Der Bankier reitet über das Schlachtfeld

By Johannes Robert Becher

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Title: Der Bankier reitet über das Schlachtfeld

Author: Johannes Robert Becher

Illustrator: George Grosz
        John Heartfield

Release date: April 5, 2025 [eBook #75793]

Language: German

Original publication: Wien: Agis-Verlag, 1926

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This book was produced from images made available by the HathiTrust Digital Library.


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER BANKIER REITET ÜBER DAS SCHLACHTFELD ***


                           Johannes R. Becher




                           Der Bankier reitet
                         über das Schlachtfeld


                               Erzählung


                        Agis-Verlag / Wien 1926




                                 Inhalt


          Das schwimmende Märchenschloß. – Vornehme
          Passagiere. – Hotel „Zum Weltkrieg!“ – Lernt
          aus dem Vergangenen für das Zukünftige! –
          Gewidmet den Meistern in der Verwendung von
          Millionenheeren! – Auf den Spuren schwerer
          Brocken. – Von denen, die sich über den
          Massengräbern aalen. – Legende vom toten
          „Bauernchristus“. – Das Frontschwein Emil. –
          Brüder der „Großen Grube“, hört! – Hop hop
                                 hop! –




Der amerikanische Bankier und Milliardär Mr. Branting hatte, als er in
dem weltberühmten Höhenluftkurort St. Moritz in der Schweiz eintraf,
bereits eine mehrwöchige wohlgelungene Vergnügungsreise hinter sich. –

                   *       *       *       *       *

Es war schon gegen Mitternacht, als der mit dem modernsten Luxus
ausgestattete Riesenturbinendampfer „Columbia“ aus dem Hafen von Newyork
auslief.

Die Bordkapelle intonierte die amerikanische Nationalhymne.

Hüte flogen am Ufer hoch, ein hundertstimmiges Hurra erscholl, und dann
wie ein Salutschießen: ein knatterndes Händeklatschen.

Die unter einem bengalischen Sprühregen rotierenden Feuerräder der
Lichtreklame, die auf hängenden Tafeln auf und nieder rollenden
Lichtbuchstaben leuchteten noch weit ins Meer hinein, die Turmbauten der
Wolkenkratzer waren in Kreuzform illuminiert, und die Freiheitsstatue
war wie in einem Gazeschleier in ein Lichtkegelspiel von Scheinwerfern
gehüllt, so daß man, von diesem Lichtwerk geblendet, schon kaum mehr das
Geräusch der Staffeln der Nachtflugzeuge bemerkte, die unter einem
monotonen Surren, bald näher, bald weiter, den Küsten des Großen Ozeans
entlang flogen. Nur manchmal, wenn sie plötzlich einer der von der Erde
aufgescheuchten Lichtkegel traf, dann reckten staunend die Passagiere
ihre Köpfe hoch: da hingen sie beinahe wie unbewegt, die stählernen
Riesenfalter, unmittelbar unter einem wie ein Gletscher schimmernden
Wolkenfeld.

Noch kreisten, laut sirenend, Torpedoboote und Barkassen um die
„Columbia“, gaben ihr das Geleit bis zu der äußersten Grenzzone und
schwenkten dann, wobei sie Leuchtraketen abschossen, noch einmal, bevor
sie in den Hafen zurückkehrten, in einem großen Bogen um sie herum ...

Die Passagiere konnten sich nicht genug darin tun, noch vor dem
Schlafengehen die Einrichtungen der „Columbia“ zu bewundern.

„Ein schwimmendes Märchenschloß“, so wurde sie nicht zu Unrecht genannt.

Hätte jetzt ein Deutscher, und gar ein Patriot noch dazu, das
Schiffsinnere betreten, es hätte sich ihm beim Anblick der vielen
deutschen Firmenschilder gewaltig die Brust geschwellt, und das schöne
Schiffsungeheuer zärtlich mit Blicken streichelnd, hätte er sicherlich
wehmütig aufgeseufzt: „Deutschland über alles.“ Und hätte sich, wieder
einmal, gerade zur rechten Zeit der Worte seines Großen Kurfürsten
erinnert: „Gedenke, daß du ein Deutscher bist!“ ...

Auch Mr. Branting ließ sich durch einen Schiffsoffizier durch sämtliche
Räume führen.

Der Speisesaal glich mit seinen traubenförmig niederhängenden Ampeln und
den gedrechselten durchsichtigen lichtflüssigen Glassäulen einer
traumhaften Grottenhalle, ja, die länglichen Fensterplatten zu beiden
Seiten ließen, von außen her grell beleuchtet, die Meertiefe
durchschimmern, so daß man speisend, während der Fahrt, wie in einem
Aquarium, die Meerflora und die Seetiere an sich vorübergleiten sah.
Rauch- und Billardzimmer schlossen sich an die „Traumgrotte“ an, ein
Lesezimmer und die Bordbibliothek, so umfangreich und mit solch
wertvollen Buchausgaben ausgestattet, daß, was auch ein flüchtiger Blick
in den Katalog besagte, sie sich mit jeder Bibliothek mittleren Ranges
messen konnte.

Der Bankier musterte noch, offensichtlich befriedigt, die Massage- und
Baderäume, wobei das Schwimmbassin mit einem ein Meter und einem drei
Meter hohen Sprungbrett besonderer Erwähnung verdiente und ließ sich
dann von dem ihn begleitenden Schiffsoffizier darüber belehren, daß auch
eine besondere Schiffspolizei vorhanden sei, um, wenn nötig, das an sich
schon immer etwas rebellisch veranlagte Heizpersonal gebührend in Schach
zu halten.

„Wollen Sie einmal einen Blick in die „Hölle“ tun!? ... Dann bitte –“

In Begleitung des Schiffsoffiziers kletterte der Bankier eine lange
Eisenleiter hinunter und – der Aufforderung des Offiziers folgend:
„Bitte, treten Sie ein wenig zurück, es ist nicht gerade nötig, daß die
Heizer Ihrer ansichtig werden“ – sah er durch die mit schweren
Eisenklammern abschließbare Luke in den Heizraum hinein.

Ein stickichter Glutwind sprang ihm entgegen.

Er nahm nur zögernd wieder die Hände vom Gesicht.

Es war, als ob das Heizpersonal in flüssigem Feuer badete.

„Genug!“

Die Luke schloß sich.

„Kann sogar von der Kommandobrücke aus automatisch bedient werden ...“

Der Bankier sah sich noch einmal um.

Die Luke glich einer schweren Panzerplatte.

Armdick.

„Wie der Deckel zu meiner Familiengruft in Kalifornien“, meinte der
Bankier treuherzig.

„So ähnlich wohl ja ... Wenn nämlich einmal was vorkommen sollte, Leck,
hier werden die Schotten zuerst abgedichtet. Aber auch bei Aufruhr ...
Die Wassermasse stürzt in den Heizraum herein, platzt unter einem
gewaltigen Getöse auf die Glut, man kann dann zwar den ganzen
Schiffskörper hindurch das Fäustegetrommel und das Wutheulen der
Verzweifelten hören, aber der Kampf der Eingeschlossenen mit dem Element
dauert nicht lange, je nachdem, aber sicher nicht länger als drei
Minuten. Bloße Fäuste und Schreien aber haben bekanntlich noch nie
Panzerplatten zum Erweichen gebracht, auch nicht, wenn Köpfe dagegen
rennen. Sie löcken umsonst wider diesen Stachel. Und jede Sekunde, die
unten das Schiff noch in Gang bleibt, ist oben für die Rettungsaktion
gewonnen ...“

Der Rundgang war beendet.

Der Bankier stieg an Deck, um sich von der Höllenhitze des
Maschinenraums, die ihm noch wie flüssiges Metall durch die Adern
zischte, abzukühlen ...

Mitten durch den Ansturm der Wogenberge hindurch schnitt sich die
„Columbia“. Jede Art Schlingerbewegung war durch eine bestimmte
Rumpflinienführung und durch eine neueste Kreiselkonstruktion
ausgeschaltet.

Die Wogenberge, oben mit Schaumblüten bewachsen, stürzten sich unter
einem langanhaltenden Rolldonner heran, der Kiel schnitt glatt mitten
hindurch, ein wüstes Gekreische, als ob Wasser geschlachtet würde – und
der Meeresgrund sog mit einem tiefen Atemzuge die abgeschlachteten
Wogenberge wieder in einer langen Schleife an sich zurück ...

Schön und tiefblau war die Nacht.

Ein lauer Windzug strich.

Das Firmament glitzerte.

Hie und da fiel eine Sternschnuppe.

„An was denke ich nur? Oder – bin ich wunschlos!?“

Der Bankier sann noch einen Augenblick darüber nach.

Dann suchte er seine Kabine auf.

Fern, ganz fern – durch eine moderne Schalldämpfervorrichtung gedämpft –
stampften, stampften die Maschinen.

                   *       *       *       *       *

„Du, von was leben die da oben eigentlich?“

Machte sich unten im Maschinenraum einer der chinesischen Heizer an
einen Deutschen heran.

„Pst!“ gab der unwirsch zur Antwort, „du weißt doch, daß Kontrolle ist,
hast du nicht den Wisch mit den Paragraphen unterschrieben?! Du weißt
doch, daß es eine Schiffspolizei gibt, auch unter den Heizern sind
solche ... Von was die leben!? ... Davon!!“

Er deutete auf seine Oberarmmuskeln, auf seine schwielige Hand, und
schippte seine Kohlenbrocken weiter.

„Davon! Und nur davon! Ausschließlich nur davon! ... Wenn wir einmal die
Glut aus den Kesseln reißen, dann: Herrlichkeit ade! ... Dann nämlich
ist’s aus mit dem großen Bogen spucken. Ratzekahl aus damit! sage ich
dir ...“

„Ich will dir was sagen, Bruder“, flüsterte der Chinese, „genau so ist’s
auch in unserem Land. Dort, wo ich daheim bin. Länderhungrig sind die.
Und schöne Maisplantagen haben die sich angelegt und große, große
Spinnereien ... Und der Christengott ist übers Meer gefahren gekommen
und überall haben die dickwanstigen Missionare den eingesetzt ... Ein
gräulicher, scheußlicher Gott ist so ein Christengott, ein
Blutsäufergott, stinkt nach Fusel und macht alle besoffen mit Branntwein
... Auch Opium, Bruder, Opium! Ganze unterirdische Höhlenstädte haben
wir, in denen nur Opiumraucher wohnen ...“

Ein Schwarzer trat hinzu.

„Wie bei uns ... Da nehmen sie auch das Vieh weg, mitsamt dem Weidland,
ja schrecklich länderhungrig sind die, und die Erde bohren sie an und
ziehen daraus mittels elektrisch betriebener Pumpwerke den ganzen Saft
hervor ... Sogar in einen Krieg haben wir ziehen müssen, aber wißt ihr,
Kriegsmaschinen haben die, da kann unsereins nicht dagegen aufkommen.
Ein Gewehr, das ganz schnell „tacktack“ macht, da sind oft gleich an die
Tausende in einem Nu hin. Hin und futsch ... Seht ihr, Brüder, wie
dieser Maschinenraum schwitzt, so schwitzt unser ganzes Land. Blut
schwitzt unser Land ... Was ist da zu machen, Brüder ...!?“

Schweigend starrten die Drei in die Glut.

Bis der Deutsche ganz leise zu singen begann:

   „Tüchtig heizen, tüchtig heizen,
   Daß das Schiff läuft –
   Tüchtig heizen, tüchtig heizen,
   Daß das Schiff schneller läuft ...
   Tüchtig heizen, tüchtig heizen,
   Daß das Schiff Volldampf läuft!“

Die Nachtrunde, aus drei Schiffsoffizieren bestehend, erschien.

Jeder der drei Heizer sang jetzt lautlos für sich allein das Heizerlied
zu Ende:

   „Tüchtig heizen, tüchtig heizen,
   Bis die Glut zum Himmel spritzt!!!“

– – –

Die Maschinen stampften.

Sonst war tiefe Stille auf dem ganzen Schiff.

                   *       *       *       *       *

Und Tage fröhlichsten Bordlebens begannen! –

„Man kann seine Ferien kaum besser verbringen ... Die ganze Welt wird
einem zu Venedig ... Alle Länder der Welt miteinander durch Kanäle
verbunden, darüber hinweg wir in schwebenden Gondeln ...“

Auch der Bankier erlebte es wieder, mit einem Gefühl von Dankbarkeit an
das Schicksal der Welt, wie der Mensch, aus Staub und Lärm der Großstadt
entfernt, ein Anderer wird.

Reiche Abwechslung ward den Bordgästen geboten.

Ein internationales Tennisturnier an Deck fand sportbegeisterte und
sachverständige Zuschauer.

Aber auch das Radio wurde fleißig benutzt.

Nachrichten aus aller Welt:

Man konnte in der Badewanne bei einem Sauerstoffbad oder den
erholungsbedürftigen Körper auf einem Liegestuhl ausgegossen träumen,
was Europa träumt, träumen, was Amerika träumt, und kaum, daß ein
Ereignis in der Welt geschah, sei es auf dem Gebiet der Literatur und
der Kunst, der Politik und des Rennstalls: durch die elektrischen Wellen
wurde es einem ins Ohr geflüstert.

                   *       *       *       *       *

Zu einem besonderen Ereignis aber, dem nicht ein gewisser sensationeller
Beigeschmack fehlte, sollte sich das Auftreten des jungen italienischen
Pianisten Antonio Carracarra gestalten, das für die Passagiere noch
hinreißender zu werden versprach, als die oft an eigenartigen
Ueberraschungsmomenten reichen Sparringsrunden Charlie Hinklings, des
Weltmeisters im Boxen im Mittelgewicht.

Von Antonio Carracarra war allgemein bekannt: er war kein Frauenfreund.
Sogar in der amerikanischen Presse stand jüngst darüber ausführlich
geschrieben.

Trotzdem umgaben ihn rudelweis die Frauen, bewunderten seine Hände,
küßten seine Hände, Antonios Hände, von denen eine ungarische Gräfin,
die sich der Poesie widmete, sagte, man müsse einen Abguß von ihnen
nehmen, um sie noch rechtzeitig der Nachwelt zu übermitteln.

Antonio Carracarra sei die Gewißheit des Paradieses in die Hände
geschrieben, er denke, er fühle mit den Händen, und diese Hände würden
auch, abgesondert von dem Körper, dem sie zugehörten, ein Leben führen
können, ein Traumleben, ein berauschendes Klangleben. Sie seien auch,
getrennt vom Instrument, Musik; zu Nervenfasern geronnene Musik: Antonio
Carracarras Hände!

Nun, die meisten Passagiere hatten Antonio Carracarras Spiel bisher nur
im Radio gehört, seine Klavierabende waren immer schon Wochen, ja Monate
vorher ausverkauft, und selbst für einen Passagier der „Columbia“ waren
die Eintrittspreise, von Tag zu Tag durch Zwischenhändler in eine immer
schwindelhaftere Höhe hinaufgetrieben, unerschwinglich.

Ueber den Abend, den Antonio Carracarra an Bord der „Columbia“ gab, war
nur das eine zu berichten:

Die Hände Carracarras wurden zu Musik und schwebten als Klangfittiche,
sich ihm wunderbar verschmelzend, durch den Konzertsaal, und zur Musik,
zu lebendigen Traum-Fugen wurden auch die andächtig lauschenden Zuhörer.

Als Antonio Carracarra nach Vortrag des letzten Stückes hinter einem
Frühling prächtigster Blumenarrangements verschwand, da sprach die
Meinung aller derer, die sich so reich begnadet dünkten, an diesem Abend
haben teilnehmen zu dürfen, wiederum jene ungarische Gräfin am
treffendsten aus, die, Tränen in den Augen, schluchzte:

„Einfach Apollo!“

War es da weiter verwunderlich, daß sie auch gleich darauf, was ihren
höchsten Erdenwunsch betraf, sich dahin äußerte, einmal, Antonio
Carracarras Hände über Augen und Stirn gebreitet, sterben zu dürfen
...!?

Auch dem Bankier war es dabei, als ob er seines sterblichen Körpers
entledigt würde, die irdische Hülle fiel von ihm ab, und er fühlte sich
einen Augenblick lang gut, ganz gut ...

Seine beiden Söhne kamen ihm in Erinnerung, er verglich sie in Gedanken
mit dem jungen Antonio, einige Pläne kreuzten sich ihm wirr im Kopf, und
er faßte den Entschluß, Antonio Carracarra kennen zu lernen.

Es ergab sich aber in der Folge nie eine passende Gelegenheit. Antonio
Carracarra wiederum, der an Bord ein zurückgezogenes Leben führte, tat
so, als ginge er dem Milliardär aus dem Weg, der ihm als einer der
genialsten Vertreter des modernen Finanzkapitals bekannt war, und dem er
gern die Hochachtung des Künstlers den großen Männern der Industrie
gegenüber ausgesprochen hätte ...

                   *       *       *       *       *

So kam auch jener Abend heran, der letzte vor dem Eintreffen der
„Columbia“ in Europa.

Sie sollte kursmäßig am andern Tag gegen Mittag im Hafen von Southampton
einlaufen.

Die Schiffsdirektion hatte für diesen Abend noch eine Spezialattraktion
angekündigt.

Einer der aktuellsten und durch seinen tiefen menschlichen und
künstlerischen Gehalt ergreifenden Großfilme sollte gezeigt werden, die
neuesten Ereignisse in Bulgarien schildernd.

Welch eine Ueberraschung!

Die Filmvorstellung fand kurz nach Einbruch der Dunkelheit, nach dem
Souper, im Freien an Deck statt, eine riesige Leinwand war gespannt, und
die Zuschauer hatten ihre Plätze derart eingenommen, daß sie sich bequem
in Decken gehüllt am Boden lagerten oder sich in ihren Liegestühlen
räkelten.

Die Bordkapelle spielte die geeignete Begleitmusik dazu.

Zuerst: ein Trommelsolo, dann, zögernd und diskret angedeutet: die
„Internationale“, gleich darauf ein wildes Durcheinandergeknatter von
Gewehrschüssen, dem, gemessen und mit breiten Strichen vorgetragen, ein
Choral folgte, und dann als Abschluß, fortissimo, wobei auch Hörner und
Blechmusiken mitwirkten: ein Potpourri aus der amerikanischem
englischen, französischen und deutschen Nationalhymne.

Der Filmstreifen wickelte sich ab:

Die Kathedrale von Sofia erschien, wie ein auseinandergefetzter
Steinhaufen, die Höllenmaschine, mit der dieses fluchwürdige Attentat
verübt wurde, ließ sich einige Sekunden lang sehen, dann fuhr König
Boris in einem schnittigen Automobil vorüber, gerade zur rechten Zeit
noch von seinem Vorhaben, die Kathedrale zu besuchen, ablassend, wobei
er selbst unfehlbar ein Opfer der grauenhaften Explosion geworden wäre
... Rauchende Trümmer: die Verschwörernester; verstümmelte Leichen mit
abgehackten Köpfen davor: die kommunistischen Verbrecher. Die, wie ein
darauffolgendes Bild klar aufwies, durch den rollenden roten Moskauer
Rubel bestochen, in der Tat die verabscheuungswürdigsten Pläne hegten
und – wie gezeigt – auch ausgeführt hatten. Ein Blick in das
kommunistische Parteibüro besagte mehr als genügend ... Und nunmehr
folgte auch schon der Akt der Sühne! Man sah zunächst lange Reihen von
Gefangenen vorüberdefilieren, bärtige, räuberische Gesichter, aber auch
Studenten und Gymnasiastinnen darunter, und dann Großaufnahme: die drei
Hauptschuldigen. In diesem Moment schrie einer aus dem bisher in tiefem
Schweigen verhaltenen Publikum: „Hunde! Bluthunde!“ Ein Ruf, der
allerorts begeisterte Aufnahme fand. Die aber, denen er gelten sollte,
hörten ihn nicht mehr ... Schon war das Galgenrechteck auf
dem Richtplatz in die Höhe gezimmert, der lebende Wall der
vieltausendköpfigen Zuschauermenge wogte, ungeduldig vor Spannung, auf
und ab, da aber ratterte auch schon der Lastkraftwagen mit den zum Tode
Verurteilten heran, in eine Horde schwerbewaffneter Soldaten gepfropft,
und der letzte Gang begann ... Das Urteil wurde nochmals verlesen. Der
Verbrecher unter den Galgen geführt. (Wieder: Trommelsolo!) Man half
ihnen auf den Tisch hinauf. Einer der Henker stieg nach und legte den
Strick um den Hals ... Man sah deutlich an den Kopfbewegungen der
vornehmen Gesellschaft auf den Zuschauertribünen, die sich blendend
amüsierte, daß jetzt der Staatsanwalt fragte: „Alles fertig?!“ Die
Henkergesellen nickten, sprangen wie Katzen auf die Tische zu, warfen
sie um und schlangen sich zugleich bis zu den Hüften herauf um die
Leiber der Exekutierten, fest darin eingekrallt, schnitten dazu wie
Clowns Grimassen, die Leiber der Exekutierten schwangen langsam wie
Pendel hin und her, strafften sich, und der Strick, von dem doppelten
Gewicht, dem des Henkers und dem des Gehenkten, belastet, schnitt
doppelt tief im Genick des Gehängten ein ... (Hier senkte sich feierlich
wie ein Samtvorhang aus Moll der Choral hernieder ...) Eine weiße Kapuze
wurde jetzt den im Todeskrampf zu einiger wüsten Grimasse verzerrten
Gesichtern übergestülpt und –

Das Nationalhymnen-Potpourri schmetterte!

Während zu gleicher Zeit das Schlußbild aufleuchtete:

„Des Volkes Blühen und Gedeihen!“

Erntefelder.

Bauern, die Garben binden.

Und König Boris, der gute Worte und Orden spendend wie ein Heiland durch
ihre ehrfürchtig die Köpfe von den Mützen entblößenden Reihen
hindurchschritt ...

Das Bordpublikum klatschte.

Die Zuschauer waren, wie sich das in ihren Gesprächen äußerte, alle
durch die historische Wucht jener Szenen zu tiefst erschüttert.

Das Lichtbild mit dem Galgen stand noch einen Augenblick lang in der
Nacht, und darunter mit einer flammenden Inschrift, die sich jedem tief
bis auf den Herzkern einbrannte, nichts weiter als die knappen Worte:

„Wir oder sie ...“

                   *       *       *       *       *

Und der Herztakt des Schiffes, die Maschine, stampfte ...

                   *       *       *       *       *

Nur in der Bar war noch bis über Mitternacht Betrieb.

Es dauerte diesmal bis in den Morgen hinein.

Eine kunterbunte Gesellschaft hatte sich dort nach der Filmvorführung
zusammengefunden: Dancinggirls, die Schiffsoffiziere mit den Aspiranten,
Sportsleute, Schaupieler.

Auch der Bankier saß als „stiller Teilnehmer“ in einer Ecke im
Klubsessel.

Der „Budenzauber“, wie sie es nannten, begann, als einer, in eine lang
an ihm herabwallende Ku-Klux-Klan-Maske gekleidet, händeklatschend und
dabei wie ein bayerischer Gebirgler jodelnd hereintanzte.

Das war das Zeichen zu einer allgemeinen Kostümierung.

Trotzdem alles nur improvisiert war, waren die Kostüme ausgezeichnet
gelungen.

Einer erschien als Meergott Neptun, einer als Pope, einer als Gehängter,
sogar den Strick noch um den Hals, die Dancinggirls teils als
„öffentliche Frauenzimmer“, teils als Nacktdamen.

Eines dieser Dancinggirls tänzelte zierlich auf den Bankier zu:

„Komm, Alterchen! Schmücke dein Heim!“

Und so konnte auch er es nicht verhindern, daß man ihm einen roten
Türkenfez aufstülpte und ihm bunte Papierschlangen um Brust und Hals
wand.

Die Ku-Klux-Klan-Maske stieg auf einen Stuhl.

Ein Glas klingelte dreimal schrill.

