Die Osternacht. Zweite Abtheilung

By Leopold Schefer

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Title: Die Osternacht
       Zweite Abtheilung

Author: Leopold Schefer

Release Date: August 18, 2012 [EBook #40524]

Language: German


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Produced by Jens Sadowski








Leopold Schefer




Die Osternacht




Die Osternacht.


Zweite Abtheilung.




Sinnwort:

   Soldatenfreuden
   Sind Menschenleiden.





I.


Nun wird die gute Zeit wohl aus sein! sprach Christel, mit gesenktem
Köpfchen zur Erde sehend und ihre Hände gefaltet.

Vater, die Straße brennt! rief Daniel, durch das Thor in den Hof springend.

Ach, daß _die_ nur brennte, nicht auch unser liebes Zahlbach, und Häuser,
Gehöfte, Dörfer und Kirchen im Lande! erwiederte ihm Johannes und nahm ihn
an die Hand. Wo erst die Pferde Rauch machen, da machen die Menschen dann
Feuer und Elend.

Was für Menschen? frug Wecker, fast erhaben darein sehend, und mit dem Ohre
wie vom Himmel auf eine Antwort horchend. Aber, mein Daniel, fuhr er mit
belehrender Geberde fort, die da kommen, _das_ sind gar wundersame
Menschen, Cento- oder Milletauren aus Taurien, mit vier Pferdebeinen und
Pferdeschwänzen, und mit zwei Köpfen -- einem Pferdekopf, der sehr klug
ist, und Hafer frißt, auch grüne Saat und Dachschoben von den Strohhütten
und liebes Brod von den Tischen -- und einem Menschenkopf mit einem Bart
wie ein Ziegenbock, und mit zwei Händen, wovon die eine so lang ist, wie
ein Spieß, und von Holze, und ganz vorn der eine Finger daran von Eisen! --
Cavallerie, von Cavallo, nicht von Cavalier! wie euer alter Vater Frommholz
sagt, Johannes!

Ach, scherzt doch nicht, Wecker! bat Christel. Mir ist wie vor einem
Gewitter, das still heraufzieht.

-- Und vorüber! meinte Wecker. Ist am Himmel nur Eine Wolke von heute früh
nur, oder von gestern, von vor dem Jahre, von vor hundert oder tausend
Jahren zu sehen! -- seht hinauf, mit euren lieben feuchten Aeuglein, liebe
Christel: Alle sind weg! Verflogen, verregnet, verdonnert, verstoben -- und
der alte Himmel ist hell! Und kommen auch neue Wolken, so wird der Schwarm,
so groß und barbarisch er ist, auch vorüberziehen, und die Erde wird wieder
rein sein -- wie nach der Sündfluth, Der arme Noah! Der litt einmal! Es ist
auch ein Elend, viele, viele, ja alle andere Menschen umkommen zu sehen,
und selbst feuer- und wasserfest und wohlverpicht in seiner Arche zu
sitzen, und Tauben und Raben hinaus zu lassen, um zu wissen, ob die Erde
wieder gangbar ist? -- Und hätte ich nachher den Regenbogen gesehen, so
hätte ich gesagt: Verzeih' mir's Gott! er gefreut mich nicht; -- es sind
gar zu viel Menschen ersoffen, denen er -- Frieden bedeutet! Das sind nur
die Thränen von allen den Leuten, die zum Himmel geweint haben, aller der
desperaten Sünder! Darum lieber selbst etwas mitleiden, etwas mitweinen,
ein paar Glieder von den Seinigen oder von seinem Leibe miteinbüßen, wenn
ganze Korporationen in und am corpore -- dem corpus delicti -- leiden, das
ist in bösen Zeiten ein wahrer Trost! Das macht uns zu Mitmenschen,
Mitkönigen und Mitbauern, je nachdem wir nun dies oder das sind, liebe
Christel. Die Kinder Gottes _leiden!_ Von jeher, und noch wie lange, weiß
Niemand! Und _die Herren_ denken: haben sie _so_ lange gelitten, mögen die
paar Millionen auch noch ein paar tausend Unglücke weiter leiden. Denn
_sie_ bleiben es doch. Aber -- Wecker bleibt Wecker!

Ach, Ihr meint es rechtschaffen, mit uns und der ganzen Welt! sprach
Christel.

Das wollt' ich nur wissen! erwiederte er weich, da sich oben am Himmel ein
Regenbogen aufbaute. Glaubt nur, Kinder, für einen _Rechtschaffenen_ ist
das ganze Himmelszelt, so groß es ist, nur eine Hütte! _Er_ ist viel
größer, viel leichter als die Bläue, viel fester in seinem Kerne, und lebt
und schwebt mitten darin und doch hoch darüber -- wie euer alter Vater,
Johannes, da droben als Zimmermann an dem Kirchthurme hängt, wie ein
Grünspecht mit seiner grünen Jacke, und hackt! Seht nur, jetzt hackt er die
Axt fest, und sieht sich um über die Gegend nach _Britzenheim_ zu, und
sieht den Schwarm der Feinde kommen, davon wir nur erst noch den Staub
erblicken, nicht die Herren Staubmacher, zu Staubmacher und zu Staubwerder
selbst!

Jetzt blieben alle eine Weile still, denn es fiel ein Kanonenschuß von der
_Klubbistenschanze_ vor der, nur eine Viertelstunde von Zahlbach entfernten
Festung Mainz; und als er verdonnert, und in den Thälern verhallt war,
sahen sie sich an, Wecker aber fuhr fort: Kinder, das war seit langer Zeit
der erste! Die blauröckigen Kinder drin werden wach, und schau . . . sie
haben den Staub auch gesehen! Aber um hinauf zu dem alten Großvater
Frommholz auf den Thurm zu kommen, seht nur, er läßt die Axt eingehackt und
kriecht zum Loche hinein! Er wird herunter kommen, und uns _berichten_
. . . oder kommt er bloß zum Abendessen? Das wäre besser! Aber dabei bleibe
ich: Jetzt in der allgemeinen Noth marschirte ich mit keinem lieben Vieh,
je einem Männlein oder Fräulein, und mit meiner seligen Frau, mit Söhnen
und Töchtern und sündlosen Anverwandten, auch wenn ich welche hätte, doch
nicht in die aufgethane Arche, und lebte darin in Freuden, und
wohlverpicht! Denn das erlebe ich, daß auch mein Sohn _Friedrich Wecker_,
der wohlgerathene Tambour, aber mißrathene Schulmeister, ohne Arme oder
ohne Beine -- ad lubitum der Herren Feinde, aus Rußland oder aus
Deutschland angewackelt kommt -- oder nur von _Hanau_, wo man unserem
Hochverehrten den Weg verlegt hat, die Breite und nicht die Länge.
Verkehrt! Denn von der Seite reitet man ein Pferd um. Aber mag er kommen
ohne Trommel, ohne Arm, ohne Zehrpfennig -- er soll mein lieber Sohn sein!
Ich will mich im Geiste seiner Mutter, als meiner lieben Ehehälfte im
Grabe, wovon die andere Hälfte, als nämlich ich, noch über dem Grabe vagirt
-- freuen, und wieder einmal weinen, als ein einsamer Mensch, der gar
Niemanden mehr schelten kann; denn ihr alle, der alte Großvater Frommholz,
Ihr Johannes, Christel und eure Kindlein, ihr seid doch Alle gar zu gut,
und ich habe nichts, als im Herzen euch Dank zu sagen! Aber Mann und Weib
ist _ein_ Leib. Aber was ist ein Wittwer und eine Verklärte? nämlich meine
Ehehälfte. Es ist doch ein närrisches Leben, wenn Einer halb im Grabe liegt
mit schwarz bombasinenem Kleide und cannevassener Haube -- und zugleich
auch halb draußen steht, wie Ich, und als Ich, ganz, gesund, alt, mager und
sechs Fuß hoch, wie ein Weinstock -- ohne eine einzige Rebe, vor dem Winter
eingepackt in einen alten Rock, grob wie eine Matte, und einen Stock im
Leibe, damit die ganze Vogelscheuche nicht einfällt! Darum mein großer
_Friedrich_, komme Du heim, komme _mir_ nur heim, ob ich gleich keine
Heimath habe! Aber ich habe eine Brust und ein Herz, da sollst Du Schlingel
zu Hause sein, weil Du doch einmal darin immer zu Hause gewesen bist --
auch so lange Du entlaufen warst, oder wohlgerathener Landstreicher und
Tambour -- vielleicht . . . Major!

Nun, sprach Christel, das Unglück der Großen ist oft, wenn nicht immer, der
Kleinen Glück; wenn ein Sack -- wie Napoleon, reißt, fallen viel Körner
heraus; und so kommt vielleicht auch mein Bruder, der _Stephan_, wieder,
der mit Gewalt mit angeworben wurde, weil er kein Weib, keine Kinder,
sondern nur . . .

-- -- nur Haus und Hof, Kühe und Kälber, Pferde und Ochsen hatte, fiel
Wecker ein. Freilich, um die war's nicht Schade, ob sie ihn gleich
vielleicht auch gut gekannt und lieb gehabt haben! Aber wer kann alle
Herzensangelegenheiten schonen!

Daniel winkte zu hören, und sprach nach einer langen Pause: Wie sie
gesungen kommen --

-- daß einem das Herz im Leibe lacht und der Magen, meinte Wecker. So in
Fugen singen sie; Einer fällt nach dem Andern ein, der Dritte, der Vierte,
und Alle aus vollem Halse. Und wie es fromm klingt! Das sind gewiß gute
Menschen! Wer singt, ist gut, nämlich so lange er singt, und den Mund
_dazu_ braucht.

-- Horcht! nun pfeifen sie gar! rief Daniel, freute sich, und wollte zum
Thor gehen, um aus dem Gehöfte auf den Weg das Dorf hinauf zu sehen.

Ach, seufzte Christel, was sollen wir thun? Was ist jetzt gut, oder was ist
schlimm von dem, was wir Leute gewohnt sind? Jetzt ist kein Schritt recht
oder gleichgültig, kein Fleisch recht gekocht, kein Huhn gut gebraten,
keine Suppe recht gesalzen! Da lob' ich meinen Johannes und euch Alle! --
Ihr wart immer mit mir zufrieden. Aber _darum_ vernachläßigte ich nichts,
in dem guten Zutrauen auf eure Geduld; sondern je begnügter ihr wart, je
sorgsamer strengte ich mich an, und lauschte und merkte mir gern, was der
Kleinste gern hatte. Nun werde ich nichts recht machen; und ich möchte
wahrhaftig mein _Sophiechen_ oder meine _Clementine_ sein! Heut nur in
unserm Zahlbach! Denn . . . seht nur, wie glücklich sind doch die Kinder!
Wie leben sie überall und immer im Paradiese! Ohne Sorge und Furcht,
glücklich, wenn nur die Mutter lächelt und spricht: Du bist mein liebes
Kind! Seht nur, mein kleines Osternachtkind, die kleine _Clementine_, die
ich der guten gnädigen Frau zum Andenken so genannt -- sie versprach mir
gestern Nacht: ohne mich ganz allein einzuschlafen, wenn ich ihr ein
Brodchen mitbüke; und so konnte ich ungestört backen; jetzt hat sie es dort
bei sich; und da _ihr_ das Schaukeln so gefällt, so denkt sie: dem lieben
Brodchen soll es auch gefallen, und so hat sie es auf den Sitz der Schaukel
_gesetzt_, und schaukelt es mit ihren kleinen Aermchen! Ach mag doch Alles
verloren gehen . . .

. . . Also hübsch langsam! schaltete Wecker ein. Verloren _gehen_, nicht
verloren rennen!

Auch das! fuhr Christel fort; mag heut, schnell, gleich Alles verloren
werden, und hin sein, selber das tägliche Brod, sogar wie es Luther
auslegt, nur nicht . . . nur nicht: Mann und Kinder! Nicht Ein Kind! Weiter
bitte ich Gott um nichts . . .

. . . Um nichts weiter! Ei, meine bescheidene Christel, da bittet Ihr recht
viel, recht grob den lieben Gott! sprach Wecker. Denn, wie ich Euch kenne,
habt Ihr eben nichts weiter, nichts Anderes in Euren Gedanken, in Eurem
Herzen, als den Mann und die Kinder. Ihr wollt also nur geradezu Alles
behalten, was Ihr habt und besitzt; denn die Tausend Gulden von Eurem
Vater, die der alte Herr von Borromäus für Euch am Kaufgelde hat fahren
lassen müssen, und die Ihr ausgeborgt habt für die Kinder, die kümmern Euch
nicht; auch nicht die dreihundert Gulden Lotteriegewinn vom Gevatter Pathen
Leineweber Krieg, die Euch Dorothee wiederbezahlt, weil sie nun mehr hat,
und nichts schuldig sein wollte, das protzige Mädchen, das nicht aus
Fleisch und Blut zu bestehen scheint, sondern aus lauter Ehre
zusammengebacken, und mit Mädchenstolz gesäuert.

Ihr habt nicht ganz Unrecht, . . . _Meister_ Wecker, wie Ihr ohne Schule
nun einmal wollt genannt sein, damit Ihr doch noch etwas wäret oder hießet;
sprach Johannes dazu. Selbst die saubern Geräthschaften, Tische, Stühle,
Schränke, Betten, Gebetten, Kisten und Kasten mit Wäsche und sächsischer
Leinwand, und was wir Alles aus Herrn Paschalis Schiffchen packten, freute
meine gute Christel nur um der Kinder willen; die freuten sich! Aber doch
Sonntags, wenn Alles fein sauber aufgeräumt war, die liebe Sonne in die
blanke Stube schien, und Christel selbst auch sonntäglich in dem lieben
Sonnenschein stand, da gewann ihr die neue Heimath denn doch ein heimliches
Lächeln ab. Das Geld haben wir nicht zum Bauen gebraucht; denn als meinem
Vater seine zweite Frau gestorben war, mit welcher er Alles erheirathet
hatte, da ward ich wieder sein Sohn, da durfte ich wieder zu ihm kommen, da
mußte ich sogar Haus und Garten und Feld von ihm nehmen, zum Zeichen, daß
er heimlich immer mein guter Vater gewesen.

Jetzt kam der alte Frommholz vom Thurme. Die Kinder liefen ihm entgegen,
auch die Kleinste mit ihrem Brodchen, und er mußte sie auf den Arm nehmen.
Der alte Mann nahte und trat zu ihnen. Seine Gestalt war hoch, sein Gesicht
ernst geworden von dem langen Zuschauen der wechselnden Erde, die ihre
schönsten und besten Kinder, die Menschen, wenig zu achten scheint; dennoch
war seine Stellung fest, sein Auge getrost, aber seine Hand vom Alter
mager, von der Sonne braun; und das Kind hatte sein kleines, weißes
Händchen darauf gelegt, wie ein Blüthenästchen auf einen trockenen Ast; und
-- wie eine Rose an ein altes Gemäuer -- lehnte es sein kleines Gesicht
weiß und rosig an das gleichsam wettergraue Gesicht des Alten; und die
_noch nicht_ gefärbten weißlichen Haare der Kleinen mischten sich mit den
_schon wieder_ entfärbten, und nun auch weißen Haaren des Großvaters, die
ihm voll bis auf die Schultern hingen, und er hieß bei Menschen ein
_ehrwürdiger_ alter Mann, entweder weil er die Sonne lange gesehen hatte,
oder sie nicht mehr lange schauen sollte. -- Da will ich die Wahl haben!
meinte der lebenssatte Wecker, wenn die Leute demselben Glück zu dem
schönen Alter wünschten und ihn bewunderten -- wie den eingefallenen Thurm
zu Babel, und die vornehme Nase, die nach Damaskus -- geschaut hat, in
ihrer Jugend.

Nun, Großvater, sagte jetzt Christel, Ihr stellt Euch so ruhig und
schweigsam zu uns! Erzählt uns doch! Rathet uns doch!

Wer kommt denn eigentlich? frug Johannes; unsere große, ganz klein
gewordene Armee?

-- Unser Friedensstifter, Vermittler, Bundruthe unseres Rheinbundes, unser
allergroßmächtigster Kaiser und allezeit Mehrer des Reiches, auch wenn er
ein Stück von seinem Kaisermantel nach dem andern verliert? fragte Wecker.

Was sollen wir thun? frug Johannes; sollen wir hier bleiben, draußen? oder
hineingehen? Kochen, braten oder backen? Und was? Oder sollen wir Alles
stehen und liegen lassen, und ein ruhiges Land aufsuchen?

Kinder, sagte der Alte, heut zu Tage kann man immer auf das
Entgegengesetzte von dem gefaßt sein, was alle Menschen vermuthen und
glauben, selbst die Herren Potentaten. Alles kommt anders und besser, als
selbst der Freiestgesinnte und Beste denkt, und ganz etwas Neues! So kommen
auch jetzt unsere Feinde, die Kosaken, _vor_ unserer Armee, als ihre
Vorreiter, Voresser und Vortrinker. Aber, was Ihr thun sollt, meine Kinder?
-- Nichts! Wenn böse, gefährliche Zeiten kommen, muß Jeder schon das Seine
gethan haben: gelebt, gebaut, geheirathet, gesorgt, verdient und gespart.
Die böse Zeit tritt zum Menschengeschlecht als sein Richter, und spricht:
So wie du gelebt _hast_, so wird dir geschehen; mein Buch ist geschlossen,
deine Rechnung gezogen. Die sieben fetten Kühe müssen die sieben magern
übertragen. Wer die sieben fetten in's Haus geschlachtet hat, der kommt um!
-- Aber, sprach er mit Lächeln, ein ruhiges Land aufsuchen? -- Wo denn?
Jetzt nirgend. Wenn Erndte ist, ist überall Erndte, ein Paar Tage, ein Paar
Wochen später; aber Erndte ist gewiß, gute oder schlechte, wie und was
Jeder gesäet hat. Vielleicht hätten wir sollen mit den verständigen, freien
Würtembergern, den Rhein hinunter, nach Amerika ziehen. Wenn in einem Lande
Herbst wird, ziehen die Lerchen, die Schwalben und Störche von dannen, und
sind unverständige Vögel. Sie nisten über dem Meere nicht, aber der Mensch
baut sich an, und gedeiht überall wohl, wo nur die Erde ist, und nur die
Erde ist sein Vaterhaus und seine gute gleichnährende Mutter überall. Die
große Lehre hat uns Schmach und Schande gelehrt. Uns aber ließ man doch die
vorzüglichste Freiheit -- wegzuziehen, wenn es uns nicht unter dem neuen
Herrn des Landes gefiel; und nur die Freiheit des freien Abzugs mit Weib
und Kindern, kleinen und großen, zu jeder Zeit muß den Menschen bleiben,
wenn sie so durcheinander gewürfelt und hinüber und herüber verspielt und
gewonnen werden, wie bis jetzt anno 1813, als wenn die Unterthanen liebes
Vieh wären, und kein Herz hätten, und zu _Niemand ein Herz haben sollten_.
So wollte man, und _so_ ist den ihr Wille geschehen. Amen!

Amen! Amen! _In Ewigkeit!_ sprach Wecker fromm und gläubig dazu. Der Bauer
Adam Müller hat doch Recht gehabt! Es ist Krieg geworden, 1812, wie in dem
Briefe an den seligen Herrn von Borromäus stand! Vielleicht gehen nun auch
die unschätzbaren schlechten Zeiten an, die er verheißen, und worüber sich
das Landesväterchen so gefreut!

Die Unsrigen rücken aus Mainz dem Feinde entgegen, und wahrscheinlich
begegnen sie hier sich im Dorfe; sagte der Alte erst jetzt. Es kommt darauf
an, wer schneller reitet.

Mein Gott! stöhnte Christel. Wer hätte gedacht, daß man unter einer Festung
Napoleons nicht sicher wohnte!

Sogar er selber nicht mehr, sprach der Alte. Aber wenn Er sogar nicht mehr
sicher ist, so können alle Andern, die nicht solche Männer wie Er sind,
nicht ihren festen Sitz auf hundert Jahre verpachten, ohne daß der Pächter
nicht vor Ablauf der Pachtzeit -- stirbt.

Wecker schüttelte sich und sprach: Mir ist ordentlich als ginge Jemand mit
Geisterschritt in den Wolken, und warnte herab mit dem Finger, und spräche
große Lehren herab; und auf Erden liefen Teufel umher, und hielten den
großen Menschen die Ohren zu, und sprächen: Das da oben ist bloßes
Luftgebrause! Unsinn am Himmel! Wer nicht gehört hat, der darf nicht
folgen. Erlauben Sie also gnädigst, Ihre hochgeehrten Ohren mit dem
weichsten schadlosesten Wachs zu verkleben; es ist gelbes natürliches
Wachs, ohne allen Arsenik! Sehen Sie, ich verschlinge ein Stück davon. --
Und bei den Worten brach Wecker einen Krumen von Clementinens Brodchen, und
verschlang ihn im Eifer.

Der Lärm ist im Dorfe! sprach Christel bestürzt. Riegelt das Thor zu!

Da sprengen sie es ein! und werden erst wüthende Gäste! versetzte der
Greis.

-- Verbergt Euch!

Da holen sie uns hervor mit Flintenkolben und flachen Klingen.

-- Fliehen wir!

Da zünden sie das Haus an, oder richten uns Alles zu Grunde.

-- Kommt in das Haus!

Da kommen sie nach, und erbitterter! Das weiß ich als alter Soldat. Thut,
als kämt Ihr, sie zu begrüßen. Sagt, Ihr wartet auf sie. Laßt Alles offen!
Bleibt, wo Ihr seid; wir sind überall in Gottes Händen! Wer da denkt: Gott
hat ihn nur im Mutterleibe gebildet, und da das Leben gegeben; und nicht
glaubt, daß Gott ihn jeden Augenblick so wunderbar fort bildet, und seinen
Odem ihm leiht, der ist ein Blinder.

Das wollt' ich nur wissen! meinte Wecker.

Wißt, denkt, glaubt es doch auch, Ihr alle meine Lieben; fuhr der Alte
fort, während man kaum vor Geräusch und Geschrei und Geklirr und Gestampf
seine Stimme recht hörte. Wißt Ihr es auch. Die Rosse hat Er geschaffen,
die eisernen Spitzen sind aus seiner Erde, die Menschen sind aus seinem
Paradiese. --

Die Wuth aber ist vom Teufel! schloß Wecker.

Denn von den Feinden, die sich eben im Dorfe einnisten wollten, aber schon
wieder ihre Feinde: französische Infanterie, begegneten, kam ein Kosak in
den Hof gesprengt, der einen Franzosen verfolgte. Der Franzose lief in
einem Zickzack um die schönen Linden, die jetzt schon gelbe Blätter
verstreuten, auf das Haus zu. Alle sprangen nach dem Hause; Wecker mit
Gotthelf, Christel mit Sophiechen, Johannes mit Daniel, und der alte
Großvater Frommholz war mit dem kleinen Osternachtkinde, mit Clementinen,
die er auf dem Arme trug, der Letzte. Das Kind sah über die Achsel des
Großvaters nach dem weißen Pferde, und hielt sein Brodchen hoch und bereit,
es dem fremden Manne zu geben -- da verfehlte der Kosak mit der langen,
rothen, eschenen Lanze seinen Feind, der eine schnelle Wendung machte, und
sich platt mit seinem Gewehr auf die Erde warf, und die eiserne lange
Spitze der rothen Stange fuhr dicht über der Schulter des Großvaters mitten
in die kleine Brust des Kindes, und durch und durch, daß der alte Mann die
Spitze mit seinem rechten Auge erblickte; und er stand wie angewurzelt, wie
mit Feuer begossen von dem Gedanken, was da geschehen sei; und ohne Kraft,
das Schicksal der leichten, aber unglücksschweren Last zu tragen, sank er
auf seine Kniee; vor seinen Augen war gänzliche Nacht, und in der Nacht war
gänzliche Wüste; aber das Kind hielt er noch fest.




II.


Nur der Kosak schrie auf -- _menschlicher_ Weise gedenkbar: selbst in der
eigenen Wuth noch erschrocken über das -- Kriegsglück, daß er statt des
Feindes, das Kind durchbohrt. Aber es war ein Schuß gefallen; denn der
bedachte, absichtlich handelnde Franzose hatte sich gleich wieder auf ein
Knie gerafft, richtig den Augenblick ergriffen, sicher gezielt und sicher
getroffen, und der Kosak lag am Boden. Niemand konnte erkennen, daß er ein
alter Mann mit silberweißem Barte war, kaum daß er ein Mensch sei, wenn es
nicht die übrige Gestalt noch hätte schließen lassen; denn über Augen und
Gesicht floß lichtrothes Blut von der Stirn, unter der rothen vierlappigen
Mütze hervor, und überfloß den breiten Bart, als sei er aus blühendem
Fuchsschwanz künstlich gemacht; und die gerötheten Zähne im Munde
klapperten vor Schmerz oder Wuth; denn er war gleichsam nur ein
blautuchener Schlauch voll deutscher Beute.

Die indeß genahten Franzosen hatten mit einer Salve der reitenden
Artillerie die Kosaken wie sechsbeinige Hasen aus dem Dorfe gebürschet. Man
hörte in der Ferne nur schreien und reiten, und sah wieder die Straße
brennen. Im Dorfe aber und in Johannes Hofe war es still. Der Franzose
hatte den Schimmel am Zaume aufgegriffen, und an der Linde angehangen,
stand ruhig, putzte seine Flinte rein, und ladete sie wieder, während er
mit finstern Seitenblicken zu dem Kosaken auf die Erde zwischen den Zähnen
murmelte: Moskowiter! Ismaeliter! Esauwiter! -- Da liegst Du -- und Ich
nicht! -- Du bist mein -- und Ich nicht Dein!

Wecker war in heiliger Entrüstung indeß bei dem alten Frommholz vorüber,
herausgeschritten, und in Bezug auf den in seinem Blute schwimmenden
Asiaten sprach er mit innigem Bedauern und herzlichem Wohlmeinen zu dem
Franzosen: Kain! Kain! Kain! o fliehe! fliehe! -- Du hast Deinen Bruder
erschlagen! Wir wollen unsere Augen indeß zudrücken, daß wir nicht wissen,
wohin Du geflohen!

Und so drückte er seine Augen zu, und stand mit geröthetem Angesicht
harrend. Da er aber nur ein verwundertes Lachen hörte, schlug er die Augen
wieder auf, sah den Lachenden mit Erstaunen an, und frug ihn, ganz irr' an
sich und der Welt: Nun so sagt: Wer hat Euch das Recht gegeben, den Mann zu
erschlagen?

Ihr seid verrückt! entgegnete der Franzose.

Das habe ich schon von Andern gehört! entgegnete Wecker; aber, mein Freund
-- -- denn auch Ihr seid noch mein Freund -- aber auch so ein Ungeheurer,
wie ich, kann fragen; also ernstliche Antwort: Wer hat Euch das Recht
gegeben, geliehen, geschenkt oder vermeint zu geben, zu leihen, zu
schenken!

Das Beispiel! närrischer Mensch. Die Trommel, der Feldwebel, der erste
Kanonenschuß, das Wort »Marsch!« Kein Mensch hat es uns eigentlich laut
gesagt.

An der verschämten Art haben sie wohl gethan! sprach Wecker mit einiger
Freude; aber _gemeint_ haben sie es doch!

Und das recht redlich! Die Hohen befehlen, die Kleinen thun, die Alten thun
es vor, die Jungen nach.

O Volk, du heiliger Affe! »sacra simia,« wie auch Horaz den verfluchten
Hunger nennt; aber kennt Ihr nicht aus dem Vorschreibe-Versbüchlein das
Symbolum? Daniel! Wo bist Du? Bete doch dem Herrn Todtschläger den Vers
vor: »_Flieh, wenn Du -- --_« Da er aber den Daniel nicht gewahrte,
dictirte er gleichsam die Zeilen dem Manne in die Feder oder _in die
Flinte_ -- wie er bemerkte -- und sprach laut und warnend:

   Flieh, wenn Du Böses siehst,
   Und thu' es niemals nach!
   Du bist so strafbar sonst,
   Als der es erst verbrach!

Der Franzose aber hatte einen _großen_ russischen Hund, Peter, oder der
große Peter gerufen, mitgebracht; und der Hund nun beroch den Kosaken; und
hungrig, wie Peter sein mochte, leckte er ihm endlich das warme Blut vom
Gesicht und aus den Augenhöhlen -- und der Kosak stöhnte, schlug die Augen
auf und erblickte seinen Schimmel, der sich von der Linde los gemacht, und
mit gesenktem Kopfe neben seinem gefallenen Herrn, Freund und Vater stand.
Und der Kosak schloß die Augen wieder.

Der kleine Gotthelf aber frug Weckern: Meister Wecker! Ist das ein
Centaure?

Ja, mein Söhnchen, mein Gotthelfchen! erwiederte er. Gott helfe ihm! Es ist
ein solcher guter, armer Teufel, wie einst ein gewisser Pferde- und
Menschendoctor, Chiron benannt! Ist dieser hier nicht so lange todt wie
Jener, so wird er es doch bald so lange werden. Aber die Todten holen sich
wohl nicht ein? Indeß, so weit her sind sie Beide, und unser Gast wohl noch
weiter her, der daher gekommen, um unsere Erde zu kosten, und statt um ein
drei Ellen hohes Federbett, nur um ein drei Ellen tiefes Wurmlager bittet,
ja nicht einmal bittet -- so gut ist der liebe, alte Mensch; mein Gotthelf,
mein Gotthelf. O, helfe doch Gott allen Menschen!

So sprach er in heißer Entrüstung und mit zum Himmel gestreckten Händen,
und er schickte sich an, dem armen Alten beizustehen, und wo möglich noch
Hülfe zu leisten, da er doch noch ein Lebenszeichen von sich gegeben -- als
Christel laut aufschrie.

Jetzt erst war sie herausgetreten; jetzt erst hatte die Mutter ihr Kind
gesehen. Es lag auf dem Rasen neben der Thüre, und als es die Mutter
erblickte, streckte es beide Händchen nach ihr. Der alte Mann hätte sein
Enkeltöchterchen vielleicht sogleich hineingetragen, wenn er nicht
befürchtet, dem Kinde durch eine Wendung oder durch das Nachschleppen der
langen, schweren Lanze, an der es steckte, weh oder weher in seiner Brust
zu thun; und so hatte er es nur ruhig hingelegt, und sich selbst auf die
Bank gesetzt, wo er kraftlos und athemlos saß. Die Mutter bedeckte die
Augen vor ihrem Kinde mit ihren Händen. Sie hatte gesehen . . . Alles mit
einem Blick . . : es lebte noch! Es blutete nicht! Denn der Speer verschloß
seine Wunde zugleich! Aber das holde Gesicht des Kindes war blaß, und die
rosenrothen Wangen auf Zeit der Erde oder des Himmels dahin! Der Blick aus
den schönen blauen, Hülfe bittenden Augen in ihre Mutterseele hatte ihr
schweigend gesagt: sie sei des Kindes Mutter nicht mehr! Die liebe Kleine
sei ihr auf einmal vom Herzen gefallen, so fremd geworden, und werde ihr
bald so unkenntlich und so unergründlich sein, wie -- Erde, und immer
ferner, weit, fern, unerreichlich fern, und doch so nahe, so fest, so recht
innig im Herzen, wie der durchbohrende, schmerzliche Speer in der kleinen
Brust des Kindes. Ihre volle Mutterliebe stand auf einmal an einem grausen
Abgrund still, wie ein gefrorner Wasserfall -- und nur in der Tiefe schlich
noch ein kleiner, zusammengedrängter, warmer Quell unter der eisigen Decke,
das ewige schöne Gefühl: sie liebe noch! und jetzt erst unaussprechlich,
unausweinbar, und zerflöße sie selber zu Thränen. Der blaue Himmel war ihr
sonst nur die herrliche, gleichsam unsichtbare Decke über die Erde gewesen;
die Erde selbst aber nur das weite, breite Haus für die Menschen, und die
Sonne das stille Geleucht zu den Geschäften und Sorgen und Mühen aller
solcher treuen Mütter wie sie, solcher redlichen Väter wie ihr Johannes,
und solcher von Liebe der Aeltern gedeihender Kinder wie ihre! Jetzt war
ihr die Erde kein fester Boden mehr; denn er schwand unter ihren Füßen
hinweg, _als habe sie auf falschem, nichtigem Gewölk gestanden; sie
taumelte_ und hielt sich an die Pfosten der Thür. Und so war auch der
Regenbogen über ihr nur ein Schatten; und die Sonne -- dem Regenbogen
gegenüber -- war ihr nur ein grauses Gespenst, ein Gesicht ohne Augen, ein
kahler, liebloser, lebloser Scheitel ohne Haar -- sie hatte vergessen, daß
es eine Welt gab, und ein Leben; denn _dieses_ ihr Kind war hin! Und ihr
Mutterherz empfand in dieser ihrer Noth keine andern Kinder mehr, sie waren
ihr alle gestorben -- und _sie schrie laut und durchdringend._ Dadurch
hatte sie sich selbst aufgeweckt; sie blickte schüchtern und ängstlich und
neugierig umher, ob es wahr sei, was sie geträumt -- und als sie nun
wiederum sah, es ist wahr . . . . es bleibt und bleibt wahr . . . . da
strömte Eifer zu retten über sie; sie kniete hin und wollte dem Kinde den
Speer aus der Brust reißen mit schneller, schonungsloser und schonender
Hand.

Der französische Soldat aber sprang hastig hinzu, und wehrte ihr mit den
Worten: Junge Frau, thut das nicht! Sonst verblutet sich erst das Kind. Es
kann noch leben, bis ein verständiger Arzt kommt, der das vernünftig macht!

_Johannes_ lief auf das Wort sogleich in das Dorf nach dem Dorfbarbier.

Seht, sprach der Soldat weiter, und riß seine breite, weiße, mit Haaren
männlich geschmückte, schöne, hohe Brust auf, ich bin mitten hindurch
geschossen, und lebe und kann schreien wie Einer: »Es lebe der Kaiser!« --
Mein Gehirn ist abgedeckt worden durch einen mich dumm zu machen meinenden
Säbelhieb eines albernen Russen, aber, Gott sei Dank, ich bin noch so klug
-- wie ein Franzose! -- Eine Kanonenkugel ist mir quer an den Augen vorüber
gesauset, und hat sich unterstanden mir das Nasenbein verstellen zu wollen
-- aber seht, meine Nase ist noch musterhaft und der feinste Riecher! Und
so schwach ich sehe, so sehe ich doch -- aus Uebung den Feind, er sei
_blau, grün, weiß_ oder _roth_, wenn Ihr das versteht, liebe junge Frau!
Ich muß denken -- es ist Herbst auf immer für mich geworden, oder
Abenddämmerung zwischen Hund und Wolf, oder die Frau Erde hat ihr
Schleierkleid für mich angezogen -- also sie hat mich ausgezeichnet durch
ihre besondere Gunst.

Er sah sie bei diesen Worten an, und mußte zu ihr mitleidig lächeln, so
freundlich sprach ihn das schöne, blasse, ängstliche Muttergesicht der
Christel an, und er war eigen sanft und mild gegen sie, wie gegen eine
frühere liebe Bekannte. Und das war sie auch wirklich. _Christel war seine
Schwester._ Aber als er aus dem Vaterhause gezogen, war sie noch ein ganz
kleines Jüngferchen gewesen; und er erkannte sie nicht, weil sie groß,
ausgebildet, verändert durch ihre Reife, und verwandelt in ihrem Wesen
durch ihr schreckliches Leid jetzt vor ihm stand; und nicht im Vaterhause,
sondern im Hause eines fremden, ihm unbekannten Mannes, und als Mutter von
erd- und weltfremden Kindern. _Christel_ aber erkannte ihren Bruder
_Stephan_ nicht, weil sie sich nur seiner angehenden Jünglingsgestalt und
obendrein nur dunkel erinnerte, er aber jetzt ein gebräuntes,
bartverwachsenes Gesicht hatte, dem wohlgeheilte Wunden dennoch eine
Entfremdung für sie gegeben; und der Mann schien ihr Bruder nicht, _der aus
einem sanften Knaben_ jetzt kriegverwildert vor ihr stand, auf die frühere
Gutmüthigkeit jetzt rauh, roh und hart erschien, groß und älter geworden,
wie sie ihn nie gesehen. Hätte er sie erkannt, dann hätte sie das Bild
ihrer Erinnerung von ihm mit seiner gegenwärtigen kriegerischen Gestalt
vertauschen müssen; aber ihn hinderte vorzüglich die Unwahrscheinlichkeit:
sie könne es seyn, daran; und in ihrer reinen, liebenden Seele wurde jede
mögliche Ahnung durch den Gedanken niedergedrückt: _Das_ ist ein Mörder --
_der_ hat einen Mann erschlagen -- _der_ kann dein Bruder nicht sein! Und
dennoch sah sie ihm in die mild auf sie gerichteten Augen, und frug nach
seinem Namen.

_St. Etienne_ heiße ich, antwortete er nicht ganz unbefangen, weil er sich
durch und durch französisch gemacht hatte; und darauf schlug sie die Augen
nieder und seufzte tief, als habe sie keine Ursache dazu, die sie wüßte;
und ihr Anblick war wunderbar, bis sie sich über ihr Kind hinbeugte, und
ihre Gedanken vergingen in heiligem Mutterschmerz. Aber sie hatte in
Wahrheit ihren Bruder doch wiedergesehen. _Und so hatte sie das Geschick
auf eine zwar unverstandene, doch heilige Weise geheim und zart getröstet_
-- und sie konnte weinen! Und das Kind hielt sich fest an dem Hals der
weinenden Mutter geklammert.

Wecker aber hatte sich herzugekehrt, seine Augen waren immer größer
geworden, sein Mund offener, sein langes, blasses Gesicht immer länger,
seine Hände immer krampfhafter von ihm gestreckt, und zitternd gehalten,
bis er nun die beiden stillen, theuern Wesen sah, seinen Nacken beugte und
leise zu dem Kinde sprach:

   Wie freundlich thust du dich doch zu,
   Und greifst mit beiden Armen
   Nach aller Welt, in Lieb' und Ruh
   Uns ewig zu umarmen!

Denn ich war Dir auch gut, Clementine, ob Du gleich noch nicht _schulfähig_
warst! Nur _Aepfel-_ und _Birnenfähig_, die ich Dir brachte. O, mein Kind!
--

Der Kosak hatte sich mühsam aufgesetzt, und starrte vor sich ihn, als ob er
zusähe. Und so gab Wecker ihm gleichfalls seinen Vers: »Hast Du noch etwas
einzuwenden, Du armer Teufel! Ei komm' her, versuch' es ob Du was kannst
enden; laß hören, was ist Dein Begehr? Doch Trotz Dir, Du verfluchter
Geist, daß Du mich von dem Kreuze reißst!« -- »Pfeif, pfeif, Du tückische
Sirene, und locke, Du vertrackte Welt! Ja, mach' es noch einmal so schöne,
und preise, was Dir wohl gefällt: bei einem, der sich hier befindet, da
kommst Du Narre viel zu blind!« -- Er schämte sich aber, da der alte Mann,
auf der That bestraft, wieder umsank; beugte sich zu Christeln, rührte sie
an der Schulter an, und sagte ihr, während Thränen aus seinen Augen
tropften:

   »Wer hätte bei den Mördern
   Die Unschuld doch gesucht?
   Den Segen zu befördern
   Wirst du von Gott verflucht.
   Die _Dich_ zu Boden treten,
   Woher _Dir_ weh geschieht.
   Für diese willst Du beten;
   Mehr Rache weißt Du nicht.«

Diese Worte erweichten Christel vollends. Und nun wußte sie nicht, was sie
dem Kinde vor seinem Tode _noch schleunig sagen, Liebes thun, vorsprechen
oder versprechen sollte,_ um es über die böse Stunde hinweg zu bringen,
oder nur die Augenblicke noch zu benutzen.

Kennst Du mich denn? mein liebes Kind! frug sie leise und hold, so hold sie
es vermochte. Und die kleine Clementine lächelte nur, und drohte ihr mit
dem Finger. Und dennoch frug sie, um es noch einmal zu hören: Nun wer bin
ich denn?

»Nun meine liebe Mutter!«

Nun so habe mich einmal recht lieb! einmal (_»nur noch einmal«_ vermochte
sie nicht zu sagen). Und das Kind drückte sie, daß es zitterte, und küßte
sie wieder und frug dann: »Mutter, aber was weinst Du denn gar so sehr!«

Und die Mutter antwortete ihr, sich bezwingend: Darum, daß Du nicht
aufstehen kannst, nicht herumspringen, daß Dir die Brust wohl weh thut?

»Ach, es ist nur so wenig Luft geworden, und gar so heiß ist es, Mutter.
Gieb mir nur mein Brodchen -- ich will auch heute wieder ohne Dich
einschlafen!«

Die Mutter schloß die Augen über das Wort, und gab ihr das Brodchen und
sagte ihr dann: Sei nur noch ruhig und gelassen, bis der Vater wieder
kommt. Wenn Du hübsch fromm bist, sollst Du auch ein ganz neues weißes
Kleid kriegen, neue grüne Schuhe, und in Deine Härchen einen Kranz von den
schönen Astern, die Du nicht hast pflücken sollen, und auch nicht angerührt
hast, mein folgsames Kind!

Da sie aber den Todtenkranz gemeint, so konnte sie nicht weiter sprechen,
wandte sich ab, und schüttete schnell ihre Thränen aus.

»Mutter, lachst Du? Ja, ich freue mich auch!« Und das Kind lachte, klaschte
in die Hände, und die Mutter lachte mit ihr, unaussprechliches, sanftes und
heiliges Lachen.

Das Kind hatte aber bei der Erschütterung der kleinen Brust große Schmerzen
empfunden, und sagte auf einmal: »Mutter, ich werde sterben. Lebe wohl, und
grüße den Vater. Sage dem heiligen Christkind, es soll mir bei Euch nicht
bescheren, sondern gleich oben -- Du weißt schon: wo!«

Der Mutter war fast unerträglich im Herzen, und es kam jener Ernst über
sie, _wo der Schmerz ein freundlicher Wahn wird,_ und die Gedanken die
Pforten der Heimath der Menschen aufthun, _und die Welt zum schönen
Mährchen wird._ Und so sprach sie mit verschlossenen Augen: Nun so gehe in
Gottes Namen von uns, mein liebes, liebes Kind! Sage dem großen Vater: wir
hätten Dich in seinem Namen lieb gehabt, beinahe wie er selber Dich lieb
hat; oder beinahe wie wir ihn lieben -- ich hätte Dich immer sanft am
Morgen mit einem Kusse geweckt, mit einem Kusse seist Du eingeschlafen im
Mondschein oder wenn draußen die Sterne standen -- -- -- sage ihm: ich
hätte Dich immer sauber und warm gekleidet, Dich auf meinem Schooße
getränkt und gespeiset, und Dir von seinem Sohne erzählt, und von ihm
selbst, der die schönen Blumen Dir gemacht hat, an jedem Morgen neue! Sage
ihm, wir würden Dich sanft in seine Erde senken, und er möchte Dich mir da
bewahren, wie einen großen Schatz -- und darinnen schlafe Du ruhig, bis ich
komme, und mich zu Dir lege. --

»Du kommst doch gewiß?« frug die Kleine.

-- Gewiß, Gewiß! Das dauert nicht lange! antwortete die Mutter.

»Aber in die Erde!«

-- Habe ich Dir denn nicht gesagt, daß der liebe Gott auch _in_ der Erde
ist! Denn Du weißt ja, die andern Sträucher und Blumen können die Blumen
nicht machen, und machen sie nicht -- und doch hast Du immer welche am
Morgen gefunden, die er verborgen Dir aus der Erde heraus gesteckt: frisch,
fertig und voller Geruch! Also kommst Du da zu ihm, Du liebe Blume, Du mein
Herz!

