Geschichten aus Steiermark

By Peter Rosegger

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Title: Geschichten aus Steiermark

Author: Peter Rosegger

Release date: October 25, 2025 [eBook #77123]

Language: German

Original publication: Leipzig: L. Staackmann Verlag, 1923

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTEN AUS STEIERMARK ***


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                     Anmerkungen zur Transkription.

Das Original ist in Fraktur gesetzt. Schreibweise und Interpunktion des
Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
sind stillschweigend korrigiert worden.

Das Inhaltsverzeichnis wurde an den Anfang des Textes verlegt.

Worte in Antiqua sind so +gekennzeichnet+, gesperrte so ~gesperrt~.

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                              Geschichten
                            aus Steiermark

                                  Von

                            Peter Rosegger


                    Elftes bis fünfzehntes Tausend

                            [Illustration]

                                 1923
                     L. Staackmann Verlag  Leipzig




                        Alle Rechte vorbehalten


                   Druck von C. Grumbach in Leipzig.




                                Inhalt.




                                                    Seite

              Das Felsenbildnis                         5

              Föhn                                     26

              Franzosenrummel                          38

              Sechsunddreißig junge Nonnen             74

              Als Hans der Grete schrieb               85

              Sie konnten zusammen nicht kommen        97

              Nussenspielen                           108

             Susanna, nit wana!                       119

             Das geheimnisvolle Bildnis               135

             Sein Geld will er haben                  144

             Die guldene Grete                        162

             Die Brücke                               184

             Die höllische Lieb' natürlich!           193

             Die Rache der Knechtin                   206

             Das Christkind von Scharau               239

             Die Brüder Stadlhofer                    250

             Der Bahnwächter                          265

             Die schlaue Almerin                      273

             Die heilige Katharina                    280

             Die grüne Rose                           290

             Die Blumenmutter                         298

             Laurentl, der um Rat fragt               326

             Ein Kind Gottes                          345

             Dorfbilder:

               Almleute                               359

               Der Sonntagsbauer                      364

               Der Sim-Sampel                         371

               Schalkhafte Bettelleute                374




                          Das Felsenbildnis.

                                 1872.


In einem kleinen Tale der verlorenen Alpenwildnis stand eine einzige
Hütte. Die Hochwaldbäume, aus denen die Hütte gezimmert war, trugen
zum Teil noch ihre Rinden, unter denen behende Käfer und nagende
Würmchen hausten. Aber das Holz war hart geworden; länger als
vierhundert Jahre war es her, daß dieser Hütte Gezimmer emporgesprossen
als junger, grünender, säuselnder, wohldufthauchender Wald. Das
flache, steinbeschwerte Dach war vermoost, es wuchs ein hellgrüner
Filz darüber, es wuchs Wildfarn darauf und dort und da guckte ein
Tannenwipfelchen hervor, das als beflügelt Samenkörnchen auf das Dach
gehüpft war. Das wollte hier auf dem Dache verbleiben und gegen Himmel
wachsen zu einem großen Baum.

Das Wild- und Waldleben hatte wieder Besitz genommen von dem
Menschenbaue und flocht und wob ihn ein und zog ihn wieder sanft zurück
in den Schoß der Natur.

Das Kostbarste an der Hütte waren die Glasscheiben an den kleinen
Fenstern. Aber diese Scheiben waren altersgrau und schon erblindet; und
längst vergangene Bewohner des Häuschens hatten etwa mit einem scharfen
Nagel Kreuze oder Herzen in die Scheiben eingegraben, auf daß sie auch
ein Denkmal hinterließen an dieser Stätte, die sie lebelang ihr Daheim
genannt.

Über der sehr niedrigen Tür an der Wand war mit einer Kohle in einem
dreieckigen Umriß das Auge Gottes gezeichnet. Dem lieben Herrgott war
die ganze Sach' anheimgestellt.

Felsmassen schlossen die Hütte ein. Seit die Welt steht, war kein
Sonnenblick gefallen in dieses Tal, und wie der Morgen und der Abend
auch glühen mochten oben an den Zinnen und Alpenhörnern, die Sonne
selbst war in dieser Tiefe nicht zu sehen.

Hier lebten und starben Leute, die außer dem Lichte an den Felstafeln
all ihrer Tage keinen Sonnenstrahl gesehen hatten.

Einst standen sechs Hütten in der Talschlucht. Sie waren da seit
undenklichen Tagen, die Menschen wußten ihr Beginnen nicht. Die
Bewohner dieser Hütten nährten sich durch einige Äckerlein, die von
den Vorfahren oben zwischen den Felsblöcken und Schuttriesen waren
ausgereutet worden, und sie nährten sich von den Ziegen, die auf den
Matten des kleinen Tales Futter fanden.

Ihrer Tage mochten unzählige gewesen sein, aber sie vergingen und es
kamen andere.

Da war -- so haben die ältesten Leute des Alpentales erzählt -- ein
weißlockiger Kräuterer niedergestiegen von Gestein zu Gestein bis
in das schattige Tal. Die weißen Haare dieses Mannes waren so lang
gewesen, daß sie weit hinter ihm nachgewallt über Wände und Riffe.
Unten bei den Hütten hatte der Greis um Nachtherberge gebeten, aber
die Leute hatten ihn ausgelacht und gespottet: »Geh, du alter Eisbär,
wickle dich in deine Haare ein, so hast du Dach und Fach genug!« --
Darauf hatte der Kräuterer nichts entgegnet, war wieder aufwärts
gestiegen von Gestein zu Gestein. Aber er war kein Kräuterer, er war
ein Berggeist gewesen, der die Menschen hatte prüfen wollen, und als
darauf die Nacht gekommen war, da ist er wieder herabgefahren gegen
das Tal und seine langen Haare haben Felsen gesprengt, haben Schründe
gerissen im Gebirg -- und Eis- und Schneelawinen sind niedergebrandet,
und alle Wände ringsum haben gellend laut gelacht, und der größte Teil
ist verschüttet worden mitsamt Hütten und Bewohnern. -- Und wie die
übermütigen Leute zuerst den Berggeist lachend verhöhnt haben, so hat
der Berggeist zuletzt sie allesamt ausgelacht. -- So die Sage.

Eine wilde Naturrevolution muß wohl gewesen sein; ein graues Sandmeer
lag nun im Tale, durch das hin wälzte sich der Gletscherbach, breit
und zerrissen, und schwemmte nach allen Seiten hinaus. Heute ging da
sein Bett, morgen dort, das ganze früher grünende Tal gehörte dem
Wildbach. Auf den Vorhügeln, wohl auch einst aus Schutt aufgebaut,
blühten freilich noch die Eriken und wucherte das Gesträuch des
Wacholders und der Alpenkiefer, aber mitten hinein hatte der Berggeist
Felsstücke geschleudert, über die nun die Flechten woben und Eidechsen
glitten. Von den schwindelnden Wänden nieder gingen weiße Sandströme
und graue Schutthalden, in denen es allfort leise rieselte und
rieselte. Wie viele tausend Jahre, bis das ganze, gewaltige Hochgefelse
niedergerieselt sein wird in die Tiefen! Allein, wer rechnet hier mit
Jahrtausenden, wenn sich die ungeheure Burg der Alpen nachbaut herauf
aus dem Urgrunde der Erde!

Zwischen den Schutthalden zog sich wohl hie und da ein Streifen
Erdgelände hinan, auf dem Sträucher und verknorrte Fichten und Lärchen
mühsam fußten. Und am unteren Ende einer solchen Wildwachszunge, die
einige kleine Wiesenhänge wahrte, nicht weit von dem Talsande des
Wildbaches, duckte sich das alte, moosbewachsene Häuschen. Das allein
war übriggeblieben von der Hüttengemeinde im Felsentale, und das war
die einzige und letzte Menschenwohnung weit und breit. Vom Gewände
herab lag und sickerte einer der breiten, schweren Schuttströme; er
würde längst niedergetost sein auf das arme Häuschen, wenn er nicht
ziemlich hoch über demselben von einem Felshorn aufgehalten und nach
links und rechts seitwärts geleitet worden wäre, so daß auf dem Hange
unter dem Felshorn das Wildgesträuche wuchern und die Hütte stehen
konnte. Diese Lehne war wie eine grüne Insel mitten in dem Steinstrome
des Gerölles, und das Felshorn darüber war der Hort.

In der Hütte wohnten vier Menschen, das waren der Schründenhans, dem
die Hütte gehörte, sein Weib, sein Kind und sein Bruder.

Sein Weib hatte sich der Schründenhans vor wenigen Jahren erst vom
Waldgelände hereingeholt. Dort war es eine Holzbrennersdirn gewesen,
deren Mutter eines Tages in die Gluten des Meilers gebrochen und
zugrunde gegangen war. Ihr Vater war ein Wilderer gewesen, aber
alljährlich kaum mehr als ein einziges Reh hatte er sich angeeignet von
den Hunderten, die im Walde mit ihm lebten, auf daß er und sein Weib
und sein Kind das gut' Stücklein Fleisch nicht ganz entbehren mußten.
Aber ein Wilderer war er dennoch, und einmal in der Mondnacht geriet
er mit den Jägern zusammen. Sie fielen über den Holzbrenner her, es
entbrannte ein wildes Ringen, und zuletzt warfen sie ihn die Felswand
hinab, daß der Stürzende den Wipfel eines Baumes knickte, der unten in
der Tiefe stand. Keinen Atemzug hat der Holzbrenner mehr getan. Der
Mond ging nieder und die Sonne ging auf, und das Mädchen daheim sah
allfort zum Fenster hinaus und wartete auf den Vater.

Da ging langsamen Schrittes der Schründenhans vorbei, der wußte von dem
Ereignis und sollte der Waise die Nachricht überbringen.

Aus dem Meiler zuckte ein blaues Flämmchen heraus. »Verlisch es nicht,
Hilda,« sagte der Hans, »es brennt auf der Welt sonst kein Licht für
ihn.«

Hilda hat das Wort verstanden, hat nicht mehr nach dem Vater
ausgesehen, hat sich verschlossen im Holzbrennerhause.

Nach Tagen kam der Hans wieder und sagte: »Hilda, ich habe mir gedacht,
da du jetzo keinen Vater mehr hast, so sollst du einen Mann haben.«

Und nicht lange hernach zog Hilda mit Hans in sein Haus unter den
Wänden. Ein Jahr hierauf hatte Hilda ihrem Manne einen Knaben geboren,
der zur Zeit dieser Geschichte seine Nahrung noch an der Mutterbrust
genoß.

Der vierte Hüttenbewohner nun war Hansens Bruder, der Jok. Der Jok war
ein armer Mensch. Er wußte es aber nicht, wie sehr arm er war, er war
blödsinnig. Er war ein Krüppel mit kurzem Halse und sehr langen Händen.
Er war schon über die zwanzig Jahre alt und konnte noch nicht reden.
Seine Stimme war wie ein Stöhnen und Röcheln. Das einzige Wort »Hans«
konnte er halbverständlich sagen. Mit seinem Bruder war er seit seinem
ersten Lebenstage beisammen gewesen in der Hütte ihres Vaters. Mit
seinem Bruder hatte er die ersten Forellen aus dem Wildbache gefischt;
mit seinem Bruder hatte er die letzte Träne der in Armut und Kümmernis
sterbenden Mutter gesehen und die Segensworte des verscheidenden Vaters
gehört. Diesen Bruder, der nun sein Alles und Einziges war, mußte der
Jok unsagbar liebhaben, ihm nahm er im Tagwerke die schwersten Arbeiten
unter der Hand weg; ihm schob er beim kaum erklecklichen Mahle, das sie
gleich auf dem Lehmgrunde des Herdes zu sich nahmen, die besten Bissen
zu. Und als der Hans das Weibchen ins Haus brachte, lächelte der Jok
glückselig, und als der Jok das neugeborne Knäblein sah, da stöhnte er
vor Freude und haschte gleich mit beiden Händen nach dem kleinwinzigen
Wesen.

Das Aufrechtgehen auf zwei Füßen hatte der Jok auch nicht gelernt,
aber gern und behendig kletterte er mit allen vieren wie die Ziegen
und Gemsen. Ein Jägersmann verglich ihn einmal scherzhaft mit einem
Ziegenbock. Darüber grinste der Jok freundlich; er hielt den Spott für
eine Schmeichelei, denn mit den Tieren hielt er's immer gern. Aber dem
Schründenhans tat der Schimpf weh, dem zuckte sein Herz und sein Auge
und seine Faust: »Du Jäger, wen geht das Elend meines Bruders was an?«

Der Jägersmann schlich von dannen und brummte: »So Leut' verstehen
keinen Spaß.«

Wenn Gottes Sonntag war und die Beile der Holzhauer ruhten, ging der
Schründenhans mit seinem Weibe hinaus gegen das ferne Walddorf, wo
die Kirche stand. Zuweilen redeten sie gern ein wenig mit dem lieben
Herrgott. »Vater unser,« sagte der Hans, und legte seine rauhen,
waldharzigen Hände innig zusammen, »nicht meinetwegen red' ich, aber
unser Bübel laß aufwachsen frisch und gesund.«

Aber die Hilda wendete sich zum Frauenaltar: »Gegrüßt seist du,
Maria, und ein warm Pelzl für den heurigen Winter tät mein Bübel wohl
brauchen!«

Der Jok aber ging nie hinaus in das Walddorf; er hütete daheim stets
das Haus und die Ziegen und kletterte an den Hängen hin auf allen
vieren und pfiff wie die Gemse und bellte wie das Reh.

Von all den Bewohnern der wilden Öde war es seit jeher keinem bewußt
geworden, daß sie lebten mitten in der Größe und Herrlichkeit der Natur
und daß um sie eine Gottheit in der Schöpfungswerkstatt ewig meißelte.
Sie hatten kein Auge für die Erhabenheit ringsum. Nur zu dem Felshorn,
das dem Schuttstrom wehrte, blickten die armen Leute zuweilen auf,
aber auch nicht, weil dieser Turm als Wall ihr Beschützer war, sondern
einer anderen Ursache wegen. Das Felshorn stellte nämlich in seiner
Auszackung und Durchfurchung ein riesiges Bildnis vor, eine sitzende
Frauengestalt mit einem Kinde auf dem Schoße.

»Da ist unsere liebe Frau mit dem Christkinde herausgewachsen aus der
Erden,« so lautete der alte Glauben der Bewohner des Felstales, den
auch der Schründenhans in seinem Herzen pflegte.

Und wahrlich, allzu große Einbildungskraft gehörte nicht dazu, der
Felsturm war die Himmelskönigin mit dem Zepter und der zackigen Krone;
von der Tiefe aus gesehen, saß sie auf dem Throne und hielt das Kind.

Das Bild war etwas vorgebeugt und blickte gerade hinab in die
Talschlucht. Das Bild war den Bewohnern der Hütte der Hausaltar, zu dem
sie gerne beteten. Die Leutchen konnten nicht daran denken, daß die
sonderbare Felsstatue vielleicht Jahrtausende vor der Erwartung des
Erlösers und der Geburt Mariens hier oben in den Stürmen der Urzeit
gestanden haben mochte.

Nun aber war an dem Felsenbilde noch eine andere Merkwürdigkeit. Zur
frühen Morgenstunde, wenn es oben in den hohen Wänden graute und sich
die Tafeln sanft zu röten begannen, klang von dem Marienbilde ein Ton
herab, wie das ferne Läuten einer Glocke. »Die Himmelschöre singen
unserer lieben Frau den englischen Gruß,« sagten da die Hüttenbewohner
und erhoben sich von ihrem Lager und beteten.

Der Ton kam von einer Spalte, die zwischen dem Throne und dem
Marienbilde klaffte und durch die der Morgenwind blies. Das war nicht
seit ewigen Zeiten so, erst seitdem die Hütten waren zugrunde gegangen
im Felsentale, sangen die Chöre.

Da kam nun ein Sommer und ein Herbst, in welchem das liebliche Klingen
dieser Aveglocke in ein tiefes Dröhnen und in ein klägliches Stöhnen
übergegangen war.

»Hans,« sagte da die Hilda einmal, »die Engel läuten nimmer. Was ist
unserer lieben Frau angetan, daß sie so bitterlich tut weinen?«

»Wohl, das hab' ich auch schon bedacht,« antwortete der Hans, »ich hab'
herumgesucht in meinem Gewissen, bin wohl sündig, aber dasselb' deucht
mich doch, schlechter bin ich nicht, wie eh' vor Zeit. Leicht hab' ich
mein Bübel zu gern und tu' es in allzu großer Lieb' verderben.«

»Etwa ist es meines Vaters arme Seelen, die so tut weinen,« meinte das
Weib, »ich will neun Tag' fasten und das Essen der blinden Bachwabi
hinausschicken in das Waldland.«

Sie tat das Buß- und Liebeswerk, auf daß ihr ermordeter Vater erlöst
sein sollte, aber das Marienbild oben weinte und weinte.

Da sagte die Hilda einmal, am Ende sei gar die Zeit nahe, in welcher
nach Prophezeiung der Vorfahren der Drache wieder hervorbreche, der in
irgendeiner Höhle der Felsen lauere.

An das dachte der Hans nicht, obwohl der klägliche Ton von dem Bilde,
der zur Morgenfrühe und gar zuweilen auch mitten in der Nacht zu hören
war, ihm Besorgnis verursachte. Oft, wenn er nach der Tageslast im
Schlummer ruhte oder ein Bild aus Kindeszeiten träumte, erwachte er
plötzlich und hörte das schauerliche Weinen.

Und eines Tages, da stieg der Hans die Halde entlang und kletterte
hinan bis zu dem Felshorn und an ihm empor, so weit es ging, und prüfte
das Gestein. Die Hilda stand vor der Hütte, hielt die flache Hand über
die Augen und blickte hinauf. Wie wenn über den Arm der Mutter Gottes
und auf dem Haupte des Jesukindes eine Fliege hinkrabbelte, so war von
dieser Ferne ihr Mann zu sehen.

Als der Hans dann wieder herabkam zur Hütte, war er sehr schweigsam.
Er setzte sich zur Wiege seines Kindes und wiegte. Er sagte dabei kein
liebkosend Wort wie sonst; er sang kein Liedl. Still und wehmütig
blickte er den lächelnden Kleinen an. Der Jok grinste zum Fenster
herein und kicherte und tat unverständliche Laute. Der Hans glaubte,
ihn zu verstehen und reichte ihm ein Stück Brot durch das Fenster.

Aber nicht Brot wollte der Jok, viel lieber an der Wiege wollte er
sein; allweg wollte er das Büblein tragen und herzen.

Das Weib saß am Herdwinkel und sonderte in Körben die gesammelten Pilze
und Kräuter, die für den Winter bereitet waren.

Als sie lange so still gesessen waren, sagte der Hans halblaut: »Da
oben schaut's nicht gut aus. Mein Großvater hat oft erzählt, er hätte
nicht einmal seine flache Hand in die Felsspalte legen können. Mein
Vater hat schon leicht die Faust hindurchgebracht, und jetzt --« der
Mann brach ab, das Weib ließ die Hände in den Schoß sinken und blickte
ihn fragend an.

»Jetzt,« fuhr er endlich fort, »das muß schon ein flinkes Gemsl sein,
will es die Spalte übersetzen.«

Die Hilda war bei diesen Worten rasch aufgestanden und zur Türe
hinausgegangen. Bald kam sie zurück und setzte sich schweigend an die
Arbeit.

Es kam der Herbst. Stetig rieselte der Bach hin über die Sandfläche;
er hatte hier stellenweise Schluchten gerissen, Felsblöcke
angeschwemmt, als wollte er ein neues Gebirge gründen im Tale. Im
Sande funkelten hier und da winzige Sternchen, als hätten treue Körner
die Sonnenstrahlen von den lichten Höhen mit herniedergebracht in
die ewigen Schatten. Ein Wassersturz rauschte in einer der hinteren
Schluchten. Der Jok stand zuweilen am Bache und sah hinein und wunderte
sich vielleicht, daß ewig das alte Wasser und doch ewig ein neues ist
-- und wo es denn herkommt und wo es denn hingeht? Er lachte die Wellen
aus. Dann legte er sich auf den Sand und starrte schnurgerade in den
blauen Himmel hinein, so viel er davon zwischen den Bergwänden sehen
konnte. Dann lachte er wieder. Sagte die Hilda einmal: »Der Narr lacht
und weiß es nicht, warum.«

»Wenn er nur lacht,« antwortete der Hans, »der gescheiteste Mensch auf
der Welt kann nichts Besseres tun, als lachen.«

Freilich, der Hans selber lachte jetzt selten.

Es kam der Winter. Oben in den Felskanten und durch die Schluchten her
brausten die Stürme. Es toste und wogte und stöberte in den Lüften, und
die grauen Felswände ragten in den Nebel hinein. Es sauste der Wind um
die Ecken der Hütte und er winselte an den Fenstern; aber die Töne des
Marienbildes waren verstummt. Alle Spalten und Schründe waren gefüllt
mit Schnee. Kalte, trockene Luft rieselte nieder von den Mulden der
Wände und mit ihr manches Steinchen, das nicht just festgefroren war.
An den steilsten Sandriesen hielt sich kein Schnee.

In der Hütte war Dämmerung und die längste Zeit Nacht. Das Herdfeuer
knisterte, die Spanlunte im Eisenhaken flackerte und wollte nimmer
ruhig brennen. Warm und trotz aller Einsamkeit traulich war es in dem
Stübchen. Die Hilda pflegte ihr Kind; sie sagte ihm Worte von dem
Vater, der für sie im Waldlande arbeite und allfort sein Kindlein
liebe. Sie sagte dem Kleinen Worte von Gott Vater, der im Himmel lebe
und seine Englein sende, daß sie den Vater auf Erden beschützten.

Da lächelte das Kind zu den Worten, und schloß es die Augen, so sah es
selbst den Himmel und Gott Vater darin, und die Englein flogen an den
lichten Felswänden hin und her.

Der Mannbruder pflegte stets die Ziegen und erzählte ihnen in seiner
Weise seine Freude und sein Leid, wie er's empfinden konnte. Die Ziegen
nahmen teil an allem und gaukelten ihm mit ihren Hörnern vor und
beleckten seinen Hals. Das tat dem Burschen wohl.

Der Hans war im Tagelohn und half Holz schlagen draußen in den
Herrschaftswäldern. Er wollte am liebsten Tag und Nacht arbeiten und
immer ein doppeltes Tagewerk machen; er wollte sich ein Häuschen
erwirtschaften im Walddorfe, wo kein grauenhaftes Felsgebilde drohend
schwebe über dem Scheitel seiner Familie.

Wie karg ist der Tagelohn im Walde, und jede Woche nur einen einzigen
Stein, nur einen einzigen Baum zum neuen Heim konnte sich der Hans
erwerben. Am Sonnabend, wenn er sich durch die Eisschluchten und
Schneewechten seinem Felsentale zukämpfte, tat er immer einen scheuen
Blick hinauf zum Frauenbilde am Hang über seinem Hause. Freilich war es
da häufig schon dunkle Nacht und er konnte es da nicht sehen, wie sich
»Unsere liebe Frauen« immer mehr und mehr von ihrem Throne nach vorn
neigte.

»Es ist zum Erbarmen, Hilda, wie du die ganze Woche in der Einschicht
bist,« sagte der Hans einmal.

»In der Einschicht bin ich nicht,« sprach das Weib, »ich hab' das Kind
und der Jok tut uns hüten. Gib du nur acht im Walde, daß dich kein Baum
mag letzen, und die Stege sind auch vermorscht, gehst du aus und ein
in den Schluchten.«

»Warte nur, Hilda, zur Auswärtszeit (im Frühling) übers Jahr heb' ich
an mit dem Hausbau; hernach leben wir draußen im Dorf bei den Leuten.«

Als ob er's verstanden hätte, so jauchzte jetzt der Kleine und zappelte
mit den Füßchen. Gar dem Weibe selbst zitterte das Herz; so klagend,
sehnend, so eigen waren die Worte gesprochen -- -- -- und leben bei den
Leuten!

Es kam der Frühling. Wochenlang blies der Föhn und von den
Bergschluchten hervor kam der »Maibrunn«, wie die Schneewässer des
Frühjahres geheißen werden. Eine Schneelawine um die andere fuhr nieder
von den Karmulden der Berge und begrub die größten Bäume unter ihrem
Schutt.

Zur selben Zeit verfolgte der blöde Bursche eine Gemse. Sie war
niedergestiegen bis unter das Muttergottesbild und nagte dort an
einigen Fichtenreisern. Dann erhob sie ihren Kopf, daß die krummen,
scharfen Hörnchen gar nach rückwärts standen und lugte herab auf das
Hüttendach, unter welchem sie die Ziegen meckern hörte. Es wollte ihr
schier einsam werden zwischen den Schneelehnen und Felsen, sie wollte
niedersteigen zu Genossen. Das sah denn der Jok, und rechtschaffen
flink, wie wenn er selbst eine Gemse wäre, kletterte er hinan, um
das Tier heimzuholen. Es war nicht das erste, das er auf diese Weise
lebendig heimgeholt hatte, und die Tiere mochten sich denken, der
Jok da, der ist gut, der gehört mehr zu uns als zu den mörderischen
Geschöpfen, die auf zwei Füßen gehen; der Jok, der tut uns nichts.

Und der Jägersmann hinwiederum durfte dem Jok nichts tun, holte sich
dieser auch manches Stück Wild; denn was man mit den Händen fängt in
der Wildnis, das vermeint Gott dem Erwerber zu eigen.

Heute aber machte das Gemslein, als es den Burschen gewahrte, lange
Füße die Lehne hinan; das Tier gestand es ja zu: der Jok mag ein
ehrlicher Kerl sein, aber es traute jetzt nicht. Spärlich Nahrung haben
sie da unten. Wollte man das Gemsel wirklich für den Ziegenstall oder
vielleicht zu etwas anderem? Wer konnte es wissen!

Das Tier war fort und der Jok stand oben beim Felshorn und starrte
verdrießlich drein. Zuletzt kletterte er auf den Felsen, wie er es
von seinem Bruder einmal gesehen hatte und guckte durch die klaffende
Spalte, in der Schnee und Eis und niedergebrochene Steine lagen. Er
guckte eine lange Weile und legte dabei den Kopf auf die rechte Achsel
und auf die linke und röchelte und ballte die Fäuste zuletzt und war
glührot im Gesicht.

Als er hierauf zurückkam ins Tal, wich er der Schwägerin aus; sie
sollte es nicht merken können in seinen Augen, was er oben gesehen.
Wozu der Schreck und die Angst, wenn die Sache verhütet wird? Er
schlich in den kleinen Bretterschuppen, nahm Scheiter und Balken und
eine schwere Axt, trug sie hinan auf den Hang und schlug die Blöcke
durch Schnee und Gestrüppe in die Erde.

Was mag dem Jok wieder eingefallen sein? dachte das Weib bei sich, aber
sie ließ den Burschen gehen und schaffen. Es wurde Abend, die Ziegen
meckerten im Stalle: wo denn heut' der Jok sei? Gar das Bübl in der
Wiege ließ klug seine Äuglein lugen, wo denn der Jok ist, der sonst
gern daneben sitzt und mit den kurzen dicken Fingern Schattenspiele und
sonst allerhand Schwänke macht, daß es zu lachen ist. Der Jok war oben
am Hang; die Hilda sah ihn nicht in der Dunkelheit, aber sie hörte die
Schläge auf die in den Boden zu treibenden Blöcke. Die Schläge hallten
in den Felsen, und als Hilda rief: »Jok!« so hallte es wieder nur in
den Felsen und das Pochen da oben währte die ganze Nacht.

       *       *       *       *       *

Wanderer, die in das Walddorf kamen, erzählten, daß draußen in den
weiten Tälern das Getreide schon hoch in Ähren schieße und die
Apfelbäume blühten. Im Hochgebirge aber brausten die fahlgrauen,
reißenden Fluten des Wassers und sie wälzten Eisstücke und Bäume und
Steinblöcke aus den Schluchten. In den Schutthalden war es lebendiger
als je; in die Mulden sickerten immer mehr die Schneefelder der
Kare und Schründe zusammen und Wässer rieselten von allen Hängen
in zitternden Schleierfällen, bis die ungeheuren Schneelasten in
den Mulden ins Schieben und Rutschen kamen und mit einem gewaltigen
Donnern, alles vor sich niederwerfend und mitwälzend, in die Tiefen
fuhren.

Da hielten die Holzschläger draußen im Waldland ein bei ihrer Arbeit
und horchten dem dumpfen Gedonner, das hier und dort durch die
Felsschluchten rollte und an den hohen Wänden widerhallte.

Und an einem milden, leuchtenden Maitag war's. Der Hans hatte am
selbigen Morgen unter vermorschtem Gefälle das erste Vergißmeinnicht
gesehen und es gleich auf seinen spitzigen Hut gesteckt. -- Es
knatterte da, es donnerte dort, aber das Waldland war sicher und die
Vöglein haben nie fröhlicher gesungen als an diesem Maitag. Gegen die
Mittagsstunde hin erhob sich im Gebirge ein Krachen und Dröhnen; von
Karlehnen stürzten Schnee- und Erdlawinen nieder; manche Felszacke
löste sich von ihrem Grund; manches Gemslein wurde begraben in
Schnee und Schutt, und aufgeschreckt von dem wüsten Lärm flatterten
grauschimmernde Habichte und Steinadler durch die Luft und schwammen
dem ruhigeren Waldlande zu. Wie lichtgraue, schmutzige Ströme, sich
untergrabend und überstürzend, in breiten, wogenden Tüchern oder in
schmalen, schlüpfenden Schlangen glitten die Lawinen nieder. Kein
Baumwall hielt sie auf, die hundertjährigen Stämme brachen, ehe die
Lasten noch kamen, bloß von dem Drucke des Sturmhauches; nur an
mächtigen Felsnasen schäumten die Schneewogen empor, daß das ganze Kar
in eine Staubwolke gehüllt wurde; aber weiter unten sammelten sie sich
wieder und fuhren mit eherner Gewalt unter dem Beben der Vesten dem
Abgrunde zu.

Da blieben im Waldlande die Wildbäche aus, aber nur für kurze Zeit,
bald hatten sie die Hochwälle der Lawinen durchbrochen und überflutet
und kamen nun wie Ungeheuer herangewogt mit Schutt und Eisblöcken und
Holzstämmen und Felsmassen.

Die Holzhauer schüttelten ihre Köpfe; das ist ein schlimmer Tag! --
Etwan ist im Felsgebirge der Drache losgeworden!

Der Hans hatte lange ruhsam Scheiter gespalten und sich gedacht: 's ist
eben böse Auswärtszeit, aber übers Jahr heb ich an in Gottes Namen,
und im Dorfe ist keine Gefahr mehr, und bislang wird die liebe Frauen
schon Hüterin sein. Als aber das Getöse ärger wurde, da lehnte er die
Axt aus der Hand und horchte; und endlich, als die Erde zu beben anhub
von den tobenden Gewalten im Gewände, da tat der Hans plötzlich einen
großen Sprung und eilte über Stock und Stein hin gegen sein Felsental.

Schuttwälle und Gießbäche schnitten ihm oft den Weg ab, dann starrte er
zuweilen in die Fluten und vermeinte in den heranwogenden Holzblöcken
Teile von seiner Hütte zu erkennen. Das Donnern auf den Höhen und das
Tosen in den Tiefen wollte ihn betäuben, aber die Hutkrempen tief
über die Ohren gedrückt und mit halb geschlossenen Augen wand er sich
ruhelos weiter bis zu dem schroffen Felsentore, das in sein kleines Tal
mündete. Er bog um die Wand, er sah in den Felskessel -- da wollten
ihm plötzlich seine Füße und sein Atem versagen. Er sah am Hange das
Frauenbild nicht mehr. Eine ungeheure Sandhalde ging nieder von den
höchsten Gewänden und schnurgerade der Stelle des kleinen Hauses zu.
Und das Haus stand nicht mehr da.

Der Hans selbst war ein Steinbild geworden.

Erst nach einer Weile begann es wieder zu zucken und zu zittern
in seiner Brust. Wie verloren wankte er dahin -- er suchte die
zerschmetterten Leiber der Seinen, er suchte die Trümmerstätte seiner
Heimat.

Auf dem Platze, wo das Häuschen gestanden, lag ein Berg aus Schnee und
Schutt still und starr, als ob er in Ewigkeit so dagelegen wäre. Aus
ihm hervor ragte ein Teil des niedergebrochenen, kantigen Felshorns.

Daneben hüpften ein paar Ziegen auf und ab und meckerten. Aber an dem
Schuttberg in der Tiefe nagte schon der Wildbach, und jenseits des
Wildbaches -- der Hans fuhr sich mit beiden Händen über die Augen, er
träumte doch nicht, er stand ja mit Füßen im Gestein -- aber jenseits
des Baches im lockeren Sand stand sein Häuschen.

Da dachte der Hans wohl an keine Gefahr, er setzte über Gefelse, er
sprang durch die Fluten, er stand vor seiner Hütte. Sie war ein wenig
schief und verschoben und einige Balken waren geborsten, aber sonst war
sie unversehrt. Die Tür war offen.

Den Atem an sich haltend, trat der Hans ein. Die Hütte hatte kein Flötz
und keinen Herd und keinen Ofen mehr, nur die in sich zusammengefügte
Zimmerung stand da. Und siehe, an der Wand klebte das Wiegenbettchen,
und darin schlief, sorgsam verhüllt und eingeschichtet, das Kind. Es
erwachte nun vor dem hellen Schrei, den der Mann ausstieß; da faßte der
Hans den Knaben in wildem Ausbruche des Gefühles und preßte ihn derb
an seine Brust; den Gewalten der Elemente entgangen, wäre der Kleine
schier von der Liebe des Vaters erdrückt worden.

Bald aber ließ der Mann das Kind wieder auf das Bett sinken, und sein
Auge starrte, und seine Wangen erblaßten. Dort hinter der Tür, sich
noch fest an einen Balken klammernd, kauerte sein Weib. Hilde war
unversehrt, aber -- leblos.

So hatte es der arme Hans gefunden.

Hierauf kamen die Leute des Waldes zusammen, um das Wunderbare zu
sehen. Jeder gab sein Erachten ab, wie das geschehen sein konnte.
Viele meinten wieder, es sei der Drache endlich losgebrochen aus
seiner Höhle und habe das Unheil angerichtet. Andere glaubten, daß
das Häuschen und das Kind erhalten geblieben, sei ein Mirakel von dem
steinernen Marienbilde, das jetzt im Lawinenschutte begraben lag. Ein
alter Hirte sagte, nach seiner Meinung sei es so geschehen: Von den
hohen Mulden sei eine große Lawine niedergegangen, habe das schon
lockere Felshorn mit sich fortgerissen und sei ihre gerade Straße
weitergefahren. Daraus habe sich nun ein Luftdruck entwickelt, welcher
der Lawine vorausgeströmt sei und das Häuschen durch einen plötzlichen
Ruck an das jenseitige Ufer gesetzt habe. Das Kind sei wahrscheinlich
durch die Wände geschützt gewesen, das Weib an der offenen Tür aber
durch den Luftdruck erstickt worden. Es hätte sich bei Lawinenstürzen
schon mehrmals auf ähnliche Weise zugetragen; der Luftdruck bei großen
Abrutschungen vermöge ja ganze Urwälder vor sich niederzuwerfen und die
größten Bäume und Felsklötze über Abgründe zu schleudern.

Die Leute sagten, es werde schon so gewesen sein und gingen
auseinander.

Der arme Hans blieb bei seinem toten Weibe und bei seinem lebendigen
Kinde in der Hütte. Dann ging er vor die Tür hinaus und rief nach dem
Jok. Die Ziegen kamen herbei und blickten ihn mit ihren eckigen Augen
an: sie wüßten auch nicht, wo der Jok war.

Wenn der Knabe schlief, saß der Hans still und einsam in der Hütte. Die
erblindeten Glastafeln an den Fenstern waren nicht zerbrochen; der Hans
betrachtete die dürftigen Zeichen der Vorfahren. Kreuze und Herzen ins
Glas geritzt, solches Erbe haben sie allen Nachkommen im Felsentale
hinterlassen.

Nach zwei Tagen kamen die Leute des Waldes wieder zusammen und trugen
das Weib des Holzers fort aus dem Hause unter den Wänden und hinaus
durch die Felsschluchten auf den kleinen Gottesacker des Walddorfes.

Hans stieg hierauf tagelang in dem Felsentale umher und suchte seinen
Bruder. Er fand ihn nicht. Da schloß er sich einzig und ganz an seinen
Knaben. Im Waldlande, in der Nähe der Holzgeschläge, wo der Hans
arbeitete, haben sie sich aus dicken Baumrinden eine Klause gebaut.

In dem unwirtlichen Felsentale hatten sie nichts mehr zu suchen.
Drei Jahre nach dem Naturereignisse, im Hochsommer, verschmolzen und
verschwemmten die letzten Reste der niedergestürzten Schneelawine und
da fanden sich neben dem zackigen Felshorn im Schutt halb begraben die
Gebeine des armen Jok. Neben ihm lag noch die Axt und ein zugespitztes
Scheit und der Block, mit dem er in den letzten Tagen vor dem Unglücke
an dem Hang Pfähle in den Boden getrieben hatte. Die treue Seele hatte
das drohende Unheil geahnt und wollte durch solche Schutzpfähle das
Haus des Bruders noch retten. Da sind die Wuchten, die keine Lieb'
erkennen, über das Bruderherz hingefahren.

Im Felsentale wächst heute kein Hälmlein mehr -- alles Schutt und
Gestein. Von dem letzten und einzigen Hause haben tosende Gießströme
längst die letzten Reste davongeschwemmt und an den Hochmulden steigen
immer tiefer und tiefer die Gletscher nieder.

So sind aus diesen verlorenen Gründen die Menschen verdrängt worden.
Im Waldland draußen lebt heute noch der Hans als alter Mann. Er lebt
still in sich und ist ergeben; nur im Frühjahre, wenn im Hochgebirge
die Lawinen stürzen, hebt er an zu zittern und umfaßt seinen Sohn mit
beiden Händen.

Sein Sohn, nun, das ist ein hübscher kräftiger Bursche geworden; vom
frühen Morgen bis in die späte Nacht arbeitet er im Walde. Aber der
Hausbau im Dorfe ist heute noch nicht begonnen. In der Dürftigkeit
muß auch der junge Holzer sein Leben verbringen, darf vielleicht gar
sein Herzenslieb nicht freien, weil er kein Daheim hat. Wen soll er
darob anklagen? Etwa die hohen Berge? Er ging einmal von ihnen fort
ins Flachland hinaus, aber die bösen, die lieben Berge, sie zogen ihn
zurück und grüßten ihn wieder mit ihrer Mühsal und Gefahr.




                                 Föhn.


»Wer ohne Christus zur Kommunion geht, der kommt ohne Christus zurück.«
-- Diese Worte schrieb jener fremde Mann dem kleinen Lenzerl ins
Gebetbuch, an dem Morgen, als der Knabe zur ersten Kommunion ging. Der
Vater ließ sich den Spruch zweimal vorlesen, und dann noch einmal und
hernach zeigte er ihn dem Bruder Franz. Der Franz las ihn auch, schaute
verwundert drein und sagte: »Man kennt sich nicht aus. Wer ohne ihn
hingeht, kehrt ohne ihn zurück? Das ist ja nicht. In der Kommunion
kommt Christus doch zu uns und bleibt bei uns.«

Der Vater war nachdenklich und fragte seinen Bruder: »Du, wie ist denn
das? Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Wie lange bleibt denn
eigentlich Christus, der in der Kommunion in uns eingegangen ist -- wie
lange bleibt er denn in uns?«

»Das ist nicht zu ergründen,« antwortete der Franz. »Im Katechismus
steht, er bleibe in der Gestalt so lange, als die Hostie nicht
verzehrt ist. Weiter weiß ich nichts, man soll über so was auch nicht
nachdenken.«

»Wird eh am gescheitesten sein,« sagte der Vater, dann gaben sie das
Gebetbuch dem kleinen Lenzerl, weil es für diesen Zeit war, in die
Kirche zu gehen.

Das Kirchdorf stand weit hinter Berg und Wald, draußen im großen
Tale. Stundenlang hatte er zu gehen. Über dem Gebirge lag ein
dunkelgrauer Himmel, in den die Alpenspitzen mit ihrem hohen Schnee
weiß hineinragten. Auch auf den Waldwegen lag noch weicher Schnee,
die Fichtenbäume hatten ihn abgeschüttelt, sie standen schwarz da und
ihre Äste fächelten im lauen Föhn. Es war um die Osterzeit. Wie der
Kleine mühesam im klebrig-nassen Schnee dahinstampfte, war in den
Wäldern manchmal ein Rollen, als ob ein Gewitter heranzöge; das war der
Widerhall der Lawinen, die weiter hinten im Gebirge niedergingen. Er
kam in die Hohlgrabenschlucht. Dort, an schattigen Stellen lagen noch
überhängende Schneewuchten, von denen es beständig niederbröckelte. Der
Knabe schritt munter über die Brücke, sie war fest gebaut, zitterte
aber ein wenig bei dem Toben des angeschwollenen Baches. Jenseits ging
er hinan zwischen uralten Baumstämmen, deren starre Wipfel im Winde
summten, ohne sich zu biegen. Gestern hatte der Lenzerl denselben Weg
gemacht, hin und zurück. Er war in der Pfarrkirche bei der Osterbeichte
gewesen, so wie er heute zur Osterkommunion ging. Aber so schlecht
war der Weg erst über Nacht geworden. Er bat Gott in Gedanken, daß
nicht die Sünde der Ungeduld über ihn komme, damit er reinen Herzens
zum Altartisch treten könne. Ein- oder zweimal unterwegs setzte er
sich auf einen Baumstrunk, weil ihm heiß war und ein wenig die Beine
zitterten. Er war früh aufgestanden und hatte nichts gegessen. Den
Herrn Jesus muß man nüchtern empfangen. Nachdem er länger als zwei
Stunden an den waldigen Berghängen hingegangen war, kam er ins Tal
hinaus. Da war es noch schlimmer; über Feld und Matten rieselten die
Wässer des schmelzenden Schnees und auf der Straße war der Schnee zu
Kot geworden. Leute, die wie er der Kirche zugingen, waren hoch hinauf
mit Kot bespritzt. Der Knabe kam langsam vorwärts und doch mußte er
trachten, die Stunde der Kommunion nicht zu versäumen. Er freute sich
sehr darauf, und heimwärts -- so dachte er -- wird's schon besser sein,
da ist ja der Herr Jesus bei mir.

Endlich war er ins Kirchdorf gekommen. Alsogleich wollte er in die
Kirche, die schon mit hellen Glocken läutete. Aber es war ihm plötzlich
so schlecht, daß er sich auf einen schwarzen Schragen niedersetzte, der
an der Mauer des Beinhauses stand. Wie ein Leichlein, so blaß kauerte
der Kleine da. Die Tafernwirtin sah es und brachte dem Knaben eine
Schale Fleischbrühe heraus. Er lehnte ab, er gehe zur Kommunion. Eine
Bäuerin trat hin und wollte von einem Fläschchen »Lebensessenz«, das
sie im Sack trug, ihm einige Tropfen zu trinken geben. Der Knabe winkte
mit der Hand ab, er könne nichts zu sich nehmen, weil er zur Kommunion
gehe. Der Gedanke, daß er nur wenige Schritte zur Kirche habe, um
am Altare mit dem Herrn Jesus vereinigt zu werden, gab ihm Kraft.
Noch suchte er mit seinem blauen Taschentuch das schwarze Höslein
von dem angespritzten Straßenkote zu reinigen und dann betrat er mit
Andacht die Kirche. Während der Messe las er in seinem Gebetbuche.
Dabei überkam ihn eine große Angst. Er konnte die Gedanken nicht
beisammenhalten und der heiligen Handlung nicht strenge folgen, er
war zerstreut. Die Angst vor einer unfrommen Zerstreutheit hinderte
ihn an der Andacht. Der Katechet hatte gesagt, daß Unaufmerksamkeit
beim Gottesdienst eine Sünde sei, und wie soll er dann mit einer
Sünde zur Kommunion gehen? Der Kleine kniete vor einem Bilde des
gekreuzigten Christus nieder und betete ein Vaterunser um die Gnade
der Frömmigkeit. Dann wurde ihm leichter. Und als nach der Messe der
Ministrant klingelte und die Leute sich zum Altare drängten, trat auch
der kleine Lenzerl vor, wand sich langsam und demütig zwischen durch,
kniete an das Altargeländer, nahm das weiße Tuch an den Mund, schloß
die Augen, öffnete die Lippen und der Priester legte ihm die Hostie auf
die Zunge. »Das ist der Leib unseres Herrn Jesu Christi. Er bewahre
deine Seele zum ewigen Leben!«

Nach der Kommunion kniete er, wie es Sitte ist, noch vor den übrigen
Altären, die in der Kirche waren, und betete zu Gott und den Heiligen
für sich, für seine Eltern und Geschwister, für Freund und Feind und
für die armen Seelen im Fegefeuer um den Himmel. Denn jetzt war Jesus
in ihm, jetzt konnte das Gebet erhört werden. Der Kleine hatte ganz
rote Wangen bekommen vor Glückseligkeit, mit gefalteten Händen kniete
er da, das Blondköpflein geneigt, die Augen geschlossen.

Als er zu sich kam, war er fast allein in der dämmerigen, frostigen
Kirche. Nur ein paar alte Frauen siffelten noch über den nassen
Steinboden dahin und am Hochaltare war es still und leblos geworden,
die rote Ampel davor kennzeichnete die Stelle, wo vorhin Jesus in den
Menschen eingegangen war.

Als er bei dem rückwärtigen Tor ins Freie trat, pfiff es singend um die
Ecke und der Wind entführte ihm den Hut. Den hatte er bald wieder und
ging dann ins Tafern-Wirtshaus. Es war ja Mittag geworden. Am Ofentisch
nahm er Platz und nun wollte er sich auch etwas Irdisches gönnen. Er
bestellte eine Portion geschmälzte Bretzeln und ein Seidel Wein. Da
blieb nicht ein Krümchen und nicht ein Tröpfchen davon übrig. Doch als
er sich anschickte, fortzugehen, sagte die Wirtin: »Du wirst jetzt doch
nicht heimgehen wollen ins Gebirge hinauf! In diesem ungestümen Wetter.
Just vorhin hat die Feuerwehr geblasen, es kommt großes Wasser.«

»Davor ist man eh auf dem Berg sicherer als im Tal,« antwortete der
Lenzerl, bezahlte seine Sache und ging davon. -- Weshalb sollte er
sich heute fürchten? Es konnte ihm nichts geschehen und wenn Sturm
und Wasser kommt, da ist man doch am liebsten daheim bei Vater und
Mutter. So lange der Mensch noch nicht zehn Jahre alt ist, findet
er's am sichersten bei Vater und Mutter. Der Knabe war nun stark und
mit möglichst langen Schritten setzte er über allerlei Wasser, die
auf dem Wege wie neben dem Wege rieselten und gurgelten. Der Wind war
lau, als komme er aus Öfen, und war so heftig, daß die blattlosen
Wipfel und Äste der Eschen und Ahorne zischend und tosend beständig
nach einer Seite hinstrebten, ohne zurückzuschnellen. Aus dem schweren
Wolkenhimmel kamen Tropfen quer durch die Lüfte gejagt und schlugen
dem Knaben weich ins Gesicht. Auf dem Waldwege schlugen links und
rechts die hohen Fichten hin und her und peitschten einander mit ihren
buschigen Ästen. Der Knabe ging wohlgemut dahin, er hatte den starken
Kameraden bei sich -- da konnte ihm nichts widerfahren. Auf dem Wege,
wo am Morgen noch der patzige Schnee gelegen, schoß jetzt in den beiden
Rinnen der Radleisten das braune Wasser heran, mit seinen großen und
kleinen quirlenden Augen, und wälzte dürre Baumnadeln, Holzsplitter und
Erdwerk mit sich. Stellenweise war der Weg mit Schneehaufen gesperrt,
die von den Hängen niedergerutscht waren; da kreiste das Wasser in
Tümpeln und bohrte und grub, bis es sich Bahn gebrochen hatte, über
den Abhang stürzte, oder auf dem Wege weiter schoß. Als der Knabe sich
über eine solche Schneewucht mühsam weiterhalf, fuhr plötzlich aus der
brausenden Luft ein Baumwipfel nieder und schlug breit und schwer auf
den Weg. Eine Wolke von Schnee und Schmutz hatte den Lenzerl über und
über besudelt, weiter war ihm nichts geschehen. Jetzt machte er keine
größeren Schritte mehr als sonst, es war ja ganz gleich; mitten durch
Wasser und Morast ging er gleichmäßig voran, immer in der Zuversicht:
Mir kann nichts geschehen. An der Lichtung mußte er einmal stehen
bleiben, mit beiden Fäusten den Hut haltend, nach der Leeseite gekehrt,
um Atem holen zu können. Wäre er hier nicht eine halbe Minute stehen
geblieben, so hätte ihn die Schneelawine begraben, die mit dumpfem
Donnern zwanzig Schritte vor ihm herabkam und einen Berg von Schnee und
Schutt auf den Weg warf.

Der Schneeberg wurde freilich überstiegen, aber der Knabe mußte
doch wieder stehen bleiben und schauen. Denn dort drüben ging ein
ganzes Stück Berg nieder. Es zitterte der Boden, langsam glitt der
schneeige Berghang in die Tiefe, dort böschte er sich breit aus und lag
bewegungslos, ein starrer Hügel für die Ewigkeit. Oben klaffte breit
die schwarze Scharte.

Der Knabe ging nun niederwärts gegen den Hohlgraben. Da war der Weg
mit Hunderten von gebrochenen Bäumen verrammelt. Uralte Bestände
in Riesensplittern. Spechte, Raben und Dohlen flatterten, nestlos
geworden, kreischend darüber hin und her. Der Lenzerl brauchte
mehr als zwei Stunden Zeit, um diese zehn Minuten lange Wegstrecke
zu überwinden. Er kletterte, hüpfte und kroch, immer vom Sturmwind
umbraust, vorsichtig voran. Den Hut hatte er lassen müssen und sein
Haar flatterte ihm über Stirn und Augen. An einem der gebrochenen
Stämme hatte sich ein Eichhörnchen festgekrallt. Aber es war tot.
Bei dem Tiere hielt der Knabe sich auf und wurde traurig. Der Kopf
war zerquetscht. Wenn dieses flinke Wesen der Gefahr nicht entkommen
konnte, dann war sie groß. Freilich, das arme Tier hatte keinen
Beschützer gehabt. Er eilte weiter und kam hinab zum Hohlgrabenbach.
Hier war die Brücke abgebrochen und davongeschwemmt. Und so gründlich,
daß nicht zu erkennen gewesen wäre, wo sie gelegen, wenn nicht der
ein- und ausmündende Fahrweg die Stelle gezeigt hätte. Der Bach war
mit seinen braunen, dicken Fluten weit aus den Ufern getreten, er war
rasend. Er donnerte und brauste und an jedem Stein, an jedem Baumstamm
sprang er ellenhoch auf und schleuderte seine Gischten an den Hang
empor. Und vor diesem Ungetüm stand das Bauernknäblein. Es mußte
hinüber, weil es heim wollte zu Vater und Mutter.

Aber es war keine Möglichkeit, hinüber zu kommen. Sollte er nun den
weiten, wüsten Weg wieder zurückmachen müssen bis in das Kirchdorf?
Sollte er in dieser Schlucht übernachten und warten, bis das Wasser
fällt? Sollte er, am Bachesrand hinkletternd, eine Stelle suchen, wo
die Möglichkeit hinüberzukommen eine größere ist? Es war der Abend
nicht mehr fern, der Leib zitterte dem Knaben vor Erschöpfung, und der
braune Strom brüllte und lechzte nach einem Opfer. Der Lenzerl verlor
nicht den Mut, er dachte: Ich werde wohl hinüberkommen. Er legte seine
kleinen Hände aneinander und sagte laut: »Herr Jesu Christ, was soll
ich jetzt tun?«

In den Gründen das Wasser, in den Wipfeln der Wind. Aufgeschreckte
Krähen flogen wirr umher, und an den hohen Stämmen eilten schwarze
Eichhörnchen und hüpften von Wipfel zu Wipfel.

Als der Knabe am steinigen Hang eine Strecke hingegangen war, um
einen Steg zu suchen über den wilden Bach, sah er einen großen,
halbentwurzelten Baumstamm. Der war über den Bach hingesunken und
drüben mit dem Wipfel an der Krone eines verknorrten Tannenbaumes
hängen geblieben. Das ist der Steg, den mir der Herr Jesus gelegt
hat, dachte der Knabe und begann ohne weiteres an dem hängenden Stamm
hinanzuklettern. Das dichte Geäste an dem lehnenden Baume war selbst
wie ein Wald, durch den er sich mühevoll weiterarbeiten mußte, immer
sich sorgfältig festklammernd. Denn unter ihm brandete die rote Flut,
und so sehr er sein Auge hütete, daß es zwischen den Ästen nicht
hinabschaue in das Wallen und Wirbeln, so hub doch alles um ihn
an zu kreisen. Jetzt ist der Schwindel da! konnte er noch denken,
dann verflocht er sich hastig mit Händen und Beinen ins Geäste und
schloß die Augen. Er wollte in solcher Stellung nur warten, bis der
Schwindelanfall vorüber sei, aber siehe, der Wind schaukelte so sanft
den Baum und die Wasser sangen so schön ...

Hoch an dem querüberhängenden Baumstamme, über dem tobenden Wildbach,
war der Lenzerl eingeschlafen. --

Oben im Bergbauernhofe hatten sie müssen das Herdfeuer auslöschen. Der
Wind hatte durch den Schornstein den Rauch zurückgestoßen, daß in Küche
und Stube kein Mensch atmen konnte. Und wollte man Fenster öffnen,
so wirbelte der Sturm herein und sprühte auf dem Herd die Funken
auseinander und an die Holzwand hin. Wer sich ins Freie wagte: Die Luft
unter dem schweren grauen Himmel war so klar, daß die fernsten Berge
deutlich wie die nächsten dastanden, aber ein Stoßen und Stöhnen war
in dieser Luft, daß der Bruder Franz vom »wilden Gjaid« sprach. »Seht
ihr, wie er schlittenfahren tut, der wilde Jäger!« Denn dort an den
gegenüberliegenden kahlen Berghängen ging eine Schneelahn um die andere
nieder, auf dem weißen Schneefelde dunkle Striemen zurücklassend, von
der Höhe bis tief ins Engtal. Man sah, wie klein es oben anhub, ein
dünner, schwarzer Faden, an dessen unterem Ende ein weißer Knäuel hing,
der den Faden in die Länge zog, rasch und immer rascher -- größer,
breiter, bis der Riesenknäuel in der Tiefe verschwand und ein langes
Donnern hinging in den Bergen.

»Wenn ich nur heut' den Buben nicht hätte fortgehen lassen!« rief die
Bäuerin immer wieder aus.

Ihr Mann, der Bauer, tröstete sie: »Am Morgen ist's noch nicht so wüst
gewesen. Er wird gut ins Kirchdorf gekommen sein. Und wird er wohl so
gescheit sein, daß er dort bleibt.«

»Der bleibt nit dort, wie ich ihn kenn'!« sagte sie. »Er hängt
allzuviel an daheim.«

»Na, na, die Tafern-Wirtin hat ihn nicht fortgelassen. Die gibt ihm
schon zu essen und ein gutes Bett, bei der fehlt ihm nichts. Morgen
kommt er heim. So was Wildes kann nicht lang anhalten.«

Die Mutter hat nichts mehr gesagt, hat ihre häuslichen Arbeiten
verrichtet, hat den Leuten das Nachtmahl bereitet. Und während sie
es verzehrten, ist sie davongegangen. Im lodenen Wettermantel ihres
Mannes, in seinen Stiefeln und mit seinem Bergstecken hat sie sich auf
den Weg gemacht, um ihrem Lenzerl entgegenzugehen. Denn, daß er auf
dem Wege war, das galt ihr sicher, und daß er noch nicht daheim war,
obschon es schon zum Abend ging, sagte ihr: Er ist in Gefahr!

Bald war sie unten in der Hohlgrabenschlucht, und da konnte sie nicht
weiter. Die Brücke ist fort! »Mein Gott! Da kann er freilich nicht
heimkommen!« Daß er gerade auf der Brücke gewesen sein konnte, als sie
brach, das fiel ihr nicht ein. »Er ist eben wieder umgekehrt; er kann
nicht her und ich kann nicht hin. Da ist nichts zu machen. Gott wird
ihn beschützen!« -- Sie blickte in den reißenden Strom und je länger
sie hinschaute, je größer und wilder schien er zu werden.

Etwas weiter unten sah sie Baumgefälle über dem Wasser liegen. So
finster schwarz an beiden Seiten die steilen Waldberge aufragten, so
grau lag der Abendhimmel und legte sein blasses Licht nieder auf die
Holzbrüche. Davor stand ein großer Mann, der Holzknecht Wendelin. Er
hatte in seine Waldhütte gehen wollen den Bach entlang und hatte die
Verheerung gesehen. Die Bäuerin fragte den Mann gleich nach ihrem
Knaben, ob er nichts von ihm gesehen hätte?

»Still sei!« sagte er und schaute gespannt auf einen Baumstamm, der
quer über dem Bach lehnte und mit dem Wipfel hier an einer Tanne hängen
geblieben war. »Dort oben ist was,« sagte er und zog die Bäuerin
an der Hand der Stelle näher. »Ich hab' das Ding schon eine Weil'
betrachtet, es kommt mir nicht recht für. Als ob was Lebendiges im
Astwerk wär', gar ein Mensch. Aber es rührt sich nichts. Da hat gewiß
einer herüberkrauchen wollen und ist hängen geblieben.«

»Jeß Maria! Nachher ist's mein Lenzerl!« schrie die Bäuerin hellauf.

»Schrei nit so, Weibmensch! Daß er jäh erschrickt und ins Wasser
patschen kunnt!«

Aber das Rauschen des Wildbaches sorgte dafür, daß keine menschliche
Stimme hinaufdrang. Der Holzknecht war auf die Tanne geklettert, spähte
nach dem Wesen im hängenden Stamm und bedeutete der Bäuerin herab,
sie solle ruhig sein, er sehe schon, was es sei, er wolle den Vogel
bald haben. -- Es währte nicht länger als drei Minuten, aber sie waren
die qualvollste Zeit, die das Weib je erlebt hatte. Sie sah ihr Kind
hundertmal ins Wasser stürzen und davonrinnen und ertrinken. -- Ein
Holzknecht weiß sich zu helfen bei den Bäumen. Seine Joppe hatte er
herabgeworfen, dann stieg er, immer vom Sturme umbraust, von Ast zu
Ast die Tanne höher hinan, schwang sich oben auf den herübergefallenen
Baum, kletterte an dem schwankenden Stamme hinaus, erfaßte mit fester
Hand den Knaben am Arm. Der erwachte und schrie. Seine ins Astwerk
verklemmten Glieder loszulösen war nicht leicht -- doch es gelang,
der Holzknecht brachte den Lenzerl herab und stellte ihn neben seiner
Mutter fest auf den Erdboden.

Dieweilen war auch der Bergbauer gekommen, seinem Weibe nach, und war
der Franz gekommen, seinem Bruder nach, zu helfen, wenn wo zu helfen
wäre. Wo die Brücke abgebrochen war, kamen sie alle zusammen. Und
haben unter Dankgebeten den Knaben heimgetragen.

Dann sind sie sehr glücklich beisammen gesessen im Bergbauernhause.

»O mein Kind!« sagte die Mutter, »wenn du nicht den Herrn Jesus von der
heiligen Kommunion bei dir gehabt hättest, da wär's wohl nicht so gut
ausgegangen. Er hat dich heimgeführt. -- Und jetzt, Lenzerl, denke ich,
du gehst in Gottesnamen schlafen.«

Ehe der Kleine das tat, kniete er in den Wandwinkel hin, faltete die
Hände, schloß die Augen und sah vor sich stehen den lieben Herrn Jesus,
der in der Kommunion zu ihm gekommen war.

Bald hernach war es im einschichtigen Bauernhause dunkel geworden.
Über das Dach dahin brauste der wilde Föhn, der Urwaldstämme bricht
und Berge stürzt, aber an dem frommgläubigen Kindesherzen vergeblich
rüttelt.




                           Franzosenrummel.


Das war ein hartes Wandern! Weitaus das härteste, das sie je erfahren
hatten. Gewohnt, aufs Volk ~hinab~zuschauen. Und jetzt mußten sie so
steil zum Volke ~hinauf~.

Zwei bärtige Männer kletterten unter großen Bündeln eingeknickt hinan
den steinigen Waldweg. Zwei andere Männer, die an ihren blauen Fräcken
glänzende Knöpfe hatten, führten jeder eine Frau am Arm. Der eine
die weißhaarige Matrone, die sich seufzend und schwer an seinen Arm
stützte; der andere ein schlankes junges Fräulein, das am liebsten
ohne Führung und Stütze auf allen vieren gelaufen wäre. Der Hohlweg
war danach. Wasser sickerte zwischen den Steinen, Erlsträucher und
Kiefernstrupp wucherten bösartig nieder und kratzten, wenn es leicht
sein konnte, das feine, blasse Mägdlein an den Wangen.

Vor einem anrückenden Trupp Franzosen geflohen, hatten sie ihrer Väter
stattliches Schloß verlassen, um zu einem Lehenhofe hinaufzusteigen,
der hoch im Gebiete der Almmatten liegt. Sie kamen an einen lichten
Platz unter Lärchen, wo der Blick frei ward ins Tal, das schon blauend
fern in der Tiefe lag, und wo in der andern Richtung ein silberweißes
Steingebirge stand, wie es die Frauen bisher nie gesehen, nur manchmal
nennen gehört hatten von den Gemsjägern. Die Matrone suchte mit ihren
Augen das Schloß und fand es nicht. Der Begleiter erst mußte es weisen:
Jenes graue Würflein mit den schwarzen Punkten. Und das winzige Ding
soll die alte große Kronburg sein? Ein Würfel! Mit dem der Himmel jetzt
lost um Menschenglück!

»Ich glaube gar, auf dem Turm steht die Trikolore schon!« sagte der
Führer und guckte durch das Rohr seiner hohlen Faust hinab.

»+Mon Dieu+, ich ertrage es nicht!« sagte die Matrone mit leiser
Stimme. »Wir hätten doch den Willen des Grafen tun sollen.«

»Nein, Mama!« rief jetzt das Fräulein, »niederbrennen nicht, das liebe
Haus!«

»Lieber in Asche, als daß dieser schreckliche Feind drinnen haust!
Kannst du je eine heimliche Stunde haben in den Mauern, die durch
diesen korsischen Bluthund entweiht worden sind?«

»Nein, Mama, der Bonaparte wird nicht kommen.«

»Er wird schon im Schlosse sein!« eiferte die Matrone.

Darauf sagte einer der Männer: »Schade, daß einem so was nicht früher
einfällt. Wir haben die Pulverfässer in der Muhrhöhle versteckt. Die
wären im Schloßkeller viel besser aufgehoben gewesen. Mit offenem
Deckel. Und ein Kerzenlicht drauf hingestellt!«

»Bum!« machte der andere. »Gegen Himmel sprengen, den Lumpen! Zur Höll'
fahren wird er nachher schon selber.«

»Lasset das, Leute,« verwies die Frau, »es wird einer kommen, der
stärker ist als er. Trachtet nur, im Kürnhof ein leidliches Asyl zu
schaffen. Für ein paar Wochen. Lange kann's ja nicht dauern.«

Als sie noch so sprachen, kam den Berg herab eine stattliche
Weibsperson, diese eilte sofort der Matrone zu: »Eure Gnaden, da oben
ist's nix. Wir müssen wieder 'nunter!«

»Kein Platz?«

»Drei Stuben. Der Kürnhofer hat sich mit Weib und Kind schon in den
Heustadel gezogen. Aber nichts zu essen, Gnaden, Frau Gräfin! -- Wohl,
wohl, Milch, Mehl, Butter genug, aber diese Küche! Gott, da schaut's
aus! Die Küche ist Holzasen, Schlafkammer und Hühnerstall zugleich,
meiner Tag hab' ich's nicht gesehen. Und dieser Rauch! Und dieser Ruß!
Und dieses Geschirr! Drei Hafen, drei Schüsseln, eine alte Pfanne,
eine Feuerzange, ein Reibeisen, ein Kochlöffel, ein Schabmesser --
jetzt sind wir fertig mit dem Zeug, damit soll der Mensch kochen! Nein,
Gnaden, da tu ich nit mit! Da gehe ich lieber zurück, zu den Franzosen
hinab, wo man alles herzunehmen hat!«

»Sei nicht dumm, Stanzi!« verwies die Gräfin. Dann sind sie weiter
angestiegen.

Der Kürnhof lag auf flacher Almhöhe. Nach zwei Seiten sah man hinab
in die bergige Welt; hinter dem Hause stand ein Schachen mit alten
finsteren Wettertannen. Vor dem Hause ein gurgelnder Brunnen, ein
verwildertes Gärtlein mit Nelken, Königskerzen und kümmerlichem Salat.
Auf dem Anger Schweine mit Ferkeln, in der umzäunten Halde Schafe mit
Lämmern, auf der Weide Kühe mit Kalben, auf der Planke Hühner mit
Küchlein, an der Haustüre ein gutmütig knurrender Kettenhund, auf
dem Firste eine scheckige Katze, um den Giebel kreisende Schwalben.
Im Innenhofe war eine Magd, die hackte grüne Fichtenzweige zu Streu.
In der Holzhütte war ein Knecht, der schnitt einen Block entzwei.
Weiterhin waren Mähder und Heuer und mit der Peitsche knallende Hirten.
Das Haus war alt, hatte ein bemoostes Bretterdach, braune Holzwände mit
kleinen Fenstern und einen Söller, an welchem bunte Zeuge hingen, so
daß das Fräulein im ersten Augenblick meinte, der Kürnbauer hätte zu
Ehren der Ankömmlinge beflaggt. Es war aber nur Wäsche zum Trocknen.

Der Hausvater kam zur Tür heraus und trat den Gästen entgegen. Ein
alter, hagerer Mann, an dem alles krumm war: die Beine, die Arme, die
Finger, die Nase, und alles eckig: die Backen, die Stirn, die Achseln,
die Ellbogen, die Knie. Die letzteren hielt er weit auseinander,
als hätte er ein Pferd zwischen den Beinen. Die Schenkel dünn und
mit falber Lederhose eng umspannt. Die Lodenjacke so kurz, daß man
zwischen ihr und der Hose am Rücken das lehmfarbige Rupfenhemd sah.
Der Hals lang und voller Runzeln, die Wangen rot wie ein Hahnenkamm
und sorgfältig rasiert. Der Mund ging so breit auseinander und die
grünlichen Äuglein zuckten so munter aus der halb gesenkten Hülle
hervor, daß es schien, der Mann lache immer. Mit weiten schnellen
Schritten ritt er heran, seinen breitkrempigen Filzhut tat er herab, so
daß das schüttere graue Haar im Winde flog. So schritt er mit hastigen
Schritten heran und rief mit dünner Stimme: »Hopassa, da seins! -- Der
Herr Gnaden Graf nit da? der tut leicht Franzosen derschlagen? Brav.
Die Frau Gräfin tu ich eh schon kennen, ei ja, das wohl. Ist das die
Tochter? Saggra, das ist eine bildsaubere Gredl!«

Wie drollig wäre es gewesen, dem plaudersamen Bergmenschen nur so
unterwegs zu begegnen! Aber den als Gesellschafter, wer weiß, wie viele
Wochen lang!

»Ja, ist schon recht, Kürnhofer,« antwortete ihm einer der tragenden
Männer, »weiset uns nur die bereitete Wohnung an, daß die hohen
Herrschaften sich ausruhen können.«

An der Tür stand die Hausmutter, ein kleines dickes Weib, dessen blaue
Schürze an beiden Seiten bis hinten reichte. Das Hemd weit über die
vollen Arme zurückgestreift, dann ein Kopf und ein Kropf. Der Kropf
hatte zur rechten Seite einen kleinen Knollen und zur linken einen
großen. Der Kopf war mit turbanartigem Tuch umbunden, das Gesicht rund
und frisch hatte für einen mit guten Augen tausend feine Runzeln, für
einen mit schlechten -- gar keine. Das Näschen saß bescheidentlich
zwischen den vollen Backen, der kleine Mund war fast viereckig, so daß
sie kein Verstecken spielen konnte mit der einen Zahnlücke zwischen dem
kräftigen Gebiß. An ihrer Schürze hingen ein paar Kinder, vielleicht
auch drei, oder noch mehr, es war gerade nur so regsam lebendig um das
Weib herum.

Gegen ihren Mann einen heftigen Deuter machte sie: »Schwatzen sollst
nit so viel!« Dann trat sie vor und wollte den Frauen bescheidentlich
die Hand küssen.

»Lasset das gut sein, Kürnhofbäuerin,« sagte die Gräfin ernsthaft.
»Jetzt sind wir ärmer als ihr da auf dem hohen Berge. Gott prüft uns
hart. Es wird wohl bald wieder in die Wege kommen und dann soll es
unvergessen sein, daß ihr uns Unterstand und Schutz gegeben habt in
Zeiten der Not.«

»Mein Gott, Euer Gnaden! Aber so was!« entgegnete die Bäuerin, da
kugelten ihr auch schon ein paar Tropfen über die Wangen. »Wir sind
ja der gnädigen Herrschaft Dienersleut'! Zu tausendmal gern, was wir
tun können. Aber geduldig sein heißt's wohl bei uns! Bitt gar schön,
uns es doch nit übel aufmessen, wenn ich was Ungeschicktes mach, oder
wer sonst und wenn wir's halt nit so bieten können, wie's die gnädige
Herrschaft gewohnt ist. Alles ist halt bei uns so viel dreckig.«

Kaum gesagt, war's ihr selber zu Mut: Um ein Wort zu viel geredt hast!
Derweil du dich ~seiner~ schämst, machst du es selber noch dümmer! Und
es ist auch gar nicht wahr. Hast nicht seit einer halben Woche gefegt
und gescheuert, daß dir heut noch der Buckel krumm ist? Zu was denn
sich selber heruntersetzen, wenn's nit wahr ist!

Die Stuben, in welche die Frau Gräfin nun geführt wurde, waren
ja überaus proper. Kein Spinnwebfaden in den Winkeln, kein
Fliegenpünktlein an den Fenstergläsern, und auf den Fußdielen hätte
man Nudelteig walzen können, so blank waren sie gescheuert. In der
Schlafstube stand ein großer Kachelofen, ein Tisch mit Wandbänken und
zwei Stühlen, dann waren zwei Kästen da und zwei hoch aufgedonnerte
Betten mit schneeweißer Wäsche und blauen Steppdecken. Es war eine
hellblickende und frisch tickende Schwarzwälderin da, am Wandröllchen
ein mit roten Streifen gesticktes Abwischtuch, und es waren ein paar
böhmische Glasbilder an der Wand, den heiligen Florian vorstellend
und den heiligen Josef mit dem Kinde. Und am Türpfosten hing ein
grünglasiertes Weihbrunngefäß.

»Euer Gnaden müssen halt schon zufrieden sein mit der Einrichtung,«
sagte die Hausmutter und bei sich dachte sie: Da können sie freilich
leicht zufrieden sein, wenn man ihnen alles Gute und Schöne
zusammenschleppt vom ganzen Haus. Feiner mag sie's wohl haben in ihrem
Gschloß, aber besser nit, selb glaub ich nit.

Als die Gräfin in der Stube allein war, schlug sie die Hände zusammen
und starrte verzweifelt umher. -- »Und da sollen wir wohnen, ich und
mein armes Kind! Wenn alles fehlt, aber gar ~alles~! Der Waschtisch,
die Vorhänge, die Spiegel, die Armleuchter. Und dieser Geruch! wie
morsches Holz! +Oh! ces maudits Français!+«

Dem Riechen nach morschem Holz sollte abgeholfen werden. Der
Kürnhofbauer trat in die Stube, setzte sich an das Fußende des Bettes,
fragte nach diesem und jenem, was es Neues gebe und ob der Franzos auch
Weibsbilder fresse? Dabei begann er sich mit Stahl und Stein Feuer
zu schlagen für eine Pfeife Tabak. Die Dame antwortete rasch, die
österreichische Armee sei im Anmarsch und sie würde doch mit Gottes
Hilfe den Feind bald überwältigen, und sie -- die Gräfin -- wolle jetzt
hinaus in die reine Luft und ein bißchen die Gegend betrachten.

»Ist eh recht!« sagte der Alte, blieb sitzen und rauchte die Stube so
dick mit stinkendem Tabakqualm an, daß die blauen Wolkenstreifen wie
schlangenhafte Ungeheuer langsam umherschwammen im dämmerigen Raum. Die
Hausmutter kam, jagte den Rauch zu den Fenstern hinaus und den Alten
zur Tür.

Die Köchin Stanzi war im Hofe auf Entdeckungsreisen begriffen, sie
mußte die Quellen der Milch, der Eier, der Schinken erforschen. Zwei
Knechte arbeiteten im Wagenschuppen, der Lenz und der Zenz. Der Lenz
hatte ein rauhes braunes Gesicht und einen gelben buschigen Schnurrbart
drin, der wie ein zerfetztes Strohdach den Mund verdeckte. Der Zenz
hatte gar keinen Bart, aber eine aufgestülpte Nase und an der Oberlippe
eine Hasenscharte. Die beiden sahen schmunzelnd dem rundlichen
Weibsbild zu, das planlos umherstrich. Am Hoftor stellte der Zenz sich
eng in den Weg, faßte sie ruhig an der Achsel und sagte lachend: »Gut
ist's. Die ist schön herzunehmen.«

»Weg die Bratzen!« gab sie zur Antwort, erinnerte sich aber sofort
ihrer vornehmen Stellung und sagte in zierlichem Schuldeutsch: »Das
bitte ich mir sehr aus, meine Herren! Sie dürfen ja nicht glauben,
wissen's! Mir gfallt's überhaupt nicht da ban enk heroben! Da sein ma
die Franzosen noch lieber, de san wenigstens sauber gwachsen!«

Schupfte der Lenz seinen Bartwisch und sagte: »Der Sprach' nach bist
nit weit her. Vom Franzosenland gewiß nit.«

»Aber kriegt hab' ich doch einen!« eiferte die Stanzi. »Ich wollt,
ich wär' unten im Tal. Ich bin mein Lebtag kein sölchener Traumihnit
gewest, wie die dasigen Mannerleut. Vor den Franzosen hab' ich mich
mein Lebtag nit gefürchtet.«

»Gelt, und vor uns wirst dich auch nicht fürchten,« begütigte der Zenz
und legte seinen Arm um ihre Mitte.

Mittlerweile war das junge Fräulein, die Komtesse Augustina, drüben
an der Esche gestanden, versunken im Anschauen der Gegend. Ihr Auge
war ungeübt im Weitschauen, das verstand nicht hinauszufliegen ins
ätherblaue Bergrund, es ging diesen schönen schwarzen Augen wie den
gefangenen Vöglein, wenn sie plötzlich frei werden. Sie wußte kaum, ob
das, was sie sah, Berge oder Wolken waren, und im Tale die Dörfer, wie
tief, wie fern, wie kaum zu erkennen! Heftig mußte sie atmen in der
dünnen kühlen Luft. -- Auf diesen hohen Berg, so dachte sie, kann er
nicht herauf, der schreckliche Feind mit seinen Rössern und Kanonen.
Wenn nur auch Papa da wäre und -- zwei Schwalben schwirrten, einander
munter verfolgend, so nahe an ihr vorüber, daß sie den Wind des
Flügelschlages fühlte an den Wangen. -- Daß es doch so lebendig sein
kann in dieser Einöde. +Et comme ces oiseaux se caressent! Je voudrais
que mon chevalier fût près de moi!+ -- Sie ging langsam zwischen den
Gebäuden des Hofes dahin. An einer offenen Stalltüre stand sie still
und sah, wie drinnen ein junges Dirnlein unter einer Kuh saß und mit
den Fingern Milchstrahlen in einen Zuber leitete. Was ist denn das?
Gott, das ist aber komisch! -- Die Komtesse hatte noch nie eine Kuh
melken gesehen. Sie errötete und eilte weiter.

In der Werkzeughütte auf einer Schnitzbank ritt ein junger Bursche
und schnitt mit dem Reifmesser einen Spatenstiel zurecht. Er war in
Hemdärmeln, hatte einen glatten strammen Nacken, und ein schönes falbes
Flockenhaar. Das Gesicht sah sie nicht. Die Hobelspäne haben einen so
merkwürdig feinen Geruch, sie blieb stehen.

»So! gut ist's, mein lieber Haustiel!« sagte der Bursche zu seinem
Werke und wog es in den Händen, ob sich das Ding auch gut wird halten
lassen. »Jetzt bist fertig, jetzt kannst heiraten.« Er steckte den
Stiel an eine eiserne Haue und die junge Gräfin mußte hellauf lachen,
daß dieser Mensch mit einem Stück Holz plauderte. Er wandte sich um,
stand auf und sagte artig: »So sauber, jetzt werd' ich ausgelacht.«

»Nein, das nicht,« entgegnete sie rasch, »es ist nur so lustig, wie die
Schwalben tanzen.«

»Ja, die haben freilich leicht tanzen, weil sie ihre eigenen Spielleut
sind,« lachte der Bursche. Dann trat er ihr näher: »Ich glaube gar, das
Töchterl von der gnädigen Herrschaft!«

Und sie dachte: Ein hübscher Junge ist's! Nur die Stirnknochen sind zu
groß und den Schnurrbart hat der über den Augen. Sind aber auch die
danach! +Les beaux yeux des hommes tournent la tête aux dames.+

»Sie bereiten sich da gewiß eine Waffe gegen den Feind!« sagte hernach
die Komtesse, weil jetzt doch unweigerlich etwas gesagt werden mußte.

»Waffe? Ich?« fragte der junge Mann. »Aber schon gar nit, Mädel. Die
Haue habe ich mir angeschaftet, zum Erdäpfel ausgraben.«

»Sie sind doch ein gesunder Mensch?« sagte das Fräulein und wollte
schon die Frage tun, warum er nicht bei den Soldaten sei in solcher
Zeit. Als ob es der Bursch erraten hätte, entgegnete er: »Es muß halt
zum Hauswachten auch wer da sein. Haben eh schon in voriger Woche hinab
wollen, ich und der Lenz und der Zenz, da hat der Vater gesagt: Wenn
die Herrschaft kommt, da heißt's daheim bleiben. Auf ja und nein können
ihrer ein Schippel da sein, wer hätt' die Verantwortung!«

»Also unsertwegen sind Sie zu Hause geblieben?«

»Jawohl, Dirndel!« rief er und faßte sie an beiden Händen. »Wir wollen
miteinander Erdäpfel graben, gelt, hopsa!« Er schob sie in der Runde
um sich. Dem Fräulein kam das schrecklich unpassend vor, aber ganz
lustig. +Moins une chose est convenable plus nous la goûtons+, sagt der
Franzose.

Nun wurde von einem Hirten die Herde zum Brunnen geleitet. Die vordere
Kuh hielt ihre große Schnauze in den Trog und schlürfte mit Behagen das
Wasser ein, daß die Bauchteile auf und nieder wogten. Rückwärts drängte
ein grauer Stier, den dürstete auch, und vor Ungeduld hieb er sich mit
dem buschigen Schweif mehrmals über den Rücken. Weil die Kuh nicht
fertig werden wollte, so sprang er mit den Vorderfüßen an sie hinauf.

»Aber sehen Sie doch!« rief die Komtesse erschrocken, »wie eine Kuh auf
die andere springt!«

»Das eine ist ja keine Kuh!« lachte der Bursch.

»Robert!« schmetterte die Hausmutter von der Türe her.

                   *       *       *       *       *

Daß die Morgensonne auch wagrecht ins Zimmer scheinen kann, das hatten
die beiden Damen bisher kaum je einmal gesehen. Heute sahen sie's, die
Sonne schien so zum Fenster herein, daß ihre Lichttafel schier oben
an der Decke war. Über fernsten Bergen war sie heraufgekommen, ein
glühendes Rad und draußen sangen die Finken, die Schwalben, die Amseln,
die Lerchen. In einen Pelzmantel gehüllt eilte die Gräfin ins Freie, um
zu sehen, ob im Tale irgendeine Spur der feindlichen Stellungen gesehen
werden konnte. Im Tale lag ein weißer See, der erst am hohen Vormittag
in leichten Wirbeln emporstieg, in dünnen Schleiern sich löste. Dann
lag das Tal da, wie es gestern gelegen, nur daß zu dieser Tageszeit
die Kirchtürme und Burgen im Lichte standen. Aber die Kronburg konnte
man nicht sehen vom Kürnhofe aus.

Die alte Gräfin setzte sich zum Hausvater, der auf einem Stuhle ritt,
der Stuhl hatte ein Amboßlein aus Stahl und darauf dängelte er eine
Sense. Sie saß da, weil sie gerne mit dem Alten etwas gesprochen hätte,
aber bei den gellenden Schlägen war ein Plaudern nicht möglich. -- Sie
schaute viel umher, beobachtete allerlei und wurde immer mißmutiger.
+Fi donc!+ Alles rings herum auf diesem Berge, die Gebräuche, die
Menschen, die Tiere -- alles so unsittlich!

»Ich weiß nicht, wie ich sagen soll, Kürnhofbauer. Meine Tochter hat
eine sehr sorgfältige Erziehung genossen ...«

»Eh recht,« sagte der Bauer und dängelte: däng, däng, däng.

»+En effet, oui+, wie unseren Augapfel haben wir sie bewacht ...«

»Wird eh so sein.« Däng, däng, däng.

»+Le barbare ne comprend pas!+ Eure Tochter -- mit der mein teures Kind
umgehen soll -- sie ist wohl ganz unschuldig noch? Ich meine ...«

»Die Hilderl? Meine Hilderl?« fragte der Alte und ließ den Hammer auf
dem Amboß ruhen. »Unschuldig? Ich denk' wohl, Euer Gnaden. Aber wissen
wird sie's schon, daß sie ein Weibsbild ist.« Däng, däng, däng.

»-- -- -- Mir ist das durchaus nicht gleichgültig, Kürnhofer. Mein Kind
ist kaum siebzehn. Vollkommen uneingeweiht in gewisser Beziehung ...«

»Euer Gnaden,« sagte der Bauer. »Wird eh sein, wird eh sein, aber --
den Mentscherln darf man nit trauen. Kleines Engerl, großes Luderl.«
Däng, däng, däng.

Die Gräfin ging mit einem Seufzer von dannen. Sie suchte die Komtesse
und fand die Köchin Stanzi, welche hastig von der Scheune herkam und
mit Neuigkeiten beladen war. »Im Haferstroh! Im Haferstroh!« rief
sie fast außer Atem, »habe ich Eier gefunden, frische Eier, und die
Franzosen, hat der Zenz gesagt, sind schon in Almstein!«

»Wo ist die Komtesse?«

»Im Heu oder beim Vieh. -- Im Haferstroh, sagt der Zenz, kunnt man
ihrer alle Tag' finden.«

»Laß jetzt die Eier und bringe mir mein Kind!«

Komtesse Augustina hatte eine Genossin gefunden. Das Mädchen, welches
gestern unter der Kuh gesessen, schüttelte auf der Matte mit einer
langen Gabel die Heuschichten auseinander, das Schloßfräulein half
munter dabei mit.