Ein allgemeines Gesumme:

„Ah, eine Ansprache ...“

Die Ku-Klux-Klan-Maske sprach dabei aus einem langen rüsselartigen
Papiertrichter, der sich abwechselnd auf und zu rollte. Die Worte daraus
tönten dumpf und krächzend.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema dieses Abends ist
einfach. Bitte, stellen wir uns vor, dieser Raum hier sei ein
Unterseeboot oder eine Taucherglocke. Wir befinden uns auf dem Grund des
Meeres. Hören Sie, wie es knirscht: das sind Schädelgerölle, über die
der Kiel unseres Bootes wie ein Wiegemesser hin und her wippt ...
Rettung ist ausgeschlossen ... Also, meine Herrschaften, wir setzen
jetzt einen Sauerstoffapparat in Gang, den Reservebehälter. Nach ihm –
die Sintflut! ... Läutern Sie Ihr religiöses Gemüt! Zur Ohrenbeichte und
Absolution haben Sie nebenan ungestört Gelegenheit ... So also liegt die
Situation ... Eine verfahrene Sache. Diesmal also ist der Karren im
Dreck stecken geblieben ... Wir haben nunmehr die sicher lobenswerte
Absicht – und die hohe Kommandoleitung unseres versunkenen Boots hat
sich dem Wunsch ihrer Untertanen angeschlossen – wir hegen also die
Absicht, in unserem eigenen Sarg die wenigen Stunden, die uns durch die
Gnade unseres Sauerstoffreservebehälters gelassen sind, würdig mit
unserem eigenen Leichenbegängnis zu begehen. Unsere Gesellschaft ist so
gemischt wie nur irgend möglich zusammengesetzt. Alles ist darunter;
alles, was das Herz eines armen Sterblichen begehrt: Kokotten, Zuhälter,
Kolonels, Prärie-Räuber, Ku-Klux-Klan-Leute, Bolschewisten, Milliardäre,
sogar ein Henker. Darf ich gleich vorstellen – vielleicht findet sogar
noch im letzten Lebensaugenblick eine Hinrichtung statt – Jonas
Thompson, gebürtig aus Chikago, erfolgreicher Scharfrichter ... Und nun,
meine Herrschaften, nützen Sie Ihr Leben, so lange es Ihnen kraft der
eingangs meiner Rede behandelten Umstände noch gestattet ist ... Freut
euch des Lebens, wenn noch das Lämpchen glüht ...“

Ein Wirbeltaumel von Schlaginstrumenten, Tamburins, Blechschellen,
Trommeln, Holzklappern setzte schon bei den letzten Worten der Rede ein.

„Freut euch des Lebens! Das soll heute Nacht unser Motto sein!“

Plärrte heroisch ein Schauspieler mit gewaltiger Stimme.

Glas auf Glas wurde hinuntergestülpt.

Einige rülpsten laut.

Andere gurgelten.

Eine der Tänzerinnen wurde auf den Tisch gelegt, ein langer
Spritzenschlauch ihr zum Mund eingeführt.

Die Ku-Klux-Klan-Maske feixte geheimnisvoll:

„Rhizinus!“

Und zum Henker gewandt:

„Danach tranchiert ...“

Gleich darauf erschollen Hochrufe:

„Der heilige Ku-Klux-Klan soll leben! ...

„Aber auch die von ihm massakrierten, die Kopflosen und die Gehängten!
...“

Unter lautem Beifallsgebrüll schleppte der Scharfrichter einige
Stoffpuppen heran, die ihm welk wie fleischige Lappen unter den Armen
hingen.

„Frisch vom Galgen ... preiswert abzugeben ...“

„Hoch! Hoch!“

„Es lebe der Kommunismus! Hoch!“

Eins der Dancinggirls setzte sich jetzt rittlings auf die Schulter eines
Cowboys, der wiederum auf der Schulter der Ku-Klux-Klan-Maske stand.

„Welch ein Akrobatenkunststück! Excentrik-Akt! Brillant! Famos! Was!
...“

Und das Dancinggirl trällerte den neuesten Schlager:

   „Das ist doch wenigstens noch etwas anderes
   Als Kalifornien mit seinem ewigen Einerlei ...“

„Na, Dickerchen, was meckerst du denn!?“ geriet jetzt an den Bankier
einer der als Zuhälter Kostümierten heran, eine Kokotte imitierend.

„Schnuckelchen, bin ich nicht eine süße Kanaille, ein liebreizender
Schäker ... o du, mein holder Abendstern ...“

Dabei fächelte er ihm mit einem Flederwisch ins Gesicht.

Befingerte ihm den Bauch, tat schwul, seufzte sabbernd „uch nein“, und
ließ dabei zum Spaß mit einem Taschendiebstrick die Uhr mitsamt der
Kette verschwinden.

„Na, Männeken Schwemmbauch, Männeken Wackelbauch! ... Auch anders wie
die anderen!? ... Du federleichtes Spatzengehirn, wieviel Milligramm
wiegst du denn, Komm tanz mal! ... Lüft auch mal ein wenig deinen
Klubsesselhintern! ... Tu dich doch nicht so, Kratzbürste!“ ...

Nur mit Mühe gelang es dem Bankier, gut zuredend, den die Kokotte
imitierenden Zuhälter von sich abzuwehren ...

                   *       *       *       *       *

An einem Tisch in der gegenüberliegenden Ecke hatten sich inzwischen die
Schiffsoffiziere über einen der Aspiranten hergemacht.

„Nein, so ein Kadett! Drollig, drollig, so ein Witzling, will Seemann
werden und verträgt keinen Schluck nicht.“

Ein Humpen nach dem andern wurde ihm in seinen Schlund entleert.

„Na, grein nicht, kriegst schon den Schnuller.“

Eine dicke Havanna wurde ihm zwischen die Zähne gepreßt.

„Na, Bürschchen, soll ich dir jetzt mit dem Finger das Gaumenzäpfchen
kitzeln oder dir ein Stückchen schön fettigen Schweinespecks recht
liebevoll an einem Schnürchen im Hals auf und niederziehen!? ...“

Der Schiffsaspirant, noch ein Bübchen, verfärbte sich grün und weiß.

Kotzte.

„Na endlich! ... So ein Muttersöhnchen, so ein Lausewürstchen, das zieht
ihm die Milch aus den Wangen ... Tüchtig, allemal tüchtig! Auch das
Kotzen will gelernt sein. Verflixte Drecksau! Hast du die Zappelfritzen
heute abend am Galgen gesehn!? Ja!? Genau so ergehts dir, wenn du nicht
bald Gläser in Scherben beißen kannst! ...“

Die Ku-Klux-Klan-Maske tutete aus ihrem Papierrüssel „Halleluja! Gloria
in Excelsis! Hosianna! Er kotzt! Er kotzt sogar um die Ecke! ...“

Ein Freudengewieher erfüllte den ganzen Raum.

„Hihihi!“

„Hahaha!“

„Huhuhu!“

„Kotz! Kotz! Wart du Milchgesicht! Noch eine Prise gekotzter Sch...e
gefällig!?

„Eine schöne Bescherung! Und wie er kotzt! Wie wie! Nein, habt ihr schon
einmal so ein Kotzen gesehen?!

„Toll, einfach toll! Nur nicht stecken bleiben in deiner Lektion,
Brüderchen! Sag sie immer mal feste uff ...“

Auch der Bankier, vom Scharfrichter und der Ku-Klux-Klan-Maske geleitet,
mußte sich das Kotzen mitansehen.

„Direkt eine Sehenswürdigkeit!

„Ein Meister seiner Art!

„Ein richtiges Kotzwunder!

„Komm, animier ihn zum Kotzen, Dickerchen!

„Sieh ihn dir an, Bürschchen, den Bankier, ein fetter Leckerbissen, was
...

„Aber wenn du jetzt wieder kotzt, laß bitte die Gedärme drin ...“

Der Aspirant schlug wie hypnotisiert die Augen auf und ergab sich gleich
wieder demütig in sein Schicksal, das heißt, er kotzte.

„Wir müßten eigentlich rechtskräftig für dieses Kotz-Schauspiel
besonderes Eintrittsgeld erheben ...

„Im übrigen: nur Erwachsenen ist der Zutritt gestattet.

„Sind vielleicht trotz des ausdrücklichen Verbots Hunde und Kinder
anwesend!?“

Unter lautem Gejuchze wurden von dem Scharfrichter die Dancinggirls, der
Bankier und die Ku-Klux-Klan-Maske als Hunde und Kinder verhaftet, und
aus der Kotz-Vorstellung abgeführt.

„... Nieder mit ihm auf den Boden! Laßt ihn doch seinen eigenen Dreck
aufschlecken ...“ brüllte ein Obermaat jetzt den Aspiranten an, der aus
dem letzten Loch pfiff und bestimmt glaubte, sein letztes Stündchen sei
gekommen.

Einer der rangältesten Offiziere aber nahm den Ausgekotzten, wie er ihn
bärbeißig nannte, jetzt fest in den Arm, drückte ihn an sich und wiegte
ihn.

„Na, mein Wickelwackelkind!? Saugst jetzt an der Mutterbrust ... Schlaf,
mein Kind, schlaf ... Na, hat das Komitee der Todgeweihten nicht etwas
zu bieten!?“

Es war inzwischen Morgen geworden.

Wieder bestieg unter geheimnisvoll gemurmelten Beschwörungsformeln und
eckige Zeichenbuchstaben mit der Hand in die Luft fuchtelnd die
Ku-Klux-Klan-Maske den Tisch.

„Ruhe im Puff! ... Meine Damen und Herren!“

Einige lagen bereits am Boden.

Ein Schiffsoffizier wimmerte monoton vor sich hin:

„So ein Rotzlöffel, nein, so ein Kotzteufel ...“

Lautlose Stille trat ein.

Man hörte Schnarchen.

„Hören Sie, der Ast, auf dem wir sitzen, wird soeben abgesägt ...“
witzelte die Ku-Klux-Klan-Maske als Nebenbemerkung vor sich hin.

„ssssst!“

Ein Glas klingelte schrill dreimal.

„Eine wichtige Mitteilung! Die Gespenstersitzung ist zu Ende. Ruhe und
Ordnung! Die Verfassung der Todgeweihten verlangt es! Der
Sauerstoffbehälter ist leer. Suchen Sie sich Ihre Plätze aus! Nehmen Sie
die Haltung ein, in der Sie zu sterben wünschen. Stellen Sie langsam
Ihre Atmung ab, wenn ich bitten darf ... Einige Minuten noch ... Dann
erscheint, wie weiland bei Nebukadnezar die Feuerschrift an der Wand:
_mene menetekel upharsin_. Und dann drücken die Wasser zu den Wänden
herein, denn unsere Taucherglocke, meine Herrschaften, ist im Verhältnis
zum Meeresdruck eine gar windige Konservenbüchse. Pappe. Eine Sache wie
ein Spielzeug ... Sehr verehrte Frau Leichinnen! Sehr verehrte Herren
Leichen! Wir bekommen gleich hohen Besuch! Aale, Algen, Schwertfische,
Wale ... Pst! Pst! Die Leichen werden um Ruhe gebeten! ...“

Es herrschte in der Tat während der Schlußrede der Ku-Klux-Klan-Maske
vollkommene Totenstille.

Auch jetzt noch, da sie schon seit geraumer Weile geendet hatte.

Hie und da nur ein krampfhafter Schluck.

Es gluckste.

Einige würgten ihren Brechreiz hinunter.

– – –

Die Maschinen stampften.

                   *       *       *       *       *

Es war kurz vor der Ankunft der „Columbia“ in Europa.

Das Signal „Land in Sicht!“ hatte alle Passagiere an Deck versammelt.

Langsam stieg am Horizont die englische Küste hoch.

Der Bankier wiegte sich in seinem Liegestuhl und blinzelte schläfrig ins
strahlende Licht.

Der junge Musiker entschloß sich nun doch, die Bekanntschaft des
Milliardärs zu machen.

Trat an den Amerikaner heran:

„Nun zwar in letzter Stunde ... aber doch ...“

Und als der Amerikaner freundlich nickte:

„Auch ich ... wie mich das freut ... bitte, bitte ...“

Zog auch der junge Italiener einen Liegestuhl herbei und setzte sich
dicht an den Amerikaner heran.

„Ich dachte eigentlich, Sie neulich abends nach dem Film noch bei dem
Maskenfest zu sehen ...?“

„Nein, solche derben Späße vertragen meine Nerven nicht. Da geht es dann
gegen Ende zu doch immer ziemlich toll her. Das sind Volksbelustigungen,
mit einer tüchtigen Sprengdosis Kaschemmenton untermischt, nicht
geschaffen für Menschen meiner Art ...“

„Ach, Spaß muß sein. Man muß die Jugend doch schließlich sich einmal
austoben lassen. Es war eigentlich ganz gemütlich ...“

„Ich habe gehört, daß Sie mit dem Flugzeug nach Paris ... Und da wollte
ich mich mit Ihnen verabreden ...“

„Gut. Gut. Ich bin hocherfreut darüber, daß wir uns noch kennengelernt
haben, bevor es zu spät ist ...“

„Junger Freund!“ begann jetzt wieder der Amerikaner nach einigen Minuten
Stillschweigens. „Ich möchte zwar nicht mit der Türe, wie man so sagt,
ins Haus fallen, aber Sie interessieren mich ungemein. Vielleicht
erscheint es Ihnen so, als sei ich aufdringlich. Nein, das aber ist es
nicht. Aber ich habe das bestimmte Gefühl, wir seien schon seit langem
gute Bekannte, um nicht zu sagen Freunde, und ich habe auch den Glauben,
die Zuversicht: wir werden es immer bleiben ...“

„Sonderbar! Sonderbar!“ erwiderte der junge Italiener. „Ich hätte
dasselbe nicht besser von mir aus sagen können ... Fragen Sie mich,
bitte fragen Sie mich ... Es erscheint mir wie eine heilige Pflicht,
Ihnen Antwort zu geben ...“

Wieder schwieg der Bankier.

Er schien sich die Frage innerlich abzuringen.

Am Horizont stieg die englische Küste höher empor.

„In spätestens einer Stunde werden wir da sein ...“, sagte ein Paar, das
an den beiden vorüberstrich.

„Na also, junger Freund, da Sie sich entgegenkommenderweise dazu bereit
erklärt haben, mir Rede und Antwort zu stehen ... Sie werden ja selbst
fühlen, Schweres geht in der Welt vor. Die Welt geht schwanger mit
gewaltigen Ereignissen. Sie sind ein gottbegnadeter Künstler und müssen
daher über die Schranken der Zeit, der wir Sterbliche verhaftet sind,
hinausblicken. Und welche Ideale nun sind es, frage ich Sie, für die die
Jugend in den Weltentscheidungskämpfen, in denen wir stehen, ihre Stimme
erhebt? Auch ich habe Söhne. Vielleicht können Sie jetzt meine Frage
begreifen ... Ich zittere oft aus Angst um meine Söhne ... Ich frage Sie
als Freund und Vater ...“

Der junge Italiener schien über die Frage nicht sonderlich erstaunt.

Er holte tief Atem, das wie Seufzen klang, dann erwiderte er.

„Ich spreche, wenn ich jetzt zu Ihnen spreche, Mr. Branting, im Namen
und im Auftrag einer Jugend, im Namen eines ganzen Geschlechts. Welchen
Geschlechts, das sollen Sie alsbald erfahren!

„Dem Ungewöhnlichen, Abenteuerlichen, Tollkühnen, all dem, das wie ein
Kreisel balancierend über eine messerscharf geschliffene Kante
dahinschwebt: dem gilt unsere Liebe ... Wir, die wir in Wahrheit nicht
mehr lieben können, wir lieben die Liebe. Wir, die wir in Wahrheit uns
nicht mehr sehnen können, wir empfinden eine heiße Sehnsucht nach der
Sehnsucht ... Wir lieben nicht mehr mit dem Herzen, wir sehnen nicht
mehr aus Herzensgrund heraus: wir lieben, wir sind sehnsüchtig mit den
Nerven ... Wir sind Nervenbündel, längst stumpf gekitzelte Nervenbündel,
hoch hinein in den Weltenraum wie eine Antenne gespannt: wir vibrieren,
phosphoreszieren ... Nicht mehr ... Wir senden keine Funken, wir
strahlen keine Wärme mehr aus ... Der Lebensquell in uns ist versiegt
...

„Wir sind unglaublich feist, geistig feist, meine ich, ausgehöhlt vor
unstillbarem Heißhunger und sattgefressen zugleich. Wir werfen uns über
die Welt, gierig wie über einen Leichenhügel her, wir beschlafen
Leichen, treiben Leichenschändung, und selbst unfähig zum Leiden, sind
wir geniale Leidenspender ganzer Völkerrassen, die durch uns zum Leiden
gezwungen sind. Wir sind gefräßige Kulturmaden, wir sind die
wollüstigsten, raffiniertesten Genießer, die je ein Zeitalter
hervorgebracht hat.

„Sehen Sie, gestern abend bei der Vorführung des Hinrichtungsfilms, da
habe ich deutlich beobachten können, wie die Herrschaften dabei vollauf
befriedigt sich mit der Zunge die Mundwinkel leckten. Auch mir zog es
das Wasser im Munde zusammen, auch ich leckte mir die Mundwinkel ...

„Wir genießen aber auch unseren eigenen Tod! Jauchzen wir nicht jeden
Tag wieder von neuem vor Entzücken auf über unsere eigene Verwesung!?

„Aber in all diesen Genüssen wollen wir ungestört sein! Wehe dem, der es
wagen sollte, nach unserem Traumreich die Hände auszustrecken!

„Denn grausam sind wir, erbarmungslos, das Gehirn voll von Ränken und
unberechenbaren Gedanken, geschmeidig und unerbittlich zugleich, und
noch sind wir stark, stark genug! ...

„Farbenräusche, Klangräusche ... auch der Sinnenrausch, der Blutrausch
ist für uns geistige Menschen ein geistiger Rausch.

„An was berausche ich mich, wenn das Schiff wie jetzt über die
abgründige Meertiefe dahinfährt?

„Ich berausche mich an dem Gedanken an seinen Untergang.

„An was berausche ich mich, wenn die Nacht hereinbricht und der Mensch
in ihrem Schatten zusammensinkt?

„Ich berausche mich an dem Gedanken: es wird der Menschen letzte Nacht
sein ...

„Ich berausche mich an dem Gedanken, wie mich Stunde für Stunde die
Finsternis aufzehrt, an dem Gedanken, wie mir Haar und Nagel im Sarg
noch um ein geringes nachwächst ... Ich bin trunken davon ...

„Ich berausche mich am Rausch. Aber dieser Rausch, Mr. Branting, hat
_eine_ Voraussetzung: Ihre, ja Ihre Nüchternheit.

„Hören Sie: ich bin nur Ihre andere Seite, Mister!

„Ich bin nur die andere Seite jener Medaille, die heute noch den
Kurswert der Zeit besitzt.

„Ich bin Ihr „wahres Jenseits.“

„Ich bin Ihr: „nicht von dieser Welt!“

„Ich bin der goldene Sternenschmelz an der Gedanken-Kuppel, die sich
dieser Welt überwölbt ...“

Die Maschine tief unten im Schiffsrumpf stampfte.

„Sie haben wunderbar, ergreifend gesprochen, Antonio. Ihre Worte klangen
wie eine Symphonie ... Haben Sie mir nichts mehr zu sagen!?“

„Gewiß! Gewiß! Mister! Wir sind eingetreten in das Zeitalter des
„letzten Worts“, und dieses „letzte Wort“, das wir sprechen werden, muß
ebenso wie das erste, das wir gesprochen haben, hart sein! Ein
Machtwort!! In dieser Periode unserer Herrschaft können wir uns nicht
mehr den Luxus der flauen Rede gestatten! ... Nach der politischen Seite
hin betrachtet, entspricht der Faszismus noch am ehesten unserer
Weltkonzeption. Wir können der Menschheit zwar keinen neuen Welt-Entwurf
vorlegen, aber wir werden mit spitzem Hammerschlag noch einen neuen Zug
ins Weltgesicht einmeißeln: eine grausame Linie, Schattenkurven unters
Auge, eine maßlose Bitterkeit. Wir dürfen unter Umständen auch nicht
davor zurückschrecken, das Welten-Antlitz offen und zynisch in eine
Blutgrimasse umzuschminken ... Wir sind zwar Flüchtlinge. Wir sind auf
dem Rückzug. Aber dieser Rückzug vollzieht sich unter der Parole des
Angriffs, unter einem schmetternden Angriffssignal ... Wie auch unser
Draufgängertum, unser brutaler Mut Lebensfeigheit und eine tiefe
Welt-Angst zur Wurzel hat. Leichentürme türmen wir uns selbst zur
Leichenfeier auf diesem Weg, Leichentürme, Opferberge. Wenn wir Menschen
anstecken als Fackeln, zünden wir uns selbst an. Wir legen bei allem,
was wir tun, Hand an uns selbst. Wir sind gezwungen, ob wir wollen oder
nicht, uns an uns selbst zu vergreifen ... Wir verzweifeln an der
Verzweiflung ... Aber, wie ich Ihnen schon sagte, wir sind noch stark
genug, stark ...

„Das gewaltige Schüttelfieber, das seit langem uns alle befallen hat,
schüttelt unter konvulsivischen Zuckungen aus uns noch die letzten
Früchte heraus: eisig glühende, gespenstische, exzentrisch verformte
Gewächse. Dann ist uns der Herbst gekommen, traum- und rauschlos ist er,
dieser Welten-Herbst, von einer Kälte, Morschheit und Einsamkeit
ohnegleichen, daß man sich schier selbst verbrennen möchte. Wird dann
noch einmal wie dürres Blättergeraschel diese Welt aufflammen zu einem
Scheiterhaufen, darauf man sich zur großen Ruhe betten kann!?“

Die Maschine unten im Schiffsbauch stampfte fester.

„Hören Sie, hören Sie ... Das ist es ... Die Maschine stampft, und sie
stanzt mit jedem Kolbenstoß unser Grabloch tiefer aus der Erde heraus!
... Der Heizer im nackten Oberkörper da unten, der Arbeiterkittel, der
feldgraue Rock ... Die, die sind es ... Ich berausche mich, wenn ich an
sie denke bei dem Gedanken, sie, wenn ich schon auf mein Traumreich
Verzicht leisten muß, eigenhändig mitzuwürgen. Stahl, Kohle, Erdöl: aus
ihnen heraus destilliert sich auf einem langen, qualvollen Umweg mein
Traumreich ... Und wenn Stahl, Kohle, Erdöl einst aufstehen wider mich
–!?“

Die Maschine stampfte zurück.

Der Schiffskörper zitterte.

„Also!“

Der Bankier und der junge Musiker erhoben sich.

„Europa.“

„Was ich Sie noch fragen wollte, Antonio: glauben Sie an die
Unsterblichkeit der Seele, an Gott?“

„Mr. Branting, bleiben wenigstens wir ehrlich voreinander. Wir beide
wissen mehr, als wir für unbedingt geboten halten, daß es ausgesprochen
wird ...“

„Also dann auf Wiedersehen, morgen früh, Punkt acht, im Flugzeug!“

Die Schiffssirenen schrillten.

An einem gewaltigen Hebelkran vorüber, der wie ein eisern gemuskeltes
Armgelenk gebogen herniederhing, lief die „Columbia“ in dem Hafen von
Southampton ein. –

                   *       *       *       *       *

„Ein eigenartiger Reiz!“ nickte der Bankier seinem jungen Freunde zu,
als das Flugzeug wie ein Aufzug senkrecht in den lichtblauen Aether
hineinschnellte.

„Gleicht nicht die ganze Welt einer gläsernen Riesenkugel,“ träumte
Antonio Carracarra, „mit Lichtblau angefüllt, angefüllt mit schmelzendem
Meerblau. Und der Mensch, von gekrümmten Klang-Mulden umgeben, eine
melodische Schwingung darin: anklingend, eine kurze Spanne lang
volltönend, und wieder verwehend ... O luftblaue Höhle des Nichts ...!“

Die Flugzeugmotore donnerten.

„Hören Sie, Mr. Branting, auch hier die Maschinen! Ueberall in der Welt
singt es unseren Untergang. Aber auch wir stimmen darin ein wie in ein
Triumphgeheul ... Sehen Sie, tief dort unten auf der Meeresfläche:
Dreadnoughts, ein, zwei Geschwader ... Und ich berausche mich bei dem
Gedanken an das, was kommen wird ... Ich berausche mich bei dem Gedanken
an die wie ein leise sirrendes metallisches Gewitter heraufziehenden
Geschwader der Bombenflieger, ich berausche mich an dem Gedanken an den
kommenden Krieg, der die ganze Welt mit Gasschwaden einsumpfen wird ...
Dieser Krieg muß von uns wie ein Mysterium mit einem Gürtel von
Geheimnissen umgeben werden. Die wenigen Eingeweihten werden zu
schweigen wissen ... Ich berausche mich bei dem Gedanken an dieses
Geheimnis, an unseren Absturz, an unseren Zusammenbruch, der die im
Giftgas sich krümmenden Menschenmillionen wie eine lebendige grandiose
Leichenschleppe hinter sich herziehen wird ... In Schönheit sterben,
nenne ich das ...“

Der Bankier hörte mit halbgeschlossenen Augen den Worten seines Freundes
zu.

