Fräulein Doctor im Irrenhause: Eine Begebenheit aus unserer Zeit

By Julie Thenen

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Title: Fräulein Doctor im Irrenhause
       Eine Begebenheit aus unserer Zeit

Author: Julie Thenen

Release Date: October 31, 2020 [EBook #63589]

Language: German


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  Fräulein Doctor im Irrenhause.


  Eine

  Begebenheit aus unserer Zeit

  von

  J. Thenen,

  Verfasser des »Wunderrabbi«.


  Der Ertrag ist der allgemeinen Poliklinik in Wien gewidmet.

  [Illustration]

  Wien.

  Verlag von L. Rosner.

  1881.




An einem trüben, regnerischen Herbstmorgen schritt eine Frau die breite,
mit feinem Kiessande bestreute Allee entlang, die zur Irrenanstalt führte.
Die Frau war groß und schlank und entwickelte in jeder Bewegung eine
unnachahmliche Grazie, eine vollendete Symmetrie der Form. Ihr Haar war von
einem hellen Braun, auf dem ein Goldglanz lagerte, nicht anders als ruhe
der volle Sonnenschein auf den reichen, wogenden Locken; das Auge, lang
geformt, dunkel und feurig, war von bogenförmig feingezeichneten Brauen
überwölbt und von langen schwarzen Wimpern verschleiert; durch die
lilienweiße Haut schimmerte die Rose auf den Wangen; der feingeschnittene
Mund, die kleinen Perlenzähne und das anmuthreiche Grübchen am Kinn
vervollständigten das harmonische Ganze. Diese Frauengestalt war wunderbar,
entzückend schön.

Ja, Zerline war schön wie die Fee eines Zaubermärchens und ebenso mächtig
wie diese. Ein Blick ihres Glutauges, ein Wort von ihren duftigen Lippen
vermochten es eben so leicht wie der Zauberstab einer Fee Schaaren von
dienstbaren Geistern um sie zu versammeln. Ihre Alleinherrschaft in der
galanten Welt war anerkannt, unbestritten, unumschränkt. Zu den demüthigen
Zugthieren ihres Siegeswagens zählten die stolzesten Löwen des
Tages. Zerline war eine gefeierte Schauspielerin, das brillanteste
Decorationsstück eines Musentempels in der Provinz. Mißgünstige Rivalinnen
behaupteten wohl, Zerline sei nur auf der Bühne des Lebens eine treffliche
Komödiantin, im Tempel der Kunst nur eine jämmerliche Stümperin. Böse
Zungen erzählten, daß sie durch mächtige Gönner sich ihren Platz auf den
Brettern errungen und nur durch ihre körperlichen Reize und durch ihren
Toilettenreichthum das Publicum blende. Alles dies vermochte aber die
Triumphe Zerlinens nicht zu vermindern. Die Menge huldigt dem Erfolge, ohne
sich zu kümmern, auf welche Weise dieser errungen wird.

Zerline war also eine Zugkraft ersten Ranges und wurde als solche
vom Leiter des Theaters mit einer bei diesem Herrn nicht gewöhnlichen
Liebenswürdigkeit behandelt. Der Director war ein kluger Mann. Er wußte,
daß eine blendende Staffage eine viel mächtigere Zugkraft sei als ein
echtes Talent, das sich zur reinen Höhe der wahren Kunst emporgeschwungen.
»Das Gute wird gedacht, das Schöne aber betrachtet,« philosophirte er.
»Mein Publicum ist nicht dem Begriffe, sondern der Anschauung zugänglich,
und die Kunst eines praktischen Directors besteht ja nur darin, dem
Publicum den gewünschten Genuß zu verschaffen und ausverkaufte Häuser
zu erzielen.« Zerline feierte Triumphe, wie die wirklichen Künstlerinnen
solche nicht oft und nicht leicht erringen. Milde Kritiker räucherten sie
in dicke Weihrauchwolken ein und nannten sie einen leuchtenden Stern am
Firmamente der tragischen Kunst. Dies, sollte man meinen, müßte sie doch
befriedigt haben. Dem war aber nicht so. Mit dem Erfolge wuchs ihr Ehrgeiz.
Bald verlor die Huldigung der gutmüthigen Provinzler für Zerline jeglichen
Reiz. Der Wirkungskreis in der Provinz erschien ihr eng und armselig und
nur die Bühne in der Residenz ihrer würdig. In der Residenz als Tragödin
gefeiert und umworben zu werden, dies ward fortan der süßeste Traum
ihres Lebens. Um dies zu erreichen, war ja nur vonnöthen ein Gastspiel zu
eröffnen. Daß sie mit ihrem ersten Auftreten das Publicum im Sturm erobere,
dessen war sie sicher, dafür garantirten ihr ja der stürmische Beifall
genügsamer Claqueurs und die Verzückung ihrer Gönner. Wollen und Können war
für die gefeierte Zerline gleichbedeutend. Ein Zauberwort aus ihrem rosigen
Mündchen setzte alsbald die Schaar ihrer Anbeter in Bewegung, und ehe
das Tagesgestirn achtmal seinen Lauf vollendet hatte, war das schier
Unglaubliche verwirklicht, die mächtige Fee hatte die Gewißheit, als Gast
auf der Hofbühne der Residenz ihre Reize und die Munificenz ihrer Gönner
bewundern zu lassen. Als Ophelia sollte sie das Gastspiel eröffnen. Um nun
die Großstädter vollständig zu ihren Füßen zu sehen, wollte sie diese auch
noch durch künstlerische Leistungen in athemlose Bewunderung versetzen.
Deshalb sehen wir sie der Irrenanstalt zuschreiten. Sie will sich für den
bevorstehenden Triumph künstlerisch vorbereiten, sie will nicht bloß die
Empfindungen und Affecte, sondern auch die Begebenheiten, aus denen
solche entsprangen, studiren. In der Irrenanstalt, in dieser Behausung des
menschlichen Jammers, will sie in das große Geheimniß der tragischen Kunst
erst recht eindringen. Hier will sie das Traurige, das Jammervolle, das
Schreckliche, das Entsetzliche von Angesicht zu Angesicht schauen, um dann
ihre Rolle als Geisteskranke mit solch' entsetzlicher Wahrheit zu spielen,
daß dem Publicum darob die Haare zu Berge stehen sollten. Also versicherte
sie ihrer Helferin in der Rüstkammer der weiblichen Toilettengeheimnisse,
der pfiffigen Mizi.

Man wähne aber ja nicht, daß dies Opfer, welches der Kunst zu bringen
Zerline sich entschlossen hatte, ein gar leichtes war. Zuerst hatte sie
einen mühsamen Kampf zu bestehen, bis es ihr gelang, die entsetzliche
Furcht zu bewältigen, die bei dem Gedanken, in die Behausung des Wahnsinns
einzudringen, sich ihrer bemächtigte. Mizi wußte ihr nicht genug des
Gräßlichen von diesem Orte des Schreckens zu erzählen und bevölkerte die
Phantasie der Kunstjüngerin mit den quälendsten Schreckgebilden. Schon
stand zu befürchten, daß die heraufbeschworenen Phantome der zungenfertigen
Mizi den Drang, das Spiel des Wahnsinns am Born desselben zu schöpfen,
ersticken würden, als zum Glück ein am Siegeswagen Zerlinens ziehender Arzt
ihre Angst beschwichtigte. Nun zeigte sich ein neues Hemmniß; der Leiter
der Irrenanstalt war jedem Besuche abhold. Er fand es dem Wohle seiner
Pflegebefohlenen zuträglich, sie vor profaner Neugier zu wahren. Diesen
Psychiater ihrem Wunsche geneigt zu machen war schwerer, als Zerline es je
gedacht. Trotz der mächtigen Protection ihrer Gönner gelang es ihr nicht,
die Erlaubniß zu erlangen, die Anstalt zu besichtigen. Da verfiel der
sie anbetende Arzt auf den sinnreichen Einfall, sie als Fräulein Doctor
anzumelden. Einem Doctor, der sein Wissen zum Wohle der leidenden
Menschheit bereichern wollte, durfte die Anstalt nicht verschlossen
bleiben. Der Director, obwohl kein besonderer Freund weiblicher Doctoren,
konnte jetzt seine Genehmigung nicht versagen. So machte sich denn Zerline
auf den Weg, um das so sehnlich Gewünschte und doch Gefürchtete von
Angesicht zu Angesicht zu schauen.

Vom Zauber ihrer sinnberückenden Schönheit umgeben schritt Zerline der
Anstalt zu. Ihr Auge blickte sanft und liebkosend und der schneeige Busen
wogte ruhig und friedlich. Wer konnte ahnen, welch' bedrohliche Pläne für
die Ruhe des starren Leiters der Anstalt sie in ihrem Innern entwarf
und auch welch' wunderbare Curen die Phantasie dem Fräulein Doctor
vorspiegelte! Wie oft hatte sie schon durch ihren Zauber Vernünftige in die
Bande des Wahnsinns geschlagen, warum sollte sie nicht auch Wahnsinnige
zur Vernunft zurückzuführen vermögen? Was war ihrem Liebreiz zu schwer? Wer
vermochte es sich ihrer Macht zu entziehen? Solche und ähnliche Gedanken
beschäftigten sie, bis sie am Eingange der Anstalt Halt machte. Als sie
das Haus mit seinen vergitterten Fenstern erblickte, da begann ihr Herz zu
pochen und zu hämmern. Alle von Mizi heraufbeschworenen Gespenster standen
wieder vor ihrem inneren Auge. Die Kunst lief Gefahr, von der Furcht
besiegt zu werden; Zerline war schon im Begriff die Flucht zu ergreifen, da
erschien noch zur rechten Zeit der Thürsteher der Anstalt. Die Intervention
dieses ungebildeten Volkssohnes ersparte der Muse eine Niederlage.

Der Thürsteher, der einige Zeit stumm vor Entzücken auf die blendende
Frauenerscheinung gesehen, riß jetzt dienstbeflissen die Thürflügel auf und
lud sie zum Eintritte ein. Mechanisch folgte ihm Zerline in's Wartezimmer.
Hier bat er sie, sich zu gedulden, bis er ihre Ankunft gemeldet haben
werde, und entfernte sich unter zahllosen Bücklingen.

Vom Schrecken beherrscht fiel Zerline ermattet auf einen Sitz nieder.
Dann ließ sie ihr Auge im Raume umherschweifen. Das Zimmer war einfach und
prunklos, sah aber ganz wohnlich aus. Auch das vergitterte Fenster erschien
von innen nicht so abschreckend, und die Aussicht in den Park war trotz des
trüben, regnerischen Wetters nicht ohne Reiz. Zerline begann sich allmälig
zu beruhigen. Sie erhob sich dann von ihrem Sitze und näherte sich einem
Spiegel, um da eine losgegangene Locke ihrer Frisur zu befestigen. Eben
hatte sie sich des widerspänstigen Löckchens bemächtigt, als zwei Männer in
die Stube traten.

Die Neueingetretenen blieben beim Anblicke Zerlinens überrascht stehen.
Sie wurden gleich dem Thürsteher vom mächtigen Zuge der Bewunderung
fortgerissen, blieben aber nicht stumm, sondern stießen ein lautes »Ach!«
des Entzückens aus.

Ein Lächeln des Triumphes kräuselte die Lippen Zerlinens. Mit dem ersten
Blicke hatte sie den Feind bezwungen, den starren, unzugänglichen Leiter
der Anstalt. Dies war er ja doch, der großgewachsene Mann mit wallendem
Bart und Haupthaar, und sein Begleiter war sicherlich der Doctor, der dem
Director in der Krankenpflege treulich zur Seite stand. Also dachte die
Siegesgewisse und wollte auch im Bewußtsein ihrer Macht recht bald ihr
Incognito fallen lassen; als Zerline und nicht als Fräulein Doctor sollte
er sie durch die Räume der Anstalt führen. Diese Hoffnung erwies sich
jedoch bald als trügerisch, denn der stattliche Mann mit wallendem Bart
und Haupthaar stellte sich ihr als Graf Roller vor, sein Begleiter war der
Oberwärter der Anstalt.

Der Letztere entschuldigte den Director, der durch Krankheit verhindert
sei, Fräulein Doctor zu empfangen. Der Doctor der Herrenabtheilung müsse
den Director in der Kanzlei vertreten, berichtete er, und der Doctor der
Frauenabtheilung sei zu einer Patientin gefahren. Wenn Fräulein Doctor
seine Rückkehr nicht abwarten wolle, so könnte sie sich getrost der Führung
des Grafen Roller anvertrauen. Der Herr Graf sei in der ärztlichen Kunst
bewandert und werde ihr alles Interessante in der Anstalt vorführen, fügte
er zum Schlusse bei.

Der Graf ermangelte nicht, sich mit der Artigkeit eines feinen Weltmannes
der schönen Besucherin zur Verfügung zu stellen, und Zerline nahm mit einem
verführerischen Lächeln sein Anerbieten an. Vom Grafen geleitet schritt sie
durch eine helle, geräumige Vorflur einer steinernen Treppe zu.

»Meiner Ansicht nach vermögen solch' äußerliche Anschauungen nur wenig die
functionellen Störungen zu beleuchten,« begann der Graf seine Ansprache zu
dem vermeintlichen Fräulein Doctor. »Ich halte ähnliche Beobachtungen für
einen angehenden Arzt nicht für hinlänglich. Das vornehmste Lehrbuch ist
der Cadaver. Nur anatomische Befunde und zumeist nach frischen Fällen
gewonnene Befunde können dem Arzt Einblick in den Proceß gewähren. Dies ist
meine Ansicht. Wohl meint die moderne Psychiatrie, daß wir im Vorderhirn
die diagnosticirbaren, auffallenden Formen anatomischer Veränderungen noch
im Leben vorfinden, sie behauptet sogar, daß der äußere Verlaufsproceß nur
eine Spiegelung des inneren Processes sei, ich aber verfechte unerschrocken
meine Ansicht, daß ohne den Befund im Cadaver die Wissenschaft im Finstern
tappen muß.« Hier unterbrach er seinen gelehrten Discurs. Sie waren bei
einer Thüre angelangt, welche ein Wärter von innen geräuschlos öffnete und
wieder schloß. Sie traten in einen hohen, hallenden Corridor.

Zerlinen war es seltsam zu Muthe. Schon der Anblick dieser Räume, die so
viel menschliches Elend bergen sollten, machte ihr das Herz schwer. Ringsum
herrschte eine tiefe, grabähnliche Stille, die nur von ihren und
ihres Begleiters Schritten, welche im steingepflasterten Corridor laut
wiederhallten, unterbrochen wurde. Um ihre Bangigkeit noch zu steigern,
sprach der Graf ein gelehrtes Kauderwelsch, von dem sie kein Wort verstand.
Nur das Eine meinte sie zu verstehen, daß er sie aufforderte, fleißig in
Leichen herumzuwühlen.

Hu, der Gedanke an dies Schreckliche machte ihre Füßchen schwach bis zum
Umfallen. Jetzt kroch wieder die Furcht wie ein Alp an sie heran und
rief ihr alle die schrecklichen Geschichten, die ihr Mizi von der
Gefährlichkeit, von der Tobsucht und der Raserei der Wahnsinnigen erzählt
hatte, in's Gedächtniß zurück. Bald brachte jedoch die Sucht zu glänzen,
welche Zerline als den Drang, sich auf die wahre Höhe der tragischen Kunst
emporzuschwingen ansah, die Einflüsterungen der Furcht zum Schweigen.
Ja sie wollte unerschrocken das Entsetzliche von Angesicht zu Angesicht
schauen, sie wollte allen Gefahren trotzen, um dann durch ihren meisterhaft
gespielten Wahnsinn alle Rivalinnen vor Neid wahnsinnig zu machen. Mit
dem Panzer dieses menschenfreundlichen Wollens umgürtet betrat sie den
Conversationssaal der Herrenabtheilung.

Sie sah neugierig und mit nicht geringem Herzklopfen umher. Dies war kein
mit Eisengitter umgebener Käfig, wie die Schauermärchen Mizis die Räume
einer Irrenanstalt schilderten, und auch die Personen, die sie da gewahrte,
hatten keine Aehnlichkeit mit den gefürchteten Schreckbildern aufzuweisen.
Etwa ein Dutzend Männer saßen auf Stühlen und studirten eifrig die
Journale, Andere hatten sich um einen mit Nachdruck sprechenden Priester
gruppirt und lauschten aufmerksam seinen Worten.

»Dies sind Patienten, mit Melancholie, mit Manie und mit Stupor behaftet,«
erklärte der Graf dem vermeintlichen Arzt. »Wenn Sie den Reden der
Patienten Aufmerksamkeit schenken wollen, dann werden Sie einsehen, wie
wenig die äußerliche Anschauung die functionellen Störungen im Innern zu
veranschaulichen vermag.«

Zerline nickte bestätigend mit dem Kopfe. Auf andere Weise wußte sie ihrem
gelehrten Führer keine Antwort zu geben. Was begriff sie von functionellen
Störungen und von Stupor und Manie? Bei ihren Anbetern hatte sie wohl stark
ausgesprochene Symptome von Verwirrtheit und Imbecillität gesehen, aber
es genügte ihr zu wissen, daß sie die Ursache und Veranlassung
dieser Erscheinungen war, mit der Lehre von den Krankheiten und ihren
verschiedenen Gattungen und Arten hatte sie sich nicht befaßt. Von
dem gelehrten Unsinn des Grafen verstand sie eben nicht mehr als ihr
Schooßhündchen Zara, wenn sie ihm eine ihrer Rollen vordeclamirte, sie
athmete erleichtert auf, als der Graf sie zu einem Sitze führte und sich
dann zu der Gruppe gesellte, die den Priester umgab.

