Gedichte

By Otto Ernst Schmidt

The Project Gutenberg eBook of Gedichte
    
This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and
most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
of the Project Gutenberg License included with this ebook or online
at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States,
you will have to check the laws of the country where you are located
before using this eBook.

Title: Gedichte

Author: Otto Ernst Schmidt

Release date: March 2, 2025 [eBook #75501]

Language: German

Original publication: Leipzig: L. Staackmann Verlag, 1923

Credits: The Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***


  ####################################################################

                     Anmerkungen zur Transkription

  Der vorliegende Text wurde anhand der Buchausgabe von 1923 so weit
  wie möglich originalgetreu wiedergegeben. Typographische Fehler
  wurden stillschweigend korrigiert.

  Die Originalausgabe wurde in Frakturschrift gesetzt. Besondere
  Schriftschnitte werden im vorliegenden Text mit Hilfe der folgenden
  Symbole gekennzeichnet:

        kursiv:   _Unterstriche_
        gesperrt: +Pluszeichen+
        Antiqua:  ~Tilden~

  ####################################################################




[Illustration]




[Illustration:

                              Otto Ernst
                              Gesammelte
                                 Werke

                               _7. Band:
                               Gedichte_

                            [Illustration]

                     L. Staackmann-Verlag·Leipzig

]




[Illustration:

                               Gedichte

                                 _von
                              Otto Ernst_

                            [Illustration]

                     L. Staackmann-Verlag·Leipzig

]




    Alle Rechte, besonders das der Übersetzung in fremde Sprachen,
                             vorbehalten.


                 Druck: Julius Klinkhardt in Leipzig.




Inhalt.


      I. +Balladen und erzählende Dichtungen.+             Seite

  Nis Randers                                                 15

  Sündflut                                                    16

  Timm Clasen                                                 18

  Tom Biel                                                    19

  Wie Jan Bart die Blockade brach                             20

  Hartnäckige Liebe                                           22

  Ratbod                                                      24

  Herr Dagbrand                                               25

  Der fliegende Holländer                                     26

  Der gerechte Gevatter                                       26

  Der Grenzlauf                                               28

  Die Geister von Aenglistal                                  29

  Hans Holbein und der Lord                                   31

  Gerechtigkeit                                               32

  Quintus Sertorius                                           34

  Sibirien                                                    43


      II. +Mit der Natur.+

  Hymnus an die Bäume                                         49

  Wilde Frühlingsboten                                        51

  Vorfrühling                                                 54

  Später Schnee                                               55

  Präzeptor Frühling                                          56

  Freistatt                                                   58

  Einem Sommer                                                59

  Ausflug                                                     61

  Im Sommerglanz                                              63

  Spätsommer                                                  64

  Auflösung                                                   64

  Die schlafenden Tage                                        65

  Winternachmittag an der Elbe                                66

  Wintermorgen                                                67

  Winter                                                      68

  Entsagung                                                   69

  Spaziergang                                                 69


  III. +Junge Liebe.+

  Gesicht                                                     71

  Tödlicher Traum                                             73

  Erwartung                                                   74

  Walpurgisnacht                                              74

  Liebesschauer                                               76

  Auf dem Morgengange                                         78

  Beglückender Einklang                                       79

  Als die Geliebte sang                                       80

  Leuchtender Tag                                             81

  Tändelei                                                    81

  Lieb’ und Traum                                             82

  Abend                                                       83

  Beredtes Verstummen                                         84

  Liebesglaube                                                84

  Versöhnung                                                  85

  Bitte                                                       87

  Süßer Wahn                                                  87


      IV. +Weib und Daheim.+

  Altmodisches Lied                                           89

  Am Hochzeitstage                                            90

  Tränen im Glück                                             91

  Was Ortrun sprach                                           92

  Frauenschönheit                                             93

  Sonnenblick                                                 94

  Genügen                                                     95

  Tiefglücklich                                               96

  Freundliche Nähe                                            96

  Blühendes Glück                                             97

  Großer Prolog für Hümpeldorf                                98

  Ein neues Trinklied                                        103

  Zuflucht                                                   104

  Verstoßen                                                  105

  Angelika                                                   105

  Kameraden                                                  107

  Natur und Liebe                                            107

  Gedenke!                                                   108

  Reue                                                       109

  Liebeszeichen                                              110

  Nächtliche Wanderung                                       110

  Liebesrausch und selige Klarheit                           111

  Freudiges Erwachen                                         112

  Apologie                                                   112

  Meiner Muse                                                113

  Ewiges Glück                                               114


      V. +Kinder und Frohsinn.+

  Kindheit                                                   115

  Der Erbe                                                   116

  Glück                                                      117

  Vater Harlekin                                             117

  Aus einer Nacht                                            118

  Am Abend                                                   120

  Sklavenmoral                                               121

  An der Wiege                                               122

  Wiegenlied                                                 123

  Nacht und Morgen                                           124

  Unsterblich                                                126

  Sonntagskind                                               127

  Sonnentage                                                 128

  Traumhüter                                                 128

  Das Feuerwerk                                              129

  Am Vorabend der Hochzeit

  Meiner Ältesten                                            131

  Meiner Jüngsten                                            131

  Lütt Jan                                                   132

  Ein Freudentag                                             134

  Erwartung der Weihnacht                                    135

  Heiliger Morgen                                            136

  Weihnachtsspaziergang                                      137

  Weihnachtsepistel                                          139

  ~Mihi est propositum~                                      145

  Der freche Sekt                                            146

  Lob der Sparsamkeit                                        147


      VI. +Leben, Leid und Tod.+

  Neujahrsgruß                                               149

  Abend und Morgen                                           151

  Leise Stimmen                                              152

  Im Nachtzug                                                153

  Fernes Licht                                               154

  Erscheinung                                                155

  An die Zeit                                                156

  Sonett                                                     156

  Mein Freund                                                157

  Waldidyll                                                  158

  Im Garten                                                  158

  Aus gesegneten Tagen                                       159

  Stiller Besuch                                             160

  Ruhe des Herzens                                           160

  An einem leisen Bach                                       161

  Jäher Zweifel                                              162

  Eines Tages                                                163

  Lied eines Armen                                           164

  In Gunst bei der Wetterhexe                                165

  Zuspruch                                                   165

  Schranken des Glücks                                       166

  Vor dem Zuchthause                                         167

  Das verwandelte Lied                                       169

  Sorge                                                      171

  Um eine Hoffnung ärmer                                     174

  Müde                                                       175

  Johannisnacht                                              176

  Trügender Strahl                                           177

  Der Einsame                                                177

  Nach dem Gewitter                                          178

  Leben und Tod                                              178

  Aus umnachteten Stunden                                    180

  Am Grabe eines Freundes (I, II)                            182

  An den frischen Gräbern                                    183

  Rhapsodie                                                  184

  Mahnung                                                    185

  Das eine Ziel                                              186

  Friedhof in Hannover                                       186

  Dem Andenken meines Vaters                                 187

  Allein im Dunkel                                           187


      VII. +Vaterland und Heimat.+

  Deutschland                                                188

  An mein Vaterland                                          189

  Gewittersegen                                              190

  Die singenden Helden                                       190

  Das Kindergesicht                                          191

  Ostern 1915                                                191

  Der Sohn                                                   192

  Das Gold dem Vaterlande (I-IV)                             193

  Was denkt der Schuft?                                      193

  Unsere gefangenen Brüder                                   195

  An jeden Deutschen                                         196

  Das Notwendigste                                           197

  1922                                                       197

  Lied der Deutschen                                         198

  Schleswig-Holstein                                         199

  Holsteinische Abendlandschaft                              200

  Deutsche Weihnacht                                         201


      VIII. +Kunst und Dichter.+

  Der Ruf                                                    203

  Wintermärchen                                              204

  Schiller                                                   205

  Goethe und Tasso                                           207

  Hebbel der Nibelungendichter                               209

  Elise Lensing                                              211

  Der Gekrönte                                               213

  Glosse                                                     215

  Die Künstler                                               216


      IX. +Gott und Gedanke.+

  Gesegnete Wandrung                                         218

  Alles ist ewig                                             219

  Hingebung                                                  219

  Andacht im Gebirge                                         220

  Menschenlos                                                222

  Das Gesicht der Wahrheit                                   223

  Das Dogma                                                  226

  Ein Besuch                                                 229

  Pestalozzi                                                 232

  Comenius                                                   235

  Chidhr                                                     238


     X. +Sprüche und Spruchartiges.+

  Kopf hoch!                                                 241

  Glaub’s!                                                   241

  In ein Kinderalbum                                         241

  Freundliches Schicksal                                     242

  Zur Seelendiät                                             242

  Triumph!                                                   242

  Zweierlei Begeisterung                                     242

  Durchhalten                                                242

  Schützensprüche (I-V)                                      243

  Passionsgeschichte                                         244

  Ewig dasselbe                                              244

  Anwartschaft des Ruhms                                     244

  Gefahrvolles Schwanken                                     245

  Schwerstes Unglück                                         245

  Spruch                                                     245

  ~Hic Rhodus~                                               245

  Erkennen und Lehren                                        246

  Guter Rat                                                  246

  Einem Neunmalweisen                                        246

  Moderne Gesellschaftsstützen                               246

  Frommer Eifer                                              247

  Zeitbild                                                   247

  Kollegialität                                              247

  Auf einen Typus                                            248

  Tatsache                                                   248

  Fortschritt                                                248

  Geburtstagsverse

      Einem Fünfzigjährigen                                  249

      Desgleichen                                            249

      Einem Sechzigjährigen                                  249

  Einem Fünfundsiebzigjährigen                               249

  Marie v. Ebner-Eschenbach                                  250

  Petrus Rosegger                                            250

  Mozart                                                     250


      XI. +Fröhlicher Krieg.+

  Frau Beate Stupiditas                                      251

  Trotz der Lüge                                             254

  Adler und Pfau                                             255

  Schwan und Gans                                            256

  Die beiden Hähne                                           256

  Das Zentral-Eichamt                                        257

  Der alte Hahn                                              258

  Wahlgeschichten

      Der Regierungskandidat                                 259

      Die freie Wahl                                         260

      Die moralische Konsequenz                              260

  Lehrreiche Fabel                                           261

  Denunziation                                               261

  Zweifelhaftes Heldentum                                    262

  Die unterbrochene Predigt                                  262

  Der Sieger                                                 263

  Der Kritiker spricht                                       263

  Göttliche Komödie                                          264

  Das erlösende Wort                                         264

  An einen außerordentlichen Professor                       265

  An einen Erfolggekrönten                                   265

  Päan                                                       266

  Hamlet im 20. Jahrhundert                                  267

  Nibelungenstrophen des Oberlehrers Ambrosius Fuchser:

      ~Probatum est~                                         268

      Der Fleck                                              269

      Zur sozialen Frage                                     269

      Die Wissenschaft muß umkehren                          270

  Eruption                                                   272


      XII. +Denkzettel.+

  Offenes Visier                                             275

  Karriere                                                   275

  Der Diplomat                                               275

  Ein Korrekter                                              275

  An eine kleine Pharisäerin                                 276

  Den Feinden der Mode                                       276

  Auf einen feisten Monarchen                                276

  Der Snob im Theater                                        276

  Auf einen bürokratischen Emporkömmling (I-III)             277

  Aktuell um jeden Preis                                     277

  Auf einen Skandal-Journalisten                             277

  Auf einen Redakteur                                        278

  Auf einen finsteren Kunstrichter                           278

  Passende Beschäftigung                                     278

  Der Einzige und sein Eigentum                              278

  Auf einen Pornographen                                     278

  Beliebtes Rezept                                           279

  Einem Pessimisten                                          279

  Einem jungen Welthasser                                    279

  Wohlgemeinter Rat                                          279

  ~Homo novus~                                               279

  Den Rückwärtsern (I-III)                                   280

  Der dichtende Schimpfbold                                  280

  Auf einen Rezensenten                                      280

  Der Geheimnisser                                           281

  Auf einen Herausgeber (I-III)                              281

  Der Mystikus                                               281

  Neuestes Rezept für Lyrik                                  282

  Auf einen Minister                                         282

  Auf einen Parteiführer                                     282

  Emanzipierte Frauen                                        282

  Der kreißende Dichter                                      282

  Warnung                                                    283

  Pharisäer und Heuchler                                     283

  Der „Tiefe“ im Lustspiel                                   283

  Auf einen Polizeiminister                                  283

  Diplomatie                                                 283

  Der Bescheidene                                            284

  Kein Wunder                                                284

  Auf einen Hosenknopf-Naturalisten                          284

  Bescheidenheit                                             284

  ~Hinc illae lacrimae~                                      284

  ~Le précieux ridicul de Berlin~                            285

  Der lautere Künstler                                       285

  Zierden des Vaterlands (I, II)                             285

  Altes Lied von der Zufriedenheit                           286

  Inschrift                                                  286

  Ein Biedermann                                             286

  Verbesserte Auflage                                        286

  Der beliebige Meyer                                        287

  Meyer II                                                   287

  Meyer III                                                  287

  Derselbe                                                   287

  Hartgesotten                                               288

  „Haltet den Dieb!“                                         288

  Ein Typus                                                  288

  ~Nil admirari~                                             288

  Je nachdem                                                 288

  Auf einen Berliner Preßjüngling                            289

  Der Selbstdichter                                          289

  Noch einer von den vielen                                  289

  Ältester Adel                                              289

  Poetaster                                                  290

  Die „Ernsthaften“                                          290

  Auf eine Reklamegröße                                      290

  Auf einen Jambenrassler                                    290

  Auf einen käuflichen Literaten                             291

  Der Handelsmann im Norden                                  291

  Nur bescheiden                                             291

  Die Rechten                                                291

  Der größte Lacherfolg                                      292

  Einem kleinen Kometen ins Stammbuch                        292

  Amnestie                                                   292

  An ein Rauhbein                                            292

  Das „~Dr.~“ vor dem Namen                                  293

  Auf einen Rezensenten namens Kuh                           293

  Falsche Rechnung                                           293

  Disputation                                                293

  Ein Frommer                                                294

  Unsere Protestanten                                        294

  Den Dunkelmännern                                          294

  Ökonomie                                                   294

  Der Prophet im Vaterlande                                  295




I. Balladen und erzählende Dichtungen.




Nis Randers.


    Krachen und Heulen und berstende Nacht,
    Dunkel und Flammen in rasender Jagd --
    Ein Schrei durch die Brandung!

      Und brennt der Himmel, so sieht man’s gut:
    Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
    Gleich holt sich’s der Abgrund.

      Nis Randers lugt -- und ohne Hast
    Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
    Wir müssen ihn holen.“

      Da faßt ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein:
    Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
    Ich will’s, deine Mutter!

      Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
    Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
    Mein Uwe, mein Uwe!“

      Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
    Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
    „Und +seine+ Mutter?“

      Nun springt er ins Boot, und mit ihm noch sechs:
    Hohes, hartes Friesengewächs;
    Schon sausen die Ruder.

      Boot oben, Boot unten, ein Höllentanz!
    Nun muß es zerschmettern ...! Nein: es blieb ganz! ...
    Wie lange? Wie lange?

      Mit feurigen Geißeln peitscht das Meer
    Die menschenfressenden Rosse daher;
    Sie schnauben und schäumen.

      Wie hechelnde Hast sie zusammenzwingt!
    Eins auf den Nacken des andern springt
    Mit stampfenden Hufen!

      Drei Wetter zusammen! Nun brennt die Welt!
    Was da? -- Ein Boot, das landwärts hält --
    Sie sind es! Sie kommen! -- --

      Und Auge und Ohr ins Dunkel gespannt ...
    Still -- ruft da nicht einer? -- Er schreit’s durch die Hand:
    „Sagt Mutter, ’s ist Uwe!“




Sündflut.


    Erk Mannis schaut über Holmös Strand:
    Verronnen die Flut, aber tot ist das Land.

      +Ein+ Schlick und +ein+ Schlamm und +ein+
        Trümmergraus;
    Nur eines blieb ganz: das Gotteshaus.

      Erk Mannis ruft! -- Kein lebender Ton!
    Die See gluckst leise mit glimmerndem Hohn.

      Da stürmt er die Stufen hinauf zum Turm;
    Sein ahnendes Grausen läutet Sturm;

      Die Glocke schreit wie ein jammerndes Kind:
    Gebt Antwort, gebt Antwort, wo Menschen sind! --

      Nur Nebelschweigen und Todesruh.
    Dein Volk ist tot. Nur du lebst, du.

      Da packt ihn das Grauen; mit tappendem Schritt
    Steigt er hinab; in die Kirch’ er tritt

      Und sinkt in die Bank, und vors Gesicht
    Ballt er die Fäuste und stöhnt und spricht:

      „Ich dank’ dir mein Leben nicht, o Gott!
    Dein Segen ist Fluch, deine Rettung Spott.

      Wo hast du mein Weib? Wo hast du mein Kind?
    Mein ganzes Volk zerstoben im Wind!

      Du hast mich vergessen, ich helfe dir nach --“
    Ans Messer im Gürtel greift er jach --

      Da hört er ein Schwirren -- er blickt hinauf:
    Vom Taufstein hob sich ein Schwälbchen auf.

      Beschwingtes Leben im finstern Raum!
    Durchs Fenster entflog es wie ein Traum!

      Er raffte sich auf; er schaute sich um --
    Da sah er ein Weib, das blickte stumm

      Der Schwalbe nach und blickte lang --
    Bis Auge still in Auge sank.

           *       *       *       *       *

      Sie schritten schweigend hinaus vor die Tür,
    Da schwirrten die Schwalben für und für.

      Sie fanden ein Grabmal aus bröckelndem Stein,
    Da flitzten die Flinken aus und ein.

      In eines Kranzes moderndem Rest,
    Da hegten die Segler ein heimlich Nest;

      Da fanden die beiden zirpende Brut,
    Geborgen und froh in des Todes Hut. --

      Übers Meer, in die Ferne schauten sie weit.
    Den Ruf des Lebens hörten sie beid’.

      Heut lebt auf Holmö rank und recht
    Ein todesmutig, ein froh Geschlecht.




Timm Clasen.


    Am Fischerewer träumt ein Licht
    Und nickt, als ob’s im Traume spricht
    Mit seinem Widerschein -- der blinkt
    Aus stiller Flut -- und blinkt -- und winkt --
    Hoo, Timm Clasen, heut gibt’s einen Fang!

      Timm Clasen aber sinnt anderm nach.
    Was glitscht im Mondschein her gemach?
    Ei, Jan Frerk -- der kommt mir in’n Griff!
    Ein dumpfer Ruf -- ein leiser Pfiff --
    Hoo, Timm Clasen, das gibt einen Fang!

      Jan Frerk, der küßte Trin Antje’s Mund --
    Die Krebse sollen dich fressen, du Hund!
    Und er ruft ihn an und keucht und zischt,
    Herüber, hinüber fliegt Gall’ und Gischt,
    Hoo, Timm Clasen, nun gibt’s einen Fang!

      Timm langt aus -- und da kentert das Boot;
    Jan grapst an den Planken in Todesnot;
    Timms Ruder krachend niederschlug:
    Da -- der hat für diesmal genug.
    Hoo, Timm Clasen, das gab einen Fang! -- --

      Timm Clasen, wie wird der Fluß nun still,
    Und der Mond tut, als ob er reden will. --
    Timm lichtet den Anker und schwimmt stromab
    Mit der Ebbe und läßt das Netz hinab --
    Hoo, Timm Clasen, nun gibt’s einen Fang!

      Teufel, wie schwer -- oha! Er zieht;
    Er bringt es herauf -- und starrt -- und sieht --
    Timm Clasen, wie scheint der Mond heut rot!
    Da glotzt Jan Frerk; Jan Frerk ist tot --
    Hoo, Timm Clasen, das gab einen Fang!

      Und das Netz fiel klatschend! Vom Uferrohr
    Ein schwarzer Vogel stieg steil empor
    Und schoß ins Land. Über’n Birkenschlag
    Starrt mit einem Auge der Tag --
    Hoo, Timm Clasen, das gibt einen Fang!




Tom Biel.


    Das war Tom Biel der Kapitän.
    Seine Mannschaft die wollte doch mal sehn,
    Was sie durch Drohung von ihm erreiche,
    Und ob sie den harten Schädel erweiche.
    Sie setzten auf hoher See ihm das Messer
    Glattweg an die Kehle, die braven Erpresser.
    „Halbe Arbeit und doppelten Lohn!“
    Das war die erste Position.
    Tom bat sie freundlich, weiterzureden.
    „Ja, hundert Mark Extravergütung für jeden!“
    „Un denn?“ fragt Tommy, ohne zu plinken.
    „Ja, besseres Essen un mehr zu trinken!“
    „Un denn?“ fragt Tom und beguckt seine Hosen.
    „Ja,“ schreien sie da mit wildem Erbosen,
    „Hier soll nich ümmer bloß einer befehlen!
    Wir wollen einen Ausschuß wählen,
    Un der soll das Kommando führen!
    Wir lassen uns nich mehr terrorisieren!“
    „Un denn?“ fragt Tom und fängt eine Motte.
    „Das is allens“, meint da der Führer der Rotte.
    „Un wenn Sie das nich bewill’gen, Kaptein,
    Denn ßtellen wir die Arbeit ein!“
    „Un denn?“ fragt Tommy mit Augen wie’n Kind.
    „Djä, +denn versupt wi, so as wi hier sünd+!“

      Stumm langt Tom Biel in seinen Sakko;
    Da hat er stets einen starken Tobakko.
    Eine Brasil, schwarz, saftig und dick,
    Holt er hervor mit liebendem Blick;
    Der schneidet er sorglich die Spitze ab,
    Setzt sie mit einem Zündholz in Trab
    Und achtet darauf, daß sie brennt bis zum Rand;
    Denn die Hauptsache ist: gleichmäßiger Brand!
    Fächelt den Duft sich unter die Nase
    Und sagt mit dem Gegenteil von Ekstase -- --
    -- Ja ja, was sagt er?! -- Er sagt nicht viel:
    „Na, denn versupt wi“, sagt Tom Biel.

      +Er+ wollte wohl; aber +sie+ wollten +nicht+.
    Sie kehrten zurück zu ihrer Pflicht.




Wie Jan Bart die Blockade brach.


    Jan Bart fragt den Teufel nach „~dehors~“;
    Stracks will er hinein zu Louis Quatorze.
    Aber die Schranzen im Wartezimmer
    Sperren den Weg dem Genie, wie immer.

      Wenn sie dem Tüchtigen freie Bahn
    Lassen, dann ist’s um sie getan;
    Das weiß das Pack. Und mit Furcht und Zittern
    Hält es die Könige hinter Gittern.

      Jan Bart ist aber gewohnt zu siegen.
    Na warte, denkt er, euch will ich schon kriegen,
    Lehnt sich gemächlich gegen die Wand,
    Schlägt Feuer und setzt seine Pfeife in Brand.

      Erstarrung. Entsetzen. Schauder und Grauen.
    Ist’s denkbar? Soll man den Augen trauen?
    Man hätt’ ihn so gern auf den Trab gebracht;
    Doch wer ihn gesehen -- --, der hat sich bedacht.

      „Majestät -- ein Offizier -- der raucht --
    Im Vorzimmer -- wünscht Gehör --“, so haucht
    Der Offizier vom Dienst und harrt.
    Spricht der König: „So keck ist nur Jan Bart.

      Er rauche zu Ende und trete ein.“
    Jan aber läßt Pfeife Pfeife sein
    Und steht alsbald vor dem „Sonnenkönig“.
    Jan hält sich aber auch nicht für wenig.

      Und er hat für einen Matrosen gesprochen,
    Der einen andern im Zweikampf erstochen.
    Sie wollte nicht dran, die Majestät;
    Jan Bart hat aber nicht beigedreht.

      Es galt eines teuren Freundes Leben,
    Und der König hat endlich nachgegeben
    Und hat gemeint: „Du forderst viel;
    Ich gewähre dir, was ich abschlug Tourville!“

      Und rühmte mit manchem Wort noch das Werk
    Des Helden von Newcastle und Dunkerque.
    Die Zwiesprach währte fast einunddreißig
    Minuten! (Die Schranzen zählten fleißig.)

      Und als er nun wieder hervorgekommen,
    Da hat man ihn gleich in die Mitte genommen.
    Ei, das hat sich geschwärmt und scharwenzelt!
    Ei, das hat sich gescharrt und geschwänzelt!

      Ein Mann, dem der König aus eigenstem Munde
    Das Wort gegönnt eine halbe Stunde --
    Da mag man nun sagen, was man kann --
    Ein solcher Mann, +das+ ist ein Mann!

      Sie haben umstellt ihn und eingekreist,
    Sein Genie gerühmt, seinen Heldengeist;
    Sie haben ihn förmlich eingeschlossen
    Und ihn mit Narden und Honig begossen.

      „Monsieur, wie kam’s nur, daß Sie den Schlingen
    Der Briten bei Dunkerque entgingen!
    Sie waren doch regelrecht blockiert!
    Wir sind aufs höchste interessiert!“

      „Nichts leichter als das!“ ruft unser Jan Maat,
    Und eh’ sich’s einer versehen hat,
    Kriegt links ein Gauch und rechts ein Gauch
    Eins vor die Brust, eins vorn Bauch;

      Ein Fußtritt hier, ein Fußtritt da,
    Knuffpuff, klabautz, Viktoria!
    Jan Bart steht schon an der Tür und lacht:
    „Adieu, meine Herren, so hab’ ich’s gemacht!“




Hartnäckige Liebe.


    Jan Reimers hatte vor gar nichts Furcht.
    Er rettete damals die beiden Dänen,
    Ihr wißt wohl -- es wollte keiner dran --
    Er riß sie dem blanken Hans aus den Zähnen.

      Nun war da die Antje Nissen -- ei ja,
    Die mochte dem starken Jan wohl taugen!
    Schmuck war sie, alles was recht ist -- man bloß:
    Ihr guckte der Deubel aus beiden Augen.

      Aber Jan, wie gesagt, war bange vor nichts.
    Und so freit’ er um Antje. Sie ziert’ sich nicht lange
    Und sagte Ja und ward seine Braut.
    Aber als sie’s war, da ward ihm doch bange.

      Schon vor der Hochzeit alle Tag Krieg!
    Verdammt, denkt Jan, nur noch drei Wochen,
    Dann ist die Hochzeit. Sie läßt mich nicht los.
    Aber sie ist ein Stachelrochen.

      Da -- denkt euch -- da kommt ihm Hilf’ in der Not!
    Bei Südsüdost wird Jan Reimers verschlagen --
    Er rennt auf die Klippen -- das Schiff zerkracht --
    Eine Planke hat ihn nach England getragen.

      Sein erster Gedanke war: „Jung, wat’n Glück,
    Nu bin ick verschollen! Das ’s Gottes Wille!“
    Er stopft sich die Pfeife mit nassem Shag
    Und steckt sie in Brand bedachtsam und stille.

      Sein Ewer freilich war Grus und Mus.
    „Na ja,“ denkt Jan, „wat is dor Slimm’s bi!
    Ick hev hier Fisch un hev hier Tobak.“
    Und er lebte drei Jahre vergnügt in Grimsby.

      Aber die Welt ist ein Rattenloch.
    Ein Landsmann muß ihn gesehen haben. --
    Jan bummelt am Hafen, die Fäust’ in der Tasch’,
    Sich recht an Freiheit und Sonne zu laben --

      Da hört er plötzlich -- ihm schießt’s in die Knie --
    Seinen Namen rufen von weiblicher Stimme:
    „Jan Reimers! Jan Reimers!“ Ihm war’s, als rief
    Des jüngsten Tages Posaun’ ihn mit Grimme!

      Aber Jan hat Courage: er stellt sich taub!
    Da ruft Antje Nissen: „Du solltest dich schämen!
    Nun tu’ doch nicht so, als wenn du nicht hörst,
    Du Feigling, du!“
                      Da mußt’ er sie nehmen.




Ratbod.

    Hat Liebeswort und Glaubensglut
    Bezwungen Ratbods Heidenmut?

      Der Taufe neigt er schon das Haupt --
    Ein Friesenheld, der Christum glaubt?

      Das Kreuz, das er auf Knien ehrt,
    Das Kreuz ist König Karols Schwert.

      Der Priester sprach: „Dir wird zuteil
    Durch Christi Huld des Himmels Heil,

      Dieweil die trotzigen Magen dein
    Verzehren wird der Hölle Pein.“

      Hei, klirrend auf Herr Ratbod sprang:
    „So hab’ für Heil und Himmel Dank!

      So wär ich wohl ein falscher Hund,
    Verließ ich sie im Höllengrund.

      Ihr Blut ist mein; ihre Not ist mein,
    Durch Treue will ich selig sein!“

      Und stieß der Klinge lachend Erz
    Mit starker Hand ins starke Herz.




Herr Dagbrand.


    Herr Dagbrand kämpfte harten Strauß
    Mit Ungemach und Erdengraus.
      Die Pest verschlang ihm Weib und Kind,
    Der Krieg ihm Hof und Ingesind.
      Und wie er ganz sich arm vermeint,
    Stahl ihm Verrat den liebsten Freund.
      Da packt Herrn Dagbrand wilde Lust,
    Das Unheil zwang er Brust an Brust --
      Und wieder wuchs ihm Gut und Land,
    Und wieder drückt er Freundeshand,
      Und wieder trug ihm Reis auf Reis
    Ein lachend Liebesparadeis. --
      Herr Dagbrand ritt durch tiefen Wald,
    Am Schenkel stramm die Faust geballt,
      Und lachend sprach er still bei sich:
    „Du Leben du, ich zwinge dich!“
      Und ritt und ritt durch schwarzen Wald,
    Da ward es eigen stille bald.
      Die Blätter hingen bang und schwer,
    Kein Rauschen war und Raunen mehr.
      Des Rosses Huf gab keinen Klang,
    Das Reh hielt still auf seinem Gang.
      Und langsam, sieh! aus Sumpf und Moor
    Wächst still und stumm ein Weib empor.
      Ein schweigend Bild, ein ragend Bild
    Wie Felsenturm im Herbstgefild.
      Ihr Mantel fließt wie Nebeltau,
    Vom Scheitel hängt ein Schleier grau;
      Doch hinterm Schleier, dünn wie Rauch,
    Kein Aug, kein Mund, kein Atemhauch,
      Kein Merkmal eines Angesichts --
    Der Schleier deckt ein schaurig Nichts. --
      Herr Dagbrand wendet scheu sein Roß,
    Das fand wohl heim nach Dagbrand-Schloß.
      Sein Wort erstarb wie Abendwehn:
    „Nun hab ich, Leben, dich gesehn.“




Der fliegende Holländer.


    Zwei plaudernde Gesellen
    Im Kahn, im flügelschnellen.
    Schon stieg aus sanften Wellen
    Die Nacht, die milde Fei.

      -- Was war’s? -- Was huscht von hinnen?
    Ein Schiff mit schwarzen Linnen
    -- Kein Schiffer saß darinnen --
    Glitt unserm Boot vorbei.

      Vom Schiff her kam ein Singen
    Auf weichen, dunklen Schwingen,
    Ein längst vertrautes Klingen,
    Wie fremd die Weise sei.

      Verklingen und Entschwinden --!
    Wer sucht, um uns zu finden? -- --
    Auf Wellen floß und Winden
    Das Schweigen still herbei.




Der gerechte Gevatter.


    Ein Pilger schritt durchs Tal bergan,
    Zu suchen den Gevattersmann,
    Dem sich ein Herz vertrauen kann,
    Weil er gerechten Sinns.

      Im Sonnenglast auf hoher Hald’
    Ersah er eine Lichtgestalt,
    Die sprach: „Dein Suchen endet bald,
    Ich bin der Herre Gott.“

      Doch jener rief: „Ach nein, ach nein,
    Du kannst mir nicht Gevatter sein.
    Dem schenkst du Lust und jenem Pein,
    O, du bist nicht gerecht.“

      Durch öden Hohlweg klomm er fort,
    Da saß ein Mann an düst’rem Ort,
    Der sprach zu ihm mit leisem Wort:
    „Nimm mich. Ich bin der Tod.“

      Der Sucher sprach: „Du bist gerecht,
    Den Herren schlägst du wie den Knecht,
    Kein Stand ist dir zu gut und schlecht,
    Es gilt, Gevattersmann!“

      Und plaudernd schritten sie fürbaß.
    Der Sucher sprach: „Noch künd’ mir das:
    Warum versinkt ins Grabgelaß
    Der spät und jener früh?“

      Darauf der Tod: „Ein Lämpchen glüht
    Für jeden, der dem Staub entblüht;
    Bald früh, bald spät sein Licht versprüht,
    Allwie das Öl gereicht.“

      Und jener: „Sag’ mir dies zuletzt,
    Wieviel des Öls mein Lämpchen netzt;
    Sprich, wann ist mir das Ziel gesetzt?“
    Da sprach der andre: „Jetzt.“

      „So gib mir zu, des hast du G’walt!“
    Des Todes Hand erfaßt ihn kalt:
    „Du stirbst allhier und alsobald,
    Wie wär’ ich sonst gerecht?“




Der Grenzlauf.


    Es hatten die von Uri und die von Glarus Streit.
    Sie taten der Grenze willen einander Schmach und Leid.
    Eins mähte des andern Wiese, eins haschte des andern Kuh.
    Es schauten die Guten im Lande dem Hader mit Unmut zu.

      Sie sprachen: „Es laufe von Altdorf, es laufe von Glarus ein Mann;
    Wo sie einander begegnen, da sei die Grenze fortan.
    Wenn Tag und Nacht sich gleichen, beim ersten Hahnenschrei,
    Da sollen die beiden laufen, daß Recht und Friede sei.“

      Nun hielten heimlich die Urner den magersten Gockel bereit,
    Sie ließen ihn fasten und darben und dachten: Wer hungert, der
        schreit.
    Es haben derweilen die Glarner den üppigsten Hahn sich erspäht,
    Sie mästeten ihn und meinten: Wem’s allzuwohl ist, der kräht.

      Die Urner waren die Schlauen: Im Traum schon krähte der Hahn;
    Ihr Bote sprang wie die Gemse dahin die steigende Bahn.
    Schon glühten breiter die Gipfel in flammender Morgenfrüh’,
    Da gähnte der Glarner Gockel ein faules „Kükerüküh“.

      Nun schwang der Glarner die Fersen als wie ein fliehendes Wild;
    Er flog wie ein Adler der Berge hinan über Fels und Gefild.
    Schon sieht er den andern kommen, da wird er zum schwirrenden Pfeil.
    Ihm braust’s in den Ohren, es hämmert sein Herz in bebender Eil’.

      Doch weh, schon hatte der andre des Vorteils gar zu viel!
    Schon hatte der Urner den Seinen erjagt ein köstlich Ziel.
    Da bat ihn der Glarner mit Tränen: „Daß Gott dein Herz erbarm’!
    Gönn’ uns noch diese Weide, mein Land und Volk ist arm.“

      Mit Lachen rief der Sieger: „Es werde, wie du sagst,
    Wenn du mich auf den Schultern hinübertragen magst!“
    Da lud der wackre Glarner sich auf den starken Mann
    Und schritt mit bebenden Knien den grünen Hang hinan.

      Er klimmt hinan mit Zittern, ihm schwindelt und ihm graust;
    Er krallt in Gras und Felsen sich fest mit blutender Faust,
    Er beißt die Lippen blutig, daß er nicht ächzen will,
    Dann bricht er stumm zusammen und ist auf ewig still. --

      Es stiegen aus beiden Landen zum Schiedsspruch die Männer herauf.
    Es hoben mit leuchtenden Augen die Glarner den Toten auf.
    Es schritten die Sieger von Uri gar langsam und stille hindann;
    Sie hatten die Wiese gar gerne, sie hätten lieber den Mann.




Die Geister von Aenglistal.


    Im Aenglistal war Sonn’ und Freud’:
    Bei Spiel und Arbeit lachten die Leut’;
    Wenn der Sämann ging, wenn die Sichel klang,
    Aus Schollen und Schwaden strömte Gesang.
    O liebe Geister von Aenglistal!

      Das macht’: es hausten in Busch und Baum,
    Am Sagenbrunnen, im Höhlenraum,
    Auf Birkenhügeln, am Wiesenrain
    Von Morgenahnen bis Mondenschein
    Die holden Geister von Aenglistal.

      Sie neckten die Mägde mit streichelndem Halm
    Und pfiffen und geigten Liedel und Psalm;
    Sie streuten den Knechten Blüten ins Mahl
    Und sangen dazu den frömmsten Choral,
    Die lustigen Geister vom Aenglistal.

      Die Rößlein gingen mit tanzendem Schritt;
    Die Pflugschar lachte, wenn sie schnitt;
    Die Sense sauste mit singendem Klang;
    +Ein+ Leuchten und Jauchzen das Tal entlang!
    O gute Geister vom Aenglistal!

      Dreimal am Tage milchte die Kuh;
    Drei Ernten reiften im Jahre zu.
    Die Zweige brachen von goldner Frucht;
    Die Scheunen sprengte des Kornes Wucht.
    Das machten die Geister von Aenglistal.

      Einst war ein Herr von Aenglistal,
    Dem deuchten die Ernten viel zu schmal.
    „Ihr faules Gesinde! Ihr albernen Gäuch!
    Das Kichern und Johlen vertreib ich euch!“
    O weh, ihr Geister von Aenglistal!

      Die Geisterchen sangen im Abendtraum --
    Da blinkt ein lauerndes Rohr im Baum --
    Ein Schuß! Da schwirrten sie alle fort,
    Wer weiß, wie weit und an welchen Ort!
    Ach, liebe Geister von Aenglistal! --

      Ein nachtumhangener Felsensaal,
    Ein Meer von Stein ist Aenglistal,
    Wo nur der Sturz der Felsen schallt;
    Sein letztes Lied ist längst verhallt.
    Wo seid ihr, Geister von Aenglistal?




Hans Holbein und der Lord.


    Kam einst zu Meister Holbein zu London in der Stadt
    Ein stolzer Lord und pochte: „Ich bin des Wartens satt!
    Was habt ihr unterm Pinsel? Gar Seltnes muß geschehn,
    Weil ihr euch eingeschlossen. Macht auf! Ich will es sehn.“

      Der Meister aber hatte vom Könige Befehl,
    Geheim ein Werk zu schaffen, das jedem er verhehl’.
    „Ihr müßt die Neugier zähmen,“ sprach Meister Hans zum Lord
    Und gab, ihn zu beschwicht’gen, noch manches gute Wort.

      Dem aber ward vor Lordschaft die Leber heiß und kalt.
    Er tobt’ und wollt’ erzwingen den Eingang mit Gewalt.
    Da packte Zorn den Künstler; er nahm den Lord beim Schopf
    Und warf ihn stracks die Treppe hinunter über Kopf.

      Wehklagend, drohend, fluchend, mit gut verbundnem Kopf,
    Den Maler zu verpetzen, zum König eilt der Tropf.
    Allein noch etwas schneller war Meister Hans zur Stell’,
    Zu melden, wie ihn reizte der adlige Gesell.

      Als er sie beid’ vernommen, da sprach der König kurz
    Zum Edelmann: „Er soll dir genugtun für den Sturz;
    Abbitte soll er leisten; verwiesen sei ihm auch,
    Daß er vom Hausrecht machte so gründlichen Gebrauch.“

      Die Buße aber dünkte dem Edlen gar gering
    Für das, was sich ein Künstler, ein frecher, unterfing.
    „Je nun“, sprach er, „dem Burschen geht’s hier am Ort nicht
        schlecht:
    Ich aber, ich verschaffe mir selbst noch bessres Recht!“

      Aufsprang im Zorn der König: „Läßt dich mein Spruch nicht ruhn,
    So höre: mit mir selber hast du’s fortan zu tun!
    Und was du, ihn zu kränken, dem Meister tust und sagst,
    Das tust du mir, dem König! -- Bedenk es, eh du’s wagst!

      Denn wisse: leichter Mühe -- kaum braucht es eines Worts! --
    Mach ich aus sieben Bauern im Husch mir sieben Lords;
    Doch einen einz’gen Holbein aus einem ganzen Heer
    Von eitlen Lords zu machen, das glückt mir nimmermehr!“




Gerechtigkeit.


    „Siehst du dort, o Janos, den Gehenkten nicht,
    Wo die Schatten ziehen um das Hochgericht?“

      „Seh’ ihn wohl. Fahr hin dort! Sehn wir, wer es sei!
    Gibt’s ein Abenteuer, bin ich auch dabei!“

      Sprachen so zwei Bauern, die zur Nachtzeit spät
    Heimwärts fuhren von dem Markt zu Keczkemét.

      Und zum Galgenhügel rollten sie geschwind,
    Wo ein Frischgehenkter schaukelte im Wind.

      Wie sie ihn betasten nun an Kopf und Arm --
    ~Istem teremtete!~ -- ist der Kerl noch warm.

      Hören, wie sein Herz noch leis’ im Takte hüpft --
    Ist nur ein Zigeuner, den man aufgeknüpft,

      Nur ein Hund von „More“, nur ein Dieb -- gleichviel!
    Die Justiz zu narren, ist ein löblich Spiel.

      Also wird durchschnitten schnell der böse Strang,
    Weggeschnappt dem Teufel der erhoffte Fang.

      Schleppen ihn zum Wagen, werfen ihn hinein;
    Weiter geht’s im Trabe bei der Sterne Schein.

      Hei, da winkt die Czarda! Holla Wirt, heraus!
    ’s gibt zu später Stund’ noch einen lust’gen Schmaus!

      Und beim guten Glase -- manchem guten Glas! --
    Hundertmal erzählen müssen sie den Spaß. --

      Doch im Wagen draußen war vom Hauch der Nacht
    Längst zu neuem Leben einer schon erwacht.

      „Ei, ein gutes Wäglein und der Rößlein zwei!
    Dünkt mich, daß das Glück mir heute günstig sei.

      Gab zurück mir’s Leben dummer Bauersmann,
    Will ich schnell ihm zeigen, daß ich’s brauchen kann.“

      In die weite Pusta jagt er keck hinaus. --
    Mit dem Wirt die Bauern schwanken aus dem Haus.

      Finden ihren Wagen, ihre Pferde nicht.
    Da von edlem Zorne leuchtet ihr Gesicht.

      „Wirt, aus deinem Stalle schnell der Rößlein zwei!
    An den Haaren schleppen wir den Hund herbei.“

      Und die guten Bauern hatten Bauernglück,
    Brachten den Gehenkten alsobald zurück.

      Ritten immer weiter bis zum Hochgericht,
    Drauf mit erstem Strahle schien das Morgenlicht.

      Henkten dort den Sünder ohne Schimpf und Spaß,
    Bis er’s Atemholen aus dem Grund vergaß. --

      Sind dann heimgefahren, haben viel gelacht,
    Haben selbst gefunden, daß sie’s gut gemacht.

      „Sag dir, teurer Janos: gilt’s Gerechtigkeit,
    Bauer macht es besser als die Obrigkeit.“




Quintus Sertorius.

  +Motto+: Die Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem
  hochherzigsten, genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie
  keine Ausnahme gemacht.

    Th. Mommsen.
    Röm. Gesch. Bd. III.


    In hellem Glanze über Spanien stand
    Sertorius’ Stern. So leuchtete die Freiheit!
    Das war ein Kämpfer für des Volkes Recht,
    Das frecher Adel in den Staub getreten:
    Der blut’ge Sulla hielt in Rom das Szepter,
    Und Weihrauch streuten ihm die Oligarchen.

    Sertorius? War’s der Tapfre nicht, der Große,
    Der in drei Kriegen sich bedeckt mit Narben,
    Der in der Brust ein Herz voll Güte trug,
    An Heldenmut und Edelsinn ein Ritter?
    Derselbe war’s -- und ins Exil trieb ihn
    Des Tigers Machtgebot. Nach Afrika
    Trug ihn sein flieh’nder Fuß; vor Tingis trieb
    Er in die Flucht die römischen Kohorten;
    Durch Cottas Kriegsgeschwader schlug er sich
    Mit eines Löwen Kühnheit, und als Gast
    Empfing ihn jubelnd Lusitanien.
    Alsbald gehorchte seinem Wink ein Heer
    Von Söhnen jenes Lands und von Verbannten.
    Ein winzig Heer! Zu einem großen schuf’s
    Der Haß der Emigranten gegen Rom,
    Der Lusitanier freiheitglühnder Sinn
    Und seines Feldherrn wunderbare Größe.
    Den „neuen Hannibal“! so nannten ihn
    Die Krieger, und er war’s, nicht darum nur,
    Weil er dem Krieg ein Auge schon geopfert.
    Jedweder Sieg ward ihm zu größerm Sieg,
    Und Siege schuf er sich aus Niederlagen.
    Das Hochland Tarracons war ihm bekannt
    Wie Baetica’s ergrünende Gelände --
    Bekannt war ihm des Unglücks bittrer Kelch
    Wie des Triumphes süßer Taumelbecher --
    Und groß erfand ihn jeder neue Tag.

      Wie bald verstummte Romas blöder Spott,
    Mit dem beworfen sie den Demokraten
    Samt seinem Heer! Metellus war entsandt,
    Den Aufruhr zu ersticken; aber schnöde
    Verließ der Ruhm die römischen Standarten.
    Im blutigen Guerillakrieg zermürbte
    Sertorius seinen Feind, ihn oft umstellend,
    Aus einem Netz ihn in das andre lockend,
    Bis Überdruß und knirschende Verzweiflung
    Die Krieger Roms ergriff, und bis der Mangel
    Die Reihen lichtete mehr als das Schwert.
    Indessen schlug des Aufruhrs Flamme wild
    Von einer Stadt zur andern. Immer drohnder
    Erschwoll die Brandung. Die Gemeinden Spaniens
    Zujubelten begeistert dem Befreier,
    Zu dem Diana selbst, des Krieges Göttin,
    In jeder Nacht die weiße Hindin sandte,
    Um ihm ein Siegsorakel zu verkünden.

      Mit Blitzesschnelle durch das Römerreich
    Die Kunde flog von Sullas Tod! Der Asche
    Entglommen neue Brände. In Italien
    Zog gegen Rom das Heer der Demokraten;
    Doch ihre Kraft zerschellte an den Mauern
    Der Stadt. Mit des geschlagnen Heeres Kerne
    Erschien, um sich Sertorius zu verbünden,
    Auf Spaniens heißem Boden jetzt -- Perpenna.

      Zwei Führern folgte dann das Doppelheer,
    Zwei Männern, gleich an Rang, doch nicht an Ruhm,
    Gleich an Gewalt -- in Worten, nicht im Geist.
    So, als am Fuß der Pyrenäen nun
    Der glückliche Pompejus stand, ein neuer
    Und drohenderer Feind der Insurgenten,
    Erscholl es aus Perpenna’s eignem Heer
    Mit lautem Ruf: „Nur einer soll fortan
    Uns Führer sein! In einem Geiste ruht
    Die sichre Kraft des zielbewußten Tuns!
    Drum -- weil nur einem Stern wir folgen können,
    So führe uns der glänzendste fortan
    Den Weg: Sertorius!“

                          Da mit glühender Schneide
    Fuhr durch Perpennas Herz der Dolch des Neides --
    Und schweigend wich er seinem Nebenbuhler.

      Pompejus zog heran. Ihm stellt’ entgegen
    Perpenna sich am untern Lauf des Ebro,
    Den Übergang den römischen Kohorten
    Zu wehren. Doch mit stürmischer Gewalt
    Erzwang das Römerheer sich seinen Weg,
    Und machtlos wich Perpenna. Auch geschlagen
    Ward bei Valentia ein zweites Heer
    Der Insurgenten, das Herennius führte.
    Zeit war’s, daß wieder mit des Blitzes Strahl
    Des +Helden+ Geist die Macht des Feinds zerschlage.
    Vom obern Lauf des Ebro kam Sertorius,
    Und sieh, um Lauro rollten auf dem Plan
    Des Kampfes Würfel, bis Pompejus’ Heer,
    Vom schlimmen Feind umstellt, mit Mühe nur
    Dem Untergang entrann, und bis der Römer
    Ohnmächtgen Arms zum Himmel lodern sah
    Die blutgen Flammen, die die Stadt verzehrten,
    Ein grauser Opferbrand des Überwinders!

      Und wieder dann am Sucro unterlag
    Der Sendling Roms dem Gegner.

                                Da vom Süden,
    Sich dem Genossen zu verbünden, rückte
    Heran mit starker Macht Metellus. Nieder
    Rannt’ er mit wildem Ungestüm die Streitmacht
    Des neidischen Perpenna; nahe schon
    War er dem Freund -- allein Pompejus kargte
    Mit seinem künftgen Ruhm; mit keinem Zweiten
    Wollt’ er des Sieges goldnen Lorbeer teilen!
    Allein, in blinder Eile bot die Schlacht er
    Dem Gegner an, und dieser ließ frohlockend
    Den Gimpel in die goldne Falle gehen,
    Die selbstgestellte, seiner Eitelkeit.
    Am Turiafluß gab jener Eitelkeit
    Das siegende Genie die blut’ge Lehre;
    Denn fast zerschlagen ward das Römerheer.

      So häufte Sieg auf Sieg der Einzige,
    Indes Perpenna schmachvoll wiederum
    Geschlagen worden durch Metellus’ Schwert,
    Indes im Süden auch vernichtet ward
    Ein Heer der Insurgenten und sein Führer,
    Der tapfre Hirtulejus, sterbend fiel.
    Gefunden hatten sich Metellus und
    Pompejus, um vereint fortan zu kämpfen.
    Da faßte feiges, klägliches Verzagen
    Die Emigranten, und in alle Winde
    Zerstreute sich Sertorius’ Heer. Verlassen
    Nun stand er da; von wenigen Getreuen
    Begleitet nur, entwich er dem Verderben
    Und warf sich, ungebrochen, unbezwungen,
    In Clunias mauerndunkle Felsenveste.

      Der Winter kam. Durch seine düstern Wolken
    Rang sich des Feldherrn mächt’ger Sonnengeist
    Mit neuem Licht hindurch. In wilder Sturmnacht
    Entwich er Clunias sicherm Schutz, das wachsam
    Der Feind besetzt hielt, und als wieder dann
    In ihrem Laufe sich die Sonne wandte,
    Stand er an eines neuen Heeres Spitze,
    Zum Kampf bereit, zum Sieg -- zum Untergange.

      Rom sandte neue Legionen. Wieder
    Verfolgte der verschlagne Feind die Römer
    Mit den verhaßten, widerwärt’gen Schrecken
    Des kleinen Kriegs. Und als, gezwungen dann
    Zur großen, offnen Schlacht, am Calagurris
    Sertorius der gedoppelten Gewalt
    Der beiden Heere gegenüberstand --
    Warf er Pompejus und Metellus nieder.