„Was Sie sagen, nein, singen, Antonio, ist mir, als wäre es aus meinem
Herzinnersten geboren ... Wie gottbegnadet Sie sind! Ein Dichter! ... Es
ist gefährlich, was Sie sagen ... Der Weltabgrund, über den berauscht
wir dahingleiten, selbst spricht ...“

                   *       *       *       *       *

Das Automobil, das die Flugzeugpassagiere vom Landungsplatz auf den
Longchamps nach Paris bringen sollte, blieb plötzlich mitten in einem
ungeheueren Menschenstrom stecken.

Rote Fahnen wehten.

Rufe erschollen:

„Nieder mit dem Krieg!“

„Eine Arbeiterdemonstration! ... Sie demonstrieren gegen den Krieg ...
Damit meinen sie aber in Wirklichkeit uns! ... Es lebe der Krieg ... Der
Krieg, er lebe ... Hüten wir aber unser Geheimnis! Lassen wir es den
großen Tanz des Schweigens auf unseren Zungen tanzen!“

Langsam steuerte der Chauffeur das Automobil frei.

„Sehen Sie, Mr. Branting, wieder ist es die Maschine, die Millionen
solcher Menschen, ganze Armeen aus dem Erdboden heraufstampft ... Es
sind Millionen, Abermillionen Grabwürmer in Menschengestalt, die uns wie
einen Berg bei lebendigem Leibe abtragen ... Hört ihr die Meute
kläffen!? ... Werden wir sie daran hindern? Leisten wir ernsthaften
Widerstand? Nein. Aber wir verstricken sie in unseren eigenen Untergang
... Spüren Sie nicht, wie jeder Blick der Demonstranten uns das Messer
zwischen die Rippen hindurch wünscht?! ... Sehen Sie dort: die Polizei
rückt an! Die Truppen schießen ... Die eiserne Kette des
Demonstrationszuges schwankt, reißt ... Aber, aber ... Wie lange noch?!
... Giftgase über diese empörerische Erde! Die Sintflut über uns! ...
Noch nicht genug durchfiltriert ist die Erde. Nun kommt die
Giftgasschwemme als letzte Feuerprobe ... Bald ist’s so weit ...“

Die beiden Freunde verabschiedeten sich.

„Ich danke Ihnen! Von ganzem Herzen danke ich Ihnen! Sie haben mir
unendlich viel gegeben!“

„Auch Sie mir, Mr. Branting! Ja, es ist mir jetzt, als ob ich damals
unbewußt, als ich auf dem Schiff im letzten Augenblick an Sie herantrat,
jenem noch wenig erforschten, aber sicher auch im Menschenleben
geltenden Gesetz von der gegenseitigen Anziehung gleichartiger Größen
gefolgt sei. Wir beide, wir gehören unzertrennlich zusammen, wie Stoff
und Geist. Zwei verschiedenartige Profile nur ein und desselben
Gesichts, und der Sockel, darauf wir ruhen: aus _einem_ Guß ... Ich
fahre morgen weiter nach Marseille, dann nach Nordafrika, Kairo ... Ich
will den Kelch zur Neige leeren. Ich will die Welt zu Ende schmecken.
Ich will das Nichts, das diese Welt ist, gründlich bis auf den Grund
auskosten ... Im übrigen, beinahe hätte ich vergessen, da Sie gerade in
Paris sind, müssen Sie einmal so einen kleinen Bummel über die
Schlachtfelder machen. Lohnt sich. Großartig, sage ich Ihnen, das ...
Und nun leben Sie wohl! Grüßen Sie mir, wenn Sie darüber wandern, die
Katakomben der Schlachtfelder und dann, wenn Sie in St. Moritz sind, den
Sonnenaufgang über den Schweizer Bergen, die ewigen Gletscher! ... Und
ob wir uns noch einmal wiedersehen oder nicht –!? Hüten wir unser
Geheimnis! ... Nun: glückliche Reise!“

Die beiden Freunde umarmten sich.

                   *       *       *       *       *

Der Bankier nahm, wie er sich ausdrückte, die den Fremden gebotene
Gelegenheit nicht ungern wahr, unter sachkundiger Führung die berühmten
europäischen Schlachtfelder aus dem Weltkrieg 1914 bis 1918 zu besuchen.

Wieder war es ein herrlicher Frühlingstag, als die jede Woche einige
Male stattfindende Fremdenfahrt begann.

Es mochten gegen sieben vollbesetzte Autos gewesen sein, die an diesem
Tage an der Exkursion teilnahmen.

Innerhalb zweier Stunden war, wie es in dem umfangreichen und mit
auserlesenen Bildermaterial versehenen Prospekt hieß, das Schlachtfeld
bequem zu erreichen.

Das Diner sollte programmäßig in dem neu aufgeführten Hotel „Zum
Weltkrieg“ eingenommen werden, das an der Stelle eines in Trümmer
geschossenen Dorfes errichtet worden war: fünfzig Stock hoch, nach
amerikanischem Zweckstil, und in der sicheren Erwägung der Unternehmer,
daß sich in dieser Gegend bald eine ausgedehnte Fremdenindustrie
entwickeln werde.

Das hier ausgeführte Projekt war, mit dem ersten Preis gekrönt, aus
einem internationalen Wettbewerb, ausgeschrieben von der
Schlachtfelder-Verwertungsgesellschaft m. b. H., hervorgegangen, an dem
sich die berühmtesten Architekten des In- und Auslandes beteiligt
hatten.

Die Schlachtfelder-Verwertungsgesellschaft m. b. H., deren Aufsichtsrat
prominente politische Persönlichkeiten Frankreichs angehörten, hatten
riesige Flächen Schlachtgeländes schon während des Krieges, die
Panikstimmung unter der ländlichen Bevölkerung ausnützend, oder gleich
nach Beendigung des Krieges zu spottbilligen Preisen aufgekauft und
beabsichtigte, wenn der von ihr inszenierte und klug propagierte
„Besichtigungs-Rummel“ einmal abgeflaut sein würde, die Schlachtfelder
mit ihrem gesamten beweglichen und unbeweglichen Inventar aufzuteilen,
stückweis an die Bauern zurückzuverkaufen, um sie so wieder ihrer
ursprünglichen Bestimmung zuzuführen.

Das Hotel „Zum Weltkrieg“ wurde sozusagen zu einer Art Wallfahrtsort.

Es war der Mittelpunkt aller Schlachtfeldbesuche, aber abgesehen auch
davon, was die innere und die äußere architektonische Anlage betraf,
eine Sehenswürdigkeit ersten Ranges.

Die feierliche Einweihung fand schon vor zwei Jahren statt, im Beisein
der Pressevertreter aller Welt und in Anwesenheit der sämtlichen
Botschafter der alliierten Regierungen. Die Absicht der Gründung
allerdings reichte schon, wie gesagt, bis in die Mitte des Weltkriegs
selbst zurück. –

Nach Tisch waren die beiden Führungen in Aussicht genommen, eine zu Fuß
mitten durch die Schützengrabensysteme hindurch, von denen es hieß, daß
sie „echt“ und „original“ und „unaufgeräumt“ seien, um den Fremden auch
wirklich einen möglichst unmittelbaren Eindruck der Kriegsereignisse zu
vermitteln, die zweite sich daran anschließende Führung, deren jede
gegen eine Stunde dauerte, sollte im Flug durch die Lüfte den
Teilnehmern die Gelegenheit geben, sich in die Lage der tapferen und
heldenhaften Flieger zu versetzen, zugleich aber auch die
Kriegsereignisse durch höchstpersönliches Erlebnis von der
verantwortungsvollen Warte des hohen Kommandeurs aus nachzukontrollieren
und sie noch einmal im Geist an sich vorüberziehen zu lassen, als eine
Warnung, als eine Belehrung und als ein seltsam ergreifendes
Naturschauspiel zugleich.

Trotzdem Bankier Mr. Branting incognito reiste, hatten sich schon am
frühen Morgen Reporter und Vertreter seiner Geschäftsfreunde im Hotel
eingefunden, die durch den Sekretär des Bankiers kurzerhand abgefertigt
wurden. Kaum aber eine Stunde nach Mr. Brantings Entschluß hatten es die
Presseleute bereits in Erfahrung gebracht daß der Amerikaner mit der
Autokolonne die Schlachtfelder zu besuchen beabsichtige. So war es auch
nicht weiter verwunderlich, daß sich bei der Abfahrt eine Anzahl
Filmoperateure und Photographen einfanden, die den Bankier, der sich die
Hände vors Gesicht hielt in ein Kreuzfeuer nahmen, und von denen sogar
einige sich es etwas kosten ließen, d. h. die Tournee in höchsteigener
Person mitmachten. –

                   *       *       *       *       *

Schon eine Stunde von Paris entfernt, waren die Spuren des Krieges
deutlich bemerkbar. Die Wiederaufbauarbeit verzeichnete scheinbar
überhaupt keine Fortschritte.

Böse Zungen behaupteten, das aus den Deutschen herausgepreßte
Reparationsgeld werde zu ganz anderen Dingen, zu Spekulationen usw.
verwendet, und wiesen, nicht ohne einiges Beweismaterial für sich zu
haben, auf das enorme Anschwellen der Automobilziffern in den Städten,
besonders in Paris, hin, auf die unverhältnismäßig hohe Zahl neu
errichteter Luxuspaläste, auf die Geldkonzentration, auf das
Emporschießen neuer Vermögen und auf die rapide Zunahme industrieller
Neugründungen Luxus und Verelendung standen, selbst nach bürgerlichen
Maßstäben gemessen, kaum in einem auch nur einigermaßen mehr
erträglichen Verhältnis zueinander. Trotz Güteranhäufung, trotz Reichtum
und Verschwendung zog eine immer mehr zu einer Explosionskatastrophe
sich verdichtende allgemeine Krise heran ... Zwar Villen und Landhäuser
in einem neuen praktischen Stil gebaut sah man zu beiden Seiten der
Chaussee; neu aufgebaute Bauernhöfe oder gar wiederaufgebaute zerstörte
Ortschaften gab es beinahe überhaupt nicht ...

Der Erklärer im Vorderteil des Wagens erhob sich, deutete mit dem Finger
in die Landschaft und begann:

„Diese Höhenzüge, die die Herrschaften jetzt in der Ferne sehen ... heiß
umstritten ... zehnmal während des Krieges in unserer Hand, ebenso oft
im Besitz des Feindes ... Noch nicht wegen der zahlreichen Minengänge
betretbar ... Insgesamt 60000 Mann mögen bei der Erstürmung und bei der
Verteidigung dieser höchst wichtigen Stellungen gefallen sein ...“

„Welch ein Kontrast!“ seufzte einer der Fremden ... „Das zarte reine
unschuldige Himmelsblau und diese Landschaft ... Das ist ja alles noch
totes Land. Nichts gesät, nichts geerntet ... O welch eine Katastrophe!
Katastrophal das ...“

Das Auto schwankte, Dreckspritzer um sich schleudernd, auf der
holperigen Landstraße, die erst seit kurzem wieder hergestellt war.

An einem Wald glitt man vorüber, an einem Fetzen von Wald, an einem
Waldgespenst. Alle Bäume von Granaten zerrissen. Holzspäne lagen weit
und breit. Wie in einer gewaltigen Hobelwerkstatt. An einem Weg quer
durchs Feld bemerkte man schon Ansätze von Schützengräben. Der Erklärer
bedeutete mit erhobener Stimme gewichtig, diese seien von den Franzosen
in den Tagen der Schlacht an der Marne ausgehoben worden.

„Das wäre also vor Paris unsere letzte Stellung gewesen ...“

Die Gesellschaft wandte die Blicke rückwärts, wo die Konturen der
Hauptstadt in einer dunstigen Nebelferne verschwammen.

Die Autokolonne raste weiter die Chaussee entlang.

Die einst prächtigen Alleepappeln waren alle in halber Höhe geknickt.
Die zerschlissenen Reststämme zeigten die sonderbarsten Figuren.

Eine dreistimmige Fanfare schmetterte die Autokolonne in die Landschaft.

Hie und da in einer der zerstörten Ortschaften trat ein
menschenähnliches Wesen aus einer der Ruinen hervor, über und über mit
Lumpen bekleidet, blinzelte, beschattete das Auge mit der Hand und sah,
wie zu einer Säule erstarrt, noch lange der dahinknatternden Autokolonne
nach ...

Auch einige kleine Kinder spielten hie und da in Dreckpfützen herum,
grimassierten und streckten die Zungen ...

Nun begann der Erklärer Kriegsgeschichten, Kriegsmoritaten und
Kriegsheldentaten zu erzählen. Diese Erzählungen waren durchwegs alle
mit Rücksicht auf etwaige deutsche Massengräberbesucher auf einen
versöhnlichen und für die deutsche Armee außerordentlich anerkennenden
Ton gestimmt.

„Man muß schon sagen, der Feind hat sich tapfer gehalten. Hier zum
Beispiel, wenn wir ihm Gerechtigkeit angedeihen lassen wollen, hat er
sich geradezu bravourös geschlagen ... Hier sehen Sie: der Tod fürs
Vaterland! ...“

Und soweit das Auge reichte: Kreuz an Kreuz, schwarze schlichte
Kreuzpfähle mit einer weißlichen, nun schon verblichenen Inschrift,
lauter deutsche Namen.

„Rund eine Infanterie-Division! ... Alle mit Gas ...“

Aber schon wieder erschien ein neues Kreuz-Feld, dahinter noch eins und
nebendran wieder eins, und dann Felder, Felder nur noch mit einem
einzigen großen Holzkreuz darauf oder mit einem umgekehrten Spaten.

„Massengräber. In keinem unter tausend Mann ...“

„Hier soll noch im Laufe des Jahres, vielleicht im Herbst, ein großes
Kriegerdenkmal errichtet werden, in Pyramidenform. Oder ähnlich dem
Grabmal des „Unbekannten Soldaten“ unterm _Arc de Triomphe_ ... Mit
einer ewigen Flamme ... Es wird eine gewaltige Sache werden ...“

Langsam rückte am Horizont der fünfzigstöckige Turmbau des Hotels „Zum
Weltkrieg!“ empor.

Ein allgemeines „Ah!“ entrang sich der staunenden Gesellschaft.

„Ein tollkühnes Projekt in der Tat! Noch dazu in solch einer Gegend!“
...

„Wird sich das rentieren ...?“

„Doch, doch! Die Schlachtfeldbesuche sollen noch bedeutend ausgebaut
werden ...“

„Da läßt sich noch allerlei dabei herausholen!“

„Dieses Hotel kann sozusagen das Zentrum einer neuen gewaltigen Stadt
über den Schlachtäckern werden.“

„Entwässerungsanlagen usw. wären dazu allerdings nötig, aber wenn die
Aufräumungsarbeiten munter und rüstig vorwärtsschreiten, wer weiß, in
ein paar Jahren vielleicht ...“

Der Bann des Schweigens, der bis dahin die Gesellschaftsreisenden
umfangen hielt, war gebrochen.

Die Autokolonne hielt.

Der Eingang zum Hotel war mit Palmen geschmückt.

„Ganz südlich!“ scherzte jemand.

Die Reisegesellschaft stieg aus.

Die Reisegesellschaft war in bester Stimmung.

Es waren Reisende darunter aus allen Ländern.

„Da kann man es wahrhaftig mit dem Gruseln zu tun bekommen!“ sagte eben
ein deutscher Hochzeitsreisender zu seiner jungen Gattin, die sich ihrem
Gatten, einem Professor, wie sich jetzt bei der allgemeinen Begrüßung
herausstellte, furchtsam in die Arme hing.

„Nur nicht so schreckhaft, Amalie ... Nach Tisch will ich dir vielleicht
den Schützengraben zeigen, wo auch ich gelegen habe. Die Gegend ist mir
ziemlich genau bekannt ... Vielleicht find ich auch das Grab noch, wo
mein Hauptmann liegt ... Blumen scheint man ja hier im Hotel zu
bekommen, vielleicht auch ein neues Kreuz ... War ein Prachtkerl, mein
Hauptmann. Ein Zufall wär das, gewiß ... Aber man kann nicht wissen ...
sehr interessant das ... So über den Schlachtfeldern ...“

Er zog seine Generalstabskarte aus dem Zelluloidetui, das er an einem
Band praktisch um den Hals trug, hervor, studierte dazu den Bädecker und
durchforschte nach allen Richtungen hin die Landschaft mit dem
Feldstecher.

„Aber ein Andenken möchte ich auch mitnehmen ...“ bat eine Gattin ...
„Eine Reliquie, weißt du, die Glück bringt. Es gibt hier sicher so was
... Und auch für die Kinder! ...“

„Sei unbesorgt, natürlich ... Percy ist alt genug, er soll einen
Stahlhelm erhalten ... Er wird ihn ja nicht, so wie ich ihn kenne, zum
Spielzeug entweihen ...“

Lustig plaudernd schritt die Gesellschaft dem Hotel zu.

Eine Holzbude war nicht unweit davon aufgeschlagen, die zwar Wochentags
geschlossen war. Dort wurde für minderbemittelte Besucher, die Sonntags
oft aus Paris in Scharen herausströmten, billiger Schlachtfeldkitsch
feilgeboten. –

                   *       *       *       *       *

Eine große Tafel war am Eingang zum Hotel angebracht.

Der Erklärer wies die Reisegesellschaft ausdrücklich darauf hin.

Die Tafel lautete:

„Es ist verboten, Gegenstände auf den Schlachtfeldern aufzuheben und
mitzunehmen. Eigenmächtiges Betreten der Schlachtfelder ist mit
Lebensgefahr verbunden. Eine ständige Ausstellung von Kriegsgegenständen
aller Art aller am Weltkrieg beteiligten Armeen befindet sich im großen
Saal des Hotels, im ersten Stock. Dieselbe soll mit der Zeit zu einem
Völkerschlacht-Museum ausgebaut werden. – Andenken in reicher Auswahl.
(Darunter Uniformknöpfe, Waffengegenstände, Achselstücke,
Kunstgegenstände aus Granatsplittern und Knochenteilen von
Pferdeskeletten.) Führer, mit dem einschlägigen Material genau vertraut,
stehen zu jeder Tageszeit im Hotel zur Verfügung. Photographische
Aufnahmen nur mit besonderer Erlaubnis. Postkarten, interessante
Situationen aus dem Weltkrieg festhaltend, ebenfalls in reicher Auswahl.
– Zu weiteren Aufschlüssen gern bereit, empfiehlt sich dem verehrlichen
Publikum

          Die Schlachtfelder-Verwertungs-Gesellschaft m. b. H.
                         Die Hotel-Direktion.“

Man nahm Platz zum Diner.

„Siehst du also, es ist hier für alles gesorgt!“

Zeigte sich der Bankier seiner Gattin gegenüber außerordentlich
befriedigt über die wohlgelungene Organisation der ganzen
Schlachtfeld-Besuchs-Unternehmung.

„Hier hat man nicht das Gefühl des Genepptwerdens. Kein unfeines
Animieren. Man kann der Gesellschaft gratulieren. Durchaus solide
Aufmachung. Und was die Ausstellung mit Verkaufsgelegenheit von
Schlachtfeldandenken betrifft, gut so, sehr gut so, da braucht man sich
nicht eventuell der Unterschlagung von Heeresgut schuldig zu machen ...“

Einige der Schlachtfeldbesucher schrieben noch während des Essens
Postkarten.

Andere richteten Fragen an die Kellner:

„Wie stehts eigentlich mit der Flora?“

„Faul! Oberfaul!“ war die Antwort –

„Nur Unkraut. Hie und da ganz krankhaft fette Kartoffeln ... Hier wächst
nichts. Wir beziehen alles aus Paris ...“

                   *       *       *       *       *

Das Diner war beendet.

Der Führer erhob sich zu einem kleinen feierlichen Einleitungsakt.

„Meine sehr verehrten Herrschaften! Wir wollen heute ein Totengedenkfest
auf besondere Art begehen. Wir geloben uns dabei: Wir wollen das
Andenken der Toten ewig hoch in Ehren halten!“

Die Lippen der Schlachtfeldbesucher kräuselten sich zu einem stillen
Schwur.

                   *       *       *       *       *

Wieder eine Tafel:

„Privat-Weg! Unbefugten ist der Zutritt streng untersagt!

Die Schlachtfelder-Verwertungs-Gesellschaft m. b. H.“

„Ich bitte die Herrschaften, auf den Weg zu achten! Nicht von den
Pfählen abzugehen ... Das Gelände ist hier durchwegs verschlammt, und
Sie geraten dabei leicht in die Gefahr, sich zu beschmutzen.“

Der Führer ging den Pfahlweg voran.

Zwei und zwei hintereinander folgte die Gesellschaft.

Es mochten gegen fünfzig Personen sein.

„So einen Pfahlweg haben wir immer für Seine Majestät anlegen müssen,
wenn sie einmal die Front besuchte“ – tat der deutsche Professor
geheimnisvoll, als ob er damit etwas ganz besonderes verriete.

Der Pfahldamm führte zunächst einen Schützengraben entlang, bog dann in
einer Brücke darüber hinweg und senkte sich abwärts, direkt mitten in
das Schützengrabensystem hinein.

Man sah auf den ersten Blick:

Alles war hier für die Fremden zugerichtet.

Es war eigentlich ein Schlachtfeld-Museum.

Auf blutgedüngtem historischem Boden. Das konnte man allenfalls gelten
lassen.

Aus einem Unterstand blinkte, wenn man das elektrische Licht andrehte,
ein Skelett hervor, den Stahlhelm noch auf und in der dürren
Knochenfaust Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett.

„Ganz wie bei Dante!“ flüsterte der neuvermählte Professor wieder seiner
Frau zu:

„_Lasciate ogni speranza, voi chi entrate!_ – Laßt, die ihr eingeht,
alle Hoffnung schwinden!“

Tiefe Furchen schnitten sich hin. Waren es Ackerfurchen oder Furchen,
von dem Todespflug der Granattrümmer gerissen!?

Mit unkenntlich entstelltem Kriegsgerät war rings hier der Boden
bestreut, rohe, verrostete Eisenstränge, spiralig in die Länge gedehnt,
oder, um und umgewickelt, zu einer komischen Verrenkung verstümmelt.

„Ich muß schon sagen, weit ergreifender, um so wievielmal menschlich
näher liegt uns das als ein Besuch zum Beispiel im Gletschergarten von
Luzern oder in den Bergwerken von Salzburg. Oder selbst als die
Passionsschauspiele von Oberammergau. Die bayerischen Königsschlösser
und Bayreuth mit einbegriffen ... Das hier ist zwar auch eine
Kreuzigung, aber man hat entschieden mehr davon.“

Auch der Milliardär staunte.

„Da werden einem die Schrecken des Krieges erst so recht eigentlich
gegenwärtig. Ein lebendiger Anschauungsunterricht das ... Wir, die wir
nicht die Gelegenheit gehabt haben, den Weltkrieg aus direkter Nähe ...

„Wir, die wir nicht Brust an Brust mit dem Schicksal rangen in großer
Zeit, nicht männlich Aug in Aug mit dem Grauen uns messen konnten –

„Wir, Unglückliche in einem gewissen Sinn, die wir nicht Schritt für
Schritt in zähem Kampf für den Sieg unseres Vaterlandes ringen durften –

„Wir, die wir zur Hölle der Etappe verurteilt –

„Wir, die wir nur in der grauen, eintönigen Stube, sei es in das Büro,
sei es in das Lazarett verbannt, nur ach, von fern von dem Fittich des
Kriegsgottes gestreift wurden – –“

Das Bedauern, den Krieg nicht miterlebt zu haben, war allgemein.

Viele nickten mit den Köpfen, einen Ausdruck von Wehmut um die Lippen,
sich selbst bemitleidend.

