Der Hansische Stahlhof in London

By Reinhold Pauli

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Pauli


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Title: Der Hansische Stahlhof in London
       Ein Vortrag, gehalten im Saale des goldenen Sterns zu Bonn am 11. März 1856


Author: Reinhold Pauli



Release Date: July 8, 2008  [eBook #25999]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HANSISCHE STAHLHOF IN LONDON***


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DER HANSISCHE STAHLHOF IN LONDON.

Ein Vortrag, gehalten im Saale
des goldenen Sterns zu Bonn
am 11. März 1856
Von

REINHOLD PAULI.

(Aus dem Bremer Sonntagsblatt.)







Bremen.
Druck und Verlag von Heinrich Strack.
1856




Dem Deutschen, der um die Wasserseite der Stadt London zu
betrachten in Westminster eines jener vielen Dampfboote besteigt, die
bekanntlich gleich den Droschken in den Straßen unserer Städte den
Themsefluß befahren, mag neben den gewaltigen Brücken, den Domen,
die über Rauch und Nebel emporragen, den endlosen geräuschvollen
Waarenlagern, ein wenig oberhalb der letzten Brücke, welche ihre
kolossalen Bogen über den Fluß spannt, kurz ehe er wieder ans Land
steigt, ein besonders abgetheilter Quay mit umfangreichen Packhäusern
ins Auge fallen, dessen Baustil, dessen grüne Fensterladen und dessen
dort seltener Schmuck, einige grüne Bäume, unwillkürlich an ähnliche
Plätze in deutschen Seestädten erinnern. Es ist in der That mitten
in dem fremden London ein Fleck, an welchem einst aus unvordenklichen
Zeiten her unsere Landsleute gelebt und den sie bis vor wenigen
Jahren besessen haben. Es ist die uralte Faktorei und der Stapelplatz
der Kaufleute der deutschen Hanse, bekannt unter dem Namen
des Stahlhofs, auf englisch _Steelyard_. Die Ursache, weshalb den
Deutschen allein vor allen andern Nationen Europas die Vergünstigung
widerfahren ist in dem exclusiven England Jahrhunderte hindurch
Grund und Boden zu besitzen, läßt sich nicht mit Bestimmtheit
angeben, wenn man sie nicht in der ähnlichen geographischen
Beschaffenheit des nördlichen Deutschlands und des südlichen Englands
und in der unvertilgbaren Stammverwandtschaft ihrer Bewohner
finden will. Die Angeln und Sachsen, die über die rauhe Nordsee
zogen um Britannien zu erobern, eröffneten unstreitig auch den ersten
Handelsverkehr zwischen den beiden Ländern. Er wird dann besonders
kräftig aufgeblüht sein, nachdem die Nachkommen Aelfreds des Großen
sich in Erinnerung an die gemeinsame Herkunft mit den Ottonen
Deutschlands verschwägerten. Die Verwandtschaft der norddeutschen
Fürstenhäuser mit dem englischen besteht ja bis auf diesen Tag;
das weiße Roß, das schon Hengist und Horsa im Schilde führten,
findet sich bis heute im Wappen von Braunschweig-Lüneburg; es ist
der Seerappe, nach welchem die Sachsen einst dichterisch ihre
hochgeschnäbelten Schiffe benannten. Enge verwandtschaftliche Bande
der Fürsten und gemeinsamer Ursprung der beiden Völker haben also die
eigenthümliche Entwickelung, welche ihr internationaler Verkehr genommen
hat, gefördert.

Sie müssen mir erlauben, die Hauptmomente desselben aus der
Geschichte des Stahlhofs hervorzuheben. Lange ehe noch die deutschen
Städte zu dem weltberühmten Bunde der Hanse zusammentraten,
und ehe der Grund zu ihren fernen Handelsfaktoreien in Rußland,
Skandinavien, Flandern und Portugal, zu Nowgorod, Wisby, Bergen,
Antwerpen und Lissabon gelegt war, muß es eine Korporation deutscher
Kaufleute an der Themse gegeben haben. Eine Urkunde des Sachsenkönigs
Aethelreds II., der von 978 bis 1016 herrschte, sichert den
Leuten aus den Landen des Kaisers, welche mit ihren Schiffen nach
England fahren, dieselben Handelsrechte zu wie sie die Einheimischen
besitzen, wofür sie zu Weihnachten und zu Ostern je zwei Stück
graues und ein Stück braunes Tuch, zehn Pfund Pfeffer, fünf Paar
Mannshandschuh und zwei Fäßchen Essig als Abgabe zu entrichten
haben. Daß kein Geld verlangt wird, sieht ganz wie die althergebrachte
Leistung einer Gilde aus, von deren Mitgliedern außerdem
angenommen wird, daß sie auch in England überwintern. Dann hören
wir erst wieder in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, wie
Heinrich II. der erste Plantagenet, die Leute von Köln nebst dem
von ihnen in London besessenen Hause und allen darin befindlichen
Waaren in seinen besonderen Schutz nimmt und ihnen gestattet ihren
Rheinwein, den sie damals schon in London zu Markte brachten,
für denselben Preis zu verkaufen, zu dem man dort den französischen
Wein ausbot. Als späterhin Richard Löwenherz aus der Gefangenschaft
Kaiser Heinrichs VI. entlassen wurde und froh gleich einem
wilden Vogel, der dem Käfige entkommen, in die Heimath eilte,
rastete er einen Tag in Köln, ließ sich im Dome ein Hochamt feiern
und dankte den Bürgern für den ihm bereiteten Empfang, indem er
ihnen die Jahresrente von zwei englischen Schillingen, die sie für ihre
Gildhalle in London zu entrichten hatten, auf immer erließ. Es sind
also die Leute des Kaisers, vor allen die Kölner, denen in London
ein Haus gehörte, das wie heute noch das Stadthaus der City daselbst
den altsächsischen Namen einer Gildhalle trug.