      Da klang ein Schrei der Wut und der Verzweiflung
    Durch Rom. Acht Jahre währte schon der Krieg,
    Der schmachtvoll-blut’ge, und kein Ende war
    Noch zu ersehn. Die Blüte seiner Jugend
    Gab Rom dahin; in jedem Jahr verschlang
    Das Schlachtfeld einen heil’gen Lenz. Versiegt
    War selbst des Goldes Quell dem reichen Rom.
    Verödet war schon längst das blühnde Spanien
    Durch Schwert und Feuer. Nur voll Mißmut folgte,
    Mit trotzig-düsterm Widerwillen nur
    Das Römerheer noch den entehrten Fahnen.
    Ganz Rom erscholl von Angst- und Klagerufen
    Ob tausendfachen Unglücks. „Unsre Meere“,
    So hieß es, „tragen nur noch der Flibustier
    Verwegne Räuberscharen, und seit langem
    Wagt schon kein friedlich Fahrzeug mehr, den Weg
    Vom sichern Port ins offne Meer zu nehmen.
    Italiens Sklaven rotten sich zusammen
    Mit finstrer Wut, und an der untern Donau
    Erhebt sich drohend Makedoniens Volk.
    Loht nur der Westen auf in hellen Flammen?
    Reicht nicht Sertorius schon die Freundeshand
    Dem ränkevollen Mithridat nach Osten,
    Dem Punier gleich, der in Philippos einst
    Im Osten uns den zweiten Feind erweckte?
    Weh uns, wenn solch ein Bund das Römerreich
    Umklammert hält! Die Pyrenäen bald,
    Die Alpen wird Sertorius überschreiten
    Und rütteln an den Pforten dieser Stadt --
    Ein neuer Hannibal steht vor den Toren!“

      Ein neuer Hannibal! Ein treffender
    Vergleich von vorbedeutungsvoller Tiefe!
    Dem großen Sohn Karthagos glich der Edle
    Nur allzu sehr! Darum auch sah er längst
    Mit unbeirrtem Blick der Dinge Ziel:
    Vor seiner Seele stand sein Untergang.
    Vor diesem Geiste hielt kein Schmeichelwahn,
    Kein eitles Hoffen stand, und diesen Augen
    Verbarg die Zukunft kein umdüstert Bild.

      Wer hemmte noch den feigen Unbestand
    Ausreißender Soldaten, die berechnend
    Zur rechten Zeit der Übermacht sich beugten
    Und die wie Lämmer in die sichre Hürde
    Sich flüchteten, bevor das Wetter kam!
    Wer durfte Treue fordern und Gefolgschaft
    Von den Gemeinden, die sich fromm ergaben,
    Da Rom mit Mutterarmen sie empfing
    Als reuevolle Kinder und hingegen
    Dieselbe Mutter doch ob den Verstockten
    Im Rachezorn die blutge Geißel schwang?
    Die besten Kämpfer mit den besten Führern,
    Sie waren längst dahin -- und wer vermochte
    Der Überlebenden erhabne Weisheit
    Samt ihrer eitlen Hoffart zu ermessen?
    Jetzt war die Zeit gekommen für den Neid,
    Die giftge Lästerzunge frech zu rühren,
    Sich groß -- in der Erbärmlichkeit zu zeigen;
    Denn untreu ward dem Genius -- der Erfolg.
    Mit ersten Schlägen kam das Unglück. Endlich
    Ergab sich’s nun, was man zuvor schon lange
    Sich still gesagt: das Große dieses „Helden“
    War nicht sein Geist, es war sein plumpes Glück!
    Und da es von ihm wich, ergab er sich
    Fluchwürd’gem Müßiggang, bei Festgelagen
    Vergeudend Zeit und Geld. War’s noch verlockend,
    Mit +diesem+ dumm und blind sich ins Verderben
    Zu stürzen? -- oder winkte jenseits nicht
    Mit schmeichelnderem Glanz das hohe Blutgeld,
    Das Rom auf des Verhaßten Kopf gesetzt? --
    Da atmeten die Schurken auf! Genommen
    War ja von ihrer Brust der Bann der Größe,
    Die zwingend-allgewaltig sich bezeugte
    Und Stillesein gebot! -- Perpenna’s Auge
    Hielt lauernd unter den Genossen Umschau
    Mit giftig-argem Späherblick --
                                    im Dunkeln
    Wob sich das Netz umgarnender Verschwörung. --

      Im Lager lag Sertorius’ Heer zu Osca.
    Gekommen war Perpenna’s Tag. Mit tückisch
    Erlogner Botschaft eines frohen Siegs,
    Den jüngst ein Teil des Insurgentenheeres
    Erstritten habe, trat er zu dem Feldherrn
    Ins Zelt. Und dann zum fröhlichen Gelag,
    Das er zur Feier solch erlesnen Tages
    Zu geben denke, lud er freundlich ihn.
    Der Abend kam. In Strömen floß der Wein
    Beim Gastmahl. Von berauschenden Aromen
    Erzitterte die Luft im hohen Zelt.
    Hesperiens Blumen, seine goldnen Früchte
    Bekränzten leuchtend-schön das Fest. Wie Flammen
    Erglomm der Rebe Blut in goldnen Schalen.
    Doch -- wie die Becher -- überfloß die Lippe
    Der Gäste bald von schamlos-wüster Rede --
    Wann litt Sertorius je so niedern Brauch?
    Ein wilder Geist durchfuhr geheim die Seelen
    Und zuckte in den Mienen. Sieh, vom Polster
    Sich halb aufrichtend, griff nach seiner Schale
    Der freche Mark Anton, und so zum Feldherrn
    Gewendet, rief er laut: „Ein Sieg! Nun wahrlich,
    Ein kostbar-seltnes Ding für unser einen!
    Wer hörte wohl dies Wort seit langen Monden?
    Ein Sieg! Ich wußt’ es wohl, daß dich, o Feldherr,
    Die weiße Hirschkuh nicht verlassen werde.
    Zwar hat ein andrer jetzt das Schwert geführt
    Als du und den willkommnen Sieg errungen.
    Gleichviel! Du bist am Ende doch der Sieger;
    Diana hilft dir durch den Arm der +Freunde+ --
    Sieh, diesen Becher bring’ ich deinem +Glück+!
    -- Du schweigst? Durchfröstelt denn auch dich der Zweifel
    An dieses Glücks Bestand? Mir freilich schien es
    Seit langem schon, als hört ich Raben krächzen
    Ob unserm Haupt; ein Richtbeil sah ich blinken;
    Und abgeschnittne Demokratenköpfe
    Auf hohen Stangen winkten mir im Traume.
    Was tut’s? Wir machen noch ein lustig Ende!
    Und wenn’s dem Glück nicht gelten soll, so fließe
    Den Unterird’schen dieser volle Becher! ...“

      Erriet Sertorius nicht des Frechen Absicht,
    Den Streit zu wecken? Wohl erriet er sie!
    Voll bittern Unmuts warf er schweigend sich
    Zurück ins Polster.

                        Klirrend da zu Boden
    Fällt eine Schale. Von Perpennas Händen
    Ward sie geschleudert zum verruchten Zeichen.
    Sieh! jählings schnellt von seinem Ruhebett
    Der schnöde Mark Anton empor, und wütend
    Bohrt er in seines Feldherrn edlen Leib
    Mit wildem Stoß den mörderischen Stahl.
    Aufspringt der schwer Getroffne. Doch bezwungen
    Von ihren Armen, bricht er stumm zusammen,
    Und ganz den unbeschützten Leib durchlöchert
    Von seiner Feinde gottverfluchten Dolchen,
    Verröchelt er am Boden ...

                                Banges Grausen
    Durchschauerte das Heer am frühen Morgen,
    Als es des Helden Tod vernahm, und wandeln
    Durch seine Reihen sah es seinen Schatten
    Mit Rächermienen. „In die Schlacht mit uns
    Zieht nun sein Geist nicht mehr!“ so flog es bebend
    Von Mund zu Mund, und auch des Kühnsten Wange
    Erblich vorm Hauch geheimer Todesahnung. --

      Den Feldherrnstab mit blutbefleckten Händen
    Ergriff Perpenna. Planlos zum Gefechte
    Führt’ er Pompejus alsobald entgegen
    Die zuchtentwöhnten, mutverlassnen Haufen.
    In wildem Schrecken vor dem Römerschwerte
    Zerstob der Aufruhrscharen letzter Rest.
    Gefangen ward Perpenna. -- Da ein Kästchen
    Mit allen Briefen des Gemordeten,
    Die angesehne Römer insgeheim
    An ihn gerichtet, legte unterwürfig
    In seines Siegers Hände der Gefangne.
    Den Flammen übergab Pompejus schweigend
    Die Blätter -- und dem Henker den Verräter.
    Ein Wink! -- und vor des Mörders Füße rollte
    Sein blutig Haupt. -- --

                        Am Boden kriechend, zuckend
    Erstorben war des Aufruhrs letzte Flamme;
    Gesunken war der goldne Stern im Westen,
    Und Spanien lag zu seines Siegers Füßen.




Sibirien.


    Wassili Petukoff, was pocht so dreist
    An deine Tür? Ein Abgesandter ist’s
    Der Polizei, der liebreich sorgenden.
    Hast du nicht einen Gast bei dir geduldet,
    Der liberalen Sinns verdächtig war --
    Genug, genug, Wassili! Draußen harrt
    Der Tarantas schon, der dich schnell entführt.
    Du +scheinst+ dem Staat gefährlich, und „der Staat“
    Gibt dir, auf „unbestimmte Dauer“ nur,
    Im heil’gen Rußland einen sichren Wohnplatz.
    Wie? -- Was? -- Gericht verlangst du? Unverschämter,
    Glaubst du, der Gouverneur und der Minister
    Und der Isprawnik -- alle miteinander
    Von Gottes Gnaden! -- wüßten nicht von selber,
    Was rechtens ist? Frag Wölfe, ob ihr Opfer
    Nach einem Richterspruche sie zerreißen
    Und nicht nach Gier und Laune! Rüste dich!
    In Ohnmacht sinkt dein schönes, junges Weib;
    Die erste Hoffnung eines jungen Glückes
    Keimt unter ihrem Herzen -- rüste dich!
    Nimm Abschied -- tu’s für lange, guter Freund!
    Dein künft’ger Wohnort liegt ein wenig weit,
    Und weit ist auch der Zar, der dir nicht hilft,
    Und hoch der Himmel auch, der dir nicht hilft.
    Versieh mit einem guten Pelze dich;
    Denn lange Monde geht durch Sturm und Schnee
    Die Fahrt ins unermessne Feld des Todes.
    Zum Teufel, schnell! Man hat nicht Zeit. Zerreiß
    Dein Glück -- ei was! Zerreiß dein Leben gleich!
    Du bist von Hunderttausenden nur einer. --
    Ein wilder Kuß in krampfender Umarmung --
    Ein Schrei, nachgellend -- ein erstarrter Blick --
    Der Wagen rast davon. -- „Leb’ wohl, Maria!“ --
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    Ein hübscher Weg ist’s von Iwangorod
    Bis Werchojansk. Er geht durch Sonnenbrand
    Und Staub, durch Frost und Staub, durch Wind und Staub,
    Wenn nicht der Schnee in grausenvollen Stürmen
    Verschüttet Wege, Dörfer, Städte, Menschen.
    Bei Jekatrinenburg sagt man Europa
    Ein dankbar Lebewohl, -- der nasse Blick
    Umirrt den Grenzstein, bis er fern verschwimmt. --
    Und rastlos weiter geht’s, bis endlich, endlich
    Du dorthin kommst, wo einsam durch der Tundras
    In Ewigkeit vereiste Moore knirschend
    Die Jana die vereisten Fluten drängt.
    Dort Werchojansk. Dort endlich darfst du bleiben,
    Armer Wassili! Nun versuch dein Glück!
    Warst du daheim nicht Arzt? -- Es tut mir leid:
    Den Kranken helfen, ist dir streng verboten.
    Du schlichest dich gar leicht ins Herz der Kranken
    Und streutest aus den Samen der Empörung.
    Allein du bist gebildet -- also lehre!
    Es tut mir leid: Du darfst nicht unterrichten.
    Das wär’ dir eben recht: den Geist der Schüler
    Durch deines Geistes Gifte zu entzünden!
    Jedoch Musik wirst du noch lehren dürfen --
    Es tut mir leid, mein Freund; doch die Regierung
    Hat ein verteufelt schlechtes Ruhekissen.
    Sie, die dich quälen, die dein Herz zerfleischen,
    Sie schlafen den verfluchten Schlaf des Mörders
    Und würden aufgeschreckt von deinen Tönen.
    Was also bleibt dir? Bau den Acker! Freilich,
    Hier ist kein Acker. So verdinge dich
    Als Tagelöhner -- doch wer wird dich nehmen?
    Gewißlich niemand. Jeden Tag gehörst du,
    Gehörst jedwede Stunde und Minute
    Den Schergen, die dich peinigen. Von Strolchen,
    Die ehedem des Kerkers Eisen trugen,
    Wirst du bewacht. Gemeinheit ist ihr Atem.
    Sie fangen deine Briefe auf; sie lesen,
    Was dir dein Weib, was dir Maria schrieb
    Im namenlosen, heiligen Schmerz der Liebe.
    Du aber liest es nicht, wenn’s deinen Wächtern
    Nicht so beliebt. O heiße du den Hunger
    Mit Inbrunst doch willkommen, der dich tötet --
    Doch nein, nicht so! Die Bestien, die dich martern,
    Sind Christen ja und lassen zwar dich hungern,
    Doch nicht verhungern!
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    -- -- -- Schau, was wälzt sich dort
    Die Straße her von Tomsk mit schwerem Schritt?
    Aus Wolken Staubes blitzen die Gewehre --
    Kommandoruf ertönt -- ein langer Zug
    Von groben, grauen, buntbeflickten Mänteln --
    Gefangne sind es, Männer, Weiber, Kinder,
    „Gemeine“ und „Politische“, bestimmt,
    Im fernen Osten langsam zu verderben.
    Mit manchem Manne teilen Weib und Kind
    Die Schrecken der Verbannung, so bezeugend,
    Daß Liebe größer ist als Erdenelend.
    Wirr fällt das Haar von halbgeschornen Scheiteln;
    In allen Mienen Hunger und Ermattung,
    Verhaltne Wut und stumpfe Höllenangst,
    Und oft -- o Grauenbild! -- von bleichem Munde
    Ein grimmer Scherz und ein verzweifelt Lachen.
    In einem Dorfe macht man Halt. Und gurgelnd,
    Wie heisres Grollen bald und bald wie Stöhnen
    Aus rauhen Kehlen tönt der „Bettlersang“.
    Da fließt aus jedem Haus und jeder Hütte
    Die Gabe reichlich; selbst die Armut bringt
    Mit magern Händen ihr erdarbtes Brot. --
    Und wieder hallt Kommando. „Bildet Reihen!“
    Und weiter schleift auf längst zerfetzten Schuhen,
    Auf wunden Füßen sich der Trupp dahin. --
    Oft bricht ein Kühner wohl aus diesen Reihen
    Und flieht der Freiheit zu. Doch fährt ihm bald
    Die Kugel des Soldaten in den Leib --
    So besser ihm! Er ist erlöst und frei!
    Doch still -- wer schreitet dort zuletzt im Zug?
    Was willst du, armes, unglücksel’ges Weib,
    So jung und schön und so erbarmenswürdig?
    Suchst du Wassili Petukoff, den Gatten?
    O weit noch ist er, weit! Du siehst nicht aus,
    Als ob du je ihn wiedersähst, Maria!
    Und -- o laß sehn! -- was birgst du so besorgt,
    So angstvoll zärtlich dort im Tuch? -- Ein Kindlein,
    Dein Kindlein und Wassilis. Sieh, es weint
    Und öffnet durstig dir die trocknen Lippen.
    Wie drängt dir’s wohl im Herzen nach dem Gatten,
    Der Liebe Frucht an seine Brust zu legen
    Und unter hellem Jubel, hellen Tränen
    In seine Nacht ihm dieses Licht zu bringen! --
    Vorüber ist der Zug. Aus Wolken Staubes
    Zum letzten Male blitzt ein Flintenlauf. --
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

      Nach je drei Tagen hält man im Etappen-
    Gefängnis Rast. O hochwillkommne Ruhe
    Nach Hunger, Frost und Staub, nach Schmerz und Qual!
    Nur schade, daß der Andrang gar so groß ist
    Zu diesen Häusern! Wohl achthundert könnte
    Man darin bergen; fast zweitausend leben
    Zur Zeit darin. Nicht Platz ist auf den Pritschen --
    Und also lagert man im Kot der Dielen
    Zur Nachtzeit, ohne Hülle, ohne Pfühl.
    Schmutz überall! Vom Schmutz die Wände starren,
    Der Boden und die Decke und die Kleider
    Der Menschen und sie selbst. Tritt nicht herein,
    Der du gewohnt, in freier Luft zu atmen.
    Ein fieberschwangrer Pestgestank benimmt dir
    Den Atem, ein mephitisch gift’ger Brodem.
    Ein sinnverworrnes und -verwirrendes
    Geschrei, Geheul, Gezänk erfüllt den Raum,
    Und Männer, Weiber, Kinder durcheinander
    Erstöhnen, weinen, seufzen, lachen, fluchen.
    Und noch ist des Lebend’gen nicht genug
    In diesem Stall! Von Ungeziefer wimmelt
    Jedweder Fetzen der Gefangenen.
    Der trefflichste Erbarmer ist der Tod;
    Er hat ein Herz, der Kerl, und sucht sich täglich
    Die Schmerzenvollsten aus und würgt sie sanft,
    Wenn sie im Fieber von der Heimat träumen.
    Hier rast in Phantasie’n ein Fieberkranker,
    Und dort -- Entsetzen! -- schlug in jenem Winkel
    Der Wahnsinn nicht ein gellend Lachen auf?
    Man trennt hier nicht die Irren und Gesunden.
    Wozu denn auch? Wer will denn unterscheiden,
    Ob das, was höllisch glimmt in diesen Augen,
    Sei Wahnsinn oder Wut? Ob dieses Antlitz
    In Frohsinn oder Stumpfsinn grinst?! -- Und mitten
    In allem diesem Jammer du, Maria!
    O sag’, warum dein Blick so starr geworden,
    Seit ich zuletzt dich sah? -- Ein Blitz, ein Feuer
    Huscht dir ins Auge oft -- wer weiß, woher?
    Und irrt ins Ferne hin -- wer weiß, wohin?
    Wo ist dein Kind, dein lieblich Kind, Maria?
    Ja, komm heran -- ganz nah heran -- ganz nah,
    Und sag’ es mir ins Ohr mit leisem Weinen --
    Erfroren? Auf dem Weg erfroren? Wie?
    Dir an der Brust erfroren? O verzeihe,
    Ich frage schon nicht mehr -- sei still -- und weine. -- --

      Ich will indessen in den Winkel kriechen,
    Das Ohr am Boden, will ich schweigend horchen,
    Ob ich nicht Donner höre aus den Tiefen,
    Und ob nicht Feuer bricht aus tausend Schlünden,
    Und ob nicht die Posaune gellt und klingt,
    Bis ihr Metall zerbirst vom Hauch der Rache! --
    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
    Und manchen Tag noch schleppte weiter mit
    Dem Trupp der Deportierten sich Maria.
    Sie, die sie welken, schwinden sahn im Elend,
    Die ihren Geist gemach verglimmen sahn,
    Vergaßen ihres eignen Grams und weinten.
    Nur ein Gedanke lebt ihr noch im Hirn:
    „In Werkholensk werd’ ich Wassili sehn.“
    Er war fortan ihr Leben, der Gedanke,
    Ein dünner Faden nur; doch Tag für Tag
    Spann ihn die Sehnsucht weiter. Da geschah’s,
    Daß eines Tags sie hörte: „Wie? Wassili
    In Werkholensk, dem Dorfe bei Irkutsk?
    Du irrst Maria: nicht in Werkholensk,
    In Werchojansk lebt Petukoff!“ Und starren,
    Verlornen Blickes stammelte Maria:
    „Und ist -- wie weit -- wie weit -- bis Werchojansk?“
    „Sechshundert Meilen noch! Auf Renntierschlitten
    Kommt man dahin auf endlos öder Fahrt!“
    Seit diesem Tage war Maria stumm,
    Ihr Geist erloschen und ihr Auge tot.

      Doch eines Tags, als wieder im Gefängnis
    Man Rast hielt, schnellte jählings sie empor,
    Und vorgebeugten Haupts, die Hände krallend
    Ins Holz der Wände, schien sie mit den Blicken
    Ein Etwas zu verschlingen. Dann entriß
    Sich ihrer todeswunden Brust ein Schrei,
    So wilden Jubels und Triumphes voll,
    Daß alles rings erstarrte. Rückgesunken,
    Lag sie am Boden dann, entseelt -- erlöst! --

      Man kam und fand, was ihren Geist erleuchtet
    Zum letztenmal. Gekratzt ins Holz der Wände,
    War eine Schrift zu lesen, klar und deutlich.
    Und flüsternd las man: „Lebe wohl, Maria!“




II. Mit der Natur.




Hymnus an die Bäume.


    O meine Bäume!
    Seit meiner Kindheit ahnenden Tagen
    Sprech’ ich zu euch, ihr edlen Vertrauten,
    Sprech’ ich in stummer, geheimer Sprache,
    Und ihr versteht mich
    Und atmet mir Antwort.

      Wenn von euren dunklen Wänden
    Meine Seele widerhallt --
    Wie wehende Andacht
    Verschwiegener Hallen,
    Wie heiliges Grauen
    Verlassener Tempel
    Faßt es mich an.

      In reiner Frühe such ich euch
    Erquickten Auges,
    Und sieh: in euren Zweigwinkeln lauschen
    Tage der Kindheit,
    Auf euren Wipfeln wiegen sich
    Tage der Wandrung.

      Aber am sinkenden Abend,
    Wenn silberne Elfenluft durch eure Zweige blickt
    Und Birkenschleier im Mondlicht hangen,
    Wenn der leuchtende Himmelswandrer
    Mondhingewandte Seelen bindet
    Mit saugendem Licht,
    Dann hangen an euren Stämmen
    Schatten der Schwermut,
    Und im Gewirr eurer Zweige
    Leuchten und dunkeln Geheimnisse
    Wie in der Brust erhabener,
    Gottversunkener Seelen.

      Wie oft, wenn drängende Mittagsglut,
    Mit tausend Pfeilen das Haupt umschwirrend,
    Zur Qual mir ward,
    Fand ich zu euren Füßen
    Hundertjährigen Schatten,
    Der die Sinne schmeichelnd befängt
    Wie hundertjähriger Wein.
    Dann, ihr grünen Himmelsleitern,
    Lag ich, ein Sohn der Verheißung,
    Träumend an eurem Fuß,
    Und an euren Ästen stiegen
    Auf und nieder
    Himmlische Hoffnungen.

      Euch, ihr Bäume,
    Acht ich des Schöpfers
    Göttlichste Kinder.
    Ihr wart vor uns Lebenden,
    Und eure Kronen bewahren
    Vergangenes in rätselvoller Sprache
    Ihr werdet nach uns sein,
    Und euer Inn’res
    Hegt Keime der Zukunft
    In ernstem Schweigen.
    Und unbekümmert
    Um Vergangenes und Künftiges,
    Spendet ihr, Wissende,
    Frucht und Schatten,
    Duft und Schönheit.
    In schweigender Hoheit
    Wachst ihr empor
    Über der Menge Geschrei und Gewühl,
    Und überhebt euch nicht,
    Neigt euch milde
    Zu den Menschen
    Und blickt fromm
    Zu nächtlichen Sternen.

      Menschen, die ihr mich liebt,
    Pflanzt Bäume mir auf das Grab,
    Daß ihre Wurzeln meinen Leib umfangen
    Wie sorgende Arme,
    Und ihre Häupter, sich neigend, mir singen
    Von Lenzen, die ich ersehnt
    Und nicht mehr gesehn.




Wilde Frühlingsboten.


    Nicht nur im lindern
    Hauche der Lüfte,
    Nicht nur im wärmern
    Glanze des Lichtes,
    Nicht nur im ersten
    Zagen, süßen
    Augenaufschlag
    Des jungen Lebens
    Fühl’ ich die Bälde
    Kommenden Frühlings,
    Ahn’ ich die Nähe
    Kommender Lust.

      Ihr auch Boten
    Des nahen Lenzes,
    Ihr auch Künder
    Des neuen Werdens,
    Seid mir willkommen,
    Brausende Winde,
    Felder und Wälder
    Durchheulende Stürme,
    Ihr auch, dunkle,
    Donnertragende
    Wetterwolken,
    Seid mir gegrüßt!

      Irgend im weiten
    Endlosen Raume
    Hebt ihr, Stürme,
    Die wucht’gen Schwingen,
    und die Blitze,
    Den lauten Donner
    Zu kühnen Gesellen,
    Singt ihr im Fluge
    Durch alle Lande
    Der neuen Schöpfung
    Heiligen Anfang.

      Ihr sprecht die Worte
    Flammender Sehnsucht,
    Ihr singt die vollen,
    Allgewaltigen,
    Rauschenden Töne
    Des kühnen Verlangens;
    Ihr seid der Wille,
    Der unzerbrechliche,
    Ihr die entfesselte
    Helle Begeistrung,
    Heraufbeschworen
    Vom Druck der Ketten
    Aus langer, schrecklicher
    Winternacht!

      Ich möchte werfen
    Die Brust entgegen
    Dem wilden Gesange,
    Dem heiligen Rauschen
    Und mit dem Herzen,
    Dem sehnsuchtweiten,
    Auffangen die Schauer
    Des Frühlingssturms!

      Horch, wie im Krachen
    Zürnender Donner,
    Horch, wie im Rasen
    Heulender Stürme
    Süße Verkündung
    Lieblich ertönt:

      „Singen bald werden
      Die Nachtigallen,
      Duften die Wälder
      Blühender Rosen,
      Wogen die Meere
      Goldener Ähren,
      Rauschen der Bäche
      Schäumende Wasser,
      Strahlen die Augen
      Glücklicher Menschen,
      Jubeln die Herzen
      Alle der Welt!“




Vorfrühling.


    Welch goldnes Leuchten fließt so ungeahnt
    Wie lichter Zauber um die starren Bäume?
    Was zittert wie geheimer Feierton
    Mit leisem Klingen durch des Himmels Räume?
    Die Flut des Lichtes rinnt mit froher Hast
    Vom Felsenhaupt bis in des Abgrunds Klüfte,
    Und horch! -- schon ruft ein Fink mit leisem Schlag
    Zaghaften Jubel in die stillen Lüfte.

      Es hat der Lenz in stummer Ungeduld
    Der Erde schon gestanden seine Liebe,
    Die Lider ihr mit lindem Strahl geküßt,
    Daß sie nicht mehr im Schlaf befangen bliebe.
    Er hat der tief Entschlafnen zugeraunt
    Der Sehnsucht erste, seligbange Frage
    Und ihr versprochen, was die Liebe schenkt:
    Verklärte Nächte, sonnenschöne Tage! --

      Und sieh! Von ihrem Antlitz hebt sie leis
    Den duftgewobnen, zarten Nebelschleier
    Und schaut mit Augen, die der Traum noch bannt,
    Wie zweifelnd auf den leuchtenden Befreier.
    Noch faßt sie nicht die ganze süße Lust,
    Noch hängt an ihrer Wimper schweres Trauern;
    Doch mehr und mehr erkennt sie schon den Freund,
    Und leis erbebt ihr Leib in Wonneschauern. --




Später Schnee.


    Wir freuten uns schon des Finkenschlags,
    Der duftigen Frische, des leuchtenden Tags;
    Wohl war der Frühling noch nicht gekommen;
    Doch hatten wir einen Ruf vernommen
    Vom Grunde des Buchenhags.

      Dem Winter gelang’s mit tückischer Hand,
    Daß er die Hoffnung überwand.
    Wir müssen’s verwinden und müssen warten:
    Noch einmal erglänzen Feld und Garten
    Im schimmernden Schneegewand.

      O Anblick, der das Herz versehrt,
    Das lange nach dem Lenz begehrt!
    Mir klang’s in gläubig starken Träumen,
    Nicht länger werde der Frühling säumen,
    Der Held mit dem Sonnenschwert.

      Sein harrte die Seele in seligem Leid;
    Zum Hochzeitstanz war sie bereit --
    Doch in der Nacht vor Spiel und Reigen
    Hat sie der Tod mit düsterm Schweigen
    Gehüllt ins Sterbekleid.




Präzeptor Frühling.


    Einer kam dahergegangen,
    Just von meiner Zunft,
    Alle jauchzten voll Verlangen
    Seiner Wiederkunft.
    Neues Lachen, neues Singen
    Hat er uns gelehrt
    Und mit Kraft zu neuem Ringen
    Unser Herz bewehrt.

      Lustig in die Staatsperücke
    Fuhr er jenem Herrn,
    Der uns mit Tyrannentücke
    Hielt vom Lichte fern,
    Der uns kalte, düstre Narrheit
    Greinend vorerzählt
    Und uns mit Pedantenstarrheit
    Ach, so tief gequält,

      Zaust’ ihn, bis dem Freiheithasser
    Schopf und Zopf entfiel,
    Gab sie dem erweckten Wasser
    Hin zu tollem Spiel,
    Trieb ihn mit der eignen Rute
    Pfeifend vor sich her,
    Daß er sich von hinnen spute
    Bis ans Schattenmeer!

      Schob zurück vom Himmelsfenster
    Dann den Wolkengraus,
    Stoben Eulen und Gespenster
    Wirr und wild hinaus.
    Und sogleich durch alle Räume
    Schwoll ein weicher Glanz,
    Schwang um Hügel, Busch und Bäume
    Sich ein Strahlentanz.

      In die Schule uns genommen
    Hat der lichte Mann.
    „Laßt die Kindlein zu mir kommen!“
    Rief’s in Flur und Tann.
    Und wir alle wurden Kinder,
    Wollten Kinder sein,
    Süßer floß uns und gelinder
    Junges Leben ein.

      Und er küßt’ uns auf die Stirnen,
    Zog uns bei der Hand,
    Männer, Weiber, Buben, Dirnen,
    In sein grünes Land,
    Wo Natur in stillen Wäldern
    Traum und Ahnung webt
    Oder über lichten Feldern
    Mit der Lerche schwebt.

      Wies uns einer jungen Blume
    Leisen Werdegang,
    Morgenduft der Ackerkrume,
    Der die Welt durchdrang,
    Deutete der dunklen Föhren
    Traum am Hügelhang,
    Ließ uns einen Atem hören,
    Der im Winde klang.

      Also der Natur aufs neue
    Eng ans Knie geschmiegt,
    Sind Verzagen, Angst und Reue
    Still in uns versiegt.
    Tageslast und Abendfeier
    War uns tief verschönt;
    Leib und Seele wurden freier
    Und in eins versöhnt.

      Ach, da brauste neu im Herzen
    Unermessne Kraft,
    Süße Sturmeskraft des Märzen
    Brach aus dunkler Haft.
    Neue Lust zu neuem Werden,
    Alles kam zurück,
    Was uns blüht im Kranz der Erden:
    Hoffnung, Friede, Glück. --

       *       *       *       *       *

      Soll uns eure Lehre frommen,
    Wählt zum Meister ihn,
    Der der Nacht ihr Reich genommen
    Und uns Trost verliehn.
    Seid Erwecker und Erneuer
    Recht nach seinem Sinn,
    Und auf eure Wege streu’ er
    Licht und Blumen hin.




Freistatt.


    Was die Flügel regt im Blauen,
    Was die Füße hebt im Staub,
    Hat ein Dach und einen Frieden
    Unter dieses Gartens Laub.

      Keines weicht vor meinen Schritten;
    Jedes weiß: hier ist ein Hort.
    Zwischen uns ein still gegebnes
    Und ein still verstandnes Wort.

      Was der Welt du gibst an Liebe,
    Findet holden Widerhall.
    Horch, o horch: seit gestern abend
    Wohnt sie hier -- die Nachtigall!




Einem Sommer.


    Sommer, eh du nun entwandelst
    Über sonnenrote Höhn,
    Soll dir meine Seele sagen,
    Wie du mir vor allen schön!

      Wähne nicht, daß meinem Herzen
    Sommer so wie Sommer sei;
    Seltsam wie der Wolken Wandel
    Ziehn die Zeiten ihm vorbei.

      Und wie +du+ hervorgetreten
    Aus der Zukunft ernstem Tor,
    Atmete aus dumpfen Qualen,
    Atmete dies Herz empor ...

      Dankbar will ich das nun singen:
    Wie die Wiese lag im Glanz
    Und du gingst am Rand im Schatten,
    Und dein Gehn war Klang und Tanz --

      Wie auf Wolken du gefahren,
    Deren Weg dein Hauch gebeut,
    Wie du in den hohen Himmel
    Weiße Rosen hingestreut --

      Wie du aus des Nußbaums Wipfel
    Durchs Gezweige sahst herab --
    Wie du rote Blüte gossest
    Über ein versunknes Grab --

      Wie im Wald am schwarzen Stamme
    Stumm du standest, schwertbereit,
    Als ein sonnenblanker Ritter
    Aus verklung’ner Heldenzeit --

      Wie du alle Glocken schwangest
    Im beglühten Turm des Doms --
    Wie du rötlich hingewandelt
    Auf der Wellenflur des Stroms,

      Oder wie du braun von Wangen
    Westlich schrittest durch das Feld
    Und mit einer Amsel Tönen
    Leis’ erweckt die Sternenwelt ...

      Hoher, ehe du entwandelst
    In den Saal „Vergangenheit“,
    Nimm mit dir wie Hauch der Felder
    Diesen Hauch der Dankbarkeit!

      Wo gestorb’ne Sommer wandeln
    Hinter nachtumraunten Höhn,
    Wo nur Schatten dich umschweigen,
    Soll er singend mit dir gehn.




Ausflug.


    Heut saß ich wieder an meinem Klavier;
    Sein blankes Holz war Spiegel mir;
    Drin sah ich mich und mein stilles Zimmer,
    Den Garten, die Gasse -- und fern einen Schimmer
    Des lichten Himmels.
                                      Und meine Hand
    Erging sich spielend im fernsten Land. --

      Und hört -- o hört --: da kam ein Klang,
    Den +sah+ ich, als er durchs Zimmer sich schwang,
    Als er dahin übern Garten zog,
    Leise die flimmernden Wipfel bog,
    Und weiter, weiter, die Straße entlang
    Schwebte, strebte der heilige Klang.

      Rührt’ eines Kindes Scheitel an,
    Daß gleich sein Haar zu leuchten begann --
    Strich über eines Baumes Dach,
    Darunter hervor ein süßes Ach
    Aus eines Vögleins Herzen quoll
    Und jäh zu hellem Jauchzen schwoll.
    Leis über einen Schmetterling,
    Der am erglühten Kelche hing,
    Kam hergeweht das süße Klingen,
    Da dehnt der Falter die stummen Schwingen,
    Daß ihre scheu verhohlene Pracht
    Wie eines Auges Glut erwacht!
    Und hoch durch eines Waldes Hallen
    Ging hin der Klang. Das mochte schallen
    Wie fern erklungener, sehnender Gruß --
    Der stumme Wanderer hemmt den Fuß
    Und staunt hinauf, durchschauert ganz,
    Im großen Auge geheimen Glanz.
    Und weiter hinaus über Wiesen und Feld,
    In eines Tales versunkene Welt
    Hinschwebte der Hauch und streichelte mild
    Mit klingendem Flüstern das Ährengefild --
    Da glänzt es wie Gold!

                            Und rührte die Glocken
    Des ganzen Tals, daß mit Frohlocken
    Sich jede dem Himmel entgegenschwang
    Und friedliche Vesper vom Felsen klang.
    Und wallte, hallte hinaus übers Meer,
    Der klingende Hauch. Wie staunte so sehr
    Der junge Schiffer im treibenden Boot,
    Wie spannt sich die Brust ihm in seligster Not --!
    Von schimmernden Brüsten blinkte die Flut,
    Von winkenden Augen voll schillernder Glut!
    Und seufzend blickt er empor und hinaus:
    Die Sonne ging heim in ihr goldenes Haus.
    Zu ihr entschwebte das klingende Wehen --
    Zu ihr strebt alles in Kraft und Vergehen!

      Und hinter leuchtenden Schleiern verlor
    Den letzten Ton -- mein dürstendes Ohr.

      Und da sah ich mich um -- da fand ich mich hier --
    An meinem schweigenden Klavier. -- -- --

      Tränende Augen, was habt ihr gesehn?
    Zitternde Seele, was ist dir geschehn?
    Du flogst mit einem seligen Klang
    Die weite Sommerwelt entlang ...!




Im Sommerglanz.


    Ich segne mir die klaren Sommerstunden,
    Da willenlos die Seele sich versenkt
    Ins weite, warme Meer des goldnen Lichtes,
    Das ewig-liebevoll die Sonne schenkt.

      Dann lieg ich hingestreckt auf stiller Halde,
    Trunken vom Licht, von seiner Glut betäubt,
    Und sehe, wie im Blattgewirr der Büsche
    Zu tausend Funken jeder Strahl zerstäubt.

      Ein träger Glast hängt zitternd in den Lüften,
    Und aus der Erde, aus dem trocknen Laub
    Hebt sich ein schwerer, heißer Lebensodem
    Und schwebt in Wolken aufwärts mit dem Staub.

      Im halben Schlaf der wonnig müden Seele
    Taucht mir in den entrückten Sinnen auf
    Ein lichtes Schauen künftiger Gefilde,
    Ein leiser Klang von andrer Welten Lauf.

      Und mit der fernen, stillen Wolkenherde,
    Mit jenem Strom, der hoch im Blauen geht,
    Entsend’ ich in die rätselvolle Ferne
    Ein selig Ahnen und ein fromm Gebet.

      Nur fernher ruft, wie aus der Erde Tiefen,
    In bangen Tönen noch das Erdenleid;
    Doch bald verklingt’s -- und alles irdische Fühlen
    Verschwebt zum Sonnentraum der Ewigkeit. --




Spätsommer.


    „Eben noch so klar und glänzend
    Leuchtete der Himmelsbogen,
    Und im Nu von grauen Wolken
    Ist er weithin überzogen!“

      Mahnen will es uns, Geliebte:
    „Trinkt den Duft der letzten Rosen!
    Draußen über grüne Wipfel
    Geht der Sturm mit wildem Tosen,

      Geht der Sturm mit wildem Tosen,
    Daß er jene Wolken jage
    Und mit Dunkel bald bedecke
    Alles Glück der Sonnentage.“




Auflösung.


    In weiter Öde schreit ich längst allein.
    Kein Ton, kein Hauch. Kein Fünkchen Sonnenschein.
    Ein dünner, grauer Regen rieselt sacht;
    Aus feuchtem Boden langt empor die Nacht.

      Und in mir schwillt’s wie Riesenschatten auf;
    Verloren hab ich Welt- und Stundenlauf.
    Nur selbst ein Schatten noch, ein Nebelhauch,
    Schweb’ ich vorbei an Sumpf und Heidestrauch.

      Und endlich hebt es leise mich empor --
    Tief unter mir zerfällt’s wie Spinnenflor --
    Und droben schweb’ ich hin, wo ungesehn
    Ins unbekannte Land die Winde gehn.




Die schlafenden Tage.


    Kennst du die schlafenden Tage?

    Da kommt die leuchtende Sonne nicht,
    Verloren hat sie ihr Flammenlicht;
    Ein träger Schimmer fließt herab;
    Die Welt ist umschattet wie ein Grab.
    Über der Dächer, der Türme Bau
    Schleicht ein ewiges Wolkengrau.
    Du bist allein -- und die Welt des Lichts
    Ist versunken ins schweigende Nichts. --

      Wohl kenn’ ich die schlafenden Tage!

    Da ruht das Herz, und mit leisem Schlag
    Folgt es dem still verrinnenden Tag;
    Nur in den Adern rollt das Blut,
    Verborgen rinnt die Lebensflut.
    Die Stille, die das All durchfließt,
    Allmächtig sich ins Herz ergießt --
    Kein Glück, kein Schmerz durchglüht die Brust,
    Vergessen ist alles: Leid und Lust --

      Ich liebe die schlafenden Tage.

    Die schlummeratmende Seele schafft
    Für den kommenden Kampf die siegende Kraft,
    Die Kraft, die das blühende Glück erträgt
    Und die kein Unglück zu Boden schlägt.
    Hoch von den ziehenden Wolken auch
    Weht hernieder ein Geisterhauch:
    „Not ist Freude, Freude Not,
    Tod ist Leben und Leben ist Tod.“

    Kennst du die schlafenden Tage?




Winternachmittag an der Elbe.


    Durch den Schnee, der Schlucht und Gräben füllt,
    Wandert meine Seele ruhumhüllt.
    Ach, sie möchte sich Genüge tun,
    Lebenswarm im weißen Totenlinnen ruhn!

      Denn es wacht wie eine Flamme mein Gemüt
    In der Stille dieser Schlummerzeit.
    Wie ein einzig Licht in Waldesnächten glüht,
    Brennt mein Herz in Wintereinsamkeit.

      Horch, wer hat den toten Hain erschreckt?
    Überlast des Schnees fiel von den Zweigen.
    Einen Laut hat sich Natur erweckt,
    Weil ihr graute vor dem eignen Schweigen.

      Durch beschneite Zweige kann ich ferne sehn,
    Wo die stillen Segel gehn.
    Aus dem Reich der stummen Nebelhöhn gesandt,
    Ziehn sie lautlos in des Traumes Land. --

      Holder Tag, der unterm Eis verrinnt,
    Ewig wirst du mir im Herzen sein!
    Tief gebettet dort, wirst du noch einst ein Wein,
    Der die alten Augen mir mit Licht umspinnt.




Wintermorgen.


    O sterbensmüder Friede,
    O düstres Morgengraun!
    Wie ein Gefild des Todes
    Ist diese Welt zu schau’n.

      Die kahlen Bäume schwanken,
    Vom Morgenwind umkreist,
    Als irrte durch die Kronen
    Ein wahnverstörter Geist.

      Darüber drohen Wolken
    In stummer, dunkler Wut
    Gleich Wogen einer jählings
    Im Sturm erstarrten Flut.

      Am düstren Morgenhimmel
    Hängt noch der fahle Mond,
    Ein kalter, bleicher Herrscher,
    Der über Schatten thront.

      Das wird ein trübes Leuchten,
    Das dieser Tag uns bringt,
    Weil solchen Dust der Erde
    Die Sonne nicht durchdringt!

      Dort steigt sie auf am Himmel
    In lichtdurchsprühtem Dampf;
    Sie wird das All durchwandeln
    In ruhelosem Kampf.

      So will ich denn erharren
    Aufgang und Untergang --
    Auch mich umwogt das Dunkel;
    Mein Kampf wird schwer und lang.

      Und will von ihr es lernen,
    Wie man im Kampf besteht
    Und wie ein Held am Abend
    Verblutend untergeht.




Winter.


    Die Sonne schwimmt in Nebeln rot;
    Es lockt kein Laut vom dunkeln Walde.
    Verödet liegt im Schnee die Halde;
    Die weite Welt ist still und tot.

      O Friede wundersam und mild!
    Ruht nicht das Herz vom hast’gen Schlage?
    Ist nicht verstummt die laute Klage,
    Die ehedem kein Trost gestillt?

      Mein Auge sah am Frühlingstag
    Den Tod aus bunten Blumen locken;
    Am liebsten unter Blütenflocken
    Er seinen Samen streuen mag.

      Mein Auge sah durch Winternacht
    Den Lichtglanz holder Freude glühen,
    Auf bleichen Wangen Rosen blühen,
    Vom Hauch der Liebe schnell erwacht.

      Drum, stille Hoffnung, grüne auf!
    Scheu nicht des Winters Hauch, den kühlen;
    Das Herz in seinem tiefsten Fühlen
    Hat seinen eignen Jahreslauf.




Entsagung.


    Sonnenschein, du tief geheimes Glück,
    Kommst du wieder mir zurück?

    Schmerzestrunken
    War ich in mein dunkles Selbst versunken,
    Und in Nächten, nimmer zu erhellen,
    Trank ich tief aus meines Kummers Quellen,
    Sank in Schlaf und Todestraum. --
    Letztes, leises Licht erlosch am Erdensaum. --

    Über Stirn und Wange rann es leis und warm --
    Und ich hob den Blick aus Nacht und Harm:

    Sonnenschein, verschwiegener Erbarmer!
    Großer Weltumarmer!
    Du, ja du kamst mir zurück,
    Sonnenschein, du letztes Menschenglück!




Spaziergang.


    Der Sturmwind springt mit rasendem Schwung
    Über leuchtende Wiesen.
    Er packt die Eichen bei Wurzel und Ast,
    Die knarrenden Riesen.

      Mir zum Triumph bestreut er den Weg
    Mit breiten Zweigen,
    Und hoch in Lüften spielt er mir auf
    Mit juchzenden Geigen.

      Die Erde klingt meinem harten Tritt
    Auf schweigenden Wegen --
    Was ist mir noch an der lauen Welt,
    An mir selber gelegen?

      Was ich gewesen, was ich gelebt,
    War Jammer und Schwäche.
    Mir spannt sich die Faust, auf daß ich den Tand
    Mit Fäusten zerbreche.

      Ich wachse, ich steige, ich werde frei,
    Sturm werde mein Wille! --
    Mein Denken fliegt wie ein Jubelschrei
    Durch die Winterstille.




III. Junge Liebe.




Gesicht.


(Das Mädchen spricht:)

    Die Glut im Ofen
    Zerfällt mit Knistern --
    Ich bin bei den Eltern,
    Unter Geschwistern;
    An jedem Abend
    In engem Zimmer
    Sind wir versammelt
    Beim Lampenschimmer.
    Sie alle grollend
    Und finster schweigend --
    Ich in Gedanken
    Zu dir mich neigend.

      Du bist geächtet
    In diesen Räumen --
    Du steter Gast mir
    In stummen Träumen.
    Ich bin gefangen
    In dumpfer Klause;
    Ich bin verlassen
    Im Elternhause!
    Und oft doch will mir’s
    Die Brust zersprengen,
    Ans Herz der Eltern
    Mich hinzudrängen --
    Ich bin verlassen
    Unter den Meinen;
    Ich bin gefangen
    Und darf nicht weinen.

      Da -- welch ein Klingen
    Durchflog den Raum?
    Es fiel wie Amen
    In meinen Traum!
    Ein helles Jauchzen
    Und leises Klagen,
    Ein wehmutbanges
    Und süßes Fragen!
    Von ferne hört ich’s
    Herüberwehen,
    Wo durch das Dunkel
    Die Winde gehen.
    Kaum, daß ich vernommen
    Den Hauch der Töne --
    Da standst du vor mir
    In aller Schöne,
    Mit hellen Augen,
    Mit blühenden Wangen,
    Als könnt’ ich mit Armen
    Dich liebend umfangen ...

      Du wolltest mich grüßen
    Aus dunkler Weite
    Und gabst dem Verlangen
    Ein Lied zum Geleite.
    Es hat mich gefunden,
    Da ich getrauert,
    Es hat mir selig
    Das Herz durchschauert!
    Du hast mich wieder
    Mit Licht umgeben;
    In meinem Kerker
    Blüht neues Leben!




Tödlicher Traum.


    Heut nacht im Traum kam Liebe mir vom Himmel:
    Ja Lieb’ von mehr als irdischer Gewalt!
    Still wuchs empor aus dunklem Traumgewimmel
    Ein lichtes Weib von seliger Gestalt.

      Wie groß ihr Auge unter langen Brauen!
    Wie fest und ruhig schlug ihr heilig Herz!
    Aus Menschenniedrigkeit sie anzuschauen,
    Erdrückte mich wie der Verbannung Schmerz.

      Sie aber -- sie -- aufs Knie sinkt sie zur Erde
    Und küßt mit Lippen, feucht und rosenweich,
    Den Fuß mir -- mit verwirrender Geberde --
    Erbarmung war’s und süße Glut zugleich.

      Und uns umfloß verschwiegenes Genügen,
    Und meine Brust war erdenfrei und rein,
    Und nur noch Liebe ging in gleichen Zügen
    Durch meine offnen Lippen aus und ein. -- --

      Nun, harter Tag, erbarmungsloser Scherge
    Der Wirklichkeit, treibst du mit Grinsen ein,
    Was wir, von deiner Last erdrückte Zwerge,
    Im Traum geborgt von einem süßern Sein.

      Mit hämisch gleichem, hartem Schritt der Stunden
    Entrückst du mir das zartgewobne Bild.
    Jetzt nur ein Schleier noch -- und jetzt entschwunden!
    Und Sehnsucht irrt im nebelnden Gefild. --

      Aus Traumbereichen kommt uns keine Kunde.
    Nur hier im Herzen blieb ein feiner Stich.
    Ein leiser Strom aus tiefversteckter Wunde --
    Verblutet die Erinn’rung -- oder ich?




Erwartung.


    Ob noch kein Strahl der neuen Sonne
    Ins Herz der bangen Erde traf?
    Wie lange hältst du schon umfangen
    Die öde Welt, o tiefer Schlaf!
    Doch stellt mit jedem düstern Tage
    Sich glühender das Hoffen ein:
    Wie herrlich wird nach allem Harren
    Der erste Tag der Wonne sein!

      Wann wirst du dich zum Ende neigen,
    Du meiner Seele grauer Tag?
    Fern liegt mein Glück; doch ihm entgegen
    Drängt sich mein Herz mit jedem Schlag.
    Nur noch in +einem+ Lichtgedanken
    Ertrag ich dieser Jahre Pein:
    Wie herrlich wird nach solchem Harren
    Der erste Tag der Wonne sein!




Walpurgisnacht.


    Zu Roß, mein Lieb, mein süßes Lieb,
    Wir müssen schnell von dannen,
    Von dannen durch die tiefe Nacht,
    Durch Feld und Hag und Tannen!
    Hinweg von unsrer Feinde Herd,
    Die uns nur Fluch und Hohn beschert
    Und uns ins Elend bannen.

      Blick’ auf, mein Lieb, mein süßes Lieb,
    Walpurgisnacht ist heute!
    Es schwirren um den starren Berg
    Gar wundersame Leute.
    Es drehen sich im Hochzeitstanz
    Und treiben wilden Mummenschanz
    Die grauen Hexenbräute.

      Fürwahr, mein Lieb, mein süßes Lieb,
    Sie gleichen ganz den Fratzen,
    Die unser Glück vergifteten
    Mit Drohn und süßem Schwatzen.
    Die Augen stieren gläsern kalt;
    Die Leiber sind verschrumpft und alt;
    Sie fauchen wie die Katzen.

      Hinweg, mein Lieb, mein süßes Lieb,
    Hier kann das Glück nicht weilen.
    Umfasse du mich ohne Graun
    Und laß uns fürder eilen!
    Wir finden unsre Heimat doch,
    Und läg sie in der Ferne noch
    Viel hundert, hundert Meilen! --

      O sieh, mein Lieb, mein süßes Lieb,
    Zerflattert sind die Sorgen!
    Da steigt die Sonne rot empor,
    Die sich so lang verborgen.
    Was ferne glüht in stiller Pracht
    Und was so hell in uns erwacht:
    Das ist der Maienmorgen!




Liebesschauer


    Von wirbelnder Wonne
    Zu düsterem Grausen
    Schwankt die genießende,
    Bangende Liebe.

