Franz Schuberts Lebenslied : Ein Roman der Freundschaft

By Joseph Aug. Lux

The Project Gutenberg eBook of Franz Schuberts Lebenslied
    
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Title: Franz Schuberts Lebenslied
        Ein Roman der Freundschaft

Author: Joseph Aug. Lux

Release date: March 9, 2025 [eBook #75568]

Language: German

Original publication: Leipzig: Grethlein & Co. G. m. b. H, 1915

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRANZ SCHUBERTS LEBENSLIED ***



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Die Verlagswerbung ist an das Ende des Textes verlegt worden.

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                            Franz Schuberts
                              Lebenslied




                            Joseph Aug. Lux


                           Franz Schuberts
                             Lebenslied


                                  Ein
                                 Roman
                                  der
                              Freundschaft


                  Sechzehntes bis zwanzigstes Tausend

                 Grethlein & Co. G. m. b. H. in Leipzig




                       Alle Rechte, insbesondere
                das der Übersetzung in fremde Sprachen,
                von der Verlagsbuchhandlung vorbehalten

              Copyright 1915 by Grethlein & Co. in Leipzig
                         Druck von August Pries
                               in Leipzig




                                Vorwort


Das bringt die Zeit mit sich:

Wir wollen uns auf unser eigenes Wesen besinnen, um unser Selbst uns
und den andern zu erklären.

Österreichisches Wesen.

Das will dieser Schubert-Roman. Denn Schubert, das ist das
Allerösterreichischste.

Also will das Buch die innerste Natur des Österreichertums erschließen
und den durch äußere Verhältnisse und Veranlagung geschaffenen
eigentümlichen Seelenzustand des österreichischen Genius darstellen,
der treffend als österreichische Seelenwundheit bezeichnet wurde.

Zugleich aber will es der bisher noch fehlende wirkliche Wiener
Schubert-Roman sein, der den Genius frei von der ihm mit Unrecht oft
angedichteten krankhaften Sentimentalität zeigt. Schubert war kein
Sentimentalist und noch weniger war er ein Trunkenbold, wenngleich der
von seinen Duzfreunden gelegentlich aufgebrachte neuerdings allzusehr
betonte Spottname »Schwammerl« zu diesem Irrtum verführt, der doch
einmal aus der Welt geschafft werden sollte.

Als Leitgedanke dient mir, was Bauernfeld im Jahre 1857 schrieb: »Das
äußere Leben Schuberts war übrigens äußerst einfach und trieb sich
anfangs in den ärmlichen Verhältnissen eines Schullehrers, später
eines österreichischen Genies herum, eines +exemplar unicum+
hierzulande, welches, wenn sonst überall, besonders hier gegen Not
und Dummheit anzukämpfen hatte. Sein inneres Leben mit Freunden und
Gleichgesinnten bietet aber so wenig biographische Züge dar und ließe
sich ~etwa nur in einer poetischen Schilderung darstellen~.
Schubert war gewissermaßen eine Doppelnatur, die Wiener Heiterkeit mit
einem Zug tiefer Melancholie verwebt und veredelt. Nach innen Poet war
er und von außen eine Art Genußmensch, dem, persönlich nach der äußeren
Erscheinung beurteilt, überdies der herkömmliche Geselligkeitsschliff
fehlte, so daß mancher gebildete Alltagsgesell sich etwas weit Besseres
dünken mochte als der ungehobelte Sänger der »Müllerlieder« und der
»Winterreise««.

Der biographischen Züge sind nicht so wenige, als Bauernfeld meint;
aber sie sind nur äußerliche tote Bruchstücke, wenn sie nicht die Seele
lebendig macht, die das wesentliche Stück ist, sowohl im Leben wie in
der Dichtung.

Bauernfeld gebraucht noch nicht das Wort »Seelenwundheit«, aber dem
Sinn nach steckt es drinnen in der Mischung von Wiener Heiterkeit
und der veredelnden Melancholie, daraus so tiefe und seelenvolle
Schöpfungen entstanden sind.

Die österreichische Seele und besonders meine Wiener Heimat zu
erklären, habe ich schon früher in zahlreichen Werken unternommen,
ich verweise auf meinen halb autobiographischen Jugendroman: »Der
Narr vom Kahlenberg« (Amsel Gabesam) oder auf Grillparzers Liebesroman
»Die Schwestern Fröhlich«; -- vielleicht darf im ferneren Zusammenhang
auch meine Legendendichtung: »Chevalier Blaubarts Liebesgarten« hier
noch mitgenannt werden. Doch tragen auch meine anderen Schriften
diese eingeborene Tendenz, unser österreichisches Wesen recht
verständlich zu machen. Schließlich ist alles in einem gewissen Sinne
Selbstdarstellung, auch in scheinbar historischer Form.

Das seelische Fluidum des alten Wien ist ja immer noch heimlich da, die
Stimme des Genius loci, die fortklingt in den stillen Vorstadtgassen
und ländlichen Orten am Fuß des Kahlenberges, in denselben Worten und
Redewendungen, wie sie aus den überlieferten persönlichen Dokumenten
der Schubertzeit hervortönen.

Da draußen am Rande der Stadt, wo sich der traumhäuptige Wienerwald,
das sonnige Weinland und die blaublickende Donau zu einem
unausgesungenen Dreiklang vermählen, zu einer ~echt Schubertschen
Weise~, liegt auf den Stirnen der schlicht vornehmen Häuser des
schwindenden Alt-Wien manche kostbare Erinnerung.

Sie waren mir seit jeher ein Lebendiges, diese


                        Denktafeln in Döbling.


        Ich las, allwo die letzten Hütten stehen,
        Auf Tafeln an den Häuschen, an den schlichten,
        Von eurem Wohnen dort und eurem Dichten,
        Grillparzer, Schubert, van Beethoven -- wehen


        Fühlt' ich den Geisterhauch, der eure Nähen
        Umschwebt; es steigt in lieblichen Gesichten
        Das Bild von jener Zeit empor, der lichten,
        Die eure Sonnen konnt' im Fenster sehen.

        Ein stiller Weiheglanz ruht auf den Stätten,
        Die als Vermächtnis wahren eure Spuren,
        Armselig scheinen fast und tot dagegen

        Die reichen Villen hinter Prachtstaketen,
        Und schöner leuchten mir ringsum die Fluren,
        Seit ich die Spuren sah von euren Wegen -- -- --


                                                       Joseph Aug. Lux.




                                  I.


               Die jungen Bengel sangen im Kirchenchor.

Man konnte nur ihre Köpfe sehen, über der hohen Brüstung der Empore,
dicke, kleine, runde Schädel, einer dicht neben dem anderen,
braungelockt, schwarzgelockt, blondgelockt, rotwangig, pausbackig,
aufgesperrte rote Mäuler, aus vollem Halse singend, jubelnd,
schmetternd. Wie die himmlischen Heerscharen. Sängerknaben. So hat
Luca della Robbia seine Singerlein geformt aus Lehm, in halb erhabener
Arbeit, weißblau glasiert. -- Nein! So haben die frommen Bildschnitzer
das Gotteshaus geschmückt, mit fleischfarbigen, pausbackigen,
lockigen Engelsköpfen, die auf goldenen Flügeln über den Gesimsen und
Pfeilern auftauchen, die roten Mündchen zum Singen aufgesperrt, oder
das Fäustchen im behaglichen Hinlümmeln in das verschmierte Antlitz
gestemmt, kleine, himmlische Flegel, in der Höhe ganz so anzusehen wie
die plärrenden Sängerbuben auf der Empore, die aber nicht von Lehm und
nicht von Holz sind, sondern richtig von Fleisch und Blut.

Die Orgel plaudert gemütlich mit, brummbärig, drohend, polternd,
dann wieder begütigend, zuredend, ermahnend; der Blasebalg ächzt und
stöhnt asthmatisch, der Organist arbeitet mit Händen und Füßen,
zieht alle Register auf, und jetzt legt die Stimme mit Donnergewalt
los aus hundert Pfeifen, daß die Grundfesten erzittern, wie wenn der
Herr im Zorn spricht und Schweigen gebietet. Aber stärker noch als
dieses Donnern war der helle Sopran der Knabenstimmen, der durchdringt
und in die Höhe schmettert, wie Lerchenjubel, höher und höher in
die Himmelsbläue des Weltdomes, bis zum hohen C hinauf, klar und
rein, daß selbst die Orgel schmunzelnd aufhorcht und gutmütig leise
brummt, indessen von den unendlichen Höhen ein eherner Hagel von Tönen
niederprasselt, als wollte sich dort oben eine Brust zersingen.

Eine Stimme war es, nur eine, die diesen himmelblauen Lerchenstieg
vermochte.

».... Den hat's der liebe Gott gelehrt!« schmunzelte vergnügt Ruczizka,
der Dirigent und Lehrer im Konvikt der Sängerknaben. »Verflixter Bub,
dieser Schubert Franzl!«

Der Schubert Franzl, das war der, der bis zum hohen C hinaufklettern
konnte. Daran war er zunächst zu erkennen.

»Den kann ich nichts lehren, der hat's vom lieben Gott gelernt!« hatte
Ruczizka schon einmal früher gesagt.

Das war damals, als der Herr Hofkapellmeister Salieri den Buben dabei
erwischte, als er Noten hinkritzelte, wie sie ihm gerade in den Sinn
kamen. Er war in dem kahlen Musikzimmer des Konvikts so in sein Sinnen
und Kritzeln vertieft, daß er nicht merkte, wie der gewaltige Maestro
hereinhuschte. Der war lautlos wie eine Katze, ein hurtiges, graues
Männchen, das seine spitze Nase und seine flinken Äuglein überall
hatte, wo es etwas zu erschleichen gab.

Schwupp! flog das Blatt in die Höhe und schwebte in den Händen des
alten Meisters. Da war jetzt nichts zu machen.

»Sapristi! Wo hat Er das her? Selber gemacht?! Er, Er, Er -- alles aus
diesem dummen, kleinen, dicken Bauernschädel? Malefizbub!«

Schamrot stand der Kleine da vor dem fuchtelnden Italiener.

»Hat Er noch andere Sachen? Wo, wo hat Er? Subito!«

»Verbrennt!« stieß der eingeschüchterte kleine Kerl halb trotzig, halb
zaghaft hervor.

Darüber fing der Maestro zu strampeln an wie ein Polichinell.

»Verbrennt,« pfauchte er, »Er, Er, Er -- dummer Esel!«

Und warf wütend die Bücheln und Hefte auf dem Tisch durcheinander,
unter denen beschriebene Notenblätter zum Vorschein kamen, die er
hastig an sich riß.

»Ecco!« kreischte er auf. Und schon schmiß er die Blätter wütend wieder
hin, krebsrot im Gesicht.

»Per bacco!« Sein Mund verzog sich, als wollte er ausspucken vor Ekel,
er ballte die Fäuste und hielt sie bebend dem kleinen Franzl dicht
unter die Nase, daß dem ganz himmelangst wurde.

»Was hat Er da gemacht?! Wer hat Ihm erlaubt ...?! Er -- Malefiz --
Malefiz --!«

Zur Entschuldigung wollte das Singerlein sagen, daß es der Übung wegen
diese kleine Paraphrase auf eine Sonate Mozarts gemacht hat, aber kaum
war der Name des Unsterblichen seinem Munde entschlüpft, da hätte er
das Wort gerne wieder zurückgezogen, so fürchterlich war die Wirkung
auf den giftigen Maestro.

Das Blatt schmiß er zur Erde, trampelte darauf herum, schrie und
schimpfte auf Italienisch.

Der Kleine ahnte nicht, wie es in der Welt zuging. Er wußte nicht, daß
Salieri alles haßte, was mit Mozart irgendwie zusammenhing; er wußte
nicht, daß er als Opernkomponist und Hauptvertreter der italienischen
Richtung ein geschworener Feind der deutschen Musik war und vermeinte,
sie in Mozart aufs Haupt schlagen zu können; er wußte nicht, daß
die Sage umging, Salieri hätte den Schöpfer des Don Juan vergiftet;
er konnte darum auch nicht wissen, daß die Legende einen wahren
Kern hatte, denn vergiftet hatte Salieri als rücksichtsloser Gegner
alle geistigen Brunnen, alle Seelen, alle Meinungen, er und seine
Partei, die dem Genius Kränkung auf Kränkung bereitete und seinen Tod
beschleunigen half.

Nichts ahnte der Knabe, daß die Welt dem Auserwählten eine
Märtyrerkrone bescherte. Er fühlte nur den schäumenden, perlenden
Zaubertrank der Mozartschen Musik in seiner Seele und sah im Geiste
den Genius als jungen Gott, vor dem sich die Menschheit in Ehrfurcht
verneigt. So war es wohl gewesen auf Mozarts Reise nach Prag, aber
nicht in Wien, wo er ein Verkaufter, Verratener, Verlassener, früh
dahingerafft, ins Massengrab der Namenlosen sank. Das haben die Gegner
getan. Und der Volksmund dichtete die Legende, Salieri habe ihn
vergiftet .....

Und nun fügte es das Schicksal, daß derselbe Geist der Verneinung
und der Selbstsucht ein junges Genie ans Licht zog, das sein Talent
an jenem großen Licht entzündete, das er so beharrlich zu verdunkeln
bemüht war.

»Ruczizka, Ruczizka!« gellte das giftige Männlein in die hallenden
Gänge hinaus und schärfte dem dienstfertig Herbeigeeilten ein, indem
er auf den wie ein armer Sünder dastehenden Franzl hinzeigte: »Fest in
Corda nehmen! Kontrapunkt! Capisce?! Kontrapunkt?!«

Mit glühenden Äuglein, heiserer Stimme und geballten Fäusten gab er
diese Weisung und verschwand.

War es Lohn oder Strafe? Das wußte der brave Franzl vorderhand
selber nicht genau, man ist nicht wehleidig, als Zögling ist man es
ja gewohnt, die Wohltaten wie eine Strafe zu empfangen, während die
Strafen von den Erziehern mit einem Behagen verabreicht wurden, als
wären sie Wohltaten.

Jetzt wußte der wackere Böhme Ruczizka, daß er ein Genie unter seinen
Händen hatte. War ihm früher gar nicht aufgefallen, obzwar der Junge
seit drei, vier Jahren schon unter seiner Aufsicht stand -- wieso denn
auch? Ist nicht seine Sache. Als Drillmeister tut man seine Pflicht,
daß bei den Messen in der Hofkapelle die Soli und Chorpartien richtig
und geschmackvoll ausgeführt werden und der Herr Hofkapellmeister
zufrieden ist. Teufel auch, man tut eben seine Pflicht! Man hat sich
doch um sonst nichts zu kümmern! Man kann doch nicht in jeden Bengel
hineinsehen! Ist doch einer so ein Schmierfink wie der andere! Man hat
sich nie weiter gekümmert und ist doch so immer am besten gefahren. Als
braver Böhm' und Prügelprofoß.

Also, Pflicht ist Pflicht -- man hat seine vorgeschriebenen Stunden
-- wer mehr tut, ist ein Schuft. Und jetzt Kontrapunkt! Sakramentski,
ceski heski Kupferstück! Da könnt' man doch gleich Junge kriegen --
eine stehende Redensart Ruczizkas. Also gut, Kontrapunkt! Na wart',
Schlingel, wirst dran fressen müssen! Ceski heski -- -- -- --

Aber siehe da, alles geht überraschend leicht und schnell, und es kommt
alsbald der Punkt, wo Ruczizka sich lächelnd eingesteht: Den kann ich
nichts lehren, der hat's usw. ....

So ähnlich hatte ein anderer vor ihm gesagt. Das war Schuberts Bruder
Ignaz, der auf Vaters Geheiß dem Franz den ersten Musikunterricht
gab. Es hatte aber nicht lange gedauert, da meinte Franz, es ginge
ohne Lehrer besser. So war es auch, denn Ignaz hatte gegeben, was
er zu geben hatte, und mußte seinen brüderlichen Schüler als einen
»übertreffenden und nicht mehr einzuholenden Meister« anerkennen. Als
Knabe meisterte er schon die Violine, die Viola und die Orgel und
machte sogar als Tonsetzer einige Gehversuche.

»Faules Zeug,« brummte Vater Schulmeister; »das sind so Flausen, die
sich der Junge in den Kopf setzt, und die ihm beizeiten ausgetrieben
werden müssen. Soll das eine oder andere Instrument spielen lernen,
soweit man's als Schulgehilfe braucht, um auch Sonntags in der Kirche
mitzuhelfen, nichts weiter! Soll aus dir ein Taugenichts werden, ein
Hungerleider, ein Tagedieb -- ein herumstrolchender Musikant?! Da soll
ich dir doch gleich eins mit dem spanischen Rohr --! Was mein Sohn ist,
muß ein ehrlicher Mensch sein; der wird ein Schulmeister, wie sein
Vater einer ist und wie seine Brüder werden. Also kein Wort mehr -- ich
habe geredet!«

Bald darauf las der Vater in der amtlichen Wiener Zeitung des Jahres
1808, daß in der k. k. Hofkapelle einige Sängerknabenstellen neu zu
besetzen wären. Die Bewerber mußten das zehnte Jahr vollendet haben und
fähig sein, in die erste lateinische Klasse eintreten zu können. Sie
verblieben Zöglinge des Konvikts und wären gleichzeitig Schüler des
akademischen Gymnasiums, das mit dem Konvikt in Verbindung steht.

Dem Vater stieg sofort ein ganzer Seifensieder auf. Das wäre ein
richtiger Lebensanfang für seinen Franzl! Singen kann er ja,
Schulbildung hat er auch -- Sopranist in der Hofkapelle, warum denn
nicht, wenn er dafür eine Freistelle im Konvikt hat und gratis
das Gymnasium absolviert?! Für einen künftigen Schulmeister ein
verheißungsvoller Beginn!

Also wanderten Vater und Sohn aus der Vorstadt Liechtental stadtwärts
nach dem Konvikt am Universitätsplatz, wo die Aufnahmeprüfung
stattfinden sollte. In seinen blauen Sonntagskleidern schritt Franzl
neben dem Vater klein und stämmig einher. Ein frisch gebügeltes Hemd
gab dem Tag festtägliche Weihe. Das hatte die Mutter bereitgelegt. O,
die war gut! Schmuck sah er aus, der kleine Kerl, weiß und blau wie ein
Firmling!

Aber der Herr Vater war kritisch. Gab unterwegs allerhand gute Lehren
und Ermahnungen, wie man sich zu benehmen habe, was man tun und nicht
tun dürfe, nicht auflümmeln, die Ellbogen nicht durchwetzen, nicht
nasenbohren, nicht in den Ärmel schneuzen, die Schulbücher nicht
verkritzeln und was ähnliche liebe Gewohnheiten der holdseligen Jugend
sind.

Der brave Franzl hörte alles geduldig an und schwieg respektvoll. Der
Vater wußte schon, daß sein Junge etwas verschlossen und einsilbig war,
daß er Fremden gegenüber sich nur sehr schwer auftat und dadurch leicht
unartig erscheint.

»Also nicht aufs Grüßen vergessen, immer ein freundliches Gesicht
machen, zuvorkommend sein gegen deine Lehrer, verträglich und
aufmerksam gegen deine Mitschüler. Was schaust denn schon wieder so
finster drein?!«

»Aber Herr Vater, ich schau' ja eh net finster drein!«

Es war halt schon ein Unglück, daß die Menschen immer glauben, man
schaut finster drein, wenn man inwendig freundlich und aufmerksam
zuhorcht.

Der Vater riß dem Jungen den Hut vom Kopf, um ihm besser ins Gesicht zu
sehen.

»Die Haar -- wie schaun denn deine Haar aus?!«

Die Haare waren ohnehin in Ordnung, die Mutter hatte sie gekämmt und
gebürstet, mit Schweinefett eingeschmiert, daß sie strichweise glänzten
-- aber sie waren kraus, etwas sehr kraus -- und ein bißchen lang,
vielleicht schon ein bißchen zu lang; sie waren in den Nacken hinab
gewachsen bis unter den blühweißen Hemdkragen. Der Hut hatte sich in
den Haarschopf fest eingedrückt, und so konnten sie leicht wirr und
unordentlich erscheinen; aber das waren sie wirklich nicht, wenn man
mit einem nachsichtigen Blick hinsah; die Mutter hatte sie gescheitelt,
so gut es ging, und die Lausallee verlief gerade wie eine Pappelschnur.

»Kraupert schaust aus,« entschied der gestrenge Herr Vater. »Wie dir
die Haar da ins G'nack wachsen, so geht man zu keiner Prüfung!«

Ehe man noch ans Glacis kam und den Häusern der Rossauerlände Adieu
sagte, wimpelte an einer Stange die Messingschüssel in die Luft mit
Strahlenreflexen wie die liebe Frau Sonne, ein Ladenschild prangte mit
einem süßlächelnden Puppenkopf und darunter stand: Heinrich Haarzopf,
bürgerlicher Bartscherer und Bader.

Und weil noch eine Stunde Zeit war, so entschied der Vater, daß sich
der Junge jetzt die Haare schneiden lassen müsse, um sich der hohen
Prüfungskommission würdig zu präsentieren.

»Also marsch hinein!«

Bisher hatte die Mutter den üppig wuchernden Haarschopf mit eigener
Hand gebändigt. Was eine Mutter nicht alles kann! Hunderterlei
Gewerbe muß sie beherrschen vom Kerzengießen bis zum Haarschneiden.
Es ist nicht zum sagen! Nun aber saß Franz zum ersten Male bei einem
richtigen Friseur wie ein ganz Großer. Mitten unter Spiegeln wie in
einem Zauberkabinett und angetan mit einem linnenen Mantel, der einmal
weiß war, halb Derwisch, halb Prinz, umdienert von dem dienstfertigen
Gehilfen.

»Belieben halbkurz oder ganz fiesko?« Das war eine neue Welt, eine
neue Sprache, jedenfalls eine neue Erfahrung. Verlegen wendet sich der
Junge an den Vater, der den Dolmetsch macht.

Ziwitt, ziwitt! macht es die Schere in der Hand des Gehilfen, der bei
seinen Hantierungen immer die Luft schneidet. Sie macht es wie ein
Vögelein, das hungrig den Schnabel aufsperrt und um Futter quietscht,
ehe es gierig in den Haarwald hineinfährt. Alsbald liegen die
schönen Locken auf dem weißen Mantel und am Boden ringsum, der Junge
sieht drein wie ein abgeblättertes Birkenstämmchen, der Vater nickt
befriedigt, aber der eifrige Gehilfe ist noch nicht fertig. Er bemerkt
einen zarten, ganz schüchternen, weichen Flaum auf des Jungen Oberlippe
und stellt mit unerschütterlichem Ernst die gewichtige Frage:

»Rasieren angenehm?«

Heiß schießt es dem Jungen ins Gesicht. Er wird blutrot vor Scham.

»Nein!« haucht er zurück und wendet das Antlitz ab, sich zu verbergen.

Der Vater merkt es, er schmunzelt hinter seinem Rücken, er will
den Sohn nicht verletzen, der sich so leicht geniert. Er hat ihn
ja so lieb, wenn er auch zuweilen rauh zu ihm ist. Aber nach Vater
Schulmeisters Anschauung gehört die Strenge zur Liebe und vor allem der
Grundsatz: man darf die Kinder nicht merken lassen, daß man sie so gern
hat!

Rasieren angenehm! Das wirkt nach. Das prägt sich unverlöschlich dem
Gedächtnis ein. Der Ernst des Lebens kommt jetzt heran! Man ist kein
Knabe mehr, man reift der Männlichkeit entgegen, eine neue Zeit will
kommen!

Das Hochgefühl sank, als er mit dem Vater am alten Universitätsplatz
stand. An den hohen, schwärzlichen Palastfronten der Sonnenfelsgasse
waren die beiden entlang gegangen, bis sich ein mäßig geräumiger
Platz auftat wie ein schmucker Saal. Rechts die festliche Frontseite
der Universität mit Säulen und Fenstern im Geist der Zeit der großen
Maria Theresia; links die Prachtfassade der Kirche zur Zeit der
Gegenreformation von Ferdinand II. erbaut und dicht an der Kirche
anschließend, die ganze Langseite des Platzes bildend, ein kahles
Gemäuer mit kleinen vergitterten Fenstern, einem Gefangenhaus gleich:
das Konvikt. Nichts Grünes, wohin man sah, nur Mauern in nüchterner
Feierlichkeit oder in staats- und kirchenherrlicher Pracht.

Das Herz des Elfjährigen krampfte sich zusammen, ja es beginnt eine
neue Zeit, der Ernst des Lebens tritt hier gewaltig in Erscheinung.

Tapfer schritt er an der Seite des Vaters die Stiegen hinauf, wo
schon ein heiteres Gewimmel von Knaben war, die, um einen der drei
Stiftungsplätze zu erobern, ausgezogen waren. Da gab's sofort eine neue
frische Stimmung. Das Empfindsame, Ängstliche, Weichliche verschwand,
es lag nicht in Franzls Natur.

»In Gottes Namen!« sagte der Vater Schulmeister, als sich die Türen des
Prüfungssaales hinter dem Jungen schlossen. Mehr kann man nicht tun als
seine Pflicht, und die war getan; die Entscheidung liegt bei anderen
Mächten. In Gottes Namen! Damit vertraute er sich und den Sohn der
inneren Führung an, die die Oberleitung hatte. So konnte man ruhig und
ergeben den Gang der Dinge abwarten.

Der innere Kompaß hatte gut geführt. Für den gesunden Liechtentaler
Buben war die Prüfung ein Kinderspiel, als Erster ging er aus dem
Wettbewerb hervor und war Sopranist am k. k. Konvikt und zugleich
Schüler der ersten Lateinklasse.

Jahr um Jahr berichteten die Schulzeugnisse von dem guten Fortgang der
Studien, und nie fehlte die Anmerkung: »ein besonderes musikalisches
Talent«. Ein Schriftstück an den Hofmusikgrafen besagt sogar, daß auf
die musikalische Bildung des Franz Schubert, da er ein so vorzügliches
Talent zur Tonkunst besitze, eine besondere Sorgfalt verwendet werden
solle. So kam der Hofkapellmeister Salieri hinter das kleine Genie,
und so kam der Klavierdrillmeister Ruczizka in den Schriftstücken an
den Hofmusikgrafen zu den lobenden Anerkennungen wegen der erteilten
Nebenstunden, zu denen er, Ruczizka, von Amts wegen nicht verpflichtet
gewesen wäre.

Und so kam es endlich, daß der Vater die systematische musikalische
Ausbildung des Sohnes gewähren ließ, weil er sie ja auch nicht hindern
konnte. In Gottes Namen! Andere Mächte bestimmten das Schicksal, er
konnte nur Ja und Amen sagen. Und sich damit trösten, daß für die
eigentliche Lebensaufgabe die Lateinschule sorge, die ihm vor allem
anderen als die Hauptsache erschien.

Aber büffeln und ochsen, Latein und Mathematik, das war dem Jungen
durchaus nicht die Hauptsache. Viel eher ein lästiges Anhängsel, eine
unbequeme Draufgabe, die man eben in Kauf nehmen mußte. Ja, wenn man
oben saß am Chor ganz nahe bei den geflügelten Engelein, umschauert
von dem Weltgesang der Orgel und von dem Jubel der singenden Geigen,
da war das Leben herrlich, die eigene Stimme ließ sich von diesen
tönenden Fittichen tragen und stieg wohl noch ein wenig höher im Chor
der Seligen.

Aber dann in der öden Grammatikalklasse, das war wie ein Sturz aus
Himmelsregionen auf die harte Erde. Diese trägen, unergiebigen Stunden
mit Cornelius Nepos, mit Plutarch und Ovid. Der klassische Dichtergeist
zu langweiligen Schulpräparaten zerstückt und eingetrocknet wie die
glanzlosen Schmetterlinge in den Kästen und die gepreßten Pflanzen in
den Herbarien. Kein Hauch des Lebens mehr darin. Half also wirklich
nichts als stucken, ochsen, büffeln! Aber das Herz, das Herz war nicht
dabei. Ein Wunder, daß es dennoch ging, mit Ach und Krach. Nur --
wenn es dem Gelehrtenhaupt am Katheder zu holperig vorkam, und die
Exerzitien so gar nicht vom Fleck gehen wollten, dann wetterten die
saftigsten Schimpfreden auf die Schülerherde nieder.

»Sauknochen, verfluchter! Hast wieder einmal nicht präparieret?! Müßt'
man dir doch gleich das Buch ums Maul schlagen, bis dir der Kopf
aufgeht, Lümmel, verstockter!«

Tat aber weiter nicht weh, war wenigstens ein derbes Stück Leben. Ein
unsanftes Prügelsystem, aber man lernte dabei und kam doch ein Stück
vorwärts. So waren die Erzieher, gelehrt und zugleich bauernhaft grob.
Was fest eingebläut war, saß fest. Auch in einem widerspenstigen
Schädel. Wer gar nicht parieren wollte, wurde hinausgeschmissen. Ein
Kamerad war schon geflogen, der mit Franz die Aufnahmeprüfung glänzend
bestanden hatte; ein Dritter, der mit ihm kam, stand am Sprung. Gibt
nicht viel Federlesen, keine Empfindelei; half auch kein Heulen, kein
Bitten und Betteln. Unnützer Ballast, fort damit! War gut für die
anderen. Schlechtes System? I wo! Was haben gute Lehrer mit einem
schlechten System nicht alles zuwege gebracht! Und konnt' Franzl bei
allem inneren Widerstreben nicht alle Jahr ein treffliches Zeugnis ins
väterliche Schulmeisterhaus nach Liechtental schicken? Ja freilich,
angenehm war der Drill nicht. Fragte auch kein Mensch danach, ob's
angenehm war oder nicht, und damit Punktum.

Blieb aber die Musik, die das graue Dasein vergoldete, und blieben
die eigenen Träume, das selbständige Empfinden und Komponieren, süß
wie eine verbotene und heimliche Liebe, von der der Herr Vater nichts
wissen durfte. Das Herz -- da drin war es. Und blieben außerdem die
Kameraden, die Schulfreundschaften, die so fest geschlossen wurden, daß
sie über die Mauern hinaus fürs Leben halten sollten und meinetwegen
übers Grab hinaus.

Bim, bim, bim! Des Schuldieners Glocke gellte durchs Haus.
Zehn-Uhr-Pause. Da gab es für die Bande kein Halten mehr, die in dem
lästigen Zwang nach Freiheit dürstete. Vor allem aber nach Freßlust.
Die Zehn-Uhr-Glocke war das Zeichen zum Gabelfrühstück. Mit einem Hallo
stürmten die Bengel die Treppen herab nach einem der unteren Gänge.
Dort steigt eben wippend die junge Fanny herauf, des Greislers Tochter
aus der Bäckerstraße, mit einem großen Korb Fressalien auf dem Kopf,
die sie in einer Fensternische des ersten Stockflurs während der großen
Pause feilhält.

Wie eine Göttin der Erde, mit nahrhaften Gaben beladen, schwankt sie
holdselig herauf, ein braunes, derbes Ding, blatternarbig, barsch und
kurz angebunden, und trotzdem nicht unhübsch mit ihren weißblitzenden
Zähnen. Dem für handfeste Schönheit empfänglichen Sinn des Klavier-
und Knabenbändigers Ruczizka mußte sie tatsächlich als Fee, Nymphe
oder Göttin vorgekommen sein, daß er sie in einem schäferhaft oder
mythologisch gestimmten Augenblick wie ein verliebter Faun in die
nackten, prallen Arme zwickte und der Wehrlosen ein Küßchen zu rauben
versuchte, während sie mit dem Korb auf dem Kopf hinaufbalancierte.

Wie es geschah, war ein Geheimnis des menschenleeren Korridors
geblieben. Ein Knall, ein Fall, ein Wehgeschrei, so endete das
Schäferspiel.

»Sakramentski .....!« Man hat nur den Ausruf gehört, der Liebhaber war
verschwunden. Denn eben scholl des Schuldieners Glocke mahnend durchs
Haus, wie weiland die Stimme des Herrn im Paradies nach dem Sündenfall,
aus den Klassenzimmern wälzte sich die Schuljungenhorde, und die
braune Fanny stand keuchend und zornbebend vor dem herabgestürzten
Korb, der seinen duftenden Inhalt über die Steinfliesen ergoß, die
blonden und braunen, knusperigen Schusterlaberln, die mürben Baunzerln,
Kipferln, Girafferln, Kaiserweckerln, Stritzerln, Kaiserlaberln, die
Mohnstritzerln und Salzstangerln, den schweren Laib Hausbrot, die
dreifach gewundenen Kränze von Knackwürsten, den großen Stritzen
Butter, den Paprikaspeck und den frischen Maiprimsen.

Fünfzig, hundert Hände langten jauchzend danach, im Nu war der
Korb wieder gefüllt, ein heiteres Intermezzo für die Jugend, eine
schmerzliche Viertelstunde für die Fanny, die in wortloser Wut kaum die
Tränen meistern konnte.

Niemand wußte recht, was geschehen war, aber die Sage ging von einer
wuchtigen Ohrfeige, die locker in Fannys Hand gewesen war, und von
einer heißen Wange, die auf einige Stunden das Flammenzeichen der Liebe
trug und in nassen Umschlägen Kühlung suchte. An jenem Vormittag ward
Ruczizka nicht mehr gesehen.

Während der Eßpause fanden sich die engeren Freunde mit Franz beim
Futterkorb zusammen. Holzapfl, der Vordermann der Klasse, der stille,
sanfte Spaun, um einige Jahre älter als Franz und zugleich sein
wärmster Vertrauter, Senn, der junge Tiroler, der schon damals Verse zu
flechten versuchte, und einige andere.

»Einer ist unter uns, der uns einmal alle an Genie überstrahlen wird!«
hatte Spaun mit Beziehung auf Schubert gesagt, und ein fester Kreis von
Freunden begann sich um den unscheinbaren Franz zu schließen. Wenn man
seine helle, jubelnde Stimme auf der Empore hörte, so hätte man nicht
dieses unansehnliche Bürschchen erwartet, der auch darin der Lerche
glich, daß soviel Himmelsgabe in so schlicht bescheidenem Äußeren
steckte.

Wenn man die Sängerknaben nun sah, dann konnte kein Zweifel sein,
daß sie nicht aus gebranntem Ton und nicht aus Holz waren, sondern
Fleisch und Bein mit vorzüglichen Freßwerkzeugen und unermeßlichem
Appetit. Das Dasein unter den himmlischen Heerscharen auf Gottes Chor
war beseligend, aber auf der Erde war es auch schön, besonders wenn es
etwas zu essen gab.

Da sah man nun die pausbackigen, rotwangigen, schwarz-, braun-
und blondgelockten strammen Engelsinger gemütlich eine Knackwurst
verzehren, die lieblich roch und den anderen den Mund wässerte, so
ihre Barschaft nur zu einem Schusterlaberl hinreichte. Zu einem
Schusterlaberl, dick mit Butter bestrichen und so groß und mächtig
gediehen, als es für einen Kreuzer Konventionsmünze nur denkbar ist.

Mit gierigen Augen hatte jeder das größte Schusterlaberl im Korb
ergattert. Was ein gesunder Bengel ist, erkennt auf den ersten Blick
unter Hunderten von Broten jenes, welches das größte Schusterlaberl
ist. Daß die wohlgeratensten Exemplare die Größe eines Kinderkopfes
erreichen, ist selbstverständlich. Es ist nicht aus feinstem Mehl
gebacken, im Gegenteil, es ist so ziemlich das ordinärste Gebäck, aber
auf dem ganzen Wiener Boden gibt es keinen Jungen, der nicht nach
dem Schusterlaberl greift, wenn er die Wahl hat. Ein Schusterlaberl,
mit Butter bestrichen, das ist nach Wiener Volksbegriffen die größte
Delikatesse. Daran war nicht zu zweifeln, wenn man die Kerle einhauen
sah, daß es nur so patschte. Mit einem Schusterlaberl in der Hand
konnte man sich sogar gegen eine Knackwurst oder gegen Wienerwürsteln
mit Kren behaupten, und das will gewiß etwas sagen.

»Heiße Forellen!« rief die übermütige Fanny, um ihre Ware noch
verlockender zu machen. Richtig, da schwammen sie, die Wienerwürsteln,
im brodelnden Kessel hurtig hin und her wie die Forellen, und ein Paar
nach dem anderen wurde herausgefischt. Knackwürst! Wienerwürstl mit
Kren! Schusterlaberln mit Butter! Hört es! Der Traum vom Paradies ist
damit gespickt. Wenn ihr sie nicht genossen habt, dann wißt ihr nicht,
was gut ist!

»Nun, und heut gar nichts?« wendete sich Fanny an Franzl. Der hat
einen Stein im Brett bei ihr. Ein extra großes Schusterlaberl, extra
dick bestrichen, das waren die Zeichen ihrer Gunst. Das braune, herbe,
blatternarbige Greislermädel verbarg hinter ihrer rauhen Wesensart
ein weiches Gemüt. Eine schöne Stimme hören, und sie war soviel wie
verloren. Sie wußte schon, daß Franzl die schönste Stimme unter den
Jungen hatte. Sie sah ihn nur mehr durch diese Stimme, und jetzt
dünkte ihr der unscheinbare Junge schön wie ein Märchenprinz. In ihren
Augen war er, die unansehnliche Lerche, schöner als der herrlichste
Paradiesvogel. Sie hatte ihn schon in der Kirche gehört, und als er
kürzlich in der Pause dem Freund Spaun ein selbst komponiertes Liedchen
leise vorsang, vergaßen ihre flinken Hände, daß sie in wenigen Minuten
fünfzig und mehr Schusterlaberln mit Butter zu streichen hatten.

Versteinert stand sie da, Mund und Augen weit auf, ein wenig
vorgeneigt, um keinen Laut zu verlieren, weltentrückt, verzaubert, bis
zwanzig aufgesperrte hungrige Mäuler, die nach Atzung schrien, sie aus
ihrem Traum weckten. Ob er ihr das Lied nicht aufschreiben wollte,
war gegen Schluß der Pause die verstohlene Frage. Er sagte nicht ja
und nicht nein, er lachte bloß, wohl nur, um seine Verlegenheit zu
verbergen.

Es war, als ob eine leise, schier unbewußte Berührung der Seelen
stattgefunden hätte, so blieb etwas bestehen, das man nicht leicht
irgendwie nennen kann, weil jedes Wort zu schwer dafür ist. Etwas
schier Unbewußtes, Heimliches, und doch Gefühltes. Ein Strahl von
mütterlicher Sorgfalt ging von ihr auf ihn über, es materialisierte
sich in den größten Schusterlaberln mit der dicksten Butter. Aber
darüber hinaus war noch etwas wie ein Licht da, das wärmte.

»Nun und heut gar nichts?!« fragte sie noch einmal und streifte ihn
leise an, weil er nichts bestellt hatte.

Er schüttelte nur verneinend den Kopf, aber sie wußte schon!
Abbrandler! Das heißt, daß er keinen Groschen mehr in der Tasche hatte.

Aber sie schob ihm schon wortlos ein dickbestrichenes Laibchen hin.

Er schob es wieder zurück und sagte halblaut und schier unbefangen,
obzwar es ziemlich gepreßt klang: »Heut -- nichts!«

Da nahm sie das Brot, drückte es ihm in die Hand, indem sie sich ganz
nahe an sein Ohr neigte und leise sagte: »Kost' doch nichts!«

Als ob er glühendes Eisen angefaßt hätte, schleuderte er das herrliche,
hochgebähte, goldblonde, knusperige Schusterlaberl, das mit den dicken
Butterseiten zusammengeklebt war, neben dem Eßkorb auf das Fensterbrett
hin, flammendrot im Gesicht, daß es dort in seine zwei Hälften
zersprang und mit den Butterseiten auf dem staubigen Steinboden lag.

Sie sah ihn einen Augenblick betroffen und schmerzlich an, hob dann
die Brote auf und legte sie zu den anderen. Mit einem Ruck faßte
sie den ziemlich geleerten Korb auf, stellte den kaltgewordenen und
ausgefischten Würstelofen hinein und rauschte ab wie eine beleidigte
Königin, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.

Er war so verdonnert, daß er nicht wußte, wie ihm geschah, eilte hinauf
in sein Zimmer, warf sich auf sein Bett, wühlte den Kopf in die Kissen
hinein und schluchzte mit halberstickten Ausrufen: »Fanny, Fanny!«

Etwas Seltsames, Beunruhigendes, Niegekanntes, Schmerzvolles, und doch
zugleich Beseligendes, Wunderbares war über ihn gekommen. Was war es?
Ach ja, das Leben, das Leben! Die schüchternen Regungen wie ein ganz
verstohlener Sonnenstrahl und gleich darauf Schauer, Tränenschauer.

Man war kein kleiner Knabe mehr, und auf der Oberlippe sproßte jetzt
wirklich ein kleines, winziges, schütteres Bärtchen. Es kommt nun doch
eine andere Zeit!

Am Nachmittag schrieb er seinem Bruder Ferdinand, der war Schulgehilfe
in der Wiener Vorstadt Lerchenfeld, und schilderte seine Lage. Die
paar Groschen, die er monatlich vom Herrn Vater bekomme, seien in den
ersten Tagen beim Teufel, was soll man in der übrigen Zeit tun? Bei
dem mageren Mittagsmahl, dem erst nach 8-1/2 Stunden ein armseliges
Nachtmahl folgt, müsse man sich eben in den Pausen mit etwas Stärkendem
aushelfen. Es würde den Bruder Ferdinand nicht arm machen, wenn er ihm
monatlich ein paar Kreuzer zukommen ließe. Spricht doch der Apostel
Matthäus: Wer zwei Röcke hat, der gebe einen den Armen usw., und dann
in Kap. 3, V. 4: Die auf dich hoffen, werden nicht zuschanden werden
..... So schließt die Epistel mit dem Aufruf, Ferdinand möge sich doch
des »liebenden, armen, hoffenden und nochmals armen Bruders Franz«
erinnern.

Der Brief ist fort und damit ein Stein vom Herzen. Was jetzt? Ja,
richtig: das Lied aufschreiben -- die Fanny muß das Lied haben! Ein
extra schönes Papier für sie, mit kunstvoll verschlungener Schrift und
die Noten säuberlich hingesetzt, als ob sie gestochen wären! Darauf
ein Suchen und Suchen in allen Laden und Heften, aber kein armseliger
Fetzen Notenpapier ist mehr zu finden. Alles verschmiert. Neues kaufen
-- aber zum Kuckuck, wenn man keinen Groschen in der Tasche hat! Der
Mensch ohne Geld ist ein gottverlassenes Geschöpf. Da fehlt es gleich
an allen Ecken und Enden. Daß man sich ein Schusterlaberl mit Butter
versagen muß, ist hart genug, aber das ist noch das wenigste; den
Mangel fühlt man erst, wenn man jemandem was Liebes tun möchte und
nicht kann, weil man keinen Knopf Geld hat. Schnöder Mammon!

Da kommt Spaun bei der Tür herein, der liebe, innige! Aufgeschossen
ist er wie eine Hopfenstange, den Kopf mit dem sittsam zurückgekämmten
Blondhaar und den weiten, wasserblauen Augen hat er vorgeneigt,
erwartungsvoll.

»Hast was Neues geschrieben?«

Er ist so furchtbar erpicht auf das Neue, das Franz in Noten dichtet.

»Hab' kein Papier!« knurrte Franz etwas borstig.

Da macht der andere schon Kehrt-euch und ist wieder draußen bei der Tür.

Franzl sinniert und sinniert, es vergeht eine halbe Stunde, da kommt
Spaun wieder angerückt, atemlos, einen großen Pack unter dem Arm, den
er auf den Tisch legt und sorgfältig auswickelt.

Notenpapier! Große, schöne, dicke Bogen, ein ganzer Stoß, genug, um die
Unsterblichkeit damit zu bestreiten.

»Da hast jetzt und schreib'!« und ist schon wieder draußen.

»Kerl, lieber, guter!«

So lächelt Franz, setzt sich hin und schreibt.

Am anderen Tag geht er in der Zehnuhrpause in sein Zimmer hinauf. Er
traut sich nicht herunter, es geniert ihn. Geld hat er ja auch keines
auf ein Schusterlaberl.

Aber ein Brief ist da.

Bruder Ferdinand schreibt, Franz wird mit dem Nötigen versorgt werden,
er möchte aber vorerst auf ein paar Tage heimkommen. Der Schulurlaub
sei unterdessen für ihn schon erwirkt.

So war es auch, auf drei Tage hat er frei.

Und wandert hinaus aus der engen Stadt in die Maiensonne, ins Grüne, wo
ihn die Wiesen mit tausend Blumenaugen ansehen. Beim Schottentor ist er
draußen, dann übers Glacis, wo der Wind, der richtige Wiener Lausbub,
seinen unumschränkten Spiel- und Tummelplatz hat, um diese Zeit kosend
als Mailüfterl mit Wolken von Fliederduft sanft beladen; im Sommer als
verrückter Derwisch mit wehendem Mantel aus Staub und ebensolchen
aufgeplusterten Pumphosen; im Herbst als unwirscher Straßenkehrer, der
dürre Blätter und Mist dahinfegt oder mit nasser Regenhand den Leuten
ins Gesicht patscht, die Weiberkittel aufwirbelt und die Parapluies
umdreht; im Winter ein rauhbeiniger Knecht Ruprecht, der mit flockigem
Schneebart daherflattert, daß euch die Augen übergehen. Der kann
grantig und boshaft sein wie ein alter Zucht- und Armenhäusler, aber
jetzt ist er ein holder Junge, der in den Bäumen säuselt und auf
sonnenweißen Wolken in gottseliger Bläue segelt.

Und so ist heut auch dem schulvakanten Knaben zumute, dem das Herz
klopft, als er hinter den mächtigen Häuptern der Kastanien die Häuser
seiner lieben Liechtentaler Vorstadt auftauchen sieht. Dort hinter den
Bäumen mit den vielen weißleuchtenden Kerzeln ist das Vaterhaus »zum
schwarzen Rössel« in der Säulengasse.

Geschwind, geschwind um die Ecke und hineingestürmt mit einem Jubelruf.
Aber da stockt er schon.

Was ist denn geschehen?

Er spürt ein Zerren im Gesicht, ein Würgen drinnen im Hals; denken kann
man's nicht. Eine Draperie hängt am Tor; ein Kerl steht heraußen mit
Glotzaugen und Schnapsnase, einen Dreispitz am Kopf, kurze Hose und
Strümpfe an den verkrümmten Beinen, ausgelatschte Schnallenschuhe; eine
Menge Schnüre und Quasten an dem frackähnlichen Rock, der schief sitzt
wie auf einer Vogelscheuche; schwarz alles, ganz schwarz, schwarz die
Draperie am Tor, schwarz der aufgedonnerte Frack, der Dreimaster, die
Hose, die Strümpfe.

Unterm Tor kommt ihm schon der Bruder Ferdinand entgegen, er ist
ebenfalls schwarz, nur das Gesicht ist rot und die Augen sind
verschwollen.

»Die Mutter ist tot!« würgt er hastig und tonlos hervor.

»Au, au!« schreit der Heimkehrende auf wie ein getroffenes Tier; und
schon steht er im Winkel abgewendet und flennt in sich hinein.

Und geht dann, so schnell er kann, die paar Stufen hinauf, und ist ihm,
als ob er Quadersteine trüge, daß er, von der Last erdrückt, kaum über
die Schwelle kann.

Drinnen der Vater, sieht um Jahre älter aus, sagt kein Wort; tätschelt
nur den Buben an Schultern und Kopf, scheu und fast widerwillig;
schiebt ihn aber gleich von sich zu den Geschwistern hinein.

Die sitzen drin, alle schwarz angezogen, nicht zum Erkennen, stieren
vor sich hin, nur eins oder das andere heult laut auf, wie's den Franzl
sieht. Reden aber sonst kein Wort -- einfache Menschen sind karg mit
Gefühl und Worten, verstecken sich lieber voreinander.

Auch Franzl bringt keinen Ton heraus, geht wie im Traum ins
Nebenzimmer, das dunkel gähnt mit brennenden Kerzen. Brennen nicht hell
und froh wie die Blütenkerzlein draußen auf den Bäumen; brennen dunkel
und weh in der schwarzen Luft und in dem toten Geruch der welkenden
Blumen. Ist etwas Weißes zwischen dem roten Kerzengefunsel und starrem
Blätterzeug, hoch geschichtet; jetzt sieht man's vor den betäubten
Augen; braunlackiertes Holz, der Sarg, weiße Seide, ein gefälteltes
Brautkleid, wachsgelbe Hände und ein Gesicht, so bekannt und so fremd
zugleich, so starr und fern.

Mutter! Der Franz spürt sie, er spürte sie schon von weitem, ehe er ans
Haus kam, im Flur unten umwärmte ihn schon ihre Nähe, im Zimmer draußen
wußte er sie neben sich, die Luft, die Dinge alle, die Gewohnheit, das
war sie. Sie lebte, und für das Totsein gab es keinen Begriff.

Er wollte die Tücher wegreißen, die Fenster aufstoßen, Luft und Licht
herein, die Starre aufrütteln, daß sie das Fremde abschüttle und wieder
sie sei, die lebte in seinem Fühlen; die ganze fürchterliche Schwere
der Wirklichkeit wegwischen, die Lüge war, weil sie so unverständlich
blieb; das Herz schrie auf und tobte nein, nein, nein -- und dennoch
blieb er steif wie gelähmt, unfähig, etwas zu tun, zu sagen, oder zu
denken.

Und ging noch die folgenden Tage umher wie betäubt, indessen ein
widerwärtiges geschäftiges Etwas vor sich ging, die ganze quälende,
niederdrückende, entsetzliche Bestattungszeremonie, die mit dem
Herzen nichts zu tun hatte, diese Schaustellung des Schmerzes vor
den gaffenden Gassen und Fenstern bis zu dem Moment, wo man in der
Kirche saß bei der Einsegnung und die Orgel lind und leise auf die
zertretenen Gemüter einsprach. Das war wieder die Stimme der Mutter,
bald gutmütig greinend, scheltend, verweisend, dann wieder gut zuredend
und liebkosend; die Härte des Krampfes wollte sich lösen; aber dann
noch das Schrecklichste, das Niederfahren des Sarges in die Grube, die
vereinzelten Aufschreie, das dumpfe Dröhnen der auffallenden Schollen,
das man nicht mehr aus den Ohren bringt -- als ob jede Handvoll Erde
eine Wunde in den eigenen Leib schlüge!

Fluchtartig ging's aus dem Friedhof fort ins Vaterhaus zurück; die
Trauerzeichen waren inzwischen weggeschafft worden, die alte Ordnung
hergestellt, aber die Ödigkeit hatte sich eingenistet. Das Tor war
wie früher und ebenso die Zimmer, aber im Geist sah man immer die
Trauertücher draußen hängen und wehen. Im Zimmer tauchte immer der Sarg
auf an der Stelle, wo er gestanden, die Funsellichter -- schreckhafte
Eindrücke, und Visionen, die nicht wegzuwischen waren.

Die paar Tage gehen vorüber in Dumpfheit und Zerschlagenheit; Franzl
ist froh, als die Zeit da ist, ins Konvikt zurückzukehren. Auf dem
Glacis wirft er sich ins Gras, um, von niemandem gesehen, sich nach
Herzenslust ausweinen zu können. Dann wandert er stadtwärts und ein
tröstliches Gefühl gewinnt Oberhand.

»Fanny, Fanny,« denkt er, nein, er denkt es nicht; das Unbewußte in ihm
denkt es, fühlt es. Das verschnürte Herz, das sich nach Wärme, nach
Mütterlichkeit, nach Liebe sehnt und sich so schwer und widerwillig
erschließt, sucht Zuflucht bei dem unwillkürlichen Gedanken an Fanny,
die jetzt so halb und halb mit dem Bild der Mutter zusammenfließt
und ihn doch zugleich so ganz eigen bewegt, daß ihn fast ein Zittern
überfällt.

Nun soll sie das Lied mit den Noten haben, denkt er und ist fast
aufgeregt in der Vorfreude.

Am anderen Morgen ist er der Erste bei dem Eßkorb, allen anderen Jungen
voraus. Niemand soll's merken!

»Das Lied, Fräulein Fanny, das Lied -- hier hab' ich's!« stammelte er
heiß und verwirrt und steckte ihr das zusammengefaltete Blatt in die
Hand.

Sie sieht ihn eine winzige Weile von oben bis unten an, verzieht
hochmütig den Mund, schiebt ihm das Blatt zurück und wendet sich ab mit
der kurzen Bemerkung:

»Brauch's nimmer!«

Das Blatt fällt zur Erde; einer der anstürmenden Kameraden hat es
erwischt, es verschwindet in den Händen der Freunde, wie so vieles, was
damals entstanden.

Jetzt hat er Groschen im Sack, aber kaufen tut er nichts; die
Knackwurst, die Würsteln, die Schusterlaberln -- nein; der Appetit ist
ihm vergangen.

Aber weinen, nein, das tut er auch nicht. Warum denn? Das Herz setzt
eine Rinde an; daß ein Krampf darinnen bebt, er will's selber nicht
wissen.

Gleichmütig plaudert er mit seinen Freunden weiter, bis einer plötzlich
sagt:

»Du, hör' einmal, was hast denn du für eine Stimm'?«

Fanny blitzt ihn wiederholt spöttisch an, sie hat es gleich gemerkt.
Die Stimme war geborsten, rauh, unmelodisch, ein Wechsel, wie er bei
Jünglingen um die Zeit der beginnenden Männlichkeit auftritt. Fanny
lächelt spöttisch. Lächelte sie über sich, über den Jungen, oder über
ihre Narretei? Der Zauber war gebrochen.

Der Paradiesvogel stand vor dem ernüchterten Blick wieder unansehnlich
gleich einer graubraunen Lerche da, ja, er war noch weniger geworden,
ein grüner Spatz, der ziemlich unharmonisch piepste. Aber das Gold, das
nicht in der Kehle lag, sondern tiefer in der Brust -- was verstand das
dumme Greislermädel davon?!

Freilich, ein Sonnenstrahl war erloschen, der zwischen den Mauern
schüchtern in des Knaben Gemüt gefallen war.

Im Klassenbuch stand jetzt in der Kolonne des Franz Schubert die
Bemerkung: Mutiert. Mit der Sopranistenherrlichkeit im Sängerchor bei
den dicken Engelsköpfen war's jetzt vorbei. Das war der natürliche
Verlauf der Dinge.

Damit erlosch ein weiteres Licht, und die Schatten der Schulmauern
drückten schwerer als je.

Einige Monate später verließ Spaun die Anstalt, er hatte absolviert.

»Glücklicher, daß du aus diesem Gefängnis gehen darfst!« rief ihm Franz
zum Abschied nach. Es war ihm jetzt, als müßten die Schulmauern auf
ihn stürzen, um ihn ganz zu erdrücken. Die Mathematik, da wollte nicht
alles stimmen. Eine schlechte Note -- die Scharte war auszuwetzen, wenn
der Stiftungsplan mit dem Stipendium erhalten bleiben sollte. Aber wozu
ein zweckloses Mühen? Was man eigentlich braucht, hat man vom lieben
Gott gelernt, die anderen hatten ihr Bestes längst gegeben und sahen
sich als Meister übermeistert. Es gab Wichtigeres zu erfüllen als
büffeln und ochsen. So riet die innere Stimme des Genius.

Noch ein Jahr wurde mühselig hingebracht, und dann schlossen sich die
Türen des Konvikts hinter einem, der aufatmend draußen stand, einen
letzten Blick auf das düstere, kahle Gemäuer warf und innerlich bebte
und jubelte: Jetzt kommt eine andere Zeit! Das Leben, das Leben!




                                  II.


Im Schulmeisterhaus am Himmelpfortgrund war wieder fröhliches Leben.
Die Schatten der Trauer waren vertilgt, ein hübsches junges Weib nahm
die Stelle der Mutter ein, arbeitete von früh bis abends mit heiterem
Sinn und sorgte mit gleicher Liebe für alle, als ob die Verstorbene in
diesem Frauenwesen wieder auferstanden wäre.

Vater Schulmeister vermochte nicht lange ohne Gesponsin zu bleiben;
kaum ein Jahr nach dem Tode seiner vielgeliebten ersten Ehefrau hatte
er die Gumpendorfer Fabrikantenstochter, die »wertgeschätzte Jungfrau
Anna Kleienböck«, gefreit; hat's nicht zu bereuen gehabt, und haben
alle Kinder, besonders aber der Franzl, eine mütterliche Helferin an
ihr gefunden. Den Franzl hatte sie namentlich in ihr Herz geschlossen.

Aber der Vater, der macht Augen, als der Bub wieder heimkommt. Hat
jetzt noch so einen Fresser am Brotsack hängen. War vom richtigen
Bauernschlag, der Vater Schulmeister, ein dicker, harter Schädel, saß
ihm der feste Sinn in dem entwickelten Kinn, war einer, der nicht gerne
nachgab und den Kreuzer zehnmal umdrehte, ehe er ihn auslegte. Ein
rechtschaffener Mann, der für die Jungen sorgte bis zum Flüggewerden,
aber dann sollten sie selber schauen, wie sie zu ihrem Futter kämen.
Sparsamkeit bis zu Knickerei und Geiz, das war Bauerntugend. Und
die saß fest bei ihm. Wie wär' man denn zu eigenem Grund und Boden
gekommen, zu einem selbst erwirtschafteten Häusel, wo die Wirtschaft
am Schnürchen ging, bei dem dürftigen Schulkreuzer, wenn man nicht
Groschen auf Groschen gelegt hätte?!

Es war an einem schönen Sonntagmorgen, als Franz heimkam. Der Vater saß
allein in der unteren Stube und frühstückte. Als er des heimkehrenden
Sohnes ansichtig wurde, schob er rasch den schön gebräunten, innen
aber dottergelben, flaumigen Gugelhupf unter den Tisch, wo ein Brett
als offenes Fach eingelassen war. Dann schlürfte er seinen Kaffee leer
weiter, als ob er nichts dazu zu beißen hätte.

Das Gespräch war ziemlich karg; einsilbige Fragen, einsilbige
Antworten. Bis der Vater die verfängliche Frage stellte, ob Franz
nun gedenke, den anderen Familienmitgliedern den mageren Bissen
wegzuschnappen? Worauf der Sohn flink mit der Antwort bereit war:
»Meinetwegen, Herr Vater, hätten Sie den Gugelhupf nicht verstecken
müssen, ich mag ohnedies keinen.« Worauf Vater Schulmeister den
Gugelhupf wieder hervorholte, aus dem Schrank eine Kaffeetasse nahm,
dem Franz das Restchen aus den Kannen eingoß und ihm obendrein ein
gewaltiges Stück von dem verheimlichten Gugelhupf vorsetzte.

Franz ließ sich's wohl schmecken. Er wußte, der Herr Vater hatte nun
einmal solche Eigenheiten, über die das gute Herz doch immer wieder
siegte; und dieses gute Herz hatte sich eben seiner bäuerischen
Filzigkeit geschämt, bei der es sich ertappen ließ, und wollte den
schlechten Eindruck durch um so größere Freigebigkeit verbessern.

An diesem Tag war kein mahnendes Wort mehr gefallen. Am Nachmittag
dirigierte Franz das Streichquartett, das sich im musikliebenden
Schulmeisterhaus sofort gebildet hatte. Die Brüder Ignaz und Ferdinand
kratzten auf der Geige, der Vater schabte das Violoncello und Franz
spielte die Viola. Die beiden Violinen knarrten und quietschten
vor Lust und Freude, sie taten aber so laut und ungeniert, als ob
sie allein auf der Welt wären. Das Violoncello wollte sich die
Ungebundenheit der vorlauten Violinen nicht über den väterlichen Kopf
wachsen lassen. Es strengt seine wohlig dunkle Stimme aus Leibeskräften
an und plagt sich hinter den beiden Wildfangen mit redlichem Schweiß
einher, was nicht immer ohne Unfall vonstatten ging; nur die Viola
flötet süß und geleitet die drei stolpernden Kumpanen mit gelinder
Festigkeit auf unwegsame Höhen, wo man im himmelhohen Jauchzen hätte
die Welt umarmen mögen. Aber das gute dicke Violoncello mußte sich
des öfteren schnaufend die Seiten halten und konnte das Springen und
Jauchzen nicht so flink mitmachen; bleibt öfters im Notengestrüpp
hängen, sucht sich zuweilen ebenere Wege und markiert nur so den
hüpfenden und schwebenden Gang der Melodie.

Lächelt der Sohn, klopft mit dem Fiedelbogen ab und sagt schüchtern:
»Herr Vater, da muß etwas gefehlt sein ...!« Also werden die
schwierigen Passagen noch einmal genommen und immer noch einmal, bis es
der Viola und den beiden Fiedeln gelingt, das schwerfällige Cello mit
Ach und Krach, aber immerhin mit heiler Haut über Stock und Stein zu
bringen.

Ist hinterdrein quietschvergnügt über die eigene vermeintliche Leistung
und Fortschritte, schmunzelt vor Behagen und Selbstachtung und läßt
sich zur Anerkennung herbei: »Das muß man sagen, können tut er was, der
Franz, das haut ihm keiner 'runter!«

Und die Brüder sehen voll Bewunderung auf den Franz hin, die Mutter ist
gerührt, daß ihr die Tränen in den Augen stehen, und streichelt ihm
scheu und zärtlich über den krausen Schädel, glückselig und erstaunt,
so plötzlich diese stattlichen jungen Kerle zu Söhnen zu haben und
besonders einen solchen Meister darunter, der ganz beschämt dasitzt und
alle Lobeserhebungen bescheidentlich ablehnt. Beinahe hätte sie mit
ihren warmen, molligen Armen den Lockenkopf abgefangen und ihn nach
Herzenslust abgebusselt, aber sie getraute sich nicht des Vaters wegen,
der könnt's vielleicht übel auslegen.

Ist übrigens sehr selten, daß der Herr Vater soviel Lob spendet. Hat
man kaum je aus seinem Munde gehört. Ist schon genug, wenn er nichts
sagt, als ein Zeichen, daß er zufrieden ist. Wenn ihm was nicht
gefällt, dem Herrn Vater, ist er gleich mit dem Tadel bei der Hand,
dann spart er's nicht, räsoniert, greint, wettert, daß einem angst und
bang wird. Man ist also nicht verwöhnt. Aber daß ihm auch einmal der
Mund des Lobes voll überfließen könnte, daran kann man sich eigentlich
kaum je entsinnen.

Aber das Schönste kommt erst. Der Vater nimmt die Mutter zur Seite, hat
eine kleine, heimliche Unterredung mit ihr, man sieht, daß ihr Gesicht
in heller Freude aufleuchtet, und draußen ist sie. Vergnügt und ganz
erfrischt kehrt der Vater zu den Notenpulten zurück, er ist heute noch
tatendurstig. Es ist noch eine Stunde zum Nachtmahl, die will der Vater
nicht verlieren. Also wird noch einmal Musik gemacht, bis es finster
ist.

Jetzt erscheint wieder die Frau Mutter, ganz erhitzt und fröhlich
aufgeregt -- mein Gott, das Herdfeuer und die muntere Hast! Der Tisch
ist fein säuberlich gedeckt. »Kommt's essen!« ruft der Vater und setzt
sich als der Erste in den bequemen Lehnstuhl am oberen Ende.

Die Buben -- sind eigentlich schon erwachsene junge Männer, bleiben
aber für den Herrn Vater immer noch die Buben -- lassen sich das
natürlich nicht zweimal sagen und sitzen schon im nächsten Augenblick
um den Tisch herum, der heute sogar mit einem weißen Tuch gedeckt ist.

Und Weingläser stehen auch da! Ein jeder spitzt: »Hei, da gibt's was!«

Die Mutter ist schon wieder in der Küche draußen, sie ist in ihrem
Element, wenn sie so richtig wirtschaften kann, aus dem Vollen heraus.
Inzwischen wird noch eine Weile über die Musik geschwatzt, Musikanten
sind leicht durstig und hungrig, besonders aber durstig -- man hat das
Gefühl, als ob man von einer wunderschönen Landpartie zu Fuß und zu
Wagen zurückgekommen wäre, die herrlichsten Gegenden und Aussichten
genossen hätte, von fernen Gipfeln, die man nur träumen könnte. In
diese ätherblauen Seligkeiten hat der Genius geführt -- ja, so ein
Streichquartett den lieben Sonntag nachmittag, das ist mehr als ein
vierspänniger Wagenausflug.

So, und jetzt sitzt man, in die Wirklichkeit zurückgekehrt, mit
erdenfrohem Behagen und Appetit da, die Gabel in der Faust, und wartet
mit spähenden Augen der Dinge, die da kommen sollen.

Und da fliegt schon die Tür auf, die junge Frau Mutter rauscht herein,
daß die weißgestärkten Unterröcke und die Schürzenbandeln fliegen, die
halbnackten, rundlichen Arme tragen hoch eine große Schüssel, eine
Duftwolke strömt mit -- hm! daß einem das Maul wässert --, jetzt senkt
sich die Schüssel auf die Tischmitte herab, ein vierstimmiger Ausruf:
»Ah, Backhendeln!«

Wiener Backhendeln mit Gurkensalat!

Den Jungen verschlägt's fast den Atem, keiner würde wagen, zuzugreifen,
sie schauen verzückt auf die Backhendeln und dann verwundert auf den
Herrn Vater -- das hat man noch nicht erlebt, außer bei der Hochzeit
mit der jungen guten Stiefmutter -- eine solche Freigebigkeit -- was
muß denn über ihn gekommen sein?!

Den Vater wandelt jetzt ein Schatten an, er fühlt den verwunderten
Blick der Söhne, fast dünkt es ihm jetzt eine Verschwendung, er bereut
es beinahe schon wieder, sich in solche Unkosten gestürzt zu haben, und
blickt eine Weile sinnend und grüblerisch auf seinen leeren Teller. Die
Stirn hat Falten, wie immer, wenn er nachrechnet.

Mechanisch erhebt er sich zum Tischgebet. Die jungen Kerle leiern es
herunter mit langen Zähnen, im Mund lauft jedem das Wasser zusammen,
man sieht's ihnen ordentlich an -- die Mutter blickt glückselig von
einem auf den anderen -- der Vater betet laut und langsam aber wie im
Traum, indessen er im Geiste rechnet und rechnet. Er will, bevor er zu
essen anhebt, das Exempel lösen, wie er die Mehrkosten von heute im
Lauf der Woche wieder hereinbringt, um das knickerische Gewissen zu
beruhigen und obendrein so, daß der eine Fresser, der jetzt mehr da
ist, dreingeht, ohne daß das Wirtschaftsgeld erhöht werden muß.

Ganz einfach, denkt er, indessen seine Lippen laut und langsam beten,
Fleisch gibt's die ganze Woche nicht mehr -- Mehlspeisen kosten die
Hälfte -- sind viel gesünder -- Montag Banadlsuppe, kostet fast
nichts, heißes Wasser mit Ei und Semmelschnitten, etwas Schmalz; dann
Erdäpfelnudel mit Semmelbröseln abgeschmalzen, Zwetschgensauce dazu
-- ist gut und nahrhaft, können bampfen dabei, die Schlinghälse, daß
sie nicht mehr bah sagen können; Dienstag Grießschmarrn mit gekochten
Kirschen; Mittwoch Holzhackernockerln aus Wasser und Mehl, läßt man
ein Ei darüber spazieren, macht's nahrhafter und sieht nach mehr
aus; Donnerstag Linsen, vielleicht Spiegeleier dazu, wenn's reicht;
Freitag ist ohnehin Fasttag, gibt's vielleicht Hirsebrei mit geriebenem
Lebzelten drauf; Samstag Kipfelkoch oder Semmelschmarrn, Bofesen wären
auch nicht schlecht, vielleicht einen Kirschenstrudel -- die Leibspeise
-- wenn sie nur nicht zu teuer kommt --, als Nachtmahl gibt's die
ganze Woche nichts weiter als Butterbrot, zur Abwechslung etwa einmal
frischen Maiprimsen darauf, und, wenn's hoch kommt, ein paar Kirschen
nachher, die jetzt wohl billig genug sind; na, und Sonntag vielleicht
wieder einmal einen Schweinsbraten -- sein Gesicht klärt sich auf,
indessen er das Kreuz schlägt, das Rechenexempel ist gelöst, er kann
sich beruhigt mit Frau und Söhnen an den Backhendeln ergötzen: Im Namen
Gott des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, Amen! Mit
einem vierstimmigen Echo schließt das Amen.

Dann ein eiliges Sesselrücken, dicht an den Tisch heran, so bequem und
fest als möglich, die Serviette unters Kinn gesteckt, in den Halskragen
hineingestopft, der Vater langt mit der Gabel zuerst zu und sticht das
Pfaffenschnitzel heraus mit etwas gerösteter Petersilie darauf, wegen
des Wohlgeschmacks, flink hat ein jeder sein Trum auf dem Teller,
der eine ein solches weißes Bruststück, der andere ein Haxerl, ein
Stück Flügerl, ein paar Minuten vergehen wortlos, indessen das zarte
Fleisch mit der schönen braunen, knusperigen Rinde zwischen den Zähnen
mitsamt den weichen Knöchelchen krachend zerbissen wird und Stück um
Stück verschwindet. Zu jedem Bissen Fleisch eine tüchtige Gabel voll
Gurkensalat.

Vater Schubert stößt vertraulich den Franz an und deutet mit dem Messer
auf das Büchschen Paprika, das am Tisch steht.

»Mußt etwas Paprika auf den Gurkensalat tun! Zum Gurkensalat gehört
eine Messerspitze Paprika!«

Also streute Franz vorsichtig etwas Paprika auf den Gurkensalat.

Das gibt zu dem Arom eine köstliche Würze, daß man einen brennenden
Rachen hat wie ein Feuerschlucker.

