Als ich noch der Waldbauernbub war. 2. Band.

By Peter Rosegger

The Project Gutenberg eBook of Als ich noch der Waldbauernbub war. 2. Band.
    
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Title: Als ich noch der Waldbauernbub war. 2. Band.

Author: Peter Rosegger

Release date: March 9, 2025 [eBook #75569]

Language: German

Original publication: Leipzig: Verlag von L. Staackmann, 1905

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALS ICH NOCH DER WALDBAUERNBUB WAR. 2. BAND. ***



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                            [Illustration]




                          Als ich noch der

                          Waldbauernbub war.


                         Von =Peter Rosegger=.




                       Für die Jugend ausgewählt
                      aus den Schriften Roseggers
                vom Hamburger Jugendschriftenausschuß.


         Sechsundvierzigstes bis siebenundfünfzigstes Tausend.


                            [Illustration]


                               Leipzig,

                       Verlag von L. Staackmann.

                                 1905.




                       Alle Rechte vorbehalten.




                                Inhalt.


                                                                  Seite

   1. In der Christnacht                                              1

   2. Was bei den Sternen war                                        23

   3. Auf der Wacht                                                  30

   4. Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem
      Maischel heimkam                                               39

   5. Als ich das Ofenhückerl war                                    54

   6. Als ich um Hasenöl geschickt wurde                             64

   7. Als ich mir die Welt am Himmel baute                           76

   8. Von meiner Mutter                                              88


  Nr. 1, 2, 3, 7 sind dem Buche »Waldheimat I«

  Nr.  8 ist dem Buche »Waldheimat II«

  Nr.  4 ist dem Buche »Neue Waldgeschichten«

  Nr  5, 6 sind dem Buche »Als ich jung noch war«
  entnommen.




Außerdem erschien noch:

                  Als ich noch der Waldbauernbub war

                         I. Teil u. III. Teil.

                                  Von

                            Peter Rosegger.

   Für die Jugend ausgewählt vom Hamburger Jugendschriftenausschuß.

                       Elegant kartoniert 70 Pf.

                 Elegant und dauerhaft gebunden 90 Pf.


Inhalt des I. Teiles:

     Vom Urgroßvater, der auf der Tanne saß. -- Ums Vaterwort. --
     Allerlei Spielzeug. -- Wie der Meisensepp gestorben ist. --
     Wie ich dem ieben Herrgott mein Sonntagsjöppl schenkte.
     -- Wie das Zicklein starb. -- 364 und eine Nacht. -- Als
     ich Bettelbub gewesen. -- Als ich zur Drachenbinderin ritt.
     -- Als dem kleinen Maxel sein Haus niederbrannte. -- Als
     ich das erste Mal auf dem Dampfwagen saß. -- Als ich ... --.


Inhalt des III. Teiles:

     Als ich Christtagsfreude holen ging. -- Das Schläfchen auf dem
     Semmering. -- Als ich nach Emaus zog. -- Am Tage, da die Ahne fort
     war. -- Der Fronleichnamsaltar. -- Weg nach Maria Zell. -- Als ich
     der Müller war. -- Als ich den Himmlischen Altäre gebaut. -- Als
     ich im Walde beim Käthele war. -- Als die hellen Nächte waren.
     -- Aus der Eisenhämmerzeit. -- Als ich zum Pfluge kam.


                            [Illustration]




                          In der Christnacht.


In unserer Stube, an der mit grauem Lehm übertünchten Ofenmauer, stand
jahraus, jahrein ein Schemel aus Eichenholz. Er war immer glatt und
rein gescheuert, denn er wurde, wie die anderen Stubengeräte, jeden
Samstag mit feinem Bachsande und einem Strohwisch abgerieben. In der
Zeit des Frühlings, des Sommers und des Herbstes stand dieser Schemel
leer und einsam in seinem Winkel, nur an jedem Tag zur Abendzeit
zog ihn die Ahne etwas weiter hervor, kniete auf denselben hin und
verrichtete ihr Abendgebet. Auch an den Samstagen, wenn der Vater an
dem Tisch die Feierabendandacht vorbetete, kniete die Ahne auf dem
Schemel.

Als aber der Spätherbst kam mit den langen Abenden, an welchen die
Knechte in der Stube aus Kienscheiten Leuchtspäne schnitzten und die
Mägde, sowie auch meine Mutter und Ahne Wolle und Flachs spannen, und
als die Adventszeit kam, in welcher an solchen Span- und Spinnabenden
alte Märchen erzählt und geistliche Lieder gesungen wurden, da saß ich
beständig auf dem Schemel am Ofen.

Ich hörte von da aus den Geschichten und Gesängen zu, und wenn solche
schauerlich wurden und sich meine kleine Seele aufzuregen und zu
fürchten begann, rückte ich den Schemel näher der Mutter und begann
mich ängstlich an ihr Kleid zu halten, und ich konnte gar nicht mehr
begreifen, wie die andern über mich oder über ihre schrecklichen
Geschichten noch zu lachen vermochten. Zuletzt als es zum Schlafengehen
kam und mir die Mutter mein Ladbettchen hervorzog, wollte ich schon
gar nicht mehr allein in das Bett gehen, und es mußte die Ahne neben
mir liegen, bis die fürchterlichen Bilder in mir vergingen und ich
einschlief.

Aber die langen Adventsnächte waren bei uns immer sehr kurz. Bald nach
zwei Uhr begann es im Hause unruhig zu werden. Oben auf dem Dachboden
hörte man die Knechte, wie sie sich ankleideten und umhergingen, und in
der Küche brachen die Mägde Späne ab und schürten am Herde. Dann gingen
sie alle auf die Tenne zum Dreschen.

Auch die Mutter war aufgestanden und hatte in der Stube Licht gemacht;
bald darauf erhob sich der Vater, und sie zogen Kleider an, die nicht
ganz für den Werktag und auch nicht ganz für den Feiertag waren. Dann
sprach die Mutter zur Ahne, die im Bette lag, einige Worte, und wenn
ich, erweckt durch die Unruhe, auch irgend eine Bemerkung that, so gab
sie mir bloß zur Antwort: »Sei Du nur schön still und schlaf!« -- Dann
zündeten meine Eltern eine Laterne an, löschten das Licht in der Stube
aus und gingen aus dem Hause. Ich hörte noch die äußere Thür gehen,
und ich sah an den Fenstern den Lichtschimmer vorüberflimmern, und ich
hörte das Ächzen der Tritte im Schnee, und ich hörte noch das Rasseln
des Kettenhundes. -- Dann wurde es wieder ruhig, nur war das dumpfe,
gleichmäßige Pochen der Drescher zu vernehmen, dann schlief ich wieder
ein.

Der Vater und die Mutter gingen in die fast drei Stunden entfernte
Pfarrkirche zur Rorate. Ich träumte ihnen nach, ich hörte die
Kirchenglocken, ich hörte den Ton der Orgel und das Adventslied: Maria
sei gegrüßet, du lichter Morgenstern! Und ich sah die Lichter am
Hochaltare, und die Engelein, die über demselben standen, breiteten
ihre goldenen Flügel aus und flogen in der Kirche umher, und einer, der
mit der Posaune über dem Predigtstuhl stand, zog hinaus in die Heiden
und in die Wälder und blies es durch die ganze Welt, daß die Ankunft
des Heilandes nahe sei.

Als ich erwachte, strahlte die Sonne schon lange zu den Fenstern
herein, und draußen glitzerte und flimmerte der Schnee, und die Mutter
ging wieder in der Stube umher und war in Werktagskleidern und that
häusliche Arbeiten. Das Bett der Ahne neben dem meinigen war auch schon
geschichtet, und die Ahne kam nun von der Küche herein und half mir
die Höschen anziehen und wusch mein Gesicht mit kaltem Wasser, daß ich
aus Empfindsamkeit zugleich weinte und lachte. Als dieses geschehen
war, kniete ich auf meinen Schemel hin und betete mit der Ahne den
Morgensegen:

             In Gottes Namen aufstehen,
             Gegen Gott gehen,
             Gegen Gott treten,
             Zum himmlischen Vater beten,
             Daß er uns verleih'
             Lieb' Englein drei:
             Der erste, der uns weist,
             Der zweite, der uns speist,
             Der dritt', der uns behüt' und bewahrt,
             Daß uns an Leib und Seel' nichts widerfahrt.

Nach dieser Andacht erhielt ich meine Morgensuppe, und nach derselben
kam die Ahne mit einem Kübel Rüben, die wir nun zusammen zu schälen
hatten. Ich saß dabei auf meinem Schemel. Aber bei dem Schälen der
Rüben konnte ich die Ahne nie vollkommen befriedigen; ich schnitt stets
eine zu dicke Schale, ließ sie aber stellenweise doch wieder ganz auf
der Rübe. Wenn ich mich dabei gar in den Finger schnitt und sofort
zu weinen begann, so sagte die Ahne immer sehr unwirsch: »Mit Dir ist
wohl ein rechtes Kreuz, man soll Dich frei hinauswerfen in den Schnee!«
Dabei verband sie mir die Wunde mit unsäglicher Sorgfalt und Liebe.

So vergingen die Tage des Advents, und ich und die Ahne sprachen immer
häufiger und häufiger von dem Weihnachtsfeste und von dem Christkinde,
das nun bald kommen werde zu den Menschen.

Je mehr wir dem Feste nahten, um so unruhiger wurde es im Hause. Die
Knechte trieben das Vieh aus dem Stalle und gaben frische Streu hinein
und stellten die Barren und Krippen zurecht; der Halterbub striegelte
die Ochsen, daß sie ein glattes Aussehen bekamen; der Futterbub mischte
mehr Heu in das Stroh als gewöhnlich und bereitete davon einen ganzen
Stoß in der Futterkammer. Die Kuhmagd that das Gleiche. Das Dreschen
hatte schon einige Tage früher aufgehört, weil man durch den Lärm die
nahen Feiertage zu entheiligen geglaubt hätte.

Im ganzen Hause wurde gewaschen und gescheuert, selbst in die Stube
kamen die Mägde mit ihren Wasserkübeln und Strohwischen und Besen
hinein. Ich freute mich immer sehr auf dieses Waschen, weil ich es
gern hatte, wie alles drunter und drüber gekehrt wurde, und weil die
Glasbilder im Tischwinkel, die braune Schwarzwälderuhr mit ihrer
Metallschelle und andere Dinge, die ich sonst immer nur von der Höhe
zu sehen bekam, herabgenommen und mir näher gebracht wurden, so daß
ich alles viel genauer und von verschiedenen Seiten betrachten konnte.
Freilich war mir nicht erlaubt dergleichen Dinge anzurühren, weil ich
noch zu ungeschickt und unbesonnen dafür wäre und die Gegenstände
leicht beschädigen könne. Aber es gab doch Augenblicke, in welchen man
im eifrigen Waschen und Scheuern nicht auf mich achtete.

In einem solchen Augenblick kletterte ich einmal über den Schemel auf
die Bank und von der Bank auf den Tisch, der aus seiner gewöhnlichen
Stellung gerückt war und auf dem die Schwarzwälderuhr lag. Ich machte
mich an die Uhr, von der die Gewichte über den Tisch hingen, sah durch
ein offenes Seitenthürchen in das messingene, sehr bestaubte Räderwerk
hinein, tupfte einigemale an die kleinen Blätter des Windrädchens
und legte die Finger endlich selbst an das Rädchen, ob es denn nicht
gehe; aber es ging nicht. Zuletzt rückte ich auch ein wenig an einem
Holzstäbchen, und als ich das that, begann es im Werk fürchterlich
zu rasseln. Einige Räder gingen langsam, andere schneller, und das
Windrädchen flog, daß man es kaum sehen konnte. Ich war unbeschreiblich
erschrocken, ich kollerte vom Tisch über Bank und Schemel auf den
nassen, schmutzigen Boden hinab; da faßte mich schon die Mutter am
Röcklein, und die »birkene Liesel« war da. Das Rasseln in der Uhr
wollte gar nicht aufhören, und zuletzt nahm mich die Mutter mit beiden
Händen und trug mich in das Vorhaus und schob mich durch die Thür
hinaus in den Schnee und schlug die Thür hinter mir zu. Ich stand wie
vernichtet da, ich hörte von innen noch das Greinen der Mutter, die ich
sehr beleidigt haben mußte, und ich hörte das Scheuern und Lachen der
Mägde, und ich hörte noch immer das Rasseln der Uhr.

Als ich eine Weile dagestanden und geschluchzt hatte, und als gar
niemand gekommen war, der mich wieder in das Haus gerufen hätte, ging
ich fort nach dem Pfade, der in den Schnee getreten war, und ich ging
über den Hausanger und über das Feld dem Walde zu. Ich wußte nicht,
wohin ich wollte, ich bildete mir nur ein, daß mir ein großes Unrecht
geschehen sei, und daß ich nun nicht mehr in das Haus zurückkehren
könne.

Aber ich war noch nicht zu dem Walde gekommen, als ich hinter mir ein
grelles Pfeifen hörte. Das war das Pfeifen der Ahne, wie sie es machte,
wenn sie zwei Finger in den Mund nahm und die Zunge spitzte und blies.
»Wo willst Du denn hin, Du dummes Kind«, rief sie, »wart', wenn Du so
im Wald herumlaufen willst, so wird Dich schon die Mooswaberl abfangen,
wart' nur!«

Auf dieses Wort kehrte ich augenblicklich um, denn die Mooswaberl
fürchtete ich unsäglich.

Ich ging aber immer noch nicht in das Haus, ich blieb im Hofe stehen,
wo der Vater und zwei Knechte gerade ein Schwein aus dem Stalle
zogen, um es abzustechen. Über das ohrenzerreißende Schreien des
Tieres und über das Blut, das ich nun sah, und das eine Magd in einen
Topf auffing, vergaß ich auf das Vorgefallene, und als der Vater im
Vorhause das Schwein abhäutete, stand ich schon wieder dabei und hielt
die Hautzipfel, die er mit einem großen Messer von dem speckigen
Fleisch immer mehr und mehr lostrennte. Als später die Eingeweide
herausgenommen waren und die Mutter Wasser in das Becken goß, sagte sie
zu mir: »Geh' weg da, sonst wirst Du ganz angespritzt!«

Aus diesen Worten entnahm ich, daß die Mutter mit mir wieder versöhnt
sei, und nun war alles gut, und als ich wieder in die Stube kam, um
mich ein wenig zu erwärmen, stand da alles an seinem gewöhnlichen
Platz. Boden und Wände waren noch feucht, aber rein gescheuert, und die
Schwarzwälderuhr hing wieder an der Wand und tickte. Und sie tickte
viel lauter und heller durch die neu hergestellte Stube als früher.

Endlich nahm das Waschen und Scheuern und Glätten ein Ende, im Hause
wurde es ruhiger, fast still, und der heilige Abend war da. Das
Mittagsmahl am heiligen Abend wurde nicht in der Stube eingenommen,
sondern in der Küche, wo man das Nudelbrett als Tisch eignete und sich
um dasselbe herumsetzte und das einfache Fastengericht still, aber mit
gehobener Stimmung verzehrte.

Der Tisch in der Stube war mit einem schneeweißen Tuche bedeckt, und
vor dem Tische stand mein Schemel, auf welchen sich zum Abend, als die
Dämmerung einbrach, die Ahne hinkniete und still betete.

Mägde gingen leise durch das Haus und bereiteten ihre Festtagskleider
vor, und die Mutter that in einen großen Topf Fleischstücke, goß Wasser
daran und stellte sie zum Herdfeuer. Ich schlich in der Stube auf den
Zehenspitzen herum und hörte nichts als das lustige Prasseln des Feuers
in der Küche. Ich blickte auf meine Sonntagshöschen und auf das Jöppel
und auf das schwarze Filzhütlein, das schon an einem Nagel der Wand
hing, und dann blickte ich durch das Fenster in die hereinbrechende
Dunkelheit hinaus. Wenn kein ungestümes Wetter eintrat, so durfte ich
in der Nacht mit dem Großknecht in die Kirche gehen. Und das Wetter war
ruhig, und es würde auch, wie der Vater sagte, nicht allzu kalt werden,
weil auf den Bergen Nebel lag.

Unmittelbar vor dem »Rauchengehen«, in welchem Haus und Hof nach alter
Sitte mit Weihwasser und Weihrauch besegnet wird, hatten der Vater
und die Mutter einen kleinen Streit. Die Mooswaberl war dagewesen,
hatte glückselige Feiertage gewünscht, und die Mutter hatte ihr für
den Festtag ein Stück Fleisch geschenkt. Darüber war der Vater etwas
ungehalten; er war sonst ein Freund der Armen und gab ihnen nicht
selten mehr, als unsere Verhältnisse erlauben wollten, aber der
Mooswaberl sollte man seiner Meinung nach kein Almosen reichen. Die
Mooswaberl war ein Weib, welches gar nicht in die Gegend gehörte,
welches unbefugt in den Wäldern umherstrich, Moos und Wurzeln
sammelte, in halbverfallenen Köhlerhütten Feuer machte und schlief.
Daneben zog sie bettelnd zu den Bauernhöfen, wollte Moos verkaufen, und
da sie keine Geschäfte machte, weinte sie und verfluchte das Leben.
Kinder, die sie ansah, fürchteten sich entsetzlich vor ihr, und viele
wurden gar krank; Kühen that sie an, daß sie rote Milch gaben.

Wer ihr eine Wohlthat erwies, den verfolgte sie einige Minuten und
sagte ihm: »Tausend und tausend vergelt's Gott bis in den Himmel
hinauf.«

Wer sie aber verspottete oder sonst auf irgend eine Art beleidigte, zu
dem sagte sie: »Ich bete Dich hinab in die unterste Hölle!«

Die Mooswaberl kam oft zu unserem Hause und saß gern vor demselben auf
dem grünen Rasen oder auf dem Querbrett der Zaunstiegel, trotz des
heftigen Bellens und Rasselns unseres Kettenhundes, der sich gegen
dieses Weib besonders unbändig zeigte. Aber die Mooswaberl saß so lange
vor dem Hause, bis die Mutter ihr eine Schale Milch, oder ein Stück
Brot, oder beides hinaustrug. Meine Mutter hatte es gern, wenn das
Weib sie durch ein tausendfaches Vergeltsgott bis in den Himmel hinauf
wünschte. Der Vater legte dem Wunsche dieser Person keinen Wert bei,
war er ein Segensspruch oder ein Fluch.

Als man draußen im Dorfe vor Jahren das Schulhaus gebaut, war dieses
Weib mit dem Manne in die Gegend gekommen und hatte dabei geholfen,
bis einst der Mann bei einer Steinsprengung getötet wurde. Seit dieser
Zeit arbeitete sie nicht mehr, und sie zog auch nicht fort, sondern
trieb sich herum, ohne daß man wußte, was sie that und was sie wollte.
Zum Arbeiten war sie nicht mehr zu bringen; sie schien geisteskrank zu
sein.

Der Richter hatte die Mooswaberl schon mehrmals aus der Gemeinde
gewiesen, aber sie war immer wieder zurückgekommen. »Sie würde nicht
immer zurückgekommen sein«, sagte mein Vater, »wenn sie in dieser
Gegend nichts gebettelt bekäme. So wird sie hier verbleiben, und wenn
sie alt und krank ist, müssen wir sie auch hegen und pflegen; das ist
ein Kreuz, welches wir uns selbst an den Hals gebunden haben.«

Die Mutter sagte nichts zu solchen Worten, sondern sie gab der
Mooswaberl, wenn sie kam, immer das gewohnte Almosen und heute noch
etwas mehr, zu Ehren des hohen Festes.

Darum also war der kleine Streit zwischen Vater und Mutter, der
aber allsogleich verstummte, als zwei Knechte mit dem Rauch- und
Weihwassergefäß in das Haus kamen.

Nach dem Rauchen stellte der Vater ein Kerzenlicht auf den Tisch, Späne
durften heute nur in der Küche gebrannt werden. Das Nachtmahl wurde
schon wieder in der Stube eingenommen. Der Großknecht erzählte während
desselben wundersame Geschichten.

Nach dem Abendmahle sang die Mutter ein Hirtenlied. So wonnevoll ich
sonst diesen Liedern lauschte, aber heute dachte ich nur immer an
den Kirchgang, und ich wollte durchaus schon das Sonntagskleidchen
anziehen. Man sagte, es sei noch später Zeit dazu, aber endlich gab
die Ahne meinem Drängen doch nach und zog mich an. Der Stallknecht
kleidete sich sehr sorgsam in seinen Festtagsstaat, weil er nach dem
Mitternachtsgottesdienst nicht nach Hause gehen, sondern im Dorfe den
Morgen abwarten wollte. Gegen neun Uhr waren auch die anderen Knechte
und Mägde bereit und zündeten am Kerzenlicht eine Spanlunte an. Ich
hielt mich an den Großknecht, und meine Eltern und meine Großmutter,
welche daheim blieben, um das Haus zu hüten, besprengten mich mit
Weihwasser und sagten, daß ich nicht fallen und nicht erfrieren möge.

Dann gingen wir.

Es war sehr finster, und die Lunte, welche der Stallknecht vorantrug,
warf ihr rotes Licht in einer großen Scheibe auf den Schnee und auf
den Zaun und auf die Steinhaufen und Bäume, an denen wir vorüberkamen.
Mir kam dieses rote Leuchten, das zudem noch durch die großen Schatten
unserer Körper unterbrochen war, grauenhaft vor, und ich hielt mich
sehr ängstlich an den Großknecht, so daß dieser einmal sagte: »Aber
hörst, meine Joppe mußt Du mir lassen, was thät' ich denn, wenn Du mir
sie abrissest?«

Der Pfad war eine Zeitlang sehr schmal, so daß wir hintereinander gehen
mußten, wobei ich nur froh war, daß ich nicht der Letzte war, denn ich
bildete mir ein, daß dieser unendlichen Gefahren wegen der Gespenster
ausgesetzt sein müsse.

Eine schneidende Luft ging, und die glimmenden Splitter der Lunte
flogen weithin, und selbst, als sie auf die harte Schneekruste
niederfielen, glimmten sie noch eine Weile fort.

Wir waren bisher über Blößen und durch Gesträuche und Wälder abwärts
gegangen; jetzt kamen wir zu einem Bache, den ich sehr gut kannte, er
floß durch die Wiese, auf welcher wir im Sommer das Heu machten. Im
Sommer rauschte dieser Bach sehr, aber heute hörte man ihn nur murmeln
und gurgeln, weil er überfroren war. Auch an einer Mühle kamen wir
vorüber, an welcher ich gar heftig erschrak, weil einige Funken auf das
Dach flogen; aber auf dem Dache lag Schnee, und die Funken erloschen.
Als wir eine Weile durch das Thal gegangen waren, verließen wir den
Bach, und der Weg führte aufwärts durch einen finsteren Wald, in
welchem der Schnee sehr seicht lag, aber auch keine so feste Kruste
hatte als auf den Blößen.

Endlich kamen wir zu einer breiten Straße, wo wir nebeneinander gehen
konnten und wo wir dann und wann ein Schlittengeschelle hörten. Dem
Stallknecht war die Lunte bereits bis zu der Hand herabgebrannt, und er
zündete nun eine neue an, die er vorrätig hatte. Auf der Straße sah man
nun auch mehrere andere Lichter, große rote Fackeln, die heranloderten,
als schwämmen sie in der schwarzen Luft, und hinter denen nach und
nach ein Gesicht und mehrere Gesichter auftauchten, von Kirchengehern,
die sich nun auch zu uns gesellten. Und wir sahen Lichter von anderen
Bergen und Höhen, die noch so weit entfernt waren, daß wir nicht
erkennen konnten, ob sie standen oder sich bewegten.

So gingen wir weiter. Der Schnee knirschte unter unseren Füßen, und wo
ihn der Wind weggetragen hatte, da war der schwarze Fleck des nackten
Bodens so hart, daß unsere Schuhe an ihm klangen. Die Leute sprachen
und lachten viel, aber mir war, als sei das in der heiligen Christnacht
gar nicht recht; ich dachte nur immer schon an die Kirche und wie das
doch sein werde, wenn mitten in der Nacht Musik und ein Hochamt ist.

Als wir eine lange Weile auf der Straße fortgegangen und an einzelnen
Bäumen und an Häusern vorüber und dann wieder über Felder und durch
einen Wald gekommen waren, hörte ich auf den Baumwipfeln plötzlich
ein leises Klingen. Als ich horchen wollte, hörte ich es nicht, aber
bald darauf hörte ich es wieder und deutlicher als das erstemal. Es
war der Ton des kleinen Glöckleins vom Turme der Kirche. Die Lichter,
die wir nun auf den Bergen und im Thale sahen, wurden immer häufiger,
und nun merkten wir es auch, daß sie alle der Kirche zueilten. Auch
die kleinen, ruhigen Sterne der Laternen schwebten heran, und auf der
Straße wurde es immer lebhafter. Das kleine Glöcklein wurde durch ein
größeres abgelöst, und das läutete so lange, bis wir fast nahe zur
Kirche kamen. -- Also war es doch wahr, wie die Ahne gesagt hatte: Um
Mitternacht fangen die Glocken zu läuten an und läuten so lange, bis
aus den fernen Thälern der letzte Bewohner der Hütten zur Kirche kommt.

Die Kirche steht auf einem mit Birken und Tannen bewachsenen Hügel,
und um sie liegt der kleine Friedhof, welcher mit einer niederen Mauer
umgeben ist. Die wenigen Häuser stehen im Thale.

Als die Leute an die Kirche gekommen waren, steckten sie ihre Lunten
umgekehrt in den Schnee, daß sie erloschen, nur eine wurde zwischen
zwei Steine der Friedhofmauer geklemmt und brennen gelassen.

Jetzt klang auf dem Turme in langsamem, gleichmäßigem Wiegen schon
die große Glocke. Aus den schmalen, hohen Kirchenfenstern fiel heller
Schein. Ich wollte in die Kirche, aber der Großknecht sagte, es habe
noch Zeit, und blieb stehen und sprach und lachte mit anderen Burschen
und stopfte sich eine Pfeife an.

Endlich klangen alle Glocken zusammen, in der Kirche begann die Orgel
zu tönen, und nun gingen wir hinein.

Das sah ganz anders aus wie an den Sonntagen. Die Lichter, die auf dem
Altare brannten, waren hellweiße, funkelnde Sterne, und der vergoldete
Tabernakel strahlte gar herrlich zurück. Die Ampel des ewigen Lichtes
war rot. Der obere Raum der Kirche war so dunkel, daß man die schönen
Verzierungen des Schiffes nicht sehen konnte. Die dunklen Gestalten der
Menschen saßen in den Stühlen oder standen neben denselben; die Weiber
waren sehr in Tücher eingeschlagen und husteten. Viele hatten Kerzen
vor sich brennen und sangen aus ihren Büchern mit, als auf dem Chore
das Tedeum ertönte. Der Großknecht führte mich durch die zwei Reihen
der Stühle gegen einen Nebenaltar, wo schon mehrere Leute standen. Dort
hob er mich auf einen Schemel zu einem Glaskasten empor, der, von zwei
Kerzen beleuchtet, zwischen zwei aufgesteckten Tannenwipfeln stand und
den ich früher, wenn ich mit den Eltern in die Kirche kam, nie gesehen
hatte. Als mich der Großknecht auf den Schemel gehoben hatte, sagte er
mir leise in's Ohr: »So, jetzt kannst das Krippel anschauen.« Dann ließ
er mich stehen, und ich schaute durch das Glas. Da kam ein Weiblein zu
mir herbei und sagte leise: »Ja, Kind, wenn Du das anschauen willst,
so muß Dir's auch jemand auslegen.« Und sie erklärte mir die kleinen
Gestalten.

Ich sah die Dinge an. Außer der Mutter Maria, welche über den Kopf ein
blaues Tuch geschlagen hatte, das bis zu den Füßen hinabging, waren
alle Gestalten, welche Menschen vorstellen sollten, so gekleidet wie
unsere Knechte oder wie ältere Bauern. Der heilige Joseph selbst trug
grüne Strümpfe und eine kurze Gemslederhose.

Als das Tedeum zu Ende war, kam der Großknecht wieder, hob mich von dem
Schemel, und wir setzten uns in einen Stuhl. Dann ging der Kirchenmann
herum und zündete alle Kerzen an, die in der Kirche waren, und jeder
Mensch, auch der Großknecht, zog nun ein Kerzlein aus dem Sack und
zündete es an und klebte es vor sich auf das Pult. Jetzt war es so hell
in der Kirche, daß man auch die Verzierungen an der Decke genau sehen
konnte.

Auf dem Chore stimmte man Geigen und Trompeten und Pauken, und
als an der Sakristeithür das Glöcklein klang und der Pfarrer in
funkelndem Meßkleide, begleitet von Ministranten und rotbemäntelten
Windlichtträgern, über den purpurroten Fußteppich zum Altare ging, da
rauschte die Orgel in ihrem ganzen Vollklang, da wirbelten die Pauken
und schmetterten die Trompeten.

Weihrauch stieg auf und hüllte den ganzen lichterstrahlenden Hochaltar
in einen Schleier. -- So begann das Hochamt, und so strahlte und tönte
und klang es um Mitternacht. Beim Offertorium waren alle Instrumente
still, nur zwei helle Stimmen sangen ein liebliches Hirtenlied, und
während des Benedictus jodelten eine Klarinette und zwei Flügelhörner
langsam und leise den Wiegengesang. Während des Evangeliums und der
Wandlung hörte man auf dem Chore den Kuckuck und die Nachtigall wie
mitten im sonnigen Frühling.

Tief nahm ich sie auf in meine Seele, die wunderbare Herrlichkeit der
Christnacht, aber ich jauchzte nicht auf vor Entzücken, ich blieb
ernst, ruhig, ich fühlte die Weihe.