Allein es dauert nicht lange, so werden die Angehörigen noch
anderer deutschen Städte an den Ufern der Themse erkennbar; bald
war der Hansebund im Entstehen. Es sind die Zeiten der großen
für das Reich so verhängnißvollen Kämpfe zwischen den Hohenstaufen
und Welfen; dadurch daß Heinrich II. von England eine seiner
Töchter an Heinrich den Löwen vermählte, hatte er seiner Dynastie
eine welfische Politik vorgezeichnet. Diesem Principe aber, das
an der Zertrümmerung deutscher Einheit so unendlich viel Schuld
trägt, verdanken die Städte Italiens so gut wie die des südlichen
und nördlichen Deutschlands ihr wunderbar rasches Aufblühen zu
fast autonomen Communen. Die Wahl Kaiser Ottos IV., desjenigen
Welfen, der zum ersten Male die Hohenstaufen verdrängt, wurde
mit Hülfe seines Oheims des löwenherzigen Richard und des von
ihm gezahlten englischen Geldes durchgesetzt. Fest hielten die
Kölner zu ihm; selbst nach der großen Schlacht bei Bouvines, wo Otto
nebst Johann ohne Land von französischen Waffen und hohenstaufischer
Politik besiegt wurde, wollten sie nicht von ihm lassen. Als
dann der große Kaiser Friedrich II. nach langer wechselvoller
Regierung gestorben und seine Nachkommen bald nach ihm ihr tragisches
Ende gefunden hatten, erscheint unter den Thronprätendenten des
gespaltenen Reichs als Vertreter der welfischen Ideen geradezu
ein Prinz aus dem Hause Plantagenet, Richard von Cornwall, der
Bruder des englischen Königs Heinrich III. Ihm verdankt die Hanse
ihre Anerkennung in England. Schon König Johann hatte die Bremer
ausdrücklich mit denselben Rechten wie die Kölner zugelassen; ihnen
folgen jetzt die Hamburger, die Leute von Lübeck, bald hernach
Vorort der Hanse, die von Rostock, Wismar, Stralsund, Greifswald.
Die Kölner, eifersüchtig auf dieses Herbeidrängen der Norddeutschen,
mochten noch so viel grollen, im Jahre 1260 wird allen gemeinsam
von Heinrich III. ein großer Freibrief ausgestellt, allen Kaufleuten
von Alemannien, die das Haus zu London besitzen, welches die deutsche
Gildhalle heißt, die _Aula Teutonicorum_.

Eine kleine Familiengeschichte aus jenen Tagen mag hier dienen
uns die Einwanderung und das Fortkommen unserer Landsleute zu
vergegenwärtigen. In den Archiven der Stadt London liegt ein
merkwürdiger Pergamentcodex aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts,
dessen Verfasser, der bescheiden nur in der dritten Person
von sich selber redet, eine kurze Geschichte seiner Herkunft giebt.
In den letzten Decennien des 12. Jahrhunderts, erzählt er, sei ein
Mann, Arnold von Grevinge mit Namen, gebürtig aus der Stadt Köln,
nach England gekommen nebst seiner Frau, welche Ode geheißen. Sie
seien kinderlos gewesen und wären nach ihrer Landung sofort zu
dem Grabe des im Jahre 1170 ermordeten und als wunderthätigen
Heiligen verehrten Erzbischofs Thomas Becket nach Canterbury
gewallfahrtet, um sich die Fürbitte des Märtyrers um Nachkommenschaft
zu erflehen. Würde ihnen ein Sohn geschenkt, so wollten sie
ihn dem Dienste Gottes weihen, er sollte Mönch werden in dem
berühmten Kloster zu Canterbury, dem Thomas Becket einst
vorgestanden. Arnold zog darauf nach London und ging seinem Geschäfte
nach; er erhielt zwei Kinder, einen Sohn, den er zum Danke für
die Erhörung seines Gebets Thomas nannte und eine Tochter Juliane.
Thomas wurde nun freilich nicht Mönch; er nahm statt dessen das
Kreuz und folgte im Jahre 1203 den Schaaren des Grafen Balduin
von Flandern nach Konstantinopel. Bei der Einnahme des griechischen
Reichs auf jenem merkwürdigen Kreuzzuge ist er verschollen. Seine
Schwester Juliane aber heirathete zu London einen Landsmann,
Thedmar, gebürtig aus der Stadt Bremen. Sie wurden Eltern von
eilf Kindern; und daß es ihnen gut gegangen, erhellt daraus,
daß ihre vier Töchter bei der Verheirathung auf das Glänzendste
ausgestattet worden sind. Einer ihrer Söhne, Arnold mit Namen, ist
der Verfasser des alten Pergamentbandes, den ich erwähnt habe, und
außerdem ein Mann, der in seinem bewegten Zeitalter eine hervorragende
Stelle in der Geschichte der Stadt London gespielt hat. Er
wurde einer der 12 Aeltermänner der Stadt und bewahrte daneben
in treuer und dankbarer Erinnerung an seine Abstammung den
Zusammenhang mit seinen Landsleuten, die ihn ebenfalls zum Aeltermanne
und Vorstande ihrer Gildhalle erwählten. Während des Kampfs
der Barone mit dem Könige Heinrich III., an welchem das demokratische
Element in der City eifrigen Antheil nahm, hielt er sich streng
conservativ zu dem Fürsten; mehrere Male hat er von seinem bedeutenden
Vermögen hohe Strafgelder bezahlen müssen, einmal schwebte
sogar sein Leben in Gefahr. Er ist hernach in hohem Ansehen und
hoch betagt über 90 Jahre alt gestorben. In dem ohne Frage von
ihm selbst geschriebenen Buche erzählte er viel von dem römischen
Könige Richard, dem er persönlich nahe gestanden zu haben scheint,
und bei dem er sicher die bedeutenden Privilegien für seine Landsleute
aus den deutschen Seestädten befürwortet hat; auch gedenkt er
mit besonderer Theilnahme der Wahl des Grafen Rudolfs von Habsburg
zum römischen Könige, durch welche das zerrüttete Deutschland
dem Auslande gegenüber doch in Etwas wieder zu Ehren kam. Diese
wenigen Züge aus dem Leben eines englischen Aeltermanns bremischer
Abkunft gewähren uns ein Bild, in welcher Weise es fleißigen
deutschen Einwanderern und ihren Nachkommen gelang auf englischem
Boden heimisch und ihres Lebens froh zu werden; sie zeigen
außerdem, wie in einer Familie, als Beispiel für die ganze deutsche
Handelskolonie, der Kölner und der hanseatische Ursprung durch Heirath
zur Versöhnung kam.

