3½ Monate Fabrik-Arbeiterin

By Minna Wettstein-Adelt

The Project Gutenberg eBook of 3½ Monate Fabrik-Arbeiterin, by Minna
Wettstein-Adelt

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Title: 3½ Monate Fabrik-Arbeiterin

Author: Minna Wettstein-Adelt

Release Date: October 19, 2021 [eBook #66573]

Language: German


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*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 3½ MONATE FABRIK-ARBEITERIN ***




  3½
  Monate
  Fabrik-Arbeiterin.

  Von

  Frau Dr. Minna Wettstein-Adelt.

  [Illustration]

  Berlin 1893.
  Verlag von J. Leiser
  =N.O.= Barnimstraße 20.



  Meinem geliebten Mann, Herrn =Dr. jur.= _Oscar Wettstein_, gewidmet in
  herzlichem Dankgefühl für seine selbstlose Unterstützung in meinem
  Unternehmen.

    Die Verfasserin.




Inhaltsverzeichnis.


                                                      Seite

  Vorwort                                                 1

  Einleitung                                              5

  1. Kapitel.  Die materielle Lage der Arbeiterinnen      8

  2.    "      Nahrung und Kleidung der Arbeiterin       13

  3.    "      Arbeit, Beruf, Vergangenheit              18

  4.    "      Sittliche Zustände                        24

  5.    "      Sparsamkeit und Ehrlichkeit               35

  6.    "      Die Ehe                                   42

  7.    "      Die Stellung des Mädchens                 48

  8.    "      Seßhaftigkeit und Versicherung            52

  9.    "      Wohnungen und Schlafstellen               56

  10.   "      Religion                                  68

  11.   "      Sozialdemokratie und Frauenfrage          71

  12.   "      Vergnügungen                              80

  13.   "      Die Hausindustrie                         88

  14.   "      Stellenlos                                91

  15.   "      Verschiedenes                            102

  Betrachtungen                                         106





Vorwort.


Meine nachstehenden Mitteilungen sind einem andern Motiv entsprungen, denn
man annehmen wird; sie sollen lediglich ein Beitrag zur Frauenfrage sein,
sie sollen die Bewegung auch in den unteren Schichten fördern.

Als eifrige Kämpferin für unser gutes Recht habe ich vielfach Gelegenheit
gehabt zu sehen, daß fast alle deutschen Frauen unter den Kämpferinnen,
auch die tüchtigsten, die Kirche am Turm anfangen zu bauen, d. h., sie
berücksichtigen bei ihrem Streben immer nur das Frauenstudium und die
Gleichberechtigung mit dem Mann, ohne in die unteren Kreise hinabzusteigen,
um die Frauen dort kennen zu lernen. _Auch ich will Gleichberechtigung
mit dem Mann_; aber so lange Tausend und aber Tausend von Frauen in Elend,
Knechtschaft und Verrohung schmachten, muß erst diesen geholfen werden,
ehe man die _verhältnißmäßig_ noch gut dastehenden Oberen unterstützt.

In meinen Bestrebungen hat mir, zwar indirekt, aber dennoch als
Bahnbrecher, Paul Göhre, der Verfasser von »3 Monate Fabrikarbeiter
und Handwerksbursche«, Verlag von Grunow, Leipzig, den Weg gewiesen; ihm
verdanke ich die Idee, er war mein Pionier. Sobald der Plan in mir gereift
war, gleich Göhre als Arbeiterin unter Arbeiterinnen zu leben, machte ich
mich ans Werk, um ihn auszuführen. Da für mich -- in Berlin -- Spandau
die nächste Fabrikstadt ist, so wandte ich mich an die Direktion der
fiskalischen Betriebe, an eine Gewehr- und eine Pulverfabrik, mit der
Bitte, mir daselbst Arbeit zu geben; allein mein Verlangen, ebenso ein
Gesuch an den Herrn Kriegsminister, blieb unberücksichtigt. Aus welchen
Gründen mir der Eintritt in jene Betriebe nicht gestattet wurde, kann
ich nicht begreifen; daß die fiskalischen Betriebe irgend etwas in der
Behandlung ihrer Arbeiterinnen zu verheimlichen hätten, kann ich mir nicht
denken.

Ich erhielt endlich, nach langen Bemühungen, Arbeit in einer Berliner
Fabrik; allein dort konnte ich nicht das gewünschte Material finden, mir
war es um eine _typische_ Arbeiterbevölkerung zu thun.

Herrn Louis Gr. (Inhaber der Firma Gebrüder Gr.), dem Besitzer eines
großen Strumpf- und Trikotagengeschäftes in der Königstraße, den ich
als seine Kundin kennen und schätzen gelernt hatte, vertraute ich mich an,
weil ich wußte, daß dieser Herr mit den größten Chemnitzer Fabriken
in Geschäftsverbindung steht, und mir infolge dessen wohl ein Unterkommen
vermitteln würde. Ich hatte mich nicht geirrt. In Herrn Grs. Empfehlungen
hatte ich ein »Sesam, öffne Dich!« gefunden, das mir den Eintritt in
die meisten Chemnitzer Fabriken verschaffte, sodaß ich nur zu wählen
brauchte.

Ich habe, im Gegensatze zu Paul Göhre, in vier Fabriken verschiedener
Branchen gearbeitet, sowie in einer Fabrik auf dem Lande, um die
Landarbeiterbevölkerung und die Hausindustrie kennen zu lernen.

Ich kann mit gutem Gewissen sagen, daß ich jede Minute des Tages zur
Arbeit verwandte, daß ich meine Gedanken beständig koncentrierte, um
möglichst viel zu erfahren. Ich bin Abend um Abend, Sonntag um Sonntag mit
meinen Arbeits-Genossinnen zusammengewesen, ich habe mit ihnen fast alle
Vergnügungs- und Tanzlokale besucht.

Trotzdem aber bitte ich, meine Betrachtungen nicht als ein _apodiktisches_
Urteil über die Arbeiterinnen anzusehen; ich werde versuchen, stets
objektiv zu bleiben, alles so zu schildern, wie ich es _vielfach, nicht nur
hie und da_, gefunden habe, und bemerke noch, daß ich hier _nur_ von der
sächsischen Arbeiterin spreche.

Wenn auch mein Buch einen Sturm von Entrüstung bei denen hervorrufen wird,
die seinerzeit Göhres Werk angriffen als »ein feiges Sicheinschleichen in
das Vertrauen des harmlosen Arbeiters«, so bin ich doch getrost; ich
habe jene _schweren_ Monate _nur zum Wohle meiner leidenden
Geschlechtsgenossinnen_ durchgemacht. Ich allein kann es beurteilen, was
ich in jenen Verhältnissen, die mir bis dahin gänzlich fremd gewesen,
gelitten, wie bitter schwer es mir oft wurde, den traurigen Vergnügungen
nachzugehen.

Ich allein weiß es, wie manche Nacht ich vor Erschöpfung, vor
übergroßer Ermüdung nicht einschlafen konnte, wie ich bei der schweren
körperlichen Maschinenarbeit oft glaubte zusammenzubrechen.

Nur die aufopfernde, treue Pflege meines Mannes, der mir als Beschützer
stets in angemessener Entfernung folgte, nur sein aufmunternder Zuspruch,
sein Anspornen, schützten mich oft vor der Rückkehr; ihm verdanke ich es,
daß ich das Unternehmen bis ans Ende ausführte.

Heute, wo ich diese Blätter hinaussenden kann in die Welt, erfüllt mich
nur die reine Freude nach gethaner Arbeit, der lebhafte Wunsch, daß meine
Mühe nicht umsonst gewesen sei.

An meine gleichgestellten Mitschwestern aber richte ich die dringende
Bitte: Erseht aus dem, was ich anführe, _wo_ Hilfe am dringendsten Not
thut, laßt Euch diese Zeilen ein Wegweiser sein, um vorzudringen im Dunkel
des Elendes, der teilweisen Verkommenheit jener Kreise. Ihr, die Ihr im
Luxus und im Reichthum schwelgt, helft jenen, die das gleiche Recht auf die
Lebensgenüsse haben, als Ihr, die aber oft ein Dasein führen, das eines
Menschen unwürdig ist. Macht Euch auf und thut einmal _wirklich_ Gutes,
das mehr Segen bringen wird, denn Bazare und Wohlthätigkeitskonzerte!
Denn:

  »Nur der erringt sich Freiheit wie das Leben,
  Der täglich sie erobern muß!«




Einleitung.


Schon von Berlin aus hatte ich in einer der größten Chemnitzer
Strumpffabriken Arbeit gefunden; nur der Besitzer und der Direktor des
Betriebes wußten, wer ich war.

An einem schönen Frühlingsmorgen machte ich mich zum ersten Mal, als
Arbeiterin gekleidet, auf den Weg zur Fabrik. Hochklopfenden Herzens betrat
ich die Comtoirräume, dem jungen Mann, der herablassend nach meinem Begehr
frug, antwortend, ich sei vom Direktor als Arbeiterin engagiert worden. Der
alsbald hinzugerufene Direktor führte mich durch mehrere Zwischengebäude
in einen Saal im ersten Stockwerk der Hinterfront, wo die Hefterinnen
beschäftigt sind.

Ich wurde vom Aufseher, einem großen, hageren, aber noch ganz jungen
Manne, an einen Tisch gewiesen, an welchem etwa fünfzehn Mädchen saßen
und Herrensocken hefteten; der einen derselben wurde ich als Lehrmädchen
übergeben. Meine Lehrmeisterin war äußerst wortkarg; sobald sie sah,
daß ich ordentlich nähte, kümmerte sie sich nicht mehr um mich. Ich
ließ die Dinge einfach an mich herantreten, weil ich nicht wußte, wie ich
mich zu benehmen hatte.

Mir gegenüber saß ein bildhübsches Mädchen -- übrigens die Hübscheste
aus der ganzen Fabrik -- aber mit unsagbar frechem Gesichtsausdruck.
Sie war die erste, die das Wort an mich richtete; sie frug mich, wie ich
heiße, woher ich sei, wo ich wohne, was ich bis jetzt gearbeitet. Ich
hatte mir ein Märchen schon vorher zusammengestellt. Als sie hörten, ich
sei bis jetzt Putzmacherin gewesen, drängte sich jede freundschaftlich an
mich, eine jede hatte einen Hut, den sie modernisiert haben wollte.
Dieser Umstand hat mir Zutritt in alle Arbeiterfamilien verschafft, da ich
manchmal an einem Abend zu vier oder fünf Mädchen ging, ihnen ihre
Hüte ausputzte und dabei Einblick in ihre intimste Häuslichkeit gewinnen
konnte.

Schon nach Ablauf eines Vormittags hatte mir eine jede an unserm Tisch ihre
Lebensgeschichte erzählt, alle Details über ihren Schatz gegeben. In der
Mittagspause saßen wir bereits einträchtig zusammen; und die Freundschaft
wurde noch größer, als ich für die ganze Corona zwei Flaschen Bier
kommen ließ.

Meine Arbeit war hier eine sehr leichte und angenehme, die Mädchen
durchwegs reinlich, selbst hübsch gekleidet, der Ton ein derb-fröhlicher,
ohne die Würze jener Roheiten und schamlosen Zoten, wie ich sie in allen
anderen Fabriken noch hören mußte. Ich fand die ganze Art des Verkehrs
der Arbeiterinnen untereinander und mit den Vorgesetzten _besser_
und _höflicher_, denn man ihn in den Ateliers von Schneiderinnen,
Weißnäherinnen und Putzmacherinnen zu finden gewohnt ist.

Glücklicher Weise erging es mir in der _ersten_ Fabrik so gut, denn
wenn ich gewußt hätte, was ich in den anderen Fabriken an Roheit und
Gemeinheit in den Kauf nehmen mußte, wer weiß, ob ich die Flinte nicht
doch noch ins Korn geworfen hätte.

Ich habe aber, und das will ich gleich zu Anfang betonen, gefunden, daß,
_je gröber und schwerer die Arbeit, je roher auch die Menschen waren_.
Alle die Mädchen, mit denen ich in Handschuh- und Strumpffabriken
arbeitete, _waren grundverschieden im Benehmen, wie in der Kleidung
gegenüber denjenigen, die Maschinenarbeit verrichteten_.

Die Krone der Verkörperung aller sittlichen Roheit aber fand ich bei den
Arbeiterinnen in Spinnereien; solch unglaubliche Dinge, wie ich sie dort
erlebt und gehört habe, hatte ich bis jetzt nicht für möglich gehalten.

Die zweite Fabrik in die ich eintrat, war eine Weberei, wo die Mädchen
ausschließlich an Maschinen, und zwar an großen, schweren Maschinen
arbeiteten. Hier, wie auch in den beiden Spinnereien, in die ich nachher
kam, fand ich die eigentliche typische Fabrikarbeiterin mit allen den
schlechten Seiten, die man ihr im Volksmund anhängt. Die Landarbeiterinnen
waren wieder grundverschieden von den letzteren, es war eine eigene Spezies
mit dem lockeren Sittenbegriff der Spinnereiarbeiterinnen und dem besseren
Benehmen und der besseren Kleidung der Strumpfarbeiterin. Auch diejenigen,
die die Hausindustrie vertreten, sind wieder ganz besondere Klassen von
Arbeiterinnen, umsomehr als es lediglich Familienmütter, überhaupt
verheiratete Frauen sind.




Erstes Kapitel.

Die materielle Lage der Arbeiterinnen.


Auch hier muß ich betonen, daß ich im Gegensatz zu Göhre, nicht in
_einer_ Fabrik und noch weniger in _einem_ Saal gearbeitet habe; so oft
ich die Arbeiterinnen der einen Abteilung gründlich kannte und von ihnen
nichts Weiteres zu »lernen« war, verständigte ich den Direktor, der mich
alsbald in einer anderen Abteilung unterbrachte. So kam es, daß ich in
3½ Monaten mehr sah und hörte, als andere Arbeiterinnen in einem Jahre
erfahren würden.

Fast alle meine Arbeitsgenossinnen waren aus Chemnitz gebürtig oder doch
wenigstens aus Sachsen; in der ganzen langen Zeit fand ich _nicht eine_,
die aus einer andern Provinz Deutschlands stammte. Deswegen auch betonte
ich in meinem Vorwort, daß ich _nur von der sächsischen Arbeiterin_
spreche.

Ich fand ganze Familien in derselben Fabrik, den Vater als
Maschinenmeister, Portier oder Hausknecht, Söhne und Töchter, Neffen,
Nichten und Tanten als Fabrikarbeiter.

Am schlechtesten wurden die Frauen in der Strumpffabrik gezahlt, wo man
überall auf Accord arbeitete. Hier verdienten die Hefterinnen z. B.
wöchentlich 5-6 Mark im Durchschnitt, und wenn viel sogenannte Brechwaare
(Strümpfe, die zusammengefaltet, nicht zusammengeheftet werden) in einer
Woche hergestellt wurden, so verdienten wir wöchentlich 2,50-3 Mark.
Natürlicher Weise saßen wir dann stundenlang müßig da; die meisten
aber schienen für solche Fälle gewappnet zu sein, denn sie führten
eine Handarbeit bei sich, meist Häkeleien oder Spitzen in schmutzigstem
Zustande.

In der großen Saison sollen aber die tüchtigen Hefterinnen bis zu 9 Mark
pro Woche verdienen. Für 10 Dutzend Strümpfe erhielten wir 19 Pfennige;
wer am frechsten war und den aus der Appretur kommenden Mädchen die
meisten Strümpfe abnahm, hatte immer Arbeit. An meinem Tische z. B. gab
es ein bleiches, mageres, eben erst aus der Schule entlassenes Mädchen,
das wegen seiner Habgier allgemein verhaßt war; sie hatte immer einige
Dutzend Strümpfe vor sich liegen, von denen sie aber auch nicht ein
Dutzend den andern abgetreten hätte; und doch vernaschte diese ihren
halben Verdienst. Eine junge Wittwe dagegen, die unmittelbar neben mir saß
und zwei kleine Kinder zu Hause hatte, trat mir oft ein oder zwei Dutzend
ihrer Strümpfe ab, weil sie glaubte, ich sei in großer Not.

An einem Mittwoch Nachmittag kam der Aufseher an unsern Tisch und erklärte
uns in dürren Worten, wir seien für diese Woche entlassen, da nur
Brechware in Arbeit sei. Ach, welcher Jammer herrschte da! Die meisten
hatten erst 60 Pfennige bis zu 1,20 Mark verdient und sollten ihre 4
bis 6 Mark Kostgeld wöchentlich entrichten. Besonders jene Wittwe war
äußerst unglücklich; sie hatte seit vierzehn Tagen nur Kommisbrot und
schwarzen, bitteren Kaffee genossen, der den Namen Kaffee mit Unrecht
führte, und nun fehlte ihr selbst dies.

Auch ich spielte die Niedergeschlagene, so gut ich konnte; und da will ich
gleich einer kleinen rührenden Episode gedenken, die ich an jenem Tage
erlebte. Die Mädchen in den andern Sälen hatten von der Entlassung der
Hefterinnen gehört und standen nun gruppenweise beisammen, über die
schlechten Zeiten schimpfend, die auch ihnen den Erwerb nehmen konnten. Als
ich an ihnen vorüber die Treppe hinunterging, rief mich die eine, ein mir
bis dahin gänzlich fremdes Mädchen, an: »Sie sind wohl jetzt auch
in Not?« meinte sie teilnehmend; »Sie haben gewiß Ihr letztes Geld
ausgegeben, um hierher zu kommen, und nun finden Sie nicht einmal
Verdienst, das ist hart! Ich habe selber nicht viel, aber etwas kann
ich Ihnen schon borgen, vielleicht giebt Ihnen eine andere auch noch was
dazu.« Damit griff sie in ihre Kleidertasche und reichte mir -- einen
Nickel! Ich war sprachlos vor Rührung und nahm nur stumm das Geldstück,
das ich ihr am nächsten Zahltag wieder zurückgab. --

Gleich darauf traf ich im Hofe mit einer anderen Hefterin zusammen, die
mir den Vorschlag machte, mit ihr zu gehen und uns auf Zeitungsinserate
hin Arbeit zu suchen. Ich willigte nur zu gern ein; allein in beiden
Strumpfgeschäften, wo wir anfrugen, erhielt ich -- glücklicherweise --
abschlägigen Bescheid, während meine Begleiterin im zweiten Geschäft zur
Aushülfe angenommen wurde.

Die Hefterinnen waren diejenigen, die am schlechtesten standen; die
übrigen: Sortiererinnen, Wäscherinnen und Stopferinnen verdienten im
Durchschnitt 8 Mark in der Woche, die Mädchen, die in der Appretur
beschäftigt waren, bis zu 10 Mark; das war aber das höchste und selten
anzutreffende, da die Arbeiterinnen in der Appretur meist jahrelang dort
arbeiten müssen, ehe sie diesen Lohn erhalten. Allgemein aber wurde auf
Akkord gearbeitet, was die Fleißigen lebhaft befürworteten, die Faulen
murrend in den Kauf nahmen.

Unter diesen Umständen natürlich herrschte eine ewige Borgerei unter den
Mädchen; mehr als 15 Pfennige aber verborgte keine. In vielen Fällen
verborgten sie auch ihr Mittag- oder Vesperbrot, d. h. wer zu viel
hatte, borgte einer andern Brot oder Kartoffeln, wofür diese am nächsten
Zahltage 3 bis 7 Pfennige entrichtete.

In der Weberei, in welcher ich Beschäftigung gefunden hatte, herrschte
erst seit kurzer Zeit das System der Akkordarbeit; es schien bei allen
lebhaften Beifall zu finden, weil die Mädchen dadurch bedeutend mehr
verdienen konnten; merkwürdigerweise waren eben diese rohen und
frechen Weberinnen ganz bedeutend fleißiger, denn die gesitteteren
Handarbeiterinnen.

Es wurde dort an jedem Dienstag ausgezahlt, immer aber nur für die
vollendete Arbeit, d. h. für den Ballen gewebten Stoffes, der meist eine
Länge von 3, 9 oder 12 Metern hat. Fehlte auch nur ¼ Meter am fertigen
Ballen, so mußte die Arbeiterin bis zum nächsten Zahltag warten.
Hierüber herrschte Erbitterung, zeitweise sogar offene Rebellion; dann
gingen die Kecksten zum Aufseher, und wenn dieses nichts fruchtete,
zum Direktor, dem sie schimpfend und schreiend ihre Sache vortrugen.
Gewöhnlich wurde ihnen dann mit Kündigung gedroht, sie gingen murrend zur
Arbeit zurück -- und alles blieb beim alten! An einen Streik dachten sie
gar nicht; so oft ich auch den Wütendsten zu streiken vorschlug, es war
nichts mit ihnen zu machen. Sie knirschten in ihrem Joch, aber sie hatten
nicht den Mut, offen vorzugehen.

_Und das eben mache ich den arbeitenden und erwerbenden Frauen Deutschlands
zum schweren Vorwurf, daß sie sich alles bieten lassen, daß sie
wohl einzeln, nicht aber alle vereint offen gegen unhaltbare Zustände
auftreten. Und doch macht nur die Einigkeit stark._

In den Webereien verdienten die Mädchen durchschnittlich 10 bis 12 Mark
pro Woche, ja, meine Nachbarin auf der Webemaschine, die außerordentlich
geschickt und fleißig war, verdiente bis zu 18 Mark wöchentlich. Sie
webte gewöhnlich Teppiche von 1 Meter Breite nach türkischem Muster, und
davon im Tage 4 bis 5 Meter, je nach der Einfachheit des Musters. Sie war
aber auch stets die letzte, die den Saal verließ und die erste, die wieder
arbeitete. Die Landarbeiterinnen sind merklich besser daran, denn die
andern; fast alle Mädchen nehmen hier 10 bis 18 Mark pro Woche ein
und geben gewöhnlich den Eltern 2 Mark Kostgeld. Die meisten dieser
Arbeiterfamilien besitzen ein eigenes Häuschen, aus 2 Stuben, 1 Kammer
und 1 Küche bestehend; so fällt die Sorge für den teuren Mietszins weg
und erleichtert wesentlich das Budget des Haushaltes.

Die Hausarbeiterinnen sind gewöhnlich Handschuhstepperinnen, die bei 6-
bis 8stündiger Arbeit 2 bis 8 Mark verdienen. Meist sind es Frauen, die
schon als Mädchen in der Fabrik gearbeitet haben und nun, durch eine
Horde hungriger Kinder zum Erwerben wieder gezwungen sind. Fleißige Frauen
unterhalten den Haushalt oft auf diese Weise zur Hälfte, ja im Winter,
wenn die Männer zeitweise arbeitslos sind, vollständig allein.




Zweites Kapitel.

Nahrung und Kleidung der Arbeiterin.


Wir hatten in allen Fabriken einen sogenannten Speisesaal, einen großen,
im Souterrain gelegenen feuchtkalten Raum mit nackten Wänden und
Steinboden, in dem eine Reihe der primitivsten hölzernen Bänke vor
ebensolchen Tischen standen. Im Hintergrunde dieses »Saales« steht ein
riesiger alter Herd, auf dem eine meist sehr unappetitlich aussehende Frau
den Arbeiterinnen das von Hause mitgebrachte Essen wärmt. Die meisten
bleiben über Mittag in der Fabrik, nur wenige der verheirateten Frauen,
wohl solche mit kleinen Kindern, eilen heim, um Punkt 1 Uhr abgehetzt und
weniger erholt als _vor_ der Mittagspause an die Arbeit zu gehen.

Kaum ertönt die Fabrikuhr in ihren so heiß ersehnten zwölf Schlägen, so
wird wie durch einen Zauberschlag alles still; mit einem letzten keuchenden
Aufpusten stehen die Maschinen und die Triebräder unbeweglich da. In den
ersten Tagen erschrak ich jedesmal von der Stille, die im Saale herrscht,
nach jenem nervenzerrüttendem sechsstündigen Gerassel, Gepolter und
Geschrei.

Dann eilen alle hinab, um ihr Essen zuerst aus dem heißen Herd heraus zu
erbeuten; bei schönem, sonnigen Wetter setzten wir uns zur Mittagsmahlzeit
in den Hof, auf den Erdboden, auf eine Wagendeichsel, eine alte Tonne oder
Kiste, kurzum auf das, was uns gerade erreichbar war.

Der Hauptkontingent hatte nichts weiter, denn einen Topf Kartoffeln oder
Reisbrei mit, etliche hatten Nudeln, Graupen oder Erbsen; _Fleisch habe ich
in der ganzen Zeit auch nicht bei einer einzigen gesehen_. Diejenigen, die
den größten Luxus trieben, aßen zu ihren Kartoffeln zwei Eier oder einen
Häring, aber auch dies nur am Zahltag. Ein sehr beliebtes Essen bildete
ferner trockenes Kommisbrot und eine saure Gurke; die Mädchen verzehrten
unglaubliche Quantitäten dieses Brotes und teilten die Gurke gewöhnlich
so ein, daß sie noch zur Vesper langte; auch wurde viel Kartoffelsalat
gegessen, der keine weiteren Zuthaten aufweisen konnte, denn Essig und
Zwiebeln. Als Getränk figurirte Milch, Buttermilch und Kaffee, ein
gräulich riechender grünlicher Aufguß von Cichorie. In den letzten Tagen
_vor der Löhnung_ wurde zur Mittagsnahrung _vielfach_ nur solcher Kaffee
mit Kommisbrot genossen, auf das die meisten ungeheure Quantitäten Salz
streuten.

Merkwürdig aber ist es, daß die meisten ihr Brot lieber trocken essen,
ehe sie Schmalz darauf streichen, wie es doch in den besten Berliner
Bürgerkreisen Sitte ist. Wenn sie das Geld zur Butter nicht erschwingen
können, so essen sie ihr Brot, wie schon erwähnt, mit Salz oder Zucker
bestreut. Bei solcher Nahrungsweise und bei der schweren Arbeit ist es
nicht zu verwundern, daß die Mädchen in der Frühstücks- und in der
Vesperpause die gleiche Menge Brot verzehren, wie Mittags.

Ich habe auch in Arbeiterfamilien gegessen; die Nahrungsweise war die
gleiche, wie im Fabriksaal bei den Mädchen, womöglich wurde sie noch
hastiger, mürrischer und unzufriedener eingenommen, je mehr Kinder
vorhanden waren, die nicht genug bekommen konnten.

In den sogenannten Arbeiterkneipen fand ich _niemals_ eine Arbeiterin, nur
arbeitsloses, verkommenes weibliches Gesindel.

Auch in der städtischen Speiseanstalt, wohin ich öfter ging, waren sehr
wenig Arbeiterinnen zu finden, größtentheils Hausiererinnen, Bettlerinnen
und Landstreicherinnen. Es herrscht unter den Frauen eine Art Schamgefühl,
das städtische Speisehaus zu betreten, trotzdem dort die besten
männlichen Arbeiter gern verkehren.

Man erhält daselbst für 10 Pfennige eine Schüssel Graupen oder Erbsen,
ungefähr 1 Liter im Inhalt, für 15 Pfennige ein Stück Corned beef
dazu, für 20 Pfennige außerdem einen Teller Suppe. Die Portionen sind
außerordentlich reich bemessen, werden aber von den Besuchern unglaublich
schnell verschlungen.

_Keine Arbeiterin bekennt sich zum Vegetarismus, sie würden alle gern
Fleisch essen, wenn sie die Mittel dazu hätten._

Ich habe das mit Genugthuung beobachtet; denn wenn die Arbeitenden zur
Mittagsmahlzeit eine Fleischquantität bekämen, derjenigen der Soldaten
gleich, so würden sie nicht _beständig_ so hungrig sein, immer bereit,
neue Berge von Brot und Kartoffeln zu verzehren.

Vielfach holen die Arbeiterfrauen, deren Männer zur Mittagszeit nach Hause
kommen, in den Hotels sogenannte Abfälle, meist noch recht gute Fleisch-
und Geflügelreste, mit Kartoffeln und Sauce vermengt, die sie gleich
gewärmt erhalten, und direkt zum Arbeitsplatz des Mannes tragen, wo sich
inzwischen auch die Kinder eingefunden haben. Diese Art der Mittagsmahlzeit
hat insofern ihr Gutes, als die Leute Fleisch bekommen, zusammen speisen
können und die ganze Familie beisammen ist.

