Kulturhistorische Charakterbilder : Für die Jugend

By Jakob Elias Poritzky

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Title: Kulturhistorische Charakterbilder
        Für die Jugend

Author: Jakob Elias Poritzky

Release date: March 16, 2025 [eBook #75634]

Language: German

Original publication: Stuttgart: Loewes Verlag Ferdinand Carl, 1919

Credits: Hans Theyer and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KULTURHISTORISCHE CHARAKTERBILDER ***



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                     Anmerkungen zur Transkription.

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Originaltextes wurden übernommen; lediglich offensichtliche Druckfehler
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                           Kulturhistorische
                            Charakterbilder


                             Für die Jugend
                           herausgegeben von
                           J. E. Poritzky


                            Volksausgabe
                           Mit 20 Textbildern


                             [Illustration]


                               Stuttgart
                      Loewes Verlag Ferdinand Carl




      Druck von Carl Grüninger, K. Hofbuchdruckerei Zu Gutenberg
                    (Klett &  Hartmann), Stuttgart.




                          Inhaltsvereichnis.


                               Seite

      Christoph Kolumbus           1

      Michelangelos Leben         41

      Galilei                     67

      Die Jungfrau von Orleans    90

      Der Doktor Faust           121

      Goethe der Botaniker       148

      Goethe in Venedig          164

      Beethoven                  176

      Der Erfinder Edison        204




                [Illustration: David von Michelangelo]




                         Christoph Kolumbus.


Ich entsinne mich eines alten Stiches, auf dem man Kolumbus rank
dastehen sieht, eine Papierrolle -- wahrscheinlich eine Erdkarte Andrea
Biancas oder Martin Behaims oder eine Seekarte Toscanellis -- in der
Hand haltend. Er schaut nachsinnend und melancholisch ins Weite, und
seine Begleiter scharen sich kniend um ihn, heben die Hände zu ihm
empor wie zu einem Gott und küssen den Saum seines Gewandes. Es muß
eine große Bewegung gewesen sein, die durch sein Herz ging, als der
Matrose Rodrigo »Land« gerufen hatte. Dachte der kühne Entdecker
in diesem Augenblick daran, daß er nun Vizekönig würde, Träger der
höchsten spanischen Würden, unermeßlich reich, unumschränkt mächtig?
Hing seine Seele in diesem Augenblick wirklich am Golde? Oder fühlte
er, daß die Erweiterung des ~räumlichen~ Horizonts unabweisbar
auch die Erweiterung des ~geistigen~ Gesichtsfeldes nach sich
ziehen mußte? Daß dem Volke, das diesen Sieg errang, der Stempel
geistiger Reife aufgedrückt wurde? Daß seine Machtsphäre ein größeres
Gebiet gewinnen, und demgemäß auch seine politische Bedeutung wachsen
würde?

In der Tat fällt mit der Entdeckung des neuen Weltteiles auch die
Entdeckung des Menschen, die Vertiefung seines Seelenlebens und die
Entdeckung des himmlischen Firmaments zusammen. Man erinnere sich, daß
Kolumbus der Zeitgenosse der größten Renaissancemenschen war, der
Raffael, Leonardo da Vinci, Tizian, Michelangelo, Vasco da Gama --,
und daß dies nur einige von jenen Gestirnen waren, die in den Tagen
des Kolumbus den Erdball erleuchteten. Ariost, Tasso, Dürer, Luther,
Savonarola, Macchiavelli, Kopernikus und viele andere wären noch zu
nennen. Sie bestätigen den Satz, daß das Genie nur unter Gleichgenialen
sich auswachsen und zu seiner vollen Höhe emporrecken kann.

Sich ein neues und großes Weltbild zu schaffen, alle Schranken des
Geistes niederzureißen, ist die eigentliche Leitidee der kolumbischen
Zeit. Die Erde ist plötzlich fast zu klein für die erwachten Kräfte,
die sich betätigen wollen.

Anderseits darf man nicht vergessen, daß unser Denken von dem des
Mittelalters durch vier Jahrhunderte getrennt ist. Das Mittelalter ist
zwar nicht ganz so finster und wüst, wie man vielfach glaubt, aber
es ist doch noch reich genug an abergläubischen Vorstellungen und
aufreizenden Phantastereien. Feurige Kometen werden als Fingerzeige
Gottes betrachtet; man will gesehen haben, daß es Blut regnet, und
das bedeutet Krieg oder Pest. Es ereigneten sich im Volke plötzliche
Ausbrüche von Angst vor diesen überall eingreifenden jenseitigen
Kräften. In den Kirchen gab es blutschwitzende Hostien, am Himmel
blutige Kreuze und Lanzen, in Stadt und Land eine unermeßliche
Zahl von Wallfahrern, Flagellanten und Propheten, wundertätigen
Muttergottesbildern und Bußpredigern. Man muß sich daran erinnern, daß
selbst Luther steif und fest an den Teufel geglaubt hat, mit dem er
manchen harten Strauß auszufechten hatte. Sonderbare Stubengelehrte
sind als Hexenmeister verschrien, Goldmacher sind Zauberer, und
Kräutersammler gelten als Teufelsknechte. Jede Nebelbank ist ein
unbekanntes Land.

Ich sage: nur in einer Zeit, wo jeder Kopf voll kräftiger Phantasien
steckt; wo man bereit ist, an die Wunder von Tausend und eine Nacht zu
glauben, und wo die biblischen Propheten zu Führern werden, die nach
neuen Welten locken; wo die Vernunft fast gänzlich von Faustischem
Sehnen gepackt ist und durchtränkt scheint; wo der Mensch mehr denn je
an seine Gottähnlichkeit glaubt --, nur in einer solchen Zeit ist die
Gestalt eines Kolumbus denkbar.

                   *       *       *       *       *

Führt euch eine Reise einmal nach Genua, so ist das erste, was
euch auf dem schönen freien Platz vor dem Bahnhofe ins Auge fällt:
Christoph Kolumbus, der Entdecker der Neuen Welt, der um die Mitte des
fünfzehnten Jahrhunderts in Italien geboren ist. Vierzehn Ortschaften
streiten sich um die Ehre, ihn als ihren Sohn zu beanspruchen; indessen
kommen ernsthaft nur Genua oder Savona in Frage.

Er stammte von braven kleinbürgerlichen Eltern ab, die das Gewerbe der
Wollweber betrieben, das auch Christoph in der Jugend erlernte. Die
Eltern ließen ihm eine sorgfältige, wenn auch beschränkte Erziehung
zuteil werden; daß sie ihn aber auf kurze Zeit an die Universität nach
Pavia geschickt haben sollen, wo er Lateinisch gelernt hätte, wird
neuerdings bezweifelt. Sehr viel mehr als dieser Erziehung verdankt
er indessen sich selber und seiner eigenen Energie, die ihn stets von
neuem zu seinen Studien trieb. Schon im vierzehnten Jahre hing er mit
Lust und Liebe am Seemannsberufe, und die damalige Schiffahrt auf dem
Mittelländischen Meere, die einem wilden Freibeutertum gleichkam, nahm
den künftigen Seehelden in ihre rauhe und harte Schule. Und wir wollen
es uns einprägen, daß nicht das Allergeringste im Leben ohne Kampf
gewonnen werden kann, daß eine eiserne Energie und eine unbeugsame
Willenskraft dazu gehören, wenn man ein großes Ziel erreichen will.

Wahrscheinlich nahm der junge Kolumbus Anteil an dem Erobererzuge
Johanns von Anjou, der gegen Neapel gerichtet war. Kühn und
furchtlos soll Kolumbus die feindlichen Galeeren angegriffen und
von ihnen Besitz genommen haben, in nichts seinem Onkel und seinem
Neffen nachstehend, die durch ihre glücklichen Kapereien gegen
die Ungläubigen berühmt waren. Aber erst als Christoph Kolumbus
auf seinem Abenteurerzuge auch nach Portugal kam, wurden alle
Geisteskräfte geweckt, die in ihm schlummerten. Denn gerade in den
Portugiesen war seit dem Beginn des fünfzehnten Jahrhunderts ein
kühner Unternehmungssinn und ein toller Wagemut erwacht. Sie erhofften
märchenhafte Schätze von der Auffindung neuer Seewege, die zu neuen
Erdteilen führten.

Noch war die Erde ja zum größten Teile ein jungfräuliches Gebiet. Die
Reisebeschreibungen jener entdeckungslustigen Epoche lesen sich wie
ungeheuer übertriebene Märchen, wie phantastische Geschichten von
Jules Verne, die ja auch ein Körnchen Wirklichkeit in sich tragen.
Aus den neuentdeckten Ländern brachte man rote Menschen, seltsame
Tiere, die Kunde von einer ganz fremdartigen Tier- und Pflanzenwelt.
Zwar hatten schon in vorchristlicher Zeit Eudoxos und Aristoteles die
Vermutung ausgesprochen, daß die Erde Kugelgestalt haben müsse, aber
im großen und ganzen glaubten die alten Völker, die Griechen, Römer
und Araber, daß die Erde eine flache oder eckige Scheibe sei, die auf
dem Wasser schwimme. Erst in der Zeit des Kolumbus hatten Kopernikus
und Galilei unerschütterliche Beweise für die Kugelgestalt der Erde
gegeben -- was übrigens sogar jetzt noch die wenigsten und selbst
Kolumbus nicht glauben wollten -- und daß sie als ein kleiner Stern
wie viele, viele andere Sterne um die Sonne kreiste. Der Weltenraum
hatte sich unermeßlich geweitet; die Erde war ein unbekanntes Land.
Die seltsamsten Wesen und Dinge waren auf ihr möglich. Die Reisenden
erzählten von Ländern, wo Menschen ohne Kopf geboren werden, mit Augen
und Mund in ihrer Brust; von Menschen, die den Kopf unter ihren Armen
trugen, die Augen in den Schultern hatten usw.