Die Schüssel ist leer, nur ein Häuflein Knochen ist übriggeblieben
wie auf einer Schädelstätte. Jeder lehnt sich behaglich und von der
emsigen Arbeit aufseufzend in den Sessel zurück; die Flammen in der
Kehle müssen gelöscht werden. Da langt der Vater nach einem Krüglein,
das unter dem Tisch bei seinen Füßen steht, hebt es sorgfältig prüfend
ans Licht und schenkt jedem das Glas voll. Gumpoldskirchner!

Zu Backhendeln mit Gurkensalat gehört Gumpoldskirchner, das ist
stilgerecht. Es könnte auch ein Grinzinger sein, ein Sieveringer, ein
Alsecker, ein Bisamberger, ein Klosterneuburger, ein Weidlinger, ein
Kremser, ein Mailberger, ein Haugsdorfer, ja, man würde gar nicht
fertig in der Aufzählung der vielen guten Tropfen, die zu einer solchen
Wiener Götterspeise gehören. Jeder hat seine eigene Blume, aber jeder
paßt dazu. Vater Schubert liebt besonders den Gumpoldskirchner. Er ist
goldgelb, etwas schwerer wie die anderen, kostet auch etwas mehr, aber
an hohen Fest- und Feiertagen möcht' man halt auch was Besonderes haben.

Glänzen alsbald die Äuglein, wie der Gottestrank die Zunge hinabläuft,
inwendig ein behagliches wärmendes Feuer anzündet, daß die Begeisterung
wach wird und die Zungen sich lösen. Schwebt schon der heilige Geist
auf sie herab und fängt der eine und andere an, mit Engelszungen zu
reden. Franz, der wortkarge, der verschlossene, wird gesprächig.

Ist so eine schöne Sache, die Musik, hebt den Menschen ins Himmelreich,
daß er in lichter blauer Seligkeit hinschwebt, als ob er Flügeln hätte
und wirklich schon im Paradies wäre. Fällt alles Schwere ab, alle
Sorge, und selbst was traurig stimmt, wird tröstlich und labesam.
Ist neben der Musik aber auch was Schönes, Backhendeln essen mit
Gurkensalat, und Gumpoldskirchner dazu zu trinken! Gewiß! Essen und
Trinken hält Leib und Seele zusammen. Die Seele schwingt sich auf,
wandert frank und frei im Reich der Töne, aber sie muß wieder zurück,
wenn der Leib schwach und hungrig wird, und muß sich wieder stärken mit
ihm, denn Leib und Seele gehören nun einmal zusammen. Wie könnte sie so
schöne Lieder erfinden und gottselige Gedanken pflegen, wenn sie nicht
hin und wieder durch den Leib mit so herrlichem Essen erquickt würde.

Gibt es doch kein Land, wo so erlesene Genüsse zu haben sind, solche
Backhendeln, solchen feinen Salat und einen so himmlischen Tropfen wie
diesen Wein! Drum kann auch nirgends die Seele so hoch in Begeisterung
steigen wie hier, wo sie auch auf Erden sich bereits im Himmelreich
wähnt. Womit schmeckt denn der Leib diese wunderbaren Gaben, wenn nicht
mittels der Seele, die es zu schätzen versteht, was ihr hier vorgesetzt
wird, und die dann noch einmal so herrlich zu singen und sagen weiß.
Diese Backhühner, dieser Wein muß nicht allein mit dem Leib genossen
sein, wenn es gut anschlagen soll -- nein, Speis' und Trank ist es für
die liebe Seele!

Die Mutter lächelt verklärt und schaut gedankenvoll aufs Tischtuch,
die Brüder schauen mit glosenden Augen bald auf den Vater, bald auf
den Franz, der eine so verwunderliche Rede hält; Ignaz, der Älteste,
schaut drein wie ein Gelehrter, mit den dunklen, brennenden Augen
in dem blassen, schmächtigen Gesicht, der gewaltigen Stirn und dem
Grübchen im zwiespältigen Kinn -- das haben alle Brüder vom Vater
her --, ist selbständiger Schullehrer, hätte aber nie gewagt, vor dem
Vater solche freigeistigen Reden zu führen; Bruder Ferdinand, dieweilen
noch Schulgehilfe, musik- und sangesbeflissen, lacht mit gutmütigem,
verschmitztem Bauerngesicht den geliebten Bruder Franz an, und sitzt
ihm die Freude heimlich in den munter blitzenden Äuglein; Karl, der
jüngste Bruder, der noch die Kunstschule besucht und Maler werden
möchte, schaut mit seinem hellen, offenen Künstlerantlitz bewundernd
hin auf Franz und denkt, so muß man's machen, frisch und keck, dann ist
der Herr Vater als Wauwau nicht halb so schreckhaft -- rückt näher an
Franz heran, hängt mit den Augen an seinen Lippen und berauscht sich an
dessen Worten; nun und der Herr Vater, dem die Weinseligkeit aus den
Augen tropft, sitzt lächelnd da wie Vater Noah, nickt gutmütig zu dem,
was der begeisterte Franz faselt, hebt dann selbstvergessen, als ob die
Buben da nicht seine Söhne, sondern seine Kameraden aus der Jugendzeit
wären, das Glas, um mit Franz anzustoßen!

Man ist baff! Das hat der Vater nie getan!

Der Herr Vater stoßt mit dem Sohn Franz an, dann stoßt er mit der Frau
Mutter an, die Gläser klingen zusammen, und jetzt fahren auch die
anderen herzu und stoßen alle zusammen an.

»Prosit, Herr Vater!« der Franz sagt's, dann sagt's der Ignaz, dann der
Ferdinand und dann der Karl.

Jetzt schreien es alle vier.

»Prosit, Frau Mutter!« Wieder ist es der Franz, der das sagt. Und jetzt
fahren wieder die Gläser zusammen, daß es klingt wie ein Glockenspiel,
und alle schreien lauter als vorher: »Prosit, Frau Mutter!«

Karl, der Jüngste, ist so aufgeregt, daß er fast seinen Wein
verschüttet. Da sind die kostbaren Tropfen auf das Tischtuch gefallen,
und schon fliegt sein Blick ängstlich zu dem Vater hinüber, der sich
die Gelegenheit sonst nicht hätte entgehen lassen, dem Karl eine
ordentliche Predigt zu halten, wie man sich zu benehmen habe. Die
schöne Gottesgabe verwüsten -- Bub, wirst noch einmal froh sein, wenn
du so einen Tropfen hast! Aber heute, nein -- der Herr Vater ist
gnädig, er tut so, als ob er nichts bemerkt hätte.

Der Schreck ist dem Karl doch gelinde in die Glieder gefahren -- wenn
der Herr Vater auch heute nichts sagt, das dicke Ende kommt nach!
Dem Alten ist nicht zu trauen -- er hebt sich's auf morgen auf! Aber
mit einem Schluck hat Karl die Bänglichkeit hinuntergeschwemmt, die
Keckheit gewinnt jetzt Macht über ihn, an Franzens Beispiel gestärkt.

»Sind wir lustig heut -- Prosit, Herr Vater!« und hebt mit knabenhafter
Dreistigkeit das Glas, um mit dem Vater aufs neue anzustoßen.

Läßt aber gleich das Glas wieder sinken vor dem strafenden Blick des
Vaters.

»Benimm dich!« weist ihn der zurecht. Er kann's nicht leiden, wenn
sich Kinder übernehmen. Müssen »Sie« zu den Eltern sagen, damit der
Respekt vor der elterlichen Würde gewahrt bleibt, und möcht' dann so
ein Junge bei der erstbesten Gelegenheit die strenggezogenen Grenzen
mir nichts dir nichts verwischen. Sind doch beide nicht zugleich auf
der Schulbank gesessen -- na also! Spricht's zwar nicht aus, der Herr
Vater, denkt's aber so ungefähr und redet mehr durch die Augen, die mit
langem, einschüchterndem Blick auf Karl ruhen, der schon vergeht wie
ein allzu keckes Flämmchen unter einem großen Löschhut.

Erhebt sich drauf der Herr Vater und sagt kurz und bestimmt: »So -- und
jetzt schlafen gehen!«

Also gehen alle schlafen, jedes mit dem seligen Gefühl: war ein schöner
Sonntag heute!

Aber es kann nicht immer gleich schön bleiben, kommen auf gutes Wetter
immer allemal auch trübe Tage mit Regen und Sturm; und so ist es im
Leben ein ewiges Schwanken, und sind die himmelblauen Tage im Jahr karg
gezählt.

Nicht alle Sonntag ist Kirchtag, war auch der nächste Sonntag schön,
aber nicht ganz so schön. Gab es keine Backhendeln mehr, sondern kaltes
Schweinernes abends, das von Mittag übriggeblieben war. Schmeckte aber
auch sehr gut. Gumpoldskirchner gab es ebenfalls nicht, dafür billiges
Abzugbier -- Fensterschwitz. Macht nichts, wenn es frisch ist, ist es
recht gut und gesund vor allem, gesund.

Das Streichquartett bleibt jetzt eine ständige Sonntagseinrichtung,
nimmt auch der Herr Regens chori von der Liechtentaler Kirche teil,
Herr Michael Holzer, bei dem Franz in seiner Knabenzeit Singunterricht
genommen hatte. Ist ganz beteppert, der Herr Regens chori, vor lauter
Hochachtung für das musikalische Genie, kann sich gar nicht genug tun
mit überschwenglichen Worten über Franzens Kompositionen, daß es dem
schon zu dumm wird, weil sein alter Lehrer gar so fein und überhöflich
mit ihm tut, fast genierlich für ihn, den Jungen.

Meint der Herr Regens chori, daß es ihn halt so viel freuen tät',
wenn der Herr Franz die Erlaubnis geben möcht', etwas aufzuführen
von ihm nächstens beim hundertjährigen Jubiläum der Liechtentaler
Kirche -- hätte er doch eine wunderschöne Messe geschrieben noch als
Konviktsschüler, die an und für sich schon ein Meisterwerk wäre. Da
wollt' er schon lieber was Neues machen, lächelte Franz, die früheren
Arbeiten wären doch zu gering, müßt' schon etwas Besonderes werden --
zur höheren Ehre Gottes!

Befriedigt blickt der Vater auf den Sohn, ist stolz auf ihn -- aber zum
Kuckuck auch, ist doch nur brotlose Kunst, was er treibt, und von der
Ehr' kann man allein nicht leben; muß auch tüchtig zugesehen werden,
daß Franz bald seinen eigenen Brotsack umgehängt bekommt.

War auch nicht viel Zeit vergangen, hat ihn der Vater schon ins
Amt hineinbugsiert. Ein paar Monate Präparandenschule, dann
Lehramtsprüfung, und jetzt ist er Schulgehilfe. Ist es gleich
nebenan in der Säulengasse unter seines Vaters Aufsicht, der sechs
Schulgehilfen beschäftigt. Franz kriegt dieselbe Bestallung: freies
Quartier und einen Gulden Wiener Währung pro Monat und Schülerkopf.
Hat den Vorzug, in Vaters Haus zu wohnen und Kost zu kriegen. Die wird
ihm freilich berechnet. Bleibt immerhin noch ein Taschengeld für das
bißchen Kleider und sonstige kleine Bedürfnisse.

Das mit der Messe für die Liechtentaler Kirche geht dem Franz nicht
aus dem Sinn, in seinem Herzen stürmt es, ist aber eingesperrt den
lieben langen Tag in den Schulkäfig -- was ist das für ein Leben?!
Bloß weil es das Brot ist?! Anstatt wie die Lerche in blauer Seligkeit
zu schweben und den Schöpfer zu preisen, muß er sich abmühen von früh
bis abends, kleine Rotznasen unterrichten, ABC-Schützen, die auch
alles andere lieber täten, als still zu sitzen mit den Händen auf der
Schulbank und aufzumerken.

In Franzens Hirn und Herz flutet es, die Gedanken und Gefühle kochen
mit eherner Gewalt, sie wollen sich nicht abweisen lassen und flattern
heran wie Zaubervögel, die Fuß fassen möchten, gehalten sein, um nicht
hilflos ins unendliche Meer des Vergessens zu sinken. Er will sie
halten, muß aber an der Schultafel stehen und mit der Kreide Buchstaben
hinmalen, a, b, c, die von den Buben auf die Schiefertafel nachgekratzt
werden. Und muß ihnen das Einmaleins vorrechnen: einmal eins ist eins,
zweimal zwei und so weiter. Dann läßt er es einen nach dem anderen
auswendig sagen und kritzelt unterdessen hastig die Gedanken hin, die
aus dem Herzen zum Kopf drängen. Der eine Bub sagt zweimal zwei ist
drei, der andere zweimal zwei ist fünf -- alles stimmt. Haben es die
Schüler und der Lehrer gleich gut. Ist ja auch wirklich so: nichts geht
im Leben so glatt aus, daß man sagen könnte, zweimal zwei ist vier.
Immer wird's ein bißchen zu wenig oder ein bißchen zu viel, jedenfalls
ein bißchen anders, so daß zweimal zwei entweder drei oder fünf
ausmacht.

Oder es guckt der Herr Lehrer selbstvergessen und dem Liederborn
in seiner Brust lauschend zum Fenster hinaus, wo ein blau-goldener
Vormittag leuchtet, indessen man in dem kalkweißen Zimmer bei
langweiligem Tun hocken muß. Gucken auch die Buben zum Fenster hinaus
und empfinden ungefähr dasselbe. Ertappen sich gegenseitig Lehrer und
Schüler bei diesen abschweifenden Gedanken, gucken sich gegenseitig an
und lachen.

Ein Dichterwort flattert unversehens aus Franzens heimlich klingender
Seele auf: »In Grün will ich mich kleiden.« Unwillkürlich entschlüpft
es seinen Lippen, sitzen die Buben versteinert da, als ob ein
Märchenvogel bei dem offenen Fenster hereingeflogen wäre. Fängt einer
von den ältesten Rangen in der letzten Reihe tölpisch zu lachen an,
wohl aus Verlegenheit, ducken ihn aber die anderen schon nieder mit
heimlichen Knüffen und zugerauntem »Kusch!« Wird aber sofort wieder
das Maul gehalten, und sitzen alle atemlos da, wundersam berührt. Geht
ein Engel durchs Zimmer, sagen die Leute, wenn plötzlich gespanntes
Schweigen eintritt. Jetzt war's so. Ein Engel ist durchs Zimmer
gegangen, der Genius, hat sie alle mit dem Finger ans Herz getupft.

Und Franz, der Schulgehilfe, reißt die Violine aus dem Kasten und
spielt ihnen sein neuestes Lied vor: »In Grün will ich mich kleiden.«

Nach Hunderten zählen die Schöpfungen, die ihm in diesen Monaten durch
das graumaschige Netz der eintönigen Tagespflichten als Geschenke des
Himmels durch die Finger gleiten. Einer ist, der hat in der Tiefe des
deutschen Herzens das unsterbliche Lied erklingen verspürt -- der
deutsche Genius hat durch seinen Mund gesprochen: Goethe. Über diesen
Dichterquell gebeugt, hat Franz das melodische Rauschen vernommen,
darin der Wald raunt, der Bergstrom braust, das Herz aufschreit in
Lust und Leid, die Wanderfröhlichkeit jubelt, und die Sehnsucht mit
blauem Bande lockt; in sein Inneres hineinhorchend wie in einen
tiefen Märchenbrunnen, hat er das Lied singen gehört. Das deutsche
Lied. Draußen am Himmelpfortgrund ist es entstanden. Und hat anders
geklungen als alles, was man je früher gesungen hat. Tiefer, feuriger,
ergreifender.

Die kleinen Schulbuben verstehen nichts von Musik, aber das Lied,
dieses und noch manches andere, das ihnen Franz vorspielt und mit
halblauter Stimme vorsingt, haben sie gleich begriffen.

Franz legt die Geige sachte wieder hin, da bricht der starre Respekt,
der eine künstliche Spannweite zwischen Lehrer und Schüler herstellt,
wie eine Eisrinde vor der schmelzenden Glut der Herzen zusammen, die
Rotzbuben sind aus den Bänken gestürmt und haben ihn jubelnd umdrängt,
die Hand wollen sie ihm küssen, hinaufgeklettert sind sie an ihm,
einer über dem anderen. In der Maske des Schulgehilfen haben sie den
älteren Mitbruder und Kameraden entdeckt, die Kindheit hat ihn gleich
begriffen, wie alles, was menschlich rein und echt ist. Es bedarf
keines Nürnberger Trichters, keines Systems, keiner Schulzwangsjacken,
keines Ochsens und Büffelns, sie haben es von sich aus verstanden.
Somit wäre das richtige Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler,
gewissermaßen auf du und du, hergestellt.

»Putz' dir die Nasen!« geht die lachende Ermahnung an einen Knirps,
der sich just vor inniger Freude an Franzens Handrücken abwischt. Hat
aber kein Bub ein Schneuztuch, macht's ein jeder wie der Bauer mit zwei
Fingern und dann auf die Erde damit, was im Schulzimmer nicht angeht.
Fährt man also, wie im Notfall immer, einmal mit dem linken Rockärmel
um die Nase, dann mit dem rechten, daß die Ärmelenden hart und speckig
glänzen, wie glasierte Schweinsschwarteln.

Ist ein neuerliches Hallo über den Rotzbuben, daß es laut in den
Schulgang hinausschallt, worauf der Herr Vater beim Türspalt
hereinguckt, mißtrauisch über die Ungebundenheit, die gerade nur
in Franzens Klasse herrscht. Ein Glück, daß im selben Augenblick
die Glocke schallt und der Vormittagsunterricht zu Ende ist. Vater
Schulmeister schüttelt den Kopf; er ist gar nicht recht zufrieden mit
seinem neuen Gehilfen. Daß ein Lehrer die Anhänglichkeit und Liebe
seiner Knaben zu gewinnen weiß, wäre schon recht; aber wo bleibt der
schuldige Respekt?! Wo bleiben die Schulreglements?! Der Lehrplan?!

»Lehrplan, Schulordnung, Respekt sind die Hauptsachen, verstanden?!«

In Grün will ich mich kleiden ...! Allein oder mit Bruder Karl, der
den rechten Landschaftersinn dafür besitzt, spaziert Franz häufig an
Sommerabenden zwischen den Feldern und Weingärten der benachbarten
Ortschaften umher! Eine versunkene Welt! Heute ragen nichtssagende
Zinskasernen in staubigen, lärmenden Straßen in diesen Gegenden, die
einst ländliche Idyllen waren.

In Grün gebettet zwischen schwellenden Hügeln mit Wein und Wald, liegen
Währing, Weinhaus, Gersthof, Pötzleinsdorf, Döbling, ein lieber Kranz
von Landschaften rund um die alte Wiener Stadt.

Begeisterte Naturgedichte entstanden in der damaligen Zeit, die frohen
Müllerlieder waren hier für Franz Erlebnis geworden, der sie zum
erstenmal sang. Er hat sich seine Dichter gefunden, nach Goethe die
besten, und hat ihren Worten einen klingenden Mund verliehen, denn
alles, was er hier ansah, war schon heimliche Musik. Er spürte sie
zutiefst inwendig, und wenn die Dichterworte durch seinen Genius ihr
klingendes Gefieder erhalten hatten, dann blieben sie auch nicht lange
daheim in der Schublade, sondern flatterten aus, zu den Freunden in
die Stadt, zu Spaun, der regelmäßig neue Noten von Franz bekam und sie
wieder bewundernden Freunden weitergab.

Ein Legendenkranz hatte sich drinnen in der Stadt um den einen
gebildet, »dessen Ruhm alle anderen überstrahlen sollte«. Er war schon
berühmt und hatte zahlreiche Anhänger und wußte es nicht, indessen er
abends als armer und sehnsüchtiger Schulgehilfe zwischen den Feldern
ging. Und war dennoch auf eine heimliche und sehnsüchtige Weise
glücklich, wie man es als naturfreudiger Mensch im Schoß solcher
entzückender Landschaften nur sein konnte. Lieder, wie sie damals aus
dem Herzen der Menschheit sproßten, blühen dem heutigen Geschlecht
nicht mehr, die Menschenseele ist unfruchtbar geworden; sie hat den
blühenden Garten ringsum in eine Wüste verwandelt und fristet in den
Steinhaufen ein innerlich verarmtes Dasein. Das hätte man damals nicht
für möglich gehalten.

Eines Spätnachmittags betraten Franz und Karl den Döblinger Friedhof,
wo die selige Mutter begraben liegt. Steinerne Engel knien zwischen
dunkelgrünen Zypressen in dem Alt-Wiener Friedhof, Urnen und gestürzte
Säulen leuchten weiß in ernstem Grün, rote Blumen bluten da und
dort auf den Gräbern. Der Vater hat einen einfachen Stein über den
Grabhügel setzen lassen, ein frischer Wiesenstrauß liegt dort zu oben
auf. Den hat die Stiefmutter niedergelegt, die Jugendfreundin von der
Verblichenen. Gute Seele! Die Vögel schmettern in den Gebüschen wie in
einem Lustgarten, die Einsamkeit verbirgt ihr Haupt in dem Schoß der
Ruhe und des Friedens! Die Trauer war aus dem Herzen geschwunden, die
Selige stand im Verklärungslicht.

Franz war ernst und hoch gestimmt. »Wir gehen alle in Gott!« sagt er
plötzlich zu Karl, der zustimmend nickte, den Bruder aber nicht ganz
begreift. In tiefem Gespräch gehen sie dann in der Dämmerung hin.

Der gläubige Franz! Er ist kein Grübler, kein Eiferer, kein
Kirchenfanatiker, aber er besitzt ein frommes Gemüt wie jedes echte
Naturkind. Die Seele weiß sich eins mit dem Geist der Dinge, der
Natur, der fernen und nahen Lieben. Sie findet ihren inneren Ausgleich
in dieser Allgegenwart alles Gutem, geheimnisvoll Wirkendem, geistig
Lebendem und am Weltbau Schaffendem. Für ihn gibt es kein anderes
hehres Wort dafür als: Gott! Darum gibt es für ihn auch in der Trübnis
kein Sinken, kein Sich-verloren-wähnen, immer und überall geht er in
Gott. Seine Seele ist wach und hat alle Fenster auf für die magischen
Kräfte des Unendlichen, die auf ihn einströmen und das Band waren, das
ihn mit allem lebendig verknüpfte, was er liebte und ehrte. Hier ist
der Keimpunkt seines Dichtens und Werdens.

Als sie bei sinkender Nacht heimkehren, ist der Plan seiner Messe,
die ihm im Kopf herumgeht, fertig. Seine kindliche Dankbarkeit, die
Anbetung des Unendlichen, das Gedenken an die Verblichenen, das
göttliche Allgefühl, alles will ausströmen als Gesang, als Jubel
der Seele. Das hat ihn der liebe Gott gelehrt, dem will er's wieder
zuwenden. Dem großen, geheimnisvollen, schöpferischen Etwas, das in und
um ihn ist. Ein ganz Großer hat es ihm zuvorgetan, dem er in Ehrfurcht
nachblickt; der herrliche, unsterbliche Mozart, dem der kleine,
ränkesüchtige Salieri so bitter zugesetzt hatte.

Mozart, das war ein Wegweiser zu dem ganz Großen in ihm, auf das er
horchen mußte. Mozart und dann ein anderer ganz Großer: Herr Ludwig
van Beethoven, dessen ehrwürdig finsterer Erscheinung er zuweilen auf
einsamen Wegen ansichtig wird. Alles weicht dem scheu aus -- so gehört
es sich, wenn ein Gewaltiger kommt.

Trotz aller Schulnöten ist die Messe in zwei Monaten fertig -- gleich
in Partitur geschrieben mit sämtlichen Chor- und Orchesterstimmen,
die Prim- und Sekundviolinen je dreifach, die Baßstimmen doppelt in
F-Dur komponiert -- so schön wie es nur einer kann, dem's der liebe
Gott eingibt. Gar herrlich soll das Werk am hundertsten Jahrestag der
Liechtentaler Kirche vom Chor herab erklingen.

Franz leitet die Aufführung, Herr Michael Holzer, der Regens chori,
sitzt an der Orgel, den Sopransolo singt eine Schöne vom Grund --
Therese Grob. In der Kirche unter der Menge, die Kopf an Kopf steht,
lauschen die Freunde Schuberts, die eine große Zahl Sinnesgenossen
mitgebracht haben. Spaun ist mit einigen Leuten erschienen, die vor
Begierde auf den jungen Meister brennen, den sie schon aus seinen
Liederkompositionen schätzen und lieben gelernt haben. Sie lieben
alle die Musik, der junge Maler Schwind, der Maler Kupelwieser, der
weltmännische Herr von Schober, der dem Priesterrock entsprungene,
verschlossene, von innerer Leidenschaft glühende Zensurbeamte und
Dichter Mayrhofer, von den Konviktsfreunden gar nicht zu reden.

Nun stehen sie in der Kirche und lauschen auf das Trommeln, Pauken und
Schmettern, das oben angeht, als ob sich der Himmel geöffnet hätte und
die Heerscharen zu musizieren anfingen.

Zuerst ein stammelndes Geplauder in Tönen, wie wenn ein Kind zum Vater
redet, zaghaft, dann unbekümmert, vertrauensselig, voll unschuldiger
Hingabe. Jetzt erhebt sich ein Sopransolo mit klangvoller Macht;
herrlich steigt die Stimme der Therese Grob aus wirbelnden Tonfluten
hervor, schlägt schmerzliche Laute, ein demütiges Bitten, die Geigen
flehen mit, der Chor tritt dazu, die Gefühlswoge steigt höher und
höher, immer wilder entfaltet sich die blühende Stimme, ringt sich über
alle Wirren himmelwärts, eine leidenschaftlich Liebende, die zum Herzen
schreit, zum unendlichen Gnadenherzen, um Erhörung zu erzwingen.

Niemand weiß, daß sie längst Erhörung gefunden hat bei dem
Meisterlein oben, der das Weltherz in sich fühlt und ganz gerührt
und hingerissen ist, nicht so sehr von dem eigenen Werk, als von der
einschmeichelnden Stimme der Therese Grob. Jetzt weiß er selbst zu
seinem seligen Schmerz, was eine menschliche Stimme bedeuten kann. Er
hat wahrscheinlich nicht geahnt, was das einfache braune Greislerkind
in der Stadt, die Fanny, um ihn heimlich gelitten hat; nun leidet er um
Therese, und ist glücklich, weil er so leidet. Er hat es nicht wissen
wollen während der Proben, daß es sein Inneres so mächtig ergreift,
aber schließlich gab es kein Vorbeidenken mehr, er ertappte seine
Gedanken und Gefühle immer wieder dabei, wie sie mitten im Arbeiten,
im Schulhalten, im Träumen, im Wachen und Schlafen auskniffen, und
erwischte sie immer wieder bei dem Bild seines Herzens, der Therese
Grob und ihrer schönen Stimme.

Nichts nützte es, daß er zählte von eins bis hundert, bis zweihundert,
bis fünfhundert, abends im Bett, um ohne müßige Träumerei
einschlafen zu können, half eben alles nichts gegen die beschämende
Selbsterkenntnis: er war verliebt. Kerl, dummer, närrischer, blöder,
verliebter! Möchte sich ohrfeigen, vor sich selber verkriechen,
beschimpft sich, verachtet sich, alles umsonst -- die eigenen
Koboldgedanken lachen ihn aus. Er kann dem Mädel gar nicht mehr ins
Gesicht sehen, ist unhöflich mit ihr, verschlossen, fast grob -- und
möchte zugleich in hilfloser Zärtlichkeit vor ihr vergehen.

Jetzt, wo er als Dirigent oben steht und die Stimme wieder niedersinkt,
demütig um Erbarmen bettelnd, fühlt er ganz klar, wie es um ihn steht;
er zittert, daß ihm beinahe der Taktstock entfällt. Die Geigen klagen
und irren ängstlich umher, ein Fortissimo setzt ein, der Chor tritt mit
verstärkter Macht auf, und die Stimme wirft sich verzweifelt empor --
und jetzt ist es, als ob sich der Gnadenschoß auftun würde, Engelschöre
schmettern aus allen Himmelstiefen die Verkündigung herab, die Stimme
der Seligen ertönt süß und heilig, die unendlich erlösende Liebe nimmt
die Flehende in ihr unendliches Reich auf.

Die Freunde drängen nach Schluß dem Choraufgang zu, aber Franz ist
bereits entschlüpft, einer, der aus dem Gnadenhimmel gestürzt ist und
keine Erhörung suchen und finden kann. Heimgerannt ist er, um sich
zu verstecken, in sein Zimmer hinauf, heiß und schmerzvoll, da fährt
er zurück, ein ungeschlachtes Ding steht da, bleckt ihn mit weißen
Zähnen an, ein ausgewachsenes, fünfoktaviges Klavier, ein Geschenk
des Herrn Vater zu dem Tag, wo der begnadete Sohn eine Berühmtheit
vom Himmelpfortgrund geworden ist. Ja, das ist er imstande, der
knickerische, tyrannische, rechnerische Hausvater, der jedem den Bissen
vorrechnet und dann wieder das Herz hat, im rechten Augenblick groß zu
sein.

Franz steht da wie ein armer Sünder. Ein fürstliches Geschenk! Daß der
Vater die Spendierhosen angehabt hat, schier wie ein Verschwender,
das rührt ihn fast zu Tränen. Er dankt mit ein paar trockenen Worten,
die widerwillig genug klingen. Ja, kann man denn alles sagen, was
man inwendig hat?! Lieber soll's einem zersprengen, als so kindische
Gerührtheiten! Er muß sich gleich wegwenden, damit man's nicht merkt,
was eigentlich in ihm vorgeht.

Aber da kommen schon die anderen angestiefelt, der Herr Regens chori,
der Herr Fabrikant Grob, mit ihm die Tochter Therese -- o Gott, da
verschlägt's ihm völlig die Red'.

Sie kommen alle gratulieren, der Herr Regens chori ist gar stolz,
weil er Schubert seinen einstigen Schüler nennen darf und ein Abglanz
des Ruhmes auf ihn, den alten Lehrer, fällt; der Herr Fabrikant Grob
aus der Liechtensteinstraße bittet den Herrn Vater Schulmeister und
namentlich den berühmten Sohn Franz um die Ehr' ihres Besuches, sie
hätten selber ein kleines Hausquartett -- es könnte sich natürlich
nicht messen mit einem solchen vollendeten Meister der Tonkunst,
wie der Herr Franz -- er möge halt gnädig ein Auge oder alle zwei
zudrücken, aber die Freude soll er ihnen nicht versagen, zu kommen,
und wenn die Bitte nicht gar zu verwegen ist, sie durch das Vorspielen
einiger Sachen zu erfreuen. In der Kirche sei alles hingerissen
gewesen, die Leute hätten geweint, und er selber ist dagesessen
wie mitten drin in der Seligkeit. So, und jetzt muß er ein wenig
verschnaufen.

Therese, schon ein wenig ungeduldig über des Vaters lange Rederei, sie
hat selber so viel zu sagen, verpaßt natürlich nicht den Einsatz und
legt nun los wie ein Sturzbach, daß dem armen Schubert gar wirr zu Kopf
wird. Von ihrem schrecklichen Lampenfieber erzählt sie, daß es ihr
die Kehle zugeschnürt hat und wie sie mehrmals auf ein Haar daneben
gesungen hätt' -- ob er denn gar nichts bemerkt hätt', der Herr von
Schubert?

»Hab' nichts bemerkt,« versetzte er hölzern, »ist ohnehin gegangen wie
aus einem Wasserröhrl!«

Wasserröhrl?! -- das kühlt auf einen Moment ab wie eine kalte Dusche.
Therese wird einen Augenblick blaß, Franz wird über und über rot, weil
er denkt, jetzt hat er was Dummes gesagt. Ja mein, Süßholzraspeln ist
halt nicht seine Sache. Das muß sie schon verstehen, daß er's gut
meint. »Ist ohnehin ganz gut gegangen,« fügt er hinzu und glaubt schon,
weiß Gott was für eine Riesenschmeichelei das jetzt wär'. Ist sehr
unsicher und beschließt insgeheim, lieber wenig oder gar nichts zu
sagen, bevor er wieder einen Schnitzer macht.

Das Mädel ist erpicht auf Komplimente, ein Bonbon, eine Schmeichelei,
sind ja so verwöhnt, die jungen Dinger, schaut ihn fast rührend und
bittend an, tut gar so schön zu ihm und laßt ihn nimmer aus, damit
nicht Vater Grob den Herrn Franz in Beschlag legt. Süß kann sie es wie
eine Turteltaube, redet mit holder Schwatzhaftigkeit vom Hundertsten
ins Tausendste, redet nicht nur mit dem Plappermäulchen, redet auch mit
den hurtig herumspringenden Äuglein, redet vor allem mit den Händen,
die jedes Wort ausführlich begleiten, weiß sich gar nicht zu halten vor
lauter Temperament -- Wiener Mädel vom Grund!

Er steht da, steif und unbeweglich wie ein Sack, strengt sich an,
möcht' was Gescheites sagen, fühlt sich ganz blöd, fällt ihm absolut
nichts ein. Ganz tramhapert ist ihm zumut, und zugleich ist er ganz
seltsam bewegt von dem lebhaften Mädchen, die aufgeschossen und schlank
vor ihm steht und sich wiegt wie eine blühende, weißgrüne Staude,
duftig und schneeweiß gekleidet mit vielen bauschigen Falben, hellgrün
besetzt, weißen Strümpfen und weit ausgeschnittenen Halbschuhen, die
mit kreuzweise um das Bein geflochtenen Bändern festgehalten sind. Die
Ärmeln sind weit und hoch geschoppt, das gibt ihr etwas Rundung, was
sie nötig hat, der Hals trägt im tiefen Brustausschnitt ein farbiges
Medaillon an einem schwarzen Samtband, sie scheint um einen Kopf
größer, vielleicht wegen der hoch aufgetürmten Frisur, die den Scheitel
mit einem Lockenbau krönt. Das Gesicht wäre hübsch zu nennen, wenn die
Nase nicht ein wenig zu lang geraten wäre.

Aber ihre Lebhaftigkeit verschönert sie, sie ist immer in Bewegung, das
verschleiert die Fehler. Er könnte sie nicht beschreiben, die zum Teil
recht unproportionierten Einzelheiten fallen ihm gar nicht auf, er hat
nur den Eindruck von etwas sehr Lieblichem als Gesamterscheinung, und
die Erinnerung ihrer Stimme im Ohr -- so erscheint sie ihm zauberschön.
Mit einem Wort: er ist weg, ganz weg! Während ihr das Mundwerk geht wie
ein Mühlenrad, denkt sie beiseite: daß er gar so ein Stockfisch ist und
nichts sagt als bloß Hm! Ja freilich! Natürlich! So so -- ja ja!

»Also Herr von Schubert,« versichert der Schäker beim Abschied, »eine
ganze Stunde haben wir verplaudert und lustig war's! Also nicht wahr,
Sie kommen ganz bestimmt zu uns -- es tät' den Vater halt soviel
freuen!«

Franz besann sich.

»Das muß ich mir erst überlegen -- wir werden schon sehen .... wissen
Sie, ich hab' halt so wenig Zeit!«

Das Herz schrie zwar: ja, ja, ich komme gleich, lieber heute als
morgen, aber die Angst, zudringlich zu erscheinen, legte ihm Worte in
den Mund, daß es fast wie eine Absage klang. Der Vater Schulmeister
mußte sich ins Mittel legen und an seiner Statt die Zusage geben.

Hinterher stieg's dem guten Franz zu Kopf, daß er sich so geziert
hatte. Sie wird doch wohl nicht gekränkt sein? Der Gedanke brachte ihn
beinahe zur Verzweiflung. Rannte hinaus in die Einsamkeit, zwischen
den Feldern die halbe Nacht umher. »Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß,
was ich leide ....« Lust und Schmerz wird Gesang. Ein Glück, daß er
schreiben kann. Musik, o Musik! Sprache der Seele, Sprache der Götter!
Sprache der Liebe!

Aber Worte müssen dabei sein, Worte! Ein Wort wenigstens. Ein süßes,
inniges. Lautet: Therese! Muß es wenigstens vor sich hinsagen können,
muß es hören. O Gott und die Qual, mit niemanden darüber reden zu
können. Mit den Rötzlingen in der Klasse? Ausgeschlossen! Mit den
Brüdern? Das ginge schon gar nicht! Man hat sich ja recht gern, aber
man schämt sich seiner Gefühle voreinander, unter Verwandten ist das
einmal so. Man läßt nicht gern in sein Inneres hineinschauen.

Bei dem Freund ist das was anderes, den hat man nötig -- als
Seelengefährten. Ein Glück, daß jetzt einer daherkommt, der
Erlösung bringt, sonst müßte man sein Geheimnis ja in ein Erdloch
hineinschreien, damit es nicht die Brust zersprenge. Holzapfl ist es,
der liebe Kamerad von der Schulbank her. Ein nettes Bürschlein, das
Gesicht kugelrund, etwas gschaftelhuberisch von Gebaren, wichtig und
eilig.

Schwärmt natürlich gleich von der Messe, haben alle so ungemein
bedauert, daß sie den Franz nicht haben sehen können. Hätten gern
eine kleine Nachfeier veranstaltet, scheint aber schon ordentlich
stolz geworden zu sein, der Franz, jetzt, wo ihn die Sonne des Ruhmes
bescheint ..... die Freunde lassen ihn natürlich alle schön grüßen,
schöne Grüße unbekannterweise auch von Schwind, von Herrn von Schober,
von Mayrhofer, von dem er übrigens ein Gedicht bringt. Der Spaun
hat's ihm gegeben, Franz möcht's durchsehen, ob's ihm gefällt, Herrn
Mayrhofer tät's riesig freuen, wenn es von einem solchen Künstler
vertont würde. »Am Erlafsee« heißt es ....

Franz nimmt das Gedicht, legt es wortlos hin, packt Holzapfl unterm
Arm: »Komm, ich muß hinaus an die Luft!« und draußen sind sie alle
zwei, in irgendeiner Erdfurche zwischen den Feldern und Hügeln, in
einem Weinbergshohlweg verschwunden.

Wovon reden sie? Von dem großen Ereignis natürlich, von der Messe.
Franz erklärt und erklärt und beweist ihm haarscharf, daß das Beste des
Gelingens ihr zu verdanken sei, ihr allein!

»Wem, ihr?«

»Nun ihr -- der Therese. Die Stimm', Freund, daß einem 's Herz in
der Brust zergeht! Wie soll ich dir's denn sagen .... mein, ich kann
dir's ja nicht sagen! Ich schäm' mich ja -- aber es muß doch 'raus! Du
-- lach' mich aber nicht aus! -- Du -- hörst mich?!« Er rüttelt den
Holzapfl bei den Schultern.

»Ich lach' dich bestimmt nicht aus!« schaut ihm der Holzapfl gerade ins
Gesicht und tut sehr ernsthaft.

Drückt ihn der Franz auf eine Grasböschung nieder.

»Setz' dich nieder, daß du nicht umfallst. Aber du, wenn'st mich
auslachst, dann, dann ...«

Der Holzapfl ist platzgespannt im Gesicht vor Erwartung und Neugier.
Die klugen Äuglein bohren sich fest und fragend in Franz, als wollten
sie bis auf den Grund des Herzens sehen; aufpassen tut er wie ein
Haftelmacher, daß ihm kein Wort entginge.

Franz packt ihn jetzt und hält ihn fest. »Du -- dir sag' ich's jetzt
und niemand auf der Welt! Schwör', daß es unter uns bleibt, schwör'!
Also -- verschwiegen wie das Grab! So, jetzt will ich dir's sagen --
weißt du, wenn ich jetzt könnt' -- sie und kein andere!«

Holzapfl springt auf, reißt sich los, schamrot im Gesicht, dem Weinen
nahe.

»Franz, du -- abtrünnig! Ein Frauenzimmer -- das hätt' ich nie geglaubt
von dir!«

Sie gehen eine Weile stumm und erregt nebeneinander, Franz begossen wie
ein Pudel. Geschieht mir schon recht, denkt er, wozu hab' ich's nötig
gehabt .....

»Ein Frauenzimmer -- zehn Schritte vom Leib!« beginnt Holzapfl zu
fiebern. »Da bist du schon verloren -- hat Samtpfoten, stecken aber
Teufelskrallen drin, lassen dich nimmer aus -- bist ihnen verfallen mit
Leib und Seele. Kommt mir keine an den Leib, eher -- ich weiß nicht,
was ich eher tät'! Fürchtest du dich denn gar nicht, Franz? Tu's nicht,
ich bitte dich, tu's nicht! Wir sind deine Freunderln -- sind wir nicht
genug?! Du uns im Stich lassen, hast nicht genug an uns?! Ich wär' zu
stolz an deiner Stell'. Was ein rechter Kerl ist wie du, der soll nicht
einmal hinschauen auf sie. Verachten tu' ich's, das ganze Weibergelump!«

So redet der mannesstolze Jüngling in seiner Ekstase der Keuschheit.
Franz ist jetzt wirklich beschämt, er empfindet ähnlich, er hat auch
seinen herben Jünglingsstolz, aber verachten, verachten kann er sie
just nicht, die Holdinnen, und nun gar Therese! Er verteidigt sich
und seine Liebe, so gut er kann. Aber es klingt etwas hohl wie eine
geschwollene Phrase. »Glücklich, der einen wahren Freund findet!« sagt
er. »Glücklicher, der in seinem Weib eine wahre Freundin findet!«

Der andere ist immer mehr aufgebracht.

»Freundin, sagst du? Gibt es nicht! Puppenköpfe! Steht ihnen nur der
Sinn nach Bändern und Kram. Tändeln, spielen Fangball mit dir. Ist mit
ihnen das Unglück in die Welt gekommen. Hätte glücklich gelebt, der
Adam im Paradies, wär' nicht die Schlange dagewesen mit dem Apfel. Wer
ist die Schlange? Das Sinnbild des Weibes ist es, ihrer Arglist und
Falschheit. Ich beschwöre dich, Franz, bei unserer Freundschaft, bei
deiner Kunst, bei allem, was dir heilig ist, laß ab, laß ab -- oder du
bist hin!«

So kämpft der Knabenstolz gegen etwas, das er nicht kennt, das er
fürchtet wie eine dunkle Nacht -- er würde sich nicht so wehren
dagegen, wenn er ihr nicht schon halb und halb verfallen wäre -- im
Unbewußten wenigstens.

Sie ringen miteinander mit harten Worten. Franz ist erbost. Er will
keine Hofmeisterei, er hat nichts getan, weswegen ihn der andere jetzt
maßregeln dürfte. Die Freiheit muß er haben, er selbst muß er sein
können -- ob so oder so. Nun bäumt er sich zum erstenmal bewußt auf
gegen den Freund.

»Laß mich in Ruh'!« braust er auf. »Du, geh -- dein Weg ist dort; ich
gehe hier, meinen Weg! Servus!«

Und läßt den Verdutzten stehen. Jeder wandert allein fort in Dunkelheit.

Sein Holzpuppengesicht ist knallrot, als er mit den Freunden in der
Stadt zusammentrifft. »Ein Abtrünniger ist er!« schreit Holzapfl
den Genossen entgegen. »Seine Freunde hat er vergessen, verraten
hat er sie, verlassen -- einer Circe ist er ins Netz gegangen, der
Ehrvergessene!« und erzählt mit fliegendem Atem alles, was er von
Franz gehört, und noch viel mehr dazu, was ihm die erhitzte Phantasie
eingibt, die in der Ausmalung verbotener Genüsse schwelgt.

Der romantisch angehauchte Schwind ist dabei, der trägt selbst an
heimlichem Liebesleid und träumt von einem adligen Fräulein, dem er
in stummer, ritterlicher Minne huldigt. Der kann bös und gefährlich
werden, wenn ihm einer an dem Idealen rührt. Fährt auch sofort dem
sauertöpfigen Holzapfl übers Maul und hält eine Verteidigungsrede auf
Franz, obschon er ihn noch nicht kennt.

»Jetzt gefällt er mir erst recht, weil ich weiß, daß er die Frauen
ehrt! Grüßt ihn von mir und sagt ihm, daß ich ihn im Geiste schon heute
Bruder nenne! Geh', saures Holzapflgesicht!«

»Wie schaut sie denn aus, die Erkorene?« will der stutzerhafte Herr
von Schober wissen, der im Gegensatz zu Schwind eine etwas lockere
Weltansicht über die Amourschaften hat.

Holzapfl ist gereizt wegen Schwind und tut auf eigene Faust wissend.
»Eine Vogelscheuchen ist sie, schielt, hat zwei linke Füß', stoßt
mit der Zunge an, und ist dumm wie ein Stock -- aber sonst fehlt ihr
nichts!«

»Hast du sie gesehen?«

»Nein -- gesehen nicht -- aber gehört! War doch die, die am Chor
gesungen hat!«

Jetzt aber hat der essigsaure Holzapfl auch bei den anderen ausgespielt.

»Der Stimme nach muß sie schön sein wie eine Helena!« versicherte der
kennerhafte Herr von Schober, der sich in Schönheitsurteilen auf den
jungen Paris hinausspielt.

Ganz zuletzt läßt sich der ernsthafte Spaun vernehmen: wie dem auch
sei, es scheint doch etwas Bedenkliches daran zu sein, man müsse sich
doch umsehen, um den lieben Franz aus einer womöglich gefährlichen
Umschlingung zu befreien; es sei nicht gut für ihn, draußen in der
Vorstadt unter kleinen Leuten zu hausen, der Künstler müsse seine
innere Freiheit bewahren, man sollte ihm häufiger bei einem Glas Punsch
im engen Freundeskreis das Gemüt erheitern. Es wird beschlossen, daß
Spaun den Wildling aufsuchen und bewegen soll, öfters in der heiteren
Tafelrunde zu erscheinen.

Im flaschengrünen Schulmeisterfrack mit großen Knöpfen, hoher
Halsbinde, daß kaum das Kinn herausguckt, frisch gebügelter
Nankinghose, derben Halbschuhen mit Schnallen, Notenrollen unterm Arm,
so betritt der Schulgehilfe und Meisterkompositeur Franz Schubert den
Salon im Hause Grob. Eine Menge Leute sind da, junges Gfliederwerk
mit Kichern und Lachen, junge, geckige Herren, Fabrikantenssöhnerln,
Therese mitten unter ihnen, dann auch behäbige, gesetzte Leute vom
Schlag des Ehepaares Grob -- musikalischer Abend.

Des Vater Schulmeisters Hausquartett hat ebenfalls allmählich einen
größeren Kreis angezogen, es mußte außer Haus verlegt werden und
fand bald bei dem einen oder anderen Musikfreund oder Gönner des
jungen Schubert statt, eine Zeitlang in der Dorotheergasse, dann im
Gundlhof, zuletzt am Bauernmarkt bei Anton Pettenkofen, dem Vater des
berühmten Malers. Es waren schon förmliche Konzerte, die immer mehr
Zuhörer anzogen, besonders solche, die Schuberts eigene Kompositionen
hören wollten -- sie hätten sich, wenn es damals üblich gewesen wäre,
Schubertverein nennen können.

Der Abend bei Grob war eine neue Sache, der Anfang jener ungezählten
Schubertiaden in Wiener Bürgerhäusern, die so viel von sich reden
machten.

Franz, in dem neuen Kreis Menschen ziemlich befangen, machte linkische
Verbeugungen nach allen Seiten -- elegant sah er ja nicht aus, das
war nicht seine Sache -- aber die Herzen wendeten sich ihm sofort zu,
besonders die weiblichen; von der ersten Minute an war er Hahn im
Korb. Therese tat gar liebreich mit ihm, die Noten hatte er für sie
gebracht, Neuschöpfungen für ihre Stimme geschrieben, eine Huldigung
seitens des Genius, die mehr sagte als alle Worte, aber kaum, daß er
das musikalische Angebinde darzubieten sich getraute.

Er drückte ihr die Notenrollen in die Hand und bat, sie soll's
einstweilen beiseite legen, und später einmal vielleicht einen Blick
hineinwerfen, es ist keine so eilige Sache. Sie legte denn auch das
Geschriebene in unbegreiflicher Achtlosigkeit beiseite, wie er es
gewünscht, was ihm jetzt aber auch wieder nicht recht war.

Er machte sich gleich am Klavier zu schaffen, und es dauerte nicht
lange, so hatten sich die Musikfreunde herum gruppiert; das Brodeln und
Fiedeln konnte angehen.

Therese saß im Halbkreis gegen den dunklen Hintergrund des Zimmers
inmitten von jungen Männern, wohlig zurückgelehnt, träumerisch, daß es
scheinen mochte, als wäre sie von der Musik ganz berauscht. Franz, der
das Klavier bearbeitete, sah durch seine Brille ab und zu einmal hin,
wenn eine kleine Pause für ihn kam. Aber was war das! Täuschten seine
Gläser ein Trugbild vor? Sah er Phantome?

Er mußte noch einmal schärfer hinsehen. Beinahe hätte er den Einsatz
verpaßt und das ganze Orchester umgeschmissen. Richtig, das war kein
Blendwerk! Sie saß dort im Kreise der jungen Männer und einer dieser
Pomadenhengste hatte verstohlen den Arm um ihre Mitte geschlungen, und
sie, sie ließ es ruhig geschehen .... ja noch mehr, sie lehnte sich an
seine Schulter, während sie sich unbeobachtet wähnte, und verdrehte
wollüstig die Augen, daß er selbst beschämt und betroffen seinen Blick
senken mußte.

Das war also keine Täuschung; eine heimliche Liebesszene spielte sich
dort im Halbdämmer des Zimmers ab. Sie, die Heilige seines Herzens, in
den Armen eines anderen! Er schlug sein Fortissimo ins Klavier hinein,
daß die Saiten hätten springen mögen, stärker schrien sie nicht auf als
die zersprungenen Saiten seines Herzens. Ja -- was war er denn jetzt
noch, den die Weibsleute liebten und hätschelten?! Ein bloßer Wurstel
-- es war zum Weinen -- Holzapfl, du hast recht gehabt!

Es war ihm wohl dabei wie einem, der Zahnweh hat und schmerzstillende
Mittel versucht. Augenblicklich wirkte es ja als angenehme Betäubung,
er fühlte zwar das Toben inwendig, freute sich aber seiner
augenblicklichen Empfindungslosigkeit, war sogar guter Dinge den ganzen
Abend lang -- aber nachher, nachher kam's um so schlimmer.

»Die Liebe hat gelogen --« Er wühlt sein eigenes Wehgefühl in Platens
Gedicht und spinnt die Melodie heraus, die seinem verwundeten Herzen
recht war. Drum ist soviel Leben daran, weil alles, was er schafft, mit
seinem Leben zu tun hat und aus diesen Wurzeln sprießt.

Mit einem Male war's ihm zu eng daheim. Die Schule, das Vaterhaus,
alles dünkte ihn freudlos und unersprießlich. Seine Sehnsucht irrte
wieder ins Uferlose, er kleidete sie in Lieder und sang wie ein Vogel
in der Gefangenschaft. Das Glück, wo blieb das Glück?! Das lag draußen
irgendwo, fern, im Unbestimmten. Ein Schluck Freiheit, das wäre auch
zugleich ein Schluck Glück!

In Laibach ist die Stelle eines Musiklehrers in einer öffentlichen
Musikschule zu besetzen; Bewerber werden gesucht, so meldete die
amtliche Wiener Zeitung. Dem guten Franz scheint es wie die Grußhand
der Ferne, die ihm winkt. Ist das die Freiheit? Einerlei, es ist
einmal etwas anderes, eine Abwechslung in dem ertötenden Gleichmaß.
Was ist denn Freiheit? Das Recht, sich von einer Abhängigkeit in die
andere begeben zu dürfen. Gut also, von diesem Recht, das mindeste, was
der gefesselte Mensch hat, will er Gebrauch machen. Er will sein Glück
in der weiten Welt versuchen und bewirbt sich. Braucht der Herr Vater
derweil nicht wissen.

Der gute Vater Schulmeister hatte aber schon seinen eigenen Plan
gehabt. Der ist klug und vorsorgend und sieht ein, daß der Franz
höher muß. Auf eigene Faust wirbt er für den Sohn um die erledigte
Lehrerstelle an der Schottenschule. Der Schottenprälat ist sein Gönner,
etwas Protektion braucht man immer, und wer es verdient, warum sollte
der nicht Protektion haben? Doch er am meisten!

Aber so geht's in der Welt, wer's verdient, bekommt's erst recht
nicht, denn gewöhnlich haben die, die's nicht verdienen, die bessere
Protektion, und das entscheidet. Kurz, das Gesuch des Vaters
Schulmeister für seinen Sohn wird abschlägig beschieden. Franzl, du
hast frühes Pech!

Der Franzl ist fast froh darüber, denn er möchte weit, weit weg. Freut
sich heimlich auf den Weizen, der ihm in Laibach blühen soll. Um den
Schnitt zu machen, bedarf es wohl einer ausgiebigen Empfehlung, und der
Mächtigste, der dort die Entscheidung zu bestimmen vermag, wäre der
Herr Hofkapellmeister Antonio Salieri.

Die Umstände sind glücklich gefügt; die F-Dur-Messe wird in der
Augustinerkirche wiederholt. Wie früher Herr Michael Holzer, ist jetzt
Antonio Salieri stolz auf diesen Schüler und nimmt den Löwenanteil
seines Erfolges auf sich. Er umarmt Schubert nach der Aufführung:
»Franz, du bist mein Schüler, der mir noch viele Ehre machen wird!«

Eine Empfehlung Salieris würde in Laibach die erwünschte Wirkung tun;
jetzt kann er sie verlangen. Gesagt, getan! Salieri schreibt: »+Io
qui Sottoscritto affermo+ ....« Klingt zwar ziemlich kühl, das
Empfehlungsschreiben, aber Salieri braucht nur mit dem kleinen Finger
zu winken, man versteht schon .... genügt also!

Diesmal nach der Aufführung in der Augustinerkirche ist Franz den
Freunden nicht entschlüpft, es hat ja auch keine Therese am Chor
gesungen.

Franz hat ein Notenblatt in der Tasche, das ist für Mayrhofer bestimmt,
die musikalische Begleitung für das Gedicht »Am Erlafsee«. Von
Spaun an der Hand geführt, betritt er mit dem Freund ein niedriges,
langgestrecktes Zimmer in der Wipplingerstraße, das sich halbdunkel wie
ein Schlauch hinzieht und in einer kreisrunden Erweiterung endet, die
durch viele Fenster einströmendes Licht empfängt.

Stimmungsvoll ist es in dem Raum, dessen weiße Decke vom Tabaksqualm
gebräunt ist wie eine gut angerauchte Meerschaumpfeife. Blumen stehen
am Fenster, ein Kanarienvogel singt, Tabakspfeifen stehen am Ständer
in Reih' und Glied, Bücherschränke an den Wänden, in der Mitte des
erweiterten Raumes ein kreisrunder Tisch, gepolsterte Lehnstühle herum,
denen allerdings hie und da die Roßhaarfüllung aus dem abgenützten
Leder hervorguckt, im ganzen aber hat die Behausung den freundlichen
behäbigen Anstrich wie die Wohn- und Studierstube eines alten
Pfarrhauses.

Mayrhofer, der im Schlafrock, die Pfeife im Mund, bei einem
aufgeschlagenen Buch sitzt, begrüßt die Ankömmlinge in seiner etwas
bäurisch priesterlichen Art, die ihm noch vom geistlichen Stift her
geblieben ist, handfest und herzlich ungeniert, aber mit einem Rest von
überlegener Würde; sieht auch so seelsorgerisch aus, zugeknöpft bis
oben, als ob er im Talar dastände.

Ein altes Spinett in der Ecke wird aufgeschlagen, die liebliche Musik,
die Franz zu dem Gedicht geschrieben hat, erklingt. Mayrhofer verliert
fast seine sonst zur Schau getragene gemessene Beherrschung, so
entzückt ist er, und macht in gutmütig scheltender Weise dem stillen
Spaun den Vorwurf, daß er ihm Schuberts Schöpfungen nicht hoch genug
gerühmt habe. Franz selber sagt nicht viel, er schaut sich nur den
Mayrhofer an, der wiederum schaut ihn an, und beide sind von diesem
Augenblick an in dicker Freundschaft verbunden gewesen. Hat nicht
vieler Worte bedurft.

Fast so geht's mit Schwind und mit Schober, als der ganze Kreis abends
mit Schubert beim Wein sitzt. Sie haben ihn alle geliebt, die Freunde,
vom ersten Augenblick an. Das ist ein Trost, der für manches Leid
entschädigt. Ja, das ist mehr, das ist ein Glück, es ist eine Kraft!
Franz hat das beruhigende Gefühl: in diesem Zirkel bist du beschützt,
hier kann dich kein Übel anwehen, die feindliche Macht wird an diesem
Bollwerk zuschanden werden!

Da war's dem Franz auf einmal hell und weit in der Brust. Und er
erkannte: hier ist deine Heimat, wo deine Getreuen sind. Sie saßen mit
freudigen Gesichtern um ihn herum und feierten seinen jungen Genius.
Durch den goldgelben Wein, mit dem sie ihm zutranken, blickten sie
ihn an; stand keiner so hoch wie er und waren ihm doch alle gleich,
wenigstens durch das Genie der Freundschaft.

Und wie verstanden sie es, dieses Genie der Freundschaft zu betätigen!
Sammelten sorgfältig alles Geschriebene von ihm, dessen sie habhaft
werden konnten, und trugen die Freude darüber in alle Welt, als
Verkünder des jetzigen Meisterleins. Aber der treueste Johannes war
der sanfte Spaun. Hat einen blühenden Strauß von Melodien, die Franz
um Goethes Lieder gewoben, an Seine Exzellenz nach Weimar geschickt
mit einem längeren, devoten Schreiben dazu. Der Künstler wünsche diese
Sammlung Seiner Exzellenz in Untertänigkeit weihen zu dürfen .... Ich,
einer seiner Freunde, wage es, Euer Exzellenz in seinem Namen darum zu
bitten; für eine dieser Gnade würdige Ausgabe würde gesorgt werden usw.
usw.

Die Anerkennung Goethes, die Annahme der Widmung soll den
Schöpfungen den Weg in die Öffentlichkeit erleichtern und ihnen den
buchhändlerischen Erfolg sichern -- aber Goethe gibt keine Antwort. So
schwer hat es der werdende Genius bei den Zeitgenossen, den großen und
den kleinen! Zeitgenosse, das Wort wird bald einen bösen Klang haben!

»Macht nichts,« tröstet Spaun, »muß auch so gehen. Und wenn du sie
eingräbst, deine Werke, so werden sie von selber herauswachsen, so
stark ist die Kraft darin. Lauheit, Teilnahmslosigkeit, ja, selbst
Widersacherei werden am Schluß Spott und Schande haben!«

»Liegt nichts dran,« nickt Franz, »muß auch so gehen.«

Hebt Schwind sein Glas, trinkt Franz zu, bedeutsam: »Auf unsere Lieben!«

Die anderen verstehen gleich, wo er hinaus will. Aha, denkt der
Schober, daher geht der Wind und ist alsbald in seinem Fahrwasser; er
hat ja eine so großartige Suada, daß Franz nur so aufhorcht. Und so
sind sie gleich mitten drin in der Debatte um Frauenzimmer, um Liebe
und Ehe. Gehen's gleich gründlich an, die Neunmalgescheiten!

Da auf einmal läßt sich Franz vernehmen, wettert gar schrecklich gegen
das schöne Geschlecht, tut sich wirklich als grimmiger Weiberverächter
auf und hat's besonders scharf gegen die Ehe, die er als etwas
Schreckliches für den freien Mann schildert, der Herr Naseweis. Alle
horchen verwundert auf und schauen jetzt auf den Holzapfl, der dasitzt
wie ein Lügner. Kann doch kein wahres Wort dran sein an allem, was er
über den ahnungslosen Franz geschwatzt hat! Holzapfl, Holzapfl!

Der schaut ganz dumm drein! Entweder lügt Franz jetzt, oder er hat
früher gelogen -- Holzapfl kennt sich nicht aus.

»Da sieht man wieder,« ergreift Spaun das Wort, »wie unser Schubert
gesund ist, gesund im innersten Kern -- und wie dagegen der Holzapfl
krank ist, krank und wurmstichig!«

Der springt auf und protestiert lebhaft, daß er krank sein soll. Er
sei sein Leben nicht einen Tag krank gewesen, er fühle sich so gesund
wie nur je einer.

»Ja, aber,« läßt sich Schwind vernehmen, »du leidest eben an
ausschweifender Phantasie, du wurmstichiger Holzapfl, du!«

Darüber ist großes Gelächter, daß der trockene Holzapfl an einer
ausschweifenden Phantasie leiden soll, und so bleibt es unter der
freundlichen Stimmung des Abends verborgen, daß Holzapfl so wenig
reinen Mund halten konnte, ja, daß er Schubert eigentlich ein wenig
angeschwärzt hatte. Und wird zur Wiedervergeltung von den anderen als
räudiges Schaf behandelt.

Das Verhältnis zu Salieri nimmt eine Wendung, als der Italiener einige
der nächsten geistlichen Kompositionen Schuberts zu Gehör bekommt. Hat
der Schüler alle Ermahnungen, sich italienische Meister zum Vorbild zu
nehmen, in den Wind geschlagen? Die B-Messe zeigt es sehr deutlich. Die
war unverkennbar einem Boden entsprossen, den so Mächtige wie Beethoven
und vor ihm Mozart und früher Haydn gepflügt und ertragreich gemacht
haben. Der Italiener hatte eine feine Witterung: Was Schubert machte,
war nicht fremdes Gewächs, künstlich in heimische Erde verpflanzt,
das war Ureigenes, an deutschen Meistern Erstarktes, vor allem
aber Selbstempfundenes: deutsches Gemüt war darin und außerdem das
Köstlichste: Heimatsgefühl.

Jetzt begann ein Nörgeln und Tadeln, dies und jenes war nicht recht,
der gepriesene Schüler hatte zu gehorchen und nach Salieris Pfeife zu
tanzen, sonst waren die Gnaden verscherzt. Es wäre ja klug gewesen, den
Mantel nach dem Wind zu hängen, und jeder Streber hätte zum Schein
wenigstens so getan, um die Gunst des Fürsprechers zu erhalten; aber
die Heuchelei war dem guten Franz nicht gegeben. Er stand schon zu fest
auf eigenen Füßen im Gefühl seiner Meisterschaft und durfte lächelnd
den unduldsamen Zuchtmeister über die Achsel ansehen.

Er ließ sich eine Weile gutmütig die Kritik gefallen, verlor dann die
Geduld und erklärte, jeder müsse als fertiger Künstler auf seine innere
Stimme horchen, nicht auf das Gerede von außen -- mit dieser Absage an
Salieri war auch der Bruch vollzogen.

Er bekam's bald zu fühlen, der Franz; aus Laibach kam endlich der
Bescheid, daß die Stelle schon vergeben sei, ein vorgeschobener
Günstling Salieris hatte sie unter der Hand bekommen. Der Traum von
Ferne, Welt und Freiheit war vorderhand zerronnen -- armer Franz; er
hatte wirklich Pech in solchen Dingen von allem Anfang an. Oder war es
Glück? War ihm ein anderer Weg vorgezeichnet, der ihn seiner Bestimmung
näher führte?

Wer vermag's zu sagen?!

Wohin nun, da alle Auswege verrammelt schienen? Die Freunde in der
Stadt, die waren ein Stück Freiheit, die Zuflucht. Aber von diesen war
er getrennt durch lästige und drückend empfundene Alltagspflichten
im Schulhaus. Die Freiheit, das war die unbekannte Menschheit, die
schon auf ihn aufmerksam zu werden begann. Aber kein Weg und kein Steg
führte in dieses gesuchte Land. Recht klein und elend kam er sich vor
als armer Schulgehilfe vom Himmelpfortgrund. Still war er, wenig froh,
die Sonne erschien ihm kalt, die Blüten welkt, das Leben alt, leerer
Schall, was sie daheim redeten, ein Fremdling, er, im gewohnten Kreis.

Und das gesuchte Land, das geahnte, nie gekannte, das hoffnungsgrüne,
wo seine Freunde gingen, wo und immer wo? Im Reich der Dichtung fand er
verwandte Stimmungen und Schicksale; er ergriff sie als Selbsterlebtes
und Selbsterlittenes und gab zu den tief empfundenen Versen, die er
sich erwählt hatte, gleich sein eigenes singendes Herz dazu.

Was ihm die größte Last war, seine kleinen ungeschneuzten Schulbuben,
denen hinten das weiße Tüchel heraushing, das war nicht selten genug
auch sein Trost. Die ließen sich gern erzählen, wenn ihm das Herz voll
war, und saßen still und aufmerksam und sahen so verzückt drein, daß
sie den verschmierten Engelsköpfen glichen, die auf goldenen Flügeln in
der Kirchenempore schwebten, wo er selbst einst singend oben gesessen
hatte. Er erzählte gern den Buben von den großen Meistern, die er
verehrte. Und die Buben liebten ihn, weil er so zu ihnen redete, als ob
sie erwachsen und seinesgleichen wären, die ihn verstehen mußten. Sie
verstanden ihn vielleicht auch, auf ihre Weise.

»Einer lebte hier, dessen Genius Licht über den ganzen Erdball
verbreitet hat,« so predigte er in einer gesegneten Stunde der
Kinderschar. »War auch ein Österreicher, wie ich und wie du und du
und wir alle hier zusammen. Hatte den schönen Namen Mozart, den ihr
mir nimmer vergessen dürft, denkt an ihn, wenn ihr am Sonntag in der
Kirche die große Messe hört. Vergeßt nicht, daß er himmlische Klänge
ins Leben gebracht hat, die in der Welt nicht mehr vergehen können.
Das war aber kein armer Schulgehilfe, wie ich, sondern ein gefeierter
Meister. Konnte nicht abends vorlieb nehmen mit einem Stückel Brot
und ein paar Äpfeln dazu, und mit den Hennen schlafen gehen, sondern
gab ein festliches Gastmahl, mit Kerzen in silbernen Leuchtern,
seltenen Blumen und Früchten, schäumenden Bechern, lud die Menschheit
zu sich ein und kredenzte ihr den perlenden Trank seines Herzens.
Verschenkte sich so allen und der ganzen Welt, berauschte sich an der
emporziehenden Sternenpracht vor den geöffneten Türen des Balkons,
rief die unendlichen Mächte, zog sie in seinen Bann, bis die Steine
unten am Marktplatz zu leben anfingen und der tote Gast schwerfällig
vom Monument heraufstieg und, o Schreck, plötzlich im Saal stand, die
blaue Nacht mit ihren Sternen als Hintergrund des steinernen Mannes.
Zuerst ein Adagio D-Moll, nur einige Takte, dann regnen schon eisige
Posaunenklänge durch das nächtliche Blau, die Sterne tropfen, die Töne
gellen auf wie ein silberner Hagel im kristallenen Becken, alle Schauer
des Himmels und der Hölle umwehen ihn. Furchtbar schmettert der Geist
den Choral: ›Dein Lachen endet vor der Morgenröte!‹ Die Furcht befällt
ihn -- doch ist es bloß die Angst, er könnte nicht vollenden, was er
so herrlich begonnen. Wenn ihn diese Nacht der Tod anfiele, und er das
Werk bis zu diesem Punkte lassen müßte, er könnte die ewige Ruhe nicht
finden. ›Wohlan, toter Gast, stoß' an!‹ und gießt seine Feuerseele in
ein letztes Glas. Hat die Menschheit alle Schauer der Unendlichkeit
getrunken an seinem Gastmahl, hat in den Finsternissen des Lebens den
Himmelsschein der Ewigkeit verspürt, o Mozart, unsterblicher Mozart!«

Da war es in diesem Augenblick, als ob wirklich der steinerne Gast in
der Tür stand, so fuhr der Schreck dem begeisterten Schulgehilfen in
die Glieder. Der gestrenge Herr Vater war's, der schon die längste Zeit
hinter der Tür gehorcht hatte, was denn der Franz nur anstelle, daß es
so mäuschenstill in der Klasse wäre. Und hat den Franz mit feurigen
Zungen reden gehört. Stand jetzt stumm und drohend in der Tür, und es
war wirklich so, als ob alle Schauer der Verdammnis den guten Franz
umwehen sollten. War auch schon die Welt entzaubert, die Engelsköpfe,
die in Reihen Bank für Bank verzückt gelauscht hatten, sie waren jetzt
wieder Schmutzfinken geworden. Die selige Stunde war verströmt, die
Welt lag wieder Grau in Grau.

Nachher ging der Tanz los. Was er denn für ein unsinniges Zeug den
Jungen vorschwatze, wo keiner noch rechtschaffen lesen, schreiben und
rechnen kann?! Heißt man das nicht Zeit vergeuden? Und den Buben die
Köpfe verdrehen? Daß sie erst recht untauglich werden zu dem Bißchen,
was sie fürs Leben brauchen! Hol' doch der Kuckuck diese Extravaganzen,
hat ein ordentlicher Schullehrer auf den Lehrplan zu schauen oder soll
sich zum Teufel scheren!

Das läßt sich Franz nicht zweimal sagen.

»Herr Vater, ich bin nichts für einen Schullehrer. Lasen Sie mich
gehen!«

Jetzt ist die Reihe an dem Vater, der Verdutzte zu sein. Er zieht
sofort andere Saiten auf in der Meinung, er hätte den Jungen zu hart
angelassen. Also:

»Was sind das jetzt für Sachen?! Von was willst denn leben, ha? Ein
Geschäft muß der Mensch haben; sei froh, daß du in der Schul' sein
darfst!«

Franz schüttelt abwehrend den Kopf.

»Nein, nein, Herr Vater, damit geht's nimmer. Mich müßt' eigentlich der
Staat erhalten. Ich bin eben für nichts anderes als fürs Komponieren!«

Dem Vater reißt die Geduld.