      Du liegst mir im Arme
    Mit glühenden Wangen,
    Geschlossenen Auges,
    Die schwellenden Lippen
    Wie träumend erschlossen
    Vor lechzender Sehnsucht
    Nach brennenden Küssen.
    Und immer, immer
    Mit neuen Flammen
    Durchjagt’s mir die Seele,
    Und immer, immer
    Die zitternden Lippen
    Von neuem press’ ich
    Auf Mund dir und Wangen,
    Als müßt’ ich dir rauben
    Den süßen Atem,
    Als müßt’ ich ersticken
    Dein warmes Leben,
    Als müßt’ ich dich küssen
    Unersättlich,
    Bis tot an die Schulter
    Dein Haupt mir sänke,
    Vor Glück entseelt. --

      Tot ... entseelt ...
    Und wenn er erschiene
    Am andern Tage,
    Der bleiche Allmächt’ge,
    Der tags und nächtens
    Die Erde durchschreitet
    Und aus den atmenden,
    Blühenden Leibern
    Unstillbaren Durstes
    Das Leben saugt --
    Und er +nähme+ mir dich!
    Und würfe zum Staub
    Deinen blühenden Leib! -- --
    Dann käme ein andrer
    Als du mir ins Zimmer,
    Mit kalten, feuchten,
    Knöchernen Fingern
    Die Hand mir reichend
    Zu ewiger Freundschaft,
    Ein seltsamer Fremdling!
    Zur Seite mir wär’ er
    Bei Nacht und am Tage,
    Bald irre Klagen
    Ins Ohr mir raunend
    Vom Glück der Liebe --
    Bald gellend und lachend
    Ins Ohr mir schreiend
    Verrückte Geschichten
    Vom Glück der Liebe! --
    Das wäre der Wahnsinn.
    Vorahnend schaut ihn,
    Entrückt, meine Seele,
    Und schon in der Ahnung
    Packt er mein Innres,
    Als wollt’ er mir Nerven
    Und Adern zerreißen -- --

           *       *       *       *       *

    Du aber fürchte
    Dich nicht, Geliebte,
    Weil wild meine Augen
    Starren ins Leere;
    Schon sink ich dir wieder
    Ans pochende Herz.

      Von wirbelnder Wonne
    Zu düsterem Grausen
    Schwankt die genießende,
    Bangende Liebe! --




Auf dem Morgengange.


    Laß uns verweilen, du Liebste mein,
    Schau in den tiefen Wald hinein!
    Spärlich nur durch die Tannen dicht
    Irrt hernieder das Sonnenlicht;
    Nur einen kleinen, stillen Raum
    Hüllt es in einen goldnen Traum.
    Vier der Stämme ragen empor,
    Die sich allein das Licht erkor;

    Aber sie flimmern in hellem Glast
    Wie ein lichter Zauberpalast.
    Durch die Kronen huscht mit Geflimmer
    Flink und behende der Morgenschimmer,
    Fliegt und zittert hinauf, hinab,
    Bis er alles mit Gold umgab.
    Zwischen den Stämmen in der Schwebe
    Hängt der Spinne silbern Gewebe;
    Käfer im Goldrock, flink und munter,
    Hasten die Stämme hinauf, hinunter,
    Und ihr Schwirren und Summen leis
    Einziger Laut im weiten Kreis! --

      Also fiel auch in unsre Brust
    Golden das Licht der Liebeslust,
    Und inmitten der düstern Welt,
    Die uns mit Sturm und Frost umstellt,
    Fanden wir strahlende Einsamkeit,
    Frieden und tiefe Seligkeit.
    Eine stille Sommerpracht,
    Uns im Herzen die Liebe lacht.
    Sonne trank nun allen Schmerz.
    Ahnend zittern durch unser Herz,
    Wie das Licht um die hohen Bäume,
    Einsame Wünsche, schweigende Träume! --




Beglückender Einklang.


    Es lag im leisen Abendtraume
    Vor uns die jugendschöne Welt;
    Wir wandelten in tiefem Schweigen
    Noch immer fort durch Wald und Feld.
    Verfallen warst du ganz dem Zauber
    Der Schönheit, die uns mild umfing;
    Es schien, du hättest mein vergessen,
    Weil nur an ihr dein Auge hing.

      Du warst so hold in deinem Traume,
    In deiner Kindesseligkeit --
    Mir ward im Anschaun deiner Schöne
    Das Herz von heiligem Drange weit;
    Mit Flammenküssen ganz bedecken
    Wollt’ ich dein sinnend Angesicht:
    Doch fromm beschied ich mich im Herzen
    Und störte deine Andacht nicht.

      Denn ein Gedanke, tief beglückend,
    Stieg mir empor aus froher Brust:
    Auch du erglühst vor allem Schönen
    Und Herrlichen in reiner Lust;
    So ist mein Ahnen und mein Hoffen,
    Mein Träumen länger nicht verwaist:
    Auch dich erhebt aus Erdenschatten
    Der Schönheit göttlich hoher Geist.




Als die Geliebte sang.


    Und einmal ward es Abend wieder;
    Wir schritten spät am Wald entlang;
    Du sangest mir die leisen Lieder,
    Die ehmals deine Mutter sang,

      Die du in fernen, schönen Tagen
    Der Liebereichen abgelauscht,
    Als noch an wunderbunten Sagen
    Des Kindes Sinn sich fromm berauscht.

      Ich sehe dich, die großen Augen
    Zur Mutter liebevoll gewandt,
    Den Ton von ihren Lippen saugen,
    Der zaubrisch deine Seele bannt.

      Dann traf ein tödliches Verhängnis
    Dein reines Glück -- die Nacht war lang --
    Du aber trugst durch die Bedrängnis
    Im Herzen treu den milden Klang.

      So schön hatt’ ich dich nie gefunden,
    Seit ich in dir mein Glück umfing,
    Als da an deiner Kindheit Stunden
    In Träumen deine Seele hing,

      Da du des Herzens tiefste Töne
    Der Mutter andachtsvoll geweiht
    Und dich zum Lohn mit Morgenschöne
    Umströmte die vergangne Zeit.




Leuchtender Tag.


    Liebchen!! -- Huschte sie durchs Zimmer?
    Ja, ihr Haar blieb mir im Sinn.
    Wie ein Quell im Frühlingsflimmer
    Floß es reich und hell dahin.

      Ist mir’s doch, ich säh es quellen
    Fort und fort in goldnem Tanz,
    Flinke, immerrege Wellen
    Unter einem stillen Glanz ...

      +Was+ ich heut nun denke: immer
    Bringt es Lust mir und Gewinn.
    Wie ein Quell im Frühlingsflimmer
    Fließt es reich und hell dahin.




Tändelei.


    Bitte bitte! soll ich sagen,
    Um ein Küßchen zu erlangen?
    Meinen Stolz willst du versuchen,
    Allerlistigste der Schlangen!

      Schnippisch trotzt das rote Mündchen,
    Das so oft zum Kuß bereit war.
    Meinst: mein Recht, dich abzuküssen,
    Wär’ durchaus nicht unbestreitbar.

      Nur durch fromme Unterwerfung
    Würd’ ich wert so hohen Lohnes --
    So versicherst du „entsklavten“,
    Frauenrechtsbewußten Tones.

      Und du glaubst, ich würde bitten?
    Meine heilige Manneswürde,
    Denkst du, würde ruhig tragen
    Solcher feigen Knechtschaft Bürde?

      Mann bin ich und dein Gebieter,
    Und der Macht geziemt kein Bitten;
    Doch ein Recht zum Raube hat sie;
    Noch ist ihr’s nicht abgestritten!

      Und -- schon hab ich meine Beute! --
    Nun? Dein Trotzen, sag, wo blieb’s denn? --
    Und sie haucht: „Ach, die geraubten
    Küsse geb’ ich dir am liebsten!“




Lieb und Traum.


    Rings umschattet uns schweigendes Waldesgrün;
    Atmende Dämmrung hebt sich sacht zu den Wipfeln;
    Nur durch die Lichtung glänzt und glitzert
    Des Stromes rinnender Spiegel.
    Da faßt du mich lächelnd bei beiden Händen
    Und fragst mich, halb scherzend, halb zürnend:
    Garstiger Schweiger, was träumst du? --

      Was ich träume, fragst du mich, Mädchen?
    Hörtest du nicht den leise flötenden,
    Lieblich lockenden Ton der fernen Nachtigall?
    Sanft zuerst wie ein Hauch, dann schwellend und endlich verklingend;
    Und der Ton, wie er sanft erschwoll und zitternd verklang,
    Nahm mich hinweg in sinnendes Träumen. --
    Still war alles. --

      Da kam ein Wehen von den Wipfeln der Bäume,
    Und silbern blitzte des Stroms erzitternder Spiegel.
    Doch balde, bald versank das silberne Raunen
    Und ließ mich drüben allein am Ufer der Träume.
    Da traf mich dein Wort wie der Heimat Stimme --
    Da schau ich nun dir in dein liebliches Antlitz,
    Blick in dein helles, Unschuld lächelndes Auge --
    Sieh, und das war mein Traum:
    Oh, daß dies Glück nicht verhallte wie Nachtigallsang,
    Nicht dahinstürbe wie Wellengeflüster!




Abend.


    Lehnst an meine Schulter du
    Sanft dein Haupt mit Schweigen,
    Spiel ich dir ein altes Lied
    Auf der alten Geigen.

      Und die Seele, mild gerührt
    Ob dem süßen Klingen,
    Fliegt zum hellen Abendrot
    Auf der Hoffnung Schwingen.

      Und im Auge dir und mir
    Glänzt die stille Frage:
    Bleiben Lieb’ und Seligkeit
    Bei uns alle Tage?

      Wenn die Rosen sind verblüht,
    Wenn die Saiten sprangen,
    Wird ob unserm Haupte dann
    So der Himmel prangen? --

      Stumm noch lauschst du meinem Lied,
    Ob ich schon geendet;
    In die Weite traumeshell
    Ist dein Blick gewendet.




Beredtes Verstummen.


    Ich hatte schweres Unrecht dir getan,
    Mit rauhen Worten tief dein Herz verletzt
    Und deinem flehend sanften Widerspruch
    In Blindheit mich verschlossen bis zuletzt.

      Da schwiegst du ganz und sahst mit feuchtem Blick
    So gut und liebevoll mich an wie je,
    Als dächtest du: „Dir dank ich alles Glück,
    Wohl überwind ich einst auch dieses Weh.“

      Da fiel’s wie Schuppen von den Augen mir;
    Die Glut des Zornes wich der Glut der Scham,
    Die jäh wie Feuersflut vom Himmel mich
    Vor deiner stillen Größe überkam.




Liebesglaube.

(Die Geliebte spricht:)


    Ach, mit gepreßtem Herzen
    War ich aufs Lager gesunken;
    Ich hatte heimlich-verschwiegen
    Des Argwohns Gift getrunken.

      Ich wähnte das Glück verloren;
    In bangen Zweifelstunden
    Hatt’ ich in seinen Augen
    Die Liebe nicht gefunden.

      Doch heut in früher Stunde
    Weckte mich leises Ahnen;
    Es pochte in meinem Herzen
    Ein starkes Frühlingsmahnen.

      Da fand ich die Morgensonne
    In meiner Kammer zu Gaste;
    Es sang mit lautem Schalle
    Ein Vogel vom Lindenaste.

      Mich überfloß berauschend
    Der goldne Strahlenregen;
    Aus meinen Kissen lacht’ ich
    Dem Morgenglanz entgegen:

      Er kann der frommen Treue,
    Der Liebe nicht vergessen!
    Er kann das Herz nicht töten,
    Das er im Glück besessen -- --!

      Und ich entschlief. Entschweben
    Sah ich den bleichen Kummer.
    Mit Blumenträumen bedeckte
    Mich leise der Morgenschlummer. --




Versöhnung.


    Kennst du die Tage schaurig-öd’,
    Da Todesschauer dich umweht,
    Wenn nach der grauen Wolken Zug
    Dein seherhaftes Auge späht?

      Die Bäume friert es bis ins Mark;
    Erschauernd sträubt sich ihr Geäst;
    Ein düstrer Geist hält jeden Hauch
    Der Lust im Grund der Erde fest.

      Da siehst du in dem Wolkenheer,
    Das endlos zieht am Himmelszelt,
    Die Last der Schmerzen, die sich schwer
    Dahinwälzt über diese Welt.

      Und in dem Winde, der sie treibt,
    Der durch die Wälder heult und gellt,
    Vernimmst du bebend einen Klang:
    „Ich bin der Angstschrei dieser Welt!“

      Dann lehnst du in der Dämmrung wohl
    Am stillen Fenster, starrst hinaus
    Mit irrem Blick ins Graun der Welt
    Und in des eignen Lebens Graus.

      Wenn’s dann im Dunkel dich umweht
    Wie eines Mundes warmer Hauch
    Und dich ein weicher Arm umfängt
    Nach altem, süß-gewohntem Brauch

      Und eine Stimme flüsternd spricht,
    So schön, wie’s nur in Träumen klingt:
    „Ich will verzeihen!“ und ein Kuß
    Dich wie ein Gotteshauch durchdringt --:

      Dann rüttelt dich ein jäher Schmerz,
    Wie wenn dein zuckend Herz zerreißt,
    Ein Wirbelsturm der Lust durchrast
    Frohlockend, jauchzend deinen Geist.

      Die Nacht brach an. Die Wolken flohn.
    Die Pracht der Sterne kam zurück --
    Du aber pressest immer noch
    Ans Herz dein unbegreiflich Glück!




Bitte.


    Du sollst nicht wähnen, daß mein Denken
    Sich frei im reinen Lichte wiegt,
    Daß über jegliche Versuchung
    In mir ein starker Wille siegt.

      Ich bin zu dir, o Kind, gekommen,
    Um dir ins süße Angesicht
    Mit treuen Worten zu bekennen,
    Was mir an hohem Wert gebricht.

      Und wenn ich alles dir bekenne,
    Dann bebe nicht mehr stumm zurück,
    Als träfe dich in meiner Liebe
    Ein ewig unverdientes Glück.

      Vielmehr, wenn still aus meinen Augen
    Ein Tropfen rinnt auf deine Hand,
    So denke, daß in deinen Armen
    Ein irrend Herz den Frieden fand.




Süßer Wahn.

    Und kommst du an mein Sterbebett,
    Geliebter mein,
    Dein Kommen ist wie früh am Tag
    Der Morgenschein.

      Da sinkt die Nacht, die lastend mir
    Das Hirn zerquält,
    In der die Stunden ich so oft,
    So bang gezählt,

      Da schwere, heiße Träume nur
    Das Dunkel wob
    Und nur der Sorge Seufzer mir
    Den Busen hob. --

      Nun lächelst du in heiliger Lieb’ --
    O sieh mich an!
    Ein Glaube kinderfromm und schön
    Erhebt mich dann.

      Mir ist, als ob des Todes Macht
    Vor dir zerbricht --
    Leg deine Hand mir still aufs Herz,
    Dann sterb ich nicht. --




IV. Weib und Daheim.




Altmodisches Lied


    Ich bin ein froher Mann,
    Der laut verkünden kann,
    Daß ihm die Liebste treu gesinnt,
    Und sehe wohl das Greinen
    Der Schlauen, so da meinen:
    „Man sagt’s von manchem holden Kind.“

      Nun hört: Wenn Zweifelsgram
    Die Kraft zum Werk mir nahm --
    Wer gleitet still auf meinen Schoß
    Und spricht von fernen Dingen,
    Die mir Genesung bringen,
    Und macht mich leis’ der Ketten los?

      Und kam ein düstrer Tag
    Mit schwerem Wetterschlag --
    Was ist’s, das mir ins Auge fällt?
    Ein Strauß, ein zarter, neuer,
    Von Blumen, die mir teuer,
    Von meiner Liebsten hingestellt.

      Wenn Hunde mich gehetzt
    Und mir das Kleid zerfetzt
    Und Menschenhaß im Hirne nagt --
    Was schiebt sich leis’ ins Zimmer?
    Ein Kind wie Sonnenschimmer
    Und lallt, was +sie+ ihm vorgesagt.

      Doch ward ein Leid zu schwer,
    Verhüllt’s kein Schleier mehr,
    Und muß es ausgesprochen sein,
    So blickt sie ohne Beben
    Mit mir dem argen Leben
    Gerad’ ins wilde Aug’ hinein.

      Und alles sag’ ich ihr,
    Und alles sagt sie mir
    Und teilt mit Lust mein schwerstes Los.
    Ich sah in manchen Nächten
    Aus allen Schattenmächten
    Ihr sanftes Auge, klar und groß.

      Der Neid zeig’, was er kann;
    Ich bin der starke Mann,
    Dem eine Seele treu gesinnt.
    Ihr Spötter, laßt mir’s gelten,
    Und wollt ihr Kind mich schelten,
    So bin ich wohl des Glückes Kind.




Am Hochzeitstage.


    Laut rollt der Hochzeitswagen durch die Gasse.
    Wir ruhen drin, zu stillem Glück geeint.
    Sieh, wie die Sonne glänzt durch Regenwolken --
    Die Hoffnung lacht -- und die Erinn’rung weint.

      So ist’s ein Fest der Wonne wie der Trauer.
    Ich fühl’s, da neue Liebe mich beglückt,
    Wie lang genossne, unvergoltne Liebe
    Mit schwerem Vorwurf meine Seele drückt.

      Der Eltern denk ich, der verlassnen, alten.
    Und während mich dein Zauber hold umgibt,
    Erfaßt es mich mit wehmutsvoller Mahnung,
    Wie zärtlich sie mich je und je geliebt.

      Sie ließen mich den Traum der Jugend träumen.
    Leicht schlug mein Herz! -- ihr Haupt war sorgenschwer;
    So zweifle nicht, wenn sich mein Auge feuchtet!
    Der Sommer prangt -- ein Frühling kommt nicht mehr.

      Wie rasch der Wagen rollt! Wir fliegen selig
    Und zukunfttrunken in die Welt hinaus.
    Euch Sternen meiner Jugend send’ ich Grüße
    Ins abendrotumkränzte, stille Haus.

      Verzeiht dem heißen Drang der jungen Seelen,
    Der euch des vielgeliebten Sohns beraubt --
    Unsterbliches Gedächtnis eurer Liebe,
    Und Segen über euer greises Haupt!




Tränen im Glück.


    Du weinst? Und uns erblüht ein junges Leben!
    Mit Leib und Seele bist du mir gegeben;
    Du bist mein Weib -- was wir ersehnten einst,
    Hat herrlich sich vollendet -- und du weinst?

      Doch sieh! Versenkt mein Blick sich in den deinen,
    So will es mir im tiefsten Herzen scheinen,
    Als ob auf deiner feuchten Augen Grund
    Sich seliges Genüge gäbe kund.

      O stille nur! Schon hab’ ich dich verstanden.
    Die bangen Tage deiner Leiden schwanden,
    Die Tage, da dich Finsternis umfing
    Und über Dornen deine Straße ging.

      Mitfühlend kann ich deine Lust verstehen.
    Du hast des Glückes schönsten Teil ersehen:
    An treuer Brust in glückbesonnter Zeit
    Die Tränen lösen um vergangnes Leid.




Was Ortrun sprach.


    Gib wie immer deine liebe Hand,
    Eh’ ich eintret’ in des Schlummers Land.
    Sollst im Dunkel mir zur Seite stehen,
    Mit mir durch des Traumes Garten gehen.

      Sieh, das ist das Süßeste vom Tag,
    Daß ich deine Hand noch fassen mag,
    Wenn des Tages Ängste von mir sinken
    Und des Schlummers milde Schatten winken.

      „Meine Zuflucht“, klingt in mir ein Wort,
    „Meine Zuflucht“, klingt es immerfort.
    Alle, die dich lieben, die dich hassen,
    Endlich müssen sie dich mir nun lassen.

      Deine Hand nur fühl’ ich noch allein;
    Alles andre mag verloren sein.
    Ach, in mancher Nacht war mir’s verliehen,
    Dich im Traum mit mir hinwegzuziehen.

      Und in fernen Himmeln noch empfand
    Ich den leisen Druck der teuren Hand,
    Wie ein volles, heiliges Umfassen:
    „Schreite fest, ich will dich nicht verlassen.“

      Soll mir deine Hand erhalten sein,
    Tret ich gern in jedes Dunkel ein;
    Muß es doch nach allen Schrecken bringen
    Einen Traum, in dem die Sterne singen. --




Frauenschönheit.


    In glüh’nden Worten,
    In Liedern meist
    Hab’ ich gejubelt,
    Wie schön du seist.

      Du sahst im Spiegel
    Dein Angesicht
    Und glaubtest lächelnd
    Dem Schwärmer nicht.

      Wie sollte der Spiegel,
    Das kalte Glas,
    Dir sagen, was ich dir
    Vom Antlitz las!

      Ein Schlag des Herzens
    In deiner Brust,
    Ein leichter Seufzer,
    Dir unbewußt,

      Ein Hauch der Liebe
    Von deinem Mund
    Tut deine Schöne
    Bezaubernd kund.

      Wie Sonnenschimmer,
    Wie Windeshauch,
    So naht der Zauber,
    So flieht er auch.

      Und kaum geschwunden,
    Erfüllt er ganz
    Dein Antlitz wieder
    Mit neuem Glanz.

      Doch nur dem Auge,
    Das sorgsam wacht
    Ob deinem Leben
    Bei Tag und Nacht,

      Das selbst die Flammen
    Der Sehnsucht zeigt,
    Wenn’s tief sich über
    Dein Antlitz neigt --

      Nur ihm begegnet
    Rein und ganz
    All deine Schönheit
    In flüchtigem Glanz.




Sonnenblick.


    Am grauen Tag, im Winterleid
    Wir standen am Fenster beide.
    Im Nebelkleid die Sorge schritt
    Dahin durch Wald und Weide.

      Da brach hervor der Sonnenquell,
    Die Sorge blich und schwand.
    Da standen wir, und wußten’s nicht,
    Wie Kinder Hand in Hand.




Genügen.


    Wie trüg’ ich wohl ein Fernverlangen,
    Da hier der Tag in Rosen blüht,
    Die Sonne mich erweckt mit Prangen
    Und mir am Abend sanft verglüht?

      Vom Garten schon in früher Stunde
    Herüberträgt der Morgenwind
    Ein Lied aus froher Kinder Munde --
    Wie singt so hell mein eig’nes Kind!

      Der Mittagsruf klingt durch die Saaten.
    Wie Arbeit Stirn und Hände bräunt!
    Es winkt, vom Werk sich zu beraten,
    Zum Heimweg mir ein ernster Freund.

      Wie trüg’ ich wohl ein Fernverlangen,
    Da du mein Rebenhaus bewohnst
    Und mir mit liebendem Umfangen
    Am Abend jede Mühe lohnst?

      Beseligt von des Tags Geschenken,
    Genieß ich sein in später Ruh’.
    Ein letztes, leises Überdenken --
    Und träumend fällt die Wimper zu. --




Tiefglücklich.


    Das ist der Segen dieser trüben Stunden,
    Die mir ein sorgengrauer Himmel sendet:
    Die selige Mahnung, daß ich dich gefunden,
    Zu der mein Blick aus jeder Nacht sich wendet,
    Der Trost, daß meiner heißen Stirn nicht fehle
    Die milde Tröstung deiner weichen Wange
    Und ich im tiefsten Leid von ganzer Seele
    Doch stets nach dir und nur nach dir verlange.




Freundliche Nähe.


    Geliebter Menschen holde Nähe
    Ist wie der Quelle ferner Sang,
    Der leis herüberklingt vom Garten
    Den schönen Sommertag entlang,

      Ist wie ein frischer Duft vom Walde,
    Den laue Winde hergeweht
    Und der von früh bis spät uns labend
    Und läuternd durch die Seele geht. --

      Oft hör ich dich im Hause schalten,
    Geliebtes Weib; durch Tür und Wand
    Vernehm’ ich fernes Lachen, Singen,
    Und hör ich rauschen dein Gewand;

      Mir ist, als fühlt’ ich deine Lippen
    Wie Tau auf meiner Wange ruhn:
    Mein Haupt umschwebt ein selig Glänzen,
    Und Segen ruht auf meinem Tun. --




Blühendes Glück.


    Als wir für das Leben uns verbanden,
    Ganz in Blüte stand der Apfelbaum,
    Und sein weißer Schimmer floß wie Segen
    Über uns und dieser Stube Raum.

      Fast zu reich war dieser Blütensegen;
    Denn die Früchte kamen schwer und dicht.
    Um uns hüpft und lacht und lärmt und jubelt
    Manch ein apfelwangig Angesicht.

      Schwer hast du der Mutter Last getragen,
    Und vor Sorgen war ich glücklich kaum;
    Doch zum Trost an jedem Hochzeitstage
    Tausendblütig prangt der Apfelbaum.

      Wohl, ich weiß! Es möchte kindisch scheinen,
    Daß wir dessen nicht schon längst gewohnt.
    Blüten hat man leicht am Hochzeitstage,
    Wenn man sich vermählt im Maienmond.

      Traun, kein Kunststück! Jeder Narr berechnet
    Dieses Wunder an den Fingern dir --
    Und trotz alledem: ein süßes Wunder
    Ist es immer meinem Weib und mir,

      Dünkt uns, wenn wir still am Fenster stehen,
    Wie ein Zauber, wie ein seliger Traum,
    Daß an jedem Hochzeitstage wieder,
    Immer wieder blüht der Apfelbaum.




Großer Prolog

zum Stiftungsfest der ehrenwerten Gastwirte von Hümpeldorf[1].


    Nacht war’s, und in meines Weibchens Kammer
    Schlich ich mich auf ungewissen Schuh’n.
    Alsobald erschloß sich auch ihr Mündchen:
    „Ach, du brauchst so leise nicht zu tun.
    Stund’ um Stunde lieg’ ich bangend wach,
    Träume mir Gefahr und Ungemach,
    Träume Mord und Tod und kann nicht ruhn.“

      Aber weiter ließ ich sie nicht kommen;
    Denn schon hielt ich schmeichelnd ihre Hand;
    Auf die Fensterschwelle nah dem Bettchen
    Schwang ich mich so mutig wie gewandt.
    Breit durchs Fenster lächelte der Mond,
    Der, so frommer Klarheit ungewohnt,
    Staunend still in ihrem Auge stand.

      „Aber rätst du denn, wen ich getroffen?“
    Rief ich sicheren Triumphes voll.
    „Ahnst du wohl, mit wem ich mich -- berauschte
    Unaussprechlich süß und wirbeltoll?
    Du -- denselben, der uns einst vereint,
    Als du laut gelacht und still geweint
    Unterm Flieder, der von Trauben schwoll.

      Ja, den Frühling! Denk’ dir, dieser Bengel!
    Komm’ ich da bei Bock & Schlump hinein,
    Sitzt der Strolch mit hocherhob’nem Glase,
    Schielt mich an durch einen blanken Wein.
    In der Ecke, weißt du, saß der Freund,
    Wo das Steinöl Wand und Decke bräunt
    Und beglüht mit bilderreichem Schein.“


      „Hahahaaa!“

        „Halt -- dieses Lachen küss’ ich!“
    „Also im verqualmten Winkel find’t
    Mein Gemahl den Frühling! Ach wie niedlich!
    Suchst du ihn nicht auch im Kleiderspind?“
    „O gewiß, in Schachteln auch und Truh’n
    Und in Heringstonnen. Siehst du, +nun+
    Sprichst du, was du nicht verstehst, mein Kind.

      Sieh, mein Lieb: Entweder ist es Frühling
    Oder nicht! -- Erscheint dir klar der Fall?
    Gut denn. Ist es aber einmal Frühling,
    Nun, so ist er wahrlich überall!
    In der Rose und im Rübensaft,
    In den Sternen und im Stiefelschaft --
    Wie in deines Lachens Glockenschall.

      Alles drängt und zwängt er auseinander;
    Alles kracht und springt von seiner Kraft;
    Schlösser, Ketten, Riegel oder Bänder
    Halten kein Verlangen mehr in Haft.
    Sieh die Ampel -- wie sie schwillt und blüht,
    Eine Rose, sich entfaltend, glüht
    In erstickter süßer Leidenschaft ...!

      Gut denn, ich erzähle. Ach, was ist er
    Für ein lieber Schlingel immer noch!
    Nicht im mind’sten hat er sich verändert,
    Seit so lieblich uns der Flieder roch.
    Auf dem Bänkchen rückt’ er gastlich zu,
    Zog an seine Seite mich im Nu --
    Mußt’ ich höflich mich bequemen doch.

      Wie dir wohlbekannt, bin ich energisch;
    Aber konnt’ ich anders? Rede du!
    Frühling ist ja nur ein selig Müssen!
    Und in solchem Falle noch dazu!
    Fest umschlungen hielten wir uns bald;
    Zwischen Frankreich und dem Böhmerwald
    Schritten wir fürbaß auf leichtem Schuh.

      Herr mein Gott, was kann der Kerl vertragen!
    Na! -- ich steh’ doch auch sonst meinen Mann.
    Und Geschichten weiß er vorzutragen --
    Daß man’s gar nicht wiedergeben kann.
    Und ein Lied! -- Ach hör’! +Das+ sing ich dir --
    Arm in Arm am Fenster standen wir
    Und zum Himmel gröhlten wir’s hinan:

      „Un dorbi wohnt hee noch jümmers in de Lammer-Lammerstroot,
    Lammer-Lammerstroot,
    Kann mok’n, wat hee will.
    Kann mok’n, wat hee will.
    Swig man jümmers jümmers still,
    Swig man jümmers jümmers still,
    Swig man jümmers -- jümmers -- still. --
    Un doo meuk hee sick en Geigeken,
    Geigeken perdootz.
    „Violin, Violin“ seggt dat Geigeken,
    „Violin, Violin“ seggt dat Geigeken,
    Un „Vio Violin“, un „Vio Violin“,
    Un sin Deern, de heet Katrin!
    Un sin Deern, de heet Katrin,
    Un sin Deern, de heet Katrin
    Un sin Deern, de -- heet -- Ka -- trin.“

      Köstlich, was? Und also stand der Stromer,
    Mit gespreizten Beinen stand er da,
    Gröhlt’ mit feuchten, nektarsüßen Lippen
    Himmelan die tollsten Carmina.
    Himmelan, ja. Durch den Fensterraum
    Schwankte hell ein Zweig vom Sternenbaum,
    Der auf Türm’ und Dächer niedersah.

      Nur ein Stück erblickten wir: Vom Drachen --
    Unterm Drachen ward mir’s heimisch ganz --
    Bis zum gold’nen Haar der Berenike --
    Aber deines ist von höh’rem Glanz.
    Einsam schritt ich an der Himmelsflut,
    Suchte mir der reinsten Sterne Glut
    Und umflocht sie meiner Stirn als Kranz.

      Ach, gesellt den sehnsuchtweiten Sternen,
    Trieb mich’s lang’ dahin mit stiller Macht.
    Ja, zur Fahrt in unerschloss’ne Hellen
    Heb’ ich mich noch einst aus dieser Nacht.
    Hör’ ich nicht, wie Sporn und Flügel klirrt?
    Lieg’ ich tief im Schoß der Erde, wird
    In den Sternen stehn, was ich vollbracht --

      „Un dorbi wohnt hee noch jümmers in de Lammer-Lammerstroot ...“

      Zweite Stimme sang ich, mußt du wissen;
    Mich ergriff der Zauber meines Sangs.
    Bei der „Violine“ immer wieder
    Dacht’ ich deiner schwermutsvollen Drangs.
    Im Gelärm des Lebens bist du mein;
    Du auch bist ein zartes Geigelein,
    Unerschöpflich reichen, weichen Klangs --

      „Violin, Violin“, seggt dat Geigeken ...“

      Ja, ich fahre fort. Nach sieben Flaschen
    Tranken wir -- ich glaub’: zum drittenmal --
    Während Frühling wie ein Schweinchen gluckste,
    „Du und du“ mit läutendem Pokal.
    Einmal, ach, entfiel mir aller Mut --
    Aber darnach ward mir wieder gut;
    Wieder sprang mir auf der Sternensaal.

      „Un dorbi wohnt hee noch jümmers ...“

      Aber stehn in duft’ger Flut der Stunden
    Blieb im Ohre mir ein Donnerwort,
    Das aus klarster Höhe hergeklungen:
    +Aus der Lämmerstraße zieh’ ich fort+!
    Mit der Faust zerschmissen und zerkracht
    Hab’ ich heut, was mich zum Knecht gemacht.
    Noch ist keine Sehne mir verdorrt.

      Allzuvielen frechen Staatsphilistern
    Unterwarf ich mich in halbem Scherz;
    Manchem Pinsel trug ich fromm die Schleppe;
    Denn mir ward ein täppisch-dummes Herz.
    Auch das Nörglerpack, perfid und faul,
    Schlag’ ich nächstens unversehns aufs Maul
    Schlank und gut mit einem Werk von Erz.

      „Kann mokn, wat ick will.“

      Auf dem Heimweg durch das Dunkel, Liebchen,
    Eine Garbe gold’nen Feuers stieg
    Wirbelsausend mir empor im Kopfe,
    Und das Klopfen meines Herzens schwieg.
    Weit aus Fernen her die Stimme flog,
    Jene Stimme, die mich nie betrog:
    Kampf und wildes Leid -- und Sieg und Sieg!

    -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

      Holde, warme Regenflut von Küssen ...
    Liebchen, brach der Sommer schon herein?
    Solch ein Opfer innersten Entflammens,
    Göttern kann es nicht bereitet sein.“ --
    Als im Osten gelb der Morgen stand,
    Riß ans Herz sie betend meine Hand,
    Und versöhnt mit Bacchos schlief sie ein. --


  [1] Aus der Humoreske „Die Kunstreise nach Hümpeldorf“.




Ein neues Trinklied.


    Ich hatt’ ein Tönnlein Freud’ im Haus,
    Da kamen Gesellen in Haufen.
    Ich kriegt’ ein Oxhoft Leid ins Haus,
    Das durft’ ich selber saufen.
    Da hat sich hell mir aufgetan
    Die Zecherregel feine:
    Mit Freunden teil’ ich meine Lust;
    Mein Leid trink ich alleine.

      Da sinkt mein Auge tief hinab
    In kühle Dämmerungen,
    Und leise spricht der Sinn der Welt
    In wunderbaren Zungen.
    Und steigt das trunkenvolle Herz
    Aus Bechers Grund zum Lichte,
    Dann sind ihm Mensch und Fels und Hain
    Umleuchtete Gesichte.

      So trank ich denn in mancher Nacht
    Von manchen herben Weinen
    Und stand nach jedem Bacchanal
    Nur fester auf den Beinen.
    Und wenn das stumme Fest gewährt
    Bis an die frühe Sonne,
    Dann war das dunkle Weh verweht
    Vor einer klaren Wonne.

      Auch hab’ ich ja in weiter Welt
    So viele Trinkgesellen.
    Ich hör’ sie wohl und seh’ sie wohl
    In ihren stillen Zellen.
    Durchs Dunkel fand ich ihren Blick,
    Wenn unterm Abendsterne
    Ich leise sprach: Ich bring’ es euch,
    Ihr Brüder in der Ferne.

      Nur ein -- ein lieblicher Kumpan
    Sitzt lebend mir zur Seite
    Und heischt den schlimmst’ und schwersten Wein
    Und zecht mit mir im Streite.
    Von seinem Durst und seiner Treu
    Ach, Wunder wollt’ ich künden --
    Doch singt ein rechter Ritter nichts
    Von seiner Dame Sünden.




Zuflucht.


    Nach wilder, hetzender Gedankenfahrt
    Kehr’ abends ich zurück in deine Arme,
    Die Augen müd’ vom heißen Tageslicht,
    Die Seele voll von ungestilltem Harme.

      Und wieder fuhr ich früh am Morgen aus;
    Die Hoffnung wehte stark und frisch vom Lande --
    Und wieder bring ich kaum mich selbst zurück,
    Und wieder liegt mein Boot zerschellt am Strande.

      Mir logen um die Wette Meer und Wind;
    Mir log ein Stern -- ein leuchtender Gedanke! --
    Um mich zu retten aus der Zweifel Wut,
    Umkrallt’ ich meinen Trotz -- die letzte Planke.

      Und nur bei dir kein Zweifel! Denn gewiß:
    Du wünschtest mich zurück mit Angst und Sehnen;
    Und lieg’ ich einmal still und bleich am Strand,
    Gewiß: du netzest mich mit reichen Tränen.

      Nur hier ein Port, ein Hort, ein Ankergrund,
    Ein Licht, das ruft! Durch Schlamm- und Schaumgestiebe!
    Bei Menschenkindern suche Bessres nicht
    Als eines starken Weibes ganze Liebe.




Verstoßen.


    So komme das harte Leben,
    So komme der kalte Tod;
    Wir wollen uns treulich lieben
    In allen Tagen der Not.

      Mich haben sie geächtet,
    Weil meine Zunge zu keck
    Die heuchelnde Gemeinheit
    Vertrieben aus ihrem Versteck.

      Du aber in deiner Liebe
    Hast dennoch nicht gewankt;
    Das haben sie dir, du Treue,
    Mit Haß und Fluch gedankt.

      So laß uns einsam wandern,
    Geruhig Hand in Hand;
    In unsern Herzen tragen
    Wir das gelobte Land.




Angelika.


    Von der raschen Lebenswelle,
    Die mein Herz durchfloß,
    Die in sel’ger Stundenschnelle
    Brausend dich umschloß,

      Von der Liebe Schönheitsrausche
    Taumelnd übermannt,
    Hab’ ich oft im Liebestausche
    „Engel“ dich genannt. --

      Schweigend Platz an unserm Tische
    Längst die Sorge nahm;
    Deiner Wangen holde Frische
    Tilgt ein früher Gram.

      Seh’s mit nagender Beschwerde,
    Seh’s mit stiller Qual,
    Wie du jenen Gast am Herde
    Nährst mit deinem Mahl.

      Hielt ich gern ein Leid verborgen,
    Nimmst du’s dennoch wahr;
    Denn die Sprache stummer Sorgen
    Ist dir offenbar.

      Was uns einst so fest umschlungen,
    Hält uns noch geeint:
    Tränen, die ich still bezwungen,
    Hast du still geweint. --

      Oft umspinnen lichte Träume
    Die Gedanken mir,
    Durch des Hauses traute Räume
    Folgt mein Auge dir:

      Eine Hülle seh ich fallen
    Wie ein irdisch Kleid,
    Einen Schimmer dich umwallen
    Wie aus künft’ger Zeit.

      Und in solcher Liebesstunde
    Ernst verschwiegnem Glück
    Kehrt mir immerdar zum Munde
    Jenes Wort zurück.

      Denn der Liebe sonder Klage
    Rührende Gewalt
    Wandelt mehr mit jedem Tage
    Dich zur Lichtgestalt.




Kameraden.


    Manchmal aus aller Wirrnis und Plage
    Hebst du den Blick,
    Schweigend zu forschen, wie ich sie trage:
    Sorgen und Mühen -- unser Geschick.

      Manchmal am dunklen, schleichenden Tage
    Sucht dich mein Blick,
    Sucht dich mit stummer, mit bebender Frage:
    Wie noch erträgt sie’s, unser Geschick?

      Dann an milderen, lichteren Tagen
    Mag es geschehn,
    Daß unsre Augen sich finden im Fragen
    Und ihr zitterndes Leuchten verstehn,

      Daß sie sich bannen -- und stiller dann leuchten,
    Stille. -- Und fern,
    Fern aus den Nächten, die ewig uns däuchten,
    Wächst ein milder, ein ewiger Stern!




Natur und Liebe.


    Fordre nicht, daß ich mit Worten sage,
    Was mich quält und peinigt jeden Tag!
    Müde bin ich, daß ich keine Worte
    Auch von deinen Lippen hören mag.

      Menschen haben mir so viel mit Weisheit
    Und mit leerem Troste zugesetzt,
    Daß vor ihrer wortbehenden Liebe
    Wahrlich sich mein scheues Ohr entsetzt.

      Laß du mich in deine weichen Hände
    Stumm vergraben Stirn und Wangen nur;
    Dann empfind ich schauernd deine Liebe
    Wie den leisen Odem der Natur.

      Hin zu dir zieht mich dieselbe Lockung
    Ewigen Friedens, der ich oft gelauscht,
    Die aus Quellen flüstert und aus Blumen
    Und von hohen, heiligen Bäumen rauscht.




Gedenke!


    Was streichelst du so sorglich mir die Stirn
    Und küssest sie, wenn ich im Arm dich halte?
    Ich ahn’ es wohl: verscheuchen möchtest du
    So gern die eine, tiefgegrabne Falte.

      Umsonst, mein Kind; sie grub ein schneidend Weh,
    Das mir das Herz versehrt in jungen Jahren,
    Und nimmer schwinden wollte sie seither,
    Was ich auch Liebes je durch dich erfahren.

      Ach, nur aus deinen Augen kamen mir
    Die Sonnenblicke, die mich je getroffen --
    Allein sie kamen! Und das war genug,
    Nach jedem Schiffbruch wieder neu zu hoffen.

      So zürne nun der treuen Falte nicht,
    Will von der ernsten Stirn sie nimmer weichen!
    Daß deiner Lieb’ und Langmut ich bedarf,
    Sei dieser Schatten dir ein stilles Zeichen.




Reue.


    Über meiner Brust gelegen
    Hat die Nacht ein dunkler Gram,
    Den mir auch des schnellsten Traumes
    Flügel nicht von hinnen nahm.

      Ob die schwingenfrohe Seele
    Bis zum letzten Sterne kam --
    Über meiner Brust gelegen
    Hat die Nacht ein dunkler Gram.

      Und wie gut es Erd’ und Himmel
    Mir heut nacht im Traum gemeint,
    Immer auf verborgnem Grunde
    Hat ein leiser Quell geweint.

      Wie nun kam der späte Morgen,
    Stand am Himmel noch die Not,
    Über wilde Wolkenmauern
    Schrie ein böses Morgenrot. --

      Dann auf den geschloss’nen Lidern
    Fühlt’ ich warmen, duftigen Tau --
    Und in ihre weichen Arme
    Zog mich die geliebte Frau.

      Lächelte mich an beglückend,
    Eh’ ich nur ein Wort gesagt;
    Denn sie weiß, die Milde, Feine,
    Daß ich selber mich verklagt,

      Und sie will aus tiefer Liebe
    Schonen meinen stolzen Sinn --
    Heut bedeck’ ich dich mit Rosen,
    Herrliche, du Königin!




Liebeszeichen.


    So lieb ich dich, so liebst du mich,
    Daß selbst bei frohem Spiel und Scherz
    In heilig ernsten Schauern oft
    Geheim erzittert unser Herz,

      Daß uns inmitten lauter Lust
    Ein schweigendes Erinnern rührt
    An jene Treue, die uns einst
    Durch alle Not und Qual geführt --

      So mag’s geschehn, daß Blick in Blick
    Mit seligem Lächeln sich ergießt
    Und eine Träne doch zugleich
    Verstohlen auf die Wange fließt.




Nächtliche Wanderung.


    Ich schreite einsam durch den Wald,
    Die Nacht webt schwarz um düstre Tannen;
    Vor meinem Geist steht Weh und Lust
    Der langen Jahre, die verrannen.

      Hat mehr des Leides, mehr der Lust
    Mich angefaßt im Weltgetriebe? --
    Ob allem, was verweht, vergeht,
    Stand ewig leuchtend deine Liebe.

      Auch heute, da durch Nacht und Graun
    Mein müder Fuß zum Ziele schreitet,
    Sagt mir das Herz, daß mich dein Geist
    In dieser Einsamkeit begleitet.




Liebesrausch und selige Klarheit.


    Wenn wir uns tief erglüht umfangen,
    Wenn sich in langem Kuß ergießt
    Der volle Strom des warmen Lebens,
    Der pochend unser Herz durchfließt,

      Da tauchen unter die Gedanken,
    Von wilder Leidenschaft umschäumt;
    Die Welt, die laute Welt -- vergessen!
    Wir selbst -- versunken und verträumt! -- --

      Doch sinken der Gefühle Fluten
    Zu leis bewegtem Wellenschlag,
    Dann leuchtet auf in unsrer Seele
    Ein stiller, morgenklarer Tag.

      Was wir geweint, was wir gejubelt
    Am Winter- oder Sommertag,
    Das klingt in solcher Feierstunde
    In unsern Herzen leise nach.

      Und erst, wenn so zu reinster Klarheit
    Der Liebe Stern sich frei erhebt,
    Dann fühlen wir, wie eine Seele
    Untrennbar in der andern lebt,

      Wie unser Denken und Empfinden,
    Ob auch der Wonne Glut verraucht,
    Durch jeden Tausch von Lust und Leiden
    In der Verjüngung Bronnen taucht.




Freudiges Erwachen.


    Wie still du liegst im Sarg! Ein heiliger Odem
    Umzittert deinen hingestreckten Leib.
    Ein Engel starb in dir; ich aber breche
    Zusammen, schmerzenstumm. Du warst mein Weib! --

      Da preßt ein Mund sich warm auf meine Lippen,
    Und ich erwache: -- Lächelnd stehst du da,
    Mit roten Wangen, so lebendig blühend,
    So jugendschön, wie ich nur je dich sah.

      So bist du nur im Traum mir tot erschienen?
    Ich presse dich ans Herz im Tagesschein,
    Noch voll des Jammers, daß ich dich verloren,
    Und voll Entzücken, weil du mein noch, mein! --

      Ich fühl’s mit Beben, fühl’s mit tiefen Schauern
    Wie Ruf des Himmels durch die Seele gehn:
    Ich soll in Jubel dich und Ängsten lieben,
    Als könntest morgen du von hinnen gehn.




Apologie.


    Wohl werden manche meine Lieder schelten,
    Weil oft sie in des Friedens weichen Tönen
    Der Liebe Glück mit hohem Preise krönen;
    Doch laß ich’s meine Muse nicht entgelten.

      Oh, möchte ihre Huld mir Lieder schenken,
    Die dich, mein Lieb, für alle Zeiten preisen;
    Wohl acht ich’s wert, in gotterfüllten Weisen
    Solch eines Weibes jubelnd zu gedenken.

      Einst mag sich wohl zu meinen Liedern wenden
    Ein krankes Herz, das diese Welt verachtet,
    Weil Menschen es mit Grimm und Gram umnachtet
    Und ihm sein Glück zerstört mit rohen Händen.

      Mir ahnt, wie manch ein Herz, das so gelitten,
    Sich neu im Glauben an die Menschheit weite,
    Wenn ich ihm künde, daß an meiner Seite
    Ein Engel durch dies Erdental geschritten.




Meiner Muse.


    Dein geworden sind die Lieder
    Alle, die ich einst ersonnen,
    Die als Jubel, die als Seufzer
    Von der Lippe mir geronnen.

      Oft ertönt in meinem Hause
    Leis ein wohlbekanntes Klingen,
    Und von deinem Munde hör ich
    Meines Frühlings Lieder singen.

      Du mein Weib und meine Muse,
    Täglich schenkst du neue Lieder
    Und erweckst, ein zartes Echo,
    Alte, längst verklungne wieder.

      Und solange du mir lächelst
    Mit den Augen sternenhelle,
    Weicht der Dichtkunst süße Gnade
    Nicht von meines Hauses Schwelle.




Ewiges Glück.


    Langsam durchschnitt ein Schiff die schwarzen Fluten.
    Weit dehnte sich das Meer, unnennbar groß,
    Und über ihm im bleichen Mondenstrahle
    Stand schimmernd eine Möve, regungslos.

      So schwebten unsre Seelen still im Lichte.
    Du saßest an des Schiffes Bord gelehnt;
    Ich stand vor dir, und Auge sank in Auge,
    Und unser war, was wir so lang ersehnt.

      Kein Laut entheiligte das süße Schweigen;
    Voll war das Herz, und Worte waren weit.
    Das Glück war unermeßlich; aus den Fluten
    Und in den Herzen klang’s: Unendlichkeit! --

      Gedenken muß ich jener fernen Stunde,
    Da wieder vor uns wogt das blaue Meer.
    Hell glänzt der Tag -- die Woge rollt zum Strande;
    Sie rauscht und sprüht -- sonst Stille ringsumher.

      Wir ruhn am Ufer, traumversunken beide.
    In jener klugen Welt, der wir entflohn,
    Da reden sie vom Glück der reinen Liebe
    Nur noch mit Lachen und mit kaltem Hohn.

      Wo gierendes Gewinnen und Genießen
    Die Menschen eint und voneinander reißt,
    Da raunten sie mir in das Ohr, daß Liebe
    Ein Trug und Rausch für kurze Stunden heißt.

      Ins Meer blick ich hinaus: Noch immer haucht es
    Ins Herz mir Schauer der Unendlichkeit.
    In deinem Auge such ich deine Treue,
    Und ruhig lächelt’s: „Für die Ewigkeit!“




V. Kinder und Frohsinn.




Kindheit.


    Komm, liebes Weib, und laß die Arbeit ruhn;
    Mit mir des späten Tags genieße nun.

      Sieh, wie die Sonne brennt im dunklen Wald.
    In leuchtend Blut zerfließt der Westen bald.

      Heb’ unser Kind empor ans milde Licht,
    Daß sich ein Strahl in seinem Auge bricht.

      Ein Himmelsglanz die goldnen Locken streift --
    Sieh, wie’s begehrlich nach dem Lichte greift!

      Das ist des Kindes Märchenseligkeit:
    Noch ahnt es nicht, daß ihm ein Ziel zu weit.

      Die bunte Welt mit ihrem Drang und Schwall
    Ist ihm ein großes Bild, ein wirrer Schall.

      Der Tag ist ihm nicht Zeit, er ist ihm Licht,
    Und unsre Abendwehmut kennt es nicht.

      Zusammen fließt ihm Leben noch und Tod,
    Und Abendglanz ist ihm wie Morgenrot.




Der Erbe.


    Ich hebe meine Geige
    Ganz heimlich unters Kinn
    Und zieh mit leisem Bogen
    Ganz heimlich drüber hin.

      Da hebt mein blondes Dirnlein
    Den Fuß zum Tanzeschritt;
    Der Braunen lichtes Stimmlein
    Singt schon die Weise mit.

      Die Jüngste wiegt ihr Püppchen:
    „Marie Maruschka-ka“ --
    Mit großen dunklen Augen
    Sitzt stumm mein Bube da.

      Er kennt vor unserm Fenster
    Den alten Weidenbaum.
    Wiegt auf dem höchsten Wipfel
    Im Winde sich sein Traum?

      Mein Sohn, in meinen Tönen
    Hörst du der Winde Tanz?
    Mein Sohn, in meinen Tönen
    Siehst du der Wolke Glanz?

      Mein Sohn, ich bin ein König,
    Willst du mein Erbe sein?
    Du wirst im Sonnenpurpur
    Ein Fürst der Ferne sein.

      Ich hab’ ein Schloß voll Schimmer
    An einem fernen Meer --
    Heb ich ans Kinn die Geige,
    Kommt Gruß und Glück daher.




Glück.


    Um einen Trunk bat mich zur Nacht mein Kind,
    Mein wilder Kamerad in Spiel und Scherzen.
    Sein Stimmchen bettelte so warm und lind --
    Und reiche Liebe strömte mir vom Herzen.