Als auf der Matte das Heu flach gelegt war, daß es die Sonne trocknen
und dörren konnte, sprach die Haustochter Hilda zu ihrer neuen
Gefährtin: »So, das letzte Haufel schütteln wir nit auseinander, da
setzen wir uns drauf und wollen rasten und Milch trinken.« Sie nahm den
Plutzer vor.

»Ist das dieselbe Milch, welche --« Das Fräulein zuckte ab und begann
zu kichern. Dann zog es ein elegantes Handspiegelchen hervor, beguckte
sich drin und tastete mit den weißen Fingern an dem über der Stirn hoch
aufgelockerten Haar herum. »Wollen Sie auch hineingucken?« fragte sie
das Dirndel.

»Dank schön. Ich hab' einen viel größeren.«

»O, den haben wir auch!« sprach mit einiger Ernsthaftigkeit die
Komtesse. »In unserem Speisesaal auf Kronburg hängt einer, der ist so
groß, wie euer ganzes Hausdach.«

»Ein Spiegel?«

»Ein Spiegel!« wiederholte das Fräulein stolz.

»Da hab' ich einen noch viel größeren,« sagte die Hilda. »Ja, ja, ganz
im Ernst! Werd ihn schon einmal herzeigen, wenn ich gut aufgelegt bin.«

»Gut aufgelegt! Sie sind wohl immer lustig, nicht wahr?«

»Ja, wenn ich nit bös bin. Wenn ich bös bin, da bin ich nit gut!«
lachte die Hilda.

»Lustige Leute liebe ich!« gestand die Komtesse.

»Weißt was,« sagte das Bauerndirndel, und legte den Arm um ihren
Nacken, »tun wir lieber Du sein miteinander.« Dabei schaute sie aus
ihrem frischen Rundgesicht mit den kleinen Grauaugen schalkhaft auf
die Komtesse. Die war zu allem aufgelegt, wendete aber immer das
Köpfel einmal zur Rechten, einmal zur Linken hin, ob wohl Mama nicht
in der Nähe sei. Aus dem Plutzerkragen Milch trinken, das machte ihr
Spaß, obschon sie sich das erstemal, zu rasch übergestülpt, die Milch
aufs Busentuch geschüttet hatte. Die Hilda hatte aus der Kitteltasche
Nähzeug geholt und tat jetzt mit einem weißgegerbten Fellchen um.

»Was hast du denn da?« fragte die Komtesse.

»Das ist ein Katzenbalg. Weißt, davon kriegt er einen Tabaksbeutel,
wenn er heimkommt und brav Franzosen derschlagen hat.«

»Aber wie du sprichst!« sagte die Komtesse. »Wer denn?«

Die Hilda tat verblüfft: »Wer denn? Er halt. Der meinige. Dem hab' ich
gesagt, wie er fort ist: Halt dich fest, Nickel, wenn du zurückkommst,
kriegst einen schönen Katzenbeutel. Schau, da ist er, ich nähe ihn
zusammen und ein blauseidenes Ranftel drauf. Siehst es, sauber steht's!«

»Ist das dein Bruder, der Nickel?«

Lachte die Hilda hellauf: »Jetzt glaubt die, das ist mein Bruder!« Und
dann ernsthaft zum vornehmen Fräulein: »Hast denn du keinen Schatz?«

Fast erschrak die Komtesse über eine so plötzliche Frage. Ein schneller
Blick in die Runde, ein engeres Zusammenrücken auf dem Heu: »Wenn --
wenn du mich nicht verraten wolltest. Mama weiß nichts davon, daß ich
einen Freund habe ...«

Die Hilda rieb sich mit Vergnügen die Hände: »Das ist gescheit! Gelt,
der ist gewiß auch recht schön!«

»Gott, meine liebe Freundin, das ist ein schöner Mann!«

»Geh! Aber erzähl, wie schaut er denn aus!«

Der Berichterstatter beklagt es, daß die beiden Mägdlein das weitere
nur geflüstert haben. Von einem spitzen Schnurrbart war die Rede,
von einer roten Pumphose, von einem »tscheppernden« Säbel. So herzig
plaudern, so amüsant kosen könne er! Aber schlimm! Entzückend schlimm!
-- Dann wurde das Flüstern leiser. Auf einmal schrie das Bauerndirndel
hell in die Luft: »Geh', hör' mir auf! Sich nit derwehren können, das
möcht' ich schon sehen! Jede kann sich derwehren, wenn sie will.«

»Sagt doch,« stotterte hierauf die Komtesse, »der Beichtvater selber,
daß der Mensch so schwach sei!«

»Eben deswegen derwehrst dich leicht vor ihm.«

»Gott nein, Hilda, du verstehst mich nicht. Der Mensch -- das ist ja
unsereins selber.«

Die Hilda legte auf ihrem Schoß die Arbeit zurecht und sagte dann gar
ernsthaft: »Bei mir ist es halt so: Ich will den Nickel nit allein
zum Schatz haben, ich will ihn auch zum Mann haben. Zum Mann für mein
Lebtag. Derwehrst dich, so hast ihn. Derwehrst dich nit, so geht er
nachher leicht um ein Häusel weiter, pfeift sein Liedel und denkt: So,
jetzt probier' ich's mit einer anderen.«

»Aber nein doch!« stöhnte die Komtesse auf.

»Ich bitt' dich, lern' du mir die Mannerleut' kennen! Die sind dir so
schlecht, so hundsluderschlecht, daß ...« mit geballten Fäusten bebte
sie ... »Derdrucken möcht' man sie vor Gernhaben!«

»Und meinst du wirklich, daß sie nachher davonlaufen?«

»Meine Mutter sagt immer, sie täten es alle so machen und man sollt
sich hüten!« berichtete das Dirndel.

Hierauf sagte die Komtesse vertraulich: »Ich habe einmal ein sehr
interessantes Buch gelesen. Heimlich. Gott, wenn die Franzosen dieses
Buch unter meinen Kissen fänden!«

»Was steht denn drinnen?« fragte die Hilda.

»Daß in der französischen Schweiz noch ein alter Brauch wäre. Ein ganz
merkwürdiger Brauch. Es soll richtig sein. Heinrich sagt's auch.«

»Na, druck halt los.«

»Ja, er erzählt, daß -- nein, so etwas kann man doch nicht erzählen.
Es ist --. Worauf du früher angespielt hast -- weißt du? Jeder
Bräutigam habe nämlich das Recht, zu -- zu seiner Braut zu kommen --
schon -- -- schon vor der Hochzeit.«

»Nein du, was ~du~ für Sachen weißt!« sagte das Bauerndirndel und
faltete die Hände, zwischen welchen der Katzenbeutel eingeklemmt war.

»Gnaden Komtesse!« zeterte es vom Schachen her. Die Stanzi kam
gewatschelt: »Komtesse, der Tanz hebt an! Sie kommen! Sie sind schon in
Almstein, sagt der Zenz!«

Die beiden Mädchen eilten dem Hofe zu. Hinter dem Stadel war ein
großer Teich, der weiter unten eine Mühle trieb. Als sie an demselben
vorüberkamen, schalkte die Hilda: »Da guck einmal! das ist er, mein
großer Spiegel! Gelt?«

                   *       *       *       *       *

So laut und lebendig es tagsüber zuging auf dem Kürnhof, so still
und feierlich lag er da in der Nacht. Das immerwährende Rauschen des
Brunnens, das Zirpen der Grillen -- sonst nichts. Im hohen weiten
Himmel das schweigende Sternenmeer. Im Tale einige Lichter, kleine und
auch größere. Lagerfeuer? -- Am Hinterteile des Wohnhauses vor einem
offenen Fensterchen kniete der Knecht Lenz. Er rieb seinen Bart am
Fensterbrett und flüsterte den Gasselspruch:

    »Tixbuschen, Taxbuschen,
    Hast mich g'hört daherduschen,
    Mit mein' saggrischen Federbuschen?
    Ich geh daher, ich knia daher,

    Ich treib' ein fest's Paar Stier daher,
    Ein' jungen und ein' alten,
    Geh Dirndl, magst mich über Nacht g'halten?«


»Nix da!« sagte drinnen jemand. »Weißt eh, ich bleib' bei meinem
Scherschang, der ist grad gewachsen, der ist mir lieber.«

»Ist er dir nit zu weit weg, dein Franzos?« darauf der Knecht und
machte einen langen Hals zum Fenster hinein.

»Er wird schon nahender kommen, laß nur Zeit. Nachher heiraten wir.«

»Gut ist's, Stanzerl, dich mag ich.«

»Ich und du, glaubst? Ja, Schnecken! Ich und der Scherschang! Haben's
schon ausgemacht miteinander.«

»Hat er dir leicht geschrieben?«

»Er kann ja nit deutsch.«

»Wie könnt's es nachher miteinander ausgemacht haben, möcht ich wissen?«

»Mündlich haben wir's ausgemacht.«

»Wenn er nit deutsch kann!«

»'s Busserlgeben wird eins doch verstehen!«

»Ah, so meinst! Du Dirndl, paß auf, das kann ich viel besser wie der
Franzos.«

»Ja, da müßtest erst dein' Schnautzer wegschneiden, sonst kann man nit
zuwi.«

Am nächsten Tag lachte alles auf, der den Knecht Lenzel sah. Er hatte
sich den Schnauzbart weggeschnitten. »Jess', die Zahnlucken, die der
hat!« Und der Scherschang, so fern er sein mochte, hatte jetzt noch
leichteres Spiel. Selbst der Zenz mit der Hasenscharte stieg an Wert.

Regenzeit war gekommen. Der Kürnhof stand tagelang mitten in den Wolken
und die Dachtraufen fielen nie senkrecht zur Erde, immer von kaltem
Wind quer hingeschleudert an die Wand. Hildas großer Spiegel war
trüb, in den Teich rieselte lehmige Gieß. Die Stuben waren geheizt,
die Gräfin Kronburg beschäftigte sich mit einer Handarbeit oder mit
Lesen. Und wie einsam, wie traurig! Nach dem Abbé sehnte sie sich,
ihrem Beichtvater, einem Mann im feinen Geist aus der Zeit Ludwigs des
Vierzehnten. Und Augustina! Wo nur die Komtesse immer bleibt? +Ah,
quelle misère!+

Die Komtesse saß lieber in der Stallkammer bei der allzeit munteren
Hilda als bei der ernsten Mama. Die Stallkammer war wohl verwahrt.
Die Hilda fing aus dem Schafstalle ein Lämmlein ums andere hervor,
führte es in die Kammer, nahm es zwischen die Knie und schnitt ihm mit
einer großen Schere die Wolle vom Leibe. Die Komtesse hatte anfangs
mit Entsetzen auf diese Tat gestarrt. »Lapperl!« hatte Hilda gesagt,
»das tut lang nit so weh, als wenn dein Gnaden Herr Vater im Wald
ein Reh schlecht trifft und es bleibt lebendig liegen. Schau, dem
Lamperl taugt's, das lauft gar nit davon, wenn ich's auslasse.« Anders
war's, als es auch die Komtesse versuchte, dem Tiere eine Flocke Wolle
wegzuschneiden, da zuckte das Schaf und meckerte. Es war in die Haut
gestochen worden. Wohl trachtete das Fräulein, durch Liebkosungen das
Tier zu versöhnen, dieses aber lief vor ihm heftig trappelnd bis in den
hintersten Stubenwinkel.

»So komm doch, Herzchen!« schmeichelte sie und hielt ihm ein Stück
Kuchen hin, »verzeihe mir nur, ich bin zwar ungeschickt, aber doch
deine gute Freundin --«

»Ja, die dich am nächsten Sonntag verspeisen wird!« lachte die Hilda.

Die Komtesse sah nicht gut aus. Sie war blässer, als sonst der frische
Bergwind zuzulassen pflegt. Nun vertraute sie einmal der Freundin,
daß sie in den Nächten schlecht schlafe. Dem Schnarchen der Mama habe
sie sich zwar entzogen, seit ihr die zweite Schlafkammer eingeräumt
worden, aber der Kettenhund! +Cet animal ne nous laisse pas en paix.+
Einmal habe sie geglaubt, die Franzosen seien schon am Hofe, so heftig
bellte der Hund. Um sich die Zeit zu vertreiben, lese sie im Bette aus
französischen Büchern, die sie von ihrem Freund habe. Mama dürfe nichts
davon wissen.

»Warum denn nicht? Sind schlechte Sachen drin?« fragte das Dirndel.

»Ach, es sind so interessante Bücher. Zum Beispiele vom Schäfer, der
eine schöne Königin entführt und ihr aus Schafwolle ein niedliches
Bettchen macht. Und dann sind sie so glücklich, ach, so glücklich!«

»Geh, hör mir auf! Wenn du immer solche Sachen denkst, da wirst du
freilich hart warten.«

»+Oh chère dame compagnarde!+«

»Geh, red nit immer böhmisch. Für mich ist deutsch auch gut.«

Nun zog die Komtesse eine Weile herum, zupfte an einer Wollflocke, warf
sie in die Luft, fing sie wieder auf und plötzlich sagte sie: »Dein
Bruder, der ist lieb!«

»Der Robert! Wieso kommst du jetzt auf meinen Bruder?«

Da erzählte die Komtesse: »In der Nacht auf den Sonntag war's, oder in
der vom Freitag? Nein, doch in der auf den Sonntag. Ich schlafe wieder
nicht, habe aber kein Licht mehr. Sehe ich dir vor dem Fenster draußen
einen Mann stehen. Anfangs bin ich erschrocken, wie ich aber die
schlanke Gestalt deines Bruders erkenne, öffne ich schnell das Fenster
und frage, was er denn mache da draußen? Und denke dir diese Antwort!
Wacht stehen, daß der lieben gnädigen Komtesse nichts geschieht. -- Ich
habe lange nachher gezittert. So ein Wort! Man sage noch einmal, daß
es im Volke keine Ritterlichkeit gäbe. Der Robert gefiel mir gleich
anfangs so gut. Er schaut einen so an, so gewiß -- ich weiß nicht wie
ich sagen soll. Hernach in der darauffolgenden Nacht hat's geblitzt und
gedonnert und geregnet, und jetzt stelle dir vor -- steht er wieder
draußen. Wenn er unter Dach gehen hätte wollen -- die Tür war nicht
verschlossen.«

»War sie nicht verschlossen?« sagte die Hilda nach und ging ihre
Kammertür zuzumachen, daß die wollewaschenden Mägde im Vorraum nicht
sollten hören können. Dann stellte sie sich vor das Fräulein hin und
wiederholte leichthin: »War sie nicht verschlossen?«

»Ich mußte am Abend zuvor vergessen haben.«

»Weißt, Fräulein,« entgegnete nun das Dirndel, »ich bin auch keine
Klösterin, aber dich versteh ich nit. Schämt sich, wenn eine Kuh
gemolken wird -- und daneben solche Sachen! Erinnerst du dich noch, was
ich dir draußen beim Heuen gesagt hab'?«

»Ist nicht anwendbar!« antwortete die Komtesse, die Finger der
gehobenen Hand schlenkernd. »Heiraten natürlich nicht!« lachte sie,
»nur ein bißchen liebhaben.«

Das Bauerndirndel wurde ganz dunkel im Gesicht. Nach einer Weile sagte
es scheinbar gleichmütig, aber mit einer seltsam gedämpften Stimme,
das folgende: »Umfallen hätt ich jetzt mögen. Und weiß nit, bin ich
dumm oder ist wer anderer schlecht. Nein, schlecht, das will ich nit
sagen. Zuerst geht sie her und liest allerhand Heimlichkeiten. Derweil
ihr Vater sein Leben vor die Franzosenkugeln muß tragen, liest sie
französische Bücheln! Und wird eine so leichtsinnige Person, daß --
daß -- ich weiß gar nit! Na, sei nur still und red nit, du magst es
auslegen wie du willst, ich hab mir jetzt gehört genug und so denkt und
tut ein braves Mädel nit.«

»Aber mein Gott, was habe ich denn Schlimmes gesagt?«

»Still sei!« rief das Dirndel.

Jetzt begann in den Adern der Komtesse das Blut zu wallen, aber nicht
das rote, das heiße, brausende, sondern das blaue. Was nimmt sich
diese Person heraus! Lehensleute! Das kommt davon! Das ist die Folge
allzu freundlicher Herablassung. Mama hat recht. Man wird solchen
Leuten den Unterschied zeigen. Von jetzt an soll sie mir Luft sein ...
Solche Gedanken schossen durch ihr Haupt, aber indem sie sich stolz
aufrichten und mit einem das Dirndel niederschmetternden Blick zur Tür
hinausschreiten wollte, sank sie an der Ofenbank zusammen und begann
heftig zu weinen.

Die Hilda stürzte herbei: »Jesus Maria, aber Augustina! Hab ich dir --
hab ich Ihnen weh getan, gnädige Komtesse! Ich bitt um Verzeihung. Es
ist ja nit bös gemeint gewesen. Meiner eigenen Schwester hätt ich's so
gesagt. Bei dem gnädigen Fräulein hab ich kein Recht, was geht's mich
auch an. Nur weil ich dich gern hab, ich bitt dich, verzeih mir!«

Fast kniete sie nieder vor der Schluchzenden. Diese schob sie mit dem
Arm beiseite. Dann fuhr sie sich mit dem weißen Tüchlein über das
Gesicht, atmete auf und sagte: »Ich habe dir nichts zu verzeihen.
Danken muß ich dir. Du hast recht, Hildegard. Ich sage es offen, was
daran so weh tut. Schämen! Wenn die Gräfin vor der Bäuerin sich schämen
muß! -- Du wirst es nicht wieder erleben.« Sie stand auf, schlank,
würdevoll wie eine Königin, die Hand legte sie an die Brust und
sprach: »Bei dem Leben meines Vaters, der vor dem Feinde steht, kein
leichtsinniger Gedanke mehr in dieser Brust! -- Ich danke dir, Hilda,
daß du mich aufgeweckt hast.«

Das Dirndel wehrte mit beiden Händen ab: »Als ob ich selber so viel
besser wär! Für sündige Gedanken kann ja kein Mensch!«

»Ich will sein wie du, nicht prüde, aber stark.« So die Komtesse. Dann
war ihr zu Mut, als müsse sie die Hilda jetzt auf die Stirn küssen wie
eine Schwester. Getan hat sie's nicht.

                   *       *       *       *       *

Von diesem Tage an hat das gnädige Fräulein über allerhand gesprochen
mit ihrer Freundin, aber nie mehr von Liebe. Der Robert ist auch nicht
mehr auf der Wacht gestanden vor ihrem Fenster in der Samstagsnacht und
die Tür wird stets sorgfältig verschlossen gewesen sein.

Die Männer des Hofes waren übrigens fortgezogen, nur die beiden
Diener der Herrschaft und der alte Bauer waren im Hofe geblieben, um
Anstalten und Vorbereitungen zu treffen zur Vergrabung der Wertsachen,
zur Flucht der Herrschaft, wenn der Feind sich wirklich auch auf dem
Berge zeigen sollte. Wenn das, dann noch höher hinauf ins Gebirge, wo
versteckt in einem grünen Felsenkar eine Sennhütte stand.

In der Gegend waren nämlich schon Franzosen gesehen worden, zuerst
in Rotten, bald in größeren Haufen, auch Reiterei und Wagenwerk. Auf
der großen Wiese vor dem Jagdschloß zu Almstein hatten sie Lager
aufgeschlagen, es hieß, der Bonaparte sei dort und er wolle sich im
Falle einer verlorenen Schlacht das feste Waldschloß zur Zuflucht
herrichten. So unglaublich diese Nachricht klang, so brachten Leute
doch bald Botschaften, die verläßlicher schienen. Der Bonaparte sei
wirklich in Almstein, er verkleide sich mit Vorliebe mit einem alten
Mantel und reite auf kleinem, unscheinbarem Rosse, aber er sei leicht
zu erkennen an seinem bartlosen Gesicht mit den schwarzen Haarfetzen
über der Stirn. Der Bonaparte! Kundschaften tut er wieder!

Das war allen Männern und Knaben, ja sogar den Greisen der Gegend in
die Nerven gefahren und sie zogen aus mit Flinten, Sensen und Hacken,
um den Bonaparte zu fangen. Wenn die Bauern seiner Herr würden, nachdem
die Könige der Erde machtlos vor ihm zitterten -- ~das~ wäre so was für
die Zeitung! Na, vielleicht! Man kann's nicht wissen, welche Werkzeuge
sich Gott auserlesen, um den Weltbösewicht zu vernichten.

In freudigster Erregung war die Herrschaftsköchin Stanzi. Die Franzosen
in der Nähe! Vielleicht auch der Scherschang! Angedeutet hat er ihr so
etwas, als ob er nachkommen wolle auf den Berg. Den Bonaparte wollen
sie fangen, die paar Bauernkrüppel! Es ist zum Lachen! Ewig schade,
wenn die Franzosen den kürzeren ziehen und wieder davonmarschieren
müßten. Diese schönen feinen Herren! Und das ist auch richtig, der
Franzose als Feind ist artiger, wie der Deutsche als Freund. Ist's
nit wahr? -- Sein sollt's nit heutzutag, daß man einen Franzosen gern
hat? Na, das möcht ich schon wissen, wer mir dieses elfte Gebot wollt
aufbringen. Der deutschen Herrschaft schmeckt die französische Küche
recht gut, und unsereiner wollen sie den Scherschang nit vergunnen. Na,
wartet nur, bis sie erst Herren sind im Land! Der Bonaparte hält es mit
den gemeinen Leuten, die hohen Herrschaften mag er nit. Die Grafen und
Barone können nachher krautschneiden und mein Scherschang wird General
....

Solche Betrachtungen hegte die Stanzi, während sie auf dem Brett einen
Krautkopf klein schnitt für einen Salat zum Lämmernen.

Aber noch bevor Salat und Lämmernes auf den Tisch kam, trug sich
das Weltereignis zu. Ein barfüßiger Hirtenjunge kam gelaufen: »Den
Bonaparte! -- den Bonaparte hätten sie! Mit Haut und Haar. Sie hätten
ihn gleich an den Holzbirnbaum hängen wollen, aber der Jäger Balduin
habe gesagt: Nicht umbringen! der gnädigen Gräfin bringen auf den
Kürnhof zum Präsentel. Solch ein Wundertier habe die Gnädige ihr Lebtag
nicht gesehen. Die gibt ein gutes Trinkgeld. Sie werden bald da sein
mit ihm.«

Und nicht lang, so lärmte die Rotte über den Almboden heran, in ihrer
Mitte mit Stricken und Ketten und Riemen gefesselt den Kaiser der
Franzosen. Er hatte sich eng in seinen bekannten Mantel geschlagen
und die Mütze tief in die Stirne gedrückt. »Erzräuber! Welscher
Geier! Kanaille! Galgenstrick!« Das waren die Ausdrücke der Reverenz,
die man dem Welteroberer darbrachte. Der Jäger lief voraus, stürmte
ohne anzuklopfen in die Wohnung der Gräfin: »Gnaden Frau! Ich bitt'
hinausgehen! Ich bitt' untertänigst! Eine Überraschung! Eine große
Überraschung!«

»Was habt ihr denn, Leute?«

»Den Kerl haben wir! In Almstein auf der kleinen Wiese abgefangen. Den
Bo -- Bo -- Bonaparte!«

»Wen, den Napoleon?«

»Nur sich selber überzeugen, Gnaden Frau Gräfin. Komtesserl auch
mitkommen!«

Die Frauen wurden förmlich ins Freie geschleppt. Im Hofe ein
schreiender, drohender, springender Menschenhaufen. Der Gefangene
zwischen sechs Männern, der Lenz und der Zenz darunter, die ihn nach
allen Seiten hin mit Stricken und Riemen festhielten, gleichsam als
wollten sie ihn auseinanderreißen. So kauerte er, halb kniend, auf
Stalldung. Der Zenz schlug ihm die Mütze vom Kopf, der Lenz zerrte
brüllend des Gefangenen Mantel auseinander.

»Der Scherschang!« kreischte die Herrschaftsköchin Stanzi und sprang
mit offenen Armen auf den Gefangenen los. Der Haussohn Robert kam
herbei: »Was macht ihr denn da? Der Bonaparte? Wo? Wer? Der da? Ha,
ha, ha. Das ist ein französischer Feldwebel, soviel ich mich auskenne.
Lockert dem armen Teufel doch den Halsstrick, seht ihr denn nicht, daß
er schon die himmlische Farbe kriegt?«

»-- -- Das ist doch schon des Teufels!« knurrte der Knecht Lenz, »jetzt
haben wir heilig gemeint, wir hätten den Bonaparte. Was lügt er uns
denn aber an, der Hund?«

Wer hatte gelogen? Sie wußten es nicht, er war nicht mehr vorhanden,
der Herr, der in Almstein auf der Wiese geschrien: »Seht jener dort,
der just ins Gebüsch steigt, der ist es! Der ist es!«

Sein tat er es allerdings, aber nicht der Cäsar war's. Der Stanzi ihrer
war's!

Die Gräfin befahl mißmutig, man solle den Mann freilassen. Die Bande
nahmen sie ihm ab, aber frei ward er nicht, denn fest hielt ihn die
Magd umschlungen mit schweren, unlöslichen Armen.

Der Scherschang bekam etwas zu essen, ja man will wissen, etwas sehr
Gutes. Jedenfalls vom Lämmernen nicht das verächtlichste Teil. Er blieb
im Hause und half das Spätheu einbringen. Er benahm sich gutmütig,
sprach einige Worte deutsch, im weiteren verkehrte er mündlich nur mit
der Freundin.

Und das war der Napoleonfang gewesen unten zu Almstein auf der Wiese.

                   *       *       *       *       *

Daß der wahrhaftige Bonaparte noch frei waltete, das hat sich leider
schon in den nächsten Tagen gezeigt. In den Hof kam die Nachricht,
von der Almsteiner Gegend hätten die französischen Streifungen sich
wieder verzogen, hingegen müsse im unteren Tale, in der Umgebung des
Schlosses Kronburg, eine Schlacht entbrennen. Eine große Schlacht, über
den Vorbergen sehe man blauen Rauch aufsteigen und in den Rinwäldern
widerhalle es wie von Kanonenschlägen.

Die Gräfin und die Komtesse, geführt vom Haussohne Robert und gefolgt
von einem Diener, gingen über die Hochmatten hin. Es war ein klarer,
kühler Frühherbsttag. Auf den Almen weideten Herden von scheckigen
Kühen, deren Glockengeläute manchmal wie das Summen einer Hummel ans
Ohr drang. Aus Schluchten schimmerten die weißen Bänder der Sturzbäche.
Die fernsten Berge standen klar und scharf auf in die lichte
Himmelsrunde. Auf einzelnen lag Schnee. Zu den Füßen der Wanderer
standen Kleeblumen und Steinnelken. So gingen sie über die Höhen im
Frieden der Natur, um von Ferne ein Menschenschlachten zu sehen.

»Es ist ganz dumm!« sagte der Bursche Robert im Gespräche mit der
Gräfin. »Wenn man's bedenkt, der Scherschang ist ja auch ein Mensch wie
unsereiner; ich habe ihn gestern in die Wade gezwickt, er schreit genau
so auf wie der Zenz oder ein anderer. Und arbeiten und essen und beten
und lachten tut er auch so. Und so Leute sollen einander wegen was weiß
ich niederbrennen wie Rauberskerle? Es ist eigentlich zu dumm!«

»Das versteht Er nicht,« antwortete die Gräfin. Die Komtesse pflegte
stets, wenn der Robert sprach, die kleinen Ohren zu spitzen, sie fand
es ganz merkwürdig, was der Bursche jetzt gesagt hatte. So etwas war
ihr selber nie eingefallen, hatte es auch nie gelesen oder gehört,
nicht einmal von der Kanzel, daß Leute, die einer sind wie der andere,
einander nicht sollten niederbrennen! Es ist eigentlich doch merkwürdig.

Nach einer Stunde kamen sie zur Stelle, wo die Almmatte plötzlich
aufhört und der senkrechte Abgrund ist. Von unten geschaut, eine wüste
Felswand, der man ihre freundlichen Grasflächen auf dem Scheitel
nicht ansieht. Von dieser Höhe aus ist das ganze Tal zu überblicken.
In demselben lag ein dünner blauer Dunst, aus welchem stellenweise
Rauchballen aufstiegen. Fortwährendes dumpfes Donnern, das aus fernen
Tiefen heraufkam, ließ bald erkennen, was es gab. Auch trug die Luft
manchmal ein feines Knattern daher, als brassle irgendwo ein großes
Feuer. Der Diener sagte: »Euer Gnaden, das ist Gewehrfeuer. Endlich!
Endlich!«

Die Leute auf dem Berg schauten durch das Fernrohr, sahen im Dunste
breite dunkle Massen, die sich sachte verschoben, sahen manches Blinken
und Glitzern, hie und da ein Aufblitzen, weiter war nichts Rechtes zu
erkennen. Der Diener hatte schon einen grauen Bart, aber er wurde jetzt
seltsam unruhig, stampfte mit dem Bein, zuckte mit den Armen, plötzlich
trat er nahe zur Gräfin heran und sprach: »Ich diene der gnädigen
Herrschaft seit fünfundzwanzig Jahren. Aber wenn ich jetzt um einen Tag
Urlaub bitten dürfte!«

»Urlaub? Er uns jetzt verlassen? Was Ihm einfällt!«

Der Diener schnob und trat in den Hintergrund.

Mit bangendem Herzen hatte die Gräfin schon vorher ausgeblickt nach
dem Schlosse. Dort im unteren Tal mußte es doch stehen. Sie sah es
nicht. Erst nach langem Schauen trat aus dem dichten Dunste das winzige
Mauerviereck hervor, aber in seiner nächsten Nähe wogten frische
Rauchballen auf und verdeckten wieder das Schloß. Die Matrone legte
ihre Hände aneinander wie zum Beten. »Mein Gott im Himmel,« murmelte
sie, »unsere alte Stammburg, das liebe Haus! Mit seinen Schätzen!
daß es ~so~ sollte zugrunde gehen müssen. Durch diese schrecklichen
Fremdlinge!«

Über die Matten her kamen mit großen klobigen Schritten zwei Männer
geeilt. Robert erkannte den alten buckligen Holzer Friedl und den
hinkenden Halter Zaggel. Sie trugen über der Achsel Haken und Krampen,
auf dem Rücken Bündel. Der Schweiß rann ihnen von den verwitterten
Gesichtern.

»Wohin so eilig?« fragte der Robert.

»Das kannst dir wohl denken,« antwortete der Halter unwirsch.

Dann sprangen sie den Felsensteig hinab gegen das Tal.

Zwei Augenblicke stand der Bursch unbeweglich still, seine Stirn rötete
sich, seine Augenwimpern zuckten auf und nieder. »Leut'! Ich geh' auch
mit!« schrie er den Männern nach und lief über Schutt und Stein hinab.

Die Frauen schauten ihm sprachlos nach. Die schönen Augen der Komtesse
huben an zu glühen. Das ist derselbe, der vorhin das merkwürdige Wort
gesagt hatte. Und doch geht er jetzt in die Schlacht! In ihrem jungen
Herzen war eine heiße Freude.

Das Donnern in dem Tal währte den ganzen Tag, und als es zu dunkeln
begann, sah man die Blitze und Lagerfeuer, deren unzählige in der
weiten Niederung leuchteten. Endlich war das Krachen der Geschütze
verstummt, aber unsere Frauen standen noch immer am Berghange und
beobachteten die Vorgänge im Tal. Durch das Fernrohr bemerkte die
Gräfin, daß im Schlosse Kronburg alle Fenster beleuchtet waren. Die
fremden Sieger in der alten deutschen Burg! Vielleicht hatte der
Bonaparte selbst sein Quartier aufgeschlagen im Schlosse und macht den
Speisesaal zu einem Pferdestall und feiert ein bacchanalisches Fest.
Betrunkene Offiziere halten Orgien im altehrwürdigen Ahnensaal, rohe
Soldaten strecken sich mit kotigen Stiefeln auf die Sammetsofas im
Boudoir .... Die Gräfin stöhnte auf. -- Mittlerweile begann sich über
dem beleuchteten Schlosse ein roter Qualm zu erheben.

»Besser, es brennt nieder, als es wird entehrt!« rief die Komtesse
hell. »Aber, Mama! Das ist ja unser Schloß nicht. Das Schloß steht
weiter hinten. Das sind eher die Murhöfe bei St. Johann!«

Mit diesem Troste gingen sie in eitler Nacht dem Kürnhof zu. Am
nächsten Morgen zur frühen Stunde standen sie freilich wieder
draußen an der Wand und schauten hinab. Im Tale war's heute so klar,
daß man den Fluß und die weißen Fäden der Straßen deutlich sah.
Nur stellenweise stieg ein blaues Rauchfähnchen auf. Alles lag so
freundlich wie in tiefster Friedenszeit. Und das Schloß Kronburg --
dort auf dem Hügel stand es und --

»+O Madonna!+« kreischte die Gräfin auf und das Rohr sank aus ihrer
Hand zur Erde.

Das Schloß hatte kein Dach, und seine Fensterhöhlen starrten hohl.

Das Fräulein blieb ruhig und führte die Gräfin über die sonnigen Matten
zurück in den Bauernhof.

                   *       *       *       *       *

Am nächsten Tage kam ein Talbote in den Kürnhof und brachte der Gräfin
den Brief.

  »Mein teueres Weib!

Wenn du diese Zeilen in Deiner Hand hältst, wird der letzte Welschmann
aus unserem Tale verschwunden sein. Eine vierzehnstündige Schlacht.
Wir haben gegen zweitausend Tote zu begraben, die Mehrzahl Franzosen.
Leider muß ich dir auch schreiben, daß unser liebes Haus niedergebrannt
worden ist. Nach allem Anschein durch Verrat. Oberleutnant Strulle,
der junge Fant, dem wir so arglos unser Haus offen hielten. Er wurde
mehrmals in Gesellschaft französischer Offiziere gesehen und soll
auch dabei gewesen sein, als sie das Schloß plünderten und in Brand
steckten. Seither ist er nicht mehr zu sehen, mit dem Feinde davon.
Eine bittere Erfahrung.

Mein Weib, mein Kind, ich bitte euch, bleibt aufrecht. Ich hoffe,
daß nun endlich Frieden wird, der General sprach mir von einem
vollständigen Abzug des Feindes. Unser Haus wird in längstens zwei
Jahren wieder erstanden sein, dann soll es nicht um einer Stecknadel
Wert welschen Luxus an sich haben. Deutsches Haus, deutsches Leben! das
habe ich mir geschworen zur Stunde, als das Feuer der Welschen aus den
Dachgiebeln des Schlosses brach. Sie haben uns mit ihrem Brauch und
Tand geschmeichelt, verweichlicht, verführt, dann bekriegt und besiegt.
Mit Hilfe des treuen Volks aus Dorf und Hütte haben wir uns noch einmal
ermannt. Sie sollen nicht wieder kommen!

Auf baldiges frohes Wiedersehen, meine Lieben, küßt euch euer

  Gatte und Vater
  Hans Graf Kronburg.«


»In Gottesnamen!« sagte die Gräfin, als der Brief gelesen war. Sonst
sagte sie nichts mehr. Auch die Komtesse sagte nichts, je mehr aber
dachte und tat sie. In die Küche ging sie und befahl der Stanzi, vom
Brunnen Trinkwasser zu holen. Während die Köchin fort war, zog sie
rasch aus dem Busen zwei zierliche Büchlein und schleuderte sie ins
Herdfeuer. Als jene mit dem frischen Trunke zurückkam, krümmten sich
noch die letzten Blätter in der Glut. -- Wollte der artige Herr Spender
selbst sich so krümmen in der Glut! Das war des Fräuleins geheimes
Begehr.

Bald darauf war's, daß die zwei Mädchen wieder einmal zusammensaßen in
der Kammer. Die Hilda tat Flachs hecheln und die Komtesse schaute zu,
wie der zarte Strähn sich lind durch die hundertspießige Hechel zog.

»Hilda, ich beneide dich sehr,« sagte plötzlich das vornehme Fräulein.

»Du liebe Gräfin,« antwortete das Bauerndirndel, »freilich ist's jetzt
hart für dich, daß sie euer schönes Schloß zerstört haben.«

»Nicht um dein Haus beneide ich dich. Vielmehr, daß du so arbeiten
kannst. Daß dir alles was du angreifst, so von der Hand geht. Ich denke
mir, wer das kann, dem kann gar nichts geschehen auf der Welt.«

»Wahr ist's. Wir Arbeitsleute sind erst dann arm, wenn sie uns die
Hände abhacken. Aber schau, Komtessel, muß es dir schon noch einmal
sagen, wenn du anstatt der dummen welschen Bücheln eine Arbeit in die
Hand nähmest, so tät's es auch. Und wärst lustiger dabei. Wenn ich dein
Schatz wär' oder dein Mann, solche Sachen wollt' ich dir ins Feuer
schmeißen.«

»Er hätte es nicht mehr nötig,« antwortete die Komtesse leise.

»Augustina, sag' mir einmal, wo steckt er denn jetzt, dein Schatz?«

»Wo steckt denn der deinige?« fragte die Komtesse.

»Der meinige, der Nickel? Der ist schon zurück. Ich kann dir ihn aber
noch nicht aufzeigen, weil er ein großes Pflaster im Gesicht hat. So
ein französischer Lalli hat ihm eine Kugel in den Backen geschossen.
Ist's Loch zu, nachher heiraten wir. Ich mag nimmer länger warten,
weißt du. Ich hab' Angst genug ausgestanden um ihn. Teuxel noch einmal.
Wenn sie mir ihn z'sammgeschossen hätten, nachher kunnt ich als alte
Jungfrau sterben, das wär' noch schöner!«

Betrübt entgegnete die Komtesse: »Als Jungfrau sterben -- wäre ja
freilich auch schön ...«

»Ja, wen's freut. Ich will Kinder kriegen. Ist's nicht wahr? Willst nit
du ihrer auch?«

»Ach, Hilda, bei mir ist's anders geworden. Mein Glück ist vorüber.«

Sagte die Hilda: »Wenn dein Herr Bräutigam ein rechter Bräutigam ist,
so soll er jetzt herfürgehen und sich um dich annehmen und dich in
sein Haus führen, weil du selber keins hast. Er wird doch nit auch
angeschossen sein!«

Nach einem Zögern antwortete die Komtesse: »Er ist tot.«

Daß er mehr als tot war, der Herr Oberleutnant, sie hat's verschwiegen.
--

Im Gasthause zu Almstein feierten die heimgekehrten Sieger ein Fest.
Vormittags Dankamt, nachmittags Tanzmusik. Die Männer und Burschen
zeigten ihre Trophäen auf: Franzosensäbel, Patrontaschen, Mützen,
Blechbüchsen, Pistolen. Der Holzer Friedel und der Halter Zaggel
hatten den Fetzen einer Regimentsfahne erwischt. Der Knecht Zenz wies
mit Stolz eine Tambourtrommel und schlug darauf mit den Fäusten den
Takt zur Tanzmusik. Ein Köhlerjunge hatte einem toten Soldaten das
Verdienstkreuz vom Rocke geschnitten, damit er auch etwas nach Hause
bringe, der wurde zur Tür hinausgejagt. Die merkwürdigste Siegesbeute
brachte der Bauernsohn vom Kürnhofe heim, einen ganzen lebendigen
Franzosen. Mit einem alten Kugelstutzen hatte er dem Mann ein Bein
abgeschossen. Als der Getroffene hinfiel, sprang ihm der Robert bei,
trug ihn aus dem Schlachtgetümmel, legte ihn auf einen Leiterwagen,
vermittelte einen Feldscherer und hat ihn dann mit zwei Ochsen nach
Almstein führen lassen. Im Pferdestall des Wirtes lag der arme Teufel.
Der Robert ging mindestens alle halbe Stunden vom Tanzboden weg und
hinaus zu seinem Gefangenen, um ihm Labnis zu reichen oder den Verband
zu prüfen oder zu sehen, ob der fröstelnde Mann wohl gut zugedeckt sei
mit den Pferdekotzen. Etliche Jungen kamen in den Stall, um sich den
Welschen anzusehen und ihn zu verhöhnen. Denen versetzte der Robert mit
der Peitsche Merks, daß sie auseinanderstoben.

»Den laßt mir in Ruh, der gehört mein!« rief der Bursche, und das
ging alle an, denen es etwa nicht recht war, daß er den verwundeten
Soldaten hegte und pflegte. -- Der gehört sein, den hat er selber
geschossen! -- --

Am nächsten Tage wurde der Verwundete in den Kürnhof hinaufgebracht und
der Robert räumte ihm seine Kammer und sein Bett ein. Die Hausmutter
brachte ihm manches stärkende Süpplein und der Alte saß bisweilen neben
dem Lager, rauchte seine Pfeife und wackelte mit dem Kopf. Und ihr
Fürnehmen war so: Der Welsche soll gesund werden, und wenn er gesund
ist, dann jagen wir ihn ins Franzosenland. Und dann soll er sich's
merken.

Die Komtesse Augustina ging nicht mehr über die Alm hin, nicht mehr
hinaus zum großen Spiegel der Hilda, nicht mehr vorüber an der
Schoppentür, wo Robert oft auf der Schnitzelbank ritt, um Hausgeräte
auszubessern. Sie war aus der Stube nicht hervorzubringen und bat ihre
Mama dringend und dringender, dieses Haus zu verlassen und in die
Landstadt zu ziehen, wo eine Wohnung für die gräfliche Familie bereitet
worden war. Aber als sie Abschied nahm von der Freundin Hilda, kam
ihr die Rede aus: »Wenn Schranken nicht wären, jetzt wüßte ich schon,
welchen! ...« Mit tieferen Wunden, als die Krieger aus der Schlacht,
ist das arme vornehme Fräulein dahingezogen.

Sie soll kein welsches Verführungswerk mehr gelesen, keinem Galan mehr
geglaubt, hingegen aber einem schlichten deutschen Edelmann ihre Hand
gereicht haben.

Die Küchentrabantin Stanzi jedoch ist bei ihrem Franzosen geblieben,
der Scherschang ist Gärtner geworden im neuen Schlosse Kronburg, sein
Spitzname aber war und blieb: »der gefangene Bonaparte«.




                     Sechsunddreißig junge Nonnen.

                         (Aus alter Schrift.)


So will ich erzählen. Ein dreiundsiebzigjähriger Mann weiß freilich
nicht, ob ihm das Gedächtnis treu bleibt. Das Gedächtnis ist wie ein
Weib, jungen Männern ist es zugetan, alten wird es gern untreu. Zwar
stehen die Ereignisse, die ich als junger Mensch vor langen Jahren
gesehen, so deutlich vor mir, als ob sie sich gestern zugetragen
hätten, und die Franzosenzeit, wer sie erlebt, vergißt man nicht so
leicht.

Mein Geburtsort liegt im oberen Murboden und heißt Unzmarkt. Der Ort
ist seines alten Schlosses Frauenberg wegen bekannt, in welchem Ulrich
v. Lichtenstein gewohnt hat. Der geht uns aber jetzt nichts an.

Was ich erzählen will, das hat sich im Jahre 1797 zugetragen -- zur
Franzosenzeit. Heute, nach mehr als fünfzig Jahren -- ich schreibe
dieses Stück im Jahre 1849 -- schrecke ich noch vom Schlafe auf, wenn
in meinem Traum der Ruf erschallt: die Franzosen kommen!

Man hatte es wochenlang früher gehört, sie kamen aus Italien. Durchs
Kärntnerland sind sie gezogen. In der Stadt Villach und in der Stadt
Klagenfurt haben sie Feuer gemacht, andere Orte haben sie sauber
ausgeplündert; waren ihre Säcke voll mit Geld und Geschmeide, waren sie
satt an Essen und Trinken, so gingen sie erst auf die Weibsbilder los.
Der Bonaparte, der mit ihnen kommt, ist selber just in dem Alter, in
welchem ein Feldherr die Zucht nicht zu streng beobachtet. Man hat's
gesagt, ich weiß es nicht. Nach meiner Meinung ist es dem Bonaparte
mehr um Länder zu tun gewesen, als um Weiber. Zum Ländererobern gehört
Kraft, sollte man glauben, die Weiber aber machen schwach, so viel man
weiß. Es ist genug, ich will nicht politisieren.

Wenn es einem einfällt, den Bonaparte mit seinem Heer den Besen Gottes
zu nennen, so will ich sagen: es stimmt. Das war ein großer Wust- und
Kehrichthaufen, den er vor sich herblies. Halb Italien floh, und den
braven Kärntnern wurde es auch heiß unter den Füßen. Die Straße von
Neumarkt her war voller Flüchtlinge, die ihr Eigentum mit sich trugen,
zogen und schoben und immerwährend ihre Gesichter nach rückwärts
wandten, ob der Feind nicht schon auf dem Fuß folge. Bauern trieben
ihre Rinderherden heran, Bürger zogen mit Roß und Wagen wohl bepackt;
Amtleute hatten ihre eisernen Kassen mit den landesfürstlichen Geldern
bei sich. Wo die schweren Wagen stecken bleiben wollten im Straßenkot,
da war alles voller Hast bei der Hand, um sie herauszuheben, und wo die
Rösser nach tagelanger Jagd lahm wurden, da spannten sie Leute an die
Deichsel, und die Zweifüßler mußten sich die Peitsche so gut gefallen
lassen wie die Vierfüßler. Priester in schwarzen Kutten ritten auf
Pferden und Eseln und hatten in ihren Säcken goldene Monstranzen und
Kelche, es redet selbst, daß sie das heilige Brot nicht den Franzosen
als Beute hinterlassen haben.

Da geschah es also, daß unter dieser Völkerwanderung fünf große
Wagen zogen, die mit weißen Plachen überspannt waren. Sie wurden von
Maultieren gezogen, und die fünf Fuhrleute, die nebenherschritten,
hatten gelbe, von Staub und Kot belegte Kittel an. In den Wagen saßen
sechsunddreißig junge bildhübsche Weiber, die ein dunkelblaues Gewand
am Leibe trugen, um die Lenden einen Strick und als Kopfbedeckung weiße
Hauben. Über dem Busen hatte jede eine Kette mit silbernem Kreuze.
Etliche dieser lieben Geschöpfe hatten muntere Augen und rote Wangen,
die anderen waren blaß im Gesichte, und in ihren Zügen war Sorge und
Angst.

Als sie in unsern Ort einzogen, beteten einige still ihren Rosenkranz
ab. Andere nagten an Brotrinden, andere plauderten miteinander, und
zwar in welscher Sprache. Sie schienen ihre Mutmaßungen auszudrücken
darüber, wie es ihnen in dieser kleinen Stadt ergehen würde.

Es dämmerte schon der Abend. Die fünf Fuhrleute hielten ihre Wagen
am Posthause an, und ihr Erstes war, daß sie nach dem Bürgermeister
fragten. Der war bald zur Stelle, ein alter grauköpfiger Mann. Nun
stieg eines der jungen Weiber aus dem Wagenkobel und fragte in sehr
schlechtem Deutsch, ob sie mit dem Herrn Bürgermeister Französisch
sprechen dürfe.

Der alte Mann erschrak ein wenig, daß schon Franzosen im Ort wären.
Der Forstmeister, der daneben stand, rief spaßeshalber: »Vor solchen
Franzosen fürchten wir uns nicht, von solchen lassen wir uns gern
belagern!«

Der Bürgermeister sagte, Französisch werde nicht gesprochen zu
Unzmarkt, wenn sie ein Anliegen hätten, so sollten sie es nur deutsch
vorbringen.

Die Sprecherin faltete nun ihre weißen Hände und sagte schlecht und
recht, sie bitte um Schutz. Ihrer seien sechsunddreißig, sie seien
Bräute Christi, und ihr Kloster stehe in der französischen Stadt Lyon.
Sie seien auf der Flucht vor dem heidnischen Bonaparte und seinen bösen
Scharen aus Paris, welche durch die Welt zögen, um die Heiligtümer zu
plündern und die Nonnen zu entehren. Sie wären zuerst nach Italien, wo
sie sich zu Mantua niedergelassen; vom Feinde dort wieder verscheucht,
seien sie ins Gebirge und jetzt durch Kärnten her auf der Flucht; sie
wären nun der Reisemittel bar geworden und flehten die Christenleute im
schönen Lande Steier um Gottes willen an, daß man sie vor dem nahenden
Feind schütze und bewahre.

»Wohin sie eigentlich wollten?« fragte der Bürgermeister.

»Ins Erzherzogtum Österreich, in ein Stift oder zum Kaiser, sie wären
selber noch ratlos. Sie hätten auch noch weitere Wagen mit Gepäck bei
sich, aber die Tiere könnten nicht mehr vorwärts.«

Der Bürgermeister entgegnete, er wolle ihnen einstweilen Obdach
verschaffen, für weiteres könne er aber nicht bürgen; Unzmarkt sei
selbst in Gefahr und man müsse sich dem allmächtigen Gott empfehlen.
Die Nonnen wurden nachher im Schulhause untergebracht; die halbsiechen
Maultiere kamen in die Versorgung mehrerer Bürgershäuser.

Alsbald war im Orte die Ankunft der schönen Nonnen bekannt, und um sie
sehen zu können, brachte man ihnen Brot, Fleisch, Gemüse und Wein. Die
Flüchtlinge ließen sich's wohlschmecken und versprachen für Unzmarkt zu
beten.

Mittlerweile kamen schon die Schreckensbotschaften, daß bei Neumarkt
und dem Stifte Lambrecht blaubehoste Rotten gesehen worden wären. Am
nächsten Tage war die Gegend an der oberen Mur voller Franzosen. Mehr
Gesindel als Soldaten; zerrissene Hosen, zerrissene Schuhe oder barfuß;
in der Kleidung die größte Ungleichheit, der eine hatte blaue Hosen,
der andere rote, die einen lange weiße Röcke, die anderen kurze grüne
Spenser, die einen blaue Strümpfe, die anderen Weibsbilderzwickeln, die
einen runde Lodenhüte, die anderen Lederhauben und alles in Unordnung
und schmutzig. Den geplünderten Speck oder das gestohlene Geflügel
trugen sie, an ihre kurzen Bajonette gespießt, über der Achsel. So
schlotterten sie daher und brüllten ihre Marseillaise. Viele hatten
ihre Weiber und Kinder mit, die nicht weniger zerrissen und von der
Sonne gebräunt waren als die Männer. Das Ganze wie bettelnde, stehlende
und raubende Zigeunerrotten. So druderten sie aus Kärnten heran.

Im Schlosse Schrattenberg hatte sich der Bonaparte festgesetzt.

Ich legte mein schlechtestes Gewand an, ließ alle Wertgegenstände zu
Hause und ging die Straße hin nach Schrattenberg, um den Bonaparte
zu sehen, für den bei uns allen die größte Neugier war. Ich sehe ihn
noch heute, wie er vor dem Schloßtore neben seinem Pferde stand, im
Begriff aufzuspringen. Eine kleine untersetzte Statur, braungelbe
Gesichtsfarbe, eingefallene Wangen, ziemlich große Nase, tiefliegende
schwarze Augen mit scharfem, stechendem Blick und feingeschnittenem
Mund. Soll wenig gesprochen haben, abgebrochen, aber sehr deutlich und
bestimmt. Hohe breite Stirn, ungekräuselte dunkle Haare, die an beiden
Seiten über die Wangen herabhingen. Anzug schlicht und mattfarbig; man
sah in allem, daß er sich mit seinem Äußeren nicht viel beschäftigte.
Im ganzen merkte man bald, daß dieser Mann seinen eigenen Willen
hatte und nicht mit sich spaßen ließ. -- Er sprang aufs Roß und ritt
murabwärts, immer näher gen Unzmarkt.

Die Aufregung im Ort war unbeschreiblich groß. Jeder zitterte für
sein Eigentum, für sein Haus, endlich auch für sein Leben. Denn eine
Gruppe von Bürgern war, die beschlossen hatte, den Ort freiwillig nicht
zu übergeben. Von den Einsichtsvolleren wurden diese Bürger als die
größten Feinde Unzmarkts erklärt.

Auf einen Patrioten wollte sich der wenige Jahre früher eingewanderte
Postmeister ausspielen. Trat bei einer Ratsversammlung der Postmeister
auf und fragte den Bürgermeister, ob die bewußten Nonnen aus Frankreich
noch im Schulhause wären und wohl verpflegt und genährt würden.

Das gehöre nicht in die Sitzung, sagte der Bürgermeister.

»Es gehört in die Sitzung,« rief der Postmeister. »Denn Ihr Nachbarn,
wollen wir nicht ratschlagen, wie wir den Franzosen begegnen sollen?
Begegnen wir ihnen feindlich, so sind sie Feinde. Wir wollen die Herren
der Erde zu Freunden haben. Nicht?«

»Es wird das beste sein,« meinten mehrere.

»Sie werden nicht allein Geld und Gut haben wollen,« sprach der
Postmeister, »sie werden auch anderes haben wollen, was dem Manne
bestimmt ist.«

»Wenn es um unsere Weiber und Töchter geht,« sagte einer, »da raufen
wir mit Pulver und Messer!«

»So ist es!« stimmten die meisten bei.

»So ist es!« sagte der Postmeister. »Wir geben ihnen nicht die Unseren,
wir geben den Franzosen die Französinnen. Versteht ihr mich?«

Sie verstanden nicht sogleich oder taten, als verständen sie nicht.

»Wir liefern ihnen die jungen Nonnen aus!« rief der Postmeister.

»Oh!« sagten die anderen.

»Liefern ihnen die sechsunddreißig Nonnen aus unter dem Vorbehalt, daß
sie unser eigen Fleisch und Blut verschonen.«

»Recht so!« schrien etliche.

Hernach stand ein junger Mann auf, trotzdem die Redner bei solchen
Versammlungen sitzen bleiben, und sprach: »Unzmarkter! Die fremden,
wehrlosen Jungfrauen dem Feinde ausliefern! So schlecht sind wir nicht.«

»Tischler Sepp!« schrie ihm der Postmeister zu, »daß du so redest, ist
kein Wunder. Du hast weder Weib, noch Schwester, noch Tochter.«

Rief ein anderer drein: »Schlagt ihr den Tischler zurück, so gehe ich
voran. Ihr kennt mich alle, ich bin der Gerber. Ich habe Weib und
Schwester und Tochter, und ich halte es mit dem Tischler, die wehrlosen
Nonnen liefern wir nicht aus.«

»Ich bin derselben Meinung,« sprach der Bürgermeister, »sie sind fremd
und hilflos, sie haben denselben Feind wie wir, sie haben sich in
unseren Schutz begeben. Schlechte Männer, wenn wir sie verrieten!«

»Aber unsere ehelich angetrauten Frauen sollen wir verraten?« rief der
Postmeister, »unsere bluteigenen Töchter sollen wir preisgeben? Was
sind ~das~ für Männer! Was sind ~das~ für Väter! Gehen uns die Fremden
etwas an? Hat Gott uns zu ihren Wächtern bestellt?«

»So hat auch Kain gesagt.«

»Sind die Nonnen nicht französisches Blut?« fuhr der Postmeister fort,
»sollen nicht die Franzosen ihre natürlichen Ritter sein? Müssen
uns die Franzosen nicht dankbar sein, daß wir die Mädchen in Obhut
genommen, daß wir ihre Ehre gewahrt haben? Nichts natürlicher, als daß
wir die Französinnen den Franzosen zurückgeben und sagen: »Wir haben
die Euren geschont, so schont nun auch die unseren.««

»Es ist sehr richtig! Es ist sehr richtig!« riefen mehrere. »Es ist
Kriegszeit, da kann man nicht gemütlich sein, wie in Romanbüchern, da
heißt's, zu Hilfe nehmen, was helfen kann. Legen wir den Jungfrauen
weiße Kleider an, strählen wir ihre schönen Haare und setzen wir ihnen
Kränze auf. Am Busen jede eine Rose -- so führen wir sie paarweise
hinaus vor das Tor und den einziehenden Herren entgegen. Es wird ein
feierlicher Empfang sein!«

»Wenn sie eine Ehr' im Leib haben, so müssen sie auf einen ~solchen~
Empfang den Markt sofort in Asche legen!« rief der Bürgermeister
entrüstet.

»Das werden sie nicht tun!« so der Anstifter. »Es sind Soldaten,
Männer. Ein freundlicher Einzug hat auch Friesach gerettet. Heraus mit
den Nonnen!«

Als es so weit war, verließ der Tischler Sepp die Versammlung und
eilte in das Schulhaus. Dort hatten sich die Nonnen im Schulzimmer
zwischen den Bänken ihre Schlafstätten aufgerichtet. Über der Kanzel
war etwas wie ein Altar: ein Bild der heiligen Jungfrau und zwei
brennende Kerzen, vor welchen die Frauen eben ihre Andacht hielten. Sie
schreckten auf, als der junge Mann zur Tür hereinstürmte. Er fragte
sofort die Oberin der Nonnen, ob sie bereit wären, in der kommenden
Nacht ihre Weiterreise anzutreten?

Die Nonnen waren sehr bestürzt, als sie diese Frage vernahmen. Denn
sie waren noch erschöpft und mittellos und der Ruhe bedürftig. Noch
mehr erstaunten sie, als der junge Mann berichtete, sie müßten ihre
Weiterreise ohne Maultier und Wagen beginnen, weil Gefahr drohe. Er
trug sich hernach zum Führer an.

Die Frauen begannen ein Klagegeschrei, sie könnten nicht fort, könnten
ihre Wagen und ihre geringe Habe nicht im Stich lassen und bestürmten
den Tischler, daß er näher erkläre, worin die Gefahr bestehe?

Er drängte nur immer mehr und mehr und schlug vor, daß sie ihren Anzug
entstellen sollten, um eine andere Gestalt zu gewinnen, daß sie ihr
Gesicht schwärzen und ihr Haar abschneiden müßten, und daß sie um
elf Uhr in der Nacht bereit zu sein hätten zur Flucht, falls sie den
Franzosen entgehen wollten.

Während solches im Schulhause geschah, war in der Ratsversammlung der
Beschluß gefaßt worden. Es war schon daran, daß die Nonnen dem Feinde
sollten überantwortet werden, da meldete sich der Pfarrer, der bisher
geschwiegen und den Reden verblüfft zugehört hatte. Er sprach nun wie
folgt:

»Ist das euer Ernst, ihr Männer? Wollt ihr unser Unzmarkt wirklich
zugrunde richten?«

»Wieso?« fragten sie.

»Vor den Toren steht der grimme Feind, der durch die Länder raset wie
ein Ungewitter, der die Heere vernichtet und die Fürsten zertritt. Wir
sind Würmer vor seiner Gewalt. Nur einer kann mit uns sein und uns
erretten, der allmächtige Gott. Und ihr wollt uns auch Gott zum Feinde
machen? Denen, die seine Altäre zerstören, wollt ihr die unschuldigen
Jungfrauen ausliefern, die sich seinem Dienste geweiht haben? So
schwöret ihr in den Tagen der Drangsal, in welchen wir Gottes Gnade
erflehen müßten, Gottes Rache herab? Tut es, wenn ihr den Untergang
Unzmarkts verantworten könnt, wenn ihr euch nicht der Wut eurer eigenen
Mitbürger aussetzen wollt! Ihr guten Christen begeht im Angesicht
schrecklicher Not den abscheulichen Verrat an eurer Religion, führt die
Bräute des Herrn wie Schlachtopfer den Heiden zu. Ich sage nein, und
sage es im Namen aller Bewohner dieses Ortes, die nicht gegenwärtig
sind, im Namen eurer Weiber und Kinder, die ihr vor den irdischen
Feinden beschützen wollt, und die ihr dem Zorn des ewigen Richters
auszuliefern im Begriff seid. Ich sage nein und Amen.«

Auf diese Worte stutzte die Versammlung. Unter dem ersten Eindruck
stellte der Bürgermeister solchen Antrag: Unzmarkt hat Pferde und eine
Begleitung von zwölf Mann aufzubringen, so sollen die Nonnen in der
nächsten Nacht aus dem vom Feinde bedrohten Orte fortgeschafft und über
Judenburg und Admont nach Niederösterreich begleitet werden.

Der Augenblick zündete. Bei der Abstimmung über den Vorschlag des
Bürgermeisters sagten zwar nicht alle ja, aber keiner sagte nein.
Der Beschluß wurde sofort verwirklicht, Unzmarkt, der Ort an der
oberen Mur, beging den Ritterdienst an den schutzlosen Jungfrauen
und der Tischler Sepp ward als Führer des seltsamen Zuges gewählt,
der am nächsten Tage über den Tauern ging, und zur Stunde, als die
ersten Franzosen in Unzmarkt einzogen, die sichere Klosterstätte im
Österreicherland erreichte.

Der Feind hauste nicht so schlimm in dem armen Gebirgsorte, als die
Schwarzseher vorausgesagt hatten. Zwar war er an Begehr von Gut
und Geld, von Gewandung und Nahrung nicht gar bescheiden, aber an
lebendiger Ware nahm er nur das, was sich freiwillig als solche ausbot.

Der Führer des Nonnenzuges, genannt der Tischler Sepp, ist der Erzähler
dieser Begebenheit. Wenn der Leser etwa erwartet haben sollte, daß
zwischen diesem jungen Menschen und der schönsten Nonne sich unterwegs
eine Liebschaft entspinnen würde, so irrt er leider. Es hat sich eine
solche nicht entsponnen und der geneigte Leser muß schon einmal mit
einem guten Werk ohne Liebesgeschichte fürlieb nehmen.




                      Als Hans der Grete schrieb.


»Ist sie daheim, die Kühgretl?« rief eine schnarrende Männerstimme zum
Fenster herein in den Stall, »ein Briefel von der Post hätt' ich da,
gehört der Margarete Krautwascherin. Schreibst dich ja so, Gretl?«

Die junge, rotwangige und flachshaarige Magd, die just unter der
scheckigen Kuh saß, den Melkzuber zwischen den Beinen, erhob sich
jetzt: »Die bin ich, die Gretl, ja freilich bin ich sie, und von wegen
-- gelt, er ist so gut und tut ein Eichtl warten, da muß ich wohl den
Bauern fragen, ich sag', 's steht wo zu lesen und er wird's wissen, wie
ich mich schreiben lass'. Mich däucht wohl, Krautwascherin, ja, mich
deucht wohl.« Und etwas leiser, zutraulicher: »Auf dem Briefel steht's
'leicht drauf? Und von wem denn?«

»Gar von einem Kaiserlichen. Ist zu weiten Landen, kann selber nicht
mehr durchs Fensterl rucken, ruck halt du, sein Brieferl, hinein. Wirst
ihn nix kennen, Gretl, Hans Kinigl heißt er.«

»Uh Jessas, aber na!« jauchzte das Mädchen auf, »bin ich aber
erschrocken! Auweh!« Die Milch sickerte zur Hälfte auf die Streu. Dann
leise murmelnd: »Jetzt hab' ich aber Schaden tan, uh mei, jetzt hab'
ich Schaden tan!«

Der Bote war fort. Die Gretl wischte ihre Arme und Finger säuberlich
an der Schürze ab, und nahm dann völlig schamhaft das Brieflein vom
Fensterbrett. Sie guckte es an, sie kehrte und wendete es: »Mein
Lebtag, der Hansl hat geschrieben. Und verpetschiert ist er auch, ganz
verpetschiert. Wer macht mir ihn auf? Ich nicht, ich trau' mich nicht
drüber.« Sie guckte noch lange, sie ging in den dunkelsten Winkel, weil
die Scheckige gar so neugierig herüberglotzte. »Brauchst derweilen just
nicht alles zu wissen.« Im geheimsten öffnete sie den Brief mit Müh'
und Not -- was er denn schreibt, wie's ihm denn geht? Gesund wird er
mir leicht doch sein. -- Daß er gar zuletzt muß kriegführen gehen?

Die Kuh schellte an der Kette und schnupperte. Sie kannte den Hans
recht gut; wie er in derselbigen Nacht stecken blieben ist im Fenster,
das ist eine dicke Glasscheiben gewesen.

Endlich war der Brief offen, entfaltet und überrascht rief die Gretl
aus: »Der Närrisch, das ist aber ein rechter Närrisch!« Sein Konterfei
war oben an der Ecke des Briefes, sein leibhaft Konterfei mit dem
Czako, dem weißen Röckel und der blauen Hose, frisch und hell gemalt,
und der Schnurrbart dabei. »Jegerl, uh mein! Aber sauber ist er,
freilich wohl rechtschaffen sauber. Und wie er ihm gewachsen ist, so
viel gewachsen, der Schnauzbart! -- Na, der Hansl, was wird er denn
schreiben? -- Jessas, jetzt kann ich nicht lesen! Wer hätt' mir's denn
gelernt? Daß so ein Briefel kunnt kommen, auf so was hätt' eins von
klein auf gar keine Gedanken. Aber na, daß ich nicht lesen kann!«

Sie preßte das Papier wohl zum Mund und langsam glitt die Hand damit
nieder gegen den Busen so jung und zart -- ließ den Brief dort ruhen.
Plötzlich aber zuckte sie ihn weg: »Sapperwald, Hansl, das darf nicht
sein! Nein, Hansl, das darf nicht sein!« Und noch lebhafter flüsternd:
»Ich bitt' dich um alles in der Welt, sein darf's nicht!« -- Dann
später, wie aus einem Traum erwachend, ruhig: »Weil eins meint, er
wär's selber -- wie er da so sauber gemalt ist.«

So lehnte sie im dunkeln Winkel an ihrem Bettchen. Da zeterte draußen
vom Hofe her plötzlich eine Stimme: »Gretl, ja weiger, was ist denn
das heut', bist 'leicht in den Milchzuber gefallen? Hast keinen Fuß
nit? Hast keinen? So ein junges Mädel wie du, hat meine Mutter allfort
gesagt, soll nit so lang müßig sein, als eine Taube ein Korn aufpickt.
Ich, wie ich in den jungen Jahren bin gewesen, über drei Zäun' bin ich
gesprungen, hab' ich ein Federl sehen liegen. Und heutzutag -- Muß ich
dir weiterhelfen vom Kuhstall heraus?«

Die Bäuerin war's. Schnell verbergen den Brief unter den blauen
Busenlatz, an dem heut' ein Schnürchen war zersprungen, und der Arbeit
zu. Im Dienst, im Bauerndienst! 's ist halt eine schwere Sach'; wenn
so ein Mägdelein auf einen Buben wollt' denken, beileib' nit, das wär'
Sünd', so viel Sünd'!

Die Gretl hatte an demselbigen Tag alles verkehrt angefaßt. Die Streu
im Hof kratzte sie mit der Mehlschaufel zusammen, und als sie auf
der Tenne Korn in den Mühlsack fassen sollte, wollte sie es mit der
Streugabel tun, und als sie zu Mittag die Suppe salzen sollte, da hat
sie das ganze Salzfaß in den Waschkessel geschüttet. Sie hatte ja das
ungelöste Rätsel des Schreibens auf dem Herzen -- die arme Gretl.

Am Nachmittag, als sie die alten zwei Kühe einspannte und damit auf die
Granitzwiese um Futter fuhr, sagte sie zu sich selbst: »Die Christl
kunnt schon lesen, sie braucht ja ein Betbüchel in der Kirch', die
Christl.«

Die Christl war des Schwanenwirts Weiddirn, die an Kirchtagen auch die
Gäste bedienen half, die auch den Hans Kinigl kannte, rechtschaffen gut
kannte. Und die Christl war Gretls G'spanin, wenn's am Fronleichnam
zum Kranzelaufsetzen kam. Indes, ohne daß eine von der anderen wußte,
allbeide waren dem Hansl verbunden; er hat nie drein geredet, wenn sie,
weiß gekleidet, das Jungfraukranzel im Haar, bei der Prozession gewesen
sind; er hat, wie's ja Recht und Sitte ist, die Knöpfchen seines
Rosenkranzes abgebetet und nicht ein Wörtl hat er geplaudert.

So ist er nachher gestellt worden, haben ihn abgemessen -- er ist halt
lang genug gewesen -- ist blieben beim Militär. Ein sauberer Soldat ist
er worden, der Kaiser nimmt halt von seinem Land die schönsten Leut'.
Ich tät's auch. Jetzund ist seitdem schon ein ganzer Sommer vorbei.

Die zwei Kühe trotteten hin über den Steinweg, der Granitzwiese zu, und
der Karren knatterte und die Gretl, die drauf saß und in süßen Gedanken
war, wurde recht arg dabei geschüttelt. Freilich so ein Schütteln und
Hopsen ließe man sich gefallen, wenn eins nur das Lesen hätt' gelernt.
Versterben kunnt man, hat man seinen Brief in der Hand und weiß nicht,
was er schreibt.

Sie war schon dort, wo der Wald aufhört und die Wiese anhebt -- tat
sie auf einmal einen Juchschrei und sprang vom Karren. Sie hatte die
Christl gesehen, die hinter dem Zaun drüben Eschenlaub sammelte.

»Bist 'leicht auch da, Christl?« schrie sie hinüber, »geh', magst nicht
ein Eichtl herüberhupfen zu mir, ich zieh' dir zwei Stangen aus.«

Aber die Stangen waren störrig und die Lücke in den Zaun nicht so
leicht gemacht. So lehnten sich beide nur daran und ließen die Stangen
und Stecken, wie sie waren, dazwischen.

»Wirst es nicht meinen, ich hab' was Neues bei mir,« sagte die Gretl
freudestrahlend, »einen Soldatenbrief von Hans -- ja von Hans,
freilich, und sein Pultree (Porträt) ist auch dabei, und für mich, für
die Margareta Krautwascherin gehört er, der da -- der Soldatenbrief.«

Die Christl hatte mit beiden Händen emporgezuckt: »Geh, laß schauen!«

Sie sah den gemalten Krieger an. Sie steckten die Köpfe zusammen,
Christls Hände zitterten fast und wollten der anderen das Papier aus
den Fingern zerren.

"Na, du, auslaß ich ihn nit!« sagte die Gretl, »aber dasselb' bitt'
ich dich, lesen tu mir ihn; kannst dafür wissen, was drin steht. Gelt,
Christl, lesen, das wirst mir nicht versagen, nit, gelt?«

Da versetzte die andere: »Weißt, Gretl, das ist halt so, sagen will ich
dir's wohl, wie's ist. Drucklesen schon, aber Schriftlesen, weißt, das
hab' ich halt nicht gelernt. Vom Herzen gern, daß ich's tät.«

Die Gretl war durch dieses Wort niedergeschlagen. »Ja so,« sagte sie
dann kleinlaut, »das Schriftlesen, dasselb' kannst nicht. Das ist mir
aber schon rechtschaffen unlieb; jetzt, was heb ich an? -- Ja so,
nur Drucklesen. Und Schriftlesen, dasselb' nicht, meinst. Nu, wenn
du's halt nicht kannst. Aber na, ich weiß mir jetzt frei keinen Rat.
Ich weiß mir keinen Menschen in der Gemein und ich trau' mich nicht;
freilich trau' ich mich nicht. -- Ging dir halt nicht von statten,
meinst, das Schriftlesen? Wenn du's aber dennoch im Gottesnamen tät'st
probieren -- leicht ging's, Christl.«

»Einen tät' ich wohl wissen, der's kunnt,« sagte die Christl nach
einigem Nachdenken, ein wenig unsicher, wie lauernd; »will dir's wohl
sagen, der alt' Schmiedrochel ist ein grundgelehrter Mann.«

»Der alt' Schmiedrochel, meinst?«

»Kennst ihn doch, den alten, tauben Mann -- stocktaub -- kennst ihn ja.«

»Freilich wohl, aber -- Christl, weißt, das ist so, der soll's halt nit
wissen, das mit dem Hansl. Mein Vormund ist er, der Rochel.«

»Um so besser,« rief die Christl.

»Nein, ich -- weißt, er soll's halt nicht wissen, und -- wirst stehn
bleiben, Scheckin! Ob'st mir gleich stehn bleibst, Scheckin! -- Er
leidt's nicht, daß ich mit dem Hansl was hab' -- ich weiß, daß er's
nicht leid't -- freilich nit.«

»So braucht er auch von der ganzen Geschicht' nichts zu wissen,« sagte
die Christl schalkhaft; »mußt ihn den Brief denn gerad' ~still~ im
Gedanken lesen lassen? ~Laut~ soll er ihn lesen, dir vorlesen soll er
ihn, und ich sag' dir's, bei seiner Taubheit, er versteht kein Wort
davon -- kein Wort.«

Da hob die Gretl ihr frisches einfältiges Gesichtchen: »Meinst? Ja --
weißt, ich versteh' das zu wenig, hab' mein Lebtag keinen Buchstaben
angeschaut, mein Lebtag keinen. Aber, ich hätt' doch gemeint, wenn er
den Brief selber lesen tät', daß er's 'leicht wissen kunnt, was drin
steht.«

»Aber ich bitt' dich gar schön, Gretl, was du heut' für einen Unsinn
redest! Wenn er laut liest und kein Wort hört, wie soll denn das sein,
auf alle Mittel und Weis'!«

»Ja freilich wohl, ich lass' dir's gern gelten.«

»Sagst halt, mußt ihm's aber ordentlich ins Ohr schreien, ~mir~ tät'
er zugehören, der Brief, von meiner Muhm' in Kirchbach, und ich hätt'
dich damit geschickt und ließ ihn bitten, er soll dir ihn lesen, daß du
mir's kunnt'st sagen, was drin steht.«

»Das ist gescheit -- wird wohl gescheit sein,« sagte die Gretl, »bist
ein' ausbündige Dirn', du. Du wärst die Erst' bei der Hochzeit, tät'
mich der Hansl heiraten. -- Wie's aber grasen, meine Küh'; wollen
'leicht das Futter lieber im Magen, wie auf dem Karren heimbringen.
Schaut völlig so aus. Dank' dir Gott, Christl, für den guten Rat, und
lass' dir Zeit und Weil' zum Laubrechen -- ja, lass' dir Zeit!«

Das Mädchen eilte zu den Kühen, mähte das Futter, füllte den Karren in
hoher Schicht, spannte an, fuhr heim.

Die Christl aber lauerte hinter dem Zaun und kicherte: »Leicht ist
sie wirklich so dumm und zeigt den Brief ihrem Vormund. Und weiß der
alte Luzifer die Geschicht' von Hans und Gretl, nachher stehen die
zwei nimmer zusammen. Nachher, mein lieber, sauberer Schatz, weiß der
Briefbot' mein Fensterl auch zu finden. Hi, Hansl, Hott, Gretl!« Und
laut: »Kei (kippe) die Fuhr' nicht um, Gretl!«

»Selb gib ich schon acht, freilich, selb gib ich schon acht!« rief
diese noch aus dem Walde zurück.

Die gute Gretl ging neben ihren Kühen her. Wieder zog sie das Briefchen
hervor: »Schau, Scheckin, das schickt mir der Hans!« Sie hielt das
Papier den Rindern hin, diese glotzten es an, lesen konnten auch sie
nicht.

Und als es Feierabend war, schlich die Gretl fort vom Haus, wo sie
diente, und hinein in die Talschlucht, gegen die kleine Schmiede. Aus
dem Schornstein sprühten Funken, der Alte war noch in der Werkstatt.

Mit Bangen und Zagen nahte sie ihrem Vormund, ihrer einzigen Stütze,
seitdem Vater und Mutter gestorben.

»Die Dirn' ist da,« brummte er, als sie in die Schmiede trat. Mägde und
Weibervolk genug, aber »Dirn« gab's ihm nur eine einzige auf der Welt,
seine Mündel; Dirn, das war ihm der zärtliche Ausdruck für Schützling,
Tochter, Kind.

Ehe das Mädchen noch ordentlich über die Schwelle kam, es stolperte
schier, rief es: »Von der Schwanenwirt-Christl bin ich geschickt, den
Brief da soll mir der Vatermann lesen und laut, daß ich's ihr kann
sagen, der Schwanenwirt-Christl.«

Dreimal mußte es die Worte dem Alten ins Ohr schreien, ehe dieser seine
rußigen, mächtigen Glasaugen hervorholte.

»Was wird's denn sein? So einen Brief lesen, wird auch just keine
Hexerei sein!« Er machte sich aber doch wichtig.

»Von der Schwanenwirt-Christl ihrer Muhm' ist er!« rief das Mädchen
schnell.

Der Alte wendete sich gegen die ausschnaufende Esse, daß der Brief, den
er nun öffnete, rot beleuchtet war: »Kreuz und Eisenstern übereinand,
da ist ja gar ein Kaiserjäger oben!«

»Halt ja, ein Soldat, halt ja,« zitterte die Gretl, »der
Schwanenwirt-Christl ihrer Muhme ihr Sohn.« --

»Der Schwanenwirt-Christl ihrer --«

»Muhme ihr Sohn. Ja freilich, freilich wohl. Laut, nur gleich laut
lesen, weil -- weil ich nicht recht Zeit han. Muß gleich wieder heim,
aber gleich wieder.«

Der Alte verstand kein Wort. Er las bereits. Mit dem einen Fuß trat er
den Blasebalg, daß er an der Esse eine Leuchte hatte. Mit dem anderen
stand er fest, recht fest. »Du verschwefelt's Volk!« rief er plötzlich.
»Also vorlesen soll ich dir die Schrift, vorlesen? Recht gern.
Innigstgeliebte Margaretha! -- steht's geschrieben.«

Da ward's dem Mädchen wie zum Umfallen. -- Taub ist er freilich, aber
so heraus hat er's geschrien, er kunnt's verstanden haben. »Just gar so
laut, dasselb' ist keine Notwendigkeit, Vatermann.«


  »Ich grüße Dich tausendmal und wünsche, daß Dich mein Schreiben in
  bester Gesundheit antreffen möge. Ich bin Gott sei Dank gesund und
  mache Dir zu wissen, und daß ich vor etlichen Tagen zum Korporal
  avanciert bin und ich in ein' Jahr auf Urlaub zu Haus kommen werde,
  was mich wegen Deiner so freut, vielgeliebte Margaretha, und ich denk'
  bereits Tag und Nacht auf Dich, und Dein Zellerpreverl trage ich auf
  der Brust, daß mich mit Gottes Hilf' kein' Kugel trifft. So schau' ich
  aus wie das Gemal (Gemälde) da oben, und ich bitte Dich, daß Du mir
  getreu bleibst, und glaube der Leut' Reden nicht, weil sie einen Neid
  haben auf uns Zwei. Und ich möcht' auch wissen, das von der letzten
  Kirchweih, wie ich fortgegangen bin, wird Dir nicht geschadet haben.«

Der Alte hielt inne, starrte das Mädchen an. Dieses sagte mit einer
packenden Keckheit:

»Hör' schon, Vatermann, recht gut hör' ich, freilich!«

Und der Alte fuhr fort:


  »Und sei so gut, tu' auf mein tuchenes Gewand schauen, von wegen der
  Schaben, und schreib' mir paar Zeilen, wie es Dir geht und was Neues
  ist, und für den Brief brauchst nicht zahlen. Und auf Dich kann ich
  nicht vergessen bis in den Tod, innigstgeliebte Margaretha, und so
  vielmals als Stern sein am Himmelszelt und Tropfen im Meer und
  Blümlein auf der Welt, sollst Du von mir gegrüßet sein. Halt' mir
  nichts für Übel, und ich schließe mein Schreiben im Schutze Gottes
  und verbleibe bis ins kühle Grab

  Dein      Johann Kinigl,

            Korporal, 27. Infant.-Reg. König der Belgier.«

Der alte Schmiedrochel schüttelte sehr lange den Kopf. -- »Von der
Schwanenwirt-Christl ....?«

»Ja,« rief die durch den Brief entzückte Gretl, »der
Schwanenwirt-Christl ihrer --«

»Dirn!« rollte jetzt die Stimme des Alten dazwischen wie ein
niederstürzender Eisenklumpen. Da sah die gute Gretl alles verraten,
verloren. Still war's, nur der Blasebalg pfauchte.

»Er hat mir's versprochen,« hauchte das Mädchen, ihre Finger
ineinanderhäkelnd und sehr laut, »'s Heiraten hat er mir versprochen
und es hat so sein müssen, weil der Herr Pfarrer hat predigt, die Ehen
werden im Himmel geschlossen.«

»Ja, und die Torheiten auf Erden begangen. Heiraten! Und einen
Habenichts vom Militär! Hörst, einer, der einmal den Tornister auf dem
Buckel trägt, gewöhnt sich den Höcker nicht mehr ab, hängt, hat er
sonst nichts, den Bettelsack um.«

»'s schickt sich nicht, daß ich was red', Vatermann, aber mich
deucht halt, rechtschaffen fleißig bei der Arbeit wär' der Hansl,
rechtschaffen fleißig und brav; tut nicht trinken und nicht spielen;
kann schreiben wie der Herr Verwalter und tut manigsmal gern in den
Büchern lesen --«

»Ja, in solchen 'leicht, wo man die Blätter mit dem Knie umwendet.
Marsch in deinen Stall, Dirn! -- Mein Lebtag hab' ich noch kein Mädel
gesehen, das einen heiraten will, der gar nicht da ist. -- Kommt der
Hans heim und er red't noch wie heut', und du hast ein' ehrliche Frag'
-- ich halt dich nit auf. Jetzt weg mit dem Wisch da, den brauch' ich
nit!«

Glückselig erfaßte sie das Papier, küßte seine Hand zum Dank und eilte
ihrem Hofe zu.

Am nächsten Sonntag besorgte der Vatermann das Antwortschreiben in
ihrem Namen:


                             »Lieber Hans!

  Das Schreiben lass' bleiben. Kommst heim, bist brav, sollst mich
  haben.

                                          Margaretha Krautwascherin.«

Wie war sein Brief so gut und treu und »gottsunmöglich schön«, und
wie war diese Antwort so kurz und kalt. Die Gretl litt viel Marter
und Pein, aber sie vermochte nichts über den Alten, nur daß sie noch
heimlich zwei Blümlein in den Brief zu schmuggeln verstand. Ein
Vergißmeinnicht und eine brennende Lieb'.




                  Sie konnten zusammen nicht kommen.


Der Halter vom Schieberpaß sprach im Dorfe beim Kaufmannshaus zu,
nachdem er ins Auslagefenster geguckt hatte, ob auch Kirschbranntwein
oder Weichselgeist vorhanden wäre. Er sah so etliche Flaschen, es
konnte aber auch Öl sein oder Sauerwasser. Dann trat er ein: »Guten
Morgen, Frau Stäuberin!«

»Ja, was willst denn?« Damit stand sie vor dem Jungen in ihrer
stattlichen Gestalt. Das lichte Haar hatte sie kranzartig um das Haupt
geflochten und der lange, dunkelblaue Kittel rauschte, weil er gestärkt
war. -- Wenn nur ich auch gestärkt wäre, dachte der Hirte und lugte
gegen eine der Flaschen. »Der Wirt braucht einen Sack Reis und ich soll
ihn gleich mitnehmen. Zahlen tut er selber.«

»Eilt nicht,« antwortete sie und ließ ihm das Verlangte in den Korb
packen.

