Rund um Süd-Amerika: Reisebriefe

By Oskar von Riesemann

The Project Gutenberg eBook, Rund um Süd-Amerika, by Oskar von Riesemann


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Title: Rund um Süd-Amerika
       Reisebriefe


Author: Oskar von Riesemann



Release Date: August 23, 2017  [eBook #55419]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RUND UM SÜD-AMERIKA***


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Anmerkung zur Transkription

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RUND UM SÜD-AMERIKA

Reisebriefe

von

DR. OSKAR v. RIESEMANN

Mit 43 Abbildungen auf 16 Tafeln






Dietrich Reimer (Ernst Vohsen)
Berlin 1914

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

DAS BILD AUF DEM UMSCHLAG STELLT
»FELSBLÖCKE AM TITICACA-SEE« DAR




  SR. DURCHLAUCHT

  FÜRST PETER LIEVEN

  DEM TREUEN REISEGEFÄHRTEN IN
  HERZLICHER FREUNDSCHAFT UND DANKBARKEIT
  FÜR MANCHE ANREGUNG ZUGEEIGNET




VORWORT.


Die vorliegenden Briefe erschienen während meiner Reise vom Dezember
1912 bis zum Juli 1913 in der »Moskauer Deutschen Zeitung«. Auf
wissenschaftliche Gründlichkeit, oder Vollständigkeit in irgend einer
Beziehung können sie nicht die geringsten Ansprüche erheben. Trotzdem habe
ich mich entschlossen, sie gesammelt der Öffentlichkeit zu übergeben.

Die Reiseliteratur über Süd-Amerika ist sehr arm. Bevor ich meine Reise
antrat, habe ich die besten Buchhandlungen in Petersburg, Berlin und London
abgesucht, ohne irgend etwas Brauchbares zu finden. Infolgedessen hoffe
ich, daß selbst diese oberflächlichen Schilderungen Reisenden, deren Ziel
Süd-Amerika ist, nützlich sein können. Sie enthalten die frischen Eindrücke
eines Reisenden, dessen Amerika-Fahrt keinen anderen Zweck verfolgte, als
den: Land und Leute außerhalb Europas ein wenig kennen zu lernen.

Irgend ein System oder irgend eine Tendenz sucht man in diesen Blättern
vergeblich. Ich bin ein Freund von planlosen Reisen und hatte das Glück
einen gleichgesinnten Reisekameraden zu finden. Während der Reise wurde
das nächste Ziel immer erst beim Verlassen des vorhergehenden bestimmt.
Von Zeit- und Raumrücksichten waren wir unabhängig. Infolgedessen haben wir
sicherlich vieles Schöne und Naheliegende nicht gesehen, dafür aber
manche vielleicht nicht weniger lohnende Gegenden aufgesucht, an denen
Bädeker-Reisende höchst wahrscheinlich achtlos vorübergefahren wären.
Man betrachte das Büchlein mit Nachsicht. Es ist von keinem
Reise-»professional« geschrieben.

Den Bilderschmuck hätte ich gerne reicher und interessanter gestaltet, doch
bin ich im Photographieren -- Dilettant. Einige der besten Aufnahmen haben
mir unsere Reisegefährten in Bolivien, Herr Werner Schmidt-Valparaiso und
Herr Bergassessor Wenker liebenswürdiger Weise zur Verfügung gestellt. Ich
sage ihnen dafür auch an dieser Stelle meinen aufrichtigen Dank.

  Moskau, Dezember 1913.

  Dr. O. v. RIESEMANN.




INHALTS-VERZEICHNIS


  Vorwort                                                                 7

   1. Der Steamer »Arlanza«. -- Vigo. -- Lissabon                        11

   2. Die Insel Madeira                                                  16

   3. Pernambuco. -- Bahia                                               21

   4. Rio de Janeiro und brasilianische Karnevalsfreuden                 25

   5. Buenos Aires                                                       29

   6. Die argentinischen Pampas. -- Das Weinland von Mendoza             33

   7. Die Kordilleren                                                    38

   8. Chile. -- Allgemeine Eindrücke                                     43

   9. Temuco. -- Ein Aufzug der Araucaner-Indianer                       49

  10. Der Mapuche (Araucaner) chez soi                                   54

  11. Süd-Chile -- ein zweites Deutschland                               59

  12. Chilenisches Gesellschafts-, Bade- und Sportleben                  64

  13. Von Valparaiso nach Antofogasta. -- Die chilenische
      Salpeter-Industrie                                                 70

  14. Bolivien. -- Oruro. -- La Paz                                      76

  15. Im tropischen Bolivien                                             83

      1. Von La Paz bis Achecachi                                        83

      2. Von Achecachi nach Sorata                                       89

      3. Von Sorata nach San Carlos                                      95

      4. San Carlos                                                     108

      5. Mapiri und Guanay                                              115

      6. Die Rückkehr                                                   128

  16. Im Schnellzug durch Peru. -- Der Titicaca-See. --
      Mollendo. -- Lima                                                 135

  17. Panama und eine Alligatorjagd                                     140

  18. Von Panama nach New York. -- Jamaika. -- Cuba                     149

  19. New York                                                          153

      1. Der erste Eindruck                                             153

      2. Hotels, Zeitungswesen, Reklame                                 159

      3. Polizeiwesen, Detektivs, Verbrecherkneipen und Opiumhöhlen     165

      4. Amerikanischer Sport und amerikanische Vergnügungen            175

      5. Das Jugendgericht                                              181

  20. Der »Imperator«                                                   187




TAFEL-VERZEICHNIS


   1. Puente del Inka (Anden)                                    40

      Kordilleren-Landschaft                                     40

   2. Das Christusdenkmal auf der Grenze Argentinien-Chile       40

      Nebenan ein Maultier-Skelett                               40

      »Hotel« in Juncal                                          40

   3. Bergsee in den Kordilleren                                 40

      Blick auf den Aconcagua                                    40

   4. Araucanische »Ruca« (Chile)                                56

      Araucanischer Friedhof                                     56

      Interieur einer »Ruca«                                     56

      Araucanerin zu Pferde                                      56

   5. Oruro (Bolivien)                                           80

      Straßentypen in Oruro                                      80

      Lamas in Ängsten vor dem »Kodak«                           80

   6. Proben altspanischer Architektur in La Paz (Bolivien)      80

   7. »Balza« auf dem Titicaca-See (Bolivien)                    88

      Flötenblasender Indianer                                   88

   8. Bolivianische Postkutsche                                  96

      Das »Grand Hotel« Tola Pampa                               96

   9. Die Hazienda »San Carlos« (Bolivien)                      104

      Indianer in Poncho vor einem Bananen-Haine                104

  10. Anzapfen eines »Gummibaumes«                              112

      Abschälen der »China-Rinde«                               112

  11. Eine »Balza« auf dem Mapiri                               120

      Unser »Wohnhaus« in Guanay                                120

  12. Die »Stadt« Mapiri                                        120

      Stromaufwärts!                                            120

  13. Sonnenaufgang beim »Yalhazani-Paß« (Bolivien)             128

      Frühstückspause                                           128

      Indianisches Denkmal                                      128

  14. Indianisches Stubenmädchen in Sorata                      128

      Der Balzero »Sonnenschein«                                128

      Indianerin beim Maismahlen                                128

  15. Indianer im Feststaat (Bolivien)                          136

  16. Jamaika                                                   152




1. BRIEF.

DER STEAMER »ARLANZA«. -- VIGO. -- LISSABON.


Am 3. Januar (21. Dez.) hieß es, zum ersten Male Abschied von Europa
nehmen. In Southampton, das den überseeischen Weltverkehr Londons
vermittelt, erwartete uns der Steamer »Arlanza«, der neueste und schönste
Riesendampfer der Royal Mail Steam Packet Company, kürzer R.M.S.P. Diesem
schwimmenden Koloß, der, wie sich auf den ersten Blick feststellen ließ,
alle Vorzüge eines luxuriösen Weltstadt-Hotels in sich vereinigte, galt es,
seine sterbliche Hülle bis Rio de Janeiro anzuvertrauen. Man tut es gerne,
denn der Dampfer mit seinen sieben Etagen über dem Wasserspiegel, den
zahlreichen, höchst komfortabel ausgestatteten Gesellschaftsräumen, dem
pompösen Speisesaale, Turnhallen und Promenadendecks macht einen sehr
vertrauenerweckenden Eindruck. Die prächtig eingerichtete Kabine, die uns
aufnahm, verhieß mit ihrem geräumigen Badezimmer und einem mechanischen
Wunderwerk von Douche-Vorrichtungen, sogar für die Äquatorialzone ein
erträgliches Leben. Mit einigen Handgriffen kann man so ungefähr den
halben Ozean zu sich heraufpumpen, wenn es zu heiß wird. Immerhin eine
erfrischende Aussicht.

Die erste Sorge, wenn man einen Dampfer zu einer 21tägigen Seereise
betritt, gilt natürlich -- der Seekrankheit. In diesem Fall war die Frage
ganz besonders brennend, galt es doch den berüchtigten Golf von Biscaya zu
durchqueren. Dieser Golf von Biscaya verursachte mir schon vor Beginn der
Reise ein Gefühl, das mit Seekrankheit nahe verwandt ist. Jedermann,
der von meiner Reise hörte, fühlte sich verpflichtet, die Augenbrauen
bedenklich hochzuziehen und mit vielsagendem Kopfschütteln prophetisch
auszurufen: »Nun, nun, aber der Golf von Biscaya!« Das taten alle, von
den besten Freunden bis zum Hotelkellner in London und Gepäckträger in
Southampton. Kein Wunder, daß einem dieses Schreckgespenst »Golf von
Biscaya« zum Halse herauswuchs, noch bevor er in Sicht war. Zum Überfluß
hatten in der Woche vor meiner Abreise drei englische Schiffe im Golf
von Biscaya umkehren müssen, und ein italienisches war mit Mann und Maus
untergegangen.

So erwartete ich ihn denn mit Todesverachtung -- den ominösen Golf von
Biscaya, zumal das Schiff im Ausgange des Kanals bedenklich zu »stampfen«
anfing. Aber die Meergötter hatten Erbarmen mit mir, wahrscheinlich fanden
sie mit Recht, daß ich schon vorher genug Qualen dank dem Golf von Biscaya
ausgestanden hatte. Oder war es das neuerfundene »Delphinin«, das mich vor
der Seekrankheit bewahrte. In dem Falle empfehle ich es allen Seereisenden
aufs wärmste.

Dafür habe ich vom Golf von Biscaya einen wundervollen Natureindruck
davongetragen. Merkwürdig beengt erscheint der Horizont, denn die mächtigen
Wogen, die von allen Seiten heranrollen, versperren überall hin die
Aussicht. Ein herrliches Farbenspiel entwickelt sich bei Sonnenschein in
diesen durchsichtigen gläsernen Bergen, die bald grün, bald grau, bald
bläulich-weiß schimmern, während sie bei Sonnenuntergang wie ein Gemisch
von Blut und Gold erscheinen. Eine unheimliche Kraft wohnt in den Wogen des
Atlantischen Ozeans. Drohend nahen sie in geschlossenen Reihen, und wenn
sich ihnen ein Hindernis in Gestalt eines Dampfers in den Weg stellt, so
zerschellen sie empört daran und senden ihren weißen Gischt hinauf bis
aufs fünfte und sechste Deck. Ein Schiff von fast 16000 Tons, gleich der
»Arlanza«, ist ein willenloses Spielzeug ihrer drängenden Gewalt und vermag
scheinbar nur mit Mühe seinen Weg durch die ihm entgegenschäumenden Fluten
fortzusetzen.

Der erste Haltepunkt nach glücklicher Durchquerung des Golfes von Biscaya
war der spanische Kriegshafen Vigo. Die ersten Laute, die mir in der
malerischen, von sanft gewellten Gebirgszügen eingeschlossenen Bucht
entgegenschlugen, waren folgende: »dawai russki moneta!« Und zwar entstieg
dieser Anruf dem nimmer ruhenden Mundwerk einer spanischen Obsthändlerin,
die ihr ganzes Warenlager in ein Segelboot verstaut hatte und an unseren
Dampfer anlegte. Er galt, wie sich nachher herausstellte, einer Schar
russischer Emigranten, die vom Hinterdeck der »Arlanza« waschechte 15-
und 20-Kopekenstücke in Körben hinabließen und dagegen als Äquivalent
eine geringere oder größere Anzahl von Birnen, Orangen, Feigen und
anderen Früchten erhielten. Ihr verzweifelter Ruf nach »Gurken« verhallte
allerdings ungehört. Diese russischen Emigranten -- Sektierer
aus Transkaukasien -- sind ein überaus sympathischer und ernster
Menschenschlag. Sie ziehen nach Montevideo in Brasilien, um dort »das
Reich Gottes« aufzurichten, da sie auf das Jenseits keine Hoffnung setzen.
Vielleicht werde ich noch einmal Gelegenheit haben, die tiefsinnigen
moralischen und ethischen Grundsätze dieser bemerkenswerten Menschen näher
zu beleuchten. In Brasilien und in Argentinien gibt es eine große Zahl
russischer Sektierer-Kolonien. Die »Duchoborzy« haben es dort bekanntlich
zu großem Ansehen und beträchtlichem Wohlstande gebracht.

Die »Arlanza« hielt in Vigo nur zwei Stunden. Wir, d. h. mein Reisekamerad
und ich, waren die einzigen Passagiere, die in einem Dampfkutter an Land
gingen, da ich einige wichtige Korrespondenzen aufzugeben hatte. Es war ein
Sonntag, 3 Uhr nachmittags, und am Hafenkai, der zugleich der fashionable
Boulevard des kleinen Städtchens ist, entwickelte sich ein äußerst
bewegtes, buntes Leben und Treiben. Schöne Spanierinnen -- übrigens alle
stark geschminkt, egal ob sie 40 oder 16 Jahre alt sind -- in malerischen
schwarzen »mantillas« und schwatzhafte Gecken, in möglichst leuchtende
Farben gekleidet, flanierten den breiten Hafenkai auf und ab. Als Führer
diente uns ein durchtriebener kleiner spanischer Bursche, der unter
»Sehenswürdigkeiten« der Stadt die merkwürdigsten und überraschendsten
Dinge verstand. Übrigens konnte auch er einige Worte russisch. Das verdankt
man der »Kulturträgerarbeit« der russischen Kriegsschiffe, die ständig in
Vigo stationieren.

Lissabon ist eine wundervolle Stadt. Alexander v. Humboldt nennt sie
bekanntlich die »Königin aller Seestädte«. Und nach meinen bisherigen
Erfahrungen bin ich unbedingt geneigt, ihm Recht zu geben. In einer Länge
von mehr als 10 Kilometer zieht sich das im Januar-Sonnenschein blendend
weiß schimmernde Häusermeer um die Bucht. Die Stadt ist terrassenmäßig
angelegt -- auf sieben Hügeln. Jede Stadt, die etwas auf sich hält, ruht
auf sieben Hügeln, auch Rom und Moskau.

Da uns nur wenige Stunden zur Verfügung standen, konnten von den
Sehenswürdigkeiten der Stadt nur wenige und auch die nur flüchtig in
Augenschein genommen werden. Eine Autofahrt in die Kreuz und in die
Quer ließ uns wenigstens von den Straßenbildern Lissabons einen ziemlich
vollständigen Eindruck mitnehmen. Es gibt unbeschreiblich reizvolle und
pittoreske Partien in der Stadt, Gebäude von sonderbarer, halb maurischer,
halb romanischer Bauart, die uns als der »stilo Manuele« vorgestellt wurde,
bezaubernde Palmenhaine wechseln mit breiten, pompösen Avenüen und Plätzen
ab, oft öffnet sich in einer unscheinbaren Querstraße ein herrlicher
Ausblick auf das leuchtende Meer mit seinen bunten Segeln und dem regen
Dampferverkehr. Zwischen dem steinalten verwitterten Gemäuer in engen,
steilen Straßen nimmt sich das blendende Blau des Meeres und des Himmels
natürlich besonders reizvoll aus.

Einen unauslöschlichen Eindruck macht das nicht weit von der Stadt
gelegene, von malerischen Palmengruppen umsäumte Kloster Belem (sprich
Beleng, im Portugiesischen gibt es, glaube ich, keinen einzigen Laut, der
nicht nasal ist). Es ist ein im echtesten Manuel-Stil erbauter riesiger
Gebäude-Komplex aus weißem, marmorähnlichem Gestein, das zu feinstem
Spitzenfiligran verarbeitet ist. Der Klosterhof mit seinen Kreuzgängen ist
eines der vollendetsten architektonischen Gebilde, das mir je zu Gesicht
gekommen ist. Die Eingeborenen freilich lachen über die »Zuckerbretzeln«
des »stilo Manuele«. Jetzt dient das Kloster 800 Waisenknaben zum
Aufenthaltsort. Sie hatten gerade Freistunde und vollführten einen
Höllenspektakel im stillen Klosterhofe, der eigentlich ganz anderen
Zwecken, der inneren Sammlung und Ruhe, dienen sollte. Als besondere
Sehenswürdigkeit -- echt portugiesisch, dieses Volk hat für
Unappetitlichkeiten eine besondere Vorliebe -- wurde ein Knabe gezeigt, dem
die Schädeldecke fehlte und der mit seiner Blechkapsel, die diese ersetzte,
devot grüßte. Der Bursche war höchst vergnügt und unbändig stolz auf
seinen blechernen Schädel, den Gegenstand der Achtung und des Neides seiner
799 Mitschüler. In einem Raum des Klosters befindet sich das wundervoll
gearbeitete Grabdenkmal des portugiesischen Historikers Alessandro
Herculeo. Kein König hat in Lissabon solch ein Grabmonument. Es gibt also
doch ein Volk, das seine Denker ehrt.

Apropos, die portugiesischen Könige. Jetzt gibt es keine mehr. Aber die
früheren werden Neugierigen auch heute noch gezeigt. Ich schäme mich fast,
daß ich sie mir auch angesehen habe. In einer Begräbniskapelle, die einer
alten Rumpelkammer ähnlich sieht, stehen Särge über Särge gestapelt.
Sie bergen die sterblichen Überreste der portugiesischen Könige und
brasilianischen Kaiser. Der hinkende Wächter dieser entschwundenen
Herrlichkeit holte aus altem Gerümpel eine Holztreppe hervor und hieß uns
an die »interessantesten« Särge hinansteigen. Da grinsten uns durch die
Glasscheibe des oberen Sargdeckels die weißlich verschimmelten Gesichter
des Königs Carlos und des unglücklichen Thronfolgers Don Louis entgegen,
die dem Attentat 1909 zum Opfer fielen, und der einst so prächtig
charaktervolle Kopf des Kaisers Don Pedro von Brasilien, der sein Land
zu dem gemacht hat, was es ist. Am Fußende eines der Särge lag eine
zerbrochene Königskrone aus Goldblech -- ein vielsagendes, warnendes
Symbol.

Sic transit gloria mundi!

Die Portugiesen sind unsagbar stolz auf den Kopf der Republik, der jetzt
auf ihren neugeprägten Münzsorten prangt.




2. BRIEF.

DIE INSEL MADEIRA.


Möge jeder jemals von mir aufgenommene Tropfen des flüssigen Goldes, durch
das dieser Ort zuerst berühmt geworden ist, mir helfen, die zauberische
Schönheit der Insel Madeira in Farben zu schildern, die ebenso glühend und
feurig sind, wie der Wein, der auf ihren fruchtbaren Bergabhängen wächst.

Am 8. Januar um 5 Uhr morgens warf die »Arlanza« auf der Außenreede von
Funchal, der Hauptstadt der Insel, Anker. Veder Napoli e poi morir -- das
hat ein Mann gesagt, der Madeira sicherlich nicht gesehen hat. Der
Anblick der Insel vom Meere aus bietet ein unvergeßliches Bild. Von hohen
Bergketten umschlossen, öffnet die Bucht von Funchal ihren gastlichen,
geschützten Hafen den Schiffen. Trotzig und zackig ragen hier schroffe
Felsabhänge in den Ozean hinein, sanft gewellte Hügel, von immergrünen
Hainen bedeckt, ziehen sich dort den Strand entlang. Und zwischen
hineingestreut, als hätte man einen Sack Zucker ausgeschüttet, liegen
die schneeweißen Würfel der Häuser und Villen Funchals. In blendendem
Morgensonnenschein blitzen und funkeln die Fensterscheiben bis weit übers
Meer herüber. Trotz der frühen Morgenstunde herrscht ein reges Leben auf
der Bucht von Funchal. Unser Dampfer ist im Nu umringt von einer Unmenge
schmaler Ruderboote und kleiner Dampfkutter. Ein ähnliches Gewimmel umgibt
einen anderen prächtigen Ozeanriesen, der sich nicht weit von uns auf den
Wellen schaukelt. Er rüstet sich zur Weiterfahrt nach Afrika und von Zeit
zu Zeit läßt er den aufregenden Schrei seiner Dampfpfeife ertönen. Für
den Stil unserer Reise übrigens war es charakteristisch, daß wir einen
Augenblick lang ernstlich daran dachten von unserem Amerikadampfer auf
jenen Afrikadampfer überzusiedeln. Er sah mit seinem sauberen hellgrauen
Anstrich so einladend und unternehmend aus. Und in Afrika ist es sicherlich
auch sehr interessant. Nach »reiflicher« Überlegung, die 5 Minuten währte,
entschieden wir uns jedoch zu bleiben, wo wir waren. Ob zu unserem Glück
oder Unglück -- wer weiß es.

Vor einigen Jahren noch mag es schwer, ja unmöglich gewesen sein, in der
verhältnismäßig kurzen Zeit von sechs Stunden die Schönheiten Madeiras auch
nur einigermaßen gründlich kennen zu lernen, jetzt geht das leichter, wenn
es einem nämlich gelingt, eines der wenigen Autos habhaft zu werden, die
von unternehmungslustigen Madeiranern wohl speziell für durchreisende
Fremde angeschafft worden sind. Gelingt einem das jedoch nicht, so ist man
verloren, das heißt auf die vorsintflutlichen Vehikel angewiesen, mit denen
der gewöhnliche Straßenverkehr auf Madeira besorgt wird. Der Wissenschaft
halber habe auch ich eine Strecke in solch einem Fuhrwerke zurückgelegt und
wurde dabei lebhaft an die Moskauer Iswostschiki im März erinnert. Solch
eine Madeira-Droschke ist nämlich ein -- Schlitten, der von zwei trägen
Ochsen über das holperige Pflaster der Stadt gezogen wird. Die Kufen werden
mit Fett eingeschmiert (so weit ist man in Moskau noch nicht), um leichter
über die Steine zu gleiten. Wenigstens ist für einigen Komfort gesorgt. Die
Schlitten haben Federn, und vor der Sonne wird der Fahrgast durch einen
auf vier Stangen ruhenden Baldachin aus buntem Kattun geschützt. Das Tempo
solch eines Fuhrwerkes ist das Largo des Totenmarsches aus »Saul«. Zwar
läuft ein brauner Junge, der unter seinem Riesenstrohhut fast
verschwindet, voran und reizt die Ochsen vermittelst eines Flederwischs zu
temperamentvolleren Leistungen. Doch hilft das nur wenig. Die Ochsen wären
ja wirklich welche, wenn sie vor dem kleinen Buben mit seinem weichen Besen
Respekt hätten.

Nein, ein Auto auf Madeira ist vielleicht stillos, aber für Reisende, deren
Dampfer Eile hat, ist es unter allen Umständen vorzuziehen.

Unser Chauffeur, ein Stockportugiese, der außer den häßlich-näselnden,
faulen Lauten seiner Sprache, leider keinen Ton in einem verständlicheren
Idiom hervorbringen konnte und auch keinen verstand, führte uns zuerst
auf die Ostseite der Insel. Der Weg windet sich bergan, zwischen
Zuckerrohrfeldern, durch Alleen von Platanen, vorbei an Palmenhainen und
Bananenpflanzungen, wo, noch jetzt im Januar, die goldigen Früchte im
saftig grünen Laub schimmern. Lange Strecken des Weges bilden Legionen
von Kakteen mit glühendroten Knollen und Blüten eine natürliche Hecke und
bieten als origineller Stachelzaun Schutz vor Wegelagerern. Freilich auf
der Straße selbst ist man vor ihnen nicht sicher, und sie stellen sich auch
bald ein in Gestalt von braunhäutigen, barfüßigen und barhäuptigen
Kindern, die ein Blumenbombardement auf den Wagen eröffnen. Wundervolle
dunkelviolette Iris, Rosen, Azaleen-Blüten, Magnolien und sonderbare
leuchtend rote Sternblumen fielen uns in den Schoß. Die Kinder laufen
hinterdrein und haschen Kupfermünzen. Ihre schwarzen Korintenaugen blitzen
wie glühende Kohlen und in ihren Gesten äußert sich ein beängstigend
feuriges Temperament. Der Weg wird von Minute zu Minute schöner und
romantischer. Auf der einen Seite hat man die Berglandschaft mit
entzückenden Ausblicken, bizarren Felsformationen, schäumenden
Wasserfällen, malerischen Viadukten, auf der anderen öffnet sich eine
unendliche Fernsicht auf den im frühen Sonnenlichte silbern schimmernden
Ozean. In violettem Dunst zeichnen sich am Horizonte die Umrisse der
anderen kanarischen Inseln ab.

Auf dem höchsten Punkte des Weges machten wir Halt. Man mochte sich nicht
losreißen von dem unbeschreiblich schönen Bilde, das sich nach allen Seiten
hin bot. Einige regelrechte Kanarienvögel gaben uns im nahen Pinienhaine
ein Morgenkonzert. Nun ging es denselben Weg zurück durch die jetzt schon
ein wenig belebteren, meistens ziemlich winkeligen und engen aber immer
malerischen Straßen Funchals. Es gibt eine Menge Villen, die sich durch
ihre geschmackvolle Bauart auszeichnen. Sie liegen in blühenden Gärten,
deren üppige tropische Vegetation einen geradezu märchenhaften Eindruck
macht. Riesige Farrenbäume, Palmen, Rhododendren, Azaleen von der Größe
junger Birken, Magnolien, Gummibäume -- alles wächst dort in buntem und
wirrem Durcheinander. Die meisten Häuser sind eingehüllt in das Dickicht
irgend einer Schlingpflanze mit wundervollen leuchtend violetten Blüten,
die so dicht wachsen, daß ihre Farbe fast wie ein lustig bunter Anstrich
wirkt.

Auf der Westseite der Insel erreichten wir nach zirka 20 Kilometern ein
kleines Fischerdorf, das auf steil abfallenden Felsen ins schäumende und
brausende Meer hineingebaut ist. Es schien nur von Kindern bevölkert zu
sein, die unser Auto in unheimlich anwachsenden Scharen umringten. Weder
durch Geld noch durch gute Worte, noch durch Drohungen und Püffe konnte
man sich von dieser schmutzigen braunen Bande befreien, die ein
außerordentliches Verlangen nach Rauchwerk hatte und der die russischen
Papiros leider sehr gut zu schmecken schienen. Für unsere milden Gaben
revanchierten sie sich wenigstens durch die Vorführung von erstaunlichen
Taucherkunststücken. Wie die Frösche sprangen sie von der hohen Felsküste
ins Meer und verfehlten nie die ihnen zugeworfenen Münzen, nach denen sie
oft metertief tauchten.

Die richtigen Madeira-Taucher sahen wir jedoch erst bei unserer Rückkehr
aufs Schiff. Um den Dampfer herum herrschte ein solches Gewimmel von
Booten, daß der kleine Kutter sich nur mit Mühe einen Weg zum Fallrepp
bahnte. In jedem der hunderte von Booten saßen einige halbnackte braune
Kerle und machten sich unter wüstem Geschrei anheischig, ihre Künste zu
zeigen. Sämtliche Altersstufen von 10-40 Jahren waren unter diesen Tauchern
vertreten, die mit unglaublichem Geschick ihr Geschäft besorgten. Gleich
Affen kletterten sie an Tauen, die man ihnen hinabließ, bis aufs sechste
Promenadendeck hinauf und von dort, d. h. von der Höhe eines zirka
siebenstöckigen Gebäudes, warfen sie sich ins Meer. Es ist ein schönes,
aber aufregendes Bild, wenn diese braunen Pfeile in die Tiefe schießen.
Meterhoch spritzt das Wasser auf. Der Schlag auf die Wasserfläche muß ein
mörderischer sein. Mit blutigroten Schultern tauchen die kühnen Burschen
aus der Tiefe wieder auf, und zwischen den Zähnen halten sie unfehlbar
das Geldstück, dem ihr Sprung galt. Die tollkühnsten von ihnen schwimmen
übrigens nach dem Sprung unter dem Dampfer durch. Man kann ihnen alle
Hochachtung nicht versagen, wenn man bedenkt, was für einen Tiefgang solch
ein 16000 Tonnenschiff hat. Einigen von den Tauchern fehlte diese oder jene
Extremität, es gab eine Menge einarmiger und einbeiniger unter ihnen. Die
fehlenden Gliedmaßen haben seinerzeit den Haifischen der Bucht von Funchal
als leckere Mahlzeit gedient. Trotz der Gefahr, sich das Genick zu brechen
oder von Haien angefressen zu werden, sind die Burschen nicht teuer.
Sie springen schon gerne für 200 Reis. (Als Mittel gegen Schlaflosigkeit
empfehle ich, portugiesische Münzsorten etwa in russisches Geld
umzurechnen, ein Reis ist in Brasilien ungefähr 7/1000 Kopeken, in Portugal
3½ mal so viel; beim Versuch, irgend eine Summe -- etwa 18 Millreis,
300 Reis -- in Mark oder Rubel umzurechnen, schwindelt einem, und jetzt
hat die republikanische Regierung noch zum Überfluß eine neue Münzsorte,
Centavos = 10 Reis, eingeführt, und prägt Münzen von 50 Centavos. Um hier
nicht übers Ohr gehauen zu werden, muß man ein Rechenkünstler vom Range
eines Arago sein.)

In Madeira, dessen Zaubergärten viel zu schnell dem Blick entschwanden,
nahmen wir für Wochen Abschied vom Lande. An den kahlen, von senkrechtem
Sonnenbrande durchglühten Inseln Cap Verde, St. Vincenz und St. Antonio,
fuhren wir stolz vorüber. Erst an der brasilianischen Küste, in Pernambuco,
werden wir wieder Land sichten.

Sieht man tagaus tagein über die endlose Wasserfläche des Ozeans hin,
über dem sich als einziges Zeichen organischen Lebens von Zeit zu Zeit ein
glitzernder Schwarm fliegender Fische erhebt, so kehren die Gedanken immer
wieder zu dem Märchenlande Madeira zurück, das wie eine Fata Morgana
nur für Stunden aus dem Ozean auftauchte und sich dem Gedächtnis doch
unauslöschlich eingeprägt hat.




3. BRIEF.

PERNAMBUCO. -- BAHIA.


In Pernambuco sichtete die »Arlanza« zum ersten Male die südamerikanische
Küste. Mit einem aus Bedauern und Beruhigung gemischten Gefühl sah man den
hellen Streifen über dem Horizont, der uns als »Amerika« vorgestellt wurde,
immer breiter werden. Man bedauerte, daß nun bald das Götterleben auf
dem Schiff mit der unbegrenzten Möglichkeit zu allen Arten des »dolce far
niente«, mit dem amüsanten »board-tennis« und Ringspiel, mit den je nach
Bedarf kräftigen oder kühlen »drinks« im Rauchsalon, mit den phantastischen
Äquator-Maskenbällen und allerhand anderem gesellschaftlichem Ulk ein
Ende haben würde. Man war beruhigt, weil man nun tatsächlich mit Amerika
Bekanntschaft machte und nicht mit dem Seeboden.

Doch mußten sich die Passagiere, die zwölf Tage keinen festen Boden unter
den Füßen gespürt hatten, hier noch mit dem Anblick des Landes begnügen,
ohne es zu betreten. Nur Reisende, deren Bestimmungsort Pernambuco war,
wurden ausgeladen. Dieses Wort ist keine Hyperbel, sondern entspricht den
Tatsachen. Der Seegang und die Brandung ist in der Bucht von Pernambuco
so stark, daß kein Boot und kein Dampfkutter ohne die Gefahr sofortiger
Havarie dicht an die großen überseeischen Schiffe anlegen kann. Sie
halten sich, von unmutigen Wellen hin und her geworfen, in respektvoller
Entfernung. Die Passagiere aber werden wie Warenballen in großen Körben
an den Riesendampfkränen des Schiffes in den Ozean hinabgelassen, wobei es
gilt, eines dieser schwankenden Böte zu treffen.

Diese Beförderungsart ist keineswegs erheiternd, zumal das Schiff von
zahllosen mächtigen Haifischen umtanzt wird, die ihre gierigen Rachen nach
allem aufsperren, was in die Nähe der Wasserfläche kommt. Zur Freude der
Schiffsmannschaft gelang es übrigens, eine dieser gefräßigen Bestien
zu »angeln«, ein wahres Prachtexemplar von fast 4½ Meter Länge. Der
Angelhaken, den diese Hyäne des Ozeans ohne Besinnen verschluckte, hatte
die Größe eines mäßigen Schiffsankers. Vielleicht war es auch einer, ich
habe nicht genau hingesehen.

In Bahia, einem der wichtigsten Handelszentren des äquatorialen Südamerika,
betraten wir zum ersten Male den neuen Kontinent. Vom ersten Schritt an
konnte kein Zweifel darüber walten, daß man sich nicht in Europa befand.
Die Bevölkerung scheint auf den ersten Blick, wenigstens im Hafenviertel,
ausschließlich aus Mohren zu bestehen. Allmählich beginnt man jedoch die
feineren Unterschiede zu bemerken und unterscheidet die Mulatten, die
in allen Schattierungen, sogar gefleckt, vertreten sind, von den ganz
Schwarzen, dann die »Weißen« von den Mulatten. Allerdings was man hier
einen »Weißen« nennt, könnte in Europa noch ganz gut als etwas
verblichener Neger passieren. Die sengende Kraft der Sonne ist unglaublich.
Merkwürdigerweise lähmt sie jedoch die Energie keineswegs. Obgleich man
ununterbrochen Ströme von Schweiß vergießt, kann man selbst um 12 Uhr
mittags in der Sonne spazieren gehen, vorausgesetzt, daß der Kopf durch
einen hohen Panamahut geschützt ist. Schatten gibt es um diese Tageszeit
keinen, weder Häuser, noch Mauern, noch Menschen können sich eines solchen
rühmen. Die Sonne steht im Zenith und ihre Strahlen fallen genau senkrecht.
Der Schatten eines Menschen nimmt nur den Raum ein, den seine Fußsohlen
bedecken. Es kommt einem ganz merkwürdig vor, den kleinen schwarzen Fleck
zwischen den Füßen als den eigenen Schatten anzusehen. Die Eingeborenen
vermeiden es natürlich tunlichst, sich um diese Tageszeit auf der Straße zu
zeigen. Besonders die Mohren geben sich in dem Handelsviertel, das sie sich
in den Querstraßen des Hafens errichtet haben, dem ihnen, ach so lieben
Nichtstun hin. Sie sind übrigens ein gutmütiges und zugängliches Volk, von
Kultur allerdings nur sehr oberflächlich beleckt. Einer dieser schwarzen
Handelsherren, der sich am Stamm einer prächtigen Palme ein mehr als
originelles Magazin von alten Kleidern, Hüten, Stiefeln eingerichtet hatte,
und, längelang auf einer Holzbank hingestreckt, sein wohlassortiertes Lager
bewachte, fragte, als ich meinen Kodak nach ihm zückte, weinerlich -- ob
es schmerzen würde, war aber doch viel zu faul, um aufzustehen und sich der
Gefahr des Photographiertwerdens zu entziehen.

Furchtbar, schauerlich, wahrhaft grausig sind die Negerweiber, besonders
wenn sie alt sind. Sie sehen samt und sonders aus wie verkleidete Männer.
Ihre Putzsucht ist sprichwörtlich. Sie geben sich die erdenklichste Mühe,
ihre teuflischen Fratzen durch phantastischen Kopfputz und grellfarbige
Kleidung noch auffallender zu machen. Unter den kniekurzen knallrosa
oder knallblauen Röcken starren die schwarzen Beine hervor, einem weißen
Spitzenhemdchen entragt das meist nicht sehr üppige schwarze Décolleté.
Ein bunter Sonnenschirm vervollständigt diese Toilette, die einen glauben
macht, man befände sich auf einem exotischen Maskenball.

Bahia ist eine echt brasilianische Stadt, als solche viel
charakteristischer als die Hauptstadt Brasiliens, Rio de Janeiro, von der
im nächsten Briefe die Rede sein soll. Die Häuser sind flach, kastenartig,
ohne architektonische Pretensionen, sie scheinen nur aus Fenstern zu
bestehen, die auf der Sonnenseite mit Bastmatten verhängt sind. In den
engen Straßen der Innenstadt, deren schneeweiße Mauerflächen das grelle
Sonnenlicht blendend zurückstrahlen, herrscht reges, von südlichem
Temperament bewegtes Leben. Maultiertreiber, Straßenhändler,
Zeitungsverkäufer vollführen ein wüstes Geschrei.

Ein europäisches »Lokal« habe ich in Bahia nicht ausfindig machen können.
Es soll dort einen deutschen Klub geben -- der Großhandel liegt hier, wie
in ganz Brasilien fast ausschließlich in deutschen Händen -- doch gelang
es mir nicht, bis zu ihm vorzudringen. Es galt also, um satt zu werden, in
einem brasilianischen Restaurant Einkehr zu halten. »Grutta Bahiana« hieß
dieser denkwürdige Ort. Nach langen, fruchtlosen Versuchen eine der vielen
brasilianischen Nationalspeisen, die auf der Speisekarte verzeichnet waren,
herunterzubringen, mußte dieses redliche Bemühen eingestellt werden. Die
Frage bleibt offen, wie ein Europäer es anstellt, in Brasilien nicht zu
verhungern. Essen kann man die Dinge, die einem dort serviert werden,
schon aus dem Grunde nicht, weil man sich am ersten Bissen, den man die
Unvorsichtigkeit hat herunterzuschlucken, Mund, Speiseröhre und alle
Eingeweide verbrennt. Die Brasilianer kennen nur ein Gewürz, das
aber gründlich -- den Pfeffer. Man kann sie dafür nicht einmal dahin
verwünschen, wo er wächst, denn das ist ja hier zu Lande. Die Eingeborenen
vergießen während der Mahlzeit helle Tränen, und finden das genußreich,
vielleicht weil der »pimento« im tropischen Klima hygienisch sein soll.
Nachher spülen sie ihr Inneres mit einem gräßlichen Schnaps aus, an dem
der Name das einzig Gute ist. Er heißt »mata bicho«, das bedeutet »töte das
Biest«, womit aber nicht der Brasilianer selbst gemeint ist, sondern der
gefürchtete Fieberbazillus.

Alle Leiden, die man während des Essens zu erdulden gehabt hat, werden
jedoch bald darauf durch einen kulinarischen Genuß allerersten Ranges
wettgemacht. Der brasilianische Kaffee! Man möchte ein Klopstock sein,
um ihn zu besingen. Leider wird er, wie alles Gute im Leben, in sehr
homöopathischen Dosen serviert, denn leider ist er, wiederum wie das meiste
Gute im Leben, dem Herzen nicht zuträglich. Ein Täßchen, kaum größer als
ein Fingerhut, bis zum Rande gefüllt mit feinem Rohzucker, der so rasch
zergeht, daß man nicht einmal einen Löffel zum Umrühren braucht. Nein,
dieser Kaffee! Schwarz wie der Tod, süß wie die Liebe, heiß wie die Hölle!
Im kleinen Café, wo man diesen Göttertrank zu sich nimmt, herrscht übrigens
ein tolles Leben nach der Mittagstunde. Freiheit und Gleichheit. Auf
niedrigen schemelartigen Stühlchen hockt der Börsenfürst neben dem
Eseltreiber. Vor diesem Kaffee schwinden alle Rangunterschiede hin, wie das
Häufchen Rohzucker, das man in die Tasse tut. Das Lokal ist gepfropft voll.
Mit affenartiger Geschicklichkeit voltigieren um alle die in sämtlichen
Himmelsrichtungen ausgestreckten Beine Niggerboys in einst weiß gewesenen
Anzügen. Über dem Kopf schwingen sie die langgeschnäbelten Kannen. Mit
verblüffender Sicherheit trifft der schwarze Kaffeestrahl die winzige
Tasse. Aber nur Herzathleten wagen es, sie zum zweitenmal füllen zu lassen.

Sehenswürdigkeiten hat Bahia, außer sich selbst, keine. Die »vornehmen«
Stadtviertel werden sorglich in Ordnung gehalten. Auch um die
Volksgesundheit kümmern sich die Stadträte in höchst lobenswerter Weise.
Am Ausgangstor des Riesenaufzugs, der die obere Stadt mit dem Hafenviertel
verbindet, steht ein merkwürdiges Denkmal: zwischen zwei himmelhochragenden
Säulen ein mächtiges Plakat, frei in der Luft schwebende gigantische
Lettern bilden folgende Inschrift: »606! Cura Syphilis! 606!« Dieses
in seiner Offenherzigkeit erfrischende, aber keineswegs erfreuliche
Wahrzeichen krönt, weithin sichtbar, die Stadt, hoffentlich bewirkt der
gute Rat wenigstens, was er bezweckt.




4. BRIEF.

RIO DE JANEIRO UND BRASILIANISCHE KARNEVALSFREUDEN.


Weiß jemand von meinen verehrten Lesern, was eine »bisnaga« ist? Nein?
Nun, hoffentlich wird er sich diese Kenntnis nie durch eigene Erfahrung
erwerben. Eine »bisnaga« ist ein modernes Folterwerkzeug, unbekannten
Ursprungs, in Brasilien zur Karnevalszeit -- leider -- in allgemeinem
Gebrauche. Das Ding sieht sehr unschuldig aus, und bevor man damit
Bekanntschaft gemacht hat, ahnt man nicht, welche infamen Eigenschaften es
besitzt. Man denke sich ein mittelgroßes Glasflakon, das an einem Ende
mit einem Siphonverschluß versehen ist. Der Inhalt besteht aus stark
parfümiertem Äther und der Zweck der ganzen Maschine ist, sich diesen
Äther gegenseitig in die Augen zu spritzen. Es ist nicht schwer, dieses
Kunststück zu vollbringen, denn die bisnaga entlädt ihren Inhalt in feinem
Strahl auf viele, viele Meter Entfernung, und man kann sich sein Opfer
auswählen ohne sofortige Rache zu befürchten. Trifft nun solch ein
bisnaga-Strahl, so wird der Gegner für die Dauer von zwei bis drei Minuten
blind, hat das Gefühl, daß ihm die Augen ausfließen, und dieser klägliche
Zustand wird dann zu weiteren heftigen Attacken vermittelst Konfetti,
Pritschen, Luftschlangen, Niespulver und ähnlichen harmlosen aber
peinvollen Scherzartikeln benutzt.

Ich habe mancherorts das tollste Karnevalstreiben miterlebt, doch
verbleicht selbst München und Paris im Vergleich zu dem karnevalistischen
Wahnwitz, den sich die Brasilianer in Rio de Janeiro leisten.

In der Avenida centrale, einer wundervollen Straße von der Breite des
Newski-Prospekt in Petersburg, herrscht ein derartiges Gedränge, daß man
eine Stunde braucht, um zehn Schritte vorwärts zu kommen. Auf dem Fahrdamm
reiht sich Automobil an Automobil, von wo aus phantastisch kostümierte
Männer und schöne Frauen einen wütenden Luftschlangen- und bisnaga-Kampf
mit den Kopf an Kopf gedrängten Fußgängern ausfechten. Ein betäubender
Ätherdunst erfüllt die Luft, tausende von sinnlich erregten Augenpaaren
blitzen sich gegenseitig an, Geschrei und Gelächter schallt von hüben und
drüben, zwischen den Beinen der Fußgänger flitzen die kleinen, braunen,
unglaublich geschickten bisnaga-Verkäufer mit ihrem stereotypen Ruf:
»seicente grammas un milreis cinquente!«

Ein wahnwitziger Taumel scheint alle Welt ergriffen zu haben. Ehe man
sich's versieht, hat man einen Ätherstrahl in den Augen, dann eine
Wagenladung Konfetti im Rockkragen, Pritschenschläge hageln auf Kopf und
Schultern nieder.

Das alles vollzieht sich bei einer Temperatur von 30° Réaumur abends
zwischen 9 und 12. Ozeane von kühlenden Getränken, einfachem Eiswasser,
Kokosmilch und mehr oder weniger raffinierten Sorbets werden in den
zahllosen Cafés, die die ganze Avenida einsäumen, vertilgt. In dieser
Hauptstraße geht es zwar toll genug, aber immerhin gesittet zu. Doch
braucht man nur einige Schritte in die Querstraßen zu tun, um Zeuge von
allerhand wenig schönen Szenen und wüsten Schlägereien zu sein.

Im Dunkel abgelegener Straßen ist der Brasilianer chez soi und kehrt
sein wahres Gesicht hervor, auf dem alle Leidenschaften und Todsünden
verzeichnet stehen, im europäischen Glanz der Avenida legt er dagegen
sofort die lächelnde Maske Pariser Halbkultur an.

Ja Brasilien! Es ließe sich gar viel darüber sagen. Besonders über die neue
republikanische Regierung und ihre »Geschäftsprinzipien«. Jetzt will
sie dem Kaiser Dom Pedro II, der Brasilien zu seinem unerhört raschen
kulturellen Aufschwunge verholfen hat, ein Denkmal setzen. Seinerzeit,
als der republikanische Staatsstreich gelang, wurde der alte Mann, der ein
großer Gelehrter und einer der feinsten Köpfe des 19. Jahrhunderts war, auf
ein altes halbzerfallenes Schiff gesetzt und nach Europa expediert, wobei
die sichere Hoffnung bestand, daß der alte Kasten, der den Kaiser trug,
statt in Europa auf dem Seeboden anlangen würde. Als diese Hoffnung
fehlschlug, erfolgte das Dekret, daß nie mehr ein Mitglied des Hauses
Braganza den Boden Brasiliens betreten dürfe. Dieses Dekret hat nun
unvorhergesehene Folgen. Die gemäßigte republikanische Partei will die
Leiche Dom Pedros aus der Lissaboner Begräbniskirche nach Rio überführen,
um sie hier zu bestatten. Die Regierung muß sich dem widersetzen, denn
Dom Pedro ist, obzwar tot, -- doch ein Braganza!

Was soll ich über Rio de Janeiro sagen? Man müßte ein Buch schreiben,
wollte man einen richtigen Begriff von dieser Stadt vermitteln.
Landschaftlich ist sie paradiesisch schön. Die Natur hat alle
Herrlichkeiten, die sie hervorbringen kann, auf diesen Fleck Erde
zusammengetragen. Das Panorama der Bucht ist einzig in seiner Art. Hohe
Bergzüge von bizarren Formen umsäumen die Stadt. Mitten in der Bucht erhebt
sich der sogenannte »Zuckerhut«, ein violetter Bergkegel, der bisher als
unzugänglich galt. Seit einigen Wochen erreicht ihn eine Schwebebahn,
deren kühnes Projekt -- echt amerikanisch! -- vor fünf Monaten noch nicht
entworfen war. Die Bergabhänge sind von unglaublich üppigem tropischen
Urwald bedeckt. Herrlich sind die enormen Kaiserpalmen, die eine Höhe
von 40 Metern erreichen und die mächtigen Bambusbüsche, die aussehen, wie
riesengroße grüne Fontänen. Eine großartig angelegte Automobilstraße hat
vor nicht langer Zeit den Reisenden die nächste Umgegend Rios erschlossen.
Sie führt über den Bergrücken des Tijuka durch dichten Urwald, in dem man
hin und wieder einen Papagei aufscheucht und wo sich die märchenhaften
blauen Riesenschmetterlinge auf den leuchtenden Blüten der tropischen Bäume
wiegen. Die Ausblicke, die sich auf dieser Straße nach allen Richtungen
hin bieten, sind -- zu schön, denn man glaubt nicht an ihre Realität. Man
meint, sich mitten drin in einer Dekoration einer phantastischen Zauberoper
zu befinden. Weder Klingsors Zaubergarten, noch die Märchenhaine eines
Tschernomoren können reicher und üppiger gemalt werden. Es fehlt dieser
ganzen Landschaft nur die Seele, die Stimmung. Oder vielleicht verstehen
wir Nordländer sie nicht. Man fühlt sich fremd in dieser unerhörten
Tropenpracht, die man bewundern kann, ohne sie zu lieben.

Die Stadt Rio hat zwei Gesichter, ein weißes und ein schwarzes. Der
fabelhafte Luxus des Europäerviertels umgibt das erbärmliche Elend des
Negerhügels, der sich mitten in der Stadt erhebt.

Die Neustadt übertrifft in der Anlage stellenweise selbst Paris. Was wollen
z. B. die Champs elysées sagen im Vergleich zu dem 14 Kilometer langen
asphaltierten, mit Steinquadern ausgelegten Kai, der die ganze Bucht von
Rio de Janeiro umsäumt und die Stadt mit dem Badeort Leme verbindet! Und
doch wieviel schöner ist der kleinste Winkel von Paris, als der ganze
blendende Talmiglanz des modernen Rio. Denn ein Talmiglanz ist es. Man
spürt es jeden Augenblick, daß man sich auf dem Boden eines Landes, das
keine Geschichte hat, bewegt. Geld -- das ist die einzige treibende Kraft
Brasiliens. So glanzvoll alles nach außen hin ist, so fehlt doch jede
innere Kultur. Es ist nichts echt, alles -- Nachahmung. In der bodenlosen
Geschmacklosigkeit vieler Bauten, ihrer überladenen Pracht, dem völligen
Mangel jeden Stilgefühles zeigt sich das kulturelle Niveau ihrer Erbauer
nur zu deutlich. Dennoch sind die Brasilianer mit einigem Recht stolz auf
Rio. Allerdings äußert sich ihr Selbstgefühl mitunter in der lächerlichsten
Weise. Auf dem berühmten Theatro Municipale stehen in großen goldenen
Lettern drei Namen: Goethe, Molière, -- A. Penna. Was sollen die Deutschen
und Franzosen dazu sagen! Penna ist ein kleiner einheimischer, übrigens
ganz vergessener Komödiendichter, gegen den etwa Kotzebue ein Shakespeare
war. Nationalitätsgefühl ist eine gute Sache, doch sei man vorsichtig in
seinen Äußerungen, sonst wird man ridikül oder taktlos.




5. BRIEF.

BUENOS AIRES.


Wollte man sine ira et studio eine Schilderung der Hauptstadt Argentiniens
entwerfen, wie sie sich dem Reisenden auf den ersten Blick präsentiert, so
würde kein Mensch glauben, daß der Brief aus Amerika kommt. Buenos Aires
hat nichts, aber auch gar nichts »amerikanisches« an sich. Es ist nichts
anderes als eine vorzüglich gelungene Kopie sämtlicher Hauptstädte Europas
zusammengenommen. Wenn man die Straßen der argentinischen Hauptstadt
durchwandert, so glaubt man bald in Berlin, bald in Paris, in Petersburg,
in London, meinetwegen in Hamburg, in Frankfurt, München oder sonst
irgendwo zu sein, nur nicht in Südamerika, dem Lande, das sofort die
Vorstellung von Indianern, Prärien, Pampas, wilden Tieren oder breitnasigen
Patagoniern erweckt. Von alledem ist in Buenos Aires natürlich nicht das
allergeringste zu sehen. Die Stadt bedeckt einen enormen Flächenraum, ihr
Weichbild ist größer, als dasjenige Londons, obgleich Buenos Aires
kaum halb so viel Einwohner (ca. 3 Millionen) zählt. Die abgezirkelt
rechtwinklige Anlage der Straßen erinnert an das Friedrichstraßen-Viertel
in Berlin, nur daß sich hier die einzelnen Straßen noch viel ähnlicher
sehen und infolgedessen noch viel langweiliger sind. Was nützt die
architektonische Pracht einzelner Bauwerke, wenn sie sich immer wiederholt!
Man mag einen noch so guten Ortssinn besitzen und die Stadt noch so viele
Male durchquert haben -- dennoch weiß man nie, an welcher Straßenecke man
sich befindet. Sie sehen alle genau gleich aus.

Etwas besser ist es um die öffentlichen Plätze bestellt. Sie haben mehr
Charakter, und man unterscheidet sie schon dadurch untereinander, daß auf
jedem ein anderer erzener oder steinerner argentinischer Reitergeneral,
oder sonst irgend eine Lokalberühmtheit in mehr oder weniger kühner
Denkmalspose verewigt ist.

Kommt man dagegen zur berühmten Avenida del Mayo, dem Stolz der
Argentinier, so ist man wieder in Paris. Der Boulevard des Capucines, wie
er leibt und lebt! An das Paris vor zehn Jahren erinnern auch die zahllosen
ein- und zweispännigen Droschken, die hier noch nicht, wie in Rio de
Janeiro, von Automobilen verdrängt sind. Und schaut man sich die fabelhaft
luxuriösen Läden an, so liest man auch dort auf den breiten Schaufenstern
dieselben Namen wie in Paris. Die ganze Rue de la Paix ist hier vertreten,
meistens sogar besser und reicher als an Ort und Stelle. Das gilt besonders
von den Juwelierläden.

Die Argentinier haben nämlich viel Geld, unglaublich viel Geld und bezahlen
mit dem Stolze aller plutokratischen Parvenüs kaltlächelnd Unsummen für
allerhand Luxusgegenstände. Warum sollten sie auch nicht? Das Land selbst,
das doppelt so groß ist als Europa, bietet ja unerschöpfliche Reichtümer.
Und immer wieder erschließen sich neue. Man braucht sie nur zu nehmen.
Von den enormen Viehzüchtereien, den in einzelnen Händen befindlichen
Latifundien von der Größe mäßiger Königreiche, von der fabelhaft rasch
emporgeblühten Weinkultur, die in wenigen Jahren unberechenbare Vermögen
geschaffen hat, von den Erzreichtümern der Kordilleren usw. werde ich
noch zu erzählen haben, wenn ich ins Innere des Landes hineinkomme.
Augenblicklich ist man hier sehr erregt durch die Nachricht, daß sich
im Süden Argentiniens zu allem Übrigen noch außerordentlich ergiebige
Naphthaquellen erschlossen haben. Man nimmt an, daß dadurch den
kaukasischen und nordamerikanischen Quellen eine sehr ernsthafte Konkurrenz
auf dem Weltmarkt entstehen wird.

Doch ist es nicht meine Sache, darüber zu berichten. Ich sehe mir das Land
mit den Augen eines gewöhnlichen Reisenden an, und wirtschaftliche Studien
liegen mir fern.

Die Einwohner von Buenos Aires haben ebenso wenig charakteristisches an
sich wie die Straßen der Stadt. Aussehen, Kleidung, Gebaren -- alles ganz
europäisch. Natürlich überwiegt der südländische spanisch-italienische
Typus. Man sehnt sich ordentlich nach den prachtvollen Mohren von Bahia und
nach den interessanten Mischlingen, die die brasilianische Bevölkerung
so bunt und anziehend machen. Russen und Deutsche gibt es in Buenos Aires
genug, um einige mittelgroße europäische Städte damit zu bevölkern. Die
russische Kolonie zählt gegen 100000 Köpfe, die deutsche mehr als das
Doppelte. In Buenos Aires erscheinen zwei große deutsche Zeitungen, von
denen die »La-Plata-Zeitung« sogar, wie man sagt, eine nicht unwichtige
politische Rolle spielt. Der einen hier erscheinenden russischen Zeitung
kommt eine solche natürlich nicht zu. Doch ist es immerhin viel, daß sie
überhaupt existiert.

Die sogenannte »gute Gesellschaft« glänzt augenblicklich -- im Sommer --
durch Abwesenheit in Buenos Aires. Wer nicht in Europa ist, kühlt sich die
erhitzten Glieder wenigstens an der Küste des Atlantischen Ozeans, in dem
Seebadeorte Mare la Plata, dem »Ostende Argentiniens«, wie dieser schöne,
aber märchenhaft teure Strandort genannt wird. Buenos Aires bietet an
landschaftlichen Schönheiten gar nichts. Ein einziger Park, »Palermo« mit
Namen, gewährt abends etwas Kühlung, wenn nämlich vom La Plata-Strome ein
erfrischender Wind weht. Die ziemlich kümmerliche Vegetation dieses Parkes
wird mit großer Kunst gepflegt, und immerhin ist es dort abends angenehmer
als in den staubigen, drückend heißen Straßen der Stadt. Es gibt in Palermo
sogar einen »See«, der anderswo freilich Teich heißen würde. Doch schwimmen
darauf leibhaftige schwarze Schwäne. Und das sieht allemal sehr stolz und
majestätisch aus.

Will man aber mehr haben, so muß man schon ganze 40 Kilometer weit mit
der Bahn fahren. Doch lohnt sich die Strapaze. Erstens hat man während der
Reise den La Plata-Strom als Gefährten zur Seite. Und der ist, wenn auch
nicht schön, so doch originell mit seinen gelbbraunen, von violetten
Lichtern durchsetzten Fluten, die sich unabsehbar weit zum Horizont
hinziehen. Das andere Ufer ist natürlich nicht zu sehen, denn der Fluß ist
hier ca. 45 Kilometer breit. Aus der Entfernung, bevor man die Bewegung
des Wassers beobachten kann, macht er den Eindruck einer ungeheuren
sonnendurchglühten Sandfläche. Der Ort, den es zu erreichen gilt, heißt
Tigre. Ein Nebenfluß des La Plata gleichen Namens bildet ein landschaftlich
überaus reizvolles Delta. Die Inseln sind mit üppiger Vegetation, blühenden
Fruchtgärten, schattigen Laubwäldern, sogar Palmenanpflanzungen bedeckt.
Macht man die sehr genußreiche »volta« um alle Inseln herum, was im
Motorboot ungefähr zwei Stunden beansprucht, so kann man selbst von
überhängenden Zweigen köstliche Pfirsiche und saftige Reineclauden pflücken
-- vorausgesetzt, daß das Gewissen es zuläßt. Tigre ist das Zentrum für den
argentinischen Wassersport. Man sieht dort wundervoll ausgestattete Motor-
und Segeljachten der beau monde von Buenos Aires. Auch Ruderboote mit mehr
oder weniger entkleideten Insassen schießen auf den Flußarmen hin und her.