»Aber der Vater soll auch nachkommen zu Bett, und Brüder und Schwestern!«

-- Wir kommen! Wir kommen! sprachen sie alle, und reichten ihr die Hände,
daß sie sie nicht alle fassen konnte. Und so schloß sie die Augen und
lächelte sehr. Die Mutter beugte sich über sie und schwieg, so, lange,
während die Abendglocke geläutet ward vom Thurme, weil die Sonne zu Rüste
ging und zu Golde ward, und zerschmolz.

Indeß war das Kind gestorben. Und als die Mutter merkte, daß es
ausgezittert hatte an ihrem Halse, da entfloh sie und warf sich im Garten
in das Gras unter die Bäume -- aber durch das so eben geschehende Wunder
der Natur war es der armen Mutter: ein weiches smaragdenes Bett, und der
Schirm des Baumes über ihr: ein von der untergehenden Sonne purpurn und
golden leuchtender Baldachin; und der Herbstwind fuhr eilig, doch sanft,
von der Abendröthe daher und streute falbe Blätter leis über sie nieder,
und breitete den Hall der Abendglocke wie himmlischen Duft weit über ihr
Gefild aus, und bewegte die blauen Astern, die zum Todtenkranz für das Kind
bereit standen -- und diese schauerten und nickten mit ihren schönen
Engelsgesichtern.

Wecker aber sagte langsam zum alten Frommholz: Vater! Großvater! noch immer
kaum glaublicher Großvater von einer kleinen Todten! Beweiset nun Eure
Zimmermannskunst an dem Kinde; faßt Euch ein Herz; nehmt den Fuchsschwanz
und sägt die Länge des unschuldigen Spießes von beiden Seiten ab, sonst muß
der Todtengräber ein unmöglich tiefes oder langes Loch machen! Geht, alter
Vater, geht! Braucht Euer _rechtschaffenes_ Handwerkszeug einmal _dazu!_
Die schönen grünen sonnigen Hügel auf Erden dienen ja auch zu kleinen
grünen Hügeln für Todte! Der Herr hat die schöne Erde also _auch dazu_
bestimmt! Seid nicht dagegen, Großvater! und laßt die Sachen sein, was sie
sind, weil sie Gott dazu bestimmt; ob ich Euch gleich sage, daß ich es
nicht begreife, wenn so ein Acker schöner weißumblühter und mit gelben
Blumen geschmückter Frühlingserde zu solchem Jammer dienen soll! Aber ich
mag hinsehen wie ich will: die großen Hügel bleiben grün unter dem blauen
Himmel, und die kleinen Todten-Hügel bleiben bunt von gelben und rothen
Blumen, die duften und wehen; und die liebe, _wahrscheinlich unverständige_
Sonne wärmt sogar darauf und beleuchtet sie recht. _Närrisch, aber wahr!_
Alter _Frommholz_ -- seid einmal von Holze und fromm dabei, so wird es sich
sägen mit Gottes Hülfe! Und dann seid hübsch _ehrlich_ -- gebt die eiserne
Spitze und den rothen Schaft seinem Herrn wieder! Die 5 Zoll Holz aber die
dazwischen fehlen, die wird sich das Kind schon verdient und bezahlt haben
-- durch seine zwei schönen, blauen, zugemachten Aeuglein. Zwei Augen
zumachen, ist das schwerste Werk der armen Menschen, geschweige der
Reichen! Selbst der kleinen Kinder, geschweige der Großen!

Zu den Kindern aber sprach er: Mein Daniel! geh und setze Dich still dort
neben die Mutter! Denn damals als Du aus Mangel an Holz erfroren warst, da
bekam sie gleichsam statt Deiner die kleine Osternachttochter Clementine;
jetzt, da das Kind durch ganz überflüssiges Holz umgekommen, nun geh Du
wieder hin, daß sie Dich habe statt jener, besonders da ich Dich erweckt
habe mit einem Strohwisch, als so viel ich Apotheker-Spezerei zur Hand
hatte. Und wenn sie Dich ansieht, dann sage nur, Wecker hat mich erweckt,
und ist ein bloßer Schulmeister! Jener ist aber der hohe Patron der Schule
der großen Menschenkinder, der hat gar andere Mittel die Kinder
aufzuwecken, als bloße Strohwische; und alle Apotheken sind bloße
Mördergruben gegen seine Offizin mit Lebensbalsam, der alle Frühjahre schon
die todten Blumen erweckt, daß sie riechen, daß wir sie riechen und
kostbar! Gehe, geh. -- Sophiechen, geh Du auch hin; Du bist ein Mädchen,
die Mutter muß also sehen, wenn hinter ihrem Mutterauge die Mutterseele
nicht am trauerschwarzen Staar leidet, daß sie noch ein Töchterchen hat!
Und willst Du, so magst Du auch den Kern-Vers von _Johann Menzer_ beten und
sprechen: »Nun ist nur noch der Tod zurücke; jedoch er hat mir wenig an:
mein Jesus bricht ihm das Genicke, so ist's um seine Macht gethan: weil er
mir Christum nur nicht frißt, so weiß ich gar wohl wie mir ist.« Gehe, geh.
-- Und Du, Gotthelf, gehe auch, und setze Dich hin, und sprich weiter
nichts, als: Liebe Mutter, _Gotthelf_ ist da! Und, liebe Mutter, Du hast
mir sonst immer gesagt: »Wenn Du _der Mutter_ folgst und das thust und das
annimmst von ihr, was _sie_ will, so ist _Dir_ gleich wohl, mein Kind; nun,
liebe Mutter, nimm Du auch einmal das an, was _der Vater_ will -- so wird
Dir auch gleich wohl sein! Gehe, geh.«

Und als Wecker sah, daß die Kinder langsam zur Mutter schlichen, da ging er
selbst aus dem Gehöft auf den Kirchthurm -- um frische Luft zu schöpfen.
St. Etienne aber machte sich an das Aussuchen und Ausplündern des Kosaken,
des Don Tauro, wie er ihn nannte, oder an das Beutemachen. Aber das erste
Wort des Aufgerüttelten, sich wieder Besinnenden und Hülfe Flehenden war:
-- -- »Mutter! -- -- Schnaps!« --




III.


Unterwegs traf Wecker seinen Schutz- und Brodherrn Johannes außer Athem. --

»Er war nicht da, er war nicht dort, er war nirgends!« sprach er zu Wecker.

Wer denn? frug Wecker. -- Nun, der Sonntagsbarbier, der wochentags sechs
Handwerke treibt. --

Geht nur heim, Johannes, tröstete ihn Wecker, »der Herr hat schon
geholfen!«

Und so eilte Johannes fröhlich nach Hause.

»Aber der Christel steht bei!« rief ihm Wecker nach, und sprach dann zu
sich: »Jetzt ist es in deinem kleinen Oberstübchen nicht richtig, mein
lieber Meister, darum gehe du in dein großes Oberstübchen! auf den Thurm!
der hilft! Ein Thurm ist ein gewaltiger Freund in der Noth; aber das
alberne Volk läuft drunten hinweg, und kennt nicht die Kraft der tausend
Riesen, die bloß im Lande umher als dumme Jungen stehen!«

In der Halle begegnete er dem Chirurgus, den er herzlich bat, den Kosaken
in seine Cur zu nehmen. Der aber entschuldigte sich mit dem Wort: er sei
ein bloßer Civilchirurgus, und als solcher habe er keine solche
wallfischmaulgroße Wunden von Pferden, Kanonenkugeln, ja von Kanonen
selber, zu verbinden oder wohl gar zu heilen -- übrigens zahle die
Soldateska nichts, es geschehe Alles auf Regiments-Unkosten, und das
Regiment -- marschire weiter . . . mit klingendem Spiel! Kurz er gehe
nicht, und werde lieber seine Pfeifen curiren und purgiren; denn sein Herr
Bruder komme zu ihm, der Herr Licentiat! mit Frau Licentiatin!

Wecker fielen alle dessen Sünden, selbst das Schweinchen, aufs Herz, und so
ergriff er den in der Halle stehenden schwarzen, rußigen Besen, und trillte
den störrischen Menschenfreund zum Tempel hinaus, und ein Stück auf dem Weg
zu Johannes fort; dann warf er »das chirurgische Operationsinstrument« in
den Winkel, und begegnete auf der Thurmtreppe -- dem Teufel -- _den er
herabwünschte, um Deutschland rein zu kehren,_ und anfing ihn zu
beschwören; aber der brummte: noch nicht; doch bald; -- und er erkannte den
Schornsteinfeger, der sich nach den brennenden Dörfern umgesehen, und
reichte ihm die Hand, um ihm seinen frommen Irrthum abzubitten.

»Euer _Breitenthal_ brennt auch!« sagte ihm der Schwarze. »Auf _dem_
Striche, der droben auf der Dorf-Rose gerade nach dem Feuer weiset, steht
richtig Breitenthal; es kann auch ein Dorf dahinter sein. Bei Tag scheint
das Feuer zu weit, bei Nacht zu nah. Aber ehrlicher Freund, stürmt nicht
erst mit der Glocke! Welch Dorf soll jetzt dem andern helfen? Jedes braucht
seine Beine, Arme, Augen und Ohren zu Hause; und obendrein alles voll
Soldaten!«

Wecker aber sah droben von der Zinne des Thurmes den Erdspectakel, den
Krieg, wie er laut sagte, wodurch die Menschen zu Vieh ohne Mitleid zu
werden -- gezwungen waren -- so offenbar und hell, wie der Himmel feuerroth
zu werden gezwungen war. Und als er einige Zeit hinüber gestarrt und ganz
geblendet und wüthend war -- stand plötzlich der Teufel neben ihm. Wecker
starrte ihn an, indem er die Hände mit ausgespreiteten Fingern gegen das
Ungethüm, wie zur Abwehr, hielt; und er hörte es sprechen: »Denkst du, ich
bin gestorben? Närrisches Haus! der Teufel -- et le Roi -- stirbt nicht,
als aufgehoben zum letzten Gericht. Und wenn ich mit allen Gestirnen im
Abgrund der Welt verschüttet läge, also nicht mit Pfeffernüssen -- die
kleinste Sünde der _letzten_ Zeit erweckt den Teufel in seiner _ersten_
Kraft wieder auf -- und jetzt geschehen tausend Große, nun geht mein Reich
wieder an, diesmal nur ein kurzes, aber Höllefüllendes: _das Reich der
Unterlassungssünden!_ Wie lange habe ich mit meinen vorzüglichsten Geistern
gearbeitet: die Welt klug zu machen, und das wahre, ächte, erste
Christenthum auszubreiten! Erschrick nicht ungläubig, Schulmeisterlein,
sondern höre mich aus. _Erfahren und weise_ muß die große Welt, oder auf
französisch (denn das ist meine Sprache): le grand monde werden, _damit sie
doppelt strafbar werde,_ damit doppelt so viel Große und Kleine zur Höllen
fahren -- und nicht wieder auferstehen. Wenn ein verlorenes Lämmchen
zurückekehrt, wird ein Kalb geschlachtet, wenn sich ein Hoher verkehrt,
dann brate ich einen Leviathan ganz, als Rost-beef. Wie jener fromme --
Kreuzzug mit leckern Ziegen und Gänsen und glattzöpfigen Kuttenträgern an
der Spitze nach einem heiligen Grabe, das, wie sie wußten, doch nirgends
vorhanden war und keinen Leichnam enthält, -- so beginnt nun ein neuer
Kreuzzug blutdürstend _nach einem lebendigen Leichnam._ Und nun sie so
erfahren und so weise sind, nun erst will ich alles alte Unrecht, allen
alten Unsinn, ich will den Papst und seine -- oder meine Schaaren -- wieder
auf die Beine bringen und sein Regiment durch ein Regiment zu meinem
Regiment wieder einsetzen lassen. -- Kann ich frömmer und christlicher
handeln? Mir ist Niemand auf Erden schätzbarer als Christus. Denn seit das
Licht in die Welt gekommen, und die sogenannten Menschen _dennoch_ in
Finsterniß wandeln, Werke der Finsterniß fördern und thun, sich im Namen
des Lichtes dazu vereinigen, die Finsterniß auszusäen wie Ruß und Mohn;
seitdem ist Gedräng in den Pforten der Hölle, und ich habe neue erbliche
Pairs müssen creiren, um neue unsterbliche Strafen zu stiften! Es lebe
Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! Aber Wecker, mein närrisches Haus
-- denn alle Narren sind mein -- beruhige Du Dich! Für jeden Einen, der in
den Kreuzzügen hochlöblicher Maaßen umgekommen, sind schon Millionen --
Aepfel und Birnen gewachsen; Pflaumen und Kirschen (aus Kerasus
mitgebracht) gar nicht gerechnet! Und wie viele St. Lampertsnüsse werden
noch wachsen! O schmackhafter Profit der Kreuzzüge, großer, kindlicher
Gewinn! Hat Clementinchen Dir nicht nach dem -- Kreuzzuge die Taschen oft
ausgesucht: Und was hätte sie sonst gefunden, als ächtdeutsche Plunschken
und schöne, blaue, abscheuliche Schlehen? So werden auch künftige Kinder
die Früchte _dieses_ Kreuzzuges aus den Taschen der Verrückten suchen. Ist
das kein Gewinn für die _schöne, die große_ Welt, wenn Weiber, Kinder und
Sperlinge etwas zu naschen haben in Ewigkeit! Sage: »Ich bin Wecker, bin
verrückt, und ich sage Ja!« Und nun sei ruhig über das Surren und Stechen
des Schwarmes, der nur einen Leichnam -- meinen großen Sohn in das Grab
schaffen wird, und Kindern -- wenn nicht Enkeln -- und Sperlingen -- wenn
nicht Adlern nutzen wird, und gewißlich doch mir; durch Weisheit, die
Dummheit wird; durch Wahrheit, die Lüge wird; durch Versprechungen, die
Wortbrüchigkeit wird. O, meine Sperber freuen sich auch, und ich lasse die
Hölle neu dielen, und die Dielen um des Pilzes Stamm in der Mitte voll von
den Herren Musicis -- mit Blumengewinden malen zum Festball. -- Mit der
Bande bin ich nun fertig; nun noch ein Wort an Dich, Schulhauptmann! Höre
einen großen Vorschlag: Ich gebe Dir alle Reiche der Herrlichkeit, nicht
etwa, wenn Du niederkniest und mich anbetest -- das ist abgedroschen; nein,
wenn Du nur heute das kleine Mädchen willst mit dem Speere durchstoßen
haben; -- eine pure Kriegslappalie, eine Kinderei gegen die hunderttausend
Todten, die Millionen Wunden und Billionen Thränen, die daheim Wittwen und
Waisen, Väter und Mütter und Brüder und Schwestern um sie weinen werden.
_Was_ ist also ein solches albernes Kind, und _was_ sind alle Reiche der
Herrlichkeit, Wecker? Wach' auf! Schlag ein! Und Du sollst sie ganz
monarchisch, ja türkisch oder autokratorisch besitzen, ohne Constitution,
ohne gebundene Hände, ohne gebundenes Maul, oder irgend eine gebundene
Gliedmaaße; ja ich gestehe Dir viel zu -- ohne Papst und Jesuiten! Schlag'
ein, nimm das Kind auf Deine Seele, und sei legitimer Herr Aller.«

»Hebe Dich von mir, Satan!« rief Wecker in äußerster Empörung. »Was hülfe
es mir, wenn ich die ganze Welt gewönne, und nähme doch Schaden an meiner
Seele.«

_»Das wollt' ich nur wissen!«_ rief _sein_ Satan lachend. »Sie -- sie
werden Schaden an ihrer Seele nehmen durch Selbstsucht, Habsucht und elende
Seelenkratzerei -- und doch nicht die Welt gewinnen, noch sich arrondiren;
denn wie können alle Bienenzellen rund werden, Du Esel! Oder wie sollen
alle Menschen Hörner bekommen, Du Schaaf!«

Wecker führte einen gewaltigen Streich mit der Faust nach dem Lügengeist.
_Aber der stürzte sich jäh vom Geländer hinab,_ und zerfloß drunten wie
Wasser in eines alten katholischen Bischofs Grabe, und Leichenduft kam
herauf. Aber wie eine wispernde Eidechse, kroch auch noch am Thurme die
vergessene Einladung herauf: . . . »Wecker, komm' wieder! Ich komme auch
wieder. Verstanden?«

-- Fahre zum Teufel, also zu Dir selber! Lügengeist! sprach Wecker, von
wirbelnder Angst erlöst. Was will der Mensch -- oder verzeihe mir Gott, der
Extract des Bösen der Menschen, bei Dir? Sollst Du seine Meinung
ausposaunen? Bist Du eine Posaune, Wecker! -- dann müßte Dich Jemand
blasen! und das wollte er! Aber das wären abscheuliche deutsche Herzen, die
nicht zufrieden wären mit der Arbeit und Frucht von 30 Jahren der Erde,
wenn _Diese_ auch nichts gethan hätten, _als_ den Veruneiner, Hetzer und
Schandesäer von Deutschland zu Grabe zu tragen! Und wenn sie auch 15, ja 30
Jahre auf solch eine Höllenarbeit ruhten -- und ein _langes Leichenessen_
feierten -- ich gönnte ihnen den Sabbath! Wer das gethan, hat auf
Jahrtausende gethan, o Du Schänder, Spötter, Lügengeist -- Teufel! -- Eine
neue Volksbewegung mag Neues erstreiten! Und Deine -- des Teufels Lobrede
auf Christum -- und Dein Vivat! -- mir stehen noch die Haare zu Berge! --

Indem er so sprach, und sich, aber bedächtiger und menschlicher als der
Teufel über -- _Stufe für Stufe_ -- die Treppe hinab vom Thurme stürzen
wollte, um unter Menschen zu kommen, da trat eine weibliche, schwarz
gekleidete, tief verschleierte Gestalt heraus auf den Gang, die ihn nicht
wahrnahm, niederkniete, den Lockenkopf beugte, die weißen Hände vor die
Stirn gefaltet oder gewunden hielt, noch einmal beten wollte, aber nur
verworrene Worte murmelte, sich hastig auflöste, sich wild umsah, bebend
sich auf das Geländer schwang, und wahrscheinlich sich -- gerade an des
Teufels Stelle hinunter stürzen wollte.

»Du weiblicher Teufel!« schrie Wecker. »Hier geht's in die Hölle. Halt! in
aller Engel Namen, ich fasse Dich an den Haaren!« Und so hatte er sie schon
ergriffen, mit beiden Armen um die Kniekehlen gefaßt, und hob sie herab,
und setzte sie derb nieder auf ihre Füße. Aber sie setzte sich auf den
Boden, und als er sehen wollte, wer sie sei, schrie sie laut, und hielt
sich den Schleier fest über Haupt und Gesicht. Wecker aber nahte ihr ganz,
und beim Scheine der Abendröthe sah er -- wie er meinte -- durch den
angezogenen Schleier ein Gesicht, das er kannte -- und er fuhr zurück, wie
ein redliches Herz vor einem solchen Gedanken.

Und als er sich gefaßt hatte, trat er wieder näher, legte der weinenden
Gestalt seine Hand sehr sanft auf das Haupt und sprach vorsichtig-allmählig
zu ihr, so mild er nur konnte: -- »D . . . Do . . . Doro . . . Dorothea, ja
ganze, leibhafte _Dorothea_, Gott weiß es ja doch, wer Ihr seid -- das war
albern! Ich weiß, Breitenthal ist abgebrannt -- oder brennt noch da drüben
-- aber wegen Breitenthal, und wenn es Langenthal -- Goldenthal dazu wäre
-- so kenne ich Euch nicht, brave Jungfrau!«

-- Sie schauderte. --

»Oder, oder -- ich weiß -- Ihr seid _Braut_ mit dem gar lieben, jungen
Herrn von Ellenroth -- ist Euch _der_ etwa untreu geworden? Dann weinen
gewöhnlich treue Mädchen, die Gott danken sollten, daß sie _vorher_ klug
werden, nicht _nachher!_«

-- Die Gestalt lehnte sich kraftlos an. --

»Oder ist er Soldat geworden, und _kann_ erschossen werden? Oder ist er
schon Soldat _und_ zerhauen worden?«

Die Verschleierte stöhnte tief, aber das Stöhnen klang Weckern wie Freude.

»Oder . . . wenn nur Euer Vater, der ehrbare Herr Paschalis nicht gestorben
ist,« sprach er, »so wird sich Alles geben. Ihr lebt ja! Aus Euch ist noch
Alles zu machen, die schönste, beste Frau im Lande! Und für allen Dank
erbitte ich mir nur _auf Eurer Hochzeit_ erscheinen zu dürfen -- ein
Hochzeit- oder Kindtaufenschmaus ist das beste Regal der geplagten
Schulmeister! Und da ich nicht mehr geplagt bin, wird es mir desto besser
schmecken, und gar erst _auf dem Kindtaufenschmaus_ . . .«

-- Die Gestalt beugte ihr Haupt, und drückte die Ballen der Hände in die
Augen. --

». . . Da wird sich Wecker freuen, wie der Großvater Paschalis!« fuhr er
unwissend fort, gutgemeinte, aber der unerhört Gefallenen oder gewaltsam
Herabgerissenen, entsetzliche, unerhörte Worte zu sagen: »Denn wenn der
_gemeinste Schuft Vater_, ach, _Vater_ und endlich gar _Großvater_ wird,
und noch so verwerflich gelebt hat, wird er eine _Respectsperson_, und so
betrachtet, so behandelt; und der himmlische Vater stößt Jeden selbst mit
der Nase auf seine Würde, und aller Firlefanz fällt nun weg -- es geht ihm
Niemand mehr darauf ein, wer da weiß, was er ist und vorstellt auf Erden
bei Menschen und bei den Seinen. So sicher und herrlich sorgt Gott für
Jeden, der nur jemals Eine seiner lieben Jungfrauen recht angesehen hat;
denn dann muß er heirathen; über sein, ihm von Gott hingesetztes Kind
erschrecken, erstaunen, das Wunder bewundern, das Mysterium der Kindtaufe
ausrichten, sich Vater von seinem Weibe rufen lassen, und ein neues,
seliges Leben anfangen, er mag wollen oder nicht.«

-- Die Verschleierte schrie laut. --

Wecker schwieg betroffen, aber in seiner Freude setzte er hinzu: »Ihr seid
verschämt, und ein keusches Kind, das wissen wir, darum vergebt! Denn ich
habe große Freude. Wäre die arme Clementine der armen Christel nicht
umgekommen, so rannte ich nicht auf den Thurm! Wollte mich der Teufel nicht
zu einem Teufel machen, so wäre ich nicht Euer Engel geworden und hätte
Euch nicht gerettet -- denn ich war fort! Oder gar nicht da! Furchtbar!
Entsetzlich! Ja _nun_ freu' ich mich ordentlich, daß ich so alt geworden,
so lange gnädiges Brod -- _sogenanntes_ Gnadenbrod, aber von der guten
Christel: _wirkliches_ -- gegessen, und ich möchte bald rufen wie Satan: Es
lebe Christus, der Sohn . . . . aber heut kann ich nicht, vielleicht morgen
-- wenn ich ihn vergessen. Aber wollt Ihr nicht mit hinunterkommen zu der
armen Christel? _Ihr könnt ihr helfen das Kinderzeug machen, das letzte
weiße Kleid, das nicht mehr gewaschen wird!_ Kommt!«

-- Sie wollte aufstehen und reichte ihm matt die Hand. --

»Haha!« lachte Wecker und rieb sich die Hände, »haha! Das wollt' ich nur
wissen! _Ihr seid es_ . . . Ihr liebe Person seid Dorothea -- die Gabe
Gottes -- sonst wolltet Ihr nicht zu _Christel_ kommen! Ja, ja, _Mitleid
läßt gute Menschen nicht sterben_, und sie richten sich vom Sterbekissen
noch einmal auf . . . und leben wieder lange. _Weiß Gott, was in der Welt
steckt; ich glaube: der liebe Gott!_«

Da sprang die Gestalt so plötzlich auf, daß Wecker erschrak und zurückfuhr.

»Nun gut,« sprach sie, und riß ihren Schleier empor und hielt ihn so mit
der rechten Hand; »ich bin Dorothea -- . . . oder -- ich war sie! -- Aber
Eure Hand darauf -- schweigt, schweigt, schweigt . . . daß Ihr mich hier
gesehen . . .«

». . . und was ich gesehen!« setzte er hinzu. »Wecker bleibt Wecker. Ich
bin ein alter Mann und keine alte Frau. Und sollt ich mich selber rühmen,
daß ich nicht der Teufel war, sondern bei einem guten Engel zugriff! Und
wollt Ihr nicht mit mir kommen, kommt nach! Auf der Treppe ist's lange
schon dunkel. Euer Vater ist wohl auch da? . . oder kommt doch?«

Und da sie leise nickte, sprach er: »_nun so seid ihr gebunden_ -- da kommt
Ihr schon; denn Ihr scheint nun wieder so vernünftig wie ich!«

Und so ging er. Und sie seufzte tief.




IV.


In Johannes Hause leuchtete der Kamin hell zu den hellen Scheiben hinaus,
und von draußen sah die Wohnung sich so ruhig und erdglücklich an wie je.
In Christels Stübchen nach Morgen war auch Licht. Rauch stieg aus der Esse
gerade und ein wenig mondbeleuchtet von der Sichel des Neumonds zu dem
dunkelblauen herbstlichen Himmel empor, und er hatte seinen alten weißen
nächtlichen Friedensbogen sich umgegürtet und die Gestirne schienen still
so fort, und jeder Stern brannte ruhig und unbewegt so fort, ohne zu
flackern und Strahlen zu schießen, wie in einer heilig dunkeln Todtenkammer
-- der Lebendigen.

Auf Johannes Hofe aber stand ein -- bei Tage und von Prunkthoren
sogenannter prächtiger englischer Reisewagen, aber diesmal, statt der
geraubten, braunen vier -- National-Engländer mit sechs schwarz und weiß
großgescheckten holländischen Kühen bespannt, und hinten, statt der
Bedienten mit zwei angebundenen Mastochsen. Auf dem Bocke aber saß neben
dem englischen Kutscher die Kuhmagd, die besser als er ihr liebes Vieh zu
bereden und zu _regieren_ wußte. Die Kühe sollten für Herrn _Paschalis_ und
seine Tochter Milch geben; die Mastochsen aber frisches Fleisch, wenn sie
in der Festung Mainz vor dem doppelten Feinde, den Russen und der Krankheit
sich eingeschlossen hätten, wie in dieser Nacht noch geschehen sollte; und
die Viehmagd trug schon die unsichtbare Bestimmung an sich, dann
Kammerjungfer zu sein, wozu sie schon jetzt so treu als hübsch genug war.
Der englische Kutscher war dann ein nothwendiges Uebel und Ueberlei, und
ward bloß auf bessere Zeiten aufgehoben, wie ein leeres gutes Weinfaß von
einem Winzer auf bessere Weinlesen.

_Paschalis_ war ausgestiegen und that kaum einen Blick nach der Gluth am
Himmel zurück; ein schwerer, ja der allerschwereste Seelenschmerz schien
ihn zu bedrücken, ja niederzubeugen; denn er hielt ein weißes Schnupftuch
in der Hand, und wie er in dem Düster der Nacht unbemerkt zu sein glaubte,
hielt er es plötzlich vor die Augen, als wenn er eine Fluth von Thränen
darein ausgießen wollte, ob gleich kein Tropfen darein floß und sein Gehirn
wie ausgetrocknet war, und doch wollte er nur -- wenn ihn ja Jemand bemerkt
-- das Ansehen tragen: als habe er genieset; und er nahm wieder Tabak aus
seiner goldenen Dose; aber er steckte ihn in den Mund -- denn es war
schwarzbraunes egyptisches Opium.

_Johannes_ hatte das schöne Vieh brüllen gehört, sich hinaus getraut,
seinen dankbaren Freund Paschalis gefunden, sich gewundert, und voll wie
sein Herz war -- demselben in einfachen Worten das Schicksal mitgetheilt,
das sein Haus betroffen, aber keinen Trost erhalten, als einen langen
Händedruck und keine Antwort als: »_Dankt Gott für dieses reine Leid_, mein
lieber Johannes!« und auf die Frage, wo Dorothea sei, erhielt er nur den
Bescheid: »sie ist auf Euren Thurm gestiegen, um den Rauch von Breitenthal
noch einmal zu sehen.«

Während nun Johannes für die Leute und das Vieh sorgte, schlich Paschalis
sacht an die lichten Fenster, lehnte leis die Stirn an und sahe hinein, und
er sahe: In der großen Wohnstube, ihm gegenüber an der Wand, hatte der alte
Frommholz seine Hobelbank, und er arbeitete mit Daniel an einem kleinen
Sarge; denn es waren schon sechs Brettchen zugeschnitten, und der Knabe und
der Alte sägten eben an den vier kleineren.

»Ach, _Ihr_ seyd glücklich!« sagte Paschalis und schlich vorüber, an
Christels Stübchen. Seine Angst, als _Vater_ Dorotheas, war groß; seine
Ungewißheit war halbe Verzweiflung. Denn während in seinem Schlosse sieben
Feinde, _Kosaken_, gelegen, schien _seiner_ Tochter ein unmenschliches
Unglück zugestoßen zu sein. Er vermuthete es nur, er wußte es nicht. Er
hatte sie nicht gefragt vor Entsetzen und Scham; sie hatte also auch nicht
geredet, vor Entsetzen und Scham, Aber in dieser Meinung hatte er _ein
siebenfaches Verbrechen_ begangen, und das marterte ihn. Aber auch Dorothea
schien ein siebenfaches Verbrechen begangen zu haben, so gut oder so
schlimm wie er, nur auf andere Weise. Er vermuthete das gleichfalls nur,
und er wußte auch das nicht. Aber Dies _zugleich_ -- oder Jenes _allein_,
schien sie zu foltern; und er war kein Vater und kaum ein Mensch mehr, nur
sein eigener körperlicher runder Schatten; und seine Seele war nur noch wie
der schrillende Klang einer geborstenen Glocke, die er nicht wagte
anzurühren mit dem leisesten Gedanken, aus Furcht, sie verrathe den
schmählichen Riß -- ihm selber. Und noch unglücklicher hätte er sich
gefühlt, wenn er nur hätte ahnen können, mit welchen seligen tröstenden
Worten von Brautstand und Ehestand Meister Wecker seiner Tochter Dorothea
die leidende unschuldig-schuldige Seele zerrissen.

Jetzt sah er in _Christels_ Fenster. Da drinnen aber sah es anders aus.
Denn Christel hatte es unmöglich über das Herz bringen können, den Gebrauch
noch vieler Deutschen nachzuahmen, welche die Gestorbenen sogleich aus
ihrem Bette reißen, und mit kaum zugedrückten Augen und kaum verbundenem
Munde nackend auf ein Brett legen, darauf schon die halbe Stadt oder das
halbe Dorf gelegen hat, und dann die Aermsten, zur Dauer für die Würmer, wo
möglich in ein finsteres kaltes Gemach stellen, bis zum Tage ihrer
Einkleidung für die Gruft. Die herzige Mutter hatte dagegen ihr Kind, nach
schicklicher Ruhe, sogleich schön gewaschen und angezogen, ihm über die
Bettchen seiner Wiege -- worin es noch geschlafen -- ihr feinstes weißes
Tuch gebreitet, und das liebe Mädchen darauf gelegt. Selbst der Kranz von
rothen und blauen Astern schmiegte sich schon wehmüthig-schön um das theure
kleine Haupt. Und wie es die Mutter so ansah, that ihr sonderbar genug
recht eigen leid, daß die Kleine _mit einer gefallenen und noch ungeheilten
Wunde auf der Stirn in das Grab gelegt werden sollte_; wie ein Maler sein
eben vollendetes Werk gern recht sauber und ohne Stäubchen aus seinen
Händen giebt, es noch einmal zurückverlangt aus den Händen des Empfängers,
es genau überblickt, _noch ein Sonnenstäubchen vorsichtig von dem goldenen
Rahmen haucht_, und dann lächelnd und zufrieden es auf immer dahin läßt und
spricht: »_Nun, so!_« -- Christel aber, welche die Wunde nicht hatte
weghauchen oder wegküssen, noch mit Thränen wegwaschen können, hatte sie
unter eine Blume versteckt -- _schüchtern sich umgesehen, als ob ihre
redliche Seele Jemanden getäuscht habe,_ und leise gesagt: »_Nun, so!_«

Zu den Kindern aber hatte sie gesagt: »Meine Kinder, seht euch noch an
eurem Schwesterchen satt! Ihr habt sie nur noch, bis zweimal die Sonne
untergeht -- dann seht ihr sie lange nicht wieder!« -- Und so hatten die
Kinder ihre Weihnachtswachsstöckchen aus ihren Schränkchen hervorgeholt,
sie in lauter kleine Lichter zerschnitten, sie zu Häupten der Wiege an den
Tischrand geklebt, angezündet -- alle auf einmal -- und nun waren die
goldgeschmückten Lichtlein in Kurzem alle auf einmal niedergebrannt, und
sie weinten nun, daß es würde finster sein, und sie ihr Schwesterchen nicht
mehr sähen. Die Mutter hatte den Schaden gut gemacht durch angezündete
Lichter. Aber Sophiechen war über das Weinen eingeschlafen; und Gotthelf
war müde und hungrig eingeschlafen und hatte sich nicht getraut, heut von
der Mutter ein Abendbrod zu bitten. Und so lagen die lieblichen Kinder
_alle drei_ wie vom Schlafe gelöst, noch mit den Gesichtern zusammen;
_zweien_ davon blühten die Wangen rosig und sie athmeten leis, aber ihre
Haare waren unbekränzt -- dem _dritten_ aber blühten die Wangen von einem
tiefern Schlafe _weiß_ und _rein_, und es bedurfte die Erde zu keinem
Athemzuge mehr; aber seine Härchen waren bekränzt. Christel aber hatte dem
Mörder des Kindes, nachdem er nothdürftig verbunden worden, ihr eigenes
Bett eingeräumt; er lag auf demselben; und wie sie jetzt vor ihm stand und
ihn ansah, seufzte sie schwer darüber, wie sehr er sie beraubt habe, und
sprach, nun ihn deswegen aus tiefer Seele bedauernd: »Armer, armer Mann!
Armer _Sebast-Janow_!« Denn St. _Etienne_ hatte seinen Namen in seinen
Sachen aufgezeichnet gefunden und ihr ihn gesagt. St. Etienne hatte ihr
aber auch zum Abschied und zum Troste ein Bildniß dagelassen, welches er
dem Sebastianow, als dessen Raub und nun seine Beute, mit abgenommen, und
welches Christel hatte annehmen müssen, aber noch nicht angesehen, ja nur
hingelegt; er aber hatte es ihr an dem goldenen venetianischen Kettchen
hingehangen. Denn das Bildniß hatte unläugbare Aehnlichkeit mit der kleinen
Tochter Clementine. Christel drehte das funkelnde Geschmeide jetzt kaum
neugierig um -- aber sie sahe die Brillanten daran nicht vor Ueberraschung:
denn das Bild stellte ihre Schwester _Martha_ dar . . . . Niemand anders
hatte es _getragen_, als ihre _Dorothea_, welcher es der Vater _Paschalis_
geschenkt . . . Dorothea hätte es lebend Niemandem von ihrem Herzen gegeben
. . . es war ihr also nur _gewaltsam geraubt_ . . . und Christel trat
hastig drei Schritt nach der Thüre zu. Aber wo wollte sie hin? Was konnte
sie ändern? Sie war in der Stimmung, worin sie aus Noth und Tod, aus
Vertrauen und Liebe _von aller Welt_ das Beste hoffte. Und mit ganz anderem
Sinn stellte sie sich wieder vor den verwundeten Sebastianow und sprach
jetzt mit Thränen: »Armer, armer Mann!« -- Aber die Worte zerschnitten ihr
Herz. Sie blickte auf ihr Kind; sie küßte alle drei schlummernde Häupter;
sie setzte sich zu ihnen, und eines davon schlang in halbem Schlafe -- die
Mutter ahnend -- sein Aermchen um ihren Nacken und wandte sich um, ohne
aufzuwachen.

Dem weinenden Paschalis aber war zu Muth, als sähe er in die seligen
Gefilde eines Mährchens: oder als sei ihm jetzt erst die Welt zu einer
großen heiligen Wundergrotte geworden; oder die Welt sei schon lange, lange
undenkliche Zeit _der Zaubersaal des Gottes_, in der That und unläugbar;
und es bedürfe nur Augen der Seele dazu, es zu sehen, daß er das sei; und
nun dachte er, daß sich der himmlische Vater freuen müßte, _wenn auch Er
das Alles sähe:_ -- Eine gute Menschenmutter in ihrem heiligen Schmerz! Ein
Weib, das freilich keine Unsterbliche sei, und bald selbst auch von der
Erde verschwinden werde; aber daß hier ja keine Unsterbliche zu sein
brauche, um alles Menschliche richtig zu thun und zu leiden, und das als
Sterbliche eben noch wunderbarer daliege, wie in einem Mährchen, mit dem
Haupt neben den kleinen Häuptern der drei schlummernden Kinder! Und wenn Er
sähe: _Gute Kinder_ voll Liebe, Leid und Mitleid -- welche schöne Gefühle
alle in ihrem engen Geiste nur Traum seien . . . . und _einen guten Vater_,
der um alle still und schweigsam besorgt war; vor allem aber: _den
Großvater_, der alle um ihrer Liebe willen liebte und um ihrer Schmerzen
willen litt, aber auch für alle gefaßt war und thätig -- denn sein eigenes
Leben hatte er überstanden und gleichsam zugemacht wie einen schönen
Bildersaal, und ihn kümmerte nur noch das Leben und Glück der Seinen.
_Paschalis_ aber dachte nicht nur, er glaubte, er empfand, daß der
himmlische Vater _zugleich mit ihm_, und doch ganz anders, in das Stübchen
sähe; und er kehrte sich vor unerträglicher Seligkeit des reinen
Menschenlebens ab; denn Verzweiflung ergriff ihn, und er -- niesete wieder!

»Ei, meine allerbeste Gesundheit! und zugleich meinen allerschönsten guten
Abend, theuerster Abgebrannter und Herr Paschalis!« sagte Wecker, der still
gekommen. »Nicht wahr . . . ein himmlischer Guckkasten, worein Sie
beliebten zu sehen! Ein trauliches stilles Hirtenhäuschen -- das eben ruht;
nur die Papierwände freilich _etwas groß von himmelblauem Himmelspapier!_
Aber still . . . da kommt ihre Tochter, unsere Dorothee -- was ein wahres
Glück ist! Denn gewisse Leute können sogar mit allen zerschmetterten
Gliedmaaßen -- nicht -- füglich -- mehr -- wandeln -- -- am wenigsten
anhero!« -- Und, um seinem Wohlthäter auf eine _unverständliche_ Weise zu
verstehen zu geben, wie er ihm heut vergolten habe, setzte er hinzu: »Denn
heute habe ich alter Mann -- wie Sie mich hier sehen -- eine gleich große
schöne Jungfrau geschaffen! Mit diesen dürren Meisterhänden! Ja ihr auch
_eine neue Seele_ in ihre eigene Rippe geblasen -- denn Eva war eine Rippe
-- aber _Adam's_, wissen Sie -- _wie ich weiß_ -- können Sie denken! Der
Mann bin ich.«

O Wecker, wenn Ihr das könntet! sprach Paschalis leise, und zog ihn still
um die Ecke des Hauses in's Düstre; und _Dorothee_ ging darauf langsam
hinein zu _Christel_.

Johannes aber, von einer andern Seite kommend, brachte schon wieder etwas
Neues: die Ansagung von zwanzig Mann Einquartirung auf ihr Haus, und schon
diese Nacht! Beide wurden dadurch gehindert zu sehen, wie Dorothea sich bei
Christel bezeigen würde, und zu hören, durch welch ein Wort sie sich
vielleicht errathen lasse. Denn auch ihrem Vater war ihre plötzliche
Verwandlung in's Tiefe, Abgeschlossene, Finstre, Verschwiegene, Qualvolle
und Weltverachtende selbst ein Räthsel, wenn er auch ohngefähr vermuthen
konnte: was sie gethan. Denn auch _gethan_ hatte sie etwas, ja ein
Grausames und Schreckliches. Aber das behielt er als Vater für sich, und
niesete nur auch jetzt wieder auf diese neue Nachricht, Wecker wünschte
aber diesmal sein höflichstes: »_Gotthelf!_« wozu Paschalis nur leise
verneinend den Kopf bewegte.

Hoho! sagte Wecker, kann auch der nicht mehr helfen!

Johannes aber hatte eine große Bitte auf dem Herzen und sprach: Ich getraue
mich kaum es zu sagen, wenn Ihr es nicht wäret -- unser lieber Herr
Paschalis, der an uns schon so viel gethan. _Darum_ habe ich auch jetzt
mein Vertrauen auf Euch gesetzt, und bitte Euch: nehmet unsere Kinder mit!
Nach der Stadt ins Sichere! Wir sind gewarnt auf Zeitlebens! Und hat der
Großvater aus zu großem Vertrauen _die Vorsicht_ uns versäumen lassen, möge
Gott nicht auch _mein Mißtrauen_ gegen unsere Lage, im Dorfe hier einsam
und unter der Schanze, mit Unglück bestrafen! Aber wie es auch komme -- ich
nehme es auf mich; denn ich meine es gut; und so wird es gewiß auch der
himmlische Vater meinen -- meinet Ihr es auch gut mit den Kindern, mit
Christel und mir! Nur der Großvater wird in der Sicherung der Kinder einen
stillen Vorwurf gewahren, und nur deswegen möcht' ich kaum bitten . . . .
aber ich bitte doch!

Wenn das nur Christel zufrieden ist; meinte Paschalis; die Kinder wird
Dorothea schon wohl besorgen; und -- liebe Sorge thut dem Herzen wohl, und
trägt uns furchtlos über grause Wogen!

Lieber Herr Paschalis, sagte Johannes, was einem Manne so recht wohlgemeint
in die Gedanken kommt, das will seine Frau gewiß auch, sonst käme es ihm
gar nicht ein, oder er bliebe nicht lange dabei! Ich rede aber aus ihrer
Seele, wie sie immer aus meiner; denn wir sind Eheleute -- Ihr wißt das
nicht; nehmt das nicht übel; aber Ihr werdet meine Rede bestätiget finden!
--

Als sie nun alle hineingegangen in die Wohnstube, wo Frommholz und Daniel
arbeiteten, kam Christel herüber, grüßte Paschalis, und -- als könne sie es
vor Angst nicht länger ertragen, bat sie unverweilt: er möchte sie selber
mit nach Mainz nehmen!

Paschalis lächelte niedergeschlagen darüber, als habe Dorothea ihr das
gerathen, und sagte dagegen: _Die Kinder!_ liebe Christel. So meinte
Johannes.

Ja, ja, die Kinder! rief sie bestimmt.

Und Johannes sagte zu Paschalis: Sie hat nicht, wie ich, gewußt, daß sie 20
Mann Einquartirung bekommt.

»Zwanzig Mann, nicht Männer!« erklärte Wecker.

O Gott, scherzt nicht! verwies ihm Christel und eilte Anstalt zu treffen
für die »Mann« und die Kinder. »Dorothea schläft!« hatte sie Paschalis noch
gesagt.

»Ungegessen? oder: ohne gegessen zu haben -- wie ich die Schulkinder
verbesserte; eine sonderbare Braut!« sprach Wecker.

»Die schlafende Clementine hat sie angesteckt!« meinte Paschalis, zu
welchem Daniel jetzt bescheiden trat und ihn frug, was für einen Text aus
der Bibel, die er ihm hinhielt, er auf dem Kreuze der kleinen Schwester
zitiren solle?