Hinfort wohnten die Kaufleute vom Rhein und die von der
Nord- und Ostsee harmlos bei einander und genossen gemeinsam die
bedeutenden an ihre Gildhalle geknüpften Vorrechte. In ihrer emsigen
Thätigkeit kamen ihnen die Engländer noch nicht gleich; reicher als
sie waren allein die italiänischen Wechsler, welche damals die bis
auf diesen Tag noch von Banquierhäusern angefüllte Lombardstreet
bewohnten. Dem Wuchergeschäfte abhold, betrieben die Deutschen
dagegen fast ausschließlich die Spedition; auf ihren eigenen
Schiffen führten sie die rohen Produkte Norwegens und Rußlands,
so wie aus Spanien und Portugal die Früchte des Südens ein. Ein
bedeutender Aufschwung ihres Handels geschah zu Anfang der glänzenden
Regierung des mächtigen Königs Eduard III. Der große langjährige
Kampf, den dieser Fürst um die Krone von Frankreich führte,
erforderte auch ganz außerordentliche Mittel. Seine engen
verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem deutschen Kaiser Ludwig IV.
und den niederländischen Fürstenhäusern richteten seine Blicke
wegen Anknüpfung politischer und commerzieller Verbindungen bald
ausschließlich nach dem Reiche. Im Sommer 1338 reiste Eduard selbst
an den Rhein, verweilte in Köln, wo er den eben vollendeten Chor des
herrlichen Doms anstaunte und reich beschenkte, und verhandelte mit
seinem Schwager dem Kaiser in Koblenz. Aber nach wenigen Jahren
überstiegen die seinem eigenen Lande abverlangten Kriegssteuern die
zugänglichen Kräfte desselben, eine gewaltige Noth ergriff den Geldmarkt
in England, Flandern und Italien; der Mittelpunkt der italiänischen
Wechselgeschäfte, die berühmte Handelssocietät der Barden zu
Florenz, fallirte, in ihrem Conto stand der König von England mit
einer Million Goldgulden angeschrieben. Diesen Moment haben die
Hansen klug zu nutzen gewußt, immer wieder sind sie dem Könige
in seiner Noth beigesprungen. Wolle und Leder bildeten damals bekanntlich
die einträglichsten Erzeugnisse des in so vielen Stücken gesegneten
Englands; nach der auf feste Schutzzölle gegründeten Handelspolitik
des Königs durfte vor allen die Wolle während des Kriegs
mit Frankreich nur nach einer Richtung, nach Flandern hin
ausgeführt werden. Niemand anders war geeigneter als die Hansen sie
nach den reichen flämischen Städten zu verschiffen; die fertigen
Zeuge und Tücher gingen dann vor allen über Köln weiter ins Inland.
Für solche Vergünstigung streckten die Mitglieder der deutschen
Gildhalle immer wieder neue Summen vor. Die reichen Häuser des
Tidemann von Limborg, der Gebrüder Kaula, der Clippings u. A.
hatten damals eine Bedeutung in London wie gegenwärtig Rothschild
und Baring. Als Pfand war sogar die Verwaltung der Ausgangszölle
in den Hafenstädten in ihren Händen; jener Tidemann von Limborg
erhielt auf eine Reihe von Jahren die kostbaren Zinngruben
in der Grafschaft Cornwall, die zu dem Regal des Prinzen
von Wales gehörten, überwiesen. Die Krone Eduards und das
Krönungsgeschmeide seiner Gemahlin waren längere Zeit in der Stadt
Köln versetzt; nach einer noch im Staatsarchive des Towers zu London
vorhandenen Correspondenz war der König, als diese kostbaren Pfänder
fällig geworden, nicht im Stande sie zu lösen; da streckten jene
Stahlhofsgenossen abermals neue Summen darauf vor, ließen die Juwelen
nach England kommen und stellten sie dem Könige zurück. Immer
von neuem konnte er 20 oder 30,000 Pfd. Sterl. bei jenen Häusern
aufnehmen, Summen, deren damaligen, vollen Werth wir heute nur
durch eine Multiplikation mit 15 erkennen können. Es sind daher
die großen Schlachten des Schwarzen Prinzen, die Siege von Cressy
und Poitiers in nicht geringem Maße mit der Hülfe deutschen Fleißes
und deutschen Kapitals gewonnen worden; unsere Landsleute sind
nicht schüchtern gewesen, sich so große Dienste durch neue bedeutende
Privilegien ihrer Faktorei belohnen zu lassen.

