider bedecken zur Hälfte die kleinen blutrünstigen Augen; eine
sehr niedrige Stirne, rohes Geschwätz bei kreischender Stimme; roh
gebaut und äußerst schmutzig; eine treffliche Kreatur, einen Kannibalen
darzustellen, wie ich in meinem Journal sagte.“

„Ein Missionär, der seine Station in der Nähe des westlichen Endes
der Zoutpansberge hat, sagte mir, alle Baromapulana seien Kannibalen;
er bewache deshalb seine Kinder ängstlich, damit sie nicht gestohlen
würden.“

„Albasini, portugiesischer Konsul in derselben Gegend, wollte ebenfalls
bemerkt haben, daß in den Zoutpansbergen noch Menschenfresser wohnen.“

Auf diese Zeugnisse gestützt mag es wohl erlaubt sein, die Baromapulana
unter die Anthropophagen einzureihen. Weiter nördlich bei den Matebele
fand ~Mauch~ keine Spuren von Kannibalismus, und ebenso wenig erzählen
andere Reisende, die mit diesem mordlustigen Kaffernstamme in Berührung
kamen, wie z. B. ~Mohr~, etwas davon. „Gegen Nordosten -- also nach
dem untern Sambesi hin -- habe ich nie etwas von Kannibalen gehört“,
schrieb mir ~Mauch~.

Alle diese Mitteilungen über den Kannibalismus unter südafrikanischen
Bantu-Stämmen reichen aber nicht hin dieselben im ganzen
zu gewohnheitsmäßigen Kannibalen zu stempeln und es muß, in
Übereinstimmung mit ~Fritsch~[100] dargethan werden, daß die
Menschenfresserei unter ihnen sporadisch wohl vorgekommen, nie aber zur
Stammessitte geworden ist.

+Centralafrika.+ In vorislamischer Zeit hat die Anthropophagie am Nile
weiter abwärts geherrscht, wenigstens im Bereiche der Neger, und Spuren
davon sind bis auf unsere Zeit gekommen, soviel der Islam auch hier
aufräumte.

In Darfor war es Brauch bei der Thronbesteigung des Sultans und dann
an einem bestimmten Festtage in der Residenz zwei Knaben, Söhne der
gleichen Eltern, zu opfern; das Fleisch wurde vom Sultan und den
höchsten Beamten verzehrt; wer sich dessen weigerte, wurde als Verräter
betrachtet. Dieses aus der Heidenzeit stammende Opfer hat sich selbst
lange in dem islamitischen Darfor erhalten und ist erst vom Sultan
Husseïn (regierte in den fünfziger Jahren) abgeschafft worden.[101]

Unsicher ist die Anthropophagie der Burum, die zwischen 11° und 12°
nördl. Br. in mehreren Stämmen die innere Dschesireh (Insel, das
Land zwischen dem blauen und weißen Nil) bewohnen. Sie zeigen „den
vollendeten Negertypus, sind meist von kolossalem Bau und großer
Wildheit, ja es wird ihnen sogar allgemein Anthropophagie zur Last
gelegt“, meldet von ihnen ~Ernst Marno~, welcher 1870 an die Grenze
ihres Gebietes gelangte.[102] Wie ~Marno~ mir mündlich berichtete,
besaß er einen Diener, der diesem Stamme angehörte und ihm offen
eingestand, daß bei seinem Volke Kannibalismus herrsche, doch konnte
der Reisende sich nicht persönlich hiervon überzeugen.

Desto sicherer ist die Anthropophagie der Niam-Niam, deren Gebiet
zwischen 4° und 7° n. Br. von 29° östl. L. v. Gr. nach Westen hin an
den Zuflüssen des weißen Nil sich erstreckt, und die sich selbst Sandeh
nennen. Alle Reisenden, die an den weißen Nil kamen, hörten von ihnen
und berichteten neben manchem Märchen -- man gab sie ja lange Zeit für
„geschwänzte“ Menschen aus -- auch daß sie Kannibalen seien. ~Theodor
von Heuglin~, der von Norden her ihrem Lande am nächsten kam, sucht sie
vom Verdachte der Anthropophagie zu reinigen[103], indessen sollten
bald vollgültige Beweise hierfür beigebracht werden.

Ein italienischer Handwerker, ~Carlo Piaggia~, trieb sich mehrere
Jahre lang mit nubischen Elfenbeinhändlern und Sklavenjägern im
Niam-Niamlande herum und brachte ein volles Jahr, bis Februar 1865,
bei dem Häuptlinge Tombo zu, wo er nicht nur Nachrichten über die
Anthropophagie einzog, sondern selbst Zeuge war, wie das Fleisch der
erschlagenen Feinde verzehrt wurde.[104] Hätten an ~Piaggia~s Berichten
noch Zweifel aufkommen können, so sind wir über den Kannibalismus der
Niam-Niam durch ~Georg Schweinfurth~ völlig aufgeklärt, welcher auf
seiner epochemachenden Reise 1870 sie genau kennen lernte. Der Name
Niam-Niam ist der Sprache der Dinka entlehnt und bedeutet „Fresser,
Vielfresser“, auf die Anthropophagie dieses Volkes anspielend. „Im
großen und ganzen darf man getrost die Niam-Niam als ein Volk von
Anthropophagen bezeichnen, und wo sie Anthropophagen sind, sind sie
es ganz und ohne Reserve um jeden Preis und unter jeder Bedingung.
Die Anthropophagen rühmen sich selbst vor aller Welt ihrer wilden
Gier, tragen mit Ostentation die Zähne der von ihnen Verspeisten auf
Schnüre gereiht wie Glasperlen am Halse und schmücken die Pfähle
bei den Wohnungen mit Schädeln ihrer Opfer. Am häufigsten und von
allgemeinstem Gebrauche wird das Fett von Menschen verwertet. Dem
Genusse ansehnlicher Mengen schreiben sie allgemein berauschende
Wirkung zu. Verspeist werden im Kriege Leute jedes Alters, ja die Alten
häufiger noch als die Jungen, da ihre Hilflosigkeit sie bei Überfällen
zur leichten Beute des Siegers gestaltet. Verspeist ferner werden
Leute, die eines plötzlichen Todes starben und in dem Distrikte, wo sie
lebten, vereinzelt und ohne den Anhang einer Familie dastanden; es ist
das jene Kategorie von Menschen, welche bei uns der Anatomie verfallen.
-- -- Nach den von Niam-Niam selbst eingezogenen Nachrichten und
Erklärungen verabscheuen diejenigen, welche überhaupt Anthropophagen
sind, nur dann den Genuß von Menschenfleisch, wenn der Körper einem an
ekelhaften Hautkrankheiten Verstorbenen angehörte“.[105]

Die Details, welche ~Schweinfurth~ über den Kannibalismus der Niam-Niam
beibringt, sind haarsträubender Natur. Das Fett der Babuckr, eines
Negerstammes, der vorzugsweise den Niam-Niam Fleisch liefert, dient
allgemein als Speiseöl, und der Reisende mußte seine Lampe damit
speisen, da anderes Öl nicht aufzutreiben war. „Im Niam-Niamlande
war ich selbst Zeuge, daß man die Krieger, welche die Nubier auf
einem Sklavenraubzug ins Babuckr-Gebiet begleitet hatten, mit alten
untauglichen Weibern beschenkte -- zum Essen, und mir gab man nach
einiger Zeit die Köpfe.“ Ebenso sah ~Schweinfurth~ neugeborene Kinder
von Sklavinnen, die als Leckerbissen zum Fressen bestimmt waren. „Diese
Wahrnehmung war das Ungeheuerlichste, was ich gesehen; ich hätte sofort
meinen Revolver in Thätigkeit setzen mögen, doch wandte ich schnell der
gräßlichen Scene den Rücken“.[106]

Südlich von den Niam-Niam, bereits an der Wasserscheide des Nil und
Kongo, wohnen die nicht minder kannibalischen Monbuttu und Abanga,
die gleichfalls durch ~Schweinfurth~ bekannt geworden sind. „Der
Kannibalismus der Monbuttu übertrifft den aller bekannten Völker
in Afrika. Da sie im Rücken ihres Gebiets von einer Anzahl völlig
schwarzer, auf niederer Kulturstufe stehender und daher von ihnen
verachteten Völkern umgeben sind, so eröffnet sich ihnen daselbst die
willkommene Gelegenheit auf Kriegs- und Raubzügen sich mit hinreichend
großen Vorräten von dem über alles geschätzten Menschenfleische
zu versorgen. Das Fleisch der im Kämpfe gefallenen wird auf der
Wahlstatt verteilt und im gedörrten Zustande zum Transport nach
Hause hergerichtet. Die lebendig Eingefangenen treiben die Sieger
erbarmungslos vor sich her, gleich einer erbeuteten Hammelherde, um
sie später einen nach dem andern als Opfer ihrer wilden Gier fallen
zu lassen. Die erbeuteten Kinder verfallen nach allen Angaben, die
mir gemacht wurden, als besonders delikate Bissen der Küche des
Königs. Es ging während unseres Aufenthalts bei Munsa das Gerücht,
daß für ihn fast täglich kleine Kinder eigens geschlachtet wurden.
Jedenfalls bot sich den Blicken der Fremden nur selten Gelegenheit
dar, Augenzeuge von Mahlzeiten der Eingebornen zu sein. Mir selbst
sind nur zwei Fälle bekannt, wo ich die Monbuttu mitten bei der Arbeit
überraschte, Menschenfleisch als Speise herzurichten. Das eine Mal
stieß ich auf eine Anzahl junger Weiber, wie sie eben damit beschäftigt
waren, vor der Thür ihrer Hütte auf dem geglätteten Estrich von Thon
die ganze untere Hälfte eines Kadavers durch Brühen mit kochendem
Wasser von seinen Haaren zu säubern. Durch diese Behandlung war die
schwarze Hautfarbe einem fahlen Aschgrau gewichen. Der ekelhafte
Anblick erinnerte mich lebhaft an das Abbrühen unserer Mastschweine.
Ein anderes Mal fand ich in einer Hütte den noch frischen Arm eines
Menschen über dem Feuer hängend, um ihn zu dörren und zu räuchern.
Sichtbare Spuren und untrügliche Anzeichen von Kannibalismus fanden
sich übrigens auf Schritt und Tritt in diesem Lande.“[107] Dabei sind
diese Monbuttu ein durch Begabung, Urteil und Nationalstolz, ja durch
eine Art Kultur vor den Nachbarn ausgezeichnetes Volk.

Die Nachfolger ~Schweinfurth~s in den Ländern westlich vom weißen Nil
haben dessen Mitteilungen über die Anthropophagie der Niam-Niam und
der Monbuttu vollauf bestätigt. Von den Mambanga, einem der südlichen
Stämme der Niam-Niam, hebt ~Junker~ hervor, daß sie durch geordnete
staatliche Verhältnisse, Lebensweise, Sitten und Kunstleistungen
weit über benachbarten Negerstämmen stehen. Dabei aber findet man
den Kannibalismus in seiner tierischsten Form. Alle Leichen werden
bei diesem Volke verzehrt und der einzige menschliche Zug, der
hierbei den Kannibalen geblieben, ist die Scheu vor dem Fleische der
Blutsverwandten; deren Leichen werden wenigstens an Fernstehende
verschachert. Stirbt ein Mambanga, so kann nach dortigem Aberglauben
dieses nur durch den bösen Willen anderer bewirkt worden sein, da die
Vorstellung des natürlichen Todes jenem Volke fremd ist. Nun wird
das Orakel befragt, welches einen oder mehrere Menschen als Urheber
des Todes bezeichnet und die infolge des Spruchs erdrosselt und auch
verzehrt werden. „Das Lynchen und der Kannibalenschmaus wird stets
abseit der Hütten vollzogen. Die Weiber tragen die Zukost in der Form
des Lugmagerichts, einer Mehlspeise, für die Männer an den Ort der
Greuelthat.“[108]

In meiner ersten Bearbeitung unseres Themas habe ich die Annahme
gewagt, daß das noch unerforscht äquatoriale Afrika als von Kannibalen
bewohnt zu betrachten sei.[109] Damals hatte ~Stanley~ noch nicht seine
epochemachende Fahrt quer durch Afrika gemacht, vom Kongo waren nur
Quellströme und Mündung bekannt, doch der Ausspruch ~Schweinfurth~s,
daß die Sitten der Monbuttu auf das Gabonland deuteten, ließ bereits
auf Verwandtschaft der damals noch unbekannten Centralafrikaner mit den
Fan einerseits, den Monbuttu anderseits schließen. Jetzt hat sich in
der That herausgestellt, daß die Landschaften am mittleren und oberen
Kongo, sowie an den Zuflüssen des letzteren zu der innerafrikanischen
Zone der Kannibalen gehören.

Schon ~Speke~[110] wußte, daß im Westen des Tanganjika Menschenfresser
wohnen und ~Burton~[111] nannte sie Wabembe. Die erste Bestätigung
aber brachte ~Livingstone~, indem er uns die Manjuema kennen lehrte.
Ihr Land liegt zwischen dem nördlichen Teile des Tanganjika-Sees und
dem Lualabaflusse, zwischen 25° und 29° östl. L. v. Gr. und 3° und 6°
s. Br. Erforscht wurde es 1870 und 1871 durch ~David Livingstone~, der
zum ersten Mal während seiner dreißigjährigen Wanderungen in Südafrika
auf Kannibalen stieß. „Die Manjuema, berichtet ~Livingstone~, sind
sicherlich Menschenfresser, aber sie essen nur im Kriege getötete
Feinde, scheinen bei ihren kannibalischen Orgien von Rache angestachelt
zu sein und lassen nicht gerne Fremde als Zuschauer zu. Ich bot
vergebens eine Belohnung jedem, der mir die Gelegenheit verschaffen
würde, ein Kannibalenfest mit anzusehen. Einige intelligente Männer
sagten mir, das Fleisch sei nicht gut, und nach seinem Genüsse träume
man von dem Toten. Frauen nehmen niemals Teil.“[112]

In Nyangwe am oberen Kongo sah ~Livingstone~ auf dem Markte einen Mann,
der zehn menschliche Unterkiefer an einer Strippe über die Schulter
gehängt trug; auf ~Livingstone~s Befragen bekannte er, er habe die
Eigentümer dieser Unterkiefer getötet und gegessen.[113] Nach demselben
zuverlässigen Reisenden endet in dem an den Lualaba angrenzenden
Metambalande ein Streit zwischen Ehegatten oft damit, daß der Mann die
Frau erschlägt, ihr Herz mit Ziegenfleisch zu einem Gerichte bereitet
und dieses verzehrt[114], worin unschwer die Befriedigung der Rachsucht
erkannt werden kann. ~Stanley~ äußert sich über Manjuema in ähnlicher
Art wie ~Livingstone~; er fand dort die Dörfer mit Menschenschädeln
gleichsam gepflastert.[115] Im Dorfe Kimpungu sah er 186 solcher
Schädel.

Leutnant ~Wissmann~ hörte in Manjuema von einem Manne das folgende:
„Bis vor kurzem haben wir auch Menschenfleisch gegessen und zwar
auch das von den an einer Krankheit Gestorbenen, nur haben wir, wenn
jemand an einer Krankheit gestorben ist, die äußersten Glieder der
Finger und Zehen abgenommen, eingesalzen, in Blätter gewickelt und ins
Wasser geworfen, während wir den ganzen andern Körper gegessen haben.“
Durch das Einsalzen und Wegwerfen sollte erreicht werden, daß die
Krankheit nicht auf den Essenden überging. Er erzählte weiter, daß sie
nicht die in ihren eigenen Dörfern Gestorbenen gegessen, sondern die
Leichen gewissermaßen ausgetauscht hätten. Die von einem fremden Dorfe
herübergekommene Leiche wird später wieder erstattet durch einen im
Dorfe selbst Gestorbenen.[116]

Als ~Stanley~ den Kongo abwärts fuhr, war es nichts ungewöhnliches, daß
die feindlich gesinnten Stämme am Ufer nach seinem Fleische schrieen.
„Wir werden Fleisch in Menge haben“ hieß es da. Auf der Insel Asama
im Kongo „verzierten Menschenschädel die Dorfstraße und eine große
Menge Schenkelknochen, Rippen und Rückenwirbel lagen in einem Winkel
voll Unrat, als gebleichte Zeugen ihres gräßlichen Appetits nach
Menschenfleisch.“ Also Küchenabfälle mit Menschenknochen. Und so ganz
ähnlich da, wo der Aruwimi in den Kongo mündet, wo auch die abgenagten
Menschenknochen offen und frei auf den Unrathaufen des Dorfes
umherlagen und „der dünne Vorderarm eines Menschen, der neben einem
Feuer zugleich mit versengten Rippen vorgefunden wurde“, ~Stanley~
einen handgreiflichen Beweis für die gräßliche Gewohnheit bot.[117]

Der Kannibalismus der centralafrikanischen Völker, welche an den
südlichen Zuflüssen des Kongo wohnen, in jenen Gegenden, welche von
~Pogge~ und ~Wissmann~ besucht wurden, tritt nicht so öffentlich
hervor, wie bei den Monbuttu und manchen Westafrikanern. ~Wissmann~
hat dort mit eigenen Augen keinen Fall beobachtet, ist aber durch die
Gesamtheit der Berichte von dem Vorhandensein überzeugt. Nach ihm
sind die Baluba alle Kannibalen; auch die Tuschilange waren früher
Anthropophagen, sind aber seit der Einführung des Hanfrauchens davon
abgekommen. Die Bassange (besonders rein erhaltene Baluba) verzehren
die im Kriege Gefallenen; dies geschieht Nachts und abseits der Dörfer.
Vom Menschenfressen ausgeschlossen sind bei ihnen die Kinder bis zu
einem gewissen Jahre und die Weiber, die schon geboren haben, sowie
jedes Weib bis zu einem bestimmten Alter. Wenn es feststeht, daß sie
unfruchtbar ist, hat sie Teil am Menschenessen.[118] Etwas eingehender
läßt sich ~Pogge~ über den Kannibalismus der Bassange aus. „Die Körper
der im Kriege Erschlagenen werden eine Nacht ins Wasser gelegt und am
nächsten Tage werden die Unterschenkel und Hände abgeschnitten und auf
Ameisenhaufen gelegt. Nach einigen Stunden wird wieder nachgesehen
und wenn die Ameisen an dem Fleische fressen, so ist es gut. Die
betreffenden Körper werden alsdann zerlegt und von bestimmten Männern
mit dem Fleisch der im Kriege erbeuteten Ziegen zusammen gekocht und
dann vor das Haus des Soba (Häuptlings) gebracht, welcher davon genießt
und das Fleisch an die Krieger verteilt.“[119]

Die südlichen Zuflüsse des Kongo, deren Erforschung das Werk deutscher
Reisender ist, haben gleichfalls Kannibalen zu Anwohnern. Vom Tschuapa
und Bussera beglaubigt dieses Leutnant von ~François~. Das Schlachten
von Menschen, bloß um sich Fleisch zu verschaffen, kommt am Bussera
vor; im allgemeinen ist aber Anthropophagie „ein Akt religiösen
Ceremoniells bei besonderen Gelegenheiten.“ Die Anwohner des Tschuapa
riefen dem vorüberfahrenden ~François~ zu: „Wir werden euch den
Kopf abschneiden! Wir werden euch fressen! Buala! Buala! (Fleisch,
Fleisch),“[120] gerade wie es ~Stanley~ auf dem Kongo ergangen war.
Auch an den meisten anderen südlichen Zuflüssen des Kongo, so am Saie
oder Tschia, dem Quilu, dem Sankurru wohnen wilde Kannibalen. „Hier
wird allerdings der Mensch als Nahrungsmittel, gewissermaßen als
Schlachtvieh, betrachtet und die vielen in den Dörfern aufgehäuften
Schädel, sowie die sehr freimütigen Aussagen der Eingeborenen zeugen am
besten für das Blühen des Kannibalismus.“[121]

+Haiti.+ Im Anhange zu Afrika müssen wir hier noch einen Blick auf die
nach Amerika ausgewanderten Neger werfen. Die Negerrepublik Haiti ist
äußerlich ganz nach europäischem Muster eingerichtetes Staatswesen,
in welchem das schwarze Element vollständig dominiert; innerlich aber
ist diese Republik noch stark der afrikanischen Barbarei ergeben. Sie
ist, mit dem ebenbürtigen Liberia, ein wenig günstiges Zeugnis für
die Entwickelungsfähigkeit der Neger, wenn sie sich selbst überlassen
sind. In Haiti ist nämlich der Fetischdienst des Wodu die eigentliche
Religion des Volkes, während amtlich der Katholizismus herrscht und
jener Wodudienst ist mit Menschenopfern und Anthropophagie verknüpft.
Aber auch ohne religiösen Hintergrund herrscht letztere in Haiti. Noch
1878 wurden zwei Frauen auf frischer That ertappt, welche die Leiche
eines Kindes verzehrten. Eine Mutter, die ihre eigenen Kinder verzehrt
hatte, gestand dieses ruhig ein und fügte hinzu: wer hätte denn mehr
Recht gehabt, dieses zu thun, als ich? Habe ich sie doch geboren. Bei
den Wodumysterien wird die „Ziege ohne Hörner“ geopfert, d. h. ein
Kind. Am 13. Februar 1864 wurden zu Port au Prince acht Wodukannibalen
hingerichtet. Auch der Handel mit Menschenfleisch ist, wie in Afrika,
auf Haiti bekannt.[122]


  [67]  ~Waitz~, Anthropologie der Naturvölker. Leipzig 1860. II. 166.

  [68]  ~Livingstone~ erwähnt z. B. diesen Ausdruck von den Bangwaketse.
        Missionsreisen und Forschungen in Südafrika. Aus dem Engl.
        Leipzig 1858. I. 106.

  [69]  Transact. Ethnolog. Soc. New Series. I. 338. (1861). Die
        erwähnte afrikanische Zeitung ist der zu Freetown erscheinende
        „African“ vom 5. April 1860. ~Hutchinson~, Ten years wanderings
        among the Ethiopians. London. 1861. 58.

  [70]  ~Fleuriot de Langle~ im Tour du Monde. Bd. XXVI. 382. 374.

  [71]  ~H. Hecquard~, Reise an die Küste und in das Innere von
        Westafrika. Leipzig, s. a. 49.

  [72]  Mission von Cap Coast-Castle nach Ashantee von ~T. Edward
        Bowdich~. Aus dem Englischen. Weimar. 1820. 402.

  [73]  ~Robert Norris~, Reise nach Abomey im Jahre 1772. In ~M. C.
        Sprengel~s Beiträgen zur Länder- und Völkerkunde. XIII. 285.
        Leipzig 1790.

  [74]  ~Labarthe~s Reise nach der Küste von Guinea. Aus dem
        Französischen. Weimar 1803. 238.

  [75]  Ten years wanderings among the Ethiopans. 66.

  [76]  ~Hutchinson~ a. a. O.

  [77]  Vor Zeiten ist König Peppel indessen selbst Menschenfresser
        gewesen; er hat mit vielem Behagen das Herz des von ihm
        gefangenen Königs Amakri von Neucalabar verzehrt. So berichtet
        der „Fellow royal geograph. society“, nämlich ~Richard Burton~
        in seinen Wanderings in Westafrica from Liverpool to Fernando
        Po. London 1863. II. 280. Dort mag man noch mehr über die
        Anthropophagie im Nigerdelta nachlesen.

  [78]  The Mail (Times) vom 26. Dezember 1873.

  [79]  The Church Missionary Intelligencer. Juli 1866. 223.
        Auch ~Hutchinson~ erwähnt die Metzeleien zwischen Okrika und
        Neu-Calabaresen und erzählt abscheuliche Einzelheiten, wie
        Suppen aus rotem Pfeffer, Palmöl und Menschenfleisch gekocht
        wurden!

  [80]  The Church Missionary Intelligencer. Februar 1873. 48.

  [81]  Transact. Ethnolog. Soc. New Series. V. 83.

  [82]  ~Hutchinson~ a. a. O.

  [83]  Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. VI. 482. 484 (1856).

  [84]  Unter dem Namen Anziko versteht man heute an der Loaugoküste den
        Gorilla. Correspondenzblatt der Afrikanischen Gesellschaft.
        1873. 36.

  [85]  ~Huxley~, Zeugnisse für die Stellung des Menschen in der
        Natur. Braunschweig 1863. 62. 63. Ein übereinstimmender Bericht
        bei ~Dapper~, Beschreibung von Afrika. Amsterdam 1670. 538.

  [86]  ~Edward Bowdich~ a. a. O. 543.

  [87]  Wenn ~H. Zöller~ neuerdings (Deutsche Besitzungen an der
        westafrikanischen Küste. IV. 95. 97) sagt: „Das meiste, was
        über die kannibalischen Sitten der Fan gesagt wird, halte
        ich für erdichtet“ und „die Fan stehen in dem wahrscheinlich
        ungerechtfertigten Rufe, Menschenfresser zu sein“, so ist die
        Widerlegung dieser Ansicht im folgenden enthalten.

  [88]  ~Paul B. Du Chaillu~, Explorations and Adventures in equatorial
        Africa. London 1861. 74.

  [89]  ~Du Chaillu~ a. a. O. 88.

  [90]  ~W. Winwood Reade~, Savage Africa. London 1863. 159. Auch
        ~O. Lenz~ (Skizzen aus Westafrika. 89) sagt, dass die Fan bis
        zum heutigen Tage Kannibalen seien, doch würde Menschenfleisch
        nur bei Feierlichkeiten verzehrt. Alles aber, was sich auf
        Anthropophagie beziehe, würde heimlich betrieben. Vergl. auch
        ~Petermann~s Mitteilungen. 1875. 128.

  [91]  Der Glaube, daß die Weißen die schwarzen Sklaven des Fleisches
        wegen zum Verzehren exportierten, ist an der Guineaküste weit
        verbreitet gewesen. Überhaupt haben die Wilden uns oft für
        Menschenfresser angesehen. Der Franzose ~Lambert~ erzählt
        dies von Futa Djalon, wo ihm die Fuhlas alle Einzelheiten
        berichteten, wie wir Europäer unsere Kannibalenschmäuse
        einrichten. Freiherr ~von Wrede~ wurde 1843 im Wadi Schura in
        Hadhramaut belehrt, daß der Kaiser von Rußland eine Leibgarde
        von 7000 Menschenfressern unterhalte (Reise in Hadhramaut.
        Braunschweig 1870. 71). ~Aloisius da Cadamosto~, der 1455
        in den Gambia einlief, hörte dort von den Schwarzen, die
        Christen fräßen Menschenfleisch und würden nicht so viele
        Sklaven kaufen, wenn es nicht in der Absicht, sie zu fressen,
        geschähe. (~Cadamosto~s Reise, aus dem Italienischen übersetzt
        in ~Sprengel~s Beiträge zur Völker- und Länderkunde. XI. 161.
        Leipzig 1789.)

  [92]  Tour du Monde. XII. 308 (1865).

  [93]  Tour du Monde. XII. 309.

  [94]  Journal of the Anthropological Institute. London 1872. I. 187.

  [95]  ~L. Magyar~, Reisen in Südafrika. Pest 1859. I. 275.

  [96]  ~Travassos Valdez~, Six years of a traveller’s Life in Western
        Africa. London. 1861. II. 159.

  [97]  The Cave Cannibals of South Africa. Anthropological Review. VII.
        121 (1869).

  [98]  In den Nursery tales, Traditions and histories of the Zulus,
        die ~Callaway~ sammelte (Natal and London. 1868), kommt
        ein Märchen vor, in dem, wie im deutschen Märchen, die
        Menschenfresserin versteckte Kinder wittert und ausruft: „Ich
        rieche Menschenfleisch.“ Wie ~Merensky~ (Beiträge zur Kenntnis
        Südafrikas. Berlin 1875. 132) hervorhebt, fehlt bei den
        Kaffern auch heute der Glaube an die magische Wirksamkeit des
        Menschenfleisches nicht. Der Schmied legt erst ein Stückchen
        Menschenfleisch in die Kohlen, ehe er die Arbeit beginnt und
        der Giftmischer meint in demselben ein Mittel zu haben, seinen
        Feind schnell aus der Welt zu schaffen.