Alle beneideten aber den deutschen Professor, der bei jeder Gelegenheit
als deutscher Kriegsteilnehmer sich auswies.

„Einen historischen Moment von ungeheurer tragischer Größe haben Sie da
alle miteinander, meine Herrschaften, verpaßt ... Man müßte Ihnen
eigentlich sein herzlichstes Beileid aussprechen, Sie aufrichtig
bedauern“, triumphierte der Professor.

Doch allmählich verstummten die Klagen.

„Wir müssen uns eben trösten –

„Was vorbei ist, ist vorbei –

„Doch was nicht ist, kann noch werden –

„Dann werden wir uns ein solches Erlebnis bestimmt nicht wieder entgehen
lassen –

„Ich wenigstens nicht, darauf können Sie Gift nehmen!

„Hier haben wir doch nur noch die spärlichen Restbrocken sozusagen, die
von der Schlachtbank der Geschichte ...“

Alle beteuerten sich gegenseitig, schworen es sich hoch und heilig: im
Fall eines nächsten Krieges in vorderster Front ...

„Meine Herrschaften! Aber bitte!“ wandte sich der Führer inmitten
des allgemeinen Tumults einigen Damen und Herren zu, die
Photographenapparate dicht vor sich hindrückten.

„Photographieren ohne vorherige Genehmigung ist strengstens untersagt.
Im Hotel sind künstlerisch äußerst gelungene Ansichten von allen
Stellungen und von jedem Kriegsschauplatz in reicher Auswahl vorhanden
... Ich habe Sie zu Anfang der Exkursion ausdrücklich auf die
Vorschriften hingewiesen, die im Interesse aller Teilnehmer natürlich
auch eingehalten werden müssen ...“

Ein zusammengestürzter Unterstand wurde jetzt einer eingehenden
Besichtigung unterzogen.

Ganze Stapel von Konservenbüchsen, ausgerolltes zerknülltes Blech,
Patronentaschen, Granaten, mit gelben, grünen und blauen, aber auch
bunten Kreuzen bezeichnet, Geschütze, Maschinengewehr-Reserveteile lagen
wirr durcheinander und anscheinend wirklich noch völlig unberührt herum,
und große, rostbraune Flecken klebten tief in den Gebälken.

Der Führer erklärte:

„Getrocknetes Blut.“

„Ah ... choking ... Blut! Blu–u–u–t!“ echote es aus der Gesellschaft
zurück.

Auch einige Zettel waren an die Balken geheftet, sie aber sowohl wie die
ins Holz geschnitzten Inschriften waren nicht mehr zu entziffern. Nur
aus einer der Wandzeichnungen war noch zu erkennen, daß sie einmal einen
pornographischen Akt darstellte.

„Hier!“ begann der Führer weiter: „– ist jene berühmte Stelle, sowohl im
deutschen, wie auch im englischen, französischen und amerikanischen
Tagesbefehl öfter genannt, jene Stelle, die oft zwölfmal im Tag ihren
Besitzer wechselte ...“

Nichts weiter als einige graue Erdhaufen waren zu sehen.

„Hier sehen Sie einige kurze gebogene Messer, es ist die Nationalwaffe
der heroischen Sikhs, Meister im Gurgelabschneiden. Das riecht noch wie
frisch importiert aus Dschungeln und Urwald ... Und Nachts huschten
geduckt diese Gestalten, das Messer zwischen den Zähnen, über die
Schlachtfelder und machten bei den Gefallenen des Feindes die
„Stichprobe“ ... Hier sehen Sie weiter ein Instrument: es ist eine
Mundharmonika, ein harmloses Musikinstrument, wie es mit Vorliebe die
bayerischen Truppen benutzten ... Wie Sie sehen: hart aneinander wohnen
hier im Raum die Gegensätze ... Hier sind wir nun an dem ausgedehnten
Minenstollen, „Das Nadelöhr“ genannt, angelangt, bitte, bücken Sie sich
einmal und was sehen Sie! Sieht vielleicht einer der Herrschaften durch
das „Nadelöhr“ ins Himmelreich!? Keineswegs. Nein! Ganz und gar im
Gegenteil! Eingequetscht in das Maulwurfsloch, das sie sich selbst
gegraben haben, zwei brave Pioniere, umgekommen bei einem Gasüberfall,
den die Deutschen unvermutet angesetzt haben, während sie hier unter der
Erde, vom Geist der Pflichterfüllung beseelt, arbeiteten ... „Sei getreu
bis in den Tod und ich werde dir die Krone des Lebens reichen ...“ So
eben ist das Leben oder besser gesagt: der Krieg ...“

Die Schlachtfeldbesucher gaben ein dankbares Publikum ab für die
humoristischen Zutaten des Führers. „Ohne Humor, nein, da müßte so ein
Schlachtfeldbesuch zu einer unerträglichen Qual werden,“ meinten einige
mit Recht.

„Das sind ja gar keine Leichen, das sind ja Wachspuppen, oder wollen Sie
uns vielleicht weismachen, die hätten sich von selbst mumifiziert!?“

„Aber, meine Herrschaften! Pst!“ legte pfiffig blinzelnd der Führer den
Finger vor den Mund: „Auch hier gibt es allerlei Geheimnisse ... Also,
fahren wir fort nach diesem heiteren Intermezzo in unserer Wanderung
über die Schlachtfelder ...“

„Na, schadet nichts, zwischendurch einmal so ein Scherz. Auch ich habe
das natürlich gleich bemerkt. Gasleichen in konserviertem Zustand:
absurd, ein Unding, hebt sich von selbst auf ... Das war eben so ein
bißchen Castans Panoptikum ...“ schmollte jovial der Bankier. Räusperte
sich, einen gutmütigen Baß lachend.

„Auch hier haben sich, meine Herrschaften, wie Sie sehen, brave Soldaten
ihr Grab selbst gegraben, überdies soll auch, wie es heißt, ein General,
der den Frontabschnitt zufällig in diesem Augenblick inspizierte, mit
dabei sein. Ein Volltreffer von einem sogenannten „Schweren Brocken“ hat
der hier postierten Kompagnie rasch schmerzlos ein Ende bereitet.“

Es ging innerhalb des Schützengrabens an dieser Stelle mehrere Meter
tief hinab. Man hatte den Eindruck einer Senkgrube.

Einige von den Schlachtfeldbesuchern lüfteten die Hüte.

„Nicht immer aber ist es dabei so schmerzlos abgegangen, wir verlassen
diese Stellung und sehen vor uns ein umfangreiches Stacheldrahtverhau.
Der leichte Verwesungsgeruch, der sich auch jetzt noch deutlich
bemerkbar macht – –“

Einige Schlachtfeldbesucher schnupperten ...

„... es riecht wie eine Mischung aus Jauche und verbranntem Fleisch, in
der Soldatensprache, drastisch, wie sie nun einmal ist, „Offensivparfüm“
genannt, dieser leichte Verwesungsgeruch also läßt die Bedeutung dieser
schwärzlichen Knollen, die dort auf die Pfähle gespießt sind oder hier
zwischen den Drähten zappeln, leicht erraten. Es sind Menschen,
Soldatenleichen, also kurzum wiederum Menschen, ob Deutsche, Engländer,
Amerikaner oder Franzosen: das läßt sich nicht mehr mit absoluter
Bestimmtheit sagen. Leiche bleibt Leiche, und eine profane Weisheit ist
es, im Tod sind sich alle gleich, die verschiedenartige Kokarde, die sie
noch an den Mützen tragen, macht es nicht ... Der Blutkreislauf wird
geschlossen, die Blutkörperchen machen ihre letzte Runde und – stopp!
... Also, diese Drähte waren elektrisch geladen, Hochspannung, und –“

Einige Besucher wandten die Gesichter ab.

„Aber meine Herrschaften, stellen Sie sich doch nicht
gemütsverweichlichter oder zartbesaiteter, meinetwegen, als Sie in
Wirklichkeit sind! Sie müssen lernen, den Tatsachen, nackt und brutal,
wie sie nun einmal sind, ins Gesicht zu sehen. Hier können Sie beinahe
umsonst das Grauen lernen. Lassen Sie die Ihnen gebotene günstige
Gelegenheit nicht zum zweiten Mal unbenutzt an sich vorübergehen! Wer
weiß, wie lange noch? Auch die Schlachtfelder werden eines Tages in
Bausch und Bogen verramscht; jedes Ding auf Erden nimmt diesen Lauf, das
ist das Schicksal aller irdischen Güter, der Mensch mit inbegriffen ...
Wie Sie aber zugeben werden: der Weltkrieg war ein genialer Regisseur,
die von ihm inszenierten Landschaftsbilder besitzen heute, vier Jahre
später, noch die Macht, höchst suggestiv und unmittelbar auf das
Publikum zu wirken und es in eine Art magischen Bann zu schlagen ... So
kann der Schlachtfelderbesuch zum Sport werden, zur Leidenschaft. Wir
haben auch Dauerbesucher.“

„Es ist nicht halb so schlimm, hier aktiv gekämpft zu haben, als auf
diese Weise den Weltkrieg nachzuerleben“, bestätigte der deutsche
Professor.

„Folterqualen. Ein reines Martyrium ...“

Und mit einer erheblichen Gemütserleichterung stellte gewissermaßen im
Auftrag aller der Bankier fest:

„Jeder einzelne von uns kann nach vollbrachter Wanderung mit vollem
Recht von sich bekennen, er habe heute den leider von ihm versäumten
Weltkrieg in seiner tiefsten Tiefenwirkung und in seinem breitesten
Ausmaß nachgeholt. Man kann Buddhas Worte umdrehen und sagen: „Zu
erleben ist alles schön, mitanzusehen aber alles schrecklich.“ Ja, wir
können uns geradezu beglückwünschen, bald den ersten Teil einer im
wahrsten Sinne des Wortes lebensgefährlichen und heroischen Expedition
hinter uns zu haben ...“

„Und nun, meine Herrschaften, um diesen Ort, auf dem hier das Kruzifix
errichtet ist, hat sich eine heimliche Legende gewoben. Nach dem Glauben
der armen Bauern dieser Umgegend soll Christus des Nachts, gefolgt von
dem ganzen Stab der Apostel, der Seliggesprochenen und der Heiligen, wie
früher einst über das Meer, so heute über das Schlachtfeld wandeln.
Christus tastet dabei mit einer Art geistiger Wünschelrute den Erdboden
ab, um den Standort der Totenregimenter festzustellen ... Hier, an
dieser Stelle nun, sagen die armen Bauern, sei „Mund und Ohr“ der Erde.
Hier spreche Christus auf seiner Erdenwanderung mit den Toten. An dieser
Stelle befinde sich auch eine mystische „Naht“, an dieser Stelle finde
dereinst die Auferstehung aller Gläubigen statt ...“

Der Bankier trat interessiert vor.

„Was spricht Christus mit den Toten?“

„Er tröstet sie und bezeugt ihnen immer wieder von neuem, daß sie nicht
umsonst gestorben sind.“

„Zweifeln sie denn daran, daß sie für eine große und heilige Sache
gefallen sind?“

„Na und ob! Aber sehr! ... Manche von ihnen fluchen gewaltig, nach dem
Glauben der Bauern wenigstens, trommeln Mitternachts laut an die
Erdkruste mit ihren Knochenfäusten und knurren oft im Chor: „Für nichts
und nichts und wieder nichts!“ Sie schießen auch oft mit den Geschützen
unter der Erde, sie fechten mit dem Bajonett. Sie üben sich für den
„Großen Tag“.

„Für was für einen „Großen Tag“?

„An dem Christus der Welt die Rechnung präsentiert und an dem die
ungeheuere Schuld fällig geworden ist, und von den Schuldnern sofort in
bar beglichen werden muß. Die unter der Erde sind die Gläubiger ... Sie
halten Versammlungen ab, sie beraten sich, auch wenn sie dem Wahne
kurzsichtiger Menschen nach längst gestorben sind ... Und der „Große
Tag“ kommt. Da geht es hart auf hart. Da geht es: Aug um Aug, Zahn um
Zahn ... Es wird mit Blut bezahlt ...“

„Welches ist die Schuld, die bezahlt werden soll?“

„Allen denen, die zum Krieg gehetzt haben und allen denen, die dadurch,
daß sie feig und untätig während des Krieges geblieben sind, sich zu
Mitverantwortlichen am Kriegswahnsinn gemacht haben, legt Christus eine
Frage vor. Die Frage lautet: „Hast auch du, du kriegsbegeisterter
Vaterlandsfreund, deinen Schlachten-Sommer miterlebt, wo die Leichen vor
Hitze flüssig werden und anfangen, zu brodeln ... Im Kraut knisterts,
und wenn du hinschaust ... Ja, hast du das?“ Wer diese Frage nicht mit
„Ja, Herr!“ beantworten kann, ist hauptschuldig ... Dann gibt es aber
auch noch eine Schuld zweiten Grades, eine Mitschuld und eine
Nebenschuld ...“

„Und Christus beruhigt die unter der Erde und überzeugt sie vom
Gegenteil?“

„Er beruhigt sie eigentlich nicht, noch überzeugt er sie auch vom
Gegenteil. Keineswegs. Im Gegenteil. Er sagt gerade das Gegenteil vom
Gegenteil.“

„Was sagt Christus den Toten nach dem Glauben der armen Bauern?“

„Er spricht von einem Galgen, der an der Stelle des Kreuzstammes
aufgerichtet werden wird, und erzählt ihnen von einem
Menschengeschlecht, das glaubt, unter diesem Zeichen zu siegen. Zu
gleicher Zeit aber mit der Errichtung des Galgens kommt schon ein
anderer Galgen über diesen Galgen, der zweite Galgen setzt sich an die
Stelle des ersten, entthront ihn, Galgen überwindet den Galgen. Ja, der
Galgen wird vom Galgen selbst überwunden. Und der zweite Galgen ist
gesetzt, um daran alle Wucherer, Schieber und Ausbeuter des Volks
aufzuhängen ... Und Christus verspricht denen dort unten, ihrem
Rachegelüste vollauf Genüge zu tun. Alle die werde er unbarmherzig vor
sein Gericht ziehen, die sich auf Grund jener Herzblutopfer bereichert
haben, deren das Volk unsägliche auf dem Altar des Vaterlandes
dargebracht hat und – darbringt ... Diese Stelle hier, auf der wir
stehen, soll auch die Stelle sein, wo der erste Galgen in Erscheinung
tritt und von dem zweiten bald darauf überwunden wird ...“

„Ein modern frisierter, revolutionärer Christus! Hihihi ...“, kicherte
jemand.

Alle sprachen aufgeregt durcheinander.

Man stellte sich mit erhobenen Fäusten vor den Führer hin.

„Korruption! Korruption!“

„Ketzer! Verräter!“

Wutverzerrte Gesichter. Zornrollende Augen quollen.

Man hätte den Legenden-Erzähler lynchen können.

Nur der Bankier blieb ruhig.

„Das soll Christus sagen? Ausgerechnet: Christus?! Ein wenig sonderbare
Christen das, das müssen Sie doch selbst zugeben, die sich ihren
Christus so vorstellen. Ein roter Christus also, ein roter
Bauernchristus ... So wird eben auch das Allerheiligste von dem
ungebildeten und in den tieferen Wahrheitsgehalt der religiösen
Offenbarungen uneinsichtigen Pöbel in den Kot gezerrt. Ein
Bolschewisten-Christus, haha! Zum Hausgebrauch der Schmutzfinke,
Schlendriane, Gewohnheitsverbrecher und Hungerleider! Ein Christus mit
dem Messer zwischen den Zähnen und die Knarre auf dem Buckel!
Staatsgefährlich ist das, gotteslästerlich ...“

„Nicht doch!“ entgegnete ruhig der Führer.

„Die armen Bauern sprechen das auch nie laut und öffentlich aus. Aber
wovon den armen Bauern das Herz voll ist, davon träumen sie ... Es ist
eben ein Christus, zurechtgemacht für die Zeit, wie ihn sich die armen
Bauern, naiv wie sie nun einmal sind, vorstellen ...“

                   *       *       *       *       *

Die Schlachtfeldbesucher schwiegen betroffen einen Augenblick. –

                   *       *       *       *       *

„Und nun, meine Herrschaften, entschuldigen Sie die Erzählung der
Legende bitte, nichts für ungut, und setzen wir unsere Tournee fort!“

Noch immer schweigend folgten die Schlachtfeldbesucher dem Führer.

„Wenn Sie zu Hause ihre Kriegserlebnisse erzählen, dürfen Sie auch nicht
vergessen ...“

Auf einer sauber gezimmerten Stufenleiter klommen sie nacheinander in
eine Kiesgrube hinab.

Auf der einen Seite war eine dicke Sandsteinmauer.

„Spaß beiseite! ... Hier, meine Herrschaften, fanden regelmäßig
Exekutionen statt von Verrätern, Deserteuren und anderen
Vaterlandsschädlingen, bei allen Nationen gleichermaßen tiefster
Verachtung preisgegeben ... Ich werde Ihnen, wenn wir wieder oben sind,
das Wrack einer Mühle zeigen, von der aus ein französischer Bauer, mit
Geld bestochen, das feindliche Artilleriefeuer mittels einfacher
Laternensignale geleitet hat ... Die Kiesgrube mag durch ihre Lage
besonders günstig für derartige Hinrichtungen gewesen sein, die sofort
nach der Urteilsfällung durch die Kriegsgerichte, gegen die es keinen
Einspruch mehr gab, innerhalb vierundzwanzig Stunden vollstreckt werden
mußten. So verlangt es bei allen Staaten ausdrücklich das Gesetz ... Die
verschiedenen Sandhaufen, die Sie hier sehen, ohne Kreuzschmuck
wohlgemerkt, das ist die Ruhestätte dieser Hingerichteten. Ihre Namen
kennt keiner. Auch die Angehörigen nicht. Wäre es doch eine Schande für
die Familie. Die Zahlen der hier Füsilierten kann ich nicht genau
angeben, doch spricht man von Hunderten, die hier in dieser Grube ihre
schändlichen Verbrechen sühnten ...“

„Zucht muß sein, ohne das geht es nun einmal in einem straff
disziplinierten Heer nicht ab.“

Stützte der deutsche Professor seine Gattin beim Wiederaufwärtssteigen.

„In Deutschland würde es heute sicherlich anders aussehen, wenn alle
Novemberverbrecher kurzerhand in solch einer ...“

„Und die Bauern, die da, wie ihnen ihr Christus prophezeit hat, den
zweiten Galgen errichten wollen, sollen sich nur vorsehen, daß sie nicht
vom Regen in die Traufe kommen, daß heißt, statt an den Galgen, hier in
der Kiesgrube – –“

Der Bankier sprach diesen Ratschlag in einem geradezu väterlich
gerührten Ton gedämpft vor sich hin. –

                   *       *       *       *       *

„Hui!“ und „Pfui!“ schrieen da plötzlich einige Damen, rissen die Röcke
hoch, die Männer schlugen wild durcheinander mit den Spazierstöcken auf
den Pfahldamm ein.

„Eine Ratte –

„Pfui! Hui!

„Was für ein abscheuliches, häßliches –

„Unappetitliches Tier –

„Solch ein Biest!

„Solch ein Freßsack ...“

Und die Rattentreibjagd begann.

Der Deutsche trillerte leis:

„Lützows wilde verwegene Jagd ...“

Es war eine ausnehmend große, prall gemästete Ratte.

„Rattenbisse sind tödlich unter Umständen! ... Bleiben Sie zurück, meine
Herrschaften! ... Ein Rattenbiß überträgt Bazillen unter Umständen, die
Pest ...“

Und der Führer setzte allein hinter ihr her.

Die Ratte stürmte wieder die Kiesgrube hinab, und aus halber Höhe
knallte der Führer ihr einige wohlgezielte Pistolenschüsse nach.

Die Ratte kratzte einigemale energisch mit den Pfoten im Sand, dann
drehte sie sich, verzuckend, auf die Bauchseite.

Pfiff noch einmal.

Pißte noch.

Teile der Gesellschaft stiegen nochmals die Stufenleiter zur Kiesgrube
hinab, um die tote Ratte zu betrachten.

Stocherten mit den Spazierstöcken an ihr herum, wendeten sie nach allen
Seiten hin und stiegen wieder herauf ...

„Ein ekliger Geselle! –

„Wie bissig das Gebiß! –

„Heißhunger, Leichenraub, Menschenhaß, die ganze Menschheitsverachtung
blitzt ihr aus den Augen ...

„Oft hatten die Truppen in den Schützengräben, besonders nach lang
andauernden Regenfällen oder Ueberschwemmungen, richtige
Rattenschlachten auszufechten ... Da half aber keine Kugel, sondern nur
das blanke Messer ...

„Es ist etwas Schreckliches um die Ratten –

„Gott, gibt es Tiere auf dieser Welt ...!“

Und weiter wanderte die Gesellschaft.

„Hier ein geplatztes Geschütz!“ demonstrierte der Führer. „Die ganze
Mannschaft ist bei der Explosion durch einen sogenannten Rohrkrepierer
mit in die Luft gegangen ... Ehre ihrem Angedenken! ... Und hier wieder
Fallgruben, spanische Reiter, der Boden besät mit Blindgängern in Hülle
und Fülle ... Bitte, und hier, treten Sie ruhig unbesorgt näher, es kann
Ihnen garantiert nichts passieren: Was sehen Sie!?“

„Ah, davon hat man so oft in den Zeitungen gelesen, wie das aber in der
Wirklichkeit oft so ganz anders sich ausnimmt!“

„Richtig geraten! Erstens: ein Flammenwerferapparat und zweitens: ein
schwerer Minenwerfer mit der dazu gehörigen Munition: Flügelminen. Hier
an dem Zaun sehen Sie außerdem einige der gebräuchlichsten Modelle von
Gasmasken ... Wenn Sie wünschen, können die Herrschaften einmal eine
aufprobieren. Vielleicht steht sie Ihnen. Vielleicht wird das noch
einmal die große Mode ...“

Der deutsche Professor zog sich auch wirklich schon eine der Gashauben
über und während alle um ihn herum „huhu!“ heulten, drehte er sich um
sich selbst, kokett wie ein Mannequin, das eine neue Toilette zeigt.

„Welch eine Fratze! –

„Hui! Pfui!“

„Sie wollen mit uns wohl „schwarzer Mann“ spielen!?

„Wie die tote Ratte –“

Und „na, Sie Probiermamsell!“ foppte ihn einer und man wandte sich
wieder den Flammen- und Minenwerfern zu.

„Erstens: Flammenwerfer, meine Herrschaften! ... Bequem von einem Mann
zu transportieren. Hier wird mit verflüssigtem Feuer auf mindestens
dreißig Meter Entfernung der Mensch rettungslos in Brand gespritzt. Wer
starke Nerven hat, dem bin ich in der Lage hier das Folgende zu zeigen
–“

Und der Führer reichte einige Photographien herum, die einen
Flammmenwerferangriff naturgetreu darstellten. Die von den
Flammenwerfern bespritzten Menschen brannten lichterloh, in eine
weißliche staubähnliche Lichtlohe gehüllt.

„Auch „Wander-Krematorium“ genannt ... Realistisch, was ...“

Die Betrachtung der Photographien tat einem in der Herzgrube weh.

„Durchlöchert alles! Aehnlich wie ein hundertfach verstärktes
Sauerstoffgebläse ... Stichflammen! Meine Herrschaften! Stichflammen!“

„Und nun, meine Herrschaften, zu den schweren Minenwerfern! ... Und hier
habe ich eine Ueberraschung, ich zeige Ihnen solch ein Ungeheuer in
Betrieb! An dieser Kommandotafel hier sehen Sie: diese Minen wurden alle
von einem Punkt aus, oft gegen tausend Stück gleichzeitig, zur
Entzündung gebracht – und auf einen Schlag abgeschossen. Ladung:
Giftgase mit Brandeinlagen. Effekt also: tipptopp! ... Damit sich nun
die Herrschaften einigermaßen eine Vorstellung machen können von der
elementaren, geradezu naturhaften Wucht, mit der so eine schwere
Flügelmine die Lüfte durchpeitscht und in dem feindlichen Graben zum
Einschlag kommt, bringe ich hier, wenn Sie gütigst gestatten, so eine
Mine zum Abschuß ... Damit wäre dann der Rundgang beendet und ich
ersuche die sehr verehrten Herrschaften, sich wieder auf dem gleichen
vorgeschriebenen Weg in das Hotel zurückzubegeben ...“

„Damit Sie aber zu gleicher Zeit auch einen möglichst wahrheitsgetreuen
Eindruck vom wirklichen Schlachtenlärm erhalten, möchte ich Sie bitten,
sich das Geräusch dieser einen Flügelmine in Ihrer Phantasie zu
verhundert-, nein zu vertausendfachen ... Schauen Sie genau zu! Und
richten Sie, wenn ich auf den Knopf hier drücke, sofort Ihr Augenmerk
auf den gegenüberliegenden 300 Meter entfernten Graben! Vorsicht!
Zurücktreten! Wenn mir der eine oder der andere Herr dabei vielleicht
behilflich sein möchte ...“

                   *       *       *       *       *

Der Bankier und der Deutsche beteiligten sich beim Laden der schweren
Flügelmine.