»Der Staat soll dich erhalten, meinst?« höhnt er. »Du bist mir ein
sauberer Patron! Möchtst wohl den ganzen Tag spazieren gehen und dich
zahlen lassen dafür, pfui Teufel! Hast etwa keine Zeit zum Komponieren
nach der Schul'? Hast du's bisher gekonnt, wirst es weiter auch können,
verstanden?«

Aber der Stein ist bereits im Rollen, da gibt es kein Aufhalten mehr.

»Sind's mir nicht bös, Herr Vater, aber keinen Schritt mach' ich mehr
ins Schulzimmer. Ich kann nicht mehr -- ich kann's einfach nicht!«

Er will's in Freiheit versuchen, auf eigene Faust. Und pocht auf die
hundert Gulden, sein erstes verdientes Geld, das er kürzlich von einem
Gönner für eine Kantate erhalten hat. Er wird sich schon durchbeißen.
Haben's andere gekonnt, warum sollte nicht auch er?! Und wenn's nicht
anders ist, lieber den Bettelstab, aber die Freiheit, das hohe,
ersehnte Gut, die Lebensluft, die sein Genius braucht, die Freiheit
also, die kann er nicht länger opfern.

Da wird der Alte fuchsteufelswild, die angeborene bäurische Abneigung
gegen die Freizügigen bricht in harten Worten hervor. Sein Junge, ein
verlorener Sohn, ein herumziehender Musikant ohne festen Halt im Leben,
ohne Besitz, ohne Amt -- er hat noch vom Dorf her die Verachtung für
solche wurzellockere Existenzen -- das alles will nicht in seinen
kreuzbraven, eigensinnigen, grauen Schädel. Daß der Franz sein Amt vom
lieben Gott hat, weiß er wohl, aber um leben zu können, muß man sein
Amt von den Menschen bekommen.

»Es leid't mich nimmer zu Haus, Vater, ich muß einmal fort, sonst geh'
ich zugrund'!«

Da wird der Vater rauh: »Sollst nicht zugrund' gehen zu Haus, wenn'st
lieber in der Fremde zugrund' gehen willst! Dann geh' halt -- geh' aber
gleich, geh'!«

Der Vater wendet sich ab; der teuerste Sohn hat ihn ins Herz getroffen,
man soll nicht sehen, wie weh ihm ist; aber jetzt ist er fertig mit
ihm. Der Bruch ist geschehen.

Franz geht. Das Vaterhaus ist zu eng geworden. Er braucht Luft,
Freiheit, er will wachsen, in die Welt hinein wachsen. Leben, o Leben!




                                 III.


Wandert der Jüngling stadtwärts, den Weg, den er als Knäblein an des
Vaters Seite gegangen war. Muß daran denken, und will ihn die Rührung
fast übermannen. Ist aber bald wieder frohen und leichten Herzens, geht
es doch der heißersehnten Freiheit entgegen! --

Freiheit! Den Zauberklang des Wortes kann nur der erfassen, der
drückendem Zwang entgangen ist. Alles dunkel Geahnte, innig Ersehnte
ist in diesem Wort wie in einem rosafarbenen Nebel eingeschlossen,
Welt, Schaffen, das bißchen Ruhm, alles, was das Leben ausmacht. An
die Freuden denkt man, nicht an die Leiden, mit denen der Pfad ins
Ungewisse belagert ist. Durch! Der Genius muß durch -- ein blaues
Himmelsziel vor sich, sein Weg.

Wien, einziges, liebes Wien! Wie ein Blumentopf steht es auf grünem
Rasen mit seinen Gärten über den Stadtmauern und dem kunstvoll
gemeißelten Himmelsstab in seiner Mitte, dem alten Steffel! In der
Mitte vom Glacis in der Richtung zum Schottentor heben sich ein paar
Hüte grüßend in die Luft, die Leute treten scheu zur Seite vor einem
kleinen, stämmigen Mann, der den alten Zylinder tief in das runenhafte
Gesicht gedrückt hat und daherstürmt in wogenden Gedanken, und weder
hört noch sieht.

Ausweichen, ausweichen! Seiner Eingebung folgend, sprang Franz behend
auf die andere Seite des Gehweges und reißt sofort seinen Hut bis zur
Erde. Ein verlorener Blick aus dem weltfernen Titanenantlitz streift
ihn und macht sein Herz fast stillstehen vor Ehrfurcht und Freude.

Ein gutes Zeichen, ein gutes Vorzeichen! wollte bebend die innere
Stimme wissen, die es als glückbringend deutete, daß Franz bei seinem
ersten erfolgreichen Schritt dem Gewaltigsten begegnet hatte, den er
neben dem Göttlichsten als meisterliches Vorbild anbetete: Herrn Ludwig
van Beethoven. Der war kein göttlicher Gastgeber alten seigneuralen
Stils in schwarzseidenen Hosen, seidenen Strümpfen, Schuhen mit
vergoldeten Schnallen, blauseidener Weste und goldgesticktem braunem
Überrock, wie der himmlische Meister Wolfgang Amadeus, sondern der
war mit seinem verwühlten Haupt, seinem unordentlich zugeknöpften
schlichten Rock ein leidenschaftlicher Himmelstürmer und Götterstürzer,
einer, der um das Menschsein wußte, um das Furchtbarste und
Erhabenste, um alle Erdenpein und Größe, um alle Verlassenheit und
Selbstgottherrlichkeit -- ein Offenbarer, ein Verkünder, ein Tragiker!
Der trug die Krone der Freiheit, von der der Jüngling nicht wissen
konnte, daß es eine Dornenkrone ist.

Was stehst du nun, junges Meisterlein, und starrst ihm nach mit einem
visionären Blick, als ob du eine Erscheinung gehabt hättest?!

E -- fis -- g -- h -- ais! klang es plötzlich auf in der Brust. Franz
konnte das Tiefste, das er empfand, nicht anders denken, als in Noten.
Ein Ton, der sich wie eine Erleuchtung einstellte, bang und fragend wie
ein schüchternes Pochen am Tor des Unendlichen.

E -- fis -- g -- h -- ais -- -- Der tragische Akkord wollte sich
nicht mehr abweisen lassen. Er klang als Grundton immer durch auch
in den heitersten Momenten und da am stärksten; er war nun einmal in
der Welt und hatte seinen eigenen Sinn wie eine Mahnung, die dann am
furchtbarsten war, wenn sie nach Zeiten des Vergessens plötzlich wieder
die Seele mit allen Bangnissen zum Aufschauern brachte.

Eine helle Empfindung gewann Oberhand; sie jubelte als lebensfrohe
Melodie über den dunklen Schauern.

Franz war gedankenvoll durchs Schottentor gekommen, auf der Freiung
stand er aufatmend still. Die schönen Adelspaläste, die Baumkronen
über den geheimnisvollen Mauern, umschlossene Gärten mitten in der
Stadt! Die Schottenkirche, alle Pracht ergriff ihn, als ob er sie zum
erstenmal sehen würde.

»Was möchten's denn, gnä' Herr?!« fleanschte ihn eine schwammige
Öbstlerin gutmütig an. Eilig rannte er weiter aus dem Marktgewühl, am
tiefen Graben vorbei, wo der Alserbach ging, der klaräugig blickende,
gleich einem zwischen Weinbergen und Wiesenrainen spielenden hurtigen
Knaben, den es nach der Stadt drängte -- was war er dort geworden? Eine
schmutzige üble Gosse, die sich scheu in dunklen Gewölben verkroch --
wie ein Schrei klang es schmerzlich auf in der Brust: e -- fis -- g --
h -- ais!

Und nun bergan zum Hof, wo der gelbe Stellwagen von der Grinzinger
Allee hereinholperte, staubig, von müden, mageren Rossen gezogen, ein
Gruß vom Land herein, von Wein und Heurigenmusik; hoch aufgepackt als
heitere Fracht alle städtische Sehnsucht nach dem Grünen!

Mein Gott, diese Blumen am Hof, ein ganzer Markt, wie schön! Ja, ja,
die Stadt braucht Blumen, man kann nicht genug haben in den Mauern;
wenn man draußen lebt, ahnt man gar nicht, wie notwendig sie sind, und
daß es soviel auf einem Platz geben kann, und der Duft!

Mit all diesen müßigen Gedanken und verzücktem Umherschauen vergeht die
Zeit, die Uhr unter den Atlanten mit der Weltkugel am Hof zeigt bald
Zwölf, also weiter, weiter durch die enge Bognergasse zum Graben hinaus.

Herrgott, ist da wieder eine Pracht, diese Frauenzimmer, nein, nicht
zum sagen! Mudlsauber -- eine schöner wie die andere! Wird einem ganz
wurlert! Und die lieben Gesichterln -- wie sie lachen und umschauen,
und wieder lachen -- jetzt weiß er nicht, soll er sie grüßen, kennt er
sie, oder kennt sie ihn, oder will sie ihn kennen lernen -- er möcht'
jedenfalls -- aber die vielen Leute -- und die eleganten Schwasser,
die hinterher scharwenzeln. -- Jessas! und jetzt schaut sie wieder um
-- bocksteif steht er da, weiß sich nicht zu helfen, eng und schwül
wird ihm, daß er schwitzt, er schaut ratlos um und um, sein Blick
gleitet die Dreifaltigkeitssäule hinauf, die sich mit barocker Ekstase
emporwirft voll unendlichem Verlangen.

E -- fis -- g -- h -- ais!

»Servus, Servus! Landschulmeister, himmlischer, wie kommst du auf
einmal dahergestiefelt um zwölf Uhr mittags am Graben?!« jauchzt
plötzlich einer der eleganten Stadtfräcke hinter ihm, hat ihn schon
abgefaßt und auf offener Straße umarmt.

»Schober, lieber Schober!«

Kurze, hastige Erzählung Franzens über Woher und Wohin.

»Hast den Schulmeister an den Nagel gehängt, endlich, endlich, es war
die höchste Zeit! Wo wohnst du denn?«

Ja, richtig, wo er wohnt, an das hat Franz noch nicht gedacht. »Ich
weiß nicht!«

»Köstlich,« ruft Schober, »wohn' bei mir! Ich hab' ein Zimmer frei,
kost' dich nichts, kannst bleiben, solang' du magst, mir ist's eine
Freud'!«

Franz lehnt lächelnd ab, vorläufig wenigstens -- wozu schmarotzen? Hat
ja Geld in der Tasche, bare hundert Gulden!

Schober hat es um diese Zeit eilig, der Mittagsbummel am Graben war
die Stunde, wo die Löwen auf Beute gehen; soviel Schönes, als es da zu
sehen gab -- da war nicht zu zaudern. »Also Servus, auf Wiedersehen!«

Beim Stock-im-Eisen, am Ende des Grabens, steht er und schaut sich die
vielen Nägel an, die in legendenhafter Zeit die Schmiedgesellen in den
Baumstamm eingetrieben haben, und wundert sich in seiner beschaulichen
Weise aufs neue, wie die Kerle so ausgezeichnet die Nägel alle auf ihre
Köpfe getroffen haben. So muß man's auch machen, die Nägel auf alle
Köpfe treffen, dann ist man der richtige Schmied seines Glückes. Aber
er denkt nicht daran, daß er ja auch seines Glückes Schmiedgesell ist,
und haarscharf, wenn nicht die Nagelköpfe, so doch Notenköpfe trifft,
das Meisterstück, worauf es bei ihm ankommt!

»Servus!« tönt eine Stimme weich und einschmeichelnd, er wirft sofort
den Kopf herum. »Ach, lieber Hüttenbrenner!« und schaut in das kluge
Gesicht des guten philosophischen Anselm, der zuerst Kleriker war, dann
Jurist, und zugleich in Schuberts Konviktszeit bei Salieri Kontrapunkt
studiert hat. Jetzt hat er seine Seele ganz der Musik verschrieben.

Ein rasches, wechselseitiges Fragen, und alles ist klar.

»Magst bei mir wohnen, ein Kanapee steht zur Verfügung! Nicht? Aber
wir sehen uns jetzt öfter, gelt? Du weißt ja, im Café Bogner, bei der
lustigen Blunzen, kommen wir täglich zusammen. Kommst bestimmt! Alsdann
Pfüat!« Händeschütteln, die Freunde trennen sich.

Über der Stadt schwingen Glocken, eine tönende Flut, ein Bronzeregen,
ehern und gewaltig, als ob die Glocken in der Brust schwingen würden.
Die Glocken von St. Stephan. Franz kann nicht widerstehen, einen Blick
muß er in die Stephanskirche tun, eine liebe, alte Gewohnheit.

Der Dom ist die steinerne Blume der Stadt, der liebe Wienerwald mit
seinen Blümelein und seinem Getier lebt in den himmelhohen Kapitälen.
Und allerlei spukhaftes Fabelwesen treibt sein Spiel an den steinernen
Wurzeln, läuft auf den behauenen Sockeln oder kauert in den schwarzen
Nischen. Ein herrliches, steinernes Bilderbuch -- die alten Meister
hatten Phantasie. Franz fühlt sich ihnen verwandt.

Eine Hand legt sich auf seine Schulter. »Freund, du hier?«

Franz sieht zu dem Dunklen, Zugeknöpften hinter sich hinauf, die
starre, melancholische Maske Mayrhofers schaut ihm entgegen. Arm in Arm
schreiten sie aus dem Dom.

»Kannst bei mir wohnen, das Zimmer neben mir wart' auf dich!«

Herrgott, wie sie sich alle um ihn reißen! Er nimmt's nicht an, aber
wohl tut's doch!

Später in der Kärntnerstraße trifft er den Pianisten Jenger, mit dem
er durch Hüttenbrenner befreundet wurde, und der außerhalb seiner
Kanzleistunden mit Frau Musika in der wildesten und beglückendsten Ehe
lebt.

Jetzt fängt auch der an:

»Das wär' ein herrliches Dasein, eine Zigeunerwirtschaft unter einem
Dach, du, ich und unsere gemeinsame Geliebte, die holde Frau Musika!
Schlag' ein!« Es ist schon zum Lachen! Sind liebe, gute Kerle, alle
miteinander!

Es ist nicht Zeit, lang Standerln zu machen, Franz will beizeiten nach
»Schwindien«.

»Schwindien?«

»Nun ja, freilich; das heißt, zu Schwind, ins Mondscheinhaus, drüben
bei der Karlskirche überm Glacis.«

So ist Franz zum anderen Ende der Stadt wieder hinausgegangen, wo
drüben die Karlskirche steht, eine Madonna im Grünen. Das graue,
einstöckige Haus in nächster Nähe mit dem ummauerten Hof ist das
Mondscheinhaus, wo die Romantik blüht. Ein Blick von dort über die
Stadt mit dem Kahlengebirge dahinter, das vergißt man nicht mehr. So
viele Poesie! Schubert singt es, Schwind malt es, ein anderer dichtet
es, jeder wie ihm der Schnabel gewachsen ist, die Hauptsache, daß man's
nur spürt.

Die im Mondscheinhaus spüren's. Franz schleicht heran, im Hof hört
man schon die drei Brüder Schwind, die sich sehr laut aufführen. Was
tun sie? Dreinhauen tun's. Hauen aufeinander, daß es schallt wie
bei Dreschern auf der Tenne, oder bei Teppichklopfern, prügeln sich
gegenseitig mit alten Säbeln, rostigen Schilden, daß die Köpfe unter
den verbeulten Helmen brummen, und schreien dazu, was sie nur aus der
Gurgel bringen, volltönende, herrliche Worte, auf die man unwillkürlich
hinhören muß. Was sind es? Nibelungenverse. »Er schlug damit den ersten
Schlag. Hei, hei! Volker, Spielmann, wie rührst du den Fiedelbogen!«

So macht der fröhliche Knabensinn, der noch unverkümmert in den jungen
Männern steckt, aus einer turnerischen Übung ein ganzes Ritterspiel.
Ein echter Schwind.

Die Kämpfer sind müde und machen eine Pause. Franz pocht an das Tor.
Kein Laut regt sich mehr. Grad' so, als ob das Haus ausgestorben wäre.

Haben sie sich am End' gegenseitig erschlagen, denkt Franz und klettert
auf die Mauer hinauf. Das Schauspiel, das sich ihm darbietet, ist
wunderlich genug. Die drei Helden, mit altem Rüstzeug angetan wie die
Schmierenkomödianten eines Bauerntheaters, schleichen mit aufgeregten
Mienen auf den Zehenspitzen ans Tor, der Älteste guckt durchs
Schlüsselloch -- da hat Moritz den Eindringling schon über der Mauer
entdeckt.

»Kerl, elender, blöder, mistiger, lieber, guter -- dein Glück, daß du
da bist! Sei aber froh, daß du kein Gläubiger bist!«

Der Jubel ist jetzt erst recht groß, anstatt eines gefürchteten
Gläubigers den lieben Freund zu erblicken, der zwar die Mauer
hinaufzuklettern vermochte, aber nicht herunterkam. Eine kleine
Tracht freundschaftlicher Prügel muß er sich in seiner Hilflosigkeit
schon gefallen lassen. Nach diesen stärkenden Leibesübungen kehrt
der gewohnte Männerernst wieder zurück. Schön ist es in dem Hof,
den die Brüder in ein stimmungsvolles schwindisches Gartenbild
verwandelt haben. Mit Rasen ist er bewachsen, eine Fliederlaube
steht im Hintergrund, Akazien und Holunderbäume sind hinzugepflanzt,
einige Blumenbeete, dazu noch etliche Oleander in Kübeln -- das ist
»Schwindien«, die Heimat der schönsten romantischen Malerträume. Und
weil man nichts tat, ohne den Dingen einen besonderen Sinn zu geben,
so nannten die Brüder diesen Gartenhof mitsamt den zu ebener Erde
liegenden Wohnräumen ihre Burg Malepartus.

Gewohnt, gelebt, gearbeitet wurde in der schönen Jahreszeit mehr in
der Laube als in den Zimmern. Da lag noch das Arbeitszeug herum --
Neujahrskarten wurden gezeichnet und Krampusse gemalt -- wofür? Dumme
Frage, für den kommenden Christkindlmarkt am Hof, Fronarbeit, mit der
sich der junge ringende Genius die Freiheit für seine Kunst und seine
Studien erkaufen muß. Denn manchmal ist Schmalhans Küchenmeister seit
dem Tode des Vaters, und mit Schuldscheinen bewehrte Feinde belagern
oft die Burg Malepartus. Aber Künstlerfreude und Jugendsinn lassen
keinen Schatten dauernd aufkommen, besonders solange »Goldstaub«
im Tabaksbeutel ist -- und den hat heute Schubert in reicher Menge
mitgebracht.

»Bruder, am besten, du bleibst bei uns! Wir richten uns häuslich ein.
Platz ist genug, ein Zimmer kannst du haben, was du singst, male ich
-- kann man sich ein trefflicheres Accompagnement denken?! In dieser
schönen Jahreszeit tragen wir die Matratzen heraus und schlafen
nachts im Freien unter duftendem Flieder und niederrieselndem gelben
Goldregen. Da blühen Träume, Bilder und Musik -- schöner findest du es
nirgends!«

Für diese Nacht beschloß Schubert zu bleiben -- die Träume unter dem
Fliederbaum und Goldregen waren gar zu verlockend. Ein mannshohes
Schild mußte weggehoben werden, ein Türke war darauf gemalt noch frisch
von Farben.

»Fürs Café Bogner -- so bezahlt man seine Schulden!« erklärte Schwind.
»Morgen ist die feierliche Hinsetzung dieses ›Kunstwerks‹ -- das gibt
wieder Kredit auf ein Jahr!«

Gegen Abend wurden in der Laube die Pfeifen entzündet, und die
klausnerische Seligkeit begann, von der Schwind immer und immer
träumte. Die Wolken stiegen wie Weihrauch, Flieder und Akazien
dufteten, die Sterne leuchteten, Träume umwoben die Stirnen, das Glück
war vollkommen.

G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --

Die Cellos in der Brust erheben den schmerzlich süßen Sang, wohl und
wehe ist ihm -- das Glück, das Glück!

Am anderen Morgen geht das Wohnungsuchen an in den engen traulichen
Gassen der inneren Stadt. Die Sonne fällt schräg in die blitzenden
Fenster der leicht gekrümmten Hauswände, ein Lied trällert, ein
Kopf lugt da und dort heraus, ein Tüchlein um die Frisur gebunden,
wäschermädelartig, mit zwei koketten Zipfeln nach vorne -- sie sind
so lustig beim Zimmerfegen in aller Früh, die holden Weiblein! Und
auf Reinlichkeit sind sie wie der Teufel: nur gleich zum Fenster
hinaus mit dem Staubtuch, die ganze Ladung dem Vorübergehenden auf den
Kopf: Unrat, zusammengedrehte Haarbüschel -- das ist aber noch nicht
das Schlimmste, wenn nicht zufällig auch einmal was Lebendiges dabei
ist, ein Läuslein, ein Wänzlein, ein Flöhlein. Sind ja so übertrieben
reinlich, dulden nichts Unsauberes, heißt es gleich, hinaus damit! Also
gib fein acht, lieber Morgenwanderer, wenn du durch enge Wiener Gassen
lustwandelst!

Spaziert Franz unverdrossen die Kreuz und Quer, gaßauf, gaßab, hält an
jedem Tor, wo ein weißer Zettel hängt und wie eine Geisterhand winkt:
»Elegant möbliertes Zimmer für einen soliden Herrn .....«

Unzählige Treppen gibt es zu steigen, eine Wanderung, die steil hinauf-
und hinuntergeht im geklüfteten Stadtgebirge. Das Bilderbuch der Stadt
rollt sich auf bei dieser seltsamen Wanderung, die keinem Junggesellen
erspart bleibt. Es ist zwar immer dasselbe Bild bürgerlicher
Zwischenstufen, ein krampfhaftes Pflanzmachen, dahinter die heimliche
Misere, ein elendes Durchfretten, ein ewiges Wursteln ..... immer
dasselbe Thema, aber welche Variationen im Menschlichen!

Eine hübsche Witwe tut sehr fesch, will ihn gar nicht mehr fortlassen,
sitzt plaudernd da mit übereinandergeschlagenen Beinen: »O, Sie werden
sich sehr wohl fühlen!« Mehr als ihre Worte sagen es ihre Mienen und
ihre Augen. Er wäre froh, wenn er schon draußen wäre, er fühlt sich gar
nicht wohl, er sitzt wie auf glühenden Kohlen.

Bei einer Witwe, die so hübsch und lustig dreinschaut, nein, das geht
doch nicht. Was würden die Leute dazu sagen, die Freunde und nun gar
die Brüder, wenn sie kämen, und erst, was Gott verhüte, der gestrenge
Herr Vater! Die Hänseleien von den einen, die stillen oder gar lauten
Vorwürfe von den andern -- er möchte keines von beiden riskieren. Er
ist das wirklich, was auf dem Zettel verlangt wird, »ein solider Herr«!
Er ist hochrot im Gesicht, als er wieder unten auf der Straße steht,
und jetzt ärgert er sich über sich selber. »Dumm von mir ...«, aber man
ist manchmal so und manchmal so .....

Und fort geht das Suchen -- schließlich wird's ihm ein Bild des
Lebens: Suchen und Suchen, kaum ein Finden, schließlich immer nur ein
Vorliebnehmen.

Des Auf- und Abkletterns müde geworden, hat er am Schluß
vorliebgenommen und sitzt als Zimmerherr in einer geräumigen Stube mit
altväterischen wackligen Möbeln. Nun ist er in seiner höchsteigenen
Behausung für monatlich dreißig Gulden Wiener Währung samt Frühstück.
Ein sündhafter Preis! Warum hat er's genommen? Das Suchen war ihm schon
zuwider, vielleicht aber hat ihn auch das Mitleid bestimmt. Er hat ein
weites Herz und denkt sich, wegen so ein paar Netsch mehr oder weniger
....

Die Quartierfrau, ein abgehetztes Weib, hat ihm in fünf Minuten ihre
ganze Lebensgeschichte erzählt, sie ist eine »bessere Frau«, was sie
wiederholt unterstreicht, und die Mali, ihre Tochter, das liebe, gute
Kind, lernt Französisch und Klavier und kann eine ausgezeichnete
Torte machen!! Sie ist so furchtbar häuslich! Sie behauptet, daß die
Erziehung des Kindes so furchtbar viel Geld kostet, aber eine gute
Bildung sei wohl die beste Mitgift! Ein vernünftiger Mann würde bei
einem Mädchen doch lieber auf Bildung und Häuslichkeit sehen als auf
Geld! Der neue Zimmerherr wird sich wie zu Hause fühlen!

Es gelingt ihm endlich, ihrem Wortschwall Einhalt zu gebieten und sie
zur Tür hinauszuschieben, dann hört er sie im Hintergrund des dunklen
Flures, der von Waschdunst und Küchengerüchen erfüllt ist, mit der
Mali, dem guten, lieben Kind, keifen: »Was stehst denn, Trampel,
schau', daß d' in Schwung kommst ...« So sieht's mit der Erziehung aus,
die furchtbar viel Geld kost' ....

Es ist aber nicht tragisch zu nehmen, das Zünglein hängt gar locker und
ist mit einem Schimpfwort rasch fertig. Das kommt bei besseren Leuten
auch vor -- es gehört zur Gemütlichkeit.

Ein Klavier steht in der Ecke, verstaubt, verstimmt, es muß erst
instand gesetzt werden. Ein Glück, daß es überhaupt da ist. Also rasch
den Klavierstimmer ins Haus! Die gute Mali -- ob die je im Leben eine
Klaviertaste angerührt hat? Aber das bißchen Pflanz -- es ist ja so
notwendig zum Leben, der Traum von Glück, ein goldener Schein, der das
graue Elend ein bißchen überleuchtet!

Als dem Klavier wieder wohlgestimmte, klare, reine Töne entsteigen, und
die von Arbeitsdrang erfüllte Brust sich in Noten entladen darf, da
ist das Gemach hell und freundlich geworden und die Geister der Sorge,
die es bewohnten, sind entwichen. Die Seele schwebt in wolkenloser
Seligkeit und ein Celloton singt in H-Moll aus blauer Ferne:

G -- d -- g -- fis -- g -- a .....!

Ein schwebender Klang, der sein hoffnungsreiches Glücksgefühl umspielt.
Wenn er in sich hineinhorcht, kann er ihn jetzt wieder vernehmen, immer
und immer wieder.

Der Ton entschwebt, wenn er ihn fassen will, verdrängt von dem
singenden, rauschenden Quell in seiner Seele, der ins Leben will, der
Menschheit zur ewigen Freude. Herrlich ist es, so in Freiheit zu leben
und im goldenen Überfluß zu schwelgen! Mit vollen Händen kann er sich
verschenken, so stark und schier unerschöpflich ist der innere Quell!

Der graue Vormittag gehört dieser stürmischen Arbeit. Mit allen Kräften
der Seele ist er seinem Werk gewidmet, vom frühen Morgen an bis zur
Mittagsstunde. Dann ist er erschöpft, leer, ausgepumpt, sucht Erholung
und Ablenkung und findet sie bei den Freunden. Schon beim Mittagessen
trifft er den einen oder anderen im Gasthaus »zur schwarzen Katze«,
»zur Schnecke«, »zur Eiche«, beim »roten« oder beim »blauen Igel«, wo
abwechselnd das bescheidene Mittagsmahl eingenommen wird.

Gleicht ein Beisel dem andern, der Fußboden ist voll Flecken und
Schmier, der Kellnerfrack ist es ebenso, der einmal schwarz war und
jetzt grau ist wie der Boden, der einmal weiß war. Es geht gemütlich
her, der Wirt, der Zahlkellner, der Speisenträger, der Pinckerl
schießen herum, Herr von Schubert hin, Herr von Schubert her, vier
oder sechs Hände entreißen ihm Hut, Stock und Überrock, noch ehe der
Ankömmling weiß, wie ihm geschieht, leiert ihn der Pikkolo an wie
ein Ratschenbub und zählt alle Getränksorten her, der Speisenträger
memoriert die Speisenkarte: Fleckerlsuppe, Nudelsuppe, Kaiserschöberl
-- schönes Rindfleisch, Herr von Schubert, ein schwarzes Scherzel,
ein Kavalierspitz, ein Kruspelspitz, nicht zu fett, ein bisserl
unterspickt, Zwiebelsauce oder eingebrannte Erdäpfl dazu, oder rote
Rüben, Schnittlauchsauce -- vielleicht einen schönen Kalbsschlögel,
einen Nierenbraten, Kaiserfleisch, Schöpsernes, Roastbeef --

Halt, halt! Der Kopf wirbelt einem schon! Jetzt kennt man sich in
den kulinarischen Genüssen erst recht nimmer aus. Zeit lassen! Die
Speisenkarte her!

Inzwischen wird von allen Seiten geschrien, dem einen geht die
Bedienung zu langsam, dem anderen, der seine Suppe noch nicht
ausgelöffelt hat und schon das Rindfleisch kriegt, geht sie zu schnell,
keiner ist zufrieden, ein jeder möcht' etwas anderes -- die Aufregung!
Das Schimpfen, das Gelächter, das Tellerklappern, das Geschrei,
die durcheinander schwirrenden Dissonanzen -- wobei sich alles in
Wohlgefallen und Gemütlichkeit wieder auflöst -- es wirkt auf die
abgespannten Nerven doch wieder belebend wie ein erfrischendes Bad. Und
hat man heute über den Schlangenfraß geschimpft und es verschworen,
das verfluchte Saubeisel nicht mehr zu betreten, so ist man am
anderen Tage um so pünktlicher wieder da. Es ist keiner glücklich,
wenn er nicht ein bißchen räsonnieren kann. Die Wiener Tugenden und
Untugenden, die waren, sind und sein werden -- man hat sie in der
knappen Mittagsstunde beisammen, während der Fütterung entfalten sie
ihre Blüte. Man ist gereizt wie eine hungrige Bestie, wenn man kommt,
und wenn man geatzt ist, geht man als friedfertiger Mensch von dannen.
Wohin?

Natürlich ins Kaffeehaus zu einem Schwarzen und einer Pfeife Tabak, die
der Höhepunkt des Diners ist. Das Essen ist nur der Umweg zu diesem
Göttergenuß. Also geradewegs zur »lustigen Blunzen«, wo Schwinds Schild
mit dem Türken richtig in ganzer Farbenpracht prangt.

»Schani, trag' den Garten außi!« Also trug an schönen Tagen Schani,
der Kellnerjunge, unter Beihilfe des Feuerburschen den Garten hinaus,
nämlich die Holzkübel mit den Efeuwänden, die am Trottoir vor dem
Café einen kleinen imaginären Gartenbezirk bilden mit einigen
Marmortischchen darin. So sitzt man draußen im Freien an schönen Tagen.
Fast angenehmer ist es aber drinnen in dem gewölbten Raum, wo der
Feuerbursch am Herd die Bohnen röstet, daß der frische Kaffeegeruch
stark und würzig den Raum durchströmt. Eine ältliche Kassiererin sitzt
im Büfett und liest in einem Romanbüchel, ein paar Herren im dämmerigen
Hintergrund halten starr die Zeitung vor sich hin oder sitzen in
bequemen Lehnsesseln zurückgelehnt, zuweilen glaubt man sich in eine
Sägemühle versetzt, ein verdächtiges Geräusch rasselt von hinten her,
steigt höher und höher, und wenn es den Klimax erreicht hat, reißt es
plötzlich ab, ein tiefes Schnarchen: jeder macht seinen Nipfetzer.

Der Kellner streicht lautlos hin und her wie auf Samtpfoten, damit
er keinen von den Herren aufweckt. Nur vom Billard her tönt das
gedämpfte Rollen der Kugeln, nebst dem Summen der Fliegen an den
Fensterscheiben, eine angenehme, einschläfernde Musik. Am schönsten ist
es, am Fenster zu sitzen, hinauszublicken auf die alten Häuserfronten
mit bequemen Portalen, verwittertem, steinernem Wappenschild darüber,
schmiedeeisernen Balkonen und ähnlichem, ehrwürdigem Zierat. Da sitzt
man in Betrachtung dieser Dinge, schlürft seinen Schwarzen, schmaucht
sein Pfeifchen, schaut in die Zeitung, tut zwischendurch selbst so
ein kleines Nickerlein, oder ergötzt sich, wenn die Freunde da sind,
an dem Gespräch, das alsdann immer munter fließt. Die Welt täglich
niederreißen, neu und schöner wieder aufbauen -- dadurch wird die
schwarze Kaffeestunde ereignisvoll und fruchtbar.

Die paar Stunden nachher während des Nachmittags vergehen auch so; die
Blume der Freundschaft entfaltet sich am herrlichsten erst abends.
Da sitzt man mit den geliebten Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln,
wie Franz seine Getreuen nennt, oft in fröhlicher Tafelrunde über
die gewöhnliche Sperrstunde hinaus beisammen, und zuweilen hallen
die schlafenden Gassen von der lauten, singfrohen Ausgelassenheit
der Jünglinge, die Schwinds Stift in einem übermütigen Augenblick
festgehalten hat, wie sie vor einem unvollendeten Neubau stehen und ein
Ständchen vor den leeren Fenstern darbringen. Die herrlichsten Lieder
steigen in das Nichts empor, die Schöne fehlt, für deren Ohren sie
bestimmt sind, die ist nur erträumt da, und an ihrer Stelle antwortet
das Echo in den Schatten des leeren Hauses.

So geht es derzeit noch dem Meisterlein, die Freunde sind da, der
Genius hat ihn geküßt, aber wo ist die Menschheit, seine Gaben zu
empfangen und den schuldigen Dank zu spenden?

Einerlei, der junge Meister denkt nicht daran, es ist ihm vor allem
darum zu tun, sich im Schaffen auszuwirken und den inneren Schatz zu
heben, der sein Erbteil geworden war. Die Freunde wissen es, die seine
Schöpfungen in Abschriften von Hand zu Hand geben, kein Abend vergeht,
wo sie nicht bewundernd von den neuen Köstlichkeiten erzählen, die
Schubert in seinen fieberhaften Arbeitsstunden an den Tag gefördert hat.

Äußerlich war es nur ein kleines Leben, das der junge Schubert
genießerisch führte. Aber in diesen scheinbar nichtigen Dingen war
wienerischer Geist, sein vegetatives Sein lebte davon, der innere
Mensch, der sich an dieser geheimnisvollen Kraft aufbaute. Ein Narr,
der mehr verlangt als diese einfache seelische Hausmannskost, die
Mutter Heimat gibt. Schuberts Sein war mit allen Wurzeln in dem
Boden dieser Wiener Heimat verwachsen; er lebte im Alltag, wie alle
anderen lebten, nur mit dem Unterschied, daß er als der schöpferische
Mensch es verstand, aus der groben Alltagskost das geheimnisvolle
wienerische Fluidum abzuleiten, aus den Wurzeln in die Krone, wo es
liedhaft ertönte, als unsterblicher Sang auf die einzige, süße, liebe,
unvergleichliche, schöne Weanastadt!

Ein Ton schwebt über diesem Dasein, darin die Seele der Stadt war, vor
allem die Seele Schuberts: g -- d -- g -- fis ...!

Immer wieder klingt dieser milde, tröstliche Satz durch, mannigfach
verschlungen und variiert, wie der Anfang einer Sinfonie seines Lebens.
Daß man es doch fassen könnte, hinstellen als unvergleichliches
Gleichnis seiner selbst! Und immer wieder, mannigfach unterbrochen von
dunkleren, schmerzlicheren Gewalten, setzt dieser verhaltene, heiter
ernste Takt ein, immer wieder, ohne zu vollenden .......

Aber das fröhliche Herrenleben neigt sich zu einem sehr betrüblichen
Ende. In den zwei armseligen und doch so folgenschweren Wörtchen
spiegelt sich das Schicksalsbild: kein Geld!

Hundert Gulden dauern nicht ewig, auch nicht in jenen Tagen, wo sich
unendlich mehr damit richten ließ. Man ist zwar kein Leichtfuß, aber
man ist auch kein Sparer und kein Knicker, und wer sich jede Freude
versagt, wird auch wenig Freude geben.

Franz knirscht: Verflucht auch! Die anderen sollen's nicht merken, er
will's vor sich selber nicht wissen, will sich nicht stören lassen,
nicht beirren lassen, arbeitet drauf los. Die Arbeit hat ja das Gute,
daß sie von den Trübnissen erlöst und daß man sich als Herr des Lebens
fühlt, solange sie dauert und glückt. Aber dann, in den Stunden der
Erschöpfung, dann führt Frau Sorge das Wort. Sollte der Herr Vater
recht haben: ein verlorener Musikant?! Nein, nein -- man muß sich halt
tüchtig durchbeißen, fest zusammenhalten die paar Knöpf', die man noch
in der Hosentasche hat, und Stunden geben, mehr Stunden!

Einige Schüler hat er schon. Aber die sind halt das Kreuz seines
Lebens. Fressen die schönste Zeit und beste Kraft weg für nichts und
wieder nichts. Diese Stockfisch', diese vernagelten!

Einige Haustöchter aus guten Familien nehmen Unterricht bei ihm. Sie
schrecken vor dem Schwierigsten nicht zurück; was sie am wenigsten
können und verstehen, reizt sie am meisten. Es bringt den armen Franz
zur Verzweiflung. Dieses Haustöchtergeklimper! Heiliger Beethoven!
Muß deine Feuerseele so unters Klavier fallen! Muß es wirklich sein?!
Mamsell, Mamsell!

Es muß wirklich sein. Mamsell ist sonst gekränkt und gibt die Stunden
auf. So also sieht die Freiheit aus?! Dreimal gefesselt vom Mangel,
von der Frone und der Schaffensnot. Die Tage im Schulhaus -- was war
das für eine sorglose, glückliche Zeit! Er könnte ja zurückkehren, der
Vater würde ihn mit offenen Armen aufnehmen, ein reuig heimkehrender
Sohn! Aber er schleudert den Gedanken ergrimmt von sich: Feigheit,
erbärmliche Feigheit! Einem jungen Menschen geht es nicht schlecht,
auch wenn er kein Geld hat. Ein junger Mensch, der Talent hat und
arbeiten kann, ist reich. Reich, ja, das ist unser Franz, sitzt bei
goldenen Schätzen -- nur abbeißen kann er nichts davon!

»Unbegreiflich, daß ein Mensch, wie du, nicht schon längst einen
Verleger gefunden hat!« wundert sich Spaun und nimmt die Sache gleich
energisch in die Hand. Wozu noch warten? Die Manuskripte stauen sich in
Schuberts Mappen und Tischladen. »Ich hab' mit Diabelli gesprochen, er
hat von dir schon gehört, geh' nur getrost hin.« So der liebe Freund.

Franz faßt ein Herz. Er ist scheu vor fremden Leuten, und nun gar als
einer, der nichts bringt, sondern viel eher fordert! Es kostet viele
Überwindung, bis er sich auf den Weg macht.

Endlich sitzt er im Geschäftsladen des Wiener Druckgewaltigen. Er muß
warten, ehe sich ihm die Tür des Chefzimmers gnädig erschließt. Eine
Viertelstunde vergeht, eine halbe Stunde -- das zermürbt den Menschen.
Entweder er lehnt sich auf und geht davon, nicht ohne einen kräftigen
Fluch zur Tür hineinzuschleudern, oder aber er knickt zusammen und
versinkt zu einem Häuflein Elend.

Die Faust geballt, den Fluch auf den Lippen, will der Künstler seiner
Menschheitwürde den rechten Ausdruck verleihen, aber der Gedanke an die
Geldnot zwingt ihn nieder. Er gibt sich und dem Protzen da drinnen noch
fünf Minuten Frist, dann noch fünf Minuten -- endlich! es ist ein Glück
für den da drinnen, daß er den Künstler nun rufen läßt.

Der steht nun demütig und verzagt vor dem gerissenen Geschäftsmann, der
ihn wie einen Bettler empfängt. Fürs erste, daß er auf den schüchternen
Gruß des Eintretenden gar nicht antwortet. Er streift ihn nur mit einem
flüchtigen Blick aus der Brille, dann sieht er ihn überhaupt nicht
mehr an. Es ist ein Geschäftskniff. Man darf den jungen, schaffenden
Talenten nicht zeigen, daß man sie braucht. Sonst werden sie in ihren
Forderungen unverschämt. Man muß sie so lange als möglich zappeln
lassen, bis ihnen das Wasser ins Maul rinnt, dann macht man den Fang!
Das ist die Geschäftsethik der Herren Diabelli und Genossen.

Franz stammelt unverständlich etwas vor sich hin und legt ein Notenpack
auf den Tisch. Der Verleger blättert oberflächlich eine Weile herum,
schiebt das Ganze wieder zurück und sagt:

»Nicht zu brauchen! Viel zu schwer! Das Publikum verlangt leichtere
Sachen. Ihr Herren Künstler glaubt immer, es muß durchaus nach eurem
Sinn gehen. Wer soll denn das Zeug verkaufen? Aber ihr denkt halt,
es tut nichts, wenn der Verleger sein Geld verliert! Es tut ja was!
Verstehen Sie mich?! Könnt' verhungern alle miteinand' mit eurem
verfluchten Eigensinn! Also lassen Sie sich's gesagt sein, machen's
leichtere Sachen, dann können's wiederkommen!«

Draußen war Franz, er wußte nicht wie, der Schädel brummte ihm, das
Gesicht war hochrot, es war ihm, als ob er einen Schlag bekommen hätte.
Schnurstracks ist er heimgestürmt, aber das Heim ist auch keine rechte
Zuflucht mehr. Die Quartiergeberin hat's Grüßen verlernt, wenn sie
ihn sieht. Das macht die unbezahlte Wochenrechnung. Aber so geht's:
gestern war man noch ein gnä' Herr, heute ist man ein Lump! Das ist
die Psychologie der kleinen Leute, die eine feine Witterung für die
jeweilige Finanzlage haben. Verfluchte Bagage! Mali, das liebe, gute
Kind, ist alle Augenblicke in der Tür gesteckt, hat sich immer was
zu schaffen gewußt im Zimmer, war nie um einen Vorwand verlegen, und
blieb dann länger als nötig war, weil sie »gern etwas abgespickt hätte
beim Klavier ....« Dann bringt sie gelegentlich ein Stück Sonntagstorte
eigenes Fabrikat »zum Kosten«!

Franz ist gutmütig und gibt ihr einige Gratisunterweisungen in leichten
Klavierübungen. Aber Mali hat dumme Finger und ist ganz talentlos .....
Schließlich ist ihr ja auch nicht ums Klavierspielen zu tun.

Die Mutter steht dahinter und schürt und schürt. Sie hat's schwer im
Leben und möchte das liebe, gute Kind gar zu gern versorgt wissen.
Aber Franz ist keiner, der sich einlullen läßt mit Schmachten und
Sonntagstorten, einspinnen und einnähen, bis es heißt, entweder Schuft
oder Trottel! Trottel, wenn man picken bleibt, Schuft, wenn man die
Kleine sitzen läßt. Franz ist weder für das eine noch für das andere
geboren. Weder Schuft noch Trottel -- das hat die arme Frau schließlich
doch gemerkt. Sie kuppelt auch nur so lang, als sie glaubt, daß der
»gnä' Herr« bei Kasse ist. »Ah, das ist so einer!« tippt sich die Alte
an den Kopf. »Ist nicht weit her mit der Marie (Geld)! Ich hab' mir's
doch gleich gedacht. Na, wart', mein lieber Gschwuf: so etwas könnt'
man brauchen!« So wird das gemütliche Heim allmählich eine Hölle.

Aber auch im Wirtsbeisel verändert sich die Stimmung. Hut, Stock und
Überrock wird einem nicht mehr aus der Hand gerissen, der schofle Gast
mag sich nur selber bemühen. Der Fraß wird einem ziemlich achtlos
hingeschoben, jetzt kannst du drei-, viermal klingeln, bis so ein Lakl
die Ohren auftut. Hat man denn einen Geruch an sich, wenn einem das
Geld knapp wird? Es muß wohl so sein. Wer kein Geld hat, ist soviel wie
ein Pestkranker. Der soll sich nur gleich begraben lassen. Kein Hund
nimmt ein Stückel Brot von ihm!

Franz ist nicht der Mann, sich die Misere anmerken zu lassen. Aber
da hat er sich verrechnet in der Kennerschaft der dienstbeflissenen
Menschheit. Das sind geübte Menschenkenner, die dienstbaren Geister,
und wissen genau, was es bedeutet, wenn der Herr von Schubert auf
das Fleisch verzichtet und sich mit Linsen und Spiegeleiern begnügt,
oder abends bestenfalls Augsburger mit Erdäpfl ißt, ein kleines Glas
Bier dazu, wenn auch der Durst noch so groß ist und -- was das größte
Verbrechen ist -- mit dem Trinkgeld zu sparen anfängt. Der Schmutzian,
der notige!

Armut ist keine Schande. Sie ist mehr: ein Unglück ist sie, eine
Schmach! Zuweilen lastet es mit großer Wucht auf dem empfindlichen
Gemüt. Und herzzerreißend klagen die Geigen, Violen und Fagotten in der
Brust: e -- fis -- g -- h -- ais ....... Wie schwere Gewitterstürme
stöhnen die Kontrabässe drohend und unheilvoll tief unten: c -- c -- c
....

Ist denn in dieser infamen Welt, wo jeder Vogel sein Futter findet,
kein Platz für den gottbegnadeten Künstler?

Es ist die Stimmung, in der der Galgenhumor erwacht. Den Freunden
geht's mit wenigen Ausnahmen auch nicht besser. Was ist eine Zeit
wert, die so ausgezeichnete Kerle darben läßt? Das gemeinsame Leid
macht stark. Was sind die Freunde doch für Mutmacher! Der Wert der
Freundschaft, nie steht er höher als in solchen Tagen. Es sind ihrer zu
viele, einer hält den anderen, sie wissen, die Zukunft gehört ihnen,
trotzig fordern sie die Gegenwart heraus. Aus dieser inneren Gewißheit
schöpfen sie den Humor, der sie selbst in dieser mißlichen Lage
beneidenswert macht.

Das Verlegerunglück wird gehörig belacht und auf diese Weise der
Bitterkeit entkleidet. »Der Diabelli wird dich noch um Verzeihung
bitten und froh sein, wenn er die Brosamen aufheben darf, die von
deinem Tisch fallen, du Reicher im Genieland!« entschied Spaun.
»Hilft aber alles nichts, du mußt vorerst mehr in der Gesellschaft
herumgereicht werden, bis der Kerl leckere Zähne kriegt!«

Schober hat wichtige Verbindungen angeknüpft. Er hat den Baron
Schönstein, der in seinen adeligen Zirkeln als Liedersänger glänzt, für
Schubert zu interessieren gewußt. Der aristokratische Amateur erkannte
sofort: hier ist ein Besonderer! Er ist Feuer und Flamme für ihn, rührt
die Propagandatrommel und erweckt in seinen exklusiven Kreisen die
Aufmerksamkeit für den jungen Künstler. Eines Tages empfängt Franz eine
Einladung in das Haus der Fürstin Soundso. »Dein Glück ist gemacht!«
erklärten die Freunde. Gemach, gemach, ihr lieben Heißsporne, auch
damit hat es seine Wege!

Franz sitzt am Klavier, Schönstein singt. Die aristokratische
Gesellschaft ist entzückt, besonders aber die Damen. Sie können
sich nicht genug tun mit feurigen Anerkennungen und Glückwünschen.
Aber die Begeisterung gilt nur dem Sänger, Schubert sitzt am
Klavier, unbeachtet, vergessen, niemand von den Herrschaften würdigt
ihn eines Wortes oder auch nur eines Blickes. Die Fürstin, ihrer
Hausfrauenpflicht eingedenk, erinnert sich des Meisterleins, wenngleich
ein wenig spät. Sie will die Vernachlässigung gutmachen, sie spendet
dem Unbeachteten freundliche Worte des Lobes; sie ahnt dunkel, daß
etwas nicht ganz in Ordnung ist, und tröstet ihn darüber, daß der
Sänger seiner Lieder den Lorbeer allein einheimse, der eigentlich zum
größeren Teil ihm gehöre, dem Schöpfer der Lieder. Aber die Menschen,
die unter dem starken Eindruck eines guten Vortrages ständen, seien nun
einmal so.

Franz lehnt bescheiden ab: »Geben Sie sich diesfalls nur keine Müh',
Frau Fürstin, ich bin's ja gewohnt, übersehen zu werden; ja, wenn ich
aufrichtig sein soll, so ist mir das sogar recht lieb -- wissen Sie --
ich fühle mich dadurch weniger geniert ......«

Das war kindlich aufrichtig, sogar rührend -- ob es die Fürstin
verstanden hat? Sie wußte jedenfalls die Form zu wahren und es am
Schlusse so zu wenden, daß die jungen Damen der Gesellschaft dem
bescheidenen Meister pflichtschuldigst einige Artigkeiten sagten. Dem
war es aber erst recht zuwider.

Und als ihn die Kaffee-, Wein- und Punschbrüderln, die ihn schon
desselben Abends in der lustigen Blunzen erwarteten, bestürmten und vor
Neugierde brannten, was er vor dem auserwählten Damenkreis für eine
Wirkung erzielt habe, da sagte er unwirsch: »Ach, diese Frauenzimmer
sind mir zuwider mit ihren Artigkeiten; sie verstehen von der Musik
nichts, und was sie mir da sagen, geht ihnen nicht vom Herzen ...«

Der Versuch schien also fehlgeschlagen. Doch Schober hatte schon wieder
einen neuen Ausweg gefunden. »Morgen abend seid ihr bei mir eingeladen,
und was meinst du, Franz, wer kommt? Kein Geringerer als der
Hofopernsänger Vogl, der große Vogl, Philosoph und gewaltiger Sänger
-- nun, so freu' dich doch, du hast doch nichts sehnlicher gewünscht,
als den großen Vogl kennen zu lernen. Ja, weißt du überhaupt, was das
heißt, wenn der deine Lieder öffentlich singt? Das heißt soviel, als
daß du dann ein gemachter Mann bist .....«

Aber dem Franz ist es heute einerlei, er hat schon so viele
Enttäuschungen erlebt; immer, wenn es hieß, dann bist du ein gemachter
Mann, war es in der Regel für die Katz'. So mit Goethe, mit Salieri,
mit Diabelli, mit Schönstein, mit all den bürgerlichen Kreisen, in
denen er verkehrte, und die ihn wie einen Wunderknaben anstaunten,
da und dort auch verhätschelten, oder wie ihren lieben Wurstel
behandelten, besonders die Frauenzimmer -- ein gemachter Mann war er
darum noch lange nicht, obzwar es bei jeder neuen Bekanntschaft so
oft hieß: wenn sich der oder der für dich interessiert, dann bist du
ein gemachter Mann! Das Gegenteil war der Fall. Schulden hatte er
auf dem Buckel und wußte sich nicht zu retten vor Sorgen. Jede neue
Erfahrung zugleich auch eine Enttäuschung. Kein Wunder also, daß er in
einem Augenblick des Mißmuts nicht viel hielt von der oft gewünschten
Bekanntschaft mit Vogl, und daß es ihm für diesen Augenblick wenigstens
Wurst war.

»Da hört sich aber doch alles auf,« legte jetzt Schober los, »meinst
du, daß es so leicht war, den Vogl soweit zu bringen? Nun kann ich dir
ja reinen Wein einschenken -- fürs erste wollte er überhaupt von dir
nichts wissen! Verstehst du? Nichts wissen wollte er von dir!« Und nun
erzählte er weitläufig, was es für Schwierigkeiten gekostet habe, den
ablehnenden Sänger umzustimmen.

Ja, warum wollte er denn nichts wissen von unserem Franz? So eine
Gemeinheit!

Na, na, na -- ist deswegen noch keine Gemeinheit! Es gibt eine Masse
junger Genies, die entdeckt werden wollen, in der Regel stellt sich
doch immer wieder heraus, daß es nicht weit her ist damit. Ist es da
zu verwundern, wenn ein berühmter Sänger, der auf diese Weise schon
hundertmal getäuscht worden ist, es sich zum hunderteintenmal gehörig
überlegt? Und dann sei nicht zu vergessen, daß ein Künstler wie Vogl
mit Musik überfüttert werde; was Wunder also, wenn er sich lieber
sehnt, von ihr loszukommen, als immer noch neue zu entdecken ..

Die Erzählung Schobers fand allgemeine Mißbilligung, der Hochmut des
Sängers wurde mit scharfen Worten getadelt, nur Schubert ergriff
jetzt seine Partei: es sei doch ganz natürlich, daß der Mann seine
Ruh' haben will, und es wäre viel eher zu verwundern, wenn die
Antwort auf Schobers Begehren anders ausgefallen wäre. »So und nicht
anders hab' ich's immer erwartet!« erklärte er zum Schluß nicht ohne
pessimistischen Anflug eines, der, durch die Erfahrung gewitzigt, seine
Sach' auf nichts gestellt hat. So war er wenigstens vor allzu schwerer
Enttäuschung geschützt.

Am anderen Abend auf dem Weg zu Schober klopft ihm aber doch das
Herz aus zweifacher Angst: entweder, daß der Gewaltige nicht kommen
würde, oder daß er am Ende wirklich erscheinen könnte ... Beides war
für den Weltscheuen und doch sehnlich Begehrenden in gleicher Weise
beunruhigend.

Die jungen Kerle saßen bei Schober zusammen, sie hatten schon ein
bißchen musiziert, da tat sich um die festgesetzte Stunde die Tür auf
und herein schritt mit großer Miene der unnahbar tuende Vogl.

»O Gott! Welche Ehre -- die Auszeichnung ....« Franz stammelte einige
unzusammenhängende Worte, daß er nun die Ehre der Bekanntschaft
haben soll und so weiter. Vogl schaut den Kleinen von oben bis unten
an, rümpft die Nase und geht, ohne ein Sterbenswörtchen zu sagen,
gravitätisch an ihm vorbei.

Du lieber Himmel! Der Anfang war unselig genug. Franz war jetzt ganz
auf den Mund geschlagen, auch den anderen entsank der Mut. Es herrschte
auf einige Augenblicke das Gefühl der tödlichsten Verlegenheit.

Nun war Vogl der erste, der eine Entspannung herbeiführte. »Also, was
haben Sie denn da?!« Er sagte es, aber es klang nicht sehr aufmunternd.

Dabei nahm er ein Notenblatt zur Hand, das wie eine Leimspindel für den
Vogl aufgerichtet war. Er überflog das Lied, summte es mehr, als er es
sang, legte es wieder hin und sagte: »Na, ist grad' nicht so übel!« Das
klang nicht sonderlich begeistert.

Aber er wurde wärmer und wärmer bei den späteren Liedern, die er
anfangs nur mit halber Stimme sang; schließlich sah er sich den jungen
Mann schärfer an und wurde freundlicher und freundlicher. Beim Weggehen
klopfte er ihm auf die Schulter und sagte: »Es steckt etwas in Ihnen,
aber Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan. Sie verschwenden
Ihre schönen Gedanken, ohne sie breitzuschlagen!«

Er ging weg, ohne etwas vom Wiederkommen zu sagen, man wußte nicht
recht, wie man dran war mit ihm. Also wieder ein fehlgeschlagener
Versuch?

Da gab selbst Schober die Hoffnung auf: »Er ist halt schon zu alt und
will sich von der Musik und von der Singerei ganz zurückziehen. Das
Kloster steckt ihm noch im Leib; wer im Kloster erzogen worden ist, dem
bleibt für sein Leben was hängen. Jetzt sitzt er am liebsten wie der
heilige Hieronymus in seiner Klause, hat seine Hund' und Kanarienvögel
um sich her, die Nase in der Bibel, im Marc Aurel, im Epiktet -- er ist
eben ein wunderlicher Kauz! Denkt euch, ein dramatischer Sänger, der in
den Theaterpausen lateinische und griechische Klassiker liest in der
Ursprache -- ist euch schon so etwas vorgekommen?«

»Schade,« sagte Schubert, »ich wollt', es gäbe mehr solcher Leute!«
Die Idee eines freien Klosters schwebt ihm oft durch den Sinn, eines
weltlichen Klosters, wie er und Schwind oft zusammen träumen; Vogl als
Prior -- man malt sich jetzt die Sache hübsch aus, Schwinds Phantasie
tut das ihrige dazu: jeder in brauner Mönchskutte als Klausner, in
herrlicher Waldgegend auf schwellenden Moosbänken sitzend, in sinniger
Betrachtung versunken, die Pfeife im Mund, einen Bierkrug neben sich,
saftiges, schwarzes Brot, einen Bund Radieschen, von Weltsorgen
frei, der Kunst, der Schönheit, der Naturbetrachtung lebend -- der
Gedanke wäre nicht übel. Aber so halb und halb lebt man ohnehin
in Brüdergemeinschaft, wenn es auch bei diesen Klausnern in einem
weltlichen Ton hergeht.

Ist übrigens ein wunderlicher Kauz, der Vogl. Er hält mit dem Lob gegen
Schubert und seine Freunde sehr zurück, aber durch dritte Personen
ward erfahren, wie enthusiastisch er die Lieder des jungen Genius vor
anderen rühmte.

Und eines Abends erschien er unangemeldet bei diesen Weltbrüdern
und kam dann immer wieder, sang Lied auf Lied von Schubert und
fand es immer unbegreiflicher, wie solche Tiefe und Reife aus dem
jungen kleinen Mann, der auf den ersten Blick so unbedeutend schien,
hervorkommen konnte. Der alte Junggesell, der schon daran dachte,
sich in die Einsamkeit zurückzuziehen, hat neue Kunstbegeisterung aus
Schuberts Liedern geschöpft -- Franz hatte nun wirklich einen neuen
Freund und Fürsprecher, dessen Stimme gehört werden mußte.

Aber auch die Beziehungen mit Baron Schönstein erwiesen sich jetzt von
einigem Wert -- kurz und gut, Franz erhielt den Antrag, die gräflich
Esterhazysche Familie zum Sommeraufenthalt auf das Gut Zelez in Ungarn
zu begleiten und während dieser Zeit den Musikunterricht der beiden
Komtessen zu leiten.

Es war, als ob eine unsichtbare rettende Hand eingegriffen hätte, um
den Schmachtenden von dem unerträglichen Druck der niederen kleinen
Alltagssorgen, die am schwersten drücken, zu befreien. Ein Sommer auf
dem Land, die Ferne, eine neue Welt und noch dazu sorgenfrei -- das war
die ersehnte Freiheit! Auch Schober ging für eine Zeit weg, Goethes
Wilhelm Meister ließ ihm keine Ruh', er wollte es einmal in diesem Stil
versuchen, halb Schauspieler, halb Dichter, halb Mäzen, dilettierender
Künstler auf allen Gebieten, der seine vielseitigen Gaben im Strome des
Lebens versuchen will.

Spaun, Mayrhofer bereiteten sich auf längeren Urlaub vor, Schwind geht
auf eine Studienwanderung, der große Kreis von Familien, in denen man
verkehrte, geht im Sommer »aufs Land«. Die Fenster in den heißen Gassen
schließen sich, sie senken gleichsam die Lider, Wien versinkt in seinen
Dornröschenschlaf. Nur wer kein Geld hat und wirklich nicht anders
kann, bleibt da.

Die Vorsehung hat diesmal für Franz ein gnädiges Erbarmen gehabt. Auf
nach Ungarn! Auf Wiedersehen im Herbst! Adieu, lieber Spaun! Adieu,
lieber Schober! Adieu, lieber Schwind! Bruderherz! Grüßt mir den Vogl!
Behüt' Gott alle miteinander! Behüt', behüt', behüt'!

Behüt' dich Gott, liebes Wien!




                                  IV.


Vierzig schnatternde Gänse reißen den guten Franz aus dem Morgentraum.
Vierzig ungarische Gänse, die zu gleicher Zeit zu schnattern anfangen,
als müßten sie das Kapitol retten -- dagegen kann der bleiernste Schlaf
nicht bestehen. Franz fährt wirr in die Höhe. Er ist noch gar nicht bei
sich.

»Was ist denn los!« Er reibt sich die Augen, schaut um sich -- da hängt
ein farbig gestickter Klingelzug, in einer halbrunden Nische steht ein
zylindrischer glasierter Kachelofen, dort ein Waschtisch, in der Mitte
ein einfaches Tischchen mit weißem Tintenzeug aus Steingut, zwei Stühle
mit geblumten Polstersitzen, ein geblumtes Fauteuil, ein altes Klavier,
durch das kleine Fenster schaut grünes Gezweig herein, silbergrau
flimmert es durch das Blattwerk: die Morgendämmerung.

Eine neue, ungewohnte Umgebung. »Wo bin ich?« Franz hat Mühe, seine
Gedanken zusammenzuholen. Das ohrenzerreißende Schnattern draußen --
reden ungarisch, die Gänse -- jetzt hat er sich zusammengeklaubt und
zurechtgefunden.

»So also sieht das Zimmerchen aus, das für die Dauer des
Sommeraufenthaltes auf Schloß Zelez mir gehört! Nicht übel! Das
Fenster, das Grün davor, der Ofen, die blumigen Stühle -- es hat
Stimmung!«

Der Klingelzug -- mit heiliger Scheu betrachtet er ihn. Ein breites
Band mit bunter Kreuzsticharbeit bedeckt, wahrhaftig eine Zier der
kleinen Stube. Er braucht im Bette nur die Hand auszustrecken, ein
Riß, und es müssen schon die Diener des Schlosses herbeifliegen, nach
den Wünschen des Gastes zu fragen. Es zuckt in seinen Fingern -- aber
möge ihn der Himmel bewahren, wirklich zu ziehen! Gestern abend bei
der Ankunft hat ihm der Herr Kammerdiener gesagt, es sei nicht üblich,
die Klingel zu ziehen. »Es wird ohnehin gesorgt werden, daß es zur
rechten Zeit da ist, was dem Herrn Professor zukommt. Also, angenehme
Nachtruhe, Herr Professor!« Sagt es und zieht sich mit würdevoller
Miene zurück.

Der gräfliche Herr Kammerdiener muß wissen, was Sitte ist. Seine
Gnaden, der Herr Kammerdiener wünschen auch nicht übermäßig gestört
zu werden, ist aber sonst ein umgänglicher Mann, wohlwollend,
herablassend, ganz nach Herrenart. Er geizt mit Titeln nicht, er ist
den »Professor« gewissermaßen sich selber schuldig; mit geringeren
Leuten würde er sich gar nicht abgeben. Franz hätte aus Bescheidenheit
ohnehin nie den Klingelzug angerührt, aber jetzt malt ihm seine erregte
Phantasie die beschämenden Folgen aus, wenn er sich wirklich vergessen
würde. Nein, nein, lieber sollte ihn doch gleich die Erde verschlingen.

Mit einem Satz ist er aus dem Bett heraus, zum Fenster hin. Die
wundervolle Morgenluft, die da hereinströmt! Köstlich, das erste
Erwachen auf dem Lande! Diese Würze -- die Erde hat hier einen
anderen Geruch als daheim. Ein fremdes Land. Man ist gespannt auf die
Entdeckungen, die bevorstehen. Gestern abend, diese Müdigkeit, man
hat gar nicht Zeit und Sinn gehabt, sich umzusehen. Man war ja wie
zerschlagen nach der langen Fahrt im Postwagen. Aber schön war es,
seltsam schön.

Jetzt kehren die Bilder zurück, die man unterwegs erschaut hat. Auf
dieser Fahrt durch die Ebene, die weit geöffnet dalag wie die Hand
Gottes, eine riesige Blumen- und Fruchtschale. Unaufhaltsam ging's
weiter durch endlose alte Alleen, staubweiße Straßen, vorbei an
kühlen, dunklen Kirchen, geduckten Dörfern, hellen Schlössern, immer
weiter, weiter gegen Osten. Fliegende Wolkenschatten huschten gleich
wandernden Gedanken über das klare Antlitz der Ebene, sie atmete
sichtbar und erregt, wenn sich der Wind in die hohen Pappeln legte,
und war still und traurig, wenn sich der Himmel trübte, und war ein
Lächeln über und über, wenn die Sonne aus den Wolken trat. Die Felder
standen fruchtschwer, und die Weiber mit den roten Kopftücheln sahen
aus wie Mohnblüten im gelben Stroh. Ein schönes Stück Welt hat man im
Flug gesehen, aber das Beste sollte erst kommen, denn hier im Schlosse
begann ein neues ungewohntes Leben für Franz.

Dort im Grünen watschelten die weißen Gänse und riefen den
heraufziehenden Morgen an. In niedrigen Zeilen gingen die
Wirtschaftsgebäude hin bis hinunter zum Ententeich, der, von hier
gesehen, wie ein kleiner Handspiegel draußen lag. Uralte Bäume
schoben ihre mächtigen Häupter über die hochgezogenen Dächer der
Wirtschaftsanlagen empor. Der Park von Zelez! Die Lage war schön, das
hat man gestern bei der Ankunft schon gemerkt. Freilich, hier, im
Hintertrakt des Schlosses, wo sich das Zimmerchen für den Herrn Musikus
befand, war noch nicht viel zu sehen.

Mit dem Schlaf war es jetzt vorbei. Schnell in die Kleider geschlüpft,
leise, um niemanden zu stören, und hinaus in die Morgenfrische! Aber
draußen war es inzwischen auch schon lebendig geworden. Um vier Uhr
früh regt sich schon das Leben auf dem Gutshof. Es ist nicht so wie in
der Stadt, wo man sich um acht Uhr morgens den Schlaf aus den Augen
reibt.

Da guckt ein hübscher Kopf zur Tür herein. Das Stubenmädchen. »Guten
Morgen, Herr Musikdirektor!« Sie hat ihn gestern abend so freundlich
angelacht und erkundigt sich nun, ob er gut geschlafen oder ob er
schon das Frühstück wünsche, und nach hundert anderen Kleinigkeiten.
Wahrhaftig, eine gute, mitfühlende Seele! Man hat Freunde gewonnen
auf den ersten Blick, die Gefühle erwachen unter dem Anhauch der
Weiblichkeit, man fühlt sich schon wie zu Hause.

Und jetzt durch den Park in einem weiten Bogen um das Herrenhaus, man
möchte das Schloßantlitz sehen. Da, über dem tauglitzernden, weiten,
grünen Rasen steht es und leuchtet weiß. Ein behäbiger, breiter
Mittelbau mit dreieckigem Giebel und französischem Dache, den breiten
Flur von dickgepolstertem Efeu flankiert, links und rechts breite
Gebäudeflügel mit hohen Dächern, grünen Fensterläden, ländlich, behäbig
und zugleich so vornehm!

Franz tritt nicht heraus aus dem Buschwerk, er möchte nicht gesehen
werden, er ist so schüchtern. Auf dem Rückweg begegnet er einem jungen
Mann im Walde mit einem Buch. Der Sohn des Inspektors. Ein junger
Philosoph, der die Ferien daheim zubringt. Sie grüßen sich schweigend.
In der Nähe des Gutshofes begegnet ihm der Inspektor selbst. »Guten
Morgen, Herr Kapellmeister!« ruft er schon von weitem, bleibt stehen
und beginnt ein Gespräch über Musik. Er rühmt sich seiner eigenen
Musiktalente. O weh: ist schon gefehlt! Aber man muß gute Miene machen,
es sind die Leute, auf die man angewiesen ist.

Im Wirtschaftsflügel erscheint die Frau Inspektor am Fenster. Sie
will als Gnädige behandelt sein und gibt sich mit einer gezierten
Vornehmheit, als ob sie die Gräfin selber wäre. Sie nickt und setzt mit
deutlicher Unterscheidung hinzu: »Morgen, Herr Musiklehrer!«

Man hat so ziemlich schon das ganze Grafengesinde am Morgen begrüßt,
den jungen Doktor, der mit seinen vierundzwanzig Jahren kränklich
tut wie eine alte Dame, den Rentmeister, der herumsteigt wie ein
großer, dicker, roter Puterhahn, den Koch, der sehr fidel tut, die
Kammerjungfer, die alte Kinderfrau, den etwas unwirschen Beschließer,
die beiden Stallmeister. Das sind die Leute, zu denen man jetzt
gehörte. Soviel Menschen, so viele Titel haben sie dem armen Schubert
an den Kopf geworfen, daß er wirklich nicht mehr weiß, was eigentlich
für eine Rolle am Gutshof er zu spielen bestimmt ist.

Auf dem Zimmer steht bereits das Frühstück: Kaffee, ein Ei, etwas
Butter und zwei Brötchen. Sehr splendid! Franz hat das dankbare
Gefühl, im Schlaraffenland zu sein. Endlich einmal nicht denken zu
müssen: wovon werde ich heute leben, wo werde ich das Nötige morgen
hernehmen und übermorgen? Wird es reichen für den heutigen Tag? Was
kann ich mir vom Mund absparen, um das Dasein zu fristen, so lange,
bis das kärgliche Stundengeld wieder bezahlt wird? Das ist jetzt
alles von ihm genommen. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht -- so
frei, so leicht, so unbeschwert von Sorgen, arbeiten können, ohne den
fürchterlichen Druck der Lebensnot zu spüren! Von nichts gehemmt kann
der Born der Erfindung springen, mächtiger und reichlicher als zuvor!

Die Frühstunden bis elf Uhr vormittags gehören ihm und seiner Arbeit.
Um elf Uhr erwarten ihn die beiden Komtessen Marie und Karoline
im Musikzimmer. Das ist ein großer, hübscher Gesellschaftsraum an
der Vorderseite des Schlosses mit dem Blick auf den Rasenteppich;
ein schmales, langes Klavier steht in der Ecke und verstellt eine
weiße Glastür, die oben in einem halbkreisförmigen Bogen endet,
ganz empiremäßig, und mit weißen Linnenvorhängen bespannt ist. In
der Fensternische steht eine blumige Polstergarnitur mit Sofa,
hohen Fauteuils und einem Tisch in der Mitte, der auf einem Bein
mit breitem Sockel steht. Auf der anderen Seite des langen Saales
steht ein Schreibtisch beim Fenster, und in der Ecke ein langer,
niederer Lesetisch mit vielen bequemen Stühlen herum. Familienbilder
hängen an den Wänden in Türhöhe, darunter eine Unzahl Miniaturen, in
kleinen Schränkchen an den Pfeilern und in der Ecke befindet sich
edles Porzellan. Der glattgewichste Parkettboden blinkt spiegelhell.
Freundlich, behaglich und vornehm ist es in dem Raum.