  [99]  Briefliche Mitteilung d. d. Stuttgart 29. November 1873.

  [100] ~G. Frisch~, Eingeborene Südafrikas. 147.

  [101] ~Werner Munzinger~, Ostafrikanische Studien. Schaffhausen 1864.
        558.

  [102] Reisen in Hoch-Sennar. In ~Petermann~s geographischen
        Mitteilungen. 1872. 455.

  [103] ~Theodor v. Heuglin~, Reise in das Gebiet des Weißen
        Nil. Leipzig und Heidelberg 1869. 206. Auch ~Rob. Hartmann~,
        Naturgeschichtlich-medizinische Skizzen der Nilländer. Berlin
        1865. 305, bezweifelte die Anthropophagie der Niam-Niam. --
        ~W. G. Brown~, der Erforscher Darfors, hörte dort (1798) von
        Sklaven aus dem Süden, daß in ihrem Lande die Menschenfresserei
        herrsche. ~Brown~s Reisen in Afrika. Aus dem Englischen. Weimar
        1800. 364. Richtige Nachrichten über diese Anthropophagen
        hatte 1856 bereits ~Brun-Bollet~ eingezogen (~Petermann~s
        Mitteilungen. Ergänzungsheft VII. 21).

  [104] ~Petermann~s Mitteilungen. Ergänzungsheft X. 79.

  [105] ~G. Schweinfurth~, Die Niam-Niam. Globus XXIII. 23.

  [106] ~Schweinfurth~ in ~Petermann~s Mitteilungen. 1871. 139 und in
        seinem Reisewerk „Im Herzen von Afrika“. II. 240.

  [107] ~Schweinfurth~, Im Herzen von Afrika. II. 98.

  [108] Dr. ~W. Junker~ in ~Petermann~s Mitteilungen. 1881. 256.

  [109] Mitteilungen des Vereins für Erdkunde zu Leipzig. 1873. 39.

  [110] Entdeckung der Nilquellen. I. 125.

  [111] Transactions of the Ethnological Society. New Series I. 320.

  [112] ~Petermann~s Mitteilungen. 1873. 32.

  [113] ~Livingstone~s letzte Reise. Deutsche Ausgabe. II. 153.

  [114] Daselbst. II. 58.

  [115] ~Stanley~, Durch den dunklen Weltteil. II. 157 und Anmerkung
        auf S. 159.

  [116] Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft.
        1885. 459.

  [117] ~Stanley~ a. a. O. II. 221. 232. 263. 302.

  [118] Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft.
        1883. 458.

  [119] Mitteilungen der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland. IV.
        259 (1885).

  [120] Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 1886.
        159. 161.

  [121] Leutenant ~Tappenbeck~ in den Mitteilungen der Afrikanischen
        Gesellschaft. V. Heft 2 (1886).

  [122] Der amtliche Bericht über die Hinrichtung jener Wodukannibalen
        ist nach dem Moniteur Haïtien vom 12. März 1864 mitgeteilt im
        Globus VIII. 249. Vollauf Material zur Bestätigung aller von
        den Negern Haitis begangenen kannibalischen Scheußlichkeiten
        enthält das Werk ~Spenser~ St. Johns Hayti or the Black
        Republic. London 1884. Der Verfasser war zwölf Jahre englischer
        Geschäftsträger in Haiti und ist wegen seiner Zuverlässigkeit
        bekannt. Der Missionsbischof ~Cleveland Cox~ hat schon
        früher über die zunehmende Verwilderung unter den Schwarzen
        Haitis geklagt und dieselben beschuldigt, daß sie bei ihren
        Jahresfesten die eigenen Kinder schlachten und fressen. Globus.
        XXIV. 48.




+Australien+


Der australische Kontinent zählt heute noch höchstens 50,000
eingeborene Schwarze und diese sind, wo sie sich dem Einflüsse der
Weißen entziehen, Anthropophagen, wofür die bündigsten Beweise
vorliegen.

Er kommt am Schwanenfluß, also Westaustralien, nach Salvado vor, wo
man selbst Tote ausgrub, um sie zu essen[123], und ~John Forrest~,
welcher 1869 längere Zeit in der Umgebung des Barlee-Sees zubrachte,
wurde dort von den Eingeborenen bedroht, daß sie ihn fressen wollten,
auch fand er dort einen Schwarzen, der ihm mitteilte, daß kürzlich sein
Bruder gefressen worden sei.[124] Weiteres über die Anthropophagie der
Westaustralier teilt ~Oldfield~ mit, nach welchem einmal die bei ihnen
allgemein herrschende Blutrache, andererseits Hunger zum Kannibalismus
treiben. Die erschlagenen Feinde werden verzehrt, _the bloodrevergers
subsisting entirely on the flesh of their victims_, wenn sie sich im
feindlichen Gebiete befinden. Dabei wird weder Geschlecht noch Alter
geschont und wenn keine Gelegenheit vorhanden, das Fleisch zu kochen,
so wird es roh verzehrt.[125] Auf reinen Fleischgenuß gerichtet ist
der westaustralische Kannibalismus, wenn sie die Alten erschlagen und
verzehren, _that so much good food may not be lost_. Man glaubt, die
Alten hätten keine Seelen mehr, welche, zurückkehrend, dem Fresser etwa
Ungemach bereiten könnten.[126] In Hungerszeiten töten die Watchandie
in Westaustralien eines ihrer Kinder durch einen Schlag mit der Keule
in den Nacken um das Fleisch zu verzehren. Die Mutter, welche keinerlei
laute Klagen ausstoßen darf, da sie sonst Prügel erhält, bekommt
den Kopf als ihren Anteil; der Mann verzehrt die fetten Stücke, die
übrigen Kinder, wenn vorhanden, werden mit den Eingeweiden abgefunden.
Alles wird roh verzehrt, da solche Greuel gewöhnlich in der nassen
Winterszeit stattfinden, wenn es unmöglich ist, Feuer anzuzünden.
Bei andern Kannibalenschmäusen werden die Eingeweide und Füße nicht
verzehrt; die letzteren häutet man -- aus einem unaufgeklärten Grunde
-- nur ab. Das Fleisch der Europäer, sagen die Westaustralier, schmecke
„salzig“; das Fleisch der Weiber ziehen sie jenem der Männer vor.[127]

Die Anthropophagie wird von ~W. P. Stanbridge~, der 18 Jahre
mit den Schwarzen in naher Berührung lebte, für Südaustralien
nachgewiesen.[128] „Eine ganz abscheuliche Erscheinung im Leben dieser
Wilden, sagt er, ist ihr Kannibalismus, der sich auf die gräßlichste
Weise äußert. Die Eltern ermorden nicht selten ihre neugeborenen
Kinder, um sie aufzufressen. Auch herrscht ein entsetzlicher
Aberglaube, demgemäß ein älterer Bruder in dem Wahne lebt, daß er
sofort auch die Körperkraft seines jüngeren Bruders sich aneignen
könne, wenn er diesen erschlägt und verzehrt. Das geschieht unter
Festlichkeiten und bei diesen dringen Vater und Mutter mit eifriger
Ermahnung in den älteren Sohn, so viel Fleisch von dem Leichnam
hinabzuwürgen, als irgend möglich ist.“ Hier liegt also entschieden
Aberglauben als Beweggrund vor. Übrigens herrscht in Südaustralien
auch der Kannibalismus aus reiner Gourmandise, wenigstens bei den
Narrinyeri. _If a man had a fat wife, he was always particulary careful
not to leave her unprotected lest she might be seized by prowling
cannibals._[129]

Am Cooper Creek, nördliches Südaustralien, sind deutsche Missionare
angestellt, die dort (1868) vollauf Gelegenheit hatten den
Kannibalismus der Schwarzen zu beobachten. Einer derselben schreibt:
„Die zahlreichen Arten von Ratten und Mäusen liefern hauptsächlich die
Fleischkost der Eingeborenen. -- Die zahlreichen kleinen Eidechsen
schmecken den Kindern gut. Zudem fangen sie vier Arten Fische und
essen eine große Anzahl von Würmern, die als eine Delikatesse gelten.
Kannibalismus ist hier eine Thatsache und eine Mutter verzehrt mit
lächelnder Miene ihr eigenes Kind. Die Schwarzen essen Teile von
jeder Leiche, wenn etwas Eßbares daran ist. Vor einiger Zeit starb
der Älteste des Stammes. Als ich fragte, ob sie diese Leiche auch
verzehren würden, antwortete mir einer der Schwarzen: ‚Nein, der Kerl
ist zu mager, er hat kein Fett.‘“[130] Bedarf man einer Bestätigung
dieses Berichtes, so giebt sie ~Warburton~, nach dem die Bewohner des
untern Barkuthales (Cooper Creek, Lake Eyre) entschieden Anthropophagen
sind.[131] Auch am Peakfluß werden die gestorbenen Kinder verzehrt,
als Grund wird von den Schwarzen angegeben, daß, wenn sie dieses nicht
thäten, sie sich fortwährend grämen müßten. Den Kopf bekommt die
Mutter und die Kinder im Lager bekommen auch ihr Teil, damit sie gut
wachsen. Auch verzehren sie einzelne Teile von verstorbenen Männern und
Frauen, namentlich solche, in denen sie den Sitz gewisser tüchtiger
Eigenschaften wähnen.[132]

Was die Eingeborenen der Kolonie Victoria betrifft, so hat über deren
Kannibalismus ~Richard Oberländer~, der längere Zeit unter ihnen
lebte, seine eigenen und fremde Erfahrungen zusammengestellt.[133]
„Die Eingeborenen Australiens, so berichtet er, sind Kannibalen,
machen daraus kein Geheimnis und sprechen davon als von einer
selbstverständlichen Sache, wie sie denn auch die Art und Weise der
Zubereitung des Mahles ganz unbefangen beschreiben.“ Nach ~Buckley~,
den ~Oberländer~ citiert, begegnete jener auf seinen Wanderungen dem
wegen seines Kannibalismus übel berüchtigten Pallidurgbarran-Stamme,
der nicht nur das Fleisch seiner getöteten Feinde verzehrt, sondern
Menschenfleisch bei allen möglichen Gelegenheiten. „Der Barrabulstamm,
schreibt ~Oberländer~ ferner, fing einen alten Mann und ein Mädchen
ein, die zu einem andern Stamm gehörten, und welche sie beschuldigten,
meinen Freund ~Gellibrand~ gemordet zu haben. Das Mädchen ward getötet
und gebraten und das Fett als Haarpomade benutzt. Etwas warmes Fleisch
ward lachend einem Engländer zum Kosten gereicht. Dr. ~Cotten~ nahm, so
viel mir erinnerlich, einen Teil des Schenkels als Beweis der Thatsache
mit sich fort.“

In Neu-Süd-Wales, woher ~Majoribanks~ 91 Beispiele des Kannibalismus
zusammenstellt, aß man besonders das Nierenfett der Gefallenen, dessen
Genuß man übernatürliche Kräfte zuschrieb.[134]

~Angas~, bekannt durch seine Arbeiten über die Australier, teilte
den Gelehrten von der Novara-Expedition mit, daß in der Nähe der
Moreton-Bai (Queensland) ein Knabe starb, dessen Kopf und Haut, der
rohen Sitte gemäß, vom übrigen Körper getrennt und an einem Stocke
über Feuer getrocknet wurden. Vater und Mutter waren bei dem Vorgange
zugegen und stießen laute Schreie aus. Das Herz, die Leber und die
Eingeweide wurden unter die anwesenden Krieger verteilt, welche Stücke
davon an den knöchernen Spitzen ihrer Speere mit forttrugen, während
die gerösteten Oberschenkel -- angeblich die größten Leckerbissen
-- von den Eltern selbst verzehrt wurden. Haut, Schädel und Knochen
dagegen packten die Eingeborenen sorgfältig zusammen und nahmen sie
in ihren Säcken aus Grasgeflecht auf die Reise mit. Nicht selten
soll eine Mutter ihr eigenes Kind in dem dunkeln Wahn auffressen,
daß jene Kraft, welche ihre Leibesfrucht ihr entzogen, auf solche
Weise wieder in den Körper zurückkehre! Fällt den Eingeborenen ein
Krieger eines feindlichen Stammes in die Hände, so sollen sie ihrem
erbarmungswürdigen Opfer mit fanatischer Wildheit das Fett der Nieren
aus dem Leibe reißen und sich in dem Glauben damit beschmieren, daß
dies dem Körper Kraft, dem Herzen Mut verleihe.[135]

Ein Gutsbesitzer am obern Mary River (nördlich von Brisbane,
Queensland), giebt höchst eingehende auf Selbstbetrachtung gegründete
Schilderungen des merkwürdigen Gebrauches, wie die Schwarzen den Toten
die Haut abziehen, die Knochen vom Fleisch befreien und beides zu
abergläubigen Zwecken bewahren. In seiner Gegenwart schämte man sich
indessen auch das schon geröstete Fleisch zu verzehren. Er fügt aber
seinem Bericht hinzu: „Ich fühle mich verpflichtet es auszusprechen,
daß die Eingeborenen das Fleisch ihrer verstorbenen Freunde verzehren
und indem sie das thun, glauben sie fest, daß sie sich damit eine
Wohlthat erweisen und den Toten ehren. Sie verzehren es nicht etwa,
weil sie nach demselben lüstern wären; doch ist dem früher so gewesen,
und noch vor einigen Jahren schmausten die alten Männer mit großem
Appetit das gut geröstete Fleisch junger Frauen. Infolge des Verkehrs
mit den Weißen geschieht das aber nicht mehr häufig und man begräbt
oftmals auch Frauen und Kinder unzerstückelt, aber die Männer,
insbesondere die Häuptlinge, werden auch jetzt (1871) noch verzehrt. Es
ist mir mitgeteilt worden, daß noch ganz vor kurzem alte abgemagerte
Männer, deren Fleisch gewiß nicht saftig war, gewissenhaft gefressen
worden sind. Wenn man das Fleisch eines Menschen genießt, gewinnt man
dadurch die Kraft und die guten Eigenschaften, welche derselbe gehabt
hat. Das ist Wahnglaube.“[136]

Auch die Schwarzen im nördlichen Queensland machen kein Geheimnis
daraus, daß sie Menschenfleisch verzehren; doch scheint es, daß sie
mehr aus gewissen Traditionen als aus Nahrungsbedürfnis Anthropophagen
sind. Die meisten Schwarzen werden begraben, ohne gefressen zu werden.
Auch an der Wide Bay werden diejenigen, die man verzehrt, vorher
abgehäutet. Die Haut wird um ein Bündel Speere gewickelt, so, daß das
Haar auf die Spitzen zu stehen kommt. Die Fingernägel läßt man an der
Haut sitzen. Die Reliquie wird von Lager zu Lager geschleppt und in
jedem aufgestellt, wo sich die Trauerweiber um dieselbe versammeln und
sich mit Beilen Einschnitte beibringen. Am Carpentariagolf verzehrt man
die im Gefecht Gebliebenen. Sterben sie infolge der Wunden Abends oder
in der Nacht, so kocht man sie am Morgen. Ein großes Loch wird im Boden
ausgehöhlt und der Leichnam wird in einem Stück gekocht, wozu drei bis
vier Stunden nötig sind. Die Weichteile werden nicht gegessen, sondern
herausgenommen und begraben. Am Golf häutet man die Toten nicht, ehe
man sie verzehrt. Nachdem das Fleisch gegessen ist, werden die Knochen
auf einen Baum gelegt oder begraben. Die Leichen der Feinde bleiben
da liegen, wo sie gefallen sind; man verzehrt nur die Leichen von der
eigenen Partei. Kinder werden verzehrt, wenn sie sterben; Kindsmord ist
nicht häufig in Queensland.[137]

Der kannibalische Ring um den australischen Kontinent wird geschlossen,
wenn wir die Beweise für die Anthropophagie im Norden beibringen. Schon
als ~Owen Stanley~ mit dem Aufnahmeschiff Rattlesnake Nordaustralien
besuchte, wurde die Bemerkung gemacht, daß man die Leichen der
erschlagenen Feinde verspottete und zerstückelte. Der Kopf aber wird
als Trophäe mitgenommen und die Krieger verzehren die Augen nebst den
Wangen, im Glauben, dadurch tapfer zu werden.[138]

Wenn auch in Tasmanien dieselben Naturverhältnisse herrschten wie auf
dem australischen Kontinente und die dortige, jetzt ausgestorbene
Rasse den Australiern sehr nahe stand, so ist sie doch, zur Zeit der
Entdeckung wenigstens, von Kannibalismus frei zu sprechen gewesen. Es
waren wenigstens keine Beweise dafür beizubringen.[139]


  [123] ~Waitz~ (~Gerland~), Anthropologie der Naturvölker. VI. 749.

  [124] ~Petermann~s Mitteilungen. 1870. 147. 148.

  [125] ~Oldfield~ in Transactions of the Ethnolog. Society. New
        Series. III. 245.

  [126] ~Oldfield~ a. a. O. 248.

  [127] ~Oldfield~ a. a. O. 286. 288.

  [128] Transactions of the Ethnological Society. New Series. I. 291.

  [129] The Native Tribes of South Australia. Adelaide 1879. 2.

  [130] Auszug aus der zu Tanunda erscheinenden „Deutschen Zeitung“.
        Globus XVI. 15.

  [131] Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. 1868. II.
        16.

  [132] Verhandlungen der Berliner Anthropologischen Gesellschaft.
        1879. 237.

  [133] Globus IV. 279.

  [134] ~Waitz~ (~Gerland~), Anthropologie der Naturvölker. VI. 748.

  [135] Reise der österreichischen Fregatte Novara um die Erde. III. 32.

  [136] Journal of the Anthropological Institute. II. 179 (1873).

  [137] ~E. Palmer~, Notes on some Australian Tribes. Journal of the
        Anthropological Institute. XIII. 282.

  [138] ~Macgillivray~, Narrative of the Voyage of H. M. S.
        ~Rattlesnake~. London 1852. I. 152.

  [139] ~Bonwick~, Daily Life of the Tasmanians. 23.




+Die Südsee+.


In der Südsee treffen wir auf den klassischen Boden der
Menschenfresserei. Von Neu-Guinea bis zur Osterinsel hin waren oder
sind noch deren Bewohner Anthropophagen, weder Melanesier noch
Polynesier machen eine Ausnahme, und nur der Grad derselben ist ein
verschiedener, von der rohesten, rein auf das Nahrungsbedürfnis
gerichteten Form bis zu den letzten Überbleibseln des Kannibalismus,
die sich noch in symbolischen Handlungen oder Sagen offenbaren. _The
Polynesians may, without injustice, be called a race of cannibals_,
sagt ~H. Hale~[140] und unserm ~J. R. Forster~, welcher vor länger als
100 Jahren noch keinen sicheren Überblick über alle Südseeinsulaner
haben konnte, drängte sich damals schon die Überzeugung auf „daß
alle Bewohner der verschiedenen Inseln im Südmeere, selbst in dem
glücklichsten, fruchtbarsten Erdstriche, wo die Hauptnahrung in
Früchten besteht, nichts destoweniger vor Zeiten Menschenfresser
gewesen sind.“[141]

In der Mythologie der Polynesier finden wir Züge, die auf
Anthropophagie hinweisen. So glaubten sie, daß die Geister der
Gestorbenen von den Göttern oder Dämonen verzehrt, und daß der
geistige Teil ihrer Opfer von dem Geiste des Idols, dem das Opfer
galt, verspeist wurde. Die Vögel, welche zum Bereiche der Tempel
gehörten, nährten sich nach polynesischer Meinung von den Körpern der
Menschenopfer und man nahm an, daß der Gott in Vogelgestalt sich dem
Tempel näherte und die auf dem Altar liegenden Opfer verschlang. Auf
einigen Inseln war sogar das Wort „Menschenfresser“ eine Bezeichnung
der Hauptgötter. Kriege, nur zu dem Zwecke unternommen, um sich
Menschenfleisch zur Speise zu verschaffen, waren bei den Polynesiern
nichts seltenes; die Genugthuung und der gestillte Rachedurst, welche
nach dem Verzehren des Feindes sich einstellten, waren indessen
keineswegs der einzige Beweggrund zur Anthropophagie der Polynesier:
wir finden vielmehr auch Beispiele, daß Hungersnot sie zu dieser
Unsitte trieb.[142]

+Neu-Guinea und Nachbarschaft.+ „Unter allen wilden Völkern, die als
Anthropophagen berüchtigt sind, werden die Papuas zuerst genannt und
obschon es sich nicht leugnen läßt, daß sie in ihren Sitten noch
sehr roh sind, so ist dies doch keineswegs auf die ganze Bevölkerung
bezüglich und man thut ihnen gewiß hierin entschieden Unrecht. Obwohl
auch in einem neuen Reisewerke[143] bemerkt wird, daß die Papuas ihre
Gefangenen, ja die Bewohner an der van Dammen-Bai (Geelvinksbai) ihre
eigenen Toten verzehren, so sind doch noch von keinem glaubwürdigen
Manne bestimmte Nachrichten darüber vorhanden und wir müssen diese
vagen Gerüchte daher mit Recht als unwahr bezeichnen.“ So urteilt in
seiner verdienstvollen Schrift über Neu-Guinea ~Otto Finsch~.[144]
Aber was er als vages Gerücht hinstellt, hat sich als entschieden
wahre Thatsache erwiesen. Da auch sonst die Melanesier des großen
Oceans der Anthropophagie ergeben sind und auf den umliegenden Inseln
Neu-Guineas dieselbe entschieden nachgewiesen war, so ließ sich dadurch
mit Wahrscheinlichkeit schon auf das Vorkommen von Kannibalismus
auf Neu-Guinea schließen. Neuere Reisende bestätigen dies denn auch
vollständig.

Schon der Amerikaner ~Bickmore~ brachte beglaubigte Beweise von der
Anthropophagie der Papuas bei[145] und übereinstimmend berichten,
~Wallace~ ausgenommen, dasselbe die späteren Reisenden, die sich die
Aufgabe gestellt haben, das unbekannte Innere dieser das deutsche Reich
an Größe übertreffenden Insel zu erforschen. Der Florentiner ~Odoardo
Beccari~, welcher 1871 nach Wonim di Bati, der nordwestlichen Halbinsel
von Neu-Guinea, ging und dort das Arfakgebirge bestieg, brachte
Berichte von Menschenfressern, die zwischen 132° und 133° östl. L. v.
Greenwich hausen und dem Stamme der Kraton angehören.[146]

Noch eingehender erforschte den Nordwesten Neu-Guineas unser Landsmann
Dr. ~A. B. Meyer~, dem es auch gelang die Nordwesthalbinsel an ihrer
engsten Stelle, von der Geelvinksbai zum Mac Cluergolf zu kreuzen.[147]
Nach ihm sind Kannibalen in dem besuchten Teile: Der Stamm der Karoans
in den Bergen an der Nordküste, zwischen Amberbaki und den zwei kleinen
Inseln Amsterdam und Middelburg; die Tarungarés an der Ostküste
der Geelvinksbai, welche sogar ihre eigenen Todten verzehren; die
Bergbewohner der Insel Jobi in der Geelvinksbai. Daß auch an Mac Cluer
Inlet Kannibalen wohnen, ist bestätigt worden. Ein Hamburger, Namens
Schlüter, Steuermann des Schiffes „Franz“, Kapitän Redlick, wurde dort
nebst einigen Matrosen von den Papuas ermordet und der Körper als
Speise an benachbarte Stämme verkauft.[148]

Während wir so Kunde vom Vorkommen der Anthropophagie im Nordwesten
Neu-Guineas erhalten, kam gleichzeitig Bestätigung über deren
Verbreitung im Südosten. ~Moresby~, der die dortigen Küsten
aufnahm, stellt sofort dort Kannibalismus fest[149] und die dann
später dort angesiedelten englischen Missionare geben dann weitere
Einzelheiten. Die Kiefern der Verzehrten werden als Armschmuck
getragen. Am Flusse Aivei oder Alele sind die Eingebornen „alle
Menschenfleisch essende Kannibalen, sei es gekocht oder ungekocht;
sie sagen es sei eine bessere Nahrung als alles andere“. Am Südkap
kam ein befreundeter Häuptling zu der Frau des Missionars Gill und
bot ihr eine Menschenbrust zur Speise an, die er als saftigen Bissen
rühmte.[150] Das sind deutliche Beweise, daß hier das Menschenfleisch
als Genußmittel betrachtet wird; ob andere Beweggründe dort für die
Anthropophagie noch vorhanden sind, läßt sich aus den Berichten noch
nicht ersehen.

In der Verlängerung der östlichen Halbinsel Neu-Guineas, nur durch
eine schmale, korallenreiche See getrennt, ethnographisch und
physikalisch aber mit dem Hauptlande übereinstimmend, liegt der
Louisiade-Archipel, dessen melanesische Eingeborene Anthropophagen
sind; vollauf Bestätigung ihres abscheulichen Kannibalismus verdanken
wir dem französischen Schiffsarzt ~V. de Rochas~.[151] An der
östlichen Insel Rossel strandete im Sommer 1858 das Schiff St. Paul,
welches 317 chinesische Kulis von Hongkong nach Australien führen
sollte. Die Schiffbrüchigen retteten sich auf eine kleine Nebeninsel
und der Kapitän fuhr in der Schaluppe fort, um Hilfe zu holen. Er
gelangte nach Neu-Caledonien, wo die französische Behörde sofort ein
Kriegsschiff, auf dem Rochas sich befand, nach Rossel abordnete, um
die Schiffbrüchigen zu retten. Am 5. Januar 1859 traf das Schiff dort
ein; aber von mehr als 300 Männern waren nur noch vier am Leben, die
übrigen waren von den Eingeborenen ermordet und aufgefressen worden.
Einzelheiten übergehen wir, da sie nicht geeignet sind, Licht auf
die Motive der That zu werfen, wenn es auch fast scheint, als sei
bloße Lust nach dem Genusse von Menschenfleisch die Ursache des
schauderhaften Vorfalls gewesen.

