Project Gutenberg's Der Kalendermann vom Veitsberg, by O. Glaubrecht This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Der Kalendermann vom Veitsberg Eine Erzählung für das Volk Author: O. Glaubrecht Release Date: May 3, 2005 [EBook #15756] Language: German *** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KALENDERMANN VOM VEITSBERG *** Produced by the Online Distributed Proofreading Team Der Kalendermann vom Veitsberg. Eine Erzählung für das Volk von O. Glaubrecht. Dritte Auflage. Mit einem Bilde. Frankfurt a. M. und Erlangen. Verlag von Heyder & Zimmer. 1853. Sehet an, lieben Brüder, euren Beruf. Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen, sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daà er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählet, daà er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählet, und das da nichts ist, daà er zu nichte mache, was etwas ist; auf daà sich vor ihm kein Fleisch rühme. (1. Korinter 1, 26-29.) 1. Der Gruà an den Leser aus der Heimath des Kalendermannes. Wenn in unsern Tagen ein junger Mann sein Studium oder sein Handwerk gelernt hat, wenn er auch seine Wartezeit hinter sich hat, wenn er drauÃen gewesen ist in der Welt mit dem Reisebündel auf dem Rücken, und er kehrt zur lieben Heimath wieder, wer will's ihm verargen, daà er dann nach dem Plätzchen sich umsieht, wo er sein Haus bauen und sein Geschäft treiben, und manchen stillen Herzenswunsch befriedigen kann? Und unsere Zeit ist eine gütige Mutter, für alle Wünsche ihrer Kinder hat sie auch die Erfüllung; sie weià Mittel und Rath, und wer es anders nur klug angreift, der findet auch Haus und Brod. Ueberall wächst die Bevölkerung, aber mit ihr auch die Klugheit, der Erde ihr Gewächs abzugewinnen, daà es den Tausenden nicht an Brod fehle, und überall auch der KunstfleiÃ, der Neues schaffet und das Alte verbessert. Hätten wir vor hundert Jahren gelebt und könnten einmal wieder unsere alte Heimath besuchen; sähen wir da die Länder mit StraÃen durchzogen, die wüsten Stellen in fruchtbare Aecker umgewandelt, die Sümpfe ausgetrocknet und die Eisenbahnen im Flug die Menschen zu einander führen; sähen wir in Städten und Dörfern das Volk sich wie in einem Ameisenhaufen durcheinander winden; wir würden uns wie Träumende vorkommen, und die Heimath nicht wieder erkennen. Denn an's Wunderbare gränzt der Fortschritt, den unsere Zeit vor den früheren gemacht hat, unsere Zeit, die so Vielen nicht gefallen will. Manchen gefällt sie nicht, weil sie nicht schnell genug geht, weil der junge Mensch, der mit hoffendem Herzen in sie hineintritt, nicht seine Zeit, oder vielmehr Gottes Zeit mit ihm, abwarten kann, und murret und klagt, daà ihm nicht schnell genug geholfen werde. Höre doch einmal, du Unzufriedener, von der Väter Zeit; die lehrte warten. Da war auch das Herz der Jugend ungestüm, aber die lange Wartezeit machte es kühl; da ward auch die Jugend gelehrt und unterwiesen, länger und fast gründlicher, denn jetzt; aber die Mühe fand nicht so schnell ihren Lohn; das Brod kam oft lange in kleinen Laiben nur in's Haus, und unter Geduld und Warten muÃte es im SchweiÃe des Angesichtes gegessen werden. Wie viele Meister gab es damals, die niemals eine eigne Werkstätte erlangten, sondern froh sein muÃten, Zeit Lebens das Gesellenbrod zu essen! Wie viel Künstler gingen damals umher, den Kopf voll groÃer Entwürfe und schöner Gedanken, und war Niemand da, der sie verstand! Wie viel studirte Leute, die was Tüchtiges gelernt hatten, sah man noch über die Mitte ihres Lebens hinaus umhergehen und nach einem Aemtchen suchen, das ihnen das tägliche Brod geben könnte, und suchten oft lang und immer vergebens! Wie ist in dem langsamen, tiefgründigen Strom jener Zeit so manches Haupt untergegangen, das man jetzt hochheben würde, damit es seiner Zeit leuchte! Wie ist damals manches Herz in Ungeduld und Trübsinn gebrochen, dem nichts gefehlt hätte, als ein verwandtes Herz, daran sich's anschmiegen und festhalten konnte! Aber wie viel schöne, stille Bilder der Genügsamkeit, wie viel Bilder der Gottseligkeit und einer Tugend, die wir fast nicht kennen, bot auch wieder jene Zeit dar! Manches Herz, dem die Welt nicht hielt, was sie ihm versprach, baute sich ungekannt von ihr ein stilles Haus des Gottesfriedens. Unzerstreut und unverworren durch das Geräusch der Welt ward Mancher ein Weiser in Gesinnung und in That und half das Reich Gottes im kleinen, engen Raum ausbauen. Von einem solchen weià ich dir zu erzählen, mein lieber Leser, und bitte dich, du mögest mir in jene Zeit folgen, wo in unserm lieben Deutschland das äuÃere Leben noch gar eng und klein war, wo aber das Leben, das aus Gott ist, in manchem Dörfchen, in manchem unscheinbaren Haus eine trauliche Stätte gefunden hatte, und dort zu Thaten trieb, die _auch_ in Gott gethan waren. Erwartest du, daà ich dir von Menschen erzähle, die Tausende beglückt oder über die Tausende geweint, daà ich dich mit Staunen erregenden Begebenheiten unterhalte, oder wohl gar Mordgeschichten dir vor's Auge führe, wie das hin und wieder geschieht; dann, mein lieber Leser, lege das Büchlein schon jetzt bei Seite. Nein, in ein stilles Dörfchen, auf einer grünen Höhe im lieben Vaterland, will ich dich führen; in ein Häuschen will ich dich geleiten, arm und klein; von einem Manne will ich dir erzählen, der im kleinen Kreise des Guten viel that, und heià geliebt und innig betrauert zum Herrn ging, an den er im Leben treu geglaubt hatte. Noch spricht man in jenen Thälern, wo unsere Geschichte sich zugetragen, vom Kalendermann vom Veitsberg, noch steht sein Häuschen in seinem alten Zustande da, noch grünen die Bäume, die er gepflanzt, noch weht sein guter Geist des Glaubens und der Liebe in den Enkeln seiner Schüler. Ist auch Manches untergegangen, was er gewirkt, sein Gedächtnià lebt noch im Segen, und manches Blatt Papier gibt hier und da Zeugnià von seinem Fleià und seiner Frömmigkeit. Und so begleite mich denn, mein lieber Leser, in die Heimath des Kalendermanns. Ich weià gut Bescheid daselbst, denn sie ist auch meine Heimath, mein liebes Hessenland, mit seinen grünen Hügeln und waldigen Höhen und fruchtbaren Ebenen, auf die Gottes Auge allezeit segnend herabblicken möge! Während ich die gelben Blätter betrachte, die der Kalendermann geschrieben, denk' ich der Zeit, wo ich am Haag, der sein Grab umgränzt, Veilchen gesucht, oder von seinen Bäumen die Kirschen gebrochen. Lieb ist mir sein GedächtniÃ, möchte es auch dir lieb werden! â 2. Der Gallusmarkt. Es war Gallustag des Jahres 17.., und in Grünberg, dem freundlichen Städtchen im Lande Hessen, war Jahrmarkt. Weithin über die Felder am westlichen Theile der Stadt breitete sich eine vielfache Reihe von Zelten aus, manche einfach von Leinwand, manche groà und mit mehr Kunst von Baumästen aufgeführt, zum Nutzen und Vergnügen der Marktgäste. Da sah man hoch aufgeschichtet die Holzwaaren vom Vogelsberg, Löffel und Küchengeräthe, zierlich mit Figuren geschmückt, und vor Allem Spinnräder, bunt von Farben und künstlich ausgedreht, mit Ringlein und hölzernen Springmännlein, die bei jedem Umschwung des Rades tanzten. Zwischen den Spinnrädern durch gingen sittig und prüfend die Mägdlein, mit den Krämern feilschend, und der Winterabende gedenkend, wo die bunten Räder zum lustigen Gespräch der Spinnstube schnurren sollten. Und neben die Spinnräder hatten die Bänderkrämer aus Sachsen ihre Buden aufgeschlagen. Hoch von den Stangen herab flatterten lustig und lockend, von Seide und Wolle, theuer und wohlfeil, aber brauchbar und sehr beliebt, die bunten Bänder, und die Krämer priesen den Mägdlein die breiten, mit Flittergold durchwirkten Streifen zu Rockenbändern an. Von vielen Kunden besucht, bekannten und unbekannten, und manchen Gruà rufend und manchen Händedruck gebend, sah man dort die Schuhmacher von Alsfeld und Homberg guten Markt halten, während die Messerschmiede von Lauterbach mit den Kindern um die Batzenmesserlein feilschten, klein und mit hölzernen Stielen, indeà der Kaufmann von fern her, auf dem Nagel den Stand der Messer und Gabeln prüfte und dutzendweise sie mit sich nahm. Hell glänzten dort in der Octobersonne die Zelte und Buden der Blech- und Kupferschmiede von Grünberg, und ihnen zur Seite hatten auf dem grünen Rasen einer Wiese zwischen den Herbstzeitlosen, die Niemand beachtete, die Töpfer von Marburg und Hausen ihre bräuchliche Waare ausgestellt. Es war gute Zeit im Lande, die Erndte war reichlich ausgefallen, in den Säcken des Bauern war Geld und die Kaufleute waren billig und lieÃen Alles um den halben Preis, wie sie sagten, aus lauter guter Freundschaft. Wohin man nur sah, da bemerkte man frohe Gesichter. Selbst um die Bude eines reisenden Doctors her gab's mehr Lachen, als Weinen; denn so schrecklich der Mann selber aussah in seiner ungeheuren Perücke und seinem dreieckten Bordenhut darauf und seinem rothen Rock mit thalergroÃen Stahlknöpfen und seinem Halsband von Menschenzähnen; so hatte er doch neben sich ein Männlein stehen, bunt gekleidet und immer lachend, das mit seinen SpäÃen auch die bittersten Pillen und Pulver versüÃte, und so drollige Gesichter schnitt, während er die Köpfe zum Zahnausziehen hielt, daà aller Schmerz nicht der Rede werth war. Und was doch in der Bude gegenüber das Bier so trefflich schmeckte und die Würste so lieblich dufteten; denn wer that's je den Metzgern von Grünberg in ihrer Blutwurst gleich! Nur Einer wagte zu versichern, die seine sei besser, fetter und delicater, das war ein Metzger aus Schotten, der seine Bude nicht fern von dem Grünberger aufgeschlagen hatte, und allen Kunden mit Stirnrunzeln nachsah, die hinüber zu dem Grünberger gingen; »denn Schotten«, sagt er, »liefert die beste Wurst auf weit und breit;« und »alls herein, meine Herrn«, rief er, »alls herein, hier ist Alles zu haben für Mund und Herz, Musik und Schauspiel, wenn's beliebt!« Das Schauspiel war aber eine Gesellschaft von Hunden, theils in Bordenröcke gekleidet, mit Hüten und Perücken auf den Köpfen, theils in Reifröcke gehüllt und die Damen vorstellend. Die führten nach dem Ton einer Sackpfeife, die ihr Herr blies, allerlei kurzweilige Tänze aus, machten einander Diener und Knickse, und benahmen sich ganz anständig, bis ein SpaÃvogel ihnen ein Stück Wurst zuwarf, worauf sie schnell in ihre Hundenatur zurückfielen. Da gab's unmäÃiges Gelächter, in das eine Schaar von Knaben aus vollem Halse einstimmte, die mit Holz und Strohbündeln unter den Armen den benachbarten Höhen zueilten. Denn wer mag ein Knabe sein in der guten Stadt Grünberg und kein Gallusfeuer sehen! Zwei Freuden auf einmal; von den Höhen herab den Markt sehen mit seinem bunten Gewimmel und vor sich das Gallusfeuer! Da klingt erst das Lied recht gut. »Gallmarkt ist da! Drum heraus Aus dem Haus! Wer Bier hat, der trink's, Wer Holz hat, der bring's Zum Gallusfeuer, Zum Gallusfeuer!« Während so Geschäftigkeit und Frohsinn den Jahrmarkt belebte, schallte durch das Getümmel hindurch der dumpfe Ton einer Trommel, in den sich schrillernd die Melodie einer Querpfeife mischte. Alles was abkommen konnte, drängte sich der Stelle zu, und man sah, was man lange nicht gesehen hatte, zween Polacken in Pelzkleidern und mit groÃen Prügeln in den Händen, die führten an einer langen Kette einen Bären, und auf dem Rücken des fürchterlichen Thieres saÃ, o Wunder und Entzücken! ein Aefflein in einem rothen Jäckchen, sonst nichts um und nichts an. Das Aefflein tanzte auf dem Bären und schlug Purzelbäume, und aà Aepfel und warf die Krutzen nach den Zuschauern. Und der Bär tanzte auch, aber viel ungelenkiger und schien gar keine Freude an seinem Tanzen zu haben, und bekam viele Prügel, daà er zum Entsetzen von Jung und Alt erschrecklich brummte. In der Menschenmenge, die den Bären von allen Seiten umgab, hielt seit geraumer Zeit eine Chaise; denn es war nicht möglich, auch nur einen Schritt weit vorwärts zu kommen. Der Kutscher war abgestiegen und stand vor den Pferden, und hielt ihnen die Augen zu, und strich ihnen den Hals, und gab ihnen Schmeichelnamen aller Art; denn den Pferden war's bange vor dem Raubthier, und wollten nicht Stand halten. Ein Bedienter in Jägeruniform hatte derweil seinen Rath mit Einem aus der Bürgerschaft, der zur Marktwache gehörte, und auf seinen Spieà gestützt, das einzige Zeichen seiner Würde, in das Treiben hineinsah und behaglich sein kurzes Pfeifchen rauchte. Der Rath zwischen dem Jäger und dem SpieÃmann schien nicht sehr freundlich zu sein; denn der Jäger hatte ein zornrothes Gesicht und rief in einem fort: »Macht Platz, oder ich ziehe vom Leder!« Der SpieÃmann blickte lächelnd auf die halbgezogene Waffe und sagte gelassen: »Stecket euer Schwert an seinen Ort, mein Freund; nach gutem alten Marktrecht spielt der zuerst, der zuerst kommt, und da der Polack mit seinem Pelz zuerst auf dem Fleck war, so spielt der zuerst, dann kommt die Reihe auch an euch. Was ihr nun in eurem Kasten dort habt â es will mich bedünken, als wären auch fremde Thiere drinnen â das laÃt später sehen. Eile mit Weile.« â »Aber seht ihr denn nicht, Mann«, rief der Jäger noch ungeduldiger, indem er den Hirschfänger völlig aus der Scheide zog, »daà der Kutscher die Pferde nicht halten kann, die Bestie dort bringt meine Herrschaft in's Unglück!« â »Das ist ein Anderes, Freund«, sagte der SpieÃmann, »das hättet ihr gleich sagen können, daà ihr Reisende führt. Ich will gleich Platz machen; nur sag' ich noch einmal: Steckt euer Schwert an seinen Ort; nach gutem Grünberger Marktrecht kommt Jeder dort in den Thurm, der sich erdreistet, wider hochlöbliche Bürgerschaft, zumal im Marktdienst, das Gewehr zu ziehen!« So sagend schwang er seine Waffe und gebot in gebrochenem Deutsch, das sie selber redeten, den Bärführern zur Seite zu gehen. Die Pferde zogen rasch an mit manchem gefährlichen Seitensprung, mit manchem scheuen Blick nach dem Bären hin, und nach wenigen Minuten rollte der Wagen durch die Marktgasse hinauf auf den Marktplatz und vor das Gasthaus zum Riesen. Da war ebenfalls ein reges Leben und Treiben. Unter Mühe nur konnte der Kutscher eine Anfahrt gewinnen; denn Fuhrwerke von allen Arten hatten bereits die StraÃe besetzt. Der Riesenwirth, ein kleines fettes Männlein, mit einem langen steifen Zopf, stand, ein weiÃes Schürzlein vorgebunden, und die weiÃe Mütze unter dem linken Arme, unter seinem Hofthore und machte einen Bückling hinter dem andern, während der Jäger zur Seite des Schlages stehen blieb, um abzuwarten, bis drinnen die Thüre des Wagens geöffnet werde. Das kam dem Riesenwirth sonderbar vor und noch sonderbarer seinen Gästen, die zu allen Fenstern heraussahen und sich über die Kutsche von so fremder Gestalt und über die Passagiere unterhielten, die gar nicht aus dem Wagen heraus wollten. Da es endlich dem Riesenwirth scheinen wollte, als thue der Jäger seine Schuldigkeit nicht, so trat er an den Kutschenschlag, um ihn zu öffnen, wurde aber von dem Jäger ziemlich unsanft zur Seite geschoben. Da öffnete sich von innen die Thüre und statt eines alten, gebrechlichen Reisenden, den man vermuthet hatte, sprang schnell und leicht ein junger Mann, in einen weiten Reisemantel gehüllt, heraus, und half mit der rechten Hand, während er die linke unter dem Mantel verborgen hielt, als trüge er etwas, einem, wie es schien, eben so jungen Frauenzimmer aus dem Wagen. Ueber das Alter seiner Reisegefährtin lieà sich nichts sagen, denn ein dichter Schleier verbarg ihr Angesicht; aber mit rüstigen Schritten folgte sie dem Begleiter in ein Zimmer im obern Stocke, indeà der Jäger sich mit den Koffern und Reisepäcken zu schaffen machte. Der Riesenwirth, der die Fremden auf ihr Zimmer geleitete, sprach vom Wetter und vom Vergnügen, das er habe, solche vornehme Marktgäste beherbergen zu dürfen, und wie er es bedaure, den Herrschaften heute kein besseres Zimmer anbieten zu können, sintemal die Marktbesucher schon Alles besetzt hätten, und machte Bücklinge über Bücklinge; aber es kam aus dem Munde der Fremden keine Antwort. Ein Wink des Herrn nach der Thüre gab zu vergehen, daà die Reisenden allein zu sein wünschten, und kopfschüttelnd entfernte sich der Riesenwirth. Nach einiger Zeit erschien der Jäger, der ab- und zugegangen war, und verlangte für seine Herrschaft ein Mittagessen, nahm aber alle Schüsseln dem Riesenwirth vor der Thüre ab und trug sie selber hinein. Das kam dem Wirthe immer sonderbarer vor, und er säumte nicht, seinen Gästen mitzutheilen, wie in seiner langen Wirthschaft ihm so eigne Leute noch nicht vorgekommen seien, und wie dahinter gewià etwas stecke. Und die Gäste theilten seine Meinung und blickten von Zeit zu Zeit hinab auf die StraÃe und staunten den Wagen an, vor dem bereits eine Anzahl Schaulustiger sich gesammelt hatten. »Hätte ich nicht mit meinen Augen gesehen, wie der Jäger das Fuhrwerk ausgepackt bis auf den Grund, es möchte mich schier bedünken, es wär' noch allerei fremdes Gethier in dem Kasten«, sagte Einer aus den Umstehenden. »Und sehet nur«, hub ein Zweiter an, »wie tief die Axen hinabreichen, fast scheint es, der Wagenkasten schleife auf dem Boden. Es sieht das Ding fast einer Feuerspritze ähnlicher, denn einem Herrnwagen.« »Aber das bleibt gewië, sprach ein Dritter, »schön ist das Fuhrwerk; seht nur, wie bunt die Räder gemalt sind; und so wahr ich lebe, Goldleisten überall. Gebt Acht, das sind keine geringen Leute, die also fahren; aber weit her sind sie, darauf möcht' ich wetten!« So ging eine Stunde des Gallustages nach der andern hin. Der Markt vor der Stadt nahm seinen fröhlichen Fortgang, die Gäste im Riesen gingen aus und ein, und der Jäger bediente die fremde Herrschaft allein. Als es Abend ward, trat er unter das Thor und schaute sich die Marktbesucher an, wie sie gingen und kamen. Eben ward das Marktglöcklein gezogen, zum Zeichen, daà für heute das Kaufen und Verkaufen aufhören solle, da trat der Riesenwirth zu dem Jäger heran und sagte, auf das Fuhrwerk der Fremden zeigend: »Schön Fuhrwerk das!« »Wem's gefällt«, war des Jägers Antwort. »Scheint im Ausland gebaut zu sein?« »Denk's auch«, sagte der Jäger. »Ist die Herrschaft schon lang auf der Reise?« fragte der Riesenwirth. »Ziemlich!« â »Weit her?« â »Soll's meinen!« »Aus Frankreich?« â »Nein!« â »Holland?« â »Ja!« â »Also aus Holland ist die Herrschaft?« fragte erfreut der Riesenwirth. »O das ist schön, groÃe Ehre für Grünberg. Doch wohl ein Kaufmann, der auf unserm Gallusmarkt denkt Geschäfte zu machen? Glück zu! Gibt auch nur einen Gallusmarkt auf weit und breit.« Damit folgte der Riesenwirth zweien Gästen, die eben in sein Haus eingingen. »Hört Landsmann«, rief der Jäger einem Bauer zu, der näher getreten war, sich das fremde Fuhrwerk zu besehen, »wo seid ihr her, wenn's erlaubt ist, zu fragen?« Der Bauer lüftete seinen dreieckigen Hut und sprach »Wie's euren Edlen gefällt, ich bin von Göbelnrod.« »Nun dann seid ihr ja nicht weit vom Veitsberg«, sprach der Jäger, »und könnt mir wohl sagen, ob der Schulmeister Justus noch lebt?« â »Wird wohl noch leben«, war des Bauers Antwort, »denn wär' er gestorben, so hätt' ich's sicher erfahren. Doch wart', alleweile fällt mir ein, daà der Kalendermann noch lebt. Denn mein Nachbar, der Bornpeter, sagte vorgestern zu mir, er wolle bald auf den Veitsberg, und sich den Kalender holen für's künftige Jahr. Wenn ihr den Schulmeister kennt, so wiÃt ihr auch, daà Keiner auf weit und breit den Kalender besser versteht, denn der Justus. Ehe die Sterngucker, Gott weià wo sie sind, ihn gemacht haben, da haben wir ihn hier herum längst und Einer schreibt ihn vom Andern ab, und wenn die Drucker ihn endlich liefern, so um Weihnachten hin, da weià Unsereiner schon längst im neuen Jahr Bescheid. Und wenn er's wissen will, so sagt ihm der Kalendermann vom Veitsberg auch jede Sonn- und Mondsfinsternià voraus, und das auf die Minute. Kurz der Mann versteht seine Sache, das muà man ihm lassen.« »Dank für die Nachricht, guter Freund«, sprach der Jäger freundlich, »da trinkt, ehe ihr heimgeht, noch ein Frisches auf die Gesundheit des Kalendermanns, und gedenkt auch mein dabei, wenn's euch nichts verschlägt!« â Ehe noch der erstaunte Bauer seinen Dank sagen konnte, war der Jäger in's Haus zurückgegangen. 3. Lust neben Schmerz. Eine milde Octobernacht breitete sich über die Stadt Grünberg aus. Die Sterne schienen friedlich vom dunkelblauen Herbsthimmel hernieder, aber Friede brachte ihr Glanz nicht allen Menschenseelen an diesem Abend. Die Buden auf dem Marktplatz waren geschlossen, um erst am Morgen zu neuer Geschäftigkeit geöffnet zu werden, und mit festen Schritten und einander zurufend, schritten die Wächter auf und ab. In den Bäckereien war man emsig beschäftigt, neuen Vorrath zu backen, und aus den Häusern der Metzger hörte man das taktvolle Fallen der Hackmesser. Aus allen Gasthäusern und Herbergen schallte Tanzmusik und Jubel, und die Mühe des Tages ward vergessen in der neuen Mühe, die man Freude nannte. Auch im Riesen war Tanz, und von dem Saale auf dem Hinterbau drang der Ton der Instrumente und das Jauchzen der Fröhlichen durch alle Zimmer des Hauses. Eben drängte sich der Wirth, dicke SchweiÃtropfen auf seiner Stirne, zum hundertsten Male durch das Getümmel, um den Durstigen einen neuen Trunk zu bringen; da winkte ihm die Hausmagd zur Seite und sagte in ängstlichem Tone, indem sie sich schüchtern umsah: »Herr, mit den Fremden, die heute hier eingekehrt sind, ist es nicht geheuer. Denkt nur, ich ging eben an ihrer Stube vorbei, da hörte ich Kindergeschrei drinnen, so wahr ich lebe, Kindergeschrei; ist das nicht fürchterlich? Darum lassen sie Niemanden hinein, und liegen wie die Dachse im Baue, während der unleidliche Jäger wie ein Jagdhund davor liegt, und Unsereinem nicht einmal ein freundlich Gesicht gönnt, zumal am Gallustag.« »Nun was wird's sein, Susann'«, rief der Riesenwirth, »was wird's sein! Geh' deiner Wege, Mädchen, und laÃ' mich in Ruh', zumal heut' Abend. Kehr' vor deiner Thür', sag' ich, und lern' dein' Lektion, statt durch die Schlüssellöcher zu gucken. Wer in meinem Haus einkehrt, der mag in seiner Stube treiben, was er will. Der Herr ist ein Holländer und ist ein Kaufmann und ist reich, das ist mir schon genug, mehr brauch' ich nicht zu wissen.« Damit lieà er die Hausmagd stehen und ging weiter. â Und doch hatte die Susanne recht gehört. Es hatte wirklich in der Stube der Fremden ein Kind geweint, und ein Kind war es gewesen, was der Reisende unter seinem Mantel verbarg, als er aus dem Wagen stieg. An dem Bette ihres Kindes saÃen die Aeltern an diesem Abend, während die Tanzmusik schallte, und weinten und klagten, und je lauter das Jauchzen der Fröhlichen wurde, desto betrübter wurden sie. »Ist's denn gar nicht zu ändern, Lewin«, sprach weinend die fremde Dame, indem sie einen Kuà auf die Stirne eines lieblichen Mädchens drückte, das schlafend im Bette lag; »ist's denn gar nicht zu ändern, und muà ich mich von meinem kleinen Engel scheiden? Ach ich halt' es nicht aus! Thue Alles, was du willst; sage lieber vor aller Welt, ich wäre nicht dein Weib, nur nimm mir mein Kind nicht, meine Selma. Sage deinem Vater, was du willst; sage ihm, wir seien nicht getraut. Geh' allein zurück, vergià mich, wenn du kannst, aber laÃ' mir mein Kind. Ach, in fremdem Land es zurücklassen, Wochen und Monate nichts von ihm hören, wie kann ein Mutterherz das ertragen?« â »Mora«, hub der Fremde an, indem die Thränen fast seine Stimme erstickten, »hältst du mich denn für einen Wilden, ohne Gefühl und Glauben? WeiÃt du nicht, wie ich selber gekämpft, bis dieser fürchterliche Entschluà gefaÃt war? Meinst du, ich wäre so stark, daà ich mit lachendem Munde unser Kind in fremde Hände geben könnte? O, schon daà ich dich nöthigen muÃte, das Kind abzugewöhnen, damit es in fremde Hände könne gegeben werden, das hat mir tief in's Herz geschnitten. Aber es muà sein; morgen am Tage muà das Kind von uns, und wir müssen mit aller Schnelligkeit nach Hause. Und ich, o schrecklicher Fluch! muà mein Weib und mein Kind vor meinem Vater verläugnen, und mich von dir scheiden, gebe Gott, auf recht kurze Zeit.« »Aber, Lewin«, fragte schluchzend die Frau, »ist es denn gar nicht möglich, das Herz deines Vaters zu erweichen? Wenn du ihm dein Kind bringst, wenn du ihm sagst, daà ich schon seit zwei Jahren mit dir vermählt sei; wenn du ihn beschwörest, dich und dein Kind nicht unglücklich zu machen, sollte dann nicht endlich sein Widerwille gegen mich aufhören, und er mir um deinetwillen erlauben, dein Weib sein zu dürfen?« â »O Mora«, rief hastig der Fremde, indem eine brennende Röthe sein blasses Gesicht überzog, »zwinge mich nicht, daà ich dir meinen Vater schildere, wie er mir erscheint nach seiner Härte gegen mich. Du kennst ihn nicht. Ich habe nie gehört, daà er jemals etwas zurückgenommen hätte, das er gesagt. Als er durch feile Zwischenträger von unserer Liebe hörte, da beschied er mich einst in seine Arbeitsstube. Lange schien er nach Fassung zu ringen, und ging mit gesenktem Kopfe auf und ab. Dann blieb er plötzlich vor mir stehen und sprach in leisem Tone: »Lewin, du hast die Wahl, entweder du gibst dein Vorhaben mit jenem Mädchen auf, oder du bist enterbt, und bekommst meinen Fluch oben drein. Jetzt geh' und wähle!« »Aber um Christi willen, Lewin«, rief das Weib in höchster Aufregung, »warum hast du mir davon nichts gesagt? Nur obenhin berührtest du, dein Vater miÃbillige unsere Verbindung vor der Hand; sie müsse darum heimlich vollzogen werden. O hättest du mich doch bei meiner alten Base gelassen, und mich junges, unerfahrenes Mädchen nicht in einen Stand hineingezwungen, der mir jetzt, wie ich sehe, zum Verderben werden wird. Sag' mir, Lewin, ich frage dich bei Gott, dem Allwissenden, nicht wahr, dein Vater nöthigte dich selbst zu der Reise nach Deutschland, damit du mich vergessen solltest?« »Ja, Mora, so ist es«, sprach der Fremde mit niedergeschlagenem Auge; »ich that Unrecht, groÃes Unrecht, beides an dir und an meinem Vater. Ich sehe unendliches Herzeleid über uns hereinbrechen, und es ist mir manchmal, als wenn mein Herz mit tausend Messern durchbohrt würde. Ja, Gottes Gerichte sind ernst und strenge! Laà mir nur den Trost, daà du mich nicht hassest, daà du mit mir tragen willst, was Gott mir auferlegt hat!« â »Hast du je daran gezweifelt, Lewin«, sprach mit sanfter Stimme die Frau, indem sie ihren Arm um des Mannes Nacken schlang. »Komme, was da wolle, ich bin auf Alles gefaÃt; ich bin dein Weib, rechtmäÃig durch den Segen der Kirche dir angetraut, und das will ich bleiben, ob man mich von dir reiÃt oder nicht. Laà uns aber zum Herrn beten, daà er uns unsere Sünden vergebe und die Last uns leicht mache, nach seinem gnädigen Willen; ach, daà er vor Allem unser Herz stark mache für die bittere Trennung von unserm Kinde, und es uns bald wieder schenke, an Leib und Seele gesund.« â Ein Kuà besiegelte den frommen Vorsatz und still betend und weinend saÃen sie am Lager ihres Kindes, bis der Morgen graute. Wie der Tag anbrach, verlor sich ein Tänzer nach dem andern vom Tanzplatze; die Musik verstummte, und auf den StraÃen begann es laut zu werden, denn der zweite Markttag brach an. Mit dem Verstummen der Musik sanken die Fremden in einen kurzen Schlaf; böse Träume unterbrachen ihn oft. Ein leises Pochen an die Thüre weckte zuerst den Herrn; und wie er sich erhob, da fuhr mit einem Schrei auch die Frau auf, und griff hastig nach dem Kinde an ihrer Seite. Es war der Jäger, der anfragte, ob's der gnädigen Herrschaft gefällig wäre, das Frühstück zu nehmen? Ein Kopfnicken war die einzige Antwort. Im Hinausgehen fragte der Herr hastig: »Bist du fertig, Heinrich?« »Zu dienen, Ihre Gnaden«, war die Antwort. Unberührt stand noch das Frühstück, als der Jäger bald darauf in einen weiten Mantel gehüllt zur Stube hineintrat und an der Thüre stehen blieb. Da schritt die junge Frau hastig auf das Bett zu, wo das Kind ruhte, schlang mit Hast mehrere Tücher um dasselbe, knüpfte eine Perlenschnur von ihrem Halse ab und band sie dem Kinde um, und unter sanftem Weinen sprach sie: »Nimm den letzten KuÃ, Engel meines Lebens; der Herr sei mit dir, mein Herzenskind. Und nun fort, Heinrich, fort, oder ich sterbe auf der Stelle!« »Hier, Heinrich«, rief mit abgewandtem Angesicht der Fremde, und legte einen schweren Beutel in des Dieners Hand. »Alles bleibt nach der Verabredung.« O Menschenherz, wie viel Jammer bereitest du dir selbst! Wie wahr bleibt deines Heilands Wort: »Wenn du es wüÃtest, so würdest du auch bedenken zu dieser deiner Zeit, was zu deinem Frieden dienet. Aber nun ist es vor deinen Augen verborgen.« 4. Das Trauerhaus. Der Morgen des 17. Octobers war so schön, wie nur ein Herbsttag sein kann im lieben Deutschland. Die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel herab, der Herbstthau schimmerte noch im Grase, und zwischendurch zirpten die Heimchen. In langen weiÃen Fäden flog der Sommer über die Felder hin, hier von einzelnen Sträuchern in seinem Flug aufgehalten, und dort vom Morgenwind einem Wandrer entgegengeführt. Eine eigenthümliche Stille herrschte in der Natur, nur hin und wieder unterbrochen vom lauten Schlag der Drossel oder vom sanften Gesang des Rothkehlchens. O unser Vaterland ist schön zu jeder Jahreszeit; und wer mit dem Frieden Gottes in der Brust hinaustritt auf die gesegneten Felder oder auf die grünen Höhen, der fühlt tief das Wort der Schrift: »Groà sind deine Werke, Herr, wer ihrer achtet, der hat eitel Lust daran.« â Die Stille des Herbstmorgens waltete auch um das Häuschen her, in dem der Schulmeister Jakob Konrad Justus wohnte. Das stand auf dem Veitsberg, eine Stunde von Grünberg, neben der Kirche, und drum her eine kleine Zahl von Häusern. Von der Höhe herab übersieht man eine Reihe von Dörfern, deren Bewohner sonntäglich entweder die Kirche vom Veitsberg, oder die vom Wirberg besuchen. An den Kirchhof lehnt sich das Schulhaus, damals wie jetzt noch klein und unscheinbar, aber heimisch und traulich gelegen. Trauben rankten an der Sonnenseite empor und bedeckten fast die kleinen Fenster, und zwischen den breiten Blättern schimmerten blau und hellgrün die saftigen Trauben hervor. â In dem Häuschen herrschte eine düstere Stille, nur manchmal durch einen einzelnen Laut der Klage unterbrochen. Magdalenchen, das jüngste Kind des Schulmeisters, war gestorben, und um das offne Särglein in der Wohnstube standen Vater und Mutter und drei Geschwister, auch die Gespielinnen des Kindes und einige Nachbarn standen da, Alle sonntäglich geschmückt und den Rosmarinkeim in der Hand. »Nun Kinder«, sprach der Schulmeister in wehmüthigem Tone, »drauÃen läuten die Glocken, seht euch euer Schwesterlein noch einmal an, es ist Zeit, daà wir aufbrechen; und ihr Kameraden meines Magdalenchens, gebt ihm die Blumen, die ihr tragt, in sein Todtenstübchen. So, nun sieht mein Lenchen wie ein Engel aus, der unter Blumen schläft. Nun, Nachbarn, deckt den Sarg zu und laÃt uns gehen. Komm Dorothe und sei fest; ein Kind weniger auf Erden und einen Engel mehr im Himmel, wozu da das Trauern? Das Mägdlein ist nicht todt, es schläft nur, und ist droben schon erwacht. Der Herr ist sein Hirte und weidet sein Schäflein, gebe er auch uns seinen Frieden in die Seele und die Hoffnung des seligen Wiedersehens in's Herz. Und damit Amen in seinem Namen! â Wie dann der Zug der Leidtragenden um das Grab stand, wie das Särglein hinabgesenkt und mit Erde bedeckt war, wie sie die Blumenkrone auf dem Hügel befestigt hatten; da sprach der Schulmeister, indem ihm die Thränen über die Wangen rollten: »Ich will schweigen und meinen Mund nicht aufthun. Du, Herr, wirst es wohl machen. â Du warst ein Kind guter Art und das Loos ist dir gefallen auf's Liebliche; dir ist ein schön Erbtheil geworden!« â »Und nun, Nachbarn, betet ein still Vaterunser mit uns, und dann habt Dank für eure Liebe. Der Herr vergelt's. â So, und nochmals Amen! und einen freundlichen guten Morgen euch Allen, auch euch, ihr Kinder!« »Guten Morgen, Bruder!« rief's da plötzlich, und der Jäger, den wir zu Grünberg im Riesen kennen gelernt, eilte über die Gräber weg, und schlang seinen Arm um den Schulmeister und küÃte ihn. Aber erschrocken fuhr er zurück, als er die Thränen in seinen Augen gewahrte. »Was ist mit euch, Bruder«, rief er, »habt ihr Eines der Euren verloren? Doch nicht meinen Pathen Heinrich, das wolle Gott verhüten!« »Sei willkommen«, sprach freundlich der Schulmeister, »auf dem Grab meiner Jüngsten muà ich dir heute die Hand reichen. Aber es ist auch so gut; der Herr hat's gethan! Siehe, diese sind mir ja noch übrig, meine Dorothe, mein Heinrich, meine Marie und meine Anna. Bin ich da nicht reich genug? â Und woher kommst du denn, Bruder Heinrich, und was trägst du denn unter deinem Mantel? Ein Kind? Wem gehört denn das? Dein vielleicht?« »Seid ihr verheirathet, Schwager?« fragte Dorothe. »Davon laÃt uns drinnen im Hause reden«, sprach in leiserem Tone der Jäger, »was ich euch zu sagen habe, gehört nicht vor Jedermanns Ohren.« Wie sie nun in's Haus gegangen waren und der Jäger die Tücher, mit denen es umhüllt war, abgebunden hatte, da erwachte das Kind, und da es die gewohnten Gesichter nicht sah, so fing es an zu weinen. Dorothe nahm es auf ihren Arm und liebkoste es, und hieà die Marie hinausgehen und Milch für das Kleine holen, während Anna auf einen Schemel stieg, um sich den kleinen Fremdling besser zu betrachten. »Wo das Kind eben ist, Schwägerin«, sprach da der Jäger, »in euren Armen, da möcht' ich es gern auf einige Zeit lassen. Seid so gütig und nehmt euch seiner an; das Kind muà von Vater und Mutter weg, seid ihr ihm Vater und Mutter, bis ich es wiederhole. An einem schönen Stück Geld für eure Mühe soll's nicht fehlen; hier ist einstweilen der Anfang.« Und der Jäger legte den Beutel mit Geld auf den Tisch. »Ich wünschte, Heinrich«, hub da der Schulmeister an, »du sagtest mir erst, ehe du mich mit dem Gelde versuchst, wem das Kind gehört und ob es ehrlicher Leute Kind ist; denn selbst deine Bitte könnte mich nicht vermögen, ein fremd Kind in mein Haus zu nehmen, wenn nicht Alles ehrlich dabei zugeht.« Da erzählte der Jäger, was er von den Aeltern des Kindes wuÃte; wie sein Herr ein vornehmer, reicher Kaufmann aus Delft in Holland sei; wie er van der Bruck heiÃe; wie der Vater desselben ein harter Mann sei, der sich der Heirath seines Sohnes widersetzt habe; wie aber dennoch diese Verbindung zu Stande gekommen sei; wie aber die Aeltern ihr im Ausland gebornes Kind nicht mit nach Holland zurücknehmen dürften, weil dadurch ihre Verbindung dem alten Vater verrathen würde; wie sie aber bald wiederkommen und das Kind mit tausend Dank aus den guten Händen, denen sie es vertraut, nehmen würden. Wie der Jäger so sprach, ging der Schulmeister Justus kopfschüttelnd auf und ab. Endlich blieb er vor dem Bruder stehen und sagte: »Dein Wort in Ehren, Heinrich, aber es will mich sonderbar bedünken, wie so reiche, vornehme Leute, denen die Welt offen steht, ihr Kind in das Haus eines armen Schulmeisters thun wollen, den sie gar nicht kennen. Und dann muà wohl zwischen den Leuten nicht Alles in Richtigkeit sein, sonst nähmen sie ihr Kind mit zurück nach Holland und lieÃen es nicht hier in so weiter Ferne von Haus.« â »Was den ersten Einwand betrifft, so steht hier der Mann, dem du das Zutrauen meiner Herrschaft verdankst. Hab' ich nicht bereits 14 Jahre, erst dem alten und dann dem jungen Herrn treu und redlich gedient, und wird mein Herr mir nicht glauben, wenn ich ihm sage: Mein Bruder, der Schulmeister vom Veitsberg, ist ein armer, aber ehrlicher Mann und wird dem Kinde Eurer Gnaden ein treuer Wächter Leibes und der Seelen sein!« »Da hast du wohlgesprochen, Heinrich«, sprach der Justus, »wie ein Bruder vom Bruder reden soll; aber wie steht's mit dem zweiten Punkt? Der Teufel ist in mancher Gestalt schon in mein Häuschen gekommen, und hat mich zu allerlei Werk gebrauchen wollen, ich möchte auch dieÃmal erst wissen, ob's vom Herrn ist, oder von ihm, daà dieà Kind in mein Haus soll.« »An diesem Wort kenne ich dich, Bruder«, sprach der Jäger ernst, »und weil ich dich kenne, so habe ich meinen Herrn vermocht, von seinem Trauschein und dem Taufschein des Kindes eine Abschrift nehmen zu lassen; die habe ich beide hier, und sieh nur, sie sind von deinem Freund, dem Stadtschultheià Weinrich zu Braubach, geschrieben und gesiegelt; was willst du mehr?« Der Schulmeister warf einen flüchtigen Blick auf die Papiere, und sein Angesicht ward heiter, als er sprach: »Ja das ist meines guten Weinrichs Hand; so sei es denn!« Die letzten Worte schien Dorothe nicht gehört zu haben; sie war ganz in den Anblick des fremden Kindes vertieft, und drückte es wiederholt an ihre Brust. Jetzt stand sie auf und das Kind in ihren Armen trat sie zu ihrem Manne und sprach freundlich: »Justus, laà mir das Kind; es ist freundlich und schön wie ein Engel, und fast scheint es mir, als sähe es meinem Magdalenchen ähnlich. Gewià will der liebe Gott mein Herz mit dem Kindlein trösten, darum schickt er es mir. Höre nur: Ich war gestern Abend unter Thränen eingeschlafen um mein Töchterchen, das mir der liebe Gott genommen; da träumte mir, es kam aus dem Himmel ein Engel herab, und um den Engel her war Licht und Luft, während zu meinen FüÃen Winter und Kälte war. Der Engel hatte eine Bibel in seiner Hand und fragte mich: »Dorothe, hast du Glauben?« »Ja Herr«, sagt' ich, »aber hilf meinem Glauben.« Und er deutete auf den Spruch: »Die mit Thränen säen, die sollen mit Freuden erndten«, und fragte mich: »Glaubest du das?« Und wie ich »ja« sagte mit lauter Stimme, da rief der Engel: »Dein Glaube hat dir geholfen, gehe hin in Frieden!« »Siehe, mein Glaube hat mir schon geholfen; das Kind schickt mir Gott!« â »Aber Dorothe«, sprach der Schulmeister, »wenn nun die fremde Herrschaft bald wiederkommt und verlangt ihr Kind, und du hast dein Herz daran gehängt, muÃt du dann nicht noch einmal fühlen, was es heiÃt: »Rachel beweinte ihre Kinder, und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen?« »Du hast Recht, Justus«, sprach Dorothe, indem sie das Kind küÃte, »daà du mir heute schon sagst, wie es bald ein Ende nehmen soll auch mit dieser Freude; aber ich hab' ja das Verlieren schon vielfach gelernt, so werd' ich auch das überstehen. Sagt der fremden Herrschaft, Schwager, ihr Kind sei bei mir gut aufgehoben. Und nun macht's euch bequem, und sprecht ein freundlich Wörtlein mit eurem Pathen Heinrich. Seht nur, wie er an eurem Munde hängt, als wolle er euch zwingen, sein zu gedenken.« »Nun, das Nöthigste muÃte erst abgemacht werden, Dorothe«, sprach gütig der Jäger, indem er den Jungen zu sich aufhob. »Wie doch der Bube so groà geworden ist, und was mag er Alles schon gelernt haben! Schwägerin, der muà auch ein Jäger werden! Willst du, Heinrich?« »Wenn es der Vater erlaubt«, war des Kindes verlegene Antwort. »Das war gut gesprochen, Junge«, sagte der Jäger, »und siehe, zum Lohn gebe ich dir diesen Schauthaler, daà du mein dabei gedenkest. So, und nun fort, und gib du mir das Geleite, Bruder! Meine Herrschaft wartet meiner, bis zum Abend sind wir über alle Berge.« Da half kein Widerreden, und nach einigen Minuten schon wanderten die Brüder dem Berg hinab auf Grünberg zu. Wie sie allein waren, da ward erst von der fremden Herrschaft gesprochen und von dem Kinde, und von den Briefen, die bald ankommen sollten. Dann hielt der Jäger plötzlich im Gehen ein, und des Schulmeisters Hand ergreifend sprach er: »Warum, Konrad, bist du noch immer auf dem Veitsberg, und warum immer noch nichts anders als Schulmeister?« »Das frage den«, sprach der Schulmeister ernst, »der Etliche zu Aposteln gesetzt hat, Etliche zu Propheten, Etliche zu Evangelisten, Etliche zu Hirten und Lehrern. Er wird mich wohl zu nichts Besserem brauchen können, denn daà ich über eine kleine Heerde ein Hirte sei.« »Nun, das muà ich sagen«, rief der Jäger heftig, »denkst du selber so von dir und deiner Fähigkeit, dann geschieht dir Recht, wenn Andere auch so denken, und den Justus sein Thränenbrod auf dem Veitsberg essen lassen bis an sein selig Ende. O wer nichts aus sich macht, aus dem macht auch die Welt nichts. Wer unter den Wölfen ist, der muà mit ihnen heulen, und lernst du dich nicht schicken und drücken und bücken, so bleibst du, was du bist, sonst nichts! Mann, wozu hast du denn dein Latein gelernt und das Alles, was du zusammengescharrt, wie ein Hamster, und zu was hat denn der Superintendent damals gesagt, als er dich prüfte: »»Justus, ihr seid ein grundgelehrter Mann!«« wozu frag' ich?« »Hebe dich weg von mir, Satan«, sprach traurig lächelnd der Schulmeister, »du vergissest, daà ich Justus heiÃe. Wenn ich zum Schmeichler und zum Broddieb hätte werden wollen, dann wär' ich's während meiner Wartezeit geworden, die an 16 Jahre gedauert hat. Jetzt, wo ich durch des Herrn Gnade Amt und Brod habe, und wo mein Haupt weià wird, sollen da meine grauen Haare mir nicht eine Krone der Ehren sein, die auf dem Wege der Gerechtigkeit erfunden werden? Und dann vergissest du, Bruder, daà die Ruthe noch nicht zerknickt ist, die meinen Rücken bis dahin geschlagen hat. Der Gerst lebt noch, und so lange er lebt, haÃt er mich und schlägt mich und Gott hat ihm viel Gewalt gegeben, damit ich immer recht demüthig bleibe und mich nie überhebe. Er ist mein Satansengel, der mich mit Fäusten schlägt. Wie Paulus habe ich den Herrn angefleht, oft und viel, und er hat auch zu mir gesprochen: »Laà dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.« Und ich fühle ja täglich seine Kraft. Seit ich hier bin auf meinem Veitsberg und Weib und Kinder habe und mein täglich Brod, und mein Amt mir gelingt über Bitten und Verstehen, da bin ich recht glücklich und bitte Gott um kein anderes Loos. O wenn ich manchmal auf dem Kirchhof stehe, und die Sterne betrachte, wie sie auf- und untergehen, dann ist es mir, als hätte jeder Stern, der kommt, seinen Gruà vom lieben Gott an mich, und jeder, der untergeht, einen Trost vom Heiland: »Noch ein Kleines und ich will dich wiedersehen und dein Herz soll sich freuen, und die Freude soll Niemand von dir nehmen.« »Bruder«, sagte der Jäger, indem er eine Thräne im Auge zerdrückte, »du bist ein glücklicher Mensch, viel glücklicher, denn ich. Mein Herz ist wie ein Schifflein auf offener See, und das darum, weil ich weder fest glauben, noch recht lieben kann. Nein, an meinen Todfeind kann ich nicht denken, wie du an ihn denkst. Der Gerst hat dir Alles geraubt, was den Menschen das Leben lieb macht, deine ganze Jugend und deine ganze Ehre vor der Welt, und muÃt noch froh sein, daà er dich das Brod eines armen Schulmeisters in Ruhe essen läÃt. Das könnt' ich nicht ertragen! Und wehe dem Menschen, wenn ich je in dieser Gegend längere Zeit bleiben sollte; ich würde ihm Alles eintränken, was er je Böses an dir gethan hat!« »Und was hättest du damit für mich gethan, Heinrich?« fragte ernst der Schulmeister. »Nichts, sage ich, gar nichts! Die Jugend ist vorüber, wer denkt an mich, und wer will mich? Laà mir mein Loos; es ist Freude mit Zittern, und meinen Glauben laà mir auch, der mich lehret: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr.« â So schieden die Brüder; und in derselben Stunde, wo der Schulmeister vom Veitsberg sein Haus betrat, da fuhr die fremde Herrschaft aus der Stadt Grünberg hinaus. 5. Des Kalendermanns Jugend. Es ist dir gewiÃ, mein lieber Leser, im bisherigen Gang unserer Geschichte Manches dunkel geblieben, worüber du gerne Aufschluà haben möchtest. Laà mich dir denn zuerst sagen, wer der Justus war, den du mit mir lieb gewinnen sollst. Folge mir einmal an den schönen Rhein, wo die Reben wachsen, deren Wein Tausende erfreut, und an dessen Ufer schöne Städte und Dörfer liegen, und in dessen hellen Wellen sich viele alte Schlösser beschauen, von denen viel schöne und schaurige Sagen im Munde des Volkes gehen. Dort am Rhein, im Herzogthum Nassau, liegt dicht am Ufer ein sauber Städtlein, Braubach geheiÃen, und drüber auf hohem, hohem Berge steht ein SchloÃ, noch wohl erhalten und bewohnt, das heiÃt die Marksburg. Links von dieser Marksburg zieht durch eine tiefe Schlucht zwischen steilen Bergen und durch Gestrüpp und Dorn ein FuÃpfad über's Gebirge nach dem Bade Ems. Etwa in der Mitte des Weges liegt zwischen Wäldern und Bergwiesen ein stattliches Haus, das Jägerhaus genannt. Dem sieht man auf den ersten Blick an, daà es noch neu ist, auch daà es eingerichtet ist zum Nutzen und Vergnügen der Badereisenden, die jetzt zu Tausenden die Bäder dort im Gebirge besuchen, und nicht Alle dort gesund werden. So war es nicht in der Zeit, von der wir hier reden. An der Stelle des Jägerhauses, das jetzt nicht viel mehr, denn ein Gasthaus ist, lag die Wohnung des Landgräflich Hessischen Försters; denn die ganze Gegend umher gehörte zu Hessen, auch ein Theil des Bades Ems gehörte dazu, und war noch kein sonderlich Wesen mit dem Bade damals. In dem Jägerhaus im Walde, mit den Hirschgeweihen über der Thüre und mit den groÃen SchweiÃhunden an den Seiten, lebte damals der Förster Zacharias Justus. Der hatte, wie man sich ausdrückt, von der Pieke auf gedient; war erst Jägerbursche gewesen in verschiedenen Förstereien, und hatte dann, nachdem er aufgedingt worden war, mit dem Hirschfänger an der Seite, vieler Herrn Länder durchreist, vieler Menschen Städte gesehen, und wuÃte von den Wölfen in Frankreich und von den Bären in Polen eben so gut zu erzählen, wie von den Hirschen in Flandern. Doch was er mitgenommen hatte in die Fremde, ein treues deutsches Herz, das brachte er wieder mit heim, und man machte ihn, weil er die Försterei aus dem Grunde verstand und ein meisterhafter Schütze war, zum Förster auf dem Jägerhaus bei Braubach. Und der Justus fand noch mehr, denn sein Försteramt, er fand auch ein Eheweib, und mit ihm was Gutes und Wohlgefallen vom Herrn. Denn Kunigunde, des Försters Ehefrau, war armer Leute Kind, aber ein sauber und züchtig Mägdlein und reich durch ein demüthig, fromm Herz. Und Justus lebte sehr glücklich mit ihr, und versicherte mehr als einmal, er habe manchen Meisterschuà gethan und manchen guten Preis davon getragen, aber seine Kunigunde sei der höchste Preis, den er gewonnen. In dem Försterhaus war viel Friede und viel Frömmigkeit, ohne Sang und Klang, aber treu und wahr. Und in diesem Sinne erzog Kunigunde ihre Söhne, Jakob Konrad und Johann Heinrich. War der Jüngste dem Vater ähnlicher, so hatte der Aelteste ganz seiner Mutter Herz, und Kunigunde freute sich innig, als ihr Konrad sich für den geistlichen Stand bestimmte, während der Vater in dem Jüngsten glücklich war, den er zu seinem Nachfolger zu erziehen gedachte. Diese Wünsche der Aeltern schienen in Erfüllung gehen zu wollen. Konrad kam von der Universität zurück und hatte was Tüchtiges gelernt, und Heinrich ging, wie einst sein Vater, mit Büchse und Hirschfänger auf die Wanderschaft. Da geschah es, daà der Rhein einst gewaltig anschwoll. GroÃe Schneemassen waren in der Schweiz, von wannen er kommt, geschmolzen, und das Wasser stieg und stieg, und das Städlein Braubach war in groÃer Gefahr. Von der Marksburg herab donnerten die Kanonen, um die Umgegend zur Hülfe aufzubieten; aber es hatte Jeder mit der eignen Sorge genug zu thun, und die Noth ward von Minute zu Minute gröÃer. Vornen, dicht am Rhein, stand ein Häuschen, von dem man nur noch das Dach sah, und vom Dache aus rangen zwei Frauensleute jammernd die Hände und flehten um Rettung. Doch Jeder hatte mit sich und seiner Noth vollauf zu thun, und der Strom war so gewaltig an der Stelle, daà Niemand sein Leben wagen wollte. Da sah man plötzlich einen Mann sich mit einer Fahrstange nach einem Baume hinarbeiten, an dem ein Nachen angebunden war, sah ihn eilig hineinspringen, und sah, wie die Strömung ihn rasch auf das Häuschen zutrieb. Mit aller Kraft stemmte er sich gegen den Strom; mit übermenschlicher Anstrengung hielt er sich am Gebälke des Häuschens fest, und im Nu trieb der Strom den Nachen mit den beiden Geretteten und dem kühnen Schiffer den Strom hinab. »Wenn dem der liebe Gott nicht tausend Engel zur Hülfe schickt«, rief ein schnurrbärtiger Grenadier von der Marksburg, der helfend am Ufer stand, »so ist er doch verloren, seht nur, der Nachen dreht sich wie eine NuÃschale auf dem Wasser. Schade um den guten Jungen, der hat ein Herz im Leib, trotz dem besten Soldaten. Ha, jetzt geht's hinunter! So, frisch auf! Victoria, sie sind am Ufer!