      Es schaute groß und still mich an beim Trinken
    Und gab verschwiegnen Dank, indem es nahm,
    Und schien in meinen Anblick zu versinken,
    Als tränk es mit, was mir vom Herzen kam.




Vater Harlekin.


    Warum ich tanz’ vor meinem Sohn und singe
    Und wie ein Harlekin Grimassen schneide?
    Daß einst ein heimlich Lachen ihm gelinge,
    Wenn er verlassen steht im Lebensleide ...

      Laßt mich nur tanzen und Grimassen schneiden,
    Daß er sich meiner Liebe noch erlabe,
    Daß er ein lächelndes Erinnern habe,
    Wenn ich versunken längst mit meinen Leiden.




Aus einer Nacht.


    Und wieder müd’, zerschlagen
    Kam er am Abend heim,
    Und wieder schwoll im Herzen
    Ein alter, böser Keim:

      Der Keim des Wahnsinns, den er
    In stummer Seele trug --
    Ob Wahnsinn noch mit Lachen
    Einst seine Welt zerschlug?

      Denn der Gemeinen Frechheit
    War stärker als sein Mut,
    Und kälter war die Roheit
    Als -- ach, sein heißes Blut.

      Und schlauer war die Dummheit
    Als sein beschwingter Geist,
    Und stets an allem Ende
    Stand er allein -- verwaist.

      Er fiel aufs harte Lager,
    Und war ihm recht zu Sinn,
    Als flöss’ aus tiefer Wunde
    Sein Leben ganz dahin.

      „Laß rinnen und verrinnen!
    Ich stille nicht das Blut.
    Kein Hoffen, kein Verzweifeln:
    So ist mir’s wohl und gut.“

      Doch wieder aus dem Dunkel
    Brach Hoffnung licht hervor --
    Doch wieder aus der Tiefe
    Verzweiflung fuhr empor --

      Er krampfte wild die Hände:
    Es möchte stille sein!
    Und weckte selbst sich immer
    Zu neuer, neuer Pein.

      Sein Knäblein schlief daneben,
    Das hat sich laut geregt
    Und hat im Traum das Händchen
    Ihm auf die Stirn gelegt.

      Das war ein Gruß vom Leben!
    Was klang so sanft und hell?
    Natur wollt ihn erquicken
    Aus einem jungen Quell.

      Auf seine Augen drückt’ er
    Das Händchen leis und weich,
    Da quollen schwere Tränen
    Und quollen warm und reich.

      Und sah die feinen Finger
    Mit mild bewegtem Sinn --
    Und sprach auf dieses Händchen
    Sein Leid still vor sich hin.

      Und als das Licht der Kerze
    Verschmachtet ging zur Ruh,
    Sah er dem letzten Scheine
    Mit stiller Hoffnung zu.




Am Abend.


    In der Hängematte lag ich,
    Tief zerfallen mit dem Leben,
    Leises, lächelndes Verzichten
    Im zerwühlten, müden Hirn.

      Ließ die roten Wolken wandern,
    Ließ die weichen Falter spielen,
    Ließ vom Baum die Blüten schweben,
    Und mit keinem ging mein Blick.

      Da vom Gitter klang ein Lachen;
    Hinterm Gitter stand mein Knabe
    Und verbarg sich, mich zu necken,
    Sprang mit Jauchzen dann hervor.

      Wie die Seele klang im Lachen! --
    Und dann kam ein stilles Wunder;
    Denn die Abendsonne sah ich
    Aus den jungen Augen glühn:

      Ach, das war ein seltsam Ringen!
    Wehmut rang mit junger Freude.
    Leise schwand der müde Schimmer,
    Und ein selig Leuchten blieb.




Sklavenmoral.


    Mein Junge, du wirst zu treu und zu gut --
    Fast möcht ich dich wecken!
    Ich seh’s mit schwellendem Stolz und ich seh’s
    Mit wachsendem Schrecken.

      Dein Auge feuchtet ein keuscher Glanz
    Wie Tau einer Blüte;
    Es atmet durch deinen weichen Mund
    Die träumende Güte.

      Dir zuckt’s um die Lippen bei fremdem Schmerz,
    Und du willst ihn lindern --
    Ein wunderbares, befremdliches Ding
    Bei der Menschen Kindern.

      Pass’ auf, sie werden dich früh genug
    Vor den Karren spannen;
    Und hast du die Last zu Berge geschleppt,
    Man hetzt dich von dannen.

      Weh dir, wenn ein Gott in den Geist dir gelegt
    Gewalt des Propheten --
    Sie werden überbrüllen dein Wort
    Und im Kot dich zertreten.

      Du wirst sie mit blankem, sausendem Schwert
    Zum Siege führen --
    Dann aber wirst du dich krümmen im Staub
    Vor ihren Türen.

      Ich seh’s um deine zarte Stirn
    Wie Dornen und Blut --
    Und ich reiße dich wild ans hämmernde Herz
    In aufjubelnder Glut.




An der Wiege.


    Wundersames Lächeln
    Träumend unbewußt
    Eines zarten Kindes
    An der Mutterbrust!

      Sei dafür mit Tränen
    Still ans Herz gedrückt,
    Engel, der seit Monden
    Stammelnd uns beglückt!

      Nur gedämpfter Schimmer
    Dir ins Auge fällt:
    Hinter Ahnungsschleiern
    Dämmert dir die Welt,

      Und dem Ohr vorüber
    Zieht verwehter Klang,
    Der vom Weltgebrause
    Fern herüberdrang.

      Sieh, und doch schon lächelt
    Hold dein Angesicht,
    Schon durchströmt die Seele
    Ein geheimes Licht. --

      Laß uns nicht verzagen,
    Wenn das Leid uns drängt,
    Wenn der Schmerz umklammernd
    Uns die Brust beengt!

      Denn durch diese Tale
    Wandeln wir im Traum:
    Was uns wirr umflutet,
    Wir verstehn es kaum;

      Doch auf anderm Sterne
    Werden wir’s versteh’n,
    Wenn dies Kind noch irrend
    Wird auf Erden gehn.

      Wie des Kindes Auge
    Schon der Zukunft lacht,
    Ob es auch aus tiefen
    Nächten kaum erwacht,

      So in dankerfüllter,
    Ahnungsvoller Ruh
    Lächle unser Antlitz
    Jenen Fernen zu.




Wiegenlied.

(Aus der Märchenkomödie „Marienkind“.)


    Ruhe nur! Auf tausend Bäumen
    Wachsen Früchte, die dir munden.
    Ruhe nur! Noch nicht entsendet
    Ist der Pfeil, dich zu verwunden.

      Ruhe nur! Schon springt die Quelle,
    Deinen Gaumen süß zu netzen.
    Ruhe nur! Noch nicht gewachsen
    Ist der Dorn, dich zu verletzen.

      Ruhe nur! Auf goldner Brücke
    Tritt vom Heute in das Morgen.
    Ruhe nur! Noch nicht geboren
    Ist die Stunde deiner Sorgen.




Nacht und Morgen.


    Ich lag auf meinem Bette
    In später Nacht noch wach.
    Noch immer schritt der Schatten,
    Der grause, durchs Gemach,

      Der mich die Nacht gemartert
    Mit ewigem Auf und Ab,
    Ein ruheloser Schemen,
    Den ausgespien das Grab.

      Mit aufgerissnen Lidern
    Hab’ ich gespäht, gewacht --
    O grauer Wandrer Sorge,
    Wann endet diese Nacht!

      Wenn mich mit zartem Schleier
    Der Traum bedecken will,
    Stehst plötzlich du am Fuße
    Des Lagers drohend still,

      Bohrst mir ins Hirn die stieren,
    Die grauen Augen dann --
    Und gleichen Schritts von neuem
    Hebst du zu wandern an.

      Erbarmungsloses Pendel,
    Dein Schlag ist Ewigkeit!
    Gärt’s nicht im kranken Herzen
    Wie tiefgeheimer Neid,

      Wenn draußen durch die Bäume
    Ein Traumgeflüster weht
    Und rings der leise Atem
    Der längst Entschlafnen geht? --

      Doch sieh, was wächst aus Dämmrung
    Der Frühe dort hervor?
    Mein Kindlein richtet langsam
    Im Bette sich empor

      Und blickt mit großen Augen
    Ins erste Morgenlicht,
    Und frohes Staunen leuchtet
    Im lieblichen Gesicht --

      Noch immer blickt durchs Fenster
    Sein Auge selig fern,
    Und leis von seinen Lippen
    Fällt’s wie im Traum: „Ein Stern!“




Unsterblich.


    Unlängst, als die Größte von den Kleinen,
    Meinen Hals umschlingend, vor mir stand,
    Fand sie jene Spur an meiner Schläfe,
    Wo der Tod hinstrich mit zager Hand.

      Größer wurden ihre großen Augen.
    „Vater -- schau! Ein graues Härchen! Schau!“
    Und nach einem langen Sinnen sprach sie:
    „Warum werden wohl die Menschen grau?“

      „Nach der Sonne Glück, des Regens Trauer,
    Nach der Tage Glanz, der Nächte Tau
    Werden gelb die schönen grünen Blätter,
    Und der Menschen Haare werden grau.“

      Lange sah sie gradaus mir ins Antlitz.
    Plötzlich rief sie: „Väterchen, nicht wahr?
    Bitte, bitte, wenn es ausgefallen,
    Ach, dann gibst du’s mir, das liebe Haar!

      Betteln will ich auch bei Mutter, daß sie
    Jedes graue Haar mir geben muß.
    Sammeln will ich sie in meinem Kästchen,
    Und für jedes kriegt ihr einen Kuß.“ --

      Tod, du siehst, ich sitze gut im Sattel,
    Tod, mein guter Freund, ich spotte dein.
    Jedes Haar, das du gezeichnet, trägt mir
    Schönheit eines jungen Lebens ein.

      Sieh, mein Herz hab’ ich mit festen Händen
    Hier im Grund des Hauses eingepflanzt;
    Seine Fülle wird noch Blüten treiben,
    Wenn der Wind mit meinem Staube tanzt.




Sonntagskind.


    Wir haben ein heiliges Kind.
    Am Sonntag, im feinsten Gewande,
    Das Haar ihm genestelt mit schimmerndem Bande,
    Entschlüpft es geheim und geschwind.

      Und schleicht sich ins schönste Gemach,
    Da kennt es die Blumen und Bilder!
    Und leise -- wie ferne -- erhebt sich ein milder
    Gesang wie von Lerchen vor Tag

      Und löst sich von Lippen und Brust
    Nun stärker und süßer und freier --!
    Dem strahlenden, schöneren Tage zur Feier
    Erbebt es in klingender Lust.

      Und einst, so beschlichen wir’s beid’:
    Da schaut es so groß in die Helle --
    Und plötzlich nun dreht sich’s im Tanze so schnelle --
    Und streichelt dann zärtlich sein Kleid.

      Und wieder zum Fenster gekehrt,
    Beginnt sie mit neuen Gesängen,
    Fügt träumende Worte zu ahnenden Klängen,
    Die sie wohl keiner gelehrt.

      Du klingendes Seelchen, nur zu
    Und trinke dir Schönheit vom Leben!
    Wir hören’s beglückt, daß ein Kind uns gegeben
    Voll dankender Sehnsucht wie du!




Sonnentage.


    „Vater, sieh doch unsre junge Fichte,
    Wieder säumt sie hell ihr grünes Kleid.
    Und wie ist sie rank und schlank gewachsen!
    Welkte sie, mir wär es ewig leid.“

      Also rief sie, unter Blumen stehend,
    Selber schlank und lieblich wie der Baum,
    Ahnungslos in allertiefster Seele,
    Daß sie schlank und lieblich wie der Baum.

      Dir, du weltenweiter Sommerhimmel,
    Streck’ ich unsichtbare Arme aus:
    Nimm mit Garbenduft und Wälderklingen
    Meinen Jubel in dein heilig Haus!




Traumhüter.


    Unter meiner Obhut schlummert
    Mir ein Töchterlein im Zimmer,
    Kindesunschuld in den Zügen,
    Auf den Wangen Rosenschimmer.

      Und vom Buch, darin ich lese,
    Laß ich oft die Blicke gleiten
    Nach dem Kindlein, dessen Antlitz
    Glüht in Traumesseligkeiten.

      Blühend mag sich einst entfalten
    Jene Knospe dort im Kissen,
    Und es wird die Welt ihr schenken
    Für den Kindertraum -- das Wissen.

      Und die frommen Mädchenaugen
    Werden groß ins Leben schauen,
    Und in Zweifel wird sich wenden
    Manch ein seliges Vertrauen.

      Wüßt’ ich einen ihr zur Seite,
    Der mit sorglichem Bemühen
    Von den jungen Augen wendet
    Allzu dreisten Lichtes Sprühen!

      Der den Tag des Welterkennens
    Bannt, daß er in Gnaden säume
    Und zu früh nicht blendend dringe
    In das Reich der Kinderträume!




Das Feuerwerk.


    „Vater, nun komm!“
                        „Wohin denn, Kind?“
    „Hin zum Feuerwerk! Komm doch geschwind!
    Sonst fängt es an und wir kommen zu spät!“
    „Hab’ leider nicht Zeit. Aber geht nur, geht.“

      Die Wahrheit zu sagen: ich hatte wohl Zeit,
    Aber nicht Mut zur Fröhlichkeit.
    ’s war wieder mal einer der grauen Tage,
    Da man sich fragt: Wozu all’ die Plage?
    Wozu der ewige Kampf und Streit,
    Keinem zur Lust, nur sich selber zum Leid?
    Die Erde gebiert, der Tod schwingt sein Messer,
    Und vieles wird anders, und nichts wird besser --

      So saß ich bei trübem Lampenschein,
    Und Dunkel fraß in mich hinein. --

      Da schreck’ ich empor; die Tür fliegt auf:
    Mein Mädel kommt heim in sausendem Lauf.

      „Vater, Vater, ach hättst du’s geseh’n:
    Feurige Räder, die sich dreh’n,
    Und Blumen, woran die Bienen sogen,
    Und Schmetterlinge wie Regenbogen,
    Springbrunnen von Feuer, blau und rot
    Und ein Knallen -- ich war vor Schreck halb tot --
    Aber auf einmal, was gab es da?
    Tausend Billionen Sterne, oha!
    Rot und gelb und grün und blau,
    Die stiegen bis ganz -- ich sah es genau! --
    Die stiegen bis ganz in den Himmel hinein!
    Ach, hättest du können bei uns sein!“

      So sprach’s und hatte die ganze Pracht
    In seinen Augen mitgebracht.
    Ich dachte: Mein Kind, was du gesehn,
    Ich seh es tausendfach so schön.
    Seh’ goldne Augen wie kreisende Sonnen,
    Seh’ überströmende Feuerbronnen
    Und siebenfarbiger Falter Reigen
    Und Sterne, die in den Himmel steigen.




Am Vorabend der Hochzeit.


1. Meiner Ältesten.

(Mel.: „Ihr treuen Geliebten“ aus „Figaros Hochzeit“.)

    Es wuchs eine Myrte auf steinigem Grund;
    Bald schmiegt sie sich duftend zum krönenden Rund.
      Es wob sich ein Schleier aus Tränen und Licht;
    Bald rahmt er liebkosend ein selig Gesicht.
      So wandelt dahin denn erheiterten Blicks
    In Schleiern der Schönheit, auf Myrten des Glücks.
      Sei leicht wie der Schleier euch Sorgen und Mühn;
    Und Hoffnung erquick euch mit ewigem Grün.


2. Meiner Jüngsten.

(Die Schwestern sprechen.)

    Wir bringen Kranz und Schleier;
    Ein treuer Mahner spricht
    Zu Ernst und Lust der Feier:
    Zerreißt den Schleier nicht!

      Der Schleier ist der Schimmer,
    Der auf den Höhen liegt;
    Der Schleier ist der Flimmer,
    Der sich auf Ähren wiegt.

      Er ist die milde Feuchte,
    Die Blumen übertaut;
    Auch ist er das Geleuchte,
    In dem der Himmel blaut.

      Er ist der Hauch, der labend
    Von Meer und Strömen winkt,
    Und ist das Rot am Abend,
    In dem die Sonne sinkt.

      Er ist auf Vogels Schwinge
    Das flüchtige Farbenspiel;
    Er ist der Duft der Dinge,
    Ist nichts -- und ist so viel!

      Nehmt Myrte denn und Schleier
    Ein treuer Mahner spricht
    Zu Eurer höchsten Feier:
    Zerreißt den Schleier nicht!




Lütt Jan.


    Jan Boje wünscht sich lange schon
    Ein Schiff -- ach Gott, wie lange schon!
    Ein Schiff so groß -- ein Schiff -- hurra:
    Von hier bis nach Amerika.

      Die höchsten Tannen sind zu klein,
    Die Masten müßten Türme sein,
    Die stießen -- hei, was ist dabei?
    Klingling das Himmelsdach entzwei.

      Die Wolken wären Segel gut,
    Die knallen wild im Wind vor Wut,
    Jan Boje hängt am Klüverbaum
    Und strampelt nackt im Wellenschaum.

      Jan baumelt an der Reeling, Jan!
    Und schaukelt, was er schaukeln kann.
    Wenn’s an die Planken plitscht und platscht,
    Der blanke Steert ins Wasser klatscht.

      Wie greift er da die Fische flink;
    Ein Butt bei jedem Wellenblink!
    Die dörrt auf Deck der Sonnenschein,
    Und Jantje beißt vergnügt hinein.

      Jan Boje segelt immerfort,
    Spuckt über Back- und Steuerbord
    Und kommt zurück trotz Schabernack,
    Das ganze Schiff voll Kautabak.

      Wer aber ist Jan Boje, he?
    Der Teufelsmaat und Held zur See?
    Jan Boje ist ein Fischerjung’,
    Ein Knirps, ein Kerl, ein frischer Jung’.

      Grad liegt er auf dem Bauch im Sand
    Und lenkt ein schwimmend Brett am Band,
    Und ob die Woge kommt und geht,
    Ob sich sein Brett im Wirbel dreht --:

      Sein starrer Blick ins Ferne steht.

      Da schwillt’s heran im Sonnengleiß
    Von tausend Segeln breit und weiß;
    Da hebt sich manch ein Riesenbug
    Wie düstrer Spuk und Augentrug ...

      Das wandert ewig übers Meer.
    Wann kommt Jan Bojes Schiff daher?




Ein Freudentag.


    Jaja, ich hab’ mir ’ne Pfeife gekauft,
    Eine Tabakspfeife von Ton!
    Ja, Weibchen, ja: der Sparsamkeit
    Und aller Vernunft zum Hohn!

      Haha, ich hab’ mir ’ne Pfeife gekauft,
    Eine stattliche Pfeife von Ton,
    Wie sie Mynheer van Holland raucht,
    Der reiche Zuckerbaron!

      Ja lache nur, Weib, du hast ganz recht:
    Ich rauch’ überhaupt keine Pfeif’;
    Doch weil ich so überglücklich war,
    So +mußt+ ich sie kaufen: begreif!

      Daß unser Junge nun wieder gesund,
    Das machte mich wunderfroh.
    Und bin ich vergnügt, so kauf’ ich was,
    Ganz einerlei was und wo.

      Und bin ich vergnügt, so verschwend ich was,
    Leichtsinnig, wie ich nun bin.
    So bin ich geboren, so sterb ich einst,
    So leb’ ich inzwischen dahin.

      Und siehst du: so hab’ ich die Pfeife gekauft;
    Ist sie nicht schön und lang?
    Ich gab, bei Gott! eine Mark dafür,
    Ein Markstück rund und blank.

      Die Pfeif’ in der Hand, so schlendert’ ich hin
    Und sang und summte beglückt.
    Die Spießer glotzten und stießen sich an
    Und grinsten: „Der ist verrückt.“

      Und wenn du, mein Liebchen, dasselbe meinst,
    Ich stell’ es dir gänzlich frei.
    Ich hab’ meine Pfeife von feinstem Ton;
    Da, Junge, schmeiß sie entzwei!




Erwartung der Weihnacht.


    Noch eine Nacht -- und aus den Lüften
    Herniederströmt das goldne Licht
    Der wundersamen Weihnachtsfreude,
    Verklärend jedes Angesicht.
    Und wieder klingt die alte Kunde:
    Wie einst die Lieb’ geboren ward,
    Die unbegrenzte Menschenliebe
    In einem Kindlein hold und zart.

      Nun zieht ein süß erschauernd Ahnen
    Durch Höhn und Tiefen, Flur und Feld.
    Nun deckt geheimnisvoll ein Schleier
    Des warmen Heimes kleine Welt.
    Dahinter strahlt’s und lacht’s und flimmert’s
    Und ist der süßen Rätsel voll,
    Durch alle Räume weht der Odem
    Der Freude, die da kommen soll.

      Und draußen nicken Bäum’ und Büsche
    So leis’ in winterklarer Luft:
    Die Kunde kommt, daß neues Leben
    Sich wieder regt in tiefer Gruft.
    Es knarrt die Eiche vor dem Fenster,
    Sie träumt von langer Zeiten Lauf;
    Da steigt wohl auch ein froh’ Erinnern
    In ihre Krone still hinauf.

      O weilt, ihr jugendschönen Stunden,
    Verweile du, der Hoffnung Glück!
    Vermöcht’ ich’s nur: mit allen Kräften
    Der Seele hielt’ ich dich zurück.
    Ihr süßen Träume des Erwartens,
    Der Wunder und Gesichte voll,
    Noch schöner seid ihr als der Jubel,
    Die Freude, die da kommen soll.




Heiliger Morgen.


    Von den Tannen träufelt Märchenduft;
    Leise Weihnachtsglocken sind erklungen --
    Blinkend fährt mein Hammer durch die Luft;
    Denn ein Spielzeug zimmr’ ich meinem Jungen.

      Graue Wolken kämpfen fernen Kampf;
    Blau darüber strahlt ein harter Himmel.
    Durch die Nüstern stößt den weißen Dampf
    Vor der Tür des Nachbars breiter Schimmel.

      Kommt Herr Doktor Schlapprian daher,
    Zigaretten- und Absinthvertilger!
    Voll erhabnen Hohnes lächelt er,
    Hirn- und lendenlahmer Abwärtspilger.

      Spöttisch grüßend schlendert er dahin
    Und -- verachtet mich, den blöden Gimpel,
    Der gefügig spannt den dumpfen Sinn
    In die Enge, ein „Familiensimpel“. --

      Rote Sonne überm Schneegefild:
    Und das weite Feld ein Sterngewimmel!
    Und ins Auge spann ich euer Bild,
    Wundererde -- unerforschter Himmel.

      Und den frischen, kalten, klaren Tag
    Saug’ ich ein mit gierig starken Lungen --
    Pfeifend trifft mein Hammer Schlag um Schlag,
    Und ein Spielzeug zimmr’ ich meinem Jungen.




Weihnachtsspaziergang.


    Täglich fast aus meines Dorfes Frieden,
    Wo ich zwischen Feld und Büschen wohne,
    Wo ich sieben Nachtigallen höre,
    Wo mich Fink und Amsel lang schon kennen
    Und mich keck beäugen, wenn ich nahe,
    Wo die Welt im Sommer eine Laube
    Und ein silberweißer Dom im Winter,
    Wo vom Schreibtisch ich den Habicht schweben
    Sehe durch des Himmels große Stille --
    Täglich fast aus meines Dorfes Frieden,
    Wo ich Ruhe, Traum und Klarheit atme,
    Lenk’ ich meinen Schritt zur nahen Weltstadt,
    Um zu fühlen, was ich sonst vergäße,
    Daß die Welt nicht Klarheit, Traum und Frieden,
    Nicht ein heimlich Wohnen zwischen Hecken,
    Ach, kein Spiel mit Fink und Drossel ist.

      In das weite, wilde Meer der Menschen
    Tauch’ ich unter dann und laß mich treiben.
    Ja, sie sind wie windverstörte Wellen;
    Eine will die and’re überrennen,
    Und am letzten Strand zerschäumen alle.
    Wie sie jagen, stoßen, knirschen -- wie sie
    Not und Habsucht durcheinander wirbelt!
    Nur geradeaus den Blick gerichtet,
    Drängen sie und trappeln sie und traben,
    Sehen nicht das stille Leben fluten,
    Sehn nicht, wie es stumm zu beiden Seiten
    Fließt und fließt ins große Meer der Stille,
    Ewig ungelebt und ungenossen.
    Ach, sie leben nicht -- nur, um zu leben!
    Vorwärts, vorwärts nur den Blick gerichtet,
    Treibt es sie die schattenlose Straße
    Fort, hinweg vom Schoß der großen Mutter.
    Und versunken in des wilden Meeres
    Tote Tiefen ist die alte Kunde,
    Daß ein Glück sich dehnt in leichten Lüften,
    Friede wandert zwischen Halm und Hecken,
    Daß ein off’nes, frohes Menschenauge
    Wie ein See des Paradieses glänzt.

      Einmal nur im Jahre find’ ich’s anders!
    Brach herein der Weihnacht heilige Frühe,
    Nehm ich Hut und Stock und wand’re fröhlich
    In die große Stadt. So tat ich heute.
    Drängen, Treiben seh’ ich heut wie immer,
    Seh’ ein wogend Meer wie alle Tage;
    Aber auf den Fluten dieses Meeres
    Ruht wie Sonnenschein ein einzig Lächeln.
    Und -- o frommes Wunder ohnegleichen,
    Selbst der Kaufherr, dessen Furcht und Hoffnung
    Sonst um Indiens Silberminen kreisen,
    Heimgefunden hat er in den Frieden
    Einer höheren und stiller’n Welt.

      Lächeln seh’ ich in entspannten Mienen
    Und wo Lächeln nicht, doch einen Glauben
    An das Lächeln. Starre Blicke seh’ ich
    Wohl wie sonst, allein sie starren glänzend
    In ein Licht, das sie allein erschauen.
    Welches Glaubens sie und welches Sinnes,
    +Einmal+ wieder haben sie’s vernommen,
    +Einmal+ glauben sie die frohe Botschaft,
    Daß ein Glück mag kommen aus den Lüften,
    Daß ein Friede wohnt in grünen Tannen,
    Daß ein liebend Wang’-an-Wange-Schmiegen
    Alle Not beschämt und alles Prangen,
    Daß ein off’nes, frohes Menschenauge
    Wie ein See des Paradieses glänzt.

      Von versunk’nen Städten singt die Sage,
    Deren Glocken aus der Tiefe klingen.
    Geh’ ich weihnachts durch den Schwall der Straßen,
    Dringt durch allen Lärm ein stetes Klingen:
    Leise aus verlor’nen Gründen hör’ ich
    Läuten die versunk’ne Stadt des Glücks.




Weihnachtsepistel.


    Weihnacht kommt heran, das Fest der Kleinen,
    Da die Großen wie die Kindlein werden,
    Arme Hirten, Könige und Weise
    Mit den Öchslein um die Krippe stehen
    Und ein Kind in tiefster Demut ehren.

      Ja, die Großen werden wie die Kleinen.
    Halbe Stunden lang sitz ich geduldig,
    Ein Stück „Nachwuchs“ auf dem Arm, auf jedem
    Knie noch eins, und eines steht dazwischen.
    Wie man sieht: ein Fünftes fände schwerlich
    Platz noch: höchstens auf den Schultern könnten
    Zwei noch sitzen. Los geht das Verhör nun!
    „Hast du heut den Weihnachtsmann gesprochen?
    Hat er wohl noch solche große Puppe,
    Solche, weißt du wohl, die schlafen kann
    Und die Arm’ und Beine biegen kann?
    Und die richtig schreit?“ -- „Ja, das ist wichtig!“
    „Und ein Fläschchen auch dazu mit Lutscher?
    Und ’nen Puppenwagen? Und ’ne Küche --“
    „Ja, und sonst noch was? Ja freilich hat er
    All dergleichen, aber nur für Kinder,
    Die nicht eigensinnig sind, wie etwa
    Hier mein kleines Dirnchen (in Gedanken
    Und in Klammer: „und wie ihr Herr Vater!“)
    „Dedda doosche Taffeetanne haben
    Un Terwine un Papoffelschüssel --“
    „Kriegst du, selbstverständlich.“ „Und ich wünsch mir
    Nur ’ne große, ganz ganz große Trommel!“
    „Ja, das möcht’st du wohl! Um mir die Nerven
    +Ganz+ kaput zu trommeln! Nicht vielleicht auch
    Noch ein Glasklavier mit Blechtrompete?
    Aber hört! wenn ihr hübsch artig seid
    Und die Mutter mir nicht noch vor Weihnacht
    In vier Stücke reißt, dann kriegt ihr jeder
    Ganz gewiß von mir ein nagelneues
    Langes, breites, dickes, wunderschönes
    Abgebranntes Zündholz --“. „Hahahaaaaa!“
    Allgerechter! Diese Kehlen! Schrecklich
    Dankbar ist dies Publikum für „Witze“!
    Springen, Lachen, Johlen, Schreien, Strampeln --
    Dein gedenk ich, großer Hagenbeck!
    „Und was wünschest du dir denn, Papachen?“
    „Ja -- das muß ich reiflich überlegen;
    Denn die Sache ist mir doch zu wichtig. --
    Halt! ich hab’s! Schon wieder hab ich einen
    Handschuh irgendwo verloren. Schenkt mir
    Einen linken Handschuh!“ „Ja, was kostet
    Denn ein Handschuh?“ „Hunderttausend Taler!“
    Neuer Sturm. Am Boden selbstverständlich
    Endet dieses bürgerliche Schauspiel.
    Wie ein Festungswall werd’ ich „genommen“,
    Tapfern Fußes jubelnd überschritten,
    Wie ein Schneemann werd ich erst gerollt und
    Dann geknetet. Ja, du liebe Weihnacht,
    Ja, ich sehe deutlich schon das Ende.
    Immer weicher wird man, immer milder,
    Schließlich kriegt der Kerl sie doch, die Trommel,
    Und ich lasse gütigst auf mir trommeln.

      Sonst -- ich muß es grad heraus bekennen --
    Ist zur Demut mein Talent im Grunde
    Außerordentlich gering, und draußen
    Mach ich mich nicht gerne klein mit Kleinen.
    Unsre großen, freien, stolzen Vorfahr’n
    Kannten den Begriff nicht und das Wort nicht.
    Erst mit andren Schätzen aus dem Osten
    Kam die Demut auch in deutsches Land.
    Demut kriecht am Boden, und so ist sie
    Immer nah bei Staub, Gewürm und Schmutze;
    Aber hohen Blicks geht Stolz einher,
    Achtlos tritt er Wurm und Staub mit Füßen.
    Nein, die schönste biblische Geschichte
    War und bleibt mir immer die vom Jakob,
    Der den Engel frisch beim Kragen packte:
    „Jetzo segne mich entweder -- oder --“
    Seine ganze Schwindelei vergeb’ ich
    Ihm für diese echte Menschentat.

      Ja, ach ja: zur kleingesinnten Demut
    Fehlt mir die Begabung. Nur zu Zeiten --
    Wenn die Weihnacht nahekommt -- verkriech’ ich
    Tief und stumm mich in mein Innerstes.
    Auf der Heimkehr von der Arbeit such’ ich
    Stille, kaum betret’ne Wege dann,
    Wo die Sonne, müde schon und rot,
    In umnebelten Gebüschen hängt,
    Selten nur ein Vöglein sich davonhebt
    Stummen Fluges durch die träge Luft,
    Daß vom kaum gebognen Zweig der Schnee
    Lautlos fällt auf Schnee. Auf fernem Wege --
    Irgendwo -- und kaum noch zu vernehmen,
    Unter schweren Rädern kreischt der Schnee;
    Über einer schwarzen Kate flimmert
    Hoch und hell mein Stern von Bethlehem.
    Dann geschieht’s. Zwei weiche, warme Hände
    Kommen leis von hinten und verschließen
    Mir die Augen. Süß erschauernd steh ich,
    Regungslos gebannt, doch nicht erschrocken.
    Dann mich leise wendend, in die Augen,
    Große dunkle, feuchte Augen blick’ ich
    Eines unergründlich schönen Weibes.
    Weich in ihre Arme zieht sie mich,
    Und mit warmem Hauch an meiner Wange
    Flüstert sie mir zu in Heimlichkeit:
    „Mach’s in diesem Jahre und in allen
    So wie ich.“ -- Gespannt in allen Fibern,
    Hör ich, wie in leisen, starken Strömen
    Neue Kraft die Adern mir erfüllt;
    Zitternd steh ich, dem Kristallgefäß gleich,
    Das mit rotem Feuerwein gefüllt wird. --
    Bis vom nahen Strauch ein Vöglein schwebt
    Stummen Fluges durch die träge Luft
    Und vom kaum gebognen Zweig der Schnee
    Lautlos fällt auf Schnee. Mit leisem Frösteln
    Fühl ich, daß sie längst gelöst die Arme,
    Daß ich längst allein am Wege stehe.
    Aufgerafft dann, mit gestrafften Sehnen
    Schreit ich weiter, immer gradaus blickend;
    Gradaus blickend tret ich in die Türe,
    Hut und Mantel leg ich ab; die Kinder
    Klammern jubelnd sich an mich, und endlich
    Schüttelt ungeduldig mich das Ältste!
    „Vater! Vater! Was für Augen machst du!“
    Und das Nächste ruft mit Händepatschen:
    „Und was +hast+ du heut für rote Backen!“

      Dieses also ist mein Fest der Demut.
    Schnurrig werdet ihr die Weisheit finden,
    Die das Weib mir zugeraunt am Wege,
    Schnurrig, daß ich mich vor diesem Weibe
    Ohne Stolz in tiefster Andacht neige.
    Rätselvoll zum mindesten erscheint euch
    Jenes kurze Trostwort der Sibylle.
    Aber ich verstehe sie vollkommen;
    Auf der Heide schon in früher Kindheit
    Lernt’ ich ihre Sprüche still begreifen.
    Denn dies Weib mit dicken, braunen Zöpfen,
    Jungen Brüsten und erglühten Wangen,
    Meine Ur-Ur-Urgroßmutter ist es,
    Die Natur. Saht ihr sie nicht im Sturmtanz
    Jüngst sich drehen, daß die Röcke flogen?
    Wirbelnd fegte sie mit ihrem Röckchen
    Welkes, Mürbes, Morsches und Verdorbnes
    Und Gestorbenes zum Land hinaus. --
    Jetzo sind wir in den stillen Tagen,
    Da sie schlummert oder unter Büschen
    Tief verborgen träumt und träumend sinnt,
    Sinnend schafft und in sich selbst versinkt.
    Tief hinunter taucht sie in sich selbst,
    Aus geheimstem Grund die Kraft zu holen.
    Doch nur wen’ge Tage gönnt sie sich
    Andachtsvoller Ruhe: Wenn in diesen
    Dunklen Tagen sich die Sonne wendet,
    Neu beginnt sie schon den Werdekampf.
    In Myriaden dunkler Kammern schlägt sie
    Zarte, reizende Gewebe auf,
    In Myriaden dunkler, trauter Kammern
    Webt sie grüne Blätter, bunte Blumen.
    Klatscht sie in die Hände, springen lachend
    Überall und überall die Knospen,
    Und ans weiße Frühlingslicht hervor
    Quellen samtne Blätter, seidne Blüten.
    Recht im Licht mit weiblichem Behagen
    Spreitet sie ihr leuchtendes Gewand.
    Aus den Ställen lockt sie Rind und Schäflein,
    Und in Waldesnacht und Bergesgründen
    Weckt sie leise, süße Hirtenflöten.
    Auch mit Donnern bricht sie wild herein,
    Zornesblitze sprüht ihr dunkles Auge,
    Wenn zu träge schleicht das Blut der Welt
    Und sich staut in kläglicher Ermattung.
    Aber in Myriaden dunkler Kammern
    Kocht an heißer Glut sie Wundersäfte,
    Starke, süß und bittre Lebenstränke,
    Backt sie Brot an Millionen Herden,
    Singt dazu aus starker, süßer Kehle.
    Dann die Schürze fest gefaßt an beiden
    Zipfeln, springt sie jauchzend durch das Land.
    Aus der Schürze langt sie Birn’ und Apfel,
    Wirft sie Bub und Dirnlein an den Kopf,
    Während über Stirn und Ohr ihr nicken
    Goldene und funkelrote Trauben.
    Hat sie alles lächelnd hingegeben,
    Dreht sie tanzend, jauchzend sich im Sturme,
    Kreischend, wie nur Weiber kreischen können:
    Welkes, Morsches und Verdorbnes fegt sie
    Und Gestorbenes zum Land hinaus.
    Bis sie müde hinsinkt unter Büschen,
    Schlummernd liegt mit einem Kinderantlitz,
    Harmlos, ahnungslos, wie Kindlein sind.
    Wen’ge stille Tage.

                        Und erwacht dann,
    Träumt sie starren Auges, träumend sinnt sie
    Sinnend schafft sie, in sich selbst versinkend.
    Tief hinunter taucht sie in sich selbst,
    Aus geheimstem Grund die Kraft zu holen.
    Zärtlich ist sie sehr in diesen Tagen;
    Geht am stillen Weg ein Freund vorüber,
    Ein verzagter, kampfesmüder Wicht,
    Schlingt sie hinterrücks um ihn die Arme,
    Flüstert warm ins Ohr ihm: „So wie ich
    Mach’s in diesem Jahre und in allen.“

      Also laßt uns klein mit Kleinen werden,
    Alle Süße der Beschränkung kosten,
    Alle großen Wünsche still begraben,
    Allen Zorn und Haß und allen Streit.
    Schlummern laßt uns, harmlos, ahnungslos
    Wen’ge stille Tage. Wunderbarlich
    Lockt des Herdes Flamme, liebe Freunde,
    Wenn ihr Flackerschein auf rote Wangen
    Süßer Kinder fällt und aus den Augen
    Eines anmutvollen Weibes glüht.
    Ach, im Sessel tief zurückgelehnt,
    Seht im Christbaum ihr den Engel schweben
    Mit der Himmelsbotschaft: „Frieden, Frieden!“
    Laßt uns an den süßen Frieden glauben;
    Aber schlummert nicht zu lang. Es kommen
    Tage, da dem Engel auf der Lippe
    Jäh der Psalm zerreißt und von den Höhen,
    Aus den Tälern die Trompete schreit. -- -- --

      Weihnacht kommt, das milde Fest der Kerzen.
    In die stillen Flammen will ich schauen,
    Tief mich in ihr reines Licht versenken
    Und mit Kraft und hoher Hoffnung bitten:
    „Liebe Brüder, werdet nicht wie Kindlein!“




~Mihi est propositum~ ...


    Deckt mir überreich den Tisch
    Für die lieben Gäste;
    Aber aus dem Keller holt
    Mir das Allerbeste!
    Daß sie lächelnd sich gestehn,
    Wenn sie heimwärts schweben:
    Edlen Wein hat er geschenkt
    Und ihn gern gegeben.

      Wonnig lacht mir deutscher Wein,
    Wonniger das Leuchten,
    Wenn der Zecher Augen sich
    In Entzückung feuchten.
    Ist ihr stammelnd Zeugnis doch
    Feinste Frucht der Reben:
    Edlen Wein hat er geschenkt
    Und ihn gern gegeben.

      Unser Dichten, unser Tun
    Richten Pharisäer.
    Rückt indessen um den Tisch
    Näher nur und näher.
    Will nun mit erhöhter Kraft
    Nach dem Ruhme streben:
    Edlen Wein hat er geschenkt
    Und ihn gern gegeben.

      Mag euch nun der Menschenfeind
    „Tafelfreunde“ schelten,
    Oh, ich weiß: ihr werdet einst,
    Was ich gab, vergelten!
    Klagend wird’s an meiner Gruft
    Euer Herz durchbeben:
    Edlen Wein hat er geschenkt
    Und ihn gern gegeben.

      Und in meiner sichern Truh’
    Werd’ ich leise lachen,
    Weil Freund Hein es nicht geglückt,
    Ganz mich tot zu machen.
    Wird ein Tropfen meines Bluts
    Doch im Sprüchlein leben:
    Edlen Wein hat er geschenkt
    Und ihn gern gegeben!




Der freche Sekt.


    In meinem Stübchen an der Wand
    Hängt ein Goethe von Meisterhand.
    Sein großer Blick durchsonnt das Zimmer
    Wie Erdenlust und olympischer Schimmer.
    Nun war mal ein rechter Jubeltag;
    Ich und mein Schatz wir hielten Gelag,
    Schenkten den schäumenden Wirbelwein
    Eins dem andern mit Singen ein,
    Kehrten oberst zu unterst die Stuben --
    Führten uns auf wie närrische Buben.
    Kam die dritte Flasche dran --
    Plautz! den Stöpsel halte, wer kann,
    Und ein dicker Strahl Champagnerwein
    Dem Goethe -- pscht! -- ins Gesicht hinein! --
    Wir schwiegen beide und fühlten beklommen:
    Hat er uns das wohl übelgenommen? --

      Da lacht er mit seinen zwei Sonnen darein:
    Und +ihr+ wollt +Goethekenner+ sein?!




Lob der Sparsamkeit.

(Eigene Melodie.)


    Es meint der Filz, sobald er hört
    Von Kneip- und Bummelei,
    Im Tugendbusen jach empört,
    Daß dies Verschwendung sei.
    Er rechnet aus, wieviel es bringt,
    Wenn er sein Lebtag Wasser schlingt.
        Vivallera.

      Einseitig wie ja die Moral
    Bei solchen Menschen ist,
    Was wir ersparen beim Pokal,
    Zu schätzen sie vergißt.
    Es spart der Mensch, solang er kneipt
    Und möglichst lange sitzen bleibt.
        Vivallera.

      Was spart er nicht beim Bier allein
    An Knödeln und an Brot;
    Denn wo ein Brauhaus steht, ich mein,
    Da ist kein Backhaus not,
    Auch wird er keine Schuh zergehn,
    Solang sie unterm Biertisch stehn.
        Vivallera.

      Schont er daheim das Sofa nicht
    Und andres Mobiliar?
    Und spart er Feurung nicht und Licht?
    Was macht das nicht im Jahr!
    Was hab ich nicht auf solche Art
    An Streichelhölzern schon gespart!
        Vivallera.

      Es schont, solang er sitzt beim Bier,
    Dem Trank, so herb und kühl,
    Der Tönekünstler sein Klavier,
    Der Dichter sein Gefühl,
    Der Bilderhauer seinen Lehm
    Und das Modell noch außerdem.
        Vivallera.

      Der Lehrer schont das Bakelrohr,
    Der Richter schont das Recht,
    Es schont der Sänger den Tenor,
    Je mehr er qualmt und zecht.
    Ja manch ein Landesvater schont
    Sogar das Volk, worauf er thront.
        Vivallera.

      Und überleg ich’s mir einmal,
    So geht mir’s völlig ein:
    Ich muß ein Mann von Kapital
    Und schon ein Krösus sein.
    Schläfriger Wirt, sei aufgeweckt
    Und pump mir eine Flasche Sekt!
        Vivallera.




VI. Leben, Leid und Tod.




Neujahrsgruß.


    Ans Tor des Türmers hab’ ich heut
    Gepocht mit lautem Rufen:
    „Komm, führe mich vor Mitternacht
    Zum Turm hinauf die Stufen!
    Denn ein Gelüsten treibt mich heut,
    Mit mächtig hallendem Geläut
    Die Welt zu meinen Füßen
    Zu grüßen.“

      Und an des Alten Seite stumm
    Bin ich emporgestiegen.
    Tief lag die Erde schneeverhüllt,
    Geruhig und verschwiegen.
    Die weite Stadt -- ein Lichtermeer!
    Das blinkte hold von unten her
    Wie goldnes Sterngewimmel
    Vom Himmel.

      Und oben hab’ ich tiefen Zugs
    Den Hauch der Nacht getrunken;
    Berauscht von tausend Bildern, ist
    Mein Geist in sich versunken --:
    Jed’ Licht dort unten schien ihm da
    Ein Auge, das ins Ferne sah,
    An Tagen, die vergangen,
    Zu hangen.

      Und jeder Blick erspähte bald
    Aus grauem Nebeldampfe
    Ein eignes und besondres Bild
    Vom ewigen Erdenkampfe.
    Wie manche leise Träne rann,
    Wie manches feste Herz begann
    In still erneuten Fluten
    Zu bluten! ...

      Hob sich aus fernem Dunkel nicht
    Hier -- dort -- ein Totenhügel?
    Flog nicht ein freundlich Antlitz her
    Auf traumbewegtem Flügel?
    O ja, in stiller Neujahrsnacht
    Der Toten wird zuerst gedacht,
    Der Lieben, die im Hafen
    Nun schlafen.

      Doch mehr als Tod ist Lebensnot --
    Horch, horch -- in mancher Kammer
    Gellt jäh durch die Erinnerung
    Ein lauter, wilder Jammer!
    Ein nie verglommnes Weh entfacht
    So manchem diese stille Nacht,
    Dem alles, was er träumte,
    Zerschäumte.

      Und ewig Kampf und ewig Streit
    Mit Leiden und Gefahren,
    Mit Elend, Krankheit, Lug und Trug
    Seit tausend, tausend Jahren!
    Und war’s ein Jahr des Glücks vielleicht,
    So hat’s uns doch das Haar gebleicht,
    So ist es doch verronnen --
    Zerronnen --

      Wir kämpfen mit der Nagerin,
    Der Zeit, der nimmermüden --
    Still! War mir’s doch, als ob zur Lust
    Von fern Gesänge lüden --
    Fürwahr: ein leises Kling und Klang ...
    Zum Mund mit Jubel und Gesang
    Den Trank voll Glut und Leben
    Sie heben! ...

      Ja! Eine Freudensonne glüht
    Inmitten wilden Krieges:
    In allen edlen Herzen ist’s
    Die Zuversicht des Sieges!
    Doch wo das Schwert, das ihn erwirbt,
    Das jeden Höllengeist verdirbt?
    Wo glänzt die blanke Wehre,
    Die hehre?

      Nun Mitternacht! -- Da ließ ich weit
    Die Glocke donnernd schwingen,
    Und meine Seele schrie hinein
    Mit Beben und mit Klingen:
    Sie soll uns Schwert des Lichtes sein,
    Die reine Siegerin allein
    In Nacht- und Sturmgetriebe:
    Die Liebe.




Abend und Morgen.


    Dich grüß ich still, o linder Abend;
    Denn alle Fesseln lösest du,
    Die mir am Tag die Seele banden:
    Du endlich wehst mir Frieden zu.

      Ich fühl ein seliges Genügen,
    Als wär mein Lebenswerk vollbracht,
    Ein starkes, ruhiges Entsagen,
    Als möcht ich sterben über Nacht.

      Und weiß, ich grüße dich, o Morgen,
    Mit neuem, siegesfrohem Mut
    Und trag dir mit der jungen Erde
    Entgegen meine Liebesglut.

      Von nie gekannten Lebenskräften
    In tiefer Seele regt sich’s nun
    Und ruft mit tausend hellen Stimmen:
    „Noch ist die Stunde nicht, zu ruhn.

      Dein selbstzufriedenes Genügen
    War einer schwachen Stunde Wahn;
    Sieh hin! Aus Nebeln steigt die Sonne:
    Ein neuer Weg ist aufgetan!“




Leise Stimmen.


    Den Kopf auf deinem Schoß -- o Blumenlager!
    O Pfühl, aus dem geheime Träume blühn!
    Dein Auge glänzt, ein sehnsuchtdunkler Frager,
    Wie reife Trauben aus dem Schatten glühn.
    Nun sinkt die Wimper -- wie der weiche Flügel
    Des Abendfalters, der durch Dämm’rung zieht.
    Der wilde Tag flog über Tal und Hügel,
    Und deine Lippe summt ein träumend Lied ...

      Drückt nicht ein bleiches Antlitz sich ans Fenster?
    Erinn’rung ist’s, der stille Abendgast.
    Er schlüpft herein nach Weise der Gespenster
    Und schmiegt ins Polster sich zu langer Rast.
    Was mahnt er mich an düst’re Jugendtage,
    Da mich die Hoffnung an den Spott verriet?
    Ins große Meer versunken ist die Klage --
    Im Ofen raunt der Wind ein fernes Lied ...

      Und Tage kamen, Jahre, da mein Ringen
    In stummer, bitt’rer Qual vergebens war.
    Nicht glücken wollt’ es mir, sie zu bezwingen,
    Die dichtverschlung’ne Obskurantenschar.
    Die Staatsperücken ließen mich nicht gelten,
    Weil ich den Puder und die Schminke mied;
    Vom hohen Thron herab erklang ihr Schelten --
    Die Grille geigt ein leises Schelmenlied ...

    Ich +kam+ hindurch! Von Morgenkraft durchschauert,
    Trag’ ich ein fröhlich blinkend Waffenkleid;
    Doch überall in Busch und Hecken lauert
    Mit giftigem Geschoß der Schuft, der Neid.
    Die feigen Schurken, daß sie Gott verdamme ...!
    Wie straff empor der Strom der Lampe zieht!
    Nach oben, nur nach oben strebt die Flamme
    Und trägt empor ein leises, feines Lied ...




Im Nachtzug.


    Es donnerte, polterte, rollte der Zug
    Durch fröstelnde Winterfrühe;
    Noch ruhte in Städten und Weilern die Welt
    Von Lust- und Leidensmühe.

      Am Fenster stand ich und starrte hinaus,
    Da war nur Nacht zu schauen,
    Und tiefer und tiefer trank sich mein Blick
    Hinein in Dunkel und Grauen.

      Da sah ich fern aus niederm Gemach
    Ein zitternd Licht erblühen:
    Die Arbeit stand taumelnd vom Lager auf
    Zu neuen, alten Mühen.

      Und hier ein Licht -- und dort ein Licht,
    Die grüßten von Ferne zu Ferne;
    In Schloß und Hütte gingen auf
    Der Mühsal bleiche Sterne.

      Auf daß die Lust im Sonnenglanz
    Den muntren Tanz erneue,
    Entfachen lange vor Tag ihr Licht
    Die Pflicht, die Sorge, die Treue.

      Ist noch die Welt ein dumpfer Schlaf,
    Ihr Traum ein irres Lachen,
    Es grüßt sich schweigend im Morgengraun
    Die stille Gemeinde der Wachen.




Fernes Licht.


    Winkt ein stilles Licht aus weiter Ferne
    Nächtlich her in meiner Stube Schatten,
    Wenn des Tages flackernde Bewegung
    Sich gestillt zu schweigendem Ermatten.

      Ruhe winkt das Licht aus weiter Ferne.
    Unser Leben, Tag um Tag genommen,
    Ist ein töricht Fliehen vor der Ruhe
    Und ein reuevolles Wiederkommen.

      Jeden Abend aus der Qual des Strebens
    Steig ich auf in diesen heiligen Frieden.
    Vor mir, hinter mir ein dunkles Schweigen,
    Ich -- wie von der Erde längst geschieden.

      Hier nur fühl’ ich Brust und Arme wieder
    Froh verlangend sich ins Weite dehnen,
    Und zurück ins Herz mit starken Fluten
    Kommt der Jugend heißes, reines Sehnen.