Und Paschalis nahm das Buch, setzte sich an das Kaminfeuer, blätterte,
seufzete, las, blätterte wieder und sagte ihm endlich: »Lieber Daniel,
hier! Zitire Deinen Namens-Vater Daniel oder das _sechste Capitel aus dem
Buche der Weisheit_, das paßt jetzt auf alle Welt. Denn die Schrift ist für
alle Zeiten geschrieben, und jeder Mensch und jedes Jahrhundert findet
seine Lehre, und sein Urtheil darin. Gebe nur endlich Gott, daß die ganze
Welt zusammen nur Einen Vers daraus hält, als etwa gleich diesen!« -- Er
wollte Einen sagen, aber seine Leiden verwandelten ihm die Worte im Munde
und er sprach, zu aller Verwunderung diese: »Ach, daß ich wüßte, wie ich
ihn finden, und zu seinem Stuhl kommen möchte, und das Recht vor ihm sollte
vorlegen, und den Mund voll Strafe fassen, und erfahren die Rede, die er
mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde!«

Und Wecker sprach leise zu den Andern: Stille, stille! Er meint den lieben
Gott! Er ist jetzt Hiob! Laßt ihn schlafen; er senkt schon sein Haupt auf
die Brust. Setze Dich neben ihn, Daniel, und nimm ihm nachher die Bibel
leise aus seiner Hand, damit er nicht aufweckt, wenn sie zu Boden fällt!
Ich aber übernehme das diesmal leichte Colfactoramt am Kamin, und will --
_nicht_ mehr anlegen! So wird ihm der Kopf nicht noch heißer vom Feuer!
Lasset ihn schlafen, und ruhet Ihr auch!

Und so setzte er sich hin. Das Feuer erlosch nach und nach, und es ward
trauliches Dunkel und heimliche Stille im warmen Zimmer, und die Sterne
schienen herein zu den Schlummernden.




V.


Als aber der Mond purpurhell aufgegangen, und alles zu der kurzen Reise
besorgt war, trug Johannes seine schlafenden drei Kinder in Paschalis Wagen
-- nicht ahnend: daß er Keines mehr wiedersehen würde. Und so war er froh,
als er den _Daniel_ aufgehoben, ohne daß er aufgewacht war, und ihm und
sich nicht den Abschied erschwert, oder das Scheiden wohl gar unmöglich
gemacht, wenn er gar so sehr gebeten hätte: bei Vater und Mutter zu bleiben
und versprochen, Alles zu thun und zu dulden, was über sie käme. Daniel
aber war doch halb wach, und redete im Schlafe, weil er während des Tragens
doch merkte, daß etwas mit ihm vorging, und erzählte seinen Geschwistern im
Traume, ohne die Augen zu öffnen, das Mährchen: »_Die sieben Raben_,« und
fuhr jetzt laut darin fort: »Nun ging das Schwesterchen immerzu, weit, bis
an der Welt Ende, um seine sieben Brüder zu finden. Da kam es zur Sonne;
aber die war zu heiß und fürchterlich und fraß die kleinen Kinder; eilig
lief es weg, und hin zum Mond; aber der war gar zu kalt und auch grausig
und bös; und als er das Kind merkte, sprach er: »ich rieche
Menschenfleisch! ich rieche Menschenfleisch!« -- Diese Worte klangen aus
eines Traumredenden Munde, in der Mondnacht und in der Nähe des todten
Schwesterchens zauberhaft-ängstlich, und Johannes war herzlich froh, als er
seinen Knaben glücklich hingelegt, und Daniel sagte nur noch: »da machte es
sich geschwind fort und kam zu den Sternen, die waren ihm freundlich und
gut. Der Morgenstern aber stand auf . . .«

Damit schwieg er. Die jüngern Kindern aber, _Sophiechen_ und _Gotthelf_
ängsteten den Vater nicht so, da sie fester schliefen; und nur Sophiechen
hatte ihn fest um den Hals gefaßt und wollte die Arme nicht wieder
wegnehmen. Johannes aber löste sie ihr langsam und legte sie ihr in den
Schooß, und die Hand des Brüderchens darein, als sei es die Mutter. Und so,
vom Mondlicht beschienen, sahe er seine Lieben noch einmal an, und Freude
durchwallte sein Herz, sie in Sicherheit zu schicken, und empfand schon,
wenn nicht ihr Glück, doch ihr Leben in der nächsten Zukunft, welche für
ihn selbst, seine Kinder und ihrer Kinder und Kindeskinder fernste Zukunft
war. So täuschte ihn sein Gefühl, und Ahnung künftiger sicherer Tage
beglückte ihn.

Obgleich Paschalis gern versprochen hatte, für alles zu sorgen und es neu
und gefällig anzuschaffen, was die Kinder bedürfen könnten, so brachte doch
Christel zuletzt noch ein Körbchen mit den bekannten Spielsachen der
kleinen Kinder, »damit sie doch gleich in der neuen Stadt ihre alten lieben
Bekannten sähen und fänden, und glaubten zu Hause zu sein, wenn sie in
ihren Spielen Vater und Mutter vergessen hätten; so gut wie die Kinder ja
oft auch daheim lieber ihre Bilder, ihre kleinen Teller und Schüsseln und
Becher und Fläschchen und ihre Hochzeiten und Kindtaufen, _selbst Vater und
Mutter stundenlang vergessen_. Und sagt nur immer: »ich komme Morgen!«
sprach sie zuletzt zu Paschalis; und ich komme heimlich so bald ich kann.
Da soll Freude sein in Mainz!« --

Als aber die Wagen langsam fortgefahren und nicht mehr zu sehen waren, fiel
Christel ihrem Johannes um den Hals und weinte. Und er sprach: Ja, meine
Christel, das ist eine schreckliche Zeit, die die Menschen am Leben
hindert, an Arbeit und redlicher Sorge für die Seinen. Aber sie sind in
guten Händen; die Stadt ist nicht weit -- und wir haben ja noch ein Kind --
das auch in guten Händen ist! Komm hinein!

Und während jetzt, beim Einmarsch der Soldaten ins Dorf, die Trommeln
wirbelten, gingen sie ruhiger Hand in Hand hinein; denn sie waren bei
einander voll Unschuld und Muth und Vertrauen und Schmerz, und glaubten dem
allgemeinen Elend ihr Opfer gebracht zu haben, und zwar ihr Liebstes. Was
sollte noch Schlimmeres kommen, was Theuerers von ihnen gefordert werden?
-- sie fühlten das nicht, denn sie hatten sich, und rechneten sich beide
für Eins.

_St. Etienne_, Christels unerkannter Bruder, trat jetzt bei ihnen als
Sergeant mit 20 Mann ein, und meldete sich mit kurzen Worten diesmal als --
_Werber_. Er hatte Vollmacht, aus jedem Hause alle gangbaren schießfähigen
und erschießensfähigen Mannspersonen zu nehmen -- ausgenommen den einzigen
Wirth oder Stamm des Hauses. Selber _Weckern_ hatte er gedroht in den
Soldatenrock zu stecken, da er keine Wirthschaft, keine Schule, keinen Kix
noch Kegel habe. _Und wenn er nicht recht bei Verstande scheine, das sei
eben recht! Selbstdenker brauche sein Herr nicht zu Soldaten;_ die Dummen
raisonnirten so gut wie gar nicht, oder nur Dummes; und ein Verrückter
werde, wenn er auch noch so Wahres fasele, billig für verrückt gehalten,
und dürfe frei reden, was er wolle, weil ihm die Natur das Patent dazu
gegeben. Eine Million Wecker, hatte er gesagt, und der Kaiser ist durch!
Die Raisonneurs aber, die Besserwisser und die Anderswoller würden ihn als
Vogelscheuche allein im Felde stehen lassen mit einer Flinte aus einem
Stocke und einem Säbel von Span. So hatte St. Etienne sich zornig geredet
und sich gelobt, Keinen zu schonen, sondern jeden Brauchbaren aus dem ja so
bald von dem Feinde besetzten Lande herauszuziehen und dem Kaiser hinüber
zur Hülfe zu schleudern, damit der Geschonte nicht sein Feind werden könne.
Denn das unterstehe sich jetzt jeder Hasenfuß. --

Wecker kam über die Rede ergrimmt und erschrocken in die Küche zu Christel,
die ihn seinetwegen tröstete, aber selbst erschrak, als sie darauf
hineinkam mit dem Frühstück, das sie ihren Gästen freundlich brachte, denen
sie alles, für die Ihren Gesparte, ohne Entgeld oder Dank dafür, hinzugeben
verbunden war -- denn »der Herr bedarf sein,« wie Wecker dem Rechte den
Titel gab. Sie erschrak, lächelte aber gefaßt und blickte St. Etienne
endlich gar lachend an, als sie ihren Johannes im Soldatenrock und einem
Chacot mit hohem rothen Stutze zugleich mit am Tische sitzen sah.

So gefällt mir mein Mann! sprach sie zu St. Etienne. Aber ich bitte Euch,
zum Scherz sei's genug! Gott sei Dank, daß die Kinder nicht da sind! Die
schrien sich todt, und Daniel fiel Euch zu Füßen, wenn er in seines Vaters
Hand »ein Pasquill auf das fünfte Gebot« sähe, wie unser Wecker einen Säbel
oder eine Flinte nennt! Eine Kanone aber nennt er gar den letzten
_Verstand_[A] der Menschheit. Pfui Johannes, ziehe Dich aus!

[Fußnote A: ultima ratio.]

Und Wecker trat auch herzu und fragte St. Etienne: »Weß ist der Rock und
das Bandelier?«

»Des Kaisers!« sprach der Sergeant.

»Nun so gebet dem Kaiser was des Kaisers ist, und Gotte, was Gottes ist!«
verlangte Wecker.

Christel wollte ihrem Johannes nun helfen, die im Scherz ihm aufgeredete
Soldatenmaskerade wieder abzuthun. Der Sergeant wehrte ihr aber und sprach:
Es ist nicht leerer Scherz; es ist voller Ernst, des Kaisers Ernst und
meiner. Ihr habt noch den alten Frommholz zum Wirth -- und euern Wecker zum
Voigt in dem Bischen Wirthschaft: der Daniel wächst auch heran -- und wie
_Ihr_ weint, mein junges hübsches Weib, so haben schon Viele geweint in
aller Welt, und Viele _schon aufgehört_ in aller Welt, und so fügt Euch
darein in dieser Welt. Gebet dem Landesherrn, was des Landesherrn ist --
und Er hat gesagt: »Der letzte Thaler und der letzte Mann ist mein!«

-- Es ist Etwas Majestätisches um Einen großen Mann, sprach Wecker. »Denn
_die Erde ist des Herrn_ und alles, was darinnen ist. Er sitzet über dem
Kreis der Erden, und die darauf wohnen, sind wie Heuschrecken! Der die
Fürsten zu nichte machet, und die Richter auf Erden eitel machet: als hätte
ihr Stamm weder Pflanzen, noch Saamen, noch Wurzel in der Erden; daß sie,
wo ein Wind unter sie wehet, verdorren, und sie ein Windwirbel wie Stoppeln
wegführt.«

St. Etienne hatte das betroffen angehört, denn es klang gewaltig, und er
sprach lächelnd: Das kann kommen! Den König von Westphalen hat schon der
Wirbelwind fortgeführt.

Die Wirbelwinde haben immer verschiedene Namen, je nach dem Ort, wo sie
einherblasen, und werden sie immer haben, sprach Wecker; wie hieß denn also
der Wirbelwind Hieronymi?

Tzschernitschef; hört' ich, antwortete St. Etienne.

So ist das schöne Land ohne König! sprach Christel. So hört doch, St.
Etienne! Das geht weiter! Was werbt Ihr also!

Johannes aber klagte aufrichtig aus seinem treuherzigen Sinne: Mein Gott,
ein Land ohne König, wie soll das gehen? Das ist das größte Unglück. Mir
däucht ordentlich als könne da keine Saat mehr keimen, kein Baum blühen und
kein Weinstock tragen! Wenn ein Land auch Alles verloren, Menschen, Häuser,
Habe, Vieh, Getreide, Geld und Wohlsein, wenn alle Uebel drin hausen und
alle Krankheiten darin sich satt fressen, und es hat nur noch einen König,
wie ein Bienenstock einen Weisel, so erholt sich der Stock wieder, setzt
Brut, höselt Wachs, baut Zellen, schleppt Honig, und das ganze Land hat
wieder ein süßes Maul. Wer wird nun die Steuern empfangen? Wer wird
befehlen? Denn ohne Befehlen hört der Gehorsam auf. O schlimme
amerikanische Zeit! --

Wir wollen Gott bitten, sprach Wecker, daß er sich wieder erbarmt und das
Herz eines Andern regiert, der sich wieder des verwaiseten Thrones erbarmt!

Bittet nur bald, sonst bittet Ihr guten Leute zu spät; sprach St. Etienne.
Ich bin glücklich! Wir sind glücklich! -- Wir haben noch einen Kaiser; und
der braucht Soldaten, nachdem er Sechsmalhunderttausend in Rußland --
_angeführt_ hat! Tüchtig _angeführt!_ Also werbe ich! Denn ohne Soldaten
bleibt Er sogar nicht vier Wochen auf dem Throne, geschweige ein Anderer
fünfzehn Tage. Darum werden wir Soldaten auch beinahe auf Händen getragen,
wenigstens, wenn's Noth thut, auf Wagen gefahren zur Schlacht. --

»-- Bank!« setzte Wecker hinzu.

Also zur Schlachtbank -- meinen Johannes! meinen einzigen Sohn, den
_einzigen Vater_ der Kinder, den _einzigen Mann_ unsrer Christel! sagte der
alte Frommholz betäubt: »Das ist der Kaiser nicht werth. Viel Hunde sind
des Hasen Tod, und er wird es nicht lange mehr bleiben -- aber jetzt
freilich bin ich noch hier in dieser eurer Gewalt.«

»_Ihr_ nicht! alter Mann!« belehrte ihn St. Etienne, noch lachend.

Ja wohl ich, nur ich; stöhnte der Alte verworren und schwieg.

Ihr bleibt wo und wer Ihr seid, erklärte St. Etienne. Aber, freilich, wäret
Ihr nicht, so wäre _Johannes_ der Einzige auf der Bude, die zu
_Einquartirungen_ und _Lieferungen_ und _Abgaben_ und _zur Zucht_ von neuen
Soldaten gebraucht wird, und Johannes wäre frei.

»Frei!« rief Wecker wie ein Echo aus jener Welt.

Warum hab' ich so lange gelebt! seufzte der Alte. O, die Verheißung Gottes:
ein langes Leben und graue Haare, sind nun ein Fluch und eine Strafe
geworden! Aber meine Christel, sei ohne Kummer! Ich weiß ein . . . ja ich
bin ein sicheres Mittel!

Wecker aber merkte, daß der Herr Sergeant erbittert worden und fragte
darein: Aber Johannes, wie seid Ihr denn erst zu dem Rocke gekommen? -- Und
Johannes antwortete: -- Der Herr Sergeant wollte seinen Rock ausbürsten, da
sollte ich der ausgestopfte Mann dazu sein, oder der Nothnagel.

Dankt Gott, daß ich ihn Euch nicht am Leibe _ausklopfe_ versetzte St.
Etienne. Nachmittags 2 Uhr Exerciren, hier im Hofe! Alles, was noch gesund
ist bei Euch im Dorfe, und werth auf dem Felde der Ehre zu sterben, wird
auch hieher kommen. Der Tod darf keine alten Krüppel auf dem Schlachtfelde
finden, sondern _lauter nagelneue, brühwarme_. Sollen wir Andere mit Lahmen
und Blinden, mit Einäugigen und Buckligen -- fallen, welcher brave Soldat
wohl vertrüge die Schmach. -- Also, Johannes, um zwei! --

Der alte Frommholz aber schlich sich fort in seine Kammer, setzte sich auf
sein Bett, blieb erst lange schwermuthsvoll, dann gedankenvoll, und sprach
endlich laut mit sich selbst: »Frommholz, altes mürbes Holz, Du hast Dir
immer im Leben Rath gewußt; nun rathe Dir auch; oder nimm meinen Rath
gleich lieber an, damit _Christel_ keine Wittwe wird, _die Kinder_ keine
Waisen, und _Du_ kein Bettelmann mit Weckern! Kein Mensch kann eines andern
Treppe brauchen, das weißt Du als Zimmermann; und so hat auch jeder seine
eigene passende Leiter zum Himmel. Zum Himmel? Ach, Frommholz! Doch, wer
anklopft, dem wird aufgethan; und wer so anklopft wie ich, _nicht um selbst
hinein zu kommen_, sondern um aus stürmischem kaltem Regenwetter gute
verlorene Kinder hineinzusichern, den läßt man vielleicht mit einlaufen,
wie auf der St. Bernhardsstraße den armen guten Hund, der verirrte Menschen
in die warme Stube bringt! Ich wenigstens stieße das gute verständige, vor
Kälte stumme Thier nicht wieder mit dem Fuße über die Schwelle zurück in
den Schnee und die Kälte, in das Heulen und Zähnklappern hinaus -- _in die
Hölle!_ Doch Frommholz, Frommholz! Du thust mir recht leid! -- Wehe denen,
die durch alle Jahre bis in ihr Alter richtig und glücklich gewandelt, und
erst im letzten Jahre einen Stein im Wege finden, worüber sie Hals und
Beine brechen! -- Hals und Beine!« --

Der alte Mann sprang erschrocken auf, und besah sich seine noch ganzen
Gliedmaßen, und versuchte den Kopf auf dem Halse zu drehen, und er war auch
noch ganz, -- »Nun,« sprach er, »so ist es doch schlimm, daß es Dich
trifft, denn kein anderer kann helfen! Siehe aber, Du weißt ja, manches
Holz macht dem Menschen wenig Plage -- einige Mal den Stamm querdurch
gesägt, die Himpel mit dem Keile gespalten, einige Schläge darauf, dann die
Kloben in Scheite gespalten -- so ist es verbrannt und Asche. Ein anderes
bloßes Stück Holz aber soll eine Säule zu einer Wendeltreppe werden, oder
ein geschnitztes Altarbild, und macht eine lange, saure Plage! Doch Deine
ist kurz. Und gestehe nur, Soldat Frommholz, der Du in Deinen vierziger
Jahren statt Späne von Balken, _Arme vom Leibe, und Köpfe vom Rumpfe
hiebst_, gestehe nur, _Du mein halbvergessener_ Vorfahr, daß Du die Strafe
wohl verdient! Hiebst Du nicht bei Ankona, wo der _Papst_ zur Veränderung
auch einmal _der Türken_ Bundesgenosse war, einen bildhübschen jungen Mann
zusammen, weil »Erschlagen« befohlen war, und derjenige ein Ehrenzeichen
bekam, der es darin am weitesten gebracht! Und kamst Du dann nicht ins
Quartier zu der jungen, schönen Gräfin, die ihr Knäbchen wiegte! Hörtest Du
sie nicht laut aufschreien, als sie ihren geliebten Mann in _der_ Gestalt
herein trugen, in welche Du ihn verhunzt! -- Hei! das war ein schönes
Ebenbild Gottes! -- Frommholz! Sahst Du nicht, wie sie ihr Kind aus der
Wiege riß, es hoch empor hielt, und es des Vaters unsichtbarem Todtschläger
zeigte -- daß _Dir_ die Haare zu Berge standen -- und wie sie es Gott dem
unsichtbaren Vater zeigte, daß _Du_ vor Furcht Dich bücktest, -- und die
silberne Klapper aufhobst, die dem kleinen Waisenkinde vor Angst vor der
Mutter aus dem Händchen gefallen war! Hörtest Du nicht, wie sie Rache
schwur, wenn nicht der Welt, wenn nicht dem guten, schönen
Menschengeschlecht, wenn nicht den Frevlern, die den Krieg herauf
beschworen und ihn wüthen geheißen, _bloß um selbst länger ihr Volk zu
beglücken_ -- denn doch Rache dem, der ihn erschlagen und sein schönes
Gesicht entstellt, daß sie ihn kaum erkannten. Und Du, Soldat Frommholz, Du
mußtest schweigen, und aßest still von ihrem weißen Brode und trankest
ihren rothen, süßen Wein! Und mit heiler Haut gingst Du selber heim,
legtest den Soldatenrock und die Höllenwaffen ab, und griffst zum
Zimmerbeil wie nach einem Kleinod. Aber vergessen habe ich, ich grau
werdender Zimmermann, nicht Dich Fleischer, Menschenjäger und Brandstifter
auf anderer Leute Gewissen hin! Und ich Zimmermann sage Dir jetzt: Mensch,
Du sollst Deinem Gotte mehr gehorchen, als den Menschen! Denn Menschen sind
alle, wie sie auch heißen, ob sie Kronen tragen oder Pelzmützen, Sterne
oder Knöpfe. Und kein Mensch kann das fünfte Gebot aus der Bibel kratzen,
oder das »nicht« aus demselben vertilgen und Gott zum Trotze mit seinem
Kain-Finger in die Gesetzestafel schreiben: »Du sollst tödten!« ohne daß
ihn der Donner des Herrn erschlüge! -- »Aber,« warf ihm der _Soldat_
Frommholz ein: »Sie thun ja doch so -- und der Herr läßt regnen über
Gerechte und Ungerechte, und seine Sonne scheinen über Gute und Böse.« --
»Das ist eben entsetzlich! Die sanfte, liebevolle, schweigende, himmlische
Mahnung!« entgegnete ihm der alte Zimmermann Frommholz. Manchmal, wenn ich
in Frankfurt war, habe ich mich gewundert, warum denn die Juden nicht
Christen werden! -- Oder doch die Türken! -- Da sagte mir ein vornehmer
Mann, der meine _laute_ Verwunderung hörte: »Ich würde die Juden und die
Türken verabscheuen, wenn sie _das_ werden wollten: was wir _sind_ oder
heißen, alter Mann! Und als Mahomed erschien, hatte seine Lehre reißenden
Fortgang, weil es schon 300 Jahre vor ihm keine wahren Christen mehr gab.
-- Ich muß in die Sitzung! Lebt wohl!« So schied er. Und jetzt da Einer 300
Meilen weit hergeritten kommt, um meine kleine, liebe Sohnestochter
aufzuspießen, und ich sie nicht einmal _vor_ dem Wirrwar hineingetragen --
nun will ich, der Zimmermann, Deine Sünden wieder gut machen, Soldat,
gottloser Frommholz! Aber weiche von mir auf Erden, und erscheine mir einst
nicht im Himmel! Wir sind geschiedene Leute!«

»Und nun, mein Alter, sprach seine Seele weiter, Deine Sache ist leicht! Du
zimmerst am Thurme ja, wie das ganze Dorf weiß; . . . Du legst nun das
Brett auf einer Seite hohl; . . . Du haust fehl -- es schwankt; . . . Du
schwankst -- es fällt; Du fällst . . . und _Johannes ist kein Soldat_, so
wahr meine alten Gebeine nicht von Eisen sind! Und nur ein Scrupel bleibt:
daß sie Dich ehrlich begraben! Johannes beweint mich redlich! Christel geht
schwarz in Trauer um mich, und die Kinder pflanzen ihre paar Blumen auf
mein Grab, und kommen zu mir, sie an schönen Sommerabenden frisch zu
begießen. Und der Mond geht auf, und die Linden duften, und »zum
Wahrzeichen« hänge ich angenagelt und aus Holz geschnitzt und mit Oelfarbe
bunt gemalt, an der Ecke des Thurmes -- und die thörichten Kinder im Dorfe
sprechen: »Das ist der alte Frommholz!« Aber der Wahre hat die Seinen aus
der Gewalt der erbärmlichen Zeit errettet. Denn was ein Mensch kann, das
wissen die Millionen nicht!«




VI.


Johannes mußte nun auf Christels Fürbitte für den armen _Sebastianow_ und
auf des Sergeanten Befehl den Sonntagsbarbier holen. Dieser aber lag --
krank, weil ihm schon Wecker im Thurme gedroht hatte: er müsse zu einem
Russen kommen, der also wahrscheinlich die _ansteckende gefährliche_
Krankheit an sich haben und ihm mittheilen konnte. Darum lag der
vorsichtige Mann gleich lieber selbst gesund im Bette krank, und pflegte
sich ganz im Geheim endlich einmal recht aus. Aber sein Bruder, der
Licentiat war gekommen, um sich gleichfalls nach Mainz ins Sichere zu
begeben, und hatte bei seinen Kunden umher, auf die Furcht vor der
grassirenden Krankheit sich -- das Reisegeld und die Aufenthaltskosten
geborgt, und von den furchtsamen Leuten, die alle Hülfe vom Arzte erwarten,
es auch gern, gefällig und richtig geliehen erhalten -- und ohne
Schuldschein. Starben sie also während der Abwesenheit seines Leibes --
denn Geistesgegenwart besaß er nirgend -- so waren sie bezahlt; oder er
bezahlte die Familie durch neue Liquidationen, die gerade die Summe
erreichten oder um einige Gulden oder Kreuzer noch überstiegen, damit die
Rechnung nicht studirt schien. Der Licentiat nun konnte seinem alten
Freunde Johannes nicht ausweichen, der mit _Holenlassen_ zu drohen
beauftragt war, und erwiederte: »Lieben Leute, Ihr thut wahrhaftig den
Aerzten zu viel Ehre an, in dieser letzt betrübten Zeit, wo ich wenigstens
meinen Bankrott gestehe. Wir sind so gewöhnlich gut, wo nichts ist; aber
jetzt, wo diese Krankheit herrscht, da beweisen wir der Welt, daß Jeder
selbst sein bester Arzt ist, wenn er sich _vor ihr_ und _vor uns_ sein in
Acht nimmt -- wie ich, und meine liebe Frau! Denn wir wissen das sicherste
Mittel selbst gegen die Pest: -- »_Pest fliehe bald! Fliehe weit! Und spät
erst kehre zurücke!_« -- Und Jetzt kann man bei jedem Leidenden das Leiden
vermuthen! O Gott, wann werden wir wieder drei Monate Zeit haben eine
Krankheit zu curiren! Denn diese läßt sich nicht _spinnen!_ Und Ein Thaler
bei Tag für den ersten Besuch ist auch der letzte! Wie soll das werden?« --
Doch als die Frau Licentiatin gratulirend und lächelnd gefragt und gehört
hatte, daß die vorher so preßhafte _ganze Familie_ sich nun in gesegneten
Umständen befinde, nicht bloß mehr die liebe Hausfrau _Christel_, also
bezahlen konnte und gut bezahlen mußte, so legte sie bei ihrem Manne ein
bittendes Fürwort ein, das aber wie er wußte, ein unweigerlicher Befehl
war. Und so versprach er zu kommen -- doch in der Dämmerung, aus besondern
Gründen. Frau Licentiatin räucherte, daß Alle husten mußten; selbst der
Kranke im Bett in dem Alkoven; und als Johannes schied, sagte sie ihm noch
zum Troste in der Thür: »Vertraut nur der Christel . . .«

Das thue ich immer in Allem; versetzte Johannes.

». . . Nein vertraut ihr nur das: »ihr Schweinchen hatte Finnen! So vergißt
sie es leichter.«

Johannes aber schied stumm. Aber wie erschracken sie Alle, als am Abend --
ein Elephant die Thür aufmachte, und seine lange, bis auf die Erde
reichende und riechende Nase, oder den Rüssel, vorsichtig über die Schwelle
zog -- und »Guten Abend!« sagte, hinter einer Larve mit Glasaugen hervor.
Denn es kam nur der Anfang, das Vordertheil eines jungen Elephanten herein,
dem der Körper fehle; denn die glanzleinewandene Erscheinung sagte gleich
selbst: »Ich bin der Licentiat, der seine Sicherheitsnase, die nur etwas
reine Luft an der Erde holt, nicht zu fürchten bittet!«

_Sebastianow_ aber sprang von dem Bette; man hielt ihn, bedeutete ihn
schwer, daß die Gestalt sein Doctor sei, und er ließ sich endlich zum
Niedersitzen bewegen; schloß aber die Augen, als Christel Licht brachte,
damit er verbunden werden könne, und bat unter nachlassendem Zittern um
etwas Niederschlagendes für ihn, und rief: »Mutter, Schnaps!«

Entweder dieses niederschlagende Getränk, der Schreck, der Verband, die
Hoffnung, oder Alle zugleich, stärkten Sebastianow, daß er dann aufblieb,
und seines Glaubens eingedenk war, sobald er sich wieder allein befand mit
der kleinen Todten. Er suchte sich aus den Bildern an der Wand Jemand aus,
der seinem Schutzheiligen am ähnlichsten sah; zündete Lichter an, und las,
nach seinen Gebräuchen, aus seinem Büchlein nun unaufhörlich Gebete, bald
leise, bald laut, bald still, um auszuruhen. Das that er dem Kinde zum
Nutzen im Himmel, und sich zum Vortheil auf Erden, weil auf die Beerdigung
dann, seiner Meinung nach, ein prächtiges Abendessen zu hoffen stand, oder
weil er sich dadurch Christels Gunst erwerben wollte, der die einfache
Feier gefiel, die aber von selbst schon Alles an ihm that, um nicht zu
ihrem Schmerz noch Rache zu fühlen, _und sich nicht die heiligsten Tage
einer Mutter zu verderben._

Als nun das Särglein fertig war, und grün und weiß gemalt mit der Farbe der
Unschuld und Hoffnung, und Wecker den Text auf das Kreuz geschrieben, da
schritten sie zu dem Begräbniß. Und Wecker las _latent_, wie er es nannte,
erst selbst _als Schuljunge_ oder Custos, an der Hausthüre mit
nachgemachter Knabenstimme, die schöne Verkündigung von den Todten; dann
las er wiederum selbst mit Baßstimme drinnen an der offenen Stubenthür die
Trostworte des Engels, als _geistlicher Herr_, mit viel mehr innerer Würde;
und wer ihn sah, der wußte, was er las, und weinte _latent_ mit, wie er;
denn das Haus war voll fremder, unbekümmerter Menschen. -- Darauf sprach
Wecker als bloßer angemaßter Schulmeister und treue Hausseele: »Nun sind
wir so weit! Liebe Christel! Wenn nur Jemand Todtes da ist, so kann man
immer begraben, nämlich einmal, nicht alle Abende, wie die Kinder den
Staar. Wir warten vergebens auf einen ruhigern Tag, und Johannes steht
schon seit Mittag im Hofe exerciren mit einem Prügel statt einer Flinte,
wie ein Bär; und der abgewachsene Mensch und Ehemann lernt nun auf _einem_
Beine stehen, wie eine Gans -- ganz prachtvoll! und lernt den Kopf drehen,
wie ein Wendehals, ganz wunderbar! Hört nur das Commando: Köpfe -- -- --
links! Köpfe -- -- -- rechts! und so fliegen ihnen die Köpfe, als wären sie
nun jemand Anderm! -- Prachtvoll! Und jetzt treten sie gar den Gänsemarsch
an -- Einer hinter dem Andern! Prachtvoll! Und nun Köpfe links! und Köpfe
rechts dazu -- schwer! doch nun ganz erstaunend! Hei, nun schwenken sie!
sie defiliren hierher, wie Enten, Alle an einem Faden Zwirn, und der
Hinterste hat den Speck im Leibe; und die Arme haben sie Alle ohne
Windelschnur fest am Leibe, wie Wickelkinder -- und schreien, ja mucken
auch nicht, sondern sehen ganz jämmerlich-ehrwürdig aus! Soll ein Mensch
nicht erstaunen, was aus einem vernünftigen Menschen werden kann, sogar
eine Maschine! Also _die_ Kunst ist nicht gelungen: eine Maschine zum
Menschen zu machen, wie man schon einen Trompeter hat. Aber die Kunst
florirt: Menschen zu Einer Maschine von Einem zu machen. Und die _stille
Musik_ dazu! Nein, ich bin außer mir vor Freuden! _Laßt uns begraben, daß
ich weinen kann!_ Denn ehe die Rekruten -- schon ein ganz himmlischer Name
-- ein Rekrut -- ehe nicht zwanzig Stück halb todt umgefallen vor Müdigkeit
und Gänsestehen und Entenmarschiren, jetzt _hier_ niedrig, jetzt _drüben_,
ehe läßt man sie nicht aufhören zu exerciren. Johannes kommt also vor Nacht
nicht in sein Haus, und marschirt wie ein Betrunkener vor seiner eigenen
Thüre herum und vorbei! _Laßt ihm die Freude!_ Uns aber laßt allein zu dem
Werke schreiten; da die lieben, kleinen, weißen Mädchen des Dorfes nicht
mittrippeln mit ihren Kränzen, so schreite ich mit. Denn Alte gehen nur mit
Alten, Weiber mit Weibern, Jungfrauen mit Jungfrauen, und Männer mit
Männern zu Grabe, nach unserem schönen Gebrauche in Zahlbach. Jetzt aber
lassen die Aeltern, wie keine Gans und keine Henne noch Ente, auch die
lieben Kindlein nicht heraus aus dem Wirrwar in allen Häusern in den
Wirrwar vor allen Häusern; Sr. Auchwohlerwürden der Herr Schulmeister, kann
auch nicht mit schreien, noch mit schreiten, denn er hat »_vom Volke_« --
wie wir mit Recht den Ausschuß desselben nennen -- mit Unrecht Schläge
bekommen, weil er die Suppe zu heiß ausgethan und die Herren sich die
Schnäbel verbrannt, und ist _ausgetreten_. Sr. Hochehrwürden, der Herr
Pfarrer Lademann aber kann nicht mit einherschlendern, weil er erst ein
junges Weib, einen schönen, lustigen Finken aus Bockenheim, genommen; ist
also noch eifersüchtig und ganz verschämt oder confus, besonders da sich
der gnädige Gottlieb, nunmehriger Lieutenant bei den Cohorten, im
Pfarrhause dermaaßen einquartiert, daß er jämmerlich schiert, um sich
vorerst Furcht zu machen. Darum schreitet der Herr Pfarrer nicht dreißig
Schritt geradeaus mit dem Rücken vom Hause, für dreißig Ducaten; aber
zweihundert Schritt um die Ecke der Kirche, nicht um zweihundert Louisd'or.
Da ziehen ihn Eure sechszehn Kreuzer denn diesmal nicht. Auch geht man
jetzt nicht _auf_ der Straße, sondern bei dem Wetter _in_ der Straße bis an
die Waden. -- Ich muß also schon mit schreiten oder waten, das seht Ihr
ein! Seid nur so gut!« --

Und so fuhr denn der alte Frommholz das liebe Kind auf dem Gras-Schiebbock
zu dem ausgeworfenen Grabe, und des Kindes Mutter ging allein still hinter
ihm als Leidträgerin; Wecker aber vorn, als Schulmeister, Schule und Custos
mit dem Kinderkreuz, und sang -- stumm, oder latent, mit sehr beweglichem
und bewegtem Gesicht, wie Jemand, der mit vollem Munde kauet; er aber hatte
Seelenspeise auf der Zunge, und labte sich recht.

Als sie bei dem Hofthore auf dem rechten Flügel der »Rotte« vorüber kamen,
hätte Johannes, der mitten im langen Gliede stand, seelensgern _rechts_
gesehen, um wenigstens seines Kindes kleinen, bunten Sarg noch einmal ins
Auge und in die Seele zu fassen; aber die Köpfe waren _links_ commandirt,
und er hatte im rechten Auge nur einen mattblendenden Schein von dem
sonnebeschienenen Särglein. Es zog ihn unwiderstehlich, doch hinzublicken;
er wandte allein von der ganzen Rotte den Kopf _rechts_; und der _gnädige
Gottlieb_, der als Lieutenant inspiciren gekommen, sprang zu, und rückte
ihm denselben bei den Ohren gewaltsam in das heilige Commandowort »Links,«
und hielt ihn dann zornig am Kinn mit der Faust.

Und Johannes alter Vater, der das vorüberfahrend mit angesehen, sprach nur
halblaut vor sich: »_Es ist schon gut!_« -- Johannes aber sah sogar die
große soldatenbunte Gestalt des gnädigen Gottlieb nicht, die ihm nahe in
die Augen grollte; sondern vom Scheidegefühl und dem stillen Lebewohl ganz
anders ergriffen, sprach er nur, im Herzen _still_, die Worte seinem Kinde
nach: »Der Herr behütet Dich, der Herr ist Dein Schatten . . . daß Dich des
Tages die Sonne nicht steche, und der Mond des Nachts. Der Herr behüte Dich
vor allem Uebel, er behüte Deine Seele. Der Herr behüte Deinen Ausgang und
Eingang, von nun an bis in Ewigkeit.« -- »_Amen!_« sprach er laut; und der
Lieutenant lachte, und das Glied, und er ließ ihm das Kinn los.

Nahe bei der Kirche, wo die Wege sich kreuzen, ward aber Wecker von einer
Schaar betrunkener Reiter überritten, deren jeder eine Koppel wilder
Handpferde zur Armee führte; und ein, von den betrunkenen Menschen
gleichsam mit wie betrunken gemachtes Pferd sprang über das Särglein, riß
es dem Alten vom Schubkarren herab und auf, daß der Deckel weit hinflog;
ein anderes schlug scheu aus, und traf das Kind, während Christel sich
verhüllte, und mit gewundenen Händen darauf nach Hause lief wie vom Feuer
verfolgt. -- »Es ist Krieg!« riefen die rohen Gesellen. Und Einer, an
dessen Stimme Wecker _seinen Sohn_ zu erkennen glaubte, sprach lachend:
»Was führt Euer Weg über unseren Weg? Kronengut geht vor Bauerngut! Und
wenn wir die Pest am Leibe hätten, wir zögen frei durch alle Lande, und
schliefen in Eurem Bett! Fort aus dem Wege!«

»Es ist schon gut!« stöhnte der alte Vater wieder. »Mein Sarg steht schon
lange auf unserem Boden.« Und so las Wecker das liebliche, wie vor Schreck
blaß gewordene Kind wieder von der Straße in das Särglein, auch den kleinen
frischen Asternkranz von heut, und das kleine Brodchen, damit es ohne die
Mutter gut schlafe, und deckte den Deckel wieder leise und schonend darauf,
daß er dem Kinde ja kein Fingerchen quetsche. -- Und während der alte
Frommholz stumm es darauf unter einzelnen fallenden Thränen versenkte, und
zuwarf mit der immergleichen, unverweslichen Erde, sah Wecker zum Himmel
und auch zum Thurme -- und sah den Teufel auf der Spitze stehen, der ihn
herunter angrinsete unter unhörbarem Hohngelächter, während er die schwere
eiserne Fahne mit dem vergoldeten Adler um seinen Kopf schwenkte, so daß
ein Kreis von Fahnen mit Adlern sich um den Knopf des Thurmes bildete, wie
Schwalben sich an einander hängen. Und die Raben kamen zur Nachtruh in das
alte Gemäuer geflogen, und krächzten ihr Lied. Wecker aber riß das neue
schon gepflanzte Kreuz wieder aus, und hielt es -- seiner Erscheinung
empor, und sie verschwand. Zu den Raben aber sprach er empor, indem er
seine Hände vor dem Munde zu einem kurzen Schallstück höhlte und rundete:
»Ihr wißt nicht, wer ihr seid? Ihr seid Engel gegen die Adler, ja Engel
gewiß, die ihr eurem kleinen Gespielen entgegen singt. Es klingt aber
schlecht! Ich -- ich kann nicht singen -- mir ist die Kehle wie
zugeschnürt: Der Mann bin ich! . . . Wollt' ich sagen: _Der_ Vater!«




VII.


Am Morgen leuchtete in Johannes und Christels Schlafkammer die purpurne
Morgenröthe flammend herein, Christel setzte sich auf im Bett, und glühte
geblendet von dem schmückenden Scheine. --

Wo ist denn das Kind? -- Bei Dir Johannes? frug sie, sich umsehend. Da
gewahrte sie durch das Fenster, daß Berge und Bäume und Garten und Gefilde
verschneit waren vom reinsten Schnee. -- Ach, seufzte sie, nachdem sie
unter bewundernder Betrachtung sich besonnen: Ach, das Kind schläft unter
einem andern Tuche! Es ist nicht ohne mich, denn -- o mein Gott -- es hat
mich vielleicht vergessen; aber ich bin ohne seine frühe leise weckende
Stimme: »Mutter, mache die Augen auf! . . . mach' doch die Augen auf!« und
ohne seine Umhalsung und seine spielende Morgenfreude im Bett, und ohne
sein Morgengebet, und das fromme Gesichtchen, das Falten der kleinen
Händchen! Ach, ich bin um die kleinen Hemdchen und Röckchen, die Schüchel
und die Schürzchen -- ich bin um Alles -- da hängt es, und liegt es, und
sieht ganz erschrecklich aus, so still . . . und möchte doch reden! so bunt
-- und möchte doch schwarz sein, wie mein Band um die Haare. Und erst die
letzte Schmach an ihm! -- --

Es war die letzte! sagte Johannes; es ruht.

An ihm, die letzte! klagte Christel. Aber, mein Johannes, nun ist mir erst
erschrecklich zu Muth! Denn so wie uns, ist es wenigstens Tausenden
gegangen! Tausenden wird es gewiß noch so gehen -- und ärger! Und was hilft
das Unglück eines Menschen den andern? Was mir -- das fremde? Und was den
lieben fremden Menschen das meine -- oder das unsere, wollte ich sagen,
Johannes; sei nicht böse! Jeder leidet doch das eigene, das seine. Und ein
Guter leidet noch das Leid des Andern mit, wie mein Kind mir schwer wird,
als sollte ich tausend Kinder auf meinen Armen tragen. Aber, mein Johannes,
ich habe nun auch das Mitleid erkauft, Du hast es schwer erkauft, aber wir
haben es doch! Und Mitleid ist in traurigen Zeiten der heiligste Schatz.
Aber ich habe es nun auch mit Dir! Denn Du, Johannes, sollst nun gar ein
solcher Mensch werden, der alles Menschliche vergessen, ja mit Füßen treten
muß! Das ist das Aergste, und schlimmer, als meine und Deine Einsamkeit, ja
schlimmer, als wenn Du nicht wieder kämest, und Du mich verlörest, und ich
Dich! Darum hat auch der Teufel die Fahne mit den Adlern geschwenkt --
vertraute mir heimlich Wecker, besonders aber, weil der Pferdeknecht, der
ihm bei der Pferdethat an dem Kinde so gräßliche Worte gesagt von Kronengut
und Soldatenfreiheit -- weil der Abscheuliche -- sein großer Friedrich,
sein lieber Sohn gewesen ist, der ihn nicht vermuthet hat; Wecker aber hat
ihn erkannt -- als ihn der Teufel gefragt hat: -- »Wecker! war das nicht
Dein Sohn, der da reitet nach _Britzenheim!_« -- Siehe, und so ist der
alte, gute Vater Wecker fort, schon die Nacht, seinem Sohne nach; aber, was
er bei ihm und mit ihm will -- weiß Gott! Er hat ein Messer mitgenommen
. . . .

»Ein Messer?« frug Johannes erstaunt.

Ja! Aber um eine ungeheure Ruthe zu machen; denn er sagte: »Kein Vater darf
sich das Recht über seine Kinder nehmen lassen -- ausgenommen sie werden
besser und klüger als er, und es werden ihnen vernünftigere und
menschlichere Vorschriften gegeben, und heilsamere Handlungen
vorgeschrieben, als bei ihm zu Hause! _Sonst_ muß der Vater aufstehen! und
lehren und strafen und rathen, wenigstens fortzulaufen und die schreckliche
Bande im Stiche zu lassen, worein ihn der Kerl vom Thurme gemengt. Wecker,
bleibt Wecker! Aber es ist doch entsetzlich, wenn so ein curioser Mann, wie
ich, soll gescheidter sein, als viele _ganz_ curiose Leute; und so ein
armer Sünder, wie ich, soll besser sein, als die ruhmgekrönte, geschlossene
Gesellschaft von christlichen Türkenhäuptern! Wozu sie noch der Corse, _der
Corsar zu Lande_, macht, -- und _meinen Sohn!_ . . .« -- So sprach er
stöhnend und jammernd, riß mir das verweigerte Messer geschwind aus der
Hand, und ließ sich nicht halten!