« »Das war brav gemacht, Kamerad, dich muà ich kennen lernen!« Und wie der Soldat nach der Stelle hineilte, wo der Nachen an's Ufer trieb, da kam er gerade zur rechten Zeit, um den Retter in seinen Armen aufzufangen, der von der ungeheuren Anstrengung erschöpft niedersinken wollte. »So jung noch, Kamerad«, rief er, indem ihm die Thränen der Rührung in seinen grauen Schnurrbart flossen, »so jung noch und doch so viel Herz im Leib! Nun da, thut einen rechtschaffenen Schluck aus meiner Feldflasche, und ruht euch hier aus, ihr habt die Ruhe verdient!« »So ist's Recht«, sprach er dann zu den geretteten Frauen, »betet immerhin zum lieben Gott, ihr habt's Ursache. Nach der Schlacht an den Herrn gedacht, so will's das Soldatensprüchlein, und das ist wahr wie ein Bibelspruch.« Indessen kamen immer Mehrere herzu, auch der Förster vom Jägerhaus, und kaum erblickte er den durchnäÃten Jüngling, so schloà er ihn weinend in seine Arme und rief laut: »Also du, mein Konrad, hast das Meisterstück gemacht! Nun Junge, das war brav! Hat mir doch das Herz geklopft, als ich dich im Wasser sah; hätt' ich gar gewuÃt, du seist es, ich glaube, ich wäre schier vor Angst gestorben. Aber nun schnell hinauf in meines Gevatters Heinzmanns Wingertshäuschen, da will ich dich letzen und umkleiden, ehe das Gerücht dich todt sagt, und die Mutter nicht deinetwegen sich prest.« »Und ihr, Frau«, so wandte er sich freundlich zu der Geretteten, »könnt mit eurer Tochter, â das wird ja wohl das zitternde Mägdlein dort sein, â zu uns in's Jägerhaus hinauf ziehen; denn ihr scheint fremd hier im Orte zu sein. Ich bin wohl manches Jahr in Braubach aus- und eingegangen, aber euch habe ich mit Wissen nie darin gesehen.« Die Frau gab auf die freundliche Rede keine Antwort; sie schien in Gedanken versunken zu sein; ihr Blick ruhte bald auf ihrer Tochter, einem zarten Mägdlein von sechszehn Jahren, bald auf dem Häuschen, das sie kaum verlassen und an das noch immer die Wellen gleich drohend schlugen. Der Förster wiederholte noch einmal seine Einladung, fast noch dringender denn zuvor. Da fuhr das Weib wie aus einem Traume auf und sprach wehmüthig: »Ihr scheint es gut mit einer Unglücklichen zu meinen, und nach eurer Kleidung seid ihr ein Jäger; habt ihr ein treues Herz in der Brust, so nehmt mein Kind hier mit euch und gebt ihm eine trockne Kleidung, mich aber laÃt hier, bis ich weiÃ, was es mit meinem Häuschen da drüben giebt. Dort im Wasser liegt Alles, was ich habe, mein ganzer Reichthum und meine Hoffnung und meines Kindes Glück. Wenn das Wasser mein Häuschen umgeworfen hat, dann gönnt freundlich mir armen Weib ein Stückchen Brod, und gebt mir Gottes Segen mit auf den Weg; denn dann bin ich sehr arm.« Und die Fremde weinte laut. Da sprach der Förster heimlich mit dem Grenadier von der Marksburg, und hieà ihn, auf das Weib achten; nahm seinen Konrad an einer und das fremde Mägdlein an der andern Hand, und nach einer Stunde schon hatten sie das Jägerhaus erreicht, in trockne Kleider sich gehüllt und mit Speise sich erquickt. Das Mägdlein brachte die Försterin zu Bette, sprach ihm Muth und Trost ein, denn es war gar schüchtern, und saà lange an seinem Lager, den Blick voll Theilnahme auf das schöne Angesicht gerichtet, und manchmal über die hohe glatte Stirn ihm streichend, wenn es im Schlafe auffuhr und nach seiner Mutter rief, und im Traum den gehabten Schrecken dieses Tages wiederholte. »Sei ruhig, mein lieber Engel«, flüsterte sie leise, über das Gesicht der Schlafenden gebeugt, »der Herr gebe dir gute Träume und Friede in dein junges Herz. Du hast wohl noch nicht viel Stürme im Leben gehabt, darum zagt dein Herz so. Ja Herr, gieb dem Kinde deinen Frieden! Amen.« Damit schritt sie auf den Zehen, den Kopf oft umwendend, nach der Thüre zu. Am Abend kam der Grenadier in's Jägerhaus, und erzählte, wie das Wasser im Abnehmen begriffen sei, wie alle Leute von der schönen That des Konrad Justus viel Rühmens machten, wie aber die fremde Frau keine Nahrung und kein Obdach annehmen wolle, sondern immerfort am Ufer hin und her laufe und nach ihrem Häuschen sähe, sie müsse zweifelsohne groÃe Schätze in demselben haben. Er für sein Theil meine, wer sein Leben im Trocknen habe, der soll von seinem Geld und Gut denken: »Laà fahren dahin, sintemal der Mensch nichts mit in die Welt gebracht, und also auch nichts mit hinausbringen werde.« Am nächsten Tage, nach einer Nacht voll trüber Besorgnisse, lief die Nachricht ein, das Wasser sei bedeutend gefallen; und nicht lange, so kam auch die fremde Frau, blaà wie der Tod und zitternd wie das Laub im Winde. Sie trug ein Bündlein nasser Kleider unter dem Arm und sprach, wie aus dem Grabe schien ihre Stimme zu kommen: »Wenn du ausgeruht hast, Dorothe, dann laà uns gehen, arm sind wir hierher gekommen, noch ärmer gehen wir weiter. Das Kästchen, das meine Hoffnung enthielt, ist im Wasser versunken, und mit ihm unser Lebensglück! Habt Dank, ihr guten Leute, für euren Liebesdienst, und ihr besonders, junger Mann, daà ihr uns dieà nackte Leben gerettet. Wer tief im Elend steckt, kann nicht mit vielen Worten danken; der Herr vergelt's und mach' euch reich an zeitlichem und ewigem Heil. Und nun Dorothe, komm', komm', Kind, die Zeit drängt!« So eilte die Fremde nach der Thüre, und zog ihre Tochter hinter sich her. Doch plötzlich sank sie mit einem lauten Schrei zu Boden; eine Ohnmacht hatte sie niedergeworfen. Kälte und Hunger und Angst hatten ihr eine schwere Krankheit zugezogen, und die Ohnmacht war der Anfang derselben. Da war an kein Weggehen mehr zu denken; die Kranke ward zur Ruhe gebracht, und Wochen gingen hin, in welchen sie kaum ein Stündlein ihrer bewuÃt war; das Fieber raubte ihr alles BewuÃtsein, alle Erinnerung an ihr gehabtes Leid. Ihre Dorothe war wie umgewandelt; aus dem ängstlichen Kinde war eine kräftige Krankenpflegerin geworden, und Anstrengungen und Nachtwachen, denen ihr zarter Körper sonst unterlegen wäre, ertrug sie mit Kraft und Heiterkeit. So versetzt der gute Gärtner manches zarte Pflänzchen in rauhen Boden, damit es stark werde in seinem Dienst. Darum wollen wir uns rühmen der Trübsal, weil wir wissen, daà sie Geduld bringet. An dem Krankenbette der Mutter, die bewuÃtlos da lag, erzählte dann Dorothe unter vielen Thränen ihr Lebensschicksal. Ihr Vater war ein wohlstehender Kaufmann gewesen in Arnsberg in Westphalen, und hatte plötzlich all' sein Hab' und Gut durch den Bankerott eines Handlungshauses verloren, auf dessen Wohlstand er zu viel getraut hatte. Der Kummer darüber hatte den ehrlichen Mann auf ein Krankenlager geworfen, von dem er nicht wieder aufgestanden war. Seit zwei Jahren stand seine Wittwe mit ihrer Dorothe allein in der Welt. Niemand nahm sich ihrer an, denn die Geschäftsfreunde, die vor dem reichen Herrn Kunz die Diener nicht tief genug hatten machen können, die wollten jetzt seine Wittwe und Tochter gar nicht kennen. Alle Thüren waren verschlossen und alle Herzen ohne Mitleid und Trost. Da ging ein Hoffnungsstern für die Verlassenen auf. Es war in der Grafschaft Katzenelnbogen, in der Nähe von Braubach, ein reicher Anverwandter der Familie, ohne Weib und Kinder zu hinterlassen, gestorben. Die Verwandten in der Nähe, obgleich nur entfernt mit dem Verstorbenen verwandt, hatten zugegriffen, und die Erbschaft an sich gerissen. Zu spät hatte die Wittwe des Kaufmanns Kunz, die nächste und rechtmäÃige Erbin, davon gehört, und war mit den Papieren, die ihr die Erbschaft sichern sollten, nach Braubach gereist, um am dortigen Amte ihre Sache verfechten zu lassen. Unbekannt an dem Orte, hatte sich ein junger Advokat, mit Namen Gerst, erboten, ihren Proceà zu führen. Die Mutter hatte anfangs dem Advokaten groÃes Vertrauen geschenkt, weil sie den Eifer und die Ausdauer sah, mit der er ihre Sache verfocht; dann aber hatte sie MiÃtrauen gegen ihn gefaÃt, weil ihr mancherlei Nachtheiliges von ihm zu Ohren gekommen war, und endlich hatte sie sich nach einer langen Unterredung, der aber Dorothe nicht beigewohnt, mit ihm völlig entzweit. Was der Grund des Streites gewesen, das hatte Dorothe nicht erfahren; die Mutter hatte es auch nicht sagen wollen, hatte viel geweint und an jenem ganzen Abend nicht aufgehört zu beten und die Hände zu ringen. »Bete mit mir, Dorothe«, hatte sie gesagt, »der Satan hat unserer begehret, daà er uns sichten möchte wie den Waizen.« Seitdem habe die Mutter sich verschiedentlich nach anderer Hülfe umgesehen, aber Einer habe gesagt: der Proceà sei nicht zu gewinnen, ein Andrer: er werde zu viel kosten, ein Dritter endlich: er wolle es dem Gerst nicht zu Leide thun. â Ja. Herrendienst geht bei den Kindern dieser Welt allezeit über Gottesdienst, und sie drücken die Verlassenen, weil sie nicht glauben an den Vater der Waisen und an den Richter der Wittwen. Bei solchen Unterredungen ward manch' schönes Trostwort von den guten Förstersleuten gesprochen. »Man soll Gott nicht vorgreifen wollen«, sagten sie, »seine Gedanken seien nicht unsere Gedanken, und seine Wege nicht unsere Wege; und wen er warten lasse auf ein Glück, dem wolle er es doppelt süà machen; sein Rath sei wunderbar, aber er führe Alles herrlich hinaus!« Wenn die Alten so sprachen, und die trüben Augen der Dorothe ob der freundlichen Rede vom Glanz der Hoffnung prahlten, dann saà Konrad schweigend da, und schüttelte nur mit dem Kopfe; denn er konnte die Hoffnung der Aeltern nicht theilen. Er hatte mit dem Gerst Jahre lang auf der Universität zugebracht, und kannte ihn genau. Er wuÃte, daà er zu den bösen Buben gehörte, die viel Gutes verderben, und daà er sich in Fressen und Saufen, in Kammern und Unzucht, in Hader und Neid umhergetrieben habe. Auch manche verführte Seele hatte der Unglücksmensch auf dem Gewissen, und hatte sie nicht eher aus den Klauen gelassen, bis er ein Kind des Satans aus ihr gemacht. Wenn er dann in's reine Angesicht des Mägdleins schaute, in's Auge so blau und klar und schuldlos, wenn er seine Stimme hörte, so mild und fromm, dann ergriff ein inniges Mitleid ihn. Und das Mitleid ward zum Wunsche, dieser verlassenen Unschuld ein Tröster und Schützer zu werden, und aus dem Wunsche ward die Liebe geboren, die Liebe zu dem geliebten Weib, die unser Herr so schön schildert in den Worten: »Darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hängen, und werden die zwei Ein Fleisch sein.« Aber kein Wort von dieser stillen Neigung kam über seine Lippen; denn Konrad war ein sittiger Jüngling, und ehrte des Mägdleins Jugend und Sorge, und hielt der Aeltern Rath und Stimme gar hoch. Nach einigen Wochen konnte Dorothe's Mutter das Bett verlassen, und auf ihrer Tochter Arm gestützt, freute sie sich wieder des warmen Sonnenscheins und der frischen Luft, die über die Berge hinzog. So waren sie einst auf dem grünen Waldweg hingegangen, der hinab nach Braubach führt, und der Mutter Herz hob sich in Dank und Preis gegen Gott, und ihr Ohr lauschte dem frommen, heiteren Gespräch der guten Tochter. Wie die Jugend denkt, heiter und sorglos, so dachte auch Dorothe, und malte der Mutter eine gar frohe Zukunft. Wie sie so fleiÃig sein, und für die Mutter arbeiten wolle, wenn sie wieder daheim seien; wie der liebe Gott Mittel und Wege genug finden werde, ihnen ihr täglich Brod zu geben, wie vielleicht auch die Erbschaft ihnen noch zufallen könne, denn es seien ja schon gröÃere Dinge möglich geworden; davon sprach Dorothe, und ward immer heiterer, und auch über der Mutter Angesicht breitete sich eine leichte Heiterkeit. Da kam von Braubach herauf ein Mann auf die Frauen zu, und wie er näher kam, erkannten beide in ihm den Advokaten Gerst. Die Mutter erschrack bei seinem Anblick, und wollte einen Seitenweg einschlagen, aber der Gerst trat ihr in den Weg und sprach, indem er sein Gesicht zu einem wohlwollenden Lächeln zusammenzog: »Weichet mir nicht aus, gute Frau Kunz, und höret einmal auf, so böse von mir zu denken, wie ihr bisher gethan. Ich meine es gut mit euch, und hab' mich täglich nach eurem Befinden erkundigt, da ihr im Jägerhaus krank laget. Jetzt, wo ihr auf dem Wege der Besserung seid, laÃt mich euch noch einmal meine geringen Dienste anbieten. Willigt ihr in den Lohn, den ich mir bedungen habe, so ist die Erbschaft binnen Jahresfrist in euren Händen. Besinnt euch nicht lange, und nehmt das Gewisse für das Ungewisse. Denn verschmäht ihr mich, so ist eure Sache verloren.« »Die ist ohnehin verloren«, sprach mit mühesamer Fassung die Frau; »sparet darum die Mühe. Wären die Papiere, auf die es ankommt, noch in meinen Händen, so könnte mir auch ein Andrer helfen, der es ehrlicher meinte, denn ihr. Versucht mich nicht mehr mir euren Reden und Versprechungen. Meinen Entschluà wiÃt ihr, und in meinem Herzen habe ich die Hoffnung auf das Geld niedergekämpft, und Gott wird mich auch diesen Verlust tragen lassen. Geht also und quält mich nicht.« Da trat der Gerst schnell auf die Frau zu und flüsterte ihr einige Worte in's Ohr und die Frau taumelte zurück, und hielt sich, einer Ohnmacht nahe, an einem Baume fest. »Wie nun«, rief der Advokat mit lauerndem Blick, »wie nun, Frau Kunz, ist sie jetzt bereit, meinen Willen zu thun?« Da sah ihn die Frau Kunz mit einem Blicke tiefer Verachtung an und rief mit starker Stimme: »Nein, auch jetzt nicht. Geh', du Ungeheuer, jetzt erst kenne ich dich ganz! Thue, was du nicht lassen kannst; bestiehl Wittwen und Waisen, aber verlange nicht, daà sie ihre Seligkeit dir verkaufen. Glaubst du nicht an Gott und an's künftige Gericht, so laÃ' mich doch daran glauben, und verlange nicht, daà ich vom Herrn weiche, um Ehr' und Geld zu gewinnen!« Damit zog sie schnell ihre Dorothe hinter sich her und sank bewuÃtlos auf ihr Krankenlager. Und das Krankenlager sollte nach Gottes Willen ihr Sterbebette werden. Die Unterredung mit dem bösen Gerst hatte ihre Krankheit wieder zurückgerufen; sie brach in neuer Heftigkeit aus. Wieder folgten Nächte der Angst auf Tage der Sorge, wieder wachte Dorothe am Lager der Mutter, still und hoffend. Aber der Herr hatte es anders beschlossen. Wie die Mutter fühlte, daà ihr Ende herannahe, da sprach sie zum Förster Justus, der mit den Seinen neben ihrem Bette stand: »Förster, ihr habt GroÃes an mir gethan, mehr als ein Bruder an der Schwester thun kann, und habt's gethan mit stillem, gutem Sinn. Der Herr vergelt's euch und eurem lieben Eheweib. Wenn ich zu Gott komme, will ich für euch beten, daà euer Leben leicht, und euer Ende selig werden möge. Es wird mir das Sterben schwer, weil ich mein Kind unversorgt muà hinter mir lassen. Nehmt euch seiner an, und macht ihm eine gute Herrschaft aus, daà es sein Brod ehrlich verdienen kann. Wacht über dem Mädchen, soweit ihr könnt. Vor Allem aber, Förster, gebt mir eure Hand darauf, und auch ihr, gute Frau, bewahrt es vor dem Gerst. Mein Geld hat er gestohlen, meines Kindes Herz soll er nicht rauben dürfen; das soll dem Herrn bleiben.« â »Und du, Dorothe, habe du dein Leben lang Gott vor Augen und im Herzen, und hüte dich, daà du in keine Sünde willigest, noch thust wider Gottes Gebot. Sündigest du aber, so wisse, daà du einen Fürsprecher hast beim Vater; an den halt' dich fest, auf den bau' und trau', daà er dein bleibe und du sein für Leben und Sterben. Das ist mein Erbe, das du von mir empfängst, sonst habe ich nichts zurückzulassen. Wohl hab' ich noch einen Bruder, aber der ist weit, weit in Holland, und wird schwerlich sich deiner annehmen wollen, denn er hat nie nach mir gefragt, und lebt dort als reicher Mann unter fremdem Namen. VerlaÃ' du dich nicht auf Menschen, verlaÃ' dich auf den Herrn; Vater und Mutter haben dich verlassen, aber der Herr wird dich aufnehmen. Amen, sein Wille geschehe mit dir und mit mir!« Wie dann die Kranke erschöpft zurücksank, und Dorothe mit lautem Weinen ihre Hand küÃte, da trat Konrad weinend vor seine Aeltern hin, und sprach also: »Vater und Mutter, ich muà mir ein Herz fassen, mit euch zu reden. Ich hab' Dorothe von Herzen lieb, gebt mir das Mägdlein; sie ist fromm und gut, und steht jetzt so einsam in der Welt. Sagt ja, daà ihre Mutter uns noch segnet, ehe sie stirbt, und den Trost mit hinübernimmt, daà sie Vater und Mutter und den Schützer gefunden hat.« »Konrad«, sprach da der Förster, »kommt's vom Herrn, was du beginnst, so sag' ich ja, und gebe dir meinen Segen.« »Dorothe, willst du mit diesem Manne ziehen?« fragte mit schwacher Stimme die Sterbende. Und Dorothe legte schweigend ihre Hand in die Rechte des Jünglings. »Amen!« lispelte die Mutter und starb. Und wie Konrad und Dorothe an dem Bette niederknieten, Hand in Hand und die Augen voll Thränen, da brach die Abendsonne roth und golden durch die Regenwolken und ihr Schein röthete das blasse Angesicht der Todten. Der Friede der Seligen ruhte drüber. Es ist noch eine Ruh' vorhanden; Auf, müdes Herz und werde Licht! Du seufzest hier in deinen Banden, Und deine Sonne scheinet nicht. Sieh' auf das Lamm, das dort mit Freuden Dich wird vor seinem Stuhle weiden; Wirf hin die Last und eil' ihm zu! Bald ist der schwere Kampf vollendet, Bald, bald der saure Lauf geendet, Dann gehst du ein zu deiner Ruh'! â 6. Die Wartezeit. Tritt einmal im Geist mit mir an's Ufer des Meeres, mein lieber Leser. Von leichten Wellen gekräuselt, liegt tiefblau und prächtig das Meer; blau und wolkenlos wölbt sich der Himmel drüber hin, und unten in der Tiefe Spielen die Fische, und drüber in der Luft schweben die Vögel des Himmels, Alles voll Leben und Lebensfreude. Und am Ufer liegt ein Schifflein; bunt bemalt ist sein Rumpf, ein glänzendes Schild trägt seine Vorderseite; ein Weib ist es, das auf einen Anker sich lehnt, das ist des Schiffes Sinnbild und Name: »die Hoffnung.« Lustig spielt der Wind mit den leichten bunten Fahnen, die von den Masten herabwehen, und durch Segel und Tauwerk rauscht es in sanfter, heimlicher Weise. Auf dem Schiffe treibt sich ein lustig Völkchen umher; Auswandrer sind es, die von Osten kommen und nach Westen reisen, weil sie dort ihr Glück finden wollen. Sie haben die Heimath verlassen, den trauten Ort der Kindheit; froh und zuversichtlich sind sie vom Aelternhaus geschieden; sie haben ihm nicht viel Thränen nachgeweint. Warum auch? Fluren, auf denen ein ewiger Frühling herrscht, Bäume, die Blüthen und Früchte zugleich tragen, Früchte der Erde, so süà und labend, Vögel unter dem Himmel, bunt von Farben, und Gottes liebe Sonne Jahr aus, Jahr ein, und immer glänzend und immer warm. Und dabei das Herz so frisch und froh, der Wille so fest, die Hoffnung so stark. Fahr' hin, Schifflein, fahr' hin! Wind und Wellen werden dich schonen, aber du trägst das Verderben in dir selbst. Unten am Bild der Hoffnung, das du trägst, ist eine kleine Oeffnung geblieben. In die ist ein Wurm gedrungen, und ist gewachsen, und hat sich vermehrt, und der Wurm hat das Schifflein angefressen, und es ist mürbe geworden und drohet zu versinken. Verstummt ist die Lust seiner Bewohner; ihr Reigen ist verwandelt in eine Klage. Nach der Heimath blicken sie zurück, klagend und weinend. Fragst du, mein Leser, wo das Meer ist? Es ist das menschliche Leben. Was das Schifflein ist, das bunt und geschmückt ausfährt? Es ist das Menschenherz. Wo das ferne Land liegt, nach dem des Schiffleins Lauf gerichtet ist? Es ist der Traum, den die Jugend träumt von einem Paradiese, das doch hier unten nicht mehr wohnt. Wer der Wurm ist, der sich in's Schifflein eingebohrt hat? Das ist der Feind, der da kommt, wenn die Leute schlafen und säet Unkraut unter den Waizen, und geht davon. Den Feind nehmen wir Alle mit aus der Kindheit in's Jugendalter. Bald ist's die Sünde, die sich eingebohrt hat in's Herz, dem Wurme gleich; bald ist's der Frühfrost der Sorge, der schon die junge Saat unserer Kindheit gedrückt hat; bald ist's auch die Bosheit der Menschen, die mit allen Waffen der List und des Trugs gegen ein Menschenherz kämpfet, das hoffend ausgehet, das Plätzchen zu suchen, wo es unter dem Frieden Gottes ruhen könnte. So voll Freude und Hoffnung ging der junge Justus und seine Dorothe in's Leben hinein. Sie hatten sich ja lieb, mehr glaubten sie nicht, daà zum Leben gehöre; sie waren beide fromm und gottergeben, warum sollten sie vom lieben Gott nicht das Beste hoffen! So war ein Jahr vorübergegangen. Auf dem Grabe der Mutter blühten schon Blumen, und die Wangen der Dorothe glühten von den ersten Rosen der Jugend, und Mutter Kunigunde gewann sie täglich lieber. Denn wie sie schön war von Angesicht, so war sie gut von Herzen, und was sie that, das that sie mit Lust, also daà die Aeltern den Konrad glücklich priesen, und seine Freunde ihn um diesen Schatz beneideten. Aber es war ein Wurm in's Lebensschifflein der jungen Brautleute gerathen, an den sie nicht gedacht hatten, und das war der Neid und die Rachsucht des Advokaten Gerst. Der Mensch wuÃte nicht, was es heiÃt: mit den Fröhlichen sich freuen, was es heiÃt: vergeben und vergessen. Er hatte nicht vergeben, daà ihn die Mutter der Dorothe von sich gewiesen; hatte nicht vergessen, daà das Mägdlein vielleicht doch sein geworden wäre, wenn Konrad ihm nicht zuvorgekommen. Und er schwur, daà er sich an Beiden rächen wollte und hat den Schwur treulich gehalten, und ist zum Wurm geworden, der die Jugendblüthe zweier guten Menschen zerstörte. Auf dem Grabe der Mutter nahm Konrad Abschied von seiner Dorothe; er wollte als Gehülfe zu einem alten Pfarrer gehen, um so baldige Ansprüche auf eine Stelle haben zu können. Und wie er schied, so sagte er: »Geh' der Mutter rüstig zur Hand, Dorothe, will's Gott, so halten wir bald Hochzeit, und dann ist alles Leid, das du bis dahin gehabt hast, vergessen, und wir wollen täglich dem Herrn danken, daà er uns so wunderbarlich zusammengeführt, und mit unserm Haus ihm dienen, wie es sein Wille ist.« Und Dorothe lächelte unter Thränen und bat um einen baldigen Brief. Der Brief kam bald, und es kam noch mancher, und ging wieder ein Jahr hin; aber die Aussicht zu Amt und Brod war nicht näher gerückt. Der alte Pfarrer, bei dem Konrad gestanden, war gestorben, und man meinte, der Gehülfe müsse den Dienst kriegen. Doch wie die Zeit der Entscheidung kam, da kam ein Andrer in's Amt, ein Vetter des Gerst, und rühmte sich laut, wie der Vetter sich's viel habe kosten lassen an Zeit und Mühe und Geld, den verhaÃten Justus um seine Hoffnung zu betrügen. â Dem Herrn die Rache anheimgebend, der da recht richtet, zog Konrad weiter und ward Informator bei Einem vom Adel, der ihm versprach, ihm eine seiner Pfarrstellen zu geben, wenn er zwei Jahre bei ihm aushielte. Die zwei Jahre waren ein saures Stück Brod; jeder Tag hatte seine eigne Plage. In dem Haus des Edelmanns galt es als Grundsatz: Nur wer vom Adel ist, der ist was werth und zu achten, alles Andere ist bürgerlich Pack, mit dem darf man schalten und walten, wie man will. So waren denn die Junker trotzig und vorlaut, und der Herr Papa lachte dazu; und die Junker hatten mehr Freude am Fischfang und Vogelstellen, am Reiten und Jagen, denn an ihren Büchern, und der Herr Papa hieà das gut und meinte, das viele Wissen mache den Kopf schwer, und er habe auch nicht viel gelernt und sei doch ein Mann von Kopf geworden. Doch die zwei Jahre gingen unter Geduld und Hoffnung hin und auch das versprochene Amt that sich auf; aber damit auch das Anerbieten, die Kammerzofe der gnädigen Frau zu ehelichen, die auch längst ein ähnliches Versprechen erhalten hatte. Da nahm Konrad seinen Wanderstab, schüttelte den Staub von seinen FüÃen und ging weiter. Gebrochen war sein Muth nicht, denn die Welt war ja weit und das Herz war warm von Glaube und Liebe, und die liebe Heimath nicht fern, und in der Heimath treue, gutmeinende Herzen. Wie er heimkam und dem Vater seine vereitelten Hoffnungen berichtete, da sagte der: »Laà den Muth nicht sinken, Konrad, zu meiner Zeit war es mit dem Laufen um Amt und Brod noch schlimmer, denn jetzt. Wen der liebe Gott warten läÃt, dem hat er etwas Besseres noch aufbehalten. Mir ist's auch also ergangen, und ich hab' doch mein gut Theil empfangen, und meine Kunigunde dazu. Nur hinaus und versucht. Der Mann muà sein Amt sich erlauern, wie der Jäger das Wild. Alles ohne Tück' und Lug, Wie es will der Weidmannsspruch. Also that Konrad, und erwarb sich, wohin er kam, viel Liebe. So hatte er wieder ein Jahr einer lateinischen Schule in einem Städtchen vorgestanden, und der Magistrat glaubte die Stelle in keine besseren Hände legen zu können, denn in die seinen. Er ward dem Landesherrn vorgeschlagen, und er erwartete täglich seine Bestallung. Statt deren aber kam vom Consistorium ein Schreiben des Inhalts: »Man habe in Erfahrung gebracht, daà der Justus, den man als ein tüchtiges Subject vorgeschlagen, keines guten Rufes genieÃe; wie er denn da und dort, wo er bisher gedient, kein gutes Gerücht hinter sich gelassen.« Da war es aus mit der Gunst, die man ihm bisher erwiesen hatte; Niemand grüÃte ihn auf der StraÃe, Niemand wollte seine Kinder ihm zum Unterricht anvertrauen, und Konrad mochte hoch und theuer seine Unschuld versichern, und auf seine Zeugnisse sich berufen; man zuckte die Achseln und meinte, das Consistorium müsse das besser wissen. Wie nun Justus das Consistorium selbst um Aufschluà anging, da hieà es: »Es sei schon schlimm, wenn ein solch' Gerede über einen Candidaten im Schwange gehe, er solle nunmehr durch seine Aufführung beweisen, daà die Leute auf ihn gelogen hätten.« Das hatte Konrad nicht erwartet. Mit einem Male durchschaute er die ganze Bosheit seines alten Feindes, des Gerst, und beschloÃ, diesen selbst zur Rede zu stellen. Aber wo fand er ihn? In einem Amte, das er durch seine Schleichwege sich erbeutet, und das so einfluÃreich und hoch war, daà der bescheidene Candidat es nicht wagen durfte, ihm mit Fragen und Vorwürfen zu nahen. »Als ich solche Schelmerei und Tücke wahrnahm«, schreibt er in seinem Tagebuch, »und ich schier gestrauchelt mit meinen FüÃen, weil es mich verdroà auf die Ruhmredigen, da ich sahe, daà es den Gottlosen so wohl ging, da hab' ich Assaph's Psalm, der da ist der 73te, vielmal gelesen, daà ich ihn fast auswendig gekannt, und mich sonderlich getröstet an dem Wort: »Ich dachte ihm nach, daà ich es begreifen möchte; aber es war mir zu schwer, bis daà ich ging in das Heiligthum Gottes und merkte auf ihr Ende.« »LaÃ' mich denn, Herr, mein Gott, bleiben an dir, und halt' mich bei meiner rechten Hand. Leit' mich nach deinem Rath und nimm mich endlich mit Ehren an! Amen.« Den 13. Februari. »Hab' ich doch nimmer geglaubt, daà so viel Bosheit auf der Welt sei, und daà es so weh' thue, gehaÃt zu werden ohne Ursache. Ich bin weggegangen aus meinem Lande und von meiner Freundschaft; denn ich bin wie der Prophet ein Spott meinem Volk und täglich ihr Liedlein. Soll ich warten, bis man mich gehen heiÃet, und mich bedeutet, daà ich daheim kein Amt finden werde, so will ich lieber selber in die Fremde gehen. Was mein Gott will, gescheh' allzeit! Ist ein sauer Brod, das ich in der Fremde essen muÃ. Daheim wär's süÃer, und würde mir gern von Vater und Mutter gereicht, noch manches Jahr; aber wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen. Thu' denn, was deines Amtes ist; Zwanzig Thaler und ein Weniges an Kleidung ist ein geringer Lohn für Einen, der von Morgen bis Abend muà informiren. Geb' der liebe Gott nur seine Kraft, daà Alles mög' zu seinem Dienst geschehen.« Den 3. Martii. »Ist doch ein sauer Amt, das ein Schulmeister hat; man sollt' ihn doppelter Ehre werth halten um seines Amtes willen. Gestern war ein harter Tag. Hatte den Jüngsten knien lassen, weil er Narretheidinge getrieben; ist der Herr Principal hereingekommen während der Pönitenz, und hat mich mit Worten hart angefahren. Ist auch die Frau hinten drein gekommen ob des Lärms, den der Herr gemacht, und hat mir gedroht, sie wolle mir die Suppen versalzen, daà ich daran denken solle. Habe mich exkusiret aus aller Macht; hat aber nichts gefruchtet, sondern haben den Jüngsten mitgenommen und ihm einen Pfefferkuchen gegeben, mit dem er wieder herein gekommen und es getrieben, wie vorher. »Wer seiner Ruthen schonet, der hasset seinen Sohn.« Sprüchwörter Salomonis 13, 24. Den 11. Septembris. »Wie doch das Menschenherz ein trotzig und verzagt Ding ist.« Mein Herr glaubt nicht an Jesum, daà er der Christ sei, auch nicht, daà wir Alle müssen offenbar werden vor dem Richterstuhle Christi, und hat zu verschiedenen Malen die Gelegenheit vom Zaun gebrochen, mit mir zu disputiren. Ich hab' kräftiglich Zeugnià gegeben von der Hoffnung, die in mir ist, und aus göttlichem Wort manchen Spieà und Nagel nach seinem Herzen gerichtet, aber das Wort sähet nicht in ihm. Will mich manchmal schier bedünken, als wenn etliche Menschenherzen des Glaubens nicht ein Fünklein in sich hätten. Doch der Herr weià seine Zeit. Nun liegt der starke Geist, wie er sich selbsten gerne tituliret, auf seinem Schmerzenslager und stöhnt, daà es zum Herzbrechen ist, und flucht auch mitunter gar fürchterlich, aber an Gott, der das Kreuz schickt, will er nicht denken. »Wir rühmen uns der Trübsal, dieweil wir wissen, daà Trübsal Geduld bringet.« Röm. 5, 3. Den 24. Septembris. »Richtet nicht vor der Zeit«, das Sprüchlein muà dich meistern, Justus! Hast wieder des Herrn Macht bezweiflen und seines Worts vergessen wollen: »Meine Zeit ist noch nicht hie, eure Zeit aber ist allezeit.« Mein Herr hat mich zu sprechen begehrt auÃer der Zeit, wo ich ihm die Aufwartung gethan; und als ich zu ihm eingetreten, da hat er mich an sein Bett sitzen lassen, und mich fleiÃig aus Gottes Wort examiniret. Wie ich denn freudig Zeugnià gegeben von der Hoffnung, die in mir ist, auch die Gnade Gottes laut gerühmt, die sich unser wider Verdienst und Würdigkeit erbarmet, und die Vergebung der Sünden noch heut' anbeut Allen, die Gottes Zorn fürchten; da hat mein Herr das Wort ein rechtes Trostwort und Labsal geheiÃen, und mich ersucht, ihm etliche Kapitel aus heiliger Schrift zu lesen. Darauf hab' ich am ersten den sechsten Psalm gebetet: »Ach Herr, strafe mich nicht in deinem Zorn und züchtige mich nicht in deinem Grimm &c.« Zum andern, so hab' ich den 51. Psalm vorgenommen, und wie ich kommen bin an den 12. Vers: »Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gieb mir einen neuen, gewissen Geist; verwirf mich nicht von deinem Angesicht und nimm deinen heil. Geist nicht von mir«, â da ist mein Herr gewesen, so buÃfertig wie David war, da der Prophet Nathan zu ihm kam, und hat unter viel Weinen und Seufzen einmal über das andere Mal gerufen: »Herr, nimm deinen heil. Geist nicht von mir!« Mich selber aber hab' ich gedemüthiget vor dem Herrn ob solch' groÃer Gnade, die er mir erwiesen, sein Wort zur BuÃe predigen dürfen, und ist mir gewesen denselbigen ganzen Tag, wie ich meine, daà es Paulo muà gewesen sein, da er sprach: »Ich ward entzückt bis in den dritten Himmel. Hilf nur, Herr, mein Gott, daà ich nicht Andern predige und selbst verwerflich werde!« (1. Korinther 9, 27.) Den 30. Novembris. »Mein Herr ist durch Gottes Gnade wieder gesund und ein neuer Mensch geworden. O wie ist doch wahr Pauli Wort: »Ist Jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu worden.« (2. Kor. 5, 17.) »Mein Herr hat eine groÃe Liebe zu mir gefaÃt, also daà ich nicht mehr als ein Fremdling im Haus bin, sondern schier als ein lieber Freund. Er will auch, daà ich im Land Sachsen bleiben soll und hat mich Einem von Adel recommandiret, der eine Pfarre zu besetzen hat. »Was mein Gott will, gescheh' allzeit!« Die Erd' ist überall des Herrn, und man kann im fremden Land' auch ein frommer und getreuer Knecht sein. Aber auf Menschenwort und Trost bau' ich nicht viel, seit ich weiÃ, daà solch' Trauen eitel ist.« * * * * * Den 1. Januari. »Wie gedacht, so geschehn! War schon mit einem Bein' im neuen Amt, hat auch meine Dorothe schon getröstet mit einem süÃen Hoffnungswörtlein; da ist ein Andrer gekommen und hat erlangt, wonach mein Sinn stand. Ob wohl noch zuviel Eitelkeit und Hoffahrt in meinem Herzen sein mag, weÃhalb der liebe Gott mich warten lässet? »Nun, Herr, so zeige mir deinen Weg, daà ich wandle in deiner Wahrheit; erhalte mein Herz bei dem Einigen, daà ich deinen Namen fürchte!« * * * * * Ein Jahr später. »Ich bin beides, dein Pilgrim und dein Bürger, wie meine Väter alle.« (Psalm 39, 13.) Es muà wieder geschieden sein; will einmal wieder mein Glück daheim versuchen. Vater und Mutter mahnen gar dringend an die Rückkehr. Sie meinen, es sollt' mir jetzt daheim auch gelingen und meine Wartezeit nach Gottes Willen zu Ende gehen. Aber das Scheiden thut auch weh', sonderlich wenn man eins geworden ist, einmüthig und einhellig.« »Barmherz'ger Gott und Vater, Du treuer Menschenrather! Auf dein Wort zieh' ich aus, Auf unbekannten StraÃen Wollst du mich nicht verlassen, So bin ich überall zu Haus. Behüte mich vor Feinden Und heuchlerischen Freunden, Gieb mir die Engel zu; Geleit' all' meine Werke, Sei Morgens meine Stärke, Und dann am Abend meine Ruh'. Auf der Reise. »Also hab' ich gebetet, ehe ich mein Bündel schnürte und den Wanderstab in die Hand nahm. Der treue Gott hat mein Gebet erhört. Wie ich an die hessische Gränze kommen bin, hab' ich Herberg' genommen in einem Flecken, allda zu rasten. Wäre gerne weiter gegangen, als ich kaum den Reisesack abgelegt. Denn in der Herberg' ging's toll her. Kaiserliche Werber lagen da; die hatten gute Geschäfte gemacht, und tranken den Rekruten vollends den Verband weg. Und die Rekruten waren schier wie toll; Einer sang den Prinz Eugenius und schrie dabei wie besessen; ein Anderer soff und heulte dabei, daà einem weh' zu Herzen ward, und ein Dritter raufte sich mit den Dirnen. Die nicht mehr brüllen und saufen konnten, die hatte man wie die Schlachtschweine unter einen Schoppen gelegt, und dabei standen schnurrbärtige Grenadiere und hüteten ihrer. Wie ich mir den Heidengräuel etwas angesehen und des Sprüchleins eingedenk worden: »Besser allein, denn in böser Gemein«, da wollt' ich wieder meines Weges gehen, obgleich der Abend nahe war. Wie ich mich umwenden will, so kommt ein freundlicher Herr auf mich zugegangen, faÃt mich bei der Hand und sagt: »Monsieur scheint auch keinen Gefallen zu haben an solch' unfläthigem Saufen. Theile in dem Stück ganz Monsieurs Meinung. Beliebt's demselben, ein wenig hereinzutreten und einen freundlichen Rath zu halten, so wird Monsieur mich sehr verbinden!« »Das Wort gefiel mir sehr, sintemal meine FüÃe vom langen Gehen wund geworden waren, und ich trat mit dem Herrn in ein sauber Zimmerlein. Dort hielten wir selbander angenehmen Rath, bis es dunkel ward und erzählten uns unser Lebensschicksal. Und des Fremden Leben war gar wunderbar. Jetzt, so sagt' er, war er auf einer langen Reise, und könnte just einen Secretär und Gesellschafter brauchen, wie ich sei; ich solle mit ihm ziehen. Der Vorschlag leuchtete mir schnell ein; aber ich bedung mir Ueberlegung aus bis zum andern Tag. Da lieà der Herr Wein kommen, denn wir hatten bisher einen Krug Bier mit einander geleert, und ward immer redsprächiger, also daà auch mir das Herz auf die Zungen kam. Da rückte der Fremde mir näher und rief: »Besinnt euch nicht lange mehr, jetzt kennt ihr mich, sagt ja und wir sind Handels einig; da nehmt zum Voraus etwas Reisegeld und schlagt ein.« WuÃte nicht, wie mir geschah und hielt die Brabanter, die er in meine Hand gelegt, in den Fingern und sah ihm ihn's Auge. Indem klopft's drauÃen und es erschien Einer in der Thüre, der ein Diener des Herrn zu sein schien und rief ihn hinaus. Wie ich noch auf die Thaler blicke, so kommt aus einem Kämmerlein zur Seiten ein Mägdlein heraus, noch sehr jung an Jahren und sagt in leisem Tone: »Herr, ist euch euer Leben lieb, so werft das Blutgeld auf die Erde und macht euch auf und davon, sonst geht es euch wie den Rekruten drüben im Hof. Der Hauptmann ist ein Erzschelm und betrügt euch wie die Andern.« â »Wie ich das Wort gehört, da hab' ich das Fenster aufgerissen, das nach dem Garten hinsah, hab' schnell mein Bündel hinabgeworfen, und bin hinabgesprungen, wohl an 10 Fuà hoch. Und gleich als wär' der böse Feind hinter mir, bin ich dem Walde zugeeilt, den ich heute erst durchwandert hatte, und hab' nicht eher mit Laufen eingehalten, bis der Wald dichter ward.« »So hat mich abermal mein treuer Gott wunderbarlich erhalten und hat mir seinen Engel gesandt, der den Löwen den Rachen zugehalten.« (Daniel 6, 22.) Aber der treue Gott hat noch mehr an mir gethan damals, als ich den Werbern entging, wofür ich ihm Dank sagen will all' mein Leben lang; denn er hat mich dazumalen ein Sprüchlein aus seinem heil. Wort erkennen lassen, das ich bis dahin nicht ganz verstanden, und das Sprüchlein steht Psalm 19. Vers 2. und heiÃt: »Die Himmel erzählen die Ehre Gottes.« »Wie der Wald dichter um mich ward, bin ich langsam und fürsichtig gegangen, und habe mit meinem Reisestock den Grund vor mir geprüfet; denn es war so finster, als in einem Sack um mich her, und nur manchmal schien ein Sternlein durch die Büsche, gleich als wollt' es sagen: »Geh' nur getrost, Justus; ob du schon wandelet im finsteren Thal, so fürchte doch kein Unglück, denn ich, dein Hirte, bin bei dir.« (Psalm 23, 4.) »Wie ich wohl eine Stunde im Dickicht herumgetastet, so ist der Wald lichter geworden, und ein Pfädlein hat sich durch die Bäume geschlängelt, und dem Pfädlein bin ich nachgegangen. Da ist mir bald ein Licht in's Auge gedrungen; und wie ich dem Schein nachging, so hab' ich bald vor einem Kohlenmeiler gestanden, neben dem ein lustig Feuer brannte und ein Mann stand, der mit einer Schaufel Erde auf den Meiler warf, wo die Lohe durchbrechen wollte. Da hab' ich den Mann freundlich gegrüÃt, und ihm gesagt, daà ich ein Fremdling sei, der des Weges verfehlet, und wie ich ihn bäte, mir aus christlicher Lieb' die rechte StraÃe zu weisen. Da hat der Köhler meinen Gruà mit einem »schönen Dank« erwiedert und gesagt: »Ihr seid nicht der Erste, der verirrt zu mir kommt, und werdet auch nicht der Letzte sein, denn der Wald ist tief und die Wege gerade nicht leicht einzuhalten. Aber vergebt, wenn ich euch in dieser Nacht nicht geleiten kann; ihr seht wohl, mein Meiler bricht aus und ich darf ihn keine halbe Stunde allein lassen. VerdrieÃt's euch nicht, so bleibt bei mir bis zum Morgen; dann soll weiter Rath werden. Geht einstweilen dort in die Hütte und ruht euch aus; aber bückt den Kopf, wenn ihr hineintretet; eines Köhlers Häuslein ist eben nicht für hohe Herrn, sondern für Solche, die sich gern vor Gott und Menschen bücken.« »Da kroch ich hinein in die Hütte und setzte mich auf das Mooslager des Köhlers, und mein Bündel legt' ich neben mich, nicht ohne daà ich für mich hin betete: »Das walt Gott der Vater, der Sohn und der heil. Geist.« »Wie ich ein Weniges geruht, so kommt der Köhler auch herein, steckt einen groÃen Kienspahn in eine eiserne Gabel und stöÃt die Gabel vor dem Eingang in die Erde. »So«, sagt' er, »nun haben wir Licht und können uns in's Angesicht sehen wie zwei Christenmenschen. In meinem seht ihr, trotz Kohlenstaub und RuÃ, daà ich ein alter Mann bin, und in eurem lese ich, daà ihr jung seid und müde, und wie steht es mit dem Appetit? Ekelt euch nicht vor eines Köhlers rauher Kost, so seid mein Gast, bis euch morgen ein besserer Tisch gedeckt ist.« »Und von einem Bänklein herab holte der Köhler ein groÃes schwarzes Brod, schnitt zwei gewaltige Stücke ab und legte jedes auf einen hölzernen Teller, und oben drauf ein Stück gekochten Speckes. Und wie er von dem Bänklein auch zwei Messer herabgeholt, und eins mit dem andern gesäubert hatte; da nahm er die Ledermütze zwischen seine gefaltenen Hände und betete mit tiefer Stimme: »Aller Augen warten auf dich, Herr, und du giebst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit; du thust deine Hand auf und erfüllest Alles, was lebet, mit Wohlgefallen! Amen.« »Und wie ich auch »Amen!« gesagt, da aà der Köhler sein Abendbrod und ich mit ihm, und hat mir lange kein Abendbrod so gut geschmeckt. Wie er damit zu Ende war, griff er hinter sich, und langte einen Wasserkrug von Stein hervor, deckte ihn auf und that einen herzhaften Zug. Dann schüttete er ein Weniges ab, reichte mir den Krug und sprach: »Trinkt, guter Freund, ein Schelm gibt's besser, als er's hat; im Wald wächst kein ander Getränk; aber das Wasser aus dem Heiligenbörnlein ist dafür auch ein sonderlich und vornehm Wasser, und schmeckt frisch und süÃ, und hat viel Kranken schon geholfen.« Da trank ich auch nach Herzenslust; und wie ich den Krug geschlossen, da nahm der Köhler wieder die Ledermütze ab und sprach: »Nun, unser Gott, wir danken dir, und rühmen den Namen deiner Herrlichkeit!« »Wie es mir da so wohl ward um's Herz, das kann ich gar nicht sagen; es war mir, als wenn ich den Köhler schon lange gekannt und plötzlich wiedergefunden hätte. So macht das Wort Gottes die Menschen zu Freunden, daà sie sich erkennen und lieb haben; und war doch nichts geschehen, denn daà wir mitsammen gebetet und das Brod gebrochen hatten. Da ward es mir, als müÃt' ich dem Köhler sagen, was mich zu ihm geführt habe, und ich that es und sagte ihm auch Dieà und Das aus meinem Leben: was ich gelitten und worüber ich mich gefreut, und was ich von der Zukunft hoffe und fürchte. Da lächelte der Alte und sprach: »Das ist nur das alte Lied, das schon Sirach sang: Es ist ein elend jämmerlich Ding um aller Menschen Leben, von Mutterleibe an, bis sie in die Erde begraben werden, die unser aller Mutter ist. Da ist immer Sorge, Furcht, Hoffnung und zulegt der Tod. So ist es mir ergangen, so wird es auch euch ergehen und euren Kindern und Enkeln nach euch. Man meint, eine Zeit müsse der andern ablernen, wie man's besser machen und dem Schicksal in der Welt das Feld abgewinnen, und seine Schneide stumpf machen könne. Aber es muà wohl so sein sollen, weil unser lieber Gott die Jungen immer wieder von vorne anfangen und in den Schranken laufen lässet. Was euch bis dahin betroffen hat, das vergleich' ich dem Wind, der in der Frühlingszeit, wenn die Saat schon grünt und die Lerche schon singt, mit den Bäumlein umspringet, als wollte er sie schier zerzausen. Da gilt aber auch: »Du machest deine Engel zu Winden, und deine Diener zu Feuerflammen;« denn lauter Engel und Diener Gottes sind die Schicksalsstürme in der Jugend. Die machen, daà das Bäumlein hübsch seine Wurzeln hinabtreibt und stehen lernt auf seinen eignen FüÃen, wenn der Winter des Lebens kommt, und mit ihm noch mehr Tage, von denen wir sagen: »Sie gefallen uns nicht.« Auch glaubt mir das, mein junger Herr, ich sag's aus eigner Erfahrung, der Mensch macht sich darum in seiner Jugend so viel Herzeleid, weil er immer Eins ganz fest im Sinne hat, und meint, es geschähe ihm ein gewaltig Unrecht, daà der liebe Gott ein Anderes mit ihm will. So läuft denn Einer wie ein Schaf, das die Drehkrankheit hat, immer auf einem Fleck umher, oder rennt wie ein Gaul, der den Koller hat, gerade hinaus, bis er sich den Kopf zerstöÃt. Ihr wollt mit Gewalt ein Pfarrer werden, und ich dachte, als ich euer Alter hatte, ich müÃte ein Schulmeister werden. Ja, Herr, seht mich an, wie ihr wollt, ich, der Köhler Martin Ebert von Blankenau, wollt' ein Schulmeister werden, und ging Jahre lang umher und haderte mit Gott und mit der Welt, daà es nicht nach meinem Kopf gehen wollte. Damals sagte unser Nachbar, der alte Hufschmied Nagel, Gott hab' ihn selig! »Martin«, sagt' er zu mir, »wart' doch unsers lieben Gottes Zeit erst ab, ob er dich brauchen kann als Schulmeister und geh' erst mit deinem Vater hinaus und lerne Kohlen brennen. Wie du es jetzt treibst, so lernst du beides nicht, weder die Schulmeisterei, noch das Kohlenbrennen.« »Und ich hing damals über solche Rede das Maul und stand am Meiler meines Vaters wie ein Blödsinniger. Da nahm mich mein groÃer Meister im Himmel in seine Lehre hinein, und gab mir die Lection, daran ich noch lerne, und so lange lernen will, bis er mich in seine himmlische Werkstatt abholt. Mein Vater starb und meine Mutter stand als ein schwaches Weib mitten unter sieben unversorgten Kindern. Herr, damals lernt' ich Kohlenbrennen und das vierte Gebot thun: »Du sollst Vater und Mutter ehren,« lernt aber damit auch die VerheiÃung kennen: »Auf daà dir's wohl gehe.« Und von da an ist mir's wohl gegangen; im SchweiÃe meines Angesichtes hab' ich mein Brod gegessen, aber ich habe auch geschmeckt und gesehen, wie freundlich der Herr ist und wie wahr sein Wort: »Denen, die mich lieben und meine Gebote halten, thue ich wohl bis in's tausende Glied.