      Niemand weiß es, wie ich hier gesunde,
    Wenn durch schwarze, undurchdrung’ne Weiten
    Sicher auf den feinen, weißen Strahlen
    Unbeirrte, hohe Träume gleiten.

      Was ich dann, am Kreuz des Lebens hangend,
    Schlimmes leide und noch Schlimm’res lerne --
    Nächtlich her in meiner Seele Schatten
    Winkt ein stilles Licht aus dunkler Ferne. --




Erscheinung.


    Eine düstre Wolke seh ich schwimmen
    Durch den abendlichen Himmelsraum.
    Nur um ihres Scheitels Zacken glimmen
    Zarte Lichter wie ein Flockensaum.

      Gleichwie starrgewalt’ge Bergesschroffen
    Ragt die Wolke hoch in den Azur.
    Doch um ihre Stirne lichtgetroffen
    Hängt des Alpenglühens Rosenflur.

      Denn verborgen hinter jener Mauer
    Strömt der Gnadenquell des Sonnenlichts,
    Und die Wolke, uns ein Bild der Trauer,
    Blickt nach dort verklärten Angesichts.

      Also sah ich düst’re Menschenstirnen
    In den Grenzen dieser Erde auch:
    Sie umfloß wie Glanz der Alpenfirnen
    Eines fremden Lichtes leiser Hauch.

      Augen sah ich, die dem Hier entrinnen,
    Das mit Tränenschatten sie umhüllt;
    Doch versunken war ihr Blick nach innen
    Und von dort mit seligem Glanz erfüllt. --




An die Zeit.


    Du bist als mächt’ge Trösterin befunden
    Von vielen, welche Leid und Gram beschwert;
    Denn wer vergessen kann und minder wert
    Das einst Geliebte halten, mag gesunden.

      Ich will von dir nicht Heilung meiner Wunden,
    Die doch wie Gift an Geist und Herzen zehrt;
    Was ich gerecht bewundert und begehrt,
    Das gelte teuer mir zu allen Stunden.

      Du wirkst der edlen, reinen Säfte Stockung;
    Des Alters Siechtum, schleichendes Verderben
    Und Tod verbirgst du unter Trostes Schein,

      Und dem, der kraftlos nachgibt deiner Lockung,
    Gibst du statt schnellen Tods ein ewig Sterben
    Und zum Vergessen das Vergessensein. --




Sonett.


    Bist du im Recht, und will man dir’s verdrehen,
    Und gilt es ein geringes -- schweige gern!
    Es ziemt dir wohl, von niedrer Zanksucht fern,
    Den Streit um eitle Dinge zu verschmähen.

      Doch gilt’s ein Ideal, das du ersehen
    Zu deines Lebens wandellosem Stern,
    Will man Gedanken in den Staub dir zerr’n,
    Die rein und klar an deinem Himmel stehen,

      Dann tausche nicht um feigen Frieden ein
    Dein gutes Recht; dann streite sonder Beben,
    Stirbst du auch einst verlassen und allein.

      Denn besser ist’s, in Acht und Bann zu leben,
    Als stets sein Ohr dem Ruf nach Frieden leihn
    Und Licht und Recht den Narren preiszugeben.




Mein Freund.


    Als ich jüngst im Garten wandelte,
    Ward mir unverhoffte, tiefe Freude:
    Aus dem tiefen Dunkel wirrer Zweige
    Winkten mir zwei Blumen wie zwei Augen.
    Näher trat ich, durchs Gebüsch mich zwängend --
    Sieh, im düst’ren Schatten alter Bäume,
    Fast erdrückt vom wuchernden Holunder,
    Stand ein armer Strauch der Alpenrose.
    Zwischen seinen krummen, mag’ren Ästen
    Spann ihr feucht Gespinst die ewige Nacht;
    Abgetrennt von Luft und Sommersonne,
    War er leidend Jahr um Jahr gewachsen;
    Doch aus Leidensnächten hob er Blüten,
    Starke, lächelnde, betränte Blüten,
    Seines Ringens Ende, still empor.

      Und dem Gärtner rief ich: „Diesem Strauche
    Gib den besten Platz in meinem Garten.
    Tu es bald -- ich hab es ihm versprochen.“




Waldidyll.


    Voll Haß und Unrast lief ich in den Wald:
    Mein Herz war heiß; die Welt war tot und kalt.
    Du, Bächlein, bist so wild und kraus wie ich!
    Komm, schäumender Gesell, und lehre mich: --
    Du gleitest singend über Blum’ und Moos --
    Was ist im großen Weltenspiel dein Los?
    Und sprühend, perlend klang es aus dem Schaum,
    Ein Lied, die Welle sang es wie im Traum:

      „Im Schoß der Berge kurze Stunden träumen,
      Ein froher Sprung vom steilen Hange her --
      An starren Felsenklippen sich zerschäumen --
      Und seinem Selbst entsagen fern im Meer.“

    Noch lange horcht ich. Klang’s vom Himmel her?
    „Und seinem Selbst entsagen fern im Meer.“




Im Garten.


    Ja, ich weiß, daß hier um Aug’ und Wangen
    Eine Flut von Duft und Schimmer drängt,
    Weiß, daß eine Traube schwerer Knospen
    Fast herab bis auf die Stirn mir hängt --

      Aber laßt mich doch die Sinne schließen
    Vor dem Drang, mit dem der Frühling naht,
    Und mich nur die Offenbarung fühlen,
    Daß mein Herz noch Kraft zur Freude hat.

      Denn ich ging durch einen langen Winter,
    Stand vor einer tief zerstörten Welt;
    Spöttisch hatt’ ich zwischen Furcht und Hoffen
    Meine Lebenswage festgestellt.

      Als mich heut nun diese Sonne weckte,
    Sprang mein Herz, ach Freunde, sprang mein Herz,
    Riß mit einem Schrei sich aus der Tiefe,
    Schluchzen hört ich’s wie vor Lust und Schmerz.

      Laßt mich, laßt mich nur die Sinne schließen;
    Dieser Fülle weiß ich sonst nicht Rat.
    Einen Tag lang will ich’s klingen hören,
    Daß mein Herz noch Kraft zur Freude hat.




Aus gesegneten Tagen.


    Heißen und gerechten Haß im Herzen,
    Schritt ich achtlos durch den Morgenglanz;
    Lug und Trug der Schurken auszumerzen,
    Trieb mich der Gedanken Wirbeltanz.

      „Ja, zermalmen will ich, will vernichten,
    Was mir Kraft und Freude stiehlt und Schlaf!“
    Und -- ich stockte jäh vor einer lichten,
    Warmen Glut, die meine Augen traf.

      Einem Garten war ich zugetrieben,
    Wohl von tausend Rosen überflammt:
    „Oh, wir leben!“ jauchzten sie, „wir lieben!
    Oh, wir blühn und schaffen allesamt!

      Wandeln wollen wir in Duft und Farben
    Dieses Sommers gnadenreiches Licht!“
    In die schwellendste der Rosengarben
    Neigt ich tief und still mein Angesicht.

      Und ich fühlte heiligen Erbebens,
    Wie’s mit Doppelglut mich überkam.
    Aus den Blumen schlug die Glut des Lebens,
    Aus der Brust mir quoll die Glut der Scham.




Stiller Besuch.


    An einem Tag, da Haus und Halde schwieg,
    Lag ich auf meinem Ruhebett und schaute
    Verhalt’nen Atems meinem Söhnlein zu,
    Das fromm aus Hölzern einen Tempel baute.

      Am Fenster lag im Abendlicht ein Buch,
    Versonnen beugte sich mein Weib darüber;
    Im Käfig saß der Vogel auf dem Stock
    Und lugte dunklen Aug’s zu ihr hinüber.

      Da war’s, daß ich gewußt: das Glück ist da ...
    Ein Atem ist mir übers Herz gegangen ...
    Die Luft ist hell von einem gold’nen Blick ...
    Ein duftend Haar liegt weich auf meinen Wangen ...

      Und flüstern wollt ich: seht, das Glück ist da!
    Doch hielt gebunden mich ein ahnend Bangen --
    Das Vöglein sprang von seinem Stock herab --
    Da war der lichte, leise Gast gegangen.




Ruhe des Herzens.


    Wie heimlich glüht ein Bild
    Aus langer Dämm’rung:
    Ein Sommerabend war’s
    Im Heimatdorfe;
    Noch lag ein Sonnenhauch
    Auf Dach und Giebeln,
    Und hell stand schon der Mond
    In leerer Straße.
    Der Nachbar sprach ein Wort
    Von Tau und Regen,
    Er sprach zu seinem Weib
    Drin in der Kammer;
    Er zog das Fenster an,
    Es klang der Riegel;
    Ein erstes Sternlein trat
    Aus lichtem Dunkel.
    Aus fernen Gärten klang
    Ein Mädchenlachen;
    Ein letzter Nachhall dann
    Und letzte Stille.
    Und all die Sommerwelt
    Ging wie ein Atem
    Geruhig ein und aus
    Durch meine Lippen. --

    Nun weiß ich’s, da mein Haar
    Beginnt zu bleichen:
    Was damals ich geatmet, war
    Das Glück.




An einem leisen Bach.


    An einem leisen Bach auf grünem Stein
    Lag abendstill ein Sonnenschein,
    Wohl größer kaum als eines Menschen Angesicht,
    Jedoch ein heimlich-wunderbares Licht.
    Ich kniete still ins Laub, und dieses Leuchten sprach
    Von einer sanften Frau, die einst des Kranken pflegte,
    Vom Zweige über ihm die schönste Blüte brach
    Und lächelnd ihm aufs weiße Kissen legte ...
    In ferner Frühe war’s, ein Kindheitstag,
    Da unter Bäumen ich gebettet lag ...
    Wo bliebst du, holde Frau? Nie fand ich deine Spur.
    Du warst ein tiefes Glück, drum kamst du einmal nur.
    Nur einmal --
              fröstelnd schreck’ ich auf und seh mich um --
    Mein redend Licht erlosch. Die Welt ist stumm. --

      Und sehnend sucht’ ich heut den alten Stein --
    Auf Moos und Welle glomm ein toter Sonnenschein.
    Nie kehrt der Glanz von gestern mir zurück,
    Das weiß ich wohl. Er war ein Menschenglück.




Jäher Zweifel.


    Wo sich Weidenlaub zum Dache bog
    Und durch Nacht ein stilles Wasser zog
    Trieb ich lange schon den müden Kahn,
    Meiner Sorge schweigend untertan.

      Meine Ruder taucht’ ich in die Nacht --
    Ob mir nie ein freundlich Ufer lacht?
    Plötzlich Laub und Dunkel aufgetan,
    Und ich schwamm auf lichtbeglänzter Bahn:

      Aus des Ufers dunklem Wiesengrund
    Prallte blendend weiß ein Säulenrund;
    Laut davor in weh’ndem Fackelglanz
    Schwang bekränzte Jugend sich im Tanz.

      Lachen schallte, und die Zither klang;
    Über Blumen wiegte sich Gesang --
    Dank und Jubel mir im Herzen quoll;
    An die Ruder griff ich freudevoll -- --

      Da -- bevor ich noch den Kahn gewandt,
    Hielt ein andres Bild mich festgebannt:
    Spiel und Tanz auch drunten in der Flut,
    Marmorblinken auch und Rosenglut.

      Aber drunten in geheimem Glanz
    Lautlos alles -- stumm -- ein Schattentanz.
    Nah dem Glück, das mich empfangen will,
    Steht mein Herz in bangem Zweifel still.

      Welches ist das Ziel, das mir ersehn,
    Und wo wird sich’s seliger ergehn:
    Droben, wo die helle Zither klingt?
    Drunten, wo sich stumm der Reigen schlingt?




Eines Tages.


    Durch die silberflimmernden Gardinen,
    Über rote Blumen floß ins Zimmer
    Immer-immerfort die Sommersonne;
    Am Piano saß das blonde Mägdlein;
    Unter seinen rosenzarten Fingern
    Sprangen flink und hell empor die Töne,
    Klang das Liedlein „Mit dem Pfeil, dem Bogen“ --

      Aber was ergriff den Mann im Zimmer
    Nebenan? Den Blick noch kaum erhob er,
    Kaum dem Klange neigt er noch das Ohr --
    Packt ein Schütteln ihn bei beiden Schultern;
    In die Hände drückt er jäh das Antlitz,
    Und ihn wirft ein wildes, stummes Weinen.

    Weckt’ ihm wohl das Lied ein tot’ Erinnern?
    Eines längst versunk’nen Frühlings Helle?
    Nein.

      Des Menschen Herz ist eine Schale,
    Die die ungeweinten Tränen auffängt,
    Alle, alle unvergoss’nen Tränen
    Aufhebt einem unbekannten Tag.
    Tränen, die dein Aug’ im Jugendlachen,
    In der Mannheit Stolz, im Rausch des Kampfes
    Einst zurückwies, sammelt still die Schale,
    Tränen selbst, um die du nie erfahren,
    Stumm-geheim vom Leben zubereitet,
    Sammelt sie auf einen stillen Tag.
    Ist der unbekannte Tag gekommen,
    Braucht es nichts als einer Blume Atem,
    Eines Sonnenstrahls geheimes Klingen
    Oder eines Liedes Flügelwehn --
    Über strömt die übervolle Schale,
    Und dein Leben sinkt, ertrinkt im Schmerz.

      Von den Armen hob den Kopf er langsam,
    Starrte über Nahes in die Ferne,
    Und in feuchter, silberreiner Helle
    Stieg aus Tränenfluten ihm die Welt.




Lied eines Armen.

(Aus dem Volksstück „Hochparterre und Keller“.)

    „Der wahre Bettler ist doch einzig
    und allein der wahre König.“

    Lessing.


    Mich drückt das Gold nicht auf der Stirn;
    Mich drückt’s nicht in der Tasche;
    Ich fürchte nicht, daß je der Neid
    Nach meinen Freuden hasche;
    Kein Schmeichler schleicht an mich heran,
    Und keinem Pöbel frön’ ich.
    Der wahre Bettler ist allein
    Der wahre König.

      Mit meinem Liebchen thron’ ich oft
    Auf waldbekränztem Hügel;
    Dann tragen Kleider wir von Licht
    Und haben goldne Flügel.
    Mit Blumen dann zur Königin
    Das holde Mädchen krön’ ich;
    Der wahre Bettler wird alsdann
    Ein wahrer König.

      Einst flattert auf mein stilles Grab,
    So denk ich, eine Meise;
    Hat auch nur, was der Tag beschert,
    +Ein+ Kleid und ihre Weise.
    Den toten Bettler kennt sie wohl
    Und zwitschert silbertönig:
    „Hier ruht ein seltner Mann; hier ruht
    Ein wahrer König.“




In Gunst bei der Wetterhexe.


    Schwirren, Flimmern mir zu Häupten --?
    Unter ihren goldnen Fächer
    Nimmt Fortuna, die Despotin,
    Lächelnd mich, den armen Schächer?

      Platz ist unter diesem Segen!
    Wer da trauert: her geschwind!
    Jubelnd such’ ich, sehnend such’ ich
    Ein verhärmtes Menschenkind!




Zuspruch.


    Es ist nicht wahr, was dir die Menschen sagen,
    Daß sich das Glück mit jedem Winde dreht.
    Wer wird denn viel nach Wind und Wetter fragen?
    Die Sonne bleibt, wie oft sie untergeht.
    Ein Sonnenlicht mußt du im Herzen tragen,
    Das durch Gefahr und Leiden mit dir geht.
    Ob’s tausendmal versinkt, es kehrt zurück;
    Der Glanz in deiner Brust -- der ist das Glück.




Schranken des Glücks.


    Durch die Seelen der guten Menschen
    Bebt ein Seufzer geheimen Wehes,
    Gellt ein Schrei verborgener Schmerzen
    Selbst in der Stunde des höchsten Glückes. --

      Wohl umfangen auch sie in berauschter,
    Stammelnder Wonne das Glück der Erde,
    Und sie vergessen, darein versinkend,
    Alles Vergangenen düst’re Beschwerde.
    Sie auch pressen in nächtlicher Kammer
    Das Geliebte ans schauernde Herz,
    Sie auch taumeln im Tanz des Lebens
    Von der Verzweiflung zum trunkenen Scherz.
    Ja, als lebte mit ihnen im Glücke
    Alles, was sie lebendig umkreist,
    Senden im Glück sie dankende Seufzer
    Zu dem „allgütigen Weltengeist“.

      Aber sie tragen die stille Mahnung
    An das ewige Leid in der Brust;
    Werden doch immer sich des gemeinen
    Erdenloses die Guten bewußt!
    Sie mögen allein
    Nicht glücklich sein.
    Den eigenen Glücksstern seh’n sie erblinden
    In einer Nacht von fremdem Leid;
    In gleicher Sekunde jauchzt ihr Herz --
    Und zittert in weinender Einsamkeit. --

      Durch die Seelen der guten Menschen
    Bebt ein Seufzer geheimen Wehes,
    Gellt ein Schrei verborgener Schmerzen
    Selbst in der Stunde des höchsten Glückes. --




Vor dem Zuchthause.


    Ein düstrer Steinkoloß ragt in die Schatten
    Der Nacht hinauf. Die grauen Wände starren
    Gespensterhaft empor, und sie umflattert,
    Aufzuckend hier und da, ein fahler Schimmer
    Der Gaslaterne, die im Hofe brennt
    Und deren Glas von Sturm und Regen klirrt.
    Auf harten Steinen gellt der Tritt der Wache;
    Von Eisengittern starren tote Fenster --
    Ein Zuchthaus. --

      Ein scheußlich Ungeheuer, brütet es
    In dumpfer Finsternis und haucht Verdammnis.
    In später, dunkler Nacht schreit ich vorüber
    Einsam und stumm. Doch tief geheimes Grauen
    Durchfröstelt mein Gehirn. -- Ein öder Friedhof
    Ist gegen diese stille Menschenwohnung
    Ein lächelnd schöner Paradiesesgarten,
    Ist eine Stätte süßer Lust, verglichen
    Mit diesem Grabe der Lebendigen. --
    Wir schreiten leichten Fußes dran vorüber,
    Behaglich eingehüllt in unsre Mäntel
    Und in den warmen Frieden unsrer Tugend.
    Wir wandeln durch den hellen Sommertag
    Und unterm Sternenglanz der Winternächte --
    Und über unser Antlitz fliegt kein Schatten.
    Wir drehen uns im kerzenhellen Saale
    Zum lust’gen Schall der Geigen und Trompeten;
    Wir schlürfen lachend aus kristallnen Bechern
    Den roten Wein, daß er das Hirn durchglute
    Mit holden, wundersamen Phantasien --
    Und über unser Antlitz fliegt kein Schatten.
    Wir wärmen uns am stillen Herd des Hauses
    Und ziehen an die Brust das schöne Haupt
    Des friedlich-sanften Weibes und der Kinder
    Vom Jugendsonnenglück umstrahlte Häupter, --
    Und über unser Antlitz zieht kein Schatten.
    Wer aber diesem steinernen Gespenst
    In sturmzerrissner Nacht vorüberschreitet,
    Dem bohrt sich ein Gedanke tief ins Hirn,
    Und in das Ohr raunt ihm ein Unsichtbarer:
    „Sieh diese Stätte schuldbeladnen Elends
    Und überschlag den Wert der eignen Tugend!
    Wer fiel von diesen, deren Klageruf
    An unbarmherzig kalte Mauern gellt --
    Wer fiel in Schande, weil du mitleidlos
    An seinem Jammer einst vorübergingst,
    Als er noch gut war, doch vom Glück verlassen?
    Wer fiel in Schande, weil du ihn verkannt?
    Wer fiel in Schande, weil du seiner Jugend
    In frevlem Leichtsinn eitle Lehren gabst,
    Die abwärts führten, statt hinauf zum Lichte?
    Wer fiel in Schande, weil du lässig warst,
    Zum Guten ihn zu führen, seine Seele
    Mit reinem Himmelslichte zu erfüllen,
    Weil du in Faulheit deines eignen Wohlseins
    Behaglich nur gewartet und sein Herz
    Dalag, ein toter Acker, nur bedeckt
    Vom Herbstesnebel eines öden Daseins?

      O ihr, ihr Glücklich-Tugendsamen, Reinen!
    Klebt euer Schuh, wenn er zum Tanze hüpft,
    Nicht fest zuweilen an dem glatten Boden
    Vom Blute eines Mords? -- Dringt nicht zuweilen
    Durch alle Wohlgerüche eurer Gärten,
    Durch eurer Kammern liebliches Arom
    Der scharfe Pesthauch einer eklen Sünde? -- --

      Die ihr das Haupt so frei zum Himmel hebt,
    Vergeßt mir nicht in eurem guten Herzen,
    Daß hinter diesen grauen Kerkermauern
    Ein redlich Teil von eurer Sünde wohnt,
    Und laßt in eurem Innern widerhallen
    Den wilden Schmerzensschrei der hier Begrabnen,
    An deren Fuß die schwere Kette klirrt
    Und die verdammt sind -- auch um eure Schuld!“ --




Das verwandelte Lied.


    Mit meinem Lieb durchstrich ich deutschen Wald,
    Und froher Rausch aus grünem Licht und Duft,
    Aus Windes-Orgelklang und Bergesluft
    Ergriff die freudeoffenen Herzen bald.
    O Kuß in eines Walds geheimstem Grund!
    Fern oben über Wipfeln rauscht die Welt
    Und weiß es nicht, daß unten, Mund auf Mund,
    Zwei Welt- und Selbstvergessene versinken!
    Der Lippen Duft wie junges Tannengrün,
    Und tief im trunken-stillen Blick ein Licht,
    Das hoch herab von heiliger Wölbung fällt!
    O sternendunkler Abgrund, ende nicht,
    Und laß uns ewig deine Dämmrung trinken -- --

      Doch ach -- ein Eichhorn, tückisch, schadenfroh,
    Zerbricht ein Reis -- und bricht den Zauberbann.

      Sie huscht davon -- ein Strahl im nächtigen Tann! --
    Und steht -- und neigt das Haupt -- ein Kuckuck ruft
    Fern, märchenfern im Lande Irgendwo.
    Und wir, mit Küssen, zählen: Eins -- und zwei --
    Und drei -- und vier -- schon schweigt er? Weiter, Schuft!
    Und er gehorcht! Nun fünf -- und sechs -- und sieben --
    Und schüttet uns von Leben und von Lieben
    Die Herzen voll so ohne Maß und Ziel,
    Daß sie mich von sich stößt und ächzt: „Nun wird’s zu viel!“
    Zuviel, zuviel der Lust! Das Herz tut weh
    Von so viel Kraft und Glück, und könnt’ ich schrei’n
    Wie --

      Still! Da fällt ein fremder Klang herein --
    Von fern ertönt ein Horn -- o je, o je!
    Genießen müssen wir -- da gibt es kein Entflieh’n --
    Die Weise „Wenn die Schwalben heimwärts zieh’n“.
    Nicht übel blies der gute, ferne Mann;
    Doch wenn man nun einmal ein Lied nicht leiden kann --
    Und seltsam: meinem Lieb ging’s ebenso:
    Es war ein traurig Lied und stimmt’ uns herzlich froh.
    Gefühlvoll blies er sehr vom Abschiedsbangen --
    Wir näselten und dudelten’s ihm nach
    Wie zwei der Zucht zu früh entlaufne Rangen.
    Und lachten, lachten -- -- und verstummten jach.
    Denn uns entgegen kam am Stock gegangen
    Ein Mensch -- war’s noch ein Mensch? War’s noch ein Gehn?
    Zu jedem Schritt mußt’ er die Kraft erst sammeln;
    Ein Tasten war sein Gang, ein banges Stammeln --
    Nie hab’ ich solch ein arm Gesicht gesehn!
    Und jeder Zug darin ein zuckend Mühn:
    „Nur diesen Sommer säh ich gern verblühn!“
    Und aus den Augen -- ach, aus diesen Augen,
    Die sich mit langem Blick ins Hirn mir saugen,
    Sprach mehr zu mir als Leiden, mehr als Leid:
    Schrie bettelnd jener herzgrundtiefe Neid:
    „Warum gebt ihr mir nichts von eurem Leben!
    Ihr seid doch überreich und könntet gern mir geben,
    Und drückt euch stumm vorbei --“

                      Als wir vorübergehen,
    Berührt sein Stab den Saum von ihrem Kleide.

    Wir schritten weiter, ohn’ uns anzusehen.
    Von selbst und heimlich flocht sich Hand in Hand,
    Und ferngewandten Auges sahn wir beide
    Mit großem Blick ins dunkle Schicksalsland.

      Willkommne Rast am birkenkühlen Hang --
    Und wieder hallte herüber des Hornes Klang
    Und klagte: „Ob ich dich einst wiederseh?“ --
    Da ward uns beiden ums Herz zum Weinen weh.
    Es war ein Lied -- mocht’s viel, mocht’s wenig taugen --
    Ein Lied war’s mit zwei sterbenden Menschenaugen. --




Sorge.


    Willkommen, stiller Mond, im Schlafgemach!
    Gieß deine Lichtflut neben mich aufs Kissen
    Und laß in deine Strahlen mich die bleichen
    Gedanken meines Grames flechten!
                                              Wohl,
    Du bist gewohnt, der Liebe sanfte Klagen,
    Der Wonne Hauch als Opfer zu empfangen,
    Und Glück, das in verschwiegner Nacht erblüht,
    Vor dem verwandten Zauber deines Lichtes
    Erschließt es seufzend seinen Kelch. Doch ich --
    Mit der gemeinsten Sorge nah ich dir,
    Und deine Freundschaft, dein Vertraun erfleh’ ich
    In wacher Einsamkeit der stummen Nacht.
    Ja, küsse dieses Weib! Sieh, wie erlöst
    Ihr edles Haupt ins Kissen hingesunken!
    Ist sie nicht schön? Die Arme ausgebreitet,
    Die Lippen warm erschlossen -- hingegeben
    Der Wonne ganz, vom Tag erlöst zu sein.
    Befreit von niedrer Sorge und nun ganz
    Ein Engel! Ja, verweil’ mit deinem Lichte
    Auf dieser Stirn, versenk’ ihr Träumen ganz
    In deine Silberflut! Ein hoher Geist
    Träumt hinter dieser Stirn von lichten Tagen.
    Doch ihn erdrückt des Tages harte Last,
    Und er erstickt im Staube.
                                  „Nahrung -- Brot!“
    In diesem Schrei stirbt unser Leben hin.

                    Vergebens hehl ich ihr die grasse Not;
    Verstellung schmilzt so bald im Strahl der Liebe!
    Im Strahl der Liebe? Will er nicht erblassen?
    In Hungers Knechtschaft ringen sie und ich
    Mit Arm und Geist, und atemlos geschäftig
    Gehn wir am Tag einander stumm vorbei.
    Kaum noch gekannt lebt einer mit dem andern,
    Des Glücks nicht achtend ob der größern Not,
    Durch Leid entfremdet nicht, allein durch Sorge.
    „Fürs nackte Leben heisch ich eure Kraft,“
    So schreit uns Armut an, „und nicht fürs Lieben.
    Was brauchen Bettler denn das Festgewand
    Der Liebe, um ihr Leben dreinzuhüllen!
    Das ist mein Fluch, das ist mein rastlos Mühn:
    Die Seelen so mit Sorge zu umklammern,
    Daß sie einander nie gehören können
    Und müd und stumpf der Liebe sich entwöhnen!“

      Siehst du, o Mond, auf deiner weiten Bahn
    Noch irgendwo im reichen Erdengarten
    Aus dunkler Nacht so duftige Rosen blühn
    Wie diese Kinder? Du umschmeichelst selbst
    Der zarten Glieder weiche Lieblichkeit
    Mit sanfter Welle. Sieh, ein Händchen hascht
    Im Traum nach Früchten, die der Traum gereift!
    Die Lippen lallen Worte eines Spiels --
    Ein helles Lachen jetzt -- und ganz im Schlaf,
    Im festen, ruhigen, zufriednen Schlaf!
    Sie atmen noch im Ganzen der Natur;
    Ihr Leben Traum, und selbst ihr Traum noch Leben.
    Ein Engel hütet sie: sie pflücken Blumen
    Am Abgrund unsres Elends ...

                                        O verdammt
    Sei diese ewige Qual und giftige Pein!
    Willkommen, Schmerz! Zerreiße du mein Inn’res
    Und laß mein Blut dahin in Strömen fließen,
    So will ich sterben und die Erde segnen!
    Laß mich auf deinem Schlachtfeld sterben, Erde;
    Allein erstick mich nicht durch deinen Schlamm,
    Durch deinen eklen Kot! Ist’s denn erlaubt --
    O Narrenspiel der Welt! -- ist’s denn erlaubt,
    Daß diesen wunderbaren Bau des Hirns
    In tausend Windungen nur ein Gedanke
    Durchkreist, daß eine einz’ge Mahnung nur
    In diesem Herzen klopft und pocht und daß
    Sich dieses Lebens reicher Quell erschöpft
    Nur um das Eine: daß wir fressen können?
    O Schmerz, ein Sohn des Himmels bist du sonst;
    Erlosch’ne Geister schürst du wieder an
    Zu hellen Bränden; aus verdorrten Herzen
    Lockst du in heißen Wellen rotes Blut;
    Die Stirn des schwachen Menschen schmückst du herrlich
    Mit Götterglanz; den Weg durch Meer und Wüste
    Führt ihn fortan des Trotzes Feuersäule.
    Doch diese Sorg’ ums Brot -- o pfui -- sie ist
    Ein widerwärtiges, gemeines Weib,
    Das unverschämt im Haus die Herrin spielt,
    Auf off’nem Markt sich in den Arm uns hängt,
    Vor Edlen uns erröten macht, zugleich
    Vor Schurken uns erniedrigt. Heilig ist
    Kein Winkel ihr in unserm ganzen Innern;
    Sie höhnt mit schmutz’gem Lachen unsre Andacht
    Und speit auf unsern Stolz. Ja selbst, wenn Krankheit,
    Wenn Tod uns und Verrat zu Boden schlugen,
    So hockt sie triumphierend an den Herd
    Und sucht mit frechem Grinsen unsern Blick,
    Wenn er ins Leere starrt ...
                                Du schwindest, Mond;
    O fliehe nicht; denn bin ich einsam, raunt
    Der Tod aus meinen Kissen ... Nein, ans Fenster!
    Ich will dich sehen, bis du ganz versinkst.
    Laß mich mit dir durchwandeln diese Nacht!
    Laß durch den Nebel, der mein Haupt umwogt,
    Die Ströme deines weißen Lichtes rinnen --
    Vielleicht ertastet doch mein müder Geist
    Nach aller Qual den Weg zur Morgensonne! --




Um eine Hoffnung ärmer.


    Betratst du je ein Haus
    Mit hoffendem Verlangen
    Und bist von dannen drauf
    Gesenkten Blicks gegangen,
    Um eine Hoffnung ärmer?

      Wie anders schien die Welt
    Auf deinem ersten Gange,
    Als da du kehrst zurück
    Mit sorgenbleicher Wange,
    Um eine Hoffnung ärmer!

      Wie bohren sich ins Hirn
    Die heißen Sonnenstrahlen!
    Wie bebt das kranke Herz
    In wilden Fieberqualen,
    Um eine Hoffnung ärmer!

      Zerreißend dringt ins Ohr
    Der Straßen Lärmgewühle --
    Ach, daß du könntest ruhn,
    Das Haupt auf weichem Pfühle --
    Um eine Hoffnung ärmer!

      Ach, daß das schwere Herz
    Der Tränen sich entlüde!
    Geduld! Noch kurzen Weg! --
    Wie wandelst du so müde,
    Um eine Hoffnung ärmer!

      Da endlich winkt das Heim ...
    Wohin sollst du dich wenden?
    Aus allen Winkeln raunt’s
    Und von den düstern Wänden:
    „Um eine Hoffnung ärmer!“




Müde.


    Ich zog auf fernen Wanderungen
    An manchem stillen Ort vorbei,
    Wo mich’s mit Allgewalt durchdrungen,
    Wie selig dort die Ruhe sei.

      Mit hohen Wipfeln sah ich ragen
    Den Föhrenwald am Felsenhang;
    Wie leiser Gruß aus fernen Tagen
    Der Wind durch seine Kronen klang.

      Ein Wasser ging in seinem Grunde --
    Es weilte still mein Bild darin --
    Von Stein zu Stein, von Stund’ zu Stunde
    Mit ewig gleichem Sang dahin.

      Und rings zersprengte Felsenmauern
    In altbemooster Einsamkeit --
    Auf einem Felsblock sah ich kauern
    Ergraut und stumm die tote Zeit.

      Ich zog auf fernen Wanderungen
    An manchem stillen Ort vorbei,
    Wo mir die Sehnsucht vorgesungen,
    Wie selig dort die Ruhe sei.

      O wie bescheiden wir uns stille
    Mit jedem jungen Traum zuletzt!
    Mich hat des Schicksals harter Wille
    Durch Angst und Not und Qual gehetzt.

      Nach aller Sorgen Gift und Kummer,
    Nach dieses Lebens Schein und Trug --
    Zur letzten Rast, zum langen Schlummer
    Ist jeder Winkel gut genug.

      Auf lautem Markt, im Tagesscheine
    Geht mir’s verlangend durch den Sinn:
    Ich legte mich auf diese Steine,
    Wie gern! zur letzten Ruhe hin.




Johannisnacht.


    Leuchtkäfer schwammen in der schweren Nacht;
    Auf bleichem Rasen schliefen die Syringen;
    Nur der Jasmin blieb wach und horchte still
    Mit mondverklärten Augen einem Klingen.

      Aus blauen Schatten sang die Nachtigall,
    Ein Jauchzen war’s und jugendwildes Weinen.
    Sie sang das Lied der jungen Sinnenkraft,
    Das Lied, in dem sich Tod und Leben einen.

      Und rückgesunk’nen Blicks, geschloss’nen Auges,
    Fühlt’ ich der Erde Schuld und Angst verwehn,
    Und alle, alle hab’ ich sie verstanden,
    Die frommen Sünden, die wir rein begehn.

      In bangen Schauern hab’ ich sie verstanden,
    Die süßen Sünden trunk’ner Lässigkeit,
    Die einst mit grassem Blick vor uns erstehen
    Als spätes, als erbarmungsloses Leid.




Trügender Strahl.


    Freundlicher Gefährte später Stunden,
    Kleiner Vogel, warum singst du nun?
    Nacht und Schlaf hat längst die Welt umwunden.
    Ließ die späte Lampe dich nicht ruhn?

      Durch des Käfigs Hüllen wohl verirrte
    Sich ein Strahl, der dir ins Auge drang,
    Und dein helles Stimmlein klang und schwirrte --
    Armer Freund! Der Morgen säumt noch lang.

      Auch mein Mut erhob im Traum die Schwingen --
    Aber Nacht umhüllt’ mich schwer und dicht.
    Und mein Herz begann von selbst zu klingen --!
    Welchem Licht es sang -- ich weiß es nicht.




Der Einsame.


    Ein schwarzer Ballen klatscht mit wildem Schlage
    An meine Scheiben -- und fällt schwer herab.
    Ich öffne rasch das Fenster --: eine Drossel,
    Vom Falk gejagt, stieß das Genick sich ab.

      Im Schnabel Blut, so liegt sie zuckend, schauernd,
    Das Auge wach in heller Todesangst --
    Du armer Schelm, ich fühl’s wie mein Verschulden,
    Daß du dem bittern Tod entgegenbangst.

      Bei deinen Qualen zuckt in meinem Herzen
    Ein alter, heimatloser Menschenschmerz.
    Wie kann ich’s deiner bangen Seele sagen:
    „Dies Haus von Stein umschließt ein gastlich Herz?“




Nach dem Gewitter.


    Grell entfuhr der Blitz den umwölkten Höhen,
    Und der Donner Wut übertönte, lange
    Dumpf verhallend noch, den in schwarzen Strömen
    Rauschenden Regen.

      Nun ist alles stumm. -- Nur wenn hin und wieder
    Über Blum’ und Blatt ein geheimer Schauer
    Huscht, fällt erdenwärts, wie in Träumen leise,
    Tropfen auf Tropfen. --

      Unheil traf dein Herz, und am heitern Tage
    Trat das Unglück wild in dein junges Leben.
    Schlag traf schnell auf Schlag, und des Lebens Traum ist
    Eilig zerstoben.

      Öde ruht dein Herz. -- Durch den müden Leib nur
    Hin und wieder fliegt ein erinnernd Beben,
    Und vom Auge rinnt, dem geschlossnen, leise
    Tropfen auf Tropfen. --




Leben und Tod.


    Heut mittag war’s; der Regen floß
    Vom Himmel schwarz und dicht.
    Ich saß an einem Sterbebett
    Mit nassem Angesicht.

      Wir waren allein im stillen Gemach,
    Mein bester Freund und ich.
    Ich jung und frischen Lebens voll,
    Er jung -- und todessiech.

      Ich sprach ihm Trost und Hoffnung ein;
    Da ward ihm die Wange rot;
    Da sprach noch grasser aus seinem Blick
    Der nahe, schreckliche Tod.

      Wir fühlten beide in stiller Brust
    Des Scheidens bittres Muß,
    Und unsre Lippen trafen sich
    Im ersten und letzten Kuß. --

      Nun sank der Tag -- der Freund ist tot.
    Du ruhst in meinem Arm,
    Du schönes, königliches Weib,
    So jung und liebewarm.

      Du küssest heiß denselben Mund,
    Den ich dem Sterbenden bot:
    So nahe wohnt das Leid der Lust,
    So nah das Leben dem Tod.

      Auf meinen Lippen fanden sich
    Die beiden an einem Tag --
    Was hemmt so jäh mir in der Brust
    Des Herzens schnellen Schlag?

      ... Ich seh ein Bett ... ein Totenbett! ...
    Daraufgestreckt ein Weib,
    Mich selbst davor, und wilde Angst
    Durchrüttelt meinen Leib;

      Ich kenne die kleine, blasse Hand
    Und presse sie wild ans Herz ...
    Und ich erwach aus meinem Traum;
    Denn du schriest auf vor Schmerz. --




Aus umnachteten Stunden.


    Du liegst so lächelnd schön
    Auf deinem weißen Bette,
    Als ob ein süßer Traum
    Dich fest umsponnen hätte.

      Wie schlummerst du so tief
    Mit schweigendem Behagen! --
    Sie haben mir ins Haus
    Viel duftige Blumen getragen.

      Die schwellenden Düfte wehn
    Betäubend durch die Räume;
    Es kreisen durch mein Haupt
    Die wilden Liebesträume.

      Mit reicher Blumenpracht
    Will ich dich leise schmücken;
    Wenn du’s erwachend siehst,
    Wie wird es dich beglücken!

      Die goldne Primel ins Haar,
    Daß wie ein Stern sie gleiße,
    Die dunkle Nelkenglut
    Auf deiner Schultern Weiße.

      Um deine knospende Brust
    Die kaum erblühten Rosen,
    In deine weiße Hand
    Die Lilien, die makellosen.

      O komm! Erwach’, erwach’,
    Daß ich dich heiß umfange! --
    Huscht nicht ein warmes Rot
    Über die zarte Wange?

      Die schwellenden Düfte wehn
    Betäubend durch die Räume;
    Es kreisen durch mein Haupt
    Die wilden Liebesträume.

      O komm! Erwachst du nicht
    Von meines Herzens Pochen?
    Hat meine Sehnsucht nicht
    Im Traum zu dir gesprochen?

      Ich küsse in taumelnder Lust
    Dein Antlitz, das süße, bleiche --
    Dein Lager ist ein Sarg,
    Und du bist eine Leiche. --




Am Grabe eines Freundes.


I.

    Auf deinen Sarg fällt manche Träne nieder,
    Und weher Klageruf zerreißt die Luft.
    Ich starre trocknen Auges in die Gruft;
    Kein warmer Tropfen quillt durch meine Lider.

      Ich steh betäubt, von Schmerz gelähmt die Glieder,
    Und faß es nicht, daß unter Glanz und Duft
    So holder Blumen gähnt die düstre Kluft ...
    Ich kann nicht weinen. Doch ich kehre wieder.

      Wenn ich die Menschheit jammernd höre sagen:
    „Die Besten müssen früh von hinnen gehen!“
    Dann wird zu dir mich die Erinnrung tragen;

      An deiner Gruft werd ich im Geiste stehen,
    Und von der Menschheit angsterfülltem Klagen
    Wird auch ein Hauch um diese Stätte wehen.


II.

      „Auch ich erhöbe gern auf leichten Schwingen
    Den müden Geist zu dichterischem Flug,
    Und schon seit langem streb’ ich ernst genug,
    Dir, teurer Freund, ein leidlich Lied zu singen.“

      So schriebst du einst nach qualerfülltem Ringen,
    Als nächtens nach des Schlummers mildem Trug
    Dein brennend Aug’ umsonst Verlangen trug,
    Und heute hör’ ich’s noch im Herzen klingen.

      Begnüge dich! Du trägst nach heißem Ringen
    Ins Reich der Geister ungetrübt von hinnen
    Die große Poesie der Herzensreinheit.

      Auch ich erhöbe gern auf leichten Schwingen
    Einst meinen Geist, wenn Raum und Zeit zerrinnen,
    So frei und stolz zum Frieden der All-Einheit.




An den frischen Gräbern.


    Die alten Gräber ruhen
    Verborgen unterm Laub;
    Vieljährige Tannen düstern
    Über dem alten Staub.

      Kaum weht um diese Stätten
    Wohl noch ein Klageton,
    Wo das Vergessen schweigend
    Sitzt auf ewigem Thron.

      Im kalten Winterwehen
    Hebt dorthin sich mein Fuß,
    Wo noch um die Kreuze flattert
    Ein junger Blumengruß.

      Die frische Gräberstätte!
    Ein weites, kahles Feld!
    Ein irrender Strahl der Sonne
    Den gelben Sand erhellt.

      Hier haucht die Luft noch Jammer,
    Hier schleicht noch verlassene Not,
    Und alles ist blutendes Wehe
    Und alles ist herber Tod.

      Ein reiches Blumenprangen
    Verschüttet schier den Pfad;
    Da liegen volle Rosen,
    Die schon ein Fuß zertrat.

      Wie hatt’ ich ganz vergessen
    Das Sterben, das Vergehn
    Und Lachen nur und Leben
    In liebenden Augen gesehn --

      In schmeichelnden Sommerlüften,
    Wenn golden die Sonne loht,
    In heulenden Winterstürmen:
    Wie üppig blühst du, Tod!




Rhapsodie.

    ~Fortuna, quem nimium
    fovet, sapientem faciat.~


    Als ich geboren ward,
    Rauschte der Sturm im Wald.
    Auf nachtumschatteten Schwingen
    Flog er durch nebelumgraute Weiten,
    Trug er den Tod ins blühende Land.
    Durch Tore und Gassen
    Trieb er die Wolken erstickenden Staubs
    Und warf an die Fenster
    Dürre Blätter und tote Blumen. -- -- -- -- -- -- -- --

      Als ich, geliebtes Weib,
    Einst mit fiebernder Glut dir
    Preßte die zarte Hand,
    Als ich dich bebend gefragt:
    „Liebst du mich denn?“
    Als du ans Herz mir sankst,
    Zitternd und heimlich bejahend:
    Sieh! da troff unendlicher Regen
    Aus grauer, wolkenumschleierter Höhe,
    Und wir standen in herbstdurchschauerter Nacht. -- -- -- -- -- -- --
    -- -- -- -- -- -- --

      Wenn ich sterbe dereinst,
    Mög es herrlich prangender Frühling sein!
    Mit hellstrahlendem Glanz
    Grüße durchs Fenster mich singend und klingend,
    Grüße mich jubelnd der letzte Tag!
    Neidlos sterben im Frühling,
    Wenn sich der andern Leben erneut:
    Gebt mir, Götter, die Kraft selbstvergessender Liebe!
    So nur trüg’ ich die Schuld ab,
    Die sich mir aufgewälzt,
    Als des Glückes ich friedlich genossen,
    Während viel andre gewandelt
    Einsam den Pfad der Dornen.

      Nimmer zürne dereinst,
    Von hinnen scheidend, meine Seele,
    Daß der Tag, der vielen zur Wonne glänzt,
    Mir die welkende Wange bleicht
    Und auf mein Antlitz
    Ewige Schatten des Todes legt.




Mahnung.


    Eine Sense hängt im Baum.
    Hat der Mäher sie vergessen?
    Oder wessen ist sie -- wessen? -- --
    Sah man heut den Gärtner? -- Kaum.

      Kirsche blüht und Apfelbaum.
    Aber alle Blüten schauen,
    All auf mich mit stillem Grauen --
    Jemand schleicht am Gartensaum.

      Durch den lenzerhellten Raum
    Ohne Zwitschern, ohne Singen
    Schlüpft die Amsel; ihre Schwingen
    Heben sich vom Boden kaum.

      Unser Leben Schlaf und Traum --
    Soll ich nun so bald erwachen?
    Sonne scheint und will nicht lachen.
    Eine Sense hängt im Baum.




Das eine Ziel.


    Ich war ein Kind und bat die Schickung:
    „O mach’ mich groß und stark und frei!
    Zerreiß, die mir die Seele schnüren,
    Der Kindheit Bande reiß entzwei!“

      Ich war ein Jüngling und ich flehte:
    „O Schicksal, schmiede mich zum Mann,
    Daß ich das Glück mit stärkrem Arme
    Ergreifen und umschlingen kann!“

      Ich war ein Mann und bat in Schmerzen:
    „O gib der Weisheit Ruhe mir!
    Laß mild des Abends Sonne scheinen
    Und schweigen meiner Wünsche Gier!“

      Da stand der Tod an meiner Pforte.
    „Wer“, rief ich bleich, „wer rief denn +dich+?“
    Er sprach: „Du rufst seit langen Tagen,
    Seit Kindheitstagen rufst du mich.“




Friedhof in Hannover.


    Zwei Liebende, zu kurz vereint auf Erden,
    Schloß diese Gruft mit schweren Quadern ein.
    „Niemals soll dieses Grab geöffnet werden“ --
    Ihr letzter Wille schrieb es auf den Stein.

      Ein Reislein klomm aus schmalem Spalt nach oben
    Und ward ein Reis, ein Baum, ein Riese gar;
    Der Deckel sprang, und weit zurückgeschoben
    Liegt der granitne Block schon manches Jahr.

      Das Reislein schickten +sie+ aus düstrer Zelle,
    Und ihre Sehnsucht hob des Steins Gewicht.
    Allmächtig überschritt die Felsenschwelle
    Des Menschenstaubes Heimweh nach dem Licht.




Dem Andenken meines Vaters.


    Was oft in Tagen, die in Nacht versanken,
    Mit gleicher Glut in unsern Herzen brannte,
    Was dann im Tausch verschwiegener Gedanken
    Ein froh-beredter Blick dem andern nannte,

    Aus diesen Blättern sollt’ es dich umwehn
    Mit der Erinnrung traumbeglänztem Flügel --
    Nun wird’s allein durch meine Seele gehn
    Als Geistergruß von einem stillen Hügel.




Allein im Dunkel.


    Her durch Wände und geschloßne Türen
    Schwebt ein Spiel von leisen, weichen Händen,
    Oft so zart -- ich weiß nicht: ist’s des Weltalls
    Tönend Schweigen, oder ist es Klingen?
    Ist es Klingen?

      Klang es nicht wie längst verwehtes Leben?
    Ja, es rief wie erste Kindertage,
    War wie alter Ahnen leises Rufen,
    Die noch wachen in vergeßnen Gräbern,
    In vergeßnen Gräbern.

      Meinen Enkel einst umhaucht mein Leben
    Wie ein fernes Spiel von leisen Händen --
    Hörbar kaum, wie Traum von einem Klange,
    Wird es klingen durch verschloßne Türen --
    Durch verschloßne Türen. --




VII. Vaterland und Heimat.




Deutschland.


    Deutschland, geliebte Mutter,
    Du gabst mir, was ich bin;
    Du sangst das Lied der Hoffnung
    In meinen Kindersinn,
    Und ruhig wuchs mein Wille
    Wie deiner Felsen Hang;
    Durch meines Herzens Gründe
    Ging deiner Ströme Klang.

      Wo ich nun weil’ und wandre,
    Bleib ich in deiner Haft;
    Ich trank ja deine Liebe,
    Du Land voll Morgenkraft.
    In Not und Fremde such ich
    Dein Auge groß und lind
    Und weiß, ich bin geborgen
    Wie einer Mutter Kind.

      So nimm auch, heilige Mutter,
    Nimm meine Liebe an,
    Und will der Neid dich schänden,
    O fordre, fordre dann!
    Mein Herz mit allen Wünschen
    Sei dir ein Opferbrand,
    Ruht einst nur seine Asche
    In deiner Mutterhand.




An mein Vaterland.

(1914.)


    O mein Deutschland, wie sie dich ehren!
    Sieben Völker mit ihren Heeren
    Fielen tapfer über dich her;
    Denn für sechse wär es zu schwer.

      O mein Deutschland, wie mußt du stark sein,
    Wie gesund bis ins innerste Mark sein,
    Daß sich’s keiner allein getraut,
    Daß er nach sechsen um Hilfe schaut.

      Deutschland, wie mußt du von Herzen echt sein,
    O wie strahlend hell muß dein Recht sein,
    Daß der mächtigste Heuchler dich haßt,
    Daß der Brite vor Wut erblaßt!

      Wär es zu denken, könnt’ es sich fügen,
    Deutschland, könntest du unterliegen --
    Wer einer Welt von Feinden sich stellt,
    Ist auch im Sturze der siegende Held.

      Aber du wirst sie zermalmen zu Staube,
    Die dich umschlichen zu nächtlichem Raube.
    Fege die Welt vom Truge rein,
    Laß die Unschuld geborgen sein!

      Stürz’ dich ins siebenfache Gewimmel,
    Morde den Teufel und hol’ dir vom Himmel
    Sieben Kränze des Menschentums,
    Sieben Sonnen unsterblichen Ruhms!




Gewittersegen.

(1914.)


    Mag die Welt in Wettern beben,
    Bis sie Deutschland fürchten lernte.
    Heldentod ist ewiges Leben;
    Heldensaat ist ewige Ernte.




Die singenden Helden.


    Das waren unsre Jüngsten, schier noch Knaben,
    Die stürzten sich mit Singen in die Schlacht.
    Daß sie am Todestor gesungen haben,
    Des sei, solange Deutschland lebt, gedacht.

      England, sieh her auf deiner Feindin Söhne
    Und fühl’ im Herzen deinen tiefsten Neid:
    Im Land der Lieder klingt wie Jubeltöne
    Der Söhne Sterben und der Mütter Leid.

      Du rissest sie aus ihrer Mütter Armen,
    Die edlen Knaben, jugendzart und hold;
    Du hast für keiner Mutter Sohn Erbarmen,
    England, du Spottgeburt von Gift und Gold.

      Doch sei gewiß: den Reigen der Gestirne
    Bewegt ein Sehender, der nimmt und gibt:
    Verdorren soll dein Leib, du Mammonsdirne,
    Und keinen Sohn mehr tragen, der dich liebt.