»Haben's da auch Tabakpfeifen feil?« fragte der Bote etwas stotternd.

Die Frau zog aus dem Pult eine Lade, da drinnen gab's derlei. Der Junge
nahm eine hölzerne Tabakspfeife in die Hand, dann ein Pfeifenrohr, dann
ein Taschenmesser, dann einen messingenen Uhrschlüssel, dann einen
blechernen Handspiegel, drehte solche Dinge eine Weile über und über
und legte sie wieder in die Lade zurück.

»Haben's da auch einen Weichselgeist?« fragte er dann langsam.

»Willst was oder nicht?« fragte die Kaufmannsfrau und faßte die Lade
fest an, daß der Inhalt reixelte.

»Hab' eh kein Geld,« antwortete der Halter träge und wandte sich
unentschlossen dem Ausgang zu. Als er schon draußen auf dem
Antrittsstein stand, kehrte er wieder um und sagte: »Bei der Frau
Stäuberin han ih was auszurichten. Von der Alm. Vom Latschenwirt. Er
laßt sagen, die Frau sollt' doch bald einmal hinaufkommen zu ihm.«

»So, der Latschenwirt?« Ihr rundes rotes Gesicht war auf einmal noch
viel röter. »Gehst eh gleich wieder zurück?« fragte sie den Jungen.
»Nachher sag' dem Latschenwirt, du hättest deine Post ausgerichtet und
die Frau Stäuberin hätt' gesagt, er hätt' nach Migelbach nicht weiter,
wie sie auf die Alm, und herab ginge es leichter wie hinauf. Hast es
gehört?«

»Jo.« Er stand und starrte drein und rührte sich nicht.

»Was willst denn noch?«

»Der Latschenwirt hat gesagt, ich tät gewiß ein Stamperl Weichselgeist
kriegen. Zum Botenlohn. Bei der Frau Stäuberin.«

»Schau du?« und ihr Rundgesicht schmunzelte nicht uneben. »Daß mir
deine Post ein Stamperl Weichselgeist wert wäre, meint er? Recht ist's,
da, komm' her einmal!« Sie nahm eine der Flaschen und goß ein winziges
Kelchgläschen voll. Der Junge setzte an und trank den roten Geist
wie Wasser und verkutzte sich dabei, daß er ganz blau wurde und die
Kaufmannsfrau ihre Hand wohl zehnmal auf seinen Rücken schlug, um ihn
wieder zu Atem zu bringen.

Als er am selben Abend oben im Gebirge beim Latschenwirt zusprach,
erzählte er, einen Weichselgeist hätte er wohl bekommen und Schläge
hätte er auch bekommen.

»Und was hat sie gesagt? Kommt sie einmal herauf?«

»Das weiß ich nit.«

Dachte der Latschenwirt: 's ist wohl allemal am gescheitesten, man gibt
dem Buben einen Kreuzer und geht selber.

Nur war es leider, daß er selber nicht gehen konnte, so flink seine
Beine auch gewesen wären. Das Gehen hätte ihm viel weniger Mühe
gekostet als das Bleiben, und das Sprechen viel weniger als das
Schreiben, aber endlich war der Brief doch fertig:


  »An die ehrsame Frau Amalia Stäuberin, Kaufmännin in Migelbach.

  Vor etlichen Tägen habe ich einen Boten geschickt, der ist nix nutz
  gewest. Wann mein Brief nit mehr ausrichtet, alsdann tut's mir leid
  ums Schulgeld, das mein Vater für mich hat springen lassen. Ich selber
  kann jetzt nit los vom Wirtshaus, jetzt im August ist die beste Zeit
  und darf man keinen Gast versäumen. Wenn ich ein Weib hätt', alsdann
  kunnt ich schon weg und alsdann wollt' ich wahrscheinlich nicht weg,
  weil's daheim im Nest auch schön warm sitzen ist, gelt? Wir wissen's
  halt allzwei beide, wie das ist verheirateter Weis', haben's gleiche
  Unglück ausgehalten, und dessenthalben sollten wir auch jetzt allzwei
  beide nach dem gleichen Glück greifen -- verstehst? Seit meinem
  letzten Aufenthalt in Migelbach, wo ich bei dir den guten Kaffee
  hab' getrunken, muß ich alleweil dran denken. So ein Weiberl, das
  guten Kaffee kocht, tät mir halt taugen -- und sonst auch. Ist bei
  der Wirtschaft der Mann, so fehlt's Weib, und du wirst wahrscheinlich
  's umgekehrt sagen können, gleichwohl ich weiß, wie tüchtig du seit
  deines Alten Absterben haushalten tust. Im Alter hätten wir auch
  keinen großen Unterschied und jetzt bin ich bei dem guten Rat, Frau
  Stäuberin, du sollst mich zum Mann nehmen. Spaß und Ernst auch, du
  wirst mit mir zufrieden sein. Willst überhaupt, so sag's, in
  Kleinigkeiten, wo wir etwan nicht gleich sind, werden wir schon
  gleich werden. Ich beschließe mein Schreiben, bei dem ich eh bin
  schwitzend worden, und verbleibe dein aufrichtiger Freund Stefan
  Mairinger.

  Einen halben Laib Emmentaler Käse und zwei Kilo Sechzehner-Kerzen
  kannst mir auf Rechnung schicken, mit dem Steinführer.«

Mehr als ein Tintenschweinchen unterbrach die Schrift, die Zeilen waren
auch etwas ungleich, hier so eng beisammen wie ein zärtliches Ehepaar,
dort so weit auseinander wie zwei Leutchen, die zur Ehescheidung
laufen. Oder steht zwischen den Zeilen etwas? Nein, der Mairinger
sagt's ganz ehrlich heraus, was er will -- heiraten will er.

Die Frau Stäuberin hat schon eine zierlichere Schrift und treibt auch
nicht Schweinezucht in ihren Briefen. Also antwortete sie ihm sittsam:


»An den hochgebornen Herrn Stefan Mairinger, Latschenwirt auf dem
Schieberpaß.« Wenn einer so hoch auf der Alm daheim ist, da muß man
schon »hochgebornen« schreiben! denkt sie und kichert.

  »Dein liebes Schreiben nehme ich für Ernst, erstens, weil man mit
  so wichtigen Sachen keinen Spaß treibt, und zweitens, weil es einem
  Frauenzimmer mit dem Heiraten allemal gleich ernst ist, wenn nur ein
  Mann halbwegs an die Tür klöpfelt. Wenigstens stehen wir im Ruf,
  daß wir schier nit derwarten mögen, bis einer kommt -- wer den Ruf
  aufgebracht hat, weiß ich nicht, wir Weibsleute sind überhaupt so, wie
  uns die Männer herrichten. Das kannst dir gleich merken, sollst einmal
  mit mir nicht zufrieden sein. So, jetzt habe ich schon ja gesagt.
  Wenn du ein Weib brauchst und ich einen Mann, da gibt's freilich kein
  besseres Mittel, als zusammenheiraten. Komm' nur ehzeit herab, daß
  wir alles ausreden können, und sollten sich derweil ein paar Gäste
  verlaufen, so mußt halt denken, besser die Gäste als die Braut. Käse
  und Kerzen gehen mit dem Steinführer ab.

                     Deine aufrichtige Freundin

                                                   Amalia Stäubinger.«

Als sie den Brief durchgelesen hatte, hieb sie mit der Faust drauf. Ist
es gut so? Den Mannsbildern darf man keine Verliebtheit zeigen. Nicht
einmal, wenn eine vorhanden ist. Wer gern kauft, dem schätzt man die
Ware gleich teurer. Ist einmal so. Vielleicht habe ich ohnehin zu viel
gesagt, daß er mir's nachher vorwirft, ich hätt' nach ihm geplangt.
Zerknittert ist jetzt das Papier auch. Ei was, ich schreib' noch
einmal. Sie schrieb den Brief das zweite Mal:


  »An den Herrn Stefan Mairinger, Latschenwirt auf dem Paß.

  Dein Schreiben verstehe ich nicht und wenn du was willst, so mußt
  schon so gut sein, selber kommen und anfragen.    Amalia Stäubinger.«

Das ist besser.

Auf den Stefan Mairinger machten die paar Zeilen gar keinen üblen
Eindruck. Recht hat sie. Das Heiraten ist kein Briefwechsel, da muß man
selber zusammenkommen.

Beim nächsten Nebeltage, als kein Tourist vermutet wurde, sperrte er
sein Wirtshaus zu, die alte Magd, der er's nicht anvertrauen mochte,
schickte er in die Preiselbeeren aus. Er selber ging ins Tal nach
Migelbach.

Sie verabredeten es kurz und nüchtern.

»Über die ersten Dummheiten sind wir hinaus,« sagte der Latschenwirt
und betrachtete sich den niedlichen, mit Waren vollgepfropften
Kaufmannsladen. Sie erkundigte sich nach dem Ertrag des
Latschenwirtshauses, und da dachte er, wirtschaftlich ist sie und
das ist die Hauptsache. Dann begannen sie Zukunftspläne zu machen,
wobei sich aber die Meinungen etwas verwirrten, so daß der Mairinger
auf seinen Paß hinauf mußte, bevor sie fertig werden konnten. Im
Latschenwirtshause begann er hernach die Ehekammer, die seit dem Tode
seiner Ersten etwas öde und unordentlich geworden war, herzurichten.
Schaffte sich ein paar haarige Gemsfelle an als Fußteppich vor den
Betten und rote Fenstervorhänge, damit das kalte Licht, das von den
Eisfeldern herabkam, in Rosen getaucht werde.

Die Frau Stäuberin ließ ihr Haus weißeln, die Fensterbalken grün
anstreichen und sonstiges instand stellen, damit dem neuen Herrn alles
freundlich entgegenschaut. Dem neuen Herrn? Es wäre nicht zu ertragen,
wenn sie nicht gleichzeitig die neue Frau über das Latschenwirtshaus
werden würde!

Als der Latschenwirt demnächst wieder zu ihr kam, hatte er ein
Steirerwäglein bei sich und zwei schwere Hengste drangespannt. Sie
wartete ihm Blumenkohl auf -- in ihrem Garten stand noch einer; er
aß davon mit Mäßigkeit und meinte, von Blumenkohl sei er ein Freund,
besonders gern aber esse er Speckknödeln. Dann packte er mancherlei
Lebensmittel auf den Wagen und die Frau dazu, und so fuhren sie
selbander davon durch das lange Schluchtental, hernach durch Wälder und
über Almen hinan, am Quarzsteinbruch vorbei bis zum Bergjoch. Dort oben
strich ein scharfer Wind, Frau Amalia zog die Tuchjoppe enger zusammen
und sagte: »Husch, husch! Das ist ja ein Bärenloch, da heroben!«

»Aber eine schöne Aussicht, gelt? Man sieht sogar die krainerischen
Berge.«

»Um die geht's mir nicht,« antwortete sie, »mir sind schon die
steirischen zu viel.«

In der Wirtsstube waren Gäste, mit denen die alte Magd nichts
anzufangen wußte. Wenn der Mensch gestehen muß, daß er keinen
Kellerschlüssel hat, so ist das nicht bloß darum zuwider, weil er
dem Durstigen keinen Wein vorsetzen kann, sondern vielmehr wegen
des damit bekundeten Mangels an Vertrauen, den eine alte Magd, die
redlich durchs Leben gegangen ist, nicht ertragen kann, ohne sich in
einem Winkel zu verstecken und zu Tode zu schämen. Die Alte schämte
sich nicht zu Tode, sondern durchstöberte das ganze Haus, als ob der
Kellerschlüssel bloß verlegt wäre. Welch eine Erleichterung also,
als der Wirt kam, und welch ein Schreck, als sie an seiner Seite
eine rundliche Frau sah! Der Latschenwirt ließ seiner werten Gastin
Hirschbraten mit Preiselbeertunke vorsetzen. Sie aß ein weniges, dann
legte sie Messer und Gabel auf den Tisch und sagte: Die Preiselbeeren
habe sie sehr gern, aber das Hirschfleisch modere ihr zu stark.

Der Wirt wartete nun, daß sie mit den Gästen, zwei scharf ausgerüstete
Hochtouristen waren es, ein paar freundliche Worte wechsele oder sie
gar ein bißchen bedienen würde. Aber Frau Amalia blieb auf ihrer Bank
fest sitzen und tat fremd. Er sprach vom ungarischen Wein und vom
Flaschenbier, sie sprach von Kaffee, Seife und Schnittwaren. Er sprach
vom Wirtsgeschäft auf dem Schieberpaß, sie von ihrer Kaufmannschaft zu
Migelbach. Ein großes, unerfahrenes Herz hätte meinen müssen, diese
zwei Leute paßten trefflich zusammen; was er nicht sei, das sei sie,
und umgekehrt. Ein kleines, erfahrenes Weltherz jedoch hätte nach
solchen Anzeigen geschlossen, das gehe schief; was er nicht wolle, das
wolle sie, und umgekehrt.

Indes freute Frau Amalia sich an dem geordneten Anwesen auf dem
Bergjoch, und Herr Stefan rechnete insgeheim aus, welch eine Summe das
schöne Kaufmannshaus samt Geschäft in Migelbach einbringen werde. So
kamen sie wohlgemut auseinander und bei der Heimfahrt, da sie hinter
dem Fuhrmann allein saß, konnte die Frau Stäuberin ihren Hochzeitsstaat
überlegen -- sie denke, einen Rock aus kirschroter Seide, mit schwarzem
Samtbesatz, dazu ein Pariserhütchen, wie es die Frau Kreisrichterin zu
Martan trägt.

Einige Tage nach dieser Zusammenkunft kreuzten sich zwei Briefe, der
eine ging tal-, der andere bergwärts. Der erstere war so gestimmt:


                             »Liebe Mali!

Eigentlich fürchte ich's gar nicht. Du wirst schon in die Wirtschaft
taugen da heroben, du wirst noch eine prächtige Wirtin werden, wie
du das Zeug hast. Jetzt schaut's freilich noch nicht viel gleich bei
mir, aber wenn wir das Kaufmannshaus verkaufen, so bauen wir uns auf
dem Sattel ein Fremdenhotel, wo ich schon lang dazu eine Freud gehabt
hätt', aber alleweil zu wenig Geld. Das wird ein Geschäft werden im
Sommer, wie kein zweites im Land, denn man muß mit dem Fortschritt
halten und mein Vater selig hat oft gesagt zu mir: Bub, aus dem
Latschenwirtshaus laßt sich was machen. Ich denk', liebe Mali, daß wir
bald zum Pfarrer gehen, schreib' wann's Dir recht ist, bin allezeit
bereit. Richt' nur Deinen Taufschein her und wegen's Katechismus, das
G'sätzel von der Ehe wirst eh noch wissen. Ich hab's schier vergessen
und muß nachbessern.

                                                 Dein lieber Stefan.«

Der Brief, der diesen kreuzend vom Tal zu Berge ging, lautete also:


                            »Lieber Stefan!

Wir haben's letztens nicht recht ausgeredet und wirst eh froh sein,
wenn Du vom Windloch da oben einmal befreit bist. Das Latschenwirtshaus
geben wir derweil in Pacht, bis wir's gut verkaufen können. Das
Migelbacher Geschäft vergrößern wir, mir liegt schon lang die
Mehlhandlung im Kopf, +vis-à-vis+ gegenüber von meinem Haus. In
Wollstoffen wäre jetzt auch was zu machen. Werden schon zu tun haben
allzwei und wird schon gesorgt sein, daß Dir nicht die Zeit lang wird
in Migelbach, und mit Deinem guten Kopf lernst Du die Handlung in paar
Wochen.

    Kannst kommen wann Du willst, daß wir anfangen.

                                                       Deine Amalia.«

Somit war das in allerbester Ordnung und die zwei Briefe, die sich
schon am nächsten Tage wieder kreuzten, waren noch kürzer und
deutlicher gehalten.

Der von oben: »Das wird wohl nicht geschehen, meine Liebe, daß ich mein
Vaterhaus im Stich laß! Da wird wohl das Weib dem Mann folgen müssen.
Richt' Dich nur zusamm'n! Dein Stefan.«

Und der von unten: »Da werden's mich eher auf den Freidhof
hinaustragen, als wenn ich ins Latschenwirtshaus hinaufgeh'. Willst die
Kaufmännin haben, so wird Dir schier nichts anders übrig bleiben, als
Kaufmann zu werden. Deine Amalia.«

Nach diesem diplomatischen Notenwechsel zwischen dem Schieberpaß
und Migelbach war es ein Weilchen still. Die Frau Stäuberin hatte
schlechte Nächte und sie sann nach, wie der halsstörrige Mann doch
herumzukriegen wäre, damit sie mit dem Erlös des Latschenwirtshauses
ihre Handlung vergrößern könnte. Vor der Hochzeit, wenn man auch wollte
nachgeben, so muß es doch nach der Hochzeit sein, daß ich mir meinen
Kopf aufsetze. Und die Mannsbilder, wenn man ihnen nicht folgt, werden
gern grob und nachher ist der Teuxel los. Na, das kann eine zuwidere
Geschicht' werden.

Da erschien eines schönen Tages der Hirtenknabe wieder im Kaufmannshaus
bei der Frau Stäuberin -- er hätte was abzugeben, und langte säumig
ein Brieflein hin. Dieweilen sie dasselbe las, lugte er wieder auf die
Flaschen. Vermutend, daß heute nichts für ihn ausfallen würde, wollte
er den Weichselgeist wenigstens von außen ansehen. Mit den Augen kann
man die ganze Flasche verschlingen, auch wenn sie einem nicht gehört,
und kriegt doch keinen Rausch. Wie sehr war er verwundert, als die Frau
Stäuberin ein Gläschen füllte und ihn freundlich einlud: »Geh her da,
Bübel, und trink'. Da hast auch ein Zwieback zum Dazubeißen. Laß dir
nur Zeit und trink' aus, ich füll' schon noch einmal nach.«

Und was stand denn in dem Brieflein, das sie so froh gemacht hatte? In
dem Brieflein standen die paar Zeilen:


  »Schätzbare Frau Stäuberin!

Ich hab' mir's überlegt. Es ist das Gescheitere, wir lassen's sein.
Daß wir einander nicht ins Unglück bringen. Nix für ungut. Sei so gut,
mir einen Zuckerhut und zwei Kilo Kaffee prima Sorte auf Rechnung zu
schicken.

                                                      Mit Achtung
                                                   Stefan Mairinger.«




                            Nussenspielen.


»Mit dem Obst schaut's bei uns halt schlecht aus; ein bissel
Waldkirschen, ein bissel Schlehen, ein bissel Holzäpfel und ein bissel
Lethfeigen,« so sagt der Staggelhofer, meint mit den Lethfeigen aber
schon die Burschen, die zu bequem und zu feige sind, um am Kirchtag
mit ein paar Stuhlfüßen ein paar Kameraden blau zu machen. Die »blauen
Montage« waren fast abgekommen zu Scherersbach. »Das beste Obst,« so
fährt der Staggelhofer fort, »ist bei uns noch das, welches unter der
Erde wachst. Was im Sommer nicht unter der Decken ist, das wachst nicht
-- so frisch ist's bei uns zu Scherersbach.« Unter der Decke -- die
Erdäpfel meint er.

Deswegen geschieht es, daß der Staggelhofer im Spätherbste eines Tages
ein paar Ochsen einspannt und auf einem Leiterwagen etliche Säcke mit
Erdäpfeln ins Untergai schleppt. Dort werden die gelben Erdäpfel mit
rotwangigen Baumäpfeln aufgemessen, und als Draufgabe bekommt der
Alpenbauer noch ein volles Säcklein dazu, das schauderhaft raschelt,
als es auf den Karren geworfen wird. Dann fährt er heim. Die Äpfel
werden zum Jausenbrot genossen, die Kinder bekommen deren extra, wenn
sie folgsam sind; der Halterbub schleicht manchmal heimlich zum Sacke.
»Hat der Adam ~auch~ Äpfel gestohlen,« meint er in Erinnerung an den
genossenen Katechetenunterricht, und setzt aus eigenem bei: »Der Adam
hat's der Eva wissen lassen und so ist's aufkommen. Ich will gescheiter
sein und das Apferl allein essen.« Nach Jahren, wenn er groß und
stark geworden, will er's bei einem lustigen Plausch im Wirtshause
dem Staggelhofer einmal sagen: »Du Bauer, deine Äpfel, die ich dir
gestohlen, haben sehr gut geschmeckt!« Wenn man's eingesteht, nachher
ist's nicht mehr Sünd', denkt er. Zurzeit ißt der Halterbub keinen
Apfel allein, sondern läßt schon allemal auch eine Eva mithalten, hat
also nicht mehr nötig, seine Sünden selber auszusagen.

Herr Jesses, ich verweile mich da bei den Äpfeln und sollt' schon lang
bei den Nüssen sein.

Am Tage des heiligen Nikolaus, am langen Abende, da die Leute nach
verrichtetem kurzen Tagewerk in der Stube beisammen sitzen --
späneklieben, besenbinden, rauchen, schuhnageln, flicken, spinnen,
stricken, tratschen, duseln und was so der häuslichen Arbeiten mehr
sind, raschelt auf einmal etwas. Der Bauer kommt langsam zur Tür
hereingestiegen und bringt eine hölzerne Schüssel voll Nüsse.

Etliche schreien vor Freuden auf, besonders die Weibsbilder, und der
Großknecht langt schon nach dem Spielkartenbüschel.

»Nussenspielen!«

Alles verläßt seine Arbeit und drängt an den Tisch, was nicht schon
dabei sitzt. Eine Kerze wird angezündet, denn das Kienspanlicht ist
nicht heilig genug fürs Kartenspielen, und die Öllampe ist nicht sicher
genug, wenn sie raufend werden.

»Ja, ja, Nussenspielen!« sagt der Staggelbauer und stellt seine
Holzschüssel neben sich auf die Bank, »nix Nussenspielen! Vorher
Nussen ~kaufen~! 's Paar um ein' Kreuzer!«

»Da mögen die Weiberleut' einkaufen, mir sind sie zu teuer!« entgegnet
der Weidknecht.

»Narr!« lacht zu diesem der Oberknecht, »die Weiberleut' sind immer
teuer!«

»Die ~Nussen~ sind mir zu teuer, du Pölli!« schreit der Weidknecht und
fährt auf.

»Hi, hi, hi!« kichert der kleine Bub, der alleweil die Hände im Sack
hat, weil ohnehin die Läufeln barfuß sind.

»Was lachst denn, Lecker?« fragt ihn der Stallbub.

»Weil sie schon raufen wollen und spielen noch gar nit!«

»Wem's Paar um ein' Kreuzer zu teuer ist, der soll zehn um ein' Batzen
haben,« sagt der Bauer.

»So wegen meiner!« antwortet der Großknecht und kauft sich um drei
»Batzen« Nüsse. Der Weidknecht auch so viel, der Stallknecht nicht
weniger. Die Kuhdirn will auch um einen Kreuzer.

»Du kriegst nur achte,« sagt der Bauer, »weil du sie eh samt der
Schalen ißt.«

Gelächter. Aber die Kuhdirn sagt: »Kannst du selber tun, Bauer, mir
täten sie zu viel reixeln im Magen.«

»Der Bauer ißt ja auch die Erdäpfel in der Haut,« spöttelt der
Weidknecht.

»Nau, abziehen werd' ich sie mir nit lassen vor dem Nachtmahl,«
entgegnet der Bauer und zählt jedem die gewünschte Anzahl Nüsse vor.

So sitzen sie nun beim Tisch und jedes hat vor sich einen Haufen
Nüsse. Die sind anstatt Münzen, und für »Nussen« wird jetzt gespielt.
Sie spielen »um den letzten Stich«, wer den hat, der bekommt von jedem
eine Nuß. Das ist leicht faßlich, da kann sogar das Abwaschdirndl
mithelfen; wenn sie auch die Karten noch nicht kennt, allemal eine
Nuß hergeben, das kann sie doch -- heißt das, so lange sie ihrer
hat. Auffallend ist es, wie bei solchem Spiel zwischen beiderlei
Geschlechtern fast allemal die Männer gewinnen und die Weibsbilder
büßen. Man muß aber wissen -- das heißt, man darf es nicht wissen --
wie sich erstere beim Spiel unter dem Tische einander auf die Zehen
treten, ohne daß auch nur ein einziger »au weh!« schreit.

An der männlichen Seite häufen die Nüsse sich zum Verwundern, »und wo
Tauben sind, da fliegen Tauben zu!« sagt die Küchenmagd und schupft mit
der Hand die neuerdings verspielten hinüber.

»Die redet jetzt von Tauben!« bemerkt der Weidknecht.

»Ja, von tauben Nüssen,« sagt der Großknecht. »Die muß lauter solche
haben, von der mag ich keine.«

»Hat der Fuchs gesagt wegen der Trauben!« schreit die Küchenmagd und
hebt die auszuspielende Karte wie einen Dolch: »Gestochen!«

Diesmal hat sie den letzten Stich und nun rascheln ihr von allen Seiten
Nüsse zu, daß sie vor Freuden kichert.

Um so kleinlauter ist die Kuhdirn, ihr Vorrat ist alle, zwei einzige
Nüßlein und noch dazu kleinwinzige (denn die großen hat sie in ihrer
Gutmütigkeit zuerst hergegeben), liegen an ihrer Seite; -- zwei
feindliche Stiche noch, und sie ist fertig.

Und auf diese paar Nüsse lugt ein mitleidiges Auge -- das Auge des
Stallknechtes. »Nit verzagen, Gretel,« sagt er schmunzelnd, »solang
noch das Paar ist, geht die Welt nit zugrund.« Dabei schielt er ein
bißchen auf ihre Karten, die sie wie einen Fächer in der Hand hält,
prüft dann seine Karten in der Hand und tritt dem Nachbar ein wenig auf
die Zehe. Dieser wirft keck das Blatt aus und wird »gezwickt«, denn der
Fußtritt war ein falscher gewesen, hatte den Spieler mißleitet. Die
Stalldirn macht den letzten Stich und ist überrascht von solchem Glück,
daß sie vor Schreck aufschreit, als hätte sie mit ihrem Stiche wirklich
jemanden erstochen. Jetzt rollen ihr die Nüsse zu und bald danach
erklärt der Bauer, es wäre morgen auch noch ein Tag.

»Zum Spielen!« sagt der Weidknecht.

»Zum Korndreschen!« ruft der Hausvater, »früh auf heißt's. Und jetzt
schlafen gehen!«

»Ich tu' früher meine Nussen essen,« meinte der Halterbub und zerdrückt
die erste mit dem Handballen auf dem Tisch. Der Großknecht öffnet seine
Gewinnste mit einem Faustschlag. »Hau!« schreit er, als der rostige
Kern zum Vorschein kommt, »ist so ein kohlschwarzer Teufel drin!«

»Ein schneeweißer Engel wird nit drin sein in Nussen, die einer
erfalschelt,« bemerkt der Weidknecht.

»Wer hat erfalschelt?« schreit der Großknecht und haut auf den Tisch,
daß die Nüsse zu tanzen anheben.

»Oho,« sagt die Küchendirn zu den Nüssen, die sie fängt, »im Advent ist
das Tanzen verboten!«

»Wer hat gefalschelt?« schreit der Großknecht, »~du~!« und schleudert
dem Weidknecht eine Handvoll Nußschalen ins Gesicht. Jetzt fährt der
Weidknecht los, packt den Gegner am Hemdkragen; die anderen wollen
abwehren, aber da die Arme schon einmal zugreifen sollen, so schlagen
sie auch munter drein, die Karten flattern wie Unzücht, die Nüsse
fliegen raschelnd in den Lüften und springen wie gehexter Hagel an alle
Wände, Kästen und Bänke, bis sie zu Boden kollern.

Der kleine Bub reibt sich vergnügt die Fäuste ineinander, denn der
Gewinn ist sein. Alle Nüsse, die sich in den Winkel verkollern, fallen
ihm zu, morgen, wenn er Jagd darnach hält. Heute ist's schon zu finster
dafür, denn auch die Kerze hat ihren Tackel bekommen, und der Bauer
ruft heftig: »Die Saggra sollen aufhören zu balgen, ihre Arme und Beine
zusammensuchen und sich ins Nest trollen!«

»Kein Wunder wär's nit, wenn ich statt meinem einen fremden Fuß
derwisch, bei der Finstern!« scherzt der Weidknecht.

»Und ich muß meinen Kopf verloren haben,« knurrt der Großknecht, »der,
den ich jetzt aufhab', der paßt mir nit. Brummen tut er.«

Unter solch halb scherz-, halb ernsthaftem Warteln zerstreuen sie sich
und bald wird's still im Staggelhof.

Das »Nussenspielen« wiederholt sich nun jeden Abend, gerade so oder ein
bissel anders, durch den ganzen Advent, über die Weihnachtsfeiertage
bis Neujahr.

Und in der Neujahrsnacht ist's, daß die Stalldirn, die Gretel, bei
stets verschlossener Tür, auf ihrem Bette sitzt und die Nussen zählt,
die sie in einer Schürze eingesackelt hat. Sie weiß selber nicht, wie
sie dazukommt, kennt nicht einmal alle Karten und hat einen Gewinn von
etlichen Dutzend aufzuweisen. Hat aber noch keine gegessen. Sie ist
ihnen just nicht Feind, den Nußkernen, die Leute sagen, man würde fett
davon, besonders wenn man auch fleißig Schweinsbraten dazu esse -- doch
so ganz allein mag sie nicht naschen, da schenkt sie das ganze Schürzel
voll lieber weg.

Natürlich fragt jetzt einmal wer zum Fensterl herein, ob sie keinen
Nußknacker brauchen könne? Und natürlich ist's der Stallbub. Wie er
heißt? Wenn sie Grethel heißt, so wird er Hansel heißen, natürlich.

»Ich hab' mir's eh gedacht,« sagt die Gretel.

»Was hast dir eh gedacht?« fragt der Hansel.

»Daß du mir die Nussen hast zugeschanzt, weil du ein falscher Ding
bist! Und daß du sie jetzt wieder haben willst, das weiß ich auch.«

»Das alte Jahr dauert nur mehr eine Viertelstund',« sagt draußen der
Bursche, »aber ich erfrier' noch im alten Jahr, wenn du nit aufmachst.«

»Lapp, so geh in dein Bett, dort wird's offen sein.«

»Mein Bett ist mir nix seltsam. -- Gretel, was zu reden hätt' ich mit
dir.«

»Hast dir auch die richtige Gelegenheit dazu ausgesucht.«

»Weil ich mir vorgenommen hab': noch im alten Jahr red' ich. Jetzt ist
nimmer lang' Zeit. Geh her, greif' meine Hand an. Wie ein Eiszapfen so
kalt.«

Das Handangreifen ist ja nichts Schlechtes, denkt sich die Gretel und
geht zum Fenster; aber die Hand ist wärmer, als sie geglaubt hat.

»Gernhaben sollst mich!« flüstert ihr der Hansel an die Wange.

Das Dirndel haucht: »Gernhaben ist Sünd'.«

»Wer hat denn das gesagt?«

»Der Pfarrer hat's gesagt. Das Gernhaben ohne Heiraten ist grob' Sünd'!
Geh, laß mich aus, du brichst mir ja die Finger ab.«

»Das Patscherl gehört mein,« flüstert er; »und ich möcht' gern, daß wir
Zwei zusammenheiraten.«

»Ja,« meint sie, »auf was denn?«

»Auf dich und mich.«

»Hast ja kein Örtel, keinen Heimgang, und ich hab' auch nit viel mehr.«

»Daß du aber jetzt an solche Sachen denken magst! Wo mir so kalt ist!«

»Der Pfarrer,« so drauf sie, »der will das Heiraten nit erlauben, wenn
zwei Leut' nix haben.«

Jetzt wird dem Hansel warm.

»So!« sagt er, »der Pfarrer will das Gernhaben nit erlauben ohne
Heiraten! und das Heiraten will er auch nit erlauben? -- Was sollen wir
denn nachher machen?«

»Halt schön brav bleiben!« meint das Dirndel.

»Brav bleiben! Brav bleiben! Sollen's andere probieren!« So der Hansel.
Zornig, zornig ist er, und also läuft er in die Nacht hinaus, ins neue
Jahr hinein.

Die Gretel geht traurig zu ihren Bettstufen zurück und sagt: »In
Gottesnamen, muß ich halt meine Nussen allein essen.« Ißt aber keine
einzige. Und vor dem Einschlafen kommt es ihr noch zu Sinn: Wer weiß,
wie kalt ihm gewesen ist!

Am Neujahrstag in der Kirche nimmt sie sich fest vor, brav zu bleiben,
auch im neuen Jahre wie im alten. Freilich, so denkt sie, zwei, wenn
sie nichts haben, wie sollen sie denn zusammenheiraten? Bettelleut'
machen. -- Bleiben sie aber allein, so ist's auch nicht viel besser.
Sie hat niemanden als ein paar arme Verwandte, davon sind ihr jene
die liebsten, die schon gestorben sind. Ja, da heißt's wohl auch:
Verlassen, verlassen, wie ein Stein auf der Straßen! -- In der Kirche
betet die Gretel schon lange nicht mehr um Glück und Segen, das hilft
bei ihr nicht viel, sondern um Geduld, und die erbittet sie. -- Nach
dem Gottesdienste muß sie an der Kugelbahn vorüber, wo mehrere Burschen
kugelschieben. Auch der Hansel ist dabei; der hat's eilig, daß er von
der Kirche auf die Kugelbahn kommt! -- Aber schieben tut er nicht
uneben, der Hansel! Die Gretel bleibt ein wenig stehen, als ob sie
das wollene Umhängtuch besser knüpfen wollt', dieweilen ist sie nur
neugierig, ob er was trifft. Jetzt schiebt der Schachen-Knecht; Jesses,
der wirft weich. Wenn einer nicht einmal den Laden trifft, wie erst
den Kegel! So ein Mann, das wär' eine Freud'! -- Jetzt schiebt der
Domer-Franzl. Hau, der zielt lang'! Mit einem schreckbar großen Schwung
schleudert er die Kugel so heftig hinaus, daß sie draußen anstatt
in die Kegel an die Wand schlägt, hochauf bis zur Decke springt,
zurückprallt und wieder eine Strecke nach rückwärts rollt. Jetzt
schiebt der Hansel. Der zielt ruhig, und ohne viel Anstrengung schupft
er die Kugel aus der Hand. Ganz ebenmäßig rollt sie den Laden hinaus,
schlägt zwei Ecksteher, drei Seitensteher und den König. --

Gerade einen Stoß ans Herz gibt's dem Dirndel, daß der Hansel gar so
gut trifft. Auf so einen kunnt man sich schon was einbilden, denkt sie
und geht weiter.

Am darauffolgenden Abend klopft er wieder ans Fenster. Sie verriegelt
eilends die Tür, löscht das Laternlicht aus und gibt keine Antwort. So
wird's bald wieder still. -- In derselben Nacht träumt ihr, es wäre
Sommer. Auf dem Baum stünde ein Mann und schüttle Nüsse herab und sie
halte die Schürze auf. Der Mann habe ein Gesicht, so schön wie ein
Engel, aber ein falbes Schnurrbärtel drin, weiße Zähne und schwarze
Augen und die Nüsse so groß wie eine Kugel auf der Kegelbahn. Jetzt
schaukelt er sich auf einem Ast, himmlischer Vater, wie schön er sich
schaukeln kann! -- Sie wendet kein Aug' von diesem lieben Menschen. Auf
einmal bricht der Ast, und in ihrer Schürze liegt der Hansel.

So ein dummes Träumen, wo man patschnaß wird vor lauter Schwitzen!

Am nächsten Tag ist Arbeit. Arbeit ist doch ein rechtes Glück, denkt
sich die Gretel, auf was der Mensch für närrische Gedanken käm', wenn
er alleweil müßig umginge! Der erste Feiertag gehört dem Herrgott, der
zweite daneben schon ein bissel dem Teuxel. -- Arbeit macht müd', und
wenn man müd' ist, will man schlafen, und wenn man schlafen will, muß
man das Fenster vernageln mit einem Brett, daß die fürwitzigen Leut'
nicht hereinschauen können, sonst ist kein Fried. --

Mit großem Fleiße verrammelt sie das Fenster und rückt noch
vorsichtshalber einen alten schweren Trog hin, daß die Bretter nicht
weggetaucht werden können. Jetzt ist sie allein beim lieben Vieh und
kein Mensch kann ihr an. Noch ein wenig an ihrer Truhe sitzt sie und
flickt ein geflicktes Jöppel. Je mehr Flicken drauf, je wärmer hält
es. Der Arbeitsmensch muß geflicktes Gewand zweimal so lange tragen,
als ungeflicktes.

»Noch fleißig bist, Gretel!« sagt er, denn auf einmal steht er vor ihr.
Hat sie das Fenster bummfest vernagelt und heute vergessen, die Tür zu
verriegeln!

»Was tust denn du da?« fährt sie ihn an.

»Ein bissel Nussen essen helfen,« flüstert der Hansel.




                          Susanna, nit wana!


Zu jener Zeit mußte noch ~geschlagen~ werden, um Funken zu erzielen.
So steht Susanna am Herd und schlägt Feuer, bis der Schwamm glost.
Mittagessen kochen für den Vater.

Das Mädel hält noch den anglosenden Buchenschwamm zwischen den Fingern,
als zur Tür der Bursche eintritt. Der Sandbichlersohn.

»Muß schau'n, wer daheim ist in dem Haus da.« So grüßt er.

»Ja schau nur.« So dankt sie.

»Feuerbetteln möcht' ich bei dir.«

»Hast selber keins?«

»Die Pfeif'n ist mir ausgangen.«

Sie hat den Schwamm unter ein Häuflein dürrer Zündspäne gelegt und
bläst nun drein, bis es lichterloh brennt. »Na greif' halt zu!«

Rasch legt er seinen Arm um ihre Mitte.

»Oha Helm!« sagt sie in der Redeart und schiebt den Arm von sich. Denn
sie ist eine von besonderer Art.

»Hast ja g'sagt,« lacht er, »daß ich zugreifen soll.« Und setzt dann
bei: »Kann's eh so auch machen,« nimmt einen Span und zündet die Pfeife
an. Und als sie brennt und als er saugt und zwischen den Lippen einen
Rauchstrahl hervorsprüht, setzt er sich an den Rand des Herdes und sagt
halblaut: »Hast schon nachdenkt drüber? Weißt eh.«

»Da braucht's kein Nachdenken. Was ich g'sagt hab' vorig Sonntag,
dabei bleibt's.« Emsig legt sie Scheiter über das Feuer.

»G'scheit wärst nit,« sagt er. »Einem Dirndl wie dir, hätt' ich
gemeint, müßt's taugen -- Großbäurin werden.«

»Aussuchen kann ich mir's, die Bauernhöf', wenn mir drum ist. Alle Tag
feilt mir ein anderer einen an. Ich mag nit und ich mag einmal nit.«

Der Bursche stellte sich auf die Füße. »Wie du halt glaubst. -- Laß
deinen Vater schön grüßen. Und mit dem Kornmalen wird's derweil nix
sein auf meiner Mühl'. 's ist zu kalt. 's ist frei zu kalt. 's hat das
Wasser vereist.« -- Aber sogleich tritt er sie zärtlich an: »Saggrisch
leid tut's mir wohl um dich. Weil ich mir keine Liebere weiß, ich weiß
mir keine. Wenn du's nur tätest sagen, was für einen großen Fehler ich
hab' -- daß d' mich so kannst fortschicken!«

»Was für einen Fehler? Zu schön bist mir. Zu brav bist mir. Zu reich
bist mir auch.« Hell lachte sie zum Spott. Und der Sandbichlersohn ist
fortgegangen.

Als das Mittagessen gekocht ist, schiebt sie ein Glasfensterl seitlings
und tut durch die Lücke hinaus einen Pfiff. Vom Strohdach, die Leiter
herab, steigt ein betagter Mann. Der Dachdecker Karl, der heute einmal
den Schopf seiner eigenen Hütte ausgebessert hat. Der kleine Tisch
ist weiß gedeckt, eine Schüssel dampfender Milchsuppe, ein Topf mit
Erdäpfeln, ein Salzgefäß und ein Laib Brot. Das Brotmesser zieht der
Karl aus seinem Sack.

»Sanna,« sagt er während des Essens, »heut früh, wie ich Weiden
schneiden geh, ist mir der Tonhofer begegnet. Und -- er hat mich wieder
gefragt. Und will morgen noch einmal anfragen. -- Sanna, was darf ich
ihm denn sagen?«

Schon wieder einer! denkt sich das Dirndl.

»Was meinst denn von wegen seiner?«

»Ich hab's schon gesagt.«

Der Alte schält einen Erdapfel, tunkt ihn in Salz. »Daß d' gar so
trutzig magst sein,« sagt er heiser und schiebt den Erdapfel in den
Mund.

»Wenn ich nit mag. Wer kann mich zwingen?«

»Zwingen -- kein Mensch. Aber leid wird's dir einmal tun, wenn du dein
Glück bei der Tür hinausjagst. Wohl, wohl -- bei der Tür hinausjagst,
nit anders. Das klemmige Kummerörtel da. Und dort der prächtige
Bauernhof, überall Sachen zum hernehmen. Und der Mensch ist ja auch nit
z'wider.«

»Wem er gefallt!«

»Gern hat er dich, sagt er. Ihm stehen zehn für eine, wenn er will.
Wohl auch angesehene Bräut. Dich hätt' er halt so viel gern, sagt er.
Und -- mir wollt's taugen, wenn ich mir's in alten Tagen ein eichtel
leichter geschehen lassen kunnt.«

Da schaut sie auf. Traurig und müd' ist sein Gesicht. Alt und
zusammengeknickt sitzt er da, der sein Lebtag fleißig gewesen ist und
noch im weißen Haar für ihn, für sie das Brot soll herschaffen.

»~Wenn~ er noch einmal fragt, in Gottesnamen Vater -- sag' halt ja.«

Er hält im Essen ein, schaut sie von der Seite an. »Wenn's grad' nur
meinetweg wär', Sanna! Das dürft' auch wieder nit sein. Das möcht' ich
nit verantworten.«

»Deinetweg und seinetweg. Zwei gelten mehr als eins.«

                   *       *       *       *       *

Und noch an demselben Abend ist's, sie liegt schon im Bette, klopft der
Holzknecht an ihr Fenster. Schade, daß es schon nachtet und man nicht
mehr sieht, was das für ein schöner Mensch ist. Susanna zieht die Decke
über ihr Haupt. So herrisch sie gegen alle andern ist, aber vor dem
vermag sie sich nicht zu schützen. Sie fürchtet sich vor ihm und -- vor
sich selber.

»Warum tust denn heut so, Dirndl?« flüstert er durch das Fenster.

»O mein Siegi, mit uns zweien ist's aus.«

»Du Narrl,« lacht er, »mit uns zweien hebt's erst an. Gestern bin ich
Holzmeisterknecht geworden. Um einen ganzen Gulden mehr Wochenlohn.
Wenn du willst, können wir jetzt ernst machen?«

»Mein Gott!« schluchzt sie, »ich hab' mich einem anderen versprechen
müssen.«

»Geh, mach' keinen dummen Spaß.«

»Behüt' dich Gott, Siegmund! 's kann nit sein bei uns. Behüt' dich
Gott!«

»Was b'hüt' dich Gott? Wie b'hüt' dich Gott? Geh, mach' auf, 's ist
schad' um die Zeit.«

Da geht im Fenster der Holzschuber zu.

Er hat lange geklopft und gebettelt und geschmeichelt und geflucht.
Verschlossen ist das Fenster geblieben und still hinter demselben,
als wäre alles abgestorben. Bergwärts ist er gegangen gegen seinen
Hochwindschlag und hat sich unterwegs mit der Faust an den Kopf
geschlagen, weil er sich vor seiner selbst hat geschämt. Denn wie
ein Kind weinen hat er müssen. Nur weiß er nicht, aus Zorn oder aus
Liebe. Dumm ist beides -- ganz dumm. »Jetzt -- jetzt, wenn ich ~die~
nit krieg', ist mir alles eins. Eine Freud' muß der Mensch haben.
Ein nixnutziger Kerl will ich werden.« Damit will er sich trösten
und schleicht jenem Dickicht zu, wo er unter Moos und Steinen seinen
Kugelstutzen versteckt hat. Das Dirndl hätte ihn zurechtbringen können
von seiner alten Leidenschaft. Wenn's nicht sein kann, muß der Mensch
halt zugrunde gehen. --

Der Tonhofer, wie er von dem Alten hört, er dürfe kommen, da steht er
auch schon vor der Haustür. Ein dicklicher, gutmütig dreinschauender
Bursche, nicht mehr gar jung, so daß er -- wenn's nicht sein muß --
den Hut ungern vom Kopf tut. Es muß auch nicht sein. Aber, als er zum
Suppenessen eingeladen wird und der alte Decker Karl das Tischgebet
ruft, da muß es doch sein. Es ist nicht anders, beinahe bis an den
Scheitel geht sie hinauf, die Glatze. Der Susanna macht die gerade
nicht viel. Sein untertäniges Girren und Schleichen um sie herum
ist ihr viel zuwiderer. Zwingen muß sie sich zur Freundlichkeit,
und was die Hütte in Vorrat hat, das kocht und brät sie und bringt
es auf den Tisch. Solange er ißt, hat sie Ruh vor seinen läppischen
Schmeicheleien. Und denkt weiter: Die so viel essen, die leben nicht
lang', und am liebsten wäre ihr, seine Glatze ginge auch noch hinten
hinab, so daß seitlings nur ein paar weiße Haarschüberln stünden und er
keinen Zahn mehr im Mund hätt' und er bucklig und hustend und trensend
auf dem Stecken herumhinkte -- da wollte sie ihn am liebsten nehmen,
da wollte sie ihn sogar recht liebreich hegen und pflegen -- lange
könnt's ja nachher nicht dauern und sie säße mit ihrem guten Vater
allein auf dem schönen Tonhof.

Nach dem Abendessen streichelt der Tonhofer die Sanna am Arm -- weiter
hin wagt er sich noch nicht, spricht aber vom Dableiben.

»Fragst halt den Vater!« rät sie ihm, das weiß sie wohl, der Alte
winkt ab, denn er ist streng in solchen Sachen. Der Karl hat für
diese Strenge seinen besonderen Grund. Wenn so ein Großbauer einmal
weiß: Dableiben kann ich so auch, dann verschiebt er das Heiraten.
Solche Leut' muß man brav aushungern lassen, bis sie dazukommen, die
Hochzeitstafel zu decken. -- Also heimgehen, Tonhofer! Da sagt der
noch: »Und wenn du willst, daß wir zum Pfarrer gehen -- wir sind
allzeit bereit. Gelt, Sanna!«

»Na freilich!«

So ist er willig heimgegangen.

»Einen kamoden Mann kriegst!« sagt der Karl zu seiner Tochter. »Jetzt
derweil hältst ihn fest, verstehst und daß er dir nit auskommt. Daß
ich dir sag', ein bissel kunnt'st just schon zutunlicher sein zu ihm,
weißt, es gibt auch noch andere Weiberleut', die nach ihm angeln. Nach
der Hochzeit nachher ist's nit mehr so heikel -- kannst dich schon
besser gehen lassen wie du willst. Froh bin ich halt wohl, daß die
Heirat zustande kommt. Jetzt sind wir auch einmal wer. Das taugt.«

Die Susanna ist still. Aber als sie in ihre Schlafkammer geht, muß sie
doch ganz laut aufkreischen: »Jesses, diese Mannerleut'. In alles tun
sie sich drein und alleweil denken sie auf sich selber und von der
Lieb' wissen sie nix.« Wer in derselbigen Nacht gehorcht hätte an ihrem
Fenster. Der Alte hat's ganz zufällig gehört und bei sich gesagt: »Daß
sie wieder so viel Zahnweh hat, die arme Dirn! Und kunnt sonst jetzt
so lustig sein!« -- Aber am nächsten Morgen hat sie sich die Augen mit
kaltem Wasser gewaschen. Kein Mensch merkt es.

                   *       *       *       *       *

Eine Woche später, an einem kühlen Aprilmorgen, sind sie früh
aufgestanden. 's ist über zwei Stunden weit ins Kirchdorf und auch der
Tonhofer wird sich dort einfinden. Dann wollen sie in den Pfarrhof zum
»Versprechen«.

Unterwegs auf dem kiesigen Waldweg fallen dem Karl rote Flecken auf und
zerrupfte Vogelfedern. Er hebt eine auf und sagt: »Sanna, schau einmal
her. Da ist heut' schon ein Schildhahn geschossen worden.«

»Wegen meiner,« sagt sie und geht ihren Schritt weiter. 's ist ihr
alles gleichgültig. Wird noch nicht ausgeschlafen haben, denkt sich der
Alte. Oder sollt sie doch so verschossen sein in den Zukünftigen, daß
sie alles andere übersieht und überhört, wie der Hahn auf der Balz? Bei
den Weiberleuten kennt sich eins frei nit aus.

Im Kirchdorf beim Bräuer müssen sie warten. Er ist noch nicht da. --
Es wär' schon Zeit, kunnt schon da sein. Hat auch nit weiter, wie wir,
sinniert der alte Karl. Die Kirche läutet zur Messe. Man sollt' doch
zu Meß' gehen an so einem Tag. Sonst wird sich der Pfarrer was Schönes
denken von so Brautleuten, die den Herrgott beiseite schieben, just
wenn man ihn am notwendigsten zu brauchen haben möcht'. -- Der Alte
wird unruhig. Der Tonhofer! Wenn er sich's überlegt hätt'! -- Kriegen
tät so ein Großbauer jede. Auch angesehene. Daß ihm seine Blutsfreund'
abgeredet hätten: Ein Tonhofer wird eine Häuslerin nehmen! Das wär
schon gar schön. -- So unruhig wird der Karl, daß er nicht mehr sitzen
bleiben kann bei seinem Bierglas. Er geht hinaus und schaut die
Dorfstraße hin, ob er nicht endlich daher steige. Die Susanna denkt:
Was soll eins da auch noch hersitzen wie ein angemal'ner Kineser. Als
ob man ihn schon nit möcht' derwarten. So einen! Ich geh lieber in die
Mess'.

Und auf dem Weg zur Kirche hinauf, im kleinen Birkenschachen, steht auf
einmal der Holzknecht vor ihr. Er ist im lodenen Werktagsgewand und ein
wenig verstört. »Sanna!« sagt er, zischt es fast nur, »komm' ein bissel
mit mir!«

»Ich geh in die Kirchen,« sagt sie, »wenn du mit willst, wird dir auch
nit schaden.«

Er faßt sie am Arm und zerrt sie mit gelassener Gewalt zwischen den
Birken und Erlensträuchern hin. Sie weiß nicht, wie ihr geschieht. So
hat sie noch kein Mensch in seine Kraft genommen.

Er steht still, läßt sie los und fällt vor ihr auf beide Knie: »Sanna!«
Er ringt die Hände: »Sanna! Ich weiß, auf wen du wartest. Um deines und
meines Lebens und Sterbens willen, das darf nit sein.«

»Was das dich angeht, will ich wissen!«

Da nimmt er sie heftig an beiden Händen, zieht sie nieder an sich: »Du
gehörst ~da~ her! Zu mir gehörst du! Zu mir gehörst du!«

Sie wehrt ab, will sich losreißen, da versetzt er ihr einen Schlag an
den Kopf. -- --

Nach dem Schlage stehen beide bewegungslos da. Er hat sie losgelassen.
Er hat sie geschlagen -- und sie bleibt vor ihm stehen, ohne Trotz und
Zorn. Ihre Augensterne werden so groß, daß sie das Weiße ausfüllen.
Dann kommt eine Träne hervor. Er verdeckt mit den Händen sein Gesicht
und sein Leib schüttert.

»Siegmund,« sagt sie in einem wunderlich innigen Ton. »Wenn du mich so
unsinnig gern hast, daß du mich schlagen mußt -- --! Ich hab' ja auch
keinen so gern, als wie dich. Keinen Menschen auf der ganzen Welt. --
Führ' du mich, wohin du willst.«

Der Tonhofer war freilich zu spät gekommen. Im Bräuhause haben er und
der Alte gewartet, dann sind sie hinausgegangen und haben gesucht und
gerufen. Derweil sind die Susanna und der Holzknecht Siegmund oben im
Pfarrhof gewesen und haben sich versprochen.

Wie der Holzknecht nachher allein hinübergeht in seinen Hochwindwald,
begegnet ihm der Sandbichlersohn. »Was ist's, Holzknecht?« ruft er
diesem zu, »verkaufst mir deinen Schildhahnschwanz?« Das ist kein
kleiner Schreck für den Siegmund. Aber ganz unbefangen stellt er sich
und sagt: »Geh, Sandbichler, was du nit plauschest!«

Der Sandbichler macht einen Ruck mit der Achsel, gleichsam: Ich kann
schweigen, kann dich aber auch verraten. Dann geht er seines Weges. Er
hat die Absicht, hinein ins Tal zur Dachdeckerhütte zu gehen und es
nochmals zu versuchen mit der Susanna. Warum just dieses Fleisch und
Blut von Stein sein sollt', das möcht' er wissen. Unterwegs, nicht
weit vom Forsthause, begegnet er dem gräflichen Oberjäger. Der ist in
einer wütenden Erregung. Seine Gnaden, der Herr Graf, kommt in einer
Stunde von der Stadt daher auf den Hahn. Morgen sollt' Jagd sein und
heute früh ist der Hahn abgeschossen worden!

»So, so,« sagt der Sandbichlersohn, »der Hahn ist dir abgeschossen
worden. Nachher schau nur, Jager, daß du den Wilddieb nit derwischest,
sonst kommst auf zehn Jahr ins Zuchthaus.«

»Ich?«

»Freilich du. Weil du ihn niederschießest.«

Dann gehen sie auseinander.

In der Dachdeckerhütte ist der Sandbichlersohn nicht eingelassen worden
am selbigen Abend. Er hat auch kein Begehr danach gehabt. Denn drinnen
ist ein wildes Schreien und Fluchen und Weinen gewesen. -- Wenn der
Vater frägt: Du Sanna, der Tonhofer hat lang' auf dich gewartet beim
Bräuer, daß er mit dir zum Pfarrer geht. Wo bist du denn gewesen? --
Vater, ich bin mit dem Holzknecht Siegmund beim Pfarrer gewesen -- so
ist ein solches Zwiegespräch vergleichbar mit einem Zunder, den man ins
Pulverfaß legt.

Das Unwetter hat gedauert die halbe Nacht, dann sind sie müde gewesen
vor Schreien und Klagen, haben sich in ihre Betten gelegt und hat jedes
für sich gesagt: In Gottesnamen! -- In Gottesnamen! sagt die Susanna,
ich nehm' den, der mir gefallt. -- In Gottesnamen! sagt der alte
Karl, bleib' ich halt mein Lebtag ein armer Teufel. Ist vielleicht eh
g'scheiter, so.

                   *       *       *       *       *

Erfahrene Leute wissen zu sagen, daß manch ein großes Glück, das
viele Jahre lang mit allen Sehnsüchten herbeigefleht, mit allen
Kräften angestrebt wurde, wenn es plötzlich da ist, nicht die Freude
verursacht, die man von ihm erwartet hat.

Sollte das auch dem Holzmeisterknecht Siegmund so ergehen? Seit dem
Tage, da er sich mit seiner Herzallerliebsten versprochen hat, ist
er nicht mehr lustig. Er tut ihr alles, was er kann, zulieb, aber er
ist oft in sich versunken, schweigsam und nicht mehr lustig. Susanna
weiß sich das nicht zu reimen, mag ihn aber auch nicht fragen nach der
Ursache. Am Ende -- denkt sie -- ist es gar, daß ihm der Schlag weh
tut, den er ihr damals in der Aufregung versetzt hat. Mein Gott, dieser
Schlag ist es ja gerade gewesen, der sie zu ihm hingerissen hat. Nach
einem heißen Menschen hat's ihr ja immer verlangt. Weichmütige Leute,
die haben sie nur zum Trotz gereizt. Aber dem Mann, der sie geschlagen
hat, weil sie nicht hat lieben wollen, dem hat sie ~ja~ sagen müssen.

Die Trauung wird angesetzt für einen Sonntag nach dem
Nachmittagsgottesdienst. Aber just noch vor diesem Gottesdienst hat
der Holzknecht die Braut in eine Ecke der Kirchhofmauer geführt und
gesagt: »Oder was meinst, Sanna, ob wir's nit etwa auf ein paar Wochen
verschieben sollten?« Ihre Antwort: »Siegmund, ich versteh dich nit!«
Da ist er mit ihr in die Kirche gegangen.

Die Anwohner des Gottesdienstes sind nach demselben alle sitzen
geblieben. Bei dieser Trauung wollten sie doch dabei sein. Wenn eine
arme Häuslersdirn reiche Bewerber ablaufen läßt, einen um den andern
und einen notigen Holzknecht auserwählt -- ein solches Brautpaar muß
man sich doch anschauen. In ihrem einfachen Sonntagsgewand kommen sie
daher. Er hat im Knopfloch eine Nelke, sie hat in das gescheitelte
Haupthaar ein schütteres Rosmarinstämmlein gewunden -- anders
unterscheiden sie sich nicht von den übrigen. Der Altar trägt keine
Zier, der Pfarrer hat den einfachen Chorrock an und eine abgeblaßte
Stola. Im Gebettone liest er aus dem Buch eine kurze Traurede, dann
schreitet er zur Trauung. Dann kommt, wie es im Lande herkömmlich,
die dreifache Frage. Den Bräutigam frägt der Priester, ob es sein
ernstlicher und ungezwungener Wille sei, diese anwesende Braut zum
Weibe zu nehmen. Der Bräutigam stockt und murmelt ein unentschlossenes
ja. Sie macht es bei derselben Frage kräftiger. Der Priester fragt das
zweite Mal, ob er ihr treu bleiben wolle und all Freud und Leid mit ihr
teilen, bis sie der Tod trennt. Er zögert -- dann antwortet er kaum
vernehmlich ein zagendes ja. Dabei neigt er sein Haupt über die Brust
hinab und ein Zucken geht durch seinen Körper. Susanna möchte versinken
vor Angst und denkt: Er stirbt mir. Aber sie bleibt starr auf ihrem
Stein stehen. So frägt ihn der Pfarrer, und zwar mit nachdrücklicher
Stimme, das dritte Mal um seinen Willen, den ewigen Bund abzuschließen.
Siegmund steht unbeweglich und schweigt. In derselben Sekunde ist kein
Atemzug getan worden in der ganzen Kirche. Da richtet der Bräutigam
sich plötzlich in die Höhe und ruft laut: »Nein! Jetzt nit! Ich kann
nit!« und eilt durch die Sakristeitür davon.

Das Volk in der Kirche ist auf und fährt murrend und fast laut
sprechend durcheinander. Der alte Dachdecker Karl, der hinter dem Paare
gestanden, streckt beide Arme empor wie einer, der im Ertrinken ist,
und schnappt nach Luft. Aber nur ein paar Augenblick' so, dann duckt
er sich unter die Menge. Der Pfarrer ist rasch dem Flüchtigen in die
Sakristei gefolgt. Die Braut steht vor dem Altare unbeweglich wie eine
Säule. Da steht sie nun. Die reichsten und angesehensten Werber hat sie
heimgeschickt. Und der arme mißachtete Holzknecht hat sie verschmäht.
-- -- Endlich wendet sie sich -- und geht auch hinaus.

Aber den Flüchtling hat niemand eingeholt. Die Dorfgasse lief er hinab,
dann hat ihn keiner mehr gesehen.

                   *       *       *       *       *

Die Susanna steht wieder am Herd ihrer Hütte und schlägt mit Stahl
und Stein Feuer, um ihrem Vater die Suppe zu kochen. Arme Leute sind
abgehärtet. In Gottesnamen, denkt sie, auf der Welt geht alles vorbei,
wird auch das nit stehen bleiben. Etliche hätten gerne gewußt, ob sie
ihn liebt oder haßt. Andere haben gemeint, jetzt wäre sie vielleicht
billiger zu haben. Der Sandbichlersohn machte einen Versuch, der
abscheulich mißlang, und der Tonhofer war froh, daß er unbeweibt
geblieben. Eines Abends gehen drei Burschen an der Hütte vorüber und
singen spottweise: »Susanna, nit wana!« -- Und sie weint ja auch gar
nicht. Sie verliert über den durchgegangenen Bräutigam kein Wort, kein
gutes und kein schlechtes. Weil aber der Vater doch immer anfangen
will, seiner zu fluchen, so ist ihr die Zeit am liebsten, da er in der
Arbeit aus ist und sie ihr wehes Gedenken still für sich hat. Wenn
der Vater aber Samstags heimkommt, so ist's halt doch immer wieder die
Frage: »Und kannst dir's denn gar nit denken, Sanna, warum er's hat
getan?« Blickt sie nicht von ihrer Arbeit auf, zuckt die Achseln und
sagt trocken: »Wird ihm halt grad' so gepaßt haben.«

Da ist eines Tages der Brief gekommen. Verknittert, schlecht zugeklebt,
mit gelblich blasser Tinte, von einer Hand, die besser das Holzbeil
führt als die Feder:


                            »Liebe Susanna!

  Bitt' um verzeichen, indem ich dich so in Unehr. Ist schlecht aber
  hat nich andersch Sein können und dich vor den leuten in unehr hab
  gebracht. Jetz mus ich wol hart Büssen und in 5 Wochen dir vor Augen
  treten kann.«

Das ist alles. Kein Ort, kein Datum, kein Name. Aber sie weiß es ja
doch. Und sie schweigt. Als ob nichts wäre, so arbeitet sie in der
kleinen Wirtschaft ihre Tage dahin.

Der Brief muß lange gegangen sein, denn noch vor der angegebenen Zeit
steht der Mensch bei der Hütte am Brunnen. Er hat sein Gewand an wie
damals. Sein Gesicht ist schmäler und blasser geworden, aber gut
rasiert. Seine Augen schauen größer aus, so wie nach einer Krankheit.
Er nimmt einen Schluck Wasser. -- Sie sieht ihn, geht langsam hinaus
und reicht ihm die Hand. Er hält sie fest, schaut sie an und sagt
nichts. Sie führt ihn in die Hütte, setzt ihm eine Schüssel mit Milch
vor, legt ein Stück Brot daneben hin und einen Löffel.

»Ich tu' lieber trinken,« sagt er und führt den Rand der Schüssel zum
Mund. Jetzt, da sie sieht, wie gierig er die Milch austrinkt, kann
sie ihr Herz nimmer verhalten. »Aber, Siegmund!« schreit sie weinend
heraus, »warum hat denn das so sein müssen?!«

Er fährt sich mit seinem zerknüllten blauen Sacktuch über das Gesicht
und tut ein kurzes heiseres Auflachen.

»Wenn's dich gereut hat mit mir, wesweg bist denn jetzt wieder da?«
fragt sie.

»Du weißt es halt nit, Sanna,« sagt er. »Du hast es halt nit
wahrgenommen. Wie wir in die Kirche sind gegangen und am Tor das
Gedräng' ist, streicht mich der Sandbichlersohn an und raunt mir ins
Ohr: Mußt dich schleunen mit der Koplation, in einer Stund' sind die
Schandarm da! -- Da weiß ich, er hat mich verraten. Weil ich den
Schildhahn hab' geschossen und der Sandbichler hat mich dabei gesehen.«

»Und was denn weiter?« fragt sie.

»Jetzt kannst dir's ja wohl denken. -- Hätt' ich dir's leicht antun
sollen, daß mich die Schandarm vom Altar wegtreiben? Da geht einer
schon lieber so. Schnurgerade zum Landsgericht bin ich, hab' mich
gestellt und mein' Sach' abgebüßt.«

Susanne steht da, hält die Hände über der Brust gefaltet und schweigt.
Nach langem Schweigen endlich: »Eines Schildhahns wegen!«

»Ungeschickt genug, daß ich so bin davongelaufen. Und dir eine andere
Schand' gemacht, derweil ich dir die eine hab' ersparen wollen.«

»Und auf mein Leid hast nit gedacht?!«

Er reißt sie an sich und herzt sie und küßt sie.

»Und wenn's gutzumachen wär', Susanna. Freilich hab' ich des Hahns
wegen auch meine Holzmeisterstell' verloren. Bin halt gar nix jetzt ...«

»Ich frag' nit nach Schand' und Ehr' und Holzmeisterstell'. Vier
gesunde Händ' haben wir und wenn du ordentlich ja sagen kannst, so
woll'n wir's halt noch einmal miteinander probieren.«

Ist aus den zwei armen Leuten ein zufriedenes Ehepaar geworden. Und
ist's ihnen am liebsten, wenn sich fremde Leute nicht weiter um sie
kümmern.




                      Das geheimnisvolle Bildnis.


Das Tal von Kapfenberg bis Aflenz kennen zu lernen, kann niemandem
schaden. Es ist ein steirisches Gebirgstal, wie es »im Buch steht«.
Auf dem Boden des Kurortes Steinerhof wandelnd, sieht man noch die
schönen Berge des Rennfelds, des Flonings und andere Almen im freien
Sonnenschein. Wir wandern den Thörlbach entlang aufwärts bis zum
Felsenblock, auf welchem die grünen Almen des Floning aufgebaut sind.
Hier engt sich das Tal; an beiden Seiten steile, üppigbewaldete
Berghänge, an den Lehnen manch kleines Äckerlein oder eine Matte mit
Heuduft. Im tiefen Grunde die weiße breite Straße mit massigem Geländer
hin und hin, und mit den drei Telegraphendrähten darüber. Daneben
rauscht und tost zwischen wuchtigen Felsblöcken das Wasser, oder es
wallt rasch und weiß über die Steine hin, die in den Jahrtausenden
von der grünlichen Alpenflut glatt geschliffen worden sind. Wo neben
Straße und Fluß noch ein grünes Wieslein Platz hat im Tale, da liegt
es zwischen Silberweiden, Schlehdornsträuchern und Eschen. Dort auf
dem Hange oder hier in der schattigen Nebenschlucht blinken zwischen
Linden, Ahornen oder wilden Kirschbäumen die taubengrauen Dachbretter
eines Hauses hervor, ein wehmütig Denkzeichen an die Zeiten, da diese
Berge noch traute Heimstatt fleißiger Bauern gewesen sind. Jetzt
versinkt alles in die Schatten der aufwuchernden Wildnis, und nur der
stattliche Eisenhammer im Talgrunde sucht mit dem Klingen seiner
Werkzeuge das Jodeln und Jauchzen zu ersetzen, das ehedem die Gegend
belebt hatte. (Die Eisenbahn, die heut' durch das Tal zieht, ist zur
Zeit dieser kleinen Geschichte noch nicht gewesen.)

So schlängelt sich das Tal zwischen den waldigen Bergen hin, und
oft muß der Weg den rollenden, grollenden Bach auf festen Brücken
überspringen. Dann wieder eine räucherige Holzhauerhütte, deren Fugen
der Wandzimmerung mit Kalk verklebt sind; davor, schier unter dem
Schatten des aufsteigenden finsteren Fichtenwaldes, ein Gärtlein mit
kümmerlichen Kohlpflanzen und freundlichen Nelken.

In einer dieser Holzhauerhütten war ich Zeuge eines Strafgerichtes
gewesen. Nachbarsjungen waren in den Ziegenstall gedrungen und hatten
ein Zicklein entführt. Einer hatte sogar ein Schußgewehr bei sich, um
dem Kohlenbrenner die Hühner abzuschießen. Ich kam hier gerade zurecht,
wie die Jungen vom eigenen Vater den Lohn erhielten; aber einer davon
sagte während der Prügel zu seinem Vater: »Schlag' zu, schlag' zu! Bist
selber ein Wilddieb!«

Ein paarmal leuchtet aus dem Hintergrunde dieses Tales über dem
Waldkamme das weiße Gewände des Fölzsteins auf, denn endlich treten wir
in das engere Bereich der Hochschwabkette. Das Thörl bei Aflenz mit
seiner uralten Felsenruine ist der Eingang. Hier gehen an beiden Seiten
von den Hängen Felsenrippen nieder, die das ganze Tal einengen nicht
bloß zu einem Tor, sondern sogar zu einem Törl, durch das zwischen
dem stattlichen Eisenwerk und anderen Gebäuden, die sich gerade hier
festgestellt haben, Straße und Fluß nur mit Mühe durchkommen. Knapp
hinter der Enge zweigt sich das Tal; links geht's nach St. Gilgen und
ins Herz der Schwaben hinein. Da drinnen steht auch jenes Wirtshaus, wo
einmal ein übermütiger junger Mensch gebührend bestraft worden ist, wie
der Verlauf dieser Darstellung zeigen wird.

Saß also damals -- als ich an einem himmelblauen Sommernachmittag in
goldener Jugendseligkeit dem Tale entlang wanderte -- im beschriebenen
Thörlgraben, unter dem Schatten einer Esche, ein lieblich Dirndl. Auf
dem Schoß hatte es in blaues Tuch geschlagen einen flachen viereckigen
Gegenstand, auf den es die Hände legte. So saß es da und schaute
mir entgegen. Ich wußte nicht, wollte es auf mich warten oder mich
vorüberziehen lassen, nahm aber das erstere an. Ein Vollgesichtlein
hatte es und zwei kugelrunde Augen drin und ein feines Näschen, das
sich so ein wenig aufstülpte, als wollte es sagen: »Bitte, wenn du
bei den Lippen was zu tun hast, ich steh dir nicht im Weg'!« Und das
Lippenpaar! Zwei rote, sanft aneinander liegende Kißlein, so harmlos
preisgegeben den Blicken des herannahenden Knaben. Ein blaues Tuch
hatte die junge Maid um das Haupt gebunden und darunter schlängelten
sich an den Stirnseiten so ein paar Goldlockenringlein herab, daß es
schon des Teufels war.

Ich setzte mich zum Mädel hin, der Stein war breit genug für zwei, nahm
sie bei der Hand und sagte: »Das ist schön von dir, Mariandl, daß du
auf mich wartest.«

Wer wochenlang Zeit hat, der mag die Bekanntschaft mit einem herzigen
Mädel unter »Sie« anheben; auf der Wanderschaft ist mir diese
Umsiederei immer zu langweilig gewesen.

»Warten tu' ich ja nicht,« lachte sie, »ich will nur ein bissel rasten,
weil ich in Kapfenberg gewesen bin, und Mariandl heiß' ich auch nicht.«

»So?!« rief ich, »hab' doch gehört daß in der Aflenzer Gegend alle
sauberen Dirndeln Mariandl heißen. Was tragst du denn da?«

»Da drinnen, da?« fragte sie und hob den tafelartigen Gegenstand ein
wenig empor. »Das sag' ich nicht.«

»Sicherlich eine schöne Heiligkeit.«

»Nein, kein Heiligenbild ist es nicht,« schmunzelte das Dirndlein.

»Oder der Liebste!«

»Keinen Liebsten hab' ich nicht.«

»Oder hast dich gar selber malen lassen!«

»Jawohl, gewiß!« lachte sie auf; »malen lassen werde ich mich! Wer mich
sehen will, der soll zu mir selber kommen.«

»Das habe ich getan. Malen kann man dich doch nicht. Der Maler täte
früher mit der ganzen Staffelei niederbrennen vor lauter Lieb'.«

»Da müßt' man halt löschen,« meinte sie.

»Und ich möcht' so gern sehen, was du da drinnen für ein schönes Bild
hast.«

»Ja, das glaub' ich!«

»Dirndel, zeig' es mir!«

»Das zeig' ich nicht her,« sagte sie schalkhaft und legte die Hände
fester über die verhüllte Tafel. Als ich sie des Rahmens wegen ein
wenig befühlen wollte, schob sie meine Finger weg, sagte, sie könne
ihre Lebenszeit hier nicht versitzen, und machte sich auf den Weg. Ich
ging mit ihr und wir plauderten gemütlich dahin.

»Wie alt bist denn schon?« war meine Frage.

»Kann Er gut raten?«

Ich streckte meine zehn Finger aus: »Doppelt so viel!«

»Höher, Peter!«

»Höchstens noch einen dazu!«

»Stimmt.«

Bei manchem Stadtfräulein dürfte man beim Erraten der Lebensjahre der
Wahrheit nicht so nahe kommen.

Nun begegnete uns eine Kreuzschar, die aus Mariazell kam. Hinterdrein
kristelte einer nach, der vielleicht bei der Rast in Aflenz sein Leben
etwas zu sehr durchgeistigt hatte; er traf die Straße nicht immer
haarscharf und trollerte ein paarmal an die Telegraphenstangen.

»Aber der ist fromm,« sagte meine Begleiterin, »der telegraphiert sogar
seinen Rausch nach Mariazell!«

Ich fragte sie nun, unsere Unterhaltung wieder anknüpfend, ob auch sie
einmal in Mariazell gewesen sei.

Sie verneinte es.

»Aber,« bemerkte ich nach dem bekannten Bauernspruch, »jedes Dirndel
muß ja neunmal nach Mariazell wallfahren gehen, bis es einen Mann
kriegt!«

»Ja,« entgegnete sie, »und ein Mann muß neunmal nach Mariazell
wallfahren gehen, bis er das Weibsbild wieder losbringt. Unser alter
Knecht sagt's. So einen Spott brauch' ich nicht. Ich mag keinen Mann.«

»Da hast ganz recht. Die Burschen sind auch viel feiner. Geh, Dirndel,
gib her dein Bild, ich will dir's tragen.«

»Dazu bin ich schon selber stark genug,« war ihre Antwort, und dabei
nahm sie die verhüllte Tafel noch fester unter den Arm.

»Woher hast sie denn?« wieder meine Frage.

»Vom Kapfenberger Glaserer.«

»Was ist denn drauf?«

»Das braucht Er nicht zu wissen.«

»Wo gehst denn hin damit?«

»Heim.«

»Ich geh mit dir.«

»Der Weg ist breit genug dazu.«

»Wo wirst denn das Bild aufhängen?«

»Halt über der Stübeltür.«

»Zu deiner Schlafkammer?«

»Kann schon sein.«

In dem Augenblick stand's bei mir fest: Du gehst mit ihr! Sie mag
hingehen, wo immer.

Vor dem Wirtshaus in Thörl werde ich sie -- so viel mir noch
erinnerlich ist, und was auch schicksam war -- gefragt haben, ob sie
nicht einkehren wolle? Nein, sie könne auch daheim trinken. Wartete
aber doch nicht so lang'. Auf dem Wege gegen St. Gilgen, unter einem
verknorpelten Ahorn, ist ein Brunnen. Zu dem beugte sie sich nieder,
nutzte die hohle Hand zu einem Schöpfer und trank.

»Kalt ist's!« sagte sie und schlenkerte von der Hand das Nasse.

»Jetzt geschwind ein Busserl drauf, daß es warm wird!« war mein Rat.

»Warum denn nicht!« sagte sie und trocknete die Lippen, »ein Busserl in
Ehr'n geb' ich Bauern und Herrn.«

»Und laß mir auch das Bild ansehen. Geh, deck's auf!«

»Oha!« rief sie, und es war so weit, daß sie mir die Tafel entwinden
mußte. »Da zeig' ich's nicht her, weil Er so gamerig (darnach lüstern)
ist! just nicht!«

Etliche Minuten später trat sie in ein Haus, über dessen Türe
Fichtenreisig und Hobelspäne winkten. Wein und Bier! Also ein
Wirtshaus. Und da ist sie daheim. Um so besser, da kehrt man ein und
bleibt über Nacht, wenn's zu spät zum Weiterwandern wird. Also ins Haus.

»Gott sei Dank!« sagte sie und legte in der Stube ab, dann zu mir
gewendet: »Was schaffen wir?«

Ich aß und trank. Es waren ein paar lustige Burschen und Dirnen da, sie
tranken Apfelmost und Branntwein und tranken einander, und auch mir und
meiner »Mariandl« auf gute Gesundheit zu. Stadtleute, die immer oben
hinaus wollen, trinken sich ein »Hoch« zu, Landleute »gute Gesundheit«.

Um so viel sind diese klüger. Endlich, als die Burschen und Dirnlein
recht viel Gesundheit in sich hatten, gingen sie davon.

Ich blieb zurück und machte mir mit dem Dirndl zu schaffen. Als sie
neben mir auf der Bank saß, legte ich meinen Arm sehr gesittig auf ihre
Achsel, und es war wieder die Sprache von dem verdeckten Bilde.

Weil es mittlerweile dämmerig geworden war, so meinte sie: »Jetzt
warten wir schon damit, bis das Kerzenlicht kommt, daß wir eine gute
Beleuchtung haben.«

»Auch gut. Wir können bis Mitternacht trinken, mir macht's nichts, und
hier gibt's weder einen Nachtwächter, noch sonst einen Büttel. Wir
können eins singen miteinander und lustig werden, mir macht's nichts.
Gelt, dir auch nicht?«

Endlich, als sie mit ihrem Vater und dem kleinen Gesinde Milchsuppe
und Salat mit Speck gegessen und einiges von Kapfenberg ausgesagt
hatte, ging sie an die Tafel, die auf einer Bank an der Wand lehnte,
band die Tuchecken auseinander und schlug sie zurück. Daß ich, den
Kerzenleuchter in der Hand, nahe hinter dem Dirndel stand, daß ich mit
sehnsüchtiger Augenlust auf das Bild blickte, welches so geheimnisvoll
getragen und bewacht worden war und welches jetzt enthüllt wurde -- ist
leicht zu glauben. Die Hülle fiel und ich sah.

-- -- Wie heißt es in jenem Gedichte? »Auf ewig war seines Lebens
Heiterkeit dahin ...«

Die Polizeiordnung. An der Wand lehnte frisch enthüllt die
Polizeiordnung in Glas und Rahmen.

»Von der K. K. Statthalterei wird strengstens kundgemacht« usw.

»Und jetzt schlafen gehen!« sagte der Wirt. »Mariandl, führ' den Herrn
auf die Bodenkammer!«

Aus der Küche kam ein altes, schiefäugiges Weibsbild gewackelt, das
nahm die Kerze und knurrte mich an, mitzukommen. ~Das~ war die Mariandl.

Am nächsten Morgen, als ich wohlausgerastet in die Gaststube trat, war
die Sonne da und der Kaffee und das freundliche Dirndel von gestern.
Und die Polizeiordnung hing über der Tür zum Nebenstübel.

Ich verlangte nach dem Wirt, um zu rechnen. Das Dirndel nahm die
Kreide und sagte, ich hätte ~gestern~ die Rechnung ohne den Wirt
gemacht, ich möge es heute nur auch tun. Sie betrage just zwei Gulden,
und froh sollte ich sein, daß sie mir keine größere machen könne.

Zwei Gulden! Darauf war nun mein Handwerksburschenbeutel freilich nicht
gefaßt. Aber sie hat recht, dachte ich, 's kunnt schlimmer sein!

Zur Gesundheit! Am nächsten Morgen schrieb ich in mein Tagebuch: »Wenn
das Dirndel hübsch ist, so lockt es die Burschen selbst mit einer
Polizeiordnung ins Haus.« -- Gott, wenn so ein dummer Junge gefoppt
wird, das ist zu lustig!




                       Sein Geld will er haben.


An einem nebelgrauen Märztage war's im Jahre des Heils 1811. Der
Stockbattner werkte in seiner Geräthütte umher und besserte Pflug und
Egge aus. Denn es kam die Zeit zum Ackern. Der Stockbattner war ein
noch junger Mann, der die Tabakspfeife, wenn das Feuer ausgegangen war,
nicht noch im Munde baumeln ließ, sondern sie weglegte und sich nicht
sobald Zeit nahm, sie wieder anzuzünden. Er hatte vor kurzem erst den
Bauernhof übernehmen müssen; sein rüstiger Bruder war schon früher zu
einem Nachbarn als Knecht gezogen, um sich Geld zu verdienen; sein
altes mühseliges Elternpaar war bis zum letzten Ende im Hause geblieben
-- also hieß es jetzt tapfer anschieben, um die Wirtschaft zur Not im
Gange zu halten.

Dem Pfluge fehlte ein Sech, er stemmte es ein; dem Rade mangelte ein
Reifen, er schlug ihn an; der Egge gingen etliche Zähne ab, er setzte
sie ein -- der Ungeschicktesten war er keiner, gab es Schmiede-,
Wagner- oder Zimmermannsarbeit, er wußte anzugreifen und nachzuhelfen.
Natürlich, wenn wir die auf dem Hofe liegenden Schulden tilgen sollen,
wenn wir die Gebäude ausflicken und die Grundstücke in bessere
Tragfähigkeit bringen müssen, wenn wir am Ende gar noch heiraten
wollen, da muß man wohl überall nach dem Rechten sehen und Bescheid
wissen.

»Mir scheint, du hast mit dem Werkzeug dein G'frött,« redete den Bauer
jemand an. Er schaute von seiner gebückten Stellung auf, stand sein
Bruder Jakob hinter ihm.

»Ah, du bist es,« lachte der Stockbattner, »hab' mir schon nicht
denken können, wer heut' dahersteigen kunnt. Ja freilich hab' ich mein
G'frött; es ist hübsch alles zerlempert umundum, und wenn das Werkzeug
nichts nutz ist, wird die Arbeit auch nichts nutz. Weißt eh, wie's
geht.«

»Wenigstens ist jetzt alles dein,« sagte der Jakob.

»Wär' schon recht, wenn ich erst einmal die Schulden weggezahlt hätte.
Willst nicht ein bissel in die Stuben hineingehen und abrasten, Bruder?
Mit einem Glasel Schnaps kann ich dir aufwarten. Sonst bring' ich halt
nichts für. Wenn die Hauswirtin fehlt, weißt eh.«

»Schnaps mag ich alleweil,« beschied der Jakob, und sie gingen ins
Haus, wo der Bauer den Bruder mit Zwetschkenbranntwein und Schwarzbrot
bewirtete. Der Jakob schnitt sich vom Brotlaib ein großes Stück ab,
machte in diesem dann mit seinem Taschenmesser mehrere Querschnitte, um
es solchergestalt brockenweise in den Mund stecken zu können.

»Hast kein' Speck dazu?« fragte er.