« Geht hin in unser Ort, dort stehen sieben Häuser, alle blank von auÃen und rein von innen; in den sieben Häusern wohnen des seligen Haneberts sieben Kinder, und haben sich gemehrt zum Erstaunen, und ist eine schöne, feine Sippschaft. Wenn dem Vetter Martin das Essen soll hinausgetragen werden zum Meiler, dann solltet ihr hören, was ein ReiÃen um das Körbchen ist, und wie die Jungen mit den Alten hadern um den Liebesdienst! Und ich selber hier an meinem Meiler, den ich nur Samstags verlasse, um zur Kirche zu gehen, hab' nichts verlernt von Allem, was ich als Junge gewuÃt, sondern hab' noch mehr dazu gelernt, und mein Wissen blähet mich nicht, sondern demüthigt mich nur. Hier steht meine Weisheit, hier im Bibelbuch, das ich aufschlage, wenn ich allein bin und mein Meiler Ruhe hält. Und wenn's Abend wird, dann hat der liebe Gott ein ander Buch vor mir ausgeschlagen, den Himmel mit seinen Sternen, und hat mich auch gelehrt, ein Stücklein dieser heil. Schrift zu lesen. Höret, wie das zuging!« »Wie ich ein Kohlenbrenner ward, da wuÃte ich von der Sternwissenschaft nur, was ich darüber aus der heil. Schrift gelernt hatte, namentlich aus dem Buche Hiob, wo es heiÃt: »Er versiegelt die Sterne«, und »die Sterne sind nicht rein vor seinen Augen«, und »kannst du die Bande der sieben Sterne zusammenbinden?« Wie ich dann so manche Nacht hier saÃ, und die Welt um mich her schwarz und todt wie ein Grab lag, so sah ich um so lieber zum Himmel hinauf, von dem man hier oben ein ziemlich Stück übersehen kann. Anfangs trieb ich mit meinen Gedanken allerlei Fürwitz und die Sterne muÃten dabei mithelfen, nachher aber sah ich mir sie an, wie sie zu einander stunden, auch wie einer den andern in der Klarheit übertraf; auch wie sie nicht stille Bünden, sondern zu bestimmten Stunden hier, zu andern wieder dort sichtbar wurden. Dann sah ich auch, wie Etliche in einer Art von Kameradschaft standen, so daà sie ihre Figur behielten und selbander ihre Reise am Himmel machten. Dann nahm ich mir ein Papier und stach mir mit einer Nadel die Sternfiguren so hinein, wie ich dachte, daà sie zusammengehören möchten; und wenn ich nach Haus kam, dann malte ich mir die Sternlein aus und verband sie durch Striche mit einander, und gab ihnen auch Namen, denn ich dachte, ich sei der erste Sterngucker, der sich die Mühe nähme, des Herrn Werke zu bewundern. Diese Sternkärtlein zeigt ich einmal dem Nachbar Nagel, der in allerlei Künsten erfahren war, und fragte ihn unter viel Stottern, denn ich schämte mich, was er davon halte? »Martin«, sagte der, »du bringst deine Nachtwachen recht im Dienst des Herrn zu, denn wer die Werke Gottes achtet, der hat eitel Lust an ihnen, und kannst noch einmal ein Kalendermann werden.« »Das wäre!« sagt' ich, »muà denn der Kalendermann auch ein Sterngucker sein?« »Allemal«, sagt' er, »woher wüÃt' er denn sonst Frühlingsanfang und die andern Zeiten, wozu den Neumond und die Finsternisse, die noch kommen sollen, voraus? Und heiÃt es nicht im ersten Buch Mosis, im ersten Kapitel: »Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Veste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht, und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre!« »Da du so fleiÃig nach den Sternen siehst, so muÃt du sie besser kennen lernen, und er gab mir aus seinen Büchern, deren er viele hatte, ein Büchlein aus dem vorigen Jahrhundert, das hieÃ: »Der edelen Sternwissenschaft fürnehmste Stücke.« O Herr, wie ich das Buch verschlang, das kann ich euch gar nicht sagen; ich glaub' sogar, ich hab's zu Zeiten geküÃt. Nach und nach lernte ich das ganze Buch verstehen, einige lateinische Brocken abgerechnet, die hin und wieder vorkamen, und die hat mir auf meine Bitte später der Herr Pfarrer verdolmetscht. Stand aber nicht sonderlich viel in dem Latein, und hätt' nach meiner Meinung auch deutsch können geschrieben werden. Aus dem Buch lernte ich auch den Kalender berechnen und Sonnenuhren machen, wie ihr deren, wenn es jetzt Tag wäre, an vielen Bäumen rings umher sehen könntet. Seitdem hab' ich, durch guter Leute Hülfe, noch manches Buch über die edle Sternwissenschaft gelesen, und habe nie darüber mein Kohlbrennen versäumt, sondern bin immer mit um so herzlicherem Eifer an meine Tagsarbeit gegangen, weil ich dabei gute Gedanken in meinem Kopf gehabt. Habt ihr euch je mit der Sternwissenschaft und mit dem Kalender abgegeben, Herr, dann fahrt fort, also zu thun; und habt ihr's nicht gethan, so thut es auf eines alten Mannes Rath. In der Welt ist viel Traurigkeit, und wir haben hier keine bleibende Statt, sondern die zukünftige suchen wir; da hilft die Sternwissenschaft gar sonderlich, daà unser Wandel sei im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilands Jesu Christi. Doch jetzt laÃt uns in Gottes Namen schlafen, und haltet einem alten Mann die Redsprächigkeit zu Gute. Mitternacht ist vorbei, das seh' ich an den Sternen hier über uns, sonderlich am Wagen. Also schlaft wohl und der Herr, der treue Wächter Israel's, geb' euch gute Ruh' und fromme Träume.« »O Herr, mein Gott, hab' Dank für diese Nacht! In ihr hab' ich viel Ruhe funden und bin erwacht wie ein Kindlein, das in seiner Mutter Aug' sieht, wenn's die Aeuglein aufthut.« »Wie ich mich erhob, so brannte schon das Wachtfeuer wieder, und der Köhler stand wieder mit der Schaufel in der Hand am Meiler, und die Vögel sangen ihr Morgenlied, und die Sonne zeigte dem Meiler gegenüber auf einer schöngemalten Uhr die fünfte Stunde des Morgens.« »Gott zum MorgengruÃ, mein Schlafkamerad«, rief fröhlich der Köhler; »beliebt's euch, so laÃt uns singen mit den Vögeln um die Wett': »Wach auf mein Herz, Die Nacht ist hin, Die Sonn' ist aufgegangen!« Und wir sangen mit einander das Lied. Dann rief der Köhler mit einem Pfiff auf dem Finger seine Ziege herbei; die gab willig ihre Milch zum Morgentrank, und wir gingen selbander durch den Wald. Nach einer halben Stunde ward der Wald licht; noch einige Schritte, und man sah in ein Thal hinab, durch das ein FlüÃchen ging und in dem mehrere Dörfer lagen. »Dort, Herr«, sagte der Köhler, »liegt Blankenau; geht nur immer hier dem Pfad nach auf den weiÃen Thurm zu. Und nun geb' der Herr euch das Geleit' heim in's Vaterhaus und auf eure ganze Lebensreise! Vor Gottes Thron sehen wir uns zunächst wohl wieder. LaÃt uns halten, was wir haben, daà uns Niemand die Krone raube.« »Amen!« sagt' ich, und wir drückten uns die Hände und schieden. Und wie ich fürbaà ging, so sprach ich: »Das war ein Stiller im Land, und sein Wort hat mich stille gemacht und hat mich gelehret David's Wort verstehen: »Meine Seele ist stille zu Gott, der mir hilft.« Pf. 62, 2. 7. Scheiden von der Heimath. Wer je in der Fremde war, und ist zurückgekehrt zur lieben Heimath, der denket gewià noch in späteren Jahren, wie sonderbar es ihm damals um's Herz war. Wie alte Bekannte grüÃten ihn aus der Ferne die Berge der Heimath, wie liebe Freunde nickten die Bäume ihm zu. Das Bächlein unter den Erlenbüschen schien ihn mit seinem Murmeln zu grüÃen, und der Kirchthurm drüben, mit dem goldenen Hahn auf seiner Spitze, der allen Kinderspielen zugesehen, wie gut schien der den Jüngling noch zu kennen! Aber wer ist auch je zurückgekehrt in's Aelternhaus nach langer Trennung, ohne daà ihm in der Nähe desselben das Herz nicht schwerer geworden wäre! Berg und Baum und Thurm stehen noch, wird aber Alles in dem Aelternhaus selber noch auf dem alten Flecke stehen? Vater und Mutter waren alte Leute schon, als das Reisebündel geschnürt ward, und Brüder und Schwestern sind ja auch wie die Blumen des Grases, ein Hauch und man kennet ihre Stätte nicht mehr. Solche Gedanken bewegten auch das Herz des Konrad Justus, als er aus der Ferne das Jägerhaus erblickte, und unwillkührlich blieb er stehen und legte die Hand auf sein klopfendes Herz und befahl Gott seinen Eingang. Ja Gott hat in's Christenherz eine Ahnung vom künftigen Leid gelegt, nicht um es zu quälen, sondern um uns, die wir eine kleine Zeit leiden, vollzubereiten, zu stärken, zu kräftigen, zu gründen. Freundlich wedelnd und an ihm hinaufspringend begrüÃten ihn im Hofe die treuen Hunde, und rüstig schritt er zur Hausthüre hinein. Es war stille auf der Hausflur und stille in der Küche; ringsher Alles in der gewohnten Ordnung, aber Niemand lieà sich sehen. Er öffnete die Stubenthüre, aber auch hier sah er Niemand. Die Schlafkammer der Aeltern stand offen; er trat hinein und sah Vater und Mutter bleich und krank im Bette liegen, und vor ihnen stand Dorothe, nicht mehr das blühende Mägdlein von ehemals, sondern leidend und krank, und reichte den Kranken einen kühlenden Trank. »Willkommen, Konrad«, riefen die Aeltern, »du kommst eben zu rechter Zeit in's Klagehaus, um den Segen deiner Aeltern dir zu holen. Des Herrn Hand liegt schwer auf uns; wir sind allesammt krank; ein böses Fieber hat uns bis an den Tod gebracht. Dorothe hält sich unter Mühe noch aufrecht und droben liegt dein Bruder, der von der Wanderschaft heimgekehrt ist, an gleicher Krankheit.« »Ach Gott«, rief Konrad unter lautem Weinen, »sehe ich euch also wieder! Muà ich dazu heimkehren, um euch dem Tode nahe zu finden.« »Weine nicht, Konrad«, sprach die Försterin, »wir Alten haben unser Tagwerk hier unten vollbracht und ein neues beginnt droben beim lieben Gott. Sorge du jetzt nur, daà dein Herz auf unser Scheiden gefaÃt sei, und weise die Mägde und die Burschen an, daà das Haus nicht Noth leide, während wir es nicht überwachen können. Dann schicke deine Dorothe hinauf in ihre Kammer, sie bedarf der Ruhe; das Fieber rüttelt sie wie uns, und sie will es nicht an sich kommen lassen.« So stand denn Konrad in seinem Aelternhaus als einziger Gesunder unter Kranken; aber sein Herz verzagte nicht, und er pries täglich Gott, daà er ihm seine Kraft erhalten, und ihn berufen habe, Vater und Mutter in ihrer Schwachheit zu pflegen, und den Geschwistern Trost und Stärkung an ihr Krankenlager zu bringen. Doch ein harter Augenblick stand ihm noch bevor. Eins wie sie im Leben gewesen, waren auch die alten Förstersleute eins im Tode; der Herr rief sie in _einer_ Stunde ab, und lieà sie ruhen in _einem_ Grabe. Unter Gebet für ihr Seelenheil und für ihre Kinder schieden sie. Ohne Sang und Klang, aber von viel weinenden Freunden begleitet, wurden sie auf dem Kirchhof zu Braubach bestattet, und der Pfarrer, der ihr Grab einsegnete, rief ihnen die Worte der Schrift nach: »Selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben, von nun an. Ja der Geist spricht, daà sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach!« Und alles Volk, das dastand und zuhörte, sprach: »Amen!« Der Gerechten Gedächtnià bleibet im Segen. Unter den Leidtragenden war auch der Grenadier von der Marksburg gewesen, den wir damals kennen gelernt, als Konrad die Dorothe und ihre Mutter rettete, und der Soldat weinte wie ein Kind, und wollte sich nicht trösten lassen, denn im Förster war ihm ein guter Freund gestorben. Seit jenem Tage, wo Dorothe das Jägerhaus betreten hatte, kam auch der Grenadier öfter dorthin, und ob ihn gleich Niemand einlud, so sah man ihn doch gerne, und hatte sich an sein Kommen und Gehen so gewöhnt, daà er fast zu den Hausfreunden gerechnet wurde. Der Grenadier Scheuermann, denn so hieà er, war eine alte deutsche Soldatennatur, wie man sie jetzt gar nicht mehr findet. Von frommen Aeltern aus einem Dörfchen des Vogelsberges ausgegangen, war er gezwungen Soldat geworden, hatte aber sein Handwerk, wie er es nannte, lieb gewonnen, und begehrte nichts anders zu werden, denn Soldat. In fünfundzwanzigjährigem Dienst hatte er es noch nicht weiter gebracht, denn zum Corporal, ob er gleich ein Muster von Ordnung im Dienst, und, wie seine Officiere sagten, ein sehr tapferer Soldat im Kriege war. Selbst ohne Weib und Kind, hielt er das Familienleben sehr hoch, war gern bei friedfertigen Eheleuten, und liebte die Kinder so sehr, daà sie ihn, wo er war, schnell kannten und freundlich grüÃten. Dabei war der Corporal gläubig, wie der Hauptmann von Kapernaum, und nach dem Heil begierig, wie Cornelius, und wer mit ihm redete von Gottes Wort, dem war er Freund und ging für ihn durch ein Feuer, wie das Sprüchwort sagt. Das war es, was ihn nach dem Jägerhaus zog und was ihn festhalten lieà an den treuen guten Menschen, die dort wohnten. WuÃte er dem alten Förster oder seiner Hausfrau einen Dienst zu thun, oder gar der Jungfer Dorothe, die sein Augapfel war, so war Keiner froher, als der Scheuermann. Wie dann die bösen Tage in's Haus des Försters kamen, da lieà er sich Urlaub geben, und wich nicht aus dem Jägerhaus, und kam Wochen lang in kein Bette, und war die Dienstfertigkeit und Freundlichkeit selbst. War es ein Wunder, daà die treue Seele am Grabe der Förstersleute weinte und sich nicht wollte trösten lassen! Wenige kannten dich, du guter Soldat, und dein treues Herz; aber wie dort der Geist Gottes zu Cornelius sprach: »Dein Gebet ist erhöret und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott«, so ist auch deiner Treue droben im Himmel gedacht worden. Gehe ein zu deines Herrn Freude! â Zurückgekehrt von der Aeltern Grab, lastete eine neue Sorge auf Konrad's Herz. Er wollte seinem Bruder, der noch krank lag und für sich selber nicht sorgen konnte, den Dienst des Vaters verschaffen, damit der liebe Ort der Heimath der Familie erhalten bliebe. Er schrieb Briefe auf Briefe an alle Gönner und Freunde seines Vaters; er warb bei der Landesbehörde um die Stelle, und der Corporal Scheuermann that manchen Gang um Gunst und Fürsprache, wie es damals noch mehr geschehen muÃte, denn heut' zu Tage. Von einem solchen kam der Soldat einst in trüber Stimmung zurück. Er war dem Gerst begegnet, den man jetzt den Herrn Rath nannte, und der hatte ihm zugerufen: »Scheuermann, ich weiÃ, was euer Gehen und Laufen bedeuten will, geht nur heim und schonet eure Beine, so lange der Gerst lebt, kommt kein Justus wieder als Förster in's Jägerhaus und auch kein Justus in's Pfarramt. Das sagt den Söhnen des alten Försters und der Jungfer Dorothe richtet auch meinen schönen Gruà aus, wenn es euch gefällt.« Da hatte der Corporal nicht Ansehen der Person geachtet, sondern war dem Gerst mit Worten und Werken so zu Leibe gegangen, daà der Corporal einige Tage bei halber Kost auf dem GefängniÃthurm hatte sitzen müssen. Als er wieder frei war, erzählte er es dem Konrad, und tiefe Trauer ergriff darob das Herz des Jünglings. »Also meine Prüfungszeit soll noch nicht vorübergehen«, rief er, »nun Herr, dein Wille geschehe! Euch aber, Scheuermann, bitte ich, behaltet das böse Wort des Gerst für euch und theilt es dem Heinrich und der Dorothe nicht mit; es ist genug, daà ich allein davon leide. So meint's wohl der Apostel, wenn er sagt: Die Liebe sucht nicht das Ihre, sie träget der Schwachen Gebrechlichkeit.« â Auch kam der Tag der Entscheidung bald. Kaum hatten Heinrich und Dorothe sich einigermaÃen von ihrer Krankheit erholt, so erschien ein fremder Förster und wünschte Besitz von Amt und Haus zu nehmen. Die Brüder suchten nicht das Unrecht eines Andern an dem Fremdling, als an einem Broddieb, zu rächen, wie denn überhaupt ihr Herz keine Rache kannte. Sie hieÃen den Fremden willkommen, ja Heinrich sprach sogar: »Es ist mir lieb, Konrad, daà dein Bemühen zu meinen Gunsten nicht geglückt ist; es gefällt mir nicht in der Heimath; ich gehe lieber wieder nach Holland, wo ich einen guten Dienst gefunden habe, und auch einst, wenn es Gott gefällt, meine Heimath finden will. Und meinst du es wohl mit dir, so gehe auch von hier weg; es ist selten, daà man die Söhne um der Väter willen lieb hat und hochhält. Undank ist der Welt Lohn. Aber eine Bitte habe ich an dich, ehe wir scheiden, die muÃt du mir erfüllen, um der Liebe willen, die du zu mir hast. LaÃ' Dorothe mit uns theilen, als wäre sie unsere Schwester. Sie hat Jahre lang den Aeltern gedient, und ist von ihnen als eine Tochter gehalten worden, soll sie jetzt leer ausgehen! Sie ist ein schwaches Mägdlein und steht einsam in der Welt, und wer weiÃ, wie lange es noch dauert, bis sie in dein Haus eingehen kann als dein Weib.« â Da griff Konrad in seine Tasche und reichte dem Bruder ein Papier, und dann bedeckte er mit den Händen sein Angesicht und weinte laut. Das Papier war von des Försters Hand geschrieben, kurz vor seinem Ende, und in demselben bat er die Söhne, um der Liebe willen, die sie zu ihm gehabt, Dorothe als ihre Schwester zu betrachten und ihr Erbgut mit ihr zu theilen. Und sie riefen die Schwester und zeigten ihr des Vaters Testament und theilten mit ihr das Gut. â »Siehe, wie fein und lieblich ist es, daà Brüder einträchtig bei einander wohnen. Wie der köstliche Balsam ist, der vom Haupt Aaron's herabflieÃt â wie der Thau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zion. Denn daselbst verheiÃt der Herr Segen und Leben immer und ewiglich.« â Das Gut war bald getheilt, denn der Förster Justus gehörte nicht zu denen seines Standes in damaliger Zeit, die ihr Gut mehrten mit fremdem Gut und sich durch Geschenke und Gaben verblenden lieÃen, ein Aug' im Dienst zuzudrücken. Nur ein guter Wohlstand war im Hause, nicht ein trüglicher Reichthum, von dem man nicht gewuÃt hätte, wie er hineingekommen wäre. Das Gut war bald getheilt, denn der Förster Justus war ein guter Haushalter und hielt streng auf Ordnung im GroÃen wie im Kleinen; so waren denn seine Bücher und Rechnungen so klar und verständlich, daà keine Advokaten und ProceÃkrämer sie zu entwirren brauchten, um im Trüben selbst nach Herzenslust zu fischen. Wenn ich also theilen sehe unter Geschwistern, und der Hader und die MiÃgunst sitzt dabei zu Rathe, so mein' ich immer, das Gut, das sie theilen, muà kein ehrlich Gut sein, weil es schon jetzt nicht mehr bei den Erben bleiben will, sondern hinaus möchte unter die bösen Rathgeber. Das Gut des Försters Justus war bald getheilt, denn die Liebe saà dabei zu Gericht, nicht mit verbundenem Aug', wie die Göttin Gerechtigkeit, sondern mit dem klaren, offnen Aug' der Treue. Aber Scheiden und Meiden thut weh, am wehesten, wenn Vater und Mutter todt sind, und die Kinder den trauten Ort der Kindheit, das Aelternhaus, verlassen müssen, um Jedes für sich eine neue Heimath zu suchen. Und die Heimath ist oft so leicht nicht gefunden. So ward auch denen dort im Jägerhaus der Abschied gar schwer; denn nach drei verschiedenen Richtungen wandten sich ihre Wege. Heinrich ging nach Holland, Dorothe zu einer braven Familie im Nassauischen, wo man sie lieb hatte, und wo sie nur dem Namen nach diente, der That nach aber wie das Kind vom Hause war; und Konrad Justus, wohin ging der? Die Seinen wuÃten es während mehrere Jahre nicht; er suchte eine Heimath und ein Stück Brod. * * * * * So waren sieben Jahre hingegangen. Da saà an einem Novemberabend ein Mann in mittleren Jahren an einem kleinen Tischchen, das just, weil es kalt war, in die Nähe des Ofens gerückt war, und las und schrieb. Die Stube war klein und niedrig; zwei Fenster mit alten runden Scheiben erhellten sie nothdürftig am Tage, und an jenem Abend warf eine kleine Oellampe ihren matten Schimmer auf das kleine Tischchen und auf das blasse, aber geistreiche Angesicht des Mannes, der fleiÃig in seinen Büchern las. Nicht fern vom Ofen stand ein Bette, und an der Seite, der Thüre gegenüber, war ein langer Tisch mit Kreuzbeinen aufgestellt, vor welchem und hinter welchem Bänke zum Sitzen standen, wie man sie in den Schulen hat. Die obere Seite des Tisches stand etwas von der Wand ab, und dorthin schien der GroÃvaterstuhl zu gehören, der jetzt dem Ofen näher geschoben war, und in dem der Mann saÃ. In der Ecke, der Thüre zunächst, stand, an die Wand gelehnt, eine Harfe mit etlichen Notenblättern zwischen den Saiten, und an der langen Wand hin ging ein sogenannter Kambank, auf welchem eine schöne Reihe Bücher stand. Das Häuschen, in dem der Gelehrte wohnte, stand in der Stadt GieÃen im Lande Hessen und stieà mit seiner Vorderseite in ein enges GäÃchen, der Tiefeweg genannt, während die hintere Seite, von der wir hier reden, die Aussicht in ein dumpfes Gärtchen hatte, hinter welchem sich der Wall erhob; denn GieÃen war damals noch eine Festung. Es war eine Todtenstille in dem Stübchen des Mannes, nur unterbrochen durch das leise Umschlagen eines Blattes, oder durch das dumpfe Knarren der Feder in der Hand des Schreibenden. Da klopfte, es mochte wohl acht Uhr am Abend sein, eine Hand leise an die Thüre des Stübchens, und auf ein lautes Herein! des Mannes, öffnete sich die Thüre, und ein altes Mütterchen, angekleidet wie die unbemittelten Bürgerinnen der damaligen Zeit, mit einem weiten Mutzen von Bieber, dessen SchöÃe wie Klappen über den Rock von gleichem Tuch herabfielen, und ein gesteiftes Häubchen auf dem Kopf trat zur Thüre herein, machte einen anständigen Knicks, und sagte mit einer klaren Stimme, indem es die hellen und lebhaften Augen auf den Dasitzenden richtete: »Ist es erlangt, Herr Justus, so kehr' ich heute Abend ein wenig bei euch ein. Es ist mir drunten in meinem Stübchen etwas unheimlich geworden, weil die Nachbarin, die Annelore, mir heute nicht Gesellschaft leisten konnte. Mein Wollrad soll euch nicht incommodiren, ich hab's just frisch geschmiert, und euch dazu hier etwas mitgebracht, wofür ich wohl auch ein freundlich Gesicht bekomme, Aepfel, wie sie nur auf dem Nahrungsberg wachsen können, einen Ranau, einen wahren Prinzenapfel, und hier noch Borstorfer dabei, die einem mit ihren rothen Bäcklein anlachen.« Und die Alte stellte den irdenen Teller mit den Aepfeln auf das Arbeitstischchen. »Eure Aepfel sind willkommen und ihr dabei, Mutter Lindin«, sagte der Candidat Justus, denn dieser war der Mann in dem Stübchen. »Fürchtet auch nicht, daà euer Wollrad mich störe; ich mache gerne Feierabend, und plaudere mit euch ein Stündchen und drüber. Und so macht's euch denn bequem und setzt euch, oder nehmt hier meinen Lehnstuhl, den ihr euch ohnedieà schon in euren alten Tagen entzogen habt; von Rechtswegen solltet ihr ihn behalten.« »Behüte, Herr Justus«, sprach abwehrend die Alte, »Ehre, dem die Ehre gebührt; ihr sitzt leider Gottes mehr wie ich und braucht ein Polster, euch am Abend für euer sauer Tagewerk auszuruhen. Mein Alter hatte oft ein Sprüchwort im Munde, das hieÃ: »Lehrerbrod, sauer Brod«, und geb' ihm Recht, seit ich euch um euer täglich Brod also schanzen sehe. Wenn mir's nachginge, ich hätte längst was Anders aus euch gemacht.« Der Justus rütschte verlegen auf seinem Stuhle hin und her, und um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, fragte er: »Sagt, Frau Lindin, wie geht es denn der Kranken, zu der ihr heute Morgen gerufen wurdet, ist sie besser, oder hat sie der liebe Gott zu sich genommen?« »Die Schuckin meint ihr, Herr Justus, des Daniel Schucks am Burggraben Ehefrau? Die ist sanft und selig im Herrn entschlafen. Sie war ziemlich von meinem Alter, und hat wie ich Manches in der Kreuzschule gelernt, und wir haben uns oft einander getröstet und uns versprochen im letzten Stündlein uns beizustehen. Das hab' ich denn nach des Herrn Rath thun müssen, und hab's gethan ohne Heulen und Greinen. »Was hilft's, Frau Schuckin«, sagt' ich zu ihr, »wenn ich euer Herz durch Klagen schwer mache, laÃt uns vielmehr mitsammen uns freuen, daà ihr bald ausgespannt werdet und zum Herrn kommt!« »Und wie ich ihr dann das Kopfkissen zurecht gelegt, und zu beten anhub: »Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid«, da sprach sie mit einer Stimme, die aus dem tiefsten Herzen kam: »Darin will ich vor Gott bestehen, wenn ich zum Himmel werd' eingehen.« Und dann ist sie entschlafen, und hat mir droben Quartier gemacht, und wie sie gestorben ist, so will ich auch sterben; »Ich glaub' an Jesum, welcher spricht: Wer gläubt, der kommt nicht in's Gericht. Gott Lob, daà ich es glauben kann! Auch meine Schuld ist abgethan.« »Doch, daà ich von etwas Anderm rede, noch eine Neuigkeit für euch, Herr Justus, die euch gewià erfreuen wird. Wie ich heute zum Thore am Neuenweg hinaus will, um in meinen Garten zu gehen, so wandelt just ein Soldat in der Sonne auf und ab, den ich bis dahin nicht gesehen hatte, wie denn überhaupt die Compagnie, die dort lag, eine fremde zu sein schien. Ich biete dem Soldaten die Zeit und der Soldat dankt freundlich, und fragt: »Wohin so eilfertig, Mütterchen?« »Mit der Eilfertigkeit pressirt es just nicht, sagt' ich, Unsereins lehrt das Alter gemach thun; will noch etwas in meinem Garten am Nahrungsberg holen«, sagt' ich. »Ist doch jetzt keine Zeit mehr zum Gartenbesuch«, sagt' er. »Ja wohl«, sagt ich, »sind aber noch etliche Kohlstengel drauÃen geblieben, die hätt' ich gerne heim. Eure Compagnie scheint noch nicht lange in der Stadt zu sein, und habt ihr etwa noch Niemand, der euch wascht und flickt, so wisset, daà ich dergleichen um ein Geringes gern thue. Ich wohne auf dem Tiefenweg neben dem Wall, fragt nur nach der Barbara Lindin, jed' Kind kann euch zu mir weisen; und sollt' ich ja nicht zu Haus sein, so gebt nur meinem Hausmann das schwarze Zeug, der Herr Justus wird es sorgsam aufbewahren.« »Der Herr Justus«, sagt' er, »was ist's mit dem, heiÃt euer Miethsmann Konrad Justus, und ist er seines Berufs ein Theologe?« »Ja«, sagt' ich, »der wohnt bei mir; und woher kennt ihr ihn?« »Ich bin der Corporal Scheuermann«, sagt' er, »und habe den Herrn Justus eher gekannt, als ihr.« »Ja«, sagt' ich, »wenn ihr der seid, so kenne ich euch auch, denn der Herr Justus hat von euch auch schon erzählt, und euch ein gut Zeugnià gegeben.« »Hat er das gethan?« sagt' er, und dem Mann flossen ja, so wahr ich lebe, die Thränen über die Backen herunter. »Und was ist Herr Justus hier«, fragt er, »und geht es ihm wohl?« »Es geht ihm wohl«, gab ich zur Antwort, »könnt' ihm aber auch besser gehen;« und so redeten wir ein Langes und Breites von euch und wurden gute Freunde mit einander. Und wie ich ging, so trug mir der Corporal einen freundlichen Gruà an euch auf und er wolle euch bald besuchen.« »Der gute Scheuermann von der Marksburg«, sprach gedankenvoll der Justus; »also denkt er mein noch. Habt Dank Frau Lindin für die Nachricht, sie hat mir wohl gethan. Man hört selten von seinen alten Freunden; hat Jeder seine Last mit sich und seine Lust für sich, das ist so der Welt Lauf.« »Ihr könntet wohl auch eure Lust für euch haben, Herr Justus«, hub die Alte mit leisem Tone an, indem ihre scharfen Augen den Eindruck zu beobachten schienen, den ihre Rede auf den Zuhörer mache, »ihr könntet auch eure Lust für euch haben, sag' ich, wenn ihr euch nur darnach stelltet. Nehmt es nicht für ungut, wenn ich alte Frau mir einmal ein Herz fasse und von der Leber weg zu euch rede; seit ich mit dem Corporal Scheuermann über euch gesprochen, mein' ich ordentlich mehr Muth gesammelt zu haben. Also laÃt mich frisch heraus reden. Ihr seid eures Standes ein Gottesgelehrter, und das ein rechtschaffener und kapitaler, und wenn's mir nachginge, ich machte euch heute noch zum Superintendenten, oder mindestens zum Inspector. Statt dessen wohnt ihr nun schon sieben Jahre in meinem Hause, arbeitet wie Einer, der erst anfängt, helft den lockern Studenten, die ihrer Aeltern Geld und Gut verpraÃt haben, durch's Examen, stutzt den Faulenzern den Doctorhut zurecht, tretet den Herrn Professoren all' ihren lateinischen Quark aus; und so lange sie euch brauchen, heiÃt's Herr Justus hier, Herr Justus dort; und wenn sie haben, was sie wollen, was geben sie euch? Einen Lohn, dessen sich diese sauberen Herrn schämen sollten. HeiÃt's doch: »Dem Ochsen, der da drischt, sollst du das Maul nicht verbinden«, »und ein Arbeiter ist seines Lohnes werth;« aber euer Lohn ist für's Sterben zu viel und für's Leben zu wenig, und Keiner ist so ehrlich, eurer zu gedenken und euch zu einem Stück Brod zu verhelfen. Sind Alle sammt und sonders wie der Mundschenk, der des Joseph vergaÃ. O Schande über dieà Pack!« »Und wenn ich gar an die Rangen denke, denen ihr Tag für Tag hier am Tische das Latein einbläut, Herr, dann vergeht mir ganz mein bischen Geduld. Von eurem Latein versteh ich nichts; aber von der Unterweisung zur Seligkeit, die ihr ihnen gebt, glaub' ich ein gutes Theil wohl begreifen zu können, und doch sitzen die Rangen da, so dumpf und stumpf, so verhagelt und vernagelt, daà ich an eurer Stelle längst den Bakel gebraucht und ihnen Moses und die Propheten durch den Rücken eingetrieben hatte. Und wenn sie dann zur Treppe herunterkommen, dann solltet ihr einmal die Gesichter und Gestus sehen, die sie machen, man sollte meinen, es hätte Jeder droben sein Prämium verdient. Einer stellt dem Andern ein Bein, schlägt ihm die Bücher unter'm Arm weg, oder klemmt ihm gar den Zopf in die Hausthüre. Aber, mein' ich dann, ich hab's ihnen vertrieben; thut euch der Herr Justus nichts in seiner Engelsgeduld, dacht' ich, so will ich euch Mores lehren. Ich nahm den Ziemer, der noch von alter Zeit her hinter dem Ofen hängt, in meine Fäuste, und sagte kein Wort, und stellte mich nur unten an der Treppe auf, und sah Einem nach dem Andern in die Augen; mein' ich dann, das Toben verging ihnen! Das ging so zwei Tage; am dritten, als sie herunterkamen, boten sie mir schon freundlich die Zeit: »Schön Dank, ihr jungen Herren«, sagt' ich, und hing meinen Ziemer wieder hinter den Ofen. Doch damit ich meine Rede nicht vergesse, das erzähl' ich Alles nur darum, damit ich euch begreiflich mache, daà Undank der Welt Lohn sei. Die Buben sind lauter Söhne von unsern schönsten Leuten hier aus der Stadt: Rathssöhne, Professorssöhne, Officierssöhne; wo fällt es nur Einem dieser vornehmen Herrn einmal ein, für den Herrn Justus ein gutes Wort einzulegen! Bewahre! Als frischmelkende Kuh betrachten sie ihn, daà sie diesen Büffeln von Buben die Milch gebe. Ich für mein Theil lieÃe es bleiben. Haben sie euch ausgemolken, und seid ihr alt und steif, so giebt euch Keiner das Gnadenbrod. Das war's, was ich sagen wollte; nichts für ungut, Herr Justus!« Der Kandidat Justus hatte die Rede seiner Hauswirthin mit der gröÃten Ruhe angehört, und als sie fertig war, und sich mit der Schürze den Schweià von der Stirne gewischt, auch den verlorenen Faden auf ihrem Wollrad wieder gesucht hatte; da sah er sie an mit einem Blick, von dem es schwer zu sagen war, ob er ein billigender, oder ein vorwurfsvoller sein sollte. Er putzte das Licht und dann sagte er gelassen: »Ich habe euch euer Herz einmal ausschütten lassen, Frau Lindin, wozu ihr, seitdem wir zusammen leben, schon manchen Ansatz gemacht habt; und damit ihr seht, daà ich euer Wohlmeinen verstehe, ob es gleich etwas derb an Mann gebracht worden ist, so laÃt mich euch sagen, was ich von mir und meinen Ansichten halte. Für's Erste, so weià ich, daà unser Keiner ihm selber stirbt und unser Keiner ihm selber lebt: daà unser Herrgott uns an seinen getreuen Händen leitet und führet, und daà Alles von ihm kommt: Glück und Unglück, Leben und Tod, Armuth und Reichthum. Da ich solches weiÃ, was soll ich meinem Gott den Gehorsam aufkündigen und ihm sagen: »Deine Wege gefallen mir nicht, führ' mich besser!« Nein, da will ich lieber in seiner Schule bleiben und mit David sagen: »Du leitest mich nach deinem Rath und nimmst mich endlich mit Ehren an.« Zum Andern, so hat es mir bis dato nicht sonderlich gemangelt, und ich muà auch, wenn der Herr mich fragte: »Hast du je Mangel gehabt?« wie seine Jünger sagen: »Herr, nie keinen.« Wenn ich einem meiner Mitmenschen kann einen Dienst thun, zu dem ich Geschick und Zeit habe, und ist keine unehrliche Handthierung, warum soll ich so ängstlich um den Lohn feilschen? Und sind sie einig mit mir geworden um ein Geringes, was soll ich hinten drein scheel sehen und sagen: »Hätte auch mehr geben können.« So meint's meine Dorothe auch, und wenn ich heute zu ihr käme, und sagte: »So hab' ich's bis dahin gemacht; macht' ich's anders, so konnt' ich dich vielleicht früher freien,« sie würde mir sicher zur Antwort geben: »Bleibe fromm und halte dich recht, denn solchen wird es zuletzt wohlgehen.« Auch hab' ich in den sieben Jahren, die mich mein Gott hat abermals warten lassen, so viel Neues gelernt, daà ich nun um so besser bereitet bin, wenn er kommt und spricht wie zu Petro, auch zu mir: »Justus, hast du mich lieb?« »So weide meine Lämmer.« Zum Dritten, und das ist's wohl, was sie am Liebsten hören möchte, weil sie mich nachgerade für ein Schaf hält, das nicht aus seinem Stall möchte, so hab' ich manchen Schritt gethan bis dahin, zu Amt und Brod zu kommen. Denn ich habe gesehen, wie alle meine Kameraden sind vor mir in's Amt gekommen, und waren nicht lauter berufene Diener, und ist auch Mancher wie ein Dieb in den Schafstall hineingestiegen. Ich hab' auch angeklopft an dieser und jener Thüre; ich hab' den Rücken gebeugt und den Hut in der Hand gehabt; ich hab' gebeten und bin Bittens nicht müde geworden; aber es gebt mir eben wie dem Kranken am Teich Bethesda, ich habe Keinen, der mich hineinträgt, wenn das Wasser bewegt wird. Daraus merk' ich, daà meines Herrn Zeit noch nicht da ist. LaÃ' sie denn, Frau Lindin, laÃ' sie den für mich sorgen, der die Vögel nährt und die Lilien kleidet.« Und wie die alte Lindin sich die Augen mit der Schürze abgetrocknet, und solche Rede eine gute Rede geheiÃen, und sich verabschiedet, und den frommen Miethsmann in ihren Abendsegen eingeschlossen hatte; da hörte sie aus dem Oberstübchen herab den sanften Ton der Harfe und hinein klang voll und kräftig das Lied: »Was mein Gott will, gescheh' allzeit!« Wieder war es Abend, und der Candidat Justus saà wie gestern in seinem Lehnstuhl und las und schrieb; da kam die Hauswirthin keuchend zur Thüre hereingerannt, und rief: »Um Gottes Willen, Herr Justus, es sind Soldaten drunten mit Einem von der Polizei, die fragen nach euch und wollen euch arretiren!« Und wie die Alte das kaum gesagt, und die Augen mit der Schürze bedeckt hatte, da traten die Soldaten mit ihren Gewehren in der Hand in die Stube hinein, und der Mann von der Polizei sprach: »Seid ihr der Candidat Justus?« »Ja!« sagte ruhig der Angeredete. »Dann«, war die Antwort, »lautet mein Auftrag, euch zu verhaften und auf die Hauptwache abzuliefern; auch eure Schreibereien soll ich mit mir nehmen.« â Und wie er das gesagt, so raffte er alles Geschriebene, das auf Tisch und Kambank lag, auf; durchsuchte auch die Kiste in der Ecke, und nahm daraus mit, was geschrieben war. Das geschah Alles so plötzlich, so schnell und unerwartet, daà die alte Lindin selbst, die sonst nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, wie versteinert in einer Ecke stand und Einen nach dem Andern anstarrte. Nur einmal brach Justus das Schweigen und fragte: »Was gibt man mir denn Schuld?« »Wird der Herr selbsten am Besten wissen«, lautet die Antwort. »Und auf wessen Befehl werde ich verhaftet?« fragte er noch einmal. »Auf Befehl des Herrn Rath Laupus«, antwortete der Polizeibeamte. Wie er ging und stand wurde dann der Candidat Justus abgeführt, und die Thüre ward hinter ihm versiegelt. Und wie sie hinaus traten, war schon allerlei neugierig Volk um das Haus versammelt; das theilte sich so laut, daà es der arme Gefangene hören konnte, seine Bemerkungen über den Vorfall mit, und je weiter man ging, desto mehr schlossen sich dem Zuge an. Es war Martinsabend, und wer daheim keine Gans zu verzehren hatte, der wollte doch wenigstens bei einem vollen Glas einen guten Rath halten über den PreuÃenkönig und die Kaiserlichen. So langte der Zug auf der Hauptwache an, und Justus wurde in das Arrestzimmer im oberen Stock geführt, und die Thüre schnell hinter ihm verschlossen. Da stand er denn, der Vielgeprüfte, stand in der Dunkelheit völlig allein, nur Einer war bei ihm, sein treuer Gott, und vor dem prüfte er sein Gewissen, und zu dem betete er aus Herzensgrund um Trost und Stärke. »Herr, mein Gott«, so betete er, »du treuer Wächter, der du nicht schläfst, noch schlummerst, der du die Armen hörest und die Gefangenen nicht verachtest, laà vor dich kommen mein Seufzen und hilf mir aus meiner Noth. Herr, ich wandre im finsteren Thal und doch fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich!« Und wie er das Gebet gesprochen und nach dem Fenster sich hingetastet, von wo ein Lichtstrahl von der Laterne vor dem Wachthause in die Stube fiel, so wurde es laut vor der Thüre. Man zündete Feuer im Ofen an, und das Knistern der Funken tröstete ihn. Nicht lange, so ging die Thüre auf, ein Soldat trat mit einem Lichte herein, stellte es auf die Pritsche und fiel unter Weinen dem Gefangenen um den Hals. »Ich bin's, Herr Justus, erschrecket nicht, ich bin's, der Corporal Scheuermann ist es«, rief er schluchzend; »muà ich euch so wiedersehen, meines alten Freundes vom Jägerhaus Sohn, als Gefangenen wiedersehen, und bestimmt sein, euch zu arretiren und euch zu bewachen? Gelt, ihr habt nicht gewuÃt, wer euch gefangen nahm dort in eurer Wohnung. Ich schlug das Auge vor euch nieder, als sei ich der Arrestant. Aber um Christi willen, was habt ihr denn gethan, daà ihr bei Nacht und Nebel einem Diebe gleich müÃt ausgehoben werden?« »Ich weià nicht, wessen man mich anklagt«, sprach mit fester Stimme der Gefangene. »Wir fehlen Alle mannigfach, aber die Sünden des Herzens richtet ja die Obrigkeit nicht, und einer Sünde, die meinen Nächsten gekränkt hätte, weià ich mich nicht zu erinnern. Ich habe sieben Jahre lang hier in der Stadt mir mein Brod verdient, und ich glaube ehrlich und sauer genug; meine Unschuld wird bald an's Tageslicht kommen.« »Nun, wie es auch sei«, sprach der Corporal mit einem herzlichen Händedruck, »so bleib' ich euer Freund; der alte Scheuermann vergiÃt seiner Freunde nicht. So lang ihr hier sitzet, tausche ich mit meinen Kameraden, daà ich die Wache bei euch behalte. Da nehmt einstweilen meinen Mantel und stellt euch an den Ofen; es friert euch.« Damit ging er, und kam bald mit einem Pausch Stroh wieder, den er auf die Pritsche warf. »Ein besseres Bett darf ich euch heute nicht machen«, sagte er; »der Dienst erlaubt's nicht; aber mein Gast dürft ihr sein; hier in dem Körbchen ist mein Abendbrod, das theilt mit mir.« So that Justus. Nur auf kurze Zeit verlieà ihn manchmal der Corporal, um seines Dienstes zu warten; und als um neun Uhr das Licht in der Arreststube gelöscht werden muÃte, saÃen die Beiden, der Gefangene und sein Wächter, noch manche Stunde bei einander und redeten von der Vergangenheit: von Vater und Mutter, von Heinrich und Dorothe, vom Jägerhaus und der Marksburg, vor Allem aber vom Rath Gottes in der Menschen Schicksal, und daà man ihm stille halten und nicht verzagen müsse. Einst, wenn des Menschen Sohn kommen wird in seiner Herrlichkeit, dann wird er sagen zu denen zu seiner Rechten: »Ich bin gefangen gewesen und ihr seid zu mir gekommen. Wahrlich, ich sage euch, was ihr gethan habt Einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr Mir gethan.« So gingen drei Tage hin; ein Verhör ward nicht gehalten, auch ward dem Gefangenen nicht gesagt, warum man ihn festgenommen. Er sah Niemand bei sich, als den Corporal; denn auch seine Hausfrau, die ihm regelmäÃig das Essen brachte, durfte nicht zu ihm; so lautete der Befehl. Am Abend des vierten Tages lieà sich bei dem Rath Laupus eine Frau aus der Stadt melden, die in einen Schanzenloper gewickelt, und mit einer Laterne in der Hand, auf der Hausflur stand. Der Herr Rath hatte dringende Arbeit und nahm die Frau ungern an; doch willigte er endlich in ihr Begehren, und die Frau Lindin vom Tiefenweg stellte ihre Laterne an die Thüre und trat ein. »Der Herr Rath wollen gnädigst entschuldigen«, sprach sie, »daà ich dieselben noch am Abend zu incommodiren mir erlaube; aber mein Miethsmann, der Candidat Justus, sitzt nun schon seit vier Tagen ohne Verhör und Urtheil auf der Hauptwache, und ich möchte wissen, wen ich denn eigentlich bis dahin in meinem Hause beherbergt habe ganzer sieben Jahre, einen kreuzbraven, lammfrommen Menschen, oder einen Spitzbuben, den man bei Nacht und Nebel mit Soldaten aus dem Hause holt?« Der Herr Rath sah die Sprecherin von oben bis unten an, und meinte mit kurzen Worten, das gehe die Frau Lindin nichts an, sie solle der Sache ihren Gang lassen. »Die Sache gehe mich nichts an, Herr Rath«, rief die Frau; »ei, wen soll sie denn sonst angehen? Hätte der Herr Justus noch Aeltern und Geschwister, die sich seiner annehmen könnten, dann gelte mir auch: 'Was deines Amtes nicht ist, davon laÃ' deinen Fürwitz;' so er aber Niemanden hat, denn mich, und allein steht in der Welt, und seinen Feinden nicht zum Spott werden soll, so lange ich lebe, und ich ihn lieb habe wie ein Kind, und nicht von ihm lassen werde, und wenn man ihn gleich zu Boden werfen will; so möge der Herr Rath einer armen, alten Frau die freie Rede zu gute halten, und mir reinen Wein einschenken, warum der Herr Justus wie ein Verbrecher in Ketten und Banden gehalten sei.« »Nun, nun«, sagte begütigend der Herr Rath, »bis zu Ketten und Banden sind wir noch lange nicht; was aber dem Justus schuld gegeben wird, und wobei ein dringender Verdacht auf ihm ruht, das ist, daà er bei der Fälschung einer Urkunde soll mitgeholfen haben, ja vielleicht die Fälschung selbsten gethan hat.« »Fälschung einer Urkunde?« sagte die Frau und ging einen Schritt zurück, um eben so schnell wieder vor den Herrn Rath hinzutreten; »Fälschung einer Urkunde?« fragte sie noch einmal. »Wie, Herr Rath, nicht wahr, die RoÃkaut' an der Lahnbrücke ist tief, und hat noch Niemand Grund in ihr gefunden, und stirbt jeder Christenmensch gerne eines seligen Todes auf seinem Bette; aber seht, Herr Rath, ich Barbara Lindin, des seligen Matthes Lind vom Tiefenweg eheliche Hausfrau, will mit gleichen FüÃen von der Lahnbrücke herab in die RoÃkaut' springen, meintwegen an jedem Bein noch einen Stein wie die Löwen auf dem Marktbrunnen, wenn der Herr Justus ein Fälscher ist. Der Herr Justus ein Fälscher; ei, Herr Rath, flieÃt auch aus einer Quelle süÃes und salziges Wasser zugleich, und tragen die Weinstöcke auch Distelköpfe? Und wer sieben Jahre lang kein Kind geärgert, und im SchweiÃe seines Angesichtes sein Brod gegessen hat, und mit dem Abendsegen in's Bett gegangen und mit gottseligen Gedanken aufgestanden ist, der soll der Diebe und Lotterbuben Geselle werden? Sucht die Spitzbuben unter den MüÃiggängern und Tagdieben, unter den Säufern und Spielern, aber sucht sie nicht in meinem Hause; solche Unzucht dulde ich nicht, die thut auch der Herr Justus nun und nimmermehr. Der und betrügen, der und fälschen! Wo hätte er denn den Sündenlohn! Was er einnimmt, das gibt er mir für Hausmiethe, Wasche und Kost und hat nicht immer die Kasse voll, sondern viel öfter leer. Traut ihr ihm aber mit Gewalt etwas Arges zu, so seht in seine Schreibereien hinein; da steht Alles, was er treibt und thut, ich glaube schier, sogar was er denkt. Nicht daà ich's schon gesehen hätte, denn ich kann Geschriebenes nicht sonderlich lesen; auch schickte sich das Spioniren in fremder Leute Stuben nicht; sondern der Herr Justus hat mir selber gesagt, daà er aufschreibe, was ihm geschieht im Leben, damit er immer sehen könne, wie gut ihn der liebe Gott geführt und ob er zu- oder abgenommen.« Ein Anderer an des Herrn Raths Stelle hätte der Frau ob ihrer freien Rede kein freundlich Gesicht gemacht, hätte sie wohl mit harten Worten angelassen. Aber das that der Herr Rath nicht, denn einmal war er ein gar feiner, liebreicher Mann, und mäÃigte als ein Vernünftiger seine Rede, und dann kannte er die Weise der Frau Lindin gar genau, wie sie die ganze Stadt kannte; er wuÃte, daà ihre Rede zwar nicht immer wie Honig war, daà ihr Herz aber ein warmes, treues Christenherz sei, voll Liebe zu Gott und voll Treue gegen die Menschen. Wohl kannten dich noch Mehrere so, du gute, alte Lindin. Noch leben Etliche, denen ihre Aeltern von der treuherzigen, oft etwas derben Weise der alten Lindin erzählt haben, und wie sie als uraltes Mütterchen, auf ihren Stock gestützt, die Kranken und Sterbenden besucht, und mit dem Verdienst Jesu Christi getröstet und aufgerichtet habe. Dabei immer noch der Wille so fest, der Abscheu gegen die Alltagssünde so scharf und scheltend, das Auge so klar und feurig, die Rede so tief und feierlich, und das Herz in der Brust so warm. So mein' ich, müÃte Hanna gewesen sein, die auf den Trost Israel's wartete, und mit Simeon den Herrn preisete, daà ihre Augen den Heiland gesehen hatten. Als sie der Herr Rath Laupus nun mit freundlichen Worten ermahnet, sich zu geduldigen, weil die Sache bald sich endigen würde und sie entlassen hatte, da ging er nachdenkend in der Stube auf und ab. Und während die alte Lindin die Hauptwache aufsuchte, um sich nach dem Befinden ihres Schützlings zu erkundigen, und ihm durch den Corporal Scheuermann ein freundlich Trosteswort sagen zu lassen, da nahm der Herr Rath die Papiere vor sich, die aus der Wohnung des Justus waren mitgenommen worden, und begann darin zu lesen. Was ihm zuerst in's Auge fiel, das waren Arbeiten, in verschiedenen fremden Sprachen geschrieben, die er für Studenten und Doctoren gemacht, die gerne durch's Examen hatten kommen wollen, ohne sich selbst eine sonderliche Mühe zu machen; und war manche Arbeit dabei, die bereits dem, der sich nicht gescheut, mit fremdem Kalbe zu pflügen, einen Doctorhut, dem armen Justus aber nur wenige Gulden eingebracht hatte. Da lagen weiter Abarbeitungen, so groà wie Bücher und so sauber gearbeitet, daà man sie gleich hätte dem Drucker übergeben können; und was drinnen stand, das verrieth, wie treu der Kandidat Justus den Rath des alten Köhlers im Walde bei Blankenau befolgt habe; denn die Schriften handelten von der Sternwissenschaft und waren mit feinen Zeichnungen versehen, also daà man jeglichen Stern, der Nachts am Himmel steht, auf dem Papiere verzeichnet fand. Dabei lagen fromme Betrachtungen über einzelne Texte aus heiliger Schrift, Gebetlein voll Saft und Kraft, und Lieder, wie sie der singt, deÃ' Herz dem Heiland anhängt, und dem Gott die Zunge des Geistes gelöst hat, daà er in frommen Weisen seine Thaten preisen kann. Was aber besonders den Herrn Rath viele Stunden auf seinem Stuhle festhielt, und nicht müde werden lieÃ, das war des Justus Tagebuch. Was ihm geschehen war von frühester Jugend auf; wie er die Aeltern geliebt, wie er Gott und den Heiland in seiner treuen Führung erkannt, wie er Dorothe, das Weib seiner Jugend gefunden, und was er seitdem gelitten, aber ohne zu sagen durch wen; das stand Alles in dem Buch, so treu und fromm erzählt, ohne Hoffarth und Eitelkeit, daà dem Herrn Rath bei'm Lesen mehr wie einmal die Augen übergingen und er ausrief: »Ach Gott, warum hast du mir keinen solchen Sohn gegeben!