Von den übrigen Satelliten Neu-Guineas erwähnen wir, daß auf Rook kein
Kannibalismus herrscht. „Die Menschenfresserei, welche an den Küsten
Neu-Guineas herrscht, erregt auf Rook Abscheu.“[152] Dagegen sind
die Eingeborenen der Massims-Inseln (d’Entrecasteaux-Inseln, an der
Südostspitze Neu-Guineas) Kannibalen.[153]

Den Kannibalismus der Melanesier des Bismarck-Archipels kennt ~Wilfred
Powell~ aus eigener Anschauung, er wohnte den Menschenfressermahlzeiten
bei und sein Reisewerk ist ein fortlaufender Bericht über die
verschiedensten kannibalischen Einzelheiten. Beim Häuptling Toragood
der Duke of York Insel bei Neu-Britannien sah ~Powell~ abgehackte
Menschenglieder an einem Tabubaum hängen. Von einem bei seinem
Hause liegenden Leichnam sagte Toragood: „der Mann half meine
Mutter verzehren“; jetzt kam er selbst an die Reihe. „Ich glaube,
sagt ~Powell~, es ist für diese armen Geschöpfe fast unmöglich
den Kannibalismus aufzugeben, so groß ist ihre Begierde nach
Menschenfleisch.“ Frauen werden durch die Heirat völliges Eigentum
des Mannes und wenn letzter erzürnt ist, kann er die Frau töten, um
sie zu verzehren, was vorkommt. Jeder Häuptling hat zwei ständige
Minister: einen Sprecher und einen Schlächter. Ersterer besorgt das
Reden, letzterer das Schlachten und Zerlegen. Das wertvollste Stück
vom Manne ist der Schenkel, vom Weibe die Brust. Der Kopf wird nie
gegessen, ebensowenig die Eingeweide, welche man verscharrt. Bein- und
Armknochen von Feinden werden am stumpfen Ende der Speere befestigt;
die Eingebornen glauben, dies verleihe ihnen die Stärke des Mannes,
dessen Gebein sie tragen und machen sie unverwundbar gegenüber den
Verwandten der Gefressenen. Selten verzehren sie einen Mann aus ihrem
eignen Stamm. Sollte aber einer von seinem Häuptling getötet oder wegen
Verbrechen hingerichtet sein, so kann der Leichnam an einen andern
Stamm verkauft werden. Auch die Neu-Irländer sind Kannibalen.[154]

Den Naturforschern des „Challenger“ erschienen die Bewohner der
Admiralitätsinseln unzweifelhaft als Kannibalen; sie zeigten
ihnen durch Pantomimen, wie sie menschliche Glieder kochten und
verzehrten.[155]

+Salomonen.+ Am 7. Februar 1567 entdeckte der Spanier ~Alvaro Mendana
de Neyra~ die Salomonen, landete auf der von ihm so benannten Insel
Santa Ysabel im Sternhafen (Puerto de la Estrella) und trat mit den
Eingeborenen in Verkehr, deren Häuptling Tauriqui Biliban Harra nach
polynesischer Sitte durch Namentausch mit ihm Freundschaft schloß.
Während eines zweimonatlichen Aufenthalts hatte er Gelegenheit,
die Sitten der Eingeborenen genügend kennen zu lernen, deren
Anthropophagie ihm sofort auffiel. „Diese Menschen, sagt er, sind
Barbaren, Anthropophagen, Fresser von Menschenfleisch; sie verschlingen
sich untereinander, wenn sie Kriegsgefangene machen und selbst dann,
wenn sie, ohne in offener Feindschaft miteinander zu sein, sich durch
Hinterlist gefangen nehmen. Der Beweis, daß sie Anthropophagen sind,
besteht darin, daß sie dem General bei verschiedenen Gelegenheiten
Stücke von Indianern anboten, als ein sehr delikates und von ihnen
geschätztes Gericht“.[156]

Seitdem haben alle Reisenden und Missionare, welche von den
Salomons-Inseln berichteten, deren Bewohner als unzweifelhafte
Kannibalen geschildert. Die Anthropophagie besteht dort völlig
unvermindert fort, wofür wir Belege aus der allerneuesten Zeit anführen
wollen. Im Jahre 1872 besuchte das britische Kriegsschiff Blanche,
Kapitän ~Cortland H. Simpson~, die Insel Ysabel, wo sich ihm in einem
der an der Küste gelegenen Dörfer ein schauderhafter Anblick darbot.
An dem Hause eines Häuptlings waren 25 Köpfe von Feinden angenagelt,
welche erst vor drei Wochen hinterrücks getötet und dann verspeist
worden waren.[157]

Noch eingehender berichtet Kapitän ~Edwin Redlick~ vom Schoner
„Franz“, der in neuester Zeit eine Kreuzfahrt durch das Inselgewirr
des westlichen stillen Ozeans bis Neu-Guinea unternahm. Er ankerte in
der Makira-Bai der Insel San Christoval (Bauro) und ging, begleitet
von einem dort wohnenden Engländer, ~Perry~, der Jagd wegen ans Land.
„Beim Verlassen der Bai begegneten wir verschiedenen großen Canoes
und an eins derselben heranrudernd, fanden wir, daß in demselben ein
zugerichteter oder gekochter Leichnam lag. ~Perry~ nahm die Sache
kühl, als etwas alltägliches und da er uns höchst entsetzt sah und den
Matrosen übel wurde, bemerkte er, daß er mindestens zwanzig Körper in
diesem Zustande gesehen habe, die gleichzeitig am Strande lagen, um
verspeist zu werden. An Bord des Kriegscanoes waren zwei Gefangene,
ein Knabe und ein Mädchen von etwa 14 Jahren. In der Absicht, ihr
Leben zu retten, erbot ich mich sie zu kaufen; doch konnte ich bieten,
was ich wollte, die Eingeborenen gingen nicht darauf ein. Wir hörten
später, daß die Schwarzen nach Makira gingen, die Hälfte des Körpers
dort verkauften und das Übrige einem andern Stamm; auch ihre beiden
Gefangenen verkauften sie. Wir kamen bald nachher an zwei Häuser, in
denen eine große Zahl Schädel von Leuten aufbewahrt wurden, die sie
gefressen hatten. Wir fanden die Eingeborenen ruhig und inoffensiv,
doch alle Kannibalen.“[158]

Die neuesten Nachrichten über den Kannibalismus auf den Salomonen
verdanken wir dem dort stationierten katholischen Missionar ~Verguet~.
Er ist dort noch _en pleine vigueur_; die Eingeborenen kennen nichts
delikateres als Menschenfleisch. Das ganze Dorf erschallt von
Freudenrufen, wenn ein Kannibalenfest stattfindet, man zerschlägt
Kokosnüsse, raspelt Taro und Ignamen, um Pasteten zu backen, während
der Leichnam zubereitet wird. ~Verguet~ schildert als Augenzeuge; nach
ihm ward der Kadaver in große Bananenblätter gewickelt und dann mit
stets erneuerten heißen Kieseln umgeben, bis er gar war. So bleibt
das Fleisch saftig. Man sieht sich vor, daß die Haare nicht verbrannt
werden; diese zieht man skalpartig mit der Haut ab und setzt diese
Perrücke auf eine Kokosnuß, die im Gemeindehaus aufgehangen wird.
Wenn die Insulaner Menschenfleisch verzehren, verstecken sie sich vor
den Europäern, doch verbergen sie die Sache nicht, wenn sie zufällig
bei ihren Mahlzeiten überrascht werden. Nicht selten, namentlich auf
Ysabel, sieht man Armbänder von Menschenzähnen oder am Halse der
Eingeborenen hängen Finger, Ohren oder andere Teile _qu’on ne nomme
pas_. Nach ~Verguet~ scheint keinerlei besonderer Aberglauben hier mit
dem Kannibalismus verknüpft zu sein.[159]

+Neu-Hebriden.+ ~Cook~ und seine Begleiter, welche nicht „so lieblos“
sein wollten, die Bewohner der Neu-Hebrideninsel Tanna auf eine bloße
Vermutung hin der Anthropophagie zu beschuldigen, wurden verhindert,
in das Innere der Insel vorzudringen, wobei man ihnen andeutete, man
würde sie, falls sie weiter vorwärts gingen, fressen. „Sie deuteten
durch Zeichen sehr verständlich an, daß sie einen Menschen zuerst
totschlügen, hierauf die Glieder einzeln ablöseten und dann das Fleisch
von den Knochen schabten. Endlich setzten sie die Zähne an den Arm,
damit uns gar kein Zweifel übrig bleiben sollte, daß sie wirklich
Menschenfleisch äßen.“[160] Und noch wiederholt geschah während der
Anwesenheit des Entdeckers dasselbe, so daß schon damals kein Zweifel
darüber herrschen konnte, die Bewohner von Tanna seien Anthropophagen.
~G. Forster~, nach dem Grunde forschend, ruft dann aus: „Gemeiniglich
pflegt man dieselbe dem äußersten Mangel an Lebensmitteln Schuld zu
geben; allein was für einer Ursache will man sie hier beimessen, wo
das fruchtbare Land seinen Einwohnern die nahrhaftesten Pflanzen und
Wurzeln im Überfluß und nebenher auch noch zahmes Vieh liefert? Wohl
ungleich wahrscheinlicher und richtiger läßt sich diese widernatürliche
Gewohnheit aus der Begierde nach Rache herleiten.“[161]

Die Neu-Hebriden-Bewohner sind, wie die übrigen Melanesier, bis zu
dieser Stunde greuliche Kannibalen. Der Missionar ~George Turner~, der
lange auf Tanna lebte, bemerkt von den dunkelfarbigen Eingeborenen:
„Wenn der Körper eines Feindes erhalten wird, richtet man ihn für
den Ofen her und serviert ihn bei der nächsten Mahlzeit mit Yams.
Es kann darüber kein Zweifel herrschen. Sie sind ganz erpicht auf
Menschenfleisch und verteilen es in kleinen Bissen weit und breit unter
ihre Freunde als eine köstliche Speise. Ich erinnere mich eines Tages
mit einem Eingeborenen darüber gesprochen zu haben und versuchte, ihm
die Sache vergeblich zuwider zu machen. Er nahm alles mit herzlichem
Lachen auf und antwortete: ‚Schweinefleisch ist gut für Sie, dies aber
paßt für uns,‘ und indem er mich wie durch die That überzeugen wollte,
biß er in seinen Arm und schüttelte ihn, als ob er mit den Zähnen ein
Stück herausbeißen wollte. Auf anderen Inseln ist es anders, doch auf
Tanna ziehen kannibalische ‚Kenner‘ einen schwarzen Mann einem Weißen
vor. Der letztere, sagen sie, schmecke ‚salzig‘. Sie betrachten alles,
was ihnen in den Weg kommt, als ‚Fisch‘, wie die Niedermetzelungen
weißer Männer gezeigt haben.“[162]

Wie auf Tanna, so liegen die Verhältnisse auf den übrigen Eilanden
der Neu-Hebriden, auf Erromango[163], Malikollo, Espiritu Santo. Von
dieser nördlichen Insel haben wir einen den Kannibalismus bestätigenden
Bericht des dort wohnenden Missionars ~John Goodwill~, der vom 24.
Juni 1873 datiert ist.[164] Es herrschte einer der häufigen Kriege
unter den Eingeborenen. „Der zwei Miles von meiner Station wohnende
Häuptling tötete fünf ‚Buschleute‘ und verteilte sie unter die uns
befreundeten Dorfbewohner, damit sie sich daran ergötzen möchten.
Ich that alles, was in meiner Macht stand, sie davon abzuhalten
und erklärte ihnen, wie abscheulich der Kannibalismus sei. Ihre
ständige Antwort aber war: Es waren Ihre Feinde, die Sie zu töten
und auszuplündern suchten; sie stahlen Ihre Hühner, zerbrachen Ihre
Fenster, Möbel u. s. w. und das ist Grund genug, sie zu töten und zu
verzehren.“

Auch der Schweizer ~O. Rietmann~, welcher die Neu-Hebriden besucht hat,
bemerkt nach den Angaben dortiger Missionare, daß die Eingeborenen von
Mallicolo arge Kannibalen seien. Während er sich auf Deck die Hände
wusch, kam ein Schwarzer grinsend auf ihn zu, ergriff seinen Arm und
gab zu verstehen, daß der gut zu essen sei. Sein Geberdenspiel und das
mehrfach wiederholte Wort kaikai, daß in den meisten Dialekten der
Gruppe „essen“ bedeutet, zeigten genügsam an, wonach ihn gelüstete.
„Wenn, sagt ~Rietmann~, unter den Eingeborenen Australiens manche
Stämme Kannibalen sind, so erklärt sich das. Die Natur hat sie nur
karg mit Nahrung aus dem Tier- und Pflanzenreiche beschenkt und man
begreift, daß solche Wilden ihre Zuflucht zu Menschenfleisch nehmen.
Aber auf den von der Natur geradezu beglückten Inseln der Südsee bringt
die Natur nahrhafte und wohlschmeckende Pflanzen in Fülle hervor: Yams,
Taro, Brotfrucht, Bananen und viele andere; den Eingeborenen stehen
Schweine, Vögel und Fische zu Gebote, und doch sind sie auf manchen
Eilanden die eingefleischtesten Kannibalen.“[165]

Noch einige Nachrichten finden wir bei ~Eckardt~.[166] Nach ihm
ward auf Aneityum 1853 der letzte Mensch gefressen; an den Küsten
derjenigen Inseln, wo häufig Europäer verkehren, ist die Anthropophagie
verschwunden, doch im Innern dauert sie fort; so bei den Ermama
Kararei, den Buschleuten, auf Tanna. Das Schiff Rosario konstatierte
1871 beim Besuche Espiritu Santos noch unverblümte Vorliebe für
Menschenfleisch. Auf Vaté dagegen liefert man die im Kriege
Erschlagenen den Verwandten gegen eine Anzahl Schweine aus.

+Neu-Caledonien.+ Als ~Cook~ 1774 Neu-Caledonien entdeckte, erkannte
er die seitdem festgestellte Anthropophagie der Eingeborenen nicht,
ja er erzählt sogar eine Geschichte, wie die Insulaner sich erstaunt
und angeekelt von den Matrosen abgewendet hätten, welche einen
Rinderknochen benagten, wobei sie nicht undeutlich zu verstehen gaben,
daß sie glaubten, jene nagten an Menschenknochen, da ihnen größere
Säugetiere völlig unbekannt waren.

Alle späteren Reisenden und namentlich die auf Neu-Caledonien
angesiedelten Franzosen bestätigen dagegen den ausgedehnten
Kannibalismus der schwarzen Eingeborenen. Der Schiffsarzt ~Rochas~
sagt trocken, wenn auch nicht ganz richtig: _L’anthropophagie est
purement alimentaire chez les Néo-Calédoniens._ Sie führen Krieg aus
keinem anderen Grunde als um sich Fleisch zu verschaffen, da in ihrem
Lande von Säugetieren nur eine Fledermausart vorkommt, die nicht eßbar
ist. Nach dem Kampfe werden die wenigen Toten in Stücke zerhackt und
unter die Häuptlinge verteilt. Die Neu-Caledonier ziehen das Fleisch
ihrer Landsleute demjenigen der Europäer vor, da letzteres ihnen zu
salzig schmeckt. Daß die Häuptlinge allein das Recht haben die Körper
der Feinde zu verzehren beruht auf angemaßtem Privileg; sie verteilen
dann das erhaltene Fleisch in ihren Familien.[167] Völlig beglaubigt
ist der Fall, daß im Jahre 1850 fünfzehn Mann von der Besatzung des
französischen Kriegsschiffs Alcmène von den Neu-Caledoniern erschlagen
und verzehrt wurden.[168]

Noch weit eingehender spricht sich der Ingenieur ~Jules Garnier~
über den Kannibalismus aus. Sein Besuch Neu-Caledoniens fällt in das
Jahr 1864, er hat vortrefflich darüber geschrieben und wiederholt
mit eigenen Augen die Kannibalenschmausereien gesehen.[169] Die
Gegend, in welcher er beobachtete, ist der Distrikt von Houagap an
der Nordostküste, wo von befreundeten Eingeborenen sehr häufig den
französischen Postenkommandanten das Fleisch von erlegten Feinden
angeboten wurde. ~Garnier~ wohnte einem Pilufeste des Widustammes bei,
der die französische Herrschaft anerkannt hat. Im Schein des Feuers sah
er zwölf Häuptlinge sitzen, zwischen denen auf Bananenblättern Stücke
gebratenen Menschenfleisches mit gekochten Yams und Tarowurzeln lagen.
Es waren die Leichen der im Kampfe erschlagenen Feinde, welche das
Material zu dem gräßlichen Mahle geliefert hatten. Folgen ekelhafte
Einzelheiten, die wir hier übergehen.

~Garnier~ hat sich die Frage vorgelegt, wie die Neu-Caledonier und die
Melanesier überhaupt zu der gräßlichen Sitte gelangt sind und teilt
uns ein Gespräch mit, das er darüber mit einem Neu-Caledonier geführt
hat. Dieser erklärte die Sache damit, daß die Europäer andere und
bessere Speisen hätten; für die Neu-Caledonier aber sei Menschenfleisch
das beste. Das wäre also eine physiologische Entschuldigung der
Unsitte. Übrigens benutzte man nicht bloß erschlagene Feinde und
Kriegsgefangene, sondern auch Übelthäter zum Verzehren; letztere wurden
auf Befehl des Häuptlings getötet. Ferner wurden alte Leute und zwar
mit ihrer Genehmigung den Göttern geopfert und gegessen. Endlich sollen
nach ~Garnier~ auch mißgestaltete Kinder von ihren eigenen Eltern
geschlachtet und gefressen werden.

Auch der Missionar ~X. Montrouzier~, welcher zwanzig Jahre auf
Neu-Caledonien zugebracht hat, ist in der Lage gewesen sehr eingehend
über die dortige Anthropophagie zu berichten. Die Insel ist in zwei
große Conföderationen gespalten, die der Ot und die der Wawap. Die
Kriege zwischen beiden werden bis aufs Messer geführt und diejenigen,
welche in der Schlacht fallen, werden von den Siegern verzehrt, deren
Erfolg nicht als vollständig gilt, wenn sie sich nicht die Leichen der
Feinde verschaffen können. Alte Rivalität, bei dem geringsten Anlasse
erneut, führt zu diesen Kriegen, die man außerdem zu bestimmten Zeiten
unternimmt. So pflegte der zu den Ot gehörige Stamm der Puebo alle fünf
Jahre den zu den Wawap gehörigen Stamm der Balade zu überfallen.

Abgesehen von den Kriegen haben die Neu-Caledonier noch andere Mittel
sich Leichen für den Ofen zu verschaffen. Dahin gehört zunächst die
Anklage wegen Zauberei und jeder, der einmal angeklagt wird, ist
sicher, auch geopfert zu werden, denn Anklage und Verurteilung sind
eins. Die Häuptlinge pflegen hiervon reichlichen Gebrauch zu machen.

Auch bei den Festlichkeiten verschafft man sich Menschenfleisch,
indem man einen oder mehrere der geladenen Gäste tötet. Der Häuptling
bestimmt seinen Vertrauten das Schlachtopfer; ein plötzlicher
Tumult wird erregt und der Betreffende dabei erschlagen, nur um
das nötige Fleisch zum Feste zu liefern. Die Häuptlinge töten oft
ihre eigenen Untertanen, um sich Fleisch für Gäste zu verschaffen,
wofür ~Montrouzier~ verschiedene Beispiele anführt. Daß aber die
Schlachtopfer vorher gemästet werden, bestreitet der Missionar auf das
Entschiedenste.[170]

Wenn nun im Jahre 1873 ~Balansa~ von Neu-Caledonien schreibt:
_Aujourd’hui heureusement cette horrible coutume a disparu de
l’île_[171], so müssen wir dem leider das viel jüngere Zeugnis
~Moncelon~’s gegenüberstellen, welcher noch heute vorkommende Fälle
von Anthropophagie erwähnt; namentlich werden Weiber weggefangen und
verzehrt. Auch er führt teils Hunger, teils Rachsucht als Motive
an.[172]

Auf den Loyalitätsinseln bei Neu-Caledonien haben wir das Aufhören der
Anthropophagie den Missionaren zu verdanken. Trotz des Zwiespaltes, in
den die Eingeborenen durch die einander feindlich gegenüberstehenden
katholischen und protestantischen Missionare gerieten, ist dort ein
Fortschritt zu bemerken gewesen, aber mit diesen eine totale Umwälzung
unter den Eingeborenen hervorrufenden Fortschritten ist auch ihr
Untergang besiegelt. Sie nehmen an Zahl stark ab. _L’idolatrie a
disparu depuis peu d’années, et avec elle l’anthropophagie et tous les
maux qu’elle entraîne. A des tribus indépendantes et en état de guerre
presque permanent, guerres qui le plus souvent avaient pour enjeu la
chair humaine, une religion toute de paix est venue._[173] So wie
auf der Hauptinsel Lifu liegen auch die Verhältnisse auf den beiden
kleinern Inseln Maré und Uea.

Noch 1845 fand ~Turner~ auf Maré den gräßlichsten Kannibalismus,
der ganze Körper wurde in sitzender Stellung, die Beine zum Kinn
heraufgezogen, im Ofen gebraten und so aufgetischt.[174]

+Fidschi-Inseln.+ Auf diesen, wo der Kannibalismus zu den sozialen
Einrichtungen gehörte, hat derselbe wohl seinen höchsten Grad erreicht.
Die Ursachen dafür sind auch dort verschiedener Art. Wir erkennen
dieselben am besten, wenn wir dem Berichte des Missionars ~Thomas
Williams~ folgen[175], der sich längere Zeit auf den Inseln aufhielt.

Daß nicht bloß Geschmack am Menschenfleisch die Insulaner zum
Kannibalismus trieb, erkennt man daran, daß derselbe im Zusammenhang
mit den Tempelbauten oder dem Stapellauf der Kähne vorkam. Menschen
wurden als Walzen bei letzterem benutzt und dann den Zimmerleuten
zur Speise übergeben. Das Deck der neuen Kähne wurde mit Menschenblut
abgewaschen; wird der Mast zum ersten Male niedergeholt, so schlachtet
man ebenfalls Menschen ab und verspeist sie. Hier liegt sicher ein
abergläubisches Motiv zu Grunde: durch die Menschenopfer wollte man den
Kähnen glückliche Fahrt verschaffen.

Daß die natürlichen Todes Gestorbenen verzehrt wurden, leugnet
~Williams~; man begrub dieselben stets. Auch die im Kriege Erschlagenen
wurden nicht immer alle gefressen; denn die Leichen Hochstehender
wurden davon zuweilen ausgenommen. Auch ist manchmal die Masse des
vorhandenen Menschenfleisches zu groß, um verzehrt werden zu können, so
daß man Stücke wegwarf. Im Jahre 1851 wurden einmal zu Namena fünfzig
Kadaver gleichzeitig gekocht, es war Überfluß an Fleisch vorhanden,
so daß man die Köpfe, Hände, Eingeweide wegwarf und nur das übrige
verzehrte. Ist wenig Menschenfleisch vorhanden, so verzehrt man jedoch
alles am Körper.

Wenn die Körper für den Ofen zugerichtet werden, so wird dieses
durch einen besonderen Trommelschlag kund gethan. „Bakolo“, der für
das Kannibalenmahl bestimmte Körper des Erschlagenen, wird unter
bestimmten, von ~Williams~ mitgeteilten Gesängen und Kriegstänzen
herangeschleppt, vor dem Häuptling niedergeworfen und von diesem dem
Priester übergeben, um ihn dem Kriegsgott zu opfern -- woraus ein
religiöses Motiv sich für diese Form des Kannibalismus ergiebt. Während
der große Ofen geheizt ist[176], zerlegt ein Fleischer kunstgerecht
den vorher gewaschenen Körper; die einzelnen Teile werden in Blätter
gewickelt und dann auf die heißen Steine gelegt. Zuweilen werden die
Kadaver auch ganz, in sitzender Stellung gebraten. Kocht man dagegen
das Menschenfleisch, so löst man es vorher von den Knochen.

Wie sehr auch Rachsucht beim Kannibalismus dieser Insulaner das Motiv
ist, erkennt man daraus, daß, als 1850 Tuikilakila seinen eigenen ihm
feindlichen Vetter Ratu Rakesa besiegte, ersterer nicht zugab, daß
der Leichnam des letzteren begraben wurde. Er ließ ihn dem Kriegsgott
opfern und sprach dabei: „Wäre ich in seine Hände gefallen, so hätte er
mich verzehrt; nun er mein ist, verzehre ich ihn“. Daß aber auch reine
Genußsucht nach Menschenfleisch Beweggrund für die Anthropophagie
ist, ergiebt sich aus folgendem abscheulichen Fall. Ein gewisser Loti
ging mit seinem Weibe in die Taropflanzung, um dort zu arbeiten. Als
das Werk gethan war, ließ er sie Holz holen, den Ofen heizen und einen
Bambussplitter herbeibringen, um die Speise zu zerlegen. Nachdem sie
gehorsam dieses ausgeführt, erschlug er das Weib, kochte und verzehrte
er es, wobei ihm von einem Bekannten Gesellschaft geleistet wurde.
Niemals hatte der Unmensch mit dem Weibe, mit dem er ruhig lebte,
Streit gehabt. Schiffbrüchige verzehrt man regelmäßig, da der Glaube
herrscht, das Meer habe sie nur darum nicht verschlungen, damit sie
verspeist werden könnten.

Einzelne heidnische Häuptlinge verabscheuten allerdings den
Kannibalismus und konnten nie dazu vermocht werden Menschenfleisch zu
essen. Diese aber waren Ausnahmen von der Regel. Die Anthropophagie war
weit verbreitet und Menschenfleisch galt als Delikatesse. Man raubte
Menschen um sie zu fressen. Dabei wurde weder Alter noch Geschlecht
verschont, Kinder wie Greise wanderten in den Ofen. Herz, Schenkel
und Oberarm galten als die größten Leckerbissen, der Kopf war weniger
beliebt.

Die Weiber aßen selten „Bakolo“ und einigen Priestern war es verboten.
Auf der Insel Moala wurden sogar oft die Gräber geöffnet, um die
Leichen daraus als Nahrung zu verwenden. Häuptlinge sandten zuweilen
ihren Freunden Leichname als Geschenk in weite Entfernung. Während
der Insulaner sonst alles Fleisch nur im durchaus frischen Zustande
verzehrt, erregt ihm faulendes Menschenfleisch keine Abscheu.
Gewöhnlich kocht man Menschenkörper allein und die Öfen und Töpfe, in
denen sie zubereitet wurden, sind ebenso streng tabu wie die bei der
Mahlzeit benutzten Schalen und Gabeln. Zuweilen dienen die Schädel
der Opfer als Trinkschalen, aus den Schienbeinen macht man Nadeln zum
Segelnähen. Der schrecklichste, bei der Anthropophagie vorkommende
Brauch jener Insulaner, ist aber das vakototoga, die Tortur, wobei dem
noch lebenden Feinde Stücken Fleisch vom Körper abgeschnitten, dann
gekocht und vor seinen Augen verzehrt werden. ~Williams~ erzählt von
einem Häuptling, der 900 Menschen verzehrt hatte, deren Zahl durch
aufgestellte Steine bezeichnet wurde.

Während die Polynesier bis zur Zeit der Ankunft der Europäer die
Töpferei nicht kannten, besaßen die Fidschi-Insulaner schon Töpfe und
in diesen kochten sie ihre Speisen, zumal auch das Menschenfleisch.
Noch mehr, sie bedienten sich auch der Gabeln, was um so mehr auffallen
muß, als dieses Kulturinstrument selbst bei uns in Europa ziemlich
späten Datums ist. Wir wissen, daß sie zu ihren Kannibalenmahlzeiten
ganz besondere, aus Holz geschnitzte Gabeln gebrauchten, die als
Erbstücke in den Familien sich erhielten und mit individuellen Namen
belegt waren, wie denn die Gabel eines Häuptlings, der sich durch
großen Kannibalismus auszeichnete, undro-undro hieß, d. h. „ein kleines
Ding, das eine große Last trägt.“[177]

~Williams~, der durchaus glaubwürdige Missionar, sagt ausdrücklich,
daß er in seinem Berichte alle Färbung vermieden habe und daß er das
schauderhafte Bild durch Mitteilung mancher Einzelheiten noch düsterer
habe gestalten können. Es wird anderweitig genügend bestätigt.