Es sind eben diese plumpen Märchen der Reisenden und der Matrosen, von
denen Kolumbus die Anregungen zu seinen Entdeckungsreisen empfängt.
Wenn Schiffersagen aber schon solch ein Zündstoff für seine Seele
sind, wird Pierre d'Allys Reisebeschreibung vom Jahre 1410 ohne
Zweifel sein Katechismus. Denn Kolumbus ist ebenso autoritätsgläubig
wie enthusiastisch, ebenso phantasievoll wie abenteuerlich. In der
»Erdbeschreibung« des Pierre d'Ally, die diesen Namen allerdings kaum
verdient, findet er alle fabelhaften Vorstellungen, die Aristoteles
und Seneca, Plinius und Ptolemäus, Osorius und Isidorus, Averroës und
Augustin und eine Menge anderer Philosophen, Sterngucker, Mystiker und
Heiligen von der Welt hegen, getreu aufgezeichnet. Die Anschauungen
des Plinius, der behauptet hatte, man könne von Spanien ~in
wenigen Tagen~ nach Indien reisen, und die Anschauungen seines
Nachschreibers Solinus beherrschten die Ansichten über ein Jahrtausend.
Nach diesen gab es jenseits des heiligen Indus die Inseln Chryse
und Argyre, die ganz aus Gold und Silber bestanden. Isidorus wußte
sogar von goldenen Bergen zu berichten, die von Drachen, Greifen und
menschlichen Ungeheuern bewacht würden. Bei d'Ally liest Kolumbus,
daß die Erde so und so schmal sei und daß das Paradies irgendwo im
Osten liege, wo Erde und Mond zusammengrenzen. Sollte es ein gläubiger
Entdecker nicht finden? In den heißen Zonen -- heißt es da ferner --
leben unbeschreibbare Untiere. Die Welt geht wahrscheinlich 1658 unter,
ganz bestimmt aber 1801. In Senecas Tragödie »Medea« liest Kolumbus:
»Einst wird die Zeit anbrechen, wo der Ozean seine Fesseln sprengen,
der Erdkreis weit und breit sich ausdehnen, das Meer neue Länder
entschleiern und Thule nicht mehr das erdenfernste Land sein wird«.

Ist man nicht geradezu ein Narr, wenn man sich auf Grund solcher
Prophezeiungen nicht aufmacht, um neue Welten zu suchen? Übrigens
spricht schon Jesaias Kapitel 60, Vers 9 und Kapitel 65, Vers 17 von
neuen Weltteilen, von Gold- und Silberinseln.

Auch Aristoteles, der weiseste der griechischen Philosophen und
im Mittelalter als unantastbare Autorität hoch verehrt, hatte
z. B. eine Insel Antilla erwähnt, die Insel der sieben Städte
und andere phantastische Inseln und Weltteile, die auf allen
Landkarten eingezeichnet waren. Und es gab genug abenteuerliche
Wagehälse, die hinauszogen, um diese Inseln zu suchen, und die an
die unwahrscheinlichsten Legenden glaubten, so wie wir einst an das
Schlaraffenland geglaubt haben oder an das Land der Antipoden, wo die
Menschen auf den Köpfen gehen.

Gewiß, das alles waren Märchen. ~Aber Kolumbus hat an sie
geglaubt~, und ich finde nichts Lächerliches darin. Gerade weil
er an sie geglaubt hat, gehörte die doppelte Kühnheit dazu, auf die
unbekannten Meere hinauszusegeln und es -- wie ein würdiger Märchenheld
-- mit den vermeintlichen Drachen und Unholden aufzunehmen. Seine
ehrliche Absicht war es, sie zu töten; daß er sie nicht gefunden hat,
kann ihn nicht verkleinern. Nachdem er die neuen Lande entdeckt hat,
schreibt er sehr bescheiden und hübsch: »Zur Ausführung einer Fahrt
nach Indien haben Vernunftschlüsse, Mathematik und Weltkarten mir zu
nichts geholfen. Es ist einfach in Erfüllung gegangen, was der Prophet
Jesaias vorhergesagt hat.«

Die Namen jener vorhin genannten Philosophen, Propheten und Dichter,
und die Resultate d'Allys waren dem spanischen Monarchen tatsächlich
Garantien genug, das kostspielige Unternehmen des durch seine
außergewöhnliche Beredsamkeit bestrickenden Entdeckungsreisenden
zu billigen, obwohl die kosmographischen Vorstellungen unseres
waghalsigen Weltumseglers sehr seltsam, seine mathematischen und
geographischen Vorkenntnisse sehr ungenügend und sein nautisches
Wissen gleich Null waren. Denn er gibt später beispielsweise den
Breitegrad der kubanischen Küste auf zweiundvierzig Grad an, anstatt
auf einundzwanzig Grad. Er hält die Gestalt der Erde für birnenförmig,
glaubt in der Nähe Haitis das biblische Paradies wiedergefunden
zu haben usw. Die astronomischen Vorstellungen seiner verirrten
Einbildungskraft sind die der wilden Naturvölker.

[Illustration: Die Weltkarte des Italieners Toscanelli, die dieser dem
Kolumbus vor seiner ersten Reise zugänglich machte.]

Portugal war eine ausgezeichnete Schule für Christoph Kolumbus oder
Cristobal Colon, wie er sich seit seiner spanischen Anstellung mit
Vorliebe nennt und unterzeichnet. Hier konnte er etwas Tüchtiges
lernen oder sein Wissen sehr vorteilhaft erweitern und verwerten.
Darum zögerte er auch nicht lange, sich in Portugal niederzulassen, wo
sich bereits viele seiner Landsleute angesiedelt hatten. Er trug seine
Hand der Tochter eines italienischen Edelmannes an, dem Befehlshaber
der Insel Porto Santo, der ein tüchtiger Seemann war und der seiner
Tochter Felipa Perestrello hauptsächlich Reisetagebücher und Seekarten
zur Mitgift gab. Kolumbus war's zufrieden, und obwohl er seinen
eigenen Unterhalt nur durch Zeichnungen von sehr geschätzten See-
und Landkarten bestreiten konnte, war er schon glücklich genug, sich
eifrig dem Studium der Reisebücher und Karten hingeben zu können.
Aber er begnügte sich nicht damit, die Welt nur auf der Landkarte zu
bereisen oder sie aus den ungenügenden Reiseberichten kennen zu lernen.
Die goldenen Fernen lockten ihn und die unendlichen Weiten riefen ihn
hinaus. Er wollte die Wunder sehen, von denen die Reisenden in ihren
fabelhaften Beschreibungen erzählten. Und so bereist er Madeira, die
Kanarischen Inseln, die Azoren und sogar die Küste von Guinea.

Jede neue Ausfahrt konnte ins Wunderland führen. Die Luft war erfüllt
von den unglaublichsten Legenden, die fremde Reisende berichtet
hatten. Das Seeleben war voller Aufregung, neugieriger Erwartung und
überschwenglicher Hoffnung. Das Entdecken fremder Länder war ein
Geschäft und wurde wie ein Glücksgewerbe betrieben.

Aber damals, vor vierhundert Jahren, war es ganz natürlich, an
Schiffermärchen zu glauben. Dazu kam noch, daß das Meer seltsame
Dinge angeschwemmt hatte, klobig geschnitzte Hölzer, Zedernstämme
von unbekannter Herkunft, riesenhaftes Schilfrohr, Leichen fremder
Menschenrassen von sonderbarer Hautfarbe, lauter Dinge, die auf das
Vorhandensein unbekannter seltsamer Erdteile schließen ließen.

Aber so viel Unternehmungsgeist und Mut Kolumbus auch hatte, er war
jeglicher Mittel entblößt und ganz außerstande, seinen Plan ohne
fremde Hilfe und Unterstützung auszuführen. Von Johann II., der
eben den portugiesischen Thron bestiegen hatte, erhoffte Kolumbus
um so eher rege Förderung seiner Absichten, als Johann selber von
dem Entdeckungsfieber ergriffen war. Und als Kolumbus 1483 in einer
Audienz, die ihm der König gewährt hatte, seinen großen Plan, den
direkten Seeweg nach Indien aufzufinden, entwickelt hatte, war der
König trotz seiner anfänglichen Abneigung umgestimmt und bereit,
auf die Ideen des Kolumbus einzugehen. Er wollte die Vorschläge
nur noch von seinen gelehrten Ratgebern prüfen lassen. Diese hörten
sie kopfschüttelnd an; sie erklärten sie für die Ausgeburten eines
überspannten kranken Gehirns und meinten, es wäre eine unverzeihliche
Torheit, den bisher verfolgten Weg um Afrika herum, um ihretwillen
aufzugeben.

Diese Entscheidung hinderte freilich den König nicht, trotzdem
an die Ausführbarkeit des Kolumbusschen Planes zu glauben. Er
hoffte nur billiger und bequemer dazu zu kommen, wenn er einen
~einheimischen~ Seemann mit einem gut ausgerüsteten Schiffe im
geheimen in die westliche Richtung absandte, um zu versuchen, ob
die Theorie des Genuesers sich bewähren würde. Anekdoten erzählen,
Kolumbus sei aufgefordert worden, seine Absichten in ausführlicher
Weise schriftlich darzustellen, und mit ebendieser Darstellung habe
man den neugeworbenen Seemann in den westlichen Ozean geschickt. Aber
diesem gemieteten Kapitän habe die kühne Seele des Kolumbus gefehlt;
nach wenigen Tagen sei schon sein Eifer ermattet, und im Glauben, die
uferlose Meereswüste nehme kein Ende, habe er seiner Entdeckungsfahrt
ein rasches Ende gemacht und sei zum Tajo zurückgekehrt, Kolumbus einen
Wahnsinnigen schimpfend, der diese sonderbare Idee ausgebrütet hatte.
Dieser Verrat und Schimpf, der ihm angetan worden sei, hätte Kolumbus
aufs höchste empört, und entrüstet hätte er diesem Lande den Rücken
gekehrt.

Diese Anekdote, die Kolumbus zum Märtyrer macht, wird aber von der
neueren Forschung als unverbürgt abgelehnt; man nimmt vielmehr an,
daß Kolumbus Portugal verlassen habe, weil der König nicht auf seine
unerhört hohen Forderungen eingehen wollte, im Falle das Unternehmen
gelingen würde. Er beanspruchte nämlich ~erstens~ die Erhebung
in den Adelstand für sich und seine Familie; ~zweitens~ den
Titel »Admiral des Weltmeers«; ~drittens~ Amt und Würde eines
Vizekönigs und lebenslänglichen Statthalters aller entdeckten Inseln
und Festländer; ~viertens~ den zehnten Teil aller königlichen
Einkünfte an Gold, Silber, Perlen, Edelsteinen, Metallen, Gewürzen
usw., sowie von allen Handelserträgnissen in jenen Gebieten;
~fünftens~ nahm er das Recht für sich in Anspruch, bei allem
Handel sich auf jedem Schiffe mit einem Achtel des Wertes beteiligen zu
dürfen.