      Dich aber, Deutschland, werden Geister tragen
    Zu jedem Sieg mit unhemmbarem Schritt;
    Denn überall, wo deine Zeichen ragen,
    Dies Lied der Helden zieht im Winde mit.

      Wo immer ihr Gesang auf Purpurschwingen
    Einher vor deinen stolzen Scharen weht:
    Anheben wird ein Herz- und Schwertersingen,
    Vor dem kein Teufel dieser Welt besteht.




Das Kindergesicht

(1915.)


    +Sie zeigen im Tod ein Kindergesicht.+
    So schrieb ein Mann, der sie sterben gesehen,
    Die in die Schlacht wie zum Brautlauf gehen.
    Ich las dies Wort und vergeß es nicht.

      Das ist ein Wort wie ein Gedicht.
    Ich hör’s die deutsche Sage singen,
    Aus Strömen und Wäldern der Heimat klingen --
    Ist es das Lied von Deutschland nicht?

      Die deutsche Seele glaubt ans Recht,
    An den Sieg der Unschuld in künftigen Tagen;
    Drum wird sie von Engeln zum Siege getragen,
    Drum wird sie zur Flamme in Sturm und Gefecht.

      Da graust es dem Feinde, da starrt ihm ins Herz
    Vieltausendfach das Aug’ der Gorgone,
    Da bricht ihm das Knie vor Deutschlands Sohne;
    Des Blick ist Stein, sein Arm ist Erz.

      Sein Blick ist Stein -- bis das Auge bricht.
    Da fällt die Maske! -- O mögen sie sagen
    Von Deutschlands Helden in ewigen Tagen:
    „+Sie zeigen im Tod ein Kindergesicht.+“




Ostern 1915.


    Wieder kreischen wilde Pöbelhorden.
    Deutschland wollen sie am Kreuze morden.
    Kann dies Deutschland blutend je vergehn,
    Dritten Tages wird es auferstehn.




Der Sohn.


    Seinem Vater schuf er Zorn;
    Seiner Mutter schuf er Leiden,
    Und im Herzen wie ein Dorn
    Saß sein wildes Leben beiden.

      Hielten sie ihn an der Brust,
    War er kindlich und voll Reue.
    Schwamm er fern im Strom der Lust,
    So verpraßt’ er Pflicht und Treue.

      Und sie fügten still sich schon,
    Ihre Hoffnung auszumerzen.
    Nächtlich: „Ein verlorner Sohn --!“
    Schluchzten heimlich ihre Herzen. -- --

      „Jene Brücke wird gesprengt!“
    Die es tun, sind Toderkorne.
    Stürmisch aus den Reihen drängt
    Hellen Augs sich der Verlorne.

      Und die Kunde kam nach Haus:
    „Als ein Held ist er gefallen.
    Dieses Sieges Rosenstrauß,
    Er hat ihn gepflückt vor allen!“ --

      Lächelnd sprach der Vater: „Sieh,
    Wieder ist er uns gegeben.
    Was er lebte, das war nie!
    Dieser Tod ist nun sein Leben.“




Das Gold dem Vaterlande.


I.

    Dein Bruder gibt sein Blut. Willst du dein Gold nicht geben?
    Behalt’s: so ist es tot. Gib’s hin: so wird es leben!


II.

    Ringsum ist Kampf und Not. Ringsum ist bittres Muß.
    Freiwillig gib dein Gold: du gibst vom Überfluß.


III.

    Bist du so undankbar, an deinem Gold zu kleben?
    Du gibst es nur zurück; dein Land hat dir’s gegeben.


IV.

    Verflucht ist alles Gold, das du mit Inbrunst liebst.
    Zum Segen wird der Fluch, wenn du’s dem Ganzen gibst.




Was denkt der Schuft?

(1916.)


    Es zogen Sechzigjährige hinaus
    Und trugen, jung gestrafft, des Kriegs Beschwerde.
    Die hart verdiente Ruh’ verschmähten sie
    Und lösten sich vom liebgewohnten Herde.
    Sie dachten: Unser Leben blüht von vorn! --
      Was denkt der Schuft?
      Er denkt: Wie wuchre ich mit meinem Korn?

    Es stürmten Sechzehnjährige zum Kampf
    Und dachten nicht, im Mutterarm zu warten.
    Ein ganzes Leben -- ihnen galt’s so viel,
    Um Breschen auszufüllen oder Scharten.
    Sie dachten: Wer vorm Feinde fällt, stirbt nie! --
      Was denkt der Schuft?
      Er denkt: Wie hoch verschachre ich mein Vieh?

    Und Mütter setzten in das grause Spiel
    Drei Söhne, vier und mehr, so viel sie hatten;
    Sie zahlten in den Schatz des Vaterlands
    Mit Kindesblut und mit dem Blut der Gatten.
    Sie dachten: Siegt mein Volk, so lohnt der Kauf!
      Was denkt der Schuft?
      Er denkt: Wie treib ich meinen Zins hinauf?

    Und kommen wird der Tag, da Blumen blühn
    Aus jedem Grab, in das ein Glück versank,
    Und kommen wird der Tag, da Ähren stehn
    Auf jedem Grund, der Blut und Tränen trank,
    Und Deutschland preist sein eisernes Geschick!
      Was denkt der Schuft?
      Er denkt nicht mehr; er hängt, will’s Gott, am Strick.




Unsere gefangenen Brüder.

(1919.)


    Sie rufen euch! Hört ihr’s? Sie rufen euch!
    Die Frankreichs Niedertracht, die Englands Roheit
    In Ketten hält, aus Hunger, Gram und Schmach
    Her gellt ihr Schrei:
    „Ist Deutschland wirklich tot?
    Lebt keine deutsche Seele mehr, kein Herz,
    Das unser Elend fühlt und seine Schande?
    Wir hören: Deutschland tanzt! Doch das ist Lüge,
    Muß Lüge sein. Das Volk, von dem wir schieden,
    Als wir zu Felde zogen, das war groß,
    Und Unglück macht die Großen doch nur größer!
    Nein, nein, das ist gewiß: Unzähl’ge Hände
    Im heil’gen Vaterlande regen sich,
    Uns zu befrein! Was einen Stein erbarmt,
    Was ein Franzos’ ersinnt, ein Brite tut,
    Das muß dem niedrigsten der Erdenkinder
    Das Eingeweid’ aufwühlen -- wie nicht sollt es
    In Flammen setzen unsrer Brüder Herzen?!
    O macht uns frei! Von Tag zu Tag, von Stunde
    Zu Stunde, von Minute zu Minute
    Erharren wir, erhoffen wir, ersehnen,
    Erflehen wir die Freiheit! Ach, wann helft ihr?
    Wir möchten unsre Kinder wiedersehen
    Und unsere Weiber, Mütter -- unsre Lieben!
    Wann wird das sein? Ob’s morgen ist? Ob heute?“

      So rufen sie! Hört ihr es nicht? Sie rufen!
    Was gebt zur Antwort ihr? Antwortet ihnen:
    „+Wir sind am Werk!+ Wir rasten nicht noch ruhn,
    Euch zu befrein. Und zögert das Gelingen,
    So habt Geduld und nehmt euch dies zum Trost:
    Mit jedem Tag, der euch in Tränen aufgeht,
    Wächst unsre Lieb zu euch, wächst euer Lohn!
    Mit jedem Tag, den ihr in Gram verhaucht,
    Wächst Deutschland aus der Nacht, wächst Deutschlands Kraft!
    Mit jedem Tag, den ihr im Grimm verflucht,
    Wächst schrecklich die Verdammnis eurer Henker!
    Auf seinem Weltenthrone sitzt noch immer,
    Gewärtig und gerecht, der Weltenrichter.
    Am Tage des Gerichtes sollt ihr kommen
    Und in die schwere Schale ihrer Schuld
    Die Zeiten eures bittren Jammers legen,
    Nicht Tag für Tag, nicht Stund’ für Stunde, nicht
    Minute für Minute, nein! Ihr sollt
    Sekunde für Sekunde wiederzahlen
    All eure Pein, auf daß die bleichen Schelme
    Tropfen für Tropfen würgen an dem Gift,
    Das sie dem Unglück fühllos eingetränkt.
    So schwer’s auch falle, faßt euch in Geduld!
    Es kommt ein Lenz und mit ihm Deutschlands Tag.
    Es kommt ein Tag erlösenden Gewitters,
    Der Deutschlands Fluren segnet mit Gedeihn
    Und seiner Feinde geile Saat zerschlägt.
    Je höh’r die Schuld, je näher die Vergeltung!

      Acht Worte sind’s, in diese beißt die Zähne:
    +Je höh’r die Schuld, je näher die Vergeltung!+“




An jeden Deutschen.


    Das grab dir, Deutscher, tief ins Herz:
    Kein Fremder fragt nach deinem Schmerz.
    Auf andre bau’n macht dich zum Spott.
    Hilf du dir selbst, so hilft dir Gott.




Das Notwendigste.


    Mein hart geprüftes Volk, verzage nicht!
    In jeder Nacht wird dir ein Stern entbrennen,
    Reicht nur dein eigner Genius dir das Licht,
    In Ehrfurcht deine Genien zu erkennen.




1922.


    So war es einst: Vom Neid umkreist,
    Stand Deutschland stolz in Stein und Erz!
    Nur war im Erz zu wenig Geist,
    Nur war im Stein zu wenig Herz.

      So ist es jetzt: Geschrei und Zank,
    Und Leib und Seele darbt und friert.
    Das Vaterland zum Tode krank,
    Und Torenweisheit triumphiert.

      So soll es sein: Ein fröhlich Mühn
    In Hoffnung, Zucht und Redlichkeit.
    Dann wird’s aus Trümmern wieder blühn;
    Nur neue Tat schafft neue Zeit!




Lied der Deutschen.


    Wir waren noch im Unglück groß;
    Uns barg Germanias Mutterschoß.
    Da kam die Lüge, der Verrat,
    Da kam des Teufels schlimmste Tat:
    Verrat hat uns zerbrochen.

      Er nahm die Freiheit, nahm das Brot,
    Er gab uns Leib- und Seelennot,
    Er gab das heilige Vaterland
    In schamvergessner Würger Hand.
    Wir wollen deß gedenken.

      Für’s neue Glück die neue Saat,
    Wie nennt sie sich? Sie nennt sich: +Tat!+
    Hier schwören wir aufs Fahnentuch:
    Den treffe seiner Kinder Fluch,
    Der jetzt noch faul und feige!

      Und nun empor den Blick gewandt!
    Der uns das tiefste Leid gesandt,
    Er ließ uns eines noch: die Kraft,
    Die hoch die alte Fahne rafft
    Und sie nicht läßt im Sterben.




Schleswig-Holstein.


    Aus meiner Kindheit Träumen blüht ein Land
    Der sanften Hügel, drinnen Helden schlafen,
    Der goldnen Felder, die ins Blau des Himmels
    Hinüberflimmern wie ein früher Traum,
    Der stillen Ströme, die, dem Meer verwandt,
    Mit ernstem Schweigen breite Schiffe tragen,
    Ein Land der weiten, saftgetränkten Triften,
    Wo schwere Rinder durch den Nebel brüllen,
    Ein Land, wo See’n und Wälder sich umarmen
    In selig-stummem Anschau’n ihrer Prächte,
    Ein Land, wo zwischen Dorn und wilden Rosen
    Die Vögel sich mit Singen bau’n ihr Glück.

      Aus meiner Kindheit Tagen glänzt ein Land
    Der sanften Frau’n, die ohne Falschheit lächeln,
    Die bei der Arbeit singen, weil ihr Herz
    Des Himmels hellem Auge offen liegt,
    Der Frauen, die sich leicht im Tanze schmiegen
    Und starke, wangenrote Kinder nähren,
    Die Gudrun gleich in graue Fernen harren,
    Im Blick der Treue unbewegte Glut,
    Bis der Ersehnte kehrt aus Kampf und Not.

      Aus meiner Kindheit Tagen strahlt ein Land
    Der ernsten Männer hinter Pflug und Amboß.
    Sie reden wenig und sie lachen selten
    Und singen kaum; allein sie träumen viel.
    Sie blicken zweifelnd auf, wenn von Verrat sie
    Und Falschheit hören, und sie fassen’s kaum.
    Denn ohne Arglist suchen sie das Glück
    In eigner Kraft und nicht in fremdem Weh.
    Ihr Gang ist aufrecht; ihre Brust ist breit,
    Sanft strahlt das Auge unter freier Stirn.
    Nicht laut ist ihre Kraft, nicht rauh und wild;
    Doch wer sie je verkannte, hat’s gebüßt.
    Von Schwert und Axt und Morgenstern erklingt
    Des Lands Geschichte und von Männern, die
    Wie Mauern standen. Nimmer reichte weiter
    Des Manns Geduld als seines Herzens Stolz.

      Ihr kennt dies Land, ihr schaut ihm in die Augen,
    Wenn ihr ins Antlitz eurer Kinder blickt:
    In seine jungen, hoffnungshellen Augen.
    Dies Land, dies flutumbrauste, sei ein Leuchtturm,
    Dem jeder deutsche Schiffer froh vertraut. --
    Halt aus in Nacht und Not, mein Land, mein Licht!




Holsteinische Abendlandschaft.


    Unschuld lugt aus dem Hain, und Freude spielt um die Hecken;
    Heim in sonniger Ruh wandelt der redliche Fleiß.
    Dir, solange sie klingt, erheb ich die funkelnde Schale
    Dankbar kindlichen Blicks, Heimat, du heiliges Land!
    Tausend Bereiche der Welt sind sonniger, stolzer, erhabner;
    Aber aus deinem Gefild singt mir ein kindliches Herz.




Deutsche Weihnacht.

(~Dies natalis invicti.~)


    Weihnachten, Tag der Hoffnung, bist du da?
    Du stiller Tag, da früh die Sonne sinkt?
    Allein durch Nebel lacht sie rötlich schon
    Erlösung uns aus langer Wintersnot.

      Herbei, ihr Glaubenden, ihr Wartenden,
    Ihr Helden, die Verrat zu Boden warf,
    Ihr Nackten, die verruchte Gier entblößt,
    Herbei! Ist auch noch fern der Ernte Fest,
    So sollt ihr doch das Fest der Hoffnung feiern.
    Vergeßt auf wenige Minuten nur
    Den Gram, die Sorge; holt ein Zweiglein euch
    Vom immergrünen Tannenbaum herbei
    Und richtet’s auf im roten Abendlicht,
    Und labt an seinem Grün den müden Blick:
    Denn wißt, daß in der Tanne unsere
    Altvordern schon das Bild des Frühlings sahn!
    Die schwanken Zweige raunten leise Kunde,
    Daß nicht vergangen sei der Erde Grün
    Für immerdar; nein, leuchten werde bald
    Der Anger wieder in verjüngter Pracht,
    Der Wald ein neues Lied des Lebens rauschen
    Und reich die Ähre schwanken auf dem Halm.

      Wenn nun die heil’ge Nacht gekommen war,
    Da sich das Glück der dunklen Mächte wendet
    Und seine goldnen Pfeile prüft das Licht,
    Da, unbesiegt von Sturm- und Wolkenschauern,
    Die Sonne neu beginnt den frohen Lauf --,
    Dann ließen sie auf einer starken Achse
    Ein riesengroßes Rad sich drehn, nachdem sie
    Zuvor des Rades Kranz in Brand gesteckt.
    Da griff der Sturmwind in die Flammenspeichen
    Und trieb es um mit Prasseln und mit Sausen
    In rasend wildem Schwung, daß weit umher
    Durchs Grau’n der Nacht ein goldner Regen fiel.
    So war das Flammenrad ein Bild der Sonne,
    Der unbezwungnen, großen Lebensmutter,
    Die rüstiges Vertrauen nie betrog,
    Und so begingen sie mit Hoffnungsjubel
    Das „Auferstehungsfest der Unbesiegten“. --

      Herbei, ihr Knechte denn und Bettler all,
    Ihr Wartenden, ihr Horchenden, herbei,
    Vereint euch brüderlich am kalten Herd
    Und feiert eurer stillen Hoffnung Fest.
    Laßt einmal nur die Last des Kummers sinken,
    Liebkost den frischen, duft’gen Tannenzweig
    Und glaubt mit brünstigem, bewegtem Herzen,
    Daß einst die Flur der Heimat neu ergrünt.
    Erhebt die Herzen durch ein starkes Wort,
    Und sprecht ihr dann vom großen Kampf, der kommt:
    Gewiß, daß eurem innern Blick erscheint
    Das Rad der Zeit, von flammenden Gedanken,
    Vom Sturme der Begeisterung beschwingt,
    Die’s treibt und treibt, daß goldne Funken sprühn.
    Dann sollt ihr an die goldne Sonne denken,
    Die ihr ersehnt und die gewiß einmal
    In heil’ger Morgenröte kommen wird ...
    Und sollt im leisen Lächeln dieser Stunde,
    Im stumm-beredten Druck der Hand begehn
    +Das Auferstehungsfest der Unbesiegten+.




VIII. Kunst und Dichter.




Der Ruf.


    Schon trat aus ferner, tannendunkler Pforte
    Der Schlaf hervor.
    Schon raunte mir die ersten, leisen Worte
    Der Traum ins Ohr.
    Da klang von nahen Zweigen
    Ein tiefer Freudenschall,
    Und klang getrost und stark durch Nacht und Schweigen.
    In meinen Traum sang eine Nachtigall.

      Ich ritt durch flimmerdunkle Waldesräume
    Im Traum, im Traum.
    Nur fern, o fern, durch mitternächt’ge Bäume
    Ein lichter Saum.
    Doch horch: von jenen Röten
    Ein süß geheimer Hall,
    Ein weiches, tiefes, morgenstilles Flöten!
    In meinen Traum sang eine Nachtigall.

      Nun weiß ich auch, daß mir dieselbe Stimme
    Von je erklang
    Und mir das Herz in Kampf und Leidensgrimme
    Voll Hoffnung sang.
    Ein Land des Lichtes träumen
    Wir armen Seelen all!
    Ich aber höre Klang aus jenen Räumen:
    In meinen Traum singt eine Nachtigall.




Wintermärchen.


    Auf dem Baum vor meinem Fenster
    Saß im rauhen Winterhauch
    Eine Drossel, und ich fragte:
    „Warum wanderst du nicht auch?

      Warum bleibst du, wenn die Stürme
    Brausen über Flur und Feld,
    Da dir winkt im fernen Süden
    Eine sonnenschöne Welt?“

      Antwort gab sie leisen Tones:
    „Weil ich nicht wie andre bin,
    Die mit Zeiten und Geschicken
    Wechseln ihren leichten Sinn.

      Die da wandern nach der Sonne
    Ruhelos von Land zu Land,
    Haben nie das stille Leuchten
    In der eignen Brust gekannt.

      Mir erglüht’s mit ewigem Strahle
    -- Ob auch Nacht auf Erden zieht --,
    Sing ich unter Flockenschauern
    Einsam ein erträumtes Lied.

      Dir auch leuchtet hell das Auge;
    Deine Wange zwar ist bleich;
    Doch es schaut dein Blick nach innen
    In das ewige Sonnenreich.

      Laß uns hier gemeinsam wohnen,
    Und ein Lied von Zeit zu Zeit
    Singen wir von dürrem Aste
    Jenem Glanz der Ewigkeit.“




Schiller.


    In einer großen Stadt, wo ich gewohnt,
    In einem volk- und häuserreichen Viertel,
    Sah ich aus meiner Kammer unterm Dach
    In das Gewirr der Steine oft und lang.
    Schier unabsehbar lagen vor mir da
    Kamine, Mauern, Dächer und Mansarden,
    Ein wirres Auf und Ab und Durcheinander,
    Ein steinern Meer, im Wellenspiel erstarrt.
    Und aus den Schlünden dieses Meeres drang
    Des Alltags Raserei in Lust und Angst:
    Des Hungers Seufzen und Gebrüll des Rausches,
    Der Schrei der Gier, der Kindheit Morgenlachen,
    Der Arbeit Hämmern und des Tanzes Spiel.

      Und immer, immer, wenn ich Sinn und Seele
    An diesem Brei von Dunst und Lärm ersättigt,
    Schlich glücksgewiß und still mein Blick zur Seite,
    Wo sich ein Wunder groß und ernst erhob.
    Da, dicht umwühlt von Essen, Erkern, Giebeln,
    Und ganz doch unberührt von ihrem Schwall,
    Ein ewig strömender Gesang von Stein,
    Stieg eines Domes Turm zu Himmelshöhn.
    In breiten Massen wuchtig aufgeschichtet,
    Schwang er doch leicht sich auf ins reine Blau.
    Es überschlug der Blick sich, der ihn maß,
    Und sank nach innen, schauernden Entzückens;
    Denn seine herrlich ragende Gewalt
    Umfloß der Schönheit ruhiges Gewand.
    Von Zeit zu Zeit erdröhnte dumpf erhallend
    Der Glocken tiefer Ton -- dann drang ein Zittern
    Bis in der Häuser, in der Herzen Grund,
    Und wohl durch manche Seele, manches Haus
    Ging Wunsch und Hoffnung, groß und rein zu sein.
    Und klang am Feierabend gar ein Lied
    Vom Turm herab, dann quoll’s wie Rosenwolken
    Durch allen Gassendunst, ein Duft von Frieden
    Durchdrang den Lärm, und hoch an rauchgeschwärzten
    Gemäuern hing ein stiller Abendglanz
    Wie herbstlich rotes Weinlaub ...
                                      Aber auch
    Wenn er geheimnisvoll und schweigend stand,
    Wie ewige Gedanken überdenkend,
    Stieg mancher Blick empor an seinen Zinnen,
    Empor in eine ahnungsreiche Welt.

      Ja, auch die nie durch seine Pforte schritten,
    Die ihn nur ragen sahn aus ferner Gasse --
    Sie sahn ihn mit Bewunderung, mit Andacht,
    Ja ja, sie liebten ihn aus dunklem Drang
    Und wandten gern zu ihm den müden Blick --

      Denn daß er groß war, das war Trost und Glück.
    Daß er aus Qual und Qualm und Last und Lärm
    Erhaben sich und schönheitsmild erhob,
    Das war Befreiung aus bedrängtem Leid.
    Daß er aus allen Engen sich entriß,
    Das war Erlösung.
                      Und die Zweifler selbst,
    Die Hoffnungslosen schauten milden Blicks
    Auf diesen Weiser nach dem beßren Land.

      Schon mehr als hundert Jahre stand der Turm,
    Und ragen wird er durch Jahrhunderte
    In ferne Zukunft. Und aus Tür und Fenster
    In Hütte und Palast wird manch ein Antlitz
    Sich neigen und dies Mal der Hoffnung suchen,
    Und manche Seele wird an ihm empor
    In unsrer Sehnsucht Heimatland entschweben.




Goethe und Tasso[2].


    So wird sich wieder denn der Vorhang heben
    Vor Belriguardos lorbeerstillen Gärten,
    Wo zarte Fraun Gedankenkränze winden
    Und alle Schönheit ahndevoll umfangen,
    Ein edler Fürst die Kunst beschützt, weil er
    Nicht Regeln ihr, nein, Recht und Freiheit gibt,
    Nicht Ketten, sondern Flügel ihr verleiht,
    Und wo in Sonnenglanz und Myrtendüften
    Torquato Tassos traurige Geschichte
    Sich zuträgt, der mit traumgeschwellten Segeln
    Gescheitert einst am starren Fels des Lebens --
    Um ihn in höchster Not doch zu umklammern.

      Des unglücksel’gen Sängers Schicksal hat
    Ein glücklicherer Genius uns gesungen.
    Und war er glücklicher? Nahm ihm das Schicksal
    Nicht nur die äußre Bürde von den Schultern,
    Daß tiefer er den innren Schmerz empfinde?
    O glaubt: er hat das eigne Leid gesungen
    In Tassos Schmerzen! Ach, in süßen Worten
    Hat laue Kälte ihn, wie oft, gekränkt,
    Gefrorner Neid mit scharfen Eisesnadeln
    Sein Herz verletzt wie oft! Doch Qual vor allem
    Ist gottgeborner Seelen tiefster Drang:
    Der Dichtung Traum dem Leben zu versöhnen!
    Ach, all ihr Leben ist ein schmerzlich Fragen:
    Warum ward unter Seligen ich geboren,
    Wenn unter Menschen ich mein Leben lang
    Die Heimat suchen soll? --

                                Allein er suchte
    Und suchte mit dem treusten Menschenherzen
    Geruhige Wohnstatt unter seinen Brüdern.
    Denn Mensch war er, und unter Menschen wollt er
    In Liebe wohnen. Und im Angesichte,
    Im ungeheuren Rätselangesichte
    Des Lebens forscht’ er Tag für Tag und Stunde
    Für Stunde. Und war seelentief beglückt,
    Wenn aus des Lebens dunklem Auge ihn
    Ein heimlich, heilig Wissen überdrang.
    Da weckte solch ein Licht in seinem Busen
    Das große Feuer seines Herzens auf,
    Und seine Kunst, in goldnen Flammen sang sie
    Ein selig Wissen uns vom harten Leben.
    Ja, glücklich war er! Seine Stirn berührte
    Das Heldenglück des Lebensüberwinders --
    Das Glück, das einst Ferraras armer Sänger
    Mit irrem Flügelschlag umsonst gesucht.

      Und wir, vereint in seinem großen Namen,
    O suchten wir ein gleiches Glück und fänden’s!
    Noch fliehen irrend Leben sich und Lied.
    Des Lebens Helle suchte einst die Kunst
    Und zagte feigen Blicks vor seinen Nächten --
    In seines Dunkels Schrecken drang sie vor
    Und haßte lichtvergeßnen Aug’s die Sonne --
    Vergessen und verloren hatte sie
    Das Werk des großen Schöpfers aller Dinge,
    Das Lied des Weltendichters: Tag und Nacht.
    Und da sie’s endlich wiederfindet, jubelnd
    Die Arme breitet nach des Lebens Fülle --
    Verwehrt sich ihr das Leben streng und kalt.
    Nicht will’s mit ihr des Lorbeers Schatten teilen,
    Den trauten Namen „Freundin“ ihr nicht gönnen,
    Wehrt ihr den Thron, den ihr Natur errichtet
    Zur Seite des Gedankens und der Sitte,
    Und spricht voll Hochmut dröhnende Gesetze:
    „Du sollst!“ und „Du sollst nicht! Weil mir’s beliebt!“
    Ach, nicht von edler Frauen roter Lippe,
    Nein, von des Eifrers zorngesträubtem Munde,
    Von Pharisäer- und Pedantenlippen
    Gellt nun der Ruf: „Erlaubt ist, was sich ziemt!“

      Versöhnung unser Werk! Es kam der Frühling;
    Goldregen hängt herab aus leichten Lüften,
    Und aus der Tiefe steigt die Lilie auf,
    Demselben Schoße beide sie entsprungen.
    Oh, daß dereinst in einem neuen Frühling
    Entgegenwüchsen Leben sich und Lied,
    In Mutterarmen der Natur versöhnt!
    Wohl käme dann auch Tassos „goldne Zeit“!
    Am Zeitenstrom hinwandelten sie beide,
    Die Kunst, das Leben, Aug’ in Aug’ versunken
    Im starken Frieden spät erkannter Liebe.
    Nicht mehr begehrte eines, was das andre
    Nicht willig aus verwandtem Trieb gewährt.
    So führend wie geführt, frohlockten beide
    Dem lichtumkränzten Ziel der Ströme zu,
    Und im Geriesel warmer Sonnenfluten
    Und im verborgnen Silberklang der Quellen,
    Im rauschenden Gesang aus Busch und Bäumen
    Bewegte das Erlösungswort die Welt,
    Das selige Wort: „+Erlaubt ist, was gefällt!+“


  [2] Als Prolog gesprochen bei einer Tasso-Aufführung in Hamburg.




Hebbel der Nibelungendichter.

Prolog zu einer Nibelungen-Aufführung.


    Von Siegfried tönt ein hoher Klang.
    Ein Siegfried war es, der ihn sang.

      Von Friedrich Hebbeln heb ich an,
    Der war ein stolzer Knab und Mann.

      Den nackten Stecken in der Hand,
    Zog er allein durchs deutsche Land

      Und schaut’ nach starken Schmieden aus
    Und fand die rechten bald heraus

      Und übt’ in Feuers Licht und Brunst
    Bei großen Meistern seine Kunst.

      Er schlug, daß hell die Welt erklang
    Und Splitter rings und Funke sprang,

      Und schmiedet’ sich ein funkelnd Schwert,
    Das macht’ ihn tausend Ritter wert.

      Er zwang die Riesen Not und Leid,
    Wusch sich im Blut des Drachen Neid,

      Gewann das Kleid Unsterblichkeit
    Und deutsche Kunst, die Sternenmaid.

      Wie früh sein irdisch Auge brach!
    Der Tod ihn hinterrücks erstach.

      Doch ruht auf deutscher Seelen Grund
    Des werten Helden goldner Fund

      Und strahlt in Tag und Nacht hinein
    Mit tiefer Glut und klarem Schein.

      Der ihn errang, lebt ewig-jung
    Wie Siegfried lebt, der Nibelung.




Elise Lensing[3].


    An einen armen Dichter denk ich heute,
    Der eines nebligen Novembertags
    Von Hamburg mit der Post gen Norden fuhr.
    In Kiel ward Rast gemacht. Die Passagiere,
    Nach wohl durchrüttelter, durchfrorner Nacht
    Der nahen Labung froh, entstürzten fröhlich
    Dem Wagen, riefen nach dem Wirt und heischten
    Ein gastlich Zimmer und ein dampfend Mahl.
    Nur Friedrich Hebbel schwieg. Die Barschaft reichte
    Zu einem warmen Trunke kaum. Gegessen
    Hatt’ er am Abend und am Morgen nicht;
    Auch jetzt entschlug er rechnend sich des Mahls.
    Er hatte seinen Deutschen erst die „Judith“
    Geschenkt, darum auch war es ihm versagt,
    Ein Zimmer zu bezahlen. Unter Knechten,
    Fuhrleuten, die sich lärmend unterhielten,
    Saß er im Postkontor und schrieb ein Brieflein.
    Er schrieb: „Als ich Dich gestern nun verlassen,
    Als ich im Wagen saß, schloß ich die Augen
    Und öffnete sie eher nicht, als bis
    Die Tore Hamburgs wir im Rücken hatten.
    Nichts sollte mir Dein liebes Bild verdrängen
    Ich wollt es mit mir nehmen in die Nacht,
    Und sieh, in Traum und Schlummer dieser Stunden
    Wie viel hab’ ich an Dich gedacht, Elise.“

      Du Liebesmacht des Weibes, sei gesegnet
    In Ewigkeit. Blickt hin auf die Geschichte
    Erhabner Geister, die im Kampf bestanden:
    Wie oft blüht neben ihrem lauten Ruhme
    Nicht eines edlen Weibes stiller Ruhm.
    Denn eines Weibes Liebe, merkt es wohl,
    Ist ganz so stark wie eine Welt voll Haß.
    „Männer gebären soll das Weib, nicht Männer morden“,
    So klingt ein mächtig Wort in dieser „Judith“.
    Ich aber weiß ein Höhres noch dem Weibe:
    In Not und Nacht uns Männer zu erhalten.
    So lang der Name Friedrich Hebbel leuchtet --
    Und strahlen wird er durch Jahrhunderte --
    So lange werden neben ihm erglänzen
    Wie stille Flammen, die im Sturm nicht beben,
    Zwei Namen auch: Elise und Christine.
    Zweimal war er dem Untergange nah,
    Und zweimal hat ihn eines Weibes Liebe
    Uns neu geschenkt. Christine und Elise!
    Ihr gabt so viel uns, wie der Dichter gab,
    Ihr gabt uns Hebbeln. Und ihr lebt wie er!
    Noch freut Christine sich des Sonnenlichts,
    Die edle Frau, um deren hohe Scheitel
    Ein jubelnd Volk des Dankes Lorbeer schlingt.
    Seit vielen Jahren aber schläft Elise
    Den traumlos tiefen Schlaf. Oh, kämen Träume
    In diesem Schlaf, gewiß umschwebte sie
    Das Bild des Helden, den sie so geliebt,
    Wie einst ihr Bild ihm in die Nacht gefolgt.
    Allein, wie tief und fest dein Schlummer sei,
    Unsterblich ist, was wahrhaft einst gelebt:
    So wacht in treuen Herzen deine Treue.
    Ja, +deine+ Treue, +deine+ Liebe ist’s,
    Die zum Gedächtnis dir ein Mal errichtet,
    Und was des Steines Inschrift immer sei,
    Vom Feuer +deines+ Herzens wird er klingen
    Und rufen in die haßerfüllte Welt:
    Durch Liebe lebt, was groß und köstlich ist!


  [3] Als Prolog gesprochen bei einer Judith-Aufführung zum Besten
      eines Elise Lensing-Denkmals in Hamburg.




Der Gekrönte.


    Von eines kunstgeweihten Tempels Stufen
    Stieg er herab: der Sieger im Gesang.
    Im abendlichen Dunkel dicht gedrängt,
    In langen Reihen harrte sein die Menge.
    Wohin er lächelnd schritt, da brandete,
    Brausend im Anprall die Begeisterung;
    Der Fackeln Glut umflog die hohe Stirn
    Ganz wie das düstre Flackerlicht des Ruhms.
    Und mit ihm ging die Woge ihres Zurufs
    Und trug ihn wie auf holdbewegter Flut.
    Erstiegen war der Gipfel -- und vergessen
    War das verschwiegene Elend langer Jahre,
    Sein nie belohntes Ringen um den Preis,
    Der Massen Stumpfsinn, Niedertracht und Hohn.
    Des Volkes Gunst erhob ihn über alle
    Und trug ihn nun gewiß zum sichren Hafen.

      Und wie er dankend, lächelnd schritt dahin,
    Hört’ er Gelächter neben sich -- Gelächter ...
    Hört’ er dergleichen nicht in frühern Tagen?
    Und einen Mann erblickt’ er bald, bedrängt
    Von einer Schar von Spöttern. Und sie riefen:
    „He, Freundchen, schau: so sieht ein Dichter aus!
    Betracht ihn recht! Allein, wie ist mir denn?
    Du bist ja +auch+ ein ‚Dichter‘! Wenigstens
    Glaubst du es selbst! Ja, willst du denn dem Sieger
    Nicht deinen Gruß entbieten? Nicht die Hand
    Ihm reichen als -- Kollege? Hahahaaa!“
    Und lauter scholl das Lachen.
                                  Der Geschmähte
    Sah fern ins Dunkel, bleich bis in die Lippen;
    Die Seele war noch jung genug zum Schmerz.

      Der Sieger kannte nicht den so Verhöhnten,
    Nicht seines Liedes Kraft. Allein er kannte
    Vortrefflich Stimm’ und Antlitz jener Edlen.
    Das waren ganz dieselben breiten Fratzen,
    Die in den Morgen seines jungen Glaubens
    Hineingegrinst, dieselben Stimmen waren’s,
    Die ihm das reine, adlerfrohe Herz
    Mit Geifer überströmt. Der Pöbel war es,
    Der ungeheure, der nicht Götter hat,
    Nein Götzen nur, Idole, selbstgemachte,
    Und der nach vornen nicht kann beten, ohne
    Mit Eselshufen hinten auszuschlagen.
    Der Seele Gleichgewicht verlangt es so.
    Und sah er überall nicht gleiche Züge?
    Auch hier -- und hier? Und solch Gesindel pries ihn
    Und hob ihn jauchzend himmelhoch empor --

      Da griff in des Gekrönten Herz das Heimweh
    Nach seines Kummers reinen, stolzen Tagen,
    Heimweh nach tiefer Nächte heiligen Schatten,
    Nach ihrer Stimmen, ihrer Sterne Gruß;
    Heimweh nach seines Glaubens Morgenröten,
    Nach hohen Festen seiner Einsamkeit,
    Nach jener Jünglingsträne, die nicht fließt,
    Weil sie des Auges Glut zu rasch verzehrt,
    Heimweh nach bittrem Jubel, trotziger Lust,
    Nach reicher Not und königlicher Schmach.
    Und Heimweh zog sein Herz zu seinen Brüdern,
    Die er verlassen, die in Staub und Hunger,
    Verhöhnt, verfolgt, in dunkler Tiefe keuchten,
    Indessen er auf freier Höhe stand ...

      Ausstreckt’ er weit die Hand, daß der Verhöhnte
    Sie jäh ergriff mit dankbewegter Hast. -- --

      Wem hohe Kraft die Schöpferseele füllt
    -- Trägt auch der Menge Gunst ihn bis ans Ende --
    An seiner Frühe Leiden hängt sein Herz;
    Bei den Verschmähten ist sein Heimatland.




Glosse.

    Im Fleiß kann dich die Biene meistern,
    In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein;
    Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern;
    Die Kunst, o Mensch, hast du allein.

    Schiller.


    Du rühmst, o Mensch, der Arbeit dich, der harten.
    Tritt in den sommerlichen Tag hinaus!
    Ein emsig Völklein wirkt in deinem Garten
    Von früh bis spät mit ewigem Ein und Aus.
    Ein Schwarm von nimmermüden Segensgeistern!
    +Im Fleiß kann dich die Biene meistern.+

    Bestaunst du deiner Hände Werk so gerne,
    Wenn zierlich dir’s und anmutvoll gelang?
    Geh hin zum stillen Seidenwurm und lerne:
    Ein Fädchen spinne du so zart, so lang!
    Es kann, und spinnt dein Finger noch so fein,
    +In der Geschicklichkeit ein Wurm dein Lehrer sein+.

    Jedoch dein Geist: was hat er nicht ersonnen!
    Strömt Weisheit nicht aus deiner Stimme Schall?
    Allein -- hat er das letzte Ziel gewonnen?
    Und atmet nicht ein Gott im weiten All?
    Kannst du das Weltenrätsel je bemeistern?
    +Dein Wissen teilest du mit vorgezognen Geistern.+

    So bei mir denkend, bin ich trüb gewandelt
    Durch Nacht und Tag. Und brennende Begier
    Nach jenem Geiste, der +allwissend handelt+,
    Verzehrte meine durstige Seele schier.
    Da rührte mich sein Hauch -- ein Lied ward mein:
    +Die Kunst, o Mensch, hast du allein!+




Die Künstler.


    Denen, die der Wüste Sand durchschreiten,
    Denen, die das wilde Meer befahren,
    Wenn Verzagen ihren Geist umdunkelt,
    Hilft die wundertät’ge Fee Morgana.

      Aus den Wellen, aus dem Sand erhebt sie
    Palmengrüne Küsten und Oasen,
    Hohe Säulentempel, die der Osten
    Überspinnt mit wunderbarem Lichte. --

      Unsrer Wüstenwandrung winkt ein Eden,
    Unsrer Meerfahrt solch ein selig Eiland.
    Jene schauen’s, die das Ruder lenken,
    Die voran dem Wüstenzuge reiten.

      Schauen’s nicht in seiner wahren Schönheit;
    Zitternd nur in ferner Luft begegnet
    Ihrem Blick das Trugbild der Morgana --
    Und ihr Auge glüht in Seherflammen.

      Und den wild verzweifelnden Genossen,
    Die, am Boden schmachtend, sich verfluchen,
    Künden sie mit schauerndem Erstaunen
    Alle Wonnen der beglückten Ferne.

      Seltsam strömt’s von den beredten Lippen,
    Und in nie gehörten, heiligen Lauten
    Singen in prophetischer Begeistrung
    Sie der Menschheit kommende Vollendung.

      Wer die Seher sind? Wie oft, o Seele,
    Rafftest du dich auf zu neuer Wandrung,
    Wenn in seligen Tönen und Gestalten
    Ihre Hoffnung sprach vom Paradiese! --

      Denen, die des Lebens Meer befahren,
    Die des Daseins Wüstensand durchschreiten,
    Wenn Verzagen ihren Geist umdunkelt,
    Hilft die wundertät’ge Fee Morgana.




IX. Gott und Gedanke.




Gesegnete Wandrung.


    In fernes Licht hinein
    Schreit’ ich schon lange, lange;
    Um graue Trümmer hängt’s
    An jenem Felsenhange.

      Um Sagentore blühn
    Die abendroten Ranken;
    Durch Fensterhöhlen schau’n
    Verschollene Gedanken.

      Und meine Seele schwebt
    Durch Tor- und Fensterbogen
    Ins Land des warmen Lichts,
    Allmächtig hingezogen.

      Ich weiß es nun gewiß:
    Es schwebt ein selig Leben
    Schon über dieser Welt
    Und ist uns schon gegeben.

      Ich weiß seit diesem Tag:
    Es klingt Gesang und Reigen
    Aus einer reinen Welt
    In jedes tiefe Schweigen.




Alles ist ewig.


    In den morgenfrischen Bäumen
    Hing ein letzter Hauch der Nacht,
    Und die Blumen machten Augen
    Wie ein Kind, wenn es erwacht --

      Holder Schreck entriß mich plötzlich
    Lächelnder Versunkenheit --:
    Eine Rose hat geduftet
    Wie ein Lied aus Kinderzeit! --

      Aufgehoben bleibt im Ganzen
    Jedes Atems leises Wehn;
    Einst an einem großen Morgen
    Wirst du’s lächelnd wiedersehn.

      Eine Rose hat geduftet
    Wie ein Klang aus Kinderzeit;
    Duft und Klingen, Heut und Gestern
    Weben all an +einem+ Kleid.




Hingebung.


    Das All erstrahlt von Millionen Sternen.
    Die Erde blickt hinauf in stummer Ruh
    Und haucht in selbstvergessenem Entzücken
    Dem Himmel ihren warmen Odem zu.

      Im Unermessnen geht ihr Hauch verloren!
    Und doch gibt sie des Herzens Glut dahin
    Und sieht sich selbst in Schnee und Eis erstarren.
    Der ferne Glanz belohnt die Dulderin.

      Der Wahrheit Sternen opfert so der Denker
    Das Leben, das in seinen Adern glüht.
    Dem fernen Lichte gibt er sich zu eigen
    Und fragt nicht, ob ihm hier ein Frühling blüht.




Andacht im Gebirge.


    Im Tal vernahm ich’s: „Zwischen Felsenmauern
    Wird dich die Macht des Ewigen durchschauern;
    Dein Ich zermalmen wird der tote Stein.
    Er wird zu dir mit Donnerworten sprechen;
    Dann wird dein Menschenstolz zusammenbrechen,
    Und wie ein Nichts wirst du dir selber sein.“

      Und ich erhob den Stab mit frohem Wagen
    Dorthin, wo ich bis in die Wolken ragen
    Der Berge schneebekrönte Gipfel sah.
    Der Jugend raschen, kecken Mut zu kühlen,
    Schritt in des Felsendomes Chorgestühlen
    Ich fort und fort, dem Thron der Blitze nah.

      Verloren bald im öden Meer der Steine,
    Verirrt, verlassen von des Tages Scheine,
    Stand ich allein in nebelweißer Nacht.
    Dann sank der Mond hinab zu früher Stunde,
    Und fern erhob wie mit metallnem Munde
    Der Herrn des Sturms den ersten Ruf zur Jagd.

      Da fuhr’s auf wucht’gen Schwingen durch die Lüfte
    Und überschrie den Klang der Felsenklüfte,
    Wo lauter Donner aus den Schlünden brach.
    Aus dunkler Tiefe klommen ohn’ Ermatten
    Zu mir herauf des Abgrunds Riesenschatten,
    Bis sie ein jäh gezückter Blitz durchstach.

      Und jetzt -- des Felsentempels Säulen zittern!
    Durchrast ein ganzer Aufruhr von Gewittern
    Die Täler rings zum Auferstehungstag?
    Erdröhnend schob sich’s an den Felsenwänden
    In Sturmeslauf hinab, um jäh zu enden
    Mit gellend wiederholtem Donnerschlag.

      Die Bäume reckten sich mit tiefem Stöhnen;
    Ihr Angstruf klang aus dem Gewirr von Tönen
    Wie aufgescheuchter Vögel Klageschrein.
    Ein blauer Strahl aus weitem Flammenrachen --
    Und mir zu Füßen schlug mit lautem Krachen
    Ein Föhrenstamm zerborsten auf den Stein.

      Da riß es sich in trotz’gem Überschwange
    Vom Munde mir: „Frohlockend deinem Klange
    Geb ich, Natur, mein klopfend Herz dahin:
    Euch übertönt des Herzens Schlag, ihr Stürme,
    Euch überragt, ihr grauen Felsentürme,
    Des Menschen hoher, lichtgeborner Sinn!

      Vor euch nicht sink ich in den Staub danieder;
    Nein, eure Donner sind mir Freudenlieder,
    Das Herz mir füllend mit erhabner Lust.
    Mag nur der Sturm in euren Klüften hausen!
    Fliegt er vorüber mir mit Zornesbrausen,
    Werd’ ich der stärkern Schwinge mir bewußt.

      In Nichts sollt ich vor euch zusammenschrumpfen?
    Hier sollte sich das Schwert des Geistes stumpfen?
    Dies Schwert, fürwahr, zerspringt auf keinem Stein!
    An seinem Stahl zerbrechen eure Blitze,
    Mit ihm bewaffnet, dringt zum Himmelssitze
    Der Wahrheit einst der Mensch, der Kämpfer, ein.

      Seid mir gegrüßt, erhabne Bergesriesen,
    Erhaben, weil ihr mir den Weg gewiesen
    Zu meines Menschentums Erhabenheit.
    Willkommner Schemel seid ihr meinen Füßen,
    Von eurem Rücken aus den Bau zu grüßen,
    Den unermeßlichen, der Ewigkeit.“ --

      Den Weg ins Tal fand ich am frühen Morgen;
    Die Berge hielt, den Himmel mir verborgen
    Ein Wolkenschleier. Aber klar und fern,
    An meines Geistes Himmel aufgegangen
    Mit überirdisch morgendlichem Prangen,
    Stand selig lockend des Gedankens Stern.




Menschenlos.


    Das ist ein Augenblick der Seligkeit,
    Wenn uns ein weltbeleuchtender Gedanke
    Das Hirn durchzuckt und so die Seele faßt,
    Daß sie durchbrochen wähnt des Denkens Schranke,

      Wenn unser Geist den Brand entzündet glaubt,
    Der in des Daseins Rätseltiefen leuchtet,
    Und sich im Rausche des begeisterten
    Entzückens unvermerkt die Wimper feuchtet.

      Da wähnt der Blick, er sähe groß und klar
    Den Geist des Alls durch Erd’ und Himmel wandeln;
    Aufatmend spricht das Herz: „Ich bin getrost:
    Fest ruht fortan mein Fühlen und mein Handeln.“

      Gewißheit: -- Schöner Wahn des Augenblicks!
    Bald wieder wird der alte Zweifel nagen;
    Der feste Boden weicht -- dir schwindelt -- weit
    Ins öde Meer hinaus wirst du verschlagen.

      Die kluge Antwort, die dein Hirn ersann
    Auf Fragen, die die Menschenbrust zerfleischen,
    Sie löste sich in tausend Rätsel auf,
    Die doppelt gierig neue Antwort heischen.

      Dem Schiffer gleich fährst du auf hohem Meer
    In Nacht und Sturm durch lange, düstre Jahre,
    Bis endlich deinem Fuß das Schicksal gönnt,
    Daß er der Heimat festen Grund gewahre.

      Doch kurz ist deine Rast! Von neuem bläht
    Der Wind am hohen Mast die weißen Linnen:
    Kaum hast du noch des Ufers Sand geküßt,
    So jagt des Zweifels Qual dich neu von hinnen.

      Zum Strande der Gewißheit lenkt dein Schiff
    Nur, um ins Unbestimmte neu zu fliehen,
    Bis einst auf hoher See in ihren Schoß
    Das sturmzerschlagne Wrack die Wellen ziehen.




Das Gesicht der Wahrheit.

    „Wenn Menschen schweigen,
    werden die Steine schreien.“


    Seit wenig Tagen geh’ ich fromm und froh
    Durchs Treiben dieser Welt; denn eine Mär
    Kam mir von irgendwo und irgendwann,
    Die mir das Herz mit jungem Glauben füllt. --

      Gefangen hatten ihn die Häscher nun,
    Den Herben, Wilden, Stolzen, dem der Spott
    Wie ätzend Gift vom Munde floß -- doch war’s
    Ein heilsam Gift -- dem die Begeisterung,
    Wie Donnerflammen aus dem Krater, prasselnd
    Von heißer Lippe sprang. Doch ging er leicht
    Und stolz in seinen Fesseln; denn ihn trug
    Geheime göttliche Allgegenwart.
    Allgegenwärtig fühlt’ er seinen Gott,
    Wo er auch ging und stand, den neuen Gott!
    Und so vermaß er sich verwegner Hoffnung:
    Auch seine Richter müsse ja berühren
    Die Nähe dieses Gottes und die Kraft
    Und Reinheit seines Atems.
                                          Denn er war
    Ein Mann an Stolz und Trotz, ein Kind an Hoffnung.

      Die Richter aber thronten rings auf Stühlen
    Von Eisen, und die Stühle hießen Ordnung
    Und Religion und Sitte und Gewohnheit.
    In diesen Stühlen ruhten breit und fest
    Die Fundamente des gemeinen Wohles.
    Wenn aber vor der Glut der neuen Lehre
    Die wackern Stühle schmolzen, so gerieten
    Die Fundamente des gemeinen Wohles
    In glühende Bedrängnis. Und so bliesen
    Die Richter denn mit hoheitsvollen Backen
    Den Hauch der prallen Sonne sich vom Leibe
    Und saßen tot auf ihren toten Stühlen.
    Und sprachen dann: „Er soll am Pranger stehen
    Auf off’nem Markt, vor allem Volk, nachdem man
    Zuvor die Ohren ihm vom Kopf geschnitten.“
    Auf den Tribünen hatte rings das Volk
    Gelauscht, und als der Richter Weisheit nun
    In jenem Spruch sich froh und stolz befestigt,
    Zerstreute schwatzend, lachend sich die Menge,
    In Ehr’ und Zucht des Gaudiums gewärtig,
    Das ihr der heil’ge Sonntag bringen werde. --

      Hoch aus dem surrenden und plappernden
    Und gurgelnden und schnatternden Gebrodel
    Der Menge, die den weiten Markt erfüllte,
    Stieg schwarz und grausenhaft der Prangerkasten,
    Der den Verdammten noch dem Blick verbarg,
    Und schwärzer gähnte drin das Loch, in dem
    Des armen Sünders Kopf erscheinen sollte.

      Mit faulen Äpfeln, Eiern und noch manchem
    In stiller Emsigkeit gehäuften Unrat
    Höchst sorgsam ausgerüstet, harrt die Menge,
    Harrt stundenlang. Denn neben ihrem Zorn,
    Dem Löwen, ruht das Eselein Geduld.
    Auf hoher Balustrade leuchten Rat
    Und Älteste der Stadt, des schönen Wetters
    Und der im tiefsten Herzen sanft empfund’nen
    Weltordnung froh --
                        den armen Sünder packte
    Ein wilder Schauder vor dem nahen Greuel.
    An beide Ohren preßt er bang die Hände --
    Nah ist hier keiner, der ihn retten möchte.
    Denn jeder haßt ihn -- +könnte+ wohl ihn lieben,
    Doch haßt ihn. Und ihm ist, als trennt’ ihn doch
    Von diesen allen nur ein dünner Vorhang --
    Er klagt sich an, daß er das rechte Wort,
    Das eine, kurze, klare Wort nicht fand,
    Das +alle+, +alle+ überzeugen mußte --
    Ja, wenn er jetzt --! Allein nun war’s zu spät.