Der Anfang des 15. Jahrhunderts ist überhaupt der Höhepunkt
hansischer Macht und also auch der Blüthe des Stahlhofs zu London.
Bald sollte das Emporkommen der skandinavischen Reiche und die
Consolidirung des Herzogthums Burgund in den Niederlanden dem
abgeschlossenen, stark egoistischen Handelssysteme des großen
Städtebundes gefährlich werden. Auch die Beziehungen zu England wurden
in Kurzem unfreundlicher Art. Hier hatte sich trotz der bösen Zeiten,
die damals im Kampfe der rothen und weißen Rose über die Insel
hereinbrachen, ein einheimischer tüchtiger Kaufmannsstand nach
italiänischen und deutschen Vorbildern zu großem Reichthum entwickelt.
Damals regt sich zuerst bei ihm jener mercantile Unternehmungsgeist,
den man gegenwärtig unter allen Zonen des Erdballs zu bewundern
Gelegenheit hat. Eine große Gilde ins Ausland handelnder
Kaufleute suchte auch in den deutschen Städten der Ostsee, in Preußen
und Livland zugelassen zu werden. Aber die Hansen in ihrer exclusiven
Gesinnung wollten ihnen nicht die Vorrechte gewähren, welche
sie selbst seit Jahrhunderten in Rußland, Skandinavien und England
genossen. Mancher Merchant-Adventurer, wie man die Mitglieder
jener Handelscompagnie nannte, wurde an seinem Eigenthume
oder gar körperlich verletzt. Darüber kam es zu Processen, zu
Repressalien und endlich gar zu Feindseligkeiten. Mehrere Jahre lang
wüthete ein erbitterter Seekrieg, von dem wir uns bei dem gegenwärtigen
Verhältnisse der hanseatischen zur großbritannischen Schifffahrt
nur schwer eine Vorstellung machen können. Einmal wurde eine
Flotte von 108 Segeln, die sämmtlich in Lübeck und Riga zu Hause
waren, auf der Heimkehr aus Spanien, schwer beladen mit Salz
und Südfrüchten, im Kanal von den Engländern aufgebracht. Dafür
nahmen denn die großen Bergenfahrer Lübecks wieder Rache,
verwegen kreuzten sie lange in der Nordsee umher und brachten manche
treffliche englische Prise auf, mit Tuch und anderer werthvollen
Waare geladen. Darunter litt natürlich der Handel in ganz Nordeuropa
ungemein; umsonst seufzten die Länder nach Frieden und verhandelten
die Regierungen durch ihre Gesandten. Hartnäckig bestanden
die Hansen und der mit ihnen verbündete Hochmeister von Preußen
auf ihre alten Privilegien, während die Engländer, da man ihnen
nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollte, von ihnen forderten,
daß sie nunmehr in England dieselbe Abgabe auf Wein und Wolle
entrichten sollten, welche von allen andern die englischen Märkte
besuchenden Fremdlingen erhoben wurde. Sie sträubten sich mit Händen
und Füßen und wurden endlich im Jahre 1469 von den königlichen
Gerichtshöfen zu einer Buße von 13,520 Pfd. Sterl. verurtheilt.
Viele Mitglieder des Stahlhofs saßen in Haft, die alte Genossenschaft
lief Gefahr ihre Corporationsrechte und den Grundbesitz auf
immer zu verlieren. Zu gleicher Zeit war im Schooße des Hansebundes
selbst Zwist ausgebrochen: Köln und der Westen zankten mit
Lübeck und dem baltischen Osten. Ein jäher Sturz vor der Zeit
war nicht unmöglich, hätte nicht das Parlament zu Westminster
zuerst die Hand zum Frieden geboten. Das Haus der Gemeinen ließ
sich in seinen Bemühungen zur gütlichen Ausgleichung des Streits
selbst dann nicht beirren, als bewaffnete Schiffe von Bremen,
Hamburg und Danzig, unter der Flagge Karls des Kühnen von Burgund
einhersegelnd, mehrere Stellen der englischen Küsten angefallen
hatten. Eduard IV. endlich gebührt das gerechte Lob im Jahre 1474
den Frieden von Utrecht zu Stande gebracht zu haben, in welchem
allen Theilen Genugthuung geschehen, den Hansen aber, so weit es die
veränderten räumlichen und zeitlichen Verhältnisse gestatteten, Recht
und Besitz ungeschmälert zurückgegeben sind.

In dem Genusse derselben haben sie dann fast ein ganzes Jahrhundert
verharrt, -- jenes wunderbare Jahrhundert, in welchem die
Menschheit die Auffindung eines großen Continents und die
Reformation der Kirche erlebt hat. Vor der Entdeckung Amerikas
durch Columbus, an die sich bald die Colonien der Spanier und
Portugisen im Süden, der Engländer und Franzosen im Norden anreihen,
sind in Kurzem der Glanz Venedigs und Genuas und die Machtansprüche
der nordischen Hanse in den Schatten getreten. In dem kühnen
Trachten Jürgen Wullenwevers, von Lübeck aus noch einmal über
Nordeuropa zu gebieten, haben sich auf eine kurze Frist die
noch nicht geläuterten Strömungen des kirchenverbessernden Geistes
mit der mercantilen Politik gekreuzt; noch einmal flackerte der
Gedanke an eine hanseatische Weltmacht auf, aber rasch sank die
taube Flamme in sich zusammen. Inzwischen waren dem Welthandel und
dem Unternehmungsgeiste der europäischen Nationen ganz andere Wege
eröffnet worden, bisher gänzlich unbekannte Produkte wurden zu den
nothwendigsten Lebensbedürfnissen der Menschheit, an die Stelle der
gebrechlichen Fahrzeuge, mit denen man bisher im Mittelmeere, in
der Ostsee und an den atlantischen Gestaden Handel getrieben, waren
ganz andere gewaltige Schiffe getreten. Die Hanse hatte sich überlebt;
auch die Größe ihrer Schiffe war gewachsen; sie konnten nicht
mehr wie bisher durch die Londoner Brücke hindurch segeln und
ruhig vor ihrem Stahlhofe vor Anker legen. Dennoch steiften sie
sich bei den gänzlich veränderten Zeitumständen auf den Buchstaben
ihrer alten Vorrechte, keinem Engländer gewährten sie in der Heimath
was sie selber in der Fremde genossen. Als daher einmal, besonders
auf kaiserliches Gebot, englische Unterthanen aus Elbing und
Stade ausgetrieben waren, verstand die große Königin Elisabeth
keinen Spaß. Sie ließ von ihren Admiralen Drake und Norris, vor
denen die stolzen Spanier an den Küsten der alten und neuen Welt
zu zittern gelernt, in kurzer Frist einige 60 hanseatische Schiffe
aufbringen und vertrieb durch königliches Decret vom Januar 1598
die deutschen Gildegenossen aus dem Stahlhofe. Die Gebäude und
Werften desselben sind dann eine Weile als Admiralitätsmagazin
verwendet worden, bis man sich zu Hamburg und Lübeck dazu verstand
die Merchant-Adventurers unter denselben Bedingungen bei sich
aufzunehmen, die den Hansen in London gewährt wurden. Von da
an haben sie sich ihr altes Besitzthum so gut es ging wieder zu
Nutz gemacht bis zu der großen Feuersbrunst, die im Jahre 1666
den bedeutendsten Stadttheil Londons in Asche legte. Allein ehe
ich von dem Ausgange des Stahlhofs rede, ist es Zeit, so weit dies
möglich ist, die Baulichkeiten und das Leben und Treiben derer, die
einst darin gehaust, zu schildern.