Kolumbus richtete seine Blicke nach Spanien. Während Portugal seine
Pläne nur als ein Geschäftsunternehmen auffaßte und ablehnte, konnte
Kolumbus von Spanien hoffen, daß es die Entdeckung neuer Erdteile
zu einer Sache des ~Glaubens~ machen würde. Denn noch immer
kämpfte Spanien mit dem Islam und befolgte infolgedessen mehr eine
Glaubenspolitik als eine geschäftliche. Aber die spanischen Räte
waren für die Ideen des Kolumbus noch nicht reif. Zwar nahm man ihm
nicht alle Hoffnung; man wollte sich aber im Augenblick auf diese
abenteuerlichen Pläne nicht einlassen, da man in zu viel kriegerische
Verwicklungen hineingezogen war. Zu seiner Existenz erhielt Kolumbus
eine kleine Unterstützung vom Hofe, eine Art Wartegeld, durch das er an
die spanische Krone gebunden war.

Es begannen Jahre voll peinlichen Wartens. Voller Angst sieht Kolumbus
ein Jahr ums andere verrinnen, ohne daß er seinem Ziele näher käme.
Deshalb faßt er zur Verwirklichung seiner Pläne jetzt Frankreich ins
Auge und schickt zugleich seinen Bruder nach England, damit er dort
ebenfalls wirke. Aber beides ist erfolglos. So lebt Kolumbus sieben
Jahre einsam, unbekannt und fast vergessen in Cordova und Sevilla, bis
er sich 1491 gewaltsam losreißt, um in anderen Ländern sein Glück zu
erjagen.

Aber bevor er sich die Krone des Erfolges aufs Haupt setzen kann, muß
er noch harte Prüfungen bestehen. Die Vasallen des Hungers gesellen
sich zu ihm und geleiten ihn durch die dornenvollen Lande der Bitternis
und der Enttäuschung; der Kummer wird sein treuester Freund. Es tun
sich Abgründe in ihm auf und schwere Verzweiflung kommt heran und
erwürgt alle seine Hoffnungen. Der Gottgesandte bricht zusammen, ehe er
seine ruhmvollen Reisen beginnt.

Als Bettler finden wir ihn wieder an der Pforte des Klosters St. Maria
de la Rabida, das unfern von dem andalusischen Seehafen Palos sich
auf einem Hügel erstreckt. Dort erfleht er für sich und seinen Knaben
eine Stärkung. Der fremde Dialekt des Bittenden und die eigentümliche
Erscheinung erregen die Neugier des Pförtners. Der ruft den Prior
Juan Perez de Marchena, dem Kolumbus in seiner Drangsal und Not seine
Entwürfe und Hoffnungen vertraulich mitteilt. Der Prior aber erkennt,
daß er hier keinen gewöhnlichen Bettler vor sich hat; er erkennt
den Wert des Kopfes, der diese verwegenen Entdeckerpläne hegt, und
beschließt auch sofort, Kolumbus nicht aus dem Lande ziehen zu lassen,
ohne die Königin Isabella von seiner Absicht vorher in Kenntnis zu
setzen. Aber trotz der warmen Empfehlungsschreiben des Priors gelingt
es dem Fremdling nicht, vor die Königin vorgelassen zu werden.
Kolumbus, der sich selber in ärmlichem Gewand nach dem königlichen
Kriegslager begibt, wird mit verwundertem Erstaunen von dem königlichen
Beichtvater betrachtet, der es auch verhindert, daß Kolumbus vor der
Königin erscheint. Wieder ist er zurückgewiesen. Dennoch glaubt er
unerschütterlich an sich und seine Sache und ernährt sich inzwischen
kümmerlich durch Kartenzeichnen.

Aber der Schmerz veredelt ihn nicht, sondern macht ihn habgierig und
rachsüchtig. Er wird sich an all denen rächen, die ihm wehgetan haben.
Wenn er das Franziskanerkloster La Rabida verlassen wird, wo man den
Umherirrenden vom Hungertode errettet hat, wird er fordern, daß man
ihm jede bittere Stunde durch zehnfache Ehrungen und zehnfaches Gold
aufwiege.

Inzwischen gewann er durch seine imponierende Ausdauer und sein
würdevolles Betragen einen neuen Freund in Alonzo de Quintanilla, dem
kastilianischen Finanzkontrolleur, der ihn bei mehreren Personen vom
Hofe einführte und sich warm für ihn ins Zeug legte, so daß ihm endlich
eine Audienz erwirkt wurde. Endlich konnte Kolumbus seine Gedanken
mitteilen und er war als ein glänzender Sprecher berühmt. Der König
Ferdinand maß den kolumbischen Plänen eine so hohe Bedeutung bei, daß
er sie einer Versammlung der gelehrten Geistlichen zur Entscheidung
vorlegte. Die stellten, da ihr Wissen von der Erde nicht weit her
war, der Ausführung der Ideen die größten Hindernisse in den Weg.
Die einen meinten, es gebe überhaupt keine neuen Erdteile mehr zu
entdecken; die ganze unbekannte Welt sei vom Ozean ausgefüllt; die
anderen sagten, wenn die Erde Kugelgestalt habe, so könne man zwar
die Erdkugel herunterfahren; es sei aber doch dann unmöglich, wieder
~hinaufzukommen~; die dritten glaubten, wenn es etwas zu entdecken
gäbe, so müsse in den neuen Ländern so eine furchtbare Hitze sein, daß
sie sofort alles Lebendige töten würde. Kurz, obwohl nur Dummheiten
vorgebracht wurden, und obwohl Kolumbus sie den seeunkundigen
Geistlichen geschickt widerlegte, wurden seine Pläne doch wieder, wenn
auch nicht verworfen, so doch aufgeschoben und vernachlässigt. Die
Hoffnung, die Kolumbus blieb, war gering; aber so gering sie war, sie
vermochte ihn doch wieder aufrecht zu erhalten. Er blieb also dem Hofe
nahe und ließ sich die Verachtung und den Spott der Höflinge, die ihn
als einen lächerlichen Projektenmacher betrachteten, still gefallen.
Nur wenige Freunde schürten dann und wann den Glauben an eine spätere
Aussicht in ihm wach und bestärkten ihn in seinem Selbstvertrauen.

Und die Monate gingen hin. Inzwischen empfing er wieder ein Schreiben
vom portugiesischen König Johann, der ihn einlud, nach Lissabon
zurückzukehren; aber Kolumbus schlug das Anerbieten aus. Auch der
König von England, Heinrich VII., fing an, sich ermunternd gegen
Kolumbus zu äußern, nachdem es dessen Bruder, der auf dem Wege nach
England von Seeräubern ausgeplündert worden war, nach langer Gefahr
und entmutigender Not gelungen war, sich dem Könige zu nähern. Aber
Kolumbus ließ sich auch von diesen Hoffnungen nicht blenden, um so
weniger, als nun auch Ferdinand und Isabella von Spanien sich wieder
des vernachlässigten »Projektenmachers« erinnerten. Aber da war die
noch immer währende Belagerung von Granada, die die Tatkraft der
Regenten vollkommen in Anspruch nahm, ein neues Hemmnis. Und als die
Spanier endlich die maurische Herrschaft gebrochen hatten, verdrängten
die lärmenden Siegesfeste und die Turniere wieder von neuem die
Erinnerung an den unverzagt hoffenden Genueser. Aber nun begann er in
seinen Bitten dringlicher zu werden und drängender. Er forderte ein
energisches und unzweideutiges Ja oder Nein. Wieder traten die früheren
geistlichen Räte zusammen, wieder beratschlagten sie und wieder
bekundeten sie: der Antrag des Bittstellers sei in seinen Grundsätzen
gehaltlos, in seiner Ausführung untunlich und deshalb der Förderung und
Beachtung der königlichen Herrscher unwürdig.

Jetzt erst schien es, als hätte das Schicksal Kolumbus, nach all dem
vergeblichen Warten und Hoffen, den Becher der Verzweiflung zum Trunke
gereicht. Jetzt erst sah er sich von seinem Ziele weiter entfernt denn
je; er fühlte sich grenzenlos unglücklich und erschüttert. Jetzt erst
wollte er Spanien verlassen und wollte nach England oder Frankreich.
Er kehrte nach dem Kloster La Rabida zurück, wo er seinen Sohn in der
Obhut des Priesters zurückgelassen hatte, um ihn nun zu sich zu nehmen.
Aber der Prior, tief bekümmert über das Mißgeschick des Freundes, gab
die Sache des Kolumbus trotzdem noch nicht verloren. Er hielt Kolumbus
zunächst im Kloster zurück und schickte einen Piloten mit einem warmen
Empfehlungsbrief zur Königin. Und die Entscheidung lautete günstig.
Der Prior wurde zur Königin befohlen und hier führte er die Sache des
Kolumbus so beredsam, daß sie beschloß, wieder von neuem zu verhandeln.
Vorläufig schickte sie ihm dreiundfünfzig Dukaten, damit er anständig
vor ihr erscheinen könne.

Um diese Zeit sah sich auch Spanien auf dem Gipfel seiner Größe. In
König Ferdinand wurden Hochsinn und Ehrgeiz wach, und er hoffte durch
Kolumbus zu unberechenbarem, neuem Glanze zu kommen. Man verhandelte
nun ernstlicher mit ihm und stellte ihm für seine Fahrt drei gut
ausgerüstete Schiffe in Aussicht. Nach seinen Ansprüchen befragt,
gab er dieselben maßlosen Forderungen an, wie ehedem dem Könige von
Portugal. Er will die höchsten spanischen Würden und die Macht des
Vizekönigs in den neu zu entdeckenden Ländern. Er ist außerdem ein
tüchtiger Geschäftsmann. Von allen Perlen und Edelsteinen, von Gold
und Spezereien, von allem, was Handelswert hat, will er zehn Prozent.
Er will das Amt des höchsten Richters üben und alle Handelsprozesse
führen, die zwischen Spanien und dem Lande seiner Phantasie entstehen
werden. Anfangs findet man diese Forderungen unangemessen, übermütig,
ausschweifend; endlich aber, nach Befürwortung und Anfeuerung durch den
Schatzmeister, bewilligt man ihm -- zu seinem Unglück -- alles. Welch
eine Meinung hat er nun von sich! »Gott machte mich zum Gesandten eines
neuen Himmels und einer neuen Erde.«

Und jetzt gehen die Dämonen in ihm auf Raub aus. Eine unersättliche
Geldgier und eine kleinliche Habsucht erfüllen ihn; er wird
doppelzüngig und grausam; er wird anmaßend und prahlerisch.