      Und tief im Kopfe hub ein Singen an
    Von lauen Jugendtagen. Warum blieb er
    Nicht still am warmen Herde seiner Heimat?
    Und sanft und fest in seiner Mutter Schoß
    Fühlt’ er sein Haupt gedrückt -- und auf der Wange
    Fühlt’ er die rauhe, warme, gute Hand:
    Mein Junge bist du -- mein -- mein guter Junge -- --
    Der Henker winkt. -- -- --
                               Die Augen fest geschlossen,
    Des Hagels von Geschossen schon gewärtig,
    Zwängt er den Kopf durchs enge Loch des Prangers;
    Im Hirne braust und wirbelt wilde Scham -- --

      Da stößt ein süßer Schreck ihm tief ins Herz,
    Und seliges Erschauern rinnt ihm kalt
    Vom Wirbel bis zur Zeh’. Und fühlt sogleich,
    Daß alle, alle, die dort unten stehen,
    Derselbe große, stille Strom durchrinnt.

      Und schlägt die Augen auf -- und sieht das Volk,
    Das hängt mit +einem+ Blick an seinem Antlitz
    Und starrt hinauf und schweigt. Und starrt -- und schweigt.

      Und sieht um seinen Mund, den Blut benetzt,
    Ein zuckend Lächeln, sieht die dunklen Haare
    In feuchten Strähnen an den Wangen kleben,
    Und aus den Haaren, an den Wangen nieder
    Rinnt Blut, rinnt Blut -- so stumm und so geschäftig,
    Das warme Blut -- und hilflos starrt der Kopf
    Hervor aus schwarzer Wand, und hilflos irren
    Die Blicke hin und her: Wo seid ihr, Hände?
    Was helft ihr nicht? O wischtet ihr mir nur
    Das Blut vom Mund! -- Und klagend glänzt das Auge.

      Und vor dem hilflos armen Kopf erbleicht
    Der Rat der Stadt, und ganz geheim ins Ohr
    Schreit gellend, jauchzend ihm die Totenstille ...

      Da schwirrt vom Markt ein Lerchenstimmlein auf,
    Und sieh, ein Kind, ein Mägdlein, steigt behende
    Zum Schandgerüst empor und trägt ein Kränzlein
    Von Löwenzahn, den es am Rain gepflückt.
    Und streckt den Kranz empor und langt und langt
    Und kann es nicht erreichen. Und ein Greis
    Folgt ihm geschäftig, hebt das Kind empor,
    Und in die nassen, wirren Haare drückt es
    Mit leiser Hand den weichen, goldnen Kranz. -- --

      Seit wenig Tagen geh ich fromm und froh
    Durchs Treiben dieser Welt; denn eine Mär
    Kam mir von irgendwo und irgendwann,
    Die mir das Herz mit jungem Glauben füllt. --




Das Dogma.


    „Wenn aller Welten Ende nun erscheint,
    Dann wird ein Hirt und eine Herde werden,
    Und Millionen Augen werden selig
    Sich baden in dem einen Strom des Lichtes,
    Der von dem Throne des Allweisen rinnt.
    Dann wird kein Streiten sein und kein Entzweien;
    Sie glauben all an +einen+ Gott und folgen
    Dem guten Hirten auf die ewige Weide.“ --
    Also verheißen wird’s von Priestermund.

      Wer aber will die Weitverstreuten sammeln,
    Die hier in Wüsten wandeln, dort auf Meeren
    In schwankem Fahrzeug treiben -- hier auf Bergen
    Fernblickend schreiten, dort in tiefen Tälern
    Nichtsahnend schlummern in des Stumpfsinns Träumen,
    Und zwischen ihnen Felsen, Wüsten, Meere!?
    Ha, wie ihr selbstbewußt die Lippen aufwerft
    Zu salbungsvoller Straf- und Donnerrede,
    Ihr Weihrauch-, doch nicht Himmelshauchumwehten,
    Die ihr statt Gottes nur das Dogma kennt!
    Euch dünkt, gelingen müss’ es, alle Wesen
    Zum ewigen Lobe Gottes zu vereinen,
    Wenn in des Dogmenzwanges enge Hürde
    Die Willigen und Trotzigen, die Toren
    Und die Vernünft’gen ihr zusammenpfercht!
    Und wenn ihr frisch die Geißel schwingt, vermeint
    Ihr gar, der Liebe Hirtendienst zu tun!
    Ihr kennt der Menschheit Pilgerstraße nicht.
    Den ihr gefunden und uns aufgedrungen,
    Der ist nicht Gott; doch den wir rastlos suchen
    Mit ewig nie ermattendem Verlangen
    Und den wir jubelnd ahnen: der ist Gott!

      Kennt ihr die Schranke, die den Nachbarn scheidet
    Vom Nachbarn, ob auch ihre Hütten traulich
    Im gleichen Tal am gleichen Abhang lehnen?
    Kennt ihr die Schranke zwischen Ich und Ich,
    Die selbst nicht sinkt, wenn Mann und Weib ihr Lieben
    In süß erschauernder Umarmung tauschen?

      Ein dichtumwachsnes, engummauertes
    Geheimnis ist die scheue Menschenseele.
    Selbst nicht der Liebe Wort vermag die Fülle
    Des Herzens bis zum Grunde auszuschöpfen,
    Und nie vermählt ein Ich sich ganz dem andern.
    Nein, es bewahrt in frommer Keuschheit sich
    Für jene einzige Braut, die kommen wird,
    Daß wir sie ganz besitzen, wie sie uns.
    Einsam harrt jede Menschenbrust der Wahrheit. --

      Einsam? Und ewig abgeschlossen läge
    Der Garten einer Menschenseele da,
    Nur sich erblühend und dem fernen Himmel?
    O nein! Prangt auch die Rose dunkelglühend
    Auf diesem Grund, auf jenem schimmernd weiß;
    Singt auch die Nachtigall in bangen Seufzern
    Aus diesem Strauch und schmetternd hell aus jenem,
    Hoch in die Luft erhebt sich Duft und Sang,
    Und über Hecken, über Mauern fließen
    In eins zusammen Klang und Blumendüfte.

      Kein Menschengeist umschließt die Wahrheit ganz;
    Doch flammt ein Teil von jenem Lichte, das
    Die Welt durchrinnt, in jedem Erdendasein.
    Ja, selbst des Tieres Dämmerleben bebt
    In froher Ahnung auf zum Sonnenlicht.
    Und lebte wo ein Wesen, das die Gottheit
    Einsam im ewig Dunkeln ließe tasten,
    Das nimmer Teil gewänne an der Wahrheit,
    So wär die Wahrheit aller Lügen größte
    Und unerhörteste und grausenvollste.
    Die Wahrheit ist -- und ist darum in +allen+.

      Aus allen Kehlen wird mit siegender
    Begeisterung der Ruf erschallen: „Land“,
    Wenn einst an einem großen „Allerseelen“
    Wir ans Gestade der Erlösung stoßen.
    Dann wird des Jünglings trotzig kühnes Wort
    Sich mit des Greises mild bedachter Rede,
    Der kaum erwachten Kindesseele Stammeln
    Sich mit dem Hauch aus Gräbern des Vergangnen,
    Der Glanz im Tau, im schimmernden Gestein
    Sich mit dem Licht im Blick des Adlers einen,
    Und jeder Strom des Daseins wird erbrausen
    Im endlichen Triumphgesang der Wahrheit.




Ein Besuch.


    In jenem Hause war ich, wo man Tiere
    Bewacht und füttert, welche Menschen heißen,
    Wo dem gebornen Wahnsinn ein Asyl
    Man bietet und den Stumpfsinn zärtlich pflegt,
    Daß dem Gesunden sich bei seinem Anblick
    Vor starrem Schreck das Hirn im Kopfe löst
    Und einen eigensinnigen Wirbel tanzt. --

      In jenem Hause war ich, wo der Mensch
    Am Boden hockt wie ein verschüchtert Tier.
    Die Augen rot und stumpf, die Haare gelb
    Wie trocknes Stroh und schwammig aufgedunsen
    Die grauen Wangen --: so, sich selbst begeifernd,
    Die Zähne fletschend oder äffisch grinsend,
    Dann plötzlich wild die ungeschlachten Glieder
    Wie Mühlenflügel drehend, sah ich sie,
    Aus deren Lallen Gott kein Lob erschallt. --
    Sieh diesen da, wie er die Nägel gräbt
    In die Matratze, wie er kratzt und kratzt,
    Aufwühlend seines Lagers Eingeweide:
    Er sucht, so scheint mir, seines Daseins „Zweck“.
    Und jener Greis, der uns entgegengrinst,
    Der närrisch tanzend unsre Hände faßt
    Und uns sein Spielwerk zeigt: ein blökend Schäflein,
    Das ihm auf Rollen durch die Stube folgt --
    Mich packt und schüttelt Frost -- hinweg! -- er wird
    Sogleich uns gellend in die Ohren schreien:
    „Verfluchte Welt, wo ist mein Menschentum?“

      Auf der Materie weißes Blatt gedrückt
    Hat hier der Geist ein schief-verschwomm’nes Bild.
    Stoff ohne Geist erblick ich schaudernd hier,
    Und tiefer schaudernd noch empfind ich Geist,
    Der der Materie Grenzen überschritten
    Und heimatlos in öder Leere schwärmt. --

      In jenem Hause war ich -- wenn du dort
    Gewesen, mundet dir die Welt nicht mehr
    Für lange Zeit, und erst mit vielen Monden
    Rollt auch der Vorhang des Vergessens nieder.
    Was du gesehen, legt so schwer und dumpf
    Sich hinter deine Stirn, daß du nur leis
    Des Geistes Auge aufzuschlagen brauchst,
    Um stets das gleiche Grauenbild zu sehn.
    Und immer fragst du dich: Wozu die Sonne
    Am Himmel noch? Wozu noch wandeln Sterne?
    Warum entströmt der nimmermüden Erde
    Mit jedem Lenz der Auferstehung Duft?
    Wozu ihr blüh’nder Leib, wenn er, befruchtet,
    Ein Menschenkind als eklen Wurm gebiert?
    Ist nicht das Streben unsres Geistes, ist
    Nicht sein Besitz ein großer, hohler Bettel?
    Denn -- fanden wir das Glück -- wo bleiben diese?

      In jenem Hause war ich; fortgeschleudert
    Von diesem Erdball schien ich mir; ich sah
    Wie eine taube Schnuppe ihn den Weltraum
    Durchirren, und von diesen Tollen einer
    Schlug mit der Hand danach: Ein Wölkchen Staub!

      Herbei, ihr glaubensvoll beglückten Brüder,
    Die mitten ihr ins All den Gott uns setztet,
    Euch selbst zur tröstlichen Beruhigung,
    Herbei und wandelt mit durch diese Hallen!

      Das Übel dieses Daseins ist entweder
    Von Gott gesandte Strafe oder Prüfung.
    Nicht wahr, so lehrt ihr doch? Und werft dabei
    Des läst’gen Zweifels brennende Gedanken
    Aus einer Hand behutsam in die andre,
    Bis sie sich abgekühlt. Warum nun wird
    Allhier gestraft und wozu wird geprüft?
    Ein artiges Problem für euren Witz!
    Wir Gottes Ebenbilder? Und was sind
    Nun diese? Gottes Ebenbilder auch?
    Wollt’ er in genialer Schöpferlaune
    Sich selbst verhöhnen, als er diese schuf?
    Das konnt’ er nicht! Denn Gott ist ja die Liebe,
    Und Liebe weint, die solchen Jammer sieht.
    Wie, oder büßen sie der Väter Sünden?
    Ich bitt’ euch, sagt das nicht, auch denkt es nicht!
    Denn wer es nur in meiner Nähe denkt,
    Dem Pharisäer fahr’ ich an die Kehle! --
    Kommt mit, wir wollen lieber beten gehn.
    Ich bete mit, wenn mir’s schon nicht behagt,
    Auf eure Art zu beten. Habt ihr dort
    Den mißgebornen Seelen eine Kirche
    Nicht jüngst erbaut? Wir weihen sie nicht besser,
    Als wenn wir Gott in ihren Hallen suchen
    Und also betend vor ihm niedersinken:
    „Allmächtiger, gerechter Gott der Liebe!
    Du träufelst Tod auf die erblüh’nden Lippen
    Des holden Säuglings, den in Schlummer wiegt
    Die frohe Mutter; Sterben träufelst du
    Dem Mann ins heitre Aug’, das hoffend blickt
    Ins weite Feld der goldnen Zukunftssaaten;
    Zum letzten Schlaf berauschest du die Braut,
    Wenn schon ihr Geist im Myrtenzauber träumt --
    So laß mit ernstem Ringen dich erbitten:
    Auf diese Stätte einen Tropfen Tod!
    Des Todes Wolke laß auf diesen Greuel
    Herniederfallen, den du nicht gewollt!“
    Denn, meine Brüder im Gebet, gewiß:
    Jehovah reut es, daß er diese schuf.
    Die Bibel lehrt uns ja, daß er bereut.
    Er will sich nur von diesem Irrtum nicht
    So wohlfeil lösen wie durch jene Flut,
    In der er alles Lebende ersäufte.
    Wenn aber wir ihn bitten mit der Kraft
    Inbrünstigen Gebets, wenn in die Hand
    Wir ihm mit allem Schmerz des Mitleids fallen,
    So muß sich ja sein göttlich Herz erweichen,
    Und segnen muß er unsre Hände, wenn
    Sie töten, was dem Tod geboren ward.
    O seid versichert: Dankend und frohlockend,
    Mit heißen Tränen himmlischen Erbarmens
    Empfängt er den verlornen Staub zurück.
    Fortströmen läßt er ihn von neuem dann
    Ins All und -- um unsäglich Leid zu lohnen --
    Läßt er auf bess’rem Stern zu Tage keimen,
    Was hier erlöst in Todesnacht versank,
    Läßt er, was hier verdorrt am Zweige hing,
    Den Morgentau des Paradieses trinken! --




Pestalozzi.

(1896.)


    Ein fremder Klang fürwahr in unsrer Zeit:
    Der Name Pestalozzi! Zwar gehört
    Hat man ihn oft genug in diesen Tagen;
    Herab von tausend Rednerbühnen klang er
    Und hallte nach von Millionen Lippen;
    Doch der herabbeschworne Genius findet
    Ein anderes Geschlecht, als er ersehnt.

      War er nicht schwach im Kleinen, stark im Großen?
    Und also ganz ein Gegenteil von uns?
    War er nicht ungeschickt und unbeholfen?
    So ratlos und so hilflos wie ein Kind?
    Besaß er Biegsamkeit und Witz genug
    Für jene vielgewandte Kunst des Rechts?
    Verstand er Zeit und Menschen zu gebrauchen?
    Verstand er zu regieren und zu herrschen?
    Ach, nicht einmal den eignen Vorteil kannt’ er;
    Den andern konnt’ er helfen, aber nicht
    Sich selber. Hat er jemals wohl verstanden,
    Zu einer „immer gleich gestellten Uhr“
    Die Schule aufzubaun, zum Mechanismus,
    Erstaunlich, wunderbar, von einem Punkt aus
    Geregelt und bewegt und täglich, stündlich
    Abschnurrend in vortrefflich ödem Tiktak?
    In diesen Walzen, diesen Rädern freilich
    Bewegung gibt es viel und viel Geschnarre;
    Doch ist das Kunstwerk leider, leider tot.
    Was Pestalozzi schuf, war nur ein Garten,
    Von einem ewig frischen Quell genährt.
    Aus seinem Herzen stark und eben floß
    Der immer gleiche, reine Strom der Liebe,
    Und hundert welke Blumen hoben rings
    Die müden Köpfchen, von verschmachtetem
    Gezweig erglänzte junges Frühlingslächeln;
    Durch halb erstorbne Wesen ließ er strömen
    Des Lebens Atem und des Morgens Kraft --
    Und diese Kunst verstehn wir leider nicht.

      Er, dessen Bild euch grüßt, war ein Genie,
    Das heißt, er ward verachtet und gemieden,
    Das heißt, er ward verspottet und gehaßt.
    Doch solcher Geister köstlichster Besitz
    Ist ein geheimes, felsenfestes Wissen.
    Und tief gelassen zog er sich zurück
    In seines Ringens still beglückten Frieden.
    Er brauchte Kinder nur zu seinem Werk;
    Denn alles andere besaß er selbst.
    Und alle sollten klug und glücklich werden,
    Die ärmsten und die schmutzigsten und kränksten --
    Und solcher Kinder fand er bald und viel.
    Sie zog er sanft in seinen Zauberkreis.
    Und herrlich klingt sein Wort: „Sie waren außer
    Der Welt; sie waren außer Stanz; sie waren
    Bei mir und ich bei Ihnen.“ Bebt darin nicht
    Der stille Jubel eines Siegergeistes? --

      Die Neider kamen und verklagten ihn:
    Er weicht von den gewohnten Wegen ab!
    Er treibt es anders, als wir’s Tag für Tag
    Und Jahr um Jahr zu treiben längst gewohnt;
    Er will ein Andrer, Bessrer sein als wir.
    Es kann nicht gut und echt sein, was er tut;
    Denn wir durchschauen’s, wir begreifen’s nicht!
    Und als das Werk des Sonderlings man prüfte:
    Sieh, da durch Wolken drang zum erstenmal
    Die Sonne Pestalozzis klar und groß,
    Da ward des Ruhmes grünster Lorbeer ihm,
    Als man gestand: Er weiß die Kraft zu wecken.
    Kein höherer Ruhm ist ihm zuteil geworden;
    Denn höheren gewährt die Erde nicht.

      Der Großen edles Vorrecht war’s von je,
    Im Morgensonnenlicht das Ziel zu zeigen
    Und neue Wanderfreude zu erwecken
    In müden selbst und staubbedeckten Seelen.
    Und ob er tausendfältig auch geirrt:
    Am fernen Morgenhimmel sah er deutlich
    Die lichten Berge unsrer Hoffnung glänzen;
    Mit einem Wink wies er die rechte Bahn,
    Und heut noch weckt in uns geheime Kraft
    Sein großer Blick aus großen Liebesaugen.
    Oh, wär er ganz lebendig noch in uns,
    Oh, trüg er uns aus aller dumpfen Kleinheit
    Zur Freiheit seiner Größe mit empor!
    Nun, da er längst gestorben, längst gekrönt,
    Nun ist es kein Verdienst, zu tausend Kränzen
    Noch einen neuen Lorbeer aufzuhängen.
    Doch bleibt uns andres, edleres Verdienst:
    Das Große zu erkennen und zu lieben
    Und aufzunehmen in das eigne Herz.
    Wohlan denn, Freunde, weitet euer Herz,
    Im Innersten den Helden zu empfangen.
    Groß sei euch groß, und klein sei wieder klein,
    Weckt aus geheimstem Seelengrund die Kraft.
    Wo Kraft ist, da ist Tat, und nur wo Tat ist,
    Ist Freiheit.




Comenius.

(1892.)


    Ein Licht aus Finsternissen stieg empor:
    Der Frühling kam mit seinem Morgenglanze.
    Das Leben bricht, ein frischer Quell, hervor
    Und spielt mit seiner Hoffnung Blumenkranze;
    Was in beschränkte Sorgen sich verlor,
    Taucht freudedürstend wieder in das Ganze,
    Und alles jauchzt, vom Taumel fortgerissen:
    „Willkommen, holdes Licht aus Finsternissen!“

      Wie fügt sich’s gut, in solcher Werdezeit
    Sich dankbar eines großen Manns zu freuen,
    Der wie ein Sämann, stets zum Wurf bereit,
    Durchs Leben ging, der Liebe Saat zu streuen,
    Der durch die Nacht geleuchtet klar und weit
    Mit Lichtgedanken, ungeahnten, neuen
    Und früh der Menschenbildung Ackerfeld
    Mit Sonnenschein und lindem Tau bestellt.

      Aus Finsternissen stieg empor ein Licht,
    Als jene Furie schnob durch Deutschlands Gauen,
    Die, Wahn und Gier im grassen Angesicht,
    Das Land beschattete mit blut’gem Grauen.
    Recht, Ordnung, Sitte, Treu und Nächstenpflicht
    Vom Riesenschwert der Barbarei zerhauen --
    Und unersättlich schüren neues Hassen
    Der Großen Laune und der Wahn der Massen.

      Von Gott erwählt zu sein zum Kampf für ihn:
    Der Wahn läßt Deutschlands Völker sich zermalmen;
    Die Schwerter wüten, Völkerstämme fliehn;
    Das Feld steht öd; die Frucht stirbt auf den Halmen;
    Die Pest, den Hunger im Gefolge, ziehn
    Die Horden durch das Land, die Dörfer qualmen --
    Haß, Wut und Mord der Scharen Religion,
    Ihr Götzenbild -- die heil’ge Konfession!

      Von diesem Haß auch er verfolgt, gehetzt,
    Der edle Weise heimatlos, vertrieben,
    Dem Elend und der Sorge ausgesetzt!
    Sein Hab und Gut, was er erdacht, geschrieben,
    Ein Raub der Kriegesfackel noch zuletzt --
    Er aber hegte treu sein großes Lieben;
    Und als man endlich Duldung fand und Frieden,
    War seinem Glauben Duldung nicht beschieden.

      Und blieb im Kampfe doch ein Friedensheld!
    Rings blutete die Welt aus tausend Wunden,
    Da hat sein Geist, von heiligem Strahl erhellt,
    Ein tief versöhnend Ideal gefunden:
    Nicht mehr nach Gütern, Rang und Stand zerspellt,
    Nein, innig-fest nach Menschenrecht verbunden,
    Soll sich versammeln vor der Weisheit Stuhle
    Des ganzen Volkes allgemeine Schule!

      Fürwahr ein Genius, der in weite Ferne
    Der Zukunft seines Geistes Blitze sendet!
    Noch heute locken uns dieselben Sterne,
    Zu denen er den Seherblick gewendet;
    Noch ladet uns die Frucht, in deren Kerne
    Er Nahrung für Jahrhunderte gespendet,
    Noch steht’s der Nachwelt staunenswürdig da,
    Sein stolzes Werk: ~Magna Didactica!~

      „Er wußte nur die Geister zu vergnügen,
    Drum ließen ihn die Körper ohne Brot.“
    So auch mit unerbittlich harten Zügen
    Trat ihm vor Augen oft die bleiche Not;
    Er aber sah mit seligem Genügen
    In eines Jenseits Duft und Morgenrot;
    Ein Vaterland dem müden Pilgrim wies
    Weltferner Schimmer: ~Lux in tenebris!~

      Auf seines Lebens wechselvoller Reise
    Erhob ihn oft Prophetenvision.
    Nicht war’s ein Mann nach unsrer Zeiten Weise,
    Doch ein Genie und aller Zeiten Sohn.
    Die Sonnen ziehn in eigenem Geleise --
    Was Dogma, Glaube, Sekte, Konfession!
    Was ihm die Nachwelt dankt mit höchstem Ruhm,
    War kraft- und liebereiches Menschentum.

      O helft, ihr reinen Geister, die in Treuen
    Um unser Liebstes weit die Flügel breiten
    Und die, wie schwer ihm Lug und Narrheit dräuen,
    Den Geist des Werdenden zur Klarheit leiten!
    O hilf uns du, des wir uns heute freuen,
    Dem wir erhobnen Sinns ein Fest bereiten:
    Wenn wir zur Kriegesfahrt die Segel hissen,
    Strahl’ uns voran, ein Licht in Finsternissen!




Chidhr.

(Ein Epilog.)


    Ein wunderbarer Traum hat mich besucht.
    Ich saß an eines Berges Hang und schaute,
    In einer flüchtigen Minute Raum
    Gedrängt, den Daseinswechsel langer Zeiten.
    Im Tal zu meinen Füßen sah ich Blumen
    Auf Blumen sich erschließen und vergehn,
    Sah Bäum’ und Sträucher keimen ich und sprossen
    Und wachsen, blühen, welken und vermodern,
    Und sah ich Menschen von der Wiege bis
    Zum Sarg des Lebens kurzen Tag durchwandeln.
    Ich sah sie lachen, weinen -- weinen, lachen,
    Sah sie verzweifeln, hoffen und -- verzweifeln,
    Sah, wie das Glück dem Unglück reicht die Rechte,
    Wie Unglück seine Rechte reicht dem Glück
    In ewiger Kette.

                                Namenlose Trauer
    Sank mir mit schweren Schatten in die Seele.
    „Wann endlich,“ dacht’ ich, „sinnlos-blödes Spiel,
    Wirst du dich enden? Auf und ab und auf
    Wiegt seit Äonen sich die Lebensschaukel
    -- Auf einer Seite staunend sitzt das Leben,
    Und auf der andern grinsend wippt der Tod --
    Und auf und ab, stumpfsinnig, wird die Wippe
    Durch Ewigkeiten gehn. Wo lebt der Gott,
    Den dieses grause Einerlei vergnügt?
    Der ärmste Menschengeist, er hätte längst
    Voll Überdruß und Ekel dieses Spielzeug
    Zertrümmert --!“

                        Wie ich also bei mir dachte,
    Sah ich am Boden plötzlich einen Schatten --
    Ich hob den Blick, und einen Jüngling sah ich
    Mit himmelsheit’rer Stirn, wie junge Rosen
    Der frohe Mund, das Auge sonnentief.
    Er hob den Arm und winkte freundlich „Komm!“
    „Wer bist du?“ rief ich. Er drauf: „Chidhr bin ich,
    Der Grüne, Ewig-junge, der im Lande
    Der Finsternis des Lebens Quellen hütet.
    Komm, folge mir.“

                        Und Falterflug des Traumes
    Entführte mich auf lautlos dunklen Schwingen
    In eine schreckendüst’re Felsenwelt. --
    Doch sieh, aus tiefem Spalt granit’ner Berge
    Sprang bläulich-silbern einer Quelle Strahl,
    Der wie ein ewig junges Lachen klang.
    Und Chidhr sprach: „In hundert Jahren furcht
    Der ruhlos rege Quell sein hartes Bette
    Um eines Fingers Breite. Alexander,
    Den bis nach Indien trug der Siegeswagen,
    Stand einst wie du an diesem Lebensquell.
    Seit jenem Tage grub der Silberstrang
    Um einen Fuß sich tiefer ins Gestein.
    Und einst wird diese Quelle im Verein
    Mit ihren Schwestern diese Felsen wandeln
    In ein begrüntes Tal, wie du’s verlassen.
    Hier maß der göttergleiche Alexander
    Sein Werk und seinen Ruhm am Maß der Welt
    Und ging von diesem Ort zerstörten Herzens.
    Und du, der schwach und klein ist bei den Menschen,
    Kannst, wenn du willst, ein Gott von hinnen gehn.

      Wohl ihm, dem Freude sprüht aus dieser Quelle,
    Wohl ihm, der ihr geheimes Lied versteht.
    Wohl bleichen ihm die Lichtlein, die den Pfad
    Ihm durch ein enges Leben schwach erhellten,
    Die Lichtlein Ruhm, Unsterblichkeit und Macht.
    Doch hinter weltenweiten Finsternissen
    Geht eine Sonn’ ihm auf, die alle Sonnen
    Und Sonnenchöre selig überstrahlt.
    Er fühlt, wie klein der Mensch, und fühlt, wie groß,
    Wie unbegreiflich schön, wie über alles
    Verdienst und Ahnen göttlich sein Beruf,
    Und aus dem Klang der Quelle trinkt sein Herz
    Zwei Kräfte wundersam: Geduld und Sehnsucht,
    Geduld, die heiß und tief verlangt, und Sehnsucht,
    Die sich am Glanz des Zieles still getröstet.

      O Menschen, habt Geduld, und tut es nicht
    Den Kindlein gleich, die in den Boden kaum
    Den Samen senkten und nach Blumen schon
    Und reifen Früchten spähn! Taucht die Gedanken
    Ins märchengraue Alter dieser Welt
    Und steigt empor dann und erkennt, daß gestern
    Der Mörder Kain seinen Bruder schlug.
    Du dachtest recht, mein Freund: wär’ diese Welt
    Ein Einerlei, die Macht, die sie erschaffen,
    Sie hätte längst zerstört ihr blödes Spiel.
    Doch sieh, soweit in diesem Reich des Lebens
    Die Wasser wandern, hat noch nie ein Quell,
    Noch nie ein Strom den Weg zurück genommen --
    So glaube: auch der Strom des Lebens nicht.
    „Vorwärts, zum Licht!“ das ist der Sinn der Quellen,
    „Vorwärts, zum Licht!“ das ist der Ströme Sinn,
    Die deine Seele, deinen Leib durchrinnen.
    Er, der die Welt gewollt, und dessen Namen
    Kein endlich Wesen nennen darf noch kann,
    Er gab, daß eures Wesens tiefste Quellen
    Zum Lichte gehn -- und gab euch, daß ihr’s +wißt+.“

      So sprach der Ewig-junge. Oder sprach’s
    Der Quell? Im Silberklange rann zusammen,
    Was Chidhr sprach und was die Quelle sang.
    Und Falterflug des Traumes hob mich lautlos
    Von dannen, und vom Tageslicht geblendet,
    Erwacht’ ich jäh.

                      Am Waldesrand erwacht’ ich,
    Wo singend aus dem Fels die Quelle springt,
    Wo Morgenlicht von tausend Himmeln floß.




X. Sprüche und Spruchartiges.




Kopf hoch!


    Freuden, die sich dir heute verschließen,
    Morgen wirst du sie doppelt genießen.
    Lächelnd einst blickst du auf heute zurück;
    Alles wird einst Erinnrungsglück.




Glaub’s!


    Ich sag’s mit Ernst: Bleib froh gesinnt!
    Werd ganz ein Mann und bleib ein Kind!
    Nimm klein nicht groß, nimm leicht nicht schwer!
    Es hilft zu nichts; es drückt nur mehr.




In ein Kinderalbum

zum Besten kranker Kinder.


    Mein Kind, gelangst du einst zu Rang und Ruhm und Macht --
    Ein Mann und Vater sagt dir dieses mit Bedacht:
    Erwächst aus deinem Tun nur +einem+ Kranken Heil,
    So sei dir dieser Ruhm um keinen Lorbeer feil.




Freundliches Schicksal.


    Mensch, schließ der Auster gleich dich ein und laß kein Loch,
    Es hilft dir alles nichts; gefressen wirst du doch.
    Bleib aber eingedenk: der Lose schönstes ist,
    Wenn dich wie jenes Tier ein Mensch vor Liebe frißt.




Zur Seelendiät.


    Wenn Verleumder kleinlich dich begeifern,
    Wurmt’s dich auch, du sollst dich nicht ereifern.
    Frage dich -- das wird dir Ruhe schenken --:
    Wie werd’ ich nach Jahren drüber denken?




Triumph!


    O Menschheit von heute, nun hast du Flügel!
    Zur schwebenden Schwinge machst du das Erz.
    Dein Leben rast ohne Zaum und Zügel;
    Nur eins schläft langsam ein: dein Herz.




Zweierlei Begeisterung.


    Begeistrung nur beginnt ein großes Werk,
    Und nur Begeistrung führt’s zum guten Ende.
    Sie wirft den ersten Blitzstrahl in den Geist;
    Sie führt ans Ziel die nimmermüden Hände.




Durchhalten.


    Ein erster Sturm, ein rasches Wagen
    Gelingt wohl auch dem wilden Blut.
    Stark sein heißt schlagen und ertragen.
    Nur langer Mut ist Heldenmut.




Schützensprüche.


I.

    Sich’re Hand und klares Auge,
    Ob das nur dem Schützen tauge?
    Nein, es frommt in jedem Stand
    Klares Aug’ und sich’re Hand.


II.

      Was die Welt erfüllt, das sauge
    Durstig ein mit weitem Auge;
    Was dir dient in Meer und Land,
    Ohne Zittern pack’s die Hand.


III.

      Daß dein Werk dem Ganzen tauge,
    Stärk’ die Hand und schärf’ das Auge;
    Wer mit Ruh’ eräugt sein Ziel,
    Lenkt die Kugel wie den Kiel.


IV.

      Freund, halte die Brust nicht allzu keck
    Den Pfeilen der Feinde offen;
    Denn hast du das Herz auf dem rechten Fleck,
    So wird es sicher getroffen.


V.

      Mit schlechten Schützen treibe nicht Scherz
    Und merke, mein Freund, dir eines:
    Ihr Bolzen trifft ein großes Herz
    Weit leichter als ein kleines.




Passionsgeschichte.


    „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“
    Und sieh, ein Licht ist dort entglommen,
    Das überstrahlt das Erdenrund,
    Und seine Macht ist allen kund.
    Und heute wie zu Christi Zeiten
    Nasrümpfen alle Dumm-Gescheiten,
    Des alten Wahnes unbenommen:
    „Was kann aus Nazareth Gutes kommen!“




Ewig dasselbe.


    Die großen Geister werden recht erkannt
    Erst, wenn sie tot. Die kommenden Geschlechter
    Empfinden dann mit hochgequollner Brust,
    Daß sie verständnisvoller und gerechter.

      „Wie konnte man nur jenen großen Alten
      Die lauteste Bewundrung vorenthalten!
      Wie klein sind gegen diese Koryphäen
      Der ‚Jetztzeit‘ Epigonen und Pygmäen!“

    So schwatzen sie und treiben’s unverdrossen
    Nach altem Stil mit ihren Zeitgenossen.




Anwartschaft des Ruhms.


    Ein Schwätzer schmähte jüngst ein Werk von Künstlerhand.
    Der Pöbel fiel ihm bei. Ein andrer Künstler fand
    Dies Werk und sah’s mit Lust und rief gar, als er dann
    Den Mob gehört, voll Schmerz:
                                  „Beneidenswerter Mann.“




Gefahrvolles Schwanken.


    Laß die entschiedene Kraft nicht wechseln in dir mit der
        Schwachheit,
    Oder du weckst dir gewiß Fluch nur, Verachtung und Hohn.
    Wenig Stärke genügt, der Schwächlinge Haß zu entfesseln;
    Ihn zu bezwingen, verlangt Tatkraft, die nimmer sich beugt.




Schwerstes Unglück.


    Kein Dornenkranz, den uns das Schicksal flocht,
    Bohrt so ins Hirn sich wie der Reue Zahn,
    Wenn wir ein großes Werk zu tun vermocht
    Und tun gesollt -- und feige nicht getan.




Spruch.


    Wie manchen hat ein Zufall nur gestürzt!
    Er schleicht verfemt, verachtet durch das Leben --
    Du fluch ihm nicht; daß du gestrauchelt, sei
    Dir Grund genug, Gefallnen zu vergeben.




~Hic Rhodus.~


    Sucht ihr der Freiheit schlimmste Feinde?
    Betrachtet die übergroße Gemeinde,
    Welcher die Knechtheit sitzt im Bauch,
    Die lieber atmet in Qualm und Rauch,
    Als hinauszuwandern auf muntern Füßen,
    Selber das Morgenrot zu grüßen.
    Wie jeder von Freiheitsreden schwitzt!
    Aber vom Recht, das er längst besitzt,
    Macht so ein widerwärtiger Gauch
    Aus lauter Faulheit keinen Gebrauch.




Erkennen und Lehren.


    Zu der Erkenntnis Höh’n klimmst du aus finsterem Tale
    Freudig-sicheren Schritts; droben ja winkt dir das Licht!
    Aber willst du von sonnigen Höhen die Gabe des Lichtes
    Tragen ins finstere Tal, fehlt dir im Dunkel der Pfad.




Guter Rat.


    Heut, da die Ohnmacht sich brüstet und Meinungen jeder zu Markt
        trägt,
    Die er vom Baume gerupft, eh die Vernunft sie gereift,
    Sei dir ein Weggenoß im tollen Gedränge der Zweifel;
    Aber im Frieden für dich pflanze der Zukunft die Tat.




Einem Neunmalweisen.


    Ein Stümpchen Licht, mein Freund, strahlt hell genug,
    Ein Fleckchen Rost auf edlem Stahl zu finden;
    Doch einer Sonne Glanz nur kann dem Trug,
    Dem Graun der Nacht die bange Welt entwinden.




Moderne Gesellschaftsstützen.


    „Dem Ernst gehört die heutige Zeit
    Dem praktischen Verrichten!
    Heut’ ziemt’s dem wahren Manne nicht,
    Zu träumen und zu dichten!“

      So spreizt sich in der Gegenwart
    Staatsmann, Soldat und Krämer
    Und dünkelt sich, an männlichem Ernst
    Shakespeare und Schiller beschäm’ er.




Frommer Eifer.


    „Vermißt du dich, mit Gott zu rechten
    Und seinen Ratschluß anzufechten?!“
    So fauchen zornerbebend die Pfaffen
    Und lassen vor dir die Hölle klaffen,

    Wenn du rechtest mit +ihren+ Verdrehungskünsten,
    Mit +ihren+ pfiffigen Hirngespinsten,
    Wenn du, weil du nach Gott verlangst,
    Für einen Popanz dich bedankst.




Zeitbild.


    Einem andersgläubigen Prinzen
    Wird sie sich demnächst vermählen;
    Darum abtun ihren Glauben
    Wird sie und den seinen wählen.
    Einst die religiöse Hebung
    Schnöder Untertanenseelen
    Wird mit gottgewisser Salbung
    Sie der Geistlichkeit empfehlen.




Kollegialität.


    Wer kennte die Herren Kollegen nicht,
    Die unsere Leistungen benagen,
    Wenn wir, die ihnen „so gut bekannt“,
    Ein Neues, Unerhörtes wagen!

      Das sind die Kritiker, die stets
    Die „größeren Alten“ zu Markte tragen --
    Hätte Christus mit ihnen die Schule besucht,
    Sie hätten ihn mit ans Kreuz geschlagen.




Auf einen Typus.


    Der schnöde Knirps! An den größten Mann
    Drängt er sich brüderlich-frech heran,
    Weil er ihn hie und da verstand.
    Ja, wenn einst Gott am Zeitenrand
    Uns löst das Rätsel dieser Welt,
    Ruft er: „So hab’ ich’s mir vorgestellt!
    Du hast mir das Wort vom Munde genommen;
    Ich konnte nur nicht auf den Ausdruck kommen.“




Tatsache!


    Und es ist so, was ihr auch zu sagen beliebt;
    Ich beweis’ es, bis jeder Zweifel zerstiebt,
    Und ich schwör’ es euch zu mit tausend Eiden,
    Und Naturhistoriker mögen’s entscheiden;
    Wahr ist es und bleibt’s: daß es Flöhe gibt,
    Die den Adler um seinen Flug beneiden.




Fortschritt.


    Ein Hündlein lief vorm Wagen her,
    Machte dem Pferd die Arbeit schwer.
    Das wackre Tier nicht stehen blieb
    Und vor sich her den Köter trieb.
    „Die Hundeseelen“, so dacht ich heiter,
    „Sie bellen; aber sie müssen weiter.“




Geburtstagsverse.

Einem Fünfzigjährigen.


    Die, eigner Stärke bar, auf fremde Schwächen lauern,
    Sie möchten gar zu gern das Leben dir versauern.
    Allein des Lebens Mahl, wofern es sonst geraten
    Und man noch Zähne hat, schmeckt auch als Sauerbraten.




Desgleichen.


    Dem Dichter, wenn ihm schon das Haar ergreist,
    Die Muse immer höh’re Gunst erweist.
    Er blüht und reift -- sein Alter ist nur Schein --
    Und wächst voll Lust in Gottes Schoß hinein.




Einem Sechzigjährigen.


    Das Schönste hat man dir gesagt, gewünscht --
    Und doch bleibt mir noch eins zu wünschen -- leider!
    Bewahre dich in Sieg, Triumph und Glück
    Ein guter Gott vor dem Geschmeiß der Neider!




Einem Fünfundsiebzigjährigen.


    Der braucht mit nichten zu zagen,
    -- Was auch die Zeit entrafft --
    Dem stark das Herz geschlagen;
    Du lebst noch fernen Tagen
    Nach Mayers Erhaltung der Kraft.

      Dein Werk ist still-lebendig
    -- Mag Schnee darüber weh’n --
    Die Kraft sitzt ihm inwendig,
    Die wacht und wirkt beständig.
    Im Frühling wird man’s seh’n.




Marie v. Ebner-Eschenbach.

(Zum 80. Geburtstage.)


    Wer wurde nicht fromm, wenn du erschienst?
    Melde mich auch zum Mariendienst
    Und wollte, meines Mundes Hauch
    Würd’ lauter Myrrhen und Weihrauch.
    Zwar wehrst du dem Dank mit schlichtem Mut;
    Aber unseren Herzen tut er gut.




Petrus Rosegger.

(Zu seinem 70. Geburtstage.)


    Der Peter saß mit frommem Sinn,
    Flickte sein Netz und sang dazwischen.
    Sprach Jesus: „Leg die Nadel hin,
    Von nun an sollst du Menschen fischen“.




Mozart.

(1906.)


    Über Rosenwolken ein geflügelt Schreiten,
    Gott im Auge, Blumen in der Hand;
    Dann ein jähes, großes Flügelweiten
    In das ewige, das dunkle Land.




XI. Fröhlicher Krieg.




Frau Beate Stupiditas.


    Stupiditas, das gesunde Weib,
    Saß am Markt und sonnt’ ihren Leib,
    Tät über dem Bauch die Hände falten
    Und feil einen Korb voll Fische halten.
    Fett glänzt’ ihr Haar und breit ihr Scheitel;
    Auf ihre Hüften war sie eitel;
    Um Hüften saß und Schultern breit
    Zum Platzen glatt ein honettes Kleid.
    Schon zwanzig Minuten in guter Ruh
    Sah sie einem Orgeldreher zu
    Und sah die Kurbel sich drehn und drehn,
    Konnte daran nicht satt sich sehn.
    Hinter den Wangen blank und dick
    Quoll hervor der bleierne Blick;
    Die Unterlippe sank so tief,
    Daß ihr das Wasser vom Munde lief.
    Mit einem Male „hihi, huhu!“
    Lachte sie laut und gluckste dazu;
    Denn über den Markt mit Wimmern und Schrein
    Hinkte ein Hündlein mit blutendem Bein;
    Johlende Buben hinterher,
    Bewaffnet mit Steinen groß und schwer.
    Kam auch daher eine Nachbarin,
    Hatte ein Kind im Bündel drin:
    „Ach gute Frau Stupiditas,
    Ihr wißt ja doch immer zu allem was;
    Seht nur die Augen von meinem Kind!
    Wie rot und dick! Es wird noch blind!“
    „Bind’t Nußschalen drauf, tut Spinnen darein,
    Die saugen die Augen blank und rein.“
    Stupiditas ist früh und spat
    Geschwind zur Hand mit klugem Rat;
    Die Leute plaudern gar gern mit ihr;
    Denn reden kann sie dort und hier.
    Der Bürgermeister, der Syndikus
    Nicken ihr würdig vertrauten Gruß;
    Die Ältesten, eh’ sie zu Rate gehen,
    Bleiben bei ihr ein Weilchen stehen;
    Der Richter und der Staatsanwalt
    Machen bei ihrem Korbe halt
    Und forschen bei ihr, ob sie jemand weiß,
    Der der Obrigkeit gezeigt den Steiß.
    Dem Priester küßt sie den Mantelsaum,
    Er sieht sie gern im heil’gen Raum;
    Der Deputierte Schwenkebier
    Holt sich ~vox populi~ von ihr,
    Und der Professor und Meister der Schule
    Läßt einen Vortrag von der Spule,
    Behauptet am Schluß mit schmunzelnder Ruhe:
    „~Faber quisque fortunae suae.~“
    Stupiditas stöhnt: „Ach Gott, wie gelehrt!“
    Und fühlen beide sich hoch geehrt;
    Dann schwärzt sie ihm einen Dorsch mit ein,
    Der töter ist als sein Latein.
    Sogar von der Oper der Herr Tenor
    Singt ihr ein paar Passagen vor;
    Ihr Blick verschwimmt in Dampf und Dunst
    Und winselnd haucht sie: „Die Kunst, ach die Kunst?!“
    Mit einem Male -- halli hallo!
    Was jagt durch die Gassen mit Joh und Oho?
    Sie bringen einen in Ketten gebunden,
    Der hat ein künstliches Brot erfunden,
    Für jeden erreichbar! Zu Ende die Not!
    Darum auch schlägt man ihn heute tot.
    Stupiditas mitten unter der Menge,
    Verliert einen Schlarren im Gedränge;
    Aber wild-begeistert und heiter
    Schlampt sie auf einem Pantoffel weiter.
    Wie schwappt ihr Fleischwerk auf und ab,
    Ein Haarschwips hängt bis zum Kinn herab!
    Die Menge rast, die Zähne gefletscht,
    Einer erdrückt, ein andrer zerquetscht,
    Ein Dritter unter Rädern zermalmt,
    Daß Hirn und Blut vom Pflaster qualmt;
    Aber es gibt zu schaun, zu schaun!
    Ein Erfinder wird totgehaun!
    Der hebt noch die Hände beschwörend und spricht --
    Und sieht Stupiditas ins Gesicht -- --:
    Da erblaßt er tief und verstummt sogleich
    Und neigt sich lächelnd dem letzten Streich.
    Plötzlich vom anderen Ende -- ei!
    Tatarata und Hochgeschrei!
    Ein weiter Platz von Menschen erfüllt;
    Ein großes Denkmal wird enthüllt.
    Stupiditas mitten im Schwarme dicht
    Hört zu dem Redner mit sanftem Gesicht:
    Hört von des Gefeierten Kampf und Not,
    Von seiner Sorge ums liebe Brot,
    Wie er vergeblich sein’ Kraft verschwendet
    Und endlich im Wahnsinn einsam geendet.
    Stupiditas macht das Mäulchen klein
    Gleichwie ein sanft-fromm Mägdelein,
    Spricht seufzend zur Nachbarin: „Schrecklich, nicht?
    Wie schwer das Große Bahn sich bricht!“
    Da plötzlich wird es ihr licht im Sinn:
    „Ich will’s ihr sagen, Gevatterin:
    Die Dummheit! Die Dummheit! Wär’ die aus der Welt,
    ’s wär’ um uns alle besser bestellt!“




Trotz der Lüge.


    Hast du dir in der Seele
    Gelobt mit starkem Eid,
    Zu kämpfen für die Wahrheit
    In jedem Erdenstreit,
    So darfst du nie dich zeigen
    Entwaffnet und besiegt,
    Wie schreckbar auch und drohend
    Der Feind im Felde liegt.

      Vielleicht, daß ein Gewalt’ger
    Dich richtet und verdammt,
    Weil deines Geistes Leuchte
    Zu hell die Nacht durchflammt;
    Doch schlimmer sind die Feinde,
    Die meuchlings dich bedroh’n
    Mit Trug und feiger Lüge,
    Mit scheelem Neid und Hohn.

      Du wirst sie kennen lernen,
    Die angstvoll-herbe Qual,
    Daß du um solche Feinde
    Verzagst am Ideal,
    Daß alles dir im Geiste
    Zusammenbricht und fällt
    Und dir entgegendüstert
    In öder Nacht die Welt.

      Dann aber darfst mit nichten
    Du still von dannen gehn,
    Es darf in deinen Augen
    Nicht eine Träne stehn!
    Sonst bricht in frechen Tönen
    Der Feinde Jubel los;
    Sie nähren ihre Freude
    Mit deinen Schmerzen groß.

      Nein, lachen sollst du, lachen
    Der schnöden Meuchlerzunft!
    Und ob sie schon nicht hörten
    Die Stimme der Vernunft,
    Ob sie des Mitleids Regung
    Fühllos vernommen nie --
    Dein trotzig, fröhlich Lachen
    Betäubt, vernichtet sie.

      Da prallen Pfeil und Lanze
    Von deinem Panzer ab;
    Du schreitest klaren Auges
    Hin über Tod und Grab.
    Die Feinde werden scheuen,
    Führst du mit Lachen Krieg
    Und mit geruhigem Glauben
    An den gewissen Sieg.




Adler und Pfau.


    „Welch dummer Stolz,“ so sprach der Adler einst
    Zum Pfau, „um solch ein glänzendes Gefieder,
    Da man doch eine Stimme hat,
    Die allen Hörern gleich zuwider!“
    „Du sprichst vom Hahn?“ versetzt der Pfau frohlockend,
    „Ei freilich, dieser Geck, auf seinem Miste hockend!
    Mit seinem Schrein beleidigt er mich täglich;
    Auch mir ist längst sein Dünkel unerträglich.“




Schwan und Gans.


    „O Schwester!“ sprach der Schwan zur Gans,
    „O Schwester, könnt ich mich doch dir vergleichen!
    Du übertriffst mich weit durch deines Kleides Glanz;
    An edler Windung muß mein Hals dem deinen weichen,
    Oh, glitt ich auf dem See dahin
    So stolz wie du, der Wellen Königin!“ --
    Das Gänschen sprach: „Ich seh es, in der Tat,
    Wie sehr mich die Natur bevorzugt hat;
    Den eignen Wert erkenn’ ich mehr und mehr,
    Und deine Huldigung erfreut mich sehr.“ --
    „Du dumme Gans!“ fuhr da der Schwan heraus,
    „Glaubst du, mein Schmeicheln wollte da hinaus?
    +Dein+ Lob zu singen, tat es mir nicht not!“
    Und wütend biß der Schwan das Gänschen tot. --




Die beiden Hähne.


    Ein junges, keckes Hähnchen schrie
    Hell in die Luft sein Kikriki.
    Das klang so kräftig-wunderbar,
    So herzerfrischend-morgenklar:
    Tausend Nachtmützen, unerhört!
    Wurden vom Kissen aufgestört.

      Beschwichtigend rief ein alter Hahn:
    „Schlaft weiter!“ Ich hab’ es nicht getan,
    Nicht ich, der amtliche Wächter im Hof,
    Der besoldete Dünger-Philosoph.
    Es war die Stimme des Dilettantismus,
    Ein frecher Neuling war’s, der schrie.
    Es hat keine Ahnung, das gute Vieh,
    Vom akademischen Kikerikismus.




Das Zentral-Eichamt.


    Der Affe Bimbo saß im Wald
    Und rezensiert’ mit Mordsgewalt:
    „Ich“, rief er, „bin dazu berufen,
    Die Sänger richtig abzustufen.
    Es ist zum Lachen und Entsetzen,
    Wie sich die Leutlein überschätzen.
    Ich werde sie nunmehr rangieren
    Und ihren Größenwahn kurieren.
    Die Nachtigall dünkt sich die Erste.
    Daß sie nur nicht vor Dünkel berste!
    Mein Zeugnis lautet: ‚2-3‘!
    Dem Buchfink geb ich eine ‚2‘.
    Die Drossel -- wenn sie’s auch verletzt --
    Wird ‚3-4‘ von mir geschätzt;
    Dem Kuckuck, ist er auch nicht frei
    Von Mängeln, geb ich ‚1-2‘;
    Rotkehlchen, Lerche (Anempfinder!)
    Sind ‚4-5‘, nicht mehr, nicht minder --.“

      So sitzt der Affe und orakelt,
    Und jeder Stolz wird abgetakelt.