»Die moderne Philosophie umnebelt den Kopf der rohen Masse,« sprach der
Priester gerade, als der Graf herzutrat. »Sie demoralisirt das Volk durch
die Zerstörung aller alten Einrichtungen, sie entwurzelt den Glauben an
eine ewige, rächende und richtende Gottheit, an ein Jenseits, an eine
Unsterblichkeit, sie führt die Herrschaft der rohen Materie ein, sie
schmäht und verspottet die Zeit, in welcher die heilige Kirche die Teufel
aus der Menschenbrust vertrieb. Wohin, frage ich, kann und soll dies
führen, wenn nicht zur Herrschaft des Verbrechens und zur totalen Auflösung
aller menschlichen und gesetzlichen Bande? Vermögen all' die subtilen
Verstandestheorien der Apostel des Unglaubens, vermag all' ihr
sophistischer Wortprunk den Glauben, dieses Himmelslicht, zu ersetzen?
Wodurch wollt Ihr die Menschheit für das ihr geraubte Kleinod schadlos
halten, für das göttliche Geschenk, das den Erdensohn im Glücke vor
Uebermuth bewahrt und im Unglücke vor Verzweiflung schützt?«

Diese Worte waren an einen ältlichen Mann gerichtet, der dem Priester
gegenüberstand und der leidenschaftlichen Rede desselben mit kalter Ruhe
zuhörte.

»Durch das Bewußtsein, daß Moral und Sittlichkeit nicht erst der Ausfluß
einer geoffenbarten Religion sein müssen, denken wir das Verlorene zu
ersetzen,« erwiederte der Gefragte. »Wir wollen beweisen, daß nicht in den
rohen, materiellen Gefühlen des Fürchtens und Hoffens auf Vergeltung
der wahre, edle Kern der Moral liege, sondern daß er in der geistigen
Veredlung, in der Entwicklung des Rechtsgefühls, in der Unabhängigkeit und
in der Scheu vor jedem unredlichen Beginnen zu suchen und zu finden sei.
Die Menschheit lebt, wie Euer Heiligkeit richtig bemerkten, in einem
materiellen Zeitalter, in welchem Hypothesen nicht mehr genügen, die
nüchterne Menschheit verlangt jetzt Axiome. Gebt ihr solche, und sie wird
wieder ihre Knie vor der Kirche beugen und auch ihr Geist wird anbetend vor
Euch niederfallen.«

Der Priester maß ihn mit finsteren Blicken und erwiederte dann mit
grollender Stimme:

»Wo die Ueberzeugung, da ist kein Glaube mehr. Wie die Vernunft so
vermessen wird, mit dem Secirmesser der kalten Berechnung den Glauben
zergliedern zu wollen, da kehrt dieser zum göttlichen Spender zurück, und
der ruchlose Anatom sucht ihn vergebens im zerfleischten Cadaver.«

»Der Befund im Cadaver muß der einzig richtige Leitfaden für den Forscher
sein,« mischte sich nun Graf Roller in den Disput.

»Der denkende Mensch will keinen blinden Glauben, er will Wahrheit, und
zur Wahrheit kann man nur durch Forschen und Wissen, nur durch Aufklärung
gelangen,« behauptete ein Mann mit blassen, melancholischen Zügen. »Mag die
Wahrheit noch so grauenvoll sein, der denkende Mensch wird sie immer der
lieblichsten Selbsttäuschung vorziehen.«

»Die Corruption und all' das scheußliche Heer der Sünden hat Eure
gepriesene Aufklärung der Menschheit gebracht,« schrie der Priester, dessen
Augen jetzt wie zwei sprühende Feuerräder rollten. »Ihr bläht Euch mit der
Vernunft, mit dem Wissen und bleibt doch bei jedem Schritt und Tritt vor
unauflöslichen Problemen stehen. Mit frecher Stirn nennt Ihr sogar das
Gehirn Erzeugungsorgan der Seele, trotzdem Euch nicht mehr als die äußere
Anatomie der Form davon bekannt ist. Gesteht doch einer Eurer mächtigsten
Herrscher auf dem Gebiete des Wissens, daß die Anatomie des inneren Baues
des Gehirnes für immerdar ein mit sieben Siegeln geschlossenes und noch
dazu in Hieroglyphen geschriebenes Buch ist.«

»Meine Herren, ruhig mögt Ihr nach Herzenslust plaudern, nur nicht das Blut
erhitzen,« ermahnte ein Wärter.

Zerline war dem Disput mit großer Aufmerksamkeit gefolgt. Sie vermochte es
kaum zu glauben, daß sie Pensionäre der Irrenanstalt reden hörte. Was ihr
Interesse noch steigerte, war, daß sie in dem jungen, schönen Priester
den Fastenprediger erkannte, dessen Reden sie stundenlang in lautloser
Verzückung zu lauschen pflegte. Nach den rauschenden Freuden des Carnevals
war es für sie eine gruselnde Wollust gewesen, von dem schönen Prediger die
Pein, die der Sünder im Reiche Satans harrte, mit glühender Beredsamkeit
schildern zu hören. Sie konnte das Auge von ihm nicht abwenden. Wenn er
sprach, belebte sich das starre, bleiche Antlitz und sein dunkles Auge
glühte und der Körper bebte und jede Muskel zuckte. Er war schön, der
bleiche Priester, so schön, daß Zerline in seinem Anblick versunken den
eigentlichen Zweck ihres Besuches in der Anstalt vergaß und den Grafen, der
sie zum Weitergehen aufforderte, ersuchte, bis zur Beendigung des Disputes
zu bleiben.

»Der Priester laborirt an jener chronischen Seelenstörung, die wir
partielle Verrücktheit nennen,« flüsterte ihr der Graf zu. »Er ist im
Wahne, der heilige Vater zu sein und schleudert als kirchliches Oberhaupt
alle seine Blitze gegen die Pionniere der Aufklärung. Im steten Kampfe
ist er mit diesem Patienten.« Er bezeichnete den ältlichen Mann, der dem
Priester kampfbereit gegenüberstand. »Dieser, im Wahne der Zeitgeist
zu sein, sucht seinerseits jedes Bollwerk gegen Forschung und Wissen
darniederzureißen und steht dem Fanatiker feindlich gegenüber.«

Die Irren hatten ihren Wortkampf wieder aufgenommen.

»Die Wissenschaft gesteht mit ehrlicher Offenheit ihre Ohnmacht,
manches Problem zu lösen, und fordert dadurch die Menschheit zu noch
angestrengterem Forschen auf,« sprach der Widersacher des Priesters mit
leidenschaftsloser Ruhe.

»Die Forschung ist die Pforte zur Wahrheit und das Wissen ist ihr
Tempel,« ließ sich der Irre mit den bleichen, melancholischen Zügen wieder
vernehmen. »Das leuchtende Antlitz dieser Gottheit verschmäht den Schleier
der Mystik, ihre majestätische Gestalt umwallen keine Prunkgewänder; sie
lockt nicht mit Lohn und droht nicht mit Strafe. Ernst und leidenschaftslos
thront sie auf ihrem erhabenen Sitz und ist jedem Menschenkinde zugänglich.
Wer ihr Antlitz schauen will, darf nicht blind glauben, der muß nur
forschen, denn Zweifel sind die Stufen, die zur Wahrheit führen.«

  »Bairisch Bier und Leberwurst
  Juchheidi, juchheida,
  Und ein Kind mit runder Brust,
  Juchheidi, heida,
  Und ein Glas Krambambuli,
  Donnerwetter Parapluie,
  Juchheidi, heidi, juchheidi, juchheida,
  Juchheidi, heidi, heida, juchheidi, heida!«

krächzte ein Irrer, dessen rubinrothe Nase ihn als Verehrer des Bacchus
kennzeichnete. »Schweig', Ritter von der breiten Krämpe, oder lasse Bacchus
leben!« rief er dem Priester zu.

  »Vivat Bacchus, Bacchus lebe,
  Bacchus war ein braver Mann.«

»=Delirium tremens=,« flüsterte jetzt der Graf dem Fräulein Doctor zu,
welches nur Auge und Ohr für den schönen Fastenprediger hatte.

Der Eiferer ließ sich durch die triviale Unterbrechung des Säufers
in seinem Dispute nicht stören und erwiederte dem Wahrheitssucher mit
schneidendem Hohngelächter: »Sprecht nur den göttlichen Gesetzen Hohn,
entsagt schamlos der Menschenwürde und pflanzt nur die Vernunft als
Glaubensfahne auf. Die gepriesene Vernunft wird Euch zur Wahrheit
führen, die Vernunft, welche der aufgeklärten Menschheit zur ehrenvollen
Verwandtschaft mit dem Kletterthier verholfen hat. Und du, ihr Apostel,
wohin hat dich deine Forschung geführt? Die Wahrheit hast du gesucht und
das Irrenhaus hast du gefunden.«

Ein Blick unsäglicher Verachtung aus dem Auge des Wahrheitssuchers fiel auf
den Zeloten. Er wollte antworten, als ein Mann von finsterem Aussehen das
Wort ergriff.

»Ich behaupte, daß, wenn die Herren Affen nur die Macht des Wortes besäßen,
sie gegen die noble Verwandtschaft mit dem Menschen energisch protestiren
würden,« versicherte der Sprecher mit großer Bestimmtheit. »Die Herren
Affen leben ruhig und friedlich in ihrem primitiven Zustande nur der
Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse, die Herren Affen sind von allen
Krebsschäden, die an der menschlichen Gesellschaft fressen, unberührt.
Hochmuth, Eigendünkel, Herrschsucht, Selbstsucht, Scheinheiligkeit,
Verleumdung, Verlogenheit, Heuchelei, Falschheit, Treulosigkeit und
wie sonst noch das Heer menschlicher Leidenschaften heißen mag, nisten
vorzüglich in der Menschenbrust. Jetzt frägt es sich --«

»Ja, alle diese Leidenschaften nisten im Herzen des Weibes,« unterbrach ihn
Graf Roller in sichtlicher Aufregung. »Fand ich doch alle diese geflügelten
Ungeheuer im Herzen der Falschen.« Hier brach er ab und zuckte schmerzhaft
zusammen.

Zerline hatte nur Augen für den schönen Priester, dessen Geist trotz
des logischen Zusammenhanges seiner Rede in der Macht des Wahnsinns sein
sollte. Wenn dies Wahnsinn war, frug sie sich, was war gesunder Sinn zu
nennen? Alle, die ihr zu Füßen lagen, besaßen nicht das Wissen und nicht
die Beredsamkeit dieser Unglücklichen, die von der Außenwelt abgeschlossen
hier ihr trauriges Dasein verbrachten.

»Die wahre Pest unserer unseligen Zeit seid Ihr, die Häupter der tückischen
Bande, die sich die Organe der öffentlichen Meinung nennen,« wendete sich
der Eiferer wieder an einen Mann, der in ein Journal vertieft zu sein
schien. »Ihr reißt die Welt aus den Fugen und verläugnet und kreuzigt mit
Eurer ruchlosen Aufklärung die heilige Religion.«

»Die Aufklärung verläugnet nicht die Religion,« entgegnete der Angeredete
die Achsel zuckend. »Die Aufklärung will nur nicht diese Religion, wie
manche Priester sie geben. Wahre Religion begehrt weder Demuth
noch knechtische Furcht, sie verlangt Selbstständigkeit und inneres
Durchdrungensein von ihrer Wahrheit, sie will nicht mit Zittern und Zagen,
sie will nur mit Liebe umfaßt sein.«

»Baut nur Eurem Götzen stolze Tempel und übergoldet seine Altäre mit dem
Raube, den Ihr mit verruchter Hand an mir, dem Stellvertreter Petri, und
auch an den Frommen der gesammten Christenheit begangen habt,« schrie der
Zelot mit heftiger Gesticulation. »Führt nur die Bauten eures sündhaften
Hochmuthes bis in die Wolken und sucht den Himmel zu stürmen. Thut dies,
Ihr ruchlosen Umstürzler, thut dies, bis Ihr die Langmuth Jehovas ermüdet
und Ihr den Lohn dafür da findet, wo ewig Heulen und Zähneklappern ist.«

  »Der Frosch und die Unken
  Und andere Halunken,
  Die können nur zechen
  Mit rächelndem Rachen,
  Sie schlürfen aus Bächen,
  Aus Pfützen und Lachen,
  Aus Gruben und Klüften,
  Aus Weihern und Teichen,
  Aus Gräbern und Grüften
  Und manchem dergleichen
  Und plärren im Chor,
  Auf Moder und Moor
  Nur Schnickschnack und Schnackschnack
  Und Unkunk und Quackquack,«

näselte der Trunkenbold, sein Lied mit possierlichen Grimassen begleitend.

Der Zeitungsschreiber hatte sich erhoben und stand in drohender Haltung dem
Priester gegenüber. »Elender Fanatiker, mich, dessen einziges Ziel es
ist, die Menschheit zu beglücken, den Gründer des echten, reinen Glaubens,
zeihest du des Raubes, der schmutzigen Gewinnsucht?« rief er zornig.
»Religion ist Gold, im urbaren Zustande dem Menschen in die Hand gegeben.
Ich habe die leuchtende Goldfaser entdeckt, und du, Finsterling, betest die
Schlacken an. Mein Cultus bedarf nicht der Vergoldung. Der Tempel meiner
Religion ist jedes edle Menschenherz, ihr Altar ist die Menschenliebe, ihr
Gebet ist Menschlichkeit und ihr Lohn ist das Bewußtsein, seine Pflicht als
Mensch zu erfüllen. Wozu bedarf ich des Goldes, wozu der physischen
Macht? Mein reiner Glaube will keine käuflichen Glaubensüberläufer und er
verschmäht auch jedes Gewaltmittel zu seiner Ausbreitung.«

»Warum hast du mir also mein Reich geraubt, warum hast du mir meine
weltliche Macht genommen?« schrie der Zelot in leidenschaftlicher Erregung.

»Dein Reich ist nicht von dieser Welt,« rief eine hagere, fleischlose
Gestalt, auf den Priester zuschreitend. »Meine Lehre verbietet dir, nach
irdischer Größe, nach sündigem Reichthum zu streben, und nach irdischer
Macht und nach irdischem Prunk lechzt deine Seele. Sündiger Verkünder
meiner Worte, nur du und deinesgleichen, Ihr kreuzigt meinen Glauben und
macht alle meine Wunden auf's Neue bluten.«

»Religiöser Wahnsinn,« belehrte der Graf Zerlinen und setzte ihr
dann auseinander, wie der Unglückliche, im Wahne der Heiland zu sein,
stundenlang mit ausgespannten Armen dastehe und wie sein kranker Geist ihn
alle die fürchterlichen Qualen des Martyriums wirklich empfinden lasse.

»Die Liebe ist der Grundstein meines Glaubens, und Liebe und Nachsicht
muß der Kitt sein, der den Bau des Christenthums zusammenhält,« fuhr der
eingebildete Erlöser fort. »Der echte Diener Gottes muß des Glaubens Trost
in das wehe Menschenherz gießen, er muß den Unglücklichen aus den öden
Steppen der Verzweiflung auf die ewig grünende Oase der Hoffnung hinführen,
er muß an dem unversiegbaren Born der göttlichen Gnade ihn erlaben, vor dem
verderblichen Sturm der Leidenschaften ihn warnen und Stab und Stütze
ihm sein auf der irdischen Dornenbahn. Und sein Gebet muß nur Gnade und
Verzeihen für die Sünder erflehen, Vertilgung aber soll es nur für die
Sünde erbitten! So will ich die Verkünder meiner Lehre!« rief der Irre mit
gebieterischer Handbewegung. »Durch Liebe und Duldsamkeit wird mein
Glaube verherrlicht, durch Liebe und Duldsamkeit wird seine Macht
unerschütterlich, und unbezwingbar steht er seinen Feinden gegenüber, wenn
er überhaupt dann noch Feinde zählt.«

  »Herr Bruder, nimm dein Gläschen
  Und trink' es fröhlich aus;
  Und wirbelt's dir um's Näschen,
  So führ' ich dich nach Haus.
  Bedenk', es ist ja morgen
  Schon Alles wieder gut,
  Der Wein vertreibt die Sorgen
  Und gibt uns frohen Muth,«

sang jetzt der rothnasige Zecher, auf den Erlöser zuschreitend. Er faßte
ihn am Arm und zog ihn trotz seines Sträubens mit sanfter Gewalt aus dem
Saale.

Der streitsüchtige Priester suchte nun wieder einen Gegenstand für seine
Disputirwuth. Er packte den Irren, welcher sich einbildete der Zeitgeist
zu sein, und setzte ihm so hart zu, daß es ihm zuletzt gelang, diesem seine
Gelassenheit zu rauben.

»Die Zeit ist um, in der die Furcht vor unbekannten Schrecken die
Menschheit abhielt, Eure drohenden Phantome vor das Forum der Vernunft zu
citiren,« schrie nun der Zeitgeist zornig. »Die Menschheit will nicht mehr
die von Euch construirte Brille tragen, die ihr nicht erlaubt über den ihr
angewiesenen Gesichtskreis zu schauen. Ich, der mächtige Zeitgeist, habe
Euren Himmel gestürmt, ich habe Eure morsche Zwingburg in Schutt und
Trümmer gelegt. Mich bekämpfst du, Priester, vergebens. Du, jämmerlicher
Pygmäe, willst hemmend in mein Schaffen und Wirken eingreifen. Ich werde
dich mitleidslos zermalmen, wenn du mich an der glorreichen Vollendung
meines Werkes zu hindern suchst.«

»Mit wem sprichst du, Verbreiter der schändlichsten Sacrilegien?« brüllte
der Priester. »Du schmähst mich, den unfehlbaren Stellvertreter Petri. Ich
will dich in den Pfuhl der ewigen Verdammniß --«

Hier bemächtigte sich der Wärter der geballten Fäuste des Eiferers, die
sich in sehr bedrohlicher Weise dem Gesichte des Zeitgeistes genähert
hatten, und führte den Erbitterten einige Schritte abseits.