Man hatte ihn nun zum Admiral ernannt und sofort in den Adelstand
erhoben. Die Ausrüstung der Schiffe wurde eilig betrieben; der nahe
Hafen von Palos war als Ausfahrtspunkt gedacht. Die Schiffsmannschaft
sollte in königlichen Sold genommen werden, aber genügend wackere
Matrosen und Steuerleute zu beschaffen war nicht so leicht. Die
kühnsten Seeleute schreckten bei dem Gedanken zurück, eine Fahrt ins
Ungewisse, Grenzenlose, Ziellose zu tun. In den Märchen war ja erzählt
worden, daß manche Kaufleute fünfzig Jahre und länger auf dem Meere
geradeaus fuhren, ohne je eine Insel erreicht zu haben. Eine solche
Fahrt ~mußte~ sie ins Verderben führen, und daher war die Angst
davor so groß, daß selbst scharfe Strafbefehle nicht die Wirkung
hatten, genügende Seeleute anwerben zu können. Niemand wollte sein
Leben dem fremden italienischen Pläneschmied anvertrauen, der mit weiß
Gott was für Teufelskünsten den König beredet hatte.

Erst als ein gewisser Pinzon und sein Bruder, deren Erfahrungen auf dem
Meere man sehr hochschätzte, versprochen hatten, die ungeheuerliche
Fahrt mitzumachen, wirkte deren Beispiel so ermutigend, daß die Schiffe
schließlich doch segelfertig gemacht werden konnten.

Die gesamte Ausrüstung der drei Schiffe zählte mit Inbegriff der
Steuerleute, der königlichen Beamten, Ärzte, einiger Freiwilliger vom
Kriegshandwerk und neunzig Matrosen, alles in allem hundertzwanzig
Köpfe. Mehr waren an der ganzen andalusischen Küste für dieses
Unternehmen, trotz guter Beispiele, gutem Sold und großer Überredung,
nicht zu gewinnen. Und selbst unter diesen hundertzwanzig Leuten kamen
weitaus die meisten nur sehr widerwillig mit und nur, weil man Gewalt
angewendet hatte.

Die Hafenstadt Palos mußte die Schiffe stellen und ausrüsten, Sevilla
hatte den Auftrag, Waffen und Proviant zu liefern. Das Flaggschiff,
die Santa Maria, wollte Kolumbus selbst führen; das zweite Schiff,
die Pinta, stand unter dem Befehl der beiden Brüder Pinzon; das
dritte Schiffchen, die Nina, wurde von einem anderen Pinzon
kommandiert. Die Santa Maria maß etwa zweihundertundachtzig, die Pinta
hundertundvierzig, die Nina höchstens hundert Tonnen.

Endlich, nachdem Kolumbus und die gesamte Mannschaft in der Kirche
den Segen Gottes erfleht hatten, und jeder die heiligen Sakramente
empfangen hatte, wurden am Freitag, dem 3. August 1492, morgens acht
Uhr, die Anker gelichtet und unter Herzklopfen der Scheidenden und der
Zurückbleibenden verließen die Schiffe die vaterländische Küste, um
einer ungewissen Zukunft entgegenzusegeln.

                   *       *       *       *       *

Kolumbus schlug den Weg nach den Kanarischen Inseln ein. Aber schon
während dieser Fahrt mußte sich ihm die Besorgnis aufdrängen, daß seine
Schiffsmannschaft in einer Anwandlung von Furcht und Reue widersätzlich
werden und auf Umkehr dringen könnte. Diese Befürchtung war nicht
grundlos. Schon am dritten Tage zerbrach das Steuerruder der Pinta,
und man schöpfte Verdacht, daß die beiden Seeleute, denen das Schiff
gehörte, den Schaden absichtlich herbeigeführt hätten, um das Fahrzeug
~vor~ der gefährlichen Reise in Sicherheit zu bringen. Der
Schaden war nur schwer wieder gut zu machen, aber der Kapitän Alonso
Pinzon verlor den Mut nicht; es gelang ihm, das Schiff nach der Insel
Lanzerote zu bringen, wo die notdürftige Ausbesserung mehrere Wochen
in Anspruch nahm. Während dieses unfreiwilligen Aufenthaltes wurde ein
Vulkanausbruch auf Teneriffa beobachtet, der allgemeine Verwunderung
erregte. Das Schiffsvolk begann zu murren und über die unbequemen
Arbeiten zu klagen; sie waren der Reise schon überdrüssig, ehe sie noch
recht begonnen hatte.

Erst am 6. September konnte das kleine Geschwader die Reise fortsetzen;
es segelte an Ferro, der Eiseninsel, vorbei, den drei portugiesischen
Karavellen geschickt ausweichend, die die Schiffe des Kolumbus
aufhalten sollten, um die Expedition zu vereiteln. Ferro war die letzte
Insel der bekannten Welt, und Kolumbus fühlte sich, im Gegensatz zu
seinen zaghaften, in Tränen aufgelösten Gefährten, erst jetzt wohl. Die
Entmutigten feuerte er durch verlockende Reden von den zu erwartenden
Reichtümern an, an die er selber glaubte; den Unterbefehlshabern gab
er bestimmte Weisungen über die Richtung, die einzuhalten war. Von
jetzt ab führte der Admiral, wie er selber angibt, ~zweierlei~
Tagebücher; eins für sich, in das er die ~wirkliche~ Meilenzahl
verzeichnete, die durchsegelt worden war, und ein anderes ~offen~
liegendes, sogenanntes Schiffsjournal, worin er die zurückgelegten
Strecken kürzer angab, damit die Mannschaft durch die weite Entfernung
von der Heimat nicht den Mut verlieren sollte.

So segelten sie mehrere Tage dahin; es wurde aber schlecht gesteuert,
so daß sie ein wenig von der Richtung abwichen. Am 13. September
entdeckte Kolumbus die westliche Abweichung der Magnetnadel, die
sogenannte »Deklination der Magnetnadel«, die ihn sehr beunruhigte.
Was mußte nun aus ihnen werden, wenn der einzige sichere Führer in
der weiten Wasserwüste sich so unzuverlässig zeigte? Es gehörte
des Admirals ganze Besonnenheit und Geistesgegenwart dazu, die
beunruhigende Erscheinung seinen Matrosen als eine unwichtige Sache
hinzustellen. Am 14. September sahen die Leute von der Nina eine
Seeschwalbe und einen Tropikvogel; am 15. fiel in geringer Entfernung
von den Schiffen eine prachtvolle Feuerkugel ins Meer. Alle diese Dinge
verwirrten und betrübten das Schiffsvolk, das hierin Himmelszeichen
sah, daß die Reise schlecht ablaufen würde. Am 16. trübte sich der
Himmel, und es fiel ein starker Regen. Von nun an war das Klima völlig
umgeschlagen; die Morgen waren lieblich wie in Andalusien; es fehlte
nur noch das Singen der Nachtigall. Der Himmel war von silberumsäumten
Wolken bezogen, die Luft war mild und klar. Am selben Tage sah man auch
das Meer mit zahllosen Büscheln von treibendem Seetang bedeckt, der so
frisch und grün aussah, daß man meinte, das Kraut könne erst vor kurzem
vom Lande losgerissen sein; es müssen also -- glaubte man -- Inseln in
der Nähe sein.

Beim Anblick dieses treibenden Tanges, des Sargassun, begann das
Schiffspersonal wieder aufzubegehren; es murrte über den langen Weg,
der kein Ende nehmen wollte. Die Tage wurden länger, die Meeresflächen
erschienen wieder größer, die Ungeduld wuchs und schwoll und entlud
sich in offener Empörung gegen Kolumbus. Aber als man auch glücklich
über die schwimmenden Grasstrecken hinweggesegelt war, legte sich die
Besorgnis ein wenig.

Doch tags darauf zeigten sich neue Grasinseln; man fing eine Krabbe
zwischen den Büscheln, die Kolumbus mit dem Bemerken aufbewahrte, daß
nun das Land wohl in der Nähe sein müsse. Das Seewasser war auch nicht
mehr so salzig, wie bei den Kanarien.

Am 18. September eilte die Pinta etwas voraus, weil der Admiral
gesagt hatte, er hoffe noch in dieser Nacht Land zu sehen, und
weil die Königin demjenigen eine Prämie von zehntausend Maravedis
(zweihundertundsiebenundfünfzig Mark) ausgesetzt hatte, der zuerst
Land erblicken würde. Diese Zuversicht wurde noch dadurch verstärkt,
daß sich im Norden eine dichte Wolkenbank lagerte, die man anfangs für
Land hielt. Am 19. September herrschte Windstille. Ein Pelikan, der nie
weitab vom Lande fliegt, kam auf das Hauptschiff; ein Sprühregen fiel
ohne Wind; das alles schienen Anzeichen, daß Land nahe sei. Kolumbus
glaubte an links und rechts liegenden Inseln vorbeigefahren zu sein,
und zwar mit Absicht, weil er seinem Vorsatz getreu bleiben und zuerst
den Weg nach Indien fortsetzen wollte. Auf dem Rückwege hatte er ja
Zeit genug, alles aufzusuchen.

Am nächsten Tage wurden wieder Pelikane gesehen, ein Pajaro, ein
möwenähnlicher Flußvogel, wurde gefangen; morgens kamen auch kleine
Vögel heran und sangen. Die Vögel flößten den Schiffern Mut ein.

Den folgenden Tag herrschte Windstille; ungeheure Grasmassen segelten
vorbei; ein Walfisch wurde gesichtet. Das Meer war glatt, die Luft
wundervoll.

Am 23. September erhob sich ein widriger Wind und Sturmvögel umkreisten
die drei Schiffe. »Dringend bedurfte ich den heutigen Gegenwind,«
schreibt Kolumbus in sein geheimes Tagebuch, »denn mein Schiffsvolk war
höchst beunruhigt und besorgt, daß auf jenen Meeren keine Winde zur
Rückkehr nach Spanien wehten.«

[Illustration: Die Schiffe des Kolumbus, mit denen er im Jahre 1492
seine erste Reise unternahm.]

Es ist nicht zu verwundern, daß die Leute immer wieder von neuem
von ihrer Angst und Einbildung gepeinigt wurden. Sie waren ja nur
gewohnt, Küstenschiffahrt zu treiben, wobei man nie das Land aus den
Augen verlor. Und nun segelten sie schon ununterbrochen seit mehr als
vierzehn Tagen durch den scheinbar endlosen westlichen Ozean, ohne daß
man einer Felsklippe begegnet wäre. Nichts als Meer und Himmel, Wolken
und Wellen, Luft und Wasser.

Die Schiffe hielten bald nach Nordwest, bald wieder nach West. Das
Meer ging ungeheuer hoch, so daß diejenigen, die erst ob des Mangels
an Wind murrten, nun wieder glaubten, man werde bei dem Sturm elend
umkommen.