Dabei muß ich aber hervorheben, daß die Arbeiterinnen bedeutend besser
essen _könnten_, wenn sie nicht alles an ihre Kleidung wenden würden,
aber sie verzichten lieber auf jede menschenwürdige Nahrung, um sich einen
modernen Hut, ein hübsches Kleid oder einen Sonnenschirm zu kaufen, ja, am
Sonntag tragen die meisten Glacéhandschuhe!

Während der Woche sind sie ganz einfach gekleidet, Rock und Bluse,
Sonntags aber unterscheidet man sie größtentheils in nichts von den
Bürgermädchen, da sie dann auch ein ganz anderes Benehmen zur Schau
tragen, denn in der Woche. Sie sehen auf gutes Schuhwerk, leider aber gar
nicht auf gute Wäsche. Sehr viele besitzen überhaupt nur zwei Hemden,
wovon das eine immer in der Wäsche ist, während sie das andere tragen.

Es fiel mir ferner auf, daß sie nicht viel auf Schmuck geben, dafür aber
um so mehr auf Haarpfeile und Kämme; so manche, die ich näher kannte,
aß sich die ganze Woche hindurch nicht satt, um sich einen Haarpfeil aus
Aluminium kaufen zu können. Selbstverständlich darf man hier den Mädchen
weder mit Vorwürfen, noch mit Indignation oder stummem Mitleid über ihre
Dummheit entgegentreten; _hier ist allein thatkräftige Aufklärung am
Platze_.

In den Handschuh- und Strumpffabriken kommen und gehen die Mädchen in
derselben Kleidung, die sie während der Arbeit tragen; in den Webereien
jedoch, wo Staub und Schmutz regieren, ziehen sich die Mädchen
vollständig um; Röcke, Taillen, Schürzen und Schuhe werden gewechselt,
um die Haare schlingen sie ein Tuch. Obgleich die Bestimmung in jeder
Fabrikordung aufgenommen ist, daß die Arbeiterinnen sich _nur_ im
»Garderobenzimmer« anziehen dürfen, thun es die Wenigsten. Mit der
größten Ungeniertheit entkleiden sich viele bis aufs Hemd, über ihre
eigene Kleidung Witze machend.

Schon um ½12 und um ½6 Uhr fängt eine jede an, Toilette zu machen; jede
einzelne ist im Besitz eines Spiegels und eines Kammes. Die Mädchen geben
alle sehr viel auf die Frisur, vor Feierabend kämmen sie ihr Haar, stecken
es vor dem Spiegel sorgfältig auf und harren, meist mit dem Körbchen in
der Hand, des Glockenschlages sechs; gewöhnlich sind sie schon zum Thor
hinaus, wenn die Maschinen anfangen still zu stehen. Kommt zufällig der
Aufseher oder der Direktor noch durch die Räume, so huschen sie schnell
an ihre Maschinen und heucheln die Fleißigen; dieser aber kennt seine
Getreuen und ohne Verweis geht es selten ab.

Ich kam im Anfang in meiner gewöhnlichen Arbeitertracht zur Fabrik, aber
schon am ersten Abend hatte ich wunde Füße, dermaßen strengte mich
das Stehen vor den Maschinen an; Pantoffeln sind hier einfach
unentbehrlich. --

Im höchsten Grade überrascht aber war ich bei meinem Eintritt in die
Fabrik auf dem Lande. Die Mädchen sind hier gut, ja teilweise so hübsch
und adrett gekleidet, daß die Städterinnen nimmer einen Vergleich mit
jenen aushalten könnten. Abgesehen von den hübschen, oft zartfarbigen
Blousen, von den gutgearbeiteten, modernen Röcken, den kleinen
Schürzchen, haben die meisten fein frisierte Haare und Locken-Devants,
Kämme und Spangen, ja, _viele tragen zur Taille passende Schleifen im
Haar_.

Auch ihr Benehmen ist ein viel besseres, denn das der Chemnitzerinnen, der
Ton ein feinerer; es machte mir den Eindruck, als sei ich mit einer Schar
Ballettänzerinnen zusammen, die arm aber doch gutgekleidet sind und
frivole, wenn auch nicht roh gemeine Witze machen. Einen besseren Vergleich
konnte ich nicht finden.

Überhaupt bildete die Unterhaltung der Landmädchen eine Kette von
pikanten Abenteuern, zweideutigen Witzen, wie sie in den Kasinos der
Herren Lieutenants Mode sind, und von Abenteuern der Kameradinnen, die sich
durchwegs im Gebiet des Zweideutigen bewegten.




Drittes Kapitel.

Arbeit, Beruf, Vergangenheit.


Die Arbeiterinnen in allen Fabriken, in denen ich war, hatten entweder
vom 14. Jahre an in der Fabrik gearbeitet, das waren die tüchtigen,
ordentlichen Mädchen, oder es waren entlassene Dienstmädchen; eine andere
Vergangenheit hatten die wenigsten.

Diejenigen, die früher gedient hatten, waren meist durch unsittlichen
Lebenswandel, Faulheit oder andere schlechte Eigenschaften zur Fabrikarbeit
gelangt, die ihnen, wenn auch ein elenderes, so doch ein freieres Leben
gestaltete; _sie lieferten das Heer der verkommenen, rohen Arbeiterinnen_.
Diejenigen, die, ich möchte sagen aus traditionellen Arbeiterfamilien
stammten, arbeiteten sich oftmals auf, so daß sie eine Art Carriere
machten; sie fingen in der niedrigsten Stellung an und endeten schließlich
als Directrice mit Monatsbesoldung von 100 bis 120 Mark. Dann spielen
sie die Damen, behandeln ihre früheren Kolleginnen herablassend und
hochmütig, und scheinen durch nichts an ihre frühere »Niedrigkeit«
erinnert werden zu können. Im allgemeinen herrscht zwischen den beiden
Parteien offene Feindschaft; die echte Arbeiterin sieht das frühere
Dienstmädchen größtenteils als eine verkommene Existenz an, über die
sie sich erhaben fühlt. Das Dienstmädchen wieder hat beständig die
»feinen« Leute im Mund, bei denen sie gedient und durch welche sie alles
besser wissen will, was »feine« Leute thun. Aus diesem Grunde kam es
öfters zu Streitigkeiten, ja, selbst zu Thätlichkeiten.

Die Maschinenarbeiterinnen sehen mit gewisser Geringschätzung auf die
Strumpf- und Handarbeiterinnen herab; sie sehen in ihnen mehr Näherinnen
und Stopferinnen, denn richtige Arbeiterinnen. Diese wieder reden
verächtlich von der Maschinenarbeiterin, die die schwere und schmutzige
Arbeit verrichten muß; selbst wenn sie Stellung in einer Weberei fänden,
sie würden sie nicht annehmen.

Thatsache aber ist es, daß die Strumpf- und Handschuharbeiterinnen bei
weitem nicht so viel und so schwer zu schaffen haben, als die andern, daß
sie bequemer und fauler sind und lieber wochenlang stellenlos bleiben, denn
eine andere Arbeit annehmen.

In den Strumpf- und Handschuhfabriken arbeiteten wir in schönen, luftigen
und hellen Sälen; jede hatte ihren Tisch und ihren Platz, die Arbeit war
leicht, teilweise sogar unterhaltend. Wir unterhielten und neckten uns,
die Zeit verging schnell und, den Verhältnissen angemessen, angenehm. Ganz
anders aber ist es in den Webereien. Hier arbeiten die Mädchen elf Stunden
täglich in einer Staubatmosphäre, die mir am dritten Tage meines dortigen
Aufenthaltes einen tüchtigen Lungenkatarrh verschaffte; kleine Flocken von
der aufgedrehten Wolle füllen die Luft, setzen sich auf Kleider und Haare,
fliegen in Nase und Mund; die Maschinen müssen alle 2 Stunden abgekehrt
werden; der Staub wird von den Mädchen eingeatmet, da sie die Fenster
nicht öffnen dürfen. Dazu kommt der fürchterliche, nervenzerrüttende
Lärm der rasselnden Maschinen, daß der Sprecher sein eigenes Wort nicht
hört. Wer nicht in den höchsten Tönen schreit, kann sich nicht mit
seiner Nachbarin verständigen. Die Mädchen haben aber auch durchweg
schreiende, nervösmachende Stimmen; selbst wenn im Saale alles still
wird, nach Feierabend, auf den Straßen, zu Hause, nie sprechen sie ruhig
zusammen wie andere Leute, ihre Unterhaltung ist ein ewiges Geschrei, das
bei Uneingeweihten den Eindruck hervorruft, als stritten sie miteinander.

Es ist wirklich ein Wunder, daß so manche der Mädchen noch so blühend
und frisch aussehen, daß sie noch Lust haben, während der Arbeit laut zu
singen, und zwar _innige Volkslieder_.

Mit unglaublicher Keckheit greifen die Mädchen mitten ins Getriebe der
Maschinen, holen das blitzschnell hervorschießende Schiffchen heraus und
legen ebenso schnell das volle Schiff hinein; Unglücksfälle kamen, so
lange ich dort war, nicht vor und sollen auch seit Menschengedenken nicht
vorgekommen sein.

Viele jener Mädchen arbeiten mit Lust an der Sache, besonders solche, die
kleinere Teppiche oder einzelne abgepaßte Vorhänge weben und den Fortgang
des vollendeten Musters verfolgen können. Ihre Maschine lieben sie, wie
man einen treuen Hund liebt; sie putzen sie glänzend rein, binden an die
Seitenbarren bunte Bänder, Heiligenbildchen und allerlei Flitterkram, den
sie während des Sommers auf dem Schützenplatz vom Schatze bekommen haben.

Die Mädchen arbeiten schwer, sehr schwer, so manche erzählte mir, wie
sie in den ersten vier Wochen ihrer Arbeitszeit zusammengebrochen ist vor
Anstrengung, wie die meisten monatelang an Lungen- und Halskrankheiten
leiden, bis sie den Staub gewöhnt sind. Dazu kommt die schlechte,
erbärmliche Nahrung, die kurzen Ruhestunden in Räumen, die den Namen
»Wohnung« nicht verdienen -- und trotz allem bleiben die Mädchen
fröhlich, gesund, munter, lebenslustig!

Ich habe das immer mit Bewunderung gesehen; _ich_ hätte das nicht auf die
Dauer ausgehalten. Ich konnte meistenteils von Morgens bis Abends nichts zu
mir nehmen, denn Kaffee; erst am Abend eilte ich, zu Tode erschöpft, ins
Hotel, um mit Mühe und Not etwas kräftige Nahrung zu genießen. Ich fand
das Leben jener Mädchen so entsetzlich traurig, so monoton, Jahr aus, Jahr
ein dasselbe Einerlei, dieselbe Arbeit bei schlechtem Lohn, das gleiche
schlechte Essen -- und doch die zähe Zuversicht zum Leben, die Freudigkeit
auf die Zukunft!

Es durfte keine daran denken, bei heftigem Kopf- oder Zahnweh die
Arbeit einzustellen und sich auszuruhen, auch nicht eine viertel Stunde
Verspätung wurde geduldet, wollte sich die Betreffende nicht einen sehr
empfindlichen Strafabzug am Wochenlohn gefallen lassen.

_Hier sollten sie einmal eingreifen ins volle Menschenleben, jene Gegner,
die da behaupten, die »schwachen« Frauen könnten nichts leisten und
würden niemals andauernd und hingebend einen Beruf erfüllen! Hier werden
ihre Behauptungen glänzend zu Schanden! Oder gelten diese überhaupt nur
für die Berufe, wo die Konkurrenz der Frau dem Manne gefährlich werden
kann?_ --

Man unterschätze aber auch nicht die Arbeit der Teppichweberinnen,
_sie ist nichts weniger, denn eintönig und schablonenhaft_. Bei den
komplizierten türkischen Mustern muß die Weberin die Sekunde erfassen, wo
die Spulen in verschiedenen Farben gewechselt werden, _sie muß denken und
kombinieren, berechnen und aufpassen und alle ihre Gedanken konzentrieren.
Diese Arbeit erfordert weit mehr Gedankenarbeit und Pflichtbewußtsein,
denn die Häkelarbeiten und Stickereien, die Hunderte von Mädchen der
besseren Kreise Jahr aus, Jahr ein anfertigen in Erwartung des erlösenden
Ritters._ --

In den meisten Fabriken fängt die Arbeit um ½7 Uhr an, von 8-8½ Uhr
ist Frühstücks-, von 12-1 Uhr Mittagspause; um 4 Uhr wird 20-30 Minuten
Vesperpause gehalten, um dann bis zum Feierabend um 7 Uhr zu arbeiten.
Sonnabends ½6 Uhr wird die Arbeit eingestellt, um den Arbeiterinnen bis
6 Uhr Zeit zu lassen ihre Maschinen gründlich zu reinigen und zu ölen;
am Montage wird eine halbe Stunde später angetreten, wohl weil die
Mädchen durchwegs Katzenjammer vom Sonntag her haben.

Wie ich schon erwähnte, sind Unglücksfälle eine Seltenheit, _Unfälle
bei der Arbeit_ dagegen sehr häufig. So passierte es meiner Nachbarin,
daß ihr infolge zu schwachen Andrückens der Spule in das Schiff, dieses
im vollsten Betriebe heraussprang und sämtliche Fäden, die Grundlage zum
Teppich, zerriß; sie war zu Schadenersatz verpflichtet, d. h. sie mußte
sämtliche Fäden wieder anknüpfen, eine Arbeit, die sie _drei volle_ Tage
in Anspruch nahm und wofür sie keinen Lohn erhielt. Ihre Verzweiflung war
eine grenzenlose, alle Mädchen, die im gleichen Saale beschäftigt waren,
sprangen herbei und halfen der fassungslos Schluchzenden. Ein ander Mal
zerbrach die eine die Feder ihres Betriebes; durch die freundliche Hilfe
des Aufsehers aber wurde der Schaden repariert, ehe der Direktor ihn
bemerkt hatte. Auch die Handschuh- und Strumpfarbeiterinnen müssen
manchmal Schadenersatz zahlen, doch ist dies hier ein selten vorkommender
Fall, da ruinierte Sachen sich leicht unter der guten Ware verbergen
lassen.

Was jedoch an Fabrikeigenthum ruiniert wird, ist unglaublich; die
Spulerinnen ruinieren täglich eine Menge Wollsträhnen; sobald ein Strang
sich ein klein wenig verwickelt hat, werfen sie ihn in den Lumpen- und
Abfallsack, der an jeder Maschine hängt, und greifen zu einem neuen
Strang. Auch die Tricotarbeiterinnen verschneiden eine Masse schönen
Stoffes, der dann einfach beseitigt wird. So kam es kürzlich in einer
Chemnitzer Weberei vor, daß die Aborte der Fabrik durch hineingeworfene
Spulen verstopft waren, und die Landwirte den Inhalt als Dung
zurückwiesen, _weil er zu viel Tricotstoff enthielt_. Eine einzige dortige
Fabrik verkaufte im vorigen Jahre allein für 15.000 Mark Lumpen, die,
wenn die Stoffe nicht leichtsinnig verschnitten würden, kaum auf die halbe
Höhe des Preises kämen. Leider muß ich gestehen, daß sehr viele
der Mädchen mit einer schlecht unterdrückten Schadenfreude das
Fabrikeigenthum ruinieren, und daß das nicht die Anfängerinnen, sondern
mehr die besseren Arbeiterinnen, teilweise die Directricen sind. Als ich
anfangs jeden Stoff- und Wollfetzen ausnutzen wollte, wurde ich mit
Schimpf und Spott als »fabrikfreundlich« verlacht und von der jeweiligen
Directrice sogar grob angefahren; wie zuckte es mir oft in den Fingern,
wenn ich ein Stück Tricotstoff nutzlos zerschneiden mußte, aus dem man
einem dreijährigen Kinde ein Unterkleid hätte anfertigen können!

Und hier komme ich auf das, was ich schon häufig in Aufsätzen und
Artikeln betonte: _wenn Mädchen mit guter Bildung, aus guter Familie und
mit disciplinarischem Ordnungssinn eine passende Ausbildung fänden,
die sie befähigt, die Stellung einer Fabrikdirectrice oder Inspektorin
anzunehmen, es würde nicht allein einer Menge stickender und häkelnder
Mädchen, elend verkümmernder Gesellschafterinnen und Erzieherinnen
geholfen, sondern die Fabrikanten selber hätten in jenen Damen wirkliche
Stützen. Dann würde vielleicht der schmachvolle Zustand aufhören, daß
Männer Frauen beaufsichtigen, leiten, auszahlen -- und unterdrücken._ Das
ist es eben, was meine Genossinnen im Kampfe um Gleichberechtigung von Mann
und Frau vergessen: _daß die Frau der oberen Stände nicht frei werden
kann, so lange die Frau der unteren Kreise durch Männer geleitet,
befehligt und »beaufsichtigt« wird_! --




Viertes Kapitel.

Sittliche Zustände.


Ich habe in Bezug auf die Sittlichkeit in vielen Punkten gerade das
Gegenteil von dem gefunden, was Göhre fand. Ich halte hauptsächlich seine
Behauptung von der freien Liebe der Männer, der notwendigen Treue aber
der Frauen, für unrichtig. Gerade die Sittenzustände habe ich auf das
eingehendste studiert, weil sie mir das wichtigste Kapitel erschienen.

Wenn von Treue der Frauen und Liebesfreiheit der Männer gesprochen wird,
so ist damit selbstverständlich das verheiratete Contingent gemeint; fast
überall -- und ich habe _genaue_ Informationen angestellt -- bleiben sich
Mann und Frau _beide_ in der Ehe treu oder _ein jedes_ geht seiner Wege.
Daß es natürlich auch Ausnahmen giebt, will ich nicht bestreiten, aber
diese sind thatsächlich so selten, daß sie kaum der Erwähnung bedürfen.

Die Frauen bringen häufig ein uneheliches Kind mit in die Ehe, oft auch
zwei; fast immer aber sind es Kinder desjenigen, den sie heiraten. Die
Mädchen erzählen in der Fabrik ganz harmlos von ihrem Kinde, wenn es ein
Zähnchen bekommen hat oder krank ist; teilnehmend hören die anderen zu,
es fiele keiner ein, darin eine Unsittlichkeit zu sehen. Man verkehrt zwar
nicht mehr gern mit jenen männerlosen Müttern, aber _lediglich deswegen,
weil die Mütter unehelicher Kinder, und seien sie noch so jung, ernster,
weniger vergnügungs- und putzsüchtig sind und einen Hang zum solideren
Leben zeigen_. Sonntags gehen sie vielfach mit dem nett geputzten Kinde und
dem Schatze spazieren, stolz sieht ihnen von der Hausthür aus die Mutter
nach.

Die Arbeiterinnen leben vielfach im Concubinat mit Arbeitern; so war die
eine in unserm Saal drei Jahre mit einem Webermeister in Dresden, ein Jahr
mit einem Heizer in Zwickau und zur Zeit ein halbes Jahr mit einem Spinner
in Chemnitz vereint; Kinder waren jedoch nicht vorhanden.

Ebenso frei und derb, wie die Arbeiterinnen in der Liebe sind, zeigen sie
_tiefe und ernste Empörung für jede gewerbsmäßig betriebene Unzucht_,
und ganz speziell für solche Mädchen, die sich an »feine Herren«
vergeben. Der Schatz schenkt ihnen Garderobe, Schmuck, Wäsche, _bezahlen
aber lassen sie sich ihre Liebe nicht, es muß bei freiwilligen Geschenken
bleiben_.

Hierin liegt ein Zeichen, daß diese Leute den geschlechtlichen _freien_
Verkehr _aus Liebe_ nicht für unsittlich, sondern für _natürlich_
halten, für _Befriedigung eines Naturtriebes, der nie zum Erwerb
herabsinken darf_.

Ich kannte eine, die bis vor kurzem bei einem Arzt gedient hatte, wegen
nächtlichen Umhertreibens mit Soldaten jedoch entlassen worden war; sie
war stets hübsch gekleidet, trug echte silberne Schmucksachen und aß
besser, denn alle anderen. Auch auf Accordarbeit angestellt, kam es
ihr nicht darauf an, ein oder zwei Tage zu fehlen, sie arbeitete mit
sichtlicher Nonchalance. Es war mir gleich am ersten Tage aufgefallen, daß
alle mehr oder minder grob mit jener Blonden waren; sie tranken nicht aus
dem gleichen Krug mit ihr und wollten nie etwas von deren Speisen, trotzdem
gerade diese immer reichlich damit versehen war. Ich frug meine Nachbarin
nach der Ursache dieses sonderbaren Benehmens. »Ach,« meinte sie
geringschätzend, »die Lydia ist ein Lumpenmensch, die geht mit
Lieutenants, der ist's nicht ums Arbeiten zu thun!«

_Ueberhaupt herrschte eine allgemeine Abneigung gegen das Militär, ganz
speziell gegen gemeine Soldaten und Lieutenants_; was dazwischen liegt,
wird weniger scheel angesehen, _weil die Möglichkeit vorliegt, von einem
Unteroffizier oder Sergeanten geheiratet zu werden_.

Geradezu fanatisch aber ist ihr Haß gegen »Tintenwischer«, wie sie
_Schreiber_ und _in Bureaux arbeitende Kaufleute_ nennen.

Ich erinnere mich, daß uns eines Morgens eine ältere, etwa 30jährige
Arbeiterin eine zündende Moralpredigt hielt und mit den Worten schloß:
»Aber das sag' ich Euch, ein ordentliches Fabrikmädel weiß, was sie sich
schuldig ist, die giebt sich mit keinem solch verdammten Tintenschlecker
ab; nicht einmal aufgucken müßt Ihr, wenn Ihr sie auf der Straße seht,
Eure Röcke müßt Ihr zusammenhalten, damit Ihr nicht Tinte von den
Lausbuben d'ran bekommt. Waschen thun sie sich nicht, die Tinte schleckern
die Hungerleider von ihren Pfoten, aber einen Klemmer tragen sie doch. Ich
sag's Euch, lieber den schmutzigsten, schwärzesten Arbeiter, als solch
einen niederträchtigen Faullenzer und Schleicher!«

Ich konnte die Abneigung jener Mädchen gegen die jungen Kaufleute recht
wohl begreifen, ja, _so lange ich Arbeiterin war, teilte ich sie voll und
ganz. Ich mache jenen Leuten hier den Vorwurf, daß sie größtenteils
Schuld an der Demoralisation der Arbeiterinnen sind und daß sie, wenn
die Arbeiterin ihnen nicht zu Willen sein will, diese durch Intrigue,
heimtückische Verleumdung beim Direktor, boshafte Unterdrückung und
Chikanen_ #der Sozialdemokratie in die Arme treiben#, _umsomehr, als das
gesamte sozialdemokratische männliche Fabrikpersonal die Mädchen besser,
höflicher und menschenwürdiger behandelt_, als es die anderen thun.

Am fünften oder sechsten Tage meiner Arbeit in einer der Fabriken kam
es vor, daß eine der Directricen eine Unregelmäßigkeit im Notieren
der fertigen Ware gemacht hatte; alsbald erschien ein Angestellter des
Comptoirs, einer der besseren Buchhalter, um die Sache zu untersuchen. Er
war ein großer, wohlgenährter Mann anfangs der Dreißiger, mit rotblondem
Haar und kühn aufgewirbeltem »Lieutenantsschnurrbart«, mit goldenem
Zwicker und goldener Uhrkette. Seine glasigen, wasserblauen Augen musterten
mit »Kennerblick« jedes einzelne Mädchen auf empörend freche Weise;
er mußte aber auch, was ich zu meiner Freude bemerkte, so manche nichts
weniger denn schmeichelhafte Bemerkung über seine Person in den Kauf
nehmen.

Als er an meinem Platz angelangt war, blieb er stehen, stemmte die Hände
in die Seiten und betrachtete mich auf das eingehendste; ich fühlte, wie
mir das Blut heiß zu Kopfe stieg, ich bebte. Plötzlich drehte er sich um
und sagte in befehlendem Tone zur Directrice: »Suchen Sie in Ihrem Buche
nach, wie es mit dem Fehlen der Sachen steht, und schicken Sie mir dann den
Bescheid durch dieses Mädel ins Comptoir.« Damit deutete er auf mich und
ging.

Nun brach's von allen Seiten los, Arbeiterinnen und Directricen hielten mit
der Arbeit inne, eine jede erging sich in lebhaften Beschimpfungen über
den Buchhalter.

»Na,« sagte mir die eine, »der hat jetzt ein Auge auf Sie geworfen,
der wird's Ihnen unten schon sagen, was er will. Aber haben Sie nur keine
Angst, sagen Sie ihm, daß Sie eine ordentliche Arbeiterin und keine
Ladenmamsell sind, daß Sie so einen, wie er ist, alle Tag' bekämen und
daß Sie mit Ihrem Schatz spazieren gehen wollen, nicht aber nur zu ihm in
die Wohnung kommen. So hat er's jeder gemacht, die neu hierher kam und die
nicht gerade ausschaut, wie eine Nachteule!«

Ich stimmte lebhaft bei und erging mich in allerlei Erörterungen, was ich
ihm alles sagen würde.

»Was,« schrie eine erbost dazwischen, »so fein berlinisch dürfen Sie
nicht sein! Mir hat er's auch 'mal so gemacht! Sauhund, verdammter, hab'
ich ihm g'sagt, paß auf, daß ich dich Nachts nicht mal erwisch! Aber dem
Direktor hat er doch nichts gesagt!«

»Und mir,« rief eine hübsche Brünette, »mir hat er fünfzig Pfennig
geben wollen! Ich hab' sie aber hingelegt und hab' ihm g'sagt, daß es mir
auch ohne ihn zu 'ner Bemme langt!«

Mir war bei der ganzen Sache nichts weniger denn angenehm zu Mut, es war
mir zu peinlich, mit jenem Menschen mich einlassen zu müssen; ich machte
mich auf gemeine Zumutungen gefaßt und traute mir selber nicht recht, daß
ich nicht doch aus der Rolle fallen und grob werden würde.

Eine halbe Stunde später trat ich ins Comptoir; der Blonde saß vor einem
Schreibtisch, sah sich nur flüchtig um und kommandierte: »Kommen Sie
'mal her!« Ich trat näher; er kniff mich leicht in die Wange und sagte
herablassend: »Sie hatten wohl noch keinen Schatz, daß Sie so erröten;
ich will es einmal mit Ihnen probieren, Sie können mein Schatz werden. Sie
können mich Sonntag Nachmittag um 2 Uhr in meiner Wohnung, S--straße,
besuchen; wir machen dann einen Ausflug nach der Pelzmühle. Sie können
doch Nachts von Hause wegbleiben?«

Ich bejahte.

»Gut,« meinte er, »dann kommen Sie pünktlich, ziehen Sie sich hübsch
an, wenn möglich eine etwas _dekolletierte Taille_. Wo wohnen Sie denn?«

Ich nannte, bebend vor Zorn und kaum fähig, länger stehen zu bleiben,
irgend einen Straßennamen, der mir einfiel.

»Um Himmels Willen, das ist ja verrückt weit,« sagte er ärgerlich,
»da müssen Sie in meine Nähe ziehen, ich werde dafür sorgen. Gehen Sie
jetzt, aber sagen Sie den andern nichts davon, _die sind neidisch_.«

Er wollte mich um die Taille fassen, aber ich war schon zur Thür hinaus;
draußen lehnte ich mich an die Wand, Thränen traten mir in die Augen vor
Scham und Zorn.

Ganz geschäftsmäßig hatte er die Sache behandelt, er _frug_ nicht
einmal, ob ich sein Schatz werden _wolle_, er beorderte mich einfach zu
sich, wie eine Sklavin.

Es tobte in mir, ich zitterte an allen Gliedern, es war mir unmöglich,
gleich hinauf zu gehen; schließlich schlich ich in den Hof und setzte mich
auf einen Schutthaufen. Wenn _er_ da drinnen geahnt hätte, wie ich hier
mit geballten Fäusten saß, in ohnmächtigem Zorn, nur darauf sinnend,
_wie_ ich mich rächen könne an ihm im Namen aller meiner Genossinnen. Ich
ahnte damals nicht, daß ich ihm zurückgeben würde mit Zinseszinsen, was
er mir gethan; hoffentlich zehrt er an dieser Erinnerung!