Laß den guten Wecker mit seiner Ruthe ziehen! sagte ihr Johannes
betrübt-lächelnd. Alles zu dulden bin ich auch nicht gemeint! Zum Ackern
lassen sich selber die Ochsen geduldig anspannen, und ziehen im Schweiße
ihres Angesichtes bis die heilige Sonne zu Rüste geht, und der Acker in
Schatten und Dunkel liegt; aber wunderlich ausgeputzt mit goldenen
Klapperblechen, werden sie rasend bei der Stierhetze, wie der Großvater von
Rom uns erzählt hat. Wir Völker, mit uns allein, ohne Hetzer, sagte er,
würden alle in Frieden leben, wenn man diejenigen ruhig beisammen ließe,
die einerlei Sprache reden; höchstens würde einmal ein Viehstreit oder ein
Hutungsstreit ein paar Stunden dauern. Aber, da sind Andere, die glauben,
die Erde zu besitzen und verschenken zu können, wie einen großen grünen
Schweizer Schabsickerkäse mit Kräutern und Maden und Milben -- als nämlich
mit uns Erwachsenen und Kindern, wie der Papst; -- und Andere, die glauben:
die Länder eigenthümlich, wie ein Müller seine Mühle oder die Mahlsteine zu
besitzen, sie rund machen zu müssen, sie Mehl für sich mahlen zu lassen,
sie verkaufen, vererben, ja entzweireißen und theilen zu können, als wären
es wirklich bloß Steine . . . und nun kommt dazu: daß Viele das wollen,
oder wie der Großvater eben behauptet: nur Einige; -- und so mahlen sich
die Steine zu Schanden, von einem dampfenden Menschenblut-Strome getrieben,
und von fühllosen Rädern aus Eichenholz; und statt Mehl kommt Menschenasche
und Knochenkleie herunter, die auf zum Himmel riecht, und die Müller selber
werden elend von dem Elend, schleichen schlaflos auf den Gängen umher,
hören mit Angst die Glocken rufen: »neue Menschenknochen aufzuschütten!«
und wollen doch Müller heißen und bleiben; denn anders haben sie nichts
gelernt. Wenn sie aber _Christen_ wären -- ließen sie den lieben Gott seine
Gaben auf seine Mühle schütten, ließen _ihn_ das Mühlhaus beglücken, und
hätten Freude und Schlaf und Dank. Und wenn der Müller nicht ein Christ
wird, so kann es Gott selbst nicht anders bessern, als wenn die _Menschen_
Christen werden, nämlich wir, wir Alle, und nichts mehr thun und leiden,
als was Christus der Herr oder die zwölf Jünger gethan oder gelitten
hätten. Darum muß sich das Volk nicht unterweisen lassen im Aberglauben, es
muß keine Zauber- und Hexereistückchen-Fabrik mehr in Italien geben; das
Volk muß nach der _wahren_ Lehre Christi fragen, und darum fleißig das Wort
Gottes lesen, um des Teufels Worte auszurotten!

»_Nichts weiter!_« sagte Christel zum Morgengebet. »Nichts weiter;« ich
habe es gestern im Stillen weinend mit angehört, wie Dir Dein Vater das
Alles gestern im Dunkeln gesagt hat. Ich war ja in der Stube. Doch _indeß_
-- indeß -- bis dahin: wer will Dich retten. Soldat zu werden, mein
Johannes, und von der Schmach: Deinem deutschen Vaterlande neue Ketten
schmieden zu helfen mit Deinem christlichen Seitengewehr! Denn der Kaiser
wird nicht klug! Ein anderer Vater wird menschlich, wenn er einen Sohn
erhält; aber nun _der_ seinen kleinen König von Rom hat, nun will er ihm
erst das große Reich recht groß machen, wenigstens sicher und fest -- aber
Du weißt, was der Adam Müller prophezeiet hat! Das klingt ganz anders! Wenn
ich den Mann nur einmal sehen sollte, der ein Bauer sein soll, doch was für
ein Bauer -- ein Prophet wie Daniel! -- Ach, was wird _mein_ Daniel machen?
-- »Ich muß fort, ich muß hin!« sprach sie, von dem Namen des Propheten an
ihren Knaben erinnert.

Gehe in Gottes Namen! hieß ihr Johannes. Ich aber habe Muth zu thun und zu
leiden . . . . Jedes aber nur, so lange sich jedes mit meinem Gewissen
verträgt. »Ich will ein Schaaf scheinen, wenn ich nur keines bin; und ich
will ein Tiger scheinen, wenn ich nur keiner bin. Aber ich werde keiner,
das fürchte nicht! Nur habe ich durch des Großvaters Worte eine große
Hoffnung gefaßt! Wenn nur die Menschen alle _die_ Hoffnung haben und die
Aussicht, die das Wort Gottes verheißt, das nicht lügt -- eben weil das
Wort sich in jedem Menschen selbst wahr macht, und der Mensch selber ist --
so sehen sie es eine Weile noch an, wie die Welt läuft, oder wie die Mühle
geht; und wenn nicht gut, dann schützen sie selber den Blutstrom ein, und
die Müller mögen ihre _eigenen_ Kinder mahlen, nicht unsere! Denn wir, wir
legen Alle, ein Jeder die Hand auf das Herz und sagen: Du sollst nicht
länger bluten als dafür: -- daß wir nicht länger bluten, und daß wir nicht
länger zu Staube gemahlen werden, und unsere Kinder! -- so sagt der Vater.«

Christel tröstete indeß ihren redlichen Mann, mit allen holden Tröstungen,
die ein junges schönes liebendes Weib im Ueberfluß hat; und sie saßen in
süßer stiller Betrachtung noch einige Zeit neben einander, indem sie sich
still an den Händen hielten. »Deines Vaters Geburtstag ist heut,« sprach
sie endlich; »heut ist er siebzig Jahr.« Gott erhalte ihn uns noch lange!
besonders nur _mir_; denn was er mir thut, das thut er Dir und Deinen
Kindern. Jedoch wenn er auch nur noch ist, lebendig und gegenwärtig; wenn
er ißt, und es ihm schmeckt, und er sein Gutes empfängt von uns in seinen
letzten Tagen, so ist ein Alter schon unersetzlich im Hause, ein wahrer
Hausschatz, den kein _anderes_ Gut mehr aufwiegt. Denn jedes ist schon ein
eigenes, und ein alter Vater auch ein eigenes. Darum wollen wir den Tag
still feiern, und kochen etwas Besseres für Alle, oder braten von den
Gänsen; und so mögen es heut Alle bei uns gut haben, wenn sie auch nicht
wissen: warum? selber der alte _Sebastianow_ und der große Peter, der Hund.
Ich aber gehe nach Mittags den kurzen Weg zu den Kindern in die Stadt, und
zur armen Dorothea, die einmal nicht glücklich werden soll, das junge
Mädchen. Auch bringe ich vielleicht von ihr heraus, was ihr ist, geschehen
ist, oder Gott verzeihe mir, was sie vielleicht gefehlt hat! In _diesen_
Zeiten ist Niemand vor großen Fehlern sicher, ja nicht vor Verbrechen; die
Angst, die Furcht, die Entrüstung, die Rache sind los, und ergreifen Einen
um den Andern, den Schuldigen und den Unschuldigen -- und nichts ist
länger, selbst die Gerichtsbank nicht, als Gottes Langmuth -- spricht
Wecker; aber in _der_ Länge ist Muth und Gewißheit. Und erhasche ich nur
ein Wort von Dorothea, verschweigt sie auch nur eine Antwort, so sehe ich
durch ihr Wesen, wie durch einen Schleier, und kann ihr dann rathen und
helfen! Nur ein Weib löst einem Weibe die Zunge, und weiß sie recht aus dem
Grunde zu verstehen, recht aus der Seele Theil an ihr zu nehmen und es mit
ihr gut zu meinen als wie mit sich; denn beide sind Weiber, und aus
demselben weichen Stoffe -- aus Liebe und Thränen! --

Christel brach ab; denn sie sahe durch's Thor einen vornehmen Reiter herein
in den Hof gesprengt kommen und halten. Als Johannes hinabgeeilt, kam er
wieder und schickte Christel in den Hof. Der fremde, schöne, junge Herr
rief sie nahe an sein Pferd und ritt dann an einer einsamen Stelle des
Gehöftes, immer im Kreise langsam umher, während er hochglühend im edlen
Gesicht, und doch sehr niedergeschlagen sagte: »Ich heiße _Ellenroth_ und
bin . . . oder war, oder heiße noch der Bräutigam Euerer Dorothea.« Er
holte schwer Athem, dann fuhr er mit einem Seitenblicke zu Christel geneigt
fort: »Und so glaube ich Euch schon ganz bekannt zu sein; denn von einem
Bräutigam wissen die Verwandten der Braut schon Alles; und wißt: ich bin
ein junger Mann, der ein Mensch werden will durch ein Weib. Denn durch ein
Weib wird man ein Mensch, nicht erst ein Mann; der muß man dazu ja gewesen
sein. Auch bin ich Euch durch meine Liebe zu einer Verwandten von Euch
gewiß schon lieb und vertraut -- wie ein Anverwandter -- wenigstens habe
ich herzliches Vertrauen zu Euch, und bedarf Euern Rath und Euere Hülfe,
denn _Ihr_ seid jetzt gleichsam die Mutter der Dorothea, da Euere Schwester
_Martha_ dahin ist -- dahin, wo . . . fürchte ich . . auch Dorothea bald
folgen wird, oder zu folgen glaubt. Denn nehmt nur den Brief hier von ihr!
»Sie will nicht die Meine werden« -- _weil_ sie mich liebe und ehre; aber
auch keines Andern -- weil sie mich herzlich bemitleide und beklage. Ja,
sie meint: »Gott erhalte mir nur meinen Verstand, damit ich nicht
katholisch werde, weil ich dann in ein Kloster gehen könnte.« Leset!
Erkläret mir, helft! Ich bin unschuldig und rein wie der gefallene Schnee!
Und auch Sie ist gewiß so leicht über die Erde gewandelt, wie über Schnee,
ohne eine Fußtapfe zu beflecken! Da, nehmt!«

Christel nahm den Brief, blieb stehen und las, während Ellenroth in großem
Kreise langsam umherritt. Darauf ging ihm Christel entgegen und sagte ihm
traurig: »Was ein Mädchen, wie Dorothea sagt, so sagt, und schreibt, das
hält sie gewiß, dabei bleibt es. Armer, junger Herr!«

»Geht zu ihr!« bat er; »redet noch einmal zu ihr! Ich bin so thörig wie
alle Menschen, die das Theuerste entbehren, das Aeußerste dulden, wenn sie
nur klar wissen, warum? und wie es gekommen! Und diese Thorheit beweiset,
_daß es ein größer Glück giebt als alles Glück oder alles Unglück_ -- und
das ist: _die Wahrheit_, ist die Vernunft! Ach, daß die Liebe zu dem Weibe
mir nur nicht höher wäre, liebe Christel! Denn erfahre ich auch den Grund
der Zurückweisung und Verweisung meines Herzens auf sich selbst, so ist es
doch leer, halb, zerrissen _ohne Sie_ -- und der Tod ist jetzt leicht zu
finden: ich werde Soldat! oder erlöse durch meine freiwillige Gestellung
vielleicht und gern noch einen gezwungenen Vater von Kindern! Vielleicht
sollte das nur so kommen, _das_ sollte ich im Leben vielleicht nur thun!
Wer weiß, wozu ein jeder bestimmt ist auf Erden. Doch _die Tage_ erst
lichten _das Leben_ auf -- und die finstern: ein helles! Nur verdenkt mir
nicht, daß mir die Augen tröpfeln! Vor Euch will ich es nicht verbergen.«

Christel meinte in diesen Worten auch eine Schickung Gottes zu sehen, ward
durch und durch froh, und über und über roth, und wollte den verlorenen
oder nicht erst erworbenen Freund inständigst bitten . . . wenn er denn
wollte, was er müßte, oder müßte was er wollte . . . diesen Dienst dann
_ihrem Johannes_ zu leisten . . . den Vater ihrer Kinder frei zu machen von
den Soldaten, durch sich! Aber sie erröthete bei dem Tröpfeln seiner Augen
ganz anders. Denn Thränen rühren ein Weib am meisten, und unter allen
Thränen, die Thränen eines Mannes, der schön und edel und _muthvoll_ ist;
ja diese solche Thränen erheben sie über sich selbst, und geben ihr alle
ihren weiblichen Adel wieder und eine Himmelsseele dazu, oder erwecken sie
nur in ihr, wenn sie schlummerte. Und so erwiederte Christel: »Armer Herr!
Ich weiß gewiß, es ist vergeblich -- aber ich gehe zu Euerer Dorothea.
Bleibt bis zum Abend hier . . . und kann ich Euch nicht helfen . . . so
helfet Ihr uns! Und Ihr . . . Ihr könnt es, und wollt es gewiß . . . schon
um Dorothea's willen! -- Die wird sich doch freuen über Euch!«

»Sagt es dann gleich lieber jetzt!« bat er. Aber sie beruhigte ihn damit,
daß sie gleich nach Mittag in die Stadt gehen werde, nahm ihm das
heißgerittene braune Pferd ab, und als er hineingegangen, sahe er bald
darauf -- den Johannes exerciren, und faßte im Stillen selbst den
Entschluß: den redlichen, einfachen, aber den Seinen so kostbaren Freund zu
erlösen . . . oder verstand er jetzt erst Christels Worte. Denn manche
Worte werden erst spät verstanden, oft Jahre und Jahrhunderte nachdem sie
verhallt sind, »wie die ächten wenigen Worte Christi,« wie Wecker sagte.

Der alte Frommholz aber wußte von dieser fast gewissen Hülfe nichts, und
auch von keiner andern irgend woher. Aber er wußte heimlich aus einem
andern Hause den noch verborgen gehaltenen Befehl: »daß übermorgen, oder
schon morgen, die Neugeworbenen, Alte und Junge, selbst halbe Greise und
halbe Kinder, die nur verwüstet wurden, über den Rhein auf jene linke Seite
geführt werden sollten.« Darum hatte er beim Schlafengehen große Sehnsucht
nach dem Tage. Der untergehende, prachtvoll schillernde Mond, der vor
einigen Tagen schon voll gewesen, täuschte ihn: sehr früh aufzustehen, und
zwang ihn gleichsam, die wechselnden aber immer wiederkehrenden Wunder der
Nacht noch einmal recht zu genießen; bis er sich in seinen geschnitzten
Lehnstuhl setzte, und mit stiller Freude endlich die Tritte seines Johannes
über sich hörte. Da löschte er im Kalender, schon in der heiligen
Morgenfrühe den Tag aus -- den Montag -- wie er sonst immer erst nach dem
Abendsegen that; dann zog er die stehengebliebene Wanduhr auf; ließ den
Kukuk die Stunden nachrufen -- und schrieb noch einmal seinen Namen auf das
mit Schiefer belegte Tischblatt, sahe ihn an, und löschte ihn lächelnd weg.
Dann betete er aus seinem _Kubach_ das sonderbare, doch ächte »Gebet eines
Schieferdeckers, so er vom Thurme fällt,« welches zwei Seiten lang ist,
also einen wolkenhohen Thurm voraussetzt, wenn der dabei besonnene
Unglückliche nicht eher auf Erden anlangen soll, als er es ausgebetet hat.
Er merkte das, und lächelte die geringe Höhe _seines_ Thurmes und seinen
Fall, wie ein Kinderspiel, dadurch hinweg -- und das Gebet bekräftigte ihn
und machte ihn stark! Dann öffnete er die Stubenthür einen Fingerbreit, um
noch einmal zu sehen: wie Alles darin morgen stehen würde! . . . . Wie in
fünfzig Jahren . . . . in hundert Jahren die liebe Sonne so hereinscheinen
würde!

Der stille Herr Ellenroth machte das Frühstück still. Doch sagte Christel
dem Großvater, daß sie zu den Kindern hineingehen würde, und er ließ sie
alle grüßen und bitten: »sie sollten ihn nicht vergessen!« Das durfte er
sagen. Aber Johannes durfte ihm nicht sagen, daß sie seinen Geburtstag
begehen würden; um ihn beim Mittagsessen zu überraschen.

Als der Alte aber an die Arbeit gehen wollte, bat ihn Johannes: »Vater,
bleibt doch zu Hause! nur heute zu Hause!« Das Wort traf den alten Vater,
als sei er verrathen. Doch als der Sohn hinzu setzte: »macht wenigstens
Mittags bei Zeiten Feierabend; die paar Schläge an dem Thurme werden ja
noch vor dem Winter gethan werden« -- da versprach er zu Mittag bei Zeiten
bei ihnen zu Hause zu sein -- und sähe sich jetzt um, wie es dann in der
Stube unruhig aussehen würde, wie er daliegen würde todt und zerschmettert;
aber auch, wie er des Sergeanten, ja des Kaisers grausame Befehle zu bloßem
Wasser gemacht; und freute sich, daß so Jeder, der stark etwas Gutes will,
frei ist von allen über den Ländern liegenden eisernen Gittern; und nur das
Eine that ihm in seiner redlichen Seele leid, das ehrliche Begräbniß, das
sie ihm würden angedeihen lassen; und das Bedauern, als sei er unglücklich
gewesen in seinem Tode; da er doch grade sich säen wollte in Gottes Erde
als einen Keim des Glücks für die Seinen. Und so sagte er nur zu Johannes:
»Du bist mein lieber, mein einziger Sohn! Und Du meinst es gut mit mir --
das merke ich heimlich! Merke nur auch heimlich: Ich meine es auch gut mit
Dir -- so gut wie ein alter Vater noch kann! -- Lebe wohl -- indeß!«

So ging er.

Aber auch Christel ging kurz vor Essen noch eilig in die Stadt; denn
Paschalis Magd, die Einiges zu holen gekommen, hatte ihr gesagt: daß das
kleine Mädchen sehr nach ihr geweint -- und mit gewollt! Das war nun schon
Stunden vorbei, aber das hielt sie nicht aus, obgleich das Kind gewiß jetzt
längst schon wieder ruhig war.




VIII.


Von den Kindern zurückgehalten, ging Christel erst am anderen Vormittage
von Mainz nach Hause. So wußte sie nichts aus Zahlbach -- und so gewährt
der Himmel den guten Menschen das Glück ihrer Treue und Liebe; und wo das
Glück ist, kann nicht zugleich Schreck und Pein sein; und so sind sie nicht
nur nicht elend, sondern oben darein beseligt. Wie viel Ursache aber Alle,
ja alle Völker haben: tagtäglich zu bitten, daß auch ihre _Nachbarn_ und
alle die Ihrigen auf unschädlicher, ja wohltätiger Bahn wandeln mögen,
damit sie nicht durch ihren Verkehr mit ihnen und grade durch ihre Neigung
und Freundschaft und Liebe recht Bitteres von ihnen leiden -- das erfuhr
sie heute.

Daniel begleitete sie in Mainz bis an das Thor. Unter dem hohen dunklen
langen Gewölbe wandelnd umfingen sie gleichsam die alten Zeiten sichtbar
und doch so wunderlich. Denn wenn draußen auf Markt und Straßen neue
Sonnenhelle und neues Leben sich regte, so hingen hier drinnen still, wie
Fledermäuse, an den schattigen Mauern, die Spuren vieler hundert
verflogener Jahre; und Alles, was sich hier Fröhliches und Trauriges herein
oder hinaus bewegt, herein oder hinaus geschollen war, das hatte sich
gleichsam nur -- als Rauch an die Bogen gehangen, und ihnen die
wettergraue, alterbraune Farbe -- der vergänglichen Welt gegeben. Die
Gewölbe aber hallten nur wieder, selber stumm; und so sagten ihr die Steine
nicht, daß so eben die Rekruten aus Zahlbach hier durch geschleppt worden
waren, während die armen Teufel ihre Angst in lustigen Liedern zum Himmel
gesungen.

»Aber Mutter!« sprach Daniel, »sind das nicht unsere Kühe dort? und unsere
vier neuen Räder am Wagen?«

Sie drängten sich hin vor die Wache, vor welcher der Wagen mit einem im
Strohe liegenden Manne hielt; aber nahe hinan konnten sie nicht, denn
Soldaten und Menschen umstanden ihn. Und ein Bürger sprach zu dem andern:
»Das ist ein böses Zeichen! Die Welt hat den Krieg satt; und damit nun
grade der Kaiser und seine Brüder, seine Herrn Vetter und Frau Muhmen,
Töchter und Schwäger auf den mit Braten gepolsterten und mit Wein
besprengten Thronen sitzen, und Niemand Anders, oder Niemand, _deswegen_
wollen sich nun die dummen Bauern nicht mehr selber todt schlagen lassen,
noch ihre Söhne als frische Schemmelbeine unter den Thron zerzimmern
lassen!« --

»Sie sagten, es wäre ein Zimmermann;« versetzte ein Anderer.

»Ja,« bestätigte ein Dritter. »Er ist vom Thurme gefallen; und nun hat der
Lieutenant in Zahlbach gesagt: er habe sich hinunter gestürzt -- weil er
ihn habe früh morgens am Altare knien und beten sehen -- weil er einen
einzigen Sohn mit Weib und drei Kindern zu Hause habe.«

Ach Gott! der Großvater ist todt! sagte Christel zu Daniel.

»Der alte Mann gefällt mir!« sagte der Erste. »Erstlich, weil er ein Mann
auf seine Hand ist, der uns Allen vorleuchten sollte; zweitens, weil er
soll den Arzt gefragt haben: ob er auch wirklich ein Krüppel wäre, nun er
beide Beine zweimal gebrochen habe . . .«

Mutter! rief Daniel fast zu laut vor Freuden: der Großvater lebt ja! Er hat
nur beide Beine zweimal gebrochen . . . .

». . . und als ihm das ist bestätigt worden, hat er mit Freuden
eingestanden: er sei _nicht gefallen!_ Auf dieses sein Geständniß, daß er
seinen Sohn dem forcirten Vaterlande habe vorenthalten wollen, ist er nun
hier in Ketten hereingebracht und soll ins Gefängniß geworfen werden und,
als Zimmermann am richtigsten in den Holzthurm -- sie wissen nur noch nicht
in welches, denn alle -- Holzthürme sind voll: -- Verräther, das heißt nur
voll Freunde ihres alten wahren Vaterlandes, das da Deutschland heißt.«

»Schwager!« versetzte der Dritte: »das ist das größte Elend auf der Erde,
daß grade das wahre Herz der Völker jetzt ein Scorpion sein soll! und die
alte ächte redlichste Treue -- Verrath; weil sie nicht mehr paßt, und nicht
höflich und artig ist, wenn ein Andrer das Vaterland zerrissen, erbeutet
und unterjocht hat, und doch so gut wie ein alter treuer, lieber guter
Vater nun Kindesdienste, ja die Kinder selber verlangt! Der gute liebe
Mann! Und wenn ich hunderttausend Jahre alt würde -- ich würde kein
Franzose! Und wenn ich Millionen Jahre alt würde, so würde ich nie _ein_
Russe, geschweige zehn oder tausend Russen mit meinen Kind und
Kindeskindern -- und wenn ich alle Tage 1000 Napoleons, oder alle Stunden
5000 heilige Andreaskreuze mit Brillanten -- geschweige die Knute bekäme;
-- -- denn so _Etwas_ ist nicht möglich, wider den Mann und wider den
Menschen, und das sollte _man_ einsehen, besonders: -- »Man, der Teufel!«

Darauf sahen sie einen schönen Knaben auf ein Rad des Wagens steigen, und
jetzt nur erblaßt und ängstlich nach dem braven Manne darin spähen . . .
dann langsam und vorsichtig über die Leiter steigen und sich zu ihm setzen;
und der Alte hob sein Haupt auf, sahe ihn wieder an, und rief: »Daniel!«
und Daniel rief: »Mein Großvater!«

Darauf war es umher still vor Mitleid und Verwunderung; selbst die Soldaten
wehrten dem Knaben nicht; und so überwand auch Christel die Scheu, aber nur
durch eine starke innere Aufwallung, sich vor so vielen Augen zu zeigen;
und so ließ sie die Menschen die Menschen sein, unbekümmert, ob sie solche
heilige Kleinode unter der Stirn besäßen, die da zu sehen vermöchten, was
unter der Sonne vorgeht; oder ob solche kleine Hämmer in ihren Ohren ihnen
verkündigten, was aus einer Menschenbrust herauf und heraus getönt in die
himmlische Luft -- -- sie drückte dem Vater die Hand, und hielt sie fest,
während ihre thränengefüllten Augen über ihm schwebten. Denn sie bedachte
mit staunendem Bedauern, wie nahe ihm die Hülfe des Himmels durch den
entschlossenen Ellenroth gewesen sei, und welche That er aus Mangel an
Vertrauen gethan -- und sie drohte ihm mild mit dem Zeigefinger; -- er
kehrte sein Gesicht ab -- und sie hatte nun eisernes Antlitz -- vor aller
Welt zu weinen! Dann erblaßte sie über und über vor Scham vor der Welt der
Großen, und erröthete wieder über ihre eigene Schuld der Verschweigung
gegen den Schwiegervater: _welchen_ Trost ihr der Herr von Ellenroth
gegeben! Aber »soll ein Weib denn alle Augenblicke Alles sagen? und
gleichsam vom Herzen abschlagen, was noch nicht reif ist, sondern erst eine
kleine grüne Frucht ansetzt, die noch abfallen kann?« So tröstete sie sich
selbst, faßte sich schwer aufathmend, und befahl ihrem Daniel leise, bei
dem Großvater zu bleiben und ihn zu pflegen und darum wohl zuzusehen, wohin
man ihn ins Gefängniß werfen werde, und dann Herrn Paschalis zu bitten, daß
er sich seiner erbarme. Darauf gab sie dem Daniel Geld, stieg rasch vom
Wagen und verlor sich unter der Menge.

Und der eine Bürger sagte wieder: »Schwager! Wenn wir nicht alle _die_
Hoffnung hätten, daß eigentlich Nichts lange besteht, was die Großen thun,
höchstens von einem Friedensschluß bis zum andern, und wenn es nicht ein
wahres Glück wäre, daß ein Friede nicht von Eichenholz ist, also nicht
versteinern kann, sondern der ewigste Friede nur etwa fünfzehn Jahr alt
wird -- so möchte ich kein Schuhflicker sein in Ewigkeit! Sela!«

»Und ich kein Schneider! Schwager!« versetzte der Andre, »Aber wir hoffen,
das deutsche Reich, dieses viel zerrissene und von aller Welt behaltene
Gewand, das der liebe Gott am Schöpfungs-Sonntage selber abgelegt, das wird
nun endlich wieder auf seine alte rechte Seite neugewandt werden, und auf
eine beßre, ja hoffentlich gute Weise mit Cameelgarn und Seide wieder
zusammengenäht, daß es so lange hält wie ein Rock der Kinder Israel in der
Wüsten -- 40 Jahr! Sela!«

»Wenn's nur noch Stich hält!« schloß der Dritte. »Menschenherzen sollten
sie können zusammen nähen! So einen Schneider gebe uns Gott! Desselben
Ziegenbock will ich sein in Ewigkeit!«

»Ich auch!« sprach der Dritte. »Ich auch!« schrie der Erste. Und von ihrem
Gedanken gleich froh ergriffen, _meckerten_ alle drei Freunde laut, und
nunmehr erscholl unauslöschliches Lachen. Doch nun meckerten sie erst
recht. Und die Kinder umher meckerten, die Lehrjungen meckerten; die Kühe
brüllten; die Soldaten fluchten und schlugen ohne Auswahl und ohne Schonung
unter die Menge. Und die drei ursprünglichen Ziegenböcke fingen an zu reden
und sprachen: »Vergieb ihnen, Herr! denn Soldaten wissen ja nie, was sie
thun! -- nur was sie leiden!«

Christel, auf den Heimweg fortgeschlichen, hielt öfter ihre -- mit den
Ellenbogen wie in die Luft gestützte Hand vor die Stirn, wollte eilen, und
ging, von Demuth ganz gebeugt, dennoch nur langsam. Denn sie betrachtete,
daß das alles um ihrer und ihrer Kinder willen geschehen sei, und erklärte
es sich aus gutem Herzen so: -- »Johannes liebte sie; das sahe der
Großvater; -- und dieser liebte als Vater seinen Sohn, der wiederum sie und
die Kinder liebte mit seiner Liebe.« So war es gekommen. Darum beschloß
sie, zu Hause nur wenige aber herzliche Worte zu reden, nicht aber zu
schweigen, damit Johannes nicht meinte: sie behalte das Schwere auf ihrem
Herzen. Und so ward dieses neue Unglück ein neues Band um sie und Johannes;
denn jeder Verlust und jeder Gewinn, jeder Segen und jedes Unheil zieht ein
gutes Weib nur fester ans Herz ihres Mannes, mit dem sie das Leben trägt,
und um dessen willen sich ihr nur Alles begiebt, das Traurige und das
Frohe.

Johannes aber stand vor ihr, als sie eingetreten, und frug nur: »Weißt Du?«
-- Und sie antwortete nur: »ich weiß!« Und nach zeitlangem Schweigen setzte
er nur noch hinzu: »Deine schönen Kühe sind auch fort!« -- Sie aber
versetzte heiter lächelnd: »aber die Kinder -- die Kinder sind alle -- ach
nun alle die wir noch haben -- gesund und fröhlich -- bis auf den Daniel,
der mich begleitete, und ihn nun pflegt, Du kannst Dir denken: Wen!«

Sie schwiegen darauf beide -- aber übereinstimmend -- und gingen an ihre
Geschäfte, diese wahre Wohlthat des Lebens, oder das Leben des Einfachen
selbst, der in ihren nöthigen Kreis unvermeidlich gebannt, nicht Zeit hat,
ein Gespinnst aus den Gedanken und Gefühlen _darüber_ zu machen, sondern
seine Leiden und Freuden in seine Geschäfte hinein arbeitet oder
hineinwirkt, wie ein Weber seinen Einschlag -- und das Gottgeheißene willig
und still vollendend, ein Mensch ist, ein ächter Träger der Zeit -- wenn er
bei Andern auch nur ein Handwerksmann, oder ein Bauer heißt.

Der junge Herr von Ellenroth, der Christel entgegen gegangen war, und sie
verfehlt hatte, kam darauf; aber er erfuhr nur von ihr, und noch als ein
großes Geheimniß kaum verständlich zugeflüstert: Daß Dorothea nichts
gethan: -- _als eine Thüre zugemacht_, eine Gewölbthür im Unterstock des
Schlosses, -- Das Mädchen derselben aber habe ihr, auf ihre weitere
Erkundigung gesagt: »in dem Gewölbe habe ein großes Kohlenbecken mit
glühenden Kohlen gestanden.« -- Mit diesem unverständlichen Bescheid wollte
der verstoßene Bräutigam wieder nach Frankfurt reiten, aber -- er nahm
seinen Weg über Breitenthal, um zu erfahren: Wie »eine Thür zumachen« seine
Braut und ihn scheiden, und sie oder doch ihn so trostlos machen können.

So war denn im Hause wieder Ruhe, oder doch von Ordnung beherrschte
Unordnung, und von Mühe und Sorge bezwungene Noth mit so vielen Gästen, die
sich müßig pflegten und schonten bis zum Lord- -- Todesschmause auf dem
großen grünen Schlachtfeldstische, wobei sie die Speise sein sollten, nicht
aber mitspeisen, höchstens ins Gras beißen, oder Erde kauen; -- »so wie
Bauern beim Schachspiel, welches morgenländische Herrscher mit lebendigen
Figuren spielten oder noch spielen, und den verlornen und gewonnenen, vom
Stehen müden Statisten die Köpfe abhieben oder noch hauen, abhauen lassen
oder es befehlen; ohne daß die armen Schelme ein Wort vom Spiele erfahren
als die Parole; oder einen Gewinn davon genossen, als -- den Braten
gerochen, den sie wie Jäger, noch grunzend im Walde für ihres gnädigen
Herrn Wildpretskammer geschossen, und der ihnen den Leib mit den Hauern
aufgerissen hat;« wie Wecker gesagt.




IX.


Das Weihnachtsfest kam während deß herbei, aber nicht als ein
dankbar-heiteres Fest der Geburt Christi, sondern als ein irdischer Lärm,
und als eine Gelegenheit: das wenige Wohlschmeckende noch zu verzehren, was
über den unfruchtbaren Winter hinaus bis zu den neuen Gaben der Erde hatte
langen sollen. Darum fehlten die Kinder nur Christel am meisten -- denen
sie _Freude_ machen konnte! Und doch bereute sie nicht ihre übereilte
Furcht, aus welcher sie dieselben in die sichere Stadt gebracht. Denn wenn
sie jetzt auch nicht am Leben gefährdet schienen, so war ihr kindliches
Herz und ihre junge Seele doch in Gefahr der Verwahrlosung durch die rohen
Gäste; und bei jedem frechen Worte und jeder frechen Geberde und That
derselben, welche die Kinder nicht sahen und nicht hörten, _dankte Christel
Gott, und empfand nur Freude, als fromme Mutter_, welche die Weise gefunden
hatte: die Welt sich immer gut zu deuten in dem ihr entgegengesetzten guten
Herzen.

Sie wollte den Kindern selbst bescheren gehen, saß in stiller Nacht vor dem
Backofen und buck jedem sein Christbrod; und jedes gedieh sehr schön und
ward groß; -- selber das Christbrod, das sie für die kleine umgekommene
Tochter Clementine, voll guter Sachen und voll großer Rosinen mitgebacken,
ging hoch auf, und färbte sich lieblich braun; und Christel sah es mit
feuchten Augen und weinte und dachte: »es geht Dir also wohl im Himmel,
mein Kind, das seh' ich an diesem Zeichen! Deine Bescherung aber soll ein
armes Kind bekommen, das dagegen ohne Mutter ist, wie ich ohne Dich!« --
Auch für den verschollenen alten Hausfreund Wecker soll sein Christbrod
groß und lockend daliegen, und der neue Rock dahängen -- bis er kommt! Und
zum Weihnachtsfest, oder doch zum Neujahr kehrt ein Jeder gerne heim. Sie
freute sich auf Weckern, sah ihn im Geist das liebe Gut verzehren und hörte
ihn wieder wie sonst dazu sprechen: »Daß wir durch des Christkindes Geburt
nicht mehr Sklaven der weltlichen und geistlichen Tyrannen sind, sondern
daß wir armen alten Schulmeister, ja jedermännig klüger sind, auch wohl
besser, als anderleuts Narren zu sein oder nur zu scheinen, das verdient
wohl, daß man ein paar Tage Christbrod ißt, oder wohl gar ein delikates
Stück Mohnstriezel, der einem im Munde zergeht!«

-- »Oder auch _zwei_ Stück!« sprach Christel dann fast laut, und legte ihm
in Gedanken noch ein tüchtiges Stück hin; und Daniel legte ihm still das
Seine auch dazu -- und Wecker bedankte sich nicht bei ihr und dem Knaben,
sondern bei dem Herrn Christus, besonders aber bei dem fast ganz aus der
Acht gelassenen, ja wie in die Acht erklärten heiligen Geiste, dafür, als
welcher es eigentlich so weit gebracht, daß Christbrod in der Welt sei --
und gute Menschen!

Darauf weinte sie im Stillen vor alter Freude, und zuletzt vor neuem Leid.
Aber das künftige kannte sie nicht, und ahnete es kaum; wie Niemand an
bunten warmen Herbsttagen den Alles weiß bedeckenden Schnee. Und doch war
ihr Herz voll Angst und Furcht vor der Zukunft, die sie gern gewußt hätte,
nur ein Augenblickchen gern hinter den Vorhang der Jahre geguckt, oder nur
hinter die Nebelwand, die vor dem nächsten Jahre hängt, um zu sehn, was für
Gestalten dahinter standen; blutig, glänzend, wohlthätig, oder schrecklich
-- alle aber vom Himmel gesandt; -- oder schon auf Erden wandelnd, aber
ihre eigenen künftigen Thaten und Werke noch nicht kennend, und unerkannt
unter der Menge wandelnd; bis ein Engel mit seinem Finger vom Himmel herab
auf ihn deutet, laut seinen Namen nennt, ihn anruft und spricht: »Nun sei
du selbst! Werde und wirke!«

Am Vorabend des Neujahrfestes 1814 trat da in der Dämmerung ein Mann in
Johannes Stubenthür und sprach: »Willkommen!« Sprich »Willkommen,« mein
liebes sogenanntes Pathchen, denn ich bringe Euch einen Gast mit! -- Ich
bin der sogenannte Leinweber _Krieg_ mit der Baßgeige; aber ich habe sie
heute nicht mit! Und der Fremde wird Euch gewiß lieber sein, denn er brummt
nicht so, und ist ein stiller Mann und alter guter Freund von mir -- und
wird nicht lange bei Euch verweilen -- sage ich Euch zum Troste. Nun tretet
nur ein, sogenannter Herr Prophet Adam! Hier wohnen treue verschwiegene
Leute. Das sei Gott geklagt! Nämlich: daß nicht in jedem Hause dergleichen
Adamskinder wohnen, mein Adam! Denkt, Ihr seid ihr Urvater, macht's Euch
bequem, und setzt Euch nieder, als wärt Ihr zu Hause im sogenannten
Paradiese. -- Marsch, hinein! nicht hinaus! denn ich bin kein sogenannter
Engel mit dem Schwert -- nur mit dem Stocke, der heut gewiß so müde ist als
ich -- ob ich gleich als Leinweber das Treten gewohnt bin, aber -- beim
Sitzen, nicht beim Laufen! Nun Christel, macht sogenanntes Licht; das
heißt: zündet es an, oder den Kamin! das heißt das Holz darauf, damit wir
uns sehen und kennen lernen, und Adam nicht glaubt, ich habe ihn in ein
sogenanntes Blindenhaus geführt, was jetzt die ganze Welt ist, nämlich
nicht für immer, sondern nur bis wieder die sogenannte liebe Sonne aufgeht,
das heißt: die Erde unter, das heißt: sich nur herumdreht mit den Betten
voll schlafender Halbtodter, das heißt: nur immer eine Nacht Todter. Also
nur Licht! Wärme, Brod, ein Schoppen Wein, und dann Stroh zu einem
sogenannten Bett, mein liebes Pathchen! Erschreckt nicht über meine lange
Eingangsrede; sie ist nicht der Eingang, sondern die Rede selbst, und ist
nun aus und heraus! Vorhin war mir das Maul von der Kälte zugefroren --
jetzt ist es aufgethaut.«

Christel schlug mit freudezitternden Händen Feuer und -- machte Licht. Dann
nahm sie dem lieben Pathen Leinweber den Pelz ab, und sahe mit sonderbarer
Scheu zum ersten Mal in ihrem Leben einen Propheten. Der Mann war schlank
und hager; seine großen schwarzen Augen funkelten sie an, und sie sahe
darin Gutmüthigkeit, Treuherzigkeit und viel mehr Demüthiges als Stolzes,
und vielmehr Offenheit als Schlauheit; wenn auch sein Mund nur freundlich
grüßte, aber zurückhaltend dann schwieg, oder nur die nöthigsten Worte
sprach. Denn er schien menschliches Wesen, den Lärm um das Heut und das
Jetzt immerfort zu belächeln, wie das brennende sich verzehrende Licht; und
doch beobachtete er alles Geschehende scharf, und schien es nicht recht
fassen oder sich damit vertragen zu können. Und so lag eine gewisse, schwer
zu verhüllende Hast und Ungeduld in seinen Geberden und Schritten, bis er
wieder in einer Ecke still stand und sah und zusah. Wie Jemand, der selbst
auf einer weitschauenden Höhe steht, und hinter den Bergen her viel fremde
wunderbare Gäste erwartet, die ihm haben zusagen lassen: »sie würden
kommen,« und die alle Augenblicke, aber auch in Jahren erst kommen können,
und die zu erwarten und zu begrüßen er auf die Höhe gestellt ist. Und so
lag auch Ueberdruß auf seinem blassen Gesicht, und seine Kleidung war nur
-- Kleidung, und schien nicht sorgfältig angezogen, sondern nur umgehangen.
Auch seine schweren langen schwarzen Haare hingen ihm grad und schlicht,
ohne zu glänzen, bis auf die Schultern herab. Seine Sprache aber drückte
selbst das Gewöhnliche so aus, als sei sie bloß für diese jetzige Sache von
ihm erschaffen worden, und solle in der Welt nichts anders mehr bedeuten;
und so erschien sie klar wie Wasser, das den Grund durchsehen läßt, doch
nicht wie geprägtes fertiges Gold, sondern wie solches, das eben geprägt
wird, das mühsam aber sauber und fehllos unter dem hörbar arbeitenden
Stempel hervorkommt.

Sie hatten kaum zu Abend gegessen und sich ausgeruht, als ein furchtbarer
Lärm im Dorfe entstand. Alle Soldaten liefen bewaffnet hinaus, und auch die
Bewohner von Zahlbach standen eine Zeitlang betäubt in jenem allgemeinen
Erschrecken, in welchem alles Grause, das in der Natur ist, aufgeschrien,
wie Ungeheuer des Himmels, des Meers und der Erde drohend und schnappend
mit offenen Rachen die Menschen umlagert, und gegen welches das größte
Unglück nur Kinderei wird, wenn der Schreck seinen Namen durch die Taufe
der Zeit erhalten. Und so ward sogar allen leicht um das Herz, als sich ein
nahender Bote erbarmte und kund that: »Mainz brennt!«

Nun eilten Viele auf die Clubbisten-Schanze. Aber es war nur dort ein
matter niedergehaltener Schein über der Stadt zu sehen; oder bisweilen
einige leuchtende Funken um die Thurmspitzen, und dumpfes Geräusch scholl
auf; dazwischen auch wohl ein Knall, hier einer und dort zwei, auch drei;
dann schwieg es wieder und rauschte und rief nur fort und blieb hell,
Johannes mit seiner Christel und der Leinweber Krieg mit seinem Propheten
Adam Müller stiegen also auf den noch höher liegenden Berg zur Seite. Krieg
prophezeihe Unglück -- denn die sogenannten Verbündeten gingen in dieser
Nacht über den Rhein! . . .

»Friede! Friede! Es ist Friede!« scholl es von der Clubbistenschanze.

»Friede?« rief Adam, aufglühend vor Zorn, »Friede! Der ist nicht! Der wäre
schrecklich! Das kann ein Kind begreifen! Die Völker sollen Eins werden --
und im Kriege erkennt Jedes das Andre als ein eigenes Wesen mit eigenen
Rechten und Ansprüchen, und fühlt sein eigenes Unrecht und seine Sünden
. . . wie seine Wunden! und kann den Himmel mit Händen greifen . . . wie
seine Leichen. Friede? Entsetzlich! Wie würde da Frankreichs Licht
ausgegossen über Europa! Der Kosak sticht in ein französisches Herz mit der
Lanze, wie ein Hammerschmid in den hohen Ofen, und eine ganze Gans, ein
Strom Feuer fließet ihm zu! Deswegen sind die rohen unwissenden Völker so
kriegslustig -- um zu wissen, und sterben gern wie Ameisen; denn sie
wissen, ihre Nachkommenden erstürmen die Zuckerdose!«

In Mainz flogen Leuchtkugeln auf, und die nächste Umgebung ward schwach
erhellt davon, wie von vielen kleinen zerplatzenden Monden.

»Seht nur,« sprach der Leinweber; »das ist ein sogenannter alberner Spaß
für einen Propheten, der den Feldmarschall Blücher wieder besuchen und ihm
den Verlauf und den Ausgang des Krieges prophezeien will -- nämlich daß
alle sogenannten Schlachten jetzt so gut wie halb umsonst geschlagen
werden, und daß das viele junge Blut jetzt umsonst fließet, weil Napoleon
wiederkommt nach Jahresfrist -- und nun machen sie Friede in Mainz!«

»In Mainz!« versetzte Adam. »Der Friedensjubel ist nur eine Maske, in
welche die endlich auch einmal schlau gewordenen Deutschen die Feinde
gesteckt, damit sie drin tanzen und nicht -- den Uebergang über den Rhein
sehen.«

Also wird _der Kaiser_ vom Throne gestoßen werden? frug Johannes. Sagt uns
doch auch Etwas!