»Ja, es ist eine kritische Zeit, heiliger Vater,« sprach ein bis nun
stummer Zuhörer, mit bedenklichem Kopfschütteln zum Priester, der sich
grollend in einen Winkel zurückgezogen hatte. »Das Consortium der
ewigen Seligkeit ist in einer argen Klemme. Unsere Actien sind durch die
Contremine des Zeitgeistes weit unter ihren Nominalwerth herabgedrückt
worden. Nicht die Manöver eines erhöhten Zinsfußes und nicht die lockende
Aussicht auf eine Superdividende vermögen uns jetzt zu helfen. Der einzige
Ausweg wäre,« fügte er im Flüstertone hinzu, »mit der gut accreditirten
Aufklärung einen Cartelvertrag abzuschließen.«

Ein Blitz unsäglicher Wuth entsprang dem Auge des Priesters. Einige nicht
wiederzugebende Ausdrücke waren der Lohn für den wohlmeinenden Rath des
gutherzigen Vermittlers.

Zerline, ganz im Anblicke des Priesters versunken, hatte, wie schon
erwähnt, fast den Zweck ihres Besuches in der Anstalt vergessen. Sie konnte
und wollte nicht glauben, daß der schöne Fastenprediger geisteskrank sei.
Als sie aber gewahrte, daß er für sie keinen Blick habe, da begann sie
allmälig zur Erkenntniß seines Irrsinns zu gelangen. Unglaublich! Bei ihm
schien ihr herausforderndes Lächeln, das verführerische Spiel ihrer Augen,
kurz die ganze Musik ihrer Reizungen stumpfe Sinne zu finden. Wohl hatte
sie von Asketen vernommen, die, mit dem Panzer der Heiligkeit umgürtet,
jeglichem Sinnesreiz unzugänglich waren, aber diese sollen welke,
lebensmüde Greise gewesen sein, die vielleicht gar von der Verführung
verächtlich übersehen worden waren. Nicht so der schöne Priester. Ein
junges, pulsirendes Leben. Und er blieb kalt und unempfindlich bei all' den
Glutgeschossen aus dem Feuerauge der sinnberückenden Zerline. Bedurfte es
da erst eines ärztlichen Attestes, um seine Verrücktheit zu bescheinigen?
Ja, er war unheilbar wahnsinnig. Voll Aerger und mit dieser Ueberzeugung
verließ sie endlich den Saal, um mit dem Grafen den Rundgang in der Anstalt
fortzusetzen.

Als sich die Thüre hinter ihnen geschlossen, meinte der Graf lächelnd,
es sei sonderbar, daß die Himmelsinspectoren noch immer den Zins für ein
Plätzchen im Himmel bis zur Unmenschlichkeit steigerten. Hierauf begann er
wieder eine gelehrte Abhandlung über göttliche und irdische Liebe. Letztere
nannte er eine =insania mentis=, und Diejenigen unwissende Thoren, die,
ohne nach dem Befund mit dem Secirmesser im Muskelsack, =vulgo= Herz, zu
forschen, über diesen Krankheitsproceß polemisirten. Der leitende Faden
im Labyrinthe der Diagnostik sei, behaupte er, nicht im Verfolgen des
Krankheitsprocesses zu suchen, und auch auf das Wesen des Processes werde
durch das Nacheinander von Erscheinungen in acuter regressiver, acuter
progressiver, subacut progressiver, chronisch progressiver, aufsteigender,
absteigender Verlaufsweise kein Licht geworfen. Dies behaupte er mit
bewußter Sicherheit und er hoffe, daß auch Zerline sich seiner Behauptung
trotz der widersinnigen Ansichten der modernen Psychiatrie anschließe. Bei
den letzten Worten nahm sein Antlitz einen seltsam verzerrten Ausdruck an
und seine Augen begannen zu glühen. Zerline, deren Gedanken noch immer beim
schönen Priester weilten, bemerkte die Veränderung im Gesichtsausdrucke des
Grafen nicht. Sie nickte zum gelehrten Gallimathias, von dem sie kein Wort
verstand, beifällig mit dem Kopfe, und dieser stumme Beifall verscheuchte
alle Wolken von der Stirn ihres Führers. Bald waren sie bei einem zweiten
Corridor angelangt. Auf das Pochen des Grafen wurde eine Thüre wie zuvor
von innen durch einen Wärter geöffnet und sofort hinter ihnen wieder
geschlossen.

Im Gange spazierten einige Männer mit über dem Rücken oder über der Brust
gekreuzten Armen schweigend auf und nieder.

Der Graf bezeichnete sie als Apostel des Scheinwissens, der Vernünftelei,
die das rationelle Wissen, das gründliche Forschen durch die
rostzerfressene Waffe der Metaphysik zu bekämpfen suchen, als
Vernunftgaukler, die auf dem schwanken Seil einer speculativen Philosophie
ihre Künste zeigen und sich der Trugschlüsse als Balancirstange bedienen.
»Narren, die über Liebe polemisiren,« bezeichnete er wieder zwei Männer,
die mit sichtlicher Erregung zu einem Wärter sprachen.

»Johann, gesteht es nur, vermag alle Zweifelsucht die Wunder der Liebe zu
läugnen?« rief der Eine, die Hand des Wärters ergreifend. »Gibt es für eine
schöne Seele ein süßeres Glück als dieses veredelnde Gefühl, das großmüthig
alle Freuden spendet, ohne solche zu verlangen, denn reine Liebe kann
nur geben und nicht begehren. Reine Liebe mildert die Ueberlegenheit
des Starken, sie hilft der Schwäche aus ihrer Ohnmacht auf, sie ist die
heiligste Empfindung, sie strömt aus der reinsten Quelle und ist göttlicher
Natur.«

»Johann, laßt Euch nicht betören,« schrie der Zweite und bemächtigte sich
der anderen Hand des Wärters. »Die Liebe ist nur ein Sinn, der darnach
strebt, sich mit dem Sinnlichen zu vereinbaren, eine Ueberreizung
des inneren Sinnes, der seine krankhafte Anschauung dem äußeren Sinne
unterschiebt. Darum der Wahn, den Gegenstand der Anbetung in einem Nimbus
von Vollkommenheiten zu sehen, die dieser nicht besitzt. Das Grab aller
dieser exaltirten Empfindungen ist der Besitz. Mit dem Besitz tritt die
Vernunft wieder in ihr Recht und rächt sich, durch die ihr widerfahrene
Vernachlässigung gekränkt, durch eine desto unumschränktere Herrschaft. Was
geschieht also jetzt? Da sich die Trunkenheit des Geistes an dem Taumel der
Sinneslust verflüchtigt hat, erhebt sich nun der so lange daniedergehaltene
Geist und betrachtet nüchtern den Gegenstand, dem er eine gottgleiche
Anbetung gezollt hat. Was findet er da? Ein mit allen Schwächen und
Gebrechen behaftetes Wesen. Welche Wandlung tritt nun bei ihm ein? Aus dem
Auge seines Idols, früher für ihn der Spiegel tiefster Empfindungen, gähnt
ihn jetzt ein Meer von Inhaltslosigkeit an, das süße, ihm einst unsägliche
Wonne spendende Lächeln wird ihm zur widrigen Grimasse und die schmelzend
modulirende Stimme, die zuvor alle Fibern seines Herzens erzittern machte,
wird ihm zum tremolirenden, unharmonischen Klang. Jetzt hat sich die Liebe
in Gleichgiltigkeit oder in Widerwillen oder gar in Haß verwandelt.
Nun beginnt die Unterwürfigkeit nach Unterjochung zu streben, und der
demüthige, willenlose Sclave wird ein harter, grausamer Gebieter. Dies
ist die einzig logische Erklärung vom Ursprung und vom Ende der Liebe,
die ideale Gefühlsdusler mit einer überirdischen Strahlenglorie umgeben.
Johann, meine Auseinandersetzung ist doch klar und faßlich. Laßt Euch
durch den Redeschwulst eines Geisteskranken vom Wege der Vernunft nicht
weglocken.« Die letzten Worte wurden mit einer nicht zu mißverstehenden
Geberde auf seinen Widersacher begleitet.

»Freilich sehe ich ein, daß Sie vernünftig beweisen, fünf sei eine gerade
Zahl,« bestätigte der Kampfrichter.

Bei dieser Versicherung umspielte ein Lächeln stolzer Befriedigung den Mund
des Preisgekrönten, während sich auf der Stirne seines Gegners dräuende
Wolken des Zornes häuften.

»Du wagst es, die platonische Liebe mit dem thierischen Triebe, die reine
Himmelstochter mit der irdischen Venus zu identificiren?« schrie der
Platoniker wild gesticulirend. »Es ist keine Kunst, über Gefühle Meister zu
werden, die deine schmutzige Seele nicht einmal flüchtig bestreichen. Dem
groben Stoff ist das erhabene Gefühl, welches den Geist zwingt, vor dem
Gegenstand seiner Anbetung niederzufallen, ein Geheimniß, das er nie
ergründen kann. Johann, gebt dem schmutzigen Cyniker keine Macht über Euch,
glaubt seinen Worten nicht, sie sind giftiger Mehlthau für die edelsten,
erhabensten Blüthen, die eurer Seele entsprießen.« Hier zitterte seine
Stimme und sein Auge ruhte flehend auf dem Wärter.

»Ja, ja, Ihre Behauptung ist die richtige. Ein runder Tisch hat vier
Ecken,« bestätigte der gutmüthige Wärter.

Jetzt tänzelte eine lange, dürre Gestalt, mit allen Merkmalen eines Löwen
der Mode ausstaffirt, auf die Streitenden zu.

»Der Platoniker und der Cyniker bauen schon wieder ihre Luftgebäude
von Sophismen,« rief er verächtlich. »Ich bin Raoul von Biber, der alle
Frauenherzen mit eben solchem Gleichmuth wie die Austern verspeist.
Wer wagt es über Liebe zu sprechen, ohne zuvor mein Gutachten
hierüber einzuholen? Ich will eure Lügengebäude Kartenhäusern gleich
zusammenschmeißen.« Und nun begann der Weiberherzenfresser wunderbare Mären
von seinen Eroberungen zu erzählen. In seinem Siegesregister wimmelte
es von Fürstinnen und Herzoginnen, die sich um ihn die Augen ausgeweint.
Primadonnen und dramatische Größen hatten nur für ihn gesungen und
gespielt und zahllose Unglückliche hatten sich aus Verzweiflung über seine
Kaltherzigkeit die Pulsadern aufgeschnitten oder das kalte Wassergrab
aufgesucht. Raoul behandelte, seiner Versicherung nach, die Unglücklichen,
die nach der glänzenden Schmach, seine Sclavinnen zu sein, lechzten, mit
kalter Grausamkeit. Er warf einfach der Bevorzugten das Schnupftuch zu und
nahm es wieder zurück, wenn er eine Andere vor Selbstmord bewahren wollte.

»Der alberne Nickvogel hat sich einen phantastischen Harem mit glutäugigen
und antilopenäugigen Odalisken geschaffen,« flüsterte Graf Roller Zerlinen
zu, und als sie ihren Rundgang fortsetzen, erzählte er, wie eines Tages
die Schattengestalten, mit denen Raoul seinen selbstgeschaffenen Harem
bevölkerte, sich plötzlich für ihn zu verkörpern begannen. In jedem Weibe
erblickte er nur eine erlauchte Persönlichkeit und zuletzt warf er sich
einer überreifen Tochter Libussas zu Füßen, deren vornehmste Eigenschaften
in der geschickten Handhabung von Scheuerbesen und Aufwaschlappen
gipfelten, und bat sie flehentlich, ihn als Prinz-Gemal zu acceptiren.

Zerline hörte dem Grafen gelangweilt und mit Mühe das Gähnen unterdrückend
zu. Der Weiberherzenfresser war für sie nicht neu und nicht interessant.
Wie viele solche eingebildeter Frauenbezwinger zählen zu ihren Bekannten!
Ein gutes Stück von Raouls Narrheit steckte ja sogar in ihren mächtigen
Gönnern. Wie ganz verschieden war dies, was sie hier sah und vernahm, von
dem, was sie erwartet hatte. Was konnte sie eigentlich aus diesem Wahnsinn
für ihre Rolle Ersprießliches schöpfen? Sie suchte ja nur den Wahnsinn,
der der Verzweiflung entspringt und Schrecken verbreitet. Was hatte sie bis
jetzt im Irrenhause gefunden? Narren, die sich vernünftiger geberdeten als
alle Anbeter, die zu ihren Füßen lagen. In diesen nicht sehr erquicklichen
Gedanken unterbrach sie der Graf. Er machte sie auf einige Individuen
aufmerksam, deren Antlitz einen stark ausgeprägten Zug speculativer
Schlauheit aufzuweisen hatte. Er bezeichnete sie als Opfer der
Börsenkatastrophe. Einen ältlichen Mann, dessen Brust eine Unzahl Orden aus
Goldpapier schmückte, bezeichnete er als einen gewesenen Börsenmatador, der
unermüdlich immer neue Pläne schmiede, um seine verlorenen Schätze wieder
zu erobern. Pläne, die natürlich an Widersinn und Verrücktheit kaum ihres
Gleichen fänden, die aber ein glänzender Beleg für seine Raffinirtheit in
Gewinnerspähung waren. Er wendete sich nun an den Irren und frug ihn, ob er
schon einen neuen Plan ersonnen habe, um Papier zu säen und Gold zu ernten.
Die Antwort war bejahend. Der Geisteskranke versicherte, er habe den
Schlüssel zur Pforte, die in das Goldland der Glücksgöttin führe, nach
angestrengtem Suchen endlich doch gefunden. Dieser kostbare Fund habe ihm
wieder einen Orden von einem überseeischen Serenissimus eingetragen. Dabei
nestelte er feierlich einen papierenen Orden von seinem Wams los, drückte
diesen ehrfurchtsvoll an seine Lippen und sein Rücken nahm nun eine
solch' unterthänige Krümmung an, daß man schier vermeinte, er wolle
dem überseeischen Serenissimus seine überschwängliche Kriecherei
veranschaulichen.

Der Graf bezeichnete ihn mit verächtlicher Geberde als den obligaten
Speichellecker der Mächtigen. Dieser Schlag Menschen, behauptete er, sei
nach Darwin ein schlagender Beweis der Accommodationsfähigkeit lebender
Organismen. Dann wendete er sich wieder an den Irren mit der Aufforderung,
ihnen seinen genialen Plan, um die rollende Kugel der launischen
Glücksgöttin festzuhalten, mitzutheilen. Der Patient war gleich bereit
diesen Wunsch zu erfüllen und begann in der weitschweifigsten Weise seinen
Finanzplan zu entrollen.

Er habe den genialen Gedanken, durch eine Drahtseilbahn in den Mond zu
gelangen, um hier die Goldbergwerke und die Diamantenfelder auszubeuten,
theilte er dem Grafen mit. Um nun dieses großartige Project durchzuführen,
müsse er zuvor einige glänzende Namen an die Spitze seines Unternehmens
stellen, und durch einige gefällige Zeitungsschreiber sein Programm als
überaus günstig anpreisen lassen. Schon beim Beginn wolle er trachten, aus
der Rechnung der Einrichtungsspesen den möglichst hohen Nutzen zu
ziehen, und bei jeder Wahl werde er durch bezahlte Strohmänner sich die
Stimmenmehrheit zu sichern wissen. Für Geld und gute Worte werde er auch
eine freundliche Bank finden, welche bei seinen Papierembryos Pathenstelle
vertreten und diese noch vor der Geburt im Thronsaale Fortunas einführen
und cursfähig machen würde. Wenn diese also lancirt wären, könnte er sie
mit einem fabelhaft hohen Agio in die Welt schicken. Natürlich würde er
dann den Gewinn einstecken und für sich die Präsidentenstelle reserviren,
seine Freunde jedoch zu Verwaltungsräthen machen, um das Institut, das er
geschaffen, nach Belieben zu Grunde richten zu können. Dabei kicherte der
Irre und rieb sich vergnügt die Hände und machte seltsame Bockssprünge, um
seine Freude zu bezeigen, und fuhr immer fort seinen Plan zu entwickeln.
Wenn er die Cassen mit Hilfe seiner Freunde geleert habe, sprach er weiter,
wolle er den Köder einer Superdividende auswerfen und dann durch einen
Cartelvertrag mit einem unter anderem Namen ebenfalls von ihm gegründeten
Institute die dummen Actionäre wieder vertrauensselig machen. Unter der
Vorspiegelung, das junge Unternehmen werde an dem maßlosen Gewinnste der
Mutteranstalt participiren, könnte man sich auch leicht das Bezugsrecht
des jungen bezahlen lassen. Sodann beginne er die Effecten seiner Schöpfung
durch Scheinverkäufe zu contreminiren und schraube sie nach erfolgter
Baisse durch lebhafte Nachfrage in die Höhe.