Als ich mich endlich aufraffte und wieder den Arbeitssaal betrat, wurde ich
mit lautem Hurra empfangen.

»Na,« spöttelte die eine, »Sie sind aber lange geblieben, Sie haben
wohl gleich einen Abstecher in seine Wohnung gemacht!«

Ich erzählte ihnen den Sachverhalt.

»Der Lump, der Hund, der erbärmliche Tropf!« hieß es an allen Ecken
und Enden. »Hätten Sie ihm ins Gesicht gespuckt,« rief ein rabiater
bisheriger Küchendragoner, »der Kerl meint, jede thät sich die
Finger darnach lecken, wenn er einem 'nen Schmatz giebt mit seiner
Lieutenantsschnauz! Reservelieutenant ist er wohl auch!«

Und nun ging's wieder über das Militär und die Kaufleute los in
unglaublichen Ausdrücken der Wut und Geringschätzung. Man denke sich nun
ein armes, alleinstehendes Fabrikmädchen, das in die Hände eines solchen
Schurken gegeben ist! Folgt sie ihm _nicht_, so kann sie sicher sein, in
wenigen Tagen durch Intriguen so zu leiden, daß sie gehen _muß_, wird
sie nicht gleich entlassen. Wo sollen jene Mädchen die moralische
Kraft hernehmen, um mit mutiger Stirn dem Elenden zu widerstehen? _Wer
unterstützt sie, wenn sie aus Moral brotlos geworden sind?_ Der Staat
sicherlich nicht!

Man spricht so viel, hauptsächlich die Gegner der Frauenbewegung, daß die
Frau von der Natur aus schon unter den Schutz des Mannes gestellt sei.
O, über dies heuchlerische Glaubensdogma des männlichen Schutzes! Wer
schützt die armen Fabrikmädchen vor Ausbeutung, Überanstrengung und
vor der Willkür ihrer Vorgesetzten? Hier mögen sie einmal antreten, jene
heldenhaften Cavaliere, jene Männer, die da der Frau als dem »schwachen
Geschlecht« ihren »männlichen Schutz« angedeihen lassen wollen, die es
aber nur dann thun, wenn die Frau hübsch, jung und _reich_ ist, mit einem
Wort, wenn ihr »Schutz« ihnen die Möglichkeit bietet, eine »gute«
Partie zu machen! Merkwürdig, daß die Herren Theologen, die ihren
Nächsten lieben wollen wie sich selbst, nicht _hier reformierend_
eingreifen, statt für die Negerkinder in Afrika zu wirken. »Warum in die
Ferne schweifen, sieh', das »Schlechte« ist so nah!« --

Ein ähnliches Abenteuer hatte ich in der letzten Fabrik, in der ich
arbeitete; dort war ein junger Prokurist, _der wußte, wer ich war_ und
infolge dessen freundlicher mit mir war, als mit den anderen Mädchen. Am
dritten Tage frugen mich ein paar in der Mittagspause: »Haben Sie schon
Kost und Logis?« Ich verneinte. »Na,« meinten sie dann, »der X. ist ja
so freundlich mit Ihnen, der wird Sie wahrscheinlich in seinem möblierten
Zimmer aufnehmen, dann sparen Sie viel, denn dem kommts auf ein paar Mark
nicht an.«

Sie waren darüber auch nicht etwa empört, sondern ganz traurig, daß
ihnen nicht dies »Glück« zu Teil wurde; _und das waren Arbeiterinnen auf
dem Lande_. --

Ein jedes Mädchen, sei es nun lahm oder hinkend, hat einen Schatz, schon
mit sechzehn Jahren gewöhnlich; wer keinen Schatz hat, muß ganz unsagbar
häßlich sein oder irgend ein körperliches Gebrechen aufweisen, das
ihm dies verbietet; sonst sind Mädchen »ohne Anhang« ein Ding der
Unmöglichkeit.

_Treue in der Liebe ist ihnen ein unbekannter Begriff_; ist der Schatz
beim Militär, verreist oder längere Zeit krank, so nehmen sie flugs einen
anderen.

Sie sehen eben im Schatz nur den Begleiter zu Vergnügungen, zum Tanz, den
Beschützer und vor allem -- denjenigen, der ihnen Schmuck, Bänder und
andere Dinge schenkt und bei allen Vergnügungen für sie zahlen muß.

An Heirat von Seiten des Schatzes denken sie gar nicht, trotzdem dies oft
vorkommt.

So rief es allgemeines Erstaunen hervor, daß einer der Inspektoren eine
Arbeiterin heiratete, kurze Zeit ehe er Vater werden sollte; man sah dabei
in ihm weniger den Ehrenmann, als den Gutmütigen. --

Bei den Handarbeiterinnen wurden selten rohe, d. h. gemeine Witze gemacht;
es waren mehr derbe Scherze, die auf naive Art angebracht wurden.

In den Webereien hingegen überboten sich die Arbeiterinnen in schamlosen,
wahrhaft bestialisch rohen Witzen und Erzählungen, wie ich zuvor in meinem
ganzen Leben nichts ähnliches gehört hatte.

Größtenteils waren diese Vorkommnisse derart, daß sie nicht
wiederzugeben sind; und wer hier am cynischsten und schmutzigsten war,
_das waren die verheirateten Frauen_. Neben mir saß eine etwa 30jährige,
kinderlose Frau, die so unglaublich verkommen war, daß sie, sobald ihr
etwas von Seiten ihrer Gefährtinnen nicht paßte, aufstand, ihre Röcke
emporschlug und einen gewissen Körperteil zeigte, während sie dazu ganz
unglaubliche Redensarten führte.

Dieses Vorkommnis war noch eines der alleranständigsten! Ich fand hier
eine sittliche Verkommenheit und Roheit, die nicht zu beschreiben ist, die
meisten dieser Mädchen schienen jedes Schamgefühles bar.

Alle die, in denen ein besserer Funke steckt, halten es hier nicht lange
aus, gewöhnlich kehren sie in Dienste zurück oder sie suchen andere
Arbeit.

Man kann sich ein Bild von der Sittlichkeit der Mädchen aus folgendem
Vorkommnis machen.

Mir war an einem der Tage nicht ganz wohl und suchte ich mehrere Male die
Retirade auf. Als ich zum dritten Mal eintreten will, stürmt eine der
Directricen auf mich zu, reißt mich am Arm herum und fährt mich an: »Sie
S..... Sie, was haben Sie den ganzen Tag auf dem Abort zu thun, Sie haben
wohl von Ihrem Schatz von gestern noch nicht genug!« (Der vorhergehende
Tag war ein Sonntag gewesen.)

Wenn ich je in meinem Leben vollständig jede Geistesgegenwart verloren
habe, so war es da; ich starrte die Person entsetzt an und war so
vollständig verblüfft, daß ich mich nicht vom Fleck rühren konnte. Ich
hatte nur ein Gefühl unsäglichen Ekels vor der Directrice, die sich nicht
entblödete, _als Mädchen_, vor allen umstehenden Arbeitern, _so etwas_ zu
sagen.

Dies passierte mir am letzten Tage meiner Arbeiterinnenzeit, gerade da, als
ich glaubte, alles was es an Gemeinheit und Verkommenheit giebt, erlebt zu
haben. Ich danke dem Himmel, daß es nicht am ersten Tage war!

Auf dem Lande waren die Arbeiterinnen wieder manierlicher und keineswegs
roh, was ich auch wieder in Einklang bringe mit meiner Behauptung, daß die
Maschinenarbeit verrohend und entsittlichend wirkt, die Handarbeiterinnen
jedoch immer sanfter, _äußerlich_ wenigstens gesitteter bleiben. --

Ich hatte, um mir das Vertrauen und die Zuneigung der Mädchen zu erwerben,
ab und zu zwei zu irgend einer Volksbelustigung eingeladen. Die Mädchen
benahmen sich nett, unauffällig und ruhig, waren in Essen und Trinken
bescheiden und dankten mir jedesmal herzlich. Sie drängten sich vielfach
an mich, um eingeladen zu werden; hinterher aber erfuhr ich, daß sie
sich geäußert hatten: »Die Hertzog (Minna Hertzog war mein Name als
Arbeiterin) muß einen reichen Schatz bei den Lieutenants haben oder sie
geht mit allen; wenn wir das wüßten, gingen wir nicht mehr mit ihr!«
Auch nur annähernd die Wahrheit aber ahnte keine einzige. -- Schon der
Umstand, daß ich eine Uhr besaß, war in ihren Augen ein Beweis für meine
zweifelhafte Moral.

Sie hatten sich natürlich sofort darnach erkundigt, ob ich einen Schatz
besitze.

»Ich hatte einen,« erklärte ich.

»Ach, bei den Soldaten?« frug eine Neugierige.

»Nein,« meinte ich, um als Gattin eines =Doctor juris= wenigstens in der
»Branche« zu bleiben, »er war Gerichtsschreiber.«

Aber da kam ich gut an.

»Uh,« schrieen alle, »ein Federfuchser, ein geschniegelter Laffe! Na,
da nimmt's uns nicht Wunder, daß Sie auch so die Feine spielen! Wollen Sie
sich hier keinen neuen Schatz suchen?«

Ich bejahte ziemlich unsicher, weil ich nicht wußte, ob und wie sie das
aufnehmen würden. Aber das schien ihnen zu passen; eine jede hatte in
ihrer Verwandtschaft einen Bruder, Vetter oder Schwager, der »schatzlos«
war, der zu mir »prächtig« paßte, mit dem ich schon auskommen würde,
der nicht knauserte u. s. w., und den sie mir nun in der verlockendsten
Weise beschrieben, mir seine Vorzüge schilderten und sich freuten, daß
ich ihnen bald so »nahe« treten würde.

Eine Frau, eben jene Witwe, von der ich schon zu Anfang meiner Broschüre
sprach, hatte einen Bruder, der Schönfärber war, und den ich schon oft
bei ihr gesehen und gesprochen hatte. Den schlug sie mir nun auch vor
und fügte hinzu: »Gleich, wie er Sie das erste Mal sah, meinte er, Sie
könnten sein Schatz werden. Und mein Bruder ist kein solcher, der Sie
sitzen läßt, er hat noch kein Mädel gehabt, und wenn Sie es schlau
anfangen, heiratet er Sie vielleicht.« Dann erzählte sie mir von seinem
Einkommen, von seiner Solidität, und schien zuletzt schon die Gewißheit
zu haben, daß ich ihre Schwägerin würde.

Arme Frau! Diejenige, die einmal Deine Schwägerin wird, erwartet wohl ein
gleich elendes Dasein, wie das Deine! --

Teilweise wurde ich auch gefragt, ob ich ein Kind habe; ich hatte es
immer verneint, bis zu meinem Aufenthalt in der letzten Fabrik, wo ich der
Wahrheit gemäß von meinem dreijährigen Töchterchen berichtete. Als ich
angab, daß es in Kost sei, waren die meisten sehr ungehalten darüber;
eine gute Mutter, sagten sie, behielte ihr Kind bei sich, und wenn sie es
auch nur am Abend zu Gesicht bekäme. Gerade bei einem unehelichen Kinde,
wo der Vater fehle, müsse man es doch erst recht bei sich behalten. --

An der einen Fabrik, in der ich arbeitete, hatten wir die Kaserne als
nächsten Nachbarn; natürlich war die Mannschaft immer bereit, uns ihre
Aufmerksamkeiten zuzuwenden, trotzdem meine Genossinnen sie gar nicht
beachteten; gewöhnlich fiel unsere Frühstückspause mit irgend
einer Pause in der Kaserne zusammen. Die Soldaten, und noch mehr die
Unteroffiziere, standen dann am Gitter mit einigen irgendwo erbeuteten
Nelken oder anderen Blumen in der Hand, die sie derjenigen reichten,
die ihnen am besten gefiel; so bot mir einmal drei Tage nacheinander ein
schwarzlockiger Unteroffizier Nelken an, die ich ebenso oft zurückwies.
Es war mir äußerst unangenehm, in den Leuten den Glauben zu erwecken, als
könnten sie mit der Zeit von mir Begünstigungen erfahren; ich wies sie
deswegen ab, so oft es von vornherein anging, ohne den Argwohn der Mädchen
zu erregen.

Am Abend desselben Tages suchte mich eines der Mädchen aus der Appretur
auf und bat mich, ihr doch den Unteroffizier abzutreten, falls ich ihn
nicht wolle; ihr bisheriger Schatz sei jetzt in Dresden Soldat und sie
möchte doch gern bis zum nächsten Schützenfest einen neuen Begleiter
haben. Ich habe sie auch Tags darauf dem Unteroffizier »vorgestellt«,
aber seit der Zeit ließ er sich nicht mehr blicken. --

Im allgemeinen aber will ich auch hier wiederholen: man muß die
Arbeiterinnen nicht alle auf einen Haufen werfen, man muß sie streng, _je
nach ihrem Beruf_, trennen. _Hier giebt es keine goldene Mittelstraße, nur
entweder grenzenlose sittliche Verkommenheit oder ein Benehmen, das bei
dem Mangel an Bildung und gutem Umgang der Mädchen geradezu
bewunderungswürdig anständig zu nennen ist._




Fünftes Kapitel.

Sparsamkeit und Ehrlichkeit.


»Sparen bringt ein goldnes Alter«, heißt ein altes Sprüchwort; wenn wir
dies auf die Fabrikarbeiter anwenden wollten, so müßten diese in
ihren alten Tagen durchwegs betteln gehen; denn sie kennen den Begriff
Sparsamkeit überhaupt nicht.

Die Mädchen leben eigentlich nur für den Sonntag, sie sparen sich die
ganze Woche alles Notwendige am Essen ab, um sich ein hübsches Kleid zu
kaufen, sie essen lieber die ganze Woche trocknes Brot, um des Sonntags
Bier zu trinken.

Trotzdem sprechen sie mit großer Begeisterung vom Sparen, sie wollen alle
einmal damit anfangen, aber keine einzige führt es aus. Sie haben auch
nicht den geringsten häuslichen Sinn, sie leben in den Tag hinein,
unbekümmert um das, was die Zukunft ihnen bringen wird; haben sie Geld, so
geben sie aus, haben sie keins, so hungern sie.

Der Sonntag ist für sie ein Tag des Geldausgebens, mit einem Spaziergang
ins Feld hinaus würden sie sich in keinem Fall begnügen. So kam ich
einmal zu einer sehr armen Arbeiterfamilie, von der ich genau wußte, daß
sie seit Wochen kein Fleisch gekostet hatten; es war herrliches Maiwetter,
ich frug den Mann erstaunt, weshalb sie nicht alle ausgingen.

»Pah,« meinte er, »wir haben kein Geld! Ehe ich mit Frau und Kindern vor
_einem_ Glase Bier sitze, bleibe ich zu Hause. Die Kinder wollen trinken,
man kriegt Durst vom Weg, am Automaten wollen sie auch nicht vorüber, ohne
einen Nickel hineingeworfen zu haben; wenn man nur Luft kneipen will, kann
man zu Hause bleiben, da hat man 's ebenso!«

Und triumphierend ob dieser philosophischen Weisheit, sah er sich in dem
engen, übelriechenden, feuchten Hof um.

Auch bei den Mädchen ist es Norm, daß sie lieber zu Hause bleiben, als
nur spazieren zu gehen.

Es ist natürlich kein Wunder, daß die Mädchen, wenn sie in die Ehe
treten, schlechte Hausfrauen werden; sie konnten sich als Mädchen mit
ihrem Verdienst nicht genug thun, wie viel weniger erst, wenn sie für
andere mitsorgen sollen!

_Es ist dies ein großes, wichtiges Kapitel in der Frauenbewegung_, die
Mädchen jener Kreise, die am schnellsten, häufigsten und in größter
Armut heiraten, zur Sparsamkeit, zur Ordnung und zur Häuslichkeit
anzuhalten; hier müßten überall, nicht nur vereinzelt, Abendschulen
gegründet werden, in denen die Mädchen in allen häuslichen Arbeiten
unterrichtet werden und wo sie vor allem bei sparsamer Einteilung
ordentlich kochen lernen; denn nirgends hängt der eheliche Frieden so
sehr vom Magen des Mannes ab, als gerade in jenen Kreisen; man bedenke nur
einmal, _wie_ die verheirateten Arbeiter oft essen, lediglich durch die
völlige Kochunkenntnis der Frauen, die dem Manne, der elf Stunden schwer
gearbeitet hat, einen halbgaren Brei ohne Salz und Schmalz vorsetzt, den
der wohlgenährte Hofhund der Fabrik verschmähen würde.

Die guten, sparsamen Familienväter rauchen Pfeifen aus
Billigkeitsrücksichten; wer weniger darauf sieht, raucht Cigarren, meist
zu 3 Pfennige pro Stück, was trotzdem aber die Haushaltungskasse stark in
Anspruch nimmt.

Der Mann behält in den meisten Fällen 2-3 Mark vom Wochenlohn für sich
zurück, d. h. er deckt damit seine Bedürfnisse an Bier und Cigarren. In
diesen Kreisen ist _das Rauchen_ ein _sozialer Schaden_; es hemmt zuweilen
den Aufschwung einer ganzen Familie.

So unglaublich das auch klingen mag, so will ich es hier doch durch ein
kleines Beispiel beweisen.

In einer Familie, wo das dritte Kind eingetroffen war, sollte für die
beiden größeren ein gemeinsames Bett angeschafft werden zum Preise
(Bettgestell mit allem Bettzeug) von Mk. 12. Allein die Mittel langten
nicht, trotzdem der Händler wöchentliche Abzahlung von nur Mk. 3
beanspruchte. _Der Mann aber rauchte auf Abzahlung Cigarren, wofür er
wöchentlich Mk. 2 (!!) brauchte._

»Aber so rauchen Sie doch einmal den dritten Teil von dem, was Sie
rauchen, oder Pfeifen,« riet ich dem Manne. »Dann könnten Sie ganz gut
jede Woche 2 Mark abzahlen, wenn Sie obendrein nur Wasser und kein Bier
trinken!«

Der Mann liebte seine Kinder, wie wenige Arbeiter, aber das Rauchen konnte
er doch nicht lassen -- und das Bett wurde nicht gekauft. Kurze Zeit darauf
bekam das älteste Kind Diphteritis, dann das jüngste, _das die Krankheit
erhalten hatte, weil es in demselben Bett mit den anderen liegen mußte_.
Beide Kinder starben, nur das mittelste konnte erhalten bleiben; jetzt
hat es sein eigenes Bettchen, das die Geschwister ihm eingeräumt, die nun
unter der Erde schlafen. Der Mann aber, dem der Arzt wiederholt zum Vorwurf
machte, daß die Kinder bei Isolierung hätten gerettet werden können, hat
sich aus Schmerz hierüber dem Trunk ergeben; jetzt, wo es zu spät ist,
raucht er nicht mehr. --

Ein anderes Mal forderte mich eine Witwe auf, ihr beim Einkauf von
Kinderkleidern behülflich zu sein; sie wollte für ihre drei Kinder
Tricotkleider kaufen, die ersten bunten nach der Trauer um den Vater.
Sie wählte im Geschäfte hübsche, geschmackvolle Kleider zu 6 Mark pro
Stück für die beiden größeren, zu 5 Mark für das kleinere Kind.

Die Frau selbst, die ich ganz flüchtig durch eine andere Arbeiterin
kannte, schien mir nicht arm zu sein; sie trug ein hübsches schwarzes
Kleid, Handschuhe und einen recht netten Strohhut mit schwarzer
Perlengarnitur; selbstverständlich war das ihre Sonntagstoilette. Ich
wußte, daß sie in einer Fabrik arbeitete, aber ich hielt sie für eine
der bestangestellten Frauen.

Nachdem wir die Kleider gekauft, zählte sie ihr Geld und sagte dann:
»Na, es langt gerade noch zu einem Hut für mich, am nächsten Sonntag ist
Pfingsten, da will ich doch die Trauer ablegen!«

Wir kauften eine Hutform und Band und Spitzen zur Garnitur; sie bat mich
(es war überall herumgekommen, daß ich Putzmacherin sei), mit ihr nach
Hause zu kommen und ihr den Hut gleich zu garnieren.

Als wir daselbst angelangt waren, fanden wir das jüngste Kind heulend in
seinem Bettchen, die beiden ältesten balgten sich am Fußboden herum. Das
erste Begrüßungswort der Kinder war: »Mutter, eine Bemme, wir haben so
Hunger!« Die Frau verteilte trockenes Kommisbrot unter die Kinder, langte
dann in ihre Tasche und sagte: »Ach, ich hab' nur noch sieben Pfennige,
geh', Gustel, und hole Zichorie, daß wir Kaffee machen können.«

Dann wandte sie sich an mich: »Ich hab' eben die ganze Woche wenig
verdient; mein Bruder, der wohlhabend ist, schenkte mir zwanzig Mark, _da
mußte ich doch erst die Kinder und mich ordentlich kleiden_. Die Leute
reden gleich, lieber hungere ich und kleide mich und die Kinder gut.«

Sie zeigte mir den Kleidervorrat ihrer Kinder, alles hübsche Tricot- und
Sommerkleider, Trauerhütchen und schwarze Mäntel. Ich hätte ihr mit der
gleichen Quantität Kleider _meines_ Töchterchens nicht aufwarten
können; die ältesten, sechsjährigen Zwillingsmädchen hatten fünf noch
vollkommen intakte Stoffkleider und ebenso viele aus Kattun. Das jüngste
Kind war schon weniger reich bedacht, hatte aber immer noch im Ueberfluß
Garderobe. Die Frau verdiente wirklich Prügel, die Kinder hatten mehr denn
auf zwei Jahre hinaus Kleider, sie kaufte ihnen neue, und sie hatten nichts
zu essen! Und was sah ich noch alles! Kein Fädchen Zwirn war im Hause, ich
mußte erst Zwirn holen, ehe ich den Hut garnieren konnte. Die Lampe war
ungefüllt, Petroleum nicht vorhanden, der Cylinder zerschlagen. _Es
fehlte an allem, was selbst für primitivste Verhältnisse notwendig ist_,
während Unnötiges reichlich vorhanden war. Dieselbe Frau saß zu Hause
und häkelte kleine Kragen für die Kinder, während diese hungernd nach
einem Teller Suppe lechzten. _Und diese Zustände habe ich nicht einmal,
sondern oft getroffen._

Eine solche Verschwendung mit dem Erworbenen, ein solches trauriges in den
Tag hinein leben zeitigt mehr oder minder die Unehrlichkeit, wenn nicht gar
direkten Diebstahl. Wo nichts ist, soll etwas hinkommen, die Gelegenheit
ist vielleicht günstig, warum lassen, was auch andere thun -- so kommt es,
daß das Stehlen in kleinem Maßstabe bei den Arbeiterinnen =en vogue= ist,
und ganz speziell _bei den verheirateten Frauen_.

Ein Diebstahl von solch kleinen Dingen gilt nicht als Schande, man stiehlt
offen vor den anderen Mädchen, denn sie klatschen nicht und spielen nicht
die Verräterin. Es wurde massenhaft Garn gestohlen, immer in kleinen
Docken; die Frauen verstricken es zu Strümpfen, die sie oft in zehnerlei
Farben tragen. Auch das Heftgarn und die Heftseide werden von den
Hefterinnen zu Privatarbeiten verwendet, sie häkeln bunte Spitzen davon,
die sie in ihre Sonntagskleider heften.

In einer der Handschuhfabriken auf dem Lande wurden sehr oft Handschuhe
entwendet, bald seidene Damen- oder Ballhandschuhe, schwarze oder
Tricothandschuhe, vor allem aber _Militärhandschuhe_; man glaube aber
nicht, daß diese Handschuhe dem jeweiligen Schatze der Diebin zu gute
kommen. Im Dorfe wohnt eine Frau, die den Mädchen die gestohlenen
Handschuhe, gleichviel welcher Farbe, welcher Qualität und welcher
Größe, zum »Honorar« von 20 Pfennig pro Paar abnimmt; sie selber
fährt alle Monate einmal nach Chemnitz, wo sie die Handschuhe in
Soldatenkneipen losschlägt, da die Marssöhne auch ihrer Begleiterin
ein Paar dedizieren; sie verkauft sie _weit_ unter dem Ladenpreis,
macht wahrscheinlich aber doch ein gutes Geschäft dabei. Dieser
»guten Geschäftsverbindung« können sich nur die Zuschneiderinnen,
Sortiererinnen und solche Arbeiterinnen erfreuen, die die fertigen
Handschuhe in die Hände bekommen.

Am meisten aber geben sich die Mädchen mit dem Stehlen von Eßwaren
ab; sie trinken einander den Kaffee weg, sie leeren die Suppentöpfe der
Nachbarin, sie entwenden ihr das Brot und sie verzehren diese gemausten
Dinge meist _auf der Retirade_.

Eines Morgens bemerkte ich gleich beim Eintritt in den Saal, daß ich
weniger liebenswürdig als sonst empfangen wurde; im Laufe des Vormittags
erfuhr ich denn, daß man der einen mit unglaublicher Dreistigkeit den Topf
Kartoffeln gestohlen hatte, den sie zur Mittagsmahlzeit verzehren wollte;
am empörtesten war man darüber, daß die Diebin den leeren Topf nicht
zurückgebracht, sondern ihn entweder vernichtet oder als Beute mitgenommen
hatte. _Der Verdacht hatte sich auf mich gelenkt!!!_ Die Diebin wurde
indes noch am selben Tage entdeckt, als sie, wohl von Furcht gepeinigt, den
leeren und sorgfältig gereinigten Topf wieder an Ort und Stelle brachte.
Die Bestohlene machte der Diebin keinerlei Vorwürfe; allein diese wurde
von den 500 Fabrikmädchen mit solchem Spott überschüttet, daß diese
Strafe mich die härteste dünkte, die man ihr hätte auferlegen können.
Am anderen Tag erschien die Diebin nicht mehr in der Fabrik, sie hatte an
einem anderen Ort Arbeit gesucht.

Diese Art der _moralischen Lynchjustiz_ wurde fast durchwegs ausgeführt;
mir persönlich wäre sie schrecklicher gewesen, denn Knutenhiebe; sie
erstreckte sich nicht auf einen Tag, sondern auf Wochen hinaus. Es ist
unglaublich, wo diese ungebildeten Mädchen diese Art feinen Nadelstiche
herhaben, diese moralischen Hiebe, die die Gequälte zur Raserei treiben
müssen. Ich glaube, _daß diese unbewußte Grausamkeit in Verbindung zu
bringen ist mit dem Mutterwitz, den die meisten von ihnen besitzen_.

Hinterher gestand man mir freimütig, daß man mich für die Diebin
gehalten, weil ich »neu« sei und suchte mich dann durch größte
Liebenswürdigkeit für das zugefügte Unrecht zu entschädigen.

Die meisten Familien hatten Schulden, die aber größtenteils am Lohntage
ganz oder zur Hälfte beglichen wurden; ich habe nur sehr wenige gefunden,
die in längerem Rückstand mit der Miete zum Beispiel blieben, wenn nicht
Unglücksfälle in der Familie eine außergewöhnliche Not zeitigten.
_Wer aber in diesen Kreisen ins Schulden machen gerät, ist rettungslos
verloren._

Die Mädchen haben auch untereinander eine gewaltige Scheu vor dem
Geldborgen; sie thun dies nur, wie ich schon erwähnte, im Betrage bis
zu 15 Pfennigen, weil sie hier allein wissen, daß sie in der Lage sind,
diese Summe am Zahltag mühelos zurückzuerstatten.