»Der tausend ja, Speck, ei freilich! Bin wohl ein schlechter Hauswirt,
ich, daß ich nicht daran denk': Mußt mir's schon nicht für übel
halten.« Damit beeilte sich der Stockbattner, aus einem rußigen
Küchenkasten das Gewünschte hervorzuholen. »Laß dir's nur schmecken,
Bruder. Mich gefreut's. Weißt eh, daß es mich allemal gefreut.«

Und als der Bruder Jakob sich tapfer geatzt hatte, das Taschenmesser
zuklappte und den Mund mit der breiten Hand abwischte, pfiff er dem
Bauer ein Liedel ins Gesicht und sagte hierauf gemütlich: »Weißt, warum
ich da bin? Was glaubst?«

»Das Heimatshaus sucht der Mensch gern manchmal auf. Ist auch recht.«

»Hau, das Heimatshaus!« lachte der Jakob. »Bin ja doch fremd, seit du
darauf sitzest.«

»Aber Bruder!«

»Bin ja hinausgebissen worden.«

»Aber Bruder Jakob! Du hättest ihn doch haben können, den Hof, hast ihn
nicht genommen, hab' halt ich mich müssen dranmachen, daß er nicht in
fremde Hände kommt. Weißt eh.«

»Ist gut,« brummte der Jakob mit einer unwilligen Handbewegung. »Wir
wollen nicht streitend werden. Ich bin nur da, Bruder, um dir zu sagen,
daß ich mein Geld haben will.«

Der Stockbattner schaute ihm eine Weile forschend ins Gesicht. »Das
wird doch nicht dein Ernst sein.«

»Ich will mein Geld haben.«

»Wärst aber nicht gescheit, Bruder! Ja, zu was brauchst es denn auf
einmal?«

»Das ist mein Sach'. Ich wart' nimmer zu.«

»Um Gottes-Christi willen, woher sollt' ich jetzt auf der Stell'
fünfhundert Gulden nehmen?«

»Fünfhundertachti, mein Lieber! Schenken tu' ich dir keinen Kreuzer.
Lieber einem wildfremden Menschen, wie dir.«

»Und um mir das zu sagen, hast dir die Gurgel mit Speck einschmieren
müssen?«

»Wenn du mir das Stückel Speck neidest -- soll dir vergütet werden.«

»Ach nicht so, nicht so, Bruder. Wer wird so was denken! Ist dir wohl
vergunnt. Nur mit der Forderung tu' mir noch ein bissel warten, ich
bitt' dich gar schön. Woher sollt' ich's nur nehmen? Die Ochsen sind
noch nicht feist. Hafer verkaufen kann ich erst im Herbst, weißt
eh. Die vielen schlechten Jahre her -- in der Franzosenzeit. Die
schreckbaren Abgaben alleweil, es ist hart hausen. Die Leich' von Vater
und Mutter, die wir so schnell nacheinand' verloren, haben auch was
gekostet.«

»Hau, soll ich, der arme Bauernknecht, die Alten noch ins Grab zahlen,
meinst?«

»Aber Jesses, wer redet denn von so was!«

»Wo ich eh verkürzt genug bin worden!«

Nach einem Weilchen versetzte der Stockbattner: »Sei doch nicht gar so
harb, Jakob. Ich will gern mit dir tauschen und ich will dir nachwarten
mit dem, was nachher ich von dir zu kriegen hätt'.«

»Was nutzt die Rederei!« unterbrach der Jakob, »ich will mein Geld
haben, in acht Tagen will ich's haben, sonst wirst sehen, was
geschieht.«

Damit goß er noch ein Gläschen Schnaps in seine Gurgel, stand auf und
ging fort.

Der Stockbattner trottete wieder hinaus zu seinem Pfluge und arbeitete
gelassen wie vorher daran herum. Am Abende aber, als es dunkel wurde,
und das Gesinde in der großen Stube herumsaß und auf das Nachtmahl
wartete, welches eine alte Magd in der rauchigen Küche zusammentat,
ging der Bauer hinab in den Torhof. Im Vorhause dieses Hofes,
bei einem Kerzenlichte, tat die saubere Haustochter Mali Leinwand
glätten. Die übrigen Hausbewohner waren in Stuben, Kammern und Ställen
zerstreut und kümmerten sich nicht drum, daß der Stockbattner neben dem
bügelnden Dirndl saß und mit ihm plauderte. Das geschah ja oft, daß
die so plauderten, und ist weiter auch kein Geheimnis, daß die zwei
zusammenhalten.

»Ja, so geht's,« hatte der Stockbattner angefangen, »immereinmal ist es
schwer, Mensch zu sein.«

»Was hat's denn?« fragte das Mädchen teilnehmend.

»Jetzt kann's erst sein, daß alles miteinander nichts wird, was wir uns
so fein ausgedacht haben, allzwei. Weißt eh.«

Sie ließ das Bügeleisen stehen auf einem Fleck, und schier zu lang.
»Schrecken tust einen, Seppel!« hauchte sie, da hatte das Linnen schon
eine leicht versengte Stelle.

»Mein Bruder ist heut' bei mir gewesen.«

»Der Jakob?«

»Ja, der Jakob.«

»Ist's dem leicht nicht recht -- unsertwegen!«

»Ah, davon hat er nichts gesagt. Sein Geld will er haben.«

»So gib ihm's.«

»Jesses, Mädel, wenn ich's nicht hab'. Ich müßt' rein ein Grundstück
verkaufen, oder sonst was, aber der Stockbattnerhof hat nichts übrig,
weißt eh. Und hat ja nichts einen Wert jetzt.«

»Grundstück darfst kein's verkaufen und sonst auch nichts, wenn nichts
übrig ist und nichts einen Wert hat.«

»Aber woher nehm' ich das Geld?«

»Ja, mein Mensch, das weiß ich halt auch nicht.«

»Wenn er mir nur wenigstens bis Pfingsten warten tät', nachher hätt'
ich vielleicht ein paar Ochsen -- klecken aber nichts.«

»So geh, schau, bitt' ihn halt noch einmal, daß er dir bis Pfingsten
warten tut; das Paar Ochsen, kleckt es nicht viel, so kleckt es ein
bissel, und das übrige zahlst ihm im Herbst.«

»Und sonst --« sagte der Stockbattner scheinbar zerstreut, »sonst
kannst mir keinen Rat geben?«

»Wenn mein Vater was hätt', der wollt' dir's gewiß gern leihen, aber
er hat halt auch kein Bargeld. Das Geld ist halt frei so viel klug
(spärlich).«

Mit solchem Bescheide stieg der Bauer wieder sachte hinan zu seinem
Hof. Er dachte hin und er dachte her, was da zu machen wäre, aber es
fiel ihm nichts ein.

Am nächsten Tage war Sonntag. Nach dem Gottesdienst lud der
Stockbattner seinen Bruder Jakob ein auf eine Halbe Wein beim »Adler«.
Der Bruder ließ sich nicht lange bitten, tat dem Glase wacker Bescheid
und bemerkte noch, zu einem so guten Wein gehöre auch ein guter
Rostbraten.

»Haben sollst ihn, Jakob!« rief der Bauer und hieb ihm launig die Hand
auf die Achsel. »G'freuen tut's mich, wenn du mir's nicht verschmähst.
Wir sind unser zwei einzige Brüder, wir müssen schön zusammenhalten,
gelt!«

»Ei freilich!« meinte der Jakob und machte sich an den Braten.

Später, beim Auseinandergehen, als der Stockbattner schon dachte:
Gottlob, heut' sagt er nichts davon, hat sich's doch überlegt! -- tat
der Jakob plötzlich noch einen Schritt zurück und sagte: »Richtig, daß
ich nicht vergess', Stockbattner. Am fünfzehnten März muß ich nach
Schirbach zum Notar von wegen meiner G'schrift. Wenn du mir bishin mein
Geld nicht fürbringst, so übergeb' ich gleich auf eins die ganze Schuld
dem Notar.«

»Klagen gehen willst mich?« fragte der Bauer.

»Der Notar wird nicht viel Geschichten machen, der laßt dich pfänden.«
Also der Jakob, wendete sich wegshin und der Stockbattner stand allein
da mit einem langen Gesichte und beklagte fast noch mehr den Wein und
den Rostbraten, als die fünfhundert Gulden. Von diesen war er bloß
neugierig, wie es der Notar angehen würde, ihrer habhaft zu werden.

Als der Bauer demnächst wieder mit der Mali plauderte, sagte er sehr
leise: »Wir halten auch auf weiterhin noch zusamm', gelt, Dirndel?«

Sie schaute ihn an. »Wesweg sollten wir denn nicht zusammenhalten -- wo
wir uns doch versprochen haben!«

»Na, ist recht. Ich hab' nur gemeint, weil's mit dem Heiraten nichts
ist.«

»Du, sei so gut!« begehrte die Thorhofertochter auf.

»Sonst kriegst leicht einen andern ...« murmelte der Stockbattner
betrübt.

»Ja, wart' a bissel, ich werd' ein' andern nehmen!« lachte sie laut
auf, ohne daß ihr der Mund viel auseinanderging. »Ich will deine
Stockbattnerin werden, verstehst? Ich laß mich nimmer abschütteln.
Schau du, das wär' kamod, ein ganzes Jahr gernhaben und nachher
ins Winkel stellen wie einen Strohschneidstock, wenn der Sommer
kommt! Bübel, zum Auseinandergehen müssen ~zwei~ sein. Ich geh nicht
auseinander, daß du's nur weißt!«

»Ja mein du, ich auch nicht. Aber wenn ich halt den Stockbattnerhof
verkaufen muß! dem Erstbesten verkaufen, bietet er, was er will, dafür.
Weißt eh, mein Bruder gibt nicht nach.«

»Will der noch alleweil sein Geld haben?«

»Sicherlich, so lang' bis er's hat. Am fünfzehnten März geht er mich
klagen und laßt mich pfänden. Nachher kann ich gehen vom Haus, wie die
Dirn vom Tanz.«

Die Mali rang über ihrem Magen die Hände: »Das ist doch ein Elend! ein
solcher Bruder! das ist gar kein Bruder!«

»Leider ja, es ist einer, sonst braucht' ich ihm seine Erbschaft nicht
auszuzahlen.«

»Wird gewiß heiraten wollen!«

»Vielleicht -- nimmst ihn,« sagte der Stockbattner; da wurde das Dirndl
wild: »Jetzt weiß ich's, meiner ledig willst sein. Zuerst den Hof
verkaufen, nachher mich beschimpfen auch noch!«

»Jesses, Mali, was sagst? das war ja nur Spaß, wirst doch desweg
nicht weinen! du, weinen darfst mir nicht, das kann ich nicht leiden,
himmelsakra, nein! wenn ich dich so flennen sehen tu', da möcht' ich
gleich am liebsten zuschlagen oder ins Wasser gehen!« er riß ihr die
Hände vom Gesicht und drückte zum Ersatz das seine darauf, daß auch
seine Wangen ganz naß wurden von ihren bitteren Tropfen.

Und nach solchem Zwiste und nach solcher Aussöhnung -- Gott, wie sind
die bitteren Tropfen süß, wenn sie der Liebste von den Augen wegküßt!
-- wurde die Mali wieder ganz ruhig und ernsthaft und fragte: »Seppel,
weißt also kein Mittel, wie du jetzt zu Geld könntest kommen?«

»Und wenn du mich auf den Kopf stellst, ich weiß keins.«

»Gar keins? Gar nicht ein bissel eins?«

»Gar keins.«

»Nachher muß halt ich schauen,« sagte sie. »Geh her da, Seppel, ich muß
dir ein Geheimnis sagen.«

Der Seppel erschrak, ging aber her.

»Noch näher,« sagte sie, »ganz her. So. -- Ich muß dir was sagen,
Bübel. -- Ich hab' Geld. Der verstorbene Klausenmüller, mußt wissen,
der ist mein Vetter gewesen. Hat keinen Menschen gehabt, wie er auf
den Tod krank ist gelegen, und hab' ich ihn gewartet, weil er ja doch
mein armer Vetter ist gewesen. Jetzt, wie er gestorben ist, heißt's,
er hätt' mir um sechshundert Gulden Bankozettel vermacht. Hab' sie
nachher auch bald bekommen mitsamt dem eisernen Trühel. Hab' dich erst
an unserem Hochzeitstag damit überrumpeln wollen. -- Jetzt, Seppel,
wenn du's aber schon jetzt so notwendig brauchst, mir ist nichts um die
Papierfetzen, nimm sie und zahl' ihn damit beim Loch hinaus, diesen
grauslichen Bruder. Und nachher soll er mir nimmer ins Haus kommen. So,
jetzt weißt es.«

Man kann es sich denken, was dem Stockbattner dieses Geplauder für
Vergnügen machte. So war er jetzt auf einmal obenan und konnte, wenn er
nur wollte, nun auch einmal tüchtig grob sein gegen den übermütigen
Jakob, der ihm mit seiner Forderung schon so lange in den Ohren und im
Magen gelegen. --

Der fünfzehnte März. Schon in dunkler Früh' klopfte es an der Tür
des Stockbattners, arg polterte es, und der Jakob draußen rief: »He,
Bruder, ist das Frühstück schon fertig?«

»Ei freilich,« antwortete der Stockbattner, indem er mit Schwamm und
Stein Feuer zu schlagen suchte.

»So mach' doch auf, Seppel!«

»Ja, ja, wenn der Teuxel nicht brennt!«

Als »der Teuxel« brannte, ging er mit dem Leuchtspan und sperrte die
Tür auf.

»Geh nur her, Jakob, iß einen Löffel Sterz mit mir, wenn du warten
willst, bis er fertig ist; wir gehen nachher miteinand.«

Der Jakob ließ sich Sterz und Milch dazu wohl schmecken, dann gingen
sie; auch der Seppel war im Feiertagsgewand.

»Wohin gehst denn du?« fragte der Jakob.

»Ich begleite dich bloß bis zum Nachbar Franzmeier hinüber, weil ich
dich halt so viel gern hab', Bruder, weißt eh.«

»Bauer,« sprach hierauf der Jakob, »mit dem Schmeicheln und Süßreden
richtest du bei mir nichts aus. Du weißt, wohin ich heute geh. Ich geh
nach Schirbach zum Notar, von heut' an sollst schon die Unkosten haben,
ich klag' dich um meine fünfhundertacht Gulden!«

»Ah geh, Bruder, das mußt nicht tun,« antwortete der Bauer bittweise.
»Mußt nicht einen so großen Prügel werfen zwischen dich und dein
Heimatshaus, den du nachher dein Lebtag nicht wieder kannst wegheben.
Bist jetzt gleichwohl ein starker, gesunder Bauernknecht, so kannst
doch nicht wissen, wie es dir gehen wird, und ob du nicht einmal einen
Heimgang brauchst bei mir.«

Der Bauer erschrak fast vor seinem eigenen Worte, das war so gewichtig,
daß es den Jakob schier umstimmen könnte, und um solches war dem
Stockbattner heute durchaus nicht mehr zu tun. Doch der Jakob ließ
sich nicht umstimmen. »Wer ein Geld hat,« sagte er knurrend, »dem
kann nichts an. Von dir werd' ich mir kein Almosen erbitten, das
kannst heilig glauben. Laß es gut sein, ich will von dir und vom
Stockbattnerhof nichts mehr hören.«

»Aber klagen gehst mich doch nicht, Bruder!«

Der Jakob blieb fest stehen: »So gewiß ich da steh, klagen geh ich
dich.«

Bald hernach kamen sie zum Franzmeierhof.

Vor der Tür stand der Franzmeier und sein Schwager, der Stoppel-Zenz,
mit einer Laterne. Beide waren im Feiertagsgewand. Der Stockbattner
ahnte etwas. Er hatte was läuten gehört. Sagte aber nichts ....

»Recht ist's mir, daß ihr beieinander seid,« redete er die Nachbarn an.
»Ihr müßt mir gerad' einen kleinen Gefallen tun. Ich zahl' jetzt meinem
Bruder Jakob die Erbschaft aus, und da wollt' ich euch gebeten haben,
daß ihr mir dabei Zeugenschaft leistet.«

»Wohl rechtschaffen gern,« antwortete der Franzmeier, »ist eh
wunderselten heutzutag', daß man wen zahlen sieht. Kommt doch in die
Stube herein!«

»Ah, 's tut's da beim Roßtrog auch,« entgegnete der Stockbattner, »sei
so gut, Zenz, halt' ein bissel deine Laterne her!« ging zum Pferdetrog,
der am Wege stand, zog die Brieftasche aus dem Sack und legte in den
Trog vor den Jakob hin nagelneue Bankozettel für fünfhundertacht Gulden.

Mit nicht geringer Verblüffung schaute der Jakob drein.

Und als vor den Zeugen das Geld aufgezählt war, sagte der Stockbattner:
»Ich hab's ja gesagt, Bruder Jakob, du gehst mich nicht klagen!«

»Bauer!« brummte nun der Jakob, mit seinen hageren Fingern langsam
die Noten zusammenkrabbelnd, »woher hast denn du jetzt auf einmal das
viele Geld? Das möcht' ich wissen!« Schon die Miene allein, die er dazu
machte, wäre eine Ehrenbeleidigung gewesen, wenn der Seppel sie für
eine solche genommen hätte.

»Also, deine Sach' hast jetzt?« fragte der Bauer. »Hast sie jetzt?«

»Meine Sach' hab' ich,« knirschte der Jakob, bei sich ärgerlich, daß
er nun machtlos war und den Bruder in keine Verlegenheit mehr bringen
konnte.

»Gut, nachher bringst mir vom Notar die Quittung mit.«

»Die kannst auf der Stell' haben, wenn du fürchtest, ich könnt' dich
etwan ein zweitesmal fordern,« sagte der Jakob, dann gingen sie erst
noch in die Stube hinein, wo das Schriftstück ausgefertigt und mit
Zeugenschaft unterschrieben wurde.

»So wär's in Ordnung,« sagte der Stockbattner, das Papier in den Sack
steckend, »und ich geh jetzt wieder heim zu meiner Arbeit.«

»Ja, gehst du nicht mit nach Rottenstein?« fragte ihn der Stoppel-Zenz.

»Was soll denn ich heut' in Rottenstein?«

»Hast du die Vorrufung nicht erhalten?«

»Was für eine Vorrufung?«

»Ist doch gestern der Amtsbot' von Haus zu Haus gegangen und hat
angesagt, daß alle Besitzer als am heutigen Tag Stund acht auf dem
Kirchplatz in Rottenstein sein müßten?«

»Bin gestern nicht daheim gewesen,« entgegnete der Stockbattner, »was
mag's denn da schon wieder geben?«

»Kein Mensch weiß es,« sagte der Franzmeier.

»Gewiß wieder eine große Robot, oder eine Heu- oder Haferlieferung für
die Franzosen.«

»Wer nicht kommt, der hat sich's selbst zuzuschreiben, hat der Amtsbote
gesagt.«

»Wenn's so ist, da muß ich freilich mit,« sagte der Stockbattner, »die
Herren sind grob, wenn man ihren Willen nicht tut, weißt eh.«

Also gingen sie nun mitsammen, die vier Männer, und der Knecht
Jakob machte den kleinen Umweg über Rottenstein, er war schon
auch begierig, zu sehen, was da wieder los ist. -- Die Besitzer!
die Bauerngrundbesitzer! Vielleicht wird ihnen alles weggenommen.
Gesund wär's ihnen! Ein Glück, wer sein Geld im Sack hat und kann's
verstecken. -- So dachte der brave Jakob.

In den Wirtshäusern zu Rottenstein ging's an diesem Morgen recht lustig
zu. Leute gab's überall wie bei der Kirchweih. Voll Erwartung steckten
sie die Köpfe zusammen, keiner wußte was, jeder mutmaßte allerlei.

»Mir träumt halt alleweil,« sagte ein alter Bauer, »und was einem
stehend träumt, das ist selten derlogen! -- mir träumt halt alleweil,
unsere Kontributionen kriegen wir endlich zurück, wie es der Bonaparte
versprochen hat.«

»Ja, ich glaub' es auch,« antwortete ein zweiter, »unser Korn und Heu
und Stroh und Vieh und Holz wird uns jetzt bezahlt, das wir seit Jahr
und Tag den Franzosen haben liefern müssen.«

»Das ist gewiß!« sagte ein dritter, »unsere Sach' wird uns heut'
vergütet. Zeit ist's dazu!«

Und das sprang von Wirtshaus zu Wirtshaus, von Gruppe zu Gruppe: »Geld
gibt's heut'!«

Auch war der Regierungskommissär schon gesehen worden, der mit seinem
schwarzen Schildkäppchen und mit seinem rasselnden Säbel nicht wenig
Aufsehen machte. »Natürlich wird er den Säbel bei sich haben, wenn er
so viel Geld umträgt!«

Die Lustigen vertranken im Wirtshause ihren vorletzten Bankozettel, die
Lustigsten ihren letzten. »Wird ja eh frisch nachgefüllt in die Säcke!«
Auch der Stockbattner ließ sich ein stattliches Glas bringen, da setzte
sich gleich wieder sein Bruder Jakob zu ihm; zu diesem sagte er aber
heute: »Geh, du hast mehr Geld als ich -- weißt eh!« und kehrte sich
mit seinem Glase von ihm ab.

Zur Zeit um halb acht war der ganze Kirchplatz überfüllt mit Menschen.

Alles war heiter, witzig und lachbereit und manche sprachen
untereinander Mutmaßungen aus, auf welche Weise jedem das Seine
eingehändigt werden würde. »Das kunnt sogar noch einen Rummel geben!«
gab einer zu bedenken. »Alle werden gleichviel haben wollen. Aber so
viel Stroh, wie ich, hat keiner geliefert.«

»So viel wie ich, auch keiner!« rief ein anderer.

»Die Strohmänner kommen zuletzt,« sagte ein dritter, »die sollen
warten, was die Korn- und Holzmänner übrig lassen.«

»Wollen schon sehen, wer stärker ist!« schrie der eine zurück und
ballte die Faust.

Schlag acht Uhr stand der Regierungskommissär auf der obersten Stufe
des Kirchentores.

»Am Ende predigt er uns einen neuen Glauben!« flüsterte einer.

»Wär' eine überflüssige Sach', wo wir eh den alten nicht halten.«

»Still seids!« herrschte jemand, »er liest was. Vom Kaiser ist die
Rede!«

»Vom Kaiser!« murmelten sie und drängten nach vorwärts, sie waren doch
allzu neugierig, was ihnen der gute Kaiser Franz mitteilen lassen würde.

Der Kommissär hatte einen großen Bogen in der Hand und las lange
eintönig fort. Plötzlich hob er die Stimme und rief es schallend hin
über die Köpfe: »Wir beschließen demnach, daß die Bankozettel noch mit
dem ~fünften Teil~ ihres Nennwertes vom Staate eingewechselt werden.
Der Bankozettel von einem Gulden (damals hatte der Gulden sechzig
Kreuzer) wird also auf zwölf Kreuzer, der Bankozettel von fünf Gulden
auf einen Gulden bewertet und so weiter, und sind in diesem Betrage
bei allen öffentlichen Kassen unweigerlich anzunehmen. -- Die weitere
Belehrung in dieser Angelegenheit ist gedruckt und bei mir zu haben.«

Als der Regierungskommissär seine Vorlesung geschlossen hatte und nun
seinen Bogen gelassen zusammenfaltete, war es totenstill über den
Hunderten von Menschen. Allmählich erst begannen sie sich zu bewegen
und zu flüstern: »Was ist das gewesen?«

Dort an der Kirchhofsmauer hatte jemand einen heiseren Schrei
ausgestoßen. Derselbe jemand war einer der ersten, denen klar
wurde, was es geschlagen. Der Knecht Jakob war es, der seit einer
Viertelstunde um vierhundert Gulden ärmer geworden. Er taumelte fürbaß.

Ja, ein ungeheurer Geldfall hatte stattgefunden. Haus Österreich --
grausam geschwächt durch »Seine Majestät den Herrn Schwiegersohn«
und anderes Unglück -- hatte zu wenig Vermögen, um das massenhaft
ausgegebene Papiergeld einzulösen; und weil das ein Lump ist, der mehr
gibt als er hat, so gab Haus Österreich nicht mehr, und das übrige --
hebt sich.

Den Kopf mit den Händen haltend, so liefen die Leute in Rottenstein
-- und anderswo wahrscheinlich auch an jenem merkwürdigen Tage --
wirr durcheinander. Die einen fluchten, die anderen lachten! heute
lachten zur Abwechslung gerade solche, die kein Geld hatten. Ja, auf
der Bäuerei lachten eigentlich die meisten. Die liegenden Güter, die
Fahrnisse, die Kuh im Stall, das Stück Brot auf dem Tische, ja sogar
der Taschenfeitel im Sack hatten von dem Augenblicke an, als das Geld
fünfmal weniger galt, einen fünfmal höheren Wert.

Mancher ging nach solchem Schrecken wieder ins Wirtshaus, um auch noch
den letzten Groschen zu vertrinken, aber siehe, der Pfiff Wein, der vor
einer Stunde noch um einen Groschen zu haben war, kostete jetzt fünf
Groschen. Beim Bäcker die große Semmel kostete statt zwei Kreuzer deren
zehn. Der Fleischhauer schmunzelte, als er dem Hausbauer den Braten
anstatt zu zwanzig Kreuzer, zu einem Gulden vierzig Kreuzer rechnen
durfte, aber er schmunzelte nicht lange. Als er dem Hausbauer hernach
ein vier Wochen altes Kalb abkaufen wollte, kostete dasselbe anstatt
neun Gulden deren fünfundvierzig. Jetzt kam die Zeit, da ein Paar
Ochsen eintausendfünfhundert, ein Pferd tausend, eine ordinäre Sackuhr
hundertfünfzig, ein mittelgroßes Bauerngut im Gebirge dreißigtausend
Gulden wert war. Damals vertrank einer an einem Abende beim »Adler«
spielend zwanzig Gulden und verspielte trinkend deren vierzig und
hundert und mehr. Sparsinn und Redlichkeit hatten aufgehört. -- »Was
den Großen erlaubt ist, wird den Kleinen nicht verboten sein.« -- Die
alten Schulden durften nicht nach der alten Ziffer bezahlt werden,
sondern nach der fünffachen neuen. So daß der Stockbattner, als er des
Abends zu seiner Braut kam, ausrufen konnte: »Mali, das Glück, wie
mir's mein lieber Bruder Jakob mit seinem Drängen gut gemeint hat!
Hätte ich ihm heute früh seine Sach' nicht ausgezahlt, so wären wir
ihm jetzt anstatt fünfhundertacht Gulden nicht weniger als schwere
zweitausendfünfhundertundvierzig Gulden schuldig!«

Der Jakob betrachtete die Kehrseite und raufte sich Haar' aus dem Kopf.
Das half aber nichts, dadurch hatte er weniger Haar' und nicht mehr
Geld. Seine fünfhundert Scheine gingen nur mehr für einhundert Gulden,
und da kann man's noch nicht wissen, ob's dabei bleibt; wenn so ein
Teufelszeug einmal anhebt zu purzeln, so purzelt es hinab bis in den
Dreck. Die Bankozettel! was war das für ein kamodes Geld gewesen. Und
jetzt gerade gut genug, um sich damit die Pfeife anzuzünden. Das heißt,
wenn er brennt, der schmutzige Fetzen! -- O Jakob, Jakob! Wie fein wäre
es, wenn dir dein Bruder das Fünfundzwanzigfache schuldig wäre von dem,
was du jetzt im Sack hast! Wie hübsch könntest ihn zwicken und drücken
und abtrennen, ihn gar zum Bettler machen, der du jetzt selber bist!
Ja, wenn man so was im voraus wissen tät'!

Leute, denen er seinen Jammer klagte, meinten fast, die Sache könnte
anfechtbar sein. Alsogleich lief der Jakob zu einem Advokaten. Der
Advokat aber riet ihm, wenn er nicht mehr als hundert Gulden zu
verlieren habe, das Prozessieren sein zu lassen.

Als der Stockbattner es mit seiner Mali Ernst machte, lud er
anstandshalber auch den Bruder zum Ehrentage. Der Jakob aber schrie
herum, nicht sechs Rösser brächten ihn auf diese Hochzeit. Der
Stockbattner sei ein unglaublich falscher Mensch, der habe es zu Fleiß
so eingerichtet, daß er die Erbschaft just und knapp vor dem verdammten
Geldfall hinausbezahlt!

Darob kränkte sich die Mali, und was die Leute sagen würden, wenn der
einzige Bruder des Bräutigams fehle?

»Der Jakob ist halt jetzt ein bissel gewissensbissig,« antwortete der
Seppel, »wir werden aber auch ohne seiner eine lustige Hochzeit haben,
denk' ich. Wir werden uns die Zeit schon vertreiben -- weißt eh.«




                          Die guldene Grete.


»Es begeben sich in den Stand der heiligen Ehe: Der Bräutigam Michael
Rehling, katholisch, großjährig, Besitzer des +vulgo+ Seesteinerhofes
in hiesiger Pfarre. Die Braut Maria Haldegger, katholisch,
minderjährig, derzeit in Dienst beim Bauer an der Wand. Dieses
Brautpaar wird heute zur Aufdeckung eines allfälligen Ehehindernisses
öffentlich verkündet zum erstenmal.«

So las es der Pfarrer von der Seeau auf der Kanzel aus einem großen
Papierbogen der Gemeinde vor.

Es war das Fest der heiligen drei Könige.

Die Gemeinde war im Festkleid und in Festfreude versammelt, und
vor dem mit frischen Tannenzweigen umgebenen »Krippel« -- der
bildlichen Darstellung von unseres Heilandes Kindheit -- brannten zwei
Wachskerzen, die heute nicht, wie sonst gern, nach einer Seite hin
abrannen, da es sehr kalt war und das Wachs gefror ganz nahe an der
Flamme.

Wenn plötzlich die Tür aufgegangen wäre in allen Angeln, und die
heiligen drei Könige mitsamt ihren goldenen Kronen und Schätzen, und
ihren Mohren und Kamelen und mit ihrem Stern hochfeierlich durch die
Kirche gezogen wären, und hin zum Krippel, es hätte kaum so viel
Aufsehen gemacht unter den Leuten, als die Verkündigung der Heirat
des jungen Seesteiners und der Maria Haldegger. Der Seesteiner, ein
Bursche, stramm und frisch, hoch und stolz wie ein junger Tannenbaum,
dem der größte Hof gehörte jenseits des Sees. Sein Hof stand da wie
ein Schloß, und seine Waldungen waren so groß und weit, daß, wenn
neun Jäger in demselben zu gleicher Stunde ihre Gewehre abschossen,
einer von dem anderen keinen Schuß hörte und keinen Hall. Vorwitzige
Leute nannten den Seesteiner den Gaugrafen, weil ihm schier alles
untertan war weit und breit. Wenn dich in der Gegend ein böses Wetter
überraschte, und du stelltest dich unter eine buschige Tanne, so
standest du unter einem Seesteinerschen Schirmbaum, und wäre auf dem
Seesteinergrunde keine Quelle aufgeronnen, die ganze Pfarre hätte
verdursten müssen, und die hunderttausend Forellen im See dazu.

Das Altarbild der Seeauer Kirche stellte den heiligen Erzengel Michael
dar; aber gar viele Seeauer und Seeauerinnen, wenn sie davor ihre
Andacht verrichteten, dachten dabei schier gottlos an den Michael
Rehling; der war es eigentlich, was das Altarbild vorstellte: der
Schutzengel, der Erzengel, der Patron der Gemeinde.

Und Maria Haldegger war die arme Dienstmagd, im Sommer auf der Alm, wie
hundert andere, im Winter beim Bauer an der Wand, bei dem ein Festtag
war, wenn sie sich einmal an der Haferbrotsuppe satt essen konnten.
Kein Mensch, außer vielleicht ein armer, pechiger Waldteufel, hätte
sich um die Maria Haldegger gekümmert, wenn im letzten Sommer mit ihr
nicht etwas vorgefallen wäre, was eben nicht gar oft vorfällt.

Ein Prinz, der einen so klingenden Namen hatte, daß sie ihn in der
halben Welt hörten, war auf der Jagd dagewesen, hatte die Maria
Haldegger auf der Alm gesehen, und hatte sich ausgerechnet in sie
verliebt, und hatte ihr einen Ring geben wollen, der zweimal so viel
wert war, wie das ganze Bauernhaus an der Wand. -- Die Maria Haldegger
aber hatte gesagt: »Nichts für ungut, Herr Prinz, ich bitt', aber für
Guld und Geld und alle Herrlichkeit der Welt ist eine ehrliche Magd
nicht zu kaufen. Wollt Ihr's aber redlich meinen, so fragt bei meinem
Paten an; ich kann nichts versprechen.« Der Prinz hat sich zufrieden
gegeben und die Maria Haldegger nur noch ersucht, daß sie ihm für
mehrere Stunden möge Unterstand gewähren auf ihrem Heuboden, da schon
die Nacht käme. Aber die junge Magd hat ihm's rundweg abgeschlagen, und
der Prinz ist zornig davongegangen bis zur nächsten Almhütte.

Zwei alte Seesteinersche Jäger, die -- ohne daß es die Maria wußte --
hinter der Hütte auf dem Moos gelegen, haben den Vorgang belauscht und
haben ihn erzählt im Wirtshause der Seeau, und jenseits des Wassers,
und überall, wo Schick war zum Erzählen.

Da hat denn alles weit und breit von der Maria Haldegger gesprochen,
und der Bauer an der Wand hat nur so lächelnd mit dem Kopf genickt,
wie seine wackere Magd im Herbst von der Alm zurückgekommen ist und
Rechenschaft abgelegt hat über alles, was sie auf der Alm zu verwalten
gehabt.

Es kam der Winter, es fiel klaftertiefer Schnee, es fror der See. Es
war Jagen im Wald, der junge Seesteiner ging oft mit der Flinte am Dorf
vorüber, und ging gegen die kleinen Bauerngüter hinaus, und stieg die
Holzleiter der Loserwand hinan gegen die Waldhöhen. Zu Weihnachten war
großes Eisschießen auf dem See, und jetzt zu Heiligendreikönig wurde,
unerwartet wie ein Blitz vom Himmel im Eismonat, die Neuigkeit von der
Kanzel verkündet.

Das also war heute, und als hierauf das Hochamt abgehalten wurde,
betete kein Mensch ein andächtig Vaterunser, jeder und jede mußte
fortwährend an das Brautpaar denken und sich verwundern.

Der Seesteiner saß heute im hintersten Stuhle des Chores; seine
Braut war gar nicht in der Kirche. Noch bevor der letzte Segen und
die Sprenge -- das Bespritzen der Gemeinde mit Weihwasser durch den
Priester -- zu Ende war, verließ Michael die Kirche und eilte seines
Weges.

Er ging nicht über den See seinem Gehöfte zu, er nahm die Richtung
gegen die Wand. Als er nach dem tiefen Schneepfade durch die Halde
schritt, kreischte ihm eine Stimme nach: »Laß Zeit, Herr Bräutigam!
Hast aber eilig.«

Die »guldene Gret« war's, ein kaum vierundzwanzigjähriges Mädchen mit
krausen, gelblichten Locken, falben Augenbrauen und stets geröteten,
zuweilen sommersprossigen Wangen. Sie war mehr klein als groß, hatte
eine sehr geschmeidige Gestalt, hatte gern ein Lächeln um den scharfen
Mund, konnte schmeicheln und spotten und näschenrümpfen und liebäugeln,
wie gar keine mehr sonst um den ganzen weiten See. Sie war die Tochter
einer Häuslerin. Man kannte sie als ein leidenschaftliches Mädchen,
zuweilen boshaft, zuweilen gar ein wenig bösartig, und dann doch wieder
hochsinnig zum Erstaunen. Man nannte sie die »guldene Gret«, weil sie
goldhaarig war, und weil sie das Gold wohl zu schätzen wußte, mehr wie
manch andere auf der Alm.

Die Gret ging zuweilen wurzelgraben und kräuterrupfen auf die Alm, aber
ihr wollte ein Prinz nimmer begegnen. --

Der junge Mann blieb nun auf den Ruf stehen.

»Magst mich heut' nimmer über den See rudern, junger Herr Seesteiner?«
sagte das Mädchen, ihm näher kommend.

»Der See ist gefroren,« entgegnete Michael kurz.

»Aber ich bin's nicht,« rief sie, »ich weiß noch recht gut eine warme
Kirchweihnacht --«

»Wo ich dich aus Gefälligkeit über den See geführt habe.«

»Wo du mich an dich gezogen hast --«

»Weil du mir sonst im Finstern leicht über den Rand gefallen wärest.«

»Wo du mir die Liebschaft mit dem Holzmeisterfranzl abgeredet hast --«

»Weil er leichtsinnig ist und Weib und Kind nicht ernähren kann.«

»Du hast damals gesagt, daß du meine alte Mutter unterstützen wolltest.«

»Das tue ich, weil sie eine arme Frau ist.«

»Michael, du hast gesagt, daß du heiraten wollest, und daß dir kein
Mädchen zu arm und zu gering sei --«

»Das hab' ich nicht vonnöten, ich schau nur auf die Bravheit.«

»Und daß du redlich seiest und keine betrügen wollest!«

»Das hab' ich gesagt und gehalten.«

»Aber du hast mich an der Hand genommen, an dich gedrückt, und ich habe
den Franzl fahren lassen, und hab' keinen mehr angeschaut, und hab'
gearbeitet im Taglohn, und bin brav gewesen, und nur an dich hab' ich
gedacht. -- Michael, du bist ein Falscher. Der Teufel soll in deine
Maria fahren!«

Die Gret lief davon, sie war wild anzusehen; sie ballte die Fäuste
gegen den Bräutigam, und als sie hinauf kam zum Waldrande, warf sie
sich in den Schnee, und schlug mit den Händen um sich, daß der dichte,
weiße Staub auseinanderstob nach allen Seiten.

Michael schritt ruhig weiter, sein Gewissen warf ihm nichts vor. Er
stieg über die Leiter die Loserwand hinan und ging über den Hochboden
hinaus; dadurch schneidet man den halben Weg ab, der zum Bauer an der
Wand führt.

                   *       *       *       *       *

Ein Windwehen hatte die dicken, schweren Schneemäntel von den Bäumen
geschüttelt. Die Waldwipfel waren dunkelschwarz und die Gründe waren
lichtweiß. Aber da kam ein Nebel, der legte sich hin über das ganze
Waldland, nur die höchsten Berge ragten aus ihm hervor und standen in
der Sonne, während unten alles versunken war in die feuchte Trübe und
in die frostige Winterlichkeit. Darüber bekam der Wald einen grauen
Bart, und allen Geästen und allen Gezweigen wuchsen weiße, zartbezähnte
Ränder von glitzernden Nadelchen. Selbst auf der glatten Eisdecke des
Sees keimte dieses schneeweiße Moos des Nebelfrostes, daß es knisterte,
wenn Mensch oder Tier darüber hinschritt.

Es war sehr schön, und die Städter würden gesagt haben, das ganze
Waldland sei versilbert, oder sei aus weißem Kandiszucker geformt. Die
Leute der Seeau aber greinten über so ein Wetter; es sei den ganzen Tag
finster, und doch nicht die Nacht zum Ruhen; es sei frostig, und doch
nicht frischkalt, und es werde zu tauen anheben noch weit vor der Zeit.

Im großen Seeauer Wirtshaus wurde zur Hochzeit vorbereitet. Es war eine
Unzeit für alle Kälber und Hühner im ganzen Gau; kaum sicher gingen
die Tiere des Waldes, obwohl die Jagdmonate schon vorüber, und die
übriggebliebenen Hasen und Rehlein sich zu Paaren schon wieder des
Lebens freuten. Der Wirt ließ im Keller sein großes, ältestes Weinfaß
aufspunden.

Schon tagelang stiegen zu ungewöhnlichen Stunden aus dem Schornstein
des Wirtshauses blaue Rauchwölkchen auf, und ein hocherfreulicher
Geruch reichte sogar bis zum Pfarrhofe hinüber.

Der Pfarrer hatte seine Sache schier getan; er hatte das löbliche
Brautpaar bereits dreimal von der Kanzel würdevoll verkündet, und beim
letzten Aufgebot hatte der Schulmeister auf dem Chor einen vollen Tusch
blasen lassen, eine Ehre, die er sonst nur seinen Musikanten anzutun
pflegte, wenn einer davon sich ein Weib nahm.

In der Kirche arbeiteten zwei Küster, und schmückten den Altar mit
allen vorrätigen Bändern und Papierblumen. Die alte Häuslerin vom
Ende des Dörfchens, die Mutter der Gret, half auch mit; sie saß in
der Sakristei und band mit halberfrorenen Fingern aus immergrünem
Reisig einen großen Kranz für das Bild des heiligen Michael. Die
»guldene Gret« aber saß daheim im Häuschen und starrte in die
verlöschende Herdglut hinein. Ihr Auge funkelte und ihre Züge waren
schauderhaft verzerrt. Jetzt fuhr sie sich mit den Fingern in die
losen, geschlängelten Locken und riß und zerrte wütend an ihnen. Dann
ließ sie ab, sah auf die ausgerauften Haarfäden in ihrer Faust, tat
einen wilden Atemzug aus der wogenden Brust und murmelte: »Was soll
ich dich ausreißen, du mein goldenes Haar! Ja, wären es seine, wären
es die von der Haldeggerin! Pfui, Gret, mit den Haaren fange nicht
an, das tut jede eifersüchtige Dirn. Ich bin nicht eifersüchtig --
aber in der Leut' Mäuler hat er mich gebracht, um meinen Franzl hat
er mich gebracht. Was schert mich der dalkert' Michael mit seiner
vornehmen Lahmleidigkeit -- aber Seesteinerin hätt' ich mögen sein,
das habe ich laut gesagt, und sie haben mich schon so geheißen. Jetzt
hab' ich die Schande und den Spott, jetzt kommt keiner mehr um mich.
Jesses, ich weiß nicht, was ich tu; wenn nur ein schwer Unglück wollt'
niederfallen, und tät uns all miteinander erschlagen! Aber ihn und sie
um drei Minuten früher als mich, daß ich's noch kunnt sehen! -- --«

                   *       *       *       *       *

Wenn sie am jenseitigen Seeufer vor dem Seesteinerhause einen Pöller
loslassen, so sieht man's von der Seeau aus wohl aufblitzen, aber man
kann bequem bis in die Zwanzig hinein zählen, bis der Schuß kracht. Der
Knall fliegt über die glatte Fläche hin, doch er prallt an zahllosen
Felsvorsprüngen an, und weckt in den Wänden und Wäldern allerlei Echos
auf, bis er endlich an das Ohr der Seeauer schlägt.

Heute aber hört man hier nur den dumpfen Knall, sieht aber kein
Aufblitzen. So dicht liegt der Nebel über dem See, daß man ihn -- wie
die Leute sagen -- mit einem Messer könnte in Stücke schneiden.

Es ist ein Jännermorgen. Ein großer Teil der Seeauer steht am Ufer und
guckt und horcht. Jetzt fallen drüben drei Schüsse rasch nacheinander,
jetzt gehen die Hochzeiter ab. In einer halben Stunde sind sie da, denn
über das Eis gleitet sich's leichter mit glatten Schlitten, als mit
Kähnen zur Sommerszeit.

Eine Weile ist es still, daß man völlig den Nebeltau könnte rieseln
hören; hüben kein Lärm und Laut, drüben kein Schuß. Dann flüstern die
Leute wieder; sie haben dem Brautpaare alle mögliche Ehre vorbereitet.
Der Schulmeister rückt mit seinen Musikanten aus, gar die große
Fronleichnamstrommel mit den Klingscheiben wird mitgeschleppt. Keiner
versucht mehr sein Instrument, es ist alles schon gestimmt. Die Küster
in der Kirche zünden alle Kerzen an, und das ist am düsteren Morgen
ein feierlicher Schein in dem festlich gezierten Raum. -- Drei Jungen
stehen unter dem Turm und haben die Glockenstricke in den Händen. Sie
warten nur noch auf das Zeichen.

Das Wirtshaus steht still da, aber in der großen Küche schießt ein
Rudel Weiber umher, und die Herdflammen knattern wie ein wildes
Schlachtfeuer.

Endlich dringt ein Jauchzen her über den See und ein Schellenklingen.
Da fächelt ein Mann mit seinem Hut. In demselben Momente klingen
alle Glocken. Dunkle Massen treten auf der Seefläche aus dem Nebel
hervor -- rasch werden sie zu Gestalten; die Rosse traben heran, die
Schlitten fliegen nach, und auf den Schlitten jauchzend und johlend und
hüteschwingend die Hochzeiter.

Bums! fällt die große Trommel ein, und die Trompeten schmettern auf,
und die Pfeifen jodeln drein, und von der Loserwand knallen Pöller, daß
die Kirchenfenster schrillen.

Der Hochzeitszug ordnet sich rasch, und in der Mitte das Brautpaar, so
zieht er zur Kirche hinan.

                   *       *       *       *       *

Sie knieten am Altar, und der Pfarrer legte die Stola um die Hände. In
demselben Augenblick huschte die Gret draußen an der offenen Kirchentür
vorüber, und tat einen Fluch, und eilte davon.

Sie watete durch den Schnee hinaus in den Wald; die fallenden Eisnadeln
strichen ihre heißen Wangen. -- Jetzt werden sie getraut, dann ist
diese Haldegger Seesteinerin. Ist sie reicher, vornehmer, besser wie
ich? -- Mir hat er's verheißen, ihr hält er's; jetzt reicht er ihr
den Ehering. Dann ist lustige Hochzeit den ganzen Tag, und sie heben
die Gläser und trinken zum Gutleben, und sagen Ehrensprüche für das
Brautpaar, und singen Spottlieder auf die guldene Gret. -- Und wenn der
Abend kommt, da fahren sie wieder über den See, fahren ein in den Hof --

Eine unbeschreibliche Gewalt wütete im Busen der Dirne. Sie eilte
am Ufer des Sees dahin; dann rief sie laut: »Und wär' das Wasser
auch nicht zugedeckt, hineinspringen tät' ich nicht! Ja, wenn ich
sie mitreißen kunnt, all' miteinander -- nachher mit Freuden -- mit
Freuden!«

Sie raste fort. Sie kam ins Gefälle und auf wüste Gründe; Rehe und
Füchse und wildes Geflügel spürte sich im Schnee. »Jetzt gehe ich und
zünde den Seesteinerhof an,« sagte sie und eilte weiter. Sie lief über
den See, sie war gehüllt in Nebel, kein Mensch konnte sie von der Ferne
sehen.

Sie kam ans Ufer. Der Hof lag still da; die Eiszapfen der Dächer
troffen rings umher, oder fielen klirrend zu Boden; das war die ganze
Wache.

Seitab stand ein Fischerhäuschen. Der alte Fischer Wolf saß davor auf
einem Bänkl. Er rauchte eine Pfeife, und zog jedes hervorgeblasene
Wölkchen fast gierig mit der Nase wieder an sich. Das ist ein Tabak,
wie ihn sonst kein Fischer raucht; der Kaiser raucht ihn. -- Der
Seesteiner hatte dem Alten zur Hochzeitsfreude eine ganze Schachtel
davon bringen lassen. So ein Kraut! Das ist dem Alten das höchste
Ereignis in seinem Leben; die Eisdecke möchte er aufreißen und es
den Fischen zurufen: »Laufet, laufet, laufet euere Wege; ich rauche
Kaisertabak!«

Die Gret schritt rückseits des Häuschens vorüber und schlüpfte durch
ein Türchen in die Stallungen. Kein Mensch war da; alles ruhig
und verlassen. Große Heu- und Strohvorräte waren hier aufgehäuft;
ganze Wände von Hafer- und Roggengarben, noch teilweise mit den
Fruchtähren, waren geschichtet und darüber spannte sich das mächtige
Gebälke des Dachstuhls und das weite, hohe Schindelgedache. An diese
Stallung schließen sich andere Scheuern, Fruchtkammern bis hin zu dem
weitläufigen Wohngebäude. -- »Das ist dein Hof, du schöner, stolzer
Seesteiner Michael. Wenn die Brautleute heimkommen, wird's recht warm
eingeheizt sein. Aber so viel finsterer Nebel wird sein, daß sie gar
das Haus nicht mehr finden. Morgen stellt dir der Pfarrer einen Brief
aus: Brandgaben-Sammlungsschein für Michael Rehling.« --

Die Gret sucht aus ihren Taschen Zündzeug hervor, da hört sie unter
ihren Füßen poltern. Sie erschrickt, legt sich auf den Boden und guckt
durch die Bretterfugen hinab. Da unten stehen und kauern an den Barren
die Rinder in ganzen langen Reihen. Dort steht eine Kuh und daneben
hüpft ein junges, falbes Kälbchen flink umher und legt seinen Kopf an
den Hals der Mutter, um den die Hängekette liegt, und macht kluge Augen.

Das stoßt der Gret ans Herz. Sie bewacht ihre Hand; nur ein einziger
Strich mit dem Zündhölzchen ist nötig, und es prasselt und schmettert
das Feuer, es wogt der glühende Rauch. Die Tiere brüllen, sie hängen an
der Kette; nur das Kälbchen ist frei, aber es läuft nicht zum Ausgang,
es verläßt die Mutter nicht. Da stürzen die lodernden Balken
nieder -- --

Blaß ist das Mädchen geworden, zurückgleiten läßt es das Zündzeug in
den Sack, und flieht aus der Stallung und davon, als stehe hinter ihm
der große Hof wirklich in Flammen. Jetzt schlug der Kettenhund an. Eine
Magd sah zum Fenster heraus: »Uh, da läuft die guldene Gret vorbei, ist
die denn heut' nicht im Dorf? Und ist sie vom Hund so erschrocken? Sie
fürchtet sich sonst nicht einmal vor dem Teuxel.«

Die Gret eilte über die Eisfläche des Sees; bald sah sie nichts mehr
vom Ufer, nur den Hund hörte sie noch eine Weile bellen.

Es graute, als wollte schon die Nacht anbrechen. Im Dorfe zünden sie
die Lichter an und es klingen die Gläser und die Geigen.

Grete fühlte, daß sie unsäglich einsam war. -- Über dem Haupte die
dichte graue Hülle; der Himmel hat seine Wolken auf sie niedergeworfen.
Unter den Füßen Eis und Fluten -- ist das eine trübe, kalte Welt!

Ihre Kleider, ihre Haare waren feucht, aber auf ihrer Stirn glühte das
aufwallende Blut.

So floh sie über die Öde dahin, sie war das einzige Menschenwesen
hier, über und unter den Gewässern. Da stand sie plötzlich still,
sie hörte ein Schnalzen, ein Knistern, wie wenn ein Hirt mit der
Peitsche knallte. Sie wußte nicht, woher es kam; war das Ufer nahe,
zog ein Schlittengespann heran? Sie horchte. Da war wieder alles
still. So still und lind war's auch in jener Sommernacht gewesen, da
sie mit Michael über den See fuhr; die Wellen rieselten leise, lose
Fischlein schnappten empor, und da gurgelte das Wasser, und oben und
unten leuchteten die Sterne. Michael hielt sie an der Hand und sagte:
»Margarete, schlag' dir den Franz aus dem Kopf, der bringt dich nur ins
Unglück. Schau gut auf deine alte Mutter; leidet sie Not, so stehe ich
euch gern bei.« Später sagte er das vom Heiraten, und daß ihm keine zu
arm und zu gering sei. Sie lag an seiner Brust. -- Jetzt sitzt er mit
der andern bei der Hochzeitstafel. --

Wieder ist das seltsame Knistern und ein zwei-, dreifaches Schnalzen,
und heran auf der Fläche, und hin an den Füßen des Mädchens in Zick und
Zack fliegt eine dunkle Linie -- ein Riß -- -- es birst das Eis.

Angstvoll beginnt das Mädchen zu fliehen. Sie fühlt den Boden wanken;
sie eilt hin über das große Grab, jeden Augenblick kann es sich auftun.

Endlich aber ist sie aus dem Bereiche der Gefahr; es ist kein Knistern
mehr, der Boden ist fest und sicher, wie er seit Monaten war.

Die Gret geht noch eine gute Strecke dahin und kommt endlich gegen
das Dorf. Die hellbeleuchteten Fenster des Wirtshauses ziehen breite,
rötliche Bänder hinaus in den Nebel. Die Gret hat Hunger und Durst, und
da oben ist Überfluß, da oben ist Pracht und Stolz.

Plötzlich kommt ihr ein Gedanke, der noch viel düsterer ist, als dieser
Wintertag. -- Die Hochzeit wird zu Ende sein, der Seesteiner fährt
mit seiner Braut lustig über den See; die Rosse traben und schnauben
und schellen, der Schlitten saust hinten drein, die Hochzeitsbänder
flattern in der Nacht -- der Boden kracht -- wankt. -- Glückliche
Fahrt, Seesteinerleut'! -- Es muß so sein, der Himmel will es selbst so
haben. Der Michael -- nun will er mit einer andern in die Brautkammer
gehen; aber das Brautbett ist im tiefen, kalten Seegrund. Sie, die
Gret, tut nichts dazu, Gott hat's gestellt -- sie weiß es nur um eine
Stunde früher. --

Hunger und Durst ist vergessen. Die Gret schleicht durch die Dorfgasse
und wieder dann am Ufer hin. Da kommt ein Mann über den See. Der alte
Fischer ist's; der hält das Pfeifchen noch immer in der Hand, raucht
aber nicht.

»Das ist kein Gehen mehr jetzt, da herüber,« murmelt er, »'s ist wohl
wahr: Paulibekehr, Schlitten weg, Wagen her. Wir brauchen den Kahn.«

Der Gret fährt's durch den Kopf: Der Alte geht geradeswegs ins
Wirtshaus, verrät die Sach' und kehrt alles um. -- Sie eilt auf ihn zu:
»Gut, Wolf, daß Ihr da seid, ich hätt' hinüberlaufen sollen zu Euch,
Ihr sollt geschwind, aber geschwind, zum Bauer an der Wand hinauf, und
schrecket Euch nicht, ich denk' 'leicht gar, Eure Schwester liegt im
Sterben!« Sie erschrak fast über ihr eigenes Wort, aber sie gehorchte
dem Rachetrieb.

Des Alten Schwester war Dienstmagd beim Bauer an der Wand und war schon
jahrelang krank gewesen.

»Ei schau, die Kat,« sagte der Wolf wie zu sich, oder zur Sterbenden,
»will's dich doch packen, jetzt auf einmal! Du arme Haut; die Welt ist
schon allweg so übel gewesen auf dich, ist der lieb' Herrgott doch
so gut, und nimmt dich zu sich. -- Ja, ja, ich komm' schon. Dank dir
Gott, Gret! -- Und sei so gut, sag's den Leuten: Der See ist unsicher!«
Er steckte die Pfeife in den Sack und holperte hastig die Dorfgasse
entlang und durch die Halde, und kletterte die Holzleiter der Loserwand
hinan, und ging hin über die Höhe.

Die Gret eilte ihm nach, und als er davon war, stieß sie an der Wand
die Leiter um. Diese fiel lang und schwer hin in den Schnee; das
Mädchen lief seitab.

                   *       *       *       *       *

Es war nicht so arg mit der alten Kat; es hatte auch kein Mensch nach
dem Bruder geschickt. -- »Diese liederlich Dirn da, jetzt hebt sie zu
lügen auch schon an! -- Na, weil du nur nicht schlecht bist, Kat; jetzt
geht der Winter vorbei, ich mein', du stehst mir wieder auf.« So sagte
der alte Fischer, der für jede Seite, ob Sterben oder Gesundwerden,
sein Trostwort hatte. Dann ging er bald wieder davon.

Es war schon Nacht, aber der Nebel hatte sich ein wenig gehoben,
es zog ein frisches Lüftchen. -- Die Hochzeiter werden doch nicht
schon abfahren? dachte der Alte, ob sie's sagt, daß draußen von der
Hirschwand herüber der See einbricht. -- Ei, ja, die bleiben heut'
schon noch eine Weil' beisamm'; 's ist nur, daß ich mich völlig nit ins
Wirtshaus trau', sie werden meinen, ich bin da, daß sie mir ein Glasel
sollten einschenken. Tun wird er's gern, der Seesteiner, tät's aber
nicht verlangen; ich hab' schon meinen Teil und bin zufrieden. -- Der
Fischer griff nach seiner Pfeife und eilte hastig dahin.

Wie er jedoch zur Loserwand kam, da wäre er schier in den Abgrund
gepurzelt. Es war die Leiter umgefallen, nun konnte er nicht weiter.

Sollte er umkehren und den weiten Fahrweg gehen? da kommt er wahrhaftig
spät in das Dorf hinab.

Er blickt hinaus; sein Auge ist alt, aber er sieht nun in der dunkeln
Nacht fast mehr, als am nebeligen Tag. Der Wald, die Felsen sind
schwarz bis empor, wo sie wieder in die Nebelschichte hineintauchen.
Dorthin liegt die breite, graue Tafel des Sees. Der Seesteinerhof
drüben ist nicht zu sehen, vor ihm ragt die finstere Hirschwand. Vom
Dorfe da unten ist nichts zu erkennen, als einige rotschimmernde
Fensterscheiben. Plötzlich aber klingen Trompetenstöße herauf und
Fackeln schweben zwischen den Häusern hinab gegen das Ufer.

Sie gehen, sie sind auf der Heimfahrt.

Den Fischer erfaßt Angst. Ob sie es wohl ausgerichtet hat? -- Sonst
rennen sie ins Verderben und er kann nicht hinab, sie zu warnen. Er
läuft über der Felswand hin und her, und weiß es, kein Abstieg. Er hebt
an zu rufen, aber seine Stimme ist dumpf; unten schallt die Musik,
schallt das Gejohle der angeheiterten Hochzeiter. Er hört jauchzen,
er hört die Pferde wiehern, hört das lustige Schellengeklingel. Da
trennen sich zwei Fackeln von den übrigen und gleiten hinaus über den
See. Die schlechte Dirn hat nichts gesagt! Jetzt haben wir's. Jetzt
haben wir's.

Der Alte ist in Verzweiflung. Er flucht über den Leichtsinn der jungen
Leute, die außer ihrem Heiraten schon gar nichts mehr denken mögen. Sie
haben kein Tauwetter wahrgenommen die Tage her, sie meinen, wenn im
letzten Jahr das Eis erst im März gebrochen ist, so muß es heuer auch
so sein. Die merken's nicht in ihrem Taumel, wenn die Decke kracht,
Jesus, und nachher ist alles vorbei! --

Die zwei Fackeln zogen hin über die Fläche. Immer weiter entfernten sie
sich vom Ufer, immer leiser wurde das Schellen der Pferde. Sie waren
schon weit draußen, sie nahten endlich der Hirschwand; die Fackeln
waren wie zwei Sternchen.

Der Alte starrte hinaus und hielt den Atem an, als wäre sein warmer
Hauch imstande, die Eisdecke vollends zu lösen. Er meinte, sie würden,
ja sie ~müßten~ stehen bleiben und umkehren. Aber die Sternchen glitten
weiter. Da sank der alte Wolf auf ein Knie, schlug die Hände zusammen
und rief wild aus: »O, Herrgott, hast denn keinen Schutzengel für sie!
Maria rein, so nimm sie du in deinen heiligen Schirm!«

Still war die Musik, still lag der See, weit draußen ragte die finstere
Hirschwand. Und die Sternlein waren dem Alten entschwunden.

In demselben Augenblicke dämmerte unten im Dorfe ein blutroter Schein
auf. -- --

                   *       *       *       *       *

In den zwei größten Stuben des Wirtshauses war die Hochzeitstafel
abgehalten worden, und das will ich noch erzählen. Lust und Frohlocken
war überall, und alle sahen in dem jungen Brautpaar ihren König und
ihre Königin.

Als das Mahl zu Ende war, und der Pfarrer auf das Wohl des Seesteiners
und seiner anmutigen Frau einen Spruch ausbrachte und mit dem Ehepaare
anstieß, ging sein Glas in Scherben, und der Wein löschte eine Kerze
aus und ergoß sich über den Tisch.

Das war keine gute Vorbedeutung; viele Anwesende stutzten; draußen im
Vorhause gellte ein wildes Auflachen.

Die Grete war's, die eine Weile an der Tür gestanden und durch das
Menschengewühle das Brautpaar angestarrt hatte. Ihre alte Mutter, die
Gstettnerin, saß in der Küche bei Krapfen und Braten, heute hatte sie
in Überfluß; sie war ja bei den Vorbereitungen Helferin gewesen. Das
alte Weib sah sich nach der Tochter um; die hatte es heute den ganzen
Tag wieder nicht zu Gesicht bekommen; wäre sie jetzt da, so bekäme sie
auch.

Die Wirtin sah sie nun stehen im Vorhause und sagte: »Geh' her, Gret,
magst was essen, was trinken? Deine Mutter ist auch da.«

Im selben Moment zersprang dem Pfarrer das Glas; da kreischte die Gret
auf, und verließ das Haus.

Sie ging wieder am Ufer entlang und horchte, ob auch nicht hier die
Eisdecke krache. Sie hörte nichts -- ja, das Wirtshaus hörte sie, und
den Jubel, und immer nur das.

Da kamen sie endlich mit Hall und Schall heraus in die Nacht, und als
die Schlitten zurecht gerückt, und die Pferde eingespannt wurden, da
duckte sich die Gret hinter einen Strauch. Ihr war, als müsse alles
auf sie hinsehen, auf sie zukommen, und sie war ja unschuldig -- der
Herrgott hat das laue Wetter gemacht, und das Eis bricht selber ein.
-- Laut war's am Ufer, aber zum erstenmal war's, daß die Gret das
Pochen in ihrer Brust hörte, und sie hatte doch nicht darauf gehorcht.
Einen Zweig des Hagebuttenstrauches zerknitterte sie in ihren bebenden
Fäusten; die Dornen gingen ins Fleisch.

Endlich zog das Gefährte hinaus auf die Fläche; die Fackeln loderten
nach rückwärts, wie rote Fähnchen.

Eine Weile stand die Dirne still, wie eine Säule, dann sprang sie
einige Schritte auf den See hinaus und breitete die Arme und tat einen
heiseren Schrei. -- --

Die Fackeln eilten weiter und blickten zurück wie zwei Augen. Wie seine
treuherzigen Augen ....

Der Grete wurde anders, sie lief durch die Dorfgasse und rief: »Eilet,
eilet zu Hilf', das Eis bricht ein!« Sie lief zur Kirchenpforte, der
Glockenturm war gesperrt. Leute eilten zusammen und wußten nicht, was
das zu bedeuten. »Kein Mensch holt sie mehr ein!« schrie das Mädchen
und schlug sich ins Gesicht, und raste wieder hinab gegen den See. Weit
draußen schwebten die zwei glühenden Augen.

Sie sah hin. Sie preßte die Hände auf die Brust und tat einen
fiebernden Atemzug. Ist denn kein Mittel, sie zurückzurufen? Plötzlich
fuhr sie sich gegen die Stirn. Rasch holte sie ihr Feuerzeug hervor,
eilte, watete im Schnee gegen die Dorfwiese; dort war früher ein
winterlicher Heuschober gestanden. Aber er war eingeheimt. Die Grete
kehrte um. Immer den Blick auf den See gerichtet, lief sie gegen das
obere Ende des Dorfes. Die letzte einzeln stehende Hütte, das war ihr
Haus und Heim. Sie erreichte es, im Nu hatte sie ein Flämmchen und fuhr
damit unter das Strohdach. Vielleicht, vielleicht --

Wie ein freigelassenes Vöglein hüpfte die Flamme weiter, knisterte,
leuchtete.

Bald war die helle Lohe da, das Dorf glühte im Feuerschein, das Gewände
oben war rot, auf der Seefläche spiegelten die Flammen.

Während die Leute herbeieilten und die Achseln schüttelten, weil nichts
mehr zu retten war, und nur ihre eigene Habe wahrten, irrte die Gret
draußen auf dem See. Sie sah noch die zwei Lichtlein, die standen auf
der Fläche nächst der Hirschwand und waren völlig im Erlöschen. Jeden
Augenblick konnten sie erblinden, versinken.

Was da hinter ihr vorging in der Not des Feuers, in der Verwirrung
des Dorfes, das achtete sie nicht; ihr Blick bewachte mit unsäglicher
Angst die zwei Augen auf dem See. -- Und siehe, endlich leuchteten sie
heller, wurden frischer, größer, kamen näher. Da johlte die Gret auf,
und das war das lustigste Jauchzen an diesem Hochzeitstage.

Sie waren gerettet. --

Das Mädchen zog ihnen entgegen über die Fläche. Sie sah schon das
Sausen des Windes in den heranschwebenden Fackeln. Sie fiel den Pferden
in die Zügel. »Was ist's, wo brennt's?« rief der Seesteiner aus dem
Schlitten. Da stürzte ihm das Mädchen wortlos an die Brust, sank
zurück auf den kalten Eisboden, und das Gefährte glitt weiter.

»~Das~ ist ein Hochzeitstag! Seid Ihr auch wieder zurück!« sagte ein
Mann, als der Seesteiner aus dem Schlitten sprang und seinem jungen
Weibe den Arm zum Aussteigen gab.

»Na, Gott sei Lob und Dank, die Gefahr ist vorüber, nur das
Gstettner-Häusel ist niedergebrannt. -- Eine Närrische haben wir auch
im Dorfe. Ist's denn wahr, daß auf dem See das Eis einbricht?«

Die Brautleute sahen sich an und sagten kein Wort. -- Das Eis bricht
ein auf dem See! -- Man konnte in der Dunkelheit nicht sehen, wie sie
erbleichten.

Die alte Gstettnerin hatten sie ins Wirtshaus zurückgebracht; sie
verlor kein Wort über ihr zerstörtes Heim, nur ihre Tochter rief sie
mit kläglicher Stimme.

Ihre Tochter aber saß an der Brandstätte und wärmte sich. Sie saß
zwischen den glühenden Balken und rief ein- über das andere Mal: »Das
Eis bricht ein!« Und dann lachte sie.

Da kam von seinem Umweg der alte Fischer vorüber, der wollte sie von
der rauchenden Brandstätte entfernen.

»Gehet Eures Weges,« rief sie ihm zu, »und wollet Ihr zum Seesteinerhof
hinüber, so fahret über Land, auf dem See bricht das Eis. -- Ich habe
das Feuer gemacht, daß sie umgekehrt sind.« Sie sagte ihm noch ein
Wort. Er eilte zum Wirtshaus und rief schon zur Tür hinein: »Geht,
Leute, helft mir die Gret von der Brandstelle wegbringen, sie ist von
Sinnen!«

Als sie zu den rauchenden Trümmern kamen, fanden sie das Mädchen am
Herde kauern. Aber leblos. Niemand wußte wie das gekommen. Der alte
Fischer sagte: »'s muß ihr jäh das Herz zerbrochen sein.«

                   *       *       *       *       *

An dem Tage, als die arme Grete begraben wurde, schnalzte und krachte
es hin über den ganzen weiten See. Unzählige Sprünge zuckten hin und
her, und der Reihe nach brachen die Schollen durch in das dunkle
Gewässer. An der Hirschwand waren sie zwei Tage früher durchgebrochen.

Auf dem stundenlangen Landweg verkehrte das Dorf mit dem
Seesteinerhofe, bis sich die schwimmenden Schollen im Wasser zerrieben
und gelöst hatten. Auf dem Landwege wurde die alte Gstettnerin in
das Gehöfte gebracht, wo ihr für ihre letzten, einsamen Tage eine
gesicherte Stube bereitet war. Auf dem Landwege ging der Pfarrer in den
Seesteinerhof, daß er sich umsehe nach dem glücklichen Paare.

Aber im schaukelnden Kahn rudert der alte Fischer an einem
Frühlingsmorgen nach Seeau herüber. Er schritt, ein hölzernes Kreuz auf
der Schulter, die Dorfgasse hinan, in den kleinen Kirchhof hinein und
zu einem graskeimenden Hügel am Heckenzaun.

Heute noch steht dort das Kreuz, und folgende Worte sind darauf
geschrieben:

  »Hier ruht die guldene Grethe,
  Gedenk' an sie und bete!«




                              Die Brücke.


Zur Zeit, als der Hans Gertinger die Hane Heider nahm, dachte der
Tod: Holla, jetzt heißt's wieder Platz machen, da kommen ein paar
kernfrische Leut' zusammen! Er hatte erst im vergangenen Kriegsjahre
Ernte gehalten, daher war er wohl gelaunt und fragte, was sonst nicht
seine Art ist, die Todeskandidaten, welcher zuerst daran wolle? Einer
duckte sich hinter den anderen, die Jüngeren sagten, an ihnen sei nicht
die Reihe, und der älteste, ein lahmer, tauber, blinder Bettelmann, der
in einer dumpfen Kellernische auf faulem Stroh lag, bat flehentlich,
nur ein Jährchen solle ihm der Tod noch gönnen von diesem Leben.

Drinnen, im Gebirge -- wo eben das kernfrische Paar ineinandertrachtete
-- war ein alter Uhrmacher, der mit seinen Wanduhren hausieren ging.
Der wußte, wie es geht auf der Welt: ist es zwölf Uhr geworden, so
fängt's mit eins wieder an -- immer das gleiche. Dieser Mann meldete
sich dem Tod und sagte: Mir ist's allzeit recht. -- Da schlief er
auch schon, und jetzt tat es den anderen schier leid, ein so sanftes,
seliges Ende verscherzt zu haben.

Sollte dir, lieber Leser, das wie ein Märchen vorkommen, so würdest
du dich täuschen. Die Launenhaftigkeit des Todes -- hier grausam,
unerbittlich, dort neckisch, gutmütig -- ist ja doch weltberühmt. Daß
bei dem Umstande, wie der Zeiger doch nicht höher als bis zwölf steigt,
einem Uhrmacher langweilig werden kann auf der Welt, ist am Ende
auch kein Wunder, und daß die folgende kleine Geschichte auf Wahrheit
beruht, wird am besten aus ihrer sehr alltägigen Entwicklung erhellen.

Es war im schönen Monat Mai, als der Hans Gertinger mit der Seinigen
die Hochzeit vorbereitete. An drei Sonntagen fragte der Pfarrer zu
Lacken von der Kanzel herab, ob bei vermeldetem Paar den Leuten kein
Ehehindernis bekannt sei? Bekannt war keins und so hub der Dorfwirt an,
Kälber und Schweine zu schlachten, denn wenn sich's der eine Teil gut
sein läßt, so muß es der andere büßen, das ist einmal so eingerichtet.
-- Es war in demselben schönen Monat Mai, daß der Uhrmacher schlank und
starr und kalt auf dem Bette lag. Der Sonnentag mit seiner Rosenzier
und seinem Schwalbenjubel ist geradeso wie damals, als der Uhrmacher,
noch ein Knabe, Vögel fing, als er den Dirndl nachstrich, schier
unbewußt, wie der Blütenstaub an der Kiefer streicht, bis er seinen
Ort findet. Und der Mai war immer wieder gekommen, aber hatte den
Mann kühler gelassen von Jahr zu Jahr, bis der Thomas, nun ganz kalt
geworden, auf dem langen Brette lag und sich rein um gar nichts mehr
kümmerte.

Er lag zwei und er lag drei Tage, da ging seine alte Haushälterin zum
Pfarrer und fragte, was es denn sei, daß man den Thomas nicht hole!

»Ja, liebe Frau,« sagte der Pfarrer, »das ist leichter gesagt als
getan. Er wird hinüber auf den Kirchhof wollen, und das Grab ist ja
auch schon offen für ihn. Ihr hört es doch, wie es rauscht!«

»Aber der Thomas liegt müßig da und will endlich einmal in die frische
Erden hinein,« rief die Haushälterin: »Ich sage es ganz aufrichtig, er
wird mir nimmer besser im Haus.«

Der Pfarrer ging im Zimmer auf und ab und sprach: »Es ist wirklich eine
unangenehme Geschichte. Im Hochgebirge schmilzt der Schnee, und seit
vielen Jahren ist die Sallach nicht mehr so groß und reißend gewesen
als jetzt. Alle Lackenwiesen sind überschwemmt; in Obergams hat's die
Brücke weggerissen und auch unsere Dorfbrücke kracht schon in allen
Fugen, daß sich kein Mensch mehr hinüberwagt. So können wir mit dem
Thomas nicht hinüber auf den Friedhof und deswegen ist es, daß er Euch
noch im Hause liegt.«

Das Weib stieß ein grelles Lachen aus; ganz natürlich hub es sofort
darauf zu weinen an. Der Thomas -- so klagte sie -- sei ihr bei
Lebzeiten nie zuwider gewesen. Da sei er -- alleweil den »Tiegel«
im Mund -- beim Ofen gesessen und habe an seinen großen und kleinen
Ewigkeiten herumgefeilt; die Ewigkeiten, so habe er die Uhrrädchen
genannt, er sei sehr gescheit gewesen und habe alles erbaulich auslegen
können. Er sei auch unglaublich gut gewesen, und habe sie -- die
Haushälterin -- sich oft gedacht: besser hätte er es nicht treffen
können, als Uhrmacher werden, weil er ja die gute Stund' selber ist. So
habe sie den Thomas alleweil recht gut leiden können, aber jetzt -- sie
sage es frei -- jetzt, wenn er bei dieser Hitze noch länger im Hause
verbliebe, werde er ihr zuwider. Und sie wolle ihn endlich unter der
Erden haben.

Der Pfarrer gab ihr nun den Rat, sie möchte zu den Leuten gehen; wenn
sich ein paar fänden, die den Thomas über die gefährdete Brücke auf den
Friedhof hinübertrügen, so wolle er ihn sogleich einsegnen.

Jetzt ging das Weib zu den Leuten. Da kam sie schön an! Die wollen sich
nicht einmal für einen Lebendigen in eine Gefahr begeben, wie erst für
einen Toten, der gar nicht einmal erkenntlich dafür sein kann. Er soll
warten, bis das Hochwasser abgelaufen ist. Einer nahm die Gelegenheit
wahr, um tüchtig über die Behörden zu schimpfen, die den Kirchhof nicht
bei der Kirche, sondern über dem Wasser angelegt hätten, und wofür der
Mensch denn Steuern zahle, wenn er sich dann nicht einmal begraben
lassen könne, wann er wolle! Und als er sich ausgeschimpft hatte,
kehrte er dem Weibe den Rücken.

Dieses erinnerte sich in solcher Not an einen reichen Bauer, der
auf dem Berge sein Haus hatte und der hartherzige Gerhab hieß. Seit
Jahrhunderten trug der Bauernhof diesen unchristlichen Namen; mancher
der Besitzer war hartherzig, mancher weichherzig gewesen, um den Namen
hatte sich keiner viel gekümmert und niemandem fiel es auf, wenn der
Pfarrer manchmal von der Kanzel verkündete: »Am nächsten Freitag läßt
der hartherzige Gerhab eine heilige Messe lesen für die armen Seelen
im Fegefeuer.« Der gegenwärtige Besitzer -- ein Mann, der das Herz auf
dem rechten Fleck hatte, nämlich in der Nähe der Brieftasche -- ärgerte
sich des Namens, und er beschloß, ihn gründlich zuschanden zu machen.
Er tat den Leuten, die zu ihm kamen, Gutes, wo und wie er konnte. Zu
dem ging nun unser Weib und bat um Beistand, daß der Thomas auf den
Kirchhof käme.

Der hartherzige Gerhab ließ sie zum Tisch hinsitzen, wartete ihr
Apfelwein auf und Weißbrot. Dann nahm er auch selber einen Trunk,
strich auf seinem kleinen Köpfel das weiße Haar über die Stirn
und sagte: »Brav ist es von dir, Wirtin des Uhrmachers Thomas, daß
du zu mir gekommen bist. Ich kann dich wohl brauchen. Ich habe mir
vorgenommen, als Mensch und Christ die sieben Werke der Barmherzigkeit
zu üben. 's geht auch passabel, denn die Hungrigen zu speisen, die
Durstigen zu tränken und die Nackenden zu bekleiden, ist gar nicht
schwer, wer's hat. Die Kranken zu besuchen, die Betrübten zu trösten
und die Unwissenden zu weisen, da gehört zum Herzen auch schon ein
bissel der Kopf. Ich befleißige mich nach geringen Kräften. Da ist mir
denn alleweil noch eins abgegangen, daß ich die sieben beisammen hätt',
und hab' schon keine Hoffnung mehr gehabt, denn es weigert sich keine
Gemeinde, ihre Toten zu begraben. Die Leute sind jedem dankbar, der
Platz macht, und stecken ihn in die Grube, heute lieber wie morgen.
Jetzt kommst du und sagst, es läge wirklich ein Toter, der auf mich
ansteht. Sei getröstet, ich gehe mit meinen Knechten; die Brücken hat's
gehalten die langen Jahre her für schwere Sünder, sie wird's auch
halten für den guten alten Thomas. Er soll ordentlich bestattet werden.
Mich gefreut's.«

Eilends lief das Weib heim ins Haus und rief schon zur Tür hinein dem
Toten zu: »Na, wart' nur, Thomas, jetzt wird's bald. Halt dich nur noch
ein paar Stündlein brav.«

Während sich Kirche und Wirtshaus für das Hochzeitsfest des Hans
Gertinger rüstete, wurde der Uhrmacher in sein letztes Gehäuse getan
und von den Knechten des hartherzigen Gerhab davongetragen. Die
Haushälterin ging als die einzige Leidtragende hintendrein. Unter
der Last dieses Leides brauchte die Brücke just nicht zu brechen. Als
sie gegen den Fluß kamen, hörten sie schon das Dröhnen und Brausen
des wilden Wassers, das in schmutzig braunen Fluten wie rasend
heranschoß. An steilen Ufern grub und nagte es, sprang manchmal hoch
auf in schäumender Wut und fiel rücklings wieder ohnmächtig in den
Strom zurück. An seichteren Stellen lief es hastig hinaus, eine Welle
die andere jagend und wie in Sturmlauf an den Grundfesten der Gebäude
hinankletternd. An der hölzernen Brücke, die mit drei Jochen im Flusse
stand, schien das Wasser seinen vollsten Zorn auszulassen. Die Brücke
ächzte zuweilen, hielt aber stand und ließ die Wellen, welche manchmal
an der einen Seite über sie hereinschlugen, an der anderen wieder
sachte hinabrinnen. Das dauerte so schon den ganzen Tag über und an
den Ufern waren Leute versammelt, die in munterer Stimmung fortwährend
erwogen: »Wird sie gehen? -- Wird sie's halten?«

Auf dem trüben Wasser wogten, jetzt hoch auf den Rücken der
Wellen, dann wieder in die Tiefen gleitend, allerhand Gegenstände
daher: Vielarmiges Baumgewurzel, wie Riesenkrabben anzusehen, dann
Holzscheiter, Blöcke, Bretter, auch Hausgeräte; in den oberen Gegenden
mußte das Wasser also noch schlimmer wirtschaften. Ein totes Ferkel kam
in zierlichen Wogungen herangeschwommen, so daß ein Dorfwitzbold sagte,
er hätte nicht gedacht, eine Zeit zu erleben, wo es in der Sallach
schweinerne Fische gebe.

Plötzlich wurden auf dem Flusse lange schwarze Körper sichtbar, große
Holzbalken, die Trümmer der Obergamser Brücke.

»Jetzt ist's um die unserige geschehen!« rief ein Mann. Allein etliche
der Balken glitten zwischen den Brückenjochen hindurch und davon; ein
paar Stücke aber klemmten sich ein und an diesen begannen sich nun das
Gewurzel, die Scheiter und Bretter zu stauen. Die Brücke ächzte und
zitterte, gab aber immer noch nicht nach.

»Tapfer hält sie sich!« sagte ein Bauer, »wenn sie's überdauert, so
kriegt sie ein Kreuzel von mir.«

»Hast du Orden zu vergeben?« wurde er gefragt.

»Nicht so. Ein Kruzifixel laß ich aufstellen mitten auf der Brucken,
zum Angedenken an die Gefahr.«

Vom Hügelgelände jenseits des Flusses hörte man durch die klare Mailuft
Pöller knallen und manchmal selbst einige Musikklänge, sofern das
Brausen des Wassers nicht alles übertönte. Der Hochzeitszug des Hans
Gertinger. »Na, die mögen sich schleunen, wenn sie noch herüber wollen!«

Von der Dorfgasse herab kam der kleine Leichenzug des Uhrmachers Thomas.

»Ist nicht ratsam!« warnte ein alter Mann, »ist deutsch nicht ratsam!
Es kunnt der Brautzug mitsamt dem Totenzug in die Ewigkeit fahren!«
Denn die Brücke bebte und hub in allen Jochen an zu krachen.

Fast zu gleicher Zeit waren sie da. Diesseits der Brücke der
Leichenzug, der wollte hinüber zum Kirchhof; jenseits der Brücke
der Hochzeitszug, der wollte herüber zum Traualtare. In demselben
Augenblick wurde die Brücke lebendig. Zuerst schnalzten die Pfosten
des mittleren Joches, dann begann das Geländer zu brechen und sich
in seinen Splittern aufzubäumen, während die Brücke in der Mitte ein
Weniges einknickte. Ein Weilchen stand's wieder fest. Das Wasser
flutete donnernd an den Bau und übergoß ihn mit wilden Gischten,
da brach plötzlich das zweite Joch, und nun stürzte die Brücke mit
schmetterndem Krachen ein. In teils noch zusammenhängenden Trümmern
wogte sie schwerfällig davon. Wo die Brücke gewesen, ragten nur
noch ein paar Pfeiler aus den Fluten, ihre scharfen Splitter gegen
Himmel reckend. Sonst nichts mehr. Und der Leichenzug hier und der
Hochzeitszug dort standen da und wußten nicht, was jetzt anfangen.

Der Dorfwitzbold machte den Vorschlag, der Thomas und der Hans
Gertinger sollten ihr Vorhaben tauschen, der Thomas sich hüben ins
Wirtshaus und das Brautpaar sich drüben auf den Friedhof legen. Damit
war nun aber das Brautpaar durchaus nicht einverstanden, und während
der Thomas sich den Dingen gegenüber höchst gleichmütig verhielt,
begann drüben der Bräutigam zu fluchen und die Braut zu weinen. Es
ist begreiflich. Wenn schon der Kirchgang ein andermal gemacht werden
konnte, so ließ sich doch das bereitete Hochzeitsmahl im Wirtshaus
nicht verschieben. Die gescheitesten Leute kamen nun zusammen an die
Stelle, wo die Brücke gestanden war und hielten Rat, was da zu machen.

Viele gute Gedanken, aber keiner so stark, das wilde Wasser zu
bändigen. Der Brautführer, dessen Nase nicht bloß im Mai, sondern das
ganze Jahr über in holdem Purpur glühte, gestand: das Wasser habe er
überhaupt nie leiden können; es habe mancherlei Untugenden, doch daß es
so über alle Maßen boshaft sein könne, das erfahre er erst heute. Jetzt
sehe er, das ungebundene Naß sei noch weit schlimmer, als das unter
Gebinde.

Ei geht mir, ihr Leute mit eueren närrisch klugen Reden. Hinüber
wollen wir: der Thomas zu seiner Rast, der Hans zu seiner Unrast.

Es ist aber ganz unmöglich. Die Obergamser Brücke ist weg, die Lackner
Brücke ist weg und jene, die in Untereben stand, kann auch nicht stehen
geblieben sein, wenn die Trümmer wie Sturmböcke angerückt kamen. Es ist
eine Bestie, so ein Wasser!

Der hartherzige Gerhab sprach endlich das Wort: Geduld! aus. -- Das
kann auch nur der hartherzige Gerhab aussprechen, dachte sich das
Brautpaar. Dem Thomas war's einerlei. Der Thomas ist im Vorteil, er
kann warten und hat einstweilen seine Notherberge in einem Gewölbe
unterhalb der Kirche. Der Hochzeitszug ließ zwar auch keine Traurigkeit
spüren, sondern zog sich mit klingendem Spiele zurück. Das Brautpaar
sah endlich ein, daß gewartet werden mußte, bis das Hochwasser
abgelaufen, und daß Geduld die verläßlichste Brücke ist, welche über
alle Hindernisse endlich sieghaft hinwegsetzt.