Mit gemischten Gefühlen setzt man sich wieder in den staubigen Bahnzug, und
empfindet es als Schicksalstücke, daß man nach Tigre fliehen muß, wenn
man das haben will, wie die Stadt, in die man zurückkehrt, heißt -- buenos
aires, zu deutsch »gute Luft!«




6. BRIEF.

DIE ARGENTINISCHEN PAMPAS. -- DAS WEINLAND VON MENDOZA.


Wenn man als abenteuerlustiger Amerika-Reisender neue Eindrücke, unbekannte
Situationen, europafremde Lebensbedingungen, interessante Erlebnisse sucht,
so kehrt man Buenos Aires, diesem Talmi-Paris, ohne viel Herzschmerzen
den Rücken. Die Hoffnung, daß man im Inneren des Landes Eigenartiges,
Charakteristischeres zu sehen bekommt, als in der vielgepriesenen
Hauptstadt Argentiniens, wird in der Tat nicht getäuscht.

Die südamerikanischen Pampas -- jedem Knaben, der je mit heißen Backen
seinen Mainried gelesen hat, haben sie einst als höchstes und einziges Ziel
der Sehnsucht vorgeschwebt. Die Sehnsucht würde wahrscheinlich vergehen,
bekäme er sie in Wirklichkeit zu Gesicht.

Noch vor wenigen Jahrzehnten waren die unendlichen Prärien, die sich
hunderte und aberhunderte von Kilometern nach allen Richtungen hinziehen,
eine vollständige terra incognita nicht nur für den Europäer, sondern auch
für den eingeborenen Südamerikaner. Jetzt durchquert sie eine Eisenbahn,
und eine Strecke, für die man früher Wochen beschwerlichsten Reisens
brauchte, legt man heutzutage in 24 Stunden zurück. Gibt man noch
12 Stunden dazu, so kommt man sogar über die Kordilleren hinüber bis an die
Küste des Stillen Ozeans.

Nur ein kleines Gebiet im Zentrum des tropischen Südamerika ist bisher von
den Invasionen neugieriger und gewinnsüchtiger »Kulturträger« verschont
geblieben. Das ist der sogenannte Gran Chaco. Dorthin haben sich die
Überreste der stolzen Indianerstämme, die einst den ganzen Riesenkontinent
bevölkerten, zurückgezogen. Sie leben dort ihr Leben, wie sie es vor
tausend Jahren gelebt haben, ein Leben, dessen Grundlage eine wunderbar
sinnvolle, natürliche Moral ist. Durch die selbstzufriedene Kulturarbeit
der »Weißen«, deren Hauptwerkzeug das »Feuerwasser« ist, wird die unendlich
höher stehende moralische Kultur dieser Wilden, die sich ihrer Nacktheit
nicht schämen, langsam aber hoffnungslos untergraben. Wer das nicht glaubt,
lese das wundervolle Reisebuch Elmar Nordenskjölds, der zwei Jahre lang das
Leben dieser Chaco-Indianer in ihrer Mitte gelebt hat und jene Zeit zu der
schönsten, »moralinfreiesten« seines Lebens zählt.

Der Zug, der von Buenos Aires quer durch die Pampas nach dem Westen fährt,
der hier jedoch nicht so wild ist wie in Nordamerika, trägt den stolzen
Namen: Ferro Carril Transandino International. Nach europäischen Begriffen
ist es eine miserable Sekundärbahn, als Gegenstand des Spottes der
»Fliegenden Blätter« jedem Deutschen genugsam bekannt. Die Schienenspur ist
wenig mehr als einen Meter breit, die Waggons sind eng und unbequem; auch
die sogenannten Schlafwagen, die bis zum Fuß der Anden verkehren, lassen in
bezug auf Bequemlichkeit so ziemlich alles vermissen. Nur langsam gewöhnt
man sich an die »argentinische Küche« des Waggon-Restaurants, deren
Hauptingredienzen Safran und roter Pfeffer sind.

Doch alles das erträgt man gerne, denn was man links und rechts durch die
Waggonfenster sieht, ist interessant und neu genug, um einen zeitweilig
alle europäischen Bedürfnisse vergessen zu machen. Endlos zieht sich die
gelbgrüne Fläche der Pampas hin, der Horizont scheint in kaum erreichbare
Fernen entrückt zu sein. Das Gras ist nicht hoch und erweckt auch nicht den
Anschein, als ob es besonders fett wäre. Dennoch finden zehntausendköpfige
Rinderherden dort ihre Nahrung. Bekanntlich versorgt Argentinien ganz
Südamerika mit Fleisch und die ganze Welt mit »Liebig-Extrakt«. Es gibt in
Buenos Aires nicht eines, sondern mehrere Schlachthäuser, von wo aus bis
zu 2000 Stück Vieh täglich in ein besseres Jenseits, d. h. in die Mägen
hungriger Argentinier, Brasilianer und Peruaner befördert werden. Vom
nächsten Jahr ab wird auch Europa zu den Abnehmern des argentinischen
Fleischmarktes gehören. Während ich in Buenos Aires war, langte die
Freudenbotschaft an, daß es gelungen war, 3000 Hammel in tadellosem,
natürlich künstlich gefrorenem Zustande nach Hamburg zu bringen. Darob
herrscht unter den Viehherdenbesitzern Argentiniens natürlich eitel Freude
und Seligkeit, und die Landpreise der Pampas steigen.

Wenn man die Stationsgebäude, die den Schienenstrang der transandinischen
Eisenbahn einsäumen, und die Wohnhäuser der Pampasbewohner mit den Augen
eines Russen ansieht, so schwellt einem einiger Stolz die Brust. Gegen
diese erbärmlichen, aus Lehm, Schmutz und Stroh aufgeführten Domizile sind
die Hütten der ärmsten russischen Bauern fürstliche Paläste. Der ganze
Reichtum des Landes zieht sich hier nach den Hauptstädten hin, im Inneren
ist und bleibt es wüst und leer.

Die Vegetation der Pampas verändert sich ungefähr in der Mitte des Weges
aufs auffallendste. Statt der Wiesen und des Präriegrases sieht man weite
Sandwüsten mit kümmerlichem, verkrüppeltem Buschwerk bestanden. Eine
Unmenge von Kakteen mit wunderschönen weißen Sternblüten macht den Anblick
exotischer. Hin und wieder grüßen als alte Bekannte einzelne hypertrophisch
ausgebildete Exemplare von Sonnenblumen. Die Rinder- und Hammelherden
hören auf, statt dessen sieht man merkwürdige langhalsige Vögel über das
Buschwerk streichen und graue Strauße über den Sand spazieren.

Nun beginnt auch die fürchterlichste Plage der Pampas-Fahrt: der Staub. Ein
Staub, so fein und dicht, daß er überall durchdringt, man mag die
Fenster noch so sorglich verschlossen halten. Jetzt versteht man auch
den merkwürdigen Aufzug der Mitreisenden, die man anfangs für Mönche oder
Mitglieder irgend einer geheimen Sekte hielt. Alle stecken sie von Kopf
bis zu Fuß in langen weißgrauen Staubmänteln, und man muß seine schnell
erworbenen Reisefreunde buchstäblich an der Nasenspitze erkennen.

Übrigens hatten wir Glück. Abends um 9 Uhr erlebten wir in der
staubreichsten Gegend ein Gewitter von einer derartigen Heftigkeit, daß
der Weltuntergang nahe schien. In den Pampas, wo alles immer nach Wasser
dürstet, soll das eine große Seltenheit sein. Wer nie einen Pampasregen
gesehen hat, macht sich keinen Begriff davon, was das ist. Nicht eimer-,
sondern kübelweise scheint das Wasser vom Himmel herabgegossen zu werden.
Die Waggons der stolzen Transandino-Bahn hielten diesen Fluten nicht stand,
in brausenden Wasserfällen strömte das Wasser durch die Waggondecke
auf unsere Häupter herab, und nur mit Hilfe einer genial erfundenen
Wasserleitung aus Bettüchern und Eimern gelang es mir, mich und meinen
Reisekameraden vor dem Ertrinken zu retten. Ein wundervolles Bild gewährten
die grenzenlos weiten Flächen der Pampas im bläulich-blendenden Licht der
Blitze, die fast pausenlos aufeinander folgten. Ebenso plötzlich, wie er
gekommen, war der ganze Zauber verschwunden.

Hat man die interessanten, aber öden Pampas glücklich durchquert, so erlebt
das Auge eine angenehme Überraschung. Man fährt in die fruchtbare Weinebene
von Mendoza hinein. Soweit der Blick reicht, ruht er auf saftig grünen,
hochkultivierten, endlos sich hinziehenden Reihen von Weinstöcken aus.
Das sind die Goldfelder des Landes, auf denen in den letzten Jahrzehnten
Millionen und Abermillionen verdient worden sind.

Mendoza selbst ist ein freundliches Städtchen, mit breiten, von
einstöckigen Häusern eingerahmten Straßen, üppigen Parkanlagen und
blühenden Gärten. Warum die Häuser alle einstöckig sind, wurde mir klar,
als ich den Prospekt des uns empfohlenen Hotels durchlas. Dort lautete der
erste Satz: »l'édifice est construit spécialement contre tremblements de
terre«. Alle zwei bis drei Monate »bebt« es nämlich in Mendoza, nicht
allzu gefährlich, aber immerhin so stark, daß mehrstöckige Gebäude den
Bodenschwankungen nicht standhalten. Auch das Baumaterial ist höchst
eigenartig, ein Gemisch aus Schmutz und Stroh, das man an Ort und Stelle
euphemistisch »ungebrannte Ziegel« nennt. Holz fehlt vollständig. Das
konnte man schon an der Bahnlinie beobachten. Sämtliche Telegraphenpfosten
sind aus Eisen. Die krüppligen Stämme der Weinstöcke würden zu diesem
Zwecke freilich schlechte Dienste leisten.

Dank der Liebenswürdigkeit des Direktors der Deutschen Bank in Mendoza
hatten wir Gelegenheit eine der größten Wein-»Fabriken« des Gebiets in
Augenschein zu nehmen. Zwanzig Minuten Bahnfahrt und zehn Minuten in einem
omnibusartigen Wagen, wie sie hier dem Landverkehr dienen, brachten
uns nach dem Weingute der deutschen Weinindustriellen S. und H. In
liebenswürdigster Weise wurde uns der ganze Betrieb der »Bodega L'Allemana«
gezeigt, obzwar die Ernte noch ausstand, und die Fabrik ruhte. Es würde
mich zu weit führen, wollte ich alle Einzelheiten dieses enormen Betriebes
schildern. Einige Zahlen mögen genügen. Mendoza produziert jährlich
4 Millionen Hektoliter Wein, wovon auf unsere Gastfreunde 100000 Hektoliter
entfallen. Die Firma steht an fünfter oder sechster Stelle. Der Löwenanteil
von über 1 Million gebührt einem Italiener, der als armer Erdarbeiter ins
Land gekommen, und heute noch Analphabet ist. Die geniale Idee, in
Mendoza Wein zu bauen, rührt von ihm her. Die ganze Kultur ist erst einige
Jahrzehnte alt. Der Wein ist von ganz vorzüglicher Qualität, »alte«,
»abgelagerte« Sorten gibt es natürlich noch nicht. Die Weingutsbesitzer
bewahren nur wenige Flaschen zum eigenen Gebrauch auf. Die gesamte
Produktion wird bis auf den letzten Tropfen in Argentinien konsumiert.
Nicht ein Faß gelangt zum Export. Unsere liebenswürdigen Gastwirte setzten
uns einige Flaschen der ältesten Jahrgänge dieses köstlichen Mendoza-Weines
vor, und ohne Übertreibung muß zugestanden werden, daß er getrost mit den
besten europäischen Weinsorten konkurrieren kann. Das Aroma ist ein ganz
eigenartiges, der Wein ein Mittelding zwischen schwerem Burgunder und gut
gelagertem Rheinwein.

Mendoza wird mir unter anderem unvergeßlich bleiben durch den ersten
argentinischen »Kunstgenuß«, den ich dort erlebte: eine spanische Operette
»Marina del mare« mit Namen. Nachdem ich sechs Wochen lang keine Musik
gehört hatte, schien mir jeder Ton ein Labsal. Unter den Sängern waren
einige vorzügliche Stimmen. Erquickend nach dem europäischen Begriff des
»Künstlerischen« war die bodenlose Naivetät, mit der hier Dekoration
und schauspielerische Aktion behandelt wurden. Die ganze Darstellung
war sozusagen »schematisch«, die Phantasie des Zuhörers hatte nach
allen Richtungen hin freien Spielraum. So wurde man unvermutet vor eine
schwierige ästhetische Frage gestellt. Doch will ich meine Leser nicht mit
ihrer Lösung langweilen.




7. BRIEF.

DIE KORDILLEREN.


Als ich vor Jahren die Dolomiten zu Fuß durchwanderte, kam mir oft
der Gedanke: so ungefähr müssen die Kordilleren aussehen. Woher
diese Überzeugung stammte, weiß ich nicht. Wahrscheinlich war es die
abenteuerliche rosa-rote Färbung des Gesteins und die stellenweise
exotische Vegetation, die die Vorstellung von außereuropäischen, tropisch
angehauchten Gebirgsgegenden wachrief. Es kam mir damals nicht in den Kopf,
daß es mir jemals vergönnt sein würde, die Dolomiten und die Kordilleren
tatsächlich miteinander zu vergleichen. Soll ich es als Merkmal einer mir
bisher nicht bewußten Divinationsgabe auffassen, daß, als mir die ersten
Gebirgszüge der Kordilleren zu Gesichte kamen, mir nichts anderes übrig
blieb, als auszurufen: Genau so sehen ja die Dolomiten aus!

Da ich in der Geologie nicht bewandert bin, will ich es unterlassen, zu
untersuchen, warum sich die Dolomiten und die Kordilleren so ähnlich sehen.
Es genügt mir, diese nicht zu bestreitende Tatsache festzustellen, übrigens
sei der Genauigkeit halber angemerkt, daß es in diesem Falle eigentlich
unzulässig ist, in Bausch und Bogen von den Kordilleren zu reden.
»La Cordillera« nennt man hier nur den mittelsten und höchsten Bergrücken
des Gebirges, das nicht nur Südamerika, sondern auch Mittel- und
Nordamerika durchzieht. Der Teil der Cordillera, den ich meine, sind die
Anden, das Gebirge, welches Chile von Argentinien trennt.

Um weiteren Mißverständnissen vorzubeugen, muß ich noch hinzufügen,
daß Ähnlichkeit ein sehr dehnbarer Begriff ist. Und wenn man von der
Ähnlichkeit der Kordilleren und der Dolomiten redet, so ist das dieselbe
Ähnlichkeit, die etwa ein Tiger und eine Katze miteinander haben.

Die ersten Ausläufer der Kordilleren erblickt man, wenn man in dem Ferro
Carril Transandino, jener schon erwähnten putzigen Witzblatt-Bahn, das
gelobte Land Mendoza verläßt. Der Zug muß sich gewaltig anstrengen, um
die Berge hinaufzuklettern. Eine Lokomotive zerrt von vorne, eine andere
schnauft von hinten, und die ganze Mühe gilt vier kleinen Waggons, die
spickevoll besetzt sind mit in Staubmänteln vermummten Passagieren. Die
Geschwindigkeit, die dabei entwickelt wird, ist kaum größer als fünf
bis zehn Kilometer die Stunde. Doch hat man keine Ursache, dieses
Schneckentempo zu bedauern. Was langsam kommt, kommt gut, und hier von
Minute zu Minute immer besser und herrlicher.

Es ist ein undankbares Geschäft, wenn man versuchen will, die unerhörte
Pracht dieser grandiosen Gebirgswelt zu beschreiben. Selbst der Pinsel des
genialsten Malers müßte hier versagen. Die Lokomotiven keuchen und stöhnen.
Immer höher geht es hinan. Die einzigen Reste organischen Lebens sind
einige wenige grüngelbe Grasbüschel, die sich im Geröll der Abhänge
verbergen. 2800 Meter Höhe sind erreicht. Hier machen wir Halt. Mögen
andere, die Eile haben, weiterfahren. Das scheinen, außer meinem
Reisekameraden und mir, sämtliche Passagiere des Zuges zu sein. Hier gibt
es -- gelobt sei die abschreckende Wirkung einer zwanzigtägigen Seefahrt
-- noch keine »Touristen« aus Europa. Man schämt sich fast, die einzigen
Vertreter dieser im allgemeinen verabscheuungswürdigen Menschenspezies zu
sein. Aber alle Unbequemlichkeiten, die daraus erwachsen, daß Südamerika
dem Touristenverkehr noch nicht erschlossen ist -- z. B. das vollständige
Fehlen irgendwelcher Reisehandbücher à la Bädeker -- erträgt man nur zu
gerne.

Der Ort, in dem wir den Zug verlassen, heißt Puente del Inca (Brücke des
Inka), auf Geographiekarten wird man ihn vergeblich suchen. Außer dem
Stationsgebäude und einem kleinen Hotel sind nur einige Zelte, die
Nachtquartiere von Eisenbahnarbeitern, zu erblicken. Ringsumher kein Baum,
kein Strauch. Ein reißender Gebirgsstrom hat sich seinen Weg in schäumender
Lust quer durch einen Felsenhügel gebahnt. Der dadurch entstandenen
natürlichen Felsbrücke verdankt der Ort seinen Namen.

2800 Meter sind in Europa schon eine ganz respektable Höhe, für die
Höhenverhältnisse der Kordilleren sind sie eine Bagatelle, die kaum der
Rede wert ist. Dennoch merkt ein Flachländer schon ganz bedeutend die
Wirkung der verdünnten Atmosphäre. Aber trotzdem ergreift einen sofort noch
eine andere Gebirgskrankheit, die sich in dem einen Wunsch äußert: Höher,
höher! Und eine Stunde, nachdem wir den Zug verlassen hatten, saßen wir
schon auf Maultieren, um einen nahen Berggipfel, den »11. Febrero«, zu
erklimmen. Dieser und einige andere kleinere Ausflüge waren das notwendige
Training, um uns für ein anderes größeres Unternehmen vorzubereiten. Die
Eisenbahn ist, wie gesagt, für Leute da, die Eile haben. Will man
dagegen die Schönheit der Gebirgswelt genießen, so greift man zu anderen
Verkehrsmitteln. Wir beschlossen, den Übergang über den Andenpaß auf
Maultieren zu machen. Statt einigen Stunden, dauert das freilich einige
Tage, doch nimmt man dafür Eindrücke mit, die man nicht vergißt, auch wenn
man das Alter Methusalems erreicht.

Frühmorgens machten wir uns auf den Weg. Voran der Führer, ein ernsthafter,
vertrauenerweckender Argentinier, der sich in seinem Torreador-Hütchen und
wehenden Poncho gar malerisch ausnahm. Mit mächtigen, mittelalterlichen
Rittersporen, wie man sie sonst nur auf der Bühne an den Beinen irgend
eines Don Quichote sieht, trieb er sein Maultier zu schneller und
energischer Gangart an. Uns mit unseren unbewaffneten Stiefelabsätzen
gelang das erheblich schlechter. Unser erstes Ziel, das freilich einen
Umweg bedeutete, waren die Kupferminen von Navarro. Unermüdlich greifen die
braven Maultiere aus. Der Weg wird steiler und steiler. Die letzten Spuren
jeglicher Vegetation verschwinden. Über Steingeröll und Felsplatten immer
höher und höher. Links und rechts öffnen sich gähnende Abgründe. Immer
beschwerlicher wird das Klettern. Immer beschwerlicher wird auch das Atmen.
Der Puls hämmert wie ein Schmiedewerk. Im Kopf spürt man einen leichten
Druck. Und mit einem Male stellt sich auch der Schrecken aller ungeübten
Bergsteiger ein -- das Gefühl des Schwindels. Man schaut schon lieber
nicht mehr zur Seite, sondern krampfhaft auf den Sattelknauf. Kein Laut ist
ringsumher zu vernehmen. Nur das Knirschen der Hufe im lockeren Geröll und
das leise Schnauben der Maultiere. Man segnet und verflucht zugleich
diese vierbeinigen Gefährten. Zu Fuß wäre der Anstieg sicherlich noch
ungemütlicher, aber dieses quälend langsame Tempo der Reittiere macht einen
auch nicht wenig nervös. Es scheint eine halbe Stunde zu dauern, bis das
Tier mit dem Hufe eine Stelle aussucht, die ihm sicher genug dünkt, um den
Fuß draufzusetzen. Und vor einem starrt drohend, scheinbar unerreichbar
der Gipfel, den es zu übersteigen gilt. Gestattet es das Gelände, wird Rast
gemacht. Und nun ist mit einem Schlage alle Mühsal vergessen! Sprachlos
blickt man in die sich immer herrlicher entfaltende Pracht dieser unerhört
großartigen Gebirgswelt hinein. Die kühnste Phantasie kann sich derartige
Bilder nicht ausmalen. Das Merkwürdigste an den Bergspitzen und Abhängen
der Anden ist ihre Färbung. Tiefschwarz, blutigrot, grünlichgrau,
violett, leuchtend rosa, in sattem Orange schillert das Gestein dieser
phantastischen Bergriesen. Es ist ein zauberisches Bild, wie man es weder
in der Schweiz, noch in den Alpen jemals erblicken kann. Mächtige Gletscher
unterbrechen hier und dort das farbenfreudige Bild, über alles hinweg
grüßt im leuchtend blauen Himmel der schneeweiße, strahlende Gipfel des
Aconcagua, des Goliath unter den amerikanischen und europäischen Bergen.

Und trotz dieses bunten, lichttrunkenen Bildes wird man keinen Augenblick
das Gefühl der grauenvollen Öde, die hier herrscht, los. In herrlicher
Majestät, aber auch in drohender, ungebeugter Kraft blicken die Berge auf
das armselige Menschengesindel herab. In Europa hat sich der Mensch die
Berge untertan gemacht. Hier sind sie die Herrscher, und wehe dem, der
ihnen zu nahe kommt. Ihre mächtigste Waffe sind die Steinlawinen. Auch wir
hörten eine mit dumpfem Grollen niedergehen. Glücklicherweise kreuzte sie
nicht unseren Weg. Gar finster starrte der Krater eines Vulkans herüber.
Mächtige Steinhaufen in unordentlichem Gewirr und weither verstreute
Lawablöcke kennzeichneten seine Tätigkeit.

Die Kupferminen von Navarro sind nicht durch ihre Ergiebigkeit
bemerkenswert. Wohl aber dadurch, daß sie in der unfaßlichen Höhe von
zirka 4200 Metern ausgebeutet werden. Wie die Menschen es dort monatelang
aushalten, ist unbegreiflich. Vielleicht gewöhnt sich der Körper mit der
Zeit an den verminderten Luftdruck. Beständig weht ein eisiger Wind, und
selbst jetzt im Hochsommer bei Mittagssonne fror einem trotz sweater
und Lederjacke. Im Winter liegen die Minen von aller Welt hoffnungslos
abgeschnitten in tiefster Vergessenheit da. Einen schauerlichen
Eindruck machte die einfache Erzählung von drei Arbeitern, die die sechs
Wintermonate als Hüter der Maschinen oben blieben. In den Schneemassen
vergraben, gleich lebendigen Toten erwarteten sie von Tag zu Tag das Nahen
des Frühlings. Wer kennt die grausige Novelle »L'Auberge« von Maupassant?
Mir fiel sie ein, als ich diesen drei wetterharten Gestalten in die Augen
blickte.

Am dritten Tage, nachdem wir unsere Ansprüche in bezug auf Nachtlager
und Nahrung auf das Niveau bescheidener Haustiere herabgedrückt hatten,
erreichten wir die Chilenische Grenze. Auf dem Gipfel des Passes, dem
sogenannten »Cumbre« ist vor einigen Jahren eine Kolossalstatue,
eine Christusfigur ans Kreuz gelehnt, errichtet worden. Sie dient als
Wahrzeichen des Friedens zwischen Chile und Argentinien, den beiden
feindlichen Nachbarländern, die jahrzehntelang ununterbrochen Zwist und
Hader miteinander hatten. Auf beide Seiten hin, nach Chile und Argentinien
öffnet sich ein wundervolles Gebirgspanorama. Einen abstoßenden Eindruck
machen gerade auf dieser Stelle die überall umherliegenden Kadaver von
Maultieren, die dem atmosphärischen Druck während des Überganges nicht
standgehalten haben.

Einen letzten Blick warfen wir auf den Aconcagua, der uns in diesen Tagen
ein lieber und vertrauter Freund geworden war und den wir schwerlich
wiedersehen werden. Der Abstieg in die chilenischen Täler wurde zu Fuß
unternommen. Von den unbequemen, breiten mexikanischen Sätteln, die hier in
allgemeinem Gebrauche sind, hat man nach vier Tagen gerade genug. In Juncal
erreichten wir den Zug, der uns in schneller Fahrt über kühne Viadukte,
durch zahllose Tunnels, entlang dem schäumenden Rio Branco immer weiter
talabwärts führte.

Im idyllischen chilenischen Städtchen Los Andes, wegen seines idealen
Klimas -- es regnet dort nie -- ein gesuchter Luftkurort, gönnten wir uns
zwei Ruhetage, zu wenig noch, um die einzigartigen, großartigen Eindrücke
dieses Andenüberganges zu verarbeiten. Sollten sich im weiteren Verlaufe
der Reise die Eindrücke in ähnlicher Weise häufen, so könnte, fürchte ich,
bei aller Elastizität, die Aufnahmefähigkeit endlich versagen.


~Tafel 1~

[Illustration: ~Kordilleren-Landschaft~]

[Illustration: ~Puente del Inka (Anden)~]


~Tafel 2~

[Illustration: ~Das Christusdenkmal auf der Grenze Argentinien-Chile~]

[Illustration: ~Nebenan ein Maultier-Skelett~]

[Illustration: ~Hotel in Juncal~]


~Tafel 3~

[Illustration: ~Bergsee in den Kordilleren~]

[Illustration: ~Blick auf den Acongagua~]




8. BRIEF.

CHILE. -- ALLGEMEINE EINDRÜCKE.


Wenn man von der Ostküste des Kontinents in Chile einfährt, so hat man das
Gefühl, als käme man von Amerika nach Europa zurück. Das gilt nicht nur
von der Landschaft, sondern auch von dem ersten Eindruck, den das Land mit
seinen Sitten, Gebräuchen, Lebensgewohnheiten macht, und von den ersten,
oberflächlichen Äußerungen des Volkscharakters, denen man begegnet.

Brasilien ist das Land ungesunder, mörderischer, klimatischer Bedingungen,
das Land der dunklen Ehrenmänner, das Land, in dem ein faules, faulendes
Leben gelebt wird. In Argentinien herrscht das Geldfieber in so
erschreckendem Maße, daß alle übrigen Lebensinteressen zurückgedrängt
erscheinen. Geld ist der einzige Lebensnerv dieses Volkes. Für Geld kann
man so ziemlich alles haben, und nur was Geld kostet hat Wert, je mehr es
kostet, desto größer ist der Wert. Die Rechnung ist ganz einfach und klar.
Geld ist der einzige Maßstab, den man an die Erscheinungen des Lebens
anlegt. Dinge, die man für Geld nicht haben kann -- nach altmodischen
Begriffen die einzig wertvollen -- hat der Argentinier aus seinem
Lebensbudget ein für alle Male ausgeschieden.

Chile ist in dieser und auch in mancher anderen Beziehung weit hinter dem
modern-fortschrittlichen Nachbarstaate zurückgeblieben. Vielleicht macht es
deswegen solch einen anheimelnden Eindruck auf einen nicht nach spezifisch
amerikanischen Begriffen erzogenen Europäer. Das Volk ist hier ein ganz
anderes. Das spürt man in der ersten Stunde auf chilenischem Boden. Man
begegnet wieder freundlichen Blicken und freundlichen Worten, die der
Europäer natürlich um so höher einschätzt, weil er nicht so und so viele
Pesos dafür zu zahlen braucht. Die Menschen messen sich aneinander, und die
Dicke des Portemonnaies ist nicht die ausschlaggebende unbekannte Größe,
die den Chilenen bei dieser Rechnung unsicher macht.

Im indigenen Chilenen überwiegt, im Gegensatz zum Argentinier, das
spanische über dem italienischen Blute. Aber die chilenische Rassenmischung
ist -- rein menschlich betrachtet -- augenscheinlich die bessere. Das Volk
ist gutmütig, gefällig, ein bißchen faul, aber durchaus nicht arbeitsscheu,
heiter, aber im Genusse nicht maßlos, wie der Argentinier. Ich lebe seit
vierzehn Tagen in Chile und habe in dieser Zeit in Stadt und Land noch
keinen Betrunkenen gesehen.

Trotz des Friedensdenkmals, das auf dem Cumbre der Anden zwischen Chile
und Argentinien aufgestellt ist, herrscht keine große Freundschaft zwischen
beiden Ländern. Man bekriegt sich nicht, aber man liebt sich auch nicht.
In Argentinien spricht man in höchst wegwerfendem Tone von Chile, man
verachtet das Land, weil es in kultureller Beziehung angeblich um hundert
Jahre zurückgeblieben ist. Nach außen hin ist dieser Vorwurf nicht
unberechtigt, nur vergißt man, daß es neben der äußeren auch noch eine
innere Kultur gibt, und an Stelle der Argentinier würde ich lieber nicht
untersuchen, welches Volk hierin dem anderen überlegen ist.

Aber, wie gesagt, nach außen hin haben die Argentinier einiges Recht, die
Nase über ihre rückständigen Nachbarn zu rümpfen. Schon das Straßenbild der
größeren chilenischen Städte unterscheidet sich sehr wesentlich von
dem, was man von Argentinien her gewohnt war. Die üppigen Paläste der
argentinischen Parvenüs, die wolkenkratzerartigen Geschäftshäuser fehlen.
Das hat nun freilich, auch außer den nicht vorhandenen Millionen einen
anderen guten Grund. Oder vielmehr einen schlechten Grund und Boden, der in
Chile durchweg vulkanisch ist. Die Bevölkerung lebt in beständiger Furcht
vor Bodenschwankungen. Noch ist das große Erdbeben, das vor fünf Jahren
ganz Valparaiso zerstörte und 25000 Menschen das Leben kostete, frisch in
aller Gedächtnis. Man hört grauenvolle Erzählungen von jenen schauerlichen
drei Minuten, in denen Glück und Wohlstand unzähliger Familien vernichtet
wurde. Angesichts dieser Gefahr baut man in Chile selten höher als
zweistöckig. Dadurch erhalten natürlich die größeren Städte, z. B.
Santiago, die Hauptstadt des Landes, eine enorme Ausdehnung. Gleichzeitig
erhält aber auch das architektonische Bild einen sehr ausgeprägten
Charakter. Man kann sogar von einem spezifisch chilenischen Baustil
reden. Und in diesen niedrigen, langgestreckten, oft von schlanken Säulen
getragenen Fassaden steckt mehr künstlerischer Geschmack, als in den
überladenen Prachtbauten von Buenos Aires.

Inbezug auf Reisebequemlichkeiten muß man seine Ansprüche in Chile
allerdings stark zurückschrauben. Die besten Hotels sind immer noch nicht
so gut, wie etwa die mittelmäßigen in einer altmodischen deutschen
Stadt. Von irgend einem Komfort und den Errungenschaften moderner
Einrichtungstechnik, z. B. warmem fließenden Wasser, Telephon u. dergl.
ist keine Rede. Die Verkehrsmittel entsprechen auch nicht einigermaßen
verwöhnten Ansprüchen. In ganz Santiago, einer Stadt von zirka 400000
Einwohnern, war kein Automobil aufzutreiben. Den Straßenverkehr vermitteln
ausschließlich Droschken, die in Santiago noch ganz propper aussehen
und mit guten Pferden bespannt sind. In den kleineren Städten dagegen,
Conception oder Temuco, verkehren vorsintflutliche Vehikel von fabelhaften
Dimensionen. Drei bis vier elende Klepper ziehen diese Riesenkarossen
mühsam über das holperige Straßenpflaster, das noch nicht einmal überall
die guten alten Knüppeldämme -- die heutzutage eine Erfindung des Teufels
scheinen -- ersetzt hat. Auf den Eisenbahnen in Chile herrschen Zustände,
die geradezu phantastisch genannt werden müssen. Hat man das Unglück,
ein größeres Gepäckstück zu besitzen, so wird es einem auf dem Bahnhofe
entrissen und ohne Quittung oder sonstige Sicherheit in den Gepäckwagen
verstaut. Auf der Endstation muß man es selbst wieder heraussuchen. Doch
kann man ebensogut jeden anderen Koffer als den seinigen bezeichnen.
Jedes Gepäckstück, auf welches man mit dem Finger hinweist, wird einem
anstandslos ausgeliefert.

Und trotzdem bestehe ich darauf, daß Chile europäischer ist als
Argentinien. Man hat das Gefühl, einer Kultur gegenüberzustehen, die sich
zwar langsam, dafür aber von innen heraus entwickelt. Infolgedessen halten
viele Chile für den eigentlichen Zukunftsstaat von Südamerika. Hier ist
alles vielleicht ein wenig ungeschickt, aber fest gefügt. Man baut in Chile
keine Kartenhäuser, und der amerikanische Begriff des »bluff« ist hier
unbekannt.

Von außeramerikanischen Einflüssen ist in Chile bei weitem am stärksten
der deutsche vertreten. Vielleicht trägt dieser sehr merkliche Umstand
dazu bei, einem das Land so vertraut und sympathisch zu machen. Manchen
Institutionen des öffentlichen Lebens ist der Stempel »made in Germany«
sogar ein wenig zu deutlich aufgedrückt. Vor allem dem Militär. Dafür ist
es allerdings anerkanntermaßen das weitaus beste in ganz Südamerika.
Die chilenische Armee wird seit Jahrzehnten von deutschen
Instruktionsoffizieren gedrillt. Es ist eine Freude die strammen Soldaten
anzusehen. Die Uniformen sind bis auf alle Einzelheiten, den Schnitt der
Mäntel und Mützen, die Form der Epaulettes und Kokarden, deutschen Mustern
nachgebildet. Anfangs glaubte ich, es wimmele in Chile von deutschen
Militärattachés, denn alle chilenischen Leutnants hielt ich für Deutsche.

Sehr stark vertreten ist das deutsche Element in der industriellen und
geschäftlichen Welt Chiles. Ein höchst wichtiger spiritus rector des
Geldverkehrs in Chile ist die Deutsche Transatlantische Bank, die ihre
Filialen in allen kleinen Städten des Landes hat und mit ihrer vorzüglichen
Organisation einen kleinen Staat für sich bildet. Seit wir in Chile
sind, reisen wir sozusagen als Postpakete der Deutschen Bank. Die
Liebenswürdigkeit dieser Herren hat keine Grenzen. Überall werden uns von
ihnen die manchmal allerdings recht rauhen Wege geebnet. Wer Südamerika
bereist und sich der Deutschen Bank anvertraut, ist in Abrahams Schoße
aufgehoben.

Von den indigenen Bevölkerungselementen sind am interessantesten natürlich
die Indianerstämme der araukanischen Rasse, von denen in einem besonderen
Artikel die Rede sein wird.

Soll ich nun den chilenischen Frauen ein Loblied singen? Auf den ersten
Blick erscheinen sie stolz und unnahbar. Ob sie es in Wirklichkeit
sind, kann erst eine längere Erfahrung lehren. Ihre auffallendste
Charaktereigentümlichkeit ist für den sich im Anfangsstadium des
Beobachtens befindlichen Durchreisenden -- ihre ostentativ zur Schau
getragene Frömmigkeit. Wenn man in Chile morgens auf die Straße geht,
glaubt man alle Frauen seien Nonnen oder gehörten einer geheimen Sekte
an. Sämtliche Personen weiblichen Geschlechts tragen hier nämlich bis zum
Mittag eine Art Uniform, einen schwarzen, seidenen Schleier, der das Haupt
und die ganze Gestalt verhüllt, und, kunstvoll geschlungen, nur das Gesicht
frei läßt. Das ist das Kirchgangkostüm der Chileninnen, die demnach alle
täglich morgens die Kirche zu besuchen scheinen. Wenigstens tun sie so
als ob, und man kann es ihnen nicht übel nehmen, denn zu dem matten,
elfenbeinfarbenen Teint ihrer oft auffallend hübschen Gesichter gibt der
schwarze Schleier einen außerordentlich kleidsamen Rahmen ab. Abends tragen
diesen schwarzen Schleier, den sogenannten Manton, nur kleine Bürgersfrauen
und -- Demimondainen. Dieser Umstand hat auch eingeborene Chilenen schon
manchem verhängnisvollen Mißverständnis zugeführt.

Was Chile vor allen übrigen Staaten Südamerikas auszeichnet, ist die
außerordentliche landschaftliche Schönheit des Landes. Der Norden erinnert
etwa an die malerischen Partien von Oberbayern. Mittelchile, das Gebiet der
interessanten Araukanerstämme, ist verhältnismäßig flach. In den Süden,
die eigentliche Schweiz des Landes, deren romantische Schönheit über alles
gerühmt wird, komme ich erst nach einigen Wochen. Santiago liegt in einem
tiefen Talkessel, umgeben von schneegekrönten Höhenzügen. In der Mitte der
Stadt erhebt sich ein, in einen prächtigen Park verwandelter Bergkegel,
S. Lucia, von dem aus man einen herrlichen Rundblick ins Land hinein
genießt. Wenn man Glück hat, kann man dort bei Sonnenuntergang das
herrlichste -- Kordillerenglühen erleben.

Eine berühmte Sehenswürdigkeit des nördlichen Chile ist der sogenannte
Lota-Park. Er liegt unweit des Städtchens Conception am malerisch
zerklüfteten Ufer des Stillen Ozeans. Auf dem Wege dorthin passiert man,
nebenbei gesagt, die zweitlängste Eisenbahnbrücke der Welt, die, mehr als
2 Kilometer lang, über den jetzt im Sommer total versandeten Strom Bio-Bio
führt. Der Lota-Park befindet sich in Privatbesitz, und es ist nicht
leicht, die Erlaubnis zu seiner Besichtigung zu erhalten, da seine
Besitzerin, die einer der vornehmsten und reichsten Familien des Landes
angehört, in diesem Punkte von der hier üblichen, nach unseren Begriffen
fast lächerlichen Exklusivität ist. Der Deutschen Bank verdankten wir, wie
vieles andere noch, den Schlüssel zu diesem Sesam. Die vegetative
Pracht des Parkes ist vielleicht einzigartig in der Welt, schon ob ihrer
Mannigfaltigkeit, denn von den herrlichsten Palmen und Magnolienbäumen bis
zu unserer bescheidenen Kiefer und Edeltanne, die sich in der exotischen
Umgebung ganz besonders malerisch ausnehmen, ist dort jede Baumart
vertreten, die im tropischen und gemäßigten Klima gedeiht. Die Erhaltung
des Parkes muß einen enormen Aufwand von Kosten und Mühe beanspruchen. Nur
eins sucht man dort vergeblich -- unverfälschte Natur! Das Ganze nimmt sich
wie ein künstlich hergerichteter botanischer Garten aus, was es im Grunde
genommen ja auch ist. Die sauber geharkten Kieswege, die tausende von
Statuen -- vom Apollo von Belvedere bis zur plastischen Darstellung der
Lieblingshunde der Besitzerin --, allerhand künstliche Grotten, aus Wurzeln
und Schlingpflanzen hergerichtete Pavillons und Laubengänge verjagen den
letzten Rest von Naturstimmung. Von all diesen Dingen bis zu Störchen und
Zwergen aus Porzellan ist nur ein Schritt. Und das am Ufer des Stillen
Ozeans, zu dem der Zugang durch einen kostbaren Zaun verbarrikadiert ist!
Nein, das ist nicht das Richtige. Beim Durchwandern des Lota-Parkes
schwand der Respekt vor dem Natursinn und dem künstlerischen Geschmacke der
Besitzerin und ihrer Berater langsam aber sicher.

Wir verließen den Lota-Park in einem Extrazuge, den uns der Direktor der
Bahnlinie in einem unverständlichen Anfalle von Liebenswürdigkeit zur
Verfügung gestellt hatte. Um den einzigen Waggon des Zuges führte eine
Galerie. Wir schoben uns Feldstühle hinaus und atmeten ordentlich auf, als
wir, von den Strahlen der untergehenden Sonne begleitet, in die naturechten
Wiesen und Wälder der chilenischen Landschaft hineinfuhren. Mein
Reisekamerad nahm den Hut ab und grüßte jede Butterblume am Wege. Es gehört
sicher mehr dazu, als Millionen und Vornehmheit, um nicht zu verderben, was
die Natur mit ihrem eigenen Kunstsinn erschafft.




9. BRIEF.

TEMUCO. -- EIN AUFZUG DER ARAUKANER-INDIANER.


Mitten im Herzen Chiles, wo die westlichen Ausläufer der Anden-Kordilleren
sich nach dem Stillen Ozean hinziehen, an einer Stelle, die vor
dreißig Jahren von dichtem Urwald bestanden war, liegt heute die rasch
emporgeblühte, obzwar noch kleine Stadt Temuco. Auf den meisten Karten
Chiles, außer den allerneuesten, steht sie noch nicht einmal verzeichnet.
Dennoch bietet gerade dieses Städtchen dem reisenden Europäer besonderes
Interesse. Nicht wegen seiner landschaftlichen oder sonstigen Schönheit.
Temuco an sich ist immer noch ein recht elendes kleines Nest, mit
langweilig geraden, schlecht oder gar nicht gepflasterten Straßen und den
für Chile charakteristischen einstöckigen Erdbeben-Häusern aus Holz oder
Lehm. Von der Sonne gelb gebrannte Wiesen umgeben die Stadt, auf einigen
Hügeln stehen noch Reste des niedergebrannten Urwaldes, halbverkohlte
Baumstämme mit phantastisch gekrümmten Astarmen, niedriges gelbgrünes
Buschwerk. Diese ungemütlich-monotone, trostlos arme Landschaft verleiht
dem Ort keinen Reiz. Was Temuco interessant macht, ist die unmittelbare
Nähe der immer noch halbwilden Araukanerstämme, eines Indianervolkes, das
seit urvordenklichen Zeiten die Chilenische Ebene, in einem Umkreis von
einigen hundert Kilometern um Temuco herum, bevölkert.

Als wir in Temuco anlangten, wurde dort gerade ein wissenschaftlicher
Kongreß von chilenischen Gelehrten abgehalten. Anfangs konnten wir
nicht umhin, diesen Congreso scientifico und alle seine Teilnehmer zu
verwünschen, denn das einzige Hotel Temucos, das für Europäer in Betracht
kommt, war derart überfüllt, daß wir mit einem höchst primitiven Nachtlager
vorlieb nehmen mußten, nachdem wir uns geweigert hatten, ein kleines Zimmer
mit drei keineswegs vertrauenerweckenden Chilenen zu teilen. Am nächsten
Tage jedoch schon hatten wir Ursache, den Congreso reumütig zu segnen,
statt ihn zu verfluchen.

Gegen Mittag begann eine uns anfangs unerklärliche Aufregung und Bewegung
in der Stadt zu herrschen. Als wir auf die Straße hinaustraten, sah man
von allen Richtungen her endlose Züge von Reitern nach dem Mittelpunkte der
Stadt, der sogenannten »Plaza des armes«, die in keiner südamerikanischen
Stadt fehlt, hinziehen. Es stellte sich heraus, daß es sich um einen Aufzug
der Araukaner oder Mapuches, wie man sie hier auch nennt, handelte, der
zu Ehren der Kongreßmitglieder in Szene gesetzt wurde. Immer bunter, immer
bewegter, immer interessanter wurde das Bild, das sich nach und nach auf
dem Platze entwickelte. Größere und kleinere Trupps von Reitern nahten im
Galopp, im Trab oder im Schritt. Endlich mögen weit über Tausend versammelt
gewesen sein. Im blendenden Sonnenscheine flimmerte der aufgewirbelte
Staub, blitzte der Silberbeschlag des Zaumzeugs und der Steigbügel,
die Reiter sitzen wie angewachsen auf den dicht aneinandergedrängten,
ungeduldig stampfenden Pferden. Alle tragen sie den bunten oder
einfarbigen, gestreiften, gewürfelten, oder mit anderen, oft schönen
Mustern bedeckten Poncho, das für Reiter höchst bequeme, hier
unentbehrliche Kleidungsstück, eine Art Plaid, durch den durch einen
Schlitz in der Mitte der Kopf durchgesteckt wird, während der Stoff von
allen Seiten frei am Körper herabhängt. Breitrandige Hüte aus Stroh
oder farbigem Filz bedecken die Köpfe. Unter den Hüten schaut manches
interessante Gesicht hervor. Blitzende, braune Augen, gerade Nasen,
starke Backenknochen; der Bart im Gesicht, wenn er überhaupt wächst,
wird ausgezupft, bis auf einen schmalen Haarstreif am äußersten Rande der
Oberlippe. Weit malerischer noch und eigenartiger, als die Männer, sind die
Frauen gekleidet. Auch sie sind fast alle zu Pferde, hier und dort
sieht man zwei auf einem braven Tier sitzen -- natürlich rittlings, ohne
Steigbügel, denn die Araukanerfrauen tragen nie einen Stiefel. In der
Kleidung bevorzugen sie zwei Farben, schwarz und dunkellila, was zu ihrer
gelbbraunen Gesichtsfarbe und dem tiefschwarzen Haar schön aussieht.
Reicher Silberschmuck bedeckt die Brust, ein großes Tuch, das die
Schultern verhüllt, wird von einer silbernen Nadel, in Form eines Pfeiles,
zusammengehalten, das Haar ist von silbernen Schnüren durchflochten,
hin und wieder sieht man das Haar, im Nacken geteilt, in zwei aus Silber
geschmiedeten Röhren stecken. Je reicher die Mapuchesfrau ist, desto mehr
Silberschmuck trägt sie, Ohrgehänge, Ringe, Gürtel zu allem übrigen.

Ununterbrochene Rufe: »Viva la raça araucana« gellten von allen Seiten.
Dazu kamen bald andere ohrenzerreißende Töne, die die Aufmerksamkeit auf
sich lenkten. Man verleugnet nie seinen Beruf. Mein Instinkt sagte mir, daß
diese Töne Musik vorstellen sollten. Ich ging ihnen nach, was nicht
leicht war, da es galt, sich durch eine lebendige Mauer von Köpfen
und Hinterteilen der Mapuchespferde durchzudrängen. Richtig -- an der
gegenüberliegenden Seite des Platzes hatte ein araukanisches »Orchester«
Aufstellung genommen. Heilige Cäcilie! da mögen Dir die Ohren weh getan
haben! Das einzige musikalische Element dieser Musik war der Rhythmus,
der vermittelst einer Trommel -- ein ausgehöhlter Baumstumpf mit Schafhaut
bespannt und schön bemalt -- aufrecht erhalten wurde. Von Melodie, oder gar
Harmonie keine Spur, nicht einmal von musikalisch fixierbaren Intervallen.
Ich hatte schon Notizbuch und Bleistift in Bereitschaft, um die
araukanische Nationalmusik nachzuschreiben, mußte dieses Vorhaben jedoch
als absolut undurchführbar aufgeben. Auf endlosen Schilfrohren, an deren
Ende ein Kuhhorn angebracht war, und auf kleinen Pfeifen, deren Ton einem
angeblasenen Hausschlüssel ähnelt, blies jeder was er wollte, oder was
das Instrument gerade hergab. Die Musiker, zum größten Teil blinde Greise,
machten dazu mit dem Körper Bewegungen im Rhythmus der Trommel, der der
einzige Ruhepunkt im unentwirrbaren Chaos der Töne war. Musik und Tanz
gehören zusammen. Bei halbkultivierten Rassen ist der Tanz überhaupt der
einzige Daseinszweck der Musik. Es dauerte auch gar nicht lange, da fanden
sich zwei alte Mapuchesfrauen ein, die der Versuchung nicht widerstehen
konnten und anfingen, sich nach dem monotonen, unbeirrbar gleichbleibenden
Takt der Trommel zu drehen. Die jüngeren Frauen hielt augenblicklich ihr
Schamgefühl vom Mittun ab. Der Tanz der beiden Alten sah gar putzig aus.
In halb hockender Stellung, mit extatisch verdrehten Augen, wirbelten sie
ziemlich schnell jede um die eigene Axe, von Zeit zu Zeit unterbrachen sie
die Bewegung, um aufeinander loszuspringen und sich mit langen Zweigen, die
sie in der Hand hielten, an Kopf oder Schulter zu berühren. Den Sinn des
Tanzes konnte mir niemand erklären. Man sah ihn in Temuco zum ersten Male,
und er erregte große Sensation. Alle Bäume der Plaza um die beiden Alten
herum waren bis in die Kronen mit Schaulustigen besetzt.

Das Defilée der Mapuches dauerte fast drei Stunden. Natürlich mußte der
»Kodak« respektive der »Tenax« ununterbrochen arbeiten. Mein Reisekamerad
und ich fanden uns bald auf dem Dache einer der vorsintflutlichen temucaner
Droschken, bald in halsbrecherischer Stellung an ein Fenstergesims
geklammert, mit gezückten Apparaten, wieder.

Dem Europäer stechen natürlich die zum Teil sehr kunstvoll und originell
gearbeiteten Schmucksachen der Araukanerfrauen mächtig in die Augen. Doch
ist es nicht leicht, dieser Gegenstände habhaft zu werden. Ab und zu findet
man sie in den Versatzämtern von Temuco. Denn diesen Segen der Kultur
kennt der Indianer schon, wenngleich er sich nur höchst ungern und nur im
alleräußersten Notfalle von seinem Hab und Gut trennt. Fast unmöglich ist
es, araukanische Ringe in seinen Besitz zu bringen. Sie müssen für die
Träger irgend einen besonderen, vielleicht symbolischen Wert haben. Mit
einem jungen Araukaner, den ich zufällig in einem Versatzamt von Temuco
traf, war ich schon handelseinig geworden, obgleich er einen Phantasiepreis
für seinen Ring verlangte. Er hatte ihn schon vom Finger gezogen, um ihn
gegen die entsprechenden Pesos einzutauschen, da drehte er sich plötzlich,
ohne ein Wort weiter zu verlieren, um, steckte den Ring an seine Hand,
sprang aufs Pferd und war verschwunden, ehe ich mir über den Vorgang
klargeworden war. Fast ebenso schwierig ist die Beschaffung von
Musikinstrumenten. Einem Europäer werden sie für nichts in der Welt
abgegeben. Der Araukaner ist, wie gesagt, außerordentlich mißtrauisch, und
da er es nicht versteht, was für einen Wert diese an sich wertlosen Dinge
für unsereinen haben können, wittert er irgendeine boshafte Absicht, wenn
man ihm sein Instrument abnehmen will. Man bedarf dazu der Vermittlung
irgend eines von der temucaner Kultur schon erfolgreich beleckten
Stammesgenossen. Solch ein Araukanerjüngling unternahm in unserem Auftrage
einen zweitägigen Ritt in die Kordillere, brachte dann allerdings
einige wunderschöne Instrumente mit, eine Trommel mit roter Farbe --
wahrscheinlich Schafsblut -- prächtig verziert, eine Pfeife und das
Staatsstück -- eine mehr als vier Meter lange Trompete, ein so gut
gearbeitetes und erhaltenes Exemplar, wie man sie selten sieht. Die
Freude war natürlich groß. Nach eifrigem Üben gelang es mir sogar, dieser
musikalischen Riesenschlange einzelne Töne zu entlocken, die die Mitte
hielten zwischen dem Timbre eines Kontrafagotts und dem Brüllen einer Kuh.
Viel Kopfzerbrechen machte nachher allerdings uns und der chilenischen
Eisenbahnbehörde die Verpackung und Versendung dieses Trompetenmonstrums.

Nach den interessanten Eindrücken, die der Aufzug der Mapuches in Temuco
hinterließ, erwachte natürlich der Wunsch, den Indianer chez soi zu sehen.
Der Wunsch wurde Wirklichkeit.




10. BRIEF.

DER MAPUCHE (ARAUKANER) CHEZ SOI.


Dank der Liebenswürdigkeit eines deutschen Mitgliedes des Congreso
scientifico in Temuco, des Meteorologen Dr. K., wurde es uns ermöglicht,
einen Einblick in das Leben und Treiben der Mapuches-Indianer bei sich zu
Hause zu gewinnen. Dr. K. hatte eine Tour ins Araukanergebiet vor, unter
Führung eines anderen Kongreßmitgliedes, des noch sehr jungen chilenischen
Professors M., der insofern der geeignete Mann zu diesem Unternehmen war,
als er selbst einer Araukanerfamilie entstammt und die Sprache der Indianer
vollkommen beherrscht. Solch ein Führer ist notwendig, denn die Indianer
sind überaus mißtrauisch, lassen Fremde nur ungern in die Nähe ihrer
Behausungen und haben besonders vor dem Photographiertwerden eine
Heidenangst. Dr. K. hatte in dieser Hinsicht einst schlimme Erfahrungen
machen müssen. Bei einem selbständig unternommenen Ausfluge hatte ihn ein
alter Mapucheshäuptling in seiner Hütte eingesperrt, und nur mit großer
List und viel Überredungskunst war es ihm gelungen, sich aus dieser heiklen
Situation zu befreien.

Wir schlossen uns den beiden Herren an. Eines schönen Morgens um fünf
brachen wir auf, voran die beiden Gelehrten in einem zweirädrigen Karren,
der auch den Proviant beherbergte, hinterdrein wir zwei zu Pferde. Zuerst
ritten wir nach einem alten indianischen Friedhof. Die Araukaner bestatten
ihre Toten ohne Särge und setzen ihnen hölzerne Denkmäler, hohe Pfähle,
in die oben eine Figur hineingeschnitzt ist, die ein stilisiertes
Menschengesicht vorstellen soll, was jedoch kein Nichtaraukaner erraten
kann, wenn es ihm nicht gesagt wird. Obwohl den Indianern jetzt befohlen
ist, ihre Toten auf den allgemeinen Friedhöfen zu bestatten, so denken
sie doch nicht daran, es zu tun, wie sie denn die Gesetze überhaupt nur
respektieren, soweit es ihnen bequem ist. Neben alten, halbzerwühlten
Gräbern mit altersgrauen, zerfaulenden Denkmälern, sahen wir auch einige
frisch aufgeworfene. Nach zweistündigem Ritt erreichten wir den ersten
indianischen Rancho. Prof. M. machte uns auf einen treppenartigen Aufbau
aufmerksam, der vor dem Hause stand. Das ist das Zeichen, daß in dem
Hause ein »Medizinmann« wohnt, respektive eine »Medizinfrau«, denn bei den
Araukanern wird das ärztliche Gewerbe vorzugsweise von alternden Weibern
betrieben. Auf dem Dache des Hauses erhebt sich auf hoher Stange ein
gebleichter Tierschädel -- um die Hexen abzuschrecken, die Menschen und
Tieren sonst viel Unheil zufügen können. Beim Besuche dieses und anderer
Indianerranchos ging stets Prof. M. als Pionier voran. Erst nach längeren
Unterredungen, die auf araukanisch geführt wurden, durften wir vorsichtig
nachdringen, den »Kodak« sorglich verborgen. Doch wurden wir dann meist
recht freundlich begrüßt, mit Händedruck und Willkommengruß: »Maremare«.
Ein indianischer Rancho ist ein höchst primitiver Bretterbau mit Stroh
gedeckt. Drei Wände umgeben einen Raum, dessen Größe je nach dem Reichtum
der Familie variiert. An der vierten Seite ist das Haus offen, wodurch
sonstige Türen und Fenster überflüssig gemacht werden. Dieser eine Raum
dient dem Araukaner nicht nur als Wohnhaus, sondern auch als Schweine- und
Hühnerstall, vorausgesetzt, daß er über solche Reichtümer verfügt. Außerdem
enthält er in malerischer Unordnung alles für den Araukaner zum Leben
notwendige. In der Mitte ist der Feuerplatz, umgeben von allerhand
merkwürdig geformten Kochgeschirren. An Stangen und Schnüren, die
den ganzen Raum nach allen Richtungen durchziehen, hängen getrocknete
Maiskolben, Tierhäute, Felle, kunstvoll arrangierte Gedärme, daneben
stehen die mit bunten Decken bezogenen Betten der meist recht
zahlreichen Familienmitglieder, Säcke mit Mehl und Getreide dienen als
Sitzgelegenheiten, von der Decke herab hängen die kunstreich gezimmerten
»Behälter« für Brustkinder, die die Araukanerfrauen auf dem Rücken tragen,
wenn sie das Haus verlassen. In einer Ecke steht der Webestuhl, eine
sehr primitive Maschine, auf der die Araukanerfrauen alle Stoffe für den
Hausgebrauch selbst anfertigen. Manche von diesen Stoffen, die zu Ponchos
und Decken verwandt werden, sind wunderschön in Farbe und Musterung. Bei
einem alten Araukanerhäuptlinge sahen wir über dem Feuerplatze zwei --
Skalpe hängen, ein schwarzes und ein blondes, augenscheinlich von einem
»Milchgesicht« stammendes -- ein alter Familienbesitz, der jedoch in Ehren
gehalten wird, obwohl diese Indianer jetzt friedlicher sind und, besonders
keinerlei Gelüste nach den Kopfhäuten ihrer Mitmenschen mehr hegen.

In einem der Ranchos, die wir besuchten, trafen wir eine indianische
»Medizinfrau«. Sorgenvoll behandelte sie einen Araukaner, dem von einem
Gegner im Streite ein Bein zerbissen war. Sie hatte den Mann ans Feuer
gesetzt und das kranke Bein so nahe zur Flamme geschoben, daß es den
Eindruck erweckte, die kunstreiche Ärztin wolle es braten. Übrigens
wurde die kluge Frau, wie sie unserem Führer gestand, von schweren Sorgen
geplagt: in ihrer Praxis waren ihr bis jetzt nur Hundebisse begegnet und
sie wußte nicht, ob die dagegen angewandte Therapie auch bei Menschenbissen
heilkräftig sei. In einem schwarzen Kessel auf dem offenen Herde brodelte
ein köstlicher Kräuterbrei, der von Zeit zu Zeit »bemurmelt« wurde.
Hoffentlich hilft er dem wunden Krieger, damit er sich bald an seinem
bissigen Gegner rächen kann.