« Denn sein Vaterherz war gedemüthigt; er hatte einen Sohn gehabt, und der war wie der verlorene Sohn im Evangelio weggegangen und noch nicht zurückgekehrt. Besonders aber zog eine Bemerkung im Tagebuch, fast am Ende desselben, seine Aufmerksamkeit auf sich. Die lautete also: Den 12. Octobris. »Gestern zu Abend ist ein Männlein zu mir hereingekommen, das sich für einen Advokatenschreiber ausgegeben, und hat ein Documentum bei sich gehabt, auf Pergament geschrieben und mit Siegeln von Wachs versehen, die daran gehangen, begehrend, ich solle ihm das Schreiben lesen, sintemal er des Lateins nicht sonderlich erfahren. Wie ich sein Begehren erfüllt, und ihm die Urkunden verdeutscht, da hat er eine Abschrift begehrt, die ich ebenfalls in seiner Gegenwart gefertigt, und von ihm ein Ansehnliches pro labore empfangen. Darauf ist er weggegangen, aber am andern Abend um dieselbe Stunde wiedergekommen; hat gar freundlich gethan bei'm Eintreten, und mich gefragt, ob ich ein schön Stück Geld verdienen wolle? Wie ich gesagt, daà ich ein ehrlich verdientes Geld nicht von mir weise, so hat er sich an meine Seite gesetzt, das Documentum vor mir ausgebreitet und gesagt: »Schreibt mir hier auf die Stelle, die ich bereits gesäubert und geglättet habe, dieà Wort hinein, das hier auf dem Zettel steht.« Wie ich aber auf den Zettel sehe, und das Wort in den Zusammenhang hineinpasse, da ist ein ganz anderer Sinn herausgekommen, und wollte mich also dieser Verführer verleiten, daà ich sollt' zu einer gräulichen Fälschung meine Hand hergeben. Da habe ich mit dem Herrn ausgerufen: »Hebe dich weg, Satan, weiÃt du nicht, daà geschrieben stehet: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht versuchen« (Luc. 4, 12). Und zu dem Versucher sagt' ich: »Geht hinaus von mir, Mann, ehe ich euren Namen weiÃ, sonst möchte ich leicht an euch thun, was ich schier nicht lassen kann.« Da wich das Männlein von mir, eiferte und drohete aber gewaltig, wie der Satan allezeit thuet, wenn man ihm Gottes Wort unter Augen hält« (Jakobus 4, 7). »Das ist also das Ende vom Lied«, rief in hoher Entrüstung der Herr Rath aus; »ein Schuldiger giebt einen Unschuldigen an, um sich zu reinigen. Doch warte Fuchs, du hast dich selbst gefangen; einem Andern hast du eine Grube gegraben und bist selbst hineingefallen. Und dieser Andere, welch' ein treues Herz, und das Herz hat leiden müssen, um eines Lotterbuben willen! Auf denn, und wieder gut gemacht, was geschehen ist, so lange es heute heiÃt!« Das sagend eilte der Herr Rath sogleich auf die Hauptwache. Es war Abend und war schon zehn Uhr vorüber. Die Wache rief ihn mit vorgehaltenem Gewehre an, und erst als er sich hatte zu erkennen gegeben, ward er eingelassen. Herzklopfend öffnete ihm der Corporal Scheuermann die Stube des Gefangenen; aber wie staunte er, als der Herr Rath auf den Justus zuging, ihm, der sich verwirrt und geblendet von dem plötzlichen Lichtstrahl von seinem harten Lager aufrichtete, freundlich die Hand reichte, und in gar lieblichem Tone sprach: »Vergebt, Herr Justus, daà ich euch um des Amtes willen, das ich habe, wehe thun muÃte; es ist euch Unrecht geschehen. Ein böser Bube hat euch verderben wollen, um sich selbst zu retten. Gott hat eure Unschuld an den Tag gebracht, und ich bin selber hierhergekommen, um euch eure Entlassung zu verkünden. Geht denn heim, mein lieber Justus, und ruht euch wieder einmal auf eurem Bette aus, und wie ihr bisher gethan, so haltet fest an Gott, und wisset: »Selig sind, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden.« Und wie dann der Justus mit thränenden Augen dem Herrn Rath die Hand gedrückt und seinen Freund in der Noth brüderlich umarmt hatte, da ging er heim, ohne zu ahnen, wem er nächst Gott seine Erlösung zu verdanken habe. Denn wie eine Mutter ihr wiedergefundenes Kind, empfing ihn die alte Lindin, aber über ihre Zunge kam kein Wort von dem, was sie für ihn gethan. Das meint wohl der Apostel, wenn er sagt: »Die Liebe blähet sich nicht.« Am andern Morgen muÃte Justus noch einmal im Verhör erscheinen, und hier kam seine Unschuld völlig an den Tag. Der Verläumder gab nach manchen Wendungen und Winkelzügen der Wahrheit die Ehre, und ward mit der verdienten Strafe belegt. Nach dem Verhöre behielt der Herr Rath den Justus bei sich, und redete mit ihm von seinem Leben und seinen Aussichten. »Ich habe euch lieb gewonnen, Herr Justus«, sagte er zu ihm, »denn ihr habt das Joch eurer Jugend wie ein guter Streiter Christi getragen, und ich möchte gerne etwas für euch thun, damit euer späteres Leben ein froheres würde. Sagt mir darum, womit kann ich euch dienen?« »Es gab eine Zeit in meinem Leben«, antwortete Justus, »wo ich nicht anders meinte, als Gott habe mich berufen, von der Kanzel herab seinen Namen zu verkündigen. Da ich aber 40 Jahre alt geworden bin, ohne daà er mich in seinen Weinberg gerufen hat, so will er wohl haben, ich soll mich mit einem kleineren Aemtlein und knapperen Stück Brod begnügen. Und darum hab' ich denn bisher den Herrn angefleht, und wollt ihr an mir thun, wie der Herr Christus an dem Kranken am Teich Bethesda that und mir hineinhelfen, so thut es, Herr Rath, und seid versichert, ich will mit Gottes Hülfe meines Amtes warten und eurer Empfehlung Ehre machen.« Da wischte sich der Herr Rath die Augen und sagte: »Ich bin heute schon für euch ausgewesen bei meinen guten Freunden; aber man kennt euch in diesem Landestheile nicht, und trägt darum Bedenken, euch ein Pfarramt zu übergeben, auch soll just keins in der Nähe erledigt sein. Aber da ist eine Schulmeisterstelle auf dem Veitsberg, in schöner Gegend, aber mit schmalen Mitteln, wollt ihr die zum Anfang annehmen, so läÃt sich vielleicht später ein Weiteres für euch thun.« Als ein Geschenk von Gott mit dankbarem, stillem Herzen nahm Justus das Aemtchen an, und bald zog der Candidat Justus als Präceptor, Organist und Glöckner in das kleine Schulhaus auf dem Veitsberg ein. Und es währte nicht lange, so stand er mit seiner Dorothe am Altare der Pfarrkirche zu Veitsberg, und ward über Beide unter Gebet und Segen der Spruch der Schrift ausgesprochen: »Ich will ihnen einerlei Herz geben, daà sie mich fürchten sollen ihr Leben lang, auf daà es ihnen und ihren Kindern nach ihnen wohl gehe.« Und wie der Herr Pfarrer Amen gesagt, da hieà es noch einmal: »Amen!« »Amen!« Denn als Zeugen standen am Altar die alte Lindin vom Tiefenweg zu GieÃen und der Corporal Scheuermann. 8. Der Schulmeister. »Es ist ein groÃer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm begnügen«, sagt der Apostel, und der Herr, dem er es nachspricht, sagt, indem er uns zur Gottseligkeit und Begnügsamkeit ermuntern will: »Sehet die Vögel unter dem Himmel an, schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen.« Von den Vögeln und den Blumen und der ganzen Schöpfung um uns her sollen wir lernen. So hab' ich einst in heiÃer Sommerzeit nicht fern von einem Brunnen gestanden; und ein Vogel kam geflogen und suchte Wasser, seinen Durst zu löschen. Wohl stand vor dem Brunnen ein steinerner Trog, aber der war leer, und der Vogel dauerte mich, daà er ungetränkt sollte weiter fliegen. Indem, so läÃt er sich auf dem Rand des Troges nieder, bückt sein Köpfchen und hebt es wieder empor, und flattert singend weiter; sein Durst war gestillt. Ich trat zum Troge, und sah im Stein ein Löchlein, wie ein Fingerhut tief. Das wenige Wasser darin war für den Vogel eine Quelle der Erquickung geworden; er hatte für jetzt genug und begehrte weiter nichts. Das ist Genügsamkeit. Wieder stand ich an einer Blume, voll Pracht und Wohlgeruch, und ein Bienlein kam geflogen, summend und suchend, und erkor sich die Blume zur Weide. Aber die Blume hatte keinen Honig, das wuÃte ich; wie, dacht' ich, wird sie sich da benehmen? Summend kam sie zurück aus dem Kelch, um weiter zu fliegen. Da sah sie die Staubfäden der Blume, wie sie so voll Blumenmehl hingen, daraus das Wachs bereitet wird, und sie nahm die beiden Beinlein voll, bis sie zu gelben Höslein wurden, wie der Bienenvater sagt, und flog schwer beladen heim. Du hast Honig gesucht, dacht' ich, und ihn nicht gefunden, und dich mit dem Wachs begnügt, und es heimgebracht, daà deine Reise nicht zwecklos sei. Sei mir ein Bild der Genügsamkeit! Wer die Stimme Gottes aus der Natur vernimmt, der labt sich auch an solchen Bildern, die dem Aufmerksamen überall begegnen. Aber wie freut sich erst das Herz dessen, dem solche Bilder der Genügsamkeit im Menschenleben begegnen, oder wenn vielmehr ein einzelnes Menschenleben ein solches Bild christlicher Genügsamkeit ist. Und so war das Leben unseres Justus. Im Hause des Wohlstandes aufgewachsen, fand er sich ohne Murren in eine lange Wartezeit, in die ihn sein Gott, als in eine gute Schule der Uebung, hineinführte, und jetzt, wo die Zeit kam, die man gewöhnlich die Zeit der Ernte nennt, wo das langersehnte Amt sich aufthat, und nur ein Aemtlein war voll Sorge und mit geringem täglichem Brod, da konnte Keiner dankbarer und froher sein, als Justus. Die noch vorhandenen Blätter seines Tagebuchs zeigen uns das Bild dieses Ehrenmannes von allen Seiten und in allen Lagen. Sorge, Furcht, Hoffnung wechseln auch in seinem Herzen ab; aber vergeblich sucht man auch nur nach einer einzigen Klage über sein Loos, nach einem einzigen Wunsche, daà sein Loos ein anderes sein möge. Rührend ist es, mit welcher Innigkeit er von seinem Stande redet, wie hoch er sein Amt hält, und wie laut er Gott preist, daà er ihn habe berufen, sein Werk als christlicher Schulmeister zu treiben. O könnte ich euch, ihr Lehrer unserer Zeit, die ihr, wie Sirach sagt, an eurem Amte verzagt und es selber verunehret, weil ihr meinet, ihr wäret zu etwas Besserem bestimmt, könnte ich euch doch alle die Trost-, Saft- und Kraftsprüchlein zu Herzen führen, mit denen der Schulmeister vom Veitsberg sich sein Amt leicht und sein Leben schön machte! Doch warum sollte uns diese heitere Genügsamkeit an Justus überraschen? Ein Mensch, dem sein Glaube Alles ist, der aus ihm allen Trost schöpft, und nie müde wird in seinem Glauben, dem muà Alles zum Besten dienen, der thut Alles, was er thut, dem Herrn und nicht sich selbst. Was ihm sein Amt war und was er seinem Amte sein wollte, das drückt am Besten ein Lied aus, das in seinem Tagebuche steht, mit der Aufschrift: »des Schulmeisters Morgensegen.« »O Hirte deiner Heerde, O mein Herr Jesus Christ, Der du durch viel Beschwerde Zum Himmel gangen bist; Der du zum Trost der Deinen Den Geist verheiÃen hast, Und Denen, die hier weinen, Nimmst ab des Tages last; O gib den Geist der Stärke, Den Geist der Zuversicht Auch mir zu deinem Werke, So oft er mir gebricht. Ist auch mein Amt so kleine, Mein Loos so niedrig hier, So ist es doch das Deine, Was du einst suchst bei mir. Ich soll die Heerde weiden, Wie du von mir gethan, An treuer Hand sie leiten, So gut ich Schwacher kann; Ich soll zu frischen Bronnen Geleiten deine Schaar, Daà sie als lauter Sonnen Sich einst dir stellen dar. O Herr, du starker Streiter, Steh' denn zur Seite mir, Führ' mich im Kampfe weiter, Der Sieg, er steht bei dir!« * * * * * Die Bestallung des Justus lautete dahin, »daà dem ehrsamen und wohlgelahrten Candidaten Jakob Konrad Justus das Amt eines Schulmeisters, Organisten und Glöckners zum Veitsberg übergeben werde, daà man sich aber zu demselben versehe, er werde seines Amtes getreulich warten.« Dieses Rathes hätte es bei Justus nicht bedurft; denn bei ihm galt: »Alles was ihr thut, das thut dem Herrn und nicht den Menschen.« In jedem Theil seines Amtes war er drum ein treuer Knecht, und wie er der Schule fleiÃig wartete, so that er den Kirchendienst, der häufig an ihn kam, zur groÃen Erbauung der Gemeine, und in allen Dörfern der Gegend ward die Uhr gerichtet nach der vom Veitsberg, denn es hieà überall: »Der Kalendermann kennt die Zeit am Besten.« Ist es heut zu Tage immer noch kein Kleines um einen guten und treuen Schulmeister, weil kein Amt mehr Sorgen und Grämen hat, denn seines, so war das zu des Justus Zeit, vor hundert Jahren, noch viel mehr der Fall. In Sommerszeit war wegen des Weidgangs fast kein Kind zur Schule zu bringen, und wenn im Winter der Schnee die Wege ungangbar gemacht hatte, so blieben die Schüler von den Ortschaften rings umher auch aus, und Dräuen und Strafen half auch nicht viel, weil man den Schlendrian gewohnt war, und Niemand da war, der dem Schulmeister half. Doch wuÃte sich Justus selber zu helfen, er half sich nach dem Sprüchlein, das er sich selber gemacht: »Wer Kinder will zur Schule bringen, Darf mit dem Stock nicht viel umspringen; Die Furcht macht Schul' und Köpfe leer, Die Liebe lockt und bauet sehr.« Und diese Liebe lockte und bauete auch in der Schule zum Veitsberg. Was auch der Schulmeister mit den Kindern tractirte, er brachte allezeit ein freundlich Gesicht dazu mit, und wuÃte neben dem Worte Gottes, das er fleiÃig trieb, auch manche andere Wissenschaft den Schülern angenehm zu machen. Lieder, die er selbst gedichtet, oder aus guten Gesangbüchern gewählt, und wozu er selbst die Weisen gemacht, sang er mit den Kindern und spielte die Harfe dazu, also daà Jung und Alt sich daran erbaute; denn, pflegte er zu sagen: »Wer singen kann ein frommes Lied, Der hat den Herrn noch im Gemüth. Und frommes Lied aus frommer Brust Treibt aus die Sünd', gibt Himmelslust.« Zur Frühlingszeit, wo die Felder noch leer waren, nahm er die Knaben mit hinaus in's Feld, und zeigte ihnen, wie sie die gelernte Rechenkunst zum Feldmessen brauchen könnten, wie er denn selber zum Gebrauch seiner Schüler eine Anweisung zum Feldmessen, und für schon Geübtere im Jahr 1741 ein Büchlein verfaÃte, das den Titel führt: »Geodaesia, oder FeldmeÃkunst, nämlich wie aller Felder GröÃe zu messen und zu rechnen, sammt einem Anhang, wie alle Höhen, Weiten und Tiefen zu finden seien, auch mit einer Zugabe, wie das Verhältnià der Planeten gegen unsere Erdkugel gefunden werden könne;« Alles durch die reinsten Zeichnungen erläutert, und durch Exempel aller Art erklärt. Eigenthümlich bleibt freilich die Lehrweise, die in seiner Schule herrschte; sie trägt ganz das Gepräge seiner Zeit, einer Zeit, wo man meinte, dem Gedächtnià der Kinder dadurch zu Hülfe kommen zu können, wenn man die Lehrgegenstände in Verse kleide. So haben wir von Justus noch ein »Rechenbuch, darinnen die ganze allgemeine Rechnungsart mit allen ihren Regeln deutlich vorgetragen, und mit Exempeln erklärt ist, vom Jahr 1739.« In diesem Rechenbuche, das wie alle Schriften des Kalendermanns äuÃerst sorgfältig und sauber gearbeitet und mit schönen Handzeichnungen verziert ist, wird auÃer einer Menge gewöhnlicher Exempel immer eins in Versen gegeben und ein Bildchen dazu. Davon ein Beispiel aus der Regel de Tri mit Brüchen: »Es thut ein Schiffmann fahren fort Mit seinem Schiff an andre Ort' Bei gutem Winde sag' ich rund Gar recht in einer Viertelstund' Fünfsechstheil Meil', wie mir bericht, Der Schiffer, der da lüget nicht. Nun möcht' ich wissen, wie viel dann Der Schiffmann Meilen fahren kann, Wenn er dreiviertel Stunden führ', Und guter Wind das Schiff berühr'.« Noch ein Anderes machte den Justus zu einem besonders guten Schulmeister und gewann ihm die Herzen der Jugend, das war seine groÃe Liebe für die Natur. Nie ist er inniger und beredter, als wenn es gilt, von der Macht Gottes in seinen Werken zu reden, oder die Liebe Gottes in den tausendfachen Wundern der Schöpfung zu preisen. Wie man den lieben Gott und die Weisheit seiner Wege in allen seinen Geschöpfen finden könne, das zeigte er beständig seinen Schülern. Und wie man ihn zur Sommerszeit niemals ohne eine Blume in der Hand sah, so trieb sein frommes Herz manche schöne Blüthe der Dichtkunst und der Begeisterung für die Werke Gottes. LaÃ' es dich nicht verdrieÃen, lieber Leser, wenn ich dir jetzt und auch noch später des Justus eigne Gedanken mittheile. So mögen denn hier zwei Lieder von ihm stehen. Das Vöglein auf dem grünen Ast. Sing-Vöglein auf dem grünen Ast, Wie herzig ist dein Sang! Gönnst dir nicht Ruh', gönnst dir nicht Rast, O sag', wem gilt dein Klang? Kommt aus der Nacht hervor der Tag, Ist schon dein Tisch bestellt, Und deiner Kehle lauter Schlag Singt Dank dem Herrn der Welt. Das Brünnlein, das aus Bergen quillt, Das gibt dir deinen Trank, Und hast du deinen Durst gestillt, VergiÃt du nie den Dank. Du singst und trillerst wohlgemuth, Für morgen nicht verzagt, Als wüÃtest du, ein Vater gut Hält über Alles Wacht. Wie friedlich ist die Ruhe dein, Du weiÃt nichts von Gefahr, Den Kopf wohl unter'm Flügelein Bist du der Sorge bar. O wüÃt' ich doch, wie du es weiÃt, Daà über aller Welt, Mein Gott, der ewig Vater heiÃt, Gar treulich Wache hält; Daà er mir gibt mein täglich Brod, Mir reichet, was mir nützt, Daà er mir hilft aus aller Noth, In Trübsal mich beschützt. O Vöglein auf dem grünen Ast, Gib mir die weise Lehr', Lehr' singen mich ohn' Ruh' und Rast, Das Lied zu Gottes Ehr'!« * * * * * Das Bienlein auf der Weide. O Bienlein, nimm mich mit in's Feld! Wie schön ist meines Gottes Welt. Nun um mich her geworden! Es grünt der Wald, der Anger lacht, Der Baum steht weià in seiner Pracht, Und Blumen aller Orten. O Bienlein, laÃ' mich mit dir zieh'n, In's Thal hinab, hinab in's Grün, Und zeig' mir deine Weise! Von Blum' zu Blume eilest du, Und gönnst dir nimmer Rast noch Ruh' Und singst dein Lied so leise. Du fliegest lustig ein und aus; Viel süÃer Kost trägst du nach Haus, Und willst nicht müde werden; Der Frühling geht, der Sommer auch, Du läÃt nicht von dem alten Brauch, Bis Winter wird auf Erden. O Bienlein ohne Rast und Ruh', Dir seh' ich mit Vergnügen zu, Du lehrst mich wohl ermessen: Ich soll als Christ hier meine Zeit Treu nützen für die Ewigkeit, Des Heimgangs nie vergessen. 9. Der Kalendermann. Du hast es bisher fast rathen müssen, mein lieber Leser, daà der Konrad Justus, dessen Leben ich dir erzählen will, eine Person sei mit dem Kalendermann, den unser Büchlein als Titel führt. Aber ich konnte dem Justus keinen andern Namen geben, einmal weil er unter diesem zu seiner Zeit sehr bekannt war, und dann, weil er auch heute noch in seiner Heimath von Vielen also genannt wird, die ihren Kindern von dem Kalendermann erzählen. Es ist ein Eignes um die Namen, die das Volk gibt; man kann Beides daraus erkennen, sein Lob und seinen Tadel. Dem Justus aber sollte sein Name ein Lob sein, denn er ward zu seiner Zeit von Vielen für einen Wundermann gehalten, weil er, was Wenige wuÃten, den Kalender aus dem Fundament verstand. Und die Kalenderwissenschaft war des Justus Steckenpferd, nur mit dem Unterschied, daà er es nicht ritt wie die Kinder am Geist, die mit ihren Steckenpferden ihr eigen Seelenheil und ihrer Brüder Glück niederreiten, sondern den Kalendermann machte sein Zeitvertreib zu einem Gottesmann und Menschenfreund wie Wenige. Von dem Tage an, wo der Köhler im Wald bei Blankenau ihn gelehrt hatte, die Schrift verstehen, die der liebe Gott mit seinen Sternen an's Himmelsgewölbe geschrieben hat, da lernte Justus diese Schrift immer deutlicher lesen; und was er fand in diesem heiligen Buche des Sternenhimmels, das hat er selbst zu seiner Seelen Seligkeit benutzt und zur Kräftigung des Glaubens Anderer. In vielen Häusern nah' und fern sind noch ganze Schriften oder einzelne Stücke derselben zerstreut und werden um des frommen Sinnes willen, der in ihnen herrscht, gar hoch gehalten. Man weià nicht, wenn man diese Büchlein liest, was man mehr bewundern soll, ob den FleiÃ, mit dem er sie gearbeitet, oder die ungewöhnlichen Kenntnisse, die er in der Sternwissenschaft sich erworben, oder mehr als dies Alles, das treue Christenherz, das auf jeder Zeile bekennet: »Gebt unserm Gott allein die Ehre!« Werde denn nicht müde, lieber Leser, wenn ich dir mit den eignen Worten des Kalendermanns sage, was er vom Sternenhimmel dachte und warum er die Wissenschaft davon so hoch hielt. Auch wir sollen ja verstehen lernen, »daà die Himmel erzählen die Ehre Gottes.« Auszug aus dem Tagebuch und den Schriften des Kalendermanns. »Es hat mich mein Gott je und je geliebet, hat mich wunderbarlich geleitet von meiner Jugend an bis auf diesen Tag. Wo er mir nach seiner Weisheit mit der einen Hand nahm, da hat er mir nach seiner Güte mit der andern reichlich gegeben. Ein klein Amt und Brod hat er mir gegeben, aber so reich hat er mich gemacht an Freud' und Seligkeit des inwendigen Menschen, daà ich nicht tauschen mag mit denen, die satt haben, und doch das Himmelsbrod entbehren. Denn wie der liebe Gott dem Bienlein ein sein Zünglein gegeben hat, den Honig zu kosten, und die Blumen ihm aufgestellt rings umher, voll Pracht und Wohlgeruch; so hat auch mir mein Gott erst eine rechte reiche. Liebe gegeben zu seinem Weltgebäude, sonderlich zu seinem Firmament, und mich denn auf meinen Veitsberg gestellt, und das Firmament über mir ausgebreitet wie einen lustigen Garten, daà ich dann auch wie das Bienlein von Blume zu Blume fliegen und Nahrung suchen kann für meine Seele.« [1] »Anaxagoras, ein berühmter Philosophus, ward gefragt, warum er in die Welt geboren wäre? Und er gab zur Antwort: »Darum, daà ich den Himmel, die Sonne, den Mond und andere Wundermale betrachten möchte.« Darüber ward er von dem Lactantius mit Lachen sehr verhöhnet; gereicht aber diese Verspottung nicht dem Anaxagoras, sondern dem Lactantius zur Schande. Denn da Sonne, Mond und Sterne, ja das ganze Weltgebäude ein groÃes Wundergebäude ist, so muà der Baumeister, der solches gemacht, gewià noch viel herrlicher, wunderbarer und gröÃer sein. Sirach wuÃte sich dieà besser als Lactantius zu Nutz zu machen; er sagt: »»Wer kann sich seiner Herrlichkeit satt sehen?«« (Sirach 43,1.) Anaxagoras, ob er schon ein Heide war, beschämt hierdurch viele Christen, die Gott aus seiner Welt kennen wollen, und mögen doch sein Wundergebäu des schönen Himmels nicht anschauen.« * * * * * »Wer das Werk eines Künstlers nicht achtet, der achtet auch nicht den Künstler, der es gemacht hat. Heutiges Tages fragt man nicht viel nach dem Sternenhimmel und der obern Welt, sondern man fragt vielmehr nach Geld und guten BiÃlein in der unteren Welt. Daher werden auch die, welche die Himmelskörper betrachten, immerfort von den Weltgesinnten verspottet, wie Anaxagoras. Solche Spötter leben in der Zeit und wissen nicht, was die Zeit ist; weil sie an der Erde kleben, und nach dem Himmel kein Verlangen haben, so neiden sie die, welche den Himmel betrachten. Sie sitzen in der Tiefe und haben sich in das Untere verliebt; da werden sie auch endlich immer bleiben, und nicht zum Glanz der Sterne gelangen. Es ist eine besondere Sache, sich in das so sehr verlieben, und an dem so hart hangen, dabei man doch nicht bleiben kann. Edle Geister lieben den Himmel und nicht die Erde. Zwar dieweil man in der Welt ist, muà man sich derselben annehmen und sorgen, aber doch nicht ganz an derselben kleben bleiben, sondern es muà sein wie Paulus sagt: »»Die sich freuen als freuten sie sich nicht, und die dieser Welt brauchen, daà sie derselben nicht miÃbrauchen. Warum denn? Darum, das Wesen dieser Welt vergeht.«« (1 Corinther 7, 30 u. 31.) »Solche Weltmenschen sagen wohl zum Schein: Die Berufsarbeit wird durch die Sternguckerei versäumt. Aber hier frage ich: ob dem Menschen bei seiner Berufsarbeit nicht eine Stunde erlaubt sei? Wenn nun ein Liebhaber der edlen Astronomie in solcher Ruhestunde die Himmelskörper als Geschöpfe des groÃen und wunderbaren Baumeisters in stiller Ehrfurcht desselben betrachtet, und ihre Bewegung berechnet; ein Weltmensch aber gehet zum Schmausen, sitzet im Rath der Gottlosen, wo die Spötter sitzen (Psalm 1), beneficiret seinen Leib und haschet einstweilen dem Nächsten seine Unterhaltungsgüter; so frage ich, welcher unter diesen Beiden hat seine Nebenstunden am besten angewendet? Mein lieber Leser, ich überlasse dir hierüber das Urtheil.« * * * * * »Der Stern- und Himmelsbetrachter ist vergnügt bei und mit dem, was ihm Gott gegeben, und sagt mit Paulo: »Wir wissen aber, so unser irdisch Haus dieser Hütten zerbrochen wird, daà wir einen Bau haben von Gott erbaut, ein Haus nicht mit Händen gemacht, das ewig ist im Himmel.« (2 Corinther 5, 1.) Und mit David: Ich werde sehen die Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast.« (Psalm 8, 4.) * * * * * »Das ist die Freude und das Vergnügen eines christlichen Stern- und Himmelsbetrachters, daà er, wenn er die irdische Hütte ablegt, in solchem Glanz wie die Sterne und Sonne vor seinem Schöpfer prangt, davon auch Daniel also sagt: Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz.« (Daniel 12, 3.) * * * * * »Unter allen Wissenschaften ist keine unschuldiger, als die Sternwissenschaft; denn mit deren Umgang und Ausübung wird weder Gott noch der Nächste beleidigt, welche mich auch so ergötzet, daà ich alle meine Nebenstunden dieser anmuthvollen, unschuldigen Wissenschaft in der stillen Einsamkeit gewidmet habe.« * * * * * [2] »Wenn ich den wunderbaren und hohen Himmel mit seinem hellleuchtenden Sternenheere anschaue und betrachte, so ist dieses meine höchste Freude, daà ich endlich auch einmal, wenn ich aus dem irdischen Haus meiner Hütte ausgehe, und in das neue Jerusalem, allwo mein himmlisches Bürgerrecht ist, welches mir mein Heiland durch sein Kreuz und Tod erworben, eingehe, noch viel heller als alle Sterne glänzen werde, und daà ich daselbst mit meinen geistlichen Augen in der frohen Ewigkeit auch also meinen Heiland in voller Freude und Wonne anschaue, so wie ich jetzt und hier mit meinen leiblichen Augen das helle Sternenheer des Himmels sehe und anschaue; und daà ich vor seinem göttlichen Thron ihm in der allerhöchsten Freude dienen, auch ihm zu Lob mit allen Heiligen und Auserwählten ein: Heilig! Heilig! Heilig ist Gott der Herr Zebaoth! über das andere anstimmen werde. Ja! Ja! Eja! Ach wäre ich nur schon da!« »Ach wär, o Jesu, ich doch schon zu dir gerücket, Daà meine Seele sich an deiner Huld erquicket! Da wollt ich herzen dich, da wollt mit vielen Küssen Dich, o mein Jesu, ich in meine Arme schlieÃen!« Hier stehe auch ein Lied des Kalendermanns, in welchem sich dieselbe Innigkeit des Glaubens an seinem Gott, den Herrn des Weltalls, ausdrückt. »Wie ist das Werk so wohl bedacht, Das, Vater, du hervorgebracht, Daà ich mit Fleià es schaue, Mein Herz daran erbaue. Es sagt's ein Tag dem andern nach, Es ruft's die Nacht dem Tage nach, Es rühmen alle Werke, Herr, deine Huld und Stärke! Wie glänzt die Sonn', wie lacht die Au! Wie prangt die Blume schön im Thau! Wie glänzt des Vogels bunt Gefieder! Zu deinem Preise singt er Lieder! Es sinkt die Sonn', aus ihrem Thor Gehn tausend Sternlein jetzt hervor; Sie wandeln ihre Bahnen stille, Ihr Gang und Glanz es ist dein Wille. O auf, mein Aug', zum Himmel auf! Sieh der Gestirne hellen Lauf, Ein Gott hält sie in Händen, Daà sie den Lauf vollenden. Kannst du sie zählen? löschen aus, Wie's Abendlicht im eignen Haus? â Nur Einer zählt sie, läÃt erbleichen Vor'm Sonnenglanz die Feuerzeichen. D'rum Menschenherz, von Sorgen schwer, Schau doch hinauf zum Sternenheer! Wo Gottes Augen auf dich blicken, Soll nimmer dich der Kummer drücken. O Sternlein mit dem trauten Licht, Von euch die frohe Botschaft spricht: Im Vaterland, bei euch dort oben Ist ewig Heil uns aufgehoben! O Heiland, Morgenstern der Nacht! Dein harr' ich, bis mein Tag erwacht, Bis du mich führst zu Gottes Throne, bis du mir reichst die Ehrenkrone!« * * * * * Wenn man eine Beschäftigung als recht nutzlos bezeichnen will, so nennt man sie eine brodlose Kunst, sagt auch wohl im Sprüchwort, man könne mit ihr keinen Hund hinter dem Ofen hervorlocken. Das muà auch dem Kalendermann oft gesagt worden sein, von Solchen, die von der Sternwissenschaft keinen Begriff hatten, und darum auch keinen Sinn für sie haben konnten. Denn er kommt in seinen Schriften allezeit darauf zurück, wie eine solche Meinung eine gar thörichte sei. »Denn was mich selig macht, sagt' er, und mir einen Vorschmack gibt künftiger Herrlichkeit, sollte das nicht auch Viele reizen zu gleicher Lust? So hab' ich denn allezeit, die Spötter nicht achtend, zu meines Gottes Himmel hinaufgeschaut und auch Andere gelehrt, hinaufzuschauen, sonderlich die Meinigen, auch dazu meine Nachbarn, Freunde und Schüler, und mit Gottes Gnade Manchen zu einem fleiÃigen Himmelsbeschauer und Gottesfreund gemacht. Denn die die Schrift, von Gott an sein Himmelszelt geschrieben, hatten lesen gelernt, die sind darnach um so eifriger geworden, die Gottesschrift im heiligen Bibelbuch zu erforschen, und darauf zu achten als auf ein Licht, das da scheinet im dunklen Ort, bis der Tag anbricht und der Morgenstern aufgeht in ihren Herzen.« * * * * * »Auch sind die Himmelsbetrachter und Kalendermacher, welche stets mit der Zeit umgehen, nicht zu verachten, denn das ganze bürgerliche Wesen hängt davon ab. Was Elend würde im gemeinen Leben entstehen, wenn man nichts wüÃte von Sonne und Mond und ihrem Lauf, wenn Jahr und Tag wechselte, und wüÃte Niemand wie und warum; lebte man denn nicht dahin, wie das unvernünftige Vieh? Die Kalender sind daher nützlich und nöthig im gemeinen Leben, denn sie sind solche Bücher, darinnen Alles, was nur am Himmel unter den Sternen vorgeht, ausgerechnet und zu finden ist, welches Alles keine geringe Arbeit ist, zumal was die Sonn- und Mondsfinsternisse betrifft.« * * * * * »Darum so soll der Kalender in jeglichem Haus der Hausfreund sein, also daà man gerne mit ihm redet, und zu ihm kommt, seinen Rath zu holen. Meine darum, es dürfe nichts darinnen vergessen werden, das dem Menschen Anleitung gebe, seinen Beruf und Erwählung feste zu machen. Zum Ersten, so sagt dir der Kalender: »Mensch, du bist nichtig, und die Zeit ist flüchtig, davon Salomo spricht: Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt und es ist Alles ganz eitel.« (Prediger 1. 2. 4.) Zum Zweiten, so sagt er dir: »Brauche deine Zeit weislich, denn sie ist Gottes Zeit, nicht deine. Ob du säest oder erndtest, ob du wachest oder schlafest, ob du arbeitest oder feierst, gedenk, was dein Herr sagt: »Eure Zeit ist allezeit, und schaffet, daà ihr selig werdet mit Furcht und Zittern.« »Siehst du den Zeichen an, denk', daà zum Ende gehet; Faà Jesum in der Zeit, dein' Sach' alsdann wohl stehet!« »So oft die Glocke schlägt, betrachte, ob du die vergangene Zeit wohl oder übel angelegt. Alsdann bessere dich von Stund' an in der gegenwärtigen Zeit, dieweil es noch heute heiÃt; denn du weiÃt nicht, wie lang die zukünftige Zeit noch bei dir währet, daà alsdann, wenn der Bräutigam kommt, du wachend erfunden wirst, und also mit ihm zur Hochzeit eingehest in den himmlischen Freudensaal, denn allda ist Freude und Wonne und liebliches Wesen und Leben immer und ewiglich.« »Zum Dritten, so soll der Kalender dir deines Gottes Wundergebäu begreiflich machen, so weit es ein Mensch begreifen kann. Er soll dir nennen die Sterne mit ihrem Namen, und wie sie mit einander wandeln, auch welche Bahnen der Herr sie führt. Auch wie daraus Tag und Nacht, Sommer und Winter, Saat und Erndte entsteht; was es auf sich hat mit der Zahl der Tage und Monate, mit den ordentlichen und Schaltjahren und wie die Finsternisse kommen und zu verstehen sein; denn das Alles muà ein Christenmensch wissen und verstehen.« »Zum Vierten, so will der Kalender wie das Frühlingsvöglein Spitzdieschaar ein Mahner sein, daà Dieà und Das zu Haus, im Garten und im Feld nicht vergessen werde; denn auch der sorglichste Landmann bisweilen einen Deuter haben muÃ, und ein guter Rath oft Geldes werth ist.« »Es werden auch viel Narrentheidinge mit der Kalenderwissenschaft getrieben, und etliche Kalenderschreiber thun, als könnten sie in die Tiefe des Reichthums Gottes hineinsehen, da er doch in einem Lichte wohnt, dahin Niemand kommen kann, und unser Wissen Stückwerk bleibet. Die aber thun, als könnten sie in Gottes Werk hineinsehen und weissagen und orakeln frisch weg, und wollen bös und gut Wetter voraussagen, ja sogar Krieg und Frieden, Gesundheit und Krankheit; ist aber Alles ganz eitel, und wird damit nur die arge Welt noch verstockter und gottvergeÃner gemacht.« »Wer nach den Bauernregeln, die auch mancher Kalendermann für ein Evangelium ausgibt, seine Wirthschaft einrichtet, der hat schon oft zu seinem Schaden müssen inne werden, daà der Herr im Regimente sitzt und den Rath der Menschen vereitelt.« »Gott der Herr kann allein das Erdreich frucht- und unfruchtbar machen. Jedoch ist ein frucht- oder unfruchtbar Jahr zu schlieÃen aus dem Leben und Wandel der Menschen. Denn der groÃe Gott sagt im 5 Buch Mose, im 28. Kapitel, daÃ, wer in allen seinen Geboten einhergehet, und solche hält und thut, den wolle Gott segnen in allem seinem Thun, wer aber ihm, dem groÃen Gott, nicht gehorchet, den wolle er nicht segnen, sondern das Verderben über ihn kommen lassen. Wenn man nun den Lauf und das Leben der Menschen untersuchet und betrachtet, so kann man diesem nach bald schlieÃen, was für ein Jahr zu gewarten.« »Was nun den Krieg betrifft, den Etliche voraussagen wollen, wie nämlich Krieg zu erwarten, wenn am neuen Jahrestage der Morgen roth erscheine oder wenn an Pauli Bekehrungstag der Wind stark weht, so ist nur das wahr, der Krieg ist eine Strafe Gottes, damit er die Bosheit der Menschen heimsuchet. Und es bleibt allein dabei: wie die Arbeit, so der Lohn; denn Gott ist nicht ein Gott, dem gottlos Wesen gefällt, wer böse ist, bleibet nicht vor ihm. Er dreuet täglich, will man sich nicht bekehren, so hat er sein Schwert gewetzet und seinen Bogen gespannt und zielet. Darum, wenn wir also leben, daà er ein Wohlgefallen an uns hat, so wendet er allen Krieg und Unruhe von uns ab.« »Ob ein gesundes, oder ein ungesundes Jahr zu erwarten sei, solches vorher zu sagen, läÃt sich nicht wohl thun. Doch aber, wenn man den Ursprung der Schwachheiten und Krankheiten eigentlich untersuchet, so kann man endlich leicht schlieÃen, daà in einem jeden Jahre Schwachheiten und Krankheiten sich einfinden. Denn der eigentliche Ursprung der Krankheit ist Sünde. Da nun kein Jahr, kein Tag, keine Stund', keine Minute vorübergeht, daà die Menschen nicht sündigen, so können auch allezeit Krankheiten und Gebrechen sich ereignen. Denn Paulus sagt Römer 6: »Der Tod ist der Sünden Sold.« Nach diesen Grundsätzen verfuhr der Kalendermann vom Veitsberg in seinen Kalendern; muà nicht der Nutzen, den er seiner Umgebung brachte, gar groà gewesen sein? Er hat ihrer in seinem Leben viele verfaÃt, auf jedes Jahr einen für den Hausgebrauch, und wenigstens ein Dutzend gröÃere Kalenderwerke, für geübtere Liebhaber der Sternkunde und der Kalenderwissenschaft, die mit groÃer Gründlichkeit, vielem FleiÃe und tiefer Gelehrsamkeit geschrieben sind. Ob eines dieser Werke zu seiner Zeit gedruckt worden sei, habe ich nicht erfragen können; ich zweifle auch daran, denn der Kalendermann war zu bescheiden, um nach Ruhm von drauÃen her zu trachten. Die Werklein sind aber so schön und mit Handzeichnungen so sauber gezieret, daà man sie noch jetzt mit Wohlgefallen betrachtet, und den Mann bewundert, der sie allein zu Gottes Ehre, und sich selber zu Nutzen und Ergötzen schrieb. Daher sein inniger Dank gegen Gott am Schlusse eines jeden Werkleins. Sein immerwährender Kalender schlieÃt mit den Worten: »Nun sag' ich zum BeschluÃ: Mein Jesu habe Dank Für seiner Weisheit Gaben, Die mir zu diesem Werk Sehr wohl gedienet haben; Ich will dich loben hier Ja noch in dieser Zeit, Und endlich auch bei Dir In froher Ewigkeit. Da will ich schauen Dich In solchem Glanz und Wonne, Sowie ich habe hier Geschaut' die Stern' und Sonne.« Am Schlusse des ersten Theils der Kalenderlust stehen die Worte: »Nun hab' den ersten Theil von der Kalenderlust Historice vollbracht, soviel davon gewuÃt. Jehova, Dir sei Dank, der Du mich stark gemacht, Daà ich hab' diesen Theil soweit zu Stand' gebracht! Wenn mir der treue Gott wird geben Glück und Heil, So soll auch folgen noch hierzu der zweite Theil. Der wird von solcher Lust die Praxis legen dar, Wie man Kalender macht auf ein begehrtes Jahr.« Und der Schluà des ganzen Werkes heiÃt: »Da nun der zweite Theil von dieser Lust geendet, So ist das ganze Werk durch Gottes Gnad' vollendet. Ich leg' die Feder hin, erhebe mein Gemüthe Mit innigster Begier, und preise Gottes Güte. Dem, der das groÃe Rund so prächtig dargestellt, Und der der Zeiten Lauf eintheilt, wie's ihm gefällt; Dem, der da ist der Herr des Himmels und der Erden, Ja, der da ist und war und nie kann anders werden; Demselben sag' ich Dank für seines Geistes Stärke, Die mich hat ausgerüst zu machen dieses Werke; O groÃe Majestät; o Vater, Sohn und Geist, O tiefer Weisheit Brunn', hör', wie mein Lied dich preist!« FuÃnoten: [1] Aus der ungedruckten Schrift: »Historische und praktische Kalenderlust. Erster Theil, darinnen eine kurze Beschreibung von dem Anfang und Ursprung des römischen, nunmehr Christen-, wie auch Juden- und Türkenkalenders enthalten, zusammengetragen von eJnem Calender-LJebhaber. â Anno 1764.« Unter einem schönen Titelkupfer von des Kalendermanns eigner Hand, auf welchem man den Veitsberg und seine Umgebung sieht, steht das Sprüchlein: »Es gibt viel Lust, vergnügt auch sehr, Wenn man betracht' das Sternenheer.« [2] Aus dem ungedruckten Schriften des Kalendermanns: »Tägliches Handbüchlein, darinnen ein Gebetbüchlein, ein immerwährender Kalender, die FeldmeÃkunst, und dann wie man des Nachts bei hellem Himmel am Nordpol oder kleinen Bären die wahre Stunde der Nacht finden kann, welches sowohl zu Haus als auch auf der Reis' dienlich und nützlich zu gebrauchen ist. Gemacht und verfertigt von Jakob Konrad Justus, Schulmeister zum Veitsberg. Anno 1741.« 10. Die Hausfreunde. Daà ein solcher Mann wie unser Justus, in der Gegend, wo er lebte, Aufsehen erregen muÃte, das möchten wir wohl nach dem bisher Gehörten, voraussetzen, und doch war dem nicht so. Justus war nicht der Mann, viel Wesens aus sich selber zu machen; er trieb sein Tagewerk so für sich hin, und man beachtete ihn nicht sonderlich. Also geschah es von Denen, die sich vornehm in der Welt dünken; aber ein Anderes war es mit den Stillen im Lande. Wer unser deutsches Volk kennt, der weià auch, daà in ihm Herzen schlagen, empfänglich für alles Schöne, Gute und Göttliche, daà in seinen Dörfern und kleinen Städten ein Völklein wohnt, die man nicht anders benennen darf, denn mit dem biblischen Namen »Stille im Lande.« Stille sind sie, denn sie treiben ihren Lebensberuf in der Stille hin; stille sind sie, denn im Getümmel der Märkte und der Schenken seht ihr sie nie; stille sind sie, denn ihre Seele ruht in irgend einem ernsten Gedanken aus. Sie sind die Grübler im Volke, die gleich weit entfernt von MüÃiggang wie von Weltgeschäftigkeit, irgend einem Ziel ihr ganzes Herz geweiht haben, und dieses Ziel im Auge, gar Wunderbares schaffen. Ich habe solche gekannt, die nach dem Stein der Weisen suchten und die Goldmacherei trieben, zu deren Lob will ich nicht reden; denn sie jagten einem Schatten nach, und gaben den Herrn auf, um in Satans Dienst Schätze zu erbeuten und fielen über kurz oder lang in die Grube, die sie sich selber gegraben. Aber ich habe auch solche unter ihnen gekannt, die aus sich selber heraus eine wunderbare Geisteskraft entwickelten, und diese zur Erfindung kunstreicher Handarbeiten, oder zur Auflösung schwieriger Rechnungsaufgaben, oder zur Hervorbringung von allerlei schönen Gedanken und Liedern benutzten, die dem Hörer gar nicht selten wie Edelsteine vorkommen, die nur noch des Schleifers Hand bedürfen, um in allen Lichtern und Farben zu glänzen. Am meisten aber haben mich immer die Stillen im Lande angezogen, deren Herz dem geschliffenen Edelsteine gleicht, in dem jeder Strahl von Gottes Güte und Gnade wiederspiegelt. Die haben frühe den geheimniÃvollen Zug nach oben bekommen; und während nun Tausende um sie her leiden und im Leiden klagen und verzagen, leiden sie auch und sind doch allezeit froh. Sie kennen ihren Gott, wie sie sich von ihm gekannt wissen, und wie sie ihn in allen ihren Lebensführungen erkannt haben; sie lieben ihren Heiland mit einer tiefen Johannesliebe; sie sind eifrige und starke Beter, und wer ihre Erfahrungen in diesem Stücke hört, der staunt über die GröÃe ihres Glaubens. Habt ihr solche in eueren Gemeinden, ihr Lehrer des Volks, machet um Alles die Stillen nicht irre, lasset sie ihr Wesen treiben, auch wenn es euch manchmal sonderbar bedünket. Sie sind zarte Pflanzen, fasset sie nicht mit rauher Hand an. Habt ihr sie zu euren Freunden gemacht, und das hält nicht schwer, dann lieben sie euch fest und treu wie Brüder, und ihr habt ein gut Fundament euch erbauet, darauf ihr fortbauen könnet. Die Zeit, von der wir reden, war noch viel reicher an diesen Stillen, wie die unsrige. Das äuÃere Leben war noch enger und kleiner; so muÃte denn manch' kräftig Gemüth in die Tiefe wurzeln, weil man ihm nach auÃen den Weg versperrte. Solche Stille fanden an unserm Justus den rechten Mann. Auch ihn zog Gemüth und Beruf und ein tiefgründiger Glaube von der Welt ab; so waren denn auch solche ihm willkommen, die sich in der Stille mit ihm freuen konnten. Denket aber nicht, daà die Besuche, die dem Schulmeister vom Veitsberg galten, eine Art Kirchlein in der Kirche zum Zwecke hatten; des Justus Hausfreunde waren vielmehr derbe, deutsche Kernnaturen von altem Schrot und Korn, die in dem Einen, das Noth thut, festgewurzelt waren, und dessen niemals einen Hehl machten, von denen aber Jeder noch nach dem Sprichwort sein eigen Steckenpferd ritt, für das sie Futter bei dem Kalendermann suchten und fanden. Und wie Justus über seine Hausfreunde dachte, das drückt er selber in dem Sprüchlein aus: »Ist fromm dein Haus, so ziehen ein Viel' guter Freund', sich dein zu freu'n; Auf gutem Haus der Storch nur wohnt, Die Freundschaft nur den Treuen lohnt. Drum an dem Freund' halt' treu und feste, Er ist der Gottesgaben beste.« So füllte sich denn auch an einem schneehellen Februarabend des Jahres 1744 das Stübchen des Schulmeisters mit seinen Freunden an. Es war ein traulich liebes Stübchen das des Schulmeisters vom Veitsberg, und Alle, die einmal dort gewesen waren, versicherten, es sei ihnen am warmen Ofen noch niemals so wohl gewesen. Denn die Herzensgüte, die aus dem Auge des Justus leuchtete, that Allen wohl, und wenn er sprach, dann war seine Rede so eindringlich und überzeugend, daà Jeder von ihm nur belehrt sein wollte. Und Dorothe, wie freundlich empfing die die Gäste, wie sorgsam erkundigte sie sich nach dem Befinden der Ihren, und wie überlegsam wuÃte sie Jeden so zu setzen, wie es seinen Körperumständen am zuträglichsten war! So kam der alte Zacharias Storch von Bolnbach allezeit in den Sorgstuhl neben den Ofen, und nicht selten ward ihm auch ein gewärmter Backstein unter's linke Bein gelegt, das er steif aus dem Türkenkrieg mit heimgebracht hatte. Denn der alte Storch hatte unter Prinz Eugen gegen den Erbfeind gefochten, und wuÃte viel zu erzählen von den Schlachten bei Peterwardein und Belgrad, und von der Türken Blutgier und von dem Pascha, den er selber vom Pferd heruntergehauen und seinen Fingerring erbeutet, von Gold und grünem Stein, auf dem ein Spruch in arabischer Schrift gestanden, und der ihm leider von einem Kroaten war gestohlen worden; »denn dieà Gesindel«, so sagte er immer, »stiehlt wie die Elstern, und hat nicht soviel Gewissen, wie diese losen Vögel.« Das Bänkchen an der andern Seite aber gehörte dem Förster Simon Kleinfelder von Winnerod, auch der Kirschenförster genannt, weil der Kirschbaum sein Lieblingsgewächs war, das er anpflanzte, wo er konnte, und von dem er sprach, er mochte reden, mit wem er wollte. Der war unseres Justus Lehrer in der Baumzucht, und daà er an ihm einen gelehrigen Schüler hatte, davon zeugen noch heute die Kirschbäume um die Kirche her, die der Justus gepflanzt, und so manche gute Obstsorte, die um den Veitsberg her sich findet. Denn Justus sagte und lehrte auch seine Schüler das Verslein: »Ein jeder Baum in seiner Pracht, Der lobet den, der mit Bedacht Ihn einst gepflanzt und bezweigt, Und Sorg' und Wartung ihm gereicht. Die Blüthe, die auf's Grab einst fällt Vom Baume, den man selbst bestellt, Kein Marmor gibt ihm solche Zier; â Drum sei der Baum ein Denkmal mir.« Auch an diesem Abend unterhielt sich der Förster mit dem Justus über die Baumzucht, und sie theilten sich ihre Hoffnungen und Befürchtungen über das neue Jahr mit; unter den Befürchtungen war eine recht groÃe, wie wir bald hören werden. Sie wurden aber unterbrochen durch einen andern Hausfreund, den Schreinerkaspar, der einen Schemel unter die Wanduhr gestellt hatte, und sich am Werk zu schaffen machte. »Schulmeister«, sprach er von diesem hohen Standpunkt herab, »eure Uhr hat keinen gleichen Schlag mehr, auch ist der Guckuck, der die Stunde abruft, etwas rauhhälsig geworden, woraus man merket, sag' ich, daà das Werk in Unordnung ist. Gebt sie mir auf einige Tage mit heim, dann soll sie wieder gehen, daà es ein Staat ist.« »Kaspar«, sagte der Schulmeister, »die Uhr geht wirklich besser, als ihr glaubt, und was die Rauhhälsigkeit des Guckucks betrifft, so ist eben des Vogels Zeit nicht, wie ihr wiÃt, sich hören zu lassen; wartet nur bis zum April, dann ruft er heller.« â »Da haben wir's«, rief vom Schemel herab der Schreinerkaspar, der den Scherz des Schulmeisters ganz überhört hatte; »da ist ein Rädchen verbogen, gleich als hätte einer mit Unverstand am Werke gerissen. Das geht so nicht, die Uhr muà neu gerichtet werden; also herunter damit! Der Schreinerkaspar läÃt sich nicht nachsagen, daà eine Uhr schlecht gehe, die er selbst gemacht hat.« »Nun meinetwegen, nehmt sie mit heim, Kaspar«, sagte der Schulmeister lächelnd, »nur Eins bitte ich mir aus, laÃt mir den Vogel in der Uhr und setzt mir kein ander Gethier hinein; denn so kunstreich auch die Uhr sein mag, die ihr dem Müller von Queckborn gemacht habt, so will mich's doch bedünken, es nähme sich in der Stube eines Christenmenschen gar sonderbar aus, wenn nach jeder Stunde des Tages und der Nacht ein Geisbock aus dem Thürlein springt, und ein Männlein hinter ihm drein, das so lange auf das Thier schlägt, bis das die Stunde abgeblöckt hat.