Das Grundstück, welches, wir können nicht mit Bestimmtheit
sagen weshalb, der Stahlhof heißt, hatte in der That, zumal in dem
mittelalterlichen London, eine ganz vortreffliche Lage. Nur etwas
oberhalb London Bridge, der bis in die neueren Zeiten einzigen
Brücke der Stadt, nicht zu weit von der Börse und der Kathedrale,
reicht es von seinen breiten Werften am Flusse weit landeinwärts
bis an die Südseite von Thamesstreet; im Westen wird es von der
Gasse Dowgate, deren Name noch an das alte Wasserthor von London
erinnert, im Osten vom Allerheiligengäßchen abgegrenzt. Der
ursprüngliche Hof war klein genug, es sind dann aber im 14. und 15.
Jahrhunderte mehrere herrschaftliche Häuser und Baulichkeiten der
Nachbarschaft hinzugekauft worden. Sobald dieselben bei einander
waren, wurde ein solider, den Anforderungen einer mittelalterlichen
Genossenschaft entsprechenden Bau aufgeführt, recht wohl zu
vergleichen mit dem Artushofe zu Danzig, der Rumeney zu Soest und
anderen ähnlichen alten Kaufhallen. Besonders stattlich muß sich
die nördliche Fronte desselben nach der Thamesstreet ausgenommen
haben, in mehreren Stockwerken, mit drei runden durch Eisenbeschlag
sicher verwahrten Pforten, deren jede mit einer sinnreichen Inschrift
versehn war. Nach der einen bietet dies Haus: Freude und Fülle
aller Güter, Friede, Ruhe und ehrbare Lust; nach der zweiten ist
das Gold der Vater schmeichelnder Künste und der Sohn des Mühsals;
die dritte drohte demjenigen, der die Zucht bricht, mit der
verdienten Strafe. Hoch darüber aber am Dache spreitete der
Doppeladler des Reichs seine Flügel aus. Starke Ringmauern umgaben
den wie eine kleine Festung mitten in der Stadt gelegenen Ort
und haben bei mancher Gelegenheit den Einwohnern Schutz gewährt.
Bisweilen war es der raufsüchtige rohe Pöbel des Themseufers, der
mit den Fremdlingen, deren Sprache unverständlich und deren Tracht
und Erscheinung auffällig war, Streit angefangen. Aber auch bei der
großen communistischen Erhebung der Leibeigenen und der niedersten
Hefe der englischen Bevölkerung unter dem fürchterlichen Demagogen
Wat Tyler im Jahre 1381, wo niemand, der sich eines Ranges oder
Besitzes erfreute, seines Lebens sicher war, konnten sich die Hansen
nur hinter ihren Mauern bergen, während namentlich die Flanderer
und andere Fremden zu Haufen erschlagen worden sind.

Die Baulichkeiten, die von diesen Mauern burgartig umschlossen
wurden, waren mancherlei Art. Hoch über den übrigen ragte besonders
die große Halle empor; sie diente bei den allgemeinen Versammlungen
als Rathsstube; bei den althergebrachten, häufig wiederkehrenden
Festlichkeiten fanden hier die Schmausereien und Gelage
statt. Ueber den hohen Kaminen und dem künstlich verzierten Gesimms
waren in dichter Reihe die glänzend geputzten silbernen und
zinnernen Geschirre, das Prachtgeräth der Corporation, aufgestellt;
darunter mag sich, wie wir es heute noch in hanseatischen Zunfthäusern
antreffen, manch seltsamer Zierrath aus der Fremde befunden
haben. Von besonderem Werthe aber müssen zwei Gemälde gewesen
sein, welche sich die auch in der Heimath die Kunst gern fördernden
Deutschen von einem Landsmanne, dem berühmten Meister Hans
Holbein, hatten anfertigen lassen. Sie stellten als Gegenstücke in
allegorischem Gewande den Triumph des Reichthums und den Triumph
der Armuth dar. Auf der einen Seite der Halle erhob sich ein
Thurm, die Threse oder Schatzkammer, in welcher man die pergamentenen
Urkunden und besonders werthvollen Kleinodien und Kunstwerke
aufbewahrte; auf der anderen lag eine steinerne geräumige
Küche, wo in reichlichem Maße für den Mittagstisch an Alt- und
Festtagen gesorgt wurde. Zwischen der Halle und der Mauer auf
der Westseite befand sich ein Garten, in welchem die Deutschen
nach ihrer Weise und Bedürfniß sich einige aus der Heimath
herübergeführte Weinstöcke und feine Obstbäume angepflanzt hatten. An
Sommerabenden pflegten sie dort nach der Arbeit auszuruhen, während
die jüngeren Leute sich beim Ballspiel und ähnlichen Vergnügungen
ergötzten. In langen Reihen aber erstreckten sich die Speicher, die
Verkaufsbuden und die Geschäftslokale bis an den Fluß und nahmen
bei Weitem den größten Raum des Grundstückes ein. Hier hatten
die einzelnen Kaufmannschaften der deutschen Hanse ihre Comptoire,
hier stapelten sie in regelmäßig vorgeschriebenen Abtheilungen ihre
Waaren auf. Daran grenzten dann breite Werften mit einem hohen
Krahnen, wo bei der Fluth die Wellen der Themse hinaufschlugen
und die Schiffe mit ihren Frachten bequem anlegen konnten. Das
war recht eigentlich eine Stätte des Weltmarkts, wo, ehe man nur
von den amerikanischen Produkten etwas ahnte, die Hauptbedürfnisse
der Menschen aus- und eingeladen wurden. Aus Norwegen, Rußland,
Polen und den Gebieten des Hochmeisters in Preußen wurde
Eisen, Holz, Hanf, Talg, Wachs und Pelzwerk eingeführt; die Ostsee
selber lieferte in großen Massen ihre Fische, vor allen den Häring,
der damals noch nicht in andere Gewässer ausgewandert war, den
als besonderen Leckerbissen betrachteten Stör und viele Schiffsladungen
voll Stockfisch, mit dem die Engländer wohl auf Feldzügen ihre
Truppen zu füttern pflegten. Auch befanden sich unter den Waaren
bisweilen lebendige Wesen, besonders seltene Edelfalken aus Norwegen
oder Livland, wofür der englische die Jagd mit aller Leidenschaft
betreibende Adel hohe Summen bezahlte. Aus den vom Rheine her
kommenden Schiffen sah man manch gehaltvolles Stückfaß edlen
Weins auswinden; Tücher und Leinwand, fein und grob, kamen
besonders aus Flandern herüber. Der Verkehr mit Spanien und
Portugal schloß sich unmittelbar an die den orientalischen Handel
betreibenden Nationen Südeuropas an und vermittelte die Zufuhr
von allerhand Leckereien wie Feigen, Datteln, Mandeln, Zimmt,
von Farben, edlen Specereien, Medicamenten, Metallen und selbst
Goldstaub und Juwelen. Von solchen Dingen verkauften die Hansen
wohl weniger an ihre englischen Geschäftsfreunde, sie beförderten
sie weiter nach Hamburg und Lübeck, nach Bergen und Riga. Dem
Engländer aber kauften sie die Erzeugnisse seiner Viehzucht und
seines Ackerbaus, Wolle und starke Rindshäute, Korn, Bier und Käse
ab. Auf dem Stahlhofe sind in der That alle Handelsartikel der damals
bekannten Welt umgesetzt und verladen worden.