Aber während die Musik tönte, dachte ich an Vater und Mutter und
Großmutter daheim. Die knieen jetzt um den Tisch bei dem einzigen
Kerzenlichtlein und beten, oder sie schlafen gar, und es ist finster
in der Stube, und nur die Uhr geht, sonst ist es still, und es liegt
eine tiefe Ruhe über den waldigen Bergen, und die Christnacht ist
ausgebreitet über die ganze Welt.

Als endlich das Amt seinem Ende nahte, erloschen nach und nach die
Kerzlein in den Stühlen, und der Kirchenmann ging wieder herum und
dämpfte mit seinem Blechkäppchen an den Wänden und Bildern und Altären
die Lichter aus. Die am Hochaltare brannten noch, als auf dem Chore der
letzte freudenreiche Festmarsch erscholl und sich die Leute aus der
weihrauchduftenden Kirche drängten.

Als wir in das Freie kamen, war es trotz des dichten Nebels, der sich
von den Bergen niedergesenkt hatte, nicht mehr ganz so finster wie vor
Mitternacht. Es mußte der Mond aufgegangen sein; man zündete keine
Fackeln mehr an. Es schlug ein Uhr, aber der Schulmeister läutete schon
die Betglocke zum Christmorgen.

Ich warf noch einen Blick auf die Kirchenfenster; aller Festglanz war
erloschen, ich sah nur mehr den matten, rötlichen Schimmer des ewigen
Lichtes.

Als ich mich dann wieder an den Rock des Großknechtes halten wollte,
war dieser nicht mehr da, einige fremde Leute waren um mich, die
miteinander sprachen und sich sofort auf den Heimweg machten. Mein
Begleiter mußte schon voraus sein; ich eilte ihm nach, lief schnell und
an mehreren Leuten vorüber, auf daß ich ihn bald einhole. Ich lief, so
sehr es meine kleinen Füße konnten, ich kam durch den finstern Wald,
und ich kam über Felder, über welche scharfer Wind blies, so daß ich,
so warm mir sonst war, von Nase und Ohren fast nichts mehr fühlte. Ich
kam an Häusern und Baumgruppen vorüber, die Leute, die früher noch auf
der Straße gegangen waren, verloren sich nach und nach, und ich war
allein, und den Großknecht hatte ich noch immer nicht erreicht. Ich
dachte, daß er auch hinter mir sein könne, ich beschloß, geradewegs
nach Hause zu eilen. Auf der Straße lagen hie und da schwarze Punkte,
die Kohlen der Spanfackeln, welche die Leute auf dem Kirchwege
abgeschüttelt. Die Gesträuche und Bäumchen, die neben am Wege standen
und unheimlich aus dem Nebel emportauchten, beschloß ich gar nicht
anzusehen, ich fürchtete mich davor. Besonders in Angst war ich, so oft
ein Pfad quer über die Straße ging, weil das ein Kreuzweg war, an dem
in der Christnacht gern der Böse steht und klingende Schätze bei sich
hat, um arme Menschenkinder dadurch mit sich zu locken. Der Stallknecht
hatte zwar gesagt, er glaube nicht daran, aber geben mußte es denn
doch dergleichen Dinge, sonst könnten die Leute nicht so viel davon
sprechen. -- Ich war aufgeregt, ich wendete meine Augen nach allen
Seiten, ob nicht irgendwo ein Gespenst auf mich zukomme. Endlich nahm
ich mir vor, gar nicht mehr an solches Zeug zu denken, aber je fester
ich das beschloß, desto mehr dachte ich daran.

Nun war ich zum Pfad gekommen, der mich von der Straße abwärts durch
den Wald und in das Thal führen sollte. Ich bog ab und eilte unter
den langästigen Bäumen dahin. Die Wipfel rauschten stark, und dann
und wann fiel ein Schneeklumpen neben mir nieder. Stellenweise war
es auch so finster, daß ich kaum die Stämme sah, wenn ich nicht an
dieselben stieß, und daß ich den Pfad verlor. Letzteres war mir
ziemlich gleichgültig, denn der Schnee war sehr seicht, auch war
anfangs der Boden hübsch glatt; aber allmählich begann er steil und
steiler zu werden, und unter dem Schnee war viel Gestrüppe und hohes
Heidekraut. Die Baumstämme standen nicht mehr so regelmäßig, sondern
zerstreut, manche schief hängend, manche mit aufgerissenen Wurzeln an
anderen lehnend, manche mit wild und wirr aufragenden Ästen am Boden
liegend. Das hatte ich nicht gesehen, als wir aufwärts gingen. Ich
konnte oft kaum weiter, ich mußte mich durch das Gesträuche und Geäste
durchwinden. Oft brach der Schnee ein, das steife Heidekraut reichte
mir bis zur Brust heran. Ich sah ein, daß ich den rechten Weg verloren
hatte, aber war ich nur erst im Thale und bei dem Bache, dann ging ich
diesen entlang aufwärts, und da mußte ich endlich doch zur Mühle und zu
unserer Wiese kommen.

Schneeschollen fielen mir in das Rocksäcklein, Schnee legte sich an
die Höschen und Strümpfe, und das Wasser rann mir in die Schuhe hinab.
Zuerst war ich durch das Klettern über das Gefälle und das Kriechen
in dem Gesträuch müde geworden, aber nun war auch die Müdigkeit
verschwunden; ich achtete nicht den Schnee, und ich achtete nicht das
Heidekraut und Gesträuche, das mir oft rauh über das Gesicht fuhr,
sondern ich eilte weiter. Oft fiel ich zu Boden, aber ich raffte mich
schnell auf. Auch alle Gespensterfurcht war weg; ich dachte an nichts
als an das Thal und an unser Haus. Ich wußte nicht, wie lange ich
mich so durch die Wildnis fortwand, aber ich fühlte mich kräftig und
behendig, die Angst trieb mich vorwärts.

Plötzlich stand ich vor einem Abgrund. In dem Abgrunde lag grauer
Nebel, aus welchem einzelne Baumwipfel emportauchten. Um mich hatte
sich der Wald gelichtet, über mir war es heiter, und am Himmel stand
der Halbmond. Mir gegenüber und weiter im Hintergrunde war nichts als
seltsame, kegelförmige, waldige Berge.

Unten in der Tiefe mußte das Thal mit der Mühle sein; mir war, als
hörte ich das Tosen des Baches, aber es war das Rauschen des Windes in
den jenseitigen Wäldern. Ich ging rechts und links und suchte einen
Fußsteig, der mich abwärts führte, und ich fand eine Stelle, an welcher
ich mich durch Gerölle, welches vom Schnee befreit dalag, und durch
Wachholdergesträuche hinablassen zu können vermeinte. Das gelang mir
auch eine Strecke, doch noch zu rechter Zeit hielt ich mich an eine
Wurzel, fast wäre ich über eine senkrechte Wand gestürzt. Nun konnte
ich nicht mehr vorwärts. Ich ließ mich aus Mattigkeit zu Boden. In der
Tiefe lag der Nebel mit den schwarzen Baumwipfeln. Außer dem Rauschen
des Windes in den Wäldern hörte ich nichts. Ich wußte nicht, wo ich
war. -- Wenn jetzt ein Reh käme, ich würde es fragen nach dem Weg,
vielleicht könnte es ihn mir weisen, in der Christnacht reden ja Tiere
die menschliche Sprache! --

Ich erhob mich, um wieder aufwärts zu klettern; ich machte das Gerölle
locker und kam nicht vorwärts. Mich schmerzten Hände und Füße. Nun
stand ich still und rief, so laut ich konnte, nach dem Großknecht.
Meine Stimme fiel von den Wäldern und Wänden langgezogen und undeutlich
zurück.

Dann hörte ich wieder nichts als das Rauschen des Windes.

Der Frost schnitt mir in die Glieder.

Nochmals rief ich mit aller Macht den Namen des Großknechtes. Wieder
nichts als der langgezogene Wiederhall. Nun überkam mich eine
fürchterliche Angst. Ich rief schnell hintereinander meine Eltern,
meine Ahne, alle Knechte und Mägde unseres Hauses. Es war vergebens.

Nun begann ich kläglich zu weinen.

Bebend stand ich da, und mein Körper warf einen langen Schatten schräg
abwärts über das nackte Gestein. Ich ging an der Wand hin und her, um
mich etwas zu erwärmen, ich betete laut zum heiligen Christkind, daß es
mich erlöse.

Der Mond stand hoch am dunklen Himmel.

Ich konnte nicht mehr weinen und beten, ich konnte mich auch kaum mehr
bewegen, ich kauerte mich zitternd an einen Stein und dachte: Nun will
ich schlafen, das ist alles nur ein Traum, und wenn ich erwache, bin
ich daheim oder im Himmel.

Da hörte ich plötzlich ein Knistern über mir im Wachholdergesträuche,
und bald darauf fühlte ich, wie mich etwas berührte und emporhob. Ich
wollte schreien, aber ich konnte nicht, die Stimme war wie eingefroren.
Aus Furcht und Angst hielt ich die Augen fest geschlossen. Auch Hände
und Füße waren mir wie gelähmt, ich konnte sie nicht bewegen. Mir war
warm, und mir kam vor, als ob sich das ganze Gebirge mit mir wiegte.
-- --

Als ich zu mir kam und erwachte, war noch Nacht, aber ich stand an der
Thür meines Vaterhauses, und der Kettenhund bellte heftig. Eine Gestalt
hatte mich auf den festgetretenen Schnee gleiten lassen, pochte dann
mit dem Ellbogen gewaltig an die Thür und eilte davon. Ich hatte diese
Gestalt erkannt -- es war die Mooswaberl gewesen.

Die Thür ging auf, und die Ahne stürzte mit den Worten auf mich zu:
»Jesus Christus, da ist er ja!«

Sie trug mich in die warme Stube, aber von dieser schnell wieder zurück
in das Vorhaus; dort setzte sie mich auf einen Trog, eilte dann hinaus
vor die Thür und machte durchdringliche Pfiffe.

Sie war ganz allein zu Hause. Als der Großknecht von der Kirche
zurückgekommen war und mich daheim nicht gefunden hatte, und als auch
die anderen Leute kamen und ich bei keinem war, gingen sie alle hinab
in den Wald und in das Thal und jenseits hinauf zur Straße und nach
allen Richtungen. Selbst die Mutter war mitgegangen und hatte überall,
wo sie ging und stand, meinen Namen gerufen. --

Nachdem die Ahne glaubte, daß es mir nicht mehr schädlich sein konnte,
trug sie mich wieder in die warme Stube, und als sie mir die Schuhe
und Strümpfe auszog, waren diese ganz zusammen- und fast an die Füße
gefroren. Hierauf eilte sie nochmals in das Freie und machte wieder ein
paar Pfiffe und brachte dann in einem Kübel Schnee herein und stellte
mich mit bloßen Füßen in diesen Schnee. Als ich in dem Schnee stand,
fühlte ich in den Zehen einen so heftigen Schmerz, daß ich stöhnte,
aber die Ahne sagte: »Das ist schon gut, wenn Du Schmerz hast, dann
sind Dir die Füße nicht erfroren.«

Bald darauf strahlte die Morgenröte durch das Fenster, und nun kamen
nach und nach die Leute nach Hause, zuletzt aber der Vater, und zu
allerletzt, als schon die rote Sonnenscheibe über der Wechselalpe
aufging, und als die Ahne unzähligemale gepfiffen hatte, kam die
Mutter. Sie ging an mein Bettlein, in welches ich gebracht worden war,
und an welchem der Vater saß. Sie war ganz heiser.

Sie sagte, daß ich nun schlafen sollte, und verdeckte das Fenster mit
einem Tuche, auf daß mir die Sonne nicht in das Gesicht scheine. Aber
der Vater meinte, ich solle noch nicht schlafen, er wolle wissen,
wie ich mich von dem Knechte entfernt, ohne daß er es merkte, und
wo ich herumgelaufen sei? Ich erzählte sofort, wie ich den Pfad
verloren hatte, wie ich in die Wildnis kam, und als ich von dem Monde
und von den schwarzen Wäldern und von dem Windrauschen und von dem
Felsenabgrund erzählte, da sagte der Vater halblaut zu meiner Mutter:
»Weib, sagen wir Gott Lob und Dank, daß er da ist, er ist auf der
Trollwand gewesen!«

Nach diesen Worten gab mir die Mutter einen Kuß auf die Wange, wie sie
nur selten that, und dann hielt sie ihre Schürze vor das Gesicht und
ging davon.

»Ja, Du Donnersbub, und wie bist denn heimkommen?« fragte mich der
Vater. Darauf sagte ich, daß ich das nicht wisse, daß ich nach langem
Schlafen und Wiegen auf einmal vor der Hausthür gewesen und daß die
Mooswaberl neben mir gestanden. Der Vater fragte mich noch einmal über
diesen Umstand, aber ich antwortete, daß ich nichts Genaueres darüber
sagen könne.

Nun sagte der Vater, daß er in die Kirche zum Hochgottesdienst gehe,
weil heute der Christtag sei, und daß ich schlafen solle.

Ich mußte darauf viele Stunden geschlafen haben, denn als ich erwachte,
war draußen Dämmerung, und in der Stube war es fast finster. Neben
meinem Bette saß die Ahne und nickte, von der Küche herein hörte ich
das Prasseln des Herdfeuers.

Später, als die Leute beim Abendmahle saßen, war auch die Mooswaberl am
Tisch.

Auf dem Kirchhofe, über dem Grabhügel ihres Mannes war sie während des
Vormittagsgottesdienstes gekauert, da trat nach dem Hochamte mein Vater
zu ihr hin und nahm sie mit in unser Haus.

Über die nächtliche Begebenheit brachte man nicht mehr von ihr heraus,
als daß sie im Walde das Christkind gesucht habe; dann ging sie einmal
zu meinem Bette und sah mich an, und ich fürchtete mich vor ihren
Blicken. --

In dem hinteren Geschosse unseres Hauses war eine Kammer, in welcher
nur altes, unbrauchbares Geräte und viel Spinnengewebe war.

Diese Kammer gab mein Vater der Mooswaberl zur Wohnung und stellte ihr
einen Ofen und ein Bett und einen Tisch hinein.

Und sie blieb bei uns. Oft strich sie noch in den Wäldern umher und
brachte Moos heim, dann ging sie wieder hinaus zur Kirche und saß
stundenlang auf dem Grabhügel ihres Mannes, von dem sie nicht mehr
fortzuziehen vermochte in ihre ferne Gegend, in der sie wohl auch
einsam und heimatlos gewesen wäre wie überall. Über ihre Verhältnisse
war nichts Näheres zu erfahren, wir vermuteten, daß das Weib einst
glücklich und sicher bei voller Vernunft gewesen war, und daß der
Schmerz über den Verlust des Gatten ihr den Verstand geraubt hatte.

Wir hatten sie alle lieb, weil sie ruhig und mit allem zufrieden lebte
und niemandem das geringste Leid zufügte. Nur der Kettenhund wollte sie
immer noch nicht sichern, der bellte und zerrte überaus heftig an der
Kette, so oft sie über den Anger ging. Aber das war anders von dem
Tiere gemeint; als einmal die Kette riß, stürzte der Hund auf das Weib
zu, sprang ihm winselnd an die Brust und leckte ihm die Wangen.

Da kam einmal in den Spätherbsttagen, an welchen die Mooswaberl fast
ununterbrochen auf dem Grabhügel saß, eine Zeit, in welcher unser
Kettenhund, statt lustig zu bellen, stundenlang heulte, so daß meine
Ahne, die indes schon mühselig geworden war, sagte: »Schau, jetzt wird
in unserer Gegend herum bald einmal wer sterben, weil der Hund gar so
heent; tröste ihn Gott!«

Und nach kurzer Zeit wurde die Mooswaberl krank, und als die
Winterszeit gekommen war, starb sie.

In ihren letzten Augenblicken hielt sie noch meinen Vater und meine
Mutter an der Hand und sprach die Worte: »Vergelt's Euch Gott zu
tausend und zu tausendmal, bis in den Himmel hinauf!«

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                       Was bei den Sternen war.


Selbst der Naturforscher giebt es diesmal zu, was der Poet behauptet,
daß nämlich im Waldlande die Sterne heller leuchten als sonst wo. Das
macht die reine, feuchte Luft, sagt der eine; der andere hingegen
meint, der kindliche Glaube der Einschichtbewohner sei Ursache, daß der
Sternenhimmel so hell und hold niederfunkle auf den weiten stillen Wald.

Hat doch mein Vater zu mir gesagt, als wir noch beisammen auf dem
Holzbänklein unter der Tanne gesessen:

»Du bist mein liebes Kind. Und jetzt schau zum Himmel hinauf, die Augen
Gottes blicken auf uns herab.«

Ei freilich, ich konnte mir's wohl denken, Einer, der auf des Menschen
Haupt die Haare zählt, muß hunderttausend Augen haben. Nun war es aber
schön zu sehen, wie mir der liebe Gott mit seinen Augen zublinzelte,
als wollte er mir was zu verstehen geben; -- ja, und ich konnte es doch
um alles nicht erraten, was er meinte. -- Ich nahm mir wohl vor, recht
brav und folgsam zu sein, besonders bei Nacht, wenn Gott da oben seine
hunderttausend Augen aufthut und die guten Kinder zählt und die bösen
sucht und recht scharf anschaut, auf daß er sie kennt am jüngsten Tage.
....

Ein andermal saß ich auf demselben Holzbänkchen unter der Tanne, an
Seite meiner Mutter. Es war bereits späte Abendstunde, und die Mutter
sagte zu mir:

»Du bist ein kleiner Mensch, und die kleinen Leute müssen jetzt schon
in's Bett gehen, schau, es ist ja die finstere Nacht, und die Engel
zünden schon die Lichter an, oben in unseres Herrgotts Haus.«

Mit solchen Worten ein Kind zur Ruhe bringen? Das war übel geplant.

»In unseres Herrgotts Haus die Lichter?« fragte ich, sofort durchaus
für den Gegenstand eingenommen.

»Freilich«, entgegnete die Mutter, »jetzt gehen alle Heiligen von der
Kirche heim, und im Hause ist eine große Tafel, und da setzen sie sich
zusammen und essen und trinken was, und die Englein fliegen geschwind
herum und zünden alle Lichter an und den großen Kronleuchter auch, der
mitten hängt, und nachher laufen sie zu den Pfeifen und Geigen und
machen Musik.«

»Musik?« entgegnete ich, in die Anschauung des Bildes versunken. »Und
der Wollzupfer-Michel, ist der auch dabei?«

Der Wollzupfer-Michel war ein alter blinder Mann gewesen, der bei
uns Waldbauern das Gnadenbrot genossen und dafür zuweilen Schafwolle
gezupft und gekraut hatte. Wenige Wochen vor diesem Abendgespräche war
er gestorben.

»Ja Du,« versetzte die Mutter auf meine Frage, »der Wollzupfer-Michel,
der sitzt ganz voran bei unserem lieben Herrgott selber, und er ist
hoch in Ehren gehalten von allen Heiligen, weil er auf der Welt so arm
gewesen und so verachtet und im Elend hat leben müssen, und weil er
doch alles so geduldig ertragen hat.«

»Wer giebt ihm denn beim Essen auf den Teller hinaus?« war meine
weitere Frage.

»Nu wer denn?« meinte die Mutter, »das wird schon sein heiliger
Schutzengel thun.« Sogleich aber setzte sie bei: »Du Närrisch, der
Michel braucht jetzt ja gar keine Behelfer mehr, im Himmel ist er ja
nimmer blind; im Himmel sieht er seinen Vater und seine Mutter, die er
auf der Welt niemalen hat gesehen. Und er sieht den lieben Herrgott
selber und unsere liebe Frauen und alle, und zu uns sieht er auch
herab. Ja freilich, mit dem Michel hat's gar eine glückselige Wendung
genommen, und hell singen und tanzen wird er bei der himmlischen Musik,
weil der heilige David harfenspielen thut.«

»Tanzen?« wiederholte ich und suchte mit meinen Augen das Firmament ab.

»Und jetzt, Bübel, geh schlafen!« mahnte die Mutter. Wohl machte ich
die Einwendung, daß sie im Himmel erst die Lichter angezündet hätten
und also gewißlich auch noch nicht schlafen gingen; aber die Mutter
versetzte mit entschiedenem Tone, im Himmel könnten sie machen, was sie
wollten, und wenn ich fein brav wäre und einmal in den Himmel käme, so
könnte ich auch machen, was ich wollte.

Ging zu Bette und hörte in selbiger Nacht die lieben Englein singen. --

Wieder ein andermal saß ich mit der Ahne auf der hölzernen Bank unter
den Tannen.

»Guck, mein Bübel,« sagte sie, gegen das funkelnde Firmament weisend,
»dort über das Hausdach hin, das ist Dein Stern.«

Ein helles, flimmerndes Sternchen stand oft und auch heute wieder über
dem Giebel des Hauses; aber daß selbes mein Eigentum wäre, hörte ich
nun von der Ahne das erste Mal.

»Freilich,« belehrte sie weiter, »jeder Mensch hat am Himmel seinen
Stern, das ist sein Glücksstern oder sein Unglücksstern. Und wenn ein
Mensch stirbt, so fällt sein Stern vom Himmel.«

Todeserschrocken war ich, als gerade in diesem Augenblicke vor unseren
Augen eine Sternschnuppe sank.

»Wer ist jetzt gestorben?« fragte ich, während ich sogleich schaute, ob
mein Sternchen wohl noch über dem Dachgiebel stehe.

»Kind,« sagte die alte Ahne, »die Welt ist weit, und hätten
wir nur Ohren dazu, wir thäten Tag und Nacht nichts hören als
Totenglockenklingen.«

Focht mich dieweilen nicht an.

»Ahndl,« fragte ich; denn Kinder, die in ihrem Haupte so viel Raum für
Vorstellungen und Eindrücke haben, sind unermüdlich im Fragen, »Ahndl,
wo hast denn Du Deinen Stern?«

»Mein Kind,« antwortete sie, »der ist schon völlig im Auslöschen, den
sieht man nimmer.«

»Und ist das ein Glücksstern gewesen?«

Da schloß sie mich an ihre Brust und hauchte: »Wird wohl so sein, Du
herzlieber Enkel, wird wohl so sein!«

                   *       *       *       *       *

Ein alter Schuhmacher kam zuweilen in unser Haus, der redete wie ein
Heide. Wir Menschen, meinte der alte Schuhmacher, kämen nach dem Tode
weder in den Himmel, noch in die Hölle, sondern auf einen Stern, wo
wir so wie auf dieser Welt wieder geboren würden und je nach Umständen
weiter lebten.

Das Närrischste aber sagte schon der Schulmeisterssohn aus Grabenbach,
der als Student einmal zu uns kam. Der schwätzte von Bären und Hunden
und Wasserschlangen, die da oben am Himmel herumliefen, und ein Widder
und ein Walfisch sei auch dabei; und gar eine Jungfrau wollte er durch
seine Augengläser gesehen haben. Dieser Schulmeisterssohn war schuld
daran, daß mich mein Vater nicht studieren lassen wollte.

»Wenn sie solche Narrheiten lernen in der Stadt,« sagte mein Vater,
»daß sie auf unseres Herrgotts goldnem Firmament lauter wilde Tiere
sehen, nachher hab' ich genug. Mein Bub, der bleibt daheim.«

Eine junge Magd hatten wir im Hause; die war gescheit, die hat einmal
was gesagt, was mir heute das Herz noch warm macht. Sie hatte es
sicherlich von ihrem alten Ziehvater, der so ein Waldgrübler gewesen
war. Der Mann hat etwas Wundersames in seinem Kopfe gehabt; er wäre
gern Priester geworden, aber blutarm, wie er war, sind ihm alle Wege
dazu verlegt gewesen. Da wurde er Kohlenbrenner. Ich habe den Alten oft
heimlich belauscht, wenn er auf seinem Kohlenmeiler stand und Messe
las, oder wenn er den Vögeln des Waldes vorbetete wie voreinst der
heilige Franziskus in der Wüste. Von diesem Manne mag unsere junge Magd
das seltsame Wort gehört haben.

»Der Sternenhimmel da oben«, sagte sie einmal, »das ist ein
großmächtiger Liebesbrief mit goldenen und silbernen Buchstaben.
Fürs erste hat ihn der liebe Herrgott den Menschen geschrieben, daß
sie doch nicht ganz auf ihn vergessen sollten. Fürs zweite schreiben
ihn die Menschen für einander. Das ist so: Wenn zwei Leut', die sich
rechtschaffen lieb haben, weit auseinander müssen, so merken sie sich
vorher einen hellen Stern, den sie beide von aller Fremde aus sehen
können, und auf dem ihre Augen zusammenkommen. -- Dasselbig funkelnde
Ding dort,« setzte die Magd leise und ein wenig zögernd bei, indem sie
auf ein glühend Sternlein deutete, das hoch über dem Waldlande stand,
»dasselbig Ding, das schaut zu dieser jetzigen Stund' auch der Hans an,
der weit drin in Welschland ist bei den Soldaten. Ich weiß wohl, er
wird nicht darauf vergessen, es glänzt wie der kein Stern so hell auf
dem ganzen Firmament.«

                   *       *       *       *       *

Eines Tages mußte ich am Waldrande spät abends noch die Rinder weiden,
die tags über im Joche gegangen waren. Sonst war in solchen Stunden
lieb Ahne bei mir, aber die war nun schon seit länger unwohl und mußte
zu Hause bleiben. Jedoch hatte sie mir versprochen, oftmals vor das
Haus herauszutreten und den Hühnerpfiff zu thun, damit mir in der
einschichtigen stillen Nacht nicht zu grauen beginne.

Ich stand zagend neben meinen zwei Rindern, die auf der taunassen Wiese
eifrig grasten, aber ich hörte heute keinen jener lustigen Pfiffe,
welche meine Ahne mittelst zweier Finger, die sie in den Mund legte,
so vortrefflich zu machen verstand, gewöhnlich zu dem Zwecke, um die
Hühner damit zusammen zu locken.

Das Haus lag still und traurig oben auf dem Berge. Von der tiefen
Schlucht herauf hörte ich das Rieseln des Wässerleins, das ich sonst
hier noch nie vernommen hatte. Hingegen schwiegen heute die Grillen
ganz und gar. Ein Uhu krähte im Walde und erschreckte mich dermaßen,
daß ich die Hörner des Rindes erhaschte und dieselben gar nicht mehr
loslassen wollte.

Der Sternenhimmel hatte heute einen so heiligen Ernst; mir war, als
hörte ich durch die große Stille das Saitenspiel des heiligen Sängers
David klingen. -- Siehe, da löste sich plötzlich ein Stern und fiel in
einem scharfen Silberfaden, der gerade über unser Haus niederging, vom
Himmel herab. -- --

Mir zuckte es heiß durchs Herz, mir blieb der Atem stehen. -- Jetzt ist
die Ahne gestorben! sagte ich endlich laut, das ist ihr Stern gewesen.
Ich hub an zu schluchzen. Da hörte ich vom Hause her bereits des
Vaters Stimme, ich sollte eilends heimzu treiben.

Bald jagte ich in den Hof ein. Das Haus war in allen Fenstern
beleuchtet; ein Geräusch und Gepolter war, und Leute eilten hin und her
nach allen Ecken und Winkeln.

»Geschwind, Peterle, geh her!« rief es mir von der Thür aus zu, und das
war die Stimme der Ahne. Ich lief in das Haus -- was hab' ich gehört?
Kleinkindesgeschrei.

»Ein Brüderlein hast kriegt,« rief die Ahne, »das hat ein Engel vom
Himmel gebracht!«

So war es. Mutter lag schon im Bette, und sie hielt das winzige
Kindlein an der Brust.

Ein Engel vom Himmel! ja, ich habe ihn fliegen gesehen.

»Ahndl,« sagte ich, »es ist nicht wahr, daß Sterne fallen, lauter Engel
sind es, die mit kleinen Kindlein niederfliegen vom Himmel!«

Ich verharre bei diesem Glauben noch heute, da ich vor einer Wiege
stehe, in die mir selbst ein liebes himmlisches Wunder gegeben ist.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                            Auf der Wacht.


Mein Vater litt zu jener Zeit an einer langwierigen Krankheit. Es war
selten wer um ihn als sein ältestes Söhnlein. Auch der Jäger Wolf saß
zuweilen neben auf der Ofenbank und freute sich, wenn dem Kranken der
gespendete Wildbraten recht mundete. Und der Wildbraten stellte meinen
Vater richtig so weit wieder her, daß dieser eines Tages, es war im
August um die Zeit des Maria-Himmelfahrtsfestes, zu mir sagte: »Bub,
jetzt werd ich doch endlich wieder was anfangen müssen. Was meinst, zum
Korbflechten wär ich wohl stark genug?«

Und am nächsten Tage gingen wir schon zur Morgenfrühe aus und gegen die
sogenannte Wildwiese hinauf, wo viele Weiden wuchsen. Die Wildwiese war
oben in den hinteren Waldungen. Oft blieb mein Vater unterwegs stehen,
stützte sich auf seinen Stock, schöpfte Luft, und dann fragte er mich
immer, ob ich ein Schnittchen Brot beißen wolle.

Als wir über die Schafhalde hinaufgekommen waren, wo der junge
Lärchenanwuchs noch im Morgentaue stand, sahen wir im Dickichte einen
Mann dahinhuschen, der ein Stück Hochwild über der Achsel trug und
etwas wie ein Schießgewehr hinter sich herschleppte. Er duckte sich so
sehr, daß nur ein paar kohlschwarze Haarfetzen von seinem Haupte zu
sehen waren.

Als diese Gestalt vorüber war, blieb mein Vater wieder stehen und
sagte: »Hast geguckt? Das ist der schwarz' Toni gewesen.«

Der schwarz' Toni war ein Mann, vor dem sie überall die Thüren
verriegelten.