Wer sich für die scheußlichen Einzelheiten interessiert, die bei den
Kannibalenmahlzeiten der Fidschi-Insulaner stattfinden, der möge den
Bericht des englischen Matrosen ~John Jackson~ nachlesen, der 1840-42
freiwillig unter ihnen lebte.[178] Diese eingehenden und ausführlichen
Berichte liegen allerdings vierzig und fünfzig Jahre zurück. Seitdem
haben die Fidschi-Inseln, die jetzt britische Besitzung sind, auch
eine europäische Bevölkerung, wenigstens an ihrem Rande und auf den
kleinen Eilanden erhalten: der 1883 verstorbene König Thakombau war
Christ geworden, die Missionare sind thätig und die Anthropophagie
hat abgenommen. Aber ganz ausgerottet ist sie noch keineswegs, und
der Insulaner, der heute als guter Christ erscheint, kann morgen,
wenn Gelegenheit sich bietet, wieder plötzlich in die alte Gewohnheit
zurückverfallen. Fälle von Kannibalismus sind nicht ganz selten und man
darf die Insulaner noch zu den Anthropophagen rechnen. Im Juli 1867
verließ der zu Mbau angesiedelte wesleyanische Missionar ~T. Baker~
nebst mehreren Gefährten, trotz verschiedener wohlgemeinter Warnungen,
seine Station, um im Innern von Viti Levu bei dem Stamme der Navosa
das Christentum zu predigen: Er wurde erschlagen und verzehrt.[179]
Glücklicher passierte dieselbe Stelle zwei Jahre vorher Dr. ~Eduard
Gräffe~, der über den Kannibalismus, wie er gegenwärtig auf den
Fidschi-Inseln herrscht, bemerkt, daß wesentlich der Geschmack am
Menschenfleisch dort die noch nicht ganz ausgerottete Anthropophagie
begründe.[180]

Indessen haben wir doch gesehen, daß außer der reinen Gourmandise,
welche allerdings bei den Fidschi-Insulanern in Bezug auf
Menschenfleisch nicht geleugnet werden kann, noch anderweitige
Beweggründe der Anthropophagie auf diesen Inseln herrschte. Auch
~Erskine~[181] berichtet, daß die erschlagenen Feinde den Göttern
geweiht wurden, bevor man sie fraß.

Die Weihung der zu Fressenden den Göttern, das Tabu, welches dabei
über manche Gegenstände ausgesprochen war, beweisen den ursprünglich
religiösen Beweggrund der Anthropophagie, wozu dann noch Rachsucht
sich gegen den erschlagenen Feind gesellt, die schließlich in
Feinschmeckerei und gewohnheitsmäßigen Menschenfleischgenuß überging.
So haben wir eine völlige Skala.

Ein furchtbarer Ausbruch des Kannibalismus, der wie eine Seuche ganze
Distrikte erfaßte und an dem auch bereits „bekehrte“ Stämme Teil
nahmen, fand im Jahre 1873 statt. Besonders waren die Kannibalen,
die Alles mordeten und fraßen, was ihnen unter die Hände kam, darauf
erpicht, „einen Jehovapriester zu fressen“, was ihnen indessen nicht
gelang. Die Einzelheiten schildert der zu Rewa angesessene Missionar
~A. J. Webb~.[182]

+Sandwich-Inseln.+ In Melanesien, wo die Anthropophagie bis auf unsere
Tage herrscht, scheint dieselbe den Höhepunkt erreicht zu haben; in
Polynesien dagegen ist sie heute bis auf geringe Reste verschwunden.
Der Einfluß der Missionare hat hier durchgreifend gewirkt, er konnte
dieses um so mehr, als bereits im verflossenen Jahrhundert die
Entdecker jene Unsitte im Absterben begriffen sahen. Daß sie aber einst
allgemein über Polynesien verbreitet war, darf nicht bezweifelt werden.

Da ~Gerland~ eine sehr große Anzahl von Belegstellen für den
Kannibalismus der Polynesier zusammengestellt hat[183], so können wir
uns hier etwas kürzer fassen.

Auf den Hawaiischen Inseln war wohl schon zu ~Cook~s Zeiten die
Menschenfresserei in der Abnahme begriffen, ja man schämte sich
derselben. Daß Teile von ~Cook~s Leichnam selbst verzehrt worden
seien, wie wohl angegeben wurde, ist noch neuerdings von Dr. ~Winslow~
eingehend widerlegt worden, der überhaupt die Sandwich-Insulaner von
der Anthropophagie freisprechen möchte.[184] Letzteres ist indessen
ein vergebliches Beginnen, indem, nach ~Forster~, die Hawaier selbst
erzählten, daß ihre Vorfahren Kannibalen gewesen seien; als ein Rest
der Anthropophagie muß auch angesehen werden, daß der König bei seiner
Einweihung that, als ob er das ihm dargereichte linke Auge eines
geopferten Menschen verschlinge. ~John Turnbull~, der in den ersten
Jahren unseres Jahrhunderts die Südsee durchkreuzte, bemerkt dieses
und glaubt überhaupt, daß zu seiner Zeit noch Anthropophagie vorkam.
Er fand den Spucknapf des Königs mit den Zähnen erschlagener Feinde
ausgelegt.[185] Durch das Verzehren des linken Auges glaubte man die
Kraft des Herzens des Opfers in sich aufzunehmen.

+Markesas-Inseln.+ Ist, wie von anderen polynesischen Eilanden, auch
die Anthropophagie der Eingeborenen der Markesas-Inseln geleugnet
worden, so kann daran doch keineswegs gezweifelt werden, wenn auch
ein allmähliches Eingehen des Kannibalismus daselbst beachtet wurde,
so daß derselbe gegenwärtig fast erloschen ist. Bemerkenswert bleibt,
daß die Weiber sich an den Kannibalenschmausereien ebensowenig wie die
Kinder beteiligen durften. Allgemein ausgeübt wurde sie nur im Kriege,
wo man namentlich Augen und Herz, letzteres roh, verschlang. Von den
Menschenopfern durften nach ~Ellis~ außer den Priestern nur Häuptlinge
und Greise essen.

~Camille de Roquefeuil~, ein französischer Seemann, welcher 1817 auf
den Markesas-Inseln des Sandelholzhandels wegen war, fand damals die
Anthropophagie noch in voller Blüte. Sein Gewährmann war ein lange
Zeit auf den Inseln ansässiger Engländer Namens ~Ross~, der ihm
berichtete, wie 1815 noch die ganze Mannschaft eines europäischen
Bootes von den Einwohnern Wahitoas niedergemetzelt und verzehrt wurde.
In viele feindliche, sich stets untereinander bekriegende Parteien
getrennt, rieben sich die Insulaner untereinander auf. Die Leichen
der erschlagenen Feinde sowie die Kriegsgefangenen wurden regelmäßig
verzehrt und es gab nur eine Ausnahme von dieser Regel, nämlich dann,
wenn die Priester im Namen ihrer Eatuas (Götter) dagegen einkamen.
Gewöhnlich rettete diese Weihung das Leben des Gefangenen nicht, aber
er wurde wenigstens nicht gefressen und man beerdigte ihn bei den
Hütten, wo die Fetische in die Erde verscharrt waren.[186]

Berichte aus der jüngsten Zeit, welche die Anthropophagie der
Markesaner bestätigen, sind folgende. Dem Irländer ~Lamont~, der 1852
als Geschäftsmann Nukahiwa besuchte, wurde in der Hanapae-Oao-Bucht
von den Eingeborenen ein Ofen gezeigt, welcher kurz vorher erbaut war,
um einen weißen Ansiedler zu braten, weil er einen der Ortshäuptlinge
erschlagen.[187]

Im Jahre 1872 unternahm die französische Fregatte „La Flore“ eine
Expedition nach verschiedenen Inseln der Südsee und besuchte auch
die Markesas. Berichte von dieser Reise hat der Schiffsfähnrich
~Julien Viaud~ veröffentlicht und in einem derselben sagt er: Die
Anthropophagie ist auf Nukahiwa seit mehreren Jahren erloschen und
herrschte jetzt nur noch auf der Nachbarinsel Hivaoa (Dominica).[188]
Noch neuer ist der Bericht ~Clavel~s. Dieser hält es für ausgemacht,
daß die Anthropophagie auf den Markesas nicht in der Vorliebe für
den Genuß von Menschenfleisch, sondern nur in der Befriedigung der
Rachsucht begründet sei. Seine Anschauung begründet er durch folgende
Beispiele: Vor wenigen Jahren wurde ein verstümmelter Leichnam
gefunden; infolge der deshalb angestellten Untersuchung stellte sich
heraus, daß die Mörder kleine Stückchen vom Fleisch des Ermordeten
in Zündholzschachteln mit sich genommen und zwischen ihrer Nahrung
genossen hatten. Ein Häuptling von Hatihéu, der seine Schwiegermutter
verzehrt hatte, gab auf ~Clavel~s Frage, ob sie gut geschmeckt habe,
eine abweisende Antwort. Jetzt ist die Anthropophagie dort so gut wie
erloschen.[189]

+Paumotu.+ Ursprünglich sind alle Bewohner der Paumotu-Inseln
Anthropophagen gewesen und auf den östlichen sind sie es noch jetzt,
was ihren Zusammenhang mit den Rarotongern (Hervey-Gruppe) beweist, bei
denen das Menschenfressen allgemein geübt wurde; auf den westlichen
Inseln ist es aber schon vor der Einführung des Christentums durch den
Einfluß der Tahitier unterdrückt worden.[190] Auf dem östlich von den
Niedrigen Inseln gelegenen +Rapanui+ (Osterinsel) _cannibalism was
practised four or six years since_ (1862 oder 1864); _some Spaniards
were eaten_.[191]

+Gesellschaftsinseln.+ ~Meinicke~ nimmt an, auf Tahiti sei die
Anthropophagie niemals Sitte gewesen.[192] Indessen da alle übrigen
polynesischen Inseln sie kannten und teilweise noch kennen, so wird
auch Tahiti keine Ausnahme gemacht haben, wenn auch der Kannibalismus
dort zur Zeit der Entdecker schon in den letzten Zügen lag. Nur um zu
prahlen, verschlangen dort einige Leute ein paar Bissen Rippenfett
wie ~Cook~ und ~Ellis~ bezeugen, und das Darreichen des Auges
eines Geopferten war hier so gut Sitte wie auf den Sandwich- und
Samoa-Inseln. ~Wilson~ berichtet darüber folgendermaßen: Motuaro, das
Oberhaupt von Eimeo, leistete dem jungen Könige (Pomare, Otu), der
auf den Schultern eines Mannes getragen wurde und von allen seinen
Vornehmen umgeben war, seine Huldigung. Er brachte von Eimeo drei
Menschenopfer, der Priester höhlte von jedem ein Auge aus und reichte
es auf einem Pisangblatte dem Oberherrn dar. Zugleich hielt er dabei
eine feierliche Rede; die toten Körper wurden hierauf fortgetragen und
im Morai begraben. Dieselbe Ceremonie wurde hernach von einem jeden
Oberhaupte oder Fürsten der verschiedenen Distrikte wiederholt. Einige
brachten ein, andere zwei Menschenopfer; sie waren an einem langen
Pfahl befestigt und wurden nach Überreichung des Auges beerdigt.

„Man erklärte die grausamen Opfer auf folgende Art: der Kopf wird für
heilig gehalten, und das Auge für dessen kostbarsten Teil. Dies wird
daher dem Könige, als des Volkes Haupt und Auge, überreicht. Bei der
Überreichung des Auges sperrt der König den Mund auf, +als ob er es
verschlingen wolle+. Hierdurch glauben sie, erhalte er großen Zuwachs
von Weisheit und Klugheit; auch glauben sie, daß ein Schutzgott
bei dieser Feierlichkeit zugegen sei, das Opfer annehme und durch
Mitteilung von mehr Lebenskraft die Seele des Königs stärke.“[193]
~Ellis~ erzählt Kannibalengeschichten von der kleinen westlich von
Tahiti gelegenen Insel Tapamanoa.[194]

Ist dies schon als Rest der ehemals auf Tahiti herrschenden
Anthropophagie aufzufassen, so erhalten wir hierfür weitere Bestätigung
durch ein von Cook mitgeteiltes Märchen: In den Bergen der Insel lebten
vor Zeiten zwei Kannibalen, die großen Schaden verursachten. Zwei
Brüder machten sich auf, sie zu töten, luden sie ein und setzten ihnen
glühende in Brotfruchtteig gehüllte Steine vor. Der erste Kannibale
starb daran; der zweite aber, gewarnt durch das Zischen der heißen
Steine im Halse seines Gefährten, wollte nicht essen. Da überredeten
ihn die Brüder, die Wirkung ginge rasch vorüber. Jener aß und starb.
Die Brüder zerschnitten die Leichen der Menschenfresser und begruben
sie. Eines der Weiber der Kannibalen, das zwei große Hauzähne hatte,
aber kein Menschenfleisch aß, wurde nach seinem Tode unter die Götter
versetzt. ~G. Forster~ schloß ganz richtig aus diesem Märchen, daß
hierdurch auf ehemals weiter verbreitete Anthropophagie hingewiesen
werde[195], was auch daraus erhellt, daß die Tahitier direkt zu ~Cook~s
Leuten ihre Vorfahren als _Tahe-ai_, Menschenfresser, bezeichneten.[196]

+Samoa-Inseln.+ Hier ist der Kannibalismus jetzt erloschen. Daß
er herrschte, darf nicht bezweifelt werden, wenn auch nur noch
spärliche Anzeichen für denselben aufgefunden werden können. ~George
Turner~ berichtet, daß bei den Kriegen der Eingeborenen gelegentlich
ein Leichnam gekocht wurde, doch war dies stets ein wegen seiner
Grausamkeit berüchtigter Feind, von dem zu essen, als der Gipfelpunkt
des Hasses und der Rache betrachtet wurde, nicht etwa um einem Gelüste
zu fröhnen. Letzteres war jedoch in alten Zeiten wohl der Fall. „Ich
will dich braten“, ist die größte Beleidigung, die man einem Samoaner
zurufen kann, ja ein Häuptling erklärte auf diesen Schimpf hin Krieg.
Stolze Häuptlinge verließen die Missionskapelle, wenn eingeborene
Prediger vom höllischen Feuer berichteten. Unterwirft sich ein
kriegführender Teil dem andern, so ist es Sitte, sich vor dem Sieger zu
beugen und Brennholz und ein Bündel Laub emporzuhalten, wie sie beim
Braten der Schweine benutzt werden, gleichsam als wollten sie sagen:
„Töte und koche uns, wenns dir beliebt.“[197]

Nach ~W. J. Pritchard~ dem Jüngern sind die Samoa-Insulaner zwar im
allgemeinen von der Anthropophagie freizusprechen; doch kommen einzelne
Fälle noch immer vor, wenn auch hierbei eine gewisse Renommage der
bewegende Grund zu sein scheint.[198]

Auf der nordwestlich von den Samoa-Inseln gelegenen Insel Rotumah, die
gleichfalls von Polynesiern bewohnt ist, erscheint die Anthropophagie
erloschen; als in ~Turner~s Gegenwart 1845 einige Maoris die dortigen
Insulaner aufforderten, die Leichen der im Kriege Gefallenen zu
verzehren, wiesen die Eingeborenen dies mit Abscheu zurück.[199]

+Tonga-Inseln.+ Auf diesen war gleichfalls zur Zeit der Entdecker die
Anthropophagie im Erlöschen und kam nur noch infolge von Hungersnot,
wo nach ~Mariner~ auch Weiber sich beteiligten, oder als Äußerung des
Hasses vor. Ein beleidigter Insulaner erschlug seinen Feind, schnitt
ihm die Leber, den Sitz der Leidenschaften, heraus und tauchte sie,
zum Entsetzen der übrigen Tonganer, in sein Getränk. Die schlimmsten
Flüche auf Tonga sind nach ~Mariner~: „Koche deinen Großvater“ oder
„Grabe deinen Vater bei Mondlicht aus und friß ihn“. Weiße zu fressen,
galt für schädlich, da einige Tonganer, welche drei Weiße gefressen
hatten, nach dem Genüsse des Fleisches erkrankten und starben. Zu
~Mariner~s Zeiten (1818) hatten einige Tonganer auf den benachbarten
Fidschi-Inseln die Anthropophagie wieder gelernt und übten sie zur
Abscheu ihrer Landsleute aus.[200]

+Neu-Seeland.+ Als ~Cook~ auf seiner ersten Reise Neu-Seeland wieder
aufgefunden hatte und er beim Königin-Charlotte-Sund mit seinen
Begleitern ~Banks~ und ~Solander~ ans Land gegangen war, sollte er
sofort mit eigenen Augen beobachten, wie Maoris neben einem Hunde
auch Menschenfleisch verzehrten, das in Körben neben jenem lag. Auf
die Frage, warum sie denn nicht den im Wasser schwimmenden Leichnam
einer Frau äßen, antworteten jene, die Frau sei eines natürlichen
Todes verstorben und ihre Verwandte, sie aber verzehrten nur die
Leichen ihrer in der Schlacht erlegten Feinde. ~Georg Forster~ nimmt
Gelegenheit, die angezweifelte Anthropophagie der Maoris zu bestätigen
und macht die Bemerkung, daß dieses Volk weit über die erste Barbarei
hinaus sei, darum also die Menschenfresserei desselben um so mehr
auffalle. Mangel an animalischer Nahrung könne nicht die Ursache
dieses schrecklichen Gebrauches sein, denn überall gebe es Fische im
Überfluß, man züchte viel Hunde und auch an wilden Vögeln sei kein
Mangel. Was aber auch die Ursache sein möge, als sicher erscheine
die außerordentliche Vorliebe der Neu-Seeländer für Menschenfleisch.
Höchst wahrscheinlich, nimmt ~Forster~ an, liege Rachsucht zu Grunde
und mit der Zeit werde wohl der schauderhafte Gebrauch aufhören, wozu
die Einführung der europäischen Haustiere wohl auch das ihrige mit
beitragen werde.

Alle späteren Reisenden, sowie die Missionare bestätigten im vollsten
Maße die weite Verbreitung der Anthropophagie unter den Neu-Seeländern
und wenn die Missionare entsetzt darüber jammerten, antworteten die
Maoris: „Die großen Fische fressen die kleinen, Hunde fressen Menschen,
Menschen Hunde, Hunde einander, Vögel einander, ein Gott den andern.“

Aus den Überlieferungen der Maoris soll hervorgehen, daß der
Kannibalismus erst lange nach ihrer Einwanderung auf Neu-Seeland
aufkam und ~Hochstetter~ nimmt an, daß die Anthropophagie daselbst
zur Zeit der Entdeckung ihren Gipfelpunkt erreicht hatte; den Frauen
war übrigens der Genuß von Menschenfleisch nur in Ausnahmefällen
gestattet. Was den Ursprung der Menschenfresserei betrifft, so ist
derselbe Forscher der Ansicht[201], daß mit der Zunahme der Bevölkerung
auf den Inseln das Erträgnis der ohnehin wenig ergiebigen Jagd und
damit die einzige Quelle der Fleischnahrung immer spärlicher wurde,
und daß um neue Jagdgebiete, um gutes Ackerland und um ergiebige
Fischplätze Streitigkeiten entstanden, die zum Kriege führten. Durch
diese Kriege verwilderte der Geist des Volkes, die Feldarbeiten wurden
vernachlässigt, Not trat ein und Hunger im Verein mit Rachedurst und
Haß führten im Kriege zu den ersten Fällen des Kannibalismus. Aber
die Kriege dauerten fort, der Mangel an Fleischnahrung wird mit der
allmählichen Ausrottung der Tier- und Vogelarten (der Moas etc.), die
das Hauptjagdwild ausmachten, immer fühlbarer, und was anfangs nur in
der höchsten Not und in der äußersten Aufregung der Leidenschaften als
vereinzelter Fall vorgekommen, wurde nach und nach ein fürchterlicher
Brauch, der erst dann wieder aufhörte, als durch die Einführung
ergiebiger Nahrungsquellen dem Mangel und Elend abgeholfen und die
Grundursache der blutigen Kriege gehoben wurde. Das geschah mit der
Einführung der Schweine, Kartoffeln und Getreidearten durch die
Seefahrer zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Dazu kamen die wohlthätigen
Einflüsse des Christentums, das die wilden Sitten milderte und so
verzeichnet die Geschichte schon im Jahre 1843 -- siebzig Jahre nach
~Cook~ -- den letzten (?) wirklichen Fall von Kannibalismus.[202]

Dieser Ansicht ~Hochstetter~s widerspricht aber ~Georg Forster~s
Bemerkung auf das bestimmteste, daß zu seiner Zeit (~Cook~s zweite
Reise) an animalischer Nahrung kein Mangel auf Neu-Seeland gewesen sei
und auch wir sind geneigt, eher das von ~Forster~ hervorgehobene weit
verbreitete Motiv der Rachsucht als die Ursache der Anthropophagie
anzunehmen.

~Darwin~ führt an, daß schon zur Zeit, als er Neu-Seeland besuchte
(1835), der Kannibalismus dort selten gewesen sei[203]; indessen fällt
gerade in jene Zeit eine der kannibalischen Hauptthaten der Maoris.
Damals überfielen Neu-Seeländer die nach Osten zu gelegene Warekaûri-
oder Chatham-Insel, deren Eingeborene (sog. Moriori) sie zum großen
Teil erschlugen und verzehrten. „Die Grausamkeit der Kannibalen war
so raffiniert, daß die armen Geschöpfe das Holz herbeitragen und die
Ofen herrichten mußten, in denen sie gebraten werden sollten. Die zum
Schmause ausersehenen wurden dann in einer Reihe auf die Erde neben
den Öfen gelegt und von einem der Maorihäuptlinge durch Schläge mit
einem Mere (Steinkeule) getötet.“[204] Die Moriori waren, wie alle
Polynesier, früher selbst Anthropophagen gewesen.

Der heutigen dahinschwindenden Maorigeneration erscheint übrigens jene
alte Zeit nur wie ein Traum. Nachkommen jener Kannibalen sitzen im
Parlamente von Neu-Seeland und ~Hochstetter~ erzählt eine bezeichnende
Geschichte, welche darthut, wie bei den Maoris jetzt alles verschwunden
ist, was auf den Kannibalismus hindeutet. „Ein alter Häuptling, der mit
einem jungen Manne auf der Reise war, erinnerte sich, als sie an einem
Kriegspah vorbei kamen, vergangener Tage und erzählte seinem jungen
Freunde: ‚Siehe, hier haben wir deinen Vater gefangen, dort haben wir
ihn getötet und gegessen.‘ Der junge Mann hörte der Geschichte zu, als
ob sie ihn weiter gar nichts anginge; beide schliefen gemütlich in
demselben Zelte, aßen aus demselben Topfe und waren gute Freunde.“[205]

+Mikronesien.+ Hier war die Anthropophagie zur Zeit der Entdeckung so
gut wie verschwunden und nur wenig Tatsächliches liegt darüber vor.
Von den Kingsmill-Inseln sagt ~Wilkes~: „Die Körper der Erschlagenen
werden gewöhnlich nicht verzehrt; doch kommt es gelegentlich vor, daß,
wenn ein berühmter Krieger erschlagen wurde, die jungen Männer aus
Haß Teile seines Fleisches essen.“[206] Daß die Anthropophagie aber
einst über die verschiedenen Inselgruppen verbreitet war, dafür liegen
noch einzelne Andeutungen vor. So berichtet ~Chamisso~[207] von den
Marshall-Insulanern, daß beim Abschlusse eines Friedens dieselben vom
Fleische eines gefallenen feindlichen Häuptlings kosteten und sich den
Namen des gefallenen Häuptlings beilegten, eine Sitte, die häufig mit
kannibalischen Gewohnheiten verknüpft erscheint.

Daß auf den Pelew- oder Pelau-Inseln Anthropophagie niemals vorkam,
sucht ~Chamisso~[208] zu beweisen. Weder ~Wilson~ noch ~Semper~
berichten davon, obgleich sie das Kopfschnellen der Insulaner recht gut
kennen und bei dem besten und gründlichsten Kenner der Pelau-Inseln,
~Johann Kubary~, finden wir auch nur eine leise hierauf bezügliche
Andeutung, welche aber auch nur auf ehemals vorhandene Anthropophagie
hinweist. Die Bewohner der Insel Corror hatten nämlich jene von
Molegojok auf Baobeltaop als Menschenfresser geschildert, wiewohl
~Kubary~ dort keine Spur von Anthropophagie fand.[209] Hierbei bleibt
stets zu beachten, daß die Pelauer wesentlich Papuas sind, wiewohl
mit malayischem Blute durchsetzt, und daß fast überall noch die
Papuas heute als Anthropophagen auftreten, und der malayische Stamm
auch Kannibalen stellt. Wir glauben daher im Gegensatz zu ~Chamisso~
annehmen zu dürfen, daß die Pelauer allerdings früher Anthropophagen
waren.


  [140] United States Exploring Expedition. VII. 37.

  [141] Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt. 290.

  [142] ~W. Ellis~, Polynesian Researches. London 1829. II. 222.

  [143] De Papoewas der Geelvinksbaai door ~A. Goudswaart~. Schiedam
        1863.

  [144] Neu-Guinea und seine Bewohner. Bremen 1865. 48. Der Ansicht,
        daß +kein+ Kannibalismus auf Neu-Guinea herrsche, schließt sich
        auch ~Fr. Müller~ in seiner „Allgemeinen Ethnographie“ Wien
        1873. 109 an.

  [145] ~Albert S. Bickmore~, Reisen im Ostindischen Archipel. Aus dem
        Englischen. Jena 1869. 234.

  [146] Ocean Highways. Juni 1873. 115.

  [147] Seine Berichte stehen: Ausland. 1873. 964. Ocean Highways.
        Dezember 1873. 388. Mitteilungen der k. k. geographischen
        Gesellschaft in Wien 1873. 538. Nature, 4. Dezember 1873. 77.

  [148] A cruise among the cannibals. Ocean Highways. Dezember 1873.
        364.

  [149] Ocean Highways. Dezember 1873. 393.

  [150] ~Chalmers~ and ~Gill~. New-Guinea. London 1885. 48. 144. 234.

  [151] Naufrage et scènes d’anthropophagie à l’île de Rossel dans
        l’archipel de la Louisiade. Im Tour du Monde. IV. 87 (1861).

  [152] Missionar D. ~Carlo Salerio~ in ~Petermann~s Mitteilungen.
        1862. 342.

  [153] ~Salerio~ a. a. O. 343.

  [154] ~W. Powell~, Unter den Kannibalen von Neu-Britannien. Leipzig
        1884. 60. 82. 87. 219.

  [155] ~Spry~, Die Expedition des Challenger. Leipzig 1877. 245. 248.

  [156] Courte relation du voyage que fit ~Alvaro de Mendana~ à la
        récherche de la Nouvelle-Guinée, traduit de l’espagnol par
        ~M. Ed. Dulaurier~. Nouvelles Annales des Voyages. Juillet
        1852. -- ~Figueroa~, der auch eine Schilderung der Reise des
        ~Mendana~ 1612 in Madrid veröffentlichte, erzählt den Vorfall
        folgendermaßen: „Der Kazike sandte ~Mendana~ das Viertel
        eines Kindes mit Arm und Hand. Der spanische General ließ es
        in Gegenwart jener, die es gebracht, vergraben. Sie schienen
        beleidigt und verwirrt von dem schlechten Erfolge ihrer
        Gesandtschaft und schlichen mit gesenktem Haupte hinweg.“

  [157] Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. VIII. 96
        (1873).

  [158] A cruise among the cannibals. Ocean Highways. Dezember 1873.
        361.

  [159] Revue d’Ethnographie. IV. 214 (1885).

  [160] ~G. Forster~, Sämmtliche Schriften. II. 232.

  [161] ~Forster~ a. a. O. II. 243.

  [162] ~George Turner~, Nineteen Years in Polynesia. London 1861. 83.

  [163] Auf dieser Insel wurde am 20. November 1839 der „Apostel der
        Südsee“, ~Williams~, nebst seinem Gefährten ~Harris~ verzehrt.

  [164] The illustrated Missionary News. 1. Januar 1874.

  [165] ~O. Rietmann~, Wanderungen in Australien und Polynesien. St.
        Gallen 1868. 171.

  [166] ~M. Eckardt~, Der Archipel der Neu-Hebriden. Hamburg 1877. 15.

  [167] ~De Rochas~, Sur les Néo-Calédoniens. Bull. soc. d’Anthropol.
        1860. 414.

  [168] Bull. soc. d’Anthropol. 1862. 566.

  [169] ~Jules Garnier~, Voyage à la Nouvelle Calédonie. Tour du Monde.
        Vol. XVI. 11. Paris 1868.

  [170] Bull. soc. d’Anthropol. 1870. 30 ff.