Mittels eines eisernen mechanischen Hebelkrans wurde die Mine
emporgekurbelt, von vorn in die Rohröffnung des Minenwerfers
eingeschwenkt, der Minenwerfer wurde mit einigen einfachen Griffen
ausgerichtet, wobei die Flügelmine bis zu einem Viertel mit ihrer oval
abgeflachten Spitze noch aus der Rohröffnung herausragte.

Der Bankier, der Deutsche traten zurück.

Der Bankier blies einige Stäubchen vom Rockärmel und streifte sich
gegenseitig die Glaceehandschuhe von einigen darauf haftenden
Schmutzkörnchen ab.

„Achtung!“

Und schon schoß nach einem gewaltigen Luftrauschen, das wie das
Dahinflattern apokalyptischer Flügelreiter klang, und nach einer
Erschütterung, als ob sich der Boden einem unten den Füßen hinwegziehe –
schon schoß in dem gegenüberliegenden Graben eine über hundert Meter
hohe Erdfontäne hoch, mit Felsbrocken und Balkensplittern untermischt.
Das zerrte, zupfte an den Nervensträngen. Drückte auf die Magennerven.
Erst das hagelwetterartige Niederprasseln der hochgeschleuderten
Erdmassen brachte Erleichterung.

Ein pressender Luftdruck hatte sich sogleich nach Abschuß spürbar
gemacht.

Der eine oder der andere taumelte sogar.

Viele hielten sich Nasen und Ohren zu. Einige hatten sich sogar sorgsam
Wattebäuschchen in die Gehörgänge gestopft. Alle aber hielten den Mund
weit aufgesperrt.

„Glänzend! nein, sowas –

„Fabelhaft ... Grauenhaft schön ... Wie ein Geysir!

„Das ist wirklich ein Kulturfortschritt, daß auch unsereins so etwas zu
sehen bekommen kann ...

„Das erhebt die Brust! Läutert! Das läßt den Menschen über sich selbst
hinauswachsen. Das macht heroisch und kühn! Da versteht man erst, was es
mit dem geflügelten Wort „vom Krieg als von einem Stahlbad“ für eine
tiefere Bewandtnis hat!

„Geradezu eine Verjüngungskur!

„Das kann man mit Fug und Recht behaupten. Ohne Uebertreibung! ...

„Wirklich, ein Naturschauspiel ... Bravo! Dacapo! ...

„Und dem wohnen Menschen, kaum glaublich, lebendige Menschen bei, ganz
der wissenschaftlichen und ästhetischen Betrachtung hingegeben ...“

Der Explosionsrauch verzog sich.

Der Führer sammelte indeß, stolz auf das gelungene Experiment,
Trinkgelder ein.

Jeder gab noch ganz unter dem Eindruck dieses Ereignisses mit vollen
Händen.

Die Legende vom roten Bauernchristus war vergessen.

„Und nun, meine Herrschaften, zurück zum Flugplatz! Sie haben jetzt
sozusagen den Krieg von unten erlebt, den Krieg als einfacher Soldat,
als Frontschwein, den Krieg im Granattrichter, Minenstollen und
Schützengraben. Sie haben auch gegen Ungeziefer und Ratten gekämpft. Man
müßte für Schlachtfeldbesucher wie Sie, meine Herrschaften, einen Orden
stiften ... Es ist Ihnen jetzt Gelegenheit gegeben, den Krieg auch von
der Vogelperspektive aus zu betrachten, den Krieg als Flieger und
zugleich den Krieg von der strategischen Gesichtswarte eines hohen
Kommandeurs aus. ... Aber auch zugleich, nicht zu verachten, den Krieg
der Zukunft! ... Sie werden selbst eine Bombe abwerfen können, Sie
werden in drei bis vier Meter Höhe über die Stacheldrahtverhaue, aus
Ihren Maschinengewehren Tod und Verderben speiend, dahinstreichen, es
ist Ihnen ferner Gelegenheit gegeben, einige zerschossene Tanks zu
studieren, das Herzinnere der Tanks wird deutlich noch sichtbar sein,
Aufräumungsarbeiten, die störend oder verschönernd wirken könnten, sind
prinzipiell an keiner dieser Stellen bisher noch vorgenommen.“

Ohne Ausnahme entschloß sich die ganze Reisegesellschaft nach den
vorhergegangenen gewaltig erschütternden und belehrenden Eindrücken auch
noch mit dem Flugzeug das Schlachtfeld abzustreifen. –

                   *       *       *       *       *

Der Bankier blieb beim Rückweg, ohne daß er es selbst bemerkte, hinter
der Gesellschaft zurück.

Er stand auf einem kleinen erdigen Vorsprung, wo es um eine Grabenecke
ging, abwechselnd die Arme in die Seite stemmend oder vor sich
verschränkt. Verträumt in die Landschaft hinausschauend ...

Er stand wie ein Standbild.

Ihm gegenüber das Kruzifix, der „rote Christus“, wie er ihn getauft
hatte.

Es war, als ob der Bankier durch den gekreuzigten Holzleib hindurchsehe
...

Er dachte jetzt an die Worte seines jungen Freundes Antonio:

„Auch der Sinnenrausch, der Blutrausch ist für den geistigen Menschen
ein geistiger Rausch.“

Und auch daran wieder:

„Dieser Krieg muß von uns wie ein Mysterium mit einem Gürtel von
Geheimnissen umgeben werden ...

„Hüten wir aber unser Geheimnis! Lassen wir es den großen Tanz des
Schweigens auf unseren Zungen tanzen!“

Nur ab und zu blickte er ein wenig an sich herunter, tat, als ob er
etwas, das aus der Tiefe zu ihm aufkriechen wolle, von sich abstreife,
wischte dann verlegen an seinen Hosen herum und – wurde wieder zum
Standbild.

„Pst! Er ist in Gedanken versunken! Stört ihn nicht!“ wehrte jemand, als
man ihn rufen wollte.

„Fixieren wir ihn scharf! Er ist schon nicht mehr Fleisch und Blut. Er
wirkt abstrakt. Er nimmt geistige Gestalt an. Sicher hat er eine
Erscheinung, ein Fernsehen. Er wird zu einer Art spirituellen Elements
... Entsinnlicht, entleiblicht: er wird zur Idee ...“

Dozierte dazwischen vor einigen Damen ein Theosoph.

„Das ist die Stellung, die ich brauche!“ frohlockte der Filmoperateur.

„Wart, nun hab ich ihn. Solch ein Karnickel! ...“ Und setzte auch schon
seinen Apparat in Bewegung.

„Finden Sie nicht: ganz Napoleon!“

„Vollkommen getroffen. Der Vergleich paßt wunderbar. Napoleon auf dem
Feldherrnhügel in der Schlacht bei Waterloo ...“

„Nicht gerade Waterloo ... In der Schlacht bei Jena. Das paßt besser
...“

„Nein, Napoleon, finde ich gar nicht. Aber bis auf ein Haar: Friedrich
der Große. Fridericus Rex in der Schlacht bei Leuthen, wie er auf jenem
berühmten Gemälde in der Berliner Nationalgalerie verewigt ist ... Einem
Beobachter der Gesamtszene erschienen wir sicher als Ziethen, Seydlitz,
kurzum: als sein Generalstab.“

„Welch ein edler Ausdruck in seiner Haltung! Ganz antik. Wie verklärt!
Ganz Cäsar ...“

„Und ist er doch auch ein Napoleon, ein Friedrich der Große, ein Cäsar
meinetwegen ... Ein Napoleon, ein Cäsar, ein Friedrich der Große der
Wirtschaft, wenn dieser Vergleich gestattet ist ...“

Der Bankier stand immer noch, den einen Fuß vor den anderen gesetzt, in
einer lässigen majestätischen Haltung da.

Wie aus Traum gegossen ...

Der Filmoperateur kurbelte.

„Fertig. Schluß ... Nun können wir rufen ...“

Da riefen sie alle zugleich:

„Ha–a–allo!“

Der Bankier fuhr aus seinem Wachtraum erschreckt hoch, grüßte höflich,
wie sich verabschiedend, noch immer in Gedanken versunken, mit seinem
Zylinder flüchtig in die Richtung zum „Roten Christus“ hin, dann kam er
gemessenen Schrittes, wie in einem Begräbniszug oder wie in einer
Prozession hinter dem Allerheiligsten, den Pfahlweg entlang.

Das Schlachtfeld hing schwer wie Blei in seinem Schritt.

Mehrere moderne Flugzeuge wurden soeben aus den Schuppen auf dem
Landungsplatz neben dem Hotel herausgezogen.

Sie wurden bei den Rundflügen über das Schlachtfeld von erfolgreichen
Fliegeroffizieren gelenkt.

Der Führer meldete dem Bankier:

„Die Flugzeuge wären startbereit.“

Pünktlich vier Uhr nachmittags erfolgte der Start.

Der Pilot, die Brust über und über voll von Ehrenzeichen, salutierte.

Die Filmoperateure kurbelten.

Photographen knipsten.

Der Bankier und seine Gattin an der Spitze der Gesellschaft schritten
durch ein lose gebildetes Spalier von Neugierigen hindurch,
Angestellten, einigen Landleuten und Bauarbeitern.

Die Monteure nahmen die Mützen vom Kopf.

Der Direktor des Hotels „Zum Weltkrieg“ stand auf der Terrasse, den
rechten Arm zum Gruß steil emporgereckt.

Die Motore brüllten ...

„Achtung!“

„Los!!“

Drei Flugzeuge erhoben sich zu gleicher Zeit, schraubten sich beinahe
senkrecht in die Luft. –

„Meine Herrschaften!“ begann, kaum daß sich der Apparat von der Erde
gehoben hatte, der Führer: „Der Pilot, der die Ehre hat, Sie durch das
Luftreich zu geleiten, ist jener Glücklichen und Auserwählten einer, die
den Rekord von über 100 Abschüssen innehaben ... Eugène Daudet ist sein
Name ...“

„Wahrhaftig, wie eine Mondlandschaft! Krater an Krater ...“ ließ sich
eine Stimme vernehmen, und einige Köpfe beugten sich zur Erde hinab, wo
vereinzelt mit dem Taschentuch heraufgewinkt wurde.

„Es zieht!“ rief eine andere Stimme, „uch!“, und einige, die es beim
Einsteigen unterlassen hatten, bewehrten ihre Augen mit Schutzbrillen.

Das Flugzeug kreiste einige meisterhaft ausgeführte Bogen im blendend
blauen Licht, dann schwang es sich in einer langgezogenen Kurve, etwas
seitlich sich neigend, erdab und schoß dicht über Stacheldrahtgewirren
und Schützengrabenlabyrinthen dahin, der Stelle zu, wo die
zusammengeschossenen Panzerwagen lagen.

Wie in der Mitte auseinandergeklappte dunkelgrau gestrichene
Konservenschachteln staken die Kampfmaschinen mitten im Schlachtfeld,
die Raupenschlepper tief in den Erdschlamm eingegraben, der Mechanismus
des Wageninnern war deutlich erkennbar: eine völlig in sich verbogene
Schnellfeuerkanone, dazwischen verkohlte Knochenreste, einige
brikettartig gepreßt, und Uniformfetzen, die vielfach geborstene
Stahlkuppe des Panzerturms tief bis auf den Wagenboden durch die Wucht
der Explosion heruntergedrückt.

„Zehn Mann Inhalt!“ erklärte trocken der Führer.

„Durch einen schneidigen Stoßtrupp mittels einer Handgranatenballung von
unten her auseinandergeplatzt. Die anderen, wie Sie sehen, im direkten
Abschuß durch sogenanntes Infanteriegeschütz erledigt ...“

„Stimmt! Stimmt!“ freute sich der deutsche Professor diesmal beistimmen
zu können, und er war stolz darauf, seiner Gattin einige nähere
Einzelheiten über so einen abgeschlagenen Tankangriff erzählen zu
dürfen, an welchem er, wie er laut betonte, selbst einmal in
hervorragender Weise beteiligt war.

„Stimmt! Benzinbehälterexplosion. Durch direkten Abschuß erledigt, aus
dem nahen Gehölz dort, höchstens 600 Meter Entfernung. Mit
Panzermunition ... Wer hätte das je gedacht, daß es einem vergönnt sein
würde, als Unbeteiligter noch einmal seine eigenen Heldentaten an sich
vorüberziehen zu sehen ... Wie ein höchst lebendiger Film, das ...
Schade, schade drum, daß Kriegsszenen nicht auch im Film vorgeführt
werden. Reiches Material stünde doch in den Archiven unseres
Generalstabes zur Verfügung. Aber natürlich: durch den Schandvertrag von
Versailles ... Solche Filme mit Kriegsszenen könnten außerdem, was die
pädagogische Seite der Sache anbetrifft, wesentlich zur militärischen
Ertüchtigung unseres Volkes beitragen, denn nach unseren psychologischen
Erfahrungen üben sie – was wieder einmal für die natürliche Empfindung
und für die Gesundheit unseres Volkskernes zeugt – üben sie auf den
weitaus größten Teil der Bevölkerung keine abschreckende Wirkung aus,
sondern im Gegenteil ... Verkauft und verloren aber ein Volk, betrogen
um seine heiligst verwahrten Güter, zur Sklaverei verdammt jenes Volk,
in dessen Unbewußtem und aus dessen Triebkräften heraus sich nicht immer
wieder allgewaltig die Stimme erhebt, urgewaltig, elementar die Stimme
des Blutes spricht: Es lebe der Krieg!“

„Militärische Sachverständige, meine Herrschaften, behaupten –“, fuhr
unterdessen der Führer fort, „daß der kommende Krieg, soweit er sich
überhaupt noch auf der Erde abspielt, durch Geschwader solcher
Kampfwagen zum Austrag gebracht werden wird, die dann eine sogenannte
gepanzerte Feuerlinie bilden, und deren Gefechtsleitung ähnlich wie die
einer Hochseeflotte in einer Seeschlacht erfolgt. Auch wird man
dementsprechend der Größe, Schnelligkeit, Geschützzahl,
Geschützreichweite usw. nach: Tank-Kreuzer, Tank-Dreadnoughts und
Tank-Torpedoboote unterscheiden müssen. Völlig abgedichtet nach außen
hin gegen Gas, mit langlebigen Sauerstoffapparaten versehen, werden
diese Kampfwagengeschwader in der Tat die einzigen wirksamen
Kollektivschutzräume gegen die hochkonzentrierten Gasangriffe
darstellen, und damit auch die einzigen beweglichen Mittel, lebende
Wesen durch Gassperren und Gassümpfe hindurchzubefördern, mit deren
Dauer je nach den Witterungsverhältnissen unter Umständen sogar bis auf
über acht Monate zu rechnen sein wird.“

Wieder stieg das Flugzeug auf der Luftfläche steil an.

Einige beobachteten den durch eine Glasscheibe von der
Gesellschaftskabine abgetrennten Piloten, ließen sich Höhen- und
Seitensteuer erklären, begriffen alles überraschend schnell und
lächelten befriedigt.

„Und nun, meine Herrschaften, was weiter den kommenden Krieg betrifft,
den einige militärische und nationalökonomische Autoritäten spätestens
auf das Jahr 1928 angesetzt haben, so können wir heute schon behaupten,
daß er sich wohl in der Weise abspielen wird, daß gewaltige
Kampfflugzeugstaffeln in etwa 12 Kilometer Höhe, als unsichtbare,
unhörbare Gewitterwolke heranziehend, versuchen werden, die
Produktionszentren des Gegners so gründlich wie nur irgend möglich
einzugasen, und zwar werden dabei chemische Kampfstoffe zur Anwendung
kommen, deren Wirkung, wenn wir heute davon sprechen, dem Uneingeweihten
märchenhaft und unglaublich klingt ...“

Die Passagiere bemühten sich krampfhaft, bei diesen Auslassungen des
Führers nicht zuzuhören.

Nur der Bankier wußte unter den Schlachtfeldbesuchern eigentlich genauer
Bescheid, um was es sich dabei handelte.

Hatte er doch als Mitglied des Ehrenpräsidiums einer chemischen
Gesellschaft schon des öfteren Gelegenheit gehabt, einer Vorstellung des
amerikanischen „Chemical Warfare Service“, des amerikanischen
Gasdienstes, auf dem Versuchsfeld des Kriegsarsenals Edgewood
beizuwohnen. Mechanische Armeen wurden dort ausgeprobt. Bald jeden Tag
ein neues Gas. Und ein neuer Soldaten-Typ entstand, in eine der
Taucherkleidung ähnliche Uniform gekleidet, die ganze Haut mit einer
asbestartig wirkenden Salbe präpariert.

„Begeben wir uns, sehr verehrte Herrschaften, unseren Prinzipien treu,
nicht unter die Legendenerzähler, Schauermärchendichter, berufsmäßige
pathologische Schwindler und prophezeiungslüsterne Kolporteure, sondern
bleiben wir weiter in unseren Erörterungen auf dem Boden der nüchternen
Tatsachen, so werden wir feststellen können – vielleicht ist der eine
oder der andere unter Ihnen, der mir das bestätigen wird! – so werden
wir feststellen können, daß mittels der heutigen Kriegstechnik, in
engster Verbindung natürlich mit der modernen Wissenschaft, bereits
innerhalb einer Woche ein ganzer Erdteil radikal vergiftet werden kann
...“

Die beiden anderen Flugzeuge warfen jetzt aus beträchtlicher Höhe auf
ein durch einen blendend weißen Kreis abgezeichnetes Ziel Versuchsbomben
ab.

Die Explosion der Bomben erfolgte als ein feines stählernes Klirren,
kleine weiße Staubwölkchen bliesen unten auf der Erde auf und ziehen
mollig-verschleimt im Wind dahin ...

Die Passagiere fühlten sich in der prächtig ausgestatteten Luxuskabine
des Flugzeuges wohl geborgen. Neben praktischer Waschgelegenheit war
sogar ein elektrischer Zigarettenanzünder vorhanden, und in einem
kunstgewerblich mit diskreten Farbenreizen ornamentierten
Porzellanbehälter dufteten frische Rosen.

                   *       *       *       *       *

Es ging gegen Abend.

Ein dünnes Stimmchen, wie eine schwirrende Metallfaser, zirpte unten von
der Erde herauf: es war die Glocke einer Dorfkirche, die Ave läutete.

Die Sonne brannte heißglühend im Westen herunter, der Himmel schimmerte
wie Perlmutter, und fern rannen die von Geschoßböen glatt rasierten
kahlen Berghöhen.

Wie ein unermeßlich ausgedehntes Gangrän schien unten die Erde.

Baumstümpfe, zerfetzte Telegraphenmasten, ganze Bündel in sich
zerknäulter Drahtgewirre: wie aus dem durch und durch schlammig
vereiterten Erdleib herausgerissene Sehnen, Gedärme und Nervenstränge.
Die verstreut umherliegenden Felsblöcke in den Steinbrüchen gewannen das
Aussehen von riesigen Schädeltrümmern, Gehirnschalen eines Giganten;
aufgerissene Steinwege lagen, zickzack sich durch die Dämmerung
schlängelnd, wie Gehirnwindungen bloß; und dazwischen Tümpel, Pfützen
und verschimmelte Wasserlachen: ein Kunterbunt von nässenden Geschwüren.
Hie und da knoteten sich die Narben von selbst zu einem unförmigen Wulst
zusammen, aber die Nähte rissen wieder, und der erdige Kadaver bot sich
den Beobachtern aus der Luft dar, wie ein unsagbar geschundener Leichnam
auf einen Seziertisch gelegt, voll von Schnitten, Wucherung an
Wucherung, über und über bedeckt von schwarz ausgeschlagenen Bluthöhlen
und unheimlich zackig gerandeten Brandflächen ...

Und dieser Kadaver atmete noch.

Einen dumpfen, stickichten Dunst hauchte er aus, die Geruchsnerven
beizend, und so intensiv, daß er Hustenanfälle, Niesen, Augenbrennen und
Brechreiz verursachte.

Alle Gestänke der Welt stanken sich hier zusammen ...

Ein einsamer Vogel fing immer bei Einbruch der Nacht zu singen an, es
war ein schluchzender, flötender Gesang, wie ihn die Vögel singen im
Moor oder auf der Heide.

Hie und da blinkte auch jetzt unten ein Lichtpunkt auf.

Fern summte ein Schnellzug durch die Landschaft, wie eine wagrecht dahin
flitzende goldspurige Nadel ...

Die Herren steckten sich in Anbetracht des „bestialischen Geruchs“, wie
sie es nannten, eine besonders dicke Zigarre in den Mund, die Damen
fächelten nervös und hielten mit Lavendel getränkte Taschentücher sich
unter die Näschen.

Der Führer lächelte versteckt vor sich hin, ein wenig spöttisch und
schadenfroh.

Er empfand das irgendwie als eine geheime Rache.

Er schwieg.

Der deutsche Professor redete tröstend auf seine Gattin ein, die
ohnmächtig zu werden drohte, und sich fest in den Arm ihres Gemahls
klammerte.

Der Bankier wunderte sich:

„Nein, so ein Geruch, trotz der Ventilatorenwirkung des Propellers ...“

Die Situation fing an bedenklich zu werden.

Der Führer erhob sich.

„Wir sind gleich aus dieser Zone heraus. Bitte, meine Herrschaften,
nehmen Sie sich noch einen Augenblick zusammen, Sie werden mir doch
nicht am Ende unserer Luftreise gar noch seekrank werden!“

„Nichts ohne Anstrengung, Schatz!“ tröstete der Professor flüsternd
immer noch weiter: „Jed Ding hat seine Strapazen. Das ist eben allemal
die Kehrseite der Medaille ... Na, ich möchte trotzdem die Tour nicht
missen ... Hochinteressant! Hochinteressant! ... _Per aspera ad astra!_
... Und Aufregungen solcher Art haben immer eine Nachwirkung wie
Schlummerpunsch. Wir werden großartig schlafen ...“

„Merkwürdig, das kommt immer zur gleichen Zeit, wie am Meer die Flut,
abends, wenn die Sonne untergeht ...“

Die Zone war glücklich passiert.

Ein frischer Luftzug wehte.

„Ist aber auch höchste Zeit! ... Das möchte ich nicht noch einmal
erleben ...“, stöhnte jemand im Namen aller befreit auf.

Federnd schoß das Flugzeug einige Meter auf der Landungsfläche dahin ...

Ein leichter Ruck und – stand. –

                   *       *       *       *       *

Ein einbeiniger und einarmiger Kriegskrüppel wartete dort, mit dem Kreuz
der Ehrenlegion geschmückt, in einer völlig verblichenen
Soldatenuniform, unartikulierte tierische Laute hervorstoßend, den
Stahlhelm vorne auf die Brust gebunden.

Die Gesellschaft hätte ihn wahrscheinlich instinktsicher nicht bemerkt,
hätte ihm der Führer nicht laut zugerufen:

„Hallo, scher dich fort, Emil! Halt die Schnauze! ... Sonst setzt es
wieder mal wie neulich eine tüchtige Tracht Prügel ab ... Pack dich! ...
Oder soll man es dir denn immer wieder von neuem einbläuen, daß du die
hohen Herrschaften mit deinem Anblick nicht belästigen sollst ... Hast
du wirklich denn den Verstand ganz auf Nimmerwiedersehen verloren? ...
Und willst um jeden Preis immer wieder eine Extrawurst gebraten haben
... Hopla! Pack dich! ...“

Und der Gesellschaft zugewendet entschuldigte er:

„Ein armer Irrsinniger. Haust in einem Unterstand. Man nennt ihn wegen
seiner Einbeinigkeit und Einarmigkeit den „Rumpf“. Macht die ganze
Gegend unsicher mit seiner Bettelei ...“

Der „Rumpf“ zischelte etwas und humpelte von dannen, sich hie und da auf
seinem einen Prothesenbein umdrehend.