»Ja, Kind,« sagte der Vater, als wir uns auf den Stamm eines gefallenen
Baumes gesetzt hatten, »ist hart für einen Menschen, dem's so geht wie
dem Toni. Der hat sein Lebtag nicht Vater und Mutter gesehen. Als Kind
ist er aus dem Findelhause in unsere Gegend gebracht worden. Freilich
nicht aus christlicher Barmherzigkeit, sondern des Geldes wegen, das
für ihn ausgezahlt worden, hat ihn ein Köhlerweib an Kindesstatt
genommen. Halb erwachsen hat sich der Toni im Wald herumgetrieben, kein
Mensch hat sich an ihn gekehrt; so ist er verwahrlost und verwildert.
Wie das Köhlerweib sieht, der Ziehsohn bringe nur Schande, so hat sie
gesagt: Toni, Du Lump, bei mir bist nimmer daheim! -- Wo denn? hat sie
drauf der Toni gefragt, aber überall, wo er angeklopft, ist ihm die
Thür verschlossen gewesen. Mögen ihn die Menschen nicht, so giebt er
sich mit den Tieren ab -- verlegt sich auf's Wildern. Vor einem Jahr
hat ihn der Jäger Wolf in das Zuchthaus gebracht; aber jetzt wieder
frei, mag ihm kein Mensch gern begegnen, gleichwohl ich nicht glaub,
daß er wem was zu Leide thät. Schlecht, sag ich, ist er nicht, aber
verkommen durch und durch; und so, mein Büblein, wird oft ein Mensch
hinausgestoßen auf die schiefe Straßen, und so rutscht er ab und kann
sich nicht mehr halten.«

Nach diesen Worten schritten wir wieder langsam dahin, und nachdem wir
durch viel Wald und schattendunkle Schluchten gegangen waren, kamen
wir endlich zur Lichtung der Wildwiese. Teilweise lag sie noch im
Schatten des Teufelssteinberges; die Bachweiden aber, die in einer
langen Reihe hin standen und sich über ein stillrieselndes Wässerlein
wölbten, schimmerten in dem lichten Sonnentag, als ob sie alle silberne
Blätter hätten. Die Wiese war bereits gemäht und das Heu fortgebracht;
sehr still und verlassen lag die Matte. An den Rändern wuchsen blaue
Enzianglocken, und es war schon die Zeitlose da.

Wir kamen um die Weidenruten, die am Bache standen. Wir gingen quer
über die Wiese bis hin zum Rande, wo wieder die sehr hohen Fichten
des Waldes begannen und wo ein rot angestrichenes Kreuz stand, dessen
Dachbrettchen reichlich mit Moos bewachsen waren. Hier wollten wir vor
der Arbeit uns ein wenig setzen, auf die Bäume hinausschauen und ein
Stück Brot verzehren.

Aber noch ehe der Vater sich niederließ, sah er lange und unverwandt
auf eine Stelle hin.

Am Fuße einer Weißtanne lag ein Mann. Ein Jägersmann mit einem
Schießgewehr; die Locken gingen ihm über Stirn und Auge, man wußte
nicht, ob er denn wirklich so fest schlafe, als es aussah.

Mein Vater trat endlich hinzu, schob aber mich mit der Hand hinter sich
zurück. Dann sahen wir es: Der Mann lag in einer Blutlache; der aus
einer Halswunde sprudelnde Quell war bereits gestockt.

Mein Vater legte die Hände ineinander und sagte ganz leise: »Jetzt
haben sie da den Jäger Wolf erschlagen!«

Als ich hierauf zu weinen begann, hob mich mein Vater empor zu
seiner Brust; und wie ruhig er auch scheinen wollte, ich hab es doch
wahrgenommen, wie sein Herz so heftig schlug.

Dann untersuchte er den Erschlagenen -- die Augen waren gebrochen, die
Lippen fahl wie trocken Erdreich -- das Leben war dahin.

»Mit dem Weidenschneiden ist es heute nichts,« sagte mein Vater, »jetzt
muß einer von uns Leute holen, daß sie den Wolfgang wegtragen; und der
andere wird dieweilen dableiben müssen. Einen Toten kann man nicht
allein lassen, solange er nicht im Grabe ruht. Es könnte auch leicht
ein Tier über ihn kommen. Das Beste wird sein, ich holpere hinaus in
den Brandgraben zu den Holzknechten, und Du setzest Dich schön still da
unter das Kreuz.«

Mir gab's einen Stich im Herzen. Wie konnte mir mein Vater das anthun,
mich stundenlang allein lassen im Walde bei einem Toten! Aber ich wußte
den Weg nicht und hätte die Holzknechte nicht gefunden.

»Freilich, Büblein, ist das ein trauriges Warten da,« fuhr er fort,
»aber wachen muß wer dahier, diese christliche Lieb müssen wir dem Wolf
schon erweisen.«

Ich starrte auf den Toten.

Mein Vater zog seine kleine Axt aus dem Gürtel, mit welcher er die
Weidenruten hauen wollte, und fällte nun Äste von den Bäumen und
hüllte den Jägersmann mit Reisig ein. Dann kniete er nieder vor der
grünen Bahre und betete still ein Vaterunser. Und als er sich wieder
erhob, sagte er: »Und jetzt, mein Knabe, thu unserem Mitbruder den
Liebesdienst, und wache. Die Axt laß ich Dir da, die halt fest. Fuchsen
und Raben können leicht kommen; andere Raubtiere weiß ich in der Gegend
nicht. Bis zu den Weiden dort magst hingehen, aber weiter weg nicht.
Ich will recht eilen; bis die Schatten anheben zu wachsen, wird schon
wer kommen!«

Dann legte er für mich noch Brot unter ein Bäumchen, und dann ging er
davon. Er ging hin quer über die Wiese, wie wir hergegangen waren, und
er verschwand in dem Dunkel des Waldes.

Nun war ich allein auf der umwaldeten Wiese, und das milde Sonnenlicht
war ausgegossen über die einsame Matte, über die glitzernden Weiden und
über den stillen Reiserhügel am Waldrande. Ich wollte nicht hinblicken
auf die seltsame Bahre; ich schritt gegen das Weidengebüsche, aber mein
Auge wendete sich immer wieder zurück zum roten Kreuze und zu dem, was
daneben lag.

Der arme Jäger Wolf! Ich wußte es noch recht gut, wie er vor wenigen
Jahren mit seiner Braut und seinem Hochzeitszuge an unserem Hause
vorübergezogen war. Die Waldhörner und die Pöller schallten, daß die
Fenster unseres Hauses klirrten. Der Wolf war ein hübscher Bursche
gewesen; einen großen Strauß trug er auf dem Hut, und ein rotes Band
ging nieder über seinen Nacken, wo jetzt die Blutstrieme war. --

Ich ging den Weidenbüschen entlang. Manches Zweiglein regte sich und
zitterte fort und fort. Hie und da schnellte ein Heupferdchen. Ich bog
die Äste auseinander und blickte in das Wässerlein; das stand still
unter dem dichten Flechtwerke und glitzerte kaum. Ein großgefleckter
Molch kroch hervor und nahm seine Richtung gegen mich; da floh ich
entsetzt davon.

Dann begann ich mit meinen kurzen Schritten die Schatten der Bäume
zu messen -- bis diese zu wachsen anheben, kommen die Leute. -- Noch
aber wurden sie kürzer und kürzer. Die Sonne stand hoch über dem
Teufelsstein, und über dem Thalgrunde lag ein bläulicher Duft.

Ich kehrte wieder zum Kreuze zurück und setzte mich auf den Stein, auf
welchem sonst andächtige Waldwanderer knien. Das Kreuz war hoch und
hatte keinen Heiland. Weit streckte es seine Arme aus, als wollte es
den Wald umfangen.

Ich wendete mich von dem Pfahle und von dem Bahrhügel und sah hin
gegen den Bergrücken des Teufelsstein. Die Himmelsglocke lag in mattem
Blau, kein Vogel und kaum eine Mücke war vernehmbar. Es war ein fast
traumhafter Frühherbstmittag, durchklungen von einer ewigen Stille. --

Wildschützen haben ihn erschossen. Ich ging über die Wiese und sagte
mir, wenn ich zehnmal über die Wiese gegangen sein würde, dann wollte
ich wieder den Schatten messen. Aber der Schatten duckte sich noch mehr
unter die Bäume als früher.

Dann ging ich hin zu der verhüllten Leiche des Waidmannes und stand
lange vor derselben; ich fühlte kaum ein Schauern mehr. Dann setzte ich
mich wieder unter das Kreuz und aß ein Schnittchen Brot. Da hörte ich
plötzlich ein Knistern; ein Reh stand und guckte durch das Gestämme.

Zuletzt kam das Tier gar zu dem Reisighügel heran und schnupperte;
vor diesem Jägersmanne fürchtete es sich nicht mehr. Erst als es den
Pulvergeruch des Gewehrlaufes gewahrt haben mochte, wendete es sich mit
großen Sätzen dem Dickichte zu.

Endlich, als ich wieder den Schatten maß, hatte er sich um ein Weniges
gedehnt. Ich mußte ja doch schon viele Stunden auf der Wildwiese
geweilt haben.

Wie immer, so hatte mein Vater auch diesmal recht. Ich hörte einen
getragenen Schall und Wiederhall im Walde. Es nahten Menschen. Doch
nicht die Holzknechte waren es, die um den Wolfgang kommen sollten,
sondern quer über die Wiese her kam ein junges Weib, das trug einen
Korb am Rücken und führte ein etwa dreijähriges Kind am Arm. Sie
sangen ein lustiges Kinderlied, und das kleine Mädchen lachte dabei und
hüpfte flink über das weiche Gras.

Ich erkannte die Nahenden bald, es war das Weib und das Kind des
erschlagenen Jägers Wolf.

Sie kamen heran, und als sie mich sahen, sagte die Jägerin zum Mädchen:
»Schau, Agatha, da beim Kreuz sitzt ein Bub, der betet ein Vaterunser;
das ist gar ein braver Bub.«

Dann kniete sie hin auf den Stein, legte die Hände zusammen und betete
auch. Das Kind that desgleichen und war gar ernsthaft dabei.

Mir war unbeschreiblich weh. Wie hätte ich sagen können, was unter dem
Reisig lag? Ich ging abseits gegen die Weiden.

»So, mein Herz,« sagte das Weib hierauf zur Kleinen, »jetzt geh ich
Enziankraut schneiden, Du setz Dich dieweilen da auf das G'reisigbett
und brocke Dir Zäpfchen ab. Hernach kommt der Vater vom Teufelsstein
herab, und hernach setzen wir uns zusammen und essen den Schottenkäs,
den ich im Korb hab, und hernach hopsen wir lustig miteinander heimzu.«

Und sie setzte das Kind auf den Reisighaufen -- auf die Bahrstätte des
Vaters. Dann ging sie mit dem Korb gegen den Wiesenrain, wo Gebüsche
von Enzian standen. Von dort aus rief sie mich an, was ich denn so
allein mache auf der Wildwiese, ob ich mich verirrt hätte oder etwa
Ziegen suchte?

Ich wußte keine Antwort, deutete auf einen großen schneeweißen
Schmetterling und sagte: »Jetzt schau das Tier an, wie's herumfliegt;
schau, wie's fliegt!«

»Bist ein rechter Närrisch, Du!« versetzte die Jägerin lachend und ging
an ihre Arbeit.

Die kleine Agatha spielte auf dem Reisighügel, sie zupfte an den
Zweigen und wühlte in denselben und nestelte etwas hervor. Endlich
wurde ihr bang, und sie hub an nach der Mutter zu rufen.

Nach einer Weile kam das Weib heran, da hielt ihm das Kind einen Ring
entgegen und sagte: »Schau, das hab ich gefunden, das ist des Vaters!«

Die Jägerin that einen hellen Ruf: »Kind, wie kommst Du zu diesem Ring?«

Die Kleine lachte vergnügt.

Das Weib hub das Kind auf die Erde, warf einen Blick auf das Gezweige
und stieß einen gellenden Schrei aus. Sie sah durch das Reisig eine
Menschenhand.

Wie wütend stürzte sie hin auf die Schichtung und raffte die grünen
Zweige auseinander -- mit Hast und heißer Angst -- dann sank sie zurück
und schlug sich die flachen Hände in das Antlitz. Vor ihr lag im Blute
erstarrt ihr gemordeter Gatte. --

Zur selben Stunde gingen zwei Holzhauer über die Wiese und brachten
eine Tragbahre mit. Zuerst knieten sie vor dem Toten und beteten still,
dann hoben sie ihn auf die Bahre, legten das Gewehr an seine Seite und
trugen ihn davon.

Der Korb blieb stehen bei dem Enziangebüsche, das Weib folgte der
Bahre; es sagte kein Wort, es vergoß keine Thräne, es trug das
spielende Mädchen auf dem Arm. Das blasse, starre Angesicht der Gattin,
das rotwangige, helläugige Lockenköpfchen des Kindes hinter der Bahre
her -- das mag ich nimmermehr vergessen.

Ich bin auch hintendrein gegangen. Die Weiden standen in ihrem
wässerigen Schimmer; die Schatten der Tannen lagen hingestreckt
über die ganze Wiese. Das rote Kreuz ragte regungslos im Dunkel des
Waldrandes.

Die Bahre schwankte dem entfernten Jägerhause zu. Ich ging gegen unser
Gehöfte. Als ich zu demselben hinabkam, führten handfeste Burschen
einen wüst aussehenden Mann herbei. Es war der schwarz' Toni. Da wir
ihn am Morgen im Lärchenanwuchs gesehen, so hatte mein Vater auf seine
Spur gewiesen. Der Richter kam, und unter der großen Esche, die vor
unserem Hause stand, wurde das Verhör gehalten. Der Toni war geständig,
den Jäger Wolfgang aus Rache erschossen zu haben. Hierauf wurde der
Bursche in Ketten gegen die Stadt geführt, aus der er einst als
Wickelkind gekommen war.

Als ich in die Stube kam, saß mein Vater an seinem Bette. Er war sehr
bewegt, hub mich zu sich auf das Knie und sagte: »Bübel, das ist
ein böser Tag gewesen. Deinetwegen ist mir ein Stein auf dem Herzen
gelegen.«

Wir gingen in jenem Jahre nicht mehr hinauf zur Wildwiese. Seither
aber bin ich wohl mehrmals auf derselben gewesen. Die Weiden glitzern,
die hohen Fichten stehen noch heute -- und ihr Schatten schwindet
und wächst, wie das trübe Erdengeschick, und ihr Schatten wächst und
schwindet, wie das menschliche Leben.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




     Wie ich mit der Thresel ausging und mit dem Maischel heimkam.


Die Kramer-Thresel, das war eine der acht Seligkeiten meiner Kindheit.
Sie war ein altes Weib, und das war ein Glück, denn die +jungen+
Weiber jener Gegend tragen ihre Seligkeiten nicht auf dem Rücken
umher, wie das die Kramer-Thresel that, und die jungen Weiber bieten
ihre Schätze nicht an Knaben unter siebzehn Jahren aus, wie das die
Kramer-Thresel that. Sie trug eine braune Holzkraxe auf ihrem krummen
Rücken, in derselben waren der Schubladen drei oder vier, und obendrauf
lag noch ein großes blaues Bündel festgebunden.

Wenn wir Kinder etwas recht Braves, recht unerhört Braves thaten, so
sprach aus dem Munde unserer guten Mutter der Geist der Verheißung.
»Kinder,« sprach er, »wenn einmal die Kramer-Thresel kommt, so will ich
Euch was kaufen.«

Da huben wir denn allemal ein Freudengeschrei an und stampften mit den
Füßen, bis die Mutter wieder sagte: »Ja, wenn Ihr ein solches Getös'
macht, da werde ich Euch nichts kaufen!«

Allsogleich war's still, daß man ein Mäuschen hätte laufen hören
können, wenn eins gelaufen wäre. Aber die Mäuse kamen nur in der
Mitternacht hervor -- und die Kramer-Thresel kam gar nicht.

Heißt das, sie kam. Seit urewigen Zeiten kam sie des Jahres ein- oder
zweimal in unser Haus, wir selbst hatten das schon erlebt -- doch so
unbeschreiblich langsam ging die Zeit dahin, daß uns Kindern zwischen
Frühjahr und Herbst und zwischen Herbst und Frühjahr eine blaue
Ewigkeit lag, in der die Mythe von der Kramer-Thresel schwamm und
verschwamm wie eine Lerche im Himmelsblau.

Und einmal mitten im Winter, an einem ganz gewöhnlichen Tage, da der
Vater im Stalle die Ochsen striegelte und die Mutter in der Stube spann
und meine kleineren Geschwister sich einer zerbrochenen Spule wegen auf
dem Flötz (Fußboden) herumbalgten und ich Feldrüben in den Schweinstrog
schnitt, im Busen den Trieb, mich an dem Kampfe zu beteiligen -- ging
die Thür auf, und sie war da.

Die Kramer-Thresel. Und als aus ihrer Kraxe die Schubladen mit den
Taschenveiteln und den Mundharmoniken, und den Tabakspfeifen, und den
hellrot angemalten Spielkästlein, und den messingenen Hosenknöpfen
und Hafteln, und den bunten Zwirnsträhnen und Nähzeug, und den
feingeschnitzten Holzlöffeln, und den Stehaufmandeln und allem, allem
auf unserem Tische ausgestellt waren und wir Kinder mit Poltern und
Stoßen ringsumher die Bänke besetzten und Augen und Mund aufthaten,
da sah ich erst ein, was dieser Tag für ein grauenhaftes Loch gehabt
hätte, wenn die Kramer-Thresel nicht gekommen wäre.

Mein Sinn stand nach allem, obzwar ich mir sofort klarstellte: Alles
kannst nicht haben, den Himmel kriegst erst, wenn Du gestorben bist,
aber auf Eins setz Dich fest. -- Meine Hand zuckte nach einem Rößlein,
das auf einem Brettchen stand, welches vier »Radeln« hatte. Das Rößlein
war ziegelrot angestrichen und hatte an den Weichen weiße Blumen.

Und im Sattel saß ein blauer Reiter, der hatte einen großen Schnurrbart
im Gesicht und sogar Augen und einen wirklichen Federbusch auf.

»Laß stehen, Bub, und greif nicht alles an!« verwies mir die Mutter,
aber die Kramer-Thresel, welche so gütig und geduldig war wie unsere
liebe Frau, sagte: »Oh, das macht nichts, thu's nur angreifen, das
Zeugl, schau, der Husar reitet Dir schon entgegen!« und schupfte das
Rößlein, daß es zu mir über den Tisch her rollte.

»Haben ja kein Geld nicht,« bemerkte die Mutter.

Die Kramer-Thresel überhörte zum Glück das gefährliche Wort, sie machte
einen Deuter auf mich und sagte: »Das ist gewiß das ausbündige Bübel,
das lesen und rechnen kann und allerhand Gedichtet's austüpfelt, wie's
die Leut verzählen.«

»Ja,« antwortete die Mutter, ohne das Spinnrad auch nur einen
Augenblick stehen zu lassen, »austüpfeln kann er schon was, wenn er nur
nicht so schlimm sein thät!«

»'s selb glaub ich nicht, daß er schlimm ist,« meinte die Thresel,
»weißt was, Waldbäurin, das Bübel kunntst mir leihen. -- Ganz ernster
Weis, Waldbäurin. Meine Tochter, die hat bei den Geißen heimbleiben
müssen, und nu bin ich morgen auf dem Rattner Kirchtag hell allein. Der
Kramerstand (die Verkaufsbude) ist just nicht klein, Leut sind viel,
und ist allemal ein Gedräng ums Standel herum, eins kann nicht genug
aufpassen, und hab ich mir unterwegs noch träumen lassen: wenn ich den
Waldbauernbuben kunnt mitkriegen. Ich thät schon was hergeben.«

So die Thresel, und als jetzt die Mutter das Spinnrad stehen ließ,
um Antwort zu geben, war mir, »wie einer armen Seel' beim jüngsten
Gericht«.

Die Mutter sagte: »Ja, wenn die Thresel meint, daß sie ihn brauchen
kann, vielleicht friert ihm der Unend (Vorwitz) dabei ein Eichtl aus,
und Zeit hat er, daß er mitgeht auf den Rattner Kirchtag.«

Ich bin von der Bank geflogen, und ehe noch an den Vater berichtet
werden konnte von meiner unglaublichen Standeserhöhung, war ich schon
im Sonntagsgewandel.

Meine Geschwister erhielten jedes ein Holzlöffelchen, das glänzend
schwarz lackiert war und in der Höhlung ein rotes Blümlein hatte. Sie
fuhren allsogleich damit in den Mund und bildeten sich ein, sie äßen
Kindsbrei.

»Und der Reiter gehört Dein,« sprach die Kramer-Thresel zu mir, »den
hebt Dir die Mutter auf, und morgen, wenn Du heimkommst, laßt ihn recht
ausreiten.«

Die Mutter riet, ich sollte ein Stück Brot mitnehmen, allein die
Thresel sagte, indem sie ihre Warentrage wieder zurecht machte: »Das
wär nicht schlecht: Verköstigen werde ich meinen jungen Kramer schon
selber. Verhoff's, daß wir ein gutes Geschäft machen werden auf dem
Rattner Kirchtag. Und jetzt werden wir anrucken müssen, Bübel.«

»So geht's halt in Gottesnamen!« sagte die Mutter und spann. Meine
Geschwister aßen mit ihren neuen Löffeln von der Tischplatte weg noch
die leere Luft, und wir gingen, wie es die Mutter gesagt.

Ratten ist ein Dörflein zwischen den Waldbergen der Feistritz am Fuße
der Rattneralpe. Es hat viele Bauernhäuser auf den Hängen und in den
Schluchten zerstreut. Es hat einen ausgiebigen Dorftrost, nämlich ein
paar stattliche Wirtshäuser, und es hat eine schöne, geräumige Kirche,
in welcher der heilige Nicolaus als Pfarrpatron wohnt. Diesem Patron
zu Ehren wird alljährlich zu seinem Namenstag, am 6. Dezember, ein
Kirchtag abgehalten, und das war der Kirchtag, zu dem wir gingen.

Wir hatten drei Stunden dahin zu gehen, weil wir unterwegs in einigen
Häusern zusprachen, verhoffend, ein paar Kreuzer zu lösen. Die Leute
schoben aber ihre Einkäufe auf den morgigen Kirchtag. »Macht nichts,«
meinte die Thresel, »sie kommen uns morgen.« Da im tiefen Schnee der
Graben, den wir Pfad nannten, gar schmal war, so schritt voran die
Thresel mit ihrer Kraxe, deren angebundener Ballen hoch über ihr
Haupt hinausragte; und hintendrein trippelte ich und hatte nur selten
einen Blick frei über die Schneemauer hinaus in die weite Welt. Diese
weite Welt dehnte sich bis zum Waldhang, der hinter dem vereisten und
versulzten Wasser aufstieg, und an welchem dort und da ein Häuslein
klebte oder eine träge rauchende Kohlstätte war. Und endlich sah ich
über einer Höhung den roten Riesenzwiebel des Kirchturms von Ratten
hervorragen. Auf der Straße, in die wir nun einbogen, war es recht
lebhaft. Da fuhren Schlitten, mit einem alten Roß oder mit einem alten
Weib bespannt, da schleppten andere an hochgeschichteten Rückentragen,
Jüdlein darunter mit ihren Bündeln doch den Übrigen vorhastend,
da huschten mit aufgestülpten Rockkrägen Musikanten mit vereisten
Schnurrbärten, da kamen schon Holzknechte und Tagwerker in ihrem
Sonntagsstaate daher und trotteten recht langsam, als wenn es gar nicht
eile, aber doch auf kürzestem Wege dem schon durch und durch lebendigen
Wirtshause zu.

Auf dem Kirchplatz baute das Krämervolk schon an seinen »Ständen«,
deren Bretter noch öde und leer lagen, deren Wand- und Dachgerippe noch
von keiner Plache überspannt waren.

Als wir mitten auf den Platz gekommen waren, blieb die Thresel stehen,
starrte gegen das Kirchhofsthor hin und murmelte: »Was ist das?«

War der Standplatz schon verbaut, der an der lebhaftest begangenen
Stelle lag, just vom Kirchenthore her, und den die Thresel seit
altersher besessen hatte. Der Maischel, ein wegen seiner spottbilligen
Waren berüchtigter Hausierjude, hatte hier seine Stätte aufgeschlagen.

»Ich pack nit aus,« sagte die Thresel in einem schönen Ebenmaß von
Entrüstung und Selbstgefühl und that just so, als wollte sie auf der
Stelle umkehren. Stand noch zu rechter Zeit der Taferner da, der
Kirchenwirt, der die Standplätze zu vergeben hatte, und der seine
Handlung damit entschuldigte, daß er der Thresel zu bedenken gab, der
Jude habe doppeltes Standgeld für den Platz am Kirchhofsthore geboten.

Für einen solchen Handel, sagte nun die Thresel, sei ein Jude zu wenig,
einer müsse sein, der das Gebot mache, und ein zweiter, der es annehme.

Der Taferner that ein süßes Lächeln, als hätte ihm die Thresel eine
Schönheit gesagt, dann schlug er ihr den gegenüberliegenden Platz vor,
just neben der Bildsäule des heiligen Nicolaus, das wäre eigentlich
noch ein viel besserer Platz und für den alten Preis zu haben.

Was blieb uns übrig, als anzunehmen? Nun gingen wir eine warme
Suppe essen, dann machten wir uns flink an das Standaufrichten. Die
Thresel hatte ihr eigenes Zeug dazu, welches in einem Gelasse der
Taferne aufbewahrt war, und welches wir nun herbeischleppten. Als wir
die Bretter heranschleiften, wußte die Thresel ein paarmal solche
Schwenkungen zu machen, daß wir damit scharf an das gegenüberstehende
Judenständlein anrannten. Dieses wackelte, aber der Maischel stützte
es behendig und schmunzelte dabei. Der Jud Maischel war ein gar
schlichtes, aber rührsames Männlein, sein Haar und Bart waren
kohlschwarz und gekräuselt wie bei neugebornen Lämmern die Wolle, in
seinem dunkelroten Gesichte lugten zwei Äuglein, die einem nie ins
Antlitz schauten, sondern allemal, wenn er sprach, der Gegenperson
an den Hals oder an die Achsel guckten. Der Jud Maischel hatte eine
geradezu überchristliche Sanftmut, er war mit nichts zu erzürnen. Tief
entrüstet war er einzig nur, wenn man ihm für eine Ware, die er um drei
Gulden schätzte, etwa zwölf Groschen anbot. Aber voll tiefer Verachtung
schlug er die Ware um dies schmähliche Angebot los, und dem Käufer
wurde angst und bang.

»Frau Thresel,« sagte ich nun zu meiner etwas schwermütig gewordenen
Prinzipalin, »die Rattnerleut sind Ehrenleut, die kaufen dem
Leutanschmierer nichts ab, die Frau Thresel wirds schon sehen.«

»Gott geb's!« seufzte sie auf.

Nun wurde es Abend, und am Abend wurde es lustig. Beim Taferner waren
alle Tische besetzt, und auf jedem Tisch stand ein Kerzenlicht, und
darüber war der Wein- und Bratenduft und der blaue Tabakrauch, daß es
eine helle Pracht war.

Wir zwei saßen im Ofenwinkel, hatten neben uns auf der Bank ein Glas
Obstmost stehen, in das wir -- einmal ich und einmal die Thresel --
eine Semmel tauchten. Die Wirtin wollte auch uns Licht bringen, indem
sie sagte: »Nicht einmal ein Toter mag ohne Licht sein.«

»Das schon,« antwortete die Thresel, »aber wir zwei sind noch lebendig,
und zum Dasitzen sehen wir häufig genug, und daß wir uns für andere
beleuchten lassen wollten, dazu sind wir zu wenig schön.«

In Wahrheit wollte sie nur nicht, daß das übrige Krämervolk, welches in
der Wirtsstube hochmütigerweise bei Wein und Schöpsenfleisch schwelgte,
unser bescheidenes Nachtmahl sehen sollte. Sie hatte eine Ahnung davon,
was bei einem Kaufmann der äußere Schein bedeutet.

Die Gesellschaft wurde immer lauter und unbändiger, und etliche Bursche
huben an zu singen:

                      »In Ratten, da ists lustig,
                      In Ratten, da ists lustig,
                      In Ratten, da ist alles frei,
                      Da geht ka Polizei!«

»Leider Gottes!« sagte die Kramer-Thresel vor sich hin, »und jetzt
gehen wir schlafen.«

Sie hatte sich eine Kammer bestellt; ich wurde zum Pferdeknecht ins
Bett gethan. Der Pferdeknecht hatte schon von Natur einen stattlichen
Leib, als er aber so neben mir im Bette lag und schlief -- er schlief
wie ein Pferdeknecht -- floß er so sehr auseinander, daß ich an
den Rand gedrückt wurde und Gefahr lief, auf den Boden zu fallen.
Glücklicherweise war vom Bette etwa nur einen Fuß entfernt die
Stallwand, an welcher zwar das Wasser des Stalldunstes niedertropfte,
an welche ich mich aber mit dem ausgestreckten Arm dermaßen anstemmen
konnte, daß ich dem Drucke meines Bettgenossen die ganze Nacht hindurch
glücklich stand hielt. Daß man in solcher Lage vom Schlafe nicht
belästigt wird, ist selbstverständlich, und so hatte ich denn Zeit, in
Gedanken den Pferdeknecht zu entschuldigen, der, müde von des Tages
Last und Plage, rechtmäßig ja über das ganze Bett verfügen konnte;
und in Gedanken auch Gebete zu verrichten, daß morgen unter meiner
Mitwirkung der Kirchtag für meine Prinzipalin doch um Gotteswillen gut
ausfallen möge. Ich sann mir Reden aus, um die Käufer anzulocken und
die Waren zu preisen, und ich sah die Leute herbeiströmen zu unseren
köstlichen Sachen. Wir hätten Alles verkauft, auch das leere »Standl«
noch dazu, wenn ich nicht zu früh von meinem Traume erwacht wäre.
Und nun gewahrte ich, daß sich mein Pferdeknecht mitsamt den Pferden
fortgemacht hatte -- »schon fahrend draußen aus den kalten Straßen«.
Jetzt, das war ein Wohlbehagen, wie ich mich nach Gefallen strecken
konnte im weiten Bette und mich einmal gründlich durchwärmen. Ich
bedauerte den Pferdeknecht, daß er schon so früh in den Winter hinaus
mußte, aber im Grunde wars mir doch lieber, als wenn er noch im Bett
gelegen wäre mit seiner breiten, schlaftrunkenen Wesenheit.