« »Schulmeister«, sagte lächelnd der Schreinerkaspar, »laÃt mir meinen SpaÃ; jedem Narren gefällt seine Kappe; und das müÃt ihr doch sagen, es hört Keiner den Geisbock die Stunde abrufen, er muà auch lachen, er mag wollen oder nicht; und ein Mensch, der lacht, sag' ich alls, ist immer um ein Lebensstündlein reicher geworden. Aber jetzt habe ich ein Werk in Arbeit, das, wenn's gelingt, euch erlustiren soll, sonderlich den Förster da. Da singt ein Vöglein die Stunden ab, nicht ein Guckuck, sondern ein Vöglein wie's auf dem Baume sitzt, nur fehlt mir noch etwas am Orgelwerk drinnen, und das soll mir der Herr Fleischhauer zu Grünberg helfen ausdenken.« »Schreiner«, sprach ernst der Schulmeister, »wollt ihr Rath annehmen, so sag' ich euch, geht nicht zu dem Fleischhauer. Treibt eure Kunst daheim, so gut ihr sie treiben könnt, Gott und Menschen zum Dienst; aber von dem Fleischhauer bleibt weg, in dessen Nähe ist's nicht geheuer. Der kommt mir vor, wie der leibhaftige Satan, und sein Häuschen an der Mauer, wie die Höhle des Löwen, wo viele Spuren hinein, wenige wieder herausgehen. Was der Mann treibt, das verstehe ich nicht, man sagt, er soll den Stein der Weisen suchen; das aber weià ich, daà ihrer Etliche, die mit ihm angebunden hatten, sind ärmer geworden, denn Hiob. Ein Spielzeug wird der liebe Gott jedem Christenmenschen gönnen, wenn aber in der Kurzweil das Heil der Seelen auf dem Spiel steht, dann gilt auch, was dort geschrieben steht: »Aergert dich dein rechtes Auge, so reià es aus und wirf es von dir.« »Ja, so mein' ich's auch«, sprach der Elias Büttner von Saasen, der seinen Sitz am Fenster genommen hatte und von Zeit zu Zeit in die Nacht hinaus sah, »so mein' ich's auch; was nicht Gott und Menschen zu Dienst und Wohlgefallen gethan wird, das acht' ich für eitel Narretheiding. Treib' ein Jeder nur hübsch seinen Beruf, dahin ihn sein Gott gesetzt hat, und sag' Keiner, sein Aemtlein sei ihm zu klein. Es sind mancherlei Gaben und Aemter, aber es ist Ein Geist. Und wenn einst Abend wird im Leben, und der Tag sich neiget, und der Herr kommt und macht ein Ende mit aller unserer Noth, dann wird er gewià zuerst fragen, ehe er uns dahin nimmt, wo Freude die Fülle ist und liebliches Wesen zu seiner Rechten ewiglich: Hast du mit deinen Centnern, die ich dir gab, noch andere gewonnen, oder dein Pfund in die Erde vergraben? Ueber Weniges treu sein, Alles, was Gott thut, für gute und vollkommene Gabe erkennen, an den Werken Gottes sein herzlich Wohlgefallen haben, bis wir ihn einst von Angesicht zu Angesicht erkennen, das sollt' aller Menschen Dichten und Trachten sein. Schulmeister, ihr habt den Kindern wieder ein neu Sprüchlein mit heimgegeben, das ist mir aus dem Herzen herausgesprochen. Ja, wahr bleibt's: »Die Welt liebt Geld, Und tracht' mit Macht, Wie sie allhie Viel rafft und schafft, Da doch hier noch Die Welt sammt Geld Zerrinnt geschwind.« »LaÃt euch nicht irre machen, Schulmeister, durch der Spötter Gerede, als würde in eurer Schule zu viel in Liedern und Sprüchlein gelehret. LaÃt euch, sag' ich, nicht irre machen; wäre zu meiner Zeit also in der Schule gelehrt worden, ich hätte wohl auch gelernt, meines Gottes Lob in ein Liedlein kleiden, wie ihr das könnt. Alles, was ihr wiÃt, das gönn' ich euch, aber um Eins beneide ich euch, daà ihr mit David sagen könnt: »Mein Herz dichtet ein feines Lied.« Ist das Gebet schon so süÃ, und süà ein Wort aus heiliger Schrift, so muà es noch viel süÃer sein, aus dem Herzen heraus die frommen Seufzer in schöne Reimlein fassen zu können. Wer das kann, der rühme sich getrost: »Mir ist ein schön Erbtheil geworden.« »Aber da ist er ja, den wir heute Abend hier erwartet haben, der Bote Gottes, sehet nur, wie hell sein Licht! âºJa Licht ist sein Kleidâ¹, âºund durch den Nebel bricht sein Lichtâ¹, âºund es ist süÃe das Lichtâ¹, âºund ich bin das Licht der Weltâ¹, wem fallen solche Worte der Schrift nicht mit einem Male ein, wenn er solch' Wunder beschaut.« Welch' ein Anblick, als die Hausfreunde an's Fenster eilten! Ueber einer herrlichen Winterlandschaft war der Mond aufgegangen. Die Dächer des Dörfleins im Thale glänzten im Silberlicht, und es war eine Helle in der Natur daà man die entferntesten Gegenstände wie am Tage erkannte; nur schauerlicher war das Licht, nur dunkler die einzelnen Schatten von Häusern und Bergen und den Wäldern, die auf den Höhen hinzogen. Solches Licht vermochte der Mond, der im ersten Viertel stand, nicht allein zu spenden, solches Licht kam von dem Kometen des Jahres 1744. Sein Kern hatte die GröÃe von mehreren Sternen zusammen, und erschien dem Auge von blauem Licht; und über den Stern hinauf ging ein Schweif in einer Länge von fünf FuÃ, und von einer Stärke und einem Feuerglanze, daà das Auge nicht lange darauf haften konnte. Im Januar war der Komet aufgegangen, erst ganz klein und kaum erkennbar; dann hatten ihn Wolken bedeckt, und als der Himmel wieder hell ward, und mit seinen Millionen Sternen sich schmückte, und der Mond aufging; da war es ordentlich, als wolle der Komet sie alle an Klarheit übertreffen; denn die Helle des Abends nahm ihm nichts von seinem wundervollen Glanze. »Das hätten wir ja nicht besser treffen können, ihr Nachbarn«, sprach der Büttner heiter lächelnd zu seinen Freunden. »Hatten wir uns doch heute hierher bestellt, von euch, Herr Justus, dieà Wunder Gottes uns verdolmetschen zu lassen; und nun thut uns die Lieb' an, und sagt uns, was ihr von den Kometen haltet und was die Sterngucker von ihnen sagen. WiÃt ihr, wie mir der Stern da oben vorkommt? Wie ein Text aus göttlicher Schrift, und nun werdet ihr sein Ausleger, wir wollen eure Hörer sein.« »Ja, der Stern ist ein Wunder Gottes«, sagte der Kalendermann, »aber ich meine, man muÃ, um sich's selber deutlich zu machen, erst einen Trunk thun aus dem Born, der in's ewige Leben quillet, erst gedenken an des Propheten Wort: »Hebet eure Augen in die Höhe und sehet, wer hat solche Dinge geschaffen und führet ihr Heer bei der Zahl heraus? der sie alle mit Namen rufet; sein Vermögen und starke Kraft ist so groÃ, daà es nicht an Einem fehlen kann!« »Manches Jahr habe ich nun schon meine Augen in die Höhe gehoben, und wohl erkannt, daà es der Herr ist, der Himmel und Erde füllet; wohl manches Jahr habe ich schon in den Schriften der Sternseher älterer und neuerer Zeit geblättert, aber wer kann die groÃen Thaten Gottes erforschen, wer kann sie ausreden! Mit meinem geringen Wissen will ich gern meinen Nachbarn zu Dienst sein; vergesset aber nicht, daà mein Wissen Stückwerk bleibet. Nun kommt hierher zum Fenster, von Gottes Wundern kann man nur recht reden, wenn man sie im Auge hat. Dorothe, meine Liebe, lösche einmal das Licht aus, und laà deinem Rädlein auf ein Stündchen Ruhe; hier unter'm Licht des höchsten Gottes ist alles irdische Licht FinsterniÃ.« »Was sind die Kometen? darüber wollen wir zuerst Rath halten. Wie die übrigen Sterne sind sie nicht, sonderlich nicht wie die Planeten. Die haben die Sonne zu ihrem Mittelpunkt, und gehen in engerem oder weiterem Kreise um sie herum; und wenn sie einmal ihren Umgang gehalten, dann ist ein Jahr um. Die kommen regelmäÃig um dieselbe Jahreszeit und um dieselbe Stunde der Nacht an ihre Stelle, die sie schon vor Jahrtausenden gehabt haben. Und noch weniger Verwandtschaft haben die Kometen mit den Fixsternen, davon also genannt, weil sie so weit von uns sind, daà sie _fest_ zu stehen scheinen auf _einem_ Flecke; und die Sternseher sagen, das seien auch Sonnen, wie die unsrige, und um sie her drehten sich wieder Planeten, so wie unsere Erde mit ihrem Mond um unsere Sonne. O wenn man das ausdenket, soweit menschliches Denken reicht, da möchte man mit David sagen: »Solches Erkenntnià ist mir zu wunderlich und zu hoch, ich kann es nicht begreifen!« »Von Planeten und Fixsternen sind also die Kometen sonderlich verschieden, einmal ihres Lichtschweifes wegen, den kein anderer Stern hat, und davon sie den Namen tragen, und dann ihres Laufes wegen, der unserm Verstand nach ohne Ordnung ist. Und weil sie so selten sind, auch oftmals eines Mannes Alter nicht hinreicht, einen Kometen sehen zu können, so haben dieselben nach ihrer Beschaffenheit und nach ihrer Bewegung bis dahin noch nicht völlig können erkundigt werden, obgleich Vieles von Alten und Neuen ist über sie aufgezeichnet worden.« »So sind Etliche unter den Heiden der Meinung gewesen, die Kometen seien eine Zusammenfügung zweier oder mehrerer Sterne, die ihr Licht miteinander vermischen. Andere meinten, es seien noch unzählig viele Sterne am Himmel, die andere Kreise und Umgänge hätten, denn die wir kennen, und welche, wenn sie an die äuÃerste Spitze ihres Kreises kommen, uns als Kometen erscheinen. Etliche haben sie auch für feurige Luftzeichen gehalten, die aus den warmen und trocknen Dünsten der Erde zusammenwüchsen und sich darnach entzündeten. In unseren Tagen haben zwei Meinungen über die Kometen den Vorrang erhalten. Die eine ist die, daà die Kometen dichte Körper seien, wie die andern Sterne, daà die Schweife aber von den Ausdämpfungen des Kopfes am Sterne rührten. Daà sie sich nur in gewissen Zeiten zeigten, komme daher, weil sie in länglichen Kreisen um die Sonne hergingen, und nur dann von uns gesehen werden könnten, wenn sie der Sonne sich näherten.« »Dieser Meinung bin ich nicht, möchte vielmehr Denen beistimmen, welche die Kometen für auÃerordentliche Himmelskörper halten, aus allerlei Dünsten locker zusammengedrückt, die, wenn sie entzündet sind und anfangen zu brennen, dann wegen ihrer starken Bewegung durch die Luft einen lohenden Schweif hinter sich drein ziehen. Denn wären die Kometen beständige Weltkörper, so müÃten sie, nachdem sie am gröÃten scheinen, nach und nach wieder kleiner werden. Dieses aber geschiehet nicht also, sondern nachdem sie sich entzündet haben und völlig in Brand gerathen sind, verlöschen sie auf einmal. Auch ist nach meinem Dafürhalten die Sonne nicht vermögend, ihre Strahlen durch einen beständigen und dichten Körper zu stoÃen, so daà dieselben auf den Gegenseiten als ein Schweif zu sehen sei. Bleibe dabei, es sind die Kometen Dunstkörper, von dem allmächtigen Gott an den Himmel gestellt, daà sie Jedermann sehen und von andern Gestirnen unterscheiden kann, auf daà die Menschen durch solche stumme LuftbuÃprediger bewogen würden, zurückzudenken, sich ihres Frevels und Muthwillens zu erinnern und dem erzürnten Gott mit wahrer Reu' und BuÃe entgegenkommen.[3]« »Die Herrn Astronomi, die solche Kometen für beständige Weltkörper ausgeben, thun nach meiner Meinung ein groÃes Unrecht, indem sie die ohnehin sichere Welt nur noch sicherer machen. Denn der allmächtige Schöpfer zeigt an den Kometen nicht nur seine hohe Weisheit, sondern auch seine groÃe Gerechtigkeit in deren Gestalt und Figur, denn die Kometen gleichsam die Hand des erzürnten Gottes mit einer darin haltenden Ruthe darstellen, dadurch uns Menschen anzudeuten, sein heiliges und gerechtes Vorhaben, daà er mit der gezückten Ruthe auf uns schlagen will, darum, weil wir ihn, den lebendigen Gott, verlassen. Auch berichten uns die Historiker, daà allezeit auf einen Kometen etwas Sonderliches in der Welt geschehen ist, Krieg, MiÃwachs, theure Zeit, Erdbeben, wie ich auch das eines Weiteren auseinandersetzen könnte. Und hat darum unser treufleiÃiger und für die Ehre Gottes eifriger Herr Pfarrer sehr weislich gethan, daà er am letzten Sonntag dem Volk die Bosheit und Gottlosigkeit scharf und nachdrücklich unter die Augen gestellt, indem er gleichsam mit Fingern die am Himmel gezückte Ruthe des erzürnten Gottes gezeigt hat. Und solche Predigt ist auch für uns gehalten worden, daà wir uns reizen lassen zur BuÃe und guten Werken.« »Bin bis dahin in Allem eurer Meinung, Herr Justus«, sprach bescheiden der Elias Büttner, »und habe des Herrn Pfarrers Predigt mit sonderlicher Erbauung gehört, wünsche auch aus Herzensgrund, es möge an der Predigt in Erfüllung gehen, was dort Jesaias sagt: »Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt, und nicht wieder dahin kommt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar, â also soll das Wort, das aus meinem Munde gehet, auch sein. Es soll nicht wieder zu mir leer kommen, sondern thun, was mir gefällt, und soll ihm gelingen, dazu ich es sende.« So schön dieà liebe Gotteswort nun ist, so wahr ist doch auch ein anderes, das im Jeremias, im zehenten Kapitel, im anderen Vers zu lesen ist, und heiÃt: »Und sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten.« Nach diesem Sprüchlein will mir denn ein Zweifel kommen, ob's auch recht gethan sei, einen solchen Stern mit der Inbrunst zu beschauen, wie wir thun, und ihn gerade Weges einen Boten Gottes zu nennen.« »An den Spruch, lieber Nachbar Büttner, habe ich auch schon gedacht«, antwortete der Schulmeister, aber ich habe mir ihn von allen Seiten wohl erwogen, und da heiÃt er mir nur soviel, als: »Ihr sollt euch nicht fürchten vor den Zeichen des Himmels, wie die Heiden sich fürchten.« Die wuÃten aber nichts vom wahren, lebendigen Gott und stellten ihr Vertrauen auf selbstgemachte Götter, waren auch so ersoffen in Aberglauben, daà sie, wenn ein ungewöhnlich Zeichen am Himmel erschien, sie sich vor dem Zeichen selbsten fürchteten, als wenn das die Macht hätte. Wir Christen aber glauben an den Allmächtigen, der die Zeichen am Himmel erschaffet; so fürchten wir denn nicht die Zeichen, sondern den Schöpfer, und betrachten sie als Vorausläufer, uns zu erinnern, daà er bereit sei, uns zu strafen, wenn wir nicht diesen groÃen König Himmels und der Erde kindlich fürchten, und mit Geschenken ihm entgegen gehen, ich meine, mit wahrer Reu' und BuÃe.« »So, ihr Nachbarn, will ich's mit dem Kometen da über uns halten, und will acht haben auf die Zeichen der Zeit und auf mein Herz, und auf das Wort dessen, der sagt: »Ich bin gekommen, die Sünder zur BuÃe zu rufen.« Und zum Gedächtnià an diesen Abend und an so manch' selig Stündlein, das mir der Komet des Jahres 1744 gebracht hat, will ich mir ein Bild machen vom Kometen, wie er heute steht, und wie er mit dem Mond zur Seite sein Licht herabwirft auf meinen Veitsberg und auf mein Kirchlein hier unten, und darunter will ich schreiben: Was zeigt der Vorbot' an, der sich dort präsentiret? Ja nichts, als Gott ist auf, zu strafen unsre Sünd'; Ach, wenn derselbe uns die Herzen doch so rühret, Daà wenn der Richter kommt, er Reu' und BuÃe find't.« FuÃnoten: [3] Will dir Manches, was hier über den Kometen des Jahres 1744 gesagt worden ist, sonderbar vorkommen, mein lieber Leser, und du wohl gar glauben, ich wolle dir die Meinung des guten Justus für etwas Gewisses ausgeben, so würdest du irren. Ich lieà den Kalendermann seine Ansicht von den Kometen vor seinen Hausfreunden entwickeln, weil ich eine treue Schilderung von ihm und seiner Zeit geben wollte. Und ist unser Justus nicht selbst in dem, was du vielleicht Aberglauben nennen möchtest, ein frommer Mann? Wer kann es ihm verargen, daà er nicht weiter war, als seine Zeit? â Jetzt weià man recht wohl, daà die Kometen keine Dunstmassen, sondern Weltkörper sind, wie die übrigen Sterne; aber ihre innere Beschaffenheit und die Ursache ihres Schweifes weià man auch heute noch nicht genau. Auch das weià man, daà die Kometen sich um die Sonne bewegen, aber nicht in kreisrunden, sondern in länglich-runden Bahnen, daà sie darum der Sonne manchmal sehr nahe kommen, und sich dann in unendlichen Weiten wieder von ihr entfernen. Ja sogar die Umlaufzeit einzelner Kometen hat man berechnet, aber von den meisten weià man sie nicht. â Wer aber will es Aberglauben nennen, wenn bei der Erscheinung eines Kometen der Christ gläubig hinauf zum Vater des Lichts, und prüfend hinein in sein Herz blickt? Etwas anderes will auch die Schrift nicht, wenn sie David sprechen läÃt: »Wenn ich sehe den Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du bereitet hast; was ist der Mensch, daà du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, daà du dich seiner annimmst?« â Möge nur recht bald Einer auftreten, der unserm deutschen Volk den Sternenhimmel bekannt mache, und in weiteren Kreisen für Gottes Erkenntnià in seinen Wundern des Himmels eben so treu wirke, wie Justus einst in seinem engen Kreise wirkte. Aber zweierlei muà er dazu mitbringen: das rechte Herz und das rechte Wort. Wer die Wunder in der Höhe verstehen und dolmetschen will, der muà erst die Wunder in der Tiefe des Menschenherzens verstanden haben. Uebrigens hat Justus seine ganze Ansicht von den Kometen in einem eignen Schriftchen niedergelegt, dem ich hier gefolgt bin, und das den Titel führt: »Einfältige Gedanken von den Kometen, veranlaÃt wegen des neulich erschienenen Kometen. Mit angehängtem Bericht, wann und in welcher Gegend des Himmels, und in was für einem Gestirn derselbe auf dem Veitsberg gesehen worden, nach welcher Himmelsgegend er sich bewegt, wann und wo er sich am Himmel wieder verloren. Auch zur Anzeige seines Laufs eine Figur verfertigt und beigefüget von EJnem, von welchem der Comet auch gesehen Jst worden.« 11. Der verlorene Sohn. Es war einige Wochen nach diesem Abendgespräch, und der März war gekommen, und hatte den Schnee geschmolzen und die Erde bereitet für den nahenden Frühling. Und seine Vorboten, die wir immer so freudig begrüÃen, kamen auch auf den Veitsberg. Auf dem Storchnest zu Saasen war unter dem Jubel der Kinder der Sommergast eingezogen; unter den Hecken am Berge blühten die ersten Blumen, und der Buchfink schlug auf den Kirschbäumen so laut und anhaltend, als daure ihm der Aufbruch der Knospen zu lange, als wolle er sie wachsingen. Wie der Tag sonnenhell gewesen war, von einem frischen Lüftchen, das mit dem Märzstaub spielte, gekühlt, so war auch der Abend, von dem wir reden, ein sternheller, stiller Märzabend. Das Abendbrod im Hause des Schulmeisters vom Veitsberg war schon seit länger als eine Stunde verzehrt, und er selber saà an seinem Tische im Lehnstuhl, und schrieb seine Beobachtungen über den Kometen auf, und berechnete, den Blick manchmal auf eine groÃe Sternkarte gerichtet, die er selber entworfen hatte, den Lauf des Kometen. Dorothe machte sich derweil mit ihrer Jüngstgeborenen zu schaffen, wusch und stillte sie, und legte sie dann unter stillem Gebet in die Wiege. Dann zog sie den Vorhang vom groÃen Bette weg, in dessen Mitte ihr Heinrich schlief, und labte sich an dem blühenden, vollen Gesicht des Knaben und an dem gesunden Schlaf, und den Mund des Kindes küssend, sprach sie leise: »Herr, erhalte sein Herz bei dem Einigen, daà er deinen Namen fürchte!« Da fing es an in der Guckucksuhr an der Wand lebendig zu werden, die jetzt wieder auf die Minute ging, seit sie der Schreinerkaspar in Händen gehabt hatte, und das Thürchen thät sich auf, daraus mit dem Schlage der Stunde der Vogel zu kommen pflegte; und das war ein Zeichen, daà es noch fünf Minuten vor dem Schlag seien. Auf dieà Zeichen erhob sich der Schulmeister von seinem Sitze, setzte die Hausmütze auf den Kopf, und sagte: »Dorothe, ich will das Spinnglöcklein ziehen, es wird nicht weit von acht Uhr sein. Die Leuchte nehme ich heute Abend nicht mit, denn es ist sternhell, und sollt ich nicht hurtig wieder da sein, so mache dir keine Gedanken darüber, ich möchte den Kometen einmal wieder aufsuchen; der scheint sich seit voriger Woche rar machen zu wollen.« Damit ging der Schulmeister zur Thüre hinaus und trat auf den Kirchhof. Der Himmel war sternhell, aber der Komet war nicht da. An der Stelle des Himmels aber, wo ihn des Justus Auge suchte, war eine andere wundervolle Himmelserscheinung. Vier schmale Lichtstreifen, nicht so breit als der Schweif des Kometen, aber viel feiner und länger, breiteten sich in Kreuzesform über einen groÃen Theil des Nachthimmels aus. Daà sie vom Kometen herrührten, dessen Kern man nicht mehr sah, war kein Zweifel; und der Schulmeister stand wie angewurzelt, und schaute mit thränenden Augen das wundervolle Schauspiel an. »O Herr« rief er aus, »wer kann deiner Herrlichkeit sich satt sehen! Du thust groÃe Dinge, die nicht zu forschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind!« »Doch soll ich denn der Einzige sein«, sprach er vor sich hin, »der dieà Werk Gottes bewundert! Dorothe soll mir helfen.« So sagend schritt er der Thüre zu. Doch in diesem Augenblick schlug es auf dem Thurme acht Uhr, und der Schulmeister, gewohnt, seinen Dienst pünktlich zu thun, eilte zur Kirche, öffnete sie rasch, wunderte sich auch weiter nicht darüber, daà er die Thüre nur angelehnt fand, und zog die Abendglocke. Wie ihr Klang in das Thal hinab schallte, da deuchte es ihm, so feierlich hätte es noch nie gelautet, und er selbst kam sich vor wie ein Herold, ausgesandt, die groÃen Thaten Gottes zu verkündigen, und vernehmlich sprach er vor sich hin: »Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern.« Da kam es ihm vor, als rege sich in dem Kirchlein etwas und als seufze ein Mensch aus tiefer Brust. Doch er achtete des Tones weiter nicht, denn zu allen Zeiten der Nacht war er schon in der Kirche gewesen, und hatte auf den Gräbern umhergestanden, und so waren ihm diese Orte, die sonst bei nächtlicher Weile für den Furchtsamen Orte des Schreckens sind, sehr befreundet und ängsteten ihn nicht. Er hatte sein Geschäft vollendet, die Thüre rasch hinter sich zugeschlagen, und wollte eben den Schlüssel aus dem Schlosse ziehen; da rief aus der Kirche eine laute Stimme: »LaÃt auf, es ist Jemand in der Kirche!« Der Schulmeister blieb stehen und sein Herz klopfte ihm in der Brust, doch rief er mit entschlossenem Tone: »Wer ist denn in der Kirche, sagt in Gottes Namen, wer ist denn in der Kirche?« »Ein Fremder«, scholl es aus der Kirche, »der sich hier ein Nachtquartier gesucht hat.« Da öffnete Justus die Thüre und heraus trat eine hohe Gewalt, mit einem Knotenstock in der Hand und sprach in mildem Tone: »Vergebt mir, wenn ich euch erschreckt haben sollte, ich wollte nichts, als freies Lager für diese Nacht und freien Aus- und Eingang von hier.« »Ein Nachtquartier in einer Kirche suchen«, sprach der Schulmeister, »ist mir noch nicht vorgekommen; wer es da ohne Grausen kann aushalten, der muà ein gut Gewissen haben.« Da der Fremde auf diese Rede keine Antwort gab, so fuhr er fort: »Thätet ihr aber nicht besser, Fremder, wenn ihr in guter Leute Haus einkehrtet für diese Nacht, statt hier in der Kirche, wo es kalt ist und wo ich euch kein Schlafplätzchen vergönnen darf?« »Daà sich's unter Dach und am warmen Ofen besser ruht, denn hier, das weià ich wohl«, sprach der Fremde, »aber wer wird einen Reisenden um Gottes willen aufnehmen mögen, der seinen letzten Pfennig ausgegeben hat?« »Wie man anklopft«, sagte der Schulmeister, »so wird einem aufgethan, und ein gut Wort findet auch eine gute Statt. Es sind ihrer noch Etliche, die gastfrei sind ohne Murmeln; geht nur an die nächste Thür' und versucht's.« »Wo ist denn die nächste Thüre«, fragte der Fremde, »und wie heiÃt das Oertlein hier auf dem Berge?« »Das Dörfchen heiÃt der Veitsberg«, sagte Justus, »und die nächste Hausthüre ist die meine.« »Und wer seid ihr?« fragte langsam der Fremde. »Ich bin der Schulmeister vom Veitsberg, und biete euch ein warmes Nachtlager an, sogar von Herzen gern, wenn ihr mir als ehrlicher Christenmensch in's Aug' sehen könnt, und annehmen wollt, was mein klein' Haus vermag, ein freundlich Gesicht und einen Bissen Abendbrod.« Der Freunde stand zögernd noch auf demselben Flecke und schaute bald den Justus an, bald sah er in die Nacht hinaus. Dann brach er das Schweigen mit der Frage: »Seid ihr beweibt, Herr Schulmeister?« »Das Bedenken, das in eurer Frage liegt,« sagte Justus, »kann ich errathen, und will's schnell heben. Ja, der liebe Gott hat mir ein Eheweib beschieden; aber meine Dorothe denkt wie ich: »Brich den Hungrigen dein Brod, und die, so im Elend sind, führe in dein Haus.« Sie wird weder scheel sehen, noch maulen, wenn ihr herein kommt. Auch seid ihr nicht der erste Fremde, der ein Obdach bei uns sucht; unser Dörfchen hat kein Wirthshaus.« Der Fremde zögerte noch eine gute Weile; dann aber folgte er schweigend in's Schulhaus. Wie sie zur Stube eingingen und Dorothe sich von ihrem Sitze erhob, da sprach der Fremde einige Worte der Entschuldigung, aber Justus nahm schnell das Wort und sagte: »Dorothe, der Fremde hier wollte in unserer Kirche übernachten, ich habe ihn eingeladen, für diese Nacht Herberge bei uns zu nehmen.« »Das wolle Gott verhüten«, sprach freundlich Dorothe, »daà ihr eine Nacht in unserer Kirche zubringt, die könnte euer Tod sein. Seid vielmehr bei uns willkomm, Herr, und macht's euch bequem, ihr werdet müde sein und hungrig wohl auch, laÃt mich euch einen Imbis bereiten!« »Nennt man denn einen Bettler, der in zerrissenen Kleidern kommt, einen Herrn?« sprach düster der Fremde. »Gute Frau, ihr thut mir zu viel Ehre an.« »Sprecht nicht von Ehre«, antwortete Dorothe freundlich, »bei uns zu Lande sieht man nicht auf' s Kleid, sondern in's Angesicht. Und ihr seid guter Leute Kind, das merke ich an eurer Sprache, und an euren Augen sehe ich, daà ihr viel gelitten habt, und eben noch mehr leidet. Doch laÃt mich jetzt euer Abendbrod bestellen.« Damit ging Dorothe zur Küche. Wäre Dorothe nie in der Schule der Prüfung gewesen, hätte sie dann so reden können? Wie aus dem Schmelztiegel das lautere Gold hervorgeht, so fördert auch das Leid aus der Tiefe der Seele das lautere Gold zu Tage, das Gold der Gottes- und der Menschenliebe. In diesem Sinne sagt der Psalm: »Ehe ich gedemüthigt ward, irrete ich, nun aber halte ich dein Wort.« Bald stand auf dem Tische des Fremden eine Milchsuppe mit Brodschnitten darin, und auf flachem Teller von buntem Hausgeschirr ein Kuchen von frischgelegten Eiern; und der Fremde aà mit groÃer Begierde, und man sah es ihm an, wie er sich Gewalt thun muÃte, seinen starken Hunger nicht zur Schau zu tragen. Während Dorothe ab- und zuging, und dem Fremden drüben im Schulstübchen das Nachtlager bereitete, hatte derweil der Schulmeister seinen Rath mit ihm. Doch ging das Gespräch nicht sonderlich von Statten; denn der Fremde antwortete nur auf die gethanen Fragen, und schien gar niedergebeugt. Das indessen brachte der Justus schon am Abend an ihm heraus, daà er unter den PreuÃen gedient, als diese unter ihrem König, dem groÃen Fritz, wie er nachmals genannt wurde, den Kaiserlichen das Schlesinger Land abgenommen; aber der Fremde legte so wenig Werth auf die Thaten, die er in diesem Kriege gethan, daà man ihm wohl anmerkte, er habe das Soldatenhandwerk nicht sonderlich lieb gehabt. Auch vermied er sichtlich, seinen Namen zu nennen, und das Ziel seiner Reise zu verrathen. Viel gesprächiger ward er aber, als von gelehrten Dingen die Rede war, und Justus merkte wohl, daà er es mit einem Manne zu thun habe, der in fremden Sprachen einen guten Grund gelegt, auch sich da und dort in den Büchern fleiÃig umgesehen habe. So war die Zeit zur Nachtruhe gekommen, und Justus sagte zu dem Fremden: »Ich und mein Haus wollen jetzt dem Herrn dienen. Habt ihr Gottes Schutz und Treue erfahren an diesem Tag, so erlaubt ihr wohl, daà wir mit euch und für euch loben und danken in dieser Abendstunde.« Als der Fremde schweigend mit dem Kopfe genickt, da nahm der Schulmeister sein Hausbüchlein von dem Kammbank, darin er für sich und die Seinen zu täglichem Gebrauch den Morgen- und Abendsegen, wie viel andere herzliche Gebetlein für allerlei Lage und Zeit eingeschrieben hatte, und betete mit lauter Stimme also: »Barmherziger, gnädiger Gott und Vater, ich sage dir Lob und Dank, daà du Tag und Nacht geschaffen, Licht und Finsternià unterschieden; den Tag zur Arbeit und die Nacht zur Ruhe, auf daà sich Menschen und Thiere erquicken. Ich lobe und preiÃe dich in allen deinen Wohlthaten und Werken, daà du mich den vergangenen Tag hast vollenden lassen durch deine göttliche Gnade, und desselben Last und Plage hast zurück legen lassen. Es ist ja genug, lieber Vater, daà ein jeder Tag seine eigne Plage habe. Du hilfst ja immer eine Last nach der andern ablegen, bis wir endlich zur Ruhe, und an den ewigen Tag kommen, da alle Plage und Beschwerung aufhören wird. Ich danke dir von Herzen für all' das Gute, das ich diesen Tag von deiner Hand empfangen habe. Ach Herr, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit, die du an mir täglich thust. Ich danke dir für die Abwendung des Bösen, das mir diesen Tag begegnen können, und daà du mich unter deinem Schirm des Höchsten und Schatten des Allmächtigen bedecket, und behütet hast vor allem Unglück, und vor schweren Sünden, und bitte herzlich und kindlich, vergib mir alle meine Sünden, die ich diesen Tag begangen habe, mit Gedanken, Worten und Werken. Viel Böses habe ich gethan, viel Gutes habe ich versäumt. Ach, sei mir gnädig, mein Gott, sei mir gnädig! Laà heute alle meine Sünde mit mir absterben, und gib mir, daà ich immer gottesfürchtiger, heiliger, frömmer und gerechter wieder aufstehe; daà mein Schlaf nicht sei ein Sündenschlaf, sondern ein heiliger Schlaf; daà meine Seele und mein Geist immer zu dir wache. Segne meinen Schlaf, wie den Jakobs, da er die Himmelsleiter im Traum sah, und den Segen empfing, und die heiligen Engel sah; daà ich von dir rede, wenn ich mich zu Bette lege, an dich gedenke, wenn ich aufwache; daà dein Name und Gedächtnià immer in meinem Herzen bleibe, ich schlafe oder wache. Gib mir, daà ich nicht erschrecke vor dem Grauen der Nacht, noch vor den Sturmwinden der Gottlosen, sondern süÃe schlafe. Behüte mich vor schrecklichen Träumen, vor dem Einbruch der Feinde, vor Feuer und Wasser. Siehe der uns behütet schläft nicht, siehe der Hüter Israels schlummert nicht. Sei du, o Gott, mein Schatten über meiner rechten Hand, daà mich des Tages die Sonne nicht steche, noch der Mond des Nachts. Laà deine heiligen Wächter mich behüten, und deine Engel sich um mich her lagern, und mir aushelfen. Dein heiliger Engel wecke mich zu rechter Zeit, wie den Elias, und wie den Petrus, da er schlief im Gefängnià zwischen den Hütern, auf daà ich erkenne, daà ich auch sei in der Gesellschaft der heiligen Engel. Und wenn mein Stündlein vorhanden ist, so verleihe mir einen seligen Schlaf, und eine selige Ruhe in Jesu Christo, meinem Herrn.« »Amen«, sprach feierlich der Schulmeister; »und nun Dorothe, meine Liebe, lies du uns noch die Abendlection aus heiliger Schrift. Hier im Evangelium Lucä stehen wir, im fünfzehnten Kapitel, am eilften Verse.« Und Dorothe nahm die Bibel aus seiner Hand und las, wie ein gläubiger Christ die Schrift liest, voll Salbung und Andacht das Gleichnià vom verlorenen Sohne. Bis dahin hatte der Fremde mit gefaltenen Händen und mit gesenktem Blicke dagesessen, nun aber, wie Dorothe las, ward er unruhig und seine Unruhe wuchs mit jeder Minute, und wie Dorothe an die Worte kam: »Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen, und zu ihm sagen: Vater ich habe gesündigt in dem Himmel und vor Dir«, â da seufzte der Fremde zum Herzbrechen, und groÃe, dicke Thränen stürzten aus seinen Augen und er rief laut: »Mein Vater, mein Vater!« Dann ward er plötzlich wieder stille, sprach auch kein Wort mehr, als: »Gute Nacht!« und lieà sich von seinem Gastwirth in sein Schlafgemach geleiten. Die Nacht ging ohne Störung vorüber. Mit Gebet für das Heil des Fremden, der unter ihr Dach getreten war, waren Justus und sein Weib eingeschlafen; »denn er bedarf unseres Gebetes gewiß«, hatte der Schulmeister gesagt, »trügt mich der Augenschein nicht gänzlich, so beherbergen wir einen verlorenen Sohn; möge er nur bald heimkehren zu seines Vaters Haus.« Wie der Schulmeister am andern Morgen in des Fremden Schlafstube kam, da fand er diesen am Fenster stehen, den Kopf wider die Scheiben gelehnt und hinausschauen in den Morgen, der, einen schönen Märztag verkündend, über die Thäler heraufstieg. Der Fremde war noch blässer, denn am Abend; und jetzt bei hellem Tage sahe man erst recht, warum er Bedenken getragen, in ein ehrlich Haus einzutreten, denn seine Kleidung waren eitel Lumpen und die Schuhe waren mit Bindfaden an den FüÃen festgebunden. Gesicht aber und Hände waren rein, und seine Haltung war aufrecht, und sein Blick hatte nichts Freches und Wildes, war vielmehr sanft und leidend. Ein Blick auf das Lager überzeugte den Schulmeister sogleich, daà der Fremde nicht darin geschlafen, daà er vielmehr wahrscheinlich die Nacht durchwacht habe. Das Alles übersah Justus mit einem Blick und mit einem Gedanken durchdachte er das ganze Seelenleiden des Fremden und eine innige Theilnahme ergriff sein Herz. Und wie ihm zu Sinne war, so sprach er es aus, gleich fern von Aufdringlichkeit wie von Neugier. Das rechte treue Wort schien auch die rechte wunde Stelle im Herzen des Fremden gefunden zu haben, denn er sagte gar bewegt: »Habt Dank, habt Dank, guter Mann für die groÃe Liebe, womit ihr mich, einen Landläufer, beehrt habt. Nicht lange mehr will ich euch lästig fallen. Wollt ihr mir aber noch einen recht groÃen Dienst thun, so führt mich auf einen Pfad, auf dem ich GieÃen erreichen kann, ohne daà Menschen mir begegnen, und schenkt mir auf ein einzig Stündlein nur euer Geleit, ich möchte von euch einen Freundesrath mir erbitten. Seit ich in der Irre gehe, habe ich solch' eine Liebe nicht gefunden, wie bei euch! O hätte ich euch früher gefunden, es stünde jetzt anders um mich!« »Hab' ich denn etwas Sonderliches an euch gethan«, fragte der Schulmeister, »das solch' Aufhebens verdiente, wie ihr thut? Ich habe euch aufgenommen, da ihr sonst kein Obdach finden konntet, das ist Alles. Ist das eine Tugend oder ein Lob, so hab' ich sie von Vater und Mutter gelernt, und wäre das nicht, so kenne ich ja des Apostels Wort: »Nehmet euch der Heiligen Nothdurft an, herberget gerne.« Was euren Wunsch aber betrifft, so weià ich ein Pfädlein durch Wald und Feld, das ist einsam und traulich; ich bin's wohl auch schon an warmen Sommertagen gegangen. Auf dem Pfädlein will ich euch gern das Geleite geben, nur laÃt mich erst meines Amtes warten. Haben wir mitsammen die Morgensuppe gegessen, so ziehe ich das Schulglöcklein, das man drunten weithin höret, und dann kommen meine Schüler. Seht nur dort hinunter, dort an der Waldecke, da naht schon ein Trüpplein; sie kommen gern, und bleiben gern, ohne daà ich sie treibe und halte. Seht, jetzt haschen sie einander und Einer ruft, um das Echo zu wecken, das dort an der Waldecke ist. So ist's recht, ihr Kinder! Ich sag' ihnen immer: »Wer sich gewöhnet hat, in Ehren sich zu freu'n, Wird auch bei ernster Sach' nicht träg und schläfrig sein.« * * * * * Nach der Morgensuppe war der Fremde verschwunden; er hatte sich im nahen Walde verborgen gehalten, denn er schämte sich der Lumpen, die ihn deckten. Um die Zeit, die ihm von Justus genannt worden war, erschien er wieder, nahm schnell aber herzlich von Dorothe Abschied, und wanderte mit dem Schulmeister durch die Wälder nach GieÃen zu. Im Wald war's schon lebendiger geworden; die Vorboten des Frühlings zeigten sich auch da. Einsame Bienchen flogen um die Schneeglöckchen, oder hingen sich an die Kätzchen der Salweiden, während der Specht mit lautem Hämmern den Würmern in den alten Buchen nachstellte, und die Amsel Reiser trug zum Nest, und ihren lauten Schlag durch die Wälder schallen lieÃ. Es war ein schöner Märztag, und die Sonnenstrahlen fielen so warm durch die kahlen Zweige der Bäume auf die Wandrer, daà der Schulmeister seinem Dankgefühl Worte gab und zu seinem Gefährten sagte: »Ein solcher Tag lohnt doch für viele trübe Winterstunden. Aber so ist's auch im Reiche Gottes; unsere Trübsal, die zeitlich und leicht ist, schaffet eine ewige Herrlichkeit.« »So muà es wohl sein«, sprach der Fremde, »denn die Schrift sagt's, und mag für die ein groÃer Trost in dem Sprüchlein liegen, die gleich Hiob sagen können: »Mein Gewissen beiÃt mich nicht meines ganzen Lebens halber.« Aber wie steht es mit Denen, die ihr Leid selbst verschuldet haben; die von Gott sich losgesagt und ihre eignen Wege gegangen sind; wird denen auch die Last abgenommen, und haben die den Trost, daà ihr Leid sie zum Heil führe?« »O gewië, sagte der Schulmeister, »wenn sie nur ihre bösen Wege lassen und die Stimme Gottes nicht überhören, die in den Folgen ihrer Sünden zu ihnen spricht und sie zur BuÃe rufet. »Denn so wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern daà er sich bekehre und lebe.« Denn bei ihm ist viel Vergebung.« »Ich glaube das«, sagte der Fremde, »ja seit der letzten Nacht, die ich durchwacht, glaub' ich's sogar von Herzen, und verstehe jetzt, was ich früher nie verstehen konnte: »wie Gott nicht will, daà Jemand verloren gehe, sondern daà sich Jedermann zur BuÃe bekehre.« Aber wie ist es mit den Menschen, nehmen die auch die Sünder so freundlich wieder auf, werden die auch bereit sein, alles Geschehene zu vergessen, wenn Einer kommt und sagt: »Es reut mich von Herzen, was ich gethan habe, vergib mir meine Schuld?« Und der Fremde hielt beide Hände vor sein Angesicht und weinte laut, und rief einmal über das andere Mal aus: »O mein Vater, mein Vater!« »Kümmert euch das«, sprach theilnehmend der Schulmeister, »so laÃt die Sorge fahren. Habt ihr etwas zu bereuen, das ihr gegen Gott und Menschen gethan habt, ist es euch leid von Herzensgrund, und habt ihr durch den euren Rückweg zu Gott genommen, der von Gott uns gemacht ist zur Weisheit, zur Gerechtigkeit zur Heiligung und zur Erlösung, und habt ihr durch ihn den Zutritt gewonnen zum Vater und durch ihn die Botschaft vernommen: »Sei getrost, mein Sohn, dir sind deine Sünden vergeben«, â dann geht getrost den Menschen unter's Auge, wer sie auch sind, und sagt ihnen: »der Herr hat mir vergeben, vergib mir auch«, sie werden euch nicht von hinnen weisen. Und thäten sie's, was verlöret ihr dabei? Ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein? Wir vermögen Alles durch den, der uns mächtig machet, Christus.« »Ach, ihr wiÃt nicht«, sprach der Fremde, der sich etwas gesammelt hatte, »wie ich meinen Vater gekränkt habe. Ich war sein einzig Kind, und meine Mutter schon lange todt. Da hat er mich denn geliebt in Milde und Ernst, wie ich es nie verdient und nie vergelten kann. Und doch ward ich schlecht und schlug Alles in den Wind, und soff und spielte und betrog und entwich endlich, und lieà meinem Vater einen Haufen Schulden zurück. Seit Jahren treibe ich mich dann in der Welt umher; habe mir helfen wollen auf gute und böse Weise, und bin immer tiefer gesunken, bis ich zum Bettler ward. Da bin ich meiner Heimath immer näher gekommen, und auch immer mehr in mich gegangen, und seit gestern Abend, da ich im Gleichnià vom verlorenen Sohn mich selbst erkannte, habe ich mich recht gedemüthigt und zu mir gesprochen: »Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen!« Aber da läÃt mir der Gedanke keine Ruhe: Er wird, er kann dich nicht aufnehmen, du hast zu schwer an ihm gesündigt! Sagt mir, o sagt mir, wird er mich aufnehmen?« »Mein Freund«, sagte der Schulmeister tief ergriffen, »lernet doch erkennen den Himmelstrost aus heiliger Schrift. Der dort sagt im GleichniÃ: »Und da er noch ferne war von dannen, sahe ihn sein Vater und jammerte ihn, lief und fiel ihm um seinen Hals und küssete ihn«, â der muà wohl gewuÃt haben, wie es um ein Vaterherz steht. Alle Lieb' kann aufhören: Gattenlieb' und Kindeslieb' und Freundeslieb', aber Vater- und Mutterlieb' höret nimmer auf; die ist stärker als der Tod, tiefer als das Meer, höher als der Himmel. Und der mich gelehrt hat, an solcher Liebe Kraft zu glauben, der lehrt mich auch jetzt euch sagen: »Geht nur, mein Sohn, euer Vater hat euch vergeben, so gewià auch Gott uns vergibt in Christo Jesu.« »Amen, so sei es«, sprach der Jüngling; »mit diesem Trost will ich meinem Vater unter die Augen treten. Wie es nun ausfalle, habt tausend Dank für Rath und Trost, und erlaubt mir, daà ich noch einmal zu euch komme, um euch zu danken, besser als ich es heute kann. Dann sollt ihr auch meinen Namen erfahren, denn den ich in der Fremde geführt, der ist nicht mein Name; meines Vaters Namen zu führen, schäme ich mich.« Bei diesen Worten waren die Wandrer aus dem Walde getreten. Sie standen auf einer Höhe, und vor ihnen breitete sich nach Westen hin ein herrliches Thal mit mehreren Dörfern aus. »Kennt ihr die Gegend?« fragte der Schulmeister den Fremden. »Wohl kenne ich sie«, war des Fremden Antwort. »Das da drüben am Berge mit dem Schlosse, das so hell in der Sonne glänzt, das ist Buseck, und dort im Thale sehe ich die Thürme von GieÃen. Ach dürfte ich es wieder meine Vaterstadt nennen!« »Muth gefaÃt, junger Freund«, sagte Justus, »wenn die Sonne untergeht, seid ihr dort. Lebt wohl!« Unter herzlichem Händedruck schieden sie. O wie mag dir der Heimweg so süà und friedlich gewesen sein, du guter Justus! Du hast ein gut Tagewerk heute vollbracht; von dir gilt, was dort der Prophet sagt: »Wie lieblich sind auf den Bergen die FüÃe der Boten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen; die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!« »Dort ruft, o möchte Gott es geben! Vielleicht auch mir ein Sel'ger zu: Heil sei dir, denn du hast das Leben, Die Seele mir gerettet du! O Gott, wie muà das Glück erfreu'n, Der Retter einer Seele sein!« â * * * * * Es war Abend und der Fremde stand am Thore der Stadt GieÃen. Unerkannt, wie er bis dahin geblieben war, wollte er sich an der Wache vorbei in die wohlbekannte Stadt einschleichen; aber die Schildwache, die am Thore stand, vertrat ihm den Weg, und rief ihm in barschem Tone zu: »Hört, Landsmann, wer hier hinein will, und ist ein Fremder von eurem Ansehen, der hat zuvor Stand und Beruf zu melden, auch durch Paà und Schreiben sich gehörig zu legitimiren.« Auf des Fremden Bemerkung, daà er ein Stadtkind sei, sagte der Soldat nichts, als: »Das steht zu beweisen.« »He, Renner«, rief er einem Soldaten zu, der gerade aus dem Fenster der Wachstube heraussah, »nimm einmal den Mann hier als Arrestanten in Empfang, und bringe ihn hinein zum Corporal; es scheint nicht richtig mit ihm zu sein.« So geschah es. Der Corporal fragte den Fremden nach Stand und Namen, und schüttelte den Kopf, als er den letzteren gehört, und sagte: »Seid ihr wirklich der, für den ihr euch ausgebt, so muà ich um des Gewissens willen eine Ausnahme von dem Befehl machen, alle Arrestanten dem Herrn Platzkommandanten vorzuführen. Mit eurer Heimkehr hat's Eil', wie ich heute Abend gehört, als ich zum Verles ging. Geht also, nehmt aber diesen Soldaten mit euch, der euch zurückbringen wird, falls ihr nicht auf dem rechten Wege bleibt.« In Begleitung des Soldaten durcheilte der Fremde die wohlbekannten StraÃen, lenkte in die SchloÃgasse ein und ergriff den Klopfer einer Hausthüre, um hinein zu gehen. Doch die Thüre war verschlossen. Ungestüm hämmerte er mit dem Klopfer an der Thüre. Die ward auch bald geöffnet, aber ein Bedienter vertrat dem Fremden den Weg und sagte: »Wollt ihr zum Herrn Rath Laupus, so kommt später wieder, der Herr Rath sind krank und lassen Niemand vor sich.« Dieses hören und den Bedienten zur Seite stoÃen und die Treppe hinanstürzen, war bei dem Fremden das Werk eines Augenblicks. Ungestüm rià er die Thüre zum Schlafzimmer seines Vaters auf, und mit lautem Schrei stürzte der verlorene Sohn vor das Bette des todtkranken Vaters. Von dem Schrei schreckte der Kranke aus seinem Fieberschlafe auf, starrte um sich her, und als sein Blick auf den Sohn fiel, der zur Seite des Bettes auf den Knieen lag, richtete er sich mit groÃer Anstrengung auf, und fragte hastig: »Träum' ich, oder bin ich schon todt, oder ist es wahr, ist mein Benjamin zurückgekehrt?« »Ja, Vater«, rief der Jüngling unter lautem Weinen, »ich bin's, dein Sohn ist es; vergib ihm, um Gottes Barmherzigkeit willen, vergib ihm. Es reuet mich Alles, was ich gethan, aus Herzensgrund; ich will fortan ein andrer Mensch werden!« »Hab' Dank, guter Gott, für dieà letzte Labsal«, sprach der Kranke, indem er zurücksank, mit der linken Hand seine Augen bedeckte, und die rechte segnend auf des Sohnes Haupt legte. »Sei willkommen, Benjamin, sei in Gottes Namen willkommen«, sprach er leise; »du kommst zu rechter Zeit, und wenn der liebe Gott das Gebet eines sterbenden Vaters erhört, so bitte ich um Christi willen, er möge dir deine Sünde vergeben, wie ich dir vergeben habe. Komm, Benjamin, küsse mich, und sei hinfort wieder mein guter Sohn. Ich sterbe bald, vielleicht noch in dieser Stunde, so bleib' denn um mich, daà ich mich deines Besitzes wieder freuen kann.« Indem klopfte es an die Thüre; eine alte Frau, die als Wärterin am Ofen gesessen hatte, öffnete sie, und lieà einen Mann herein, der auf das Bette des Kranken zuging, und in leisem Tone sagte: »Herr Rath, ihr habt meiner begehrt, womit kann ich euch zu Diensten sein?« »Ich danke euch, Herr College Gerst«, sprach der Rath Laupus, »daà ihr meinem freundlichen Bescheid schnell habt Folge gegeben. Mein Ansinnen sollte sein, daà ihr meinen letzten Willen mir aufsetztet; nun aber der Herr mein Gebet erhört, und meinen Benjamin mir zurückgeführt hat, so geht nur mein Begehren an euch, ihr wollet euch meines Sohnes nach besten Kräften annehmen und behülflich sein, daà er auf rechtem Wege erhalten werde.« Wie der Rath Gerst darauf dem Kranken Handschlag und Wort gegeben, trat er vom Bette weg, um Vater und Sohn ungestörter verkehren zu lassen, und setzte sich in die Nähe des Ofens. Die Wärterin hatte ihn mittlerweile nicht aus den Augen gelassen; ihre Blicke ruhten forschend und stechend auf seinem schönen, aber finstern Angesicht. Jetzt trat sie leise zu ihm, tupfte mit dem Finger auf seine Schultern und sagte: »Seid ihr der Rath Gerst?« »Ja«, war die Antwort. »Und seid aus Braubach am Rhein?« Dieselbe Antwort. »Und kennt auch Einen, seines Standes ein Theologe, mit Namen Justus?« Der Rath verfärbte sich und fragte: »Wie so, was ist mit dem?« »Nun, ich merke,« sagte die Alte, indem sie den Mann mit ihren Augen zu durchbohren schien, »ich bin auf der rechten Spur. Was mit dem Justus ist, fragt ihr? Dem geht ein Teufel in Menschengestalt schon seit Jahren nach, und suchet, wie er ihn verschlinge. Laà ab, du Teufel, von dem Gesegneten des Herrn, oder es ergeht dir, wie Dathan und Abiram, die der Herr verschlang mit seinem Feuer.