Man ersieht daraus, _daß die Mädchen, wenn sie durch praktischen
Anschauungsunterricht von dem Muß des Sparens überzeugt würden, sehr
wohl sparsame Frauen werden könnten. Wie soll aber ein ungepfropfter Baum
edle Früchte tragen?_

Eines habe ich unter den Arbeiterinnen mit Genugthuung bemerkt: die
Enthaltsamkeit und die Gleichgültigkeit gegen alle Spirituosen; wenn
ich vorher bemerkte, daß die Mädchen lieber während der ganzen Woche
trockenes Brot essen, um am Sonntage Bier trinken zu können, so geschieht
dies keineswegs aus Liebe zum Bier, sondern im Glauben, daß, _wer nicht
ganz ordinär sein will_, in einem Gartenlokal Bier vor sich stehen haben
müsse; so oft ich auch mit den Mädchen zusammen war, und so sehr ich
sie auch zum Trinken animierte, mehr denn ein Glas Lagerbier trank keine.
Schnapstrinkerinnen waren überhaupt, so lange die Anwesenden sich erinnern
konnten, in der Fabrik nicht beschäftigt.




Sechstes Kapitel.

Die Ehe.


Wenn man die Ehe im allgemeinen als ein Lotteriespiel betrachtet, so muß
man sie in den Kreisen der Fabrikbevölkerung ein Hazardspiel nennen.

Die Männer, die des Alleinseins müde, ihren Schatz heiraten, wagen viel;
entweder, sie finden das, was sie erhofften, oder sie kommen ins Elend, aus
dem es kein Entrinnen mehr giebt. Die Ehen sind größtenteils Gegensätze;
entweder wird die Frau geachtet und gut behandelt, oder sie wird als
Lasttier, als Arbeitssklavin, als Mittel zur Befriedigung geschlechtlicher
Genüsse angesehen.

In kinderlosen und mit einem oder zwei Kindern gesegneten Ehen, herrschen
gewöhnlich schlichte, aber geregelte Verhältnisse, _eheliche Einigkeit_.
_Wo viel Kinder sind, herrscht meist Unfriede, Elend, Schmutz und Not,
Untreue von Seiten des Mannes ist hier viel häufiger._

Man kann dreist behaupten, _daß mehr als drei Kinder in einer Familie,
Schuld zum Ruin derselben sind. Leider aber, und ich werde es immer
wieder tief beklagen, herrscht keinerlei Verständnis für eine geregelte,
beschränkte Kindererzeugung; hier würde der Segen ein unberechenbarer
sein, wenn man die Leute darauf hinführen könnte, daß nicht die
Quantität, sondern die Qualität der Nachkommen für die Menschheit von
Bedeutung ist, daß ein oder zwei Kinder in geistiger und körperlicher
Beziehung gesund, mehr Wert haben, denn zehn elende Geschöpfe und
Krüppel._

Die schwangeren Frauen arbeiten vielfach bis zum letzten Tage vor ihrer
Niederkunft in der Fabrik, in entsetzlicher Luft und bei schwerer Arbeit;
eine normal gesunde Frau setzt hier täglich -- in Anbetracht der elenden
Nahrung -- einen Teil ihrer Lebenskraft zu; _wo soll da eine Frau Kraft und
Lebensstoff für ein zweites Wesen sammeln, das womöglich das sechste oder
achte der Reihenfolge ist?_

Beim ersten Kinde und auch beim zweiten, wenn die vernünftige Zeit von
3-4 Jahren dazwischen liegt, _pflegen_ sich die Arbeiterfrauen, d. h. sie
besuchen nicht die Fabrik, gehen an die Luft und bringen infolge dessen ein
kräftigeres und intelligenteres Kind zur Welt; sie können ihnen die Brust
reichen, sie können es pflegen und hüten und ihm wirklich _Mutter_ sein.
Beim dritten, günstigen Falls beim vierten Kinde aber tritt die Not leise
in die Familien, die Arbeit des Mannes ernährt nicht mehr alle, die
Frau muß mitverdienen, und erst recht, wenn ein weiteres Menschenkind zu
erwarten ist. Die allgemeine Nahrung wird, je reichlicher sie sein muß,
je schlechter, an Säugen des Weltbürgers kann die Frau nicht denken,
sie muß, kaum genesen, von neuem in die Fabrik eilen, um zu erwerben; der
Säugling liegt indessen zu Hause im Schmutz, den Lutschpfropfen im Munde,
während die anderen noch nicht schulpflichtigen Kinder auf der Straße
ihre »Erziehung« finden. _Zwei auch drei Kinder können jene unteren
Klassen pflegen und erziehen, was darüber ist, liefert in den weitaus
meisten Fällen Proletariat und Dummköpfe._

Die Ärzte aber trifft hier der Vorwurf, daß sie es sind, die der
vernünftigen Beschränkung der Kindererzeugung im Wege stehen. _Oder
halten sie es vielleicht für sittlicher, bei Geburt eines Kindes
die Hoffnung auszusprechen, daß es nicht lange lebe, daß es durch
erbärmliche Pflege thatsächlich bald stirbt und die Familie schädigt,
als daß wenige, aber kräftige Kinder erzeugt werden, die mit Freuden
begrüßt und gut gezogen werden?_

Hier richte ich eine Anfrage an die Gegner unserer Bestrebungen, die da
behaupten, _die Frau sei zur Gattin und Mutter bestimmt und gehöre ins
Haus, sie könne nur so ihre natürliche Pflichten erfüllen. Warum
sorgen diese Schreier nicht dafür, daß die Arbeitergattinnen ihre
»natürlichen« Pflichten auf natürliche Weise erfüllen können und
in ihren vier Wänden bleiben, statt die unnatürliche, schwere
Maschinenarbeit zu verrichten?_

Oder haben die Frauen nur dann _natürliche Pflichten als Gattin und
Mutter, wenn sie befähigt sind, den Männern Konkurrenz zu machen_?

Diese Frauen blieben so gern im Hause um ihre »natürlichen« Pflichten
zu erfüllen, warum verhilft ihnen der Trotz jener weisen,
menschenfreundlichen Gegner nicht dazu?

Und der Staat, der die Gesetze schafft, die Schmach und Unterdrückung
für die Frau bedeuten, die sie zum Kindergebärapparat macht, _warum
hilft dieser Staat_ der Frau nicht bei Ausübung ihrer »natürlichen«
Pflichten?

Oder teilt der Staat die Ansicht Balzacs, die zu den Gesetzen, die die Frau
unterjochen, passen dürfte: »=Ne vous inquiétez en rien des murmures de
la femme, de ses cris, de ses douleurs; la nature l'a faite à notre usage
et pour tout porter: enfants, chagrins, coups et peines de l'homme.=«

Ich spreche hier mit Bebel, dem ich voll und ganz zustimme, wenn er sagt:
»Der Maßstab für die Kultur eines Volkes ist die Stellung, welche die
Frau daselbst einnimmt.« _Wie muß aber dann der deutsche Kulturzustand
sein?_ --

Ich habe übrigens bei _vielen_ Mädchen in der Fabrik den Ausspruch
gehört, daß sie nicht heiraten mögen, aus Angst, viel Kinder zu
bekommen.

_Die Sozialdemokratinnen sind unter den Arbeiterinnen die Einzigen, die
vernünftigere Kinderproduktion kennen_; in deren Haushaltungen herrscht
auch durchwegs bessere Wohlhabenheit, Ordnung, Reinlichkeit und vor allem
innigere eheliche Gemeinschaft. Am Abend stehen die Frauen mit den Männern
vor den Hausthüren und unterhalten sich über politische und andere
Tagesereignisse, während die nichtsozialdemokratischen Männer vielfach
die Kneipen aufsuchen und die Frauen zu Hause bleiben müssen. Auch sind
die Kinder der Sozialdemokraten besser erzogen, folgsamer und gesitteter.
In diesen Schichten, d. h. in den guten Ehen, ist eheliche Untreue ein
unbekanntes Ding, die höheren Kreise könnten sich daran ein Beispiel
nehmen.

Die Kinder lieben fast alle mehr den Vater, denn die Mutter; jene sind auch
liebevoller mit ihnen als die Mutter, die sie den ganzen Tag um sich hat
und oft die Geduld verliert. Der Abend vereinigt gewöhnlich Vater und
Kinder; das Wirtshauslaufen des Bürgerstandes z. B. wird vom Arbeiter
nicht stark nachgeahmt. Es fiel mir auch auf, daß in den Chemnitzer
Arbeitervierteln wenig Kneipen bestehen, und daß die wenigen am Abend
schlecht besucht sind, meist von Aufsehern, Inspektoren oder ledigen
Arbeitern.

Kinderlose Frauen arbeiten fast ausnahmslos in einer Fabrik; die Wohnung
wird jedoch immer in der Nähe der Fabrik des Mannes, nicht der Frau
gewählt.

Auch darin findet man wieder einen merkwürdigen Beweis für die
»körperliche Unfähigkeit« des schwachen Geschlechtes, das in Strapazen
_das_ aushalten kann, was, wie es scheint, für den Mann zu viel wäre.

Vielfach heiraten die Leute ohne die geringsten Mittel, sie kaufen Wäsche
und Möbel auf Abzahlung; stellen sich keine Kinder ein oder nur ein bis
zwei, so ist die Existenz der Leute gesichert; sie zahlen die Schulden
ab, fangen dann mit dem Sparen an und können einem gesicherten Alter
entgegensehen. Wo natürlich jedes Jahr ein Kind in den Kauf genommen wird,
vergrößern sich die Schulden, die halb bezahlten Sachen werden womöglich
heimlich verkauft und der Untergang der Familie ist fertig. Ich kannte
Familien, die jede in ihrer Art diese These zur Wahrheit machten. Die
Mädchen sind im allgemeinen bei weitem nicht so versessen aufs Heiraten
als die Töchter des Mittelstandes; sie wissen, daß es ihnen in der Ehe
größtenteils schlechter, selten aber besser geht. Sie sind mit ihrem
Schatz zufrieden, ihre Arbeit ist leichter, als sie als Frau werden
arbeiten müssen, wo ihnen der aufmerksame, geduldige Schatz in Gestalt
eines herrschsüchtigen Mannes entgegentritt.

Die Witwen dagegen brennen aufs Heiraten, sie lassen kein Mittel
unversucht, je mehr Kinder sie haben; ich kannte eine, die sich das
Notwendigste am Munde absparte, um allwöchentlich ein _Heiratsgesuch_
in die Zeitung setzen zu können. Überhaupt sind _die Witwen für das
»Heiraten durch die Presse« sehr eingenommen_.

Es kamen auch Fälle vor, wo die Frau zwei uneheliche Kinder verschiedener
Väter mit in die Ehe brachte; in dieser blieb sie kinderlos. Mann und
Frau pflegten die absonderlichen »Geschwister« rührend, es hätte keiner
geahnt, daß der Mann von keinem der Vater war.

Entgegengesetzte Fälle sind natürlich häufiger, hauptsächlich da, wo
eheliche Kinder vorhanden. --

Im ganzen genommen aber halte ich die Ehe in diesen Kreisen für
sittlicher, denn diejenige der höchsten Gesellschaftskreise, wo die Frau
Geldsack, Repräsentantin und Gebärerin eines Stammhalters sein muß,
_weiter aber auch nichts_. --

Was die Stellung der Frau als Herrin im Haushalt anbelangt, so kann sie
meist nach Gutdünken einkaufen, schalten und walten. Sie ist vom Manne
weniger unterjocht, als die Frau des Kleinbürgers, die sich oft keinen
Weg erlaubt, ohne den Mann um Rat zu fragen. Aber auch hier herrscht, wie
überall in Europa den Frauen gegenüber, das Motto: =Vae victis!=

Merkwürdig ist noch das Vorkommnis, daß in den meisten Familien, wo mehr
als sechs Kinder sind, eine Stiefmutter zu finden ist; man könnte
hier beinahe die These aufstellen, daß die Frauen dieser Kreise
durchschnittlich sechs Kinder auf die Welt bringen können, ehe ihre
Kräfte erschöpft und sie dem Tode verfallen sind, ein Triumph für den
Philosophen Eduard von Hartmann, der da behauptet, _die ganze Frauenfrage
sei gelöst, wenn die Frauen mehr Kinder zur Welt brächten, weil sie dann
schneller sterben, und einer andern zur Ehe Platz machen würden_. _Er
hat Recht_; würden die Frauen im _allgemeinen_ so viel Kinder zur Welt
bringen, als sie, unbekümmert um die Qualität derselben, gebären
könnten, so würden sie schneller sterben. -- _Gott sei Dank, daß es
aber noch Frauen giebt, und glücklicher Weise viele, die nicht Sklavinnen,
sondern Herrinnen ihres Körpers sind!_




Siebentes Kapitel.

Die Stellung des Mädchens.


Das vielgeschmähte Fabrikmädchen ist in mancher Beziehung, verglichen mit
den Töchtern des Mittelstandes, zu beneiden, denn es erfreut sich eines
Gutes, das jene nicht besitzt: _der Freiheit_.

Die Mädchen, die sich ihr Brod seit dem 14. Jahre selbst verdienen, sind
wenig von den Eltern abhängig; sie zahlen ihr regelmäßiges Kostgeld,
das für die Eltern meist mit kleinem Gewinn verbunden ist, und leben im
übrigen unbekümmert um diese.

Viele der Töchter helfen in den Abendstunden beim Waschen der Wäsche,
beim Reinigen der Zimmer u. s. w.; allein das sind die ganz gutmütigen
oder diejenigen, die in friedlichen Familienverhältnissen leben.

Ich habe auch nie gefunden, daß die Mädchen durch diese Selbständigkeit
Schaden an Körper und Seele genommen hätten, _wenigstens nicht mehr, als
es auch unter Egide der Eltern geschehen wäre_. Ich fand, daß dadurch
die Energie und das ganze Bewußtsein der eigenen Persönlichkeit, die sich
selbst erhält, gehoben wird, daß die Mädchen weniger unselbständig
und weniger blasiert sind, als die bei der Mutter sitzenden »besseren«
Mädchen, deren »Erlöser« stündlich erwartet wird.

Gott sei Dank, daß man unter jenen Arbeiterinnen nicht auch noch ein Heer
von Dornröschen findet, die von Rosenduft und Morgentau zu leben glauben,
deren einzige Arbeit spinnwebenartige Stickereien sind, und die da von
dem Bedauernswerten, der sie in Hymens Tempel einführt, erwarten, daß er
ihren Fuß auf Blumen setze und sie über alle irdischen Dinge hinwegtrage
auf seinen starken »Ritterarmen«. Von solcher »Poesie« des zu
erwartenden Freiers wissen jene Mädchen nichts; im Gegenteil, sie fassen
die Ehe keineswegs als einen glücklichen Tausch mit ihrer Mädchenzeit
auf, sie haben zu viel traurige Beispiele vor Augen. Ich kannte mehrere,
deren Schätze sie jederzeit geheiratet hätten, gutgestellte, fleißige
Mädchen mit 12 Mark Wochenlohn. »Ach,« sagten sie, »wir sind noch zu
jung zum Heiraten, wir warten noch ein paar Jahre, in Sorgen und Krankheit
kommt man früh genug.«

Ich freute mich dieser gesunden Philosophie, die so manches Mädchen
vor Elend und Jammer bewahrt hat; trotzdem aber machte ich sie darauf
aufmerksam, daß der Schatz ihnen auf diese Weise untreu würde.

»Na,« meinten sie, »dann ist auch nicht viel verloren, dann wäre er so
wie so kein guter Mann geworden; wir finden schon wieder einen anderen.«

Thatsache aber ist es, daß die meisten dieser »Bräutigame« wirklich auf
ihr Mädchen warten und 8-10 Jahre lang »verlobt« bleiben; sehr viele
unserer 24jährigen Arbeiterinnen hatten schon seit ihrem 16. Jahre
denselben Schatz, heiraten aber wollten sie immer noch nicht.

Viele der Mädchen sind jahrelang bleichsüchtig und unterleibsleidend; die
Arbeiterinnen in sitzenden Stellungen laborieren fast durchwegs am Magen,
auf fünf kommen immer vier, die am chronischen Magenkatarrh, Beschwerden,
immerwährende Verstopfung und Bruststichen leiden. Es kam fast täglich
vor, daß die eine oder die andere auf eine halbe Stunde entlassen wurde,
um zum Arzt zu gehen.

Die Maschinenarbeiterinnen sind selten bleichsüchtig und magenkrank;
dafür altern sie aber -- wahrscheinlich durch die angestrengte Thätigkeit
-- sehr schnell, ihre Gesichtsfarbe ist schmutzig grau, ihr Gang schlaff
und müde, fast durchweg sind sie sehr mager, während ich bei den Strumpf-
und Handschuharbeiterinnen wahre Monstra an Beleibtheit fand.

Traurig, sehr traurig aber sieht es mit der wirtschaftlichen Ausbildung
der Mädchen aus; _sie haben davon meist keinen Begriff_. Wenn die Mädchen
heiraten, so treten sie in diesen wichtigen Lebensabschnitt ein, ohne
die geringsten Vorkenntnisse _der gerade in diesen Kreisen so notwendigen
hauswirtschaftlichen Kenntnisse_; in allen andern Schichten der
Bevölkerung kann die Frau durch eine Dienstmagd ihre Unkenntnis ersetzen,
oder sie braucht nicht _derart_ mit dem Pfennige zu rechnen und kann eher
einmal etwas verderben. _In Arbeiterkreisen hängt das Wohl der ganzen
Familie von der Frau ab_, denn da wird der Vers zur vollsten Wahrheit
»..... Ist der Mann auch noch so fleißig Und die Frau ist liederlich,
Geht die Wirtschaft hinter sich.«

_Die praktische und sittliche Forderung aber richtet sich an die vorbauende
und rettende Wohlthätigkeit_: Hier ist ein Feld, das die Menschenliebe
nimmer fertig bebauen kann, hier gilt das Wirken nicht für die Stunde, es
erhält das körperliche und sittliche Wohl Tausender, _es ist eine Arbeit,
die dem Staat zu gute kommt, es ist ein Wirken für die Nation_.

_Die Erziehung der weiblichen Jugend bringt, je nach der Art, wie sie
betrieben, der Gesamtheit Vorwärtskommen oder Untergang._ Wenn wir
dem Arbeiterstande tüchtige Frauen und Mütter geben, so wird sich die
moralische Stellung des Mannes bessern, er wird ein brauchbareres Glied
der menschlichen Gesellschaft werden, als er es je an der Seite einer
schlechten Frau werden könnte.

Es existiert eine große Zahl von Fortbildungs- und Haushaltungsschulen,
von Arbeiterinnenheimen und Arbeiterinnenasylen; aber alle diese
Einrichtungen der Menschenliebe erreichen noch nicht das Gewünschte,
erfüllen noch nicht voll und ganz ihren Zweck. So lange die Mädchen
zum Besuch einer solchen Anstalt gezwungen werden, können wir nicht
segensreich wirken; _wir müssen vorerst moralisch auf die Mädchen
einwirken, wir müssen in ihnen die Überzeugung wecken, daß sie
selber sich ihr Glück und ihre materielle Besserstellung schaffen durch
hauswirtschaftliche Kenntnisse_.

Die Frauen der höheren Stände, die gebildeten Frauen, die Kämpferinnen
für Frauenrecht und Frauenwürde müssen dafür eintreten, sie sind die
Berufenen, Segen zu bringen in jene Kreise.

Ich kann hier den ganzen Ernst dieser Frage nicht eingehend hervorheben, es
würde mich in Gebiete drängen, die nicht hierher gehören. Aber ehe ich
dies Kapitel schließe, möchte ich noch einmal die dringende Bitte an alle
edlen Menschen richten: Helft diese Zustände bessern, wartet nicht ab,
bis die Sozialdemokratie euch den Weg versperrt hat, denkt daran, daß die
Ausbildung der weiblichen Jugend eine hohe Pflicht der Gemeinschaft ist,
dazu angethan, das Familienleben der unteren Stände auf feste Grundbahnen
zu lenken, die Heiligkeit des häuslichen Herdes zu sichern!

Vergeßt nicht, daß die mangelhafte häusliche Erziehung die Mädchen der
Prostitution in die Arme treibt, daß ihr euch durch strenges Abschließen
von jenen Kreisen _versündigt_. _Die überhand nehmende Prostitution ist
der Ruin des Familienlebens, der Ruin der Generationen, der Felsen, an
dem jeder Fortschritt der Frau, an dem die Würde des ganzen Geschlechtes
strandet!_




Achtes Kapitel.

Seßhaftigkeit und Versicherung.


Ich hatte mich bemüht, so schlecht deutsch zu sprechen als möglich;
trotzdem aber hatten sie aus meinem Deutsch den Berliner »Ton«
herausgehört, den ich mir angewöhnt habe.

Sobald die Arbeiterinnen vernahmen, daß ich direkt von Berlin nach
Chemnitz gekommen sei, bildete ich den Mittelpunkt ihres Interesses.

Berlin! Für sie ein Eldorado, das Ziel ihrer Wünsche, und dennoch eine
Stadt ohne Zucht und Sitte, von der sie glauben, man würde am hellen
Tage auf offener Straße ermordet, ohne daß ein Hahn darnach kräht. Die
Mädchen hatten mit großem Interesse die Chronik der in diesem Frühjahr
gerade in Berlin sehr zahlreichen Morde gelesen und -- schnell fertig war
die Jugend mit dem Wort!

Ich wurde von allen Seiten mit Fragen bestürmt, wie es in Berlin aussehe,
was man treibe, _was der Kaiser mache und ob ich ihn schon gesehen_.
Dabei sprechen sie ausnahmslos mit nicht näher zu beschreibendem Tone
absichtlich stets vom »deutschen Kaiser«, während sie ostentativ »unser
König« von Sachsens Herrscher sagen. Es ließe sich hier gar vieles
sagen, aber ich will mir lieber die Finger nicht verbrennen. --

Unter den soliden tüchtigen Arbeiterinnen gilt der Grundsatz: Bleibe im
Land und nähre dich redlich. Unter dem »im Land bleiben« verstehen sie
aber immer Sachsen, meist sogar nur Chemnitz. Der größte Teil von ihnen
ist nie über Chemnitz hinausgekommen; diejenigen die in Dresden gewesen
waren, erzählten mit bewundernswerter Unverschämtheit von den Beschwerden
und Gefahren dieser »großen Reise«, während die minder Glücklichen,
die noch keine Reise gethan, andächtig zuhörten, und sich Dinge aufbinden
ließen, die ein zehnjähriges Berliner Kind nicht glauben würde.
Die gewesenen Dienstmädchen hingegen hatten nur _ein_ Ziel vor Augen:
möglichst bald in Berlin eine Stellung zu erhalten. Ich mußte ihnen
Berliner Stellenvermittlerinnen nennen, an die sie noch am selben Tage
schrieben. In Chemnitz erhalten die Dienstmädchen sehr wenig Lohn, d. h.
mit Berliner Löhnen verglichen. Gute und tüchtige Mädchen für alles
bekommen 7-8 Mark pro Monat, während in Berlin 17-18jährige Mädchen
schon 15 Mark pro Monat erhalten. Dieser geringe Lohn und der Umstand,
daß die Mädchen häufig in den Familien wenig und schlecht zu essen
bekommen, ist mit ein wesentliches Motiv, warum die Mädchen alle in die
Fabrik gehen.

Ich wurde auch eingehend nach hübschen Herren gefragt, ob es weniger
Mädchen als Herren in Berlin gäbe, und ob die Chancen, recht bald einen
Schatz zu bekommen, gut seien. Ich habe sehr viele dieser Abenteuerlustigen
im Verdacht, daß sie nicht der gute Lohn und eine gute Stellung, sondern
ganz andere Dinge nach Berlin lockten.

Und das bestätigt von neuem meine Aussage im vorhergehenden Kapitel. Jene
Mädchen sind jeder häuslichen Arbeit fremd, sie sprechen ein schlechtes,
sächsisches Deutsch, so daß keine Berliner Familie sie als Kindermädchen
engagieren würde und _für andere Stellen taugen sie absolut nichts_.
Ihre hochgeschraubten Erwartungen veranlassen sie jedoch, keine Stelle
als gewöhnliches Aushülfsmädchen zu nehmen, sie werden stellenlos in
Erwartung der »prächtigen« Stelle, das ungewohnte, glänzende Berliner
Leben lockt und winkt, Bekanntschaften sind schnell gemacht und nach
wenigen Wochen schon zieht der größte Teil dieser Mädchen als
Prostituierte durch Berlins Straßen.

Man wundert sich über die fürchterliche Menge öffentlicher Dirnen, die
in Berlin leben; man wundert sich, daß die Zahl von 40.000 überschritten
ist, aber man forscht nicht nach den Ursachen, _man philosophiert, aber man
handelt nicht_.

Man denkt nicht daran, daß ein großer Teil jener Fabrikmädchen, die in
Berlin Stellung suchen durch Mangel an hauswirtschaftlichen Kenntnissen der
Prostitution in die Arme getrieben werden _müssen_. Man sehe einmal die
Statistik an, die uns zeigt, daß der größte Teil der öffentlichen
Mädchen aus bisherigen Näherinnen, Dienstmädchen und Fabrikmädchen
besteht.

Im Anfange finden diese stellenlosen Mädchen in Berlin einen »Schatz«,
irgend einen Herrn Lieutenant oder Referendar, der mit ihnen zu Kroll geht,
sie frei hält -- und verführt. Das Sittlichkeitsgefühl im Mädchen, das
durch das Fabrikleben wohl _an Sitten, nicht aber an Sittlichkeit_ gewöhnt
ist, empört sich nicht allzusehr gegen diese Art des männlichen Schutzes;
zudem ist es geblendet durch die Wunderdinge irgend eines Tingeltangels,
den es gesehen, und das der schlaue Verführer je nach dem Grad der
Naivität seiner Begünstigten, recht raffiniert wählt, _so geblendet_,
daß ihm ein Leben, das täglich solche Freuden gewährt, als das
Herrlichste dünkt. Der erste »Schatz« geht ein-, zwei-, auch dreimal mit
ihr aus; sie findet einen andern, ihm folgt der dritte, und schließlich
ist sie so abgestumpft gegen jedes Schamgefühl, daß sie sich nicht mehr
suchen läßt, _sie sucht_.

_Das sind die Resultate des heuchlerischen Satzes des männlichen Schutzes,
den sie einem anständig bleibenden Mädchen nicht angedeihen lassen
wollen._ --

Die Fabrikarbeiterinnen sind merkwürdige Egoistinnen; sie gewähren
ihrem Körper nicht das geringste an Schonung oder Kräftigung, aber
sie schmücken ihn, wie einen Götzen. Dieser originelle Geiz für das
Wohlbefinden der eignen Persönlichkeit äußert sich auch der Alters- und
Invaliditätsversicherung gegenüber. Sie sind so naiv, zu glauben, der
Fabrikbesitzer sei verpflichtet, für sie zu zahlen, da sie ja bei ihm ihre
Gesundheit ruinieren; dem reichen Fabrikanten käme es nicht darauf an,
meinen sie, ihnen aber thun die wenigen Pfennige jede Woche sehr weh.
Sie denken nicht daran, diese wenigen Pfennige an irgend einem dummen
Schmuckgegenstand oder an einem schädlichen Vergnügen abzusparen.

Nur ganz wenige waren mit der Versicherungs-Einrichtung einverstanden, sie
sprachen sogar davon, wie von einer Erbschaft. _Begeisterung aber fand ich
bei keiner einzigen_; diese Mädchen leben, wie ich schon gesagt, so sehr
für den Augenblick, daß sie keine Zeit finden, an die Zukunft zu
denken. In einer der Fabriken, in der ich weilte, war der Besitzer ein
herzensguter, menschenfreundlicher Mann, der sich persönlich nach dem
Ergehen der einzelnen Mädchen erkundigte. Mit leuchtenden Augen erzählten
alle von seiner Güte, und wie sie bei ganz geringem Lohn lieber hier
blieben, denn bei hohem Lohn bei anderen zu arbeiten.

Ich hörte auch später thatsächlich diese Fabrik von den andern
Fabrikmädchen als eine Art Elysium nennen, mit dem Stoßseufzer: »Hätten
wir's nur auch so!«

Dieser Fabrikherr _borgte_ seinen Arbeiterinnen öfters das Geld zur
Versicherung, d. h. er ließ es ihnen am Lohn abziehen oder vorausgeben,
sodaß das Auszahlen der wenigen Pfennige den Mädchen weniger schwer fiel.
Leider aber sind die Arbeiterinnen sich nicht bewußt, wie segensreich die
Einrichtung dieser Versicherungen für sie ist; sie sehen sie als eine Art
_moderner staatlicher Unterdrückung an, weil sie im Glauben leben, der
Staat verbrauche das Geld in der Erwartung, daß die Mädchen das Alter
nicht erreichen, wo sie es ausgezahlt bekommen sollten_.