Leider dauerte das nicht lange. Die Thresel tastete sich in den Stall,
rief meinen Namen und fragte, ob ich ausgeschlafen hätte. Ich sprang
sogleich auf. Als wir bei der Frühsuppe saßen in der wohldurchwärmten
Wirtsstube, gab mir die Thresel Weisung, wie ich mich am Standl zu
verhalten hätte. Für's erste einmal achtgeben, daß nichts »Füße
kriegt«, dann, wenn um den Preis von etwas gefragt würde, es ihr -- der
Thresel -- allsogleich mitzuteilen, nach ihrem Ausspruch nachher aber
nicht mehr »handeln« zu lassen, weil sie die Sachen nicht überschätze.
-- Dann gab sie mir zwei Sechser, damit ich wisse, wofür ich mir am
Standl Finger und Nase erfrieren lasse, dann nahm sie ihre Kraxe, und
wir gingen in des lieben Gottes Namen hinaus auf den Kirchplatz.

Es war noch nächtig, aber man hörte schon das Gesurre der Leute, und
die Kirchenglocken läuteten zu der Rorate. An den »Kramerstandln« war
viel Hämmern und Schreien, und auch wir prüften nochmals unsere Bude
und legten, während drin in der Kirche die Orgel tönte, unter stillem
Einschluß in die heilige Messe die Waren aus. Und nun trat mir die
Größe und Vielfältigkeit der Habe meiner Prinzipalin ganz vor Augen.
Sie hatte alles, denn was sie nicht hatte, daran dachte ich nicht, es
war Nebensache. Sie hatte Klein- und Galanteriewaren, wie sie der Bauer
braucht, oder wenigstens gerne besäße, wenn er sie kaufen könnte:
allerlei Messer und Gabeln und andere Werkzeuge, Geldtäschchen,
Brieftaschen, Hosenträger, Uhrschlüssel, Rauchzeug, Sacktücher,
Heiligenbildchen, Einschreibebüchlein, Zwirn, Bänder, Kinderspielwaren,
Handspiegel und so weiter über den langen und breiten Tisch hin, und
was an den Stangen und Haken hing, und was noch in den Laden der Kraxe
und in dem unerschöpflichen Ballen war.

Aber als nun der Tag graute -- ein trüber, sachte schneiender Wintertag
-- da mußte ich sehen, daß der Jude uns gegenüber all dieselben Sachen
ausgestellt hatte, aber viel kecker und wirrer ausgestellt, daß sie
ordentlich in die Augen schrien. Und an den Dachecken seines Standls
prangten zwei rote Fähnlein wie bei uns zu Kriegszeiten, wenn die
Soldaten fortzogen, oder beim Festscheibenschießen am Kaisertag, oder
wenn sonst etwas Unerhörtes war. Und zwischen den Fähnlein war eine
große Tafel: »Gut und billig, da kauft's ein!« Und nahm jetzt -- wie
die Leute aus der Kirche strömten -- der Racker eine Mundharmonika
zwischen die Zähne und blies darauf los und schrie über die Leute hin,
daß er einen Haupttreffer gemacht hätte in der Lotterie und daher heute
alles verschenke. »Das Stück Silberlöffel fünf Kreuzer, das Dutzend
noch billiger!« rief er und brachte damit die Leute in Verwirrung. Dann
schwang er hellrote Seidentücher über die Köpfe hin, »für Dirndaln!«
rief der Maischel, konnte aber nicht einmal die Worte aussprechen,
»und wenn eine das tragt um den Hals, laufen ihr alle Buiben nach. Ich
gebs aber nicht her!« Und zog es hastig wieder zurück. Solche Sachen
trieb er und schrie fortwährend: »Da geht's herbei! da wird gehandelt,
geschenkt, noch was draufgegeben, da ist der Glücksberg!« Und immer
dichter wurde um das Judenstandl die Menschenmenge, und uns, dem
ehrbaren Stande der Thresel, wendeten sie den Rücken zu.

Mir wurden in meinem Zorne alle Schneeflocken grün und gelb vor den
Augen, und ich stieß die Thresel: sie solle doch auch zu schreien
anheben, daß uns die Leute sähen.

»Du bist nicht gescheit,« sagte sie zu mir, »wo +solche+ Leut
lärmen, da ist's ein Schand und Spott das Maul aufzumachen. Da packen
wir lieber z'sam'.«

Jetzt hub weiter unten auf dem Platz auch noch ein anderer zu schreien
an; das war ein Krainer, wollte aber gescheiter sein als der Jude und
rief: »Daher, Leutel, daher! Bei mir ist die Schönheitsseife zu haben,
die echte, approbierte und privilegierte Schönheitsseife! Werden alle
garstigen Dirndln, die sich damit waschen, engelsauber und alle alten
Weiber blutjung!«

»Das ist Schwindel vom Krainer!« rief der Maischel, »bei mir
zu bekommen die ganz neu erfundene, blütelweiße und rosenrote
Schönheitsseife, aber +nur für die Jungen und Schönen+ zu
gebrauchen, daß sie nicht werden alt. Echt und billig. Meine Herren und
Damen, geht nicht vorbei an Eurem Glück!«

Selbstverständlich wählte jede die Seife des Juden.

Nun hub der Maischel an und schellte mit einem Sack Nummern und ließ
ziehen. Er spielte seine Waren aus; mit einem Groschen Einsatz konnte
man goldene Ringe und Uhren, ganze Fläschchen von Liebestränken und die
unglaublichsten Schätze gewinnen.

Die Thresel hatte den lärmenden Juden lange beobachtet -- Zeit hatte
sie dazu -- und nun sagte sie kopfschüttelnd: »Der ist vom Teufel
besessen.«

Der Markt war schon im vollsten Gange, es wurde gefeilscht
und gekauft, es wurden Späße getrieben beim Lebzelter und beim
Schnapsschenker, und man hörte singen:

                    »In Ratten, da ist alles frei,
                    Da giebt's ka +Polizei+!«

Weiber gingen umher von Stand zu Stand und füllten ihre Handbündelchen
mit Äpfeln, Nüssen, Lebzelten und Spielwaren für ihre Kinder zum
»Nikolo«. Ich hielt die Hände in den Hosentaschen und zappelte
mit den Füßen hin und her und klöpfelte die hartgefrornen Schuhe
aneinander. Von den Zehen wußte ich ohnehin nichts mehr, sie gaben kein
Lebenszeichen von sich, was übrigens in jenen Zeiten bei mir nichts
Neues war -- die Zehen hielten ihren Winterschlaf, und die Kälte fing
mir in ihnen allemal erst an weh zu thun, wenn es warm wurde. Nun so
trippelte ich an unserem vergessenen Standl, und wir hatten immer noch
nicht ein Stück verkauft. Mir war zum Verzagen.

»Ich möchte in den Erdboden sinken,« flüsterte ich der Thresel zu.

»Dazu ist er viel zu hart gefroren,« war ihre Antwort, »aber das muß
ich schon sagen, ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.«

Das Wort hat mich ins Herz getroffen. Vielleicht war ich die Schuld!
Ich hatte keinen Schick, gar keinen, konnte die Sache nicht betreiben,
stand da »wie der Damerl beim Thor« und schaute blitzdumm drein. -- Ein
solcher Kirchtag ist ihr was Neues!

Jetzt sah ich am Rande unseres Standels einen guten Bekannten von
meiner Gegend, es war des Grabenbergers Geißbub, das Natzelein. Das
lugte so auf die bleiernen Taschenuhren her und auf die Ludelpfeifen
und auf die blinkenden Federmesserlein und auf mich, wohl erwägend,
wieso ich bei diesen Schätzen stehe, die er mit gierigen Augen
angriff, nachdem ihm früher die Thresel mit den Worten: »Schau, das
gehört nicht Dein, das laß stehen!« seine Finger von einem zinnernen
Streichholzbüchslein losgelöst hatte. Zu diesem Natzelein strich ich
nun hin, und ihm heimlich meine zwei Sechser in die Hand drückend,
flüsterte ich ihm hastig ins Ohr: »Kauf was! Kauf Dir was!«

Alsbald stand ich wieder an meinem Platze und schaute mutiger auf die
ergebene Thresel hin, mit Herzklopfen die Herrlichkeit erwartend, da ja
jetzt bald ein Käufer anrücken würde.

Das Natzelein lugte in seine hohle Hand, und als es sah, es wären
zwei silberne Sechser drin, machte es ein grinsendes Gesicht zu mir
herüber, dann drehte es sich flugs um und kaufte drüben beim Juden ein
Tabakrauchzeug.

Jetzt vergaß ich meiner Würde, hin schoß ich zwischen den Beinen der
Leute wie ein gereizter Tiger auf das Natzelein zu und warf es zu
Boden. Ein Gebalge entstand, daß der Schnee stäubte und die Leute mit
hellem Gelächter einen Kreis um uns bildeten. Ich wollte dem Natzelein
für seinen Hochverrat die neue Pfeife entwinden und sie zu Scherben
machen, aber der Rattner Gemeindediener ließ mir keine Zeit dazu.
Dieser Mensch faßte mich auf einmal beim Rockkragen an und zog mich
hübsch kräftig in die Höhe; und weil alles rief, ich hätte ohne allen
Anlaß den arglosen Jungen überfallen, so war nun vom Gemeindekotter die
Rede.

Da kam ich drauf, daß der Ausspruch der Thresel auch auf mich passe:
»Ein solcher Kirchtag ist mir was Neues.« Aber ich biß in die Lippen
hinein, und wie sie mich auch verhörten: warum ich wäre raufend worden?
das wäre sauber, wenn es an Kirchtagen die kleinen Buben den Großen
nachmachen wollten! -- ich sagte kein Wort. Ich konnte keins sagen und
wollte auch nicht, weil ich mir dachte, sie könnten dann glauben, das,
was geschah, wäre aus Geschäftsneid geschehen.

So wurde ich nun befragt, ob ich der Kramer-Thresel ein Sohn sei; da
schrie meine Prinzipalin vom Standel her, ich wäre nichts weniger als
ihr Sohn, ich wäre der Waldbauernbub, sonst ein gutes Kind, aber ich
müsse vor Kälte wahnsinnig geworden sein.

Der Gemeindediener von Ratten konnte nichts Besseres thun, als stark
in seinen riesigen Schnurrbart hineinzupfauchen und mich dann an der
Hand durch die Leute, die ganz grauenhaft bereitwillig uns eine Gasse
bildeten, vom Marktplatze wegzuführen. Vom Markte weg und hinaus vor
das Dorf, wo er mich mit dem wohlgemeinten Rate, ich solle schauen, daß
ich heimkäme, auf der freien Straße stehen ließ.

Von rechtswegen hätte ich jetzt wimmern sollen, allein ich konnte
nicht, meine Entrüstung war zu groß. Ich beschloß, nicht zu schauen,
daß ich heimkäme, sondern auf der Straße zu warten, um über den
Grabenberger Buben, wenn er des Weges ginge, ein gerechtes Gericht
zu halten und auch die Kramer-Thresel abzupassen, um ihr den ganzen
Sachverhalt mitzuteilen, wie ich dem Natzelein mein Geld gegeben,
daß er ehrenhalber bei uns was für sich kaufe, und wie diese falsche
Kreatur die Silberlinge zum lärmenden Juden getragen habe.

Spät am Nachmittage, als schon das Volk der ganzen Gegend mit
seinen verschiedenen Einkäufen und Räuschen zu Fuß und zu Schlitten
vorübergezogen war, kam die Thresel mit ihrer schweren Trage
herangeschnauft, und neben ihr watschelte die Kreatur daher mit
verbundenem Kopf, liebreich von der Alten an der Hand geführt und
gezärtelt, als wollte sie es gut machen, was ihr Bursche an diesem
Natzelein verbrochen. Unter solchen Umständen verbarg ich mich rasch
hinter einen Fichtenstamm und ließ sie vorbeiziehen. Und dann ging ich
ihnen langsam nach, voll der tiefsten Betrübnis.

Ich war noch nicht auf halbem Wege, als eine solche Müdigkeit über mich
kam, daß ich mich an den Schnee hinlehnte um zu rasten. Auf diesem
Pfade gingen keine Menschen mehr. Es war im Hausteiner Walde, die Häher
und Krähen stäubten Schnee herab von den Bäumen. -- Ich mußte schon
recht gut geschlafen haben, da wurde ich plötzlich aufgerüttelt, und
vor mir in der Abenddämmerung stand der Hausierer Maischel mit seinem
Bündel.

»Was ist's denn mit Dir, Würmlein,« sagte er, »das Erfrieren ist ja
nicht gesund! Da müssen wir noch beizeiten einheizen!« Er hielt mir
ein Holzplützerchen an den Mund, und als ich daraus ein paar Schlucke
that, da wurde mir so warm inwendig, so warm ums Herz, daß es mir zu
Sinn kam: der Maischel ist doch kein schlechter Mensch. Da er fand, daß
es nicht ratsam sei mich allein zu lassen, so ging er mit mir bis zum
Hause meines Vaters. Also ist es geschehen, daß ich mit der Thresel
ausging und mit dem Maischel heimkam.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                     Als ich das Ofenbückerl war.


Warum es so frostig wird heutzutage? Warum wir gefroren sind? Weil
wir keinen ordentlichen Ofen mehr bauen können. Allen Respekt vor den
schwedischen und russischen Öfen, vor den Berliner und Meißner Öfen,
gar zierlich sind sie und ein Zimmerschmuck und alles mögliche, aber
so recht gemütlich? -- So recht gemütlich ist nur der große, breite,
behäbige Kachelofen mit seinen grünen oder braunen Augenreihen, mit
seinem Holzgeländer und seiner Ofenbank. Die Ofenbank, wo die Kindheit
und das Alter hocken, das Enkelein und die Großmutter -- und die alten
Märchen!

Daheim in meinem Vaterhause, da stand so einer! Ganz hinten in der
linken Stubenecke, wo es immer etwas dunkel war. Über der breiten
Ofenbank, die sich um ihn herumzog, war eine Reihe viereckiger
Plattkacheln und darüber in weißem Lehm eingefügt die runden Kacheln
mit hervorquellenden Bäuchen, in welchen sich die lichten Stubenfenster
mit ihren Kreuzen spiegelten. Der Ofen strebte breit auf und wölbte
sich oben in Kacheln sachte zusammen. Wenn man fragte, wie alt er
sei, so antwortete der Vater: »Mein Ähndl wird ihn haben setzen
lassen, oder der Urähndl.« Freilich wurde jeder kleine Schaden an
ihm sofort verkleistert und mit weißem Lehm übertüncht, freilich
wurden ihm fast alle Samstage die großen Augen gewaschen, so daß er
immer jung und frisch in die Stube schaute. Umfriedet war er von dem
leiterartigen Geländer, an das die Mutter unsere frischgewaschenen
Hemden zum Trocknen hing. Denn warm war es bei diesem Ofen immer,
selbst im Sommer, wo sonst der Brunnentrog warm und der Ofen kalt zu
sein pflegt. Er wurde überhaupt nie kalt, und es mochte sein, wie es
wollte, es mochte regnen oder schneien oder winden -- auf der Ofenbank
war's immer gut. Und wenn draußen der Sturm toste in den alten Fichten
und der hölzerne Hirsch an der Wand klapperte, und wenn die Blitze
bleckten, daß die ganzen Berge über dem Graben drüben grün und gelb
waren, und wenn der Donner schmetterte, als breche schon der Dachstuhl
nieder mitsamt dem Giebel und seinen Schwalbennestern, da dünkte mich
die Ofenbank der sicherste Ort, wohin das Verderben so leicht nicht
reichen könne. Kurz, die Ofenbank war mir der trautsamste Mittelpunkt
des heimatlichen Nestes. Lange Zeit hatte ich mein Bett auf derselben.
Ich lag auf der Ofenbank, als ich so klein war, daß im Munde noch der
»Zutzel« und zwischen den Beinen noch die Windel stak; ich lag auf der
Ofenbank, als ich so krank war, daß die Mutter mich dem Himmel gelobte,
wenn er mich nicht zu zeitlich nähme (das wurde später rückgängig, weil
das Geistlichwerden Geld kostete). Ich lag auf der Ofenbank, als ich so
dumm war, allmorgentlich die Oberlippe mit Seife einzureiben, damit der
Schnurrbart endlich wachse. Ich lag auf der Ofenbank viel später, als
der Bruder Jakob mir den Bart wegkratzte, weil er mir zuwider war. Und
wenn ich in früheren Zeiten dort so lag, da hörte ich manchmal hinter
den Kacheln drin leise das Feuer knistern, wenn die Mutter morgens
eingeheizt hatte; es wurde wärmer, aber es wurde nicht schwül um mich.
Es wurde nie kalt, und es wurde nie heiß, und wenn mir einer so einen
alten Kachelofen plump und unförmig schimpft, so stelle ich seinem
Leben nach. Denn über den besten Freund unseres Hauses lasse ich nichts
kommen.

Er gab uns nicht allein Wärme, er gab uns auch Brot. Alle zwei
Wochen einmal war Backtag. Man kennt die Stattlichkeit der Brotlaibe
bäuerlicher Abkunft; solcher Laibe ihrer vierzehn hatten nebeneinander
Raum auf dem glühheißen Steinboden drinnen.

Während der Ofen also das Brot buk, hatte unsere Mutter ein besonderes
Heil mit ihm. Da durfte kein feuchter Lappen in seiner Nähe hängen,
da durfte in der Stube keine Thür und kein Fenster aufgemacht werden,
damit kein ungeschaffenes Lüftchen den braven Ofen anwehe und seine
Frucht etwa beeinträchtige. Zwei Stunden lang dauerte die Backzeit,
und da war es in der Stube allerdings so, daß nicht bloß die Heiligen
schwitzten auf dem Hausaltare, sondern auch alle Fenster -- selbst
im hohen Sommer. Die Fenster sind sonst nicht so wie unsereiner, der
im Sommer schwitzt; die Fenster schwitzen im Winter, wenn's drinnen
wärmer ist als draußen. Aber beim Backen gab's eine Ausnahme. Einmal
stieß in solch heikler Stunde des Backens der Wind ein Fenster auf; was
geschah? Die Brotlaibe, die schon angefangen hatten aufzuschwellen,
fielen in sich zusammen und blieben spickig wie ein Klumpen Schmer.
Nicht +ein+ so großes Löchelchen im Innern des Laibes, daß man ein
Haferkorn, geschweige eine Erbse drin hätte verstecken können! Damals
hat die Mutter geweint. Wir aßen das Brot in der Suppe wie sonst.
»Wenn's den Laib im Ofen nicht auftreibt, so treibt's den Magen auf,«
heißt es, und so war's auch.

Am Backtag gab's für mich kleinen Buben allemal eine säuerliche
Freude. Denn bevor das Brot in den Ofen kam, mußte ich hinein. Aber
zum Glücke nicht nach dem Feuer, sondern vor demselben. Da war's
etwas staubig drinnen und rußig und ganz finster. Mit einem Besen aus
Tannenreisig hatte ich den Steinboden des Ofens auszufegen, Kohlen,
Asche fortzuschaffen und dann die großen Holzscheiter übereinander
zu schichten, die mir die Magd zum Ofenloch hineinsteckte. Ich weiß
nicht, ob die Spanier im Mittelalter auch so geschichtet haben:
zuerst eine Brücke gerade aus, darüber eine Brücke in die Quere, dann
wieder eine gerade aus und eine in die Quere u. s. w. So baute ich
den Scheiterhaufen, und so brennt's am besten. Die Scheiter waren
anderthalb Ellen lang, und als das Gebäude aufgeführt war bis fast zur
Wölbung, da engte es sich arg, und da kroch ich ringsherum, zu sehen,
oder vielmehr zu tasten, ob es gut war -- und dann zum Loch hinaus.

Zum Lohn für solch finstere Thaten bekamen wir Kinder jedes ein
frischgebackenes Brotstritzlein, welches wir gleich in noch dampfendem
Zustande verzehrten.

Wie die Scheiter gebaut wurden, ist schon gesagt worden. Alsdann
den Stoß anzünden, brennen lassen, ausgluten lassen, die Glut mit
einem Krückel auseinanderstieren, dann herauskratzen und mit der
Ofenschüssel, einer langbestielten Holzscheibe, die kugelrunden
Teigklumpen hineinschießen.

»Einschießen«, ja, das war der Ausdruck dafür. Ich vermute, die Mutter
hat während des Einschießens allemal ein heiliges Gelöbnis gemacht:
Einen Rosenkranz extra will sie beten, oder einem Bettler besonders
will sie ein großes Stück Brot schenken, wenn's gelingt. Denn wie ich
schon angedeutet -- allemal gelang es nicht.

Einigemal lieferte uns der Ofen etwas besonders Gutes. Ein
strudelartig breit und dünn ausgewalzter Teig wurde in den heißen
Ofen geschossen; nach einiger Zeit kam die Platte heraus, hatte
eine bräunliche Farbe und war hart und spröde wie Glas. Schon das
war fein zu knuspern. Nun kam aber die Mutter, zerkleinerte mit dem
Nudelwalzer knatternd diese Scheibe aus Mehl, that die Splitter in
eine Pfanne, wo sie geschmort und geschmälzt wurden. Das war hernach
ein Essen! Scharlbrot wurde es genannt. Ich habe diese ganz eigenartig
wohlschmeckende Speise sonst nirgends wieder gefunden, möchte aber
gerne ihren und ihres Namens Ursprung wissen.

Der Ofen hatte auch noch andere Verpflichtungen: er dörrte das Korn,
bevor es in die Mühle kam. Denn da oben im Gebirge will's nicht
recht trocknen, und so mußte das Korn auf den heißen Boden hinein,
wo es mit dem langstieligen Krücklein fortwährend umgerührt ward.
Desgleichen dörrten wir im Ofen auch das »Hablam« (trockene Blüten-
und Samenabfälle des Heues), aus welchem ein sehr geschätztes Mehl
für Mastvieh bereitet wurde. Auch Kirschen, Heidelbeeren und Schwämme
machte uns die Ofenhitze solchermaßen tauglich zum Aufbewahren für
den Winter. »Die ausgetrockneten Früchte halten länger als die
vollsaftigen!« sagte das steinalte und spindeldürre Everl, als die
junge Martel auf der Bahre lag. Das Everl dachte dabei vielleicht an
die schwere heiße Lebenszeit, die es selber ausgetrocknet und gedörrt
hatte, wie der Ofen die Pflaume.

Einmal -- und das ist's, was ich eigentlich erzählen will -- spielte es
sich, als sollte in unserem großen Ofen auch Fleisch gebraten werden.

So um Allerheiligen herum war ein junger, schlank gewachsener Vagabund
zu uns gekommen. Ich weiß nur noch, daß er sehr lange Beine hatte und
im Gesicht eine platte Nase und darunter eine Hasenscharte. Er schien
soviel als erwachsen, hatte aber das Stimmlein wie ein Knabe. Und mit
diesem Stimmlein fragte er ganz hell und grell meinen Vater, ob er über
den Winter dableiben dürfe?

»Das ledige Herumzigeunern ist halt nur im Sommer lustig,« antwortete
ihm mein Vater. »Nun, wenn Du dreschen willst, so kannst bleiben. Kost
und Liegerstatt wirst Dir doch verdienen.«

Der Bursche war nicht blöde, that gleich, als ob er bei uns zu Hause
wäre, und beim Nachtmahl erzählte er laut, daß er vor kurzem in einer
Gegend gewesen sei, wo es ein sehr gutes Essen gab: das Kraut wäre
gezuckert gewesen, der Sterz mit Wein geschmalzen, und die Knödeln
wären durch und durch schwarz gewesen vor lauter Weinbeerln.

Darob wurde der Junge ausgelacht, und unser Stallknecht sagte: die
Sachen wären ja nicht zuwider, aber anders gemischt müßten sie sein:
zum Sterz die Weinbeerln, zum Wein der Zucker und zu den Knödeln
das Kraut. Hernach sagte der Kaunigl -- so nannte sich der Bursche
mit seinem Kinderstimmlein -- er habe auch schon Schwabenkäfer in
Buttertunke gegessen, die seien sehr gut! worauf ihm mein Vater den Rat
gab, er solle stille sein.

Nach dem Essen, als kaum das letzte Kreuz gemacht war, zog der Kaunigl
ein Büschel Spielkarten aus der Hosentasche, mischte es kundiger
Hand, warf für drei Personen ein Spiel aus und blickte fast erstaunt
umher, ob denn keiner mitthun wolle? Ich lugte hin nach den leicht
geschweiften Karten mit dem geeichelten Rücken und den bunten Figuren,
die der Kaunigl so glatt abzulegen und so schön pfauenradförmig in
der Hand zu halten wußte. Ich wollte schon anbeißen, da fuhr der
Vater drein: »Weg mit den Karten! Morgen ist der Armenseelentag
(Allerseelen)! Denkt's aufs Beten!«

Am nächsten Tage, während der Vater in der Kirche war, saßen wir, der
Kaunigl und ich, in der Flachskammer und spielten Karten. Ich mußte
erst die Blätter kennen lernen, aber merkwürdigerweise wurde ich mit
den zweiunddreißig Kartenfiguren viel leichter vertraut, als ein Jahr
vorher mit den vierundzwanzig Buchstaben. Leider kam die Mutter um
einen Rocken für ihr Spinnrad, sie verdarb alles. »Aber Buben!« sagte
sie, »derbarmen euch die armen Seelen nicht, daß ihr so was treibt am
heutigen Tag?!« Wir verzogen uns. Aber der Hasenschartige hatte mir's
schon angethan. Er wußte und konnte allzuviele merkwürdige Sachen, die
noch dazu verboten waren!

An einem der nächsten Tage hockten wir im Heustadl auf einem
Futterhaufen und spielten wieder Karten. Ich hatte solche Fortschritte
gemacht, daß mir nicht bloß die Figuren, sondern auch schon sehr viele
Spiele bekannt waren. So thaten wir »zwicken«, »brandeln«, »mauscheln«,
»bettlerstrafen«, »königrufen«, »grün' Buben suchen«, »pechmandeln«,
»mariaschen« und anderes. Weil kein Tisch war, so legten wir die Karten
aufs Knie, zwickten sie zwischen die Beine, und der Kaunigl steckte
seine Trümpfe sogar einmal in die Hasenscharte. Keuchte gählings das
alte Everl die Leiter herauf. Wir verhielten uns im dunklen Raum
mäuschenstill, aber sie hatte uns doch bemerkt. »Buben!« rief sie, »was
thut's denn, Buben?«

»Beten,« gab der Kaunigl zur Antwort.

»Ja, beten! Mit des Teufels Gebetbuch, gelt?« rief das Weiblein.
»Wißt's es nit, daß der Vater das Kartenspielen nit leiden mag? Wird
euch schön sauber der Schwarze bei den Füßen packen und in die Höll
hinabschleifen.« Somit war's mit dem Spiel wieder aus. In die Höll
hinabschleifen, das wär so etwas!

Am nächsten Sonntage machte der Kaunigl den Vorschlag, daß ich mit
ihm in den Schachen (Wäldchen) hinausginge, damit wir bei unserer
Unterhaltung endlich einmal Ruh hätten. Aber es regnete, und es
schneite, und es ging ein kalter Wind, also daß ich der Einladung
nicht nachkam. Ob ich aus Papier wäre? piepste hierauf der Kaunigl,
daß ich fürchten müsse, vom bissel Regen aufgeweicht zu werden und
auseinanderzufallen! Im Wassergraben habe er seiner Tage am besten
geschlafen, und so wie er schwarze Erde mit Brennesseln esse, wenn er
sonst nichts habe, so wolle er sich in Ermanglung eines Bettzeuges
nackend in Schnee einwickeln, und ich solle lieber in der Mutter ihren
Kittel hineinschliefen. -- Aber schon an demselben Nachmittage kam
der Kaunigl mit etwas anderem, was ich in der Lage war anzunehmen.
Die Stube war besetzt vom Vater, der an der Wanduhr etwas zu basteln
hatte, und von den Knechten, die ihre Schuhe nagelten. In den übrigen
Winkeln des Hauses war es auch nicht sicher, also in den Ofen hinein!
In demselben war ein Holzstößlein geschichtet, wir krochen hinter das
Stößlein. Nachdem der Kaunigl den Deckel des Ofenloches zugezogen
hatte, zündete er die mitgebrachte Kerze an, that die Karten hervor,
und wir huben an. Gemütlicheres giebt's gar nicht auf der Welt, als
in einem großen Kachelofen bei Kerzenbeleuchtung »brandeln« oder
»zwicken« oder »mariaschen«. Die rötlich gebrannte Mauer, die schwarzen
Kachelhöhlen um und über uns bargen und hüteten, und nun waren wir
doch einmal sicher und konnten »fabeln« oder »mauscheln« oder was wir
wollten, bis in die späte Nacht hinein. Durch die Kacheln von der Stube
her hörten wir ein Surren; sie thaten Rosenkranz beten, der Kaunigl
warf die Blätter auf ein »Brandeln«. Wir spielten um Geld. Gewann er,
so blieb ich schuldig, gewann ich, so blieb er schuldig. Es soll keine
größere Ehrlosigkeit geben, als Spielschulden nicht zahlen. Lieber
Leser, so einer bin ich! -- Just hatte ich wieder ein schönes Blatt in
der Hand: zwei Könige und drei Säue und den Schellschneider, der Trumpf
war -- da klirrte plötzlich der blecherne Ofenthürdeckel. Das Licht
war sofort ausgeblasen, und wir verhielten uns still wie zwei tote
Maulwürfe. Jetzt geschah etwas Unvorhergesehenes, etwas Schreckliches.
Vor dem Ofenloche stand das gedörrte Everl und fuhr mit einer Spanlunte
herein in den Holzstoß, der zwischen uns und dem Ausgange war. Die
Flammen leckten an den Scheitern hinauf. Ich zwischen durch und mit
einem kreischenden Schrei hinaus, daß das alte Everl vor Schreck in den
Herdwinkel fiel. Dem Kaunigl ging's nicht so gut, dem spießten sich die
langen Beine, er konnte zwischen Wand und Scheiterstoß nicht sofort
heraus, der Rauch verschlug den Atem, und schon hörte man nichts mehr
von ihm.