„Halt’ die Schnauze!“ drohte der Führer noch einmal mit der Faust und
machte eine Bewegung zum Erdboden hin, als ob er einen Stein aufheben
wollte. „Pack dich! ... Ein ehemaliger Soldat und Betteln, das
Ehrenkreuz noch dazu, schämt er sich denn nicht!?“

Der „Rumpf“ humpelte schneller. Man hörte deutlich die eiserne Spitze
des Krückstocks schrill auf den Steinplatten aufschlagen.

Die Gesellschaft schüttelte sich vor Lachen.

„Für Kriegskrüppel ist doch wahrlich in allen Ländern hinreichend genug
gesorgt!“ polterte ehrlich entrüstet der Bankier heraus: „Aber aus allem
wird heutzutage ein Geschäft gemacht ... Dieses arbeitsscheue Gesindel
fällt der ganzen Nation zur Last ... Schlachtfeldhyänen ... Der lebt
sicher von Leichenschändung ...“

„Schlachtfeldhyänen ...“ stimmten einige aus der Gesellschaft bei, nicht
ohne daß es ihnen dabei kalt über den Rücken herunterlief.

Die prall gemästete Ratte war noch in aller Erinnerung.

„Der könnte sich als Vogelscheuche verdingen!“

Ein herzerfrischendes Gelächter umplätscherte diesen Witz des Bankiers.

Nochmals schrie der Führer:

„He, Rumpf! ... Hast du gehört: als Vogelscheuche ...“

Der „Rumpf“ hielt in seinem Humpeln inne.

Stieß sich mit dem Krückstock vom Boden ab und schwenkte mit einer
Bewegung, wobei er ein wenig in sein eines Prothesen-Knie einknickte,
sich um sich herum.

„Tollwütig scheint der zu sein, so ein aussätzig kläffender
Sakraments-Köter!“

„Wahrscheinlich auch von der „Roten-Christus-Vision“ angesteckt. Sieht
grade so aus: der Lümmel –

„Der freche Bengel –

„Der giftgrüne Erz-Flegel ...

„Halunke! Gauner! Schurke! Schuft!

„Soll seine schmutzige Leichenwäsche, wenn er sie trocknen will, wo
anders hin ausbreiten ...“

Wieder holte der Führer zum Steinwurf aus.

Unschlüssig wackelte der „Rumpf“ mit dem Kopf.

Hopste wieder auf seinem einen Prothesenbein auf und humpelte schnell
von dannen, so schnell, daß es schien, als ob er über den Boden
hinwegkollerte.

„Fix! Fix ist der! ... Donnerwetter! ...“

Damit war die „Rumpf-Episode“ beendet. –

                   *       *       *       *       *

„Arbeiten heißt es jetzt, arbeiten und nochmals arbeiten!“ Begann wieder
nach einer kurzen Gesprächspause der Bankier: „Das ist, glaube ich, auch
die Lehre, die wir unbedingt aus diesen Exkursionsstunden, die wir teils
auf der Erde und teils in den Lüften erlebt haben, jetzt ziehen müssen
... Es soll nicht einmal heißen, wir hätten aus der Geschichte nichts
gelernt ... Die Vergangenheit, wie sie hier vor uns auftauchte, gibt uns
zu denken ... Aus den Lehren der Vergangenheit heißt es die Tat der
Zukunft schöpfen ... Die Verantwortung für das Schicksal kommender
Geschlechter, die uns allein schon durch die Tatsache unserer bloßen
Existenz – ob wir nun wollen oder nicht – aufgebürdet ist, zwingt uns
dazu. Ganz gleichgültig, ob wir jetzt Deutsche, Franzosen, Engländer
oder Amerikaner sind ...“

„Ausgezeichnet! Blendend!!“

„Sehr richtig! ... Arbeiten ...“

Wiederholten einige.

Ein Journalist notierte:

„Goldene Worte ... Arbeiten: das ist des Rätsels Lösung.“

„Mit diesem Wort, mit diesem Schwurwort auf den Lippen, Amalie –“,
schloß sich der deutsche Professor gern der allgemeinen Meinung an ...
„können wir getrost der Zukunft in die Augen blicken.“

Und etwas leiser, daß es nur seine Gattin zu hören vermochte, lispelte
er:

„Und wenn wir Deutschen es ein klein wenig schlau anfangen, du verstehst
mich schon, was ich meine; dann kann auch Deutschland, unser geliebtes
Vaterland, nicht untergehen. Es wird sich emporentwickeln am Zwiespalt
der übrigen Welt. Dann werden auch wir noch den Tag, Amalie, erleben,
Amalie, schau: den Tag der Auferstehung Deutschlands in Kraft, Schönheit
und Herrlichkeit! Deutschland über alles ... Das walte Gott! Amen ...“

Frösche quakten, Grillen zirpten.

Der rote Vollmond kroch, von grünlichen Nebelgespinsten umschleiert,
über dem Schlachtfeld herauf. –

                   *       *       *       *       *

Der Direktor des Hotels „Zum Weltkrieg“, von den beiden Oberkellnern
assistiert, empfing, sich ununterbrochen verbeugend, die hohen Gäste.

„Darf ich mir die Frage erlauben, haben die Herrschaften einen
hinreichenden Eindruck vom Weltkrieg gewonnen!?“

„Großartig ... unbeschreiblich ...“

„Kaum glaubhaft ... imponierend ...“

„Welch ein Panorama!“

„Phänomenal!“ –

„Ich habe mich einfach ganz köstlich dabei amüsiert!“

„Sensationell!“

„Und die Natur, die Aussicht dabei: prächtig ...“

Schallte es ihm vielstimmig entgegen.

Der Bankier allerdings, von einigen Teilnehmern der Gesellschaft
unterstützt, bemängelte energisch die Art der Führung.

„Die Führung allerdings, Herr Direktor, läßt einiges zu wünschen übrig.
Der Mann ist seiner hohen Aufgabe absolut nicht gewachsen, scheint mir
im übrigen auch angetrunken gewesen zu sein, sonst könnte ich mir seine
marktschreierischen Anzüglichkeiten in betreff eines kommenden Krieges
nicht erklären. Ueber sowas spricht man nicht im Zusammenhang mit einem
Schlachtfeldbesuch ... Solche Führer sind in der Tat nur recht wenig
geeignet, das wissenschaftliche und ästhetische Vergnügen, das an sich
normalerweise solch eine Schlachtfeldexkursion allen wirklich ernsthaft
daran Interessierten bieten könnte, den Teilnehmern auch gebührend zu
vermitteln. Auch das belehrende und sachlich aufklärende Moment ist in
seinen Erläuterungen reichlich zu kurz gekommen. Die historische Seite
wurde bei weitem zu wenig berücksichtigt. Viel zu viel überflüssige
Details. Was habe ich schon davon, zu erfahren, daß jene
zusammengeschossenen Tanks zu ihren Lebzeiten einmal „Susanne“, „Bubi“,
„Eiserne Jungfrau Ottilie“ oder „Totila“ geheißen haben. Namen tun
nichts zur Sache, sind Schall und Rauch ... Der Mann, den Sie uns
beigegeben haben, seiner Natur nach offenbar ein Stimmungsmensch,
scheint sich vorwiegend in der Kunst des Gruselnmachens zu üben. Aber
das ist doch schließlich nicht der Zweck der Uebung und die Besucher des
Schlachtfeldes müssen sich dafür bedanken, als Experimente für solch
einen ungeschlachten Querkopf herzuhalten. Er pariert nicht. Das heißt:
er richtet sich nicht nach den Wünschen der ihm Anvertrauten, sondern
maßt sich eine Führung an, und zwar eine Führung besonderer Art ...
Sehen Sie dem Mann in Zukunft besser auf die Finger. Scheint im übrigen,
was seine Vergangenheit anbetrifft, früher einmal als Ausrufer vor einer
Jahrmarktsbude angestellt gewesen zu sein. An dem hätte ein Barnum seine
Freude gehabt. Mit allen Wassern ist der gewaschen. Ein ganz Geriebener.
Trau ihm zu, es unter Umständen fertigzubringen, einem den Genuß eines
Schlachtfeldes gründlich zu verleiden ... Ein ganz gemeiner imaginärer
Kerl ...“

„Ja, gewiß doch! Bitte!“

Der Direktor, verlegen lächelnd und sich weiter verbeugend, versprach
sofortige schleunigste Abstellung dieses Mißstandes, stammelte etwas von
einer Prüfung im Takt, der man die als Führer in Frage kommenden
Anwärter unterziehen müsse und schloß:

„Gewiß! Gewiß! ... Aber eben nur ganz wenige erweisen sich leider als zu
solch einer heiklen Aufgabe qualifiziert!“

„Heikel!? ... Den Ausdruck versteh ich nicht!“ gab der Bankier unwirsch
zurück, drehte sich energisch auf dem Absatz um, und schritt mit einem
militärisch-stramm markierten festen Schritt zu dem soeben beginnenden
Souper in den festlich erleuchteten Speisesaal.

                   *       *       *       *       *

Ein hundertkerziger kristallischer Lüster flimmerte, die Spiegelscheiben
an den mit italienischen Landschaftsbildern ausgemalten Wänden
vibrierten ein beruhigendes Licht-Echo, abgesprengte sprühende
Lichtreflexe sprangen hin und her, verfingen sich in den fein
geschliffenen Weingläsern und herrlich aufgebauten Obstschalen und
Anrichteschüsseln, der Wein funkelte, und mild und gedämpft leuchtete
ein Lichtmeer wieder von unten herauf aus dem tiefen Grund der
spiegelblank polierten Parkettböden.

Die Menschenstimmen verflochten sich ineinander, schwebten sanft
vertönend dahin im Saal, dessen ausgezeichnete Akustik von den dort
konzertierenden Künstlern allgemein gelobt wurde, nur hie und da wurde
das Geplauder durch ein feines helles Lachen unterbrochen, das wie eine
Tropfenkette von Tisch zu Tisch entlang perlte.

Der Bankier schwieg hartnäckig.

Er hatte aus Gesundheitsrücksichten sich frühzeitig daran gewöhnt, auf
seinen Erholungsreisen zu fletschern, das heißt: er kaute jede Speise
dreißigmal ...

Ein Sektpfropfen knallte.

Das berühmte internationale Jazzband-Elite-Orchester begann mit seinem
extra ausgewählten exquisiten Programm ...

                   *       *       *       *       *

Wüst und leer lag draußen das Land.

Emil, der Irrsinnige, der im Volksmund auch der „Unbekannte Soldat“ hieß
oder auch kurz nur der „Rumpf“, kniete sich auf den Rand eines
Granattrichters herauf.

Emils Gesicht war hölzern, wie ein Hackbrett, die Nase darin glich einem
knolligen Gewächs, und ein Stirnfetzen hing darüber, wie ein lose
angeflickter Knochenscherben.

Das mit vereinzelten bräunlichen Zahnstumpfen besetzte und ausgefranzte
Zahnfleisch aus den schief verzogenen Kiefern herausbleckend, die durch
und durch mit Klammern verheftet und schnurartig vernäht waren, lauschte
er, lauschte ...

Der Jazzband hackte, tackte, quieckte und quietschte.

Wimmerte, stöhnte, schrie.

Rührte um, klapperte und schepperte ...

Und durch die hell erleuchteten Riesenscheiben des Hotels „Zum
Weltkrieg“ hindurch sah man Menschen, prunkvoll angetan in Frack und
Seide, in merkwürdig rhythmischen Zuckungen und eckigen Bewegungen,
Körperpaare an Körperpaaren, wie zu einem einzigen vierbeinigen
Körperstrunk verwachsen, im Tanz sich dahinschleifen.

„... Schlaraffenland! Schlaraffenland! ... Gebratene Tauben fliegen
denen dort in den offenen Mund. Ah, wie schön lebendig das duftet, und
köstliche Speisen rollen ganz von selbst auf fahrbaren Tischchen heran.
Die ganze Welt wird denen zu einem „Tischlein, deck ich“ ... Die kosten
sicher nur mal zur Abwechslung, wenn sie mit allzuviel Süßem und Fetten
sich den Magen verdorben haben, das Bittere eines Mandelkerns ...“

Emil glotzte stier in das Lichtparadies.

Der Speichel zog sich ihm im Mund zu einem Schleimklümpchen voll
säuerlichen Geschmacks zusammen.

„Kameraden!“

„Kamerad!“ schien es Emil als Antwort aus der Tiefe der
Schlammkatakomben widerzuhallen.

„Kameraden! Hört ihr mich?“

„Kamerad! Wir hören dich!“

„Parole?!“

Wieder schien es Emil, als ob ihm ein millionenstimmiger Sprechchor
antworte, dumpf, wie ein langgezogenes Gewitter in der Tiefe der Erde
dahinrollend:

„Brü–der der Gro–ßen Gru–be!“

„Brüder der Großen Grube, hört!“

„Wir hören dich!“

„Da feiern sie ihr Siegesdiner und nicht einmal eine lumpige Brotrinde
ist dabei für Emil, das Frontschwein, mit abgefallen. Seht her, nicht
ein einziger Brosamen, wieder einmal ist mir der Stahlhelm
leergeblieben. Ist es auch noch eine Art, mir ewig mit der gleichen
Melodie aufzuspielen: „Pack dich! Pack dich!“? Und Kamerad Emil hat sich
doch wacker, akkurat so wie jeder andere, geschlagen, ob in Phosgen,
Yperite, ob im Bajonettkampf oder beim Handgranatenüberfall ... Weiß
Gott doch! ... Sonst trüge er ja wohl nicht jetzt das Ehrenkreuz auf der
Brust! ... He! ... Und steht Emil nicht Wachtposten Tag und Nacht ohne
Sold, ohne Ablösung? ... Ihr Kindlein in der Grube! Ihr schmucken
Waisenknäblein im pechschwarzen Ehrenkleid! Ist Emil nicht eine gute
Mutter euch!? ... Aber da gibt es zweierlei Arten von Gewürm und
Geziefer, Kameraden, solches unter und solches über der Erde, Kameraden!
Ein Geschlecht zweibeinigen Gewürms ward der Welt zum Verhängnis, aus
dem Kriegsschoß geboren, Kameraden, zweibeiniges, menschenähnliches, gar
menschliche Worte sprechendes Gewürm ... Uns aber hat es dabei die
Sprache verschlagen ... Legt nur einmal das Ohr auf den Boden! Horcht
nur einmal hinunter durch die Erdporen, hinein in die innersten
Erdgänge! Was knabbert, schmatzt und raspelt da!? Ja, das Erdinnere,
meine sehr verehrten Damen und Herren, ist auch so ein mitternächtlicher
Festsaal. Da schlüpfen die Ratten, übervoll ihren Wanst mit Leichenfett
angefressen, und die Wurzeln freuen sich, ist ihnen doch Leichendung und
Kottunke Götterspeise ... Aber habt ihr sie auch gesehen, die Totenkäfer
mit ihren Freßwerkzeugen und die Myriadenarmeen der Aasfliegen, die
Madenhorden: das ist auch eine Melodie, wenn die schmausen. Fein
säuberlich zerlegen die so einen Knochenleib und tragen ihn nach einem
einheitlich organisierten Plan mit den Jahren wie einen Berg ab ...
Schön weich wird das Fleisch und die Knochenwände knusprig, was ...?!
„Kickericki!“ möchte man da sich wohl schon wünschen, und daß der Hahn
kräht, damit der Verrat endlich an den Tag kommt! ... Kameraden! Brüder
der Großen Grube! Hungert ihr?!“

„Wir hungern ... Hunger und Durst, besonderer Art, Emil! ... Man bindet
sich dabei keine Serviette um, sondern die Schlächterschürze, Emil!
„Rache“ schreit der Erdrachen, blutige Rache! Wer noch zwei gesunde
Proletenbeine und -arme sein eigen nennt, nimmt Platz! ... Möge aus
unseren Gebeinen die Rache erstehn! ... Prost Mahlzeit!“

– – –

„Tirili ... Ti–i–rili ... tiri ...“

Der einsame Vogel sang.

„Arm Vöglein! Du mein herzliebstes Vöglein, was singst du denn immer
noch?!“

Und das irrsinnig gewordene Frontschwein Emil glotzte weiter stier in
das Lichtparadies hinein. –

                   *       *       *       *       *

Wieder stampfte, knatterte, spritzte und schliß der Jazzband.

Ein langhin geblähtes Grunzen ...

Gluckste, wisperte, wieherte, gähnte ...

Und die ganze Gesellschaft rief plötzlich laut:

„Holla!“

Und gleich darauf:

„Hurra!“ und „hoch!“ und „holla!“

Wie eine Schnellfeuersalve krachte das Händeklatschen.

Ein berühmter Pariser Komiker war aufgetreten.

Eine feine Zoten-Lese wurde wie eine mit allerlei delikaten
Ueberraschungen gefüllte Bonbonnière höchst anmutig serviert.

Wieder schnalzte der Komiker mit der Zunge und brachte, noch immer laut
beifallumtost, am Ende noch als Zugabe das weltberühmte Couplet zum
Vortrag:

   „Das ist doch wenigstens noch etwas ganz anderes,
   Als Californien mit seinem ewigen Einerlei ...“

Leise summte der Bankier mit.

„Text und Melodie, beide wie aus einem Guß ... Trefflich ...“

Der deutsche Professor stieß mit einem Landsmann an:

„Auf Ihr Spezielles!“

Begeistert und kindlich gerührt drückte der Bankier noch während des
Vortrages seiner Frau die Hand:

„Kätzchen, siehst du, das ist mein Mann! So einen muß ich mir doch noch
einmal anschaffen. Das ist das richtige Gegengift gegen die
Alltagssorgen und gegen die Schwermut, Claire. Das heilt. Das ist die
richtige Kur bei Weltschmerz ... Gemütsmassage ...“

Mrs. Branting streichelte lieblos automatisch die kleine dicke, vom
Weingenuß leicht angerötete Hand ihres Gatten.

   „Es soll der Dichter mit dem König gehn,
   Sie beide wandeln auf der Menschheit Höhn ...“

„Schön gesagt, Claire ...“ erwiderte der Bankier mit einem dankbaren
Blick. „Und vor allem echt und wahr empfunden. Tief wahr ... Der Mann
des Ideals verbündet mit dem Mann der Tat ... Das ist’s, was der
Menschheit am dringendsten nottut. Unter solcher Führerschaft ... Der
Sieg über die Erdenschwere, der durch Wissenschaft und Technik schon so
schön angebahnte Triumph über die Vergängnis wäre damit endgültig
gesichert.“

„Ja, Arm in Arm die Beiden!“ fiel der deutsche Professor dazwischen:
„... die könnten getrost das Jahrhundert in die Schranken fordern ...“

                   *       *       *       *       *

Es war schon spät in der Nacht.

„Tiri ... T–i–i–iri ... Tirili ...“

Der einsame Vogel sang immer noch ...

Die Autokolonne, die die Gesellschaft noch nach Paris zurückbringen
sollte, fuhr vor.

„Ob das nicht ein bißchen zu viel wird, noch so eine gespenstische
Nachtfahrt?“ fragten sich einige und überlegten sich, ob man nicht
lieber im Hotel „Zum Weltkrieg“ übernachten solle ...

                   *       *       *       *       *

Als stimmungsvoller Abschluß der Tournee fand noch ein bengalisches
Brillantfeuerwerk statt, verbunden mit einem groß angelegten
Scheinwerfernaturschauspiel, nach dem Thema „Tausend und eine Nacht.“

Damen und Herren, Arm in Arm, unter den Klängen eines flotten Marsches
des Jazzband-Elite-Orchesters, traten in einer glänzend ausgeführten
Polonaise, jeder Herr sein Glas in der Rechten, auf die Terrasse.

Weit schossen schon durch die Schlachtwüste kegelförmige flache
Lichtblitze.

Auf den spontan aus der Mitte der Gesellschaft einige Male dringend
geäußerten Wunsch entschloß sich der Bankier nun doch noch nach einigem
anfänglichen Zögern zu einer kurzen Ansprache:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren! Beim Anblick dieser Trümmer,
grausige Ueberreste blutigen Geschehens, meldet sich auch in unserem
Herzinneren wieder von neuem der uralte Menschheitswunsch nach
Völkerverständigung, Erdenglück, Völkerfrieden. „Friede auf Erden!“ das
ist das Gelübde, was sicher uns allen der Besuch dieses Schlachtfeldes
abringt. Aber nur Arbeit, Arbeit und wiederum Arbeit, Arbeit und damit
allgemeine Wohlfahrt, können für uns die Bürgschaft, die einzigen
Garantien eines wahrhaft dauernden Friedens sein ... Mögen sich das die
Völker mit goldenen Lettern in ihr Gedächtnis schreiben ... Meine sehr
verehrten Herrschaften! Ich erhebe nun das Glas und bitte Sie, mit
einzustimmen in den Ruf: Es lebe der Friede! Es lebe die
Völkerverständigung, die Völkerversöhnung, jener gute Geist des
gegenseitigen Verstehens und der gegenseitigen Achtung, wie er jetzt so
siegreich durch die Lande zieht ... Der Krieg ist tot. Es lebe ... Der
Völkerbund, er lebe – – –“

„Hoch! Hoch! Hoch!“

Die Gläser klirrten ...

Der deutsche Professor schwitzte.

Seine junge Gattin wischte ihm mit seinem Taschentuch die Schweißtropfen
von der Stirn.

„Paneuropa, meine ich“, debattierte er mit seinem Landsmann: „Paneuropa,
meine ich, das wäre das richtige. Natürlich unter Deutschlands
wirtschaftlicher und kultureller Führung. So unter einer Art geistiger
Vorherrschaft ...“

Die Jazzband-Kapelle brachte jetzt ein Potpourri aus Soldatenliedern
aller Nationen zum Vortrag, die am Weltkrieg beteiligt waren.

Darunter auch das Motiv, sentimentalisch variiert:

„Ich hatt’ einen Kameraden“ mit dem Schluß: „Die Vöglein im Walde ...“

Ganz sachte, in einem _piano pianissimo_ verschwingend ...

                   *       *       *       *       *

Die Scheinwerfer spielten.

Die Lichtblitze kreuzten sich, zogen und dehnten sich fächerartig
zusammen und wieder auseinander, oft glichen sie einer riesigen
Knochenhand, die mit nervig ausgespreizten Fingern die Erdfurchen nach
irgendeiner Beute abtastete.

Raketen prasselten aus dem Erddickicht hoch, magische Lichtbündel hingen
in den Wolken, ein effektvoller Lichtregenbogen wölbte sich; hüpfende
Sterne, tanzende Funkenreihen; eine lampionartig glühende, in Hunderte
von blühenden Lichtschmetterlingen zersprühende scharlachene
Riesenglanzkugel; sich drehende Flammensonnen; ein künstliches
Firmament, in allen Farben orgiastisch schwelgend, aus dem herab – als
Finale dieser Lichtsymphonie – ein blendend flimmernder Goldregen sich
ergoß, der in der Vorstellung manch eines aus der Gesellschaft teils zu
einem als mystischer Katarakt niederrauschenden Riesenweihnachtsbaum
wurde, teils zu einer Vision der himmlischen Heerscharen, die „Friede
auf Erden!“ singend aus den mit einem ewigen Hosianna unvergänglich
imprägnierten Aeonen auf die zerrissenen Jammergefilde des Diesseits
gnadenspendend herniederfuhren.

Der rote Vollmond verschwand oft für einige Sekunden hinter dem
Zauberwerk.

Und dazu träumte das Jazzband-Elite-Orchester aus den geöffneten
Fenstern des großen Hotelsaales heraus eine weich sich dem Nachtgold
anschmiegende schmelzende Melodie.

– – –

Die Lichtblitze der Scheinwerfer schossen erdab, vereinigten sich zu
einem einzigen weißlich-glühenden intensivsten Strahlen, und dieses
Strahlen glich ganz einem unendlich durch die Schlachtenwüste hindurch
gestreckten Lichtpfad.

Das war auch der Weg, den Nachts der Christus der armen Bauern wandelte
...