« »Und wer seid ihr denn, unverschämtes altes Weib«, sprach der Gerst in leidenschaftlichem, aber gedämpftem Tone, »daà ihr es wagt, mich in dem Hause meines Freundes zu beleidigen, habt ihr keinen Respect vor meiner Person und meinem Amte?« »Wer ich bin«, rief das Weib mit zornrothem Angesicht, aber ebenfalls in gedämpftem Tone: »Ich bin des seligen Matthes Lind vom Tiefenweg eheliche, nachgelassene Wittib; und ich Barbara Lindin sage euch, habe allen Respect vor eurem Amte, das von Gott geordnet ist, vor euch selbst aber habe ich weniger Respect, denn vor dem Schinderkaspar, der hinter dem Teufelslustgärtchen wohnt; denn der schindet, was todt ist, ihr aber schindet Christenmenschen bei lebendigem Leib und nennt euch dazu einen Herrn Rath. Pfui, sag' ich, über solch' Otterngezüchte! Pfui, sag' ich noch einmal in meinem Namen, wenn ihr's hören wollt, und noch einmal pfui, in Gottes Namen!« â Die alte Lindin war im beÃten Zuge, kein gutes Haar an dem Gerst zu lassen; denn das war ihre schwächste Seite, daà sie nicht schweigen konnte, wenn es galt, ein Unrecht zu strafen, oder einen Freund zu vertheidigen. »Denn«, sagte sie, »eifern ist gut, wenn's immerdar geschieht um's Gute.« Zum Glücke für ihren Gegner, der sich nicht mehr zu helfen wuÃte, rief der Herr Rath Laupus ihn an sein Bette, und er ergriff bald die erste Gelegenheit, sich aus der Krankenstube zu entfernen, nicht ohne einen Blick der Rache auf die alte Lindin geworfen zu haben, den diese standhaft aushielt und treulich erwiederte. Heute war der Racheengel dem Gerst in Gestalt der alten Lindin genaht, möchte sein Gewissen bald erwachen und er uns in anderem Lichte erscheinen, wenn wir ihm in unserer Erzählung wieder begegnen! Doch die Sünde läÃt ihren Knecht nicht sobald aus ihrem Solde. »Wie der Löwe auf den Raub lauert, also ergreifet zuletzt die Sünde den Uebelthäter.« 12. Der Feind kommt, wenn die Leute schlafen. »Blumenglöcklein läuten Durch die Thäler hin, WeiÃe Schäflein weiden In der Wiesen Grün. Vöglein singen Lieder, Singen lauten Schlag, Frühling kehrte wieder, Rief die Erde wach. Und auf linden Lüften Kommen Engelein, Schmücken rings die Triften, Kehren bei uns ein; Sagen, daà dort oben Ew'ger Frühling sei, Wer hinaufgehoben, Sei von Kummer frei; Wer hinaufgehoben, Schaue Jesum Christ, Der zum Vater droben Segnend gangen ist. â Wenn der Lenz gekommen, Dann gedenke sein; Wen er aufgenommen, Wird sein Engel sein.« So sang Dorothe ihren Kindern vor am offnen Fenster. Der April war gekommen und mit ihm das Osterfest, für die Alten das Fest der Lieb' und Herrlichkeit, und für die Jungen das Fest der bunten Eier und des lauten, frohen Jugendspiels auf grüner Flur. Aus dem Thal herauf hörte man das Jauchzen der Kinder, und das Herz so voll Kindesglücks und Frühlingslust drängte sich auch Heinrich an die Mutter heran, und fragte, und fragte viel über das Osterfest, und über den Herrn Christum, und über die bunten Eier, und über den Pathen im fernen Holland, und ob denn jetzt immer Frühling bleibe und nie wieder Winter werde? O wer kennt sie nicht diese Kinderfragen, wer hörte sie nicht gerne, und gäbe nicht gerne Antwort darauf! Sie sind ja der Durst des kleinen Menschenherzens, den Grund zu wissen von Allem, und den Vorhang zu heben, der über der Zukunft liegt! Wir Alle werden ja Zeit Lebens nicht müde zu fragen. Gingen wir nur bei unsern Fragen nicht so oft an die unrechte Thüre; lernten wir doch _Den_ frühe zu unserm Rathgeber wählen, der länger und geduldiger, denn Vater und Mutter, stille hält und uns nie von sich scheucht; bei ihm würden wir Ruhe finden für unsere Seelen. Aber Heinrich wollte viel wissen, und die Fragen des Kindes trieben der Mutter die Thränen in's Auge. Ob Vater und Mutter immer bei ihm bleiben, und immer froh sein und ihm immer gut, und ob es auch ihm gut ginge, wenn er fromm und gut bliebe? »Ja«, sagte Dorothe, »es wird dir immer gut gehen, Heinrich, wenn du den lieben Gott lieb hast und nach seinen Geboten thust. Aber wie es in der Natur ist, daà bald Winter ist und bald Sommer, und auch mitten im Sommer mancher Tag stürmisch und rauh ist, und die Sonne nicht scheint, so wechselt es auch im Menschenleben, und der liebe Gott macht uns bald froh und bald traurig. Heute gibt er uns und morgen nimmt er uns. Aber ob er gibt, oder nimmt, so thut er uns allezeit wohl. Wer nur recht fest an ihn glaubt und ihm fein stille hält, dem kommt auch nach jedem Winter der Frühling wieder, und er vergiÃt der gehabten Sorge um seiner Freundlichkeit willen. Es ist nur und dem Vater nicht alle Zeit wohlgegangen, und kann auch wieder eine Zeit kommen, wo uns das Leben sauer wird; aber wir verlassen uns auf den lieben Gott, das thu' du auch, Heinrich und vergià nicht dein Sprüchlein: »Kindelein, bete fein, Wird dir Gott gnädig sein!« Und Heinrich sah ernst in seiner Mutter Augen, die voll Thränen standen, gleich als verstünde er, was sie sagte. Und wohl verstand er, was sie sagte; denn Mutterthränen sind zart geschliffene Gläschen, durch die das Kindesang' die Schrift der Liebe im Mutterherzen lesen kann; und ein Brücklein ist gebaut zwischen Mutter- und Kindesherz, darauf führt der Herr die guten Engel herüber und hinüber. Mittlerweile war der Vater drauÃen gewesen im Hausgärtchen, um sich an seinen Bienen zu erfreuen, die auch der Frühlingstag zu neuem Leben gerufen hatte, und die in dicken Trauben an den Fluglöchern hingen. Jetzt trat er herein, und in seiner Begleitung war der Fremde von neulich, der ein Obdach im Hause des Schulmeisters gefunden, und versprochen hatte, bald wieder zu kommen. Eine groÃe Veränderung war seitdem mit ihm vorgegangen. Statt der schmutzigen, zerrissenen Kleidung, die ihn damals bedeckte, war er jetzt sehr anständig angethan, aber die schwarze Farbe seiner Kleidung und ein schwermüthiger Zug in seinem Angesicht sagten deutlich, daà die Nacht auf dem Veitsberg nicht die letzte trauervolle gewesen sei. Jetzt nannte er seinen Namen, erzählte mit tiefer Wehmuth, wie sein guter Vater in seinen Armen gestorben sei, nachdem er ihm zuvor herzlich vergeben; erzählte auch, wie sehr sich der Vater gefreut auf seinem Sterbebette, als er von Justus Liebesdienst an seinem verlornen Sohne gehört; wie er ihm aufgetragen, des Sterbenden Dank seinem Wohlthäter zu bringen, und wie er den Sohn ermuntert habe, dieses Danks nie zu vergessen. »Ja noch mehr hat er gethan, sagte der Benjamin Laupus, er hat auch den Herrn Rath Gerst an sein Bette kommen lassen und ihm das Versprechen abgenommen, euer Freund und Fürsprecher zu werden, und euch zu einer besseren Stellung zu verhelfen, weil ihr es verdientet, mehr als Einer. Darauf nach des Vaters Tode hat mich der Herr Rath Gerst noch einmal zur Seite genommen, und mich gefragt, wo ihr wohntet, weil er lange nichts von euch gehört, ob es euch wohl gehe und ihr ein gutes Zeugnià hättet; auch ob ihr verheirathet wäret, und wie eure Frau heiÃe, kurz, der Mann schien euch zu kennen, und es mit euch wohl zu meinen. Und als ich ihn selber für euch bat, da sagte er: »Wir wollen sehen, was sich für den Justus thun läÃt!« Wie der Name des Gerst von dem jungen Laupus genannt ward, da senkte der Justus und sein Weib das Haupt, da war es ihnen, als lege sich eine Centnerlast auf ihr Herz; jetzt, wo sie des Gerst, ihres Todfeindes, eigne Worte gehört, von einem Versprechen gehört, das er für sie einem Sterbenden geleistet, da sahen sie sich mit einem Blicke an, aus dem alles Leid ihres bisherigen Lebens sprach, und Justus sagte mit einem tiefen Seufzer: »Herr, dein Wille geschehe.« Sonst aber ward in Gegenwart des Laupus kein Wort über den Gerst gesprochen, weder lobend noch tadelnd. Der Jüngling ward wie ein lieber Gast behandelt, als hätte er eine frohe Botschaft, nicht eine so traurige gebracht, und es ward ihm wieder so wohl unter den lieben Menschen, daà es ihm schwer hielt, sich am andern Tage zu verabschieden. Nur als ihm der Schulmeister wieder das Geleite gab auf eine kleine Strecke, und er dem Jüngling die Hand zum Abschied reichte, da sagte er: »Herr Laupus, habt Dank für euren Besuch und für eures Vaters letzten GruÃ; aber habt ihr uns lieb, wie ihr sagt, so thut bei dem Rath Gerst, als kenntet ihr uns nicht. Ruft meinen Namen und eures Vaters Wunsch niemals in sein Gedächtnià zurück. »Es ist gut auf den Herrn vertrauen und sich nicht verlassen auf Menschen.« Ich bleibe gern, was ich bis dahin war, der Schulmeister vom Veitsberg, und gehe nur dann von hier, wenn mich mein Gott sonstwo in seinem Dienste brauchen kann. Euch aber rufe ich aus demselben Wort, mit dem ich euch damals getröstet, das Sprüchlein zum Abschied zu: »Wachet, stehet fest im Glauben, seid männlich und seid stark.« »Es scheint fast«, sprach der Schulmeister zu seiner Dorothe, als er in sein Haus trat, »als sollte unsere Prüfungsschule etwas länger dauern, wie wir meinten. Nun es geschehe Gottes Wille an uns; ist seine Hand auf unserm Rücken, so muà unsere Hand auf unserm Munde sein, daà wir nicht klagen, und seinen Rath verachten. Nach Frieden haben wir lange getrachtet, sei es denn auch bei uns also: Je länger begehrt, je süÃer gewährt.« Und so kam es denn; die Trauer zog wieder ein in's Haus des Schulmeisters, aber dieÃmal ward sie nicht von Menschenhänden gebracht, die Hand des Herrn nahm, was sie gegeben hatte; Magdalenchen, das Jüngste von des Schulmeisters Kindern, ward krank und starb. Wie er aber diesen Schlag aufnahm, und wie Dorothe ihr Kind beweinte, das haben wir schon gesehen. Und mit dem Tag seiner Beerdigung kam ein fremder Gast in's Schulhaus, die kleine Selma, und über der Pflege des lieblichen Kindes ging die Zeit des ersten Schmerzes vorüber. Monate lang warteten Justus und sein Weib auf den versprochenen Brief aus Holland, aber er kam nicht und es ward ihnen ängstlich zu Sinn, um des Kindes willen. Als nun endlich ein Jahr vorüber war, und die gewünschte Nachricht noch immer ausblieb, da schrieb Justus selbst nach Holland, erzählte viel von dem Kinde, wie es sichtlich zunehme und schön an Leib und Seele werde, und bat dringend um Antwort, aber die Antwort blieb aus. Abermals nach einem Jahre schickte er einen zweiten Brief ab; aber auch der hatte keinen Erfolg. Wenn dann Justus den Kopf schüttelte und von den Möglichkeiten sprach, die Vater und Mutter des Kindes betroffen haben könnten, auch Besorgnisse über die Zukunft des Kindes äuÃerte, dann sprach Dorothe: »Justus, laÃ' nur den lieben Gott walten, hat er dem Kinde Vater und Mutter genommen, so will er, daà wir ihm beides seien. Ich freue mich sein, als wäre ich seine Mutter, und mag's nicht von mir lassen, denn mein Herz hängt an ihm. Thun wir an ihm, als einem eignen Kinde, so wird es nicht wissen, von wannen es stammt, und nach nichts Anderem begehren, als uns gehorsam zu sein, wie ein Kind den Aeltern. Nach zeitlichem Vortheil haben wir ja nicht getrachtet, als wir's zu uns aufnahmen, so soll es denn auch nie erfahren, was es uns gekostet, sondern nur, wie lieb wir es gehabt.« Und so geschah es; Selma wuchs als Töchterlein des Schulmeisters auf, nannte die Pflegeältern Vater und Mutter, und wollte nie glauben, was da und dort eine geschwätzige Nachbarin dem Kinde in's Ohr flüsterte, als es zu begreifen anfing, was es heiÃe, Vater und Mutter verlieren und eine Waise sein. Wer aber dem Kinde nur einmal in die groÃen, blauen Augen sah, wer die Farbe seines blonden Haares und die Zierlichkeit seiner Glieder aufmerksam betrachtete, der sah schnell, daà ein fremdes Pflänzlein auf dem Veitsberg gepflegt ward. Aber der neue Boden bekam ihm gut; denn der Justus und sein Weib verstanden es so recht, ein Kind aufzuziehen in der Zucht und Vermahnung zum Herrn. Besonders war es die alte Lindin, die an dem Kinde ein besonderes Wohlgefallen hatte. So lange es ihre Kräfte erlaubten, kam sie von Zeit zu Zeit auf den Veitsberg gegangen, und später lieà sie sich sogar dorthin fahren, um einen frohen Tag bei ihren Freunden zu verleben. Dann nahm sie oft Stunden lang die Selma auf ihre zitternden Kniee, erzählte ihr in leisem Tone allerlei Scherz und Ernst, prägte manch' Sprüchlein ihrem Gedächtnisse ein, lehrte sie beten und die Lieder ihrer eignen Kindheit singen. Und wann sie dem Kinde bei seinen Spielen zusah, dann füllte sich oft ihr starres Auge mit Thränen und ihre Lippen bewegten sich zum Gebete für das Wohl ihres Lieblings. O wohl dem Kinde, dem solcher Segen wird in's Leben mit hinein gegeben! Das Gebet für die Kinder ist wie der Thau von oben, den der Ackermann nicht entbehren kann, und wenn er das Saatfeld noch so treu bestellt. Der Thau kommt über Nacht, und des Gebetes Segen auch; und was die Hitze des Tages auch aufzehrt, der Abend bringt's wieder neu, und Blüthe und Frucht zeugen vom Vater des Lichts, von dem herabkommt alle gute und vollkommene Gabe. â 13. Die Nachtmenschen. »Es ist kein Dörflein so klein, Ein Hexenmeister muà drin sein.« Dieses Sprüchlein, das aus dem Volke hervorgegangen ist, wird durch die Erfahrung bestätigt. Man wird noch heute nicht leicht ein Dorf finden, in welchem nicht Einer wohnte, von dem man sagt: »Er kann etwas.« Was er aber nach der Meinung der Leute kann, oder zu können vorgibt, das ist, daà er dem Vieh in Krankheiten zu helfen weià mit allerlei Hausmittelchen, auch wohl dem Herrn Doctor in's Handwerk pfuscht, und allerlei Tränklein bereitet, und Pillen dreht, die der Kunst zu Schaden und Schande manchmal helfen, da sie mit vollem Glauben genommen werden, und so diesen Winkeldoctoren den Zulauf beständig erhalten. Unter ihnen sind aber auch nicht Wenige, die dem Glauben des Volkes noch mehr zusagen, indem sie durch ihr bloÃes Wort, durch allerlei Sprüchlein, in denen der Name Gottes nicht selten gemiÃbracht wird, Blutungen stillen, behextes, d.h. krankes Vieh kuriren, Diebe ausfindig machen, ja bannen und festmachen können gegen Hieb und Stich. Da mögen hundert Täuschungen und Betrügereien an den Tag kommen, da mag man eifern, wie man will, und durch alle mögliche Gründe der Vernunft und des Christenglaubens das Uebel an der Wurzel angreifen, die Sache bleibt und wird bleiben noch manches Jahr. Der ganzen Erscheinung, die man schlechthin Aberglauben nennt, liegt das Bestreben zu Grunde, sich mit der Geisterwelt in Verbindung zu setzen, denn nicht alle diese Hexenmeister sind Betrüger, sie sind viel häufiger Betrogene, denen der Muth bei jedem Gelingen wächst und damit der Glaube, »sie könnten wirklich etwas.« Aus ihrer Mitte gehen auch die Schatzgräber hervor, ein unruhiges und keineswegs kleines Völklein, die ihr Wesen wie die Nachteulen im Dunkeln treiben, und unendliches Elend im Volke verbreiten. Sie gehen zu den dummen, reichen Glückspilzen, die gerne ohne sonderliche Mühe noch reicher würden, spiegeln denen allerlei Luftschlösser voll Gold und Silber vor, locken ihnen aber dabei ihr liebes Geld listig aus der Tasche, und sind bei Nacht und Nebel verschwunden. Zu ihnen gesellen sich herunter gekommene Handwerker aus kleinen Städten, und Bauern, die das Sprüchlein vergessen haben: »Sing', bet' und geh' auf Gottes Wegen, verricht' das Deine nur getreu«, und die dann wachend und schlafend von Schätzen träumen, die da und dort in verfallenen Schlössern, oder an Orten liegen sollen, wo es nicht geheuer ist. Bisweilen ist auch Einer unter ihnen, den man da am wenigsten suchen sollte, ein Mann von Lebenserfahrung und Wissenschaft, der nur in diesem Einen Stücke wie von einem bösen Geiste irre geführt wird, und es für möglich hält, mit Hülfe von Erdspiegel und Wünschelruthe verborgene Schätze aufzufinden. Diesen Aberglauben nähren und erhalten eine Anzahl Bücher, die sich da und dort noch unter dem Volke finden, und in so hohem Ansehen stehen, daà sie fast um Geld nicht feil sind, und wie die köstlichsten Schätze vor den Dieben müssen gewahrt werden. Sie stammen gröÃtentheils aus alter, finsterer Zeit, sind auch wohl, wenigstens der Titel sagt's, aus dem Arabischen übersetzt, und manche sind nicht einmal gedruckt, sondern finden sich nur in einzelnen, höchst seltenen Handschriften. In diesen Büchern wird geredet von der verborgenen Weisheit; nicht aber von jener, wie man durch Christum selig werden soll, sondern von jenem Vorwitz, wie man sich mit erdichteten Geistern in Verbindung setzen, durch ihre Hülfe Schätze heben, sein Lebensschicksal in den Sternen lesen, und den Stein der Weisen auffinden könne. Dazu sind nun diese Bücher nicht in gutem Deutsch geschrieben, daà sie Jedermann lesen und vergehen könnte, sondern die meisten sind ein leeres Geschwätz voller hochtrabender oder dunkler Bilder, Redensarten und Gleichnisse, und durchspickt mit Worten aus fremden Sprachen. Ja etliche sind sogar in Figuren geschrieben, und der Schlüssel zu diesen verborgenen Schätzen der Weisheit ist nicht dabei gegeben, so daà ein nüchterner Christenmensch, dem ein solch' Buch in die Hand fällt, es mit dem Gedanken zur Seite legt, wäre, was da drinnen steht, nütz zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit, so wäre es gewià auch mit deutlichen Worten geschrieben. Aber gerade an diese Bücher wagen sich die Grübler. Wenn ein Christ seinen Abendsegen betet und sich in Gottes Namen zur Ruhe legt, dann sitzen diese Jünger der geheimen Weisheit die Nächte hindurch vor ihrem Lämpchen, und ein böser Geist nach dem andern nimmt Wohnung in ihnen. Erst der Geist der thörichten Fragen, darnach der Geist des Hochmuths, darnach der Geist des Abfalls von dem lebendigen Gott. Eine besondere Classe dieser Düsterlinge ist jetzt seltner geworden, aber aufgehört hat sie heute noch nicht ganz, lange Zeit hindurch eben so unentbehrlich an den Höfen der Fürsten, wie die Hofnarren. Die Erfahrung, daà durch Mischung von mehreren Stoffen ein neuer entsteht, von neuer Farbe, Beschaffenheit und Brauchbarkeit, und daà verschiedene Metalle, mit einander verbunden, ein neues geben, rief die Scheidekunst in's Leben, eine Wissenschaft, der wir tausend wohlthätige Erfindungen verdanken. Doch während sie jetzt auf allen Hochschulen öffentlich gelehrt wird, betrachtete man sie noch vor hundert Jahren als ein GeheimniÃ, das Einer dem Andern abzulauschen suchte. Denn dieà Geheimnià ging auf nichts anders hinaus, als den Stein der Weisen zu heben, d.h. Gold zu machen, und dieses mittelst des Lebenselixirs, das dem glücklichen Finder eine willkührliche Verlängerung seines Lebens und jedes wünschenswerthe zeitliche Gut verschaffen könnte. O man muà einen dieser Goldmacher selbst gekannt haben, um einen rechten Begriff von ihrem Thun und Treiben zu bekommen. Denke dir, lieber Leser, du hast ein altes Männlein kennen gelernt, mit einem Fuà bereits im Grabe, dessen ganze Gestalt von Vernachlässigung und selbstgewählter Peinigung dürr und gebeugt ist, in dessen Augen aber ein lebhaftes Feuer glüht, und dessen Gespräch immer tiefsinnig und dunkel ist. Es ist dir gelungen, sein Vertrauen dir zu erwerben, und du bittest, der seltsame Mann möge dich in seine Weisheit einschauen lassen. Da geht ein feines Lächeln über sein Angesicht; da sieht er dich mit sonderbaren Augen an und spricht: »Wohlan, es sei; aber junger Mann bedenke, der Stein liegt tief, und es gehört viel Ausdauer dazu, ihn zu heben. Hier nimm zuerst dieà Buch und lies es mit Bedacht und unter viel Beten und Ringen und sei nüchtern und wachsam, denn die Weisheit von oben ist am ersten keusch. Du nimmst das Buch, es ist von Jakob Böhm und führt den seltsamen Titel: »Aurora, oder die Morgenröthe im Aufgange.« Du liesest in dem Buche und bringst es mit der Versicherung wieder, du könnest es nicht verstehen. Wieder lächelt das Männlein fein und gibt dir ein zweites, das heiÃt: »Theologia mystica, oder geheime und verborgene Lehre von den ewigen Unsichtbarlichkeiten.« Fängt es nun ein wenig an in dir zu dämmern, wo es eigentlich mit dieser verborgenen Weisheit hinaus will, und du wirfst da und dort ein Wörtlein in's Gespräch hinein, so nimmt dich dein Lehrer auch wohl einmal in seine Werkstätte mit. Die ist von Rauch geschwärzt und mit Staub bedeckt. Auf zerbrochenen Bänken stehen Gläschen mit Flüssigkeiten von verschiedenen Farben, und auf einem kleinen Herde siehst du eiserne Tiegel zum Schmelzen der Metalle. Du fragst nach dem Zweck von diesem und jenem, aber du hörst wenig, und was du hörst, verstehst du nicht, und bekommst immer nur den Rath: »Gemach, junger Freund; lernt erst in euch selber graben nach dem Stein, dann wird euch ein Wunder nach dem andern aufgeschlossen werden.« Doch warum schildere ich das Alles gerade an diesem Orte? Weil es Leute dieses Schlages waren, die in das Leben unseres Justus störend eingriffen und ihm der trüben Tage viel bereiteten. Seine Beschäftigung mit dem Sternenhimmel, seine Kalender, die, so schlicht und einfach sie auch waren, doch nicht von Allen verstanden wurden, lieÃen ihn Vielen von diesen Grüblern als einen von Ihresgleichen erscheinen, den man herzuziehen und brauchen müsse. So dachte auch der Fleischhauer von Grünberg, dessen wir schon einmal bei Gelegenheit gedachten, wo Justus mit seinen Hausfreunden über den Kometen von 1744 redete. Der Fleischhauer aber war ein geheimniÃvolles Geschöpf, ein alter Junggeselle, aber ein unzugängliches, störriges und boshaftes Männlein. Er wohnte in einem alten Häuschen an der Stadtmauer, und ging wenig aus, sah aber und beobachtete Alles, was seine Nachbarn trieben, machte die Kinder, die in der Nähe seines Hauses spielten, scheu, und vergiftete alle Katzen, die er erreichen konnte; denn gegen diese Thiere hatte er eine sonderliche Abneigung. Daà er deÃhalb gescheut und gemieden wurde, und man allerlei sonderbare Dinge von ihm erzählte, versteht sich von selbst. Einer wollte ihn gesehen haben, wie er Abends um die Kirchhofsmauer geschlichen sei; ein Zweiter sagte, der Fleischhauer sei nie lustiger, als wenn ein Nachbar sterbe, und manch' alt Mütterchen erzählte es zähneklappernd und mit scheuem Blicke am Born, wie der Böse gar nicht selten in Gestalt eines feurigen Drachen in seinen Schornstein hineinfahre. Wo es aber etwas gab, im Trüben zu fischen; wo es sich um eine Hexerei handelte, oder ein Schatz gehoben werden sollte, da kamen die Geisterbanner und Schatzgräber bei Nacht und Nebel in's Haus des Fleischhauers, und wuÃten sich viel von der sonderlichen Erfahrung des Mannes zu erzählen, und wie er gar kostbare Bücher, namentlich »die schwarze Rabe«, habe, und diese Bücher zu lesen verstünde, und wie sein Rath Goldes werth sei. Dieser Fleischhauer hatte es auf unsern Justus abgesehen; und als dieser einst in der Nähe seines Hauses ein Geschäft zu besorgen hatte, sah er sich plötzlich von einem Männlein begrüÃt, und unter vielen Bücklingen in ein Häuschen zur Seite gezogen. Dort erst gab sich das Männlein als den Herrn Fleischhauer zu erkennen, und versicherte mit vielen Redensarten, wie es sich freue, den Herrn Schulmeister Justus bei sich zu sehen, und wie er nach solcher Ehre schon lange getrachtet, und gerne auf den Veitsberg gekommen, wenn seine Geschäfte es erlaubt hätten. »Und nun, Freundchen«, sprach er, »mein lieber Kunstgenosse, oder soll ich euch lieber Meister nennen in der Wissenschaft aller Wissenschaften, gönnt mir auf ein Stündlein eure erbauliche Rede. Bin selbst ein armer Jünger nur und habe kaum den Ort entdeckt, da der Stein liegt. Ihr seid sicherlich weiter; sagt, wie habt ihr ihn gehoben, habt ihr schon den weiÃen Schwan gesehen? Denket nur, ich Unwürdiger muà es gestehen, bei mir ist das Leben des Lebens, die gesegnete Tinctur noch im Mercurio verborgen; bin erst im schwarzen Raben, und ist auch die Schwärze eine gesegnete und selige Schwärze, so sehne ich mich doch, sie mit der allerweiÃesten WeiÃe überkleidet zu sehen. Helft mir, Meister; auf euch hab' ich längst mein Hoffen gestellt, denn wer in Astronomia so weit ist, wie ihr, der muà in Alchemia noch weiter sein. Zudem kennt ihr ja das Sprüchlein unsrer Weisen: Der Stein liegt tief, es hebt ihn Keiner Aus eigner Kraft; es zeig' es ihm denn Einer, Sein bester Freund, es geb' aus lauter Gnad' Der Herr vom Himmel dazu seinen Rath.« »Das Sprüchlein, das ihr da sagt, Herr Fleischhauer«, sprach Justus, »ist schön, und euer Vertrauen wäre werth, belohnt zu werden; aber ich kann euch in eurer Kunst keinen Rath geben, denn ich verstehe von allem dem, was ihr gesagt, kein Wort.« »Kein Wort, mein lieber Herr Justus?« sprach der Goldmacher und blickte mit ungläubigem Lächeln seinen Gast an. »Kein Wort? Verstehe wohl, ihr wollt mich erst recht lüstern machen nach eurer Weisheit. Oder traut ihr mir vielleicht nicht recht, meint, ich schwatze aus der Schule. Kommt her, ich will euch zeigen, wie weit ich bin, damit ihr Vertrauen zu mir gewinnt. Seht ihr den Tiegel da am Boden in zwei Stücke geborsten? Gestern laborirte ich, und so war ich lebe, zum ersten Male seit ich der Lebenstinctur nachtrachte, erschien der Löwe im Blut, Freund, ich sage, der Löwe im Blut; und wie ich mit klopfendem Herzen in den hellen Goldglanz hineinsehe und die Sonne aller Sonnen vor mir aufgeht, und wie ich laut ausrufe: Nun, fahr' hin, Fall, Hölle, Fluch, Tod, Drache, Thier, Schlange, â da springt der Tiegel, und als ein blau Flämmlein steigt der Stein in Rauch auf, und roch süà wie Veilchenduft. Nun muà ich wieder anfangen. Helft mir dabei, daà meine Mühe sich eher lohne.« »Ich euch helfen, Herr Fleischhauer«, antwortete überrascht Justus, »ich kann's wahrlich nicht. Diesmal habt ihr euer Vertrauen einem Unwürdigen geschenkt. Ich kenne euren Stein der Weisen nicht, und weià nicht, wie er gehoben wird. Ich weià nur von einem Stein der Weisen, von dem dort der Prophet sagt: »Siehe ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen köstlichen Eckstein, der wohl gegründet ist.« An dem Stein nun hebe ich schon seit vielen Jahren, und er ist mir köstlich erschienen bis dahin, und seine Last ist mir leicht, und er soll einst mein Grabstein werden, mit dem Sprüchlein darauf: »Christus ist mein Leben und Sterben mein Gewinn.« »Aber«, hub der Fleischhauer halb ängstlich und halb trotzig an, »wie könnt ihr euch denn den Kalendermann nennen und als Astrologus gelten wollen, wenn ihr die göttliche Alchemia nicht kennen wollt? Sind nicht beide Wissenschaften mit einander verschwistert, ja vermählt, wie wir sagen?« »Die mich den Kalendermann nennen«, sprach ernst der Schulmeister, »die mögen's mit ihrem Gewissen ausmachen, warum sie mir mein Spielzeug wie eine Ruthe auf den Rücken binden; aber die Astrologia habe ich in meinem Leben nicht getrieben, eben so wenig wie die Goldmacherei. Als ich anfing, die Milch der Sternwissenschaft zu kosten, da ist mir wohl auch eine und die andere Schrift in die Hände gefallen, darinnen von namhaften Männern gesagt war, die Sterne hätten Einfluà auf des Menschen Leben und Sterben. Aber mir schien solch' Dichten eitel Fürwitz und ein Raub an Gottes Ehr' und Macht, und ich lieà ab von solch' eitlen Fragen.« Auf dieà Wort lieà auch der Fleischhauer von dem Justus ab, aber in seinem Herzen blieb dennoch die Meinung, der Schulmeister wisse mehr, als er sagen wolle. Der aber ging voll Angst und Grauen von dem Versucher weg, und ward keineswegs froh darüber, als ihm an der Thüre der Rathhausdiener begegnete, und lächelnd sprach: »Nun Schulmeister, ihr hier beim Fleischhauer? Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu, und Gleich und Gleich gesellt sich gern. Seid aber doch auf eurer Hut; der Rath hat längst ein Aug' auf die Eule da drinnen, und auf alle die, so hier aus- und eingehen.« Und als Justus ihm erzählte, wie er zu dem Besuch gekommen, da sagte der Rathhausdiener: »Will's glauben als euer guter Freund; aber vergeÃt nicht das Wörtlein: Mitgefangen, mitgehangen!« â Aber der Rathhausdiener war des Justus guter Freund nicht, wie er versicherte; er hatte nichts Eiligeres zu thun, als dem Rath Anzeige zu machen: auch der Schulmeister vom Veitsberg sei in's Haus des Fleischhauers gegangen und geraume Zeit drinnen geblieben. Nun muà man wissen, daà der Rath seinem Diener den Auftrag gegeben hatte, ein wachsames Auge auf den Fleischhauer zu haben und auf Alle, welche bei ihm aus- und eingingen, weil seit einiger Zeit eine Schatzgräberbande in der Umgegend ihr Wesen trieb, mit welcher der Fleischhauer sonder Zweifel in Verbindung stand. Als nun bald darauf der Superintendent von GieÃen nach Grünberg kam, so gab man ihm den Justus als Einen an, der mit verdächtigen Leuten Umgang habe, und von dem überhaupt allerlei sonderbares Gerede im Schwange gehe. Auch dauerte es nicht lange, so wurde er nach GieÃen vorbeschieden, und ihm vor versammeltem Consistorium eröffnet: »Wie man ihm vor Jahren den Schuldienst zum Veitsberg anvertraut aus besonderer Gnade und in Rücksicht auf höhere Fürsprache, obgleich ihm schon damals kein sonderlicher Ruf vorangegangen sei. Wie man sich aber nunmehro in dem auf ihn gesetzten Vertrauen sehr getäuscht habe, weil ihm für's Erste Schuld gegeben werde, er habe Umgang mit einem der Zauberei verdächtigen Manne in der Stadt Grünberg. Für's Zweite, so treibe er Allotria, sehe nach den Sternen und schreibe Kalender, was Alles für einen Schulmeister nutzlose, ja gefährliche Beschäftigungen seien. Zum Dritten, so tractire er in seiner Schule Dinge, die gar nicht hinein gehörten, lehre die Rechenkunst in Versen und pfropfe in die Köpfe der Schuljugend allerlei, davon sie nie Gebrauch machen könne, dadurch nur die edle Zeit verdorben und das Wort Gottes nicht gehörig getrieben werden könne. Zum Vierten, so habe man von einem zuverlässigen Manne gehört, wie er, Justus, allerlei verlaufenes Gesindel in seinem Hause beherberge, ohne nach Herkunft und Namen zu fragen, auch schon seit etlichen Jahren ein fremdes Kind in seinem Hause erziehe, das ihm bei Nacht und Nebel gebracht worden sei, obgleich er selbst wisse, wie wenig es sich für einen christlichen Schulmeister schicke, solche Findlinge aufzunehmen.« Ueber diese vier Punkte solle er sich nun protocollariter erklären und der Wahrheit die Ehre gehen. »Das habe ich denn auch gethan«, erzählt er selbst, »in aller Demuth, wie es mir geziemte, weil ich wohl sah, daà meine Herrn Vorgesetzten waren irre geleitet worden. Ich hab' mit kurzen Worten Zeugnià von meinem Wandel abgelegt und Rechenschaft gegeben von meinem Amte, auch nichts verschwiegen, was einen Flecken auf mein liebes Pflegekind hätte werfen können; hab' aber zum Schluà auch erklärt, daà ich meinen Ankläger wohl kenne und bereit sei, von ihm ein Zeugnià abzulegen, das nicht zu seinen Gunsten ausfallen dürfte. Doch das hat man nicht hören wollen, und bin also mit dem Bedeuten entlassen worden, hinfüro wohl Acht zu haben, daà ich vor Gott und Menschen ein gut Gerücht behalte.« »So ist denn durch Gottes Gnade abermal eine Prüfung an mir vorübergegangen, und sage zum Schluà mit Paulo: »Ich bin mir wohl nichts bewuÃt; aber darinnen bin ich nicht gerechtfertiget; der Herr ist es aber, der mich richtet.« * * * * * »Also der Höllenbrand, der Gerst, schiert noch am Feuer eurer zeitlichen Trübsal!« rief voll Unwillen die alte Lindin aus, als Justus nach dieser schweren Stunde sie besuchte. Krank und müde von Alter lag die Alte in ihrem Bette, aber ihre Stimme war laut und ihr Auge noch voll Feuer. »Ich glaubte den Menschen niedergetreten zu haben wie einen Wurm, denn er krümmte sich unter meinen FüÃen«, rief sie, »aber er lebt wieder, und ist dieselbe alte Schlange, ja giftiger, denn zuvor. Denkt nur, der Unglücksmensch wagte sich sogar an mich alt Weibsbild, und suchte mich da und dort bei meinen Gönnern und Freunden zu verfuchsschwänzen. Aber warte, dacht' ich, du kennst die alte Lindin vom Tiefenweg schlecht. Ich lieà mein Maul zum Schwert werden, und mein' ich denn, das Schwert hat geschnitten. Sag' meinetwegen, du Lotterbube, ich sei ein alt, bös Weibsbild; kannst Recht haben und mein Heiland muà Geduld mit mir haben, wenn's zum Himmel mit mir eingeht; aber der muà noch kommen, der mir nachsagt, die alte Lindin habe je einen Pfennig veruntreut oder einen Bissen unverdienten Brods gegessen. â Geht getrost heim, Herr Justus, und fürchtet euch nicht, der starke und eifrige Gott, dem ihr gedienet von Kind auf, der lebt noch und wird bei euch sein, der Wagen Gottes viel tausend mal tausend um euch her. Eilt heim, sag' ich, Justus, damit die Euren sich nicht euretwegen bresten; grüÃt Weib und Kind von mir, und nehmt meinem Herzblatt, der Selma, dieà Kreuzlein von Bernstein mit, daà sie mein dabei gedenke und dessen, der sein Blut am Kreuz vergossen hat für uns arme Sünder. Der hat noch viel bösere Widersacher gehabt, denn ihr, und hat sie doch überwunden. â So wahr Gott lebt und seine VerheiÃung Ja und Amen ist, der Gerst kommt noch zu euch wie einst Judas, der Verräther, mit dem BekenntniÃ: »Ich habe übel gethan, daà ich unschuldig Blut verrathen habe.« 14. Die Versuchung. Jahre sind indessen hingegangen, und um die Pfingstzeit, die so lieblich ist auf diesen Bergen, kehren wir wieder einmal ein im Hause des Schulmeister Justus. Noch finden wir die lieben Menschen alle vereint, aber doch ist's nicht ganz wie ehemals. Die Kinder sind herangewachsen: Heinrich zu einem stattlichen Burschen, die Töchter zu blühenden Mädchen, und still und in sich gekehrt sitzt Selma in einer Ecke der Stube, und auf ihre Bibel, in der sie lies't, fallen von Zeit zu Zeit Thränen. Sie weià selber nicht, wie ihr geschieht. Es ist morgen der Tag ihrer Confirmation. Die Gespielinnen suchen Blumen und schmücken die Kirche, und freuen sich des Tages, der ihrer wartet, und haben die Freundin eingeladen, Theil an ihrer Freude zu nehmen. Aber Selma hat keinen Sinn mehr für die Blumen, die sonst ihre Lieblinge gewesen, und sie denkt des morgenden Tages nicht mit Sehnsucht, nur mit Angst, denn ein schwerer Kummer lastet auf ihrem Herzen. Und der Kummer hat Alle weich gemacht, Aeltern und Geschwister zugleich. Denn wie sie heute aus der Beichte gekommen, da hat Mutter Dorothe sie allein genommen, und hat ihr Alles erzählt, was sie noch nicht gewuÃt, hat ihr Vater und Mutter genannt, und ihren eignen Namen, den sie noch nicht gekannt, und hat ihr Taufschein und Angedenken ihrer Mutter gegeben, und unter viel Thränen zu ihr gesprochen: »Liebe Selma, wir haben lange mit uns gekämpft, ob wir dir sagen sollten, du seiest nicht unser Kind, oder ob wir dich in deinem Glauben lassen sollten. Denn mein Herz wollte mir springen bei dem Gedanken, du möchtest uns fremder werden, und kein Genügen mehr bei uns finden, wenn du wüÃtest, daà du fremder, reicher Leute Kind seiest. Aber Justus meinte, jetzt oder nie sei die Zeit gekommen, wo du solche Nachrichten hören könntest. Du sollst unser bleiben, unser liebes Kind, wie du bisher gewesen bist, so lange es Gott gefällt, dich uns zu erhalten; aber es könnte ja sein Wille sein, daà deine Aeltern bald kämen, und dich von uns nehmen wollten, und dann wäre dein Herz vielleicht weniger zum Abschied gefaÃt, wie jetzt, wo du Alles weiÃt.« Ob dieser Rede war es dem Mädchen schaurig zu Muthe geworden; es war der Mutter unter lautem Weinen um den Hals gefallen, und hatte einmal über das andere Mal gefragt: »Nicht wahr, Mutter, du scherzest nur mit mir, du bist mein und ich bin dein?« Wie aber Justus auch dazu gekommen, und ihr voll Ernst und Rührung dasselbe gesagt hatte, da war sie in sich zusammengesunken, und saà nun still weinend mit der Bibel in der Hand da, und Niemand wagte sie zu stören, denn Alle wuÃten, daà ihr Herz betete zu dem Vater der Waisen um Trost und Stärke. Wie denn der Pfingstmorgen kam, wie das Geläute der Glocken von allen Dörfern im Thal heraufschallte, wie die Nachtmahlskinder, mit Blumen geschmückt, und von ihren Aeltern geleitet, dem Berg heraufschritten zur Kirche, da hing Selma blaà wie eine Leiche und mit zitternden Händen das goldene Kreuz ihrer Mutter um den Hals, und wer sie sah, der konnte sich der Thränen nicht enthalten, dem erschien sie wie eine Einsame, Unbekannte, Verbannte, Heimathlose mitten unter Glücklichen und Liebenden. Wie aber das Fest vorüber war, da war auch Selma wie verwandelt. Sie nahm das Kreuz wieder von ihrem Halse ab, legte es in die Hand Dorothea's und sprach: »Mutter, ich bin und bleibe euer, laÃt mich euren Namen führen auch forthin. Ich begehre nichts, als euer Kind zu sein, denn das bin ich ja, da ihr mich aufgezogen habt in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, bis auf diesen Tag.« Und es war Freude im Hause des Schulmeisters, und das Pfingstfest ward Allen, die drinnen waren, ein Fest des heiligen Geistes. * * * * * Ich sagte vorhin: Es waren Jahre hingegangen, und es war nicht ganz wie ehemals im Schulhause auf dem Veitsberg, die Kinder wuchsen heran, und waren gut geartet, aber Nahrungssorge war eingezogen. Die Besoldung reichte nicht hin zum Unterhalt und zur Kleidung, und Justus muÃte, so schmerzlich es ihm war, mehrere Nebenämtchen übernehmen, deren eines, das Amt eines Universitätsförsters, ihm vielen Verdruà bereitete. Es stöÃt an den Veitsberg ein Wald, der der Universität GieÃen gehört, und über diesen übernahm Justus die Aufsicht. That er nun, was seines Dienstes war, hielt er Ordnung im Walde und brachte die Frevler zur Anzeige, so wurden ihm diese gram, und spotteten seiner, wie er als Schulmeister ein Förster sein könne und legten es ihm als Habsucht aus, obgleich die Noth ihn nur dazu zwang. Dazu kam noch die Sorge um sein Weib; denn Dorothe kränkelte beständig, und konnte nicht wie ehemals Tag und Nacht für der Familie Unterhalt arbeiten. Und obgleich die Töchter rüstig Hand anlegten, und keiner Arbeit sich schämten, so wollt' es doch nirgends ausreichen. Die Zeiten waren böse. Die beständigen Kriege im deutschen Land, die vielen MiÃerndten verteuerten die Lebensmittel, und drückten den Landbewohner sehr. Und gerade in dieser Zeit sollte Heinrich sich für seinen künftigen Beruf bilden. Sein Vater hatte treulich für Herz und Geist gesorgt, und ihm viel Gottesfurcht und Wissen mitgegeben; aber so sehr auch Alle sparten, daà der Jüngling zur Schule oder zur Lehre hätte abgehen können, nirgends wollte sich auch nur das Nothdürftigste zurücklegen lassen. Viele in und um GieÃen, an die sich der bekümmerte Vater wandte, vertrösteten ihn von einer Zeit zur andern; und nicht Wenige wiesen ihn ganz ab mit dem Bemerken, er sollte den Jungen zu einem Handwerker in die Lehre thun; man brauche auch kluge Leute in diesem Stande. Dazu hatte der Gerst wieder Unkraut genug ausgestreut, und lieà nicht ab, den Justus und sein ganzes Haus zu verdächtigen. Auch waren die alten Hausfreunde fast sämmtlich gestorben, oder in die Ferne gezogen, und ihre Stelle war nicht wieder ersetzt worden. Denn so Viele ihrer aus- und eingingen auf dem Veitsberg, sie hatten wohl schöne Worte auf der Zunge, aber keine rechte Liebe im Herzen. Der alte Zacharias Storch von Bolenbach, der Simon Kleinfelder, der gute treue Jäger, die Freunde, die immer Rath und Trost gehabt hatten, sie waren in die Ewigkeit eingegangen. Und ihnen war auch die alte Lindin gefolgt. Ihr starkes, groÃes Christenherz war im Tode gebrochen, nach dem sie sich schon lange gesehnt hatte. »Ich habe Lust abzuscheiden, und bei Christo zu sein«, das war ihr letztes Wort. Auch der Corporal Scheuermann war nicht mehr in GieÃen, sondern hatte anderwärts seinen Dienst. Der Benjamin Laupus aber war in ein fremdes Land gereis't, weil ihm in der Heimath sein früheres Leben nicht verziehen ward. Warum der liebe Gott wohl so viele Freundesgräber um uns aufhäuft, ehe er das unsere uns bereiten läÃt? Ich glaube, daà uns von diesen Hügeln herab die Lust und Herrlichkeit dieser Welt immer kleiner, dagegen desto näher der Sonnenaufgang aus der Heimath erscheine, von dannen der Lenz kommt in's Land der Gräber, und mir ihm das Trostsprüchlein: »Ich will euch wieder sehen und euer Herz soll sich freuen und diese Freude soll Niemand von euch nehmen.« Aus der Zeit stammt wohl das Lied, das wir noch vom Kalendermann haben, wenigstens drückt es ganz die Stimmung aus, in der er sich damals befand. »Eins bitt' ich von dem lieben Gott, Das bleibt mein täglich Beten, Dass er mir geb' in Freund' und Noth Ein Herz, vor ihn zu treten. Ich nehm' es Alles dankbar hin, Was mein Gott mir will geben, Ich preis' ihn mit vergnügtem Sinn Für Hab' und Gut und Leben. Doch nehm' er's hin, wenn's ihm gefällt, Ich will es freudig missen, Ich weià ja, daà in dieser Welt Wir Alles lassen müssen. Doch jenes Herz, das treu dich liebt, Das deines Sohns sich freuet, Das sich im Glauben dir ergibt, Sich täglich neu dir weihet; Dieà Herz, o Vater, wollest du Mir jetzt aus Gnaden schenken, Dann hab' ich Frieden, hab' ich Ruh' Will Andres nicht bedenken. Ein solches Herz wird nimmer ganz Aus deiner Gnade weichen, Selbst aus der Sünd' mit hellem Glanz Wird neu heraus es steigen. Und solch' ein Herz gib mir, o Gott, Hilf, Jesu, mir's erwerben! Was willst du, Welt, mit Noth und Spott? Eins bleibt mir, _selig Sterben_.« * * * * * Es war im Herbste desselben Jahres, als eines Tages der Schreinerkaspar, oder wie er eigentlich hieÃ, der Kaspar Greb von Harbach, dessen Bekanntschaft wir früher schon machten, auf den Veitsberg kam. Das that er von Zeit zu Zeit, ward aber immer weniger gern im Schulhaus gesehen, weil er ein unruhiger Geist und ein schlechter Haushalter geworden war, und sich überhaupt keines guten Gerüchtes erfreute. Der Schulmeister hatte gethan, was er konnte, seinen Hausfreund auf dem rechten Wege zu erhalten; aber der Schreinerkaspar gehörte eben zu jenem Menschenschlag, die sich selbst gerne mit allerlei hochtrabenden Namen benennen, und auf ihren Verstand viel einbilden, eigentlich aber nichts sind, als Tagdiebe. Schon vor Jahren hatte er sein Schreinerhandwerk aufgegeben, und war in der Gegend umhergezogen, die Uhren der Bauern zu repariren. Durch Nachdenken und Uebung hatte er sich viele mechanische Kenntnisse erworben, und benutzte dieselben zur Bildung von verschiedenen Kunstwerken; aber weil er über solcher Düftelei Handwerk und Ackerbau versäumte, so gerieth er mit Weib und Kind in die drückendste Armuth. Das kümmerte ihn indessen nicht, und änderte nichts in seiner Lebensweise, er machte nach wie vor Uhren, und lieà Weib und Kind im Elend und in der Bettelei. Auf seinen Streifereien in die Nähe und Ferne war er mit andern Gleichgesinnten zusammengetroffen, und es hatte keine groÃe Mühe gemacht, ihn in eine Schatzgräberbande hinein zu ziehen. Man gab ihm Bücher zu lesen, wie wir sie früher geschildert haben, und seine lebhafte Einbildungskraft entzündete sich dermaÃen, daà er in jedem alten Gemäuer und in jeder Kirche einen vergrabenen Schatz witterte. Da er in diesen Büchern auch geheimniÃvolle Andeutungen über den Einfluà der Gestirne auf das Heben der Schätze fand, so richtete er sein Augenmerk auch auf den Kalendermann, und hoffte zuversichtlich, auch den für seine Pläne zu gewinnen. So kramte er denn in's Lange und Breite seine ganze Weisheit vor dem Schulmeister aus, und fragte namentlich, was er von den Astralgeistern halte, und welche Zauberformeln und Sprüchlein er kenne, um diese Geister sich zu Dienst zu machen. »Kaspar«, sagte der Schulmeister, »eure Rede verstehe ich nicht, weià überhaupt nicht, wie solch' faules Geschwätz aus dem Munde eines Christenmenschen kommen kann. Mein geringes Wissen beschränkt sich nur auf das, was ich über den Gang und Lauf der Gestirne von andern Sternkundigen gelernt, und durch eigne Beobachtung und Berechnung mir angemerkt habe. Darnach sind Sonne, Mond und Sterne Lichter an der Beste des Himmels oder Werke des groÃen Baumeisters, die da scheiden Tag und Nacht, und geben Zeichen, Zeiten, Jahre und Tage. Da sie das sind, so regieren sie wohl die Welt, die wir bewohnen, sind auch wohl dienstbare Geister, gemacht zum Dienst um Deren willen, die ererben sollen die Seligkeit, da sie uns Gott kennen und seine groÃe Oekonomie bewundern lehren, und uns verlangend machen nach dem Licht, das droben ist, in das nicht eingehen kann irgend etwas Unreines und Beflecktes. Aber von euren Stern- und Astralgeistern weià ich nichts, denn es steht davon nichts in heiliger Schrift.« »Ihr habt Recht«, sagte der Kaspar darauf, »aber wisset ihr denn nicht, daà es neben der Weisheit, die in heil. Schrift steht, noch eine andere gibt, die den Patriarchen und Propheten und Aposteln und vielen Weisen der Vorzeit ist insgeheim mitgetheilt worden, und die sich so von Geschlecht zu Geschlecht fortgepflanzt hat, gleichsam auch als ein heilig Wort neben dem geschriebenen? Diese Weisheit aber ist nicht Jedermanns Ding, sondern nur der Auserwählten und insonders Begnadigten, die da lehret einschauen in die Tiefen und Abgründe aller Dinge, die im Himmel und auf Erden sind, und mittelst des wahren Schlüssels aufschlieÃen alle Schätze in der Höhe und in der Tiefe.« »Hört, Kaspar«, sprach der Schulmeister mit tiefem Ernst, »jetzt verstehe ich euch, aber jetzt warne ich euch auch, wohl vor euch zu sehen, daà euch der Stein der Weisen, den ihr suchet, nicht zum Stein des AnstoÃes werde. Ihr treibet Fürwitz mit dem heiligen Bibelbuch. Wohl weià ich, daà es dort im Hiob heiÃt: »Ach, daà Gott mit dir redete, und thäte deine Lippen auf und zeigte dir die heimliche Weisheit;« wohl kenne ich das Sprüchlein aus David's BuÃpsalm: »Du lässest mich wissen die heimliche Weisheit;« aber solche heimliche Weisheit ist nichts anders, als was der Geist Gottes einem Jeden gibt, der darum bittet, nämlich immer tiefere Erkenntnià von Gottes väterlichem Rath, daà in keinem Andern Heil sei, denn in Christo Jesu. Der ist und bleibt der wahre Stein der Weisen, und daran hebt, so lange ihr lebt. Denn diese Weisheit, die von oben kommt, die ist am ersten keusch, darnach gelinde, lässet ihr sagen, voll Barmherzigkeit und guter Früchte. »Alles ganz gut, was ihr da sagt, Schulmeister«, hub der Schreinerkaspar wieder an, »aber widerspricht eurem Worte nicht die Erfahrung? Diese heimliche Weisheit, die ihr verwerft, hat doch schon Wunderdinge gethan. Sie hat Etliche zur glücklichen Auffindung des Lebenselixirs gebracht, daà sie ihr Leben in's Unglaubliche verlängert haben; sie hat Etliche das Goldmachen gelehrt, daà sie so reich geworden sind, wie Keiner vor ihnen; sie hat den Weg gezeigt, wie Etliche manch' schönen vergrabenen Schatz zu Tage gebracht haben, der sie Zeitlebens von aller Sorge bewahrte.