»Der Kaunigl ist drinnen!« schrie ich wie verzweifelt, da wurde mit dem
Sterkrampen der brennende Holzstoß, Scheit um Scheit, herausgerissen
auf den Herd, und schließlich wurde mit demselben Krampen ein Häuflein
Mensch herausgezogen, das ganz zusammengekauert war wie eine versengte
Raupe und dessen Kleider bereits an mehreren Stellen rauchten.

Zwei Schöpfpfannen Wasser goß ihm das Everl ins Gesicht, da wurde der
Kaunigl wieder lebendig.

Als jetzt auch einige Spielkarten zum Vorschein kamen, so kannte sich
das Everl gleich aus. »Was hab ich denn gesagt, Buben!« so redete sie,
»hab ich nicht gesagt, ihr kommt's mit dem verflixten Deuxelszeug in
die Höll? Im Fegfeuer seid's nu schon gewesen.«

Mein Vater wollte den Burschen davonjagen, that's aber nicht, weil der
Bursche nicht darauf gewartet hat. Wo der Kaunigl anders zugesprochen,
das weiß ich nicht; jedenfalls konnte er eine neue Erfahrung zum besten
geben: Er hatte nicht allein Schwabenkäfer in Buttertunke gegessen, in
Wassergräben geschlafen, sich nackend in Schnee gewickelt, er hatte
auch im Feuerofen Karten gespielt.

Mir war von diesem Tage an der alte große Ofen auf lange nicht geheuer;
mit seinen grünen Augen schaute er mich so drohend an: Bübel, wirst
noch einmal Karten spielen, während die anderen beten?!

Erst als ich wieder brav geworden war, ganz ordentlich und fleißig,
blickte mich der Ofen neuerdings freundlich an, und es war wieder so
heimlich bei ihm wie früher. Später sind seine guten Augen erblindet,
dann ist er in sich zusammengesunken wie ein Urgroßmütterlein, und
heute geht's ihm, wie es bald uns allen ergehen wird -- nichts mehr
übrig als ein Häufchen Lehm.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                  Als ich um Hasenöl geschickt wurde.


Im Jahre so und so viel hatten wir zu Pfingsten noch einen Kübel
Schweinsfett vorrätig. Der Vater hatte ihn nicht verkauft, weil er
meinte, die Mutter würde ihn zu Hause aufbrauchen, und die Mutter
hatte ihn nicht aufgebraucht, weil sie glaubte, der Vater würde ihn
ja verkaufen wollen. Und während dieses wirtschaftlichen Zwiespaltes
war das Fett ranzig geworden. Jetzt hätte es die Mutter gerne
verkocht, allein so oft ein Sterz mit diesem Fette auf den Tisch kam,
schnupperten die Knechte mit der Nase und sagten: Schusterschmer äßen
sie nicht! Es war aber kein Schusterschmer, es war heilig ein echtes
reines Schweinsfett, und das wußten sie auch, und deshalb war es
höllisch bösartig, daß sie solche Reden führten. Die Mutter war sonst
ein sehr frohes und glückliches Weib, wenn aber ein Dienstbote über
die Kost klagte, da wurde sie ganz verzagt und lud die anspruchsvollen
Knechte wohl auch ein, sich nur selber einmal zum Herde zu stellen und
mit den vorhandenen Mitteln eine Prälatenmahlzeit zu kochen. Unter
Prälatenmahlzeit verstanden wir nämlich nichts Schlechtes.

Nun hatten wir zu dieser Zeit eine alte Einlegerin im Hause, die für
alles einen guten Rat wußte. Sie war zwar auf beiden Augen blind, sah
aber doch gleich, was da zu machen war.

»Ein schlechtes Schweinschmalz hast, Bäuerin!« rief sie kecklich aus,
»ranziges Schmalz kaufen sie nur noch in der Apotheken, sonst nirgends
nit und gewiß auch noch!«

Ja, die Apotheken, das ist wahr. Die hat im vorigen Jahre auch
Gamswurzeln genommen und Arnikablumen und gedörrte Hetschepetsch, die
nimmt alles, was schmeckt (riecht), die nimmt auch das Schweinschmalz.
Und ich, der zwölfjährige Hausbub, bin hervorgesucht worden, um am
Pfingstmontag zeitlich in der Früh das Kübelchen beim Henkel an den
Stock zu hängen und so über der Achsel hinabzutragen nach Kindberg in
die Apotheke. Und bei dieser Gelegenheit sollte ich auch etwas anderes
besorgen.

Da hatten wir zur selbigen Zeit einen alten Weber in der Einwohne,
der nahm, wenn keine Arbeit war, oft den Kopf in beide Hände, brummte
schier unheimlich vor sich hin und sagte dann zu dem, der just da war:
»Mensch, ich werde ganz blöd. Just, als hätte ich ein Hummelnest im
Kopf, so thut's brummen, weiß der Ganggerl, was das ist. Immer einmal
ganz dumm komm ich mir vor, das ist mir jetzt schon zu dumm!«

Und antwortete ihm nun auf einmal die alte Einlegerin: »Wenn Du dumm
bist, Hartl, so mußt Du Dir mit Hasenöl die Schläfe einschmieren.«

»Alte Dudl, wo soll denn ich ein Hasenöl hernehmen?« begehrte der Weber
auf.

»In der Apotheken kriegt man's,« lautete ihr Bescheid, und so sollte
ich nun für den Weber Hartl um zwei Groschen Hasenöl einkaufen in der
Apotheke zu Kindberg. Hasenöl? Geben denn diese Tiere auch Öl sowie der
Leinsamen und der Rüps? Natürlich wird's so sein, denn, wenn's kein
Hasenöl gäbe, so könnte man ja keins kaufen.

Als ich nach langem Marsche gegen Mittag mit meinem Küblein in die
lateinische Küche zu Kindberg kam, hieß es dort, Schweinsfett brauche
man jetzt nicht, und wäre es auch ganz frisch.

»Es ist aber nit frisch!« versicherte ich, »es schmeckt schon!«

Dann sollte ich nur in die Apotheke nach Bruck hinabgehen! meinte der
Herr lachend; ich aber dachte: Wenn Du mir kein Schweinsfett abkaufst,
so kaufe ich Dir kein Hasenöl ab -- und machte mich auf den Weg. --
Daß es aber so lange Straßen geben kann auf der Welt, wie dieser
Weg war bis Bruck! An beiden Seiten des Thales Berge und Gräben,
das Wasser einmal rechts und dann links und dann wieder rechts; ein
Dorf um das andere, dieses hatte einen Kirchturm, jenes keinen, in
manchem Wirtshause gab es Musik, in manchem helles Geschrei; mancher
Wanderer lallte taumelnd des Weges dahin, mancher ruhte friedsam im
Straßengraben -- und immer so fort. Allzumal muß auch erzählt werden,
daß die Sonne sehr heiß schien und mein Schweinsfett hinter dem Rücken
Fluchtversuche machte, wie später an den Spuren auf meinem Rock zu
bemerken war.

Bruck ist eine Stadt. Ich hatte noch nie eine Stadt gesehen. Ein
vielgereister Handwerksbursche hatte bei uns einmal erzählt, Wien,
Paris und Bruck wären die größten Städte der Welt, und in Bruck stünde
das achte Weltwunder: ein eiserner Brunnen.

Auf dem Wege zu solchen Merkwürdigkeiten wird man nicht müde. Die
Sonne ging schon hinter den Berg hinüber, als ich mit meinem Küblein
einzog in die große Stadt Bruck. Mein erstes war, dem eisernen Brunnen
nachzufragen, denn auf dieses Wunder war ich vor allem gespannt.
Welche Enttäuschung, als aus einem rostigen Gitterwerke ein Brunnen
herausrann, ganz wie jeder andere Brunnen auch -- von Wasser, und nicht
von Eisen!

Die Apotheke ließ sich auch nicht lange suchen, stand doch der heilige
Josef mit dem Knäblein an die Thür gemalt, und der steht, das wußte ich
schon, immer bei den Apotheken. Da drinnen war ein altes weißköpfiges
Männlein mit Brillen, die es dazu benützte, über- oder unterhalb
derselben recht schalkhaft auf mich herzublicken, als ich mein
Schweinsfett ausbot, das Pfund um sieben Groschen. Er fragte, ob Safran
in der Butten wäre! worauf ich eine Weile that, als besänne ich mich.

»Na na,« näselte das Herrlein, »wenn Du Deine Schmier nicht gern
giebst, so geh nur gleich wieder!« Da ließ ich sie ihm ab. Er wog das
Küblein mit einer unendlichen Gleichgiltigkeit, das gab gerade drei
Pfund, das Holz wie das Fett zahlte er pro Pfund zu fünf Groschen. Der
Kübel wurde in eine dunkle Nebenkammer getragen, leichten Herzens bin
ich von ihm geschieden. -- Und nun um zwei Groschen Hasenöl! -- Solle
in einer Viertelstunde wiederkommen.

Ich war hungrig und durstig geworden, ging hinaus und suchte ein
Wirtshaus. Es standen ihrer ein paar stattliche da herum, mit großen
Fensterscheiben, durch die schneeweiß gedeckte Tische zu sehen waren.
Ich traute ihnen nicht recht. Wenn andere +gute+ Wirtshäuser
suchen, so ist das ihre Sache, ich für meinen Teil suchte ein
schlechtes, war mir wohl bewußt, was draufgehen durfte. Glücklich fand
ich das gesuchte; die Stube war dunkel und voller Fliegen, die an den
braunen kleberigen Holztischen herumkrochen; das halbe Seidel Wein war
lau und kamig, aber naß, und das genügte mir. Die Semmel von vorgestern
war schon deshalb zweckmäßig, weil sie mehr ausgab als etwa eine von
heute. Diese Genüsse verschlangen zu meinem nicht geringen Schrecken
ein halbes Pfund Schweinsfett, und ich -- als der bloß nach Kindberg
geschickte -- durfte über das Kapital nicht verfügen!

In die Apotheke zurückgekehrt, gab es dort Leute. Ich hatte zu warten
und setzte mich hinterwärts auf eine Winkelbank, von der aus schön zu
sehen war, wie dieses ehrwürdige Geschäft, mit allerhand Mitteln die
Leute gesund zu machen, betrieben wurde. Da kam jemand und verlangte
Fuchsschmalz. Das alte Männlein langte einen schwefelgelben Tiegel vom
Gesimse, stach mit einem zierlichen Schaufelchen ein Batzlein heraus
auf ein Papier, legte es auf die kleine Wage: »So, Vetter, da sind
vier Quintel Fuchsschmalz, kosten zwei Groschen.« Hernach verlangte
eine Frau Pillen. Eine andere bekam ein winziges Fläschchen. Ein Knabe
begehrte Dachsfett als Mittel gegen den Kropf. Der Apotheker langte
emsig nach dem schwefelgelben Tiegel auf dem Gesimse und gab, ähnlich
wie früher, das Verlangte. Das fiel mir auf, er mußte sich vergriffen
haben, in diesem Tiegel war doch das Fuchsschmalz. Hierauf wurden
Pulver angefertigt und kleine Schächtelchen und Fläschchen allerlei.
Ein altes Weib kam hereingehumpelt, beklagte sich über die Gicht, und
ob sie nicht eine Gichtsalbe haben könne. »Gewiß, liebe Frau!« sagte
das Männlein, langte wieder nach dem schwefelgelben Tiegel und gab
die Gichtsalbe heraus. Jetzt hub dieser schwefelgelbe Tiegel auf dem
Gesimse an mir unheimlich zu werden. Weil die Zeit verging und ich
immer noch nicht bemerkt wurde, so trat ich endlich aus dem Winkel
hervor und bat um mein Hasenöl.

»Ei ja richtig, Kleiner. Du bist auch da. Du bekommst Hasenöl!« sprach
freundlich das Männlein, nahm den Schwefelgelben vom Gesimse und stach
mir gestocktes Hasenöl heraus.

Noch hatte ich das kostbare Mittel, welches in ein ganz kleines
Tiegelchen gethan war, kaum geborgen in meinem verläßlichsten Rocksack
und es redlich bezahlt, als wieder ein Frauchen zur Thür hereinkam und
fragte, ob frisches Schweinsfett zu haben wäre als Medizin?

»Vollkommen frisch!« rief der Apotheker, »heute erst bekommen!« und
stach aus dem schwefelgelben Tiegel Schweinsfett.

Hierauf bin ich fortgegangen und habe gleich bei mir selber die
Erfahrung gemacht, wie heilsam so ein bißchen Hasenöl ist gegen die
Dummheit. -- Fuchsschmalz, Dachsfett, Gichtpflaster, Hasenöl und
Schweinsfett, alles in _einem_ Tiegel! Jetzt erst ist mir klar
geworden, welch einen Schatz von köstlichen Arzneien ich in meinem
Kübel aus dem Gebirge herabgeschleppt hatte.

Als ich von der Bruckerstadt fortging, lagen die Schatten der Berge
schon weit in das Thal hinein. Meine Füße hatten sich in schwerem
Schuhwerk heiß gegangen, auch das Atemziehen machte sich wichtig, und
es war, als ob mir jemand ein hartes Brett fest an die Brust gebunden
hätte. Nach Alpel war es bloß noch acht Stunden. Weil es etwas langsam
voran ging, so holte mich ein Fuhrwerk ein. Zwei klobige Pferde zogen
einen großen Bauernwagen, auf dessen Vordersitz ein Bursche, etwa in
meinem Alter, kutschierte. Der Wagen selbst war fast leer. Er war mit
Lärchentaufeln (Faßdauben) nach Bruck zum Faßbinder gefahren, auf dem
Rückweg hatte er einen Sack Feldbohnen und einen Stock Salz aufgeladen;
daneben war noch reichlich Platz für einen einfältigen Buben, der am
Leiblein ein Paar müde Beine hatte, hingegen aber in der Tasche die
Salbe für Dummköpfe, die gescheit werden wollen. Ich war bereits so
gescheit, um den Burschen auf dem Wagen anzurufen, ob er mich aufsitzen
lassen wolle.

»Wohin willst denn?« fragte er fast vornehm von seiner Höhe herab.

»Heimzu.«

»So setz dich auf, ich fahr auch heimzu.«

Bald war der Bohnensack mein Kopfkissen und der Salzstock mein
Schlafkamerad, der Fuhrmann schnalzte mit der Peitsche, und es ging
knarrend voran. -- Viel weiß ich nicht von derselbigen Fahrt »heimzu«.
Einmal, als ganz zufällig die Augen aufgingen, sah ich kohlschwarze
Baumzacken in den nächtigen Himmel aufragen, welche ganz unheimlich
ächzten, knarrten und holperten. Und dann wieder nichts.

Als ich erwachte, na, da war etwas! Da lag ich auf dem Wagen unter
einem alten Holzschoppen, um mich war ein heller Tag und eine fremde
Welt. Eine schreckbar fremde Welt. Der rauschende Bach mit der Mühle
daneben, das gemauerte Haus mit einer breiten, braunangestrichenen
Thür, der Anger mit den Pferden und solcherlei war mir seltsam genug,
noch unheimlicher war etwas anderes. Dort hinter den Waldbergen
stand breit und hoch etwas Weißes, Leuchtendes auf, fast ähnlich den
mittägigen Sommerwolken, wie sie sich am Sehkreise emporbauen, wenn's
nachmittags Gewitter giebt. Aber das stand so starr und ruppig und
rissig da im Sonnenschein, und von unten hinauf sah es aus, als ob
blauende Wälder sich hinanzögen, von steilen grauen Streifen überall
unterbrochen. Und höher oben war alles wie purer Stein, der zerklüftet
und zersprungen ist. Und so war es voran oben, und so war es rechts
oben, und so war es links oben und überall die ungeheure Höhe, daß mir
schwindlig ward, als ich den Kopf soweit nach rückwärts bog um hinauf
zu schauen. Mein Lebtag hatte ich derlei nicht gesehen. Zum Glücke kam
nun mein junger Fuhrmann, der fragte mit lautem Lachen, ob ich gut
ausgeschlafen hätte. Vom Wagen gesprungen war ich schon, so rief ich
nun voll Entsetzen: »Mensch, wohin hast mich geführt?«

»Heimzu!« lachte er, »da bin ich daheim.«

»Wie heißt's denn da?«

»Da heißt's Tragöß,« sagte er.

»Und das da droben? Was ist denn das lauter?«

»Die Berge meinst?«

»Nit die Berge, was +hinter+ den Bergen so steht, das meine ich.«

»Jeßtl!« lachte der Bursche und klatschte mit beiden Händen auf seine
Knie, »das sind halt wieder Berge, da ist die Meßnerin, dort ist die
Pribitzen, und hier ist der Hochturm, und du sollst jetzt ins Haus
gehen Suppen essen.«

So habe ich an jenem Morgen das erstemal die hohen Felsenberge in der
Nähe gesehen und jene Gegend, aus der mir fünfundzwanzig Jahre später
der Geist zu meinem »Gottsucher« aufgestiegen ist. Auf dem Tisch der
Hausstube, in die der Junge mich geführt, stand schon die dampfende
Suppenschüssel mit weißem Brote. Ich wollte aber den Löffel nicht in
die Hand nehmen; ißt du, so gehörst du ihnen, mußt dableiben und weißt
gar nit, wer sie sind. Von der Küche kam ein älteres Weib herein, das
schlug die Hände über dem Kopf zusammen, als es hörte, wie weit ich
verführt worden war, und daß ich anstatt nach Krieglach im Mürzthale,
nach Tragöß am Fuß des Hochschwabengebietes gekommen bin.

»Jetzt mußt erst recht essen, Bübel, daß Du nachher heimgehen magst.«

»Frau Mutter, wie weit hab ich denn heim?«

»Jetzt wart einmal,« antwortete sie und hub an, an ihren Fingern die
Ortschaften und die Stunden abzuzählen, »ihrer zwölf Stunden wirst
wohl brauchen bis ins Krieglach hinaus. Bist aber schon ein rechtes
Tschapperl! So fest schlafen! Mein Seppel hats freilich nit wissen
können, wo Du hinwillst und hat sich gedacht, 's wird eh recht sein ins
Tragöß herein. Aber das ist jetzt schon ein helles Kreuz. Mach Dir nur
nichts draus, mein Wagen hat Dich hergeführt, und Dein Schutzengel wird
Dich hinführen.«

Während sie mich so tröstete, war draußen in der Küche fortwährend ein
klägliches Wimmern, und nun kam der Seppel herein und berichtete, das
Mentschl hätte halt wieder gar so viel Zahnweh.

»Was aber das Zahnweh für ein Elend ist!« rief das Weib, »jetzt leidet
das Kind schon die ganze Nacht wie eine arme Seel im Fegfeuer. Alles
haben wir schon angewendet: heiße Tücher aufgelegt, kaltes Wasser
in den Mund gethan, mit Rosenbuschbalsam ausgewaschen, Kalmusgeist
hineingetropft, mit Salz eingerieben, einen Mariazeller Rosenkranz
umgehängt, zwei Zehen mit einem Seidenfaden zusammengebunden, die Füße
ins Ofenloch gesteckt und sonst allerhand Sympathiemittel angewendet.
Einen Kletzen hat's geholfen! Schreien thut das arme Wesen, als ob
man's wollt köpfen, und jetzt weiß ich nichts mehr. -- Katherl,
Katherl, Du gutes, armes Kindel Du! Wart einmal, jetzt will ich Dir
Hühnermist aufs Gnack legen, das zieht's aus, das hilft, Katherl, wirst
es schon sehen, das hilft!« Damit eilte sie wieder hinaus in die Küche.

Das ganze Hausgesinde war zusammengeeilt um die Leidende, die nun
neuerdings anhub herzbrecherisch zu schreien: »Mein Zahnt, mein Zahnt!
Ahndl, mein Zahnt thut mir so viel weh!«

»Laß nur Zeit«, tröstete die Angerufene, »das Mittel greift halt an,
jetzt wird's bald besser sein, schau, bist ja mein liebes Katherl, Du!«

Auch ich war in die Küche hinausgegangen. Auf dem Herde, mit den Füßen
im Ofenloch, kauerte ein Dirndel, das ein so rundes, liebes Gesichtlein
hatte, seine gefalteten Hände, wie um Hilfe flehend, an die rechte
geschwollene Wange preßte und mich schrecklich erbarmte. Jedes im Hause
hatte schließlich noch ein Mittel gewußt, keines und gar keines hatte
geholfen. Ein Mensch war zugegen, der behauptete, Dummheit wär's, die
Zähne nicht ordentlich zu pflegen, und deswegen alleweil das Zahnweh!
-- Gott, wenn's von der Dummheit kommt, da muß ja mein Hasenöl helfen!
-- Aus meinem tiefen Sacke zog ich das kostbare Tiegelchen hervor
und aus meinem gescheiten Kopf den guten Rat, mit diesem gestockten
Hasenöl die geschwollene Wange einzuschmieren. -- »Schaden wird's wohl
doch nit, wenn's ein Hasenöl von der Apotheken ist, kann's unmöglich
schaden!« sprach die Großmutter und fettete das Dirndel ein. -- Nicht
fünf Minuten, so rief die Kleine aus: »Ahndl, jetzt ist's gut!« und
flink sprang sie vom Herde herab.

Freilich ging nun meine Not an, denn alles Hasenöl wollten sie haben,
ich sollt nur sagen, was es kostet! Von ihren dringenden Bitten kamen
sie erst ab, als das geheilte Dirndel erklärte, der Zahn wäre so fest
gut geworden, daß er gar nimmer weh thun werde, also konnte ich mein
Öl wieder in den Sack stecken und sehen, wie man von Tragöß nach
Krieglach-Alpel kommt.

Unterwegs bedachte ich das Hasenöl. Wenn es beim dummen Weber-Hartl
auch so heftig wirkt wie bei dem Zahnweh-Dirndl, dann geht er mit den
drei Weisen aus dem Morgenlande als der vierte.

Nach einer fünfstündigen Wanderung war ich beiläufig wieder dort, wo
der müde Junge einen Tag früher in den Bauernwagen gestiegen. In einem
Gehöfte sprach ich zu und fragte, wie viel es an der Uhr sei, wie
weit es noch bis Krieglach wäre, ob ich wohl den richtigen Weg hätte.
Die gründlichsten Auskünfte haben sie gegeben, jedoch, ob ich etwa
einen Löffel Suppe möchte, das fragte niemand. Unter einem Kirschbaum
lag ein Mensch und wimmerte vor Kopfweh; allsogleich wollte ich mein
Mittel anbieten, jedoch ein Weibsbild behauptete scharf und stramm, das
Kopfweh sei in der vorigen Nacht in einem Wirtshause eingekauft worden,
und vor dem Abend gebe es gar kein Mittel; am Abend aber würde dieser
Kopf schon von selber gut, hingegen dürften nachher dem, der ihn auf
hätte, die Backen weh thun! -- Eine Handbewegung des Weibes hat das
undeutliche Wort sehr klar gestellt.

Unterwegs nach Krieglach lud mich ein Flossenführer (Roheisenführer)
ein, auf seinen Eisenschollen Platz zu nehmen; ich besorgte, auch der
möchte mich »heimzu« führen in die Stanz oder in die Veitsch oder
sonstwohin; wollte daher ablehnen. Der Fuhrmann kannte mich aber und
sagte, daß er über Alpel nach dem Rettenegger Hammer fahre -- ja, das
war freilich eine Schickung Gottes. Gelegen bin ich mein Lebtag schon
weicher als damals auf den Eisenflossen, geschlafen habe ich selten
besser. Richtig hätte ich mich jetzt auch an Alpel vorbei bis weit
hinüber ins Rettenegg geschlafen, wenn mein Führer mich nicht abgesetzt
hätte beim Heidenbauern-Thörl, nahe von daheim.

Um Mitternacht kam ich zu Hause an. Sie waren ein wenig in Spannung
und schliefen noch nicht. »Wir haben schon gemeint, der Kindberger
Apotheker hat zum Schweinschmalz Dich selber als Draufgab genommen«,
sagte der Vater, das war Spaß. Dem alten Weber Hartl jedoch war etwas
ganz anderes eingefallen. Er erinnerte sich einmal gehört zu haben, daß
die Apotheker jährlich ein Menschenkind abthäten, um daraus eine ganz
besondere Medizin für ganz besondere Krankheiten zu gewinnen. -- Es
war wohl die höchste Zeit für den alten Hartl, daß ich mit dem Hasenöl
heimkam!

Erst steckte er seine Nase ins Tiegelchen. »Scharf schmecken thut's,
das wird schon angreifen«, murmelte er, »thut eh schon wieder so viel
brummen im Kopf.« Mein Vater roch auch und schaute mich grauenhaft
strenge an. -- Ich hatte nie begriffen, weshalb die Apotheker auf jeden
Tiegel, den sie verkaufen, einen Zettel mit ihrem Namen und Wohnort
kleben. Jetzt ward es mir klar, ohne diesen Zettel auf dem Tiegelchen
hätte man es mir daheim niemals geglaubt, daß ich mein Hasenöl nicht
aus dem Schweinsfettkübel genommen, sondern aus der Apotheke zum
heiligen Josef in Bruck.

»Hat er's genommen, wo der will,« rief der alte Weber hochgemut aus,
»wenn's nur hilft!« und begann sich gleich die Stirn einzureiben mit
dem Hasenöl.

Hat's geholfen? -- Nun, die Wahrheit zu sagen, beim alten Weber Hartl
konnte eine nennenswerte Besserung nicht nachgewiesen werden, hingegen
ist mein Vater durch dieses Hasenöl klüger geworden, obschon er sich
damit gar nicht eingerieben hatte. Er hat wohl auch in späterer Zeit
noch manches Küblein Schweinsfett, manches Bündlein Wurzeln und Kräuter
in die Apotheke geschickt -- holen aber ließ er nichts mehr aus ihr. --
Das für alles heilsame »Hasenöl« hat uns für alle Zukunft geheilt.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                 Als ich mir die Welt am Himmel baute.


War damals ein Bursche von zwölf Jahren. Trug eine ungebleichte
Leinwandhose, eine Jacke aus grauem Wilfling und eine buntgestreifte
Zipfelmütze. War barfuß und ungeschickt im Gehen und Laufen, jeden Tag
trug ich eine andre Zehe in der Binde. Die Haare hatte ich mit den fünf
Fingern vorn herabgekämmt, mit den Zähnen kaute ich an einem Strohhalm.
Es war mit mir bisweilen nichts anzufangen; wenn man mich auf das Feld
stellte, so stolperte ich über den Pflug und den Spaten, und wenn man
mich in den Wald schickte, so hieb ich die Axt anstatt in das Holz in
einen Stein, und bald war die Schneide des Werkzeuges so stumpf, daß
man hätte darauf reiten können. Und dann stand ich da und hielt die
zehn Finger in den Händen und glotzte zum Himmel auf.

Unsere Waldberge waren mir schon gar so lästig geworden, das ewige
Dunkelgrün und das ewige Vogelzwitschern und Windrauschen war nicht
mehr auszustehen. Es war ein Einerlei, nicht zu sagen. Und ich sann,
ich träumte anderem nach. Da -- eines Tages -- ich weidete unsere
Herde auf der Hochöde, wie wir ein hochgelegenes Brachfeld, auf dem
schon die Eriken und Wachholder wuchsen, nannten -- entdeckte ich
-- den Himmel, den wunderbaren, ewig mannigfaltigen Wolkenhimmel.
Ich war nun plötzlich entzückt über die Formen und wunderbaren
Gestaltungen in allen Lichtarten. Ich wunderte mich nur, daß mir der
Wolkenhimmel nicht schon längst aufgefallen war. So stand ich nun
da und sah empor zu der neuen Welt, zu den Ebenen und Bergen und
Schluchten, zu den ungeheuerlichen Tieren, die bewegungslos dastanden
und dennoch dahinkrochen und sich reckten und dehnten und Arme und
Beine ausstreckten, die sich wieder in Wedel und Rümpfe und Flügel
verwandelten. Und ich glotzte die Luftschlösser an, die sich vor mir
aufbauten, und kaute dabei an meinem Grashalm.

Von nun an war auf der Heide meine Freude, und gerne weidete ich die
Herde, weidete ich dabei doch auch die lockigen Lämmer des Himmels.

In demselben Jahre war ein heißer Sommer, da ging's am Himmel wohl
auch oft ein wenig einförmig zu, aber des Morgens und des Abends gab's
doch immer was zu sehen. Ich war eine Zeit lang wie vernarrt in das
Firmament. Mein Vater wunderte sich, daß ich oft gar der erste aus
dem Bette war, daß ich die Morgensuppe stehen ließ und die Rinder mit
einer fast ängstlichen Behendigkeit auf die Hochöde jagte. Er wußte
nicht, warum. Ich aber setzte mich in der Hochöde auf einen Stein, über
welchen das Moos ein zartes, gelblich-grünes Sammetpelzchen gelegt
hatte, und während die Kühe und die Kälber emsig im Heidekraut grasten
und dabei mit ihren Schellen lustig glöckelten, biß ich allfort an
einem dünnen Federgrashalm und blickte hin gegen Sonnenaufgang. Da war
zuerst über dem fernen Gebirgszug des Wechsels eine dunkle mattrote
Bank; sie dehnte sich weit, weit hin und verlor sich, man wußte nicht
wo. Mit einemmale zogen sich goldige Fäden durch, und die ganze
Wolkenbank wurde lieblich durchbrochen von Licht und sah nun aus wie
ein ungeheurer rotglühender Eisenklumpen.