Die beiden Komtessen behandeln ihn wie einen Bruder. Sie sind
aufmerksam und liebevoll mit ihm, gar nicht scheu; besonders Karoline
geht so liebreich mit ihm um, daß er selbst alle Sprödigkeit verliert
und sich alsbald natürlich gibt wie unter seinesgleichen. Auch sie
nennen ihn zuerst »Herr Professor«. Seine Verzweiflung darüber
gibt ihnen zu lachen, das Eis ist damit gebrochen gewesen, aus dem
»Professor« wird wieder der Herr Schubert, er avanciert zum »lieben
Herrn Schubert«, der »Herr« fällt als überflüssige Förmlichkeit fort;
auf der Stufenleiter zum Komtessenherzen rückt er vor zum »Franzi«,
manchmal zum »lieben Franzi«, dies aber nur unter Ausschluß fremder
Zuhörer.

Auch die Frau Gräfin ist freundlich, gutmütig, eigentlich nicht
herzlich, nicht warm, aber wohltemperiert. Immer gleichmäßig,
gleichmäßig lauwarm mit unverändert zur Schau getragener wohlwollender
Miene. Sie gibt sich so einfach, so leutselig, dabei so leise und
zurückhaltend, daß die Leute sagen: die Gräfin ist ein Engel! Sie
tut, als ob sie von Standesunterschieden nichts wüßte, aber hinter
ihrer klugbedachten Art liegt die ganze unaufgedeckte Kluft, durch
die sie sich von gewöhnlichen Sterblichen fernhält. Ihr Stolz trägt
die Maske herzgewinnender Bescheidenheit, aber es ist nicht Herz in
ihrem Gehaben, sondern nur die unerhörte Zucht des aristokratischen
Selbstgefühls.

Franz fühlt es, wieweit alles Menschliche bei ihr vom Standesbewußtsein
bestimmt und abgezirkelt ist; ihre Freundlichkeit hat anfangs etwas
Bedrückendes, Demütigendes für ihn, aber man gewöhnt sich daran.
Sie liebt die Musik, es ist die einzige Brücke zwischen ihm und der
Gräfin -- aber sie erkennt in ihm nicht den Genius, der Königen im
Range gleichkommt; er bleibt in ihren Augen nur der bessere Diener,
der das Klavier bedient, den Unterricht erteilt und nebenher sich in
Komposition versucht.

Es liegt ein schmerzlicher Stachel in dieser Erkenntnis, aber die Milde
der Gräfin schafft eine solche Linderung um die stille Demütigung, daß
die Auflehnung ganz hilflos wird. So großartig versteht sie die Welt
in Schranken zu halten und eine Art luftleere Sphäre um sich herum zu
schaffen, daß nichts Lebendiges an sie heran kann. Diese aufreizende,
ewig gleichgestimmte Freundlichkeit! Franz, der angefangen hatte, sich
darüber zu ärgern, muß schließlich damit enden, indem er sie ob dieser
Kunst bewundert.

Die zwei Musikstunden am Vormittag vergehen im Flug. Die beiden
Komtessen sind ja so gute Kinder! Um halb zwei Uhr wird zu Mittag
gegessen. Franz speist mit der Herrschaft. Das ist das einzig
Unangenehme in dem Schlaraffenland. Man fühlt sich so geniert. Und
gar der Herr Graf! Wenn der kommt, dann sinkt alle Unbefangenheit auf
den Gefrierpunkt herab. Wenn Franz vor einem Menschen ein Bangen hat,
so ist es dieser robuste Mann mit dem geröteten Gesicht, den herrisch
dreinblickenden Augen und dem brutal rücksichtslosen Ausdruck seines
Gesichts.

Der Graf küßt der Gräfin die Hand, spricht im Kreis der Familie
nie anders als mit gedämpfter Stimme, ist dem armen Franz gegenüber
von einer Zurückhaltung, die so eisig ist, daß die wohlgemessene
Freundlichkeit der Gräfin dagegen wie ein heißer Quell von Herzlichkeit
wirkt. Kaum, daß der Graf fünf Worte je mit ihm gesprochen hat. Während
er sich mit leiser Stimme nach den Fortschritten seiner unbekümmert
plaudernden Töchter erkundigt, denkt der stillsitzende Franz an die
furchtbare Donnergewalt und an die Flut von Schimpfreden, die er am
Morgen vom Stallgebäude her aus dem Munde des Grafen gehört hat. Dem
seiner Zartheit ist nicht zu trauen!

Das Mittagessen ist so einfach wie möglich. Suppe, Fleisch, Gemüse,
etwas Mehlspeise, Obst. Am Freitag gibt es Fisch. Zweimal die
Woche entfällt das Fleisch; ab und zu gibt es Entenbraten. Wiener
Bürgersleute leben weitaus üppiger, eine Kost wie diese haben auch
die gewöhnlichsten Leute der Stadt. Freilich die Zubereitung ist über
alle Begriffe gut. Aber dem guten Franz mundet's trotzdem nicht. Das
Ungewohnte der Lage -- diese verflixte Schüchternheit!

Zu Abend speist Franz ebenfalls mit den Herrschaften. Ein Ei,
Butterbrot, ein Glas Milch, später etwas Kompott. Herrgott, ist das
eine Sparsamkeit! denkt sich Franz. Grenzt schier an Geiz! Ist aber
nicht so. Ist bloß raffinierte Zucht, die solche Prachtexemplare
aristokratischer Menschen erzeugt. Die Komtessen Marie und Karoline,
was sind das für herrlich blühende Mädchengestalten. Und einfach,
einfach -- man sollte es nicht glauben! Ein schlichtes, weißes
Kleidchen -- eine bürgerliche Mutter würde sich ein Gewissen daraus
machen, die Tochter so schlicht zu halten. Die Leute würden denken,
man habe nichts anzuziehen, also wird die Tochter wie ein Palmesel
herausgeputzt. Aber die adeligen Fräuleins können sich den Luxus der
allergrößten Enthaltsamkeit und Einfachheit erlauben. Es ist wirklich
das Allerkomplizierteste, diese Einfachheit!

Franz wundert sich, keinen Tropfen Wein oder Bier, weder zu Mittag
noch zu Abend. Woher nur der Herr Graf sein rotes Gesicht hat?! Der
Kammerdiener erklärt es: »No, ganz einfach; fahrt Graf mit Viererzug
nach Eisenstadt die Woche drei-, viermal, da fließt Sekt in Strömen --
aber zu Hause, nicht einen Tropfen!«

Aber das Gesinde hat eine andere Lebensführung. Da gibt's Bier und Wein
zu Abend, mächtigen Schweinsbraten, mittags Geflügel, ja, da lebt man
hochherrschaftlich! Der Herr Rentmeister läßt sich nichts abgehen, der
Herr Inspektor hält nicht weniger auf guten Tisch, jeder trachtet, daß
er nicht zu kurz kommt bei den Genüssen dieser Erde. Nur wenn in der
gräflichen Familie Gesellschaft ist, darf Franz auf seinem Zimmer oder
im Inspektorflügel essen. Er gehört zur Familie, wenn sonst niemand
da ist, im übrigen wird er dem Grafengesinde zugezählt. Hier kann man
wieder ganz Mensch sein! Es tut so gut, aus den dünnen Höhen einmal
wieder herabzusteigen und festen Fußes auf der Erde zu wandern. Ein
Glas Bier zu trinken, einen Becher Wein -- der Herr Kammerdiener hat
immer einen guten Tropfen auf der Seite und fragt des öfteren, ob er
nicht vielleicht ein Glas voll abends aufs Zimmer stellen darf, nach
dem frugalen herrschaftlichen Souper.

Die vertrauliche Frage läßt tief blicken, aber die Heimlichtuerei ist
dem guten Franz zuwider; er lehnt es ab, obgleich die Zunge danach
lechzt -- er lebt jetzt als richtiger Puritaner. Nur bei dem Essen im
Inspektorflügel, da legt er sich keinen Zwang auf, es geschieht offen
und vor aller Augen -- du lieber Gott! weswegen hast du denn einen so
guten Tropfen wachsen lassen, wenn ihn der Mensch verschmähen soll?!
Nur keinen Spott über diese Himmelsgaben -- alles, was gut ist und das
Herz erfreut, soll der Mensch genießen dürfen, das ist sein Standpunkt.
Die übertriebene Frugalität in Ehren, ist aber nicht jedermanns Sache,
und der Künstler ist am wenigsten Kostverächter.

Es kommen abends öfters Zigeuner vorbei und spielen beim
Inspektorflügel auf, ganz unten, wo die Linde steht, in der Nähe vom
Ententeich. Ist das eine Musik, die sich glühendheiß in die Adern
ergießt und das entschlafene Feuer weckt! Schwer und sehnsüchtig
wird einem dabei. Die braunen Pußtasöhne stehen unter dem Baum und
geigen, wie es ihnen der liebe Gott diktiert. Auch die haben's von
niemandem sonst gelernt, aber es klingt anders, ganz anders, als es
Schubert weiß. Schwermütig, wild aufjauchzend, fortreißend in wilder
Leidenschaft, besinnungslos und wieder hinklagend wie der unendliche
Sehnsuchtshauch der Pußta. Wild ergreift es die Menschen, die Knechte
in weißen, weiten, gefransten Hosen, die bis unters Knie über die
Röhrenstiefel hängen, eine enge, kurze Jacke an, ein rundes Hütlein am
Kopf, reißen die Mägde an sich, und nun wirbeln sie hin in Raserei.

Eine neue Welt geht vor den Sinnen des jungen Künstlers auf, der fremde
Quell von Tönen, der ihm da entgegensprudelt, ist nicht verloren, er
weckt einen verwandten Ton in seiner Brust, irgendwie tritt der neue
Zufluß in seinem eigenen Melodienstrom verwandelt zutage.

Rosa, das Stubenmädchen, wird elegisch bei der Zigeunermusik. Sie ist
nicht mehr ganz jung, hat mancherlei Erfahrung, aber das Herz -- das
Herz ist noch töricht.

Und dieses Herz hat sie auf der Zunge; sie begleitet ihre Geständnisse
mit einem frommen Augenaufschlag: »Ich kann halt nicht nein sagen --
die Männer sind so schlimm --« Ob er ein Liebchen in der Stadt gelassen
hat, fragt sie Franz, weil er immer so ernst und traurig sei. Sie will
ihn trösten.

Warum!

O, sie weiß, was das heißt, wenn man ein Liebchen verloren hat. Da geht
man herum wie ein halb Gestorbener. Ihr ist es auch einmal so gegangen.
Sie hat geglaubt, sie könnte es nicht überleben. Und hat es doch
überlebt. Aber wie -- fragt nur nicht wie!

Sie lehnt sich an Franz' Schulter und fährt mit dem Zipfel ihrer
Schürze an die Augen.

»So gelockte Haare hat er gehabt wie der Herr Kapellmeister! Drum waren
Sie mir gleich so sympathisch -- ich habe es Ihnen angesehen. Sie haben
ein Herz im Leib -- o, auf den ersten Blick habe ich gewußt, wieviel es
geschlagen hat!«

Aber Franz schweigt. Er kann Rührseligkeiten nicht leiden, und dann
ist dort der Herr Beschließer, der macht schon ganz fürchterliche
Augen, er ist eifersüchtig auf den Musikus.

Franz wird sozusagen auf Händen getragen, auf Frauenhänden, das läßt
man sich gern gefallen. Warum sollte er unfreundlich sein gegen Rosa.
Sie ist hübsch, und Sympathie verpflichtet. Sie leistet ihm gar zu
gern Gesellschaft und vertraut ihm ihre Geheimnisse an, wenn sie den
Kaffee bringt, und dabei verplauscht sie sich gern ein bißchen. Aber
da schleicht schon der argwöhnische Höllenhund von einem Beschließer
vor der Tür herum und guckt durchs Schlüsselloch, ob er nicht
etwas bemerken könnte, um Skandal zu schlagen. Teufel auch, soll
umherschleichen, der schlechte Kerl -- soll man etwa nicht ein Wort
reden dürfen miteinander?

Aber Franz ist nicht nur von dem weiblichen Gesinde auf Händen
getragen, er wird auch von gräflichen Händen auf Rosen gebettet. Die
beiden Komtessen haben ihn ins Herz geschlossen. Am meisten Karoline.
Die kalte Freundlichkeit der Gräfin, der rohe Hochmut des Grafen -- es
wird reichlich wett gemacht durch die natürliche, unschuldige, echt
menschliche Zuneigung der beiden Komtessen. Wie Kameraden wandern sie
mit ihm nachmittags in den Park hinaus, streichen zwischen den Feldern
umher, zwischen den Weingärten; zur linken Seite und zur rechten Seite
hat sich ein Komteßlein eingehängt, und beide wetteifern im Schöntun.
Er muß Fangen mit ihnen spielen, in ihren dünnen, weißen Kleidern jagen
sie behend neben ihm her wie die Jagdgöttinnen aus den nachgedunkelten
Dianabildern im gräflichen Hausflur.

Mit seinen kurzen, stämmigen Beinchen rennt er nach, bis ihm der Atem
zu kurz wird, er kann die Jungfrauen nicht einholen, die leichtfüßig
und schlank wie junge Rehe vor ihm einherspringen. Aber sie machen's
ihm leicht, die lassen sich gutwillig fangen, und dann muß er hinknien,
sie winden ihm ein Blumensträußlein, er muß sich's aufs Haupt setzen
lassen, Karoline streichelt mit zarten, gräflichen Fingern über seinen
Scheitel, und beide werden nicht müde, seine wirren Locken zu bewundern.

Es wird ihm ganz heiß und eng, ein so reiner, seliger Hauch von Liebe
geht von den beiden Mädchen auf ihn über, er fühlt wie ein arkadischer
Schäfer und möchte die beiden Schäferinnen an sein Herz ziehen -- aber
er bittet die jungen Damen, daß man jetzt heimgehen soll, die Mama
könnte sonst schimpfen!

Da lachen ihn beide aus, fassen ihn bei den Haaren und bei den Ohren
und knuffen ihn zärtlich ab, und wenn ihm das Herz fast vergeht vor
Wonne und Weh, er muß fein schweigen und tun, als ob er so wenig spürt
wie etwa der Pudel, der sich ähnliche Liebkosungen ruhigen Gemütes
gefallen läßt.

Nur in Noten, in Melodien darf das Geständnis seiner Liebe ausströmen.
In Tönen darf er träumen »von Lieb' um Liebe, von einer schönen Maid,
von Herzen und von Küssen, von Wonne und Seligkeit ...« Wenn er in
seinem Zimmer sitzt, dann wird das Herz noch einmal so wach. Bei den
Blättern, die er mit krausen Zeichen, Punkten und Strichen bedeckt,
denkt er dem Traume nach, das Herz schlägt geschwind -- er sitzt hier
allein, aber wenn er die Augen schließt, drängt es sich liebend an
ihn -- jetzt ist der einsam Schaffende nicht mehr allein. Die Augen
schließt er wieder, das Herz schlägt stürmisch und heiß, am Fenster
grünen die Blätter, wann -- »wann halt' ich mein Liebchen im Arm ...?!«
So jubelt ein herzvoll sehnsüchtiger Sang in seiner Brust und hat
alsbald Gestalt als Lied, um ewig fortzuklingen in der Welt von Seele
zu Seele.

Tra--ra! Tra--ra! Ein Horn schmettert draußen, er schmeißt den
Federkiel hin und springt ans Fenster -- die Post fährt vorbei. Was hat
es nur, das Herz, daß es so hoch aufspringt?

Die Post kommt von der Straße her, die weit, weit zurückläuft -- die
Post kommt von der Stadt, wo man so glücklich war im Leiden, ja, so
glücklich war! Was machen sie alle? Die lieben Freunde, was macht
der Herr Vater, die Frau Mutter, was machen die Brüder? In dieser
Einsamkeit, in der man lebt, sind einem die Fernen näher als sonst.

Rosa huscht ins Zimmer herein, lautlos wie ein Kätzchen. Und hat
sich schon an Franz geschmiegt beim Fenster. »Ein Brief vom Liebchen
da?« Sie möchte gar zu gern etwas Näheres über den Herzensbefund des
verschlossenen Franz wissen. Ob er nicht doch ein Liebchen hat, daß er
so gar nicht verstehen will, wenn sie ihm ihr eigenes Herz schon auf
dem Präsentierteller entgegenbringt. Ach, die Rosa ist feurig, sie weiß
ihn gehörig in die Enge zu treiben beim dicht umblätterten Fenster, wo
der Herr Beschließer durchs Schlüsselloch nicht hinblicken kann. Aber
Franz weiß sich immer noch aus der Schlinge zu ziehen, obzwar es ihm
manchmal selber schwer genug ankommt. Wenn er sich einmal vergäße,
denkt er, dann ist kein Halten mehr! Und wie leicht ist es geschehen.

»Halt, Fräulein Rosa, ich glaube, der Beschließer ..!« das war bisher
immer noch von der Wirkung eines kalten Wasserstrahls, um Rosas
glühendes Verlangen in geziemenden Schranken zu halten. Aber wer weiß,
was jetzt geschehen wäre, wenn nicht der Herr Schwager draußen sein
gelbes Gefährt angehalten und Briefe an den Herrn Kompositeur Franz
Schubert abgegeben hätte.

Rosa läßt sich alles haarklein berichten, wer geschrieben hat und was
in den Briefen steht, sie kann es nicht glauben, daß einer so streng
gegen sich und schier ohne Liebesbegehren sein mag, wenn er nicht
doch am Ende irgendwo ein Liebchen versteckt hätte. Aber es sind
wirklich nur Briefe von den Anverwandten. Der Herr Vater schreibt
sogar eigenhändig, es freue ihn, daß es dem Sohn gut gehe und daß er
bei so hohen Herrschaften Anerkennung und Stellung gefunden habe --
es scheint, daß er sich mit dem Sohn in seinem Herzen ausgesöhnt hat,
nachdem dieser doch etwas wie ein Amt bekleidet.

Also, ein ganz verlorener Musikant, das ist der Franz nun doch
nicht mehr. Der Bruder Ferdinand berichtet, daß die Frau Mutter den
gewünschten Nachtrab von Schnupftüchern, Halstüchern und Strümpfen
schickt und daß die bestellten kasimirnen Beinkleider unterwegs seien;
sie denke in mütterlicher Sorgfalt an Franz .... Die Briefe klingen
alle etwas steif und hölzern, es ist keine rechte Erlösung darin. Wo
bleiben die Freunde, daß sie kein Wort schreiben?

»Die Post bringt keinen Brief für dich, mein Herz, mein Herz, was
drängst du denn so wunderlich, mein Herz, mein Herz!«

Die arme Rosa kennt sich gar nicht mehr aus mit dem wunderlichen
Musikanten, der ihr dieses eigen komponierte Liedchen von der Post
vorträllert; sie hat schon ganz den Kopf verloren, wie wird das noch
enden, wie?

»Sie schlimmer Herr Franz!«

Der Sommer vergeht, der Herbst kommt, und immer dieses Leben, dieses
wohlgemessene, äußerlich glückvolle, sorgenfreie, innerlich drangvoll
begehrende und immer wieder spröd sich versagende! Hundertmal fährt
der Postillon vorüber, immer wandern die Gedanken mit, man möchte
aufschreien: halt, Schwager, halt, nimm mich mit! Zurück in die Stadt!
Zurück in die sehnsüchtig begehrte Wienerstadt, die alles einschließt,
was das Leben an Glückseligkeit gewähren kann. O Wien, Wien, Wien!

»Willst wohl einmal herübersehen und fragen, wie es dort mag gehen,
mein Herz -- mein Herz?!«

Ja, ja, so fragt das Herz, das allzu unruhige, stürmende, pochende! Die
Herbstabende sind lau und gnadenvoll, die Bäume im Park prangen in den
Farben der Dukaten, alten Münzen, Medaillen, grün und gold -- es ist
eine Jahreszeit zum träumerischen Sinnen.

Nach dem Abendessen an der gräflichen Tafel wird noch ein kleiner
Spaziergang gemacht. Zigeuner treten auf den grünen Plan und bringen
der Herrschaft ein Ständchen. Ein schäumender Trank, diese Musik, die
das Blut rebellisch macht und den Zwang doppelt unerträglich!

Komtesse Karoline hatte sich mit Franz unter den dunklen Bäumen des
Parks verloren. Er redet etwas von den Empfindungen, die diese Musik
auslöst.

»Diese braunen Kerle, sie leben das richtige Künstlerdasein. Das
Leben verraucht, verträumt, vergeigt, so ist es auf göttergleiche Art
genossen. Und dann kommen sie und spielen einem die Seligkeiten ihres
genossenen Glückes vor, daß einem die Brust zerspringen möchte ..«

Er hatte nicht vollendet, da fühlte er sich plötzlich umfaßt, zwei
weiße, weiche Arme warfen sich um seinen Hals, ein schlanker,
dufthauchender, gertenhaft biegsamer Körper zog ihn an sich, ein
frischer Mund suchte seine Lippen und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

»Franz, lieber Franz, ich hab' dich ja so lieb ....«

Er wußte jetzt wirklich nicht, wie ihm geschah. Das schöne, adelige
Fräulein -- die Liebe hatte ihn jetzt umfangen, diese Seligkeit, die
still Angebetete in seinen Armen zu halten, und zugleich die Qual,
nein, die Scham, sie spröd von sich weisen zu müssen. Er machte ihre
Hände los, die sich um seinen Nacken fest ineinander gekrampft hatten.

»Komtesse Karoline -- ich bitte -- bedenken Sie doch -- ich bin nur ein
ganz elender bürgerlicher Erdenwurm, der nicht die Augen so hoch zu
erheben sich vermessen darf -- meine unbegrenzte Verehrung -- aber wir
müssen doch vernünftig sein -- der Herr Papa -- und die Frau Mama ....«

Ja, es war zum Heulen. Und wenn er zugrunde gehen hätte müssen -- das
Vertrauen mißbrauchen, nein! Der mit allem Schein der Freundlichkeit
und Milde verhüllte Abstand, den die Gräfin aufrechtzuerhalten wußte,
das wirkte auf ihn mit einer stärkeren Zucht, als es der brutale
Hochmut des Grafen oder die Furcht vor dessen Zorn sein konnte;
der Graf würde vor nichts zurückschrecken, auch nicht vor einem
Totschlag -- aber das war nicht der Grund, weswegen Franz sich eine so
übermenschliche Herrschaft auferlegen konnte; es war der innere Takt,
der bei aller Liebe zu dem Mädchen sich als Hüter ihrer Ehre fühlte und
nur zu gut wußte, daß der Abstand zweier Welten zwischen ihm und ihr
lag -- sie mußte am jenseitigen Ufer bleiben.

Manches liebe Wort ward unter den Bäumen noch gesprochen, es gab Tränen
und eine letzte Süßigkeit, die im freiwilligen Entsagen liegt -- der
Kies knirscht, wie sie mit elastischen Schritten wegeilt, zum Schloß
hin, rein und weiß schwebt sie durch das späte Dämmerlicht.

Die Zigeuner spielen jetzt fern, an der Linde beim Ententeich; Franz
ist allein in der Einsamkeit seines Zimmers; draußen ist helles frohes
Leben, Tanz und Lust bei der Linde -- die Welt scheint hier so ruhig
und so licht!

Aber so elend, so elend war er nie, wie jetzt; er war es nie, wenn die
Stürme tobten, wie er es jetzt ist, in der Stille dieses Lebens.

»Ich wußte, daß Sie hier auf mich warten -- alle sind bei den
Zigeunern, auch der Beschließer, der gemeine Kerl! Franz, haben Sie
denn kein Herz?«

Eher zu viel als zu wenig! Aber es gehört der einzigen Geliebten, mit
der er am liebsten allein ist, die er in seinem Zimmer, in seinem
Klavier, in seiner Brust verbirgt und die ihm alle Geständnisse
abverlangt, alle Prüfungen und Nöte der Liebe, alles sehnsüchtige
Verlangen und schmerzliche Entsagen.

Aber die Stunde ist gefährlich, und Jungfer Rosa setzt ihm hart zu.
Wie wird dieses Herz bestehen zwischen der keuschen, reinen Liebe des
adeligen Mädchens und dem glutvollen Verlangen dieses unbekümmerten
Volkskindes? Und diese Musik, die so verführerisch und sinnenerregend
herüberklingt -- aber man ist kein frivoler Laffe, und man hat es
schwer mit sich selbst. Die widersprechenden Empfindungen beschwören
einen solchen Konflikt, man kämpft einen schweren Kampf, und die Liebe,
wenn sie einmal kommt und ihn segnen will, vermehrt nur seine Pein. Im
Lied allein kann er hoffen, seine Erlösung zu finden.

Am anderen Morgen ist Sonntag, Franz ist in der Dorfkirche unten, er
hört sich die Predigt an. Wo bleibt diesmal die befreiende Stimmung,
die er im Gotteshause immer gefunden? Liegt es an ihm, oder ist der
polternde Kapuziner auf der Kanzel schuld, der auf die Bauernschädel
herabdonnert, mit Ludern und Kanaillen herumwirft, einen Totenkopf von
der Kanzel herab zeigt: »Da seht her, ihr gukerscheckigen Gfrieser,
so werdet ihr einmal ausschauen ....« und dann hebt erst recht die
Moralpauke an: »Da geht der Bursch mit dem Mensch ins Wirtshaus, tanzt
die ganze Nacht, dann legen sie sich besoffen nieder und stehen ihrer
drei wieder auf ....«

Dem guten Franz wird es unerträglich, er trachtet hinauszukommen ins
Freie. Hier unter den Bäumen ist wahrer Gottesdienst.

Der Schwager Postillon war da und hat Briefe gebracht. Bruder
Ferdinand möchte das Klavier von Franz kaufen, er tut dabei so
zimperlich, als ob er nicht dem Bruder, sondern einem wildfremden
Menschen schriebe. Es ist wirklich zum Ärgerlichwerden -- schenken will
ihm Franz das Klavier, aber nur nicht so schreiben soll er, so devot
und vorsichtig, es ist wirklich kränkend.

Aber aller Ärger ist verflogen, als er den nächsten Brief öffnet, den
die Freunde zusammen schreiben. Ein wahres Freudengeschrei erhebt er,
es ist, als ob er die Lieben, einen nach dem anderen, selbst in den
Armen hielte, so berauscht ist er von Glück.

Die Briefe der Freunde, so spärlich sie auch kommen, sie sind das
einzige und wahre Glück, das er in diesen Tagen genießt. Er kann es
ihnen nicht dringend genug auftragen, soviel wie möglich zu schreiben,
er darbt danach, jede Zeile von ihnen ist Himmelsbrot.

»Lieber Schober! Lieber Spaun! Lieber Mayrhofer! Lieber Schwind! Lieber
Soundso! Daß ihr mir ja gleich wieder schreibt, hört ihr? Sonst, sonst,
sonst ...«

So stürmt es in seinen Briefen an die Freunde.

Sie fehlen ihm zu seinem vollen Glück.

Das Leben ist hier leicht und schön, Frauengunst blüht ihm, der Sorgen
ist er entbunden -- aber es ist doch nicht das Rechte. Das Glück, wo
ist das Glück? Es ist dort, wo seine Freunde sind. Es ist dort, wo die
süße, weiche, melodienreiche, harbe, laute Weanasprach erklingt.

So still verfließt das Dasein hier! Man hat viel freie Zeit, aber es
ist nicht die Freiheit, die man braucht. Man steht wie ein Rößlein
an der Krippe und ist schließlich des goldenen Hafers überdrüssig.
Man zerrt an der Kette und beneidet die wilden Gefährten, die mit
dem Sturmwind um die Wette jagen. Wo bleibt der Sturm, das Lebenshaus
zu durchrütteln mit seiner prachtvoll schauerlichen Musik, die alle
Seelentiefen aufrührt und alle Winkel mit frischem, lebendigem Hauch
erfüllt? Der Künstler braucht es, die Geruhsamkeit tut ihm auf die
Dauer nicht gut, das Blut wird träg im Wohlleben, und der schöpferische
Born droht in der Einförmigkeit des Daseins zu versiegen.

Die Zigeuner, die das Leben verrauchen, verträumen und vergeigen, sie
haben nach Künstlerermessen das bessere Los gewählt.

Die späten Herbsttage drücken schwer auf das Gemüt mit ihrer
Melancholie. Franz zählt die Tage, Stunden, bis es wieder heimwärts
geht nach Wien und die Bürde von Stellung und Beruf wieder von ihm
genommen ist, die härter drückt als alle kleinen Lebenssorgen, denen er
vor einem halben Jahr entronnen war.

»Ach, daß die Luft so ruhig, ach, daß die Welt so licht! Als noch die
Stürme tobten, war ich so elend, so elend nicht!«

Die Post kommt und geht wie immer, und endlich, o glücklicher Tag,
nimmt sie Franzens Reisegepäck auf. Die Liederfracht ist schwer, aber
das Herz ist leicht. Die Rosa muß es nun wohl glauben, daß er in der
Ferne ein liebes Liebchen hat -- doch wie es heißt? Sie hätte es gar zu
gern gewußt. Sie hat geschmollt, weil er ein gar so sprödes Herz besaß,
und endlich hat sie den Beschließer erhört, denn das war ihr Fehler und
ihre Tugend, daß sie halt nicht nein sagen konnte!

Adieu Rosa, »und wenn Sie es durchaus wissen wollen, wie mein liebes
Liebchen heißt, so sei es jetzt gesagt: Wien heißt es, Wien, das
geschmähte, verlassene, verwünschte -- vor allem aber geliebte und mit
Sehnsuchtsgedanken behütete!«

Rosa lacht und dreht ihm den Rücken.

Als Franz beim Schwager vorne saß und die lichte Straße in der
verhaltenen Stimmung eines graublauen Herbsttages hinfuhr, nahm
er immer wieder einen mit Seidenpapier umwickelten Gegenstand
aus der Brusttasche, um ihn innig zu betrachten; -- eine
kleine Meerschaumpfeife mit einem silbernen Wappen darin, ein
Abschiedsgeschenk der Komtesse Karoline, für das sie das Nadelgeld
eines ganzen Monats aufgewendet hatte.

So endete ein Idyll, dem ewige Fortdauer beschieden sein sollte, denn
jedesmal, wenn die Wolken dem Pfeifchen entstiegen, mußte in dem
seligen Zustand der Entrücktheit ihr Bild in dem bläulichen Flor der
Wolken aufschimmern.

Er mußte lächeln bei diesem Gedanken -- das Herz jubelte der Wiener
Heimat und den Freunden entgegen, aber in dem Jubel war eine Träne, sie
galt der heimlich und entsagend geliebten Gräfin Karoline.




                                  V.


Die Freunde sitzen wieder beisammen und singen wie die Jünglinge im
Feuerofen. »Seele des Menschen, wie gleichst du dem Wasser! Schicksal
des Menschen, wie gleichst du dem Wind!«

Der schwärmerische, geheimnisvolle Ton der Männerstimmen zittert weich
und kraftvoll, eine tönende Woge, ein sanfter, klingender Hauch, der
anschwillt wie Orgelgebraus, wie Waldrauschen, wie Bergstromgetos --
so klingt »der Gesang der Geister über den Wassern«. Die eigentümlich
ergreifende Schönheit des Männerchors war Schuberts Entdeckung. Aus dem
Kreis der Freunde wuchs ein Quartett hervor, das sich zuweilen zu einem
achtstimmigen Chor verdoppelte. Jeden Donnerstag fanden sich die jungen
Kerle zusammen, um ihrer Singlust zu genügen.

Hier schöpfte Franz die Anregung zu einer neuen Kunstgattung, er war so
eigentlich der Begründer des Männerquartetts. Jeden Donnerstag mußte
er neue Noten in der Tasche haben, sonst war es gefehlt. Da fielen
sie über ihn her: »Was, du hast nichts Neues? Du hast wirklich nichts
Neues? Schandkerl, wir schlagen dich tot. Mausetot! Noten her oder das
Leben!«

So erpicht waren sie alle auf neue Gesänge. Herrgott, das war ein
Druck, dem schwer zu widerstehen war. Da mußte die schöpferische Ader
ergiebig sein, wenn solch gute Geister wachten und die Faulheit zum
Teufel jagten. Da gab's also keine Ausrede. Vogel, sing' oder stirb!

Jetzt sitzen sie alle da, wollen den Schnabel aufreißen und brauchen
dazu musikalische Atzung. »Ist doch deine Pflicht, Franzl, dafür zu
sorgen!«

Ist in tausend Verlegenheiten, der gute Franz, hat an diesem Donnerstag
richtig nichts in der Tasche. Hat es vollständig verschwitzt, daß
Donnerstag das Quartett stattfindet und um jeden Preis ein neues Stückl
singen will. Sie freuen sich ja alle so, die ganze Woche darauf, und
jeder ist schon neugierig, was er sich denn zum nächsten Male wieder
zusammengedichtet haben wird, der verflixte Herrgottsmusikant!

Aber dieses eine Mal kommt er wirklich mit leeren Händen. Nicht einen
Fetzen Noten hat er bei sich. Er sieht das unverhohlene Leidwesen
seiner Freunde, sie sind enttäuscht -- das geht ihm nahe.

»Enttäuschung? -- Nein, das sollt ihr nicht erleben an mir! Laßt mich
jetzt fünf Minuten in Ruh' -- dann sollt ihr sehen!« Hat er auch die
Noten nicht auf dem Papier, so hat er sie doch in der Brust. Ein
Gedicht trägt er in der Tasche. »Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem
Finger ....« Das Gedicht hat er sich abgeschrieben. Es ist von einem,
den sie einmal zu den größten zählen werden. Ein junger Poet, Franz
kennt ihn nicht und fühlt sich dennoch mächtig zu ihm hingezogen.
Vielleicht daß Mayrhofer, der Zensurgewaltige, Rat weiß. Doch später,
später davon! Jetzt das Gedicht und der Gesang! Das Gedicht hat er sich
aus einem Musenalmanach abgeschrieben, und jetzt sitzt er in der Ecke,
weltvergessend, bezaubert von den Versen, die Noten fliegen und purzeln
nur so aus seiner Hand aufs Papier; nach einer Viertelstunde wendet er
sich zu den Freunden: »So, jetzt haben wir's!«

»Leise, leise klopf' ich mit gekrümmtem Finger ...«

Bebend vor verhaltener Glut und Kraft, entfalten sich die blühenden
Männerstimmen des Quartetts: Leise, leise .. Zuerst wie ein
schmeichelnder Windhauch, der mit Blättergeflüster und Fliederduft die
Geliebte umschmeichelt und dann immer stürmischer und drängender -- wie
könnte die Erkorene der werbenden Kraft dieses Ständchens widerstehen?

Eine der blühendsten Schöpfungen ist im Handumdrehen entstanden. So mir
nichts, dir nichts. Wo er es nur hernimmt, in dieser Geschwindigkeit,
dieser unglaubliche Franz? Das ist das Rätsel. Gibt es ihm ein Gott
ein? Wird wohl so sein. Tut unter dem Anhauch eines genialen Dichters,
eines persönlichen Erlebnisses, eines rätselhaften Drängens in seiner
Brust die Seele weit und horchend auf, daß die himmlischen Geister des
Unendlichen auf ihn einströmen. Er hört sie singen, die himmlischen
Heerscharen um Gottes Thron, oder wenn ihr so lieber wollt, die
sphärischen Mächte, er hört sie singen draußen in der Unendlichkeit
und eigentlich tief drinnen in der eigenen Brust, er braucht nur
hineinzuhorchen in sich und in Noten abzuschreiben, was er drinnen
hört, und gibt es dann hin -- sein eigenes Herz und seine Seele ist
mit dabei. Ja, seht ihr, so wird's gemacht!

»Teufelskerl, himmlischer, laß dich umarmen!« Schober gebärdet sich wie
verrückt; der hohe, schlanke, junge Mann hebt den kleinen, untersetzten
Schubert im Sturm der Begeisterung hoch, wirbelt ihn ein paarmal um
die eigene Achse herum, auch die anderen müssen ihn stürmisch umarmen,
sie gebärden sich wie die Tollhäusler. Dann singen sie wieder wie die
Jünglinge im Feuerofen, im Feuerofen der Liebe, der Freundschaft, der
Begeisterung.

Man sieht es klar, was diese Freundschaft wert ist. Sind alle junge
Kampeln, nicht sehr einflußreich, sie können alle zusammen nicht
bewirken, daß dem armen Schubert aus seiner genialen Schaffenskraft ein
wenn auch noch so kärglicher Verdienst fließt, wenigstens soviel Lohn,
als ein Packträger die Woche verdient -- sie geben sich alle Mühe, aber
es gelingt nicht, und wirklich scheint es, als ob die Schöpfung Gottes,
die so viele unnütze Kostgänger ernährt, gewöhnliche und wertlose
Kreaturen, nur für den begnadeten Genius, dem Bringer neuer Schönheit
und neuer Kunst, den Tisch zu decken vergessen hätte. Nicht soviel
können die Freunde bewirken, daß der gute Franz Kost, Quartier und
anständige Kleider bestreiten kann -- je reicher die Welt an ihm wird,
desto ärmer ist er.

Die Freunde selbst bereichern sich an ihm, es fließt ihnen soviel
Schönheit und Kraft von ihm her zu, und sie haben ihren kleinen
Egoismus dabei. Die meisten von ihnen sind Dichter, Schober, Mayrhofer
und so weiter, sie wissen, daß der Weg zur Ewigkeit ihrer Schöpfungen
nur über Schubert geht, der ihre Verse vertont. Andere, wie Vogl und
Schönstein, glänzen durch den Vortrag der Lieder, aber den Löwenanteil
des Ruhmes ernten sie selbst. Sie geben sich alle Mühe um Franz, sie
tun es ja sich selbst zuliebe, nur schade, daß Franz so wenig davon hat.

Es kommt ihm aber auch gar nicht darauf an. Er denkt nicht nach darüber
-- es täte auch gar nicht gut -- der Wert der Freundschaft liegt für
ihn wo anders. Daß er zum freudigen Schaffen so gedrängt und gestachelt
wird, das verdankt er ihnen. Und das ist das Größte und Wertvollste,
das er sich wünschen mag. Darin zeigt sich im rechten Sinn, was
Freundschaft bedeuten kann. Sie macht ihm Mut zu sich selbst, zu
seinem Können, zu seiner Bestimmung, das ist unendlich mehr als Pump
und Borgerei. Vor ihren Augen ist er nicht arm, sondern ein großer
und reicher Geber, von dem sie alle empfangen, und wenn sie ihm auch
gelegentlich unter die Arme greifen mit dem Nötigsten, was man für den
Alltag braucht, so ist keine Rede von Leihen und Zurückgeben, sondern
es ist nur eine kleine Erkenntlichkeit in der geringsten Form, für das
große Empfangene.

Und wenn sie beisammen sitzen, ist alle Bangigkeit und Schicksalsfurcht
vergessen, die in einsamen Stunden jeden überkommt, jetzt ist Freude,
Hoffnungsmut und Überwinderstolz um sie, ein Gastmahl von Königen,
wenngleich sie nur vom Blatt essen, Wurst in Papier, und dünnes Bier
dazu trinken. Eine Kraftquelle sind die Freunde für ihn, ein Ansporn
und eine Seelenzuflucht, aber auch er ist Mutspender und Kraftquelle
für die Freunde.

Schwind, der tiefe und verstehende, drückt es aus.

»Nichts ist so wichtig für den Künstlermenschen, als zu wissen, wo er
schöpfen muß. Du gehörst da her, Schubert, wo du zu Haus bist! Zelez
war nichts für dich! Hier in Wien springen deine Quellen, deine inneren
Quellen!«

Schubert schmaucht aus dem Meerschaumpfeifchen. Sein Blick geht den
entschwebenden Wölkchen nach, ein süßes Traumbild will vor seinen Augen
zerfließen.

»Na na -- Zelez hat auch sein Gutes gehabt!« und dabei betrachtet er
zärtlich sein Meerschaumpfeifchen.

Aber ganz unrecht hat Schwind nicht. In Zelez hat er gelebt wie der
Mops im Paletot -- was war denn dabei herausgekommen? Einige Lieder,
die von seinen kleinen Schmerzen erzählen. Das Herz der Menschheit ist
darin, ja, ja, aber die großen Werke, die er sich vorgenommen hat --
wo sind die geblieben? Zelez war ein Stück längst begehrter sorgloser
Freiheit -- Großes hat er dort gestalten wollen; aber die Zeit zerrann
unter seinen Händen. Das Große und Neue erstand erst wieder, als er
daheim war in der geliebten Vaterstadt, wo ihn soviel bedrückte, im
Kreis der Freunde, die eifersüchtig wachten, daß er sich ja keine Ruhe
gönne. Hier war ihm wieder der Knopf aufgegangen -- warum nicht dort,
wo die Umstände äußerlich viel günstiger waren? Es ist wirklich der
Rede wert, er spricht sich mit den Freunden darüber aus.

Der Schwind hat wieder das rechte Wort gefunden.

»Das in Zelez war nicht die Freiheit -- das war nicht Herrentum,
sondern nur versüßter Lakaiendienst, Herr deiner selbst, deiner Zeit,
deiner Wege bist du hier, wo du keinem Geringeren untertan bist als
dir selber. Und wenn du hier auch zehnmal nichts hast, so hast du
doch die Freiheit, zu leben, zu denken, zu reden, zu singen, wie dir
der Schnabel gewachsen ist. Verhungern wirst du nicht. Also kann dir
überhaupt nichts geschehen. Der Künstler kann nur einen Herrn über
sich vertragen, und das ist er selber. Sei du -- du, dann ist Gott mit
dir! Man sieht es ja: was hast du alles aus dem Ärmel gebeutelt in
den paar Wochen, seit du wieder hier bist. Das sind Gewächse, die im
Herrschaftshaus zu Zelez nicht gezogen werden können. Dort gedeihen sie
nicht. Na, hab' ich recht, oder hab' ich unrecht?!«

Recht hat er, der gedankentiefe, romantische und doch so weltkluge
Schwind. Natürlich hat er recht! Das weiß Schubert ganz genau, so
gescheit ist er auch; was Schwind sagt, das hat er längst gefühlt.
Wortlos nickt er ihm zu.

Freilich, ein kleiner innerer Vorbehalt ist dabei. Was Zelez nützte,
das kann man nicht wissen. Alles Erleben und Umsetzen in Kunst
vollzieht sich geheimnisvoll. Oft ist die Zeit des Müßiggangs die
fruchtbarste. Man kann nicht mathematisch nachrechnen, ob ein Eindruck,
eine Erfahrung auch wirklich befruchtend war. Sie wirkten oft erst in
der dritten Potenz, mittelbar. Und wenn es nichts weiter war als die
Zeit der Ruhe, der Entspannung, so war es von um so größerem Wert.
Seine Kraft hat geruht, seine Gesundheit ist gefestigt, sein Aussehen
blühend. Sein Vorrat an schöpferischer Essenz vermehrt.

Der Mensch braucht einen gewissen Überschuß, von dem er zehren kann.
Wer weiß, ob er jetzt soviel neue und herrliche Sachen hätte aus dem
Ärmel schütteln können, wenn nicht diese kurze Brachzeit vorangegangen
wäre.

Wenn er so sein Pfeifchen in Brand hält, geht ein Strom von Liebe und
feurigen Gedanken auf ihn ein. Dieses Pfeifchen ist nicht nur ein
Nasenwärmer, sondern vor allem ein Seelenwärmer. Und wieviel man ihm
verdankt an zarten Empfindungen, die wieder ausklingen und in der
menschlichen Seele einen verwandten Ton erwecken, das ist gar nicht zu
ermessen. Rosa ist vergessen; sie war von gewöhnlichem Schlag und hatte
nichts zu geben, was Wert behielt. Aber das Grafenkind -- etwas Liebes
und Feines ging von ihr aus, das spürte er jetzt stärker als früher,
und das war gut.

Mit diesem Pfeiflein, das Liebe erweckte und die Seele fruchtbar
machte, konnte man sich nicht mehr arm fühlen, auch wenn man sonst
nichts besaß. Die kasimirne Hose hatte ihren Glanz längst eingebüßt und
war ein bißchen zerfranst, die Wäsche, die Frau Mutter geliefert hatte,
war nicht immer in bester Ordnung gehalten, und das Geld, das man in
Zelez ersparte, hatte wie immer einen heilen Schweif. Es war nicht zu
halten.

Der Herr Vater war abermals bös geworden, weil Franz sein herrenloses
Musikantenleben aufs neue aufnahm, die Verbindung mit dem Elternhaus
war wieder einmal unterbrochen. Eigenes Heim besaß der Franz nicht,
er lebte bei Schober in der Tuchlauben, hatte ein Zimmerchen dort mit
einem Klavier, einen Tisch, ein paar wacklige Sessel, einen Schrank,
eine Bettstelle, alles sehr dürftig und nicht eben freundlich, denn das
einzige Fenster des Zimmerchens ging in einen lichtarmen Hof hinaus.
Man war eben Gast und mußte sich bequemen.

Franz sah übrigens nicht sonderlich auf diese äußerlichen Dinge, wenn
er nur ein Obdach hatte und schreiben konnte -- während der Arbeit war
er in einer lichtvollen, seligen Welt.

Schober selbst hatte zwei Zimmer nach vorne, ein kleines Schlafzimmer
und ein gediegenes Arbeitszimmer mit schweren Empiremöbeln, wie es
einem jungen Bonvivant jener Tage angemessen war. Aber ein prunkvolles
Arbeitszimmer allein macht nicht glücklich. Auch Schober hatte sein
Leid, so gut wie Mayrhofer und alle andern. Sie waren tragische
Freunde, nur mit dem Unterschied, daß jeden der Schuh wo anders drückte.

Schober sprach nicht gern von seiner Kunstreise, es war eine
Enttäuschung gewesen. Er hatte sich als Schauspieler versucht, aber so
leicht ging es doch nicht, als er sich's vorgestellt hatte. Er war mehr
Komödiant des Lebens, spielte den verfluchten Kerl, war unwiderstehlich
vor den Frauen -- aber auf der Bühne versagten die glänzenden
Eigenschaften des Weltmannes. Es bedurfte dort anderer, grellerer
Mittel, die ihm nicht zu Gebote standen. Kurz und gut, Schober redet
nicht gern davon. Er ist begnadeter Dilettant und hat ein neues
Steckenpferd, das er jetzt mit Hingebung reiten will: den Pegasus. Eine
neue Lust, noch mehr aber ein neuer Schmerz.

Ein anderer ist, dem die Dichtkunst ebenfalls mehr Schmerz ist als
Lust: Mayrhofer. Er steht der Literatur nahe von Beruf und aus Neigung.
Von Beruf aus ist er dazu verhalten, dem Flügelroß die Schwingen
zu beschneiden, daß es nicht allzu freiheitlich ausgreife und die
Staatsraison vor den Kopf schlage. So muß er denn von Staats wegen für
diesen ungezügelten Renner eine Zwangsjacke bereithalten. Das ist sein
Amt als Zensor.

Der geschworene Feind der dichterischen Freiheit ist aber selbst
Dichter -- hier klafft der Riß. Neigung und Pflicht stehen miteinander
in Konflikt. Aber Pflicht ist Pflicht. Seine Dichterneigung ist
Privatsache, sie verstößt nicht gegen sein Beamtengewissen. Täte sie
es doch! Hier ist der tragische Punkt in seinem Leben. Er fühlt es
dunkel: als Dichter lebt er aus zweiter Hand. Der Quell rauscht nicht
in seinem Innern, er trinkt aus fremden Bechern. Er ahmt nicht nach,
aber es fehlt ihm doch das Echte, Ursprüngliche. Was er schreibt, ist
Almanachpoesie. Sein Leben krankt daran. Sein Geist versinkt oft in
trübe Melancholie -- wenn Schubert nicht wäre, o Leben, es wäre zum
Verzweifeln!

Aber Schubert gibt den lahmen Versen Flügel. »Gib uns ein Stück von
dir!« So meint Mayrhofer und meint Schober. Vielleicht wäre dann
jeder ein ganzer Dichter. Schober findet für das, was ihm fehlt,
einen inneren Ausgleich durch seine gesellschaftlichen Triumphe. Er
lebt als Mann des guten Geschmacks, der angenehmen Geselligkeit,
des Kunstverständnisses, des Sammlers -- auch ein Beruf. Er sammelt
Spazierstöcke und ist Schuberts Freund -- bei Gott, es gibt sehr viele
Menschen, die weniger leisten.

Bei Mayrhofer sitzt der Stachel tiefer. Zensor zu sein, ist keine große
Ehre, besonders wenn man selber Dichtersmann sein will. Er ringt um
den Segen der Muse: »Ich lass' dich nicht, es sei denn ....« Aber die
Muse verhüllt schamhaft ihr Angesicht vor ihm, sie wendet sich ab,
mehr erschreckt als beglückt von seinen gewalttätigen Liebkosungen.
Verbitterung bemächtigte sich seines Gemüts; darunter begannen auch die
Freunde zu leiden, besonders Schubert.

Franz liebte den Freund; der war um so und so viele Jahre älter, sehr
belesen, tief und ernst angelegt, krankhaft ehrgeizig und wunderlich
durch seine unselige Leidenschaft zur Poesie. Als Dichter erging es
ihm so wie früher als Priester, er hat es nie zu den letzten Weihen
gebracht. Um so härter war er im Urteil über andere. Das war nun gar
nicht nach Schuberts Sinn.

Mayrhofer hatte allerlei zu kritisieren an den Versen: »Leise, leise
...« Spürte er den kommenden Genius, den er leugnen wollte, weil er
klein gegen ihn erscheinen mußte?

»In diesem Punkte gehen unsere Wege auseinander!« erklärte Schubert
resolut. Und bewies, wie herrlich die Verse seien, aus echtem Gefühl
entsprungen, aus einem Guß. Das verstimmte Mayrhofer noch mehr. Er
vergrub sich in Trotz und Einsamkeit und ließ sich tagelang nicht
sehen. Dann kam er wieder -- er brauchte ein Stück Schubert, ein
bißchen Illusion, neue Hoffnung auf Gelingen, sonst war das Leben
nichts wert. Aber alles, was recht ist -- in diesem einen Punkt mußte
man Franz nachgeben: er duldete nicht, daß man gelungene Leistungen
anderer heruntersetzte.

Mit Spaun und Hüttenbrenner betritt Mayrhofer Schuberts Klause in der
Tuchlauben. Sie finden ihn eben dabei, als er die »Wanderlieder« von
Kreutzer durchspielt.

»Laß das Zeug,« sagt Hüttenbrenner, »und sing' uns lieber ein paar
Lieder von dir!« Das ist auch die Meinung der anderen.

Sind aber schön angekommen alle Drei. »Wie kann man so ungerecht sein?
Die Lieder sind sehr schön, ich wollte, ich hätte sie geschrieben!«

So war er; er war zu sehr ein Eigener und war zu reich an Können und
Gemüt, als daß er auf andere hätte scheel hinsehen mögen. Er vergönnte
jedem das Seine und war eher zu einem Lob als zu einem Tadel bereit.

So wäre es ja ein ganz sorgloses Dasein gewesen, man hätte guter Dinge
sein können und war es ja auch, wenn man mit den Freunden beisammen saß
und die Leistung der arbeitsreichen Tagesstunden zum besten gab. Da war
die Sorge und die Furcht vor dem Morgen und Übermorgen verscheucht,
aber freilich nur so lange, bis der Alltag mit seinen niederen,
hundsgemeinen Anliegen anklopfte.

Aber der Alltag ist schon ein solcher ruppiger Gesell, ein
Beutelschneider, der einem schwer auf dem Geldsack liegt und alle fünf
Minuten andere Forderungen hat. Er katzenbuckelt, ein grinsender Lakai,
wenn man wie ein gnädiger Herr tief hineingreifen und die Goldstücke
springen lassen kann; er wird sackgrob wie ein Packträger, aufdringlich
wie ein Schuldenmahner und unverschämt wie ein Skandalmacher, wenn man
mit den Moneten nicht nachkann.

In aller Früh schon geht es an. Ein Blick in den Spiegel, der stellt
sofort die unverschämt vertrauliche Frage: Herr von Schubert, wollen
Sie sich nicht vielleicht zum Bartscherer verfügen, gleich links um
die Ecke in der Naglergasse? Es wäre schon die höchste Zeit! -- Aus
notgedrungener Sparsamkeit denkt man, es hat Zeit bis morgen, und geht
den ganzen Tag herum wie ein Gezeichneter, ein Sträfling, dem die
Stoppeln im Gesicht stehen. Oder der Spiegel sagt: Herr von Schubert,
frische Wäsche -- ein unsauberer Kragen, ein zerknittertes Hemd, beide
kleiden schlecht!

Ja freilich -- wo ist denn die Büglerin geblieben, die vor acht Tagen
die Wäsche hätte bringen sollen? Es wird doch nicht wegen der lumpigen
Rechnung sein, die schon zweimal stehen geblieben ist? Läuft man denn
davon, ist das Geld nicht sicher? Ungehöriges Mißtrauen! Soll man
deswegen herumrennen wie ein Schwein? -- Aber so ist der Alltag: wer
nicht zahlen kann, der soll sich schämen, über die Straße zu gehen.

Im Gasthaus, im Café hat man ja etwas Kredit. Ab und zu verdient man
auch ein paar Groschen, es wird diese oder jene kleine Komposition
bestellt, Kirchensachen, na, das wirft ja gerade soviel ab, um kleine
Schulden zu bezahlen, dann lebt man wieder weiter -- auf Kreide.

Aber was man notwendig braucht, Theater und Konzert, das kann man nicht
auf Pump nehmen. Und teuer sind die Eintrittskarten -- als ob wirklich
nur reiche Leute ein Kunstbedürfnis hätten, wenngleich es unter den
Freunden ausgemacht ist, daß sie von dem wahren Wesen der Kunst am
wenigsten verstehen.

Abends singt die Milder in der Hofoper. Bei dem Wort Milder wird allen
wonnig zumut. Der Vogl und die Milder. Höheres gibt es nicht in der
dramatischen Gesangskunst. In diesem Urteil sind die Freunde einig.

Was die Milder betrifft, so kommt noch hinzu, daß neben der Künstlerin
auch das Weib zur Begeisterung und leidenschaftlichen Verehrung
entflammt. Sie war früher in Wien und ist jetzt in Berlin; sie kommt
nur mehr gelegentlich als Gast an die Wiener Hofoper. Schober kennt sie
aus seinen oberflächlichen Beziehungen zum Theater; er hat ihr einige
Lieder Schuberts geschickt und besitzt einen sehr herzlichen Brief
von ihr; tagelang geht die Schwärmerei um die Sängerin, doch so, daß
die Aufzählung ihrer weiblichen Reize den größeren Teil ausmacht und
fast wichtiger scheint, als die Bewertung ihrer unzweifelhaft großen
künstlerischen Mittel.

Wenn es von einem Frauenwesen hieß: »Du, die hat Augen wie die Milder,«
oder: »die lächelt ein Mildersches Lächeln,« so bedeutete es soviel,
als daß die Betreffende eine ausgemachte Schönheit sei und daß man
nichts Eiligeres zu tun hätte, als sich Hals über Kopf unglücklich in
sie zu verlieben. Wer es nun immer war, ein Kind der Dienstbarkeit,
ein Mädchen aus dem Volke, eine Dame der Gesellschaft, man sah sie nur
mehr durch diese Augen oder durch dieses Lächeln, und dann waren alle
unsterblich in sie verschossen. Darin glich einer dem andern.

Die Abende, an denen die Milder sang, zu versäumen, wäre eine solche
Kardinalsünde, daß man dafür verdiente, in der Hölle zu schmoren. Das
Leid darob wäre für den armen Schubert eine dreifache Hölle gewesen;
der muß ein so frommes Gemüt, wie er, zu entgehen wissen. Also muß
Freund Schober für die Billette aufkommen.

»Aber selbstverständlich, lieber Freund!« Er ist immer so nett, der
scharmante Schober. Es ist freilich etwas dabei, das dem Franz gegen
den Strich geht. Er ist und bleibt empfindlich. Ein so harter und
schwieliger Schuldenmacher zu werden, der kaltblütig alles für sich
begehrt, ohne Entgelt, das kann er nicht.

Er leidet immer mehr unter dem Druck der Verhältnisse. Schober weiß es
nicht, er hätte es ihm gewiß ausgeredet. Aber es ist nicht die Art des
Franz, sich über so heikle Dinge zu erschließen. Nur zu Schwind äußert
er sich gelegentlich und nur ganz beiläufig; denn zu Schwind kann er
reden wie zu sich selbst, der steht ihm innerlich am nächsten, mit ihm
ist er am meisten verwandt, sie sind beide gleich arm an Gut und Geld
und gleich reich an Kunst und gleich groß an Gefühl.

»Nicht wahr,« hebt Franz an, »man kann bei einem guten Freunde wohnen,
man kann sich bewirten lassen, aber man kann nicht das Taschengeld von
ihm nehmen, man kann nicht seine Stiefel anziehen, man kann nicht seine
Beinkleider tragen -- mit einem Wort, man kann sich von ihm weder ein
Gewand schenken lassen, noch auf seine Kosten einen neuen Anzug machen
lassen ....«

Schwind versteht ihn, bei dem bedarf es nicht vieler Worte, der weiß
um alle Lebensnot und Künstlersehnsucht, und wenn beide in Schweigen
beisammen sitzen, so geht ein Strom von Trost und Linderung von einem
auf den andern über.

Einsam ist jeder, aber es tut wohl zu wissen, daß der Mitbruder in der
Zelle nebenan um alle Gebundenheit dieses Erdendaseins weiß und mit
seinem Mitgefühl nahe ist. Auch darin liegt etwas von der Kostbarkeit
der wahren Freundschaft.

Die Abende in der Oper gleichen dem Traum vom Paradies. Die Musik ist
Blech, die Bühne ist Pappendeckel, die Sänger und Sängerinnen sind
beschmierte Larven, aber Leben, Schönheit, Wohlklang, Seele bekommt
alles erst, wenn die Milder auf der Szene steht. Wenn sie geht, sinkt
alles wieder in die nichtige Armseligkeit zurück. Wenn sie singt, dann
fällt alles Weh ab, man vergißt, daß man ein unruhig klopfendes Herz
hat, einen brummigen Schädel von der Hitze, brennende Augen von der
schlechten Beleuchtung, einen knurrenden Magen und andere menschliche
Übel; man fühlt sich in einer beglückenden Seelengemeinschaft mit der
schönen Besitzerin dieser herrlichen Stimme, dieser strahlenden Augen
und dieses berückenden Lächelns, und hat nur das eine dumpfe Bedauern,
daß, wenn sie jetzt von der Szene abgeht, alles nur holde Lüge war,
und daß man wieder in Dumpfheit und Verlassenheit allein dasteht,
ein armseliger Schlucker, beschwert mit einer großen, unerfüllbaren
Sehnsucht.

Nach der Vorstellung soll Schubert, von Schober geführt, in der
Garderobe der Künstlerin erscheinen. Sie will den Schöpfer der Lieder
kennen lernen, die sie in Berlin gesungen und mit denen sie viel
Aufsehen gemacht hat.

Als Schober sich nach dem Freunde umsieht, war der weg. Einfach
entwischt. »Was ist das für eine Art? Was wird die Milder dazu sagen?«

Schober ist außer sich. Er kann die Torheit nicht begreifen. Zuerst
Sehnsucht, Begeisterung, Schwärmerei, man könnte sagen Verliebtheit,
und wenn es drum und drauf ankommt, reißt er aus und versteckt sich wie
ein furchtsames Knäblein. »Schämen soll er sich!«

»Das verstehst du eben nicht!« erklärt Schwind, dem die
draufgängerische Art Schobers zuwider ist. »Ich an seiner Stelle hätte
es genau so gemacht.«

»Was gibt es da zu verstehen? Feigheit ist es, Mangel an guter Art,
Launenhaftigkeit ....« Nein, Schober versteht es wirklich nicht. Aber
Schwind versteht es, der blickt tiefer und erkennt Zusammenhänge, die
der andere nicht ahnt.

Anna Milder ist abgereist. Ein neuer Stern ist auf dem Horizont der
Freunde aufgetaucht, Therese Puffer. Sie ist eine der eleganten Frauen,
die in den Wiener Salons verkehrt, wo Musik gepflegt wird. Sie ist
Konzertsängerin, aber nicht aus Beruf. Die Kunst ist nicht der Zweck,
sondern vielmehr der Schmuck ihres Lebens.

Die Freunde streiten, wer schöner sei, die Milder oder die Puffer.

»Die Milder hat eine schönere Stimme!« sagt der eine. »Aber die Puffer
hat die edlere Gestalt!« meint der andere. »Die Augen hat sie von der
Milder!« entscheidet der Dritte. »Nein, das Lächeln hat sie von ihr!«
behauptet der Vierte.

»Jedenfalls verdient sie, daß man sich so unglücklich als möglich in
sie verliebt!« erklärt der kundige Schober. Es war gar nicht nötig,
das erst zu sagen, denn heimlich träumt schon jeder von ihr. Schwind
zeichnet sie als Melusine, Franz gedenkt ihrer in seinem Lied »Des
Schäfers Klage ...« »Da stehet von schönen Blumen, da stehet die ganze
Wiese so voll; ich breche sie, ohne zu wissen, wem ich sie geben soll.
Und Regen, Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum. Die Türe
dort bleibet verschlossen; doch alles ist leider ein Traum ..«

Die Türe dort bleibt verschlossen .... Nämlich die Türe vom »roten
Igel«, dem Vereinshaus, wo Konzertabend ist. Da drinnen hinter
den hellerleuchteten Bogenfenstern mit weißen Sprossen, die wie
Sonnenstrahlen ausgreifen, sitzt eine erlesene Gesellschaft; Therese
Puffer singt. -- Was singt sie? Ein Lied von Schubert. »Und Regen,
Sturm und Gewitter verpass' ich unter dem Baum ....«

Die schöne dunkle Frauenstimme breitet ihren weichen Flor über die
entzückten Hörer, auf den einsam Lauernden draußen fällt noch ein
verwehender Klang ab. Der steht draußen und paßt an der Tür, und nun
bricht der Sturm los, Händeklatschen und Beifallsjubel der Menge.

Der Beifall will nicht enden, er schwillt an wie ein Orkan, und da ist
ihm, als ob er in dem Brausen seinen Namen hörte.

In der Tat, sie rufen drinnen nach ihm! Schubert soll sich zeigen! Sie
klatschen wie wütend, sie schreien seinen Namen, sie trampeln mit den
Füßen. Er steht draußen und weiß nicht, ob er fliehen soll oder in den
Saal hineineilen. Es drängt ihn zur Flucht -- ganz wie neulich, als er
die angebetete Milder hätte sehen sollen. Warum, Warum? Schwind hat es
begriffen. Der -- ja, dem ist nichts Menschliches fremd.

Franz sieht sich bei dem armen Öllicht, das vor der Tür hängt, prüfend
von oben bis unten an, ehe er es wagen würde, auf die Klinke zu
drücken, prüft genau seine abgetragenen Schuhe, seine verknitterte
Hose, seinen schäbigen Rock -- nein, nein, um keinen Preis da hinein!
Er will fliehen, sich verstecken -- die Armut bedrückt ihn, er mag sich
den Leuten nicht so zeigen, wie es wirklich um ihn steht.

Das ist es, was Schwind sofort verstanden hat, und was Franz doch nicht
sagen wollte aus seelischer Schamhaftigkeit. Und diese Schamhaftigkeit
hält ihn jetzt wieder ab, dem Ruf zu folgen. »Und Regen, Sturm
und Gewitter verpass' ich unter dem Baum -- die Türe dort bleibet
verschlossen, doch alles ist leider ein Traum.«

Franz will fort, und doch ist es, als ob der Lärm drinnen eine magische
Gewalt über ihn hätte, die ihn festbannt. Er bleibt stehen wider
Willen, lauschend auf das, was nun kommt, auf das Stühlerücken und
das Stimmengewirr -- und da fliegt schon die Türe auf, ein blendender
Lichtkegel fällt in die dunkle Straße, ein Strom von Menschen quillt
hervor mit erhitzten, geröteten Gesichtern und befeuerter Seele; er
hat gerade noch soviel Zeit, sich unter das dunkle Gesims zu ducken --
die festlich gestimmten Frauen und Mädchen gehen vorbei, die schwärmen
von Schuberts Lied, aber ihn kennen sie nicht, sie gehen achtlos an
ihm vorüber, die eine oder andere schaut gleichgültig den wildfremden
und unscheinbaren Menschen an, niemand hat eine Ahnung, daß er es ist,
von dem sie schwärmen, und den sie sich wahrscheinlich ganz anders
vorstellen, als jungen, verklärten Helden im himmelblauen und rosaroten
Licht.

Das Glück ist mit Weh gemischt wie immer; die Freude über den Erfolg
und die kleine Bitternis, mit seiner Person im Dunkeln stehen zu
müssen -- Armut ist ein brennendes Hemd, und wer damit bekleidet ist,
zeigt sich nicht gern vor Menschen. Vielleicht wäre man schon weiter
in der öffentlichen Gunst und in der äußeren Wohlfahrt, wenn man es
besser verstände, sich öffentlich zu zeigen, sich zu inszenieren, den
Tageshelden zu spielen -- aber just das ist ihm verwehrt. Vogl hat
recht: »Sie sind zu wenig Komödiant, zu wenig Scharlatan!« Das heißt
mit anderen Worten: Sie werden es in dieser Welt schwer haben, sich
durchzusetzen. Sie werden für Ihre Kunst leiden und ihr zuliebe die
Märtyrerkrone tragen müssen -- wie übrigens jeder echte Künstler, der
das Tiefste geben will.

Aber Franz hat nicht Zeit, nachzudenken, alles das liegt keimhaft in
seinem Gefühl, im winzigen Aufleuchten eines Augenblicks offenbart
sich ihm diese ganze Erkenntnis. Dort hört er schon eine wohlbekannte
liebe Stimme, die sagt: »Ich möcht' doch eigentlich wissen, wo der
Kerl steckt! Wenn mich nicht alles täuscht, so ist es eine heimliche
Liebschaft!«

Der so daher redet, das ist ein ganz Feiner, der selber bis über den
Kopf in den Techtel-Mechteln steckt. Der Anselm Hüttenbrenner ist
es, und zu dem er es sagt, das ist der Salonlöwe Schober. Sie kommen
als die Letzten heraus. Jetzt ist das Entrinnen schwer. Im nächsten
Augenblick mußten sie ihn entdecken. Da ruft schon der Schober freudig
aus: »Da ist er ja!« Und eine süßflötende Frauenstimme wiederholt
entzückt: »Da ist er ja!« Es ist die Stimme der Melusine, die sich in
Begleitung der beiden Ritter befindet: Therese Puffer.

Von den Freunden ans Licht gezogen, steht er nun vor der Schönen und
ist ganz behext von ihren sprechenden Augen und ihrem zauberhaften
Lächeln. Er will etwas stammeln, ein paar Worte des Dankes, und geht
auf sie zu, sie aber, noch ganz beglückt, förmlich berauscht von dem
Triumph, den sie nicht nur ihrer Schönheit, sondern diesmal ganz
bestimmt den Schubertschen Liedern verdankt, breitet unwillkürlich die
Arme aus und ruft in überströmender Gefühlsseligkeit: »Es war zu schön,
ich kann nicht anders, ich muß Ihnen dafür einen Kuß geben.«

Ein paar volle Arme, weich und rund, ein stürmisch atmender Busen,
graublaue Nixenaugen, so tief, daß man schwer zurückfindet, ein seltsam
verlockendes Lächeln, ein blühender Mund -- für den Augenblick ist
Franz in diese Herrlichkeiten hineingesunken -- ach, es war nur ein
einziger, winziger Augenblick, und dann war es vorbei -- beide waren
etwas verlegen, Franz über und über rot -- so muß dem Adam im Paradies
zumute gewesen sein.

Gern hätte er die ewige Seligkeit hingegeben für die Wiederholung
dieses Augenblicks, der ein ganzes Paradies erschloß, aber es war nun
einmal vorbei, die schöne Fee Melusine, wie sie unter den Freunden
genannt wurde, faßte sich rasch und ward wieder ganz Dame. Es nützte
also nichts, daß die beiden Kavaliere Schober und Hüttenbrenner für
sich eine ähnliche Gunst begehrten.

»Es hat dem Künstler gegolten!« sagte sie und verstand es
vortrefflich, die aufflammende Begehrlichkeit der beiden Ehrenkavaliere
in Schranken zu halten. Oder wenn das Feuerlein gar zu sehr unter
die Asche kroch, soweit zu schüren, daß sie wieder in sanftem
Glühen standen. In diesem Zustand des Glühens wußte sie die ganze
Männergesellschaft zu halten. Wenn aber irgendeiner in verheerenden
Brand auszuarten drohte, dann hatte sie auch die kalte Dusche bereit.

»Sie ist eine Kokette!« behauptete Schober ärgerlich und verriet
dadurch, daß er nichts erreicht hatte.

»Sie hat ein Fischherz!« lästerte Hüttenbrenner, der noch empfindlicher
abgeblitzt war.