Neuntes Kapitel.

Wohnungen und Schlafstellen.


»Sage mir, wo Du wohnst, und ich sage Dir, wer Du bist!« bin ich immer
versucht zu rufen. Ach, aber wenn man dies auf die Arbeiterinnen anwenden
würde, so dürften sie größtenteils nicht mehr Menschen genannt werden.

Bei den meisten meiner Gefährtinnen wohnte die ganze Familie in einer
Stube und einer Kammer, günstigsten Falls in zwei Stuben. Die Leute ziehen
bei ihrer Verheiratung in solch kleine Wohnung, die dann langen mag; kommen
aber die Kinder, so scheuen sie die Kosten und Mühen des Umzugs, um
eine größere Wohnung aufzusuchen, ja, meistens müssen sie wegen der
Mehrausgaben für die Kinder auf Beschränkung des Mietzinses, statt auf
Vergrößerung der Wohnung sehen.

Die nach Berliner Art gebauten Mietskasernen liefern ein Heer von
Wohnungen, die der bescheidenste Mensch schon kaum mehr »Wohnungen«
nennen würde; oft wohnen bis zu 35 Familien in solch einem Hause der
Vorstadt. Die Arbeiterinnen, die in den umliegenden Dörfern wohnen, haben
freundliche, bessere Wohnungen, meist im eigenen Häuschen.

Die meisten Mädchen wohnten bei ihren Eltern, die wenigsten in
Schlafstellen. Ich will gleich hier bemerken, daß ich die Wohnräume
meiner Genossinnen in der wärmeren Jahreszeit sah; ich glaube, daß es im
Winter bei ungenügender Ventilation und Dunst der Kohlen in diesen Räumen
noch viel schrecklicher sein muß.

Es ist sehr zu bedauern, daß die ärmsten Arbeiterfamilien auf eine »gute
Stube« halten, daß sie lieber sechs bis acht Personen in einer Kammer
schlafen, um die geräumige und luftige Stube nicht mit Betten zu
verunstalten. So kommt es, daß das Mißverhältnis zwischen der Enge des
Raumes und der Anzahl seiner Bewohner ein himmelschreiendes ist, daß die
Kinder in diesen Räumen verkommen _müssen_, daß die Erwachsenen keinen
erquickenden Schlaf finden und Morgens elender und geschwächter aufstehen,
denn sie sich Abends niedergelegt haben.

Fast durchwegs zeigte das bessere Zimmer kleinbürgerlichen Komfort,
ein Sopha, ein hübsches Nähtischchen, Spiegel mit Konsole und allerlei
unnütze kleine Dinge, als da sind Deckchen, Gipsfiguren, Stehrahmen und
Truhen. Die Schlafkammer dagegen sah meist einer Trödelkammer ähnlich;
abgesehen von den elenden Betten mit schlechten Strohsäcken, die einen
widerwärtigen Geruch verbreiteten, lag in einer Ecke die schmutzige
Wäsche der ganzen Familie, Windeln der Kinder, daneben Kartoffel- und
Zwiebelvorräte, Kochgeschirr, Flaschen, Besen und Lampen; auf einem
Tischchen steht übrig gebliebenes Essen, Milch, Kaffee und Brot, daneben
Kämme und Seife und allerlei Denkbares und Undenkbares. _Ich habe bei
keiner der gewöhnlichen Arbeiterfamilien eine Küche gesehen, man kocht
in der Schlafkammer, wenn diese nicht ganz dunkel und zu eng ist_, sonst in
der Stube; aber hierzu entschließen sich die wenigsten gern.

Gewöhnlich schläft der Vater mit zwei Söhnen, die Mutter mit zwei
Töchtern _in einem Bett_, oder Vater und Mutter mit einem Kinde
und die übrigen Kinder zusammen je in einem Bett; auf die
Geschlechtsangehörigkeit wird wenig Rücksicht genommen. Jungen schlafen
mit Mädchen, erwachsene Schwestern mit erwachsenen Brüdern -- aber
natürlich, die Polizei kann nichts drein reden, denn es ist eben alles
»Familie«.

Und in all' dem Elend ist dies immer noch die rosigste Seite des
Bildes, selbst wenn sechs Personen in einem Raume schlafen; erst da, wo
Schlafburschen oder Schlafmädchen gehalten werden, fängt die grenzenlose
sittliche Verkommenheit aller Familienverhältnisse an. Wohl hat die
Polizei das Halten von Schlafleuten beider Geschlechter verboten; aber dies
Verbot ist dehnbar, und wenn ein lediger »Schwager« in der Familie ist,
so kann man doch ruhig ein oder zwei Schlafmädchen nehmen.

Eine Witwe mit zwei Kindern z. B. bewohnte eine einzige große und ganz
hübsche Stube mit Aussicht nach den Feldern; Sopha, Konsolspiegel und
Wanduhr fehlten nicht. Oben im vierten Stockwerk der Mietskaserne hatte sie
noch Zutritt in eine Bodenkammer mit schräg abfallendem Dach, mit
Balken und einem einzigen winzigen Fensterchen. _Hier schliefen die drei
Personen_, die Mutter in einem ordentlichen Bett, _das eine der Kinder in
einer langen Kiste, das andere auf dem Fußboden zwischen Kiste und Bett_.
Die Luft war hier entsetzlich, die Hitze unerträglich, wie in einem
Photographenatelier, _der Raum so eng, daß die Frau auf ihr Bett stieg,
um die Kinder zu betten, und von ihrem Bette aus erst die Thür schließen
konnte. Währenddem stand das geräumige Zimmer im Erdgeschoß leer, nur um
eine gute Stube zu haben._

Ähnliches habe ich _oft_ gesehen; das tollste jedoch an
»Familienwohnungen«, was ich sah, war die Behausung einer
Webereiarbeiterin; das Mädchen bewohnte mit einer Tante, der »Herrin
des Hauses«, zwei Stuben und eine Dachkammer. In der Dachkammer, die
womöglich noch fürchterlicher aussah, als die vorher beschriebene,
schlief die Tante nebst 14jährigem Sohn auf einem Strohsack. Die
Webereiarbeiterin schlief im hinteren Zimmer auf einem Feldbett, in einem
ebensolchen lagen zwei andere Schlafmädchen, eine 60jährige Sortiererin
und eine 15jährige Wäscherin. In dem Vorderzimmer, das man passieren
mußte, um in die Schlafkammer der Mädchen zu kommen, schlief auf dem
Sopha ein Bruder der Tante und in einer #Hängematte# (!!!), die vom
Fenster zur Thür gespannt wurde, ein Bruder der Nichte; dieser zahlte
wöchentlich 2 Mark Schlafgeld mit der Vergünstigung, seinen Koffer mit
Effekten im Zimmer aufzustellen. Der Sophaschläfer zahlte 2,80 Mark,
jedoch _ohne Koffer_; ich habe mir nie erklären können, _wo_ diese Leute
ihre Sachen lassen.

Eine alte Frau, die halb taub und lahm war, hatte eine Wohnung von Stube
und Kammer inne; in letzterer, die stockdunkel war, schlief sie, in der
Stube lagen nächtlich vier Personen auf Strohsäcken, zwei Dienstmänner
und zwei Fabriklehrlinge. Diese vier »Herren« durften sich jedoch nicht
vor ½9 Uhr abends einstellen und mußten die Schlafstelle wieder um
½6 Uhr morgens verlassen. Triumphierend erzählte mir die alte Frau, daß
die Lehrlinge anfangs am Sonntage länger schliefen; da habe sie dieselben
so lange gekitzelt, bis sie aufgestanden seien; für den Sonntag Vormittag
vermietete sie das Vorderzimmer einer Wahrsagerin, die dafür monatlich
3 Mark bezahlt, die Alte sorgt ihr für Kundschaft und bekommt dann
Tantièmen.

Einige meiner Gefährtinnen und speziell die auf dem Lande wohnten ganz
hübsch; Vater und Mutter schliefen dann mit dem jüngsten Kinde in einem
Zimmer, die übrigen Töchter in einer und die Söhne in der anderen
Kammer.

_Die Art, wie die Mädchen schliefen, zeigte sich in ihrem ganzen Wesen,
im Benehmen, wie in der Kleidung._ Die Schlafgängerinnen und jene, die in
erbärmlichen Klausen mit anderen zusammenschliefen, waren roh, schamlos
und körperlich schmutzig, oft mit Ungeziefer behaftet. Die Mädchen, die
bei den Eltern oder als einzige Fremde bei einer Verwandten wohnen, sind
gesitteter, manierlicher, reinlicher.

Bei ersteren findet man nicht viel von der vielbesprochenen »edlen
Weiblichkeit«, von ihrer Stellung als »Hüterin der Ehre und Sitte, als
Trägerin des Schönen, des Guten, der _Ideale_!« Es ist ein sonderbares
Ding um die Logik unserer männlichen Gegner! Sie weisen die Frau zurück,
wenn sie ins öffentliche Leben treten will, sie sagen ihr, um sie
einzulullen gar süße Worte von Frauenanmut und Frauenberuf, von dem
unvergleichlichen, schönen Wirken in der Familie, das ihr der Mann
durch Verehrung und Achtung vergilt. Diese Paradoxe suche ich nicht zu
widerlegen; ich sage einfach: _je mehr die Frau im Hause arbeitet, je mehr
sie Kinder gebiert und wäscht und kocht, je mehr isoliert sie sich vom
Mann, je mehr sucht er Geselligkeiten außer dem Hause, je mehr wird sie
ihm Magd und Geschlechtswerkzeug, je mehr mißachtet er sie_.

Wir Anhängerinnen der Frauenbewegung sind in unserm Vorgehen konsequenter,
denn unsere Gegner; _wir_ legen uns Opfer auf, um für unsere Ideeen zu
wirken; _wir_ gründen Vereine, richten Unterrichtskurse, Schulen und Heime
für alleinstehende Mädchen ein, alles aus eigenen, freiwillig gespendeten
Mitteln.

Warum thun unsere Gegner nichts für _ihre_ Bestrebungen, _warum bauen sie
jenen Arbeiterinnen, die da verkommen in Unweiblichkeit und Unmoral_, warum
bauen sie ihnen nicht gemeinsame Wohnhäuser, wo die »edle Weiblichkeit«
nicht gefährdet wird, wo die Mädchen sich mit »echt weiblichen
Arbeiten« beschäftigen und »mit schamhafter Sitte in ihrer Hütte«
bleiben?

_Warum arbeiten die Herren Gegner nur mit dem Munde, nicht mit der That?
Warum sind wir unweibliche Frauen diejenigen, die Arbeiterinnenschulen und
Heime gründen, die Kochkurse und Flickstunden den Armen verschaffen?_

Warum suchen denn die »weiblichen« Frauen, deren größtes Vergnügen
ein Kaffeeklatsch ist, warum suchen _sie_ nicht die Wohnungen der
Arbeiterinnen, der Verkommenen auf, um ihnen vorzuleuchten als Muster
tugendhafter Weiblichkeit, als »verehrte und geliebte Gattin« eines sie
hochschätzenden Gatten? _Wir_ unweiblichen Geschöpfe können das doch
nicht!

Warum tragen die »Pflegerinnen der Kindheit«, die »Samariterinnen«, die
»sanften Gattinnen mit den Taubenaugen«, warum tragen sie nicht Hygiene,
Lehren zur Erziehung der Kinder und die edle Kochkunst in die Wohnungen
jener Unwissenden?

Oder ist auch solches Wirken unweiblich und in der Theorie Sache der
Männer, nur in der Praxis Frauenpflicht?

Ja, ja, es ist ein eigen Ding um die Logik! --

Um das Schlafstellenunwesen gründlich zu studieren, bin ich während fünf
Tagen, von Morgens bis Abends, Trepp auf, Trepp ab, in allen Teilen von
Chemnitz, auf Wohnungs- resp. Schlafstellensuche gewesen.

Ich möchte hier gleich all' den Damen der Gesellschaft, die sich »mit
Ekel von der häßlichen Genußsucht der Mädchen aus dem Volke abwenden«,
raten, doch auch einmal solch eine Wanderung anzutreten; vielleicht daß
sie ihr parfümiertes Taschentuch dann öfters gebrauchen werden, um ihren
aristokratisch-weiblichen »Ekel« zu verbergen.

Ich will, um das Chaos der schrecklichen Dinge, die ich da gesehen, in
meinem Kopfe zu ordnen, meine Wanderung von Anfang bis zu Ende
erzählen, dabei aber nur die besten und die schlechtesten Schlafstellen
berücksichtigen.

Ich hatte, um recht krasse Zustände kennen zu lernen, ein Inserat
erlassen, wonach »eine arme und hier gänzlich fremde Arbeiterin eine
Schlafstelle suchte«. Fast alle Offerten, die ich erhielt, trugen auf
einem Fetzen Papier nur Angabe der Straße und Hausnummer; von den 17
Antworten, die auf mein Gesuch einliefen, waren nur zwei ausführlich, und
die will ich hier wortgetreu wiedergeben:

  1.

  Wir haben ein logi für sie, es ist eine schöne kamer im driten
  stock aber nich sehr haiß, aber weil wier fünf Kinter haben und eine
  schlaafstehle abgeben könen möchten sie doch komen um sie anzusehn,
  das der preis ist 2 Mark für die Woche mit dem kafee und wäsche
  können sie hir waschen. Mannsleute haben wier nich in der wohnung
  allens für uns allein. Es grüßt sie

    Frau .......

  2.

  Vorgestern hat meine schlafgengerin gekündigt und sie ist mit einem
  hern gegangen und in das Zimer gekomen was ich nicht leide, weil ich
  mit meine Frau und Kindern drin schlafe. Ich hab ihr gekündigt Sie
  können kommen, es kostet 1,50 für 7 Tage und eine kaffeschänke ist
  nebenan, ein früstük kostet 10 fennige.

    Alexander ........

    Maschinist.

Ich suchte diese beiden »Schriftkundigen« zuerst auf, ich war wirklich
gespannt, ihre Bekanntschaft zu machen. Die erste Schlafstelle befand sich
im Erdgeschoß, in einer kleinen, halbzerfallenen Hütte, die jedenfalls
bald abgerissen werden mußte; der kellerartige Raum hatte steinernen
Fußboden und ungetünchte Wände. Unmittelbar über dem verhältnismäßig
guten Bett hing ein Spinnennetz, eine große, graue Mauerspinne glotzte
mich feindselig an, als fürchte sie, daß ich ihr das Bewohnerrecht des
Raumes streitig machen könne. Ich sollte in dieser Behausung mit der Frau
und dem 4jährigen Töchterchen schlafen, der Mann, die vier Jungen und der
Vater des Mannes schliefen im Vorraum. Das Ganze war noch nicht eins der
schlimmsten Logis, denn die Leute hielten keine weiteren Schlafleute, die
fünf Kinder sahen nett und manierlich aus, Vater und Mutter machten einen
guten, wenn auch sehr gedrückten Eindruck. Ich merkte gar bald heraus,
daß ihnen 2 Mark pro Woche außerordentlich viel ausmachen würden. So
mietete ich denn die Schlafstelle, die ich im voraus bezahlte; sie haben
mich aber nie wiedergesehen.

Die zweite Schlafstelle war in jeder Beziehung ein Gegenstück zu
der ersten. Sie befand sich im vierten Stock einer fürchterlichen
Mietskaserne; aus allen Zimmern der Stockwerke, die ich passieren mußte,
ertönte Kindergeschrei, Flüche und Gekeife von gellenden Weiberstimmen.
Windeln und elende Frauenunterkleider hingen zum Trocknen vor jedem
Fenster, ein entsetzlicher Zwiebel- und Essensgeruch erfüllte das Haus.
Es war gerade Mittagszeit, die Arbeiter und Arbeiterinnen kehrten eben
zurück, einer nach dem andern verschwand hinter den Thüren. Ich klopfte
an _die_ Thür, die den Namen des Briefes trug; wüstes Stimmengeschrei
tönte mir entgegen, ein sechsjähriger Bengel riß die Thür auf, im
Hintergrund erschien die Frau. Sie wußte gleich, was ich wollte, ich trat
ein; das Gemach, in dem ich stand, war klein, viereckig, an den Wänden
standen drei Betten, in der Mitte des Zimmers ein Tisch, an dem fünf
Männer saßen, die aus einer gemeinsamen großen Blechschüssel
löffelten. Wohin ich blickte, lagen, standen, saßen und schliefen Kinder,
Kinder in allen Größen, Knaben und Mädchen, eines verlumpter als das
andere.

_Und in diesem Raume bot man mir an, mit Mann, Frau und zehn Kindern zu
schlafen, von denen das älteste etwa acht Jahre, das jüngste ein halbes
alt sein konnte_; zwei Zwillingspärchen kauerten am Fußboden, das eine
mit blödsinnigem Gesichtsausdruck, das andere verwachsen.

Die Männer, Kostgänger zum Mittagstisch, betrachteten mich schon als die
Ihre, mit zweideutigen Witzen und dummen Redensarten suchten sie mich
zu fesseln; die Frau, die wieder schwanger war, bot einen ekelerregenden
Anblick, wie sie mit kurzem Rock, Nachtjacke und bloßen Füßen ein
zustimmendes, freches Gejohle ausstieß, so oft einer der Männer eine
recht gemeine Zote ausließ. Ich blieb etwa fünf Minuten, schien mit der
Schlafstelle einverstanden zu sein, benutzte aber den ersten unbewachten
Moment, um die Thür zu öffnen und hinunter zu eilen; ich hatte zum ersten
Male Angst. Ich dankte Gott, als ich wohlbehalten unten bei meinem Manne
anlangte, der mich überall hin in angemessener Entfernung begleitete; ich
glaubte unter jenem Gesindel beinahe einer Hülfe zu bedürfen.

Ich sah in den nächsten Tagen noch eine große Anzahl Schlafstellen, teils
in Bodenverschlägen, kellerartigen Räumen oder in Zimmern, bevölkert von
4-10 Personen, die mehr oder minder vertiert waren, und wo speziell die
Frauen Unglaubliches an Gemeinheit und Roheit leisteten. Die Preise der
Schlafstellen variierten zwischen 1-3 Mark wöchentlich, inklusive Kaffee.
Manchmal fand ich auch winzig kleine Stübchen mit Tisch, Bett und Stuhl,
in denen die Bewohnerin sich kaum drehen und wenden konnte, die aber
reinlich und nett aussahen; blühende Blumen vor dem Fenster, weiße
Vorhänge, kleine Bildchen und Statuetten verliehen diesem Stübchen etwas
anmutendes. Solch ein Zimmerchen bezahlte man mit 6-8 Mark monatlich;
meist wurde es von Näherinnen oder Ladenmädchen bewohnt. Die es
vermieteten, waren kleine Beamten, Zug- und Lokomotivführer, Schutzleute
und Aufseher; man sah dem ganzen Heim das Walten des früheren
Dienstmädchens aus feinen Häusern an, das gewohnt war, Ordnung zu halten.

Auch in den Arbeiterfamilien, wo die Frau Dienstmädchen gewesen ist
und nie in der Fabrik gearbeitet hat, fand ich Reinlichkeit, Ordnung,
Schönheitssinn, mehr ein Nachahmen bürgerlicher Kreise; Schlafstellen
vergaben diese Familien in den seltensten Fällen.

Von einer originellen Schlafstelle will ich noch berichten.

In einem der Arbeiterviertel, draußen bei der Zschopauerstraße, von
wo ich mehrere Offerten erhalten hatte, zeigte mir eine Frau die zu
vermietende Schlafstelle, die 1 Mark pro Woche kosten sollte.

Die Frau öffnete eine Wandthür im Korridor, deutete in den dunklen
Schrank und sagte: »Das is hier!« Ich sah hinein; sobald sich meine Augen
an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, daß eine Kommode in dem Raume
stand.

»Ja, was denn?« stammelte ich in höchstem Erstaunen.

»Na,« meinte die Frau, »das ist eine Bettkommode, die wird am Abend
ausgezogen bis in den Korridor hinein!«

Ich war starr; bis zur Mitte der Brust lag man also im dunklen Wandschrank,
die übrigen Körperteile schliefen im Korridor. Es war zu naiv köstlich,
ich konnte mich des Lachens kaum erwehren.

Jeder, der den Korridor passierte, sah natürlich den Schläfer; und wenn
auch vielleicht nur zwei Familien Zutritt zu diesem Gang hatten, so konnte
man immerhin nicht wissen, wer da alles aus- und einging.

Als ich der Frau von vornherein meine Abneigung gegen solch einen
Schlafraum kund that (ich habe die Leute niemals im Glauben gelassen,
daß ich mieten wolle), sagte sie wütend spöttisch: »Ja, wenn Sie Ihren
Schatz im Hotel empfangen wollen, dann müssen Sie eben nicht nach einer
Schlafstelle suchen!« --

Nach allem, was ich gesehen, muß ich sagen, daß es ein Wunder zu nennen
wäre, wenn die Mädchen, die in solchen Räumen wohnen und schlafen,
sittlich und moralisch wären. Vom frühesten Kindesalter an wird das
Schamgefühl in der jungen Seele systematisch zu grunde gerichtet, der
Geschlechtsunterschied nicht mehr inne gehalten. Jung verheiratete Leute
schlafen mit Burschen und Mädchen in einem Raum, Frauen bringen Kinder zur
Welt im gleichen Zimmer, wo junge Lehrlinge wohnen.

Es kommen Dinge vor, die hier nicht wiederzugeben sind, Scenen, die nicht
mehr gemein, sondern bestialisch zu nennen sind.

Unsere Gegner befürchten die schrecklichsten Zustände, wenn Männer und
Frauen in gemeinsamen Hörsälen studieren; sie glauben, oder, was mir
richtiger scheint, _sie wollen glauben_, daß dann jedes Schamgefühl im
Mädchen ersterbe, _ersterben müsse_, trotz der hohen Bildung, die es
erhalten, und die immer ein Schutzmantel gegen Immoralität ist; ich
möchte sagen: _Bildung, tiefes, reiches Wissen bedingt Sittlichkeit!_

Warum aber fürchtet das Heer der Gegner nicht das ewige Zusammensein und
Zusammenleben jener Kreise, wo die Bildung ein unbekannter Begriff und der
Mensch eher zum Laster geneigt ist, denn bei sittlichgebildeten Menschen?
Hier wird das Zusammensein der beiden Geschlechter verhängnisvoll, _weil
sie hier keine gemeinsamen höheren Interessen haben, weil sie hier nichts
zusammenführt, denn Sinnlichkeit_!

Oder ist die männliche deutsche Jugend so verkommen, daß sie mit
keinem anständigen Mädchen mehr anständig verkehren kann, schützt die
_akademische Bildung, die Erziehung unter Ägide einer echt weiblichen
Mutter_ die jungen Männer so wenig, daß sie im Mädchen nicht mehr die
»edle Weiblichkeit« erkennen, sondern nur das Werkzeug zur Befriedigung
geschlechtlicher Ausschweifungen?

Gewiss, wenn man die jungen Herren Corpsstudenten, die in Zucht und Sitte
bis zum 20. Jahre zu Hause aufgewachsen sind, mit den vom 14. Jahre an
oft elternlosen, immer aber ihr Brot allein verdienenden Fabrikarbeitern
vergleicht, so sind diese tausendmal moralischer und tausendmal weniger
verdammenswert!

Und mit den jungen Mädchen der höheren Stände, die nie von Mutters
Schürze wegkommen, ist es noch viel schlimmer.

Jene Fabrikmädchen, die da in erbärmlicher Wohnung vegetieren, die
sich ihr Brot bitter schwer erwerben müssen, die nichts denn Rohheit
und Verkommenheit bei ihrer Umgebung sehen, denen niemand von den
»hohen Zielen« der Frau »als Hüterin der Ideale« spricht, sind zu
entschuldigen, wenn sie nichts Höheres kennen, als die Befriedigung
tierischer Triebe, die Sucht, ihr elendes Dasein in traurigen Vergnügungen
zu ertränken.

Sie kennen kaum den Begriff der sorgenden Elternliebe, des
Dornröschendaseins, das alles wie durch Zauberhände, in Wirklichkeit
aber durch das Portemonnaie der Eltern, vorgelegt bekommt, das die kleinen
Hände nur zu feinen, niedlichen Arbeiten =vulgo= Spielereien hat, das von
Vergnügen zu Vergnügen jagt, genau mit denselben unsittlichen Gedanken
im »jungfräulichen« Herzen, wie die Arbeiterin sie -- natürlicher und
deswegen moralischer -- dem Schatz gegenüber empfindet.

Spekulieren sie nicht ebenso auf die Sinnlichkeit der Männer, jene
ehrbaren Töchter, die mit entblößten Armen, Nacken und Schultern zum
Balle eilen, wie jede Straßendirne? Diese will den Mann auf Augenblicke
fesseln, jene auf Lebenszeit, der Unterschied ist gering.

Die Fabrikmädchen _lassen sich_ verführen ohne geschminkte Heuchelei, die
feinen Dämchen aber _verführen selber_, d. h. sie reizen den Mann durch
Ball- und Toilettenkünste bis zu einem gewissen Grad; wenn sie wissen,
daß er ins Netz rennt, ziehen sie sich ins Schneckenhaus zurück und
spielen das »keusche Gretchen«.

Sagen das die vielen »Gedankensplitter« und »Goldkörner« nicht
hinreichend deutlich, die sich alle darauf beziehen, die heutige deutsche
Frau in »origineller« Weise zu besingen? Ich wähle hier einige Aperçus
des Dichters Georg von Schulpe, die augenblicklich in den »Salons«
beliebte Ware sind.

»Die tausend feinen Fäden der Coquetterie, mit denen ein schönes Weib
die Männer umgarnt, können sich leicht in eherne Fesseln verwandeln.«

»Die Sirenen der antiken Sage suchten ihre Männer durch ihren Gesang, die
Zaubermacht ihrer Stimme zu bestricken, die modernen Sirenen vermögen
dies durch ein beredtes Schweigen, einen vielsagenden Blick ihrer Augen zu
erzielen.«

»Die Eitelkeit ist die gefährlichste Krankheit der Frauen, ihre Krisis
ist die Gefallsucht, ihr Ende zumeist der sittliche Tod.«

»Ist eine Frau gefallsüchtig, so fällt sie auch in den meisten
Fällen.«

»Liebe und Eitelkeit sind die Gottheiten der Frauen, doch oft opfern sie
ihre Liebe der Eitelkeit zuliebe.«

»Am Weibe ist alles Zweck und Berechnung, und doch fällt es so manchmal
aus seiner Rolle, und gerade diese unberechnete Berechnung ist's, die ihm
den höchsten Zauber verleiht.«

»Die Frauen haben einen scharfen Blick, die Männer zu durchschauen und
eine geschickte Hand, sie einzufädeln.« --

Der Dichter dieser »schönen« Sprüche hat seine Modelle dazu doch
jedenfalls aus den _feinen Kreisen_ genommen. Wie müßten jene Frauen, die
bei gutem Familienleben so verkommen können, wie die modernen Dichter sie
uns schildern, erst werden, wenn sie durch Schicksalsschläge in die Lage
der Fabrikmädchen kämen? --




Zehntes Kapitel.

Religion.