Noch immer kniete draußen in dem von der Lichtflut überschwemmten Land
der „Unbekannte Soldat“, Dumpfes vor sich hinmurmelnd, auf dem Rand
eines Granattrichters.

„... Emil heiß ich. Der „Unbekannte Soldat“ oder „Rumpf“ werde ich
genannt ... Trillert nicht „Emil, wo bist du?“ das einsame Vöglein?
„Allemal hier, Schatz!“ antwortet aus seinem Grabkeller der Rumpf ...
Und der „Unbekannte Soldat“ klopft mir auf die Schulter und zupft mir am
Nabel das Bärtlein fein: „Hat dein Weib dich geärgert? Mach’ kein gar so
griesgrämig Gesicht! Regenwetter gibt’s ohnehin schon genug und auch
saure Gurkenzeit. Komm, Rumpf, wir wollen eins saufen gehen! Komm,
Rumpf! ... Bis zum Sammelblasen hat’s alleweil noch Zeit ...“ So bin ich
der heiligen Dreifaltigkeit gleich. Bin drei und eins.“

                   *       *       *       *       *

Emil glotzte.

Die Lichtflut traf ihn.

Da sank der „Rumpf“ in seinen Granattrichter zurück. –

                   *       *       *       *       *

In dieser Nacht gab es zwei Träume.

Den einen träumte der Bankier.

                   *       *       *       *       *

Er schwebte unermeßlich hoch darin über der Erde, in einer kristallisch
geschliffenen, eisklaren, atmosphärischen Traumwolke, und die Erde unter
ihm war wüst und leer, brodelte dumpf und schäumte.

In morasttiefen Abgründen hausten die Menschen, und die ganze
Menschenerde glich einem mit einem porösen Stoff ausgelegten
Riesenbecken, darin die gewaltigen Blutströme die ununterbrochen vom
Menschengeschlechte abfielen, spur- und farblos versickerten.

Eine auserwählte Schar von Dichtern und Presseleuten hatte der Bankier
um sich versammelt, die ihm in seinem Flug nachfolgten, die ihm
huldigten, indem sie ihm zu Ehren barock geschwollene Lobestiraden
verfaßten und diese bei den häufig stattfindenden Empfängen und
Festtafeln mehr oder minder pathetisch vortrugen. Und, ein wirbelnder
Blättersturm, fegten die Zeitungen tagtäglich auf die Erde hinab, die
lange Artikelserien mit wissenschaftlich sorgfältigen Analysen des neuen
Zeitalters brachten, mit ausführlichen, höchst detaillierten und durch
ein reichhaltiges statistisches Material ergänzten Beschreibungen der
Rolle des Finanzkapitals und des Wesens des Imperialismus, was, mehr
dem Kulturgeschmack nach ausgedrückt, bedeutete: „Das Neue
Renaissance-Menschentum.“

Und in der Tat – wer hätte es leugnen können! – der Bankier wurde immer
mehr Gott gleich!

Wenn der Priester z. B. betete „Vater unser!“, so flehte er doch
insgeheim, im innersten Kammerwinkelchen seiner unruhenden Seele:
„Hoffentlich wird uns der Herr Bankier nicht doch noch eines schönen
Tages unsere fetten Pfründen sperren ...“ Aber Gott, der Bankier, dachte
nicht im entferntesten daran, im Gegenteil, nach glücklicher Genesung
aus einer höchst atheistischen Jugendkrankheit, wurde er mit den Jahren
immer mehr der Ansicht: „Die Religion muß dem Volk erhalten bleiben!“
Das Aufklärertum kam in dieser Periode der Bankier-Herrschaft völlig
außer Mode, und mit dem Salz des religiösen Glaubens waren diese Tage
der Welt gewürzt.

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag. Es ist eine Lust zu leben!“ – so
verkündeten es wenigstens die offiziellen Apostel. „Die Herrschaft des
Finanzkapitals: das ist der Anbruch des Paradieses auf Erden ...“ –
prophezeien, selbst allerdings vom Gegenteil überzeugt, wieder andere.

Nun, hoch über dem immer mehr sich ausweitenden Erdsumpf durch die
sphärischen Abgründe des Himmels dahinschwebend, wähnte der Bankier und
seine Gefolgschaft, die Brust vom kühnen Erobererstolz geschwellt, gegen
den immer tiefer bis in das Erdinnere vordringenden Fäulnisprozeß sich
hinreichend gesichert. Gegen seine anscheinend unheilbare
Berufskrankheit, gegen eine oft jede Lebensenergie lähmende und jeden
Lebenswillen unterminierende Langeweile, die besonders kraß bei seiner
Nachkommenschaft auftrat, erfand das ständige Aufgebot medizinischer
Autoritäten aller Länder immer neue, den tödlichen Endprozeß verzögernde
Gegenmittel ...

Trotzdem er aber so hoch in den Lüften schwebte, und scheinbar im
Unendlichen und Zeitlosen thronte und kreiste, war er doch tiefer, als
die Dichter es in ihren apotheotischen Gesängen wahrmachen wollten, mit
der Zeit verwurzelt und mit dem Erdgrund verbunden.

Folgendes geschah:

Es geschah, daß er auf seinem Flug wie in einem Luftwirbel in den
Strudel eines für ihn völlig unlösbaren Widerspruchs geriet, der für ihn
schicksalhafte Gestalt annahm, und in den er sich, je mehr er sich
daraus zu befreien versuchte, desto tiefer verstrickte.

Alles, was er auch unternahm: sei es, daß er Fabriken gründete,
kolonisierte, neue Rohstofflager aus der Erde schürfte, alles was er für
sich unternahm, unternahm er doch gleichzeitig auch wieder gegen sich
selbst. Jede Verordnung, die er in seinem eigenen und nur in seinem
eigenen Interesse erließ, kehrte plötzlich sich wieder unversehens gegen
ihn selbst um, mit einem um so geschärfteren Stachel.

Das ist vielleicht besser zu verstehen, wenn man sich in die Lage jenes
unglücklichen Schwimmers versetzt, der sich krampfhaft bemüht, Arme und
Beine aus dem Gewirr von Schlingpflanzen zu lockern, dessen geringste
Bewegung aber doch dazu bestimmt ist, ihn immer fester, unlösbarer in
seinen eigenen Untergang zu verstricken.

So sah sich der Bankier auch eines Tages dazu veranlaßt, durch seine
Regierungen das feste, allzu starre und geschriebene Gesetzprinzip in
der Praxis aufzuheben und durch einen Ausnahmezustand, d. h. durch eine
ausgesprochene Willkürordnung, zu ersetzen, denn er konnte nurmehr
herrschen auf Grund einer absoluten Anarchie. Seine eigenen Erlässe,
Dekrete, Gesetze wären ihm sonst unfehlbar zur Fallschlinge geworden.

So bewaffnete er auch einmal Schwarze gegen Weiße.

Plötzlich aber drehten eines Tages die Schwarzen das Gewehr um und
nahmen ihn selbst als Weißen aufs Korn.

Oder:

Er züchtete künstlich Verwesung, aber er verweste auch selbst dabei,
während das Volk trotz unbeschreiblicher Martern, die ihm dieser
Verwesungsprozeß verursachte, letzten Endes an diesem Gift gesundete.
Denn verschluckten sich gierig gegenseitig Trusts und Konzerne, so gab
es wohl blutiges Bauchgrimmen beim Volk, zugleich aber bildeten sich
auch als wirksame Gegengifte heraus: Klassenbewußtsein,
Solidaritätsgefühl, Klassenkampfgeist, und als hochkonzentrierter
Kampfstoff unter Führung einer straff disziplinierten Partei betraten
alsbald darauf die revolutionären werktätigen Massen die politische
Arena ...

Aber auch dann, als er von der Zwangsvorstellung des für ihn
verhängnisvollen und unlösbaren Widerspruchs gehetzt, dazu überging,
einen Staudamm von Galgen gegen die anbrandende rote Sturmflut der
Empörer zu errichten, als ihm schon nichts mehr anderes übrig blieb, als
in Wahrheit zur völligen Ohnmacht verdammt, seine Machtgefühle nurmehr
darin zu äußern, daß er wahnwitzig und sinnlos drauflos mordete und die
Volkskraft frivol und zwecklos ausplünderte, auch in dieser Periode
seiner Scheinherrschaft war er widerwillig gezwungen, streng nach dem
Grundsatz zu handeln: „Einerseits-andererseits“.

Einerseits vernichtete er physisch die Empörer und rottete sie oft
mitsamt ihren Organisationen restlos aus, andererseits aber schuf er
eben dadurch, durch diesen Vernichtungsakt, eifrig und geradezu behutsam
doch zugleich wieder den Nährboden, auf dem Unzufriedenheit, Hungersnot,
Streik, Empörung, Aufstand treibhausartig wucherten.

So fraß er, und wurde dabei doch zugleich auch selbst aufgefressen.

Es gelang ihm durch seine Gewaltmaßnahmen nicht viel an der Wahrheit
jener unumstößlichen Tatsache zu ändern, die ihm einst ein von ihm zum
Tode verurteilter Revolutionär ins Gesicht schleuderte:

„Sie ehrenwerter Herr!“ – ergriff der unter dem Galgen das Schlußwort:
„Ihre Mörderpraxis und als Ueberbau darüber Ihre verlogene Henkermoral,
das ist die beste Propaganda für uns und unsere Ideen. Fahren Sie fort
in Ihrem Werk ... Je ungenierter, desto besser; bitte ... Dank Ihnen
kommen wir rascher an unser Ziel ...“

Die letzten Stützpunkte, auf die sich der krampfhaft um seine Macht
Ringende noch stützen konnte: illusionssüchtige und sensationslüsterne
Kleinbürger, Deklassierte, Berufsmörder, Hasardeure: sie stützten ihn
zwar, aber sie stützten ihn so, wie der Strick den Gehängten stützt.

Der Blutrausch ging jäh zu Ende.

Eine Sekundenpause grauenhafter Ernüchterung folgte.

Wäre es jetzt nach dem Bankier gegangen, so wäre das Ende der Welt
gekommen.

Es kam aber anders.

Tiefer, immer tiefer senkte er sich in seinem Flug.

Schon spritzte Erdschaum hoch um ihn auf.

Denn er hatte die Schwerkraft bisher nur erfolgreich überwinden können
dadurch, daß Millionen und Abermillionen Menschen willig für ihn
Schwerarbeit leisteten. Nur auf Grund dieser von Millionen und
Abermillionen Menschen willig für ihn geleisteten Schwerarbeit konnte er
sich frei und ungehemmt im Luftraum bewegen.

Die Fesseln von Millionen und Abermillionen Menschen waren für ihn die
unbedingte Voraussetzung seiner eigenen Freiheit. Deren Freiheit aber
war gleichbedeutend für ihn mit seiner, mit seiner eigenen Fesselung.

Und immer tiefer zur Erde niedergleitend, sah er jetzt, wie die wohl
über ein Jahrhundert lang ihm Dienstwilligen unter mörderischen
Krümmungen und Zuckungen ihre Fesseln von sich abstreiften, ein ganzes
Zwangs- und Fesselsystem zerriß, zugleich aber spürte er, wie sich ihm
unlösbar Gehirn und Leib banden ...

– – – – – – –

Mit dieser Vorstellung wachte der Bankier auf, angstschweißtriefend, und
wie ein Fisch, der aus seinem Element gehoben ist, nach Luft schnappend.

Langsam glättete sich ihm nun auch der tiefe Einschnitt vom Strick, der
ihm in der letzten Traumsekunde noch umgeworfen worden war, an dem etwas
speckig geratenen Gurgelknopf und im Nacken.

Eine dicke Träne kollerte.

„Das wär also der Dank. Undank ist der Welt Lohn.“

Und wieder nach einer geraumen Weile voll Gähnens und Nachdenkens:

„Wie vielen Millionen gab ich nicht Brot durch die Arbeit, schenkte ich
nicht sozusagen überhaupt erst das Leben? ... Wenn ich nur an die
Riesenkolonien der von mir errichteten Arbeiterwohnungen denke. Auch
wunderbare Bauten von Erholungsheimen, Angestelltensanatorien,
Heimstätten habe ich erst neulich in Gedanken projektiert! Geschäft ist
Geschäft ... Aber außerhalb des Geschäfts kann man sich schon einmal
ausnahmsweise den Luxus gestatten und seinen Gefühlen freien Lauf lassen
... Hauptsache für einen Geschäftsmann ist und bleibt, mag er einer
Branche angehören, welcher er will, daß er innerhalb des Geschäfts sich
von derartigen sentimentalen Anwandlungen und kuriosen Träumereien
absolut frei hält ... Das Geschäft gehört ins Tal und die Seele auf die
Berge ... Im übrigen: gegen Klagen, Drohungen, Träume, Gespenster usw.
immun wie immer. Bange machen lassen gilt noch immer nicht ... wir sind
noch stark, stark, stark genug ...“

Er streckte sich.

Befühlte seine Muskeln.

Die Knochen knackten.

„Quatsch! An dem ganzen Traum-Unsinn ist nur das Schlachtfeld und der
Führer mit seinen dummdreisten und aufdringlichen Witzen schuld.
Natürlich! Grünes Gemüse. Noch nicht trocken hinter den Ohren. So ein
Lausejunge, so ein Hundesohn, Müßiggänger, Nichtsnutz, ein ganz gemeiner
imaginärer Kerl ...

„Gehören die Träume, die ich träume, mir, oder nicht!?

„Spekuliert man auf meine Träume!? ... Sozialisiert man meine Träume!?
...

„Ist etwa mein Traumland gar schon ein öffentliches Terrain, und muß
ich, wenn ich eine Traumwanderung antrete, mich auch von einem Führer
begleiten lassen, der jede meiner Bewegungen, der jede meiner
Traum-Zuckungen zynisch kommentiert ...!?“

Er klingelte dreimal kurz hintereinander scharf.

Er fetzte den letzten Traumgedanken sich mit der Reitpeitsche aus dem
Gehirn.

Pfiff vor sich hin:

   „Das ist doch wenigstens noch etwas ganz anderes
   Als Kalifornien mit seinem ewigen Einerlei ...“

                   *       *       *       *       *

Der Sekretär erschien mit der Morgenpost und den Zeitungen.

Darunter war auch ein ausführlicher Brief seines bald
zweiundzwanzigjährigen Sohnes Cuco, in dem dieser seinem Vater
mitteilte, er mache jetzt eine neue Entwicklung durch „mit
freiheitlichem Einschlag“, und er fühle sich, als „wenn er von innen
aufgehe“.

Bei „freiheitlichem Einschlag“ stutzte der Bankier einen Augenblick.

Schmunzelte aber sogleich, als er weiter las:

„Unter freiheitlichem Einschlag verstehe ich, daß ich mich immer mehr
von den sozialistischen Ideen, denen ich in meiner Jugend anhing,
freimache, von dem historischen Materialismus im besonderen, und mich
immer schärfer von dem jeden Geist tötenden und jeden freien Entschluß
hemmenden, terroristischen, schändlichen Treiben der Gewerkschaften mit
Abscheu abgrenze, das auf die Dauer jedes unbefangene, unvoreingenommene
Verhältnis des Arbeitnehmers dem Arbeitgeber gegenüber zur Unmöglichkeit
macht und unser ganzes Volkswesen in einen bürgerkriegähnlichen
Fieberzustand hineinhetzen muß. Ich suche die Wahrheit und glaube jetzt
bestimmt auf dem richtigen Wege zu sein. Die äußeren Verhältnisse sind
es nicht, die Glück, Wesen und Wert eines Menschen ausmachen, Wandlung
tut not, Einkehr nach innen und radikaler Bruch mit der herrschenden
Idee dieser Zeit: mit dem alle wahren Lebenskräfte lähmenden
Sozialismus. Das dünkt mich die große Krankheit dieser Zeit, aber sie
wird auch aus sich selbst heraus, wenn auch unter Fieberschauern, das
neue Heilmittel zeugen, das als Gegengift dazu zwangsläufig sich
steigernde Wertbewußtsein der Persönlichkeit ...“

„Bravo, Cuco! Gut so! Du wirst deinem alten Vater noch Freude machen!
Fahre weiter so fort, dann kann es nicht schief gehen ... Er fühlt sich,
als ob er von innen aufgeht. Einfach aber für sein Alter schon recht
nett gesagt.“

Und der Bankier gab den Auftrag, an Cuco ein Telegramm zu schicken,
folgenden Inhalts:

„Gut so. Suche weiter die Wahrheit auf diesem Weg, und du wirst sie
finden. Fördere freiheitlichen Einschlag mit allen Kräften. In Treue
dein Vater.“

                   *       *       *       *       *

Den anderen Traum träumte Jacques.

Jacques Rillot, ein französischer Kleinbauer.

Die dürftige Hütte, die er bewohnte, und die während des Krieges
vollkommen zusammengeschossen worden war, hatte er sich nach seiner
Entlassung vom Militär eigenhändig wieder zurechtgezimmert. Es reichte
sogar noch zu einem Stall, mit einer Kuh, Geflügel und zwei Ziegen
darin.

Das alles, Mensch und Vieh, wohnte friedlich nebeneinander, Wand an
Wand.

Ein feuchter warmer Geruch erfüllte gleichermaßen Stall und Wohnräume. –

Mit zwölf oder gar zehn Stunden Arbeit im Tag nun war es ja zwar nicht
abgetan, es war schon ein hartes Stück Arbeit nötig dazu, um aus dem
Boden das Lebensnotwendigste herauszuwirtschaften, und oft verdingte
sich Jacques auch noch für einige Wochen, besonders im Winter, als
Lohnarbeiter in der Nähe des Dorfes, in einer der Nachbargemeinden auf
einer Baustelle.

Das aber war nach Jacques und Maries, seines Weibes Ansicht nichts
weiter als nur recht und billig.

Oft hatte Jacques zwar schon von ferne die Reisegesellschaften
beobachtet, die Autokolonne, die Flugzeuge, aber er dachte sich
eigentlich weiter nichts besonderes dabei als höchstens:

„Nein, sowas! Verrückt! Komisch! Sonderbare Käuze das! Was sie nur davon
haben, immer noch in dem Leichenschlamm herumzustochern!“

Und auch das Hotel „Zum Weltkrieg“, das mit seinen fünfzig Stockwerken
hoch in das verwüstete Land hineinragte, sah Jacques bei seiner Arbeit
Tag für Tag.

In der Dorfkneipe allerdings, die Jacques ab und zu besuchte, herrschten
oft rauhe Töne.

Da schlug einer der Landarbeiter, der schon viel in der Welt
herumgekommen war, plötzlich mittendrin, eine seiner abenteuerlichen
Erzählungen unterbrechend, hart mit der Faust auf den Tisch und fluchte:

„Herrgottsakrament! Wir sind eben allzumal unheilbare Tölpel! Feige
kotzerbärmliche Tröpfe sind wir, daß wir uns sowas gefallen lassen. Tut
vielleicht die Regierung, trotz unserer Bandwürmer von Eingaben, etwas
gegen die Rattenplage, die das ganze Land nun neuerdings von unten
auffrißt und ruiniert!? Nicht einmal, und das wäre doch schon das
allerwenigste vom allerwenigsten, nicht einmal das ... Geschweige denn
... Und was schon das Wiederaufbauen des Landes betrifft, wofür sie von
den Deutschen das Geld bekommen haben!? Wiederaufbauen!? Pah! Fällt
ihnen gar nicht im Traum ein! Laßt mich aus mit diesem heillosen
Wiederaufbaurummel! Jede Ruine wird noch zum Spekulationsobjekt! Da geht
einmal nach Paris und seht es euch mit an, wie vornehm die in ihren
Automobilkutschen in der Stadt herumfuhrwerken! Dorthin fließt das Geld,
sage ich euch, aber unsereins hat immer dabei das Nachsehen ... Will nur
sehen, was dabei noch herauskommt ... Aber da ist eben nichts daran zu
ändern ... Gott hab’ die Großkopfeten mit ihrem Reichtum selig ... Was
die nur für ein Vergnügen daran finden: hängen ihre Rüssel in die
Massengräber hinein, und wissen mit ihrer Zeit nichts gescheiteres
anzufangen, als auf den Schlachtfeldern herumzubummeln, und dazu reisen
sie sogar über den großen Teich herüber und kommen aus Amerika, zum
Knochensammeln, ja zum Knochensammeln ... Und hier bei uns, welch’ eine
Dorfarmut! Ist das ein Dorf vielleicht!? Gerümpel, vermorschte
Bretterbuden, was nächstens der Wind zerschmeißt und mit sich fortfegt
...“

Aber sowie einer der Honoratioren, der Pfarrer, der Lehrer oder der
Bürgermeister eintrat, legte sich sogleich der Lärm, und man begann
gemeinsam auf die Arbeiter in den Städten zu schimpfen, die schon wieder
einmal, zum soundsoviel hundertsten Male, streikten.

„Achtstundentag!“

Die Bauern lachten heiser auf.

Dann bissen sie fest mit den Zähnen auf die Pfeifenspitzen, pafften wild
Wolken von Tabaksqualm aus ...

„Faulenzer! Ludriane! Lumpen! ... Als ob wir Bauern an einen
Achtstundentag denken könnten! ... Und den Bauern das Vieh wegnehmen,
ha, und die Ernte verbrennen, das tät ihnen wohl so passen, he, was ...
Aber Senge sollen sie beziehen, daß sie sich ihr Leben lang ihren Buckel
kratzen können, wenn die sich einmal aufs Land herauswagen sollten, was
...!“

Und der Bürgermeister prahlte, von allen applaudiert, mit seinem
Maschinengewehr, da er zu diesem besonderen Zweck in seiner Scheune
versteckt hielt.

– – –

Und so war die Trommelfeuerwalze des Krieges vier Jahre lang über dieses
Land, das Jacques Heimat war, hinweggestampft: und das Land war wüst und
leer.

Von diesem Land nun träumte Jacques, das ganz einer riesigen,
schwarzbrandigen Wundfläche glich, Trichter an Trichter, Beule an Beule
...

Und über dieses Land hin flackerte breit ein irrnisblendender
schwefelfarbiger Gewitterschein, und der Horizont war saftigrot
übersprengt wie mit frischen Blutklexen.

Wesen und Dinge waren tief in dieses magische Lichtreich hineingetaucht,
so unlotbar tief, als sei das ganze Land so stumm und verwahrlost, wie
es war, längst im gläserigen Schutt des Meeres versunken ...

Und es erhob sich in der Ferne ein stählernes Knattern, und heran flog,
aus Knochenstäben gefügt und mit einer ganz der Menschenhaut ähnlichen
Leinwand bespannt, ein Apparat, der flog frei in der Luft und bohrte
sich scheinbar mühelos durch ein schlackichtes Wolkengetümmel hindurch,
und kam näher, immer näher, so nahe, daß Jacques den einzigen Passagier,
der darin saß, erkennen konnte.

Ein kleines, unscheinbar graues Männchen war das, im Frack und mit
Zylinderhut, freundlich nach allen Seiten zum Gruß hin nickend, gerade
so wie der Präsident der Republik, als er die Paradefront der
siegreichen alliierten Truppen abfuhr, damals nach der Unterzeichnung
des Friedensvertrages, auf den Champs Elysées in Paris. Aber das
Männchen glich auch wiederum bis auf ein Haar dem Bankdirektor Michelet,
der in der Nähe des Dorfes eine schöne neue Sommervilla besaß, nach der
er regelmäßig jeden Samstag nach Börsenschluß auf der wunderglatten
asphaltierten Landstraße zum Besuch seiner Familie herauskam.

„Nanu!“ aber staunte jetzt Jacques im Traum: „da fließt ja auch ein
Regen, aber dieser Regen fließt ja gar nicht auf die Erde vom Himmel
herab, sondern gerade umgekehrt: von der Erde zum Himmel hinauf, aus
Millionen Menschenaugen sickert, fließt dieser Regen, dieser
Tränenregen, und das ganze Himmelsgewölbe – Jesusmaria! – wird von
diesen aufwärtsziehenden Tränenmassen prall, wie schwanger davon, füllt
sich wie ein Sack und – Gott sei mir gnädig! – platzt! platzt! und ganze
Stürze feuriger Lava-Lawinen brausen hernieder, o so eine höllische
hitzige metallische Schmelzglut gibt das ... und eine Musik, o eine
Musik dazu – – –“

Daß Jacques entsetzt aus dem Traum auffuhr.