»Das kann ein Kind begreifen!« sprach Adam; »freilich der Kaiser; denn ein
ganzes Volk läßt sich nicht absetzen von seiner Menschenwürde oder _auf den
Thron stoßen!_ Darum sind alle Kanonen nur auf Ihn gerichtet, welche
freilich den armen Franzosen Arme und Beine zerschmettern oder den Leib
aufreißen, weil ein Potentat nur aus anderleuts Gliedmaaßen besteht. Aber
nur ein schwangerer Mann wird ihn überwinden; denn mit einem solchen
Elephanten-Unternehmen trächtig gehen, ist kein platter Spaß, sondern ein
höherer Ernst, ihr Leutchen! Sein Sieger muß glauben, einen Elephanten
gebären zu sollen. Nur wie man das einmal auf's Theater bringen will, oder
malen, ist meine Sache nicht; aber auch eingebildete Dinge sind wahr, und
wär' es ein junger Elephant. Das Blut muß aber doch vergossen werden.«

Und dann wird Friede? frug Christel fröhlich und getrost.

»Das kann ein Kind begreifen!« sagte ihr Adam. »Aber, meine Frau Christel:
ein Donnerwetter im Frühjahr ist nur eine sichtbare, hörbare und wandelnde
Schaffung der Blüthenzeit auf der Erde. So soll und wird der bekannte
gemeine Krieg nicht aufhören, damit der bekannte gemeine Friede wird,
sondern damit der reine _große ewige_ Krieg wieder anheben kann, welchen
die Menschheit unter sich tagtäglich kämpft. Denn Leben ist der Streit und
das Ringen nach Weisheit, Recht und Freiheit; und in diesem soll bewährt
werden die Liebe und die Tugend; denn die Thränen und Wunden, die Schmerzen
und Tode in dem _stillen Kriege_ der Menschen, der da Frieden heißt, sind
unaussprechlich tiefer, schwerer und tödtlicher, und millionenfacher -- als
in dem lauten Kriege. Darum bete ich um Frieden, auf daß der wahre Krieg
wieder seinen großen Verlauf beginne; und der leibliche Krieg muß nicht
mehr geduldet werden von keinem Volke, weil er den Welt- und Geisterkrieg
nur unterbricht. Und da müßte Einer oder Mehrere blind, stock -- blind
sein, wenn sie nicht sehen, daß das deutsche Volk nun aufsteht die
Auferstehung, die mit dem nie dahin begrabenen Kaiser im Kyffhäuser
gleichsam begraben liegt, seine große, ganze Auferstehung! Nicht dafür, daß
Jeder wieder seine vorher so beglückten Leute wieder so wie bisher
beglücken soll; denn das kann ein Kind begreifen: das Volk steht nicht
begeistert auf für Andere, sondern für sich, von einer großen Ahnung voll:
das große gemeinsame Vaterland soll leben und dastehn, nicht Heinze oder
Kunze, die als Sterbliche doch bald umfallen. Für Heinzen und Kunzen opfert
es also scheinbar auch sein Blut; deutlicher aber schon: um die Schande los
zu werden, daß es ein fremder Tyrann nach seinem eignen Gefallen
beherrscht. Und Deutschland wird durch seinen Sturz sich emporrichten; _den
ihm Niemand abgewehrt_, den im Gegentheil ihm Viele lange herbeigeführt
haben durch Habsucht und Uneinigkeit; und Deutschland wird durch seine
Erniedrigung erhöhet werden, wozu ihm nur Gott der Herr hilft. Und das weiß
das Volk -- und Gott! Und das Volk wird siegen mit Gott!«

Jetzt erdonnerten hundert Kanonenschüsse rund um die Stadt, aus feurigen
freudigen Schlünden, wie Triumphhall; die deutsche Erde bebte, und die
deutschen Augen weinten auf dem Berge. Aber Adam setzte sich traurig
nieder, sahe auf Mainz hin und weinte auch, aber ingrimmig; und der Mann
schien eine feurige Flamme, die aus der Erde gefahren, und aus der Flamme
sprach es: »Ja, jubele nur Du unschuldige Stadt, Neu-Bethlehem, Du Stadt
des Unheils der unschuldigen Kinder, um _das Wort der Weisen_ zu Schanden
zu machen: daß die Erlösung nun da sei und das Licht geboren! In Dir wird
man hören aus thörigen Kindern, was -- die Erde will, und um dieser Kinder
willen wird man ein Netz über alle Lande legen, ein eisernes Netz, das
zehntausend Millionen Goldstücke kosten wird, und in _einer Sommernacht_
zerreissen wird wie von Spinnenfäden, und dann keinen Kreuzer mehr werth
sein wird, wie ein zerrissenes Kreuzspinnennetz! Denn die Kreuzspinnen
werden es spinnen, und eine große Kreuzspinne mitten darin still sitzen und
Spinnen brüten, und hineilen, wo nur ein Fädchen sich lösen möchte. Aber
das Netz hat der Spinne letzte Lebenskraft gekostet; sie kann es nicht
wieder verschlingen, nicht mehr verdauen, um es neu zu weben, so lange der
Himmel bleibt.« --

Da erscholl mit erschütternder Wirkung vom Thurme des Domes Posaunenhall
durch die Nacht, und himmlische Luft trug unter den heiligen Sternen und
über der heiligen Erde die Worte her: »_Herr Gott, Dich loben wir!« --
»Herr Gott, wir danken Dir!_« --

»Er hat schon geholfen!« schrach der Leineweber. »Mir ist, als spielte ich
das Lied mit meinem Basse mit, und striche furchtbar dazu, daß es die
adligen vornehmen Todten in den Grüften beim Altare hörten, und die
gemeinen Bauern-Todten draußen in schlechter Erde auf dem Gottesacker!
Blaset nicht mehr! Ich halte es nicht aus -- ohne meine Baßgeige! Hört auf,
ihr Menschen!«

Und gleich auf der Stelle trifft das ein, was Ihr voraussagt, Herr! sagte
Christel. »Das Netz soll zerreißen« -- und gleich danken sie Gott dafür in
Mainz!

»Nicht nur in Mainz, meine Christel!« sprach Johannes. »Aber besinne Dich
nur! Denn Du vermischest seine wahre Rede mit ihrer falschen Freude; --
eigentlich posaunen sie Unsinn! Sie sind nur zum Narren gehabt!«

»Aber nicht Narren! -- Hilf Deinem Volke, wirklicher, nicht nur sogenannter
_Herr_ und Gott! _Das_ trifft gewißlich ein;« meinte der Leinweber.

»Alles Gute trifft ein. Denn das Gute ist Gott! Und Gott ist nicht todt zu
machen, _und Gott bleibt nicht aus!_ Er ist immer da und nah! Gebt acht!«
-- sagte Adam Müller. --

Und eine ungeheure Nachteule, groß wie der Vultur papa, oder auf Deutsch:
der Papst der Geier, rauschte niedrig am Boden vor ihnen vorüber, und
krächzte schauerlich-furchtbar und furchtsam wieder heran. Denn sie war
geblendet, und wahrscheinlich aus dem alten, dunkelrothen Dome der Stadt
verblasen und verschossen worden. Sie setzte sich nahe vor ihnen hin; ihre
Augen funkelten; ihre Federn standen ihr zu Berge; sie war aufgehuschert,
wie zum Schlafe. Und Peter, der Hund, der ihnen nachgekommen war, stürzte
sich auf sie, und zerfederte sie; aber die Eule klammerte sich über seinem
Maule fest, und hackte nach seinen Augen; und der Hund heulte, von ihren
Krallen zerkratzt, durch die Zähne; schnaufte, boll dumpf, wälzte sich, biß
sie endlich todt, und schüttelte das schändliche Schloß mit Schmerzen und
Qual vom Munde, und kam dann blutend und doch fröhlich zu den Menschen.

Allen war grauenvoll zu Muth.

Ist das auch ein Zeichen heut in der Neujahrsnacht? frug Christel.

»Die Natur verstehe ich nicht auszulegen;« erwiederte der Prophet, »ich
sehe nur _Gesichte_. Aber etwas Aehnliches kann kommen. Denn das deutsche
Volk nimmt jetzt einen ungeheuren Anlauf zum Hohen und Großen, wie nie
zuvor; und unfehlbar auf immer; und wenn es Eines wird in Sinn und Geist,
würde es furchtbar allen Blinden und Taubstummen -- _wenn_ es nicht ein
treuer Hund wäre, der eher wacht und schützt, als raubt und verschlingt,
wie ein Wolf. Deswegen werden die vergrößerungssüchtigen, falschen --
Türken seinen Herren falsche Angst machen; daß der Hund nun ein Ungeheuer
werden könnte, und bitten und rathen, und _befehlen_, daß ihm ein Schloß
vor den Mund gelegt werde, damit er nicht . . . reden lerne wie Bileams
Esel, und kaum klagen könne seine Nothdurft, aber nur dumpf, aber nicht
bellen noch beißen -- das treue arme gute Thier! Seht nur, wie Peter
blutet! heißt er nicht so? Denn was jetzt geschehen wird, das kann ein Kind
begreifen . . . aber in den dreißiger Jahren, wenn der Komet kommen wird
. . . da wird die Erde Angstschweiß schwitzen, wie ein Roß vor dem Kameel!
Und wie die Fliegen, die auf dem Rosse sitzen, von dem Angstschweiß
sterben; so werden die Menschen, die Fliegen und Würmer der Erde --
sterben. Denn heut ist es ein Jahr, da klopfte es um Mitternacht an mein
Fenster. Ich horchte; aber ich las still fort in den großen Propheten. Da
klopfte es wieder. Ich sah hin -- es schwieg -- ich las fort. Aber -- ich
weiß nicht auf welche Weise, ich schlich leise zur Hausthür, und harrte.
Und als es zum dritten Mal pochte, riß ich die Thüre auf, um zu sehen, wer
. . . doch ich sah -- laßt mich schweigen -- ich sah _Jemand_ in einem
weißen langen Gewande, weiß, wie der Schnee . . und es blickte mich an mit
hohlen Augen . . . und es winkte mir fort -- und als ob ich von ihm an
einer Kette geführt würde, mußte ich folgen, und wir schritten durch das
mondhelle todtenstille Dorf auf den mondhellen todtenstillen Gottesacker --
-- und die Pforten der Kirche standen offen, und es zog mich hinein, und
die Pforten fielen hinter uns zu, und die Schlösser verriegelten sich --
die Gestalt deutete nach dem Altar, und versank vor meinen Füßen in die
Steine des Bodens, wie Wasser zerrinnt; und ich stand allein in der
mondhellen todtenstillen Kirche. Aber sie war heller als von einem bloßen
Monde, und so still, daß ich das Blut vor meinen Ohren sausen hörte, wie
Rauschen des Meeres. Und aus Furcht schritt ich zu dem Altar hin, wo es
heller war, und die Gestalten von Engeln wenigstens aus Stein gehauen um
mich waren. Aber da kamen vor meinen Augen -- wie drei goldene Kähne still
aus einem Wasser tauchen -- drei Särge aus dem Boden herauf, und an jedem
stand eine Jahrzahl, wie von einem inwendigen Feuer glühend und licht. Und
mich zog es wider meinen Willen hinzu, und ich mußte den Deckel des ersten
Sarges abheben -- und der Sarg war voll von warmem noch dampfendem
Menschenblut -- aber das Blut schrie leis und unaussprechlich bang zum
Himmel, wie ein neugebornes Kind schreit in seinen Windeln. Das Blut aber
wimmerte in drei Sprachen zum Himmel . . . und nannte drei Namen, und rief
über jeden Namen dreimal Wehe! -- und die Engel neben mir riefen: »Wehe!«
-- Und ich konnte es nicht ertragen. Und um Grausen mit Grausen zu
vertilgen, riß ich den Deckel vom zweiten Sarge . . . und ich sah . . . er
lag voll Menschengebeine . . . und die Gebeine regten sich und klapperten,
und dürre Hände falteten sich wie zu beten, und wollten sich aufstellen und
konnten nicht, und fielen immer wieder in die Asche zusammen, wie
Kartenhäuser den Kindern . . . . Und der tiefste Ton in der Orgel fing an
zu sausen und mit dem Tremulanten zu zittern, daß die steinernen Glieder
der Engel zitterten und klapperten; und die Steine der Kirche zitterten und
klapperten mit, und die Fenster klirrten; der Mond von draußen und das
Licht von drinnen erlosch, und ich stand in schwarzer Nacht. Und vom
Orgelchor sang eine einsame Stimme eines Knaben -- vom Tremulanten in einem
Tone begleitet, die Worte: »Und dann, wenn kein Elend mehr laut genug
ächzen kann, dann wird ein Schaafsterben kommen und die Hirten erschrecken.
Endlich muß Jeder dadurch einsehen: »Jeder sorgt zugleich für sich am
besten, wenn er für die Andern sorgt: für die Armen, die Hungernden und
Nackten, und die _zugleich_ arm, hungernd und nackt sind! Endlich soll nach
den sechstausend Jahren seit der Schöpfung im Paradiese, Gottes Ebenbild
und alle seine tausend kleine Bilder, nicht mehr tausendmal schlechter sein
als das Vieh, das sein Fell -- seine Kleidung, sein Gras -- seine Nahrung
hat für den Leib. Denn selbst das Vieh bleibt nur gesund und giebt Nutz,
wenn es sein Futter bekommt zu rechter Zeit. Aber demüthig, ohne Fell und
ohne Futter stehen noch Millionen Kinder Gottes und beten: »O Pest! Stecke
nicht durch uns die Reichen an, sondern eröffne die Augen derer, die Zungen
haben, daß der ungerechte Ueberfluß aufhört, und die überflüssigen Rechte,
daß nicht länger Unbarmherzigkeit sei auf Erden! Darum soll dein Name, o
Menschenvertilgerin, genannt werden: »Die endlich barmherzige Mutter der
Menschheit!« -- Da erklang ein ungeheurer Lärm von lauter verstimmten
Instrumenten, Geigen und Bässen, Fagotten und Hörnern und Trompeten und
Pauken; die Orgel aber spielte noch obendarein einen halben Ton tiefer
dazu, und ein _Gelächter_ erscholl, wie von hundert brüllenden Löwen. Ich
sah mich um, und alle Orgelpfeifen waren gleissende dicke Schlangen und
hatten Teufelsköpfe, und die Köpfe lachten alle; und eine große Schlange
zischte und gebot dem Gelächter Stille, und die Stimme sprach dann herab:
_Niemand ist barmherzig als Gott!_ Kein Teufel läßt einen Kreuzer aus
seinem Sacke Gold fahren; kein Gewaltiger läßt ein Haar nach von seinen
geerbten Rechten, als höchstens gezwungen ein Paar, um die übrigen sich zu
erhalten! Niemand ist barmherzig als Gott! Kein Teufel!« -- Und die Köpfe
verfielen wieder in ihr Gelächter, und lachten sie aus die Barmherzigkeit
der Menschen. -- Und wie mir da grauenvoll zu Muthe war -- siehe da
springen die Pforten der Kirche auf, und blendendes Licht bricht herein;
und die Halle bricht oben aus einander, und die Gewölbe und das Schiff der
Kirche bersten oben auseinander, und als wären die Mauern und Pfeiler und
Säulen von blauem Weihrauchduft, werden sie lichter und lichter,
durchsichtig und leicht, und duften nach und nach hinweg; und der tiefe
blaue Himmel ist droben und drunten und um mich. Und ein Stern, groß wie
zwölf Scheiben des Mondes, und weiß wie Schlehenblüthe, nahet da langsam
wie ein Mensch, kommt herein in den Raum, und ich weiche vor ihm bis an den
Altar, und er nahet und bleibt ruhig schwebend, wie die Sonne am Untergange
anschaubar stehen vor den drei Särgen. Und der Stern war -- ein großes
himmlisch-schönes Antlitz, und es blickte mit thränenfeuchten Augen auf die
Gebeine im zweiten Sarge, und das Blut aus dem ersten Sarge sprach wieder,
aber leise: Das ist _das leidende Gesicht der Menschheit!_ Sieh es an! --
Und ich schaute es nun getroster an, und das Blut sprach: Siehst Du das
leidende Gesicht der Menschheit von solchem Nebel umblasen, daß es wie
blind ist und nicht gern die Augen aufmacht, weil ihm die Augen übergehen!
Verwegene Buben haben ihm Nießwurz unter die Nase gestrichen, und es muß
niesen, und schlägt mit dem Kinn auf das vor ihm zugemachte in Eisen
eingebundene harte Buch, worin es gern lesen möchte . . . die
Weltgeschichte. Das Haupt ist wie ein Engelshaupt, ohne Leib, ohne Hände
und Füße, und rückt nur höher wie die Sonne; aber in tausend Jahren nur
eine Spanne hoch, und sieht noch kaum die Erde vor Nebel und Glanz. Aber
ach, es hat auch nicht Flügel wie Engel, und es muß auf Erden bleiben, es
mag ihm gehen wie es will. Andere Dämonen wollten ihm die Augenlieder
abschneiden, wie griechisch-gläubige Kaiser ihrem Vorgänger, damit es
niemals schlafen könne, sondern nur, unschädlich, in einem irrigen Traume
dahin starre! Sieh nur; das kindlich fromme Gesicht hat Wunden über und
über aus tausend Kriegen, und Pestspuren, und sieht hungersatt, arbeitsmatt
und kummervoll aus, und trägt einen Ausdruck in seinen götterschönen Zügen,
der selbst dem härtesten Menschen das Herz im Leibe erweichen müßte, wenn
er eins hätte -- und ihm das leidende Gesicht der Menschheit einmal
erschiene. Du aber bist gewürdigt worden es zu sehen, und sage es nur, sage
nur die Wahrheit: das erbarmungswürdigste, ehrwürdigste, leidendste und
doch das schönste, was es geben kann, ist das leidende Gesicht der
Menschheit! -- -- Ich selbst nun wollte ihm einen frommen Trostspruch aus
Gotteswort in das Ohr rufen -- aber das Ohr war taub! und ich hatte zu viel
Ehrfurcht, um zu schreien; aber das Haupt neigte sich, wie ein
stillwahnsinniges Kind, und seine frommen großen milden Augen sahen
freundlich auf mich; über das Antlitz flog einmal -- ein trauriges Lächeln,
und die schönen Lippen zuckten, als wollten sie sprechen. Aber es bedeckte
seine Augen wie blaue Glockenblumen, mit den schöngewölbten,
langbewimperten Augenliedern -- und schwieg. Und ich rief außer mir:
»Geduld, Geduld, wenn's Herz auch bricht; mit Gott im Himmel hadre nicht!«
und es war, als hätte das Haupt sein Herz in der Erde, und das Herz
desselben schlug laut unter mir, und hämmerte wie ein tiefes unterirdisches
Werk in stiller weithörender Nacht. -- Und der Chorknabe stand jetzt
drunten neben mir in himmelblauem Gewande und frug, und Thränen rannen ihm
dabei über seine reinen Wangen, er frug: »Ist es möglich, giebt es wohl so
harte selbstsüchtige Herzen, dies Himmelsantlitz so tief zu kränken! Ist es
möglich, ihm nicht alles Liebe und Holde zu thun, ihm selbst sein Herz zu
opfern -- nicht wie dem Abgott Fitzliputzli -- denn das Antlitz ist Gottes
Ebenbild und Gottes des Sohnes Ebenbild -- und was ihr ihm thut, das habt
ihr _ihm_ gethan -- _oder ihm »nicht« gethan_. Aber hast Du Muth zu sterben
und nur eine Viertelstunde todt zu sein (wenn Du, der schändlichen Welt
entrissen, nicht immer unter den Seligen bleiben willst), so will ich Dich
schauen lassen, welche Strafen und Qualen alle die leiden, die diesen
Himmelsaugen nur eine Thräne ausgepreßt, über die das in der Erde
schlagende Herz nur einmal verborgen geseufzet!« -- Und er sank hin vor
meinen Augen und starb und war todt -- und eine geheimnißvolle innere Macht
hielt mein Herz an, wie eine Uhr, nahm den Hauch aus meiner Brust und
schloß mir leicht und süß die Augen zu, und ich war gestorben und todt --
aber ich wunderte mich, daß ich noch lebte, als der Knabe mir an einem
fremden Orte leuchtend entgegentrat, daß ich sah; aber Alles klarer, so daß
ich zugleich es einsah; und daß ich hörte, aber aus ungemessenen Fernen,
und doch Alles deutlich unterscheidbar und unterschieden. Und wir standen
auf einem Berge, mitten in grüner, großer Ebene, groß, wie dem Schiffer die
offenbare See um ihn her; doch die Ebene schien wie die Erde voll
Saatfelder, Bäche, Flüsse mit Bäumen besäumt, mit Hügeln und Felsen und
wunderlichen Gebäuden und altem Gemäuer besetzt, und sonderbare Gestalten
regten sich emsig im ganzen Gefilde. In der Mitte desselben stand ein
riesengroßer Kandelaber, und erleuchtete den ganzen Raum mit hellem
Purpurlicht; denn keine Sonne, kein Mond und kein Stern war hier zu sehen;
denn diese hatten noch alle ihre göttliche Arbeit in der lebendigen Welt.
Auf dem Kandelaber aber stand als rubinrothe Lampe -- ein Menschenherz. Es
war durchsichtig, und man sah das Blut in den Adern desselben umlaufen, und
zu den Ohren des Herzens lüfteten sich von Zeit zu Zeit lichte Flämmchen
heraus, wie wenn man Stahl in Lebensluft verbrennt; und in dem Kandelaber
liefen Röhren, wie Adern, hinauf, die dem leuchtenden Menschenherzen sein
Oel -- das vergossene Blut aus der Erde überall zusammensaugten und
heraufführten. _Wärme_ aber gab ein ungeheures Felsenthor in einem Gebirge
zur Seite, worin man Flammen brennen sah -- »das Feuer, das bereitet ist
vom Anbeginn« -- sagte mein Führer. Am Himmel waren keine Wolken zu sehen,
nur reine azurne Wand, aber in den vier Himmelsgegenden: vier himmelhohe
Bilder, nicht gemalt, sondern nur in Umrissen, ausgelegt mit
buntschimmernden falschen Edelsteinen. Ein Anblick, wie ihn selbst so groß
und erstaunend der gestirnte Himmel nicht zeigt, der dagegen nur aussieht,
wie eine -- blaue Wiese, oder eine blaue Höhe mit gelben Schmergelblumen.
Aber hier war Arbeit! Gegen Morgen ragte das Bild der _Herrschsucht_ empor,
und die Gestalt hatte ein Kind mit einer eisernen Spindel statt des
Rückgrates auf ihren Armen -- den _Stolz_, der eine barbarische verachtende
Unterlippe hatte, an welcher drei schwere Ordenskreuze hingen. Gegen Mittag
aber stand die _Habsucht_, mager und lauschend, mit gierig umhergreifenden
Händen wie Polypen, die jappend und schnappend im Leeren sich selber faßten
und ansaugten und fraßen; weil der Himmel umher, wie eine Wand mit
Eisenspitzen bewaffnet war, daß sie sich blutig ritzten. Gegen Norden aber
stand die _Furcht_, wie auf dem Sprunge zu entfliehen, aber zu schwer
gepanzert, als daß sie entfliehen konnte; und sie trug an ihrem Gürtel
viele Arten Waffen. Ihr Mund aber war mit Schlangenzähnen besetzt, und
statt des Herzens, sah man durch die Gestalt -- trug sie einen grünen
Beutel voll Scorpionen, und auf dem Beutel stand: »Das böse Gewissen.«
Gegen Abend aber stand die _Religion_, aber sonderbarer Weise nur als ein
großer Deckmantel abgebildet, mit wunderlichen Zeichen, Mützen, Ketten,
Bullen und Bullenbeißern und Fackeln farbig gestickt. Wie eine große
Gallerie aber lief, über den Köpfen der vier Riesenbilder, horizontal unter
der Kuppel des Himmels umher, ein breiter schwefelgelber Streif mit einer
schwarzen Umschrift, die aber nicht still harrte, wie eine andere Schrift,
bis sie Jemand läse; sondern sie rief immerfort selbst ihre eigenen Worte
laut umher aus: _Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Land._ Denn,
sagte mein Engel: Gott hat zwar gesagt im neunten Gebot: Du -- also
Jedermann, wer es sei, denn Gott redet jeden Erdenwurm aus
Machtvollkommenheit mit »Du« an: Du sollst nicht begehren Deines Nächsten
Haus; und im zehnten Gebote hat er gesagt: Du sollst nicht begehren Deines
Nächsten Weib, Knecht, Magd, Vieh oder Alles, was sein ist. Aber weil der
gute Vater der Menschen nicht erst die Vermessenheit eines sterblichen
Sünders für möglich gehalten, daß Einer hunderttausend Häuser, nebst
Millionen Weibern, Millionen _Knechten_, Mägden, unzählbares Schaaf- auch
Rindvieh und Alles, was ihr ist, _begehren_, ja sogar _nehmen_, ja sogar
_behalten_ würde; darum steht nun hier deutlich ausgedrückt: Du sollst
nicht begehren Deines Nächsten Land! Auch hatte er jene Gebote nur mit dem
Finger auf stumme Steine geschrieben; darum spricht sich nun sein
erläutertes Gebot ohne Rast und Ruhe Tag und Nacht, wie von Gott gerufen,
selbst ganz laut aus, und Niemand kann die göttliche Stimme hemmen oder zum
Schweigen bringen, noch in sich und in Andern betäuben; denn sie übertönt
Alles, und nach ihr wird an jenem großen Tage ein Jeder unerbittlich
gerichtet werden. Denn wie soll der gerechte, ja der barmherzige Gott
Jemandem seine tausend Pfund, oder so etwas Heiliges wie sein Weib und
seine Kinder, seinen Vater und seine Mutter wiedergeben, und die Seligkeit
dazu, wenn ein Mensch so etwas Sorgenvolles und kurz Besessenes wie ein
Land, seinem Nächsten auf Erden nicht wiedergegeben? Die zehn Pfund! --
Mitten in dem Aetherdome aber hing ein erstaunend und furchtbar großes
Kreuz, ganz einsam und allein, an einer langen, langen Wurzel des
Lebensbaumes herab; doch Christus hing nicht an dem Kreuze, sondern es war
nur verhüllt und umwunden mit schwarzem Trauerflor, und statt der
Inschrift: I. N. R. I., an der Stelle wo sein Haupt für die Menschheit
gestorben, glühten rubinroth die Worte: _Bis heute vergebens!_ Aber sie
riefen sich nicht selber laut aus über die Welt, wie des Gebotes Erfüllung:
Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Land, sondern sie schwiegen
unbeschreiblich wehmüthig anzublicken, und weinten immerfort, wie ein still
rinnender lebendiger Quell in Tropfen herab, die verblinkten wie Thau und
verdufteten wie Himmelsthau. Hoch droben aber, über dem Kreuze hing im
Schlusse der Kuppel des Alles umfangenden Aetherdomes die große Posaune zum
Weltgericht an Spinnenfäden; und ein Engel schwebte Wache um sie, mit einem
silbernen Mundstück in der immer bereiten Hand. -- Gerade unter dem
trauerumflorten gewaltigen Kreuze aber war ein Chor erbaut, auf welchem
sechshundert auf Erden ermordete Tyrannen und Herrscher, in Bärenhäute
gekleidet, saßen, mit ihren Weibern und Kindern und Brüdern und Schwestern
und Vätern und Müttern. Und ich hörte sie singen, und frug; und der Engel
antwortete mir: Höre nur, wie befangen, widerwillig und immer trotzig sie
singen; denn sie singen die Marseiller Hymne immer durch, und vom Ende
wieder zum Anfang in einem ewigen da Capo, bis der, wie ein feuriger Stahl
und Strahl auf die Erde gefallene Gesang, dessen gleichen seit Paulus
Worten nicht erscheinen, und seit welchem für die Menschheit das neue Reich
anhebt, bis er in ihr Haupt gestiegen, und wo möglich in ihr Herz, damit
ihre Seelen nicht verloren gehen. Denn das will der große Vater nicht! Sie
singen ihn aber zugleich zur Ermunterung der Millionen Arbeiter in diesem
großen Fabrikgefilde. Denn siehe, für alle Verbrechen muß erst
_Wiederersatz_ geleistet werden; und das konnten sie Alle nicht im Leben,
im immer gedrängtvollen, breit mit Werken besetzten Hause der Menschen;
darum müssen sie Schadenersatz und Genugthuung leisten im Tode. Und hier in
diesen Räumen -- dem Orte des Wiederersatzes -- hier ist unendlicher
unbehinderter Raum dazu, und unendliche unbehinderte Zeit. -- Denn ehe
nicht Jeder und Alle: Jedes und Alles wieder in den Stand gebracht, in
welchem es war, ehe er es verdorben, verwüstet oder zerstört, ehe kann ja
nicht _das Weltgericht_ beginnen, wo erst _die Sünde_ jeder That gewogen
und vergolten wird! Hier also ist die bloße Vorbereitung zum Weltgericht,
zum Gericht der Seelen, wo Herz und Nieren geprüft werden. Und der Engel
rief einen alten Griechen, der Gesanglehrer bei dieser Singacademie war,
und frug: Dionysius! Wer kann die Hymne? -- Sie singen und brummen alle die
Weise, die wir wissen: Du einem Menschen eingegeben hast; aber . . . aber
. . . ich will fragen! und nun frug er: -- He! Cäsar! -- Und mit Mühe und
Noth sang Cäsar -- der vor Lange unsern Calender verbessert -- den ersten
Vers:[A] »Sei uns gegrüßt du holde Freiheit! Zu dir ertönt froh der Gesang!
Du zerschlägst das Joch der Bezwinger, Du erhebst zu Tugend und Heil. Uns
zu erneu'n kehrst Du vom Himmel, längst deinen Geweihten ersehnt. Was hemmt
ihr Bezwinger, noch in verschworener Wuth die Erneuung? Mit Waffen in den
Kampf! für Freiheit und Recht!« -- und Alle fielen ein: »Wir nah'n, wir
nah'n! Beb' Miethlingsschwarm, entfliehe und stirb!« -- -- »Ja die
Chorworte wissen sie Alle!« sprach Dionysius lächelnd. »Aber, Richard der
Dritte! wie heißt der zweite Vers?« -- Und Richard wußte den Anfang nicht,
und stammelte die zweite Hälfte. »Ihr, die zum Vieh Menschen entwürdigt,
Unmenschen, ihr trotzt noch jetzt? Ihr straft, wo ein Gedank' ertönt, und
erzwingt fühllosen Gehorsam . . .« »Und der sechste Vers . . . Landvoigt
Geßler! wie lautet der?« -- Und Geßler stand auf wie ein großer Schulknabe
und brummte: »Und es erträgt zahllose Heere, die wie der Feind lasten und
drohen, nur genährt zum Dienste der Willkür, dem Gewerb' und Pfluge
geraubt! Und es erträgt Kriege des Throns, Arglisten und Launen ein Spiel!
und Jammer!« -- -- -- Da erscholl eine dumpfe gesprungene eiserne Glocke,
und läutete Mittag; und plötzliche Ruhe und tiefes Schweigen ward überall.
Vom Himmel aber regnete es Mannakörner, aber nicht zur Speise, nur statt
derselben. Denn ich kostete ein Korn, und es war bitter mit Galle gewürzt
-- damit _die Genugthuenden_ immerwährend nur einen bittern Geschmack im
Munde hätten, wie mein Führer sagte; und Becher mit Thränen gefüllt, welche
Menschen einst über sie geweint, gingen herum; aber nur die sonst am
durstigsten Gewesenen, setzten sie kaum an die Lippen, und gaben sie
weiter. Und während die Ersatzleistenden von ihrer Arbeit feierten, ging
ich in ihren Werkstätten umher, und sah und besah, was sie geleistet oder
noch zu leisten hatten; und ich erstaunte und sah vor Verwunderung empor --
da zog am Himmel sich ein Augenlied von einem Auge weg, das ich nicht
bemerkt hatte, und ein Donnerschlag erklang durch das ganze Gefild. Und
mein Führer sprach: »Entsetze Dich nicht! Lilith, des Teufels Großmutter,
schlägt ihr Wächterauge auf, um zu sehen, ob die Genugthuenden diesen
halben Tag genug gethan? Denn ein teuflisches Weib sieht am meisten, und
sieht am eh'sten, was fehlt; denn sie weiß am besten, was sie selber
unterlassen und verbrechen würde. Darum ist sie die Wächterin, und so oft
sie ihr Auge aufthut, fällt ein Donnerschlag, und die Trägen erschrecken
und fallen mit Hast auf ihr Werk. Aber hörst Du? Sie lacht! Hohngelächter!
Denn Nichts ist vollendet. Und Alles ist schwer zu thun, aber Ersatz zu
leisten am schwersten.« Und das sah ich nun selbst. Denn nicht weit von uns
stand die unbeschreiblich schöne Charlotte Corday; vor ihr lag der todte
frischerhaltene Marat mit noch bluttriefender Brust, und sie sollte die
Wunde des Dolches heilen; um sie standen alle köstlichen Salben, lagen
Geräthe und Binden -- aber sie saß nur, das Werk bedenkend, in tieferem
Schweigen, und düsterer Verdruß stand auf ihrem schönen ängstlichen
Gesicht. Weiterhin stand _Napoleon_ und hatte dem erschossenen _Palm_ die
Kugel aus dem Herzen gezogen, und hoffte ihn wieder lebendig zu seiner
Wittwe und seinen Kindern nach Erlangen zuschicken. Und ich sprach
verwundert: _Napoleon lebt ja noch auf der Erde_, und er steht doch auch
schon hier unten und leistet Ersatz! -- Ja, sprach mein Führer: »Der Leib
ist nicht der Mensch, sondern seine Seele, sein Wille. Der Mensch besteht
aus so vielen Thaten als er gethan hat, guten und bösen -- und mit jeder
That stirbt er einmal und stellt sich fest in ihren Reichen, in dem seligen
oder dem unseligen Werke; und so siehst Du Napoleon dort eben wieder; aber
einen andern seines Gepräges -- wie er dreimal hundert tausend Franzosen,
die erfroren sind, durch seinen Trotz und sein blindes Gottvertrauen auf
linden Winter, wieder durch Schnee, oder durch was er sonst meint und dazu
begehrt, lebendig machen soll, und so, daß Keinem mehr eine Zehe schmerzt,
oder eine Nase roth wird, wenn Nordwind streicht. Eher kommt er nicht von
hinnen. Und dort steht noch ein Napoleon, der den _Schill_ in der heiligen
Arbeit hat. Denn jeder Mensch muß selbst das entgelten, was er Andern
befohlen hat, die gehorchen mußten; und die da schlechte unmenschliche
Befehle vollzogen, müssen eben noch selbst auch dasselbe entgelten; denn
dort arbeiten noch zehn Andere an dem Herzog von Enghien, die ihn
erschossen haben, und jeder Einzelne hat seinen eigenen Herzog vor sich und
für sich. Darum siehst Du auch hier im Gefilde so wenige Könige und
Fürsten; meist nur die erbärmlichen Handlanger, Rathgeber und heimlichen
Regenten der Leidenschaften und Leiden der Regierenden: -- ihre Frauen,
Geliebte, Leibärzte, Kammerhusaren, Beichtväter, ja oft auch nur ihren Koch
oder Hofnarren in mannigfach angezogener Person. Denn die Fürsten sind gut,
und thäten gewiß lauter Königliches, wenn sie lauter edle Könige zu
Freunden hätten, nicht unzähliges Volk dazu wählen müßten, das sich in
Respect vor ihnen verhüllt, wie in eine Nebelkappe, so daß sie nie einen
Menschen sehen; denn ein ächter Mensch ist wahr und frei, weil er gut ist,
und gut, weil er frei ist, und nur das Gute, die Freiheit will und die
Wahrheit.« -- Und so erstaunt' ich nicht mehr so stark, als ich eine
verwüstete und verbrannte Stadt sah, die ich an ihrem schönen Dome als
Magdeburg erkannte, und keine Seele war darin -- als _Tilly_, der
Mutter-Seelen allein eine Kirche wieder aufbaute, die er zerstört. In den
einigen Jahrhunderten hatte er nun Ziegel gestrichen, Grund gegraben, und
war fast mit dem Sockel heraus; aber indem er hier mauerte, war dort ein
Theil vom Wetter schon wieder verwaschen und aufgelöset -- und er sah mich
wüthend an, als ich ihn lachend ansah. Eben so gewahrte ich _Suwarow_ im
Hemde arbeitend, wie er Warschau wieder baute -- und ich sah ihn auch
wieder vor einer dabei liegenden Festung -- Ismael -- wo er dreißigtausend
Menschen wieder Athem einblasen sollte. »So geht's dem treuen Diener der
Mutter!« sprach er; einem Throne dienen, und Gott, oder nur den schofeln
Menschen, ist ein Unterschied wie Suwarow oben und Suwarow drunten! Und er
sah mich wüthend an, als ich ihn lachend ansah. Weiterhin aber gewahrte ich
_wahre_ Kriegsräthe, die unübersehbares Elend gut zu machen hatten hier
unten, ob es gleich Gott der Herr wieder droben gut gemacht, so weit das
selbst der Allmacht möglich ist in der Zeit. Sie fingen aber ihr Werk
gründlicher an, als Charlotte Corday mit Marat -- sie studirten die Natur,
und Einzelne versuchten Einzelnes nachzumachen, Diese: Augen; Andere: Adern
und Nerven, wozu ihnen alle Zuthat unentgeldlich geliefert ward. Aber
Manche saßen schon Jahrtausende und sahen ganz schimmlig und ganz zerdacht
aus, und waren noch nicht mit der Bildung eines Auges zu Stande gekommen,
das nicht sah! geschweige mit einem Ohre, das nicht hörte! Andere hatten
zwar Zungen fertig liegen, aber sie _schmeckten_ nichts; denn es fehlte der
Jemand, der Geist dazu, den sie aus dem Tode nicht wieder in den beinahe
vollendeten künstlichen Leib herauf beschwören noch beten konnten, und
studirten nun: erst nur einen Geist zu machen. Kurz, ihre Arbeit war
schwer, und mehrere, selbst alte deutsche Minister und Kriegsräthe hatten
siebzig bis achtzig tausend Menschen herzustellen, die Pferde und Ochsen
ungerechnet -- die sie nachher machen wollten, oder sich an ihre Stelle
gestellen; und zum Trocknen der Thränen und Aufwaschen des Blutes wollten
sie sich Weiberkleider anziehen, wenn sie bis zu der letzten Arbeit gelangt
wären. Einige theuer bezahlte Engländer aber bauten türkische Flotten in
griechischen Häfen, und waren fast damit -- bis auf die Türken selber --
fertig, und fluchten ein God dam nach dem andern, daß ich entsetzt mich
entfernte. -- »Du wunderst Dich, über diese unerlassenen
Wiederherstellungen,« sprach mein Begleiter. »Und eure Könige fordern für
einen elenden Hirsch oder einen jämmerlichen Hasen erschrecklichen Ersatz
und Strafen, wenn Jemand eines dieser unvernünftigen Thiere in ihren
Thiergärten gebürscht. Aber in _Gottes Garten_ soll Alles frei stehen zu
verwüsten und zu zerschlagen, selber der Mensch! Aber seid ihr nicht besser
als viele Sperlinge? Und sind nicht alle eure Haare auf euren Häuptern
gezählt, geschweige eure Adern und Gebeine, eure Thränen und Kinder! Du
guter Narr! Und wisse: Auch Tyrannei, Gräuel und Mord darf kein Mensch
tyrannisch, graunvoll und mörderisch wieder gut machen, noch Unrecht auf
ungerechte Art. Glaube ja nicht, daß die Herrscher Alles thun, weder alles
Gute noch alles Böse; sie thun in Wahrheit sehr wenig in dem großen
Erdenleben, sondern bewachen das Volk bloß wie ein Nachtigallfreund die
Ameisen, welche die Eier ihm dahin tragen, wo er ihnen ein Grübchen gemacht
und mit Laub bedeckt. Das Volk thut Alles sich selbst, das Meiste aber
durch sein Leiden, und alle eigene Hülfe soll bloß die sein, daß Alle
besser werden, und wo möglich gut sind; dann fällt Unvernunft und
Gewaltthat nimmer es an, wie keine Leichenwürmer und Asseln den Leichnam
Christi, geschweige seinen lebendigen Leib, noch gar seinen verklärten, zu
welchem die Menschen ja werden sollen!« -- Ich schwieg tief betroffen und
überzeugt, ging beschämt von ihm -- und sprach mit Andern aus verschiedenen
Völkern; und Alle verstanden mich, und ich verstand Alle; denn hier galt
der Sinn der Rede wie Blumenduft, und die Worte waren nur wie erschütterte
Luft, die ihn fort- und hinführte. Aber auch hohle Gebilde sah ich reglos
liegen, denn ihr Geist war jetzt -- wo Nacht auf Erden war -- hinauf
geschwebt als Träume, damit sie ihre Söhne oder Freunde bewegten: das zu
halten für sie, was sie einmal versprochen und nicht gehalten. Und ich
rührte die entgeisterten Gebilde an, und sie zuckten wie Chrysaliden und
ihr Gesicht war in blutigem Angstschweiß gebadet und sah unbeschreiblich
flehentlich aus -- so flehentlich wahrscheinlich, wie ihre Seele jetzt bat:
ihr gegebenes heiliges Wort zu lösen! Und Grauen und Mitleid erfaßte mich
um die Elenden -- und ich sah mich selbst -- meine eigene hohle Gestalt,
die durch mein Nahen beseelt, wie rasend über mich herfiel, -- und vor
Schreck -- erwachte ich . . . in der Kirche, und als ich zu mir gekommen
war, faßte ich mir zum Troste meinen Begleiter an der Hand. Und als ich
mich in dem leeren Raume umsah, sprach er: »Du wirst das leidende Gesicht
der Menschheit wiedersehen . . im Kleinen abgedrückt auf allen
Menschengesichtern in dieser Zeit; aber groß und erschütternd zu schauen,
wird _es selber_ lebendig wiederkommen am Himmel . . . und _es wird der
Komet sein!_ Der Komet, der in zwanzig Jahren erscheinen wird, um ihnen
Frist zu lassen. Das Antlitz wird stumm fragen, tief in alle Augen und
Herzen blicken, und Schrecken über alle Bösen und Säumigen bringen,
Schrecken über Alle, die sich vor dem Volke fürchten mehr als vor Gott; die
da aus Selbsterhaltung fürchten ihm Gutes zu thun und sein göttliches Recht
und seine göttlichen Gaben ihm auszuhändigen, -- als sei Gottes Ebenbild
des Teufels Ebenbild, und die Menschen lauter Teufel! nicht: arme Kinder
der Erde, leicht froh zu machen und durch eine kleine Gabe herzlich
dankbar, und schwer weinend vor Schmerz und leicht schluchzend vor Freude!
-- Du aber verschweige nicht dies Gesicht; denn alle Engel Gottes schützen
den mit übergewaltigen Händen, der selber schuldlos und arglos im Herzen,
nur will: daß Keinem ein Uebles geschehe, selbst einem Wurme nicht, und der
durch himmlische Gesichte und Gottes unfehlbare Gerichte die Zweifelnden
warnt: nicht darein zu verfallen, sondern durch jede ihrer Thaten sich
täglich hinauf in das selige Reich zu stellen _und tausend Engel zu werden
aus einem Menschen_, und zu leuchten wie die Sterne; denn die Gerechten
sollen leuchten wie die Sterne; aber diejenigen, die da wissen, daß die
Gerechtigkeit nur göttliche Milde und feurige Liebe sei, und _Liebe_ üben,
die sollen leuchten wie die _Sonnen_ -- und Sonnen _sein!_

[Fußnote A: Von Johann Heinrich Voß.]




X.