      Der Rabe hört und sieht es stumm,
    Dann wird ihm das Gewäsch zu dumm.
    Er lacht aus vollem Hals und spricht:
    „Bedenk, du aufgeblas’ner Wicht,
    Du würdest nicht Zensuren schrein,
    Wenn du nicht glaubtest, +Mensch+ zu sein.“




Der alte Hahn.


    Ein alter Hahn,
    Der stets mit Fleiß das Seinige getan,
    Lag schnappend, abgelebt und mager
    Auf seinem Sterbelager,
    Und schluchzend,
    Glucksend
    Umstand der Gattinnen, der Kind’ und Kindeskinder Heer
    Den armen Mann.
    „Ach, meine Lieben, ach,“ so keucht’ er schwer,
    „Wie ich gelebt, ich kann
    Vor Gott und Hühnern es nicht eben rühmen.
    Ich folgte nur zu gern den ungestümen
    Begierden meiner Brust;
    Umkrallt hielt mich die schnöde Sinnenlust;
    O glaubt es, glaubt es mir: sie ist vom Teufel!
    Jetzt steht mir’s außer Zweifel.
    O meine Lieben, seid --“ er haucht’s gewaltsam
    Mit letzter Kraft -- „Geliebte, seid enthaltsam!“
    Erschöpft sank er zurück.

                              Das Korps der Hennen
    Ließ nicht mit Sicherheit erkennen,
    Was seine Meinung sei.
    Man widersprach nicht, stimmte aber auch nicht bei
    Und sah zu Boden keuschen Angesichts.
    Auch Söhn’ und Enkel sagten lange nichts -- -- --
    Bis dann der jüngste,
    Nicht geringste
    Der Gockel doch das Schweigen brach
    Und sprach:
    „Verehrter, heißgeliebter Urpapa!
    Von deines Worts erhabener Gewalt
    Erschüttert steh’n wir da;
    Bewahren wollen wir es im Gedächtnis
    Als heiligstes Vermächtnis.
    Wir freilich sind nun wohl zu alt,
    Um einen andern Weg noch einzuschlagen;
    Doch wollen wir’s -- das schwören wir dir zu --
    Mit Ernst und Nachdruck +unsern Kindern+ sagen!“

    Darauf verschied der alte Hahn in Ruh’.




Wahlgeschichten.


1. Der Regierungskandidat.

    Die Hasen wollten sich vertreten lassen
    Durch einen Abgeordneten beim Jäger:
    Das sollte den aufs Blut bedrängten Massen
    Ein Anwalt sein und ihres Rechtes Träger.
    Da trat des Jägers Hund in ihren Kreis
    Und sprach -- er ließ sich gern herab zu wedeln --:
    „Wer euch noch einen bessern Anwalt weiß
    Als mich, der rede frei heraus, ihr Edeln!
    Des Jägers Ohr, so darf ich schmeicheln mir,
    Besitz ich ganz, und unverbrüchlich treu
    Fühl ich mit euch, wohlweises Mitgetier,
    Vor unserm Herrn die gleiche fromme Scheu.
    Bekannt sind beide Teile mir auf Grund
    Langjähriger Erfahrung, und beständig
    War mein Int’resse -- dafür bin ich Hund! --
    Für Jäger wie für Hasen gleich lebendig --“
    Da scholl Hurra aus tausend Hasenkehlen,
    Und jeder drängte sich, den Hund zu wählen.


2. Die freie Wahl.

    Erloschen war des Hundes Wahlmandat.
    Der Jäger schoß die Hasen tot wie immer.
    Da flog ein Etwas durch den Hasenstaat
    Wie erster, schwacher Freiheitsmorgenschimmer.
    Zur Neuwahl ließ der Hund die Hasen laden;
    Er rief bewegt: „Man juble, man erstaune!
    Mein Souverän von Blei und Pulvers Gnaden
    Erwachte heut in liberaler Laune.
    Er will, daß jeder frei sein Wahlrecht übe
    Und ganz nach seiner Überzeugung stimme,
    Wer frech das Bild der Volksabstimmung trübe,
    Dem droh er schwer mit seinem höchsten Grimme.
    Dies ist sein Wunsch. Doch wünscht der Herrscher auch,
    Daß ich euch klug zu wählen, gründlich lehre,
    Daß ich des Rechts unwürdigen Gebrauch
    Beleuchte durch der Folgen ganze Schwere.
    Hört nicht auf Freiheitsphrasen, wüst und hohl --
    Ihr könntet eure Lage noch verschlimmern --
    Die Wahl ist frei! -- Doch was zu eurem Wohl --“
    Hier ließ der Hund die Zähne freundlich schimmern --
    Und wunderbar: bei vorgenommner Wahl
    Fiel auf den Hund der Stimmen ganze Zahl.


3. Die moralische Konsequenz.

    Und wieder Wahl nach abgelaufner Frist!
    Zur Zeit der Schonung ward sie angesetzt,
    Da von den Hasen nichts zu holen ist
    Und sie sich mehren dürfen ungehetzt.
    Des Jägers Büchse hatte den Etat
    An feisten Hasen reichlich eingebracht.
    Er sprach bei sich: „Gelegne Zeit ist da,
    Daß man zum Schein ein Zugeständnis macht.“
    Da ließ der Hund die Hasen sich versammeln.
    „Der Jäger will,“ so rief er durch den Hain,
    „Ein Hase soll, vernehmt’s mit Dankesstammeln,
    In Zukunft euer Deputierter sein.
    Denn was sein Volk bewegt im tiefsten Grunde --
    Der Herrscher nimmt es ernst mit seiner Pflicht! --
    Vernehmen will er’s nun aus Hasenmunde;
    Ich aber kandidiere diesmal +nicht+!“

      Die Hasen wählten wie aus einem Mund
    Zu ihrem Abgeordneten den Hund.




Lehrreiche Fabel.


    Vom Zaune schreit ein hocherzürntes Spätzchen,
    Ein recht gefräßig-dummes Straßenmätzchen:
    „Wie ärgert mich doch diese Nachtigall!
    Sie hört nicht auf, mit ihrer Stimme Schall
    Tagaus, tagein die Hörer zu entzücken.
    Mich will kein Mensch mit seiner Gunst beglücken.
    Bequemt sie nur zu einem Seufzer sich,
    Dünkt mein Gesang den Menschen lächerlich.
    Gewiß: Sie hat Talent, ist musikalisch,
    Doch daß sie’s zeigt, ist unkollegialisch!“




Denunziation.


    „Huldvollst geruhten Seine Majestät
    Dies köstliche Bonmot zu machen: --“
    Und ein paar Worte folgen drauf,
    Zum Weinen nicht und nicht zum Lachen.
    Nur Unsinn ist es eben nicht,
    Was Seine Majestät da spricht;
    Doch das genügt den öden Kriechern,
    Sich untertänigst totzukichern.
    Schleppt vor den Richterstuhl die Lecker,
    Ihr Hochverratsprozeßaushecker!
    Wenn Kön’ge reden mit Vernunft,
    Als Wunder rühmt’s die Schmeichlerzunft!




Zweifelhaftes Heldentum.


    „Vivat die Propaganda der Tat!“
    Ei, Ihr seid mir ja mutige Kerle!
    Verputzt die Welt wie eine Schmerle
    Oder wie einen Kopf Salat.

      Ein roher, hinterlistiger Mord:
    +Die+ Tat ist feiger als ein Wort,
    Das einer ruhig und unverzagt
    Euch Dummköpfen grad ins Gesicht gesagt.




Die unterbrochene Predigt.


    Beim Gottesdienst auf freiem Felde hielt
    Ein wütend Pfäfflein eine Donnerpredigt.
    Mit seines Herrgotts schärfsten Blitzen spielt
    Das Männlein ungeniert und unbeschädigt.
    Er spricht von einer fernen großen Stadt,
    Wo eine Seuche alt und jung verschlingt,
    Wo Tag und Nacht durch Werk- und Schlummerstatt
    Der Wimmerton der Sterbeglocke klingt.
    „Seht,“ ruft er, „seht allda den Finger Gottes!
    Seht, wie der Herr die Glaubenslosen schlägt!
    Gott ist gerecht! Wie auf die Stadt des Spottes
    Der Herr nun endlich seine Hand gelegt --“
    Er hob den Blick. Da flog ein Vogel, und
    Der schloß durch ein Geschenk aus seinem Schoß --
    Ein seltner Glücksfall -- ihm den losen Mund --
    Der Vogel, wie mir schien, war ziemlich groß.

      Hier sah der Mann den Finger Gottes nicht,
    Und das mit Recht. Denn es bedünkt mich schier:
    So viel Gefühl, zu strafen diesen Wicht,
    So viel Vernunft besitzt wohl auch ein Tier.




Der Sieger.


    Der Löwe hält auf offnem Felde Hof,
    Und ihn umgibt der Tiere bunt Gewimmel.
    Ein kohlenblanker Rappe naht dem Thron,
    Mit ihm zugleich ein blütenweißer Schimmel.
    „Erhabner König, schlichte du den Streit,“
    So riefen sie, „wer schöner von uns beiden.
    Ob Schwarz, ob Weiß der Schönheit Preis gebührt,
    Wir stritten lang darum; du magst entscheiden.“
    Der Leu versinkt darauf in tiefes Sinnen,
    Wiegt schwer und lange sein erlauchtes Haupt.
    Da tritt bescheidnen und gesenkten Blickes
    Ein Esel vor und näselt: „Wenn’s erlaubt,
    Daß ich mit meinem Rat euch unterstütze,
    Ist weder Schwarz noch Weiß zu etwas nütze.
    +Extrem+ sind schwarze so wie weiße Haare,
    Und in der +Mitte+ lag noch stets das Wahre.“
    „Ha!“ rief der König aus, „nicht Schwarz, nicht Weiß --
    Dir, weiser Freund, gebührt der Schönheit Preis;
    Du fährst am besten, du, in diesem Streit der dritte,
    Ein grauer Esel nur, und doch die goldne Mitte!“




Der Kritiker spricht:


    Gott ist gewiß ein begabter Mann;
    Nur glaubt er, daß er alles kann.
    Säuseln will er und will gewittern --
    Ich meine, er sollte sich nicht zersplittern.
    Am besten gelingen ihm die Kamele,
    Die schuf er mir recht aus der Seele.
    Das ist sein Fach! -- Und ich sollte denken,
    Er könnte sich wohl darauf beschränken.




Göttliche Komödie.


    Zwei Zeitungen haben voll Gift und Wut
    Erbitterten Krieg miteinander gemacht;
    Ich habe darüber frohgemut
    Mich krank -- und endlich gar tot gelacht.

    Doch als sie einander mit Würde sodann
    Im Anstand Lektionen gegeben,
    Da packt’ es mit Rütteln und Schütteln mich an,
    Und ich lachte mich wieder zurück ins Leben.




Das erlösende Wort.


    Ich hatte mich eifrig fürs Ganze gemüht;
    Viel Arbeit und Ärger war mir erblüht.
    Ich kämpfte, schuftete ums Gelingen --
    Mir sollt’s und konnt’s keinen Vorteil bringen.

      Da kommt so’n Mensch, den Gott in die Welt
    Als Stütze für’n Naströpfel hingestellt,
    Und sagt ganz frech hinter meinem Rücken:
    Ich wolle mich nur mit Lorbeern schmücken.

      Zwar dumm war’s, doch auch niederträchtig;
    Drei Tag’ lang war mir’s im Herzen nächtig.
    Am vierten aber, da fiel mir’s ein:
    „Der Kerl ist ein Gesinnungsschwein.“

      „Gesinnungsschwein“ -- famos! famos!
    Gleich war ich allen Kummer los.
    Muse, hab’ Dank für das hehre Wort!
    Ich pfeif mir ein Lied und wirke fort.




An einen außerordentlichen Professor,

so mich mit einem Elefanten verglich.


    Symbol der Weisheit ist der Elefant,
    Und heilig hält man ihn am Flusse Ganges;
    Er ist des Buddha irdisches Gewand;
    Ganesa, Gott der Künste, des Gesanges,
    Wird elefantenhäuptig dargestellt;
    Auf Elefanten ruht das All der Welt;
    Ein Elefant ist Indras Schlachtgenosse --

      Nie hört ich gleiches vom Rhinozerosse.




An einen Erfolggekrönten.


    „Wie sich Verdienst und Glück verketten,
    Das fällt den Toren niemals ein.“
    Du wirst dich vor dem Schimpf nicht retten,
    Ein „Tantiemenhecht“ zu sein.
    Brauchst aber nicht viel danach zu fragen.
    Laß du getrost deine Villa ragen
    Und in Goldschrift über der Tür anbringen
    Die Einladung Götzens von Berlichingen.




Päan.


    Heute will ich mit Harfenton
    Weiber und Männer besingen,
    Die Europens faule Kultur
    Fabelhaft vorwärts bringen.
    „Umjewertet muß alles sein!“
    Dies ist ihr großer Gedanke.
    Ärmliches Rinnsal nur ist der Nil;
    Aber ein Strom ist die Panke.

      „Spießer“ wäre, wer bei der Frau
    Und den zwölf Kindern bliebe!
    Nur ein doppelter Ehebruch
    Ist genialische Liebe.
    Eines verbotenen Ehebands
    Lieblich-heimliche Schlingung
    Ist für eine erhöhte Kultur
    Allererste Bedingung.

      Äußerst wichtig ist außerdem,
    Daß du nicht zahlst, was du schuldest,
    Und kein achtungverletzendes Wort
    Von dem Gläubiger duldest.
    Wenn dein Schneider die viere streckt,
    Soll er doch ruhig verrecken!
    Gott sei Dank ist die Menschheit da,
    Um das Genie zu bezwecken.

      „Wahrheit“, „Ehre“, „Gerechtigkeit“
    Is ja man „Quatsch mit Soße“.
    Alles, was andere schaffen ist Kitsch;
    +Euer+ Tun ist „das Große“.
    Was euch ragend im Wege steht,
    Haut es in Knäuel und Klumpen --
    „Herrenmenschen“ nennt man euch dann!
    (Früher sagte man „Lumpen“.)




Hamlet im 20. Jahrhundert.

Letzte Szene. Der König, die Königin, Hamlet und Laertes liegen als
Leichen auf der Bühne.

+Fortinbras+ (Herr Schulz):


    Laßt vier Hauptleute Hamlet hoch zu Throne
    Gleich einem Krieger tragen: bei dem Zug
    Laßt Feldmusik und alle Kriegsgebräuche
    Laut für ihn sprechen! Nehmet auf die Leichen!
    (Zum Publikum:) In Arrangierung solcher Leichenzüge
    Ist unsere Firma ohne Konkurrenz.
    Zur Übernahme von Beerdigungen
    Sowie Beschaffung feinster Trauerroben
    Empfiehlt sich dem verehrten Publikum
    +Das Trauermagazin von Schulz & Söhne+.

(Trauermarsch. Der Vorhang fällt langsam.)




Nibelungenstrophen des Oberlehrers Ambrosius Fuchser[4].


1. ~Probatum est.~

    Uns ward in diesen Tagen verheißungsvolle Mär;
    Von einem mitteldeutschen Gymnasio kam sie her.
    Von Sexta bis zur Prima jedweder Tadel soll,
    Den sich ein Schüler zuzog, geschrieben werden in ein Protokoll.

      Zum Beispiel, wenn in Sexta ein Kind so ruchlos war,
    Ein andres Kind zu zupfen am Ohre oder Haar,
    Vielleicht es gar zu piksen im dicksten Teil des Beins,
    So nimmt der Lehrer Feder und Protokoll her und notiert ihm eins.

      Dort bleibt nun +bis zum Abgang+ das schnöde Schandmal stehn,
    Und all und jedes -- wär’s auch das winzigste Vergehn --
    Trägt man +mit echter Tinte+ in diese Blätter ein.
    (Das Buch muß selbstverständlich zu diesem Zweck ein ziemlich dickes
        sein!)

      Steht nun der bange Jüngling im Abiturium,
    So wendet der Herr Schulrat bloß diese Blätter um.
    Nicht fürchtet ihn der Fromme -- den Bösen trifft sein Fluch;
    Des Prüflings ganze Seele, sie liegt ja offen vor ihm wie ein Buch!

      O Heil der neuen Schule, die Konduiten schreibt,
    Daß auch der kleinste Fehler nicht ungeahndet bleibt!
    Hätt’ also man den Goethe traktiert von Anfang an,
    Er wär vielleicht geworden ein tugendhafter, ordentlicher Mann.


2. Der Fleck.

    O großer, hehrer Schiller, ich geb es gerne zu:
    Nicht nur ein großer Dichter, ein großer Mensch warst du.
    Du hieltst in reinen Händen das hehre Ideal,
    Und das ist stets zu loben, in unsrer tief gesunkenen Zeit zumal.

      Doch eins, o großer Schiller, gereicht dir nicht zur Ehr;
    Du reistest +ohne Urlaub+ zur Räuber-Première.
    Wo hielt dein guter Engel, o Schiller sich versteckt,
    Als du dich so vergingest! Das war, ach, nie und nimmermehr korrekt!

      Sieh, wenn so stark dein Herz dir nach jenem Mannheim schlug,
    So war’s nicht mehr als schicklich, um Urlaub ein Gesuch
    Auf längsgefalztem Bogen, mit Achtungsstrich zuletzt,
    Zu schreiben an die hohe Behörde, welche Gott dir vorgesetzt!

      Und wenn man’s dann dir abschlug, so war es sonnenklar,
    Daß es zu deinem Besten und Schwabens Wohle war.
    Doch daß du schwänztest -- warst du auch zehnmal ein Genie --
    Das bleibt ein Fleck, o Schiller, in deiner sonst so reinen
        Biographie! -- --


3. Zur sozialen Frage.

    Ich las in einer Zeitung von einer Ladnerin,
    Die aus der Kasse Geld nahm, das sich befand darin.
    Zum Glück ward die Verworfne zur rechten Zeit erwischt
    Und fortgeschleppt zum Kerker, daß ihr Charakter werde aufgefrischt.

      Bezog sie auch pro Monat nur dreißig Mark an Lohn
    Und war er einbehalten seit zweien Monden schon,
    Weil sie zerschmissen hatte verschiednes Porzellan --
    Ein +ordentliches+ Mädchen, das hätte so was dennoch nicht getan.

      Der Mensch ist frei geboren, ist frei, das steht mir fest,
    Und der nur wird verleitet, der sich verleiten läßt.
    Und bellte laut sein Magen, viel lauter bellen muß
    Aus seines Wesen Tiefe der ~Imperativus categoricus~.

      Und geht’s in solchem Falle dem Sünder nicht so schlecht,
    So läßt man eben Gnade ergehen mal vor Recht;
    Denn Hunger und dergleichen Entschuldigungen gibt’s
    +Nicht+ für den +Legislator+, und darf’s auch nicht, aus
        Gründen des +Prinzips+!

      Wohl gibt’s ein Recht zum Leben, ein Recht auf Arbeit auch,
    Ein Recht auf Nahrung nimmer, der Mensch ist +mehr+ als Bauch!
    Der Mensch soll eben stark sein, beherrschen soll er sich!
    Behandelt man ihn milde, gebärdet er nur immer toller sich.

      Käm ich mal in die Lage, zu hungern oder so,
    Ich trotzte jeder Lockung und stürbe frei und froh.
    Doch eben weil ich ehrlich mich hielt mein Leben lang
    Mit ungeheurer Mühe, so hab’ ich Trank und Speise. Gott sei Dank.


4. Die Wissenschaft muß umkehren.

    Gib, daß ich heut, o Muse, mit Engelszungen sprech’;
    Die Wissenschaft, du Hehre, die wird ’mal wieder frech!
    Trotz meines ernsten Mühens weicht sie um keinen Schritt
    Und leugnet alte Lehren, die ehmals kein Gesitteter bestritt.

      Es wird so ziemlich alles mit frevlem Mut gewagt;
    Vermessen nach dem +Alter der Erde+ wird gefragt!
    Fünftausendneunmalhundert sind es und dreizehn Jahr,
    Seit Gott die Welt erschaffen: das ist, ihr Herr’n, der frömmsten
        Einfalt klar!

      Nach +Affenmenschen+ sucht man auf Javas ferner Flur;
    O bleibt, ihr blinden Toren, bei uns im Lande nur!
    Ihr lästert Gott und Menschen mit dem, was ihr bezweckt:
    Ich stamme +nicht+ vom Affen, das sag ich euch, zum mindesten
        nicht direkt.

      Man sollt es gar nicht glauben: Der Schwindel geht so weit
    Daß ein gewisser Virchow mit „Wissenschaftlichkeit“
    Erklärt: „Des Denkens Vorgang wird bald erkennbar sein.“
    Na ja, ich sag euch so viel: In +meinen+ Schädel dringt ihr
        +nicht+ hinein!

      Ich frage: +Warum greift hier nicht die Regierung ein+?
    Kann +sie+ denn bei der Drohung des Virchow ruhig sein?
    Sie steure diesem Greuel mit Schneidigkeit und Schwung;
    Dazu hat sie ein Recht und -- das wissen alle -- auch Befähigung!

      Auch ich bin ein Gelehrter und Freund der Wissenschaft;
    Doch über meine +Seele+ gewinnt sie keine Kraft!
    Vom frevlen Wissensdünkel halt’ ich mein Herze rein;
    Mein Wissen kann nicht anders als immer nur ein höchst bescheidnes
        sein!

      Stellt gegen +meinen+ Glauben nur +eure+ Wissenschaft,
    Und lernt, wem Gott gekrönet die Stirn mit höh’rer Kraft!
    Ich lehre und verkünde in Stadt sowohl als Land,
    Was Gott der Herr gesprochen und ich als gut und richtig anerkannt.


  [4] Ambrosius liebt die in der letzten Zeile achtsilbige
      Nibelungenstrophe des Gudrunliedes, weil sie lang nachschleppt
      wie der Mantel eines ~rector magnificus~.




Eruption.


    In einem Bade, dahin man geht
    Wegen beginnender Nervosität,
    Saß ich friedlich bei einem Glas Bier,
    Eben versöhnt mit der Welt und mir.
    Da muß zu meinem starren Entsetzen
    Die Kurkapelle die Bögen wetzen,
    Die Kurkapelle -- ~mon sort tragigue~!
    Denn ich liebe so sehr die Musik!
    Entkommen konnt’ ich für kein Geld,
    Weil mich mein Freund, der Arzt bestellt,
    Klappt’ also hoch meinen Kragen nur
    Und unterwarf mich auch dieser Kur.

      Die Herren spielten sich ein Programm --
    Höll’ und Himmel und Gottverdamm’!
    „Die Schmiede im Walde“ -- o ungeheuer! --
    Mit Hammerschlag und bengalischem Feuer --!
    „Du liebes Aug’, du lieber Stern“ --
    „Zigeunerkind hat niemand gern“
    Und -- ob sich mir auch das Herz gebäumt hat --
    „Weißt du, Mutter, was mi’ träumt hat!“
    Tod und Teufel! Mein Freund, der Wicht,
    Kommt die Kanaille noch immer nicht?

      Nun obendrein noch ein Potpourri --
    +Muß+ man nun dazu schweigen? wie?
    Was zögert der Freund? Sein Wort soll ihn brennen!
    Ist das überhaupt noch „Freund“ zu nennen?

      Zu meiner Linken saßen bei Bier,
    Tabak und Skat der Mannen vier.
    Drei sahen das Meer mit dem Rücken an;
    Die Daumen drehte der vierte Mann.
    Sie säßen seit sieben Stunden dabei,
    Erklärten sie selber offen und frei,
    Sie sagten, hier säße man am besten
    Im ganzen Ort -- und lüpften die Westen.

      Grad vor mir stritt ein edler Haufe,
    Wo man das beste „Pilsner“ kaufe,
    Und wo es zu warm und wo es kalt sei,
    Und ob es mit zwanzig Pfennig bezahlt sei;
    Auch applaudierte man dem Konzerte,
    Macht’ eine Lebensversich’rungsofferte
    Und rief im Mäcenatenton:
    „Ach spiel’n Sie noch ’mal die ‚Holzauktion‘!“

      Zu meiner Rechten aber, ei ei,
    Saßen zierlicher Damen drei:
    Die waren im Tagewerk schon weit,
    Bei der vierten Torte, beim fünften Kleid.
    Bedachten soeben, was sie nun wollten,
    Ob sie sich +nochmal+ umzieh’n sollten,
    Sprachen von Nizza und anderen Stätten:
    Ja, da sehe man nach Toiletten!
    Andre als hier! Hier sei es ja kläglich!
    Z. B. die Oberstin trage täglich
    Das rosageblümte Morgenkleid,
    Und das sei ihr auch noch hier oben zu weit.
    So kamen sie bald durch Analogie
    Auf die Romane der Nataly
    Und den Heldenspieler Herrn Bogentritt.
    Summten auch schmachtend ein Weilchen mit
    „Ist denn kein Stuhl da?“ und ähnliche Lieder,
    Fuhren plötzlich zusammen wieder:
    „Ob man’s beachtet -- es sei ein Skandal! --
    Daß nun heut schon zum zweitenmal
    Die Kammerrätin ganz ~sans façon~
    Flaniere mit einem Seladon --
    Was? Ein Verwandter? Haha! So dumm!“

      Da reißt es mir jäh den Kopf herum:
    Die spielen bei Gott -- was packt mich denn an? --
    Das Menuett aus dem „Don Juan“.
    Und da schossen auch schon -- ja scheltet mich „Tor“!
    Die Tränen mir wild aus den Augen hervor,
    Und in mir rief’s mit Entsetzen schier:
    „Allmächtiger Mozart -- was willst du +hier+?!“
    Da +war+ er!! Ich sah durch den Garten ihn gehn --
    Starrend hab ich ihn angesehn --
    Wollt’ es ihm gern mit Blicken beschreiben:
    Nicht hier! O +hier+ nicht! +Hier+ kannst du nicht
        bleiben ...
    Da war er schon fort.
                          Die Kapelle spielte
    Ein Gassenlied, das soundsovielte. -- --

      Und jäh verstand ich das heiße Leid
    Von alles Großen Einsamkeit.
    Griff schnell nach dem Seidel und biß ins Glas --
    Nicht heulen! Die Damen merken schon was!
    Nahm’s Tuch und schnaufte, erhob mich flink,
    Stolperte, stieß einen Stuhl um und ging.

      Draußen kam auch mein Freund daher,
    Dem beichtet’ ich bald die ganze Mär.
    Der schüttelt den Kopf, ich weiß nicht wie:
    „Hyperästhesis -- Neurasthenie!
    Da sieh dir die andern Leutchen an:
    Die sind gesund -- nimm dir’n Beispiel dran.“

      Ich blickte zum Himmel: da loderte fern
    Venus, der große, blühende Stern.
    Und rufen mußt’ ich’s mit lachendem Mund:
    „Bin ich denn krank und sind jene gesund --
    Dann dank ich dir, Gott, mit bewegtem Sinn,
    Daß ich ein Neurastheniker bin!“




XII. +Denkzettel.+




Offenes Visier.


    Schlag frei des Geistes Auge auf im Angesicht der Welt
    Und modle deine Rede nicht, daß allen sie gefällt;
    Der Feige gibt ein schillernd Wort gelegner Deutung hin --
    Ein Sinn beherrsche jedes Wort; doch nie das Wort den Sinn.




Karriere.


    Er stieg von Amt zu Amt mit stetem Glück,
    Verkehrte höflich selbst mit Erzhallunken,
    Wich freundlich hier und freundlich dort zurück --
    Und so ist er gemach emporgesunken.




Der Diplomat.


    Herr Luchs spricht keinem Menschen nach dem Mund; --
    Und doch gelang es ihm, so hoch zu steigen?
    Ja: denn der Schalk versteht die feinre Kunst,
    Den großen Herren nach dem Ohr zu schweigen.




Ein Korrekter.


    Das ist ein Kerl nach der Zeiten Gebot!
    Und bät ihn Gott selbst um ein Stücklein Brot,
    Er fragte zunächst, was, wenn er’s schenke,
    Die vorgesetzte Behörde denke.




An eine kleine Pharisäerin.


    „Dieser Mann ward arm durch eigne Schuld!
    Und mit voller Hand sollt’ ich ihm geben?“
    Edle Dame voller Lieb’ und Huld,
    Ja! -- Denn von der Schuld kann er nicht leben.




Den Feinden der Mode.


    Wer schilt mir noch die Mode gar?
    Erscheint’s euch denn so wunderbar,
    Daß, was die „halbe Welt“ beglückt,
    Die andre Hälfte mit entzückt?




Auf einen feisten Monarchen.


    Kein Schlemmer hat bei Spiel und Bauch-Ergetzen
    Solch ein Gewicht wie König Rülps erreicht.
    Auf seinen Grabstein wird sein Volk ihm setzen
    Das schlichte Wort: „Er sei der Erde leicht!“




Der Snob im Theater.


    Des Volkes Stimme macht Ihm nie Beschwerde;
    Ihm gilt kein Urteil, das nicht Er gefällt.
    Er hält ein ganzes Volk für eine „Herde“,
    Eh’ Er Sich Selbst für einen Ochsen hält.




Auf einen bürokratischen Emporkömmling.


I.

    „Wem Gott ein Amt gibt, gibt er auch Verstand.“
    O Lügenwort, das Ohnmacht sich erfand!
    Dem Flachkopf, der durch Gunst ein Amt erklommen,
    Hat Dünkel bald den Rest von Hirn genommen.


II.

    Seitdem er stieg, trägt er ein frommes Kleid.
    Ich schätz’ ihn wegen dieser Dankbarkeit.
    Er fühlt’s: So dumm sein und so hoch es bringen,
    Das geht nur zu mit überirdschen Dingen.


III.

(Er ist vermählt.)

    Justitia fit. Wer draußen wird geplagt,
    Der findet still daheim, was ihm behagt.
    Und wer im Amte frech auf Stelzen wandelt,
    Wird meist zu Hause subaltern behandelt.




Aktuell um jeden Preis.


    „Nur aktuell, und ganz im Dienst des Tages stehn!“
    Der Edle schreit es aus als Grundsatz seiner Zeitung.
    Das Korn vom Tag vorher mag auf dem Halm vergehn;
    Dem Mäusedreck von heut verhilft er zur Verbreitung.




Auf einen Skandal-Journalisten.


    Er schimpft und tobt, ein wahrer Schlammvulkan!
    Und tut dabei, als ob nicht Haß ihn triebe.
    Und wahrlich habt ihr Unrecht ihm getan:
    Er schimpft wie eine Priesterin der Liebe.




Auf einen Redakteur.


    Wie kommt der Wicht dazu -- beim Element! --
    Sich mastig wie ein Osterochs zu dehnen? --
    Der Mann besitzt das Recht und das Talent,
    Die Werke eines Shakespeare abzulehnen.




Auf einen finsteren Kunstrichter.


    Kein Geschöpf trägt seinen Namen;
    Hoffet nicht, ihn zu erbitten.
    Unfruchtbare alte Damen
    Haben schrecklich strenge Sitten.




Passende Beschäftigung.


    Neidgelber Schuft, du suchst dein Element?
    Leck ab die Stiefel aller fremden Dichter;
    Das spuck den heimischen in die Gesichter,
    So wirst du ein moderner Rezensent.




Der Einzige und sein Eigentum.


    Er ist und bleibt der schärfste Rezensent;
    Denn just das Beste ist für ihn das Schlechte.
    Ist jedes Buch, das er als gut erkennt,
    Ein frecher Eingriff doch in seine Rechte.




Auf einen Pornographen.


    Er hat Talent. Nur muß er sich ergehen
    In Schweinerei’n: so glückt ihm sein Gedicht.
    Die Muse hat -- verzeihlichstes Versehen --
    Geküßt ihn aufs konträre Angesicht.




Beliebtes Rezept.


    Das faßt die Jugend heut beim ersten Wink:
    Die Ruhmbekränzten muß man dreist vermöbeln!
    Selbst kann man nichts -- so bleibt nur eins: sich flink
    An Männern von Verdienst emporzupöbeln.




Einem Pessimisten.


    Von Weltverachtung strotzen deine Lieder --
    Und langst doch gierig nach des Ruhmes Kränzen.
    Du lügst. Wem diese Welt im Grund zuwider,
    Verachtet es gewiß, in ihr zu glänzen.




Einem jungen Welthasser.


    „Unzufrieden bin ich mit der Welt!“
    Also rufst du trotzig und entschieden.
    Hast du, junger Freund, schon festgestellt,
    Ob die Welt denn wohl mit dir zufrieden?




Wohlgemeinter Rat.


    Du sollst dich nie so weit verlieren,
    Mit einem Esel zu disputieren.
    Deine schärfsten Beweise erscheinen ihm ja
    Als kollegiales Y--a, Y--a.




~Homo novus.~


    Da seht mir den Parvenu, den verrannten:
    Er will nicht von tierischen Ahnen kommen!
    Kaum ist er ein wenig emporgeklommen,
    Verleugnet er schon seine nächsten Verwandten.




Den Rückwärtsern.


I.

    „Historisches Werden! Historisches Wachsen!“
    Mit euren Phrasen! Mit euren Faxen!
    Werden und Wachsen -- kann’s denn geschehn
    Ohne die Sonne neuer Ideen?


II.

    Neue Ideen (wie die Sonn’ im Lenz!)
    Treiben aber mit Vehemenz.
    Oder verlangt ihr von Alt und Jung
    Temperierte Begeisterung?


III.

    Um die Rechte des Volks zu morden,
    Was nicht habt ihr als Recht gefodert!
    Ja, euer Recht war historisch geworden;
    Aber nun ist es historisch vermodert.




Der dichtende Schimpfbold.


    Hei, wie hast du die andern verrissen!
    Und nun du selber? Du „dichtest“ ja vieh’sch!
    Eines, Freundchen, solltest du wissen:
    Schimpfen verpflichtet. ~Poeblesse oblige.~




Auf einen Rezensenten.


    Der Mann verriß die Verse aller Dichter --
    Sein erstes Lied erweist ihn als gerecht:
    Nicht war er andern nur ein harter Richter,
    Er macht auch seine eignen Verse schlecht.




Der Geheimnisser.


    Ein „Magus des Nordens“ in jedem Gedicht,
    Fügt er geschäftig Reim an Reim.
    Ob er gedacht dabei oder nicht,
    Das hält er wunderbar geheim.




Auf einen Herausgeber,

der von einem Schriftsteller namens Alfred Gold abschrieb.


I.

    Oh, sein Talent ist nicht so eng begrenzt!
    Vielseitig ist er schon, der Sakramenter!
    Es ist nicht alles „Gold“, was bei ihm glänzt;
    Nein, hin und wieder stahl er auch bei Schlenther.


II.

    Kein schmählicher Verdacht verkenne ihn!
    Er ist ein ehrliches, ein braves Haus;
    Er ist ein neuer heiliger Crispin:
    Er stiehlt nicht nur; er gibt ja auch heraus.


III.

    Siegfried der Niblung war kein übler Herr:
    Doch +deine+ Glorie zehnfach heller prangt.
    Er war defekt; doch du bist integer.
    Ich meine: was die Hornhaut anbelangt.




Der Mystikus.


    O hättest du immer „dunkel“ geschrieben,
    Du wärst ein Symbolist geblieben! --
    Zum ersten Male schrieb er klar --
    Da sah man’s, daß er ein Simpel war.




Neustes Rezept für Lyrik.


    Paßt in den Vers das Wort, das mir vonnöten,
    So halt ich’s mit der Klarheit und mit Goethen.
    Gerät der Ausdruck mir konfus und schief,
    Alsdann, ihr Trottel, bin ich eben +tief+.




Auf einen Minister.


    Das ist ein Mann! Soll er was Rechtes tun,
    So hält er’s „jetzt noch nicht für opportun“,
    Und hilft ihm keine Ausflucht dran vorüber,
    So stellt er sich „sympathisch -- gegenüber“.




Auf einen Parteiführer.


    Ei, seht mir doch den alten Freiheitsknaben!
    Wie seine Herrschsucht alles niederhaut!
    Die Freiheit liebt er, traun, wie eine Braut;
    Er möchte sie für sich alleine haben.




Emanzipierte Frauen.


    Ihr spielt mit falschen Bärten, liebe Närrchen.
    Wie gern vertraut man echten, starken Frauen!
    Nun aber seid ihr nachgemachte Herrchen --
    Kein Laie wird, kein Geistlicher euch trauen.




Der kreißende Dichter.


    Ein großer Wurf liegt ihm im Sinn,
    Wie wogt sein Dichterbusen!
    Gleich fallen alle Neune hin!
    Zwar Kegel nicht, doch Musen.




Warnung.


    Setz, was du willst, mein Freund, den Deutschen vor,
    Nur keine -- wenn ich raten darf -- Komödie.
    Sie richten Lerchenlied und Rosenflor
    Standhaft nach den Gesetzen der Tragödie.




Pharisäer und Heuchler.


    Wie um Kleist, um Hebbel sie klagen
    In spätem Bewunderungsfieber! --
    Hört zu: Sie wurden erschlagen
    Durch Kerle von +eurem+ Kaliber.




Der „Tiefe“ im Lustspiel.


    Und lachen Götter und Menschen und Engel --
    Er ist zu bedeutend; drum lacht er nie.
    Recht hast du, erhabener Würdebengel;
    Das Lachen scheidet den Menschen vom Vieh.




Auf einen Polizeiminister.


    In jeglichem Erlasse trachtest du,
    Wie du mit Ketten fester uns umschließest.
    Das wär’ fürwahr dein trefflichster Erlaß,
    Wenn du dich selber uns erließest.




Diplomatie.


    Seid ihr mit Pulver und Blei bewehrt,
    Dann laßt die Diplomaten schalten!
    Die werden solange den Frieden erhalten,
    Bis einer von ihnen den Krieg erklärt.




Der Bescheidene.


    „Ich weiß, ich habe viel und große Mängel!“
    Er spricht es nicht mit Scham, nein, mit Erdreisten!
    Und denkt bei sich: Ein so famoser Bengel
    Wie ich kann sich ein Schock von Fehlern leisten.




Kein Wunder.


    Das wär’ mein Stück? Das kann ich nicht verstehen!
    Als baren Unsinn zeigt mir’s dieser Mann!
    „Ich ließ dies Drama durch den Kopf mir gehen,“
    So schreibt der Kritikus.
                              Ja freilich: +dann+ -- --!




Auf einen Hosenknopf-Naturalisten.


    „Fort von der Bühne Traum- und Fabelwesen!
    Man spuke nicht! Allein man spucke dreist!“
    O wäre Shakespeare doch wie du gewesen!
    Wir hätten einen Hamlet ohne Geist.




Bescheidenheit.


    Wir sagen’s frei: „Wir Menschen irren alle.“
    Bescheidenheit stand keinem jemals schlecht.
    Nur -- zeigt man uns an einem Einzelfalle,
    Daß wir geirrt -- so sind wir da im Recht.




~Hinc illae lacrimae.~


    Es gibt kein Stück, das ihn bewegt;
    Er beißt und spuckt wie nur ein Lama.
    Wo sonst ein Herz den Menschen schlägt,
    Trägt er ein ungespieltes Drama.




~Le précieux ridicul de Berlin.~


    Er ist ein Fatzke, meiner Seel’;
    Doch manchmal hat er auch Urteil und Schick,
    Und kurz und gut: er ist ein Juwel
    Im Schmockkasten unsrer Theaterkritik.




Der lautere Künstler.

    (Faust I, Hexenküche.)


    Weh denen, die durchs Drama Geld erwarben!
    Mit Gift bespeit er sie in vollen Garben.
    Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,
    Könnt’ er nur auch in jenes Lotto setzen!




Zierden des Vaterlands.

(1910.)


I.

    Vier Anonymi fielen mich an:
    Ich sei -- bum bum! -- kein deutscher Mann.
    Lieb Vaterland, magst ruhig sein:
    Vier Hunde kneifen die Schwänze ein.


II.

    Verzeiht, ich habe mich geirrt;
    Schaut her, wie sich das Bild entwirrt:
    Nicht vier der Hunde -- das muß ich ergänzen --
    +Ein+ Köter war es mit vier Schwänzen.




Altes Lied von der Zufriedenheit.


    Herr Plutus lehrt bescheid’nen Sinn;
    Er singt so schön, er singt so gut:
    „Was fragt ihr viel nach Geld und Gut,
    Wenn ich zufrieden bin?“




Inschrift.


    Warum ihr Frau Justizia heut
    Mit einer Binde schaut?
    Sie sieht nicht, was das Zünglein deut’,
    Und nicht, wohin sie haut.




Ein Biedermann.


    „Mir handelt es sich nie um die Person!
    Mein Sinn ist auf die +Sache+ nur gestellt!“
    Er überzeugt durch echten Herzenston;
    Denn jene hehre Sache ist das Geld.




Verbesserte Auflage.


    Zum zweitenmal erscheinen deine Lieder.
    „Verbessert“ schriebst du drauf mit kühnem Sinn.
    Ich blätt’re zweifelnd nach -- und blätt’re wieder --
    Und wirklich sind jetzt weniger darin.




Der beliebige Meyer.


    Ich bin blamiert! Ich bin moralisch tot!
    Mein Ruhm ist futsch! Mein Ansehn ist zum Geier!
    Denn Meyer schreibt, ich wär’ ein Idiot.
    Wer?
         Meyer!
                Meyer??!
                         Ausgerechnet: Meyer.




Meyer II.


    Daß nichts ich kann, sucht Meyer euch zu zeigen;
    Was kann dagegen Meyer, dieser Held!
    Er kann mir rückwärts auf- und niedersteigen
    Und Einkehr halten, wo es ihm gefällt.




Meyer III.


    Er hat ein Stück um ein Klosett geschrieben,
    Und dennoch ist es ungespielt geblieben.
    Dies sei dir Trost, du wilder Stückerichter;
    Noch spielt man nicht die wahren Afterdichter.




Derselbe.


    Den Abort hat er in ein Stück gebrungen
    Und ist damit nicht an das Licht gedrungen.
    Hinfüro hat er fremde Kunst besprochen,
    Und sieh: Der fromme Dichter wird gerochen.




Hartgesotten.


    „Geh in dich!“ rief ein Moralist,
    „Gott warnt durch mich zum letzten Male!“
    Was gab zur Antwort der Sophist?
    „Ich gehe nicht in schlechte Lokale.“




„Haltet den Dieb!“


    Ei, ob der Mann gescheit ist, sapperlot!
    Soll er ein Drama mit Kritik bedenken,
    So schimpft er „Schwachkopf“, „Stümper“, „Idiot“,
    Um auf den Dichter den Verdacht zu lenken.




Ein Typus.


    Mit neunzehn entließ ihn die Oberklasse;
    Dann hat eine Zeitung ihn angestellt;
    Mit zwanzig ertrank er im Tintenfasse
    Und richtet von dort aus nun Menschen und Welt.




~Nil admirari.~


    Das ist dein Grundsatz: „Ich bewundre nie.
    Und bringt ihr zehnmal Gold -- ich nenn es Messing.“
    Ja, zeugte kalte Schnauze von Genie,
    Dann wäre freilich jeder Hund ein Lessing.




Je nachdem.


    Hand aufs Herz und ohne Phrasendunst:
    Fällt nicht euer Urteil ganz, „wie’s trefft“?
    Wenn ihr’s selber machtet, war es Kunst;
    Wenn’s ein andrer machte, war’s „Geschäft“.




Auf einen Berliner Preßjüngling.


    Wie du die Dichter schmähst mit sittlichem Erbosen,
    Das, holder Freund, muß jedem klar beweisen:
    Wär’n ihre neuen Stücke alte Hosen
    Und +deine+ Ware, würdest du sie preisen.




Der Selbstdichter.


    „Noch fehlt uns das moderne Trauerspiel,
    Mit dem ein Shakespeare bald uns überrasche!
    Das Drama unsrer Zeit im großen Stil -- -- --“
    Na ’raus damit, du hast’s ja in der Tasche.




Noch einer von den vielen.

    (Frei nach Gerhart Hauptmann.)


    Auch dieser Schimpfbold schrieb ein Trauerspiel
    Mit Namen „Sehnsucht“, welches nicht gefiel.
    Weshalb er mir den Hals nun umzudrehn sucht.
    A jeder Schmierfink hat halt seine „Sehnsucht“.




Ältester Adel.


    Wähne sich auch noch so alt dein Adel --
    Herr v. Protz trägt ältren Adels Zier.
    In der Wüste sonder Furcht und Tadel
    Sprang sein Ahn schon um das goldne Tier.




Poetaster.


    Wer nach dem Ausdruck sucht, ist darum nicht schon Poetaster;
    Wer nach Eindrücken sucht, das ist der Stümper von Fach.




Die „Ernsthaften“.


    Die rechten Kritikaster die seyn finster;
    Ein hell und herrlich Jauchzen bringt in Zorn sie,
    Und lacht aus ödem Kraut ein goldner Ginster,
    So schnaubt und grunzt das seriöse Hornvieh.




Auf eine Reklamegröße.


    Wie kommt’s, daß diesen Dichter alle kaufen?
    Man ist nach seinen Büchern auf der Jagd!
    Wie macht’ er nur so schnell sich einen Namen?
    Ei, einen Namen hat er sich -- gemacht.




Auf einen Jambenrassler.


    Das brüllt und lärmt und spritzt nach jeder Richtung
    Und ist ein ewig Gischt- und Schaumgetrief’!
    Ein wildes Wasser, Freund, ist deine Dichtung --
    Und stille Wasser, sagt man, wären tief.




Auf einen käuflichen Literaten.


    Zehntausend Bogen füllt nun dein Geschmier;
    Für Lug und Schwindel wächst dir Gold in Klumpen.
    Drum wandelst du dich mählich in Papier,
    Und das ist freilich der Beruf der Lumpen.




Der Handelsmann im Norden.


    Ja, „Rundschau“ nennt er sein Monatsheft
    (Man ergänze: „über mein Büchergeschäft“!)
    Und tut wie der einzige große Christoffer.
    Nicht „Rundschau“ sagen! Sag: „Musterkoffer“.




Nur bescheiden.


    Wer Großes mit Bewußtsein schafft,
    Den nennen die Lumpe dünkelhaft.
    Ein rechter Leu muß, wie sie meinen,
    In einer Eselshaut erscheinen.




Die Rechten.


    Und bist du der beste der Menschen gewesen,
    Und öffnet Gott selbst dir das Himmelstor,
    So rufen just die gemeinsten Streber:
    „Er drängt sich vor!“




Der größte Lacherfolg.


    In allen Künsten dieser Zeit
    Wetteifert vieles in Lächerlichkeit.
    Eins aber bleibt ohne Konkurrenz:
    Die große Gebärde der Impotenz.




Einem kleinen Kometen ins Stammbuch.


    Der Himmel blüht von Millionen Welten --
    Wir blinzeln faul hinauf und gehn fürbaß.
    Du aber bist geschwänzt und machst dich selten --
    Begeistert sucht dich jedes Opernglas.




Amnestie.


    Wie? Alles lobt und preist mit vollen Wangen
    Ihn, dessen Werk man gestern frech verhöhnt?
    Ihm starb sein Weib. Von Wahnsinnsnacht umfangen,
    Ging er ihr nach.
                      Nun ist der Neid versöhnt.




An ein Rauhbein.


    Was höhnst du die Höflichkeit so bitter
    Und die guten Formen, die feinen und zarten?
    Sie sind die unentbehrlichen Gitter
    In einem zoologischen Garten.




Das „~Dr.~“ vor dem Namen.


    Tief vor deinem „~Drrrr~“ soll ich erschauern,
    War dies „~Drrrr~“ doch deines Studiums Zweck.
    Sterb einst ich, so wird mein Name dauern;
    Stirbst hingegen du, so bleibt ein Dr...




Auf einen Rezensenten namens Kuh.


    Herr +Kuh+ versucht, mich in den Staub zu zieh’n.
    Wieso denn „Kuh“? Warum so feminin?




Falsche Rechnung.


    „Viele Hunde sind des Hasen Tod“;
    Also hetzt ihr wie die schwere Not.
    Dennoch geht der Fang euch aus der Nase;
    Seid ihr Hunde, bin doch ich kein Hase.




Disputation.


    „Ich opfre dem Glauben gern den Verstand!
    Das +muß+ man!“ schrie er fromm entbrannt.
    Vergiß nur nicht, mein lieber Mann,
    Es kommt auf die Größe des Opfers an!




Ein Frommer.


    „Willst du vollkommen sein“ -- das fiel ihm ein --
    „Verkauf dein Gut und gib’s den Armen hin!“
    Und er empfand’s mit dankerfülltem Sinn:
    Gottlob! ein Mensch kann nicht vollkommen sein!




Unsere Protestanten.


    „Kampf gegen jede Fäulnis und Zermorschung!
    Gewissensfreiheit! Freie Bibelforschung!“ --
    Wie hab’ ich euren Mut so oft bewundert;
    Das alles fordert ihr -- fürs sechzehnte Jahrhundert!




Den Dunkelmännern.


    Was nicht ihre Gesinnung bekundet,
    Schelten sie „unreif“ mit bösem Gekeif.
    Ist denn die Distel darum reif,
    Weil sie dem Esel mundet?




Ökonomie.


    Ward je ein großes Glück dir zugemessen,
    Zwei Drittel schiebe still davon beiseit’.
    Bei einem denk’: „Das wird die Scheelsucht fressen“;
    Beim andern sage dir: „Das frißt der Neid“.




Der Prophet im Vaterlande.


    Sie ehren das Große der Heimat nie.
    Sie schließen im stillen nach Analogie:
    Wie wüchsen wohl große Geister hier,
    Wo solche Kälber gedeihn wie wir.


[Illustration]





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK GEDICHTE ***


    

Updated editions will replace the previous one—the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for an eBook, except by following
the terms of the trademark license, including paying royalties for use
of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for
copies of this eBook, complying with the trademark license is very
easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation
of derivative works, reports, performances and research. Project
Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may
do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected
by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark
license, especially commercial redistribution.


START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE

PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase “Project
Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg™ License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™
electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person
or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the
Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg™ License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country other than the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work
on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the
phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

    This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
    other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
    whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms
    of the Project Gutenberg License included with this eBook or online
    at www.gutenberg.org. If you
    are not located in the United States, you will have to check the laws
    of the country where you are located before using this eBook.
  
1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase “Project
Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg™.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg™ License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format
other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg™ website
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain
Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works
provided that:

    • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
        the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method
        you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
        to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has
        agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
        within 60 days following each date on which you prepare (or are
        legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
        payments should be clearly marked as such and sent to the Project
        Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
        Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg
        Literary Archive Foundation.”
    
    • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
        you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
        does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™
        License. You must require such a user to return or destroy all
        copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
        all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™
        works.
    
    • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
        any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
        electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
        receipt of the work.
    
    • You comply with all other terms of this agreement for free
        distribution of Project Gutenberg™ works.
    

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of
the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set
forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right
of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg™
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our website which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org.

This website includes information about Project Gutenberg™,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.