  [171] ~B. Balansa~, Nouvelle Calédonie. Bull. d. l. soc. de
        géographie. 1873. 139.

  [172] Bull. soc. d’Anthropol. 1885. 363.

  [173] ~Balansa~, Les îles Loyalty. Bull. d. l. soc. de géogr. 1873.
        528.

  [174] ~G. Turner~, Nineteen years in Polynesia. London 1861. 427.

  [175] Fiji and the Fijians. London 1858. I. 205 ff.

  [176] Die Öfen sind bis 3 Meter tiefe und sehr weite Löcher in
        der Erde, welche mit Steinen ausgelegt sind und mit Holz
        geheizt werden. Sind die Steine heiß geworden, so legt man den
        zu kochenden Gegenstand darauf und deckt ihn mit Laub und Asche
        zu. ~Williams.~ I. 147.

  [177] ~Williams~, Fiji. I. 213.

  [178] Er ist abgedruckt im Appendix A. im Journal of a cruise among
        the islands of the western Pacific by ~John Elphinstone
        Erskine~. London 1853.

  [179] Globus. XIII. 25.

  [180] ~Petermann~s Mitteilungen. 1869. 62. 67.

  [181] A. a. O. 261.

  [182] The illustrated Missionary News. 1. Dezember 1873.

  [183] ~Waitz~, Anthropologie. VI. 157 ff.

  [184] Nature, 10. Juli 1873. Vol. VIII. 211.

  [185] ~John Turnbull~s Reise um die Welt. Aus dem Englischen. Weimar
        1806. 204.

  [186] ~Camille de Roquefeuil~, Journal d’un voyage autour du Monde.
        Paris 1823. I. 320.

  [187] ~Lamont~, Wild Life among the Pacific Islanders. London 1867.

  [188] L’Illustration, Journal universel. Paris. 4. Oktober 1873. 228.

  [189] Bull. soc. d’Anthropol. 1884. 497.

  [190] ~Meinicke~, Der Archipel der Paumotu. Zeitschrift der
        Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. V. 396 (1870).

  [191] ~Palmer~ im Journal Roy. Geogr. Soc. XL. 171 (1870).

  [192] Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde. V. 396.

  [193] ~James Wilson~, Missionsreise nach dem südlichen Stillen Ozean
        in den Jahren 1796-1798. Aus dem Englischen. Weimar 1800. 338.

  [194] Polynes. Researches. II. 223.

  [195] ~G. Forster~, Sämmtliche Schriften. II. 57.

  [196] ~J. R. Forster~, Bemerkungen auf seiner Reise um die Welt. 290.

  [197] ~G. Turner~, Nineteen Years in Polynesia. London 1861. 194.

  [198] Polynesian Reminiscenses. London 1866.

  [199] ~Turner~ a. a. O. 358.

  [200] ~Mariner~, Tonga Islands.² London 1818. I. 321.

  [201] ~Hochstetter~, Neuseeland. Stuttgart 1863. 469.

  [202] „Saraca, der ‚letzte‘ Menschenfresser auf Neuseeland, ist im
        April 1872 in Olunemuri gestorben. Er befehligte auf
        dem letzten Kriegszuge, nach welchem ein Kannibalenfest
        veranstaltet wurde. Zum Begräbnis hatten sich viele Maoris
        versammelt; sie legten ihn in einen Sarg, an dessen Kopfende
        ein Fenster angebracht war. Beim Leichenschmaus wurde
        +präserviertes Schaffleisch+ genossen.“ (Globus. XXII. 144.)
        Hier muß man wirklich ausrufen: Tempora mutantur!

  [203] Naturwissenschaftliche Reisen. Deutsch von ~Dieffenbach~. II.
        205.

  [204] Bericht von ~H. H. Travers~ in ~Petermann~s Mitteilungen.
        1866. 63.

  [205] v. ~Hochstetter~ a. a. O. 471.

  [206] ~Ch. Wilkes~, Voyage round the World (U. St. Explor. Exped.).
        New York 1851. 559.

  [207] Bemerkungen auf einer Entdeckungsreise. Weimar 1821. 136.

  [208] ~Chamisso~ a. a. O. 137.

  [209] Journ. d. Mus. ~Godeffroy~. Heft IV. 20.




+Amerika+.


+Westindien.+ Als die Spanier die Antillen entdeckten, stießen sie
auf das Volk der Calinago oder Calina, das allgemeiner unter dem
Namen der Cariben bekannt ist. Menschenraubend zogen sie von Insel zu
Insel in Flotten, die ein Dutzend Segel und oft fünfhundert Streiter
zählten. Die männlichen Gefangenen wurden gebraten und verzehrt. Die
Anthropophagie der Cariben ist von ~Las Casas~ bestritten worden,
auch ~Kolumbus~ wollte anfangs in diesem Punkte nicht den Erzählungen
der Domingoindianer trauen, bis er selbst mit den Thatsachen vertraut
wurde und Meldung davon macht, daß die Cariben sogar die mit gefangenen
Weibern erzeugten Kinder verzehrt haben sollen.[210]

Was die Verbreitung der Cariben betrifft, die vom südamerikanischen
Festlande kamen, so wissen wir, daß sie die ganzen kleinen Antillen
einnahmen und auch die Westküsten von Portorico und Haiti besetzt
hatten. Mit dem Verschwinden und Aussterben der Cariben auf den
Antillen ist auch dort die Anthropophagie verschwunden, die indessen
mit dem Namen dieses Volkes stets verknüpft bleiben wird, da aus ihm
das Wort „Kannibale“ entstand. Die von den Bahamainseln stammenden
Gefangenen am Borde des Kolumbus widersetzten sich nämlich der
Fahrt nach der Insel Haiti, indem sie ~Kolumbus~ die Einwohner als
Menschenfresser schilderten. Sie ließen dabei den Namen Cariben laut
werden, den der Admiral mißhörte, so daß durch ihn der Ausdruck Caniba
oder Canibalen für die anthropophagen Stämme Amerikas verbreitet worden
ist. Nach ~Antonio de Herrera~ bedeutet der Name Canibal soviel wie ein
Tapferer. ~Du Tertre~[211], der uns mit Einzelheiten des westindischen
Kannibalentums vertraut macht, sagt, daß Auffressen der gefallenen
Feinde sei auf dem Schlachtfelde erfolgt; die Gefangenen aber habe man
zu Hause verzehrt, wobei dem tapfersten Krieger das Herz zu teil wurde
-- ein deutliches Zeichen, daß auch hier Aberglaube im Spiele war.
Übrigens sollen viele nach dem Genusse von Menschenfleisch erkrankt
sein.[212]

+Mexiko.+ ~Bernal Diaz~ und ~Sahagun~ sind diejenigen Schriftsteller,
welche am ausführlichsten über die Anthropophagie und die Menschenopfer
der Mexikaner handeln und nach ihnen sind diese beiden zu einer
speziellen Studie von ~Jourdanet~ gemacht worden, der wir in der
nachstehenden Darstellung folgen wollen.[213]

Zur Zeit der spanischen Eroberung waren die Tempel außerordentlich
zahlreich in Mexiko. Bei diesen Tempeln befand sich oft eine Terrasse
mit zwei Türmchen, welche für die Idole bestimmt waren und vor den
Türmchen lagen die Steine, auf denen man die Menschenopfer darbrachte.
Diese Steine waren der Länge nach konvex gestaltet, so daß das darauf
gelegte menschliche Schlachtopfer seine hervortretende Brust besser dem
Schlachtmesser darbot. Noch existieren altmexikanische Darstellungen,
welche uns zeigen, wie die Ceremonie vor sich ging. Das Opfer wurde
von fünf kräftigen Gehilfen gehalten und der Oberpriester öffnete ihm
mit einem Obsidianmesser die Brust, indem er die Knorpelansätze der
Rippen beim Brustbein durchschnitt. Dann griff er in die Brust des
Unglücklichen, nahm das Herz und schnitt es heraus, um es zu Füßen des
Idols niederzulegen, vor dem Weihrauch brannte. Noch mehrmals griff er
in die Brust, um mit dem Blute des Geopferten die Priester und Gehilfen
zu besprengen. Der Leichnam diente dann teilweise zur Nahrung für die
Priester, teils erhielt denselben derjenige zur Speise, welcher das
Opfer veranlaßt hatte.

Solche Menschenopfer waren ungewöhnlich häufig, da sie auch bei jeder
der überaus zahlreichen religiösen Festlichkeiten dargebracht wurden.
Die zahlreichen Tempel der größeren Städte in Betracht ziehend kommt
~Jourdanet~ zu einer Schätzung von 20000 Opfern dieser Art im Jahre,
während andere Autoren eine noch weit größere Anzahl herausrechnen.
Fehlten einmal Opfer, dann bedrohten die Priester das Volk mit den
schrecklichsten Landplagen und um diese hintanzuhalten begann man
Kriege, nur um sich Gefangene zu verschaffen, mit deren Blut die
erzürnten Götter versöhnt werden sollten.

Oben ist die Ausübung des Opferns in seiner einfachsten Form
geschildert worden; allein es liegen auch Berichte vor, daß der Akt
mit ganz besonders barbarischen Bräuchen umgeben wurde. So erzählt
~Sahagun~[214]: „Man band ihnen Hände und Füße. So gefesselt nahmen
die Priester oder ihre Gehilfen sie auf ihre Schultern und führten
unter diesem Gewicht verschiedene Tänze um ein großes Feuerbecken auf.
Plötzlich warf man das Opfer in das lodernde Feuer, ließ es eine Weile
schmoren, ergriff es dann noch lebend mit einem Haken und schleifte
es über den Boden weg zum Opferstein, wo man ihm das Herz herausriß.“
Bei anderen Gelegenheiten baten die Gehilfen, daß die Opferung auf
ihrem Rücken, statt auf dem Steine stattfände, damit sie recht von
dem Opferblute überströmt wurden. ~Sahagun~ berichtet auch, daß man
den Geopferten häufig die Haut abzog und daß sich damit irgend ein
kräftiger Mann wie mit einer Kleidung bedeckte.

Im Gegensatz zu dieser Barbarei stand die aufmerksame Behandlung,
welche häufig die zum Abschlachten Bestimmten vor ihrem Tode erlitten,
und so gleich einer _demonstratio ad oculos_ der Vergänglichkeit
menschlicher Freuden und Lüste erscheint; denn so kann man die ein Jahr
lang dauernde Behandlung des Gefangenen vor seiner Opferung auffassen.
Man wählte zu diesem Zweck einen schönen, jungen Gefangenen von
tadelloser Körperbeschaffenheit und von aufgewecktem Geiste aus. Man
lehrte ihn, berichtet ~Sahagun~, das Flötenspiel, man gewöhnte ihn an
das Rauchen nach Art der Großen und Prinzen, die besten Speisen wurden
ihm vorgesetzt, die schönsten Kleider angelegt und während der letzten
Lebensmonate führte man ihm die schönsten Mädchen zu. War aber das
Freudenjahr abgelaufen, dann fand unwiderruflich seine Opferung statt,
nicht in der Hauptstadt Mexiko, sondern in einer Stadt zweiten Ranges.
Er wurde in einem Schiffe über den See gefahren und in dem Maße, als er
dem Bestimmungsorte sich näherte, entäußerte man ihn seiner Kleidung,
bis er zuletzt nackt anlangte. Am Tage seiner Hinrichtung wurde sofort
ein neuer Gefangener auserwählt, der anstatt des Geopferten nun ein
Jahr lang in Herrlichkeit und Freuden lebte. Oft fanden beim Opfer auch
Tänze statt, an denen man den Gefangenen zwang teilzunehmen.

Gewöhnlich waren es Kriegsgefangene, die man den Idolen opferte;
mehrere Gefährten des ~Bernal Diaz~ sind so gemordet worden. Doch kamen
auch freiwillige Opferungen vor, wie es denn sich ereignete, daß sogar
hochgestellte Personen ihr Leben den Göttern darbrachten. Blutopfer
der Priester selbst für die Götter waren nichts ungewöhnliches; sie
schnitten sich z. B. die Ohren ab und brachten sie dem Idole dar, oder
nahmen Blut von der Zunge, um das Götzenbild damit zu bestreichen.

Die Leichname der Geopferten wurden auf bestimmte Art verteilt und
verzehrt. Sobald das Herz dem Gotte und das Blut den Tempelpriestern
verteilt war, warf man den Kadaver auf die Stufen des Gebäudes. Hier
wurde er von Priestern zerstückelt und unter die Anwesenden verteilt;
war viel Menschenfleisch vorhanden, so wurden die nicht gleich zur
Verwendung gelangenden Überreste eingesalzen oder getrocknet, wie
~Bernal Diaz~ wiederholt versichert.

Bei den Mexikanern war es außerdem ein Zeichen des Sieges, wenn sie
ihren toten Feind verzehrten. Zu den Spaniern sagten sie: „bald
werden wir euch verschmausen“. Aber außerdem war das Verzehren von
Menschenfleisch bei ihnen auch Sache der Leckerei, denn bei großen
Tafeln durfte es nicht fehlen. ~Bernal Diaz~ erwähnt auch die Käfige
aus Holz, in welchem die zur Opferung bestimmten Sklaven eingeschlossen
waren; man nährte sie gut, damit sie der Tafel ihres Herrn keine
Schande machten. Dieser selbst, der die Sklaven gewissermaßen als
seine Kinder betrachtete, aß jedoch nicht von ihrem Fleisch, das seine
Freunde verzehrten. Hervorzuheben ist, daß die Mexikaner nur von dem
Fleische rituell Geopferter aßen -- kein anderes Menschenfleisch,
abgesehen von demjenigen der im Kriege erschlagenen Feinde. Bei der
Belagerung Mexikos durch ~Cortez~ herrschte die größte Hungersnot,
die zum Verzehren der Baumwurzeln zwang, aber die zahlreichen Leichen
in der Stadt blieben von den Belagerten unberührt. Damit stimmt denn
allerdings nicht, wenn ~Sandoval~ auf seinem Zuge gegen die Otomi fand,
daß deren Krieger „Mais und gebratene Kinder als Proviant mit sich
führten“.[215]

Die Anthropophagie verbreitete sich in Mexiko auch über die Nebenstämme
des Landes aus, in einer Form, welche religiösen Beigeschmack hat. Nach
~Mendieta~ töteten nämlich die in der Gegend des heutigen Veracruz
wohnenden Totonaken alle drei Jahr einige Kinder, deren Herzblut mit
Ullisaft (von Cassidea elastica) und gewissen Kräutern zu einem Teig
gemischt wurde, der für heilig galt und Toyolliaytlaqual hieß. Diese
Speise mußten alle sechs Monate die Männer, welche über 25, die Frauen,
welche über 16 Jahre alt waren, genießen. Welchen Zweck damit die
Totonaken verbanden, giebt ~Mendieta~ nicht an.[216]

Man darf +Yukatan+ nicht ausschließen, wenn von der Anthropophagie
im Kreise altamerikanischer Kulturvölker die Rede ist. ~Waldeck~
vernahm zu Merida aus glaubwürdiger Quelle, daß zu Ende des vorigen
Jahrhunderts dort noch Kannibalismus vorgekommen sei; er berichtet
Einzelheiten, läßt uns aber über die Beweggründe im Unklaren. Derselbe
Reisende fragte weshalb die Lancadones und Cholos eine große Affenart
verzehrten und erhielt von einem Indianer die Antwort: seit durch die
Spanier das Menschenessen verhindert worden sei, hätten ihre Vorfahren
„die kleinen Waldmenschen“ angegriffen und verzehrt.[217] Auch die
Mittelamerikaner haben dereinst sich anthropophagen Genüssen ergeben.

+Centralamerika.+ Im September des Jahres 1528 hielt, wie ~Oviedo~ uns
berichtet, der Fray ~Francisco de Bobadilla~, ein großes Examen mit
den Indianern Nicaraguas ab, um die Natur ihrer Religion zu ergründen.
Es waren Leute vom Stamme der Niquirans, wahrscheinlich mexikanischen
Ursprungs, die ihm die vorgelegten Fragen beantworteten. Quiateot war
der Regengott und auf des Priesters Frage, wie er veranlaßt würde,
daß es regne, antworteten die Indianer: „Wir gehen in seinen Tempel
und opfern ihm einige junge Kinder. Nachdem wir diesen die Köpfe
abgeschnitten haben, besprengen wir mit deren Blut die Bildnisse und
Steinidole in dem Hause der Götter, das in unsrer Sprache Teobat
heißt.“ Frage des Priesters: „Was beginnt ihr mit den Körpern der
Geopferten?“ -- Antwort der Indianer: „Diejenigen der Kinder begraben
wir; die der Männer werden von den Kaziken und Häuptlingen verzehrt,
doch nicht von dem übrigen Volke.“ Hiernach wurden also auch Männer
geopfert, die in der ersten Antwort nicht erwähnt sind. Die Weiber
waren von allen Dingen, welche die Tempel anging, ausgeschlossen und
doch wurden auch ihre Körper in den Tempeln geopfert, indessen die
Abschlachtung erfolgte im Vorhofe. Das Fleisch der Weiber wurde aber
niemals angerührt, da sie in religiösen Dingen für unrein galten.
Schlachtopfer waren aber nur Sklaven und Kriegsgefangene.[218]

+Peru.+ Wenn wir ~Antonio de Herrera~ Glauben schenken dürfen, so
wurde der Kannibalismus auch von den Eingebornen am Cauca, im heutigen
Columbia, in einer schauderhaften Weise ausgeübt; der Bericht ist
jedenfalls übertrieben, wie ~Herrera~ denn gern in seinem Werke über
Westindien Märchen einfließen läßt. Er sagt nämlich[219]: „Das Volk
des Landes ist so fleischermäßig, daß die Lebendigen das Grab der
Toten sind; denn es ist gesehen worden, daß der Mann sein Weib ißt,
der Bruder den Bruder oder die Schwester, der Sohn den Vater, und wenn
sie einen Gefangenen gemästet haben, so holen sie ihn an dem Tage,
an dem er gefressen werden soll, mit mancherlei Gesängen herbei, und
der Herrscher befiehlt, daß ein Indianer ihm jedes Glied abschneiden
muß, und so fressen sie ihn bei lebendigem Leibe. Nach der Aussage der
Einwohner von Arma haben sie mehr als achttausend Indianer verzehrt,
und einige Spanier haben diese Qual auch ausgestanden.“

Wir erwähnen diese Erzählung des ~Herrera~ nur, weil sie uns geeignet
erscheint, den Übergang zu der Anthropophagie der Inkaperuaner zu
machen. Denn sowie bei dem hochstehenden Volke auf der Hochebene von
Anahuac Menschenopfer und Kannibalismus herrschten, so kamen sie auch
in Peru vor. ~Garcilasso de la Vega~ entwirft ein abschreckendes Bild
von der Wildheit der ältesten Urbewohner Perus vor dem Auftreten der
Inkas, indem er die Opferfeste beschreibt, bei denen Menschen zu Tode
gemartert und gefressen wurden. Selbst unter den Inkas hatten die
Peruaner diese blutige Sitte noch, obgleich dieses traurige Erbteil
einer barbarischen Vorzeit unter einer humaneren Regierung schon
vor der Ankunft der Europäer mehr und mehr in Vergessenheit geraten
war.[220]

+Gebiet des Amazonas.+ Auf den Antillen (abgesehen von rückfälligen
Negern), in Mexiko, im Gebiete der Cordilleren ist unzweifelhaft heute
die Anthropophagie erloschen. Dagegen ist sie, was man mit Unrecht
bezweifelt hat, noch weit in den Tiefebenen Südamerikas, zumal bei den
umherstreifenden Horden im Gebiete des Amazonas und seiner Nebenflüsse
vertreten. Zu den Zweiflern gehört in erster Linie der verdiente
~Eduard Pöppig~, welcher von den am Ostabhange der Anden lebenden
Indianervölkern bemerkt: „Der ungewöhnliche Grad von Bildungsfähigkeit
der meisten den Anden näher lebenden Stämme wird wohl am besten durch
die Thatsache bewiesen, daß vor kaum 150 Jahren noch unter ihnen
Gewohnheiten herrschten, die sie der Anthropophagie dringend verdächtig
machten. Wenn man mit allem Ernste annimmt, daß dergleichen Völker
die niedrigsten und wildesten sind, so ist es um so mehr Beweis ihrer
guten Anlagen, wenn die Zucht der Europäer sie in ungewöhnlich kurzer
Zeit von ihren Lastern zu entwöhnen und bis zu einem unverhältnismäßig
hohen Grade zu civilisieren vermag“.[221] Andere, wie ~Azara~,
haben die Anthropophagie der Südamerikaner ganz ableugnen, und
alles darüber gesagte den sensationsbedürftigen Übertreibungen der
Eroberer und Missionare zuschreiben wollen.[222] Die Thatsachen
indessen beweisen, daß noch heute im östlichen Peru Menschenfresser
wohnen, und daß mit Nichten anthropophage Völker zu den „wildesten
und niedrigsten“ gehören. Im Gegenteil, wenn auch nicht immer, nehmen
gerade diese sehr häufig eine höhere Stufe als ihre Nachbarn ein,
die der Menschenfresserei nicht ergeben sind. Unter den neueren ist
es ~Woldemar Schultz~, welcher, mit philanthropischem Blicke auf die
südamerikanischen Indianer schauend, deren Anthropophagie in der
Gegenwart in Abrede zu stellen versucht.[223]

Diesem gegenüber haben wir festzustellen, daß bei den auf
tiefer Gesittungsstufe stehenden Jagd- und Fischernomaden des
südamerikanischen Kontinentes, zumal bei den schwachen Horden, die
verborgen in den Urwäldern am Amazonas und seinen Nebenströmen hausen,
die Anthropophagie noch jetzt eine sehr verbreitete ist. Bei der
atomistischen Zersplitterung dieser Völkerschaften kann nicht die
Rede davon sein, alle einzeln in ihrer Beziehung zur Anthropophagie
hier aufzuführen, doch genügt wohl eine Anzahl aus der Menge
hervorgegriffener Beispiele. ~Karl Friedrich Philipp von Martius~
hat uns bewiesen, daß die physiologische Entschuldigung für die
Anthropophagie bei den südamerikanischen Indianern in Wegfall kommt.
„Nur selten, sagt er, verfällt der Mensch in diesen fruchtbaren und
fischreichen Gegenden einem Hunger, der ihn zwänge, auf seines gleichen
wie auf ein zahmes Wild Jagd zu machen. Die weibliche Bevölkerung
ist mit so instinktivem Fleiße dem Anbau von Nährpflanzen und der
Mehlbereitung ergeben, daß es nicht leicht zu jener Extremität des
Hungers kommt. Aber außer allen übrigen Veranlassungen zu Streit und
Krieg zwischen den Söhnen des Waldes, reizt ihn die Aussicht seine
Gefangenen vorteilhaft zu verkaufen, zu fortwährenden Kämpfen und
ein bei dieser Veranlassung getöteter Widersacher wird als Edelwild,
das sich zur Wehre gesetzt hat, wie im Triumph verspeist. Es ist
also weder dringender Hunger noch Nationalhaß, sondern Berechnung
einer seltenen, leckeren, den rohen Stolz befriedigenden Mahlzeit, in
gewissen Fällen vielleicht auch Blutrache und Aberglauben, was diesen
Wilden zum Kannibalen macht. In der Kette ungünstiger Verhältnisse,
welche ihn in seiner Entmenschung erhalten, ist die Anthropophagie
eines der mächtigsten Glieder. Von allen tierischen Zügen in der
sittlichen Physiognomie des Menschen ist sie der tierischste und
obgleich sie ehemals vielleicht bei allen Völkerschaften Brasiliens im
Schwange ging, ist sie doch gegenwärtig bei den meisten verabscheut.
Die europäische Kultur kann sich rühmen erfolgreich gegen diese
entmenschte Sitte angekämpft zu haben“.[224]

Die Kaschibos am Ucayale, denen wir uns zuerst zuwenden, haben
wahrlich keinen Mangel an Wild, und der Fluß liefert ihnen Fische und
Schildkröten in Menge, dessenungeachtet sind sie Kannibalen. Allerdings
sind die Nachrichten darüber nicht immer bestimmt. _The Cashibos
are said to be cannibals_ meint ~Herndon~[225], während Professor
~Raimondi~ angiebt, daß sie nur ihre Alten aus religiösen Gründen
verzehren.[226] ~J. J. v. Tschudi~ dagegen behauptet, daß sie Kriege
führten, um sich Gefangene zum Verzehren zu verschaffen. Auch Leute des
eigenen Stammes verzehren sie, dagegen niemals Weiber, wie 1842 die
Missionare von Ocopa aussagten, nicht etwa aus Rücksicht und Schonung,
sondern weil sie die Weiber für etwas untergeordnetes und ihr Fleisch
für giftig halten.[227]

Am Cosiabatay, einem Nebenflüßchen des Ucayale, fand ~Marcoy~ einen
gekreuzigten Kaschibo-Indianer, die Schetibos hatten ihn hier lebendig
ans Kreuz geschlagen. _C’etait une vieille coutume des Schetibos
de tuer tout Cachibo qu’ils rencontraient, et cela pour punir la
nation dans l’individu, de son goût décidé pour la chair humaine._
~Marcoy~ bildet die ekelhafte Scene, wie die Aasgeier den Gekreuzigten
zerfleischen, auch ab.[228]

Diese Kaschibos (Carapuchos, Callisecas, Fledermausindianer) reichen
vom Pachitea bis zum Aguaita (linkes Ucayaleufer) und sind, wie Dr.
~Abendroth~, der sich unter ihnen aufhielt, versichert, gegenwärtig
die einzigen Anthropophagen in Peru.[229] Noch 1865 wurden die
peruanischen Offiziere Juan Tavara und Alberto West am Ucayale von den
Kaschibos ermordet und gefressen, und als 1866 die ersten Dampfer vom
Amazonas aus in den Ucayale einfahrend bis zu diesen wilden Indianern
kamen, wurden sie von ihnen angefallen. In einem Gefechte kamen 25
Kaschibos um, die auch nach dem Berichte dieser Dampferexpedition
„unzweifelhaft Kannibalen“ sind. Über die Motive des Kannibalismus bei
den Kaschibos bleiben wir im Unklaren.

Kannibalischen Gewohnheiten ergeben sind, wie ~Martius~ bezeugt, die
Miranhas und nach ~Marcoy~s Berichten die ihnen benachbarten Mesayas.
Beide Völker, noch verhältnismäßig zahlreich, haben der Civilisation
und den Seuchen Stand gehalten, beide leben in arger Feindschaft
miteinander und verzehren gegenseitig ihre Gefangenen aus Rachsucht.
Sie leben am Japure und an dessen Mündung in den Amazonenstrom sowie an
letzterem selbst.