»Sie ist eine Donaufrau,« sagte Schwind, »nixenkühl und gefährlich.
Sie trinkt Seelen aus!« Die Seele hat er dazu gegeben, der sie als
Melusine zeichnete, und einen Ritter dazu, der unter Felsen und
seltsam verschlungenen Baumwurzeln am träumerischen Waldquell ihrer
Stimme lauscht. Der Ritter war er selber, verloren an die romantische
Melusine. Schubert sagte nichts. Sein Herz stand in weißer Glut. Der
selige Augenblick war kurz, aber die Erinnerung blieb -- ein heißer
Quell, bis ans Lebensende wird er ihn nicht vergessen. Und der heiße
Quell drängt brausend empor, wird Lust, wird Leid und wird Genesung.

Der Winter vergeht, der Frühling ist da, mit lichtgrünen Händen winkt
der traumhäuptige Wienerwald in die Stadt herein, winkt und winkt,
daß einem ganz eng ums Herz wird. Die Mauern sind eine drückende
Umschnürung, man will wieder frei atmen können, atmen mit dem
Windhauch auf wogenden Wiesen, atmen mit dem tiefen Waldaufrauschen!
Hinaus, hinaus!

»Morgen ist Lämmerhüpfen bei der Karoline Pichlerin,« berichtet
Schober, »fünfzig junge Mädchen, weiß wie Schnee und rosenrot -- die
Pichlerin läßt dich grüßen, du sollst kommen. Also Franz, sei kein
Narr, das sind Menschen, die du brauchst, lauter junges Mädchenvolk
mit Klavierfingern und Piepsstimmen und Herzen wie Vogelnestern, darin
deine Liedlein nisten können. Also komm' und leg' deine musikalischen
Kuckuckseier hinein!«

»Laßt mich in Ruh'! Soll ich die Augen verdrehen und Süßholz raspeln?
Soll ich affig tun und gespreizt und geziert Menuett tanzen, hab' ich
diese fade und lächerliche Mode nicht längst auf der Weste? Also,
lieber Freund, geh' nur allein, wenn du es nicht lassen kannst!«

Nein! Da müßt' man schon ein Zierbengel sein wie der gute Schober
selber, um Gefallen darin zu finden, vor allem müßte man was
Anständiges anzuziehen haben, und das hat man eben nicht. Aber der
liebe Himmel weiß am Ende vielleicht doch, warum er dem Franz aus
einem so lächerlichen und rein äußerlichen Grund vielerlei Entsagung
auferlegt. Die Vorsehung verschließt ihm viele Wege und treibt ihn
auf andere, wo vielleicht mehr für den inneren Menschen zu holen
ist, und der Künstler eine größere Ausbeute gewinnt als im seichten
Gesellschaftsgetriebe. Was haben einem die Leute zu sagen? Nichtige
Schmeicheleien -- die vom wahren Wesen der Kunst was verstehen, die
sind doch sehr selten.

Es treibt ihn von den Menschen weg hinaus zum Stadttor, wo ihm der
Petrus den grünen Schlüssel gibt; dort bedarf es keiner schönen
Kleider, keiner Geckerei, keiner Komplimente, dort kann man sein, wie
man mag, dort ist man mit sich und seinem Gott allein. Und wenn einen
Gott recht lieb hat, dann gibt er einem ein herziges Mädel dazu. So
gehörte sich's zur waldgrünen Einsamkeit.

Ein herziges Mädel -- er wüßte schon eins. Hat Augen wie die Melusine,
lacht ebenso, nur Kuß hat sie ihm noch keinen gegeben. Aber das kann
kommen. Eine große Schranke ist zwischen ihm und Melusine, und alle
Sehnsucht fliegt nicht drüber, wohin also Herz mit deiner Liebe? Da muß
man sich schon an einfachere Kost halten, die Kinder des Volkes sind
nicht so gespreizt, und schön sind sie auch, ebenso schön, und haben
solche Augen und ein solches Lächeln. Das ist Fanny im Wirtshaus am
Himmel.

»Eine Mühle seh' ich blinken aus den Erlen heraus ..«

Wenn es auch keine Mühle ist, so sind es doch die Erlen am Bach; und
ist nicht Rädergebraus, so ist doch Blätterrauschen ums trauliche Haus,
und die Fenster sind blank, und Fannys Augen sind so licht, so licht
und klar wie die Blumen am Bach. »Ich frage keine Blume, ich frage
keinen Stern, sie können mir alle nicht sagen, was ich erführ so gern.
Ich bin ja auch kein Gärtner, die Sterne stehen zu hoch, mein Bächlein
will ich fragen, ob mich mein Herz belog ...«

Er wandert mit Müllerliedern im Herzen, er gibt ihnen Klang und Ton und
denkt dabei an Fanny.

»Ich schnitt es gern in alle Rinden ein, ich grüb' es gern in
jeden Kieselstein, ich möcht' es sä'n auf jedes frische Beet mit
Kressensamen, der es schnell verrät, auf jeden weißen Zettel möcht'
ich's schreiben ....«

Nur seinem Mund gebietet er Schweigen.

»Und ich bleibe dabei, der hat eine heimliche Gspusi,« schwört Stein
und Bein der ewig in Liebesnöten schmachtende Hüttenbrenner; »so tut
nur einer, der irgendwo ein Mädel hat und es nicht anschaun lassen
will, Duckmauser, vertrackter!«

Aber der Franz verrät nicht, mit wem er geht.

Er blinzelt nur listig aus seinen Brillengläsern hervor. »Mit wem ich
geh'? Mit wem sonst als mit meinem Stecken, mein Wanderstecken ist mein
Gespons!« und lächelt wieder so listig, daß ihm die anderen erst recht
nicht glauben.

»Du kannst mir's ja sagen, was du für ein Pantscherl hast!« drängt der
Hüttenbrenner, bringt aber nichts heraus und gibt schließlich selber
zu: »Gib einem guten Freunde dein Leben in die Hand, deine Ehre, dein
Gut und Geld -- er wird dich nicht betrügen und belügen; gibst du ihm
aber dein Mädel zum Pfand, dann mach's Kreuz drüber!« Er muß es wissen,
er hat Erfahrung, der lockere Zeisig! Das hat Franz aber ohne ihn
gewußt und hat fein geschwiegen dazu.

Am Hof steht der gelbe Wagen, mit dem fährt man hinaus ins Ätherblaue.
Fährt oft hinaus, der stille Franz, und vergißt darob manche Einladung
bei guten Leuten, denen er auf vieles Drängen zugesagt hat, und weiß
gar nicht, wo er die Entschuldigungen hernehmen soll. »Ach, wenn Sie
wüßten, wie unmöglich es mir gemacht wurde, Sie würden mir gewiß
verzeihen!« Der liebe Gott, der die Verliebten zusammentreibt, der weiß
es, das genügt!

Sitzt also Franz in dem gelben Rumpelkasten und fährt ins Land der
Liebe, daß ihm alle Knochen wehtun. Unterwegs springt er aus: »Halt!
Muß schauen, was die Frau Mutter macht!«

Und biegt in die Säulengasse ein, nachmittags, wenn der Herr Vater
Schule hält. Mit dem ist nicht gut Kirschen essen. Aber die Frau
Mutter, die hat allemal ein paar Taler im Strumpf, und da fällt für
einen armen, notleidenden Musikanten immer etwas ab.

»Schau' nur, daß dich der Vater nicht sieht! Aber wart', auf ein
Schalerl Kaffee kannst noch sitzen bleiben!«

So bleibt er noch sitzen auf die Länge eines Schalerl Kaffee. Hätte
sich aber beinahe verplaudert, Himmelfix ...! Guckt richtig der Herr
Vater bei der Tür herein.

»Ja schau', der Herr Franz!« Diese förmliche Anrede bedeutete nichts
Gutes. Und bald geht's los aus einem anderen Ton.

»Ist doch zum Disparatwerden!« jammert der Alte. »Daß die Kinder so
verschieden sind und daß grad' du daneben geraten mußt. Franz, Franz!«
Der Alte greift sich an den grauen Schädel und tanzt vor ihm herum.

»Sind doch keine zwei Menschen gleich auf der Welt, warum sollen denn
die Kinder nicht verschieden sein, jedes auf seine Art ....?! Ist
deswegen noch lange keine Ursache, von daneben geraten zu reden!«
wehrt sich der Sohn. Dann mault wieder der Alte. Aber der Sohn beharrt
eigensinnig: »Ist doch ein Glück, daß die Menschen verschieden auf
die Welt kommen und nicht alle gleich wie die Rechenpfennig, muß daher
jedes auf seine eigene Art werden und gehen, wohin es jedes treibt.
Bringt doch jedes sein eigenes Schicksal mit auf die Welt, das muß doch
der Herr Vater endlich einsehen! Menschen sind keine toten Sachen,
mit denen man beliebig schaltet und waltet .... und so ist es mit den
Kindern. Die sind auch kein Eigentum, mit dem man beliebig verfährt,
vielmehr sind sie den Eltern vom Himmel verliehen worden mitsamt der
Pflicht, darauf zu achten, daß jedes in der ihm eigenen Richtung
wachsen kann und darf.

Ja, Herr Vater, der liebe Gott weiß schon, was er will, und was der
Mensch als sein Eigenstes hat, das hat er nicht vom Herrn Vater und
nicht von der Frau Mutter, das hat ihm schon der liebe Gott gegeben,
und zwar vom Mutterleib an. Oder soll der Herr Vater das Geheimnis
von der wahren göttlichen Empfängnis nicht verstehen, das sich immer
und immer wieder bei jeder Mutter vollzieht?! Habt ihr mir das Talent
gegeben, hat es irgend jemand in unserer Familie gehabt? Nein. Es ist
mir geworden, wie dem Menschen überhaupt je die Gaben werden -- das
wird kein Sterblicher ergründen! Es ist nicht immer leicht, dem Guten
zu dienen, das einem im Leben vorgezeichnet ist -- macht mir's nicht
schwerer, als es ist, Herr Vater!«

Der Alte war fassungslos über diese Rede. Es muß etwas dabei gewesen
sein, das jeden Widerspruch erstickte -- er wußte es nicht, was man
darauf sagen sollt', und weil ihm wirklich nichts Rechtes einfiel, und
der väterliche Respekt doch irgendwie den Schein retten wollte, so tat
er ganz erbost und stapfte aus dem Zimmer hinaus.

»Jetzt hast ihn aber wirklich bös gemacht, Franz -- aber ganz unrecht
hast du nicht in dem, was du sagst ...«

Die Mutter, die selber ein Kind unter dem Herzen trug, war
empfänglicher für eine große, einfache Wahrheit.

Franz ging; er litt, weil der Vater litt -- aber die Wahrheit mußte
heraus, und bei allem Leid war es ihm leichter ums Herz.

Der Flieder duftet, ein Vogel singt, und draußen am Sieveringer
Bach singt auch schon das eigene Herz: »War es also gemeint, mein
rauschender Freund? Dein Singen, dein Klingen war es also gemeint?
Zur Müllerin hin! so lautet der Sinn. Gelt, hab' ich's verstanden?
Zur Müllerin hin! Hat sie dich geschickt, oder hast mich berückt? Das
möcht' ich noch wissen, ob sie dich geschickt, ob sie dich geschickt.
Nun, wie's auch sein mag, ich gebe mich drein, was ich such', ist
gefunden, wie's immer mag sein ....«

Ja, in Sievering, da ist's zaubervoll! Da ist der Wind ein Kuß, da
rauscht in den Brunnen der Wein, da schaut die Liebe aus jedem Fenster
heraus, aus jedem blauen Äuglein! Da kommen ihm schon die alten
Weiber entgegen, die Lotterieschwestern vom Agnesbründl, mit bunten
Papiermützen auf dem Kopf, das Gesicht voll Rausch, und gewinstsichere
Lotterienummern in der Tasche, die sie nachts in der Quelle der
heiligen Agnes erschaut haben.

Rechts geht der Gspöttgraben hinauf, der führt zum Himmel. Ein weißer
Kleiderzipfel funselt ihm vor den Augen. Schon ist er im Gebüsch
verschwunden. Ein Liebespaar, das nicht gesehen werden mag!

Franz denkt: »Nur keine Angst, ich schau' ohnedies nicht hin, also
nein, bitte! Geniert euch nur nicht! Ich hab' nur so vorbeigeblinzelt,
nicht mehr!« Also nur keinen Spott! Wer im Gspöttgraben spottet, dem
passiert leicht was Unangenehmes. Und wer auf Liebeswegen geht, der muß
sich ganz besonders vor Unannehmlichkeiten hüten. Überdies, wenn Franz
ein Liebespaar sieht, ist er selber mehr verlegen als die Verliebten.
Ob's denen auch so geht? Ihm geht es so!

Steil geht's aufwärts. Droben am Himmel rauschen hundertjährige Bäume
um den Saal des Gasthauses. Ein Klavier steht drinnen, verstaubt und
verstimmt, das nimmt nun Franz, wenn er kommt, fest in die Arbeit. Und
was ihm unterwegs eingefallen ist, das blüht jetzt hervor zu einem
blühenden Strauß von Tönen. Die lachende Fanny bringt ihm den Wein, sie
hört ihm gern zu, dem seltsamen Musikanten.

»Nach Arbeit ich frug, nun hab' ich genug, für die Hände, fürs Herze,
vollauf genug, vollauf genug!«

An freien Nachmittagen kommt junges Wienervolk hier zusammen, um zu
tanzen. Sie tanzen nicht Menuett wie die feinen Leute in der Stadt, sie
tanzen Ländler und Walzer zu einer Klarinette, einer Gitarre und einer
Ziehharmonika. Ist das ein Schleifen und Wirbeln, ein rhythmisches
Wiegen, Walzer, Walzer! Ach und die herzigen Mädeln, und dazu der
Fliederhauch des Abends und der heitere Kuß der Sommernacht, und vor
allem die stumme, gotterfüllte Ekstase des Tanzes!

Sie sind auch nicht geziert und gespreizt, diese kleinen, netten
Verkäuferinnen, Modistinnen, Näherinnen und was sie sonst alle sind.
Hier fragt man nicht nach Herkommen, nach Stellung und Würde, hier
will man tanzen und lieben und weiter nichts. Hier ist man Mensch und
genießt den Augenblick, der so reich ist an Glück!

Stolze, schöne Fee Melusine, dort unten in der Stadt, wie sollt' man
das vergebliche Sehnen ertragen, wenn nicht deine niederen, aber nicht
weniger schönen Schwestern wären, mildtätig genug, dieses Liebessehnen
zu stillen!

Wenn man nicht ganz genau hinsieht, so kann man sich einbilden, die
Fanny hat genau denselben Mund und dasselbe Lächeln wie Melusine. Der
Kuß schmeckt fast ebenso, endlich hat er ihn auch hier bekommen -- ist
wohlfeil übrigens hier draußen! Und was ihm etwa noch fehlen sollte,
das ersetzt er reichlich durch die Menge. Wie feuriger Sternenregen
regnen die Küsse durch die blauschwarze Frühlingsnacht, der tramhaperte
Wienerwald sieht mit verschränkten Armen gemütvoll zu; unzählbar die
Liebespaare, die er in seinen schützenden grünen Falten birgt.

Fanny ist innig und beglückt, als sie mit Franz Arm in Arm auf den
einsamen Waldpfaden im Umkreis der Wirtschaft herumspaziert. Mit
rührender Aufrichtigkeit gesteht sie: »Es war seit undenklicher Zeit
mein innigster Wunsch, einmal so mit einem Herrn zu gehen, und jetzt
hat sich der Wunsch erfüllt!«

Süßer Fratz! Was soll man da für eine Antwort geben? Man gibt ihr einen
schallenden Kuß, die Leute mögen schauen, wie sie wollen, es ist
jetzt die Reihe an den anderen, verlegen zu werden, und obendrein sind
ohnehin keine Leute da.

Aber damit war es gefehlt. »Ha!« schreit eine Stimme auf, ein junger
Mensch mit einem Mädel im Arm sitzt auf einer halbversteckten Waldbank,
zehn Schritte von dem verstörten Franz. Franz glaubt, er müßte in die
Erde versinken: »Also du, Hüttenbrenner!«

Der lacht verschmitzt und doch zugleich etwas verlegen und ruft ihm zu:
»Hast nicht den Schober gesehen, er ist nicht weit!« und kichert in
sich hinein.

Sie erholen sich alle von dem anstrengenden Minnedienst am Hof der
schönen Melusine. Hier am Himmel gibt es keine kalte Koketterie,
kein feurig tuendes Fischherz -- hier ist alles selbstverständliche
Erfüllung, nahrhafte Kost fürs Herz, Hausmannskost.

Jetzt weiß man, wo Franz die vielen Tänze her hat, die er schreibt,
die sogenannten »Deutschen« und die Walzer, die er jedesmal wie einen
Strauß frischer Waldblumen von einer solchen heimlichen Reise ins
Land der Liebe heimbringt. Dort draußen sind sie ihm entgegengeblüht,
auf all den Schubertschen Wegen, die in den grünen, liebreichen und
weinseligen Wienerwald führen.

Schwind steht Kopf vor Entzücken über die Deutschen, über diese Walzer.
»Das ist die blühendste Musik, die ich je gehört hab', quellfrisch aus
dem Herzen, aus dem Herzen des Wienerwalds --« vor allem aus Schuberts
Herzen -- Schwind kann nicht genug kriegen, Franz muß sie immer und
immer wieder spielen.

Drinnen in der Stadt fangen die feinen Töchter schon an, Walzer zu
tanzen. Das haben sie ihm zu danken, der den Tanz im Grünen erlauscht,
erlebt und aufs neue zum Erklingen gebracht hat. Jetzt sitzt er ihnen
in den Klavierfingern, dann geht er siedend ins Blut und jetzt wirbelt
er schon in den Beinen.

Und der den Zaubertrank schöpfte, den geheimnisvollen Jungbrunnen des
Wienerwalds -- der geht still und unscheinbar dahin, nur im engen
Kreis gekannt und geliebt; für die anderen ist er ein Name wie tausend
andere, flüchtig genannt, vergessen und verweht. Noch denkt man nicht
daran, daß man sich ihn merken müsse.




                                  VI.


Der Sommer brachte einige Veränderungen. Das Schicksal warf die Freunde
durcheinander wie Spielbälle. Den einen riß es dahin, den andern
dorthin. Der treue Spaun war bereits seit einiger Zeit nach Linz
versetzt worden, in seine Heimatstadt, und schrieb sehnsüchtige Briefe,
daß Franz doch kommen und eine Zeitlang in der schmucken Donaustadt
verleben möchte. Jenger mußte von Amts wegen nach Graz -- in seinen
freien Stunden fungierte er als Sekretär des dortigen Musikvereins;
Anselm Hüttenbrenner zog ihm nach.

»Zehn Jahre werden vergehen, ehe man dich wieder sieht!« prophezeite
Franz dem Hüttenbrenner beim Abschied. Es schien, als sollte er recht
behalten.

Anselm suchte eine Stellung, er bekam sie durch Jenger und wurde
Dirigent des Steyrischen Musikvereins. Was Franz, der begnadete,
trotz aller Anstrengungen, trotz aller vorzüglichen Zeugnisse und
Empfehlungen, trotz Meisterschaft nicht erlangen konnte, das fanden die
kleinen Talente im Handumdrehen, Würden, Ämter, Einkommen. Es ging mit
seltsamen Dingen zu; woran lag es, daß er, der Berufene, nicht den Weg
zu den leichten Erfolgen fand. War es ein Verhängnis, war es ein Glück?

Daß es auch in Graz hübsche Mädchen gebe, das erfuhr man bald aus
Anselms Briefen. Auch daß er in einem Zauberkreis festsitze und darüber
alle Welt vergäße. Der losen Mädchen wegen die Freunde zu vergessen,
das mochte dem Franz nicht gefallen. »So hol' doch der Teufel alle
Mädeln,« wetterte er in einem Brief, »wenn du dich gar so von ihnen
behexen läßt.«

Erst hinterher kam es heraus, daß es die Position war, die Anselm in
Graz festhielt.

Beide, er und Jenger, wollten in Graz den Boden lockern für das
Verständnis Schubertscher Schöpfungen. Freilich komponiert Anselm
selber, zwei Sinfonien hat er in Arbeit, aber herzeigen tut er nichts,
so sehr ihn Franz mit Freundeseifer drängt. Er ist lieb und gut, der
Anselm, aber -- was soll man denken? »Immer ein wenig versteckenspielen
-- mir gefällt die Leisetreterei nicht!« polterte Mayrhofer.

Franz bleibt arglos. »Recht hat er, jetzt kann er sagen wie Cäsar,
lieber in Graz der Erste, als in Wien der Zweite. Gott gesegne es ihm!«

Also das muß man sagen, Neid kennt der Franz nicht; er läßt jedem
seine persönliche Art und bleibt bei der seinigen. Er berichtet ganz
offenherzig nach Graz über sein eigenes Leben und Schaffen. Daß er,
Franz, auf Vogls Veranlassung die Musik zu einem Singspiel geschrieben
hat, daß es aber trotz Vogl schwer sei, »wider Kanaillen wie Weigl,
Treitschke usw. zu manövrieren. Drum gibt man statt meiner Operette
andere Ludern, wo einem die Haare zu Berg stehen ....« daß ihm aber
trotzdem allerhand neue Operngedanken durch den Kopf gehen und so
weiter.

Ferner, daß Schober eine Sommerreise unternommen, und daß er, Franz,
sein Heim bei Mayrhofer in der Wipplingerstraße aufgeschlagen hat.
Sein Zimmer bestünde dort allerdings nur aus einem winzigen Alkoven,
gerade groß genug für das Bett und einen grünen Vorhang, aber es sei
angenehm und freundlich zu hausen in dem halbrunden Zimmer mit den
vielen Fenstern, den schönen Büchern, dem Klavier und dem philosophisch
angelegten Freund Mayrhofer.

So führten sie eigentlich ein recht ungeniertes Junggesellenleben
zu zweit, das in der Hauptsache der Musik, der Dichtkunst und der
philosophischen Unterhaltung gewidmet sei. Der Bruder Anselms sei
jetzt häufig da; Joseph Hüttenbrenner, der geradewegs aus der Schule
Sokrates-Plato käme und sich liebevoll bemühe, Anselms verwaiste
Freundesstelle einzunehmen.

Eine elegische Bemerkung fließt ein über das allzu rasche Schwinden
des Liebesfrühlings -- daß der wilde Rosenstrauch der Liebe draußen
am Himmel am Verblühen ist, sagte er gerade nicht, das gehört auf ein
anderes Blatt, aber der Freund mag sich's denken, zumindest kann er
es daraus entnehmen, daß Franz so auffallend heftig alle Mädchen zum
Teufel wünscht. Er bringt jetzt nur mehr wenig Walzer und Tänze von
seinen Streifzügen mit heim -- auch das gibt zu denken, wenn Anselm
versteht, zwischen den Zeilen zu lesen. Er habe jetzt ernstere Sachen
im Kopf, er denke viel an die Milder, und dabei habe er sich immer mehr
in die Therese verschaut, Melusine, die er seine tragische Muse nennt.
Von einer geht ein sanftes Band zur anderen, das ihn gefangen hält. Man
weiß schon, wohin es ihn zieht. Zum Theater.

Unter den Freunden gibt es darüber nicht geringes Aufsehen. Joseph
Hüttenbrenner schärft seinem Bruder Anselm in den Briefen ein: »Für
dermalen laß dir's angelegen sein, für Schubert ein Opernbuch zu
schreiben; es fällt nebstbei auch ein Honorarium aus. Eure Namen werden
in Europa genannt werden -- Schubert wird wirklich, ein neuer Arion, am
musikalischen Himmel glänzen usw. usw.«

Holzapfl, obgleich nur mehr selten im Freundeskreis gesehen, berichtet
nach Linz an Stadler, einen gemeinsamen Konviktsfreund: »Ich weiß, er
(Franz) schreibt auf Vogls Veranlassung und also nicht ohne Ursache,
aufzuführende Operetten, Opern und andere große Dinge, die ich weder
weiß noch höre; aber es ist so ....«

Einer sagt's dem andern, keiner weiß was Genaues, alle spitzen die
Ohren, jeder dichtet und hat schon einen großartigen Opernstoff in
petto -- die Zaunkönige möchten mit dem Adler fliegen -- das Theater,
ja, das Theater ist das Tor zur Weltberühmtheit. Die Freunde ereifern
sich, jetzt muß Schuberts Stern leuchtend aufgehen, er lächelt und läßt
sie reden in ihrem blinden Enthusiasmus. Was helfen die trügerischen
Worte -- das Leben macht sich von selbst und meist anders, ganz anders
als man denkt.

So stehen die Tage im Hochsommer.

»Kauft's ein'n Lavendel, zwei Kreuzer ein Büschel Lavendel! Ein'n
Lavendel kauft's!«

Der einförmige Klagegesang des Lavendelweibes zieht durch die
sommerstillen Gassen.

Das lockt und zieht -- ein Gruß aus duftenden Sommerwiesen, Wald
und Bergwiesen, die von fern in die Stadt leuchten, grüngoldener
Wienerwald. Der läßt einen nicht in Ruh'. Am wenigsten ein sinniges
Musikanten- und Poetengemüt, wie es Franz zu eigen war.

Die Liebe liebt das Wandern -- also auf und ins Grüne hinaus jeden
freien Nachmittag und Abend. »Fanny, liebe Fanny!« so hat es vor
kurzem noch geheißen. Aber die Sonnenwende ist herum, oder war es die
Herzenswende?

»Fanny, Herzensfanny, was haben sie denn mit dir gemacht?« Das
Wienerwaldkind am Himmel hat wenig Zeit für das Singerlein. »Mit so
einem Herrn zu gehen, war immer deine größte Sehnsucht, soviel ich weiß
-- und jetzt?« Die Frage hat er auf der Zunge, sie rutscht ihm endlich
heraus.

Sie ist schnippisch, dreht ihm flink den Rücken und sagt: »Ja, das war
im Mai -- jetzt ist Juli, da ist es mir zu heiß.«

»Dummes Mädel, mich hältst du nicht für einen Narren ...« Er läßt sich
eine Zeitlang nicht blicken.

Dann aber treibt ihn wieder ein ungewisses Etwas. Also wandert er mit
seinem Stock das Gspöttgräblein wieder hinauf -- »denn die Liebe liebt
das Wandern.«

Summt sich dabei eins: »O Bächlein meiner Liebe, was bist du heut so
stumm, will ja nur eines wissen, ein Wörtchen um und um, ein Wörtchen
um und um. Ja, heißt das eine Wörtchen, das andere heißet Nein, die
beiden Wörtchen schließen die ganze Welt mir ein.«

Das Haus am Himmel steht einsam an Wochentagen, so ist es der Liebe
recht. »Fanny, liebste Fanny, wo steckst du heut?« Sie hat ihn gewiß
kommen gesehen und läßt ihn heute zappeln. »Schaut sie auch nicht zum
Fenster heraus, so schaue ich doch zum Fenster hinein -- ist also
einerlei!«

Da steht der kleine Musikus vor dem etwas hochgelegenen Fenster, ein
wenig muß er sich an dem Gesims emporziehen, und späht in den Raum
hinein.

Nein, Fanny hat ihn nicht kommen gesehen, ahnungslos sitzt sie drin an
einem Tisch und neben ihr sitzt so ein frecher Kerl beim Wein und hat
den Arm um sie geschlungen. Sie sitzen allein in der Stube, und sie
schauen sich so sengend heiß an, als ob sie jeden Moment Feuer fangen
müßten.

Auch dem Franz schießt Feuer in die Augen -- oder war es das Wasser?
Einen kleinen Bremsler hat es ihm doch gegeben, er rennt vom Haus
weg und waldein. »Mit so einem Herrn zu gehen, das war immer meine
Sehnsucht!« Er hört die Worte noch immer, sie klingen jetzt wie Hohn.
Dem andern sagt sie gewiß dasselbe, und der ist bezaubert davon, so wie
es auch er war. Ach, der Zauber ist süß, und wer ihn verliert, der ist
elend dran.

Franz ist ins Grüne hineingerannt, jeder Weg war ihm recht. Nur immer
fort ins Grüne: »In Grün will ich mich kleiden!« Feuer und Wasser
stehen ihm in den Augen.

»In Grün will ich mich kleiden, in grüne Tränen weiden -- will suchen
einen Zypressenhain, eine Heide von grünen Rosmarein --«

Feuer und Wasser, das lebt wie Hund und Katz'. Dem Franz ist jetzt
wirklich traurig zumute. Aber es dauert nicht lange, so haben Feuer und
Wasser einander aufgefressen, und wären es Hund und Katz' gewesen, so
wäre kaum ein Schwanzstückl übriggeblieben.

Jetzt muß Franz schon lachen über sich selber. Er hat nämlich eine
Stimme in sich, die in allen lächerlichen oder empfindsamen Situationen
erwacht und leise fragt: »Franz, dummer Kerl, schämst dich nicht?«
Gegen diese innere Stimme war nicht aufzukommen. Sie pflegte, wenn
nichts anderes half, einen schlechten Witz zu reißen, und dann
war alles Krankhafte, Sentimentale geliefert. So gesund war Franz
innerlich, so kerngesund!

Und jetzt lachte er schon im seligen Humor: »Grabt mir ein Grab im
Wasen, deckt mich mit grünem Rasen -- kein Kreuzlein schwarz, kein
Blümlein bunt, grün, alles grün so rings und rund -- so rings und rund
--«

Und lief so rings und rund -- so rings und rund und lief sich gesund,
ganz gesund im grünen Wienerwald. Es war völlig dunkel, als er am Haus
am Himmel wieder vorbeiging, die Fenster waren ohne Licht, die Türen
geschlossen, alles schlief. Klopfenden Herzens schlich Franz näher, ein
kleiner Spotteufel ward in ihm rege, er wollte nicht fortgehen ohne
Abschied. »Will dich im Traum nicht stören, wär' schad' um deine Ruh'
-- schreib' im Vorübergehen ans Tor dir: Gute Nacht! Damit du mögest
sehen, an dich hab' ich gedacht!«

Schreibt also im Vorübergehen ans Tor ihr: Gute Nacht! und hat ein
kleines Sterbekreuzel daneben hingemalt.

Gute Nacht! Die Liebe ist gestorben -- wo, wo ist sie gestorben im
grünen, grünen Wienerwald? Wo findet ihr den Zypressenhain, wo das Grab
im Wasen, wo das Kreuzlein schwarz (außer an der Tür!)? Nichts kündet
euch den Liebestod, grün ist alles, so rings und rund! Ist die Liebe
wirklich gestorben?

Nein, sie lebt, sie lebt in den Tänzen, Liedern und Weisen, die Franz
bei seinem Wandern im grünen Land der Liebe heimgebracht hat.

Das grüne Wogen ist darin, die heitere Sinneslust, die gotterfüllte
Ekstase, das Schleifen und Wiegen -- vielleicht auch die heimliche
Träne, die aus dem Herzen hineingeflossen ist, das Schönste und
Ergreifendste daran, sein Eigenstes!

Aber es konnte nicht immer bei dem bleiben -- denn die Liebe liebt das
Wandern -- Gott hat sie so gemacht! -- von einem zu dem andern -- Gott
hat sie so gemacht!

Franz steigt zur Stadt ab, in der da und dort noch Lichter glühen.
Er ist getröstet und beruhigt. Ein inniger Quell von Trost erquickt
ihn, wie immer. Er denkt an die Stadt unten, die so unendlich viel
umschließt, und denkt recht eigentlich an die Eine, Unvergleichliche,
die unter den Freunden Melusine genannt wird und die alles verkörpert,
was das Herz im unbestimmten Verlangen ersehnt: die Kunst, die Liebe,
die Stadt, alles dies und noch viel mehr drückt sich in seiner
Sehnsucht aus, und diese Sehnsucht hat den Namen Melusine. Wenn ein
kleiner Liebeskummer einbricht, dann steht ihr Bild groß vor Augen,
eine anziehende magische Kraft, die verhütet, daß sich das Herz in
kleinen Liebeständeleien verirrt oder gar verliert.

Todmüde wirft sich Franz um Mitternacht ins Bett, ein bleierner
Schlaf drückt ihn nieder, er erwacht am anderen Morgen mit einem
katzenjämmerlichen Gefühl. Etwas hat man verloren, und war es auch nur
eine Illusion. Aber das Dasein besteht nur aus Illusionen, also hat
man ein Stück Dasein verloren. Das Leben ist wieder um einen Schatten
tiefer.

Ein Glück, daß ein Brief von Vogl da ist, der sich zum Sommer in seiner
Vaterstadt Steyr befindet. Vogl fühlt sich einsam, er möchte sich
mit neuer Musik auffrischen, Schuberts Lieder sind ein Jungbrunnen
für ihn, Franz möge doch nach Steyr kommen und den Sommer mit ihm in
Oberösterreich zubringen.

Wenn von Steyr die Rede ist, geht auch dem Mayrhofer das Herz auf. Er
ist ja selber Steyrer. »Die Steyrer singen gern,« rühmt Mayrhofer,
»das kommt von der blauen Enns, die so stattlich um die Stadt rauscht,
oder von der grünen Steyr, die ihr singend in die Arme stürzt -- also
merk' auf, Steyr ist was für dich! Vor den Mädeln nimm dich in acht,
haben Augen blau wie die Enns, spielen aber die grünen Lichter der
Steyr drin -- ist ihnen nicht zu trauen, diesem Blau und diesem Grün,
haben gefährliche Tiefen, Wirbel und Strudel, es reißt dich hinein, du
weißt nicht wie ...« Spielt sich gar zu sehr auf den väterlichen Warner
hinaus, der weiberfeindlich gesinnte Mayrhofer.

Jetzt hat die Sonne wieder neues Licht. Vogls Einladung, das läßt man
sich nicht zweimal sagen. Man sieht dabei ein Stück Welt, besucht in
Linz die Freunde, die schon so oft geschrieben haben, ob er denn gar
nicht kommen mag -- also jetzt wird es Ernst. Es treibt ihn förmlich
hinaus. Kleingeld hat er in der Tasche, »Die Zwillingsbrüder«, wenn
auch nicht aufgeführt, haben wenigstens einen Vorschuß gebracht; es
langt. Ach, Berge, Städte, Freunde! Die Brust wird wieder weit.

Ja -- die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht -- von einem
zu dem andern, Gott hat sie so gemacht!

Die Reisetasche her: sie hat einen mächtigen Bügel, aber die schöne
Stickerei auf der Außenseite ist längst verblichen; die Tasche ist
vom Herrn Vater, dem hat sie schon vor langen Jahren auch gedient.
Bedachtsam schiebt Franz die wenigen Habseligkeiten hinein, die er
braucht, etwas Wäsche, ein Paar Schuhe, einen Anzug -- der alte dient
auf der Reise und auf der Wanderschaft -- so, das wäre jetzt alles,
bis auf die Noten und das Notenpapier, es nimmt den größten Raum ein.
Zum Platzen vollgestopft ist die Tasche, und schwer! Schwer von der
musikalischen Fracht, der geschriebenen und der ungeschriebenen.

Jetzt wird noch das Ränzel gespickt mit allerhand Kleinigkeiten, die
man unterwegs braucht, vor allem mit guten Freßsachen. Andächtig
schiebt er ein Päckchen ums andere hinein, die er vormittags eingekauft
hat, steckt ab und zu einmal die Nase zum Papier, hm! duftet fein! Zwei
Paar Tiroler Landjäger, davon kann ein Mensch acht Tage lang leben,
ein Stück ungarische Salami, noch etliche andere Wurstzipfel, einen
echten Emmentaler, ein Stück ungarischen Paprikaspeck, eine Anzahl
Brote, damit ist man versorgt -- jetzt kann kommen, was mag, man ist
gegen die Wechselfälle des Schicksals für mannigen Tag vorgesehen. Am
Abend wird der Abschied gefeiert, Mayrhofer, Schwind, Holzapfl, Joseph
Hüttenbrenner sind dabei. Jeder verspricht nachzukommen, in einem Monat
vielleicht, in drei Wochen, in vierzehn Tagen. Beim Abschied schwelgt
man schon in der Freude des Wiedersehens. Man hat soviel Vorsätze
und genießt es im voraus, oft der einzige Genuß. Den lassen sich die
Freunde nicht entgehen, sie sitzen und trinken und schwärmen bis tief
in die Nacht.

Am anderen Morgen in aller Früh geht der Postwagen. Der Schlaf ist
verflogen, als Franz beim Kutscher vorne sitzt und die Linzer Straße
hinausfährt. Die Stadt versinkt hinter seinem Rücken: Leb' wohl, schöne
Fee Melusine! Der Wienerwald erhebt sich links und rechts schwellend
grün, Kuppe über Kuppe, ein wogender Ozean von Grün. Und drüben, ja
drüben, ist das versunkene Haus am Himmel. »Leb' wohl, Fanny, leb' wohl
auf Nimmerwiedersehen! Der Teufel hol' die Mädels!« So schnell kriegt
ihn jetzt keine mehr dran.

Ist das eine Seligkeit, so drauflos zu fahren ins grüne Meer von
Niederösterreich. Der Wagen geht dahin wie ein gelbes Schiff durch die
grünen Fluten von Wiesen und Wäldern. Alles ist neu und festtäglich,
was man sieht, die Bauersleute, die zu Fuß oder zu Wagen dahinziehen,
das Treiben in den Herbergen beim Pferdewechsel, es geht zu wie im
ewigen Leben. Die Sorgen, die Schmerzen hat man zu Haus gelassen,
man fühlt sich wie Gott in Frankreich. Fast so wie auf der Reise nach
Zelez, eigentlich aber besser, denn nach Zelez ging's doch in eine wenn
auch sanfte Abhängigkeit, hier aber reist man der ungebundenen Freiheit
entgegen. Kein Amt, keine Pflicht wartet und legt am Ziel neue Fesseln
an. Ein ganzer Sommer steht noch bevor, ein Sommer der Kunst und des
heiteren Daseins, der vegetative Mensch lebt und atmet Glück.

Die tausend Fenster rechts, das ist das Melkerstift, die funkelnden
Türme gehören dazu, jetzt blitzt der Silberstreifen der Donau auf,
weiter draußen das Kirchlein am Berg, das ist Maria-Taferl, weiße
Schlösser, Burgruinen, Wein, Strom und Wald -- die Augen können
sich nicht satt trinken an all diesen Herrlichkeiten, die Augen und
das Herz! Kaum hat man es erschaut, ist es schon vorbei, das gelbe
Gefährt schwankt wieder in den Wogen von Grün dahin, andere steingraue
Städtlein stehen auf, einzelne breite Gehöfte lugen zwischen Obstbäumen
hervor. Das Land trägt ein buntes Gesicht und gleicht einem gesegneten
Garten, es ist das liebliche Oberösterreich. Ein Fluß wälzt schäumende
Fluten daher, das ist die Enns.

Endlich am zweiten Abend schwankt der gelbe Wagen zwischen engen
Gassen, hinauf, hinab, über ein holperiges Pflaster, ein Engpaß von
Gemäuern schließt sich zusammen, eine Menge Läden sind darin, Menschen
und Wagen drängen sich durch, dann tut sich ein unendlich weiter,
schmuckvoller Platz auf mit alten, reichverzierten Patrizierhäusern,
kunstvoll verschnörkelten Wirtshausschildern aus Schmiedeeisen,
rostbraun und golden, hinter den steinernen Toren stille klösterliche
Haushöfe mit weißen Arkaden und pendelnden Blumen -- das ist die schöne
Stadt Steyr, um die sich die blaue Enns und der grüne Steyrfluß zu
einer blaugrünen Masche knüpfen.

Man ist am Ziel.

Franz klettert vom Wagen herab, die Knochen im Leib sind ihm förmlich
zerdroschen von der Ratterei des Wagens, kaum daß er auf den Beinen
stehen kann. Da ist er schon von einer Menge Leute umringt, die ihn
herzlich und teils sogar respektvoll begrüßen, der gravitätische Vogl
an der Spitze, der ihn gönnerhaft den Honoratioren vorstellt, dem Herrn
Silvester Paumgartner, Hausbesitzer, Vizefaktor der Eisengewerkschaft,
Besitzer einer wertvollen Instrumentensammlung; dem Herrn Advokaten
Schellmann, Freund Vogls und leidenschaftlicher Klavierspieler, in
dessen Haus am Platz für Franz ein Zimmer im zweiten Stock reserviert
ist; dann dem Herrn Kaufmann Joseph von Koller und seiner Tochter
Josephine, die als Sängerin und Pianistin einen k. k. Provinzialruhm
genießt; endlich die Frauen, Töchter und deren Freundinnen, eine Schar
von Mädchen und alle blitzsauber! Wird ihm gleich etwas bang dabei, die
Sehnsucht fängt zu schwellen an, die Traurigkeit gewinnt Oberhand. »Was
machen's denn für ein Gesicht!« stößt ihn Vogl an, der immer gern ein
wenig hofmeistert.

Franz redet sich auf seine Müdigkeit aus, im übrigen denkt er, der
Mensch wird doch ein Gesicht machen dürfen, wie es ihm paßt. Es ist ihm
zuwider, daß Vogl gar zu gern den Protektor hervorkehrt. Immerhin, er
meint's gut, aber zuwider ist es doch ...

Eine richtige Schwelgerei in Musik geht los. Die Steyrer sind ganz
baff über die Kunst, die Franz im Verein mit Vogl hervorzaubert. Wenn
Vogl singt und Franz ihn am Klavier begleitet, so daß sie in solchen
Augenblicken eins zu sein scheinen, dann reißen die Zuhörer Mund und
Augen auf, fassungslos vor Staunen und Entzücken. Daß es so was gibt,
ist für sie völlig neu und unerhört.

Wenn in der k. k. Provinz die Begeisterung entfesselt ist, dann gehen
die Wogen sehr hoch. Es sind gesunde, ungebrochene Naturen, die können
was leisten. Dem Franz kommt's vor, als ob von nun an alle Tag Sonntag
wäre.

Der neue Kreis von lieben, eifrigen Menschen gibt sich alle
erdenkliche Mühe, um ihm das Leben so angenehm als möglich zu machen.
Am rührendsten ist Silvester Paumgartner. Er führt ihn in der Stadt
umher, zeigt ihm diese und jene Besonderheit und weiß von allen
Dingen die Geschichte. Am liebsten freilich läßt sich Franz in die
Eigentümlichkeiten der Stadt von Josephine einweihen, die ihn immer
häufiger zu Spaziergängen einladet. Im Haus bei Schellmann sind allein
acht Mädchen, mudlsauber alle, und alle gehen dem jungen Meister
liebreich um den Bart. Er ist Hahn im Korb und läßt sich wohl geschehen.

Wenn nicht am hübschesten, aber doch am interessantesten ist die
Josephine. Sie gibt sich exzentrisch und spielt sich auf die
Weltdame hinaus. Es liegt ihr nichts daran, daß die Leute die Köpfe
zusammenstecken und sich ein wenig mokieren über sie. Wenn sie nicht so
überschlank wäre, dann könnte man an die Fee Melusine denken, überlegt
Franz; freilich mit dem weiteren Unterschied noch, daß Therese im
wirklichen Sinn Dame ist, während die exzentrische Josephine trotz
ihrer anscheinend freien Art nicht ganz das Provinzielle abstreifen
kann.

»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt!« sagt sie ihm schon in den
ersten Tagen.

Er aber denkt: »Mich kriegst du nicht dran!« Sie gehen am Vormittag
über die Ölstiege zur Enns hinab auf den Schiffweg. Der dunkle
Stationsweg mit den roten ewigen Lichtlein an den Heiligenbildern in
diesem steinernen Schacht hat so eine eigene Stimmung. Das Mädchen
bleibt gerne stehen auf den steinernen Stufen in dem halbdunklen Gang,
plaudert und schaut ihm ins Gesicht. Ihre Augen geben grüne Lichter --
Mayrhofer hat recht: »Nimm dich in acht, der Zauber ist gefährlich ...«

Am Schiffweg unten kommt schon die blaublickende Enns daher mit Singen
und Rauschen. Wundervoller Sang, die rollenden Kiesel am Ufer klingen
geheimnisvoll mit. Josephine angelt mit den Augen. Die sind jetzt hell
und klar und blau wie die Wasser der Enns. Forellen schießen im Strom
daher, dem Franz ist es so wohl wie den Fischen im Wasser, und er
denkt: »Angle nur zu, mich fängst du so wenig wie die Forellen, solang
es vor mir so klar und licht ist ..«

Josephine redet von der Liebe. »Den ich einmal wollte, der ist
gestorben, und den ich jetzt möchte, der weiß es nicht, oder tut er
vielleicht nur so?«

Franz hütet sich zu fragen: »Wer?« Er greift fest ins Klavier, sie
spielen vierhändig. Ein neues Werk wächst unter seinen Händen, das
Singen und Rauschen der Enns ist darin, das Schießen der Forellen, das
Haschen und Fangenwollen, das hurtige Enteilen; in munteren Läufen
trillert eine Stimme, die rollenden Kiesel am Schiffweg singen mit.
Sonnenschein und Frohsinn ist darüber -- ein volles Glück neigt sich
herab, Franz tut es der Forelle gleich, die in glashellen Fluten
aufwärts schwimmt -- in Laune und Übermut ringt er sich nach heiteren
Höhen empor.

Tagelange Fahrten werden ins Land unternommen, nach Kremsmünster, nach
Florian in die geistlichen Stifte, überall sind die Sänger, Künstler
und Freunde in Ehren empfangen und gefeiert. In Kremsmünster schließt
sich ein Student der Sängerfahrt an, er will nach Wien reisen, er
verbummelt seine Tage, so stark hält ihn Schuberts Musik gefangen.
Endlich reißt er sich los, sonst wird ihm das Geld zu knapp. »Er
soll in meinem Bett schlafen für die Tage, die er in Wien weilt!« so
schreibt Franz dem Mayrhofer. »Sie haben doch ein gutes Herz!« sagt
Josephine, die dabei ist, als Franz dem Studenten den Empfehlungsbrief
zum Abschied gibt.

»Sie haben doch ein gutes Herz!« wiederholt sie später öfter, wenn
sie die Ölstiege zum Schiffweg hinabgehen, und bleibt stehen: »Sie
verdienen dafür belohnt zu werden.« Sie macht dabei so eigentümliche
Augen, daß der Franz wegsehen muß, sonst zappelt er wirklich wie die
Forelle an der Angel.

»Kriegst mich nicht dran!« denkt er beharrlich, aber so ganz
selbstsicher ist er nicht.

Das begonnene Werk wächst weiter, es will sich glücklich vollenden.

»Sie komischer Mensch, wenn ich ein Mann wäre wie Sie, ich würde mir
die Trauben nicht in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten.«

Die Trauben in den Mund hängen lassen, ohne sie zu verkosten, das will
er auch nicht, dazu ist er Mann genug; aber es ist ihm zuwider, wenn
sie sich gar so aufdrängen, die Trauben; da verlieren sie an Reiz, und
er denkt sich: Justament nicht! Ein Glück, daß er am nächsten Tag nach
Linz muß auf ein paar Tage, die Sehnsucht nach den Freunden drängt,
sonst hätte er, wer weiß es, wirklich zugeschnappt.

Mayrhofer und Schwind kommen ja doch nicht, trotz aller guten
Absichten, aber Spaun in Linz, den man so lange schon nicht gesehen
hat, und Stadler, ein Konviktsgenosse, der ihn als Musikfreund näher
kennt, die will er bei dieser Gelegenheit sehen. Vielleicht, daß sie
dann einen Gegenbesuch in Steyr machen.

Linz an der Donau mit dem Pöstlingberg, das ist eine schmucke
Stadtschöne. Mit Spaun und Stadler kommt er zu Linzer Kunstfreunden,
er ist da und dort zu Besuch, die Menschen sind stilvoll wie
alte Porträts, am Kaffeetisch werden ihm zu Ehren die kostbaren
Porzellanschränke aufgetan, er trinkt aus alten vergoldeten und
kunstreich bemalten Schalen, er betrachtet die Bilder an den Wänden,
die schweren eingelegten Möbel, die schönen illustrierten Bücher in
den Schränken, alles, was er sieht und kennen lernt, ist gesättigt mit
Kunst und Geschmack; es ist eine neue wundervolle Welt im Kleinen.

Abends vereinigen sich die jungen Freunde in einem alten gewölbten
Lokal, wo man den besten Wein kriegt und der aus dem Stift Kremsmünster
stammt. Zum Nachtmahl gibt's eine Hausspezialität: »Katzengeschrei.«
Dreierlei Fleisch in Würfel geschnitten, Kalbfleisch, Schweinefleisch,
Rindfleisch, mit würziger Sauce und großen Semmelknödeln dazu -- es
schmeckt herrlich. Und dann der Wein drauf -- kein Wunder, daß allen
das Herz aufgeht und die Zunge überfließt. Was tut man, wenn der
Wein endlich Herz und Zunge aufgeriegelt hat? Man singt. Man singt,
daß die Gasse klingt und die Leute in den dunklen Fenstern die Köpfe
herausstecken und die halbe Nacht lang andächtig zuhören.

Schließlich aber ist der Wein der Stärkere, der Gesang wird übermütig,
er gluckst, hopst, lacht, torkelt, lallt -- es wird ein richtiges
Katzengeschrei. Da schließen sich die Fenster, denn es wird bald
wirklich zum Steinerweichen.

Aber es ist nichts Arges dabei, man geht in Seligkeit von dannen. Und
merkwürdig. Wie kann man denn, wenn einem die Trauben schon in den Mund
hängen, vergessen, zuzubeißen? Es will dem Franz jetzt nicht aus dem
Sinn. Blaue Augen mit grünen Lichtern funkeln vor ihm noch im Traum.
Die ganze Nacht denkt er an Josephine.

Zappelt jetzt die Forelle an der Angel?

Am nächsten Tag kehrt er nach Steyr zurück. Die Enns rauscht und singt.
Er hat ihr Rauschen und Singen eingefangen, ein sonniges, glühendes
Werk ist ihm entstanden, die frohen Steyrertage sind darin, sein
ganzes Glück dieser Zeit -- Forellenquintett heißt es, er schenkt es
dem Silvester Paumgartner, der sich trotz des Altersunterschiedes als
wärmster und aufmerksamster Freund erwiesen hat.

Eigentlich wollte er es der Josephine schenken. Aber im letzten
Augenblick besann er sich eines anderen. Sie sprach wieder von der
Liebe und neckte ihn, weil er tat, wie der keusche Joseph. Er aber
hatte schon Feuer gefangen -- die Trauben, die so tief hangen, die
wollte er nun doch nicht unverkostet lassen.

Aber blitzschnell bog sie ihm aus. »Nein, nein!« In ihren Augen
blitzten die grünen Lichter. »Vor einigen Tagen war ich bereit -- alles
hätte ich gewährt, ich hatte es mir fest vorgenommen -- warum sind Sie,
anstatt mich zu erwarten, nach Linz gefahren?«

»Warum?« Jetzt wußte Franz, sie spielt gern die Verwegene und
Leidenschaftliche, aber sie ist es gar nicht; sie tut nur so und hält
ihn zum besten. Sie glaubt, das ist jetzt à la Mode, und meint weiß
Gott, was für gefährliche Abenteuer sie überstanden hat.

»Warum? Das will ich Ihnen auf dem Klavier sagen.«

Jetzt hat Franz das Heft in der Hand; ein paar Takte, ein kleiner Sang:
»Die Liebe liebt das Wandern, Gott hat sie so gemacht, von einem zu dem
andern, Gott hat sie so gemacht!«

Das Liebesspiel ist aus, wer hat das Nachsehen? Auf alle Fälle
hat Franz gewonnen; was er gewonnen, klingt fort in seinem
Forellenquintett, fort ins Ewige.

Ade, du muntere, fröhliche Stadt, ade! Der Herbst ist da, aber das
Scheiden von hier ist nicht leicht.

Ein so voller, schöner Sommer -- und zum Schluß die unausgesprochene
bange Frage: »Wann werde ich je wieder so glücklich sein?«




                                 VII.


Im Gundelhof ist alle Freitag musikalische Soiree bei dem Wiener
Rechtsanwalt Dr. Ignaz von Sonnleithner. Der alte Herr von Sonnleithner
scheint im Leben ein ziemlich trockener Patron, eine etwas nüchterne
und schwunglose Advokatennatur, nur bei der Musik hat er sein Herz
entdeckt. Eine kleine Gesellschaft von Musikfreunden findet sich
seit Jahren an den Freitagabenden bei ihm ein, der Andrang ist mit
der Zeit so groß, daß Eintrittskarten verabreicht werden; was zuerst
eine private Liebhaberei war, wird nach und nach eine mehr und mehr
öffentliche Einrichtung; die Gesellschaft der Wiener Musikfreunde
bildet sich als Pflegestätte edler Musik heraus. Sie wird so groß, daß
sie einen Ableger entsendet, den kleinen Musikverein, der sich auf
intimere Veranstaltungen verlegt und ebenfalls aus dem Privatsalon in
den Konzertsaal hinüberwächst.

Schubert ist dort kein Unbekannter mehr, wenigstens dem Namen nach;
als er noch der Schulgehilfe vom Himmelpfortgrunde war, ist eine
Kantate von ihm im Gundelhof aufgeführt worden. Der Sohn Leopold
von Sonnleithner, ebenfalls Konviktszögling, hat seither eifrig
Schubertsche Blätter gesammelt, die in Abschriften von Hand zu Hand
gingen, und die ihm neuerdings durch Joseph Hüttenbrenner reichlicher
zufließen.

Den Mittelpunkt der Gesellschaft der Musikfreunde bilden drei liebliche
Schwestern, die in ihrer Dreieinheit die Wiener Muse des Gesangs
verkörpern. Sie heißen Schwestern Fröhlich. Wenn der Name genannt wird,
dann leuchten die Gesichter auf, ein freundliches Lächeln erwacht. So
groß ist die Wirkung, die von den Schwestern ausgeht.

Zu den Fröhlichs in der Singerstraße kommt Leopold eines Tages mit
Noten von Franz. »Die Lieder sind von einem jungen Menschen --
vielleicht probiert ihr sie; sie sollen recht gut sein.« Mehr sagt er
nicht. Die Schwestern sollen selber sehen, was dran ist.

Die Lieblichste von den Dreien, Kathi, setzt sich gleich ans Klavier,
versucht die Begleitung und singt mit halber Stimme. Das erste
Lied ist der »Erlkönig«. Im Nebenzimmer befindet sich der Vetter
Sonnleithners, der junge und schon vielgenannte Dichter der »Ahnfrau«,
Franz Grillparzer, Kathi ist seine Braut. Das ist der, von dem Schubert
des öfteren schwärmt und den er so gern zu seinen Freunden zählen
möchte. Außer Grillparzer ist Gymnich da, ein junger, blasser Mensch,
brustleidend, Besitzer einer außerordentlich schönen Stimme, in seinen
Nebenstunden Beamter -- die meisten sind Beamte in ihren Nebenstunden,
auch so Große wie Grillparzer, die Kunst ist brotlos, und Genies wie
Schubert und Schwind müssen darben.

Auf einmal horcht Gymnich auf, tritt ins Klavierzimmer zu Kathi: »Was
spielen Sie denn da? Ist das Ihre Phantasie?«

»Nein! Ein junger Mensch hat es gemacht, ich kenne ihn nicht näher,
doch warten Sie: wie heißt er? Schubert! Den Namen hab' ich schon
nennen gehört, aber ich weiß nicht wann und wo -- einerlei. Schön,
nicht wahr?«

Gymnich ist außer sich. »Das ist ja herrlich, das ist etwas ganz
Außergewöhnliches! Lassen Sie doch sehen!«

Jetzt singt er, Kathi begleitet ihn. Die Männerstimme bringt es jetzt
klar heraus, was in dem Lied steckt, alle Schauer, alle Abgründe -- die
Zuhörer sind hingerissen.

Die anderen Blätter werden durchgespielt, man kann sich kaum mehr
trennen davon, den ganzen Abend lang werden diese Lieder gesungen und
wieder gesungen.

»Und der Mann lebt in Wien? Und wir kennen ihn nicht? Sonnleithner, das
ist eine Schande! Sie müssen ihn zu uns bringen, und zwar gleich, in
diesen Tagen noch, morgen, übermorgen. Verstanden?!«

»Ja.« Leopold Sonnleithner hat verstanden. Am dritten Tage kommt
er mit Franz, den er am Rockärmel hält. Es war nicht ganz leicht,
fast mit Gewalt und Joseph Hüttenbrenners Unterstützung hat man ihn
hergeschleppt. Die Aussicht, Grillparzer zu treffen, den er so gern
kennen lernen möchte, wirkte eher als Abschreckung, so geniert fühlte
er sich. Da standen sich nun die beiden gegenüber, sie waren neugierig
aufeinander und fanden nicht das rechte Wort, das die Brücke hätte sein
können von Herz zu Herz.

Grillparzer war verschlossen seiner Gewohnheit gemäß, Schubert war
scheu und ging gleich ans Klavier; was aber die Worte nicht zu binden
vermochten, das vollbrachten die Töne, die unter den meisterlichen
Fingern dem Instrument entstiegen, und außerdem wußten die drei
Schwestern als freundliche Grazien mit den beiden, die sich schwer
taten, so umzugehen, daß allen leicht und wohl wurde. So entstand eine
wortlose, zurückhaltende Freundschaft, von der man nicht mehr wußte,
als daß sie da war, und daß sanfte und liebreiche Frauenhände die Bande
zu einem ganz haltbaren Knoten geschlungen haben. Zu den Schwestern
Fröhlich kam nun Franz öfter und öfter.

Bald hernach sang Gymnich den »Erlkönig« im Gundelhof an einem Freitag
abend. Die Leute waren bezaubert.

»Wie geht es denn eigentlich zu, daß so ein Mensch nicht schon
längst berühmt ist, eine anerkannte Größe in der Welt?!« Dem alten
Sonnleithner war es völlig unbegreiflich.

»Wie es zugeht? Ungerecht geht's zu in der Welt, elend -- fragen Sie
den Herrn Verleger Diabelli oder Haßlinger, dann wird es Ihnen klar
sein ...« so redet Joseph Hüttenbrenner, der ein getreuer Famulus
Schuberts geworden war und immer eifriger begann, den Verwalter des
Genius zu spielen. Er erzählte wahrheitsgetreu, wie die Lage war.

»Unsinn, ist doch ein aufgelegtes, gutes Geschäft, wenn man's so
betrachten will, vom Verlegerstandpunkt,« entgegnete der alte
Sonnleithner in seiner etwas barschen, trockenen Weise; »da muß halt
was getan werden, warum soll denn der Verleger nicht wollen? Werd'
einmal selber reden mit ihm.«

Es hat aber dem Herrn Advokaten nicht viel genützt, weder bei dem
einen, noch bei dem anderen, keiner traut sich recht, einen Pfennig
anzulegen, sind alle mitsamt erbärmliche Drücker, die ein Geschäft erst
machen, wenn sie den Profit schon von vornherein gesichert und bar auf
dem Tisch liegen haben.

Wenn doch der Herr Doktor und die vielen Freunde sich zusammentäten
und die Kosten aufbrächten, dann wollte sich der Herr Verleger schon
eher bereit finden lassen, die Sache in Kommission zu nehmen und den
Profit einzustecken -- nun ja, warum denn nicht! Man tut ja gern was
für ein junges Genie; aber auf Verlegerunkosten -- nein! Wütend geht
Sonnleithner heim, er wendete hin und her, wie sich's machen ließe --
jedenfalls, jetzt gibt's kein Lockerlassen mehr!

Inzwischen findet ein öffentlicher Abend im kleinen Musikverein statt,
Gymnich singt den »Erlkönig« im Konzertsaal. Das hat jetzt eine
durchschlagendere Kraft als alle früheren Veranstaltungen in privaten
Zirkeln und Wohltätigkeitsakademien. Das Publikum ist rasend, der
Komponist wird herausgestampft, diesmal haben ihn die Freunde nicht
entwischen lassen. Hüttenbrenner, Schober, Mayrhofer, sie haben zu
tun, ihn vom Künstlerzimmer aus aufs Podium zu bringen. Jetzt steht er
oben mit etwas verwursteltem Frack, macht ein paar linkische Kratzfüße
vor der begeisterten Menge -- und weg ist er, fluchtartig herunter und
verschwunden. Keine Macht der Erde bringt ihn mehr herauf, er ist froh,
daß es überstanden ist. Aber soviel steht fest, der junge Meister ist
entdeckt.

Sein Schaffen im Verborgenen war einem Strom vergleichbar, der viel
verzweigte unterirdische Gänge wählt und nur da und dort mit einer
prachtvoll strömenden Welle an die Oberfläche tritt. In der Tiefe wühlt
er sein Bett und sammelt im Verborgenen seine Gewässer; kann aber
nimmer lang dauern, da muß der Strom hervorbrechen ans Tageslicht in
voller Kraft und Herrlichkeit, der Welt ein neues Licht zu geben. Wer
hineinschaut, sieht Sonne, Mond und Sterne darin, und das eigene Herz
und das Rauschen singt jedem, der es hört, in der eigenen Brust drin.

Das war so jetzt um diese Zeit.

Mit einem Male wird es an allen Ecken und Enden lebendig. Der
Opernsänger Jäger hat in Wien und in Dresden gesungen, der Vogl
singt die herrliche Ballade vor einer adeligen Damenakademie im
Konzertsaal, die Zeitungen fangen an, sich zu interessieren, sie
bringen spaltenlange Berichte, das Publikum ist wie rasend -- Franz ist
ein gemachter Mann. Der Hofmusikgraf Dietrichstein, der Operndirektor
Mosel, der Hofmusikdirektor Salieri, sie stellen ihm alle glänzende
Empfehlungsschreiben aus -- schöne Worte, verdientes Geld wäre ihm aber
lieber gewesen, dem Franz, der jetzt unter einer wahren Traufe von
Anerkennungen steht und dabei arm ist wie eine Kirchenmaus.

Die Freunde feiern den Gefeierten. Sie kommen aus Vogls Konzert ins
Stammbeisel, wo sie Schubert erwartet. Sie sind noch ganz aufgeregt
und erhitzt von dem Erlebten.

»Vogl hat den ›Erlkönig‹ wiederholen müssen, so begeistert waren die
Leute!« schreit ihm der erste gleich entgegen. Und nun geht es an ein
eifriges Erzählen und Luftschlösserbauen.

Schwind, der sonst Verträumte und Wortkarge, ist jetzt der Eifrigste,
den Erfolg des Freundes zu rühmen und die Wirkung auszumalen, die
Schuberts Wunderhorn auf die Seelen ausgeübt hat. Er selber hat
Erlkönige in der Mappe, er, der malende Schubert, die Musik ist seine
stille Liebe; was Franz geleistet hat, er kann es am besten sagen.

»Da haben die Leute, denen sonst die Ohren verstopft sind, doch endlich
gemerkt, daß hier ein völlig neuer, noch nie dagewesener Ton erklungen
ist -- der hat sie in der Seele gepackt, daß sie auf einmal gar nicht
gewußt haben, wie ihnen geschieht ...«

Und nun geht es an ein schwärmerisches Nachgenießen, ein jeder will
sagen, worin das Geheimnis Schuberts besteht, am besten gelingt es dem
Schwind.

»Franz soll weghören, er könnt' mir am Ende zu eitel werden!« hebt er
also an.

Franz denkt tiefer in sein Glas hinein; sie können reden, was sie
wollen, er hat seine eigenen Gedankenwege.

»Seht also her!« erklärt Schwind, den sie den Cherubim nennen, sich und
den anderen: »Wieviel Musik in der deutschen Sprache ist, das wissen
wir jetzt durch unseren verflixten Franzl. Das hat keiner vor ihm
verstanden, und wer weiß, ob je einer nach ihm es je wieder vermögen
wird.«

Da wirft einer ein: »Nun, und Karl Maria Weber, ist der gar nichts? Und
Meister Wolfgang Amadeus? Die beiden haben doch auch Melodien aus dem
grauen Dasein herausgeklopft, wie weiland Moses Wasser aus dem Felsen
....« Der kleine Widerspruchsteufel ist der Holzapfl.

»Ganz richtig!« entgegnet der Cherubim und dreht den Spieß um. »Nimm
also zum Vergleich Karl Maria und selbst den himmlischen Wolfgang
Amadeus. Haben herrliche Melodien erfunden, darüber ist nicht zu
streiten. Aber der wundervolle Klang tritt unbekümmert auf dem Text
herum, Musik und Worte tun so, als ob sie nichts miteinander zu tun
hätten. Bilden zusammen eine schlechte Ehe, darin jedes auf eigene
Faust sein Vergnügen sucht. Mit dieser Luderei hat Franzl tüchtig
aufgeräumt. Wenn der ein Wort in die Hand nimmt, klingt es auf voll
Leben und Musik, daß man ganz betroffen ist. Er setzt es hin, daß es
seinen richtigen Tonwert hat, mit einemmal kommt Farbe, Bewegung in die
Sprache, du hörst das Gefühl hinter dem Wort aufklingen, und hinter dem
Gefühl das Urgefühl, wodurch es mit allen Menschenherzen aufs gleiche
verbunden ist. So wie er hat es noch keiner fertig gebracht, in das
Innere der Handlung zu greifen.

Vergegenwärtigt euch nur einmal, wie er in der Melodieführung die
abwechselnden Gefühle des Vaters, des Kindes und des Erlkönigs
dramatisch herausarbeitet, verstärkt, steigert, daß es einem eiskalt
über den Rücken läuft, während die Begleitmusik das Äußere der
Handlung hinzubringt, den Galopp des Pferdes, das Brausen des Sturmes,
daß einem nur so gleich die Haare zu Berg stehen. Das Tragische in
dem Gedicht ist nicht durch süßliche Glätte verschmiert, hier wird
es im Gegenteil durch eine schroffe, und eher eckige als schmiegsame
Melodie zu einem markerschütternden Aufschrei gebracht, der die ganze
furchtbare Tiefe der Dichtung aufreißt, das mystische Tor, hinter dem
der Tod lauert .... Das haben die versulzten Hirne endlich begriffen --
Franz, es kann dir nichts mehr geschehen, du bist oben! Prost! -- mir
ist wohl und leicht, deinetwegen!«

Der kongeniale Freund war ein guter Fürsprecher, sein Herz schlug
im gleichen Takt, ihm kam es zu, das Wesen Schuberts auszusprechen.
Das Tiefste freilich vermochte niemand zu sagen, wenn im liebevollen
Drängen der Freunde immer wieder die bewundernde Frage auftauchte, wo
er sie denn hernimmt, die vielen genialen Gedanken, der Himmelsakra
übereinand?!

Je nun, wo er sie hernimmt, der Himmelsakra? Das weiß nur einer, in
dem die Himmelsmächte fast ebenso rumoren, wie in dem stillen Franz,
von dem ein gutes Wort sagt, der liebe Gott hat's ihm gegeben. Es gibt
kein besseres, wenn es nur recht verstanden wird; Cherubim weiß es, er
schweigt fein still zu den Fragen und lächelt Franz zu -- es geht die
anderen nichts an.

Holzapfl setzt einen Dämpfer auf.

»O du essigsaures Holzapflgesicht!«

Er läßt sich aber nicht irre machen, er muß den Tropfen Wermut in den
Freudenbecher tun: »Also daß die Begeisterung des Publikums wohl
auch für den ›Wanderer‹ auf gleicher Höhe geblieben, aber bei dem
›Gesang der Geister über den Wassern‹ bedenklich herabgesunken und sich
eigentlich in Befremden verwandelt hätte.«

»Das ist eben ein Beweis,« braust Schwind auf, »daß die verfilzten
Ohrwascheln der lieben Zeitgenossen erst noch ganz gehörig aufgestemmt
werden müssen, ehe sie für die Offenbarungen des Genius empfänglich
werden. Den ›Erlkönig‹ haben sie glücklich begriffen und meinen,
jetzt müßte alles drehorgelhaft im Erlkönigton weitergehen -- lauter
Erlkönige, damit die faule Bande in ihrer angeborenen Denkfaulheit
und Bequemlichkeit nicht gestört werde. Daß sie durch den ›Gesang der
Geister über den Wassern‹ durch einen neuen Geniestoß aus der süßen
Gewohnheit aufgeschreckt werden, das geht ihnen schon gegen den Strich.

Jetzt kann es zehn Jahre dauern, bis sie diesen zweiten Streich
verdauen. Dann stehen sie Kopf voll Entzücken, indessen der Künstler
schon wieder weiß Gott wo ist. Bedenkt doch, ihr Lieben, daß der
›Erlkönig‹ schon vor fünf Jahren komponiert worden ist -- es ist
verhältnismäßig ohnehin schnell gegangen mit seiner Popularität.
Es wäre aber interessant, auszurechnen, wie viele Jahrzehnte die
Allgemeinheit in der Regel braucht, um den Genius wirklich zu
begreifen.« Und mit einem boshaften Seitenblick fügt er hinzu: »Soviel
aber wird dem Publikum klar -- der Holzapfl fällt nicht weit vom Stamm!«

Der hat jetzt sein Teil.

Dafür rächt sich Holzapfl wieder auf seine Art und bringt in den
nächsten Tagen ein Zeitungsblatt mit einer Kritik, die er den Freunden
nicht ganz ohne heimliche Genugtuung vorsetzt. »Der Tonsetzer,« so
lautet der Konzertbericht, »gleicht in solchen Kompositionen einem
Großfuhrmann, der achtspännig fährt, bald rechts, bald links, also
ausweicht, dann umkehrt und dieses Spiel immerfort treibt, ohne auf
eine Straße zu kommen ....«

In dem geheimnisvollen Auf und Ab und Hin und Her der wallenden Geister
will der Kritiker einen Großfuhrmann erkennen, der achtspännig fährt.
Darüber erhebt sich im Freundeskreise ein unverlöschliches Gelächter.