Da waren alle meine Kühe plötzlich rot, und das Heidekraut war rot,
das sie grasten, und die Steine waren rot, und die Stämme am Waldrande
waren rot, und meine Leinwandhose war rot. Jetzt flammte am Rande
der Wechselalpe plötzlich ein kleines Feuer, wie es Hirtenjungen
gern anzünden, wenn sie sich Erdäpfel braten wollen. Aber das Feuer
dehnte sich aus nach rechts und links und ging in die Höhe; das
war ja ein Brand, zuletzt brannten dort alle Alpenhütten? Aber in
einer wunderbaren Regelmäßigkeit hob sich der Brand empor, und eine
großmächtige Glutscheibe tauchte auf -- die Sonne. Da hatten meine Kühe
und die Steine und ich auf einmal lange Schatten hin über die Heide.
Mein Schatten war so lang, daß, wenn er vom Boden aufgestanden wäre,
er mit seinen Fingern in den weißgelblichen Wolkenballen des Himmels
hätte Wolle zupfen können. Die Nebelbank über dem Gebirgszuge wurde
schmächtiger, es ging ihr ans Herz, noch streckte sie einen glühenden
Speer aus, der ging mitten durch die Sonne, aber er schmolz, und die
Sonne wurde kleiner und funkelnder, und bald war die Wolkenbank, waren
die roten Fäden am Gesichtskreise verschwunden.

Hie und da in der weiten Himmelsrunde hing es wohl noch wie weiße
Wolle, und dort und dort schwamm ein Federchen hin, aber bald gingen
auch die Federchen verloren, und die Wolle wurde unmerklich langsam
auseinandergezupft in leichten Locken und dünnen Fädchen, und auf
einmal war gar nichts mehr da als der tiefblaue Himmel und der
blitzende Sonnenstern.

Es lag fast wie Dunkelheit über den Waldbergen, so unsäglich klar und
leer war der Himmel, es war, als ob die Sonne zu klein werden wollte
für die unendliche Weite.

Gegen die Mittagszeit ging die Bläue etwas in das Graulichte über,
da sah es noch sonniger aus, und es war sehr heiß. Meine Herde hatte
schon kühles, schattiges Dickicht aufgesucht, um sich die stechenden
Fliegen abzuhalten; ich saß noch auf dem Stein und sah den Himmel an
und dachte, wie schön das sein müßte, wenn die Himmelsrunde ein Spiegel
wäre, und wenn das Bild der ganzen Erde drin läge mit aller großen
Herrlichkeit; vielleicht hätte ich dann von meiner Hochöde aus fremde
Länder und große Städte sehen können.

Nach der zwölften Stunde, die ich an dem Schatten einer
aufrechtstehenden Stange bestimmte, erhob sich gewöhnlich ein Lüftchen,
das ein paar Stunden fächelte und leise in den Bäumen säuselte. Das
war zum Einschlummern süß zu hören. Mir fiel gar der Grashalm aus dem
Munde. Die Ameisen konnten innerhalb meines Höschens emporkrabbeln, wie
sie wollten, ich gewahrte sie nicht. Ja, ich gewahrte es nicht einmal
und wußte nicht, wie es kam, aber plötzlich waren auf allen Seiten
des Gesichtskreises, sowohl über den schwarzbläulichen Waldbergen
der Mittagsseite, als über der Wechselalpe und über den Matten der
Mitternachtshöhen, hinter welchen die kahle, wettergraue Rax aufragte,
und über der fernen Felsenkette der Abendseite -- schneeweiße Wolken.
Sie waren in halbrunden Haufen, sie waren wie dicht aufqualmender
Rauch, der plötzlich versteinert wird zu weißem Marmor.

Die Ränder waren so scharf, wie mit einer feinen Scheere von Papier
geschnitten. Ganz unbeweglich schienen die Wolken, und doch änderten
sie sich in jedem Augenblick und bauten sich auf, eine über die
andere, und schoben sich von unten nach, dichter und dichter, grauer
und grauer, oder es war jählings ein Riß, eine Lücke hinaus in die
unendliche Bläue.

Und hoch oben über meinem Scheitel standen auch Wolkenschichten, grau,
stellenweise ganz dunkel, aber mit lichten, federartigen Rändern.

Da blickte man hin und sah das Verwandeln nicht und sah die
Verwandlung. Wie war das wunderbar! Ist es möglich, daß das jeden Tag
geschieht, und die Menschen achten es nicht, bemerken es nicht einmal
und wundern sich mehr über ein artiges Taschenspielchen als über den
allherrlichen Wolkenhimmel?

Die Schichten über der fernen Felsenkette waren niedlicher und
gegliederter als die näheren Ballen; sie waren zum Teile bläulich wie
der Himmel und wären von diesem oft kaum zu unterscheiden gewesen, wenn
die Ränder nicht milchweiß geglänzt hätten.

Ich that die Füße auseinander, bückte mich und guckte zwischen den
Beinen hindurch auf die fernen Wolkenschichten hin, um durch diese
ungewohnte Lage des Blickes ein möglichst abenteuerliches Bild zu
schauen. Da sah ich unerhörte Bergriesen mit den schwindelndsten Kuppen
und schauerlichsten Abgründen, und da ragten die Felshörner, und da
glänzten die Gletscher in unermeßlichen Höhen. Wenn dann vor diesen
Gebilden ein dunkles Wölkchen dahinschwamm, so hielt ich das für einen
riesigen Steinadler oder gar für den Vogel Greif. Das war mein Tirol,
von dem ich schon gehört hatte, und ich guckte so lange zwischen den
Beinen darauf hin, bis ich schwindlig wurde und in das Gras purzelte.

Fürchterliche Riesen mit goldigem Mantelsaum, mit verknorrten Gliedern
und gewaltigen Köpfen standen am Himmel und schwangen ihre Arme und
streckten ihre Finger nach der Sonne aus. Die Sonne hatte sich lange
sehr geschickt zwischen diesen Ungeheuern durchgewunden, aber endlich
ging sie doch ins Netz. Da lag dann ein dunkler Flecken über dem
Waldlande oder über den kleinen reifenden Feldern im Thale, und es
lagen mehrere Flecken und zogen sich langsam hin auf ebenen Flächen und
krochen wachsend empor an Hängen und verschwanden endlich wieder.

Je mehr die Sonne niedersank, desto schwächer wurde ihr Strahl; der
Himmel graute, aber die dichten Wolken schwanden, gingen in Federn und
Fransen aus, und gegen Abend weideten am Firmamente, wo früher die
Ungeheuer gestanden, milde, weiße Lämmchen.

Nur die Bilder über der fernen Felsenkette blieben am längsten. Aber
auch dort waren großartige Veränderungen; das gewaltige Hochgebirge war
zu einer leuchtenden Stadt mit goldigen Türmen und Kuppeln und Zinnen
geworden. Das war mein Zion, ich blickte wieder zwischen den Beinen
darauf hin.

Aber wie wenn das ganze Reich von Butter gewesen wäre, so zerging es
nun, als die Sonne nahe kam, und es dehnte sich eine weite Ebene aus
über der Felsenkette, eine rötlich-graue, unabsehbare Ebene mit Licht-
und Schattenfäden und darüber hin der Himmel. Das war mir das Meer, und
ich guckte wieder durch mein dreieckiges Fernrohr.

Die Sonne durchbrach die Ebene und tauchte als große rote Scheibe
hinter den scharfen Kanten der Felsen hinab. Da lagen rote Linien und
glühende Nadeln darüber hin, die noch lange leuchteten und erst zur
späten Stunde erloschen, als über unserem Gehöfte schon die Stille
der Nacht lag und am Himmel die Sterne sichtbar wurden oder das milde
Mondlicht liebliche Schleier wob.

So waren die Tage des Juli und August. Die Kornfelder im Thale nahten
langsam der Reife, sie wurden gar sorgfältig bewacht, sie machten für
den Winter die einzige Hoffnung aus. Die Früchte an den Berghängen aber
waren im Verdorren, denn es rieselte wochenlang kein Regen. Da blickten
auch andere Leute zuweilen aufwärts zu den Wolken oder hin gegen die
Rax, die aber stets klar war und an der nie die Nebelflocke klebte;
eine Nebelflocke an der Rax war das einzige sichere Anzeichen eines
nahen Regens.

Ich saß täglich auf meiner Hochöde und sah den Himmel an. Ich wußte
nicht, warum, ich dachte mir es auch kaum, was ich sah, ich fühlte es
nur.

Einmal gegen die Abendstunde hin saß über der Felsenkette ein
ungeheures Eichhörnchen. Es setzte seine Vorderfüßchen gerade auf,
es hatte ein deutliches Schnäuzchen und spitzte die Ohren, und der
buschige, sanft wollige Schweif ging weithin gegen die Neubergeralpen.
Es war ein launiges Wolkengebilde, gar ein Äuglein hatte das Tier, ein
blaues Äuglein, durch welches der klare Himmel guckte; aber auf einmal
wurde es licht und funkelnd in diesem Auge, und es warf einen mächtigen
Strahl über den ganzen Himmel. Es hatte sich hinter der Wolke ja die
Sonne verborgen gehalten. Endlich erlosch das Auge wieder, ich wußte
nicht, hatte ein Wölklein das Lid zugedrückt oder war die Lichtscheibe
zu sehr gesunken; aber ich wartete, bis die Sonne unterhalb am
Halse herauskommen würde, und ich freute mich schon auf das goldige
Halsgehänge, das mein Eichhörnchen bekommen sollte. Aber siehe, während
ich so wartete und mich freute, war das Tier zu einer formlosen Masse
geworden, nur der buschige, sanft wollige Schweif ging noch weit hin in
das Österreicherland.

Einmal war der Himmel mit einer leichten, gleichmäßigen Nebelschichte
umzogen, auf welcher tiefer liegende Wolken verschiedene Figuren
bildeten. So kroch eine Kreuzspinne dahin und der Sonne zu. Die
Kreuzspinne war riesig groß, und meine Phantasie sah acht oder zehn
Füße. Sie kam der ohnehin matt scheinenden Sonne immer näher, und sie
fraß sie auf, so daß ein tiefer Schatten lag über dem Waldlande. Als
ich wieder hinaufsah, war das Gebilde verschwommen, und eine plumpe
Wolkenmasse verhüllte die Sonne.

Wieder zu anderen Tagen war es aber wirklich lebendig am Himmel. Von
der Felsenkette über unsere Waldberge und gegen Morgen und Mittag hin
zog ein endloses Heer von Wolken. Stellenweise wanderten sie einzeln,
stellenweise wieder in großen Gruppen und Massen, licht und dunkelgrau
und »wollig« und »lämmelig«, und sie duckten sich untereinander, und
sie ritten übereinander, und es war eine wüste Flucht. In den Wäldern
rauschte unwirtlich der Wind.

Das war eine wahre Völkerwanderung am Himmel tagelang. Ich fragte die
Wolken, woher sie kamen, wohin sie zogen; sie hatten nur Schatten für
mich und keine Antwort.

Nach den Tagen des Windes blieb der Himmel eine zeitlang gleichmäßig
trüb, und es strich eine kühle, oft fast frostige Luft. Die Leute
meinten, nun werde der ersehnte Regen kommen. Aber das Wolkengewölbe
wurde lichter und durchsichtiger, und endlich sah man durch dasselbe
wieder den weißen Punkt der Sonne schimmern.

Ich vergaß wohl die welkenden, verdorrenden Pflanzen der Erde, die
bereits fahl oder rot gebrannt waren, ich vergaß auch die Waldvöglein,
die nicht mehr singen wollten, weil sie schier vertrocknete Kehlen
haben mochten, ich freute mich, daß sich der Himmel wieder erheiterte.
Die Wölklein waren nun so zart und leicht und milchweiß, und leichte
Fäden zogen hin, als ob in den weiten Lüften eine unsichtbare
Spinnerin wäre, oder ein Webstuhl stünde in der hohen Himmelsrunde.

Und aus all den wunderbaren Geweben fügten sich Nester mit Eiern und
schneeweißen Tauben; dann machten diese Tierchen hohe Krägen und
schnäbelten miteinander, und da dachte ich mir: zuweilen trifft es doch
zu, daß der Himmel ein Spiegel ist für die Erde. Ich hatte zu derselben
Zeit mehrmals von einem Müllerstöchterlein geträumt, das Maria hieß und
ein schneeweißes Hemdchen trug.

Die Himmelsgebilde waren an diesen Tagen gar zu lieblich, und dazu
hauchte eine labende Kühle von der fernen Felsenkette her. Die Leute
aber waren mißmutig, man hörte kein Singen und Jauchzen, das sonst den
Wald so lebendig macht. Es war eine eigenartige Trägheit im Walde.

Endlich, eines Morgens -- es war ein tiefblauer Himmel -- klebte an der
halben Höhe der Rax ein Nebelchen. Die Leute jubelten; ich betrachtete
gedankenlos die Flocke an der Felswand, die fast den ganzen Vormittag
in derselben Stellung blieb. Es zog ein beinahe frostiger Alpenhauch,
zur Mittagsstunde aber wurde es empfindlich schwül.

Am Gesichtskreise stiegen wieder die vielgestaltigen Wolkenhaufen auf.
Die Sonne verzog sich für kurze Zeit; an der Mitternachtsseite gingen
mattgraue Streifen nieder, und man hörte mehrmals ein dumpfes Donnern.
Das Gewitter verging, ohne daß auf unsere Gegend ein Regentröpfchen
fiel. Das Wölkchen an der Rax war längst verschwunden. Über der
Felsenkette baute sich sandgraues Gewölke, und eine gleichmäßige
Schichte zog sich über den ganzen Himmel.

Das Waldland lag im Schatten, kein Vöglein war zu hören, nur vernahm
man zuweilen den Pfiff eines Geiers. Ich wäre noch gern auf der Hochöde
geblieben und hätte die so ruhsamen Dinge betrachtet, aber meine Herde
graste thalab und gegen unser Haus, ehe es noch Abend wurde.

Als ich zum Hause kam, stand die Mutter am Gartenrain und betete aus
einem Buche halblaut das Evangelium des heiligen Johannes und machte
mit dem hölzernen Kruzifix unseres Hausaltares Kreuze nach allen
Himmelsrichtungen hin.

Es war noch die Sonne nicht untergegangen, aber es war schon ganz
dunkel. Das Bächlein unten in der Schlucht war so klein, daß es nur
sickerte, und doch war ein seltsames Brausen wie von einem mächtigen
Wasserfalle. Der Hof lag wie träumend da, die Tannen daneben regten
sich nicht. Ein großer, glitzernder Habicht schwamm von der Hochöde
hernieder und über den Hof hin. Im Gewölke hallte ein leises, fast
röchelndes Donnern, das sich mit Mühe weiter zu drängen schien und
plötzlich erstickte.

An der Mitternachtsseite des Hauses wurden die Fensterbalken
geschlossen; einzelne Schwalben flatterten verwirrt unter dem Dache
umher. Der Brunnen vor dem Hause spritzte zuweilen unregelmäßig über
den Trog hinaus, und doch merkte man kein Lüftchen. Mein Vater ging vor
der Hausthüre auf und ab und hielt die Hände über den Rücken.

Plötzlich begann es in den Tannen zu rauschen, und mehrere bereits
vergilbte Ahornblätter hüpften vom Walde heran. Regentropfen schlugen
nieder und spritzten von der Erde wieder auf. Jetzt war es wie ein
schwaches Aufleuchten durch die Abenddämmerung, dann tanzten wieder
lose Blätter über den Anger. In den Wolken rauschte es wie das Rollen
wuchtiger Sandballen.

Nun brach es los. Die Bäume wurden lebendig, und es krachten die
Strünke. Vom Dache der Scheune rissen sich ganze Fetzen los und tanzten
in den Lüften.

In demselben Augenblicke sauste das erste Schloßenkorn nieder; hoch
sprang es wieder auf und kollerte hüpfend über den Boden hin. Das
Schloßenkorn war so groß wie ein Hühnerei.

Die Leute sahen es, und mit einem leisen: »Jesus Maria!« eilten sie
ins Haus. Ich blieb so lange im Freien, bis mir ein Eisklumpen auf die
Zehen fiel, daß ich vor Schmerz fast zusammensank; dann huschte ich
unter das Dach.

Nun war eine halbe Stunde lang nichts als ein fürchterliches Geknatter.
Die Leute beteten den Wettersegen, aber man verstand kein einziges Wort.

Zuletzt klirrten gar die Fenster der Morgenseite, auf den Dächern
knatterte es gräulich, und zackige Schloßen kollerten in die Stube, und
der Wind wogte herein und blies die geweihte Wetterkerze aus und fachte
das Herdfeuer an zu einem wilden Sprühen, und wir glaubten schon,
es käme uns das Feuer zum Rauchfang hinaus. Erst als ein gewaltiger
Donnerschlag krachte und ein zweiter, legte sich das Mark und Bein
durchdringende Getöse, und es zog nur noch ein eiskalter Luftzug durch
die Fenster, und es rieselte der Regen. Endlich legte sich auch dieser.
Es war Nacht geworden; draußen lag eine Winterlandschaft.

Wir nahmen kein Nachtmahl, wir gingen nicht zur Ruhe. Ich legte
Strohschuhe an und ging mit meinem Vater hinaus auf das hohe knisternde
Eis. Wortlos schritten wir um das Gehöfte. An den Gebäuden lagen Haufen
von Schloßen und Dachsplittern, unter den Tannen waren hohe Schichten
von Reisig, und die schönen Stämme hatten nur kahles oder zerzaustes
Geäste. Auf dem Kornfeld und auf dem Kohlgarten lag die gleichmäßige
Eisschicht; kein einzig Hälmlein, kein einzig Häuptchen ragte hervor.

Mein Vater stand still, hielt die Hände über das Gesicht, und seine
Atemstöße zitterten.

Von der Mittagsseite war noch das ferne Murren des Gewitters zu hören.
Über dem Wechsel ging zwischen zerrissenen Wolken der Mond auf, und
aus dem dunklen Grunde der Wälder erhoben sich weiße Nebelgebilde. Am
Himmel standen zarte Flocken mit silberigen Rändern.

                            [Illustration]


                            [Illustration]




                          Von meiner Mutter.


In der Stadt Graz war der lustige Karneval. An den Abenden ein tolles
Gedränge auf den Gassen, ein fast betäubendes Rasseln der Wagen, ein
Johlen und Schreien, ein Flimmern und Leuchten aus den Gewölben und
Auslagen und von den hundert Laternen und zahllosen Transparenten
der Fenster. Gold und Silber, Seide und Damast funkelten aus den
Glaskästen. Gesichtsmasken in allen Farben und Formen grinsten daneben.
Ha, das Leben ist ja gar so toll. Ich eilte durch das Gedränge. Die Uhr
am Schloßberge that sechs Schläge, so hell -- sie überklangen alles
Geräusch, sie widerhallten von den hohen, lichtdurchbrochenen Mauern
der Häuser. Eine ernste Mahnerin ist der Ruf der Uhr; möge der Mensch
auch kindisch spielen mit Flitter und Tändelei, sie rechnet ihm die
Stunde vor und schenkt ihm nicht eine Minute.

Ich ging nach Hause in meine stille Stube und begab mich bald zur Ruhe.

Des andern Morgens lag das Winterglühen der Sonne auf den schneeigen
Dächern, ich schrieb eben das Märchen auf von dem verlornen Kinde --
als es an meiner Thür klopfte. Ein Mann trat herein und brachte mir
folgendes Telegramm:

 »Lieber Sohn, gestern Abends um sechs Uhr ist unsere liebe Mutter
 verschieden. Komme zu uns, wir erwarten Dich in größter Trübsal. Dein
 Vater.«

-- Gestern Abends, als ich durch das Weltleben schritt, war es
geschehen in der armen Hütte. Und zur sechsten Stunde.

Am andern Tag in der Morgenfrühe war ich im Pfarrdorfe. Allein trat
ich den Weg an, über schneefunkelnde Höhen und durch lange Wälder,
weit hinein in das einsame Gebirgsthal. Unzähligemale war ich den Weg
gewandelt, immer hatte ich mich ergötzt an dem Glitzern des Schnees,
an den funkelnden Eiszapfen, an den Schneemänteln der Baumäste, oder
wenn es Sommerszeit war, an dem Grünen und Blühen und Duften, an dem
Vogelsang, an den Tropfen des Lichtes, die niedersickerten zwischen den
Ästen, an der Ruhe und tiefen Einsamkeit. Wie oft war ich hier mit der
Mutter gegangen, als sie, noch gesund und blühend gewesen, und später,
als sie durch Krankheit schon zum Krüppel gemacht, an meinem Arm
einherwankte. -- Und ich dachte auf diesem Waldweg an den Lebenslauf
meiner Eltern.

Er war junger Mann im Waldhofe gewesen.

Die Leute heißen ihn den Lenz, nicht weil er so jung und blühend und
heiter war wie der Lenz, sondern weil er Lorenz hieß.

Sein Vater war, bei einem Raufhandel schwer verletzt, nur kurze Zeit
krank gewesen und eines frühen Todes gestorben.

Nun war der Lenz Besitzer des Waldhofes. Um die Traurigkeit seines
Vaters wegen ein wenig in den Hintergrund zu drängen, that er etwas
Gutes, er suchte sich ein Weib. Er nahm schier die Ärmste und
Unbeachtetste, die im Waldthale war -- ein Mädchen, das schauderlich
schwarz war die ganze Woche hindurch, das aber am Sonntage doch
ein gar zartes weißes Gesichtchen hatte. Es war das Kind einer
Kohlenbrennerin, das für seine betagte Mutter arbeitete, seinen Vater
aber nie gesehen hatte.

Ein Jahr nach der Hochzeit, im Sommer, schenkte die junge Waldbäuerin
ihrem Lenz den Erstgebornen. Der erhielt den Namen Peter und läuft nun
damit durch alle Welt, ein ewiges Kind.

Ihr Leben war so eigenartig, ihr Leben war so gut, ihr Leben hatte eine
Dornenkrone.

Unser Hof war nicht klein und seiner Tage gut bestellt; aber meine
Mutter spielte nicht die vornehme Bäuerin, sie war die Hausfrau und die
Dienstmagd zugleich.

Meine Mutter war gelehrt, sie konnte »Drucklesen«; das hatte sie von
einem Köhler gelernt. Sie kannte die biblische Geschichte auswendig,
und sie wußte eine Unzahl von Sagen, Märchen und Liedern -- das hatte
sie von ihrer Mutter. Dabei war sie Beistand mit Rat und That, und sie
verlor in keinem Unglücke den Kopf und wußte immer das Rechte. -- »So
hat's meine Mutter gethan, so hat's meine Mutter gesagt,« meinte sie
stets, und das war ihre Lehre und Nachfolge, selbst als ihre Mutter
schon lange im Kirchgarten ruhte. Freilich war zuweilen ein wenig
Köhlerglaube dabei, aber in einer Gestalt, daß er nicht schadete,
sondern daß er eine milde Poesie verbreitete über das arme Leben in den
Waldhäusern.

Die Armen kannten meine Mutter weit und breit; umsonst klopfte keiner
an ihrer Thür, hungrig ging keiner davon. Wen sie für wahrhaft arm
hielt, und er bat um ein Stück Brot, so gab sie einen halben Laib,
und bat er um ein »Gafterl« Mehl, so reichte sie ihm auch ein Stück
Schmalz dazu. Und »gesegn' Euch's Gott!« sagte sie dazu, -- das sagte
sie immer.

»Wo werden wir hinkommen mit unserer Sach', wenn Du alles verschenkst?«
sprach zu ihr mein Vater oft schier ungehalten.

»'leicht gar in den Himmel hinauf,« antwortete sie, »meine Mutter hat
oft gesagt, jedes Vergeltsgott von den Armen graben die Engel in den
heiligen Thron Gottes ein. Wie werden wir froh sein zu einer Zeit, wenn
wir bei dem lieben Herrgott die Armen zu Fürbittern haben!«

Mein Vater fastete gern jeden Samstag und nahm oft keinen Bissen zu
sich, ehe die Schatten zu wachsen anhuben. Er that das zu Ehren unserer
lieben Frau.

»Ich sag, Lenz, ein solches Fasten hilft nichts für eine gute Meinung,«
versetzte da meine Mutter zuweilen, »was Du heut dabei ersparst, das
kannst Du morgen essen. Meine Mutter hat immer gesagt: was übrig bleibt
durch das Fasten, das opfere der Armut Lasten. -- Ich denk, sonst thut
es nichts helfen.«

Mein Vater betete an den Abenden, besonders zur »Rosenkranzzeit«, an
den Samstagen gern lange und laut, that aber dabei häufig allerhand
Verrichtungen, als Schuhnageln, Beinkleider ausflicken, oder sich gar
rasieren. Dabei verlor er nicht selten den Faden vom Gebet, so daß ihm
meine Mutter die Dinge oft aus den Händen nahm und rief:

»Meiner Tag, was ist denn das für ein Beten! Knie zum Tisch und bet
drei Vaterunser mit Fleiß, ist besser wie drei Rosenkränz', bei dem Dir
unter dem Herumdalgern der bös' Feind die guten Gedanken stiehlt!«

Wenn zu Zeiten die Arbeit schwer war, so hielt meine Mutter viel auf
einen guten Tisch. -- »Wer lustig arbeitet, mag auch lustig essen,«
meinte sie, »meine Mutter hat alleweil gesagt: wer sich nichts traut
anzubringen, der traut sich auch nichts zu gewingen.«

Mein Vater nahm vorlieb mit schmaler Kost; er fürchtete immer den Ruin
des Hauses.

Das waren in der Ehe die einzigen Zwistigkeiten. Aber sie griffen nicht
tief. Sie äußerten sich nur gegeneinander; wenn der Vater mit fremden
Leuten sprach, so pries er die Mutter; wenn die Mutter mit fremden
Leuten sprach, so pries sie den Vater.

In der Kinderzucht waren sie eins. Arbeit und Gebet, Sparsamkeit und
Redlichkeit waren unsere Hauptgebote.

Vom Vater bekam ich nur ein einzigmal ordentlich die Rute. Vor dem
Hause hin war junger Lärchen- und Tannenanwuchs, der nach und nach
so hoch emporwuchs, daß er die Aussicht auf die jenseitigen Berge
verdeckte. Ich hatte aber diese Aussicht lieb, und ich meinte, auch
der Vater müsse mir Dank wissen, wenn ich -- wie ich damals ein
unternehmender Knabe war -- die Bäumchen umhieb. Und richtig, eines
Nachmittags, als alle auf dem Felde waren, schlich ich mit einer Axt in
das Wäldchen und hub an junge Bäume umzuhauen. Da kam zu guter Stunde
mein Vater herbei; aber der Dank, den er mir wußte, sah wunderlich aus.
»Leih mir die Hack', Bub!« sagte er ruhig. Ich dachte, jetzt greift
er selber zu, um so besser, und gab ihm die Axt. Er haute damit eine
Birkenrute ab und strich sie glatt über meinen Rücken. »Wart!« rief er,
»wenn Du den jungen Wald umbringen willst? Er hat noch Ruten für Dich!«

Von meiner Mutter bekam ich die Rute auch ein einzigmal. Da stieß ich
einmal -- wie ich schon gern auf dem Herde saß, wenn die Mutter kochte
-- den vollen Suppentopf um, so daß das halbe Feuer gedämpft wurde und
ich mir schier die bloßen Füßchen verbrannt hätte. Meine Mutter war den
Augenblick nicht dagewesen, und als sie nun auf das mächtige Gezische
herbeieilte, rief ich, feuerrot im Gesichte: »Die Katz', die Katz' hat
den Suppentopf umgeworfen!«

»Ja, dieselb' Katz' hat zwei Füß' und kann lügen!« versetzte die Mutter
und nahm mich und strich mich eine lange Zeit mit der Rute. »Wenn Du
mir noch einmal lügst,« rief sie hernach, »so hau' ich Dich mit dem
Ofengabelstiel!« Ein arges Wort! Aber die Ausführung ist -- Gott Dank
-- nicht nötig geworden.

Hingegen wenn ich gut und folgsam war, so wurde ich belohnt. Mein Lohn
waren Lieder, die sie mir sang, Märchen, die sie mir erzählte, wenn wir
zusammen durch den Wald gingen oder sie abends an meinem Bett saß. Das
Beste in mir -- ich habe es von ihr. Sie hatte in sich eine ganze Welt
voll Poesie.

Als nach und nach meine Brüder und Schwestern kamen, da hat uns die
Mutter alle gleich geliebt, keines bevorzugt. Als hernach zweie in
ihrer Kindheit starben, sah ich die Mutter das erste Mal weinen. Wir
anderen weinten mit ihr und weinten fortan immer, so oft wir die
Mutterthräne sahen.

Und das war von dieser Zeit an gar oft.

Zwei Jahre lag der Vater auf dem Krankenbette. Wir hatten Unglück an
Hof und Feld, Hagel und Viehseuche kam, unsere Kornmühle brannte nieder.

Da weinte die Mutter im Verborgenen, daß wir Kinder es nicht hätten
sehen sollen. Und sie arbeitete unablässig, sie grämte sich und wurde
endlich krank. Die Ärzte der ganzen Gegend wurden herbeigezogen; sie
konnten nicht helfen, aber gut rechnen; nur einer sagte:

»Ich nehme nichts von so armen Leuten.«

Jawohl, trotz aller Lustigkeit, die so oft gewesen, wir waren arme
Leute geworden. Die Fahrnisse waren alle weg, von dem ganzen großen
Besitztume blieb uns nichts als die Steuern.