« »Alles nichts als Wind und Aufschneiderei«, sagte trocken der Schulmeister, »womit Einer den Andern betrügt, ihm sein Geld aus der Tasche lockt, und hinten drein in's Fäustchen lacht. Sagt selbst, Kaspar, was ist bei allen Schatzgräbereien, die wir bis jetzt erlebt, herausgekommen? Wie ist's denen dort im Gartenhäuschen bei GieÃen ergangen? Man hat sie am Morgen mit umgedrehten Hälsen gefunden. Was hat der Dreher Müller in seiner Schachtel gefunden, statt des Goldmännleins, das sie ihm hineinzuzaubern versprochen? So wahr ich lebe, nichts als eine todte stinkende Ratte! Was haben die Schälke dem dummen Pachter dort in der Wetterau, der schier eine Meste weiÃer Sommerkälber einfangen lieÃ, damit sie sich bei ihm in Ducaten verwandelten, was, sage ich, haben sie ihm zurückgelassen? Einen leeren Beutel und ein bös Gewissen, und Hunger und Kummer im Hause.« »Je nachdem man's angreift«, antwortete der Kaspar; »wer den Gaul am Schwanz aufzäumt, der kann auch hierbei nicht fortkommen. Man muà nur die Sache recht anzugreifen wissen. Und, mein' ich denn, unsere Herrn Kameraden verstehen das Ding; sie sind nicht alle auf den Kopf gefallen. Wir haben sogar Etliche darunter, vor denen ihr, Herr Schulmeister, den Hut abthun müÃtet; verstehe das also, daà sie, gleich wie ihr, Wissenschaft haben von Allem droben am Himmel und hier unten auf Erden.« »Das glaub' ich gern«, sagte Justus heiter lächelnd, »daà sie mehr wissen als ich, denn mein Wissen blähet mich nicht; aber kennen möchte ich wohl den Hauptinhalt ihrer Wissenschaft, wäre es auch nur, um zu lernen, was mir noch fehlt.« »Nun mit einem Stücklein davon«, war des Kaspars Antwort, »kann ich euch wohl dienen. Kennt ihr die Geister der sieben Planeten?« »Nein«, war Justus Antwort; »die Planeten kenne ich, aber ihre Geister nicht.« »Dann kann ich ihre Namen euch auch nicht nennen«, sagte der Schreinerkaspar, »wenigstens heute nicht, denn der Tag ist nicht günstig. Wisset nur vor der Hand, daà diese Geister es sind, die alle Witterung in der Luft wirken und zu der Geburt aller mineralischen, vegetabilischen und animalischen Essentien ihre Kräfte geben. Daher muà man mit solchen himmlischen Intelligenten in geheime Kundschaft treten, und beobachten, welcher Planet über irgend eine Kraft sein Dominium habe. Wenn ich nun weiÃ, welcher Planet regieret, so muà ich mich mit seinem Geist heimlich besprechen, welches geschieht, wenn ich mein Sinnen und Verlangen auf ihn richte. Dann theilt sich mir des Planeten Geist mit, welches sich kund thut durch ein Getön wie mit einer Schellen. Hörst du das, dann muÃt du ein Glöcklein bei dir haben, damit du könnest die Losung geben, daà du zu hören bereit bist. Hiernächst wird dich bald eine Exstasis überfallen, in welcher dir Alles gegeben wird, was du begehrest: Weisheit, Schätze, Güter. Das Glöcklein muà aber gar magisch bereitet werden. Auf seinem Schwengel muà stehen: Adonai, auf seiner Rundung: Tetragrammaton und auf seiner Handhabe: Jesus. AuÃerdem weià ich noch Manches, aber erstlich darf ich's euch, als einem Uneingeweihten, nicht sagen, und dann versteht ihr's auch jetzt noch nicht, thut wenigstens so. Könnt ich euch für uns gewinnen, Schulmeister, ich weià nicht, was ich euch zu Lieb' thäte; ihr wäret ganz unser Mann.« »Wollt ihr mir was zu Lieb' thun, Kaspar«, sprach der Schulmeister, »so laÃt's für heute genug sein mit dieser unnützen Rede. Mein Gewissen beiÃt mich schon, daà ich diesem gotteslästerlichen Gerede mein Ohr geliehen habe. Geht doch heim, Kaspar, und nehmt wieder Hammer und Säge, und arbeitet für Weib und Kind, die bereits auf der Bettelfahrt begriffen sind. Es ist ein groÃer Gewinn, wer gottselig ist und lässet ihm genügen, und im SchweiÃe des Angesichtes sein Brod isset; wer aber der Narren Geselle ist, und nach Schätzen sucht, der wird Unglück haben.« »Schulmeister«, antwortete der Schreinerkaspar mit groÃer Heiterkeit, »stellt euch nicht so zimpferlich, wie ihr thut. Euren Unglauben nehme ich euch nicht übel, denn gerade so war es bei mir ehemals; aber ihr gerade solltet am wenigsten gegen das Schatzgraben etwas einwenden, da euch, wie ich weiÃ, die Güter dieser Welt eben so Noth thun, denn mir. FaÃt einmal Muth und gesellt euch zu uns; gelingt, was wir eben vorhaben, dann sind wir Alle versorgt auf Zeit Lebens, und ihr mit, wenn ihr von der Compagnie seid.« »Hab' ich euch je geklagt, Kaspar«, war des Schulmeisters Antwort, »daà es mir übel gehe, und je gewünscht, reich zu werden? So lange mir mein Gott einen genügsamen Sinn läÃt, worum ich ihn täglich anflehe, bin ich reich genug, und werde auch lernen, die Ungeduld des Fleisches zu überwinden und mich der Trübsal zu rühmen. Wie ich es aber anfange, und meine Dorothe mit mir, um in der Genügsamkeit mich zu üben, davon, Kaspar, hört ein Pröbchen. Neulich komme ich just dazu, wie Dorothe die Hühner füttert, und bemerke eins darunter, das gewaltig gluckst, ja schier kräht wie ein Hahn. Dorothe, sag' ich und deute auf das Thier: Wenn das Huhn fängt an zu krähen, magst du ihm den Hals umdrehen. Dazu kann Rath werden, sagt' sie, zudem hat das Huhn ausgelegt, und übermorgen ist Sonntag. Wie ich nun Sonntags aus der Kirche komme, da fällt mir auch das Huhn wieder ein, und die Suppe, die davon gekocht werden sollte, (ich hatte auch wohl früher schon etliche Male daran gedacht,) und sagte schmunzelnd zu mir selbst: »Justus, heute issest du Hühnersuppe und ein Stücklein Fleisch darein«, und der Mund begann mir zu wässern. Wie wir nun sitzen, und Dorothe die Teller füllt, da kommt eitel Mehlsuppe zum Vorschein. Nun, denk' ich, das Huhn kommt noch nach, etwa gebraten oder gekocht, und tröstete mich. Aber statt des Huhns kommt ein Eierkuchen. Da sah ich Dorothe an, und sie verstand meinen Blick und lächelte und sagte: Ich habe das Huhn um zehn Albus verkauft und dafür dieà und das in's Haus geschafft, das fehlte; versuch's einmal, Lieber, ob's auch so thut! Und ich lachte und Dorothe mit und die Kinder auch, und hat uns unser Mittagsbrod gar trefflich geschmeckt. Da hab' ich abermals gelernt, was der Apostel sagt: »Lasset euch begnügen mit dem, das da ist.« 15. Die Tiefe. Einige Wochen nach dieser Unterredung, die dem Justus manches Bedenken verursachte, besuchte er am Nachmittag einen kranken Freund in Reinhardshain. Das trauliche Gespräch that dem Kranken wohl, und er bat den Schulmeister, als der mit der Nacht wieder heim wollte, noch um ein Stündchen, und als das verflossen war, noch um ein zweites, und der Wächter blies bereits die zehnte Stunde, als er Hut und Stock ergriff, dem Kranken die Hand reichte, und in Gottes Namen hinaus schritt in die Nacht. Die Nacht war dunkel, aber der Himmel frei von Wolken, und des Weges wohl kundig, beschaute sich der Kalendermann die Sterne am Himmel mit allerlei gottseligen Gedanken und ernsten Ueberlegungen. So schritt er den Weg hinauf zum Wirberg. Es hat aber auf dem Wirberg früher ein Kloster gestanden, von Nonnen bewohnt, die zur Zeit, als Luther mit der Predigt des Evangeliums auftrat, keines guten Gerüchtes sich erfreuten. Denn es ging auf dem Wirberg gar ärgerlich zu, und die Klosterfrauen trieben allerlei Kurzweil, die sich schlecht mit ihrem Stande vertrug. Da machte der Landgraf von Hessen, mit Namen Philipp, kurzen Proceà mit ihnen, trieb die Nonnen aus dem Kloster, und lieà des Klosters Güter und Gefälle zu guten Zwecken verwenden. Jetzt steht nur noch die Kirche und das Pfarrhaus mit der Wohnung des Glöckners dort oben, und sonntäglich rufen die Glocken vom Wirberg die Bewohner der Dörfer im Thale zum evangelischen Gottesdienst. Nun sieht man noch heute in der Nähe der Kirche eine Höhle im Berge, von auÃen einem Keller nicht unähnlich, denn man steigt auf vielen Stufen hinab in die Tiefe. Ein Born klaren Wassers hemmt hier den Schritt, an dem die Bewohner ihren Trunk holen. So ist's nicht immer gewesen; denn in der Höhle war ehemals trockner Grund, und sie führte hinab in's Thal, ja, wie die Sage erzählt, sogar bis nach dem entfernten Grünberg. Daà es da unten nicht geheuer ist, versteht sich, daà aber da unten auch die Nonnen ihre Schätze, ihre goldenen und silbernen AbendmahlsgefäÃe vergraben hätten, als sie das Kloster verlassen muÃten, das war von jeher im Munde des Volks eine ausgemachte Sache. Kein Wunder, daà die Höhle oft von Schatzgräbern besucht wurde, und die drinnen gewesen waren, die erzählten Andern, da unten sei es nun und nimmermehr geheuer, denn man höre allerlei sonderbare Töne, gleichsam das Stöhnen der Geister, die die Schätze bewachten, und wer die zu citiren verstünde, dem wäre geholfen. Als Justus an dieser Höhle vorbeiging, und zufällig einen Blick hineinwarf, drang der Schein eines Lichtes aus der Tiefe zu ihm herauf. Betroffen ging er weiter; schämte sich aber bald seiner Angst, kehrte zurück, und blickte wiederholt in die Tiefe. Jetzt drang der Ton einer Menschenstimme an sein Ohr, und das bewog ihn, genauer hinab zu sehen. Nach einigen Minuten wagte er sich sogar in die Oeffnung, und schritt leise einige Tritte hinab. Das Gewölbe war von mehreren Laternen erhellt. Um einen Kreis von Männern, die mit dem Gesichte nach dem Mittelpunkt gekehrt waren und mit gesenktem Haupte da standen, ging Einer mit einem irdenen Rauchfaà umher, und erfüllte mit einem übelriechenden Dampf das ganze Gewölbe. In der Mitte des Kreises stand ein Mann, mit einem weiÃen Hemde über den Kleidern und einer Kappe von Papier auf dem Haupte, vornen weiÃ, hinten schwarz, mit sonderbaren Figuren bemalt. Um ihn her war ein Kreis gelegt von weiÃem Papier, wieder mit Figuren bemalt, und der Mann in der Mitte hatte eine Wünschelruthe von Messing in seiner Hand, drehte sich bald da- bald dorthin, und murmelte allerlei Zaubersprüchlein vor sich hin, die von den andern wiederholt wurden. Plötzlich schwieg Alles, das Rauchwerk dampfte stärker, und mit lauter Stimme rief der Beschwörer, indem er die Ruthe auf der Spitze seines Mittelfingers in's Gleichgewicht brachte: »Ich Johannes beschwöre dich Ruthe bei allen denen über dich gesprochenen Worten Adonai, Agla, Tetragrammaton, daà du mir richtig antwortest, durch deinen vorwärts ziehenden Ruthenschlag, wo der verborgene Schatz liegt. Und dich allerheiligsten Engel und Fürsten Ariel des Elements der Erden, bitte und beschwöre ich, daà du diese meine Ruthe führest und leitest, durch Adonai, Agla, Tetragrammaton,; dieses sollt ihr helfen all' ihr heilige Chöre der Engel durch den Engel aller Engel Jesum â Christum, in Nomine Patris â et Fili â et Spiritus Sancti â Amen.« Erstaunt über diese Gotteslästerung, und heftig erschreckt, wollte Justus sich eben schweigend zurückziehen, als er sich plötzlich von hinten am Kragen gefaÃt und niedergeworfen fühlte. Im Nu füllte sich das ganze Gewölbe mit Strickreitern, Amtsdienern und Bauern. Die Leuchten erloschen, und Freund und Feind wälzten sich in buntem Knäul auf einem Haufen umher. Da und dort entwischte Einer; und als man Lichter herbeibrachte, so hatte Mancher statt eines Schatzgräbers einen von der Wache erfaÃt und aus dem Gewölbe geschleppt. Der den Justus gefaÃt hatte, leuchtete ihm in's Gesicht, â es war der Rathhausdiener von Grünberg, â und rief: »Dachte ich's doch, Schulmeister, daà ihr auch unter den sauberen Vögeln wäret. Hab' euch längst auf dem Strich gehabt, und es den Herrn vom Rath versprochen, den Justus krieg ich gewià auch einmal, wo er sich's am wenigsten versieht. Kalendermänner und Schatzgräber sind allezeit Gebrüder und des Teufels Diener.« Der erschrockene Mann mochte seine Unschuld betheuern, wie er wollte, mochte der Seinen Angst, wenn er nicht heim komme, noch so lebhaft schildern, es half Alles nichts. Man schleppte ihn mit nach Grünberg, und steckte ihn mit den Schatzgräbern in den Thurm. Schon mit dem frühsten Morgen erschien Dorothe vor dem Amtmann, und kurz nach ihr der treue Hausfreund Elias Büttner. Beide gaben sich alle Mühe, den Richter von der Unschuld des Gefangenen zu überzeugen, baten wenigstens um seine Freilassung, damit ihm der Schimpf erspart werde, aber es half nichts; die kurze Antwort lautete: »Mitgefangen, mitgehangen.« Das war ein schlechter Trost. Und was die Sache noch verschlimmerte, war, daà die Schatzgräber aus purer Bosheit den Justus als Einen von Ihresgleichen angaben, und sich an seinem Schmerze labten. Dazu war der Kranke, den Justus an jenem Unglücksabend besucht hatte, gestorben, und die Seinen waren über den Trauerfall so bestürzt, daà sie sich in ihren Aussagen widersprachen; kurz, der redliche Justus, der alles Schatzgräberwesen verachtete, und alle Gemeinschaft mit diesen Leuten vermied, saà jetzt als Mitgenosse im GefängniÃ, und hatte kein Mittel, seine Unschuld zu beweisen. Denn was er auch vorbrachte, sich zu rechtfertigen, da hieà es immer: Er habe schon lange in bösem Verdachte gestanden, als treibe er Teufelswerk, denn er trage den Namen »Kalendermann« nicht umsonst. Daheim war Herzeleid ohne Gränzen; und so oft auch Dorothe den Ihren Trost einsprach, und sie auf Hiob's Wort hinwies: »Der Unschuldige wird vom Herrn errettet werden«, so bedurfte sie des Trostes doch selber, denn sie sah kein Ende dieser langen, schmählichen Gefangenschaft. Da war eines Morgens Selma verschwunden. Mutter und Geschwister meinten, sie sei nach Grünberg gegangen, den Vater zu besuchen, wie sie oft that, und ihm Trost in sein unverdientes Gefängnià zu bringen. Als aber der Abend kam, und das Mädchen nicht heimkehrte, da gesellte sich eine neue Angst zu der alten. Doch am folgenden Abend, als man zu Nacht läutete, kam sie wieder und mit ihr der Vater. Aber wer beschreibt die Rührung Aller, als Justus sein Pflegkind an der Hand nahm und also sprach: sehet hier meinen Engel und Retter! Dieà Kind hat, vertrauend auf den starken Gott, der einen Daniel von der Löwen Rachen schützen kann, mich befreit durch nichts, als durch das Wort der Wahrheit aus Kindesmund. So hab' denn Dank, du mein Kind, für dein Wort zur rechten Stunde; du hast reichlich vergolten, was ich an dir gethan. Uns alle aber lasset Gott danken auch für diese Anfechtung, und ihn bitten, daà er sie uns helfe vollführen, denn noch ist der Böse geschäftig, Unkraut zu streuen.« Und so war es wirklich. Denn gerade Selma's fromme That der Kindesliebe hatte die Sache des Schulmeisters nur verschlimmert. Auf die Freiwerdung des Vaters hatte das gute Kind es abgesehen, und die erlangte es auch, aber es hatte dem bittersten Feinde der Aeltern, dem Gerst, die neue Noth der Familie geklagt, und der baute darauf einen neuen teuflischen Plan. Wie Selma an jenem Morgen, wo sie heimlich das Aelternhaus verlassen hatte, um für ihren Vater zu bitten, an der Mauer des Kirchhofs, der vor GieÃen liegt, hinging, da trat das Bild ihrer mütterlichen Freundin, der alten Lindin, lebhaft vor ihre Seele, und sie wünschte ihr Grab zu sehen, um auf ihm sich Stärke für ihren sauren Gang zu erbeten. Der Todtengräber grub an der Mauer ein neues Grab, und gab dem Mägdlein auf seine Frage nach dem Grab der Mutter Lindin freundlichen Bescheid. »Seht dort«, sprach er, »dort, wo die Aeste der Linde über die Mauer herüberhängen, liegt die Alte. Gott hab' sie selig. Das war ein Weib nach dem Herzen Gottes, beides bei Alt und Jung wohl gelitten. Ich bin nun schier 36 Jahre Todtengräber hier in der Stadt; und wenn sie Einen nach dem Andern hier herausbringen, dann überdenk' ich so dieà und das aus ihrem Leben, denn es denkt mir schon lange, und vor allem an das Sprüchlein denk' ich: »Herr, lehre uns bedenken, daà wir sterben müssen, auf daà wir klug werden.« Als sie die alte Lindin heraustrugen, da konnt' ich nichts bedenken, als dieses: »Meine Seele müsse sterben des Todes der Gerechten, und mein Ende werde wie dieser Ende.« â Du weinst, mein Töchterlein? Nun weine immerhin, solch' Thränen sind köstliche Perlen auf ihrem Grab. Hast du sie gekannt wie ich, und ihre Liebe erfahren, wie ich und die Meinen, dann weiÃt du, daà der alte Kramer die Wahrheit sagt. â Doch komm' mit; meine Arbeit ist für jetzt hier gethan, und ich muà den Kirchhof schlieÃen. Willst du zur Stadt, so gehen wir ein Weilchen mit einander, und reden noch ein Wörtlein von der alten Lindin.« Das thaten sie denn, und bis sie zum Thore der Stadt kamen, wuÃte auch der alte Kramer den Kummer im Hause des Schulmeisters, und versprach dem Mädchen seine Hülfe. Er führte sie zu Diesem und Jenem, von dem er sich eine Hülfe für den Schulmeister versprach; und ehe Mittag ward, konnte Selma schon mit einem Schreiben nach Grünberg aufbrechen, in welchem dem Amtmann bedeutet ward, den Gefangenen bis auf weiteren Befehl frei zu geben. â Aber der alte Kramer hatte sie auch zu dem Rath Gerst geführt, und dieser, der mit der Untersuchung nichts zu thun hatte, und wahrscheinlich auch sobald nichts von ihr erfahren hätte, gab die schönsten Vertröstungen mit dem Munde, im Herzen aber erwog er böse Tücke. Was in aller Welt scheint einfacher, als die Untersuchungssache gegen den Kalendermann! rufst du wohl aus, lieber Leser. Aber bedenke, unsere Geschichte spielt vor etwa 100 Jahren und das Rechtsverfahren war damals nicht so geregelt, wie heut zu Tage, und das sogenannte Menschliche hatte oft einen solchen Einfluà auf die Richter, daà noch viel einfachere Sachen verwickelt, und noch viel Unschuldigere, denn unser Justus, für Schuldige gehalten wurden. Denn was gegen ihn sprach, das war die Meinung Vieler, die hinter dem Namen Kalendermann etwas Absonderliches suchten; und dann war er mit den Schatzgräbern gegriffen worden, und diese legten manch' falsch Zeugnià gegen ihn ab. Man verfuhr mit groÃer Strenge gegen die ganze Bande, unter welcher viele Ausländer sich befanden; die aber aus der nächsten Nähe, auf welche es hauptsächlich abgesehen war, der Schreinerkaspar und der Herr Fleischhauer, waren entflohen. Unser Justus war nun zwar frei, aber fast jeden Tag ward er zum Verhör vorgeladen, und der Amtmann that nichts, um ihm diese sauren Wege zu erleichtern, und ging ihn oft so hart und grausam an, daà er oft fast die Geduld in diesen ungerechten Verhören verlor. Ueber sein ganzes früheres Leben wurden ihm Fragen vorgelegt, manche so verfänglich, daà man offenbar sah, es sei auf seinen Fall abgesehen. Niemand kannte sein früheres Leben nach allen seinen Einzelheiten, als der Gerst, nur von ihm konnten die Aufhetzungen herrühren. Aus zuverlässiger Quelle erfuhr sogar der gequälte Mann, daà der Gerst mehrere Reisen nach Grünberg unternommen habe, um den Amtmann völlig zum ungerechten Urtheil zu stimmen. Da war denn Trauer im Hause des Schulmeisters, aber doch eine andere, als sie in solchem Falle in den Häusern Vieler zu sein pflegt. Sein Glaube glich nicht dem Haus auf Sand gebaut, das jeder Windstoà des Schicksals zertrümmern konnte, sondern er war auf Felsen gegründet, und mit ihm überwand er die Furcht vor der Zukunft. Was aus ihm und den Seinen werden sollte, wenn man ihn von Amt und Brod triebe, das bedachte er nicht mit menschlicher Sorge, das befahl er dem treuen Gott, dem er von ganzem Herzen diente. Täglich betete er mit den Seinen seinen Lieblingspsalm: »Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln«, und es gab Stunden, wo in der schwerbedrängten Familie eine Glaubensfreude herrschte, die sie früher in besseren Tagen nicht gekannt hatten. Doch die Noth ging damit nicht zu Ende, sie stieg vielmehr von Tag zu Tage. Es kamen eine Menge Beschuldigungen zum Vorschein über die Art seines Schulunterrichts, über die Behandlung der Kinder, ja sogar über seine Rechtgläubigkeit. Das meiste Gewicht legte der Untersuchungsrichter auf die Beschuldigung, daà der Schulmeister mehrmals unter der Predigt den Gottesdienst verlassen und im Universitätswäldchen nach Holzfrevlern gespäht habe. MuÃte diese Beschuldigung nicht furchtbar für einen Mann von des Justus frommem Sinn sein! Und doch schienen gerade in diesem Punkte seine Neider recht zu haben. Ja, der Schulmeister war wirklich mehrmals unter der Predigt aus der Kirche weggegangen; aber nicht um seines Dienstes als Universitätsförster zu warten, sondern um daheim nach seinem kranken Weibe zu sehen. Dorothe lag an schwerer Krankheit darnieder, und die Angst um sein geliebtes Weib hatte ihn zweimal seiner Pflicht vergessen lassen und ihn heimgetrieben, ehe die Predigt vollendet war. Immer hatte er sich vorgenommen, sein Unrecht, das ihn in ruhiger Zeit bitter schmerzte, seinem Pfarrer zu gestehen, aber andere Sorgen hatten den Vorsatz wieder verdrängt, und jetzt wurde ihm diese That der Liebe zum Verbrechen gemacht. Keine Betheurung half, und der Gerst schürte das Feuer seines Verderbens, daà es in lichten Flammen über der unglücklichen Familie zusammen zu schlagen drohte. Eines Tages als der Druck der Trübsal wieder einmal recht fühlbar wurde im Hause des Schulmeisters, als Krankheit und Mangel drinnen herrschte, und man in jedem Eintretenden einen Unglücksboten fürchtete; da trat Heinrich vor seinen Vater hin und sprach also: »So manchmal hab' ich bisher euch und die Mutter gebeten, ihr möchtet mich ziehen lassen, daà ich drauÃen mein Brod mir suche, das im Aelternhause gar zu knapp ist. Ihr kennt mich wohl, Vater, und wisset, daà ich nicht hinaus möchte, auf daà ich eurer Zucht los würde, sondern lernen möchte ich, was mir noch fehlt, in welchem Dienst und Beruf es auch sei, und mein Brod mir selbst erwerben. Allen euren Gründen und Vertröstungen habe ich mich bis dahin schweigend unterworfen, aber die Noth wächst in unserm Hause von Tag zu Tage, und ich schäme mich, irgend einem Menschen in's Angesicht zu sehen; es ist mir, als dächte Jeder, der mich ansieht: Es ist des Schulmeisters Heinrich doch alt genug, sein Brod sich zu verdienen, was sitzt er daheim und gehet müÃig! MüÃig bin ich nun zwar nicht gegangen, sondern habe euch im Haus und in der Schule nach meiner Kraft gedient; auch so Vieles von euch gelernt, das ich endlich einmal zu Markt bringen möchte. Hier bringe ich's zu nichts. Der Schreiberdienst in GieÃen ist mir wieder genommen worden, obgleich ich ohne Klagen trug, was zu tragen war, und es scheint fast, als habe die ganze Welt sich gegen uns verschworen, und helfe mit, unser Grab zu graben. LaÃt mich weg, Vater, laÃt mich weg; vielleicht gibt der liebe Gott mir die Gnade, euch von drauÃen her helfen zu können.« »Heinrich«, sprach der Schulmeister tief bewegt, »seit wir dich haben, war es allezeit mein Vorsatz, dir das Leben leichter zu machen, als deines Vaters Leben gewesen ist. Aber ich sehe wohl, ohne die Wander- und Wartezeit bringt's heut zu Tag kein Sohn zu etwas, nicht einmal zu einem ehrlichen Stück Brod. Geh' denn hinein zu der Mutter, und gibt die ihren Segen zu deinem Vorhaben, so nimm in Gottes Namen dein Reisebündel auf den Rücken und ziehe aus. Aber Kind, mach' die Mutter nicht weich, sie leidet ohnehin mehr als wir Alle.« Heinrich blieb lange am Krankenbett der Mutter. Was die Mutter mit dem Sohne gesprochen, wie sie geweint mit einander, und mit einander gebetet, das hat Niemand gehört, denn der Herzenskündiger im Himmel. Aber es muà einen Frieden geben, der über aller Menschen Vernunft ist; denn als Heinrich in seine Dachkammer ging, sein Bündel zu schnüren, da lag Dorothe still betend auf ihrem Lager, und Heinrich war gefaÃter, denn die Schwestern, gefaÃter selbst als der Vater. »Hier, Heinrich«, sprach der Schulmeister, »ist dein Zehrgeld für den heutigen Tag, für Morgen muà der schon sorgen, der die jungen Raben nähret. Da nimm auch, daà du den rechten Versorger nicht vergissest, das Gebetbüchlein mit, das ich schon lange für dich abgeschrieben habe, wenn du uns einst verlassen müÃtest. Wie es da drinnen steht, so hab' ich und mein Haus bis dahin dem Herrn gedienet, diene du ihm auch also, daà wir in _einer_ Zunge und in _einem_ Geiste zum Vater treten. Sei und bleib' in der Furcht Gottes, die der Weisheit Anfang ist. Fleuch die Lüste der Jugend, und schaffe mit deinen eignen Händen. Laufe denn mit Geduld in den Kampf, der dir verordnet ist, und wisse, es wird Keiner gekrönt, er kämpfe dann recht. Der rechte Kampf gibt die rechte Krone, und die sei dein und unser köstlich Gut, wenn wir uns wiedersehen. Der Gott deiner Väter, der niemals einen Justus verlassen hat, der segne und behüte deinen Aus- und Eingang um Christi willen. Amen.« Wie nun die Schwestern, die Eine dieÃ, die Andere das noch in's Reisebündel hineingeschoben hatten, wie sie Alle unter viel Weinen am Halse des Bruders gehangen hatten; da kam auch der Schulmeister noch einmal herein und sagte: »Heinrich, nimm auch die Geige mit dir. Als Spielmann sollst du nicht durch die Welt reisen, denn das ist ein leicht verdient Stück Brod und gedeiht nicht. Aber wie David des Saul bösen Geist mit Saitenspiel dämpfte, so kann deine Geige in der Zeit der Noth manches Menschenherz weicher machen zur Liebe gegen dich.« * * * * * Eine Stunde vom Veitsberg, hart am Wege, der nach GieÃen führt, liegt ein hoher, schlanker Berg, die Nonne geheiÃen. Von da aus übersieht man die ganze Gegend auf weit und breit. Lieblich ist der Ort und schattig durch hohe Kiefern. Diese Höhe bestieg Heinrich. Unter den herabhängenden Aesten sitzend, nahm er aus der Tasche das Haus-Betbüchlein seines Vaters und schlug das Reisegebet auf. O wie ward ihm so wohl dabei! Es waren seines guten Vaters Worte, die er las, es war seines Gottes Wort, das ihm Trost in die Seele goÃ. Wie fest prägten sich die Worte seiner Seele ein: »Ich bitte Dich, erhalte mich bei Deinem Wort, daà ich nicht abweiche vom rechten Wege des ewigen Lebens. Führe mich auf den Steig Deiner Gebote und behüte mich vor unrechtem Glauben.« Wie herzlich ward sein Vertrauen durch die Worte des Gebetes: »Du wollest auch Deine heiligen Engel mir zugeben, ihnen Befehl thun, daà sie mich hüten auf allen meinen Wegen; daà sie mich führen auf rechte StraÃe, auch mich gesund und frisch wieder anheim zu den Meinigen bringen.« Neu gestärkt erhob sich der Jüngling. Nun noch ein Blick auf die liebe Heimath, und dann hinaus auf die Wanderschaft! 16. Die Rache. »Halt' still, mein Herz, dem lieben Gott, Halt' ihm getreulich still! Fahr' hin, du Welt, mit deinem Spott! Mich tröstet Gottes Will'. Halt' still, mein Herz, dem lieben Gott, Mein Auge, weine nicht! Ich weiÃ, daà hell durch Nacht und Noth Vom Himmel kommt mein Licht. Halt' still, mein Herz, dem lieben Gott, Sei treu und halte aus! Es führt durch Spott und Noth und Tod Dein Gott dich gut hinaus!« »So denk' ich jetzt und so sing' ich jetzt, Bruder Büttner«, sprach in seinem Lehnstuhl sitzend der Schulmeister an einem Samstag Abend zu seinem Hausfreunde. »DrauÃen liegt der Schnee, wie er seit Menschengedenken nicht gelegen hat, und das Wild wird von den Wölfen bis in die Dörfer hinein gejagt, kurz es ist ein Winter sonder Gleichen. Und ein Winter sonder Gleichen ist auch in meinem Leben. Ich merk', es geht bald ganz mit mir bergab. Aus der Tiefe rufe ich darum zum Herrn und bestelle täglich mein Haus, damit ich ziehen könne, wenn's scheiden heiÃt. Mein Heinrich ist auf die Wandrung hinaus, die Mädchen sind in Dienst gegangen, so bin ich denn mit meiner Dorothe wieder allein, und nur die Selma hab' ich nicht von mir wollen lassen, die soll nicht dienen, sondern in meinem Kreuz mich trösten. Denkt aber nicht, Büttner, daà mir graue vor dem, das kommen soll. Ich bin in meinem Gott fröhlich, wie nie. Seit Monden wollt' mir kein Lied aus der Kehle, heute aber hab' ich wieder gesungen, und je mehr ich sang, desto getroster ward ich.« »Recht so, Schulmeister«, sprach der Büttner, »ganz so, wie's dort heiÃt im Psalm: »Ich will dem Herrn singen mein Leben lang.« Hat auch wahrlich mit euch keine Noth. Ein gut Gewissen und ein fester Glaube, wer die zwei Stücke noch hat, was kümmert sich der um der Neider List und Tücke. Und sollt's ja zum AeuÃersten kommen, und ihr von Amt und Brod getrieben werden, so wird's auch Rath werden. Dazu kam ich just heute Abend herauf, um euch einen Trost zu bringen, wenn ihr sein bedürfen solltet. Gestern und heute habe ich meine Oberstube gefegt und gescheuert, und gut eingeschlachtet hab' ich auch um Christtag hin, und was sonst noch Noth thut im Haus, einen herzlichen Willkomm und ein heiter Angesicht, â das Alles, Schulmeister, findet ihr bei mir. So lang' ich lebe und der liebe Gott das Feld segnet, sollt ihr nicht Noth bei mir leiden. Und nicht wahr, ihr schlagt's nicht aus? Gebt die Hand, Schulmeister, laÃt mich euer Freund in der Noth werden!« »Büttner«, sprach der Schulmeister, indem er eine Thräne im Auge zerdrückte, »Freund in der Noth seid ihr längst gewesen. Es ist Mancher von mir abgefallen, seit man mich verfolgt, und weicht mir scheu aus, gleichsam als fürchte er, durch mich in üblen Geruch zu kommen. Ihr aber habt gethan nach Sirach's Wort: »Bleibe treu deinem Freunde in seiner Armuth.« Das vergelt' euch Gott! Ja, Büttner, ihr liebet treuer, denn ein Bruder, und liebet mit der rechten Liebe, warum soll ich des Bruders Hand verschmähen! Ja, ich komme zu euch, wenn ich von hier fort muÃ, aber nur auf so lange, bis Gott weiter hilft. »Denn Weg' hat er allerwegen, An Mitteln fehlt's ihm nicht.« * * * * * Es war Sonntag Morgen. Der Schnee wirbelte in dicken Flocken zur Erde nieder, und verhüllte die ganze Natur in graue Dämmerung. Der Schulmeister vom Veitsberg hatte eben von den Seinen Abschied genommen, um den Dienst seines kranken Amtsbruders in Queckborn für diesen Sonntag zu versehen. In seinen Reisekleidern, einen langen Stock in den Händen, ging er erst in seine Kirche, zog die Glocke zum ersten Kirchenzeichen und schritt dann, des Weges wohl kundig, hinab in's Thal. Wer heute über Feld wollte, der muÃte auch des Weges kundig sein. Denn von einer Bahn war in dem tiefen Schnee keine Rede; bei jedem FuÃtritt brach man in die Schneemasse ein. Doch das Ziel ward von unserem Justus bald erreicht, der Dienst ward gethan, und am Krankenbette seines Amtsbruders sitzend, ward manches trauliche Wort geredet, von Zeit und Weltbegebenheiten, von des Freundes langer Krankheit und von Gottes wunderbaren Wegen. »Sprecht nicht, Herr Bruder«, sagte Justus, »von eurem Kreuz, als sei es so unerhört, und von Wenigen also erlebt. Wohl ist's hart, daà ihr nunmehr schon in den dritten Monat hinein müsset das Bett hüten; glaub's auch wohl, daà euch manchmal der Muth sinkt, und euer Gebet zum Seufzer wird: Ach Herr, wie lange! Kann mir denken, wie es einem Hausvater sein muÃ, wenn er die Kindlein ansieht, noch so zart und klein, und dabei denken muÃ, wer wird sie nähren und kleiden und ihnen Obdach geben und sie zur Gottesfurcht auferziehen, wenn des Versorgers Aug' im Tode bricht? Ach, wir Schulmeister jetziger Zeit sind gar übel daran! Einen Sold zum Leben und Sterben zu wenig, Sorg' und Mühe Jahr aus, Jahr ein, und in steter Angst, daà man uns den Abschied gebe, ohne Urtheil und Pension! Ist's ein Wunder, daà wir alle so gedrückt einher gehen, und uns oft so winterlich und kalt zu Sinne ist. Aber, lieber Bruder, wie es dort heiÃt im Lied: »Je gröÃer Kreuz, je süÃer Glaube«, so darf auch von uns das beste Theil nicht genommen werden, sonst sind wir zwiefach arm und verlassen. Christi Wort: »In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden«, soll uns sein die Inschrift auf unserer Fahne, darauf wir wie der Soldat hoffend schauen, ob's auch donnert und blitzt um uns her im Kampf, und die Wunden der zeitlichen Trübsal wehe thun. Ihr steht dem Grabe nah' ob eures Leibes Schwachheit, mir haben böse Zungen auch ein Grab gegraben, und vielleicht muà ich hinab, und Niemand weiÃ, wie unrecht mir geschiehet, als mein Gott im Himmel. »Sollte aber Gott nicht retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen?« Ja, sag' ich und sag' abermals ja, und rufe mit Hiob: »Bis daà mein Ende kommt, will ich nicht weichen von meiner Frömmigkeit!« Denn es steht geschrieben: »Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir, weiche nicht, denn ich bin dein Gott!« Da brach ein Sonnenstrahl durch die grauen Winterwolken und fiel auf's Bett des Kranken und über sein Angesicht ging der Friede Gottes. * * * * * Der Rückweg nach dem Veitsberg war eben so mühsam, als der Weg am Morgen. Obgleich das Schneegestöber nachgelassen hatte, war doch die Spur vom Morgen gänzlich verwischt, und wieder muÃte Justus den Weg brechen; denn bei diesem Wetter mochte kein FuÃgänger hinaus. So war er an jene Stelle im Walde gekommen, wo der FuÃpfad von Queckborn nach Veitsberg die Grünberger LandstraÃe durchschneidet. Jetzt führt dort eine bequeme Chaussee, aber der damalige Weg ging bald über Hügel weg, bald durch Hohlwege hindurch. Einen solchen Hohlweg durchschnitt auch der FuÃpfad. Eben war Justus in denselben eingetreten, und arbeitete sich rüstig durch den Schnee, als das Wiehern eines Pferdes an sein Ohr drang. Dieser Ton, der einzige Laut in der erstorbenen Natur, machte ihn stutzig; er stand stille und horchte, und hörte deutlich nicht weit von der Stelle wo er stand, auch das Rasseln einer Kette. Er rief laut ein »Ho!« »Ho!« in den Wald hinein, aber keine menschliche Stimme gab ihm Antwort, sondern das Wiehern und Kettenrasseln wiederholte sich. Ein Unglück vermuthend arbeitete sich der Schulmeister auf den Rand des Hohlweges, und erblickte zu seinem Schrecken eine Chaise, die mit nach oben gekehrten Rädern tief im Schnee steckte, während die Pferde mit der abgebrochenen Deichsel sich so in's Dickicht des Waldes verschlungen hatten, daà alle ihre Anstrengungen, sich frei zu machen, umsonst waren. Nicht fern von den Pferden lag der Kutscher, halb vergraben im Schnee, ein Stück von dem Zügel noch in den Händen, wie es schien ohne alle Spur von Leben. Mühsam schaffte Justus mit den Händen den Schnee von den Seiten der Chaise weg, um einen Blick in das Innere thun zu können; und nicht lange, so faÃte er die kalte Hand eines Mannes, der halb in, halb auÃer der Chaise lag, so als habe er im Fallen des Wagens herausspringen wollen. Sein Gesicht war jämmerlich verschunden und blutig, aber seiner Kleidung nach schien er ein Mann von Stand und Vermögen zu sein. Auch er gab, wie der Kutscher, kein Lebenszeichen von sich. Was sollte der Schulmeister beginnen! Der Tag war schon weit vorgerückt; alle Dörfer rings umher lagen eine starke halbe Stunde entfernt, und doch muÃte schnelle Hülfe geschafft werden; denn der Zustand der Beschädigten war gar kläglich, und die Gefahr von Wölfen seit einigen Wochen sehr groÃ. Eilig verlieà er daher die Stätte des Jammers, und mit starken Schritten eilte er dem Veitsberg zu. Nicht lange, so sah man unter seiner Anführung alle Männer von Veitsberg und Saasen mit Laternen und Hebstangen der Stelle zueilen, wo die Verunglückten lagen. Die Verwundeten wurden auf Bahren gelegt, die man in der Eile aus jungen Bäumen gemacht hatte; die Pferde wurden ausgeschirrt, aber den Wagen muÃte man liegen lassen, wo er lag, denn es war keine Möglichkeit vorhanden, ihn über die Feldwege in Sicherheit zu bringen, zumal jetzt am Abend. So langte denn der Zug am Dorfe an, wo die Frauen und Kinder fragend und bedauernd den Ankommenden entgegen gingen. »Wohin mit den Verunglückten?« hieà es da. »Den hier auf der vordersten Bahre nehm' ich in mein Haus auf«, war des Justus schnelle Antwort, »und ich will für den Fuhrmann Sorge tragen«, sprach der Elias Büttner, »nehmt ihr, Nachbar Kurz, die Pferde in euren Stall, bei euch sind sie am beÃten aufgehoben.« Das war eine unruhige Nacht für die beiden Dörflein Veitsberg und Saasen. Da gingen Wenige zur Ruhe. Denn Etliche liefen hin und her nach Doctor und Feldscherer und Arzneimitteln, und die Andern standen um die Verwundeten her, und bedauerten sie und halfen waschen und verbinden und Belebungsversuche machen. Die beiden Beschädigten waren zum Glücke nicht todt, aber schwer beschädigt waren sie beide, namentlich der Herr, den Justus aufgenommen und in sein eigenes Bette gelegt hatte. Der schien besonders am Kopfe beschädigt zu sein, denn die Betäubung wollte nicht weichen, trotz aller Mittel, die man anwandte. Anders war es mit dem Kutscher. Nachdem sein zerbrochenes Bein eingerichtet war, gab er Auskunft über die Reise und über den Unfall, der sie betroffen, über seinen und seines Herrn Namen und empfahl seine Pferde und sein Fuhrwerk seinen Rettern gar dringend, denn er war ein guter Knecht. Am Morgen nach dieser unruhigen Nacht ging der Schulmeister hinab gen Saasen, nach dem kranken Knecht zu sehen, und den Namen seines Gastes zu erforschen. Die Nachricht, die er da erhielt, machte einen furchtbar-schrecklichen Eindruck auf ihn, und man sah ihn blaà werden und schweigend sich entfernen. Wie er eintrat in seine Stube, so stand Dorothe am Bette des Kranken, und flöÃte mit einem Löffelchen dem halb BewuÃtlosen eine stärkende Suppe ein, und der Kranke lag da mit geschlossenen Augen, und nahm die Stärkung an wie ein Kind, das sich sein noch nicht bewuÃt ist. Justus trat schweigend an das Bette; lange haftete sein Auge am entstellten Angesichte des Kranken. Dann sprach er leise zu Dorothe: »WeiÃt du, Liebe, wen wir herbergen, wer unser Lager einnimmt, und wem du eben die Erquickung reichst? Es ist unser Todfeind, es ist der Gerst; Gott hat ihn in unsere Hand gegeben. Was wollen wir thun, Dorothe, wollen wir uns freuen des Falls unseres Feindes, und unser Herz froh sein lassen über sein Unglück? oder wollen wir thun nach dem Wort: »Hungert deinen Feind, so speise ihn mit Brod, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser?« Dorothe sprach nichts, nur ein leises Zittern ihrer Hand verrieth die Bewegung ihres Herzens; Thräne auf Thräne fiel herab auf's Angesicht des Kranken, und sie hörte nicht auf, dem Schwachen die Stärkung zu reichen. Als sie vollendet hatte, da faltete sie schweigend ihre Hände; ihr Herz betete, und dem Todfeind war verziehen. Und ihre Hände pflegten sein, und ihr Auge wachte über ihm bei Tag und bei Nacht, und von ihr empfing er Speise und Labung. So gingen drei Tage hin. Am dritten des Morgens stand Dorothe wieder am Bette des Kranken, und reichte ihm eine Stärkung; da schlug er zum ersten Male die Augen auf, seufzte tief, als erwache er aus schwerem Traum, blickte forschend in's Angesicht seiner Wärterin, und fragte in leisem Tone: »Wo bin ich?« »Im Schulhaus zum Veitsberg«, war Dorothe's Antwort. »Und wer seid ihr, gute Frau, die ihr mich so sorgsam pfleget? In lichten Augenblicken meiner Krankheit habe ich euch allezeit helfend und theilnehmend an meinem Bette gesehen. Auch Thränen waren manchmal in euren Augen; ihr müÃt es recht wohl mit mir meinen; sagt mir, wer seid ihr?« »Ich bin Dorothe, des Schulmeisters Justus Eheweib«, gab sie ruhig zur Antwort. Auf dieà Wort schloà sich schnell das Auge des Kranken; mit einer raschen Bewegung faÃte er sein Haupt, lieà eben so schnell die Hand wieder sinken, warf einen ängstlich-scheuen Blick auf seine Pflegerin, und stöhnte dann aus dem tiefsten Herzen. Der Anblick dieses inneren Kampfes war zu fürchterlich und Dorothe entfernte sich schnell aus der Stube. Während dieses ganzen Tages hörte man den Kranken oft seufzen; schweigend und mit niedergeschlagenen Augen nahm er alle Pflege an. Am nächsten Morgen aber schien sein Herz gebrochen zu sein; er rief den Justus und sein Weib an sein Lager; er that ein laut Bekenntnià seines Unrechts; er legte Geständnisse ab, die ihn als Dieb und Ehrenräuber brandmarkten; er erzählte, wie er die Familienpapiere von Dorothe's Mutter mit List an sich gebracht, und um eine bedeutende Summe den unrechten Erben verkauft habe; er schilderte die Schleichwege, auf denen er dem Schulmeister Ehre und Brod geraubt; ja er gestand sogar, daà die Reise nach Grünberg, die so üblen Ausgang gehabt, von ihm nur unternommen worden sei, um den Richter durch allerlei falsche Vorspiegelungen zu einem ungerechten Urtheil zu bestimmen, fügte aber hinzu, daà ihm das nicht gelungen sei, sondern daà des Schulmeisters Sache gut stehe, und seine Unschuld bald völlig erkannt werden würde. »Daà ihr nach Allem, was ihr von mir habt erdulden müssen«, sprach er dann, »noch so gut gegen mich gehandelt, das möcht' ich in seiner Möglichkeit begreifen, aber ich kann's nicht; ich muà wohl zu schlecht dazu sein. Ich fühle eure Liebe und doch verstehe ich sie nicht; aber Eins begreife ich, und das steht fest bei mir, ich will mein Unrecht wieder gut machen, soweit ich kann, und euch euren Liebesdienst reichlich vergelten.« »Denkt nicht an uns, Herr Rath«, sprach ernst der Schulmeister, »auch nicht daran, wie ihr uns lohnen wollt für alles angethane Leid, denkt vielmehr daran, wie ihr nach allem Geschehenen mit eurem Herrgott stehet, und wie ihr ihm Dank schuldig seid für seine gnädige Hülfe in der Stunde der Noth.« Darauf gab der Gerst keine Antwort. Denn sein Ohr hatte den Klang des Namens Gottes längst verlernt, und in seinem Herzen hatte das Wort Gottes keine Stätte mehr. Es glich dem Wege, dem hartbetretenen, davon die Vögel den guten Samen aufgefressen. So gingen einige Tage hin. In dem körperlichen Befinden des Gerst ging keine groÃe Veränderung vor sich, denn die Beschädigungen am Kopfe waren nicht ungefährlich, und lieÃen ein langes Krankenlager fürchten. Aber auch sein geistiges Befinden besserte sich nicht. Nachdem er einmal ein oberflächliches Bekenntnià seiner Sünden gegen den Schulmeister und sein Haus abgelegt hatte, fiel er wieder in seine alte Herzenshärtigkeit, war äuÃerst reizbar, ungenügsam und launig, und man sah so recht deutlich, wie das körperliche Leiden sein Gewissen noch mehr verstockte. Es war darum nur Freude im Hause des Justus, als Etliche seiner Freunde ihn sorgsam einpackten und nach GieÃen brachten, wo er sich in seiner gewohnten Umgebung eine baldige Wiederherstellung versprach. Kaum war er weg, so erfolgte auch das Urtheil über die Schatzgräber und über ihren Mitbeschuldigten, den Kalendermann. Justus ward völlig freigesprochen; aber für alle ausgestandenen Mühen, für alle gehabte Kränkungen gab man ihm keine Entschädigung. Dessen bedurfte es auch bei Justus nicht. »Mein Trost ist der«, sprach er, »daà ich ein gut Gewissen habe und befleiÃige mich, reinen Wandel zu führen bei Allen.« Den Schatzgräbern aber erging es übel; sie wurden theilweise zu langem Gefängnià verurtheilt, auch der Schreinerkaspar, den man später eingefangen hatte. Nur der Fleischhauer war und blieb verschwunden, und von Obrigkeitswegen ward Beschlag auf sein Häuschen gelegt, und auf Alles, was sich drinnen fand. Da kam denn manches merkwürdige Stück zu Tage, Werkzeuge, deren Gebrauch Niemand verstand, und Inschriften, die Niemand enträthseln konnte. Noch vor zwanzig Jahren waren diese, damals den Schatzgräbern abgenommenen Gerätschaften: der Erdspiegel und die Wünschelruthe, der papierene Zauberkreis und der Stab des Beschwörers, auch etliche der Zaubersiegel, die die Gehülfen getragen, noch vorhanden, und ich hab' sie selber wiederholt beschaut, und meine Betrachtungen darüber gemacht. Noch ist die Zeit der Schatzgräberei nicht vorüber, trotz Aufklärung und Eisenbahnen, und wem eine Heerde vertraut ist, der wache; denn während die Leute schlafen, kommt noch derselbe alte Feind und säet Unkraut unter den Waizen. Und abermals, nach einem Winter voll trüber Erfahrungen, kehrte der Frühling als willkommener Gast auf dem Veitsberg ein. Aber so friedlich es auch in den Herzen der Bewohner des Schulhauses aussah, so stille ward er doch begrüÃt. Heinrich in unbekannter Ferne, die Töchter im Dienst bei fremden Leuten, Dorothe gebeugt von Krankheit, und der Schulmeister zurückgezogener und ernster, denn je. Wenn dann Selma allein und mit ihrer Handarbeit beschäftigt am kleinen Fenster saÃ; wenn sie herabsah in's Thal, wo sich im warmen Frühlingswetter Menschen und Thiere eines neuen Daseins freuten; wenn sie hinübersah in die blauen, waldigen Berge, wer kann's dem Mägdlein verargen, daà dann allerlei Gedanken an Vater und Mutter, an die ferne Heimath und an ihr künftiges Lebensloos in ihr aufstiegen! Es gibt ein Heimweh, das fühlen Blumen und Vögel in der Fremde, zumal wenn der Frühling wieder kommt; sollte nicht ein Menschenherz viel mehr davon leiden? Ja, wir leiden Alle daran und die Jugend am meisten, denn sie sucht nach. O, daà sie immer _recht_ suchte, und im Suchen den rechten Führer und die rechte Heimath nicht aus dem Auge verlöre! â Mit den ersten Tagen des Frühlings gelangte auch die Nachricht auf den Veitsberg von dem Tode des Gerst. Die Wunden hatten nicht heilen wollen und bewirkten einen langsamen und schmerzhaften Tod. Man erzählte viel von seinem Ende, wie schmerzhaft und wie herzzerreiÃend das gewesen sei; wie die Geister seiner Sünden in schreckhaften Gestalten an seinem Lager gestanden, und wie er sich mit all' seinem erwucherten Gelde keine treue Pflege in seinen Leidensstunden und kein fröhlich Ende habe erkaufen können. Oft, so erzählte man, habe er den Vorsatz gefaÃt, den Schulmeister vom Veitsberg noch einmal zu sich zu bescheiden, und wiederholt habe er geäuÃert, Justus sei der einzige Mensch auf Erden, dem er wünsche, daà es ihm wohl gehe. Im Hause des Justus ward nichts von dem Todten gesprochen, kein Wort des Tadels oder der Freude über sein Ende, sondern Justus sprach, als er die Kunde von seinem Abscheiden erhielt: »Gedenke seiner, Herr, nach deiner Barmherzigkeit.