Dem beispiellosen Erfolg hat es übrigens kaum geschadet, daß der
»Gesang der Geister über den Wassern« vorderhand unverstanden bleibt.
Hat ebensowenig geschadet, daß die beiden ersten Opern Schuberts,
»Die Zwillinge« und die »Zauberharfe«, erfolglos geblieben. Geld hat
er keines mehr gesehen dafür, es war verlorene Arbeit. Ein erster
tastender Versuch. Schlechte Texte, ja, das war das Malheur. Aber
einer, der als Lyriker in den vertonten Gedichten eine so gewaltige
dramatische Kraft bekundete, der war für die Oper geboren. Von dem war
Neues und Unerhörtes zu erwarten, nur Zeit! Zeit, einen guten Stoff,
vor allem aber einen sorgenfreien Kopf und ungestörte Arbeitsruhe. Aber
da hapert's schon. Zeit, Sorgenfreiheit und Arbeitsruhe, das bedeutet
Geld, Geld und wiederum Geld. Woher nehmen und nicht stehlen?

Was ist das für ein Zustand? Ein Mann steht auf der Höhe der
Meisterschaft, erntet Ruhm, Anerkennung, aber es hilft alles nichts.
Er steht da, gebunden an Händen und Füßen, ohne Geld, ohne Verleger --
wie soll da ein Mensch weiter kommen? »Ihr seht, das Beste, was man
hat und macht, das ist und bleibt brotlose Kunst.« Aber Schwind weiß es
besser: »Brotlose Kunst hat die Eigenschaft, sich mit der Zeit in Gold
umzusetzen, man muß nur warten können.«

»Nun ja, warten, warten -- meinetwegen; um Gold ist mir nicht zu tun,
sondern um Schaffen; aber ein Mensch, der arbeiten will, der muß auch
leben können. Anerkennungen, Lobeserhebungen, schöne Worte -- davon
kannst nicht abbeißen, kannst keinen Zins bezahlen, keinen Schneider
entlohnen, nichts, nichts; höchstens das Maul auf den Nagel hängen, als
das einzige, das einem übrigbleibt.«

Geduld, Geduld, alles kommt. Die Freunde schießen durcheinander. Joseph
Hüttenbrenner geht bei Sonnleithner aus und ein, dort bereitet sich
eine ernste Sache vor.

Die beiden Sonnleithner, Vogl, Schönstein, Grillparzer, die Schwestern
Fröhlich, ein ganzer Kreis von Verehrern bilden ein Komitee, sie wollen
den »Erlkönig« auf eigene Kosten stechen lassen und bei Diabelli
kommissionsweise verlegen.

Franz hat sich wieder in seine Arbeit eingesponnen und sitzt in seiner
Klause. Ist der einzige Trost, die Übel der Welt gehen an der Tür
vorüber, wenn man bei der Arbeit sitzt.

Sonnleithner ist schon ganz ärgerlich, Franz müßte sich mehr zeigen, er
sollte einer Sängerin, dem Fräulein Linhardt nämlich, den »Jüngling«
einstudieren, für seinen Geisterchor am Freitagabend. »Warum kommt er
denn nicht? Warum kommt er denn nicht?!« setzt sich hin und schreibt
dem Hüttenbrenner ein paar ärgerliche Zeilen, er müßte sich billig
wundern, daß Schubert sich gar nicht bei ihm sehen ließe, da er doch
wegen seinem »Erlkönig« und wegen anderer Angelegenheiten ihn dringend
zu sprechen habe.

Diese »anderen Angelegenheiten« sind indessen schon im Gang, am
nächsten Freitagabend kann Sonnleithner den Gästen verkünden, daß die
Ballade erschienen sei -- noch am selben Abend haben hundert ihre Namen
in die Subskriptionsliste gezeichnet. Macht ein schönes Geld aus, der
Preis ist nicht gering, die Kosten kommen glatt herein, ein schöner
Überschuß dazu -- der fließt in die Tasche Schuberts.

Der Anfang ist gemacht, die Sache zieht, Diabelli merkt, hier kann
man einen Schnitt machen. Es dauert nicht lange, erscheint wieder ein
Heft und wieder eines, ein Geriß ist darum wie beim Bäcker um die
frischen Semmeln. Alle drei, vier Wochen ein neues Heft mit mehreren
Liedern. Kein Konzert wird gegeben, wo nicht eine oder mehrere Sachen
von Schubert gesungen werden. Die Zeitungen singen sein Lob in allen
Tonarten. Das Meisterlein steht auf der Höhe seines Ruhms.

Jetzt klimpern auch die Taler um ihn herum. Es ist ja verhältnismäßig
bescheiden, was er einnimmt, aber trotzdem, einen solchen Wohlstand
hatte er noch nie gehabt wie jetzt.

G -- d -- g -- fis -- g -- a -- ! --

Der tröstliche Satz klingt immer wieder durch sein Gemüt. Er löst sich
auf, verschwebt und kommt unversehens wieder hervor, immer wieder ein
verheißender Anfang.

Jetzt hat die ängstliche Sparerei ein Ende, ein Flascherl Tokaier
mehr für die lieben Freunde, was liegt da daran, man läßt die paar
Kröten springen, in ein paar Wochen sind sie wieder hereingebracht,
es erscheint ein neues Heft, der Born ist unerschöpflich, und wenn
ihm wirklich einmal der Draht ausgeht, so ist schon dafür gesorgt,
daß andere Quellen springen. Das haben die lieben Freunde getan. »Die
Anerkennungsschreiben von den Herren Gönnern, was sind sie denn wert,
wenn man sie nicht zu Geld machen kann?«

Der schlaue Hüttenbrenner weiß guten Rat. Er besorgt den Verkehr mit
dem Verleger, führt Rechnung, nimmt Franz alle Geschäfte ab, schreibt
Briefe für ihn, tut alle Sekretärdienste, und tut es mit einer
Hingebung, als ob es um das eigene Wohl und Wehe ginge. Der sorgt auch
dafür, daß die Hefte mit Dedikationen erscheinen.

Meistens lassen es die also geehrten Gönner bei schönen Dankesworten
bewendet sein, zuweilen aber bringt es einen Ehrensold ein, so von
dem Grafen de Fries und von dem Erzbischof Ladislaus von Pyrker, der
als Dichter einen nicht unbedeutenden Ruhm genießt und von dem ihm
gewidmeten »Wanderer« entzückt und ergriffen ist.

Eine Hand voll Geld fällt bei diesen Gelegenheiten für Franz ab, der
kann's gut brauchen, es wächst ihm kein Moos und kein Schimmel darauf.

Unheimlich, wie unter den freundlichen Sonnenblicken des Schicksals
die Arbeitsleistung wächst. Der Schädel brummt zwar gewaltig,
als ob er zerspringen wollte, nach der Fieberhitze des Schaffens
hämmert es drinnen lange nach und will gar nicht zur Ruhe kommen
-- da hilft nichts als die Zuflucht ins Grüne oder am besten noch
in die feuchtfröhliche Tafelrunde der Freunde, um mit einem Glas
Wein das Arbeitsfieber zu schlagen. Fieber gegen Fieber -- aber am
nächsten Morgen ist er wieder geladen mit allen Schöpferkräften der
Unendlichkeit, sie zersprengen schier das Gefäß -- die Losung ist
arbeiten, er meint, es müßte ihn sonst zerreißen.

Sein Ruhm hat mit einemmal schnelle Beine und rennt mit
Siebenmeilenstiefeln durch die Welt. Wien, Dresden, Berlin -- überall
bekommt der Name Schubert einen Klang. Die Hefte gehen reißend ab.
Wieviel der Diabelli verkauft, weiß man nicht genau. Der Joseph
Hüttenbrenner hat seine liebe Not. »Bandit!« flucht er und wirft
eifrig die Angel aus, ob denn nicht ein anständiger reichsdeutscher
Musikverleger zu gewinnen wäre.

»Besitzt doch Wien dermalen wieder ein Talent, das bereits die
allgemeine Aufmerksamkeit erregt und schon zum Liebling des hiesigen
Publikums geworden ist -- kurz und ohne Übertreibung gesagt, es ist ein
zweiter Beethoven; dieser unsterbliche Mann sagt von ihm gar, dieser
wird mich noch übertreffen ....« So schreibt Joseph Hüttenbrenner nach
Leipzig an K. F. Peters.

Aber auch dieser Verlagsgewaltige ist harthörig; man müsse doch erst
abwarten -- welche Menge früherer Werke Mozarts sei überhaupt nicht
gedruckt worden, da müsse sich ein junger Künstler schon bescheiden,
die Erfahrung allein muß lehren, ob er den ganz Großen gleichzustellen
sei, kurz, ein Hin- und Herreden, halb ja, halb nein, man weiß nicht
recht, will er, will er nicht, aber soviel steht fest, das ganze
Manöver hat doch den einzigen Zweck, den Preis zu drücken. Ist doch
der eine einen Groschen, der andere einen Pfifferling wert! Er will
bitter werden, aber er besinnt sich. Geduld also -- man kann ja warten,
bis der Rechte kommt. Es eilt nicht. Einstweilen ist man ja bei
Diabelli in sicheren Räuberhänden.

Überall, wo konzertiert wird, erklingt auch Schubert. Graz kann nicht
zurückbleiben, wo so treue Eideshelfer wirken wie Jenger und Anselm.
Von den Grazer Aufführungen melden alsbald die Zeitungen, ebenso von
den Linzer, wo Spaun und Freunde hinter der Sache her sind.

Aber der Anselm ist ein wunderlicher Kauz, den läßt der Ruhm des
»Erlkönig« nicht schlafen. Der Ehrgeiz stachelt ihn, er möchte den
jungen Meister übermeistern. Fiedelbum! Flugs hat er aus dem »Erlkönig«
einen Erlkönigwalzer komponiert. Fiedelbum! Ei verflucht!

Schwind ist ehrlich entrüstet: »Das ist mir aber ein lieblicher Kauz!
Der versteht's! Was Schubert fürs Herz entdeckt hat, macht er für
die Beine zurecht! Daran mögt ihr erkennen, wie der unseren Franz
verstanden hat!«

Für den Spott brauchte der treue Anselm jetzt nicht zu sorgen.
Fiedelbum!

»Na, na!« winkt Franz ab. Er rechnet dem Freunde in Graz die
Entgleisung nicht allzu schwer an. Fiedelbum! Der hat's selber zu
tragen und wird sich ein zweites Mal hüten. Fiedelbum!

Mehr denn je stehen dem Liechtentaler Schulmeisterssohn die Türen der
Salons offen -- mehr denn je sucht er den Händen zu entwischen, die
nach ihm greifen. Die Arbeit und die Freundschaft sind die Gottheiten,
deren Dienst er fast ausschließlich geweiht ist. Und selbst die
Freundschaft muß sich zuweilen bescheiden, denn eine dritte Gottheit
ist, die ihn mit magischer Gewalt zu sich heranzieht -- die Einsamkeit.
Das können viele nicht begreifen.

Der alte Doktor Sonnleithner wird fast ernstlich bös über die
notorische Unverläßlichkeit des Schützlings. »Für den man soviel getan
hat!«

»Also warum kommt er nicht? Warum kommt er denn nicht?!«

»Mit Verlaub, der Herr Schubert ist in Atzenbrugg!« entschuldigt Joseph
Hüttenbrenner.

»Also immer auf Duliäh -- muß denn das Gerstel auf einmal durchgebracht
sein!« knurrt der Alte.

»Entschuldigen's, Herr Doktor, aber so ist es auch wieder nicht!« sagt
Joseph zur Verteidigung des Freundes.

»Nein, gewiß nicht! Gearbeitet hat er wie ein Pferd, mein Gott, wenn
ich das alles denken müßte, mir ging der Kopf auseinander. Ein paar
Tage aufs Land, das wird er sich doch vergönnen dürfen, nach all den
Strapazen .....«

Dagegen läßt sich allerdings nichts einwenden.

»Auf nach Atzenbrugg!« Das ist ein Ruf, dem Franz nicht widerstehen
kann.

Schober ist der Rädelsführer; bei Atzenbrugg hat sein Oheim ein Schloß,
dahin werden Wanderfahrten unternommen, an denen fast der ganze
Freundeskreis teilnimmt.

Franz fühlt sich müde und ausgepumpt, er weiß nicht recht, soll er oder
soll er nicht. An der Wand hängt die Gitarre, eine Saite ist gerissen,
das grüne Band fängt an zu bleichen. Sie hat schon lange nicht im
fröhlichen Verein gezirpt auf einer lustigen Fahrt ins Grüne und Blaue.
»Schade um das schöne, grüne Band, daß es verbleicht hier an der Wand.
Ich hab' das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern!« Das ist die
innere Stimme, die immer guten Rat weiß, es ist gut, ihr zu gehorchen.

»Also auf nach Atzenbrugg!«

Lieblich ist's, zwischen den Pappelreihen hinzufahren, die die weiße
Landstraße grün besäumen und mit ihren aus- und eingeschwungenen
Zeilen hoch in der Landschaft stehen. Weit, weit kann man die grüne
Wand verfolgen, die sich über Tal und Hügel schwingt. Man fährt in
einer offenen Chaise, die viele Querbänke hat und ganz besetzt ist mit
lustigem Volk. Zeiserlwagen, so nennt ihn ein launiges Wort. Aber die
Wiener Laune ist meistens etwas gepfeffert und hält sich an drastische
Ausdrücke. Sie zieht es vor, dieses Gefährt vergleichsweise einen
Kalbelwagen zu nennen. Der edle Reisewirt, der den Kalbelwagen für den
Freundeskreis gestiftet hat, ist Schober, der sich auf der Fahrt nach
Atzenbrugg als Mäzen fühlt.

»Ich fahre mit,« erklärt Schubert, »aber eine Bedingung ist dabei --
daß Melusine kommt, und daß mir der Platz an ihrer Seite bleibt!«

»Mir blutet das Herz,« versichert Schober treuherzig scheinheilig,
»aber den Platz an der Sonne tret' ich dir ab, weil du es bist.«

Franz wohnt im Rossauer Schulhaus bei seinem Bruder Ferdinand, der vom
Schulgehilfen längst zum Schulleiter vorgerückt ist und knapp vor der
Beförderung zum Schulinspektor steht. Mit Bruder Ferdinand hat Franz
seit jeher ein wärmeres Verhältnis gehabt. Aus der Blutsverwandtschaft
wird die höher geartete seelisch bestimmte Lebensfreundschaft.
Ferdinand ist stolz, den berühmten Bruder zu beherbergen, von dem jetzt
alle Welt redet. Er weiß, daß der Herr Vater ganz von Hochachtung
erfüllt ist für den genialen Franz, dessen junger Ruhm einen
Lichtstrahl auf das bescheidene Elternhaus und dessen Insassen wirft.
Der Bruder Ferdinand, der in der Rossauer Schule wohnt, hat sich's
nun nicht nehmen lassen, Franz zu beherbergen, solange dieser bei ihm
wohnen mag.

Und jetzt das Aufsehen, als Schober zur festgesetzten Stunde mit
dem Kalbelwagen vorfährt, zweispännig, Peitsche und Pferdemähnen
bändergeschmückt, wie zu einer Maifahrt, und richtig: auf der ersten
Bankreihe sitzt groß und stattlich Melusine, märchenhaft anzusehen,
wie eine Wald- und Quellennymphe, die geradewegs aus der Legende auf
einem Kalbelwagen mitten in die staunende Stadt fährt. Dem Franz
pumpert das Herz, als er mit dem Ränzel um die Schultern und der
Gitarre in der Hand, an der das grüne Lautenband weht, hinaufsteigt in
den Zeiserlwagen und neben der holden Therese Platz nimmt. In allen
Fenstern liegen neugierige Köpfe und munkeln über das wundersame
Gefährt: »Macht er denn Hochzeit, der Bruder des Herrn Schulleiter?!
Ist wohl eine reiche Braut -- mein Gott! Und schön zum Verrücktwerden!
Schaut sie's an, die wunderbaren Haar, leuchten wie eine Krone, und die
Augen sind blau und tief wie zwei Edelsteine, und das liebe Gesichtel,
und der Mund wie ein Röserl, und die Gestalt, viel größer als er,
gewachsen wie ein Bäumerl und rundum was dran, nun ja, freilich, alles
was sich gehört -- nur so zum Anbeißen, rein zum Vergaffen!«

Ein Peitschenknall, die Pferde greifen aus, weg sind sie; die Leute
der grünen Torgasse haben Gesprächsstoff noch gut für zwei Tage, ein
Märchenschimmer war in ihre Gasse gefallen.

Dem Franz ist selig zumut wie einem richtigen Märchenprinzen. Da kommt
die Liebe auf dem Zeiserlwagen in seine Gasse gefahren, er sitzt mit
der bändergeschmückten Gitarre neben ihr, wie er es geträumt hat, er
schaut in ihre rätselhaft tiefen Augen, ein seltsamer, quellfrischer
Hauch geht von ihr aus, er ist ganz verzaubert. Aber es wird ihm gleich
auch bänglich zumut, denn er findet nicht die rechten Worte, die Schöne
zu unterhalten. Wenn er allein ist, dann wüßte er viel zu sagen, aber
vor ihr ist er befangen, und er kommt sich stockdumm vor. Ein Glück,
daß sie nach kurzer Fahrt wieder vor einem Haus halten.

Da springt ein junges, nicht unhübsches, lebhaftes Mädchen hervor,
Netty Hönig, eine Freundin Theresens, und ihr Bruder Hönig, beide
geschniegelt und gebügelt, sind ja wohlhabender Leute Kind und
geldstolz; reiben sich gern an Künstlern, mit denen sie freilich
scharmant umzugehen wissen. Hätte ihnen der Geldstolz auch wenig
gefrommt in einem Kreis, wo der einzige gültige Adelsbrief auf die
Schubertsche Formel lauten mußte: »Kann er was?«, eine Geniemarke,
die im Sprachgebrauch der Freunde auf die Scherzform abgeglättet
wurde: »Kanevas?« Hönig war kein Kanevas, und all sein Geld half ihm
höchstens zu einem geduldeten niederen Laientum, mit dem besonders der
ungeschminkte Schubert nicht viel Geschichten machte: »Also hockt's
auf, Gesindel!«

Aber mit dem Aufhocken geht's nicht so schnell. Sie müssen auf eine
Dritte warten, die jetzt aus dem Hausflur herauskommt, die liebliche
Johanna Lutz, mit ihren blonden Stirnfränschen über den hellen,
gescheit blickenden Augen in dem herzigen Gesicht. Das ist die
Braut des Leopold Kupelwieser, sie muß sich hinter der Netty Hönig
verschanzen, damit kein dummes Gerede entsteht, während hinwiederum die
Netty als Gardedame ihren Bruder mit dem Fledermausgesicht hat. Auch
für Therese ist Netty das Paravent der Sitte und Ehrbarkeit, kurz eines
muß dem anderen Mauer stehen, um solcherart der albernen Konvention ein
Schnippchen zu schlagen, darin ja die Jugend nicht verlegen ist.

Da kommt er schon daher, der Leopold »Kupel«, wie ihn die Freunde
mit einer beliebten Abkürzung nennen, ein hoher, gerade gewachsener
Bursch mit schwärmerisch in die Ferne blickenden Augen, als Maler das
klassische Gegenstück zu dem romantischen Schwind. Er schaut nach Rom
und nach der Antike aus, genau so schwärmerisch, wie Schwind nach
den mittelalterlichen Burgen, nach Rittern, Waldgeistern und Elfen
ausschaut.

»Grüß Gott, edler Kupel!« Die Anrede klingt schon wärmer, als sie dem
Hönig geklungen hat. Aber der lange Kupel, der sich mit einem Satz
hinaufschwingt, dicht neben die zarte Lutz hin und Hand in Hand mit ihr
zusammensitzt, der gehört mit in die priesterliche Kaste der Kanevas.

»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« greift Schubert in die Saiten der
Gitarre. Worte hat er nicht viel zu geben, er sagt's lieber in Tönen,
was ihn erfüllt. Eine stille Heiterkeit ist über ihn gekommen, er fühlt
sich wunschlos glücklich neben der schönen Melusine.

»Die Musik klingt aber traurig!« ist Hönig vermessen genug, zu sagen.

»Dummer Kerl,« brummt Schubert und gibt's ihm zurück, »haben Sie schon
eine lustige Musik gehört? Ich nicht!« Der Hönig ist blamiert, man
sieht, er ist kein Kanevas, sonst wäre ihm eine so alberne Äußerung
nicht passiert. »Wie kann denn Musik lustig sein, wenn sie von dem
Herzen singt? Wenn sie von Lust singt, klingt es wie Weh, und wenn sie
von Weh singt, ist es die Lust!«

Das könnt' er dem Pfründner jetzt sagen, der sich mit all seinem Geld
nicht einen Fuß breit von dem Seelenland kaufen kann, so gern er
möchte, wo er, Franz, unumschränkter König und Gebieter ist mitsamt
den paar Getreuen, die an seiner Seite sind. Er könnte ihm jetzt das
auseinandersetzen, was er denkt, aber wozu denn? Es steht gar nicht
dafür!

»Klim bim, klim bim, schrum, schrum!« Mit Gitarregezirp, Gelächter und
Fröhlichkeit geht's von Haus zu Haus, wo Freunde wohnen, die mitkommen.

»An mein Herz, geliebter Cherubim!« so lautet der Gruß in Schwindien.

Schwind will sich neben Therese setzen, der heimliche Ritter neben die
Quellenfrau Melusine. Aber neben Melusine hat sich bereits das listige
Fledermäuslein eingenistet, Hönig, und läßt nicht locker.

»O du abscheulicher Flederwisch mit den ewig feuchten Lippen, von
denen die klebrige Schmeichelrede trenzt -- was soll denn das viele
Schwatzen?!« Die Schöne wendet sich lachend von ihm ab, aber der
Häßliche hat die Gabe der unterhaltenden Worte, sie muß halt immer
wieder hinhören, und wenn ein schiecher Kerl hübsch zu plaudern weiß,
so dauert's nicht lange, und er gleicht einem Apoll.

»Wirst dir aber wenig herausfetzen, wenn auch deine Rede Honig ist, du
garstiges Schwatzmaul!« dachte Franz und zupfte seine Gitarre.

Schwind hat sich neben Netty Hönig gesetzt, es scheint, daß er dem
munteren Mädchen sein Herz verpfänden will.

Mit Klimbim und Trara ging's also die Alleen entlang und zwischen
Hügeln und Kornfeldern hin.

Klim bim! zirpte die Gitarre, und eine Stimme summte dazu: »Ich hab'
das Grün so gern, ich hab' das Grün so gern! Weil unsere Lieb' ist
immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn, drum haben wir es
gern, drum haben wir es gern! Nun schlinge in die Locken dein das grüne
Band gefällig ein, du hast ja 's Grün so gern, du hast ja 's Grün so
gern! Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann weiß ich, wo die Liebe
thront, dann hab' ich 's Grün erst gern, dann hab' ich 's Grün erst
gern!«

Summte und sang es der Fee Melusine ins Ohr.

Sie hatte auch das Grün so gern und ging auf den Spaß ein und ließ das
grüne Lautenband um ihre festgesteckten Locken flattern. Dafür band
sich Franz die Gitarre mit einem Stricklein über die Schultern fest.
»Mit all deinen honigbestrichenen Leimruten, lieber Hönig, wirst du
nichts fangen!« Die Musik war die stärkere Lockung, und das Herz hing
in dem Lautenband wie das Vöglein in einer Schlinge.

In nächster Nähe von Atzenbrugg thronte auf einem Hügel das Schloß
Ochsenburg, dem Bischof Hofrat von Dankesreither gehörig; in diesen
Tagen aber machte der elegante Neffe Schober die Honneurs, bewirtete
die Wiener Freunde drei Tage lang. Der Wagen fuhr in den Hauptplatz
mit der schönen, wolkengetürmten Dreifaltigkeitssäule, die ein
kleiner Zwillingsbruder der Säule am Graben in Wien zu sein schien,
die Herren sprangen ab, die Dämchen durften sitzen bleiben, indessen
der zweispännige Wagen langsam den Hügel hinaufkroch und durch den
breiten, kühlen Flur zwischen den gewaltigen, halbrunden Ecktürmen
in den weinbewachsenen Hofraum einfuhr. Gott, war es da schön in dem
grasbestandenen Hof mit dem alten Ziehbrunnen, so recht ein Schmaus für
das romantische Gemüt Schwinds.

Einfach war das Mobiliar in dem langen Speisesaal, den weiten
Wohnräumen und den Schlafzimmern, altes, gebrechliches Gerümpel in
dicken, gewölbten, weiß getünchten Mauern, in Wänden, sanft gekrümmt
unter der Last des Alters, voll Runzeln wie ein Greisenantlitz und
zugleich wetterhart und eisenfresserisch in der trotzigen Wucht mit dem
gewaltigen Dachhelm und der knarrenden, rostigen Wetterfahne oben.

Jetzt war junges Leben in den alten hallenden Gängen und luftigen
Arkaden oder den Hofgewölben und Vorratskammern, drei Tage lang in
der Zeit, da der Herr Bischof und Oheim in der Gasteiner Ache sein
Zipperlein kurierte. Die Knechte und Mägde rissen Maul und Augen auf
über das lustige Leben, in der Küche drehte sich der Spieß, als ob ein
ganzer Ochse in der Ochsenburg gebraten werden müßte. Alle Hände der
dienstbaren Geister hatten vollauf zu tun, wenn der Herr Neffe als
Flottwell mit seinen Freunden kam.

Ein dreitägiges Fest mit Landpartien, Schmaus, Tanz und Musik -- es
vergeht wie ein Traum. Die Kunst war die Hauptsache bei dem Gastmahl,
und Franz ward infolgedessen, ohne es recht zu wollen, oder vielleicht
auch ohne es recht zu ahnen, der geistige Mittelpunkt des Festes. Wie
immer wurde etwas daraus, das den Namen Schubertiade erhielt. Um Musik,
Gesang und Dichtung war die Lebensfreude gruppiert, und siehe da, der
Bescheidenste, Borstigste, Scheueste, Einsamste ward zum König des
Tages.

Der Kleine am Klavier hatte alle am Bändel -- er hätte sich kraft
seines Genius als Herrscher fühlen mögen, aber er saß in Demut da und
schien zu darben bei dem Fest, dem er so recht eigentlich die seelische
Weihe gab. Therese sang seine Lieder, die er begleitete, ihr junger,
blühender Körper erbebte unter dem Sturmlied der Leidenschaft und
Sehnsucht, die ziellos verströmte. Seine Finger gingen mechanisch über
die Tasten, er hatte ein unendlich trauriges und wehmütiges Gefühl.

»Wie kommt es denn nur,« mochte seine innere Stimme fragen, »daß ich
nicht weiterkomme mit all meiner Liebe? Da steht sie, die Herrliche,
geschüttelt wie ein junges Bäumchen unter dem Frühlingsbrausen, das
mit Verzweiflung und Tränengewalt kommt, und ich stehe dabei dreifach
geschlagen und gebunden, ein armer, hilfloser Narr, und weiß mir nicht
zu helfen, indessen dieser Hönig, der dreiste Bengel, so tun darf, als
hätte er gewonnenes Spiel! Warum soll ich nicht auch so tun? Hab' ich
nicht zehnmal mehr Recht darauf? Aber --«

Dieses Aber, das er vor sich nicht gelten lassen wollte! Er schlug in
die Tasten hinein, der inneren Stimme Schweigen zu gebieten. Bum, bum,
bum! Aber der Macht der inneren Stimme kann keine Tongewalt der Erde
Herr werden.

»Weil du nichts bist und nichts hast und es deshalb nicht wagen darfst,
das schöne Kind aus dem reichen Hause für dich zu begehren. Und wenn
du es wolltest, wer sagt dir, daß sie dich liebt und daß sie dich
nicht mit einem mitleidigen Lächeln vertröstet und heimschickt mit
dem Zuckerbrot einer unverbindlichen Liebkosung wie damals? Wenn es
dem Hönig einfiele, ihre Hand zu begehren, der brauchte nicht viel um
Liebe zu fragen, der fordert sie einfach, und was er fordert, wird ihm
gegeben werden. Warum, warum? Mit welchem Recht? Mit dem Recht der
Seele? O nein! Du altmodischer, idealistischer Tor! Mit dem Recht des
Geldes, dem schmutzigsten und ungerechtesten Recht --«

So haderte seine Seele mit dem Schicksal und behauptete mit blindem
Eigensinn: »Es ist so!« obgleich im verlöschenden Bewußtsein die
Erkenntnisspur verblieb: »Es ist auch wieder nicht so!« Aber daran
war kein Zweifel, daß seine Lieder und alles, was er schuf, aus dem
Aufruhr seiner Gefühle hervorquoll und von dem Schmerz seiner Seele
geboren war. Wenn es ihnen auch unbegreiflich schien, so mußten es
jene ahnen, die um ihn waren, als er ihnen seinen »Wanderer« vorsang.
Am meisten ahnte es vielleicht Therese. Es ist wahr, die Sänger im
Konzertsaal sangen das Lied kunstvoll, aber keiner so ergreifend bei
aller Schlichtheit als Franz selber. Melusine, die Feine, hatte es
sogleich erraten.

»Ich wandle still, bin wenig froh, und immer fragt der Seufzer, wo?«

Noch ehe der Gesang beginnt, dämmert die Wehmut dieser Verse in den
einleitenden Akkorden auf. Das heiter-wehmütige Gefühl der Sehnsucht
mit all den heftig aus dem Gefühl hervordrängenden Fragen versinkt in
die Trostlosigkeit jener dumpfen Akkorde, die alles dunkel Geahnte zur
hoffnungslosen, tragischen Gewißheit bringen: »Wo du nicht bist, dort
ist das Glück!«

Die Musik gleicht seiner eigenen Seelenlandschaft, hohe, leuchtende
Gipfel sind darin, wo alles Selige und Heitere lebt, danach sich das
Gemüt sehnt, aber die edlen Schatten der Melancholie lagern auf dem
Weg in der Tiefe, den Franz wandert. Doch der Weg der Seele führt
über Berg und Tal in stark bewegten Kurven und ist bald im Tale der
Tränen und bald wieder auf den lichten Höhen der Seligkeit. Sie stehen
dicht beieinander, diese Höhen und Tiefen -- das tragische Bild seines
inneren Lebens.

»Es ist so,« schreit die Seele auf in ihrer Qual -- »es ist wieder
nicht so!« lächelt der nächste Augenblick.

Und was er vorhin von Hönig dachte und von Therese, das hat sich jetzt
ganz und gar widerlegt, als Melusine beim Gute-Nacht-Sagen das grüne
Band hervorzog und ein gutes herziges Wort daran knüpfte.

»Nie hab' ich so frei und leicht gesungen als heute, ich bin
abergläubisch -- vielleicht hat's dieses da gemacht --«

Dabei schob sie das verblichene Lautenband in ihren Busen: »Hier will
ich es tragen -- gute Nacht!« und war verschwunden wie eine flüchtige,
klingende Welle.

Franz lag im Bett und konnte nicht schlafen.

»Warum hab' ich ihr nicht gesagt, wie es mir ist da drin? Warum?« Aber
er hat es so schwer mit sich selbst, er kann sich nicht erschließen.
Die Worte sind zu hart, zu dürftig, zu klobig, es müßte über ihn kommen
wie ein Gewittersturm, wie ein Erdbeben, das die Klüfte aufreißt -- er
kann seine Seele nicht zeigen, es sei denn in Einsamkeit, und dann wird
es Musik.

Sie versteht ihn, aber sie versteht ihn doch wieder nicht!

Das alte Spiel: es ist so -- es ist doch wieder nicht so!

Morgen wird er ihr es sagen, all sein Fürchten, all sein Hoffen.
Morgen, wenn der große Augenblick wiederkehrt. Aber er weiß schon
wiederum auch: er kehrt nicht wieder ....

Knarr, knarr! singt die Wetterfahne auf dem Dach.

»Sie pfeift dich aus!« denkt der Schlaflose in seiner Kammer. »Es ist
des Hauses aufgestecktes Schild -- ein Narr, der hier sucht ein treues
Frauenbild.«

Der Wind spielt mit seinem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut!

Knarr, knarr!

Das Schicksal pfeift ihn aus, und seine innere Stimme lacht auf wie
zum Hohn: »Ha, ha! Laß ab -- sie ist eine reiche Braut!«

Er ist nicht der einzige Schlaflose in diesem Gemäuer. In der Kammer
nebenan liegt Schwind, auch er hört die Wetterfahne und denkt und
denkt. Er hat sein Herz vollends verloren an Netty Hönig.

Knarr, knarr! krächzt die Fahne auf dem Dach mit rostiger Stimme. Das
Herz knarrt dazu, als ob der eiserne Stab sich darin um und um drehte.
»Ach Netty, Netty -- wärst du nicht eine so reiche Braut!«

Ja, sie haben's nicht leicht, diese beiden!

Die Festtage vergehen, der ersehnte Augenblick hat sich nicht
wiederholt, das Herz ist voll und schwer von Liebesworten, die nicht
gesprochen wurden. Nichts kann mehr brennen als solche feurige Worte,
die man hinunterschlucken muß und deren Qual nur gemildert wird von
verschluckten Tränen, die nach ihnen geweint werden.

Franz fragt sich vergebens: »Warum ist dies alles?«

Aber nicht einmal dem intimsten Freunde vertraut er sich an, dem
Schwind, der die gleichen Schmerzen trägt.

Äußerlich ist es nur eine stille Traurigkeit, die man ihm anmerkt,
aber das ist man bei Franz gewohnt, wenn er gerade nicht lichterloh in
Flammen steht.

»Es ist einmal so!« sagt eine Stimme inwendig.

Die Abreise kommt, das erlösende Wort ist nicht gesprochen. Es schnürt
ihm die Kehle zu, wenn er daran denkt; keinen Laut brächte er hervor.
Melusine ist gleichmäßig freundlich und liebreich, aber ihr Wesen ist
allzu geglättet, jeder Versuch, ihr näher zu kommen, gleitet ab; wenn
sie nicht will, ist es vergebens. Das erfährt auch der Hönig, diese
dreiste Hufeisennase.

»Auf der Heimfahrt, auf der Heimfahrt!« denkt Franz und reimt sich
schon manches liebe Wort zusammen.

Aber mit der gemeinsamen Heimfahrt wird es nichts. Schober hat es im
Rat der Götter anders beschlossen. Man weiß ja: er trägt sich mit einem
Opernstoff, den Schubert komponieren soll. Ach ja, das ist der Weg zum
neuen Ruhm, zu dem heißersehnten Ziel, wo er stehen möchte neben dem
großen Wolfgang Amadeus oder zumindest neben dem volksmäßigeren Karl
Maria.

»Du wirst höher greifen als Weber im ›Freischütz‹! Ja, das wirst du!«
Die Freunde wissen es.

Einer, der hinter jedem Vers den heroischen Schritt des Dramas
aufklingen läßt, der ist berufen, der Oper neues Leben zu geben.

»Es verpflichtet dich, vorsichtig zu sein in der Wahl des Stoffes!«
warnt der treue Schwind. »Du brauchst einen Text, darin die Worte
sparsam gewählt und mit Kraft gesättigt sind -- dann wirst du
einen neuen Opernstil schaffen. Verzettle deine Kraft nicht an dem
geschwätzigen Schund, der sich fast in allen Werken dieser Art breit
macht. Laß dir deine Erfahrungen mit den ›Zwillingsbrüdern‹ und der
›Zauberharfe‹ zur Warnung sein!«

Schober gibt seine halb vollendete Dichtung »Alfonso und Estrella«
zum besten, Franz ist entzückt, Schwind schüttelt denklich den Kopf.
Der Cherubim ist in einer unangenehmen Zwickmühle. Er möchte Franz
vor einer unnötigen Zeitvergeudung der kostbaren Kraft bewahren und
andererseits dem geliebten Schober nicht wehe tun. Was tun also? Den
Freund dem Freunde opfern? Ein Schuft, wer mit der Wahrheit allzu
ängstlich umgeht!

»Tu's nicht, Franz,« ratet Schwind, »es ist nichts daran an der
ganzen Großmutsgeschichte. Eine unklare Handlung, ein breites
Geschwätz, Liebe, Politik und Langweile durcheinander gemischt. Das
spanisch-maurische Kostüm kann es nicht retten. Geh' vorsichtig um mit
deiner Kraft, verwende sie aufs beste, sonst kommst du leicht auf den
Holzweg. Es wäre schade um dich und um deine gute Sache.«

Aber Franz ist blind und taub gegen diese Einwendungen. So begeistert
ist er von Schobers Dichtung.

»Am besten, wir lassen das lose Pack allein heimfahren und richten uns
hier häuslich ein!« schlägt Schober vor.

»Im Herbste kommen wir nach Wien zurück und haben die fertige Oper in
der Tasche. Dann, Freund, mit fester Hand den Lorbeerbaum geschüttelt,
daß es nur so die Dukaten herunterregnet!«

Der Plan ist verführerisch. Warum sollte er nicht gelingen? Schober
hat Beziehungen zur Bühne, Vogl wird das Seine tun, die Anna Milder in
Berlin hat sich selber angetragen, alle Hebel in Bewegung zu setzen,
wenn eine Rolle für sie darin ist, also bitte, warum denn nicht?

Nun stand Franz als Minneheld zwischen zwei Frauen, der irdischen
und der himmlischen Liebe. Und sollte sich für die eine oder andere
entscheiden. Es war wirklich schwer, Mensch zu sein.

Soll er nun schmachtend auf dem Kalbelwagen neben der Fee Melusine
sitzen und herumdrücken an dem, was er sich doch nicht recht zu sagen
getraut, oder soll er dem Wink seiner Muse folgen und den Weg des
Einsamen gehen?

Es müßte nicht Franz Schubert sein, wenn er sich nicht sofort
des Rechten bedacht hätte. Also tapfer den aufquellenden Schmerz
hinuntergewürgt und Adieu gesagt der berückenden Fee Melusine. Den
rätselhaft tiefen Blick aus ihren graublauen Augen wird er nicht
vergessen, der drückt ihm das Herz nun gar wehvoll zu Boden. Aber eine
Hoffnung blüht: mit der neuen Oper in der Hand ist er ein gemachter
Mann. Hat sie Erfolg, was gar nicht zu zweifeln ist, dann bedeutet's
Ehre und Gewinn. Und dann macht ihm kein Hönig, und wär' er der
protzigste Geldsack, sein Recht auf dem Wagen der Liebe streitig. Also
vorläufig, und immer vorläufig tapfer entsagen, um den hohen ewigen
Preis zu gewinnen.

Er muß sich rasch umwenden, als die Fräuleins mit ihren Rittern
tücherschwenkend davonfahren, Hönig neben Melusine.

»Dummer Junge, möchtst heulen wie ein Schloßhund, pfui Teufel, schäm'
dich!« meldet sich die Stimme inwendig.

Es reißt ihn auf dem Absatz herum und im Sturm hinauf ans Klavier. Den
Schmerz muß er in der Tonflut ersäufen.

»Was vermeid' ich denn die Wege, wo die andern Wanderer gehn, suche mir
versteckte Stege, durch verschneite Felsenhöhn? Habe ja doch nichts
begangen, daß ich Menschen sollte scheun, welch ein törichtes Verlangen
treibt mich in die Wüsteneien? Weiser stehen auf den Wegen, weisen auf
die Städte zu, und ich wandere sondermaßen ohne Ruh' und suche Ruh'.
Einen Weiser seh' ich stehen unverrückt vor meinem Blick, eine Straße
muß ich gehen, die noch keiner ging zurück ....«

Wenn er sein Leben überdachte, dann sah er einen Weg, den keiner ging;
unsichtbaren Wegweisern war er gefolgt, sie weisen weiter und weiter,
und er wußte schon, daß er folgen werde, wenn er auch allein gehen
mußte.

Einstweilen hatte er ja einen lieben Gefährten bei sich.

Schober schmiedete Verse aus Leibeskräften, und Franz ließ herrliche
Melodien daraus entstehen, leicht und blühend waren die Gedanken, die
aus seinem musikalischen Herzen hervorwuchsen.

»In sehr glücklicher Jugendschwärmerei, aber auch in sehr großer
Unschuld des Geistes und Herzens,« berichtet Schober nach Wien, »wird
das Werk gezeugt -- es gedeiht!«

O Unschuld! Die beiden Kumpane lebten recht vergnüglich hin, was
das äußere Leben betrifft. Der Oheim kehrte aus Gastein zurück, den
Dichtergenossen wurde es in Ochsenburg zu eintönig, sie verlegten
ihr Quartier in das nahe St. Pölten, wo sie sich in einem Zimmer mit
zwei Ehebetten, einem Sofa, einem Fortepiano häuslich und heimisch
eingerichtet haben. Als sie im Spätherbst nach Wien kamen, konnten sie
sich fühlen wie Hans im Glück, der einen Goldschatz im Ränzel trug.

Aber mit diesem Schatz geht das Leiden an. Die Oper wandert von Kanzlei
zu Kanzlei, sie hat nach Art der Brieftauben die verhängnisvolle
Neigung, immer wieder zum Ausgangspunkte zurückzukehren. Spaun in
Linz, der sich immer auf dem Laufenden erhält, brennt vor Neugier.

»Möcht' es doch endlich sein!« wünscht er aus tiefem Herzen. Trübselig
genug schreibt Franz dem Freunde: »Mit der Oper ist es in Wien nichts,
ich habe sie zurückbegehrt und erhalten. Auch ist Vogl wirklich vom
Theater weg. Ich werde sie in kurzem entweder nach Dresden, von wo ich
von Weber einen vielversprechenden Brief erhalten, oder nach Berlin
schicken. Mir ginge es sonst ziemlich gut, wenn mich die schändliche
Geschichte mit der Oper nicht so kränkte ....«

Die Hoffnung auf Berlin hing mit der angebeteten Milder zusammen. Sie
schreibt ihm, wie sehr sie seine Lieder entzückten und welchen Beifall
sie in der Gesellschaft finden. Sie möchte haben, daß er ein Gedicht
eigens für sie komponiert, aber es ist ein Pferdefuß dabei, denn sie
fügt hinzu, es müßte für ein großes Publikum berechnet sein. Was
heißt das? Sie hat außerdem vernommen, daß er Opern geschrieben hat,
und fragt ihn, ob sie sich nicht für ihn bei der Berliner Intendanz
verwenden soll.

»Aber natürlich!« Die Protektion ist gut zu brauchen, also flugs mit
der Oper nach Berlin.

Aber auch diese Hoffnung ist trügerisch. Die Milder schreibt, daß
»Alfonso und Estrella« durchaus kein Glück in Berlin machen würden. Und
damit ist die Sache erledigt.

Franz hat ihr den »Gesang der Zuleika« und einige andere Konzertsachen
gewidmet, aber es ist nicht das, was die Milder für das große Publikum
meint. Sie schreibt ihm darüber: »Zuleikas zweiter Gesang ist
himmlisch und bringt mich jedesmal zu Tränen. Es ist unbeschreiblich,
allen möglichen Zauber und Sehnsucht haben Sie da hineingebracht, so
wie im ersten Gesang der Zuleika und im >Geheimnis<. Zu bedauern ist
nur, daß man alle diese unendlichen Schönheiten nicht dem Publikum
vorsingen kann, weil die Menge leider nur Ohrenschmaus haben will ....«

Ach du lieber Himmel!

Aber schon der nächste Brief berichtet, daß die Zuleika dennoch
unendlich gefallen habe; die Milder war zu ängstlich wie alle
Theaterleute, wenn es ums liebe Publikum geht; daran scheitert soviel
Kunst.

Aber auch mit Karl Maria von Weber, der sich in Dresden für ihn
verwenden soll, ist es eine so eigene Sache.

Karl Maria kommt nach Wien zu den Proben seiner Oper »Euryanthe« und
wird als musikalische Berühmtheit, die von »draußen« kommt, in den
Salons serviert. Bei Sonnleithner lernt ihn Schubert kennen. Der
Meister des »Freischütz« weiß genau, daß der junge Wiener Genius die
Welt mit Licht zu überstrahlen berufen sei ... Als Konkurrent hilft man
nicht gern einem, der groß zu werden verspricht und das eigene Licht
verdunkeln könnte. Kurzum, Karl Maria ist bei aller Liebenswürdigkeit
auf der Hut.

Franz weiß nichts von Kollegenneid und ist naiv genug, zu glauben, daß
alles mit rechten Dingen zugeht. Er ist begeistert vom »Freischütz«
und zollt dem berühmten Genossen unverhohlene Bewunderung. Und gibt
zugleich mit seinem Vertrauen das Herz hin.

»Frau von Chezi, die Textdichterin Ihrer ›Euryanthe‹, hat auch mir ein
Buch geliefert -- ich bin schon mit Feuereifer an der Arbeit. Sie sehen
also, daß wir schon vom Parnaß her verwandt sind ...«

Das ist ein echter Franz. Die Mißerfolge können ihn nicht klein
kriegen. Neue Opernwerke wachsen aus Herz und Hirn hervor. »Rosamunde«
entsteht, trotzdem Schwind wettert: »Dieser verhängnisvolle
Blaustrumpf, den hat der Teufel nach Wien gebracht! Daß gerade du zum
Opfer fallen mußt!«

Karl Maria scheint nicht sehr erbaut über die Eröffnung.

Franz hat ihm Stücke daraus vorgespielt. Die Ouvertüre war zuerst für
»Alfonso und Estrella« geschrieben, Franz hatte sie als zu aufhauerisch
verworfen, in »Rosamunde« war sie gut zu verwenden. Das reizende,
schlanke, feingliederige Musikstück entzückte die Freunde.

Nur Weber blieb kühl.

»Hm ja, wirklich nicht übel, ganz hübsche Einfälle -- aber soviel kann
ich Ihnen voraussagen: der dramatische Versuch als Ganzes wird nicht
gelingen.«

Neidhammel!

Schwind war entrüstet über die absprechende Meinung.

Er selbst hatte schwere Bedenken wegen des Textes, aber »Versuch« --
das war eine glatte Gemeinheit. Und »hübsch« -- ei verflucht! »Hübsch,
das sagt man von einem Kravattel!« erboste sich Schwind. »Und Versuch
-- das müßte er doch wissen, daß die ›Rosamunde‹ kein Versuch ist, der
Herr Kollege, der anscheinend an der musikalischen Gelbsucht leidet!«

Weber dirigierte die Erstaufführung seiner »Euryanthe« selbst.
Natürlich ging Franz hinein, fünf Gulden der Platz -- er zahlte auch
für Schwind das Billett, macht zehn Gulden -- davon konnte man damals
einen Monat lang leben; aber Franz war kein Sparer und kein Knicker, am
allerwenigsten, wenn es um die Kunst ging oder um die Freundschaft. Wer
gerade Geld hatte, zahlte -- Franz tat es gern, denn Schwind war fast
noch schlechter daran, sein Genius konnte in Wien gar keine Anerkennung
finden, und Geld hatte er fast nie in der Tasche.

Mit Weber, der sich in den Tagen seines Wiener Aufenthaltes dem
Freundeskreis angeschlossen hatte, saßen sie fast täglich im
Bognerschen Café und abends im »grünen Anker« zusammen.

»Nun, wie hat Ihnen meine Oper gefallen?!« fragte Karl Maria am Tage
nach »Euryanthes« Premiere.

Franz war immer ein Michel Gradaus, er verübelte es auch anderen nicht,
wenn sie ihre Meinung rund heraus sagten, nur ehrlich mußte sie sein.

Er nahm sich auch jetzt kein Blatt vor den Mund: »Einiges hat mir recht
gut gefallen, aber für meinen Geschmack ist zu wenig Melodie daran --
wissen Sie was: Der ›Freischütz‹ ist mir lieber!«

»Bravo!« applaudierte Schwind. Der hätte jetzt hinzufügen können: Der
Text ist miserabel, aber daran ist die verflixte Chezi schuld ... Doch
Schwind verkniff sich diese Äußerung und legte einen vergifteten Pfeil
auf seinen Köcher.

»Hm, ja, nicht übel! Wirklich ganz hübsch! Aber der dramatische Versuch
ist doch nicht gelungen!«

Der Streich war heimgezahlt. Karl Maria erhob sich und verabschiedete
sich kalt und gemessen. Das Ende der Bekanntschaft war bedeutend
weniger freundlich als der Anfang, und von »Alfonso und Estrella« war
in Dresden keine Rede mehr.

Dafür gelangte in Wien die »Rosamunde« zur Annahme.

Bei allem, was Schwind gegen die Textdichterin einzuwenden hatte, die
Aufführung war ihr zu danken. Die Chezi hatte nämlich die Gewohnheit,
so lange lästig zu fallen, bis man Ja und Amen sagte, um nur Ruh' zu
haben vor ihr. So war es in der Oper.

Was Schwind befürchtet hatte, traf ein. Es war ein nicht zu
verhüllender Mißerfolg, den der unerträglich geschmacklose Text
verschuldet hatte.

Schwind, Joseph Hüttenbrenner, Mayrhofer, alle Freunde und Schubert
gingen mit Herzklopfen hinein.

»Diese heillose Frau von Chezi!« so beginnt Schwinds Bericht an
Schober, der wieder unterwegs ist und sich selber sucht. »Franz
hat wieder einen ganzen Reichtum von Perlen hingestreut, die auch
gebührend beachtet wurden, besonders die Ouvertüre. Wie ich immer sage:
ein Ziselieren im Kleinen, eine lyrische Ausbeutung des einzelnen
Wortes, was in dem geschwätzigen, inhaltslosen Text leider zu lauter
verpufften Wirkungen führt. Ein herrliches Feuer, an dem sich das Herz
der Menschheit erwärmen müßte, wird hier mißbraucht, um dichterische
Wassersuppen gar zu kochen. Sie mundete niemand. Der arme Schubert!
Er hätte einen Stoff gebraucht, der machtvoll ist durch die Größe und
Einfachheit des Wortes. Hat wieder einen Fehlgriff getan, der sich
bitter rächen muß. Daß es ein sanfter Durchfall war, läßt sich leider
nicht leugnen. Die Aufführung hat ihm mehr geschadet als genützt, er
hat buchstäblich umsonst gearbeitet ....«

Ungefähr so lautete das Urteil des Freundes, der den Schlag härter
empfand, als wenn er ihm geschehen wäre.

Auch damit hatte er recht, Franz hatte buchstäblich umsonst gearbeitet.
Nach dem Mißerfolg der »Rosamunde« trauten sich die Bühnen erst recht
nicht an seine Opern heran. In rascher Folge waren neue Bühnenwerke
entstanden, »Fierrabras«, »Die Verschworenen oder der häusliche Krieg«,
ein vielversprechendes Fragment »Sakontala«, sie lagen alle neben
»Estrella« und »Rosamunde« friedlich in der Tischlade oder kehrten nach
vergeblichen Rundreisen über die Theaterkanzleien dahin zurück. Wieviel
Lebenskraft und Schöpferwille ward hier fruchtlos vertan!

Auf die Epoche des glänzenden Aufstieges schien eine Zeit der
Mißgeschicke gekommen zu sein. Sind es die biblischen sieben Jahre,
in denen sich der Schicksalsstern entweder in aufsteigender oder wie
jetzt in absteigender Linie bewegt? Man weiß es nicht, man nimmt's
gleichmütig hin, man kann nichts Besseres tun als seine Pflicht und
warten, bis günstigere Zeiten kommen.

»Wenn nur der Verleger nicht so gewissenlos wäre!«

Damit ist der Diabelli gemeint, der ihm das Verlagsrecht für seine
erfolgreichsten Liederhefte für ein Butterbrot abzuluchsen verstand und
ihn bei den kommissionsweisen Sachen noch obendrein übers Ohr haute
nach Noten. Um der Unverschämtheit die Krone aufzusetzen, schließt er
jetzt eine Rechnung ab, bei der Franz, anstatt Geld zu bekommen, noch
fünfzig Gulden zu zahlen hätte.

»Ein sauberer Patron!« Franz wirft ihm die ganze Wahrheit an den
Kopf. Sie ist knüppeldick genug, um dem Faß den Boden auszuschlagen.
Es ist nicht nur die ewige Betrügerei -- die Skrupellosigkeit dieses
Geschäftsmannes vergreift sich auch an dem geistigen Gut, die
Lieder und Tänze kommen vielfach verstümmelt und mit entstellenden
Zusätzen heraus, die nach des Verlegers Meinung die Schöpfungen
»publikumsreifer« machen sollten. Der geduldige Franz ist darüber aus
dem Häuschen; in einer Aufwallung des gerechten Zorns richtet er eine
geharnischte Absage an seinen Ausbeuter, und damit war ein für allemal
reiner Tisch gemacht.

Das Suchen von Verleger zu Verleger geht nun erst recht an. Wie es
manche verstehen, die üble Lage des Künstlers auszunützen! Da sind
einige, die würden mit ein oder zwei Stücken den Anfang machen (werden
sich freuen!), nur zahlen wollen sie nichts -- als Entgelt einige
Freiexemplare! Später, ja, wenn sie den Profit gemacht hätten, würden
sie ihm für weitere Sachen eine bare Entschädigung geben; er wird mit
Phrasen abgespeist, als ob er noch ein blutjunger Anfänger wäre.

Wien schwelgt in Schubertscher Musik, sein Ruhm ist begründet auch
in anderen Städten -- dabei ist er arm wie eine Kirchenmaus. Ein
schwieriges Problem, ohne Amt und ohne festes Einkommen der Kunst zu
leben. Er will es fertigbringen!

Ein Es-Dur-Trio, unter Brüdern hundert Gulden wert, bietet er der Firma
Probst an.

Sie möchte gern, o ja! -- Nur ein Haken ist dabei.

»Gern sind wir erbötig, zur Verbreitung Ihres Künstlerrufes beizutragen
.... leider wird der eigene, sowohl oft geniale als wohl auch mitunter
etwas seltsame Gang Ihrer Geistesschöpfungen in unserem Publikum noch
nicht genug verstanden ....«

Immer die nämlichen, geschraubten Wendungen, die den Vertrieb der Werke
schwierig hinstellen, um den Preis zu drücken.

»Ja, wenn einmal das Eis gebrochen ist ...« Sie versprechen ihm goldene
Berge, aber für später, später .... Zukunftsmusik!

Kurz und gut, statt der verlangten hundert Gulden schickt ihm die Firma
zwanzig Gulden.

»Wenn es Ihnen zu wenig ist, dann schicken Sie das Geld gefälligst
wieder zurück ....«

Wenn die Not am höchsten, ist der Hungerlohn am nächsten! Die zwanzig
Gulden haben schon hundert Herren, also ist vom Zurückschicken kaum die
Rede! Grausame Heimtücke!

Da ist noch Artaria, aber der ist wirklich anständig, schier ein Mäzen,
der zahlt dreihundert Gulden für eine Sinfonie, freilich muß er noch
ein kleines Klavierstück darauf kriegen -- das Heft kostet sechs Gulden
Ladenpreis, hundert Hände greifen danach im Augenblick des Erscheinens
-- die Zahlen werfen ein Streiflicht auf die Verlegerbriefe.

Nun, Gott sei Dank, wenn es auch nicht Geld regnete, so tröpfelt's
doch hin und wieder, und wenn vollständige Dürre eintritt, dann
helfen die Dedikationen über das Gröbste hinweg. Der Gesellschaft
der Musikfreunde hat er eine Sinfonie gewidmet, sie weist ihm einen
Ehrensold von hundert Gulden an. Die Hand Sonnleithners ist dahinter zu
spüren. Klingende Münze kann man gut brauchen in so sündteuren Zeiten,
aber es glückt nicht immer. Schöne Worte fallen häufiger ab als Dukaten.

Der Herr Bischof von Dankesreither in St. Pölten bedankt sich
schönstens und ist freigebig mit schmeichelhaften Redensarten, aber
es fällt ihm gar nicht ein, etwas springen zu lassen. Die Linzer
Musikfreunde ernennen ihn zum Ehrenmitglied, die Grazer tun dasselbe
auf Betreiben Jengers. Anselm Hüttenbrenner tut sehr wichtig mit der
Überweisung der Urkunde -- es ist eine Ehre für Franz, er kann sich
das Blatt vor den Spiegel stecken, er kann aber auch den Mund an den
Nagel daneben hängen, er kann es ganz leicht, weil's nicht immer was zu
beißen und zu nagen gab.

Aber trotzdem -- Franz läßt sich nicht lumpen, er will dem Musikverein
ein Geschenk machen, das mit seinem Menschheitswert das Blatt vorm
Spiegel himmelhoch übertrumpft.

»Um auch in Tönen meinen lebhaften Dank auszudrücken, werde ich mir die
Freiheit nehmen, dem löblichen Verein ehestens eine meiner Sinfonien in
Partitur zu überreichen ....«

Er spürt in seiner Brust ein neues Wogen und Singen: einen
vertraulichen Klang aus früher Zeit.

G -- d -- g -- fis -- g -- a .....

Die Geigen in seiner Brust schreien es in die Höhe; und immer wieder
kehrt die Melodie, immer wieder reißt sie ab und sucht mit rührender
Sorgfalt das Gesangsthema in neuen Variationen zu ergreifen .... Das
sinfonische Tongemälde wird ein Abbild seiner Seele, ein erschütterndes
Bekenntnis.

Er ist kein armer Mann, er ist ein Krösus, der aus vollen Händen gibt.

Draußen in den Weindörfern, in Währing, Weinhaus, Heiligenstadt,
Grinzing, verbirgt einer sein Haupt in grüner Einsamkeit, ein ganz
Großer, zu dem Franz jetzt aufsieht wie zu dem einzigen Stern über
sich. Der geht auch einem unsichtbaren Wegweiser nach, unbegangene
Pfade, weitab von allem Gewöhnlichen und hoch durch unwegsame Gebirge
der Seele. Einer, der die Märtyrerkrone um seiner Kunst willen trägt,
und zu dem das Meisterlein mit Ehrfurcht emporstarrt. Das ist Ludwig
van Beethoven.

Er möchte sich ihm nähern, aber eine unüberwindliche Scheu vor diesem
Gewaltigen zwingt ihn, im weiten Bogen auszuweichen. Er getraut sich
nicht; heimlich geht er auf den Spuren des Gewaltigen, draußen zwischen
den Weinbergen und kleinen Winzerhäusern.

G -- d -- g -- fis -- g -- a ....

Dieses Lebenslied mit all den hoffnungsvollen Anfängen darin läßt ihn
nicht mehr los.

Franz schafft mit Zyklopenhänden. Jahr um Jahr, ohne Unterlaß -- das
Arbeitsfieber ist sein normaler Zustand, er denkt nicht daran, daß es
anders sein könnte. Erlösung, Vergessen, alle Rauschseligkeiten des
Glücks gibt ihm diese heiße, verzehrende Arbeit. Sein Genius leuchtet
auf wie eine mächtige Flamme, aber Franz merkt nicht, daß er der Kerze
gleicht, die an beiden Enden brennt.

»Was ist mit mir?« sagt er eines Tages zu Schober. »Das Essen schmeckt
mir nicht, ich kann nachts nicht schlafen, die Töne hämmern mir im
Hirn, die Noten fliegen nur so zu, aber wenn ich nachts aufstehe, um
sie festzuhalten, sind sie entflohen, ausgelöscht, nicht zu fassen
.... Am Morgen ist mir dann der Schädel dumpf und schwer, ich ziehe an
der Arbeitslast, als wäre sie ein Wagen voll Pflastersteine, und muß
ziehen, ziehen, weil ich muß und nicht anders kann ....«

»Du mußt dich schonen, Freund, du bist überarbeitet, lasse es sein auf
kurze Zeit, sammle deine Kräfte, und alles wird wieder flott gehen ...«

Aber der hatte schön reden. Man brauchte Geld und mußte verdienen. Wenn
man statt hundert Gulden nur zwanzig bekommt und die hundert braucht,
muß man fünfmal mehr machen oder fünfmal so schnell arbeiten.

Aber das ist es nicht allein.

»Weißt du denn nicht, daß Arbeiten das Paradies und Nichtarbeiten die
Hölle für mich ist!« und jeden Tag kämpft er sich durch, aus der Hölle
in das Paradies empor, um wieder hoffnungslos in die Hölle seiner
Ohnmacht zurückzusinken. Aber die Sinfonie muß werden, mag auch ein
Stück Gesundheit darauf gehen, das bringt man alles wieder ein, nur
das Werk soll nicht erkalten, rein und volltönig muß es erklingen wie
eine Glocke, es gibt vorher keine Schonung, und nun alles daran, was
an Kraft aufzubieten ist! Ein Lebenslied, diese H-Moll-Sinfonie, sein
Höchstes und Tiefstes soll es umfassen ..

Und wieder jubeln die Geigen in die Höhe: g -- d -- g -- fis -- g
-- a ..... um nach kräftigen, harten Akkorden wieder abzureißen. Er
schleppt sich hin, ist krank und weiß nicht, wie und wo. Die Schmerzen
sitzen bald da, bald dort, der Kopf ist müde, es ist, als ob die Kraft
plötzlich irgendwie einen Knick bekommen hätte.

E -- fis -- g -- h -- ais ...

Geigen, Violen und Fagotte brachen in ein herzzerreißendes Klagen aus,
die Bässe sinken hoffnungslos herab auf das tiefe C; wie einzelne
Lichtblicke brechen Teile des Gesangsthemas durch, um sogleich wieder
in dem düsteren Nachtgemälde zu ersterben, die Celli und Kontrabässe
wälzen dunkle Tonfluten herauf, c -- c -- c -- gleich gewitterhaften
Wolkenmassen, schmetternde Blechakkorde fallen ein wie strahlende
Blitze, dazu ein helles Geigenmotiv, das empor will wie zu Anfang, um
gleich wieder nach hartem, erbittertem Kampf zusammenzubrechen .... Die
Erschöpfung ist eingetreten, noch ehe das sinfonische Gemälde, ein Bild
seines Lebens, vollendet ist.

Franz ist zusammengebrochen. Die Nervenkraft ist erschöpft. Seltene
Träume suchen ihn heim. Er fühlt sich als Bruder vieler Brüder und
Schwestern, die Vergangenheit wogt daher in phantastischen Bildern, er
sieht die Leiche seiner Mutter, der Vater erscheint ihm, er hat Streit
mit ihm und entflieht; er wandert in ferne, unbekannte Gegenden, es ist
ihm, als ob Jahre in dem Traum vorübergingen, seine Lieder umtönen ihn,
die Liebe, die er gesungen, fühlt er als Schmerz, und der Schmerz, den
er singt, wandelt sich in Liebe. Ein Traumbild jagt das andere. Sie
haften in seinem Gedächtnis, er schreibt sie nachträglich auf wie eine
allegorische Erzählung und schließt mit den Worten ».... und ich fühle
die ewige Seligkeit wie in einen Augenblick zusammengedrängt. Auch
meinen Vater sah ich versöhnt und liebend. Er schloß mich in seine Arme
und weinte. Noch mehr aber ich.«

Franz liegt im Spital, er hat alle Haare verloren. Als er nach Wochen
das Krankenhaus verläßt, präsentiert er sich seinen Freunden in einer
gemütlichen Perücke. Er kommt überdies nicht mit leeren Händen. Die
Krankheit war im gewissen Sinne eine Wohltäterin. Es war die Zeit der
Ruhe und des Kräftesammelns. Aber die Katz' kann das Mausen nicht
lassen, im Spitalbett hat er wieder zu komponieren angefangen. Kleine,
leichte Sachen zwar, ein paar Dutzend Deutsche, einer schöner als der
andere, galante, liebliche, bacchantische und fugierte -- zum Entzücken
Schwinds, der alles getreulich an Schober berichtet, der noch immer in
der Welt herumirrt und es wieder mit der Schauspielerei hat. Er ist in
Breslau und möchte genau wissen, wie es Franz geht.

»Er hat wieder seine Perücke abgelegt und zeigt einen lieblichen
Schneckerlanflug,« berichtet Schwind nach Breslau.

Und später heißt es, Franz habe sich einer neuen Behandlung unterzogen,
und dann erst habe sich die Krankheit gebrochen. Aber er müsse mit sich
vorsichtig umgehen wie mit einem rohen Ei ... »-- er lebt noch immer
einen Tag von Banaderln, den anderen von einem Schnitzel und trinkt
schwelgerisch Tee, dazu geht er öfters baden und ist unmenschlich
fleißig ....«

Unmenschlich fleißig, das ist er wohl. Er fühlt sich verjüngt und
will wieder losstürmen. Aber halt, so wie früher geht's doch nicht
mehr. Rasch tritt die Erschöpfung ein, der alte Zustand ist wieder da.
Schlaflose Nächte und ein Hirn, das fort und fort rattert wie eine
leere Maschine. Ein tüchtiges Glas Wein abends, ja, das hilft noch --
den Tee hat er über, etwas Bettschwere abends hilft ihm eher, heitere
Geselligkeit, die Freunde; wie in allen seinen Lebenskrisen sind sie
Trost und Rettung. An die Liebe wagt er jetzt kaum zu denken. Er
hofft auf später. Alles läßt sich noch einholen, alles Versäumte und
Verfehlte. Nur Zeit!

Das Lebensbild in H-Moll liegt noch da, unvollendet.

Rasch entschlossen tut er die unfertige Sinfonie in ein Kuvert und
schickt sie nach Graz als Geschenk an den Steiermärkischen Musikverein.
Er löst sein Wort ein und gibt ein Werk von erschütternder Gewalt hin
für einen nichtigen Wisch Papier.

Anselm Hüttenbrenner als Musikdirektor empfängt es und verschließt es
in eine Schublade. Was für ein Dämon hat Freund Anselm behext? Das ist
ja gerade so, als wollte er den ergreifenden Aufschrei einer Seele
mit einem Bahrtuch ersticken?! Wenn Franz das wüßte ... Aber der ahnt
nichts und vertraut dem Freunde.

Langsam will er hinaufklimmen zur Höhe seiner alten Kraft. Langsam,
langsam. Manchmal hat es ja den Anschein, als wäre er wieder ganz
oben, manchmal. Er schreibt schon lange an einem Oktett, es sprüht von
Lebenskraft, gerät fast außer Rand und Band, wuchert über an Schönheit
und Wohllaut, etwas eigenwillig und barock in der Form, so recht
süddeutsch, so recht österreichisch, ein ganzer und echter Schubert.
Mit dem größten Eifer schreibt er daran; langsam, langsam geht es
vorwärts. Schwind kommt zu ihm, Franz schreibt und schreibt. Er sagt
nur, ohne aufzublicken: »Grüß dich Gott! Wie geht's?«

»Gut!« -- Jetzt kann aber Schwind lange warten, bis der andere wieder
einen Ton von sich gibt. Der schreibt und schreibt und läßt sich nicht
beirren. Der liebe Besuch, so lieb er ihm auch ist, er kann getrost
wieder gehen. Wenn Franz bei der Arbeit ist, gibt's keine Audienz.

Aber dann kommen Tage, wo er sich wieder von der stolzen Höhe seiner
Kraft herabgeschleudert fühlt und wie zerschmettert am Boden liegt.

Vielleicht wenn er aufs Land ginge, die Natur hat verborgene
Heilkräfte. Er fühlt etwas Sehnsucht nach Bergen, nach Waldluft. Er
möchte sich verkriechen wie ein verwundetes Tier in Einsamkeit. »In
Grün will ich mich kleiden ...«

Ein Glück, daß ihn Vogl mitnimmt nach Steyr.

Er fühlt das Leiden wie eine dunkle Nacht über sich, und er findet sich
bald ein Gleichnis dazu, dem er aus tiefster Herzensnot eine Stimme
geben kann. Ist es nicht, als ob ihm eine Krähe folgt, der sein Leib
bereits verfallen ist? Wenn er flieht, dann zieht sie ihm nach.

»Eine Krähe war mit mir aus der Stadt gezogen, ist bis heute für und
für um mein Haupt geflogen. Krähe, wunderliches Tier, willst mich nicht
verlassen, meinst wohl, bald als Beute hier meinen Leib zu fassen?
Nun, es wird nicht weit mehr gehn an dem Wanderstabe. Krähe, laß mich
endlich sehn Treue bis zum Grabe!«

Er lebt in Steyr bei Vogl in tiefster Einsamkeit, fast verborgen, und
kehrt nach einigen Wochen nach Wien zurück. Die Krähe, die ihm von der
Stadt aufs Land gefolgt war, begleitete ihn vom Land in die Stadt.

Franz redet nicht gern über seinen Zustand; er schweigt und brütet
vor sich hin, wenn er gefragt wird. Anders ist es, wenn er mit einem
abwesenden Freunde brieflich eine Zwiesprache hält. Beim Schreiben
drängen die zurückgestauten Gefühle mit Macht hervor, und so kommt der
herzergreifende Brief zustande, den er an den Freund Kupel schreibt,
der nach Rom gegangen ist, um die Sehnsucht seines Herzens an der
Antike zu stillen. Als ob die Entfernung geeignet wäre, die Seelen
einander näherzubringen, so schüttet Franz in dem Brief an Kupel sein
Herz aus:

».... mit einem Wort, ich fühle mich als den unglücklichsten,
elendesten Menschen auf der Welt. Denk' dir einen Menschen, dessen
Gesundheit nie mehr richtig werden will und der aus Verzweiflung
darüber die Sache immer schlechter statt besser macht, denk' dir
einen Menschen, sage ich, dessen glänzendste Hoffnungen zu nichts
geworden sind, dem das Glück der Liebe und Freundschaft nichts bieten
als höchstens Schmerz, dem Begeisterung für das Schöne zu schwinden
droht, und frage dich, ob das nicht ein elender, unglücklicher Mensch
ist? -- Meine Ruhe ist hin, mein Herz ist schwer, ich finde sie nimmer
und nimmermehr -- so kann ich wohl jetzt alle Tage singen, denn jede
Nacht, wenn ich schlafen gehe, hoffe ich nicht mehr zu erwachen,
und jeder Morgen kündet mir nur den gestrigen Gram. So freude- und
freundelos verbringe ich meine Tage, wenn nicht manchmal Schwind mich
besuchte und mir einen Strahl jener vergangenen süßen Tage zuwendete
....«

Sein Gemüt ist düster umwölkt -- er trinkt den Leidenskelch auf seinem
Ölberg.