Noch ein zum Stahlhofe gehöriges Haus darf ich nicht unerwähnt
lassen; es lag auf der Nordseite und bildete einen Theil der
Fronte nach der Thamesstreet, damals wie heute eine der Hauptstraßen
der City von London. Hier befand sich schon im 15. Jahrhunderte
eine Weinstube, in welcher der Rebensaft vom Rheine geschenkt
und zum Imbiß geräucherte Ochsenzunge, Lachs und Caviar
genossen wurde. Bei einem vollen Glase schloß hier nicht nur der
gemüthliche, wohlhäbige Kaufherr von Nord- und Ostsee sein Geschäft
ab; das Haus hatte unter der Regierung König Jakobs I., zu
einer Zeit, als die hohe Welt noch nicht nach dem Westende von
London ausgewandert war und noch viel in der City lebte und verkehrte,
einen ähnlichen Ruf, wie die ganz nahe dabei gelegene Kneipe,
in welcher Shakspere den dicken Falstaff und den ausgelassenen Prinzen
Harry ihren Sekt schlürfen läßt. Nicht allein die Kaufleute ließen
sich die guten Dinge im Steelyard zum Frühstück wohl schmecken;
Bischöfe und Edelleute, ja der Lordkanzler selber und vornehme
Geheime Räthe haben es nicht verschmäht dort einzutreten und von
den Leckerbissen der Fremdlinge zu kosten. Wiederholt wird in den
Lustspielen aus den Tagen der Königin Elisabeth und ihres Nachfolgers,
den besten Autoritäten für das damalige Leben in England, darauf
angespielt. _Let us go to the Stilliard and drink Rhenish wine,_
sagt der Verfasser des Pierce Pennilesse. Und in einem Stücke von
Webster heißt es: ich lade Euch ein ihn diesen Nachmittag im
rheinischen Weinhause im Stahlhofe zu treffen; kommt und laßt Euch
einen deutschen Kuchen und ein Fäßchen Caviar wohl schmecken!
Bemerkenswerth genug steht heute noch am selben Flecke ein großes
Bierhaus, das sich auf seinem Schilde Steelyard nennt, darüber eine
goldene Weintraube, wie wir sie viel in alten deutschen Städten in
die schmalen Gassen hineinragen sehen. So haben sich, nachdem so
mancher Wechsel über die Stätte hingegangen, doch hier wenigstens
Name und Gewerbe unverändert erhalten, seitdem, wie wir gesehen,
Heinrich II. den Kölnern vor 600 Jahren verstattete dort ihren
Rheinwein zu verkaufen.

Aber es sieht fast aus, als hätte ich nur von Essen und Trinken
zu erzählen, als hätten unsre Landsleute in England, deren
Beschäftigung allerdings sehr materieller Natur gewesen, vorzugsweise
gern solche Genüsse befördert. Doch fehlte es ihnen auch nicht ganz
an Lust für andere Dinge; sie selbst deuteten in ihren Sinnsprüchen
darauf hin, wie Reichthum guten Geschmack und Freude an der
Kunst erzeuge und hege; sie selbst gaben ihren kunstreichen Landsleuten
Gelegenheit ihre Halle mit schönen Bildern zu schmücken. Noch
höhere und ernstere Gefühle hielt in ihnen ihr christlicher Glaube wach,
den ja die ehrsamen Bürger der deutschen Reichs- und Hansestädte stets
vielfach bethätigt haben. Gerade das abenteuernde, lebensgefährliche
Seemannsleben und die riskanten Spekulationen der Kaufleute nährten,
zumal in den vorreformatorischen Zeiten, eine biedere, einfache
Frömmigkeit, die im fleißigen Besuche des Gottesdiensts und in Stiftungen
allerlei Art ihren Ausdruck fand. Seltsam genug finden wir von
einer eigenen Kapelle im Londoner Stahlhofe kaum eine Spur; die
Genossenschaft war dagegen dem benachbarten Kirchspiele Allerheiligen
eingepfarrt. Diese Kirche, Allerheiligen die Größere genannt, erscheint
frühzeitig unter dem Namen der Seemannskirche. Obgleich sich die
Nachricht, die Deutschen hätten sie gestiftet, nicht bestätigen läßt,
so hingen sie doch mehrfach mit ihr zusammen. Sie unterhielten
wahrscheinlich einen eignen Altar, weihten zu besonderen Festen die langen
Wachskerzen und ließen an bestimmten Festtagen von ihnen gestiftete
Messen lesen. Auch die Reformation hat dieses Band, das recht
augenscheinlich beweist, wie innig hier von uralten Zeiten her deutsches
Wesen mit englischem durchwachsen war, nicht gelockert. Freilich
scheinen die Deutschen die neue, gereinigte Lehre nur langsam und
vorsichtig angenommen zu haben, denn als im Jahre 1526 von dem
berühmten eifrig katholischen Kanzler Sir Thomas More in Person
bei ihnen Haussuchung nach den Schriften Luthers gehalten wurde,
fand man nur alte und neue Testamente, Evangelien und deutsche
Gebetbücher; sie selbst, alt und jung konnten noch mit gutem
Gewissen am Kreuze auf dem St. Paulskirchhofe schwören, daß sich
unter ihnen kein Ketzer befände. Bald darauf siegte die Reformation
in England wie in den meisten zur Hanse gehörenden Städten, und
die Stahlhofsgenossen wohnten von nun an dem englisch-protestantischen
Gottesdienste in Allerheiligen bei. Dort besaßen sie längst
mehrere Reihen alter Gestühle, die sie auch nach dem durch den
großen Brand nöthig gewordenen Wiederaufbau erneuert haben.
Mehrere kunstvoll in buntem Glase gemalten Fenster, in denen als
Mittelpunkt der doppelköpfige Reichsadler nicht fehlt, sind ebenfalls
von ihnen gestiftet. Auch nach dem Brande haben sie der Kirche
ein noch heute erhaltenes und viel bewundertes Schnitzwerk aus
dauerhaftem Eichenholze geschenkt, das den Chor von dem Hauptschiffe
scheidet. Es ist das Werk eines Hamburger Holzschneidemeisters
und stellt vielfach gewundene Säulen, Pilaster und Bögen dar.
An der zum Altar führenden Pforte ist wiederum der Reichsadler
angebracht, darüber erhebt sich das königliche Wappen von England.
Noch im Jahre 1747 haben sich die Kirchenstühle im Besitze des
Stahlhofmeisters und der übrigen Repräsentanten der Gilde befunden,
obgleich seitdem das kirchliche Leben der Deutschen in London eine
ganz andere Wendung genommen hatte.