Es ist selbstverständlich, daß Zerline kein Sterbenswörtlein von diesen
genialen Finanzoperationen begriff, ebenso wenig verstand sie die
Behauptung des Grafen, daß dieses erhaltene Maß von Intelligenz bei
Verrückten erstaunlich sei. Dies, meinte er dann, sollte nur unter der
Annahme verständlich sein, daß wahrscheinlich ein geregelter Ablauf im
logischen Apparate des Vorderhirns eine minder intensive Arbeitskraft
erfordere, als die Ausübung der Hemmungsacte. Dies wäre die Erklärung eines
mächtigen Fürsten auf dem Gebiete der modernen Psychiatrie.

Plötzlich wurde der Graf von einem Manne am Arm gefaßt und freundlich
begrüßt. Als Professor und als ein leuchtender Stern am Firmamente des
Wissens stellte der Graf diesen Zerlinen vor und frug sodann den Patienten,
ob es ihm schon gelungen sei das Problem zu lösen.

»Mein Werk ist vollendet, das Problem ist gelöst und vor dem unerbittlichen
Feinde der Zoobionten ist fortan eine unübersteigliche Schranke errichtet,«
versicherte der Professor mit wichtiger Miene. »Die Zerstörungswuth der
grausamen Natur wird endlich lahmgelegt werden und ihre widersinnigen
Anstrengungen, ihre herrlichsten Werke zu vernichten, werden sich an meiner
Combination machtlos brechen. Der Mensch wird nicht mehr der Sclave seines
Blutes sein, er wird mit starker Hand das Steuer seines Lebensschiffes
regieren, er wird ebenso der Windstille wie der sturmgepeitschten rothen
Wogen spotten. Der Puls darf nicht mehr der Zeiger der Lebensuhr sein, der
Schädel nicht die Gedankenhilfe, die Nase nicht der Lungenschornstein, das
Herz nicht das Blutreservoir und der Magen nicht der Heizungsapparat. Auch
alle vegetativen und animalen Apparate werden durch meine Combinationen
ihrer Functionen enthoben. Hier in dieser wundersam combinirten und aus
reinem Protoplasma construirten Form, hier ruht das Geheimniß des Aufhörens
der Endlichkeit der Bionten,« und bei diesen Worten zog er eine kleine
Thonfigur hervor und zeigte sie dem Grafen und Zerlinen.

»Weshalb nennen Sie die Natur grausam?« rief jetzt ein Irrer, der dem
Vortrage des Professors aufmerksam zugehört hatte. »Warum der Natur
Vorwürfe machen? Wenn sie ihre mit Sorgfalt herangebildeten Werke zerstört,
so muß sie dies thun, denn dies geschieht ja nach einem ewigen Gesetze und
sie thut es nur mit zerrissenem Herzen.«

Der Professor maß den Vertheidiger der zerstörungssüchtigen Natur mit
zornigen Blicken und erwiederte in sichtlicher Aufregung, die Natur sei
grausam und lieblos, die Natur setze das Wesen in die Welt, ohne sich um
sein Fortkommen zu kümmern, sie sei eine Rabenmutter, liebe ihre Kinder
nicht mit gleicher Liebe, denn sie lasse diejenigen Wesen, die ihrer
Auswahl nicht zusagten, erbarmungslos verkommen und verkümmern. Er allein
liebe die Menschheit wahrhaft und deshalb werde er diese vor Tod und
Verwesung bewahren.

»Du willst also der Menschheit die Unsterblichkeit sichern und dadurch mein
Reich entvölkern,« schrie der zweite Irre mit zornblitzenden Augen. »Meinst
du, daß ich, der Tod, dies gutwillig dulden werde?«

»Nein, nein, das darf er nicht thun, das wird der Herr Director nicht
erlauben,« beschwichtigte ein Wärter den Aufgeregten.

»Dies werde ich zum Heil der Menschheit thun, trotz des Widerstandes ihres
erbitterten Feindes,« versicherte der Professor würdevoll und kehrte seinem
Gegner den Rücken.

Der Graf führte nun Zerline weiter und bemerkte lächelnd, der Mensch sei
doch ein eigenthümliches Wesen mit seiner barocken Einbildung, daß er
der bevorzugte aller Bionten und als vollendetes Meisterwerk aus der
Künstlerhand der Natur hervorgegangen sei. Der kleinste Wurm wäre ja in
seiner Art ein ähnliches Wunderwerk wie die menschliche Maschine. Ohne
den complicirten Bau desselben verrichte sein Organismus alle Functionen,
welche zu seiner Erhaltung und Fortpflanzung bedingt sind. Der einzig
unbestreitbare Vorzug des Menschen wäre der göttliche Funke, die
Geisteskraft. Wie oft aber entsage der Mensch diesem Erstgeburtsrechte um
ein Geringeres noch als ein Linsengericht.

Zerlinens Geduld war nun erschöpft. Sie hatte sich die Füßchen wundgelaufen
und hatte doch nichts Interessant-Verrücktes gesehen. Die schwulstigen,
unverständlichen Reden überschnappter Gelehrten, der Schwindelplan eines
beutesüchtigen Geldmannes und die Vernachlässigung eines gefühllosen
Asketen waren doch weder belehrend noch amüsant. Und doch soll eine ihrer
Rivalinnen in der Residenz den Genius der tragischen Kunst im Irrenhause
gesucht und auch gefunden haben. Auch sie wollte daselbst etwas apart
Verrücktes sehen und gab zuletzt diesem Wunsche ohne Hehl Ausdruck. Der
Graf schien darüber nicht wenig befremdet und schüttelte den Kopf. Er
meinte, die Patienten wären doch für den Arzt sehr interessant. Sie
wähnten sich Millionäre, Könige, Götter, Propheten, die unglücklicher Weise
gezwungen wären, ihrer höheren Macht zu entsagen und die nach vielen Plagen
des Verfolgungswahnes es erst erreicht, sich auf dieses Piedestal der
Narrheit zu stellen. Er begann nun die physiologische Ursache
eines Phänomens, welches die Laien so sehr in Erstaunen setzte, vom
wissenschaftlichen Standpunkte aus zu beleuchten, er hielt wieder einen
Vortrag aus der psychiatrischen Pathologie über Hysterie, Epilepsie,
Hypochondrie und all' den daraus hervorgegangenen Formen des Irrsinns in so
breitspuriger und confuser Weise, daß Zerlinen darob schier Hören und Sehen
verging. Wie eine Erlösung erschien es ihr, als ein Wärter ihnen Einlaß in
einen neuen Saal gewährte. Hier gewahrte sie Schattengestalten, die lautlos
dasaßen und düster vor sich hinstarrten. Der Graf befragte einen dieser
Bedauernswerthen, einen noch jungen Mann, um sein Befinden. Der Irre
beklagte sich nun mit thränenden Augen über seinen verzweifelten Zustand.
Im Hirn habe sich bei ihm ein Tumor ausgebildet, die obere Spitze des
rechten Lungenlappens sei mit Tuberkeln bedeckt, dazu komme noch, daß
die linke Herzklappe nicht mehr schließe und die Verdauungsorgane zu
functioniren aufgehört hätten. Jeder dieser Krankheitsprocesse bedinge
doch einen letalen Ausgang und deshalb sei auch schon bei ihm der Collapsus
eingetreten. Als der Graf ihn zu beruhigen versuchte, riß er sein Wams auf,
entblößte seine Brust und rief schluchzend, daß durch das Glasfenster
an seiner Brust der Einblick in die Verwüstungen, welche die
Krankheitsprocesse angerichtet, ermöglicht sei. Der Graf erzählte nun
Zerlinen, daß der Unglückliche ein Arzt sei, der kurze Zeit nach seiner
Promotion in diesen traurigen Zustand verfallen wäre. Er fügte zum Schlusse
bei, dies wären die Accidentien des Arztes, das Bewußtsein der steten
Gefahren, die der menschlichen Maschine drohen, und die Erkenntniß, daß
von der vehementen Bewegung oder von der Stagnation einiger Bluttropfen der
Mechanismus des Seins oder Nichtseins abhänge.

»Trostlose Zeiten, trostlose Zustände!« schrie jetzt ein Irrer, auf den
Grafen zuschreitend. Und als der Graf ihn frug, was ihm eigentlich so
trostlos vorkomme, begann der Irre sein Klagelied. Alles jage jetzt dem
leichten, mühelosen Gelderwerbe nach, der Tempel der Kunst und des Wissens
werde immer öder und verlassener und wenn Kunst und Wissen sich jetzt nicht
in das bunte Kleid eines Marktschreiers hüllten, müßten sie im Kampfe um's
Dasein erliegen. Man fasle von Gerechtigkeit, Anerkennung und Humanität.
Dies wären nur schönklingende Phrasen. Wo sei da die Gerechtigkeit, wenn
die Protection mächtiger Gönner die Koryphäen des Wissens schaffe, wo die
Anerkennung, wenn das Verdienst sich zum Fußschemel von Emporkömmlingen
erniedrigen müsse, wo die Humanität, wenn die Gaben nur ostentativ
gespendet würden, um ein Bändchen im Knopfloch zu erhaschen. Werde er nicht
selbst um seines Wissens willen tückisch verfolgt? Suchten ihn nicht die
Schergen der Tyrannei in Geistesfesseln zu schmieden?

Der Graf bezeichnete den Zustand des Patienten als Verfolgungswahn
und machte dann Zerline auf einen Greis aufmerksam, der jammernd und
händeringend sein geraubtes Geld zurückverlangte. Der Irre war ein reicher
Mann gewesen, der sein Vermögen durch den gräßlichsten Geiz gesammelt
hatte. Der Mammon war sein süßester Genuß, sein Alles gewesen. Er verbarg
ihn sorglich vor jedem Menschenauge. So gut verbarg er sein geliebtes Gold,
daß er nach einer Krankheit, die ihm das Gedächtniß raubte, das Versteck
nicht mehr zu finden wußte. Die Verzweiflung raubte ihm den Verstand.

Zerline begann nun aus der Apathie zu erwachen. Die Verrücktheit, die sie
jetzt wahrnahm, war interessant und ihrem Begriffsvermögen zugänglich. Die
fleischlosen Jammergestalten näherten sich den Vorstellungen, die sie sich
vom Wahnsinne gemacht hatte. Da hörte sie jammern, schluchzen, sie sah
Thränen, die ein eingebildeter Schmerz erpreßte. Dies war der Wahnsinn,
den sie künstlerisch darstellen wollte. Es wurde immer interessanter. Jetzt
verlangte gar ein Irrer mit flehender Geberde ihre Geldbörse, und als sie
sein Verlangen erfüllte, da betrachtete er prüfend jedes Geldstück
von allen Seiten und murmelte dann traurig: »Patriciermünzen, nur
Patriciermünzen.« Zuletzt gab er ihr die Börse wieder und entfernte sich
mit gesenktem Haupte. Der Graf erzählte ihr nun, daß der Patient ein
leidenschaftlicher Numismatograph gewesen sei. Eines Tages wäre er von
der Wahnidee befallen worden, er müsse in den Besitz jener Münze gelangen,
welche -- nach einer Mythe -- Zeus jedem Sterblichen bei seiner Geburt vom
Olymp hinabwerfe. Diese gespendete Münze soll nun nach der Wahnidee des
Irren, wenn sie auf das Wappen gefallen sei, einem Plebejer, wenn sie auf
den Kopf gefallen sei, einem Patricier gespendet sein. Der Arme suchte nun
als Plebejer seine vom Sturz aus dem Olymp an dem Wappen beschädigte Münze,
fand aber nach seiner Versicherung nur Patriciermünzen.

Der Graf führte sie nun in ein anderes Gemach, in welchem Zerline einige
Männer in steifer Haltung, mit Brillen auf der Nase, in eifrigem Disput um
einen Tisch herum sitzen sah. Zerline fragte ihren Führer, ob da wohl ein
ärztliches Concilium abgehalten werde. Der Graf bejahte dieses lächelnd und
belehrte sie dann, diese Geisteskranken wähnten sich Sanitätsräthe eines
kranken Staatskörpers und mühten sich ab, dem Patienten, der an einem
Neugebilde laboriren sollte, Hilfe zu bringen. Komisch genug wären die
Heilmethoden, die da versucht werden sollten. Durch die widersinnigsten
Versuche, durch eine Palliativcur wollten sie das Krebsgeschwür
exstirpiren. Auf alle erdenkliche Weise zermarterten sich diese gelehrten
Köpfe das Hirn und keiner fand den Muth, die Schneckenlinie der alten
Therapie zu verlassen. Solch' verzopfte Sanitätsräthe, meinte der Graf,
curiren mit ihren lächerlichen und gefährlichen Experimenten nicht selten
ihren Patienten zu Tode, wenn dessen robuste Natur ihm nicht von selbst
durchhelfe. Als sie einen zweiten Saal betraten, gewahrte Zerline
Geisteskranke, die singend oder weinend auf Lehnstühlen saßen, während
andere in toller Lustigkeit herumsprangen. Das Bild des Wahnsinns wurde
immer ergreifender, düsterer und schauerlicher. Für Zerline ward es immer
interessanter, spannender und, wie sie sich einbildete, für die Kunst
nutzbringend.

Jetzt bezeichnete ihr der Graf einen Greis, dessen Wehgeschrei den Raum
durchzitterte. Zerline erfuhr nun, daß der Arme drei blühende Söhne im
Kriege verloren und aus Schmerz hierüber irrsinnig geworden sei. Nun
folgten vom Grafen bittere Betrachtungen über die Kriegsfurie. Wie die
Gewalthaber es gar nicht berechnen wollten, welches Elend sie durch die
Kriege über die Völker herabbeschwören, wie zu Gunsten Einzelner der
Wohlstand und das Familienglück Tausender vernichtet würde und wie in
unserer Zeit, welcher man Fortschritt und Humanität nachrühme, die Kriege
an Barbarei und Zerstörungswuth die Gräuel der alten Zeit übertreffen. Dies
Alles fand an Zerline keine sehr aufmerksame und theilnehmende Zuhörerin.
Sie konnte es keinem Machthaber verargen, wenn er die Zahl seiner
Untergebenen zu vergrößen suchte. Eroberungsgelüste waren bei ihr, der
allmächtigen Männerbezwingerin, keineswegs verdammlich, wohl aber der
Widerstand der zu Unterjochenden. Alle Mittel waren dann erlaubt, um
den Sieg zu erringen. Nun führte sie der Graf zu den Isolirzellen der
Tobsüchtigen. Ein Wärter schloß die Thüre einer Zelle auf und der Graf
lud Zerlinen zum Eintritt in dieselbe ein. Die Tragödin wurde bleich und
prallte erschreckt zurück. Aus der Zelle ertönte ein wildes Geheul, und
bald antworteten Stimmen, die keinen menschlichen Klang mehr hatten, im
schauerlichen Chor aus den benachbarten Zellen.

Der Graf blickte die Erschreckte befremdet an und meinte dann, ihr fehle
der dem Arzte nöthige Stoicismus. Nun möchte er sie am Cadaver mit dem
Secirmesser manipuliren sehen. Er lud sie ein, ihm in die Leichenhalle zu
folgen und sich daselbst ein beliebiges Object zu wählen. Kalter Schweiß
bedeckte die Stirne Zerlinens. Diese Zumuthung machte ihr das Blut
erstarren. Sie sollte eine Leiche anatomisch zerlegen und in deren Innerem
herumwühlen. Lebende verstand sie wohl meisterhaft in Atome zu zerlegen,
im Herzen ihrer Rivalinnen wußte sie geschickt mit dem Scalpell der Bosheit
herumzuwühlen. Aber Leichen zerstücken, welch' ungeheuerliches Verlangen!
Schon wollte sie ihrem empörten Gefühl Worte leihen, als sie sich noch
rechtzeitig ihrer entlehnten Würde als Fräulein Doctor erinnerte. Jetzt
wollte sie sich der Leitung ihres Führers unter dem ersten besten Vorwande
entziehen, als sie plötzlich ihr Vorhaben aufgab. Der Graf erzählte ihr
nämlich, daß er ihr in der Residenz bei ihren wissenschaftlichen Studien
nützlich werden könne. Sein Vater bekleide eine hohe Stellung bei Hofe und
dessen Haus sei der Sammelplatz aller hervorragenden Vertreter der Kunst
und des Wissens. Durch diese Mittheilung gewann der Graf eine nicht geringe
Bedeutung in ihren Augen. Sie mußte doch trachten, die Zahl ihrer Gönner
in der Residenz zu vergrößern. Dies umsomehr, weil der Director des
Hoftheaters ein starrnackiger Pedant war, der wohl den körperlichen Reizen
der Kunstjüngerinnen Gerechtigkeit widerfahren ließ, solche aber als Ersatz
für künstlerische Leistungen nicht gelten lassen wollte. Den Grafen
mußte sie also gewinnen, um sich durch seine Fürsprache den Schutz seines
mächtigen Vaters zu sichern. Der Plan hiefür war von Zerline in einem Nu
entworfen und ohne Zögern schritt sie zu dessen Ausführung. Sie betrachtete
nun aufmerksam den Grafen. Er war kein übler Mann. Sie wunderte sich, daß
sie dies so lange übersehen hatte. Der Drang des Wissens, die Liebe zu
ihrer Kunst hatten dies schier Unglaubliche bewirkt. Sie überblickte nun
den Raum, in welchem sie sich befanden. Es war dies ein öder, endlos
langer Corridor. Vor Störung war man da sicher. Nun begann die kundige
Männerbezwingerin alle Brandraketen aus ihrem Arsenal gegen ihr argloses
Opfer loszufeuern. Mörderische Blicke, süßes Lächeln, sanfte Händedrücke,
berauschende stumme Verheißungen bombardirten das leicht entzündliche Herz
des armen Grafen. Was Wunder also, daß der Ueberfallene der unvermutheten
Attaque nicht zu widerstehen vermochte. Als noch zuletzt die geübte
Strategin einen ihrer harmonischen, reizenden kleinen Schreie wie
ersterbend hinhauchte und von einem plötzlichen Schwindel befallen einen
Stützpunkt suchte und diesen Stützpunkt in den Armen des Grafen fand, da
stimmte sie schon innerlich eine Siegeshymne an. Einige Augenblicke spielte
sie die Bewußtlose, dann zeigte sie durch einen melodiösen Seufzer die
Wiedererstarkung ihrer Nerven an. Ein süßer Blick und ein zarter Händedruck
belohnten den Retter in der Noth. Da riß sich dieser plötzlich von ihr los
und starrte sie mit unheimlich funkelnden Augen an.