Was wird aus diesem Leben -- geht es wieder aufwärts, oder kommt es
ganz auf den Hund?




                                 VIII.


Johanna Lutz, die Feine, Liebliche, geht an dem Haus auf der
Stubenbastei vorbei, wo jetzt Franz wohnt. Sie hat von Schwind gehört,
daß er sich auf Anraten seines Arztes vierzehn Tage einschließen
und fasten will. Im Vorbeigehen schaut sie hinauf und ist zu Tod
erschrocken.

»Mein Gott, da sind ja alle Fenster offen! Da muß etwas geschehen sein!
Das ist rein so, als ob jemand herausgestorben wäre!«

Sie weiß, daß Franz nie ein Fenster öffnet. Solange er zu Hause ist,
bleibt alles bumfest zu, so luftscheu ist er.

Sie traut sich gar nicht zur Hausmeisterin hinein, um zu fragen, was
denn geschehen ist.

»Dumm von mir!« schilt sie sich, als sie zu Hause ist. Es läßt ihr
keine Ruhe. Eilends ein paar Zeilen an Schwind, er soll doch nachsehen,
was los ist. Es käme ihr alles so sonderbar vor.

Am Nachmittag kommt Schwind zu ihr, bringt ihr einige neue Schubertsche
Lieder und Deutsche und die Nachricht dazu: »Ja, ja, Franz ist
ausgeflogen und wird sobald nicht wieder zu sehen sein. Darüber kann
ein halbes Jahr vergehen. Tief im Ungarland sitzt er -- in Zelez!«

Die zarte Lutz atmet auf. »Gott sei Dank, mir ist ein Stein vom
Herzen!« Sie hat soviel mütterliche Sorge um die Freunde Kupels,
besonders um Franz, über den sie fleißig ihrem Verlobten nach Rom
berichtet, der im Café Greco sitzt und mit den Gedanken in der Heimat
weilt -- er will genau wissen, was vorgeht; Franz macht ihm Sorge.

Der Cherubim wettert und flucht über das saure Leben.

»Der Kupel ist fort, der Schober flaniert in Breslau herum, und nun
hat auch Franz die Schnapsidee und ist zu den Schnauzbartlern gegangen
.... Himmel! Teufel! Da sitzt man mutterseelenallein -- ohne Geld, ohne
Freund. Uff! Rein zum Verrecken! Die andern Freunderln? Hol' sie der
Kuckuck -- einer ist pflichtig, der andere zweifelhaft, der dritte fad
und der ganze Haufen gar nichts! Franz, Franz, Schober, Kupel -- warum
habt ihr mir das angetan? Wenn ich jetzt nicht Sie hätte, Johanna, und
die Netty Hönig, ach, die liebe Netty, wissen Sie -- die Netty -- ach,
ich kann Ihnen gar nicht sagen -- wenn ich nicht wüßte, daß die Netty
-- -- Ich weiß oft gar nicht, bin ich es oder bin ich es nicht -- o
Franz, Franz, Franz!«

Er ist ganz komisch in seiner Mischung von Ärger und Liebe,
Verzweiflung und Seligkeit. Er greint und raunzt über Franz, aber er
meint es nicht bös damit, er hat ihm selbst zugeredet, den Antrag des
Grafen Esterhazy anzunehmen und wieder nach Zelez zu gehen.

Franz hätte es vielleicht nicht mehr getan. Der erste Aufenthalt war
schon nicht sehr ersprießlich gewesen, es war damals eine kleine Zeit
des Stillstandes für ihn. Zwar hat er ja manche liebe Erinnerungen
mitgenommen und bewahrt -- zweimal dasselbe birgt die Gefahr der
Ernüchterung. Aber die Zeiten waren jetzt anders, er mußte leben wie
eine Pflanze, und der Stillstand war ihm ein Schutz. Er brauchte
ein Asyl, regelmäßiges, einfaches Leben unter einem gemessenen
sanften Zwang, vor allem keine Sorgen. Er fühlte sich innerlich als
Menschenruine; das Lebenshaus war halb eingesunken, der Regen fiel ihm
durchs Dach, die Türen und Fenster klapperten, die Dielen ächzten, der
Tod ging um, und draußen, ja draußen flog die Krähe um und um.

Das Wankende mußte gestützt werden, Zeit und Ruhe waren nötig, die
Schäden auszuflicken, dafür war Zelez der rechte Ort. Ein Asyl, ein
Asyl!

Der Bruder Ferdinand, Schulleiter in der Rossau, hat in der schweren
Zeit ein wachsames Auge auf Franz. Nun aber waren schon drei Wochen
vergangen, die Brüder hatten sich nicht gesehen. Franz kam doch sonst
alle Wochen einmal zu ihm hinaus, seit er nicht mehr im Schulhause
wohnte; er brachte den Nachmittag und Abend bei Ferdinand zu, und nach
dem gemeinsamen Essen ging er beizeiten heim, um noch vor Torschluß
sein Quartier auf der Stubenbastei zu erreichen. Allerdings, Franz
hatte eine Fastenkur vor, die vierzehn Tage dauern sollte; er wollte
einsiedlerisch leben und so wenig als möglich vor die Türe gehen. Nun
aber sind es drei Wochen her, das macht den Ferdinand unruhig. An einem
schulfreien Tag macht er sich auf, selbst einmal nachzusehen, was denn
auf der Stubenbastei los sei.

»Seit acht Tagen ist er fort, nach Ungarn -- wie heißt es denn
gleich?« sagt die Hausmeisterin, die zugleich bei Franz Bedienerin ist.
»Zelez -- ja, so hat's geheißen!«

»Daß er mir gar nichts geschrieben hat!« verwundert sich Ferdinand.

»Ja, es war halt ein bisserl geschwind!« erklärt die Hausmeisterin.
»Am Tage vorher hat er mir noch gesagt, daß er nach Ungarn gehen soll,
er hätte aber wenig Lust dazu; nun, und am anderen Tage war schon der
Reisewagen des Herrn Grafen vorm Haus.«

Es ging dem Bruder Ferdinand so wie den andern Freunden; die Stadt war
mit einemmal leer und stumm für sie, seit Franz dahin war.

Mit stiller Trauer bog Ferdinand in die Wollzeile ein, dann in die
nahe Schulerstraße, die weniger lärmend war, und blieb vor dem Gasthof
»König von Ungarn« stehen. Es war knapp vor Zwölf, also beschloß er,
hier zu Mittag zu essen. Im Hof drin war es schön zu sitzen unter
den Efeuwänden und den Oleanderbäumen. Er zerschnitt ein saftiges
Stück Rindfleisch, tunkte es in Semmelkrenn, die Küche war gut, es
waren nur wenige Gäste da, und in dem schönen Hofraum herrschte eine
patrizierhafte Ruhe und Ordnung. Die Mittagsglocken von dem nahen St.
Stephan tönten herüber in hallenden, zitternden Wellenkreisen, es war
schön anzuhören, aber Ferdinand war in Gedanken bei seinem Rindfleisch
und zugleich bei Franz, und die Stadt hatte schier keinen Klang mehr,
weil dieser Genius fort war. Die Glocken schwiegen; in der momentanen
Stille fiel es Ferdinand auf, daß feierlich geläutet worden war. Er
sah auf, in dem dreieckigen Giebel des weißgetünchten Hofes war eine
Uhr zu sehen, die eben jetzt die Mittagsstunde anschlug. Sie begann
zu schlagen, und als die zwölf Schläge vorüber waren, spielte sie mit
einer feinen, metallenen Stimme ein Musikstück. Einen Walzer.

»O Gott! Was ist denn das? Das ist ja -- ein Walzer von Franz? Ein
Schubertscher Walzer!« Der Bissen blieb ihm im Munde stecken, dem
Ferdinand -- unwillkürlich stürzten Tränen aus seinen Augen und fielen
salzig auf den Teller vor ihm.

Es war ja gerade so, als ob Franz ihn riefe mit Geisterstimme, die dort
oben in der Uhr aufklang!

Das Uhrwerk schwieg, Ferdinand saß noch eine Weile da, ganz ergriffen
und wehmutsvoll, dann ging er eilends heim, er mußte schreiben, sofort
nach Zelez schreiben, was ihm begegnet war.

Aber die Scheu, sein Innerstes vor dem Bruder zu zeigen, läßt es nicht
zu, den Satz zu vollenden; er deutet mit halben Worten an, was er sagen
will. Brüder sind oft so zueinander, bei aller Liebe und Freundschaft.

Franz hat in Zelez sein altes Zimmer bezogen; er sieht durch das
grünumlaubte Fenster hinaus auf den Ententeich und auf die Straße
jenseits der Linden, wo die Post vorüberfährt. Er hört das Horn in der
Ferne erklingen -- »was hat es, daß es so hoch aufspringt, mein Herz?«

Alles scheint unverändert wie vor so vielen Jahren, dieselben Leute
sind noch da, dieselben Gewohnheiten, dieselbe Tageseinteilung, nur
statt Rosa, die nicht Nein sagen konnte, bedient ihn eine alte Magd,
die mürrisch und halb taub ist. Um so besser -- so gibt es keinen
Plausch, kein Augenverdrehen, nichts -- er ist nicht aufgelegt zu
solchen Dingen. Der Kammerdiener behandelt ihn mit wohlwollender
Herablassung als guten Bekannten, und im Inspektorflügel ist er ein
gern gesehener Gast.

Im Herrenhaus ist regeres Leben als früher, in einem fort gibt's
Besuch, Kavaliere und Damen, zu Pferd und zu Wagen, Ausflüge und Jagden
werden veranstaltet, sonst aber geht die einfache Lebensweise fort.
Die beiden Komtessen Marie und Karoline sind stattlich herangeblüht,
aber sie sind noch immer so schlicht und herzgewinnend wie früher,
besonders die Karoline. Freilich, mit dem kindischen Herumtollen, Arm
in Arm mit Franz, mit dem großen Übermut und Glück der ersten Jugend
ist es vorbei. Wenn sie es nicht selbst gesagt hätte, Franz wußte es
gleich am ersten Tage durch den mitteilungsbedürftigen Kammerdiener,
daß der schlanke, dunkeläugige Kavalier, Graf Folliot von Creeneville,
Karolinens Verlobter ist, und daß der junge Graf Breuner, das blonde,
schmächtige Gegenstück zu Folliot, für die dunkeläugige Komtesse
Marie ausersehen ist, die sich zu einer recht kapriziösen Schönheit
herausgemaust hat.

Franz ist ganz steif vor Verlegenheit und Verwirrung, als er sich
der Komtesse Karoline wieder gegenübersieht, aber ihre anmutige
Unbefangenheit hilft ihm, daß er sich nach und nach wieder erfängt. Im
Herbst ist Hochzeit, und Karoline freut sich, daß Franz hier ist; er
muß es ihr versprechen, bei der Tafel zu sein, sie möchte ihn in ihrer
Nähe wissen.

Er zappelt von einem Bein aufs andere und stammelt so eine Art
Glückwunsch daher. Natürlich fängt er es dabei wieder drollig
ungeschickt an: »Jessas, Komtesse, wie mich das freut -- nun, ich
gratuliere herzlich dazu; der Herr Graf, ein so feiner Kavalier --
aber daß ich bei der Tafel bin, das wird doch nicht recht gehen -- ich
schau' ja gar nichts gleich!«

Neben dem eleganten Edelmann schaut er freilich gar nichts gleich, ein
ziemlich ruppiges Singerlein, aber die Komtesse hat ein unbändiges
Vergnügen an seiner drolligen Unbeholfenheit, und die frühere
Herzlichkeit ist im Nu wieder hergestellt.

Daß ihn die Verlobung Karolinens gar so freut, das war doch ein
bißchen dick aufgetragen; er hat einen verwunderten Blick Karolinens
aufgefangen -- ob sie es wohl nicht übelnimmt? Es war das einzige
Zeichen, daß die Liebesstunde nicht vergessen ist, ein kleines
Geheimnis, von Vertrauen und Freundschaft behütet.

Mit den beiden jungen Edelleuten weiß sich Franz so gut wie nichts
anzufangen. Die reden meistenteils von Jagen und Reiten und Pferden
und Hunden; davon versteht er nichts; und von der Musik verstehen die
anderen nichts.

Unter den Dauergästen befindet sich auch Karl von Schönstein, der
einzige, der mit der Schubertschen Musik wirklich vertraut ist und bei
der Schicksalsfügung, die Franz wieder nach Zelez gebracht hat, den
Drahtzieher gespielt hat; er ist mit dem väterlichen Grafen Esterhazy
intim befreundet, die beiden unterhalten sich gern auf eigene Faust;
um was es dabei geht, hat Franz an dem zufällig aufgeschnappten Wort
erkannt, als der eine von den beiden von seiner herzigen Rozier sprach,
die Franz dem Namen nach kannte -- eine vom Ballett; die unter
Geflüster und Gelächter geführte Unterhaltung war also nichts für
fremde Ohren.

Zuweilen kamen Zigeuner und spielten unter der Linde; Franz saß in
seinem Zimmer, rauchte sein Meerschaumpfeiflein, dachte vergangener
Zeiten und vergaß in diesem wehmütigen Glück die Gegenwart. Oder er
komponierte, er hatte Zeit und Ruhe; oft vergingen Tage, ohne daß man
ihn begehrte, es sei denn, daß Schönstein singen wollte, oder die
Komtesse Karoline eine vierhändige Übung versuchte, aber auch dies nur
selten, oder daß er eine seiner Sachen vorspielte, für die indessen
außer den beiden Komtessen und Schönstein kaum jemand im Herrenhaus ein
besonderes Verständnis aufbrachte.

Verträumt, verraucht, vergeigt, so fließen die Tage gleichförmig hin,
einer wie der andere.

Nur wenn die Post vorüberfährt, springt das Herz auf.

Der Vater hat geschrieben, er gibt ihm gute Lehren. Er ist ja
Jugendlehrer, der immer gern moralisiert, aber aus dem Tadler ist ein
Tröster geworden. »Wir dürfen, ja wir wollen sogar die unschuldigen
Lebensfreuden froh und mit dankbarem Gemüte zu Gott mäßig genießen,«
ermuntert er den Franz, »wir müssen aber auch in trüben Umständen den
Mut nicht sinken lassen; denn auch Leiden sind eine Wohltat Gottes und
führen den, der standhaft ausharrt, zum erhabensten Ziel. Wo ist auch
ein großer Mann in der Geschichte zu finden, der nicht durch Leiden und
standhaftes Ausharren den Triumph errungen hätte. Darum möchte ich auch
jene, die ich vorzüglich liebe, zu solchen Gesinnungen stimmen!«

Daß er soviel Liebe in ein paar Briefseiten legen kann, mehr als man
je im Leben aus seinem Munde erfahren hat, das hätte man doch nicht
erwartet. Dem Franz gehen fast die Augen über vor Rührung.

Und nun gar der Bruder Ferdinand mit seinen Tränen, als er beim »König
von Ungarn« Schuberts Walzer in der Uhr spielen hörte, und sich fast
schämt, es hineinzuschreiben, daß ihm richtige Tränen entrollt waren
beim Rindfleisch mit Semmelkrenn .....

»Warum getraust du dich nicht, mir das zu schreiben?« erwidert Franz in
seinem Brief.

»Es werden die Tränen gewesen sein, die ich so oft geweint habe, und
die in meinen Liedern und Walzern klingen, darum ist es so über dich
gekommen, als du beim »König von Ungarn« die kleine lustige Sache von
mir in der Uhr spielen hörtest .... oder kamen dir alle die Tränen, die
du mich schon weinen sahst, ins Gedächtnis? ... Damit dich diese Zeilen
nicht vielleicht verführen, zu glauben, ich sei nicht wohl oder nicht
heiteren Gemüts, so beeile ich mich, dich des Gegenteils zu versichern.
Freilich ist es nicht mehr jene glückliche Zeit, in der uns jeder
Gegenstand mit einer jugendlichen Glorie umgeben scheint, sondern jenes
fatale Erkennen einer miserablen Wirklichkeit, die ich mir durch meine
Phantasie (Gott sei es gedankt!) soviel als möglich zu verschönern
suche ..«

Er schreibt sich alles von der Seele herunter, in Briefen und in Musik,
und wenn die miserable Wirklichkeit Macht gewinnt, zündet er sein
Pfeiflein an und sieht in den blauen Wölkchen die Menschen und Dinge
neuerdings von jugendlicher Glorie umgeben. Dann steht die Sehnsucht
auf, er muß seiner Bedrängnis Luft machen, nochmals Papier und Feder
her, niemals fühlt er die Freunde so nahe als jetzt, da er mit ihnen
von Seele zu Seele redet.

»Wären wir nur beisammen, du, Schwind, Kupel und ich,« schreibt er
dem Schober, »dann sollte mir jedes Mißgeschick nur leichte Ware
sein, so aber sind wir getrennt, jeder in einem anderen Winkel, und
das ist eigentlich mein Unglück. Ich möchte mit Goethe ausrufen: Wer
bringt mir eine Stunde jener goldenen Zeit zurück! Jener Zeit, wo wir
traulich beieinander saßen und jeder seine Kunstkinder den andern mit
mütterlicher Scheu aufdeckte, das Urteil, welches Liebe und Wahrheit
aussprechen würden, nicht ohne einige Sorgen erwartend; jener Zeit, wo
einer den anderen begeisterte und so ein vereintes Bestreben nach dem
Schönsten alle beseelte. Nun sitz' ich allein hier im tiefen Ungarland,
in das ich mich leider zum zweiten Male locken ließ, ohne auch nur
einen Menschen zu haben, mit dem ich ein gescheites Wort reden könnte
...«

Und dem lieben Schwind gelten folgende Worte: »... ich würde mich hier
recht wohl befinden, hätte ich dich, Schober und Kupelwieser bei mir,
so aber verspüre ich, trotz des bewußten anziehenden Sternes, manchmal
eine verfluchte Sehnsucht nach Wien ....«

Vielleicht ist es ein Zeichen der wiederkehrenden Gesundheit, daß er
sich heftig fort sehnt. Oder ist es der anziehende bewußte Stern,
der still und klar über seinen Träumen steht und nun zitternd zu
entschwinden droht?

Eine heftige Unruhe ergreift ihn -- die Hochzeitsvorbereitungen nehmen
im Herrenhaus ein schnelles Tempo an.

»Ich alter Esel,« schlägt er sich vor die Stirn, »was kümmert's mich?«

Der Herbst ist schön wie damals, das stimmt traurig.

Morgen ist Polterabend, da muß Franz spielen, Schönstein singt und dann
wird getanzt. Und übermorgen?

»Aber Sie versprechen mir, bei der Tafel zu sein?!« drängt Karoline.

»Ich möchte schon jetzt alles Glück und Wohlergehen fürs Leben
wünschen, aber ich bitt' tausendmal um Verzeihung -- nicht wahr, bei
der Tafel muß ich nicht sein?! Ich pass' ja gar nicht hin -- ich wüßt'
nicht einmal, was ich reden sollt'! Die hohen Herrschaften -- ja
wirklich, da bin ich immer ganz dumm im Kopf!«

Also nein, um keinen Preis wäre er dazu zu bringen.

Karoline gibt ihm die Hand. Er beugt sich nieder, die Hand zu küssen.

»Bleiben wir gute Kameraden!« sagt sie, und ihre Stimme zittert leicht;
sie will noch etwas sagen, aber sie hält inne und drückt und schüttelt
seine Hand wie ein richtiger lieber Kamerad, der von dannen geht.
Franz rennt weg, um nicht aufzuheulen. Es waren die letzten Worte mit
Komtesse Karoline. Ein Abschied für immer.

Am Hochzeitstag geht er nicht aus seiner Kammer. Während sie
drüben tafeln im Herrenhaus, sitzt er hinten und hat seine eigene,
schmerzlich-selige Feier für sich. Er zündet seine Pfeife an, der
Opferrauch steigt, der anziehende bewußte Stern tritt aus dem
bläulichen Gewölk hervor, die schlanke Komtesse Karoline, wie sie im
herbstlichen Park vor so und so vielen Jahren ihre edel geformten Arme
um seinen Hals geworfen hat .... er pafft und pafft, das zarte Bild
entschwindet -- in den dicken Nebeln, die ihm Herz und Hirn umwallen,
steht eine andere Erscheinung auf und erfüllt ihn mit brennender
Sehnsucht: Melusine ....

Er wischt sich über die Wangen, sie sind trocken, und trocken ist sein
Auge. In seiner Brust tönt ein weher Klang, er weiß es nicht, daß seine
Tränen nach innen fallen. Aber drinnen sind sie, in seinen Liedern und
Gesängen, und die Verse, die er sucht und vertont, die kommen ihm nicht
von ungefähr zu; sie sind wie Spiegel, darinnen er seine eigenen Züge
erblickt.

»Gefrorene Tropfen fallen von meinen Wangen ab; ob es mir denn
entgangen, daß ich geweinet hab'? Ei, Tränen, meine Tränen, und seid
ihr gar so lau, daß ihr erstarrt zu Eise wie kühler Morgentau, und
dringt doch aus der Quelle der Brust so glühend heiß, als wolltet ihr
zerschmelzen des ganzen Winters Eis ....«

Aber das Eis zerschmilzt nicht, es bleibt alles hübsch drinnen in der
Brust und in den Gesängen, und nicht jeder spürt's, wie es Bruder
Ferdinand einmal, nur einmal gespürt hat, als der Walzer aus der Uhr
hervortanzte und plötzlich Tränen niederfielen.

G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --

Das Lebenslied klingt so heiter, aber wißt ihr denn, was dahinter steht?

E -- fis -- g -- h -- ais -- --

In Graz liegt's versperrt in einer Schublade, unvollendet -- aber
in Franz klingt es weiter, immer klingt es von neuem auf, immer
wieder ein Anfang, ein heiter-tröstlicher Aufblick; immer wieder ein
hervorquellender Schmerz, ein Zusammenbrechen .... Franz schaut so
phlegmatisch drein wie ein wurstiger Gesell; ihm merkt man nichts an.

Schönstein ist wütend auf ihn bei der Heimreise.

»Dieser Schubert mit seinem Phlegma!« Hat er das Wagenfenster am
Rückteil eingeschlagen, daß der kalte Ostwind hereinfährt und die
herzige Rozier, die dem Schönstein entgegengereist war, beinahe einen
Schnupfen gekriegt hätte!

Die Rückkehr nach Wien ist allemal ein Seelenfest für Franz und die
Freunde. Johanna Lutz, die Mütterliche, hat ihre helle Freude an ihm,
weil er so gut aussieht.

»Schubert scheint gesund und ist himmlisch leichtsinnig ....« schreibt
sie ihrem Erwählten nach Rom.

»Daß Kupel noch immer nicht da ist!« klagt Franz. »Und Schober, der
schönste Mann Wiens, der Abgott aller Weibsen! Was tut der in Breslau
so lange?«

»Den Kasperl spielt er, es ist seine Glanzrolle!« gibt Schwind trocken
zurück. »Ist das nicht ein tiefer Fall von der Höhe seiner Pläne und
Erwartungen?«

»Er hält die Welt zum besten, die einzig mögliche Art, mit ihr zu
verkehren ....« Das ist die Meinung Schuberts.

Sie lassen den lieben fernen Freund hoch leben. Die Gläser klingen
zusammen, man ist wie ausgehungert auf heitere Geselligkeit, wenn man
nach Wien zurückkommt und hat soviel einzuholen. In Zelez hat man
sich kasteit, jetzt darf man das Rädchen wieder ein bißchen laufen
lassen. Wein, Punsch, Kaffee, Tabak, die unsterblichen Güter der Heimat
-- die sind doch für die Seele da und nicht für den Leib, und Franz
ist immer mehr für die Seele gewesen. Also lebt man wieder himmlisch
leichtsinnig. Oder tut wenigstens so. Dieser Franz mit seinem Phlegma,
wer kennt sich denn aus bei ihm?

»Wo nur der Mayrhofer steckt?« Beim Wein, der die Zungen und Herzen
löst, kommt es zur Sprache.

»Die Freundschaft mit ihm ist Absterbens, Amen!« erklärt Franz auf die
Frage Schwinds.

»Eifern tut er, euretwegen. Er glaubt, es wird ihm was genommen, weil
wir, du, Schober, ich und Spaun so gut harmonieren. Er will der einzige
und ausschließliche Freund sein, die anderen will er kaltgestellt
wissen. Und weil ich dafür nicht zu haben bin, ist er unverträglich
geworden. Schad' um ihn, er war mir ein lieber Freund ....«

Hin ist hin. So mancher, der im Laufe der Jahre nicht mithalten konnte,
ist abgefallen, sang- und klanglos wie der Holzapfl, aber keiner
so beklagt wie der gemütstiefe Mayrhofer, der sich grollend in die
Einsamkeit zurückzieht. Sein Verstummen schmerzt Franz, vielleicht
bedarf es nur des erlösenden Wortes, um ein neues, besseres Verstehen
anzubahnen. Aber jeder schweigt. Es ist auch manchmal so unter denen,
die sich lieben und verstehen sollten.

Ein anderer ist dafür gewonnen, der die Freundschaft mit Schubert ernst
und heiß nimmt. Der junge Eduard von Bauernfeld. Er ist Dichter und
nebenher Beamter, ein Sprudelkopf, der tausend Ideen hat, unzufrieden
ist, über die Politik schimpft, und bei all diesen Vorzügen nur
einen kleinen Mangel hat, nämlich kein Geld. Er besitzt also alle
Eigenschaften, die notwendig sind, um in den Freundeskreis eintreten zu
können. Vor allem ist er ein »Kanevas«. Jahrelang ist er auf Schuberts
Spuren, endlich gelingt es ihm, die nähere Bekanntschaft zu machen.
Schwind ist der Vermittler.

Franz wohnt jetzt in Schwindien, er hat ein hübsches Zimmer gleich
im Haus nebenan, wo das Wirtshaus ist. Sie stecken ja sowieso immer
beisammen, er und der Cherubim, der einzige Vertraute, den er jetzt in
Wien hat; also ergibt sich das von selbst, daß sie so nahe beieinander
wohnen.

Abends rückt ihm Schwind mit Bauernfeld auf die Bude. Der neue
Bundesgenosse hat einige wenige Sachen mitgebracht, Tagebücher,
Entwürfe, Dichtungen. Es wird vorgelesen. Zuerst Stellen aus
dem Tagebuch. Bauernfeld hat seit Jahren alle seine Eindrücke
aufgezeichnet. Die stärksten heißen Schubert. Franz kann es jetzt
hören, was Bauernfeld schon vor Jahren schrieb, »Kärntnertortheater,
Goethes ›Laune des Verliebten‹ machte kein Glück, das Beste ein
Quartett von Schubert. Ein herrlicher Mensch! Den muß ich kennen
lernen.«

So lange hat es gebraucht, bis sich die Wohlgesinnten wirklich finden.
Jetzt aber muß der Bund besiegelt werden, man will Bruderschaft
trinken. Dazu gehört natürlich edles Getränk. Franz kehrt die Taschen
um und um, kein luckerter Zweier fällt heraus, Schwind unterzieht seine
Taschen ebenfalls einer vergeblichen Brandschatzung, das gleiche tut
Bauernfeld, sie bringen beim besten Willen das Nötige nicht zusammen.
Schuldig bleiben!

»Leicht gesagt, mein Lieber, aber der Wirt hat schon die Kreide
verschrieben!«

»Verdient es denn diese infame Welt, so ausgezeichnete Kerle zu
besitzen, wie wir drei sind?« haut Bauernfeld auf.

»Gemach, lieber Freund!« gebietet Franz und öffnet ein Fach im Schrank.
Hier liegen noch ein paar Stückel Zucker vom Frühstückskaffee. Am Tisch
steht eine Flasche Wasser, davon schenkt er drei Gläser voll.

»Warum soll die Freundschaft nicht das Wunder vollbringen und Wasser
in Wein verwandeln?« Dann tut er in jedes Glas ein Stück Zucker, jeder
rührt mit einem Löffel um und um und dann stoßen sie mit den Gläsern an
und trinken Bruderschaft mit Zuckerwasser. Das Feuer der Begeisterung
bringen sie aus Eigenem auf, das Zuckerwasser in Schwindien schmeckt
besser als der Tokaier in Zelez.

»Laßt Rauch aufsteigen! Die Freundschaft verlangt ein Brandopfer!«
gebietet der Cherubim mit priesterlicher Würde und schmeißt seinen
Tabaksbeutel hin: »Hier ist der Goldstaub.« Neue Verlegenheit. Eine
dritte Pfeife fehlt.

»Was liegt denn dort?« Der spähende Schwind hat ein passendes Ding
entdeckt.

»Du, sei so gut -- mein Augengläserfutteral!«

»Das hat uns ein Gott gesandt!« erwidert Schwind und hat im
Handumdrehen eine Pfeife daraus fabriziert. Franz muß es geschehen
lassen. Der Rauch steigt auf, ein wenig brenzlig zwar, aber der Himmel
ist dem Opfer gnädig, es ist keinem schlecht geworden dabei. Bei
Zuckerwasser und Tabaksqualm wird gelesen bis in die Nacht. Ein Drama
ist es, das Bauernfeld zu Gehör bringt.

»Du wärst mir der Rechte für eine neue Oper!« erklärt Franz. Der Löwe
hat wieder Blut geleckt. Er denkt an die »bezauberte Rose«. Bauernfeld
soll ihm das Gedicht dramatisieren. Aber dem geht ein »Graf von
Gleichen« durch den Kopf -- Janitscharen und Rittertum, romantische
Minne und Gattenliebe, ein türkisch christliches Brouillon.

»Uj jegerl,« schreit Schwind auf, »wenn's nur nicht ein zweiter Fall
›Alfonso und Estrella‹ wird!«

»Laß gut sein!« wehrt Schubert den besorgten Schwind ab. Und nun geht's
an ein Entwerfen und Planen die ganze Nacht lang. Und als die liebe
Sonne am anderen Morgen warm ins Zimmer scheint, findet sie die drei
Kunstzigeuner im tiefen Schlaf, der eine im Bett, der andere auf dem
Kanapee, der dritte auf ein paar zusammengeschobenen Stühlen -- der
Traum von Kunst, Ruhm und Liebe geht weiter.

So läßt sich alles gut an bei seiner Rückkehr. Kann man denn irgendwo
glücklicher sein als hier zu Haus? Wenn Franz, als er in Zelez war,
an Wien dachte, ging es glühendheiß in seinem Herzen auf. Die Stadt
verdichtete sich zu einem Frauenbild, und das Frauenbild, darin er Wien
sah, hatte die Züge der Melusine, ihre Augen, ihr Lächeln .... O Liebe,
Liebe! War es die Sehnsucht nach Wien, oder war es die Sehnsucht nach
Melusine, die ihn trieb? Es war beides in einem. Und er war so kühn in
der Ferne, wenn er an die Geliebte dachte, und war so zaghaft, wenn er
sie sah, die Liebliche, Hohe, Feine ....

Die Zeit verschärfte seine Sehnsucht, es ist schon so lange her, daß er
Melusine nicht mehr gesehen, er hatte sich geschämt, weil er durch die
Krankheit so heruntergekommen ausgesehen hatte -- aber jetzt war er,
Gott sei es gedankt, so leidlich wieder in Ordnung, er brauchte sich
nicht mehr zu verstecken. Nur schade, schade, daß es gerade bei den
Hönigs war, wo man Therese begegnen konnte. Sie verkehrte jetzt viel in
diesem Haus.

»Ich kann mir nicht helfen, aber der junge Hönig gehört zu den wenigen
Menschen, gegen die ich von vornherein eine instinktive Abneigung habe;
er hat mir nichts getan, im Gegenteil, er behandelt mich so vorsichtig
und apart, wie ein dreckiges Hölzl, immer nur mit Handschuhen, aber es
ist etwas an ihm, das mir gegen den Strich geht, ohne daß ich recht
weiß was!« erklärt sich Franz dem Schwind, als sie unterwegs sind zu
den Hönigs.

»Hm -- und die Netty?« wirft Schwind lauernd ein.

»Ach, die ist ja ein ganz lieber Kerl!« meint Franz so oben hin.

Schwind leuchtet auf. »Nicht wahr? Ach, die, sie ist ein herziger
Schatz! Die und keine andere! Du mußt wissen: treu wie Gold!«

Franz pfeift leise vor sich hin, ein Lied, das er irgendwo gesungen;
er weiß gar nicht mehr, daß es von ihm selber ist. Wo war es nur, daß
es ihm zuerst in den Sinn kam? War es nicht in Atzenbrugg? »Er hätt'
es eher bemerken sollen, des Hauses aufgestecktes Schild, so hätt' er
nimmer suchen wollen im Haus ein treues Frauenbild ...«

»Ja, ja, in Atzenbrugg!« Schwind bestätigt es. Dort war es zum
erstenmal gesungen worden.

Mit leisem Bangen treten sie bei den Hönigs ein. Man hat immer ein
leises Bangen, wenn man in der Liebsten Haus eintritt. Aber es ist
noch etwas anderes dabei. Eine brennende Unruhe, ein böser Argwohn.
Die Netty ist ein lieber Kerl, das ist wahr, aber sie ist zu sehr
verzuckert, es ist nicht alles echt -- und treu wie Gold, das ist schon
ganz und gar ein Unsinn, denn weniger treu als Gold kann auf Erden kaum
etwas sein.

Sie ist so zuckersüß, die Netty, aber in ihrem Gesicht sitzen lauter
Spotteufeln drin.

Franz sieht sich rasch um, Therese ist nicht da. Seine Unruhe steigert
sich, er kann sich schließlich nicht enthalten zu fragen.

»Ja,« lautet etwas gedehnt die Antwort aus Nettys Mund, »wahrscheinlich
hat sie keine Zeit -- vielleicht auch keine Lust.«

Das hat es neulich auch schon geheißen und jedesmal, wenn Franz
gekommen ist. Er bemerkt, wie Netty mit dem Bruder einen raschen Blick
wechselt und beide eine höhnische Miene aufsetzen. Franz wird stumm,
sein Gemüt verdüstert sich. Die Lustigkeit um ihn herum wird lauter,
er versinkt immer tiefer in Trauer. In Gedanken ist er weit, weit weg,
er hört die Wetterfahne auf dem Dach, der rostige Stab dreht sich um
und um und quietscht auf in der eigenen Brust, als ob er tief drin im
Herzen steckte. Der Schicksalswind hat wieder umgeschlagen und spielt
drinnen mit dem Herzen wie auf dem Dach, nur nicht so laut.

»Was fragen sie nach meinen Schmerzen ....«

Unbändiges Gelächter ist um ihn herum. Cherubim wird hereingeführt in
Weiberkleidern, die er auf Nettys Geheiß anziehen mußte.

»Hier ist Kolombine,« sagte sie zu Franz, »ich gratuliere Ihnen zu
dieser lieblichen Braut. Jetzt müssen Sie aber fein artig sein und brav
den Wurstel weiter spielen.«

»Wurstel? Bin ich ein Wurstel?!«

Er sagt es mit einer solchen tragischen Bitterkeit, daß das Gelächter
mit vermehrter Heftigkeit hervorbricht. Schwind, von Netty am
Narrenseil geführt, spielt die Rolle weiter. Mit verstellter Stimme
beteuert er als Kolombine seine Liebe zu dem Wurstel und will ihm um
den Hals fallen. Er merkt es nicht, daß dem Franz der ungehörige Spaß
über die Hutschnur geht.

Die Komödie ist voll böser Anspielungen, Franz spürt es und steht
bleich und ernst unter den Lachenden da. Mit einem Ruck schleudert er
den nichts ahnenden Cherubim von sich, rafft seine Noten zusammen und
geht schweigend aus dem Zimmer.

Das Gelächter erstarrt, alle sehen sich verlegen an.

»Es war doch nur ein ganz unschuldiger Scherz ...« beteuert Netty etwas
beschämt.

»Natürlich, nur ein unschuldiger Scherz!« bestätigt Schwind und eilt
dem Freunde nach. »Franz, ein unschuldiger Scherz -- geh', komm', sei
nicht kindisch ...«

Franz stürmt hinaus und fort.

Unverrichteter Sache kehrt Schwind in das Gesellschaftszimmer zurück,
er hat noch immer die Weiberkleider an. Jetzt ist aber allen das Lachen
vergangen. Die Netty hat ein böses Gewissen: »Versteht er denn so
wenig Spaß?« Schwind zuckt die Achseln: »Man kennt sich nicht aus mit
ihm!«

Zum ersten Male, daß eine Verstimmung zwischen den engsten Freunden
eingetreten ist. Mit den Hönigs ist er jetzt fertig, Franz. Schwind,
der Netty verteidigt, mag jetzt sagen, was er will. Franz ist kein
Freund von derben Späßen; sein zur Schau getragenes Phlegma täuscht
viele Menschen. Sie halten ihn für einen Dickhäuter. Aber dabei hat
sich Netty verrechnet. War nicht die äußerlich zur Schau getragene
Rauheit und Wurstigkeit ein bloßer Schutzmantel für die allzu
empfindliche Seele? Das Heiligste seines Herzens verträgt keinen Hohn,
nicht einmal leisen Spott, wenn er auch sonst für Humor und gute Laune
Sinn hat. Hier ist eine Grenze gezogen, er duldet nicht, daß sie jemand
verletze. Das demütige Meisterlein kann Unglück und Verkennung duldend
hinnehmen, er bleibt gleichmütig gegen die Schläge des Schicksals, sie
nennen ihn darum einen Phlegmatiker; aber wehe, wer vermessen genug
ist, die Seele herunterzuziehen! Ein gerechter edler Stolz flammt
empört auf -- man ahnt nicht, welche Hoheitsgefühle in dem bescheidenen
Mann wohnen; bei aller Demut, er weiß, wer er ist.

Schwind, der so tief in die Brust des Freundes blickt, hätte es wissen
müssen -- er weiß es wohl und leidet an dem Unrecht, zugleich ist aber
auch der Trotz über ihn gekommen, die Liebe hat ihn geschlagen, und er
vergißt darüber fast den Freund. Jetzt ist das Schmollen an den beiden
-- die Verstimmung ist da, sie dauert fort, weil sich jeder scheut,
das Vorgefallene noch einmal zu berühren und reinen Tisch zu machen.

Franz ist entschlossen, sein Dasein auf eine gesicherte Basis zu
bringen -- er will sein Recht auf Glück in diesem Leben geltend machen.
Er geht direkt aufs Ziel los.

Salieri ist in Pension gegangen. Es werden zwei Stellen frei, die eines
Vize-Hofkapellmeisters und die eines Opernkapellmeisters. Franz bewirbt
sich um die eine wie um die andere. Jetzt können ihm die Zeugnisse und
Anerkennungen von Graf Dietrichstein und anderer Machthaber den rechten
Dienst erweisen. Er richtet sein Gesuch direkt an den Kaiser. Was aber
die stärkste Wirkung tun wird, ist der ausdrückliche Nachweis, daß er
bei Hofkapellmeister Antonio Salieri das Komponieren gelernt hat.

Das Gefühl der Beschämung beschleicht ihn einen Augenblick lang, daß
er, dessen geniale Meisterschaft in der Welt feststeht, sich auf
läppische Schulzeugnisse berufen muß. Aber die Formalität verlangt es.
Hat er es denn wirklich von Salieri gelernt? Er hätte besser sagen
müssen, daß er es vom lieben Gott gelernt hat! Das müßte man wissen!
Wie aber, wenn die Welt der Formalitäten auf Antonio Salieri ein
größeres Gewicht legt als auf den lieben Gott selber? Dann konnte von
Salieris Gnaden jeder Erstbeste, der kräftigere Protektion besaß, den
Vorrang gewinnen ....

Nun aber, man muß nicht gleich das Schlimmste denken, vom inneren Beruf
aus war Franz der Erste, daran konnte niemand mehr zweifeln, also
hatte man eine schöne und berechtigte Hoffnung. Als wohlbestallter
Hofkapellmeister brauchte man sich nicht mehr zu scheuen -- und
das Glück, das einst auf dem Kalbelwagen märchenhaft in seine Gasse
gefahren kam, konnte man dann ohne Umstände ergreifen und festhalten.
Melusine hieß das Glück, und der Kalbelwagen konnte dann ein richtiger
Brautwagen sein, in dem sie beide zur Kirche fuhren.

G -- d -- g -- fis -- g -- a -- --

Wie in ganz frühen Tagen jubelt aufs neue eine ganz helle
Hoffnungsfreude auf.

Es muß was geschehen, auch Schober schreibt es, er meint, der
Enthusiasmus für Franz müßte aufs neue im Publikum belebt werden, und
es wäre gut, wenn es bald geschähe.

Franz arbeitet ja mit Bienenfleiß. Ein quellender Reichtum von Melodien
entsteigt blühend seiner Brust. Aber es ist schwer, die Begeisterung
der Menge auf ihrer ursprünglichen Höhe fortzuerhalten. Es bedürfte
wieder einer ganz großen Tat -- Schober hat vielleicht recht, wenn
er andeuten will, daß seit Jahren ein Stillstand eingetreten ist,
wenn auch nur scheinbar. Es bedürfte einer ganz großen Tat -- einer
gelungenen Oper etwa, Bauernfeld ist jetzt seine Hoffnung -- oder
vielleicht eines großen Konzerts mit einer neuen Instrumentalsache,
einer Sinfonie -- er trägt sich mit dem Gedanken daran -- ein großes
Konzert, wie es Beethoven veranstaltet -- vielleicht über ein Jahr,
dann wird Franz hervortreten, bedeutender, stärker als je. Der
Lebensplan ist fertig, mit neuer, entschlossener Kraft schreitet Franz
dem Gipfel zu.

Zunächst also diese Sinfonie -- Landeinsamkeit will er dazu, grüne
Berge, einen Ort, wo man Gutes genossen und einiges Glück erfahren hat.

Im Mai ist Vogl wieder auf sein Steyrer Landgut gegangen, er denkt an
Kunstreisen in Oberösterreich und Salzburg und kann Franz dabei nicht
entbehren. Dem sind seit seinem Zwist mit Schwind die Wiener Tage leer
und unersprießlich geworden, ein paar Tage will er in Linz bleiben,
ehe er nach Steyr geht, den lieben Spaun will er ans Herz drücken,
einem Freund muß er sich erschließen können, jetzt, wo er in Wien keine
Seelenzuflucht hat -- kurz, eines schönen Morgens ist er zum Schrecken
Schwinds dahin und sitzt alsbald in Linz, wo er sich vor ärgerlicher
Verzweiflung die Haare rauft, denn Spaun ist über alle Berge, ein paar
Tage vorher ist er von Amts wegen nach Lemberg abgereist und wird vor
Jahr und Tag kaum an die Wiederkehr denken können.

»Aufhängen könnt' ich mich vor Kummer und Verzweiflung,« schreibt er im
drolligen Ärger dem Freund nach Lemberg. »Da sitze ich jetzt in Linz,
schwitze mich halbtot in der schändlichen Hitze, habe ein Heft neuer
Lieder, und der Freund ist nicht da! Ein Glück, daß der Jägermayer
ein gutes Bier hat und daß auf dem Pöstlingberg ein anständiger Wein
zu haben ist, das gibt neuen Lebensmut ...« Ottenwalt, der Schwager
Spauns, ist entzückt von dem Gast, der ganze Linzer-Kreis schwelgt
in Begeisterung, kein Wölkchen trübt die blauselige Heiterkeit der
Linzer Tage. Dazu noch ein lieber, offenherziger Brief von Schwind --
das hat gerade noch gefehlt, um das innere Gleichgewicht so halbwegs
wiederherzustellen.

Er hat es nicht ausgehalten, der Cherubim; das ganze Ärgernis ist ihm
nahe gegangen. Man kann doch eines kleinen Mißverständnisses wegen eine
Freundschaft nicht preisgeben, die mit dem ganzen bisherigen Leben
verknüpft ist. Oder es geht doch gleichzeitig mit ein Stück Seele
darauf. Und das ist schon der halbe Tod. Also frisch von der Leber
weg geredet -- diese verteufelten boshaften Späße, die er nicht habe
unterdrücken können, so sehr sie ihm selber wehe tun. »Da kommen die
anderen und spotten und lauern in Verbindung mit Gedanken herum ... und
wir lassen sie anfangs gewähren, dann tun wir selber mit .... nun ja,
der Mensch ist schon einmal so unüberlegt .... und so verliert sich
Unersetzliches um den Spottpreis ....«

Er kann die qualvollen Gedanken nicht los werden, er muß durch ein
offenes Bekenntnis seine Seele befreien. Er ist doch gewohnt, solange
er Franz und Schober kennt, sich in allen Dingen verstanden und geliebt
zu sehen. So möge das Böse aus der Welt geschafft sein, indem man sich
ordentlich ausredet. Franz möge ihm hierüber antworten so grob und so
aufrichtig, als er es nur vermag, aber nur nicht dieses Schweigen, das
ihm ans Herz greift. Dann habe er noch von Netty zu sagen, daß sie es
wirklich nicht so arg gemeint habe. Sie bereue schon aufs heftigste
ihre unüberlegte Stichelei, sie sei ganz unglücklich darüber, daß Franz
schlecht über sie denke, sie ist wirklich nicht so, wie sie scheint.

Es hätte nicht halb so vieler Worte bedurft, um Franz wieder zu
versöhnen, der ja nur darauf wartet, daß der andere ein gutes Wort
gibt. Er ist ja auch gar nicht bös, und was die Netty betrifft -- ach,
diese unvermeidliche Netty! -- so soll sie sich nur keinen Kummer
machen, er denkt ja gar nicht mehr daran, es sei ja ohnedies alles in
schönster Ordnung. Schwind zu verlieren, das ist ihm ganz undenkbar.
Sie gehören nun einmal zusammen für dieses Dasein, und keine Netty
der Welt sei imstande, das Freundschaftsband, das stärker ist als das
dickste Tau, zu durchschneiden. Nun wäre auch das wieder ins richtige
Geleise gebracht -- o Gott, ginge es doch so auch mit anderen Dingen,
die man ungeklärt durchs Leben schleppt und die das Herz so schwer
machen, daß man ins Gras hinuntersinken möchte und vermeint, nicht
mehr aufstehen zu können. Jetzt heißt es wieder: »Grabt mir ein Grab
im Wasen, deckt mich mit grünem Rasen, kein Kreuzlein schwarz, kein
Blümlein bunt ...« Aber um wieviel schmerzlicher klingt das Lied heute
als in den Herzenständeleien vor so und so vielen Jahren.

Die schönen Linzer Tage gehen vorüber wie im Traum, in Steyr wendet
sich bereits das Schicksalsblatt.

»Werde ich hier noch einmal so glücklich sein wie einst?«

Er weiß nicht wie, eine geheime Anhänglichkeit an Josephine lockt ihn
dabei. Sie ist ja in manchem geziert und unnatürlich, aber sie hat
ein gutes Herz, dafür ist er dankbar wie ein Kind. Er ist zum Manne
gereift, aber eigentlich ist er im Herzen ein Kind geblieben wie
damals, da er noch als Sängerknabe neben den pausbäckigen Engelsköpfen
auf der Empore saß.

Unterwegs nach Steyr ist er im Stift St. Florian zu Gast und sitzt
in dem gewaltigen Gotteshaus an der Orgel, die ein Wunder an Größe
und Klangfülle ist. Himmlische Musik entströmt seinen Händen.
Selige Erinnerungen quellen auf aus der Sängerknabenzeit, eine
echt Schubertsche Liedweise fließt ein, dann drohende Tremoli und
der eigensinnige Aufschrei aus einer geängstigten Seele, der das
Menschenherz erschüttern muß.

»Wo er es nur hernimmt, der kleine, unscheinbare Meister?« denken
auch die geistlichen Herren im Stift, dasselbe, was alle schon
gedacht haben. »Der liebe Gott hat's ihn gelehrt!« es gibt kein
schöneres Wort. Aber auch kein tieferes. Für die Welt ist er ein
Gebender -- in der Stunde der Schöpfung ist er ein Empfangender, ein
von Gott Empfangender. Ein Kind ist er geblieben mit seinem naiven
Wunderglauben, aber auch mit seinen Fieberträumen, ein Kind in der Hand
Gottes. Gerade dieses Kindsein befähigt ihn zum Aussprechen dieses
Tiefsten, er stammelt es wie ein Gebet. Es ist nicht mit dem Verstand
gemacht, es ist mit dem Herzen gemacht, und darum ist soviel Herzblut
darin und soviel aufseufzende kindliche Glückseligkeit, und zugleich
sind so viele Tränen darin, die nach innen geweinten ....

Vogl sagt immer, daß er nicht mit Bewußtsein schaffe, und daß ihm
das Geschaffene oft selbst nicht verständlich sei. Aber die in Linz,
Ottenwalt und der ganze Kreis um ihn, waren bezaubert von der Tiefe
und Klarheit seines Erkennens. Franz saß unter ihnen wie Jesus im
Tempel. So heiter und jugendlich sorglos war es nicht mehr wie vor
Jahren beim Katzengeschrei, aber es war doch auch ein inniges Fest
der Seelen. Ottenwalt wußte so schön zuzuhören und mußte immer mehr
erstaunen über diesen Geist, dem das Tiefste einfach war wie jede echte
Wahrheit. Er verstand Franz besser: »Wie kann man sagen, daß ihm die
eigene Kunst kaum offenbar und verständlich sei? Der Schlichtheit und
Kindlichkeit seines Gemüts ist mehr offenbar, als wir uns alle in
unserer Schulweisheit träumen lassen. Die Kindlichkeit ist ein Beweis
seines Genies ....«

Der Ottenwalt verstand es eigentlich besser als Vogl. In Linz hatten
sie begriffen, was Franz war. Sie erlebten ihn wie ein Stück Natur,
wie einen Baum, einen Berg, den Wind. So erlebte ihn auch Schwind,
der ähnlich war, so erlebten ihn Spaun, Schober und Bauernfeld. Darum
liebten sie ihn alle so sehr.

Franz an der Orgel in St. Florian phantasierte und dachte an die Linzer
Freunde und dachte voraus an das kleine Glück in Steyr, und die Orgel
jubelte und sang dazu. Ein vergangenes Glück noch einmal erleben zu
dürfen, welche Gnade! Seine Seele war geöffnet dem Unendlichen, sie
empfing von Gott und wußte um neue Schätze, die sie zu geben hatte. Sie
war zur Fruchtbarkeit gestimmt und kannte nichts Seligeres, als mit all
ihrem Reichtum zu verströmen.

Die Sehnsucht trieb ihn weiter, altem Glück entgegen. Er dachte
innig an Josephine, das Weibliche zog ihn an, denn es war auch das
Mütterliche. Er war wieder ganz Kind und seine Seele suchte Zuflucht
bei der Freundin.

Vor zwei Jahren, als er sich in Not und Krankheit im Hause Vogls
verbarg, da war sie freilich etwas sonderbar gewesen, die gute Freundin.

»Sie müssen wissen, daß ich ein Tagebuch führe,« hatte sie ihm gesagt,
»man erlebt soviel, auch Sie kommen darin vor ...«

»Schneegans!« hatte er damals gedacht und war ärgerlich über dieses
Blaustrumpfgetue. Diese Sentimentalität war ihm zuwider, er machte sich
lustig über sie und hatte sie ziemlich schlecht behandelt.

»Es ist nicht mehr dasselbe wie früher,« sagte sie beim Abschied,
»etwas ist am Tod da drinnen.« Und dann zog sie das Tagebuch hervor und
fügte hinzu: »Meine Liebe ist in diesem Buche begraben.«

»Wird nicht schad' drum gewesen sein ...« dachte er und drehte sich um.

Aber alle diese herzlosen Narreteien waren vergessen, er war von
Zärtlichkeit erfüllt, je näher er der Stadt kam.

»Könnte ich wieder so glücklich sein wie damals ... Es wird nicht so
ernst gewesen sein mit dem Absterbens-Amen der Liebe, sie kann eben
nicht leben ohne Marotte, aber im Grunde ist sie doch eine treue Seele
....« Und er nahm sich vor, recht gut zu sein, er war jetzt dankbar für
das bißchen Herz.

Man soll dasselbe nicht zweimal erleben, er hat die Enttäuschung schon
in Zelez erfahren und muß nun neuerdings daran glauben.

Wo war die Josephine geblieben mit ihrer Verliebtheit, ihrer Sucht
nach den kleinen Abenteuern des Herzens, mit dem Kult, den sie um das
Meisterlein trieb?

Sie hatte den Krämer gegenüber geheiratet, sie war steif und dumm
geworden, keine Spur von der früheren Originalität, es war wirklich
etwas tot in ihrem Herzen ..

»Mein Mann ist Kaufmann, Kaffee en gros ...« Sie legte Wert auf den
Zusatz »Kaffee en gros«. Und wiederholte bei jeder Gelegenheit:
»Kaufmann, aber ich bitte, Kaffee en gros ....«

Franz lächelte über diese provinzlerische Großmannssucht: »Kaffee en
gros ...« Es war doch wirklich zu dumm. »Kaffee en gros --« Schade um
sie, oder wenigstens um die hübsche Erinnerung. Aber dieses »Kaffee en
gros« zog alles ins Lächerliche.

Und Vogl? Ei, der war auch nicht mehr derselbe. Auch er ging auf
Freiersfüßen, der Weltweise, den Alter nicht vor Torheit schützte, und
gedachte seine achtzehnjährige Schülerin zu heiraten. So suchte jeder
ein Stück realen Glückes zu verwirklichen, und er, der Begnadete, mußte
still und arm vorübergehen.

E -- fis -- g -- h -- ais -- --

Dieser eigensinnige Aufschrei der gequälten Seele.

Das Glück hängt nicht am Ort, wo wir es zu finden wähnen, dachte er,
wir können es nicht suchen außerhalb uns; in der eigenen Seele muß es
zu finden sein, es existiert nirgends sonst auf Erden.

Und er war fest entschlossen, es aus eigener Kraft zu schöpfen.

Noch einmal zog Vogl aus mit ihm zu Kampf und Sieg. Sich selbst zur
Verherrlichung, Franz war nur der Schleppträger seines Ruhms. In
Gmunden lebten sie, Franz wohnte beim Kaufmann Traweger, der ein
schönes Klavier besaß und ein stiller Verehrer seiner Kunst war. Was in
einer seligen Stunde auf der Orgel zu St. Florian erklungen, als er in
weltentrückten Träumereien auf der Empore gesessen war, das brach mit
neuer, wunderbarer Kraft hervor, indessen der musikfreundliche Herr
Traweger aufhorchend auf dem Kanapee saß, andächtig wie in der Kirche,
und nicht genug staunen konnte über den wundersamen Gast. Und auch er
mochte denken:

»Wo er es denn her hat?«

Der am Klavier stammelte, jauchzte und weinte wie ein Kind. Gott hat
es so gewollt. Er hat's ihn gelehrt. Nicht er sang, es sang in ihm,
alle Menschenlust und Erdenpein, das Herzblut strömte darin. Stückweise
entquoll die sinfonische Dichtung der kindlichen Seele und der
meisterlichen Hand.

So war es in Salzburg, und in den Pausen, wo die Unlust und
Erdenschwere über ihn kam, schrieb er Reisebeschreibungen für seinen
Bruder, ein äußerliches Bild der gesehenen Dinge, uff! daß ihm die
Schwarten krachten.

Und dann, Gastein, wo er Gast des Bischofs Pyrker war, seines Gönners,
der ihm für die Wandererphantasie einmal eine schöne Handvoll Dukaten
zufließen hat lassen. Das war ein bischöflicher Segen, der dem Leib und
der Seele wohlgetan hat.

Hier sprang der heiße Quell aus dem Erdinnern, dicht neben dem Eishauch
der Gletscher.

Und der Quell, der so heiß im Innern glüht, und der kalte Hauch, der
von draußen her weht, die feindlichen Gegensätze des Lebens, sie waren
mit drinnen in dem, was er sang und dichtete. Und die Berge waren
drinnen, die steingrauen Städte, und was er dort erlebte, das verwehte
Glück, die Liebe, der Schmerz.

Gasteiner Sinfonie, so nannte er die Bruchstücke, sie sollten eine
Stufe sein zu dem Lebensbau.

Das große Konzert, vielleicht auch die Oper, die ihm Bauernfeld
versprochen, das wohlbestallte Amt eines Vize-Kapellmeisters, das
wären Dinge! Das Kind erwachte in der Seele und baute ein luftiges
Kartenhaus. In Träumen wohnt alles so schön beisammen. Aber es sind
doch alles Dinge, die möglich sind, nicht nur möglich, sondern höchst
wahrscheinlich. Er ist jetzt entschlossen, das Glück mit fester Hand
zu ergreifen. Er braucht es nur bei sich zu suchen, in seinem eigenen
Willen, dann ist das Kartenhaus nicht mehr Kartenhaus, ein festgebautes
Schloß, mit einem schönen kupfernen Dachhelm, mit einer Wetterfahne
darauf, die knarrt und knarrt, der Wind spielt mit ihr auf dem Dach so
laut, daß man es im Schlafen hört, aber der Wind, der Schicksalswind,
spielt nicht mehr drin mit dem Herzen, das ist ruhig und in sicherer
Hand, in seiner Liebsten Hand, die hält das Glück, die hält sein Herz,
er braucht nur zu kommen und sagen: Hier bin ich, das hab' ich, und
jetzt nimm mich, nimm mich, wie ich bin, ein ganzes Kind, und du, meine
Geliebte, du bist mein Gefährte, mein Stab, meine Zuflucht, mein Trost,
mein alles, du, die eine, so bin ich gesegnet mit Weh und Glück, du
treues Frauenbild, du geliebte Melusine, zu der mein Genius aufblickt,
ich lebe durch dich -- für dich -- sei mein!




                                  IX.


Diddel dum, diddel dum, diddel dum -- diddel dei, diddel dei, diddel
dei -- diddel dum, diddel dei! Die Klarinette girrt und gellt vor
Lachen, von der brummbärigen Baßgeige in die Höhe geschwenkt beim Tanz,
ehrbarlich zappelt das Klavizimbel mit, getreulich geführt von dem
behaglichen wohlgesetzten Cello -- diddel dei, diddel dei, hei, hei,
hei, hei -- diddel dum, diddel bum, dum, dum, bum, bum!

Franz schabt das Cello, dunkeltönig jubeln die Saiten, als wären sie
vom lieben Gott selber gestrichen, Franz spürte es inwendig, bis in
die Gedärme hinein. Er spielt mit einigen Freunden zur Hochzeit auf,
Johanna Lutz und Kupel, der endlich aus klassischem Land Heimgekehrte,
sind nun ein Paar. Diddel dei, diddel dum!

Das Blondhaar glänzt wie Goldgeschmeide auf dem sinnenden Haupt der
zarten Lutz. Sie sieht heute gar elfenhaft aus neben dem großen,
gebräunten Kupel, der wie ein junger, iliadischer Krieger anzuschauen
ist. Er hat den Arm leicht um die Lutz gelegt: »Vivat Kupel, du hast
den Preis gewonnen!« So denkt Franz, der vom Podium herab die Tafel
überschaut: Ein schönes Paar die zwei -- diddel dum, diddel dum!

Neben Johanna sitzt Schwind, der ist heute so seltsam, er dreht
Brotkügelchen, spielt mit den Fingern, preßt dann fest die Hände
ineinander, schaut öfters stier in die Luft -- was hat er denn? Er hat
was, Franz bemerkt es von oben, wie fleißig er auch fiedelt. Netty
Hönig sitzt neben ihm unten, die sind beide so einsilbig, Schwind und
die Netty. Da geht was vor. Diddel dum!

Weiter an der Tafel sitzt groß und stattlich wie eine Märchenfee die
rätselhaft schöne Melusine. Ein magisches Band ist gewoben von ihm zu
ihr, und seine Blicke schweifen immer herunter auf sie. »Ja, ja, weil
unsere Lieb' ist immer grün, weil grün der Hoffnung Fernen blühn --«
diddel dum, diddel dum! Ob sie noch das grüne Lautenband besitzt? Warum
sie es nicht in den Locken trägt -- wie damals? Sie hat ja 's Grün
so gern?! Diddel dum! Sie hat es wohl tief versenkt in die Nähe des
Herzens .... Diddel dum! »Dann weiß ich, wo die Hoffnung wohnt, dann
weiß ich, wo die Liebe thront ...« Diddel dei, diddel dei, diddel dum,
dum, bum!

Ist der Schober aber redselig, spielt wieder den verfluchten Kerl --
alle Weibsen um ihn herum verzückt wie vor einem Halbgott -- und dieses
verliebte Geschau -- hält er sie alle zum besten oder ist es ihm ernst
damit? Halb Don Juan, halb Don Quichote -- daß er nur wieder da ist!
Diddel dum! Musik und Gedanken geraten dem Franz wie italienischer
Salat durcheinander, während er das Cello schabt.

Diddel dum! Der Hönig, dieses ausgewässerte Gesicht, gar nicht genugtun
kann er sich mit übertriebener Aufmerksamkeit für Melusine. Will sie
nach einer Pomeranze greifen, schwupp hat er schon den Fruchtaufsatz
in der Hand, die Serviette fällt ihr herunter, wie ein Käsperl ist er
in der Versenkung verschwunden. Sie greift nach der Fingerschale, die
ohnehin ganz bei ihr steht, aber nein, der zudringliche Kerl greift
ihr wieder zuvor, er muß die Schale halten, indessen sie ihre rosigen
Fingerspitzen eintaucht -- und dieser ekelhaft lüsterne Blick von ihm,
hat er nicht etwas Affenartiges? Ja, das ist's, ein kompletter Affe!
Merkt er denn noch immer nicht, daß sie, die Wald- und Quellenfee, ihm
kaum einmal dankend zunickt, Luft ist er für sie, vollständig Luft, o
die Holdselige!

Jetzt schaut sie wieder herüber, Franz senkt sich tiefer auf das Cello,
es schluchzt und jubelt. Diddel dum, diddel dum, diddel dum!

In dem Geschrei, Gelächter und Gefiedel schwingt sich eine Stimme
empor, die Ruhe gebietet. Das ist einer von den Freunden Hönigs. Franz
denkt nicht gut von diesen Freunden. »Was soll mir diese Reihe von ganz
gewöhnlichen Studenten und Beamten? Was gehen die mich an? Ist es nicht
der Mohn? Oder ist es der Bruchmann? -- Nein, der Mohn ist es!« Er
bittet um Ruhe.

Alles schweigt, Musik, Gelächter und Geträtsche, mäuschenstill ist
alles. »Was sagt der Mohn? Hör' ich recht? Lauter, lauter, oder ich
schmeiß' dir meinen Fiedelbogen in das verlogene Maul ...«

Die Stimme Mohns ist klar und vernehmlich: »... das alles möchte ich
euch zu wissen geben, ihr lieben Freunde, daß neben dem geliebten und
verehrten Hochzeitspaar soeben eine Verlobung stattgefunden hat:
Fräulein Therese Puffer und der liebe Freund Hönig, sie leben hoch!
Dreimal hoch! Musik! Einen Tusch! Ha, faules Musikantenvolk!« Der
Dirigent am Cello rührt sich nicht.

»Dreimal hoch!« Der ganze Chor brüllt es, die Gläser fahren zusammen,
die Klarinette, die Baßgeige, das Klavizimbel, sie fallen mit ein,
unordentlich, kopflos, es klingt ein klein wenig wie Katzenmusik. Das
Cello rührt sich nicht. Schier die Darmsaiten sind ihm abgerissen,
heftig und schmerzlich, als ob sie Franz im Leib hätte.

Knarr, knarr! Die Wetterfahne hat sich umgedreht. Knarr, knarr! Als
ob der rostige Stab mitten durch die Brust ginge, das Herz ward dabei
schier entzweigedrückt. »So hätt' er nimmer suchen wollen, im Haus ein
treues Frauenbild! Der Wind spielt drinnen mit dem Herzen wie auf dem
Dach, nur nicht so laut, was fragen sie nach meinen Schmerzen? -- Sie
ist ja eine reiche Braut!«

Das längst gesungene Lied wacht auf mit allen Schmerzen, jetzt ist es
Begebenheit geworden.

Er nimmt sein Cello zwischen die Knie und streicht ganz zärtlich und
sacht über die Saiten. Es weint und schluchzt jetzt für ihn, indessen
er den anderen zum Tanz aufspielt, die unten mit heißem Atem Brust an
Brust herumschwenken. Was im Innern vorgeht, man merkt es ihm nicht
an, was kümmert's auch die andern! Er hat sein phlegmatisches Gesicht
aufgesetzt. Nur daß der Kopf einige Zoll tiefer und schwerer über dem
schluchzenden Cello hängt. Diddel dum!

Melusine, die Nixenkühle, tanzt in des andern Arm. Nicht des Besten
Braut ist sie geworden, sondern des Reichsten! Der hat sie ihm vor der
Nase weggeschnappt. So geht's im Leben. Diddel dum!

Einer hat sich zu ihm geflüchtet, der Frack ist ihm hinten zerrissen,
wie ein Häufchen Elend hockt er am Podium dicht bei Franz.

»Was ist mit dir, Schwind? Geh', schau', du bist ja ganz zerrissen!«

Der hebt ein zuckendes Gesicht zu ihm empor.

»Zerrissen? Ja, das bin ich. Zerrissen -- inwendig -- ganz in Fetzen
zerrissen!«

»So, so!« Franz sagt nicht mehr. Er weiß schon, was los ist. Die
Aufregung Schwinds vorhin, der hat einen schwerwiegenden Entschluß
gefaßt -- mein Gott, wo alles liebt .... »und jetzt bist du ....«

Der Zerknirschte nickt traurig und ergänzt den Gedanken: »--
abgeblitzt!«

Fiedelbum!

»Hab' ich's nicht immer gesagt -- diese Hönigs!« raunt es vom Cello
herab.

Der unten am Podium hockt, möchte vergehen vor Weh und Ach. Traurige
Hochzeitsgäste, diese zwei, der Musikant und sein Leidensbruder.

»Du tust, als ob dir nichts geschehen wäre ...« gibt der unten zurück.

»Sei still, sonst ....« klingt's hinter dem Cello hervor.

Fiedelbum!

Nachts am Heimweg gehen die zwei stumm nebeneinander her.

»Mich leidet es nimmer daheim,« fängt endlich der Cherubim an. »Ich
muß fort, hier kommt man auf keinen grünen Zweig ... Ich gehe mit
meiner Kunst ...«

»Und das Herz? Kannst du das auch mitnehmen? Das ist verwachsen mit
dieser Luft, aber auch die Kunst ist verwachsen mit diesem Herzen, mit
dieser Luft, mit diesem Boden, mit dieser Stadt, dieser verruchten,
miserablen, in Grund und Boden verwünschten, treulosen, undankbaren,
launenhaften und leider viel zu sehr geliebten ... Eine Buhlin ist sie,
die sich wegwirft an den, der das meiste Geld hat .... man hat zu viel
Herz, daran geht unsereiner zugrunde ...«

»Herz?!« Der Cherubim tut, als ob das Herz für ihn keinen Sinn hätte.
»Herz? Man hat es in den Staub getreten, zertrampelt, ich fühle nichts
mehr da drin als wie eine namenlose Abscheu ....«

Der andere seufzt: »Sie ist eine reiche Braut ...«

»Reden wir nicht mehr darüber, Servus!«

»Servus!«

E -- fis -- g -- h -- ais -- --

Der Verzweiflungsakkord kommt nicht mehr zur Ruhe.

Das Leben geht fort, es macht sich von selbst. Franz wundert sich jeden
Morgen, daß immer wieder ein neuer Tag anbricht, trotzdem er oft meint,
es müßte aus sein. Mit seiner Bewerbung um die Kapellmeisterstellen ist
er durchgesaust. Ihm ist es einerlei. Ganz Wurst! Er erzählt es mit
einer Art Galgenhumor den Freunden.

»Ist doch allen hier so gegangen, die etwas Großes und Ernstes gewollt
haben, warum soll's denn mir anders gehen?! Sie haben den Mozart nicht
wollen, wie man sieht, wollen sie auch den Grillparzer nicht und setzen
ihm einen Dämpfer nach dem anderen auf, daß er sich ganz menschenscheu
verkriecht, und Beethoven -- für den soll im Ausland gesammelt werden,
wie man hört; im Vergleich mit diesen Großen bin ich ja herrlich daran
-- ich dürfte mich ja eigentlich gar nicht beklagen, wenn ich auf die
anderen hinsehe ....«

»Freunde, auswandern! Ich gehe nach München, dort lebt die Kunst!«

Bauernfeld haut fürchterlich auf. Er schimpft über diese Zustände wie
ein Rohrspatz. Aber auswandern? »Nein, Freunde --« Er ist durchaus
dagegen.

»Wohin soll denn der Österreicher auswandern? Gibt es doch keinen
Fleck auf der Erde mehr, der so schön ist als gerade seine Heimat.
Hier wurzelt seine Gefühls- und Denkweise, er muß so singen, reden,
schreiben, malen können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Die Stimme
des Genius loci will erklingen -- sie redet nirgends so laut als hier.
Die Welt hat ihr Herz entdeckt -- und dieses Herz der Welt ist Wien und
Österreich. Was dieses Herz ist, haben wir der Menschheit zu verkünden,
Schubert, Schwind, Grillparzer und wir alle zusammen. Wo können wir es
besser als hier, wo unsere inneren Quellen springen, wo unsere Kraft
wurzelt? Und von hier sollen wir fortgehen? Das wäre eine Viecherei;
unser Bestes schöpfen wir hier, vergiß das nicht, lieber Bruder
Schwind! Hier sind wir glücklich, obschon wir leiden; und wir leiden,
obschon wir glücklich sind ...«

Franz horcht aufmerksam zu, er nickt stumm mit dem Kopf, es ist etwas
Wahres daran an dem, was der beredsame Bauernfeld sagt.