Die Mesayas gehören zu dem weit verbreiteten Stamme der Umaüas und
sollen nach ~Marcoy~ noch tausend bis zwölfhundert Köpfe zählen.
Ihre Ältesten erzählen den Ursprung der Anthropophagie bei ihnen
folgendermaßen: Vor langer Zeit, als die Tiere noch sprechen konnten,
trieb sich eine Horde Miranhas am Japure umher und fand dort einen auf
dem Sande schlafenden Umaüa. Diesen schlugen die Miranhas, welche sehr
hungrig waren, tot und fraßen ihn auf. Die Umaüas erhielten Kunde von
diesem Vorgange durch einen Vogel, den Surucua; sie begannen von nun
an einen Rachekrieg gegen die Miranhas, und wer von diesen in ihre
Gewalt geriet, wurde aus Rache und Wiedervergeltung aufgefressen.
Dabei ging oder geht man mit ausgesuchtem Raffinement zu Werke. Der
Gefangene wurde im Dorfe der Mesayas streng überwacht, aber nicht etwa
eingesperrt. Man gab ihm eine Frau, die ihn recht gut und vollauf
füttern mußte, damit er wohlbeleibt werde. Nach etwa einem Vierteljahre
führte man ihn Abends bei Vollmond in den Wald; dort mußte er selber
das Holz sammeln, mit welchem er gebraten werden sollte. Wenn er mit
seiner Last im Dorfe angekommen war und dieselbe niedergelegt hatte,
bezeichneten die Krieger, die ihn bisher bewachten, mit rotem Oker jene
Körperteile, die sie am andern Tage verspeisen wollten, und nachher
wurde bei Mondschein ein Tanz aufgeführt, an welchem der Gefangene
teilnahm. Inzwischen brachten die Frauen das zum Schmause notwendige
Geschirr herbei, und nach Mitternacht mußte der Miranha in seine Hütte
gehen. Am nächsten Morgen wurde der Gefangene gerufen; sobald er
aus der Hütte trat, erhielt er sofort mehrere Keulenschläge auf die
Schläfe und sank leblos nieder. Dann schnitt man ihm den Kopf ab, der
auf eine Lanze gesteckt und im Dorfe umhergetragen wurde; den Körper
schleppte man zu den Kochkesseln, wo er zerlegt wurde; auch die Knochen
wurden entzwei geschlagen, damit man das Mark genießen könne. Von dem
Schlachtopfer durfte nichts übrig bleiben als der mit Farbe bemalte
Kopf, der in der Hütte des tapfersten Kriegers als Trophäe aufbewahrt
wurde. Aber was geschah unmittelbar nach dem Schmause? Alle Mesayas
waren bemüht, das genossene Menschenfleisch so rasch wie möglich wieder
von sich zu geben; sie ekelten sich selber vor der abscheulichen
Speise, und damit ist der Beweis geliefert, daß sie dieselbe nicht aus
Gier nach Menschenfleisch verzehrt hatten, sondern lediglich der Rache
und der Wiedervergeltung wegen. Der letzte Kannibalenschmaus soll nach
~Marcoy~ im Jahre 1846 stattgefunden haben.[230]

Was die Miranhas betrifft, so herrscht seit langer Zeit in ihrem Lande
Hungersnot. Zu Ackerbauern haben sie sich nie emporgeschwungen, sie
sind Jäger und Fischer. Seit langem nun giebt es in ihrem Gebiete
am rechten Japureufer, wie ~Marcoy~ erzählt, weder Tapire noch
Peccaris mehr, weder Affen noch große Nagetiere, selbst der Jaguar
kommt nicht mehr vor, und da wird es begreiflich, wenn den Miranhas
nachgesagt wird, sie fräßen ihre Kranken und Alten. Der Grund aber,
weshalb sie ihr armseliges Gebiet nicht verlassen, ist die Feindschaft
der angrenzenden Stämme, die jeden Miranha niedermachen, der sich
bei ihnen blicken läßt.[231] Nachbarn der Miranhas waren die jetzt
untergegangenen Yamas. Diese zerbrachen die Knochen ihrer Todten, um
das Mark auszusaugen, und sie thaten dieses, weil sie meinten, im Marke
stecke die Seele des Verstorbenen, und diese gehe in den Menschen über,
welcher das Mark verzehrt.[232]

Am Madeira sind die wilden, in den Wäldern hausenden, von allem
europäischen Einflüsse noch völlig unberührten Parentintins bei Crato
unzweifelhaft Kannibalen, die einen brasilianischen Seringueiro
(Kautschuksammler) bei Crato überfielen und auf einer Sandbank brieten
und verzehrten, wobei sie von den Verfolgern überrascht wurden.
Desgleichen gelten die Araras für Anthropophagen und beide Stämme
sind Ursache, daß die Seringueiros nicht in die ausgedehnten, reichen
Kautschukwälder der Nebenflüsse des Madeira vorzudringen wagen.[233]

Am Uaupés sind die Cobeus echte Kannibalen; sie verzehren die Leichen
der im Kriege erschlagenen Feinde, ja sie führen Kriege zu dem
ausgesprochenen Zwecke sich Menschenfleisch zu verschaffen. Haben sie
mehr davon, als sie auf einmal verzehren können, so räuchern sie den
Rest über Feuer und bewahren ihn lange auf.[234]

Die Indianer am Putumajo -- auf columbischem Gebiete im Territorium
von Caqueta -- haben im Jahre 1883, wie aus einem amtlichen Berichte
hervorgeht, einen jungen Columbianer Namens Portés erschlagen und
verzehrt. „Die Indianer sind in der That Kannibalen, essen aber nur
ihre Kriegsgefangenen, um Rache an denselben zu üben. Besondere
Vorliebe für Menschenfleisch ist nicht vorhanden.“[235]

Am Jauari sind die Majorunas noch jetzt Kannibalen, wofür ~Bates~ die
Beweise beibringt.[236]

Alle Tupivölker waren bei der Entdeckung Südamerikas Kannibalen und
so kann es nicht Wunder nehmen, wenn nun auch heute noch die zu
ihnen zählenden Stämme kannibalischen Sitten ergeben sind, so die
im Gebiete des Tapajoz wohnenden Apiacas, die zu den Centraltupis
gerechnet werden. Ihr Name stammt von dem Tupiworte Apiaba, Mensch
und ihre Sprache ist der herrschenden lingua geral so nahe verwandt,
daß über ihre ethnische Stellung keine Zweifel aufkommen. Wie ~de
Castelnau~ berichtet[237], töten sie im Kriege alle ihre Feinde,
gleichviel welchem Geschlechte dieselben angehören, um deren Leichname
dann zu braten und zu verzehren. Die Kinder der Feinde führen sie
aber mit in ihre Aldeas, um sie gleich ihren eigenen Kindern zu
behandeln und mit diesen zu erziehen. Wenn aber diese gefangenen
Kinder das Alter von 12 bis 14 Jahren erreicht haben, so dienen
sie zu einer Kannibalenmahlzeit, welche von dem ganzen Dorfe unter
großen Feierlichkeiten begangen wird. Mit Arafedern schön geschmückt
zieht die Bevölkerung auf, die Kriegstrompeten erklingen und die
unglücklichen Kinder werden in einem Kreis vor die tanzende Menge
geführt. Hinter den armen Geschöpfen stehen die Pflegeeltern, welche
sie aufgezogen und diese sind es auch, welche sie erschlagen. Während
der nächtliche Tanz fortdauert, werden die Leichen zerstückelt und
verzehrt. Auch junge Weiber hält man zuweilen jahrelang gefangen, ehe
sie geschlachtet und gefressen werden.

+Anthropophagie der Tupi zur Zeit der Entdeckung.+ Sowohl in dem
Berichte ~Marcoy~s über die Behandlung der zum Verzehren bestimmten
Gefangenen, als in dem, was ~de Castelnau~ über die Apiacas sagt,
erkennt man wesentliche Züge aus den eigentümlichen Gebräuchen wieder,
die von den ersten Entdeckern uns geschildert werden, als sie die
kannibalischen Gewohnheiten der Tupivölker kennen lernten.

~Amerigo Vespucci~, der 1501 die brasilianische Küste besuchte, bringt
in einem Briefe an ~Lorenzo Medici~ ausführliche Mitteilungen über
die Anthropophagie der Tupivölker, mit welchen er zusammentraf.[238]
Nachdem er über die Kämpfe der Eingeborenen untereinander gesprochen,
fährt er fort: „Wenn sie Sieger sind, schneiden sie die Besiegten
in Stücke, verzehren dieselben und versichern, daß es ein sehr
vortreffliches Gericht sei. Sie ernähren sich auch vom Menschenfleisch;
der Vater verzehrt den Sohn und der Sohn den Vater, je nach Umständen
und den Zufällen des Kampfes. Ich habe einen abscheulichen Menschen
gesehen, der sich rühmte, mehr als 300 Leute verzehrt zu haben. Ich
habe auch einen Ort gesehen, den ich etwa 27 Tage bewohnte und wo
Stücke gesalzenen Menschenfleischs an den Balken der Häuser hingen,
wie wir bei uns getrocknetes oder geräuchertes Schweinefleisch, Würste
oder andere Eßwaren aufhängen. Sie waren höchst erstaunt, daß wir nicht
gleich ihnen das Fleisch unserer Feinde verzehrten; sie sagten, daß
nichts vortrefflicher schmecke als dieses Fleisch und daß man nichts
saftigeres und delikateres haben könne.“

~Pigafetta~, welcher mit ~Magalhaes~ auf der ersten Weltumsegelung die
brasilianische Küste berührte und zwei Monate im Hafen Sta. Lucia
blieb, erzählt uns ein Geschichtchen[239] -- das den Ursprung der
Anthropophagie bei den Tupivölkern erklären soll. „Die Einwohner haben
den Gebrauch Menschenfleisch zu essen, üben aber diese Grausamkeit nur
gegen ihre Feinde aus, und sagen, diese Gewohnheit habe ihren Anfang
durch eine Frau genommen, deren einziger Sohn ermordet war. Als man
nachher verschiedene von den Thätern gefangen zu der Alten geführt,
wäre sie als ein wüthender Hund auf einen von ihnen gestürzt und hätte
ihm einen Teil der Schulter abgefressen. Dieser wäre nachher zu den
Seinigen entflohen und hätte ihnen seine Schulter gewiesen, worauf sie
alle angefangen, das Fleisch ihrer Feinde zu verzehren. Doch essen sie
solches nicht auf einmal, sondern schneiden es in Stücken und hängen es
in den Rauch, und einen Tag essen sie ein Stück gekocht, und den andern
gebraten, zum Andenken ihrer Feinde.“

Daß der Kannibalismus sich nach Süden zu bis an den la Plata
erstreckte, dafür haben wir abermals ~Pigafetta~s Zeugnis.[240] Unter
34½ Grad fanden die Weltumsegler einen großen Fluß von süßem Wasser
-- den la Plata -- und „gewisse Leute, die man Kannibalen nennt und
die Menschenfleisch essen. Unter anderen sahen wir einen derselben von
unserem Schiff, der so groß wie ein Riese war und eine Stimme hatte wie
ein Stier“. Der Name Kannibalen für Anthropophagen war also damals --
28 Jahre nach Entdeckung der Neuen Welt -- schon gang und gäbe.

Nehmen wir eine der alten Reisebeschreibungen, eines der zahlreichen
Flugblätter zur Hand, die im Beginn des 16. Jahrhunderts, kurz nach der
Entdeckung Brasiliens, erschienen und von dieser handeln, so finden wir
unfehlbar Berichte über die dort herrschende Menschenfresserei.

So zeigt ein um jene Zeit zu Nürnberg oder Augsburg gedrucktes Blatt
das Bild eines brasilianischen Indianers nebst Erläuterung, in der
es heißt: „Sy streiten auch miteinander. Sy essen auch einander
selbst die erschlagen werden und hencken dasselbig Fleisch in den
rauch.“[241] Keiner aber hat die Anthropophagie der Tupivölker besser
und eingehender geschildert als unser Landsmann ~Hans Staden~ aus
Homburg in Hessen, der als Abenteurer im Jahre 1547 beschloß, „Indien
zu besehen“ und zehn Monate lang Gefangener der Tupinamba im heutigen
Brasilien war, die er gründlich kennen lernte.[242]

Im 25. Kapitel des zweiten Teiles erläutert ~Hans Staden~ „warumb ein
Feind den andern esse“ und er giebt darauf die Antwort: „Sie thuen das
nicht aus Hunger, sondern nur aus großem Haß und Neid. Treffen sie im
Kriege aufeinander, so rufen sie einander zu, daß sie ihrer Freunde
Tod aneinander rächen, die Feinde erschlagen und verzehren wollen.“
~Staden~, der selbst nur durch ein Wunder dem Tode unter den Tupinamba
entrann, hat wiederholt den Kannibalenmahlzeiten beigewohnt, er spricht
als unverdächtiger Augenzeuge und schildert im 38. Kapitel des zweiten
Teils „mit was Ceremonien sie ihre Feinde tödten und essen“. Dort heißt
es:

„Wenn sie ihre feinde erstmals heimbringen, so schlagen sie die weiber
und die jungen. Darnach vermalen sie ihnen mit grawen federn, scheren
im die augenbrawen über den augen ab, danzen umb in her, binden
inen wol, das er inen nicht entläufft, geben im ein weib, das in
verwaret, und auch mit im zu thun hat. Und wann die schwanger wirdt,
das kind ziehen sie auf biß es groß wird. Darnach wann es inen in den
Sinn kompt, schlagen sie es todt und essen’s. Geben im wol essen,
halten inen eine zeitlang, rüsten zu, machen der gefeß vil, da sie
die geträncke in thun, backen sonderliche gefeß, darin thun sie die
reidtschaft, darmit sie in vermalen, machen fedderqueste, welche sie an
das holtz binden, darmit sie in todtschlagen, machen eine lange schnur,
Massurana genant, da binden sie inen ein, wann er sterben sol. Wenn sie
alle reidschaft bey einander haben, so bestimmen sie ein zeit, wann er
sterben sol, laden die wilden von andern dörfern, daß sie auff die zeit
dahin kommen. Dann machen sie alle gefeße voll geträncke, und einen tag
oder zwen zu vorn. Ehe dann die weiber die getrencke machen, führen sie
den gefangen ein mal oder zwey auff den platz tantzen umb inen her.“

„Wenn sie nun alle bey einander sein, die von außen kommen, so heyßet
sie der oberste der hütten wilkommen, spricht: so kompt helfet unsern
feindt essen. Des tages zuvor, ehe sie anheben zu trincken, binden
sie dem gefangenen die schnur Massurana umb den Hals. Desselbigen
tages vermalen sie das holtz, Iwera Pemme genant, darmit sie ihn todt
schlagen wöllen. Ist lenger denn ein klaffter, streichen ding daran,
das klebet. Dann nemen sie eyerschalen, die sin graw, und sein von
einem vogel Mackukawa genant, die stoßen sie klein, wie staub, und
streichen das an das holtz. Dann sitzet ein fraw und kritzelt in dem
angeklebten eyerschalen staub. Dieweil sie malet, stehet es vol weiber
umb sie her, die singen. Wenn das Iwera Pemme dann ist, wie es sein
sol, mit fedderquesten und anderer reidschaft, hencken sie es dann in
eine ledige hütte über die erden an einen reidel, und singen dann darum
her die ganze nacht.“

„Dasselbigen gleichen vermalen sie den gefangenen sein angesicht. Auch
dieweil das weib an im malet, dieweil singen die andern. Und wann sie
anheben zutrincken, so nemen sie den gefangenen bey sich, der trinket
mit inen und sie schwatzen mit im.“

„Wann das trinken nun ein ende hat, des andern tages darnach ruhen sie,
machen dem gefangnen ein hütlin auff den platz, da er sterben sol,
da liegt er die nacht inne, wol verwart. Dann gegen morgen ein gute
weil vor tage, gehen sie tanzen und singen umb das holtz her damit sie
in todtschlagen wöllen, bis das der tag anbricht, dann zihen sie den
gefangenen aus dem hütlin, brechen das hütlin ab, machen räum, dann
binden sie im die Mussurana von dem hals ab und binden sie in umb den
leib her, zihen sie zu beiden Seiten steiff. Er stehet mitten darin
gebunden, irer viel halten die schnür auff beiden enden. Lassen in so
ein weil stehen, legen steinlein bey ihn, damit er nach den weibern
werfe, so umb ihn herlaufen und dräwen im zu essen. Dieselbigen sein
nun gemalet und darzu geordiniret, wenn er zerschnitten würd, mit den
ersten vier stücken um die hütten her zulaufen. Daran haben die andern
kurtzweil.“

„Wann das nun geschehen ist, machen sie ein fewer ungefehrlich zweier
schritt weit von dem Schlaven. Das fewer muß er lehen. Darnach kompt
ein fraw mit dem holtz Iwera Pemme gelauffen, keret die fedderquesten
in die höhe, kreischt von freuden, läuft vor dem gefangenen uber, das
er es sehen soll.“

„Wann das geschehen ist, so nimpt eine mannsperson das holtz, gehet
mit vor den gefangenen stehen, hält es vor in, daß er es ansiehet,
dieweil gehet der, welcher in todtschlagen wil, hin, selb XIIII oder
XV und machen iren leib graw mit äschen, dann kompt er mit seinen
zuchtgesellen auf den platz bey den gefangenen, so uberliffert der
ander so vor dem gefangnen steht, diesem das holtz, so kompt dann der
könig der hütten und nimpt das holtz und steckts dem, der den gefangen
soll todtschlagen, einmal zwischen den beynen her, welches nun eine ehr
unter inen ist. Dann nimpt er wiederumb das holtz, der den todtschlagen
sol, und sagt dann: Ja hie bin ich, ich wil dich tödten, denn die
deinen haben meiner freunde auch viel getödtet und gessen, antwortet
er: Wenn ich todt bin, so habe ich noch viel freunde, die werden mich
wol rechen, darmit schlecht er inen hinten auf den kopff, das im das
Hirn darauß springt, alsbaldt nemen in die weiber, ziehen in auf das
fewer, kratzen ihm die haut alle ab, machen in ganz weiß, stopfen in
den hintersten mit einem holtze zu, auf daß im nichts entgeht. Wann im
dann die haut abgefegt ist, nimpt in eine mannsperson, schneidet im
die Beine über den knien ab, und die arme an dem leibe, dann kommen
die vier weiber, und nemen die stücke, und laufen mit um die hütten
her, machen ein groß geschrey von freuden, darnach schneiden sie im den
rücken mit den hintersten von den vorderleib ab, dasselbige theilen
sie dann unter sich, aber das eingeweyd behalten die weiber, sieden,
und in die brühe machen sie einen brey, mingau genannt, den trinken
sie und die kinder. Das eingeweyd essen sie, essen auch das fleisch um
das haupt her, das hirn in dem haupt, die zungen, und was sie sonst
daran genießen können, essen die jungen. Wann das alles geschehen ist,
so gehet dann ein ieder wiederumb heim, und nemen ir theil mit sich.
Derjenige, so disen getödtet hat, gibt sich noch einen namen.“

+Botokuden.+ Die Botokuden, wie sie von den Portugiesen nach dem
Stöpsel (_botoque_) in ihrer Unterlippe bezeichnet werden, sind
unzweifelhaft Anthropophagen bis zum heutigen Tage. Dieses Volk
haust in der Provinz Minas Geraes in dem weiten Raum zwischen dem
Rio Doce und Rio Jequitinhonha, vom 17. bis 20.° s. B. Um über ihren
Kannibalismus aufgeklärt zu werden, können wir uns an die Berichte
deutscher Reisender halten: ~Eschwege~, ~Neuwied~, ~Tschudi~, welche
uns die besten Nachrichten über sie vermittelt haben. ~Eschwege~
drang 1811 in die Wälder dieser Anthropophagen vor. Damals lebten die
Botokuden mit ihren Nachbarn, Portugiesen wie Negern, in fortwährenden
Kriegen, fielen über dieselben her, mordeten und fraßen sie. „Ein
Augenzeuge der Greuelthaten erzählte mir, daß ihre Anzahl nicht sehr
beträchtlich war, so daß sich alle an einem einzigen Neger, den
sie brateten, satt aßen; von anderen schnitten sie Arme und Beine
ab und nahmen sie als Lebensvorrat mit sich. Die getöteten Weißen
hatten sie alle liegen lassen, aber alle Teile des Körpers querüber
eingeschnitten, so ungefähr, wie man Fische zuzubereiten pflegt, wenn
man sie einsalzen will. Den Getöteten saugen sie zuerst das Blut aus
und dieses scheint ihnen das leckerste zu sein. Überhaupt hat man aber
bemerkt, daß, sobald sie Negerfleisch haben, sie das Fleisch der Weißen
nicht achten. Bei großem Überflusse schneiden sie den Negern auch nur
die Waden und das Inwendige der Hände aus, welches wahre Leckerbissen
sein sollen.“[243]

Prinz ~Maximilian zu Wied~, der 1815-1817 das Land am Rio Doce und
Mucury durchstreifte, brachte unzweifelhafte Beweise der Anthropophagie
der Botokuden mit. „Sie schälen das Fleisch vom Körper ihrer Feinde
ab, kochen es in ihren Töpfen oder braten es; den Kopf stecken sie
auf einen Pfahl.“ ~Neuwied~ hebt hervor, daß die Botokuden keineswegs
aus Wohlgeschmack am Menschenfleisch zu Kannibalen geworden sind,
dagegen spräche, daß sie einzelne Gefangene am Leben lassen; nur wilde
Rachgierde treibe sie zu der schauderhaften Sitte.[244]

Bei ~J. J. v. Tschudi~, der die Botokuden am Mucury besuchte, erscheint
die Anthropophagie dieses Volkes nicht in so grausigem Lichte wie bei
~v. Eschwege~. „Die Botokuden,“ sagt er, „werden zu den Anthropophagen
gezählt und sie sind in der That Menschenfresser, aber nicht in der
grausam blutdürstigen Bedeutung, die man gewöhnlich mit diesem Begriff
verbindet, sondern bloß aus unersättlichem Heißhunger und aus Rache.
Ich glaube nicht, daß sie einen Feind erschlagen, um ihn zu fressen,
sondern daß sie einen erschlagenen Feind auffressen, weil er ihnen
gerade wie gelegen und bequem Nahrung darbietet und sie überhaupt
alles fressen, was sie nur verdauen können. -- -- -- Das Verzehren
der Feindesleichen war und ist meistens in erster Linie eine Folge
des heftigen Dranges den Hunger zu stillen, dann aber mag auch eine
Befriedigung des Rachedurstes dazu kommen und in diesem Falle werden
nur gewisse Körperteile des getöteten Gegners als Leckerbissen dem
Siegesmahle beigefügt. Auffallenderweise sucht jeder Stamm den Vorwurf
dieser scheußlichen Sitte von sich ab und auf andere Horden zu
wälzen. Es mag doch vielleicht bei ihnen das Gefühl vorhanden sein,
daß sie sich durch das Auffressen ihresgleichen selbst unter die Tiere
stellen.“[245] Darnach stimmen ~Neuwied~ und ~v. Tschudi~ überein
und wir dürfen bei den Botokuden Rachgier als den Beweggrund des
Kannibalismus annehmen.

Südlich von den Botokuden treffen wir, gleichfalls noch in der Provinz
Minas Geraes unter 21.° s. Br. an den oberen Zuflüssen des Parahyba,
speziell am Rio Xipolo zwischen der Serra Geraldo und Serra do Onça
auf die Coroatos-Indianer, ein sehr rohes Volk, welches im Beginn
unseres Jahrhunderts noch 1900 Köpfe zählte. Bei ihnen, die einst
wohl mehr der Anthropophagie ergeben waren, finden wir gleichsam die
Ausläufer kannibalischer Gewohnheiten, da sie bei ihren Festen an dem
abgeschnittenen Arme eines erlegten Feindes, der zuvor in Maiswein
getaucht wird, zu saugen pflegen. „Der Arm des Puri geht beim Tanze
in der Reihe herum, wird auch wohl aufgestellt und mit Pfeilen nach
ihm geschossen, andere tauchen ihn in das Getränk, saugen davon und
mißhandeln ihn auf alle mögliche Art.“[246] Unschwer ist aus dieser
Schilderung zu erkennen, wie es sich auch hier um einen Racheakt
handelt.

Die Puris, die am Parahybastrome hausen und stark dem Einflusse
der Brasilianer ausgesetzt sind, erscheinen heute nicht mehr als
Anthropophagen; daß sie es einst waren, beweist ihr Name, denn Puru
oder Puri bedeutet nach ~Varnhagen~ einfach Anthropophage.[247] Noch zu
~Neuwied~s Zeit kamen bei ihnen Fälle von Kannibalismus vor.[248]

Es mag hier und da in Brasilien außer den angeführten noch Horden
geben, welche kannibalischen Gewohnheiten fröhnen[249]; im allgemeinen
läßt sich aber darthun, daß in Südamerika teils durch Verdrängung der
Ureinwohner, teils durch Sittigung derselben die Anthropophagie ganz
außerordentlich abgenommen hat, wie ein Vergleich mit den Berichten der
ersten Besucher des Landes ergiebt.

+Araukaner.+ Noch haben bei diesen sich wenigstens Spuren erhalten,
die auf ehemals weiter verbreitete Anthropophagie hinweisen. Als
Genugthuung für die Manen der im Kriege gefallenen Tapferen des
eigenen Stammes bringen sie Menschenopfer dar, zu denen Gefangene des
feindlichen Stammes benutzt werden. Dem mit einer Keule erschlagenen
Opfer wird das Herz aus der Brust gerissen und frisch dem Toqui
dargereicht, der einige Tropfen Blut daraus saugt, um es alsdann den
übrigen Häuptlingen zu geben, die damit ein gleiches thun.[250]

+Feuerländer.+ Unmöglich ist es nicht, daß der Kannibalismus sich
einst durch ganz Südamerika bis zur Magalhaesstraße und darüber
hinaus erstreckte. Nach ~Charles Darwin~ sind die Feuerländer
demselben infolge häufiger Hungersnot ergeben, auch herrscht bei ihnen
Elternmord[251], wie dieses auch Admiral ~Fitzroy~ bestätigt. „Fast
immer im Kriege mit den Nachbarstämmen begriffen, treffen sie sich
selten, ohne daß ein feindlicher Zusammenstoß erfolgt. Diejenigen,
welche besiegt und gefangengenommen worden sind, werden, falls sie
nicht schon tot sind, von den Siegern erschlagen und verzehrt. Arme
und Brust essen die Frauen, die Beine erhalten die Männer und der
Rumpf wird ins Meer geworfen.“ Auch im strengen Winter nehmen sie,
wenn sie keine andere Nahrung finden können, „das älteste Weib aus
ihrer Mitte, halten ihr den Kopf über dichten, durch grünes verbranntes
Holz erzeugten Rauch, pressen ihr die Kehle zu und ersticken sie. Sie
verzehren dann das Fleisch bis auf den letzten Bissen, den Rumpf aber
werfen sie, wie bei dem vorhergehenden Falle, ins Meer“.[252] Auch ~W.
Parker Snow~, der gute Gelegenheit hatte, sie kennen zu lernen, sagt,
daß sie nur im Falle von Hungersnot die alten Weiber, zuletzt aber
ihre Hunde fressen[253] und an anderer Stelle sagt derselbe: _They are
cannibals from necessity, but, I believe, not from choice._[254] Ein
neuerer Beobachter, der Franzose ~Marguin~, der längere Zeit unter
ihnen lebte, spricht sie gänzlich frei. _On les dit anthropophages,
mais rien pour moi ne justifie cette accusation_[255], und so auch
Dr. ~Hyades~, der gleichfalls einige Zeit unter ihnen lebte und das
Verzehren der alten Weiber für Fabel erklärt.[256]

+Eskimos.+ Bei den Eskimos mag wohl gelegentliche Anthropophagie
aus Not und Hunger vorkommen, aber vom Kannibalismus aus anderen
Beweggründen sind sie freizusprechen. Sie sind kein kriegerisches Volk,
das seinen Rachedurst durch das Verzehren des überwundenen Feindes
stillt, wie etwa ihre südlicher lebenden indianischen Nachbarn, die
unter gleichen äußeren Bedingungen (bis zum Eismeer hin) leben, jedoch
kriegerischer und rachdürstiger Natur sind. Ob aber unter den Eskimos
Anthropophagie herrschte, läßt sich jetzt nicht mehr nachweisen.
Die Anklänge einiger Legenden in dieser Richtung, sowie die von
Eskimos selbst gezeichneten und ausgeführten Holzschnitte, welche das
Menschenfressen darstellen[257], erscheinen nicht als genügender Beweis.