»Nur einmal durfte mich ein Weib betrügen,« murmelte er und fuhr sich zu
wiederholten Malen mit der Hand über die Stirn. Nach wenigen Augenblicken
errang er seine Fassung wieder und zeigte ihr in höflichem, kaltem Tone an,
daß der Rundgang in der Herrenabtheilung zu Ende sei. Die Räume, welche
die weiblichen Irren bewohnten, durfte er nicht betreten. Aergerlich und
gedemüthigt hörte Zerline kaum, wie er ihr die Oberwärterin, welche nun das
Führeramt übernehmen sollte, als eine alte Klatschbase schilderte, die
sich einbilde ärztliches Wissen zu besitzen und die alle bei Fachmännern
gebräuchlichen Ausdrücke bis zur Unkenntlichkeit verstümmle. Als nun auf
sein Pochen die Oberwärterin die Thüre, welche zur Frauenabtheilung führte,
von innen öffnete, empfahl er ihr eindringlich die Wissbegierde eines
weiblichen Arztes zu befriedigen, ohne jedoch die verstümmelten Mißgeburten
ihrer Arzneikunde an's Tageslicht zu fördern. Die Oberwärterin warf ihm
einen Blick zu, der gekränktes Ehrgefühl, selbstbewußte Würde und auch ein
klein wenig Geringschätzung ausdrückte und schloß hinter ihm die Thüre.




Margarethe, die Oberwärterin, ein wohlbeleibtes Weib mit gutmüthigem
Gesichte, stellte sich dem Fräulein Doctor als gehorsame Dienerin zur
Verfügung. Sie versicherte, vor Freude bis in den Himmel zu wachsen,
wenn sie eine Frau als gestudirten Doctor leibhaft vor sich sehe. Die
aufgeblasenen Mannsbilder trügen die Nase gar so hoch. Nun wäre aber
die gesegnete Zeit gekommen, wo sie einsehen müßten, daß das Weib ebenso
gescheit wäre wie diese Herren Allesmir. Auch die alte Margarethe wäre ein
Doctor geworden, sie hätte das Zeug dazu, aber man habe sie leider nicht
gestudiren lassen.

Zerline schenkte diesen Worten nur geringe Aufmerksamkeit. Ihren Aerger
über die zweifache Niederlage, die sie in der Anstalt erlitten, die
Vernachlässigung des Priesters und der Widerstand des Grafen, vermochte
sie nicht so bald zu unterdrücken. Zuletzt tröstete sie sich aber mit dem
Gedanken, daß der Graf früher oder später zu ihren Füßen liegen müsse.
Welch' starre Felsenherzen waren vom Glutblicke ihres Feuerauges zu weichem
Wachs geworden, und dieses Gräflein sollte ihr widerstehen? Unbezwingbar
war er nicht, dafür hatte sie Beweise. Wenn er sie nur erst als die
gefeierte Zerline in ihrem reizenden Boudoir sehen würde, dann --. Diese
Siegesgewißheit verscheuchte bald die Wolken des Mißmuthes von ihrer
schönen Stirne. Sie wendete nun ihre Aufmerksamkeit der redseligen
Oberwärterin zu. Bald begann sie sich in deren Gesellschaft wohl und
behaglich zu fühlen. Mit Margarethe durfte sie ohne Furcht, aus der Rolle
des Fräulein Doctor zu fallen und ihre Unwissenheit zu demaskiren, nach
Herzenslust reden, wie sie es verstand. Sie war nun frei und ungezwungen.
Der erste Gebrauch, den sie von dieser köstlichen Errungenschaft machte,
war selbstverständlich um eingehende Erkundigungen über den widerspänstigen
Grafen einzuholen. Die Auskunft, die ihr ward, brachte sie einer wirklichen
Ohnmacht nahe. Der Graf sei ein Patient der Anstalt, berichtete Margarethe.
Durch eine Komödiantin, die er zu seiner Gräfin erhoben, grausam
hintergangen, sei er aus Gram irrsinnig geworden. In einem Wuthanfalle
habe er die Ehebrecherin ermordet. Man fand ihn im Herzen der Todten
herumwühlend, um da zu erforschen, ob die Liebe, die sie ihm geheuchelt,
wirklich nur Lug und Trug gewesen sei. Für jetzt sei er harmlos, nur
das schreckliche Gelüste, in Leichen herumzuwühlen, sei bei ihm nicht
auszurotten. Immer sei er in der Leichenkammer zu finden, allerlei
gelehrten Krimskrams führe er im Munde und seine wunderlichste Einbildung
sei, nur er verstehe die Arzneikunde und nur er wäre der Obergott aller
Doctoren.

Zerline war, wie schon erwähnt, einer wahren und wirklichen Ohnmacht nahe.
Ihr Riechfläschchen und ein Glas kaltes Wasser, welches Margarethe,
durch ihre Blässe erschreckt, eiligst herbeischaffte, machten erst ihre
Lebensgeister wieder erstarken. Entsetzlich, einen Geisteskranken hatte man
ihr zum Führer in der Behausung des Schreckens gegeben. Jetzt erst ward
ihr das sonderbare Reden und das seltsame Benehmen des verrückten Grafen
erklärlich. Ihr Zorn kehrte sich nun gegen den Oberwärter, der sie aus
purer Bosheit dieser Gefahr preisgegeben hatte. Margarethe gab sich
alle Mühe, die Aufgeregte zu beruhigen. Sie versicherte, daß in allen
Irrenanstalten Kranke, welche alle äußeren Zeichen der Verrücktheit
abgelegt haben, zu Diensten aller Art, ja sogar zur Pflege anderer Kranken
verwendet würden. Die letzte Versicherung rief einen neuen Schreck bei der
Geängstigten hervor. Wie leicht war es möglich, daß Margarethe zu diesen
verrückten Pflegern zählte. Die Angst prägte sich so leserlich auf dem
Antlitz Zerlinens aus, daß Margarethe sofort den Verdacht errieth. Die gute
Oberwärterin suchte die Furchtsame durch alle erdenklichen Beweisgründe von
ihrer Zurechnungsfähigkeit zu überzeugen. Nach vieler Mühe gelang ihr dies
endlich, und Zerline vertraute sich ihrer Leitung an. Margarethe begab sich
nun mit ihr in den Conversationssaal der zweiten Classe. Hier saßen
Frauen verschiedenen Alters, mit Lectüre, Handarbeit und auch mit Musik
beschäftigt. Nach der Versicherung der Oberwärterin verbrachte die Mehrzahl
dieser armen Irren ihre Zeit in der Anstalt viel angenehmer und nützlicher,
als sie es je in ihrem Heim gethan. »Mein Herzchen, wie weit bist du mit
der Arbeit?« frug Margarethe ein junges Mädchen, welches mit Charpiezupfen
beschäftigt war, worauf die Irre in klagendem Tone den Namen Egon murmelte.
Margarethe erzählte nun Zerlinen, wie dies das einzige Wort sei, das ein
Menschenkind von dem kranken Lamm zu hören bekomme, es sei dies der Name
des Gewissenlosen, der das arme Kind in's Unglück gestürzt habe. Nun
bezeichnete sie ein altes Weib als vom Wahne ergriffen, in jeder Speise
Nadeln zu finden, eine zweite Kranke bilde sich ein, man wolle sie
vergiften, und nur mit Mühe gelinge es, den armen Närrinnen Nahrung
einzutrichtern. In ein Nebengemach tretend erklärte die redselige
Oberwärterin, auf eine Patientin weisend, sie leide an »Halunkationen«,
dieses junge Herzchen sei ein »Migroköpsalus«, ein Ohnehirn, und der
wandelnde Flaschenkürbis, der heranrolle, sei eine Komödiantin. Diese
Lärmtrommel würde sich schon allein präsentiren. Ihr Mundwerk gehe wie
auf Rädern, die Thränenpumpe sei in ewiger Bewegung, Ach und Weh habe sie
schockweise und Alles sei Lug und Trug. Sie, Margarethe, habe eine Wuth
gegen diese Komödiantenweibsbilder, die halbnackt und mit Flitter behängt
sich von den Mannsbildern begaffen lassen. Ihr Ferdi wolle ihr wohl
einbilden, diese Komödiantenweiber seien nicht so schrecklich, aber sie
wisse wohl, wie viel die Glocke geschlagen habe.

Zerline überhörte die schmeichelhaften Worte, welche Margarethe ihren
Berufsgenossinnen spendete, ihre Aufmerksamkeit war jetzt einer Person
gewidmet, die, mit verblaßten Theaterflittern aufgeputzt, das aufgedunsene
Gesicht mit einer dicken Schminkenschichte überstrichen, auf sie zuwackelte
und in Thränen zerfließend sich zu ihren Füßen warf.

»Sie gehören sicherlich nicht zu den Barbaren, die sich an den Zuckungen
des menschlichen Herzens ergötzen,« rief die Irre die Hände ringend. »Sie
werden mich retten, mich, das unglückliche Opfer der schändlichsten Cabale,
Sie werden meine Wehschreie, die in diesen schrecklichen Mauern ungehört
verhallen, zu den Ohren der Gerechtigkeit bringen und mich vor Wahnsinn
oder Selbstmord bewahren. Ja, vor Wahnsinn und Selbstmord, denn ich bin
auf dem Wege, der dahin führt. Belehren Sie die Gerechtigkeit, daß meine
herzlosen Kinder mich aus schnöder Geldgier hier gefangen halten.« Dies und
Aehnliches brachte sie schluchzend hervor, ihren Augen entstürzten bittere
Thränen, ihr Körper bebte unter der Wucht erdrückender Gefühle und es
war sichtbar, daß die Gebilde ihres kranken Geistes ihr herben Schmerz
bereiteten. Die Gebilde ihres kranken Geistes -- denn Margarethe
versicherte Zerlinen, daß die verlogene Komödiantin kein wahres Wort rede,
sie habe ebensowenig Kinder geboren, wie die Fahrstraße ein Blumengarten
sei. Sie nehme sich Komödiantengewinsel nie zu Herzen, denn sie wisse, was
dies werth sei. Die Oberwärterin führte dann den gestudirten weiblichen
Doctor durch viele Räume, erzählte die Krankengeschichten der Irren mit
ermüdender Weitschweifigkeit und ließ keine Gelegenheit unbenützt, um
fremde Worte durch komische Verrenkungen entstellt anzubringen. In einem
Corridor angelangt bemerkte sie, hier wären die Wohnzimmer für die Kranken
der ersten Classe. Die Reichen hätten krank oder gesund, lebend oder todt,
immer das Beste auf dieser Welt. Der Pater Josefus versichere wohl, dem
Armen gehöre das Himmelreich; darauf gebe aber der Bäcker kein Brod. Sie
nahm eine Prise und schlug den Deckel der Tabaksdose heftig zu. In Nr. 85
wohne eine Gräfin, ein Kobold an Bosheit, berichtete sie dann weiter.
Eine Zunge habe die wie ein scharfgeschliffenes Messer. Seitdem sie in
die Anstalt gekommen, sei Alles aus Rand und Band. Sie sei von einer Wuth
besessen, Vereine zu schaffen und Vorträge zu halten, und habe mit ihrer
Tollheit viele kranke Lämmer in reißende Wölfe verwandelt. Da würden
beständig Sitzungen abgehalten, bei denen die Gräfin als Präsidentin das
große Wort führe, da werde ein gelehrter Krimskrams zusammengedroschen,
daß Einem der Kopf summe und brumme. Der Präsidentin stehe eine Partei
feindlich gegenüber, an deren Spitze sich eine Sozinalkroatin befinde, eine
schreckliche Person, die just Alles von oberst zu unterst kehren wolle, um
gefrorenes Feuer und brennendes Eis zu haben. Sie, Margarethe, habe gegen
die Sozinalkroatinnen eine ähnliche Wuth wie gegen die Komödiantinnen.
Diese Weibsbilder verlangen, es sollte alles Mein und Dein aufhören. Wenn
es nach dem Sinn dieser Tollen ginge, so hätte jede einen Theil an ihrem
Ferdi. Auch einige Emanzipandlerinnen wären bei diesen Sitzungen und hätten
nicht die wenigsten Raupen im Hirn. Nicht daß sie, Margarethe, gegen das
Emanzipandeln einzuwenden hätte, im Gegentheil, sie wäre stets bereit das
Recht der Frauen mit Mund und Faust gegen die Mannsbilder zu vertheidigen.
Aber was zu viel, sei zu viel. Der Himmelvater sei an dem Unrecht, daß die
Mannsbilder Alles an sich gerissen haben, unschuldig wie ein neugeborenes
Kindlein und deshalb dürfe ihm kein Haar gekrümmt werden. Wenn das Weib dem
Herrn Obenaus beweisen wolle, daß es ebenso viel Verstand zum Gestudiren
habe wie sie, das lasse sie sich gefallen, aber den Herrgott aus dem Himmel
und den Gottseibeiuns aus der Hölle dürfe das Weib nicht vertreiben. Es
sei eine Sünde an alle die Gottlosigkeiten des ruchlosen Tarfin zu glauben.
Haarsträubende Dinge habe eine Emanzipandlerin bei der letzten Sitzung
von diesem Tollen erzählt. Er verstehe alle lebenden, kranken und todten
Menschensprachen und auch die Sprache vom lieben Vieh. Durch das liebe
Vieh habe er nun erfahren, daß unsere Großeltern wahre und wirkliche
Affen gewesen wären. Margarethe sei fast vom Schlag getroffen worden, so
niederschmetternd habe diese Schreckenskunde auf sie gewirkt, denn die
Tolle wisse ihren Unsinn so vernünftig vorzutragen, daß man schier meine,
es spreche der Herr Director zu den Gestudirten. Sie waren jetzt an
der Thüre eines Saales, aus welchem ihnen lautes Reden entgegen tönte,
angelangt.

»Schon wieder eine Sitzung,« knurrte die Oberwärterin und öffnete die
Thüre. In der Mitte des Saales saß vor einem mit Papieren bedeckten Tische
eine großgewachsene Frau mit schwarzen, funkelnden Augen und mit einem
unzarten Anflug um die rothen, fleischigen Lippen. Ihr zur Seite gewahrte
Zerline eine welke Gestalt mit wasserblauen Augen und flachsblonden
Schmachtlocken. Laut schwatzend und gesticulirend saßen Frauen in
verschiedenen Gruppen. Kraus und bunt schwirrten die Stimmen durcheinand
und machten es unmöglich, die Worte, die Margarethe an die Vorsitzende
richtete, zu vernehmen. Das Glockenzeichen der Präsidentin machte erst Alle
verstummen. Die Oberwärterin erbat nun für einen gestudirten weiblichen
Arzt die Erlaubniß, der Sitzung beiwohnen zu dürfen. Dies Ersuchen
wurde von der Vorsitzenden erst nach langem Bedenken und mit nicht sehr
freundlicher Miene gewährt. Margarethe schob nun für Zerline einen
Sessel nahe dem Ausgange zu und begann ihr die Mitglieder der Sitzung zu
bezeichnen. Die Gruppe zur Rechten waren die Vereinsnärrinnen, die treuen
Anhängerinnen der Präsidentin, die Gruppe zur Linken die Sozinalkroatinnen,
die in der Mitte die Emanzipandlerinnen. Die schattenhafte Gestalt neben
der Präsidentin bezeichnete Margarethe als Fräulein Rosalinde Zimperling,
eine alte, versauerte und vertrauerte Jungfer, voll Falschheit, Bosheit,
Tücke, Neid, Schwatzhaftigkeit, Gefallsucht und Putzsucht. Sie häufe allen
möglichen Spott und die bitterste Verunglimpfung mit Schrift und Wort auf
die Emanzipandlerinnen, versicherte die Oberwärterin und zweifelte auch
nicht, daß Zerline bald erstaunen werde, wie solch ein mageres Gefäß so
viel Gift enthalten könne.

»Fahren Sie in Ihrem Vortrage fort, Fräulein Nani,« rief jetzt die
Vorsitzende mit einer Stimme, die alle Fensterscheiben klirren machte.