An diesem Tage kam auch eine Turteltaube auf das Admiralsschiff, sowie
Pelikane, Rohrsperlinge und andere weiße Vögel, und in dem Meergras
fand man wieder mehrere Krabben.

Von nun an besuchten das Schiff fortwährend Pelikane und man tötete
große Fische mit der Harpune. Anstatt aber von all diesen Anzeichen,
die nahes Land hoffen ließen, freudig bewegt zu sein, wurde die
Mannschaft des Kolumbus um so ungeduldiger und ungehaltener. Noch immer
erklärten die meisten Matrosen die Fahrt für eine große Torheit, die
dem Selbstmord gleichkäme. Die Unzufriedensten traten heimlich zusammen
und murrten untereinander, bis sich endlich eine fast allgemeine
Stimme des Vorwurfs erhob, daß der tollkühne Ehrgeiz eines Einzelnen
das Leben so Vieler nur schon zu lange gefährde und ferner nicht zu
dulden sei. Die Verwegensten deuteten an, daß man sich, falls der
Admiral nicht in sofortige Rückkehr willige, des wahnwitzigen Urhebers
so vieler Drangsal leicht entledigen und ihn über Bord werfen würde.
Kolumbus entging diese meuterische Stimmung nicht; allein, er verzagte
nicht und setzte seine ganze Hoffnung darauf, daß er endlich siegen
werde. Zum Glück rief ihm noch der Führer der Pinta am folgenden Tage
freudig erregt zu, er habe Land gesehen, und diesmal sei eine Täuschung
ausgeschlossen. Kolumbus kniete nieder, um Gott zu danken, während die
ganze Mannschaft aller drei Schiffe ein frommes Kirchenlied anstimmte.
Man erkletterte die Masten und das Takelwerk und alle stimmten darin
überein, Land gesehen zu haben. Alle Mann blieben bis zur Nacht auf
Deck. Das Meer war so still, daß viele Matrosen hineinsprangen, um zu
baden.

Aber als Kolumbus am 26. September gesehen hatte, daß Pinzon abermals
einer Täuschung erlegen war und eine Wolkenbank für das ersehnte Land
gehalten hatte -- eine Täuschung, die um so gefährlicher war, weil sie
alle freudig gestimmt hatte -- bemächtigte sich der Mannschaft eine
tiefe Niedergeschlagenheit.

Kolumbus segelte vertrauensvoll nach Westen weiter. Am 30. September
begegnete man so großen Vogelschwärmen, daß sich alle darüber
verwunderten, weil so große Schwärme sonst nur am Lande angetroffen
wurden.

Von der Insel Ferro gerechnet war man nun bis 1. Oktober etwa
sechshundert Meilen gesegelt.

Auch in den folgenden Tagen war das Meer glatt und ruhig, und obwohl
die Anzeichen von Landesnähe sich immer mehrten, hatte die Mannschaft
allen Glauben an eine glückliche Beendigung der Fahrt verloren. In
wildem Trotz begehrten sie augenblickliche Umkehr. Wieder wollte
Kolumbus die erregten Gemüter beschwichtigen; aber als sie sogar sein
Leben zu bedrohen begannen, erklärte er energisch, daß ihn keine Gewalt
der Erde bewegen könne, sich den Befehlen des Königs zu widersetzen
und daß er, sobald das Land erreicht wäre, das unfern sei, von seinem
Rechte als Vizekönig Gebrauch machen und die Aufwiegler nach Verdienst
bestrafen werde.

Aber dieser stolze Mut hätte Kolumbus trotzdem nicht viel genützt,
wenn tags darauf nicht wirklich Dinge aufgefischt worden wären, die
zweifellos darauf schließen ließen, daß die Versprechungen des Kolumbus
nun in Erfüllung gehen würden. Völlig frische Süßwassergewächse,
bekanntes Sumpfrohr, grüne Zweige mit daranhängenden Beeren, ein
künstlich geschnitzter Stab und andere Dinge schwammen vorüber. »Es war
um zehn Uhr nachts,« heißt es im Tagebuch, »als ich vom Hinterkastell
aus ein Licht erblickte. Es blinkte aber so unsicher, daß ich mir nicht
getraute, auf Land zu schließen. Ich rief jedoch den Bettmeister des
Königs herbei und sagte ihm, ich hätte Licht gesehen, ob er's nicht
auch entdecke? Er schaute hinaus und erkannte es.«

Kolumbus ermahnte nun die Mannschaft, nach dem üblichen Abendgesang,
wachsam nach Land auszuspähen, und er versprach auf eigene Kosten dem
ersten Landausrufer noch ein seidenes Wams zu dem Gnadengeschenk der
zehntausend Maravedis. Auf der Pinta war die überraschte Neugier und
Freude noch größer. Das Schiff segelte rasch voraus und als es zwei
Uhr nachts war -- Freitag der 12. Oktober war angebrochen -- entdeckte
Juan Rodriguez Bermejo das heiß ersehnte Land. Er stürzte auf das erste
beste Geschütz zu, um das verabredete Signal zu geben, und indem er
feuerte, rief er seine Freude in die helle Nacht hinaus. Die Schiffe
zogen ihre Segel ein und trieben langsam dem Lande zu.

                   *       *       *       *       *

Als es Morgen geworden war, betrat Kolumbus die neue Erde, eine
niedrige Insel mit üppiger Vegetation, deren Ufer von nackten
kupferfarbigen Menschen bedeckt waren, die den Spaniern mit Staunen
entgegenblickten.

»Ihr Wuchs ist tadellos und voller Reize,« beschreibt Kolumbus seinen
ersten Eindruck; »Freundlichkeit spricht aus ihrem Antlitz. Sie bemalen
sich bald weiß, bald schwarz, bald bunt, die einen den Körper, die
anderen das Gesicht, etliche nur die Nasen oder Stellen um die Augen.
Sie führen keine Waffen und kennen sie so wenig, daß sie meinen Degen
bei der Klinge faßten und sich schnitten. Ihre Stäbe haben an der
Spitze einen Fischzahn statt eines Eisens.«

Als der erste am Strande sinkt der Admiral auf die Knie; seine
Begleiter folgen ihm. Dann nimmt er unter Entfaltung der Kreuzesfahne
und mit allen feierlichen Gebräuchen im Namen seiner königlichen
Gebieter Besitz von der Insel, der er den Namen ~St. Salvador~
beilegt; die Eingeborenen nennen sie Guanahani. Kolumbus läßt sich
alsdann von seinen Begleitern als bestallter Großadmiral und Vizekönig
den Treueid leisten. Begeistert und von widersprechenden Gefühlen
bezwungen, drängt sich die Schar um ihren Führer, der nun in ihren
Augen als ein höheres Wesen erscheint. Die Eingeborenen fassen bald
Vertrauen genug, sich diesen weißen bärtigen Männern zu nähern, die,
in beflügelten Häusern schwimmend, vom Himmel herabgestiegen zu sein
scheinen, und es beginnt bald ein freundschaftlicher Verkehr, der
durch allerhand kleine Geschenke recht lebhaft wird. Kolumbus wird
jetzt der Mann großer Gesten und kleiner Schliche. Er zankt sich zum
Beispiel mit dem glücklichen Matrosen Rodriguez herum, der zuerst Land
erblickt hat, ~er selber~ hätte zuerst Land gesehen; er gibt dem
Matrosen infolgedessen das Versprochene nicht, läßt es sich vielmehr
selber auszahlen. An Land gestiegen, singt er mit seinen Matrosen vor
Freude und innerer Bewegung ein Tedeum, und, religiöse Worte auf den
Lippen, ist sein Herz schon mit den goldenen Nasenringen beschäftigt,
die er den Ureinwohnern abnimmt, um ihnen Glasperlen dafür zu bieten.
Hier ist Kolumbus mehr Wucherer als Gottesbote. Denn für diesen hält
er sich. »Die heilige Trinität bewog Eure Majestät zu dem Unternehmen
nach Indien,« schreibt er an den spanischen Herrscher, »und durch ihre
unendliche Gnade wählte sie mich, um es Ihnen zu verkündigen. Deshalb
kam ich als ihr (der Trinität) Botschafter zu Eurer Majestät wie zu den
mächtigsten Fürsten der Christenheit, welche sich im Glauben übten und
so viel für seine Verbreitung taten. Trotz allen Ungemachs, das mir
widerfuhr, war ich gewiß, daß meine Unternehmung gelingen würde, und
beharrte bei dieser Ansicht, weil alles vergehen wird, ausgenommen das
Wort Gottes. Und in der Tat, Gott spricht so klar von diesen Gegenden
durch den Mund des Jesaias an mehreren Stellen der Heiligen Schrift,
wenn er versichert, daß von Spanien aus sein heiliger Name solle
verbreitet werden.«

Nein, unser Gottgesandter, den man mit dem Apostel Thomas verglichen
hat, ist nach seiner Landung nicht großzügig. Diese Insulaner sind dumm
und harmlos, folglich sind sie eine gute Handelsware. »Diese gutartigen
Menschen müssen ganz brauchbare Sklaven abgeben,« schreibt er in sein
Tagebuch. Er wird denn auch wirklich der Protektor des Sklavenhandels.

Kolumbus begreift bald, daß es auf Salvador nicht Gold genug geben
werde, nach welchem sowohl er wie seine Begleiter so gierig sind.
Denn das Gold sollte ja der Lohn sein für die großen Gefahren, in
die sie sich begeben hatten. Die Eingeborenen zeigten nach Süden und
nach zweitägigem Aufenthalt auf dieser zuerst betretenen Insel eilt
Kolumbus weiter, nimmt aber etliche Eingeborene mit an Bord, die
ihm von Insel zu Insel den Weg zeigen sollen. Die zweite Insel, die
Kolumbus betritt, tauft er ~Santa Maria de la Conception~. Aber
da das Volk hier ebenso arm ist wie auf Salvador, eilt er zur dritten
Insel, der er den Namen ~Fernandina~ gibt, und die seine Begierde
nach Gold ebenfalls enttäuscht, und dann zur vierten Insel, die er
~Isabella~ tauft (jetzt Crooked Island genannt), um am 24. Oktober
nach Kuba zu steuern, das Kolumbus für Zipangu (Japan) hielt, das lang
ersehnte Märchenland, wo es so viel Gold geben sollte, wie bei uns
Steine.