Die beste Aufnahme wurde uns bei einem alten Araukanerhäuptlinge zuteil.
Der Mann -- auf araukanisch nennt man ihn »Cazike« -- schien überhaupt
kultivierter zu sein, als die übrigen. Er baute sich gerade aus schönem
Rotholz ein neues Haus. Dies war die einzige Araukanerfamilie, die ich
ohne Gefahr, eingesperrt zu werden, photographieren konnte. Bei den anderen
wurden die unglaublichsten Listen angewandt, damit ich meinen Kodak ein
oder das andere Mal heimlich funktionieren lassen konnte. Meist wurden es
dann -- Rückenaufnahmen. Aber dieser alte Häuptling stellte uns nicht nur
seinen beiden Frauen und seinen zehn Töchtern vor, sondern ließ sich
gerne als stolzer Hahn im Korbe, inmitten der zwölf Frauenspersonen seiner
Familie photographieren. Die Mädchen zogen dazu ihre schönsten Gewänder an
und behängten sich mit reichem Silberschmuck. Auch ließ es sich der brave
Mann nicht nehmen, die »Nomelofcien« -- so heißt auf araukanisch jeder
Nichtindianer, gleichviel ob er aus Temuco oder Moskau stammt -- mit
frischen Eiern zu bewirten. Weitere Gänge des araukanischen Diners wiesen
wir, angesichts der mehr als primitiven Methoden ihrer Zubereitung, höflich
aber bestimmt zurück. Dafür trank der Alte, ebenso wie seine zehn Töchter,
gerne und viel von dem mitgebrachten Rotweine.

Die Araukaner sind, trotz eifrigen Bemühens der englischen Missionen, fast
alle noch Heiden, das heißt bis zu einem gewissen Grade. Einige höchst
unchristliche Sitten, z. B. die Vielweiberei, die jedoch mit den sozialen
Verhältnissen des indianischen Lebens eng verknüpft sind, wird es wohl
noch lange nicht gelingen, aus der Welt zu schaffen. Und wenn die Missionen
darauf hinarbeiten, so begreifen sie nicht, daß sie damit gleichzeitig die
Moral dieses Indianervolkes untergraben. Denn die Moral der Araukaner ist
absolut einwandfrei, trotz der Vielweiberei höher stehend als in manchem
Kulturlande. Dem Vater liegt daran, seinen jungen Sohn als Arbeiter ans
Haus zu fesseln. Dazu gibt es nur ein Mittel: er muß ihm eine Frau --
kaufen. Denn hier werden die Frauen noch »gekauft«, für 25-80 Schafe, je
nach dem Alter, kann man eine haben. Also der Vater kauft seinem 15jährigen
Sohne eine Frau, die billig sein muß, also wenigstens 35 Jahre alt ist.
Der Junge lebt mit seiner Frau glücklich bis zu seinem 25. Jahre. Dann
ist seine Frau schon alt und verwelkt, er selbst hat sich aber schon etwas
erspart und kann sich eine Frau kaufen, die ungefähr ebenso alt ist wie er.
Mit der lebt er weitere 20 Jahre, dann ist er reich geworden und kann sich
ein junges Weib von 15 Jahren leisten. Wenn er als 65jähriger Greis stirbt
-- länger lebt der Indianer fast nie -- ist seine dritte Frau 35 und taugt
gerade dazu für einen Burschen von 15 Jahren gekauft zu werden. So schließt
sich der logische Ring des merkwürdigen araukanischen Eheinstituts ganz von
selbst. Eifersucht kennt die Araukanerfrau nicht, sie geht in der Sorge um
die meist sehr zahlreichen Kinder auf. Ein Araukaner mit drei Frauen lebt
in den glücklichsten und ruhigsten Familienverhältnissen. Solch ein durch
jahrhundertelange Tradition geheiligter, aus den sozialen Verhältnissen
eines Volkes sich ganz von selbst ergebender Gebrauch läßt sich natürlich
nicht durch einen Federstrich der Regierung aus der Welt schaffen, worauf
die englischen Missionen mit Gewalt hinarbeiten. Dazu sind Jahrzehnte und
Jahrzehnte sorglicher, verständiger und verständnisvoller Kulturarbeit
notwendig.

Diese und manche anderen interessanten Aufschlüsse über Sitten und
Gebräuche, Psychologie und Lebensbedingungen der araukanischen Indianer
verdanke ich einer Persönlichkeit, die originell genug ist, um sie
meinen verehrten Lesern vorzustellen. Es ist ein Franziskanermönch, Padre
Hieronymo, einer der merkwürdigsten Menschen, die mir je in meinem Leben
begegnet sind. Auf den ersten Blick scheint der Padre Hieronymo nur
aus seiner braunen Kutte und einem mächtigen roten Bart, der bis an die
Gürtelschnur herabreicht, zu bestehen. Sieht man näher hin, so entdeckt man
hinter Brillengläsern ein Paar leuchtend blaue, intelligente, freundlich
und doch ein wenig listig blickende Augen. Der Padre ist Bayer. Hier lebt
er seit zehn Jahren, hat eigenhändig, fast ohne fremde Hilfe unweit Temucos
eine Schule für Indianerbuben aufgebaut. Dort haust er, umgeben von 80-100
Araukanerknaben, die er zu vernünftigen, denkenden Menschen erzieht, ohne
sie gewaltsam den eigenen Sitten und der eigenen Kultur zu entfremden.
Einige Monate im Jahr durchstreift er zu Pferde das ganze Araukanergebiet,
ist überall gerne gesehen, da er fließend araukanisch spricht, und
holt sich die Jungen von 8-14 Jahren, die ihm jetzt überall mit Freuden
anvertraut werden. Mit einer umfassenden, festgegründeten Bildung verbindet
Padre Hieronymo eine überaus feine Menschenkenntnis, eine Weitherzigkeit
und Vorurteilslosigkeit, die bei einem bayrischen Franziskanermönch
geradezu verblüffend ist. Über alle Fragen der Politik, Literatur und
Wissenschaft ist er orientiert. Unser erstes Gespräch drehte sich um
russische politische Verhältnisse und die Bücher von Gorki und Tolstoi. Man
denke -- ein deutscher Mönch in den chilenischen Urwäldern! Manche höchst
anregende und interessante Stunde verdanke ich dem Padre Hieronymo. Gerne
würde ich seine feinsinnigen Beobachtungen über das Leben der Araukaner
mitteilen, doch würde mich das viel zu weit führen.

Die Araukaner-Indianer sind ein Thema, das sich auf diese Weise doch
nicht erschöpfend behandeln läßt. Der Zweck dieser Zeilen konnte nur eine
flüchtige Umrißzeichnung sein. Man sieht auch daraus, daß der Gegenstand
einer anderen Behandlung wert wäre.


~Tafel 4~

[Illustration: ~Interieur einer »Ruca«~]

[Illustration: ~Araukanierin zu Pferde~]

[Illustration: ~Araukanische »Ruca« (Chile)~]

[Illustration: ~Araukanischer Friedhof~]




11. BRIEF.

SÜD-CHILE -- EIN ZWEITES DEUTSCHLAND.


Wenn man in Europa an Chile denkt -- wer tut das überhaupt und wann? --
so macht man sich von der Ausdehnung des Landes schwerlich einen ganz
richtigen Begriff. Auf die Karte von Europa projiziert, würde Chile von
Norden nach Süden eine Strecke einnehmen, die etwa von Kopenhagen bis
Zentral-Afrika reicht. Dieser Umstand bedingt natürlich eine Variabilität
der wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie außerdem vielleicht nur noch
in Rußland vorkommt. Die Grenzgebiete sind hier im hochgelegenen steinigen
Norden, wo kein Baum und kein Strauch mehr gedeiht, die ungeheure
Salpeterindustrie, -- im Süden, der in die gemäßigte Zone hineinreicht,
die ausgedehnten Schafzüchtereien. Dazwischen liegen die üppigen Ebenen
von Santiago und Liai-Liai, wo der herrliche chilenische Wein wächst --
überhaupt ein Fruchtland par excellence, das dem »gelobten« der Bibel in
nichts nachzustehen scheint -- und weiter südlich am Valdivia und
Ossorno herum das märchenhafte Weizengebiet, dessen Fruchtbarkeit
jeden europäischen Landwirt gelb vor Neid machen muß. Die klimatischen
Unterschiede in den einzelnen Landstrichen Chiles sind natürlich
außerordentlich fühlbare. Das merkt man als Reisender, und noch dazu als
eilig Reisender, ganz besonders -- leider, denn wenn man den Norden bei
herrlichstem Sommerwetter und nie aussetzendem Sonnenschein verläßt, kommt
man im Süden in den grauen, trüben und kühlen Herbst hinein, ehe man sichs
versieht. Eine Redensart behauptet vom südlichen Chile, daß es ein Land
sei, in dem es dreizehn Monate im Jahr regnet. Dagegen kann nur der
Kalendermann aus Pedanterie protestieren. Dennoch wird man als Reisender
von Ort zu Ort immer südlicher geschickt. Denn die Chilenen sind mächtig
stolz auf den Süden ihres Landes, auf die malerischen Schönheiten, die das
Seengebiet der südchilenischen Kordillere bietet. Aber was nutzen einem die
herrlichsten Berge, die Schneekoppen phantastischer Vulkane, wenn sie von
schweren, grauen Wolken bedeckt sind, oder die herrlichsten Seen, wenn ein
dichter undurchsichtiger Regenschleier sie verhüllt! Man läßt die Einwohner
von den zauberischen Schönheiten ihres Landes erzählen und muß ihnen aufs
Wort glauben. Oder man muß den vierzehnten Monat des Jahres für seine Reise
abwarten. Dann präsentiert sich vielleicht die ganze Gebirgsszenerie in
ihrer vollen Pracht.

Beim Durchfahren der Bahnstrecke Valdivia--Ossorno--Puerto Montt wird
es einem, ebenso wie beim Aufenthalte in den genannten Städten, zuweilen
schwer zu glauben, daß man sich irgendwo in Chile befindet und nicht in
Deutschland, freilich in einem Deutschland vor fünfzig oder fünfundsiebzig
Jahren (wie man sich das so vorstellt). Selbst der Piccolo auf den
Stationen fehlt nicht: »Glas Bier gefällig?« Nur heißt das hier »una
cerveza«. Es ist kein Zweifel: in ganz Süd-Chile sind die Deutschen das
absolut dominierende Bevölkerungselement. Wenn auch nicht der Zahl, so
jedenfalls der wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung nach, die sie
hierzulande erlangt haben. Allein drei Viertel des gesamten Grundbesitzes
befinden sich in deutschen Händen, zuweilen sind es Latifundien, deren
Ausdehnung sogar in Rußland Respekt erregen würde. Güter von 40-50000
Hektar sind keine Seltenheiten. »Es gibt in Chile keinen armen Mann«,
behauptet eine Redewendung, die ich oft gehört habe. Glückliches Land, wenn
das stimmt. Und das scheint zu stimmen. Wohlstand und Genügen, wohin man
blickt, wenigstens unter den Deutschen, die im Konkurrenzkampf mit dem
trägen unentschlossenen Chilenen leichtes Spiel haben. Der Hauptgrund
dieses auffallenden Wohlstandes ist natürlich der beispiellos fruchtbare
Boden des Landes. In Chile wächst alles, was man in die Erde steckt.
Und wie wächst es! Ich habe siebenjährige Fruchtbäume gesehen, die
doppeltmannhoch unter der Last der Früchte buchstäblich zusammenbrachen.
Die Äste der Pflaumen- und Birnbäume sehen aus wie Riesentrauben und
Riesenbeeren, Frucht an Frucht gedrängt, kein Blättchen hat dazwischen
Raum. Und daneben wächst Tabak, Mais, oder Sonnenblumen von fabelhafter
Größe, dann wieder Pfirsiche, Erdbeeren und friedlich nebeneinander stehen
Kokospalmen und Edeltannen. Aber das eigentliche Gold des Landes ist der
Weizen. Der Landwirt baut ihn fast ausschließlich. Er läßt seine Felder
lieber drei bis sechs Jahre ganz ruhen, um sie dann wieder unter Weizen zu
bringen. Den Begriff der Düngung kennt man hier nicht. Und was für Ernten
gibt es hier! Eine Ernte, die das fünfundzwanzigste bis dreißigste Korn
abwirft, gilt als mittelmäßig. In Ossorno lernte ich einen deutschen
Landwirt kennen, der soeben eine Weizenernte eingebracht hatte, die ihm das
fünfzigste Korn ausgab. Damit war er freilich selbst zufrieden. Trotzdem
der ganze Weizenexport in den Händen von nur zwei großen Firmen liegt,
die merkwürdigerweise englisch sind und die Preise auf ein Minimum
herabdrücken, ist das Weizengeschäft so lohnend für die Landbesitzer, daß
nichts anderes daneben bestehen kann.

Die einzige Mühe, die der Landwirt hier hat, ist die -- das Land urbar
zu machen. Ist das einmal geschehen, so braucht er sich um nichts mehr zu
kümmern. Das übrige besorgen der Boden und das Klima ganz von selbst. Aber
diese Urbarmachung zwingt einen, gehörige Schwierigkeiten zu überwinden,
und die Energie, die dazu verbraucht wird, verdient die allerhöchste
Bewunderung. Enorme Strecken des Landes sind von undurchdringlichem Urwald
bedeckt. Den gilt es auszuroden. Hier hat sich nun eine ganz merkwürdige
Technik ausgebildet, die -- nebenbei gesagt -- tausende von Kilometern weit
auch den landschaftlichen Charakter des Landes bestimmt. Sie besteht in
folgendem. Es werden künstlich Waldbrände in Szene gesetzt. Vorerst um
das Unterholz zu vernichten, denn sonst ist ein Eindringen in den Wald
überhaupt unmöglich. Der erste Brand vernichtet jedoch den Wald noch nicht,
er trocknet ihn nur aus. Nun wartet man ein Jahr oder zwei, dann zündet man
den Wald wieder an. Und so weiter, bis endlich nur noch verkohlte Stämme in
dichten Reihen gen Himmel starren und das zu Asche gewordene Unterholz in
schwärzlich-brauner Schicht den Boden bedeckt. Dieses landschaftliche
Bild verfolgt einen durch ganz Chile. Es sieht trostlos aus, am wenigsten
darnach, daß hier der Mensch bei einer Kulturarbeit ist. Nun gilt es noch,
die Bäume zu fällen und die Wurzeln zu heben, dann kann man ruhig
und unbesorgt um das Resultat seinen Weizen säen. Doch hin und wieder
widersetzt sich der Wald. Es gibt Stämme und Baumstrünke, denen weder mit
der Hand noch mit Maschinen beizukommen ist. Der Landweg zwischen Puerto
Varras und Puerto Montt ist mit niedergebranntem Wald eingesäumt, der seit
fünfzig Jahren brach liegt. Sieht man die Stümpfe der Riesenbäume, von
denen manche drei bis vier Meter im Durchmesser aufweisen, so begreift man,
daß hier alle Arbeit umsonst wäre.

Ein Feind des Landwirts ist hier auch -- die Brombeere. Die Deutschen haben
sie vor einigen Jahrzehnten erst selbst eingeführt. Jetzt werden sie die
Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Die Brombeere wuchert überall in
solchen Massen, in solch üppigem Gewirr, daß sie droht, das ganze Land mit
einer undurchdringlichen Hecke zu überziehen. Ein wahrer Vernichtungskampf
gegen sie hat begonnen, der viel Mühe kostet und doch nur wenig nutzt.

War es vor fünfzig Jahren fast ausschließlich die Landwirtschaft, die die
Deutschen hier stark machte, so dringt ihr Einfluß jetzt in alle Gebiete
des wirtschaftlichen, sozialen, ja sogar politischen Lebens hinein.
Übrigens sind die Chilenen weit entfernt davon, unzufrieden zu sein.
Kürzlich fiel mir eine spanische Zeitung in die Hand, aus der ich, zur
Orientierung, folgendes wörtlich übersetzte Zitat mitteilen möchte:
»Deutsch sind unsere Unterrichtssysteme und deren Leiter, deutsch sind
unsere Elektrizitätswerke, deutsch ist unser Militärwesen, deutsch beinahe
die ganze Salpeterzone von Tolo und Taltal, deutsch die meisten und
wichtigsten unserer Banken, in deutschen Banken sind unsere Goldreserven
deponiert, auf deutschen Schiffen fahren unsere Staatsangehörigen, wenn sie
ihr Land auf einige Zeit verlassen, auf deutschen Schiffen kommen die für
unseren Gebrauch nötigen Waren an, mit deutschem Spielzeug spielen unsere
Kinder, deutsche Artikel beherrschen unseren Markt und sogar unsere
Zeitungen sind auf deutschem Papier gedruckt, oder wenigstens auf Papier,
das durch deutsche Kaufleute in den Handel gebracht wird. Ich habe deshalb
gesagt, daß, wenn eines Tags eine andere Nation an unseren Türen pocht, man
ihr antworten wird: besetzt!« So weit der chilenische Publizist. Dazu kann
man noch hinzufügen: deutsch, ausschließlich deutsch ist hier, wie übrigens
auch anderswo das Dreigestirn Doktor, Apotheker, Wurstmacher und deutsch
sind alle, wenigstens alle guten Hotels. Letzteren Umstand kann der
Reisende, zumal der deutsche, nicht hoch genug preisen.

Und allen diesen Deutschen geht es, wie gesagt, gut. Verkrachte Existenzen
kommen kaum vor. Ein Graf R., der sich hier so durchhochstapelt und ein
Fürst v. F., der in einer Valdivianer Brauerei Flaschen wäscht, werden als
Sehenswürdigkeiten gezeigt.

Nun entsteht die Frage: fühlen sich die Deutschen hier als Deutsche,
oder sind sie zu Chilenen geworden, wollen sie es werden. Es ist dasselbe
Dilemma, vor das die Deutschen auch -- anderswo gestellt werden. Ich
fragte einen hiesigen Einwohner darnach, einen prächtigen bayrischen
Wurstfabrikanten in Temuco, dessen Söhne sich schon etwas chilenisch
ausnahmen. Ich fragte ihn: »Tut es Ihnen nicht leid, wenn Ihre Kinder das
deutsche Heimatsgefühl verlieren?« Er zuckte die Achseln, und ein ganz
leichter Schatten legte sich auf sein Gesicht. »Das Einzige, was ich von
meinen Kindern verlange, ist, daß sie anständige und ehrliche Menschen
sind.«




12. BRIEF.

CHILENISCHES GESELLSCHAFTS-, BADE- UND SPORTLEBEN.


Der Nachahmungstrieb, wenn er nicht auf innerem Verständnis und wirklichem
Bedürfnis beruht, sondern auf Eitelkeit und Parvenü-Ehrgeiz, ist eine
gefährliche, ja verhängnisvolle Eigenschaft. Er führt zu geistigen
Fälschungen, zieht in der Regel Zwang und Unfreiheit nach sich und bedingt
das betrübliche Schauspiel, wie Sinn in Unsinn verkehrt wird.

Einen Beleg für diese Behauptung bietet das Leben der chilenischen beau
monde, wie es sich dem europäischen Beobachter darstellt.

Sobald der Südamerikaner -- hier ist speziell vom eingeborenen Chilenen
die Rede -- zu Gelde kommt, packt ihn die Eitelkeit, es in allen Dingen den
hochmütigen Europäern nicht nur gleich-, sondern womöglich zuvorzutun. Da
ihm die eigenen Ideen fehlen -- wo sollte er sie auch herhaben -- muß er
sich aufs Nachahmen verlegen. Und da entsteht jenes ergötzliche Bild, das
die Kritik herausfordert, auch wenn man kein Mephistopheles ist: »wie er
sich räuspert, wie er spuckt ...«

Schon auf den südamerikanischen Ozeandampfern, in den großen Hotels der
argentinischen und chilenischen Hauptstädte, fällt die stahlgepanzerte
Reserve auf, die von Vollblut-Chilenen Europäern gegenüber zur Schau
getragen wird. Sie entspringt jedoch keineswegs dem Überlegenheitsgefühl
und dem sprichwörtlichen Rassenhochmut der stolzen Spanier, sondern hat
vielmehr in dem Gefühl der inneren Unfreiheit und gesellschaftlichen
Unsicherheit ihren Grund. Weil der Chilene nicht genau weiß, _wie_ er sich
in jeder gegebenen Situation »europäisch« zu betragen hat, beträgt er
sich lieber gar nicht, d. h. bleibt stocksteif, stumm und unbeweglich. Die
Angst, irgend eine gesellschaftliche Dummheit zu begehen, benimmt ihm die
Bewegungsfreiheit.

Amüsanter noch als dies ist, daß sich dieselben Gesichtspunkte hier auf das
gesellschaftliche Leben übertragen, auch wenn die Chilenen unter sich sind.
Weiß man doch von seinem gesellschaftlichen Partner nicht ganz genau, was
für »europäische« Begriffe er sich angeeignet hat. Von Leuten, die in den
hiesigen Verhältnissen gut versiert sind, hört man einstimmig behaupten,
daß in der chilenischen Gesellschaft eine arge Korruption herrscht.
Es fällt schwer, das zu glauben, denn nach außen hin ist nicht das
allergeringste davon zu merken. Im Gegenteil, ein sittenstrengeres Gebaren,
als es die Chilenen allenthalben zur Schau tragen, läßt sich kaum denken.
Hier herrscht zwischen Innen und Außen augenscheinlich dasselbe Verhältnis,
wie etwa in der Kleidung der bolivianischen Indianerfrauen. Nach außen hin
sehen sie sauber und appetitlich aus, und nur der Eingeweihte weiß,
daß unter dem schönen neuen Kleiderrock unzählige alte, schmierige und
zerfetzte stecken.

Je strenger ein Dogma eingehalten wird, desto mangelhafter ist es meistens
um sein Verständnis bestellt. Das hat hier nicht nur auf die Dogmen der
katholischen Kirche Anwendung, die mit einer unerbittlichen Strenge und
peinlichster Genauigkeit befolgt werden, sondern auch auf die von Anno
dazumal übernommenen Dogmen des europäischen gesellschaftlichen Lebens.
Wichtig ist hier wie dort nur, wie die Sache nach außen hin aussieht, doch
darf man ihr beileibe nicht einen Millimeter breit auf den Grund gehen.

Da ist z. B. das Straßenleben abends in Valparaiso. Man tritt auf die
Avenida del Independencia hinaus. Die Straße ist schwarz von Menschen. Im
ersten Augenblick glaubt man, daß sich ein Schadenfeuer oder sonst irgend
ein aufregendes Ereignis abspielt. Erst wenn man näher kommt, erkennt man,
daß sich hier nichts anderes vollzieht, als die regelmäßige Abendpromenade
der sogenannten »guten« Gesellschaft der Stadt. Und zwar ist es wirklich
die gute Gesellschaft, und nicht wie etwa in Berlin auf der Friedrichstraße
oder auf dem Newski in Petersburg die jeunesse (und vieillesse) dorée nebst
der dazugehörigen Demimonde. Auch das wird einem anfangs schwer zu glauben.
Der einzige Unterschied zwischen der halben und der ganzen Welt hier ist
der, daß die erstere im Aussehen ehrbarer und im Benehmen distinguierter
ist, denn sie stammt meistens wirklich aus Paris. Diese Abendpromenade der
chilenischen Gesellschaft ist, wenn man die Sache beim rechten Namen nennt,
eigentlich nichts anderes, als ein ordinärer Heiratsmarkt. Nur gibt sich
jedermann den Anschein, als merke er nichts davon. Mütter stellen ihre
unmündigen Töchter und mündige Jungfrauen und Frauen stellen sich selbst
zur Schau. Zu diesem Zwecke staffiert man sich nicht nur mit unerhörten
Toilettenkünsten heraus, sondern läßt auch alle Mittel -- und nicht einmal
nur die geheimen -- der Kosmetik springen. Jedes weibliche Wesen in Chile,
das sich zur Abendpromenade begibt, schminkt sich oder wird geschminkt --
ganz egal ob es zwölf oder vierzig Jahre zählt. Auch das ist ein Beispiel
für das Mißverstehen europäischer »Kulturerrungenschaften«. Nach unseren
Begriffen sehen diese bemalten Kindergesichter, die all ihren natürlichen
Liebreiz verlieren, abschreckend, ja ekelerregend aus. Der Chilenin
erleichtert diese Sitte die Konkurrenz, denn auf diese Weise haben sie
alle mehr oder weniger das gleiche Aussehen. Und dann resultiert daraus ein
wundervolles taktisches Prinzip: die Chilenin macht einfach so, als ob sie
schön wäre und benimmt sich so. Darin liegt vielleicht das Geheimnis ihrer
Reize für den geschmacksunsicheren chilenischen Jüngling. Die Toiletten und
Hüte, die bei dieser abendlichen Promenade zur Schau getragen werden, sind
von exquisitem Luxus. Man sieht ihnen die Pariser Herkunft unschwer an.
Leider fehlt den chilenischen Frauen nur das, was man »portée« nennt. Sie
erwecken oft den Eindruck wandelnder Kleiderstöcke. Einer anderen, als der
Augensprache dürfen sich die Angehörigen verschiedenen Geschlechts nicht
bedienen. Von _der_ allerdings wird ausgiebiger Gebrauch gemacht. Sonst
verbietet der sittenstrenge gesellschaftliche Kodex jeden Verkehr. Männlein
und Weiblein wandeln in säuberlich getrennten Gruppen, und wehe dem,
der einen Annäherungsversuch macht. Unwillkürlich denkt man an die
Sonntagspromenaden der Mädchen und Burschen in den russischen Dörfern. Es
muß ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Kulturniveau
und der Freiheit des gesellschaftlichen Verkehrs zwischen beiden
Geschlechtern bestehen.

Der europäische Begriff der Geselligkeit scheint hier überhaupt in seinen
gewöhnlichsten Formen unbekannt zu sein. Man vergleiche z. B. das muntere
ungezwungene Leben, das in einem beliebigen europäischen Badeorte herrscht,
mit dem, was man in dem fashionablen chilenischen Seebade Vina del Mar
sieht. Dieser Badeort zeichnet sich schon dadurch vor allen übrigen aus,
daß kein Mensch dort badet. Außer einigen Kindern, meistens Straßenjungen,
geht niemand ins Wasser. Das Meer wird höchstens als Schauspiel genossen,
und auch das mit Maß. In Vina del Mar wohnt während der Sommermonate die
gesamte vornehme Welt Chiles und jeder, der gern dazu gehören möchte.
Das Badeleben beschränkt sich darauf, daß man zweimal täglich in
seiner blankgeputzten Equipage spazierenfährt, das heißt was man so
spazierenfahren nennt. In langen Reihen bewegen sich die eleganten Wagen
die staubigen Straßen des Städtchens entlang. Oft bleiben sie stehen, doch
nicht um den Insassen Gelegenheit zu einem Spaziergange zu geben. Das
wäre der kostbaren Toiletten und fabelhaften Hüte wegen schon nicht zu
empfehlen. Die Herrschaften bleiben in den Wagenpolstern ruhen, und die
Equipage hält nur, damit die Insassen bequemer lorgnettieren und sich
lorgnettieren lassen können. Und der wundervolle Strand mit seinem
schneeweißen Dünensande, der endlos sich dehnenden glänzenden Fläche des
stillen Ozeans und den verführerisch schäumenden Flutwellen bleibt um jede
Tageszeit gleich leer -- ein Tummelplatz für die lustige Straßenjugend, die
es nicht nötig hat, auf alle Fälle »fein« zu sein. Dieses Feinseinwollen à
tout prix ist das Unglück der Chilenen, es unterbindet jedes Vergnügen
und ist auch der alleinige Grund ihres absurden, tödlich langweiligen
Badelebens. Niemand wagt es, an den Strand zu gehen, denn man muß täglich
und womöglich stündlich zeigen, daß man eine Equipage besitzt und sich
einen Kutscher in Livree mit weißen Lackstiefeln leisten kann. Da der
Strand von niemandem besucht wird, braucht man ihn natürlich auch nicht zu
pflegen. Badeeinrichtungen sind nur in so primitiver Form vorhanden, daß
in dieser Hinsicht das letzte Fischerdorf der Ostsee ein Ausbund von Luxus
dagegen ist. Vor fünf Monaten ist am Strande von Vina del Mar ein großer
chilenischer Passagierdampfer gescheitert. Die Trümmer liegen noch überall
herum. Als ich eines Tages daran vorüberwanderte, erfolgte plötzlich
ein fürchterlicher Knall, und das Wrack spie einen Regen von Holz- und
Eisensplittern aus, die mir um die Ohren flogen. Der Schiffsrumpf wurde
mit Dynamit auseinandergesprengt, wie sich herausstellte. Da jedoch nie ein
Mensch sich am Strande zeigt, hielt man es nicht einmal für nötig, irgend
welche Vorsichtsmaßregeln, etwa in Gestalt von Warnungstafeln, anzubringen.
Fünfhundert Schritte weiter hat man die städtischen Abfallgruben, die einen
bestialischen Gestank verbreiten. Räudige Hunde suchen dort ihre spärliche
Nahrung unter halbverfaulten Maisstrünken und Melonenschalen, alte
zerlumpte Bettelweiber sammeln zerbeulte Sardinenbüchsen auf, die von der
Flut angespült werden.

Und dies alles geht an einer Stelle vor sich, die wie geschaffen dazu wäre,
damit sich dort das herrlichste ungebundenste Strandleben mit all seinen
Reizen und Freuden entwickeln könnte! O ob der Kurzsichtigkeit des
Nachahmungstriebes!

Fehlt Vina del Mar somit der eigentliche Sinn des Badelebens, so ist der
Unsinn, in seinen »chicken« Formen natürlich reichlich vertreten. Dazu
rechne ich, außer dem erwähnten Toilettenluxus, das krampfhaft gesteigerte
Interesse für Rennsport mit all seinen Ausgeburten. Der Turf frißt hier
nicht weniger Existenzen auf als anderswo. Sportlich stehen die Rennen,
mit geringen Ausnahmen, auf keiner sehr hohen Stufe, um so glänzender blüht
dagegen das Totalisator-Geschäft. Betritt man den Paddok und schaut sich
die chilenische Rennwelt an, so erlebt man manche Überraschung. Vor allem
die, daß die Jockeys in ihren bunten Jacken meist Knaben von 12-18
Jahren sind. Zu einem Rennen sah ich einen Knirps von höchstens 10 Jahren
hinausreiten, seine winzigen Händchen umspannten kaum die Zügel. Vom
»Sport« kann unter solchen Umständen wohl kaum die Rede sein. Die
jugendliche Jockey-Gesellschaft muß die Pferde von vornherein durchgehen
lassen, und jeder sorgt nur dafür, daß er im Sattel bleibt, sonst wird
weiter keine Reitkunst angewandt. Nur zu den hochdotierten Rennen (z. B. im
Preise von Vina del Mar, 25.000 Pesos) erscheinen etwas ernsthaftere Leute
am Start, und man sieht sportlich hervorragendere Leistungen. Gerade das
erwähnte Rennen wurde vorzüglich geritten, oder vielleicht schien es nur
so nach der naiven Karriere-Wurstelei der Jockey-Säuglinge. Amüsant ist es,
wenn ein edles Vollblut auf eigenes Risiko vor dem Startzeichen das Rennen
beginnt und die Bahn durchrast, ohne daß der Reiter die Möglichkeit hat, es
vor Ende der Strecke zum Stehen zu bringen. Die übrigen Pferde warten, bis
der Durchgänger zum zweiten Mal -- meist unter frenetischem Applaus des
Publikums -- die Startlinie passiert und nehmen dann das Rennen auf. Wie
lustig dabei die Kombinationen am Totalisator sind, läßt sich denken,
beinahe so lustig, wie das Bild des Rennens. -- Freilich nicht für
Jedermann.




13. BRIEF.

VON VALPARAISO NACH ANTOFOGASTA. -- DIE CHILENISCHE SALPETER-INDUSTRIE.


Auf der südlichen Halbkugel muß man sich an die verkehrte klimatische
Rechnung gewöhnen, daß es um so heißer wird, je höher man nordwärts kommt.
Aus dem Herbst in Süd-Chile war ich in den Sommer von Valparaiso geraten,
nun ging es in den Norden den Tropen zu. Der Dampfer »Thuringia« der
deutschen Kosmos-Gesellschaft nahm uns auf, um uns bis Antofogasta zu
bringen. Er war dabei so menschenfreundlich, nie weiter, als 4-5 Kilometer
vom Ufer zu fahren, so daß man während zweieinhalb Tagen stets das
schönste Gebirgspanorama vor Augen hatte. Die Kordillere zieht sich hier in
ziemlicher Höhe bis dicht ans Gestade des Ozeans heran. Die Landschaft ist
einförmig, aber dennoch immer reizvoll. Es ist kaum glaublich, welch eine
Unmenge von verschiedenen, immer zarten und weichen Farbentönen diese mit
grauem Sand und rötlich-braunem Gestein bedeckte Gebirgskette annehmen
kann. An sich ist sie das ödeste, was es überhaupt gibt. Stein und Sand,
Sand und Stein, nicht die leiseste Spur von vegetativem oder organischen
Leben. Aber aus der Ferne im wechselnden Licht der Sonne, oder gar
bei Mondschein, nimmt sich das alles aus wie ein Zauberland. In weich
opalisierendem Glanz heben sich die schönen und ausdrucksvollen Konturen
des Gebirgszuges vom leuchtenden blauen Himmel ab. In den Tälern und
Klüften lagern dunkle violette Schatten. Das ganze Bild hat etwas
Unirdisches -- ein Eindruck, der sich noch verstärkt, wenn bei aufgehendem
Mond die Farben ins Bläulich-Silbergraue zu spielen beginnen.

Wenn man dieses lockend und verführerisch scheinende Land betritt, gibt es
freilich eine arge Enttäuschung. Antofogasta ist ein grauenhaftes kleines
Nest, wichtig nur als außerordentlich gut geschützter Handelshafen und als
Zentrum des chilenischen Salpeterexportes. Sonst bietet es nichts, außer
einem lärmenden Anlegeplatz mit Dampfkrähnen, die nach allen Richtungen
in die sonnendurchglühte Luft starren, prustenden Lokomotiven, schreienden
»lancheros«, die heftig gestikulierend ihre Boote anpreisen, staubigen
ungepflasterten Straßen, kümmerlichen häßlichen Bauten und einem steinigen
Strand, der hier, wie überall in Chile, in eine übelriechende Kloake
verwandelt ist.

Aber der Salpeter, der Salpeter -- der ist wichtig genug, um Antofogasta
unter allen Städten der Republik einen höchst bemerkenswerten Platz
einzuräumen. Der Salpeter ist der eigentliche Lebensnerv der chilenischen
Wirtschaftspolitik. In der Geschichte des Landes hat er eine hervorragende
Rolle gespielt. Er war es, der den casus belli im letzten »Kriege« zwischen
Chile und Bolivien abgab. Die Geschichte dieses Krieges ist überaus
charakteristisch für die südamerikanischen Verhältnisse und wohl wert,
erzählt zu werden.

Die ergiebigsten und umfangreichsten Salpeterfelder liegen in der Hochebene
der Kordillere, die Chile von Bolivien trennt. Antofogasta war ein
bolivianischer Hafen, Chile hat seine Rechte darauf dem Nachbarstaate
abgetreten unter der Bedingung, daß Bolivien nie eine Ausfuhrsteuer auf
Salpeter erheben würde. Ein Weilchen ging alles höchst vorzüglich.
Bolivien hatte seinen Hafen, und Chile exploitierte ungeschoren seine
Salpeterfelder. Aber nicht lange vermochte Bolivien, dem mit fabelhafter
Leichtigkeit gewonnenen Wohlstande des Nachbars zuzuschauen. Es brach den
Vertrag und belegte ein Quintal (ca. 36 kg) Salpeter mit der allerdings
sehr bescheidenen Steuer von 10 Centavos. Da hatte es aber die Rechnung
ohne den Wirt gemacht. Denn der Wirt der Companie de Selitres de
Antofogasta war niemand anderes als die chilenische Regierung, da sich
die Hauptaktien dieser Gold- d. h. Salpeterfelder natürlich in Händen
chilenischer Minister befanden. Als Antwort auf sein schönes Steuerprojekt
erhielt Bolivien von Chile ein militärisches Ultimatum. Die bolivianische
Regierung darauf, auch nicht faul, erließ den Befehl, die Salpeterwerke zu
versteigern, um auf diese Weise zu der Steuer zu gelangen. Nun setzte Chile
500 Soldaten auf ein Kriegsschiff und schickte diese gewaltige Heeresmacht
nach Antofogasta. Darauf war Bolivien nicht vorbereitet. So wurde denn
Antofogasta mit viel Kriegsgeschrei, aber ohne Blutverlust »erobert«.
Das war nicht schwer, denn die Einwohnerschaft der Stadt bestand zu zwei
Dritteln aus Chilenen, zu einem Drittel aus Ausländern, und der einzige
Bolivianer -- der Präfekt -- hielt es für ratsam, keinen Widerstand zu
leisten. Damit war der Krieg zu Ende. Jetzt hat Chile seine Salpeterfelder
und den Hafen Antofogasta, Bolivien dagegen nichts, als das -- Nachsehen.

Es bedarf von Antofogasta aus einer sechsstündigen Eisenbahnfahrt, um die
chilenischen Salpeterfelder zu erreichen. Selbst wenn man sich für Salpeter
nicht besonders interessiert, wird man diese Strapaze nicht bereuen.
Denn eine Strapaze ist es. Unter den sengenden Strahlen der Tropensonne
schleicht der Zug bergaufwärts. Die chilenischen Waggons erster Klasse
ähneln in der Konstruktion den Trambahnwagen mit quer gestellten Bänken.
Wirklich bequem kann man sich auf keine Weise hinsetzen, besonders wenn man
lange Beine hat.

Ringsum -- eine Wüste, eine regelrechte Wüste. Über dem grau-gelben Sande
vibriert die glühende Luft im Sonnenglast. Hin und wieder unterbricht ein
erbärmliches Stationsgebäude aus Zinkblech die einförmige Öde. Zu essen
gibt es nichts außer einem scheußlichen chilenischen Nationalgericht, den
sogenannten »empanadas«, einer Art Pastetchen, deren undefinierbare
Farce hauptsächlich aus süßen Zwiebeln, Safran, Weintrauben, irgend etwas
Fleischähnlichem und unmenschlich viel Pfeffer besteht. -- Allmählich
beginnt der Wüstensand weißlich zu schimmern. Der Salpeter naht! Auf einer
der nächsten Stationen hieß es »aussteigen!« Die Officina »Annibal Pinto«
war erreicht.

Ich hatte schon vielfach die chilenische Gastfreundschaft rühmen hören, bis
dahin jedoch keine Gelegenheit gehabt, sie selbst zu erproben. Hinter der
Wirklichkeit blieben alle hochgespannten Erwartungen weit, weit zurück.
Auf der Station empfingen uns -- wir waren telephonisch angemeldet --
drei Mitglieder der Betriebsleitung. Einer bemächtigte sich meines
Reisekameraden, ein anderer meiner, der dritte unseres Koffers, und von
dem Augenblicke an waren wir der Gegenstand so ausgesuchter bezaubernder
Liebenswürdigkeit, wie wir sie bis dahin nicht erlebt hatten, obgleich
man in dieser Beziehung als Tourist in Südamerika, besonders seitens der
Deutschen, nicht wenig verwöhnt wird. Als Nachtquartier wurde uns die
ganz luxuriös eingerichtete Wohnung des Generaldirektors, der gerade
Europaurlaub hat, angewiesen; die exquisiten Diners und Dejeuners,
herrliches eisgekühltes Bier, kostbare chilenische und französische Weine,
die fabelhaftesten »drinks« und »cocktails« in allen Farben spielend, von
goldbraun bis rosarot, wie die Berge der Kordillere, -- alles das erweckte
den Anschein, das man sich zum mindesten im Plaza-Hotel von Buenos Aires
befände. Die ans Märchenhafte grenzenden Revenuen der Salpeterwerke
erlauben es, hier oben in der Wüste einen Luxus zu treiben, wie er sonst
auf tausend Meilen im Umkreise, weder in Chile noch in Bolivien, zu finden
ist.

Einige von den mir bereitwilligst zur Verfügung gestellten Zahlen mögen das
Gesagte erläutern. Das Aktienkapital, mit dem die fünf »Officinas«, d. h.
Betriebe der Gesellschaft gegründet wurden, beläuft sich auf 16 Millionen.
Schon im ersten Betriebsjahre wurde dieses Anlagekapital getilgt, da der
Reingewinn 18 Millionen (!) betrug. Und auch jetzt noch, obgleich der
Betrieb stetig vergrößert wird, tragen die Aktien eine Dividende von
100-120 Prozent. Natürlich sind nicht alle Salpetergesellschaften so
glänzend gestellt, wie die, deren Gäste wir waren, doch ist der Salpeter
unter allen Umständen das lukrativste Geschäft in Chile. Auch für den
Staat, der jetzt den Salpeterbetrieb selbst besteuert hat und daran ca.
180 Millionen Pesos (1 Peso ist mehr als ein Franc und nicht ganz eine
Mark) gewinnt. Wie wichtig dem Staate die Salpeterindustrie ist, erhellt
aus dem Umstande, daß der chilenische Senat einen Preis von zehn Millionen
Pesos ausgesetzt hat für rationelle Verwertung der Salpeterüberbleibsel.
Die »Compania de Selitres« verdankt ihre kolossale Rentabilität der
wahrhaft ingeniösen Betriebsanlage ihres Hauptingenieurs Senor Louis B.,
der während der Besichtigung unseren liebenswürdigen Führer abgab.
Trotz der enormen Salpeterproduktion (5000 Quintals aus 45000 Quintals
salpeterhaltiger Erde täglich), beschäftigt der Betrieb nur 1200 Arbeiter,
die nebenbei gesagt, auch ihre 8-13 Pesos täglich verdienen.

Wie wird der Salpeter gewonnen? Nichts einfacher als das: man hat ihn nur
zu nehmen, er liegt ja überall herum, der ganze Boden kilometerweit im
Umkreise ist weiß davon. Das erste Stadium der Salpetergewinnung scheint
trotzdem das schwierigste zu sein, denn nur dort sieht man arbeiten, alles
weitere vollzieht sich ganz von selbst. Ein halbstündiger Ritt führte uns
in die »Pampa« hinaus, wo wir die »calicha«, d. h. salpeterhaltige Erde im
Urzustande sahen. Links und rechts um uns stiegen von Zeit zu Zeit mächtige
Rauchsäulen in die Luft, ein dumpfer Knall verriet sie, auch wenn man ihnen
den Rücken zukehrte -- die calicha wird mit Dynamit auseinandergesprengt,
um leichter geschaufelt werden zu können. Riesige von Maultier-Troikas
gezogene Wagen bringen die Erde zum Schienenstrange, auf kleinen »carretos«
wird sie zu Zerkeinerungsmühlen gebracht, von dort geht es weiter zu den
Kesseln, in denen die Erde mit jodhaltigem Wasser gekocht wird. Die Erde
bleibt in den Kesseln zurück, von wo sie von fast ganz nackten Arbeitern
bei einer Temperatur von 50-75° herausgeschaufelt wird, die salpeterhaltige
Lösung fließt in ein ganzes Arsenal voluminöser Reservoirs ab, wo sich der
Salpeter an der freien Luft kristallisiert. Dann wird das gelbliche Wasser
wieder abgeleitet, und in den Reservoirs liegt meterhoch schneeweißer
reiner Salpeter. An Ort und Stelle wird er in Säcke verpackt, auf
Plattformen verladen, an die Station, von dort nach Antofogasta gefahren
und am Anlegeplatz der Compania in die mächtigen Bäuche der Europadampfer
verstaut. Und an seiner Stelle strömt das Gold in die Kasse der Compania
zurück. Der Prozeß ist, wie man sieht, höchst einfach.

Einen wundervollen, mystisch geheimnisvollen Anblick gewähren die
»Officinas« bei Nacht im Lichte der unzähligen elektrischen Lampen (denn
hier wird Tag und Nacht schichtweise gearbeitet). Der ganze Horizont dieser
bei Tage unendlich öden Wüste belebt sich. Eine Kette roter leuchtender
Sterne scheint ihn einzusäumen. Im Mondlicht (das hier nie zu fehlen
scheint) zeichnen sich die gespenstischen, phantastischen Konturen der
Fabrikgebäude ab, die wie riesige Gerippe in den Nachthimmel ragen. Dieses
Bildes konnte man nicht müde werden, obgleich unsere liebenswürdigen Führer
zum letzten »drink«, auf den noch ein allerletzter folgte, drängten. Als
ich um Mitternacht endlich im Himmelbette des Generaldirektors lag, kam es
mir erst zum Bewußtsein, daß ich zehn Stunden lang ununterbrochen Spanisch
geredet hatte, wenigstens mußte ich es geredet haben, denn außer diesem
Idiom war auf der Officina kein anderes bekannt. Sonderbar. Bis jetzt
glaubte ich kein Spanisch zu verstehen. Man erfährt auf Reisen die
merkwürdigsten Dinge. Jedenfalls kommt mir noch heute die Geschichte von
meinem Spanisch höchst -- spanisch vor.




14. BRIEF.

BOLIVIEN. -- ORURO. -- LA PAZ.


Wenn man auf die Karte von Südamerika blickt, scheint Bolivien das
Stiefkind unter den südamerikanischen Republiken zu sein. Ohne Zugang
zum Meere liegt es eingeschlossen zwischen den unwegsamen Einöden der
Küstenkordillere und den Schreckensgebieten des Gran Chaco, die auf den
besten Karten noch weiß, weil »unexplored«, sind, wo wilde Indianer hausen,
die, wie man hier mit Sicherheit behauptet, zum Teil noch Menschenfresser
sein sollen, und über die überhaupt die abenteuerlichsten Gerüchte
zirkulieren von vergifteten Pfeilen und ähnlichen für reisende Europäer
wenig erheiternden Scherzartikeln.

Auf den Reisenden, der von der Küste des Stillen Ozeans her ins Land
hereinfährt, macht Bolivien anfangs einen trostlosen Eindruck. Man kann
nichts ahnen von den Reichtümern und Herrlichkeiten, die das Land birgt und
die seinen Einwohnern unter allen Umständen eine höchst angenehme Existenz
sichern, obgleich sie von aller Welt abgeschnitten zu sein scheinen.

Vierzig Stunden lang klettert der Eisenbahnzug von Antofogasta aus in die
bolivianische Hochebene hinauf. Der Laie bemerkt an der Wüste von Gestein
und Geröll, die ihn umgibt, nichts Außergewöhnliches, außer der bunten
Färbung der Berge, ihren zum Teil pittoresken Formen. Sie sehen so aus,
als hätte der liebe Gott sie anmalen wollen und aus Versehen seinen
Farbenkasten umgeworfen. Rote, blaue, gelbe, grüne, violette Klexe überall.
Noch sieht man stellenweise den schlanken Kegel irgend eines Vulkans
rauchen, von ferne her grüßen die Schneekoppen der Hauptkordillere.

Für den Geologen dagegen ist das ganze Gebiet, das man durchfährt, eine
Quelle ununterbrochenen Entzückens. Zuerst geht es durch die Salpeterfelder
mit ihrer weißlich schimmernden »caliche«; dann durchquert die Bahn das
Becken prähistorischer Gebirgsseen, die aussehen, als seien sie mit Zucker
bestreut. Es ist reiner Borax, der einer englischen Kompanie, die diese
Felder ausbeutet, hübsche Sümmchen jährlich abwirft. Sieht man den Schnee
gelb schimmern, so weiß man, daß dahinter reiche Schwefelgruben stecken,
und von den Zinn- und Silberminen, die ihren Besitzern fabelhafte
Reichtümer einbringen, von den merkwürdigen Schichten, in denen das
kostbare Wolfram-Metall gefunden wird, läßt man sich von gesprächigen
Mitreisenden Wunderdinge berichten. Staunend hört man die Erzählungen über
Silberminen, die durch unrationellen Betrieb dahingebracht werden, daß
das Grundwasser sie rettungslos zerstört. Die Arbeiter hämmern, bis an die
Brust im Wasser stehend, das kostbare Erz los, bis das steigende Wasser
sie oder die Mine ersäuft. Hier herrscht ja überall fast noch reiner
Handbetrieb. Große Maschinen lassen sich in die fabelhaften Höhen, in denen
das Erz lagert, nicht hinauf bringen. Versucht man es, so kann es einem
gehen, wie einer englischen Gesellschaft im tropischen Goldgebiete
Boliviens. Sie machte eine Maschinen-Anlage für Goldwäschereien am
Benifluß, die Millionen und Abermillionen kostete und nicht betrieben
werden kann, weil alle wirtschaftlichen Vorbedingungen dazu fehlen. Und
die englischen Ingenieure mit dem verpulverten Kapital müssen dasitzen
und zusehen, wie irgend ein alter Inländer gegenüber am Fluß sozusagen mit
einem Tellerchen seine 500 Pesos Gold monatlich aus dem Beni herauswäscht,
während ihre kostbare Patentbaggermaschine hoffnungslos versandet.

Sitzt man im Eisenbahnzuge Antofogasta--Oruro, so merkt man von Stunde zu
Stunde mehr, daß Höhengrade erreicht werden, für die unsere europäischen
Lungen ganz und gar nicht eingerichtet sind. Ohrensausen, Kopfschmerzen,
die ersten Anzeichen der Bergkrankheit stellen sich mit tödlicher
Sicherheit ein. Ein Gang aus dem Pullman-Car in den Speisewagen raubt einem
nicht nur den letzten Rest von Atem, sondern leider auch den Appetit. Oruro
liegt 4000 Meter hoch. Das schreibt sich leichter hin, als es sich ertragen
läßt. Nur langsam gewöhnt man sich daran und an die damit verknüpften
verrückten klimatischen Verhältnisse, tagsüber brennt einem die Tropensonne
senkrecht auf den Kopf, abends wird es schneidend kalt, und kein Überzieher
ist dick genug gegen die dünne Luft. Dann greifen alle Einwohner der Stadt
zu einem auch anderwärts bekannten Remedium gegen Kälte -- dem Alkohol.
Wenn die Sonne untergeht, findet man in den Bars an der Plaza kein
Plätzchen mehr. Die gesamte männliche Einwohnerschaft Oruros versammelt
sich dort, um dem Körper vermittelst unzählbarer Cocktails die nötige
Wärmemenge zuzuführen. Und die ganze Plaza wiederhallt vom Klappern der
Würfel, mit denen an allen Tischen diese Cocktails ausgespielt werden. So
ohne weiteres bezahlt nämlich in Bolivien niemand sein Getränk. Jedermann
würfelt mit 5-10 Gesinnungsgenossen die »Runden« aus. Und wenn man Pech
hat, kann man vor dem Essen seine 15-20 Pesos in Cocktails anlegen.

Äußerlich bietet Oruro gleich den meisten anderen bolivianischen Städten
ein merkwürdiges Bild. Anzeichen altspanischer Kultur vermengen sich
mit moderner Physiognomielosigkeit, ein gewisser behäbiger Wohlstand mit
primitiver Armut. Neben würdevollen Ziegelbauten in maurischem Stil stehen
elende strohgedeckte Lehmhütten. An den Haustüren sind überall noch
die guten alten Türklopfer zu sehen, davor strahlen abends elektrische
Bogenlampen. Über die zum größten Teil ungepflasterten Straßen poltern
vorsintflutliche Riesendroschken mit Maultieren bespannt und halten vor den
Portalen hellerleuchteter Kinematographen-Theater. Die Bevölkerung besteht
hauptsächlich aus Indianern und Angehörigen der Mischrasse, die
wenigen Europäer sind Angestellte der ausländischen Banken und größeren
Handelshäuser.

Die bolivianischen Indianer sind als Menschenschlag nicht häßlich.
Jedenfalls sind sie Schönheiten im Vergleich zu den chilenischen Mapuches,
an deren schlitzäugig-mongolischem Aussehen, wie man sagt, ein in
unvordenklichen Zeiten gestrandetes Schiff mit chinesischer Bemannung
Schuld sein soll. Dieser mongolische Typus fehlt unter den bolivianischen
Indianern vollständig, sie haben runde Gesichter mit weichen Zügen. Zu
der kupferbraunen Haut und den kohlschwarzen Haaren sehen die grellbunten
Ponchos, die allen ausnahmslos über die Schultern hängen, famos aus.
Dank der farbenfrohen Kleidung der Indianer ist das Straßenbild in den
bolivianischen Städten außerordentlich belebt. Männer und Weiber wetteifern
in der Auswahl der leuchtendsten Farben für ihre Ponchos respektive
Kleiderröcke. Sieht man sich dieses Giftgrün, Knallgelb, Feuerrot in der
Nähe an, so tun einem die Augen weh. Eine der schönsten und beliebtesten
Farben ist ein sattes, ziemlich helles Violett. Der übrige Anzug besteht
bei den Männern aus ebenso bunten gestrickten Zipfelmützen, auf denen
außerdem ein weißer Filzhut aus dem Stoff der Bajazzomützen sitzt, und
Hosen, die unten bis zur halben Wade geschlitzt sind und in zwei Bahnen
am Fuß herabhängen. Diese merkwürdige Fasson erklärt sich durch die
Notwendigkeit, die Hosen jeden Augenblick aufkrempeln zu müssen, nämlich
bei den Übergängen über die Flüsse und reißenden Bäche, von denen Weg und
Steg im Gebirge durchkreuzt sind, und von denen auch ich bald ein Lied
singen lernen sollte. Die Frauen sehen von den Hüften abwärts alle wie
verkappte Ballerinen aus. Sie tragen eine Unzahl Röcke, ziehen immer einen
über den anderen und nie einen aus, wird der oberste schlecht, so wird er
durch einen neuen nur verdeckt, nicht ersetzt. Das ist weder appetitlich
noch hygienisch, dafür aber bei dem hiesigen Klima zweckmäßig, weil
wärmend. Auf dem Kopfe sitzt den Weibern ein hellgelber, kesselförmiger
Strohhut, darunter hängen immer zwei wundervolle, festgeflochtene schwarze
Zöpfe hervor. Das ganze Ensemble sieht aberwitzig aus, besonders bei den
Cholofrauen, d. h. Mischlingen, die als Rasseabzeichen hohe Schnürstiefel
mit spitzigen hohen Hacken unter den halblangen Röcken tragen.
Vollblut-Indianer und Indianerinnen gehen immer barfuß.

»Sehenswürdigkeiten« im europäischen Sinne bietet keine der bolivianischen
Städte. Sie sind selbst in ihrer Eigenart sehenswürdig genug. La Paz, die
Hauptstadt des Landes, Sitz der Regierung und des Präsidenten, hat genau
denselben Charakter wie Oruro. Das Klima ist besser, denn La Paz liegt
»nur« 3600 Meter hoch. Übrigens ist die Lage der Stadt vom malerischen
Standpunkt aus wundervoll. Tiefeingeschlossen in einem Talkessel, umrahmt
von pittoresken Felsblöcken liegen die Häuser da, geordnet in winkelige
Straßen, die mitunter unglaublich steil bergauf und bergab führen. Sogar
für die »Plaza« hat man keine wagerechte Ebene finden können. So sieht
dieser schräg abfallende Platz aus, als sei er eben durch ein Erdbeben aus
dem Gleichgewicht gebracht. Keines der Gebäude, das ihn umgibt, hat eine
gerade Fassade. Auch schimmert in La Paz hin und wieder das Grün schöner
Platanen zwischen den Häusern, während Oruro kahl wie ein Greisenschädel
ist. Das Schönste in La Paz aber ist der »Illimani«, der Riese der
bolivianischen Kordillere, dessen leuchtend weißes Haupt sich 7500 Meter
hoch in den azurblauen Tropenhimmel erhebt.

Der Zugang zur Stadt ist erst seit einigen Jahren erleichtert worden durch
eine elektrische Bahn (ich glaube, die einzige in ganz Bolivien), die
400 Meter herab vom sogenannten »Alto« zur Stadt hinunter führt. Als ich
die schwindelnden Kurven dieser Bahn hinabfuhr, fiel mir eine ergötzliche
Geschichte ein, die mir ein bolivianischer Parlamentarier auf dem Dampfer
zwischen Valparaiso und Antofogasta erzählt hatte. Vor nicht allzulanger
Zeit machte sich der englische Ministerresident in La Paz höchst unbeliebt.
Als sein Treiben den Bolivianern zu bunt wurde, entledigten sie sich seiner
auf eine sehr drastische Weise. Sie setzten ihn rückwärts auf einen Esel,
gaben ihm den Schwanz in die Hand und führten ihn so zur Stadt hinaus zum
Alto hinauf. England schnaubte Rache, doch was sollte man mit dem kleinen
vorwitzigen Bolivien machen, dem zu einer Flottendemonstration, die England
so liebt, die Meere fehlen! Da nahm man in London die Karte Südamerikas zur
Hand, strich Bolivien einfach aus und schrieb an seine Stelle das einzige
aber vielsagende Wort »savage« hin. So die Überlieferung.

Ja, was soll man mit Bolivien machen, wenn es sich Dreistigkeiten
herausnimmt, die anderswo nicht ungerochen bleiben würden. Strategisch ist
das Land von allen Seiten her absolut unzugänglich. Darauf bauend hat die
Regierung sich bis zur letzten Zeit auch wenig um militärischen Schutz
gekümmert. Erst die traurige Geschichte vom Verluste Antofogastas, die ich
im vorigen Briefe erzählte, hat diese Frage mehr in den Vordergrund des
Interesses gerückt. Man gönnt Chile den Hafen nicht, und will ihn auf alle
Fälle zurückerobern. Dazu braucht man aber Soldaten, die man bis vor kurzem
in Bolivien nicht hatte. Da hat man endlich mit der Erziehung einer
Armee begonnen. Zuerst wurde diese schwierige Aufgabe -- gilt es doch
hauptsächlich Indianer zu drillen, die ausnahmslos Analphabeten sind und
außer ihren zungenbrechenden Idiomen »Aimara« und »Quechoa« keine Silbe
verstehen -- französischen Instruktoren anvertraut. Erst als damit gar
nichts erreicht wurde, berief man nach dem Beispiel Chiles deutsche
Offiziere. Diese haben in der bolivianischen Armee wahre Wunder zustande
gebracht. Davon durfte ich mich selbst überzeugen. Auf die freundliche
Einladung des Generalissimus der bolivianischen Armee, des preußischen
Majors K., wohnten mein Reisekamerad und ich einer Manöverübung in
Oruro bei. Die Übung war gleichzeitig Schlußprüfung für sogenannte
Dreimonate-Rekruten, die nicht länger von ihrer Feldarbeit ferngegehalten
werden sollen. Was diese Burschen auf allen Gebieten militärischen Drills
leisteten, war tatsächlich erstaunlich. Die Exaktheit, mit der nicht nur
Gewehrgriffe, sondern auch komplizierte Bewegungsmanöver ausgeführt wurden,
hätten einem beliebigen europäischen Regiment zur Ehre gereicht. Famose
Schützen sind die Indianer mit ihren sprichwörtlichen Adleraugen
natürlich allesamt. Eine Aufmerksamkeit, die uns der liebenswürdige
Oberkommandierende bei dieser Gelegenheit erwies, möchte ich noch erwähnen.
Beim Flaggensignalisieren zwischen zwei Truppenteilen überreichte uns der
leitende Offizier die erste signalisierte Parole. Sie lautete: »Boshe Zarja
chrani«. Diese Worte -- der Anfang der russischen Nationalhymne -- mögen
in der bolivianischen Hochebene inmitten rothäutiger Indianersoldaten zum
ersten Male gehört worden sein.