Das wären also die Gebäude des Kaufhofes; es bleibt nur noch
übrig von dem Leben der Genossenschaft und ihrer Mitglieder so viel
mitzutheilen, als uns interessiren kann. Dieser kleine Staat im
Staate hatte natürlich auch seine Verfassung, die in ihren Formen
der Zeit ihrer Entstehung und den mittelalterlichen Zuständen
entsprach. Die sämmtlichen wirklichen Mitglieder der Korporation,
die Meister, hatten bei den Versammlungen, in denen man alle seine
Interessen wahrte, volles Stimmrecht. Alljährlich wählten sie aus
sich selbst einen Aeltermann, der mit zwei Amtsgehülfen und einem
Ausschusse von neun Mitgliedern die Verwaltung in Händen hatte.
Bei der Wahl jedoch wurde ängstlich darauf gesehen, daß die
Vertreter aller einzelnen Hansestädte der Reihe nach in den Ausschuß
kamen. Unter dieser Leitung wurden in der sogenannten Morgensprache
die Angelegenheiten der kleinen Welt verhandelt und die darauf
bezüglichen gesetzlichen Bestimmungen getroffen. Fast klösterlich
war die Zucht des Orts: alle im Stahlhofe selbst lebenden Meister
und Gesellen, sogar der Hauswart mußten unverheirathet sein. Scharfe
Vorschriften bezweckten dauernde Ordnung und Ruhe. Schimpfworte,
Schläge und andere thätliche Verletzungen waren mit hohen Geldbußen
belegt; harte Strafen standen auf Trunkenheit, Würfelspiel
und unsittliche Aufführung. Um neun Uhr des Abends wurden die
Pforten geschlossen und keinem während der Nacht aufgethan. Ein
jeder Meister war verpflichtet auf seiner Kammer Helm und Harnisch
und alle zur vollen Rüstung gehörigen Waffen in gutem Stande zu
erhalten. Diese Vorschriften bezweckten aber sämmtlich eine strenge
Wahrung der rechtlichen Beziehungen zu dem Lande, in welchem man
die Gastfreundschaft genoß. Es kam darauf an, niemals selber den
Anstoß zu einem Zwiste zu geben. Als Vermittler bei allen Streitigkeiten
oder civilrechtlichen Fällen mit den Einheimischen wählte man
sich daher auch immer einen der 12 Aeltermänner der City von
London oder gar den Lordmayor selbst zum Schiedsrichter. Bei
Criminalsachen wurden die Geschworenen, wie das ja auch noch heute
bei der gemischten Jury in England der Fall ist, zur Hälfte aus
Engländern, zur andern aus den Deutschen gewählt.

Die Pflichten gegenüber der Obrigkeit der Stadt und des Landes
waren durch alten Gebrauch scharf vorgezeichnet und wurden ängstlich
beobachtet. So war z.B. das Instandhalten der Waffen keineswegs
unnütz: die Deutschen waren gebunden an der Vertheidigung
der Stadt Theil zu nehmen, alten Verträgen zufolge mußten sie das
nach Norden führende Thor Bishopsgate in dauerhafter Wehr erhalten,
und, sobald es die Umstände verlangten, bewachen und vertheidigen.
Das alte Bischofsthor war daher, wie es uns beschrieben
wird, ein Werk deutscher Baukunst, dessen von oben herab schauende
Statuen: ein Bischof segnend in der Mitte, rechts König Aelfred
und links sein Eidam der Earl Aethelred von Mercia, wieder an
die graue sächsische Vorzeit gemahnten. Noch bis in die protestantischen
Zeiten hinein, als die Stadt London von keinem Feinde mehr
bedroht wurde, haben die Hansen an Erfüllung dieser alten Pflicht
festgehalten.

Noch wichtiger waren im Laufe der Zeit die freiwilligen Lasten
geworden, die sie sich auferlegten, um ihre bedeutenden Vorrechte,
die hauptsächlich in der Geringfügigkeit der von ihnen entrichteten
Zölle bestanden, zu wahren. Da kam es sehr auf Geschenke in Geld
und Materialien an. Dem Lordmayor wurden jedesmal zu Neujahr 15
Goldnobel überreicht, in ein Paar neue Handschuh eingewickelt, die
uns unwillkürlich an die bereits mitgetheilte seltsame Abgabe zur
Sachsenzeit erinnern. Besonders beliebte Lordmayors erhielten außerdem
ein Fäßchen vom besten Caviar zum Geschenk, oder einige Tonnen
mit Häringen oder einen Centner polnischen Wachs. Auch die
Rechtsconsulenten, welche die Genossenschaft meist aus der Anzahl
der Kronadvokaten, der _Serjeants at law_ wählte, empfingen außer
ihrem Gehalte ähnliche annehmbare Geschenke. Aus einem aus der Zeit
der Königin Elisabeth herrührenden Rechnungsbuche ersieht man, wie
sehr diese Präsente an die Behörden der Stadt und sogar an die
Minister der Krone stehend geworden waren. Die Beamten der Post,
der Admiralität, der Staatskanzlei, des auswärtigen Amts sind alle
mit ihren Neujahrsgaben angeschrieben; den Zollinspektoren auf dem
Hauptzollamte flossen einige 20 Pfd. Sterl. zu, um sie vermuthlich
bei der gelinden und nachsichtigen Ausübung ihrer oft verfänglichen
Pflicht zu erhalten. Eine nicht unbeträchtliche Summe ist für die
Trinkgelder, kleinen Gaben von Leckerbissen und Wein und für die
Handschuhe festgesetzt, in welche man stets zartfühlend die Goldstücke
einwickelte.