Mit der Religion standen die Arbeiterinnen auf sehr gespanntem Fuße.
Pfaffen, Kirche und Beten sind ihnen ein Gräuel, sie meinen, _wer viel
betet und in die Kirche läuft, muß ein schlechtes Gewissen haben_. Es ist
auch seltsam, daß sie den Geiz stets mit der Frömmigkeit in Zusammenhang
bringen und den Wahn haben, wer fromm sei, müsse geizig und wer geizig,
fromm sein. _Sie glauben wohl an Gott, aber als an ein notwendiges Uebel.
Es ist dasselbe Verhältnis, wie zu ihrem Schullehrer, sie fürchten Gott,
aber sie glauben sich ihm entzogen, wenn sie einmal konfirmiert sind._ Bis
zur Konfirmation hüten sie sich vor dem Bösen, ich glaube, sie würden
sich vor einem Diebstahl fürchten; nach der Konfirmation aber ist alles
wie weggeweht, sie fluchen und lästern Gott und kichern im Hintergrunde:
»Ha, Du wütender Gott, was willst Du thun, wir sind konfirmiert, Du hast
uns nichts mehr zu sagen!«

_Das Benehmen der Geistlichen selber ist aber größtenteils Schuld an
diesen Zuständen._ Ich habe in Familien verkehrt, wo konfirmierte und
nichtkonfirmierte Töchter vorhanden waren. Wenn der Prediger die Familie
besuchte, was allerdings sehr selten vorkam, so verkehrte er freundlich und
»väterlich« mit den jüngeren, salbungsvoll predigend mit den großen
Mädchen. Er tadelte, wenn sie noch so anständig waren, alles an ihnen,
ihre Kleidung, ihre Sprache, ihr Benehmen, ja, selbst ihr Gesicht. So
hörte ich ihn einmal in einer Familie, wo die 16jährige Tochter einen
durchaus tadellosen Lebenswandel führte, zu derselben sagen: »Ja, mein
Kind, Du bist hübsch und blühend nach außen, aber häßlich und trocken
im Innern. Der Herr aber sieht nur ins Herz, ihm wäre es wohlgefälliger,
wenn Du, statt Dir Stirnlocken zu drehen, Deine Seele vom Erdenschmutze
rein hieltest!«

Das Mädchen war tief empört, es schmähte den Pfarrer und die Kirche
und räsonnierte sehr richtig: »Der sieht auch nur den Splitter in unserm
Auge, nicht aber den Balken im Auge seiner Tochter.«

Ich hörte überhaupt öfters Aussprüche, wie:

»Na, wenn Gott gütig und barmherzig ist, warum hat er dann Freude daran,
daß Tausende armer Bettler leiden, daß im Winter so viele verhungern und
erfrieren, daß es so viel grausig verkrüppelte Menschen giebt?«

Oder: »Wenn Christus ein uneheliches Kind der Maria war, warum schmäht
man uns, wenn wir ein Kind haben, ohne verheiratet zu sein?«

Am meisten spotteten sie über das biblische »Wen der Herr lieb hat,
den züchtigt er!« Sie wollten lieber von Gott gehaßt werden, denn
Schicksalsschläge als Beweise der göttlichen Liebe annehmen.

Wir sprachen auch manchmal über die Bibel; ich wurde dann eifrigst
befragt, ob die Berliner viel in der Bibel lesen, die wären doch so
schlau, die wüßten schon, was an der Bibel sei.

Ich gab ihnen offen und ehrlich meine Anschauungen zum besten, wonach die
Bibel eine alte Chronik sei, mit ebenso viel rührend schönen, als für
den Menschenverstand schädlichen Stellen. Dies schien ihnen sehr zu
gefallen, denn während der Mittagspause kam ich an mehreren Gruppen von
Mädchen vorüber, die über das Thema diskutierten und sich zustimmend zu
meiner Äußerung verhielten.

Die Gültigkeit einer Ehe hingegen hängt in ihren Augen vom Wort des
Pastors ab; ich suchte die Mädchen auszuforschen, was sie von einer
Ehe, nur auf dem Standesamt geschlossen, denken. Sie halten eine Ehe ohne
kirchliche Weihe überhaupt für nicht legitim; einige meinten naiv: »Na,
dann sind die beiden ja gar nicht verheiratet, dann können sie ja jeden
Tag auseinander.« Hier spricht aber nicht Religiosität aus dem Urteil,
_sondern das Festhalten an althergebrachten Sitten_.

Merkwürdiger Weise hegen fast alle diese Mädchen eine große Hochachtung
vor barmherzigen Schwestern; sie achten sie weit höher, denn den Pfarrer,
schelten jene niemals Heuchlerinnen und Scheinheilige, wie sie es diesem
gegenüber thun. Ich glaube nach allem, daß die religiösen Schwestern die
einzigen sind, die unbegrenzte Macht über jene Mädchen erlangen könnten.

Ich habe aber auch von Seiten der Schwestern das Gegenteil bemerkt in
der Ausübung der Nächstenliebe, wie von den Geistlichen. Wo jene zur
Krankenpflege oder aus anderen Motiven in Arbeiterfamilien verkehren, sind
sie freundlich, gütig, geduldig; ich kannte Mädchen, die, wenn sie ein
neues Kleid oder einen etwas frech aussehenden Hut trugen, mit dem Schatz
am Pfarrhause vorbeizogen, recht laut lachten und lose Reden führten,
_um den Pfarrer zu ärgern_. Von _den selben_ weiß ich mit voller
Bestimmtheit, daß sie, als eine barmherzige Schwester in ihrem Hause
thätig war, ihr Haar einfacher kämmten und jeden Schmuck wegließen, um
die Achtung der Schwester nicht einzubüßen.

_Und auch hierin liegt ein Stück Frauenfrage, ein glücklicher Beweis,
daß Frauen auf Frauen einwirken können, wo Männer nutzlos arbeiten; daß
die Ansicht so vieler Gegner, wonach eine Frau vor einer andern Frau keine
Achtung habe, sondern sich nur der physischen Gewalt beuge, eine irrige
ist._




Elftes Kapitel.

Sozialdemokratie und Frauenfrage.


Es ist ein sonderbares Ding um die Sozialdemokratie der Arbeiterinnen!

  »..... ich finde nicht die Spur
  Von einem Geist, und alles ist Dressur!«

Wohl nannten sich fast alle Mädchen, mit denen ich zusammen war,
»Sozialdemokratinnen«, aber wenn man der Sache auf den Grund ging, so
waren sie es nur, weil ihre Väter, Brüder oder Schätze Sozialdemokraten
sind, _in ganz verschwindend seltenen Fällen aus Überzeugung_.
Diejenigen, die wirklich Kenntnis von den Lehren der Sozialdemokratie
besaßen, sind die verheirateten Frauen, die durch ihre Männer in den
Strudel der Agitation hineingezogen werden und auf diese Weise zuletzt
selber mitwirken. Sie sind, je nachdem _wie_ sie die sozialdemokratische
Richtung auffassen, entweder _umsichtig_ und _verhältnismäßig gebildet_
oder _roh und verkommen, aller menschlichen Gesetze spottend_.

Ich brachte die Rede wiederholt auf Bebels Buch: »Die Frau und der
Sozialismus«, _allein die wenigsten unter ihnen kannten es, sie hatten
kaum eine Ahnung von dessen Existenz. Sie wissen nichts von Verbesserung
des Frauenloses, von Zukunftsstaat und Zukunftsträumen, von Liebknecht und
den sozialdemokratischen Führern._

Ihre ganze Sozialdemokratie besteht darin, daß sie das Recht auf
Arbeit vertreten, daß sie mehr verdienen möchten und neidisch auf alle
Gutgestellten sind. Dieser »Neid auf Gutgestellte« umfaßt aber nur den
Kaufmannsstand, Fabrikbesitzer, Geschäftsleute, seltener Beamten; sie
sympathisieren mit Offiziersfrauen, von denen sie mit freundlichem Mitleid
sprechen.

»Ach,« hieß es da, »die armen Offiziersfrauen, die haben größtenteils
nur ein altes Kleid anzuziehen; das Geld langt zu nichts, sie können sich
nie richtig satt essen, weil sie Gesellschaften geben müssen.«

Es war dies kein ironisches Kritisieren, sondern aufrichtige Teilnahme für
jene Damen. Ich glaube, daß diese Ansicht durch Dienstmädchen verbreitet
worden ist, die in armen Offiziersfamilien gedient hatten, wo allerdings
Schmalhans recht oft Küchenmeister sein mag.

Die Mädchen haben auch nicht den geringsten Sinn für Tagesinteressen und
öffentliche Fragen; sie lesen wohl Zeitungen, aber nur die Lokalberichte
über Mordthaten; hatte die eine einen recht grausigen Mordfall in einer
Zeitung entdeckt, so brachte sie das Blatt mit zur Fabrik, las es laut vor,
die gräßlichsten Stellen laut betonend. Es wirkte äußerst komisch, als
einmal eines der Mädchen nach Beendigung der Lektüre ausrief: »_Aber war
das ein schöner Mord!_« Dabei standen ihr selber die Haare zu Berge.

Das Aufseherpersonal besteht durchwegs aus Sozialdemokraten; sie behandeln
die Arbeiterinnen durchaus nett und freundlich. Jedoch bemerkte ich, daß
mancher dieser Männer _die_ Mädchen bevorzugte, deren Väter oder
Brüder Gesinnungsgenossen von ihm waren, während er Töchter konservativ
gesinnter Väter oftmals ungerecht behandelte.

_Durch die bestehenden Verhältnisse werden die Mädchen zur
Sozialdemokratie getrieben; der Tag wird kommen, wo eine Arbeiterin
gleichbedeutend sein wird mit einer Sozialdemokratin._ Manche Mutter, die
in der Zeit ihrer Ehe Muße gefunden hatte, über sozialdemokratische Ideen
nachzudenken, kleidete ihre Töchter mit Vorliebe in rot, oder ließ sie,
wenn sie größer wurden, rote Hutgarnitur und rote Schleifen tragen; hier
artete die Liebe zur Sozialdemokratie in Fanatismus aus.

Am interessantesten waren die Dinge und Meinungen, die ich über den
deutschen Kaiser hörte; es wurde viel über ihn gesprochen, weil die
Mädchen in der Auffassung leben, daß in Berlin ein jeder von jedem
Schritt des Kaisers unterrichtet sei und ich doch »viel erzählen«
könne. Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um interne
Angelegenheiten des Kaiserlichen Familienlebens; sie wollten wissen,
_wie_ das Kaiserliche Paar zusammen lebt, wie viele Kleider und Hüte die
Kaiserin hat, ob die Prinzen gut erzogen seien und anderes.

Wir haben uns manche Stunde über dies Thema unterhalten, leider kann ich
hier aber auf die Einzelheiten nicht eingehen. In den Wohnungen hingen
allenthalben fürchterliche Öldruckbilder des sächsischen Regentenpaares,
aber nur höchst selten das Bild des Kaisers, _das der Kaiserin sah ich
nie_.

Die Mädchen scheinen auch keinen rechten Begriff von Majestätsbeleidigung
zu haben; ich erschrak oft, mit welcher Kühnheit sie allerlei Dinge
aussagten, die ihnen die Freiheit auf lange hätten rauben können.

Auch hier fand ich ganz konträre Punkte zu Göhres Ansicht, welcher sagt,
daß die Arbeiter sich vor Majestätsbeleidigungen hüten, weil keiner
dem andern traue, daß der Kaiser ihnen eine sympathische, volkstümliche
Gestalt sei.

Ich fand immer, _daß sie den deutschen Kaiser nicht als zu ihrer Heimath
zugehörig anerkennen_, daß er für sie ein fremder Herrscher ist, der
ihren König unterdrücken will, daß sie den Haß gegen die Preußen
auch auf den Kaiser übertragen. -- Die Landarbeiterinnen sind
durchwegs Sozialdemokratinnen mit bedeutend gründlicherer Kenntnis der
sozialdemokratischen Lehren, als ich sie bei allen Stadtmädchen fand.

Hier üben die Frauen auch Einfluß aus auf die politische Wahl der
Männer, hauptsächlich insofern, als Familienväter vieler Kinder
diejenigen wählen, die gegen die Kornzölle stimmen. Ich kannte eine
Arbeiterfamilie, die wöchentlich 81 Pfund Brot verzehrte; die Frau hetzte
beständig ihren Mann, »ja am nächsten Wahltage einen »besseren« zu
wählen, dann würde das Brot doch gewiß billiger.«

Der Hauptgroll aber richtete sich gegen die Bäcker, die, trotz
Zollermäßigung in den neuen Handelsverträgen, den Preis des Brotes nicht
herabsetzten. Bei Familien, die 81 Pfund Brot wöchentlich verzehren,
wäre eine Herabsetzung der Brotpreise natürlicher Weise von großer
Bedeutung für das Haushaltungsbudget. Sonst aber fand ich keinerlei
politische Ansicht bei den Frauen, weder Interessen, noch Verständnis
dafür.

Die Mädchen besuchen sehr selten sozialdemokratische Versammlungen, selbst
die verheirateten Frauen sind dort nicht oft gesehene Gäste. Ich
muß leider eingestehen, _daß die Arbeiterinnen überhaupt sehr wenig
Kenntnisse der öffentlichen Vorgänge besitzen, und auch gar kein
Interesse dafür zeigen_. --

Etwas besser stand es schon mit ihren Ansichten über die Frauenfrage. Nur
will ich hier gleich betonen, _daß sie keine Ahnung von der Agitation der
Kämpferinnen für Frauenrechte haben, daß sie unsere Forderungen nicht
kennen, weder von Frauenstudium noch Mädchengymnasien einen Begriff haben
und auch nicht erwarten, daß die Stellung der Frau je anders würde. Aus
diesen Gründen bedaure ich, daß die Sozialdemokratie unter den weiblichen
Arbeitern nicht tiefer eingedrungen ist, sie allein würde den Mädchen
Interesse an Bildung und Menschenrechten geben._ Ebenso lebhaft bedaure
ich, daß das Bebelsche Buch unter den Mädchen so wenig bekannt ist;
ich sage das, trotzdem die darin vertretenen Anschauungen nicht immer
die meinen sind; sie geben aber den unwissenden Arbeiterinnen wenigstens
Aufklärung über die Stellung der Frau im Leben und regen sie an zu
ernsterem Denken. Das wäre eine Vorarbeit zu unseren Bestrebungen.

Ich habe meine Gesinnungsgenossinnen so oft klagen hören, daß es tausend
und abertausend Frauen giebt, die keine Ahnung von dem Wirken von unserer
Seite haben; wir agitieren durch Wandervorträge und Zweigvereine, die wir
in allen Städten zu gründen suchen, allein stets kommt der Gewinn, den
uns diese Arbeit bringt, den oberen Kreisen zu gute. Ich glaube, daß
die meisten Damen es geradezu lächerlich finden würden, wenn man davon
spräche, den Arbeiterinnen Vorträge über die Frauenfrage zu halten. So
lange man die Thätigkeit aber auf seinesgleichen, auf gebildete Kreise
ausstreckt, auf Frauen, die der »guten Gesellschaft« angehören, _so
lange ist alles Wirken Spielerei_. Jedweder Baumeister baut lieber den
schlanken Turm der Kirche, denn im Schlamme des Grundwassers das Fundament
zu legen; aber wenn dieses nicht gelegt wird, dann stürzt der stolze Turm
zusammen.

Für die Mädchen der unteren Stände giebt es noch weniger Berufsarten,
als für die Töchter des Mittelstandes.

Wollen sie nicht dienen, so erwartet sie die Fabrikarbeit, und wollen sie
auch dieses nicht, dann harrt ihrer -- _die Prostitution_! Die Prostitution
ist der Ruin des Frauengeschlechtes, die Prostitution ist einer der
Hauptfaktoren, durch den eine »Frauenbewegung« entstanden ist. So lange
wir das immer dicker und üppiger werdende Reptil der Prostitution ruhig
wachsen lassen, nützt alle Arbeit nichts, sie bleibt fruchtlos. Und um die
Prostitution auf das allerniedrigste Maß zu beschränken, müssen wir in
erster Linie _die_ Mädchen haben und besser stellen, die das Heer jener
Jammergeschöpfe liefern.

Ein neuerer Schriftsteller sagt uns: »Wir fehlen schlimmer und
barbarischer, als jene Nationen, bei welchen dem Manne mehrere Frauen
erlaubt sind und welche die Frau rein als lebende Ware betrachten; denn bei
solchen Völkern werden die Frauen wenigstens mit Obdach, mit Nahrung und
Kleidung versorgt, sie werden verpflegt wie das Vieh. In einem solchen
System liegt Konsequenz. Allein in Deutschland werden die Frauen wie das
Vieh betrachtet, ohne daß wir nur wenigstens für sie sorgen, wie für das
Vieh. Wir nehmen den schlimmsten Teil der Barbarei und den schlimmsten Teil
der Civilisation und verarbeiten beide zu einem heterogenen Ganzen. Wir
erziehen unsere Frauen zur Abhängigkeit und lassen sie dann ohne irgend
jemand, von dem sie abhängen könnten. Sie haben niemand und nichts,
worauf sie sich stützen können, und so stürzen sie nieder.«

Ein anderer Schriftsteller sagt: »Darüber, daß die Löhne der weiblichen
Arbeiter zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse nicht ausreichen, herrscht
nur eine Stimme. Eine große Zahl von Arbeiterinnen arbeitet vom frühesten
Morgen bis in die späte Nacht hinein mit Aufopferung ihrer Gesundheit;
aber sie sind dennoch nicht im stande, sich so viel zu erarbeiten, um ihre
wichtigen Lebensbedürfnisse zu befriedigen. Was sollen diese beginnen,
um das herbeizuschaffen, was nötig ist, um den ihre Existenz bedrohenden
Abgang an ihrem Verdienst zu ersetzen? ... Wollten diese Armen tugendhaft
bleiben, so müßten sie einen so hohen Grad von moralischer Kraft
besitzen, der es ermöglichte, der langsamen Aufzehrung ihrer Lebenskräfte
ganz apathisch zusehen zu können. Da aber die Liebe zum Leben selbst
des Bettlers Brust so mächtig beseelt, daß er eher die Moral als seine
Existenz hinopfert, so kann es nicht überraschen, wenn auch diese so
hartbedrängten Mädchen ihre sozusagen unfreiwillige Preisgebung einer
sichern materiellen Vernichtung vorziehen. Was ist mehr zu beklagen, jene
sozialen Einrichtungen, durch die es so weit gekommen, daß die Löhne
der Arbeiterinnen deren Bedürfnisse nicht mehr decken, oder die
Charakterschwäche der Mädchen, die es nicht zuläßt, in ihren
Marterkammern langsam dahinzusiechen, um als Tugendheldinnen zu sterben?«

Sicherlich das erste! Die Prostitution ist das Werk der Männer, der
Gesetzesgeber, es sind ihre Prinzipien, die sich hier verkörpert finden,
es sind die Opfer ihres Egoismusses, die Opfer des =vae victis=!

Es ist eine anerkannte Thatsache, daß von einer eigentlichen Prostitution
in der Schweiz z. B. keine Rede sein kann, daß Heere von öffentlichen
Frauen, die die Straßen bevölkern, dort ein unbekanntes Ding sind. Und
merkwürdig, so hoch und so selbständig, wie die Schweizerin, steht keine
Frau Europas da; denn von der glücklichen Amerikanerin wollen wir hier
nicht reden. Aber die Herren Gegner wollen das nicht sehen, _sie sehen nur
das, was ihnen beliebt, das ist ihre Konsequenz_.

Fördern die Herren Fabrik-Ärzte vielleicht die »edle Weiblichkeit«,
sie, die die Mädchen oft in der schändlichsten Weise behandeln, und doch
in Todesangst den immer zahlreicher auftretenden Ärztinnen entgegensehen?

Eine unserer Hefterinnen, ein anständiges, nettes, 16jähriges Mädchen,
litt an Bleichsucht und allgemeiner Körperschwäche; sie war eines Tages
zum Kassenarzt gegangen, wohin ich sie begleitete. Ich wartete vor der
Hausthür auf sie; als sie zurückkam, weinte sie bitterlich, sie zitterte
an allen Gliedern vor Ärger und schluchzte: »Der Lump, zu dem gehe ich
nicht mehr!« Ich frug sie, was denn los sei. »Na,« meinte sie, »ich
sagte ihm, ich hätte öfters Schwindelanfälle und heftiges Erbrechen, und
da sagte er nur: »Na, ja, Sie sind schwanger, das wird vergehen, gehen Sie
nur wieder. Haben Sie _einen oder mehrere Schätze_?«

»Ich habe _keinen_,« hatte sie erwidert.

»Das sagt jede,« antwortete der Arzt, »schwanger sind Sie doch, 's ist
schon gut!«

Und ohne das tiefverletzte und gekränkte Mädchen zu untersuchen, entließ
er sie.

Und _das_ darf der »ritterliche Mann«, der »Beschützer des Weibes«
einer Vertreterin des »Humanen«, einer »Trägerin der Sittlichkeit«
sagen? Wer hilft hier dem Mädchen, wer rächt diese Beleidigung? Dem
vornehmen Fräulein, das in gleicher Lage zum gleichen Arzte käme und
bei dem diese Vermutung vielleicht berechtigt wäre, würde so etwas nicht
geboten; da würden freundliche Ratschläge und liebevolle Teilnahme auf
sie herabregnen. Weltbeherrscher, dein Name ist Geld!

Ich erzählte den Mädchen, daß in Berlin mehrere Frauenärztinnen mit
außerordentlichem Erfolg praktizieren und daß überall in den großen
Städten Medizinerinnen auftreten.

_Von dieser Thatsache waren alle entzückt!_

»Ach,« riefen mehrere, »dann würden wir uns, wenn wir nicht wohl
sind, nicht noch lange herumplagen, sondern gleich zur Doktorin gehen, da
brauchte man sich doch nicht Gemeinheiten sagen lassen!«

_Und das sagten Mädchen, die von Frauenstudium und von der Frauenbewegung
keine Ahnung haben._

Die Mädchen laufen sehr viel zur Hebamme, nur um dem peinlichen Fall zu
entgehen, den Arzt zu konsultieren; für allerlei kleine Beschwerden
und Übelstände holen sie den Rat der »weisen Frau« ein; diese macht
vorzügliche Geschäfte, sie hilft den Kranken durch kleine Volksmittel,
durch Massage und Wasser, und hat auf diese Weise immer zu thun, meist
zwar für Krankheiten, die mit ihrem wahren Berufe nichts gemein haben.
Natürlicher Weise entstehen sehr oft ernstliche Schäden durch diese
»Behandlungsweise«, die der Arzt dann wieder gut zu machen hat.

Auch hierin liegt wieder eine _tiefgehende Bestätigung, daß
Frauenärztinnen ein Ding der Notwendigkeit sind, eine natürliche
sittlich-notwendige Institution_.

Der Bildungsgang der Mädchen ist leider ein trauriger, sie lesen alle
ziemlich geläufig, allein die meisten können kaum mehr schreiben, und vor
allem, nicht Geschriebenes lesen.

Ich mußte den Krankenschein der einen einmal vorlesen, nachdem er in 10-12
Händen war und keine ihn entziffern konnte. Ich warf nur einen Blick
auf das Papier, auf dem in deutlichster und klarster Schrift stand: Wegen
Magenbeschwerden auf zwei Tage zu entlassen.

Von _der_ Zeit an, stand ich im Rufe großer Gelehrsamkeit, ich wurde mit
allerlei Fragen behelligt, ich sollte Briefe schreiben und Briefe vorlesen;
ich hätte es vielleicht noch weit gebracht, wenn nicht der Abschied vor
der Thür gestanden wäre. --

Ich glaube, daß das Feld für die Ärztin unter jenen Mädchen ein leicht
zu bebauendes ist, denn von Aberglauben, von Vorliebe für Besprecherinnen
und Blutstillerinnen habe ich nichts gefunden; es steckt mehr
natürlich-philosophische Anschauung in den Köpfen der Arbeiterinnen, als
man meinen sollte.

Und deshalb warne ich hier nochmals: Rennt nicht am Veilchen vorüber,
dessen Duft euch sicher ist, wenn ihr es findet, um einer Rose nachzujagen,
die sich, in der Nähe betrachtet, vielleicht als Heckenrose erzeigt!
Baut keine leichte Brücke über den tiefen Abgrund der Unwissenheit und
Immoralität, um hinüber zu gelangen in Blumengefilde; ihr müßt über
_jene_ Brücke immer wieder zurückgehen. Füllt aber den Abgrund mit
guter, fetter Erde, daß Blumen darauf sprießen und ihr darüber hinweg
wandelt in die duftende Blumenpracht hinein, kaum mehr dran denkend, was
einst hier für Grauen die Nacht bedeckte! --




Zwölftes Kapitel.

Vergnügungen.


Ob ich Recht daran thue, dies Kapitel »Vergnügungen« zu nennen? Nein,
ich finde, daß es passender und zutreffender wäre, wenn ich sagen würde:
Betäubungen, um das elende Leben der Woche zu vergessen, Betäubungen,
die stark narkotisch auf Sittlichkeit und Tugend, auf Menschenwürde und
Menschenehre wirken!

Ich kann ruhig behaupten, daß ich alle Chemnitzer Lokale, in denen
Arbeiterinnen verkehren, besucht habe. Von eigentlichen Arbeiter-Lokalen
kann jedoch keine Rede sein; man findet männliches und weibliches
Fabrikpersonal in jedem Lokal, auf jedem Tanzboden, sie gehen unter in der
Menge der Besucher, sie sind an nichts kenntlich.

Im allgemeinen herrscht unter den Arbeiterinnen bei weitem nicht jene
Liebe zum Tanz, wie unter den Mädchen des Mittelstandes; es gab sehr viele
gerade unter den Maschinenarbeiterinnen, die vom Tanz nicht viel wissen
wollten, die da sagen, daß der Tanz ihnen nur auf unnütze Weise ihre
Kräfte raube, ungesund sei und sie in den ersten Wochentagen bei weitem
nicht die gleiche Arbeit verrichten könnten, als wenn sie Sonntags vorher
nicht getanzt hatten.

Ich freute mich aufrichtig darüber und suchte ihre teilweise Abneigung
gegen den Tanz nach besten Kräften zu schüren.

Ich habe alle Tanzböden von Chemnitz und Umgegend besucht, meinem
Prinzip getreu aber nie getanzt; ich fand die Fabrikarbeiterinnen viel
zugänglicher den Lehren gegen das Tanzen, die ich ihnen aufbaute, als alle
besseren Mädchen.

Hingegen haben die Arbeiterinnen durchwegs eine große Vorliebe für
Theater, Cirkus und Tingeltangel; ihr liebster Vergnügungsort ist der
Schützenplatz, wo sie eine reiche Auswahl der verschiedensten Genüsse
finden, Carussel, Affentheater, Würfel-, Schlangen- und Zaubererbuden,
Tingeltangel und Messeresser.

Das beste Lokal, das ich kannte, war das »Colosseum« in Kappel; es war
ein fein eingerichtetes Konzerthaus mit vorzüglicher Militärkapelle,
und am Nachmittag nur von ganz gutem Publikum besucht. Nach Beendigung
des Konzerts war Ball, bei welchem das Publikum sich bedenklich zu mischen
anfing. Man sah ehrbare Beamtenfamilien mit erwachsenen Töchtern, die die
Mutter lebhaft zum »Männerfang auf Lebenszeit« anhielt, allein gekommene
Ladenmädchen, andere mit ihrem »Liebsten«, Lieutenants in Civil,
=Commis-voyageur=, aber auch Dirnen in feinen Balltoiletten; ich halte das
Lokal überhaupt für kein solches, in welchem Arbeiterinnen verkehren;
die Mädchen, die dort _allein_ verkehren, treiben einen ganz anderen
»Beruf.«

Im grellsten Gegensatz zu diesem Etablissement steht die »Kaiserkrone«,
ein Lokal, in welchem das schlimmste Gesindel verkehrt. Der Tanzsaal
befindet sich im ersten Stockwerk eines düstern Gebäudes; in dem elenden
Stück Hof, den man zu passieren hat, um zur Treppe zu gelangen, steht
ein altes verschnapstes Weib und bietet aus einem ekelhaft aussehenden
Kinderwagen, der ihr als Buffet dient, ihre zweifelhaften Speisen an. Die
Treppe selber ist schmal, schmutzig und winklig, mit ausgetretenen Stufen;
die Eingangsthür zum Saal niedrig und klein. Es ist kein Wunder, daß bei
Keilereien, die hier des öfteren vorkommen, stets einige der Streitenden
halb todt geschlagen werden, daß ein großer Teil mit Wunden »versehen«
heimkehrt. Auf der engen Treppe, in dem winkligen, dunklen Gange ist ein
Flüchten unmöglich, wer hier die Wut Mehrerer auf sich lenkt, ist so gut
wie verloren.