Ein junges, schönes Mädchen zur mittleren Gruppe gehörend, erhob sich und
begann mit wohlklingender Stimme:

»Meine freundlichen Zuhörer! Ich will Ihnen nun klar darthun, daß alle
diese Sophismen nur dazu dienen, um den menschlichen Geist =ad absurdum=
zu führen. =Cogito, ergo sum!= Welcher Unsinn! Ich esse, trinke und bewege
mich, ist viel richtiger gesagt, denn dieser Beweis ist jedenfalls viel
sicherer geliefert durch den Hinweis auf Dinge, die der realen Welt
entstammen und unseren Sinneswahrnehmungen zugänglich sind, als durch den
auf das Denken, der Mutter der Phantasie, die selbst ein Trugbild uns nur
Trugbilder vorgaukelt. Möge der Mensch sich das Ebenbild des Weltgeistes
nennen, möge er das Denken als ausschließliches Privilegium reclamiren und
seinen Stolz dareinsetzen alleiniger Besitzer desselben zu sein, es ist
für die Existenz keine =conditio sine qua non= und bleibt somit nur ein
unwesentliches Attribut derselben. Wie traurig ist es überhaupt damit
bestellt! Der Gedanke entsteht nicht in uns, wir können ihn nicht nach
Willkür hervorzaubern oder bannen, er wird uns von außenher aufoctroyirt,
beherrscht uns gegen unseren Willen, wir sind nicht sein Herr, sondern
Sclave desselben, und darum bleibt es noch immer zweifelhaft, ob das Denken
ein schönes, erhabenes Besitzthum, ob es die Quelle des Glückes und der
Zufriedenheit, oder nicht vielmehr die alles Unheils und menschlichen
Elends sei.« Hier machte die Sprecherin eine Pause und labte sich mit
einem Schluck Wasser. Das Auditorium setzte alsbald die Sprachwerkzeuge
in Bewegung, um sich für die bis nun auferlegte Enthaltsamkeit möglichst
schadlos zu halten. Das Glockenzeichen und der Befehl, Fräulein Nani möge
in ihrem Vortrage fortfahren, durch die gefürchtete Präsidentin gegeben,
stellte sofort die Ruhe wieder her. Margarethe versicherte Zerlinen, Nani
spreche gottvoll, aber wie sollte sie ihren Verstand nicht verloren haben,
wenn solche grausliche heidnische Worte in ihrem armen Schädel spukten.

»Wie manche herbe Stunde, wie manche grausame Marter wäre uns erspart, wenn
wir uns dieses geistigen Joches entledigen könnten,« fuhr Nani in ihrem
Vortrage fort. »Vergebens suchen wir unsere Gedanken zurechtzusetzen,
oder ihnen eine uns beliebige Richtung zu geben. Der Impuls von außen ist
gegeben, und keinem andern Gedanken Raum gebend, zuckt es wie Blitz auf
Blitz in unserem Hirn und wieder und immer wieder wird der Gegenstand
beleuchtet, den wir in Nacht und Dunkel begraben möchten.« Die letzten
Worte sprach sie mit bebender Stimme, ihr Blick wurde trüb und umflort,
dann preßte sie die Hände an die Brust und brach in krampfhaftes Schluchzen
aus.

»Eine schöne Bescherung! Jetzt verfällt sie in ihren Praxismus,« knurrte
die Oberwärterin und befahl einer ihrer Untergebenen die aufgeregte Kranke
in ihre Wohnstube zu führen. Dann wendete sie sich an Zerline und belehrte
sie, daß die arme Nani ihren jammervollen Zustand einem Mosje Ohneherz
verdanke. Für die Herren Allesmir sei eine gestudirte Frau Zacherls
Schabenpulver, deshalb habe der Mosje, dem sie ihr Herz zugewendet, der
Armen eine Mamsel Ohnehirn vorgezogen.

»Die Närrin sollte nie zu einem Vortrage zugelassen werden,« eiferte die
schmachtlockige Rosalinde. »Das Denken nennt sie ein geistiges Joch, die
Quelle alles Elends. Gibt es ein schöneres, erhabeneres Recht für die
Menschheit als das Denken? Der Gedanke ist nur dann verwerflich, wenn
gewisse Personen ihn zu thörichten und verwerflichen Zwecken mißbrauchen.«
Ein verächtlicher Blick wurde jetzt der mittleren Gruppe zugeschleudert.

Die Glocke der Präsidentin ertönte bald wieder. Es wurde Fräulein
Rosalinden das Wort ertheilt.

»Na, da werden wir was Schönes zu hören bekommen,« flüsterte die
Oberwärterin Zerlinen zu. »Dieses Reibeisen schindet immer die armen
Emanzipandlerinnen bis auf's Blut.«

Rosalinde begann nun mit schriller, kreischender Stimme eine geharnischte
Rede gegen die furchtbarste Geißel der Jetztzeit, gegen die streitwüthigen
Amazonen loszudonnern. Sie versicherte, nichts sei diesen Zerrbildern,
diesen Unnaturen heilig. Das Edelste, Erhabenste werde von ihnen begeifert,
verspottet, verlästert und in den Koth gezogen. Alle weiblichen Tugenden
würden von ihnen lächerlich gemacht, alles Ehrwürdige mit Füßen getreten.
Sie reden der Schamlosigkeit, der Frechheit, der Gottlosigkeit das Wort und
wollten das Frauengeschlecht demoralisiren und zur frechsten Verhöhnung
der göttlichen und menschlichen Gesetze aufstacheln. Da nun das Gesetzbuch
leider keine Strafe für diese Ruchlosigkeiten habe, da man diese
Verbrecherinnen nicht, wie sie es verdienen, mit dem Schwerte des Rechtes
ausrotte, da man ihnen nicht die verleumderischen Zungen ausreiße, die
räuberischen Hände nicht abhaue und sie nicht wie giftige Schlangen
zertrete; so erhalte sie, Rosalinde, ihre Behauptung aufrecht, daß man
dieses schändliche Treiben nicht länger dulden dürfe. Mit Wort und Schrift
müsse man gegen dies vielköpfige Ungeheuer kämpfen. Deshalb stelle sie den
Antrag, daß alle ihre Mitschwestern, alle wahren Hüterinnen des Palladiums
der Weiblichkeit, sich bei der Gründung ihres proponirten Blattes
betheiligen sollten. Dies Blatt sollte »der Feuerbrand« heißen und dadurch,
nur dadurch würde die verderbliche Hydra ausgerottet werden. Dies Blatt
mit den dazugehörigen Illustrationen werde sie ihren Gesinnungsgenossinnen
sofort zur Einsicht unterbreiten. Der hohe Zweck desselben sei, durch
sprühenden Witz und niederschmetternde Beweiskraft allen Uebergriffen der
weiblichen Demagogie zu steuern und sie mit der Knute der Lächerlichkeit in
die angewiesenen Schranken zurückzujagen.

»Die maustolle Trude. Da werden wir etwas Apartes zu hören bekommen,«
knurrte die Oberwärterin, den Deckel ihrer Tabaksdose heftig zuklappend.
Zerline ihrerseits unterdrückte mühsam ihr Gähngelüst.

Inzwischen hatte Rosalinde ein Papier entrollt und begann den »Feuerbrand«
gegen die weiblichen Unnaturen zu schleudern. Das erste Bild, erklärte sie,
sei der emancipirte weibliche Arzt am Secirtische. Die ungraziöse Gestalt
in halbmännlicher Kleidung, das kurzgeschorene Haar, die Cigarre im
Munde, die Aermel aufgestreift, die blutbefleckte Hand mit dem Secirmesser
bewaffnet, habe nichts Weibliches mehr an sich. In dem Blicke, den sie
starr auf das bloßgelegte Herz eines weiblichen Cadavers gerichtet habe,
male sich weder Scheu noch Gemüthsbewegung, der Blick drücke nur ein tiefes
Erstaunen über eine entdeckte Abnormität aus, die sie bei allen Cadavern
von emancipirten Frauen entdecke, die Abnormität sei, Atrophie des Herzens.

Die Oberwärterin machte ihrer Entrüstung durch einen neuen energischen
Klaps auf den Deckel der Tabaksdose Luft und blickte dann erstaunt
auf Zerline, die zu ihrer Bonbonnière Zuflucht genommen hatte, um das
Gähngelüst zu bewältigen. Der gestudirte weibliche Doctor blieb ruhig bei
den boshaften Ausfällen der mageren Giftblase. Margarethe konnte diese
Gelassenheit nicht begreifen.

Jetzt erklärte Rosalinde das zweite Bild. Dies veranschaulichte den
weiblichen Staatsanwalt, der in der jugendlichen Verbrecherin, die vor
den Schranken des Gerichtes erscheint, die eigene Tochter erkennt. Bis auf
diese Stufe der moralischen Verkommenheit war das Kind durch den Mangel an
Aufsicht von Seite der emancipirten Mutter angelangt. Nun kam Rosalinde
zum dritten Bild, welches die moderne Philosophin skizzirte. Diese saß vor
einer verschwenderisch besetzten Tafel und hielt einen schäumenden Pocal
in Händen. Das rothe, aufgedunsene Gesicht, der stiere Blick und die
verschobenen Kleider zeigten von einer emancipirten Ausschreitung und der
sinnliche Mund stammelte: »=Ede, bibe, lude, post mortem nulla voluptas.=«
Das vierte und letzte Bild zeigte die Zukunftstheologin auf der Kanzel. Der
Text ihrer Predigt war die Darwinsche Theorie und die freie Liebe. »Dies
ist das trostreiche Zukunftsbild der weiblichen Demagogen, zu solchen
Ausschreitungen wird sie ihr unnatürliches Gelüste treiben,« schloß
Rosalinde ihren Vortrag.

Ein verkrüppeltes Wesen mit wirrem, struppigem Haar wackelte jetzt auf
Rosalinde zu und declamirte aus einem Volksliede:

  »Wann d' Papageien Concerte geb'n
  Und d' Affen a Soirée,
  Die Schwalben man füttert mit Ziweb'n,
  Und die Wanzen mit Kaffee
  Und der Bandlwurm a Seiden spinnt,
  Der Esel Eisschuh schleift
  Und die Leut' auf'n Kopf gar stehen,
  Wird dös a g'schehen.«

Rosalinde stieß sie unsanft von sich und wendete sich zu ihren
Anhängerinnen, deren Gratulationen und Beifall ihr im vollsten Maße zu
theil wurde. Die Wuth ihrer Widersacherinnen machte sich durch Zischen
und Schmähungen Luft. Zu diesen gehörte selbstverständlich auch die
Oberwärterin.

»Erhebt sich denn gar keine Hand, um diesem Krokodil die Zähne
auszubrechen,« knurrte sie, eine Faust im Sack machend. »Die Giftblase
spielt jetzt die erste Geige. Wenn ich gestudirter Doctor wäre, sollte
sie einen Denkzettel kriegen, den sie sicherlich nicht hinter den Spiegel
stecken würde. Das boshafte Weibsbild scherwenzelt um die Herren Allesmir
und gönnt den armen Emanzipandlerinnen nicht das bischen Freiheit, weil
sie mannstoll ist und durch ihre Kriecherei die Männer erobern möchte. Ihre
Krankheit ist ja die Manonymphie, die Mannsucht.«

Die linke und mittlere Gruppe waren in zorniger Aufregung. Sie schrien
und kreischten und gesticulirten, während Rosalinde, um die sich ihre
Anhängerinnen geschaart hatten, höhnisch auf ihre Widersacherinnen
herabsah.

»Frau Pelten will reden. Na, die wird der Viper kein Kleingeld auf ihre
Münze zurückgeben,« murmelte Margarethe, sich vergnügt die Hände reibend.

Eine stattliche Frau nahm jetzt das Wort. Sie versicherte, daß die
Geistesschärfe und Logik, mit denen die drastischen Bilder entworfen wären,
der Spenderin dieser kostbaren Geistesperlen einen unvergänglichen Ruhm
sicherten. Solch edle Selbstlosigkeit im Kampfe für Weiblichkeit
und Frauenwürde könne wahrlich nur das gefühlvolle Herz einer nicht
emancipirten Frau beseelen. Das Für und Wider der Frauenemancipation wolle
sie hier nicht erörtern, dies sei eine Frage der Zeit. Die Zukunft werde
lehren, ob dies wirklich ein göttliches und natürliches Recht wäre, daß das
Weib allein unverrückbar an einem Standpunkte geschmiedet bleiben
solle. Nur dies bleibe ihr dunkel, warum die Hüterin des Palladiums der
Weiblichkeit behaupte, daß die Aufklärung, und das Streben nach Freiheit,
alle zarten Blüthen der Gefühlswelt entwurzelten. Diese hätten ja erst die
köstlichsten Blüthen zur Entwicklung gebracht. Die Aufklärung, das Denken
über Menschenrechte und Menschenwürde könnten der Weiblichkeit nicht
Abbruch thun und seien nicht gottlos. Die Menschenvernunft sei ja ein
Ausfluß der Gottesvernunft und daher ihr ähnlich, sie sei das Organ des
Verständnisses mit Gott, der Impuls zur wahren Erkenntniß und der Wegweiser
zur reinen Religion. Die Erweiterung des geistigen Horizontes, der
Fortschritt und die immerwährende Weiterentwicklung der Menschheit, bis sie
die Vollendungsstufe erreiche, dies sei ja der wahre Gottesgedanke.
Warum sollte also das urewige Wesen dem Weibe den göttlichen Funken, den
Verstand, gegeben haben, wenn man von ihm nur stumpfe, sterile Gläubigkeit
fordert? Sollte das große, gütige Wesen verlangen, daß die Frau nicht
denke, nicht nach Freiheit, nach Selbstständigkeit strebe, daß sie nur an
die höhere Befähigung und Einsicht, an die Erhabenheit und Oberhoheit des
Mannes blindlings glaube? Dies sei das ungerechteste Verlangen, das je
einem Menschenhirn entsprang, denn göttlich sei sein Ursprung nicht. Der
mächtige Weltgeist verbiete keinem vernunftbegabten Wesen das Joch der
Vorurtheile abzuschütteln, die Bande, welche den Geist umwinden und ihn
stumpf und unfähig machen, zu sprengen. Er gebiete den Aufschwung zum
Menschenrecht und das Emporstreben zur Freiheit.

Margarethe schüttelte unzufrieden den Kopf. Dies war, wie sie Zerlinen
zuflüsterte, die Antwort nicht, die sie dem Giftpilz gegeben wissen wollte.
Wie Taubeneier groß sollten Hagelkörner dicht über das schuldige Haupt
daniederschmettern, und da kam ein leichter Regenschauer mit Rosenwasser
parfümirt. Zu Rosalinde müßte ein scharfzüngiges Höckerweib reden und nicht
Frau Pelten, eine berühmte Bücherschreiberin. Zerline erhob sich nun von
ihrem Sitze. Die Abhandlungen =pro= und =contra= Emancipation waren ihr
herzlich gleichgiltig. Ein gescheites Weib, dachte sie, benöthigt keine
officielle Anerkennung seiner Rechte. Es weiß die eingebildeten Obergötter
in demüthige Sclaven umzuwandeln. Sie fand selbstverständlich kein
Interesse an diesem Wahnsinn, der sich so vernünftig geberdete, und bat
Margarethe sie zu Geisteskranken zu geleiten, die ihre Verrücktheit nicht
mit dem Gewande der Vernunft bekleideten. Schon wollte die Oberwärterin
ihren Wunsch erfüllen, als eine ältliche Frau mit markirten Zügen das Wort
verlangte.

»Die Sozinalkroatin will reden,« rief Margarethe aufjubelnd. »Na, da kommt
es gesalzen und gepfeffert. Ich habe gegen die Sozinalkroatin eine Wuth,
wenn sie aber dem Kratzeisen da die Zähne stumpf macht, will ich es ihr
nicht vergessen.« Sie bat nun Zerlinen noch eine Weile sich zu gedulden, um
die Genugthuung zu haben, die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen,
wenn die scharfen Krallen der Sozinalkroatin sich in ihr Gerippe einbohren
würden. Während die Präsidentin die Ruhe bei dem wildaufgeregten Auditorium
herzustellen suchte, berichtete Margarethe Zerlinen, daß Frau Pelten, die
berühmte Bücherschreiberin, bald die Anstalt verlassen würde. Sie sei
vor Gram tiefsinnig gewesen, weil ihr Gatte, ein gewissenloser, dummer
Ohnehirn, die gebildete Frau schrecklich mißhandelt und ihr sogar unter
dem Vorwande, sie habe durch das Bücherschreiben den Verstand verloren,
die Erziehung ihres Töchterchens entzogen habe. Nun sei sie von ihm los
und ledig, sie sei von ihm gesetzlich geschieden und könne nach Herzenslust
berühmte Bücher schreiben. Die Sozinalkroatin bilde sich ein, fuhr sie
dann fort, sie sei dazu berufen, die Ordnung auf der lieben Gotteswelt
herzustellen und deshalb wolle sie Alles zu gemeinem Gut machen. Sie habe
Margarethen erklärt, Alles müsse Allen gehören. Ihr Mund sei ein feuriges
Schwert, versicherte die Oberwärterin, und die mustergiltigste Feuerwehr
würde sich vergeblich anstrengen diesen Höllenbrand zu ersticken.

Inzwischen hatte das Wortgefecht wieder begonnen. Die Glocke der
Präsidentin und ihre eindringliche Stimme hatten sich endlich Gehör
verschafft.

»Auch ich will ein Bild entwerfen,« rief die Sprecherin, »ein
wahrheitgetreues Bild von den Hüterinnen des Palladiums der Weiblichkeit
und auch von ihrer Anführerin, der giftgeschwollenen Natter, die feig in
die Ferse sticht und die an Bosheit, Heuchelei, Arglist und tückischen
Ränken alle ihre Anhängerinnen überflügelt.«

»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde zornglühend.

»Warum nicht gar,« rief die Oberwärterin, die Hände in die Seiten stemmend.
»Was Einem recht, muß dem Anderen billig sein. In unserer Anstalt darf
jeder frei von der Leber weg reden. Wer nicht hören will, kann gehen.«

Die dünne, lange Gestalt Rosalinde's zitterte vor Wuth. Ihr grimmig
funkelndes Auge starrte bald die Oberwärterin, bald die Socialdemokratin
mit unsäglichem Haß an.