+Nordamerika.+ Bei den Indianern Nordamerikas mag in früheren Zeiten
die Anthropophagie viel weiter verbreitet gewesen sein, als sie jetzt
noch vorhanden ist. In der That war sie zur Zeit der Entdeckung schon
auf ein geringes zusammengeschmolzen. Heute ist nur wenig von derselben
vorhanden, und auf Rachsucht am Feinde als Beweggrund zurückzuführen,
abgesehen von dem durch Not erzeugten Kannibalismus. So systematisch
wie in Mexiko oder weit ausgedehnt wie bei den Jagdnomaden der
Südhälfte des Kontinents scheint die Anthropophagie im Norden überhaupt
nie vertreten gewesen zu sein.

Für das Vorkommen der Anthropophagie in den Hudsonsbai-Ländern bei den
dortigen Indianern haben wir das Zeugnis des heldenmütigen ~Samuel
Hearne~, der auf sehr beschwerlichen, an Entbehrungen überreichen
Reisen 1770-1771 von Fort Churchill an der Hudsonsbai bis zur Mündung
des von ihm entdeckten Kupferminenflusses in das Eismeer vordrang.
Er berichtet[258]:“Diejenigen, welche mit der Geschichte der
Hudsonsbai bekannt sind, und das Elend kennen, welches die Bewohner
dieser Gegenden häufig erfahren, werden darin nur die alltäglichen
Begebenheiten des Lebens der Wilden finden, die nicht selten durch
die Not gezwungen werden, einander zu verzehren. Die südlichen
Wilden -- es sind die Tinnévölker gemeint -- haben über diesen Punkt
die sonderbare Meinung, daß sobald einer ihres Stammes, durch Not
gedrungen, Menschenfleisch genossen hat, bekommt er davon einen
solchen Geschmack, daß sich niemand unter seiner Gesellschaft des
Lebens sicher glaubt. Und ungeachtet es allgemein bekannt ist, daß
nur die Not zu diesem schrecklichen Genusse treibt, so werden doch
diejenigen, die daran Teil genommen haben, allgemein vermieden und
durchgängig verabscheut und verachtet. Kein Wilder erlaubt ihnen, sein
Zelt neben dem seinigen aufzuschlagen, sie werden oft sogar heimlich
ermordet. Ich habe mehrere dieser Unglücklichen gesehen, die vorher
allgemein geschätzt, im besten Ansehen standen und nun so verachtet
und vernachlässigt wurden, daß nie ein Lächeln ihren Blick erheiterte,
eine tiefe Schwermut herrschte in allen Zügen, und in dem kummervollen
Auge lag deutlich die Frage: „Warum verachtet ihr mich wegen meines
Unglücks? Die Zeit ist vielleicht nicht fern, wo die Not auch euch
dazu verleiten kann.“ ~Hearne~ war 1775 Zeuge in Cumberland House
-- westlich vom Winnipegsee --, daß ein Indianer in Gefahr geriet,
von seinen Gefährten umgebracht zu werden, da er im Verdachte stand,
Menschenfleisch genossen zu haben.“[259]

~J. Long~, ein britischer Holzhändler, welcher gegen Ende des vorigen
Jahrhunderts Canada und die Region der großen Seen Nordamerikas
durchstreifte, ein mit den Sprachen und Sitten der Rothäute
außerordentlich vertrauter Mann, führt die Anthropophagie der
Chippeways auf Blutdurst und Rachsucht zurück. Nachdem er verschiedene
Mordgeschichten erzählt, fährt er fort[260]: „Ein Missionar der
Jesuiten erzählte mir über diesen Gegenstand eine Geschichte, die
niemand ohne Schaudern anhören wird. Ein indianisches Weib in seiner
Mission fütterte ihre Kinder mit einem gefangenen Engländer, den ihr
Mann eingebracht hatte. Sie hieb ihm sogleich einen Arm ab und gab
den Kindern das strömende Blut zu trinken. Als der Jesuit ihr die
Grausamkeit dieser Handlung vorhielt, sah sie ihn an und sagte: ‚Ich
will Krieger aus ihnen haben, und darum füttere ich sie mit Speise von
Menschen.‘“ Hier liegt also ein abergläubiges Motiv zu Grunde.

Eine Autorität wie ~Alexander Mackenzie~, den seine Entdeckungsreisen
und sein langer Aufenthalt in Britisch Nordamerika wohl zu einem
maßgebenden Urteil befähigen, leugnet die Anthropophagie der
Chippeways im allgemeinen und giebt nur Fälle zu, in denen Hungersnot
zu derselben trieb. „Wenn man,“ sagt er, „bei irgend einem Volke,
nach dem unfruchtbaren Zustande seines Landes, voraussetzen könnte,
daß es von Natur kannibalisch wäre, so möchte man bei der zuweilen
eintretenden Schwierigkeit, sich Nahrung zu verschaffen, dieses Volk
(die Chippeways) dem Vorwurf unterworfen glauben. Aber bei aller
meiner Bekanntschaft mit ihnen erfuhr ich nie ein Beispiel dieser
Neigung; auch sah und hörte ich unter allen Eingeborenen, die ich
auf meinem Wege von 5000 (englischen) Meilen traf, nie von einem
Beispiele von Kannibalensinn, sondern nur von solchen, die von der
unwiderstehlichsten Notwendigkeit herrührten, die, wie man weiß,
auch Menschen von den civilisiertesten Völkern einander zu verzehren
zwingt.“[261] Auf solchem Boden steht auch ~P. Kane~, der bei den
Chippeways nur Kannibalismus verursacht _from absolute want_ zuläßt,
dabei aber darauf hinweist, daß unter den Chippeways ein Stamm als
„Windigo“ bezeichnet werde, was bedeutet „Einer, der Menschenfleisch
verzehrt“, worin eine geschichtliche Reminiscenz an früheren
Kannibalismus erkannt werden mag.[262] Wie weit die Ableugnungen
~Mackenzie~s und ~Kane~s berechtigt sind, mag das Folgende ergeben.

Der apostolische Vikar ~H. Faraud~, der achtzehn Jahr lang als
Missionar in der Athabaska-Region verlebte, bestätigt nämlich auf das
entschiedenste den jetzt noch vorhandenen Kannibalismus der nördlichen
Indianer. Derselbe sei allerdings teilweise aus Not im Winter bei
Nahrungsmangel verursacht, dann schlachte man gewöhnlich Weiber oder
Kinder -- teilweise aber sei er eine Folge der Rachsucht im Kriege. Und
hier beschuldigt er Kris und Schwarzfüße, die auf dem Schlachtfelde,
nachdem sie den getöteten Feind skalpiert, diesem das Herz herausreißen
und an Ort und Stelle verzehren.[263]

Gewöhnlich scheint der Kannibalismus nur bei den Chippeways, Miamis,
Potowatomis und überhaupt bei den Rothäuten vom Algonkinervolke gewesen
zu sein; bei den Potowatomis hingegen scheint er nur das Privilegium
einer Gesellschaft oder Brüderschaft zu sein. Die Mitglieder dieser
Brüderschaft sind nicht allein mit großen Heldentugenden begabt,
sondern sie sollen diese auch durch Zaubersprüche mitzuteilen imstande
sein.[264]

Wie ~Keating~ bezeugt, ist bei den Chippeways Kannibalismus nach
einer Schlacht stets allgemein gewesen; ja, fügt er hinzu, man hat
unter ihnen Beispiele, wo das Menschenfleisch gedörrt und Jahre
lang aufgehoben wurde, um nach langer Zeit einen Schmaus daraus zu
bereiten, zu dem sie Gäste einluden.[265] Die Dakotas (Sioux) spricht
er dagegen frei von der Anklage des Kannibalismus.[266] Sein Führer und
Dolmetscher, ein Halbblutindianer ~Renville~, versicherte ~Keating~,
daß er dabei zugegen war, als die Briten im Jahre 1813 in Verbindung
mit einem Corps von etwa 3000 Indianern das Fort Meigs belagerten,
letztere einen gefangenen Amerikaner schlachteten und in so viele Teile
teilten, als Nationen gegenwärtig waren, indem sie den tapfersten unter
jeder Nation aufriefen, um seinen Anteil an dem Kopf und Herzen zu
empfangen. Der dazu aufgeforderte Dakota aber äußerte hierüber seinen
Abscheu, weigerte sich das Fleisch zu essen und entfernte sich. Der
englische Oberst ~Dickson~ aber, welcher die Truppen kommandierte, ließ
den Winnebago rufen, der die Sache angeregt, machte ihm Vorwürfe und
schickte ihn aus dem Lager fort.[267]

Furchtbare Rachsucht, die über das Leben hinaus den Feind noch
verfolgen will, war der wesentlichste Beweggrund des Kannibalismus
der Rothäute und so sind denn unter ihnen darauf zielende Ausdrücke
wie „das Herz des Feindes verzehren“ oder „Feindesblut trinken“ sehr
verbreitet. Algonkiner und Irokesen sind ganz entschieden in diesem
Sinne Anthropophagen gewesen und die Mohawks, die zu den Irokesen
gehören, haben sogar ihren Namen davon, denn er lautet richtig
Mauquawog = Menschenfresser.[268] Nach Dr. ~Samuel Mitchills~ Berichten
waren die im Staate New-York einst lebenden Indianer Anthropophagen.
Die Ottawas kochten Suppe aus dem Fleische gefangener Irokesen. Unter
den Miamis bestand ein Ausschuß von sieben Kriegern, _whose business
it was to perform the maneating required by public authority_. Ihr
letztes Kannibalenfest, bei dem ein Weißer aus Kentucky verzehrt
wurde, fand gegen Ende des vorigen Jahrhunderts statt. Im Beginne
unseres Säculums lebten noch Mitglieder des Menschenfresserkomitees der
Miamis.[269]

Das mag genug sein, um festzustellen, daß die Indianer im Osten der
Felsengebirge in geschichtlicher Zeit und bis auf unsere Tage herab
nicht frei zu sprechen sind von Kannibalismus, wenn auch hervorgehoben
werden muß, daß derselbe nur in geringem Umfange sich zeigt. Es hindert
uns aber nichts anzunehmen, daß die Anthropophagie einst weit häufiger
war, worauf auch die Spuren prähistorischen Kannibalismus hindeuten.

Diese zuerst nachgewiesen zu haben ist das Verdienst des Prof.
~Jefries Wyman~, welcher die uralten Muschelhügel am St. Johns River
im östlichen Florida untersuchte und dabei zahlreiche Menschenknochen
fand, die keineswegs, nach ihrer zerstreuten Lage zu schließen, von
Begräbnissen herrühren konnten. Fast alle waren zerbrochen und oft
fehlten wichtige Teile des Skelettes. Die Art und Weise, wie das
Zerbrechen stattgefunden hatte, entsprach jener der Tierknochen, die
in den Küchenabfallen (als welche die Muschelhügel zu gelten haben)
vorkommen; die Knochen von Hirschen und Alligatoren waren wie die
Menschenknochen behandelt und überall zeigte sich Methode, welche das
Zerbrechen der Knochen etwa durch Tiere ausschloß. Wie in ähnlichen
Fällen in Europa schließt ~Wyman~ aus dieser Art der Knochenbehandlung
auf Kannibalismus der alten Bewohner von Florida, welche ihre
Küchenabfälle in den Muschelhügeln hinterließen.[270]

+Nordamerikas Westküste.+ Kannibalismus ist auch bei den kalifornischen
Indianern bekannt gewesen. Noch existieren unter ihnen Sagen von
Menschenfressern und die das Land erobernden Spanier erzählten, daß die
Wappo (oder Ash-o-chi-mi) in den heißen Quellen des Calistoga-Thales
einst Menschenfleisch kochten, daher der frühere spanische Name Carne
Humana für diese Quellen.[271]

In Nordwestamerika ist die Vancouverinsel, das Küstengebiet von
Britisch-Columbia mit seinen Fjorden, sowie das benachbarte Inselgewirr
der Sitz einer ganz eigentümlichen Art von Anthropophagie, die hier
mit sozialen Rangstufen und einer Art von Kultus verknüpft ist. Dort
wohnen die in ethnologischer Beziehung sehr ausgezeichneten Quakult,
Tschimsian und Bella Coola-Indianer, über die wir Kapitän ~Jacobsen~
eingehende Nachrichten verdanken. Der letztere Stamm ist von ihm 1885,
vertreten durch neun Individuen, in verschiedenen deutschen Städten
gezeigt worden und es hat sich herausgestellt, daß die Art der von ihm
betriebenen Anthropophagie identisch ist mit derjenigen, welche die
Quakult auf Nordvancouver üben, die ~Jacobsen~ ausführlich geschildert
hat.[272]

Diese Indianer, die durch ihre künstlerischen Leistungen hervorragen,
sind Menschenfresser bis auf unsere Tage gewesen, wo die überhand
nehmende Herrschaft der Engländer ihrem Kannibalismus ein Ziel setzt.
Sie haben unter sich eine Anzahl gesellschaftlicher Rangstufen, deren
höchste die der „Hametze“ oder Menschenfresser ist. Diejenigen, welche
dieser Kaste angehören, sind stolz darauf und genießen unter ihrem
Stamme besondere Ehren. Freilich ist bei ihnen jetzt die Zeit vorüber,
in der sie Sklaven oder Kriegsgefangene schlachten und verzehren
konnten, ohne daß Jemand sie daran hinderte; aber sie entschädigen
sich auf weit gräßlichere Weise, indem sie bei ihrem Feste menschliche
Leichen verzehren, die bereits ein oder mehrere Jahre alt sind.

Nicht das Bedürfnis nach Fleischnahrung treibt die Hametzen zu dieser
Art von Kannibalismus. Menschenfleisch zu essen gilt bei ihnen als
Vorrecht, das nur solchen ausgezeichneten Leuten gestattet wird, die
eine ganze Reihe von Kasteiungen und Vorbereitungen durchgemacht haben.
Ein aus gewöhnlichem Geschlechte stammender Indianer wird nie zur
Hametzenwürde zugelassen, dieses ist nur den Söhnen von Häuptlingen
oder sonst hervorragenden Leuten gestattet. Die Vorbereitungen dauern
vier Jahre und es erhält der Eintretende als besonderes und ehrendes
Abzeichen ein aus Cedernbast gefertigtes Band, welches er über der
linken Schulter unter dem rechten Arme durchgehend trägt. Während der
letzten vier Monate der Lehrzeit verlassen die angehenden Hametze Haus
und Familie, um in stiller Waldeseinsamkeit und unter körperlichen
Entbehrungen sich zur letzten großen Ceremonie vorzubereiten.
Nachdem diese Periode vorüber, ist der Augenblick gekommen, daß der
so vorbereitete „Hametze“ werden soll. Er muß zunächst Menschenblut
genießen. „Der künftige Hametze springt plötzlich aus dem Walde hervor,
mitten in das Dorf hinein, stürzt sich auf einen der Anwesenden und
beißt ihn in den Arm oder das Bein, indem er zugleich etwas Blut
aussaugt.“ Der Gebissene hat das Recht Zahlung für diesen Akt zu
verlangen, die in Decken (Blankets) bis zu 40 Stück geleistet wird.[273]

Die Hametze genießen besondere Vorrechte. Ihre Tanzmasken, ihre
Rasseln, ihre Kopf-, Hals- und Armringe sind besonders schön
hergestellt und verziert. Wenn ein Hametze an einem Tanzfest teilnehmen
soll, sind vier Häuptlinge nötig, welche ihn viermal hintereinander
einladen müssen, ehe er sein Erscheinen zusagt. Beim Feste bilden sie
den Gegenstand allgemeiner Hochachtung und sie selbst fühlen sich als
Wesen höherer Gattung und lassen sich feiern.

Mit dem Trinken des Menschenbluts hat ein Hametze jedoch noch nicht
den höchsten Grad seiner Würde erreicht. Die Ceremonie, bei welcher
dieses geschieht, wird von den Hametzen allein in tiefster Einsamkeit
gefeiert. Ist das Kannibalenmahl vorüber, so hat der Hametze das Recht
an seiner Maske einen kleinen, aus Holz geschnitzten Menschenschädel zu
befestigen. ~Jakobsen~ sah Indianer, die nicht weniger als acht solcher
Schädel an der Maske trugen. Wenn die Leiche, von der diese Leute
einige Bissen zu sich nehmen, genügend alt und mumifiziert ist, so soll
der Genuß unschädlich sein, dagegen ist es wiederholt vorgekommen, daß
beim Genuß vom Fleische verhältnismäßig frischer Kadaver einige Hametze
durch Blutvergiftung ihr Ende gefunden haben.

Noch im Jahre 1859 sah es der Verwalter der Hudsonsbai in Fort Rupert,
~Hundt~, mit eigenen Augen an, daß dort (Nordvancouver) ein gefangener
Sklave bei Gelegenheit eines großen Festes an einen Pfahl gebunden und
ihm der Leib aufgeschnitten wurde, worauf die Hametze ihre Hände mit
dem hervorströmenden Blut füllten und letzteres tranken. Wahrscheinlich
wurde der Sklave nachher ganz verzehrt. Zur Strafe für diese Unthat
ließ die englische Regierung das Dorf jener Indianer durch ein
Kanonenboot zerstören.

Bei den Wintertänzen der Indianer auf West-Vancouver sah ~Jakobsen~
Szenen, wie die eben geschilderte, wenigstens pantomimisch
dargestellt.[274]

Das Leichenfressen ist auch bei den Vancouver gegenüber am Festlande
wohnenden Tschimsian festgestellt, während bei den nördlicher wohnenden
Tlinkit (im ehemals russischen Nordamerika) und bei der Haida (auf
den Königin Charlotte-Inseln) nichts sicheres über etwa vorhandene
Anthropophagie verlautet.[275]


  [210] ~Navarrete~, Coleccion de los viages. Madrid 1825. I. 204.

  [211] Histoire générale des Antilles. II. 401.

  [212] ~Herrera~ (bei ~Purchas~ His Pilgrims III. 865) berichtet, daß
        ein Mönch auf Dominica verzehrt worden sei; alle, die von
        seinem Fleische aßen, wurden krank oder starben. ~Purchas~
        macht dazu die Marginalbemerkung: Frier vnwholsome food.

  [213] ~D. Jourdanet~, Histoire véridique de la conquete de la
        Nouvelle-Espagne par Bernal Diaz. Seconde édition. -- -- suivie
        d’une étude sur les sacrifices humains et l’anthropophagie chez
        les Aztèques etc. Paris 1878.

  [214] Tom. I. lib. II. cap. X.

  [215] Drei Berichte von ~F. Cortez~ an ~Karl V.~ Deutsch. Berlin
        1834. 337.

  [216] ~Fray Geronimo de Mendieta.~ Ed. ~Icazbalceta~. Mexico. Lib.
        II. cap. 16. 19 und ~H. Strebel~, Alt-Mexiko. 12.

  [217] ~Waldeck~, Voyage pittoresque et archéologique dans le Yucatan.
        1838. Nach ~Kottenkamp~, Geschichte der Kolonisation Amerikas.
        I. 24.

  [218] Nach ~Squier~ in Transact. Americ. Ethnolog. Soc. III. 138.
        139. (New York 1853.)

  [219] ~Herrera~ bei ~Purchas~ His Pilgrims, The Third Part. London
        1625. 890.

  [220] ~Garcilasso de la Vega~, Histoire des Yncas rois du Perou.
        Traduit de l’Espagnol. Cap. IX. 21. ~Prescott~, Eroberung von
        Peru. I. 81.

  [221] ~E. Pöppig~, Reise in Chile, Peru und auf dem Amazonenstrome.
        Leipzig 1835. II. 449.

  [222] ~Azara~, Voyages dans l’Amérique meridionale. II. 2.

  [223] ~Woldemar Schultz~, Natur- und Kulturstudien über Südamerika
        und seine Bewohner im 4. und 5. Jahresbericht des Vereins für
        Erkunde zu Dresden. 1868. 72.

  [224] ~v. Martius~, Beiträge zur Ethnographie und Sprachenkunde
        Amerikas. Leipzig 1867. I. 538.

  [225] ~Herndon~, Exploration of the Amazon. Washington 1854. 209.

  [226] Anthropological Review. I. 38 (1863).

  [227] ~J. J. v. Tschudi~, Peru. II. 222.

  [228] ~Paul Marcoy~, Voyage de l’océan pacifique à l’océan atlantique
        à travers l’Amérique du Sud, im Tour du Monde. XI. 220.

  [229] Dr. ~Abendroth~ im Globus. XIX. 379.

  [230] ~Paul Marcoy~ im Tour du Monde. XV. 135.

  [231] ~Paul Marcoy~ a. a. O. 138.

  [232] ~Marcoy~ a. a. O. 139.

  [233] ~Keller-Leuzinger~, Vom Amazonas und Madeira. Stuttgart 1874.
        32. 99.

  [234] ~A. R. Wallace~, Amazon and Rio Negro. London 1853. 498. -- ~v.
        Martius~, Beiträge zur Ethnographie Amerikas. I. 600.

  [235] Nach Panama Star and Herald vom 12. April 1883 im Ausland 1883.
        437.

  [236] The Naturalist on the Amazonas. London 1864. 454.

  [237] Expédition dans les parties centrales de l’Amérique du Sud.
        Paris 1850. III. 314.

  [238] Relation du voyage d’Améric Vespuce aux cotes du Brésil fait
        en 1501 et 1502, adressée a Lorenzo di Pierfrancesco de Medici.
        ~Charton~, Voyageurs anciens et modernes. III. 198. Paris 1863.
        Der Brief ward bereits 1503 in Paris gedruckt.

  [239] ~Anton Pigafetta~: Erste Reise um die Welt durch ~Ferdinand
        Magelhan~. Aus dem Italienischen. In ~C. M. Sprengel~s
        Beiträgen zur Völker- und Länderkunde. Leipzig 1784. IV. 13.

  [240] A. a. O. 16.

  [241] Vierter und Fünfter Jahresbericht des Vereins für Erdkunde zu
        Dresden. 1868. 14.

  [242] Warhafftig historia und beschreibung einer landschafft der
        wilden, nacketen, grimmigen menschenfresser leuthen, in der
        newen weit America gelegen, vor und nach Christi geburt im
        Land zu Hessen unbekannt, bisz auff dise II nechst vergangene
        jar, da die ~Hans Staden~ von Homberg ausz Hessen durch sein
        eygne erfarung erkant, und ietzund durch den truck an tag gibt.
        Franckfurt am Main durch Weygandt Han. 1556. Herausgegeben von
        Dr. ~K. Klüpfel~ in der Bibliothek des litterarischen Vereins
        in Stuttgart. Band 47. Stuttgart 1859.

  [243] ~W. C. v. Eschwege~, Journal von Brasilien. Weimar 1818. 89.

  [244] ~Maximilian Prinz zu Neuwied~, Reise nach Brasilien. Frankfurt
        a. M. 1821. II. 49. 50.

  [245] ~Joh. Jak. v. Tschudi~, Reisen durch Südamerika. Leipzig 1866.
        II. 280.

  [246] Hauptmann ~Marlier~s Bericht bei ~v. Eschwege~ a. a. O. 121.
        127. 201.

  [247] ~A. v. Varnhagen~, Historia geral do Brazil etc. Rio de
        Janeiro 1854. Tom. I. 100. ~Schulz~, Natur- und Kulturstudien
        über Südamerika. 15.

  [248] ~Neuwied~ a. a. O. I. 161.

  [249] Nach Dr. ~Couto da Magalhaes~ fressen die Chavantes am Araguay
        die Leichen ihrer verstorbenen Kinder, weil sie wähnen, daß
        dadurch die Seele dieser Kinder in die ihrige übergehe. (Brazil
        and River Plate Mail 21. Febr. 1874.)

  [250] ~E. Reuel Smith~, The Araucarians. New York 1855. 274.

  [251] ~Charles Darwin~s Naturwissenschaftliche Reisen. Deutsch von
        ~Dieffenbach~. Braunschweig 1844. I. 230.

  [252] ~Lubbock~, Die vorgeschichtliche Zeit. Jena 1874. II. 240.

  [253] A two years’ cruise off Tierra de fuego. London 1857. II. 358.

  [254] Transact. Ethnolog. Soc. New Series. I. 264 (1861).

  [255] Bulletins de la société de géographie. 1875. 501.

  [256] Revue d’Ethnographie. IV. 552.

  [257] Anthropological Review. III. 145 (1865).

  [258] ~Samuel Hearne~s Tagebuch seiner Reise von Fort Prinz Wallis
        in der Hudsonsbai nach dem nördlichen Weltmeer. In „Auswahl der
        Nachrichten zur Aufklärung der Völker- und Länderkunde“ von ~M.
        C. Sprengel~. Halle 1797. VII. 126.

  [259] A. a. O. 127.

  [260] ~J. Long~s See- und Landreisen, enthaltend eine Beschreibung
        der Sitten und Gewohnheiten der Nordamerikanischen Wilden. Aus
        dem Englischen. Hamburg 1791. 115.

  [261] ~Alexander Mackenzie~s Reisen von Montreal durch
        Nordwestamerika nach dem Eismeer und der Südsee in den Jahren
        1789 und 1793. Aus dem Englischen. Hamburg 1802. 144.

  [262] ~P. Kane~, An artist among the Indians. London 1859. 58. 60.

  [263] ~H. Faraud~, Dix-huit ans chez les sauvages. Paris 1866. Danach
        Bull. d. l. soc. d’Anthropologie. 1885. 38.

  [264] ~William Keating~, Exped. to the source of St. Peters River.
        London 1825. I. 103. ~Keating~ war Mitglied der großen Ver.
        Staaten Expedition unter Major ~Stephen Long~.

  [265] ~Keating.~ I. 412.

  [266] Nach ~Schoolcraft~ sollen indessen die Sioux (Dakotas) früher
        wenigstens das Herz des Feindes gefressen haben. Indian tribes.
        III. 241. Und, wie die amerikanischen Zeitungen berichteten,
        hat der berühmte Sioux-Häuptling ~Sitting Bull~ noch vor
        wenigen Jahren das Herz der im Kampfe gefallenen amerikanischen
        Offiziere verzehrt, um so tapfer wie sie zu werden.

  [267] ~Keating~. I. 103.

  [268] ~Drake~, The book of the Indians. Boston 1854. III. 37.

  [269] Archaeologia Americana. Worcester, Mass. 1820. I. 353.

  [270] Human Remains in the Shell Heaps of the St. Johns River. In
        Seventh Annual Report of the Peabody Museum. Cambridge, Mass.
        1874. 26.

  [271] Contributions to North American Ethnology. III. 196. 344.

  [272] Kapitän ~Jacobsen~s Reise an der Nordküste Amerikas. Leipzig
        1884. 47 ff.

  [273] Bei den von ~Jacobsen~ 1885 umher geführten Bella Coola sah ich
        zahlreiche auf diese Art von Hametzen herbeigeführte Bißnarben
        auf Armen und Brust mehrerer Individuen.

  [274] ~Jacobsen~s Reise. 109.

  [275] ~Krause~, Die Tlinkit-Indianer. Jena 1885. 318.




+Ergebnisse+.


Wenn auch nicht geleugnet werden kann, daß die Beweise für ein
Vorkommen der Anthropophagie in vorgeschichtlicher Zeit noch wenig
zahlreich und teilweise nicht recht beglaubigt sind, so liegt dies
vor allem in der ungenügenden Zahl der Untersuchungen, sowie in der
Schwierigkeit derselben. Immerhin aber mag nach dem angeführten
Beweismaterial die Anthropophagie prähistorischer Menschen angenommen
werden dürfen und diese Annahme hat nichts überraschendes, wenn wir
gewahren, wie weit verbreitet heutzutage der Kannibalismus noch
ist und wie derselbe sich einst über weit ausgedehnte Landstriche
erstreckte. Wenn es sich auch nicht absolut beweisen läßt, so kann
man doch annehmen, daß die Anthropophagie eine der Kinderkrankheiten
des Menschengeschlechts war; daß dieselbe auch einst weit über
unsern, heute davon freien Erdteil sich verbreitete, dafür sprechen
die zahlreichen sie erwähnenden Stellen der alten Schriftsteller,
die, mögen sie auch hier und da auf Übertreibung beruhen oder gar
Fabeln sein, doch vereinigt mit dem, was Mythen und Sagen, Märchen
und Volksüberlieferungen aller Art uns lehren, in ihrer Gesamtheit
den Beweis herstellen. Allenthalben zeigt ja die Volkslitteratur der
europäischen Völker Anklänge an anthropophage Gewohnheiten und nicht
nur von dem rein materiellen Genüsse des Menschenfleisches ist darin
die Rede, sondern auch jene abergläubigen Wahnvorstellungen, die bei
den Naturvölkern mit dem Kannibalismus verknüpft sind, desgleichen
die Anthropophagie aus Rachsucht haben darin ihren Platz gefunden
als Niederschlag und Überlebsel des einst auch bei Europas Urvölkern
vorhandenen Kannibalismus.