Nun beschloß mein Vater, den verschuldeten Hof so gut als möglich zu
veräußern. Aber die Mutter wollte nicht, sie arbeitete, wenn auch
krank, allfort mit Müh und Fleiß und ließ die Hoffnung nicht sinken.
Sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie fort sollte von ihrer
Heimstätte, von dem Geburtshause ihrer Kinder. Sie verleugnete ihre
Krankheit, sie sagte, sie sei nie gesünder gewesen als nun, und sie
wolle arbeiten für drei.

Meine Geschwister glaubten auch, sie könnten das Heimatshaus nicht
lassen, dabei hatten sie kein gutes Paar Schuhe mehr anzuziehen. Und
die Mutter, wenn sie einmal in die Pfarrkirche gehen wollte, mußte
sich von irgend einem Holzknechtweib ein Jöpplein ausborgen, das noch
keine Flicken hatte. Und von allem die höchste Pein war der Hochmut der
Leute und der Hohn, wenn sie doch zuweilen eine Beihilfe leisteten. Sie
hatten die Wohlthaten vergessen, welche meine Mutter einst nach ihrem
Vermögen jedem angedeihen ließ. Damals war sie die geachtetste Bäuerin
in den Waldhäusern. Aber -- das Unglück frißt die Freunde! Das hatte
auch ihre Mutter, die Köhlerin, oft gesagt.

Aus jener traurigen Zeit, da meine Mutter krank war, will ich hier ein
Erlebnis erzählen. Es beginnt mit einem sonnenfreudigen Pfingsten.

An jenem sonnenfreudigen Pfingstmontag war sie neununddreißig Jahre
alt gewesen. Es war lustig. Die Saaten standen grün auf den Feldern,
und auf der hohen Weide grasten die Herden, die zwar nicht uns
gehörten, sondern dem Nachbar, an denen wir uns aber doch freuten, weil
sie munter und leibig waren. Mein Vater hatte die Steuer des vorigen
Jahres bereits gezahlt, die wirtschaftlichen Verhältnisse, die während
der mehrjährigen Krankheit des Vaters zerrüttet worden waren, schienen
sich allmählich zu ordnen, und damit stiegen wir auch wieder im Ansehen
der Leute. Wir gingen an diesem Tage zusammen über die Auen, und die
Kleinen sammelten Blumen, und die Großen lobten durch ein heiteres Wort
oder durch ein Lied die Werke unseres lieben Gottes. Da setzte sich die
Mutter auf einen Stein und wollte sterben.

Wir schleppten sie nach Hause, wir legten sie aufs Bett, wo sie lange
lag -- wochenlang, monatelang. Alle Nachbarn kamen und brachten
wohlgemeinten Trost; alle Ärzte der weiten Umgegend kamen und brachten
wohlgemeinte Medizin. Die Kranke war, wie man hinter ihrem Rücken
zugestand, vom Schlage gerührt, sie siechte. Als aber der kühle Herbst
kam, da wurde ihr besser, sie lag nun tagsüber nicht mehr im Bette,
sie saß auf der Ofenbank oder am Tische, wo die Kinder spielten, oder
am Herde, wo sie den ungelenken Vater im Kochen unterwies. Sie war
nicht heiter, und sie war nicht betrübt, sie war ruhig und hatte keine
Klage -- nur wenn sie allein war, machte sie bisweilen einen schweren
Seufzer. So verging der Winter, es kam wieder das liebliche Pfingsten,
und die Mutter war krank.

Da kam an diesem Feste die alte Riegelbergerin zu uns, die brachte
etliche Semmeln mit, sie gab allerlei Hausmittel an und zählte
kerngesunde Leute auf, die durch solche Hausmittel kerngesund geworden
wären. Endlich fragte sie, ob wir nicht schon beim Stegthomerl gewesen
wären?

Nein, bei dem wären wir freilich noch nicht gewesen.

Wesweg wir so nachlässig sein könnten und noch immer nicht beim
Stegthomerl gewesen wären? Zu dem müsse man in einer solchen Krankheit
doch zu allererst schicken!

Aber, es sei so viel weit dahin, wandte mein Vater ein.

»Und wenn es drei Tagreisen wäre, um die Gesundheit ist's nicht zu
weit.«

»Das ist freilich wohl wahr, um die Gesundheit wär's nicht zu weit,«
meinte mein Vater. »Und meinst, Riegelbergerin, daß er ihr helfen
thät'?«

»Das Helfen, mein lieber Waldbauer, das steht bei Gott,« antwortete die
Riegelbergerin in ihrer gewohnten Überlegenheit. »Wunder wirken kann
auch der beste Arzt nicht. Aber kennen thut er's, der Stegthomerl, und
sagen wird er's, ob noch eine Hilf' möglich ist oder nicht.«

Schon am nächsten Tage ging ein Bote hin über die Berge in das Thal, wo
der Stegthomerl wohnte. Er ging früh aus, und er kam spät heim, und er
brachte den Bescheid, der Stegthomerl hätte gesagt, er könne gar nichts
sagen, so lange er die Kranke nicht selber sähe.

Am nächsten Tage ging ein anderer Bote (denn der erste war auf dem
weiten Weg hinkend geworden), um den Stegthomerl zu holen. Er kam spät
in der Nacht allein zurück und brachte den Bericht, der Stegthomerl
gehe zu keinem Kranken, er sei selber nicht mehr jung, auch wolle er
sich nicht wieder einsperren lassen, weil die geprüften Doktoren einen
höllischen Brotneid hätten und selber jeden unter die Erde bringen
möchten. Wenn die kranke Waldbäuerin zu ihm kommen wolle, so ließe sich
vielleicht was machen. Aber nach laufe er den Kranken nicht.

Das war doch männlich gesprochen, und wir begriffen es alle mit
einander, daß ein Mann, der seinen Wert kennt, sich nicht just
wegwerfen wolle. Aber nun war eine große Bedrängnis. Das Wetter --
allerdings -- das war schön und warm, die Tage waren lang, die Mutter
war auch bereit. Doch, konnten wir sie hinübertragen den viele Stunden
langen Weg bis zum Stegthomerl? Es war keine Möglichkeit. Fahren?
Wir hatten keinen Wagen, und das letzte Paar Zugochsen hatten uns
die Gläubiger weggetrieben, bei denen während der Mutter Krankheit
neuerdings angeklopft worden war. Die Nachbarn brauchten ihre Ochsen zu
dieser Zeit auf dem Brachfelde. Der Knullbauer hatte zwei Pferde, er
wollte sie leihen, aber sie kosteten für den Tag -- der Vater schlug
die Hände zusammen -- fünf Gulden und den Hafer.

Und als wir um die kranke Mutter herum so betrübt dasaßen, nach Rat
suchten und keinen fanden, ging die Thür auf und trat der Knabe des
Straßenwirtes herein.

»Was willst denn Du, Bübel?« fragte mein Vater.

Das Bübel schlenkerte mit den Händen. »Ja,« sagte es, »der Samersteffel
laßt sagen, wenn der Waldbauer sein Roß und Wagen haben will, so kann
er's haben.«

»Wo ist denn der Samersteffel?«

»Bei uns sitzt er und hat sein Roß und Wagen bei uns eingestellt.«

Mein Vater sann ein wenig nach, was er sagen sollte; dann sagte er:
»Der Steffel, der möcht mir einen schönen Preis mache; sag: ich ließe
mich bedanken.«

Der Knabe ging, und nach einer Stunde kam der Samersteffel selber.
Es war ein kleiner, wohlbeleibter Mann, der einst, so lange die
Straße noch nicht gebaut war, über den Alpsteig mit einem Saumroß
verschiedenerlei Dinge befördert hatte. Seit die Straße war, hatte er
sich ein Steirerwäglein angeschafft, mit dem er Getreide, Salz, Most
und Sonstiges transportierte, aber alles ums Geld, natürlich, weil
er davon leben mußte, und nicht nur das, sondern auch reich werden
wollte, um an der neuen Straße ein großes Wirtshaus zu bauen. Ein
Gastwirt zu sein, das war sein Ideal, und er hatte auch das Zeug dazu,
er war allfort bei Humor und hätte es schon verstanden seine Gäste zu
unterhalten.

Heute aber, da er in unsere Stube trat, war er gar nicht bei Humor.

»Ihr macht unsereinem eine recht unnötige Mühe,« sagte er und setzte
sich schnaufend auf die Wandbank. »Hast Du schon gehört, Waldbauer,
daß ich mich Geschäfts wegen wem angekoppelt hab? Wirst so was von
mir nicht gehört haben, weil ich's gottlob nicht vonnöten hab. Wenn
ich mich aber einmal selber antrag, daß ich was führen will, so führ
ich's umsonst. Ich hab gehört, daß Dein Weib zum Stegthomerl möcht und
kein Fuhrwerk hat. Meine Mutter, Gott tröst ihre Seel, ist auch lang
so krank gewesen, ich weiß, wie das ist, es ist ein Elend. Wenn's Euch
recht ist, so führe ich morgen die Waldbäuerin hinüber zum Stegthomerl.«

Da sind wir alle wohl gar recht froh gewesen. Wir haben nicht weiter
dran gedacht, ob die weite Fahrt nützen wird oder schaden, oder ob die
neue Medizin angreifen wird, oder wie die Krankheit hernach ausgehen
wird. Zum Stegthomerl, nur zum Stegthomerl, damit war uns alles
gewonnen.

In der nächsten Frühe, als der Morgenstern zwischen den mächtig
schwarzen Eschenbäumen herlugte, wurde ich geweckt. Der Vater mußte ja
daheim bei der Wirtschaft bleiben, so sollte ich, der dreizehnjährige
Junge, mit der Mutter sein, um darauf zu achten, daß ihr nichts
widerfahre. Die Mutter saß schon bei ihrem Frühstück und that, als ob
ihr die Milchsuppe rechtschaffen munde. Der Samersteffel und ich aßen
eine Pfanne Sterz weg, und dann fuhren wir davon. Der Steffel saß auf
dem Kutscherbänklein und redete laut seinem Rößlein zu, daß es heute
einen Gescheiten machen und recht flink dreintraben solle, »damit wir
die Waldbäuerin heimbringen, so lang es noch heut heißt.« Meine Mutter
saß, in alle ihre Kleider und obendrein noch in den Wettermantel meines
Vaters vermummt, auf einem Lederkissen, zu Füßen hatte sie Stroh, und
über das Ganze lag eine schwere Bettdecke, aus der nur ein Teil ihres
Hauptes ein wenig hervorschaute. Neben diesem Krankenbette saß ich und
hatte ein schweres Herz.

Es war noch die frostige Nacht, über dem Wechselberg wurde der Himmel
erst ein wenig blaß. Der Weg ging über die Auen dahin. -- Jetzt
erwachten die Vögel, jetzt begann die Herrlichkeit des Morgenrotes,
jetzt stieg die große Sonne empor. Meine Mutter zog die Decke ein wenig
zurück und schaute hinauf in die Sonne.

»Ich habe einen guten Trost,« flüsterte sie und suchte meine Hand
anzufassen, »wenn der Sommer ein wenig mithilft und der Stegthomerl
auch -- ich bin ja doch noch nicht so alt ... was meinst, mein Kind,
werd' ich gesunderweise noch einmal können die Welt anschauen?«

Ich war so zuversichtlich wie sie, mir war leicht geworden. Die
Morgensonne! Die liebe, warme Morgensonne!

Die Mutter wurde gesprächig. »'s ist närrisch auch noch,« sagte sie auf
einmal und lachte fast laut, »daß der Mensch so viel gern auf der Welt
ist. Meine Leut' möchte ich halt wohl ungern verlassen. Mein Lenzel,
Dein Vater, thät mir so viel derbarmen, wenn er niemand mehr hätte;
die Kinder sind noch klein.«

»Ich werde jetzt doch schon ziemlich groß,« war mein Einwand.

Da wendete sich die Mutter mit dem Gesichte ganz zu mir und sagte:
»Just Du, mein Peter, just Du machst mir die meisten Sorgen. Du kommst
mir halt ganz anders vor, wie andere Buben in Deinen Jahren. Hast zur
Arbeit keinen rechten Schick -- heißt das, Schick schon, aber halt
deutsch keine Freud. Ja, ja, wenn Du's auch leugnest, ich kenn Dir's
an, Dich freut die Bauernarbeit nicht, Du tappst herum und willst
was anders und weißt selber nicht was -- schau, das ist gerade das
Gefährlichst'. So wollt ich unseren Herrgott wohl schön bitten, daß er
mich bei Dir laßt, daß ich Dich kann anhalten und bis ich weiß, was aus
Dir wird.«

»Ein Fuhrmann wirst, gelt Bub?« rief der Steffel über seine Achsel her
zu uns in den Wagen.

»Ein braver Fuhrmann, der arme Leut' thut führen, das wollt mir schon
gefallen,« bemerkte meine Mutter; darauf schmunzelte der Steffel ein
wenig.

Der Weg ging stark aufwärts und wurde steinig; der Steffel und ich
gingen neben dem knarrenden Steirerwagen zu Fuß. Die Sonne war heiß
geworden. Es war eine mühevolle Fahrt, und wir kamen nur langsam
weiter. Als wir hoch oben durch die fast ebenen, aber finsteren
Waldungen der Fischbacheralpe dahinfuhren, da hörten wir kein Wagenrad,
denn der Erdboden war dicht mit Fichtennadeln besäet, nur daß die
Räder bisweilen an eine Baumwurzel prallten. Die Vögel waren still
geworden, denn über den Wipfeln lag der heiße Tag. Meine Mutter war
eingeschlummert. Ich schaute in ihr blasses Gesicht und dachte: Der
Stegthomerl wird schon ein gutes Mittel wissen; es ist doch ein Glück,
daß wir zum Stegthomerl fahren können.

»Magst ein Trumm Brot, Peter?« fragte der Steffel.

»Ein Brot, das mag ich schon.«

Und wie ich hierauf das Stück Brot erhielt, lag auch ein Stück Speck
drauf, und jetzt fing meine Bedrängnis an. Ich hielt das Ding lange in
der Hand und schaute es an und schaute auf die Mutter hin; sie schlief.
Den Steffel, der es so gut mit uns meinte, wollte ich nicht beleidigen.
Da ich die Sache aber nicht so auf sich und auf meiner Hand belassen
konnte, so hub ich endlich an, zuerst ganz leise, aber allmählich
lauter: »Steffel!« zu rufen.

»Was willst denn?« fragte dieser endlich.

»Ich thät schön bitten,« sagte ich gar verzagt, »schön bitten, daß ich
den Speck da nicht essen müßt'. Weil ich halt keinen Speck nicht mag.«

»Du weißt nicht, was gut ist,« lachte der Fuhrmann und befreite mich
von meiner Not.

Endlich begann es bergab zu gehen, da holperte der Wagen auf den heißen
Steinen, rüttelte die Kranke aus dem Schlaf, und die Sonne brannte ihr
ins Mark hinein, und dabei fröstelte sie.

Murmelte der Steffel: »Der Stegthomerl muß schon ein höllisch guter
Arzt sein, daß eine solche Fahrt der Mühe wert ist. Nur aushalten,
Fuchsel, wir haben nimmer weit.«

Um den späten Mittag war's, als wir ins Thal kamen und vor dem Häuslein
des Stegthomerl hielten.

Wir führten die Mutter in die dumpfig mürfelnde Stube, in der alle
Fensterlein fest geschlossen waren, dort ließen wir sie auf die Bank
nieder und fragten nach dem Thomerl.

Ein altes, brummiges Weib gab uns zur Antwort, der Thomerl wäre nicht
da.

»Das sehen wir,« sagte der Steffel, »möchten nur wissen, wo er ist?«

»Kunnt's nit sagen.«

»Wann er kommt?«

»'leicht, daß er nimmer lang ausbleibt, 'leicht, daß er erst in der
Nacht einmal kommt, 's ist möglich, daß er zum Schanzwirt gegangen ist.«

Die Alte ging aus der Stube, wir saßen da. Meine Mutter that einen
schweren Atemzug.

Der Steffel ging der Alten nach und bat sie um einen Löffel warmer
Suppe für die Kranke.

»Wo sollt' eins jetzt eine warme Suppe hernehmen; ist schon lang kein
Feuer mehr auf dem Herd.« So der Bescheid. Da machte sich der Fuhrmann
selber dran, Feuer zu schaffen, Milch zu suchen und zu kochen.

Die Mutter aß nur ein weniges von der Suppe, schob die Schüssel uns zu,
daß auch wir was Warmes bekämen.

Als all das vorbei war, gab der Steffel dem Weib einen Silberzehner für
die Milch und für das Heu, welches der Fuchs fraß.

Nach einer Stunde, während es in der Stube ein paarmal schier finster
geworden war, weil draußen Wolken vor die Sonne zogen, trat der
Stegthomerl endlich in die Stube. Es war ein kleiner, dünnbeiniger
Mann, der aber einen großen Kopf, breite Achseln, eine sehr hohe
Brust und einen tüchtigen Höcker hatte. Und der Kopf war in die
Schultern gebohrt, so daß sich das Männlein allemal mit dem ganzen
Körper umkehren mußte, so oft es den Kopf wenden wollte. Ich sehe ihn
heute noch lebhaft, wie er zur Thür hereintrat und uns mit seinem
weitläufigen, verdunsenen Gesichte zuerst scharf, dann lächelnd ansah.

Meine Mutter war sogleich unruhig geworden und suchte sich von ihrem
Sitze zu erheben, um ihm ehrerbietig ihr Anliegen vorzutragen.

Der Thomerl winkte mit der Hand, sie möge das lassen, und sagte hernach
mit etwas lallender Stimme: »Ich weiß schon, Du bist die Waldbäuerin
aus dem Alpel, Dich hat vor einem Jahr der Schlag getroffen.«

»Der Schlag hat mich getroffen?« fragte die Kranke mit Schrecken.

»Hast weit und breit herumgedoktort, und jetzt, weil Dir sonst keiner
helfen kann, kommst zu mir. Ist allemal so, versterbend kommen sie, und
wenn nachher dem Stegthomerl seine Arznei nicht Wunder wirkt und der
Kranke draufgeht, so heißt's dann: der Stegthomerl hat ihn umbracht.«

Diese Worte waren an und für sich ganz schrecklich zu hören, doch waren
sie noch erträglich, weil sie mit lächelnder Miene gesagt wurden, und
weil der Thomerl nun beisetzte: »Verhoff's, daß es mit Dir noch eine
Ausnahme hat, Waldbäuerin. Ich werde Dich jetzt untersuchen.«

Fürs erste, selbstverständlich, fühlte er ihr den Puls. »Der hupft,«
murmelte er, »der hupft.« Dann zog er ihr mit seinen breiten Fingern
die Augenbrauen auseinander und guckte auf das Weiße hinein -- und
sagte nichts. Hierauf mußte sie den Nacken entblößen, und er legte
sein Ohr dran -- und sagte nichts. Ferner betrachtete er mit großer
Aufmerksamkeit die Linien in der inneren Handfläche, erkundigte sich
dann nach dem näheren Befinden der Kranken und fuhr fort, die Pulsadern
und die Atemzüge zu untersuchen, so daß ich von der Gewissenhaftigkeit
dieses Mannes sofort eine hohe Meinung gewann.

Und als er mit der Untersuchung fertig war, setzte er sich meiner,
sich langsam wieder in ihre Tücher hüllenden Mutter gegenüber auf
einen Stuhl, spreizte die Beine aus, bohrte sein Kinn in seinen Rumpf,
und, die Arme über der Brust gekreuzt, sagte er: »Ja, meine liebe
Waldbäuerin, Du mußt sterben.«

Meine Mutter zuckte leicht zusammen, ich sprang auf. Der Steffel aber
blieb ganz gelassen auf seinem Platze sitzen, schaute eine Weile starr
auf den Stegthomerl und sagte plötzlich: »Mußt Du nicht auch sterben?
Nein, Du wirst hin, altes Kamel, gottverfluchtes!«

Jetzt war's die höchste Zeit. Wir packten eilig zusammen und fuhren
heimwärts.

Es war schwül und schattig, der Himmel hatte sich mit Wolken bedeckt,
es meldete sich kein Tier, es rührte sich kein Wipfelchen, unser Wagen
knarrte schwerfällig dahin. Meine Mutter lag still in ihrer Ecke und
schaute mit ihren großen, dunklen Augen die dämmernde Welt an.

Der Steffel saß wutschnaubend auf seinem Bock, allmählich jedoch wurde
er ruhiger, und nun brummte er:

»Aber einen +solchen+ Rausch haben!«

»Wer?« fragte ich.

»Ein solcher Rausch ist wirklich der Mühe wert, daß man eine Tagreise
weit fahrt und ihn anschauen geht,« fuhr der Steffel fort. »Hab mir's
ja sagen lassen, daß es selten soll nüchtern sein, das alte Kamel; und
heut ist es geradewegs vom Schanzwirt gekommen.«

»'s wird wohl gut gewesen sein,« sagte nun meine Mutter, »wenn er
nüchtern gewesen wäre, hätte er mir die Wahrheit vielleicht nicht
gesagt.«

Und so sind wir schwer betrübt dahingefahren. Über den Bergen her hat
der Donner gemurrt, ganz heiser und dumpf; aus der Ferne her hat die
Wetterglocke von Fischbach geklungen. Da richtete sich meine Mutter
auf und sagte: »Eins mußt mir zu Lieb thun, Peter, und den Steffel will
ich auch bitten: dem Vater, meinem Mann, thut es nicht sagen, was der
Stegthomerl gesagt hat.«

»Thät sich wahrlich nicht auszahlen, daß man so eine Narrenred'
weiter sagt,« rief der Fuhrmann sehr laut, »aber zum Gericht geh ich!
Verklagen geh ich ihn! Das thu ich!«

»Bitt' Dich gar schön, Steffel, laß das sein,« bat meine Mutter, »mußt
nicht glauben, daß ich mir das Wort so schwer leg, ich hab mir's selber
oftmals gedacht, mit mir wird's ausgehen, wie es mit allen serbenden
(kränkelnden) Leuten ausgeht. Was kann der Stegthomerl dafür! Wir
sind nicht zu ihm gefahren, daß wir uns von ihm anlügen lassen. Mich
schmerzt es nur, daß wir ihn nicht einmal gefragt haben, was wir für
die Aufrichtigkeit schuldig sind.«

Jetzt stieß der Steffel ein Lachen aus und ließ die Peitsche ein
paarmal durch die Luft pfeifen, gleichwohl das Pferd nach Kräften seine
Schuldigkeit that.

Als wir über die Höhen dahinfuhren, hatte sich das drohende Gewitter
gänzlich verzogen, die untergehende Sonne schien mit einem weichen
Goldglanze auf die weite Gegend hin, über Wald und Auen, und ein
erquickender Hauch floß in unsere Brust.

Auf der blassen Wange meiner Mutter lag eine helle Thräne.

Als wir schweigsam und müde über unsere Auen fuhren, standen die Sterne
am Himmel. Allerwärts im Grase rieselte das Lied der Heimchen. An der
Zaunschranke, wo unsere Halde anhub, stand eine schwarze Gestalt,
welche uns ansprach, ob wir's wären?

Mein Vater war's, der uns entgegengekommen. Meine Mutter nannte ihn
beim Namen; die Stimme war weich und zitternd.

Der Vater geleitete uns in das Haus, ohne eine Frage zu thun.

Erst als wir in der Stube waren und das Spanlicht brannte, fragte er
mit Befangenheit, wie es uns denn ergangen wäre?

»Nicht schlecht,« sagte der Steffel, »gar nicht schlecht; wir sind
recht munter gewesen.«

»Und der Stegthomerl -- was hat er denn gesagt?«

»Der hat gesagt, daß auch die Waldbäuerin nicht ewig leben wird, daß es
mit ihr aber noch lang Zeit hat -- noch lang. Nur schön achtgeben; zur
Sommerszeit hübsch in der guten Luft sein, nicht anstrengen und nicht
aufregen, gut essen und trinken und keine Medizin -- nur keine Medizin,
hat er gesagt. Nachher wird's schon wieder gut werden.« --

Darauf verging eine Zeit. Mein Vater trachtete nach dem Ausspruche des
Steffels, von dem er glaubte, daß es der Ausspruch des Stegthomerl
wäre, die Mutter zu pflegen, und als der Winter kam, saß sie am
Spinnrocken und spann. Die Maus hatte den Faden nicht entzwei gebissen.

Im selbigen Winter kam die Nachricht, daß unweit des Schanzwirt auf
der Fischbacheralpe der Stegthomerl erfroren unter dem Schnee gefunden
worden sei. Wir beteten für ihn ein Vaterunser.

Der Samersteffel, der bisweilen zu uns kam und stets der gute, heitere
Mann blieb, hatte dem Thomerl auch verziehen und zwar einzig nur, weil
dieser damals Unrecht gehabt.

Mir fehlte -- um nun wieder auf unsere übrigen Verhältnisse
zurückzukommen -- alle Freude an dem Bauernstande und freilich auch
die Kraft dazu. Ich ging denn zu einem Handwerk, aber den Eltern
konnte ich nicht helfen. Die Sonntagskost, die ich daheim hatte,
wollte ich meinem Vater zahlen, er nahm nichts, er sagte, ich sei nach
wie vor sein Kind, nur nicht so viel Späne brennen sollte ich in den
Samstagnächten, wenn ich zu Hause wäre.

»Mein, so laß ihm die Freud, er hat sonst auch keine«, sagte da die
Mutter und war meine Fürbitterin.

Da wurde es mit mir anders. Ich ging in die Welt.

Der Abschied von meiner Mutter war hart, aber nach kurzer Zeit hatte
sie es erfahren, daß mein Leben ein glücklicheres geworden.

Wie nun das Glück da war, so kam bald der Neid herangehumpelt --
oder die Dummheit? Ein Gerücht ging in den Waldbergen: »Es wär so
weit schon recht mit dem Peter, aber wie's eben geht in der Stadt,
vom christlichen Glauben wird er abfallen.« Und bald hieß es weiter:
»Saubere Geschichten das! Wird ihm auf einmal die ehrlich' Arbeit zu
schwer und die rechtschaffen' Kost zu schlecht, geht in die Stadt und
ißt Fleisch am Tag unserer lieben Frau und fällt ab vom Glauben.«

Meine Mutter hatte zuerst gelacht, als sie das hörte, sie kannte ja ihr
Kind. Dann kam ihr aber der Gedanke: Wenn's denn doch wäre! Wenn ihr
liebes Kind denn doch auf Gott vergäße und verloren ginge!

Sie hatte keine Ruhe, sie ging und borgte Kleider aus von der blinden
Jula und borgte von einer gutherzigen Hausiererin drei Gulden und
reiste -- krank und hinfällig, an jeder Hand einen Stock -- in die
Hauptstadt. Sie wollte sich überzeugen, was Wahres war an der Leute
Gerede. Sie fand ihr Kind als armen Studenten in schwarzem, geschenktem
Rock und mit zurückgekämmten Haaren. Das gefiel ihr schon nicht recht,
doch gelang es, sie zu beruhigen. Aber sie sah in den zwei Tagen ihres
Aufenthalts in der Stadt überall das tolle, leichtsinnige Treiben,
sah Außerachtlassung von alten, ihr ehrwürdigen Gebräuchen und Spott
über Dinge, die ihr heilig waren, und sie sagte zu mir: »Unter solchen
Leuten wirst doch nicht bleiben können, Kind, sie thäten Dich zu Grunde
richten.«

»Nein, Mutter,« antwortete ich, »denken kann man, was man will, und
gute Gedanken können die Leute nicht rauben.«

Sie schwieg. Aber als sie zurückkam in die Waldberge und wieder das
Gerede hörte, war sie gebrochener als je. --

Mit der Wirtschaft war es nun entschieden. Haus und Hof wurden
veräußert, den Gläubigern überlassen; meine Geschwister verdingten sich
an fremde Bauern. Den hilflosen Eltern wurde ein Häuschen angewiesen,
das bisher zum Gute gehörte. Mein jüngster Bruder, der noch nicht im
stande war, sich das Brot zu erwerben, und eine Schwester blieben bei
ihnen und übten Pflege an der armen Mutter. Der Vater ging allweg über
die Berge zu den Ärzten und verschrieb ihnen schier sein Leben, wenn
sie jenes seiner Gattin retten könnten.

In dem Häuschen sah es armselig aus. Die Kranke duldete still. Ihr
Augenlicht wollte sie verlassen, ihr Denkvermögen wollte sich auflösen.
Der Tod klopfte in wiederholten Schlaganfällen an ihr Herz. Oft schien
sie schwer zu leiden, aber sie schwieg; sie hatte nichts mehr mit der
Welt -- nur nach ihrem Gatten, nur nach ihren Kindern fragte sie. -- Es
war ein jahrelanges Sterben.

Ich habe sie in dieser Zeit oft besucht.

Sie erkannte mich kaum, wenn ich an ihrem Bette stand; dann sagte sie
doch wieder wie im Traume: »Bist Du's, Peterl? Gott sei Lob und Dank,
daß Du wieder da bist!«

Im Hochsommer trugen wir sie einmal mitsamt dem Bette aus der dumpfen
Stube in das Freie, daß sie noch einmal den Sonnenschein sehen sollte.
Ich weiß nicht, ob sie ihn sah, sie hielt das Auge offen und blickte
die Sonne an, die Sehnerven schienen erstorben zu sein.

Da kamen plötzlich Tage, da sie umgewandelt war. Sie war heiter und
verlangte in das Freie.

»Wirst mir doch wohl wieder gesund, Maria, und wir bleiben noch eine
lange Weil beisammen,« sagte ihr Gatte.

»Ja,« antwortete sie. ---

Das alles hatte ich auf diesem Waldwege überdacht -- und jetzt war es
vorbei mit diesem armen reichen Leben.