„Alarm! Alarm! ... Marie! Das ganze Haus brennt! Die ganze Welt brennt!
Hast du ihn denn auch gesehen, wie er auf dem „Tier“ über das
Schlachtfeld geritten ist? Der Bankier, Marie, reitet über das
Schlachtfeld, und o auf einem Tier, ich kann das nicht beschreiben ...
Aber nein, nicht nur an allen vier Ecken angezündet ist die Welt, nein,
nein, innerlich und äußerlich zugleich brennt sie, alles ist von außen
und innen zugleich angezündet, da kommt, sage ich dir, ein Brändlein
zusammen, da schlagen die Feuerflächen wie wild aufeinander, Marie ...
Und wir, wir, Marie, mit unserem lebendigen sündigen Fleisch mitten
dazwischen ... Jesusmaria! ... Heilige Mutter Gottes, bitt für uns arme
Sünder jetzt und in der Stunde unseres Absterbens ... Amen! ...“

Bei den letzten Worten erst, die Jacques wild und gellend hinausstieß,
war sein Weib aufgewacht.

Wieder begann er, wie vom Fieber geschüttelt, während ihn sein Weib
festhielt. Er knirschte dabei mit den Zähnen und hatte Schaum vor dem
Mund:

„Marie! Siehst du ihn immer noch nicht, wie er über das Schlachtfeld
reitet!? ... Hop, hop, hop, hussassa, heissassa, hop, hop, hop ...
Alarm! Alarm! Alarm! Sturmglocken geläutet! Der Bankier reitet übers
Schlachtfeld ... O so traumdunkelhaft ist das alles, so geheimnisinnig
... Und was für glatte, feinnervige Hände der hat, ein feiner, ein
feiner Herr ist das, und jetzt, wie er wieder nickt und die
Glacéhandschuhe sich überstreift ... Und wie die Erde voll Trübnis und
Bitterkeit darunter ist, schmeckst du das nicht, Marie, o, o, das war
was ... Gleich dem Weltende ... So eine Verkündigung, vielleicht etwa,
wie ... So eine Gottesoffenbarung, ein Gesicht, was meinst du dazu ...“

Jacques Weib hatte inzwischen das Talglicht angezündet.

Dann rang auch sie flehend die Hände.

„Jacques, ob du nicht besessen bist? ... Geht nicht was um in dir, so
was ganz Finsteres? Unaussprechbares!? ...“

Jacques lallte immer noch:

„Hop! Hop! Hop! Hussassa, heissassa! Hop! Hop! Hop! ... Der reitet, sag’
ich dir, reitet, reitet ... O gar kein Ende nimmt diese verfluchte,
höllische, gespenstische Reiterei, bis das Feuer, dieses Feuer, diese
glühende Höllenpestilenz wie eine Dusche von oben vom Himmel kommt!“

Dann knieten beide nieder, bekreuzigten sich immer und immer wieder und
beteten bis zur Früh vor dem kleinen Altar, einer gipsernen Grotte, mit
der Jungfrau Maria darin, und vor dem holzgeschnitzten Gekreuzigten, der
so hoch, daß sein Dornenhaupt die Decke berührte, in dem Zimmerwinkel
darüberhing.

„... sondern erlöse uns vom Uebel! ...“

„Amen! A–men!“ schluchzte monoton Jacques Weib.

Der Hahn krähte.

– – –

Früh am Morgen, noch vor der Messe, lief Jacques Weib zum Priester.

„Hochwürden! Denken Sie nur, was uns passiert ist! Ein Uebel ist uns
wiederfahren, eine Heimsuchung! ...“

Der Priester hörte sich die Erzählung des Weibes an.

Da trat auch schon Jacques ein.

„So was wie Dämonen, Hochwürden! Schauen Sie doch, nur, wie er aussieht!
Wirr, wirr, ganz wirr im Kopf!“

Der Priester besprengte Jacques einige Male mit Weihwasser.

Jacques bekreuzigte sich.

Dann nahm ihn der Priester bei der Hand, fühlte ihm den Puls und sagte
ganz freundlich:

„Jacques, setz dich und erzähle!“

Jacques bekreuzigte sich.

„Im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes ...
Nichts werde ich auslassen noch hinzufügen, so wahr mir Gott helfe ...
Amen!“

„Na also, Jacques, einen Traum hast du gehabt, und einen Reiter hast du
darin gesehen, mit einem Zylinderhut, dem Bankdirektor Michelet
ähnlich?“

„Gewiß, Hochwürden, so ist es. Genau so. Dem Bankdirektor Michelet
ähnlich und auf einem Roß, doch auf keinem Roß eigentlich nicht, ist er
doch freihändig durch die Luft gefahren.“

„Nun denk einmal genau nach, Jacques, war es auch wirklich ein
Zylinderhut!?“

„Gewiß, Hochwürden, ein Zylinderhut.“

„Und also kein Dreispitz?“

„Nein, Hochwürden, kein Dreispitz.“

„Kein Dreispitz, Jacques, so wie der große Napoleon einen auf hat, weißt
doch ...“

„Nein, Herr, kein Dreispitz, so wie der große Napoleon einen auf hat ...
Ein Zylinderhut, ganz bestimmt ein Zylinderhut ... Der große Napoleon
war es nicht, den hätte ich ganz bestimmt erkannt, wenn der über das
Schlachtfeld geritten wär’ ...“

„Paß auf jetzt Jacques! Und auch nicht der Gestalten aus Johannis
Apokalypse eine, von der, wie du gelesen hast, in der heiligen Schrift
geschrieben steht: „Und ich sahe den Himmel aufgetan; und siehe, ein
weiß Pferd, und der darauf saß, hieß treu und wahrhaftig, und richtet
und streitet mit Gerechtigkeit. Und seine Augen sind wie eine
Feuerflamme und auf seinem Haupt viele Kronen, und hatte einen Namen
geschrieben, den niemand wußte, denn er selbst. Und war angetan mit
einem Kleide, das mit Blut besprenget war; und sein Name hieß Gottes
Wort. Und ihm folgte nach das Heer im Himmel auf weißen Pferden ...“

Jacques bekreuzigte sich und schüttelte wieder den Kopf.

„Nein, nein, nein, Hochwürden, auch der war es nicht. Das, was Johannes
da in seiner Offenbarung meint, ist doch der gottseligen Engel einer ...
Sicherlich, dieser war es ganz bestimmt nicht.“

„Und gesehen hast du ihn, wirklich gesehen, Jacques, mit deinen eigenen
leibhaftigen Augen gesehen ...!?“

„Ich muß bekennen, Hochwürden, so wahr ich hier stehe, so wahr mir Gott
helfe, ich sah ihn, von Angesicht zu Angesicht ...“

„Und gelächelt hat er und genickt und freundlich ringshin gegrüßt!?“

„Ja, Hochwürden, wenn ich mir sein Gesicht jetzt so in der Erinnerung
vorstelle, da kann ich’s wirklich nicht mehr genau unterscheiden: es war
aber, glaube ich, freundlich lächelnd und bissig zugleich. Vielleicht
aber hat er auch gar nicht gelächelt, sondern gegrinst ...“

„Aber das eine steht unumwunden fest: es war kein Dreispitz.“

„Nein, Hochwürden, es war ein Zylinderhut.“

Der Priester ging unruhig auf und ab.

„Laß dir mal in die Augen sehen, Jacques. Gut so, gut! Also, ein
Zylinderhut, und ausgesehen soll er haben wie der Bankdirektor Michelet
... Hallunzination ... Wie der Bankdirektor Michelet, der wohl im Park
spazieren reitet oft morgens ... Aber so ein greuliches, abscheuliches
Tier, so ein Drachengewürm, so ein Popanz von Reptil, wie du eines im
Traum gesehen haben willst, Jacques, das gibt es ja auf der ganzen Welt
nicht ... Warst du nie in deiner Jugend krank, Jacques?“

„Nein, Hochwürden!“

„Hast du nie unter Bettnässen gelitten, nie Anfälle gehabt!?“

„Nein, Hochwürden!“

„Hast du dir nichts beim Militär geholt, Jacques, Tripper. Schanker oder
so einen Ausschlag ganz vorn unter der Vorhaut des männlichen Gliedes an
der Eichel ...!?“

Der Priester sah dabei Jacques scharf ins Gesicht, hob den Zeigefinger
und betonte alle Worte nachdrücklich pathetisch.

„Nein, Hochwürden ... so wahr ich ein treues Kind der Kirche bin, ich
schwöre: nein ...!“

„Dann muß der Traum auf Ueberarbeitung beruhen, falscher Ernährung,
nicht genügender Blutzirkulation, Jacques ... Iß von nun an nichts
gewürzt und nur leichte Speisen ... Und mußt dir den ganzen unsinnigen
Traum möglichst rasch aus dem Kopf schlagen, denn so ein Traumgebild
kann gar leicht in Gotteslästerei, Zauberei oder in Gesetzesfrevel
ausarten ... und leg’, wenn du schläfst, dir ein nasses Tuch auf den
Kopf ... Und Beichten und Rosenkranzbeten nicht vergessen, Jacques ...“

Die Glocke zur Frühmesse von der Dorfkirche nebenan läutete.

Jacques und Marie standen, sich bekreuzigend, auf.

„Bürger Jacques Rillot! Ich muß jetzt das Verhör beenden ... Kommt beide
gleich mit zur Frühmesse.“

Marie küßte dem Priester die Hand.

Dann krochen Jacques und Marie gebeugt rückwärts zur Tür hinaus.

– – –

Tief in sich gekrümmt knieten Jacques und Marie auf der hintersten Bank
in der Dorfkirche.

Sie beteten nicht, sondern schrien:

„Heilige Maria, Mutter Gottes, bitt’ für uns arme Sünder jetzt und in
der Stunde unseres Absterbens ... Hilf! Hilf! Hilf! ...“

Und wie es im Leichenschauhaus hallt, wenn der Totengräber und sein
Gehilfe mit wuchtigen Hammerschlägen einen Sarg zunageln, so knarrten
von den feuchten Wänden des Dorfkirchleins dröhnend wider die Stimmen
der gläubigen Gemeinde im Chor:

„Amen! Amen!“

                   *       *       *       *       *

Jeder klassenbewußte Prolet hätte Jacques den Traum deuten können.

Dazu gehörte nicht ein sonderlich kluger Kopf, sondern – wogegen sich
sonderbarer Weise die sonderlich klugen Köpfe oft am hartnäckigsten
sträuben – die Einsicht in den Mechanismus der Geschichte und: daß
unsere Geschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen ist, das Erlebnis
dieser Tatsache am eignen Leibe.

„Die Auslegung deines Traumes, Jacques, ist meiner Meinung nach
wenigstens höchst einfach“, hätte ihm solch ein Prolet zur Antwort
gegeben.

„Hör’ gut zu, Jacques. Sie ist die folgende:

„Du hast es natürlich richtig gesehen: es war kein Dreispitz, sondern
ein ganz banaler Zylinderhut. Ja, gewiß: der Bankier reitet übers
Schlachtfeld. Ueberall, wohin der seinen Fuß setzt, er und mitsamt ihm
die ganze Klasse der Ausbeuter, überall dort verwandelt die Erde sich
unter mörderischen Kämpfen in ein Schlachtfeld, in ein Schlachtfeld der
Arbeit zunächst, in ein maschinendröhnendes, betoniertes daraus die
Schlote, die du bei klarem Wetter fern bei Paris sehen kannst,
emporschießen; Arbeiterviertel, Fabrikreviere, Kolonnen von
Wellblechbaracken. Ueberall, wohin du blickst, Jacques, ist dieses
Schlachtfeld der Arbeit bereits zur Tatsache geworden, in Europa, in
Amerika, und auch in den letzten Weltwinkeln, die nach der Aufteilung
der Welt noch übriggeblieben sind, in Afrika, Asien, China vollzieht
sich soeben unter dem Kreuzzeichen christlicher Pionierarbeit dieser
Umwandlungsprozeß. Und dieses Schlachtfeld der Arbeit verwandelt sich
wiederum eines Tages ebenso sprunghaft und plötzlich wie dem ganzen
System nach, aus dem es hervorgegangen ist, notgezwungenermaßen in jenes
Schlachtfeld, das nackter und brutaler den Charakter der heute
herrschenden Gesellschaftsordnung offenbart, in jenes Schlachtfeld, auf
dem nicht die Millionen und Abermillionen an Hunger, Krankheit,
Ueberarbeit langsam dahin sich krepieren, sondern offen im Interesse der
Herrschenden gegenseitig sich abwürgen: mit Mordwerkzeugen,
Schnelltötemaschinen „Marke Patent Rapid“, die nur der Skrupellosigkeit
und dem exquisiten technischen Ueberraffinement der bürgerlichen Kultur
gemäß sind.

„Der Bankier reitet über das Schlachtfeld.

„Aber er reitet wohl auf keinem vierbeinigen Roß, er geht auch nicht
zweibeinig zu Fuß: er ist millionenfüßig, millionenäugig,
millionengliederig. Er kommt daher mit Tanks, Maschinengewehren,
Dreadnoughts; als Massenmord, als Galgen, als elektrischer
Hinrichtungsstuhl, als Attentat. Er fliegt durch die Lüfte,
Bombenflieger an Bombenflieger. Einen Sang vom Heldentod fürs Vaterland
befiehlt er den Dichtern zu singen, deinem Gemüt zum Trost, dann spritzt
er das Giftgas ab und jedes Partikelchen, das eine Menschenhaut trifft,
läßt sie bei lebendigem Leibe verbrennen. Ja, tief unter die Erde hinein
erzeugt er durch Sprengminen künstliche Gewitter ... Das ist der kleine
graue unscheinbare freundlich grüßende Herr, den du oft über die Straße
gehen siehst, Jacques ... Siehst du ihn jetzt, Jacques, in seinem Büro
an der Arbeit, zwölf Stunden und darüber hinaus oft noch arbeitet er,
Tag und Nacht ist er unermüdlich an der Arbeit. Absatzmärkte aufspürend,
Kriegsränke schmiedend, neue Mordapparate ausklügelnd, idealere Gifte,
idealere Gase ... „Europa ist eine Idylle, Europa ist ein armseliger
Tümpel, eine kleine schmierige Lache im Weltbrei ... Fort mit Europa!
... Wir werden Europa sanieren! ...“ Und das kleine, unscheinbare, graue
Männchen, das dieser Herr ist, mittels einiger elektrischer Druckknöpfe
über den gesamten Staatsapparat gebietend – so er nur will, so
geschieht’s! – dieser Herr und mit ihm die Gewaltigen in deinem eigenen
Land, Jacques, haben eine neue herrliche, dem humanen Zivilisationsalter
ganz brillant angepaßte Methode erfunden, dir dein Blut abzusaugen,
mittels deiner Hände Schweiß sich zeitlos zu ergötzen und aus deinem
Lebensmark Profit zu quetschen, hinreichend genug, daß Generationen
ihrer Geschlechter herrlich, sorglos und in Freuden davon noch zehren
können. Für deren Mätzchen und Launen darbst du. Für deren Langeweile
weint dein Weib, wahnwitzig vor Angst ums tägliche Brot, die Augen sich
wund. Für der Reichen Spleen reibst du dir an die Hände die Schwielen.
Für deren Mußestunden blutest du ... Doch so edel, hilfreich und gut
dünkt dich selbst diese Methode, Jacques, daß, wenn du dem Bankier auf
der Straße begegnest, du tief vor ihm die Mütze auf den Boden
herunterziehst und andächtig lispelst: „Guten Morgen, Herr ...“ und
gerührt ob so viel Menschengüte ihm nachgaffst: „Seht! Welch ein
Wohltäter!“

„Jacques! Reib dir endlich den Schlaf aus den Augen! Lüfte dir den
abergläubischen Bauernschädel gründlich aus, und jage den Priester zum
Teufel, wenn er ihn dir wieder mit Weihrauch einbeizt ... Ist schon
garnicht nötig, daß du der ewig genasführte Dummkopf bleibst, der du bis
heute noch bist, dein ganzes Leben lang ... Der Bankier reitet übers
Schlachtfeld ... Jacques, du verstehst doch mit dem Gewehr umzugehen und
hast doch Schießen gelernt ...!? Jacques, träum jetzt den zweiten Teil
des Traumes, träum ihn so tief in dich hinein, bis er zur Wirklichkeit
wird! ...“

„Noch ein zweiter Traumteil!?“ hätte bei diesen Worten Jacques zunächst
noch ängstlich und mißtrauisch gestutzt ... „Laß mal! Ich habe am ersten
schon überreichlich genug ...“ Aber er hätte dann wohl gleich ohne
besondere Schwierigkeiten begriffen, was der Klassengenosse mit dem
zweiten Traumteil sagen will, nämlich, daß Jacques nicht nur die
Unterdrückung erleiden, sondern auch den Klassenkampf kämpfen und an den
Sieg des Proletariats glauben soll.

Und der Klassengenosse, der Prolet aus der Stadt, in seinen
Erläuterungen fortfahrend, bestätigte auch das:

„Der Bankier reitet übers Schlachtfeld ...

„Aber aus diesem Schlachtfeld, Jacques, das er schafft, müssen ihm
selbst in uns die Kämpfer erstehen, Kämpfer, die die Millionen Toter
blutig einst an ihm rächen werden.

„Nun noch, was die Musik, die du im Traum gehört hast, betrifft. Du
sagst, es sei wie Hämmern und Zähneklappern und Knochenknacken zugleich
gewesen; die Orgel in der Dorfkirche hätte laut aufgeschrien, und die
Register hätten sich von selbst alle durcheinandergezogen, und ein
grausiger Wind hätte durch die Pfeifen gepfiffen, und der Blasebalg
hätte triefende Schlammpest in das Orgelwerk hineingeschnaubt, und auf
die Pedale hätte es gestampft, als ob dort ein ganzes Heer
ununterbrochen auf- und niedermarschiere ...

„Nun, Jacques, wenn du den Traum verstanden hast, verstehst du auch
diese Musik dazu.

„In der Tat, die schönen klassischen Symphonien und Kirchenkonzerte und
sorgfältig gemeißelten Fugen entsprechen nicht mehr unserer Zeit. Der
Rhythmus unserer Zeit ist ein anderer, es ist eine Schlachtmusik und
eine Schlächtercarmagnole besonderer Art: kein Instrument ist bis heute
noch gebaut, diesen Rhythmus wiederzugeben, dieses Höllentempo zu
fassen, kein Künstler ist da, der dies auszudrücken vermöchte. Die Zeit
heult sich selbst ihre Musik. Aber den letzten Satz dieser
infernalischen Symphonie spielt: das Proletariat ...

„Uebe dich, Jacques, damit, wenn die Zeit gekommen sein wird, den Herren
zum Tanz aufzuspielen, du mit deinem Instrument in das große Orchester
recht kräftig mit einstimmen kannst ...

„Und auch das wirst du jetzt im Zusammenhang mit der Wirklichkeit
verstehen, was es mit deiner phantastischen Vorstellung auf sich hat,
daß der Himmel von den vielen Tränenergüssen, die aus der Erde
aufstiegen, schwanger geworden und, flüssiges Feuer aus sich
herausschüttend, unter einem gewaltigen Getöse eines Tages geplatzt sei
... Das heißt einfach: die Zeit ist reif, daß das Proletariat die Macht
übernimmt. Denn mit soviel Bitternis, Trübsal, bestialischer Gemeinheit
ist der Weltraum erfüllt, daß – gäbe es einen gerechten Gott – er in der
Tat gar nicht anders könnte, als diesen Menschendreck, der nur von der
grausamen Unterdrückung anderer Menschen sein Leben zu fristen gewohnt
ist, mit einem Schleuderwurf seiner allmächtigen Hand von der Erde
hinwegzufegen ... Nun, Jacques, dein Gott ist tot. Er hat nie dir gelebt
... Drum nimm die Knarre auf den Buckel, wenn wieder der Ruf an dich
ergeht: spiel dein Instrument gut, Jacques. An uns Proleten ists, ein
für allemal gründlich auszumisten ...

„Ja, Alarm! Alarm! Sturmglocken geläutet, Jacques! Der Bankier reitet
übers Schlachtfeld!!!“

Und Jacques, der zum Klassenbewußtsein erweckte französische Kleinbauer
hätte gesprochen:

„Jawohl, Kamerad von der Stadt, Du hast mir, das seh’ ich wohl ein, eine
richtige Auslegung meines Traums gegeben ... Die Pfaffen betrügen eben
allzumal ... Wir müssen Kampfgenossen werden ... Du und ich: wir gehören
zusammen ... Unzertrennlich, ja ... Gib mir die Hand darauf! Fest ...
Ja, so ist es ...“

                   *       *       *       *       *

Und der Bankier reitet übers Schlachtfeld.

Reitet über die Bretagne, über die Normandie, reitet quer über
Deutschland hindurch, reitet, reitet hoch über Flußläufe und
sommerdampfende Steppen hinweg, hoch hinan bis in die Gletscherwüsten,
die Felsnester der Hohen Tatra ...

Die Maisfelder Chinas brennen unter seinem Flügelschritt. Wie die Halme
der Sturm, so beugt es tief erdab den Kulis Nacken und Haupt ...
Krummgewachsen muß ein Volk sein, damit der Bankier reiten, reiten,
reiten kann ...

Ein Jahrzehnt mag inzwischen vergangen sein ... Der Bankier reitet,
reitet immer noch. Aufrechter denn je steht er, wie eine mit einem Frack
und einem Zylinder angeschminkte Götterstatue, im Sattel ...

Die Knochentrommel trommelt.

Die Gerippscherben klappern ...

Hop! Hop! Hop!

Alarm! Alarm! Sturmglocken geläutet! Der Bankier reitet übers
Schlachtfeld. – – –

Aber die Sturmglocke, die jetzt geläutet wird, sie ist nicht mehr ein
Alarmsignal, sie läutet zum Angriff!!!

Da werfen die unterdrückten Völker ihre Köpfe hoch, schnellen das
Rückgrat wie eine Sprungfeder grad. – – –

                   *       *       *       *       *

Und Roß und Reiter wälzen sich in Blut und Staub!


                       Der deutsche Schicksalsroman
                      im Zeitalter des Giftgaskrieges

                            Johannes R. Becher

                               (CHCl=CH)3As
                                (Levisite)
                                   oder
                         Der einzig gerechte Krieg

   Dieses Werk vereinigt künstlerische Gestaltungskraft mit exakter
   Wissenschaftlichkeit. Wir durchwandern die Farbstoffabriken, vor
   allem Edgewood, das Hauptarsenal der Giftgasfabrikation, lernen die
   Fabrikationsmethoden kennen, lernen die Wirkung der Giftgase kennen
   auf dem Versuchsfeld und im Ernstfall. Flugzeuggeschwader,
   Tankarmeen marschieren auf, der chemische Krieg beginnt! ...
   Rücksichtslos werden an Hand einwandfreien, wissenschaftlichen
   Materials die pazifistischen Illusionen zerpflückt. Es gibt nur eine
   Lösung dieser Frage, die für Deutschland, für Europa, für die ganze
   Welt als Schicksalsfrage gestellt ist. Die Art der Lösung dieser
   Frage macht das Werk zu einem hochaktuellen, zu einem politischen
   Buch ... Ein Quellennachweis ist beigefügt, in dem alle Werke, die
   über dieses Thema bereits vorhanden sind, aufgeführt werden.

                            1. bis 10. Tausend

            Umfang 380 Seiten – – – Preis kartoniert 4.50 Mark


                  Agis-Verlag, Wien VIII, Albertgasse 26


                        Alle Rechte vorbehalten.
                    Copyright by Agis-Verlag, Wien.
               Druck: „Peuvag“-Berlin, Filiale Hannover.


                     Anmerkungen zur Transkription

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [S. 15]:
   ... dieses Abend ist einfach. Bitte, stellen wir uns vor, dieser ...
   ... dieses Abends ist einfach. Bitte, stellen wir uns vor, dieser ...

   [S. 17]:
   ... Eine der Dancinggirls setzte sich jetzt rittlings auf die ...
   ... Eins der Dancinggirls setzte sich jetzt rittlings auf die ...

   [S. 65]:
   ... der Schlammkatakomben wiederzuhallen. ...
   ... der Schlammkatakomben widerzuhallen. ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK DER BANKIER REITET ÜBER DAS SCHLACHTFELD ***


    

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
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computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
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Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
volunteer support.

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