Eine Woche später konnte der hartherzige Gerhab über die Sallach
eine Notbrücke schlagen lassen, um an dem Thomas das siebente Werk
der Barmherzigkeit zu vollziehen. Aber die ersten, die sie flink
überschritten, waren die Hochzeiter.




                    Die höllische Lieb', natürlich!


Der mir mit Namensunterschrift zugegangene Bericht lautet unter
Veränderung einiger Orts- und Hausnamen wie folgt:

Nachdem die alten Radstuber-Leute gestorben, waren zwei minderjährige
Kinder da. Ich, ein entfernter Verwandter und ihr Taufpate, bin zum
Gerhab bestellt worden. Ein Gerhab sein, das ist ein gefährliches
Ehrenamt, man kann Schand und Spott davon haben und eine große
Verantwortung für Zeit und Ewigkeit.

Ein Knabe und ein Mädchen. Sie waren in Bauernhöfen untergebracht, in
ihrem Heimatsdorfe Wenkelbach. Der Bub hatte Anlage zum Leichtsinn.
Mit zwölf Jahren rauchte er hinter der Leute Rücken schon Tabak,
wozu er die Kreuzer sich auf der Gasse erbettelte. An den Sonn- und
Feiertagen während des Gottesdienstes trieb er sich mit anderen Jungen
in den Büschen umher und spielte Karten. Mit siebzehn, achtzehn Jahren
war er schon auf jedem Bauernball zu sehen, wo er bei seiner Anlage
zum Jähzorn manchmal Händel suchte. Auf Jahrmärkten kaufte er kleine
Angedenken zusammen für Mädchen, bei denen er um Liebe warb. Ich wohnte
einige Stunden vom Orte Wenkelbach entfernt und hatte nicht viel tun
können; ein paarmal zwischen die Füße habe ich ihn genommen und mit
der Peitsche über seine Abachseite her! Es hat aber nichts genützt und
nichts geschadet. Sonst war der Junge zutunlich, ehrlich, flink und
heiter, man konnte ihm nicht feind sein. Zum Glücke wuchs er aus meiner
Botmäßigkeit endlich heraus und in den Kaiserrock hinein, in welchem
er es nach kurzer Zeit zum Feldwebel brachte, als solcher er mir
schrieb, daß er ganz beim Militär zu verbleiben gedenke. -- Das wäre
der Christian.

Das Mädel, die Katharina, hatte mir anfangs weniger Sorge gemacht, und
da sieht man, wie unerforschlich die Wege Gottes sind.

Die beiden Geschwister hatten sich sehr lieb und alles, was die
Katharina sich absparen konnte, schickte sie dem Bruder, sowie auch er
keinen Katharinentag vorübergehen ließ, ohne ihr ein Seidenband, ein
Messingkreuzl, ein bemaltes Briefchen oder dergleichen zu senden.

Die Katharina war um sechs Jahre jünger als der Christian und wuchs
zu einer -- ich muß wohl sagen -- schönen Jungfrau heran. Weil sie
immer brav, sittsam und fleißig war und ihr Dienstgeber stets mit ihr
zufrieden, so hat man sich weiter nicht viel um sie gekümmert. Des
Jahres ein paarmal, wenn ich nach Wenkelbach kam, sah ich sie, brachte
ihr irgendein Kleidungsstück, einen Leckerbissen mit, und sie war mir
anhänglich und dankbar, wie einem Vater. Gott sei Dank! dachte ich
dann, diese Kinder machen dem Gerhab nicht vielen Kummer. Es ist ja von
Haus aus ein guter Kern in ihnen. Die Radstuberleute waren zwar arm
und kümmerlich, aber kreuzbrav. Ein einziges Mal war mir der Gedanke
gekommen, ob ich die Katharina nicht in mein Haus und unter meine
Aufsicht nehmen sollte. Aber bei der Erwägung, daß sie ja beim Sandiger
zu Wenkelbach sehr gut aufgehoben sei, in meinem Hause aber zwei
übermütige Burschen heranwüchsen, bin ich von dem Gedanken bald wieder
abgekommen.

Nun kommt eines Tages ein Bote in mein Haus und bringt die Nachricht,
zum Leichbeten wäre es, die Radstuber Katharina wäre gestorben. --
Anfangs meinte ich, das sollte vielleicht ein Spaß sein und dürfte
wohl eher das Gegenteil bedeuten, das Mädel gäbe gar keine schlechte
Hausfrau. Nein, es wäre aber, es wäre gewiß! Aus dem Mühlteich sei sie
gezogen worden, es heiße, sie habe etwas abzuwaschen gehabt. -- Jetzt
war es mir, ich müßte den Boten niederschlagen. Aber es war der alte
redliche Haus-Michel, der sich selbst nichts weniger als erbaut zeigte
von seiner Nachricht. Eine Labnis ward ihm vorgesetzt, ich selbst ging
hinaus hinter das Gehöfte, schlug mir die Hände an das Haupt und rief:
»Was ist da vorgegangen?«

Es ist hernach wohl erzählt worden. Die höllische Lieb', natürlich! Der
Brandschacher Lois, ein hübscher Bursche mit stattlichem Bauernhof, hat
ihr den Kopf verdreht. Da ist er gekommen in schweigenden Nächten, sie:
nein, und er: ja! wie es schon geht und er müsse doch heiraten. So ein
unerfahrenes Ding, noch nicht zwanzig Jahre alt, glaubt ja alles, was
es sich wünscht, besonders wenn es der sagt, von dem sie es am liebsten
hört. Aber der Brandschacher Lois hat ja gar nicht gelogen, sie hat
ihn nur unrecht verstanden. Heiraten muß er, das ist richtig, und so
heiratet er auch. Wie der Pfarrer das Brautpaar von der Kanzel herab
verkündet: Der Bräutigam Alois Miederegger, insgemein Brandschacher,
und die Braut: Emilie Sewinger, Tochter des Groß-Sewinger usw. -- da
vergeht wohl der armen Katharina auf ein Weilchen Hören und Sehen. Sie
tut aber weiter nichts desgleichen, sie verrichtet die nächstfolgenden
Tage wie gewöhnlich ihre Arbeiten, nur daß sie nicht ganz so heiter
ist und schweigsamer als sonst. Einer Kameradin hat sie alles vertraut,
diese hatte ihr lachend gesagt: Du bist nicht die erste und nicht die
letzte, der es so ergeht! und das war der ganze Trostspruch gewesen.
Die Katharina wartete noch das dritte Verkünden ab, denn sie war der
Zuversicht, er würde sich im letzten Augenblicke noch besinnen. Aber
auch das drittemal hieß die Braut Emilie Sewinger. Also ging das
Mädchen eines Abends, nachdem sie mit gewohnter Genauigkeit ihre Arbeit
verrichtet hatte, hinaus zum Mühlteich ...

In ihrer Gewandtruhe hatte man einen Zettel gefunden, von ihrer Hand
geschrieben: »Ich verzeihe ihm und bitte Gott und die Menschen, daß sie
auch mir verzeihen, ich bin mir nimmer stark genug. Mein' Lieb', mein'
Ehr', alles ist mir zertreten. O schöne Welt! O falsche Welt!«

Soviel hatte der Bote zu erzählen gewußt.

Am nächsten Frühmorgen war ich in Wenkelbach. Als ich die Dorfgasse
hinanging, wunderten mich die festlich geschmückten Leute, die
überall herumstanden, als ob Ostersonntag wäre. Am Kirchentor war ein
Reisigbogen aufgerichtet mit Fähnchen und bunten Bändern. In einem
Hause hörte ich fiedeln, wie man's macht, wenn man sich auf eine
große Musik vorbereitet. So kam ich an den Hof, wo die Katharina im
Dienst gestanden. Dort war es sehr still, nur ein Pintscher keifte,
als ich durch das Hoftor trat, und einige alte Weiblein standen umher
und hatten Rosenkränze in den braunen knochigen Händen. Eines davon
erkannte mich und wies hinaus durch einen engen Gang zwischen Stadl
und Holzstoß in die hintere Kammer, deren Törchen auf die freie Wiese
ging. Dort war ihre Schlafstätte gewesen, und dort lag sie auch jetzt.
Der Sarg stand mitten auf dem Fußboden, er war schon geschlossen. Er
war aus glattgehobeltem Fichtenholz, an der Decke mit einem schwarzen
Kreuze bemalt. Allmählich versammelten sich mehrere Leute vor dieser
Kammer. Alte Frauen waren es zumeist und junge Mädchen, Freundinnen von
ihr, die still in ihre Tüchlein weinten. Zwei Männer banden den Sarg
auf eine Trage, und hierauf standen sie still da und schauten einander
an. Einem Knechte wurde bei diesem Stehen die Zeit lang, und er hub an,
mit dem Pintscher zu spielen, dem er das hölzerne Grabkreuz, welches er
in der Hand hatte, hinhielt und damit wieder zurückzuckte, so oft das
Tier hineinschnappen wollte.

»Nun, was soll denn werden?« fragte ich endlich den Sandinger, der wie
planlos hin und her ging, »ist es nicht schon Zeit?«

»Vetter, ich weiß nicht, was das ist,« entgegnete mir dieser, »daß der
Geistliche nicht kommt! Er hält ja sonst die Stund'! Der Christian
ist auch da, ist gestern abends gekommen. Hab' ihn schon zum Pfarrer
geschickt, daß wir warten.«

»Er wird halt lieber Brautleut' zusammengeben, als Leut' eingraben,«
sagte der Knecht, da schnappte der Hund ins Kreuz.

»Jetzt hör' mir mit diesem verfluchten Getu' auf,« fuhr ihn der Bauer
an.

Hernach standen wir wieder da und warteten. Eines der Weiblein hub
endlich ein lautes Gebet an, aber wir waren fast zu ungeduldig für
so etwas, dessen Ende nicht abzusehen war. Nun kam der Feldwebel
Christian rasch dahergeeilt; kaum begrüßte er mich, so rief er fast
atemlos: »Der Pfarrer kommt nicht.«

»Er kommt nicht? Ist er krank?« so fragten wir alle.

»Ich geh' hin,« erzählte der Soldat, »klopf höflich an. Bitte
gehorsamst, sag' ich, Herr Hochwürden, wir tun schon warten. Sind schon
alle beisammen, sag' ich. -- Schön, sagt er, tragt sie nur hinaus, der
Totengräber wird's schon machen. -- Wegen der Einsegnung, Hochwürden!
sag' ich. Einsegnung? sagt er und macht ein Gesicht, just als hätte
er von solchen Sachen noch nie etwas gehört; seit wann werden denn
Selbstmörder eingesegnet? sagt er. -- So ein Wort, das stoßt einen
nieder. Hochwürden, sag' ich, melde gehorsamst, meine arme Schwester,
die immer so heiter und fromm gewesen! Da kann man sich's denken, was
für Herzensnot sie hat ausgestanden, bis zu diesem letzten Schritt.
-- Herzensnot! Flausen! sagt darauf der Herr Pfarrer, die höllische
Lieb', natürlich! nicht so liederlich leben, dann bleiben solche Sachen
aus. -- Mir ist jetzt schon der Zorn gekommen,« erzählt der Feldwebel
weiter, »aber ich halt' noch die Hände zusammen und bitte ihn: Nur
nicht auch noch diese Schande zu der anderen! -- Natürlich, sagt jetzt
der Pfarrer, um die Schand' ist Euch, und nicht um den kirchlichen
Segen. Soll der Sünderin unbußfertiger Tod noch geehrt werden?
Meinetwegen, wer's tun mag! ich gebe mich dazu nicht her. Ich will ein
Vaterunser für sie beten, doch sie einsegnen -- nein. Und das ist mein
letztes Wort.« -- Jetzt schnauft der Christian sich aus und fährt mit
dem Tuch über sein erhitztes Gesicht.

Einige Weiber huben auf diesen Bericht alsbald an zu weinen, der
Sandinger war in seinem knochigen Gesicht ganz blaß geworden und
ballte eine Faust. Ich befahl den Männern, daß sie den Sarg heben
sollten, nachher ging es langsam unter lautem Gebete vorwärts. Die
Kirchenglocken schwiegen, als ob Karfreitag gewesen wäre. Aus den
Gruppen der Dorfleute, an denen wir vorüber mußten, vernahm ich manches
höhnische Wort, suchte es aber mit einem Gebete laut zu überschreien,
weil ich befürchtete, daß der Feldwebel, welcher neben mir herging
und sehr aufgeregt war, sich mit den herzlosen Spöttern in einen
unangenehmen Handel einlassen könnte.

Am unteren Ende des Dorfes zogen wir hinaus. Der Friedhof liegt
jenseits des engen Tales, hinter welchem die hohen Berge ansteigen.
Er liegt am Fuße eines felsigen Hügels, auf welchem die Ruine einer
Kirche steht, die im Revolutionsjahr niedergebrannt worden ist. Der
dachlose Turm mit der zu einer Seite abgebröckelten Mauer steht da wie
ein hohler Riesenzahn, das Kirchendach ist stellenweise eingebrochen.
Wo der Hochaltar gewesen, dort hatte man außerhalb eine hölzerne
Kapelle hingebaut, die dem rechten Schächer Dismas geweiht ist. Über
dem Eingange derselben stehen die Worte: »Heute noch wirst du bei
mir im Paradiese sein.« Doch hat dieser Heilige in der Gegend keine
große Anhängerschaft. Nur einmal des Jahres, am ersten Freitage nach
Ostern, wird in der Kapelle die Messe, welche der alte, daneben im
halbverfallenen Pfarrhause wohnende Benefiziatenpriester liest, von
einer größeren Anzahl Andächtiger besucht, weil an diesem Tage auf der
angrenzenden Wiese eine Art von Jahrmarkt sich zu entwickeln pflegt.
Sensen, Sicheln, Wetzsteine, Futterrechen, Strohhüte, Gartensämereien
und dergleichen, was der Frühling und Sommer heischt, gibt es auf
diesem Markte. Den Schächer Dismas und seine Messe nimmt man nur so
nebenbei mit. Ein alter Schuhflicker, welcher in der Kapelle den
Meßnerdienst versieht, wollte dem verkommenden kleinen Orte dadurch
aufhelfen, daß er es bei jeder Gelegenheit dartat, wie es im Himmel und
auf Erden keinen wirksameren Patron gegen verhexte Wetter gebe, als den
heiligen Dismas. Es half aber nicht viel, denn jenseits des Baches im
Dorf steht das Schulhaus, und darin ist zu hören, so oft man will, daß
es gehexte Wetter gar nicht gebe. Also ist der Dismasstein, wie die
felsige Stätte heißt, dem langsamen und sicheren Untergange geweiht.
Nur die Toten kommen hinaus zu ihm. Nun trugen wir ihm auch den unsern
zu.

Als wir zur Brücke hinabkamen, krachten schon die Pöller, worauf einer
der Träger zum anderen murmelte: »So fürnehm wird nicht bald eins
begraben, wie jung Katharina.«

Jenseits zwischen Auen und Feldern hinan war ein tiefer enger Hohlweg;
und als wir diesen entlang zogen, begegnete uns an der Biegung der
Hochzeitszug. Die lustigen Burschen und Mädeln, die Musikanten, der
Wagen mit dem Brautpaare von oben herab, wir mit dem Sarge von unten
hinauf.

Als wir uns fast plötzlich so gegenüberstanden, sagte der Sandinger zum
Brautführer: »Da sind wir!«

Die Hochzeitsleute waren weit erschrockener als wir. Unser Knecht mit
dem losen Maul schnob sehr vernehmlich mit der Nase und rief dann: »So
geht's, wenn bei einem Begräbnis nicht geläutet wird; können sich die
lustigen Leut' nicht vorsehen. Na, Musikanten, aufgespielt!«

Den Hochzeitsleuten war der Witz geradezu vergangen. »Wenn das eine
gute Vorbedeutung sein soll!« rief einer laut hin.

»Wer weicht aus?!« fragten unsere Träger.

Aus dem ersten Wagen hatten mehrere Burschen schon die Braut gehoben
und an den Weghang gelehnt. Ei ja, die reiche Sewingerin! War aber so
kugelrund, daß sie der Brautführer an der Lehne festhalten mußte.

»Das ist er!« knirschte der Feldwebel und legte die Hand an sein
Stilett, »dieser Brandschacher Loisl!« und deutete auf den feinen
Bräutigam, der rasch aus dem zweiten Wagen sprang und eifrige Anstalten
traf, daß die Pferde ausgespannt würden und alle Wägen an die Berglehne
gehoben.

»Den will ich fragen, mit welcher er jetzt zu gehen hat!« murmelte mein
Feldwebel mit unheimlich wildem Auge.

»Valentin!« schnaufte ich und hielt seinen Arm fest. Er heißt aber
Christian. Der Valentin kam mir nur plötzlich aus dem »Faust« durch den
Kopf geschossen.

Die Träger standen ein wenig zur Seite, so gut das gehen mochte. Die
Hochzeitsleute, auch die Musikanten und die Kranzeljungfrauen darunter,
drängten sich vorbei, und unter ihnen duckte sich auch der Bräutigam
hastig am Sarge vorüber.

»Stad, stad, Brandschacher, sie tut dir nichts!« also sprach noch
der Sandinger; bald hernach waren wir glücklich auseinander. Der
Hochzeitszug bewegte sich unter Musikklang und Pöllerknall ins Dorf
hinein, wir schritten mit lautem Gebete vollends zum Kirchhof hinauf.

Ich war selbst froh, daß wir so gut auseinander gekommen, und ich
dachte: Christian! trotz deiner Anlage zum Zorn! Das Stilett an der
Hand, warst du Mannes genug, die Rache dem zu überlassen, dessen sie
ist.

Mir war aber nun bange vor dem Augenblick, da wir den Sarg ohne
priesterlichen Segen in die Grube senken sollten.

Das Grab war etwas gar zu nahe an der abseitigen Kirchhofmauer. Als
wir nach seiner Richtung hin zwischen den wildbewucherten Hügeln und
Kreuzen hindurch eingebogen hatten, wehte durch die Luft der Schall
eines Glöckleins. In der Kapelle zum heiligen Dismas wurde geläutet.
Mehreren der Leidtragenden wurden die Augen feucht darüber, daß der
welteinsame mißachtete Heilige der armen Katharina einen Gruß sandte in
das Grab. Und da fiel es einem Weibl plötzlich ein, und schrill sagte
es zwischen den Worten des Gebetes heraus: »Christ erbarme dich der
armen Seelen im Fegefeuer, Leut', vielleicht ist der alte Herr daheim!«

Der alte Herr! Das war der mühselige Benefiziatenpriester, welcher sich
den Dismasstein gewählt hatte, um hier still und arm seine Tage zu
beschließen. Man sah ihn selten, außer wenn er in der Kapelle die Messe
las; seine alte Haushälterin, die manchmal ein bißchen umging, um milde
Gaben zu sammeln, erzählte, auch wenn niemand danach gefragt hatte, daß
der alte Herr in seinem Lehnstuhle sitze, das Brevier bete und Tabak
schnupfe.

»Ja!« sagten wir alle, »wahrlich! vielleicht ist der alte Herr so gut,
daß er ihr den letzten Segen gibt ins Grab.« Nicht lange überlegten
wir. Der Sarg wurde abgeladen auf grünem Rasen, die Leute stellten sich
rings um denselben und beteten und hielten ihre Hände vor die Augen,
weil die heiße Sonne niederschien vom Himmel. Der Sandinger und ich
stiegen den Steinhügel hinan gegen die ruinenhaften Gebäude. Aus der
Kapelle eilte uns der Meßner entgegen und hielt uns den Hut offen, weil
er der Meinung sein mochte, wir kämen, um ihn fürs Läuten zu entlohnen.
Das geschah auch und dann fragten wir dem alten Herrn nach.

Die Steintreppe, welche wir hinaufgewiesen wurden, war mit Moos und
Gras so sehr bewachsen, daß wir gleich merkten, ein großer Ein- und
Ausgang fände hier nicht statt. Endlich standen wir in einem gewölbten
Zimmer mit tiefen, vergitterten Fensternischen. Ein Tisch, ein
Büchergestelle, ein Vogelkäfig mit schreiendem Star, ein Betpult vor
dem Bildnisse des Gekreuzigten, und am Fenster ein Ledersessel, in
welchem der alte Herr saß. Ich sah von ihm hinter der Lehne anfangs
nichts, als ein weißes Haupt. Das richtete sich nun ein wenig auf, um
zu erforschen, wer denn so fremd und ungeschlacht in die Stube trete.

»Hochwürden!« redete ich ihn nun an. »Wir bitten tausendmal um
Verzeihung, daß wir Sie so in Ihrer Häuslichkeit stören. Wir kommen mit
einem Anliegen, mit einer großen Bitte.«

»Nun, nun,« murmelte der Greis mit ganz heiserer Stimme und richtete
sich mühsam empor. Sein offenes, glattrasiertes Gesicht hatte
freundliche Züge, aber mit seinen grauen Augen schaute er starr vor
sich hin. Er tastete nach dem Stock, der am Sessel lehnte.

Ich trug ihm hierauf unser Leid vor, erzählte die traurige Geschichte
von der Katharina Radstuberin, wie der Herr Pfarrer von Wenkelbach
uns die kirchliche Einsegnung verweigert habe und wir nun auf das
inständigste bäten, der hochwürdige Herr wolle an ihrem Grab ein kurzes
Gebet sprechen, bevor die Grube zugescharrt würde.

»Pscht!« machte der alte Herr und schlug mit der flachen Hand auf die
Kutte, da war der Vogel im Käfig still, und er konnte sprechen.

»Der Herr Pfarrer will sie also nicht einsegnen,« sagte er in sehr
mildem Tone. »Es wird ihm gewiß recht schwer ums Herz sein, daß er es
nicht tun kann, aber er hält sich halt strenge an die Vorschriften.«

»Mein Gott!« rief der Sandinger, »so soll das unglückliche Wesen
wirklich wie ein Hund verscharrt werden!«

»O Narrle, wer sagt denn das?« sprach der alte Herr gegen die Wand hin,
ohne sein Haupt auch nur einmal nach uns zu wenden. »Ich tue es ja
recht gern. Die Traurigen muß man wohl trösten. Die Welt ist so voller
Leid und Schuld, ich weiß es. Nicht noch tiefer in das Elend drücken,
neu aufrichten muß uns der heilige Glaube. Ich will schon hinabgehen.
Nur daß meine Regerl jetzt nicht da ist, so daß ich euch bitten muß,
ihr möchtet mir ein wenig die Hand reichen. Der liebe Gott hat mich
recht mit Alter und Mühsal gesegnet.«

Da merkten wir's, er war fast lahm und blind. Der Sandinger zu seiner
Rechten, ich zu seiner Linken, so führten oder trugen wir ihn vielmehr
die Treppe, den Hügel hinab gegen den Kirchhof. Als die am Grabe uns
so kommen sahen, erhob sich unter ihnen eine Bewegung, sie eilten dem
alten Herrn entgegen, um ihm ehrerbietig und dankbar die Hände zu
küssen. Er ließ es ruhig geschehen. Mittlerweile war auch der Meßner
mit Chorhemd, Stola und Weihwassersprengel gekommen. Gestützt auf
meinen Arm, hat der ehrwürdige Greis das Grab gesegnet, den Sarg, als
er in der Tiefe stand, mit geweihtem Wasser besprengt und für die
Seele der Abgeschiedenen ein Gebet verrichtet. Dasselbe schloß mit den
Worten, die unser Herr am Kreuze zum bußfertigen Missetäter gesprochen:
»Heute noch wirst du bei mir im Paradiese sein, Amen.«

Wir alle waren bewegt. Und zum Priestergreise, der aus dem
unerschöpflichen Borne des Christentums so reichen Trost den Trauernden
spendete, blickten wir auf wie zu einem Heiligen.

In demselben Augenblicke, als der Totengräber unter raschen
Spatenstößen das Grab mit Erde füllte, dröhnten vom Dorfe her rasch
hintereinander drei Pöllerschüsse. Das Zeichen der vollzogenen Trauung.




                        Die Rache der Knechtin.


Die Hubsteinerin saß in ihrer frostigen Kammer auf dem Schemel und
wiegte an der Brust ein kleines Kind.

»O Närrlein!« sagte sie zum vergeblich sich mühenden Säugling, »es
ist halt noch nichts drinnen. Bei uns geht's zu, wie bei den hohen
Herrschaften: um vier Uhr erst Mittag essen. Bis nur die Sofferl
heimkommt, die wird schon wieder was bringen. Hab' nur ich erst meine
gute Suppe, dann wird's auch dir nicht fehlen. Eio, popeio!«

Der kleine Wurm schien sich denn auch zufrieden zu geben; er war
dergleichen Verspätungen schon gewohnt und mochte sich als gescheites
Wickelkind denken: Ich hab' auf den Hunger gewartet, ich will auch auf
das Essen warten. Warten, das ist ja die Arbeit der kleinen Kinder.

Jetzt kam die Sofferl heim, das rundwangige muntere Schuldirndl. Vom
Pfarr- und Schuldorfe Pichlern kam sie. Das Dirndl hatte ein blaues
Handbündl, das sich kalt und schwer und schwammig anfühlte. Ein Stück
frischen Fleisches war drin.

»Auch einen Brief habe ich mit!« rief das vom Laufen noch frisch
gerötete Mädchen fröhlich.

»Einen Brief?« fragte die Mutter, »wer soll denn mir schreiben?« Sie
hatte in der weiten Welt keine Bekannten und keine Verwandten. »Hast
ihn von der Schul'?«

»Der Herr Stadinger hat mir ihn mitgegeben, und er laßt dich grüßen,
und du sollst ihn nur lesen.« So das Dirndel.

Wichtiger als das Briefchen war aber jetzt das Zubereiten des
Stückchens Rindfleisch, welches der Arzt dem kränklichen Weibe
verordnet hatte, das vor sechs Monaten Witwe und vor drei Monaten zum
dritten Male Mutter geworden war. Das Weib eines Wegmachers; den Mann
hatte man eines Tages tot am Steinbruche gefunden. Ein herabstürzender
Felsblock hatte nicht erst gewartet, bis der Mensch ihn zu Schotter
geschlagen, da wollte er lieber einmal der angreifende Teil sein. Als
wenige Monate später das Knäblein erschien, kam auch die erste Rate der
Jahrespension, die im ganzen hundertvier Gulden betrug nach Abzug der
Steuer. Reicht das jährlich für ein krankes Weib und drei Kinder? Der
zweijährige Junge gab für seine Person darauf Antwort, er erkrankte an
Auszehrung und starb. Für die übrigen wird's doch langen? Ja, meine
liebe Hubsteinerin, man erlebt viel in kurzer Zeit, und wir sind noch
nicht fertig.

Während die Fleischbrühe kochte, las das Weib den Brief. Der Wirt und
Fleischhauer Stadinger schrieb mit eigener und fester Hand folgendes:


  »Liebe Hubsteinerin!

Bitt schön um Entschuldigung, dasmal wird's wohl das letzte Mal sein
mit dem Fleisch ohne Geld. Jetzt macht's glatt sechzig Gulden, auch das
Brot und alles zusammen. Habe lang genug gewartet und muß Dich jetzt
wohl bitten um Zahlung, indem ich es sonst dem Notar übergebe. Ich
nimm auch die Kuh, wann's Dir lieber ist und das Geld nit hast.

  Pichlern, 13. Juni 1876.

                              Mit Achtung
                                  ~Johann Stadinger~,
                               Fleischhackermeister und Grundbesitzer.«

Der Brief war gelesen, das Fleisch im Topfe hub an zu brodeln. Das Weib
seufzte nur, sagte aber nichts.

Bald darauf bekam das Schuldirndl, die Sofferl, ihr Mittagsmahl. Suppe
und Brotschnitten; auch vom Fleisch durfte sie heute essen, der Mutter
war der Hunger vergangen. Wenn's so stand, wollte es aber auch dem
Dirndl nicht recht schmecken. Einstweilen schaukelte es die Wiege mit
dem Brüderlein.

Da war jemand draußen. Im Vorgelaß des Häuschens schwerfällige Schritte
und im Dunkeln ein Tasten nach der Türklinke. Die Hubsteinerin
öffnete von innen, da stand der Herr Stadinger vor ihr. Ein großer
breitschulteriger Mann mit rotem Gesicht, kleiner Stumpfnase,
Doppelkinn und grauem, kurzgeschnittenem Haar. Der schmalkrempige Hut
saß im Nacken. Um den Leib eine weiße Schürze geschlungen, in der
fleischigen Hand einen Knorpelstock, hinter sich einen großen zottigen
Hund. Mit den klugen Äuglein zwinkerte er, sein Gesicht ging gutmütig
in die Breite, der Mann sah ja gar nicht so schlimm aus, als er sich in
seinem Briefe gestellt hatte. Er reichte dem Weibe auch gleich die Hand
und sagte:

»Schaust noch nicht gut aus, Wegmacherin! Mußt dir besser zuklauben.«

Sie antwortete nicht. Er tat, als wäre er ganz zufällig da, und weil
er gerade im Vorübergehen sei, so wolle er ein wenig rasten und sich
vom Herde Tabakfeuer nehmen.

Allsogleich nahm die Sofferl mit der Feuerzange eine glühende Kohle,
und der Herr Stadinger, welcher schon auf einem umgestülpten Bottich
saß, mußte sich beeilen, daß er mit dem Rauchzeug zurecht kam, bevor
die Kohle verglost war.

»Ein kreuzbraves Dirndl bist,« lobte er das Schulmädchen.

»Wenn sie nur nicht so arge Briefe heimbringen tät!« meinte die
Hubsteinerin einlenkend. »Um Gottes willen, Fleischhacker, du willst
dein Geld. Glaub' dir's ja gern, aber wo soll ich jetzt so viel Geld
hernehmen? Ich sitz' mitten im Nichtshaben.«

Sehr gutmütig antwortete der Stadinger: »Ich sehe es wohl ein, daß es
hart ist für dich. Aber schau, wenn du heute nicht zahlen kannst, wo
das Elend erst anhebt, später, wenn es größer ist, wirst noch weniger
können.«

»Das ist ein schöner Trost,« sagte sie. »Da wäre es freilich besser,
heute verhungern, statt morgen, wenn es doch schon einmal verhungert
sein muß.«

»Ich will dich nicht drücken,« sagte der Stadinger. »Es muß nicht
Bargeld sein; wie ich dir geschrieben habe, ich nehm' auch die Kuh.«

»Unser Herrgott den Mann und der Fleischhacker die Kuh! Kinder, alsdann
sind wir fertig.« Diese Worte richtete das Weib gegen die Wiege hin,
dann fuhr sie sich mit dem Schürzenzipf rasch über das Gesicht.

Der Stadinger schwieg. Am Ende war er gerührt! Ein Jammer war es mit
diesen Leuten, das sah er freilich. Das kranke Weib und die Kinder,
die nichts verdienen können und doch essen möchten!

»Sofferl heißt sie, gelt?« fragte er die Witwe, auf das Dirndl weisend.

»Mein Gott, nur ein paar Jahr noch, und ich hätte an ihr eine Stütze,«
sagte das Weib.

»Willst sie bei dir behalten? Hubsteinerin, das täte ich nicht. Daheim
bei dir lernt sie nichts, als Notleiden und Kinderlocken. Wäre schad'
ums Dirndl. Mußt ihr's besser meinen. Geht's schon dir selber schlecht,
so mach's wenigstens deinen Kindern besser. Wie alt ist sie denn?«

»Die Sofferl?« fragte das Weib entgegen, dachte eine Weile nach und
sagte dann: »Im zehnten wird sie sein.«

»Ist Zeit, daß sie in ein Haus kommt. Hubsteinerin! Ich rat' dir gut,
mir derbarmt das Schluckerl. Mach's deinen Kindern besser, als du's
selber hast!«

»Lieber Gott im Himmel!« seufzte das Weib und faltete die Hände über
ihre Brust. »Es den Kindern besser machen! Welche Mutter möchte das
nicht!«

»Weißt du was, Hubsteinerin,« sagte er und spielte mit dem Knotenstock,
als wollte er damit auf dem Fletz etwas hinzeichnen. »Gib mir das
Dirndl.«

Sie machte sich abgewandt am Herde zu schaffen.

»Gib mir's!« wiederholte der Fleischhacker. »Bei mir hat sie's gut, ißt
sich satt und lernt einen Verdienst. Mir fehlt eh so ein Dirndl. Man
braucht's. Kann einmal Kellnerin werden, wenn sie brav ist. Ich nehm's.
Gib sie mir!«

»Wäre gut gemeint,« entgegnete das Weib. »Aber was fang' ich an, wenn
ich das Dirndl nicht hab'. Ich brauch's ja schon auch fürs Kleine.«

»Das Kleine ist bei dir selber am besten aufgehoben,« wendete er ein.
»So lang bis du wieder gesund bist und dir wieder erwerben kannst,
sollst von mir das Fleisch haben und die Schuld ist gestrichen von dem
Tag an, wo du mir das Dirndl gibst.«

Die Sofferl horchte jetzt ein wenig auf. Die Mutter wendete sich um und
sagte: »Du wärest erst gut, Fleischhacker, das kunnt dem armen Wesen ja
zum Glück sein.«

»Wenn sie anstellig ist, so weiß man nicht, zu was sie es noch bringen
kann. Eine Kellnerin, sagt man, hat allerhand Schlüssel an der Schürze.«

»Du machst mir grad das Herz leicht!« rief das Weib.

»Daß du weißt, ich bin kein Stein. Und bist dem Fortkommen deines
Kindes nicht im Weg, so machen wir's richtig. Das Dirndl laß ich holen,
und du hast um eine Sorg' weniger. Ich nehm's ganz, brauchst dich gar
nicht mehr drum zu bekümmern. Ganz nehm' ich's.«

Jetzt kam das Weib an ihn heran, tastete unsicher nach seiner Hand
und sagte mit zitternder Stimme nichts als: »Vergelt dir's Gott,
Fleischhacker!«

»Hast Feder und Papier?« fragte er. »Ich verpflichte mich schriftlich.«

»Das hat's nicht not, um Gottes willen!« rief sie. »Daß du's ehrlich
meinst, weiß ich wohl eh.«

»Ich verpflichte mich schriftlich,« wiederholte er. »Im Guten wie
im Schlimmen, eine Schrift ist allemal gut. Ich kunnt' heut' oder
morgen sterben, daß es meine Nachfolger wissen, was ihre Pflicht und
Schuldigkeit ist. Richtig ist richtig.«

Nun war in dem armen Häuschen Schreibzeug aber schwer aufzutreiben.
Die Hubsteinerin brachte ihren Ehevertrag herbei, der hatte ein leeres
Blatt. Wenn der Mann tot ist, hat auch der Vertrag keine Wichtigkeit
mehr; dieser hatte eigentlich nie eine gehabt; auf »randlose
Gütergemeinschaft« lautete er, hatte der Mann nichts besessen und das
Weib nichts. Auf jeden Fall ist das leere Blatt daran überflüssig;
der Stadinger riß es herab. Der Tintentiegel wurde auch aufgefunden,
in demselben war nichts, als eine schwarze Kruste, der Stadinger goß
einige Tropfen Wasser drauf. Eine Feder brachte das Dirndl vom Freien
herein. Es war eine Rabenfeder; »aber sie tut's schon,« sagte der
Fleischhacker, »zur Not tut sie's schon.« Er schnitt sie, spaltete sie
geschickter, als solches seiner plumpen Hand zuzutrauen war, setzte
sich an den Schubladkasten, ein Tisch war nicht vorhanden, und begann
zu schreiben.

Das Weib säugte ihr Kind; die Sofferl schaute dem Schreiber zu und
stellte insgeheim Vergleiche an zwischen diesem und ihrem Schulmeister.

Nach einer Weile war's fertig:


                             »~Kontrakt!~

Die Maria Hubsteinerin gibt dem Anton Stadinger, Fleischhackermeister
und Grundbesitzer zu Pichlern, ihre Tochter Sophie, und Anton Stadinger
nimmt zeitlebens alle Pflichten und Rechte auf sich, indem er auch der
Hubsteinerin die Schuld von sechzig Gulden nachläßt und sie weiter
noch unterstützen wird. Mit freiem Willen unterschrieben von

                                   ~Anton Stadinger.~
                             Fleischhackermeister und Grundbesitzer.«

»Und dahier,« sagte der Stadinger, nachdem er die Zeilen gelesen,
»dahier schreibst du auch deinen Namen: Maria Hubsteinerin.«

Ohne ein Wort zu sagen, ergriff das Weib mit leise zitternder Hand
die Feder -- ach, wie sie spröde war! -- und schrieb mit deutlichen
Buchstaben langsam ihren Namen hin.

»Alsdann wär's fertig,« sagte der Fleischhacker, legte das Papier in
seine bauchige Brieftasche und schob diese in den Sack. »Morgen oder
übermorgen kannst sie bereit halten. Das Fleisch laß ich dir später
durch einen Kohlenfuhrmann schicken, der ohnehin vorbeifährt. Und
jetzt, behüt' Gott! Halt' dich gut, Sofferl, derweil!« Dann pfiff er
seinem Hund und ging schwerfällig davon.

Als sie wieder allein waren, versuchte es das Weib mit dem Essen. Das
ging aber noch immer nicht. --

Nun strichen mehrere Tage dahin wie gewöhnlich. Es war keine Rede
von der Übersiedlung des Dirndls, es kam das halbe Kilo Fleisch wie
gewöhnlich, und die Hubsteinerin glaubte schon; es sei alles wieder
in Vergessenheit geraten und beim Alten geblieben. Da sprach eines
Nachmittags der Kohlenführer zu, der Herr Stadinger zu Pichlern hätte
gesagt, er solle das Wegmacher-Dirndl mitbringen.

»Heute ist die Wäsche nicht fertig, es soll morgen oder wann wer
anfragen.« So beschied das Weib.

Zwei Tage darauf stand draußen auf der Straße der zottige Hund, bald
hernach kehrte der Fleischerknecht des Herrn Stadinger im Häusel ein.
Der sei, wie er berichtete, nach Unterdorf um ein Kalb geschickt
worden und habe den Auftrag, falls er das Kalb nicht erstünde, die
Wegmacher-Sofferl mit nach Pichlern zu bringen.

Als ob der Fleischerknecht ihr das Messer ins Herz gestoßen hätte, so
war jetzt dem armen Weibe. Hören und Sehen verging ihr.

Nach einer Weile mußte ihr der Mann den Auftrag nochmals ausrichten.
Der Stegbauer zu Unterdorf sei ein Narr, sein Kalb wiege nicht vierzig
Kilo, und der Mann wolle zweiundzwanzig Gulden dafür haben. Da soll er
sich's selber braten, habe er, der Fleischerknecht, gesagt, der Herr
Stadinger wisse billigere und bessere Ware.

So erzählte der geschwätzige Knecht. Die Hubsteinerin blieb jetzt
aufrecht und sagte: »Geht Eures Weges, mein Kind ist nicht feil.«

Da kann sie schon recht haben, dachte der Fleischerknecht. »Pst!
Sultan, komm!« Und ging seiner Straße.

Aber als die Sofferl am nächsten Tage wieder zur Schule gegangen war,
kam sie nicht mehr nach Hause. Ein Bote brachte das Fleisch und wollte
etwaige Sachen fürs Dirndl mitnehmen. Es sei schon daheim geblieben.

Daheim geblieben!

Die Hubsteinerin wickelte ihr kleines Kind dicht in Lappen, denn in
den Bäumen rauschte der Wind, nahm es an sich, verließ das Häuslein
und ging den zwei Stunden langen Weg nach Pichlern. Es dunkelte schon,
als sie vor dem großen Hause des Fleischhauers stand, in den Wolken
zuckten Blitze. Im Gemüsegarten waren zwei Mägde tätig, junge Pflanzen
durch Überdachen mit Stroh vor etwaigem Hagel zu schützen, und die
Sofferl war ihnen dabei behilflich. Als das Dirndl der Mutter ansichtig
geworden war, lief es ihr entgegen, klatschte in die Hände und rief:
»Das ist gescheit, Mutter, daß du auch da bist! Da ist's lustig. Das
ist meine Freundin, die Zilli, und das ist die Theresel. Du, die sind
brav!« Und sie lief wieder in den Garten.

Die Hubsteinerin begehrte zum Stadinger. Er kam ihr in Hemdärmeln
und mit dem Samtkäppchen auf dem Graukopf entgegen und begrüßte sie
freundlich. Ohne seine dargebotene Hand zu fassen, sagte sie, das leise
wimmernde Kind immer an der Brust haltend: »Fleischhacker, so ist's
nicht gemeint, mit unserem Handel, daß du mir mein Dirndl wie ein Kalb
aus dem Haus treiben lassen sollst!«

»Aber Hubsteinerin!« rief er überlaut, »was fällt dir denn ein? Wie ein
Kalb! Was das für eine Red' ist! -- Ei, setz' dich doch hier auf die
Bank. Der weite Weg. Willst denn du heute noch heim?«

»Mein Kind will ich wieder haben,« sagte sie völlig tonlos. »Mein Kind
laß mir, dann wirst mich nicht lang sehen vor deinem Haus.«

Der Stadinger schüttelte den Kopf, dann ließ er aus dem Keller ein
halbes Glas Wein bringen.

»Trink, Hubsteinerin! Du bist so viel aufgeregt.«

»Soll das der Kauftrunk sein?« fragte sie ihn. »Du tust nicht allein
Vieh einkaufen, auch Leut. Erst nachher ist's mir zu Sinn kommen:
verkauft hätt' ich mein Dirndl! Verkauft!«

»Was du aber einfältig bist!« sagte der Fleischhauer. »Wer spricht denn
vom Verkaufen! Und ~wenn~ es wär'! Andere arme Leute verschenken ihre
Kinder und sind froh, wenn sie wer geschenkt nimmt. Ich hab' die Schuld
nachgelassen und versprochen, daß ich mich ganz annehmen will ums
Dirndl. Wüßt' nicht, wie der Mensch ein besseres Christenwerk machen
kunnt, wüßt' nicht! -- Wenn du mir keinen andern Dank hast, so sollst
lieber daheim bleiben. Schau, sie geht dir eh nimmer zu, die Sofferl.
Recht gut gefällt's ihr bei uns und wird ihr noch besser gefallen, wenn
sie gescheit ist.«

»Du magst sagen, was du willst, Fleischhacker, es ist was Unrechtes
geschehen. Gib mir die Schrift.«

»Recht gern, Hubsteinerin. Eine Abschrift sollst haben. Deine
Unterschrift geb' ich nicht aus der Hand. Ich weiß schon, was du im
Sinn hast. Du wolltest mir das Dirndl jetzt lassen, daß ich's zücht'
und anleit'; nachher, wenn sie zu brauchen ist zur Arbeit, möchtest
sie mir wegnehmen, und ich wär' der Gefoppte. So macht ihr's gern,
ihr Bettelleut'! Da hab' ich mich rechtzeitig sichergestellt mit der
Schrift und da hilft dir nichts mehr, Wegmacherin. Kannst fragen, wen
du willst. -- Trink jetzt, nachher kriegst eine warme Suppe und ein
Bett und morgen schau, daß du weiterkommst.«

Die Einfalt, auf welche gerechnet worden, war wirklich vorhanden. --
»Kannst fragen, wen du willst« -- Ja, das hatte sie freilich immer
gehört: was man einmal unterschrieben, daran wäre nichts mehr zu
ändern. Verschrieben, verspielt! -- Weh war dem armen Weibe.

»Kaufst nicht auch Wickelkinder?« fragte sie bitter und hob ihr
Kleines gegen ihn auf. »Nimmst nicht auch den Buben?«

»Die Buben sind nicht viel wert,« entgegnete er halb scherzend. »Hab'
selber einen. Sind sie groß, nimmt sie der Kaiser ohne Vergütung. Ein
fleißig Dirndl dient's zehnmal ab, was es kostet. -- Aber trink' doch;
ein kräftig Tröpfel sollst nicht verschmähen, das tut dir gut.«

Ähnlich redete er ihr zu, riet ihr Frohsinn an und klopfte ihr
leutselig auf die Achsel.

Also geschah es, daß die Hubsteinerin, statt ihr Dirndl von diesem
Hause abzuholen, heute selbst in demselben blieb. Beim Nachdenken in
der schlaflosen Nacht kam ihr die Sache doch wieder nicht so schlimm
vor, und sie hielt sich selber für töricht. Am nächsten Morgen, als sie
fortging mit ihrem Säugling, wollte sie noch die Sofferl sehen. Ein
hübscher, schlanker Junge war im Hofe just dran, auf ein braunes Pferd
zu springen, den rief die Wegmacherin an, ob er nicht wisse, wo die
Sofferl wäre?

»Die ist schon fort,« antwortete der Knabe, leicht seine Kappe lüftend.
»Sie sind früh aufs Feld. Ich reite auch nach.« Damit war er auf dem
Rößl und trabte davon.

»In Gottesnamen!« seufzte das Weib bei sich und ging mit dem einen
Kinde, das noch ihr Eigentum war, wegshin der Gegend zu, wo ihre Hütte
stand.

                   *       *       *       *       *

Der Jahre sieben oder acht sind vergangen seit jenem Christenwerke, das
der Großhofbesitzer, Wirt und Fleischermeister Stadinger an der armen
Witwe und ihrem Kinde geübt hatte. Seither hat sich allerlei verändert
in der Welt. Die arme Hubsteinerin ist gestorben, ihr Knäbel hatte
ein Waldbauer zu einem Hirtenknaben aufgenommen aus Barmherzigkeit
und nichts dafür gegeben. Die Sofferl ist im Stadingerhofe groß und
hübsch geworden, und sie hat sich nicht zu beklagen. Beklagt sich
auch nicht. Aber daß sie eine Stalldirne abgeben muß, das ist ihr für
die Länge nicht recht. Sie möchte lieber Leute tränken, als Vieh --
Kellnerin möchte sie sein. Der schlanke Knabe, den wir damals auf dem
Pferde aus dem Hofe reiten gesehen, ist ein stattlicher junger Mann
geworden, der auch heute noch auf dem Pferde umherreitet, weil er die
große Wirtschaft zu leiten und die Arbeiten des Gesindes zu überwachen
hat. Die Fleischhauerei überläßt er seinem Vater, ihn freut das rüde
Geschäft nicht, er sagt, er tue lieber pflanzen, säen und züchten,
als schlagen und totstechen. Und der junge, aufrechte Mann mit den
freundlichen Zügen und dem offenen Blick sieht auf seinem Rößlein eher
einem Landgrafen ähnlich als einem Fleischhauerssohne. Er hatte ein
paar Jahre Landwirtschaft studiert und sich in den Kopf gesetzt, das
ausgedehnte Gut seines Vaters zu einer Musterwirtschaft emporzubringen.
Es ging auch vorwärts.

Der alte Stadinger ist ein klein wenig gebückt geworden, hat aber
sonst noch sein rotes, rundes Gesicht, seine klugen Äuglein und seine
verschmitzte Freundlichkeit wie vor und ehe. Zu Fuß ging er nicht
mehr viel um in der Gegend, im Steirerwäglein fuhr er, leitete selbst
das Pferd und wurde überall mit Achtung gegrüßt, wo er sich zeigte.
Sehr gerne fuhr der Stadinger in den Markt Solgenstein hinüber und
kehrte dort beim Hammerherrn Kloggenberger ein. Mit dem war er seit
einiger Zeit in freundlicher Bekanntschaft, die gelegentlich eines
Viehhandels gemacht worden. Der Hammerherr besaß ein großes Sensenwerk,
einen Hochofen, mehrere Bauernhuben, ausgedehnte Waldungen und eine
erwachsene Tochter. Aber keinen Sohn.

Eines Tages nahm der Stadinger auch seinen Burschen, es war sein
einziger, mit nach Solgenstein. Der junge Mann wollte auf dem Bocke
sitzen und kutschieren, wenn er schon nicht reiten konnte; der Alte
bedeutete, daß im Wagen Platz für beide sei, daß man da bequemer sitze,
und daß es mancherlei zu plaudern gebe. Daher setzte der Junge sich zum
Alten in den Wagen.

»Wir werden beim Sensenhammer zukehren,« sagte der Vater.

»Nicht nötig. Hab' ihrer erst ein Dutzend aus Sagbach bestellt,«
antwortete der Sohn.

»Was hast bestellt?«

»Sensen.«

»Du nimmst die Sensen in Sagbach?«

»Wir haben sie immer von dorther bezogen.«

Der Vater zog den Leitriemen an. »Karl,« sagte er nachher, »von jetzt
an nehmen wir Solgensteiner Ware. Ich habe einen Gedanken. Kennst du
die Hammerleute dort?«

»Recht gut.«

»Hast du keinen Gedanken, Karl?«

»O, allerhand!« lachte der Bursche auf.

»Nachher mag auch der rechte dabei sein,« sagte der alte Stadinger.
»Hast sie dir schon einmal angeschaut?«

»Wen?«

»Sie ist sauber -- und reich. Das wird ein Kapitalshaufen, wenn ihr
zwei eure Sachen zusammentut. Mußt ja doch auch ans Heiraten einmal
denken. Mein Weib wird mühselig und so viel wunderlich. An ihr hab'
ich keine Stütze mehr. Mich verdrießt's auch manchmal und will nach
und nach ausspannen. Da brauchst du eine. Spiel' einmal ein wenig
an, bei der Sensenhammerischen. Wenn's zustand' käm', 's wär' mir
eine rechte Freud'. Ein Rittergut, wenn die zwei großen Wirtschaften
zusammenstehen. Das wär' mir schon ein Trumpf!«

»Mir wär's auch nicht zuwider,« meinte Karl.

Also das Gespräch unterwegs zwischen Vater und Sohn.

Beim Hammerherrn wurden sie sehr artig aufgenommen und zum
Nachmittagsbrot eingeladen. Fräulein Agnes bediente die Gäste, ein
feines zierliches Wesen, das den jungen Grundbesitzer aus Pichlern mit
gar schelmischen Augen anguckte. Allerlei wurde gesprochen, und als
unsere beiden wieder auf ihrem Wagen heimwärts fuhren, sagte der Alte:
»Ich habe gar keine Sorge. Es geht. Ein Jahr mußt halt Geduld haben,
weil sie ja, wie du gehört haben wirst, über den nächsten Winter noch
einmal ins Institut geht. Du bekommst eine Gebildete. Herrgott, Bub, du
hast mehr Glück wie Heu!«

Karl spitzte mit den Finger sein blondes Schnurrbärtchen und
schmunzelte vor sich hin.

»Nur eins! Hi, Brauner! -- Nur eins muß ich dir sagen, Karl,« fuhr
der Stadinger fort. »Mit der Krämerischen tust nicht mehr weiter. Die
dankst gleich ab. Die könnt einen Balawatsch in die Geschichte bringen.
Die Mädels wollen alle gleich geheiratet sein. Gib Achtung! --
Kannst's nicht graten, so gibt's andere. -- Bist mit der Sofferl immer
noch über quer? Geh, dumm!« --

Diesmal brach er ab. Einige Zeit drauf war's, daß die Sofferl dem
Stadinger anzeigte, sie wolle sich um einen anderen Dienstort umsehen.
Sie möchte nicht immer beim Vieh bleiben, sondern auch etwas lernen.
Daß sie in diesem Hause etwa in die Küche oder in die Gaststube käme,
dafür sähe sie keine Wahrscheinlichkeit, also möchte sie fort.

»Schau, schau,« antwortete ihr der Stadinger. »Wie gut ist's, daß
ich dieses Kalb am Strickel hab'. Davonlaufen! Nein, mein liebes
Sofferl, darauf mache dir keine Hoffnung. Du gehörst mein, bis ich
dich freiwillig fortlaß. Und das wird nicht sein, ich habe die jungen
starken Leute zu gern in der Wirtschaft. Wegen Essen und Gewand hast
wohl keine Klag'?«

»Das nicht, Herr Vater. Freiwillig bliebe ich vielleicht, aber das
Müssen ist so viel sauer.«

»Lapperl!« sagte er und versetzte ihr ein artiges Klapschen an die
runde Wange, »so bleib halt freiwillig. Und tust es freiwillig nicht,
so ~mußt~. Ein bissel Recht habe ich schon auch als Gerhab mit dir.
Für alle Fälle ist ein Briefel da. Ja, Dirndl, da hilft dir nichts, je
mehr du hinwegzerrst, je schärfer schneidet dir das Strickel in den
Hals. Sei nur g'scheit, vielleicht bringst es noch zur Kellnerin, wenn
du klug bist, vielleicht. Nur schön folgen dem Karl, wenn er dir was
schafft! Und jetzt geh' zu deiner Arbeit.«

Wenige Wochen nach dieser Unterredung standen der Stadinger und
sein Sohn in einer Abenddämmerung unter dem Weichselbaum, und der
Vater sagte mit halblaut flüsternder Stimme und heftiger Gebärde zum
Burschen: »Karl, ich sag' dir's, du wirst dich verbrennen! Hab's wieder
wahrgenommen gestern auf dem Abend. Bist ein verfluchter Kerl und wirst
noch alles verderben! Soll's mit der Sensenhammerischen Ernst werden,
so laß die Krämerische sein. Die legt dir Fallen! Wirst dir doch
anderswie zu helfen wissen die paar Monat. -- Eine Knechtin. Schick sie
in den Wald hinaus, die Sofferl -- fürs Vieh streurechen. Nachschauen
mußt gehen bei der Arbeit. Ach, geht mir weg, ihr jungen Leut' könnt
euch nichts anschicken.«

Karl stand stramm da, ließ seine Hände in den Hosentaschen stecken und
antwortete jetzt leichthin: »Für so ein Streurechen, wie der Vater
meint, ist mir die Sofferl doch zu gut.«

»Wie du glaubst,« sagte der Stadinger, »für wen sparst sie denn auf?
Ein dummer Halter oder Holzknecht oder so einer wird nicht lange
fragen, oder schon kurz gefragt haben. Und bissel ein Recht werden wir
doch noch haben übers Dirndl, das ich von der Straßen hab' aufgehoben
... Nun, wie du glaubst. Aber verpatsch dich nicht. Der Köder von der
Krämerischen! Ist eine Angel dran, ich sag' dir's! Wenn du mir die
Sensenhammerische verspielst, ich -- ich weiß nicht was ich tät!«

Mit diesen Worten wendete sich der Stadinger und ging in den Hof. Der
Karl pfiff ein lustiges Liedl und schlenderte über das Feld hin.

Auf dem Weichselbaum, unter welchem sie gestanden, saß eine, der
raste jetzt das Herz und das Blut. Das waren saure Weichseln, die
auf diesem Baume wuchsen! Die Sofferl hatte alles gehört. Und jetzt
überdachte sie es. Manches fiel ihr ein, wurde ihr jetzt klar. Es
fehlte dem Dirndl ja nichts auf dem Stadingerhofe, sie wurde gehalten
wie jede andere Magd und arbeitete auch so. Nur daß sie nicht fragen
durfte: wofür arbeite ich? Wo ist mein Jahrlohn? In der Schule
hatte sie gehört, daß es Leibeigene gegeben, welche ganz dem Willen
ihres Herrn unterworfen gewesen wären, daß Länder sind, wo es noch
heute Leibeigene gibt. Und der Stadinger hatte den Kaufbrief. Sie
hat fleißig gearbeitet, war treu und gewissenhaft gewesen in allem.
Nun zur Feierabendzeit auf dem Weichselbaume sitzend, hatte sie
gehört, daß solches nicht ihre ganze Aufgabe war in diesem Hause. Ein
heißer Aufschrei war zurückzudrängen in ihre Brust. Sie mußte jetzt
schweigen, durfte nichts gehört haben. Sie mußte arglos bleiben. Das
stand klar in ihr, sie wollte sich rächen. Rächen an dem Alten, dem
gewissenlosen Vater und Gerhab. Der Junge? Leise begann ihr das Herz
zu zittern. -- »Dafür ist sie mir doch zu gut,« hatte er gesagt. --
Seit langem hatte sie eine stille Neigung zu Karl, dem Haussohn, in
sich zu bekämpfen, und war es ihr auch gelungen, die Liebe mit Trotz zu
maskieren. War sie doch die Knechtin, die zur Liebe kein Recht hat, die
nur Gleichgültigkeit oder gar Verachtung erfährt von Mitgenossen und
Herrschaft. Wie aber soll es ~jetzt~ werden? Er hat ein Wort gesagt, in
welchem Achtung für sie lag, vielleicht mehr noch ... Soll sie jetzt
ihre Karte ausspielen? Soll sie's versuchen? Es war ja nichts für sie
zu verlieren. Und gelänge es? Glück und Rache. --

Kurze Zeit darauf war der Karl wieder einmal am Zaun gestanden und
hatte Scherzworte hinübergerufen in den Garten, wo die Krämerstochter
Blumen jätete. Das Mädchen tat recht anzüglich und meinte, wenn er ein
Sträußlein von ihr wolle, so möge er sich einen Sprung über den Zaun
nicht verdrießen lassen, nachtrage sie ihm nichts. -- Wenn er mit der
zu weit kommt, so ist's mit der Sensenhammerschen vorbei. Man muß ihm
aus dem Traume helfen. -- Das war wieder des alten Stadingers Gedanke,
als er jetzt vom Fenster heraus rief: »Karl, just denk' ich dran, du
wirst müssen nachsehen, ob in der Kornscheune das Dach nicht schadhaft
ist für den Winter. Geh' gleich, sonst vergißt's.«

Der Bursche ging in die Kornscheune. Das Dach war ganz gut, und unter
dem Dache kroch die Sofferl umher und legte die Garben glatt, die einen
Tag früher eingeführt worden waren. Beide erschraken voreinander, als
sie sich sahen. Im Augenblick aber fiel es dem Burschen ein, ob er es
nicht untersuchen solle, um wieviel das Dirndl besser oder schlechter
sei, als die Meinung war.

»Sofferl,« redete er sie ruhig an, »hast nicht Langeweile, allein beim
Korngarbenlegen?«

»Bin ja nicht allein!« rief sie, »sind ja die Korngarben da.«

»Zu zweien wäre es vielleicht kurzweiliger,« sagte er.

»Das weiß ich nicht. Unsereins denkt nicht an die Langeweile, denkt an
die Arbeit.«

Weil der Raum unter dem Dache zu niedrig war, um aufrecht zu stehen, so
mußte er kniend zu ihr hinankriechen.

»Das Nest ist gar nicht schlecht, daheroben,« flüsterte er und legte
seine Hand an ihren Arm. Sie schob ihn rasch von sich und sagte: »Karl,
du irrst dich!«

Jetzt wußte er einen Augenblick nicht, was er machen sollte.

»Daß du mich aber doch sogleich verstanden hast, Sofferl,« sagte er.

»Es ist keine Kunst, das zu verstehen,« gab sie zurück und legte
ununterbrochen die wirr übereinander geworfenen Garben glatt und
ordentlich aneinander. »Aber ich will's nicht verstehen. Du bist mir zu
gut dafür, Karl.«

Er stutzte. Es fiel ihm auf, was da gesagt wurde, aber auch, wie es
gesagt wurde. Schier traurig und innig. Und wie er ihr jetzt ins Auge
blicken wollte, wendete sie sich hinweg, trotzdem sah er noch auf ihren
Wimpern ein Tröpflein. -- Ohne noch ein Wort zu sagen, stieg er nieder
in die Tenne und ging hinaus. Wieder am Gartenzaun kam er vorbei, aber
er rief nicht mehr hinüber zur Krämerischen, er ging still vorüber.

Wenige Tage später trafen sie sich im Walde beim Streurechen. Die
Sofferl sah ihn schon von weitem kommen und ging ihm entgegen.

»Mir ist's recht, daß du da bist, Karl, oder wie ich sagen soll,«
sprach sie ihn an. »Das Dusagen wird sich bald nicht mehr schicken bei
uns.«

»Wenn du eine bessere Anred' weißt, so ist es mir auch recht,« sagte
der Bursche. »Die liebste Ansprach' zwischen uns wär' mir ~das~!« Einen
Kuß wollte er ihr geben.

»Da weiß ich eine andere,« sagte sie entschieden ablehnend. »Wie es
sich heute schon das zweitemal zeigt, tut's nicht gut, daß wir zwei
nebeneinander in diesem Haus sind. Du der Herr, ich die Knechtin. Sind
schon viel zu geschwisterlich worden miteinand. Du wirst es einsehen,
und deswegen bitt' ich dich gar schön, laß mich fort.«

»Fort, Sofferl! Ja, wohin willst du denn?«

»Das ist ganz gleich für dich und für mich. Aber um tausend Gottes
willen, zwingt mich nicht, daß ich in diesem Hause bleibe«

»Vom Zwingen ist keine Rede.«

»Dein Vater hat mich gekauft!«

»Vom Zwingen ist keine Rede,« wiederholte der Bursche. »Du bleibst
freiwillig.«

»Dein Vater laßt mich nicht, er hat mich gekauft!« rief das Dirndl.
»Sagt nur, was ich wert bin, ich will mich loskaufen!«

Darauf der Bursche: »Mein Vater hat dich erzogen und soviel ich weiß,
deine Mutter ein wenig unterstützt bei ihren Lebzeiten. Er wird's gern
sehen, wenn du dankbar dafür bist und noch ein paar Jahre auf dem Hof
bleibst, jetzt weil du brav arbeitest. Von mir aus bist gar nichts
schuldig, ich zwinge dich nicht zu bleiben, aber du bleibst freiwillig.«

»Es wäre unser Verderben, Karl!« rief das Dirndl scharf. »O, nein. Ich
bin nur eine niedrige Knechtin, aber meine Ehr', die hab' ich, und
sonst nichts, als wie die, und die will ich mir behalten. Geh' weg von
mir!« Sie hob ihren Eisenrechen drohend gegen ihn.

»Du bist ein Kind!« sagte er und ging seines Weges.

An die Sensenhammerische hatte der junge Stadinger zu dieser Zeit
seltener gedacht von Tag zu Tag. Als sie in das Institut abgereist war,
hatte sie ihm ein Abschiedsbrieflein geschrieben. Karl säumte mit der
Antwort so lange, bis er sie als zu spät hielt, dann gab er sie gar
nicht. In der Nacht nach dieser Begegnung im Walde nun lag der Bursche
schlaflos auf seinem Bette. Sie stand wie ein Lichtbild. Dieses runde,
weiße Gesicht mit dem roten Mund! Dieses schwarze, üppige Haar! Diese
heißen Augen, die auch so sanft und betrübt sein konnten! Diese ganz
ebenmäßig gerundete Gestalt! Ein schönes Weib! Und ein braves!

So lange lag er schlaflos, bis er aufstand und hinausging in die kühle
Sternennacht. Da kam er gerade recht, wie jemand mit einem Bündel über
den Anger huschte und gegen den Wald hin. Der Bursche eilte dem Diebe
nach, es war aber keiner, es war ein Weibsbild, ein junges und hieß
Sofferl. Sie versetzte dem Angreifer einen Schlag auf die Hand, doch
er hielt sie fest, trotz ihres verzweifelten Losringens. Und er sagte
ernsthaft: »Nein, Sofferl, so geht man nicht fort vom Stadingerhof.«

Sie schaute ihm schweigend und zornig ins Gesicht. Endlich hauchte sie
schweren Atems: »Also du willst mich nicht lassen?«

»Nein, Sofferl, ~so~ gehst du nicht fort.«

»Gut,« sagte sie schrill und tonlos. »Du hast es zu verantworten. --
Karl! -- Karl!« In rasender Erregung warf sie ihre Arme um seinen
Nacken, preßte sein Haupt an das ihre, seinen Mund an den ihren, und
gewaltsam, wütend vor Leidenschaft, küßte sie ihn, daß beiden der Atem
vergehen wollte ....

Nach dem Sturme stand der Bursche ganz verblüfft da. Aber seine Finger
hielten ihren Arm umklammert. Er schämte sich, geküßt worden zu sein
und schickte sich nun an, es wett zu machen; daß seine Leidenschaft
der ihren mindestens gleichkam, das sollte sie erfahren -- heute noch.

»Jetzt, Karl, gehen wir miteinand'!« sagte sie, hing sich rasch in
seinen Arm, und sie schritten aus dem Walde über den Anger dem Gehöfte
zu. -- Je näher sie zur Tür kamen, je fester und enger hielt er das
Dirndl im Arm. Plötzlich sagte sie: »Nur bis da her, Büberl! Wie es
steht, das weißt jetzt. Am Sonntag nachmittag fangen wir an. Jetzt geh'
und schlaf' dich aus!« Ein Ruck, und der Bursche stand allein vor der
zugeschlagenen Tür.

-- Und das ist die Knechtin! dachte er, das ist das demütige, willige
Dirndl, das sich ohne Widerred' alles gefallen läßt, immer geduldig und
immer lammfromm! Herrgott, wie die sich jetzt auseinander tut. Das ist
keine Knechtin! Die weiß ganz genau, wo ihr Recht und Eigentum anhebt.
Das ist eine Kernige! Eine Feurige! Bei der ist einer versorgt! Auf
die ist ein Verlaß! Für einen Batschen hab' ich sie nie gehalten, die
Sofferl, aber so hab' ich sie nicht gekannt!

Um diese Zeit machte der alte Stadinger seinem Sohn den Vorschlag,
wieder einmal nach Solgenstein zu fahren und die Sensenschmiedischen zu
besuchen. Da der Karl dafür keine Neigung zeigte, so sagte der Vater:
»Du glaubst, weil jetzt das Fräulein nicht daheim ist, so hast nichts
zu tun dort. Mußt aber auch auf den Schick nicht vergessen, gegen die
Vatersleut'.«

»Sollen herüberkommen, wenn sie mich sehen wollen,« gab der Bursche
kurz zurück. Da guckte ihn der Vater so von der Seite an und dachte:
Sauber ist er, aber manchmal dumm wie ein Kalb! Na, der Dumme hat's
Glück, das tröstet mich wieder. Gefreut mich nur, daß er bei der
Krämerischen endlich ausgelassen hat.

Und nun vom Sonntag nachmittag, an dem die Sofferl anfangen wollte. Das
Wirtshaus war voller Leut', aber das Dirndl, welches sonst nun schon
manchmal Aushilfe in der Kellnerei leistete, war heute nicht zu finden.
Der Karl auch nicht. Es hatte auch niemand Zeit, sie zu suchen; die
Kammer war verschlossen.

»Mit allem bin ich einverstanden,« flüsterte die Sofferl dem trauten
Gaste zu, »nur ein kleines Gebitt hab' ich, und das mußt du mir vorher
erfüllen.«

»Könntest schon bitten, was du wolltest!« sagte der Bursche. »Für
dich bin ich zu allem aufgelegt!« Sein Antlitz glühte und um seine
Mundwinkel zuckte die Freude, bei ihr zu sein.

»Schererei macht's dir keine,« sagte sie. »Schau, da habe ich eine
Tinte, und da hab' ich eine Feder, und geschrieben ist's auch schon.
Nur deinen Namen drunter.« Sie zog aus dem Busenlatz ein Papier.

»Was hast du denn da?« fragte er.

»'s ist nur brauchshalber,« sagte das Dirndl. »Gegen gute Bekannte
muß man artig sein. Ein kleines Briefel an die Sensenhammerischen zu
Solgenstein.«

»An die Sensenhammerischen? Laß das jetzt, Sofferl, ~die~ Leut' sind
mir zuwider.«

»Kannst sie lesen, meine Schrift?«

Er konnte sie lesen. Auf dem Papier standen etliche ganz zierlich
hingemalte Zeilen folgenden Inhaltes:


  »An das ehrenwerte Haus Kloppenberger, Hammergewerke
  zu Solgenstein.

  Unterschriebener erlaubt sich die freundliche Mitteilung zu machen,
  daß er sich am Sonntag den 11. Oktober 1885 mit der Magd Sophie
  Hubsteinerin auf Ehr' und Treu' verlobet hat.«

»Jetzt da drunter, mein Bübel, schreibst deinen Namen!« bat das Dirndl
zärtlich.

Da schaute er einmal drein. Schaute drein und sagte nichts. Endlich
schnalzte er mit der Zunge, tauchte die Feder tief in das Tintenglas,
und mit fester Hand schrieb er unter die Zeilen seinen Namen.

»Gut ist's!« hauchte sie, sich ihm an die Brust legend, »Karl, jetzt
hast mich!«

»Eine verdammt Feine bist!« sagte er. »Aber mir ist's schon recht.
Eine gescheite Frau zu haben, ist kein Schaden. Das Briefel will ich
besorgen.«

»Das tu' ich selber,« sagte das Dirndl. »Es kommt an den rechten Ort,
brauchst dich nicht drum zu bekümmern.«

Jetzt war ihm gut, jetzt war ihm leicht. Ach, das war für den jungen
Stadinger ein glückseliger Nachmittag. Der alte Fleischhauer fluchte
über die Abwesenheit des Jungen. »Gewiß!« so rief er dann angeheitert
den Gästen zu, »gewiß steckt er drüben in Solgenstein bei den
Sensenhammerischen. Ist ja in die ganze Familie vernarrt. Und ich mach'
gleich meine Einladung zur Hochzeit. Ja, ja, wenn wir das Stadingergut
und die Hammerherrschaft zusammentun, das gibt einen Eselsfleck auf der
Weltkugel. Ein Narrenglück hat er, mein Karl!«

Am Abende sah der Stadinger die Sofferl über den Hof eilen. Na,
die bekam es! Heute war er giftig. Wo sie gesteckt habe den langen
geschlagenen Nachmittag? Ein Tunichtgut und ein Taugenichts und ein
Faultier, und allerlei Donnerwetter und Kreuzsapperments darunter! So
stark ging's los, daß das Dirndl sagte:

»Herr Vater! Eine solche Litanei lasse ich mir nicht vorbeten. Wir
müssen uns jetzt einmal ein gemütlicheres Reden angewöhnen zueinander.«

»Was sagst? Knechtin, was nimmst dir heraus? Soll ich dir deinen
Standpunkt wieder einmal klar machen? Ich habe einen schönen Brief über
dich, wenn du ihn sehen willst!«

»Ich habe auch einen schönen Brief!« sagte das Dirndl, das Schreiben in
der Luft schwingend. Dann lief sie mit demselben dem Posthause zu. --

Am nächsten Tage ließ der alte Stadinger seinen Sohn in die Stube rufen.

»Gestern hast mich wieder einmal sauber allein gelassen bei den
Gästen,« redete er ihn an, »na, sei nur still, ich weiß, wo du gewesen
bist. Macht auch nichts. Was anderes wollt' ich sagen. Mit dieser
Bettlerdirn! Zum Totärgern ist's, was die mir gestern für Gegenred'
gehabt hat. Ich glaub', die wird spießig, ich glaub', die muß man
walgen. Schick sie diese Wochen in den Holzschlag hinaus, die hart'
Arbeit wird sie schon wieder weicher machen.«

»Wen?«

»Die Sofferl mein' ich!« brummte der Alte.

»Ist mir recht, daß wir von ihr reden,« sagte der Bursche. »Kommt mir
aber nicht leicht an, Vater, was ich zu sagen habe. Dem Menschen ist's
halt angeboren, man kann nichts dagegen machen, und die Sach' läßt sich
nicht zwingen und nicht wehren.«

»Was ist denn das für eine Umrederei?« fragte der Alte scharf.

»Ich denk', wir reden ein andermal davon,« sagte der Bursche. »Auf
einmal geht's nicht, und jetzt muß ich auf's Rübenfeld. Das gute Wetter
hält nicht an, es sinkt der Barometer.«

Viel mehr wurde nicht gesprochen an diesem Montagmorgen. Als jedoch
am Dienstag der Alte schärfer drauf drang, das Dirndl zur Züchtigung
in den Holzschlag zu schicken, konnte Karl das, was einzugestehen
war, nicht mehr länger verschieben. Auch konnte mit jeder Stunde aus
Solgenstein die Rückwirkung der Verlobungsanzeige eintreffen.

»Ich glaube, Vater,« begann er, »Ihr kennt die Sofferl noch nicht gut
genug. Ihr behandelt sie immer nur als Knechtin, und das ist ganz
natürlich. Aber so einfältig ist sie nicht mehr, daß sie an den dummen
Schein noch glaubte. Ist auch Zeit, daß dieser Spaß aufhört. Sie bleibt
freiwillig, ich stehe dafür. Die muß man kennen! Daß sie frisch,
fleißig, sparsam, treu und gescheit ist, das wisset auch Ihr, ist keine
letze Person. Ich kenne sie noch von einer anderen Seite ...«

Der Alte trat einen Schritt zurück, er stolperte dabei über einen
Schemel, so daß der Sohn ihn stützen mußte.

»O, ich dank' dir, ich steh' schon, ich fall' nicht!« stieß er heraus.
»Also die Sofferl gefällt dir so gut!«

»Ihr habt mir ja selber dazu geraten.«

»Und das --« Der Alte unterbrach sich. »Ja, du hast recht,« sagte er,
»ein braver Bursch', der seiner Zuhälterin das Wort redet. Sie soll
nicht in den Holzschlag, kann auf dem Rübenfeld bleiben.«

»Das was Ihr genannt habt, ist sie mir nicht, war sie mir nie,« sagte
der Bursche.

Der Alte entgegnete mit leiser Stimme: »Brauchst es ja nicht zu
leugnen. Ist ja eine natürliche Sach'.«

»Vater,« sagte jetzt Karl mit ruhigem Ernste, »über die Sofferl werden
wir jetzt schon in einem anderen Ton reden müssen.«

Nach einem Weilchen, als der alte Stadinger ein paarmal die Stube auf
und ab geschritten war, sprach er: »Du tust ja gerade, als ob -- als ob
-- Solltest zu weit sein gekommen mit ihr?«

»So weit als man kann,« antwortete der Sohn. »Sie ist meine Braut.«

Hierauf schwieg er und erwartete den Sturm.

Der Sturm kam nicht. Der Alte schritt wieder auf und ab. Einmal war's,
als wollte er sprechen und es fehlte dazu der Atem. Endlich nahm er das
Sacktuch und trocknete sich die Stirn. Dann begann er zu lachen. »Wenn
einer,« stieß er inzwischen hervor, »wenn einer, den man mit Sorgfalt
führt zu seinem Wohlergehen, jäh ausreißt und dumm weiter tappt und ins
Unglück springt, so ist das zum Lachen! Zum Lachen ist's, ha, ha! Das
Weinen wär' er nicht wert. Du bist das Lachen und das Weinen und deinen
Vater nicht wert. Wenn ich dich enterben könnte ...«

Der Sohn suchte ihn sanft und kindlich zu beruhigen. Er wies darauf
hin, daß der Stadingerhof für sich groß und reich genug wäre, daß man
kein fremdes Stück dazu mehr brauche, daß er ordentliche und fleißige
Leute reichlich ernähre und in Ansehen erhalte, und daß die Hauptsache
in der Ehe die Liebe und das Sichverstehen sei. Er sagte alles, was man
in solchem Falle eben zu sagen pflegt, und als er nichts mehr wußte,
schwieg er.

Der alte Stadinger schüttelte den Kopf und immer wieder den Kopf. Er
war völlig fahl geworden in seinem runden Gesichte. Endlich zuckte
er die Achseln und sagte aus gehobener Brust: »Verhext hat sie ihn!
-- Aber --« Er stellte sich mit gefalteten Händen hin vor den Sohn,
»daß du gerade die beste hättest haben können, und daß du gerade die
schlechteste nehmen willst! -- Ah nein, du bist Schelm genug und hast
mich brav gefoppt. Hauptspaßvogel du! Die Betteldirn! Die Knechtin! Hi
hi!« Er versetzte dem Burschen einen Puff an die Seite, der schalkhaft
hätte sein sollen.

Karl hielt es für das klügste, für heute abzubrechen. Die Portion war
groß genug gewesen.

Wieder einen Tag später ließ der alte Stadinger das Dirndl zu sich
rufen, trug ihr einen Sitz an, den sie nicht nahm, und fragte sie fast
demütig, wieviel sie verlange, daß sie den Zauberbann löse, mit dem
sein Sohn umgarnt worden sei.

»Um Haus und Hof geht's dir!« rief der Stadinger.

»Um Haus und Hof?« entgegnete sie verblüfft. »Kriegt der Karl Haus und
Hof? Ich habe ja gemeint, er wird enterbt, wenn er die Knechtin nimmt.
Haus und Hof das behaltet selber, Herr Vater.« Dann richtete sie sich
auf: »Ich weiß von Reichtum nichts und von Armut nichts, ~ihn~ will ich
haben, sonst will ich nichts, ist mir alles zu schlecht.«

Dem Alten wurde heiß und kalt, als er diese Leidenschaft sah. Nach so
einer hatte er auch geplangt in seiner Jugend, aber keine gefunden.
War auch ein Glück, der Mann muß seinen Kopf aufrecht halten für die
Wirtschaft. Und die Weiber? Liebhaben kann man die armen, heiraten tut
man die reichen.

Diesmal war weiter nichts zu machen. Abwarten, bis er ausgebrannt hat,
der dumme Junge. Nachher wird er von selber klug. -- Wenn man sich nur
darauf verlassen könnte! O verzweifelt, verzweifelt!

Es gibt Versicherungsgesellschaften gegen Feuer, gegen Wasser, gegen
Hagel, gegen Seuchen, gegen Diebe, gegen alles Mögliche, dachte der
Stadinger, nur gegen das größte Elementarunglück, gegen die Dummheit,
gibt es keine. Diese verdammte Liebe, diese vermaledeite! Aber wer
gescheit ist, dem macht sie nichts. Nur den Toren! -- Verlobt haben
sie sich. Meinetwegen, wenn sie nur nicht heiraten. -- Auf jeden Fall
müssen die Sensenhammerischen warm gehalten werden.

Er fuhr auf seinem Wäglein nach Solgenstein, aber die
Sensenhammerischen waren schon kalt. Als er sich anmeldete, ließen
sie sich verleugnen, es wäre niemand zu Hause. Der Stadinger kehrte
beim Hirschenwirt ein, und aus Ärger kam er zu tief ins Glas. Auf der
Heimfahrt nächtigte es, das Rössel wurde ungebärdig und warf Wagen
und Fuhrmann in den Straßengraben. Wohl packte der Mann mit Mühe und
Not sich wieder zusammen, aber als er nach Hause kam, wimmerte er
vor Schmerzen. Das rechte Bein war ausgerenkt. Der Kurschmied wurde
gerufen, aber darauf wurde es noch schlimmer. Die ganze Nacht lang
ächzte und schrie der freilich durch beständiges Wohlergehen wehleidig
gewordene Mann; alle Hausleute liefen zusammen, selbst die Gäste aus
der Schankstube, jedes wußte einen Rat, aber keiner war etwas nutz.
Auch die sieche Frau Stadingerin kam aus ihrem Zimmer, aber nur um ihm
heftige Vorwürfe zu machen, daß er umgeschmissen habe; dann siffelte
sie wieder in ihr Nest, welches sie fast nie mehr verließ. Sie kümmerte
sich um nichts, nur wenn sie Grund zum Keifen witterte, kroch sie
hervor. Endlich blieb die Frau ganz liegen, vergraben in ihrer Gicht
und Giftigkeit. Als die Sofferl sah, der Stadinger hätte keine Hilfe
und keine Labe, streifte sie ihre blauen Ärmlinge auf: Das wolle sie
doch sehen, ob dieser ungute Fuß denn nicht ordentlich zu verbinden
sein sollte! -- Sie richtete Späne und Binden zusammen, ging frisch an
die Arbeit.

Als das Bein gleichgerichtet und gefatscht war, hörte das Wimmern des
Kranken auf, und er fragte im Halbtaumel: »Ist es der Doktor?«

Die Sofferl wäre es.

»Vertrakte Dirn! Kann die auch Beine einrichten? Jetzt soll sie aber
schauen, daß sie weiterkommt!«

Am nächsten Tage tat's ihm wohl, aber als er aufstehen wollte und einen
Fehltritt tat, war der Teufel wieder los. Es kam eine elende Nacht, man
löste das kranke Bein und verband es wieder, die Schmerzen steigerten
sich so sehr, daß er gegen Morgen nach der Sofferl verlangte. Das
Dirndl legte neuerdings den Verband an, da seufzte der Stadinger auf:
»Ach, das tut gut!« Jetzt durfte sie nicht mehr von seinem Lager, sie
pflegte und begutete ihn Tage und Nächte lang. War er ruhig, so war sie
heiter und plauderte über angenehme Dinge; war er mürrisch, so schwieg
sie und war geduldig.

»Ich hätt's nicht geglaubt,« sagte er, »ich hätt's nicht geglaubt.«

Sie machte ihm das Kissen recht, legte ihm das Bein recht, stellte
ihm den Teller recht, wenn er aß. Anfangs zankte er und ärgerte sich
darüber, daß es bei ~der~ eigentlich nichts zu zanken gab. Allmählich,
denn sein Fußleiden dauerte wochenlang -- es war noch eine Sehne
verrenkt und entzündet -- wurde er freundlich mit ihr, ließ sich von
der Wirtschaft erzählen, hielt es nicht unter seiner Würde, mit ihr
über Haus und Geschäft zu sprechen. Er hatte es gern, wenn ihre Hände
geschickt und zart das Bein betreuten, wenn sie ihm das graue Haar von
der Stirn strichen, und einmal faßte er ihre Hand in die seine, hielt
sie eine Weile und, um dabei etwas zu sagen, sagte er: »Du bist so
schön warm, Sofferl!«

Endlich konnte der alte Stadinger wieder aufrecht stehen. Und eines
Morgens, nachdem die Sofferl ihm den Kaffee gebracht und gezuckert
hatte, schickte er sie hinaus: Der Karl soll hereinkommen.

Der Bursche, frisch und munter wie immer, trat herein und wollte mit
seinem gewohnten Wirtschaftsbericht anheben.

»Das ist ja recht, ist ja recht!« unterbrach ihn der Alte. »Etwas
anderes wollte ich sagen. -- Wenn du sie haben willst, so nimm sie
bald. Sonst nehm' ich sie.«

Da lachte die Sofferl draußen, denn sie hatte es gehört.

»Das dumme Papier unter meinen Schriften,« fuhr der Stadinger fort.
»Sei so gut, Karl, lange mir das Packel aus dem Kasten. So wohl. -- Da
ist der Wisch. Zerreiß ihn.«

Stand das Dirndl an der Tür: »Von einer Schrift ist da die Rede, die
möchte ich mir ausbitten.«

»Was geht's dich an!« fuhr der Alte empor. »Bist mir eh zum Unheil
ins Haus gekommen, du! Geschämt hab' ich mich schon vor mir selber,
deinetwegen. Kummer und Ärger hast mir gemacht. Deine verdammte
Bravheit! Jetzt bist eingenestelt. Gefangen hast uns! Höllisch
aufgebracht bin ich. Da, da hast ihn, deinen Loter! Wenn er dich nimmt!
Ich wett', er nimmt dich gar nicht.«

»Nein, er nimmt sie nicht!« rief der Bursche, »er ~hat~ sie schon
genommen.« Und halste sie und küßte sie so heftig und schmatzend, daß
dem Alten die Zähne wässerten.