Dadurch wurden denn vielfache freundschaftliche Beziehungen
unterhalten. Die Osterlingen (_Easterlings_), wie der Engländer die
deutschen Hansen nannte, galten ihm bei öffentlichen Gelegenheiten
oft geradezu für seine Mitbürger. Bei großen prunkvollen Festen,
wie sie die Stadt London ja bis auf diesen Tag in abenteuerlichen
Aufzügen zu begehen pflegt, fehlten daher auch die ehrbaren,
angesehenen Hanseaten nicht. Schon als der junge Heinrich VI.
im Februar 1431 aus Paris kam um zu Westminster gekrönt zu werden, und
der Lordmayor, die Sheriffs und Aelterleute zu Pferde und in Scharlach
und Hermelin auszogen ihn einzuholen, ritten, wie der Dichter Lydgate
in einem Festliede schildert, die Osterlingen unmittelbar hinter den
Beamten der Stadt, auf zierlichen Pferden, geführt von ihren Vorständen
und Meistern.

An bestimmten Tagen des Jahrs feierten sie dann auch Feste
bei sich zu Hause. Es war besonders der 4. December, der Tag der
heiligen Barbara, an welchem, nachdem man vorher in Allerheiligen
dem Gottesdienste beigewohnt, die feierliche Jahresmahlzeit in
der großen Halle gehalten wurde. Doppelt blank waren dann die
Schaugefäße geputzt, die Wände mit Teppichen geschmückt. Die Meister
saßen an der Hochtafel, die Gesellen etwas niedriger an langen Tischen;
unter den Gerichten durfte von Alters her der Kabeljau nicht fehlen.
Vor allen andern Gästen wurden jährlich der Pfarrer von Allerheiligen
und der Pförtner des königlichen Gerichtshofs der Sternkammer
eingeladen.

Doch genug der Züge aus einem Leben, das, so lange es den
Zeitumständen angemessen war, gewiß von Vortheil und Segen begleitet
gewesen ist. Noch ist des Endes zu gedenken, das der Stahlhof
gefunden. Wir haben gesehen, wie sich die Hanse und ihre Faktorei
in England bereits im 16. Jahrhunderte überlebt hatten. Das
Geschick der letzteren erhielt eine bedeutende Wendung durch den
großen Brand von London im September 1666, der gleich den besten
Theil der Stadt, auch den Stahlhof in Asche legte. Als darauf
die englische Regierung zögerte die Privilegien der Gesellschaft zu
erneuern, bestanden die Genossen abermals hartnäckig auf ihr gutes
altes Recht und erhielten in der That nach einigem Prozessiren von
Karl II. eine Bestätigung ihres uralten Freibriefs. Der Neubau,
den sie nun aufführten, ist viel anspruchsloser als die alten festen
Mauern, Hallen und Gewölbe gewesen; nur für den Stahlhofsmeister
wurde ein Wohnhaus errichtet, der ganze übrige Raum zu Packhäusern
und Werften verwandt, nicht viel anders, wie sie auf beiden
Ufern der Themse genug vorhanden sind. Die Hansa bestand nur
noch in der Erinnerung, ihrer ausländischen Comptoire bedurfte
sie nicht mehr, die Stellung der fremden Kaufleute in England war
namentlich seit Cromwells großen handelspolitischen Maßregeln eine
ganz andere geworden. Die Stahlhofsgenossen konnten daher ihr
Eigenthum in London selber nur zum kleinsten Theile nutzen und
haben es seitdem stückweise zu verschiedenen Waarenlagern an Londoner
Kaufleute vermiethet. Obwohl der Werth des Grundstücks und der
Miethzins die Kosten der Verwaltung reichlich deckte, so ist das
Eigenthum den freien Städten Lübeck, Hamburg und Bremen, den
Erben des einst so mächtigen Hansebundes, doch bisweilen zur Last
geworden; nach längeren Unterhandlungen zwischen den betreffenden
Regierungen und ausführlicher Erforschung der historischen und
rechtlichen Verhältnisse ist der Stahlhof endlich im Jahre 1853 für
72,500 Pfd. Sterl. an einige englische Spekulanten verkauft worden.

Doch bis auf diesen Tag und hoffentlich noch auf lange Zeiten
hin verdanken die in London lebenden Deutschen, deren es
gegenwärtig über 50,000 geben mag, dem alten Korporationsgeiste der
Stahlhofsgenossen nicht hoch genug zu schätzende Güter. Als nach
dem Brande auch der Stahlhof noch einmal aus der Asche erstand,
kamen die damaligen Vorsteher und Meister beim Könige Karl II.
um die Gnade ein, ihnen, da mehrere der kleinen Stadtkirchen nicht
wieder aufgeführt werden sollten, eine derselben zu überlassen.
Ein königlicher Freibrief trat ihnen im Jahre 1673 die kleine
Dreifaltigkeitskirche nahe bei ihrem Hofe ab, sie bauten sie auf
und konnten von nun an den protestantischen Gottesdienst in ihrer
Muttersprache halten. Die Kirche zur Dreifaltigkeit ist mit Ausnahme
der deutschen Hofkapelle die Mutter der übrigen drei oder vier
protestantisch deutschen Kirchen in London.

Der deutsche Kaufmann lebt nun dort nach wie vor, freilich
nicht mehr auf dem Stahlhofe; oft steht er in der Blüthe seines
Geschäfts ganz dem Einheimischen, in einzelnen Beispielen sogar den
höchsten glänzendsten Erscheinungen gleich. Aller mittelalterliche
Zwang ist dahin, freie Concurrenz steht auch dem Fremdlinge offen.
Es ist ein schönes Zeichen, daß darum auch der Gemeinsinn und die
Erinnerung an die gemeinsame Heimath nicht verschwunden sind, wenn
wir seit einigen Jahren, hauptsächlich auch durch freiwillige Beiträge
der deutschen Kaufleute in London, dort ein vortrefflich geleitetes
deutsches Hospital aufblühn und die ungetheilte Aufmerksamkeit der
Engländer erregen sehen, wo bei der Aufnahme eines Kranken nur
eins von ihm gefordert wird, nämlich daß er unsre Muttersprache rede.



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER HANSISCHE STAHLHOF IN LONDON***


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