Von allen meinen Mitarbeiterinnen, mit denen ich über die »Kaiserkrone«
sprach, verkehrte auch nicht eine dort; sie äußerten sich durchwegs
mit Ekel und Abscheu über dies Lokal, die meisten erklärten, »da gehen
anständige Mädels nicht hin«.

Ich habe die »Kaiserkrone« drei Mal besucht in Gesellschaft meines
als Arbeiter verkleideten Mannes. Meist befanden sich dort cirka
40-50 Mädchen, verkommene Dienstmädchen, der gemeinste Auswurf der
Fabrikarbeiterinnen und zum größten Teil Soldatendirnen. Das männliche
Element bestand durchwegs aus Soldaten eines Infanterie-Regiments, die
wenigen Civilisten, die anwesend waren, schienen mir die Zuhälter der
Dirnen zu sein.

Ich habe in meinem ganzen Leben keine so bestialisch rohen, gemeinen, jeder
Menschlichkeit baren Mädchen gesehen, wie hier, Gesichter, die das Laster
verzerrt hatte, schmutzige Frauenzimmer, deren oft elende Kleidung roch,
mit ungekämmtem Haar und einem Benehmen, das der Wahnsinn ihnen diktieren
muß. In der unglaublichsten, nicht wiederzugebenden Weise rempeln sie
die Soldaten an, die sich ihrer kaum erwehren können, vollführen sie vor
aller Augen die unsittlichsten Dinge.

Es lag über dem ganzen Saal eine Atmosphäre des Schmutzes, des
grenzenlosen Lasters, der Bestialität, die den sittlichen Menschen zur
Verzweiflung bringt. Die Frauenzimmer, die dort verkehren, sind überhaupt
keine Menschen mehr, es sind Reptilien, Pestbeulen des öffentlichen
Lebens. Ich sah so manchen blühenden und hübschen jungen Soldaten,
den die schmutzigsten und teilweise verlumptesten Frauenzimmer, die alle
zwischen 30-40 Jahre sein mochten, in ihre Mitte nahmen und so lange
bearbeiteten, bis er mit ihnen verschwand.

Es ist eine Nachlässigkeit des Staates, der Militärbehörden, daß sie
derartige Lokale nicht verbieten, und dem moralischen Morde Hunderter ruhig
zusehen.

Was nützt es, die Soldaten am Morgen auf Kommando in die Kirche zu
führen, wie eine Herde Schafe zur Tränke, um sie am Nachmittage dem
erbärmlichsten Laster ruhig zu überlassen? Was nützt es, daß der
Soldat zur Reinlichkeit und zur Ordnung mit militärischer »Disciplin«
angehalten wird, wenn er am Nachmittage ungewarnt und unbehindert Elend,
Gift und Pestilenz holen darf?

Warum sieht die allwissende Polizei den Bettler, der halb verhungert ein
Almosen erbittet, aber nicht jene Lasterhöhlen, wo das Volk sich den
Untergang holt, wo die Söhne des »sittlichen« Deutschlands die Seuche
herholen, die sich weiter und weiter ins Volk frißt? Man fängt die arme
Streichholzverkäuferin auf der Straße gar bald ab, aber man läßt jene
giftigen Spinnen der menschlichen Gesellschaft ruhig weiter vegetieren in
ihrem Netz, trotzdem ein jeder ihrer Stiche zur Blutvergiftung führt.

Man philosophiert, wie gesagt, über alle diese Dinge, aber man handelt
nicht; man begnügt sich mit dem heuchlerischen Grundsatz: »Was mich
nichts angeht, rühr' ich nicht an«, man forscht den Ursachen nicht
nach, die die Vertreterinnen der »Ideale« zu den niedrigsten
Geschöpfen gemacht haben! _Die Prostitution ist ja immer noch das einzige
Ableitungsrohr, um der Arbeitsnot und dem Mangel an weiblichen Berufsarten
abzuhelfen und einzulenken in andere Wege._

Ich sprach kürzlich mit einem sehr vornehmen _konservativen_ Herrn, der
selber Vater von zwei Töchtern ist. »_Das thut ja nichts_,« meinte er
menschenfreundlich, »_daß die Löhne für weibliche Arbeiter so gering
sind; die Frau findet immer Mittel und Wege, um sich durch einen Schatz das
notwendigste geben zu lassen, dumm genug, wenn sie einen wählt, der nichts
hat! Der Mann aber kann das nicht, darum muß er mehr verdienen als die
Frau!_«

Und ein anderer Menschenfreund, ein Apotheker, der nebenbei Millionär ist
und seine 6 älteren Töchter mit 18 Jahren durchschnittlich verheiratet
hatte, sagte mir: »Ich kann gar nicht begreifen, warum man eine
Frauenfrage für nötig hält und behauptet, den Frauen stünden nicht
genug Berufe offen. Ich habe sieben Töchter und habe mir nie Sorge
gemacht, um für sie Berufsarten herauszufinden; ich habe sechs Mädchen
verheiratet und hoffe, daß auch die jüngste einen Mann finden wird, ohne
einen Beruf ergreifen zu müssen.«

Man weiß nicht, soll man darüber lachen oder empört sein, ich glaube,
die Millionen haben den Mann so dumm gemacht!

Aber so ist es, die Frauenfrage ist eine Ausgeburt verrückter Köpfe und
die Prostitution ein weiblicher Beruf! Man lernt immer wieder Neues! --

Ich besuchte auch öfters die »Linde«, ein großes Tanz-Etablissement
anständigster Art; hier verkehrten ausschließlich Fabrikmädchen und
Fabrikarbeiter, einige Unteroffiziere und geringe Kaufleute.

Der Ton war anständig, die Mädchen saßen ruhig an den Tischen und
unterhielten sich, ab und zu einen Tanz machend, wozu sie ihr Kavalier
unter einer Verbeugung abholte und ebenso höflich zurückführte. Die
Mädchen tanzen hübsch, selbst graziös, es kam nie zu wilden Hopsereien,
wie es in Bauernschenken vorkommt; es wurde sehr wenig getrunken, ich fand
hier, wie auch im »Bellevue«, daß die Arbeiterinnen häufiger sogar
Kaffee als Bier tranken. In beiden Lokalitäten war, wie gesagt, das
Arbeiterelement stark vertreten, Militär dagegen kaum anzutreffen.

An einem der Sonntage hatte ich in der »Linde« ein neben mir sitzendes
Mädchen beobachtet, das »herrenlos« hingekommen war und fremd zu sein
schien. Sie sah furchtbar dumm aus, wagte kaum, um sich zu sehen und schien
noch keinen Schatz besessen zu haben. Es dauerte nicht sehr lange, bis ein
»Herr« sich zu ihr setzte, ihr ein Glas Bier kommen ließ und sie in den
Bann seiner Beredsamkeit zog. Ich verlor sie aus den Augen und hatte nur
noch bemerken können, daß sie dem Verführer schon viel freundlicher
antwortete und auf dem besten Wege war, mit ihm »gut Freund« zu sein.

Am Sonntage darauf besuchte ich das »Elysium«, ich traf dort jenes
Mädchen, das wieder allein an einem Tisch saß. Heute blickte sie schon
viel kühner um sich, sie lachte jeden an, der sie ansah; sie trug eine
Korallenkette, rosa Schleifen an der Brust und im heute gelockten Haar,
das vor 8 Tagen einfach gescheitelt war. Sie hatte jedenfalls an dem einen
Nachmittage viel »gelernt«, sie war auf dem besten Wege, abwärts zu
kommen. An jenem Nachmittage tanzte, scherzte und sprach sie mit mehreren,
ließ sich auch von verschiedenen Seiten Bier bezahlen.

Ich hatte die Geschichte schon beinahe vergessen, als ich 3 Wochen später
das »Colosseum« besuchte und zu meinem größten Erstaunen jenes Mädchen
am Arme eines Herrn (zweifellos ein Referendar oder Lieutenant in Civil,
da er Schmisse hatte) sah, fein gekleidet, mit Talmischmuck überladen, das
Haar kurz geschnitten, das Gesicht bemalt. =Sapienti sat!= Sie war
»klug« gewesen und hatte in Folge dessen schnell Carrière gemacht, eine
»dümmere« wäre nicht so schnell »gestiegen«. --

Mehrere aus der Fabrik hatten mir geraten, da ich keinen Schatz besaß, das
»Elysium« aufzusuchen, es sei dies ein Lokal, in welchem man leicht und
schnell Bekanntschaften machen könne. So biß ich denn in diesen sauren
Apfel und begab mich ins »Elysium«; mein Mann saß an einem Nebentisch
hinter einem Pfeiler. Ich hatte mich kaum niedergelassen, als ich von einem
Herrn angesprochen wurde, der mich frug, ob ich auf meinen Schatz warte;
ich verneinte. »Dann können wir gleich beisammen bleiben,« fuhr er fort,
»ich habe Geld, ich kann was draufgehen lassen.« Er hatte eine goldene
Uhr mit schwerer goldener Kette, feingepflegte weiße Hände und trug einen
goldenen Zwicker. Ich hielt ihn für einen höheren Beamten, vielleicht
einen Assessor, trotzdem er mir versicherte, er sei Aufseher in einer
Fabrik. Wir gehörten jedenfalls beide in die gleichen Gesellschaftskreise,
glücklicher Weise ahnte mein Kavalier nicht, daß ich ihn erkannte.

Auch die übrigen Herren, die mich in den Pausen behelligten, schienen
keineswegs Arbeiter zu sein, sondern sogenannte »feine« Leute. Ich merkte
daher bald, daß die »leicht zu machenden Bekanntschaften« sich nicht auf
die Arbeiterkreise bezogen, sondern von anderer Seite zu ganz anderem Zweck
gesucht wurden. -- Ueberhaupt ist die »Sitte des Attakierens« unter den
Arbeitern bei weitem nicht bekannt und beliebt, wie unter den Studenten und
sonstigen jungen Herren. Man macht seine Bekanntschaft in der Fabrik,
bei Freundinnen oder bei anderen festlichen Anlässen in einem Lokal;
gewöhnlich werden die Schätzelosen von Bekannten mit Kavalieren versorgt,
eine weniger gesuchte Art der Bekanntschaft.

Auf dem Schützenfest, das glücklicher Weise in die Zeit meines Chemnitzer
Aufenthaltes fiel, fand ich die Arbeiterinnen aller Fabriken, in denen
ich gewesen, vertreten. Sie zeigten ein besonderes Interesse für
eine Tingeltangelbude, in welcher vier gemein und verkommen aussehende
Frauenzimmer in kurzen Tricotkleidern die abscheulichsten Zoten sangen.

Trotz der Vorliebe für derartige Vergnügungen besprachen sie in
vernünftigster Weise das Leben jener Tingeltangelsängerinnen und
erklärten einmütig, mit keiner einzigen tauschen zu wollen.

Sie verspielen sehr viel Geld an den Würfelbuden; es geht ihnen wie den
Hazardspielern; wenn sie für den Einsatz von 10 Pfennig einen Gegenstand
zu 50 Pfennig gewonnen haben, so würfeln sie fiebernd weiter, immer in
der Hoffnung, noch weiteres zu gewinnen; zuletzt haben sie ihren Gewinn
doppelt so hoch bezahlt, als sie in einem Laden für den gleichen
Gegenstand gegeben hätten.

Die meisten der Mädchen spielen in Lotterien, und wenn der Einsatz auch
nicht hoch ist, so ist der Verlust von 2 oder 3 Mark allmonatlich für
sie doch kein geringer Schaden. Sie hoffen alle auf das große Los oder
wenigstens auf einen Gewinn, der es ihnen ermöglicht, von ihrem Gelde
zu leben. Ich kannte alte Frauen, die angestellt waren zur Reinigung der
Fabrikräume, frühere Arbeiterinnen, die seit 30 Jahren in der Lotterie
spielten, die sich alles am Munde absparten und die Hoffnung auf den
großen Gewinn doch nicht fahren ließen.

Wenn ich die Vergnügungen der Arbeiterinnen im Geiste resumiere und in
Vergleich ziehe mit der Arbeitszeit der ganzen Woche, so muß ich betonen:
_daß die Vergnügungssucht der Mädchen aus dem Volk bei weitem nicht so
entwickelt, blasiert und doch anspruchsvoll ist, wie bei den Mädchen
der besseren Kreise, und daß diese sich absolut nicht »mit Ekel von der
häßlichen Genußsucht der Mädchen aus dem Volk« abzuwenden brauchen_.




Dreizehntes Kapitel.

Die Hausindustrie.


»Wenn ich überhaupt die Bedeutung der Frau für die sittlichen Aufgaben
der Familie hoch anschlage, so gilt das besonders für den Arbeiterstand.
Während in den höheren Ständen noch andere veredelnde Einflüsse und
Motive sich geltend machen können und müssen, so ist bei dem Arbeiter
die Frau fast ausschließlich die Hüterin der _Sittlichkeit_ und des
_Gemütslebens_.«

Dies ungefähr waren die Worte, die =Dr.= Brinkmann in seinem Vortrage
in Konstanz »Die Bedeutung der Frau für die sittlichen Aufgaben
der Familie« aussprach. Ich führe diese Worte hier an, weil ich die
Hausindustrie mit ganz anderen Augen betrachte, als die Arbeit in der
Fabrik, weil sie den Frauen die Möglichkeit giebt im Hause zu bleiben und
die Kinder ständig zu bewachen.

Die Vertreterinnen der Hausindustrie sind fast durchwegs auf dem Lande zu
finden, und, wie ich schon erwähnte, unter den verheirateten Frauen.

In den dürftigen, ländlichen Wohnungen herrscht Reinlichkeit, d. h.
immer im Verhältnis zur Reinlichkeit der Stadtarbeiter gesprochen. Im
großen Wohnraum dieser kleinen Häuser arbeiten die Frauen an ihrer
Nähmaschine, die eine den ganzen Tag, andere nur am Nachmittag, wieder
andere bloß in den Pausen, die ihnen das Besorgen der Haushaltung und
der Kinder läßt; doch sind diese Arbeiterinnen seltener, weil die
Näherinnen, die größtenteils feine Ware in Arbeit bekommen, rein
gekleidet sein und mit reinen Händen die zartfarbenen Handschuhe
behandeln müssen. Ein Fortspringen vom Kochtopf oder einer schmutzigen
Küchenarbeit, um womöglich einen Handschuh zu steppen, ist deswegen ein
Ding der Unmöglichkeit. Gewöhnlich richten sich die Frauen nach einem
festen Tagesprogramm, wonach sie Morgens und Nachmittags gewisse Stunden
hindurch an der Maschine und die übrige Zeit im Haushalte arbeiten.

Ich fand den Unterschied zwischen den Wohnungen der Hausarbeiterinnen
und der Fabrikarbeiterinnen bedeutend, und dieser Unterschied in der
Wohnlichkeit trat, je nach der Kinderzahl, mehr oder minder deutlich
hervor. Die Frauen haben es hier auch leichter, Ordnung zu halten, da sie
im Platz bei weitem nicht beschränkt sind, wie die Stadtfrauen. In den
kleinen Arbeiterhäuschen sind die Schlafkammern hell und luftig, die
Eltern schlafen mit den kleinsten Kindern in der einen, die größeren
Kinder in der anderen Kammer zusammen. Der Unterschied der Geschlechter
wird mehr gewahrt als in der Stadt, wo die teuren Wohnungspreise Familien
zum Halten von Schlafburschen treiben. Die Kinder sind durchweg blühend
und dick, sie tummeln sich von früh bis Abends auf der Wiese, laufen mit
den Hunden um die Wette und balgen sich mit den Katzen herum. Sie
werden auch in der Kleidung reinlicher gehalten; in großen Städten mit
starkbevölkerten Mietskasernen ist der Trockenraum immer in Anspruch
genommen, das Wäschewaschen wird zum Ereignis, das in regelmäßigen
Pausen wiederkehren muß, und wo infolge dessen mit der Wäsche gespart
wird.

Alle diese kleinen Punkte wirken jedoch äußerst intensiv auf das
Familienleben; der Mann findet Mittags beim Heimkommen das einfache Mahl
fertig auf dem Tisch, er kann sich ruhig noch ein halbes Stündchen legen,
neu gestärkt und in guter Stimmung geht er wieder zur Fabrik zurück, um
am Abend Erholung im reinlichen Heim zu finden, bei einer Frau, die sich
nicht abgearbeitet und abgehetzt hat und nicht ärgerlich, aufgeregt und
gereizt ist. Der Familienvater bleibt zu Hause in Mitten der Kinder, die
Frau sitzt dabei an der schnurrenden Nähmaschine, -- ein friedliches
Familienbild, wie es sich das abgehetzte Stadtarbeiterpaar kaum denken
kann.

Der Mann fühlt hier die Annehmlichkeiten des Familienlebens, er sieht in
den Kindern nicht eine Last, die ihm durch die Ehe entstanden, in der
Frau nicht nur ein Wesen, das er versorgen und für das er arbeiten soll,
sondern er fühlt, daß er nach allen Schicksalsstürmen hier allein
geborgen ist, und daß die Ehelosigkeit ein Zustand der Unvollkommenheit
ist.

Dies bessere Zusammenleben wirkt nicht allein günstig auf die
Kindererziehung, sein Segen fällt in erster Linie auf die Frauen selber
zurück, die sich nicht als gequälte Lasttiere und Dienstmägde des Mannes
fühlen, sondern als Mitarbeiterin in der Familie.

Und deswegen betonte ich zu Anfang dieses Kapitels, daß die Hausindustrie
unsern Bestrebungen günstig ist, weil sie uns einen leichter zu
bearbeitenden Boden verbietet.

Die Frauen tragen dergestalt _viel_ dazu bei, daß Sittlichkeit und
Familienliebe im Hause walten, sie sind es, die dem den ganzen Tag in der
Fabrik arbeitenden Manne _das Gemüt erhalten_. Und wenn es auch tief
zu beklagen ist, daß sich diese armen Frauen nicht voll und ganz ihren
Pflichten als Gattin und Mutter widmen können, so ist der Vorteil, im
eignen Hause arbeiten zu können, statt den ganzen Tag, fern von den
Kindern zu weilen, doch ein unberechenbarer.




Vierzehntes Kapitel.

Stellenlos.


Stellenlos! Ein kleines Wort, daß das Elend so vieler kennzeichnet,
das uns bange, traurige Geschichten erzählt von Not, Verzweiflung und
Selbstmord! Ich habe bis dahin viel vom Elend stellenloser Lehrerinnen,
Gouvernanten und ähnlichen »besseren Dienstboten« gehört, vielfach
erfahren, daß stellenlose Verkäuferinnen, Näherinnen und Putzmacherinnen
in die Arme des Lasters gefallen sind, ich habe vom Selbstmord stellen- und
heimatloser Dienstmädchen gehört -- aber sie alle repräsentieren noch
nicht die Vertreterinnen des Elendes, dem die stellenlose Fabrikarbeiterin
entgegensieht.

Ich habe meine Mitteilungen nicht vom Hörensagen oder aus dem Munde meiner
Genossinnen erhalten; was ich mitteile, _habe ich selber erlebt, es deckt
sich mit dem, was mir die andern erzählten_.

Eines Morgens, nachdem ich den Fabriken Lebewohl gesagt und mir so viel
Kenntnisse gesammelt hatte, um mich eventuell als Arbeiterin dieser oder
jener Branche auszugeben, machte ich mich auf den Weg »um Stellung zu
suchen«.

Ich ging zuerst in das Nachweisbureau einer Frauen-Stiftung, der dort
waltenden Vorsteherin mitteilend, ich sei Hefterin. Sie behandelte mich
von oben herab, nichts weniger, denn in Menschenliebe redend, gab mir kaum
Antwort und frug mich nur sofort, ob ich im Heim Obdach nehmen wolle bis
ich Stellung gefunden; ich verneinte. Sie würdigte mich kaum mehr einer
Antwort, wies mich in die Parterre-Lokalitäten, wo ich »Näheres«
erfahren würde und rauschte durch eine Seitenthür hinaus. Etwas
verblüfft setzte ich mich unten an einen der Tische; das große Lokal
glich täuschend einer Wirtsstube, abgesehen davon, daß an den Wänden
Sprüche standen, als da sind: »Kommet her zu mir, die ihr mühselig und
beladen seid, ich will euch erquicken.«

»Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.«

»Was ihr einem der Geringsten unter euch gethan, das habt ihr mir
gethan.«

Ich beschwichtigte mein bang klopfendes Herz durch die Hoffnung, daß die
Besitzerinnen dieser Räume nach den schönen Sprüchen handeln und mich
als der »Geringsten einer« mit Rat und Hülfe unterstützen würden.

Der Saal war leer, ich erquickte mich an der wohlthuenden Kühle, die in
dem Raum herrschte, ohne von den auf jeden Tisch ostentativ hingelegten
Bibeln Gebrauch zu machen.

Nach ungefähr einer halben Stunde erschien eine Persönlichkeit in
absurder Kleidung, halb nonnenhaft und halb der einer Pfarrköchin
gleichend; sie hatte auch dasselbe Heuchlergesicht jener und frug mich
sanft aber unfreundlich, was ich trinken wolle.

»Nichts,« erwiderte ich, in Vorahnung dessen, das da kommen sollte.

»Sind Sie hier in Logis?« frug sie; ich verneinte.

»Dann dürfen Sie hier nicht bleiben, ohne etwas zu nehmen,« entgegnete
sie, vollständig aus der frommen Tonart fallend und ganz »Dragoner«
werdend. Sie hätte mich jedenfalls aus lauter Habgier hinausgeschmissen,
wenn ich nicht endlich doch Zuflucht zu einer Tasse Kaffee genommen hätte.
Als ich den sehr bedenklich nach Mocca duftenden Trank schlürfte, wagte
ich die schüchterne Frage, ob sie nichts von Stellen wisse, für die ich
mich allenfalls melden könnte.

»Nu nee,« schnurrte sie.

»Aber die Dame oben sagte, hier unten erhielte ich Auskunft,« wagte ich
schüchtern zu bemerken.

»Die Dame?« frug sie gedehnt. »Das gnädige Fräulein wollen Sie sagen!
Aber jetzt haben wir nur Stellungen für Dienstmädchen, und auch die
bekommen erst die Mädchen, die hier in Logis sind.«

Ich wagte darauf hinzuweisen, daß doch das Haus eine religiöse
Stiftung sei, und daß über der Thür stände: »Asyl für Obdach- und
Stellenlose,« oder so ähnlich.

»Na,« fuhr sie mich wütend an, »jeder, die herkommt, können wir nicht
Stellung besorgen; der Herr Pfarrer muß uns Mädchen empfehlen.«

»Wo wohnt denn der Herr Pfarrer?« frug ich hartnäckig.

Sie gab mir, ärgerlich über meine Impertinenz, die Adresse zweier
Geistlichen an, die ich sofort aufsuchte.

Der eine der Gottesmänner hielt Mittagruhe, das schnippische Mädchen
erklärte mir, sie wisse überhaupt nicht, wann der Herr Pfarrer für
»Arme« zu sprechen sei.

Der zweite war glücklicher Weise huldvoll geneigt, mich zu empfangen; er
blieb gelassen würdevoll in einem Lehnstuhl sitzen, rieb sich die fetten
Hände und hatte auf alle meine Bemerkungen nur ein salbungsvolles »So,
so« bereit.

Als ich in meinem Bericht geendet, erklärte er mir: »Es ist eine schwere
Zeit für _uns Fromme_ gekommen, wir sollen Stellungen besorgen und können
es doch nicht mit unserem Gewissen vereinbaren, Leute zu empfehlen, die wir
nicht kennen. Ich kann Ihnen leider heute gar keine Auskunft über etwaige
Stellungen geben; bleiben Sie aber tugendhaft, so wird der Herr Sie
beschützen; der die Lilien auf dem Felde kleidet, der wird auch Sie
ernähren und kleiden. Gehen Sie mit Gott, meine Tochter, und sollten Sie
wieder eines guten Rates bedürftig sein, dann kommen Sie getrost zu mir,
ich schicke keinen Hülfesuchenden von meiner Schwelle.«

Damit war ich entlassen. Ich weiß nicht, ist derjenige, der die Armen
_nicht_ empfangen will, oder derjenige, der sie _so_ empfängt und
_unterstützt_ der größere Pharisäer? --

Ziemlich deprimiert suchte ich eine fürchterlich verkommen aussehende
Herberge für Arbeitslose auf. Der niedrige, halbdunkle Raum, in welchem
einige schmutzige Tische und ein paar wacklige Stühle standen, war von
Tabaksqualm erfüllt, daß man mit den Blicken die dicke Wolkenschicht kaum
durchdringen konnte. Ich setzte mich zu zwei nicht gerade sehr einladend
aussehenden Frauenspersonen, deren jede aus einer Blechschüssel Suppe
aß. Sie musterten mich mißtrauisch von der Seite und flüsterten leise
zusammen; die ältere mochte 35, die jüngere 30 Jahre zählen. Als sie
ihre Suppe ausgelöffelt und sich erhoben hatten, um fortzugehen, nahm ich
meinen ganzen Mut zusammen, zupfte die eine am Ärmel und frug: »Wissen
Sie nicht, wo man Arbeit bekommt?« Wider Erwarten freundlich, setzten sie
sich wieder hin, und die eine meinte: »Nee, wir suchen selber Arbeit, wir
wollen eben zu S.... gehen, dort sucht man Arbeiterinnen. Was sind Sie?«

»Hefterin«, war meine Antwort.

Da stellte es sich heraus, daß sie auch Hefterinnen waren; nun hatte ich
leichtes Spiel. Ich ließ Bier kommen und machte ihnen dann das Anerbieten,
gemeinsam auf Arbeitsuche zu gehen, worin sie einwilligten. Beide waren
seit cirka 14 Tagen stellenlos, die eine, weil die Fabrik keine Arbeit
mehr hatte, die andere, weil sie krank gewesen war.

Wir suchten mehrere Fabriken auf, natürlicher Weise nur solche, in denen
ich noch nicht gearbeitet hatte.

In der ersten wurde uns kurz der Bescheid, daß neues Personal nicht
angenommen werden könne. Im zweiten Etablissement ging es uns schlechter;
wir hatten das Thor der Fabrik kaum passiert, als ein dicker Portier auf
uns zuschoß und uns anfauchte: »Was wollt Ihr hier, Arbeit giebts
nicht, raus, raus!« Dabei klopfte er wohlgefällig den Staub von seiner
livreeartigen Kleidung.

»Na, wir wollen doch mal im Comtoir fragen«, sagte eine meiner
Begleiterinnen.

»Nichts, nichts«, schrie der erboste Cerberus, »'s wär' noch schöner,
wenn alles Lumpengesindel ins Comtoir rennen würde. Macht, daß Ihr
fortkommt!«

Und wir gingen, die beiden Frauen niedergeschlagen und hoffnungslos, ich um
eine Erfahrung reicher.

In den meisten anderen Fabriken wurde uns kurz erklärt, daß wir keine
Arbeit bekommen könnten, ohne daß man uns jedoch grob behandelt hätte.
Aber wo wir auch hinkamen, hörten wir die gleiche Klage, es wurden eher
Arbeiterinnen entlassen, denn angenommen.

Die eine der beiden Frauen hatte zwei uneheliche Kinder, für die sie
sorgen mußte, die andere wohnte in Schlafstelle, die sie schon seit einer
Woche schuldig geblieben war, und wo man ihr bereits mit Zurückhaltung
ihrer Effekten gedroht hatte. Ich machte beiden den Vorschlag, uns um
Stellungen als Dienstmädchen zu bewerben; aber da kam ich schön an.
Lieber wollten beide hungern und ihre Sachen verkaufen, denn sich in
Tyrannei begeben; ich glaube, daß sie zu verkommen waren, um sich in einer
geregelten Häuslichkeit wohlzufühlen. Ich verließ sie und suchte eine
mir von den Mädchen empfohlene Vermieterin auf; diese Frau sollte unter
der Hand Stellung, speziell in Fabriken vermitteln.