Der redliche Mann hatte sich selbst ganz erweicht durch seine Worte. Die
ganze Angst, die er für alle Andern in seinem reinen besorgten Herzen
fühlte, stand sichtbar auf seinem glühenden Gesicht. Er trieb nach Hause,
und dort griff er sogleich nach dem Stabe, um diese Nacht noch weiter zu
gehn; Krieg, der ihn kannte, machte keine Einwendungen, sondern erklärte
bloß: er selber bleibe da. Auch Christel bat nicht; sondern von seinen
Bildern und Worten fromm ergriffen, segnete sie seinen Weg. Ihr war, als
müsse seinem klaren Auge die Nacht helle sein und der Weg licht; die Steine
müßten vor seinem Fuße wegrollen, und die Kinder aus den Dörfern kommen und
seine Hände küssen, weil er es gar so wohl, gar so herzlich meinte -- und
sie küßte ihm selber die Hände zum Abschied, worüber er sie lächelnd ansah.
-- »Ihr wollt noch etwas wissen?« frug er als Menschenkenner . . . »Was in
dem _dritten_ Sarge war? Meint Ihr, Goldstücke, die daraus emporflogen wie
flügge Vögeleier, und die sich im Fluge verwandelten in bunte Spielsachen
der großen und kleinen Kinder, in Pferde, Häuser, Kirchen, Schäfereien,
kurz in die goldene Zeit! -- Ja wohl. Aber nicht so. Es lagen darin die
Urkunden der Nachwelt; Landkarten mit den neuen Grenzen; blutig
unterstrichene Städte und Dörfer mit den zwei Schwertern dabei, zum Zeichen
der bei denselben zu liefernden Schlacht. -- Dann Volkslieder, und wie soll
ich es ausdrücken: gedämpfte Kronen; mattgoldene Scepter mit
Pergamentrollen umwunden, und kleine geschnitzte Modelle zu Thronen, alle
mit eines gewissen Rousseau Bildniß in Brillanten. Dazu aber die Namen
derer, die in fünfzig Jahren darauf sitzen werden; denn das kann ein Kind
begreifen, daß alle jetzigen Daraufsitzer alsdann zu Staube sein werden, so
herzhaft sie jetzt auch noch reiten, befehlen und unterschreiben. Wie es
aber dann sein wird; und wie die von ihrem Anführer zehn Jahr angeführten
oder betrogenen Franzosen dann im _Geiste_ wiederkommen werden, also
mächtig unschlagbar und gar nicht todt zu machen, und wie sie für ihre
Erlösung dann dankbar sein werden, nämlich ein bloßes Licht, das will ich
meinem lieben Vorkämpfer des deutschen Volkes getreulich, aber geheim
berichten! Denn Wissen ist dem Guten gut!« --

»Ach nein!« sagte Christel, »das kümmert uns nicht, und Gott Vater auch
nicht, denn der wird alles ohne Sorge und Mühe gewißlich thun; und wie
Wecker sagt, weiß Er gewiß auch so viel von der heiligen Rechnenkunst: ob
fünfzig Familien oder fünfzig Millionen Familien mehr sind; ich wollte nur
wissen, wie es _uns_ ergehen wird in dieser Zeit?« -- »Euch?« frug der
Prophet sich verwundernd, »Euch, meine liebe Frau Christel, und Eurem
ganzen Hause wird es immer wohl, ganz wohl gehen! denn also seht Ihr mir
aus! Wie der Mensch lebt, so geschieht ihm. Wie er ist, so ist ihm! Das
kann ein Kind begreifen. Drum ist es mir auch immer wohl ergangen, und wird
mir immer wohl gehn, so lange ich weiß -- daß ich bin. Länger braucht es
nicht. Lebt wohl!«

So ging der alte Mann allein fort in der Nacht, von einem innern Drange
unaufhaltsam hingezogen. _Krieg_ hatte nicht geglaubt, daß er ohne ihn,
ohne Ausruhe, gleich wirklich jetzt um Mitternacht sich aufmachen werde,
und er that ihm leid, schon als er hundert Schritt auf dem Wege nicht mehr
zu sehen war. Er wollte ihm nachrufen, auf ihn zu warten; aber sein guter
-- Verstand hielt ihn davon ab. Und sie waren kaum hineingetreten, als sie
hörten, daß doppelte Wache vor Haus- und Hofthür angestellt ward. Sie
schliefen aber ruhig; bis am Morgen St. Etienne herüber kam und erstaunte
und frug, wo der fremde Wahrsager sei? Er erfuhr die Wahrheit und sandte
ihm Flüche nach, weil ein wenig Sauerteig von einem Narren, ein ganzes
landgroßes Backfaß zu Narren machen könnte; wenn auch solche neue Mähren
nur schädlich würden, wenn sie Jemand glaubte und wahr machen wollte! Oder
wahr machte . . . was möglich sei -- wie das Türkenthum oder die
Peterskirche. Und der Unglücklichen wären jetzt sehr viel, und der
Hoffenden noch mehr -- und die wollten alle einen Kern in ihre hohlen
Nüsse, und ein Bild in den leeren Rahmen ihres Gehirns. Und zum Beweise
seiner Rede setzte er zornig hinzu: »Bei uns hat man Länder -- das ganze
große Reich -- nach dem Spiel Karten einer Mamsell aus der Normandie
regiert und wird nach ihren Karten verspielen, ja sterben! Nun, laßt ihn,
laßt ihn laufen; wer weiß, wem er mit seinem Hirngespinnst die Augen blind
macht, daß er die Zeit nicht sieht, und ihm ein Brett vor die Stirn hängt,
das zehn Tischler nicht durchschroppen können -- weil es unsichtbar ist! Ja
das Herz kann er damit versteinern und Männer zu furchtsamen Hasen machen
-- laßt den Hasenfuß laufen! Doch zwei Husaren . . .«

Der Leinweber Krieg sprach aber beherzt den Vers darein: »Er ließ keinen
Menschen ihnen Schaden thun, und strafte Könige um ihretwillen. Tastet
meine Gesalbten nicht an, und thut meinen Propheten kein Leid!« -- St.
Etienne aber sagte: »Weil Ihr unserer Frau Christel Pathe seid . . .
versteht Ihr mich! . .«

Christel schwieg. Denn so geneigt sie ihr Herz dem unbekannten Bruder
fühlte, so gefürchtet und widerlich waren ihr seine freundlichen Blicke,
und seine zutraulichen Reden mit ihr; und ihr war nur freier zu Muth, wenn
er zürnte und grob war, oder wenn er recht log oder großsprach; dann war
dem guten Weibe das Herz leicht; denn an der Stelle der Neigung quoll dann
das Blut feindselig in ihrem Herzen. Und mit ihm war ja das Unglück ins
Haus gekommen. Mit ihm hatte sie das Zutrauen zur Welt und den Verlaß auf
sich selbst verloren. Er war an allem Unglücke Schuld, oder hatte seine
Hände dabei mit im Spiel, was ihren lieben Johannes betroffen, ja was der
Großvater gethan hatte und deswegen jetzt noch litt. Und dennoch _weinte_
sie im Geheimen nur über Alles -- auch über den verhaßten Etienne! Als sie
sich aber eines Abends Zeit genommen bei Licht zu spinnen, und er erst
heimlich nur mit dem Schatten ihrer schönen, an der Wand sich bewegenden
Haare gespielt; dann als er sich sogar geneigt und das liebliche schwarze
Bild ihres sich auf den Faden neigenden Gesichtes geküßt hatte, worauf sie,
wie aus Versehn, den Rocken angezündet, um eine halblächerliche und
halbgefährliche Beschäftigung auf die Bahn zu bringen, um alle Fenster
aufzumachen, ihn in dem Rauch und der Kälte stehen zu lassen, und selbst zu
Johannes hinüber zu gehen oder zu flüchten; -- als er angefangen von seinem
Golde für den schweren Bedarf in ihrem Hause einzukaufen und mit zu sorgen;
-- -- als er sie eines Morgens an den Stall geführt, die Thüre aufgestoßen,
und ihr ihre beiden schönen Kühe wieder gezeigt, und als sie ihn darauf
sogar an der Hand gehalten, oder sie gar gedrückt hatte, sie wußte das
nicht gewiß, da sprach sie nur zu sich; »Ich weiß nicht wie mir ist! Aber
Zeit ist es, daß . . . daß . . . .« Und sie wußte nicht, was geschehen
sollte oder möchte.

Darum war es ihr willkommen -- ein gutes Werk zu thun, und in die Stadt zu
_Dorothea_ zu gehn, deren Namen nennen zu hören sie jedoch erschütterte,
aber mit Muth: unter tausend Feinden, ja unter hunderttausend Freunden:
_Christel_ zu sein und zu bleiben. Paschalis schrieb ihr nämlich ein Blatt
voll -- »_Hauszeitungen_.« Dorothea hatte einen Frauenverein gestiftet, die
Verwundeten und Kranken zu pflegen. Sie hatte aber nicht nur Geld und
Leinwand gegeben, wie viele Andere, sondern sich selbst als Pflegerin
gestellt, vielleicht als Opfer. Doch mit eigensinniger Auswahl hatte sie
nur solche Opfer ihres Vaterlandes übernommen, deren Wunden an Kopf oder
Brust -- Lanzenwunden, also wahrscheinlich Kosakenwunden waren. Jetzt lag
sie an der mitgebrachten Krankheit darnieder, und begehrte herzlich nach
Christel. Und wie die Tochter bat, flehte auch der Vater nach ihr -- »nur
auf kurze Zeit! Denn die Zeit der Kranken rinnt durch eine zerbrochene
Sanduhr; ihr Leben ist Sand und ihr Leib ist Glas und der Mensch überhaupt
nur Vexier -- _Erde_ -- nur durch Einschmelzen in das ewige läuternde Feuer
wieder aus Staube zu einem Gefäß zu blasen, und bleibt Blase, worin sich
die Welt nur schimmernd spiegelt, hier die Erde oder dort die Sonne, der
Himmel oder die Hölle!« --

Der Brief war vom 20. Februar 1814. In der Nachschrift stand: »Kann ein
Selbst- oder Andere-Beherrscher in ein gesundes feindliches Land
pestbehaftete Soldaten schicken, oder kranke angesteckte Soldaten in alle
gesunden Dörfer ihrer eigenen Heimath -- nach Hause schicken; so darf ein
Mensch, ein wahrer Vater wohl einmal die Pflegemutter seiner Tochter
bitten: in ihrer letzten Krankheit zu ihr zu kommen. »Völkerrecht --
Hausrecht!« Ich habe gebeten, -- das Kommen nun steht bei Euch. Ich sage
Euch aber aufrichtig: Eure _Kinder_ bitten: Ihr sollt nicht kommen! Daniel
aber gesteht doch: der _Großvater_ wundere sich, daß er Euch noch mit
keinem Auge in seinem Kerker gesehen habe, und meine: er habe das
verdient.« --

Der Christel war der Sinn der Worte des Briefes zu hoch, und sie verstand
nicht: _durch_ dieselben das zerrissene Gemüth des Vaters zu sehen, der, um
seine Leiden nicht ewig fühlen zu müssen, lieber gewünscht hätte -- neu
eingeschmolzen zu werden und überall -- auch in der Sonne . . . . im Himmel
. . . . oder in der Hölle schmelzbar oder zerbrechlich zu sein. Aber die
Weiber werden von dem Unverständlichen oder Unverstandenen am tiefsten
ergriffen, und leben und bewegen sich darum so sicher und froh in der Welt,
weil sie ihre Gefühle und Gedanken ganz unbehindert hineinlegen können, und
unbeschränkt darinnen verbreiten. Und so erschütterte der Brief ihre Seele.
Die Nachschrift aber erinnerte sie an Anderer Grausamkeit; -- an die guten,
für sie fürchtenden Kinder; -- an den Großvater, der seine Leiden meinte zu
verdienen, indeß sie den durch ihn erlösten Johannes besaß und genoß; und
so war sie weiblich wunderlich, grade entschieden, diesen ihren Johannes zu
verlassen und grade zu den _sie liebenden_ Kindern hinzueilen! Und ihr Herz
war doppelt froh.

Die Ereignisse erleichterten ihr aber auch den Gang. Die Verbündeten hatten
an demselben Tage Mainz berannt. Die Soldaten, die noch draußen auf den
Dörfern sich genährt, und gesund erhalten hatten, waren alle, bis auf
hundert Mann, aus Zahlbach fort, hineingezogen -- und in ihrem Hause lag
nur noch St. Etienne allein. Dagegen war nun der Leineweber Krieg bei
Johannes, bei welchem er bleiben mußte: denn er war durch eine
Vorpostenkette rund abgesperrt, und konnte nirgends hinaus nach der nahen
Heimath. Die Feinde standen sogar in _Britzenheim_ nur eine Viertelstunde
von Zahlbach. Dieses ihres schönen freundlichen Dorfes Schicksal war voraus
zu sehen, und Johannes trieb seine liebe Christel nicht allein zu dem Gange
nach Mainz, sondern er bat sie auch dort zu bleiben. Denn die Einwohner von
Zahlbach vergalten jetzt den braven Mainzern ihre tagtäglichen Spaziergänge
zu ihnen heraus, die Sonntagsfeste und Morgen- und Abendbesuche unter ihren
grünen Weinlauben, Kastanienbäumen und Wallnußbäumen, und flüchtete, jetzt
ihr -- Vieh in die Häuser der Stadt, ihre Habe und Gut, ja Weiber und
Kinder; denn das Dorf war kein Dorf mehr, sondern nur eine Caserne. Die
Clubbistenschanze stand mit Kanonen bespickt und mit Soldaten besetzt,
deren Vorhut im Dorfe stand, das nun der Belagerungsschauplatz werden
mußte. Und so hatte Christel nur eine Bitte: daß Johannes mit ihr in die
sichere Festung Mainz käme! Er aber wollte sein Erbe nicht Preis geben, und
Alles zu Grunde gehen lassen, ohne es so lange wie möglich geschützt -- und
dann seinen Untergang wenigstens selbst mit angesehen zu haben. Und so
zeigte er jetzt den Muth des Landmanns, den Muth, den er seiner Christel
unlängst mit kurzen aber wahren Worten versichert; und er wollte nicht sich
selber, was sie besaßen, für sich bewahren, sondern eben für seine Christel
und ihre Kinder. Und so gut er ihr war, so fest blieb er bei seinem
Vorsatz, wenn er ihn auch nur in halblauten milden Worten mehr andeutete
als vertheidigte. »Thut es Noth,« sprach er, sie bei der Hand fassend,
»dann bist Du bei mir, oder ich bei Dir -- wie der Herr trifft. Denn die
Soldaten laden und feuern nur los -- auf Gottes Gnade und in Gottes blauen
Himmel.«

Da nun auch ihr Pathe Leinweber Krieg dablieb, der als vieljähriger Wittwer
sein Hauswesen und selbst Küche und Heerd und Töpfe zu seiner eigenen
Zufriedenheit wohl bestellt, ja wie er sagte, sich sogar nie eine
sogenannte Suppe versalzen habe, die -- er nicht habe essen können oder
müssen; so brachte Christel ihr Haus in enge, leicht übersehliche Ordnung,
führte die beiden Männer in Stall, in Keller, in Hausgewölbe bedächtig und
belehrend umher, und deckte alles auf, und wieder zu, damit sie wüßten, wo,
wieviel und in wie gutem Zustande alles vorhanden sei; klopfte mit dem
Knöchel des Fingers an die ganzen Töpfe, und stellte die wenigen bei Seite,
die einen Riß hatten, aber doch noch gute trockene Dienste leisteten; wobei
der Pathe versprach, einen sogenannten Ring von Draht um dieselben zu
legen, oder nach Verdienst und Würdigkeit dieser alten stillen Freunde und
Hausgenossen, sie über und über in Ketten und Banden zu legen, oder zu
überstricken. Als sie dann auch beide, Einer nach dem Andern, in die
Rauchkammer hatten gucken müssen, was sie, des Rauches wegen, mit
zugemachten Augen gethan, und als der Gevatter Pathe die prächtig gefärbten
starken wohlriechenden Schinken, Speckseiten und Würste -- aus Liebe und
Zutrauen zu Christel -- mit Verwunderung über das sogenannte quale et
quantum aufrichtig gelobt hatte, so war die Uebergabe geschehen; und
Christel stand im Hause als sei sie überflüssig, verborgt, verschenkt oder
verkauft, und ihr war zu Muthe, sie wußte nicht wie. Sie legte an die
Bestellung des Abendessens keine Hand an, schlich nur einmal heimlich
nachsehen, schürete das Feuer, legte, wie ein kleines Mädchen, spielend ein
Scheitchen mit zu, nahm es aber aus Rechtschaffenheit wieder weg und
löschte es in der Asche aus -- und legte es doch wieder ins Feuer, weil es
einmal angebrannt war und verrathen hätte, daß sie die Küchenmeisterin
gemacht. Dann setzte sie sich an den Tisch wie ein Gast beim
Kirchweihfeste, ließ lächelnd decken und auftragen und Jedem und sich
selber austhun und aß -- ob ihr gleich vor Bangigkeit kein Bissen schmeckte
-- von allem recht viel, und lobte die Speisen und die zwei Köche, die
dasmal nichts versalzen noch verdorben, und vermahnte sie scherzhaft so
fortzufahren! St. Etienne war über Nacht auf dem Posten; und Johannes ließ
in der Ferne der ruhigen Zeiten dem Gevatter Pathen, zur Dankbarkeit für
seinen Beistand, wieder die Aussicht auf einen fröhlichen Kindtaufenschmauß
erblicken, bei einer kleinen _neuen_ Clementine, oder am liebsten: der
alten vorigen -- wenn der Herr seiner Christel _dieselbe_ wieder in
ähnlicher Gestalt in die Wiege legen wolle. Ihre in Thränen schwimmenden
Augen aber verlöschten die Aussicht wieder, und sie saßen still, dankten
still, und standen still vom Tische auf, nachdem sie ihrem Johannes noch
einmal die Hand über das weiße Tuch hinüber gereicht, um seines Lebens
Wärme zu empfinden und von seinem Dasein recht handgreiflich überzeugt zu
werden. Dann aber sprach sie als gute Wirthin nur leicht: »Aber ihr alten
Kinder, das ist ein _gutes_ Tischtuch! Jetzt verrichten es die mittlen. Und
ihr kleckt nicht wie die Kleinen -- zur großen Wäsche bin ich wieder zu
Hause.«

Dann gingen sie ruhen. Am Morgen aber stand sie allein schon lange vor Tage
auf. Ihr Johannes schlief zu fest; so ließ sie ihn schlafen. Aber wie sie
an die Thür trat, hatte er ihr im gelben Morgenscheine, eine fahle
todtenähnliche Farbe auf Gesicht und Händen. Sie trat hastig hinzu, und sah
-- aber er athmete leis und schlief so ruhig -- und ruhig ging sie weg,
während Daniels Monats-Täuberich, schon früh auf im Taubenschlage, über
ihnen im Giebelfelde zu Neste heulte und trommelte. Wenn aber ein
zukunftskundiger Mann oder ein Geist, der das kleine Leben der Menschen
überschaut, sie gesehen hätte so ruhig hinweggehen, der hätte gesagt:

   So schlummert der Wandrer
   Voll sicherer Gnüge
   Im eigenen Hause
   Noch einmal, auf lange,
   Der sorglos und trauend
   Am blühenden Morgen
   Von Weib und von Kindern
   Dann scheidet, kaum einmal
   Sich umsieht -- und hingeht,
   Wo jählings am Abend
   Der Tod ihn ereilet,
   Ihn schweigend die Fremde
   Verschlingt und zurückhält;
   Und Heimath und Hütte
   Mit Bäumen und Blumen
   Sie bleiben auf immer
   Still hinter ihm stehen,
   Und ruhig bescheint sie
   Die leuchtende Sonne!




XI.


Nun traf es sich, daß an diesem Tage St. Etienne's Geburtstag fiel. Da er
aus so vielen Landen und Schlachten glücklich wieder bis in die Gegend
seiner Heimath gelangt, so war er nicht ohne Schadenfreude, nämlich über
seine geheilten Wunden; und wenn der Soldat keinen Sonntag hat, als wenn
die Sonne scheint, und keinen Feiertag, als wenn er im Feuer steht, so war
ihm in alle dem wüsten Leben nur noch der Tag, durch den er da war, im
Herzen geblieben, und zwar ihm nicht mehr werth, als eben sein unvergnügtes
Dasein jetzt selber, aber doch so viel, und in dem heutigen Tage lag die
Erinnerung alle der frühern -- glücklichen -- mit. Auch machte ihn wohl der
Verdruß ernst, daß Christel fehlte und ferner nicht da sein sollte. Und so
setzte er sich bei drei Flaschen vaterländischen Rheinwein hin -- und
begehrte die Bibel; und Johannes brachte die große Bibel von Christels
Vater und Seinem, und ließ ihn allein zur Andacht.

St. Etienne besah den gepreßten Deckel, schlug ihn um -- und fand von
seines Vaters treubekannter Hand: »seine liebe Tochter _Christel_« darinnen
verzeichnet, und seine Schwester _Martha_ und die andern Geschwister und
sich selbst. Und er las das:

»Mein lieber Sohn _Steffen_, den Gott gedeihen lasse, ward mir geboren
während der unsichtbaren Sonnenfinsterniß, den« -- --

Aber die Augen gingen ihm über. Und er trank hastig ein Glas Wein nach dem
andern, schlug dann das wohlbekannte Buch zu, legte sich zugleich mit den
Lippen darauf, als wenn er Vater, Mutter, Geschwister und Schwester
Christel darin küssen wollte, blieb dann lang mit dem Gesicht darauf
liegen, bis er Alles durchgedacht; dann richtete er sich auf, legte die
gefalteten Hände auf die Bibel, und blieb so sitzen. Er war heim. Denn er
hatte keine andere Heimath mehr, und wußte nicht welcher Stein diese Nacht
noch sein Ruhekissen werden könnte, und welcher Rasen sein Deckbette. --
»Welches Unglück! Wenn nun meine Schwester nicht ein Weib -- wie Christel
war, sondern ein Weib, wie -- ich weiß nicht wie viel!« dachte er. »Aber
wenn die andern zu albern-guten Dinger auch nicht _meines_ Vaters Töchter
sind -- haben sie nicht alle einen Vater: _Einen!_« -- Dabei schlug er mit
der Hand noch auf gut soldatisch auf die Bibel; aber die Hand kam, von
Scheu gemäßigt, nur sanft darauf hernieder. »Heute möchte ich Feldprediger
sein! wenn wir welche hätten! Aber das sieht der Kaiser ein, daß _Der_,
dessen Wort er lehrt, und die, die ihm alle Augenblicke Hohn sprechen, sich
nicht wohl passen. _Der_, -- warum nicht einmal wieder den Namen nennen --
Jesus weinte über seine Vaterstadt, die sein Vaterland war; aber König
darüber mochte er nicht sein, noch weniger: sich durch hunderttausend
Umbringungen von seinen Brüdern als Herrscher erhalten -- und _herrscht
doch_, aber _inwendig_ in den Menschen allein. Das Inwendigherrschen ist
andern nicht respektabel genug! Das macht ihm kein Teufel nach, selbst
unser Allergnädigster nicht. Es ist aus mit Ihm! Ich bin auch nichts mehr!
Wir Alle sind nichts! Und zu erkennen geben kann ich mich nicht. Als wir im
Siege waren, da redeten unsere Thaten. Nun im Verluste . . . mußte ich
nicht ruhmredig werden, aufthauen wie ein altes Weib, das von ihrer
Schönheit spricht, die einmal über ihr Gesicht gefahren, wie die Hand über
. . . »den Verräther der Menschheit.« Mußte ich nicht beschönigen und
lügen! Großthun! Aufschneiden, um nur vor den Leuten bei Ansehen zu
bleiben; und selber bei mir nicht vor Scham zu vergehn! Plagte mich nicht
der deutsche Ahnen- und Titel-Teufel: mich für eines großen Mannes Sohn
auszugeben, für eines Generalpächters Sohn, der wahrscheinlich eines
Prinzen Sohn gewesen -- weil er mit der ganzen noblen Gesellschaft das
Hasenpanier ergriffen, anno: anno! Dies Jahr! wo es wieder andre Noble
ergreifen werden! O Hasenpanier! Du bist allgegenwärtig! Und ich, ich
möchte dich auch ergreifen, wenn ich nicht Sergeant wäre! Und _den großen
Unglücklichen_ verlasse ich nicht! Und mich auch nicht! Sitze, mein
Stephan, und thue Gutes! Vielleicht lernst Du noch wieder beten -- wenn das
die Noth lehrt! Wir sind aber gelehrt: eher auf die Nase zu fallen, als auf
die Kniee. Doch Unglück schickt sich! Und nun sang er, halbberauscht, gar
den neuen Vers:

   Soll Unglück sich schicken.
   Stößt man sich am Grase,
   Und fällt auf den Rücken
   Und bricht sich -- die Nase!

sang aber noch ärger dafür:

   Man fällt auf die Nase
   Und bricht sich -- den Rücken!

Dabei sank er selbst auf den Rücken, dämmerte ein, schloß die Augen und
redete dann halbschlafend, halbträumend: »Sacre: wenn meine Kinder in
Rußland jetzt vielleicht die Knute kriegen, das sollte mich doch
verdrießen! Oder wenn Einer von meinen Buben in Italien sollte Horas
singen, oder, was Gott verhüten möge, in Rom einmal gar Papst werden; oder
ein Schlingel wie der Mufti; oder in Spanien endlich ein Großinquisitor;
alles und jedes möglich . . . denn was ist, oder das türkische Verhängniß
beriefe mein Söhnlein aus Aegypten, und er würde ein Großthier -- wie der
Groß . . . das sollte mich doch verdrießen! Oder wenn gar eine oder die
andere von meinen unbekannten lieben Töchtern -- gewiß jetzt schon recht
hübsche Mädchen! -- das werden sollten, was ihre Mütter waren,
Ehebrecherinnen, oder erlöste Nonnen und Contessinnen -- --«

Er ward wüthend und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß sie blutete,
und schwere Bibel und Weinflasche wie vor Schreck in die Höh' sprangen.
Aber sich erinnernd, setzte er leiser nur grimmiger noch hinzu:

Doch Unglück schickt sich!

Schickt sich . . . . schickt sich . . . . murrt' er und murmelt' er.
Unglück schickt sich nicht! Nicht einmal der Teufel schickt es. Wir machen
es selber. Unglück -- Ungeschick! Unglücklich -- unschicklich . . . . . .
Na! das _dortige_ Unglück! Die Schönheit macht alles ausstehbar! . . . _Das
hiesige_ aber hat sich nicht geschickt, und hätte sich nicht geschickt.
»Steffen! mein Steffen!« würde der Vater sagen . . und die Mutter -- --
ach, es ist doch nichts besser als eine Mutter! -- Rief sie nicht? --

»Mutter, hie bin ich!« rief er, erweckte sich selbst, sprang auf -- und
_Johannes_ stand vor ihm.

Und Stephan war verwandelt, und sah ihn mit großen Augen an, ergriff das
Glas, setzte es aber derb nieder, um nicht zu verrathen, daß er sich
schäme. Und Johannes wischte die Bibel vom Wein ab.

»Haltet das Buch in Ehren, Johannes!« sprach Stephan; »es macht gute
Freunde!«

Und so war es auch von nun an. Stephan schob auf den Soldaten, als einen
mit Willen und Geheiß bewaffnet »losgelassenen Mordläufer«[A], oder Subject
aus einer Menagerie, was er auf den Menschen nehmen sollte, der in dem
rasenden Tiger steckt oder gesteckt wird, und meinte: »mit Hunderttausenden
dergleichen Subjecten losgelassen zu werden, vermehre die Wuth
hunderttausendfach, und aller alten todten Soldaten Geist, ja aller
heidnischen alten Armeen Dämon -- denn bloß die christlichen Völker haben
den Teufel -- fahre in _einen_ neuen Soldaten; und mit dem angezogenen
Rocke ziehe der vernünftigste Mensch seinen Menschen aus, wie der frömmste
Mönch, der des Papstes Kleider auf seine paar öffentlichen Jahre anziehe.
Das sei Kastengeist, und die ganze Welt stecke separirt in tausend
dergleichen Kasten, wie in Tollhauskammern und werde gleich wieder
gescheid, wenn sie herauskomme, und wieder dumm und toll, so wie sie wieder
hineinfahre, Berlicke! Berlocke! Berlicke! Berlocke! Wenn ein Mensch im
Kriege seinen Feind auf Händen tragen und füttern wolle, wie sein kleines
Kind -- das wäre gegen Ordre, und ginge nicht! Und wenn ein Mensch zu Hause
-- nicht anderleuts Vater und Bruder, sondern bloß _seinen_ Vater, _seine_
Geschwister und seine Kinder so mit Bajonetten zerfleischen und mit Kugeln
zerfetzen wolle, und Haus und Hof sich selber über dem Kopfe anstecken
wolle . . . das ginge nicht! Johannes möge das glauben!«

[Fußnote A: In Indien geht Jeder einem solchen weit aus dem Wege.]

Und Johannes glaubte das redlich, und der Leinweber Krieg, der da meinte:
es wundre ihn nur, daß Alle, oder ein Paar nur, was schon genug wäre, nicht
glaubten: daß _Alle Gottes_ Kinder wären! -- Stephan sprach erst nur so,
weil der Ruhm der Seinen jetzt vom Sturme aus Deutschland zerblasen ward,
wie eine reife Distel -- »_gefressen!_« sprach er satyrisch im Stillen; da
er jedoch sich zu Hause bei den Seinen fühlte, so ward diese seine gute
Gesinnung allgemach redlich, und er sagte laut zu Johannes, daß er für sie
alle -- und meinte Christel -- einmal in eine _verlorene_ Schlacht gehen
wolle, geschweige alles andere thun. -- Mehr könne ein ehrliebender Soldat
sich nicht erbieten! Er trieb Johannes, daß er ginge und Christel holte,
weil er ihr etwas gar Wunderschönes zu sagen habe von ihm und von ihr!

Christel aber schickte von selbst nach Johannes, aber mit sehr gelassenen
Worten, weil sie wußte, daß solche bei ihm stets hinreichten, ihr alles zu
thun, und schon eine Bitte ihn verlegen machte vor Rührung, so daß er oft
darüber sie bittend angesehen, als bitte er um Schonung. Und um vielleicht
ihm jetzt einen Schreck zu ersparen, hatte sie diesmal so spät, vielleicht
zu spät geschickt.

Er eilte also bloß mit der Lust und Hoffnung: sie wieder zu sehn, nach der
Stadt. Es dämmerte schon. Die letzten Dohlen flogen zu Rüste. Der Himmel
war schwarz umwölkt -- denn aus schwarzen Wolken fällt der weiße Schnee --
und der Wind wehte mit den Flocken, wie Kinder Flaumfedern vor sich her
blasen, um sie nicht auf die Erde zu lassen; -- und wirklich: er hörte im
Felde _Kinder_ rufen . . . aber so weit rechts ab, daß er im Winde seine
eigenen Kinder _nicht erkannte_. Und doch stand er und horchte, ob sie
nicht riefen, vor Angst sich zu verirren? oder nach Hülfe? Und sein Herz
klopfte laut, und er stand auf dem Sprunge hinüber zu eilen. Aber er freute
sich; denn die Kinder riefen nur: »Mutter! Mutter!« -- Und wie ein
Traumbild sah er auch ein Weib -- sein eigenes Weib, seine Christel, stehen
bleiben, und etwas Dunkles, wahrscheinlich ein kleines Kind, auf den Arm
nehmen -- das sein kleines Sophiechen war. Und er freute sich wie das Kind,
daß es die Mutter hatte, und daß das Weinen still ward, und die Mutter
wieder den beiden andern größeren Kindern voranschritt oder sprang! -- kam
es ihm vor. Und das Weib hatte in dem Nebelflor des Schneegeflirres ein
gespenstisches Ansehen; und wenn er scharf genug sahe, so war sie nur halb
bekleidet, und die Haare flatterten ihr in dem Winde voraus. Nun that ihm
die arme Frau leid, die jetzt in den Thalweg nach Britzenheim zu verschwand
. . und die Kinder verschwanden ihm hinter ihr -- und alles war weg! Er
lehnte sich an das hohe rothe Kreuz am Scheidewege, das im Winter ein
Wegweiser war, und starrte noch eine Weile hin; aber es blieb still; und er
hörte nur den Schnee säuseln; in der Ferne den Wind pfeifen; und wie der
Wind herstrich, hörte er auch die Mühle von Zahlbach gehen; und die Mühle
von Britzenheim; und dort in dem Dorfe ward Licht, und ein langer Schein
strahlte davon bis zu ihm her, und weiter hinaus in den Himmel. Ihm
grauste. Er schritt hastig zu, nur von dem Gedanken getröstet: Das Dorf sei
nicht weit, und ehe er in Mainz sei, seien die Kinderchen und das arme Weib
in Britzenheim!

Er eilte nun durch die wohlbekannten Straßen der Stadt nach Paschalis
Wohnung. Er durfte an keine Thüre klopfen, denn sie standen offen; aber in
allen Zimmern -- Niemand! Keine Christel! Kein Daniel! Kein Sophiechen!
Kein Gotthelf! Kein froher Kinderruf: »Vater!« kein »Willkommen!« schallte
ihm wo entgegen. Ueberall Niemand. Bis er durch das Wohnzimmer hindurch
ging, worin nach hinten hinaus noch eine Thür war, und vielleicht Menschen
dahinter. Vielleicht dachte er, sind sie alle bei Dorothea! Die Thüre war,
wie ein Schrank, nur mit dem Schlüssel aufzumachen; er merkte also nicht,
daß sie verschlossen gewesen.

Beim Dämmer einer an drei vergoldeten Ketten hängenden rubinrothen Lampe
erkannte er aber nur an ihrer Kleidung das treue Mädchen, das an jenem
Abende neben dem englischen Kutscher die vier Kühe vom Bocke gefahren. Mit
dem Gesicht lag sie, wie eingeschlafen, auf einem Gebetbuch mit goldenem
Schnitt. Medizinflaschen und Gläser und Tassen und Schächtelchen auf dem
Tische, waren alle beiseite an die Wand geschoben; und auf dem weißen
Bette, mit zurückgezogenen grünseidenen Vorhängen, lag Dorothea, wie er
meinte, sehr leise schlafend, und hatte gewiß gebetet; denn ihre Hände
waren ausgestreckt und gefaltet. Jetzt fuhr das Mädchen in die Höhe, als
habe sie Dorothea gerufen. Sie sprang zu ihr; sah nach ihr; besann sich
aber, seufzte ein tiefes Ach; und kehrte sich leise von ihr um; und
erschrack vor Johannes, daß er selber erschrack, und beide sich fragend
anstarrten. --

». . . Schläft sie?« frug er leise.

»Sie schläft;« antwortete das Mädchen; »aber Ihr könnt laut reden,
Johannes; sie schläft fest.« Und doch sagte sie das auch nur halblaut vor
Furcht oder Ehrfurcht.

». . . Also ist ihr wohl und besser?« frug er zutrauensvoller.

»Wohl. Und besser. So bleibt ihr nun gewiß;« erwiederte sie.

». . . Nun ich gönne das Glück unserem Herrn Paschalis! Der wird sich
freuen!« sagte Johannes mit Augen, die vor Mitfreude glänzten. »Die liebe
ehrenwerthe Tochter war seine Lust und sein Leben!« --

»Und kann nun sein Tod sein!« sprach das Mädchen. Und die Worte schnitten
Johannes und ihr in das Herz, und sie schluchzte vor Thränen. Und als
Johannes einen Schritt näher zum Bette gethan, und forschender hingesehen,
trat er zurück, sank auf den Stuhl, und lag nun mit seinem Gesicht über dem
Buche, wo vorhin des Mädchens Gesicht gelegen, und die Blätter waren noch
naß. Aber er fühlte es nicht, sondern weinte frische, warme Thränen zu
ihren kalten.

»Gönnt ihr die Ruhe!« sprach das Mädchen, »Ihr war zu schrecklich zu Muth.
Sie hat viel Gutes gethan, aber ich denke, ich denke, warum! Es war so kein
rechtes Gutes, denn sie war in Eifer, ja öfter in Wuth dabei. Und wenn sie
sich auch die Krankheit geholt, und zum Tode krank daran danieder gelegen,
so ist sie doch nicht daran gestorben -- spricht der Licentiat, sondern an
einer gewissen _Furcht_, die aber _gewiß_ wäre, an einer Furcht vor einer
sogar guten Hoffnung; sagte er einmal dem Vater, der sich über das Wort vor
die Stirn schlug, als gehörte sein Kopf einem Andern von Holze. Eure liebe
Frau Christel hat es mit angesehen und mit angehört, noch in der letzten
Nacht, wie Dorothea in weißen Nachtkleidern aufsprang, uns ansah, ohne uns
zu sehen, und so recht herzlich Jemanden frug: »Sage mir nur: Wer an dem
ganzen Unheile Schuld ist? Kann der Morgen herkommen mit seinen Seuchen und
Teufeln, wenn der Abend nicht hingeht und ihn holt? Und saß der Abendstern
auf dem Thron, wenn noch die alte Nacht darauf saß mit ihren Gespenstern!
Ist also Jemand Schuld an der neuen Zeit, als die alte tyrannische, elende
Zeit, als das alte Glück an dem neuen Unglück? Die Könige des vorigen
Jahrhunderts an den Königen des jetzt laufenden! O, daß alles Unheil liefe,
verliefe wie Wasser aus Thränen und Blut, und ich mit darauf hinschwämme zu
der großen Pforte hinein, schön und hoch und golden und purpurn wie das
Abendroth! Aber sage mir auch, ob sich noch heute Teufel in Menschengestalt
verwandeln können, und _ein_ Teufel in sieben Gestalten, eine teuflisch wie
die Andere; in der einen -- siebenarmigen -- Hand sieben blitzende Säbel,
und in der andern siebenarmigen Hand sieben Flaschen alten Rhein! -- Und
sage mir nur: giebt es auch sieben Tode? -- -- Und sieben Gewissen -- und
sieben Schlangen in Jedem! -- Ah!« -- -- So phantasirte die arme Dorothee.
Dann sank sie vor Schreck um, schrie Hülfe, rang sich mit Jemand wild
umher, ächzte, und lag dann lange wie todt -- dann sprang sie wüthend auf,
starrte umher, daß uns die Haare zu Berge stiegen, zerschlug den Spiegel,
oder ihr Bild darin, daß die Stücken umher flogen, und zertrat das letzte,
aus dem sie noch ihr eigenes Auge ansah. »Aber,« frug sie dann höhnisch
lachend: »wäre es _für die Welt_ nicht besser: Ich wäre sieben
Kaiserstöchter! Oder nur sieben Königstöchter! Aber mein Vater ist auch ein
König, und ein ganz Anderer, und das ist besser für den Himmel; besonders
wenn er seine arme Tochter in den Himmel nimmt, und die sieben Teufel in
die Hölle stößt. Aber Gott auf Erden thut nur Alles mittelbar. Und ich muß
auch so thun? Nicht wahr!« -- -- Und dann lachte sie recht heimlich aber
seelenfroh, und versicherte den, mit welchem sie sprach: . . . »Ich habe
gethan! Das Gewölbe hat gethan; der Wein hat gethan; und -- die Thür hat
gethan! und das Letzte das Beste! Aber meinst Du nicht, mir wäre doch
besser jetzt und in der abscheulichen Zukunft; selber im Himmel wäre mir
und dem sündigen Herrn Paschalis besser, wenn Er . . . nein, wollte ich
sagen, wenn die sieben Teufel alle andere Gebote nicht gehalten hätten,
alle nicht: Das Erste, das Zweite, das Dritte, Vierte, Fünfte -- --
Siebente, Achte, das Neunte, das Zehnte nicht -- aber nur Eines, das Eine,
ein einziges Mal!« Und dann weinte sie aus geschlossenen Augen, und zählte
dann wieder die Teufel: Einer, Zwei, Drei, Vier, Fünf -- -- -- dann
erwachte sie aus ihren Gedanken, und fuhr, erschrocken vor uns, daß wir da
gewesen, und fuhr in das Bett, wie ein Gespenst, zog die Tücher über sich,
und wir hörten sie darunter dumpf mit den Zähnen klappen, und dazwischen
noch aus ihrem Traume die behaltenen wieder auftauchenden Worte murmeln:
»Es wäre doch gut für die Welt: ich wäre Sieben Königstöchter; denn die
Sieben Kaiserstöchter hätten Sieben Väter, und die Sieben Väter hätten
Sieben Herzen und Sieben Steuer solchen Unglücks« -- -- -- --

Das Mädchen deckte jetzt den weißen Schleier von Dorotheas Gesicht und
Brust; und wie sie so schön und ruhig lag, und ganz unverstehlich und
unausforschlich lächelte, sprach ihre Pflegerin zu Johannes: »Seht nur, ob
Sieben Königstöchter schöner sein können! Seht nur getrost hin: Sie ist nun
eine Königstochter! Und eines ganz andern Königs Tochter, der ein ganz
anderes Herz hat.«

Sie schwieg; denn die Thüre ging auf, und ein französischer Soldat, in
feiner Uniform mit dem Orden der Ehrenlegion geschmückt, trat herein;
Johannes erkannte den jungen Herrn von Ellenroth, der als Soldat noch
einmal so männlich, und in seinem Schmerz noch einmal so schön, ihn mild
begrüßte. Er wollte leis aber gerade zu Dorothea hingehen, als wenn sie
noch lebte; aber er blieb vor ihr stehen, wandte sein Gesicht zurück, und
sagte: »Wie kann man das so bald vergessen, daß Du todt bist! Ach nur, weil
ich es nicht glauben kann, daß Du todt sein sollst; weil Du in mir so fort
lebendig mir da bist, wie je, und aus mir, und mit mir schaltest, wie Du
willst, und _wolltest!_« -- Er nahm den Orden von der Brust, und sagte
leis: »Doch . . . hier ist der Orden der Ehre, für die Sieben Kosaken, die
ich Dir zum Opfer gebracht in diesen Tagen, die diesen Deinen Sterbetag
mich erwarten ließen. Mit Erlaubniß der Obern wurden sie mein, und so viel
ich erlegen kann oder will. Aber Sieben sind genug -- und nun falle ich
Andern zum Opfer, ohne mich zu wehren. Der _Achte_ aber liegt schon
_verwundet_ bei Johannes, und ist heilig; und da er ein Prophet unter
seinem Volke ist, wie sie sagen, so ziehe der _Unglücksvogel_ heim und
prophezeie! Und noch aus seinem Grabe dringe seine Stimme, wenn er da
hinunter gestiegen! -- Das waren schwere Tage, mein Johannes!« sprach er
jetzt noch milder. »Wir sind Leidensgefährten! Denn Eure Christel, von
derselben Krankheit befallen, sehr krank, irr, und immer noch hülfreich
auch in ihrem Wahn -- ob sie gleich wirklich gehört, daß Wecker in
Britzenheim als Spion sitzt, und morgen, ich weiß nicht wie: abgethan
werden soll -- Eure Christel ist entsprungen! Und Daniel und die anderen
Kinder hinter der Mutter! Ihr nach, nach Ihr; kein Winkel ist im Hause
undurchsucht -- und in den Straßen hat man sie nicht gesehen; denn jetzt
hat Jeder seine eigene Noth; aber im Thore, das nach Zahlbach führt, meinte
eine Kastanienfrau, es wäre ihr wohl so, als wenn ein halbgekleidetes Weib
hindurch geschlichen wäre, und bald nachher drei Kinder, wovon das kleinste
nach warmen Kästen (Kastanien) verlangt. -- Ihr müßt sie begegnet haben --
sonst ist Paschalis umsonst ihr nach. Ich verließ ihn im Thore; und daher
komm' ich, noch naß von den Flocken.«

Johannes hörte ihn kaum aus, und eilte von hinnen. Ihm war Alles im Innern
klar. Nun hatte er sein Weib gesehen! Das waren seine Kinder gewesen! Doch
er verirrte sich noch erst in Paschalis Hause, in den Zimmern, kam in die
Kinderstube und sah seiner Kinder weggehangene Kleidchen und die
Spielsachen, und Christels Bett, und die kleinen Bettchen; drunten an der
Hausthür aber erwartete ihn sitzend der Hund Peter, der ihm als seinem
Brodherrn nachgelaufen war, und jetzt fröhlich an ihm emporsprang. Dann
eilte er durch die Gasse voll Menschen und Kinder, die dem Zapfenstreich
mit türkischer Musik nachliefen, durch das Thor ganz geblendet ins Freie,
und auf der Straße in Sturm und Wetter dahin; und wie er sein Weib und die
Kinder vorher wie Gespenster gesehen, so schwebten sie jetzt in der dunkeln
Nacht ihm wieder vor seinen Augen, luftig, und unerreichlich, immer voraus;
und an dem hohen Kreuze stolperte er und fiel mit dem Gesicht in den
Schnee. Er besann sich, wo er war; und während ihn der Hund mit der Pfote
scharrte und um ihn herum boll, betete er an diesem Zeichen der
angefangenen Erlösung in der Angst um Rettung den Vers: »Nun danket Alle
Gott!« Und aus der verhallten Neujahrsnacht erklangen ihm wieder die
Posaunen vom Dome dazu, und die Freudenschüsse fielen, und die Eule kam,
und der Hund erinnerte ihn an den Hund, und sein Gebell an seinen Gang. Und
er sprang auf, schlug nun den Thalweg nach Britzenheim ein, sah schon das
Licht in der Mühle -- aber da sah ihn auch der Posten der Vorhut, und
donnerte ihm sein: »Zurück,« entgegen.