In La Paz hatten wir später Gelegenheit, die bolivianische Kadettenschule
zu besichtigen. Sie untersteht ebenfalls der Leitung eines deutschen
Offiziers, des Hauptmanns M. Es ist eine Freude zu sehen, mit welcher
Lust diese kräftigen braunen Jungen turnen, mit welch einem geradezu
akrobatischen Geschick sie die schwierigsten Evolutionen an Reck und Barren
ausführen. Diese Vorführungen fanden zu Ehren einiger chilenischer
Minister statt, die in diplomatischer Mission in La Paz weilten. Als die
Gesellschaft nachher bei einem Glase Champagner zusammensaß oder vielmehr
stand -- der erste Toast galt übrigens wieder dem russischen Zaren --
passierte mir ein peinliches Mißverständnis, an das ich noch jetzt ungern
zurückdenke. Ich unterhielt mich mit einem Herrn, der mir als S. Exzellenz
der Herr Kriegsminister genannt worden war. In der sichern Annahme, es
sei der chilenische, erging ich mich in Lobeshymnen über das chilenische
Militär, das ich in Santiago und Valparaiso gesehen hatte. Das Gesicht
meines Partners wurde dabei zu meinem Erstaunen immer länger, seine Miene
immer saurer. Endlich unterbrach er meinen Redeschwall: »Sie mögen recht
haben, aber warum sagen Sie gerade mir das?« Sprachs und drehte mir
den Rücken. Es war der bolivianische Minister. Man muß das übertünchte
Freundschaftsverhältnis beider Republiken kennen, um die Tragik dieser
Anekdote zu verstehen.

La Paz, im Herzen Boliviens liegend, wird für uns der Ausgangspunkt einer
sechswöchigen Tour in die Tropenebene das Landes. Man hält hier solch einen
Ausflug für ein gewagtes Unternehmen. Wir wollen sehen, ob unsre Erlebnisse
die Befürchtungen unsrer bolivianischen Freunde rechtfertigen werden.


~Tafel 5~

[Illustration: ~Oruro (Bolivien)~]

[Illustration: ~Straßentypen in Oruro~]

[Illustration: ~Lamas in Ängsten vor dem »Kodak«~]


~Tafel 6~

[Illustration: ~PROBEN ALTSPANISCHER ARCHITEKTUR IN LA PAZ (BOLIVIEN)~]




15. BRIEF.

IM TROPISCHEN BOLIVIEN.


1. VON LA PAZ BIS ACHECACHI.

Vom Anfang unserer Reise an war es beschlossene Sache einen Ausflug ins
tropische Bolivien zu machen. Die einzige Frage, die uns Sorge machte, war
die, von welcher Seite dieses Wunderland am besten zu erreichen sei. Der
ursprüngliche Plan, von Argentinien aus durch den sogenannten »Gran Chaco«
in die Urwälder Boliviens einzudringen, mußte aufgegeben werden, weil er
in der Zeit, die uns zur Verfügung stand, nicht ausführbar war. Bei den
hiesigen Verkehrsverhältnissen muß man sich daran gewöhnen, daß Wochen, ja
Monate als »quantités négligeables« behandelt werden. Reisen werden durch
die Jahreszeiten bestimmt, wenn überhaupt. Es heißt etwa: »wenn Sie jetzt
losgehen, können Sie noch im Winter da und da anlangen«, ob das aber im
Juni, Juli oder August sein wird, darüber wagt man keine Vermutungen.
Anfangs hält man diese sehr unsicheren Zeitangaben für eine
Folgeerscheinung von Denkfaulheit, Indolenz und jenes trägen »laisser
aller, laisser passer«, an dem die Südamerikaner der lateinischen Rasse
allerdings leiden. Hat man jedoch die Wege und Verkehrsverhältnisse im
Innern des Kontinents aus eigener Anschauung kennen gelernt, so ist man
geneigt, selbst diese primitiven Zeitbestimmungen für unbegreiflichen
Leichtsinn zu halten.

Schneller als durch die argentinische Ebene ist das tropische Bolivien
von der Küste aus zu erreichen, obgleich es hierbei gilt, den gewaltigen
Höhenzug der Hauptkordillere zu übersteigen. Diesen Weg entschlossen auch
wir uns zu nehmen. So wurde La Paz zum Ausgangspunkt unserer »Expedition«.
Dieser Ausdruck klingt etwas laut und anmaßend, man sieht gleich ganze
Herden bepackter Kamele und Lamas, Regimenter eingeborener Sklaven
vor sich, denkt an blutige Kämpfe mit wilden Stämmen nackter Indianer,
Tigerjagden und Riesenschlangen. Dieses Bild bot unsere Reise freilich
nicht, obgleich sie für europäische Verhältnisse immerhin noch interessant
genug verlief.

Als einzige ernste Gefahr, abgesehen von den Strapazen der Reise, wurde
uns in La Paz warnend das überall im tropischen Bolivien herrschende
Fieber vorgehalten. Davor glaubten wir jedoch durch eine rationelle
Chinin-Prophylaxe ausreichend geschützt zu sein. Leider war dies nicht der
Fall, denn bei unserer Rückkehr nach La Paz erkrankten doch zwei Mitglieder
unserer Reisegesellschaft, glücklicherweise nur leicht, an einer Form des
Tropenfiebers, der sogenannten Tertiana.

Neben der Beschwerlichkeit, überhaupt in jene Gegenden vorzudringen, ist
das Fieber wohl der Hauptgrund, weshalb der mit allen Reichtümern der Natur
gesegnete Landstrich des tropischen Boliviens verhältnismäßig so wenig
Anziehungskraft auf den Unternehmungsgeist der Bevölkerung ausübt. Wer
nicht unbedingt muß, steigt nicht in die Tropen hinunter, zumal er
vorher beinah in den Himmel, nämlich auf den Rücken der Hauptkordillere
hinaufsteigen muß. Von regelmäßigen Verkehrsverhältnissen zwischen dem
in der Hochebene gelegenen und dem tropischen Teile Boliviens ist unter
solchen Bedingungen natürlich keine Rede. Daher der hochtönende Name
»Expedition« für jede Reise, die ins Innere des Landes führt.

Auf eigene Faust eine solche Expedition zu wagen, ist für einen mit den
Landesverhältnissen nicht vertrauten Europäer nicht nur schwer, sondern
einfach unmöglich. Auch uns wäre sie nicht gelungen, hätten nicht wieder
einige Herren von der Deutschen Überseeischen Bank, der deutsche Konsul und
Vizekonsul in La Paz, uns wenigstens im ideellen Sinne die Wege geebnet.

Die Reisegesellschaft bestand aus vier Personen. Von unserem
Unternehmungsgeist angesteckt, schlossen sich zwei deutsche Herren dem
Ausflüge an, der preußische Bergassessor W. und der allzeit liebenswürdige
und lebenslustige Prokurist der Deutschen Bank in Valparaiso, Sch.

Am 5. April, 7 Uhr morgens, ging die Reise los. Ein kurzes Streckchen noch
durften wir die Errungenschaften der Kultur genießen. Wenn man das genießen
nennen kann. In einer »Elektrischen«, bei der der Fußboden aus den Stiefeln
anderer Leute zu bestehen schien, und alles übrige aus Ellbogen und Knieen,
ging es eine halbe Stunde hinauf durch die brauenden Morgennebel nach dem
sogenannten »Alto« von La Paz. Es ist der Endpunkt der Eisenbahn, die nach
La Paz führt, 400 Meter über der eigentlichen Stadt. Dort fanden wir unsere
weiteren Fahrgelegenheiten vor. Unsere beiden Reisegefährten stiegen in
eine »Diligence«, die einmal wöchentlich den Verkehr zwischen La Paz und
dem zehn bis zwölf Stunden entfernt liegenden Städtchen Achecachi besorgt.
Ich hatte es mir nicht gedacht, daß ich solch einen herrlichen alten
Postwagen wirklich noch einmal leibhaftig vor mir sehen würde. Zwölf
Menschen nahmen in ihm Platz, Säuglinge an der Mutter Brust, oder hier
auch, nach der indianischen Sitte, auf der Mutter Rücken, ungerechnet. Auf
hohem Bock thront ein Kutscher, in beiden Fäusten den Wirrwarr von Leinen,
mit denen er seine sechs langgespannten Pferde lenkt. Der schöne Wagen ist
einst rot gewesen, jetzt schon etwas verwittert und nicht ganz bestimmbar
mehr in der Farbe: sein Aussehen leidet auch ein wenig durch das Chaos
undefinierbarer Gepäckstücke, das sich auf dem Dache emportürmt. Für uns
stand eine vorsichtigerweise bestellte Extrakutsche bereit. Die ist zwar
zehn Mal teurer, dafür aber auch zwanzig Mal bequemer. Allerdings hat sie
nur vier Pferde. Doch unseren Kutscher beseelte ein löblicher Ehrgeiz, der
ihm dazu verhalf, das Wettrennen bis Achecachi richtig mit einer Wagenlänge
zu gewinnen. Daß wir dabei einen Federbruch erlitten und die »Diligence«
ein Rad verlor, beeinträchtigte den Spaß nur wenig.

Herrlich ist solch eine Wagenfahrt durch die bolivianische Hochebene!
Die ganze »Puna« -- so lautet der spanische Ausdruck für dieses
Gebirgsflachland -- ist von warmem Sonnenschein überflutet. Man genießt ihn
in der ruhigen Zuversicht, daß es nie drückend heiß werden kann, denn
das läßt die Höhe von 4200 Metern selbst in der tropischen Zone nicht zu.
Solange die Wege gut und eben sind, werden die Pferde nicht geschont, meist
geht es im Galopp, Troika-Stil. Bei den Flußübergängen -- und ihrer sind
zahllose -- haben sie Zeit sich auszuruhen. Dann rumpelt der Wagen über das
Geröll der breiten jetzt zu Anfang des Winters ausgetrockneten Flußbetten.
Hin und wieder freilich gilt es, die Beine hochzuziehen, denn das Wasser
überflutet doch zuweilen das Fußbrett des Wagens.

Die Landschaft bleibt sich den ganzen Tag über gleich und dennoch wird man
nicht müde, sie anzusehen. Nach drei Seiten hin dehnt sich unübersehbar
weit die Puna aus. Nur im Osten hat man die ganze Zeit den stolzen Zug
der »Königskordillere« zur Seite. Mit Recht trägt dieser Teil des
südamerikanischen Gebirges seinen Namen. Es sind wirklich zwei Könige der
Gebirgswelt, der 7600 Meter hohe Llampu und der 7500 Meter hohe Illimani,
die diesen Höhenzug im Süden und im Norden begrenzen. Zwischen ihnen recken
in geschlossener Kette ihre zahllosen weißhäuptigen Trabanten, die zum
größten Teil namenlos sind, ihre blitzenden Schneekronen in den tiefblauen
Himmel hinein.

Viel Leben und Abwechslung freilich sucht man auf der »Puna« vergebens.
Von Zeit zu Zeit begegnet man einem Trupp Indianern, die ihre mit nickenden
Mais- und Weizenbüscheln beladenen Esel nach La Paz treiben. Lustig sieht
es aus, daß auf jedem Esel ein Huhn, resp. ein Hahn als stolzer Reiter
sitzt. Die Indianer nehmen auf diese Weise stets ihre ganze Hühnerzucht mit
sich, um die frischen Eier für horrende Preise in der Stadt zu verkaufen.

In noch größeren Abständen passiert man eine und die andere indianische
Ansiedlung. Elende aus Lehm zusammengeknetete Hütten. Auf vielen steckt
als Zeichen der siegreichen katholischen Kirche, meistens schief, ein
mit Bindfaden zusammengebundenes Kreuz aus zwei Holzstäbchen. Und dennoch
verrät sich in diesen ärmlichen Behausungen und in den Lehmmauern, von
denen sie umgeben sind, eine Art Stil. Es ist ein einheitlicher Zug in der
kunstlosen Architektur, in den Mustern der groben Friese, mit denen die
Mauern und die Simse der fensterlosen Hütten geschmückt sind. Eine dieser
Mauern sahen wir übrigens im Vorüberfahren plötzlich lebendig werden. Es
war eine Million riesengroßer Erdratten, die daran hinauf, herunter, hinein
und herauskrabbelten. Für zarte Gemüter kein sehr erfreulicher Anblick. In
seinem prächtigen Buche über die Chaco-Indianer behauptet Nordenskjöld,
daß die Erdratte dort an einem Stäbchen schön gebacken als besondere
Delikatesse bei Festessen gilt. Hier scheint das nicht der Fall zu sein,
sonst könnten sich diese gräßlichen Tiere nicht in so erschreckender Weise
vermehren.

Gegen Mittag wurde in einem dieser Indianerdörfer umgespannt. Die vier
flinken Pferde machten ebenso vielen zwar weniger schnellen, dafür aber
ausdauernden Maultieren Platz. Die Reisenden konnten sich unterdessen mit
heißem Tee aus Thermosflaschen und einem kalten Hühnerbein stärken. Nach
Überwindung einiger nicht bedeutender Steigungen, bekamen wir beim Örtchen
Posadas zum ersten Mal den Titicaca-See zu Gesicht, und zwar gleich in
nächster Nähe. Von der Ebene aus gesehen, hat er noch nicht die wundervolle
intensiv indigoblaue Farbe, in der sein Wasserspiegel nachher ins
Hochgebirge hin aufleuchtet. Doch gibt sein hier unten grünlich
schimmerndes Wasser mit dem rosenroten Gestein der umgebenden Hügel, dem
blauen Himmel und dem violetten Dunst, der das ganze Bild verschleiert,
immer noch eine ganz unwahrscheinlich schöne Farbensymphonie ab.

Außer seiner Schönheit ist der Titicacasee durch seinen Wildreichtum
berühmt. Für jedermann, der etwas Jägerblut in den Adern hat, ist das der
Ort zum toll und rasend werden. Das sollte ich am eigenen Leibe erfahren.
Mein Gewehr ruhte wohlverpackt in seinem Futteral, die dazu gehörigen
Patronen steckten in den tiefen Gründen irgend eines Koffers. Trotzdem und
trotz der Proteste des ehrgeizigen Kutschers, der sich durchaus nicht vom
Postwagen überholen lassen wollte, wurde das ganze Schießzeug auf offener
Straße in Bereitschaft gesetzt. Ich ließ Wagen Wagen sein und Kutscher
Kutscher, zumal wir der »Diligence« um mindestens 5-6 Meilen voraus waren
und stieg zum Uferschilf hinab, in und über dem ich es schwärzlich wimmeln
sah. Das Resultat rechtfertigte diese Eskapade. In weniger als einer halben
Stunde hatte ich eine Beute von 15 Wasservögeln von acht verschiedenen
Sorten beisammen, darunter 5 Enten, einen prächtigen Reiher und das
Staatsstück -- einen schwarzen Adler. Allerdings muß ich meinen
Jägerruhm durch die Bemerkung schmälern, daß die Vögel des Titicacasees
augenscheinlich keine Ahnung davon haben, was eine Flinte und ein Jäger
sind, denn ich habe keinen Schuß weiter als auf 20 Schritte abgegeben. Und
von den Enten -- herrliche fette Tiere mit schwarzem Gefieder und roten
Schnäbeln, über deren Eßbarkeit die Gelehrten allerdings noch streiten
-- hätte ich ebenso leicht 50 statt 5 haben können, denn nach jedem Schuß
setzten sie sich wieder friedlich im Kreise rings um mich herum. Nur dem
Reiher mußte ich nachstellen, und zwar gelang mir das mit Hilfe eines
Indianers, der nach dem ersten Schuß eiligst in seiner schwanken schmalen,
aus Bast geflochtenen »Balza« durchs Uferschilf herangestakt kam. In wildem
Jagdeifer vertraute ich mich ohne weiteres diesem seelenverkäuferischen
Fahrzeuge an, kniete darauf nieder und ließ mich, kunstvoll balancierend,
in den See hinaus rudern, was der Indianer hinter mir stehend, mit zwei
Händen ein Ruder handhabend, außerordentlich geschickt besorgte. Fast hätte
ich bei dieser Fahrt das Schießen vergessen. Unter mir das tiefe klare
Wasser, dem man bis auf den Grund sehen konnte, von dem aus sich wunderbar
geformte grünlich-blaue Wasserpflanzen emporrankten, zu beiden Seiten
das hohe Schilf, das über unseren Köpfen zusammenschlug und darinnen
ein Geschwirr von bunten Libellen, winzigen Vögeln, Käfern und allerhand
zirpendem Getier. Eine liebliche Sommermittagstimmung! So recht geschaffen,
um sich in dem schmalen Kahne auszustrecken und alles ringsumher zu
vergessen ...

Der Kutscher empfing mich trotz der vielen schönen Vögel, die ich
mitbrachte, mit Gebrumm. Einen Aufenthalt hatten wir wegen des erwähnten
Federbruches schon gehabt und in der Ferne zeigte sich schon die
»Diligence«. Die armen Maultiere mußten daran glauben. Mit Hott und Hüh
ging es über Stock und Stein. Wenigstens kam man auf diese Weise schnell
vorwärts. Fast gleichzeitig hielten beide Wagen vor dem Hotel in Achecachi.
Nicht alles was so heißt, ist ein Hotel. Dieses war z. B. keines. Nicht
einmal eine Herberge. Über einen dunklen Hof arbeiteten wir uns durch ein
Gewirr von Maultierschnauzen zu einer baufälligen Treppe durch, die zum
einzigen Fremdenzimmer dieses »Hotels« führte. Zerschlagen von der langen
Wagenfahrt ließen wir die müden Glieder auf ein Kanapee fallen. Diese
Unvorsichtigkeit war mit einigen blauen Flecken zu büßen. Trost brachte
ein aus rotem Landwein artistisch gebrauter Grog. Es ist, wie ich erklärend
beifügen muß, in dieser Höhe abends hundekalt.

Eine in einen Rahmen gespannte Tapete, eine Art Theaterdekoration, teilte
das Fremdenzimmer des Hotels in Salon und Schlafgemach. Ein amüsanter
Zufall wollte es, daß die Wand über meines Gefährten Bett ein Porträt des
russischen Zaren schmückte. Ich ruhte unter dem sanften Blick Abdul-Hamids
ebenso gut.


~Tafel 7~

[Illustration: ~»Balza« auf dem Titicaca-See (Bolivien)~]

[Illustration: ~Flötenblasender Indianer~]


2. VON ACHECACHI NACH SORATA.

Wir waren in Achecachi in der Dunkelheit angekommen, konnten die Stadt also
erst am nächsten Morgen in Augenschein nehmen, nachdem uns der achtjährige,
einzige Kellner des »Hotels« prompt mit dem ersten Hahnenschrei geweckt
hatte. Viel Zeit raubte diese Besichtigung der Stadt nicht. Es gibt in
Achecachi ein einziges Gebäude, das wert ist, angesehen und photographiert
zu werden. Das ist eine alte Kirche aus der Zeit, als die spanischen
Jesuiten den freien Geist Boliviens unterjochten. Fast in allen
bolivianischen Städten sieht man noch die festgefügten Baudenkmäler
dieser finsteren Zeit. Sie sind ohne Zweifel das Beste, was die Jesuiten
hierzulande zuwege gebracht haben. Doch haben sie sich dadurch bei der
indianischen Bevölkerung keine größere Beliebtheit erworben, als anderswo.
Für den Indianer ist der katholische Priester heutzutage noch ein Zauberer,
der mit Zauberformeln, die niemand verstehen kann, Geburt, Ehe und Tod des
Menschen »bespricht«. Heute noch halten die Indianer hartnäckig an ihrem
Aberglauben fest, dem nach die Jesuiten in den Monaten nach der Ernte als
Gespenster, eine Art Vampyre, nachtwandeln und den Indianern nicht etwa das
Blut, sondern das Fett aussaugen. Daher stammen, nach Ansicht der
Indianer, die, auch hier häufigen, Embonpoints der Geistlichkeit. Wehe dem
unglücklichen Priester, der nachts im März oder April einem Indianer in den
Weg läuft.

Von der nächsten Station, dem Städtchen Sorata, das zum eigentlichen
Ausgangspunkte unseres Tropenausfluges werden sollte, waren uns Maultiere
entgegengeschickt worden. Da wir einen achtstündigen Ritt vor uns hatten,
mußten wir uns beeilen. Gleich wenn man aus Achecachi hinausreitet, öffnet
sich ein wundervoller Blick auf den Llampu (in Geographiebüchern wird
dieser indianische Name meist durch den spanischen »Sorata« ersetzt).
In seiner ganzen Pracht liegt der Riese da. Die Kappe von blendendweißem
jungfräulichen Schnee scheint sich bis zu der Höhe herabzuziehen, auf
der wir uns befinden. Mit einer Deutlichkeit, als schaue man durch ein
Zeissobjektiv, zeichnet sich jede Schneefalte der enormen Gletschergefilde
vom blitzblauen Himmel ab. Noch ist seine einsame Höhe von keines Menschen
Fuß entweiht worden. Weder der Illimani, noch der Llampu sind bestiegen.
Es hat's kaum jemand versucht. Oder doch! Vor wenigen Jahren erschien in
Begleitung zweier handfester, schweizer Bergführer eine gletschersüchtige
Engländerin in Bolivien, um die beiden Herrscher der Kordillerenwelt zu
bezwingen. Sie kam jedoch nicht weiter als bis zum ersten Schneesattel des
Illimani, der aus unerfindlichen Gründen den Namen »Paris« trägt. Dieser
Paris fand an der unternehmenden Britin keinen Gefallen. Er jagte sie mit
allen Schrecken der Gletscherwelt, Schneestürmen, Bergkrankheit und Frost
in die Flucht. Sie verschwand sang- und klangloser als sie gekommen war
aus Bolivien, und ist vielleicht eben dabei ihren Spleen am Gaurisankar
auszulassen.

Drei Stunden lang geht der Weg direkt auf den Llampu zu. Er führt,
vollständig eben, über eine Art Damm, der im sumpfigen Ufergelände des
Titicacasees aufgeworfen ist. Diese Straße ist außerordentlich belebt,
da sie die Verbindung mit allen Indianerdörfern am jenseitigen Ufer des
Titicacasees herstellt. Ununterbrochen begegnen uns Trupps eseltreibender
Indianer. Die Frauen sind hier meist ganz dunkel gekleidet, bis an die
Fußspitzen verhüllt. Aus den Rückentüchern hört man das Wimmern von
Säuglingen. Um so bunter angetan sind die Männer. Ein Poncho in irgend
einer Farbe, vor der die Augen weh tun, eine bunte gestrickte Schlafmütze,
an der lange Ohrenklappen herabhängen, oft mit Perlen bestickt, darüber
noch ein runder weißlichgelber Filzhut. Aus den geschlitzten Leinenhosen
schauen ein paar kräftige, kupferrote Beine hervor. Man sieht hier
besonders unter den jüngeren Indianern Gestalten von außerordentlicher
Schönheit. Die Frauen laufen ausnahmslos zu Fuß, wenn jemand reitet, so ist
es der Mann.

Wir hatten den ganzen Weg über, und später noch viel mehr, Gelegenheit uns
zu überzeugen, wie unglaublich flinke und ausdauernde Läufer die Indianer
sind. Obgleich wir stundenlang Trab ritten, blieb unser Führer, ein
Vollblut-Indianer, der sogar kein Wort spanisch sprach, nicht um einen
Meter hinter uns zurück. Eine willkommene Abwechslung waren die uns
häufig begegnenden Lamatrupps. Ich kenne kein komischeres Tier, als dieses
»aristokratischste der Lasttiere«, wie es ein französischer Schriftsteller
nennt. So ein Lama sieht aus wie ein Schaf, dessen Urahne ein
Techtelmechtel mit einem Kamel gehabt hat. Die Dummheit des Schafes
verbunden mit dem Größenwahn des Kamels bildet eine höchst ridiküle
Mischung. Die altjüngferliche Koketterie und prüde Indignation, mit
der jedes einzelne den begegnenden Reiter mustert, reizt einen jedesmal
unwiderstehlich zum Lachen. Die Verteidigungsart dieser vierbeinigen
Aristokraten ist übrigens keine sehr vornehme. Sie wehren sich gegen
Angriffe durch Spucken.

Um von Achecachi nach Sorata zu kommen, muß man einen Paß von ca.
4½ tausend Meter überschreiten. Für bolivianische Verhältnisse ist dies ein
Kinderspiel. Uns schien der Fall doch schon recht ernst. Statt des ebnen
Weges hatten wir bald eine ziemlich steil aufsteigende Wüste von Geröll,
Schiefersplittern und vom Wasser kugelrund gewaschenen Kieseln vor uns.
In einem Indianerdorfe machten wir Halt, um zu frühstücken und die Tiere
ausruhen zu lassen. Zu welchem Zweck sich die Indianer in dieser Höhe, in
dieser öden Wüste, wo es weder Baum noch Strauch gibt, ansiedeln, ist mir
bis zum heutigen Tage rätselhaft. Auch, wovon sie leben, bleibt unklar.
Tatsache ist, daß man weder für Geld noch für gute Worte irgend etwas
Eßbares von ihnen erhandeln kann, nicht einmal einen Maiskolben oder eine
Handvoll Reis, von Brot ganz zu schweigen. Außerhalb der Städte ist der
Reisende hier ganz auf sich selbst, beziehungsweise auf seinen mehr oder
weniger gut assortierten Eßkorb angewiesen. Nur unserem Indio gelang es
für einen Silberling eine Handvoll trockener Kokablätter zu erstehen. Er
erklärte uns durch Zeichen, daß er für den ganzen Tag weiter keine Nahrung
bedürfe. Der Nährwert der Kokablätter, aus denen die Indianer ihre Kraft
-- im wahren Sinne des Wortes -- saugen, muß demnach eine außerordentliche
sein. Schmecken tun sie dahingegen abscheulich, etwa wie ein Gemisch von
Tee und Chinin. Gourmandise kann man den Indianern also auf keinen Fall
vorwerfen.

Je höher man steigt, desto schöner wird der Blick nach allen Seiten.
Endlich sieht man auch den ganzen Titicacasee wie ein himmelblaues Tuch
zwischen den Bergen ausgebreitet, daliegen. Man bedauert, daß man nicht
schielt, um die ganze Zeit über mit dem linken Auge den See, mit dem
rechten den Llampu anschauen zu können. Doch wird es noch schöner. Wenn man
den Paß überschritten hat, öffnet sich der Blick auf das 2000 Meter tiefer
liegende Sorata, das wie das sauber aufgestellte Spielzeug eines artigen
Kindes aussieht. Zwischen dem saftigen Grün der Gärten blitzen die weißen
Blechdächer in der Sonne. Der Abstieg ist sehr steil und dauert drei
Stunden, doch wird er einem nicht zu lang.

Sorata hat ein wundervolles Klima und wäre es leichter zu erreichen, so
stände es unter den Luftkurorten der Welt wahrscheinlich an erster Stelle
und hätte allenfalls nur die Konkurrenz von Madeira zu befürchten. Durch
die Berge von Winden geschützt, aber durchaus nicht eingeengt, liegt Sorata
ca. 2500 Meter über dem Meeresspiegel. Die Tropensonne zaubert bei
ewig blauem Himmel eine Vegetation von unglaublicher Üppigkeit und
halbtropischem Charakter hervor. Alle Bergabhänge sind bedeckt mit Feldern
und Anpflanzungen, sie sehen wie phantastische Schachbretter aus, jedes
Fleckchen ist ausgenutzt. Soviel Agrikultur, wie im Tale von Sorata, habe
ich sonst in ganz Südamerika nicht beisammen gesehen.

Wir reiten durch -- buchstäblich -- mannshohe Weizenfelder, Reis-
und Maispflanzungen. Die Blumenpracht zu beiden Seiten des Weges ist
unbeschreiblich. Leuchtend rote Kakteen, Büsche gelber und weißer
Margueriten, Hecken herrlicher weißer Rosen, Magnolien, Gardenien von
unwahrscheinlicher Größe, Fuchsien-Haine, irgendwelche leuchtend violette
Schlingpflanzen, die sich bis hoch in die Baumkronen hinaufziehen. Der
Weg ist zum Lachen malerisch. Bald führt er an überhängenden Felsgrotten
vorbei, bald windet er sich, von Sturzbächen zerfressen, an steilen
Abgründen hin. Hier steht eine alte zerfallene Wassermühle von wucherndem
Grün fast begraben, dort zwischen hohen Maisstauden eine verwitterte
Indianerhütte. Immer wieder öffnet sich der Blick auf Sorata. Die Sonne
ist im Untergehen. Tief herabhängende rosa-violette Wolken schweben auf
den Bergkämmen. Als Introduktion nicht übel! Man durfte auf das Weitere
gespannt sein.

Wir erreichen Sorata noch vor Einbruch der Dunkelheit.

Im gastlichen Hause des deutschen Großkaufmanns G., den man scherzweise »El
Rey de Sorata« nennt, fanden wir freundliche Aufnahme. Auf dem Hofe sahen
wir zum ersten Mal die großen schwarzen Gummiklumpen zu mächtigen Haufen
zusammengetürmt daliegen -- der erste handgreifliche Gruß aus den Gebieten,
in die wir uns hineinwagen sollten. Wir vergnügten uns ein Weilchen mit
harmlosem Ballspiel, wozu sich die Rohgummi-Ballen als sehr geeignet
erwiesen, um dann noch lange auf der Gartenterrasse des Hauses die
balsamische Abendluft zu genießen.

In Sorata galt es, den Plan zur Weiterreise reiflich zu überlegen und alles
dazu Notwendige sorgfältig, mit Liebe und Verstand vorzubereiten. Dank dem
außerordentlich freundlichen Entgegenkommen des Herrn G. gelang es uns, in
der für bolivianische Verhältnisse merkwürdig kurzen Zeit von zwei Tagen
reisefertig zu sein.

Vorerst mußte das nächste Reiseziel festgesetzt werden. Das tropische
Bolivien -- ja, aber das tropische Bolivien ist groß. Wo kann man dort
irgend etwas in der Art eines Unterkommens finden, wo läuft man am
wenigsten Gefahr, am Beri-Beri, gelben Fieber oder irgend einem sonstigen
Tropenkoller zu Grunde zu gehen? Gleich diese Frage entschied unser
liebenswürdiger Wirt mit dem Vorschlage, nach seinen Gummi- und
Kaffee-Plantagen im Gebiete des Mapiriflusses zu gehen und eine
seiner Haziendas, San Carlos, zum Ausgangspunkte weiterer Ausflüge und
Unternehmungen zu machen.

Damit war uns das nächste Reiseziel gegeben. Obgleich der Ort Mapiri selbst
als total verseuchtes Fiebernest gilt, sollte es in der weiteren Umgebung
des Mapiriflusses nicht so schlimm mit dieser Gefahr stehen. Außerdem
schluckte ja jeder von uns schon seit La Paz täglich sein halbes Gramm
Chinin.

Nun hieß es, einen »Ariero«, d. h. Maultierreisen-Unternehmer, gefügig zu
machen, uns das nötige vierbeinige Material zur Verfügung zu stellen.
Das war auch leichter gedacht, als getan. Die Arieros sind auf diese
Art Unternehmungen schlecht zu sprechen, da die Tiere dabei kolossal
strapaziert werden und nicht selten als Beute für die Kondore und Aasgeier
im Gebirge liegen bleiben. Wir passierten nachher manches häßliche
Knochenfeld. Dank den energischen Bemühungen des Herrn G. fand sich endlich
doch ein Mann, der den Kontrakt unterschrieb, uns mit vier »mulas de sella«
(Reittieren) und vier »mulas de carga« (Lasttieren) nach San Carlos und
zurück zu bringen. Leider unterließen wir es dabei, den Rückweg genau zu
bestimmen, und mußten daher denselben Weg zurückkommen, den wir gegangen
waren, da der Ariero sich weigerte, einen anderen durch das Tal des
Goldflusses »Tipuani« zu nehmen, der allerdings, wie es hieß, kaum
passierbar sein sollte.

Nachdem diese beiden wichtigen Fragen zu allseitiger Befriedigung gelöst
waren, wurde die Ausrüstung in Angriff genommen. Auch hiermit wären wir
ohne Herrn G. nicht weit gekommen. Außer seinen Gummi-Latifundien von der
Größe eines mitteldeutschen Herzogtums besitzt dieser »König von Sorata«
nämlich noch »den« Kaufladen der Stadt. Er ist nicht nur der König, sondern
auch der »Wertheim« von Sorata. Das war ein lustiges Einkaufen! Am liebsten
hätten wir alles mitgenommen. Aus La Paz hatten wir nur unsere Feldbetten
und Schlafsäcke nach Sorata geschickt. Nun ging es ans Verproviantieren,
Legionen Knorrscher Suppentafeln, Bouillonwürfel, Maggi -- alles Dinge, die
mir bisher nur aus dem Annoncenteil der »Lustigen Blätter« bekannt waren
-- Erbswürste, Gemüsekonserven, Corned beef, Sardinen und andere
Herrlichkeiten türmten sich auf dem Ladentisch auf und wurden säuberlich in
Kisten verpackt, dazu Spirituskocher, Kessel, Kannen, Becher, Pfannen usw.
An jede Kleinigkeit mußte gedacht werden. In der Nacht noch sprangen wir
abwechselnd auf, um einen vergessenen Korkenzieher, Büchsenöffner,
oder sonst etwas zu notieren. Brot und Zwieback wurden in zwei mächtige
Blechkasten verlötet, und jedes Stück Brot kostete nachher einen
zerschlagenen Daumen, oder ein zerschundenes Handgelenk. Lichte und
Streichhölzer wurden in Glasflaschen verschlossen, da sie sonst in der
feuchten Tropenhitze sofort unbrauchbar werden. Endlich das Zaumzeug und
die Sättel, von denen ich noch ein Lied singen werde, Decken, regendichte
Ponchos, kurz alles für die persönliche Bequemlichkeit erforderliche, nicht
zu vergessen eine umfangreiche Apotheke, vor allem Salmiak und sonstige
Mittel gegen Moskitosstiche, sowie -- last not least -- den Alkohol, Whisky
und Kognak, in ausreichender Quantität, die sich nachher dennoch als
knapp erwies, als wir auf dem Rückwege den Kordillerenpaß im Schneesturm
passierten.

Mit einigem Bangen für die Mularücken sahen wir zu, wie unser Gepäck
abends auf dem Hofe des G.'schen Hauses zusammengestapelt wurde. Man sollte
meinen, daß es für ein Regiment Soldaten gereicht hätte. Vier gesunde
Männer konsumieren in 4-5 Wochen was ganz Erkleckliches. Noch nach dem
Schlafengehen waren wir mit unseren sorgenden Gedanken in der »Tienda«,
d. h. im Kramladen, und von Zeit zu Zeit hörte man einen der Schläfer von
gefülltem Weißkohl, petit pois, Bismarckheringen und ähnlichen, schönen
Dingen murmeln.


3. VON SORATA NACH SAN CARLOS.

Am 8. April um 7 Uhr morgens war unsere kleine Karawane reisefertig.
Abenteuerlich genug sahen die vier Reiter aus: auf dem Kopfe ein Tropenhelm
oder ein breitkrempiger spanischer Torreadorhut, um den Hals in kunstvollen
Windungen geschlungen die »Cancha«, ein breiter endlos langer Schal --
in der Höhe ein absolut unentbehrliches Kleidungsstück -- hohe spanische
Schnürstiefel mit mächtigen Zackensporen, wie man sie in Europa nur noch
auf Porträts von Don Quichote sieht, Revolver und Messer im Gürtel, auf dem
Rücken Büchse oder Gewehr, resp. Feldstecher oder -flasche. So stak jeder
in seinem Sattel, wie eine Fischgabel im Etui. Sitzen ist ein Ausdruck,
der nicht anwendbar ist auf die Lage, in der sich der Reiter auf einem
bolivianischen Gebirgssattel befindet. Man ist zwischen eine Art Brust- und
Rückenwehr eingeklemmt, die Füße hängen senkrecht herunter, sie stecken
in zwei aus Holz geschnitzten oder aus Leder genähten Steigbügeln, die man
anfangs verflucht, und die man nachher, wenn selbst in strömendem Regen
die Füße trocken bleiben, nicht genug segnen kann. Überhaupt muß man diesen
Sätteln nachsagen, daß sie mindestens ebenso praktisch wie unbequem sind.
Was geht da nicht alles dran und drauf und drunter. Unten kommen zwei
Decken hin, hinten wird der Poncho angeschnallt, solange man ihn nicht
braucht. Ebendort hängen zwei geräumige Satteltaschen, in denen man
die notwendigsten Gegenstände unterbringen kann, etwas Proviant und die
unentbehrliche Whiskyflasche. Vorne sind drei Riemen angebracht, an die
man am zweckmäßigsten den Kodak, den Trinkbecher und die Patronentasche
anhängt, auf dem Sattel liegt eine kleine Decke aus Schaffell, die man bei
Nacht als Kopfkissen verwendet. Elegant ist das Gesamtbild einer derartig
gesattelten Mula mit dem Reiter darauf nicht, dafür ist man aber gegen alle
möglichen Vorkommnisse gewappnet.

Mit gesenkten Köpfen stehen die Lasttiere da, sie tragen schwerer als die
Reitmulas unter den Bettsäcken, Proviantkisten und Felleisen,
sogenannten »petacas«, die unsere übrigen Habseligkeiten enthalten. Große
Geschäftigkeit entwickelt die »Mannschaft«, nämlich der Ariero, ein Cholo,
d. h. Halbblutindianer, der spanisch spricht, obzwar kaum besser, als wir
selbst und zwei waschechte Rothäute, deren Hauptbeschäftigung nachher darin
bestand, die entlaufenen »Carga-Mulas« wieder einzufangen, wobei sie mit
affenartigem Geschick die halsbrecherischen Felsabhänge hinauf und hinunter
klettern, um den Tieren den Weg abzuschneiden, denn von hinten läßt sich
keine Mula, die etwas auf sich hält, einfangen, wie ich aus eigener
bittrer Erfahrung weiß. Der Weg nach San Carlos war auf vier Tagereisen
veranschlagt. Jeden Tag waren 45 bis 50 Kilometer zurückzulegen, was
bei den kolossalen Steigungen als recht gute Leistung zu bezeichnen ist,
weniger für uns als für die Tiere. Die täglichen Wegstrecken mußten
genau eingehalten werden, da außer den vorgemerkten Nachtquartieren keine
Behausungen weiter unterwegs anzutreffen waren.

Gleich am ersten Tage galt es, den Paß der Hauptkordillere zu
überschreiten. Es ist der höchste Gebirgspaß in ganz Südamerika, ich glaube
nicht, daß er mit seinen 5500 Metern überhaupt irgendwo seinesgleichen hat.
Mit Lust und Energie begannen die Maultiere den Aufstieg, hinterher mit
Hott und Hüh die »Carga« nebst den Indios. Aber das Vergnügen dauerte nicht
lange.

Ist jemals einer meiner verehrten Leser auf einer Mula einen steilen Berg
hinaufgeritten? Nur dann kann er nachfühlen, was man dabei zu leiden hat.
Die Maultiere sind zwar sehr brave und ausdauernde Geschöpfe, aber
Reiter von nervösem Temperament können sie rasend machen. Je nach dem
Steigungswinkel bleiben sie alle zwanzig, zehn oder fünf Schritte stehen,
um Atem zu schöpfen. Anfangs hat man Mitleid, denn man fühlt, wie die
Flanken des Tieres unter einem schlagen. Man wartet also, bis es von
selbst weitergeht. Beim nächsten Mal jedoch wird man schon ungeduldig.
Man versucht es mit Zungenschnalzen, Pfeifen und allen spanischen
Schmeichelnamen, die einem im Moment einfallen. Keine Reaktion. Nun
schwingt man die Zügel und zieht dem Tiere mit dem, wie bei den russischen
Iswoschtschiki verlängerten Ende der Leine, eins hinten über. Keine
Reaktion. Jetzt wird man heftig und fängt mit den Sporen an zu bohren und
am Haarschopf zu ziehen. Nichts hilft. Nun bleibt einem nichts übrig,
als mit dem Revolver zu schießen, oder ruhig abzuwarten. Das erstere wäre
unklug, aber das zweite ist für ungeduldige Gemüter nicht leicht, zumal
wenn andere Reiter mit kräftigeren Tieren einen hohnlachend überholen. Man
steigt also ab und geht zu Fuß. Nun fängt man an die Mula zu verstehen. In
dieser Höhe ist es nämlich tatsächlich unmöglich, mehr als zehn Schritte zu
machen, ohne nach Luft zu schnappen. Wir waren vor der Bergkrankheit, der
sogenannten »Saroche« gewarnt. Also steigt man doch lieber auf und wappnet
sich mit Geduld, denn ruhig im Sattel hockend, spürt man die Wirkung der
dünnen Luft fast gar nicht. Aber kalt wird es, empfindlich kalt. Man greift
nach dem »Poncho«, wickelt den Schal fester, aber je höher es geht, desto
kälter wird es. Nur eines hilft -- der Sweater -- wenn man einen hat. In
einem Anfall von Hellseherei hatte ich meinen von Moskau mitgenommen.

Nach achtstündigem Aufstieg ist der höchste Punkt des »Yachazani«-Passes
erreicht. Schon den ganzen Weg über hatten wir wundervolle
Gebirgslandschaften vor uns gehabt. Hier oben läßt sich der Blick mit gar
nichts vergleichen, was ich früher -- auch in den Kordilleren -- gesehen
hatte. In greifbarer Nähe steht der Llampu vor einem. Wir hatten Glück.
Kein Wölkchen verhüllte sein majestätisches Haupt. Am liebsten hätte
man sich stundenlang von diesem Anblick nicht losgerissen. Aber es ist
schneidend kalt, und wenn man im Schnee herumtanzte, um sich zu
wärmen, ging einem doch sofort der Atem aus. Außerdem trieb der Ariero
erbarmungslos zur Eile. Wir waren verspätet oben angekommen. Damals wußten
wir noch nicht, was für Folgen eine jede Verspätung in diesen Gegenden hat.
Die müden Tiere werden also wieder bestiegen und weiter geht es, eine lange
Strecke durch einen ziemlich eben scheinenden Gebirgskessel, dann abwärts.
Es ist schon 5 und noch haben wir ein tüchtiges Stück zu reiten. Ohne
Erbarmen werden die Mulas wieder in Trab gesetzt. Aus dem Tal steigen dicke
weiße Nebelwolken hervor und hüllen die ganze Landschaft ringsumher in
einen undurchdringlichen Schleier. Es wird immer dunkler. Um 6 ist es mit
gewohnter Tropenpräzision stockfinstere Nacht. Das letzte Stück des
Weges -- glücklicherweise nur 1¾ Stunden -- hat wohl niemand von uns als
besonders gemütlich empfunden. Unsere einzige Hoffnung waren die Mulas.
Zu Fuß war kein Schritt möglich, da man in dieser sternenlosen Tropennacht
nicht die Hand vor den Augen sah. Rechts hörte man das Brausen eines
Gebirgsflusses, aber wo und wohin er fließt, sieht kein Mensch. Von Zeit
zu Zeit erschallt in der Dunkelheit die Stimme des Ariero, der die Richtung
angibt. Man segnete die Spürnase der Mulas, die Vorsicht, mit der sie
Schritt vor Schritt machten und gelobte, am nächsten Tage die Sporen
abzuschnallen.

So langten wir im Indianerdorfe »Injenio« an, ohne es zu merken, denn nicht
einmal die Konturen der Häuser ließen sich in dieser rabenschwarzen Nacht
unterscheiden. Aber die Mulas kannten ihren Weg. Als sie stehen blieben,
wußten wir, daß wir angelangt waren und abzusteigen hatten. In Injenio
steht ein altes verlassenes und zerfallenes Haus, das einst einen
wohlhabenden Besitzer gehabt haben muß, und jetzt, was selten genug
vorkommt, von durchreisenden Fremden als Nachtquartier benutzt wird. Wir
installierten uns in einem Zimmer, das zwar nur noch Fragmente von einem
Fußboden, dafür jedoch Reste von Tapeten an den Wänden aufwies. Von
Tischen, Stühlen oder sonstigen Bequemlichkeiten natürlich keine Spur.
Wir erleuchteten dieses Gemach sofort prächtig vermittelst zweier
»bolivianischer Nachtleuchter«, d. h. einfacher Stearinkerzen, die mit der
ganzen erwärmten Längsseite an die Wand gepappt wurden. Schnell wurden
die Feldbetten aufgeschlagen, da sie zugleich Tische und Stühle ersetzen
mußten. Ein alter Indianer, den der Ariero unterdessen aufgestöbert hatte,
brachte Reisig, und im Nebenzimmer, das schon gar keine Andeutungen einer
Bretterdiele mehr aufwies, wurde ein Feuer angemacht. Appetit hatte niemand
von uns. Das pflegt einem am ersten Tage nach erlittenen Strapazen immer
so zu gehen. Man begnügte sich mit einer Tasse Tee oder Kakao, und konnte
nicht schnell genug die müden Glieder in den Schlafsack und diesen und sich
selbst auf das Feldbett strecken. Durch die zerbrochenen Fensterscheiben
hörte man den Wind ums Haus gehen. Auf dem Hofe schnauften die Mulas,
zwischen ihren Zähnen knirschte die frische Gerste, die wir ihnen
vorgesetzt hatten. Sie hatten sie verdient. Guten Appetit!

Am nächsten Morgen um ½5 Uhr hieß es: aufstehen! Jetzt waren wir durch
die Erfahrung gewitzigt und wären auch noch früher aufgesprungen, um einer
Verspätung aus dem Wege zu gehen. Es ist nicht leicht, in der Dunkelheit
die Mulas einzufangen, sie zu satteln und zu bepacken. Während wir
unseren Morgenimbiß einnehmen, fängt es an zu dämmern. Wir sehen uns unser
Nachtquartier an. Jetzt erscheint es schon weniger einladend, als gestern
abend. Der Fußboden, oder das was ihn ersetzt, hat vielleicht vor zwei
Jahren zuletzt eine Bürste gesehen. Wenn man ihn näher untersucht, läßt
sich das Menü früherer Reisegesellschaften mit ziemlicher Sicherheit
bestimmen. Über der Tür hängt die Hälfte eines faulenden Balkons. Keine
Fensterscheibe ist heil. (Während ich dies niederschreibe, denke ich
lächelnd daran, daß, als wir fünf Wochen später nach Injenio zurückkehrten,
mein Reisekamerad vor diesem Hause ausrief: »Gott sei Dank, endlich wieder
ein anständiges Lokal!«)

Von den indianischen Ansiedlungen Boliviens ist Injenio unstreitig eine
der interessantesten. Es ist ein altes Inka-Dorf. Aus dem Fluß, den wir am
Abend vorher hatten rauschen hören, haben vor langen Zeiten die »Söhne der
Sonne« unermeßliche Reichtümer an reinem Golde herausgewaschen. Jetzt
ist der Vorrat versiegt. Nur mit großer Mühe gelang es, von einem alten
Indianer einige Körner Flußgold zu erstehen. Oben in den Bergen hofft man,
noch Gänge des edlen Erzes zu finden. Eine amerikanische Gesellschaft
ist eben dabei, mit kolossalem Kostenaufwande oberhalb Injenios einen
maschinellen Goldminenbetrieb einzurichten. Heute noch sieht man beim
Durchschreiten des Dorfes, wie wert den Inkas Injenio gewesen ist.
Imposante Dammarbeiten durchziehen die Gegend, Mauern aus mächtigen
Quadern, in denen die Jahrhunderte keinen Stein haben lockern können. Von
Zyklopen errichtet scheinen auch einzelne Häuser zu sein. Die Inkas wollten
hier für die Ewigkeit bauen. Sie konnten es nicht wissen, daß sie selbst so
viel früher zugrunde gehen würden, als ihre Werke. Noch eine lange Strecke
außerhalb Injenios sieht man am Ufer des Flusses und an den Hängen der
Berge die verlassenen Ruinen alter Inkaherrlichkeit einsam dastehen.

Der Weg, der anfangs am Fluß entlang führt, beginnt wieder sich einen Berg
hinaufzuschlängeln. Bald ist die Vegetationsgrenze erreicht. Nur große
weiße Sternblumen, gleich verkrüppelten Margueriten ohne Stengel, und
rote und violette Gebirgsglocken, unseren Alpenveilchen nicht unähnlich,
bedecken die Abhänge.

Diese zweite Tagereise ist ermüdender, als die erste, geistig noch mehr als
körperlich. Es geht ununterbrochen bergauf und bergab, ohne daß man einen
merklichen Höhenunterschied überwindet. Was man eben gewonnen hat, büßt man
in den nächsten fünf Minuten wieder ein. Schließlich wird man resigniert.
Es ist den ganzen Tag über neblig. Keine Spur von Aussicht. Man sieht nicht
weiter, als hundert Schritte. Gleich feuchten Treibhausdämpfen steigen die
Nebel empor. Sie kommen aus Palmenwäldern und Bananenhainen. Der Weg
wird immer schlechter. Sogar die Mulas stolpern. Alle Augenblicke muß man
absteigen, damit die Mula nicht sich selbst die Beine und dem Reiter den
Hals bricht.

Gegen Mittag setzt ein feiner Regen ein, der immer stärker und stärker
wird. Endlich schüttet es wie aus Eimern. Der Weg ist so schlüpfrig und
glatt, daß man jetzt selbst bei den gewagtesten Passagen den Mulahufen mehr
vertraut, als den eigenen Stiefelsohlen. Man reitet gesenkten Hauptes,
von der Hutkrempe geht es von Zeit zu Zeit wie ein Sturzbach nieder. Gegen
diesen Wolkenbruch schützt auch der »regendichte« Poncho nicht. Man fühlt
sich langsam aber sicher durchweicht, und sorgenden Blicks sieht man, daß
dasselbe Schicksal auch die Schlafsäcke auf den »carga-Tieren« erreicht.

Wenigstens verspäten wir uns nicht. Um 5 Uhr ist das zweite Nachtquartier,
das »Grand Hotel« Tola Pampa, erreicht.

Giftiger Hohn hat einer Scheune, die einsam auf Bergeshöhe steht, einst
diesen hochtönenden Namen gegeben, der ihr seither anhaftet. Als wir das
Haus von Ferne sahen -- 50 Kilometer im Umkreise gibt es kein anderes --
erhoben sich unsere Lebensgeister. Voller Energie ritten wir darauf zu.

Prosit Mahlzeit! Besetzt!

Das »Grand Hotel« -- vier Mauern mit einem Dach darüber -- besteht aus
zwei Räumen. In einem hatten sich sechs Bolivianer niedergelassen, so
fragwürdigen Aussehens, daß man unwillkürlich nach dem Revolver griff. Im
anderen, kleineren, hockten frierend fünf Indianer. Was war zu machen?
Die Bolivianer-Festung im Sturm zu nehmen, trauten wir uns nicht zu. Also
mußten die armen Indios daran glauben. Macht geht hier überall vor Recht,
den Indianern gegenüber natürlich ganz besonders. Wir konnten ihnen nicht
helfen, die armen Burschen mußten hinaus und sich unter der Dachtraufe
niederlassen. Der eine mußte sogar noch den Fußboden aus gestampftem
Lehm reinfegen. Wenigstens sind die Braven an Trinkgeldern nicht zu kurz
gekommen. Dem einen kauften wir für 2 Bobs (zirka 4 Mark) einen Arm voll
trocknen Holzes ab, das er, weiß der Himmel von wo hergenommen hatte, dem
andern einige Stück Brot, wobei allerdings ein ganzer Bob für jedes Stück
zu erlegen war. Der dritte holte uns Wasser von einer ziemlich entfernten
Quelle. Jede Flasche erzielte annähernd den Preis von Münchener
Export-Bier!

Wenigstens waren wir bis auf weiteres vor Wind und Wetter geschützt.
Das hatten wir aber auch sehr nötig. Schlafsäcke und Betten waren total
durchweicht, wir selbst ebenfalls, das einzige Trockne waren die Decken,
die unter den Sätteln gelegen hatten. In keineswegs sehr gehobener Stimmung
ließen wir uns auf unseren nassen Betten nieder. Im Raume nebenan schwelte
das bolivianische Lagerfeuer. Der Rauch drang durch die Mauerritzen und
beizte uns die Augen. Einen Schornstein, oder wenigstens ein Loch in der
Decke hatte das »Grand Hotel« Tola Pampa nicht. Dennoch machten auch wir in
unserer »Nummer« ein Feuer an, was schwierig war, da man sich in dem Räume,
nachdem die Betten aufgestellt waren, kaum herumdrehen konnte. Immerhin
hob sich der Lebensmut ganz beträchtlich, als wir in zwei Kesseln, die
kunstreich an einem nassen Stabe übers Feuer gehängt waren, das Wasser
brodeln hörten. Nun stellte sich zu unserer freudigen Überraschung heraus,
daß preußische Bergassessoren auch mehr können, als Minen-Gutachten abgeben
-- nämlich Suppe kochen! Unser Assessor W. jedenfalls braute aus
Knorrs Suppentafeln, Liebigs Fleischextrakt, Wurstresten, Cornedbeef,
Erbsenkonserven und den Überbleibseln einer einst sehr schönen Hammelkeule
eine Suppe zusammen, die dem maître d'hotel bei Adlon Tränen kollegialer
Rührung in die Augen getrieben hätte. Dieses Meisterwerk der Kochkunst
war unerreichbar. Und als dann das Wasser im zweiten Kessel sich in Grog
verwandelt hatte, der immer mit Whisky »verdünnt« wurde, ward uns immer
»wöhler« zu Mute, wie man hierzulande sagt. Um 8 Uhr lagen wir auf den
nassen Betten, der Ariero, der übrigens seinem ominösen Namen -- Don
Botello (die Flasche) -- alle Ehre machte, als Wächter quer vor der Türe.

Um 4 Uhr am nächsten Morgen rasselte der sorglich auf einem Emailleteller
aufgestellte Wecker. Nicht ohne Bangen traten wir vor das Portal des »Grand
Hotel«. Regnet es immer noch? Nein. Dem Schicksal sei Dank. Ein wolkenloser
Sternenhimmel von großartiger Pracht spannt sich über die Berge. Noch ist
es Nacht.

Als wir zum Ausritt bereit waren, begann ein Naturschauspiel von
unvergeßlicher, geradezu berückender Schönheit -- der Sonnenaufgang. Im
Westen am dunklen Himmel erblich der Mond, im Osten, von tiefschwarzen
Silhouetten der Berge eingesäumt, begann der Himmel sich rot zu färben,
ein Rot von so dunklem satten Ton, als rührte es von einem mächtigen
Kohlenfeuer her. In dieser Farbe leuchteten plötzlich die Schneekoppen der
Hauptkordillere auf. Zu unseren Füßen dehnte sich unübersehbar weit
ein brauendes Nebelmeer aus, das sich wie die Wellenbrandung eines
märchenhaften Ozeans durcheinanderschob, milchig, von fast bläulichem Weiß,
bis auch hier der Lichtschein hindrang und die ganze grenzenlose Fläche
rosenrot färbte. Es war schwer hierbei seine fünf Sinne beisammenzubehalten
und noch dazu auf die Mula aufzupassen, die im unsicheren Morgenlichte
schnuppernd ihren Weg suchte.

In der Ferne auf dem Kamm eines Berges sah man die winzig scheinende
Gestalt eines Indianers stehen. Ich dachte daran, daß diese Naturkinder,
wie man mich versichert hat, heute noch alle Sonnenanbeter sind, trotzdem
viele von ihnen, besonders in den Umgebungen der Städte, natürlich getauft
sind. Und ich dachte daran, daß ihre Religion vielleicht doch nicht so ganz
inferior ist, wie es uns von der Höhe unserer europäischen Weisheit
herab, vielleicht scheinen mag. Naiv genug ist er ja, der Sonnenkultus der
Indianer. Sie bringen ihrem Gott nicht einmal Opfer. Sie beschränken sich
darauf, ihn als Erzeuger und Erhalter der Welt zu bewundern. Der Anschauung
der Indianer nach gehören ihrem Gott alle Dinge, die er zuerst bescheint,
das heißt, alles was sich auf dem Gipfel der Berge befindet. Dieser Gedanke
ist schön und billig zugleich. Vielleicht glaubt der Indianer auch, daß auf
den Höhen der Berge, die so wundervoll im Sonnenlicht glänzen, wer weiß was
für Herrlichkeiten verborgen sind. Denn in den weiteren Postulaten seiner
Weltanschauung ist der Indianer sehr bescheiden. Von den Produkten der
Erde beansprucht er für sich nur die gewöhnlichsten, die ihm zur Nahrung,
Kleidung und Behausung dienen. Alles was kostbar und schön ist, -- das
Gold, die Vicunnas, aus deren samtweichem Fell man die schönen Decken
macht, die noch zarteren Chinchillas usw., alles das gehört ausschließlich
den »Söhnen der Sonne«, den Inkas. Der ordinäre Indianer hat darauf kein
Recht.

Was es mit den Inkas eigentlich für eine Bewandtnis hat, darüber habe ich
übrigens in Bolivien ebensowenig sicheren Aufschluß finden können, wie
in Europa. Die Geschichte des Landes setzt sich aus Legenden zusammen.
Ziemlich allgemein nimmt man an, daß der Stamm der Inkas auf die Bemannung
eines gestrandeten Normannen-Schiffes zurückzuführen ist, die wegen ihrer
hellen Haare und Augen als Sonnenabkömmlinge angesehen wurden. In Peru gibt
es noch Indianer, die ihre Herkunft von den Inkas ableiten. Jetzt freilich
ist ihre Haut braun, wie die der übrigen Indianer. Doch sind es alles
auffallend schöne, hochgewachsene Gestalten mit edlen reinen Gesichtszügen.