Es war die Zeit, in der der Herbstregen seinem Ende naht. Die
tropische Natur prangte in voller Üppigkeit. Kolumbus wird nicht
satt, die Nachtigallenschläge zu belauschen, die laue indische Luft
dem andalusischen Frühling zu vergleichen und die üppige Wildnis am
krautbedeckten, feuchten Ufer, den Reichtum an Pflanzengestalten in den
durch Papageienschwärme belebten tropischen Wäldern zu bewundern. Jede
neue Insel steigt ihm lieblicher aus dem Wasser; sie ist ihm schöner
als die früheren; die schönste, die er bisher gesehen. Die Berge
auf Kuba erinnern ihn an die duftigen Bauwerke arabischer Moscheen.
Empfänglich für jeden Liebreiz der Natur und alle holden Wunder der
Schöpfung, blickt er auf die tropische Herrlichkeit fast wie ein
zärtlicher Vater. Berauscht von seinem Erfolge, glaubt er, die Wälder
stünden voller Mastixbäume; er sieht Perlenbänke in der See und Gold
im Metallglanze der sandigen Flußbetten, und er vermeint schon alle
unfaßlichen Träume von einem glückseligen Indien zu erblicken. Seine
Schilderung von der Entdeckung Kubas ist ein Gemisch von begeisterten
Worten über die Pracht des Landes und über seine Hoffnungen, Gold zu
finden. Natur? Ja, sie ist schön. Sehr schön sogar, aber er will Gold.
Es ist schön von den Palmen, daß sie Kokosnüsse tragen; sie bringen
ihm Geld und der Botanik eine neue Erkenntnis. Die Sitte des Rauchens
herrscht bei diesem fremden Volke; nach Europa verpflanzt, wird diese
unbekannte Sitte Geld einbringen. Auf der Globuskarte Behaims liest
Kolumbus: »Hie findt man vil merwunder von serenen.« Praktisch, wie
er ist, sucht er nicht lange nach den Sirenen, sondern begnügt sich
mit gewöhnlichen Fischen. Welch erstaunliche Kraft und imposante Größe
gibt ihm seine Geldsucht! Er erträgt übermenschliche Anstrengungen; er
schläft zweiunddreißig Nächte hintereinander nicht; Gewitter und Stürme
finden ihn immer auf seinem Posten; die Malaria schüttelt ihn vergebens
wochenlang. »Geld machen,« ist das Losungswort, das ihn aufrechthält.
Ist dieser Italiener nicht in der Tat der erste moderne Amerikaner?

Kolumbus begann jetzt, am 12. November, gegen Südosten zu segeln, in
der Hoffnung, Gold und Gewürze zu finden. Aber während widrige Winde
ihn nötigten, auf See zu gehen, trennte sich Alonzo Pinzon mit der
Pinta heimlicherweise von dem Admiralsschiff, um durch Gold und Ehrgeiz
angestachelt, auf eigene Faust die schätzebeladenen Küsten aufzusuchen.

Bald fiel Kolumbus die Insel Haiti in die Augen, von deren Naturpracht
er so entzückt war, daß er sie Klein-Spanien (Hispaniola) taufte.

Als er sich dem Paradiese nahe glaubt, schreibt er: »Es sind hier also
gewichtige Anzeichen für die Nähe des Paradieses, und die Ansichten
der gelehrten Theologen stimmen mit meinen Beobachtungen überein.
Und wenn die Wasser (des Orinoko) nicht aus dem Paradiese kommen,
so scheint das ein noch größeres Wunder zu sein, weil ich nicht
glaube, daß man auf der ganzen Welt einen so mächtigen und tiefen Fluß
findet.« Er preist die Insel als ein Paradies und schreibt an die
spanischen Majestäten, niemand, der nicht gut katholisch sei, dürfe
die gesegnete Insel betreten. »Denn das ist das Ziel der Entdeckungen
gewesen, die ich auf Befehl Eurer Majestät gemacht habe, und die
~nur~ unternommen sind, den christlichen Glauben zu verherrlichen
und zu verbreiten.« Hier sagt Kolumbus, vielleicht unbewußt, eine
Unwahrheit, denn sein tägliches Gebet lautet: »Möge der Herr nach
seiner Barmherzigkeit mich die Goldminen finden lassen! Denn es erhört
Gott die Gebete seiner Diener, welche seine Gebote befolgen, auch dann,
wenn sie, wie in diesem Falle, Unmögliches zu bitten scheinen.« Diese
Goldgier geht so weit, daß er selbst einen erlittenen Schiffbruch als
eine Fügung Gottes betrachtet, der ihn so auf die Goldfelder hinweisen
will, die in der Nähe sein müssen. Und weil er in Haiti einige
goldverzierte Hütten findet, hält er die Insel für das salomonische
Ophir.

In der Christnacht, wo Kolumbus bei stillem Wetter sich der
langersehnten Ruhe hingegeben, vernachlässigten nämlich der Steuermann
und die Matrosen ihre Pflicht so sehr, daß bald alles an Bord der
St. Maria im Schlafe lag, während die Strömungen das Schiff auf eine
Sandbank führten, wo es rettungslos scheiterte. Es blieb nichts übrig,
als die Ladung mit Hilfe der Eingeborenen, so gut es ging, zu bergen.
Der Admiral, nunmehr genötigt, sich an Bord der Nina zu begeben, war
tief erschüttert durch sein Mißgeschick; aber die Auskunft, daß es
zwischen den Bergen Goldminen gebe, wo das Gold nicht gesucht sei, weil
die Eingeborenen keinen Wert darauf legten, erheiterten bald seine
Mienen.

Und nun war es das ~Gold~, das den Gang der Entdeckungen
beherrscht hat; das Aufsuchen neuer Länder wird jetzt ein
Glücksgewerbe; Kolumbus ist nur der glücklichste und kühnste Spieler.

[Illustration: Die Rüstung des Kolumbus.]

Denn kaum hat er die goldführenden Flüsse Haitis entdeckt, so ist sein
Entdeckungsdrang stark abgekühlt, und er hat nur noch Sinn für die
Hebung der Schätze.

Kaziken auf Haiti, mit denen Kolumbus sich angefreundet, bringen
Goldklümpchen, Gewürze und andere Kostbarkeiten. Aus den Trümmern der
Santa Maria läßt Kolumbus eine kleine Festung bauen, in der er mehrere
seiner Matrosen und Handwerksleute, insgesamt neununddreißig Mann,
die sich freiwillig erboten hatten, zurückläßt; zugleich versorgt
er sie für ein ganzes Jahr mit Zwieback, Pulver und Geschützen. Die
Zurückgebliebenen sollten inzwischen die Erzeugnisse des Landes
kennen lernen, seine Metalle und Kräuter, sollten Sitten und Sprache
der Indianer studieren, vor allem aber nie vergessen, Goldtausch zu
treiben. Er hoffe, nach seiner Wiederkehr eine Tonne Goldes
vorzufinden!

Am 4. Januar schied Kolumbus und wandte sich mit der gebrechlichen
Nina nach Osten. Nach dem Schiffbruch der Santa Maria empfand Kolumbus
das Fehlen der Pinta doppelt schwer, weil es zu gefährlich war, mit
dem einzigen Schiffe längere Küstenfahrten zu unternehmen. Auch
bedrückte ihn der Argwohn, Alonso Pinzon sei vielleicht nach Spanien
vorausgeeilt, um den Hof gegen Kolumbus in feindliche Stimmung zu
bringen. Am 6. Januar wurde indes die Pinta wieder gesichtet. Alonso
kam an Bord der Nina und versuchte, mit unhaltbaren Entschuldigungen
seine Entfernung zu beschönigen. Kolumbus durchschaute den Mann; er
fand es aber für gut, seinen Groll bis zur Heimkehr zu verbergen; desto
reifer wurde sein Entschluß, sich eines so unzuverlässigen Begleiters
rasch zu entledigen.

Am 12. Februar erhob sich ein Sturm. In der Nacht zog ein Gewitter
vorüber, die Gewalt des Windes steigerte sich am Tage, und die hohle
See schleuderte die Fahrzeuge erbarmungslos umher. In der Nacht zum
14. Februar verschlimmerte sich die Lage immer mehr, und in diesen
angstvollen Stunden verschwand die Pinta. Am Morgen des 15. Februar
wuchs die Gefahr des fürchterlichen Sturmes in so hohem Grade, daß
Kolumbus eine Pilgerfahrt gelobte. Inmitten dieser Wut der Elemente
ängstigte Kolumbus auch der Gedanke, daß, wenn er nun unterginge, mit
ihm auch sein großes Entdeckergeheimnis ins Meer sinken könnte, und
seine Kinder dann nicht die Früchte seiner Mühsal ernten würden. Darum
schrieb er einen Brief, in dem er die Ergebnisse seiner Entdeckung in
kurzen Worten niederlegte. Er versiegelte das Pergament und verhieß
dem glücklichen Finder ein Geschenk von tausend Dukaten, wenn er das
Schriftstück uneröffnet dem kastilischen Hof überbringen würde. Und
heimlich, ohne daß es das Schiffsvolk merkte, verwahrte er dieses
Pergament in einer Tonne, die er ins Meer warf.

Erst jetzt lichtete sich der Himmel, und die See beruhigte sich ein
wenig. Man sah zwar in der Ferne schon die bekannten heimatlichen
Küsten, aber erst am 17. Februar konnte man sich ihnen nähern; ein
ausgeschicktes Boot kundschaftete aus, daß man sich vor der Insel Santa
Maria befand.