Wie dem Dirndl zu Mut war, wir können es uns denken. Sie hatte
geschworen, sich zu rächen für die Schmach, mit Geld gekauft worden zu
sein. Sie wollte in einem anderen Sinne Stadingers unveräußerliches
Eigentum werden, sie hatte es erreicht. Ihre Rache bestand in Liebe,
und sie ist gut dabei gefahren.

Noch an demselben Tage wurde die Hochzeit bestimmt und der Ehevertrag
aufgesetzt vom Notar. Als der unterfertigt war von allen Seiten, lief
die Sofferl hinaus ins Freie, lief den Hügel hinan, von wo aus die
weiten Besitzungen des Hofes zu übersehen sind. Dort reckte sie sich
empor, daß sie groß wie eine Hünin wurde, dehnte ihre Arme in die Luft
und rief: »Knechtin? -- ~Herrin!~ -- Juchhe!«




                      Das Christkind von Scharau.


Das Frommsein ist süß. Nur schade, daß es bloß alle heiligen Zeiten
einmal sein kann. Die übrige Weile muß der Mensch an was anderes
denken. Zu viel von der Gattung macht mager, meint der Baumbart-Bauer.
Aber wenn eine heilige Zeit kommt -- insonderheit die Weihnachtszeit,
da tut er die Bibel herfür. Die Bibel und das Bübel, das letztere ist
sein jüngstes Söhnlein und dem legt er die Bibel aus und sagt: »Mein
Gott, die Kinder!«

Denn der Knabe brennt durch und durch vor Liebe zum Christkind und
die heiligen Flammen schlagen ihm zu den hellen Augen heraus. Und die
Fäustlein sind gar fest gekniffen, denn es gibt auch ganz elendlich
schlechte Leute in der Bibel.

Es ist der heilige Abend und es geht schon um's Dunkeln. Der
Baumbart-Bauer ist eben auch schon in den Jahren, wo man mit der
Frömmigkeit nicht mehr viel versäumt. Er hat sich's in der Stube bei
der Bibel recht behaglich gemacht, denn das gehört dazu, und er deutet
nun dem Kleinen das Weihnachtskapitel:

»Ist selb' Zeit, mußt wissen, im heiligen Land eine Volkszählung
gewest, im Vergleich wie bei uns vorigen Sommers, wo der Schulmeister
als Umgangssprache die lateinische angegeben hat, was richtig ist, weil
beim Fronleichnamsumgang Geistlichkeit und Meßner lateinisch beten.«

»Und die Ministranten auch,« vervollständigte der Knabe, weil er ja
selber einer war.

»Gehört nicht her da,« sagte der Baumbart-Bauer. »Und bei der
Leutaufschreibung im heiligen Land ist auch unsere liebe Frau von weit
her nach Bethlehem kommen, wo sie zuständig gewesen, und daß sie sich
angeben wollt'. Ist ein arm' Weib gewesen und wie's finster worden ist,
hat sie in der ganzen Stadt Bethlehem keine Nachtherberg' gefunden.«

»Hat sie nicht bei ihren Blutsfreunden anfragen können, wenn sie
zuständig ist g'west?« warf der Knabe sehr brav ein.

»Meinen sollt' man's,« sagte der Alte, »aber wer so bettelarm ist,
der hat keine Vettern und keine Muhmen. So gern sich die ganze
bethlehemitische Freundschaft später bei der Himmelfahrt der Mutter
Gottes an ihre Falten angeheftet hätte, so gern hat sie zu Bethlehem
dem armen Weib die Tür vor der Nase zugeschlagen. So sind die Leut',
mein Bübel, so sind die Leut'!«

»Gelt, wenn sie zu uns wär' kommen, die liebe Frau, wir hätten ihr das
hintere Stübel warm heizen lassen?«

»Gehört nicht her da!« sagte der Bauer, »so christlich sind wir
gleichwohl in der Scharau, daß wir die Mutter Gottes nicht in einem
Ochsenstall übernachten ließen, wie das Judenvolk von Bethlehem so
unbarmherzig ist gewest; die armen Hirten haben braver sein müssen.
Hör' nur zu!«

Da ist die christliche Unterhaltung plötzlich unterbrochen worden.
Die Baumbart-Bäuerin kam eilig in die Stube getreten, aber so leise,
als ginge sie in eitel Socken; und halb über den Tisch hingelehnt,
lispelte sie dem Ehemann zu: »Du, jetzt ist eine draußen, die will
sicher dableiben heut' Nacht.«

»Aha,« meinte er, »für die Festtage sucht sich das Bettelvolk allemal
den Großhof. Die Krapfen, die du gebacken hast, riechen halt weitum in
der Luft.«

»Ein Bettelweib ist's dieweilen zwar noch nicht, die draußen steht,«
sagte die Bäuerin.

»Ist's wer der will, behalt' sie und gib ihr eine Suppe.«

»Und bist gar nicht begierig, wer's sein möcht'?« fragte das Weib.
»Raten kannst lang', derraten wirst es nicht.«

»Nachher wird sie von weit her sein.«

»Vom Masenthal herüber.«

»Etwan doch nicht die Plonel?«

»Schau, was du für eine scharfe Nasen hast,« sagte die Bäuerin und
indem sie sich weiter über den Tisch bog und noch näher ans Ohr ihres
Mannes hin: »Das stinkt aber auch danach. -- Sie laßt den Vetter schön
grüßen.«

»Kann mir's denken. Umsonst kommt die nicht zu ihrem Vetter. So Leut'
tragen allemal weniger ins Haus herein, als hinaus.«

»Dasmal,« meinte nun die Bäuerin, wies aber, bevor sie weiter sprach,
den Knaben davon; die Kinder brauchen nicht alles zu hören. »Dasmal
möcht's umgekehrt sein, däucht mich schier --«

»Wie meinst das?« fragte der Bauer und lugte sie schief an.

»Geh' hinaus, in der Küche steht sie, wenn sie sich nicht niedergesetzt
hat. Betracht' sie dir einmal, die Plonel, ob sie nicht schwerer
aufgefaßt hat, als ein Weibmensch in solchem Alter tragen soll ...«

In der Küche stand sie wirklich, denn sie hatte sich nicht
niedergesetzt. Obwohl der größte Teil ihres Gesichtes und Körpers in
ein wollenes Umhängtuch eingemummt war und obwohl sie so demütig und
armselig dastand, merkte man doch leicht, daß sie jung und hübsch war.
Die Augen, die zwischen der Vermummung aus einem vor Kälte und anderem
geröteten Gesichte hervorschauten, waren treuherzig und traurig dabei.
Die Hände, die in fingerlosen Handschuhen staken, hielt sie vorne unter
dem Busen aneinander und in denselben ein Handbündel.

In die Länge war sie seit zwei Jahren nicht gewachsen, das sah der
Baumbart-Bauer auf den ersten Blick. Die Plonel war ein armes,
fleißiges und gutherziges Ding, eine Waise und zur Zeit, als ihre
Dienstherren mit ihr wohl zufrieden, mit dem Baumbart-Bauer weitläufig
verwandt gewesen. Aber seit sie vor zwei Jahren aus der Scharau ins
Masental hinübergewandert war, wo die Leute um ein gut Stück lustiger
sind als da herüben, und wo sie in dieser Sache die Ehre der Scharauer
rettete, indem sie tatsächlich dartat, daß Scharauerblut noch viel
lustiger sein könne, als welches vom Masental, und seit der Ruf davon
ins Heimatsdorf zurückgekehrt war -- fand der Baumbart-Bauer, daß die
Verwandtschaft mit ihr eigentlich nur eine »erheiratete« gewesen und
dieselbe längst »mit Tod abgegangen«.

Diese erheiratete, aber mit Tod abgegangene Verwandtschaft hatte
das Mädchen jetzt mitten im scharfen Winter aus dem fernen Tale
herübergeführt, um zu den Weihnachtsfeiertagen ihre Vettern und Muhmen
auf dem Baumbarthofe heimzusuchen. Als der »Vetter« in die Küche trat,
wollte sie ihm die Hand küssen. Er ließ es nicht angehen, sondern sagte
recht gutmütig, das wäre was Neues, daß sich die Plonel auch wieder
einmal anschauen ließe. Sie sollt' nur ein wenig abrasten und einen
Löffel warmer Suppe essen, auch dürfe sie ein Stück Weihnachtsbrot
nicht verschmähen, obwohl er wisse, daß die Masentaler ein besseres
hätten. Er täte gern sagen, daß sie in seinem Haus über Nacht bleiben
möchte, wenn ein einzig Platzel aufzutreiben wäre; aber es sei über
und über alles besetzt; Verwandte, die ihn über die Feiertage besucht,
hätte er auch im Haus. -- Na, wie's ihr alleweil ginge? Das Aussehen
wär' nicht schlecht.

Der Plonel hatte es die Rede verschlagen. -- Wie es ihr ginge? Daß sie
müde ist vom weiten Weg und in einer schweren Bangigkeit! Und daß sie
jetzt in der Scharau keine Herberg' hat! -- Sie hat's nicht gesagt. Als
sie des Bauers, ihres einzigen Verwandten, Worte gehört hatte, konnte
sie weder essen noch trinken. Da müsse sie wohl wieder anrücken, sagte
sie kleinlaut und betrübt, sie hätte noch einen weiten Weg. Die Bäuerin
suchte ihr etliche Krapfen aufzunötigen; der Bauer sagte ihr noch
freundliche Worte, und als das Mädchen das Umhängtuch fester um ihren
Körper gebunden hatte und langsam, mit jedem Schritte völlig zögernd,
in den dämmernden Winterabend hinausgegangen war, atmeten die guten
Baumbartleute auf: »Gott sei Dank, daß wir die fortgebracht haben!«

Der muntere Knabe trachtete den Vater bei den Rockschößen wieder in die
feierliche Stube zu zerren und rief: »Jetzt mußt du mir die Geschichte
von unserer lieben Frau in Bethlehem weiter erzählen!«

»Gehört nicht her da!« sagte der Bauer etwas unwirsch, wußte aber
selbst nicht, warum er unwirsch war.

Als es ganz finster geworden und so recht der Frieden der heiligen
Nacht über das Dorf ausgebreitet lag, als auch das Aveläuten verklungen
war, die Glocken mit ihren letzten Schlägen aber noch anzudeuten
schienen: Heute sagen wir nicht: gute Nacht! heute fangen wir noch
einmal an! -- da hieß es im großen Baumbarthofe plötzlich: »Der
Kinigl-Peterl ist da!« Das Knäblein schoß wie ein Pfeil zur Tür hinaus
und stand auch schon vor dem wunderlichen Mann.

Der Kinigl-Peterl war ein alter, großer, hagerer Patron, der zu jenen
bestgesuchten und schlechtest geachteten Leuten gehörte, wovon jedes
Dorf die seinen hat, Leute, die alles können und anfassen, wofür
zufällig sonst niemand zuwege ist. Sie sind Strohdachdecker und
Brunnengräber, Krankenwärter und Rattenfänger, Obstbaumpelzer und
Honigausheber, Kapaunzüchter und Ochsenmacher, und noch viel mehr,
kurz: nahezu alles -- und darum nichts.

Der Kinigl-Peterl, der mit seinem rechten Namen Peter König hieß,
verlegte sich außerdem noch auf die Kaninchenzucht, was ihm allerdings
nicht viel zu schaffen machte, denn die Kaninchen züchten sich selber.
Er hatte davon manch feines Brätlein und den Namen Kinigl-Peterl.
Nebenbei hatte er eine kleine Familie mit einem nicht immer harmonisch
gluckenden Weiblein und drei Töchtern, die schon erwachsen waren und
zur Sommerszeit vor dem Häusel mitten auf der Straße saßen und mit
Sandhäuflein und Steinchen spielten. Es waren die »drei armen Hascher«
von Scharau. Ihr Vater hatte denn viel zu schaffen, daß sie zu ihrer
geistigen Verkrüppelung nicht auch noch Hunger leiden mußten. Im Häusel
sah's wohl arm aus, aber nicht bettelhaft, und der Peterl nahm jede
Gelegenheit wahr, sich was zu »verdienen.«

Eine solche Gelegenheit zum »Verdienen« war die heilige Weihnachtszeit,
da er von Haus zu Haus ging und den Leuten die »Geburt Christi« sang,
wofür er eine kleine Gabe erntete. Denn überall beschloß er seinen Sang
mit den Worten: »Glück hinein, Unglück hinaus, Gott besegne dieses
Haus!«

So stand der Kinigl-Peterl in seiner langbemantelten, hageren,
vorgeneigten Gestalt, mit dem kleinen Gesichtl und den weißen
Bartstoppeln dran, mit frommen Gebärden, aber fürwitzigen Äuglein
-- so stand er da an der offenen Haustür; der Schein des Herdfeuers
fiel auf ihn und er sang die Geschichte der Einkehr zu Bethlehem, wie
sie eine Stunde früher der Baumbart-Bauer aus der Bibel dem Knaben
erzählt hatte. Nun kam der Bauer und legte sich aus dem Beutel zwei
Silberzehner in die hohle Hand zurecht, denn das christliche Singen
nach altem Brauch gefiel ihm gar wohl, und das Almosengeben schien ihm
heute recht stimmungsvoll; es kam ihm bedeutend leichter an wie sonst:
Nur heraus damit, heiliger Abend ist nicht alle Tag'.

Der Peterl hatte die »Geburt« schier zu Ende gesungen; jetzt war er
gerade dabei, wie die römischen Beamten zur heiligen Familie in den
Stall treten, um von ihr die Beschreibung aufzunehmen. Da spricht

~Der Schreiber~: »Sagt an, sagt an, wie des Kindleins Namen ist?«

~Der Vater Josef~: »Das Kindlein heißt Herr Jesu Christ.«

~Schreiber~: »Sagt an, wie heißt die Mutter fein?«

~Josef~: »Die Mutter heißt Maria rein.«

~Schreiber~: »Und saget, wie der Vater heißt?«

~Josef~: »Der Vater heißt der heilige Geist.«

Während solcher Zeremonie war aber auf dem Gesichtlein des Peterl keine
rechte Andacht zu erkennen. Das gefiel dem Bauer nicht. Er hielt dem
Alten die flache Hand mit den Silberstücken hin und sagte: »Du siehst,
Peterl, es sind ihrer zwei. Und hab' sie dir geben wollen allzwei.
Aber weil du's ein wenig schlampert machst mit der heiligen Sach', so
kriegst nur einen.« Damit nahm er mit der andern Hand den einen weg und
schob ihn in die Tasche. Den zweiten nahm der Peterl mit einer schönen
Verbeugung und sang den Schlußvers:

  »So sei dir, Haus, wohl ehrenwert
  Des Boten letzter Gruß beschert,
  Glück hinein, Unglück hinaus,
  Gott --«

Der Peterl unterbrach sich und sagte recht demütig: »Ich hab' dir zwar
das Ganze vermeint gehabt, Baumbart-Bauer, aber ich denk', das Letztere
behalte ich für mich selber.«

Und schob davon. --

Wie diese Zwei zu solcher Stund' und in der Weise auseinandergingen,
hätte man nicht vermutet, daß sie sobald wieder miteinander sollten zu
tun kriegen. Und doch schon in derselbigen Nacht.

Als der Baumbart-Bauer vom Mitternachtsgottesdienste nach Hause ging
-- es war ein heftiges Schneien und Stöbern eingetreten --, und als er
an seinem einsam stehenden Heustadl vorüberkam, eilte aus diesem eine
Gestalt hervor. Eine lange, hagere Gestalt. Der Bauer rief sie an, was
sie im Stadel zu suchen gehabt? Der Kinigl-Peterl war's und der sagte
ganz erregt: »Ah, du bist's, der Baumbart! Schau, das ist schon wieder
überflüssig, daß eins bei Nacht und Nebel so weit in die Kirchen geht,
wenn man das Christkindl auf eigenem Grund und Boden hat. Willst es
wissen: da drinnen ist's, da drinnen im Heustadl. Ochs und Esel stehen
nicht dabei, drum geh nur geschwind hinein, ich komm' auch bald nach.«

Er lief davon. Wie der Alte noch laufen konnte! Im Stadl war etwas zu
hören. Der Bauer horchte. Das war ja schier das Schreien eines kleinen
Kindes! -- Er ging in die alte Bretterhütte, kroch über Stroh und Heu,
rief herum, was denn da wäre und war endlich ganz nahe dem jungen
Geschrei. Da es stockfinster war, so machte er keinen Schritt mehr
weiter, sondern fragte, wer da sei.

Nun antwortete ihm die matte Stimme eines Weibes, wenn er etwa nur aus
Neugierde frage, so nenne sie ihren Namen nicht.

»Ist auch nicht nötig,« sprach der Bauer, »ich kenne deine Stimme, mir
scheint, die habe ich heut' schon gehört. Warum sagst es denn nicht,
daß es so mit dir steht?«

»Der Vetter hat mir beizeiten den Riegel vor den Mund und vor die Türe
geschoben.«

»Wenn ich dein Vetter bin, so wird's mir auch zustehen zu fragen, wer
die Schuldigkeit hat, daß er jetzt für dich sorgt; heißt das, wenn du's
selber weißt.«

»Bauer!« sagte sie und ihre Stimme war kräftiger, »mein Mann ist jetzt
beim Militär!«

Warum sie's nicht gesagt hätte, daß sie verheiratet wäre?

Weil sie nicht darum gefragt worden sei. Ihr Mann sei ein Auswendiger
(Fremder), und mit so einem hebe man in Scharau keine Ehre auf.

Warum sie jetzt in die Scharau herübergekommen sei?

Weil sie noch vor den Wochen ihre Verwandten besuchen wollte. Die Zeit
aber sei Gott bekannt. Die Verwandten hätte sie nun wohl gesehen --
jetzt wolle sie Frieden haben.

Da kam schon der Kinigl-Peterl mit einem Laternlicht und mit einem
breiten Buckelkorb, wie man solche im Sommer zum Grastragen braucht. Er
stäubte sich am Eingang sorgsam den Schnee ab, dann kroch er über das
Heu her und hinter ihm kroch sein Weib nach, das schleppte Mäntel und
Bettdecken und rief der Mutter mit dem Kinde schon von weitem Koseworte
zu, und daß sie nur getrost sein sollten, es kämen ja schon die Hirten
mit warmen Suppen und Wollzeug und allerlei. Und der Peterl schlug vor,
sie solle das liebe Christkindel nur keck anpacken und damit in den
Korb kriechen, dann wolle er sie beide rechtschaffen weich und warm
einwickeln und in sein Häusel tragen, wo schon alles bereit sei.

Und als der Baumbart-Bauer merkte, die zwei Häuslersleute wollten sich
hier wirklich auf die frommen Hirten von Bethlehem hinausspielen, da
schämte er sich und stellte sich bereit, die Arme in sein Haus zu
nehmen. Sie aber dankte für die gute Meinung: »Ich bin eine arme Magd
und will mit den Hirten gehen.«

Sie ging aber nicht, sondern ließ sich hübsch tragen und dankte Gott
in ihrem Herzen, daß diese nötenreiche Nacht einen so freundlichen
Christmorgen gefunden hatte.

Am Christtage, als die Leute erfahren hatten, was sich Merkwürdiges in
der Scharau zugetragen, kamen sie ins arme Häuslein mit Lob und Gaben.
Die Gaben für Mutter und Kind, das Lob für den Peterl und sein Weib.
Die »drei armen Hascher« standen auch vor dem Bett und schauten das
Wunder an. Es war, als ob von diesem ein Strahl ausginge, so verklärt
lächelten ihre einfältigen Augen. Und so ist das Wort laut geworden
und ist dem Kleinen, der hold heranwächst, der Name geblieben: »Das
Christkind von Scharau«.




                        Die Brüder Stadlhofer.


In einer schlaflosen Nacht fiel mir der Johann Stadlhofer ein. Er
war unweit meines Ortes daheim, in der Gegend von Wenigzell oder
Strallegg -- dort oben irgendwo. Kennen lernten wir uns in Graz, wo er
an der Universität studierte, dieweilen ich -- älter als er -- in der
Vorbereitungsklasse der Handelsakademie saß. Aber ich war ihm nicht zu
schlecht; an Sonntagen gingen wir gern miteinander aufs Land hinaus, am
liebsten auf solche Höhen, wo man die fernen grauen Bergrücken unseres
gemeinsamen Heimatgaues sehen konnte. Der Johann lachte immer, wenn wir
von der Heimat sprachen, er erinnerte sich an die Narreteien, die er
dort als Bauernjunge getrieben, doch manchmal blitzte ein jäher Zorn
auf, ohne merkbare Ursache. Dann ließ er sich wieder alles gefallen
und bisweilen, wenn unser mehrere beisammen waren, trieben wir's wüst
mit ihm. Er verband sich die Augen und stemmte in wagrecht gebückter
Stellung den Kopf an den Baumstamm. Einer von uns anderen schnellte die
Beine, hüpfte auf seinen Rücken: »Esel, wer reitet?« Und er antwortete:
»Der Goldleitner Gelm!« oder »Der Waldbauernbub, der Schelm!« und
erriet es allemal. »Der muß auch hinten Augen haben!« riet einer der
Spielgenossen. »Freilich,« lachte der Johann, »ich hab sogar an deinen
Ohren Finger. Merkst du's?«

Jener merkte es. Aber nicht grob.

Noch mehr als seine rückwärtigen Augen bewunderte ich an ihm die
Artigkeiten mit schönen Stadtdamen. Da war's wieder so, daß er seinen
Mund an ihren Fingern hatte. Er küßte ihnen die Hand. Aber wie? Er
nahm so ein weiches, schmales Händchen in seine Bauernpratze, faßte
die Fingerchen zusammen in seine Faust, so daß nur die rosigen Spitzen
hervorstanden. Und diese Spitzen küßte er. Aber so nachdrücklich, daß
man meinte, er wolle ihnen das süße Blut aussaugen. Und die Dame wurde
gar nicht einmal so böse. Er war ein hübscher, frischer Junge, und
solcher braucht sich an keinerlei Kußregeln zu halten.

Eines Tages gegen Ende Mai erhielt mein Johann Stadlhofer von seinem
Bruder ein Schreiben, expreß, er möge eilends heimkommen, es sei die
Mutter schwer erkrankt. Kränklich war sie schon seit lange gewesen.
Er machte sich sofort auf den Weg, zu Wagen, so weit es ging, dann zu
Fuß ins Gebirge. -- Am fünften Tage ist er wieder zurückgekehrt, aber
das war ein anderer, als der fortging. Ein guter Sohn war er immer
gewesen, obschon er sich dessen eher zu schämen schien. Der leise
Mollton, wenn er manchmal -- selten geschah es -- der Mutter Erwähnung
tat, war mir aufgefallen. Daß ihn aber der Mutter Tod so herrichten
sollte, das hätte ich nicht denken können. Er kam zu mir, sagte, daß
seine Mutter gestorben sei, und ging ohne weiteres wieder davon. Fast
hatte er ein anderes Gesicht bekommen, vergrämt und abgespannt. Man
sah ihn nicht auf der Gasse, und wenn man an seine Bude klopfte, war
er nicht zu Hause. Ich war schon in Sorge, ihm irgendwie weh getan zu
haben, vielleicht durch mein Beileidsbrieflein, worin ich ihn auf ein
Wiedersehen mit der Seligen im Jenseits verwies. Er hatte zwar das
Knabenseminar durchgemacht, aber seit der siebenten Klasse glaubte er
an nichts mehr.

So war's ein paar Wochen, da trafen wir uns eines Abends zufällig auf
dem Glacis. Wir gingen miteinander wie früher und gingen in den stillen
Wald von Mariagrün hinaus.

Ein gelbes Dachshündchen hatte er bei sich, das früher nie mit ihm
gewesen. Es watschelte jetzt kurzbeinig neben ihm her. Manchmal, wenn
uns Leute begegneten, flüchtete sich das Tier an den Johann, hob das
rechte Vorderbeinchen auf und winselte ein wenig. »Weil ihm einmal
einer hart aufs Pfötel getreten ist,« sagte mein Begleiter. Ich hob ein
Stückchen Holz auf und wollte dem Hunde »Apportel« werfen. Der Johann
nahm es mir aus der Hand: »Das wollen wir bleiben lassen.« Im Walde,
auf einem Holzblock, sind wir lange gesessen, bis in die Nacht hinein,
und dort hat er mir's erzählt.

Unser Haus, so begann er, steht ganz oben auf einem Hochland. Weitum
sieht man die Almen und Felsenberge, es ist schön dort. Mein Vater ist
schon lange gestorben; mein Bruder führt die Wirtschaft, er ist um fünf
Jahre älter als ich. Wir haben uns immer gut miteinander vertragen und
er hat gegen den kostspieligen Studenten nie was einzuwenden gehabt.
-- Wie ich nun hinaufgelangt bin und dem Hause nahe, da kommt mir mein
Bruder entgegen, über den Anger her. Lässig reicht er mir die Hand und
sagt: »Ja, mein lieber Bruder! Die Mutter werden wir halt nit mehr
lang' haben.« Während wir ins Haus traten, erzählte er mir kurz die
Krankengeschichte. Ihr Bett stand in der großen Stube an der Wand.
Ihr Gesicht kam mir viel weißer vor als sonst, ihr Haar dunkler. Als
sie mich sah, lächelte sie ein wenig und hob sachte die Hand. Vor der
erschrak ich fast, sie war so schlank und kühl. Sie hatte doch sonst
~meine~ Hand gehabt, die da. Sie sprach leise und nicht gar deutlich,
fragte, wie die Reise gewesen sei, und bemerkte, daß meinem Tuchrock
linkerseits ein Knopf fehle. Den solle die Küchenmagd nur gleich
einheften. Um meine Beklemmung zu verbergen, schäkerte ich ein bißchen
mit dem Finetterl, dem kleinen Dachshund, der immer so gern bei ihr
war, der jetzt am Fußende des Bettes lag und der trotz der neun Monate
unserer Trennung mich nicht aus dem Gedächtnis verloren hatte. »Aber,«
fuhr die Mutter fort, »ausschau'n kunnt'st mir besser, Hansel. Wieder
so viel lernen wirst müssen, gelt?« Diese Frage war mir unangenehm,
denn ich lernte -- wie du weißt -- gar nichts, schon monatelang.
Im ersten Jahre Jus, was gibt's denn da zu lernen! »Nein, Mutter,«
beruhigte ich sie, »da geb' ich schon acht, daß ich mir mit Lernen die
Gesundheit nicht verderbe. Wenn nur erst Ihr wieder auf der Höh' wäret!«

Aber sie lenkte das Gespräch über ihren Zustand alsbald ab --
tätschelte meine Wange und fand, daß ich ein Bartrüpel wäre. »Morgen
mußt dich balbieren lassen.« Als ob ein hoher Feiertag bevorstände.
Oder dachte sie daran, daß Geistliche keinen Bart tragen sollen? Am
Ende wußte sie noch von nichts. Mir war bange gewesen, was sie sagen
würde. Nun sagte sie gar nichts von der Sache. Plötzlich aber: »Für
den Ostertag mußt du dich gar schön herrichten, Hans.«

»Für den Ostertag? Der ist ja schon vorbei, Mutter.«

»Hab' ich gesagt, Ostertag?« fragte sie verloren. »Wie närrisch lauter,
daß mir jetzt der Ostertag in den Kopf kommen ist. Jetzt aber schau,
daß du was zu essen kriegst.« Und ordnete an, daß mir Schöberl gebacken
und Kaffee gekocht werde.

Während des Essens in der Nebenkammer war ich völlig beruhigt. Allzu
bedenklich kam mir die Mutter nicht vor. »Auch hat sie keine Schmerzen,
kein Fieber.«

Mein Bruder saß am Tisch, mir gegenüber, und schaute mir zu, wie ich
mit dem großen Löffel voll Eierkuchen in den Kaffee fuhr, um so beides
gleichzeitig in den Mund zu bekommen. In der Stadt gibt es so was nicht
und ist's doch das beste auf der Welt. Ja -- zur selbigen Stunde hat's
noch geschmeckt.

»Daß sie kein Fieber hat, meinst du!« sagte der Bruder. »Jetzt ist
die Hand kalt; wart' eine halbe Stund'! Und wenn du um zwei Stunden
früher gekommen wärst, hätt'st schon auch von der Atemnot ein bissel
was wahrnehmen können. Ich sag' dir's, es ist nicht zum Aushalten, nit
einmal beim Zuschauen. Und die Schwächen! Heben und legen! Du laßt
dir's gut sein in der schönen Stadt und weißt nit, was daheim für ein
Kreuz ist.«

Jetzt fiel es mir erst ein, daß ich ihn hätte einladen müssen, beim
Schmause mitzuhalten. Bei den vielen Stadthöflichkeiten verliert man
die Bauernhöflichkeit. Und gerade die sättigt. Am meisten aber dann,
wenn man sie nicht hat und sein Schöberl mit Kaffee allein ißt.

Es war finster geworden, da ging ich noch einmal zur Mutter hinein.
Aber sie schlief. Ganz leicht und ruhig. Da schlich ich hinauf in die
Bodenkammer, wo mein Bett stand. Nach dem langen Marsch in der kühlen
Bergluft und mit einer gewissermaßen gelösten Spannung hoffte ich bald
und fest einzuschlummern. Aber das kam anders. Der aufgegangene Mond
legte durch die Fenster -- wie du gern sagst -- zwei weiße Tücher auf
den Fußboden. Ich konnte in der Kammer alle Gegenstände ausnehmen;
den alten geschnitzten Kasten, das Spinnrad und den Garnhaspel,
den Vogelkäfig und das Glasbild der heiligen Dreifaltigkeit. Aus
allem strömte mir Kindeserinnerung entgegen, und mitten in all den
Erinnerungen stand die Mutter. Da fing mir an bange zu werden, ganz
leise zuerst, allmählich beklemmender, bis die Unruhe so groß ward,
daß ich aufstand. Ich kleidete mich an und wollte hinausgehen in die
Mondnacht. Gar vorsichtig stieg ich die altbekannte Holztreppe hinab,
trat noch leise in die Stube, um meinen Hut vom Wandnagel zu holen --
und fällt jetzt hinter mir die Tür stark in den Falz. Als ich außen
am Hause entlang gehe, kommt um die Ecke mein Bruder, der noch seinen
Wachtgang durch den Hof gemacht hatte.

»Wenn du das Ausgehen bei Nacht schon nicht graten kannst,« sagte er,
»so schlag' wenigstens die Stubentür nit so zu.«

»Ich habe nicht gedacht daran, daß sie so schwer zufällt,« war meine
Entschuldigung.

»Du denkst an vieles nit. Weißt du, daß ich's nit hab' mögen übers Herz
bringen, der Mutter von deiner Schand' zu erzählen?«

»Von meiner Schand'?«

»Wie du der ganzen Familie Schand' bringst statt Ehr'!«

»Gidi!« Das hat sich aufgestrammt in mir, bis hart ans Dreinschlagen.
Ich weiß nicht, woher ich im Augenblick die Überlegung hergenommen
habe. Es kam unversehens. Es war kaum zu verwinden. Aber drinnen
schläft die Mutter. Und sagte ich ruhig zum Bruder: »Du meinst, weil
ich nicht geistlich werden mag.«

»Und lieber ein Advokat wirst, ein Prozeßspinner, ein Bauernschinder!«

»Darüber,« sage ich, »wollen wir ein andersmal reden. Jetzt muß ich dir
dankbar sein, daß du es der Mutter verschwiegen hast.«

Er stand ein paar Augenblicke ruhig vor mir, dann sagte er: »Was hast
denn eigentlich zu tun gehabt, jetzt in der Stuben?«

»Das kannst du dir wohl eh denken, wenn die kranke Mutter drin liegt.
-- Natürlich erbschleichen.«

Es war da, das furchtbare Wort. Es war gesagt, ohne gedacht zu sein.
Es war nimmer einzufangen. Aber mein Bruder fuhr nicht wild auf, wie
etwa bei seiner Natur zu erwarten gewesen. Er tat nichts desgleichen,
als ob er das Wort so verstanden hätte, daß das Erbschleichen um diesen
Hof herum in der Luft läge. Er ging langsam gegen das Haustor. Ich kam
mir schier händelstifterisch vor wie der Elmischbauer, der als Hetzer
und Raufbold in der ganzen Gegend gefürchtet war. Dem Bruder ging ich
nach und sagte: »Ich habe in der Stube meinen Hut geholt und nichts
anderes.« Dann habe ich mich gewandt und bin am Feldrain dahingegangen.

Die Luft war kühl, das Gras feucht, die Fichtenbäume des Raines
mit ihren kurzgeschneidelten Ästen legten schwarze, schmale
Schattenstreifen über die Matte hin. Aber von einer friedsam-stillen
Nacht habe ich nichts gewahrt. In mir tobte ein grausam Ungewitter,
wie mein Lebtag noch nie. Wirre Empfindungen durchwirbelten mich, wie
Blitze in der Sturmnacht durchzuckten Gedanken meinen Kopf -- keiner
ließ sich festhalten. Also ~das~ ist geschehen. ~Das~ hat müssen
geschehen. An diesem Tage, da ich heimkomme nach so langer Zeit. Da
hat's geheißen: Talent! Studieren! Auf was, danach wird der Junge gar
nicht gefragt. Natürlich auf Geistlich. Und jetzt -- ein Todfeind! Und
es ist der Bruder. -- Ich ging am Raine dahin bis zum Wald. Als ob
dort was wäre, das mich zur Ruhe kommen lassen müßte. Aber die Unholde
wüteten fort, im Wald wie am Raine und von jeder Empfindungswelle die
letzte: Jetzt ist alles aus. -- Zorn war's nicht mehr. Aber Entrüstung
über mich selbst. Und über den Schimpf, den ich ihm angetan. Und ist
doch nicht so gemeint gewesen. Der Vorteile wegen, die nun verspielt
waren -- ich pfeife darauf. Aber mit der Mutter den Bruder verlieren,
den einzigen Verwandten, kann ich sagen, und mit ihm die Heimat. Und
mit der den Kindheithimmel -- alles auf einmal.

Endlich kehre ich wieder um gegen das Haus. Ich wollte zu Gidi gehen
und ihm's abbitten. Ich habe viel gebraucht von unserem Elterngut,
wollt' ich sagen. Ich bedarf nichts weiter. Nur das dumme Wort verzeihe
mir! -- Dieser Vorsatz war das einzige Mittel, mir die Gemütsqual zu
erleichtern, daß ich nicht wahnsinnig wurde unter ihr. Jetzt war mir
aber auch auf einmal wieder so leicht, daß ich merkte, wie naß meine
Stiefel geworden. Morgen früh wird mich die Mutter auszanken, weil sich
der junge Leichtsinn den Schnupfen holt.

Daß ich stundenlang fortgewesen, deucht mir wohl möglich, es konnten
auch Tage gewesen sein. Die Schlafkammer meines Bruders war offen und
-- leer. In der großen Stube war Licht. Natürlich! Er ist noch in der
Nacht zur Schwerkranken gelaufen, um sich zu rächen. Um sie zu fragen,
ob der Ausreißer und Bauernschinder von der Erbschaft auch so viel
abbekommen soll, als der -- andere, der den Hof aufrecht hält und den
Eltern die einzige und letzte Stütze gewesen ist! -- Da wollen auch
wir dabei sein. Es scheint, ich brauche ihm nichts abzubitten, und der
ehrliche Zorn hat doch das richtige Wort gefunden. Es war doch das
richtige! -- Und so kam es neuerdings über mich.

In die große Stube tretend sah ich einen weißgedeckten Tisch und darauf
zwischen Kerzen das alte Kruzifix, das sonst im Wandwinkel steht.
Die Leute des Hauses waren versammelt, knieten mitten auf dem Fletz
und an den Wänden und beteten laut den Rosenkranz. »Der für uns mit
Dornen gekrönt ist worden.« -- Am Bette stand ein Priester im Chorrock
und Stola. Er hob eben die kleine weiße Hostie zu den blassen Lippen
der Bewegungslosen. Ich drängte mich durch und wollte zu Häupten
des Bettes. So viel sah ich gleich, es war keine Kranke, es war eine
Sterbende. Ich will zu ihr, ihre Hand fassen, ihr ins Gesicht schauen,
zu ihr sprechen ... Meine Mutter! -- Sie drängten mich vom Bette weg. --

Johann Stadlhofer hatte von einem Fichtenbaum ein Ästlein abgebrochen,
das zerriß er jetzt heftig mit beiden Händen und drehte die Zweige
ineinander wie zu einem Strick. Dann ließ er das Reisig zu Boden
gleiten. Das Hündlein lag zu seinen Füßen zusammengerundet. Man sah
in der Flanke sein Atmen. Endlich knurrte es ein wenig. »Spricht im
Traum,« sagte der Johann. Dann erzählte er weiter.

Am Fußende des Bettes ist mein Bruder gestanden. Nur die graue Hose
an, sonst im Nachtkleide, verwüstet, versteinert die Züge. Es war, als
ob er dem kleinen Finetterl zuschaute, der jetzt über die Bettdecke
hin gegen ihr Haupt kroch. Dabei hat das Tier matt gewinselt. Er nimmt
es mit einer Hand und wirft es auf den Fußboden hin. Da hat es nicht
gewinselt, das ist nicht das ärgste. Auf den kurzen Beinchen watschelte
es unter das Bett hinein. Die Leute beteten mit eintönigem Gesumme
den Rosenkranz. »Der für uns das schwere Kreuz getragen hat.« -- Ich
drängte mich neuerdings zur Mutter vor, da stand der Priester ein wenig
seitlings. Ich werde sie laut gerufen haben, sie lag bewegungslos mit
halbgeschlossenen Augen. Manchmal hob sich ihre eingefallene Brust. Da
schob der Priester mich sachte weg, er hatte ihr ja die letzte Ölung
zu geben. Aber mir war gewesen, als ob ich von ihren Lippen das Wort
Johann hätte flüstern gehört. Dann ist ein grelles Aufwimmern unter
dem Bett -- fast wie ein Mensch wimmert. Den Hund hatte jemand mit dem
Stiefel auf die Pfote getreten. Der Priester stand nun zu ihren Füßen
mit dem heiligen Öl. Wie ich mich an ihm vorüber wieder hindrücke, sagt
mein Bruder ganz laut: »So geh doch hinteri, du bist ja dem Geistler
im Weg!« Mich auf ihn stürzen, einen Faustschlag ins Gesicht? Aber die
Arme bewegten sich nicht, sie waren lahm. -- Ist es nicht auch so, wenn
man träumt? Dieweilen fortwährend das Murmeln des Rosenkranzes bis zur
Stelle: »Der für uns gekreuzigt ist worden.« Und während eine alte Magd
ihr eigenes Beten unterbrach, um auf mich deutend zu sagen: »Nit amal
mitbeten tuat er!« gab der Priester ein Zeichen, sie sollten aufhören.
Da brachen sie mit dem Gebet ab und er sagte feierlich: »Der Herr geb'
ihr die ewige Ruh'.« --

In unserem Walde bei Mariagrün war es dunkel geworden, zwischen den
Baumwipfeln flimmerten Sterne herab.

Und so, sagte der Johann Stadlhofer, ist meine Mutter gestorben. --
Dann redete er weiter:

Ich habe nicht mehr hingeschaut und bin auf meine Bodenkammer
gegangen. Dort im Wandwinkel bin ich gesessen in der Morgenröte
mutterseelenallein. Nein, so nicht. Oder doch. Mir war fast leicht,
fast als ob die abgeschiedene Mutterseele bei mir wäre in der Kammer.
Dann habe ich vor der Tür das Hündlein wimmern gehört, das habe ich
hereingelassen, und das ist mein lieber Kamerad gewesen. Wir zwei
Waisen. Das treue Tier, das in letzter Zeit immer bei ihr gewesen, hat
mir alles ausgerichtet, was sie mir selber nicht hat sagen können.

In diesen Tagen, wenn der Bruder und ich aneinander vorübergingen --
ich weiß nicht, ob wir uns gegrüßt haben -- gesprochen haben wir nicht
ein Wort miteinander. Nach dem Begräbnis, als ich ohne alles weitere
fortgehen wollte, winkte er mich unter die Lindenbank, er habe mir
Mitteilungen zu machen. Alles auf einmal ab, das ist das beste, dachte
ich, setzte mich aber nicht nieder, sondern stand vor ihm. Und zeigte
durch Gebärden, daß es nicht etwa aus Hochachtung geschähe, vielmehr
aus Stolz eines Mannes, der nicht neben jedermann sitzen mag.

»Die Mutter hat mir aufgetragen, daß ich dich von ihr noch einmal
grüßen soll,« so begann er leichthin.

»Schön Dank,« sagte ich, »sie hat mir den Gruß schon durch wen andern
übermittelt, der --« mein Vertrauen hat, wollte ich beisetzen.

»Wie du in der Nacht auf den Rain gegangen bist, oder weiß Gott wohin
es so nötig war, bin ich bald darauf gerufen worden. Da sehe ich's
gleich, 's ist zum Sterben bei ihr. Nach dir hat sie verlangt, und weil
wir dich nit haben erwarten können, hat sie mir's für dich aufgetragen.
Du kriegst vom Elterngut das, was ich krieg'. Wirst über deine
Studienkosten hinaus noch an fünfzehnhundert Gulden beim Hof guthaben.
-- Die Mutter laßt dir Glück wünschen zu dem Stand, den du dir selber
gewählt hast.«

»So hast du ihr's doch gesagt?!«

»Ich? Mich geht das weiter nix an. Seit einem halben Jahre redet die
ganze Gegend davon. Anfangs hat's die Mutter hart genug genommen -- was
weißt du! Du weißt gar nix.«

»Aber sie hat doch kein Wort zu mir gesagt!« rief ich aus.

Er schupfte seine Achseln auf.

Nun habe ich ihm beide Hände vorgehalten: »Bruder, jetzt ist mir
leicht. Seit ich weiß, sie hat's mir verziehen und sie gibt mir den
Segen. Auch mit dir will ich auf gleich sein, Gidi.«

»In kurzer Zeit hast dein Geld, nachher sind wir zwei auf gleich.«

»Ich verlang's nicht, Bruder, ich brauch's jetzt nicht. Nein, ich werde
dich nie drängen, ich verspreche dir's.«

Er stand von der Bank auf. »Die Magd wird dir das Essen richten, eh du
gehst. Ich muß jetzt zum Pfarrer.« Einen kaum merklichen Deuter mit der
linken Hand -- so ging er davon. --

Solches hat der Johann Stadlhofer mir erzählt im nächtigen Wald bei
Mariagrün. Dann ist er aufgestanden und wir sind stumm nebeneinander
hergegangen über den Rosenberg in die Stadt. Ich konnte mit der Sache
nicht fertig werden. Mir war die Ursache nicht klar. Mir schien, als
sei hier aus nichts etwas geworden, das nun nicht mehr aus der Welt zu
bringen ist.

»Ich hab' zuerst gemeint,« sprach plötzlich mein Weggenosse, »es wäre
jenes häßliche Wort, das ihn so sehr getroffen. O nein. Da lassen sie
sich zehn Erbschleicher eher gefallen, als einen Advokaten, der einmal
Geistlich hätte werden sollen.«

»Und das,« antwortete ich, »soll dir genug sein. Es ist doch ein braves
Stück von deinem Bruder, daß er dir's hat ausgerichtet.«

Wir gingen wieder still nebeneinander hin. Bis in die Stadt. Das
Hündlein watschelte vor uns her im Straßenstaub. Wir kamen zur Stelle,
wo unsere Wege auseinandergingen. Da reichten wir uns schweigend die
Hand. Und darauf sagte er es ganz leise und betrübt, als das letzte
Wort: »Mir tut's halt leid.« --

Wenn ich nicht damit schließe, sondern noch etwas erzähle, was nach
zehn oder zwölf Jahren erst eingetreten ist? Vielleicht will es ein
Engel bekannt machen, daß für Menschenbrüder, die von einem unseligen
Dämon auseinandergehalten werden und die doch wieder gerne beisammen
wären, Rat zu finden ist.

Der Gidi Stadlhofer hatte längst schon Weib und Kind und sein Anwesen
stand in Ansehen, als er eines Tages seinen Nachbar totschlug. Im
Wirtshaus am Wasser war's. Die Leute hatten sehr viel getrunken. Der
Elmischbauer, ein berüchtigter und vielbestrafter Raufbold, war da,
schleuderte zuerst der Kellnerin ein unflätiges Schimpfwort zu und
wiegelte alles auf, um dann mit dem Messer dreinzustechen. Da erfaßte
der Gidi in der Küche einen eisernen Kochtopf und mit einem Hieb
streckte er den Unfriedstifter zu Boden. Aus war's. Der Gidi gönnte
sich nicht ein einziges Wort der Rechtfertigung. Das Weinen hörte
man weitum, als er von seiner Familie Abschied nahm für mindestens
acht Jahre. Aber nachher in der Kreisstadt die Herren meinten, so
schlimm würde es nicht sein; wenn er Glück habe, so komme er mit
zwei Jahren davon. Da kam auch der Advokat +Dr.+ Johann Stadlhofer
und sagte: »Wenn ich Glück habe, so kriegt er auch die nicht!« und
erbot sich zum Verteidiger. Seine Rede bei der Verhandlung wußte so
überzeugend den braven Charakter des Angeklagten darzustellen und zu
beweisen, daß gerade sein Gerechtigkeitssinn und sein Abscheu vor
jeder verbrecherischen Gewalttat die Ursache seines Werkes gewesen
sei, ein Werk, das in der Gegend nur als Befreiungstat, nicht als
Verbrechen empfunden werde. Und die ganze Glut der Bruderliebe kam bei
seiner Verteidigungsrede zum Ausdruck. Die Geschworenen haben den Gidi
Stadlhofer freigesprochen.

Und war es allerdings an der Zeit, daß dieser zum Bruder ging mit
dem Bekenntnisse, daß unter Umständen doch auch ein Advokat nicht zu
verachten ist.




                           Der Bahnwächter.


In Karnburg hielt der Eilzug an. Der Stationsvorsteher eilte
erschrocken herbei, denn der Eilzug hatte programmäßig nicht zu halten
in Karnburg. Einem Abteil erster Klasse entstieg ein kleiner ältlicher
Herr in dunklem Anzug; in seinem verwitterten Gesicht zuckten die
Muskeln, und indem er dem Schaffner winkte, daß der Zug weiterfahre,
rief er in kurzausgestoßenen Atemzügen dem Vorstande zu: »Wächterhaus
Numero 180! Der Mann auf 180. Rufen Sie ihn sofort herbei!«

»Wir haben hier keine Telephonverbindung, Herr Oberinspektor. Ich will
einen Arbeiter nach ihm schicken.«

Nach einer halben Stunde kam der Arbeiter von der Strecke zurück;
schnaufend berichtete er: »Der Bahnwächter auf Numero 180 kann im
Augenblick nicht ab, es fährt in wenigen Minuten der Postzug durch.«

»Er kann nicht ab?« sagte der Oberinspektor scharf und rieb sich das
glattrasierte Kinn. »Ei, ei, er kann nicht ab -- der gewissenhafte
Mann. Als aber der Schnellzug durchfuhr, da konnte er ab. Da konnte er
ab! Ich sah es vom Fenster aus, wie der Mann den Zug Zug sein ließ und
über die Wiese hin gegen die Weidenbüsche lief. Am Wächterhaus stand
nicht eine Katze. Eine solche Gewissenlosigkeit ist mir seit dreißig
Jahren nicht vorgekommen. So recht auffällig, wie aus reiner Bosheit,
lief er vor dem durchfahrenden Zug davon in die Büsche hin. Und dann
hat's die Direktion auf dem Buckel, wenn das Unglück geschieht.
Ich werde kurzen Prozeß machen. Herr Vorstand, halten Sie einen
provisorischen Wächter bereit.«

Mit schnellen Schritten ging der Erzürnte den Platz vor dem Bahnhofe
hin und her. Der Postzug fuhr ein und nach kurzer Zeit wieder ab, und
wenige Minuten später keuchte auf dem Bahnkörper der Gerufene heran.
Sein Kleid war feucht und es schien, als klebe es stellenweise am Leibe.

Der Oberinspektor ging ihm rasch entgegen: »Sie sind der vom
Wächterhause Numero 180?«

»Jawohl --«

»Der Herr Generalinspektor spricht mit Ihnen!« raunte ihm der ebenfalls
herbeigeeilte Vorstand zu, worauf der Wächter eine ehrerbietige
Verneigung machte.

»Wollen Sie mit ins Bureau kommen!« gebot der Inspektor und ging
voraus. Und dort begann das Verhör.

»Wie heißen Sie?«

»Franz Heimgartner.«

»Sagen Sie, Heimgartner, wann fährt der Eilzug Numero 5 an ihrem
Wachposten vorüber?«

»Nachmittags 3 Uhr 24 Minuten, Herr Oberinspektor.«

»Auch heute so?«

»Auch heute.«

»Waren Sie auf dem Posten, als er vorüberfuhr?«

Der Wächter blieb ein Weilchen ohne Antwort zu geben, aber nicht, weil
er etwa nicht wußte, was zu sagen war, vielmehr um zu überlegen, wie
das, was er vorzubringen hatte, gesagt werden müsse.

»Herr Oberinspektor,« sprach er dann, »ich weiß wohl, daß ich schwer
gefehlt habe. Aber es war nicht anders möglich!«

»Es war nicht anders möglich?« wiederholte der Herr und dehnte die
Worte zum Zeichen höchster Verblüffung.

»Jeder würde es an meiner Stelle getan haben, tun haben müssen,« sagte
der Wächter.

»So! Na, da bin ich aber doch begierig zu erfahren, weshalb Sie
davonlaufen ~mußten~, als der Eilzug herankam und Sie vorschriftsmäßig
auf Ihrem Posten zu stehen hatten?«

Der Franz Heimgartner zerrte ein wenig so an seiner Mütze herum, dann
begann er: »Es ist ja leicht einzusehen. Ein Kind, das ins Wasser
gefallen war.«

»Ein Kind ins Wasser gefallen?«

»Schon seit Mittag sah ich auf der Wiese, vom Wächterhaus hin, einige
Kinder von umliegenden Bauernhöfen herumlaufen. In den Büschen
versteckten sie sich, kletterten auf die Weide und schaukelten. Wenn
nur keines ins Wasser fällt! habe ich mir gedacht, unter den Weiden
rinnt ja der Fluß. -- Weiter habe ich ihrer nicht geachtet, es ward
der Eilzug signalisiert. Der rollte bald heran, und wie ich mit meinem
Fähnlein mich an die Strecke stelle, lauft vom Flusse her ein Junge und
schreit: Ins Wasser gefallen! Ich springe über den Bahnkörper, über die
Wiese hin, durch das Gebüsch zum Wasser und sehe, wie ein Kind mit dem
Baumast, an dem es sich noch gehalten, davonrinnt. Bei so was schwimmt
der Mensch, auch wenn er's nicht gelernt hat. Mich hat's nicht schlecht
gewundert, daß ich's kann und wie ich den Knaben heraußen auf dem
Rasen habe. Er hat stark gesoffen gehabt und es gibt zu tun, bis er so
weit bei sich ist. Derweil sind Leute gekommen und ich denke an meinen
Zug. Mein Gott, wo ist mein Zug! Verunglückt, das sah ich, ist er auf
meiner Strecke nicht, -- so war ich halt zufrieden.«

Der Oberinspektor hatte aufmerksam zugehört und nun sagte er ganz
schlicht: »Also zufrieden waren Sie! Ich bin es aber nicht, daß Sie's
nur wissen, und ich denke, daß Sie gestern Ihren letzten Dienst
versehen haben, ~wenn~ es der Fall war. Denn heute haben Sie ihn nicht
mehr versehen.«

»Aber eine Lebensrettung, Herr Oberinspektor!« wagte der
Stationsvorstand einzuwenden.

Der Herr blickte diesen betroffen an. »Sie sagten: Eine Lebensrettung,
Herr Stationsvorstand. Wissen Sie, wir nehmen auf unserer Strecke keine
Beamten auf, damit sie allfälligen Rangen auf Feld und Flur das Leben
retten. Wir haben sie, damit sie über das Leben derer wachen, welche
sich unserer Eisenbahn anvertrauen. Während das eine Leben gerettet
wurde, konnten ein paar hundert andere auf der Strecke verunglücken --
wie?«

»An das habe ich wohl nicht gedacht,« sagte der Bahnwächter.

»Es scheint! -- Was haben Sie denn gedacht?«

»Ich habe nichts gedacht. Ich habe nur gedacht: Jesus Maria, das Kind
ist ins Wasser gefallen.«

»Ja sehen Sie. Wenn Sie in dem Augenblick, als ein vollbesetzter Zug
herankommt und Ihre ganze Aufmerksamkeit heischt, nicht an den Zug
denken, sondern an das, was draußen auf der Wiese fliegt und kriecht,
da können wir Sie nicht brauchen. Das sehen Sie doch ein.«

»Ich sehe es ein, Herr Inspektor, ich habe schwer gefehlt; möchte aber
halt doch bitten --«

»Sie sehen es ein und bereuen es?«

»Ich möchte halt wohl bitten, Herr Oberinspektor. Ich habe ja sonst
meinen Dienst immer gewissenhaft verrichtet. Der Herr Stationsvorstand
wird's auch sagen.«

»Er ist schon fünf Jahre auf dem Posten,« bestätigte der Vorstand, »und
hat nicht den geringsten Vermerk.«

»Na, gut. Also Heimgartner, Sie bereuen es und versprechen heilig, daß
dergleichen nicht mehr vorkommt?!«

Der Bahnwächter schwieg.

»Sie versprechen mir das, Heimgartner?«

Dieser zuckte die Achseln.

»Ich frage Sie, ob Sie das versprechen?«

»Mein Gott,« sagte der Bahnwächter mit schwankender Stimme, »wie kann
man denn so was versprechen! Wenn halt ein Mensch in Todesgefahr ist
und man kann zugreifen, so denkt man nicht erst: Soll ich das? Darf ich
das? -- Man ~tut's~.«

»So. Man tut's, sagen Sie. Und werden Sie mit eigener Lebensgefahr auch
einen Eisenbahnzug retten?«

»Da wird der Mensch auch nicht viel denken: Das ist deine Pflicht.
Man tut's bloß. Und wenn ich ein Bauer bin auf dem Felde, oder
ein Straßenvagabund, dem es strenge verboten ist, den Bahnkörper
zu betreten; wenn ein Eisenbahnzug in Gefahr ist und ich kann
beispringen, die Weiche richtig zu stellen, oder so was, so tu' ich's.«

Der Inspektor konnte schon nicht erwarten, bis der Wächter ausgeredet
hatte. »Heimgartner,« sagte er, »für die Strecke sind Sie nicht zu
brauchen. Sie stellen sich großmütig in den Dienst der Menschheit, wir
aber müssen von unseren Leuten verlangen, daß sie sich in den Dienst
unserer Bahn stellen. Dafür werden sie bezahlt, und nicht dafür, daß
sie eine Rettungsgesellschaft für alle Welt bilden sollen. Mit der
nächsten Post erhalten Sie den Laufpaß. Basta!«

Der Franz Heimgartner zuckte wieder die Achseln, verneigte sich und
ging zur Tür hinaus.

Draußen stand ein alter, gebückter Mann, dem das weiße Haar auf die
Schulter niederhing. »Ist er das?« fragte dieser einen Beamten und
zeigte mit dem Finger auf Heimgartner. »Ihr seid es? Aber seid Ihr's
denn richtig, Mensch? Seid Ihr denn nicht noch naß? Ach, freilich
seid Ihr's!« so rief der alte Mann leidenschaftlich dem Bahnwächter
zu und torkelte auf ihn hin, erhaschte seine Hand und drückte seinen
Mund darauf und seine Wange. »O du Hand, du! O du liebe, brave Hand,
du! Mein Buberl hast mir aus dem Wasser gezogen. Mein einzig's
Herzensbuberl. Weg wär's! In den Fischerlhimmel wär' es gefahren! Nasen
und Mund voller Schlamm, so hätten sie's herausgezogen morgen oder
übermorgen. Hi, hi, hi, so lass' mir's doch, Bahnwächter, diese brave
Hand, du, du!« -- Und er hörte nicht auf, sie zu herzen und zu küssen,
und dabei lachte er grell.

»Aber Großvater!« rief hinter ihm ein jüngerer Mann, »seid nicht
kindisch! -- Ihr müßt ihm schon verzeihen, Bahnwächter. Er ist
halt ganz aus dem Häusel. Geht mir selber nicht viel besser.
Verscheidenläuten täten sie jetzt auf dem Kirchturm, wenn ihr nicht
wäret gewesen. Wie dem Nachbarsdirndl wär's ihm ergangen, unserem
Friedl. Das Mädel ist auch so ertrunken vor zwei Jahren. Mein Gott,
jetzt bin ich hergekommen und weiß nicht, was ich soll sagen. Mein
bestes Paar Ochsen -- gern, gern. Für so was kann man nicht danken
genug! Und die Milch sollt Ihr haben, so lang' Ihr sein werdet auf dem
Wächterhaus.«

»Ich werd' nicht mehr lange drauf sein,« sprach der Bahnwächter und
lachte bitter.

»Gelt nein! Gelt nein!« rief der junge Bauer. »Ihr tut jetzt avancieren
und das g'hört sich auch. Nur sagen tut es, was wir Euch geben dürfen.
's ist unser erstes Kind -- und leicht auch unser letztes. Der Donner
noch einmal! Daß der Fratz immer so herum zu kranzen hat beim Wasser!
Ist er nur erst ganz trocken, der kriegt's! Der kriegt's von mir!« --
In Zorn hatte er sich geredet und mit dem Arm machte er die Bewegung
des Züchtigens.

In demselben Augenblick kam die Mutter mit dem Knaben herbei. Der war
schon trocken und hatte sein Sonntagsgewand an. Und hatte noch einen
roten Hals, weil er daran gerieben worden war. Als der Bauer sein
Söhnlein sah, sprang er drauf hin, riß es vom Boden empor an seine
Brust mit Leidenschaft. Das war wohl die ganze Züchtigung dafür, daß
der Junge auf den Weidenbüschen immer so »herumkranzte« und ins Wasser
fiel. -- Die Bauersfrau war gekommen, um in bewegenden Worten ihr
dankbares Herz auszuschütten vor dem Lebensretter. Nun stand sie vor
ihm und schluchzte in die Schürze und konnte kein Wort hervorbringen,
und schämte sich, daß sie gekommen war, um ihm vorzuweinen. Plötzlich
fuhr sie auf und schrie zornig dem Knaben zu: »Nau, wirst gehen!?
Bedank' dich bei ihm, daß d' lebst!«

Der Bahnwächter stand betroffen da und wußte nichts zu sagen. Da legte
der Oberinspektor ihm die Hand auf die Achsel und schnarrte barsch:
»Das muß Sie ja freuen, Heimgartner! -- Sagen Sie einmal, wollen Sie
nicht nach Wien? Ein Mann mit der Rettungsmedaille findet leicht eine
Stelle. Bei der Sicherheitswache, oder als Flußaufseher, oder in einem
Bureau. Besser wie auf der Strecke geht's Ihnen überall, und was in
meinen Kräften steht -- --«

Der Heimgartner besann sich. Dann sagte er: »Schön' Dank, Herr
Oberinspektor. Ist gut gemeint. Aber weil ich schon einmal zufällig
frei geworden bin, so will ich ein bissel frei bleiben. Vielleicht läßt
sich auch außer Dienst was schaffen!«

Der Oberinspektor hatte wieder begonnen auf dem Platz lebhaft hin
und her zu gehen. Dabei knurrte er: »Außer Dienst, natürlich! Außer
Dienst!« Plötzlich blieb er stehen vor dem entlassenen Bahnwächter:
»Sie haben recht. Die besten Dinge geschehen außer Dienst!«




                         Die schlaue Almerin.


»Jetzt möcht' ich schon wissen, ob dieser Jager denn nit zum derwischen
ist!« sagte die schöne Heidel zu sich. Sie redete nämlich immer laut
mit sich selber, wenn sie allein war; sonst wird es schon immer einmal
zu langweilig, wenn der Mensch nicht sein Diskursel führen kann so
unterwegs auf die Alm. Die Heidel hatte aufgepackt, sie war um und
um voll Milchreinen, die an den Henkeln zusammengebunden über ihren
Achseln hingen, so daß man sie wundershalber mit einem Tonplutzer
vergleichen konnte, der einen hohlklingenden Ton gibt, wenn man mit dem
eingebogenen Finger an ihm klöpfelt. Oder sie hätte zur Not auch eine
aufrechtstehende Schildkröte -- eine sehr große -- vorstellen können,
bei welcher aber das Köpflein aus den Schalen frei hervorstand, was
ein großes Glück war. Gelb und rot steht ums Himmelswillen ja nicht
zusammen! Na, das wollen wir erst einmal sehen, ob dieses Haar, das so
gelb ist, wie die reife Weizenähre im Schnitt, und dieses Rundgesicht,
das so rot ist, wie eine Mohnblume im Korn, nicht zusammenstimmt! Ganz
kurios! Und wenn man noch die Kornblumen ihrer Augen dazutut, so hat
man das ganze Kornfeld beisammen und es fehlt nur der Schnitter.

»Das muß doch derlogen sein, daß dieser Jager nit zum derwischen ist!«
sagte die Heidel zu sich, und der Schreiber muß schon närrisch in das
Ding verliebt sein, weil die Beschreibung so gespreizt und konfus
ausfällt. Ein frisches Dirndl, das mit Milchreinen beladen auf die Alm
geht -- punktum, das ist deutlich genug.

Der Jäger vorne, der zwischen jungen Kiefern und Lärchen mit seinen
nackten Knien so gelenkig ansteigt, scheint wirklich nicht die Absicht
zu haben, von einer jungen Almerin sich derwischen zu lassen, auch wenn
sie mit den Tonschüsseln klappert. So wie sie Geselligkeit suchte,
schien es ihm gerade einmal um Einsamkeit zu tun zu sein im grünen
Wald. Endlich hatte sie ihn aber doch, und als er auf ihren Anruf:
»Stad, Jager, stad, daß dich der Wind nit draht!« stehen blieb und
zurückschaute, rief sie wie jauchzend aus: »Uh Jesseles! Na, das hat
sich jetzt einmal ausgezahlt, daß ich mir schier die Lungel abgelaufen
bin!« Denn der Jäger war durchaus nicht so jung, als es nach seinem
frischen, geschmeidigen Ansteigen zu vermuten gewesen wäre, er hatte
einen grauen Schnurrbart und das verwitterte Gesicht konnte durch die
Schatten des breitkrämpigen Älplerhutes nicht mehr mit Belang verdeckt
werden.

Der Jäger blickte dieser angehenden Weggenossin lächelnd zu und fragte:
»Nun sage doch einmal, was hat sich denn ausgezahlt?«

»Weil ich glaubt hab', es wär' ein Jüngerer!« rief sie hell aus, und
setzte lachend, daß es nicht so schlimm gemeint sei, dazu: »Ich bin die
jungen Jager halt gewohnt.«

»So! Ich glaube dir's gern.«

»Wenn das Hirschel schon derschossen sein muß, so steht's alleweil nur
den Jungen an. Die Alten sollen froh sein, daß sie selber leben.«

»Sind nicht auch die Jungen froh, daß sie leben?«

»Na, ich denk' wohl, daß sie froh sind,« sagte das Dirndl. »Daß sie
halt mit dem eigenen Leben frei nit zufrieden sein mögen.«

»Aha, ich verstehe dich schon,« sagte der Jäger. »Sie wollen nebenbei
auch noch Hirscheln erschießen und saubere Mädeln lieben.«

»Derraten hat Er's!«

»Du scheinst es aus Erfahrung zu wissen,« sagte er und klopfte mit dem
eingebogenen Finger an eine der Milchreinen.

»Gelt, einen hellen Klang hat sie?« sprach das Dirndl. »Hat auch einen
Zwanziger gekostet, und wenn Er einmal in meine Hütten kommt, kann Er
Milch daraus löffeln. Die Jager tun's eh gern.«

»Und bist wohl selbst im Besitz eines jungen Jägers?«

»Wer kunnt mir's verdenken!«

»Ich gewiß nicht.«

»Wenn sie mir ihn nit weggenommen hätten!«

»Weggenommen? Dir deinen Jäger? Die Weibsleute etwa?«

»Geh, die Weibsleut'! Vor denen möcht' ich mich wohl derwehrt haben,
denk' ich! Von den Weibsleuten laß ich mir keinen Jager wegnehmen!«

»Von wem denn sonst?«

»Von einem, der ein bissel stärker ist als unsereins!«

»Na, da wäre ich schon begierig, wer das einem so feinen Mädel zuleid'
tun könnte!«

»Das kann Er sich denken! Wer wird's denn sein, der allen armen Dirndln
ihre schönen kernfrischen Burschen wegnimmt! Der Kaiser halt!«

»Ach ja so. Beim Militär ist dein Liebster! Na, ich gratuliere dir!«

»Ja, und ich bedank' mich schön!«

»Soldat sein für Kaiser und Vaterland ist jedem eine Ehre!«

»Ja, und 's Derschossenwerden? He? Wenn ich einen Schatz hab', so will
ich ihn heiraten, und nit, daß ihn die Russen derschießen!«

»Pah, jeder Soldat wird nicht erschossen. Und schon gar mitten in der
Friedenszeit!«

»So möcht' ich doch wissen, zu was der Kaiser mitten in der
Friedenszeit Soldaten braucht!«

»Das ist einmal so eingerichtet, liebes Kind. Leider niemand kann's
ändern. Ich bin auch Soldat.«

»Na, gute Nacht!« rief das Dirndl lachend aus. »Da muß Er schon schön
lang' dienen!«

»Länger jedenfalls, als dein dreijähriger.«

»Was hat Er denn lauter angestellt, daß sie Ihm den Abschied nit wollen
geben!«

»Es scheint, sie brauchen ihn immer noch,« sagte der Jäger, der sich
auf einen Baumstock niedergesetzt hatte und an den Antworten der
Almerin sein Wohlgefallen fand.

»Nachher wird Er halt so ein Öberster sein,« meinte sie, »so ein
Ofizierer, oder wie sie heißen, gelt?«

»Es mag schon sein, mein Kind.«

»Und geht so im Jagern um?«

»Bisweilen.«

»Gelt, geschossen muß sein. Weil just kein Feind ist, geht's aufs
Wildbret.«

»Nicht jeder Jäger geht des Schießens wegen umher. Es gibt auch andere
Annehmlichkeiten dabei.«

»Mein Jager sagt's auch. Alßer lebendiger, sagt er, schaut man die
Hirschlein und Rehlein lieber an, als daß man sie gleich allemal
niederpufft. Tät auch nit dürfen, ist nit dazu da, daß er schießt, es
müßt' ihm nur ein Wildschütz zu nah kommen. Ist angestellt, daß er das
Wild tut hegen und halten, bis die großen Jachten sind und der Kaiser
selber kommt. Der Kaiser tut so viel gern jagen.«

»Kommt der Kaiser also mitunter selbst in diese Gegend?« fragte der
fremde Jäger.

»O, oft!« rief das Dirndl aus. »Schier alle Jahr' einmal, sagen die
Leut'.«

»So hast du ihn wohl auch schon einmal gesehen?«

»Ich? Den Kaiser? Da müßt' ich lügen, wenn ich sagen wollt', wie der
ausschaut. Bin erst im vorigen Jahr vom Boigtal herüber. Dort kommt er
nit. Mein Franzl sagt, ein recht kommodter Herr. Und schießen! Wie der
gut schießen kann!«

»So! Wirklich?«

»Freilich ist's keine Kunst, im Tag a Stuck a dreißig Hochwild
strecken, wenn von der ganzen Gegend die Leut' da sind, die ihm's in
den Schuß treiben.«

»Würde es der Kaiser nicht manchmal vorziehen, für sich zu pürschen,
anstatt daß ein ganzes Heer von Jägern und Treibern aufgeboten wird?«

»Das wird er sich eh einrichten, wie er will. Und soll ihn der Herr
Jager nur selber fragen, wenn er kommt zu den Jachten. Jesses, die
heben ja schon in dieser Wochen an. Im vorigen Jahr ist der Franzl
noch dabei gewesen, da hat's allemal ein gutes Trinkgeld gesetzt. Heut'
steht der arme Kerl beim Regiment und hat er geschrieben, nix tät ihm
so leid, als daß er bei den kaiserlichen Jachten nit kann dabei sein.
-- Wenn ich nur wen tät' wissen, der sich für ihn möcht' verwenden.«

»Wie heißt denn dein Jäger?«

»Ich bitt', Franz Kaltenbacher. Beim siebenundzwanzigsten
Infanterieregiment. Wird sich's der Herr merken?«

»Hoffentlich.«

»Tät's nit doch sicherer sein, wenn es der Herr wollt' aufschreiben?
Hat Er nix kein Papierl bei sich?«

Der Jäger zog ein Notizbuch hervor und schrieb Namen und Regiment
hinein. Das Dirndl klatschte in die Hände. »Jetzt krieg' ich meinen
Jager wieder!« jauchzte sie.

»Versprechen kann ich nichts, mein Kind!«

»Ich weiß schon, Herr Jager. Er ist gewiß selber ein Ofizierer und
leicht mit dem Kaiser auch noch bekannt, leicht gehört Er gar zur
Jacht. Es braucht nur ein Wörtl.«

»Versprechen kann ich trotzdem nichts.«

»Aufs Versprechen steh ich auch nit an, wenn Er's nur tut halten, daß
der Franzl heimkommt. Vergelt's Gott. Und nix für übel, daß ich so keck
hab' dahergeredt, wir grobe Bauersleut' verstehn's halt nit besser. Und
jetzt wünsch' ich guten Anblick und daß dem Herrn Jager kein altes Weib
begegnet!«

»Es ist schon gut! Es ist schon gut!« Mit diesen Worten winkte der
fremde Jäger ab und schlug seinen Weg seitlings ein durch die Lärchen.

Das Dirndl kam mit den klappernden Reinen ganz glühend auf die Alm und
vertraute es den Genossinnen, was sie für eine Begegnung gehabt hätte.
Mit einem Jager von den kaiserlichen Jachten sei sie zusammengekommen,
der aber ganz wer anderer ist, als ein Jager, ganz wer anderer! Mehr
will sie nicht sagen! Sie hat ihn wohl erkannt, wer wird ihn nicht
kennen, wo ihn jedes im Geldtaschel hat! Aber sie hat sich recht
einfältig gestellt und so getan, als täte sie ihn nicht kennen, gerade
wie es in den Kalendergeschichten vom Kaiser Josef zu lesen steht. Und
sie hat ihm gleich vom Franzl derzählt und daß sie ihn gern daheim
hätt', tausend Gottsfreuden gern daheim! Und er hat ihn in sein Büchel
geschrieben. Glück muß man haben und schlau muß man sein! --

Wie es mit dem Glücke und der Schlauheit ausgesehen hat? -- Sie
erwartete den Franzl schon in der ersten Woche mit Sicherheit. Es
wird ja gleich der Befehl ergangen sein: den Franz Kaltenbacher
heimgehen lassen, der Kaiser braucht ihn zum Jagern und sein Dirndl zum
Gernhaben! -- Aber der Franzl kam in der zweiten Woche noch nicht, und
er kam in der dritten nicht. Und er ist gar nicht gekommen vor Ende der
Dienstzeit. Schlau war das Dirndl freilich, aber der fremde Jäger war
auch kein heuriger Has.




                        Die heilige Katharina.


Als der achtzehnjährige Bursche, die Hände in den Hosentaschen, durch
das Städtchen schlenderte, guckten ihm die Mädchen und Weiber nach.

»Das ist er!« flüsterten sie.

»Er muß entsprungen sein,« sagte eine, »es ist nicht denkbar, daß sie
einen Mörder nach vierzehn Tagen wieder auslassen. Die Standarn werden
ihn gleich haben!«

»Wenn ihn der Schutzengel nur in mein Haus wollt' führen. Bei mir
findet ihn keiner.«

»Ich habe gehört, er soll gehenkt werden.«

»Um den wär's schad'!«

Der Bursche kümmerte sich um solches Schwatzen der städtischen
Weibsleute nicht. Er trachtete, daß er aus dem »Stadtl« kam und schritt
dann über die winterlichen Felder dahin. Die Welt war voller Nebel
und der Bursche voller Freuden. »Hübsch ausgerastet sind wir, und
morgen ist der Faschingstanz daheim beim Scheibenwirt in der Baldau.
Der Arrestdiener hat uns gesagt, jetzt, weil wir den Raufhandel haben
gehabt und gesessen sind, jetzt werden wir uns vor den Dirndln nicht
erwehren mögen. Wollen halt einmal sehen, was an der Sache ist.«

Ein hübscher Junge war's. Feine Stiefeln trug er, vorne gespitzt und
Wichsleder! eine schwarze Tuchhose, ein grauer Lodenrock, aus dessen
Brustschlitz eine »juchtene« Zigarrentasche lugte, ein Hütchen aus
Hasenhaaren, etwas schief auf dem lichtblonden Köpfel; eine rotseidene
Halsbinde flatterte am weißen Hemdkragen, im frischen Gesicht ein
junges Schnurrbärtchen, die braunen Augen munter in den Nebel blickend!
Entsprungene Sträflinge sehen nie so aus, entlassene selten!

Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme: »Muß doch sehen, wegen was
der Herr Arrestant gar a so laufen tut.«

Das war schon eine. Die feine Chorsängerin von der Baldau war's, des
Stegrochel Anna Maria. Sie sah aus wie das junge Leben; dem Winter
sagt man nach, daß er nur Eisblumen wachsen lasse. Verleumdung. Auf
die Wangen der herzigen Dirnlein malt er Rosen, wie sie der Frühsommer
nicht schöner hat. Trotzdem sie unter dem Arm einen in blaues Tuch
gewickelten Gegenstand trug, der nicht gar leicht zu sein schien,
schwebte sie zierlich auf dem Schneeweg heran, bis sie vor dem Burschen
stille stand und sich ausschnaufte.

»Jetzt hab' ich dich,« sagte sie.

»Und ich dich auch,« sagte er.

»Tust eh auch in die Baldau hinüber,« sagte sie, »nachher gehen wir
miteinander.«

»Und macht's dir nichts, daß du mit einem Verbrecher gehst?« fragte er
munter.

»Hast recht,« antwortete sie, »mit dir soll eins jetzt gar nimmer
umgehen. Der Thoma tut zwar schon wieder Holz schneiden. Die Schramm'
am Kopf wär' schon lang' heil, wenn er der Zwickelschusterin ihr
Pflaster nicht drauf hätt'. Kunnt'st ihm aber auch den Schädel
eingeschlagen haben, du Wildling, du! Wegen was ist's denn eigentlich
hergangen?«

»Kannst dir's wohl denken, der Weiberleut' wegen. Er hat mir vor allen
Leuten zugeschrien, ich wär' noch ein junger Rotzlecker und tät' keine
kriegen. Aber du kriegst eine! hab' ich gesagt, da hat er auch schon
eine gehabt.

»Vetter,« sagte das Mädchen, als sie nun auf dem enggeleisigen
Schlittweg nebeneinander hingingen, wobei einmal er an sie, einmal sie
an ihn anstrich, »daß ich dir's nur sage, mir ist's nicht alles eins
gewest, wie sie dich haben fortgeführt. Gelt, Lenz, von jetzt an bist
wieder brav und daß du nimmer eingesperrt wirst.«

»Wenn mich wieder einer schimpft, so schlag' ich wieder zu!« sprach er
schneidig.

»Ist denn das ein Schimpf, wenn einer sagt, du kriegst keine?«

»Das ist einer.«

»Und weißt es denn, daß du eine kriegst?«

»Bis jetzt hab' ich keine mögen.«

»Da hast du ganz recht gehabt, Vetter, das ist ganz gescheit von dir.«

»Was heißest denn du mich alleweil Vetter?« war seine Frage.

»So, das weißt nicht? Wie wir zwei miteinander verwandt sind, weißt
nicht? Von deiner Mutter die Schwester ist meine Godl (Patin).«

»Du, Annamirl,« sagte der Bursche, »da weiß ich eine viel nähere
Verwandtschaft miteinand. Dein Vater und mein Vater sind zwei Brüder
g'west.«

»Jesses Maria.«

»Das ist gewiß. Der meine dem Stockbauern sein Bruder, und der deine
der Scheibenwirtin ihrer.«

Kriegte er einen Klaps auf den Mund.

Der Weg stieg bergan, sie hatten den Kilmstock zu übersteigen und zu
trachten, daß sie noch vor dem Einbrechen der Nacht in die Baldau kämen.

»Geh, Annamirl,« sagte der Bursche nun, »wirst deinen Striezel selber
schleppen, gib ihn her.«

»Das ist ja kein Striezel nicht,« sagte das Dirndl lachend, »und ich
will meine Sach' schon selber tragen.«

»Was ist es denn?«

»Kannst raten? Aber nicht greifen.«

»Das Ding,« meinte der Lenz, mit dem Blicke prüfend, »schaut sich
gerade an wie ein Stiefelknecht.«

»Wenn du so tief unten anhebst, kannst hundert Jahr' raten,« lachte sie.

»Ist's am End' das Wetterfahndl zu eurem neuen Hausdach?«

»Noch zu tief.«

»Wenn das auch noch zu tief ist, nachher laß ich's sein.«

»Magst nicht so gut sein und ein Stückel in den Himmel hinauf raten?«

»Von wo hast es denn her?«

»Aus dem Stadtl, vom Anstreicher.«

»Himmel? -- Anstreicher?« überlegte der Bursche. »Nachher hast gar ein
blaues Firmament bei dir.«

Das Mädchen schlug an ihrem Bündel ein wenig das blaue Tuch
auseinander. Ein hellglänzendes Kindergesicht mit einem messingnen
Heiligenschein ward sichtbar.

»Kennst sie? Kennst sie nicht? Die heilige Katharina! Haben sie zur
Schutzpatronin für unsere Hauskapelle! In der Fastenzeit wollen wir
wieder beten dabei. Ist schon arg verschossen gewest. Hat sie der
Vater anstreichen lassen und bin ich sie heute holen gewest.«

»Deck' sie nur wieder zu,« sagte der Lenz, »sonst darf man unterwegs
nicht einmal fürwitzig sein.«

»Daß dir der Fürwitz nicht vergangen ist im Arrest!« entgegnete sie und
verhüllte das Bild.

»Du, da ist er mir erst gekommen. Den ganzen Tag liegen auf der Bank,
bei der Nacht auch. Gesunde Kost und gute Behandlung. Ein bissel Karten
gespielt haben wir, ich und der Herr Kerkermeister. Wer einmal ein
paar Wochen lang Feiertag haben will, etwan im Sommer, wenn die heiße
Mahdzeit ist -- kunnt ihm nichts Besseres raten, als einen prügeln.«

Unter solchem Gespräche waren sie hinan und immer weiter
hinangestiegen. Da kamen sie in den Sonnenschein; tief unter ihnen in
den Tälern, wie ein graues Meer, lag der Nebel, und die hohen Berge
standen in der Ferne wie leuchtende Inseln empor, deren höchste Spitzen
aber kreisende Wolkenhauben hatten. Die Bäume und Sträucher, an denen
unser wanderndes Paar vorüberkam, waren über und über vom Stamme bis
zum feinsten Zweige mit silbern schimmernden Eisnadeln bewachsen.
Im Schnee zogen die Spuren von Rehen und Hirschen und von allerhand
Gevögel.

Der Lenz blieb stehen, schaute eine Weile hinaus und sagte dann:
»Eigentlich, wenn man's nimmt, schöner ist's doch auf dem Berge als wie
im Arrest.«

Da die Anna Maria auf dem Schneewege ein paarmal ausgerutscht war, so
führte er sie Arm in Arm, und je müder sie wurde, je enger zog er sie
an sich.

Als sie um den Nockstein gebogen hatten und durch das von Felswänden
eingeschlossene Kar hinanstiegen den holperigen Schneepfad, verdüsterte
sich allmählich der Himmel und es begann ein sachtes Schneien und
Schneetreiben.

Auf dem Sattel des Gebirges, wo der Weg sich abzweigt in den weiten
Talkessel der Baldau, steht das Alpenhaus. Es ist vom Österreichischen
Touristenklub erbaut worden, steht aber in der Winterszeit, wenn nicht
etwa zu Weihnachten Städter kommen, leer und verschlossen.

Weil die Annamirl den Berg heran schon müde geworden war und weil ein
eiskalter Wind strich, der ganze Wolken von Schnee herantrieb, so
versuchte der Bursche an der Türe des Alpenhauses, ob sie aufgehe. Beim
ersten Druck ging sie nicht auf. Tat er einen erklecklich stärkeren,
sie ging noch nicht auf. Stemmte er sich mit aller Gewalt an, da brach
sie ein.

»So, da wären wir,« sagte der Lenz und zog das Mädchen mit in das Haus.
Da drinnen war's aber schreckbar finster und frostig; der Bursche riß
einen Fensterbalken auf und nach wenigen Minuten brannte auf dem Herd
ein prasselndes Feuer.

»Aber Lenz,« murrte die Annamirl, »was treiben wir denn da?«

»Jausen wollen wir,« entgegnete er, begann in den Schränken
herumzusuchen und fand Schnaps, Kaffee, Zucker und Zigarren.

»Also, Hausfrau, pack' an!« rief der Bursche.

»Nicht einen Finger rühr' ich,« sagte sie, »ich will meines Weges!«

»Schau hinaus,« entgegnete der Lenz.

Draußen tobte ein solches Schneegestöber, daß sie nicht zwei Klafter
weit in die Luft hineinsahen. Die Schneemassen schienen aus dem Boden
zu wachsen, und die Fenster, an denen der Bursche eben die Läden
aufgemacht hatte, schien der Schnee wieder vermauern zu wollen.

»Mach' dir nichts draus, Annamirl,« sagte der schalkhafte Lenz, »zu
Ostern oder Pfingsten wird's schon wieder aper sein, und jetzt wollen
wir Kaffee trinken.«

Der heiße Trank machte das allverzagte Dirndl ein wenig munterer. Das
Stübchen war mittlerweile auch warm geworden, wenn zwar ein bißchen
räucherig, weil der Sturm den Rauch nicht durch den Schornstein ließ.

»In Gottesnamen,« sagte der Bursche, eine Zigarre anbrennend, »so wär'
ich halt wieder im Arrest; aber besser,« er schlang seinen Arm um den
Nacken der Annamirl, »besser gefällt mir doch dieser auf dem Berg, als
wie jener unten in der Stadt. Jetzt wollen wir halt einmal in einem
Herrenhaus unseren Fasching halten, wir zwei.«

Die heilige Katharina wurde von der feucht gewordenen Umhüllung befreit
und auf den Tisch gestellt. Die Annamirl kniete davor nieder und betete
zu der heiligen Märtyrin und Jungfrau um Hilfe und Erlösung aus dem
drohenden Schneegrab. Plötzlich sprang sie auf, gegen den Strohbund hin
und schlug mit dem feuchten Tuche hastig drauflos. Was das bedeutet?
fragte der Lenz. Ja, ob er's denn nicht gesehen hatte, wie vom
Herdfeuer ein Funke in das Stroh gespritzt sei? Da könne das »schönste
Malheur« geschehen! Der Lenz lobte die vorsichtige Hausgenossin.