Denn das Wort war ein Donnerkeil, und spaltete sein Herz. Seine Fragen
waren umsonst, denn die Wache war eben erst abgelöst; seine Bitten waren
umsonst, denn der von seiner Erzählung nicht ungerührte Soldat aus dem
Elsaß, fragte ihn nur: »Ob er wolle, daß er erschossen werde? Denn seine
Bitte begehre seinen Kopf. Und wenn er auch kein Spion sei -- so könne er
durch einige fünfzig Stockschläge einer werden, indem er in aller Unschuld
nur Alles treulich sage, wie es in Mainz aussehe? und wo die Wache stehe?
und so könne er vielleicht hundert Mann um ihr Leben bringen, durch hundert
Schritte vorwärts. -- Wenn Euer Weib hierzu gekommen ist, so hat sie sich
vielleicht in dem Schneewetter, ungesehen, glücklich zwischen den Posten
durchgeschlichen nach Britzenheim.« --

Der redliche Johannes war traurig überzeugt, blieb aber doch noch lange
Zeit neben dem Manne sitzen, bis er vor Gedanken fast einschlief, und das
Kommen der neuen Wache ihn weckte, und er still nach Hause schlich, den
Pathen im Bette weckte, und ihm sein Herz ausschüttete, und seine Thränen
still in sein Kissen.

Vom frühesten Morgen des, auf die betrübte Nacht schön anbrechenden
Sonntags durchstrich und durchmusterte Johannes bei Sonnenlicht mit noch
brennenden Augen, nebst Petern als Hauptperson, und dem Pathen Leinweber
und einem gutwilligen Nachbar die ganze engbeschlossene Gegend, so weit er
es durfte. Zuerst stellte er sich auf den Ort, wo ihm Christel und die
Kinder verschwunden waren; ging der Richtung nach, suchte Fußtapfen auf,
ließ Petern auf die Fährte -- aber die Tritte waren vom eingefallenen
Schnee verweht und verschüttet, und der Hund sah ihm rathlos in die Augen.
Johannes starrte betrübt in die stille, sonnenblitzende Ferne, die ein
schweres Geheimniß für ihn bedeckte, indeß es doch gewiß an seinem Orte ein
offenbares war, und er weinte die lächelnde Sonne an. Darauf ging er -- als
Gottesdienst -- den Vater besuchen, den er gestern vergessen hatte, wie
Jemanden, den er im Sichern wußte. Der Leinweber Krieg aber ging in den
Krug, um vor Mißmuth und Trauer den Baß zum Tanze zu streichen; im Grunde
aber, um von irgend Jemand aus der Menge ein Wort zu hören, da das Volk
Alles erfährt, Alles weiß; weil Alles sich meist auf unentdeckte und oft
auf unbegreifliche Weise viel schneller hinaus und umher verbreitet, als
schnaufende Pferde mit Schnellreitern und ledernen Täschchen die Kunde
berichten. Er traf aber hier nur Soldaten; denn selber die Tanzjungfern
waren Soldaten, die sich zierlich verkleidet hatten, damit doch wenigstens
Weiberkleider zu sehen und zu fassen wären. Steffen hatte den Kummer im
Hause gemerkt, fragte ihn jetzt weit leichter dem Bassisten ab, erschrack,
bedachte, gebot ihm Schweigen, und versprach ihm Hülfe.

Und nicht ganz vergebens. Denn schon am Morgen hatte er einen »Blauspecht«
gefangen, wie er sich ausdrückte, der in Britzenheim gestanden, und nun die
gewöhnliche Soldatenbeichte ablegen mußte. Und so ließ sich der
heimgekehrte Johannes nun selber erzählen, daß ein Weib in das Dorf
gekommen, und drei Kinder; und der Wirth hätte sie wohl gekannt und wohl
aufgenommen in diesen schweren Tagen, »wo die Menschen wunderlich
durcheinander geworfen würden, damit das Volk desto mehr Gelegenheit hätte,
sein Herz zu beweisen;« wie ein alter närrischer Kerl gesagt, den man als
Spion eingebracht mit einer großen Ruthe. Das Weib aber sei schwer krank,
die Kinder aber gar wohl, bis auf den Gram um die Mutter.

Der Gefangene ward in die Stadt geführt, und Johannes begleitete ihn ein
Stück, um Alles noch einmal zuhören, oder nur noch einen kleinen neuen
Umstand. Aber die wiederholten Worte brannten in Johannes Herz nur
schmerzlich und tief das Verlangen ein: um jeden Preis zu seiner Christel
hindurch zu dringen, und zu seinen Kindern -- da sie nicht zu ihm nach
Hause konnten. Er wäre gern auf den Thurm gestiegen, um nur nach
Britzenheim zu sehen; aber des alten Vaters Frommholz wegen war er sogar
nicht mehr in die Kirche gekommen, weil da der Altar stand, woran _sein_
Erlöser vom Kriege gekniet und gebetet hatte; und er sah keinen Pfarrer
darauf, nur immer den alten Zimmerman; und er war ihm theurer, und erschien
ihm eben so liebend und fürsorgend, als der alte gute weißbärtige
Zimmermann Joseph, der auf dem Altarblatte den Esel mit seiner
_anbefohlenen_ Maria mit ihrem Kinde, am Strick nach Egypten zog, aber seit
mehr als hundert Jahren noch keinen Schritt weiter gekommen war; und der
Esel hatte noch immer die Distel am Wege nicht erschnappt; und die Distel
war nicht verblüht, und der alte Joseph zerrte unermüdlich noch immer an
dem morgenländischen vierbeinigen Wagen mit dünnhaarigem Schwanze; und sein
Gesicht sah nur staubig aus, aber nicht von egyptischem Sande, sondern vom
Kirchenstaube. So unverändert kniete in seiner blauen Jacke, die Axt zur
Seite, ihm auch der eigene wahre alte fromme Vater Frommholz; und so war
der arme Johannes denn auch um den Trost von Gottes Worte aus des Magisters
Lademann Munde. Außer der Vermuthung: daß sich die Seinen wahrscheinlich
bei dem Richter befänden, der in Krieges- und Friedenszeiten Vieles umsonst
zu tragen und Alles im Dorfe zu verantworten hat; daß sie, als im
Nachbardorfe, dort bekannt oder doch nicht fremd, und jedenfalls bei
Menschen, und unter dem alten treuen Himmel wären, von welchem klarer als
die Sonne, aber noch stiller und ganz verborgen ein Auge herabblicken und
aller Menschen Geschick bewachen soll -- außer dieser Vermuthung tröstete
ihn nur sein Entschluß, zu ihr durch die Vorpostenkette zu dringen, und
hielt ihn hin, wie die Menschen sind, von Tage zu Tage, von Nacht zu Nacht
mit dem Bewußtsein, er könne ihn ausführen, in welcher Nacht er wolle --
und auch in der Nacht schlummre und schlafe das Auge nicht, und sei nicht
untergegangen, wie die eigentlich doch treulose Sonne; und das Eine Auge
sei dann tausend Augen, und schieße zu Zeiten goldene Blicke, wie Gestrahl
eines fallenden Sternes.

Johannes theilte sein Vorhaben dem Pathen Gevatter mit, --

»Ich gehe zwar mit, wenn Ihr geht,« sprach dieser; »denn ich habe den
sogenannten Propheten im Stiche gelassen, und das treibt mich aus Reue mit
Euch. Aber ich rathe uns Beiden: nicht zu gehen! Die sogenannten Feinde
können näher heranrücken, Zahlbach nehmen, und sich vor die Schanze legen
-- dann kann _Christel_ herein -- oder noch her begraben werden, wenn sie
gestorben ist; oder wir, das heißt, unsere sogenannten Freunde, können
einen Ausfall machen, und Britzenheim _nehmen_, wie man so einen Jammer
kurz umschreibt, da er kein sogenannter Diebstahl noch Raubmord ist; und
dann könnt _Ihr_ zu Christel und den Kindern hinaus. Ich rathe Euch zu
Geduld! Denn mit Geduld kommt der Mensch sehr weit, unglaublich weit, und
ist aller Verhältnisse gelassener Herr, besonders weil die Welt _keine_
Geduld hat, am wenigsten aber mein hungriger Namensvetter, der Krieg, die
große Lappenpuppe, die aus lauter Magen und Geldbeuteln besteht! Und nichts
ist für den Menschen erschrecklicher, als wenn Gott _morgen_ einen sichern
glücklichen Weg für uns macht, und wir, wir machen einen unsichern
unglücklichen -- _heute_. Etwa heute die Nacht! Selber einen alten
Handwerksburschen, einen sogenannten Steuerbruder, der gewiß niemals mehr
zu einem dreibeinigen Sitze kam, oder gar zu seinem eigenen sogenannten
Werstbänkel, den lumpigen lebensmatten Gesellen hörte ich lustig einmal in
die Morgenluft singen: »Es bleibt dabei: Wer warten kann, Der trifft sein
Glück bei Zeiten an!«

Johannes aber schob, als Antwort, seinem Freunde nur den neuen Kalender auf
1814 hin, worin unter andern freigesagten Lehren der Freiheit, auch auf
Jahrhunderte nachhaltende Sprüche über Menschenrechte standen, auf deren
ersten Johannes ihm mit dem Finger wies, und dann die geballte Faust ganz
ruhig auf dem Tische hielt, so lange Krieg las:

   Drei Dinge stehen jedem Menschen zu,
   Die Niemand niemals ihm verkümmern darf:
   Die Gaben Gottes, daß er sei, und froh sei;
   Die Hülfe seiner Lebensmitgenossen;
   Das Dritte aber macht ihn erst zum Menschen,
   Das Recht: den Gott zu ehren und die Seinen
   In Noth und Tod zu lieben. Ohne Liebe
   Fällt dieses große Haus der Welt zusammen,
   Ein jedes kleine Haus, und jedes Herz.
   D'rum ohne dies Recht, muß er lieber sterben,
   Dies Recht zu üben, froh den Tod nicht scheuen.

»Wie gesagt,« erwiederte der Pathe Leinweber hierauf: »Ich gehe mit -- denn
meine Baßgeige wird nicht zur Wittwe, und meine paar Geigen nicht zu
Waisen! Die kann Jeder streichen, und den Webstuhl Jeder treten, außer
Einem oder Tausenden, denen die Beine weggeschossen worden oder werden.
Aber Eure Frau ist keine Baßgeige, und die Kinder keine Armgeigen oder
sogenannte Bratschen -- die schon jämmerlich genug klingen. Doch, ich will
Euch nicht wehren . . . . .«

». . . _Niemand! Niemals!_« schloß Johannes; »denn da steht auch: »Die
Gottes Wege gehn, schützt Gott mit seiner Macht.« --

Und doch ließ der bedenkliche Vater noch Tag nach Tag, noch Woche nach
Woche verstreichen. Denn die Vergleichung seiner Christel mit einer, und
gar noch verwittweten Baßgeige, gefiel ihm auf keine Weise. Noch die Waisen
--

In dieser Zeit wurde seine Spannung und Angst immer größer, und St.
Etienne's Freundschaft zu ihm deswegen immer vertrauter. Auch Johannes
wollte ihm wohl, recht wohl. Darum dauerte ihn der arme Schelm, als er ihm
eines Abends sein Soldaten- und Beutegeld aus allen Nähten ausgetrennt und
in einen kleinen Beutel versammelt, brachte, ihm aushändigte, ungezählt,
denn ein lachender oder . . . _vielleicht_ auch weinender Erbe nehme Alles
ungezählt, und zähle dann schon selber nach, oder sich und den Seinen vor:
wie viel es sei, was sich der gute Narr abgedarbt und aufgespart, und
tränke allen Geizhälsen ein Vivat. »Doch ernstlich,« sprach St. Etienne:
»Die Posten werden jetzt weggeputzt wie Krauthäupter; und da zwanzig
Lieutenants auf einen Gemeinen aus Rußland und Deutschland wiedergekehrt
sind, so haben wir Sergeanten sogar die Ehre tagtäglich Wache zu thun; »wie
ein Kronprinz einmal im Leben, bei vollem Magen den vollen Ranzen trägt, um
zu wissen, wie schwer es den Soldaten Allen zeitlebens, besonders auf
Hundertmeilenmärschen bei leeren Ranzen wird.« Wir haben die Ehre! Sag'
ich, und wahrlich, das ist die größte Ehre -- vor Schusse zu stehen! Als
gemeiner Soldat bin Ich im Grunde der König des Krieges, der Gott des
Schlachtwogenmeeres, des Dampfes und Donners! Der Oberwelt und der
Unterwelt! Im Pulverdampfe athme ich Lebenslust! Wenn die Schlacht brüllt,
wenn die Batterien rasen, da genieße ich meines Lebens, da bin ich mir
aller meiner Kraft bewußt, und bin bis an die schlagenden Halsadern, voll
von dem, im Schwanken und Schweben erst sicheren Gefühl: Ich bin da! Ich
bin in der Welt! Was kümmert mich, wer siegt? _Mein_ Sieg, mein Triumph ist
mit dem ersten Schritte entschieden; Ich siege gewiß über Furcht und Elend
des Lebens! Mein Muth ist unzweifelhaft -- Ich bin unbesiegbar im Kampfe
mit einer halben Million Feinde; denn ich stelle ihnen Allen: den Einen,
einzigen -- _meinen_ Mann gegenüber, mein Alles, meine Habe, mein Gut,
meine Erde und meinen Himmel. Ich bin ein Kern der Saat, die da wächst
gegen die Rasereien der Menschen! Ich bin ein Vermittler und
Friedensstifter! Der Kaiser kann geschlagen werden -- Ich? -- Nie! Er sitzt
auf seinem Teppich und brockt Todesbrocken ein -- Ich esse sie aus! Ich bin
ein Soldat -- Er ist ein bloßer Kaiser und König -- von Gottes Gnaden! Und
Gottes Gnade wendet sich überall stets von den Alleinklugen, den Blinden,
den Tauben und Taubblinden. -- Da nimm den Bettel!«

Und als Johannes das Gold nicht nehmen, selbst nicht ungezählt in
Verwahrung behalten wollte, sagte er ihm: »Siehe mich, so lange ich noch
sichtbar bin! Und siehe mich recht an! Wir haben uns wenigstens zweimal
hunderttausend Jahre nicht gesehen, und können uns dreimal hunderttausend
Jahre nicht wiedersehen, und das Wiederkennen ist schwer zwischen Masken
und Masken . . . auf einem weltbreiten und weltlangen Corso! oder
himmlischen Großthustraße! _Jetzt_ aber wirst Du mich zu erkennen glauben,
Johannes (denn so dumm und gläubig ist der Mensch); wenn ich Dir sage,
_Deine_ Christel ist _meine_ Schwester! Und ich bin also ihr Bruder! So
nennen die Menschen solch kleines Geschmeiß aus einem Mutterschooße! Und Du
bist mein Schwager. Oder ist sie so gut, und ich so schlecht, so bin ich
ein Soldat, ein unbegreifliches Ding und künftiges Unding; wenn die Todten
nicht noch Dinge sind, oder nur Dünger, Bautzner Dünger, Leipziger Dünger
und dergleichen, und Christel ist eine Mutter! Und eine Mutter ist das
beste Thier unter den Cherubim und Seraphim! Meine auch! Geh', bringe die
Bibel! Die Bibel macht Freunde -- Bluts- und Herzensfreunde und
Seelenfreude! -- Das war noch einmal ein Spaß, Steffen, daß Dir die Augen
überlaufen! Nun mag man sagen: Schach dem -- Kaiser! -- der weidlich:
»Schach den Königen,« gesagt, und manchen matt gesetzt! Ja meinetwegen
mögen selbst die schachmatten, durch die Völker -- die Bauern -- entsetzten
Könige nun einmal zum Danke sagen: Schach den Völkern! und die Völker mögen
sagen: Schach den Königen! oder mag ein Tölpel von Kometen gar das
Schachbret umstoßen -- der Spaß bleibt! Der Spaß war herrlich!«

Auf diese Freude, besonders auf dieses _Zutrauen_, das Johannes zu _diesem_
Soldaten, der ihm ganz fremd und herb gewesen, und durch ihn nun zu allen
Soldaten bekam, fehlte nichts: seinen Entschluß fröhlich sogleich
auszuführen, als daß noch ein Handwerksbursche, ein Waffenschmied, im Dorfe
und auch bei ihm fechten -- Brod erfechten -- umherging, der glücklich
durch die Vorposten durchgeschlichen, nur ein weißes Hemd über seine
Kleider angezogen, um in dem Schnee einem Schneemann ähnlich zu sehen, oder
weiß auf weiß gar nicht gesehen zu werden, und der über den Gang nur Scherz
trieb, den er aus der -- für Johannes zu leicht wiegenden -- Ursache
unternommen, um in seinem Vaterlande, dem Elsaß, Waffen gegen die
Deutschen, auch Russen zu schmieden. »Hundert!« sagte er; »und mit jeder
Spitze kann man hundertmal stechen, wie eine Wespe und nicht daran sterben.
Denn der Waffenschmied selbst bleibt gesund und frisch dabei, und freut
sich am Feuer, und schlägt nur mit Bosheit aufs Eisen. Wir Waffenschmiede
sind unsichtbare Geister, und sollten alle wenigstens _Geheime_ Kriegsräthe
heißen! Ohne Geld keine Schweiz. Ohne Waffen, kein Polen! kein Frankreich!
Häuser ins Wasser baut man auf Rost -- von Holze; aber alle Reiche ruhen
auf frischem oder doch auf altem verrosteten Eisen, Darum ist Vulcanus
unser Patron, weil er hinkt, und weil er hinkt, hinken die armen Reiche
auch alle, und haben auch keine Kinder, wie der Gott der Maulesel, und
müssen sie darum rauben, wie Amazonen, aus väterlicher Kinderliebe!« -- So
sprach er. Und für ein warmes Frühstück sang er viel lustige Lieder, und
zeigte ihnen Schmachbilder auf Malaparte; denn wer sein Theil erwähle und
behaupte, der habe _nunmehr_ das schlechte Theil erwählt. Aber Gott schützt
Frankreich.

Die Marterwoche, der Charfreitag zog nun Johannes unwiderstehlich zu
Christel. Vor zwei Jahren hatten sie an dem Tage den Tremulanten gehört,
und das ängstliche, ja abscheuliche blinde gotteslästerliche alte unsinnige
Lied:

   »O große Noth:
   Gott selbst ist todt.«

und sie hatte darauf vom Tode Gottes geträumt, um zu merken: er lebe; sie
hatte die Wassersuppe aus Bettelbrod vom Daniel mit Danke gegessen; und das
Andenken an das arme gute Weib durchzuckte ihn, während er zwei weiße
Ueberhemden und zwei weiße Nachmützen für sich und den Pathen aus der
einsam stehenden Lade nahm; und der auf den Deckel gemalte Vogel sah ihn
mit seinem großen Auge recht wunderlich an, und die gemalten Blumen selbst
thaten ihm leid um Christel, geschweige sein Weib selbst, seiner Kinder
Mutter, und selber die Kinder!

Als nun Stephan zur Nacht auf Wachposten gezogen, stellte er ihm noch zu
Morgen den Schinken bereit auf den Tisch, und schrieb mit Kreide dazu:
»Morgen komme ich wieder --« fütterte Petern; _vergaß aber ihn
einzusperren_; überließ dem schwachen russischen Unglückspropheten und
Mitverbrecher an Dorotheen, dem in seiner armseligen Seele sich ohne alles
Unrecht fühlenden, übrigens pudelguten Kosaken Sebastianow das Haus, wollte
die morgende Nacht wieder zurück sein, nur einen Tag mit den Seinen
verleben, wissen, wie es ihnen gehe, sie pflegen, ihnen rathen, helfen!

Und in der Nacht, noch ehe der Vollmond aufzugehen drohte, stand Johannes
bereit zu dem kalten Gange, in das weiße Hemd gekleidet; und der Pathe
Leinweber im weißen Hemde; und Einer setzte dem Andern vergnügt die weiße
Nachtmütze auf; und in der dunkeln Stube, worein nur das Schneelicht durch
die Fenster fiel, kamen sie sich vor wie Gespenster und gaben sich seufzend
die Hände, und die Pelzhandschuhe gaben einen dumpfen Laut. Und als der
Leinweber noch also von seinem Freunde Abschied genommen -- weil er selbst
gern der Noth entkommen, nicht das Letzte mit aufzehren zu helfen und nach
so lange auch wieder nach Hause wollte -- traten sie Beide die
Viertelstunde Weges an, der wie eine Kettenbrücke, über eine gefährliche
Kluft führte, die sie bisher unerträglich getrennt hatte. Aber sie wären
lieber durch die Luft geschritten, als auf der Erde einen knisternden
Schritt nach dem andern dahin.

Sie traten heraus; und linksher erklang ihnen ein glückliches Zeichen in
himmlischer Luft. Denn der alte Psalm des alten Heerführers Moses erfüllte,
wie heiliger Erdduft aus umgeackerter Erde die Räume der heitern glänzenden
Nacht voll derselben alten Gestirne, und die alten Worte flossen zum
Herzen, wie Blut der Welt. Und sie standen betroffen und hörten. »Ehe denn
die Berge worden, und die Erde, und die Welt geschaffen worden, bist du,
Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit. _Der du die Menschen lässest sterben_, und
sprichst: Kommet wieder Menschenkinder!« --

»Die Menschenkinder sind die Franken auf der Schanze!« sprach der
Leineweber leise, während sie weiter gingen. »Die Psalmen haben sie aus
ihrer Kinderzeit noch behalten, sonst nichts. Und wie der Herbst den Hirten
ein Lied abzwingt, so preßt ihnen die stille Gewalt der Winternacht auch
wieder ein Lied aus, Lebensmost! und wir trinken ihn mit den -- Ohren! Ich
möchte auch aus mir was herauspressen! Aber alles, was seine Zeit hat, hat
auch seine sogenannte Unzeit!«

Johannes schwieg.

Sie kamen nun vor dem Dorfe ins Freie. Unten Alles ein unübersehliches
weißes Gefild. Es war, als wenn die weiße silberfunkelnde innere Domdecke
vom Himmel ab, auf die Erde gefallen, und nur von dem breiten Gurt des
Gewölbes _nicht_; denn die Milchstraße war breit und weiß, wie stiller
wolkiger Flor da droben hangen geblieben; aber sie schimmerte nicht
silbern, sondern funkelte golden; und daneben -- da überall, wo die Decke
herabgestürzt und wo nun ein unergründlicher Bau durchsichtig sich
aufgethan hatte, da funkelten klare Gestirne golden, wie große Ampeln in
fernen, fernen Gemächern und Sälen, nur klein, und ruhig. Und während
Johannes, der voran ging, den Himmel vor Angesicht hatte, fiel ein Stern
aus dem dunkeln Blau, entzündete sich wie ein feuriger Komet, und schoß mit
langem Schweife, Strahlen und Funken versendend, vorüber.

Sie blieben einen Augenblick stehn -- und Peter der Hund war bei ihnen.

Denn in Daniel war die Sehnsucht der Mutter zur Reife gekommen, wie Saft
und Kraft und Wärme der Erde hinaufgesogen wird in ein junges
Fruchtbäumchen; und statt ihrer und seiner Geschwister war _er_ glücklich
in seines Vaters Haus gelangt, ein Bündel mit frischbackenem Kuchen,
wohlgeschichtet und vorsichtig getragen, im reinen Tuch, und tausend Grüße
auf seiner Zunge. So saß er daheim auf der Ofenbank, und harrte des Vaters,
nachdem er in der dunklen Schlafstube leise auf sein Bette gefühlt und
davor gefragt: »Lieber Vater! schlaft Ihr schon? Die Mutter ist wieder
gesund!« Und beim zweiten Bett hatte er gesagt: »Lieber Vater! Ich bin da!
Seid aber ja nicht böse; Ihr konntet mir's nicht erlauben, und die Mutter
weiß es nicht. Nur Wecker. Aber ich bringe Euch Kuchen, den sie gebacken
hat; denn sie hilft dort im Hause und macht die Wirthin.« So hatte er
gestanden, bis er gefühlt, daß das zweite Bett auch unberührt war, und in
allen Winkeln Niemand; und so saß er denn still im Dunkeln am Ofen, und
neben ihm schnarchte der ihm verhaßte, weißbärtige Sebastianow, während der
Vater und Krieg in der Nacht hinschritten.

Der Hund aber schlug jetzt einmal zu bellen an, da das Feldgeschrei der
nahen Vorposten umher scholl; denn er hörte seines Herrn, St. Etienne's
Stimme heraus, der nicht mehr entfernt, auf dem letzten Posten stand, wo
Johannes mit seinem Gefährten vorüber mußte, Johannes rief Petern; und sie
knüpften zwei Tücher zusammen, das eine Ende derselben fest an den Ring
seines Halsbandes, das andere fest an einen Zaunpfahl im Felde, und
bedrohten ihn stumm und streichelten ihn, damit er schwiege und bliebe.
Ihre Angst erwachte. Denn der tiefe Hohlweg, der sie bis zu der Zahlbacher
Mühle gedeckt hatte, gab sie nun auf und frei; und nachdem sie die Mühle
umschlichen, deren Geklapper ihr Ohr erfüllt, standen sie eine Weile mit
Herzklopfen nach der zweiten, der Britzenheimer Mühle spähend und horchend,
nach welcher sie nun links über das offene Feld sich schleichen mußten. Und
hier in der Stille hörten sie wieder, aber schwächer den von vielen
deutsch-französischen Männerstimmen gesungenen Psalm: »Meine Seele ist
stille zu Gott, der mir hilft. Denn er ist mein Hort, meine Hülfe, mein
Schutz, daß mich kein Fall stürzen wird, so groß er ist. Wie lange stellet
ihr Alle Einem nach, daß ihr ihn erwürget, als eine hangende Wand und
zerrissene Mauer? Sie denken nur wie sie ihn dämpfen, befleißigen sich der
Lügen, geben gute Worte, aber im Herzen fluchen sie. Sela.« -- Die Luft
strich ein Weilchen, und bog den, schwach ihnen nachfließenden Gesangstrom
seitwärts, und wandte ihnen erst wieder die Worte zu: »Meine Zuversicht ist
auf Gott. Hoffet auf ihn allezeit, lieben Leute, schüttet euer Herz vor ihm
aus. Gott ist unsere Zuversicht. Sela. Aber Menschen sind doch ja nichts,
große Leute fehlen auch; sie wägen weniger denn nichts, so viel ihrer ist.«
--

»Wenn der knisternde Schnee jetzt fünf Minuten lang nur Flaumenfedern wäre!
oder heute schon: künftiges Wasser, daß er nicht knarrte!« flüsterte der
Leinweber dem Pathen zum Ohr. »Jetzt, Johannes, denkt, ihr seid wieder ein
Knabe; und daß Euch der Vater nicht sieht, sollt ihr unter den niedrigen
Fenstern wegkriechen, zu den andern Kindern, zum Spiele. Also gebückt! Und
glaubt mir in aller Stille, daß mir der Buckel dabei weit weher thut, als
Euch -- denn ich bin kein Schneider! Wir Leineweber sitzen kerzengrade; und
wir Baßstreicher stehen wie Lichter -- aber ein Wurm krümmt sich -- denn
dort dämmert der letzte Posten, bei dem wir, Schneckenpost, vorüber müssen.
Nun, Glück zur höflichen Reise!«

Und während sie jetzt so wunderlich wie zwei weiße Eisbären -- vom
losgekommenen Hunde gefolgt, schweigend und mit verhaltenem Stöhnen, dem
Posten sich nahten, und ihn umschleichen wollten, auf welchem grade in
dieser Nacht St. Etienne stand, wurden sie die Nähe von dem ersehnten
Britzenheim und der Feinde, in der stillen Nacht deutlich aus dem fröhlich
gesungenen Liede (von Theodor Körner) inne: »Die Hölle braust auf in neuer
Gluth, umsonst ist geflossen viel edles Blut, noch triumphiren die Bösen.
Doch nicht an der Rache des Himmels verzagt, es hat nicht vergebens blutig
getagt, roth muß ja der Morgen sich lösen.«

Jetzt trat plötzlich ein blutrother Mond aus dem Himmel; aber er blieb
nicht stehen, sondern er flog über dem Himmel, wie ein purpurner Ball von
einem Riesen geworfen, erhellte die Gegend -- und fiel entfernt, wie es
schien, in die schwarzgrünen Fichten der Berge. Und um nicht aufzustehen,
setzten sich vor Verwunderung die Freunde einen Augenblick, und sahen sich
nahe in die Gesichter, um sich einander schweigend zu fragen: welch Zeichen
das sei? Und wieder floß deutscher Gesang jetzt näher und stärker daher:
»Und noch regt sich mit Adlerschwung der vaterländische Geist! Und noch
lebt die Begeisterung, die alle Ketten reißt! Und wie wir hier
zusammenstehn, in Lieb' und Luft getaucht, so wollen wir uns wiedersehn,
wenn's von den Bergen raucht. Drum frisch, Gesellen, Kraft und Muth! Der
Tag der Rache kömmt! Bis wir sie mit dem eignen Blut, vom Boden
weggeschwemmt. Und _Du_, im freien Morgenroth, zu dem dies Hochlied stieg,
du führ' uns, Gott wär's auch zum Tod! Führ' uns das Volk zum Sieg!« --

Jetzt sahe Johannes den letzten französischen Posten, und auch der spürende
Hund sah ihn und boll. Der Pathe hielt ihm die Schnauze zu. -- --

»Wer da?«[A] rief St. Etienne.

[Fußnote A: Qui vit?]

Krieg drehte sich hinter Johannes um, und nahm eine andere Richtung in
seinem Krebsgang; aber seine jetzt grade ungewogneren Tritte knisterten
lauter im Schnee. Johannes blieb todtenstill, hatte die Augen fest
geschlossen und war sich selbst wie verschwunden. Peter winselte freundlich
und wedelte mit dem Schwanze.

»_Wer da?_« scholl es lauter.

Und Johannes warf sich auf die Erde und kroch auf Händen und Füßen weiter,
während von einer andern Seite die Worte ihn mit Schneegeflirr vermischt
überrieselten: »Nicht leichten Kampfes siegt der Glaube, solch Gut will
schwer errungen sein. Freiwillig tränkt uns keine Traube, die Kelter nur
erpreßt den Wein; und will ein Engel himmelwärts, erst bricht im Tod ein
Menschenherz.«

»Wer da?« rief St. Etienne jetzt zum dritten Male in gespannter Entrüstung,

Der Hund lief hin. Johannes wollte behend wie ein Pfeil entrinnen; er
wollte hinzu, und mit dem Manne mit männlicher Gewalt kämpfen -- und
zuletzt glaubte er, zwischen den schnellen Entschlüssen schwebend, er
glaubte Stephans Stimme erkannt zu haben . . . und vor Freude und Hoffnung
versagte ihm die Sprache. -- Da sank er schon; und den Schuß selber hörte
er nicht in den Schluchten verhallen.

Die Wache tritt ins Gewehr. Der gnädige Gottlieb hört von St. Etienne, daß
er Etwas erschossen, was sich durch die Posten schleichen wollen. Der Hund
springt an ihm herauf. Herr von Ellenroth eilt mit der Laterne zum Ort. Der
gnädige Gottlieb folgt mit den Andern, und St. Etienne findet die
sonderbare Gestalt, wendet sie um, leuchtet ihr in das Gesicht, und erkennt
seinen Wirth, seinen Freund, der noch athmet, der ihm kein Wort mehr sagen
kann, nur schwach die Hand noch reichen. Und als St. Etienne seine noch
übrigen paar Thränen, kurz aber heiß über den armen Freund geweint, sprach
er: »Hättest du nur deinen Namen genannt! Oder ein Anderer nur deinen --
ich hätte nicht geschossen; und ich begreife beinah: wie ein Mensch
Jemandem mehr sein kann, als ein Kaiser und König. Aber waren nicht Alle
die vielen Andern auch Menschen . . . die ich . . . . -- Ach! . . . .
Meiner Schwester wollte ich Freude machen; und ach, ich habe nicht ihm in
die Brust geschossen, sondern mit ihm -- _Ihr_ grade ins Herz! Sie selber
läge hier besser! Und ich am besten!«

Der sausende Mond aber war ein Zeichen zum Ueberfall gewesen; -- ein im
Dunkeln durchblitztes, durchklirrtes, durchschrieenes Getöse wie von
Geistern -- und in einer Viertelstunde war kein Feind mehr in Britzenheim
und weiter hinaus. Die Wege waren frei, und Christel war frei, die ruhig
schlief, während der wahre Mond wie eine goldene Scheibe im Feuer glühend,
doch kühl über den Horizont heraufstieg, und mit göttlicher Ruhe das
heiligruhende, purpurschimmernde Schneegefild beschien -- und Johannes
entlaubte Bäume, und Johannes auf immer verlassenes Haus. So still! So
göttlich!




XII.


Inhaltvolle besorgte Eil schien nun Stephan zu drängen. Nach der
getümmelverworrenen Nacht erst suchte er seinen todten Freund wieder auf,
und ließ ihn nach Zahlbach tragen in sein Stübchen; nicht nach Britzenheim,
wohin doch der Lebende -- vor sein Leben gern begehrt. Dem Todten aber
meinte er keinen Willen mehr zu brechen, noch einen zu erfüllen; und statt
Freude bei Christel zu bringen, hätte er ihr nur plötzlichen Schreck
gebracht. Als aber die Sonne aufgegangen, machte er sich dafür selbst auf
den Weg zu seiner Schwester, die schon unglücklich genug, noch auf
vielfache Weise unglücklicher hätte werden können, und jetzt noch, ja erst
werden konnte, je nachdem in ihrer Seele die Ereignisse sich nun reiheten,
und _in welcher Folge_ sie über ihre Brust fielen, wie Tiger. Und so ging
sein größter Kummer, wie ein unsichtbares Gespenst, unempfunden an ihm
vorüber, weil er nicht wußte, daß der Leinweber treulich mit Johannes
gegangen und treulos entflohen war. Diese Kenntniß würde ihn rathlos
gemacht haben auf seinem Gange zu Christel; denn der hohlsausende Thauwind,
der plötzlich grau gewordene verwesende Schnee auf den Feldern; der
herabrieselnde Regen; ja selbst die neugrün hervortauchenden Raine und
Kämme der Saatfelderbeeten, die wie aus einer seligen, seligen Zukunft
erschienen waren, die er nicht fröhlich mehr sehen sollte; selbst ein, wie
aus dem Winter geretteter Vogel, der, einige Töne zwitschernd, die Kehle
probirte zum Frühlingsfeste, keine Ruh auf den Zweigen hatte, zwischen
hangendem Schnee und braunen Frühlingsknospen, und eifrig von Baum zu Baum
flog, weil ihm keiner gefiel, und doch die rechten grünbelaubten, mit
Blüthen ihn verbergenden, säuselnden »Häuser auf einem Stamme« noch nicht
da waren; und vollends erst das Geräusch der sich sammelnden Wasser . . .
und das ferne süße heilige Rauschen auf Berg und Wald -- das Alles stimmte
ihn weich, wie er als Knabe gewesen voll Hoffnung; aber jetzt weicher, denn
alle seine Hoffnung war hin, und aller Schmerz war da, und das Vorgefühl
des größten und des letzten. Doch auch die letzte Freude war nah; und sie
austräumend, und ausspinnend, ging er mit gesenktem Haupte, aber lächelnd,
und sahe seine Christel gleichsam unter der Schneedecke des Weges immer mit
ihm schweben: wie sie jetzt roth ward; jetzt blaß; jetzt weinte; und ihm
war, als schiffe er, übergebeugt im leisen Kahne, oder als ginge er auf dem
blühenden Ufer eines tiefen, klaren Wassers, und Christels klare Gestalt
unter ihm war sein eigenes Bild in dem Wasser!

Plötzlich stand ein Mann vor ihm, der ihm erstaunt ins Gesicht sah.

»Wecker! Todtenwecker!« rief St. Etienne, und reichte ihm die Hand.

»Ein Ungehangener darf sie schon nehmen und geben!« sprach Wecker, der viel
von seiner saubern Tracht verloren, und den kleinen Gotthelf auf dem Rücken
-- reiten hatte. »Gut, daß Ihr Britzenheim gefangen habt! denn leider
Niemand, das heißt kein Mann, kam aus Zahlbach, der mich kannte und
anerkannte! Lieber will ich, ehrlich erschossen, auf einem bockenden Pferde
in aller Welt herumgaloppiren, als auf den Tod sitzen, den Strick in der
Hand, und aqua toffana schwitzend vor Bosheit! Ich habe es gestern durch
den Daniel dem Johannes sagen lassen, denn meine -- wollte ich sagen:
Christels Angst war groß!«

»Wo ist mein Daniel! Ist er bei Euch?« rief jetzt Christel, ihr Kleinstes
auf dem Arme, über den Weg; und ihr Mutterherz trieb sie getrost, sogar dem
gemiedenen Sergeanten unter die Augen zu treten, herüber durch den
Schneewasser-Bach auf dem Wege. Stephan ergriff ihre Hand, um sie auf den
Fußweg zu ziehen und sprach: »Euer Johannes schickt Euch gewiß den
Händedruck: und ihm ist wohl, so wie wir Menschen davon wissen! Seid nicht
böse. Aber Daniel ist bei uns zu Hause?« frug er bedenklich.

»Nicht! Nicht?« tönte aus der Mutter Brust, wie aus einer zerrissenen Welt;
und ihre großgeöffneten flehenden Augen gossen einen heiligen Strom von
Wehmuth -- in seine Augen voll Wehmuth.

»Wo wird er denn sonst sein!« rief Wecker, barsch vor Angst.

»Christel,« sprach Stephan gedrängt, »was soll ich es Dir verhehlen liebes,
liebes, gutes Weib -- ich komme Abschied von Dir zu nehmen -- ich ziehe
nach Hause zum Vater, denn ich bin schwer verwundet -- -- --«

Christel erröthete und erblaßte.

Stephan nahm ihr das Kind vom Arm, liebkosete es, und sagte: »Also lebe
wohl! und reiche mir zum letzten Male Deine Hand!«

Sie gab sie. Er aber hielt sie fest, sahe ihr tief und nah in die schönen
schwarzen Augen, und flüsterte ihr leise zu: »Weißt Du noch, als der Vater
das Haus baute, und Du ein Lamm hattest als kleines Mädchen; und das Lamm
Dich umstieß; und wie Du aus den Blumen aufstehen wolltest, und wie es Dich
immer wieder hinstieß -- wer erlösete Dich denn aus den Blumen? Christel!
»Brodchristel,« wie wir Geschwister Dich nannten!«

»Mein Bruder!« rief Christel; »Steffen!«

»St. Etienne!« sprach Stephan, mit dem Finger auf seine Brust deutend. Aber
wie sie vorgebeugt, und mit offenen Lippen und irren Augen ihm in das
Gesicht sah, sank er langsam um, und mit einem Schrei ergriff sie das Kind.
So blieb sie wie aus einem Traume erwachend stehen, und aus ihren Zügen
entstieg gleichsam, wie rauchender Hauch aus Wasser im Winter, die
ausgestandene Angst, und Schreck legte sich wie Reif über ihr blaß
gewordenes Antlitz; und wie sie so reglos stand, erhob sich Etienne wieder,
küßte sie auf die schöne geneigte Stirn -- schrie laut, wandte sich ab und
schritt von hinnen. Denn er sah von weitem Daniel gelaufen kommen, der ja
nun wußte . . . daß er, ihr Bruder, ihr den Mann erschossen . . . . und
vielleicht auch mehr erzählte, als Christel jetzt erfahren sollte -- bis er
dahin geschieden.

»Bruder!« rief sie ihm nach, »mein Bruder!«

»Zum Teufel! Gott sei bei uns . . .« rief Wecker, »so bleibt doch!«

»Schwester! -- Schwester, leb wohl,« rief er zurück, und sprang in den
Hohlweg, wie ein Seliger froh; denn seine Schwester hatte _ihren Bruder_
wieder gesehen, rein den _Reinen_, ohne Schuld und Fehl; und nun sollte sie
ihn nur auch noch rein und redlich -- den Redlichen beweinen, wenn auch
nicht den Reinen; _dann_ mochte sie Alles erfahren; _denn keine spätere_
_Schuld kann frühere Unschuld rückwärts im Herzen ermorden; kein späterer
Schmerz kann einmal genossenes Glück zu Unglück verwandeln_ -- nur färben!
»und wie oft habe ich nach durchwachten Nächten gesehen,« sprach er: »wie
die Morgendämmerung selbst schwarze Gegenstände herrlich blau färbt, selbst
Todtenkreuze! Und vielleicht auch thut es _die Abenddämmerung_ . . . in
welcher das neue junge Weib von sieben und zwanzig Jahren nun leben wird,
bis ihr das Alter oder der Tod die Zahl zwei und siebenzig dafür ganz leise
auf das Kreuz ihres grünen Hügels schreibt!«

Und doch stand Stephan hinter einer hohlen Eiche, und harrte, und lauschte,
und brannte zu hören, wie Daniel seiner Mutter erzählen würde, wie er sich
allein bei dem Vater gefürchtet, den sie ihm in das Haus getragen in weißem
langem Hemde.

Und siehe, da richtete sich _Johannes_ in weißem, langem Hemde vor Stephan
auf, der ihn aus der Eiche, wie aus der Erde hervorkommen sah. Und ob er es
gleich nicht begriff -- so durchzuckte ihn Freude, daß er gelähmt stehen
blieb, und dann laut seiner Schwester rief. Doch sich besinnend erkannte er
den Pathen Leinweber, der im ungewohnten Lauf und der blendenden Nacht sich
an einem Pfahl gestoßen hatte und liegen geblieben war, durchnäßt, von
Furcht, vom Krampfe, und endlich vom Schlafe gefesselt.

Krieg frug ihn, belebt, nach Johannes.

»Ich weiß nichts von ihm;« antwortete Stephan, froh, daß jener nichts
wußte, und deutete ihm auf Daniel, und Wecker und Christel, die dem Knaben
entgegen eilten.

Krieg schlich auf sie zu. Und auch Stephan faßte den äußersten Muth: stehen
zu bleiben. Und selbst in der geringen Entfernung war er jetzt am hellen
lichten Tage wie unsichtbar, weil Christel ihn jetzt nicht vermißte, an ihn
nicht dachte, vor Freuden über Daniel. Aber . . . er hörte die Stimme des
Knaben, die der Wind zerriß; und das Weinen; und ihren Ausruf über die
Gestalt des Leinwebers . . . und die Wörter . . . »Baßgeige,« und
»Armgeigen,« und Weckers lautes Wort: »so muß er begraben werden -- am
Auferstehungstage! Auf den Fall giebt es noch kein Lied! . . . Schade, daß
der alte Vater Frommholz nicht mitkommen kann! Wir zwei begraben
rechtschaffen! Das kleine Ding, Clementinchen, rückt zu; das ist ein gutes
Kind! Und mein großer Friedrich ein großer Schlingel!« -- Und er sahe
darauf, wie sie Krieg an die nahe Stelle führte, wo Johannes Blut den
Schnee befleckt hatte -- und sah seine Christel verschwinden . . .