Von Tola Pampa begann ernstlich der Abstieg. Eine Stunde noch führte der
Weg durch das steinige Felsgeröll, das wir schon zur Genüge kannten. Dann
setzte die Vegetation ein, und zwar gleich mit völlig tropischem Charakter:
Farrenbäume, Fächerpalmen, zuerst alles noch recht winzig, kaum mannshoch,
und vereinzelt. Doch mit jedem Schritt, den wir hinab tun, wächst und
verdichtet sich der Wald. Von den Maultieren sind wir abgestiegen und
lassen sie hinterher laufen. Beim Abstieg brauchen wir sie nicht. Vor uns
liegt ein sonnenüberglühter Grat, ein Weg von fast zwei Stunden. Er führt
in leichter Neigung hinab. Nachdem wir ihn überschritten haben, kommen wir
in Schatten. Gleichzeitig beginnt der Teil des Weges, der im Volksmunde
mit Recht »amargurani« -- Bitternis -- heißt. Ein geradezu grauenhaft
schlechter, vom Regen total ausgewaschener, von breiten Felsspalten
durchschnittener Weg. Oft ist man in Verlegenheit, wohin man beim nächsten
Schritt den Fuß setzen soll. Wenigstens geht es konstant abwärts. Es wird
immer heißer. Man hat bald die Empfindung, daß man in dampfdurchglühter
Treibhausluft vorwärts schreitet. Die Kleider kleben am Leibe. Der Schweiß
fließt in Strömen.

Und dennoch vergißt man alle körperlichen Beschwerden über der vegetativen
Pracht, die einen umgibt. Der Wald wird mit jedem Schritt dichter, endlich
ist zu beiden Seiten des Weges richtiger undurchdringlicher Urwald.

Was für ein Wald! Kein Märchen kann ihn schöner schildern. Riesenfarren mit
fächerartig ausgebreiteten Ästen, Schlingpflanzen, die wie Girlanden
von Baum zu Baum und über den Weg hängen. Üppig wucherndes Buschwerk mit
glänzenden, gleichsam lackierten Blättern; überall leuchten gelbe, rote,
violette Blüten hervor, einzeln und in schweren Dolden. Tausende von
Pflanzen, die bei uns als kostbare Ziergewächse gezüchtet werden, alles
in riesengroßen unwahrscheinlichen Dimensionen, mannshohe Schilfblätter,
sogenannte Gummibäume (die übrigens mit dem Nutz-Gummibaum nicht das
Geringste gemeinsam haben), gigantische Nesseln, deren Blätter von einer
Seite samtgrün, von der anderen scharlachrot sind, Palmen von jeder Form
und Größe, einzeln und in Gruppen, wie sie kein Kunstgärtner schöner
zusammenstellen kann. Ein Wirrwarr von saftigem Grün aller Schattierungen
mit leuchtenden Farbenflecken dazwischen. Fast alle größeren Bäume sind mit
Moosen bedeckt, Moosen von allen Farben, nilgrün, grau, bläulich, ja dunkel
weinrot. Und hier, welch eine Pracht! Aus dem Moose schauen die ersten
Orchideen hervor. Man traut seinen Augen nicht. Man greift nach den Blüten,
und wenn man sie in der Hand hält, läßt sich ihre Existenz nicht mehr in
Abrede stellen. Man kann sich nicht satt sehen an den feinen hellila und
dunkelvioletten Blumen. Es sind wahre Wunderwerke der Natur, diese bizarren
Kelche mit ihren exzentrischen Formen und herrlichen Farben. Am schönsten
sind die großen, goldbraunen Dolden, an denen oft bis dreißig einzelne
Blüten sitzen. Man hat bald den ganzen Arm voll von dieser Blütenpracht und
weiß nicht, wohin damit.

Es ist Frühstückszeit! An einem kleinen Sumpfe, den sogenannten
»Lagunillas« wird Halt gemacht. Hier lernen wir die erste Schattenseite der
Tropen kennen -- den Mangel an Trinkwasser. Die Thermosflaschen sind
alle leer getrunken. Im ganzen Walde ist kein Stückchen trockenes Holz
aufzutreiben, um Feuer zu machen und das Sumpfwasser zu kochen. Alle
Versuche schlagen fehl. Der Durst wird immer quälender. Schließlich pfeift
man auf Fieber und Typhus, schöpft einen Becher voll des trüben Wassers aus
dem Sumpf, tut einen »Desinfektionsschuß« Whisky hinein, und nimmt einen
herzhaften Schluck. Wie das wohltut, obgleich es scheußlich schmeckt. Nun
kann die Reise weiter gehen.

Gleich nach dem Frühstück hatte ich Glück. Ich blieb mit meinem Gewehr eine
halbe Stunde zurück, da ich in den Baumkronen mancherlei flattern sah, was
mich interessierte. In den Wald zu schießen, hat keinen Zweck, wenn man
nicht mit einem Schlagmesser, einer sogenannten »macheta« ausgerüstet ist,
wie es hier jeder Indianer bei sich hat. Ohne dieses Instrument ist im
Walde keine zwei Schritte vom Wege an ein Durchkommen zu denken. Man muß
also geduldig warten, bis die erhoffte Beute über den Weg fliegt.

Da! ich schieße. Und vor mir auf dem Wege liegt ein regelrechter Papagei,
prächtig grün und rot gefiedert. In der Freude meiner Seele werfe ich meine
Papiros mitsamt meiner schönsten Bernsteinspitze in den Urwald -- ich habe
sie nie wiedergefunden -- und hänge meine bunte Beute an den Sattelknopf.
Die schönste Feder kommt an den Hut, der sich übrigens im Laufe der Wochen
in einen regelrechten indianischen Federkopfputz verwandelte.

Dieses Mal übernachten wir in einer Indianer-Herberge. Noch um eine Nüance
primitiver als in Tola Pampa. Dafür stehen ums Haus herum wilde Zitronen-
und Apfelsinenbäume, und unten am Abhänge sehen wir eine Bananenpflanzung.
Auch nicht zu verachten.

Wir teilen den einzigen verfügbaren Raum, da er groß genug ist, mit einer
Gesellschaft indianischer Packeseltreiber. Sie kochen in einer Ecke stumm
-- Indianer reden nie, außer dem Allernotwendigsten miteinander -- ihren
Reis, wir in der anderen geräuschvoll unsere Suppe.

Zu unseren Häupten über den Feldbetten siedelten sich auf einer Stange
sämtliche Hühner des Hauses an und machten sich bald unangenehm bemerkbar.

Zu dem durchlöcherten Dach schaut der Sternenhimmel herein, durch den
offenen Giebel das Kreuz des Südens, das wir jetzt endlich kennen. Dieses
Kreuz ist übrigens ein bluff. Erstens ist es überhaupt nichts Besonderes
und zweitens ist es kein Kreuz. Genau ebensogut könnte es einen
Triumphwagen oder eine Kaffeekanne vorstellen. Es ist ein unregelmäßiges
Parallelogramm von vier Sternen, deren einer ziemlich schwach leuchtet.
Warum das ein Kreuz bedeuten soll, ist unerfindlich, jedenfalls weiß das
kein Mensch, außer dem Astronomen, der es so getauft hat.

Theoretisch hatten wir von Lorenzo Pata, unserem letzten Nachtlager, bis
San Carlos einen Tag. Praktisch wurden zwei daraus. Aber nicht durch unsere
Schuld, denn um 5 Uhr war die ganze Gesellschaft auf den Beinen, und um 6
ritten wir aus, wohlgemut, trotz des strömenden Regens. Alles ringsumher
trieft. Wir sehr bald ebenfalls. Der naßgeregnete Urwald bietet ein
anziehendes Bild. Das Grün scheint noch saftiger. Man glaubt es ordentlich
zu spüren, wie die fruchtbaren Kräfte sich darin regen. Die Moose
schwellen, die Blumenkelche öffnen sich.

Um 11 Uhr klärte es sich auf. Die Tropensonne tat das ihrige, um uns
schnell zu trocknen. Wir dampften richtig. Aus dem Tal -- wir sind ja immer
noch 1½ Tausend Meter hoch -- steigen Nebelfetzen herauf und verfangen sich
in den Baumkronen. Der Weg führt bergauf, bergab, bergab, bergauf. Eine
gefährliche Stelle ist noch zu überwinden -- der sogenannte »tornillo« (die
Schraube), -- eine korkenzieherartig gewundene Wegstrecke, die an einem
Abgrunde entlang führt.

Den ganzen Weg, von Sorata an, war es uns aufgefallen, daß auf dem Gipfel
jeder Steigung ein mächtiger Steinhaufen aufgeschichtet war, von besonders
riesigen Dimensionen bei den schwierigsten Stellen, am Jachazani-Paß, beim
Beginn des Amargurani-Abstiegs, hier am Tornillo. Don Botello gab uns die
Erklärung dafür. Wenn der Indianer einen Berg emporsteigt, nimmt er in jede
Hand einen Stein, trägt ihn hinauf und legt ihn dann fein säuberlich hin.
Er glaubt, daß ihm das Steigen erleichtert wird, wenn er die Steine näher
zur Sonne bringt. Psychologisch ist dieser Aberglaube sehr verständlich
und berechtigt. Der Indianer denkt die ganze Zeit während des Aufstiegs an
seine Steine, und das lenkt die Aufmerksamkeit von der eigenen Erschöpfung
ab. Im Laufe der Jahrzehnte bekommt ein jeder Gipfel auf diese Weise ein
kunstloses, aber imposantes Denkmal. Bemerkenswert ist, daß die Indianer
ihre Steine oft in der Form eines Kreuzes anordnen.

Um 3 Uhr erreichten wir eine »Finca«, San José, des Herrn G., durch dessen
Gebiet wir schon seit zwei Tagen ritten. Nun waren noch 3 Stunden bis
San Carlos. Nach kurzem Aufenthalt begannen wir den letzten, sehr steilen
Abstieg. Allein wir hatten die Rechnung ohne den Regen gemacht, der am
Morgen herabgeströmt war. Ein Gebirgsbach -- der Rio d'Oro -- der unten im
Tal den Weg durchschnitt, war derart angeschwollen, daß an ein Passieren
gar nicht zu denken war. So mußten wir den ganzen Weg wieder hinauf. Ich
blieb unvorsichtiger Weise, vom Jagdeifer beseelt, zurück, schoß auch
richtig ein langschwänziges Ungeheuer, halb Papagei, halb Fasan und --
beinahe -- einen Affen. Doch mußte ich dafür büßen, nämlich den ganzen
zweistündigen Aufstieg zu Fuß machen. An diese Stunden denke ich ungern
zurück. Ein siebenstündiger Weg, meist zu Fuß, lag schon hinter uns.
Halbtot langte ich in San José an. Die Kochkunst unseres vortrefflichen
Assessors und eine Flasche wirklich echten Münchener Bieres, das überall
in den Tropen, wo es Menschen gibt, verzapft wird, freilich zu
Phantasiepreisen, brachte mich nur langsam wieder auf die Beine. Trotz
Hunden, Mäusen und einem Hahn, die sich in unserem Zimmer bekriegten,
schlief ich wie ein Erschlagener.

Am nächsten Morgen ließen wir uns nicht zurückhalten und nahmen auch
glücklich das Hindernis, das uns in Gestalt des Rio d'Oro den Weg
versperrte. Dennoch hatten wir auch jetzt, trotz des verhältnismäßig
niedrigen Wasserstandes, beim Durchreiten des Stromes das Gefühl, gleich
vom Strudel mitgerissen zu werden. Allein das Schicksal meinte es besser
mit uns, und nur die Füße wurden naß, ungeachtet der ingeniösen Steigbügel.
Gegen Mittag erreichten wir das gelobte Land -- San Carlos.


~Tafel 8~

[Illustration: ~Bolivianische Postkutsche~]

[Illustration: ~Das »Grand Hotel« Tola Pampa~]


~Tafel 9~

[Illustration: ~Die Hacienda »San Carlos« (Bolivien)~]

[Illustration: ~Indianer im Poncho vor einem Bananenhaine~]


4. SAN CARLOS.

Die Hazienda San Carlos ist entzückend gelegen. Ich würde sagen idyllisch,
wäre dieser Ausdruck nicht in den Tropen überhaupt und unter allen
Umständen deplaciert. In einem Talkessel, der die Aussicht nach einer Seite
freiläßt, sind in regellosem Durcheinander die acht bis zehn Häuser des
Gutshofes hingebaut. An einer Seite zieht sich eine üppige Bananenpflanzung
hin, deren Früchten wir mehr als einen exquisiten kulinarischen Genuß
verdanken.

Von allen Pflanzen der Tropen ist die Bananenstaude, meinem Geschmack nach,
die malerischste. Die ganz hell lichtgrünen Blätter von der Form riesiger
Palmenwedel falten sich an der Spitze des Baumes zu einem breiten
schattenspendenden Dache auseinander. Der Stamm geht von unten nach oben
allmählich aus einem bräunlichen Rot in dasselbe Lichtgrün des Laubwerkes
über. Zwischen den Blättern lasten schwer die mächtigen Fruchtkolben, an
denen sich die Bananen, je nach dem Stadium der Reife und der Sorte, grün,
goldgelb oder kupferbraun auseinanderspreizen.

An der anderen Seite der Hazienda ziehen sich die Kaffeeplantagen entlang.
Schon von weitem sieht man die feuerroten Kaffeebohnen aus dem Laube
hervorleuchten. Ums Wohnhaus herum stehen Orangen und Zitronenbäume, über
und über mit reifen Früchten bedeckt.

Nur das Wohnhaus ist ein Bretterbau. Die Wände der übrigen Häuser bestehen,
wie überall unten in den Tropen, aus aneinandergereihten Bambusstäben,
die einfach in die Erde gesteckt und nur lose mit Bast zusammengeflochten
werden. Fenster haben diese Bambuskäfige, von denen ich noch zu erzählen
haben werde, nicht. Alle Gebäude sind mit Palmstroh gedeckt. Oberhalb der
Plantagen sind die sie umgebenden Hügel mit wundervollem dichten Urwald
bestanden.

Obgleich wir unangemeldet in San Carlos eintrafen, wurde uns ein überaus
freundlicher Empfang seitens des Verwalters -- hier nennt man ihn »gerente«
-- zuteil. Auf der luftigen Veranda, während unsere Zimmer zurecht gemacht
wurden, bekamen wir sofort einen prächtigen rosenroten Cocktail aus
Zuckerrohrschnaps vorgesetzt. Ohne das geht es hier nicht. Kein Verbrechen
wird strenger gerochen, als wenn man die »cocktail-time« versäumt. Nun, man
läßt es sich ja schließlich gefallen. Wenigstens braucht man, wenn man zu
Gast ist, nicht um die »Cocktails« zu würfeln, wie wir das in Oruro und
La Paz bis zur Besinnungslosigkeit tun mußten.

Vor dem Frühstück noch wurde uns ein langentbehrter Genuß zuteil. Wir
konnten baden. Hinter dem Hause hat sich nämlich der umsichtige und
reinliche »gerente« mit Bedacht und Fleiß ein Schwimmbad hergerichtet. Es
besteht aus einem großen Holzkasten, geräumig genug für eine ganze Familie.
Das krystallklare Wasser eines kühlen Gebirgsstromes wird vermittelst
zweier Holzröhren herein und wieder hinausgeleitet. Man plätschert also
in fließendem Wasser. Daß das Bad von einer gewaltigen Bananenstaude
beschattet wird, gibt der ganzen Sache einen, dem Ort entsprechenden,
äußerst exotischen Charakter.

Während der fünf Tage in den Kordilleren waren wir alle total verwildert,
ganz »en Schwein« wie Heine sagen würde, mit sprossenden Vollbärten. Wir
erkannten uns gegenseitig kaum wieder, als wir uns sauber gewaschen und
gekämmt an der Frühstückstafel zusammenfanden.

Was die tropischen Menüs anbetrifft, so muß man sich anfangs an mancherlei
gewöhnen, was man später nicht mehr entbehren möchte. Dazu gehört
allerdings nicht die rote Ahi-Pfefferschote, vor der wir noch von Brasilien
her einen Heidenrespekt hatten. Hier wurden die Speisen nur soweit
gepfeffert, daß man wenigstens nicht alle seine Tränen zu einer Mahlzeit
zu vergießen brauchte. Vor der Suppe werden meist gekochte oder geröstete
Bananen aufgetragen, oder eine mehlige kartoffelartige Wurzel »juca«, die
mit Butter gegessen wird. Den Bananen haftet in dieser Form ein unangenehm
süßlicher Geschmack an. Die größte Tropen-Delikatesse, die man sich gerne
gefallen läßt, ist ein Salat aus jungen Trieben der Palmen. Für eine
Schüssel müssen vier Stämme gefällt werden. Das ist eigentlich ein Frevel,
aber ein außerordentlich wohlschmeckender. Herrlich sind die tropischen
Früchte hier, in Brasilien hatten sie mir gar nicht behagt. Da ist vor
allen die »chirimoja«, die Königsfrucht, die von außen ungefähr wie eine
grüne Zedernuß aussieht, und deren schneeweißes festes Fleisch einen
überaus würzigen, fein aromatischen Geschmack hat. Dann die »grenadillos«,
Früchte der Passionsblume, die aussehen wie riesige Stachelbeeren und auch
ähnlich schmecken. Dann die »palta«, um deren Kern ein grünliches Fleisch
von pikantem nußartigem Geschmack sitzt. Man ißt sie meist vor der Mahlzeit
mit Salz und Pfeffer. Unangenehm schmeckt das weiße, wollige und
faserige Fleisch der »pacais«, die man bei uns in getrocknetem Zustande
»Johannisbrot« nennt. Nicht zu verachten dagegen sind die »papaillos«, eine
Sorte edler Kürbisse, die ungefähr so behandelt werden, wie bei uns die
Kartoffel. Keinen besonderen Geschmack konnte ich den sogenannten »süßen
Zitronen« abgewinnen, die überall zu Tausenden wild wachsen. Sie haben
überhaupt keinen Geschmack, weder einen süßen, noch einen sauren, noch
sonst irgend einen, sind allerdings sehr saftig, was ihnen in wasserarmen
Gegenden großen Wert verleiht.

Während der fünf Tage, die wir in San Carlos verweilten, aßen wir
langsam aber sicher einen Ochsen auf, bis zu den Gedärmen inklusive, den
sogenannten »tripas«, die hier hochgeschätzt, dennoch eine kulinarische
Scheußlichkeit sind.

Im übrigen verging die Zeit nur zu schnell in dem angenehmen Bewußtsein,
daß man nichts zu tun hatte, als nichts zu tun. In den ersten Tagen strich
ich viel mit dem Gewehr umher, brachte auch stets Beute heim, einige von
den prächtigen feuerroten »tuncis«, einer ziemlich seltenen Papageisorte,
»celestinas«, mit ihrem unwahrscheinlich schönen siebenfarbigen Gefieder,
und viel Raubzeug. Die als Braten hochzupreisenden Bergpfauen -- »pavo de
monte« -- habe ich wohl gehört, aber nie zu Gesicht bekommen. Ebenso ging
es mit den Affen. Es wird auf die Dauer langweilig, daß man bei solchen
Ausflügen nur auf die mehr oder weniger gebahnten Wege angewiesen ist. Im
Walde selbst ist auch hier nirgends ein Durchkommen. Wagt man sich einen
Schritt seitwärts, so ist man sofort rettungslos von tausend stachligen
Schlingpflanzenarmen umgarnt. Der Jäger kann dem Wild nicht nachstellen,
sondern muß warten, bis es zu ihm kommt. Dazu gehört mehr Geduld, als
mancher besitzt. Läßt man sich aber zu einem verfrühten Schuß verleiten, so
muß man es schwer büßen. Auf dem Rückwege aus Mapiri hatte ich die seltene
Gelegenheit einen mächtigen Kondor vor die Flinte zu bekommen. In der
Aufregung schoß ich zu früh, und er fiel vielleicht dreißig Schritte weit
in den Wald hinein. Es dauerte mehr als 1½ Stunden bis wir uns zu zweit
diese dreißig Schritte in das Dickicht hineingearbeitet hatten und noch
eine weitere halbe Stunde bis es gelang, den Vogel aus der Palme, auf die
er gefallen war, herauszuschütteln. Und endlich konnten wir ihn doch nicht
mitnehmen, weil er zu schwer war, und es nicht anging, ihn durch das Gewirr
von Schlingpflanzen durchzuschleppen.

Die Jagdleidenschaft wurde durch eine harmlosere abgelöst -- den
Schmetterlingsfang. Zu hunderten gaukeln die bunten Riesenfalter in den
Wäldern umher und zwar vorzugsweise an den Wegen, da sie so poesielos sind,
eine besondere Vorliebe für Mulamist zu hegen. Es ist nicht so leicht ihrer
habhaft zu werden. Erstens sie überhaupt zu fangen, und zweitens wenn
man sie glücklich im Netz hat, sie nicht zu beschädigen, denn mit einem
kräftigen Flügelschlage kann ein solcher Falter die ganze Pracht seiner
Zeichnung stören. Aber Übung macht den Meister. Wenn man sehr geduldig,
vorsichtig und leise ist, kann man den sitzenden Schmetterling mit den
Fingern an den zusammengelegten Flügeln fassen. Allerdings ist er meist so
infam, im allerletzten Augenblick zu entschlüpfen, und es kann einem recht
heiß werden bei solch einer Jagd, die oft kilometerweit den Weg entlang
führt, zumal Mittags in der Tropensonne. Im Verlaufe der ganzen Reise,
vorzugsweise aber in San Carlos, gelang es uns, eine stattliche Sammlung
von über 160 Sorten zusammenzubringen. Als wir nachher in La Paz
auspackten, hatten wir die Genugtuung, daß selbst Dr. B., der Direktor des
allerdings noch jungen bolivianischen Naturhistorischen Museums, eine ganze
Reihe von unseren Faltern noch nicht besaß.

Die ersten Tropennächte schläft man schlecht. Sie sind zu schön, diese
Nächte. Vor allem sind sie zu unruhig, zu enervierend, zu aufregend. Mit
einer unglaublichen Plötzlichkeit brechen sie an. Man hat eben noch im
Freien gelesen, da legen sich weiche schwarze Schatten rings auf Wald und
Feld, ein kühler Wind streicht durch die Bäume, am dunkelblauen Himmel
blitzt ein Stern nach dem anderen auf. Und nun gehts los, als wären
alle guten und bösen Luft- und Nachtgeister entfesselt. Ein wahrhaft
ohrenbetäubendes Konzert beginnt. Legionen von Grillen, Zykaden, und
anderem Nachtgetier zirpen, pfeifen, girren -- brüllen, würde ich am
liebsten sagen. In den Bäumen schluchzen und klagen die melancholischen
Sänger der Nacht. Das Geräusch wird endlich so stark, daß man, wie beim
Treswon der Moskauer Kremlglocken keine einzelnen Töne mehr unterscheiden
kann. Ein rasender Liebestaumel scheint alles Lebende ergriffen zu
haben. Das Locken und Schmeicheln nimmt kein Ende. Riesige Nachtfalter,
Fledermäuse, leise Nachtvögel tauchen schattenhaft im Dunkel auf, um gleich
wieder zu verschwinden. Und nun beginnt die allabendliche Illumination
des Waldes. Unzählige Funken und Flämmchen blitzen überall auf -- es sind
Millionen von Leuchtkäfern. Alle Bergabhänge sind besät mit ihnen, als
wären die Sterne vom Himmel gefallen und könnten im duftenden Laub nicht
verlöschen. Doch ein Blick nach oben belehrt einen, daß die Sterne noch an
Ort und Stelle stehen. Und auch sie scheinen ihre Leuchtkraft verdoppeln
zu wollen, als müßten sie genau hinschauen, was dort unten auf der Erde
eigentlich vor sich geht. Sie flimmern und flackern und können ihre Unruhe
nicht bemeistern.

Und unter solchen Umständen soll man schlafen. Unmöglich. Man liegt
im Liegestuhl, stumm und wunschlos, und trägt mit einer Zigarette sein
bescheidenes Scherflein zu der allgemeinen Illumination bei.

Die schönen Tage von San Carlos vergingen nur zu schnell. Immer wieder gab
es etwas anderes zu sehen. Wir gingen in die Kaffeeplantagen hinein und
halfen die schönen roten Bohnen von den zierlichen Sträuchern pflücken.
Dann sahen wir zu, wie die Bohnen von ihrer äußeren Hülle gereinigt werden,
was in einer Art Riesenkaffeemühle geschieht, die jedoch von Indianern
mit der Hand betrieben wird. Größere Maschinenbetriebe sind hier unten
natürlich unmöglich, denn man kann hierher nichts transportieren, was ein
größeres Gewicht hat, als eine Mula auf dem Rücken tragen kann.

Vor dem Wohnhaus in San Carlos ist eine große Tenne angelegt, die ich
anfangs für einen vernachlässigten Tennisplatz hielt. Das war jedoch
ein Irrtum. Auf diese Tenne werden die von ihrer äußeren Hülle befreiten
Kaffeebohnen geschüttet und in der prallen Sonne getrocknet. Von Zeit zu
Zeit laufen Indios mit nackten Beinen in dem Kaffee umher, um die Bohnen
zu wenden und mit der Luft in Kontakt zu bringen. Nirgends in der Welt
habe ich besseren Kaffee getrunken, als in San Carlos. Das Geheimnis seiner
Zubereitung ist das, daß der Kaffee in gar keine Berührung mit irgend einem
Metall kommt. Auf der Lehmfläche des Ofens wird er geröstet, dann nicht
gemahlen, sondern zwischen zwei Steinen zerrieben, in einem Tongefäß
aufbewahrt und auch gekocht. Nur auf diese Weise erhält sich sein Aroma
ganz rein. Gekocht wird ein Extrakt von männermordender Stärke. Er wird
kalt serviert und ein Spitzglas davon in der Tasse mit heißem Wasser
verdünnt. Das Resultat ist ein Getränk, gegen das Nektar und Ambrosia
Spülwasser gewesen sein muß. Ehrgeizige Hausfrauen mögen das Rezept
ausprobieren.

Mit Indianern, die vermittelst ihrer säbelartigen »machetos« den Weg
durchschlugen, drangen wir in den Urwald ein, um den Chinabaum zu finden,
dessen Rinde hier früher ein wichtiger Exportartikel war, bis man sie von
anderswo her billiger nach Europa schaffen konnte. Jetzt wird die bittere
Rinde nur für den Hausbedarf abgeschält und verarbeitet. Man kämpft damit
gegen das Fieber, ohne jedoch radikale Abhilfe schaffen zu können.

Ein weiterer Ausflug führte uns nach den »gomales«, jenem Teil
des Urwaldes, in dem der Gummi gewonnen wird, dem die hiesigen
Haziendenbesitzer ihren Wohlstand verdanken. In den Wäldern von San Carlos
arbeiten mehr als 500 sogenannte »picadores«, Indianer, die täglich zweimal
jeder einen Rayon von zirka einem Quadratkilometer abgehen und 100-150
Gummibäume anzapfen. Sie schlagen mit einer spitzen Hacke hinein und
befestigen unter der Öffnung ein kleines Blechgefäß, in das der milchige
Gummisaft abfließt. Bei der zweiten Runde werden all diese kleinen Becher,
von denen an jedem Baum oft zehn bis zwanzig stecken, in einen größeren
Eimer entleert. Die weitere Bearbeitung des Gummis besteht darin, daß er
über einem schwachen Holzfeuer -- im Walde noch -- geräuchert wird. Dadurch
wird er erstens schwarz und backt sich, zweitens, zusammen. Dann sind die
rohen Klumpen zum Export fertig. Die Gummibäume werden hier übrigens nicht
gepflanzt, sondern wachsen wild mitten im Urwalde. Die »picadores« müssen
sich jeden Tag ihren Weg aufs neue durchschlagen, da die unglaublich
schnell wuchernden Schlinggewächse ihn sofort wieder versperren.

Von allen kultivierten Pflanzungen sind, nächst den Bananen, die
Kakaoplantagen die schönsten und malerischsten. Der Kakaobaum ist sehr
hochstämmig mit einer breiten Blätterkrone, unseren Eichen nicht unähnlich.
Im dunkelolivengrünen Laube verstecken sich die Früchte. Eine leuchtend
orangegelbe Schale umschließt die bläulichen Bohnen. Das weiße,
weichlich-wollige Fleisch, das die Bohnen umhüllt, wird von Liebhabern
gegessen, zu denen ich mich jedoch nicht bekennen konnte.

Hin und wieder führte unser Weg durch Reisfelder. Kurzsichtige können
ihn für Gerste oder Hafer halten. Er wird auch ebenso abgeerntet. Nur der
Drusch bietet ein eigenartiges Bild. Das erste Mal glaubte ich, eine Horde
Wahnsinniger, oder Angehörige der Springersekte vor mir zu haben. Doch
waren es Indianerweiber, die mit wilden Gesten auf den Reisbüscheln
herumtanzten und stampften, und auf diese sehr primitive Weise die Körner
aus den Halmen entfernten.

Alle diese Ausflüge wurden nebenbei zum Schmetterlingsfang benutzt. Unser
Hauptaugenmerk richtete sich natürlich auf die großen blauschillernden
Falter, die in Europa unter Laien unter dem Namen »brasilianischer« bekannt
sind. Hier sind sie in drei Sorten vertreten, heller und dunkler gefärbt,
mit samtschwarzem beziehungsweise goldbraun gewürfeltem Rande. Im Fluge
bilden sie ein bezauberndes Bild, sie schweben so ruhig und aristokratisch
daher, als seien sie überzeugt, daß niemand die Dreistigkeit haben könnte,
sie zu fangen. Dem Netz, das nach ihnen hascht, weichen sie nicht weiter
aus, als unbedingt notwendig ist. Wer beschreibt unsere Freude, als
wir eines Tages bei einem Spazierritt unter einem Baum japanischer
Paradiesäpfel 40-60 dieser Riesenfalter beisammensitzen sahen. Zum Überfluß
schien die ganze Gesellschaft vom Genuß des Fallobstes berauscht zu sein.
Sie ließen sich einer nach dem andern ruhig greifen. Wir hatten nicht genug
Papiertüten bei uns, um sie alle sorglich zu verpacken.

Die am wenigsten sympathischen Bewohner des Urwaldes sind die Schlangen.
Glücklicherweise haben sie vor dem Menschen genau ebensoviel Respekt, wie
er vor ihnen, und kneifen beim leisesten Geräusch aus. Ich habe auf meinem
Wege keine einzige gesehen. Doch schreckt man unwillkürlich zusammen, wenn
man das Laub rascheln hört. Es sind tausende von Eidechsen, die hier eine
unwahrscheinliche Größe erreichen. Wie der Blitz huschen sie über den
Weg und verschwinden im Moose, man hat kaum Zeit, ihre grünschillernde
Schwanzspitze zu sehen. Als wir eines Morgens auf die Veranda traten,
prallten wir entsetzt zurück. Im Sande vor dem Hause lag eine enorme
Riesenschlange. Erst bei näherem Hinsehen bemerkten wir, daß sie keinen
Kopf mehr hatte, obgleich sie sich noch den ganzen Tag ringelte und wand.
Ein Indianer hatte das scheußliche Tier nicht weit vom Hause erschlagen.
Ihre drei Meter lange, einen halben Meter breite, prächtig blau und
grüngolden schimmernde Haut bildet jetzt ein Staatsstück meiner Sammlung.

Von den wilden Tieren des Urwaldes hört man wenig und sieht man gar nichts.
Abends tönt ab und zu der Schrei einer Wildkatze aus den Bergen herüber.
Alle Jubeljahre einmal stattet ein Leopard seine Visite ab, um dann
freilich in einer Nacht eine ganze Schafherde umzubringen, denn er saugt
den Tieren nur das Blut aus und läßt die Kadaver liegen.


~Tafel 10~

[Illustration: ~Abschalen der China-Rinde~]

[Illustration: ~Anzapfen eines »Gummibaumes«~]


5. MAPIRI UND GUANAY.

Allmählich wurde es Zeit für uns, an die Weiterreise zu denken. Wir
beschlossen zunächst nach Mapiri zu gehen und von dort aus flußabwärts bis
Guanay zu fahren.

Eine Tagereise lag vor uns, als wir uns am Morgen des 17. April auf den Weg
machten. Der liebenswürdige »gerente« von San Carlos gab uns das Geleit. Da
wir es der Fiebergefahr wegen vermeiden wollten, in Mapiri zu übernachten,
kehrten wir unterwegs in San Antonio, der Hazienda eines bolivianischen
Senators, ein. Wir wurden aufs freundlichste aufgenommen und beherbergt.
Die Annehmlichkeit des Aufenthaltes wurde nur dadurch geschmälert, daß
wir veranlaßt wurden, nach hiesiger Sitte, unsere Bekanntschaft mit
den Administratoren der Hazienda bis zur Bewußtlosigkeit -- nicht im
buchstäblichen Sinne des Wortes -- mit Cocktails aus Zuckerrohrschnaps zu
begießen.

Am nächsten Tage hatten wir nur zwei Stunden bis Mapiri zu reiten, einen
wunderschönen Weg, die malerisch bewaldeten Bergabhänge hinunter. Wenn nur
die Hitze nicht gewesen wäre, die mit jedem Schritt abwärts unerträglicher
wurde. Wir hatten gedacht, in Mapiri ein stattliches Städtchen vorzufinden,
da es der Hauptschlüssel zum ganzen Beni-Gebiete ist, von dem aus enorme
Gummi- und Kaffeetransporte an die Küste befördert werden. Statt dessen
fanden wir ein elendes Nest vor, nicht größer als eine der Haziendas, die
wir verlassen hatten. Der ganze Ort hat knapp hundert Einwohner, und auch
die werden, so schien es uns, nicht lange mehr leben. Alle bis auf den
letzten Mann sind schwer fieberkrank. Sie sehen entsetzlich aus, diese
wandelnden Leichen, gelb, vertrocknet, hager mit glanzlosen Augen und
erloschenem Blick. Den traurigsten Eindruck machten die Kinder mit ihren
schlaffen Körpern, dünnen Armen und Beinen und greisenhaft ernsthaftem
Aussehen.

Mapiri besteht aus einer Straße, die mit flachen fensterlosen Häusern --
den schon beschriebenen Bambuskäfigen -- eingefaßt ist. Auf dieser Straße
wuchert Unkraut, Nesseln und haushohe Disteln. Dazwischen spazieren
Schweine umher und fressen die überall herumliegenden Bananenschalen.
Hin und wieder sieht man ein Maultier oder einen Esel den Kopf unter dem
glühenden Sonnenbrande senken. Vor einer Haustür spielt ein Indianerbube
mit einem grauen langgeschwänzten Affen. Die Einwohnerschaft ist merkwürdig
international. Man muß schon ein ganz verzweifelter Patron sein, um sich in
diesem Fieberneste anzusiedeln. Wir trafen einen Dalmatiner dort, Chinesen
und zwei Türken, deren einer durchaus seine Flinte und seine Frau verkaufen
wollte. Für die Flinte fand er auch bald einen Abnehmer. Die Frau war zu
teuer.

Sehr bald erfuhren wir, daß unser Plan, gleich weiter zu fahren,
unausführbar sei. Es würde zwei Tage dauern, ein Boot für uns instand
zu setzen. Wir wappneten uns also mit Resignation, verdoppelten und
verdreifachten die Chininrationen und gingen -- Schmetterlinge fangen. Hier
wurde ein wunderschöner, samtgrüner, goldgemusterter Falter mit zierlichen
Frackschößen das Ziel unserer Sehnsucht. Dieser »Grüne« hat uns nachher
noch viel Sorgen und Aufregung gekostet, viel Anlaß zu Spott, Hohn und
gegenseitigen Eifersüchteleien gegeben, kurz, unsere schlechten Instinkte
entfesselt.

Unser Nachtquartier schlugen wir im Hause eines Holländers auf, eines
verbitterten, fieberkranken Krüppels ohne Beine. Er besaß einen Kramladen
und fuhr unwirsch auf einem vierrädrigen Holzkarren, den er sein
»Automobil« nannte, hinter dem Ladentisch her und hin, wenn er sich nicht
mühselig sitzend, durch den Staub schleppte. Das ganze Milieu -- ein
Cauchemar!

Wenigstens gab es auch hier Münchener Bier. Löwenbräu! Lauwarm freilich,
Kostenpunkt zirka 6 Mark die Flasche, aber immerhin ein Labsal bei der
Tropenglut. Und da weiter unten im reichen Beni-Gebiet, wie wir wußten,
10-15 Mark für die Flasche bezahlt wird, mußten wir es hier sogar billig
finden.

Als wir uns abends auf unsere Feldbetten gelegt hatten und noch darüber
nachdachten, wie wir uns am besten gegen die Moskitos, die Hauptträger
der Infektion, schützen sollten, drangen plötzlich Laute an mein Ohr. Ich
horchte hin, -- kein Zweifel, das mußte eine Art Musik sein. Wenn man eine
Liebhaberei hat, so läuft man ihr nach, egal, ob das auf dem Nordpol
oder in den Tropen ist. Ich sprang natürlich auf und trat vor die Tür.
Wundervoller Mondschein überflutet Mapiri. Selbst dieses elende Nest sieht
im taghellen Silberschimmer des Tropenmondes ordentlich poetisch aus. Ich
lausche, kein Zweifel, es ist irgend eine Musik zu hören, ganz deutlich
lassen sich die Schläge einer großen Pauke unterscheiden. Ich werfe die
notwendigsten Kleidungsstücke über und gehe den Tönen nach. Sie werden
immer deutlicher, Flöten und Pfeifen sind dabei. Die ganze Sache klingt
höchst sonderbar. Man wird nicht recht klug daraus, zehn Minuten vor der
»Stadt« gelange ich auf eine Wiese.

Dort bietet sich mir folgendes Bild dar: mitten auf der Wiese, vom
Mondlicht hell beschienen, stehen zirka fünfzehn Indianer in engem Kreise
und blasen auf Tod und Leben in ihre Panspfeifen und langen Flöten hinein.
Einer schlägt auf einer riesigen Trommel. Der Kerl hat Rhythmus! Sämtliche
Musikanten bewegen die Oberkörper gleichmäßig im Takt. Es stellt sich
heraus, daß eine »Probe« abgehalten wird zu einem Feste, das nach zwei
Monaten stattfinden sollte. Ja, die Musik ist eine schwere Kunst, zumal
das Orchesterspiel. Schon wollte ich fragen, ob sie nicht einen Dirigenten
brauchen.

Ich setzte mich ins Gras zu einer kleinen Gruppe anderer Musikliebhaber,
und endlich gelang es mir doch, mich einigermaßen in dem Chaos von Tönen
zurechtzufinden. Zwei Indianer bliesen eine Melodie, wobei sie sich nach
Art der alten russischen Hornmusikanten ablösten, d. h. wenn einem auf
seiner Flöte ein Ton fehlte, so blies ihn der andere. Die Schnelligkeit,
mit der diese Ablösung geschah, war bewundernswert. Das ist gar nicht
einfach. Es kostete meinem Reisekameraden und mir heißes Bemühen, uns
nachher in dieser Weise den Donau-Walzer auf zwei indianischen Panspfeifen
einzustudieren. Doch das nur nebenbei. Die übrigen zehn oder zwölf
Musikanten bliesen zu dieser Melodie die abenteuerlichsten Kontrapunkte,
dank denen mitunter ganz merkwürdige Harmonien entstanden. Es gelang mir,
im Laufe der Probe, drei Melodien nachzuschreiben. Eine davon gefällt mir
mit jedem Tage besser. Ich werde sie in Europa als symphonisches Thema
feilbieten.

Als ich tiefbefriedigt von diesem musikalischen Genusse heimkehrte, empfing
mich in unserem Bambuskäfig eine höchst aufregende Szene. Auf einer leeren
Bierflasche schwankte ein Licht, meine sämtlichen drei Gefährten mit
Stöcken und Schmetterlingsnetzen bewaffnet jagten irgend einem Phantome
an der Wand nach. Endlich erblickte auch ich es -- eine Vogelspinne. Die
scheußlichste Kreatur, die ich je in meinem Leben gesehen habe, faustgroß
mit zahllosen behaarten Beinen und zwei langen krummen Zähnen am glatten
Bauch, in dem wahrscheinlich schon mancher schöne Singvogel verdaut worden
war. Ihr Biß ist absolut tödlich. Der tapfere Assessor erlegte sie nach
langer Jagd mit einem wohlgezielten Hieb. Das Abenteuer ließ uns lange
nicht schlafen, man glaubte immer wieder, die langen haarigen Beine solch
eines Scheusals auf der eignen Stirn oder Hand zu spüren. Endlich begannen
die Sinne sich doch zu verwirren. Die Moskitos schienen die schöne
Indianer-Melodie zu summen ... Außerdem stachen sie leider auch!

       *       *       *       *       *

_Aus meinem Tagebuche._ 20. April. Am Morgen um 7 Uhr stiegen wir zum Fluß
hinab, um uns einzuschiffen. Unser Boot wartete schon. Es trägt den stolzen
Namen »Orion« mit schwarzen Lettern an seinem grauschmutzigen Bug.
Wir kommen nicht weg. Es geht hier alles nicht so schnell, obzwar die
»Mannschaft« ums Boot herumwimmelt und unendlich geschäftig tut. Es sind
sieben indianische Jünglinge in weißen Hemden und Hosen, barhäuptig und
barfüßig. Man nennt sie »balzeros«, auch wenn sie nicht auf einer Balza
fahren. Es dauert eine Ewigkeit, bis unser Gepäck verstaut ist. Die
notwendigsten Sachen sind natürlich ganz nach unten geraten. Nur die
überflüssigen sind zur Hand. Auch haben wir Ladung. Kaffeesäcke. Das steht
eigentlich nicht im Kontrakt. Erst um 9 Uhr geht die Fahrt los. Uns zu
Häupten kreist sehr niedrig ein Aasgeier. Die Flinte ist unter Kaffeesäcken
begraben. Ich schieße mit dem Revolver nach ihm. Natürlich vorbei.

Mit langen Stangen wird das Boot bis in die Mitte gestakt. Nun gehts
flußabwärts. Heidi! ist das ein Tempo!

Die Balzeros sitzen alle sieben auf dem Bootsrande, baumeln mit den Beinen
im Wasser und lenken mit kurzen Rudern. Ein Steuer gibt es nicht.

Das Boot fliegt vorwärts mit dem Strom. Oft scheint es direkt gegen die
Felswände des Ufers zu sausen, wendet sich seitwärts, dreht sich ganz um.
Man wird schwindlich, macht seine Rechnung mit Gott und der Welt. An dieser
Felsenkante müssen wir zerschellen. Nein. Im eleganten Bogen lenken die
Balzeros herum. Sie sind doch vertrauenswürdiger als sie aussehen. Sie
kennen den Fluß, der nur aus Stromschnellen zu bestehen scheint, wie ihre
fünf Finger. Allmählich gewöhnen wir uns an die rasende Geschwindigkeit.
Liegen wie Bratheringe auf den Kaffeesäcken in der Sonne.

Das Frühstück besteht aus Konservenwurst und corned-beef. Wir essen aus der
Hand. Aus der eigenen natürlich. Die linke Handfläche dient als Teller, die
Finger der rechten -- als Gabel. Der Frühstückskorb ist mit der Flinte in
den tiefsten Gründen des Bootes verloren gegangen.

Die Ufer des Mapiri-Flusses sind malerisch, aber einförmig, sie ziehen sich
auf beiden Seiten ziemlich hoch hinauf. Viel Fächerpalmen. Schmetterlinge
fliegen ums Boot, setzen sich auf die blendend weißen Hemden der Balzeros,
die sie augenscheinlich für duftiger halten als sie sind.

Ein »Grüner« setzt sich W. auf den Rücken, Sch. bemerkt ihn, L. fängt ihn,
ich töte ihn, als einziger Besitzer eines Ätherflakons, jeder beansprucht
das Eigentumsrecht. Die Geschichte von den zwei Knaben mit der Nuß in
komplizierterer Lesart!

Gegen 5 Uhr langten wir auf der Hazienda von Don Carlos S. gegenüber
Guanay an. Wir haben 120 Kilometer in 8 Stunden zurückgelegt ohne einen
Ruderschlag zu tun. Vorläufig hat die Bootsfahrt ein Ende. Schade
darum. Eine kleine vertrocknete Frau mit großen Fieberaugen und einem
fieberkranken Kinde auf dem Arme empfängt uns. Ihr Mann -- der »gerente« --
ist in den Gommales.

Wir bekamen Tee, welch ein Labsal, amüsierten uns mit einem kleinen grünen
Papagei, der in Freiheit dressiert auf Tisch und Stühlen herumspringt.

Uns werden zwei Kammern des Bambuskäfigs, ähnlich denen in Mapiri,
angewiesen. Gestampfter Lehmboden. Die Wände sehr durchsichtig. Wir sehen
uns nach Spinnen um, finden auch einige, aber harmlose.

Als es dunkel wurde, kam der »gerente« heim. Ein Italiener mit langem
roten Rübezahlbart. Das Mittagessen sehr bolivianisch. Altes Fleisch --
Stiefelsohlen! Auch hier keine frische Milch. Die gräßlichen Blechbüchsen
mit »condensed milk«, die wir schon seit La Paz nicht mehr sehen können und
dennoch täglich sehen müssen. Konservenbutter.

Von 8 Uhr an göttlicher Mondschein. Es wird fast taghell. Wunderschön sind
die Silhouetten der hohen Palmen, die sich am silbernen Himmel scharf und
deutlich abzeichnen. Wir sitzen stundenlang auf dem freien Platz vor dem
Hause in Liegestühlen. Trinken die unvermeidlichen Cocktails, die hier
übrigens besser sind, und hören aus dem Hause ein wirklich vorzügliches --
Grammophon. Fast den ganzen »Faust« mit Geraldine Farrar und Caruso, auch
die Tettrazini, Melba, Sembrich, Titto Ruffo, Tamagno. Plötzlich tönen
russische Laute an unser Ohr, eine Arie aus »Romeo und Juliette«. Wir
fahren auf -- Sobinow! Erraten! Ein ganz klein wenig patriotischer Stolz
regte sich doch in uns.

       *       *       *       *       *

Drei Tage genossen wir die Gastfreundschaft des im Beni-Gebiet abwesenden
Don Carlos S., auf seiner Hazienda. Die Tage vergehen in den Tropen
schneller als anderwo, weil um 6 Uhr mit unerbittlicher Regelmäßigkeit
die Nacht anbricht. Wir vertrieben uns die Zeit mit Jagd und
Schmetterlingsfang.

Täglich fuhren wir nach Guanay hinüber, das sich eigentlich in nichts
von Mapiri unterscheidet. Die Flußüberfahrt ist jedesmal wegen der
Stromschnellen ein aufregendes Unternehmen. Es wird dazu eine »Balza«
benutzt, ein kleines Floß mit aufwärts gebogenem Schnabel, in der Mitte ein
Sitz aus gespaltenem Schilfrohr, der sehr wenig dauerhaft aussieht und es
wahrscheinlich auch nicht ist. Zwei Balzeros, die jetzt ihren Namen mit
Recht tragen, lenken das Fahrzeug vermittels eines langen Bambusstabes und
eines kurzen Ruders. Man muß ein tüchtiges Stück aufwärts fahren und
läßt sich dann vom Strom auf die andere Seite reißen. Das Anlegen ist ein
Kunststück, das nicht jeder fertig bringt. Man kommt fast nie an der Stelle
an Land, die man bei der Abfahrt in Aussicht genommen hat.

Unterhalb Guanays mündet der Goldfluß Tipuani in den Mapiri. Wir wanderten
täglich dorthin, um ein Bad in dem wunderbar kühlen, krystallklaren Wasser
des Tipuani zu nehmen. Die schmutzigen graugelben Fluten des Mapiri sind
wenig einladend zum Baden.

       *       *       *       *       *

In Guanay lernten wir einen Deutschen, einen Mann mit einem merkwürdigen
Schicksal kennen, in dessen Hause wir manche Stunde verplauderten. In
Europa als angesehener Fabrikdirektor ohne eigenes Verschulden in Bankrott
geraten, war er vor einigen Jahren ohne einen Pfennig in der Tasche in
Buenos Aires angelangt. Die Anden überschritt er, indem er sich als Maurer,
Anstreicher und Eisenbahnarbeiter den Lebensunterhalt verdiente. In Chile
gelang es ihm eine kleine kaufmännische Stellung zu finden, von dort wurde
er, als man seine frühere Spezialität erfuhr, mit sehr hohem Gehalt
als Direktor an eine Fabrik berufen. Dort gab er entgegen den eigenen
Interessen, der Administration den Rat, den Betrieb einzustellen,
schnürte wieder sein Bündel und ging von Abenteuerlust ergriffen, auf die
Wanderschaft -- präziser ausgedrückt -- Gold suchen. Da er keins fand und
seine Ersparnisse aufgebraucht waren, strandete er in Guanay. Ein
echt amerikanisches Lebensschicksal. In der Regel hat ja jeder Mensch
nichtamerikanischer Nationalität, den man in Amerika trifft, was zu
erzählen, und meistens Interessantes. Der Deutsche, dessen Lebenslauf
ich eben kurz skizziert habe, war übrigens ein überaus feiner Kopf,
hochgebildet, von großer Energie und mit scharfer Beobachtungsgabe
ausgerüstet. Ich glaube an die Zukunft solch eines Menschen, trotz seiner
Abenteuerlust und Phantasterei.

Wenn wir auf den merkwürdigsten Sitzgelegenheiten in seiner mit allerhand
undefinierbarem Kram angefüllten Stube herumsaßen, und eine köstliche
Limonade aus selbstgepflückten Zitronen tranken, erfuhren wir mancherlei
Interessantes über das tropische Bolivien aus seinem Munde.

Hier ist das Land, wo starke und rücksichtslose Naturen am vollkommensten
zum Genuß ihrer persönlichen Freiheit gelangen. Der Kampf ums Dasein wird
mit Waffen geführt, die wir im zivilisierten Europa nicht kennen. Das
einzige Recht, das Anspruch auf Geltung hat, ist das Faustrecht, moralisch
und physisch. Eine andere Gerichtsbarkeit existiert nur dem Namen nach.

Dort nicht weit am Fluß, z. B., sitzt ein Mann auf einer Hazienda, die ihm
nicht gehört. In einem langwierigen Prozeß hat man ihm in La Paz schon vor
sechs Jahren das Eigentumsrecht abgesprochen. Dennoch geht er nicht hinaus,
sondern exploitiert die Reichtümer der Hazienda ruhig weiter. Was soll man
mit dem Manne machen? Eines schönen Tages erschienen zwanzig Polizisten, um
ihn zu verhaften oder zu vertreiben. Er ließ es darauf ankommen und setzte
sich mit seiner treuen Dienerschaft zur Wehr. Die Polizisten spielten
die Klügeren und gaben nach, da sie in der Minderzahl waren. Nach einigen
Runden Cocktails schieden sie als die besten Freunde. Weiter hat der
Vorfall keine Folgen gehabt. Man kann doch nicht wegen eines renitenten
Haziendenbesitzers ein Regiment Soldaten über die Kordillere schicken.

Mord und Totschlag sind im allgemeinen an der Tagesordnung. Die Indianer,
gutmütig so lange sie nüchtern sind, morden in betrunkenem Zustande aus
reiner Freude am Totschlag als solchem. Sie sind übrigens feige und greifen
ihre Opfer nie von vorne, sondern immer von hinten an. In Guanay und
Umgegend leben zahllose notorische Mörder, sie leben unbehelligt, froh
und munter, obgleich jedermann sie kennt, denn der einzige Polizist des
Städtchens hat natürlich keine Kourage, sie zu verhaften.

Tatsache ist ferner, daß in Guanay es niemand wagt, abends Licht in seinem
Hause anzuzünden, um meuchelmörderischen Flintenschüssen der Indianer nicht
als Zielscheibe zu dienen. Und diese Zustände gelten als vollkommen normal.
Kein Mensch regt sich mehr darüber auf. Der allgemeine Kriegszustand ist
Regel. »Homo homini lupus est«. An unseres freundlichen Wirtes Bettpfosten
hingen zwei Karabiner und ebenso viele Revolver.

In Guanay hörten wir so viel Interessantes und Anziehendes über das
Beni-Gebiet, besonders über die Jagdgelegenheiten dort, daß wir den Plan
faßten, von Guanay aus den ganzen Mapiri-Fluß hinunter bis zum Beni, dann
diesen abwärts bis zum Amazonenstrom und quer durch Brasilien nach Para
im nordöstlichen Winkel Südamerikas zu fahren. Wir konnten den Plan nicht
ausführen. Jetzt sind wir ganz froh darüber, denn in La Paz hörten wir
nachher, daß die Krankheitsgefahr im Beni-Gebiet mit jedem Schritt, den
man ins Innere tut, wächst. Ein deutscher Militärarzt, der vor nicht langer
Zeit eine Militärexpedition nach dem Beni geleitet hatte, erzählte uns,
daß er von 380 Mann nur 120 zurückgebracht hatte. Alle übrigen waren an
Beri-Beri und verschiedenen Fieberformen, darunter auch dem gelben Fieber,
zugrunde gegangen. Unser Vorhaben scheiterte an dem Umstande, daß es sich
als unmöglich herausstellte, Geld von La Paz oder Sorata nach Guanay zu
bekommen. Eine regelmäßige Postverbindung existiert dort überhaupt nicht.
Die Post nach Mapiri und Guanay wird abgesandt, wenn sich genug angesammelt
hat, um einen Indio damit zu beladen. Das kann einmal wöchentlich oder auch
nur einmal monatlich sein. Wir saßen gerade in Guanay vor dem Hause unseres
deutschen Freundes als der Postbote erschien. Er brach buchstäblich vor der
Türe zusammen. Sechs Tage war er von Sorata bis Guanay gelaufen und schien
schon so wie so nicht sehr kapitelfest zu sein -- ein alter knickebeiniger
Indianergreis. Geld kann man dem natürlich nicht anvertrauen. Wir
hätten das wissen sollen, denn wir selbst wurden in jenen Gegenden als
Geldbriefträger benutzt, mußten eine ziemlich große Summe von La Paz nach
Sorata und ebensolcheine von Guanay nach Mapiri bringen. Das einzige Geld
übrigens, das hier unten, besonders von den Indianern akzeptiert wird, ist
Silber und allenfalls Ein-Boliviano-Scheine, größere Banknoten werden
nicht gewechselt. Mit einem Fünf-Boliviano-Schein kann man schon ähnliches
erleben, wie der Mann mit der Millionenpfund-Note bei Mark Twain.

Kurz, wir mußten uns entschließen, denselben Weg zurückzugehen, den
wir gekommen waren, da man einen anderen Weg, durch das Tal des
Tipuani-Flusses, als absolut unpassierbar bezeichnete. So wurde denn der
»Orion« wieder instand gesetzt, und die nötige Zahl Balzeros -- dieses Mal
zehn -- angeworben.

Am Morgen des 24. April waren wir reisefertig, kamen jedoch nicht zur Zeit
weg, denn als wir im Begriff waren, unser Boot zu besteigen, ertönte ein
Freudengeschrei am Ufer des Flusses: Don Carlos S. kehrte vom Beni heim.
Bei der Biegung des Mapiri unterhalb Guanay zeigte sich sein Boot.
Langsam schob es sich längs dem Ufer herauf. Zwanzig Balzeros purzelten
übereinander, um es schneller vorwärts zu bekommen.

Diese Heimkehr war ein stolzer Anblick. Auf dem Mast des Bootes wehte die
grün-gelb-weiße bolivianische Flagge, hoch auf dem Sonnendach hockte ein
mitgebrachter prächtiger, grauschwarzer Affe. Vorne am Bug auf einer
Ladung mächtiger Gummiballen stand Don Carlos S., der reine Lohengrin, eine
Hünenfigur mit kurzverschnittenem, blonden Bart, der wie ein Heiligenschein
das schwarzbraun gebrannte Gesicht umgab. Vier Monate war der Hausherr
abwesend gewesen. Seine Frau begrüßte der blonde Riese mit einem
Händedruck. Doch beider Augen leuchteten. Das ganze Personal der Hazienda
überbot sich in Freudenäußerungen bei der Begrüßung. Da konnten wir nicht
zurückstehen. Ein Trunk Löwenbräu besiegelte unsere Bekanntschaft.
Dazu hörten wir allerlei interessante Geschichten über das Beni-Gebiet,
Tapirjagden, Affenfang und ähnliches.

Die Fahrt des Bootes flußaufwärts, die wir ein Stückchen mit angesehen
hatten, gab uns einen Begriff davon, was uns bevorstand. Tatsächlich
brauchten wir für die Strecke, die wir in 8 Stunden abwärts gesaust
waren, bei der Rückfahrt nicht mehr und nicht weniger, als genau sechs Mal
24 Stunden.

Die Zeit drängte, wir mußten aufbrechen, wenn wir überhaupt noch wegkommen
wollten. Gegen Mittag schieden wir mit kräftigem Händedruck von Don
Carlos S. und seinen Leuten, die uns so freundliche Gastfreundschaft
gewährt hatten.

       *       *       *       *       *

_Aus meinem Tagebuch._ 24. April. Da sind wir wieder an Bord des »Orion«.
Das ganze Boot ist vollgepackt mit unseren Sachen. Es scheinen immer mehr
zu werden. Um 12¼ stoßen wir ab. Aus Guanay winkt man uns Abschiedsgrüße
zu. Die Fahrt stromaufwärts scheint wenig erheiternd zu werden. Das
Boot ruckt, schwankt, stößt, kratzt auf den Steinen. Wir fahren mit vier
Balzeros ab, die übrigen sammeln wir langsam am Ufer aus ihren Häusern auf,
reißen sie, beziehungsweise, aus den Armen ihrer liebenden Gattinnen. Jeder
bringt eine Bastmatte und ein Bündel Proviant mit. Vier Nächte am Ufer des
Flusses ist das Wenigste, was man uns in Aussicht gestellt hat.