Sie konnte ihm nun aber nicht ins Gesicht blicken. Es kochte in ihr
etwas wie Zorn gegen ihn, und doch war ihr klar, daß sie heute, bei dem
Einfalle dieses Schneegestöbers, verloren gewesen, wenn nicht er mit
ihr des Weges gegangen wäre. Das einzig Angenehme war ihr, daß sie kein
böses Gewissen zu haben brauchte. So mit ihm allein zu sein -- es geht
ja gar nicht anders. Und er ist im Grunde doch ein guter Bursch!

»Ich weiß nicht, warum ich alleweil den nassen Rock auf dem Leibe
herumschleppen soll!« sagte der Lenz, zog die Jacke aus und hing sie
über den Herd. Es waren aber auch die übrigen Kleider naß.

»Das ist nicht gesund,« sagte die Annamirl, und legte auch ihre Joppe
ab.

»Wir müssen auch inwendig einheizen,« meinte der Lenz und reichte ihr
den Schnapsplutzer.

»Mir ist gerade warm genug,« war ihre Antwort.

»Die Nacht ist lang,« sagte er und nahm selbst einen guten Schluck zu
sich, »wenn wir auch das Herdfeuer nicht ausgehen lassen! Wir werden zu
tun haben, daß wir uns warm halten!«

Darauf sagte die Annamirl nichts mehr, sondern strich an den Tisch hin
und hüllte die heilige Katharina mit der Schürze zu.

Draußen toste der Sturmwind und pfiff schrill zu den Fensterfugen
herein. Es war finster geworden, die Fensterscheiben waren weiß belegt
mit Schnee. Bisweilen ächzten die Wände.

Dem Dirndl war angst und bang, und als der Lenz sich nun zu ihr
setzte, hübsch nahe -- es war ihm heiß und kalt -- schob sie ihn nicht
zurück.

So saßen sie auf dem Strohbunde. Als wäre jedes von ihnen das
Untergehende und klammerte sich ans andere zur Rettung, so war es.
Anfangs, als sie sich anschauten, schlug ein Blick den anderen zu
Boden. Aber endlich hielten sie einander mutig aus und blickten sich
fast krampfig starr an. Wie es ist, wenn man aus scharfer Kälte in eine
weiche Wärme kommt, sie waren halb betäubt und verloren sich sachte in
die Ungründe eines süßen Traumes. Aller Winterschnee -- so empfand es
das Dirndl -- war geschmolzen in einem seltsamen Föhn, rosige Knösplein
sproßten aus der Erde, zwitschernde Vögel umkreisten die grünen Wipfel
-- der Lenz war da. Der Lenz war bei ihr. Fast schon schmolz sie
selbst dahin im Föhn seines Kusses, da war plötzlich in der Stube ein
Gepolter. Die Träumenden fuhren empor, das Dirndl ächzte vor Schreck.
Die heilige Katharina war vom Tisch gesprungen.

Auf dem Boden lag sie hingestreckt und die Annamirl war nüchtern im
Augenblick.

»Wer weiß, was das bedeutet!« sagte sie.

»Ich weiß es: daß der Wind das Fenster aufgerissen und die Figur
umgeworfen hat.«

»Lenz!« sprach sie hierauf mit ernster und doch weicher Stimme. »Ich
habe die heilige Katharina vorhin gebeten um ihren Schutz. Es wäre aus
gewesen. Lenz, ich hab' dich viel zu lieb!«

In diesem Augenblick ein derbes Pochen an der Tür. Das war nicht der
Sturm. Der Bursche öffnete.

Zwei Schneemänner traten herein mit aufgepflanzten Gewehren.
Gendarmen. Sie forderten den Lenz auf, mit ihnen zu gehen, denn er
hätte in das Alpenhaus eingebrochen.

»So, Bub,« sprach das Mädchen mit dem Humor der Verzweiflung. »Dir
hat's ja gar so gut gefallen im Arrest, jetzt kannst gleich wieder
hinein.«

»Oho!« rief der Bursche und stellte sich scharf vor die Gendarmen hin.
»Jetzt frage ich die Herren, für was ist denn dieses Schutzhaus erbaut,
als für Leute, die im Gebirge vom Unwetter überfallen werden? Hätten
wir da draußen vor dem Hause stecken bleiben und erfrieren sollen?«

Das sahen die Herren ein. Sie waren zufällig an dem Alpenhause
vorübergekommen, weil sie in die Baldau wegen des Faschingballes
gingen; und weil sie im Hause etwas gewahr worden, so hätten sie
gemeint, es wären Schelme drin. -- Ob nicht ein warmer Tropfen zu haben
wäre.

Nachdem sie sich mit dem Reste des Branntweins geatzt, verließen nun
die vier Personen selbander das Schutzhaus und kämpften sich zur Not
durch Schnee und Gestöber hinab in die Baldau.

In der Kapelle des Stegrochel steht heute die heilige Katharina. Der
Lenz ist fortgezogen von der Gegend, so erweist die Annamirl der lieben
Heiligen alles mögliche Gute. Ein seidenes Bändchen, eine brennende
Ampel, ein Kranz von Rosen -- sie ehrt frommen Sinnes in dem Bilde die
Blutzeugin und unversehrte Jungfrau. Wohl an der Nase hat es eine ganz
kleine Narbe, das Bildnis -- niemand als die Annamirl weiß, was das
bedeutet.




                            Die grüne Rose.


»Jesseles, Vefa, lebst du auch noch!« rief die Großbäuerin im Möstelhof
aus, als ein junges heiteres Weib zur Tür hereinhuschte. »Jetzt hab'
ich gemeint, du wärst schon gestorben!«

»A na, gestorben bin ich noch nit,« lachte die Eintretende, »das tu'
ich nicht, daß ich jetzt sterben tät'. Mein Lebtag hat mich 's Leben
nit so gefreut, wie jetzt.«

»Gehst nit!« rief die Bäuerin aus, es war aber kein Befehl,
fortzugehen, es war nur ein Ausruf der Verwunderung.

Man hatte ihr »nichts derteilt«, der Vefa, als sie vor etlichen
Wochen den Schneider Viktor von der grünen Rose heiratete. Der war
als Querkopf bekannt, betrieb außer seinem Handwerk die Rosenzucht
und arbeitete seit Jahren daran, durch Okulationen eine Rosenart
zu züchten, die eine grüne Krone und rote Laubblätter hätte. Alles
andere auf der Welt war ihm Nebensache, ja er hielt die Existenz der
Erde überhaupt für zwecklos, so lange sie nicht grüne Rosen trüge.
Und dieser Mann, Viktor von der grünen Rose, wie er sich nannte, ging
eines Tages in das Kleinhäusel und heiratete ein frisches lustiges
Mädel heraus. Es ist nicht gerade so zu verstehen, als ob er sie gleich
bei seinem ersten Erscheinen im Häusel geheiratet hätte, das erste
Erscheinen verliert sich im Dunkel der Vorzeit. Es stellte sich aber
heraus, daß er jemanden haben müsse, zum Rosenwarten, während er auf
der Ster arbeitete.

»Lach' dich nur recht aus, Vefa!« hatten am Trauungstage die Leute zu
ihr gesagt, »denn bei deinem Schneider wirst du nit viel zu lachen
haben.«

Aber sie lachte heute noch, als sie nun eintrat bei der Großbäuerin im
Möstelhof. Die Großbäuerin war eine Schulgenossin der Vefa, deshalb
konnte sie wohl freundschaftlich fragen: »Daß du die Zeit her nichts
von dir hast hören lassen -- wie soll ich mir denn das auslegen?«

»Das könntest schier von dir selber wissen,« antwortete die Vefa
lachend. »Wenn zwei jungverheiratete Leute nit mucksen, nachher kannst
dir's eh denken.«

»Wie geht's denn mit ihm?«

»Grüne Rosen!« rief sie lachend. »Jetzt bin ich seine grüne Rose.«

»Gehst nit?!« rief die Großbäuerin aus.

»Ja, mein du!«

»Wär' er denn zum mögen?«

»Ich dank' meinem Gott, daß sie sich an ihm verkannt haben, sonst wär'
er kaum für die arme Häusler-Vefa übriggeblieben.«

»Wenn er alleweil nur grüne Rosen züchten will und sonst nichts.«

»Laß dich nit auslachen, Bäuerin,« sagte die Vefa. »Geh her, ich will
dir was sagen. Ganz gleim, so!« Sie flüsterte der Großbäuerin etwas ins
Ohr.

»Gehst nit?« rief diese und schlug die Hände zusammen.

Die andere nickte mit dem Kopf, was soviel sagt, als: Ja, gewiß auch
noch! Darauf haben sie alle zwei hübsch heimlich geduschelt.

»Gelt,« sagte hernach die Vefa, »gelt, Bäuerin, ich kann mich verlassen
auf dich? Was du mir zu Heiligdreikönig gesagt hast, unten bei der
Kirchbrucken? Weißt es nit mehr? -- Weil wir alte Kameradinnen sind,
allzwei. Wenn ich einmal eine Gevatterin sollt' brauchen.«

»Jesseles ja, freilich, freilich. Na, aber daß du dir gar so leicht
merken tust!« sagte die Bäuerin und setzte launig bei: »Soll ich mich
für einen Buben oder für ein Mädel zusammenrichten?«

»Was denn? Freilich für einen Buben!« lachte die Vefa hell auf.

»Jetzt muß ich dir aber doch gleich einen Kaffee machen gehen, weil du
eine so schöne Neuigkeit gebracht hast!«

Sagte es und schoß in die Küche hinaus.

So munter war es hergegangen vor fünfzehn Jahren. Seither hatte der
Schneidermeister Viktor immer die grüne Rose gesucht und die blaue
Blume gefunden. Ja, fast romantisch war die Liebe der beiden Eheleute
zueinander, so ganz wie im Märchen, alle anderen Menschen ausschließend
und einzig nur einander lebend. Gerade mit der Großbäuerin im Möstelhof
pflegte die Vefa noch der Freundschaft, denn die hatte sie blutnötig.

Also kam sie auch heute wieder in den Möstelhof. Ihr Aussehen war
nicht das beste. Die gelblich-braunen Wangen eingefallen, um die Augen
Schattenringe, um die Mundwinkel zwei halbrunde Runzeln, Parenthesen
gleichsam, die noch leidlich roten Lippen einklammernd, als ob diese
eigentlich gar nicht mehr dazu gehörten. Aber sie gehörten noch ganz
kurios dazu, sie lachten auch noch so lebhaft wie vor fünfzehn Jahren,
nur für den Kenner ein ganz klein wenig schrillend, wie ein Glöcklein,
das irgendwo einen leichten Sprung hat.

Als sie jetzt über den Hof ging und ein Häuflein Kinder sich balgen sah
auf dem Anger, rief sie ihnen zu: »Grüß euch Gott, Kinder! Tut's schon
wieder raufen? Ist die Mutter daheim?«

»Die Mutter ist eh in der Kuchel,« antwortete ein etwa fünfjähriges
Dirndl und tollte mit den Knaben weiter.

Als sie hernach vor der Bäuerin stand, hub sie merkwürdigerweise nicht
an zu lachen. Sie redete ein wenig so herum, daß immer schlecht Wetter
sei, -- es war aber sehr schön und warm; daß die Berge steil wären,
-- sie war aber auf ebenem Wege dahergekommen; daß man die Kühe gut
füttern müsse, wenn sie Milch geben sollten, -- sie hatte aber keine
Kuh, bloß zwei Ziegen, wovon die eine auch dann keine Milch gab, wenn
man sie gut fütterte, weil sie trächtig war. -- So voller Ungereimtheit
war alles und die Vefa lachte noch immer nicht. Und endlich, wie sie
gefragt wurde, wie es denn alleweil gehe, riß sie ihre blaue Schürze
ans Gesicht und hub an zu weinen.

»Vefa!« sagte die Bäuerin. »Was ist denn das? Was hast denn? ~Das~ ist
man von dir nicht gewohnt.«

Die Vefa hatte sich auf die Herdkante niedergesetzt, legte nun ihre
Hände wie betend über den Schoß zusammen und sagte endlich ganz
dämpfig: »Meine liebe Möstelhoferin! 's hat halt schon wieder was --
bei mir ...«

»Gehst nit?!« wollte die Bäuerin ausrufen, aber der Schreck verschlug
ihr die Stimme. Sie starrte auf die Schneiderin, sie legte die Hände
zusammen und ging über das Fletz hin.

»Verlaß mich nit, Johanna!« hauchte die Vefa unter fortwährendem
Schluchzen.

Endlich erholte sich die Bäuerin und rief aus: »Das ist ein Kreuz! Das
Neunte! -- Verlaß mich nit! Ist leicht gesagt. Könnt's denn gar nit
gescheiter sein? Seid's doch nimmer so kindisch jung! Schamt's euch
denn nit? Schier alle Jahre eins! Wenn unser Herrgott nit gescheiter
wär' und nit ein Teil wieder zu sich genommen hätt'! Und wenn ich
nicht die drei auf den Hof genommen hätt' -- rein wie in einem
Kiniglhasen-Kobel tät's ausschauen bei euch. Ihr könnt's ja ~die~ gar
nit versorgen, die euch verblieben sind. Und jetzt schon wieder!«

Antwortete die Vefa ganz ergeben: »Wenn sie unser Herrgott schickt, was
kann man machen!«

»Paperlapap, unser Herrgott schickt!« begehrte die Bäuerin fast
gröblich auf. »Den da oben zum Schuldaustragen brauchen, ist freilich
kamod.«

Das wird in anderen Häusern wohl auch sein, und doch gibt der Obere
nicht überall seinen Segen! -- Solches wollte die Vefa schon sagen.
Gottlob, daß sie es glücklich hinabgewürgt hat. Die Großbäuerin hatte
keine eigenen Kinder und möchte erzürnt leicht auch die angenommenen
der armen Häuslerin zurückschicken, wenn so ein ungutes Wort fiele.
Die Vefa zog es also vor, ruhig weiter zu weinen. Und das war auch das
beste. Nun trat die Bäuerin zu ihr hin, tastete nach ihrer Hand und
sagte: »Richtig wahr, man muß recht greinen mit euch. Weil's schon gar!
Daß aber er nit gescheiter ist! Na freilich, ihn brennt's nit. Das
Mannsbild wirft die Kästen ins Feuer, herausholen kann's die Frau, man
weiß eh, wie's geht.«

»Da hätt' ich wohl keine Klage mit meinem Viktor,« sprach die Vefa.
»Tag und Nacht, darf ich sagen, tut er arbeiten und sorgen für uns, daß
er mir gerads blind wird. Hat eh nichts Gutes auf der Welt, der arme
Lapp. ~Eine~ Freud' muß ihm doch vergunnt sein. Lieber Gott, was haben
wir schon voriges Jahr geweint miteinander! Sind einmal die halbe Nacht
auf der Hühnersteige gesessen nebeneinander und haben geflennt. Und
jetzt ist's schon wieder.«

»Es ist wohl schlecht eingerichtet auf der Welt.«

»Gel' ja!«

»Zu viel und zu wenig, überall zu viel oder zu wenig.«

Der Knabe und die zwei Mägdlein jagten zur Türe herein:

»Mutter, der Franzerl tut mich alleweil zupfen beim Krösel!«

»Nit wahr ist's, die Lieserl gibt kein Fried'!«

»Mutterle, gib mir was!«

Mit gutmütigem Brummen schlichtete die Bäuerin den Streit und reichte
den Kindern Butterbrot. Das größte Stück bekam aber die Schneiderin und
nun saßen sie beisammen, die Vefa und ihre Kinder, und diese wußten
es nicht, kümmerten sich gar nicht um sie, machten sich immer nur
schmeichelnd mit der anderen, mit dem »Mutterle« zu schaffen. Darob
tat der Vefa das Herz weh und doch dankte sie Gott und der braven
Großbäuerin, daß die Hascherln hier bei ihrer Patin ein so warmes Heim
gefunden hatten.

Die Vefa ist nachher noch eine Weile am Herde gesessen und hat der
Bäuerin zugeschaut beim Mittagmahlkochen. Die Bäuerin legte Scheiter
über das Feuer, füllte die Wassertöpfe, speckte das Kraut, ballte und
sott die Klöße und war wortkarg. So meinte endlich die Vefa betrübt,
sie werde nun halt wieder gehen müssen um ein Häusel weiter. Als die
Klöße brodelten, sagte die Bäuerin: »Soll's halt noch einmal sein, daß
ich dir's aus der Taufe hebe. Aber du mußt mir's versprechen, Vefa, daß
es das allerletzte Mal ist!«

»Nein, Bäuerin, versprechen kann ich nichts!« gab die Schneidersfrau
mit Eifer zurück. »Versprochen hab' ich dir's in früheren Jahren oft
genug. Das hilft nichts. Jetzt laß ich alles Fürnehmen sein, laß in
Gottesnamen den Herrgott schütten, so lang' er will.« Und nach diesen
Worten lachte sie laut in den Tag hinein.

»Nau, weil du nur wieder lachst!« rief die Bäuerin aus. »Mich ziemt,
ausschelten kunnt ich dich, du Band, du leichtsinniges! Und nachher
tust mir doch wieder derbarmen, du arme, gute Haut! -- Laß mir's halt
sagen. Wird wohl eh noch lang' dauern.«

»Derwarten werden wir's leicht,« lachte die Vefa.

»Und daß du mir Achting gibst, jetzt auf dich! Nit heben und nit
tragen, weißt es ja so. Und wenn es dir nach etwas gelüstet, und ich
kann dir's schaffen, so sag's. Müßt' nur sein, daß du einen Bäcker in
den Arm beißen wolltest, den kunnt ich dir nit schaffen.«

»So noble Passionen hab' ich wohl nit!« lachte die Vefa.

»Und daß du sonst was zu beißen hast, werden wir halt schauen. -- Da,
Alte, Gute, Dumme! Nimm für deine kleinen Fratzen den Milchplutzer mit.
Und deinen Schneider, wenn er einmal Zeit hat, den schickest zu mir.
Dem werd' ich einmal was sagen!«

»Vergelt's Gott, Bäuerin, bis in den Himmel hinauf!« flüsterte die Vefa
und eilte mit dem Plutzer davon.

Den Schneider aber hat sie nicht geschickt.




                           Die Blumenmutter.


Ich habe gesehen, als sie vorübergeführt wurde. Die Landwächter mußten
das Volk mit Gewehrkolben zurücktreiben, daß es sich nicht auf die
Gefangene stürzte und sie erwürgte.

Eine schlanke, noch jugendliche, fast schöne Gestalt. Aber blaß die
zusammengekniffenen Lippen; in den Augen ein ruheloses Feuer, das jeden
Blick versengte, den es traf. Die glanzlosen Haare hingen in langen
Strähnen wirr über Achseln und Angesicht, denn sie hatte keine Hand
frei, um sie zurecht zu streichen. Ihr Kleid war wie die Gewandung
der anderen Dorfweiber, die ihr jetzt die Fäuste entgegenballten und
gräßliche Flüche zuschleuderten.

Frau Irena Eman war's, die Witwe des ein Jahr früher verstorbenen
Schuhmachers Eman, ein stilles, braves, doch zeitweise überspanntes
Weib, das fünf unmündige Kinder zu versorgen hatte und daher bisweilen
das Mitleid der Dorfbewohner anrufen mußte.

Die Leute sind barmherzig, sie geben und helfen, wo es not tut; die
Bauern lassen unter sich keinen verhungern, aber für ihre Wohltaten
wollen sie auch zeigen, daß sie höher stehen als die Beschenkten, und
klüger und braver sind, und so schimpfen sie denn gelegentlich tüchtig
auf ihre Schützlinge los. Bei der Irena Eman hatten sie freilich nicht
ganz unrecht, denn, wenn die Person fünf Kinder -- und das gesunde,
schöne, herzige Kinder -- zu ernähren hat, so soll sie arbeiten oder
Arbeit suchen, anstatt in den Wallfahrtskapellen umherzuknien und für
das Fortkommen und Seelenheil ihrer Jungen zu beten, während diese
halbnackt und unbeaufsichtigt vor der Hütte sich herumbalgen, sich ins
Dorf hinein verlaufen und Brot suchen, wo sie es finden.

Irena Eman war oft gar erregt und verzagt und trotz ihres Betens und
der guten Lehren, die sie jeden Tag spendete, waren ihr die Kinder
nicht sanft und fromm genug und sie sah, wie die Zucht, die sie sich
vorgenommen, nicht fruchtete oder ganz anders, als sie erhofft, und daß
auch ihre Kinder nicht anders waren, als andere Bettelkinder, nämlich
leichtsinnige, verschmitzte und tollwitzige Rangen. Sie am wenigsten
hätte das Recht, in dieser Sache so streng zu sein, meinten die Leute.
Sie wollte aber keine bösen, verdorbenen Menschen heranziehen --
solche gäbe es ohnehin genug -- eher betete sie nach dem Vorbilde der
Heiligen, daß Gott die Geschöpfe lieber in ihren jungen Jahren zu sich
nehmen möchte, als sie in dieser Welt verderben und in der anderen
verloren gehen zu lassen.

So kniete sie eines Tages in der Kapelle zu den drei grünen Bäumen und
schüttete ihr geängstigtes Herz aus. Der Bäckermeister Veit ging auf
sein Feld hinaus, denn dort arbeiteten die Schnitter beim hochreifen
Korn. Als er das Weib am Eingang der Kapelle knien sah, trat er zu ihr
hin und sagte: »He, du fromme Schusterin, du! Leckest dem Herrgott vor
lauter Andacht die Zehen ab und schickest deine Kinder zum Brotstehlen
aus!«

»Wer?« fragte sie und erhob sich von dem feuchten Stein, »wer schickt
-- zum Brotstehlen aus!«

»Ja, das glaub' ich, daß du's nicht eingestehen wirst. Nur schade, daß
wir dein sauberes Töchterl ertappt haben.«

»Mein Kind hätte Brot gestohlen?« fragte das Weib und ihre Stimme war
seltsam tonlos. »Meister, sag' es noch einmal, wenn du kannst; sag' es
da vor dem Herrgottbild! Das ist bös' von dir, daß du mir einen Stich
ins Herz gibst; so gottverlassen sind meine Kinder nicht.«

»Deinen Kindern kann man's nicht aufmessen,« sagte der Bäcker, »die
sind hungrig. Aber du! du!«

»Ich!« rief das Weib und fuhr dann wie sinnend fort: »Hast schon recht,
Bäcker, ich! Wer hat sie geboren? Ich! Wer hat sie zu verantworten? Wer
muß es jetzt anders machen? Ich. Geh nur deines Weges, Meister, deine
weiten Felder sind alle reif. Meine Kinder werden dir kein Brot mehr
stehlen.«

Der Bäcker schritt über die Felder hin und freute sich im hellen
Sonnenschein an dem Segen Gottes, der ihm so reich geworden, und nahm
sich vor, den Armen die Gabe zu reichen, bevor sie die Hand rechtlos
nach derselben ausstrecken müssen.

Irena Eman ist hinabgegangen zu ihrer einschichtigen Hütte, hat ihre
Kinder -- aber nur vier waren da -- zusammengerufen in die Küche, an
den steinernen Herd, daneben der Block zum Holzspalten stand. --

Eine kleine Weile später trat sie aus dem Häuschen, in welchem es still
geworden war, und ging rasch gegen das Dorf hin, um das fünfte, den
achtjährigen Knaben, aus der Schule zu holen.

Eine Nachbarin, die des Weges kam, fragte sie, was sie denn so eilig
vorhabe?

»Was hat er denn jetzt in der Schule zu tun, der Junge!« rief die
Schuhmacherswitwe.

»--s ist ja Schulzeit,« sprach die Nachbarin.

»Er soll heimgehen. Er lernt nichts Gutes!«

Dabei war ihr Wesen so sonderbar, daß es der Nachbarin einfiel zu
fragen: »Wo hast denn deine anderen Kinder heut', Emanin?«

»Die schlafen schon,« gab das Weib zur Antwort und eilte vorüber.

Nicht lange währte es, so kam denselben Weg, den Irena gekommen, eine
genauere Nachricht. Der Bote war atemlos, er stöhnte und konnte kaum
ein verständliches Wort hervorbringen.

»Die Kinder!« schnaufte er und schlug immer wieder die Hände zusammen,
»vier Kinder hat sie --«

»Fünfe hat sie,« vervollständigte ein vorlauter Dörfler.

»Vier Kinder hat sie ermordet!«

Da ging ein Schrei des Schreckens durch den Ort; man lief der
Wahnsinnigen nach und holte sie ein, bevor sie noch das Schulgebäude
erreicht hatte.

Und eine Stunde später haben sie zwei Landwächter davongeführt.

Die Hütte der Schuhmachers-Witwe war von Menschenschwärmen umgeben,
aber die Tür war schon polizeilich verschlossen.

Alles wollte durch das Fenster in die Stube hineinschauen, aber jeder,
der es tat, prallte mit einem Schreckrufe zurück. In der Stube standen
die gewöhnlichen Einrichtungsstücke, aber unter der Küchentürschwelle
zogen sich ein paar braunschwarze Rinnstreifen herein und weit über den
Fußboden hin. --

Als bei den Leuten die erste Ohnmacht des Schreckens vorüber war,
lösten sich die Zungen. Zuerst taten sie ihre Empfindungen dar, die
Wut gegen das entmenschte Weib, das Mitleid mit den hingeschlachteten
Kindern. Dann kam ihre Weisheit.

»Für eine solche Bestie ist das Henken viel zu gering!« sagten mehrere.

»Heiliggesprochen wird sie!« behauptete ein hagerer Bauer vom
Kreuzberge.

»Schäme dich, Kreuzbauer!« rief ihm ein anderer zu, »bist sonst so
fromm und verlästerst die Religion.«

»Verlästern meinst? Aber das möcht' ich wissen!« verteidigte sich der
Bauer vom Kreuzberge. »Wenn du dein Lebtag einmal eine Heiligenlegende
hast aufgeschlagen, so wirst du wissen, daß die Heiligen lieber
gestorben sind, als daß sie Sünden hätten begangen. Christliche Eltern
wirst du alle Tage beten sehen, daß Gott ihre Kinder lieber in der
frühen Jugend zu sich nehmen soll, als daß sie aufwachsen und schlechte
Menschen werden. Aber wenige wirst finden, die vor lauter Lieb' zu
ihren Kindern den Heldenmut haben, sie rechtzeitig aus der Gefahr zu
retten. Darum soll man solche, die Gott zulieb' ihr Allerliebstes
hinopfern, wie es der Vater Abraham auf dem Berge Moria hat tun wollen,
heilig sprechen.«

»Und in den Narrenturm stecken!« rief ein anderer dazwischen.

»Überlassen wir das Urteil dem Gerichte,« sagte nun der Pfarrer, der
gebrechlich auf seinen Stock gestützt herbeigekommen war und die Leute
zu beruhigen suchte. »Die Toten übergeben wir dem Herrn. Aber was soll
nun mit dem verwaisten Knaben geschehen?«

»Wo ist der Knabe?« schrien jetzt mehrere durcheinander, »der soll's
nun erfahren, was er für eine Mutter hat!« --

»Das soll er nicht erfahren, meine lieben Leute,« sagte der Priester,
»ich habe veranlaßt, daß er heute in der Schule zurückbehalten werde
und ich sinne auf Mittel, die Schmach und den Schmerz von dem armen
Jungen abzuwenden, die jetzt auf ihn fallen und ihn für sein Leben
unglücklich machen müßten. -- Und an euch habe ich die Bitte, daß ihr
euch jetzt zerstreut und zu euerer Tagesarbeit begebt. Das Unglück, das
diese Hütte uns verdeckt, hat die ganze Gemeinde getroffen. Ihr seht
mich gebeugt und mit weißen Haaren, aber einen Tag, so schwer wie der
heutige, habe ich noch nicht erlebt. Das Verbrechen ist so groß, daß es
keines Wortes bedarf, um es zu nennen. So wollen wir Christen sein und
beten: Vergib uns, Herr, unsere Schulden, als auch wir vergeben ...«

Sie gingen nach und nach auseinander. Und als die Nacht kam, stand die
Hütte der Irena Eman vereinsamt, nur ein Wächter schritt davor auf und
ab mit seiner zuckenden Laterne.

                   *       *       *       *       *

Am selben Nachmittage noch war's gewesen, daß in der Dorfschule der
Lehrer das blonde, muntere Büblein, welches sich Franz Eman schrieb,
den anderen Kindern als ein Muster des Fleißes und Fortganges vorhielt.
Da wurde der Lehrer hinausgerufen. Nach einiger Zeit kam er sehr
ernst und etwas aufgeregt zurück und erkundigte sich, wer in seiner
Abwesenheit nur wieder den tollen Lärm veranlaßt habe?

Da sich keiner der Schuld begab, so blickte der Lehrer den kleinen Eman
an und sagte: »Ich glaube, Junge, daß du auch mitgelärmt hast. Aber
einem sonst so braven Schüler hat man zu belehren, daher muß ich dich
heute nach der Schule eine Stunde hier behalten.«

Der Unterricht wurde fortgesetzt; der Lehrer verordnete Schönschreiben
nach Vorschriften, wobei er still und nachdenkend zwischen den Bänken
auf und ab schreiten konnte. Er schien bei solchem Spaziergange den
Stundenschluß zu überhören und es gingen draußen schon die Leute von
den Feldern heim, als er die Kinder entließ.

Nun trat der kleine Eman zu ihm und bat mit feuchten Äuglein, daß auch
er zu Mutter und Geschwistern nach Hause gehen dürfe.

»Du mußt heute noch ein wenig bei mir bleiben, Franz,« sagte der
Lehrer. Und als die anderen davon waren, setzte er sich auf eine Bank,
nahm den Knaben zu sich und sagte wieder: »Ein wenig mußt du heute noch
bei mir bleiben, Franz. Es wird dann der Herr Pfarrer kommen, der mit
dir was sprechen will. Sage mir einmal, habt ihr daheim Kaffee?«

»Nein,« antwortete der Kleine, »aber wie der Vater gestorben ist, haben
wir einen bekommen.«

»Ja,« meinte der Lehrer, »der Kaffee macht guten Mut, und so sollst du
jetzt in meine Stube kommen und mit mir Kaffee trinken.«

Das taten sie. Und als der Kaffee getrunken war, und als zuletzt
die Lampe ein helles Licht auf den Tisch warf, brachte der Lehrer
Bilderbücher, um den Knaben zu unterhalten.

»Wie nennt man diesen Baum?« fragte der Knabe und hielt sein Fingerlein
auf ein Pflanzenbild.

»Das ist eine Trauerweide,« antwortete der Lehrer.

Nach einer Weile fragte der Kleine: »Darf ich jetzt schon nach Hause
gehen?«

Da trat endlich der Pfarrer ein.

»Ei, da ist er ja, mein kleiner, lieber Franz!« sagte er und tätschelte
den Knaben an der Wange. »Ich will dir etwas Gutes sagen.«

Der Junge schaute ihm mit großen Augen treuherzig in das Gesicht.

»Ich habe dir versprochen, daß, wenn du brav bist, ich dich einmal in
die große Stadt mitnehmen will. Brav bist du, und so muß ich mein Wort
wohl halten. Wir fahren noch in dieser Nacht davon.«

»Und fährt meine Mutter auch mit?« fragte der Kleine.

»Deine Mutter,« antwortete der Pfarrer etwas unsicher, »ja deine
Mutter, freilich -- die ist schon voraus.«

Jetzt jubelte der Knabe, denn die Stadt und was von ihr erzählt wird,
hatte ihn schon oft beschäftigt, und mit dem guten Herrn Pfarrer ging
er so gerne.

Wenige Stunden später hatte der kleine Franz ein neues Kleid an, das
beim Dorfkaufmann in Vorrat gewesen. So saß er neben dem Pfarrer im
Wagen und der Wagen knarrte hin durch die stille, laue Mondnacht. Der
Kleine war bald eingeschlummert und als er so dalehnte in der Wagenecke
und der Mond auf sein weißes Gesichtlein fiel und alles so recht im
Frieden war, da begann der alte Herr zu schluchzen. Er weinte über das
fürchterliche Geschick, das sich an diesem Tage vollzogen hatte, das
nun so dämonenhaft über dem Leben dieses unschuldigen Kindes lag. --
Wird es gelingen, mein Knabe, dir einen Lebensweg zu weisen, auf dem
dir die Spuren der blutigen Tat nicht begegnen? --

Nach Mitternacht erreichten sie die Eisenbahn. Auf dem Bahnhofe
kreuzten zu dieser Zeit zwei Züge, der eine ging gegen die
Kreisgerichtsstadt, der andere gegen die Hauptstadt. Eben wollte der
Pfarrer den Knaben sanft wecken, daß dieser aus dem Wagen steige, da
erblickte er durch die offene Tür des Wartesaales das unglückselige
Weib zwischen den Häschern kauern. Der Priester ließ den Kleinen
im Wagen schlafen, und als sein Zug angekommen war, da hob er das
schlafende Kind in die Arme und trug es durch den Wartesaal gegen den
Waggon. Er mußte im Scheine einer hochhängenden Lampe und im Glanze
zweier Bajonette nahe an der Mutter vorbei, aber sie schaute starr vor
sich auf das steinerne Pflaster. So waren sie sich hier begegnet, ohne
daß eins vom anderen wußte.

Wenige Minuten nachher führten zwei Eisenbahnzüge Mutter und Sohn weit
auseinander.

                   *       *       *       *       *

Zur Zeit des Morgenrotes, da in der Stadt schon das knarrende Leben
begann -- stand der Pfarrer aus dem Dorfe vor dem Tore eines grauen
Gebäudes und zog die Glocke. Dabei streichelte er die Stirne des
Knaben, der sich an seinen Rock schmiegte und -- eben erst vom
Schlummer erwacht -- in der fremden Umgebung angstvoll wimmerte.

Nach einiger Zeit wurde aufgetan.

»Gott zum Gruße!« sagte der Torwart, »das ist ja der Herr Pfarrer von
Birkenheide!«

»Der bin ich,« antwortete der Eintretende, »und nun wollet Ihr in
Gottes Morgenfrühe ein christliches Werk tun und uns beiden da ein
Stüblein aufmachen, bis der hochwürdige Herr Prälat aus dem Bette ist;
dann lasse ich um eine Audienz bitten.«

»Der hochwürdige Herr Prälat ist aus dem Bette,« berichtete der
Torwart; er geht schon im Klostergarten mit unserem Herrgott spazieren.«

»Wenn ich mich den beiden Herren anmelden dürft'!« meinte der
Landpfarrer, »ich habe heute eine Angelegenheit, die alle zwei angeht.«

Der Knabe wurde auf ein Bett gebracht, wo er bald wieder einschlief;
der alte Herr schritt in seinen hohen glänzenden Stiefeln und mit
seinem weißen Haupte auf dem Kieswege dahin zwischen den Eichen und
Ulmen des Klostergartens. -- Da sah er bald die stattliche Gestalt im
langen, blauverbrämten Talare und mit dem goldenen Kreuz auf der Brust.

»Wessen geliebtes Haupt sehe ich auf mich zukommen!« rief der Prälat
mit ausgebreiteten Armen, »das ist ja mein alter Pfarrer Gottfried?«

»O Herr,« sagte der Greis, »daß ich heute gar der Sonne bei Euch den
Vortritt abgelaufen habe, muß wohl was bedeuten. Ich komme mit einem
schweren Herzen, ich möcht's wohl gleich ablasten.«

Sie schritten nebeneinander hin und der Pfarrer erzählte das Ereignis
aus seinem Dorfe, wie ein armes Weib aus Fanatismus und Verzweiflung
ihre vier Kinder ums Leben gebracht habe und wie das fünfte, durch
einen Zufall gerettet, bisher von der Sache noch nichts wisse.

»Und um für diesen armen Waisenknaben bei Euch zu bitten, bin ich jetzt
da,« fuhr der Pfarrer fort. »Im Dorf kann er nicht bleiben, da würde
er einesteils von dem Mitleid, anderenteils von der Bosheit der Leute
zu leiden haben und verdorben werden. Mich erbarmt dieses Kind; es ist
ein aufgeweckter, gutherziger Knabe. Auch ihm hat seine Mutter nach
dem Leben gestrebt, weil sie vermeint, es könne ihn das Leben schlecht
machen. Da gilt's halt jetzt zu zeigen, daß sie unrecht gehabt hat, daß
ihr Sohn ein rechtschaffener Mann wird. Und deswegen komme ich, um Euer
Hochwürden zu bitten: Helfet mir, daß aus dem Jungen etwas Braves wird.
Ich bin selber ein armer Mann und weiß nicht aus; aber was ich kann,
das will ich gern für ihn leisten.«

»Ihr meint also, mein lieber Pfarrer --«

»Ja, zum Chorknaben!« sagte der Greis, »das würde wohl recht für ihn
passen. Er hat mir daheim recht geschickt ministriert, und singen kann
er auch.« Jetzt faltete er seine rauhen Hände: »Hochwürdiger Herr!
Dieses Stift ist so groß und reich. Da sehe ich Hunderte von Tauben
fliegen, die hier ihre Nahrung finden, und über dem Hochaltare, wo Ihr
täglich das heilige Meßopfer verrichtet, steht unseres lieben Heilandes
Wort: Was ihr dem geringsten meiner Brüder --«

»Aber wozu so viel schweres Geschütz, Pfarrer!« rief der Prälat aus,
»das mögt Ihr getrost daheim bei Euren Pfarrkindern abbrennen, wenn
ein hungeriges Waiselein zu speisen ist. Mich kennt Ihr ja doch.«

»Das wohl und desweg komm' ich her und wenn ich was Ungeziemendes
gesagt haben soll, so bitte ich um Verzeihung!«

»Ich nehme mich gern des Knaben an, Ihr könnt ihn bringen, sobald es
Euch gut dünkt.«

»Er ist schon da!« rief der Greis in freudiger Lebhaftigkeit. »So gewiß
habe ich es gewußt, daß ich vor Euer Hochwürden keine Fehlbitte tue,
daß ich meinen Schützling in diesem Kloster warm betten ließ, bevor ich
noch mit Euch sprechen konnte.«

»Da habt Ihr recht getan, alter Freund,« sagte der geistliche
Würdenträger und schüttelte dem Landpfarrer die Hand. »Ihr habt
mich damit geehrt. Euch zuliebe soll das arme Kind hier eine Heimat
gefunden haben und dann wollen wir sehen, was sich aus ihm entwickelt.
Unser Stift bedarf Handwerker, Landwirte, Waldheger, und hat allerlei
Gewerbe, auf die der liebe Herrgott seine Brosamen streut.«

»Herr!« sagte der Greis und hatte noch immer die Hände gefaltet,
»gestern der Schreck! und heute wieder dieser Freudentag! -- Und jetzt,
wie eine Bitte schon nie allein kommt, hätte ich halt noch eine zweite.
Aber die wird wohl schwer möglich sein. Ihr wisset, die Wahrheit ist
unser Stab. Wir schwachen Menschen, wir können nicht alles, was wir
sollen, aber wahrhaftig sein, das können wir. Allein, hochwürdiger
Herr, wenn die Wahrheit so ist, daß sie wen niederschlägt und zugrunde
richtet, dann soll man sie nicht sagen. Ich meine, man soll dem Knaben
verschweigen, was seine Mutter getan hat.«

»Und wie wollt Ihr das anstellen?« fragte der Prälat.

»Das weiß ich nun einmal selber nicht. Ich habe mir wohl was
ausgedacht, aber ich weiß nicht, ob es das rechte ist. Ich meine, wenn
man dem Kinde sagen tät', es sei ein Übeltäter im Hause gewesen, habe
seine Geschwister ums Leben gebracht und die Mutter sei auch zugrunde
gegangen. Das ist, genau genommen, nicht einmal eine Unwahrheit und ich
denke, bei dem achtjährigen Büblein könnte man damit fertig werden. Und
was wäre das für ein Glück, wenn es ihm auf lebenslang könnte verborgen
bleiben!«

»Ich bin Eurer Meinung,« sprach der Prälat, »und wir werden versuchen.
Nun aber wollen wir den Frühstückstisch aufsuchen.«

»Ich werde nachher für ein Täßchen Warmes recht dankbar sein,« sagte
der Greis, »aber vorher möchte ich wohl meine Messe lesen, wenn ich in
der Klosterkirche um einen Altar bitten dürfte. Heute ist wieder einmal
ein Tag, wo ich die rechte Andacht dazu verspüre.«

»Ihr habt heute, mein Freund, ein großes Opfer schon dem Herrn
gebracht,« sprach der Prälat mit ernster Stimme, »und wenn uns zu
dieser Stunde Gott messen und wiegen wollte, wer höher und größer sei
von uns beiden, ich fürchte, daß der wohlgenährte Prälat geringer
befunden würde als der arme Landpfarrer. So gehet und haltet Eure Messe
ab und dann kommt, wir wollen zusammen Gott zulieb' einen guten Tag
verleben.«

                   *       *       *       *       *

Während der kleine Franz unter Klosternamen sich im Stiftsgebäude
einlebte, lernte, sich in Fertigkeiten übte, sich unter den Laien und
Priestern Freunde machte und so allmählich des leidvollen Eindrucks
vergaß, den der im Sinne des Pfarrers gehaltene Aufschluß über seine
Familie gemacht -- während ihn die heitere Kindlichkeit wie ein
Engel hinübertrug über quälende Erinnerungen, tiefes Nachdenken und
verzehrenden Schmerz --, entwickelte sich das Schicksal der Frau Eman.
Im Gerichtssaal waren bange Tage gewesen. Bange für die Richter und
bang für das Volk! Die Angeklagte selbst war kalt und starr wie Stein.

Die hingeopferten Kinder waren auf dem Dorffriedhofe zu Birkenheide
feierlich bestattet worden, man legte sie in ein gemeinsames Grab.

Als der Richter die Kindesmörderin gefragt, ob sie die Tat bereue,
antwortete sie: »Die tot sind, die machen mir keine Sorge mehr, aber
der eine, der Lebendige! Der muß an Leib und Seele verderben, wenn er
niemand hat, der ihn behütet!«

Man versicherte sie, daß der Knabe Wohltäter gefunden hätte und mit
Liebe und Sorgfalt erzogen werden würde. Sie hörte es gleichgültig; sie
hatte einen verächtlichen Blick, als wollte sie sagen: Was ist eure
Liebe und Sorgfalt? Was nennt ihr Erziehung? Was ist eure Welt?

Als ihr in der Anklage ihre stumpfe Herzlosigkeit vorgehalten wurde,
sagte sie: »Es liegt mir nichts daran, wie ihr mich nennt; aber ich
meine, ich habe meinen lieben Kindern nicht allein das Kreuz und Leiden
abgenommen, ich habe auch alle Schlechtigkeiten auf mich genommen, die
sie in ihrem Leben hätten begehen können, und alle Schmach und Schande,
die auf sie gefallen wäre, und mehr kann eine Mutter für ihre Kinder
nicht mehr tun, als ich getan habe.«

Den Richtern graute, und sie atmeten auf, als man das Irrenhaus
vorschlug. Jedoch die Ärzte, die sie untersuchten, fanden keinen
Anhaltspunkt, um ihren Wahnsinn nachzuweisen, es wäre denn jener eine,
der ~jeden~ Verbrecher vor Zuchthaus und Hochgericht sicherstellen
müßte. --

Die Kindesmörderin wurde also der Freiheit verlustig erklärt auf
lebelang. Bevor man sie in die Strafanstalt überführte, legte man ihr
nahe, ob sie nicht ihr Söhnlein sehen wolle. Aber sie hat diesen Wunsch
nicht ausgesprochen, obwohl die Wärterinnen täglich hören konnten,
wie sie mit rührender Leidenschaft für ihren Franz betete, der in den
Banden und Gefahren der Welt sei.

In der Strafanstalt kam sie mit anderen weiblichen Sträflingen täglich
ein halbes Stündlein in den Hof hinaus, um die freie Luft zu atmen. Da
schritten sie bisweilen an einem Eisengitter vorüber, das den Teil für
männliche Sträflinge abschloß. Dahinter standen oft mehrere Männer in
ihrem grauen Zwilchgewande und guckten durch das Gitter und machten
auch wohl bisweilen über die weibliche Nachbarschaft Bemerkungen,
insoweit solche der Profoß nicht verbot.

So standen auch einmal ein paar verwildert aussehende Gesellen am
Gitter, und als die Kindesmörderin vorüberschritt, sagte einer zum
anderen: »Das ist sie, das ist sie.«

»Du bist eine Heldin!« rief der eine zu ihr herüber, »komm herbei, wir
wollen deine Kleider küssen!«

»Wir wollen eine Locke von deinem Haar!« sagte der andere.

»Wir wollen einen Druck von deiner Hand!« sagte der eine.

»Und ein Wort von deinem Mund!« fügte der andere bei.

Da trieb sie schon der Kerkermeister fürbaß.

Das unglückliche Weib hat nicht weiter auf sie geachtet. Aber das
nächstemal standen die beiden wieder am Gitter und als sie vorbeikam,
flüsterte ihr der eine zu: »Wir haben das gleiche Schicksal wie du, wir
sind ebenfalls unschuldigerweise hier.«

»Wir gehören dem Bunde an,« sprach der andere, »welcher das Glück aller
Welt ~im Tode~ sucht. Verstehst du es: Der Mensch ist unglücklich auf
der Welt, darum soll man ihn schon in der Kindheit vertilgen. Weil wir
dieser Meinung sind, hat man uns eingesperrt.«

»Da hat man recht getan,« entgegnete jetzt die Kindesmörderin,
»~unglücklich~ sein, das macht nichts; aber schlecht sein! Davor habe
ich meine lieben Kinder retten wollen.«

Wie eine Königin schritt sie in diesem Augenblicke dahin und die beiden
Gesellen rüttelten am Eisengitter, daß es knarrte.

So ging nun die Zeit dahin im traurigen Hause. Irena Eman arbeitete
und schwieg. Sie hatte gewünscht, daß man sie zu der härtesten Arbeit
stelle, welche Sträflinge zu verrichten hatten. So verordnete man, daß
sie zum Heizen der Öfen die Steinkohlen auftrage durch die finsteren
Gänge hin. Sie tat's Tag für Tag, vom Morgen bis zum Abend. Sie wollte
schwer arbeiten, um müde zu werden und in den Nächten schlafen zu
können.

Ihr Beichtvater hatte sie einmal gefragt, wieso denn der Gedanke zu
dem grauenhaften Verbrechen in ihr entstanden sei? Sie bat ihn, daß er
ihr eine solche Antwort und Zurückerinnerung erlasse, sie wolle ihre
Vergangenheit vergessen.

Aber in den Nächten waren doch lange Stunden, in denen sie nicht
schlafen konnte, und da stand das Bild der Vergangenheit auf und alles
war getrübt wie durch einen rötlichen Rauch, der über einer moorigen
Gegend liegt, wenn in der Nacht eine Feuersbrunst gewesen ist. Ihr
Vater hatte aus Rache ein Haus angezündet und war im Kerker gestorben.
Sie selbst wurde bei einem Küster voll strenger Grundsätze erzogen,
aber sie war die Tochter des Brandstifters und genoß keine Liebe und
kein Vertrauen. Die Welt war ihr fremd; schon frühe -- zur Zeit, da in
anderen die Liebesfreudigkeit aufgeht -- baute sie sich ihre Heimat im
Gedanken an die Ewigkeit, in der Hoffnung an ein besseres Leben. Sie
wollte nicht heiraten, aber da fand sich im Dorfe ein junger Mann --
der einzige, der sie lieb hatte auf dieser Welt -- an den sank sie hin
und war selig eine kurze Zeit. Wie waren die Kinder, die in rascher
Folge nun erschienen, frisch und munter! Aber das Weib bangte fort und
fort, es könne in einem oder dem anderen die unglückliche Ader des
Großvaters schlagen! sie zitterte vor den Irrwegen, die ihre Kinder
wandeln könnten. Der Vater verstand es freilich, die Kleinen in Zaum
und Zucht zu halten; aber als er starb -- vor Gram darüber starb, daß
ein Bruder von ihm eines Betruges wegen verurteilt worden -- da war
die arme Familie haltlos und die Mutter vermochte das kleine, lebhafte
Völklein nicht so zu leiten, wie sie glaubte, daß es sein müsse, um
sie vor dem Schicksale des Großvaters und Oheims zu bewahren. Eines
der Kleinen war einmal schwer erkrankt, da sagten die Leute: Wenn Gott
es zu sich nähme, es wäre das beste! Anfangs tat ihr dieser Gedanke
wehe, aber sie machte sich mit ihm vertraut -- und das Kind genas. Die
Sorgen wuchsen von Tag zu Tag; sie arbeitete anfangs Tag und Nacht,
aber endlich verlor sie die Lust dazu, weil sie trotz alles Fleißes den
Bedarf des Hauses bei weitem nicht decken konnte. Die Mildtätigkeit
der Leute, denen sie fremd geblieben war, wollte sie nicht in Anspruch
nehmen. Sie wandte sich an den Allmächtigen. Der ließ auch warten.
Von der Nachbarschaft liefen Klagen ein über die Rangen, die sich
aufsichtslos im Dorfe herumtummelten. »Wenn nur die Kinder nicht
wären!« hatte sie oft aufgeseufzt, und da hatte sich, erst schüchtern,
dann immer zudringlicher, der Gedanke eingefunden: Du gabst ihnen
das Leben, du hast das Recht darüber. Das Leben ist für Kinder ein
gefährliches Spielzeug. Nimm es ihnen wieder weg! Tausendmal besser,
sie sterben, als daß sie schlechte Menschen würden! -- Und als hernach
der Bäcker kam und ihr vorhielt: Dein Kind hat mir Brot gestohlen! --
da erwog sie nicht mehr, sie fühlte nichts mehr, als die Verzweiflung,
sie ging nach Hause und vollbrachte die Tat.

So war es gekommen.

Sie sind heim zu Gott. Nur der eine nicht -- der Liebling nicht. Wie
wird's ihm ergehen! Sie will nicht an ihn denken, sie will die Augen
schließen. Auch er soll tot sein. -- Wenn sie noch lebten, so dachte
das Weib dann weiter, jetzt wüchsen sie heran und hätten schon Laster
über Laster auf sich und sie würden bald reif sein für das Zuchthaus.

Es war kein Wunder, das unglückliche Weib sah ja nichts um sich, als
Verbrecher, es mußte wohl glauben, daß die ganze Welt -- mit wenigen
Ausnahmen -- aus Wichten und Schlechtlingen bestehe.

So atmete sie denn fort. Und wenn die Gedanken bisweilen zu wirr
wurden, so legte sie die Steinkohlen darauf, und wenn das Herz
aufschrie -- oft plötzlich und fürchterlich aufschrie -- so legte sie
Steinkohlen darauf. Durch die Arbeit suchte sie sich zu betäuben.

                   *       *       *       *       *

Und als viele Jahre vergangen waren, da ereignete sich im Lande eine
große Freude. Bekränzt waren die Pforten, mit Fahnen geschmückt die
Zinnen, Glockenklingen ging von Berg zu Berg. Der junge Herrscher des
Landes hielt Hochzeit, und große Herren und große Menschen lieben es,
von ihrem Glücke auszuteilen, wie es ja bekannt ist, daß das Glück wie
das Grab um so größer wird, je mehr man davon weggibt.

So fiel auch ein Strahl davon in die finsteren Gänge, durch welche das
arme, gebrechlich gewordene Weib Steinkohlen trug. Es wurde ihr gesagt,
sie solle den Steinkohlenkorb zu Boden stellen, ihre Hände reinigen,
ihren Anzug ordnen und in den Betsaal kommen. Dort waren schon andere
versammelt. Dann erschien ein Mann in schwarzem Gewande und las eine
Amnestie des Landesfürsten vor und nannte die Namen der Begnadigten.

Da erhob sich im Saale ein unbeschreiblicher Jubel, aber Irena schaute
stumm und ratlos drein. Auch ihr Name war genannt worden. Sie ist frei?
Sie darf in den Sonnenschein hinaus und gehen, wohin sie will? Was soll
sie denn draußen?

Man führte sie aus dem Strafhause in ein Armenhaus und anstatt
Steinkohlen zu schleppen in den düsteren Mauern, sollte sie nun in
einem Garten arbeiten bei den Pflanzen und Blumen. Anfangs taumelte
sie auf dem freien Erdboden und ihren Augen tat das Licht wehe. Aber
allmählich wurde sie kräftiger und ihre Dumpfheit verwandelte sich
in eine sanfte Wehmut -- das machten die Blumen. Sie hat einst -- so
deutete ihr ein wunderlicher Traum -- geliebte Wesen freiwillig in
die Erde gelegt; die Erde gibt sie dankbar wieder zurück, und es sind
Blumen daraus geworden. Blumen können blühen und welken, aber sie
können keine Verbrecher werden.

Sie wußte selbst nicht, wie das war, daß ihr jetzt -- nach einer viele
Jahre langen Nacht -- die Blumen so ans Herz wuchsen; sie liebte jede
Blüte einzeln und pflegte sie, wie die Mutter ihr Kind. Und so kam
es, daß man endlich weit und breit keine so schönen Veilchen, Nelken,
Cyclamen, Narzissen und Rosen fand, als im Garten dieses Armenhauses.
Und selbst im Stübchen wollte Irena die lieblichen Geschöpfe nicht
missen, und an Tagesstunden, wo Mütter ihre Kinder zu nähren pflegen,
begoß sie die Blumen, und am Abende, wenn andere Mütter mit ihren
Kindern beten, kniete sie zu den Blumen hin und sprach mit ihnen und
kosete sie.

Eines Morgens, als sie zur bestimmten Stunde nicht aus ihrer Stube
getreten war, fand man sie betäubt vor dem Blumentische liegen. So
hat das arme Weib erfahren müssen, daß auch die Blumen Übeltäter sein
können und daß selbst in den lieblichsten Geschöpfen dieser Erde Gift
verborgen liegt. Soll sie die Blumen deshalb vernichten? Dann wird sie
alles vernichten müssen, was da lebt und strebt, denn was dem einen
erhaltend ist, das ist dem anderen zerstörend. Was bliebe dann übrig
von dieser Welt, die Gott erschaffen hat?

Nun kam ihr auf einmal die Einsicht, dem Schöpfer dürfe man nicht
entgegenarbeiten, und nun erwachte endlich die Reue. Sie begann sich
zu sehnen nach Verzeihung und Trost, und wenn sie so im Garten saß
zwischen den Rosen, da weinte sie still in den hellen Sonnenschein
hinaus und da war ihr, als müsse sie noch einmal gut Freund werden mit
dieser schönen Welt.

Zur selben Zeit ließ sie an den alten Pfarrer ihres Heimatsdorfes
schreiben, daß sie eine Reise machen wolle, um das Dorf und die
Pfarrkirche und den Friedhof noch einmal zu sehen, und ob sie bei ihm
anklopfen dürfe? Die Antwort war, daß der alte Herr Pfarrer Gottfried
schon lange in das bessere Jenseits abgerufen worden sei, daß in
Birkenheide eine fast neue Generation lebe, die sich an Vergangenes
kaum mehr erinnere, und daß sie nur kommen möge, ihre Pfarrkirche und
den Friedhof zu besuchen.

Sie war körperlich erschöpft und hat den weiten Weg doch nicht gemacht,
aber in ihrem Garten hat sie vier Blumenbeete hergerichtet -- just
vier -- und ist zwischen ihnen gesessen.

Allsonntägig stieg sie den Berg hinan zur Kirche, zu welcher das
Armenhaus eingepfarrt war. Es war ein stattliches Gotteshaus und
leuchtete mit seinen zwei Türmen weit in das grüne Hügelland hinaus.
Auf den lichten Auen und auf den Weinbergen -- so lustig es sonst dort
zuging -- gab es doch immerhin Menschen, die sich von den Glocken rufen
ließen und der Orgel lauschten, die an stillen Sonntagsvormittagen
herüberklang. Und die Kanzelredner sprachen so schön und trostreich,
daß oft die geräumige Kirche die Zuhörerschaft nicht zu fassen
vermochte und die Predigt im Freien, auf dem Rasen des Kirchhofes
stattfinden mußte.

So war einmal der Frühling wieder da. Irena begann ihre Blumenbeete zu
zügeln und am Ostersonntag, da stieg sie hinauf zur Kirche. Es war ein
wohliger Morgen und auf dem Kirchhofe sproßte das junge Gras, das heute
wieder in den Boden getreten werden sollte, denn die Predigt fand im
Freien statt. Der Kaplan sollte sie halten, es war derselbe, den sie
weit und breit lieb hatten, weil er allen Menschen, denen er begegnete,
Gutes tat. Das war einer, der es in der Tat bewies, wie sehr ein Mensch
-- und wäre es selbst der ärmste -- anderen Menschen gut sein kann.

Dieser bestieg nun die Kanzel, die an der Kirchhofsmauer angebracht
war. Irena, das arme Weib, drängte sich durch die Menge vor, so weit
als möglich, denn ihr Gehör war schon schwach geworden, auch schaute
sie dem Priester so gern in sein freundliches Angesicht.

Der Prediger leitete seine Rede mit dem glorreich Auferstandenen ein,
dann ging er über auf zwei andere Gottgesandte, die der Himmel in
seiner Liebe und Gnade den Menschen beigesellt habe, die jedoch von so
vielen nicht erkannt, sondern gefürchtet und gemieden würden, denn sie
wären eben das, was die Leute Ungemach und Elend benennten. Der Heiland
-- so fuhr der Priester fort -- sei nicht gekommen, um des Menschen
Erhöhung in der Behaglichkeit, in Genuß und Wohlleben zu suchen; er
sei gekommen, um zu zeigen, daß selbst die Schatten dieses Lebens
voll von Gottes Liebe wären. Die zwei Gesandten, die er meine, trügen
einen Spaten und ein Kreuz und hießen: die Arbeit und der Schmerz.
Die Arbeit, er meine die gewissenhafte Erfüllung der Berufspflichten,
sei mächtiger als alle feine Erziehung, alle guten Grundsätze und
guten Vorbilder zusammen. Der Arbeitende habe nicht allein keine Zeit,
sondern auch keine Lust zur Sünde. Aus dem Müßiggange aber entspringen
-- wie ja alle Welt wisse -- die bösen Gelüste, die Ausklügelung
der Laster oder der Selbstqualen, die Unzufriedenheit. Nicht des
Broterwerbes wegen sei die Arbeit so wichtig, denn man könne verhungern
und doch ein braver Mensch geblieben sein; aber des Abgrundes wegen,
der in unserem Wesen auszufüllen ist, sei die Arbeit so unerläßlich,
und ein gesunder Mensch, der nicht arbeite, müsse mit seiner Seele
zugrunde gehen.

Jedoch ein ebenso treuer, aber weit herberer Freund als die Arbeit
sei der Schmerz. Er meine nicht die kleinen Leiden des Tages, etwa
den Ärger, die Ungeduld, die Sorge, er meine auch nicht körperliches
Unbehagen, er meine den großen, tiefen Schmerz der Seele über eine
begangene Schuld. Ein Übeltäter, dem dieser Schmerz fehle, er möge nun
sein Leben im Kerker verschmachten oder auf dem Hochgerichte enden,
büße nicht. Der Schmerz des Gefallenen sei ein Arm, den Gott vom Himmel
herabstrecke, um ihm wieder aufzuhelfen. Der Schmerz sei nichts anderes
als eine Sehnsucht nach dem Frieden des Herzens und nach den reinen
Freuden. Der Schmerz sei ein Wegweiser zu Gott. -- All das hörte das
Weib aus dem Armenhause und begann darüber so laut zu schluchzen, daß
die Umstehenden auf sie aufmerksam wurden.

Der Prediger fuhr fort, daß der Schmerz des Schuldigen eine
Auferstehung sei, ein Sinnbild der Verwandlung und eine Verheißung des
großen Auferstehens von den Toten am Jüngsten Tage.

Hier stockte dem Priester plötzlich die Stimme. Erblassend brach er ab
und starrte auf das Angesicht eines seiner Zuhörer hin, auf das arme
weinende Weib Irena.

Allmählich schien er sich wieder zu sammeln, dann sagte er leise, daß
ihn ein Unwohlsein befallen habe und daß er daher seine Worte abbrechen
müsse. Und verließ wankend die Kanzel.

In die Sakristei zurückgekehrt, fragte er den Küster, ob dieser das
Weib nicht kenne, das bei der Predigt so sehr geschluchzt habe.

»Das Weib kenne ich wohl,« antwortete der Küster, »das ist die
Blumenmutter aus dem Armenhause.«

»Die Blumenmutter?«

»Ja, das ist ein gar absonderliches Weib. Ist über sechzehn Jahre im
Strafhaus gesessen. Sie hat ihre Kinder umgebracht und an den Blumen
will sie es wieder gut machen.«

Der Kaplan ging auf sein Zimmer und träumte. -- Seitdem er seine Mutter
das letztemal gesehen, das ist schon lange her, aber er hat ihr Bild
nicht aus der Seele verloren. Er erinnert sich noch an den Tag, da ein
Missetäter seine Familie erschlug, und wie ihn damals der gute Pfarrer
in das Kloster gebracht. Aber später, als er forschen wollte, wie sich
denn die Sache verhalten, hat er nichts mehr erfahren können.

Es sind alle gestorben, die's wissen könnten, hatte der Prälat gesagt,
und mit dem Namen Franz Eman, den er bei der Priesterweihe abgelegt,
ist sein Kindesleben verschwunden.

Aber der Mutter Bild war noch übrig geblieben aus jener traumhaften
Welt, und dieses Bild war ihm nun während der Osterpredigt erschienen.

Selig sind die Toten und sie mögen ruhen! Aber was bedeutet die
Erscheinung, die auf den Gräbern plötzlich vor ihm steht und ihn
anschaut mit weinenden Augen?

Am nächsten Tage stieg der Kaplan hinab zum Armenhause. Er fragte nach
der Frau, die man die Blumenmutter heiße.

»Und hat der hochwürdige Herr denn die Sterbesakramente nicht bei
sich?« war die Gegenfrage einer Wärterin. »Die gestrige Osterpredigt
soll rechtschaffen schön gewesen sein, aber gesund war sie nicht,
wie man gehört hat. Ist dem Prediger dabei schlecht geworden und den
Zuhörern auch. Heißt das, einer, unserer armen Blumenmutter, die ist
gar aufgeregt und verwirrt zurückgekommen und ist -- wir haben es
allmiteinander nicht gewahrt -- die ganze Nacht draußen bei ihren
Blumen gewesen. Die Nächte sind noch wolter kalt, und jetzt wird's mit
ihr vorbei sein. Ich weiß gar nicht, wo unsereins den Kopf gehabt hat,
daß man nicht nachschauen geht noch gestern auf die Nacht! Aber wer
hätt's denn vermeint? Wer hätte denn so was vermeint?«

Der Kaplan trat in das Gemach der Sterbenden. Es war wieder dasselbe
Antlitz, aber es war entstellt und seit gestern sehr gealtert. -- Er
tröstete sie mit Worten der Religion. Da blickte sie ihn traurig an und
flüsterte: »Für mich gibt es nur einen Trost, und den habt Ihr nicht.«

»Faßt Vertrauen, liebe Frau. Könnt Ihr es zu mir nicht haben, so habt
es zu dem barmherzigen Gott, als dessen Diener ich Euch besuche.« Das
sagte der Priester, indem sein Auge immer scharf an den Zügen der
Greisin hing.

»So fragt ihn,« entgegnete diese, »fragt den gütigen Gott, ob er von
meinem Kinde was weiß. Ich habe einen Sohn; schon lange, lange ist er
nicht mehr bei mir, aber er muß noch auf der Welt sein. Und jetzt, ehe
ich -- sterben muß --«

»Möchtet Ihr wissen, ob er glücklich ist,« unterbrach sie der Priester.

»Ob er ~brav~ geblieben ist, möchte ich wissen!« rief sie mit
heller Stimme. Und dann erzählte sie, von Atemnot und Fiebern oft
unterbrochen, die traurige Geschichte, und wie sie seither ihren Franz
nicht mehr gesehen habe.

Als sie geendet hatte, saß der Priester still an ihrem Lager und
trocknete ihr die Stirn und strich ihr mit seiner Hand die ergrauenden
Locken aus dem Antlitz.

Und endlich, als sie ruhiger geworden war und als sie ihn anblickte,
so dankbar, daß er bei ihr sei und ihre schlimme Erzählung so geduldig
vernommen habe, sagte der Kaplan die Worte:

»Wenn, liebe Frau, Euer Sohn zur Tür hereinträte und setzte sich zu
Euch, und nähme Euch an der Hand, so wie ich es jetzt tue, und wenn er
ganz so wäre, wie ich bin --«

»Das wäre mir schon recht,« nickte sie. Und nachdem sie ihn eine Weile
groß angeschaut hatte, tat sie den Schrei: »Franz!«

Seine Tränen fielen auf ihre Hand.

Sie richtete sich halb auf und sagte:

»Wenn du der Franz bist, dann habe ich verspielt! Dann könnten die
anderen ja auch so geworden sein, wie du!«

»Mutter, Ihr habt alles hart gebüßt. Die Menschen haben Eure Schuld
längst gestrichen und Gott hat Euch verziehen.«

»Hat er das? Hat er's?« rief sie bebend, »und du kannst es auch? Wenn
du es kannst, Franz!«

Er neigte sich innig zu ihr nieder; sie schlang ihre Arme um seinen
Nacken: »Mein Kind ein braver Mensch!« jubelte sie stöhnend und drückte
ihn an sich -- und sank zurück.

Und als es Abend war, da ruhte sie aufgebahrt im Saale. Ein Wald von
grünen Gewächsen und Blumen umgab sie und rankte sich über ihrem Haupte
zusammen.

Rote Rosen neigten sich nieder gegen ihr Antlitz und schauten sie an.

Und wie dankbare Kinder das Grab ihrer Mutter besuchen, so stehen heute
taufunkelnde Blumen auf ihrem Hügel.




                      Laurentl, der um Rat fragt.


Ich hatte einen jungen Vetter. Der war schlank gewachsen, trug eine
hirschlederne Kniehose, einen grünen Filzhut, hieß mit Namen Laurentl
und war Bauernknecht. Er hatte ein fast milchweißes schmales Gesicht,
braunes Haar, das links gescheitelt und rechts quer über die Stirn
gekämmt war, er hatte ein braunes Schnurrbärtchen, dessen Spitzen er
gerne mit dem Beinmundstück seiner Tabakspfeife emporschob, und er sah
eigentlich aus wie ein Stadtbübel, das man wundershalber so über die
Sommerfrische ins Bauerngewand gesteckt hat. Ach, Stadtbübel, das war
der Laurentl nicht, und so gut ging es ihm nicht. Obschon erst neunzehn
Jahre alt, mußte er bei seinem Großbauern neben drei baumstarken Kerlen
arbeiten wie sie, und wenn er vor dem Spätabend müde sich auf den Rasen
setzte und auf der Stelle einschlief, trieben sie mit ihm Gespötte und
steckten ihm kleine rote Ameisen hinter den Hemdkragen. Im Weberhäusel
bei Vater und Mutter hatte er eine warme Kindheit gehabt; die Eltern
starben, das Häusel wurde vergantet und das Leben des Jungen wurde hart
und kalt. Mit Freuden war er in den Dienst gegangen, als der Großbauer
eines Tages auf dem Kirchplatz zu ihm gesagt: »Na, Laurentl, was ist's
denn? Weil 's Häusel hin ist, rat ich dir, nimm ein Haus. Komm zu mir,
ich hab auch als Knecht angefangen und heut hab' ich hundert Joch
Acker, vierzig Stück Vieh und zwei Dutzend Leut.« -- Wohl. Just das
zweite Dutzend machte der Laurentl voll und wie er nach dem ersten
Tagwerk auf dem Felde in Hemdärmeln beim großen Tisch saß, mitten unter
den derben, bärtigen und schwitzigen Knechten, da kam er sich das
erstemal in seinem Leben als jemand vor -- wenn schon noch nicht ganz
als Knecht, so doch als Knechtl. Aber bald zeigte es sich, der Pflug
war stärker als er, denn er schleuderte ihn auf den Furchen hin und
wieder; und auch die Mehlklöße waren stärker als er, denn sie drückten
ihm mächtig den Magen. Er war schier der letzte und der niedrigste im
ganzen Hause.

Dann ist er -- ein Sonntag war's, um Nachmittag -- zu mir kommen.

Weinen tat er just nicht, aber weit war's nicht davon. Und den Oheim
wollte er halt um einen Rat fragen.

»Oheim, ich hab' mir's überlegt. Das Bauerndienen freut mich nicht. Ich
will ins Eisenwerk gehen. Dort kommt der Verdienst viel höher und die
Arbeitszeit ist kürzer. Ist die Schicht vorbei, so bin ich mein eigener
Herr und kann machen was ich will. Der Firnsteiner Sepp ist auch ins
Werk gegangen und er sagt, vier starke Zugochsen brächten ihn nicht
zurück ins Bauernhaus. Jetzt möcht ich's halt auch probieren und frag
den Oheim um Rat.«

So habe ich ihm geantwortet: »Laurentl, das täte ich nicht. Das
Bauerndienen ist freilich hart, ich weiß es wohl. Aber anderswo ist's
noch gefährlicher. Der Verdienst im Eisenwerk ist höher, aber auch der
Verbrauch, mußt bedenken. Beim Bauern kostet dir die Wohnung nichts,
im Werk mußt du dir ein Zimmer mieten um viel Geld; beim Bauern
brauchst dich gleich so zur Schüssel zu setzen, im Werk mußt du dir
alles selber einschaffen und kochen; oder gehst ins Wirtshaus, dann
weiß man schon, was es geschlagen hat. Beim Bauern hast du gesunde
Arbeit von allerhand, jetzt in Haus und Hof, jetzt in Feld und Wald,
und du siehst, daß was wird. Im Werk mußt bei Staub und Rauch alleweil
das gleiche tun, so daß der eine Körperteil überanstrengt, der andere
verkümmert wird, und von der Arbeit hast du doch bei keinem einzigen
Stück aufzuweisen: das habe ich gemacht. Na, und die Freiheit, mein
Gott, die wird von jungen Leuten halt dazu verwendet, sich umzubringen.
Dich halte ich für brav. Was man aber vom Firnsteiner Michel hört!
Vier starke Zugochsen werden den jetzt freilich nicht zurückbringen
ins Dorf; bis er nur erst siech und arbeitsunfähig ist, dann wird
eine alte Schindmähre stark genug sein, um ihn auf dem Strohkarren in
seine Heimatsgemeinde zurückzuschleppen. -- Jetzt kannst dir denken,
Laurentl, welchen Rat ich dir geben will.«

Der Junge ist dagestanden, hat an den Fransen seines Hutbandes gezupft
und nachher gesagt:

»Ich denk', es kommt halt darauf an, wie der Mensch ist. Der Fleißige
bringt's im Eisenwerk leichter zu was. Beim Bauern kann ich Tag und
Nacht arbeiten, es kommt mir nicht zu Nutzen und keine Stund der Wochen
kann ich für mich selber sein. Und schon gar, wie es mir geht. Vorigen
Winter habe ich einmal so Halsweh gehabt, schier zum Ersticken. Und
der Schlund voller Blasen und so viel die Hitz'. Da haben sie mich im
Stall liegen lassen auf dem Strohsack, drei Wochen lang, in Durst und
Fieber, und erst wie zu einer kranken Kuh der Tierarzt gekommen ist und
mich liegen gesehen und angeschaut hat, sagt er: Jesses, Leut, der
hat ja die häutige Bräun! Nur geschwind Kuhfladen um den Hals binden.
Gestorben bin ich freilich nicht, aber die Red ist mir verfallen
gewesen monatelang, daß ich gar nichts hab' sagen können. Macht nix,
hat mein Bauer gesprochen, reden braucht er eh nit, wenn er nur wieder
arbeiten kann. Das kann ich freilich, aber was hilft's? Wenn ich alt
oder krank werd', hab' ich doch nichts. Schlechter kann's auch im
Eisenwerk nicht sein, aber leicht besser, wenn ich fleißig sparen tu.«

Hierauf habe ich gesagt: »Laurentl, wenn du fleißig sparen tust, so
probier's halt in Gottesnamen und gehe ins Werk.« Denn, habe ich bei
mir selber gedacht, wenn der Bauer seine Dienstboten schlechter hält,
wie das Vieh, so will ich weiter nichts drein reden.

Also mein junger Vetter ist Eisenwerksarbeiter geworden und hat Wort
gehalten -- hat fleißig gespart. Und weil er nicht mit den andern
gehalten, die ihre Groschen verjubelten, so ist er bald ihr Gespött
geworden. Dennoch hat ihn jede Partei -- die rote wie die schwarze --
für sich haben wollen. Er aber war ein nachdenklicher Bursche, hat die
Roten und die Schwarzen beobachtet in ihren Grundsätzen und Handlungen,
hat das eine von beiden angenommen und das andere von beiden verworfen,
wie es eben in seinem Kopf schon fertig gewesen ist. Bei der Arbeit
hat er willig und verläßlich seinen Mann gestellt, an Sonntagen ist
er im schmucken Gewande des Obersteirers im Freien umhergegangen, hat
mit Genossen, die ihm helfen konnten, »zweispannig« gesungen, oder ist
allein über die Felder geschritten, um die Blumen anzuschauen, oder
durch die Wälder, um den Rehen und Hirschen nachzuspähen und sich an
ihrer schönen Gestalt zu ergötzen von weitem. Am Abend hat er sich eine
Pfeife angezündet und ein Glas Wein getrunken in seiner Kammer, die er
im Häuschen einer Witwe gemietet hatte. Die Frau achtete seiner gut
und machte ihm's heimlich im warmen Neste ihres Besitztums. Das hat
ihm wohlgefallen. Das Wirtshaus aber war ihm zu laut und zu dunstig
gewesen. Manchmal hat er sich sogar mit einem Buche abgeplagt, in der
Absicht, das Lesen zu lernen, denn seine Eltern hatten ihn vor lauter
Liebe nicht in die Schule geschickt, weil er beim ersten Versuche
gröhlend nach Hause gekommen war.

Die Genossen saßen in den Schänken, jeder auf dem Knie ein Mädel. Der
Laurentl dachte bei einer Liebschaft allemal gleich ans Heiraten, an
Kind und Kegel, an Haus und Hof, und dafür hatte er noch viel zu wenig
in seinem Sparkassenbüchel. Fortweg gab es aber junge Frauenzimmer,
die dem schmucken gutmütigen Burschen den Hof machten; er stellte
sich allen Anspielungen gegenüber dumm, so gut er sie auch verstand.
Eine besonders zudringliche Fliege fand sich vor, die, weil sie
schmeichlerisch geartet und so niedlich gerundet war, dem Jungen
allmählich an die Nerven ging. Des Wagemeisters Älteste war's. Und weil
sie ihn jeden Abend, wenn er aus der Schicht kam, lieblich anlachte,
und ihm einmal das Halsbindel ordnete und dabei mit den zarten
Fingerlein an seine Wange strich und sein Ohr kneipte, so fragte er
sie dreist, ob sie ihn haben wolle. Er wäre ihr nicht zuwider, meinte
sie offenherzig. Aber heiraten werde er sie nicht, gestand er. Das
verlange sie auch nicht, war ihre Antwort. Im ersten Augenblick gefiel
ihm diese Bescheidenheit, nachher jedoch kam es ihm vor, daß er an
dem Frauenzimmer gerade darum keine Freude haben könne, weil ihr das
Heiraten gleichgültig war. Wenn eine Lieb' nicht so groß ist, daß sie
beständig sein will, dann ist sie zu klein. -- Er überließ sie einem
Genossen, dem eine solche Gesinnung ungemein gefiel, und gab sich
zufrieden daheim in der kühlen Kammer, nachbarlich der Witwe. Und es
fügte sich mählich etwas anderes, so daß, was das Heiraten anbelangt,
zwei beide einverstanden waren. Aber, das soll anmutig erzählt werden.

Mir war es schon aufgefallen, daß der Laurentl an Sonntagen so
besonders ausgeschmückt umherging. Nicht allein, daß er im Knopfloch
die rote Nelke trug, und allemal eine ganz frische, auch sein grüner
Hut war aufgestrammt mit Hahnenstoß und Gemsbart, und an der Uhrkette
hatte er zwei in Silber gefaßte Tigerzähne und etliche alte Silbertaler
hängen, daß es nur so klinselte, wenn er mit seinen langen Beinen
würdig daherschritt. Auf dem Kirchplatz hatte ich ihn ein paarmal neben
hausgesessenen Männern stehen sehen, und wie er sich von einem solchen
sogar Tabakfeuer geben ließ. Mir fiel aber nichts weiter auf, bis er
eines Tages schier feierlich bei mir vorsprach. Und er wollte halt den
Oheim um einen guten Rat fragen.

»Oheim, ich hab mir's überlegt. Im Eisenwerk freut's mich nimmer. Der
Mensch rackert sich ab und weiß nicht, für wen. Seit sechs Jahren hab
ich mir wohl ein bissel was erspart, so daß wir die paar hundert Gulden
gleich wegzahlen mögen beim Häusel.«

»Bei welchem Häusel?« habe ich gefragt.

»Weil ich halt«, bog er ab, »jetzt einmal Ernst machen möchte. Wenn
der Mensch einmal siebenundzwanzig Jahr alt ist, wird er nimmer viel
besser.«

Nun fing ich an, ihn zu verstehen.

»Eh eine alte Bekannte«, fuhr er fort. »Und eine Häuselschneck ist sie
auch, daß ich mir's einmal bissel leichter geschehen lassen könnt'.«

»Wenn's nur eine ist, die du gern hast«, war mein Einwand.

»Und sie hat mich noch lieber,« fuhr es ihm heraus. »Wir werden hübsch
zusammenpassen, denk' ich. Nach großer Jungheit frag ich nicht viel,
wenn sie nur sonst gut ist. Soll auch ihren ersten Mann gut behandelt
haben.«

»Ihren ersten Mann?«

»Es ist halt meine Zimmerfrau, die Frau Leitl.«

»Behandelt, sagst du, hätte sie schon einen? Und von der willst du dich
auch behandeln lassen? Komm zu dir, Laurentl. Willst du nicht eine
nehmen, die du behandeln kannst.«

»Und deswegen möcht ich den Herrn Oheim halt um Rat fragen.«

»Geh, geh. Heiraten wollen und um Rat fragen! Wer in dieser Sache
einmal um Rat fragt, dem sagt man: nein. Und nachher folgt er erst
nicht. Geh heim, Laurentl, und schlaf dich aus!«

Da sagt er ganz weichmütig: »Meine eigene Mutter kunnt nicht besser auf
mich schauen, wie die Frau Leitl auf mich. Und das Essen! Alle zweiten
Tag kocht sie mir Speckknödeln und schlampertes Kraut dazu, weil
sie weiß, daß ich's gern ess'. Und alle anderen zweiten Tag gibt's
Eierschmarrn mit Gurkensalat, weil ich auch das gerne ess'. Und wie sie
mir aufs Gewand schaut! Und auf die Wäsch! Und aufs Bett.«

»Kann mir's denken. Wenn's deine Mutter wär', tät's alles stimmen. Und
sie könnt's auch sein. Ist sie nicht schon fünfzig?«

»Oh nein, noch nicht ganz achtundvierzig!« beteuert er.

»Nimm sie nicht!« schrei ich ihm zu. Es ist wie ein schriller Notschrei.

Da wird er stumm und läßt seine Augen auf dem Fußboden hin und her
zucken; vor seinem Fuß ist ein Ast in den Dielen, auf dem wetzt er mit
der Fußspitze hin und her. Dann zieht er sein blaues Sacktuch heraus,
das hat an der Ecke einen Knoten.

»Den -- den da«, stotterte er und hielt mir den Knoten vor das Gesicht,
»den hat sie mir gemacht, dazumal. Daß ich nicht vergessen sollt --.
Weil ich ihr's halt versprochen hab -- 's Heiraten.«

»So! Und da fragst du noch um Rat? Wenn es so steht, dann bist
schon verheiratet, ich sag es dir. Was soll ich dir nur für ein
Hochzeitsgeschenk geben? Vielleicht ein Lotterbett. Wiege braucht ihr
keine.«

Ich war zornig. Mich dauerte der Junge, aber größer als das Mitleid war
die Entrüstung über seine Dummheit.

Dann haben sie geheiratet. Er hat ihr sich selbst verschrieben, sie ihm
das Häusel, eine moderige Holzhütte, die auf der Straßenseite ein fast
neues Schindeldach und auf der rückwärtigen Seite ein durchlöchertes,
halb verfaultes Strohdach hatte. Und nun war der Laurentl
Hausbesitzer! Er ging von jetzt ab nicht mehr in das Eisenwerk, sondern
bebaute das kleine Feld und mähte das Wieslein und fütterte die Kuh.
Er arbeitete mit Fleiß und Lust, er freute sich seiner Wirtschaft.
Sein Weib versorgte das Häusel und hatte stets einen Kranz alter
Freundinnen um sich, die sie mit Kaffee bewirtete und denen sie, wenn
sie fortgingen, Mehl, Butter und Eier mitgab. Die Freundinnen schenkten
auch zurück: war's ein Hut mit roten Bändern, war's eine versilberte
Busennadel, war's gar ein Samtaufputz für den Sonntagsrock. Auch der
Laurentl war die erste Zeit nicht karg gewesen und so stolzierte die
Frau Leitl, jetzt Frau Egghofer, auf dem Kirchweg recht proper einher.
Um so schlichter sah der Laurentl aus. Er ließ sich nicht Herr Egghofer
nennen, hatte an der Uhrkette auch keine Silbertaler mehr hängen und
sein schöner, grauer Steirerrock mit den grünen Aufschlägen war schon
so oft sorgfältig ausgebürstet worden, bis man nun die nackten, ins
Kreuz gewebten Fäden sah.

Nachdem eine Weile vorüber war, fragte ich ihn auf einer der zufälligen
Begegnungen, wie es ihm eigentlich gehe. Da antwortete er: »So wie man
sich's denkt, ist es nirgends. Es hat überall was.« Und nichts weiter.
Aha, es stinkt schon! -- Beunruhigt habe ich ihn nach einer Weile das
zweitemal gefragt. Er antwortete: »Es war früher nichts und es ist
jetzt nichts.« Und ging seinen Weg.

So. Das ist just nicht viel. Nichts ist freilich nicht viel. Und
sein Aussehen wollte mir nicht gefallen. Ein gebeugter Nacken, ein
fahlgrünes Gesicht, ein schläfriges Auge. Ist das der Laurentl?

Und dann eines Abends. Ich ging über die Berge heim, es war schon spät.
Nach heißem Tage eine feuchte Luft. In einer Lache quakten Frösche; ich
meine, zwei waren ihrer, der eine quakte Tenor, der andere Baß; es war
sicherlich ein Eheduett. Neben der Lache, in der sich der Abendhimmel
spiegelte, sah ich etwas Dunkles, das sich ein wenig regte. Und war's
mein Laurentl.