Als ich endlich nach stundenlangem Wandern durch die Wälder des
Alpsteigs das strohgedeckte Häuschen am Berghange sah, da war es wie
ein bläulicher Schatten über Wald und Feld und allem, und doch lag der
Sonnentag darüber. Aus dem kleinen Rauchfange stieg ein grauer Hauch.
-- Ahnt sie's, daß ich komme, kocht sie mir meine Lieblingsspeise? --
Nein, fremde Leute bereiten ein Totenmahl.

Lange standest du vor der angelehnten Hausthür, deine Hand zitterte,
als sie sich endlich an die Holzklinke legte. Da ging die Thür auf, da
tratest du ein, da war es dunkel in der engen Vorlauben, nur ein mattes
Öllämplein flatterte in einem Glase, und da sahest du's wohl -- an
der Wand, unter der räucherigen Bodenstiege, auf einem Brette lag die
Bahre, ganz zugedeckt mit einem großen weißen Tuche. Zu Häupten stand
ein Kruzifix und die Schale Weihwasser mit einem Tannenzweig ..

Da fielst du nieder aufs Knie ... Endlich kam die Thräne. Die Thräne,
die uns einst das Mutterherz mitgegeben auf die Welt zur Linderung
im Leid und zum einzigen Trost in der Stunde, wo kein anderes Heil
der Seele naht, wo die Freunde uns nicht verstehen können und das
Mutterherz gebrochen ist. O, sei gegrüßt, du reiches, ewiges Erbe!

Jetzt ging leise die Stubenthür auf, und Maria, die jüngste Schwester,
trat heraus. Sogleich hub das Mädchen laut zu weinen an, als es den
Bruder sah, von dem sie alle so oft gesprochen, nach dem der Mutter
letzter Blick gefragt, und der in der Ferne war, als sie das Auge
schloß. Nun lag er da und weinte um ihre Lebenszeit.

Selbst ihre Kinder daheim hatten geschlafen in der Sterbenacht. Erst
als das Morgenrot durch die Fensterchen leuchtete, ging der Vater zu
ihnen in die Kammer und sagte: »Thut die Augen auf und schaut, über den
Wechsel steigt schon die Sonne herauf, und unsere liebe Frau thut drin
sitzen mit dem heiligen Christkindlein, und auf dem Schemel zu ihren
Füßen sitzt eure Mutter und thut aus einem Rocken das himmlische Kleid
spinnen.«

Da wußten sie's gleich, es war die Mutter gestorben.

»Willst Du sie anschauen?« fragte mich jetzt die Schwester. Dann trat
sie an das Haupt der Bahre und hob langsam das Leintuch.

Ich sah meine Mutter, noch auf ihrem erstarrten Antlitz lag das Heil.
Die Last war weg von meinem Herzen, erleichtert und getröstet, als ob
ich auf eine weiße Blume blickte, schaute ich die lieben Züge. Das war
ja nicht mehr das arme, kranke, mühselige Weib, das war das von einem
Strahle aus längst vergangenen Jugendtagen verklärte Angesicht. Sie
lag da im Schlummer und war gesund. Sie war wieder jung und weiß und
milde, sie lächelte ein wenig, wie sie gern that, wenn sie auf den
kleinen lustigen Knaben blickte, der sich mit seinen Spielzeugen zu
ihren Füßen umhertrollte. Die dunkeln, glänzenden Haare (sie hatte noch
kein graues) waren ihr sorgsam gewunden und guckten an den Schläfen
etwas hervor aus dem braunen Kopftuche -- wie sie's immer gern hatte,
wenn sie an den Festtagen zur Kirche ging. Die Hände hielt sie gefaltet
über der Brust mit dem Rosenkranze und mit dem Wachsstocke. Als wie
wenn sie eingeschlummert wäre in der Kirche am Pfingstsonntage während
des freudenreichen Hochamtes, so lag sie da, und noch im Tode tröstete
sie ihr Kind.

Aber an den rauhen Händen sah man's wohl, daß die Schlummernde durch
ein mühevolles Leben geführt worden war. So standest du vor diesem
heiligen Bilde -- fast so still und regungslos wie die Ruhende.

Endlich flüstertest du zu dem leise weinenden Schwesterlein: »Wer hat
ihr die Augen zugemacht?« --

In der Stube erschallten Hammerschläge. Der Schreiner zimmerte das
letzte Haus.

Endlich hüllte Maria das Leintuch wieder über das Haupt, so sanft, so
sorglich, wie sie hundert- und hundertmal das Mütterlein zugedeckt
hatte in der langen Zeit des Siechtums.

Dann trat ich in die kleine, warme Stube. Der Vater, die ältere
Schwester, die beiden Brüder, wovon der jüngere noch ein Knabe war,
traten mir betrübt entgegen. Sie sagten kaum ein Wort, sie reichten mir
die Hand, bis auf den Kleinen, der duckte sich im Ofenwinkel, und man
hörte sein Schluchzen.

Der Zimmermann-Sepp hobelte gleichmütig an dem bereits zusammengefügten
Sarg und rauchte dabei eine Pfeife. --

Später, als draußen schon die Schatten des Nachmittags gewachsen waren
weit über die schneeglitzernde Wiese hin, als in der Stube der Sepp auf
den Deckel des Sarges das schwarze Kreuz zeichnete, saß der Vater neben
demselben und sagte leise: »Wie's Gott will. -- Jetzt hat sie doch
wieder ein eigenes Haus.«

Am ersten Tage nach der Mutter Sterben war kein Feuer gemacht worden
auf dem Herde der Hütte. Allmiteinander hatten sie vergessen, daß der
Mensch zum Morgen, zum Mittag wohl eine warme Suppe ißt. Hingegen war
auf dem Anger hinter dem Häuschen ein hellflammendes Feuer angezündet,
um das Bettstroh zu verbrennen, auf welchem sie gestorben war. -- Wie
voreinstmal die Vorfahren ihre Wuotansfeuer haben entfacht, den teuren
Verstorbenen der Göttin Hell, der Bergenden, empfehlend.

Ich hatte mich auf die Bank gesetzt und das Brüderchen zu mir
emporgehoben. Der Kleine blickte völlig furchtsam zu mir auf, ich hatte
einen schwarzen Rock an und eine weiße Halsbinde um, ich kam ihm so
vornehm vor. Seine kleine Hand, die auch schon Schwielen hatte, hielt
ich in der meinen. Dann bat ich den Vater, daß er etwas erzähle aus dem
Leben unserer Mutter.

»Wartet ein wenig,« antwortete der Vater und sah wie träumend der
Zeichnung des Kreuzes zu. Endlich that er einen tiefen Atemzug und
sagte: »So, jetzt wär's fertig. Wohl lang hat ihr Kreuz und Leiden
gedauert, aber das Leben ist kurz gewesen. Kinder, das sag ich Euch,
jeder hat keine solche Mutter, wie die euere ist gewesen. Für Dich,
Peter, hätt' sie schier das Leben aufopfern müssen, wie Du bist auf die
Welt gekommen. So sind sie drauf gekommen nacheinander, die Freuden und
Leiden, die Sorg und Not -- das Elend! Und wie ich krank gewesen bin
auf den Tod und die Ärzte all' gesagt haben, ich müßt' fort, es gäb'
kein Mittel mehr, hat mein Weib die Hoffnung nicht aufgegeben, hat mich
nicht verlassen. Tag und Nacht ist sie bei mir gewesen, hat auf ihren
Schlaf vergessen und auf ihren Bissen Brot. Schier mit ihrem Atem hat
sie mir das Leben eingegossen -- mein gutes Weib. -- --«

Die Stimme wollte ihm brechen, mit dem Rockärmel wischte er sich das
Nasse aus den Augen.

»Was eine gute Wartung ist, das sollt' eins nicht glauben,« fuhr er
fort, »gesund bin ich wieder worden. Wir haben fortgelebt in der Treu';
daß Du, Peter, in der Fremde Dein Glück hast gefunden, das ist Deiner
Mutter größte Freud' gewesen. Wie sie krank und serbend ist gelegen an
die zehn Jahre und drüber, wie sie uns haben hinausgestoßen aus unserem
Haus, wie das schlechte Gered' ist gewesen, und wie wir doch das größte
Vertrau' gehabt haben zu Euch Kindern, das wisset Ihr ja selber. Völlig
dreißig Jahr sind wir beisammen gewesen im Ehestande. Allweg hab ich
gebetet, +mich+ sollt' der lieb' Herrgott zuerst nehmen, jetzt
hat er +sie+ doch noch lieber gehabt. -- Müsset nicht so weinen,
Kinder, Ihr seid Eurer Mutter beigestanden.« --

Weiter sprach er nicht.

Als der Sarg gezimmert war, legte der Vater Hobelspäne als Hauptkissen
hinein. Er hatte immer die Gewohnheit gehabt, daß er nach gethaner
Arbeit zu seinem Weibe ging und sagte: »Jetzt bin ich fertig.« Als
er nun die Hobelspäne zurecht geschichtet und auch die übrigen
Vorbereitungen gethan hatte, ging er in die Lauben zur Bahre und sagte:
»Jetzt bin ich fertig.«

Am späten Abend, als auf dem tiefdunkeln, klaren Himmel der Halbmond
stand und sein Dämmerlicht ergoß über die Wälder und schneeschimmernden
Auen und über das Waldhäuschen am Hange, da winselte allfort der
Schnee am Wege, da kamen aus Bauernhöfen und fernen Hütten Leute
herbei. Wenn sie auf den Wegen, die sie gekommen, auch laute, heitere
Gespräche miteinander geführt hatten, so wurden sie doch jetzt, da sie
dem Häuschen nahten, schweigsam, und man hörte nur das Knistern ihrer
Tritte im Schnee.

In der kleinen Vorlauben, die durch das Lämplein matt beleuchtet war,
kniete jeder hin auf den kalten Lehmboden und betete still vor der
Bahre und besprengte sie dann mit Weihwasser. Hernach ging er in die
Stube zu den anderen, die da um den Tisch und den Ofen herumsaßen,
Lieder sangen und geistlichen Betrachtungen oblagen. Sie waren alle da,
um die arme Häuslerin zur letzten Ruhestätte zu begleiten.

Ich hätte, wären die Leute nicht dagewesen, allfort an der Bahre stehen
und die Mutter ansehen mögen. Ich las in ihren Zügen meine Kindheit und
meine Jugend. Ich meinte, noch einmal werde sich das klare Auge öffnen
und mich anlächeln, noch einmal werde mir das Wort fließen von diesen
Lippen, das in ihrer Liebfreude so weich und herzensreich war gewesen.
Aber wie ich auch ihr lieber Sohn gewesen war, und wie lange ich noch
stehen mochte bei ihr -- sie schlief den ewigen Schlaf.

Ich ging in die niedere Küche, wo die Nachbarinnen das Totenmahl
kochten, ich suchte im Rauche herum die Geschwister, auf daß ich sie
tröstete.

Drin in der Stube war jetzt alles mäuschenstill und in großer Spannung.
Der alte Jäger Mathias, der ein braunes Hemd und einen weißen Bart
trug, saß am Tische und erzählte eine Geschichte.

»Ist einmal ein Bauer gewesen,« begann er, »und der hat ein Weib
gehabt, gar ein armes, krankes Weib. Und einmal, an einem heiligen
Ostermorgen, da ist ihm das Weib gestorben. Wie die Seel' von
dem Leib abgeschieden ist gewesen, da ist sie dagestanden ganz
mutterseelenallein in der finsteren Ewigkeit. Kein Engel hat wollen
kommen und sie führen und weisen hinein in das himmlische Paradies.
Christi Auferstehung wird gefeiert im Himmel, hat es geheißen, und
da hat kein Engel und kein Heiliger Zeit für die arme Seel', daß er
sie thät weisen. Die arme Seel' aber ist gewesen in unaussprechlicher
Angst, sie hat bedacht, daß sie ihrer Krankheit wegen schon lange
in keine Kirche hat kommen mögen. Und sie hat schon allweg die
Teufel winseln und pfeifen gehört, und sie hat gemeint, jetzt ist
sie verloren. O mein heiliger Schutzengel und Namenspatron! hat sie
gerufen, kommt mir zu Hilf in dieser Not, sonst muß ich hinab in die
Höllenglut! -- Aber sie sind halt alle beisammen gewesen im Himmel bei
der Auferstehung Christi. Darauf ist das arme Weib schon zum Hinsinken
gewesen ohne Trost und Beistand, aber auf einmal ist unsere liebe Frau
gestanden an ihrer Seiten, gehüllt wohl in ein schneeweißes Kleid und
in der Hand zur schönen Zier einen Kranz von Rosen. Sei gegrüßt und sei
getröstet, Du armes Weib! hat sie lieblich gesagt zur abgeschiedenen
Seel', Du bist eine fromme Dulderin gewesen all Deiner Tage lang, und
an jedem Samstag mein hast Du gefastet mir zu Lieb, und das, was Dir
dadurch übrig geblieben, hast Du den Armen gereicht, mir zu Lieb.
Das will ich Dir nimmer vergessen, und wenn mein lieber Sohn seine
glorreiche Auferstehung feiert an diesem Tage, so will ich Deiner
gedenken und Dich hinaufführen zu seinem goldenen Thron und zu Deinem
freudenreichen Platz im Rosengarten bei den Engelein, den ich bereitet
habe Dir zu Lieb, und wo Du kannst warten auf Mann und Kinder. Und
darauf hat unsere liebe Frau das arme Weib bei der Hand genommen und
hinaufgeführt in den Himmel. -- Deswegen sag ich, ein Fasten und ein
Almosen zu Ehren unserer lieben Frau ist gar ein gutes Werk.«

So erzählte der Mathias im braunen Hemde.

»Auch unsere Waldbäuerin, die wir morgen bestatten, hat gern gefastet,«
sagte ein Weiblein, »und rechtschaffen gern gegeben.«

Der Vater schluchzte vor Rührung. Der Gedanke, daß seine Gattin nun im
Himmel sei, legte ein gar liebliches Licht in sein betrübtes Herz.

Die alte rußgebräunte Hängeuhr -- das war dieselbe, welche seit dem
fröhlichen Hochzeitstage des Waldbauers alle Stunden getreulich
gezählt, die freudvollen und die leidvollen; welche die erste Stunde
wies, als voreinst das Knäblein geboren wurde in der Sonntagsfrühe;
welche nun nach vielen Jahren die sechste Stunde zeigte, als der
Erlösungsengel durch die Stube zog und seinen Kuß der Dulderin auf die
Stirne drückte -- die Hängeuhr rückte ihren Zeiger jetzt gegen zwölf.

Und als so ein vergangenes Leben gemessen war wie ein einziger Tag von
Sonnenaufgang bis Niedergang -- da sagte mein Vater: »Bub, geh hinaus
in den Stall, und leg Dich ein Stündlein aufs Stroh, daß Du ein wenig
magst rasten. Wenn es Zeit ist, will ich Dich schon wecken.«

Ich ging hinaus, that in der Lauben noch einen Blick auf die Bahre und
trat dann in die freie, kalte, sternenvolle Nacht. Die Mondessichel war
hinter die Wälder gesunken; ihren letzten Strahl hatte sie noch durch
die Thürfuge gleiten lassen auf das Bahrtuch -- morgen, wenn sie wieder
aufging, war dieses arme Menschenwesen ja schon in der dunkeln Erde. --

So lag ich nun im Stalle auf dem Stroh, wo sonst meine zwei Brüder
schliefen. Neben mir, an Hängketten standen oder saßen die drei Rinder
und scharrten im Wiederkäuen mit den Zähnen. Es war eine dunstige Wärme
in dem Stalle, und von der halbmorschen Decke tropfte es nieder auf
mein Strohlager.

Voreinst -- ja, da zitterten wohl auch die Tropfen nieder, die
Tautropfen von den Bäumen, als dich die Mutter zur ersten Kommunion
führte. Du hast ein neues Jöpplein an, und auf deinem Hut steckt ein
frischer Rosmarin. Über dem Brustfleck am Halse schaut das
schneeweiße Hemdchen heraus, und die Wangen sind rosenrot vor lauter
Waschen. Die Mutter hat ein hellfarbiges Kleid, ein braunes Vortuch
und eine schwarze, knappanliegende Joppe an. Das breite Halstuch ist
von roter Seide und leuchtet wie Glut und Flamme. Ein grünweißes
Blumensträußchen wächst aus dem Busen hervor. Auf dem Haupte trägt
sie eine hohe, kostbare Goldhaube, wie sie damals Mode war im ganzen
Lande; und an beiden Seiten der Stirne gucken die Locken hervor,
schwarzglänzend wie die zwei großen Augensterne und zart und weich
wie die Wimpern an den Lidern. Die Wangen sind angehaucht von dem
Morgenrote, das Kinn ist weiß und lieblich gebogen. Die roten Lippen
lächeln ein wenig und grollen dabei, weil du gar so vorwitzig hüpfest,
Kleiner, über die Steine und Baumwurzeln und dabei die Nägel aus den
Schuhen trittst. -- Aber in ihrer blühendsten Schöne hat noch kein
Kind seine Mutter gesehen; und doch, wie ist es so lustig, Knabe!
Da glitzert es im Wald und leuchtet in den grünen Lärchenbäumen,
und da duftet das Blühen, und die Vöglein singen auf allen Wipfeln.
Kindeszeit, Maienzeit! --

Dumpfe Schläge weckten mich aus meinem Traume, ich fuhr empor. Jetzt
legen sie die Mutter in den Sarg, jetzt hämmern sie den Deckel darauf.
--

Ich stürzte aus dem Stalle und in das Haus. Da stand in der Lauben
der weiße, schlanke, zugedeckte Sarg, und die mattflackernde Öllampe
beleuchtete nur mehr das leere, öde Bahrbrett.

.... Ich hätte sie gern noch einmal gesehen.

Die Leute bereiteten die Trage. Der Vater kniete hinter der Thür und
betete; die Schwestern weinten in ihre Schürzen, und der kleine Bruder
schluchzte so sehr. Ach, er wollte das Weinen zurückhalten; hatte er
doch gehört, für die Mutter sei es am besten so, und sie sei nun in der
himmlischen Freude -- er hatte ein bißchen gelächelt dazu, aber nun, da
sich die Leute anschickten, die Mutter hinauszutragen und fort für alle
Ewigkeit, war der Trost vergessen in dem kleinen, bedrängten Herzen.

Ich nahm das Brüderlein an der Hand, und wir gingen in die dunkle,
hinterste Ecke der Stube, wo sonst niemand war, wo nur die kranke
Mutter gern gewesen. Dort setzten wir uns auf die Bank. Und dort saßen
wir, während draußen alles vorbereitet wurde, während sich die Leute zu
Tische setzten und das Totenmahl verzehrten.

Sie waren gekommen, um Leid zu tragen mit uns; jetzt aßen sie, jetzt
lachten sie, und dann thaten sie wieder, wie's der Gebrauch war und sie
freuten sich schier, daß wieder einmal einer gestorben war und ihnen
dadurch Abwechslung in das alltägliche Leben brachte.

Plötzlich wurden draußen laute Worte gesprochen: »Wo ist der Überthan?
Wir finden den Überthan nicht!«

Der Überthan ist ein dünnes Leinengewebe, welches als ein Schleier über
den Sarg gehüllt wird und nach dem Glauben des Volkes am jüngsten Tage
dem Auferstehenden als Überkleid dient.

Der Vater wurde durch den Ruf von seinem Gebete aufgeschreckt; jetzt
torkelte er herum und suchte die Leinwand in seinem Kasten, auf den
Wandstellen und in allen Winkeln. Er hatte sie ja gestern nach Hause
gebracht, und jetzt war sie nirgends zu finden. Er wußte auch nicht,
wo ihm der Kopf stand -- jetzt sollte er sorgen, daß alle zum Mahle
kämen, jetzt sollte er sich umkleiden zum Kirchgange, jetzt sollte er
seine Kinder beruhigen, jetzt sollte er eine frische Kerze auftreiben,
weil die alte schon auf den Grund gebrannt war und die Leute in das
Finstere zu kommen drohten, jetzt sollte er gar in den Stall gehen und
die Rinder füttern für den ganzen Tag, da niemand daheim sein würde --
und jetzt sollte er sagen, wo er gestern in seiner Wirrnis den Überthan
hingelegt hatte. -- Und in den nächsten Minuten trugen sie sein Weib
aus dem Hause.

Alles kam in Aufregung. »So hat der Alte keinen Überthan,« murrten sie,
»das hat man auch noch nicht gesehen, daß eine Totentruhen nackt und
bloß davongetragen wird, aber bei der armen Waldbäuerin muß es wahr
sein: elend gelebt und elend gestorben!«

Auch die beiden Schwestern huben zu suchen an, und Maria rief klagend:
»Jesus mein, ohne Überthan darf mir meine Mutter nicht begraben werden;
da muß sie noch liegen bleiben daheim, und ich gebe mein Kresengeld
(Patengeschenk) und kaufe ihr das letzte Kleid. Wer hat die Leinwand
weggethan? O Gott, jetzt wollen sie ihr das Allerletzt' auch noch
versagen!«

Ich suchte das Mädchen zu beruhigen, und wir würden im Dorfe draußen
schon eine Leinwand bekommen, und wenn nicht, so ruhe sie auch unter
bloßem Tannenholz in Frieden.

»Du kannst so reden!« rief sie, »hat Dir die Mutter seiner Tage nicht
auch die Kleider gekauft von ihren blutig ersparten Kreuzern? Und jetzt
soll sie auferstehen am jüngsten Tag in ihrem armen Gewande, wo alle
anderen ein weißes Kleid tragen!« In ein lautes Weinen brach sie aus
und lehnte ihre glühende Stirne an die Wand.

Aber bald darauf war ein Aufatmen unter den Leuten, der Überthan hatte
sich gefunden.

Und als gegessen war -- wir genossen keinen Bissen -- und als alles
bereitet war, da machten sie die Thür auf in die Vorlauben hinaus und
knieten nieder vor dem Sarg und beteten laut die fünf Wunden Christi.

Dann stellten vier Männer den Sarg auf die Trage und huben ihn auf und
trugen ihn aus der armen Menschenwohnung im Walde und davon über die
Heiden und Wiesen und durch hohe Wälder.

Und ringsum war die Winternacht, und über allem lag der Sternenhimmel.

Noch einen Blick auf das leere Bahrbrett, dann zog ich rasch meinen
kleinen Bruder mit mir fort, und Vater und Schwestern eilten auch nach,
und der ältere Bruder verschloß die Thür, und nun lag die Waldhütte da
in der Dunkelheit und in der tiefsten Stille. Das Leben war fort, der
Tod war fort -- eine größere Einsamkeit kann nicht mehr sein. --

Man hörte das Summen des betenden Leichenzuges, man sah das Flimmern
der wenigen Laternen zwischen den Baumstämmen. Die Träger gingen
mit schnellem Schritte, die Beter konnten schier nicht nachkommen
auf dem holperigen Schneepfade. Ich war mit dem kleinen Bruder weit
zurückgeblieben, der Knabe konnte so schnell nicht vorwärts. --
Im Leben hätte uns die Mutter nie so zurückgelassen, da hätte sie
gewartet, ein wenig lächelnd und ein wenig grollend, und den Kleinen
an der Hand geführt. Jetzt verlangte ihr schon nach der Ruh'.

Vor dem Pfarrdorfe am Wege steht ein hohes Kreuz mit dem lebensgroßen
Bilde des Heilands. Hier setzten sie nach stundenlangem Wallen vom
Gebirge her den Sarg zu Boden und warteten auf den Arzt, der aus
dem Dorfe kam zur Totenbeschau. Aber als wir zwei Zurückgebliebenen
nachkamen, da war der Sargdeckel bereits wieder festgehämmert. -- So
konnte ich Dich denn nimmermehr sehen auf dieser Erde, meine Mutter! --

Im Dämmerlichte der Morgenröte zogen sie zur Pfarrkirche ein.

Die Glocken klangen hell zusammen. Mitten in der dunkeln Kirche war
ein hoher Sarkophag aufgerichtet, es strahlten viele Kerzen, und es
begann ein feierlicher Trauergottesdienst. Der Pfarrer des Ortes, ein
alter, blinder Mann mit schneeweißen Haaren, eine ehrwürdige Gestalt,
umgeben von Priestern in reichem Ornat, hielt das Requiem. Seine Stimme
war hell und feierlich, ein Sängerchor antwortete, und Trompeten und
Posaunen tönten durch die Kirche.

Ich sah den Vater an, er mich, wir wußten nicht, wer das alles so
angeordnet hatte. Heute weiß ich, daß es meine Freunde in Krieglach
gewesen, die uns den schönen Liebesdienst gethan haben.

Als der Trauergottesdienst vorüber war, wurde der Sarkophag weggeräumt,
wurden am Hochaltare alle Festkerzen angezündet, und drei Priester,
nicht mehr in Farben der Trauer, sondern in rosigem, golddurchwirktem
Meßgegewande, traten an die Stufen des Altares, und es wurde ein
feierliches Hochamt mit hellem Glockenschall und fröhlichem
Musikklange aufgeführt. »Weil sie erlöst ist von dem Leide«, sagte ich
zu dem Knaben.

Endlich schwankte der Sarg, reich geziert, von der Pfarrkirche, in
welcher die Waldbäuerin voreinst getauft und getraut worden war, dem
Friedhofe zu. Die Priester und der Sängerchor sangen laut und hell das
Requiem, die Glocken klangen über das Dorf weit hin in die Wälder, und
die Kerzen flackerten im Sonnenschein. Ein langer Zug von Menschen
bewegte sich durch die breite Dorfgasse. Wir gingen hinter dem Sarg und
hielten brennende Kerzen in den Händen und beteten.

Draußen zwischen Äckern und Wiesen auf einer sanften Anhöhe liegt der
Friedhof. Er ist nicht klein, denn die Pfarre erstreckt sich weit hin
über Berg und Thal. Er ist eingefriedet mit einem Bretterzaun, viele
Kreuze von Holz und verrostetem Eisen stehen darin, und mitten ragt das
Bildnis des gekreuzigten Erlösers.

Vor diesem Bilde, zur rechten Hand, war das tiefe Grab -- gerade an
derselben Stelle, wo sie vor Jahren die zwei verstorbenen Kinder der
Waldbäuerin gebettet hatten. Zwei frische Erdhügel lagen am Grabe
geschichtet.

Hier ließen die Träger den Sarg zu Boden und entkleideten ihn aller
Zier, und arm, wie er gekommen war aus der Waldhütte, rollte er hinab
in die Grube.

»Heut' ist's an Dir, morgen ist's an mir; so bin ich schon zufrieden,«
murmelte mein Vater, und der Priester sagte: »Sie ruhe im Herrn!«

Dann warfen sie Erdschollen hinab und gingen davon. Gingen dem
Wirtshause zu, genossen Wein und Brot und redeten von täglichen Dingen.
-- Als die zwölfte Stunde war und nach der Sitte die Kirchenglocken
noch einmal anhuben zu läuten, der Bestatteten zum letzten Gruß,
machten sich die Waldbewohner auf den Weg gegen ihr Hochthal.

Wir Zusammengehörigen saßen noch eine Weile beisammen und sprachen
traurig von der Zeit, die nun kommen mußte und wie sie einzurichten
sei. Dann nahmen wir Abschied, Vater und Geschwister gingen heim in die
Waldhütte, um in derselben wie die Mutter zu leben und zu sterben.

Mich hat ein Freund in Krieglach zu seinem Tisch geladen, hat einen
Becher mit Schaumwein gehoben und das Wort gesagt: »Die Toten sollen
leben!«

Sie leben in unserem Herzen.

In der letzten Stunde vor der Abreise nach der Stadt ging ich durch ein
Nebengäßchen nach dem Friedhof. Das Grab war noch offen, und einsam
stand unten der weiße Sarg. -- Die Sonne Deines letzten Tages geht
jetzt unter, und dereinst werden die Zeiten nimmer zu messen sein, vor
denen Du das irdische Licht hast gesehen.

Die Erde rollte hinab, und über den Bergen der Waldheimat lag ein
fremder Schatten.

                            [Illustration]


                 Druck von Grimme & Trömel in Leipzig.




                 Verlag von L. Staackmann in Leipzig.


                       Empfehlenswerte Schriften

                                  von

                            Peter Rosegger.

 _Als ich jung noch war._ Neue Geschichten aus der Waldheimat.
 Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

 _Das Buch der Novellen._ 3 Bände. Brosch. je Bd. M. 2.50
 eleg. geb. M. 3.70.

 _Erdsegen._ Vertrauliche Sonntagsbriefe eines Bauernknechts. Ein
 Kulturroman. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

 _Feierabende._ Lustige und finstere Geschichten. Brosch. M. 2.50,
 eleg. geb. M. 3.70.

 _Der Gottsucher._ Roman. Brosch. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70.

 _Heidepeters Gabriel._ Brosch. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70.

 _Mein Himmelreich._ Bekenntnisse, Geständnisse und Erfahrungen
 aus dem religiösen Leben. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

 _Jakob der Letzte._ Eine Waldbauerngeschichte aus unsern Tagen.
 Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.20.

 _Das ewige Licht._ Erzählung aus den Schriften eines
 Waldpfarrers. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

 _Peter Mayr_, der Wirt an der Mahr. Roman. Brosch. M. 4.--, eleg.
 geb. M. 5.20.

 _Die Schriften des Waldschulmeisters._ Brosch. M. 2.50, eleg.
 geb. M. 3.70.

 _Waldheimat._ Erinnerungen aus der Jugendzeit. 2 Bände. Brosch.
 à Bd. M. 2.50, eleg. geb. M. 3.70.

 _Mein Weltleben_, oder wie es dem Waldbauernbuben bei den
 Stadtleuten erging. Brosch. M. 4.--, eleg. geb. M. 5.--.

= Ausführliche Verzeichnisse der Rosegger'schen Schriften sind durch
sämtliche Buchhandlungen zu beziehen. =





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ALS ICH NOCH DER WALDBAUERNBUB WAR. 2. BAND. ***


    

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