Die Technik des Balzeros ist höchst mannigfaltig. Bald werden wir an
langen, grauen Bindfäden gezogen, bald gestakt mit langen Bambusstäben,
bald gerudert, bald geschoben. Zuweilen dreht sich das Boot um und fährt
trotz aller Bemühungen abwärts. Das passiert jedesmal, wenn wir das andere
Ufer mit der geringeren Stromschnelligkeit gewinnen wollen. Die Balzeros
sind oft bis an die Brust im Wasser. Sie springen wie die Ratten aus
dem Boot und wieder hinein. Dabei bekommen wir jedesmal eine Douche. Mit
affenartiger Geschwindigkeit wechseln die Burschen ihr Handwerkszeug. Das
ist für uns mit Lebensgefahr verbunden. Die Ruder fliegen uns um die Köpfe,
die Stricke schlingen sich um unsere Beine, nächstens werden wir an den
langen Stecken aufgespießt.

Um 2 Uhr machen wir eine Pause. Holen den Anführer unserer Balzeros ab.
Wir müssen in seiner Hütte einkehren. Sie liegt höchst malerisch, von
Bananenstauden umgeben, dicht am Wasser. Seine Frau, ein hübsches, aber
nicht ganz sauberes Indianerweib kredenzte uns »Chicha«, das nationale
Indianergetränk. Wir mußten es trinken, nicht ohne heimliches Grausen.
Eine Absage wäre eine tödliche Beleidigung gewesen. Es schmeckt gräßlich,
besonders wenn man die Zubereitungsart kennt. Der Hauptbestandteil
ist gekauter -- jawohl gekauter -- Mais! Die Indianer sehen dort im
Mapiri-Gebiete alle aus als ob sie die fürchterlichsten Zahngeschwüre
hätten. Jeder trägt einen Ballen Mais in der Backentasche, an dem er
herumkaut. Abends wird der ganze Vorrat, den die Familie tagsüber gekaut
hat, zusammengeschüttet, mit Wasser und etwas Schafsmilch versetzt und zum
Gären gebracht. Das ist »Chicha«. Guten Appetit!

Unser Balzero hat auch eine Schnapsdestillation, die er uns voller Stolz
zeigte. Sie besteht aus einem Lehmofen und zwei Schweinetrögen. Das ist der
ganze Apparat, den ein Weib bedient. Auf welche Weise darin aus Zuckerrohr
zwanziggrädiger Spiritus gewonnen wird, bleibt rätselhaft. Wir nehmen
einige Flaschen für unsere Jungens mit. Hoffentlich betrinken sie sich
nicht gleich von vorneherein.

Kurz vor sechs Uhr legen wir an einer steinigen Uferstelle an. In der
Dunkelheit ist man auf dem Fluß vollständig verloren. Die Balzeros bauen
aus hohen Palmenschäften zwei Dreiecke auf, die durch eine Stange verbunden
werden. Darüber wird ein Segeltuch gehängt -- unser Zelt ist fertig. Die
vier Betten haben genau Platz darin!

Wir sammeln Holz am Ufer und am Waldesrande. Sch. ist unser vereidigter
Feuerwerker. Er bringt ein prächtiges Feuer zustande. Assessor W. kocht.
Er hat seinen Beruf verfehlt. Menü: Rumford-Suppe (irgend jemand behauptet,
daß sie so heißt, weil man immer mit dem Löffel drin »rumfohrt«),
corned-beef mit jungen Erbsen. Dann Tee, Tee in unendlichsten Quantitäten.
Zum Tee hatten wir noch einen Kessel reinen Wassers mit. Die Suppe wurde
aus dem gelbschmutzigen sandigen Mapiriwasser gekocht. Die schüchternen
Versuche, das Wasser durch ein Taschentuch zu filtrieren, verliefen
ziemlich ergebnislos. Mit viel List und Tücke wurden die Moskitonetze
aufgehängt. Um 9 Uhr steckten wir in den Schlafsäcken.

25. April. Um 5 Uhr heraus. Fast gar nicht geschlafen. Erstens der
Mondschein; zweitens -- die Ameisen! Scheußliche Bestien! Es gibt hier von
allen Größen welche. Sie krabbeln an den Bettpfosten herauf unter das Netz.
Keine Hilfe.

Vor dem Frühstück ein herrliches Bad in einem Gebirgsbach, der in den
Mapiri mündet.

Das Boot liegt voller Bananen und süßer Zitronen, die uns die Balzeros
gebracht haben. Einer behauptet eben, sich ein Bein verstaucht zu haben.
Ich glaube, er ist einfach faul und simuliert. Jetzt sitzt er mit einem
Gesicht, als wäre seine ganze Verwandtschaft gestorben, auf dem Deck des
Bootes.

Es geht kaum vorwärts, jeder Zentimeter des Stromes muß förmlich erobert
werden. Die übrigen sieben Jungens arbeiten großartig. Ratsch! Da sind die
Näßlinge wieder im Boot.

Abends dasselbe Bild wie gestern. Erbswurstsuppe. Auch der Tee aus
schmutzigem Wasser. Er schmeckt aber doch. Nach dem Essen machten wir
das Feuer hoch und blieben bei einer Flasche Portwein lange wach. Am
gegenüberliegenden Ufer eine Million Leuchtkäfer. Um unser Zelt ein
betäubendes Konzert von Grillen und anderem Nachtgetier.

26. April. Dank einer wahrhaft genial erdachten Konstruktion meines
Moskitonetzes hatte ich diese Nacht auch vor Ameisen Ruhe. Die anderen sind
recht verbeult. Die Balzeros haben uns heute ein tadelloses Sonnendach aus
ihren Matten errichtet. Wir liegen uns zuzweit gegenüber. Sch. schnitzt
sich einen Bambusstock. W. erzählt Soldatengeschichten, L. repariert ein
Schmetterlingsnetz. Sonst das übliche Bild: sechs Balzeros im Wasser,
ziehend, schiebend, stoßend, einer mit einem langen Staken vorne am Bug,
einer (der mit dem kranken Bein) sauer und böse am Heck. Es ist unglaublich
heiß. Wir zerfließen buchstäblich.

Hopp! Da sind Sch. und W. auch schon im Wasser.

Am Nachmittag kamen wir an einer frischen Quelle vorüber und versorgten
uns mit Trinkwasser. Während der Frühstückspause machten wir Versuche,
vermittelst Dynamitpatronen Fische zu fangen. Die Patronen explodierten
zwar, aber meist erst dann, wenn die Fische, denen sie galten, schon
3 Kilometer flußabwärts waren.

An einer Insel versprach mir der Anführer der Balzeros eine Jagd auf
Bergpfauen. Wir stiegen eine Stunde lang im Dickicht der Insel umher. Wer
nicht da waren, waren die Bergpfauen. Dafür gelbe Papageien, und einige
wilde Tauben, -- die ganze Beute.

Abends machte Sch. ein wahres Höllenfeuer an. Die Landschaft ist
entzückend. Eine stille Bucht. Fächerpalmen und eine Art Trauerweide, deren
Zweige weit übers Wasser hinaushängen, das vom Wiederschein des Feuers
blutig rot gefärbt ist. Soeben eröffnete uns der Balzero-General, daß
wir noch mindestens drei Tage bis Mapiri haben. Nicht alle sind zufrieden
damit. Mir ist es recht. Diese herrlichen Abende am Flußufer sind mit gar
nichts zu vergleichen, man kann nicht genug davon erleben. Eine höchst
romantische Lederstrumpf-Stimmung. W. übt Keulenschwingen mit glühenden
Bambusstäben am Waldesrande. Die funkelnden Kreise auf der schwarzen
Laubwand sehen großartig phantastisch aus.


~Tafel 11~

[Illustration: ~Eine »Balza« auf dem Mapiri~]

[Illustration: ~Unser Wohnhaus in Guanay~]


~Tafel 12~

[Illustration: ~Stromaufwärts~]

[Illustration: ~Die »Stadt« Mapiri~]


6. DIE RÜCKKEHR.

In derselben Tonart klingt mein Tagebuch weiter. Besondere Erlebnisse
hatten wir keine. Wir genossen das Leben auf, in und an dem Flusse. In
Mapiri langten wir am 1. Mai um die Mittagsstunde an. Wir fanden das ganze
Bild unverändert, auch unseren holländischen Freund ohne Beine. W. und
ich machten uns sofort zu Fuß nach San Carlos auf, da wir unsere Maultiere
nicht vorfanden. Unterwegs erlegte ich einen Kondor, was ich schon, nicht
ohne Stolz, erzählt habe. Im übrigen war die achtstündige Wanderung
eine Qual. Wir hatten die Sonnenglut und die große Steigung, die es zu
überwinden galt, nicht in Betracht gezogen, als wir uns nach dem langen
Sitzen im Boot, »die Füße ein wenig vertreten« wollten. Außerdem hatten wir
die Zeit falsch berechnet und mußten die letzte Wegstrecke von ½7 bis 8 in
absoluter Finsternis durch den Urwald tappen.

Erst am Abend des nächsten Tages langten unsere Gefährten mit dem Gepäck
an. Wir gönnten uns zwei Ruhetage in San Carlos. Dann mußten wir wohl
oder übel daran denken, wieder über die Kordillere nach Hause, d. h. nach
La Paz, zu steigen.

Die Zeit drängte insofern, als die Jahreszeit vorrückte. Der erste
Wintermonat stand vor der Tür. Von Juni an ist der Yachazani-Paß überhaupt
nicht mehr zu überschreiten.

Ungern, sehr ungern schieden wir von San Carlos, seinen liebenswürdigen
Bewohnern und -- den Schmetterlingen, die nun wieder Ruhe haben sollten.

Unser braver Don Botello war mit dem langen Aufenthalte, den wir in dem
tropischen Gebiete gehabt hatten, sehr unzufrieden. Seine Maultiere,
gewöhnt an die Höhenluft, vertrugen das Klima nicht und wurden von Tag
zu Tag magerer und matter, obgleich sie ein faules Leben, herrlich und in
Freuden, auf den saftigen Weideplätzen der Hazienda, führten. Mit einigem
Bangen sahen wir die dürren Gestelle an, als sie uns am Morgen des
2. Mai vorgeführt wurden. Als wir uns aufsetzten, fürchteten wir, daß
sie in die Knie brechen würden. Doch konnten wir uns keine
Tierschutzverein-Sentimentalitäten erlauben. Die Kordillere mußte
überschritten werden und zwar sofort und ohne Aufenthalt, das weitere
Schicksal der Maultiere durfte uns nicht interessieren.

Die Befürchtung, daß der Weg, den wir ja schon kannten, auf der Rückreise
langweilig erscheinen würde, bestätigte sich nicht. Im Gegenteil, die
Rückreise wurde kurzweiliger und unterhaltender, als wir voraussetzen
konnten, meistenteils freilich in einem Sinne, der uns nicht recht lieb
war.

So mußten wir, z. B. am zweiten Tage schon um 5 Uhr morgens aus den
Schlafsäcken kriechen: der »Amargurani«-Aufstieg lag vor uns. Hatten wir
auf der Hinreise den Weg reichlich schlecht gefunden, so war uns der Name
»Amargurani« doch etwas übertrieben erschienen, wenigstens im Vergleich zu
anderen Wegstrecken, die reichlich ebenso »bitter« waren. Aber damals waren
wir abwärts gestiegen. Außerdem milderten die wunderbaren ersten Eindrücke
der einsetzenden tropischen Vegetation die Beschwerlichkeiten sehr
erheblich. Man war viel zu beschäftigt mit allen Details des eigenartigen,
für uns durchaus neuen landschaftlichen Bildes, um viel auf die
Schwierigkeiten des Abstieges zu achten. Jetzt galt es, dieselbe
Strecke hinaufzuklettern. Die Tropenpracht der Wälder war durch das im
Mapiri-Gebiete Gesehene weit übertroffen worden, reizte das Interesse
infolgedessen längst nicht im früheren Maße. Außerdem war der Weg durch die
inzwischen niedergegangenen Regengüsse stellenweise buchstäblich grundlos
geworden. Von Reiten war keine Rede. Vierzehn Stunden sind wir von
Lorenzo Pata bis Tola Pampa hinaufgekeucht. Obgleich wir um 4 Uhr morgens
aufbrachen, durfte keine Minute verloren werden, wenn wir nicht vor dem
Ziel von der Dunkelheit überrascht werden wollten.

Die Witterungsverhältnisse dabei waren folgende: wir ritten in
rabenschwarzer Nacht aus, die Don Botello vergebens mit einem
Lichtstümpfchen zu erleuchten bemüht war. Man sah nicht die Ohren des
eigenen Maultieres vor sich. Nach einer Viertelstunde ging ein Wolkenbruch
auf uns nieder, wie ich ihn selbst in den Tropen noch nicht erlebt hatte.
Im Nu war kein trockener Faden mehr an Roß und Reiter. Gleichzeitig brach
ein Gewitter von unglaublicher Heftigkeit los. Nach jedem Schlag kniff man
sich ins Bein, um sich zu vergewissern, daß man nicht verkohlt war.
Für Sekunden erleuchteten die Blitze den Weg, der dann gleich darauf in
dreifach verdichtete Finsternis getaucht war. Die zwei Stunden bis zum
Sonnenaufgange dauerten eine Ewigkeit. Wir waren gerade am Fuße des
Hauptanstieges angelangt. Das Gewitter verzog sich. Dafür begann mit dem
Sonnenaufgange die Tropenglut. Als unliebsame Begleiter stiegen mit
uns dicke weiße Nebeldämpfe aus dem Tal in die Höhe. Im Gebiete der
Vegetationsgrenze verdichteten sie sich zu einer feuchten, undurchdringlich
scheinenden Wand. Amagurani! Jetzt konnten wir die »Bitternis« Schritt für
Schritt schmecken. Als wir in dem schon geschilderten »Grand Hotel« Tola
Pampa anlangten, fielen wir gleich toten Ratten auf unsere Betten und
hatten das Gefühl, als müßten wir die sich lockernden Muskeln mit Bindfaden
an die Knochen binden.

Der Nebel verließ uns in der Höhe nicht mehr. Der beginnende Winter
machte sich geltend. Das wurde uns bald noch überzeugender zum Bewußtsein
gebracht. Von Injenio, dem alten Inka-Dorfe, das dieses Mal einen noch
rauheren, phantastischeren Eindruck machte, begann der Aufstieg zum
Yachazani-Paß. Nach drei Stunden trafen wir die ersten Spuren frisch
gefallenen Schnees. Der feine Regen, in dem wir ausgeritten waren,
verdichtete sich zu einem regelrechten Schneegestöber.

Der Eindruck, den die Kordillere bei solch einem Wetter macht, ist der
einer fast beängstigenden, rauhen und schroffen Wildheit. Es war hundekalt.
Weder Sweater noch Poncho, noch Lederjacke boten genügend Schutz gegen
Frost, Wind und Schnee. Dabei das erbarmungslos langsame Begräbnistempo,
in dem die Mulas den verschneiten Weg hinankrochen! Der schneidende Wind
raubte ihnen augenscheinlich den letzten Rest von Atem, den sie noch
hatten. Man glaubte jeden Augenblick, daß einem die Füße abfrieren würden.
Absteigen war nicht ratsam, denn man hätte bis an die halben Waden im
Schnee waten müssen.

Auf dem höchsten Punkte des Passes ließ das Schneegestöber nach. Die Wolken
ballten sich zusammen und krönten die Bergspitzen, die uns umgaben. Der
Himmel wurde klar. Eine Symphonie von Blau und Weiß ringsumher, wie man sie
in solch makelloser Reinheit und Schönheit wohl selten zu sehen bekommt.
Schade, daß es zu kalt war, um dieses einzigartige Bild lange zu genießen.
Uns fehlten seit einigen Tagen auch die künstlichen Wärmemittel. Ein
Gemisch aus Brennspiritus und Wasser war doch nur ein sehr mangelhafter
Ersatz für Whisky und Kognak.

Abgestiegen und im Laufschritte hinunter! Die Wärme, nach der wir uns so
sehnten, wurde uns bald im Übermaße zuteil. Die fünf Stunden Abstieg vom
Yachazani-Paß nach Sorata bringen einen in dieser Jahreszeit aus Eis
und Schnee direkt in die Tropentemperatur von 30-35 Grad Celsius -- ein
Temperaturwechsel, wie man ihn schärfer anderswo kaum erleben kann.
Ein Kleidungsstück nach dem anderen wurde den Mulas aufgeladen, bis das
Tropen-Déshabillé glücklich wieder erreicht war.

Kurz vor Sorata, beim Passieren eines Indianerdorfes, hatten wir
Gelegenheit, das höchst interessante Leben und Treiben bei einer
indianischen Festlichkeit mitanzusehen. Es wurde eine Hochzeit gefeiert.
Das gibt sämtlichen Bewohnern des Dorfes Anlaß, nicht mehr und nicht
weniger als eine volle Woche lang sich unentwegt zu betrinken und ebenso
unentwegt zu tanzen. Was die Indianer im Tanzen leisten können, grenzt
ans Unwahrscheinliche. Es gibt Burschen, die von Sonnenaufgang bis zur
Dunkelheit in unausgesetzter Bewegung sind. Eine Art Extase, ähnlich dem
Delirium der indischen Drehderwische, scheint sie zu überkommen. In
Gruppen von zehn bis fünfzehn Mann drehen sie sich in langsamen gemessenen
Bewegungen, deren Tempo nur selten gesteigert wird, im Kreise und um die
eigene Achse herum. Sie sind alle im Festtagskleide, oder irgend einem
spezifisch indianischen, phantastischen Maskenanzuge. Hier ist eine Gruppe
im herrlichsten Federschmuck, auf dem Kopf ein meterhoher Aufputz von
vielfarbigen Papageifedern, der Oberkörper nackt, von der Taille bis zu
den Knien wieder eine Art Ballettröckchen von grellgrünen oder roten, in
dichten Kränzen aneinandergefügten Federn. Dort eine andere Gruppe hat sich
mit Tigerfellen geschmückt. Sie haben eine Art Panzer aus den harten Fellen
gebogen, der in Beulen von Rücken, Schultern und Brust absteht, die Beine
stecken in Hosen und nur die Rückseite ist mit einer mächtigen grünen
Federtournüre ausgestattet. Die Kerls sehen aberwitzig aus, drehen sich
stieren Blickes in die Runde, wobei sie sich auf langen Flöten eine
grauenhaft mißtönende Musik selber liefern.

Eine andere Gruppe hat abschreckende Tier- und Teufelsmasken vorgebunden,
sie schwingen dreigezackte Kriegsspeere und springen mit unmelodischem
Geheul regellos durcheinander. Der ganze Dorfplatz scheint sich zu drehen.
Dem Zuschauer wird nach zehn Minuten schwindlich zu Mute, man begreift
nicht, wie es die Tänzer stundenlang aushalten, ohne Rast und Ruhe in die
Runde zu wirbeln.

Hin und wieder verläßt eine Gruppe den Platz, torkelt und taumelt
im Gänsemarsch durch ein paar Straßen, um jedoch bald wieder auf den
Ausgangspunkt zurückzukommen. In einigen Gruppen machen Knaben von zehn
Jahren aufwärts mit. Nur sekundenlang sind die Pausen, in denen ein tiefer
Zug aus der kreisenden Flasche mit Patinno-Schnaps getan wird. Die Tänzer
scheinen alle total vertiert, in Blick und Ausdruck haben sie nichts
Menschliches mehr an sich. Seit vier Tagen erlebt keiner von ihnen eine
nüchterne Minute. Doch sind es ausschließlich Männer, die sich an diesem
wahnwitzigen Treiben beteiligen. Die Frauen halten sich zaghaft im
Hintergrunde. Sie sehen mit glänzenden bewundernden Blicken ihre
taumelnden Ehegesponse an und sind glücklich, wenn sie die vor Erschöpfung
niedersinkenden Tänzer mit einem Schluck kühler »Chicha« wieder auf die
Beine bringen dürfen. Vor Zuschauern haben diese exotischen Tänzer übrigens
nicht die geringste Scheu, auch nicht vor photographischen Apparaten. Mir
schien, daß kein einziger von ihnen mehr begriff, was überhaupt um ihn
herum vorging.

Gegen 5 Uhr nachmittags erreichten wir Sorata und das gastliche Haus seines
»Königs« G. Das Städtchen erschien nach den kulturellen Entbehrungen
der letzten fünf Wochen wie ein kleines Paris. Ich glaubte, nie einen
herrlicheren Konzertflügel unter den Händen gehabt zu haben, als das alte
gelbgezähnte Scheusal von Pianino, das dem Salon des G.'schen Hauses als
Zimmerzier diente.

Wir waren in Sorata an einem aufregenden Tage angelangt, dem Tage der
Präsidentenwahl. An diesem Tage herrschte in Sorata eine ganz fürchterliche
Besoffenheit. Soweit die indianischen Bewohner der Stadt nicht in der Gasse
lagen, zogen sie mit Pfeifen, Singen und Gebrüll durch die Straßen und
trugen den Kaufpreis ihrer Wahlzettel aus einer Kneipe in die andere.
Bis in den frühen Morgen hörte man an allen Enden und Ecken der Stadt das
unmelodische, sinnlose Geklimper der »Charangos«, einer Art Gitarre, deren
Leib aus dem Panzer eines Gürteltieres besteht, dem beliebtesten Instrument
der städtischen Indianer.

Im gastfreien Hause des »Königs von Sorata« durften wir uns, dank der
überaus liebenswürdigen Einladung des Hausherrn, drei Ruhetage gönnen.
Wir konnten sie nach den Strapazen des zweiten Kordilleren-Überganges
gut gebrauchen. Es würde zu weit führen, wollte ich noch alle die schönen
Ausflüge, die wir zu Fuß und zu Maultier von Sorata aus machten, im
einzelnen beschreiben. An den Abenden versammelten wir uns meist auf der
luftigen Terrasse des Hauses, die in einen paradiesischen Tropengarten
hineinragt, zu einem echt deutschen Skat. Das heißt ganz deutsch war er
nicht immer. Wenn der spanische Arzt des Städtchens zu unseren
Partnern gehörte, wurde auf spanisch gespielt. Die spezifisch deutschen
Skatausdrücke nehmen sich in der Sprache des Cervantes höchst kurios aus:
»sastre« (Schneider), »negro« (schwarz), »curazon« (Herzen) usw.

Erst am vierten Tage wurde uns gestattet, von einer langentbehrten
Kulturerrungenschaft -- dem Telegraphen -- Gebrauch zu machen, und eine
Kutsche von La Paz nach Achecachi zu bestellen. Bis Achecachi mußten
wir noch einen Tag per Maultier reisen. Nicht ohne Bedauern nahm ich --
sicherlich für lange, wenn nicht für immer -- von dieser Verkehrsmethode
Abschied. Hat man sich erst an den Fischgabelsitz in den bolivianischen
Gebirgssätteln gewöhnt und sein Temperament dem des Maultieres angepaßt, so
ist es ein Hochgenuß, langsam und gemütlich durch die herrliche Gebirgswelt
der Kordillere zu reiten. Auf den Weg braucht man nicht aufzupassen. Das
besorgen die Tiere. Man genießt die wundervoll reine Luft, die wilde weite
Aussicht und läßt seine Gedanken weithin in die Ferne schweifen.

Die Reise bis La Paz verlief ohne bemerkenswerte Erlebnisse. Kurz vor der
Stadt, noch im Wagen, überfiel meinen Gefährten ein heftiger Fieberanfall,
dasselbe Schicksal ereilte gleich nach der Ankunft in La Paz noch einen
Teilnehmer unserer Reise, den kerngesunden und vergnügten Sch. Übrigens
sind die unvergeßlichen Eindrücke solch einer Reise im Tropengebiete mit
ein paar tüchtigen Schüttelfrösten nicht zu teuer bezahlt.


~Tafel 13~

[Illustration: ~Sonnenaufgang beim Yalhazani-Paß (Bolivien)~]

[Illustration: ~Frühstückspause~]

[Illustration: ~Indianisches Denkmal~]


~Tafel 14~

[Illustration: ~Indianisches Stubenmädchen in Sorata~]

[Illustration: ~Der Balzero »Sonnenschein«~]

[Illustration: ~Indianerin beim Maismahlen~]




16. BRIEF.

IM SCHNELLZUG DURCH PERU. -- DER TITICACA-SEE. -- MOLLENDO. -- LIMA.


Der Abschied von La Paz wurde uns schwer. Nicht ohne Wehmut schieden wir
von Bolivien. Erstens mußten wir uns nun von unseren beiden Reisegefährten
und den zahlreichen lieben Freunden, die wir uns während des ziemlich
langen Aufenthaltes in La Paz erworben hatten, trennen. Zweitens scheint
uns -- hoffentlich zu Unrecht -- daß der interessanteste Teil der Reise
jetzt hinter uns liegt.

Die Verbindung zwischen La Paz und der peruanischen Küste kann keineswegs
bequem genannt werden. Sie besteht aus drei Etappen: Eisenbahnfahrt bis
zum Titicaca-See, Dampferfahrt über den See nach Puno, Eisenbahnfahrt
vom Peruanischen Ufer des Sees bis zur Küstenstadt Mollendo. Nun scheinen
leider die drei Betriebsgesellschaften in Fehde miteinander zu leben. Man
kann nie mit Sicherheit darauf rechnen, daß man Anschluß findet. Verspätet
man sich auf einer der beiden ersten Etappen, so ist man verloren, denn die
Dampfer auf dem Titicaca-See und die peruanischen Schnellzüge verkehren
nur zweimal in der Woche. Gewartet wird nicht. Das ist besonders ärgerlich,
wenn man in Mollendo einen bestimmten von den auch nicht allzu häufig
verkehrenden Küstendampfern erreichen will.

Die bolivianische Hochebene, die wir zweimal im Wagen passiert hatten,
durchquerten wir nun im Eisenbahn-Coupé. Kein Mensch wird behaupten, daß
der enge Waggon mit seinen schlüpfrigen Wachstuchpolstern bequemer wäre,
als der geräumige Phaeton. Aber reizvoll war die Fahrt auch so. Zum
letzten Mal verabschiedeten wir uns vom majestätischen Illimani und seinen
schneegekrönten Trabanten.

Die interessanteste Station auf dieser Eisenbahnfahrt ist Tiguanaco --
eine uralte, von Einwohnern fast verlassene Inka-Stadt. Als der Zug hielt,
stürzte eine Horde schmutziger Indianerbuben in den Waggon herein. Mit
ohrenbetäubendem Geschrei priesen sie »Reiseandenken« an, zerbrochene
Löffel und verrostete Stricknadeln, die sie für Pfeilspitzen und
prähistorischen indianischen Hausrat ausgaben. Als Goldplättchen alter
Inka-Schätze konnte man zusammengeknetete Kapseln von Subercaseaux- und
Santa Rita-Flaschen, chilenischen Weinsorten, erstehen. Ja, an diesen
Plätzen eines lebhafteren Fremdenverkehrs muß man beim Einkauf von
Antiquitäten vorsichtig sein.

Die Stadt Tiguanaco mit ihren grandiosen Inka-Ruinen, die nun allerdings
fraglos echt sind, bietet von weitem einen sehr pittoresken Anblick. In der
Nähe konnten wir sie leider nicht besehen.

Den Titicaca-See erreichten wir nach Anbruch der Dunkelheit.
Glücklicherweise verspäteten wir uns nicht und fanden im Hafen einen zwar
sehr kleinen, aber äußerst appetitlichen Dampfer vor, der natürlich
»Inka« hieß. Die Pietät, mit der man dieses durch die brutalen Eroberer
ausgerotteten stolzen Volksstammes gedenkt, ist wirklich rührend.

Die Überfahrt über den Titicaca-See dauerte eine ganze Nacht. Es war
herrlichster Mondschein, als der »Inka« seine Anker lichtete. Die schwarze
Silhouette der Königskordillere hob sich ordentlich gespenstisch vom hellen
Nachthimmel ab. Wie ein silberner Strom teilte die glitzernde Mondstraße
die unergründlichen schwarzen Fluten des Sees. Allmählich verdüsterte sich
jedoch der Himmel. Es wurde empfindlich kalt und windig, die Fahrt des
»Inka« immer weniger stolz und immer unruhiger. Plötzlich setzte ein
regelrechter Schneesturm ein. Nicht schnell genug konnte man in die winzige
Kabine flüchten. Kolossale Schneemassen fegten über das Verdeck. Man muß
in dieser Gegend auf die merkwürdigsten Überraschungen gefaßt sein. Am
nächsten Morgen noch lag auf Bug und Achterdeck des Dampfers eine dichte
Schneedecke, die die Sonne freilich schnell zum Schmelzen brachte.

Die Eisenbahnfahrt vom Ufer des Titicaca-Sees an die peruanische Küste
des Stillen Ozeans ist sicherlich eine der schönsten, interessantesten
und aufregendsten, die man auf den fünf Erdteilen machen kann. Der
Höhenunterschied zwischen beiden Endstationen beträgt mehr als 4000
Meter. Man legt die Strecke in ca. 12 Stunden zurück. Der Zug rast mit
atemversetzender, echt amerikanischer Geschwindigkeit vorwärts, obgleich
der Winkel des Gefälles oft ein beträchtlicher ist, und kühne Kurven das
Geleise nur meterweit an gähnenden Abgründen vorbeiführen. Die Passagiere
des Pullman-Wagens fliegen von ihren Sesseln nicht selten unerwarteter und
meistens unerwünschter Weise einander in die Arme. Zwischendurch promeniert
der Schaffner und erzählt in lässigem Spanisch wenig erheiternde Anekdoten
von abgestürzten Eisenbahnzügen.

Die ganze Fahrt über hat man die herrlichste Hochgebirgs-Landschaft vor
Augen. Ein Panorama mit den charakteristischen, schon oft geschilderten
Farbenspielen der Kordillere. Hier ist die Färbung vorzugsweise hellrosa
oder rötlich braun. Weite Strecken des Gerölls sind mit feinem hellgrauen
Sande bedeckt. Es sieht aus, als hätte man Decken aus zartestem
schwedischen Leder über die Berge gebreitet. In einigen Talkesseln fegt
der Wind diesen Sand zusammen, und es bilden sich merkwürdige Hügel, die
einander so genau gleichen, als seien sie aus einer Form gegossen. Sie
ähneln den Kratern kleiner Vulkane, oder den Brustwehren alter Burgen, denn
von einer Seite -- woher der Wind weht -- sind sie offen. Natürlich wird
diese Menge von Flugsand dem Bahnbetriebe oft gefährlich.

Der Zug hält auch bei den wichtigsten Stationen, den Schwefelbädern Jura
und der peruanischen »Großstadt« Arequipa nur wenige Minuten.

Arequipa ist im fruchtbarsten Teil des peruanischen Küstengebietes gelegen
(immerhin noch 2500 Meter hoch). Hier fließen eine ganze Menge kleiner
Gebirgsflüsse zusammen. Man kann ihren Lauf vom Eisenbahnwagen aus weithin
verfolgen. Gleich schmalen grünen Bändern ziehen sie sich durch das öde,
unwirtliche Gestein. Fast unwahrscheinlich wirkt dank seiner absolut
regelmäßigen, geradezu mathematisch genauen Kegelform der schneebedeckte
Vulkan Misti, der das Landschaftsbild von Arequipa krönt.

Ein grauenvolles kleines Nest ist die sonnendurchglühte Hafenstadt
Mollendo. Hier muß man seine Ansprüche auf Komfort auf ein nicht mehr zu
unterbietendes Minimum herunterschrauben.

In der Stadt selbst und in ihrer Umgebung fehlt, ebenso wie in
den chilenischen Küstenstädten, jede Spur vegetativen Lebens. Die
Sonnenstrahlen prallen überall auf nacktes Gestein und strahlen mit
verdoppelter Glut zurück. Ganz wundervoll ist hier allerdings die
Ozeanbrandung, die himmelhoch über das weit in die See hineingebaute
Hafenbollwerk herüberschäumt.

So schön die Wellen der Brandung aus der Entfernung aussehen, so wenig
angenehm sind sie, wenn man sich auf ihnen schaukeln muß. Und das muß man
leider.

Die Küstendampfer ankern weit draußen auf der Reede. Kleine Ruderböte, die
wie Nußschalen auf den majestätisch dem Ufer zurollenden Wogen herumtanzen,
besorgen den Verkehr mit dem Hafen. Nie in meinem Leben habe ich eine
ungemütlichere Ruderpartie gemacht. Die Böte haben außer dem Ruderknecht
noch eine andere ständige Bemannung: ein bis zwei Knaben, die das immerfort
hereinschlagende Wasser ausschöpfen. Eine nicht geringe Geschicklichkeit
gehört auch dazu, um zu verhindern, daß das Boot beim Anlegen an die
Falltreppe des Dampfers umkippt oder zerschellt. Als ich das gehörig
schwankende Deck der »Orissa« betrat, kam es mir nach dieser fürchterlichen
Ruderpartie vor, als hätte ich endlich wieder festen Boden unter den Füßen.

Die Küstenfahrt bietet keinerlei neue Eindrücke, sondern immer nur dasselbe
Bild, das wir von der Fahrt zwischen Valparaiso und Antofogasta her schon
genugsam kannten. In zwei Tagen brachte uns die »Orissa« nach Callao.

Callao ist der Hafen der peruanischen Haupt- und Residenzstadt Lima.
Hier zum ersten Male zeigt die pazifische Küste Süd-Amerikas ein etwas
freundlicheres Aussehen. Mit Behagen ruht das Auge auf dem saftigen
Grün der üppigen tropischen Vegetation, die sich bis dicht an den Ozean
hinzieht.

Callao und Lima sind durch eine elektrische Bahn verbunden. Die Fahrt
dauert eine knappe halbe Stunde. Von allen Städten der Westküste
Süd-Amerikas ist Lima ohne Frage die europäischste. Breite, gutgepflasterte
Straßen, konventionelle Regierungsgebäude, anständige Hotels, vorzügliche
Läden, Droschken im Stil der Wiener Fiaker, Automobile, gute Restaurants,
in denen die Speisenzubereitung nach den bolivianischen Stiefelsohlen
geradezu raffiniert, lukullisch erscheint. Alles in allem: recht kulturell,
aber -- uninteressant.

Nur eine Merkwürdigkeit, eine »Spezialität« von Lima kann ich nicht
unerwähnt lassen. In einem fashionablen Laden wurde sie uns als
»Reiseandenken« angeboten, jedenfalls war es das sonderbarste Souvenir,
dem ich je begegnet bin, denn es war nichts anderes, als -- der Kopf, nicht
Jochannaans, sondern eines indianischen Mädchens. Keine Nachahmung, kein
Papier-maché, kein bluff, sondern echt. Der Kopf eines einst lebendig
gewesenen Menschen, oder der Kopf einer Leiche, wie man will. Kein nackter
Totenschädel, sondern ein virtuos balsamiertes menschliches Gesicht, mit
Glasaugen und langem Haarschopf. Nur die Haut ein wenig verschrumpft.
Mir schauderte, als ich mir dieses anmutige Reiseandenken auf meinem
Schreibtisch als Briefbeschwerer, oder unter einer Glasglocke in der guten
Stube vorstellte.

Die Europäer in Lima treiben mit diesen Scheußlichkeiten einen
schwunghaften Handel. Der Absatz ist enorm. Die Indianer, die sehr rasch
begriffen, daß ihre Leichenköpfe als Handelsartikel gut bezahlt wurden,
fingen an, Freund und Feind hinzumorden, balsamierten ihre Köpfe ein
und brachten sie in großen Mengen auf den Markt. Da erst legte sich die
Regierung ins Mittel. Jetzt dürfen nur »alte« Köpfe verkauft werden,
während »frische« verpönt sind. Aber wer wagt es zu entscheiden, ob solch
eine Mumie von gestern oder von anno dazumal stammt? Jedenfalls ist der
Artikel rar geworden und infolgedessen im Preise gestiegen. Der Kopf, der
uns angeboten wurde, sollte 50 englische Pfund kosten. Ich hätte ebensoviel
zugezahlt, um ihn nicht zu besitzen.

Mit diesem unappetitlichen Eindruck schieden wir von Lima. Der peruanische
Küstendampfer »Guatemala« nahm uns auf. In acht Tagen soll er uns nach
Panama bringen.


~Tafel 15~

[Illustration: ~INDIANER IM FESTSTAAT (BOLIVIEN)~]




17. BRIEF.

PANAMA UND EINE ALLIGATOR-JAGD.


Durch drei Dinge ist Panama berühmt. Erstens durch den Panama-Kanal,
zweitens durch den Panama-Skandal, drittens durch die Panama-Hüte. Der
Panama-Skandal ist nicht mehr aktuell. Der Panama-Kanal wird es bald sein,
wenn er nämlich wirklich, wie es heißt, im nächsten Jahre eröffnet wird.
Die Panama-Hüte sind es immer und werden es so lange sein, als es für
vornehm gilt, was Besseres auf dem Kopfe, als drin zu haben.

Über den Panama-Skandal werde ich mich nicht verbreiten. Wer sich daran
erquicken will, lese in den betreffenden Jahrgängen der Pariser Zeitungen
nach.

Aber von den Panama-Hüten und dem Panama-Kanal will ich erzählen.

Die Panama-Hüte heißen wahrscheinlich deshalb so, weil sie nicht in Panama
gemacht werden. Ihr Entstehungsort ist die Republik Equador, besonders
die Gegend um Guayaquil und Payta herum. Dort sitzen die fleißigen
Indianerweiber, bleichen und spalten das haarfeine Palmstroh, aus dem ihre
geschickten Finger die kostbaren Kopfbedeckungen flechten. In Panama selbst
ist man dagegen so unnobel, die Hüte, die den Namen der Stadt tragen, mit
einem ziemlich hohen Einfuhrzoll zu belegen. Wer also glaubt, daß man in
Panama »billig und gut« Panama-Hüte kaufen kann, wird an Ort und Stelle
gar bald eines Besseren, oder vielmehr Schlechteren belehrt. Man zahlt
in Panama genau denselben Preis für einen Hut, wie in Europa, nicht unter
10 Dollar für mittelgute Ware. Natürlich gibt es auch hier Hüte, für die
200 Dollar von dreisten Verkäufern verlangt und von verrückten Amerikanern
gezahlt werden. Die Zugehörigkeit von Panama-Hüten zu Panama versucht
man dadurch kenntlich und glaubhaft zu machen, daß man alberne kleine
Reisesouvenirs in Form von Puppen-Panamahüten verkauft.

Was nun den Panama-Kanal anbetrifft, so ist er allerdings sehr großartig
in der Anlage, aber doch nicht so imposant, wie man ihn sich in Europa
vorstellt, oder wie ich ihn mir wenigstens vorgestellt habe. Es ist kein
einheitlicher, schnurgerader Durchstich, der nach dem Prinzip der kürzesten
Linie die Küste des Stillen Ozeans mit der des Atlantischen verbindet,
sondern vielmehr eine Kombination von vielen einzelnen Kanälen und
Schleusen-Systemen, wobei auch die den Isthmus bewässernden Flüsse und
einige kleine Binnenseen als Verbindungswege ausgenutzt sind. Wenn man also
fragt: »Wie breit ist der Kanal?« so muß die Gegenfrage lauten: »An welcher
Stelle?« Die Breite schwankt zwischen 300 und 1000 Fuß, die Länge beträgt
genau 50 englische Meilen. Auch die Tiefe ist keine einheitliche. Das
Minimum sind 41 Fuß, so daß immerhin ganz gewaltige Passagierdampfer und
die größten Kriegsschiffe ihn passieren können. Die flacheren Stellen des
Kanals machen, besonders wenn, wie jetzt, kein Wasser drin ist, durchaus
keinen imponierenden Eindruck. Wenn man sie betrachtet, so muß man sich die
Milliarden ausgebaggerter Kubikmeter Erde vorstellen, um in den vom Führer
verlangten Zustand der Andacht und Bewunderung zu geraten. Mit einem »very
nice«, womit ihn englische und amerikanische Touristinnen unter ihrem
Reiseschleier hervor beglücken, ist er nicht zufrieden. Am sichtbarsten ist
die beim Durchstich geleistete enorme Arbeit, mit der übrigens auch heute
noch über 40000 Menschen beschäftigt sind, bei den Schleusen, die frei
daliegen und mit ihren gewaltigen Mauern und Riesen-Dampfkränen den
Eindruck phantastischer Zyklopen-Festungen machen.

Im Januar 1914 muß der Kanal bekanntlich, laut Kontrakt, dem Verkehr
übergeben werden. Danach sieht er jedoch zurzeit nicht aus. Auf allen
Strecken wird fieberhaft gearbeitet, auf keiner einzigen noch sind die
Arbeiten schon ganz abgeschlossen. An den Schleusen wird gebaut und
gemauert, in den Gräben hocken Tausende von Arbeitern mit Spaten und Hacke,
auf den Seen knattern und rumoren zahllose Baggermaschinen und fördern
Millionen und Abermillionen von Eimern mit Schlamm und Sand ans Tageslicht.
Es ist ein betäubender Betrieb. Das ganze Gebiet des Kanales gleicht einem
riesigen Ameisenhaufen, und ebensowenig wie bei einem solchen kann man
hier bei flüchtiger Betrachtung Plan und Ziel der gemeinsamen Arbeit
feststellen.

Ein äußerst buntes Bild bietet die Schar der Arbeiter. Amerikaner, Japaner,
Chinesen, Neger, Mulatten -- alles wimmelt durcheinander. Betrachtet
man die kräftigen halbnackten Gestalten, so denkt man mit Grausen daran,
wieviele Menschenopfer diese Kraftprobe technischen Vorwitzes gekostet
hat. Zu Hunderttausenden sind die Kanalarbeiter vom Sumpffieber jeder Art
weggerafft worden. Eine Zeitlang stockte ja der Betrieb überhaupt, weil es
unmöglich war, Arbeiter zu finden, die für hohen Lohn den sicheren Tod
in den Kauf nehmen wollten. Dann erst ging man ernstlich daran, die
fieberverpesteten Sumpfgebiete des Isthmus zu sanieren. Dieses
schwierige Werk ist jetzt gelungen und zwar vermittelst selbsttätiger
Petroleum-Pulverisatoren, die in den Wäldern und Sümpfen aufgestellt sind
und im Frühjahr alle Wasserflächen mit einer dünnen Schicht Petroleum
überziehen, unter der sich die Moskitos nicht entwickeln können. Jetzt
gibt es kein Fieber mehr in Panama, denn es gibt keine Moskitos, die die
einzigen Träger der Infektion sind. Die Furcht vor ihnen ist aber noch
nicht ganz geschwunden. Sämtliche Häuser im Kanalgebiete sind mit einem
dichten Schutzgeflecht aus feinstem Draht umgeben. Die Häuser sehen aus wie
große viereckige schwarze Käseglocken.

In wirtschaftlicher und politischer Beziehung ist Panama ein Unikum. Der
Aufenthalt dort hat für den Fremden manche Schwierigkeit. Vor allen Dingen
weiß man nie, ob man sich im gegenwärtigen Augenblick in den Vereinigten
Staaten von Nordamerika oder in der spanischen Republik Panama
befindet. Seit zehn Jahren ist nämlich Panama -- ich wage nicht zu sagen
»bekanntlich« -- eine selbständige Republik. Nur ein schmaler Streifen
Landes, die sogenannte »Kanalzone«, wurde damals den Vereinigten Staaten
abgetreten.

In dieser Kanalzone nun ist das beste und einzig komfortable Hotel Panamas
gelegen. Dort lebt man natürlich, und befindet sich folglich in den
Vereinigten Staaten, spricht englisch, zahlt mit Dollars und wird von
amerikanischen Negern bedient. Ums Haus herum promeniert ein »policeman« in
dem für die nordamerikanische Polizei charakteristischen Tropenhelm. Macht
man jedoch drei Schritte zum Hotelgarten hinaus, so befindet man sich
plötzlich und unvermutet in der spanischen Republik Panama. Will man eine
Auskunft haben, so muß man sie auf spanisch einholen, an den Straßenecken
stehen spanische Polizisten in kühnen Torreadorhüten, macht man einen
Einkauf, so heißt es mit spanischen Pesos bezahlen. Da man aber, vom Hotel
kommend, nie spanische Pesos in der Tasche hat, wird man beim Wechseln
amerikanischer Dollars mit notorischer Sicherheit übers Ohr gehauen. Im
Hotel gibt es nur Goldwährung, in der Stadt jedoch Gold-, Silber- und
Papierwährung. Kurz, es ist ein unbeschreiblicher Kohl, und schließlich
kauft man lieber gar nichts mehr, um nicht eine halbe Stunde lang
Rechenexempel mit Pesos und Dollars lösen zu müssen und in der nächsten
halben Stunde doch zu merken, daß man Golddollar statt Silberdollar bezahlt
hat.

Im übrigen ist Panama ein ganz interessantes kleines Städtchen mit schönen
alten spanischen Kirchen, anständigen Droschken und sogar Automobilen, die
die engen Straßen verpesten. Man hat im allgemeinen durchaus den Eindruck,
daß hier europäische, respektive nordamerikanische Kultur mehr abgefärbt
hat, als in allen Städten der westlichen südamerikanischen Republiken
zusammengenommen.

Wenige Minuten außerhalb der Stadt Panama und der Kanalzone ist das Land
freilich noch ganz wild. Davon konnten wir uns überzeugen, als es uns eines
schönen Tages gelang, ein Unternehmen in Szene zu setzen, auf das wir uns
schon seit Brasilien gespitzt hatten -- eine Alligatorjagd. Alle derartige
Unternehmungen sind hier stets mit solchen Schwierigkeiten verbunden, daß
man von besonderem Glück reden kann, wenn es gelingt, einen gefaßten Plan
auch wirklich auszuführen. Wer hätte, z. B., gedacht, daß man im Lande der
Revolver einen offiziellen Erlaubnisschein zum Tragen von -- Jagdgewehren
braucht. Ich will nicht schildern, was wir zu leiden hatten, bis wir diesen
Erlaubnisschein bekamen. Wer einen russischen Utschastok kennt, weiß genau,
auch ohne daß ich viele Worte mache, wie es in der Kanzlei des »Alkaden«
von Panama hergeht. Doch Beharrlichkeit führte auch hier zum Ziel. Endlich
war alles in Ordnung.

Wohlausgerüstet mit Büchsen, Patronen und Proviant machten wir uns auf den
Weg. Dieser Weg ist nicht ganz kurz. Er führt quer über die ganze Bucht von
Panama, dann vier Stunden stromaufwärts in einem der vielen Flüsse, die den
Isthmus bewässern. Wir hatten ein Motorboot gemietet, dessen Besatzung aus
zwei Mann bestand, die auf die stolzen Namen »Kapitän« und »Mechaniker«
hörten. Leider rechtfertigten sie nachher ihre Titel in keiner Weise. Wir
wußten noch nicht, was uns bevorstand, als unser Boot am Morgen fix und
geschmeidig über die Bucht von Panama dahinglitt, vorüber an glitzernden
kleinen Felseilanden und palmenbestandenen Märcheninseln. Wir freuten
uns über die Morgensonne, die das Meer in eine Fläche flüssigen Silbers
verwandelte, und über die aberwitzigen langgeschnäbelten Pelikane, die in
Scharen unser Boot umschwärmten.

Nach ungefähr fünf Stunden erreichten wir die Mündung des Flusses, dessen
Namen, der nichts zur Sache tut, ich vergessen habe. Das Ufer ist zu beiden
Seiten mit dichtem Urwalde bestanden. Man erwartet nicht, kaum 60 Kilometer
vom kultivierten Panama solch eine Wildnis zu finden. Dieselben dichten
Wände von Schlingpflanzen, die wir vom tropischen Bolivien her genügsam
kannten, machen den Wald unpassierbar. Allerhand merkwürdiges Wassergetier
flatterte von Zeit zu Zeit am Ufer auf. Ich konnte meine Schießgelüste,
die schon bei den Pelikanen erwacht waren, nicht bezähmen und machte einem
wunderschönen schneeweißen Reiher den Garaus. Allerdings hielt ich ihn (er
verzeiht mir diesen Irrtum wohl noch nach dem Tode) für eine wilde Gans.
Er hätte seinen stolzen langen Hals nicht einziehen sollen, wenn er für das
genommen werden wollte, was er war.

Alligatoren gab es in dem breiten Strome, den wir uns hinaufarbeiteten,
keine. Die sollten wir erst an der Mündung eines kleinen Nebenflusses,
tiefer im Lande, finden. Mit begreiflicher Spannung sahen wir diesem
Ziel entgegen. Endlich stoppte der Motor. Es ist 3 Uhr nachmittags. Der
»Kapitän« macht uns auf einige mächtige Baumstämme aufmerksam, die in
einem schmalen Seitenflüßchen unter den überhängenden Schlinggewächsen des
Ufergebüsches daliegen. Hallo, da setzt sich einer von den Baumstämmen
in Bewegung und rudert nach dem anderen Ufer hinüber. Das also sind die
Alligatoren. Donnerwetter! Klein sind sie nicht. Ich hatte sie mir ungefähr
von der Größe der Nilkrokodile gedacht, aber diese »fellows«, wie sie der
Kapitän zärtlich nennt, erreichen eine Länge von mindestens 3-4 Metern.
Imposante Kerle. Doch zeigen sie leider nur ihren Rücken. Wenn man genau
hinsieht, entdeckt man ein schläfrig blinzelndes Auge von der Größe einer
Backpflaume. Und dahinein soll man treffen? Ausgeschlossen, wenigstens bei
der Entfernung, in der wir uns vorläufig befanden, d. h. ca. 150 Schritt.

Um unseren Jagdeifer etwas zu dämpfen, gab uns der Kapitän außerdem die
tröstliche Versicherung, daß es unter allen und jeden Umständen unmöglich
sei, eines Alligators habhaft zu werden, mag man ihn noch so tot schießen.
Er geht sofort unter Wasser und bleibt dort, bis ihn sein aufgeblasener
Leib an die Oberfläche hebt. Dann gab uns der offenbar sehr bewanderte Mann
noch den Rat, zu warten, bis die Ebbe einsetzen würde, d. h. ungefähr drei
Stunden. Bei niedrigem Wasserstand sei Hoffnung, daß sich die Alligatoren
auf den Sandbänken sonnen würden. Nun versuche man, ausgerüstet mit einer
trefflichen Winchester-Büchse, von Alligatoren rings umschwommen, drei
Stunden ruhig zu warten. Schon nach zwanzig Minuten pfiffen wir auf Ebbe
und Sandbänke und befahlen, unsere kleine Nußschale von Ruderboot ins
Wasser zu lassen. Der »Mechaniker« wurde zum Ruderknecht. Die Büchse im Arm
fuhren wir das Flüßchen hinauf. Die ersten zehn Schüsse wurden aus einer
Entfernung von 20-30 Metern abgegeben. Es erfolgte darauf prompt ein
heilloser Skandal im Wasser, mächtige Wellenkreise erfaßten unser kippendes
und schwankes Boot, und wer nicht mehr zu sehen war, war der Alligator. Da
sahen wir denn selbst ein, daß die Sache auf diese Weise aussichtslos
war. Wir wappneten uns also mit Geduld und Schweigen und glitten stumm und
regungslos unter den Uferbüschen dahin, jedes Geräusch mit den Rudern wurde
vermieden. Ja ein empörter Blick des Ruderers traf mich, als ich mir eine
Zigarette anzünden wollte.

Da, plötzlich wird er selbst unruhig. Mit einem mehr als ausdrucksvollen
Minenspiel weist er nach einer Stelle des gegenüberliegenden Ufers hin
und lenkt den Kahn in der angedeuteten Richtung. Ich sehe gar nichts, mein
Freund augenscheinlich auch nicht. Halt, da nicht weiter als drei Schritte
vom Steuer ein dicker, grünlicher Balken -- der Kopf eines Alligators mit
geschlossenen Augen. Ich kann mich nicht umwenden, um zu schießen. Mein
Freund sitzt bequemer. Er nähert den Lauf seiner Büchse buchstäblich auf
einen halben Meter dem berühmten Auge und drückt los. Donnerschlag, der
Radau, der sich erhob! Aus Lederstrumpf und Konsorten wußte ich, daß
Alligatoren, wenn angeschossen, die Kähne ihrer Jäger mit Vorliebe
vermittelst des Schwanzes umkippen. Ich sah mich im Geiste schon
zerfleischt und verdaut im Magen des grünen Ungeheuers. Aber nein, Gott sei
Dank, wir leben. Der Alligator leider auch. Mit donnerähnlichem Getöse war
er unter Wasser verschwunden.

Also so geht die Sache auch nicht. Was tun? Wie recht hatte unser Kapitän!
Wir beschließen, das Flüßchen so weit als möglich hinaufzufahren, die Ebbe
abzuwarten und dann mit der Strömung noch lautloser, als vorhin längst
einem Ufer hinabzugleiten. Der Ruderknecht legt sich fester in die
Riemen. Ich tue mir keinen Zwang an, weder mit Zigarettenrauchen, noch mit
Schießen. Mancher exotische Wasservogel muß sein Leben lassen. Das Flußbild
ringsherum ist von einer bezaubernden Romantik. Über unseren Köpfen
schlagen die Kronen der Palmen und Riesenfarren fast zusammen. Der Fluß
fällt rapide. Der Wald am Ufer sieht aus, als sei er auf einem kunstvoll
angelegten Damm aus braunen, schlammbedeckten Pfählen erwachsen.

An der nächsten Biegung scheint der Fluß versperrt durch ein weißliches
Gebirge. Bei genauerem Hinsehen entdeckten wir, daß dieses Gebirge auf uns
zuschwimmt. Es ist der himmelwärts gekehrte Bauch einer Alligatorleiche.
Das Tier ist von einer unheimlichen Größe, wir müssen unser Boot dicht ans
Ufer drängen, um den Kadaver vorbei zu lassen. Er nimmt die ganze Breite
des Flusses ein. Darauf sitzt krächzend ein Schwarm von zwanzig oder
dreißig Aasgeiern. Scheußliche, kahlhalsige Tiere. Ich töte mit einem
Schrotschusse vier. Die anderen fliegen träge auf, setzen sich aber sofort
wieder zum leckeren Mal auf das faulende stinkende Fleisch nieder.

Bei der Abwärtsfahrt sehen wir an den Ufern des inzwischen durch die Ebbe
stark verengten Flußbettes eine Unmenge Alligatoren, aber immer nur Kopf
und Rücken. Kein einziger wagt sich auf eine Sandbank hinauf, um seinen
weichen Bauch als bequemere Zielscheibe darzubieten. Wir verschießen
unseren ganzen Patronenvorrat, mehr aus Freude an dem daraufhin
entstehenden Wasserbeben, als in Hoffnung auf Beute. Erst bei der Mündung
des Flüßchens sehen wir den grünlich-blauen Riesenleib eines prächtigen
Alligators, langhingestreckt auf dem sandigen Ufer. Aber ehe wir in
Schußweite sind, gleitet auch die letzte Hoffnung stumm und lautlos ins
Wasser. Ich glaube, das infame Tier hat uns dabei nicht ohne Sarkasmus
angeblinzelt. Die Flintenkugel, die so ein Amphibium ins Gehirn bekommt,
regt es wohl nur zu lebhafterem Denken an, ohne seine Lebensgeister
ernstlich zu gefährden. Und mit Kanonen hatten wir uns leider nicht
bewaffnet.

Es wurde dunkel, und wir rüsteten uns zur Heimfahrt. Dabei hatten jedoch
Kapitän und Mechaniker die Rechnung ohne die Ebbe gemacht. Kurz, nach einer
halben Stunde saßen wir fest. Regungslos, rettungslos, hoffnungslos. Drei
Stunden galt es, zu warten, bis die Flut unser Boot wieder flott machte.
Unsere Mannschaft fand das ganz in Ordnung. Wir nicht. Zumal wir für solche
Extrastationen durchaus nicht genügend verproviantiert waren und sich
Hunger nie fühlbarer macht, als wenn man eine aufregende Jagd hinter sich
hat.

Endlich spüren wir einen Ruck. Das Boot, siehe da -- es bewegt sich,
schwebt. In weniger als zwei Stunden ist die Bucht erreicht. Vertrauensvoll
lassen wir uns ins Meer hinaussteuern. Alles geht glatt, in der Ferne sieht
man schon die Lichter von Panama aufblitzen. Da, auf einmal ruckt und huppt
der Motor so merkwürdig, jetzt setzt er ganz aus, jetzt springt er wieder
an, setzt wieder aus, noch einmal, die Pausen werden immer länger, und
endlich gibt er mit einem langen Seufzerhauche seinen letzten Lebensodem
von sich. Selten ist mir ein Todesfall so nah gegangen.

Was soll ich nun weiter von dieser traurigen Begebenheit erzählen? Um
es kurz zu machen: natürlich gelang es weder dem »Mechaniker«, noch dem
»Kapitän«, den Motor wieder in Gang zu bringen. Diese würdigen Meister
ihres Faches eröffneten uns kaltlächelnd, daß wir die Nacht auf dem Wasser
zubringen würden und hoffen könnten, am nächsten Morgen von irgend einem
zufällig vorbeifahrenden Dampfer aufgesammelt zu werden. Zwar hatte das
Boot einen Mast und auch ein Segel und obgleich niemand zu segeln verstand
(auch der »Kapitän« eingestandenermaßen nicht), zogen wir es auf, aber in
Ermangelung des leisesten Windhauches hing es schlaff und kraftlos herunter
und war nicht dazu zu bewegen, sich zu blähen.

So schaukelten wir denn auf den Wellen als willenloses Spielzeug der
Ozeandünung. Das letzte Butterbrot war längst verspeist, der letzte Tropfen
Tee getrunken. Es gibt Stimmungen, die man »weißglühende« nennt. Als uns
gegen 5 Uhr morgens die Zigaretten ausgingen, glühte ich weiß, schneeweiß,
durchsichtig. Begegnungen mit der Mannschaft vermied ich, um nicht zum
Mörder zu werden. An Schlaf war vor Wut und Hunger kein Gedanke.

Das wundervolle Schauspiel des Sonnenaufganges konnte unter solchen
Umständen natürlich auch nicht gebührend genossen und bewundert werden.
Endlich um 10 Uhr morgens erblickten wir am Horizonte ein anderes
Motorboot, das direkt auf uns zusteuerte: der Besitzer unseres Bootes, von
Sorge um unseren Verbleib erfüllt (wir hatten noch nicht bezahlt), kam uns
suchen. Freundlich war der Empfang, den wir ihm bereiteten, trotz aller
Freude, nicht. Er nahm uns, schuldbewußt, in Schlepptau, und nach drei
langen Stunden kamen wir in Panama an, wo wir uns in die erste beste
Hafenkneipe stürzten.