»Herrgott!« rufe ich, »wie du einen erschrecken magst! Was tust denn
da?«

»Weil sie so schön singen miteinand!« antwortete er.

»Wenn du ein Frosch wärest, wollt es mich nicht wundern. Aber du bist
ein Leut. Und Leute kriegen das Fieber an der Lache, bei der Nacht.«

»Wäre mir auch alles eins.«

»Jetzt wirst du aber gleich aufstehen und mit mir gehen und sagen, was
dir ist.« Denn mir stieß seinetwegen schon das Elend auf. Alles redete,
nur er nicht.

Er ging dann des Weges neben mir her und behauptete sehr kühl, daß es
ihm gut gehe, und daß, wenn es anders wäre, ihm ohnehin niemand helfen
könne.

»Du willst mir's also nicht sagen?«

»Zu was denn auch?«

»So will ich es dir sagen, Laurentl. Deine Nachbarn, die Augen und
Ohren aufmachen, wissen wenigstens so viel von deinem häuslichen
Glück, als du selber. Ja, mein lieber Laurentl, du hast schon die
Richtige erwischt. Zwei Gesichter hat manches Eheweib, ein gutes für
die Fremden und ein böses für daheim. Und du bekommst das erste seit
deiner Hochzeit schon gar nimmer zu sehen, nicht einmal Sonntags unter
dem Aufputz. In der Wirtschaft ist sie dumm wie ein Strohbund, und wenn
du nach eigenem Willen was machen willst auf dem Feld, so heißt's, das
ginge dich nichts an, die Besitzung hätte sie zugebracht. Was du mit
Fleiß erwirbst, das vertut sie an ihre Kaffeeschwestern oder laßt es
im Kasten verderben, bis es stinkt. Nachher ist's für dich noch gut
genug. Mit einem Teil der paar Groschen, die du zugebracht hast, hat
sie endlich einmal die Wirtshausschulden ihres Ersten bezahlt. Das war
einer, der's gewußt hat, wo man wegen der bösen Weiber Trost findet.
Von dem andern Teil deiner paar Groschen -- nein, nichts, nichts. Daß
der vazierende Nagelschmied mit einer neuen silbernen --«

In diesem Augenblick hat er mich scharf unterbrochen: »Das ist nicht
wahr! Sie ist ein böses Weib, aber ein schlechtes Weib ist sie nicht!«

Es wundert mich kaum, daß er meinen Satz verstanden, bevor er zu Ende
gesagt war.

Wie wir so eine Weile schweigend nebeneinander hingegangen sind
entlang der Pappelallee, und wie mir der arme Junge weh tut wie ein
Blutstropfen in der entzündeten Wunde, da spreche ich: »Laurentl, du
hast mich oft um Rat gefragt, wo ich dir keinen geben konnte, oder wo
du ihn nicht befolgt hast. Heute könnte ich dir vielleicht raten und du
möchtest ihn gerne befolgen.«

Da ist er mitten auf der Straße stehengeblieben und ich mit ihm. Und da
habe ich gesagt: »Laurentl, du mußt dich scheiden lassen.«

Er hebt wieder an zu gehen und murmelt: »Wenn das ginge, mein lieber
Oheim, dann wäre es freilich leicht. Aber ich habe ihr vor dem Altar
die Treue bis in den Tod versprochen.«

Jetzt habe ich nach seinem Arm gegriffen. Der war wirklich, es war kein
Geist, der so gesprochen, es war in aller Wesenheit ein Mensch aus dem
neunzehnten Jahrhundert.

»Ach ja so!« rufe ich überlaut. »Die Treue bis in den Tod hast du ihr
versprochen. Na, dann ist's was anders.«

Wir kommen an den Rand des Dorfes, wo unter dem Rain sein Häuslein
steht. An der Schranke sagt er traurig: »Gute Nacht!« und geht über den
Anger. In einem der Fenster liegt glutiger Schein, ein roter Vorhang
ist vorgezogen. In den Ahornen flüstert der Nachtwind, da fächelt der
Fenstervorhang in die Stube hinein, ein-, zweimal -- und nun hat's der
Laurentl gesehen. Mit großen Schritten ist er wieder zurück zum Weg
gelaufen und hat mir ein paar Atemzüge zugestoßen: »Er ist drinnen
bei ihr!« Und fort, fort in die finstere Nacht hinaus. -- Da habe ich
ihm wohl nachdenken müssen: Armer Knabe, dir ist nicht zu helfen.
Du bist so grenzenlos ungeschickt. Hättest du jetzt zugegriffen, so
wärest du Herr der Dinge gewesen, hättest deine saubere Alte gleich am
Nagelschmied hängen lassen können.

Darauf gehen einige Tage dahin, da hört man, unten im Lahmtal, in der
Ziegelbrennerhütte liege der Laurentl Egghofer krank danieder. Die
Ziegelschläger-Leute, Stockitaliener, die man gar nicht versteht,
hätten ihn auf der Gasse gefunden, mit sich genommen und der Alte habe
ihm sein Bett abgetreten. Im Dorfe war's gar nicht bekannt gewesen,
daß er fehlte; erst als die Frau Egghoferin merkte, daß es den Leuten
auffiel, fing sie an zu jammern, sie wisse nicht, wo ihr Mann bliebe.
Sie habe immer Angst um ihn; so oft er ausgehe, habe sie Angst; sie
habe einmal schon den Fall durchgemacht, Gott bewahre, daß sie das
zweitemal einen Mann verlieren müsse. Und so einen Mann! -- Und dann
zählte sie seine Vorzüge auf, so daß man sich ordentlich freuen mußte,
wie diese brave Frau ihren Gatten schätzte. Als es hieß, daß er in der
Ziegelbrennerhütte liege und das Nervenfieber sei über ihn gekommen,
fand sie, daß er ohne Lebensgefahr nicht transportiert werden könne,
so gern sie einen Finger ihrer Hand geben möchte, wenn sie ihren guten
Laurentl jetzt bei sich haben könnte.

Plötzlich steigerte sich ihre Sorge um ihn ins Leidenschaftliche. Sie
ging hinab ins Lahmtal, umkreiste die Ziegelhütte und lauerte. Sie
hatte nämlich in Erfahrung gebracht, daß in der italienischen Familie
auch ein erwachsenes Mädel wäre. Sie wollte in die Hütte, aber der
alte Katzelmacher wies sie zurück, denn der Kranke hatte zu verstehen
gegeben: Nur diese Person sollte man nicht zu ihm hereinlassen. So lag
sie eine ganze Nacht draußen auf einem Backsteinstoß und beteuerte
Vorübergehenden, hier wolle sie sterben. Er sei so im Delirium;
sie, die er sonst auf den Händen trage, die er nie anders, als sein
Herztäuberl genannt, erkenne er jetzt gar nicht wieder und sehe in
Fieberphantasien an ihr weiß Gott was Schlimmes. Sie sei trostlos, sie
wolle nicht mehr leben, wenn er stürbe!

Ob er ihr den Nagelschmied schicken solle? fragte ein sehr boshafter
Fuhrmann; sie hörte es nicht, sondern weinte laut. Jetzt war aber der
Kranke drin in der Hütte einer von solchen, die kein Weibsbild weinen
hören können. Die Welschen verstopften rasch das Fenster mit einem
Strohschaub, denn sie hatten nun mancherlei begriffen. Die erwachsene
Tochter sprach nämlich ein wenig deutsch und so verstand sich die
Wärterin zur Not mit dem Pflegling. Ich hatte auf einem Besuche
gesehen, daß der Laurentl bei diesen weltfremden Leuten weit besser
aufgehoben sei, als in seinem Rainhäusel und war menschenfreundlich
genug, das draußen der trostlosen Ehefrau zu hinterbringen. Mehrmals
hatte sie auch durch die Tür »die welsche Schlange mit dem schwarzen
Haar« gesehen, und da drohte ihr Schmerz um den kranken Mann in Raserei
auszuarten. -- Und plötzlich mit einem Katzensprung war sie in der
Hütte. Auf das Bett stürzte sie hin und fiel dem Kranken um den Hals.
»Und wenn ich dich mit blutigen Händen und Füßen heim muß tragen, mein
Laurentl, aus lass' ich dich nimmer. Du bist ja mein Lieb! Du bist ja
mein Herz!« Sie küßte ihn stürmisch. Er lag erschöpft und hilflos in
ihrem Arm und wer weiß, ob sie ihn nicht davongeschleppt hätte, wenn
nicht der Arzt erschienen wäre.

»Liebe Frau Leitl!« sagte dieser, ich glaube, daß ihm die Ansprache
nicht von Herzen ging, »der Kranke gehört mir. Gehen Sie nur ruhig heim
mit der Versicherung, daß er hier leichter genesen wird als zu Hause.«

Und sie hernach zu den Leuten: »Freilich am leichtesten tät' er zu
Hause gesund werden bei der guten Pflege, sagt der Herr Doktor, aber er
kann's Überführen nicht aushalten, der arme Mensch!«

Denn auf den guten Anschein hielt sie was, die kluge Frau, hätte nur
der rote Vorhang nicht manchmal so geflattert im Nachtwind. Und Augen,
die zwischen Vorhängen durch was bemerken, sehen am Ende auch durch
dicke Wände.

Der Laurentl war seit dem Eintreten seiner Frau in die Ziegelhütte sehr
unruhig und aufgeregt. »Sie ist halt doch gut. Sie ist halt doch gut!«
sagte er, trotzdem das Fieber endlich vorbei war. Und zu einer Stunde,
als just niemand gegenwärtig war, stand er vom Bette auf, zog sich
hastig an und schlich ohne Dank und Gruß davon.

Am nächsten Tag wußte man es in der ganzen Gegend: Bei den Welschen
habe es der kranke Laurent Egghofer nicht mehr länger aushalten können,
das seien unsaubere Leute, man könne sich darunter denken was der Will.
Nur zu seinem Weib hätt's ihn gezogen, und wenn er je einmal schlecht
gestimmt gewesen sei -- mein Gott, kränklichen Leuten dürfe man das
nicht verübeln -- jetzt werde er wissen, was er an ihr hat!

In der hinteren Kammer, wo der mürfelnde Wäschekasten, das alte
Schuhwerk und die Mäuse waren, hatte die sorgsame Ehewirtin ihren
Laurentl gebettet, dieweilen das vordere Zimmer frei sein mußte für
die Kaffeegesellschaften und für sonstige Gäste. Der Nagelschmied
verstand etwas von Medizin und so sprach er natürlich zu, um sich nach
dem Kranken zu erkundigen und gute Mittel anzuraten. Um diese Zeit
begegnete ich der Frau Egghofer auf der Gasse, sie trug ihren buntesten
Hut, ein ganzer Garten von Papier- und Seidenblumen zierte ihr Haupt,
dessen grauende Haarsträhne im Kreise gewunden sich geschickt hinter
der Flora zu verbergen suchten. Sie war sehr aufgeräumt und trug unter
der Schürze etwas wie eine Flasche.

»Wie geht's?« mußte ich sie fragen. »Ist der Kranke doch schon so weit,
daß er Wein trinken soll?«

»Aber ja!« lachte sie.

»Ich will ihn bald wieder besuchen.«

»Es wird ihn g'freuen. Obschon er just kein großer Freund von Besuchen
ist. Sie regen ihn auf, sagt er. Und sind halt am frohesten allein
beieinander, wir zwei. Gar leutscheu ist er worden, das bleibt gern
von einer solchen Krankheit zurück. Wird auch wieder gut werden und
nachher, später einmal muß uns der Herr Onkel wohl einmal die Ehr
schenken auf einen Löffel Suppe. Ja, behüt Gott schön!«

Aha, dachte ich mir, es wird Zeit sein, daß ich mich wieder einmal
nach ihm umsehe. Besser heute, als morgen. -- Und als die Frau über
Seheweite hinaus war, ging ich ihr nach bis zu ihrem Häuslein. Arg
entzückt war sie nicht, schien es eilig in häuslicher Arbeit zu haben
und wies mich in die vordere Stube.

»Aber ich will zum Laurentl.«

»Mein Gott, ist denn gar keine Ruh' mehr für den armen Mann. Er schläft
jetzt und Schlaf ist die beste Stärkung, sagt der Arzt, im Schlaf darf
er nicht gestört werden, sagt er, und so viel Anrecht werde ich wohl
noch haben an meinem Mann, daß ich Schaden von ihm abhalte. Nein, ich
lass' niemand hinein!«

So breit sie sich mit gespitzten Ellbogen vor die Tür der hinteren
Kammer stellte, ich beging den Hausfriedensbruch. Mit Gewalt sie
zurückschiebend und die Tür aufreißend stand ich in der dunklen Kammer.
Und vor mir der struppige Nagelschmied in Hemdärmeln, der just einen
alten Weiberschuh in der Flickarbeit hatte. -- Und der Laurentl?
Der war nicht da. Das schmale Bett, in dem ich ihn ein paar Wochen
früher liegend gefunden hatte, war mit weichen, roten Kissen hoch
aufgeschichtet; die Truhe, auf der die Medizinflaschen und Schalen
gestanden, war abgeräumt und vom Laurentl keine Spur.

»Wo ist er denn?« fährt's mir scharf heraus.

»Nu, wo wird er denn sein!« gibt sie an der Tür zur Antwort, »wenn er
da nicht ist, wird er wohl wo anders sein.«

Der Nagelschmied schmunzelte behaglich und schaute mit verschmitzten
Augen umher. An der Wand hing Laurentls Steirergewand, das einmal
so schön gewesen war. Ich ging auf den Dachboden; da gab es alte
zerrissene Strümpfe, ein zerbrochenes Spinnrad und große Fetzenbündel.
Es war die Ablagerungsstätte eines Lumpensammlers. Ich ging in die
Küche; da gab es in Töpfen und Pfannen vertrocknete Speisereste und
zwei Hühner stiegen auf dem Herde umher und kratzten in der Asche. Ich
ging in den Keller, da lagen halbverfaulte Erdäpfel umher, da stand in
flachen Schüsseln Milch, in welcher Fliegen und Käfer ertrunken waren.
Ich ging in den Stall; da stand eine magere Kuh, deren hinterer Teil
in einem Panzer von Mistkrusten prangte. Auf dem Fußboden fußtiefe
Unsauberkeiten, in allen Winkeln Spinnweben. Aber, den ich suchte, er
war nicht zu finden.

Auf die ernstliche Frage, wohin sie den Kranken getan habe, lachte sie
grell auf. Ob ich denn glaube, daß sie ihn gefressen hätte? Ob sie
etwas könne dafür, daß er davonlaufe in der Nacht, wie ein Wicht? Sei
er jämmerlich krank, da wisse er sie, sein armes Weib, schon zu finden,
daß sie ihn pflege und begute und tagelang kein Auge schließe. Und sei
er endlich wieder auf den Füßen, dann renne er welschen Dirnen nach!
Und sogar die Brieftasche habe er mitgenommen, so daß nicht einmal ein
Groschen Geld im Hause sei und sie sein Gewand würde verkaufen müssen.

Ich ging zum Arzt. Auch der wußte nichts vom Laurentl. Die Krankheit
habe sich wohl schon gelöst gehabt, aber eine große Aufgeregtheit wäre
zurückgeblieben. Wenn er, der Arzt, ins Haus gekommen, sei scheinbar
alles eitel Wohlgefallen gewesen, die Frau voller Artigkeit und
Zärtlichkeit, allein der Patient sei immer verstört gewesen und man
habe unschwer wahrnehmen können, daß etwas durchaus nicht in Ordnung
ist. In den letzten Tagen sei der Arzt abgelehnt worden, die Frau habe
ihm sagen lassen, der liebe Mann sei endlich so weit, daß er nichts
mehr brauche und für die ärztlichen Besuche schön danke.

Lange hat die abscheuliche Ungewißheit, in der ich schwebte, nicht
gedauert. Schon am nächsten Tage ist er gefunden worden in einem
Dickicht, nahe am Waldweg, der in das Lahmtal hinabführt.

In eine alte fransige Bettdecke war er eingerollt, die er wohl vom
Hause mitgenommen hatte. Ein gewaltsamer Tod war nicht festzustellen.
Auf dem lehmfahlen Antlitz lag eine behagliche, fast heitere Ruhe. An
einem der Ohren jedoch hatte schon ein Rabe genascht.

Bei dem Begräbnisse war das halbe Dorf zugegen und viele Arbeiterschaft
des Eisenwerkes. Alle hatten ihn gern gehabt. Die Witwe -- ach, nun
war sie's das zweitemal! -- trauerte sehr. Als sie am offenen Grabe
eine Flasche mit Weihwasser auf den Sarg hinableerte, wimmerte sie
ihm Lobsprüche nach und der Schmerz war so groß, daß sie ohnmächtig
auf den Erdhaufen sank, aber so, daß ihr neuer Hut mit den schwarzen
Seidenbändern nicht Schaden nahm.

Zwei gute Männer so zu verlieren!

Der Nagelschmied, der vazierende, ist ihr dritter geworden. Und dieser
Tapfere fand die Freuden des heiligen Ehestandes darin, daß er sein
Weib ungefähr alle Wochen zweimal mit einem zähen Haselstock behandelte.

Der Haselstock ist aufgebraucht, die Alte nicht.




                           Ein Kind Gottes.


In der steirischen Gemeinde Hollersbach lebte eine arme Witwe. Sie
hatte aber zwei Besitztümer: ein teures Grab auf dem Kirchhof und ein
liebes Kind zu Hause. Im Grabe schlief ihr Gatte, der noch gern länger
gelebt hätte, was für das Weib ein gutes Zeugnis ist. Und der kleine,
muntere, sechsjährige Franz war es, der einen ganzen Regenbogen von
Liebe, Sorge, Glück, Angst, Mut, Schmerz und Hoffnung um das Mutterherz
legte.

Da kam eines Tages der Gemeindediener ins Haus, der hatte das Gesetz
bei sich und das Gesetz sagte zur armen Frau: »Ich bin da um den Franz.
Er gehört nicht mehr dir allein, er gehört jetzt auch mir.«

»Wieso das?« fragte die Mutter, »er kann doch nicht Soldat sein, er ist
erst sechs Jahre alt.«

»Darum muß er mit mir,« sagte das Gesetz, »ich führe ihn in die Schule.«

Auf solche Weise hatte sich der Staat eingemischt. Der kleine Franzl
ging jeden Tag hinab nach Hollersbach in die Schule und die Mutter an
ihrem einsamen Nähtisch schaute wohl hundertmal des Tages zum Fenster
hinaus, bis endlich der Kleine mit seinem schwarzglänzenden Täschchen
und seinen roten Wänglein den Berg heraufkam, allerlei Ergötzliches von
der Schule erzählte, und einen großen Hunger hatte.

Anfangs war er von den Kameraden geneckt worden; weil er sich aber
nichts daraus machte, sondern selber mittat, sich über sich lustig zu
machen, gewannen sie ihn lieb, ließen von ihm ihre Aufgaben schreiben
und einsagen, wenn sie geprüft wurden. Einmal war dem Schullehrer, als
er sich auf seinen Stuhl setzte, unter den Beinen ein Knallkügelchen
geplatzt. Da war Aufruhr: Wer hat's getan? Niemand will's getan haben.
Gut, sie werden in der Schule bleiben bis spät abends, alle! Einzelne
Hascherln heben zu weinen an, denn sie möchten heim zur Mutter. Da
steht der Franzl auf und sagt, er hätte das Knallkügelchen gelegt.
Der Lehrer blickt ihn ernst an: »So wirst du bleiben!« Als der Franzl
denn nach der Unterrichtsstunde allein im Schulzimmer bei seinem
Evangeliumbuch saß, trat der Lehrer zu ihm und sagte: »Du weißt es,
warum du hier sitzest, der Unwahrheit wegen, die du gesprochen. Du hast
die Knallkugel nicht gelegt!« Da bat der Kleine weinend um Verzeihung;
der Lehrer strich ihm das Haar und sagte: »O, Kind Gottes, es war ja
nicht so schlimm gemeint. Geh heim!«

Eines Tages, als seine Mutter wieder zum Fenster ausblickte, nach ihrem
Bübel, trat statt seiner der Pfarrer ins Haus der Witwe, und nachdem er
sich eine Weile den Schweiß vom Gesicht gewischt, auch über den heißen
Tag und den steilen Berg gesprochen hatte, sagte er: »Eures Knaben
wegen bin ich da. Der kommt Euch heute nicht heim.«

»Um Gottes willen!« fuhr die Mutter erschrocken auf.

»Es ist nicht so schlimm,« sagte der Pfarrer. »Mein Kaplan hatte nach
der Schule einen Versehgang zum schwerkranken Donnersberger hinüber,
und da nahm er den Franzl als Ministranten mit, daß er ihm die Laterne
und das Glöckel trage. 's ist von den Buben keiner so zu brauchen als
der Franzl und er ist auch recht gern gegangen. Bis sie zurückkehren,
wird's finster sein, da soll er im Pfarrhof schlafen und ist morgen
früh gleich bei der Schule.«

»Das wär' alles recht,« meinte die Mutter, »wenn er nur das Nachthemdel
unten hätt'!«

»Das Nachthemdel will ich schon mit hinabnehmen,« meinte der Pfarrer,
»und meine Wirtschafterin soll ihn hegen und pflegen; er wird keine Not
leiden.«

»Ist auch keine Kümmernis deswegen,« antwortete sie, »wenn er mir nur
morgen beizeiten heimkommt.«

»Frau Rathel,« sagte der Pfarrer, nachdem er sich behäbig an den Tisch
gesetzt hatte. »Weil wir schon sprechen davon, ich bin ja doch nicht
so ganz zufällig da -- ich meine den Franzl, den sollt Ihr mir halt
schenken.«

»Wieso?« fragte die Näherin und blickte mit großen Augen drein.

»Seit der Hifelbub aus der Schule getreten ist und daheim arbeiten muß,
fehlt mir ein Ministrant. Der Franzl ist anschicksam, flink und hat ein
frommes Herz. Lasset ihn einen Engel sein am Altare des Herrn!«

Die Mutter schwieg.

»Die paar lateinischen Formeln,« fuhr der Pfarrer fort, »hat er jetzt
schon weg. Um ein halbes Stündel früher aufstehen wird er müssen als
sonst, kann aber auch im Pfarrhof unten übernachten. Für jede Messe
zwei Kreuzer bekommt er, an Sonn- und Feiertagen deren vier, in einem
Jahr macht's etwas. Und wer weiß, ob er nicht weiter kommt, der
Schullehrer sagt, er wäre der Talentierteste im ganzen Jahrgang.«

Die Näherin entgegnete nun mit leiser Stimme: »Mich gefreut's wohl,
Herr Pfarrer, mich gefreut's. Ich sehe es schon, er wächst mir früh
hinaus aus meinem Häusel.«

»'s ist ein Knabe,« sagte der Pfarrer.

Eine Woche später, als für den verstorbenen Donnersberger der
Trauergottesdienst gehalten wurde, trippelte der kleine Franzl schon
in einem weißen Chorröcklein an den Stufen des Altars auf und nieder
und bediente den Priester. Die Mutter saß in ihrem Kirchenstuhl, und
als sie ihr Kind so erblickte, das rundwangige und blauäugige frische
Knäblein in geistlichem Gewande, da gab's ihr einen Stich im Herzen,
sie wußte nicht warum.

Nach dem Gottesdienst hüpfte der Kleine seiner Mutter zu und teilte
ihr mit, der Herr Pfarrer habe gesagt, daß sie alsogleich beide in den
Pfarrhof gehen müßten. Im Pfarrhof gab's Kaffee, die Wirtschafterin
lobte den lieben, folgsamen Knaben, der Pfarrer setzte sich auch
her, entfaltete ein Papier und sagte, er habe der Frau Rathel etwas
Erfreuliches mitzuteilen. Der verstorbene Donnersberger, dessen Seele
heute dem Herrn empfohlen worden, habe in seinem Testamente eine Summe
verordnet, daß ein Knabe aus der Pfarre Hollersbach auf Geistlich
studieren könne. Ihm, dem Pfarrer, sei es anheimgestellt, das Mittel
dem dafür geeigneten Jungen zuzuwenden. Wenn er heute Umschau halte in
der Gemeinde, so sehe er lauter Rangen und nur ein einziges Bübel, das
ihm auserwählt erscheine für den heiligen Beruf. Er brauche es nicht zu
nennen, frage aber die Frau Rathel, ob sie einverstanden sein würde?

»Wenn Gottes Willen,« entgegnete die Frau, »es ist noch lange Zeit.«

Unterwegs nach Hause erzählte der Kleine seiner Mutter allerhand
Merkwürdiges. Der Herr Kaplan habe ihm einmal die heilige Messe
erklärt, und da habe er, der Franzl, heute bei der Wandlung gesehen,
wie vom Kreuze Jesu herab ein heller Blutbrunnen in den Kelch geronnen
sei, den der Herr Pfarrer emporgehalten. Und beim Agnus dei habe er
den verstorbenen Donnersberger im Fegefeuer wimmern gehört, da sei vom
Kelch ein Tropfen Blut hinabgeflossen und da hätte der Donnersberger
gesagt: Vergelt's Gott, jetzt ist es gut. -- Die Mutter schlug ihre
Hände zusammen und rief: »Kind, wie kommst du mir vor!« Um ihn auf
andere Gedanken zu bringen, fragte sie nach den Kreuzern, die er sich
bei dem heutigen Ministrieren doch erworben habe. Der Franzl hielt
seine kleinen Hände mit den ausgespreizten Fingern her und sagte: »Ich
hab' sie nicht!«

Als der Kleine auch in folgenden Tagen nicht einen Pfennig nach Hause
brachte und die Mutter darüber nachzuforschen begann, stellte es sich
heraus, daß der Knabe nach der Messe seine Kreuzer allemal einem
Krüppel schenkte, der an der Kirchhofsmauer saß. Die Mutter hatte
nichts dagegen, er ist Eigentümer seines Erwerbes, und wenn ihm das
Almosengeben besser schmeckt als Kandiszucker, den er sich sonst beim
Krämer kaufen könnte, so ist das ja keine üble Gewohnheit. Nun wurde
es aber bekannt unter den Bettlern, daß zu Hollersbach ein kleiner
Ministrant sei, der allemal nach der Messe seinen Säckel ausleere, was
auch anderen Kirchenbesuchern ein gutes Beispiel sei, und jetzt sah
man am Kirchhofstor stets eine ganze Reihe Armer: Blinde, Einhänder,
Lahme, Stumme und sonstige Bresthafte aller Art, so daß der Herr
Pfarrer einmal sagte: »Wer in den Himmel fahren will, hier gibt's
Vorspann!« Die alten Bauern und die Weiber gaben mit auffallender Miene
Almosen, der kleine Franzl wand sich unter den Füßen hin und steckte
seine Kreuzer heimlich dem erstbesten Bettler zu.

Allmählich fiel es der Frau Rathel auf, daß der Knabe bei Tische nicht
mehr so frisch zugriff, wie sonst, und daß er gern bat, sie möchte ihm
den Rest seines Kuchens oder Fleischstückchens in ein Papier schlagen
und in seinen Schulsack stecken. In der Schule war nämlich ein armes
Mädchen, eine Waise, die immer so traurig dreinschaute, wenn andere
an ihren Backwerken knusperten; diesem Kinde trug der kleine Franzl
seine Sachen zu. Dabei wurde aber sein Gesichtlein nicht runder und die
Wangen waren wie Äpfel, aber nicht mehr wie rote, sondern wie weiße.
Wenn er des Nachts in seinem Bettchen schlief, da saß die Mutter oft
neben ihm und hatte Sorgen, denn sein Schlaf war unruhig und der Knabe
hielt allerhand Selbstgespräche. Er redete zu Gott, zur lieben Frau und
bat sie um Nahrung für die Hungernden, um Kleider für die Frierenden
und um eine lange Leiter, daß das arme Waisenmädchen von der Schule zu
ihren Eltern in den Himmel steigen könne. Dann rief er manchmal laut:
»+Dominus vobiscum!+« oder »+Deo gratias+«.

Da dachte sich Frau Rathel: Es wird Zeit sein, daß ich ihn vom Altare
wegnehme. -- Aber eine andere Stimme in ihr sagte: Was soll dieses Kind
in der Welt? Wie soll es den Kampf ums Leben ringen, es hat ja die
Wundmale an den Händen. Die Welt höhnt ihn, quält ihn, erschlägt ihn.
Im Kreise des Altars läßt's sich besser träumen, schwärmen und ewig ein
Kind sein.

Wenn der Franzl dann erwachte und die Mutter in Kummer fand, legte er
ihr seine kleinen Arme um den Nacken und sagte: »Mutterl, ich hab' dich
lieb! Und im Himmel oben wird's erst lustig sein.«

»Du bist noch jung, mein Kind,« entgegnete da die Mutter. »Du solltest
doch eher an die Erde denken, als an den Himmel.«

»Ja, Mutter,« antwortete er, »wenn ich gestorben bin, sollen sie mich
neben den Vater begraben.«

In ihrer Betrübnis wendete sich die Frau an den Pfarrer.

»Es ist seltsam,« sagte dieser, »ich würde es auch lieber sehen, wenn
der Junge auf den Bäumen und Zäunen umherklettern, Vogelnester suchen
oder scharf mit Kameraden sich balgen wollte, wie wir anderen es in
unserer Jugend getrieben. Ich habe meinem Kaplan schon aufgetragen, daß
er mit dem Knaben jedes religiöse Gespräch vermeide, wir wollen ihn
auch für ein Weilchen vom Altar weg tun, der Altar verzehrt ihn. Er ist
ein Kind Gottes. Wir wollen einstweilen aber keinen Heiligen aus ihm
machen, sondern seine körperliche Gesundheit zu fördern suchen.« So
sprach der würdige Pfarrer.

Als dem Knaben mitgeteilt wurde, daß er des Morgens statt in die Kirche
mit des Nachbarn Knaben über die Wiesen und Auen laufen dürfe -- denn
es waren die Schulferien, hub er zu weinen an und weinte im Bettlein
still vor sich hin. Am nächsten Morgen ging er wieder hinab zur
Kirche, streifte sich in der Sakristei den Chorrock an und schritt dem
Priester voran zum Altar.

Am Festtage Allerheiligen war's, als der kleine Franzl nach dem
Gottesdienst wieder seine Kreuzer verteilt hatte und dann gegen das
Häuschen seiner Mutter hinaufging, daß ihm im Schachen ein fremdes
Weib mit kohlschwarzem niederhängenden Haar begegnete; es hatte an
der Brust ein kleines Kind, es ging auf den Franzl zu, nahm ihn an
der Hand und sagte in einer ganz fremdartigen Aussprache, die nicht
wiederzugeben ist: »Ich weiß schon von dir. Mir hat es in dieser Nacht
mein Schutzengel erzählt, daß du kommen und uns helfen wirst. Geh mit.
Geh mit.«

Sie zerrte den Knaben mit sich fort zwischen Strauchwerk hin, in die
Waldschlucht hinab, wo ein rauschendes Wasser und neben demselben ein
kümmerlicher Fahrweg war. Auf diesem Fahrweg stand ein Karren, der über
sich eine weiße Plache als Dach gespannt hatte. Statt eines Pferdes war
ein brauner, bärtiger Geselle vorgespannt und unter der Plachendecke
wälzten sich halbnackte Kinder durcheinander.

»Wir sind arme Leute,« sagte nun das Weib, auf solche Familie deutend,
»und du sollst uns etwas schenken.«

Der Franzl nahm sein grünes Hütlein vom Kopf, hielt es hin und sagte:
»Da!«

Sie nahm den Hut, warf ihn in den Karren und die Kinder balgten sich
drum. »Da sind arme Würmer drinnen,« fuhr das Weib fort, »sie verkommen
vor Frost.«

Der Franzl zog sein Röckel aus und gab es hin. Das Weib warf es in den
Karren. »Ein Knäblein habe ich,« fuhr sie fort, »es ist so fromm wie
das Jesukind und die Füße sind ihm ganz und gar erfroren.«

Der Franzl setzte sich eilig auf einen Baumstock, riemte seine Schuhe
auf, zog sie aus und gab sie hin. Das Weib warf sie in den Karren und
die Brut darin raufte sich um die Kleidungsstücke.

»Mein Jesukind,« fuhr das Weib fort, »liegt auf dem Stroh krank dahin
und hat keine Decke, kein Beinkleid, kein Hemd.«

Jetzt sprang der braune Mann herbei, bedrohte das Weib und schrie dem
Franzl zu, er solle sich davonmachen.

Frau Rathel war überaus erschrocken, als der Knabe barfuß, ohne Rock
und Hut nach Hause kam und mit strahlendem Auge erzählte, er hätte
unten in der Schlucht die heilige Familie gefunden.

Die »heilige Familie« wurde zwar schon an demselben Tage eingezogen,
dem Franzl wurden vom Gemeindevorstand Hut, Rock und Schuhe zugestellt,
aber er zog sie nicht mehr an. Durch die Erkältung an jenem
Spätherbsttage fiel er in der nächsten Nacht in Fieber. Am folgenden
Tag kam der Arzt und fand eine Lungenentzündung. Der Knabe hatte
wieder rote Wangen, wie schon seit lange nicht mehr, er sang auch --
gleichwohl mit sehr kurzem Atem -- lustige Kinderlieder und wollte
immer aus dem Bette, um ein Reh zu fangen, das in der Stube umherlief.
Heiterer Mutwillen war in seinen Fieberphantasien und der Arzt sagte
zur Mutter, wenn die Krisis glücklich überwunden werde, so sei es
wahrscheinlich, daß die krankhafte Schwärmerei ein Ende hätte und das
Geistesleben des Knaben eine andere Richtung nehme.

Am fünften Tag hatte der Knabe unter Geschrei und Gelächter das lose
Reh erwischt, mit beiden Armen hielt er das Kopfkissen fest und
verlangte von der Mutter, daß sie dem ungebärdigen Tiere die Füße
binde. Bald darauf fiel er dahin. Im Halbschlummer lag er ruhig da,
manchmal im Gesicht totenblaß, dann wieder brennend rot. Einmal schlug
er die Augen auf, hob das hagere Händchen ein wenig gegen seine Mutter,
die unausgesetzt in heißer Angst, aber klaglos, an seinem Lager war. Er
lächelte auf sie hin und hauchte: »Mutter!«

Dann schlummerte er ein -- und ist nicht mehr erwacht.

Zwei Tage später, als sie das Särglein hinabtrugen nach Hollersbach,
stand am Kirchtor der Pfarrer und deutete mit dem Arm, sie sollten
es in die Kirche tragen. Und als der kleine Sarg drinnen stand vor
den Stufen des Altars, an denen der Franzl im kindlichen Dienste des
Herrn auf- und niedergestiegen war, las der Pfarrer die Messe. Bei
dem Offertorium, als er sich gegen das Volk wandte mit dem Spruch:
»+Dominus vobiscum+« und das helle Stimmlein nicht mehr beisetzte: »+Et
cum spiritu tuo!+« sah man, wie dem alten Mann eine Träne über die
Wange lief.

Als sie nach dem Gottesdienst den Sarg aus der Kirche gegen den
Friedhof trugen, war das Tor dicht besetzt von armen Leuten, die sich
jetzt dem Zuge anschlossen und beteten.

Frau Rathel blickte hinab ins tiefe Gräblein, an dessen einer Wand
das Brett von der Truhe ihres Mannes zu sehen war; so nahe wurde nun
der Franzl zu seinem Vater gelegt. Die Frau starrte stumm, klaglos,
gebetlos, trockenen Auges hinab. Erst dann löste sich ihr Weh in
Tränen, als der Pfarrer nach der Einsegnung sie an der Hand nahm,
einige Schritte hinwegführte und die Worte sprach: »Sein kurzes Leben
war ein einziger großer Opfertag. Was er hier schon war, das ist er nun
dort -- ein Kind Gottes.«




                              Dorfbilder




          Almleute und wie sie sich miteinander unterhalten.


Was werden sie denn auch schwatzen, die Manns- und die Weibsleute, wenn
sie einmal zusammenkommen in der Bauernstube oder oben in der Almhütte?

Im Schwatzen sind die Alten am schlimmsten, das weiß man.

»Gehst mit?« frägt der Stiesel-Joachim seinen Kameraden.

»Wohin?«

»Auf die Donnersbach-Alm.«

»Was tun?«

»Weiberleut' hänseln.«

»Ist mir nix um (bin dabei)!« sagt der Kamerad.

Sonntagsnachmittag. Da sitzen die Sennerinnen von den zwei Hütten
beisammen in der einen und bessern ihr Gewand aus, das die Woche über
in scharfer Arbeit Schaden genommen.

Die Männer treten zur Tür ein, die ist nur für Weibsbilder hoch genug
und die Männer müssen sich tief demütigen, wenn sie hereinwollen.

»Da sitzen auch zwei Nichtsnutzige beisamm'!« mit diesen Worten begrüßt
der Stiesel-Joachim die beiden Senninnen.

»Gleich und gleich gesellt sich gern,« sagen die Dirndln, »geht's nur
her zu uns.«

»Ist ein Lapp, der Schulmeister von Christofen,« springt jetzt der
Joachim über, nachdem er sich an den Tisch gesetzt und seine Pfeife
angebrannt hat.

»Wesweg?« frägt sein Kamerad.

»Weil er eine neue Wissenschaftlichkeit erfunden hat. Zu meiner Zeit
haben wir drei Naturreiche gehabt in der Schul', jetzt hat er fünf.«

»Und das wären?«

»Die Mineralien, die Pflanzen, die Tiere, die Weiber und die Menschen.«

»Du Narr!« lacht die Marei, »da hat er noch eins ausgelassen: die
Männer. Die kommen noch vor den Tieren!«

»Die kennt sich aus!« schmunzelt der Kamerad.

Der Joachim wendet sich zu diesem und in aller Ernsthaftigkeit tut er
die Frage: »Hat er nicht gesagt, der Herr Pfarrer bei der Predigt, daß
kein Weibsbild in die Höll' kommt?«

»Weil kein's mehr Platz hat unten,« meint der Kamerad.

»Wird halt von den Männern schon voll sein,« sagt die Thresel.

»Ein anderer Grund,« versetzt der Joachim ruhig und bläst ein Bündel
Rauch aus. »Die Weibsbilder sind nämlich dem Teufel zu schlecht.«

»Bedanken uns schön,« sagt die Marei.

»Nichts zu danken. Ist gern geschehen.«

»Nachher kann man sich's freilich denken,« sagt die Thresel, »daß den
Mannern in der Höll' höllisch langweilig wird. Ohne Weibsbild halt's ja
keiner aus.«

»Ist auch so,« spricht der Joachim. »Ohne Weibsbild weiß es keiner, wie
gut es ihm geht.«

Das alles und anderes wird mit größter Ruhe und Ernsthaftigkeit
vorgebracht, bis die Marei frägt, ob sie die gottlosen Mäuler nicht
mit Milch und Käse zustopfen sollte?

Wäre ein gutes Mittel, meint der Kamerad.

Die Jüngeren haben sich bislang im Hintergrund gehalten. Um sie
hervorzukriegen, sagt die Marei: »Was müssen denn dieselbigen dort
angestellt haben, weil sie sich nicht herfür getrauen aus dem Winkel?«

Der Forstjunge Heinrich sitzt dort, der sagt nicht viel, schmunzelt
ein wenig und schmaucht sein Pfeifel. Wer ihn recht besieht -- und die
Marei besieht ihn recht -- das ist ein Kerl, den sich der Herrgott
selber zum Muster nehmen kann, wenn er irgendwo auf der Welt schöne
Leute erschaffen will. Daß er etwas schweigsam ist, das macht nichts,
es plaudert schon sein feuriges Auge und solche Weltsprache ist den
Weibern auch die verständlichste.

»Gewissen erforschen wird er, der Heinrich,« meint der Joachim, »er
will ja jetzt die Jägerei lernen.«

»Uh, bei diesem Freudenfest möcht' ich dabei sein!« ruft die Marei aus.

»Bei welchem Freudenfest?« frägt nun der Heinrich.

»Das die Hasen und Hirschen halten werden, wenn du Jäger wirst!«

»Der Heinrich mag niemanden umbringen,« sagt der Kamerad.

»Im Gegenteil,« setzt der Joachim dazu.

Der Heinrich nimmt seine Pfeife aus dem Mund, pflanzt mit der Spitze
derselben noch das Schnurrbärtel auf nach rechts und nach links, dann
läßt er das Liedel los:

  »Bin a Jager, a frischer,
  Ih woaß nur zwen Ständ':
  Van Dirndl ihrm Fenster
  Und ban Gamsl im G'wänd'.«

»Singen kann ich auch,« sagt die Marei und hebt an:

  »Oft a Jager, a frischer,
  Gor keck is sei Bluat,
  Hot Kuraschi für vieri,
  Wan eahm neamand nix tut.«

Nun packt der alte Joachim aus:

  »Wan ih auf Kumerbergkirchn geh,
  Leg' ih mein bestn Rock on,
  Wan ih däs Dirndl in da Kirchn seh',
  Schau ih koan Heilign nit on.«

Dem entgegnet die Thresel:

  »Hau, Bua, du liabst mih,
  Wanst mih liabst, kriagst mih,
  Wanst mih treu liabst
  Konst mih hobn -- wanst mih kriagst.«

Rückt sich jetzt der Kamerad des Joachim gegen die Thresel und versucht
es ernsthaft:

  »An deiner Rechtn laß mih sitzn,
  An deiner Rechtn sitz ih gern,
  Wan mir still banonda sitzn
  Konst mei Herzel klopfn hörn.«

Drauf sie:

  »Du bist holt a so a Büabel,
  Bist a so und bist a so,
  Du bleibst nit bei oan Dirndl,
  Host ollaweil deini zwo.«

»Da weiß ich noch ein Schöneres für den!« sagt die Marei und singt:

  »Dir is ka ~Liabi~ nit recht,
  Dir will ka ~Bravi~ nit g'folln --
  Wanst a ~Schöni~ willst hobn,
  So loß dir oani moln.«

Ähnlich geht's fort. Wie aber alles ein Ende hat, so auch der
Sonntagnachmittag auf der Alm. Der alte Joachim ist so lange gesessen
auf der Bank, daß ihm die Beine starr sind, wie er nun aufsteht.

»Jetzt wünsch' ich euch eine gute Nacht, Weibsleut',« sagt er, »ich
denk', die wird euch recht sein.« Damit trottet er mit anderen davon.
Ob alle schon gehen? Verbürgen kann ich's nicht. Heinrich, der Schalk,
muß die Marei sicherlich noch ein wenig necken. Ein Blumensträußel
steckt er ihr an den Hals -- ist aber eine junge Brennessel dabei. Sie
kommt ihm über die Pfeife und tut heimlich gebeizte Harzkörner hinein,
so daß er auf einmal eitel Weihrauch schmaucht. Dann stiehlt sie ihm
die abgemauserte Feder vom Hut und steckt eine frische drauf -- und
schließlich -- ach Gott, ich verplaudere die Zeit.

Übers Jahr, wenn Ihr anfragen wollet -- sie dürften ein Paar sein, und
hoffentlich necken sie sich dann auch noch. Aber, so Gott will, nicht
zu scharf.




                          Der Sonntagsbauer.


Die Woche über sind wir etwas Besonderes. Sei es nun, daß schöne Frauen
zu uns kommen und sich von uns schmücken lassen mit Seiden, Ketten,
Ringen und edlen Steinen, oder sich gar andere Süßigkeiten des Lebens
von uns reichen lassen, als etwa Zucker, Korinthen oder feines Gewürze;
sei es, daß uns hungrige Hofräte aufsuchen oder durstige Generäle,
die wir atzen mit Speise und Trank; sei es, daß wir gar eine Stelle
einnehmen, vermöge welcher wir Barone und Grafen bei der Nasenspitze
anfassen dürfen -- kurz, die Woche über sind wir etwas Besonderes.

Der Salon ist unser Bereich, auf glattem Parkett gleiten unsere
glänzenden Stiefeletten, und Gelocke wie etwaiger Bart sind stets
in so musterhafter Ordnung, daß wir jeden Augenblick in den
Auslagekasten des Friseurs gestellt werden könnten. Unsere Bewegungen
sind durchaus nobel, unsere Ausdrucksweise ist fein gebildet, unsere
ganze Erscheinung hochelegant. Alles Unfeine, Plumpe und Tölpelhafte
belächeln wir mit Recht, und am wenigsten wollen wir zu tun haben mit
»dummen Bauern«. Kommt aber der Sonntag, so werden wir selber -- ein
Bauer.

Denn das ist Mode. Ein Werktagsherr -- ein Sonntagsbauer. Am Werktag
geht der Bauer hinter dem Pflug oder handet mit der Mistgabel -- das
ist nichts für uns; aber am Sonntag hat der Bauer sein schönes Gewand
an, sitzt im Wirtshaus oder wandelt scherzend über Wiesen und Matten,
und für den Sonntag läßt er Gott sorgen.

Da mögen wir es schon mit ihm halten. Das Gewand will zwar nicht
immer passen, aber zum Glück gibt es Bauernanzüge für Stadtherren,
wattierte Kniehosen, Strümpfe, in denen die Waden schon drinstecken,
was sehr bequem ist. Der steife Lodenrock mit den Hirschhornknöpfen
hat seine Füllungen derart, daß das städtische Gerüstlein, welches
etwa hineinkommt, ganz respektabel gestellt ist. Noch läßt sich der
Sonntagsbauer die Sonne recht fest ins Gesicht scheinen, weil sie die
Stadtfarbe auszieht. Beim Gehen macht er verdammt große Schritte, hält
die Knie gebogen, setzt seinen Bergstock wütig auf den Boden, nebelt
aus einem Tabakspfeifentiegel, den er mit Schwamm und Stein in Brand
steckt, und ruft von Zeit zu Zeit: »A belei!« oder »Soackera!« und
ist nun überzeugt, daß ihn kein Mensch von einem wirklichen Bauern
unterscheiden kann. Nur der brettfeste Stehkragen und Manschetten mit
den Goldknöpfen retten ihn noch für die gebildete Welt.

Wo er auf dem Wege einem wirklichen Bauern begegnet, hebt er einen
Diskurs an über die Landwirtschaft. Da zeigt sich nun die Überlegenheit
des Sonntagsbauers gegen den Werktagsbauer. Diesem stehen die Haare
zu Berg, so viel und so gescheit spricht jener vom Feldbau, von
Waldwirtschaft und Viehzucht.

»Ja, ja, mein lieber Bauer,« sagt der Sonntagsbummler und klopft jenem
auf die Achsel, »das macht das Studium. Einer von uns muß doch mehr
verstehen als der andere. Wie heißet Ihr denn?«

»Jawohl,« antwortet der Bauer, »und einer von uns zweien ist ein Esel.
Ich bin der Höfelberger.«

Wo der Sonntagsbauer auf dem Wege einem Weibsbild begegnet, da hebt
er mit ihm ein Getue an, genau wie es in den Dorfgeschichten zu lesen
steht. Die Dorfgeschichtenschreiber jedoch sind Schäker und lassen gern
aufsitzen. Der Stadtherr wird gefoppt.

An seinem Lodenrock steifen sich nachgerade die Haare auf vor Ärger,
wie er gefoppt wird, aber der drinnen steckt, merkt es gar nicht.

Sitzt ein junger, im ganzen fürs Auge gar nicht übler Stadtherr in der
Sennhütte. Schon im vorhinein denken die Almer, als sie sein rotes
Buch, seinen Operngucker, seinen Kompaß und dergleichen sehen: Armer
Teufel, der schleppt seine ganze Gescheitheit, die unsereiner im Kopf
muß haben, in der Taschen mit sich. -- Der Herr hat zwar Bauerngewand
an, gibt sich aber so, daß die Almleute meinen sollten: Wer weiß, was
das für ein Herr ist! Auch Grafen und Fürsten steigen im Lodenrock um,
heutzutag. Alleweil wendet er sich so, daß seine goldene Uhrkette,
seine Brillantringe den Leuten in die Augen springen. Mit feiner Manier
hält er die Meerschaumspitze, in welcher eine duftende Zigarette
steckt, zwischen den Fingern, mit zarter Grazie ißt er etwelches von
Brot und Käse, so er sich vorsetzen ließ, spricht nicht viel, aber
mit würdevollem Nachdruck, läßt durchblicken von Pferden und Lakaien
und beginnt -- selbstverständlich in höchst nobler Weise -- mit den
Sennerinnen galant zu werden. Aber bei der vornehmen Darlegung seiner
Weltweisheit passiert ihm das Malheur, daß er Unsinn schwatzt, und
bei der Liebeswerbung, daß er anfangs fein gefrotzelt und hernach
ausgelacht wird.

Darüber ist unser Stadtherr nun etwas konsterniert.

Eine der Sennerinnen will ohnehin höflich sein und hält ihre Hand
vor das Gesicht, aber endlich ist der Lachdrang mächtiger als das
Anstandsgefühl, und sie platzt heraus und gibt der Katz' die Schuld,
die soviel ein spaßiges Vieh sei.

Die Katz' ist gar nicht da und muß eilends etwas Possierliches von ihr
zusammengelogen werden. Dem Salonbauer wird unheimlich. In ernsthaft
freundlicher Art benehmen sich die Almleute gegen ihn, weil er aber nun
doch ein gar zu verdutztes Gesicht macht, so ergötzen sie sich immer
mehr.

Ein alter Hirt ist dabei, der legt seinen Kopf so über die Achsel eines
anderen und sagt nicht ein Wort, aber man merkt's, er ist noch der
Boshafteste unter allen. Zum Glück für ihn kann unser Städter nicht
Gedanken und Mienen lesen.

Du, mein Leser, bist besser dran, schau' einmal auf das Bild »Der
Salontiroler«, und du weißt alles. Nicht ein einziges Wort brauche ich
dir mehr zu sagen.

Daß der feine Stadtherr allmählich aufsteht und kleinlaut davongeht,
kannst du dir denken. In seinen städtischen Kreis zurückgekehrt,
weiß er von pikanten Liebesabenteuern zu erzählen, wie das
»göttlich« gewesen sei in der Sennhütte, wie er dort eine ganze
Bauerngesellschaft, die sich um ihn versammelt, auf das Köstlichste
unterhalten habe. Gelacht sei worden, gelacht ....! Schon »gekugelt«
hätten sich die guten Leute vor Lachen!

~Warum~ so sehr gelacht worden ist, das sagt unser Sonntagsbauer aber
nicht. Weiß es vielleicht kaum -- ahnen mag er's wohl.

Da hat der Florian wieder einmal einen heraufgebracht zur Almhütte der
Gunde. Einen gar gelehrten Herrn, der gewißlich auf eigene Faust in
der Mineralogie und Botanik umgeht und nebenbei -- wie er sagt -- ein
bißchen »Ethnographie« treibt. In das letztere Fach gehört es auch,
wenn sich der Herr Professor jetzt an die Gunde wendet und seine Freude
ausdrückt über ihr prächtiges Aussehen. »Bedank' mich,« sagt sie und
denkt: es tät' sich schicken, daß ich ihm jetzt dasselbe sagen sollt',
dem zaundürren Schippel. Lassen wir's aber gut sein.

Ob sie wohl wisse, frägt er sie dann, daß auf ihrer Alm so prächtige
Exemplare des +Sempervivum Wulfenii+ vorkämen! Und zeigt ihr ein
Exemplar davon.

»Was will denn der Herr mit der Hauswurz?« frägt sie entgegen. »Fürs
Ohrenreißen ist sie gut, wenn Er's einmal hat. Die dicken Blätter
zerdrucken, den Saft einträufeln.«

»I wahrlich!« ruft er und lugt sie an, »leider habe ich seit der
Volksschule nicht mehr Ohrenreißen gehabt.« Er kann witzig sein.
Hierauf weist er ihr die buxbaumblätterige Kreuzblume, die er auch
gefunden hat. Er gedenkt sich durch die Blume allmählich in ihr Herz
zu schleichen. Vor der Wissenschaft wird sie doch Respekt haben. »Man
nennt diese Pflanze,« sagt er, »+Polygala Chamaebuxus+.«

»Kamel Buxus!« sagt sie, »das ist ja das Lappenkraut. Da wäre mir das
Blümel Herzlieb schon lieber.« Und lugt, wie sie da spricht, schalkhaft
auf den Florian hin.

»Und ein Tausendguldenkräutel dabei,« antwortet der Bursche. »Kein
übles Sträußel.«

Der Gelehrte kommt hierauf mit einer +Campanula+.

»Das ist die Zwiderwurzen!« lacht die Gunde auf.

»Nein, mein liebes Kind,« antwortet der poetisch werdende Stadtherr,
»das ist die Glockenblume, die läutet den Frühling ein.«

»Schön von ihr,« sagt die Sennerin und schmunzelt gegen den Florian
hin, der sich auf die Wandbank gesetzt und seine Pfeife angeraucht hat,
als ob sie ihn mit den Augen fragen wollte: Was hast mir denn heut'
wieder heraufgebracht?

»Das Schönste aber habe ich da drinnen,« flüstert der Gelehrte und tut
ein Büchschen hervor, »das will ich -- wie heißt du doch, mein Kind?«

Sie trällert:

  »Marei und Kathrin,
  Und der Zinner macht Zinn,
  Und der Schuster macht Schuh'
  Wann's dich g'freut, so frag' zu!«

Er droht ihr schäkernd mit dem Finger. Daß sie ihn neckt, er hält es
für ein gutes Zeichen.

»Also Marei und Kathrin,« sagt er, »was ich da drinnen hab', das will
ich dir schenken. Zum Angedenken. Es ist das hier seltene +Cerastium
uniflorum+.«

»Ih mag dih nit!« ruft sie aus.

»Wie meinst du?« frägt er.

»Ih -- mag -- dih -- nit -- Kräutel heißt's bei uns,« ist ihre Antwort.

Jetzt schwant ihm beiläufig, er dürfte hier überflüssig sein. Wohl
erbittet er sich Milch und Käse, was ihm auch nicht versagt wird --
denn schließlich ist er doch als ein armer Reisender anzusehen. Er
zieht es vor, den Imbiß draußen im Freien einzunehmen, und als er damit
fertig ist, schreibt er in sein Notizbuch folgende Zeilen:

»Die Flora ist in diesem Gebirge höchst mannigfaltig, nur zu beklagen
der Indifferentismus der Bevölkerung, welche noch tief in der Nacht des
Aberglaubens steckt. Mir ist eine Person vorgekommen, welche die Namen
einzelner Pflanzen kurzweg fälschte und die lieblichen Kinder Floras
mit geradezu barbarischen Ausdrücken belegte. Wie arg durch Duldung
solcher Zustände der Verdummung des Volkes Vorschub geleistet wird,
brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Es wäre Sache der Volksbildner
sowohl wie der löblichen Alpenvereine, in den Bauernhäusern und
Alpenhütten Tafeln mit den Abbildungen der in der Gegend vorkommenden
Gestein- und Pflanzenarten und deren wissenschaftlichen Namen aufhängen
zu lassen.«

»Ja, ja, wenn erst die Kühe lateinisch können!« lacht hinter ihm
plötzlich die ungezogene Sennerin auf. Da frägt der Herr, was der Imbiß
koste, tut sein Kupfernes auf das Tischbrett und geht kopfschüttelnd
seinen Weg.




                            Der Sim-Sampel.


Der Sim-Sampel! Er besaß einen großen Bauernhof und alles was
dazugehört und sonst noch mancherlei Haupt- und Nebensächliches.
Unter letzterem war auch sein Weib, eine kleine, dicke Person, die
außer ihrer Hühnerzucht sich um weiteres nicht kümmerte. Sie mästete,
fütterte und pappelte alle Tierlein selber und hatte es sogar mit
einer Brutmaschine probiert. Diese warf sie wieder weg, Hahn und
Henne, meinte sie, machen es in herkömmlicher Weise besser. An
fünfhundert »Henndln« verkaufte sie manches Jahr und zehnmal so viel
Eier. Besonders im Monat März ging ihre Körbelträgerin ununterbrochen
zwischen dem Sim-Sampelhof und dem Mürztale hin und her. Was die
Mürztaler für Eiermarder sind -- man glaubt's nicht. Der Sim-Sampel
selber war aber auch einer. Zum Frühkaffee und »Schunken« zwei
lehngekochte Eier, vormittags zum Milchbrot zwei Eier, nachmittags drei
Eier in Schmalz, abends nach dem Nachtmahl auch noch ein paar. Eier
kann der Mensch nie genug essen, war seine Meinung, Eier hat die Kirche
sogar an den Fasttagen erlaubt, daraus die Unentbehrlichkeit dieser
Nahrung genugsam erhellt.

Nachdem der Sim-Sampel etwa so an seine hunderttausend Eier verzehrt
hatte, wurde er krank. Zuerst der nächstbeste Arzt, aber der machte es
mit seinem Pulver nur noch schlechter. Eilends der Wagen um den Doktor
nach Bruck; der erschien nur, so ward es schon besser, denn er kam
gerade zu rechter Zeit. Dann aber blieb es wochen- und monatelang übel,
der Sim war nicht krank und nicht gesund. In seinen Körper kam so eine
gewisse Schwammigkeit und der Arzt fürchtete eine Herzverfettung. Doch
tat dieser Brucker Doktor alleweil nichts, als Lebensweise verordnen,
bis der erboste Bauer endlich die flache Hand auf den Tisch schlug
und sagte: »Ja, mein lieber Herr, was ist's denn mit uns zweien? Zum
guten Rat geben kann ich alte Weiber haben, so viel als der Will. Ein
Doktor, der keine Medizin hat, ist bei mir kein Doktor! Jetzt serb'
(kränkle) ich schon seit Michaeli, wir haben Weihnachten und ich hab'
noch keine ordentliche Medizinflaschen gesehen. Für was verdoktert
einer denn sein gutes Geld, wenn er nichts zum Einnehmen kriegt?« --
Weiter sprechen wollte er, war aber schon heiser. Der Doktor war noch
ein junger, unerfahrener Mann, er sagte also: »Einnehmen wollen Sie?
Aber Sie nehmen ohnehin zu viel ein, lieber Sim-Sampel! Nicht so viel
Schmalzkoch und Eierschmarrn essen und nicht so viel pipperln! Des
Abends früh schlafen gehen, des Morgens früh aufstehen. Fleißig Zimmer
lüften. Den Körper hübsch reinlich halten, mit kaltem Wasser waschen,
Bewegung machen --«

»Jesses Maron!« unterbrach ihn der Bauer, »wenn ich das alles tun will,
nachher brauch' keinen Doktor!«

»Brauchen auch keinen«, sagte der Arzt ruhig.

»Aber Mensch, ich will eine Medizin haben, die mich gesund macht. Das
ist der Medizin ihre Schuldigkeit, und da wird man doch nicht erst neue
Bräuch' einführen müssen. Und der Herr Doktor tut mir einen Gefallen,
wenn er gleich sagt, was ich schuldig bin für sein Hergehen, was
freilich für die Katz ist gewesen.« Weil es ihm den Atem verschlug,
so gurgelte er nur noch für sich hin: »Ist mir auch noch mein Lebtag
nit vorgekommen, drei Monat krank sein, einen Doktor haben und keine
Medizin kriegen. Nit einen Fingerhut voll Medizin. Wie soll der Mensch
da gesund werden!«

Am nächsten Tage stand der Tisch neben seinem Bette voller Flaschen.
Große Flaschen mit bräunlichem Inhalt zum Einnehmen, alle Stund' einen
Eßlöffel voll; in kleinen Fläschchen Tropfen auf Zucker zu nehmen;
in anderen Fläschlein Tropfen zum Einreiben; in Tiegeln Salben zum
Schmieren; in Rollen Plaster zum Auflegen. Auch ein Topf mit Igeln
war da, diese Tiere sollten die Krankheit herauszuzeln. -- Das war
aber nicht vom Brucker Doktor, das war von der Krautgruben-Liesel in
Allischbach. Und das war was anderes! Schon am ersten Tage lebte der
Sim auf. Später kamen freilich wieder die alten Übel und manchmal
schlimmer als vorher, aber das war die schlechte Jahreszeit. Er aß nun
nicht mehr so viel Schmalznudeln und Schweinfleisch, denn die Medizinen
hatten seinen Magen so gründlich kuriert, daß er gar keine Eßlust mehr
verspürte.

Weiter sage ich nichts von ihm. Leben wird er kaum mehr.




                       Schalkhafte Bettelleute.


»Junger Bauer, alter Bettler« rief jener Knecht auf dem Wege nach der
Fabrik in den Hof zurück.

»Hol' dich der ...!« schrie der Bauer und warf ihm den Dreschflegel
nach, aber so, daß er nicht traf. Der Knecht hat eigentlich recht,
dachte der Bauer, ich wollt' auch davonlaufen, wenn's sein kunnt.

Wird es schon bei den Hausbesitzern oft wahr: Junger Bauer, alter
Bettler! bei den Dienstboten stimmt es fast immer. Werden sie alt
oder sonst arbeitsunfähig, so kommen sie in die Einlege, das heißt,
sie werden behördlich der Gemeinde »eingelegt« und von dieser in den
Gehöften abwechslungsweise verpflegt. Das ist aber eine gebundene
Marschroute und platzweise ein erzwungener Aufenthalt, der manchem
Armen nicht behagen will. Dann tut er etwas, das wir eine Urlaubsreise
oder eine Ferienwanderung nennen könnten -- er nimmt seinen Buckelkorb
und seinen Stecken und geht einmal ein wenig in die Fremde. Dort hat er
»bissel was zu tun«. Er tut's auf eigene Faust, nach eigener Wahl der
Gegend und der Häuser, bei denen er zuspricht. Das ist unterhaltlicher,
man lernt dabei Land und Leute kennen, hat Abwechslung im Essen, an
Herberge und sammelt sich einen kleinen Vorrat an Fleisch, Speck, Mehl,
Schmalz, von jedem etwas, um daran -- in die Einlege zurückgekehrt
-- sich heimlicherweise einen Leckerbissen zu gönnen. Es ist schon
geschehen, daß so ein armer Einleger seinen Hausbesitzer eingeladen
hat, mitzuhalten, gemeinsam solche gesammelte Kostbarkeiten zu
verzehren, und daß der Besitzer als Gast des Bettlers ein besseres
Mahl genoß, denn der Bettler als Gast des Bauers. Das Störende bei
solchen »Ferienwanderungen« sind die Gendarmen. Weil der Staat die
Armen nicht abbringen kann, will er die Bettler abbringen. Aber der
Gendarm, der so einen Vagabunden anhält, wird nicht immer sehr ernst
genommen, so martialisch derb er auch nach dem Wanderbuche fragt.

»'s Wanderbuch? Was für ein Wanderbuch?« tut der Bettler mit
einfältiger Miene zurück. »Ah, ja so, 's Büchel wöll'n S' haben. Ich
bitt', gleich, gleich. Da ist's ja schon. Oha, das ist ein Stück
Brot. Hat mir die Grübelschusterin geschenkt. Ein braves Leutel, die
Grübelschusterin.«

»Das Wanderbuch will ich sehen!«

»Aber ja, Herr Justizrat!« Er sucht in seinem zerfahrenen Rocke, in
allen Säcken umher. »Werden's ja gleich haben. Wenn der Mensch so viel
Säckel hat! Da ist's ja. Noch nit? Der Teuxel, jetzt hab' ich wieder 's
Betbüchel derwischt.«

»Betbüchel? Zeigen Sie her! Das sind ja Spielkarten!«

»Richtig, Herr Standar, das sind Spielkarten. Geh'n S', sein S' gut.
Setzen wir uns zusamm' da im Schatten, machen wir ein Bot (Spiel)
miteinand'.«

»Ich will das Wanderbuch sehen!«

»So muß es im Leibelsack sein, das narrische Büchel!« Der Bettler
greift in die innere Westentasche, und zwar so tief, daß unten die
Finger hervorgucken, macht ein verdutztes Gesicht, tut einen Pfiff und
sagt langsam: »Ah, das ist jetzt gut. Der Leibelsack hat ein Loch.«

Die Reise wird unterbrochen. -- Doch diese Fälle sind im Gebirge
selten. Weit abseits steht die Warnungstafel: »Das Betteln ist
verboten!« Aber das Leutheimsuchen wird doch erlaubt sein! Und wenn
einer dem andern was schenken will, das wird wohl auch keine Todsünde
sein. Also die Bahn wäre frei, nur die Häuser und Herzen sind nicht
immer offen. Die muß der Sammler zu öffnen verstehen, und auch hierin
macht Übung den Meister. Er ist kein Bettler, so will er nicht genannt
sein, er ist nur Sammler, der für »den kalten Winter a bissel was
sammeln tut bei den lieben, seelenguten Hausmutterln in Berg und Tal«.

Wie der Alte dann, gebückt unter dem Rückkorb, in dem er seine
Habseligkeit trägt, mit dem Stecken vorsichtig tastend, daß er von der
Vorkammer in die dunkelnde Küche nicht über die Schwelle stolpere,
wie er so ins Haus tritt, da ruft er laut: »Gelobt sei Jesu Christi!
A bissel abrasten, Mutterl, wenn ich tat dürfen, mit Verlaub. Hab'
just eure Wuzerln und Zarterln gesehen, da draußen; saubere Kinder
habt's, Bäuerin, so viel saubere Kinder! Allemal han ih Freud', wenn
ih eure Kinder tu sehen. Frisch wie neuback'ne Wecken und wolter brav
gezüchtet. A Freud', solche Kinder!« Das sagt er mit metsüßer Stimme
und zieht sein Gesicht in ein liebliches Viereck auseinander, obschon
es gerade dieselben Rangen sind, die ihn vorher hinter dem Wäldchen
drüben mit Spottgeschrei gehetzt, auf ihn losspringend und von seiner
Jacke den Schößel losgerissen haben. Wenn er mit diesem losgetrennten
Lappen in den Hof gekommen wäre, murrend: Jetzt heft' ihn mir nur
wieder an, Bäurin, deine Kinder haben's tan, die Lausbuben!« so wäre
ihre Antwort gewesen: »Werd' dir gleich anheften zeigen, Lotterer,
du alter! Schau, daß du weiter kommst; von so einem Landstreicher
lass' ich meine Kinder nicht schimpfen. Soll ich dir hinaushelfen
beim Loch?« und die entsprechende Geste mit der Ofengabel dazu. Die
»sauberen, frischen, wohlgezüchteten Kinder« hingegen, mit denen er
»allerweil a Freud hat«, bringen ihm ein Stück Speck ein und die
freundliche Erlaubnis, sich auszurasten auf der Bank und zu warten,
bis die Rahmsuppe fertig gekocht ist. Deshalb hat der Alte die süße
Sanftmut gewählt; das ist die Waffe der Armen und Schwachen. Wollten
sie den Weg des Rechtes betreten, so würden sie immer noch tiefer ins
Unrecht gesetzt werden, und wenn bei solchen Leuten das Maß des Elends
einmal voll ist, dann nehmen sie alles nur für »Spaß«, auch wenn sie
geschlagen und getreten werden; sie machen ihr viereckiges Gesicht
dazu, was nach außen hin wie ein gutmütiges Lächeln spielen soll -- wie
ihnen inwendig ist, das verdecken die Spinnweben.

Viel schlauer als der Bettelmann macht es das Bettelweib. Es verachtet
das grobe, durchsichtige Gewebe der Schmeichelei, es spinnt feiner.
Anstatt die Kinder des Hauses gerade zu loben, weiß es denen der
Nachbarn allerhand Zweifelhaftes nachzusagen, und das erweckt in der
Bäuerin erst ein rechtes Behagen. Nachbarsleute durchhecheln, das
kommt mancher Hausmutter so unterhaltsam vor, daß sie dem Bettelweibe
recht gern Unterschlupf gewährt, um ihm Gelegenheit zu geben, einmal
Wasch- und Flicktag zu halten. Und wenn dabei das Bettelweib von
einer Nachbarsbäuerin weiß, die schmutzig und geizig ist, stellt die
Hausmutter zum Wasch- und Flicktage noch lieber Seife und Zwirn bei.

Andere Bettelleute zeigen sich gern gefällig und trachten, sich
nützlich zu machen. Sie bringen Waldbeeren mit für die Kinder, Pilze
für die Bäuerin oder Reisig für Hausbesen oder Zunderschwamm, um
Herdfeuer zu machen, wenn etwa einmal das Feuerzeug versagen sollte.
Sie schnitzen dem Halterbübel Peitschenstecken oder Rohrpfeifen, machen
sich anheischig zum Kinderwiegen, was allemal ein Zeichen ist, daß
sie in demselben Hause gern ein paar Tage Rast halten möchten, etwa
über Sonn- und Feiertag oder gar, wenn ein häusliches Fest bevorsteht,
bei dem köstliche Abfälle zu verhoffen sind. Da hat denn manche
Bäuerin ihre liebe Not, solche Bettler unter allerhand Ratschlägen und
Redensarten fortzubringen. »Ich denk', Leutl, du gehst zum Nachbar,
dort hast es ruhiger. Bei uns weiß ich dir keine Liegerstatt und die
Knecht' sind immer einmal auch so viel grob auf ein armes Leut. Gelt,
du tust am allergescheitesten, du nimmst dein Körbel auf den Buckel und
gehst um ein Häusel weiter. Aufs Jahr nachher komm' halt wieder einmal,
wenn wir 's Leben haben.«

Da weiß es sich aber manches »arme Leut« so einzurichten, daß sie es
nicht fortlassen wollen. Und gibt's abgefeimte Schlaucherln, die es
im »Bauernablausen« zu einer glänzenden Fertigkeit gebracht haben.
Lebte vor Jahren in der Oststeiermark ein alter Bettler. Man sah ihn
jahraus, jahrein in einer blauen »Kommißhose.« Er war, wie er gern
dartat ein Wiener Soldatenkind und selbst lange beim Militär gewesen,
hatte die Revolution niederwerfen, die Ungarn bändigen helfen und war
in den Jahren Neunundfünfzig und Sechsundsechzig dabei gewesen, die
Katzelmacher (Italiener) aus Österreich hinauszujagen. »Alsdann, weil
die Wälischen sich alleweil an Haus Österreich angeklettet haben, aber
Haus Österreich hat gesagt: Ich mag euch nit, denn weil ich eh mit
meine Leut' genug zu tun hab'. Zwei blutige Feldzüg' hat's kost', bis
wir sie los'kriegt haben.« Und wenn der Kommißblaue dann von seinen
persönlichen Leistungen erzählte! Bei der Wiener Revolution habe er den
Kaiser Ferdinand gerettet, durch die Flucht in einen unterirdischen
Gang, der nur ihm allein bekannt gewesen. In Ungarn habe er, der
Doktor Kossuth und der Vater Radetzky den Räubern die ungarische
Königskrone weggenommen; nachher hätte sie der Kossuth haben wollen und
der Radetzky auch; sie wären raufend worden, wenn er sich nicht ins
Mittel gelegt und entschieden hätte: Um die Kron' wird nit gerauft, die
gehört dem Kaiser König! In Italien habe er es mit dem roten Garibaldi
zu tun bekommen. Der habe nämlich den General Radetzky aufgefordert
zu einem Buckelringen (Ringkampf); für den betagten General wollte
er einspringen, da sei der Rote davongelaufen. -- Derlei erzählte
der alte Soldat mit martialisch finsterem Gesichte den verwunderten
Bauersleuten, die ihn darob mit allem Respekt zu ihrem Tische luden.
Einmal hatte ihn aber doch ein Hausvater gefragt, wie es denn komme,
daß er trotz seiner Heldentaten betteln gehe.

»Ja, das glaub' ich, daß du fragst!« rief der Alte. »Majestät haben
mich eh zum Grafen machen wollen, aber ich hab' höflich gedankt für
den Titel ohne Mittel. Den Freiherrn hab' ich mir ausgebeten und daß
ich in ganz Österreich frei herumgehen und meine Sach' einheben darf.
Den Frei- und Schirmbrief, wer ihn sehen will!« Er zeigte das stark
abgegriffene Papierstück, den »Abschiederbrief«, mit Stolz und rühmte
sich des Rechtes, in ganz Österreich seine Sach' einheben, das heißt
betteln zu dürfen. Überall wäre er gut aufgehoben, aber am liebsten
gehe er doch ins schöne Steirerlandl zu den braven Bauern ... Man
kann sich denken, daß der Mann keine Not litt, daß er in den meisten
Höfen gern gesehen wurde. Wo es ihm gerade gefiel, blieb er tagelang
und wenn Gefahr war, fortgeschickt zu werden, dann erzählte er an den
Abenden Ritter-, Räuber- und Hexengeschichten in Fortsetzungen, allemal
abbrechend dort, wo sie am spannendsten waren, ein Verfahren, das seit
Scheherazade auch die Zeitungen unter dem Strich mit Erfolg anwenden.

Also war dieser Fabelhans auch in meinem Vaterhause einmal stark
überflüssig geworden nach tagelangem Aufenthalte und meine Mutter, die
sonst nicht leicht hart wurde gegen Arme, geriet über den Schwätzer
einmal in Zorn und rief: »Morgen, wenn er nit selber geht, schmeiß
ich ihn hinaus!« Das hat ihr aber nichts geholfen. An demselben
Abend begann er die Geschichte vom Robinson oder wie der Mann sagte:
»Robelsum«, und gerade als dieser nach schrecklichem Schiffbruche
sich auf die wüste Insel retten will, sagte der Erzähler: »Leut',
es ist Zeit zum Schlafengehen. Morgen tun mer weiter.« Am nächsten
Morgen legten wir Kinder bei der Mutter glühende Fürbitte ein, den
Geschichtenerzähler nicht fortzuschicken, wie konnte man jetzt den
armen Robelsum allein lassen auf dem schrecklichen Meere! Am letzten
Tage versuchte er aber noch eine Erpressung. »Heut wirst mir wohl einen
feisten Brennsterz müssen kochen, Bäuerin,« sagte er, »wenn ich den
Robelsum wieder glücklich soll heimbringen zu seinen Eltern.«

Für uns Kinder war dieser Alte, wir nannten ihn den
»Geschichtenbettler«, ein helles Entzücken gewesen. Er kam jedes Jahr
ein paarmal und blieb, besonders im Winter, allemal mehrere Tage lang.
Plötzlich blieb er aus und kam nicht wieder. Da vermutete unser Knecht
Markus, der Kaiser würde ihn in den Grafenstand erhoben und ihm dazu
ein »Gschloß« geschenkt haben. --

Viel schlichter als dieses Wiener Soldatenkind, oder wenn man will
noch vornehmer, gab sich ein anderer Bettelmann. Das war der Paulus.
Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Gewand, Stock und Bart wie der
Apostel Paulus auf der Kirchenwand zu tragen, und seine ehrwürdige
Wesenheit wurde noch erhöht durch einen weihevollen Spruch, den er vor
jeder Haustür mit heller, halb singender Stimme auszurufen pflegte.
Ungefähr hat das so gelautet: »Paßt auf mit Fleiß, ihr Christenleut',
und hört und hört: Es kommt ein frommer Bote daher, er ist von Jesu
Christ geschickt, hat einen Sack voll Unglück und einen Sack voll
Glück. Weil der Herr halt selber nit kommen kann, so schickt er her
mich armen Mann; und was ihr den lieben Armen tut, das kommt dem Jesu
Christ zugut. Gesundheit ins Haus und Krankheit hinaus, Unglück hinaus
und Glück herein, und Leut' und Vieh sollen gesegnet sein. Gelobt sei
die heilige Dreifaltigkeit!«

Es ging die Rede, mit diesem kräftigen Türspruche habe der Mann sich
einen Strumpf voll Mariatheresientaler zusammengesungen. Dieser
Wirkung wegen hatten andere Bettler ihm den Spruch abgelernt und sangen
ihn ebenfalls vor den Haustüren, aber die Bauern hielten zu Paulus fest
wie die Korinther und sagten: »Wenn's der Paulus nit ist, so soll er's
Maul halten!«

Noch übertrumpft wurde der Paulus durch den »Bettler-Hiesel«. Das war
ein hagerer gebückter Greis, der zur Zeit meiner Jugend in unseren
Bergen umherstieg; wir sind ihm schon in der »Waldheimat« begegnet.
Sein langes Gesicht hatte immer graue Bartstoppeln; seine blutlosen
Lippen, seine lange, dünne Nase, vollends sein blödes, glanzloses Auge
hatte etwas Leichenartiges; anstatt des Hutes trug er eine schwarze
Zipfelmütze, deren Quaste immer das kleine Köpflein umbaumelte. Der
Mann war nicht in der Gegend zuständig, sondern aus einem fremden Tale.
Unser Ortsrichter hatte sich jahrelang vorgenommen, den Bettler-Hiesel
abzuschaffen, aber so oft dieser vor seine Tür geschliffelt kam,
fehlte dem Richter der Mut dazu. Es war bedenklich. Der alte Bettler
pflegte sich vor die Haustür zu stellen, sein grauleinenes Bündel zur
Erde zu setzen, es aufzuschnüren und zu warten, was da kommen würde.
Man konnte also gar nicht einmal sagen, daß er bettle, ganz starr
und stumm stand er da, manchmal stundenlang, grüßte nicht und bat um
nichts, sondern wartete. Bäuerinnen, die ihn kannten, ließen ihn allzu
lange nicht warten, kamen mit Speck oder Butter oder einer anderen
Naturaliengabe und legten sie auf das Bündel. Der Alte packte die
Sache gelassen ein, schnürte zu, dann trat er in die Tür und hub mit
dumpfer, halblallender Stimme langsam und eintönig an, so zu sprechen:
»Vergelt's Gott, Bäurin! Hundertmal vergelt's Gott, Bäurin! Glück in
dein Haus und Stall, über Kinderln und Kälberln all. Vergelt's Gott,
Bäurin! Deine arme Seel' soll in den Himmel fahren. Deine Vater und
Mutter in den Himmel fahren. Deine Blutsfreund in den Himmel fahren.
Vergelt's Gott, Bäurin! Der Erzengel Michael soll dein Kutscher sein.
Der Erzengel Gabriel dein Diener sein. Im ersten Himmel ist dein
Bräutger. Im zweiten Himmel ist dein Hochzeitsmahl. Im dritten Himmel
wird dein Eh'bett sein. Gott Vater krönt dich. Gott Sohn halst dich.
Gott heiliger Geist ist dein Freund in Ewigkeit, Amen. Vergelt's Gott
Bäurin!«

Dann wendete er sich, hob das Bündel auf, steckte die Arme in die
Bänder und siffelte langsam davon. Sein Gesicht blieb starr, ohne
Schatten von Freude, wäre die Gabe auch groß gewesen.

Dieser Bettelspruch wirkte, besonders auf den, der ihn von diesem
Manne das erstemal gehört, ganz unheimlich. Aber der Bettler-Hiesel
hatte einen noch kräftigeren, der übrigens selten zur Anwendung
kam, denn darauf ließen es die Leute nicht ankommen. Das »in die
Höll' hinabbeten«, das fürchteten alle. Wenn er nämlich stundenlang
vergeblich vor einer Tür gestanden war oder gar, wenn ihn übermütige
Buben neckten oder spotteten, dann stellte er sich ebenso auf die
Schwelle und begann leise und langsam mit derselben dumpfen Stimme
eintönig und feierlich also zu beten: »Vergelt's Gott! Vergelt's
Gott den harten Herzen! Der Himmel Herrgott verflucht das Haus. Er
wird es sengen. Er wird es brennen. Er wird die Leut' in die Höll'
hinabdrängen. In die erste Höll'. Vergelt's Gott! In die zweite Höll'!
In die dritte Höll'! Ganz hinab in die neunte Höll'! In die feurige
Pein! Vergelt's Gott den harten Herzen! Vergelt's Gott in aller Zeit
und Ewigkeit, Amen!« Dann ging er ebenso ruhig und gelassen davon und
sein schmales Gesicht blieb starr, ohne Spur von Zorn oder Groll.
Niemandem tat dieser Greis etwas Übles, ja er war so kraftlos und
siech, daß er bei jeder lebhaften Bewegung vor allem selber umgefallen
wäre, und doch gab es in der ganzen Gegend keinen gefürchteteren
Menschen, als den Bettler-Hiesel. Und auch kaum einen lieber Gesehenen
bei jungen Bäuerinnen und alten Jungfrauen, die ihm etwas schenkten und
die er bis in den dritten Himmel hinaufbetete, wo das Ehebett steht.

So hat jeder von ihnen und mancher von uns, wenn er betteln geht, seine
besondere Gebärde und sein besonderes Sprüchlein. Es ließe sich noch
manches darüber reden und erzählen.

Der großartigste Bettler, der mir je begegnet, war ein baumstarker,
lustiger Landstreicher, der mich vor kurzem auf der Straße um eine
»gute Gabe« anging. Ich natürlich war sofort mit meinem guten Rate da,
er sei jung und kräftig, er solle arbeiten.

»Arbeiten? Pfui!« Mit wahrer Verachtung ins Gesicht lachte er mir
diese Worte und setzte dann gutmütig belehrend bei: »Wie Sie mir so
etwas zumuten mögen, lieber Herr! Arbeiten! Sie wissen doch, daß
arbeiten eine Strafe ist. Eine entehrende Strafe, mein Herr! Für die
erste Sünde. Im Schweiße deines Angesichts und so weiter. Mich geht
das nichts an, bin bei der ersten Sünde nicht dabei gewesen. Bin noch
unbestraft.«

Ich, als lebenslänglicher Galeerensträfling der Arbeit, wie kläglich
stand ich da vor dem, der noch »unbestraft« war, das heißt, sein Lebtag
noch nichts gearbeitet hatte, sondern frisch und frei sich durch die
Welt bettelte -- stolz, ein hoher Herr.




                                  Von

                            Peter Rosegger

                 erschien zuletzt im gleichen Verlage:


                         Frohe Vergangenheiten

                          Launige Geschichten

                         Mit einem Vorwort von

                         Hans Ludwig Rosegger

                              15. Tausend

                                  *

»Der Titel trifft auf die Erzählungen, die, ernst und heiter vermischt,
~das schalkhafte Gesicht des Waldschulmeisters fleckenlos spiegeln~,
absolut zu. ~Es ist echtester Rosegger~: Waldweisheit, die allerhand
reizvolle Patina angesetzt hat und dennoch nicht nur ehrwürdig, sondern
lebendig wie jedes Wort ist, das Rosegger je geschrieben hat. --
~Ganz ungewöhnlich lesenswert aber und als menschliches Dokument so
ziemlich alles, was in den letzten Jahren auf dem Büchermarkt erschien,
überragend, ist die dem Bande vorangesetzte »Lebns-Beschreibung«.~
Die Orthographie ist die des fünfzehnjährigen Bauernbuben, aber das,
was der »Autor« mit früherwachter Selbstkritik »keine interesande
Geschichte« nennt, ist nicht literarische Kuriosität, sondern in seiner
Wahrhaftigkeit und in der Hilflosigkeit des von allen ersehnten Quellen
des Wissens ausgesperrten Bauernbuben ~rührend und erschütternd.
Alle Schulorthographie ist, gegen dieses erste Stammeln eines großen
Menschen gehalten, Makulatur.~«

                               Karl Marilaun im »Neuen Wiener Journal«.




*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GESCHICHTEN AUS STEIERMARK ***


    

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