Die Rednerin begann nun eine drastische Schilderung dieser Kämpferinnen
für die das Gemüth verfeinernde, verschönernde, veredelnde Weiblichkeit zu
entwerfen. Als Mädchen, versicherte sie, blieben diese zarten Naturen Jahre
hindurch bei der Zahl »zwanzig« stehen und erst wenn sie plötzlich unter
den Augen gewisse ominöse Linien entdeckten, wenn der Teint gelb wie eine
langgebrauchte Messerscheide würde, wenn das Haar sich zu lichten beginne
und indiscrete Silberfäden auftauchten, erst dann entschließen sich die
zarten Lianen den ersten besten Stock als Stütze zu nehmen und die Stufen
der »Fünfundzwanzig« zu erklimmen. Als verheiratete Frauen klammern sie
sich mit verzweifelter Anstrengung an die Zahl »dreißig«, drücken einen
unüberwindlichen Abscheu gegen das barbarische Mittelalter aus und wollen,
o seltsamer Widerspruch! doch nicht fortschreiten, ja sie bestreben sich
sogar Rückschritte zu machen. Sie leben so lange im Wahne, daß sie glauben
machen, was sie glauben machen wollen, bis die Nemesis in Gestalt mannbarer
Töchter sie zur grausamen Wirklichkeit zurückführe. Solch sprechende
Beweise vermögen sie nicht mehr hinwegzudisputiren. Nun höre wohl der Kampf
gegen den schonungslosen Saturn auf und sie singen endlich ihrer längst
dahingeschiedenen Jugend das =requiescat in pace=. Dafür aber nehmen
sie bei der ersten Condolenzvisite des Alters sofort von all' dessen
Privilegien Besitz und werden augenverdrehende Frömmlerinnen und
Jüngerinnen der Medisance. Als Lady Tartuffe, die vom Scandal zum Sacrament
gegriffen, verstehen sie es meisterhaft ihre Antecedentien mit dem
Deckmantel der Heiligkeit zu drapiren und mit gegen Himmel gerichteten
Blicken über die Verderbtheit der Menschheit zu jammern. Als Jüngerinnen
der Medisance wären sie ein furchtbares Tribunal. Wehe den Unglücklichen,
die der Macht dieser Cannibalinnen anheimfielen. Jugend, Schönheit,
Talent, Edelsinn, Hochherzigkeit wären da verdammenswerthe Verbrechen,
die mitleidlos geahndet würden. Um vor der Verfolgungswuth dieser Harpien
gesichert zu sein, müsse man die höchste oder niederste Stufe auf der
socialen Leiter einnehmen. Wer nicht gefürchtet oder übersehen werde, der
fühle, wie diese Ungeheuer mit vereinten Kräften an dem Piedestal seines
Glückes rüttelten, um dies gewaltsam zu zertrümmern. »Diese Weiber nun
nennen sich die Kämpferinnen für die Weiblichkeit,« schloß die Sprecherin
ihre Rede. »Sie verfolgen alle ihre Schwestern, die nicht ihrem Bunde
angehören, die den Muth haben nach Freiheit, nach Menschenrecht, nach
Selbstständigkeit zu ringen, sie begeifern Alle, welche die Schwächen der
zarten Naturen abgestreift, das heißt, welche keine rührenden Sprüche,
keine schönen Redensarten, keine frommen Tractätchen und keine
gleißnerischen Thränen mögen; sie verfolgen die Zerrbilder, welche die
Eitelkeit, die Gefallsucht, den Eigensinn, die Unbeständigkeit, die
Klatschsucht, all' diese reizenden Attribute der zarten Naturen abgestreift
haben, um ohne Scheu zu behaupten, daß Freiheit und Menschenrecht nicht das
Monopol Einzelner, sondern Gemeingut sein müsse.«

Ein anhaltender Beifall ihrer Parteigängerinnen begleitete die Schlußworte
der Sprecherin. Dann aber folgte ein solch lautes, verwirrtes Gebrause
von Stimmen, daß man nichts Deutliches mehr vernehmen konnte. Die Wuth der
rechten Gruppe war in hellen Flammen ausgebrochen. Mit wildem Geschrei, mit
drohend geballten Fäusten begannen sie alsbald auf ihre Widersacherinnen
einzudringen. An ihrer Spitze gewahrte Zerline die Präsidentin die Glocke
schwingend, um sich derselben als Wurfgeschoß zu bedienen. Ihr zur Seite
befand sich Rosalinde mit funkelnden Augen wie eine wilde Katze, die
mageren Hände mit den krallenartig zugespitzten Nägeln drohend erhoben.
Ehe jedoch die zarten Naturen mit den starken Naturen handgemein werden
konnten, hatten einige handfeste Wärterinnen sie auseinandergebracht und in
ihren Wohnstuben internirt.

Die Oberwärterin erzählte nun Zerlinen, während sie sich in eine
andere Abtheilung begaben, der Schluß jeder Sitzung gleiche dem der nun
stattgefundenen. Die schattenhafte Jungfer Rührmichnichtan könne keine
Wahrheit verdauen und erwiedere diese durch Prügelargumente. Der Herr
Doctor nenne diese Kämpfe den Frosch- und Mäusekrieg. Nun begann Margarethe
wieder die Krankengeschichten ihrer Pfleglinge zu berichten. Auf
Nr. 89 wohne eine gefährliche Irre, ein altes Mütterchen, das durch die
Schlechtigkeit eines herzlosen Kindes den Verstand verloren habe. Die
entartete Tochter habe der braven Mutter einen Schimpf zugefügt, den ein
ehrliches Mutterherz nicht verwinden könne. Das tolle Lamm bilde sich
nun ein, böse Geister wollten ihr Kind verleumden und kämpfe gegen diese
Teufel. In Nr. 90, belehrte die Oberwärterin weiter, wohne eine arme
Närrin, welche die Treulosigkeit ihres Gatten in die Anstalt gebracht habe.
Er habe das schöne liebe Weib um einer Komödiantin willen verlassen und
dadurch dem Wahnsinne überliefert. Jetzt weine sich die arme Närrin um das
liederliche Tuch die Augen aus. Nach diesen Worten öffnete sie die Thüre
von Nr. 90.

Auf einem Lehnstuhle saß eine weibliche Gestalt bleich und mit
eingesunkenen Wangen, um die das reiche dunkle Haar in aufgelösten Strähnen
herabfiel. Die großen, düster glühenden Augen starrten in die Ferne,
die Brust hob und senkte sich rasch und die weißen, durchsichtigen Hände
zuckten krampfhaft, bald sich öffnend bald sich wieder zusammenziehend.

»Sie denkt immer an den Gewissenlosen, der ihr um einer liederlichen
Komödiantin willen das bitterste Herzleid zufügte,« flüsterte Margarethe
Zerlinen zu. »Um seinetwillen hat sie sich in's Wasser gestürzt. Als man
die Arme mit knapper Noth den Wellen entriß, mußte man sie zu uns in die
Anstalt bringen. Diese freche Komödiantin soll der leibhafte böse Geist
sein, schöner als alle Weiber und schlechter als alle Mannsbilder. Na, wenn
die meinen Ferdi mit ihren schamlosen Teufelskünsten verlockt hätte, würde
ich etwas Anderes thun, als mich in's Wasser stürzen und den Verstand
verlieren. Meine Nägel würden ihre Larve in eine wahre Teufelsfratze
verwandeln.«

Die Irre hatte jetzt die Eintretenden bemerkt. Sie erhob sich von ihrem
Sitze, näherte sich langsam Zerlinen und richtete ihr großes Auge mit
unsäglicher Schwermuth auf die Besucherin.

»Kommen auch Sie, Aermste, hierher, um eine Zuflucht zu suchen?« frug sie
mitleidig. »Für ein hartgetroffenes Gemüth liegt die Heilung einzig und
allein nur in der Abgeschiedenheit von der Welt und im Aufgeben jeglichen
Kampfes gegen Tücke und Bosheit. Ja, Tücke und Bosheit führen das Scepter
auf Erden und treten das Recht mit Füßen,« fuhr sie düster fort. »Was man
uns auch vom Lohn der Tugend und von der Strafe des Lasters erzählen mag,
dies Alles ist erdichtet. Das Böse triumphirt, das Gute wird mißhandelt.
Einst war ich eine überspannte Träumerin,« fuhr sie nach einer Pause mit
zuckenden Lippen fort, »einst sah ich Alles vom Glanze seliger Hoffnung
umstrahlt. Damals erschien mir die Welt als blühender Zaubergarten,
die Menschen sah ich als Engel an, ich lebte noch in den Träumen der
Märchenwelt, die unsere Kindheit beglücken. Die drei Himmelslichter Glaube,
Liebe und Hoffnung flammten hell und leuchtend in meiner Seele. Der Traum
war voll überirdischer Wonne. Da erloschen der Glaube und die Hoffnung
miteinander, und finstere Nacht mit all ihren Schrecknissen umgab mich.«
Nach diesen Worten hielt sie wie von der Wucht schrecklicher Erinnerungen
daniedergedrückt, einige Augenblicke inne.

Zerline athmete kaum. Hier sah sie den Schmerz ungekünstelt und doch mit
solch hinreißender Wahrheit ausgedrückt. So und nicht anders mußte sie als
Ophelia sprechen, diese Bewegungen mußte sie copiren. Der Wahnsinn sollte
von ihr mit unerreichbarer Virtuosität dargestellt werden, keine Rivalin
sollte ihr je darin gleichkommen. Solche und ähnliche Gedanken erfüllten
den Kopf und das Herz der Bühnen-Heroine. Sie ahnte nicht mit welch
furchtbarer Wahrheit sie bald eine Rolle, ohne diese zu studiren, spielen
sollte.

»Gibt es einen größeren Schmerz, als vom Manne, den man über Alles liebt,
verrathen und betrogen zu werden?« fuhr die Irre wie im Selbstgespräch
fort. »Ein Dämon hat meine heiligsten Empfindungen, meine seligsten
Hoffnungen mit kalter Berechnung gemeuchelt, eine farbenprächtige Natter
hat sein Herz vergiftet und seine Liebe zu mir ertödtet. Die Welt erschien
mir nun als Wildniß mit reißenden Thieren bevölkert, das Leben wurde mir
eine Bürde. Mein greiser Vater suchte mich nun durch die Versicherung zu
trösten, daß allüberall, an den glühenden Sandsteppen der Sahara, wie
an den Eisfeldern der Polargegenden, da, wo die Menschheit im primitiven
Zustande vegetirt, und dort, wo sie den Zenith der Cultur erreicht zu haben
wähnt, allüberall, sagte er, werde oft Liebe und Vertrauen mit Verrath
gelohnt. Wie vermochte aber der Schmerz anderer Verrathenen mein Weh zu
mildern und die feurige Lohe, die in meinem Innern brennt, zu löschen.
Diese Flammen brennen fort und verzehren meine gefolterte Seele.« Hier
preßte sie die Hände gegen die Stirn und stöhnte laut und schmerzlich.

Zerline lauschte lautlos mit zurückgehaltenem Athem. Mit Freuden würde
sie ihren kostbarsten Schmuck geopfert haben, um dieses Mienenspiel, diese
Handbewegung, diese erschütternden Töne ihr eigen zu nennen. Wie mußte
solch ein Spiel das Publicum hinreißen, wenn sie, die Tragödin, davon so
hingerissen wurde.

»Sie sind ja gleich mir eine arme Schiffbrüchige,« wendete sich die Irre
wieder an Zerline. »Sie kennen also das gräßliche Gefühl, welches der
Unglückliche empfindet, wenn er rings um sich her die Trümmer seines
Lebensglückes sieht und wenn ihm in der finsteren Nacht der Verzweiflung
kein Hoffnungsschimmer mehr blinkt.« Hier blieb sie wieder einige
Augenblicke in düsteres Sinnen verloren stehen. »Im Traume verrieth er
sich,« begann sie dann mit gehobener Stimme. »Jene Stunde brachte mir die
gräßliche Wahrheit, so furchtbar, so unausbleiblich wie Elend und Tod.
Robert liebte mich nicht mehr. Da saß mit einemmale die Natter,« sie schlug
mit der Hand auf ihr Herz, »hier sitzt sie und will nicht weichen. Da
fühlte ich es am ersten, da schmerzt es am heftigsten, da tönt es schaurig,
er liebt dich nicht mehr, er liebt eine Andere. Seit jener Stunde verlor
ich mich selbst, seitdem ich seine Stimme nicht höre, seinen Puls, seinen
Hauch nicht fühle, war ich den finsteren Mächten verfallen. Mit einemmale
vernahm ich Stimmen aus den blauen Fluten, Stimmen, die mir geheimnißvoll
zuflüsterten, in die stille, friedliche Tiefe zu steigen, um da meinen
glühenden Schmerz zu stillen. Die Wellen flüsterten so süß und lockend, daß
ich dem Syrenensang nicht zu widerstehen vermochte. Ich stieg in die Tiefe,
um Heilung und Vergessen zu suchen. Ich fand da keine Heilung und kein
Vergessen,« fuhr die Irre mit steigender Erregung fort. »Der Wasserspiegel
ist ebenso falsch wie Robert. Auch er birgt in seinem Innern gefährliche
Abgründe, treulose Klippen und gräßliche Ungeheuer.«

Zerline begann jetzt ängstlich zu werden. Die Irre wurde immer aufgeregter,
der Wahnsinn begann sich in furchtbarer Gestalt zu zeigen. Bei all' ihrer
Opferwilligkeit für die Kunst konnte sich Zerline doch nicht enthalten
der Oberwärterin ihren Wunsch, die unheimliche Kranke zu verlassen,
auszudrücken. Margarethe beruhigte sie jedoch durch die Versicherung, die
arme Närrin sei harmlos wie ein Kind und ihr Praxismus erlösche wie nasses
Holz.

Mit der Irren ging nun eine immer schrecklichere Veränderung vor. Ihr
Antlitz bedeckte sich mit brennender Röthe, die Augen glühten in immer
unheimlicherem Glanze, das Geberdenspiel wurde immer wilder und die Sätze
wurden abgebrochen und mit heiserer Stimme hervorgestoßen.

»Sein Kuß -- seine Liebesschwüre -- hinreißende Lügen -- Im Schlafe -- ruft
sein Mund -- das Trugbild!« stieß sie mühsam hervor. »Da seht -- da reckt
die Natter -- den Kamm aus dem Grase.« -- Sie bezeichnete eine Vision ihres
kranken Geistes. »Ihre Giftzähne beißen sich -- in mein Herz ein!« schrie
sie auf und preßte die Hand an die Brust.

Zerline wurde todtenbleich und wich erschrocken bis zur Thür zurück.

»Sie thut keiner Fliege was zu Leid,« versicherte Margarethe.

»Der Brand in meinem Kopfe wird immer stärker,« stöhnte die Irre. Plötzlich
blieb sie in lauschender Stellung mit zurückgehaltenem Athem stehen.
»Robert spricht im Schlafe,« flüsterte sie und blieb dann einige
Augenblicke regungslos horchend. Mit einemmale zuckte sie zusammen und grub
die Nägel in ihre Brust. »Sein Mund ruft Zerline,« schrie sie mit wilder
Wuth. »Zerline, Teufelin vom Pesthauch der Hölle erzeugt, sei verflucht!«

Wäre der Blitz zu den Füßen Zerlinens eingeschlagen, dies würde kaum eine
schrecklichere Wirkung auf sie hervorgebracht haben, als die Entdeckung,
daß sie die Ursache vom Wahnsinn des unglücklichen Weibes sei. Sie war
also die Komödiantin, welche das Liebesglück der zärtlichen Gattin zerstört
hatte. Die leichtsinnige, eroberungssüchtige Männerbezwingerin vermochte
beim Anblick der Jammergestalt, die sie vor Augen hatte, ein Gefühl,
das sie nur selten empfand, das der Reue, nicht zu bemeistern. Ja das
Schuldbewußtsein übermannte sie dergestalt, daß sie wie gelähmt dastand und
mit weitaufgerissenen Augen auf die Geisteskranke starrte, deren Paroxysmus
sich immer mehr steigerte. Schmerzensschreie eines gebrochenen Herzens
wechselten mit flehentlichen Bitten an den Treulosen, sie nicht in Wahnsinn
und Tod zu jagen und mit wilden Flüchen und Schmähungen gegen den Dämon,
der ihr Glück gemeuchelt. Dies war die Agonie einer bis auf den Tod
getroffenen Seele. In großen Tropfen perlte der Angstschweiß von der Stirn
Zerlinens, ihre Füße waren wie am Boden festgenietet und vermochten sie
nicht aus dem Bereiche der Schrecklichen zu tragen. Erst als dem Paroxysmus
der Irren eine vollständige Erschöpfung folgte und die Unglückliche
kraftlos und gebrochen zusammenbrach, erst dann wich die Erstarrung von
Zerline.

Jetzt stürzte sie der Thüre zu und wollte entfliehen, da stellte sich ihr
aber ein Hemmniß entgegen. Eine bleiche Frau mit einer Harfe in der Hand
stand an der offenen Thüre.

»Du hier. Dich soll ich ja kennen,« murmelte die Neueingetretene und
starrte Zerlinen mit ihren großen, seltsam glänzenden Augen an.

Kalter Schweiß perlte von Zerlinens Stirn. Sie wich erschrocken von der
Thüre zurück. Diese Züge, diese Stimme waren ihr nicht fremd.