Und er zog seinen Weg.

Endlich fuhr Christel empor und eilte mit Daniel, Hand in Hand, nach Hause.

»Sie werden bloß zum bloßen Hause kommen, nicht mehr nach Hause! Wittwen
und Waisen haben keine rechte sogenannte Heimath mehr, und müssen erst
wieder von Grund aus, d. h. vom Tode des Vaters aus, ein neues Leben
anfangen;« sprach Krieg zu Weckern, indem sie beide langsam nachfolgten,
jeder Eins der Kinder auf dem Arm, die Wunderliches frugen, und von den
beiden Alten gar wunderliche Antworten erhielten. Sie kehrten vor Hunger in
der ersten -- wohlriechenden Mühle ein, ja selbst in der zweiten, obgleich
bei diesen erst der Backofen wohlroch, und -- wärmten die Kinder aus. Aber
es war zu viel zu malen, um Kuchen zu schneiden. »Verdammter Krieg!« sprach
Krieg. Zuletzt verweilte Wecker den alten Freund noch auf dem Kirchhofe,
»wegen eines drei Ellen tiefen und doch unergründlichen Loches,« in welches
er als Kind stundenlang hinabgesehen, um _die_ Grube auszugrübeln und
auszustudiren. -- Und so überzögerten sie »die erste wahrhaft traurige Zeit
eines Weibes, aber nicht die letzte -- und die Frist: daß eine wie vom
Himmel gefallene Wittwe sich nothdürftig ausweint, und den Thränenquell zum
Fließen bringt! Und ein Mann ist nicht Freund von Klagen ohne Hülfe, und
schenkt nicht gern den noch ungegohrenen trüben Most des Trostes ein, wobei
Zwei alte Menschen Ein Narr sind oder Ein Stummer« -- wie Wecker sagte.

So fanden sie Christel mit ausgeweinten Augen, aber schon sehr sauber in
_weißem_ -- Trauerkleide, da sie kein schwarzes hatte. Aber das schwarze
Tuch um den Busen und Kopf erregte ihr bei den Kindern und selbst bei den
Alten: die uralte Scheu und Ehrfurcht vor der uralten Nacht und dem Tode,
die an Lebendigen, Liebenden und Geliebten so sichtbar schwarz und traurig
abgespiegelt, ganz wundersam, ja heilig erschienen. Die Kleinen aber
packten das Tuch mit dem Kuchen auf, langten Beide jeder Zwei Stück, je
Eines in jedes Händchen, und setzten sich schon hin in den Winkel, um ruhig
umzeche von beiden zu essen; als Daniel es ihnen verwies und sagte: »Wie
könnte ich nur den Kuchen essen, der für den Vater bestimmt ist! Ich wüßte
da nicht, ob Er ihn äße, oder Wer!« Und die Kleinen legten ihn hin. --
»Ja,« sagte Wecker, »folgt nun Eurem Daniel! Er ist nun Euer kleiner
Vater.« Und so langte er selbst zu, und legte dem Pathen hin, und die Alten
aßen; und selbst der hingestellte Schinken ward von dem so lange hungernden
Weber angeschnitten. »Muth!« sagte Wecker; »was schadet Rauch und Fleisch
der Traurigkeit? Denn ein Schinken bleibt ewig ein Schinken -- oder leider
nur eine kurze Abschnittszeit -- Wecker bleibt Wecker! Und Johannes bleibt
Johannes in Ewigkeit und kommt nur nicht wieder.«

Christel aber brachte ihnen die letzte Flasche Wein, goß in die Gläser,
kostete selbst -- weil ihn Johannes gepreßt hatte, und gab auch den Kindern
zu nippen von des Vaters -- Mühe und Wohlthat, die so golden im Glase
blinkte, wie sie still dabei empfand. Dann stellte sie das Glas hin und
erblickte die große mit Kreide deutlich geschriebene Schrift:

      »Morgen komme ich wieder, lieber Steffen.
      Seid ja nicht böse auf mich!

         _Johannes_.«

Sie las sie vor Schreck, unbewußt, laut; und ging vor Wehmuth dann hinüber
zu ihm, und legte sich schlummern. Daniel aber sah es durch das Fenster,
und setzte sich in das kalte Haus vor die Stubenthür Wache, daß Niemand die
Mutter störe, die von schwerer Krankheit unter Sorge und Kummer mühselig
genesen, schon lange so blaß aussah, daß er ihr sonst im Scherz, aber aus
innerer Angst, die Wangen roth rieb mit den warm gehauchten drei
Fingerspitzen; dann sahe sie wohl aus, dann war er froh!

Sie aber träumte jetzt bis die Sonne unterging -- nicht von dem neuen
Unglück, welches der wohlthätige stilleste Freund der armen Menschen, der
Traum, erst wie eine nachreifende Frucht, _bis sie süß und lieb ist_, auf
spätere Nächte aufspart; sondern sie träumte von ihrem alten Glück. -- Sie
war ein kleines Mädchen; und das Lamm stieß sie in die Blumen; und Stephan
nahm sie auf und an seine Brust, und sie schluchzte vor Seligkeit. -- Sie
schlug grade die Augen auf, als die blitzende Sonne sank -- und ein
ungeheurer Donnerschlag fiel und riß sie empor von dem Bett; und das Haus
schütterte; selbst die Bäume zitterten; und die Erde unter ihren Füßen
bebte weit hin -- und die Thüre sprang auf, und sie sah den Knaben sitzen;
und eh' noch der Wiederhall rings umher den Wetterschlag ausposaunt, stand
sie, in irrigem Wahn, schon vor ihrem todten Johannes, was ihm geschehen
sei? Aber es quoll nur Blut aus seiner erschütterten Brust.

Wecker und Krieg und selbst Daniel liefen hinaus. Sie erblickten nur noch
eine sanft sich verziehende Wolke von blauem Dampf, der die Abendröthe
durchschimmerte. Auf der nahen Klubbistenschanze standen aber mehrere
Soldaten um Etwas, das sie betrachteten; und so eilten sie mit einigen aus
dem Dorfe auch zu den Neugierigen, und drängten sich endlich Raum zum
Sehen, und sahen und hörten. Und Einer sprach zu den Andern! »Uff! der hat
kurzes Ende gemacht statt des langen! Er sah, Wir fallen alle, verlieren
den Ruhm und vergehn in Schande. Er starb noch in _vollem Monde der Ehre,
im großen Tage_ des Vaterlandes, in welchem bald -- einst -- und nie ein
Franzose mehr sterben kann!« Und ein Andrer sprach: »Die sechs Kanonen hat
er auf Einen Punkt gerichtet, da er jetzt Wache hier stand -- alle mit
Granaten geladen; dann durch einen mit Pulver eingeriebenen Faden, über
kurze Luntenstummel verbunden, hat er hier stehend sie alle zugleich
abgeprotzt.« -- »Ein Vorwand! _Ein Kind von zwei Müttern geboren!_« sagte
noch ein Andrer. »Er hat in letzter Nacht seine Schwester durch ihren Mann
erschossen. Durch und durch! Also zwei aufeinmal.«

»Also das Wer da? Wer lebt? heut in der Nacht auf unserem Wege zu Christel
kam von _Stephan_?« sagte Krieg bestürzt.

»Ist gekommen!« sprach Wecker. »Dein Reich komme!«

»Und hier erschießt er sich nun!«

»_Hat_ sich!« sprach Wecker wieder. »_Vergieb uns unsere Schuld!_ Es ist
kein tempus besser für Jeden, als das praeteritum! Und zum Glück ist unser
Aller Gegenwart kein Wartendes, sondern ein Gehendes, Laufendes,
Verschwindendes.«

»Der Mann ist wie verschwunden!« sagte der gnädige Gottlieb. -- »Er liegt
in hundert Stücken;« sagten Mehrere, ohne seine Gebeine zu sammeln, und
besahen nur die Brocken des tapfern verwogenen Mannes -- zerrissene Stücke
von Tuch, von Leder, vom Seitengewehr, keines einen Handteller groß; und
weit verstreute einzelne Knöpfe. Nur ein Lustigmacher setzte sich den
weggeschleuderten Tschako auf. »Wen der Teufel holt, der braucht keinen
Sarg!« meinte der gnädige Gottlieb. Daniel aber sah etwas entfernt, Petern,
den Hund, an einem Strauche sitzen, ging hin, und wollte das verlassene
Thier mit zur Mutter nehmen. Er kam aber stumm wieder zu Wecker und Krieg
gelaufen, und zog sie nach; und sie sahen den Hund vor dem unversehrten
Kopfe St. Etienne's sitzen, und die Augen desselben sahen dreist in den
Abendhimmel. Und Wecker sprach: »Ein Hund weiß doch, wer der Mensch ist! Er
sitzt nicht bei einem Beine, oder Arme; nicht beim Seitengewehr, selbst
nicht beim Herzen -- er sitzt bei den Augen, bei dem Kopfe, beim Verstande!
Darum sollte Peter eigentlich nicht bei dem Unverstande sitzen!« Darauf kam
Herr von Ellenroth, hob den Kopf behutsam auf, verhüllte und bewahrte ihn,
und trug ihn fort; und der Hund lief nun mit ihm, wie gebannt.

»Schweigt!« hatte der junge Freund ihnen noch geboten! Und sie nun wieder
empfahlen dem Daniel zu schweigen, der Mutter willen. »Siehe, mein Sohn,«
sagte Wecker, »so kann Jemand nichts gesehen haben in der Welt! So haben
wir Alle in Europa jetzt Nichts gesehen und gehört -- und schweigen, und
wissen doch, wer den Kopf nun hat, und wer keinen -- nämlich wir! nämlich
_nicht!_ Aber wir haben ein Herz! Und die Stunde zum Reden wird kommen,
mein Daniel, dann kannst Du der Mutter Alles sagen.« Da ihm Christel aber
auch des Propheten Gesicht von der Genugthuung, als Vorbereitung zum
jüngsten Gericht, erzählt hatte, so sprach er auch noch voll Verwunderung:
»Wie aber der Stephan einmal sich selber wieder herstellen wird, -- das ist
mir zu hoch!«

So mit gedrücktem Herzen und scheuen Blicken traten sie wieder zu Christel
ein; aber nur Daniel fiel ihr um den Hals. Und die Mutter sagte ihm selber:
»Du guter Junge! Wir sind ja nicht ganz verlassen -- ich habe nun meinen
Bruder! Der wird mein Trost und Euer Vater sein. Nur heute morgen war er so
sonderbar -- Ihr wißt aber nicht _warum_, und danket Gott dafür!«

»Ach, meine Mutter!« sprach Daniel, und wandte sich weinend weg.

Eine geraume Zeit nach dem Sonnenuntergang, eben als der Kukuk neunmal in
der Kammer rief, als sehnte er sich nach dem alten Frommholz, trat der Herr
von Ellenroth langsam und leise ein -- und sagte aus gutem Herzen nicht:
»Guten Abend,« sondern: »Ich muß Euch doch besuchen, liebe Christel; ich
komme so gern, und muß. Denn hört Ihr nicht aus der Ferne die Schüsse? Man
wird uns die Vertreibung vertreiben, und uns Eingeschlossene noch enger
einschließen. Darum läßt Euch Herr Paschalis sagen und bitten: Ihr sollt so
bald als möglich mit den Euren in die Stadt zu ihm kommen. Am Hause kann
Euch nichts mehr gelegen sein, und er will Euch jede Stecknadel mit einem
ganzen Briefe vergüten, geschweige das Andere, was Ihr hier laßt, oder
lieber sogleich an die Aermsten im Dorfe verschenkt, wozu Paschalis Euch
rathen läßt. Ich habe den armen Vater Paschalis ganz verändert gefunden;
denn seit jenem Abend, wo vormals Euer -- nun wieder der Welt angehörige
Johannes meine Dorothea todt gesehen, war ich aus Schmerz und vergeblicher
Sehnsucht nicht mehr bei ihm im Hause gewesen. Heute zur Osternacht ließ er
mich zu sich entbieten. Er meint es auch gut mit Euch. Kommt! glaubt mir!
Denn . . . ich habe eine Todte, und Ihr einen Todten; wir leiden dasselbe,
und wir verstehen uns, nicht wahr, liebes Weib, so jung und schon so
verlassen. Denn wir Beide erwerben nichts weiter mehr in der Welt! Und zu
unserem möglichsten Glück! Wer immer wieder gewinnen, wer Alles ersetzen
kann, was er verloren, meine Christel . . . der hat Nichts besessen! Aber
wir haben gehabt, was die Seele begehrt und erfüllt -- wenn auch meine
Seele nur mit Hoffnung und Thränen -- und dieses Bewußtsein ist
immerwährend ein großes Glück -- oder für arme Menschen doch -- das
größte!«

Christel schwieg.

Da die Schüsse von Britzenheim her, aber jetzt deutlicher zu hören waren,
sprach Wecker: »_Die_ Christen feiern die Osternacht -- auf ihre
altgläubige Art! Wie Herodes die Weihnachtsnacht! Aber Herodes war noch
kein Christ! sondern hatte nur wüthenden Respect vor Christo. Aber den
Johannes können wir doch nicht todt zur Stadt fahren, wie einen gewissen
alten Hector, der auch in seinen besten Jahren umgekommen, und einen
kleinen Zweig, Ast-Anax, verlassen. Darum sage ich: Der Todte ist da, als
die Hauptperson zu jedem noch so schlechten Begräbniß. . . . Das auf der
elenden Erde berühmteste Loch, das Loch in die Welt, das Allerweltsloch,
wodurch alles Schöne heimlich herausläuft, wie aus einem See, so daß die
Welt nur eine löcherige Pauke ist, die ich nicht einmal pauken mag, weil
sie abscheulich dumpf und hohl und leer klingt -- als würfe man Erde auf
einen Sarg -- das Thränenloch ist bald abgetäuft . . . . zu der großen
Maskerade im Finstern ist Johannes bald proper genug angethan . . . . des
Vaters Bretterhaus wird des Sohnes unsterbliche Wohnung; denn Bäume sterben
zwar ab, aber Bretter verfaulen nur . . . und jetzt, zur heiligen
Osternacht ist es schön, einen Lieben zu begraben, während alle Dörfer
umher jetzt denken, denn singen dürfen sie's nicht: »Christ ist erstanden!«

Christel war Alles zufrieden, wie den raschen Tod, so das schnelle
Begräbniß.

Besser Eins wie Keins, sagte Wecker. Wer ein Kind verloren, und einen Mann;
das heißt: seinen Einen Einzigen, wie soll der nicht gelassen sein, und
verlassen ansehen, was sich etwa noch weiter Albernes in der Welt begiebt!
Ihr seid nicht ganz dumm, Frau Christel, eine Frau bleibt Ihr doch, und die
beste auf drei Quadrat -- Schuhe im Umkreis -- denn um die Lebendigen
stehen alle guten Todten! Weiber und Männer; gewiß auch Johannes! Denn,
sagt man, ein ganzes Jahr lang steht noch ein Vater bei seiner Wittwe und
seinen Kindern hinter der Thür!«

Und Alle schwiegen bangselig, als die kleine Sophie die Thür vorsichtig
aufthat, weit offen stehen ließ, so daß Licht in das Haus fiel, und weit
vorgebogen mit dem Köpfchen hinter die Thür nach dem Vater sah.

Aber Christel rief sie, band ihr und den beiden andern Kindern den Flor um
den Arm; und Daniel fiel dabei auf die Kniee und sprach in verworrenem
Schmerz, des Vaters und Stephans gedenkend mit gefalteten Händen wie
betend: »Ach, Mutter! ein Hund ist ein treues Thier, geschweige ein Kind!
Ich will den Vater zeitlebens vor Augen haben, wie . . . wie . . . und Euch
im Herzen wie Er!«

Darauf beschickten die Männer, mit der nächsten Nachbarn Hülfe, den
sonntäglich angezogenen Johannes in die geweihte Erde; während Christel,
die einen kurzen getrosten Abschied genommen -- weil alle Wittwen ihren
Männern ja bald nachzufolgen glauben -- mit Daniel und den Kleinen zu Hause
geblieben, und zuletzt nur bis in den Hof trat, Sie hörte jetzt wirklich
die Marseiller Hymne singen, blickte zum Himmel -- und so sah sie nun auch
-- aus der Neujahrsnacht -- das leere Kreuz, das Zeichen der angefangenen
Erlösung vom Himmel herab hangen, und die Posaune des Weltgerichts, und die
Inschrift rund umher mit den großen Buchstaben; und in der Ferne regte es
sich arbeitsam-gespenstisch; und auch das Feuer der Hölle schien am
Horizont herein; ein naher Kanonenschuß war ihr nur der Donnerschlag aus
dem Wächterauge der Großmutter des Teufels »über die Arbeitenden im
Gefild;« über die im Gefecht stehenden Soldaten; und sie sah die vier
Riesenbilder an den Weltwänden -- aber es waren Wolkengestalten; und das
Feuer war der Schein des aufgehenden Mondes; und sie wußte es, und doch sah
sie das blasse Antlitz an als _das leidende Gesicht der Menschheit_ -- und
endlich ward das Antlitz _ihr eigenes_ _blasses Gesicht_; und sie selber
sah sich unaussprechlich leidend an, lange, lange. Und eine kalte Hand
berührte ihre Schulter . . . und es war Wecker, der fröhlich die kalten
Hände reibend sagte: »Vor der Hand ist das Loch in die Welt zu, und
Johannes hindurch in alle Welt! Die Welt ist groß und schön, meine
Christel; trotz des weltberühmten Allerweltsloches -- ja eben des Loches
wegen! Wenn ich nicht die Aussicht hätte, mich einmal vor mir selbst
_darein_ zu verkriechen und eine Einsicht und Aussicht und Ansicht darin zu
haben -- vielleicht: _das Antlitz_ Gottes, statt Eures lieben, schönen,
leidenden Mondscheingesichts -- so wollt' ich, wir gingen sogleich nach
Mainz!« Die Gedanken waren ihm vor Leid vergangen.

Und so thaten sie. Und nichts nahm Christel mit, als ein kleines
Glasschränkchen mit den besten Angedenken: dem Osterei des Daniel; einem
kleinen, kleinen Strohwisch aus Weckers großem, womit er den Daniel erweckt
hatte; mit einem Span von dem Holze, das Christel entwendet; mit Johannes
ABC-Buch; und der eisernen Spitze, die ihr Clementinchen durchbohrt; und
zuletzt, mit dem Stück ausgeschnittenen Hemde, wodurch ihrem Johannes die
Kugel in die Brust gegangen war. Wecker trug dieses kleine Leidenhäuschen
»das Monstrandum, die Monstranz, oder das Monstrum« feierlich, als wollte
er es aller Welt zeigen; aber mit langen Schritten. »Denn,« sprach er,
»unser Geschichtschreiber wird sagen: »Sie eilten, von den nahenden
Schüssen gedrängt, durch die finstere Mitternacht, und gelangten, _froh_
des eignen davon gebrachten Lebens, in die _sichere Stadt_ -- denn selbst
seine Schmerzen werden dem Menschen unabkaufbar-lieb; und um _sie_ fort zu
genießen, selbst das elende Leben; denn der Schmerz ist ein Zauberspiegel
mit allem genossenen Glücke klar und nah dahinter, statt Folie; und der
Spiegel ist so warm und _beredt_, als das Glück groß war, daß es nicht
ausgesprochen werden konnte -- wie das Leben.«

Zu Paschalis Hause, das dem Dom gegenüber stand, wählten sie den Weg durch
die erleuchtete, offene, menschenerfüllte Kathedrale, worin so eben
Christus Auferstehung durch eine lebensgroße Puppe künstlich dargestellt
ward, und -- _der Kinder willen_ wählte Christel den Weg durch die Kirche;
obgleich Ellenroth sie so führte, daß sie an dem Grabmale des Churfürsten
Albrecht von Mainz zu stehen kamen, der vom Papst Leo X. den Ablaß für
Deutschland, wie ein Jude den Zoll, gepachtet hatte, so daß der geistliche
Pascha seine große Pachtsumme nebst doch einigen Procenten den Deutschen
ausängsten mußte -- damit das deutsche Volk sich selbst auf ewig davon
erlöste; wie der Wecker dem Schulmeister, und der Schulmeister dem Weber
jetzt an dem Grabmal desselben stehend, davon erzählte.

Hier aber begrüßte sie leise _Paschalis_; und als er mit Christel allein
einmal um das Altar gegangen, frug er sie: »Darf ich Dir den Schmerz um
Johannes aus der Brust nehmen?« -- Und sie sagte: »Ich dächte nicht! Nicht
gern.« »Aber doch!« sagte er langsam. »Siehe Christus ist erstanden: -- --
und _Dein Bruder Stephan ist umgekommen_.«

Und Paschalis hatte wahr geredet. Denn das neue Leid erfüllte nun ganz ihre
Seele. Jetzt war der Mutter das Kind nicht begraben worden; Johannes war
nicht begraben worden; Alles lebte ihr in ewigem, heiligem, verborgenem
Sein -- und nur St. Etienne lag ihr als Leiche in der ganzen großen Welt,
und die ganze Welt war ihr nur: der schöne geliebte todte Bruder. Und
Paschalis ließ sie, still vor der Heiligkeit des Ortes, still ausweinen,
während sie in's Dunkel gekehrt ihre Stirn an einen kalten Engel legte, und
ihn fest an dem kalten Händchen hielt.

Und als endlich Christel wieder Paschalis angesehen, und ihm eine Hand
gereicht, und als er wieder mit ihr um das Altar gegangen, fragte er sie
noch milder als zuvor: »Darf ich Dir wieder den Schmerz um den Bruder aus
der Seele nehmen?« Und sie sagte wieder: »Ich dächte nicht! Nicht gern!«--
»Aber doch!« sagte er: »_Dein Bruder hat sich selber erschossen._«

Und eine jubelnde Musik fiel ein, und jauchzende Sänger riefen vom Chor
über die Menschenhäupter durch den Kerzenglanz und den Weihrauchduft:
»Christ ist erstanden!« und die, das uralte, mächtige Wort zurückhallenden
mächtigen Pfeiler schienen es mitzusingen, wie versteinerte Riesen, denen
das Wort Sprache gegeben; und an den Bogen des Gewölbes wälzte es sich vor
Freuden dahin, und stieg herauf, und floß wieder herab . . wie ein
Schmerzensstrom in Christels Brust. Und sie rief die Kinder zu sich, setzte
sich in einen geschnitzten Stuhl und versank in die Tiefe ihrer Seele.

Und als sie endlich aufsah, aber zürnend und doch niedergeschlagen, frug
sie Paschalis wieder: »Soll ich Dir auch diesen Schmerz verwandeln?« -- Und
sie sagte jetzt: »Gern! Aber unmöglich!« »Aber leicht!« sagte er: . . .
»_Dein Bruder hat Deinen Johannes erschossen._«

Und Christel ward blaß, schloß die Augen, lehnte sich zurück, und über den
schlafenden Augen und den schlafenden Ohren und dem zugeschlossenen Herzen
verrauschte das Halleluja! so machtlos und freudlos und still, als würde es
tausend Klafter tief unter einem steinernen Bilde der schönsten Mater
dolorosa in der Erde von Erdgeistern gesungen; oder in tiefem Meeresgrunde
sängen es, in den verborgenen zauberisch schönen Meeresgärten, die
wundervollen Blumen mit Blumenlippen -- und hoch, hoch, hoch darüber
schiffte ein einsam verschlagenes Schiff auf den wüsten stürmenden Wogen
mit nur noch Einem Menschen, einem Todten! Und die Todte wäre Christel!
. . . Die Kinder wollten schreien, aber sie rüttelten nur an der Mutter,
die erwachte, die Augen wild aufschlug, umhersah, jäh auffuhr, die Kinder
vergaß und davon fliehen wollte, sie wußte nicht wohin. Paschalis hielt sie
sanft, aber sicher am Arme; und an ihn sich stützend, ward sie wieder
völlig munter, und war wieder aufgetaucht in die öde -- liebevolle Welt.

»Denke doch, Christel,« sprach Paschalis, »das liebevolle Herz schlägt ja
eben in der Welt! Wäre die Welt nicht, nicht gewesen . . . Wen oder Was
hättest Du doch geliebt? Die Welt ist nicht öde, sie ist nur graunvoll --
denn eben unser Licht wirft nur graunvolle Schatten und schafft sie erst!
Stirb, -- und die Welt wird ruhig und voll, voll, schwervoll sein, wie --
ein Grab. Das kann ich mir Alles denken! Ich aber, ich weiß, ich empfinde
ganz Anderes. -- Ihr habt Euch nicht selbst geholfen -- Ihr leidet nur
selbst. Das ist Nichts! spreche ich, und kann ich sagen! Nun komme mit mir!
Jetzt glühst Du vielleicht so heiß in Gefühlen, und die Marterkammer der
Menschen ist Dir so nah vor den Füßen aufgeborsten, Du wandelst noch selbst
auf dem flammenerhitzten und durchzuckten Boden, um meiner Leiden Abgrund
zu ermessen! -- Kommt, Krieg! Wecker kommt; und komme auch Du -- Du,
Sebastianow! -- Ich kann alle Leiden heilen -- wie Moses selber sterbende
Schlangen! Kommt!«

Und im Gehen sagte Wecker: »Ja! Seht, meine Christel, wie gut! Wir haben
Alle nicht freventlich in der Arche gesessen! Wir sind rechtschaffen mit
ersoffen! Deswegen verstehen wir nun recht die Sündfluth der gemachten
Leiden und die schlagenden Herzen der geschlagenen Menschen weit und breit
-- denn wie hier, wie Uns ist es Hunderttausenden gegangen. Wir verstehen
das Leid! Das Mitleid! das der Herr auf Erden wieder erwecken will, denn es
hat lange, zu lange eisern geschlafen! Wir verstehen den _Krieg_, und --
und -- und werden nun auch erst recht die _Früchte_ mit Muth zu verlangen,
mit Kraft zu erlangen, zu schmecken und zu würdigen wissen, die uns der
Friede bringen wird, der Friede der Lebendigen und der Todten! Denn der
bloße nackte Friede selber, _ohne seine versprochenen Gaben_, ist bloß ein
dummer Junge -- ein wahrer »dummer Friede!« Eine Scheune voll leerer
Strohschütten nebst abgedroschenen Flegeln! Früchte wollen wir sehen und
mit Freuden erndten, die wir mit Thränen gesäet! Die sollen uns schmecken,
wie Nürnberger Pfefferkuchen! Nicht wahr Kinder?«

Und die Kleinen sagten: »Ja!«

»Armer hoffender Wecker,« sagte Paschalis; »Ihr hofft für Andre. Mäßigung
ist die beste Frucht der Unmäßigkeit.«

»Die Todten gehen nicht auf;« seufzte Christel.

»Ihr wißt,« erinnerte der Leinweber, »die Urheber müssen Alles gut machen,
ersetzen; _gut_ macht es dann der sogenannte Herr!«

Paschalis führte Alle darauf in den Saal seines Hauses. In der Mitte über
der runden Tafel leuchtete nur ein uralter Kronleuchter, fast wie eine
dickbäuchige Kreuzspinne mit langen, dünnen Arm-Beinen, an jeder Fußspitze
ein Wachslicht. Er lud sie ein sich zu setzen, vertheilte Osternachts-Gaben
-- bunte Eier, ungesäuertes Brod und Honig, hatte aber wenig Geduld und
viel Hast dabei, und sagte: »Ich reise weit weg; auf lange; und fahre die
Nacht noch ab. Bleibt hier in meinem -- nun Eurem Hause, bis Ihr aus der
Arche gehen könnt. Ich lege meine Ehre und meine Schande in Eure Zunge.
Auch meine _Jungfrau Maria_ binde ich Euch mit Liebesstricken und
Unglücksbanden auf's Herz! Vielleicht, lieber Ellenroth, da Sie schon in
Griechenland waren, reisen Sie noch mit Ihr nach Italien -- nach Rom, --
nach Loretto in die Casa santa!«

Von Ellenroth und die Anderen sahen ihn an -- aber Paschalis fuhr fort:
»Meine Christel, -- Dich bitte ich, künftig in dem jetzt ausgebrannten
Schlosse von Breitenthal, wenn es wieder eingerichtet ist, eine wirklich
gnädige »gnädige Frau« zu spielen; den alten weinseligen Herrn von
Borromäus aus dem Vogelheerde zu erlösen, und ihm den Jäger Niklas zum
Diener zu geben. Das Gut bleibe dann den Kindern. Der Leinweber und Wecker
sollen Deine Amtleute und Rechnungsführer sein.« Zu dem Herrn von Ellenroth
meinte er: »Geld ist Ihnen lieber! Mein ganzes übriges Vermögen -- wirklich
nun ganz übrig -- möge Sie an meinen guten Willen erinnern, Ihnen meinen
edelsten Schatz auch gern anzuvertrauen, wenn der Schatz wollen durfte!«

Er gab ihm dabei einige Papiere, die der Schwiegersohn in -- ewiger -- spe,
wie er ihn nannte, sogar aus Verlegenheit nahm und in Händen behielt.
Darauf ward Paschalis sehr ernst, indem er nach Etwas in seiner Brusttasche
zu fühlen schien, und sagte: »Dorothea ist todt! Meine und Ihre.« Aber
. . . sprach er verstummend, ging und that leise die Thüre zu einer mäßig
großen Halle zur Seite des Saales auf, welche ganz wie das heilige Haus,
die Casa santa in Loretto eingerichtet und hell erleuchtet war -- »seht!
Sehet recht hin! -- Dorothea lebt!«

Christel sprang auf. Ellenroth wandte sich hin, und blieb wie bezaubert
stehen.

»Dorothea lebt;« sprach Paschalis mit bebender Stimme; »sie lebt; so
scheint es. Ich weiß jedoch nicht, und nur _sie_ wird es wissen, ob es noch
_unser_ Leben ist, wenn Jemand Andres in uns und aus uns lebt, denkt,
empfindet und spricht . . . . wenn ein jetziger Mensch ein nunmehr gewiß
sehr altes, ja todtes Weib ist; nicht seine Gedanken, sondern ein Gedanke
der curiosen Welt, also für sich ein Wahn, ein Hirngespinnst, ein Gespenst
-- aber ein unerträglicher Geist für mich! Denn sie ist und bleibt meine
Tochter, nichts weiter. Sie aber -- -- so hat sich ihre Krankheit gelöst
. . . so hat sich ihre Seele wieder hergestellt, oder der Sache ein
Mäntelchen umgehangen -- denn sie -- sie ist sich: die _Jungfrau_ Maria.
Und also sind alle ihre Schmerzen verhallt, alle ihre vergeblichen Wünsche
auf Erden wieder in dem Himmel ihrer Seele erfüllt. Sie war hoffärtig!
Stolz! Sicher im Gefühl ihrer strengen Zucht und Ehre -- der Herr hat sie
gedemüthigt; aber die Niedergeworfene wieder aufgehoben, doch sie -- Wecker
geht hin und seht, -- sie hat das ABC stets vor sich auf dem Schooß, den
Lobgesang Mariä aufgeschlagen, und betet oft kniend laut daraus mit
_Freuden und Dank_, daß mir die Haut schauert . . . denn sie betet: »Er
übet Gewalt mit seinem Arm, und zerstreuet, die hoffärtig sind in ihres
Herzens Sinn. Er stößet die Gewaltigen vom Stuhl, und erhebet die Elenden!«
--

Und sie traten an die Thür und sahen das schöne blasse Mädchen,
eingeschlafen; aber auch schlafend noch in ihren morgenländischen Kleidern,
nur sonderbar mit dem Bande der Ehrenlegion geschmückt, auf alterthümlichem
Sessel sitzend, die Linke auf die Lehne gelegt, die Rechte auf dem
aufgeschlagenen Kinderbuche. Um ihren Kopf schimmerte ein ächtpersisches
buntes Tuch, und auf dem Wirbel schimmerte eine kleine silberne Krone. Im
Zimmer war wenig, aber gleichfalls alterthümliches Geräth; und an der Wand
hing eine Copie der _Verkündigung_ von der Angelika Kaufmann, die zur Seite
der Casa santa in der Kirche zu Loretto hängt.

Und wie dort der willfährig empfangene Engel, kniete jetzt hier der
verstoßene Bräutigam vor sie hin, und beugte sich dann zu ihren Füßen
nieder. Wecker aber nahete leise, legte sehr sanft die alte zitternde Hand
auf ihr Haupt und sagte zu der Schlafenden: »Hätte ich Dich doch hinunter
stürzen lassen, wo ich den Teufel vom Thurme stürzte! Denn Du arme
Verrückte hast ja doch gethan, wovor Dich Gott, laut Deines Briefes,
bewahren sollte: -- Du bist katholisch geworden!« -- Dann zog er die Hand
zurück.

»Wecker!« tadelte ihn der Leinweber: »die wahre Jungfrau Maria ist nie
katholisch gewesen! Selbst Christus war kein Katholik, höchstens rein
evangelisch, und das noch kaum: Er war nur Er selbst ganz allein, nicht ein
Christ, sondern Christus.«

Die Kinder aber fürchteten sich hinein zu gehn, und die Kleine war schon
schlafend bei ihren Ostereiern am Tische sitzen geblieben. Christel stand
also entfernt mit Daniel und Gotthelf. Sebastianow, der Mitverwüster dieser
starken Seele, dieser schönen Jungfraugestalt, aber zitterte am ganzen
Leibe wie vor dem jüngsten Gericht, das so eben wie Wetter hereingebrochen,
und bebte nun seinen Namen zu hören.

Paschalis aber sagte ihm mild auf Russisch: »Janow -- Zschartowitsch![A]
Gehe getrost hinein. Sie kennt selbst den Vater nicht, denn sie wohnt in
Nazareth, in alten, heiligen Tagen; und ich bin ihr nur ein fremder,
fremder Mann aus der Zukunft . . . und doch bekannt . . . wie aus dem
Paradiese! Hast Du aber vorhin in der Kirche, nach Eurer Sitte, vor jedem
Geistlichen dreimal ausgespuckt, so schlucke hier dein Gift hinunter.« --
Dabei schenkte er ihm einen Beutel mit Golde, und der Mensch betete ihn
bald an. »Ziehe in Frieden!« sagte er ihm, sich von ihm wendend, ob er ihn
gleich mit keinem Auge angesehen.

[Fußnote A: Teufels-Sohn.]

»Nun, Christel.« frug er diese, »hast Du noch einen Dolch im Herzen, um
Dorothea! Auch den Schmerz will ich aus Deiner reinen Brust nehmen! Ja,
wenn Du auch um mich noch einen Stich empfinden solltest, so will ich
vorher dem Dolche die Spitze umbiegen. Ja, was Du auch gelitten hast, Du
sollst Dich darüber freuen und dem Herrn _dafür_ danken! Denn ich halte
noch ein kleines aber furchtbares Licht in meiner Hand, das mich brennt es
fallen zu lassen. Und doch bin ich innerlich schon dadurch verkohlt. Ich
bin todt, und darf nur die Augen noch zuthun. Doch das ist bald gethan.«

Die Andern traten jetzt Alle um ihn, und Paschalis sprach ernst: »Nun wohl,
so mögt Ihr es wissen, besonders der Bräutigam. Wie der bessere Mensch nur
ein Wort ist, und die meisten nur ungesetzte Buchstaben im
Buchdruckerkasten, die der Geist der Welt setzt, so konnten die Menschen,
jeder eine Lehre aus seinem Leben ziehen: wieder das Wort. Klarer aber, als
da draußen aus der furchtbar wogenden Welt, springt aus unserem kleineren
Leben eine große Lehre heraus, und die will ich als Kaufmann noch ziehen!
Mäßigung, sagte ich angeklungen vorhin, Mäßigung ist die beste Frucht der
Unmäßigkeit. Auch Mäßigung in den Wünschen. Die Hoffnung war auch etwas
werth. Der Betrug wird auch klug machen. Ein Volk, das nur einmal wieder
tüchtig zugestutzt worden ist, selbst bis auf den Stamm und die Wurzel, das
hat wieder Lebenskraft erhalten, verjüngt sich wieder und geht nicht ein.
Am schrecklichsten aber bestraft sich Selbsthülfe? Wenn sich ein Mensch
helfen will, so thue er es bloß durch weise-, gelassen- und gut-sein.
Völker denken oft anders. Aber auch zu ihrem Schaden; denn wenn Alle klug
sind und fromm, kann Einer oder werden Mehrere nicht mehr gottlos und dumm
sein. Sela.«

»Das wollt' ich nur wissen!« sprach Wecker.

»Ich aber verabscheue die Selbsthülfe, wenn sie nur ein wenig mehr ist, als
Ertragung und Verwünschung der Uebel, selber der schwersten und
schmählichsten,« (Er sah wehmüthig nach Dorothea.) »Denn der Lastträger hat
Kraft; der Verwünschende hat weiseres Wissen und Zorn gegen das Böse, und
den Wunsch des Bessern, ja des Guten. Ich aber -- beweint mich nicht -- ich
habe mir selber so geholfen . . . daß ich mir nicht mehr zu helfen weiß.
_Meine Tochter_ hat sich geholfen . . . bis in den Scheintod, ja bis zur
Jungfrau Maria! Und ihr war doch schon geholfen durch mich. Der alte
Zimmermann _Frommholz_ hat sich geholfen . . . bis in den Kerker -- und
sein Helfer war schon bereit! -- _Johannes_ hat sich geholfen . . . bis in
den ewigen Kerker -- und die Kugeln rührten sich schon in den Läufen, die
ihm freie Bahn machten! _Stephan_ hat sich geholfen -- Alle haben sich
selber geholfen . . . und Niemand kann _ihnen_ mehr helfen, selbst ein Gott
nicht, der seine Welt nicht auf Selbsthülfe berechnet hat, sondern auf
seinen Rath und seine Führung und seine Kraft, der _Niemand_, Niemand
widersteht; und auf seine Liebe, die _Allen_ angedeiht; und auf das
_Zutrauen_ zu Rath, Führung, Kraft und Liebe des außerdem --
Erschrecklichen! Zermalmenden! -- Gottes!«

Paschalis ging einige Schritte bei Seite; stand, wandte sich ab; bog den
Kopf zurück, als starre er hinauf in den Himmel; aber er hatte dabei seine
Hand am Munde. Dann kam er zurück und sprach: »Kinder, Daniel und Gotthelf,
geht doch zu Euerem alten Großvater Frommholz! Keines von Euch hat ihn
bemerkt. Er sitzt schlafen hinter der offenen Thür, da ist sein warmes
Plätzchen. Ich hab' ihn erlöst; und als alter Zimmermann paßt er sich wohl
hieher.« Und die Kinder gingen und der Pathe.

Darauf sprach Paschalis eilend und schneller, aber auch schwächer und doch
wie entzückt: »Sonderbar! Nun ich _weiß:_ Ich -- Ich habe sieben Menschen
umgebracht -- und weiß: nur gräßlich _Schuldige_, also Thiermenschen -- und
_Ich_ habe sie geschlachtet, nicht meine theuere Dorothea hat es gethan --
nun ist mir leicht! Denn sie sind _eher_ an meinem mit Kirschlorbeerkraft
vergifteten Rheinwein gestorben, als sie erstickt _sind_, nicht _worden_.
Mein Kind hat es also nicht gethan -- _ob sie es gleich gethan hat_ --
sondern doch nur gewollt. Todte kann man nicht tödten. Jeder Mensch, sieben
oder einer -- auch Ich -- können nur einmal sterben. Ich könnte den
sonderbarsten Prozeß mit meiner Tochter führen . . . und nur gewinnen! Denn
Ich bin der Rächer für ihre erlittene Schmach! Mein Kind, mein armes Kind
ist _unschuldig_ wie das Lamm Gottes, das -- der Welt Sünde trägt.« Er
taumelte. Und eilender sprach er: »Holt keinen Arzt! Ihr Thoren, sterben
werde ich nicht -- bis Gott stirbt.«

Er zitterte; er holte heißeren Athem; sein Gesicht glühte; seine Augen
standen glotzend. Ihn erdrückte das Gewicht der Worte, die er gesprochen --
daß sein Kind _unschuldig_ sei, während sie doch der Welt Sünde trug, und
schmachgebeugt, bis zur Unkenntlichkeit ihrer schönen Seele, vor ihm
vergangen war, und herabgesunken bis zum Gespenst der Jungfrau Maria. Und
zum Glück oder Unglück erhob sich jetzt die schöne stille Königin der
Trauer, Dorothea, und kam in ihren rauschenden, langen Gewanden, mit
schimmernder Silberkrone auf Paschalis zu. Und da sie so viele befreundete
Menschen sah, breitete sie ihre Arme mit getäuschter und gesammelter
Empfindung -- nach ihrem Vater aus. Und er sank in ihre Umarmung.

So blieben sie lange. Bis Dorothea wankte, und sie ihr zu Hülfe kommen
mußten. Denn der Vater, vom Gewissensschlag gerührt, wie Ananias, von
Jammer zerrissen, und vom stillen schnellen Gift ausgelöscht wie ein Licht,
war in ihren Armen vergangen.

Sie lehnten ihn hin. Und Dorothea verwunderte sich nicht, vergoß keine --
Klage, ja ihre Augen wurden nicht feucht.

Und Christel zog und drückte ihre Kinder an sich, und pries sich glücklich,
ja selig. »Der Prophet hat wahrgesagt! Mich würde kein Unglück treffen;«
dachte sie. Denn sie selber litt rein das unreine, schmähliche, aber nicht
beschmitzende Leid des Lebens.

Nur Dorothea sah sie groß an, und lächelte spöttisch. Und Christel
erröthete vor dem Geiste St. Etienne's, der ihr erschien und verschwand.
Und sie seufzte tief aus befreiter, nicht schuldig gewordener Brust auf
. . .

Paschalis aber hielt in seiner Hand noch ein kleines Blatt Papier, das er
vorhin, während er gesprochen, immer langsam um beide Zeigefinger spielend
gerollt hatte. Dorothea langte es geisterhaft daraus, und wog es. Dann
starrte sie lange hinein.

Und als gälten die Worte sowohl dem Vater, als eben _so wohl_ auch ihr, las
sie erst halblaut . . . dann laut . . . dann begeistert, und wieder wie
entseelt, und Alle zu Thränen hinreißend:


»Meine Grabschrift.«

   »Es ist nur Eine Ruh' vorhanden.« Doch
   Die _träge_ Ruh' im Grabe ist sie nicht!
   Die stille Kraft des _Geistes_ ist sie,
   Der in der Welt, doch _über_ aller Welt
   Festschwebend, alles Uebel niederhält,
   Nur voll vom Guten, nicht das Böse kennt,
   Und rein die Liebe walten läßt! _Ihm_ ist
   Das regste Leben: ungestörte Ruhe;
   Der Kampf mit aller Welt: der tiefste Frieden!
   Der allverbreiteten urstillen Kraft,
   Die Ungemessenes unablässig wirkt,
   Der willst Du Ruh' und Fried' und Seligkeit
   Absprechen? Gott? -- Und Gott liegt nicht im Grabe!
   Ich selber gehe durch das Grab zu ihm,
   Und hoffe bei der Kraft und Liebe -- _Ruhe!_
   Gott ist nichts Besseres als Du . . . sein kannst.

». . . Seine Tochter bin ich schon . . . seine Schwiegertochter!« sprach
Dorothea holdselig und begnügt.






Anmerkungen zur Transkription

Quelle: Leopold Schefer's ausgewählte Werke. Siebenter Theil. Veit und
Comp., Berlin, 1845, pp. 1-178.

Im Original g e s p e r r t e Textstellen werden _kursiv_ wiedergegeben.

Offensichtliche Druckfehler wurden korrigiert.






End of the Project Gutenberg EBook of Die Osternacht, by Leopold Schefer

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DIE OSTERNACHT ***

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Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
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