Die Frau wohnte im vierten Stock einer jammervollen Mietskaserne; auf einem
Papierstreifen, der an der Zimmerthür klebte, stand: Frau Mehlig, Wittwe.
Ich klopfte an; nach einigen Minuten öffnete man die Thür, in der Spalte
wurde ein Frauenkopf sichtbar, eine sanfte Stimme frug: »Zu wem wollen
Sie?« »Zu Ihnen«, entgegnete ich. Ich habe später erfahren, daß das
die Antwort war, die man geben mußte, um Eintritt zu der Wahrsagerin
-- das war sie nämlich -- zu erhalten; durch Zufall hatte ich die Form
gewählt.

Die Stube, in die ich trat, war einfach aber gut möbliert, Heiligengebilde
hingen an den Wänden, über dem Sopha prangte ein Christuskopf aus Gips.
Weiße Vorhänge, mit zierlichen roten Schleifen zusammengerafft, blühende
Blumen vor den Fenstern und ein Kanarienvogel im blanken Messingbauer,
gaben dem Stübchen jenes Behagliche, Lauschige, wie ich es immer nur in
der Behausung der vielgeschmähten alten Jungfern fand.

Die Bewohnerin dieses Raumes verriegelte von innen die Thür und holte dann
ein Spiel Karten vor.

»Ich komme nicht deswegen,« sagte ich, auf die Karten deutend, »ich
wollte gern eine Stellung in einer Fabrik haben.« Ihr »Ach so« klang
merkwürdig verändert, daß ich mir nicht klar werden konnte, ob es
Enttäuschung oder Genugthuung ausdrücken sollte. Sie sann eine Weile nach
und meinte dann:

»Ja, können Sie mir auch zuerst zwei Mark »Antrittsgeld« zahlen?«

Ich holte zwei Mark aus meiner Tasche und legte sie auf den Tisch. Die
»Dame« lächelte liebevoll, nahm aber schleunigst die zwei Mark zu sich!
Nach einer Weile sagte sie freundlichst: »Ja, mein gutes Kind, ich wüßte
schon Arbeit für Sie, aber da muß ich erst einen Brief schreiben.« Sie
holte Papier heraus und malte eine halbe Stunde lang die fürchterlichsten
Hieroglyphen darauf; dann couvertierte und _versiegelte_ sie den Brief und
übergab ihn mir geheimnisvoll.

»Gehen Sie damit zu Herrn M...., er ist Aufseher in der S.'schen Fabrik;
geben Sie ihm den Brief ab und warten Sie auf Antwort; aber passen Sie auf,
daß es keiner merkt.«

Ich hatte Tags darauf jenen Aufseher, einen verkommen und verschmitzt
aussehenden rothaarigen Menschen, aufgesucht, und ihm den Brief
überreicht. Er las ihn, schmunzelte, las ihn nochmals und bemusterte mich
dann von Kopf zu Füßen.

»S' ist gut,« ließ er sich endlich hören, »sagen Sie der Frau M., die
Stelle sei lila!«

Ich merkte sofort, daß das »lila« sich auf irgend eine Gaunerei bezog,
allein ich spielte die freudig Hoffende und ging nochmals zu meiner
»Stellenbesorgerin«. Auf das »lila« hin, bewirtete sie mich mit einer
Tasse Kaffee und einer »Butterbemme« und rückte dann, während ich
tafelte, mit ihrem famosen Anerbieten heraus. _Ich sollte ihr, wenn ich
die Stellung erhielt, den ganzen Wochenlohn der ersten Woche geben und
dem Aufseher den der zweiten Woche._ Ich ging darauf ein und bezahlte
ihr vorläufig die Hälfte jenes ersten Wochenlohnes, den sie mit 3 Mark
berechnete. Als ich dann zum Aufseher zurückkam und ihm sagte, daß Alles
in Ordnung sei, teilte er mir das Nähere über die Art der Stellung mit.
Darnach sollte _ich täglich den großen Fabrikhof kehren, wofür ich
wöchentlich 2 Mark erhalten sollte_. Man denke sich in die Lage eines
armen, alleinstehenden und im Orte vollkommen fremden Mädchens (wofür
sie mich hielten), wenn es in den christlichen Hospizen solche liebevolle
Unterstützung findet, _wo_ muß es dann Rat und Hülfe suchen und finden,
wenn es in die Hände von Gaunern fällt? Es verwickelt sich so tief in die
Netze solcher Räuberinnen, daß es zuletzt selbst einsieht, daß es auf
anständige Art und durch anständigen Erwerb nicht los kommen kann, _es
muß sich prostituieren_. --

An jenem Tage besuchte ich noch ein »Café«, unter den Arbeiterinnen die
»Ruhehalle« spottweise genannt. Dort versammelte sich gewöhnlich das
arbeitscheue Gesindel und die stellenlose Armut. An dem Tage, an dem ich
das Lokal besuchte, fand ich nur fünf Gäste vor, drei Frauenspersonen
und zwei Männer. Der eine, ein Mann in mittleren Jahren, in hübschem,
hellgrauem Anzug, hohem Filzhut und braunen Glacéhandschuhen, schien
ein stellenloser Buchhalter zu sein; er aß mit Heißhunger eine Portion
elenden, übelriechenden Käse.

Der andere, ein junger Arbeiter mit ausgesprochener Banditen-Erscheinung,
saß vor einem Glase Schnaps und las ein sozialdemokratisches
Arbeiterblatt. Dann und wann stieß er wilde Flüche gegen die Regierung
und gegen die Gesetze aus, stampfte dazu mit dem Fuße und nahm einen
Schluck aus seinem Schnapsglas.

Zwei der Frauenspersonen saßen zusammen in der dunkelsten Ecke des Raumes,
beide arm aber sauber gekleidet, beide strickend. Sie waren jedenfalls
obdachlos und hatten vor dem strömenden Regen Schutz gesucht in jenem
Lokal. Man sah ihnen den Hunger am Gesicht an, und obgleich beide das
dreißigste Jahr schwerlich überschritten haben mochten, waren es doch
alte verblühte Frauen. Ich setzte mich zu den beiden, bestellte Kaffee
und stieß ab und zu einen tiefen Seufzer aus; als dies unberücksichtigt
blieb, holte ich aus meiner Tasche einige Münzen hervor, die ich vor mich
auf den Tisch legte und sorgenvoll zählte. »Na«, wandte ich mich dann an
die eine, »wissen Sie vielleicht, was ein Butterbrot kostet?«

»Sechs Pfennige«, murmelte sie tonlos.

»Dann langts noch«, meinte ich leichthin, »ich habe noch
siebenundzwanzig Pfennige.« Die Frauen sahen habgierig nach dem Gelde.
»Ja«, sagte die ältere, »wenn wir nur noch so viel hätten! Uns langts
nicht mal zu 'ner trockenen Bemme!«

»Sind Sie denn arbeitslos?« frug ich.

»Vier Wochen schon«, entgegnete sie. »Eine Schlafstelle habe ich auch
nicht mehr, meine Sachen hab' ich verkauft, denn ich mußte jede Nacht
zwanzig Pfennige im Schlafsaal zahlen; und man muß doch auch etwas essen,
wenns auch nur trockenes Brot ist, das Geld geht doch fort!«

»Was sind Sie denn«, frug ich, »und warum haben Sie keine Arbeit?«

»Wir sind Falzerinnen«, entgegnete nun die andere, »wir wurden
entlassen, weils nicht genug Arbeit gab; wir laufen den ganzen Tag nach
Arbeit rum, aber jetzt haben wir's aufgegeben, Arbeit finden wir doch
nicht und vom Herumlaufen bekommt man nur größeren Hunger. Ich hatte
eine Aufwartestelle auf acht Tage, aber dann fand der Herr eine jüngere,
hübschere, da hab' ich gehen müssen. Ich hab' alles versucht, um Arbeit
zu finden, aber man kommt in vier Wochen zu sehr herunter, wenn man jede
Nacht in einer anderen Herberge schlafen muß; man kann die Wäsche nicht
wechseln und sich kaum waschen, da will einen schließlich keiner!«

Die andere hatte einen ganz ähnlichen Roman zu erzählen, nur daß sie
noch hinzufügte: »Ich wart' noch ein paar Tage, wenn's dann nicht besser
wird, gehe ich zu den böhmischen Maurern, die nehmen einen mit in die
Schlafstelle und geben einem noch zwanzig Pfennige! Jetzt hab' ich noch
nicht den Mut dazu, denn 's ist doch nicht leicht, so »Eine« zu werden,
wenn man sich immer sein Brot ordentlich verdient hat. Aber schließlich
thut man's aus Verzweiflung; und ist das erste Mal überwunden, dann geht's
schon leichter.« Sie stützte ihren Kopf in die Hand und schien sich
durch ihre Mitteilsamkeit Mut zusprechen zu wollen zu ihrem schrecklichen
Vorhaben. Ich ließ jeder eine Portion des elenden Käses kommen, so
leid es mir that, ihnen nichts besseres geben zu können. Wären sie
mißtrauisch geworden, so hätte die Mitteilsamkeit schnell abgenommen.
Heute vielleicht treiben sich die beiden in der »Kaiserkrone« herum und
spielen die frechsten, weil sie die hungrigsten sind. --

Das sind die Früchte der Humanität, die lebenden Beweise für das
»segensreiche« Wirken jener »christlichen« Asyle für Obdachlose,
die wohl Geld genug haben, um eine Vorsteherin in schwarzer Seidenrobe zu
erhalten, aber nicht genug, um armen, verkommenen Stellenlosen einen Teller
Suppe zu reichen!

Ihr Heuchler und Pharisäer, was schmäht Ihr die wenigen ideal schönen
Stellen der Bibel durch Profanation, indem Ihr sie an _Eure_ Wände
schreibt?! Werft das Maskengewand von Euch und malt an Eure Wände:
»Hier werden Frömmler und Heuchler aufgenommen oder solche, die uns Geld
einbringen.«

Vielleicht würden dann die meisten, die sich als Ende des Liedes
der Prostitution in die Arme werfen, lieber das sanfte Antlitz der
scheinheiligen Frömmigkeit wählen! Die heuchlerische Frömmigkeit ist gar
oft ein Kapital, das gute Zinsen trägt! So kannte ich in Berlin mehrere
Fabrikarbeiterinnen, die, so oft sie stellenlos waren, mit »heiligem«
Eifer die Versammlungen der Methodisten besuchten, weil die wirklich
Frommen sie unterstützten und ihnen auch Arbeit verschafften; sobald die
Mädchen Verdienst gefunden hatten, ließen sie die braven Methodisten
brave Menschen sein.

Der Haß gegen die Geistlichen hat aber unter den Chemnitzer Arbeiterinnen
zu tief Wurzel gefaßt, als daß sie sich so leicht und schnell unter deren
Banner flüchten würden; die Geistlichen und jene »christlichen Vereine«
thun _zu wenig_, um sich dem offen gegen sie arbeitenden Haß auszusetzen,
_zu viel_, um die Mädchen heranzuziehen.

Die stellenlose Erzieherin kann immer noch eine Stelle als Kinder- oder
Stubenmädchen, als Bonne oder Schreiberin nehmen, ehe sie der Verzweiflung
in die Arme fällt. Die stellenlose Arbeiterin jedoch ist, findet sie nicht
bald wieder Beschäftigung, rettungslos verloren, mag es so oder so
kommen. Ihr ist die Möglichkeit benommen, irgend einen anderen Posten zu
bekleiden, selbst wenn sie außer ihrer Branche arbeiten will -- sie kann
es nicht! Sie ist einseitig und mechanisch für ihr Fach herangedrechselt
worden, sie hat sich in guten Zeiten um andere Arbeiten nicht bekümmert
und auch aus Zeitmangel nicht bekümmern können -- sehe sie nun, wie
sie durchkommt. Ob sie sich schändet, ob sie stiehlt, ob sie trügt,
sie fällt der Polizei eines Tages doch in die Hände, die sie, das
arbeitslose, aber _anständige_ Mädchen, so gern übersah.

Es giebt auch für jene armen Verlassenen keine andere Art der
Stellensuche, als die, von Haus zu Haus, von Fabrik zu Fabrik zu gehen und
um Arbeit zu bitten. Ein Mädchen, das im Elternhause lebt, kann diese Art
der unfreiwilligen Spaziergänge schon eine Zeitlang aushalten, es
findet immer wieder Obdach und die notdürftigste Nahrung; aber die
alleinstehenden Frauen haben nur zwei Wege, die sie ans Ziel führen:
_moralischer Tod_ oder _leiblicher Tod_!

Und es wird so bald nicht anders werden! So lange die Männer die Frauen
unterdrücken, so lange männliches Aufsichtspersonal in Fabriken die Macht
und das Recht hat, die Arbeiterinnen, die ihnen aus irgend welchen Gründen
nicht passen, zu entlassen, so lange die Frau in sich selber keinen
Schutz findet -- so lange wird alles beim Alten bleiben! Durch Liebe und
Menschenfreundlichkeit werden wir hier nicht durchdringen, hier gilt nur
energisches Handeln, gemeinsames Vorgehen _aller_ Frauen gegen die Gesetze,
die das Weib in seiner geistigen und moralischen Freiheit unterdrücken und
zu einem hülflosen und haltlosen Wesen machen, ohne ihm Hülfe und Halt
zu gewähren. Im deutschen Reiche sind gegen 130.000 verheiratete Frauen
in Fabriken und Fabrikateliers beschäftigt, die alle das gleiche elende
Dasein führen und von denen täglich eine Anzahl durch ihr Elend der
Prostitution in die Arme läuft!

An die Frauen aber wende ich mich hier ganz besonders, an alle edel
denkenden und edel handelnden Frauen, an alle Mütter und Töchter
geliebter Eltern, an alle die Glücklichen, die in Sitte und Wohlhabenheit
leben können! Vor allem aber _an alle die tausend und tausend Frauen,
die ihr Leben auf der Chaiselongue, den Hauptstraßen, in Theaterlogen,
Gesellschaften, Bällen und Konzerten verbringen, an jene weiblichen
»Blumen«, die Treibhaus- und Giftpflanzen unseres Geschlechtes_, an sie
wende ich mich mit dem Aufruf: Wacht auf aus Euerem jammervollen Dasein,
reißt Euch los von den vergiftenden Abenteuern der Boudoirs, aus der
ekelhaften, entnervenden Parfumatmosphäre, die Euch umgiebt, steigt hinab
in die Sphäre der Armut und der Arbeit, und seht Euch um, wie es dort
steht! Dann werdet Ihr vielleicht doch noch erkennen, daß Euere jetzige
Existenz schmachvoll ist, daß Ihr nicht über den Haremsfrauen steht und
daß die Gesetze Eueres Vaterlandes daran arbeiten, Euch festzuhalten
im geistigen Elend und in geistiger Knechtschaft! Vielleicht, daß
das Ehrgefühl, daß der göttliche Funke in Euch erwacht und Ihr
zusammentretet, um mit vereinten Kräften Euer Joch zu brechen! Dann kommt
sicherlich der Tag, wo die deutsche Frau zu anderen Frauen nicht mehr
hinauf-, sondern herabsehen kann! --




Fünfzehntes Kapitel.

Verschiedenes.


Ich will unter dem Titel »Verschiedenes« einige Beobachtungen, die
ich machte, wiedergeben, warne jedoch davor, diese Betrachtungen
als Durchschnittserscheinungen anzusehen; ich fand die nachfolgend
beschriebenen Fälle sehr häufig vor, schreibe sie aber nur dem Zufall zu.

Die einzige unter den angeführten Beobachtungen, die ich nicht dem Zufall
zuschreibe, sondern die ich als Folge der Überanstrengung in der
Arbeit betrachte, ist die enorm _häufig auftretende Kurzsichtigkeit der
Mädchen_. Speziell unter den Handarbeiterinnen tragen in jedem Saal eine
große Zahl der Arbeiterinnen Brillen, und zwar, wie ich mich überzeugt
habe, sehr scharfe Brillen. Ich glaube, daß der Grund zu diesem Übel in
den Wintertagen gelegt wird, wo die Mädchen bei ungenügender Beleuchtung
die feinen Nadeln einzufädeln haben und wo die Augen, durch die unruhig
blendende Farbe der Strümpfe, fortwährend zu Thränen gereizt werden.

Beinahe ebenso häufig als die Kurzsichtigen sind die Lahmen und Hinkenden
vertreten. Gleich am ersten Tage fiel mir dies auf; so manche der hübschen
Mädchen haben eine gebrochene Hüfte, die wenigsten tragen an einem
angeborenen Leiden. Ich führe dies darauf zurück, daß die meisten
Mütter jener Mädchen arme Fabrikarbeiterinnen waren, ihre Kinder nicht
beaufsichtigen konnten und diese sich auf der Straße durch Unglücksfälle
die Verkrüppelung zuzogen; die Mädchen, die ich darnach frug,
bestätigten mir meine Vermutungen.

Das Schrecklichste jedoch von allen derartigen Gebrechen und Verletzungen
trifft die verheirateten Frauen, und zwar diejenigen, die an den Formen
arbeiten. Wie ich in einem Kapitel schon erwähnte, werden die Strümpfe
über Holzformen gezogen, gegen die die Arbeiterin sich mit aller Kraft
stemmen muß. _Die Folge hiervon sind regelmäßig wiedereintretende
Fehlgeburten._ Ja, es teilten mir sogar einige im Vertrauen mit, daß
sie, sobald sie in schwangeren Zustand kommen, mit Vorliebe jene Arbeit
acceptieren, »um alles los zu werden«.

Neuerdings sollen die Fabrikanten aber nur die kräftigsten Mädchen
hierzu verwenden, jede Frau, die nicht vollkommen normal aussieht, wird
zurückgewiesen; ich glaube aber nicht, daß das Hülfe schaffen wird. Ich
befürchte eher, daß viele der Frauen ihren Zustand durch allerlei Künste
so lange als möglich zu verbergen trachten werden und das Unglück auf
diese Weise noch verschlimmern. --

_Leider_ sind die Mädchen größtenteils nicht naschhaft; ich sage
»leider«, weil die Naschhaftigkeit ein weit größeres Laster vertreiben
würde, das _des Essens von Kaffeebohnen_.

Es giebt Mädchen unter den Arbeiterinnen, vor denen man erschrickt, die
den Stempel des Todes im Antlitz tragen, mit weißer Gesichtsfarbe und
tiefliegenden Augen, wie wandelnde Leichen, die sich ruinieren und
elend machen um elender Kaffeebohnen willen. Solche Koffeïnsüchtigen
verbrauchen ihren halben Lohn für dieses Gift, sie haben größtenteils
einen ruinierten Magen und bedürfen kaum der festen Nahrung. Eine
meiner Nachbarinnen kaufte sich jeden Morgen eine Düte frischgebrannter
Kaffeebohnen, am Nachmittage hatte sie alle verzehrt und sehnte sich nach
»neuen«. Ich glaube kaum, daß man diese Unglücklichen retten kann, denn
sie sind jeder Selbstbeherrschung und Energie bar, sie sind weit schwerer
zu kurieren, denn Cocaïnsüchtige. --

Im allgemeinen sind die Mädchen äußerst peinlich in ihren Sachen, sie
gehen nie mit zerrissenen Kleidungsstücken einher. So manche hatte einen
ganz verflickten Rock oder eine mit zweierlei Stoff ausgebesserte Taille
an, nur um nicht mit zerrissenen Sachen zur Fabrik zu kommen. Man sollte
glauben, daß diese Liebe zur Ordnung auch die Liebe zur Reinlichkeit
zeitigt; allein damit ist's, was den eignen Körper anbetrifft, nicht
von weit her. Sie kennen die Wohlthat des Bades nicht, höchstens aus den
heißen Sommertagen; im Winter scheint ihnen das Baden ein Ding des Luxus
zu sein, ja, _sogar eine Dummheit_! So sagte mir einmal die eine: »Ich
bade vom September bis zum nächsten Juni nicht mehr!«

Baden ist halbes Leben für jeden gesunden und normal arbeitenden Menschen.
Wie viel nötiger aber wird es für diejenigen, die in einer Atmosphäre
des Staubes und Schmutzes leben, in schlechtriechenden Betten und dumpfen
Kammern schlafen! So manche Krankheit der Arbeiterinnen entsteht ja durch
Unreinlichkeit!

In erster Linie würden städtische Armenbäder hier am Platze sein,
die Fabrikbesitzer müßten die Mädchen zweimal wöchentlich zum Bade
schicken, was die Mädchen vielleicht im Anfang mit Widerstreben, sehr bald
aber mit Freuden thun würden. --

Zum Schlusse will ich noch mein in einem vorhergehenden Kapitel gegebenes
Versprechen erfüllen, und jenem »liebenswürdigen« Buchhalter
ein Gedenkblatt sichern. Wie ich schon mitteilte, habe ich ihm seine
»Freundlichkeit« reichlich vergolten.

Der Besitzer der Fabrik hatte ihm, nachdem ich die Fabrik verlassen,
mitgeteilt, daß eine Dame als Arbeiterin daselbst gearbeitet hätte. Als
ich vom Besitzer Abschied nehmen wollte, empfing mich jener Buchhalter, der
Prokura für die Firma besaß, und bei den Besuchen zugegen war. Er nahm
meine Karte, las den Namen, sah mich an, lächelte, stammelte, stotterte,
wurde blutrot und bald bleich -- und verschwand plötzlich, ohne nochmals
zum Vorschein zu kommen! Ihn hatte eine Strafe getroffen, wie er sie
wohl nicht erwartet hatte! Ich hoffe, daß diese eine Lehre meinen
Nachfolgerinnen, d. h. den »echten« Arbeiterinnen, die er mit seiner
Huld wird beglücken wollen, zum Segen gereichen wird, denn ich bin der
Überzeugung, daß er auf einige Zeit genug haben wird, denn: »gebrannte
Kinder scheuen das Feuer!«




Schlußbetrachtungen.


Aus meinen in Vorstehendem Mitgeteilten wird man -- wenn man irgend einen
Funken göttlicher Nächstenliebe in der Brust trägt -- ersehen, daß die
Zustände unter der weiblichen Fabrikarbeiterschaft, und stehe es auch nur
mit derjenigen Sachsens dergestalt, unhaltbare sind, daß Änderung und
Abhülfe dringend Not thut. Aber diese Änderung wird nicht durch stille
Seufzer, durch mitleidiges Jammern oder durch Ströme im Verborgenen
geweinter Thränen herbeigeführt!

Zur Befreiung der Negersklaven entbrannten ganze Weltteile in erbittertem
Kampf, die kirchliche Reformation erschütterte alle europäischen Staaten!
_Soll Befreiung weißer weiblicher Sklaven möglich sein, so muß der
Kampf die Frauen aller Weltteile erfassen_; das weibliche Geschlecht muß
einmütig dastehen, fest und unerschütterlich, um die Freiheit kämpfend
und ringend, nicht aber sie als Gnadengeschenk erbittend. Die Frauen sollen
nicht erbitten, was ihr Recht ist, sie sollen fordern, kämpfen!

Wohl giebt es heute schon eine große Anzahl hervorragender Frauen, die in
Wort und That eintreten für ihre unglücklichen Mitschwestern, die deren
Erniedrigung und deren Elend zu lindern suchen! Aber was könnten jene thun
im Gegensatz zu der ungeheuren Zahl _der_ Frauen, die dahin vegetieren,
murrend und knirschend in ihrem Joch, aber zu feige, um es zu sprengen, um
sich die Hände wund zu reißen an den Ketten!

Kann man es dem Manne verdenken, daß er nicht helfend eintritt für ein
anderes Geschlecht, das scheinbar ruhig sein schmachvolles Los trägt? _An
den Frauen ist es, die Initiative zu ergreifen_, an denjenigen, die der
Sonnenschein des Hauses sind, die Liebe empfangen und Liebe spenden, an
ihnen ist es, ihre Mitschwestern wachzurütteln aus ihrer Verkommenheit!

Wir leben in einer Zeit, wo der Materialismus, die Selbstsucht und die
Begehrlichkeit in allen Schichten der Bevölkerung auf den Höhepunkt
gestiegen ist. In den unteren Kreisen gährt es, die Unzufriedenheit
zeitigt die krassesten Auswüchse -- der Tag der Frauenrebellion wird
kommen! Er wird kommen und er muß kommen! Aber, wenn er kommt, als
Ausgeburt überreizter Köpfe, wird er zur zügellosen Meuterei, wird er
dem Menschengeschlechte zum Verderben, nicht aber zum Segen gereichen! Dann
werden jene Frauen zu Megären werden, zu jenen Gestalten, wie sie uns die
französische Revolution brachte! Dann wird unser Geschlecht nicht gehoben,
sondern korrumpiert werden! --

Tretet darum ein, ihr Mitschwestern in die Aktion mit allen Mitteln, die
Euch zu Gebote stehen, arbeitet an der Hebung unseres Geschlechtes mit
vollen Kräften, denn wollt Ihr den Sieg, so dürft Ihr den Kampf nicht
scheuen!

Wirkt mit, es gilt hygienische Maßregeln in jene Kreise zu
tragen, veranstaltet Sammlungen, um Volksbäder, um Kochkurse, um
Belehrungsanstalten zu gründen, Ihr thut besser daran, als Strümpfe für
Negerkinder zu stricken! Nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder
Geist, kann Arbeitslust und Energie wohnen, und zur Gesundheit bedarf es
guter Nahrung, vernünftiger Lebensweise und der Reinlichkeit!

Tragt Aufklärung in die elenden Räume jener Beklagenswerten, die da
wohnen wie Tiere in einem Stall, aber Geld genug erübrigen, um nach der
Mode gekleidet zu gehen!

Wirkt mit gutem Beispiele, ihr oberen Zehntausend, und vergesset bei all
Eurem Wirken nicht, daß Ihr nicht aus Sport und Launen reformieren sollt,
sondern aus selbstloser Nächstenliebe, die nicht ruht und nicht rastet,
wenn sie Unglücklichen helfen kann!

Und Ihr könnt es, Ihr werdet es thun! Den hochgesinnten Frauen, die
vorangehen im Kampf für wahre Weiblichkeit und Weibeswürde, folgt langsam
aber stetig ein Haufe bisher Gleichgültiger. Wer einmal erwacht ist aus
dem Winterschlafe der Gleichgültigkeit für moralisches und körperliches
Wohlergehen Anderer, wer in den Reihen der Kämpferinnen für Weibeswürde
gestanden hat, der kehrt nimmer um, den erfaßt und hält die Ueberzeugung
fest, daß wir kämpfen müssen, um siegen zu können, und daß der Sieg
uns sicher ist, der dem Menschengeschlecht Segen bringen soll!


Druck von _H. Ginzel_, _Berlin_ =W.=, Yorkstraße 43.




[ Hinweise zur Transkription


Das Originalbuch ist in Fraktur gesetzt.

Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=, #fett#.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten,
einschließlich uneinheitlicher Schreibweisen wie "Mietszins" -- "Mietzins,
"Roheit" -- "Rohheit", "Überzeugung" -- "Ueberzeugung", jedoch mit
folgenden Ausnahmen,

  Seite 13:
  im Original "was uns gerade erreichbar war"
  geändert in "was uns gerade erreichbar war."

  Seite 13:
  im Original "Der Hauptkontigent hatte nichts weiter"
  geändert in "Der Hauptkontingent hatte nichts weiter"

  Seite 44:
  im Original "wenn er sagt: Der Maßstab für die Kultur"
  geändert in "wenn er sagt: »Der Maßstab für die Kultur"

  Seite 50:
  im Original "Hier ist ein Feld, daß die Menschenliebe"
  geändert in "Hier ist ein Feld, das die Menschenliebe"

  Seite 66:
  im Original "auf Augenblicke fesseln jene auf Lebenszeit"
  geändert in "auf Augenblicke fesseln, jene auf Lebenszeit"

  Seite 68:
  im Original "sind ihnen ein Gräuel. sie meinen"
  geändert in "sind ihnen ein Gräuel, sie meinen"

  Seite 97:
  im Original "drei Frauenspersonen und zwei Männner"
  geändert in "drei Frauenspersonen und zwei Männer" ]



*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK 3½ MONATE FABRIK-ARBEITERIN ***

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