Hier aber, wo eine portugiesische Niederlassung den kaum dem Tode
Entronnenen eine gastfreundliche Aufnahme versprach, fanden sie
nur eifersüchtigen Argwohn, Hinterlist und Heuchelei. Nur mit Mühe
entging Kolumbus diesen Nachstellungen und erlangte so viel, daß er
seine notwendigsten Bedürfnisse an Holz, Wasser und Ballast hier
einnehmen durfte. Aber bei der fortgesetzten Fahrt wurde seine
Standhaftigkeit auf neue Proben gestellt, als ein noch wütenderer
Sturm seinem elenden Schiffchen einen sicheren Untergang drohte. Er
wäre unvermeidlich an der portugiesischen Küste gescheitert, hätte
sich nicht gleichzeitig die Mündung des Tajo vor ihm geöffnet. Die
Besorgnis, einer ungastlichen Behandlung zu begegnen, konnte ihn
nicht abhalten, sich in den Nothafen zu flüchten. Hier am 4. März
glücklich angelangt, gab der Admiral seinen Souveränen vor allen Dingen
durch einen Eilboten, dann aber auch dem König von Portugal Bericht
von seiner Ankunft und bat um die Erlaubnis, vor Lissabon ankern zu
dürfen. Während die ganze Bevölkerung Lissabons sich erstaunt und voll
freudiger Neugier an Bord seines Schiffes drängte, kam ein Brief vom
Könige, der Kolumbus zu einem Besuche einlud. Mit allen Ehren seines
hohen Ranges wurde Kolumbus empfangen. Er durfte sitzend erzählen und
sein Haupt bedeckt halten. Der König Johann verriet durch nichts seinen
Ärger über den Erfolg der Entdeckungsfahrt, und seine Reue, Kolumbus
nicht in eigene Dienste genommen zu haben. Ganz nebenbei bemerkte der
König, es sei wohl noch fraglich, ob nach den Verträgen, die zwischen
Portugal und Spanien bestünden, die neuentdeckten Länder nicht doch
im portugiesischen Machtbereiche lägen. Kolumbus erwiderte, ihm sei
von solchen Verträgen nichts bekannt. Einige Höflinge, denen die Sorge
des Königs Verdruß bereitete, erboten sich nun, mit Kolumbus Händel
anzufangen, um ihn dann hinterrücks zu töten, im Glauben, daß durch den
Tod des Admirals die Entdeckungsfahrten der Spanier überhaupt aufhören
würden. Aber der König wies den Anschlag von sich und wollte Kolumbus
sogar sicheres Geleit mit auf die Reise geben. Kolumbus zog es aber
vor, zu Schiff nach Spanien heimzukehren. Mit seinen Matrosen, seinem
Gold und den übrigen Schätzen und Merkwürdigkeiten, die er mitgebracht
hatte, wollte er in demselben Hafen wieder einlaufen, von dem er
ausgegangen war.

Inzwischen hatte der auf der Pinta vorausgeeilte Alonso Pinzon von
der Entdeckung dem Könige bereits Mitteilung gemacht und bat um eine
besondere Audienz. Der König ließ ihm aber kurzerhand zurückschreiben,
er habe im Gefolge seines Admirals zu erscheinen. Diese königliche
Ungnade brach Alonso das Herz; er starb einige Tage darauf, nachdem er
diese Antwort erhalten hatte.

Am 15. März 1493 kam Kolumbus wieder auf der Reede von Palos an, wo er
unter dem unbeschreiblichen Jubel der ganzen Stadt empfangen wurde, und
am 21. März zog er unter gesteigertem Freudengeschrei des Volkes, unter
Prozessionen und Glockengeläute in Sevilla ein, um vor seinen König zu
eilen.

                   *       *       *       *       *

Ein Eilbote meldete den Majestäten, die damals in Barcelona Hof
hielten, daß ihr Admiral aus der Neuen Welt glücklich zurückgekehrt sei
und vor Begierde brenne, ihnen die Wunder der Neuen Welt vorzuzeigen.

Durch ein schmeichelhaftes Schreiben wurde er eingeladen, schleunigst
an den Hof zu kommen; Mitte April traf Kolumbus ein. Von überallher
strömten die Menschen zusammen, denn das Gerücht der unerhörten
und geglückten Reise flog ihm voran. Sein Empfang war großartig,
überwältigend; es war der glorreichste Tag seines Lebens; die glänzende
Vergeltung für die Verkennung, Verspottung und das jahrelange
Warten. In feierlicher Audienz, die auf dem Markte stattfand, wurde
er empfangen; der König und die Königin, umgeben von den Großen des
Reiches und von unzähligen Rittern aus Kastilien, Katalonien, Valencia
und Aragon, erhoben sich zu seiner Begrüßung, reichten ihm die Hand zum
Kusse und gestatteten, daß er sitzend von seiner Fahrt erzähle -- die
höchste Ehre, die man ihm erweisen konnte.

Das dichterische Wort stand dem Admiral zu Gebote, und so schilderte
er die Entfesselung des Weltmeers und die Entschleierung einer neuen
Welt auf der bisher noch nicht betretenen Erdhälfte. Er zeigte
die mitgebrachten Produkte vor: Goldkörner, Erzbarren, Bernstein,
Baumwolle, Tabak, Zweige und Wurzeln von aromatischen und medizinischen
Pflanzen, Aloe, Mastix, Rhabarber, Mais, Yams, Bataten; er führte gegen
vierzig prächtig gefärbte Papageien und endlich seine sechs Indianer
vor, die er mitgenommen hatte. Dann schilderte er die herrlichen
Tropenlandschaften, die fruchtbaren Gefilde, die Gutartigkeit der
Eingeborenen, von denen er die Überzeugung aussprach, daß sie bald
würden zum Christentume bekehrt werden.

Kolumbus war für kurze Zeit der Meistgefeierte am spanischen Hofe und
der Meistbewunderte der Zeitgenossen. Oft erschien der König zu Pferde,
neben ihm zur Rechten der Thronerbe und zur Linken Kolumbus.

Um diese Zeit soll bei einer Tafel, deren Gäste die Entdeckung des
Kolumbus anzweifelten, dieser ein Ei auf den Tisch gestoßen und gesagt
haben: »So wie dies Ei hier auf dem Tische steht, so sicher habe ich
die Neue Welt entdeckt.« Aber die Geschichte vom »Ei des Kolumbus« ist
von A bis Z erfunden; schon Voltaire hat nachgewiesen, daß sie bereits
fünfzig Jahre vorher in ganz anderem Zusammenhange passiert war.

Auf den Vorschlag des Kolumbus wurden sofort die Vorbereitungen zu
einer neuen Fahrt, einem großen Kolonisationszuge, vorbereitet. In
einem halben Jahre waren vierzehn Karavellen und drei Kauffahrer, also
siebzehn Schiffe insgesamt, ausgerüstet und sehr große Summen zur
Verfügung gestellt. Eine große Zahl von Edelleuten hatte sich zu dem
abenteuerlichen Zuge erboten; Ordensgeistliche folgten ihnen, die als
Glaubensbringer reisen wollten; Ackersleute, die in der Neuen Welt
europäisches Getreide, Zuckerrohr und andere Kulturpflanzen anbauen
sollten; man nahm die ersten europäischen Haustiere, besonders Pferde
und Rinder, Schafe und Schweine, mit, die sich später in der Neuen
Welt ungeheuer vermehrten; Bergleute kamen mit, um die Golddistrikte
auszubeuten. Zimmerleute, Maurer und andere Handwerker sollten für
die Bedürfnisse der Kolonisten sorgen. Eine ansehnliche Truppenmacht
sollte die Ansiedler beschützen, darunter waren besonders zwanzig
Lanzenreiter, die später der Schrecken aller Indianer wurden. Im ganzen
gingen, die Matrosen mitgerechnet, mehr als fünfzehnhundert besoldete
Menschen mit. Für die Lebensbedürfnisse war in umsichtigster Weise
gesorgt; den Oberbefehl über alle hatte der Vizekönig von Indien,
Christoph Kolumbus.

Aber das meiste mitgelaufene Volk sah sich in dem goldarmen Lande
nur zu bald arg enttäuscht; es erschlaffte in dem feuchtwarmen
Klima und bildete bald, da es arbeitsunfähig und unlustig war, eine
verhängnisvolle Plage für das neue Land.

Der Reiz des Neuen und Wunderbaren liegt nicht mehr über der zweiten
Reise des Admirals. Am 25. September ging die Flotte von Kadix aus
unter Segel und steuerte nach den Kanarien. Schon am 3. November
kam die erste Insel in Sicht, die Sonntagsinsel, Dominica, genannt
wurde. Dann folgten Marigalante, Gudalupe, Monserrate. Vor der Insel
Santa Cruz am 14. November angelangt, hatten sich in einem Kanu sechs
menschenfressende Kariben, vier Männer und zwei Frauen, den Schiffen
genähert und sie ein paar Stunden lang so starr und regungslos
betrachtet, daß ihnen ein zurückkehrendes spanisches Boot unbemerkt den
Weg nach dem Lande abschneiden konnte. Sobald die Wilden bemerkten,
daß die Flucht unmöglich sei, griffen Männer und Weiber zu ihren
vergifteten Pfeilen und fielen die fünfundzwanzig Spanier in dem Boote
an, von denen sie zwei tödlich verwundeten. -- Das spanische Boot warf
das Kanu endlich um, aber die Kariben, schwimmend und im Wasser den
Kampf erneuernd, flüchteten behend ans Land, so daß die Spanier nur
einen einzigen schwer getroffenen Kariben an Bord zurückbrachten.

[Illustration: Die Kerkerzelle, in der Kolumbus auf der Insel Sankt
Domingo bei seiner dritten Reise gefangen gehalten wurde.]

Nachdem man noch einen großen Inselschwarm berührt hatte, wurde die
Insel Puerto-Rico entdeckt. Am 27. November wurde die Stätte endlich
erreicht, wo man vor kaum einem Jahre auf Haiti den Grund zu einer
Kolonie gelegt hatte.

Hätte Kolumbus auch nicht sofort aus dem bangen Schweigen, das längs
der Küste herrschte, eine dunkle Ahnung schöpfen müssen, so konnte
ihn doch bei einem Landen der Anblick des völlig verödeten und
gewaltsam durch Feuer zerstörten Forts über das traurige Schicksal der
zurückgelassenen Landsleute nicht mehr im ungewissen lassen. Bald ergab
sich aus den Berichten der Eingeborenen, daß die Weißen, sobald der
Admiral sich entfernt hatte, sich allen rohen Eingebungen hingegeben
hatten und die Eingeborenen durch Habgier und Gewalttätigkeit bis zum
äußersten trieben; diese hätten ihr Joch aber trotzdem ertragen, wenn
nicht ein feindlich gesinnter Kazike, der auf der Insel allgemein
gefürchtet war, die Weißen überfallen und niedergemetzelt hätte. Da
lagen nun die Habseligkeiten der Europäer jämmerlich umhergestreut; man
stieß auf Leichen, über die seit etwa einem Monat hohes Gras gewachsen
war.

Die Gegend von Navidad eignete sich wegen des Mangels an Steinen nicht
zu einer Neugründung und auch die Ostküste, an der die Gründung der
Stadt Isabella geplant war -- die Straßen waren schon abgesteckt und
der Grundstein zu einer Kirche und einem Spital bereits gelegt -- mußte
wieder verlassen werden, weil der dritte Teil der Einwanderer von
heftigem Fieber befallen wurde. Ein Teil der Flotte und ein Teil der
Kolonisten ging im Februar 1494 wieder nach Spanien zurück, so daß die
Kolonie nunmehr nur noch neunhundert Köpfe zählte.