Schober ist auch seiner Meinung, obschon aus einem Grund, der weniger
tief liegt. »Man findet es nirgends besser auf der Welt, meistens weit
schlechter,« läßt er sich vernehmen; »diesen Tabak, diesen Kaffee,
diesen Wein und diese Weiber -- so herrlich wachsen sie nicht einmal in
Sachsen!«

»Schäker!«

Aber der Schwind wird ernstlich bös über den liebenswürdig eitlen,
tändelnden Schober.

»Du hast dir noch nicht ein Stückel Brot selber verdient, also weißt du
einen Schmarrn vom Leben! Ein Kerl, der den ganzen Tag nichts tut als
vor dem Spiegel stehen und Weiberkitteln nachrennen, der hat hier nicht
mitzureden. Um schaffen zu können, muß der Mensch leben, er muß essen,
das Nötige verdienen -- hier kann der Mensch, wenn er sonst nichts hat
als sein Talent, verhungern. Und darum bleibt nichts anderes übrig als
zu gehen.«

Mayrhofer, der Lodernde, am inneren Feuer Verglühende, hat Anfälle von
Reue; in solchen lichten Augenblicken kommt er aus seiner freiwilligen
Verbannung und Einsamkeit hervor, sitzt in dem geselligen Kreis der
Jungen, um dann wieder um so menschenscheuer und grollender in seine
mönchische Weltflucht zurückzukehren.

Was da geredet wurde, ist Wasser auf seine Mühle. Er hat das Zeug
zum Freiheitsapostel und Demokraten und hält jetzt eine wilde Rede
gegen Bevormundung, Unterdrückung und Polizeigewalt. »Denkfreiheit,
Redefreiheit, Aktionsfreiheit,« das sind seine Schlagworte.

Das wäre alles sehr schön, meint Bauernfeld, wenn es nicht bloß die
Faust in der Tasche wäre. Wie es denn käme, daß Mayrhofer trotzdem als
Zensurbeamter weiter helfe, den Geist der Freiheit zu knebeln anstatt
zu befreien -- eine Einwendung, die den zwiespältigen Mayrhofer wieder
gehörig verschnupft.

»Daß die lieben Zeitgenossen doch immer nur dazu da sind, sich dem
Bedeutenden hemmend in den Weg zu stellen!« eifert Bauernfeld. »Drum,
Freund, müssen wir dableiben und gegen diese erbärmliche Welt so
lange protestieren, bis sie sich zu schämen anfängt, daß sie es so
ausgezeichneten Kerlen, wie wir sind, so sauer hat werden lassen.«

Die Stimmung wird immer lauter und gemütlicher; die Seelenverfassung
der Freunde ist dem Gedeihen des Galgenhumors recht günstig. Äußerlich
geht es oft bei unbändiger Lustigkeit her; aber das ist äußerlich. Wie
es bei Franz innerlich aussieht, das weiß keiner so recht; allerdings,
die Lieder sind Verräter. Seine »Winterreise« erscheint, die Freunde
schütteln den Kopf, zunächst mehr befremdet als ergriffen.

»Hie und da ist an den Bäumen manches bunte Blatt zu sehn, und ich
bleibe vor den Bäumen oftmals in Gedanken stehn; schaue nach dem einen
Blatte, hänge meine Hoffnung dran; spielt der Wind mit meinem Blatte,
zittr' ich, was ich zittern kann. Ach, und fällt das Blatt zu Boden,
fällt mit ihm die Hoffnung ab. Fall' ich selber mit zu Boden, wein' --
wein' auf meiner Hoffnung Grab, wein' -- wein' auf meiner Hoffnung Grab
...«

Mit heimlichem Grauen starrten die Freunde in dieses Tal der Tränen.
Düstere Nachtgemälde rollten sich in den Liedern auf, der Schmerz
wühlte darin, und das Licht der Hoffnung schien erloschen.

»Gar so melancholisch ...«, meinte der eine wie der andere. »Mehr
Heiterkeit, mehr Lebensfreude -- Kopf in die Höhe, Franz!«

Sie haben leicht reden, diese anderen; aber die Melancholie kommt eben
daher, daß die Seele den grausamen Nüchternheiten des Lebens allzusehr
unbewehrt und verwundbar gegenübersteht; sie leidet, aber dieses Leiden
ist zugleich der Zoll, den sie bezahlen muß dafür, daß ihr gegeben ist,
soviel auszusagen. So wendet sich alles Leid wieder zum Segen, es wird
ein neuer Schatz für die Menschheit -- das Herz, das die Welt hier
entdeckt hat in der Wiener Heimat, in diesen Liedern zuckt und blutet
es.

»Wißt ihr denn auch, wie die Ausgabe der Liederserie ›Winterreise‹
zustande gekommen ist? Fragt den Freund Lachner!«

Lachner ist aus München nach Wien gekommen, ein junger Musiker, der
als Feldherrnstab den Dirigentenstock im Tornister trägt. Einstweilen
muß der Feldherr des Orchesters buchstäblich das Kalbfell schlagen, er
ist aushilfsweise Paukenschläger in der Oper, und das ist auch keine
Kleinigkeit. Aber seine Sehnsucht ist zurück auf die Münchener Heimat
gerichtet, er wartet nur auf den günstigen Wind, um mit vollen Segeln
zurückzusteuern geradewegs zum Dirigentenpult als Ziel. Daß er Schwind
mitnimmt, das scheint schon ziemlich abgemacht. Auch Schubert hat er
sich dick angefreundet, sie stecken immer beisammen.

Franz ist wie gewöhnlich in Geldnot und will rasch etwas verklopfen.
Eine Liederserie liegt bereit, Lachner soll sie zum Verleger Haßlinger
tragen und trachten, soviel als möglich herauszuschinden. Von
Geschäftssachen versteht er auch soviel wie der Esel vom Zitherspiel,
allerdings hat er den guten Willen. Er soll keineswegs ohne Geld
kommen, verkitscht muß werden um jeden Preis -- also gut.

Mit den Noten unterm Arm macht sich Lachner auf den Weg. Was er da
trägt, ist ein Vermögen -- in Geld umgesetzt, es kann ein hübsches
Sümmchen geben. Siegesbewußt ist er ausgegangen -- gedeftet kommt er
heim; der Erlös, den er Schubert auf den Tisch legt, beträgt bare --
sechs Gulden.

»Ist das alles?« fragt Schubert. »Für alle Lieder?!«

Kleinlaut erwiderte Lachner: »Schmählich, nicht wahr? Das hab' ich
schlecht gemacht -- ich hätte die Noten nicht dort lassen sollen --
weißt du was, ich trag's Geld wieder zurück!«

Kaltblütig steckt Franz das Geld ein. »Zurückgeben?! Was fang' ich denn
an? Der Verleger ist zwar schäbig -- aber was dich betrifft, du hast es
ausgezeichnet gemacht!«

Sechs Gulden -- das ist in Anbetracht des hingegebenen Wertes ein
Bettelpfennig. Damit macht man keine weiten Sprünge. Und was dann?
Morgen, übermorgen, nächste Woche? Man läßt den lieben Gott sorgen
dafür. Der schafft Rat. Summt dem Franz schon wieder ein Lied im Kopf
-- wirklich, der liebe Gott schafft Rat, alle Tag' und alle Stund'.

»Drüben hinterm Dorfe steht ein Leiermann, und mit starren Fingern
dreht er, was er kann. Barfuß auf dem Eise wankt er hin und her, und
sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer. Und er läßt es gehen,
alles wie es will, dreht, und seine Leier steht ihm nimmer still.
Wunderlicher Alter, soll ich mit dir gehen? Willst zu meinen Liedern
deine Leier drehen?«

Die »Winterreise« setzt sich fort, dafür ist gesorgt. Er und der
Leiermann -- die sind schier eins.

»Ist's euch zu melancholisch, Freunde?!« Wollen sie es nicht begreifen,
daß seine Schöpfungen nicht nur aus seinem musikalischen Gefühl
entspringen, sondern daß sie auch aus seinen Schmerzen entstanden sind
und darin am tiefsten greifen? Sie möchten ihn lustig sehen.

»Nun denn, bin ich nicht auch lustig unter euch?«

Ja, das ist er, fröhlich unter den Fröhlichen. Bauernfeld sagt's ja
immer: »Franz, der hat die rechte Mischung von Idealem und Realem --
die Erde ist ihm schön ....«

Das Rechte aber weiß eigentlich keiner.

Für die Aufheiterung ist in der Tat auch reichlich gesorgt. Es scheint,
daß ein stillschweigender Pakt unter den Freunden besteht. Im Gasthaus
zum »grünen Anker« sind sie fast täglich abends zu fröhlicher Runde
vereinigt. Spaun ist nach Wien übersiedelt und führt ein großes Haus.
Glänzende Schubertiaden finden hier statt, aber nachher geht's immer
noch zum »grünen Anker«; die Stimme des Herzens klingt immer erst
voll aus, wenn man so gemütlich und zwanglos beieinander sitzt. Man
kann sich schwer trennen in solchen befeuerten Stunden, wo der Wein
die Zungen löst, und so sitzt man hübsch lange beieinander, das ist
begreiflich. Vor Mitternacht denkt keiner ans Heimgehen, meistens wird
es geraume Zeit nach Mitternacht.

»Wirtshaus, wir schämen uns -- hat uns ergötzt; Faulheit, wir grämen
uns -- hat uns geletzt!« so jubiliert Bauernfeld.

Zugleich aber schwärmt man fleißig aus ins Grüne, wenn es die
Jahreszeit und der Geldbeutel erlauben; Fahrten nach Atzenbrugg
werden unternommen, in größerer Gesellschaft oder zuweilen
auch im engsten Vereine, Franz, Schwind und Bauernfeld, die in
innigster Schicksalsverwandtschaft zueinander stehen und darum ein
unzertrennliches Kleeblatt bilden. Der bischöfliche Schloßherr auf
Ochsenburg würde das Kleeblatt allzu liederlich finden, man begnügt
sich mit der Unterkunft bei der Aumüllerin in Atzenbrugg und nimmt
aus Sparsamkeit nur ein Zimmer, sie müssen zu dritt in einem breiten
Ehebett schlafen.

Diese äußerlich dürftigen Umstände kitzeln wieder die humoristische
Ader, und die Lustigkeit wächst; die Atzenbrugger Tage sind immer eine
Festzeit. Man lacht und ist guter Dinge, aber die Seele weint; es
ist zwar keine Wetterfahne auf dem Dach, aber man spürt das Knarren
inwendig, und die alten Wunden bluten. »Was fragen sie nach meinen
Schmerzen?«

Dem Schwind ergeht es ähnlich. Doch einer verbirgt den Schmerz vor dem
anderen, jeder tut auf seine Weise rauh und unverwundbar. Sind beide
im Herzen große Kinder.

Den einen wie den anderen überkommt gelegentlich das Verlangen, aus
der inneren Einsamkeit vollends hervorzugehen, die Seelenkammern weit
aufzuschließen und sie dem Auge der Freundschaft und der Liebe zu
zeigen. Jeder macht immer wieder einmal einen Anlauf dazu und redet so
um die Dinge herum.

Franz, zuweilen philosophisch aufgelegt, macht einen Vorstoß. »Keiner,
der den Schmerz des andern, und keiner, der die Freude des andern
versteht! Man glaubt zueinander zu gehen, und man geht immer nur
nebeneinander. O Qual für den, der dies erkennt!«

Schwind versteht, was er sagen will, er leidet unter derselben Qual.
Sie machen beide die Erfahrung, daß die Einsamkeit der innere Schutz
der Seele, zugleich aber auch der Kerker dieser Seele ist. Sie rütteln
beide an den verschlossenen Türen und reiben sich wund an den ehernen
Mauern. Ihr Tiefstes und Bestes möchten sie voreinander aussagen und
können es nicht.

»Wir alle gleichen Gefangenen in unterirdischen Burgverließen,«
erklärt sich Schwind, »jeder ist verurteilt, mit einem bestimmten Teil
seines Wesens allein zu sein in der Kammer seiner Einsamkeit, und wir
können uns höchstens durch ein sinnreiches Klopfsystem untereinander
verständigen. Die Poesie und Kunst sind in den Verließen der Einsamkeit
geboren, sie sind das Klopfsystem, die Gleichnisse, durch die wir
einander erraten können ...«

Wie groß auch die Hingabe der Freundschaft ist, wie rein auch das
Herz ist von Trug, wie unverbrüchlich auch die Treue ist und die
Aufrichtigkeit, sie kommen oft über das Nächste und Einfachste
nicht hinaus. In dieser Not suchen sie die Sterne, suchen sie Gott,
der sie ihre Kunst gelehrt, suchen sie das Schweigen, denn in dem
Schweigen erraten sich die getrennten und doch so verwandten Seelen
am leichtesten. Es ist der tiefste Punkt des Verstehens -- eine
Gemeinsamkeit von Einsamkeit.

In dieser Kunst des beredten Schweigens sind beide Meister. Sie können
stundenlang im Grünen sitzen beim Wein und den schweigenden Gedanken
zuhören, die durchs Gemüt sinken. Höchstens daß der eine oder andere
einmal seufzend unterbricht: »Ja, ja!« oder daß es dem einen oder
anderen zu dumm wird und daß er ungeduldig auffährt: »So, jetzt aber
schweigen wir von was anderem!«

Nicht weniger eifrig als früher lenkt Franz seine Wanderschritte hinaus
nach Heiligenstadt oder Grinzing, wo der liebe Gott mit dem Finger
winkt, das heimliche große Licht ist draußen verborgen, Ludwig van
Beethoven, um so lieber wandelt man die Wege nach diesem klassischen
Wiener Boden.

Sitzt Schwind am Zeichentisch und mag sich nicht trennen von seinen
Gesichten, die er mit dem Stift verewigt, dann weiß Franz eine
Zauberformel: »Horch, horch, die Lerch' im Ätherblau ...« Dieser
Lockung kann Schwind nicht widerstehen. Ein paar Stunden Ätherblau
im Grünen ist reicher an künstlerischer Eingebung als viele Tage am
Zeichentisch. Also auf und hinaus! Aber sie bleiben nicht allein, der
Schober ist mit von der Partie, der Bauernfeld, zuweilen der Spaun oder
an seiner Stelle der Lachner. Bald sind sie ihrer fünf und freuen sich
im Grünen.

Ein gottseliges Leben ist in den Heiligenstädter, Grinzinger oder
Sieveringer Hausgärten, wo der Heurige ausgeschenkt wird. Unter ein
paar Bäumen sind rohgezimmerte Bänke und Tische in die Erde gerammt,
hier sieht die Welt friedvoll und heiter aus. Der Salamucci geht um mit
ungarischer Salami, mit echter Veroneser und Mortadella, mit Emmentaler
Käs' und Butter, und wer nicht sein Geselchtes im Papierl mitgebracht
hat -- es gibt auch Schlemmer, die nicht ohne Brathendel in der
Rocktasche auf den Plan treten --, der kann sich für billiges Geld vom
Salamucci Wurst und Käse aufschneiden lassen. Es langt fürs leibliche
Wohlsein und paßt gut zum Wein. Unaufhörlich kräht der Brotschani
mit hellem Sopran: »Schani Brot! Schani Brot!« Es geht zu wie im
Himmelreich, alle Mühsal und Pein ist von der Seele genommen.

Franz hebt das Glas, der rauschselige, trostbringende, grüngoldene Wein
ist der Hüter seiner Muse, die Vergangenheit wird lebendig, der Traum
von Glück verklärt das Herz.

Man ist Gottes voll. Und was tut man, wenn man Gottes voll ist? Man
hebt zu singen an, als säße man auf einer lichten Wolkenbank, so ein
rechter Himmelsmusikant, und schaut gemütlich auf diese bucklige Welt
herab. So gesehen, schaut sie recht schön aus, man könnte schier seine
Freude daran haben. Da ist die Stadt, hier der liebe Wienerwald und
dann über Berg und Tal noch manches andere, wohlbekannte Städtlein,
und wachsen viele schöne Mädchennamen da und dort. Man hat sie alle
gekannt, sie sind dem Herzen nahe, eine wie die andere, und jetzt,
wo man tief ins Weinglas hineinschaut, sieht man manch holdes Bild
aufsteigen.

So sitzen die fünf im Grünen, sie sind augenblicklich ein gar
fröhliches Quintett und singen aus Leibeskräften, als säßen sie neben
geflügelten Engelsköpfen hoch oben auf einem Kirchenchor. Und ist es
auch nichts Heiliges, was sie singen, so ist es darum just auch nichts
Schlechtes, denn was sie singen, das sind diese süßen Mädchennamen,
die dem Herzen, ach! allzu nahe stehen. Fanny, Therese, Anna, Rosa,
Karoline, Josephine, Netty, Melusine!

Am besten von allen singt Franz, der arme Schulmeisterssohn; darum
lieben sie ihn auch alle so sehr, die Freunde, die mit ihm zechen,
der Forellenbach, der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der
schönen Müllerin zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein, der
all sein Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein
Herzeleid in Gold verwandelt. Die süßen Mädchennamen fließen in dem
Gesang der Liebe zusammen in eins, es ist die unsterbliche Geliebte,
die er besingt, die bald so und so hieß und eigentlich aber nur einen
Namen hatte. Es ist die Heimatstadt Wien selbst, die er in Melusine, in
Fanny, in Karoline, in Rosa, in Josephine, in Therese so unglücklich
liebte, diese unsterbliche Geliebte, die ihm die tiefen Herzenswunden
geschlagen, und die ihn mit Schmerz gesegnet, auf daß er seine Freude
singen möge.

Die süßen Namen der Liebe, das Herz der Menschheit, die
schmerzverklärte Freude, dies alles und noch viel mehr ist in Franz
Schuberts Lebenslied.

Die Welt des Haders und der Zwietracht horcht auf, die fünf singen im
Grünen wie die Jünglinge im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen -- der
finster blickende Herr Ludwig van Beethoven, der große Tragiker, der
sich in den bäuerlichen Weinbergshäusern versteckt und in seiner großen
Menschheitssinfonie das Lied der Freude singt, der hätte ein Vergnügen
an dem Quintett gehabt.

Die Seele hat soviel Kraft und Gesundheit, um auch in diesen trüben
Zeiten Augenblicke zu finden, wo der Himmel offen steht.

G -- d -- g -- fis -- g -- a -- -- --

Aber der schwer erkaufte Frieden hält nicht lange.

Der Himmel über ihm ist wolkenlos, doch am Horizont lauert schon neues
Unheil. Es bricht immer dann am stärksten hervor, wenn er glaubt,
daß alles überwunden sei. In steilen Linien auf und ab bewegt sich
die Schicksalskurve, heute hoch oben, morgen tief unten. Sonnige
Werke entstehen neben den Ausbrüchen tiefster Verzweiflung und
Seelenqual. Das heitere Es-Dur-Trio neben dem grausigen Nachtstück der
»Winterreise«.

»Fröhlich, Freunde, fröhlich! Sagt ihr, es wohne nicht die Fröhlichkeit
unter meinem Dach?! Spitzt jetzt gefälligst eure Ohren, dann werdet ihr
sie vernehmen!«

Die Freunde rasen vor Entzücken über das Es-Dur-Trio.

»So gefällst uns! Ein echter Schubert! Erfüllt das Herz mit heiterem
Glück bis in alle Winkel! Scheucht alles Dunkle auf, jagt alle
Nachtgespenster von dannen .... erquickt die Seele mit neuem
Lebensmut, reißt den Himmel auf über ihr, daß sie hineinschaue in
wogendes Weiß und Blau und Ströme von Glückseligkeit niederstürzen
fühlt aus leuchtenden Höhen ...«

Das ist schon wahr, was die Freunde in ihrer überschäumenden
Begeisterung sagen.

»Aber diese schauerlichen Lieder der ›Winterreise‹, die wollen mir noch
nicht ein ...« meint Spaun.

Sie vermögen es alle nicht zu erkennen, daß in diesen »schauerlichen
Liedern« Franz am meisten er selbst ist. Seine tiefsten persönlichen
Ahnungen sprechen sich darin aus, in die dunkelsten Abgründe seiner
Seele lassen die Lieder hineinblicken. Ihre ergreifende Größe und
Schmerzensgewalt läßt sie dem Buch Hiob vergleichbar erscheinen. Ein
solcher Leidensmann ist der nun Dreißigjährige, der sich zugleich zu
dieser kindlich jubelnden Höhe seines Trios aufzuschwingen versteht.

In diesen jähen Gefühlslinien bewegt sich sein Lebenslied: eine heitere
Liedweise als Grundton, dann ein jähes Abbrechen, ein qualvoller
Aufschrei der gemarterten Seele: e -- fis -- g -- h -- ais .....

Es fehlt nicht an Anlässen, die tief in sein empfindliches Seelenleben
hineingreifen und diesen erschreckenden Umschlag bewirken. Er hat
die verhängnisvolle Gabe, den Anstoß wie eine rollende Kugel in der
gleichen Richtung weiterzutreiben, bis alle Seelentiefen aufgepeitscht
sind .... In dieser Widerstandslosigkeit seiner Seele gegen die Schläge
des Schicksals ist er Empfangender; er gleicht den Stoß in seinem
Innern aus, indem er sich durch sein Schaffen befreit, insofern ist er
ein Gebender. Was er dafür hingibt, ist ein Stück Leben. Der Erlös
dafür? Dieser Schandlohn von sechs Gulden, wenn es nur der einzige Fall
wäre! Ein Werkelmann verdient mehr!

Aber das ist es nicht, was ihn um und um stürzt. Das Leben ist auch
sonst gespickt mit tragischen Ansätzen, die die Neigung haben,
auszuwachsen und die Seele zu erschüttern.

Daß Jenger aus Graz nach Wien zurückgekehrt, das wäre ja ein freudiger
Anlaß. Aber was alles drum und dran hängt! Sein erster Weg ist in das
Frühwirtsche Haus auf der Wieden nächst der Karlskirche, wo Franz noch
immer wohnt. In Schwindien also. In aller Frühe kommt er angestiefelt,
Franz liegt noch im Bett. Die gestrige Nachtschwärmerei -- es ist
wieder hoch hergegangen im »grünen Anker« -- vielleicht geniert er sich
auch ein bißchen: »Du mußt wissen, ich bin nicht so ganz auf der Höhe
-- es wird nimmer so recht mit der Gesundheit -- Leib und Seele wollen
nicht mehr zusammenhalten -- außer bei einem Glas Wein, da hat man ja
einen so täuschenden Schein von Kraft und Courage, aber sonst -- man
gibt zuviel her bei der Arbeit ...« Ist ja auch was Wahres dran.

Franz läßt sich das Schalerl Kaffee mit den zwei Kipferln, die die
Quartiergeberin bringt, schmecken, indessen Jenger bei ihm am Bettrand
sitzt und erzählt und erzählt. Alle Grazer Neuigkeiten schüttet er aus,
einen ganzen Sack voll.

»Also du mußt nach Graz kommen! Du hast Freunde dort, nicht zum sagen!
Das Ehepaar Pachler ist geradezu vernarrt in deine Musik, na, wie
überhaupt alle. Sind recht liebe Leute, die Pachlers. Wohnen großartig
im Hallerschlössel ganz nahe bei der Stadt, das ist was für dich.
Grazer Patrizier, mußt du wissen, du sollst ein paar Wochen bei ihnen
wohnen, sie laden dich ein, ich möchte ihnen nur gleich schreiben, daß
du wirklich kommst ....«

Vom Hundertsten kommt er ins Tausendste, auf einmal sieht er auf die
Uhr und springt auf.

Warum er es denn so eilig hat? Er möchte noch vormittags hinaus in die
Schwarzspanierstraße -- Apropos, es ist wahrscheinlich, daß auch der
Anselm Hüttenbrenner her muß. »Gebe Gott, daß es nicht so schlimm wird.«

»Was ist denn los? Schwarzspanierstraße? In die Beethovensche Gegend?«

»Ja, weißt du denn nicht --? Man fürchtet, es geht zu Ende mit ihm ....
seit acht Tagen ringt er mit dem Tod. Schindler, sein Vertrauter, hat's
geschrieben.«

Mit einem Satz ist Franz aus dem Bett.

»Beethoven am Sterben? O Gott!« Das große Licht, zu dem er anbetend
aufblickt, am Erlöschen?

Jenger ist schon bei der Türe hinaus.

Hastig kleidet sich Franz an. Die Gefühle wirbeln durcheinander. Er
kann keinen klaren Gedanken fassen. Der Tag vergeht, heute kann er
keine Note schreiben. Er versucht dies und das und legt es wieder
hin. So voll Unruhe ist er. Er fühlt es ganz genau: es kommt etwas
daher, das ihn trifft wie einen persönlichen Verlust. Wie hat er sich
hingesehnt nach dem Gewaltigen, der ihm wie ein Wegweiser erscheint
nach den höchsten Zielen ... Aber er hat es nicht gewagt, er hat Angst
vor dem ganz Großen, seine Erfahrungen mit Goethe haben ihn ganz
eingeschüchtert. Wie oft hat er dem Olympier nach Weimar geschrieben,
er hat ihm Stöße von Liedern geschickt -- mit keiner Zeile hat er
geantwortet, Franz existiert für ihn nicht, die Hekatombe hat nicht
Gnade gefunden in den Augen des Göttlichen.

Aber das war noch zu ertragen. Beethoven steht ihm näher als Vorbild
auf seinem ureigensten Felde. Er fürchtet, es könnte ihm mit dem
Schöpfer der »Eroika« und der unsterblichen »Neunten« ähnlich ergehen.
Es wäre ein Verdammungsurteil für das zaghafte Meisterlein -- nein, er
versucht's lieber nicht ....

Und jetzt krampft sich ihm das Herz zusammen bei dem Gedanken, daß er
etwas versäumt hatte und daß es etwa zu spät sein könnte .... Da lebt
man in derselben Stadt, begegnet einander zuweilen in den Straßen oder
in den einsamen Feldwegen, weiß sich im Geist so nahe und kehrt lieber
um auf halbem Wege aus begreiflicher Scheu ..... und erfährt erst durch
Leute, die von fern kommen, daß der Tod an sein Haus pocht. So groß ist
die Einsamkeit um den Titanen, daß keiner den Weg zu ihm findet, bis
auf einen .... es greift Franz kalt an die Brust: auch seine Einsamkeit
wird keiner durchdringen, bis auf einen .....

»Wann ist es denn gewesen, daß ich Beethoven zuletzt gesehen habe?«
Franz denkt nach. »Bei seinem letzten großen Konzert war es, wo er
selbst die ›Neunte‹ dirigierte, diese Sinfonie der Menschheit ....«

Ganz richtig, es ist das letztemal gewesen, da man Beethoven am
Dirigentenpult gesehen hat. Er ist damals schon entrückt gewesen,
menschenentrückt durch seine Taubheit und Unnahbarkeit, weltentrückt
durch seinen Genius .... Das waren keine irdischen Klänge mehr, deren
Glanz er vor den Hörern ausbreitet, die kamen aus höheren Welten, über
den Schrei der verzweifelten Menschheit rauschten die Stimmen der
Seligen auf. Er hörte sie nicht mit dem leiblichen Ohr, aber mit dem
geistigen vernimmt er sie um so gewisser.

Der letzte Ton verklingt, die Zuschauer wagen es nicht, sich zu
rühren vor Andacht und Ehrfurcht, der Meister steht noch oben mit dem
Taktstock, blickt starr auf das Pult vor sich hin und dirigiert weiter
aus dem Gedächtnis. Die geschriebene Sinfonie ist zu Ende, der letzte
Ton verhallt, ein Musiker nach dem andern verläßt still das Podium,
nur der Tragiker steht noch oben und gibt den Takt. Seine Taubheit ist
so groß, daß er sein eigenes Werk nicht mit dem leiblichen Ohr gehört
hat, aber die Hellhörigkeit seiner Seele ist so unendlich, daß er
den Weltgesang weiter hört und fort und fort den Takt dazu gibt. Die
Sinfonie ist nicht zu Ende für ihn .....

Die Leute sitzen unten und wagen es nicht, sich zu rühren, sie sind
erschüttert von dem tragischen Anblick, viele weinen vor Rührung. Da
wagt es einer der Musiker, der hinter ihm in den Saal geschlichen ist,
den Lauschenden, von ewigen Harmonien Umfluteten leise am Rock zu
zupfen. Beethoven wendet sich um, wie aus allen Himmeln gestürzt, mit
einem Blick des Entsetzens schaut er sich um und flieht.

Der Vorgang schneidet ins Herz, diesen entsetzten Blick vergißt
keiner, der ihn gesehen. Franz sieht alles klar wieder vor Augen. Die
bloße Erinnerung ergreift ihn mit der gleichen Heftigkeit wie jener
Augenblick. War es nicht so, daß der Geist des großen Meisters damals
schon entrückt war über die Menschen hinweg in lichte Seligkeiten und
dem himmlischen Wegweiser in seiner Einsamkeit folgte eine Straße
entlang, »die noch keiner ging zurück«?

Das Zerren an dem Rock riß ihn zurück in die Wirklichkeit, vor der sich
sein Blick entsetzte. Er floh, er vergrub sich vor den Menschen, und
jetzt rüstete seine Seele zum letzten Male zur großen Heimreise. »Wird
ihn noch einer zurückrufen können, soll er gehen, ohne daß ich ihn
gegrüßt und ihm gedankt habe?«

Einige Tage verstrichen. Das große Sterben drüben in der
Schwarzspanierstraße machte endlich von sich reden. Die Trauer breitete
ihren Flor aus. Das Herz der Stadt zitterte, man hörte den Tod, wie er
durch die Gassen ging.

Jenger ließ sich nicht blicken. Endlich, endlich kam er zurück. Anselm
mit ihm. Schwarze Röcke, Zylinder, Flöre an dem Arm. Ihre Mienen
verkündeten schon von weitem: Beethoven tot!

In der Tiefe wühlte und bohrte der Schmerzensquell, aber er brach nicht
hervor unter dem Schutt und Geröll. Das Phlegma, sagen die Leute.

Mit diesem anscheinenden Phlegma ging Franz in der Mitte zwischen
Jenger und Anselm Hüttenbrenner.

»Wenn schon nicht im Leben, so will ich im Tod bei ihm gewesen sein!«
sagte Franz mitten unter dem Schweigen.

Sie gingen hinüber ins Trauerhaus.

»Schindler erzählt, daß oft von dir die Rede war bei Beethoven!« weiß
Jenger. »Er hat viel Gutes von dir gesagt, es war ihm aber aufgefallen,
daß du dich immer versteckst ... ›Der kommt nach mir,‹ soll der Meister
einmal gesagt haben.«

Franz ging stumm zwischen den beiden, das Herz schlug ihm gewaltig,
je näher sie dem Schwarzspanierhause kamen. Beim Tor wurde ihm ganz
schwach, er mußte ein wenig verschnaufen. Keine Macht hätte ihn die
Stiege hinaufgebracht, wenn er allein gewesen wäre. Diese zwei nahmen
ihn unterm Arm und stiegen hinauf. Im Vorzimmer oben empfing sie ein
grauhaariger Mensch, der nur flüsterte und den dreien durch Zeichen mit
der Hand bedeutete, einzutreten. Sie durchschritten ein Zimmer; der
Flügel stand darin, Stöße von Noten lagen darauf und am Boden umher,
eine schreckliche Verwahrlosung und Verödung grinste aus allen Winkeln,
Leichengeruch schlug ihnen entgegen ...

Im nächsten Zimmer lag der große Tote. Franz starrte in das zerklüftete
Antlitz, in diese Züge, die nach innen gewendet waren und entrückt von
dem Hinaushorchen und Lauschen unendlicher Harmonien .... jetzt war
es ein zertrümmertes Steingebirge mit den gewaltsamen Spuren eines
beendeten Götterkampfes. Einer schreckensvollen Ruine glich dieser
irdische Rest, nachdem der Geist entflohen war.

Es war zu qualvoll, in diese Walstatt zu sehen, Franz riß sich los und
stürmte fort. Am nächsten Tag ging er im Trauerzug als Kerzenträger. An
dem Zyklopentor des Währinger Friedhofs hielt Anschütz eine gewaltige
Rede von Grillparzer, der Sarg schwankte wie ein schwarzes Schiff in
diesen Hafen, Franz hatte zuweilen das Gefühl, als ging' es mit ihm
selber zu Grab. Gottes Finger rührte an sein Herz, aus der dunkelsten
Tiefe der Seele antwortete eine Stimme diesem Pochen, und was sie
antwortete, sollte später im Hiobsbuch seiner »Winterreise« stehen:

»Auf einen Totenacker hat mich mein Weg gebracht. Allhier will ich
einkehren, hab' ich bei mir gedacht. Ihr grünen Totenkränze könnt
wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins kühle Wirtshaus
ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt, bin matt zum
Niedersinken, bin tödlich schwer verletzt. O unbarmherzige Schenke,
doch weisest du mich ab? Nun weiter denn, nur weiter, mein treuer
Wanderstab, nun weiter denn, nur weiter, mein treuer Wanderstab!«

Besonders in diesem letzten Wirtshaus winkt Gottes Finger fast wie beim
Heurigen.

Zwei Freunde begleiten Franz am Heimweg. Unterwegs kehren sie noch ein
und sitzen in der Weinstube auf der »Mehlgrube«. Franz ist ganz in sich
gekehrt. Er schenkt das erste Glas voll, erhebt es und leert es in
einem Zug auf das Andenken des Heroen, den sie eben zu Grabe geleitet
haben. Er schenkt ein zweites Glas ein, er sieht die beiden anderen
ernst an und sagt: »Und jetzt trink' ich das zweite Glas auf den, der
ihm von uns als Erster nachfolgt ....«

Damit hat's noch seine guten Wege. So viele Wirtshäuser man schon
gesehen und darin zur kühlen Rast geweilt hat, man wird noch durch
manches Wirtshäuslein kommen, ehe man zu dem letzten anlangt. Und der
sich matt zum Niedersinken fühlt und tödlich schwer verletzt, der muß
sich nun schon weiter helfen, weiter, nur weiter, an seinem treuen
Wanderstab.

Unter den vielen Wirtshäuslein, die Franz auf seiner Lebensfahrt als
erquickliche Stationen befunden hat, gilt das »Blumenstöckel« im
Ballgassel als keines der schlechtesten. Es ist ein gemütliches Beisel,
wie er es gern hat, mit einem Glassalon nach der Hofseite, wo ein paar
Bäume stehen. In dem weißen Glassalon ist es gut zu sitzen in den
linden Sommernächten, wenn der herbe Geruch des Götterbaumes durch die
geöffneten Fensterflügel hereinstreicht.

Anna Milder ist wieder zum Gastspiel in Wien, ihre Augen, ihr Lächeln,
ihre Stimme riegelt alle bittersüßen Erinnerungen auf, ganz traumselig
geht Franz mit Spaun und Mayrhofer, dem wieder einmal Umgänglichen,
nach dem Opernabend ins »Blumenstöckel«.

Mayrhofer und Spaun schimpfen über die Wiener, die um die warme
Jahreszeit nicht mehr ins Theater zu bringen sind. Die »Iphigenie«
wurde vor einem fast leeren Hause gesungen. Um so voller war es dafür
beim »Blumenstöckel«. Mit Mühe und Not erobert man einen leeren Tisch
im weißen Glassalon.

Beim Essen und Trinken vergeht leicht die Zeit, es ist bald an
Mitternacht; die Leibesstärkung hat die Seelenkraft erhöht, die
Begeisterung über die Eindrücke des Abends strömt in lauten Worten aus.
Es geht ziemlich ungeniert her, der Glassalon ist um die späte Stunde
fast leer geworden, nur am Nebentisch sitzen einige Gäste, die jedes
Wort aufschnappen. Die Augen, das Lächeln, die Stimme der Anna Milder,
in allen Tönen der Bewunderung wird sie gepriesen. Vor allem diese
Stimme!

Franz schwärmt irgend was von dem Ideal der dramatischen Gesangskunst.
Da fängt einer am Nebentisch laut zu höhnen an, Spaun kennt ihn, es ist
ein Universitätsprofessor; er hat vielleicht schon zu tief ins Glas
geguckt, jedenfalls scheint er zur Stänkerei aufgelegt. Und legt auch
schon los, so halb und halb zum Freundestisch herüber.

»Das nennt man Stimme? Gekräht hat sie wie ein Hahn; die kann ja
überhaupt nicht singen, weder Läufer noch Triller versteht sie zu
machen, ist doch eine Schande, die als Primadonna herzubringen -- das
soll man sich vorsetzen lassen für sein gutes Geld ....?!«

»So ein unverschämter Kerl!« Fast zugleich springen Mayrhofer und
Schubert auf; Franz schmeißt sein gefülltes Glas hin, so kochend vor
Wut hat man ihn noch nie gesehen. Er könnte dem Kerl am Nebentisch an
die Gurgel springen, mit Mühe wird er zurückgehalten. Es ist nicht
das erstemal, daß er ganz aus dem Häuschen gerät, wenn sich einer an
dem versündigt, was ihm heilig ist. Ein Schimpfduett hebt an, daß es
schauerlich anzuhören ist.

Aber der andere drüben ist auch nicht maulfaul, und ein Dickschädel ist
er obendrein, von Nachgeben ist keine Rede. Es gibt einen richtigen
Wirtshausskandal. Franz ist kaum mehr zu halten, eine blutige Keilerei
scheint unvermeidlich, die Begleiter des ungebärdigen Professors
sind besonnen genug, den Halbbetrunkenen unterm Arm zu fassen und
hinauszuexpedieren.

Die drei Freunde bleiben allein im Glassalon zurück. Sie haben wohl das
Feld behauptet, aber die wüste Wirtshausstreiterei ist gerade auch kein
erquickliches Erlebnis. Man fragt sich, wo nimmt denn so ein gemeiner
Kerl das Recht her, in den Seelengarten des anderen einzubrechen und
die schönsten Blumen zu zerstampfen? Wenn man auch seinen Mann gestellt
und den Kerl zu Paaren getrieben hat, so bleibt doch ein widerwärtiges
Gefühl zurück.

Man ist in seinen zartesten und reinsten Empfindungen gedemütigt,
mißhandelt, besudelt worden, und dazu hat man das niederdrückende
Gefühl, daß man der Dummheit und Gemeinheit wehrlos ausgeliefert ist.
Da soll doch ein Himmeldonnerwetter dreinfahren! Die ganze erbärmliche
Welt könnte man zerschmeißen. Es kocht in Franz, kreideweiß sitzt er
vor dem Tisch, eine Zeit vergeht, er redet kein Wort.

Da packt er plötzlich ein Glas und schmeißt es in die Ecke. Klirr! ist
es in tausend Scherben. Das wirkt wie eine Entspannung. Ein zweites
Glas fliegt nach. Klirr! ist das eine Freude, wenn alles in Scherben
geht! Die Wasserflasche, ein Schock Teller, die Karaffe mit Essig und
Öl, die Salzfässer, der Senftiegel -- klirr, klirr, tschin! Jetzt sind
auch ein paar Fensterscheiben des Glassalons durch. Es hagelt Glas.

Die Kellner stürzen herbei, stehen an der Tür, reißen Maul und
Augen auf und lassen es gewähren. Sie denken schon mit heimlicher
Schadenfreude an die fabelhafte Rechnung, die sie hernach schreiben
werden.

Mayrhofer und Spaun sind nicht imstande, Franz zu bändigen, der außer
sich ist. Riesenkräfte sind in dem kleinen, etwas aufgeschwemmten
Körper lebendig geworden. Elektrische Schläge gehen von den plötzlich
straff gespannten und steinhart gewordenen Muskeln aus, die Freunde,
die ihm in die Arme fallen wollen, fliegen unter der heftigen Abstoßung
weg, als wären sie Spielbälle.

Und nun packt Franz mit seinen zarten Händen den großen Wirtshaustisch,
hebt ihn hoch in die Luft und bum! fliegt der schwere Tisch in die Ecke
zu den Scherben, daß das Glas aufspritzt wie Wasser. Dann der nächste
Tisch, Bum und Krach! die Stühle nach, und nicht eher ist Ruhe, als bis
der ganze Glassalon einem Trümmerhaufen gleicht.

Alles Elend, aller Ärger, alle Demütigung und Zurücksetzung, alles Leid
und aller Hohn, die ihm in diesem Leben zuteil geworden sind, drängen
herauf aus der Seele, die sich befreien will. Und mit jedem Stück, das
hinfliegt und in Scherben geht, löst sich ein Stück Unrecht, das man
erdulden hat müssen; es ist wie ein Erbrechen aus Ekel über den ganzen
Unrat dieser erbärmlichen Welt, den man hinunterwürgen hat müssen. Nur
daß er selber am Schluß auf diesem höllischen Misthaufen liegt, ein
armer, schmerzverkrümmter Hiob.

So schaut der Franz mit seinem Phlegma aus?! Wer soll sich da
auskennen? Man weiß nicht, was in diesem sonderbaren verschlossenen
Gemüt steckt!

Kopfschüttelnd lesen die Freunde das unselige Meisterlein auf, das
jetzt einem hilflosen Kinde mitten im zerschmetterten Spielzeug
gleicht. Er ist kaum seiner Sinne mächtig und kann sich nicht allein
erheben. Wie gelähmt ist er am ganzen Körper. Er wird in einen Wagen
gehoben, die Freunde bringen ihn heim. Dann liegt er tagelang zu Bett
und ist krank. Das Übel, das ihn vor Jahren befallen und ihn nie mehr
ganz verlassen hat, ist schlimmer als je geworden. Die Krähe, die Krähe
-- stärker vernimmt die Seele das Fittichschlagen dieses Todesboten.

»Eine Krähe ... ist bis heute für und für um mein Haupt geflogen ...«

Er summt das Lied aus der »Winterreise« vor sich hin, als ob er
Zwiesprach' halten würde mit dem Symbol.

»Nun, es wird nicht mehr weit geh'n an dem Wanderstabe, Krähe, laß mich
endlich sehn, Treue bis zum Grabe ....«

Der Skandal beim »Blumenstöckel« hatte flinke Beine wie jeder Skandal
und lief besonders hurtig um in einer Stadt wie Wien, die seit jeher
ein empfängliches Ohr für solche Chronik hat und mit ihrer angeborenen
Göttergabe der Phantasie die Geschichte auszuschmücken versteht, bis
sie so klingt, wie es die Leute am liebsten hören. Weil die Menschen
sich am größten vorkommen, wenn sie die Schadenfreude in Mitleid hüllen
können, so hören sie es am liebsten, daß einer ganz herunter ist, bis
auf den Grund; es gewährt ihnen das Gefühl der Erhebung, den leidenden
Mitbruder so in Staub zu sehen wie den armen Zöllner -- »Herr, ich
danke dir, daß ich nicht bin wie jener ...« es ist das fadenscheinige
Mäntelchen der Nächstenliebe, aus deren Löchern allzuoft die
scheinheilige Selbstgerechtigkeit der sittlichen Entrüstung wie ein
schmutziger Hemdzipfel hervorguckt ....

»Haben Sie schon das Neueste gehört? Im Rausch hat er alles krumm und
klein geschlagen -- der Bsuff!

Schad' um den talentierten Menschen -- es geht bergab mit ihm -- ein
rechter Bruder Saufaus ist er geworden --«

In dieser Form gelangt die Legende den Schwestern Fröhlich zu Ohren.
Sie sind von aufrichtigem Mitgefühl bewegt -- daß Franz sich vom
gesellschaftlichen Verkehr immer mehr zurückzieht und nur mehr im Kreis
seiner Wein-, Punsch- und Kaffeebrüderln gesehen wird, wenn er nicht
allein herumschwärmt, ist freilich eine bedauerliche Bestätigung der
bösen Mär.

Die Schwestern veranstalteten ein Ständchen zu Ehren der Gosmar,
ihrer einstigen Schülerin und besseren Freundin, Franz hat für dieses
Fest einen Chor nach Grillparzers Versen »Zögernd leise ...« für
Mädchenstimmen komponiert -- er soll es selbst dirigieren, das war die
Verabredung.

Die Schülerinnen der Fröhlich, ein weißer Mädchenflor, werden in drei
Stellwagen am Hof gestopft, die gelben Wagen holpern mit Singsang
hinaus zum Langschen Haus in Döbling, wo die Gosmar wohnt, ein Klavier
wird heimlich unter ihre Gartenfenster geschoben -- alles klappt, nur
der Musikus ist nicht da. Kathi nimmt sich vor, ihm gehörig den Kopf zu
waschen.

Schon am nächsten Tag hat sie ihn aufgestöbert, er lächelt: »Ach ja,
ich hab' ganz vergessen darauf!«

Es bleibt ihm aber nicht geschenkt. In einigen Tagen bringen die
Schwestern das Ständchen im Musikvereinssaal in der Tuchlauben zur
Aufführung, man sollte schon beginnen -- wer wieder nicht kommt, das
ist der Franz.

Der Kathi ist gar zu leid. »Schade, daß er es auch heute nicht hören
sollte!« sagt sie zu Jenger. Ein Hofrat Walcher ist da, der weiß
Bescheid, »Musikanten trinken gern -- wahrscheinlich sitzt er wieder
bei Wanner ›zur Eiche‹ auf der Brandstätte, dort gibt's gutes Bier, die
Musiker kommen dort gern zusammen --«

»Natürlich schon wieder im Wirtshaus!« ruft Kathi ärgerlich aus,
Jenger muß sich sofort auf die Strümpfe machen und Franz herbeiholen.
Richtig sitzt er dort in aller Gemütlichkeit, aber er hat sich sofort
aufgemacht und ist mit Jenger gerade noch zur rechten Zeit ins Konzert
gekommen.

»Nun?!« Kathi hat Haare auf den Zähnen, was sie einmal anfaßt, läßt
sie nicht mehr locker. »Nun?!« ihre erwartungsvolle Frage nach der
Aufführung. Franz ist ganz verklärt: »Wahrhaftig, ich hab' nicht
gedacht, daß es so schön wär' ....« Die Stimmung ist so versöhnlich,
sie hat wirklich nicht das Herz, jetzt mit der Moralpauke loszulegen --
aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nächstens also, in der eigenen
Wohnung, dann wird sie es ihm gründlich besorgen.

Da kann sie aber lang warten. Mit keinem Auge ist Franz zu erblicken.
Argwöhnisch, wie Kathi ist, meint sie, er gehe ihr geflissentlich aus
dem Weg. Ein Zufall führt sie mit ihm auf der Straße zusammen, sie
nimmt ihn gleich ordentlich ins Gebet, die handfest Zupackende.

Ob er nicht wüßte, wie ihre Adresse laute -- und ob er nicht immer
offene Türen in ihrem Hause gefunden habe?! Was das also jetzt für
eine Art sei?! Und das mit dem Trinken -- ein Wirtshausbrüderl, ein
Liederlich, ein Nachtschwärmer, ein Trunkenbold -- o pfui!

Sie meint es so gut und aufrichtig und möchte ihn auf den rechten Weg
zurückbringen, es ist ihr heilig damit. Er spürt die edle Absicht und
ist darum gar nicht böse. Er lächelt nur ein bißchen zu ihren Worten
und lenkt ganz sachte ab: »Schönen Dank für die gute Meinung, aber
soviel als mir die Leute andichten, könnt' ich ja gar nicht vertragen
-- jetzt schon gar nicht, bei meiner wackeligen Gesundheit -- nur grad'
soviel, als sich gehört, um ein bißchen bei Stimmung zu bleiben, oder
das bißchen Schlaf zu finden -- also nur grad' soviel, als der liebe
Gott erlaubt hat, keinen Tropfen drüber, ist doch eine heikle Sache wie
mit jeder Medizin --«

Er lächelt so weh dazu, daß ihr gleich die Strafpredigt vergeht und
daß sie in liebreichen, tröstenden Worten auf ihn einredet, die gütig
Verstehende, er möge sich nur nichts abgehen lassen, immer auch kräftig
essen dazu und sich's wohl schmecken lassen, die Medizin -- --

Das sieht sie jetzt klar; die Leute haben gelogen, ein Bsuff ist er
nicht, o nein! Ein ganzer, wirklicher, tiefer und darum leidender
Mensch ist er -- -- sie weiß nicht warum, aber auf einmal stehen ihr
die Augen voll Tränen ......

Der September läßt sich wunderschön an, Wetter- und Geldverhältnisse
sind gleich gut wie selten im Jahr, die Sorgen, die Krankheit scheinen
entrückt -- die Krähe schwebt hoch und fern -- ein kleines schwarzes
Pünktchen, nicht größer wie eine Schwalbe im Himmelblau.

Mit dem Grazer Ehepaar hat ein gar freundlicher Briefwechsel
stattgefunden -- Jenger ist mit Franz über alle Berge zu Besuch im
Hallerschlössel. Vier Wochen sind sie aus -- dem Franz hat's wohlgetan.
Sein gewitterbanges Herz hat einen Sonnenstrahl empfangen, der trotz
der Wolken nicht mehr vergeht -- in diesem Sonnenfleck des Herzens
taucht das Hallerschlössel mit seinen vier Ecktürmen auf, der Grazer
Schloßberg, die Stadt mit ihren Kirchen, das lachende Antlitz der
steirischen Landschaft mit grünschwellenden Hügeln, Obstgefilden
und Weingärten, das gastfreundlich eifrige Ehepaar Pachler, die
Gesangsvereine, die Mädchen und Frauen, das liebevolle Drängen und
Feiern um ihn und er mitten drinnen, hochgeehrt und gepriesen -- von
diesem Sonnenblick kann er auch in den trüben Tagen Freude und Trost
schöpfen wie aus einem unerschöpflichen Brunnen von Licht.

»Wien will mir noch nicht recht in den Kopf,« lautete sein Dankbrief
an die Pachlerin, »'s ist freilich ein wenig groß, dafür aber leer
an Herzlichkeit, Offenheit, an wirklichen Gedanken, an vernünftigen
Worten und besonders an geistvollen Taten. Man weiß nicht recht, ist
man gescheit oder dumm, soviel wird hier durcheinander geplaudert, und
zu einer innigen Fröhlichkeit gelangt man selten oder nie. 's ist zwar
möglich, daß ich selbst viel schuld daran bin mit meiner langsamen Art,
zu erwärmen. In Graz erkannte ich bald die ungekünstelte und offene
Weise, mit- und nebeneinander zu sein ...«

Er tut sich bei seiner Rückkehr diesmal schwerer mit der Heimat als je
früher. Ein bedrückendes Gefühl beschleicht ihn jetzt, wenn er durch
die Gassen geht, an Wohnungen vorüber, wo einst das Glück gehaust hat.
Und kommt er am nächtlichen Heimweg dort einsam vorüber, dann starrt er
wohl in die Höh', als müßt' er ein Gesicht erkennen, das er so innig
geliebt hat, wie er diese Stadt selber liebt, mit der er in den Stunden
des Haders oft bitter und schier ungerecht streng ist. Die einzige,
unsterbliche Geliebte, die ihm soviel und noch mehr war wie alle
zusammen, die er liebend gekannt hat, sie hat ihn schier vergessen,
aber sein Herz will's nicht fassen und geht eigensinnig die alten Wege
seiner Qual.

»Still ist die Nacht -- es ruhen die Gassen, in diesem Hause wohnte
mein Schatz; sie hat schon längst die Stadt verlassen, doch steht noch
das Haus auf demselben Platz. Da steht auch ein Mensch und starrt in
die Höhe, und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; -- mir graust es,
wenn ich sein Antlitz sehe, der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt. Du
Doppelgänger, du bleicher Geselle! Was äffst du nach mein Liebesleid,
das mich gequält auf dieser Stelle -- so manche Nacht in alter Zeit --?«

Das Herz schreit es auf -- nach der »Winterreise« der schmerzlichste
Akzent seines »Schwanengesangs«, die Seelenbeichte in Tönen -- nicht
dem liebsten Freund würde er sein tiefstes Geheimnis in dürren Worten
preisgeben, so schwer hat er es mit sich -- bei seinem Phlegma --
bei seiner langsamen Art, zu erwärmen -- niemand weiß, was in dem
verschlossenen, oft rauh und kurz angebundenen Menschlein steckt --
nur wenn er in seiner Sprache redet, in Musik, dann ist alles tief
Verborgene klar -- -- Immer ist es der Schmerz, der der Seele hilft,
fruchtbar zu werden. Der Tod Beethovens wirkt tief nach, in einem
höheren Leben steht er dem Vollendeten näher als früher im niederen
Alltag. Er geht immer weiter seine einsame Straße, den inneren
Wegweisern entlang aufwärts zur Höhe, wo er den Verewigten wandern
sieht. Aufs äußerste angespannt ist sein inneres Lauschen, gewaltig
strömt es auf ihn ein. Ein ganz Großes entsteht, die C-Dur-Sinfonie,
gleichsam mit einem Ruck ist er oben, ganz dicht bei Beethoven.

Aber auch in anderer Weise fühlt er die Meisterhand, die ihn führt. Das
große Konzert Beethovens war ihm ein Wink gewesen. Damals sagte er den
Freunden: »Wenn Gott will, so bin ich auch gesonnen, künftiges Jahr ein
ähnliches Konzert zu geben.«

Gott will es; es sind zwar viele Hemmungen zu überwinden, innere und
äußere, nach mancher Verzögerung verwirklicht es sich doch, was einmal
innerlich so fest beschlossen erscheint. Es ist eine der wenigen
Erfüllungen, die ihm von seinen vielen Hoffnungen beschert wird.

Franz wohnt nicht mehr in Schwindien, er hat sein Heim wieder in der
Tuchlauben aufgeschlagen, der weite Weg von der Karlskirche her wird
ihm zu mühsam, er will wieder im Kern der Stadt sein. Es hat sein Gutes
jetzt, wo es soviel zu tun gibt, die Vorbereitungen zum Konzert, der
fieberhafte Arbeitsdrang, das Schaffen, das so recht eigentlich ein
wehevolles Gebären ist. Vielleicht wäre es mit dem Konzert noch immer
nicht soweit gediehen, wenn nicht ein äußerer Hebel mithilft.

Franz ist ja ein schweres Fuhrwerk und kann sich schwer zu dem bringen,
was mit der Öffentlichkeit zu tun hat. Die Wünsche eilen voraus, aber
das Fuhrwerk geht langsam und bleibt oft stecken. Mutter Not greift
jetzt in die Speichen; der Geldmangel ist empfindlich, es muß endlich
einmal wieder etwas Entscheidendes geschehen. Man hat so viele Nöte
mit gutem Humor ausgehalten, daß man glauben könnte, er sei es schon
so gewöhnt. Denn schließlich bekommt auch die Seele Schwielen und wird
abgestumpft gegen die Härten des Daseins.

Aber es zeigt sich jetzt, daß Franz immer empfindlicher wird, seine
Seele kann keine Schwielen kriegen. Diese Empfindlichkeit peitscht ihn
auf und spornt ihn an, sonst wäre es auch diesmal kaum soweit gekommen.
Freilich hat er in Schindler, der so viele Jahre der treue Diener
Beethovens war, einen erfahrenen Helfer gefunden. Der läßt nicht locker
und treibt immer wieder an, wenn Franz kopfscheu wird. Das ist ein Mann
der Praxis. »Nur nicht verzagen, hübsch gescheit handeln und vor allem
nicht widerspenstig sein!«

So kutschiert man unter dem Hütt! und Hott! Schindlers allgemach um
alle Ecken herum und ist fast schon am Ziel. Das Konzert ist für einen
Tag im März angesagt, muß aber verschoben werden und fällt wie durch
eine Fügung gerade auf den Tag, an dem ein Jahr vorher Beethoven
gestorben ist. Der Erfolg ist ungeheuer, es zeigt sich, daß der Ruhm
des jungen Genius auch in diesen scheinbar stillen Jahren gewachsen
ist. Ein schönes Stück Geld fließt in die Tasche des kleinen Meisters,
die Not hat für ein Zeitlein wieder ein Ende.

Als der Sommer herankommt, sitzt Franz leider schon wieder ganz auf dem
Trockenen. So dringend eine Erholungsreise war, in diesem Sommer ist
nicht daran zu denken. Aus Graz kommen süße Locktöne, das Herz möchte
ja, aber der Geldbeutel erlaubt's nicht. Wenn man mit der Sehnsucht
fliegen könnte, wäre man ja schon über Berg und Tal, indessen sitzt
man bangen Herzens in der heißen Stadt und kann höchstens im Geist den
hochbeschwingten Flug unternehmen. Das ist ein strenges Glück, die
Arbeit -- wenn man so recht darein versenkt ist und all ihre Gnaden
spürt, geht man Gotteswege; das Irdische, das oft allzu schwere Bürde
wird, fällt ab, halb schwebt man schon im Paradies.

Wie ein Rausch kommt es über Franz. Er singt sich von der Erde
empor in den Himmel hinein. »Domine Deus«, mit lauter Stimme ruft
der Chor den Namen des Herrn -- es ist die berühmte Es-Dur-Messe --
die Leiden erscheinen im Verklärungslicht, im Agnus Dei klingt --
ein Geheimzeichen für den Wissenden! -- der Schmerzensakzent des
»Doppelgängers« auf: »... da steht auch ein Mensch und starrt in die
Höh' und ringt die Hände vor Schmerzensgewalt; mir graust es, wenn ich
sein Antlitz sehe -- der Mond zeigt mir meine eigne Gestalt ...«

In veränderter Gestalt klagt das Liebesleid des Meisterleins zum Himmel
empor -- im Unendlichen will er Erlösung finden.

Nebenher entsteht das schöne Streichquartett in C-Moll, außerdem
vollendet sich der Zyklus seines »Schwanengesangs«. Es ist eine schöne
Lebensreise im eigenen Schaffensbezirk, wo Himmel und Erde ineinander
ruhen. Es ist das Land, das er als »Wanderer« gesucht und geahnt, »das
Land, das Land so hoffnungsgrün, so hoffnungsgrün, das Land, wo meine
Rosen blühn, wo meine Freunde wandelnd gehn, wo meine Toten auferstehn,
das Land, das meine Sprache spricht ....«

Das sind die Stunden der gesegneten Arbeit mit ihren tröstlichen
Augenblicken. Aber diese leuchtenden Höhenwege werden steiler,
seltener, kürzer. Der Alltag umklammert ihn mehr denn je mit seinen
Leiden und Bedrängnissen. »Die Sonne dünkt mich hier so kalt, die Blüte
welk, das Leben alt, und was sie reden, leerer Schall, ich bin ein
Fremdling überall ...«

Im Sommer wird sein Zustand so bedenklich, daß sein Arzt ihm dringend
nahelegt, außerhalb der Stadt zu wohnen, in einer Gegend, wo er rasch
das Grüne erreicht. Franz gibt seine Stadtwohnung auf und mietet sich
bei seinem Bruder Ferdinand ein, der jetzt in der Kettenbrückengasse
wohnt. Der Wienfluß mit seinen Auen ist in der Nähe; nur ein paar
Schritte vom Haus, und er ist im Freien.

Er ist nun aus der Stadt gezogen, die alten Schmerzen hat er gern
zurückgelassen, aber das unerträgliche Kopfweh will nicht vergehen.
Das Lied von der Krähe kommt ihm immer wieder in den Sinn. »Krähe,
wunderliches Tier, willst mich nicht verlassen? Meinst wohl bald als
Beute hier meinen Leib zu fassen? Nun es wird nicht weit mehr gehn an
dem Wanderstabe ....«

Franz schleppt sich hin von Woche zu Woche, bald liegt er zu Bett, dann
rafft er sich auf und sucht Zerstreuung im Freundeskreis, aber es ist
nicht mehr das Rechte. Schwind nimmt Abschied, er geht nach München,
mit einer trüben Ahnung im Herzen sieht Franz den Freund scheiden, als
ob er es für immer wäre. Eine dreitägige Pilgerfahrt mit dem Bruder
Ferdinand zu Haydns Grab in Eisenstadt hält er noch mit Mühe und Not
aus.

Einige Tage später läßt er im Gasthaus einen Fisch stehen, ein
plötzlicher Ekel erfaßt ihn, er muß wieder zu Bett.

Nach einiger Zeit empfängt Schober einen Brief von ihm: »Ich bin krank,
ich habe schon elf Tage nichts gegessen und nichts getrunken und wandle
matt und schwankend vom Sessel zum Bett und zurück ....« Er bittet
ihn um Lektüre -- Indianergeschichten, Abenteurerphantasien in fernen
Landen; er sucht die Fernen. Die Freunde, Spaun, Lachner, Bauernfeld,
Mayrhofer, Hüttenbrenner besuchen ihn, als sie eintreten, wendet er
sich im Bett um, deutet mit der Hand an die Wand: »Hier ist mein Ende!«

Am Abend stellen sich Delirien ein, mit Mühe wird er im Bett
zurückgehalten. Zwei Tage darauf empfangen die Freunde und alle, die
ihn geliebt haben, die erschütternde Nachricht: Franz Schubert am
Nervenfieber gestorben!

Bauernfeld rennt klagend von einem zum anderen: »Die ehrlichste Seele,
der treueste Freund! Ich wollt', ich läge statt seiner!«

Im Gewand des Einsiedlers, um die Schläfen den Lorbeer, so wird er zu
Grab getragen. Er kehrt ein ins letzte Wirtshaus, nach dem er sich
so heftig gesehnt. Grüne Totenkränze sind ausgesteckt, fast ähnlich
wie beim Heurigen, wo der Herrgott mit dem Finger winkt. »Ihr grünen
Totenkränze könnt wohl die Zeichen sein, die müde Wanderer laden ins
kühle Wirtshaus ein. Sind denn in diesem Hause die Kammern all besetzt?
...«

Diesmal hat sich für ihn eine kühle Kammer aufgetan zur ewigen Rast in
der Nähe Beethovens.

Auf dem Heimweg vom Friedhof versammeln sich die Freunde, die ihm am
nächsten gestanden waren. Sie möchten so gern sagen, wie ihnen um Franz
ist, und bringen es nicht zuwege; jeder möchte es sagen, aber alles
Sagen war nur ein Stammeln.

Einer steht plötzlich auf und macht es allen klar, die es wissen
möchten: unser großer Freund ist gestorben, aber seine Seele klingt
fort, sie ist die tönende Seele dieser Stadt ....... Sage mir keiner,
der brave Schulmeistersohn war trunken und darum sei er so früh
verdorben, denn das ist falsch. Er war trunken von Seligkeit und
Leid, und wenn es die allzu Braven sein »Verderben« nennen, gut, dann
war es ein göttliches Verderbnis, daraus seine schmerzlich süßen,
unsterblichen Lieder quollen, darin nicht nur der Wein singt, nicht
nur die Lerche jubiliert, nicht nur das Bächlein weint und die stummen
Forellen mitsingen in dem seligen Quintett, sondern vor allem das
eigene Herz, das Herz dieser Stadt, dieser gottgesegneten, verruchten,
alten, ewig jungen geliebten Heimat, die er in Not und Tränen zu
preisen nicht müde wurde, singend zu preisen wie einer der Jünglinge
im Feuerofen, im Weinbergsfeuerofen und so laut, daß seine Stimme über
Länder und Meere reichen und in der Wüste gehört werden muß, überall
wo ein Mensch ringt in Lust und Qual, mit sich allein, und das Herz
aufschreit, dieses gemarterte von sieben Schwertern durchbohrte,
aus allen Wunden blutende und in Tränen lächelnde, über allen Jammer
dieser Erde triumphierende, über allen Horizonten leuchtende Herz der
Welt .......... Darum haben alle den gottseligen Schulmeisterssohn vom
Himmelpfortgrund so sehr geliebt, die Namen, die er singt, die Freunde,
die mit ihm zechen, der Wirt, der ihm aufkreidet, der Forellenbach,
der ihm die Geheimnisse von der Mühle und von der schönen Müllerin
zuflüstert, und am meisten liebt ihn der Wein Gottes, der all sein
Elend, all seine Tränen, all seinen Schuldenbettel, all sein Herzeleid
in Gold verwandelt. Und darum ist er so reich gestorben, daß wir
alle seine Schuldner geworden sind, der Freund, der ihm borgte, die
Mietfrau, die den Zins nicht gleich bekam, der Wirt, der die Kreide
verschrieb, die Mädchen, die mit seinem Herzen spielten, und die ganze
große unbekannte Menschheit .......... Wenn er sang, dann stand die
Lerche still, dann hielt der Bach den Atem an, dann hoben die munteren
Forellen ihre Köpfe aus den Wellen, dann sangen sie leise mit, und ihr,
ihr alle sanget leise mit. Und die Welt des Haders, der Zwietracht
sang mit und der große Chor schallte aus allen Tiefen, von allen Höhen
....... Immer noch hören wir den Bach glucksen und schluchzen, wir
hören die stummen Forellen, die mitsingen, wir hören den Chor der selig
Leidenden, wir hören die Weinbergsfreudenstimmen von allen Höhen, wir
hören den Sang der Liebe durch die ungezählten süßen Namen rauschen,
die ihn als ebenso viele hold weibliche Verkörperungen umgaukeln --
er will sie fassen, sie zerfließen, immer wieder fließen sie in eine
zusammen, in diese eine große unsterbliche Geliebte; die Heimatstadt,
die der Sänger in scheuer Minne wahrhaft geliebt hat ........ Und diese
launische, undankbare, vergeßliche, eitle, oberflächliche, einfältige,
kindliche, herzensfrohe, tiefe, beglückende und zugleich so betrübende,
geschmähte, verfluchte, vor allem aber geliebte Stadt, sie hat uns --
sie hat ihm alle Wunden geschlagen, sie hat ihn mit Schmerzen gesegnet,
damit er von ihr zu singen und zu sagen wisse und wir mit ihm, diese
einzige, große unsterbliche Geliebte -- -- -- -- -- -- -- Diese Heimat
-- kennt ihr sie? Dort sind die Hügel belaubt und schlafen unter Reben,
des Gottes voll; dort ist der Wind ein Kuß und der Sturm ein Lied. Dort
plaudern die Bäche eine vertraute Sprache wie nirgend auf der Welt;
dort fließt in den Brunnen das Wasser des Lebens und in den Gärten
blüht die Liebe. Dort grüßen tausend Hände den Verstoßenen, wie sie
ihn verstoßen und gegrüßt haben, den Sänger der Heimat, dem sie es so
schwer gemacht haben, wie jedem, der Edles und Großes wollte -- dem
sie es so schwer gemacht haben und von dem sie schließlich ein Lied
wie einen Denkstein im Herzen tragen ....... Laßt uns daran denken --
immer wieder muß ich daran denken, wenn ich die alten Wege gehe, den
Forellenbach entlang, an dem auch er so oft gestanden war, sinnend und
lauschend, den Sang der leisen Wellen und der munteren Forellen zu
erhorchen und das Summen der Freude, die noch in allen Reben schläft,
den ganzen Berg hinan. Laßt mich daran denken, wenn ich sehe, was sie
aus der geheiligten alten Heimat gemacht haben ....... Wie sieht
es zuweilen wirklich aus, das äußere Bruchstück der Heimat, die wir
inwendig im Licht der Verklärung sehen als wesentliches Stück unserer
Seele? In der ersten grünen Schenke gibt's Streit, ich gehe vorüber;
in der zweiten werden wüste Gassenhauer gesungen, ich gehe wieder
vorüber; über duftende Hausgärten her kommt eine keifende Stimme; ein
geschminktes Frauenzimmer vertritt mir den Weg. Ach, es ist nicht immer
die Liebe, die in den Gärten blüht; es ist nicht immer die Freude, die
aus dem Weinglas getrunken wird; es ist nicht immer die unsterbliche
Geliebte, die uns begegnet. Und selbst mein unvergeßlicher, klaräugiger
Forellenbach ist eine dicke, schmutzige, übelriechende Gosse geworden
und es sind längst keine Forellen mehr darin ....... Vielleicht sind
niemals Forellen darin gewesen -- aber was tut's? Wenn ich über alle
diese Ärgernisse und Wirrungen des äußeren Lebens genau hinaushorche,
wenn ich genau in mich hineinhorche, dann werden die geliebten Stimmen
wieder lebendig, mit tausend unsichtbaren Händen grüßt der Genius loci
den Verstoßenen und hält ihn liebevoll geschäftig fest; ich fühle
es, daß wir alle, was uns auch trennt, irgendwie zusammengehören
in dem großen Seelenkonzert, darin der brave Schulmeisterssohn vom
Himmelpfortgrund den Taktstock führt ....... wir sind Brüder und
Freunde geworden durch ihn, das Herz der Stadt hat eine Stimme bekommen
und diese Stimme ist er, unser Schubert. Er gehört zu jenen, um
derentwillen unsere Stadt immer geehrt und geliebt werden wird, trotz
-- trotz allem ..............

Also sprach der eine und schloß mit den Worten: Brüder und Freunde in
Ewigkeit -- sind wir mit ihm auch vorläufig zu Ende -- so ist es darum
noch lange nicht zu Ende. Oh, noch lange nicht zu Ende! Hört es doch
-- die Seele klingt fort, das Herz singt in seinem Lebenslied, der
heimliche Sang der tiefen Brunnen, es singt von ihm und dieser Stadt,
der großen unsterblichen Geliebten ................


                              -- Ende --




                      Vom Verfasser dieses Romans

                  sind im gleichen Verlag erschienen:


                             Amsel Gabesam

                        Der Narr vom Kahlenberg

                                 Roman


                         Auf deutscher Straße

                      Amsel Gabesams Wanderjahre

                                 Roman


                   Chevalier Blaubarts Liebesgarten

                                 Roman


                      Die Vision der lieben Frau

                      Ein Münchner Künstlerroman


                        Das große Bauernsterben

                    Das Buch eines Glaubenskrieges


                           Kultur der Seele

    Lebensweisheit nicht ohne Humor in einem modernen Erbauungsbuch





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK FRANZ SCHUBERTS LEBENSLIED ***


    

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Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

    This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
        the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
        agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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