Alle jetzt noch vorhandene Anthropophagie -- und sie ist nur noch über
einen verhältnismäßig geringen Bruchteil der Menschheit verbreitet
-- erscheint aber nur als Überrest der einst allgemein vorhandenen.
Diejenigen Völker, bei denen wir sie noch finden, haben sie seit
Urzeiten, über die ersten Vorkommnisse bei ihnen liegen keine
Nachrichten vor und nirgends läßt sich erkennen, daß erst neuerdings
der Kannibalismus eingeführt worden sei.

Kein Erdteil ist vom Kannibalismus frei zu sprechen; wo er heute nicht
mehr herrscht, da bestand er früher, reiche und arme Länder kannten
ihn oder kennen ihn noch, er kommt in Amerika vor von den eisigen
Gegenden des Hudsonbaigebietes durch die Tropen bis zur Südspitze des
Kontinents. In allen Zonen ist die Anthropophagie verbreitet, doch ist
sie heute wesentlich im Gebiete der Tropen zu Hause, wenn wir auch
keinen genügenden Grund hierfür anzugeben im stande sind. Sie ist bei
seßhaften, ackerbautreibenden Völkern, wie in Afrika, im günstigen
Schwange und findet sich nicht minder bei umherschweifenden Horden, wie
in Amerika und Australien.

Wie die Anthropophagie aus dem Hunger sich heraus zur Gewohnheit
entwickelt und durch die physikalischen Verhältnisse eines Landes
bedingt wird, kann an dem Beispiele von Australien gezeigt werden. In
Australien liegt der Fall vor, daß unfruchtbare Landstriche häufig
genug die dürftige Nahrung versagen, von der sonst die dünn gesäte
Bevölkerung das kümmerliche Leben fristet. Mit der eintretenden oft
alle Lebenskeime versengenden Dürre verschwanden die Tiere, die neben
dürftigen Vegetabilien den Unterhalt der Schwarzen ermöglichte.
Geht die Horde, durch Nahrungsmangel gezwungen, nicht sofort zum
Kannibalismus innerhalb des eigenen Stammes über, so wandert sie
aus und sucht andere Landstriche auf, die weniger oder nicht von
der Trockenheit gelitten haben und Erhaltungsmittel darbieten. Von
gleichen Gründen getrieben, ziehen aber auch andere, feindlich gesinnte
Stämme nach denselben Gegenden, wo nun um das Jagdrecht ein Streit
entsteht. Der Kampf beginnt und die Hungernden verzehren das Fleisch
der gefallenen Feinde, das ihnen willkommene Nahrung bietet. Jetzt ist
auch der Augenblick gekommen, daß die +Rachsucht+ als Beweggrund der
Anthropophagie einsetzt. Der getötete Feind soll gänzlich vernichtet
werden und der Australier ißt mit Vorliebe „Zunge und Herz“ des
erlegten Feindes[276], die Organe, von denen die Feindschaft und die
Schmähreden des Getöteten ausgingen. Und weiter kommt der +Aberglaube+
zur Geltung: er reibt seinen Körper mit dem Nierenfett des Erschlagenen
ein, in dem Wahne, dadurch die Stärke jenes auf sich zu übertragen oder
er verzehrt das Fett aus demselben Grunde. So reihen Aberglauben und
Rachsucht sich den Motiven an, die zum Kannibalismus treiben.

Die Anthropophagie erscheint unter sehr verschiedenen Formen, die
indessen nicht notwendigerweise sich auseinander entwickelt haben
müssen, sondern die auch parallel nebeneinander laufen können. Bedingt
sind diese verschiedenen Formen aber durch die Beweggründe, die zur
Anthropophagie führten oder nach denen sie ausgeübt wird und diese
geben auch die Grundlage für eine Einteilung ab.

Daß der Hunger zu allen Zeiten und bei allen Völkern in unglücklichen
Verhältnissen Menschen zum Kannibalismus getrieben hat, ist natürlich
und braucht nicht an Beispielen hier näher erörtert zu werden.
Nur in den äußersten Fällen griff man aber zur Ernährung durch
Menschenfleisch, wenn die anderweitige, gewohnheitsmäßige Nahrung
fehlte und der notgedrungene Kannibalismus hörte auf, wenn mit dem
gänzlichen Nahrungsmangel die Ursache zu demselben schwand. Bei manchen
Völkern und in manchen Gegenden aber kehren Not und Hunger, bedingt
durch physikalische Verhältnisse so oft, ja regelmäßig wieder, daß das,
was vielleicht anfangs aus Widerwillen geschah, zur Gewohnheit und
Sitte wurde.

Gewiß ist der Hunger eines der treibenden Motive gewesen, das bei den
Feuerländern nach ~Darwin~, den Rothäuten des Hudsonbaigebietes nach
~Hearne~, den Botokuden nach ~v. Tschudi~ zur Anthropophagie führte.
Menschenfleisch ist an und für sich nicht ungesund und die meisten
Urteile stimmen darin überein, daß es sogar wohlschmeckend sei. Die Fan
sagen (nach ~Winwood Reade~), es schmecke wie Affenfleisch, die Battas
loben es (nach ~Bickmore~) vor allen anderen Speisen und dasselbe
behaupten die Melanesier der Neu-Hebriden und der Fidschi-Inseln (nach
~Wilkes~). Die Botokuden (nach ~v. Tschudi~), wie die Bewohner der
Neu-Hebriden (nach ~Turner~) ziehen das Fleisch der Schwarzen dem der
Weißen vor. Aber es fehlt auch nicht an gegenteiligen Behauptungen,
wie denn die Manjuema ~Livingstone~ versicherten, Menschenfleisch
sei nicht gut, man träume nach dem Genusse und die Niam-Niam sagten
~Schweinfurth~ allgemein, Menschenfleisch wirke berauschend.

Aber der Hunger, der die physiologische Entschuldigung der
Anthropophagie abgeben soll, ist in verhältnismäßig wenigen Fällen
als die wirkliche Ursache derselben zu betrachten. Die meisten
Völker und Stämme, welche demselben huldigen, leben im Überfluß, es
mangelt ihnen nicht an animalischer wie vegetabilischer Nahrung. Das
trifft bei fast allen Kannibalen der Südsee wie Afrikas zu und auch
die höhere oder tiefere Gesittung ist von keinerlei Einfluß auf die
abschreckende Erscheinung. Die Niam-Niam in Centralafrika ragen weit
hervor über viele benachbarte Negerstämme, wie Dor, Schilluk, Dinka
u. s. w., und doch sind letztere keineswegs Anthropophagen, während
erstere Kannibalen in der vollsten Bedeutung des Wortes sind. Auch die
Fidschi-Insulaner haben verhältnismäßig entwickelte Zustände, überragen
viele Polynesier, bei denen die Anthropophagie bereits auch ohne Zuthun
der Weißen verschwand. Endlich die Battas auf Sumatra, bei denen
jeder Reisende sich wundert, neben einer Schrift und Litteratur den
Kannibalismus in Gesetzesform gebracht zu sehen. Daß selbst kultivierte
Völker ihr huldigten, ist an den Azteken gezeigt worden.

Als die wesentlichsten Beweggründe zur Anthropophagie stellen sich aber
stets der Aberglauben -- sei er religiöser oder sonstiger Art -- und
die Rachsucht dar und diese beiden finden wir überall da verbreitet
und zur That treibend, wo der Kannibalismus vorhanden ist. Sahen wir
Kriegsgefangene als Beute, so werden die schönsten, tapfersten und
durch ihre Stellung hervorragenden zunächst verzehrt. Beschränkt
sich der Kannibalismus auf das Essen von einzelnen Teilen, so sind
es die Augen, das Herz, das Gehirn, welche bevorzugt werden, denn
sie sind der Sitz der Tugenden, der Tapferkeit und der Stärke des zu
Verzehrenden, und diese will der Überwinder sich so zu eigen machen.
So erklärt sich auch, daß häufig die Anthropophagie ein Vorrecht ist,
ausgeübt von Häuptlingen oder auserlesenen Kriegern, welche allein
der Gunst teilhaft werden sollen, ihre moralischen Eigenschaften
solchergestalt zu stärken und zu vermehren. Es geschieht dieses
zuweilen in einer sozusagen sublimierten Weise bei Völkern, denen
vielleicht der direkte Genuß des Menschenfleisches zuwider ist, welche
aber doch den vermeintlichen moralischen Gewinn aus demselben ziehen
wollen. So verzehren die südamerikanischen Tarianas und Tucanos nicht
direkt das Fleisch Verstorbener, um deren Eigenschaften und Tugenden
in sich aufzunehmen, sondern der Körper liegt erst einen Monat in der
Erde, wird dann ausgegraben und über Feuer zu einer verkohlten Masse
gedörrt. Diese wird gepulvert mit Caxiri vermischt getrunken.[277]
Wenn, nach ~Bowdich~, der Fetischmann der Aschanti das Herz eines
gefangenen Feindes frißt, so thut er dies, um nicht durch den Geist
des Gestorbenen gequält zu werden, von dem er annimmt, daß er seinen
Sitz im Herzen hat. Die Yamas am Amazonenstrom verzehren das Mark aus
den Knochen ihrer Toten, weil sie wähnen, daß dadurch die Seele des
Verstorbenen in ihren Körper übergehe (~Marcoy~). Die Dajaks geben nach
~Müller~[278] Knaben die Stirnhaut und das Herz erlegter Feinde zu
essen, um sie tapfer und muthig zu machen. Eine Chippeway-Indianerin
fütterte ihre Kinder aus dem gleichen Grunde mit dem Fleische eines
Engländers (~Long~); bei den Südaustraliern erlangt ein älterer
Bruder die Körperkraft seines jüngeren Bruders, wenn er ihn frißt
(~Stanbridge~); in Queensland verzehrt die Mutter ihr neugeborenes Kind
in dem Wahne, die ihr durch die Leibesfrucht entzogene Kraft wieder zu
gewinnen (~Angas~) und daselbst glaubt man sogar durch Verzehren die
Toten zu ehren. Die Maoris wähnten nach Cook, daß die verzehrten Feinde
in ein ewiges Feuer kämen.

Überall sehen wir daher, wie der Glaube an das Dasein einer Seele,
einer besonderen geistigen Kraft in dem zu Verzehrenden, als die
letzte Ursache der Anthropophagie zu betrachten ist. Der Geist und die
Tugenden des Verzehrten sollen durch den Genuß des Menschenfleisches
in den Besitz des Essenden übergehen, gerade so, wie ihm durch andere
Nahrung Zuwachs an physischer Kraft entsteht.[279]

Eng verschwistert mit dem Aberglauben ist der andere Beweggrund, die
Rachsucht. Am klarsten und deutlichsten wird uns derselbe bei den
Mesayas am Amazonenstrom, die das Fleisch des erschlagenen Feindes,
nachdem sie es mit Widerwillen hinabgewürgt haben, wieder durch
Erbrechen von sich geben (~Marcoy~). Die Strafe ist dann vollzogen,
der Rachsucht Genüge geleistet, der Genuß des Menschenfleisches an
und für sich erscheint den Mesayas ekelhaft. Wilde Rachsucht war auch
bei den Kariben die Ursache ihrer Anthropophagie und die meisten von
ihnen wurden nach dem Genusse krank (~du Tertre~). Neben dem Hunger
wirkt bei den Botokuden auch Rachsucht bestimmend, um den Feind zu
fressen (~v. Tschudi~), und ~Pigafetta~, ~Vespucci~, ~Hans Staden~
berichten dasselbe von den Tupivölkern an Südamerikas Ostküste. Hier
ging, wie wir durch ~Hans Staden~ wissen, die Leidenschaft so weit,
daß der Vertilger des erschlagenen Feindes dessen Namen annahm, um so,
neben der Vernichtung des Körpers, auch dessen geistiges Fortleben noch
gänzlich zu verwischen. Teilweise ist Rachsucht auch der Beweggrund bei
den Negern des Nigerdeltas (nach ~Crowther~); alleiniges Motiv scheint
dieselbe bei den Manjuema in Innerafrika (nach ~Livingstone~) zu sein.
Rachsucht erniedrigt die Melanesier der Salomonen und Neu-Hebriden zu
Kannibalen. Sie ist vorzugsweise der Beweggrund für die Anthropophagie
der amerikanischen Rothäute.

Förmlich in ein System gebracht ist die Rachsucht bei einigen Völkern,
welche das Menschenfressen als integrierenden Teil ihrer Gesetzgebung
betrachten. Die höchste Strafe, welche man einem Feinde, einem
Verbrecher angedeihen lassen kann, besteht darin, daß man ihn auffrißt.
Als einziges Beispiel hierfür wurden nach ~Junghuhn~s Eröffnungen die
Battas auf Sumatra angeführt, wir haben indessen oben die Belegstellen
beigebracht, daß auch noch einige andere Völker die Anthropophagie
unter demselben Gesichtspunkte betrachten: die Kissama in Westafrika
nach ~Hamilton~ und die Neu-Caledonier nach ~Garnier~.

Am scheußlichsten erscheint uns die Anthropophagie aber entschieden da,
wo alles Gefühl so abgestumpft ist, daß sie zur reinen Leckerei wird,
oder wenn man das Fleisch des Menschen genau so verzehrt, wie jedes
beliebige andere Fleisch. Wenn -- wie übereinstimmend verschiedene
glaubwürdige Beobachter berichten -- die Fan am Gabon und die Obotschi
am Niger fremde Leichen ausgraben und fressen, so finden wir dafür
keine Beschönigung. Das Menschenfleisch wird dann Ware, wie bei uns
im Fleischerladen; ~Hutchinson~ sah es am Altkalabar in Körben auf
dem Markte zum Verkauf ausgestellt; ~A. Vespucci~ und ~Pigafetta~
schildern, wie es bei den Tupivölkern geräuchert aufbewahrt wird;
Monbuttu, Abanga und Niam-Niam, Neu-Caledonier und Fidschi-Insulaner
sind auch in diese Kategorie der Erzkannibalen einzureihen, mögen
immerhin auch noch andere Motive bei ihnen mit unterlaufen. Am
empörendsten aber erscheint uns das Auffressen der eigenen Kinder,
wie es bei den Neu-Caledoniern nach ~Garnier~, bei den Niam-Niam
nach ~Schweinfurth~, den Australiern nach ~Angas~, ~Stanbridge~
u. a. vorkommt und mit dem sonst anderwärts häufigen Kindermord nicht
verwechselt werden darf.

Noch ist hervorzuheben, daß bei einigen Völkern die Anthropophagie
sich als ein Vorrecht gewisser Klassen zeigt. Bei den Potawatomis
war sie nach ~Keating~ das Privilegium einer eigenen Bruderschaft,
die mit besonderen Heldentugenden ausgestattet erscheint; auf den
Salomonen erhielt der Häuptling als den ihm zukommenden Teil die in
ein Bananenblatt gewickelte Scham, auf Tahiti reichte man ein Auge
des Opfers dem Könige, welcher so that, als ob er es verschlinge, und
gleiches wird von den hawaiischen Inseln berichtet. Letztere beide
Fälle sind noch als Überreste des ehemals herrschenden Kannibalismus
zu deuten, der in Dahomeh, wo der König den Finger in das Blut der
Schlachtopfer taucht und ableckt, in Aschanti, wo noch Fetischmänner
die Herzen fressen, auf den Samoa- und Tonga-Inseln überhaupt nur
noch rudimentär vorhanden ist und wo wir, in Ermangelung anderer
Nachrichten, hieraus, sowie aus verschiedenen anderen Anzeichen, auf
die ehemalige Ausdehnung des Kannibalismus schließen müssen.

Zeigen viele Völker scham- und scheulos ihre Anthropophagie,
so fehlt es bei anderen keineswegs an Anzeichen, daß sie sich
derselben schämen und damit, so will es uns scheinen, ist auch der
Anfang zu einem Aufgeben des entsetzlichen Brauches gemacht. Die
Kannibalenschmäuse werden oft geheim gehalten und ~Livingstone~
konnte unter keiner Bedingung zu einem solchen Banket der Manjuema
Zutritt erhalten. ~Griffon du Bellay~ giebt an, die Fan hielten ihre
Menschenfleischmahlzeiten geheim und schlössen die Kinder dabei aus:
das letztere war auch auf den Markesas der Fall, wo ebenfalls die
Weiber sich nicht bei der Sache beteiligen durften, was überhaupt
mehrfach Brauch war. Die Maoris ließen nur ausnahmsweise Frauen dabei
zu.

Erfreulich ist es nun zu sehen, wie mehr und mehr die Anthropophagie
an Boden verliert und wie selbst in der kurzen Spanne geschichtlicher
Zeit, die seit der großen Periode der Entdeckungen verflossen ist, in
einem sehr bedeutenden Raume der Kannibalismus bereits verschwand.
Nicht immer war es die Einwirkung weißer Ansiedler oder der Eifer der
Glaubensboten, welche die Ausrottung des Übels bewirkten; auch von
selbst, ohne fremde Dazwischenkunft sind Völker zum Aufgeben ihrer
kannibalischen Gewohnheiten gelangt. Bei vielen Polynesiern -- wo heute
noch durch Anklänge sich das ehemalige Vorhandensein der Anthropophagie
konstatieren läßt -- war sie verschwunden oder im Erlöschen, als
weiße Menschen zuerst ihre Inseln betraten, so auf Tahatii, Hawaii,
den Schifferinseln, in Mikronesien. Sicherlich waren die Bewohner des
malayischen Archipels einst allgemein Anthropophagen; heute suchen wir
dort nur mühsam die Anklänge an diese Unsitte, sowie die Überreste
derselben zusammen. Freilich verschwand an manchen Stellen auch die
Anthropophagie mit dem Volke selbst und da, wo vor nur hundert Jahren
im Gebiete der großen nordamerikanischen Seen noch anthropophage
Rothäute der Jagd oblagen und rachsüchtig den an den Kriegspfahl
gebundenen Feind zerstückelten und verzehrten, da breitet sich nun,
mächtig das Land überflutend, die angelsächsische Rasse aus. Auf
Anahuacs Hochebene, wo der Weltseele blutige Menschenopfer, verbunden
mit kannibalischen Schmausereien, dargebracht wurden, lebt freilich
noch heute dasselbe Indianervolk, das jedoch mit seiner Sprache auch
die alten Sitten und die Anthropophagie aufgab und einbezogen ist in
den Kreis unserer Civilisation.

An Verteidigern der Anthropophagie hat es nicht gefehlt. ~Zeno~,
~Diogenes~, ~Chrysippus~ und ~Montaigne~ entschuldigten sie aus
moralischen Gründen[280] und auch unser ~Georg Forster~ glaubt ein
beschönigendes Wort für sie einlegen zu müssen: „So sehr es auch
unserer Erziehung zuwider sein mag,“ sagt er, „so ist es doch an und
für sich weder unnatürlich noch strafbar, Menschenfleisch zu essen.
Nur um deswillen ist es zu verbannen, weil die geselligen Empfindungen
der Menschenliebe und des Mitleids so leicht dabei verloren gehen
können. Da nun aber ohne diese keine menschliche Gesellschaft bestehen
kann, so hat der erste Schritt zur Kultur bei allen Völkern +dieser+
sein müssen, daß man dem Menschenfressen entsagt und Abscheu dafür zu
erregen versucht hat.“[281]


  [276] ~W. Powell~, Unter den Kannibalen von Neu-Britannien. Leipzig
        1884. 220.

  [277] ~Wallace~, Amazon and Rio Negro. London 1853. 498.

  [278] Allgemeine Ethnographie. 315.

  [279] In Parallele dazu steht der bei Naturvölkern weit verbreitete
        Wahn, daß gewisse Tiere oder Pflanzen durch Verspeisen
        besondere Eigenschaften verleihen. Ich könnte Dutzende von
        Beispielen anführen, erwähne aber nur die Zaparos am Napo
        in Südamerika, welche mit Vorliebe Fische, Affen und Vögel
        verspeisen, „um flink und gewandt zu werden“. Sie verschmähen
        aber das Fleisch schwerfälliger Tiere, wie Tapir und Peccari,
        „damit sie nicht plump wie diese werden“. Denn solche
        Eigenschaft ist störend für ein Urwaldjägervolk (Journal
        Anthropol. Institut. VII. 503).

  [280] ~Winwood Reade.~ Savage Africa. 158.

  [281] Sämtliche Schriften. Leipzig 1843. I. 407.




·Verlag von VEIT & COMP. in Leipzig.·


  =du Bois-Reymond, Emil, Reden.= Zwei Bände. (Erste und zweite Folge.)
  gr. 8. 1886/87. geh. 17 _M_; eleg. geb. 21 _M_.

Jeder Band ist einzeln käuflich.


Erste Folge.

_Litteratur, Philosophie, Zeitgeschichte._

gr. 8. 1886. geh. 8 _M_; eleg. geb. 10 _M_.

+Inhalt+: Voltaire als Naturforscher. -- Leibnizische Gedanken in der
neueren Naturwissenschaft. -- Aus den Tagen des norddeutschen Bundes.
-- Der deutsche Krieg. -- Das Kaiserreich und der Friede. -- Ueber
die Grenzen des Naturerkennens. -- Ueber eine kaiserliche Akademie
der deutschen Sprache. -- La Mettrie. -- Darwin versus Galiani. --
Culturgeschichte und Naturwissenschaft. -- Ueber das Nationalgefühl.
-- Friedrich II. und Rousseau. -- Die sieben Welträthsel. -- Friedrich
II. in englischen Urtheilen. -- Die Humboldtdenkmäler vor der Berliner
Universität. -- Diderot.


Zweite Folge.

_Biographie, Wissenschaft, Ansprachen._

gr. 8. 1887. geh. 9 _M_; eleg. geb. 11 _M_.

+Inhalt+: Ueber die Lebenskraft. -- Ueber thierische Bewegung.
-- Gedächtnissrede auf Paul Erman. -- Eduard Hallmann’s
Leben. -- Ueber lebend nach Berlin gebrachte Zitterwelse aus
Westafrika. -- Gedächtnissrede auf Johannes Müller. -- Ueber
Universitätseinrichtungen. -- Ueber Geschichte der Wissenschaft. --
Der physiologische Unterricht sonst und jetzt. -- ‚Aus den Llanos‘.
-- Ueber die Uebung. -- Ueber die wissenschaftlichen Zustände der
Gegenwart. -- Die Britische Naturforscherversammlung zu Southampton
im Jahre 1882. -- Darwin und Kopernicus. -- Die Berliner Französische
Colonie in der Akademie der Wissenschaften. -- Akademische Ansprachen.


  =Hoernes=, Dr. =Rudolf=, o. ö. Professor an der Universität Graz,
  =Elemente der Palaeontologie= (Palaeozoologie). Mit 672 Figuren in
  Holzschnitt. gr. 8. 1884. geh.

  16 _M_.


  =Kollmann=, Dr. =J.=, o. ö. Professor der Anatomie zu Basel,
  =Plastische Anatomie des menschlichen Körpers=. Ein Handbuch für
  Künstler und Kunstfreunde. Mit zahlreichen Abbildungen im Text.
  Roy.-8. 1886. geh.

  14 _M_.


  =Fuchs, Dr. Max, Die geographische Verbreitung des Kaffeebaumes.=
  Eine pflanzengeographische Studie, gr. 8. 1886. geh.

  1 _M_ 80 _Pf_

  =Hahn, Dr. P. G.=, Professor der Erdkunde an der Universität
  Königsberg, =Insel-Studien=. Versuch einer auf orographische und
  geologische Verhältnisse gegründeten Eintheilung der Inseln. Mit
  einer Karte in Farbendruck. gr. 8. 1883. geh.

  7 _M_ 20 _Pf_

  =Hartmann, Dr. Robert=, Professor an der Universität Berlin, =Der
  Gorilla=. Mit 13 in den Text eingedruckten Holzschnitten und 21
  Tafeln. 4. 1880. geh.

  30 _M_

  =Hirschberg, Dr. J.=, Professor der Augenheilkunde zu Berlin, =Eine
  Woche in Tunis=. Tagebuchblätter, gr. 8. 1885. geh.

  2 _M_

  =Der Periplus des Erythräischen Meeres= von einem Unbekannten.
  Griechisch und deutsch mit kritischen und erklärenden Anmerkungen
  nebst vollständigem Wörterverzeichniss von =B. Fabricius=. gr. 8.
  1883. geh.

  6 _M_

    Im Periplus schildert ein ägyptischer Kaufmann seine im
    letzten Drittel des ersten Jahrhunderts unserer Zeitrechnung
    unternommenen Fahrten an der Westseite des roten Meeres mit der
    sich anschließenden Ostküste Afrika’s und an der Ostküste des
    roten Meeres hin bis nach Indien, um Vorderindien herum, an Ceylon
    vorüber bis an die Mündung des Ganges. Zum ersten Male werden diese
    für die Kulturgeschichte so wichtigen Aufzeichnungen in deutscher
    Übersetzung mit ausführlichem Kommentar veröffentlicht.

  =Ploss, Dr. H. H., Ueber die Lage und Stellung der Frau während der
  Geburt bei verschiedenen Völkern.= Eine anthropologische Studie. Mit
  6 Holzschnitten, gr. 8. 1872. geh.

  1 _M_ 50 _Pf_

    ---- =Zur Geschichte, Verbreitung und Methode der
    Frucht-Abtreibung.= Culturgeschichtlich-medicinische Skizze. gr.
    8. 1883. geh.

  1 _M_ 40 _Pf_

  =Richthofen, Ferd.= Freiherr von, Professor der Erdkunde an der
  Universität Leipzig, =Aufgaben und Methoden der heutigen Geographie=.
  Akademische Antrittsrede gehalten in der Aula der Universität Leipzig
  am 27. April 1883. gr. 8. 1883. geh.

  1 _M_ 80 _Pf_

  =Sachs, Carl, Aus den Llanos.= Schilderung einer
  naturwissenschaftlichen Reise nach Venezuela. Mit Abbildungen im Text
  und einem Titelbilde. gr. 8. 1879. geh.

  9 _M_

    Das Werk des in den Tiroler Alpen verunglückten hoffnungsvollen
    jungen Gelehrten ist eine der besten Erscheinungen auf dem Gebiete
    der neueren Reisebeschreibung. Es schildert in lebendiger und
    anziehender Weise die Erlebnisse und Eindrücke des Verfassers auf
    einer im Auftrage der Berliner Akademie der Wissenschaften auf
    Kosten der Humboldtstiftung in den Jahren 1876-1877 ausgeführten
    Reise nach Venezuela.

  =Supan, Prof.= Dr. A., Herausgeber von Petermann’s Mittheilungen,
  =Grundzüge der physischen Erdkunde=. Mit 139 Abbildungen im Text und
  20 Karten in Farbendruck. gr. 8. 1884. geh.

  10 _M_


Druck von +Metzger & Wittig+ in Leipzig.






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THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE

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(or any other work associated in any way with the phrase “Project
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Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
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1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
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and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
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Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
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electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
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displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
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1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
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distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
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country other than the United States.

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on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
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    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
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derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
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obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
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1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
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1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
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work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
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1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
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any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
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to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
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1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
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unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
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        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
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        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

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effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
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INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
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with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
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or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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