»Was willst du, Bänkelsängerin? Hier ist nicht der Ort, um deine
unfläthigen Lieder auszukramen. Fort, Komödiantin,« knurrte Margarethe und
unterstützte ihre Worte mit einer drohenden Geberde. Die Irre schien aber
die Weisung der Oberwärterin nicht zu beachten, sie starrte auf Zerline,
wie auf eine Vision und fuhr mit der Hand über die Stirn, als suche
sie ihre Gedanken zu sammeln. »Ich weiß es jetzt,« rief sie plötzlich
aufjauchzend. »Du bist Zerlinchen. Du kommst auch zu uns. Ha, ha, ha, die
schöne Zerline kommt mir Gesellschaft leisten! Wir wollen lustig sein. Nur
nicht weinerlich, Zerlinchen. Sollst ein lustig's Lied'l haben.«

  »Schauts außi wie's regn't,
  Und schauts außi wie's gießt,
  Und schauts außi wie der Reg'n
  Vom Dach abischießt.«

»Fort, Komödiantin,« schrie die Oberwärterin, nach deren Meinung diese
Benennung den herbsten Schimpf enthielt. Die Volkssängerin wich knurrend
zurück und forderte Zerline auf, die Verunglimpfung ihres Standes an dem
alten Reibeisen zu rächen. Die Oberwärterin war nicht wenig über die ihr
beigelegte Benamsung, wie auch über die dem gestudirten weiblichen Arzt
angethane Beleidigung empört und lieh ihrer Entrüstung derbe Worte.

»Mein schönes Zerlinchen, welches alle Männer am Narrenseil führt, soll
ein Quacksalber sein: Eine Schauspielerin ist sie. Ja das ist sie, du alte
Truthenne, und wenn auch deine Kropfkorallen darüber braun und blau werden,
bleibt Zerlinchen doch eine Theaterprinzessin,« kicherte die Irre zur nicht
geringen Wuth der Oberwärterin.

Die erschrockene Zerline suchte nur die Thüre zu gewinnen. Sie fühlte
sich dem Wahnsinn nahe, sie mußte aus dieser Behausung des Entsetzlichen
entfliehen. Schon war sie dem Ausgange nahe, als sich ihr wieder ein
Hemmniß in den Weg stellte. Eine Hand legte sich auf ihre Achsel und eine
Stimme, die das Blut in ihren Adern erstarren machte, frug sie: »Du bist
also Zerline?« Die Tragödin erbebte und blickte entsetzt in das verzerrte
Antlitz der unglücklichen Gattin Roberts. »Du bist also Zerline?«
wiederholte diese ihre Frage mit wachsender Aufregung. Vor Schreck außer
sich, kaum wissend was sie that, beantwortete Zerline die verhängnißvolle
Frage mit einer bestätigenden Kopfbewegung. Die Irre stieß nun einen Schrei
aus, der dem Wuthgebrüll eines wilden Thieres glich, und umspannte mit
rasender Gewalt das zarte Handgelenk der Tragödin. Diese schrie vor Schmerz
und Schrecken laut auf und rief um Hilfe. Die Oberwärterin, der es endlich
gelungen war die Bänkelsängerin aus dem Zimmer zu entfernen, eilte sofort
herbei und suchte Zerlinen aus der Gewalt der Geisteskranken zu befreien.
Weder Bitten noch Vorstellungen vermochten die Irre zur Nachgiebigkeit zu
bewegen.

»Sie ist mein, die farbenprächtige Natter,« schrie sie in wilder Wuth. »Sie
kam, um sich an meinem Todeskampfe zu weiden, um wie ein Vampyr das Blut
aus meinem Herzen zu trinken, sie muß dafür mit mir den bösen Geistern
verfallen. Ich will ihre Schönheit, mit der sie Handel treibt, vernichten,
ich will ihr kaltes Herz, mit dem sie Liebe heuchelt, mit meinen Nägeln
zerfleischen, ich will ihr die Giftzähne ausbrechen. Ein Scheusal soll sie
äußerlich werden, wie sie es innerlich ist. Robert soll sie in ihrer wahren
Gestalt sehen. Dann wird er sie von sich stoßen, wie er es mir gethan, und
die feurige Lohe, die mich verzehrt, wird auch in ihrem Innern lodern.«

Vergeblich suchte Margarethe die Wuth der Irren durch Versicherungen und
Schwüre, daß die Bänkelsängerin schamlos gelogen habe, zu beschwichtigen.
Fräulein Doctor sehe doch nicht einem frechen Komödiantenweibsbild ähnlich.
Diesen Ungeheuern sei ja ihr schamloser Beruf deutlich genug auf der Larve
gepinselt, behauptete die Oberwärterin. Alle diese Beweise erwiesen sich
aber fruchtlos. Die Geisteskranke wollte ihre Gefangene nicht freigeben.
Als zuletzt Margarethe die Hand Zerlinens aus der Umklammerung mit sanfter
Gewalt befreien wollte, da stieß die Irre einen schrillen Schrei aus und
schleuderte die Zudringliche mit Riesenkraft von sich.

»Heilige Mutter Gottes, stehe uns bei! Sie wird tobsüchtig,« stöhnte die
Oberwärterin. »Reizen Sie das tolle Lamm nicht, verhalten Sie sich ruhig.
Ich will Hilfe herbeirufen,« flüsterte sie Zerlinen zu und eilte aus dem
Zimmer.

Zerline hörte sie nicht, sie stand regungslos wie ein Steinbild und starrte
angstvoll auf die Geisteskranke. Diese schien jetzt, da man sie durch die
Versuche ihre Gefangene zu befreien nicht mehr reizte, ruhiger zu werden.

»Du bist also seine vergötterte Zerline mit der junonischen Gestalt, mit
dem unergründlichen Feuerauge und mit dem goldenen Lockengeringel,« rief
sie dann, die Tragödin mit den Augen verschlingend. »Ja du bist schön wie
der Geist des Bösen, dessen verhängnißvolle Schönheit der Menschheit Jammer
und Elend bereitet. Auch ich war einst schön, und Robert liebte mich, bis
du Teufelin mich zu dem gemacht hast, was ich nun bin. Deine Schönheit soll
wie die meine verderben. Auch du sollst trockene Thränen weinen, Thränen,
die wie Gluttropfen auf die Seele fallen und sie in Brand setzen.«

»Gnade, Erbarmen!« stammelte Zerline angstvoll.

»Das Erbarmen, das du mit mir gehabt, will ich mit dir haben,« erwiederte
die Geisteskranke.

»Du willst mich tödten,« murmelte Zerline auf die Knie sinkend und das
todtenbleiche Antlitz mit den Händen bedeckend.

»Dich tödten? Nein. Du sollst leben und leiden und die Schale der
Wiedervergeltung bis auf den letzten Tropfen leeren. Deine Schönheit will
ich zerstören, und Robert soll dich von sich stoßen!« rief die Irre mit
flammenden Blicken.

Zerline bebte wie Espenlaub. Sie fühlte sich schwach und hinfällig und war
allein mit der Wahnsinnigen, hilflos ihrer Macht preisgegeben. Ihre Sinne
schwanden, der Boden wich unter ihren Füßen, mit einem Schreckensschrei
sank sie zusammen.

»Du darfst nicht sterben, du mußt leben und leiden, wenn Robert dich von
sich stößt,« kreischte die Irre. Mit einemmale unterbrach sie sich und
blieb lauschend stehen. Im Corridor ließ sich ein Geräusch von eilig
nahenden Schritten vernehmen. Die Irre zuckte zusammen und wendete ihren
Blick der Thüre zu. Sie sah Margarethe von zwei Wärterinnen begleitet
in die Stube treten. Mit wilder Heftigkeit umschlang sie die bewußtlose
Zerline und stellte sich in drohender Haltung der Oberwärterin entgegen.

»Jesus, das tolle Lamm wird das Fräulein Doctor erdrosseln!« kreischte
Margarethe. Sie suchte die Irre zu begütigen. Als aber dies fehlschlug,
da entschloß sie sich Gewalt zu gebrauchen. Sie befahl den Wärterinnen der
Irrsinnigen eine Decke über den Kopf zu werfen und sich dann mit Gewalt
ihrer zu bemächtigen. Die Wuth der Geisteskranken erreichte nun den
Höhepunkt. Ihr Auge schoß wilde Flammen; mit einem Arm hielt sie Zerline
umschlungen, der andere war drohend gegen die Wärterinnen erhoben.

Jetzt sauste die Decke durch die Luft. Die Irre, die Gefahr bemerkend, wich
aber dem Wurfe aus. Die Lage Zerlinens wurde immer gefährlicher. Sie
hing wie leblos in den Armen der Wahnsinnigen und gab auf alle Zurufe
der Oberwärterin keine Antwort. Kalter Angstschweiß bedeckte die Stirne
Margarethens. Sie befahl nun den Wärterinnen die Aufmerksamkeit der Irren
zu beschäftigen, damit sie sich ihr unvermerkt nähern könne. Das gutherzige
Weib flehte alle Heiligen um Hilfe in dieser Noth an. Sie wollte schon ihr
Leben wagen, um die Wüthende zu bewältigen, wenn nur das Fräulein Doctor
der Gefahr entrissen wurde. Ja es war mit nicht geringer Gefahr verbunden,
der Irren ihr Opfer zu entreißen. Die Oberwärterin wußte aus Erfahrung,
welche Riesenkraft der Wahnsinn dem schwächsten Körper verleiht. Gebete
murmelnd spähte Margarethe auf den günstigen Moment, um ihr Vorhaben
auszuführen, als Stimmen und eilige Schritte auf dem Corridor vernehmbar
wurden. »Der Doctor! Wir sind gerettet!« schluchzte die Oberwärterin,
die Hände dankend zum Himmel erhoben. Bald erschien auch der Arzt der
Frauenabtheilung athemlos an der Thüre. Ein Blick genügte dem Psychiater,
um das Schreckliche zu übersehen. Rasches Handeln war dringend nöthig, um
die bewußtlose Zerline aus ihrer gefährlichen Lage zu befreien, aber die
Irre mußte besänftigt und nicht gereizt werden. Der erfahrene Psychiater
befahl den Anwesenden das Zimmer zu räumen und begann dann langsam sich der
Irren zu nähern. Er sprach sanfte, beruhigende Worte, die ihr versicherten,
daß die Verfolgerinnen die Flucht ergriffen hätten. Die Wahnsinnige, die in
einem Winkel zusammengekauert, Zerline fest an sich drückend dasaß,
erhob beim Klange seiner Stimme das Haupt. Als sie den Arzt erblickte,
verstummten ihre Schreie, die wilde Wuth begann zu schwinden. Je näher der
Psychiater kam und je sanfter seine Worte erklangen, desto mehr legte sich
die Aufregung der Unglücklichen. Als er nun endlich ihr gegenüberstand und
sein durchdringendes Auge fest auf das ihre heftete, da wurde sie sanft und
ruhig. Der Ring, den ihre Hände um Zerline geschlossen hatten, wurde jetzt
immer loser, er löste sich bald ganz, und ihre Arme sanken schlaff hinab.
Jetzt fing der Arzt die regungslose Zerline in seinen Armen auf und begann,
das Antlitz der Irren zugewendet, langsam der Thüre zuzuschreiten. Immer
noch erklangen die sanften, beschwichtigenden Worte und immer haftete sein
fascinirender Blick auf der Irren, welche ihr Auge von dem des Psychiaters
nicht loszureißen vermochte. Nun war er der Thüre nahe, die sich
geräuschlos von außen öffnete. Noch ein Moment namenloser Angst,
unsäglicher Bangigkeit für Margarethe und sie sah das Fräulein Doctor außer
dem Bereiche der Wahnsinnigen.

Als Zerline zum Bewußtsein zurückkehrte, mußte sie eine niederschmetternde
Anklage vom Arzte anhören. Das arme Weib, dessen Lebensglück sie zerstört
hatte, war nun auch durch ihre Schuld in unheilbare Tobsucht verfallen.
Scharf und verächtlich waren die Worte, welche der Psychiater zum Fräulein
Doctor, das sich als die berüchtigte Zerline entpuppt hatte, sprach. Die
empörte Oberwärterin rief ihr ihrerseits zu, die gemeine Katze, welche sich
frech in eine Löwenhaut gesteckt, werde ihr noch einst in die Hände
fallen, denn der Lohn für die Schlechtigkeiten der schamlosen
Komödiantenweibsbilder sei das Spital oder das Irrenhaus. Zerline vermochte
bei dieser trostreichen Verheißung einen Schauer nicht zu unterdrücken.

Seitdem besucht die Tragödin kein Irrenhaus mehr, um da den Genius der
tragischen Kunst zu suchen.


_Ende._




Druck von Johann N. Vernay, Wien, =IX.=, Mariannengasse 17.




Verlag von L. Rosner in Wien.


Der Wunderrabbi.

Roman von #J. Thenen#.

8. 293 Seiten. Preis fl. 2.-- oder M. 4.

Der Reiz dieses Buches liegt in der vortrefflichen Ausführung. In Scenen
voll dramatischen Lebens erkennen wir die Macht des Rabbi über die
verblendeten Geister -- eine Macht, der selbst der christliche Edelmann
im Falle der Bedrängniß huldigt; aber wir erkennen auch die ganze --
Tiefe dieses Aberglaubens, indem wir Einblick in den Charakter des Rabbi
erhalten, der ein wunderliches Gemisch von Selbstsucht, Aberglauben und
Zelotismus ist. Dann führt uns die Dichterin mit gleicher Kunst in das
elende, vom Unglücke erfüllte Haus seiner tragischen Gegner, und so reiht
sich Bild an Bild, Scene an Scene, die uns -- die Handlung immer weiter
leitend -- in den Charakter und Geist jener eigenthümlichen Menschen
hineinblicken lassen. In einzelnen Capiteln erreicht die Dichterin eine
tragische Größe; in anderen entfaltet sie herrlichen Humor. Ueberall aber
verräth sie eine ganz intime Kenntniß nicht blos der Sitten und Gebräuche
jener Menschen, sondern auch ihres eigenthümlichen Geistes, jener
spiritualistischen Denkweise, die aus der völligen Durchdringung des Lebens
durch den Glauben entstammt. Sind doch alle die Geschichten und Schicksale,
die sie erzählt, mehr oder weniger thatsächliche Geschehnisse. Und selbst
aus der Darstellung athmet der Geist des Volkes, der so einseitig sich
nur dem Menschengeiste und dem Glauben zuwendete, der Natur jedoch,
ihrer Schönheit, ihrem Genusse sich so fernhielt. In diesem Sinne ist
es charakteristisch, daß im ganzen Buche nur zwei kleine landschaftliche
Schilderungen vorkommen, die aber freilich recht hübsch sind. Kurz, es
ist ein Buch, das ein männlicher Geist in einem dichterischen Frauenkopfe
ersonnen.

  »Neue Freie Presse.«




Verlag von L. Rosner in Wien.


Der Wunderrabbi.

Roman von #J. Thenen#.

8. 293 Seiten. Preis fl. 2.-- oder M. 4.

Die Verfasserin hat das Leben und Treiben dieses Chassiden studirt und
hat »halb Wahrheit, halb Dichtung« wirkliche Vorkommenheiten zu einer
spannenden Erzählung vereint, die, ohne als Culturstudie gewollt zu sein,
den Zweck einer solchen in reichstem Maße erfüllt. Der crasse Betrug,
die wilde Habgier, die niedrige Genußsucht, welche dem ganzen Dichten und
Trachten dieser Chassidengemeinden Bewegung geben, sind ohne Scheu mit
der vollsten und behaglichsten Naturwahrheit gezeichnet. Die talentvolle
Beobachterin hat in ihrem Buche jedes Mäntelchen verschmäht und
gibt ungeschminkt und unverhüllt die Wirklichkeit. Dieser Reiz der
Unmittelbarkeit und des kaustischen Humors aber ist es, der unvermindert in
den ersten Seiten fesselt und anhält bis zu jenem Punkte, wo die
Handlung den Boden verläßt, auf dem die Wunderrabbis gedeihen, und, Jahre
überspringend, harmonisch ausklingt. Das Buch wird von Laien um seiner
reichbewegten Handlung und seiner farbenkräftigen Schilderungen, von dem
Culturforscher aber deshalb mit Vergnügen gelesen werden, weil das Erzählte
und Geschilderte wahr ist.

  »Presse.«




[ Hinweise zur Transkription


Der Schmutztitel wurde entfernt.

Das Originalbuch ist in Frakturschrift gedruckt.

Darstellung abweichender Schriftarten: _gesperrt_, =Antiqua=, #fett#.

Der Text des Originalbuches wurde grundsätzlich beibehalten, mit folgenden
Ausnahmen,

  Seite 27:
  "Ihr" geändert in "ihr"
  (Brille tragen, die ihr nicht erlaubt)

  Seite 35:
  "Mähren" geändert in "Mären"
  (wunderbare Mären von seinen Eroberungen zu erzählen)

  Seite 36:
  "«" entfernt hinter "acceptiren."
  (ihn als Prinz-Gemal zu acceptiren.)

  Seite 37:
  "Wamms" geändert in "Wams"
  (Orden von seinem Wams los)

  Seite 50:
  "staarnackiger" geändert in "starrnackiger"
  (Director des Hoftheaters ein starrnackiger Pedant)

  Seite 72:
  "Rosalinda's" geändert in "Rosalinde's"
  (die Schmerzensschreie Rosalinde's zu vernehmen)

  Seite 73:
  "Rosalinda" geändert in "Rosalinde"
  (»Man muß ihr das Wort entziehen,« schrie Rosalinde)

  Seite 85:
  "«" eingefügt
  (Vom Dach abischießt.«)

  Seite 89:
  "." eingefügt
  (und sie in Brand setzen.«) ]







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trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
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electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

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including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
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