Darüber, daß wir keinen Alligator mithatten, war der Bootsbesitzer
keineswegs erstaunt. Er erzählte uns zum Trost, daß er vor einigen Wochen
zweiundzwanzig Amerikaner in dieselben Jagdgründe expediert hatte, und
daß sie nach einem mörderischen Feuer von Tausend Schuß ebenso beutelos
heimgekehrt waren wie wir. Vor unserer Abfahrt hatte er uns diese
lehrreiche Geschichte wohlweislich verschwiegen. Und die Moral von der
Geschicht'? Fahr auf dem Meer auf Motorbooten nicht.




18. BRIEF.

VON PANAMA NACH NEW YORK. -- JAMAIKA. -- CUBA.


Da der Kanal noch nicht schiffbar ist, muß der Isthmus im Schnellzuge
durchquert werden. Die Fahrt dauert knappe zwei Stunden. Aus dem bequemen
Pullman-Car läßt man noch einmal die wechselnden Bilder der Kanalbauten
an sich vorüberziehen, denn der Schienenstrang hält ziemlich genau
die Richtung des Durchstiches ein. Die weiten Sümpfe, mit dichtem
Tropen-Urwalde bestanden, bieten stellenweise ein überaus reizvolles
landschaftliches Bild. Beruhigend hinsichtlich der Moskito-Gefahr
wirken die mächtigen Petroleum-Behälter, an denen man von Zeit zu Zeit
vorüberfährt.

Colon, an der atlantischen Seite der Landenge gelegen, ist der
wichtigste Hafen Mittel-Amerikas. Er ist der Knotenpunkt des gesamten
Schiffahrt-Verkehrs zwischen Europa, den Westindischen Inseln, Nord- und
Mittel-Amerika.

Am Pier erwartete uns ein prächtiger neuer Dampfer der
Hamburg-Amerika-Linie »Karl Schurz« -- also benannt nach dem Kölner
Freiheitskämpfer, der in den Vereinigten Staaten zu der Stellung eines
führenden Staatsmannes gelangte und dem kürzlich ein prächtiges Standbild
über der Amsterdam-Avenue in New-York enthüllt worden ist.

Die achttägige Seefahrt von Colon bis New York gehört zu den angenehmsten
Erinnerungen unsrer Reise. Aus Dankbarkeit möchte ich die Hauptursache
unseres Wohlbefindens an Bord des »Karl Schurz« erwähnen. Es war dies
die außerordentliche Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit des gesamten
Schiffspersonals, vom Ober-Steward bis zum letzten Schiffsjungen. Alle
Angestellten des Dampfers sorgten sich um jeden einzelnen Passagier so,
als hinge von dessen Wohl und Wehe ihr eigenes Seelenheil ab. Herrlicher
Zustand! Ich glaube, ich bin mein Lebtag nicht besser bedient worden, als
im Rauchsalon und im Speisesaale des »Karl Schurz«.

Auf der Route Colon--New York sind zwei Stationen vorgesehen: in Kingston
auf Jamaika und in Santiago de Cuba. Auf Jamaica hatten wir einen ganzen
Tag Aufenthalt. Diese Insel -- wenigstens soviel wir davon zu sehen bekamen
-- ist ein bezauberndes Fleckchen Erde. Vom ersten Schritt an, den man auf
Jamaica tut, spürt man mit Behagen, daß die spanische Lotterwirtschaft, die
einem manche Strecken Süd-Amerikas verekelt, aufgehört hat.

Englische Kultur weit und breit. Ihre Vorzüge kann man erst richtig
ermessen, wenn man sie sechs Monate lang entbehrt hat.

Eine mehrstündige Automobilfahrt führte uns weite Strecken am Ufer der
Insel entlang. Zum ersten Mal konnten wir über die Herrlichkeiten einer
_gepflegten_ Tropen-Flora staunen. Es ist bekanntlich eine Spezialität der
Engländer, die Natur in Parks zu verwandeln. Das haben sie auch auf Jamaika
fertig gekriegt.

Samtene Rasenflächen -- echte »greens« -- dehnen sich kilometerweit um die
Fahrwege, die, nebenbei gesagt, von vorzüglicher Beschaffenheit sind. Die
Palmenhaine sind überall vom Unterholz sorglich gereinigt. Blühende Hecken
phantastischer Tropenblumen ziehen sich an den Wegen entlang. Man erhält
den Eindruck, als sei die ganze Insel ein großer wohlgepflegter Garten. Aus
dem Grün blickten überall saubere Villen hervor, deren Bauart vollkommen
dem Stil englischer Landhäuser ähnelt.

Das Ziel unserer Fahrt war eine hügelige, mit dichtem Walde bestandene
Landzunge, die wir in den Ozean hineinragen sahen. Wer beschreibt unser
Erstaunen, als wir erfuhren, daß dies der Aufenthaltsort englischer
Zwangssträflinge sei! Wäre nicht die in der Tropenglut doch einigermaßen
erhitzende Arbeit im nahen Steinbruch, so möchte man fast einen kleinen
Einbruch verüben, um für ein Weilchen hierher deportiert zu werden.

Die Stadt Kingston bietet nichts besonders Bemerkenswertes. Der Eindruck,
den man von ihr davonträgt, ist der einer Farbe: Weiß. Weiß sind alle
Häuser, weiß die Straßen, weiß ist der Staub, der von Automobilen und
verschiedenerlei Fuhrwerken in sehr reichlicher Quantität aufgewirbelt
wird, weiß ist die Kleidung aller Passanten männlichen und weiblichen
Geschlechts. Nur eines ist nicht weiß: die indigene Einwohnerschaft der
Stadt. Die ist nämlich schwarz. Übrigens sind die Jamaika-Neger grauenhaft
häßlich, besonders die Frauen, die ja überhaupt bei allen »wilden« Völkern
nie und unter keinen Umständen Anspruch darauf erheben können, das schönere
Geschlecht zu sein.

Ich ahne, daß man von mir erwartet, ich solle nun etwas vom Jamaika-Rum
erzählen. Leider kann ich diesen Wunsch nicht erfüllen. Von diesem Trost
aller Grogtrinker habe ich auf Jamaika nicht mehr gesehen als in Europa.
Eher weniger. Vielleicht, weil die dampfende Hitze hier jeden »Nasenwärmer«
völlig überflüssig macht.

Als wir zum Dampfer zurückkehrten, erwartete uns ein eigenartiger Anblick:
eine schier endlose Negerprozession wanderte vom Hafenquai zum Dampfer.
Jeder trug einen Bananenkolben auf dem Kopfe. Vor dem Laderaum des
Zwischendecks stand ein enormer Neger, mit einem langen Schlachtmesser
bewaffnet. Damit hieb er nach dem Kopf jedes vorüberziehenden
Prozessionsmitgliedes. Man glaubte, sie müßten alle enthauptet in die
Luke purzeln. Das taten sie jedoch nicht. Es stellte sich heraus, daß der
grimmige Henker nur die Strünke der Bananenkolben abschlug. Jeder Neger
nahm seinen Strunk wieder mit. Er mußte ihn am Ladeplatz abliefern, um
einen neuen herübertragen zu dürfen. Eine höchst primitive, aber unfehlbare
Ehrlichkeitskontrolle.

An Kuba habe ich nur eine dumpfe Erinnerung, obgleich der Besuch dieser
Insel wenige Tage zurückliegt. Mir kommt es immer noch merkwürdig vor, daß
ich Santiago wirklich lebend verlassen habe.

So was an Hitze! Dagegen erschien die Treibhaus-Atmosphäre des Mapiri-Tales
als Eiskellerluft.

Ein Halbkreis blendendweißer Kalksteinfelsen umgibt die Stadt. In diesem
Fokus sammelt die Sonne ihre sengenden Strahlen. Der Boden, den man
betritt, scheint weiß zu glühen. Den Druck der heißen Luft auf dem Kopf
empfindet man als physischen Schmerz.

Um vom Hafen in die Stadt zu gelangen, muß man einen zirka zweihundert
Schritte breiten Platz überschreiten, der den Sonnenstrahlen schutzlos
preisgegeben ist. Trotz eines reichlichen Aufgebots von Energie konnte
ich den Entschluß nicht fassen, mich auf diesen Platz hinauszuwagen. Ich
fühlte, daß ich die andere Seite nicht lebend erreichen würde und umschlich
ihn mit großem Bogen im kümmerlichen Schatten der Hauswände.

Kuba ist das Eldorado aller Tabakraucher. Die Kuba-Zigarren hatten auch
mich verlockt, den Dampfer zu verlassen. Nachdem ich meinen Einkauf in halb
besinnungslosem Zustande besorgt hatte, eilte ich -- soweit die Temperatur
das zuließ -- auf den Dampfer zurück.

Von Santiago habe ich infolgedessen wenig gesehen. Hatte auch keine
Sehnsucht, die Tiefen der engen Gassen zu erforschen. Die Stadt macht einen
unappetitlichen, unordentlichen Eindruck. Sie scheint ein einziger großer
Drogenladen zu sein: überall stehen Fässer, Kisten, Kasten, Warenballen,
Tonnen, Flaschenkörbe umher. Die Straßen werden, scheint's, nie gefegt.
Spanische Wirtschaft!

Entschädigt wird man dafür durch das reizvolle und malerische Bild, das die
Insel darbietet, wenn der Dampfer in langsamer Fahrt die Bucht von Santiago
verläßt. Die Ausfahrt ist übrigens so schmal, daß man wetten wollte, unser
Kapitän würde sein Schiff nicht durchzwängen. Wider Erwarten gelang es
doch. An einer Seite des Felsentores steht eine spanische Festung. Mit
einer Batterie kann man hier eine ganze Armada in Schach halten.

Auf der Fahrt von Colon nach New York erlebten wir unseren ersten
regelrechten Sturm auf dem Ozean. Die Wellen, die übers Schiff sprangen,
verwandelten das Promenadendeck in eine Schlittschuhbahn -- ein Umstand,
der von allen Pikkolos und Schiffsjungen, soweit sie seefest waren,
natürlich eifrigst ausgenutzt wurde. Den ganz Geschickten gelang es, unter
dem Druck eines Windstoßes ohne Aufenthalt vom Vorderdeck bis zum Heck zu
schliddern. Ein pudelnasser, aber zweifellos sehr vergnüglicher Sport.
Er mußte eingestellt werden, als der Dampfer sich gar zu steil zu bäumen
anfing. Es war ein wundervolles Schauspiel, wenn sich die Spitze des
6000-Tonnen-Schiffs so tief senkte, daß es regelrecht Wasser schöpfte, und
der schäumende Gischt sich wie ein Sturzbach vom Bug zum Steuer ergoß.
Das Betreten des Deckes war unter solchen Umständen natürlich verboten.
Übrigens gab es unter den Passagieren nur sehr wenige, die dieses Verbot
hätten übertreten können.

Erst wenn man den Ozean im Sturm gesehen hat, weiß man, wie großartig schön
er sein kann. Nur den ganz Gewaltigen raubt ein Zornesausbruch nichts von
ihrer Majestät.


~Tafel 16~

[Illustration: ~JAMAICA~]




19. BRIEF.

NEW YORK.


1. DER ERSTE EINDRUCK.

Schon vierundzwanzig Stunden, bevor man die Metropole der Vereinigten
Staaten zu Gesicht bekommt, bemächtigt sich des Reisenden eine
unerklärliche Unruhe. Selbst wenn man vorher unter den abenteuerlichsten
Bedingungen einen ganz fremden, ebenso phantastischen wie interessanten
Kontinent -- Südamerika -- bereist hat. Trotzdem fühlt man es deutlich: das
eigentliche Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten beginnt erst
mit den Vereinigten Staaten, präziser ausgedrückt mit -- New York.

Dieses Vorgefühl trügt in der Tat nicht. Überall in Südamerika, in den
Städten und selbst in der Wildnis, gelingt es, wenngleich nicht immer ohne
Anstrengung, irgendwelche Anknüpfungspunkte mit dem europäischen Leben
zu finden. Die Vergleichsmöglichkeit überhaupt ist gegeben. In New York
dagegen muß man von vornherein darauf verzichten, mit den uns gewohnten
Lebensbedingungen Vergleiche anzustellen. Mir wenigstens ist es so
ergangen.

Ich habe mich nirgendwo, weder in den argentinischen Pampas, noch in den
Urwäldern Boliviens, weder auf dem ungastlichen Rücken der Kordilleren
noch im buntbewegten Panama so fremd, so wenig heimisch gefühlt, wie in
New York. Und dieses Gefühl ist nicht geschwunden, obgleich ich in
New York länger geblieben bin und bessere Gelegenheit hatte, mich mit
allen Lebensbedingungen vertraut zu machen, als in irgend einer der
südamerikanischen Städte.

Die Unruhe, die einen schon vor New York überkommt, verläßt einen dort
für keinen Augenblick. Man hat die ganze Zeit das Gefühl, als stünde
man unmittelbar vor irgendwelchen Katastrophen des allgemeinen oder
persönlichen Lebens, man wird es erst los, wenn man das Schiff besteigt,
um nach Europa zurück zu fahren. Dann atmet man ordentlich auf. Der Grund
dieser sonderbaren Aufregung ist, glaube ich, nicht in der fabelhaften
Großartigkeit des äußeren Stadtbildes, auch nicht im schwindelerregenden
Straßenverkehr und im rasenden Tempo des geschäftlichen Lebens zu
suchen, obzwar auch dieses alles genügt, um in der ersten Zeit ein
Durchschnittstemperament außer Rand und Band zu bringen. Aber schließlich
sind London und Paris auch keine Dörfer, und zu Zeiten geht es dort
ebenfalls recht lebhaft her. Endlich gibt es keinen Radau, an den man sich
nicht gewöhnen könnte. Warum sollte also der New Yorker Straßenverkehr eine
Ausnahme machen?

Nein, der Grund, weshalb man in New York innerlich nicht ruhig werden kann,
liegt darin, daß man den prinzipiellen Unterschied zwischen den Begriffen
»amerikanisch« und »europäisch« fühlt, und sich von Stunde zu Stunde mehr
der unüberbrückbaren Kluft bewußt wird, die unseren guten alten Kontinent
von der neuen Welt trennt, trotz des täglichen Verkehrs, der zwischen ihnen
aufrecht erhalten wird.

Dem Nordamerikaner ist die Psychologie des Europäers ebenso fremd, wie
diesem das Innenleben eines Schimpansen. Man versteht sich gegenseitig
nicht, denn man ist aus ganz verschiedenem Material geknetet. Und
ebensowenig, wie man den einzelnen Menschen versteht, begreift man die
Formen, die das Leben dort angenommen hat. D. h. mit dem Verstande wohl,
nicht aber mit dem Herzen. Das jedoch ist die Grundbedingung dazu, um sich
irgendwo heimisch, oder auch nur gemütlich zu fühlen.

Dieser Umstand braucht einen nicht zu hindern, den Vereinigten Staaten den
Zoll aufrichtiger Bewunderung zu entrichten. Es ist ein wundervolles Land,
und man bedauert vielleicht schmerzlich, daß es einem innerlich immer
verschlossen bleiben muß.

       *       *       *       *       *

Einen unvergeßlichen Anblick bietet die Bucht von New York, wenn man an
einem sonnigen Sommermorgen die Einfahrt passiert. Weithin sichtbar erhebt
sich die kolossale Freiheitsstatue auf ihrem breiten Granitsockel. Ihr
goldenes Haupt scheint Blitze zu sprühen. Unzählige Dampfer, Segelschoner,
Schaluppen schaukeln sich auf den Wellen, dazwischen schießen pfeilschnell
in allen Richtungen Motorboote und die kleinen Dampfkutter, die den Verkehr
zwischen der Stadt, den vielen Inseln der Bucht und den weiter gelegenen
Vororten vermitteln. Es ist ein unwahrscheinlich buntes und belebtes Bild.
Im Vergleich dazu scheint Cuxhaven der Vorhof einer Toteninsel.

Bald wird die Aufmerksamkeit von der nächsten Umgebung des Dampfers
abgelenkt: vom Morgennebel noch ein wenig verhüllt zeichnet sich die
Silhouette der Stadt in immer deutlicher werdenden Umrissen am Horizont ab.
Im ersten Augenblick ist es schwer, sich über die Linie dieser Silhouette
klar zu werden. Sie hat so merkwürdig viele Ecken und gerade Linien, die
hoch in den Himmel hineinragen. Wenn man näher kommt und einzelne Bauwerke
unterscheiden kann, begreift man, was man vor sich hat.

Das also sind die berühmten Wolkenkratzer! Vom Meer aus erfaßt man ihre
Dimensionen noch ganz und gar nicht. Sie sehen nur so merkwürdig aus, weil
sie vereinzelt dazustehen scheinen, denn die Häuserzeile mit Gebäuden unter
zehn Stockwerken bleibt unbemerkt.

Es dauert überhaupt eine ganze Weile, zum mindesten einige Tage, bis man
das Straßenbild von New York mit vollem Bewußtsein in sich aufzunehmen
vermag. Wir sind solche Dimensionen nicht gewöhnt; der Blick gleitet
darüber hinweg, ohne daß der Verstand erfaßt, was das Auge sieht. Erst
allmählich lernt man begreifen, was man vor sich hat, und erst dann kann
man anfangen zu staunen.

Alle Achtung vor den amerikanischen Architekten, deren berühmtester
übrigens -- eine Frau ist. Sie verstehen es, die kolossalen Steinmassen
so zu gliedern, daß man sich von den enormen Gebäuden, die die Straßen
umsäumen, keinen Augenblick bedrückt oder eingeengt fühlt. Zählen lassen
sich übrigens die Stockwerke der Wolkenkratzer ebensowenig, wie etwa die
Waggons eines vorüberfahrenden Güterzugs. Man hat keine Anhaltspunkte. Ist
man glücklich in die Gegend von zwanzig gekommen, so muß man sicherlich
wieder von vorne anfangen.

Kurz vor unserer Ankunft war das höchste Gebäude New Yorks, auf das sogar
die Amerikaner ganz besonders stolz sind, fertig geworden. Es steht
in vollster Pracht, von Gerüsten befreit, am Broadway da. Es ist die
Kleinigkeit von siebenundsechzig Stockwerken hoch, d. h. es soll so viele
Etagen haben. Nachzählen habe ich sie nicht können. Bei einem Zählversuche
muß hier auch das sicherste Auge versagen, aus dem einfachen Grunde,
weil man in der schwindelnden Höhe der obersten zwanzig Stockwerke keine
einzelnen Fenster unterscheiden kann, man mag noch so weitsichtig sein.
Man kann sich von den Dimensionen des Gebäudes annähernd eine Vorstellung
machen, wenn man erfährt, daß es fast dreihundert Meter, d. h. beinahe
ebenso hoch wie der Eifelturm ist. Da es trotzdem durchaus den Eindruck
eines Hauses und nicht den eines Turmes macht, kann man sich denken, welch
einen enormen Flächenraum es bedeckt. Wie mag es den Leuten zumute sein,
die etwa im sechzigsten Stockwerke wohnen und eine Fernsicht fast bis
Europa genießen? Unsereines hätte sicherlich nicht die innere Ruhe für
solch ein luftiges pied-à-terre, das übrigens in diesem Falle lieber
pied-en-air heißen sollte. Schon der Feuersgefahr wegen. Es brennt in
New York täglich an allen Ecken und Enden, und zwar vorzugsweise in den
Wolkenkratzern. Kein Mensch regt sich mehr darüber auf. Die Zeitungen
registrieren ganz geschäftsmäßig die Zahl der Leichen.

Die Wolkenkratzer in New York rangieren nicht als gleichberechtigt unter
der großen Masse der übrigen Häuser. Sie sind Aristokraten, und werden
individuell behandelt. Bei den Lebenden leugnet die demokratischste aller
Nationen den Adel ab, unter toten Gebäuden schafft sie ihn sich. Das
äußert sich darin, daß jeder »sky-scraper« seinen Namen hat. Dieser Name
bezeichnet entweder den Besitzer des Gebäudes: »Astor-Haus«, oder eine
Bestimmung: »Rubber-building«, »Times-building«, oder ist einfach aus
freier Phantasie geschöpft: »Atalanta«, »Independencia« usw. Dieser Name
genügt natürlich als Adresse, sowohl der Post, als auch den Lenkern der
Verkehrs-Vehikel.

Das Wolkenkratzer-Viertel ist die Geschäftsgegend der Stadt, New York-City.
Es beschränkt sich auf die Straßen, die den Anfang des Broadway
durchqueren. Dieser Broadway ist übrigens eine unfaßliche Straße,
nach europäischen Begriffen wenigstens. Er ist -- sage und schreibe --
45 Kilometer lang. Wenn man als Kind an einem Ende ausgeht, kommt man als
Greis am andern an.

Seine Häuser individualisiert New York, die Straßen dagegen nicht. Es
gibt nur wenig Straßen, die einen Namen haben. Die Numerierung der Straßen
erleichtert einem zwar das Orientieren in der Stadt, hat aber im
übrigen etwas Geisttötendes an sich, ebenso, wie die »Linien« auf dem
»Wassili-Ostrow« in Petersburg. Längelang wird die Stadt vom Broadway
und zwölf Avenuen durchschnitten, von denen nur eine einen Namen hat:
die »Amsterdam Avenue«, quer durch gehen ca. 270 Straßen, deren jede
ihre Nummer hat, durch zwei Zahlen und die Hausnummer läßt sich also jede
beliebige Stelle der Stadt genau fixieren. Dieses Verfahren ist ebenso
bequem wie langweilig, was sich übrigens auch von manchen anderen
»amerikanischen« Einrichtungen sagen läßt.

Von den Avenuen ist die großartigste die berühmte »Fünfte«. Die verwegenste
Rechenkunst muß an dem Exempel versagen, wieviele Milliarden schwer die
Bewohner dieser Straße sind. Im Rayon der ersten siebzig bis achtzig
Querstraßen ist die 5. Avenue die vornehmste Kaufstraße New Yorks.
Die ganze »Rue de la paix« und »Avenue de l'Opéra« von Paris, die
»New-bond-street« aus London haben hier ihre Filialen. Am meisten ins
Auge stechen die fabelhaften Juwelierläden und die märchenhaften
Blumengeschäfte. Nebenbei bemerkt, trägt jede fashionable New Yorkerin, die
die 5. Avenue zu Fuß oder im Auto passiert, einen ziemlich umfangreichen
Blumenstrauß im Gürtel, meistens Orchideen oder Rosen.

Beim sogenannten »Central-Park«, einem entzückend gepflegten
Stadtgarten, beginnt die vornehmste Wohngegend New-Yorks, der Rayon
der »Einfamilienhäuser«. Hier hat sich unter anderem die ganze Dynastie
Vanderbilt angesiedelt. Ein Palast steht neben dem anderen. Jeder Chauffeur
nennt einem die Bewohner der einzelnen Häuser und erzählt gerne und
ausführlich ihre Familiengeschichten. Die Paläste der Dollarkönige zeugen
übrigens von einigem Geschmack der -- Architekten. Nur dokumentiert sich in
fast allen eine gewisse Vorliebe für schwere klobige Steinmassen und wenig
Lichtfreudigkeit. Die Häuser sind meistenteils in etwas finster anmutendem
romanischem Stil erbaut.

Von den Bewohnern weilt übrigens jetzt kein Mensch in der Stadt. Die ganze
5. Avenue hinauf sind alle Fenster ohne eine einzige Ausnahme verhängt.
Ohne sie zu sehen, kennt man diese Bewohner, wenn man einen schwatzhaften
Chauffeur hat. Man weiß auch bald, wieviel Geld sie haben, ob sie in
glücklicher oder unglücklicher Ehe leben, wieviel ihre Häuser gekostet
haben usw. Das teuerste Haus besitzt ein Sohn des berühmten Cornelius
Vanderbilt. Es soll die Kleinigkeit von 7 Millionen Dollar gekostet haben,
sieht aber nicht danach aus. Einen verhältnismäßig bescheidenen Eindruck
macht das Haus des jüngst verstorbenen Pierpont Morgan. Es ist nicht an der
5. Avenue, sondern in einer ihrer Querstraßen gelegen. Der Besitzer hat
die wenig geschmackvolle Idee gehabt, mitten zwischen die umgebenden
Mietskasernen einen griechischen Tempel für seine weltberühmte
Bildergalerie hinbauen zu lassen. Das ganz aus weißem Marmor aufgeführte
Gebäude ist an sich wunderschön, ideal in den Proportionen, rein und
edel in allen Linien, doch nimmt es sich an dieser Stelle aus, wie eine
Edelpalme auf einem Kohlfelde.

Von den öffentlichen Gebäuden New Yorks ist das schönste die
»Carnegie-Hall«, ein stilvoller Tempelbau in der vornehmen Umgebung der
5. Avenue. Er beherbergt unter anderem eine wundervolle Bibliothek, in
deren Zeitungssaal ich täglich die hauptsächlichen Moskauer Zeitungen lesen
konnte.

Schöner noch als die 5. Avenue, wenngleich sie für etwas weniger vornehm
gilt, ist die sogenannte »River-side«, das hochgelegene Ufer des imposanten
Hudson-River. Unter den herrlichen Villen, die dort stehen, erregt am
meisten Bewunderung die Besitzung eines gewissen Mr. Schwab, des getreuen
Mitarbeiters Andrew Carnegies. Es ist eine altdeutsche Burg, ungefähr von
den Dimensionen des Münchener Nationalmuseums.

Entzückend sieht der Hudson-River mit seinen grünen Ufern an sonnigen
Sommertagen aus. Unzählige Segel- und Motor-Jachten beleben seine glänzende
Wasserfläche. Einen unbeschreiblich großartigen Eindruck machen die vier
Riesenbrücken, die ihn überwölben und die Verbindung zwischen New York und
Brooklyn herstellen. Der Anblick dieser zwei Kilometer langen Brücken, die
in kühnem Bogen die beiden gegenüberliegenden Ufer verbinden, und mit
ihren kolossalen Strebepfeilern fast in die Wolken hineinzuragen scheinen,
benimmt einem geradezu den Atem.

Von allen Städten, die mir bis jetzt zu Gesicht gekommen sind, ist
New York bei weitem die internationalste. Jedes Volk fast hat dort
sein Stadtviertel, in dem es seine Eigenart vollkommen bewahrt. Am
interessantesten sind die Stadtviertel der Italiener, Juden, Chinesen und
Neger.


2. HOTELS, ZEITUNGSWESEN, REKLAME.

Der Hotel-Komfort in Europa wird immer raffinierter und raffinierter. Das
verdanken wir den Yankees. Sie sind es »bei sich zu Hause« so gewöhnt und
wollen es in Europa, wenn sie uns mit ihrem Besuch beehren, auch nicht
schlechter haben. Und da dürfen wir nun mitgenießen, obgleich wir es bei
»uns zu Hause« durchaus nicht so gewöhnt sind.

Aber trotz aller unserer Anstrengungen gelingt es uns nicht, die Amerikaner
in bezug auf Hotel-Luxus auch nur annähernd zu erreichen, geschweige
denn zu übertrumpfen. Weder »Cecil« und »Carlton« in London, noch die
glänzendsten Hotels in Paris, noch »Adlon« in Berlin können mit den
amerikanischen Hotelpalästen konkurrieren.

In Amerika geht bekanntlich alles ins Grandiose. Neben der Qualität kommt
auch die gemeine Quantität zu ungebührlicher Bedeutung. Die Sucht nach
großen Zahlen beseelt das Leben und Streben der Amerikaner. Das gilt ganz
besonders auch vom Hotel-Betriebe.

Das »Astor-Hotel« in New York genießt den Ruf »vornehm und ruhig« zu sein.
Was soll man nun dazu sagen, wenn man hört, daß in diesem »ruhigen« Hotel
neun Orchester beschäftigt werden, die zu allen Tages- und Nachtzeiten in
den verschiedenen Speisesälen des Hauses konzertieren. Aber selbst damit
ist dem unersättlichen Musikbedürfnis der Hotelleitung und ihrer Gäste
nicht Genüge getan. Im »Astor-Hotel« steht im großen Bankett-Saal die
größte Orgel der Vereinigten Staaten, ein wundervolles Werk amerikanischer
Orgelbaukunst, auf der ein eigens angestellter Organist -- nebenbei gesagt
ein Meister seines Faches, der mit seinen 6000 Dollar Gehalt gewiß nicht zu
hoch bezahlt ist -- die Tafelfreuden der reichen Yankees würzt.

Während unseres Aufenthaltes im »Astor-Hotel« wurde dort von verschiedenen
offiziellen und inoffiziellen deutschen Vereinigungen das 25jährige
Regierungsjubiläum Kaiser Wilhelms gefeiert. Der gewöhnliche Betrieb des
Hotels erlitt dadurch keine Einbuße. Doch erzählte der Direktor des Hotels
nachher nicht ohne Stolz, daß an diesem Abend Diners für insgesamt 2800
Personen serviert worden waren, womit jedoch das Küchenpersonal des Hotels
und die 600 Kellner keineswegs überanstrengt wurden.

Eine Sehenswürdigkeit von New York ist der »roof-garden«, des
»Astor-Hotels«. Es gibt auch anderswo in der Welt Dachgärten, z. B. in
Petersburg auf dem »Hotel d'Europe«. Doch kann er sich mit der vorwitzigen
Probe amerikanischer Gartenbaukunst auf dem Dache des »Astor-Hotels«
natürlich nicht im entferntesten messen. Schon den Dimensionen nach ist
der »Astor-roof-garden« unendlich viel imposanter. Dort gibt es offene und
geschlossene Wandelhallen, Squares mit wundervollen Blumenrabatten, ganze
Palmenhaine und weiß der Himmel was alles noch. Eine wahrhaft geniale
Einrichtung kann man während der mit Recht berüchtigten amerikanischen
Hitzwellen nicht genug preisen. Ein großer Teil des Gartens hat nämlich ein
Dach aus Glas, und über dieses Dach rieselt ununterbrochen kühles Wasser,
wodurch die Temperatur dort immer erträglich ist. Überdies machen diese
fließenden Wasser abends beim Lichte unzähliger bunter elektrischer Flammen
einen höchst phantastischen Eindruck. Man wähnt sich auf dem Grunde des
Ozeans und wartet auf die Fische und Seesterne, die gleich vorbeischwimmen
werden. Dekoration zu Rheingold, erster Akt. Und das alles in der Höhe des
fünfzehnten Stockwerkes.

Entsprechend diesem Restaurant-Luxus sind natürlich auch die Wohnräume des
Hotels aufs raffinierteste eingerichtet und mit allen Bequemlichkeiten der
modernen Hoteltechnik versehen. Daß jedes Logis sein eigenes Badezimmer hat
und auch im Waschtisch fließendes heißes Wasser, versteht sich in Amerika
von selbst. Weniger selbstverständlich, aber ebenso angenehm ist das
Telephon in jedem Logis, und zwar ein Telephon, mit dem man nicht nur die
Dienstboten anruft, sondern Anschluß nach Chicago, Philadelphia, mit einem
Wort überallhin, wo es Telephonleitungen gibt, haben kann. Elektrische
Glocken sind übrigens verpönt. Auf einen Anruf der Zentrale des Hotels
erscheint prompt der gewünschte dienstbare Geist.

Ein Patent des »Astor-Hotels« ist eine ingeniöse Einrichtung, vermittels
derer jeder Hotelgast sofort erfährt, wenn Post für ihn da ist. Jede Nummer
hat ihr Postfach. Wenn nun ein Brief oder auch nur eine Visitenkarte in das
Postfach hineingeschoben wird, schließt sich eine elektrische Leitung,
und in der betreffenden Nummer leuchtet an der Wand ein Menetekel in
roter Schrift auf: »mail for you in the office«. Natürlich freut man sich
diebisch über diese frohe Botschaft, wenn man abends sein Zimmer betritt.
Ein Ruf ins Telephon, und nach fünf Minuten ist man im Besitze seiner
Briefe.

Dennoch gab es in New York eine Zeit, in der wir sowohl die Post als auch
das Telephon verwünschten. Das war während der ersten vier bis fünf
Tage. Und verekelt wurden uns diese beiden nützlichen und angenehmen
Institutionen durch meine lieben Kollegen -- die New Yorker Journalisten.

Das ist ein Kapitel für sich und sein Inhalt ist tragikomisch. Wenn ich bei
seiner Wiedergabe etwas persönlich werde, werden mir das meine verehrten
Leser hoffentlich nicht verübeln.

Die Amerikaner bilden sich bekanntlich ein, die demokratischste aller
Nationen zu sein. Das hindert sie jedoch keineswegs, einem so dreisten und
naiven Snobismus zu huldigen, wie er in Europa glücklicherweise nur noch
ausnahmsweise vorkommt. Mein Reisekamerad führt vor seinem Namen einen
nach amerikanischen Begriffen außerordentlich hohen Titel. Dieser Umstand
genügte, um bei unserer Ankunft in New York an der Landungsbrücke der
Hamburg-Amerika-Linie ein ganzes Heer von Reportern und Photographen
zu versammeln, denn die Passagierliste des Dampfers war nach New York
telegraphiert worden. Da wir auf diesen Ansturm völlig unvorbereitet waren,
gaben wir den Herren bereitwilligst Auskunft über alles, was sie wissen
wollten, in der Annahme, daß sie sich wirklich für unsere Erlebnisse in den
südamerikanischen Tropen interessierten. Stutzig wurden wir, als auch bei
unserer Ankunft im Hotel, wo wir ebenfalls telegraphisch angemeldet waren,
uns die Visitenkarten einiger Berichterstatter amerikanischer Zeitungen
überreicht wurden. Sie folgten uns auf Schritt und Tritt, wo wir gingen und
standen, assistierten uns beim Frühstück, notierten sich eifrig das Menü,
fragten nach lauter Dingen, die sie ganz und gar nichts angingen und
interessierten sich besonders für unsere Meinung über die amerikanischen
Frauen. Am nächsten Morgen schon durften wir die Früchte dieser aus
angeborener Höflichkeit gewährten Interviews genießen. Alle New Yorker
Zeitungen brachten spaltenlange Artikel, die sich aufs ausführlichste mit
unserer Wenigkeit beschäftigten. Die Phantasie der Reporter feierte dabei
wahre Orgien. Von unseren südamerikanischen Erlebnissen kein Wort, dagegen
die Mitteilung von lauter zu sensationellen Ereignissen aufgebauschten
Nichtigkeiten.

Wir hatten unseren Koffer, der unsere Gesellschaftsanzüge enthielt, nicht
gleich bekommen können und waren infolgedessen gezwungen, in Jackettanzügen
zum Mittagessen im Speisesaal des Hotels zu erscheinen: Daraus wurde ein
fulminanter Artikel: »Russian Prince dining in the Astor-Hotel in a white
flannel suit«. Der phantasiebegabte Journalist schilderte in lebhaften
Farben das Entsetzen, das wir beim maitre d'hôtel hervorgerufen hatten,
das Aufsehen, das wir bei der Tischgesellschaft erregten, zählte die Gläser
»wodki« auf, die wir angeblich getrunken, und die Portionen Kaviar, die wir
gegessen hatten, schilderte dann den Inhalt unserer vierzehn (!) Koffer,
als wenn er sie selbst eingepackt hätte, und schloß mit der weisen
Sentenz, daß wahre Vornehmheit sich auch in einer weißen Flanelljacke nicht
verleugnen könne. Von alledem war nur wahr, daß wir statt in Smokings
in blauen Anzügen klein und bescheiden in einer Ecke des Speisesaales zu
Mittag gespeist hatten.

Ein anderer Reporter ging gleich in medias res. »Russian Prince in
New York not for a bride but for study« war sein Artikel mit Riesenlettern
überschrieben. Darin standen die wunderbarsten Dinge, die wir angeblich
über die Frauen sämtlicher Weltteile und besonders über die amerikanischen
Damen geäußert hatten. Sittliche Entrüstung hatten bei uns der »Tango«,
der »Turkey-Trot« und wie alle diese geschlichenen, geschaukelten und
geschwungenen amerikanischen Schiebetanz-Scheußlichkeiten sonst noch
heißen, hervorgerufen. Dem »Mondscheintanz« (??) der bolivianischen
Indianerinnen gaben wir entschieden den Vorzug. Diesen ganzen Unsinn
hatte sich der kühne Federheld bis auf den letzten i-Punkt aus den Fingern
gesogen.

Noch ein anderer schilderte in tragischen Tönen ein völlig belangloses
Erlebnis: »Real Russian Prince lost in the L-train«, dem die wahre
Begebenheit zugrunde lag, daß wir uns am ersten Abend vergeblich bemüht
hatten, mit den Untergrund- und Hochbahnen nach Coney-lsland zu kommen, was
mißlang, da wir stets in die falschen Wagen einstiegen und von den bis
zur Grobheit unhöflichen Yankees auf keine Weise eine vernünftige Auskunft
erhalten konnten. Lange leutselige Gespräche, die mein Kamerad dabei mit
den Schaffnern und Mitreisenden geführt hatte, erfuhren wir aus diesem
Artikel zum erstenmal.

Da meine Person als solche den amerikanischen Journalisten zu gering
war, avancierte ich je nach Bedarf zum »Baron« oder »Professor«. Ein ganz
dreister Reporter, den ich nie gesehen habe, leistete sich dabei eine
wundervolle Beschreibung meiner äußeren Erscheinung, wobei er sich lange
bei der Schilderung meines wallenden weißen Bartes aufhielt und voller
Rührung erzählte, welch ein herrliches Verhältnis zwischen dem »genial old
gentleman«, dem intimsten Freunde des Grafen Tolstoi (das war ich), und
seinem Schutzbefohlenen (mein Reisekamerad) herrsche und mit welch einer
Andacht der junge Springinsfeld von Prinz die Weisheit von den
Lippen seines »general adviser« lese, der übrigens zuweilen auch als
»safety-brake« (Sicherheitsbremse) zu funktionieren habe.

Zuerst amüsierten wir uns über den Unsinn, dann ärgerten wir uns, endlich
schnaubten wir Wut, besonders als uns auch aus anderen amerikanischen
Städten, Boston, Chicago, Philadelphia Zeitungsausschnitte zugingen,
die denselben haarsträubenden Blödsinn, noch verbrämt und ausgeschmückt,
enthielten. Den ganzen Tag rasselte das Telephon. Erst waren es nur
Reporter, dann Photographen, die uns bei uns, bei sich, vor dem Hotel, im
Auto, auf der Straße, immer unentgeltlich photographieren wollten, dann
klingelten allerhand Agenten, Wucherer, Damen »der Gesellschaft«, die uns
zu Fünfuhr-Tanzkränzchen einluden, verkrachte Russen, darunter ebenfalls
einige Fürstinnen und Gräfinnen, die die unglaublichsten Anliegen hatten
usw. Denn alle Zeitungsartikel erschienen mit voller Nennung unserer Namen
und genauer Angabe der Adresse. Da wir nur wenige gute Freunde in New York
hatten, die der Hotel-Administration ausnahmslos bekannt waren, war es
glücklicherweise nicht schwer, Gegenmaßregeln zu ergreifen. Wir ordneten
kurz entschlossen an, daß kein Mensch, wer es auch sei, empfangen werde
und daß keine Telephonverbindung mit unserer Nummer herzustellen sei. Dann
hatten wir endlich Ruhe. Aber der »Russian Prince« spukte noch lange in den
amerikanischen Blättern.

Für den Snobismus der Amerikaner und ihr Zeitungswesen ist das Erzählte
sehr charakteristisch. Es gibt nur zwei Dinge, von denen sich die
amerikanischen Journalisten nähren: Klatsch und Sensation. Sonst existiert
für sie nichts. Das Niveau aller amerikanischen Zeitungen -- auch der
deutschen -- ist ein geradezu klägliches. Die verpöntesten Pariser
Klatschblätter sind trockene wissenschaftliche Revuen dagegen.

Übrigens gibt es noch ein Drittes, wovon die amerikanischen Zeitungen
schwellen und ihre Besitzer reich werden: die Reklame. Über das
Reklame-Unwesen in Amerika ließen sich Bände schreiben und sind wohl auch
schon geschrieben worden. Doch zeigt es sich zuweilen in ganz amüsanten und
sogar hübschen Formen. Zu diesen gehört die fabelhafte Lichtreklame, die
abends und nachts in den Straßen von New York getrieben wird. Man kann sich
denken, welch wunderbare Flächen für Elektrizitäts-Orgien die Brandmauern
der Wolkenkratzer abgeben. Diese Gelegenheit nutzen die Amerikaner denn
auch gründlich aus. Ganz New York scheint am Abend in Flammen zu stehen.
Die Beleuchtungstechnik feiert Triumphe. Die unglaublichsten Dinge spielen
sich an den Wänden der Häuser ab, dargestellt durch elektrische Lampen:
Boxerkämpfe, Pferderennen, Tänze, weiß der Himmel was alles noch. Diese
Illumination bietet ein feenhaftes Bild, an dem man sich anfangs gar nicht
satt sehen kann. Außerdem sind diese weithin leuchtenden Reklameschilder
vortreffliche Orientierungstafeln für alle Fremde. Zu unserem Leitstern
wurde ein zirka dreißig Etagen hoher Frauenkopf, der freundlich mit dem
linken Auge blinzelte. Er lud zum Einkauf von »Spearmint« ein. Das ist
eine besonders beliebte Sorte des amerikanischen Kaugummis. In Amerika kaut
nämlich jedermann von morgens früh bis abends spät Gummi. Hoffentlich
ist das ebenso hygienisch, wie es unästhetisch ist. Der Fremde freilich
verwünscht den Gummi in der Amerikaner Munde. Zu einer Konversation wird
dieser Gummi nämlich nicht etwa herausgenommen oder ausgespuckt, sondern
bloß mit der Zunge beiseite geschoben. Nun spricht der Amerikaner sowieso
sein Englisch als wenn er Brei im Munde hätte. Dieser Gummiballen in
der Backentasche verwandelt seine Aussprache vollends in eine Folge
unartikulierter Laute und Geräusche. Wenn man gerade eine halbe Stunde
lang mit einem Chauffeur oder Schutzmann geredet hatte, um ihr
Kautschuk-Englisch endlich doch gründlich mißzuverstehen und dann zu der
freundlich blinzelnden Spearmint-Dame aufblickte, schien ihr Lächeln nur
noch Spott und Schadenfreude auszudrücken, und man wußte nicht, was
man mehr verwünschen sollte, die Gummi-Industrie oder die elektrische
Beleuchtungstechnik, die für sie Reklame macht.


3. POLIZEIWESEN, DETEKTIVS, VERBRECHERKNEIPEN UND OPIUMHÖHLEN.

Der Mord-, Spiel- und Skandalprozeß des amerikanischen Polizeileutnants
Becker hat die New Yorker Polizei in den Augen Europas diskreditiert. Wir
sind ja froh, wenn wir den Nachbarn jenseits des Großen Wassers nachsagen
können, daß bei ihnen irgend etwas faul ist. Müssen wir doch in vielen
Dingen, wenn auch noch so ungern und widerstrebend, ihre Überlegenheit
zugeben. Aber auch in bezug auf die amerikanische Polizei sollte man sich
hüten, auf Grund sensationeller Zeitungsnachrichten ein vorschnelles
Urteil zu fällen. Eine Eiterbeule beweist noch lange nicht, daß der ganze
Organismus krank ist.

Tatsache ist jedenfalls, daß die Einrichtungen der New Yorker Polizei über
jedes Lob erhaben sind. Wie diese Einrichtungen funktionieren, ist eine
andere Frage, die man erst nach gründlichem Studium der einschlägigen
Verhältnisse beantworten könnte.

Bei flüchtigem Einblick wirkt die Organisation der Kriminalpolizei in
New York verblüffend. Dank einer einflußreichen Empfehlung durften wir die
Einrichtungen des Haupt-Polizeiamts aufs Genaueste in Augenschein
nehmen. Es scheint unmöglich, daß jemand, der einmal mit der New Yorker
Kriminalpolizei in Berührung gekommen ist, sich jemals wieder vor ihr
verbergen könnte.

Ein besonderer Raum enthält die Verbrecher-Albums, d. h.
Photographien-Schränke, in denen an beweglichen Rahmen, sorglich geordnet
und numeriert, die Porträts sämtlicher Personen zu finden sind, die das
Kriminalamt als verdächtig passiert haben. Jede Karte zeigt zwei Aufnahmen,
die eine en face, die andere im Profil. Für den Physiognomiker ist diese
Porträt-Galerie natürlich eine wahre Fundgrube, aber auch dem Laien
fällt es schwer, die Durchsicht der Schränke einzustellen. Leider ist
es unmöglich, diese ganze, weit über Hunderttausend Nummern umfassende
Sammlung in Augenschein zu nehmen.

Man findet unter den Verbrecher-Physiognomien außerordentlich interessante
Gesichter. Man möchte gerne einen oder den anderen Kopf genauer betrachten.
Und es reizt einen natürlich, die Geschichte der betreffenden Personen
kennen zu lernen. Das ist dem Beschauer übrigens leicht gemacht. Neben der
Photographie befindet sich eine zweite Karte, die nicht nur das Signalement
des Verbrechers enthält, sondern auch eine kurze Angabe der Art und
der Zahl seiner Verbrechen. Neben Raubmördern finden sich dort harmlose
Hochstapler, neben Dieben und Wechselfälschern -- Heiratsschwindler
und Falschmünzer. Eine Nummer auf der Karte verweist einen an einen der
Schränke des nebenanliegenden Archivs. Dort findet man in dem betreffenden
Schubfache nicht nur das ganze Aktenmaterial, sondern auch alle
Zeitungsnotizen über den betreffenden Verbrecher und alle Darstellungen,
die seine Schandtaten in der Presse gefunden haben. Oft ist es eine ganze
kleine Bibliothek, die zu diesem oder jenem Verbrecherkopf gehört. Wieder
eine andere Nummer gibt die Stelle an, wo man das genaue Signalement des
Mannes, die Resultate der an ihm vorgenommenen anthropometrischen Messungen
und die Photographie seiner Fingerabdrücke finden kann. Überall herrscht
eine so musterhafte Ordnung, daß sich jeder Laie sofort zurechtfinden kann,
ohne fremder Beihilfe zu bedürfen.

Ein Kapitel für sich bilden die Fingerabdrücke. Der uns begleitende
Kriminalbeamte konnte sich nicht genug tun in Lobpreisungen dieses
angeblich unfehlbaren Mittels zur Diagnostik von Verbrechern. Das
Liniensystem der Fingerspitzen ist jetzt minutiös klassifiziert. Mit
kabalistisch anmutenden Zahlen und Buchstaben kann jeder Fingerabdruck aufs
genaueste rubrifiziert werden. Das erleichtert nachher seine Auffindung
unter dem schon vorhandenen Material sehr erheblich. Unser Führer zeigte
uns nachher die Abdrücke eines Zeige- und Mittelfingers, die kürzlich am
Tatort eines Verbrechens an einem silbernen Eßlöffel nachgewiesen worden
waren und die zur unfehlbaren Identifizierung des Verbrechers -- es
handelte sich um einen ganz scheußlichen Raubmord -- geführt hatte.
Wenn man sich das Gewirr der Linien eines Fingerabdrucks unter der
Lupe betrachtet, wird allerdings ohne weiteres klar, daß eine genaue
Wiederholung dieses komplizierten und bizarren Labyrinths an einem anderen
Finger unmöglich ist. Leider sind jetzt nur schon viele amerikanische
Verbrecher so schlau, in Handschuhen zu »arbeiten«.

Eine höchst wichtige Rolle im amerikanischen Kriminalwesen spielen die
Detektivs. Es wimmelt in New York von Geheimpolizisten. Auf Schritt und
Tritt begegnet man allerhand Nick Carters und Nat Pinkertons aus Fleisch
und Bein.

In allen Theatern und großen Kaufläden, auf den Bahnhöfen, in den
Stadtbahnzügen, an allen öffentlichen Plätzen und in sämtlichen großen
Hotels sind sie in Massen zu finden.

In der Halle des »Astor-Hotels« lernten wir sie, durch den Direktor
aufmerksam gemacht, bald von anderen Hotelgästen unterscheiden. Mit einem,
der ganz besonders vertrauenerweckend aussah, befreundeten wir uns sogar.
Der Mann erzählte so viel Interessantes von seiner Tätigkeit, daß in meinem
Reisekameraden und in mir der Wunsch erwachte, das Feld seiner früheren
Tätigkeit, d. h. die eigentliche Verbrecher-Gegend New Yorks kennen zu
lernen. Daraufhin machte uns der Brave den Vorschlag, uns eine Nacht in den
verrufensten Stätten des dunkelsten New York herumzuführen. Nachdem uns
die Hotel-Administration versichert hatte, daß wir uns dem Mann ruhig
anvertrauen könnten, nahmen wir diesen Vorschlag mit Freuden an.

Am nächsten Abend um 12 Uhr fuhr das Auto vor, und los ging es -- ins
dunkelste New York. Dieser Ausdruck gilt zunächst im buchstäblichen Sinn
des Wortes. Durch eine Reihe von miserabel erleuchteten Straßen erreichten
wir das Neger-Viertel der Stadt. Das größte Kontingent der Verbrecher in
den Vereinigten Staaten ist unter den Schwarzen zu suchen. Wenn man sieht,
wie diese Leute behandelt werden, kann man es ihnen eigentlich nicht übel
nehmen, daß sie von Haß und Rachedurst gegen die Weißen erfüllt sind.
Der weiße Amerikaner sieht den Neger nicht als Menschen an, sondern als
inferiores Wesen, vor dessen Berührung ihn ekelt. Ich lernte in New York
eine alte Dame kennen, die täglich die unzähligen Treppenstufen zu ihrer
im achten Stockwerk gelegenen Wohnung hinauf keuchte, weil sie es für nicht
vereinbar mit ihrer menschlichen Würde hielt, den Lift zu benutzen, der von
einem Negerboy bedient wurde. Doch das nur nebenbei.

Dieser Horror vor allem, was ein »colored man« ist, zwingt die Neger, in
dem für sie reservierten Stadtviertel zu leben und zu sterben. Wir suchten
zuerst eine Negerkneipe dritten Ranges auf. Unser Nick Carter schien dort
wohlgelitten zu sein. Der Wirt empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit. Es
ging in dem Lokal etwas laut, aber keineswegs anstößig zu. In der Mitte des
ziemlich kleinen Raumes drehten sich einige Negermädchen und -burschen
im Tanz. Die Musik dazu lieferten ein schwarzer Pianist und zwei ebenso
schwarze Gitarristen. Sie eroberten meine Sympathien sofort. Ich habe
eine große Schwäche für die originellen Rhythmen der Negermelodien. Sie
enthüllen ihren ganzen Reiz aber erst, wenn man sie von Negern selbst
spielen hört. Diese Selbstverständlichkeit und Elastizität der stets
synkopierten Rhythmen bringt ein Europäer nie und nimmer heraus, er mag
noch so musikalisch sein. Furchtbar aber ist es, wenn die Neger anfangen zu
singen. Leider tat das eine anwesende Negermaid. Sie hatte, wie alle ihre
Stammesgenossen, eine grauenhafte Stimme, ein Mittelding zwischen einem
schlecht geschmierten Wagenrad und einem verbeulten Gießkannenrohr.
Trotzdem erntete sie beim anwesenden Publikum rauschenden Beifall.

Wir waren die einzigen Weißen, und wurden von den Nebentischen aus scheel
angesehen. Die Zuvorkommenheit des Wirtes, der uns selbst bediente, mag die
Unzufriedenen im Zaum gehalten haben. Wenn man die Neger en masse beisammen
sieht, kann man den animalischen Vorzügen ihrer Rasse seine Bewunderung
nicht versagen. Es ist ein Vergnügen, diese tadellos gebauten Gestalten
anzusehen, deren Muskelkraft legendarisch ist. Auch die Gesichter der
nordamerikanischen Neger sind nicht häßlich. Die Nasen freilich sind nicht
gerade von römischem Schnitt, doch fehlen die abstoßenden Lippenwülste der
afrikanischen Schwarzen.

Weiße siedeln sich im Neger-Viertel von New York nur ausnahmsweise an. Es
gibt nur wenige Weiße, die die Neger gerne unter sich dulden. Dazu gehören
alle Personen, die irgend etwas mit der Boxerwelt zu tun haben. Der Box ist
das Gebiet, auf dem sich Weiße und Schwarze am besten verstehen, vielleicht
weil sie sich dabei von Zeit zu Zeit gegenseitig halb oder ganz totschlagen
können. Der »berühmte« Ex-Boxer Tom Charkey, in gewissen Kreisen New Yorks
eine der populärsten Persönlichkeiten, der in seinen besten Zeiten
sogar »den« Joe Jeffries umgelegt hat, besitzt ein Café im Neger-Viertel
New Yorks. Ihm galt unsere zweite Visite.

Im kleinen Lokal wimmelte es von Gestalten, denen man sonst wahrscheinlich
mit großem Bogen aus dem Wege gegangen wäre. Der berühmte Mann empfing
uns mit huldvoller Herablassung, spie einen langen braunen Strahl -- das
Resultat eifrigen Tabakkauens -- hinter den Ladentisch, unbekümmert
darum, wohin er traf und setzte uns dann, ohne sich nach unseren Wünschen
erkundigt zu haben, eine Flasche Sekt auf den Tisch. Die trank er
dann nachher mit großem Wohlbehagen selbst aus. Der Mann war überhaupt
klassisch. Er war so durchdrungen von der Unwiderstehlichkeit seiner
Erscheinung, daß er es nicht für nötig befand, irgend etwas zu äußern. Er
saß da, stumm und großartig, spuckte von Zeit zu Zeit aus und ließ sich
bewundern. Doch bewunderten wir mehr die Tragfähigkeit seines Stuhles, der
unter dieser unglaublichen Last nicht zusammenbrach. Unnachahmlich war die
Geste, mit der er in gemessenen Zeitabständen stumm und ernst seinen Arm
über den Tisch herüberreichte, um uns seinen Bizeps befühlen zu lassen,
wobei er wahrscheinlich erwartete, daß wir in Krämpfe des Entzückens und
der Bewunderung verfallen würden. Wer beschreibt unser Erstaunen, als zu
der leisen Musik eines unsichtbaren Orchesters dieser Mann plötzlich zu
singen anfing, und zwar mit einem zittrigen dünnen Fistelstimmchen, das aus
dem Mund eines schwachen Kindes zu kommen schien. Ihn selbst rührte sein
Gesang so, daß ihm eine Träne über das Gebirge seiner Backe lief. Es war
augenscheinlich der letzte Trumpf, den er wohlüberlegt ausspielte, um uns
endgiltig aus der Fassung zu bringen. Das gelang ihm auch, aber in einem
Sinne, der ihm schwerlich lieb war. Zwei Kouplets konnte ich mit dem
nötigen Ernst anhören, doch als ich beim dritten die verzweifelten
Muskelspannungen in meines Gefährten Gesicht bemerkte, war meine Fassung
tatsächlich dahin. Ich mußte aufspringen und mich auf die Straße retten,
sonst wäre ich zweifelsohne in nähere Berührung mit dem soeben befühlten
Bizeps geraten.

Nun brachte uns das Auto quer durch New York in noch entlegenere Gegenden.
An einer Straßenecke hielt es. Den Rest des Weges mußten wir, um nicht
aufzufallen, zu Fuß zurücklegen. Auf den Rat des Detektivs hatten wir
uns schon beim Antritt dieser Fahrt bemüht, unserm Aussehen einen etwas
rowdyhaften Anstrich zu geben. Nun zogen wir die Mützen noch tiefer herab,
schlugen die Rockkragen hoch und schlichen an den Wänden entlang durch
die dunklen Gassen. Hin und wieder begegneten uns ähnliche Gestalten, die
jedoch den Vorzug der Echtheit hatten.

Vor einem Hoftor blieb unser Führer stehen. Nach langem vorsichtigen
Klopfen wurde uns geöffnet. Der sehr wenig einladend aussehende Zerberus
ließ uns herein, nachdem sich unser Führer ausgewiesen hatte. Durch eine
kleine Hintertür betraten wir ein geräumiges Schenkzimmer. Am liebsten
wären wir freilich sofort wieder umgekehrt. Ein lebendig gewordenes
Verbrecher-Album aus dem Kriminalamt schien den Raum zu bevölkern. So
in Freiheit vorgeführt sind die Verbrecherfratzen doch sehr viel weniger
anziehend, als auf dem schönen Glanzpapier der Photographie. Wir
drückten uns scheu in eine Ecke mit dem schlechten Gewissen unbefugter
Eindringlinge. Man sollte das Hausrecht jeder Gesellschaftsklasse
respektieren. Übrigens wurden wir überhaupt nicht beachtet. In dem ganzen
Lokal herrschte Totenstille. Die Leute saßen einzeln und in Gruppen um die
schmutzigen viereckigen Tische und stierten teilnahmslos vor sich hin. Wir
befanden uns dort, wofür Gorki den wunderbar treffenden unübersetzbaren
Ausdruck »na dnje« (auf der Neige) gefunden hat. Gewesene Menschen umgaben
uns. Ihr erloschener Blick verriet keine Möglichkeit von Initiative mehr,
nicht einmal zu einem neuen Verbrechen. Die meisten saßen im Halbschlaf da,
nur wenige hatten ein Riesenglas Bier vor sich stehen, das dort wohlfeil
und schlecht zu 5 Cents verschenkt wird. Unser Führer bedeutete uns, daß
die Besucher dieses Lokals ungefährlich, obgleich der Polizei wohlbekannt
seien. Es waren »gewesene« Verbrecher, deren Energie durch lange
Zuchthausstrafe endgiltig gelähmt war, oder die einfach zu alt waren, um
neue Schandtaten auszuhecken. Der Detektiv holte einige an unseren Tisch
heran und für ein Glas Bier erzählten die Leute bereitwillig aus ihrem
vielbewegten Leben. Ich müßte ein Buch schreiben, wollte ich ihre zum Teil
hochinteressanten Erzählungen wiederholen.