« So schien auch hier sein Andenken für immer erloschen. Aber es ward bald neu aufgefrischt. Von mehreren Seiten ward dem Justus gemeldet, wie man in Erfahrung gebracht, so habe der Rath Gerst die Dorothe Justus, geborne Kunz, mit einer bedeutenden Summe in seinem Testamente bedacht; und so um die Heuerndte hin geschah eine förmliche Aufforderung an Dorothe von Seiten des Sachwalters des Verstorbenen, der Eröffnung des Testaments beizuwohnen. Als Stellvertreter seines Weibes erschien Justus am bestimmten Tage in der Wohnung des Verstorbenen. Lachende Erben, gröÃtenteils arme Leute, waren aus der Ferne gekommen, und sahen gespannt dem entscheidenden Augenblick entgegen. Auch Leute aus der Stadt, die mit dem Gerst in Verkehr gestanden, oder in seinen Diensten gewesen waren, hatten sich eingefunden. Zuletzt drängte sich noch ein Weib herein, blaà und in ärmlicher Kleidung. Sie führte ein Kind an der Hand, und eins trug sie auf dem Arm. Man wuÃte nicht, wo sie herkam, noch welche Ansprüche sie an den Verstorbenen habe. Das Testament wurde den Anwesenden als unverletzt gezeigt und dann geöffnet. Es war von neuem Datum, und von dem Verstorbenen an die Stelle eines ältern gesetzt worden, das damit seine Gültigkeit verloren hatte. Die Verwandten waren in demselben mit kleinen Summen bedacht, und an ihren Gesichtern sah man deutlich die Täuschung. Auch seine Dienstboten, namentlich der Knecht, der ihm zuletzt gedient und jenen Unfall mit ihm erlitten hatte, erhielt einen anständigen Jahrgehalt. Alles Uebrige, eine sehr bedeutende Summe, war zwischen Justus Ehefrau und einem gewissen Felix Fleck, Sohn von Johannes Fleck, den Keiner der Anwesenden kannte, getheilt. Wer der Felix Fleck gewesen sei, darüber hat man nie etwas Zuverlässiges erfahren. Viele hielten ihn für einen natürlichen Sohn des Verstorbenen. Der Felix Fleck kam und nahm, da seine Papiere in Ordnung waren, später die Erbschaft ohne Widerrede in Empfang. Das Testament war verlesen, und Stille herrschte im Gemach; Jeder gab sich seinen Betrachtungen hin; Keiner schien ganz befriedigt. Da trat mit tiefer Blässe auf dem Angesicht das Weib mit den beiden Kindern vor den Tisch des Richters, wollte reden, aber die Zunge versagte ihr den Dienst. Unter groÃer Anstrengung fragte sie endlich den Richter, ob kein Nachtrag zum Testamente vorhanden sei? Als das verneint wurde, bedeckte sie mit beiden Händen das Angesicht, und weinte laut und rief: »Kann auch ein Mensch so grausam sein, daà er sein eigen Fleisch und Blut vergesse und verläugne! Doch, was klag' ich, und wer erbarmt sich mein! Kommt, meine Kinder, ihr sollt nicht wissen, wer euer Vater war!« Damit wollte sie zur Thüre hinaus. Aber Justus faÃte sie freundlich bei der Hand, trat zum Tische des Richters, und sprach mit lauter Stimme: »Das Geld, das nach dem Willen des Rath Gerst meiner Frau, Dorothea, gebornen Kunz, vermacht ward, gehört von Gott und Rechtswegen ihr. Warum? das wuÃte der Verstorbene und ich weià es auch, aber Niemand soll's erfahren. Ehe ich herging, gab mir mein Weib Vollmacht, mit der Erbschaft zu thun, was ich für recht erkennen würde; »in meine Hände«, sprach sie, »soll kein Pfennig kommen von diesem Gelde, denn es ist unrein durch Blut und Thränen.« Hier steht des Gerst Weib, und da sind seine Kinder; nehmt denn, Herr Richter, Folgendes von mir zu Protokoll: »Ich Jakob Konrad Justus, Schulmeister zum Veitsberg, erkläre kraft und in Vollmacht meines Eheweibes, Dorothea, geborener Kunz, daà ich auf die Erbschaft des Rath Gerst zu Gunsten seiner natürlichen Kinder verzichte. So wahr mir Gott helfe!« »Und hier meine Unterschrift.« â Da lief ein Murmeln des Beifalls durch die Versammlung, und das Weib fiel auf ihre Knie und pries Gott mit lauter Stimme. Und wie sich Justus leise aus der Stube entfernen wollte, da erhob sich ein Advokat, der dem Richter zur Seite gesessen hatte, ging ihm nach, und drückte ihm die Hand; und von dem Tage an wurden Beide die innigsten Freunde. Und der Advokat war mein GroÃvater, und ist nun schon an sechsundsechzig Jahre todt. In seinen Händen war ein Theil der Papiere des Kalendermanns, und von ihm stammen die Erzählungen, die ich, in diesen bunten Strauà gebunden, dir, mein lieber Leser, reiche. Mein GroÃvater pflegte zu sagen, so oft er von ihm sprach: »Arm wird der Justus bleiben bis an sein selig Ende; und doch ist er der glücklichste Mensch, den ich kenne; er ist reich in Gott.« Noch eine freudige Ueberraschung war heute dem Justus vorbehalten, ehe er heimging. Wie er in ein GäÃlein einbog, kam ihm sein alter Freund, der Corporal Scheuermann, entgegen; aber nicht mehr die kräftige Soldatengestalt von ehemals; das Gesicht war hager, das Haar gebleicht und der Nacken gekrümmt. »Es ist vorüber mit meinem Dienst«, sprach er, als er dem Schulmeister kräftig die Hand geschüttelt hatte, »ich fühl's, es ist vorüber hier unten, und der liebe Gott wird mich bald in ein ander Regiment versetzen. Da wart' ich denn täglich auf meinen Abschied, und gibt mir mein gnädiger Herr noch ein Geringes an Gnadengehalt dazu, so ist Alles erfüllt, was ich wünsche. Doch ja, ich wünsche noch Eins, Herr Justus, und hab' bisher oft daran gedacht; könnt ihr mir nicht ein Plätzchen gönnen auf eurem Veitsberg? So lang ich einen Justus hatte, mit dem ich reden konnte, war mein Herz allezeit guter Dinge; jetzt, wo ich alt bin, möcht' ich das Labsal nicht entbehren. Hat Dorothe den alten Scheuermann noch lieb, wie er sie lieb hat, so wird sie ihm ja ein Plätzchen am Ofen gönnen, bis man ihn zur Ruhe legt. Sagt ja, Herr Justus! Es will Abend werden und mein Tag hat sich geneigt, und ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein. Aber ich möchte, daà ich unter Gottes Wort einschliefe, und fromme Hände mir die Augen zudrückten. Da hab' ich freilich meine Verwandten im Vogelsberg, aber die herzen mich nicht. Die sehen lüstern nach dem Wenigen, das ich noch habe, und gönnen mir das Bischen Leben nicht.« »So langer Rede hätte es nicht bedurft, Scheuermann«, sprach herzlich der Schulmeister; »kommt nur, sobald ihr den Abschied habt; Haus und Brod wollen wir mit euch theilen, und ein traulich Wort und ein freundlich Gesicht soll euch nicht fehlen.« Da wischte sich der alte Corporal die Augen, und mit herzlichem Händedruck schieden die alten Freunde. 17. Es wird Licht. So war wieder ein Herbst gekommen. Die Erndte von Acker und Baum war eingethan und der Gallmarkt, dieà liebe Fest für Grünberg und seine Umgebung rings umher, war abgehalten und die Vögel rüsteten sich zum Flug in wärmere Länder. Der Corporal Scheuermann war mit ehrenvollem Abschied und mit einem kleinen Gnadengehalt zur Ruhe gesetzt worden. Jetzt zog er ein auf dem Veitsberg, und mit ihm die Erinnerung an die alte Zeit, trotz ihrer Sorgen und Mühen von ihm nur »die gute alte Zeit« genannt. Da saÃen sie denn zusammen, die alten Freunde; da ward das traute Dämmerstündchen mit mancher alten Erinnerung ausgefüllt, da ward manch' alt Histörchen wieder aufgewärmt, das aus des Corporals Munde allezeit mit »es war in den dreiÃiger Jahren« begann, und von dem Justus und den Seinen mit groÃer Geduld angehört. Und einen willigen Hörer fand Justus für seine Sternwissenschaft und Kalenderkunst in dem Alten. Er schaute mit ihm hinauf zu den Sternen, den ewigen Zeugen der Macht und Freundlichkeit Gottes; er lieà sich die Bahnen der einzelnen Himmelskörper beschreiben, und staunte darob; er sprach mit voll Glauben und Hoffnung, wenn des Heilands Spruch bedacht ward: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen«, und Schauer der Nähe Gottes und Zeugnisse seines Geistes gab's genug im stillen Schulhaus zum Veitsberg. Einst an einem Abend saÃen sie auch so traulich zusammen; da trat ein Nachbar ein, bot freundlich einen guten Abend und sagte: »Schulmeister, heute krieg' ich gewià ein freundlich Gesicht von euch, denn ich bringe einen Brief, der sonder Zweifel von eurem Heinrich kommt, und den ihr gern auslösen werdet, so theuer er auch ist. Der Postreiter gab ihn mir heute in Grünberg, und ich hab' ihn mit dreiÃig Albus müssen loskaufen.« »Ja, ein Brief von Heinrich«, rief der Schulmeister aus, als er die Aufschrift las: »Gott Lob, so lebt er noch. Und wie schwer und wie groà ist der Brief, da muà viel drinnen stehen. Bleibt, Nachbar, ihr sollt auch erfahren, was Heinrich schreibt, und mögt, so es euch gefällt, die Abendsuppe mit uns essen.« Und der Brief ward geöffnet, und die Zeit der Abendsuppe kam und ging vorüber, und der Wächter rief die Mitternachtsstunde ab, und noch saÃen sie zusammen, der Schulmeister und sein Weib, der Corporal und der Nachbar und Selma, denn die ging der Brief besonders an; sie saÃen da, ergriffen und weinend, von Hoffnung und Furcht erfüllt, und Eins nach dem Andern fragte, und fragte wieder, und gab Rath; denn der Brief war ein schöner, ernster Brief. »Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt!« rief der Schulmeister tief gerührt. »Wie doch dem Vater- und Mutterherzen ein solch' Wort aus Kindesmund so wohl thut! Glaub' dir's, du treue Kindesseele, daà dein Herz daheim ist bei Vater und Mutter, und daà du täglich betest für der Schwestern Wohl! Glaub' dir's, daà du einen Sparpfennig sammelst für uns daheim, zu vergelten die Wohlthat! Und Selma du, was sagst du zu dem, das der Brief erzählt? Dir gibt er Hoffnung, Vater und Mutter wieder zu finden, freust du dich darüber?« Aber Selma antwortete nicht; ihr war zum Sterben wehe. Alles, was seit Jahren in ihr gelegen von Furcht und Hoffnung, was sie oft gewaltsam zurückgedrängt, wonach sie sich gesehnt und wovor sie sich doch gefürchtet, das war nun mit einem Male ihr nahe getreten, und es brachte nicht Freude, nein, neuen Schmerz. Aber was stand denn in dem Briefe? â Aus einer Stadt am Rhein, wo er Arbeit und Brod gefunden, hatte Heinrich zum letzten Male geschrieben; das war um Ostern hin gewesen. Da hatte er erzählt, wie ihn der liebe Gott bis dahin gut geführt; wie er überall gute Menschen gefunden, und wenig Hunger bis dahin gelitten; wie er sich etwas Geld gespart, um damit nach Holland zu reisen, und den Onkel aufzusuchen, und über Selma's Aeltern sich zu erkundigen. Es war aber Holland damals, was jetzt Amerika ist, das Land der Hoffnung für Jeden, dem es daheim nicht gefiel, und der sein Glück in der Fremde suchen wollte. Denn reich war damals Holland noch; es hatte viel Schiffe auf dem Meere gehen, und brauchte viel fremde Hände, und die ihm dienten, die bezahlte es gut, und hatte namentlich die Deutschen gerne als Soldaten und Handlungsdiener und Dienstboten. Nach diesem Holland stand auch Heinrich's Sinn. In diesem Lande war ja der Pathe und hatte es gut dort; von diesem Lande, seinem Reichthum, seiner Sauberkeit, seinen Schiffen und Kanälen hatte der Vater ihm so viel erzählt, und in diesem Lande sollten auch die Aeltern Selma's wohnen, und zwar in der Stadt Delft, die er sich genau gemerkt hatte, sowie nicht minder den Namen von Selma's Vater. Einzelne Andeutungen hatte zwar immer nur Justus davon gegeben, und liebte es um Selma's willen nicht, viel darüber zu reden; aber dem aufmerksamen Knaben war das Wenige nicht entgangen, und er beschloÃ, es zu nützen. Auch hatte er in seinem letzten Briefe keinen Hehl daraus gemacht, und Selma war damals schon nachdenklich darüber geworden. Was sie aber jetzt hörte, wie muÃte sie das ergreifen! Heinrich war geraden Weges nach Delft gereist, hatte sich dort erkundigt nach dem Kaufmann van der Bruck, und sein Haus sich bezeichnen lassen. Er war hineingegangen und hatte gefragt, ob man keinen Menschen seines Alters und seiner Geschicklichkeit brauchen könne, und war in die Schreibstube gewiesen worden zum obersten Buchhalter. Der war ein altes, dürres Männchen, mit schneeweiÃem Haar, und einer groÃen Brille auf der Nase, und saà gesondert von den übrigen Schreibern, hinter einem Gitterverschlag auf erhöhtem Sitze, von wo er die ganze Stube übersehen konnte. Heinrich trug in gebrochenem Holländisch, denn er war der Sprache noch nicht mächtig, sein Gesuch vor. Der Buchhalter warf einen schnellen Blick auf ihn, und schrieb dann weiter. Etwa nach einer Viertelstunde, die unserm Heinrich lang wie ein Tag vorkam, drehte er sich langsam um, betrachtete den Jüngling von oben bis unten, und sagte dann in gutem Deutsch: »Man wünscht bei van der Bruck in Dienste zu treten?« »Ja!« »Hat man sich schon anderswo im Handel umgesehen?« »Nein!« »Hat man Testimonia aufzuweisen?« »Nein!« »Als was wünscht man denn bei van der Bruck placirt zu werden?« »Wozu eure Edlen mich brauchen können.« »Ist er nicht zu stolz, im Packhaus zu dienen, bis er seine Qualifikation zu etwas Anderem gezeigt hat?« »Von Herzen gern!« »So zeig' er seine Hände her! â Nun thu' er seine Brust auf, daà ich sein Hemd beschauen kann! â Heb' er einmal dort den Geldsack auf, und trag' er ihn auf den Schultern bis dort zu jenem Pulte.« Heinrich that wie ihm befohlen wurde, und stand bald wieder vor dem Buchhalter. Der sah ihn noch einmal von oben bis unten an, und sagte dann: »Er ist von jetzt an Aufseher im Packhaus von van der Bruck, und erhält wöchentlich vier holländische Gulden und freie Kost bis auf Weiteres.« »Friedrich«, so rief er einem der Schreiber zu, »man führe diesen Burschen in's Packhaus, und weise ihn in seine Geschäfte ein!« So war Heinrich Aufseher im Packhaus. Er hatte die Waaren, die ankamen und abgeholt wurden, in Empfang zu nehmen und abzugeben und in die Lagerbücher einzutragen, und über die Waaren zu wachen. Nach vier Wochen kam der Buchhalter, der sonst schweigend an ihm vorbeigegangen war, auf ihn zu und sagte: »Man ist zufrieden mit ihm; er bekommt von heut an wöchentlich sechs Gulden.« Nach Verlauf von abermals vier Wochen kam der Buchhalter in's Gewölbe, und hatte eine Schiefertafel in seiner Hand. »Da«, sagte er, »wenn man sich auf's Rechnen versteht, so löse man dieà Exempel.« Heinrich löste es mit groÃer Schnelligkeit, denn auf die edle Rechenkunst hatte sein Vater viel Fleià gewendet. »Man löse diese schwerere Aufgabe«, sagte der Buchhalter, und hielt abermals die Tafel hin. »Das hat er gut gemacht«, sprach ernst der Buchhalter, als er die Aufgabe geprüft hatte. »Nun schreib er in zehen Minuten einen Brief nach Amsterdam an das Handlungshaus Heeren und Comp., und zeig' er an, daà die verlangten Waaren abgegangen seien.« Mit der Uhr in der Hand stand der Buchhalter neben dem Jüngling; nahm dann den Brief in Empfang, durchsah ihn und sagte: »Man gehe hinein, und setze sich rechter Hand an den ersten Pult; man ist von heute an Schreiber mit unbestimmtem Gehalt.« So war denn Heinrich Schreiber im Hause des Herrn van der Bruck zu Delft; aber dem eigentlichen Zweck seines Hierseins war er in zwei Monaten um keinen Schritt näher gekommen. Seinen Herrn hatte er noch mit keinem Auge gesehen; der wohnte in einem Hause, das im Hintergrunde eines groÃen Gartens lag, der das Kaufhaus nebst den dazu gehörigen Gewölben und Speichern von der Herrnwohnung schied. Der Buchhalter holte Morgens die Befehle bei dem »alten Herrn«, wie er genannt wurde, und von einem jungen Herrn war durchaus keine Rede. Auch war jede Stunde im Tag so eingeteilt und muÃte so benutzt werden, daà zu Fragen und Erkundigungen wenig Zeit übrig blieb. Schweigend verrichteten alle Hausgenossen ihre Arbeit; Ordnung wurde in Allem, im Schlafen, im Ruhen, in der Arbeit, wie in der Erholung gehalten, strenge Ordnung, und wer sich dieser nicht unterwerfen wollte, der ward seines Dienstes entlassen. Dem Buchhalter zu Gefallen leben, war nicht leicht. Doch Einer war im Hause, von dem Heinrich sich Aufschluà versprach über alle Fragen, die ihm je länger je mehr das Herz beschwerten; das war der alte Kammerdiener seines Herrn, ein Deutscher von Geburt, mit Namen Siegmund. Der Mann hatte ein so Zutrauen erweckendes Ansehen, und grüÃte unsern Heinrich so freundlich, wenn er ihm begegnete, und hatte selbst schon einmal ein kurzes, aber herzliches Gespräch mit ihm geführt. Einst an einem Sonntag Morgen traf Heinrich den Alten, wie er mit einem Gebetbuch in der Hand in einer Hütte des groÃen Gartens saÃ. Der Jüngling wollte sich schweigend zurückziehen, aber der Alte winkte ihm, und sie redeten mit einander wie Landsleute thun, von Vaterland und vom Glauben der Väter, und der Alte gewann den Heinrich lieb, und lud ihn zu sich auf den Abend in seine Stube im Herrnhaus. Wie erstaunte Heinrich, als er am Abend in die Nähe desselben kam. Das Haus lag mitten in einem Meere von Blumen, auf zierlichen Ländchen mit Buxbaum eingefaÃt, und mit wunderbarer Kunst gepflanzt. Das Auge konnte sich nicht satt sehen an der Farbenpracht der Tulpen, und die Luft war rings erfüllt von dem Wohlgeruch der Hyacinthen. Das Wasser eines Springbrunnens fiel in verschiedenen Strahlen in einen Teich, aus Marmor gehauen, in welchem Goldfischchen schwammen; und über den Rand des Teiches bogen sich wieder Blumen herab, gleich als wollten sie sich in dem klaren Wasser beschauen. Das Gebüsch zu beiden Seiten der Blumenbeete war mit einem Drahtgitter umzogen und überbaut, und Vögel aller Art, zum Theil aus fremden Ländern, mit buntem, glänzendem Gefieder, trieben da ihr Wesen, und erfüllten die Luft mit ihren Gesängen. Hoch erstaunt über all' diese Pracht, die er bis dahin noch nicht gekannt hatte, trat Heinrich in's Stübchen des Alten. Das war nett und freundlich, und von einer Reinlichkeit, als hauste nicht ein alter Junggeselle, sondern ein Mägdlein drinnen. »Wie muà unser Herr sich so glücklich fühlen«, sprach Heinrich, »daà er dieà Alles sein nennen kann! Solche Pracht habe ich nicht für möglich gehalten!« »Ja reich ist unser Herr«, gab Siegmund zur Antwort, »reicher als man weià und glaubt, aber glücklich ist er eben nicht. Es gilt auch hier, was dort geschrieben steht: »Es ist Mancher arm bei groÃem Gut, und Mancher reich in seiner Armuth.« »Aber was fehlt ihm denn, und warum ist er nicht glücklich?« fragte neugierig Heinrich. »Seid, wie ich, erst einmal ein Viertel Jahrhundert in einem und demselben Hause, mein Sohn«, sprach der Alte, »dann seht ihr, wo eure Herrschaft der Schuh drückt; aber dann lernt ihr auch schweigen, und eurer Herrschaft schwache Seiten vor Fremden verbergen.« »Ich will euch kein Geheimnià ablocken, Vater Siegmund«, sagte bescheiden Heinrich, »sondern ich suchte eure Bekanntschaft, um euch selbst eins zu vertrauen. Hört denn!« »Es mögen etwa sechszehen Jahre sein, da kam in der Herbstzeit, am selben Tage, als wir unser Lenchen begruben, das jüngste von uns Kindern, mein Onkel Heinrich Justus, der in Delft bei einem Kaufmann mit Namen van der Bruck als Jäger in Diensten stand, mit einem Kinde auf den Veitsberg, das er für das eheliche Kind seines jungen Herrn, eines van der Bruck, ausgab, und bat meine Aeltern, sich des Mägdleins anzunehmen, bis die Aeltern es wieder holen würden. Und das Kind hieà Selma. Meine Aeltern nahmen es auf, und mein Onkel versprach, bald zu schreiben. Aber alle Nachricht blieb von ihm und den Aeltern des Kindes aus; und obgleich mein Vater wiederholt hierher schrieb, so haben wir doch nichts wieder gehört. Sagt, könnt ihr mir Aufschluà geben über diese Sache, und ist Selma's Vater ein Sohn unseres Herrn?« Auf dem Angesicht des Alten hatten bei dieser Rede Blässe und Röthe schnell gewechselt; er war aufgestanden, und hatte dem Jüngling starr und schweigend in's Angesicht gesehen. Dann ging er zur Thüre, sah sich ängstlich drauÃen um, verschloà sie dann vorsichtig, trat wieder vor Heinrich hin und fragte in leisem Tone: »Also lebt das Kind noch, und ist ein Mägdlein, und ist daheim bei euch?« »Es ist mit uns auferzogen worden«, gab Heinrich zur Antwort, »und Vater und Mutter haben keinen Unterschied unter uns gemacht; Selma ist wie das Kind vom Hause gewesen, und hat erst am Tage ihrer Confirmation erfahren, daà sie aus der Fremde zu uns gebracht worden sei.« »Dann ist es Zeit«, sprach vor sich hin der Alte; »nun darf nicht mehr geschwiegen werden. Wisset, ich wollte das Schicksal des Hauses, dem ich diene, vor euch, einem Neuling, verbergen, aber ich kann nicht mehr. Euch sendet der liebe Gott zur Rettung mehrerer Menschen. Seht, es ist ein böses, heimliches Schicksal, das auf diesem Hause ruht; fast möcht' ich sagen, ein Fluch. Denn so reich man hier im Hause ist an Geld, so arm ist man an Herzensfrieden. Ich glaube, mein Herr hat nie gewuÃt, was Friede sei, denn so lange ich ihn kenne, ist er in sich gekehrt, mürrisch und unfreundlich. Fast scheint mir's, als habe er nie einen Menschen geliebt, was Wunder, wenn er nie ist wieder geliebt worden. Seinen einzigen Sohn, den Vater des Mädchens, hat er gut erziehen lassen, aber lieb hat er ihn wohl nie gehabt, und eben so wenig des Kindes Mutter, die frühe gestorben ist. Dem Sohn soll es immer ein Fürchterliches gewesen sein, vor dem Vater zu erscheinen. Und doch war Lewin ein Kind guter Art, und hätte gerne seinen Vater lieb gehabt, denn sein Herz war gar weich und treu, wenn ihn sein Vater nicht immer durch seine Härte von sich gestoÃen hätte. Lewin liebte ein Mädchen, arm aber unbescholten, und wünschte es zu ehelichen; er vertraute sich dem Buchhalter und bat den, ein gutes Wort bei dem Vater einzulegen. Aber da war er an den Unrechten gekommen; der Mann hat schlecht an dem Sohne seines Herrn gehandelt. Dem war eine solche Heirath wie ein Schandfleck für das reiche Haus van der Bruck. Er rieth, den Sohn auf Reisen zu schicken. Da lieà sich Lewin heimlich mit seiner Geliebten trauen, und euer Oheim war dabei behülflich. Der Vater erfuhr Alles; ich vermuthe, durch Spionen, die er ihm nachschickte. Lewin ward zurückgerufen, mit den gröbsten Drohungen empfangen, und fast mit Gewalt, unter Androhung von Enterbung und Fluch, auf ein Schiff gebracht, das nach Batavia unter Segel ging. Dem Patron des Schiffes ward mit aller Strenge verboten, irgend Jemand mit dem jungen van der Bruck reisen zu lassen. Aber was vermag die Liebe eines Weibes nicht! Mora mischte sich, als Schiffsjunge verkleidet, unter die Matrosen; das Schiff fuhr ab, und der Capitain gab sich nach langem Zögern und Schelten zufrieden, als ihm Lewin den Beweis lieferte, Mora sei sein ehelich angetrautes Ehegemahl. Auch euer Onkel wollte auf demselben Schiffe mit hinüber, ward aber ergriffen und zurückgebracht. Später soll er auf einem andern Schiffe seiner Herrschaft nachgereist sein; was aber aus ihm geworden, das weià Niemand. Nach Batavia scheint er nicht gekommen zu sein, wenn man Alles, was sich später begab, zusammenhält. Denn nun beginnt erst die Sache recht schwarz und böse zu werden.« »Die Briefe eures Onkels an euren Vater, reich mit Geld beschwert, fielen durch List und Bestechung in die Hände des Buchhalters, eben so die, welche euer Vater hierher schrieb. Euren Onkel verfolgte er, und lieà ihm von Ort zu Ort keine Ruhe, daà ich fast glauben möchte, wenn solcher Glaube nicht gar zu sündlich wäre, er hat ihn den Seelenverkäufern in die Hände gespielt. Aber wer kann einem solchen Gedanken verargen, wenn man weiÃ, was ich weiÃ, und worüber ich nun schon manches Jahr getrauert habe; denn solch' Bubenstück ist gar zu groÃ. Denkt nur, der Unglücksmensch hat einen Brief geschmiedet, als käme er von eurem Vater, worin der Tod Selma's gemeldet ward, und hat den Lügenbrief nach Batavia gesendet, und der armen Aeltern Herz bis zum Tode betrübt. Der Alte weià nun, daà Mora bei ihrem Manne ist, aber er thut nicht, als wenn er es wüÃte. Er schreibt nicht an ihn, wie ein Vater an seinen Sohn, sondern der Buchhalter schreibt nur an das Handlungshaus von Lewin van der Bruck zu Batavia. Was hilft nun den armen Leuten das Vermögen, das sie dort erworben haben; sie sind kinderlos und gebeugt, und den alten Herrn hier, was hilft ihn seine Strenge, der Spruch der Schrift, den er nicht beherzigt: »Ihr Väter reizet eure Kinder nicht zum Zorn«, rächt sich schwer an ihm! Trügen mich meine alten Augen nicht, denn ich bin Tag und Nacht um ihn, so kann er sich vor den Qualen des Gewissens nicht mehr retten, und würde gerne die Hand zum Frieden bieten, wenn der Buchhalter nicht wäre. Was der aber will, daà er sich wie ein Satansengel zwischen Vater und Sohn stellt, das weià ich nicht. Denkt er, hier Erbe zu werden, so geht das nach den Gesetzen nicht, und dazu ist er selbst zu alt. Ich meine, es muà Herrschsucht und Herzenshärtigkeit sein. Aber nun, da ich weiÃ, daà das Kind noch lebt, da will ich nicht ruhen und rasten, selbst auf die Gefahr hin, in meinem Alter noch aus dem Hause fort zu müssen, bis ich meinen alten Herrn mit sich und dem lieben Gott wieder ausgesöhnt habe. Dazu sollt ihr mir helfen; aber schwer, sehr schwer ist die Sache; ich weià euch nicht in seine Nähe zu bringen, und von mir darf der Anfang nicht ausgehen.« Und lange saà der Alte da und stützte sein weiÃes Haupt in die Hand. Nach einer Weile sprach er: »So wird's gehen. Tretet manchmal in den Abendstunden in den Garten ein und nehmt eure Geige mit. Ihr spielt sie gut, wie ich gehört habe. Unser Herr liebt die Musik, namentlich die Geige; hört er euch im Garten spielen, so läÃt er euch vielleicht vor sich kommen, fragt euch auch wohl um Herkunft und Namen, und der Herr möge euch denn in's Herz geben, was ihr reden sollt. Aber redet im Anfang nicht zu viel, der Herr liebt das nicht; redet bedächtig und seht ihm recht treuherzig in's Gesicht, so sehr er euch auch von der Seite beschauen möge.« Heinrich that nach dem Rath des Alten. Wenn die Dämmerung kam, dann ging er mit seiner Geige in den Garten, setzte sich in eine Laube, die dem Gartenhaus nicht fern war, und spielte alle Lieder, die er kannte, auch die Lieder der Heimath spielte er, die mit ihren süÃen Lauten Jung und Alt erquicken. Nicht lange, so kam der alte Siegmund und beschied den Jüngling zum Spiel vor seinen Herrn. Heinrich fand in ihm einen schönen Greis mit etwas gebeugtem Nacken; aber den lauernden Zug in seinem Angesicht, auf den ihn Siegmund schon aufmerksam gemacht hatte, fand er auch; es war ihm nicht gut in's Angesicht sehen. Heinrich bezwang seine Bangigkeit; er strich die Geige und spielte die schönsten Weisen, die er gelernt hatte, und spielte sie mit Ausdruck und Gefühl. In einer Pause fragte der alte Herr: »Wie heiÃt man?« »Heinrich Justus, ihr Edlen!« Bei Nennung dieses Namens zuckte der Alte sichtlich zusammen; Heinrich aber stimmte die Geige, als kümmre ihn die Frage nicht. »Wo stammt man her?« war die weitere Frage. »Aus Veitsberg im Lande Hessen!« »Wie heiÃt der Vater?« »Jakob Konrad Justus!« »WeÃ' Standes?« »Schulmeister, ihr Edlen.« »Hat man noch Geschwister?« »Ja, ihr Edlen.« »Wie heiÃen sie?« »Maria, Anna und Selma.« »Man kann abtreten«, sagte in sichtbarer Aufregung der Alte. Heinrich entfernte sich schweigend, und als er in's Gebüsch einbog, hielt ihn der alte Kammerdiener auf und fragte ängstlich: »Wie steht es? Hat er nach Name und Herkunft gefragt?« Doch wie Heinrich antworten wollte, schellte es stark aus dem Gartenhaus herüber, und bald darauf kam Siegmund, dem der Ruf der Schelle galt, mit starken Schritten vorüber und rief im Vorbeigehen: »Mein Herr ist in einer bösen Stimmung, ich soll den Buchhalter rufen. Gebe Gott, daà heute ein Wunder geschieht; denn ein Wunder muà der Herr an diesen harten Herzen thun, sonst werden sie nicht weich.« Betend für einen glücklichen Ausgang, und überlegend, wohin er sich wenden solle, wenn seines Bleibens hier nicht mehr sei, ging Heinrich seit einer Stunde in seiner Stube auf und ab; da kam Siegmund und beschied auch ihn in's Gartenhaus. »Seid weise, klug und treu«, sprach er flüsternd zu ihm, »von dieser Stunde hängt das Glück dreier guten Menschen ab. Geht in Gottes Namen hinein; ich will für euch beten.« Ohne sonderliche Angst trat Heinrich in das Zimmer, wo die beiden Alten ihn erwarteten. Der Buchhalter führte das Gespräch; er wollte unbefangen scheinen, aber er konnte es nicht, er wollte Kreuz- und Querfragen thun, aber man merkte, wie ihm seine Verschlagenheit dieÃmal nicht helfen wolle. Denn Heinrich erzählte, als wisse er nichts von dem Zusammenhang der Sache, von dem Leben und Leiden daheim; erzählte von Selma's Ankunft im Aelternhause, von ihrer Kindheit und Jugend, von ihrer Schönheit und Herzensgüte, von ihrem Wunsche, Vater und Mutter wiederzufinden, und das Alles so treu und kindlich, daà der alte Herr die Rührung nicht unterdrücken konnte. Er hielt die Hand vor's Angesicht, und unbekümmert um die Blicke und das verlegene Husten des Buchhalters, seufzte er tief auf und rief: »O Lewin, mein Sohn!« Da fühlte sich Heinrich von dem Buchhalter am Arme gefaÃt und vor die Thüre geschoben. Was nun nach Heinrich's Entfernung zwischen dem Herrn van der Bruck und seinem Buchhalter sich zugetragen, das hat Niemand erfahren, nur vermuthen kann man, daà der gute Geist in dem alten Herrn gesiegt, und daà der Versucher von ihm weichen muÃte. Der Kammerdiener hörte Stunden lang ein lautes Reden in der Stube, das sogar mehrmals in lautes Schreien überging, bis die Thüre sich öffnete, und der Buchhalter drohend herausstürzte, hinter ihm her der alte Herr mit zornrothem Angesicht und geballter Faust. Am andern Morgen erschien statt des Buchhalters der Herr selbst auf der Schreibstube, was seit Jahren nicht geschehen war, gab dem ersten Schreiber das Amt des Entlassenen, und hieà dann Heinrich ihm in seine Stube folgen. Dort muÃte er Alles, was er von Selma wuÃte, niederschreiben, und mit diesem Aufsatz und einem Briefe von des Herrn eigner Hand, ging mit dem ersten Schiff ein Reisender nach Batavia ab. In Heinrich's äuÃeren Verhältnissen aber änderte sich nichts. Das war der Inhalt von Heinrich's Brief; darf man sich wundern, wenn er auf alle Hausgenossen einen tiefen Eindruck machte! Schweigend saÃen die Männer da, und Selma lehnte still-weinend den Kopf an Dorothe's Schulter. »Weine nicht, Selma«, sprach selbst tief ergriffen Dorothe, »was ich längst gehofft und doch gefürchtet, und wonach du dich still gesehnt hast, trotz deiner Liebe zu uns, das wird nun bald geschehen. Du wirst bald von uns genommen werden; du wirst aus der Hütte der Armuth in das Haus des Reichthums übergehen; aber laà uns nicht vergessen, daà es Gottes Wille also ist, und in Demuth seine Weisheit bewundern. Denk' an das Glück von Vater und Mutter, die sechszehn Jahre lang um dich getrauert haben, und die dich nun wiederfinden sollen. Vertrauend gaben sie dich einst in unsere Hände, voll Stolz und Freude geben wir dich ihnen zurück, und können getrost sagen, wir haben mit des Herrn Hülfe dein Herz dem lieben Gott treu erhalten. Und nun, mein Töchterchen, du Kind unserer Seele, geh' schlafen, deine Augen sind schwer vom Weinen; danke Gott, ehe du schläfst und der treue Wächter deiner Jugend gebe dir schöne Träume von Vater und Mutter und der neuen fernen Heimath.« Und wie der Schulmeister den Hausfreund vor die Thüre begleitet, da sah er seufzend auf zu den Sternen, die schimmernd vom Herbsthimmel herniederglänzten, und vor sich hin sprach er: »Wie ist doch Alles ganz eitel, was unter der Sonnen geschieht, stark ist nur deine Hand, Herr, und hoch ist deine Rechte, und droben bei dir ist noch eine Ruhe vorhanden!« 18. Selma's Abschied vom Veitsberg. Von Herbst bis zu Christtag verlautete aus Holland kein Wort, eine lange Zeit des Wartens selbst für so geduldige Seelen, wie der Schulmeister und seine Familie. Am dritten Christtag, zu ungewöhnlicher Zeit, erschien der Amtsbote von Grünberg, und lud den Schulmeister zum augenblicklichen Erscheinen vor Amt. Nicht ohne BesorgniÃ, es möge ein neues Leid ihm bevorstehen, rüstete sich Justus zu diesem Gange. Wie er in die Amtsstube eintrat, so saà neben dem Herrn Amtmann ein altes Männlein, von bedächtigem Ansehen, aber freundlichen Mienen, das schien in Berathung mit dem Herrn Amtmann begriffen, und las eifrig in einzelnen Papieren, die auf dem Tische lagen. Bei Justus Eintreten erhoben sich die beiden Männer, und der Amtmann ging auf Justus zu und sprach: »Hier, Herr Schulmeister, habe ich euch vorzustellen den vielgelehrten Herrn Advokaten Zoom aus Delft in Holland, der von dem Handlungshaus van der Bruck in Sachen eines Kindes hierher geschickt worden ist, das ihr vor Jahren unter dem Namen Selma, als Kind eines van der Bruck in eurer Haus aufgenommen habt. Da gedachtem Handlungshaus van der Bruck sehr viel an Ermittlung des wahren Thatbestandes gelegen ist, so fordere ich euch auf, Alles zu Protokoll zu geben, was ihr von dem Kinde wiÃt, und was sich bis dahin mit ihm begeben hat, Alles der Wahrheit gemäÃ, so daà ihr es mit einem körperlichen Eide erhärten könnet.« Das Protokoll begann. Justus beschrieb genau den Tag der Ankunft des Kindes; sagte, was sein Bruder ihm über die Verhältnisse des Hauses van der Bruck mitgetheilt habe, beschrieb Kleidung und Schmuck des Kindes, nannte den Inhalt der Briefe, die er selber nach Holland geschrieben habe, und gab das Datum der Briefe genau an. Mit groÃer Ruhe und Langsamkeit verglich der Advokat die einzelnen Aussagen mit den Papieren, die er bei sich hatte und legte zu Justus Erstaunen ihm seine eignen Briefe zur Anerkennung vor. Dann muÃte Justus gleichsam Rechenschaft geben über die Erziehung des Kindes, muÃte seine Gemüthsbeschaffenheit angeben und die Krankheiten, an denen es bis dahin gelitten habe. Wie nun Justus alle diese Fragen mit deutlicher Stimme und mit groÃer GewiÃheit beantwortet hatte, wie er bei der Schilderung von Selma's Jugend immer ergriffener und gerührter wurde, wie ihm endlich die Thränen unaufhaltsam über die Wangen herabflossen, als er von der Liebe des Mädchens gegen seine Pflegeältern sprach; da ward das Gesicht des Holländers immer liebreicher, man sah es ihm an, wie er, ein Fremdling, den Mann lieb gewann, dessen treues Herz aus jedem Worte sprach. »Ihr seid ein Ehrenmann, Herr Schulmeister«, sprach er dann. »Ich bin auch Vater, und weiÃ, was es heiÃt, Liebe haben für die, die mir Gott gab. Wenn ich Eins verlieren müÃte und fände es nach langer Trennung bei euch wieder, ich würde die Trennung für nichts achten, denn ich wüÃte, daà ich's doppelt wieder empfinge. Jetzt aber, da Alles zu meines Herrn Zufriedenheit geordnet ist, da ich Selma als das Kind Lewin's van der Bruck erkannt habe, so laÃt uns zusammen in euer Haus einkehren und mich das Mägdlein als Tochter des Hauses van der Bruck begrüÃen.« In einer Chaise fuhren sie vor dem Schulhause an. Selma, bekümmert über des Vaters ungewöhnliche Vorladung vor das Amt, war die Erste, die aus dem Hause eilte, die mit offnen Armen dem Vater entgegeneilte, die, unbekümmert um den Fremden, sich teilnehmend nach der Ursache der Vorladung erkundigte. Wie aber der fremde Mann vor sie hintrat, wie er sich ehrerbietig vor ihr bückte, wie er ihre Hand ergriff und sie küÃte, wie er sie zum ersten Male mit ihrem Namen Selma van der Bruck benannte, wie er ihr sagte, daà er gesandt sei von ihrem GroÃvater, sie, die sehnsüchtig gewünschte Enkelin, in das Haus der Väter einzuführen; â da stand Selma vor ihm, ein Bild der Verlegenheit und der Angst stand vor ihm, das einfache Landmädchen in der dürftigen Kleidung, so sittig und kindlich, daà dem alten Manne die Augen vor Wehmuth übergingen. Und wie dann Dorothe kam, und, von dem Gefühl der nahen Trennung ergriffen, das Mädchen an sich drückte, und Selma mit scheuem Blick auf den Fremden sich inniger an Dorothe anschmiegte; da rief der Fremde: »O Gott, gib, daà ich dieà Kind nicht in's Haus des Jammers führe aus dem Haus des Friedens!« Und die Zeit der Trennung kam, kam für Alle zu früh, selbst für den Holländer, dem es so wohl geworden war unter den guten Menschen, daà er wiederholt sagte: »Kommt mit mir nach Holland, Herr Schulmeister; ihr seid mir lieb geworden wie ein Bruder; ich möchte mit euch leben und eures Umgangs mich freuen.« Darauf aber sagte Justus nur: »LaÃt uns Freunde sein auch in der Ferne und für einander beten. Ich bin ein alter, knorriger Baum, dem thut das Versetzen nicht mehr wohl. Hier, wo ich gelebt und gelitten habe, will ich auch sterben.« Am Tage vor der Abreise ging Selma von Haus zu Haus, Abschied zu nehmen; gab Jeder ihrer Gespielinnen ein Andenken, denn reichlich hatte sie ihr GroÃvater beschenken lassen; besuchte alle Plätze, die ihr lieb waren, Lenchen's Grab und ihren Stand in der Kirche, das Plätzchen unter den Kirschbäumen, von dem man weit hinaus in die Ferne sieht, und den Wald, in dem sie zur Sommerszeit geruht und Erdbeeren gesucht. Und wie denn die Stunde des Scheidens kam, da lag sie schweigend in den Armen der Aeltern und Geschwister, da konnte sie nichts rufen als »Dank, Dank euch Allen!« und fort ging's, der neuen Heimath, dem neuen Vaterhause zu. 19. Das Wiederfinden. Wieder waren zwei Jahre hingegangen. Selma war in's Haus des GroÃvaters eingetreten, und das Herz des alten menschenfeindlichen Mannes war weich geworden in der Liebe für seine Enkelin. Nun saà er nicht mehr allein unter seinen Blumen und Vögeln, ein Armer, Verlassener in Reichthum und UeberfluÃ; an seine Brust schmiegte sich das holde Mädchen und ihre Hände glätteten die Furchen auf seinem Angesicht. Und mit inniger Rührung blickten Lewin und Mora auf die Tochter, das feste Band ihrer Wiedervereinigung mit dem Vater. Alles war vergessen, das Leid der Jugend, der Groll des Vaters; die Prüfung war vorüber, die Herzen waren bewährt gefunden worden im langen Kampf, der Friede Gottes hatte sein Werk und seine Wohnung unter ihnen. »Wie sind wir so glücklich jetzt, Vater«, sagte Lewin, »könnten wir nur _den_ lohnen für seine Liebe und Treue an unserm Kinde, der fern von uns ist, den guten Justus und sein Weib. Er verschmäht Alles, Heimath und Obdach, die wir ihm bei uns angeboten haben; er verschmäht Geld und Gut, mit dem ich ihn reichlich versehen möchte, und nimmt nur die kleinen Gaben an, die ihm Selma schickt. Er schreibt: âºVon dem Kinde dürfe der Vater die Wohltat annehmen; aber Fremde dürften und könnten nicht lohnen, was die Liebe gethan.â¹ Und so sehr mich das schmerzt, so hat Vater Justus Recht.« »Ich weià einen Weg zum Dank für unsern alten Freund«, antwortete sein Vater, »und gefällt er euch, so wollet ihn mit mir gehen. Er geht durch das Herz seines Kindes. Als ich neulich mit Heinrich von Vater und Mutter redete, da nannte er mir den Familiennamen seiner Mutter. Ich forschte weiter, und erkannte in ihr meine Nichte, die Tochter meiner Schwester, die in Arnsberg in Westphalen an einen Kaufmann mit Namen Kunz verheirathet war. Ich habe, wie ihr wiÃt, den Familiennamen abgelegt, und den meines Schwiegervaters angenommen, als ich der Erbe des seligen van der Bruck ward. So ist dann Heinrich unser Vetter. Das Unrecht, das ich an der Schwerer that, daà ich mich nicht um sie kümmerte, das möcht' ich an ihrem Enkel wieder gut machen. Selma, du liebst Heinrich mehr und anders, denn die Schwester den Bruder; Heinrich, dein Auge ruht so lange schon liebend auf Selma, reicht euch denn die Hand zum Bund der Ehe, und der Herr, der mir vergeben wolle mein schweres Unrecht, um meiner BuÃe willen, und der euch so sichtlich geleitet und zusammengeführt, der wolle euren Bund segnen von Anfang bis zu Ende!« Von dem Tage an flatterte die Fahne von Holland vom Hause der Herrn van der Bruck zu Delft, wie es dort zu Lande üblich ist, wenn eine Braut im Hause wohnt. Ein schöner Gebrauch, daà das Brautpaar unter den Farben des Vaterlandes die ersten Tage seiner Liebe feiert. Denn wie unter der Fahne Christi, so sollen Brautleute unter der Fahne des Vaterlandes sich froh fühlen; denn dem Vaterlande gehört der Bund ihrer Herzen; seine Früchte sind die Bürger des Landes und seine Tugenden des Landes schönster Schmuck. Der Einwilligung der Aeltern daheim gewiÃ, hielt Heinrich schon nach einigen Wochen sein Hochzeitsfest. Haus und Garten des alten Herrn, in denen bis dahin nur schweigender MiÃmuth geherrscht hatte, waren voll von fröhlichen Gästen. Heinrich und Selma und die Aeltern fanden sich zusammen am Marmorteich. An diesem stillen Orte sahen sie lange dem Spielen der Goldfische im hellen Wasser zu, und manch' Wort der Liebe und des Preises Gottes redeten sie mit einander. Da nahte sich ein Fremder in ausländischer Tracht und mit gebräuntem Angesicht. Er blieb vor ihnen stehen, beugte das Haupte und sprach: »Vergönnt, edle Herrn und Frauen, daà auch ein ungebetener Gast heute bei euch einspricht, seinen Glückwunsch darzubringen!« Van der Bruck sah dem Fremden forschend in's Auge, und rief dann überrascht: »Werden die Todten lebendig? Heinrich Justus, mein alter treuer Diener, seid ihr es?« »Ja, der bin ich«, rief der Fremde, »und zur guten Stunde bin ich zurückgekehrt. Ist das nicht meine edle Frau, und hier mein Pathe Heinrich, und hier Selma, das Kind der Sorge! Und ich sehe den Brautkranz in ihrem Haar; ich sehe Glück in allen Zügen und das Haus van der Bruck einig und froh! Dem Herrn sei Dank, lauter Dank für seine Treue!« Da gab's viel Händedrücken und Fragen, aber Justus sprach: »ErlaÃt mir heute noch die Schilderung meines bewegten Lebens; ich bin zu ergriffen von Allem, was ich heute sehe und hörte. Ich habe viel gelitten und bin lange ein Gefangener gewesen unter Seeräubern, bis ich frei ward, und auf fremdem Boden es zu einigem Wohlstand brachte. Jetzt war ich auf der Reise in's Vaterland zu meinem Bruder, um mich dort auszuruhen. Hier wollt' ich nur sehen, ob das Haus van der Bruck noch stehe. Und es steht noch und es blüht, und einen Justus sehe ich mit ihm vereint, das ist viel mehr, als ich zu hoffen wagte.« Wie es Abend ward, da rief Lewin seinen alten Diener zur Seite und sprach: »Justus, wollt ihr mir noch einmal dienen, treu und willig, wie ihr sonst gethan?« »Von Herzen gern«, war des alten Jägers Antwort. »So nehmt«, sprach Lewin, »dieses Päckchen Geld und bringt es einem alten Manne, der krank und verlassen auf seinem Lager liegt. Dieser Diener wird euch seine Wohnung zeigen. Nennt dem Kranken euren und meinen Namen und sagt ihm, er solle von heute an nicht mehr Mangel leiden; und sagt ihm auch das noch: »Lewin van der Bruck rufe ihm Joseph's Wort an seine Brüder zu: »Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, Gott aber hat es gut mit mir gemacht.« Der Jäger ging und fand auf dem Krankenlager den alten Buchhalter. 20. Der Tag ist da. »Ein Brief aus Holland! Komm, Dorothe, meine Liebe, wir wollen ihn gemeinsam lesen«, rief einige Wochen darauf der alte Schulmeister Justus seinem Weibe zu. »Nimm du ihn, mein Engel, und öffne ihn! Ist es Alter, oder ist es Erwartung, meine Hände zittern, ich kann ihn nicht öffnen!« »Ich auch nicht, Väterchen, ich auch nicht«, sprach Dorothe, »wir wollen uns Zeit lassen. So, nun ist er auf, und nun lies du ihn. Frohe Nachricht steht oben drüber; da ist sein Inhalt gewià herzerquickend.« Der Schulmeister las, und lieà die Arme sinken, und wischte sich die Augen. »Dorothe«, sagte er, »ich kann nicht weiter; Heinrich und Selma sind Mann und Weib, â mein Bruder Heinrich, der Todtgeglaubte, ist zurückgekommen aus fernen Landen, â der alte van der Bruck ist deiner Mutter Bruder! â Dorothe, ich muà den Brief hinlegen, die Freude preÃt mir das Herz ab, ich werde schwach, zum Sterben schwach!« und der Alte lehnte sich zurück in seinen Sessel, und bedeckte mit der Hand die Augen. Dorothe öffnete das Fenster und kühlend wehte die Morgenluft um das weiÃe Haupt des Alten. Schweigend saÃen die beiden Eheleute einander gegenüber; was in ihnen vorging, das ist Gott allein bewuÃt. »Dorothe«, sprach endlich der Schulmeister, »wir Beide gehen bald zur Ruhe; laà uns nicht scheiden, bevor wir uns Rechenschaft abgelegt von unserm Tagewerk und Gott die Ehre gegeben. Laà uns Zeugnià ablegen von den groÃen Thaten Gottes an uns, denn er hat überschwänglich an uns gethan über Bitten und Vergehen. â Er hat uns gegeben fromme Aeltern, die jetzt vor Gottes Thron stehen, und uns behütet in den Tagen unsrer Schwachheit, und uns eine frohe Kindheit gegeben. Dann hat er uns in seine Uebungsschule genommen, auf daà er unser jugendlich Herz bewahre vor Sünd' und Schand', und es dem zuwende, vor dem ein reines Herz mehr gilt, denn Gold und Edelstein. â Als wir müde wurden vom Warten, da hat er uns Obdach gegeben und Brod, daà wir satt wurden, und Kinder lieb und gut und treu. Und wir haben der Keines verloren, nur Eins, das wollte der liebe Gott uns droben auferziehen. Sie sind Alle versorgt, und haben ihr Brod, und Heinrich sogar reichlich. â LaÃt uns nicht gedenken der Mittagshitze, die unser Lebenstag hatte; das Weh, das uns falsche Brüder thaten, haben treue Freunde in der Noth reichlich versüÃt, von denen noch Viele leben, Etliche aber sind entschlafen. Es ist mir leid um dich, mein Bruder Scheuermann, ich habe groÃe Freude und Wonne an dir gehabt, und auch um dich, Schwester Lindin! Ruht sanft ihr Freunde all', eurer Liebe will ich bald gedenken vor Gottes Thron! â Ist doch die Nacht der Trübsal, die uns manchmal einhüllte, vergangen, ist doch der Morgen gekommen! Und auch die Nacht hatte ihre Sterne und ich hab' zu ihnen aufgeschaut, und bin Schauens nicht müde geworden. Ging einer unter, so ging ein neuer auf, und jeder hielt mir das Licht, einzuschauen in die Tiefe des Reichthums, beides der Weisheit und Erkenntnià Gottes. â Nun ist's Abend für unser ganzes Leben, und unseres Lebens Sonne geht so schön unter! Wir sind müde am Leib, aber wach am Geist, denn Du, Herr, hältst die Augen, daà sie wachen; wir wachen zu Dir! â LaÃt euch grauen vor den Tod, ihr Weltmenschen, ich fürchte ihn nicht; ich weià daà mein Erlöser lebt; darum habe ich Lust, abzuscheiden und bei Christo zu sein.« »Und nun Dorothe, gib mir noch einmal die Hand, und versprich mir, wenn ich früher sterben sollte denn du, daà nichts an meinem Grabe geredet werde, als das Eine Wort: »Bis hierher hat der Herr geholfen!« »Kommst du Justus? Herr, ich komme! Dein mein Leben, dein mein Ende; Herr, in deine treuen Hände Leg' ich freudig Leib und Geist, Herr, dein Name sei gepreist!« End of Project Gutenberg's Der Kalendermann vom Veitsberg, by O. Glaubrecht *** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DER KALENDERMANN VOM VEITSBERG *** ***** This file should be named 15756-8.txt or 15756-8.zip ***** This and all associated files of various formats will be found in: https://www.gutenberg.org/1/5/7/5/15756/ Produced by the Online Distributed Proofreading Team Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive specific permission. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need, is critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation web page at https://www.pglaf.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Its 501(c)(3) letter is posted at https://pglaf.org/fundraising. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state's laws. The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S. Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered throughout numerous locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887, email [email protected]. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation's web site and official page at https://pglaf.org For additional contact information: Dr. Gregory B. Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For thirty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: https://www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks. *** END: FULL LICENSE ***