An einem der Nebentische war mir von Anfang an die Gestalt eines älteren
Mannes aufgefallen, der mit einem trotzig-verächtlichen Ausdruck vor
sich hinstarrte und unserem Erscheinen nicht die geringste Aufmerksamkeit
geschenkt hatte. Wäre er nicht so unrasiert gewesen und hätte er einen
weniger zerrissenen Rock und einen weniger schäbigen Hut gehabt, so hätte
man in ihm ebenfalls einen neugierigen Besucher vermuten können. Ja,
mehr als das. Der Mann sah richtig vornehm aus und hatte ein ganz
außerordentliches intelligentes Gesicht. Ich fragte unsern Detektiv, ob er
ihn nicht kenne. Freilich kannte er ihn. Vor zehn oder fünfzehn Jahren war
dieser Bettler eine der geachtetsten Persönlichkeiten der New Yorker
haute volée, Bankdirektor und ein schwer reicher Mann. Infolge einiger
mißlungener grandioser Spekulationen wurde er Wechselfälscher, kam ins
Zuchthaus und jetzt saß er hier. Nur widerwillig folgte er der Einladung an
unseren Tisch. Er sprach kaum ein Wort, nahm aber dankend ein Glas Bier an,
da er sich selbst keines bezahlen konnte. Es machte einen niederdrückenden,
trostlosen Eindruck, in dieser Umgebung einen Menschen zu finden, der in
jeder Geste den Gentleman verriet und der sich mit einer gewohnheitsmäßigen
Bewegung den schmutzigen Kragen zurechtschob, als er an unseren Tisch trat.
Zu helfen war diesem Manne nicht, der jetzt nichts mehr sein konnte, als
ein wandelndes Beispiel der Unerbittlichkeit und Grausamkeit amerikanischer
Lebensverhältnisse. Dennoch verstand ich nur zu gut die Gefühlsregung
meines Gefährten, der gerade diesem Manne, als wir weggingen, seine ganze
Barschaft heimlich in die Rocktasche steckte.

Im nächsten Lokal, das wir aufsuchten, ging es vergnügter zu. Von den
»gewesenen« kamen wir zu den gegenwärtigen Verbrechern. Auch hier galt es,
verschiedene Präliminarien zu erledigen, bevor wir -- wieder durch eine
Hintertür -- in eine Restaurationsstube hineingelassen wurden, in der eine
ausgelassene Fröhlichkeit herrschte. Im dichten Tabaksqualm war anfangs
nichts zu unterscheiden. Eine wenig liebenswürdige Gestalt -- vielleicht
ein Meuchelmörder oder Leichenschänder -- klimperte auf einer Mandoline,
einige junge Burschen stampften dazu einen wilden Niggertanz. Unser
Erscheinen wurde mit Halloh begrüßt. Natürlich waren wir sofort
als »outsider« erkannt, trotz der aufgeklappten Rockkragen und der
Apachenmützen. Vor dem Detektiv, der natürlich auch allen bekannt war,
hatte man nicht die geringste Scheu. Hier waren die Verbrecher bei sich
zu Hause. Um einen von ihnen herauszuholen, dazu hätte es schon eines
beträchtlichen Polizeiaufgebots bedurft, ein einzelner Geheimpolizist
flößte ihnen keinen Respekt ein. Da wir in der Minderzahl waren,
beschlossen wir, uns mit den Herrschaften gut zu stellen, und ließen eine
Runde Bier für die ganze Gesellschaft auffahren. Wir wurden reichlich
belohnt. Es wurden uns zu Ehren Tänze aufgeführt und Lieder gesungen, die
wir sonst sicherlich nie in unserem Leben zu sehen und zu hören bekommen
hätten. Überhaupt kann ich nicht verhehlen, daß die New Yorker Apachen,
wenigstens die jüngeren Jahrgänge, unter sich ein höchst unterhaltendes und
gar nicht unsympathisches Völkchen sind, d. h. solange sie einem nicht an
die Gurgel fahren und die Hände in den eigenen Taschen lassen. Daß sie
die gesellschaftliche Ordnung nicht respektieren, ist schließlich ihre
Privatangelegenheit.

Nicht ohne Freundschaftsbeteuerungen nahmen wir von den Galgenvögeln, deren
Gesellschaft wir bald genugsam genossen hatten, Abschied. Ihre abgefeimten
Gaunerphysiognomien bemühten sich dabei, ehrbar und anständig zu blicken,
was jedoch nur mangelhaft gelang. Auf den Straßen dieser Gegend war uns
entschieden ungemütlicher zumute, als in der verräucherten Kneipe. Das
lichtscheue Gesindel, das unseren Weg auf Schritt und Tritt kreuzte, sah
sehr wenig vertrauenerweckend aus. Als wir wieder im Auto saßen, fühlten
wir uns in Sicherheit.

Die nächste Station war an der Peripherie der Chinesenstadt. Wieder hieß es
aussteigen und ein Gewirr von Gassen und Gäßchen zu Fuß durchwandern. Vor
einem finsteren alten Hause blieb unser Führer stehen. Wir traten durch
das offene Hoftor ein. Durch dunkle Korridore, über schmale Stiegen ging
es immer tiefer ins alte Haus hinein. Wir mußten leise auftreten. Endlich
wurde Halt gemacht. Wir befanden uns in einem schmutzigen Flur, der durch
eine Petroleumlampe -- welch ein Anachronismus anno 1913 in New York! --
nur spärlich erleuchtet wurde. Der Detektiv klopfte an eine kleine Tür.
Nach geraumer Zeit wurden dahinter schlürfende Schritte laut. Ein schmaler
Spalt öffnete sich. Als der Detektiv irgend ein geheimnisvolles »Sesam,
Sesam, tue dich auf« hineingeflüstert hatte, wurde er breiter. Eine alte
Schlampe, auf deren Gesicht alle sieben Totsünden verzeichnet standen, ließ
uns eintreten.

Ein merkwürdig penetranter süßlicher Geruch schlug uns entgegen. Die
Bestimmung des Raumes, der uns aufnahm, ließ sich nicht feststellen. Es war
ein Mittelding zwischen Küche, Vorzimmer und Rumpelkammer. Auf dem Fußboden
lagen zerschlagene Flaschen und zerbrochenes Geschirr, an den Wänden hingen
allerhand phantastische Kleidungsstücke. Was sich sonst noch darin befand,
ließ sich im mystischen Halbdunkel nicht unterscheiden. Das alte Scheusal
von Türhüterin führte uns stumm in den nebenanliegenden Raum. Dort bot sich
uns ein höchst eigenartiges Bild, wie man es sonst nur in bösen Träumen
sieht. Die eine Hälfte des winzig kleinen Zimmers nahm eine mit weichen
Kissen belegte Ruhebank ein. Darauf lagen zwei Chinesen und eine Frau
mittleren Alters. Zwischen ihnen standen zwei Tabletts mit allerhand
geheimnisvollen Gerätschaften, auch zwei trübe brennende Öllampen, die als
einzige Beleuchtungskörper dienten. Die Luft war von demselben süßlichen
aber nicht unangenehmen Geruch geschwängert.

Opium! Der eine Chinese regte sich nicht mehr. Vielleicht schlief er. Aber
auch der andere verriet nicht die geringste Anteilnahme an dem, was um ihn
herum vorging. Mit einer ganz mechanischen Bewegung griff er von Zeit zu
Zeit nach einem Glasstäbchen, tauchte das in ein Flakon mit der braunen
Opium-Salbe, hielt es ohne hinzusehen über die Flamme der Lampe, wo sich
das Opium aufblähte, drehte dann ebenso mechanisch und teilnahmslos eine
Pille, steckte sie in seine Pfeife, die den Kopf merkwürdigerweise in der
Mitte hatte, und sog in fünf bis sechs langen Zügen mit einem ekelhaft
schnarchenden Geräusch den giftigen Rauch ein. Dann sank er wieder
erschlafft in die Kissen zurück, um nach fünf Minuten dieselbe Prozedur
zu wiederholen. Genau dasselbe tat seine Nachbarin, die übrigens ihrer
Kleidung nach entschieden den besseren, wenn nicht gar den sehr guten
Ständen New Yorks angehören mußte.

Der Chinese reagierte auf keinerlei Fragen. Dagegen zog mich die Dame, die
neben ihm lag, selbst in ein Gespräch. Sie pries das Opium als das einzige
Ding, das das Leben lebenswert mache. Sie selbst rauchte seit einigen
Monaten und behauptete, seither der glücklichste Mensch der Welt zu sein.
Jetzt lag sie seit einigen Tagen auf dieser Ruhebank, nahm fast gar
keine Nahrung zu sich, schlief wenig, befand sich aber immer in einem
Dämmerzustande, der ihr die höchsten Glücksempfindungen vortäuschte.
Einen Rausch stellte sie in Abrede. Das sei durchaus nicht die Wirkung des
Opiums. Man verliere nicht für einen Augenblick die Besinnung, genieße aber
unausgesetzt das höchste körperliche und seelische Wohlbehagen. Man
liebt alle Menschen, fühlt sich von allen geliebt, glaubt edel, gut und
tugendhaft zu sein und verlangt vom Leben nichts weiter, als -- eine Pfeife
und ein Flakon von dem süßen braunen Gift.

Je länger man die Opiumdünste einatmet, desto verführerischer erscheint
einem der Geruch. Nur mit Mühe konnte ich der Versuchung widerstehen,
einige Züge aus der mir angebotenen Pfeife zu entnehmen.

In New York wird das Opiumrauchen bekanntlich mit drakonischer Strenge
bestraft. Auf den Vertrieb von Opium stehen als Strafe sieben Jahre
Zuchthaus. Dennoch gelingt es nicht, des Lasters Herr zu werden. Wer ihm
einmal ergeben ist, kann nicht davon lassen, auch wenn man ihn mit der
Todesstrafe bedroht. Woher übrigens unser Detektiv Zutritt zu dieser
Opiumwirtschaft hatte, blieb unaufgeklärt.

Als wir uns durch das Gewirr der Stiegen und Korridore wieder auf die
Straße gefunden hatten, atmeten wir die frische Morgenluft wie ein
langentbehrtes Labsal ein. Das Auto mußte uns mit einem weiten Umwege nach
Hause fahren. Aber das Opium ist zudringlich. Als wir uns die erste Papiros
ansteckten, hatten wir wieder den süßlichen Geruch in der Nase, und noch
zwei volle Tage lang verfolgte uns das penetrante Parfüm als lebendiges
Zeichen des Cauchemars, den wir erlebt hatten.


4. AMERIKANISCHER SPORT UND AMERIKANISCHE VERGNÜGUNGEN.

Nirgends tritt der Gegensatz zwischen den beiden Ländern, die dieselbe
Sprache reden, England und Nord-Amerika, schärfer hervor, als auf dem
Gebiete des Sports. Aus dem Verhalten beider Nationen zum Sport kann man
die weitgehendsten Schlußfolgerungen ableiten.

In England wird der Sport um seiner selbst willen getrieben. In Amerika ist
er nur und in allen seinen Formen Mittel zum Zweck. Dieser Zweck ist die
Wette. Ohne »betting« ist jeglicher Sport in Amerika undenkbar. Seit in den
Vereinigten Staaten, laut Parlamentsbeschluß, allenthalben der Totalisator
abgeschafft worden ist, ist der Rennsport dort bekanntlich total in Verfall
geraten.

Aber bei allen anderen Gattungen des Sports wird das »betting«, wenn auch
nicht mit Hilfe des Totalisators, so doch unverfroren genug betrieben.

In England gehört der Sport zu den Betätigungen, und zwar zu den
wichtigsten Betätigungen des »gentleman«. In Amerika wird er fast
ausschließlich von »professionals« betrieben. Die »gentlemen« beschränken
sich aufs Zusehen und aufs -- Wetten.

In England steht bekanntlich unter allen Sport-Spielen das Cricket weitaus
an erster Stelle. Dem Lawn-Tennis und dem Fußball-Spiel kommt daneben
nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Es gibt keinen Engländer, der nicht
Cricket spielt, oder in seinen jungen Jahren wenigstens gespielt hat. Der
Cricket-Match zwischen den Universitäten Cambridge und Oxford gehört zu
den wichtigsten nationalen Ereignissen. Das ganze Land nimmt mit dem Herzen
daran Teil. Professionelle Cricket-Spieler gibt es aber in England, soviel
mir bekannt ist, nur zum Zweck des Trainings.

Amerika hat auch sein nationales Spiel -- das »base-ball« --, doch wird
dieses höchst interessante und aufregende Spiel fast ausschließlich von
professionellen Spielern betrieben. Alle öffentlichen Wettspiele wenigstens
vollziehen sich zwischen professionellen Kommandos. Dennoch ist die Rolle,
die dieses Spiel im öffentlichen Leben Amerikas inne hat, mindestens der
des Cricket in England zu vergleichen.

Ich machte die erste Bekanntschaft mit dem base-ball-Spiel, von dem ich bis
dato nichts gehört hatte, ganz zufälliger Weise.

Als ich während eines der ersten Tage meines Aufenthalts in New York den
Broadway passierte, kam ich in der Nähe des Brooklyn-Squares buchstäblich
nicht vorwärts und nicht rückwärts mehr. Der ganze riesengroße Platz war
von einer vieltausendköpfigen Menschenmenge dicht bestanden. Auch in allen
Querstraßen stauten sich die Passanten. Alle hatten die Köpfe erhoben und
starrten in derselben Richtung auf die Fassade eines Wolkenkratzers. Von
Zeit zu Zeit ging ein Gemurmel des Unwillens durch die Menge, oder sie
wurde von Ausbrüchen des Entzückens bewegt. Nachdem ich das alles eine
Zeitlang verständnislos mitangesehen hatte, entdeckte ich endlich die
Zielscheibe aller Blicke. An besagtem Wolkenkratzer, ungefähr in der Höhe
der sechsten Etage war eine viereckige grüne Tafel angebracht, die man auf
den ersten Blick für einen aufrecht gestellten Billardtisch halten konnte.
Auf dieser Tafel bewegten sich mit großer Geschwindigkeit einige weiße und
blaue Pflöcke sowie eine kleine weiße Kugel hin und her.

Ein freundlicher Straßenjunge lieferte mir die Erklärung zu diesem
Schauspiel, an dem ich vorderhand nichts Bemerkenswertes oder gar
Interessantes entdecken konnte. Er erklärte mir, daß die weißen Pflöcke die
»Geants« seien und die blauen die »Yankees« und daß die weiße Kugel
einen Ball vorstelle, und das Ganze -- einen base-ball-Match, der soeben
60 Kilometer außerhalb New Yorks ausgespielt werde. Der Gang des Spieles,
jeder Ballwurf und jeder Schlag wird telephonisch übermittelt und auf
elektrischem Wege auf der grünen Tafel reproduziert. Echt amerikanisch. Auf
diese Weise kann man sich das Wettspiel ansehen und doch die Fahrkarte zum
Spielplatz sparen.

Da jeder der Zuschauer natürlich seinen Favoriten hatte, dessen Schicksal
mit gewetteten 10 Cents bis 10 und mehr Dollars eng verknüpft war, so
wurden auch die das Spiel begleitenden Ausrufe psychologisch verständlich.

In New York und Umgegend sind eine ganze Anzahl wundervoller
base-ball-Spielplätze gelegen. Enorme Tribünen in amphitheatralischer
Anordnung, auf denen 10-15000 Zuschauer Platz haben, schließen die
Rasenfläche, auf der gespielt wird, ein. Jeden Tag wird irgend ein Match
ausgefochten, und die Tribünen sind fast immer spickevoll besetzt. Wo in
New York die vielen Tagediebe herkommen, die von 3 bis 6 nichts zu tun
haben, als base-ball-Spiele anzusehen, bleibt rätselhaft.

Das Spiel, für das die Amerikaner sich so begeistern, ist eigentlich nichts
anderes, als ein qualifiziertes »Ballschlagen«. Nur ist es gefährlicher.
Denn der steinharte Ball fliegt aus der Hand der Spieler mit der
Geschwindigkeit und Kraft einer Büchsenkugel. Die Zuschauer sind durch
ein feinmaschiges Netz, das vor den Tribünen aufgespannt ist, vor ihm
geschützt. Es gehört eine unfaßliche Geschicklichkeit dazu, den Ball in
seinem rapiden Fluge mit einer kurzen flachen Keule abzuschlagen, und ihn
dabei so gut zu treffen, daß man Zeit zu einem »run« in eine der vier Ecken
des Grenzgebietes findet, bevor der Ball, mit kolossaler Geschwindigkeit
von Hand zu Hand geschleudert, dort eintrifft.

Die Begeisterung, die das amerikanische Publikum dem base-ball-Spiel
entgegenbringt, hat es zu einem höchst lukrativen Geschäft gemacht. Der
Kapitän des berühmten Kommandos »Yankees« bezieht ein Ministergehalt,
nämlich 30000 Dollar im Jahr. Die Bedeutung, die dieses Spiel in Amerika
hat, erkennt man schon daraus, daß alle amerikanischen Zeitungen an erster
Stelle d. h. dort wo in vernünftigen Blättern die Leitartikel stehen, die
Resultate sämtlicher base-ball-Spiele buchen, die am vorhergehenden Tage in
den Vereinigten Staaten abgehalten worden sind.

Die Sport-Spiele, mit denen sich der amerikanische »gentleman« selbst
befaßt, sind Polo und Golf. Sie sind schon deswegen in Amerika beliebt,
weil es die teuersten aller Arten von Rasensport sind. Am Tage nach meiner
Ankunft in New York wurde dort das Match zwischen dem besten amerikanischen
und dem besten englischen Polo-Kommando ausgetragen. Das Interesse
dafür war, natürlich nur auf Grund der abgeschlossenen Wetten, ein ganz
außerordentliches. Die Billett-Aufkäufer, die ihr Unwesen in New York genau
ebenso dreist und unverfroren treiben, wie anderswo, verlangten 50 Dollars
und mehr für einen annehmbaren Sitzplatz. Am Tage des Matches war auch für
diesen Preis keine Eintrittskarte mehr aufzutreiben. Doch konnte man
die Aufregungen dieses Wettspiels in der Stadt genießen, ohne nach dem
Polo-Ground hinauszufahren, denn der Gang des Spieles wurde alle fünf
Minuten auf Riesenplakaten an den Wolkenkratzern der New Yorker »Times« und
des »Herald« bekannt gegeben. Von der dichtgedrängten Menschenmenge, die
diese Gebäude umstand, wurde jedes »Goal« der Amerikaner mit frenetischem
Beifall, jeder Erfolg der Engländer mit ohrenbetäubendem Pfeifen und Johlen
begrüßt.

Dem Golf huldigen die New Yorker Millionäre in reiferen Jahren ausnahmslos.
Die nähere Umgebung von New York macht den Eindruck, als bestehe sie
nur aus »Golf-Greens«. Mehr als hundert Golf-Klubs haben hier ihre ideal
gepflegten Spielplätze. Überall sieht man die samtweichen, kurz geschorenen
Rasenflächen, sauber beschnittene Hecken, künstliche Hügel, durch Wiesen
geleitete Wasserläufe mit künstlich hergerichteten Ufern aus feinem, weißen
Seesand. Dort erholen sich die »business«leute von des Tages Last und Mühe.
Die wundervolle Besitzung Rockefellers am Ufer des Hudson-River scheint
auch ein einziger großer Golfplatz zu sein. Dieses Spiel ist bekanntlich
die einzige Leidenschaft des »reichsten Mannes der Welt«, der von seinem
Boy begleitet stundenlang den kleinen, weißen Ball aus einem Loch ins
andere treibt.

Eine eigentümliche Stellung nimmt in Amerika der Box ein. In dem Staate
New York ist er seit einigen Jahren verboten, weil bei den durch Rassenhaß
geschürten Boxer-Kämpfen zwischen Negern und Weißen alle Augenblicke ein
Totschlag zu registrieren war. Dieses Verbot stört jedoch die findigen
Amerikaner keineswegs, mindestens zweimal in der Woche auch in New York
die aufregendsten Boxer-Kämpfe zu inszenieren. Man nennt sie offiziell
»exhibitions«, und angeblich werden auf diesen »Ausstellungen« nur die
Griffe, Stöße und Schläge des regelrechten Box theoretisch und praktisch
demonstriert. In Wahrheit jedoch vollziehen sich genau dieselben Kämpfe
wie andernorts, es werden genau ebensoviele Physiognomien zerschlagen und
kommen die gefährlichsten »knock-out's« vor. Nachher heißt es dann, das sei
»aus Versehen« passiert, Staat und Polizei fallen auf diesen Bluff mit der
gleichen Grazie hinein.

Die sportlichen Veranstaltungen stehen unter den Vergnügungen, die New York
im Sommer bietet, an erster Stelle. Die übrigen Amüsements sind noch
minderwertigerer Art. Die Kunst schweigt vollständig. Aber schließlich ist
es ja anderswo während der Sommerzeit auch nicht besser. In keinem einzigen
ernsthaften Theater wird gespielt. Es gibt im Sommer weder Oper noch
Schauspiel in New York.

In den Varieté-Theatern werden »Revuen« aufgeführt, die zum Teil mit
fabelhaftem Luxus inszeniert sind und bei denen der mit Recht so beliebte
»amerikanische Humor« oft zu unwiderstehlicher Wirkung gelangt. Man verläßt
diese Theater meist mit Muskelschmerzen im Gesicht. Übrigens zeigt es
sich, daß die Amerikaner bei dem leichten Genre von Musik, die diese
Vorstellungen begleitet, höchst Anziehendes zu erfinden und zu gestalten
verstehen. »Pikant« ist die Bezeichnung, die auf die Melodik, Rhythmik und
Harmonik dieser amerikanischen Musik in gleicher Weise anwendbar ist. Ich
habe einige der amerikanischen Revuen aus diesem Grunde zwei und mehr
Male mit Vergnügen angehört, zumal die Orchester in allen amerikanischen
Varietés nicht wie bei uns aus drei Violinen und einigen mehr oder
weniger belanglosen Anhängseln bestehen, sondern den vollen Bestand eines
symphonischen Orchesters mit 50-60 gutgeschulten Mitwirkenden darstellen.

Im allgemeinen tut man jedoch besser daran, die sommerlichen Vergnügungen
in New York im Freien aufzusuchen. Schon um der Abendkühle wegen, die
nach der barbarischen Hitze, die tagsüber in New York herrscht, höchst
erquickend wirkt. Wer es irgend ermöglichen kann, flieht abends aus
New York an die Küste des Ozeans, der sich z. B. bei »Long-Beach« oder bei
»Long-Island« in seiner ganzen majestätischen Pracht vor einem ausbreitet.
Wundervolle Automobilstraßen, 50-100 Kilometer außerhalb der Stadt immer
noch unter Asphalt, führen dorthin. Exquisite Restaurants sorgen für des
Leibes Wohl. Die Eisenbahnzüge, die alle zwei Minuten aus New York in jene
Gegenden abgehen, sind allerdings derart überfüllt, daß ihre Benutzung
mit Lebensgefahr verbunden ist. Am tollsten geht es natürlich auf den
Verkehrswegen zu, die nach »Coney-Island« führen. Dieses Eldorado der
New Yorker Kleinbürgerschaft ist mit der Bahn oder per Dampfer in zirka
einer halben Stunde zu erreichen.

Auf Coney-lsland befindet sich das Urbild aller »Luna-Parks« der Welt, das
von keiner Nachahmung erreicht, geschweige denn übertroffen worden ist.
Der Anblick, den diese Amüsier-Insel nachts gewährt, ist tatsächlich
überwältigend. Eine Orgie von Elektrizität, gegen die sogar die
Straßen-Illumination von New-York verblaßt, wird dort allabendlich
gefeiert. Die Konturen sämtlicher Vergnügungspaläste, Aussichtstürme,
Restaurations- und Theaterbauten, die Wege der kilometerlangen Berg- und
Talbahnen, Fesselballons- und Aeroplan-Karussels, Wasserrutschbahnen und
Riesenschaukeln -- alles ist mit elektrischen Glühbirnen nachgezeichnet.
Der ganze Nachthimmel scheint in Flammen zu stehen, wenn man sich über
die Hudson-Brücke Coney-lsland nähert. Der Ort hat die Dimensionen
einer mittelgroßen Provinzstadt und besteht ausschließlich aus
Vergnügungslokalen. Man würde Wochen brauchen, um sie alle kennen zu
lernen. Ein Dutzend Leipziger Messen, ebensoviele Münchener Oktoberwiesen
und russische Jahrmärkte würden nur einen kleinen Teil von Coney-lsland
bedecken. Ein betäubender Radau herrscht in allen Straßen. Für alle
Nationen ist gesorgt.

Der Deutsche findet einige enorme Biergärten mit echtem und unechtem
»Münchener« und »Pilsener«, echten und unechten Tiroler Sängern,
Käsestullen, Radis, deutschen »Humoristen« und ähnlichen für sein
Amüsierbedürfnis unerläßlichen Dingen.

Der Italiener hat seine Osterias mit Mandolinen-Chören und Straßensängern,
der Spanier kann sich an spaßhaften Stiergefechten ergötzen, für den
Chinesen sind seine heimischen Ball- und Kugelspiele da, den Russen locken
Balalaika-Klänge, Chorlieder und übertemperamentvolle Kosakentänze. Daß der
Franzose an Chansonetten nicht zu kurz kommt, versteht sich von selbst.

Und der Amerikaner? Der nimmt, wie das ja überhaupt so seine Art ist, von
allem ein wenig und zwar das Beste. Besondere Vorliebe bekundet er außerdem
für die sogenannten »Wutstillungsbuden«, in denen er für 10 Cents soviel
Fayence-Geschirr zerschmettern darf, als er mit fünf Holzbällen zu treffen
vermag. Wenn er seinen Rassenhaß auszutoben beabsichtigt, findet er sogar
einen lebendigen Neger, nach dessen grinsender Fratze er für 5 Cents mit
einem steinharten Kautschukball werfen darf. Nur ist der Neger viel zu
geschickt, um sich treffen zu lassen. Das gelang in meinem Beisein nur
einem augenscheinlich virtuosen base-ball-Spieler. Der Neger verschwand
darauf mit verbundener Nase von der Bildfläche, wurde jedoch sofort durch
einen ebenso grinsenden und herausfordernd plattnasigen Stammesgenossen
ersetzt.

Eine weitere »nationale« Eigenschaft des Amerikaners ist die Vorliebe
für seine Schiebetänze. Denen kann er auf Coney-Island nach Herzenslust
fröhnen. Es gibt dort Tanzsäle, in denen sich mehr als 2000 Paare
gleichzeitig drehen können, ohne die gegenseitigen Hühneraugen als
Tanzboden zu benutzen. Die Pausen werden dort durch Varieté-Darbietungen
ausgefüllt, wobei die Bühne auf einer Art elektrischen Bahn um den
Riesensaal herumfährt, damit niemand vom Galerie-Publikum zu kurz komme.

Bewundernswert und nicht genug zu loben ist der Anstand, der wie überall in
Amerika, so auch auf Coney-Island herrscht. Der New Yorker Proletarier, der
in seinem Privatleben vielleicht Stiefelputzer oder Schornsteinfeger
ist, beträgt sich auf dem Tanzboden und bei den zum Teil sehr gewagten
Vergnügungen des Luna-Parks genau so wie jeder Gentleman in den Salons der
sogenannten »guten Gesellschaft«. Wenn man dagegen daran denkt, was man
unter Umständen in den Luna-Parks von Paris und Berlin zu sehen bekommt,
so kann man dem Anstandsgefühl des amerikanischen Bürgers seine Hochachtung
nicht versagen. Ob die innere Moral und Sittlichkeit der Amerikaner
diesem äußeren Bilde entspricht, ist natürlich eine andere Frage, deren
Beantwortung jedoch ferner Stehende im Grunde genommen ganz und gar nichts
angeht.


5. DAS JUGENDGERICHT.

Zu meinen liebsten Erinnerungen an New York gehören die Stunden, die ich,
dank der Vermittlung eines einflußreichen Mannes, in einer der nützlichsten
und besten Institutionen der Vereinigten Staaten, dem Jugendgericht,
zubringen durfte. Ich wohnte einer Sitzung bei, die von 10 Uhr morgens bis
4 Uhr nachmittags dauerte, doch ist mir die Zeit keinen Augenblick lang
geworden, und das Einzige, was ich bedauerte, war, daß ich am nächsten Tage
abreisen mußte, wodurch dieser erste Besuch im Jugendgericht leider auch
zum einzigen wurde.

Das niederdrückende Gefühl, eine Verantwortung zu übernehmen, die man
eigentlich nicht verantworten kann, muß den Jugendrichter in viel stärkerem
Maße überkommen, als jeden anderen Rächer der gesellschaftlichen Ordnung.
Denn er hat es ausschließlich mit Kindern zu tun, mit werdenden Menschen,
die in den wenigsten Fällen selbst für ihre Handlungen einstehen können.
Und davon, wie er diesen oder jenen Fall »angreift«, hängt vielleicht das
Schicksal eines oder vieler Menschenleben ab.

Wenn man abends in den Straßen von New York umherwandert, fällt es einem
sofort auf, daß man nach 10 Uhr keinem Kinde mehr begegnet. Das Gesetz
verbietet es Kindern unter 16 Jahren, sich abends in den Straßen
herumzutreiben. Und dieses Gesetz wird mit großer Strenge gehandhabt, wie
ich mich während der erwähnten Gerichtssitzung überzeugen konnte.

Natürlich wäre das Gesetz allein wahrscheinlich machtlos, wenn ihm nicht
die in ganz Amerika weitverzweigte »Kinderschutzgesellschaft« zur Seite
stände. Diese Gesellschaft beschäftigt in New York allein Tausende von
Agenten und Agentinnen, die zum größten Teil aus reiner Liebe zur Sache
ihrem schweren aber lohnenden Beruf nachgehen.

Diese Agenten haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht jedes Kind,
das ihnen abends in den Straßen von New York begegnet, aufzugreifen und an
die Kinderasyle abzuliefern. Und das schuldige Kind hat sich jedesmal vor
dem Jugendgericht zu verantworten.

Man gewinnt manch trostlosen Einblick in die amerikanischen
Familienverhältnisse, wenn man den Verhandlungen solch einer
Jugendgerichtssitzung folgt. In den allermeisten Fällen sind es die Eltern,
die die Kinder dazu anhalten, das Gesetz zu übertreten und sich abends
in den Straßen umherzutreiben, sei es zu dem verhältnismäßig unschuldigen
Zweck, Zeitungen und Streichhölzer zu verkaufen, oder um sich vorzeitig
einem liederlichen Lebenswandel und leichten Gelderwerb zu ergeben.

Man hat dem amerikanischen Kindergericht zum Vorwurf gemacht, daß es die
elterliche Autorität untergrabe. Das tut es jedoch in den seltensten Fällen
und nur, wenn es absolut notwendig ist. Der Richter wird jeden Augenblick
in äußerst schwierige Lagen versetzt. Es gehört ein seltenes Feingefühl,
große Menschenkenntnis und ein unfehlbarer Takt dazu, um dieses Amt in
wünschenswerter Weise zu versehen.

Ein kleiner sechsjähriger Spatz wird vorgeführt. Als er ins freundliche
aber ernste Gesicht des Richters blickt, quellen ihm schon die hellen
Tränen aus den Augen.

»Du hast gestern abend um 11 am Herold-Square Zeitungen verkauft?«

Ein kaum hörbares »Ja«.

»Warum tatst du das? Du weißt aus der Schule, daß du abends nicht auf die
Straße, sondern früh zu Bett gehen sollst.«

»Die Mutter hat mich doch geschickt.«

Nun wird die Mutter aufgerufen. O diese Mütter! Meistens sind es polnische
oder italienische Judenweiber. Die Ausländer und Einwanderer bestreiten,
nebenbei gesagt, mehr als 80% aller Fälle, die vor den Jugendgerichten in
New York verhandelt werden. In irgend einem fremdsprachigen Idiom ergießt
sich ein kaum einzudämmender Redeschwall über den Richter. Ein Dolmetscher,
der stets zur Hand ist, übersetzt das Notwendigste. Die Familiengeschichte
mehrerer Generationen, die die redelustige Dame zum besten gibt, läßt er
natürlich fort. Solchen Müttern gegenüber kann der Richter sehr unangenehm
werden. Zum ersten Male bekommt sie eine äußerst scharfe Verwarnung, zum
zweiten Male schon nimmt man ihr das Kind fort und bringt es »probeweise«
in einem der zahlreichen, großartig organisierten Kinderheime unter.
Erfolgt später noch ein Rezidiv, so bekommt sie ihr Kind überhaupt nicht
mehr nach Hause, bis es erwachsen ist. Auf diese Weise schützt sich der
amerikanische Staat vor heranwachsenden Verbrechern. Freilich sind dazu
drei Institutionen nötig, die aufs engste zusammengehören, obgleich sie
völlig unabhängig voneinander arbeiten: die Kinderschutzgesellschaft, das
Jugendgericht und die Gesellschaft für Kinderheime und Besserungsanstalten
für jugendliche Verbrecher.

Selbstverständlich sind nicht alle Fälle, die vors Jugendgericht kommen,
so harmloser Art, wie der eben angeführte. Viele der kleinen Delinquenten
müssen sich für Diebstahl, Betrug, Tätlichkeiten verantworten. Oder auch
für Straßenraub und Mord. Aber Schuleschwänzen gehört ebenfalls zu den
Vergehen, die von diesem vielseitigen Gerichtshofe geahndet werden. Die
Verhandlungen werden sehr leise geführt, um das Schamgefühl der Kinder
zu schonen. Keiner von den jungen Galgenvögeln, die auf der Anklagebank
sitzen, braucht zu wissen, was dem anderen zur Last gelegt wird. Auch das
Publikum von Tanten und Verwandten kann schwerlich vernehmen, was vor dem
Richtertisch verhandelt wird, es mag noch so sehr die Ohren spitzen. Ich
hatte meinen Platz neben dem Richter erhalten. Daher entging mir kein Wort
der Verhandlungen. Dieser Richter, ein verhältnismäßig junger Mann, hat
einen unauslöschlichen Eindruck auf mich gemacht. Fast mit einem Seherblick
verstand er es, in die feinsten Geheimnisse der Kinderseele einzudringen.
Sein Resumee entbehrte oft nicht eines gewissen Humors.

Ein trotz seiner nicht gerade herkulischen Figur immerhin ganz
stämmig aussehender jüdischer Kleinkramhändler behauptete, von einem
dreizehnjährigen Jungen »verprügelt« worden zu sein. Als sachlichen Beweis
zeigte er eine Beule an der Stirn. Darauf wurde der Angeklagte abgerufen.
Es erschien ein schmächtiges, buchstäblich braun und blau geschlagenes
Bürschlein. Der Angeklagte behauptete, der Angegriffene gewesen zu sein,
stellte im übrigen den Hieb, der die Beule an seines Widersachers Stirn
verursacht hatte, nicht in Abrede, und sah so aus, als ob er neben diese
erste Beule nicht ungern eine zweite setzen würde. Die Zeugenaussagen
neigten zu seinen Gunsten. Der Richter resümierte, daß die Schuld der
beiden Widersacher wahrscheinlich im umgekehrten Verhältnis stehe, wie die
Größe ihrer Beulen, diktierte dem Jungen eine geringe Freiheitsstrafe zu,
und der Jude mußte zahlen, was ihm augenscheinlich sehr viel bitterere
Schmerzen verursachte, als seine Beule.

Der ernsteste Fall an diesem Verhandlungstage betraf einen vierzehnjährigen
Knaben, der tags zuvor seinen Spielkameraden erschossen hatte. Der Fall lag
ziemlich kompliziert. Die beiden Jungen hatten eine alte rostige Pistole
gefunden und sich um ihren Besitz heftig gestritten. Der Streit war in
Tätlichkeiten ausgeartet und dabei war der unselige Schuß gefallen. Der
Angeklagte war sofort ausgerissen, für zwei Tage verschwunden und erfuhr
erst, als er sich am dritten Tage zu Hause einstellte, daß er seinen
Freund erschossen hatte. Die Mutter des Erschossenen bestand auf
der Absichtlichkeit des Verbrechens, auch die Zeugenaussagen einiger
Spielgefährten und ihrer respektiven Mütter und Tanten ergaben wenig
Günstiges. Demgegenüber stand nur die Aussage des Erschossenen selbst, der
im Hospital kurz vor seinem Tode geäußert hatte, »sein Freund« habe »es«
ganz sicherlich im Versehen getan.

Der Junge wurde vorgeführt. Trotzig und wild sah er aus, und manchen dummen
Streich mochte er auf dem Gewissen haben. Aber seine Augen, die jetzt
voller Tränen standen, blickten so offen und ehrlich, daß für mich seine
Schuldfrage sofort außer jedem Zweifel stand. Aber der Richter war weniger
voreilig.

Mit vorsichtigem Fragen, die mehr den Charakter einer freundschaftlichen
Unterredung, als den eines Verhörs hatten, versuchte er dieser Knabenseele
auf den Grund zu kommen. Ja, der Junge hatte auf den Freund gezielt, aber
nur um ihn zu erschrecken, die Pistole sei losgegangen, er wisse selbst
nicht wie. Viel mehr war aus ihm nicht herauszubekommen. Aber die Art und
Weise, wie er seine Antworten gab, schnell, unüberlegt, jungenhaft, genügte
dem Richter. Er neigte sich zu mir: »He is not a murderer.«

Aber der Fall war damit nicht erledigt. Es wurde noch eine Verhandlung
angesetzt, da die Mutter des Erschossenen noch einige Zeugen für die
verbrecherischen Instinkte des Angeklagten vorbringen wollte. Und wenn sie
ganz New York mobilisiert, -- »he is not a murderer« -- das war mir ebenso
klar, wie dem Richter. Der Junge wurde bis zur zweiten Verhandlung der
Obhut eines Kinderheims anvertraut, mehr damit sich seine Nerven etwas
beruhigen sollten, als um ihn zu strafen und »unschädlich« zu machen.

Die Agenten und Agentinnen der Kinderschutz-Gesellschaft spielen in den
meisten Fällen, wenn es sich um einfache Verwahrlosung der Kinder handelt,
die Rolle des Staatsanwaltes. Gegen ihre Anschuldigungen haben sich die
Kinder, respektive ihre Eltern zu verteidigen. Sie auch führen die Kinder,
wenn sie aus den Besserungsanstalten entlassen werden, wieder dem Richter
vor. Oft tun sie das nicht ohne Stolz. Der Richter behauptete, daß die
Kinder schon nach einer kurzen Besserungsfrist meist nicht wiederzuerkennen
seien. Sie werden in den Anstalten fast ausschließlich durch Freundlichkeit
und liebevolle Behandlung »gebessert«. Oft ist es nicht leicht, die Kinder
den Eltern zu entreißen. Eine alte triefäugige Italienerin wehrte sich
sozusagen mit Händen und Füßen dagegen, schrie und tobte, als man ihre
beiden zwölf- und vierzehnjährigen Töchter, die sie zu unsittlichen
Lebenswandel anhielt, fortnahm.

Die »gebesserten« Kinder versprechen dem Richter mit Wort und Handschlag,
von nun an ein anständiges Leben zu führen. Der pädagogische Wert dieses
feierlichen Augenblicks ist ohne Zweifel ein sehr großer. Und die Kinder
scheinen sich dessen voll bewußt zu sein. Ich habe nie ernsthaftere
Kindergesichter gesehen, als bei diesen kleinen amerikanischen Vagabunden,
wenn sie dem Richter ihre Hand entgegenstreckten.

Ich glaube, man kann ohne Sentimentalität behaupten, daß
diese Kindergerichte mit den dazu gehörigen Institutionen, der
Kinderschutz-Gesellschaft und den Besserungsanstalten für jugendliche
Verbrecher, mehr Gutes schaffen und der menschlichen Gesellschaft
nützlicher sind, als die raffiniertesten und klügsten Zuchthaussysteme und
die strengsten Strafen, die man erwachsenen Verbrechern gegenüber anwendet.

Denn hier, und nur hier, wird das Übel an der Wurzel getroffen.




20. BRIEF.

DER »IMPERATOR«.


Und nun soll ich von der letzten Etappe unserer Reise erzählen. Trotz der
ersehnten Europanähe ist mir dabei fast trübselig zumute. Man wandelt nicht
ungestraft unter Palmen und ...... und muß sogar noch froh sein, wenn man
nichts Schlimmeres davonträgt, als einen überlebensgroß proportionierten
Katzenjammer.

In der ersten Minute auf nordamerikanischem Boden sollten wir einen Begriff
von der dort herrschenden Anti-Gemütlichkeit bekommen. Als wir bei unserer
Ankunft den Anlegeplatz der Hamburg-Amerika-Linie betraten, empfing uns
ein Kommissionär des Hotels, in dem wir uns angemeldet hatten. Seine erste
Frage lautete:

»Wann gedenken Sie abzureisen?«

»In ungefähr zwei Wochen.«

»Dann müssen Sie sich sofort Europa-Tickets besorgen.«

»Kann das nicht vom Hotel aus geschehen?«

»Sie mißverstehen mich. Es muß _sofort_ geschehen. Wir fahren zuerst in die
Office der Hamburg-Amerika-Linie, dann ins Hotel.«

Jetzt hatte ich verstanden. Time is money. Und einen eigenen Willen darf
man in dieser amerikanischsten aller Fragen in Amerika nicht haben.
Also fuhren wir direkt vom Pier zu dem prächtigen Gebäude der
Hamburg-Amerika-Linie am Broadway.

»Zwei Kabinen erster Klasse bis Hamburg.«

»Zu wann soll es sein?«

»In ungefähr zwei Wochen.«

»Bedaure. Alles besetzt.«

Doch man hat zuweilen Dusel. Auch wir hatten welchen. Hinter seinem Pult
stürzte unvermutet ein übereifriger Clerk hervor.

»Heute morgen ist eine Staatskabine auf dem »Imperator« abgesagt worden. Er
geht in drei Wochen. Es ist seine erste Reise.«

Natürlich nahmen wir die Kabine unbesehen. Zumal sich herausstellte,
daß sie erheblich billiger war, als die mit entsprechendem Komfort
ausgestatteten Luxuskabinen andrer Dampfer. Das kommt daher, weil auf
dem »Imperator« 150 Staatskabinen mit eigenem Bad sind, auf den anderen
Dampfern aber höchstens 5-10.

Wir waren dem Kommissionär dankbar dafür, daß er uns zur Eile angetrieben
hatte. Denn erstens interessierte uns der »Imperator« genau ebenso, wie
alle übrigen Bewohner der alten und der neuen Welt, ist er doch »das größte
Schiff der Welt«, »der Stolz der deutschen Handelsflotte«, »das größte
Wunder der Schiffsbautechnik« und weiß der Himmel, was sonst noch alles.
Zweitens aber war der Fall besonders vielverheißend, denn es galt die erste
Überfahrt des Kolosses von Amerika nach Europa mitzumachen, jene erste
Reise, für die ein erfinderischer deutscher Journalist den entsetzlich
geschmacklosen Namen »Jungfernfahrt« geprägt hat, von der man doch mit Fug
und Recht ein außergewöhnliches Vergnügen erwarten darf.

Die Ankunft des »Imperator« in New York war die Sensation des Tages und
bildete für mindestens eine Woche den alleinigen Gesprächsstoff in allen
Salons und in allen Bars. Das war etwas für den »Größen-Fetischismus«
der Amerikaner, an dem sie ja alle mehr oder weniger leiden. Zu
Hunderttausenden hatten sich Schaulustige in Hoboken versammelt, um die
Majestät des Ozeans bei der Ankunft zu begrüßen.

Es ist eine undankbare Aufgabe, den »Imperator« zu beschreiben. Wem sagt
es was, daß er 919 Fuß lang ist? Oder macht man sich einen klareren Begriff
von seinen Dimensionen, wenn man erfährt, daß er, auf der Steuerschraube
aufgestellt, erheblich höher wäre, als der Eifelturm und das 67 Stockwerk
hohe »Wolworth-Building« in New York?

Wer hat überhaupt jemals in Gedanken ein Schiff auf der Steuerschraube
aufgerichtet, oder ein Haus ins Meer gekippt?

Wenn man anderthalb Mal ums Schiff herumgeht, hat man einen Spaziergang von
einem Kilometer gemacht. Vielleicht gibt das eine richtige Vorstellung von
der Größe des Ozeanriesen?

Seine Maschine entwickelt 68000 Pferdekräfte. Wer hat eine Vorstellung
davon, was 68000 Pferdekräfte leisten können?

Nein, mit Größenverhältnissen und Zahlen will ich mich nicht aufhalten. Die
kann man außerdem in jedem Prospekt nachlesen.

Der Komfort, mit dem die Reisenden auf dem »Imperator« umgeben sind,
grenzt ans Märchenhafte. Die Kabinen sind keine Kabinen, sondern mollig
eingerichtete Wohnzimmer. Breite, bequeme Betten, Etablissements weicher
Sessel und Divans, Schreibtisch, Kleiderschränke, Wäscheschränke bilden das
Ameublement. Nebenan ein mit Kacheln ausgelegtes, geräumiges Badezimmer
mit idealen Douche-Vorrichtungen. In den Waschtischen hat man Tag und Nacht
fließendes heißes und kaltes _Süß_wasser. Ein Leben »aus dem Koffer«
kennt man auf dem »Imperator« nicht. Zwei Stunden nachdem man den Dampfer
betreten und dem Steward seine Schlüssel eingehändigt hat, findet man
Kleider, Wäsche und sonstige Bedarfsartikel in den Spinden und Schränken
der Kabine sauber aufgeräumt vor. Die Koffer sind im Gepäckraum
verschwunden. Ein Bataillon Schneider an Bord sorgt dafür, daß die
Garderobe immer in Ordnung ist. Die Herrenwelt feiert zum »dinner« eine
wahre Orgie in Bügelfalten.

Wundervoll sind die Gesellschaftsräume des Dampfers: der enorme Tanzsaal
mit 14 Fuß hohen Fenstern, die zierlich ausstaffierten Damensalons, das
gemütliche, mit viel Geschmack eingerichtete Rauchzimmer, nicht zuletzt der
enorme, durch zwei Etagen gebaute, von einer Galerie umgebene
Speisesaal, in dem zweimal täglich für 650 Personen gedeckt wird. Das
Table d'hôte-Prinzip ist abgeschafft. Es wird ausschließlich an kleinen
Tischen à la carte gespeist. Die Verpflegung muß dem verwöhntesten Gaumen
genügen. Ein Beispiel zum Beweis: als hors d'oeuvre wird von Zeit zu
Zeit für alle 650 Personen Astrachan-Kaviar von ganz exquisiter Qualität
serviert.

Für Gourmets und -- Snobs existiert außerdem noch ein
Ritz-Carlton-Restaurant an Bord, in dem man für Fabelpreise mit dem maître
d'hôtel französisch sprechen und von Pariser Köchen zubereitete filets de
sol essen kann. Ist man zu faul, seinen Frack zu Tisch anzuziehen, so kann
man dasselbe Vergnügen, noch teurer, im Grill-room haben.

Hoch zu preisen ist der Palmengarten des Ritz-Carlton-Restaurants. Dort
finden sich nach den Mahlzeiten auch die sparsamen Banausen aus dem
allgemeinen Speisesaale ein, um bei einer Tasse Kaffee, einem »fine
champagne frappé« und einer guten Import den Klängen eines rotbefrackten
Pariser Streichorchesters zu lauschen.

Man schlenkere sich dabei möglichst ungeniert in die breiten Klubsessel,
lorgnettiere dreist die unerhörte Toilettenpracht der amerikanischen
Schönen und streue die Zigarrenasche auf den knöcheltiefen Smyrnateppich.
Wenn man für ganz was Feines gehalten werden will, bemühe man sich
überhaupt, die amerikanischen Millionär- oder Milliardär-Jünglinge
nachzuahmen, für die die Begriffe »impertinent« und »vornehm« identisch
sind.

Der Clou des »Imperator« ist und bleibt doch das Römische Schwimmbad. Ein
mit feinstem Kunstsinn ausgestatteter Raum. Italienische Mosaiken schmücken
die Wände. Achtzehn pompejanische Säulen tragen eine gewölbte Galerie für
Zuschauer. Das Bassin -- groß genug, um darin Wasser-Polo zu spielen -- ist
mit hellgrauem Marmor ausgelegt. Aus Marmor sind auch die Ruhebänke, die
das Bassin umgeben. Mit Rauschen und Schäumen stürzt das Ozeanwasser,
gleich einem Wasserfall, ins Bassin. Die Temperatur des Wassers wird
künstlich auf 22-23 Grad Celsius gehoben. Dieses tägliche Schwimmbad ist
ein unvergleichlicher Genuß. In der heißen Jahreszeit muß es geradezu ein
Labsal sein.

Daß einem auf dem Promenadendeck behaglich zumute ist, dafür sorgt die
»See-Komfort-Gesellschaft« mit Liegestühlen, Decken, Plaids und wundersam
geformten Kissen, die sich den tiefsten und flachsten Körperbuchten gleich
gut anpassen. Bei ungünstigem Wetter sieht man ganze Regimenter von Kopf
bis zu Fuß festeingewickelter Mumien in Reih und Glied auf den endlosen
Promenadendecks des Dampfers aufgereiht daliegen.

Kurz, wo immer man sich auf dem »Imperator« befindet, kann man sich in
einem Winkel von Abrahams Schoße wähnen.

Und dennoch habe ich mich während der ganzen Amerika-Reise und während der
42 Tage, die ich auf See zugebracht habe, nicht so ungemütlich gefühlt wie
auf dem »Imperator«.

In erster Linie war daran natürlich die Ideen-Assoziation schuld, die die
Gedanken immer wieder zur »Titanic« hinleitete.

Aber ganz abgesehen davon: dieser unter allen Umständen eigentlich
unerlaubte und zum größten Teil sinnlose Luxus kommt einem wie eine
Herausforderung der Elemente vor. Man wartet nur darauf, daß sie aufbrausen
und diesen ganzen nichtigen menschlichen Tand in Trümmer zerschellen
lassen.

Betritt man den von tausend elektrischen Kerzen strahlend hell erleuchteten
Speisesaal, in dem die Tische unter der Last der raffinierten Speisen
und kostbaren Weine ächzen und ein Meer von Blumen betäubenden Wohlgeruch
verbreitet, sieht man das Feuerwerk der blitzenden Juwelen, hört man das
Scherzen, Lachen und Knallen der Champagnerpfropfen, so beschleicht einen
doch ein ungemütliches Gefühl, wenn man daran denkt, daß nur eine dünne
Wand diese ganze Pracht und Herrlichkeit von den grundlosen Tiefen des
Ozeans trennt.

Denkt man aber nicht daran, so kann man vollständig vergessen, daß man sich
auf einem Dampfer befindet. Von der Bewegung des Schiffes ist nicht das
Allergeringste zu spüren. Man merkt nicht einmal, daß es vorwärts geht, von
irgend einer Schaukelbewegung des Schiffes ganz zu schweigen. Auch wenn
man auf dem Promenadendeck steht, merkt man, besonders abends, nichts vom
»Schiff«. Die Gesellschaftsräume des »Imperator« liegen ungefähr elf Etagen
über dem Meeresspiegel. Da es auf dem Atlantischen Ozean abends meistens
neblig ist, so kann man vom Wasser nichts sehen, weder unter, noch vor,
noch hinter sich.

Was nun das Leben an Bord anbetrifft, so spielt es sich im
allergewöhnlichsten »vornehmen« Hotelstil ab. Infolgedessen läßt sich wenig
mehr davon sagen, als daß es öde, steif, ungesellig, zum Sterben langweilig
ist. Von irgend einer »Bordfreiheit« kann hier ebensowenig die Rede sein,
wie etwa in der »hall« des Hotels Adlon.

Infolgedessen tat es einem keinen Augenblick leid, Abschied vom Imperator
zu nehmen. Luxus kann man auf dem Festlande ebensogut und besser haben, und
jenes spezifische etwas abenteuerliche »caché« des Bordlebens auf langen
Seereisen war er uns schuldig geblieben. Dieser Umstand bewirkte, daß man
am Schluß der Seereise anfing, sich immer mehr auf Europa zu freuen.

Der gute alte Kontinent empfing uns zwar mit einem mürrischen
Regenwetter-Gesicht, doch wird er mich so bald nicht wieder in die Flucht
schlagen.

Wenn man sich die Sache recht überlegt, scheint was Wahres dran zu sein:
das Beste am Reisen ist -- die Heimkehr.


Druck von J. J. Augustin in Glückstadt und Hamburg.




      *      *      *      *      *      *




Hinweise zur Transkription

Fehlende und falsch gesetzte Anführungszeichen wurden korrigiert. Die
Bildtafeln wurde jeweils an das Ende des Kapitels oder Unterkapitels
verschoben.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, einschließlich
uneinheitlicher Schreibweisen wie beispielsweise "Axe" -- "Achse", "danach"
-- "darnach", "Titicaca-See" -- "Titicacasee", "unserer" -- "unsrer"

mit folgenden Ausnahmen,

  Seite 9:
  "109" geändert in "104"
  (Indianer in Poncho vor einem Bananen-Haine 104)

  Seite 11:
  "--" eingefügt
  (DER STEAMER »ARLANZA«. -- VIGO.)

  Seite 16:
  "Außenrede" geändert in "Außenreede"
  (auf der Außenreede von Funchal)

  Seite 16:
  "Ruderbote" geändert in "Ruderboote"
  (einer Unmenge schmaler Ruderboote)

  Seite 25:
  "Peterburg" geändert in "Petersburg"
  (von der Breite des Newski-Prospekt in Petersburg)

  Seite 30:
  "gans" geändert in "ganz"
  (alles ganz europäisch)

  Seite 33:
  "--" eingefügt
  (DIE ARGENTINISCHEN PAMPAS. -- DAS WEINLAND VON MENDOZA.)

  Seite 49:
  "--" eingefügt
  (TEMUCO. -- EIN AUFZUG DER ARAUKANER-INDIANER.)

  Seite 55:
  "aurakanisch" geändert in "araukanisch"
  (Unterredungen, die auf araukanisch geführt wurden)

  Seite 61:
  "su" geändert in "zu"
  (das Land urbar zu machen)

  Seite 66:
  "." vor "«" entfernt
  (das Mißverstehen europäischer »Kulturerrungenschaften«.)

  Seite 67:
  "tötlich" geändert in "tödlich"
  (Grund ihres absurden, tödlich langweiligen Badelebens)

  Seite 70:
  "--" eingefügt
  (VON VALPARAISO NACH ANTOFOGASTA. -- DIE CHILENISCHE SALPETER-INDUSTRIE.)

  Seite 72:
  "Antafogasta" geändert in "Antofogasta"
  (Es bedarf von Antofogasta aus einer sechsstündigen Eisenbahnfahrt)

  Seite 72:
  "hies" geändert in "hieß"
  (Auf einer der nächsten Stationen hieß es »aussteigen!«)

  Seite 74:
  "ganses" geändert in "ganzes"
  (ein ganzes Arsenal voluminöser Reservoirs)

  Seite 93:
  "Unternehungen" geändert in "Unternehmungen"
  (Ausflüge und Unternehmungen zu machen)

  Seite 94:
  "mitteldeutchen" geändert in "mitteldeutschen"
  (von der Größe eines mitteldeutschen Herzogtums)

  Seite 94:
  "was" geändert in "war"
  (Das war ein lustiges Einkaufen!)

  Seite 96:
  "Halblutindianer" geändert in "Halbblutindianer"
  (der Ariero, ein Cholo, d. h. Halbblutindianer)

  Seite 104:
  "durchschnittenen" geändert in "durchschnittener"
  (von breiten Felsspalten durchschnittener Weg)

  Seite 109:
  "cocktail" geändert in "Cocktail"
  (prächtigen rosenroten Cocktail aus Zuckerrohrschnaps)

  Seite 110:
  "Daz" geändert in "Das"
  (Das ist eigentlich ein Frevel)

  Seite 110:
  "," hinter "aussehen" entfernt und hinter "»grenadillos«" eingefügt
  (die »grenadillos«, Früchte der Passionsblume, die aussehen wie riesige)

  Seite 114:
  "entfernen" geändert in "entfernten"
  (die Körner aus den Halmen entfernten)

  Seite 115:
  "führen" geändert in "fahren"
  (von dort aus flußabwärts bis Guanay zu fahren)

  Seite 118:
  am Ende der Seite wurde ein Gedankenwechsel eingefügt

  Seite 126:
  "nnd" geändert in "und"
  (Mit viel List und Tücke)

  Seite 133:
  "G.schen" geändert in "G.'schen"
  (das dem Salon des G.'schen Hauses als Zimmerzier diente)

  Seite 135:
  "--" eingefügt
  (IM SCHNELLZUG DURCH PERU. -- DER TITICACA-SEE.)

  Seite 135:
  "Phateon" geändert in "Phaeton"
  (bequemer wäre, als der geräumige Phaeton)

  Seite 136:
  "herin" geändert in "herein"
  (in den Waggon herein)

  Seite 138:
  "Antofagasta" geändert in "Antofogasta"
  (Fahrt zwischen Valparaiso und Antofogasta)

  Seite 143:
  "auszufühen" geändert in "auszuführen"
  (einen gefaßten Plan auch wirklich auszuführen)

  Seite 145:
  "," entfernt hinter "schläfrig"
  (ein schläfrig blinzelndes Auge von der Größe einer Backpflaume)

  Seite 145:
  "gegenüberliegengen" geändert in "gegenüberliegenden"
  (nach einer Stelle des gegenüberliegenden Ufers hin)

  Seite 149:
  "--" eingefügt
  (VON PANAMA NACH NEW YORK. -- JAMAIKA.)

  Seite 150:
  "Zie" geändert in "Ziel"
  (Das Ziel unserer Fahrt war eine hügelige)

  Seite 154:
  "verversteht" geändert in "versteht"
  (Man versteht sich gegenseitig nicht)

  Seite 154:
  "st" geändert in "ist"
  (Es ist ein wundervolles Land)

  Seite 158:
  "belegen" geändert in "gelegen"
  (in einer ihrer Querstraßen gelegen)

  Seite 160:
  "recht" geändert in "Recht"
  (während der mit Recht berüchtigten amerikanischen Hitzwellen)

  Seite 168:
  "belegenen" geändert in "gelegenen"
  (zu ihrer im achten Stockwerk gelegenen Wohnung)

  Seite 169:
  "wahr" geändert in "war"
  (Es war augenscheinlich der letzte Trumpf)

  Seite 184:
  "angefürte" geändert in "angeführte"
  (so harmloser Art, wie der eben angeführte)

  Seite 187:
  "sie" geändert in "Sie"
  (»Wann gedenken Sie abzureisen?«)

  Seite 191:
  "läß" geändert in "läßt"
  (Infolgedessen läßt sich wenig mehr davon sagen)]



***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK RUND UM SÜD-AMERIKA***


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Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
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computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
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Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
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Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org 

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary 
Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
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The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

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    Chief Executive and Director
    [email protected]

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