Unter ihnen gab es eine große Anzahl Mißvergnügter, die bei jeder
Gelegenheit zur Meuterei gegen den Statthalter bereit waren. Auch
gestaltete sich das Verhältnis zu den Eingeborenen höchst unfreundlich;
Überfälle kamen oft genug vor und sie konnten nur durch die
imponierende spanische Reiterei, die die Wilden mehr als den lebendigen
Teufel fürchteten, zurückgeworfen werden.

Am 24. April brach Kolumbus zur weiteren Erforschung der Länder mit
drei Schiffen auf; vor allem wollte er Gewißheit darüber haben, ob Kuba
ein Festland oder eine Insel sei. Unter Androhung von Peitschenhieben
für jeden späteren Widerspruch, läßt er seine Mannschaft eine Urkunde
beschwören, daß sie Kuba für einen Teil des asiatischen Festlandes
halte. Damit ist für ihn die Auffindung des Seewegs nach Indien
erledigt, und er kehrt wieder zu seinen Goldwäschereien auf Haiti
zurück. »+Time is money+«, könnte beinahe ein kolumbisches Wort
sein.

Die Anstrengungen der Reise, die Schlaflosigkeit, zu der ihn die
Pflicht der äußersten Wachsamkeit gebieterisch zwang, hatten die Kräfte
des Admirals so erschöpft, daß er von Bewußtlosigkeit und Ohnmachten
befallen wurde, weshalb man im höchsten Grade um ihn besorgt war.
Man eilte nach Isabella und ließ am 29. September die Anker fallen.
Kolumbus verfiel aber in eine Krankheit, die ihn fünf Monate aufs Lager
warf.

Im Frühjahr 1496 kehrte Kolumbus mit etwa zweihundert untauglichen
Ansiedlern, die der Kolonie teils durch ihren Müßiggang, teils durch
ihre Widersetzlichkeit und teils durch Krankheit zur Last fielen, in
die Heimat zurück.

Am 11. Juni landete er wieder in Kadix und begab sich sofort an den Hof
nach Burgos. Er benützte diese Reise wieder dazu, die vermeintlichen
Schätze Indiens in öffentlichem Gepränge zu zeigen, mit dem er in die
Städte einzog; namentlich mußten sich die mitgenommenen Indianer mit
den Goldfunden schmücken.

Und nun dauerte es bis zum Mai 1498, ehe Kolumbus seine ~dritte~
Reise antreten konnte. Aber da er sich krank fühlte und augenleidend
war, brach er seine Fahrt an der Küste von Venezuela ab, um nach Haiti
zu gehen, wo unterdessen sein Bruder die Stadt San Domingo angelegt
hatte, die älteste europäische Ansiedelung in Amerika, die noch heute
besteht. Am Hafen dieser Stadt ragt noch heutigestags ein Baum empor,
an dem Kolumbus sein Schiff mit Tauen befestigt haben soll.

Die folgenden beiden Jahre waren für Kolumbus die schwersten
seines Lebens; sie bedeuten den Zusammenbruch seiner königlichen
Machtbefugnisse. Er hatte das Zepter des Vizekönigs in der Hand und
sollte es nun mit schmachvollen Ketten vertauschen.

Kolumbus fand die Kolonie in vollem Aufruhr; der Oberrichter Franzisco
Roldan, der seinen hohen Rang nur der Gunst des Kolumbus zu danken
hatte, stand an der Spitze der Aufwiegler. Kolumbus bestrafte ihn,
mußte ihn aber schließlich wieder in sein Amt einsetzen. Allerlei
böse Gerüchte, die über Kolumbus in Umlauf gesetzt wurden, erreichten
sogar die Ohren der spanischen Majestäten, und um dem Gerede zu
steuern, hatte Kolumbus um einen bevollmächtigten königlichen
Untersuchungsrichter gebeten. Und so wurde denn Franzisco de Bobadilla
nach Haiti geschickt, dem selbst Kolumbus, der Vizekönig, Gehorsam zu
leisten hatte, der sich aber vom ersten Augenblick an als ein Feind des
Kolumbus erwies. Dicht wie ein Heuschreckenflug regneten nun die meist
ungerechten und unbegründeten Anklagen der Kolonisten auf Kolumbus
herab, so daß dem Untersuchungsrichter dadurch eine willkürliche
Handhabe geboten war, Kolumbus zu bestrafen. Er ließ ihn in Ketten
werfen und schaffte ihn mitsamt seinen beiden Brüdern nach Europa, wo
sie im November 1500 ankamen.

Kolumbus war durch die Schmach, die man ihm angetan und durch die
Verletzung seiner Privilegien tief gebeugt; er war gebrochen und der
überaus stolze Mann hat diesen jähen Sturz nie mehr überwinden können.
In Spanien machte die Demütigung des großen Entdeckers ungeheures
Aufsehen und auf die Majestäten einen geradezu peinlichen Eindruck. Sie
hatten nicht gewollt, daß der Vizekönig so schmachvoll behandelt werde.
Sie gaben daher sofort Befehl, Kolumbus zu befreien und ihn mit allen
gebührenden Ehren auszuzeichnen. Man schickte ihm zweitausend Dukaten,
seine nächsten Bedürfnisse, die sein Rang erheischte, zu bestreiten.
Er kam vor den Thron und als er vor Ferdinand und Isabella sein Knie
beugte, erstickte heftiges Schluchzen seine Rede. Die Monarchen ließen
ihn aufheben und gaben sich Mühe, ihn zu besänftigen, indem sie
jede Ermächtigung zu Bobadillas Roheit ableugneten und dem Admiral
den vollen Genuß seiner Würden und Privilegien zusicherten. Außerdem
ernannten sie einen neuen, unparteiischen und gerechten Schiedsrichter
in der Person des Nicolas de Ovando, der im Februar 1502 mit einer
ansehnlichen Truppenmacht hinüberging. Bobadilla war freie Rückreise
nach Spanien zugesichert; Roldan und sein aufwieglerischer Anhang wurde
aber gefangengenommen.

So war die Ruhe bald wiederhergestellt. Und um Kolumbus wieder seinem
eigentlichen Berufe zuzuführen, gewährte man dem Admiral, wie er es
gewünscht, zum ~vierten~ Male einige Schiffe, damit er seine
Entdeckung weiterführen könne. Am 9. Mai 1502 brach er mit vier kleinen
Karavellen von Kadix wieder auf. Auf dieser Fahrt begleitete ihn sein
Bruder Bartholomäus und sein dreizehnjähriger Sohn Ferdinand.

Bis zum 15. Juni hatte er eine glückliche Fahrt und erreichte leicht
die Kette der kleinen Antillen bei der Insel Martinique. Der neue
Statthalter Ovando war gerade im Begriff, die erste größere Goldfracht
von zweihunderttausend Goldpesos (also zirka zwei Millionen Mark)
nach Spanien zu senden, als Kolumbus ihn bat, die Reise um acht Tage
zu verschieben, weil ein furchtbarer Orkan bevorstehe, den Kolumbus
aus den Sternen, deren er kundig war, vorausgesagt hatte. Aber seine
Warnung wurde in den Wind geschlagen. Die Flotte lief aus, geriet
wirklich in einen Orkan, und zwanzig Schiffe gingen mit Mann und Maus
unter. Unter den Opfern befanden sich auch die Feinde des Kolumbus,
Bobadilla und Roldan. Als Kolumbus später davon erfuhr, hielt er es für
ein Gottesgericht, das seine Gegner bestrafte.

Am 14. Juli segelte Kolumbus weiter und erreichte Ende des Monats die
Insel Guanaja im Golf von Honduras. Dort stieß er unerwartet auf das
erste Kulturvolk der Neuen Welt, auf etwa fünfundzwanzig Handelsleute
vom Mayastamme, die mit einer großen Barke dreißig Meilen über See
gekommen waren. Sie hatten ihre Frauen und Kinder mit an Bord; das
Schiff hatte ein schattiges Dach von Palmenzweigen zum Schutz gegen
Regen und Sonne. Ihre Waren bestanden in buntgefärbten und gewirkten
Baumwollentüchern und ebensolchen Hemden ohne Ärmel und Schürzen,
Holzschwertern, deren Schneide durch Splitter gebildet wurde, kupfernen
Beilen zum Holzfällen und kupfernen Schüsseln und Schellen. Als Geld
dienten ihnen Kakaobohnen, von denen sie einen großen Vorrat mit sich
führten. Ihre Lebensmittel waren Mais und eßbare Wurzeln. Sie waren
furchtlos, aber von großer Schamhaftigkeit.

Kolumbus fragte auch sie nach dem Goldlande und man wies ihn nach dem
Süden. Aber die Fahrt dahin brachte Sturm, Unwetter, Gefahren und
Enttäuschung; erst am 12. September wurde das Wetter günstiger. Am 25.
September kam Kolumbus zum Indianerdorfe Kariai; hier hielt er Rast, um
die Schiffe, die durch den Sturm arg gelitten hatten, wieder flott zu
machen. Am 5. Oktober steuerten die Schiffe weiter, aber an der Küste
von Veragua überraschte sie ein Sturm, wie sie ihn bisher noch nicht
erlebt hatten. Noch nie hatte man das Meer so hoch, so fürchterlich, so
mit Gischt bedeckt gesehen. Die Schiffe wurden in der See festgehalten,
die wie ein Kessel über starkem Feuer kochte. »Der Himmel sah ganz
entsetzlich aus und flammte Tag und Nacht wie ein Schmelzofen; die
Blitze zuckten derart, daß man fürchten mußte, Segel und Masten würden
davon versengt. Die Donner rollten so grauenhaft, daß wir Angst hatten,
samt und sonders mit den Schiffen verschlungen zu werden. Dabei stürzte
der Regen wie eine Sündflut nieder. Die Mannschaft, die kaum etwas
Eßbares hatte -- denn der Schiffszwieback war voller Würmer -- war so
ermattet, daß sie den Tod als eine Erlösung aus diesem Jammer ansah.
Die Schiffe verloren zweimal ihre Schaluppen, Anker, Takelage und waren
ohne Deck und ohne Segel.« Zum Unglück waren die wurmzerfressenen
Schiffe noch überdies seeuntüchtig.

[Illustration: Das Sterbehaus des Kolumbus in Valladolid in Spanien.]

Erst im Februar 1503 schlug das Wetter um. Während Kolumbus an Bord
blieb, erforschte sein Bruder das Land und fand überall reiche
Goldspuren. Kolumbus wollte hier eine Niederlassung gründen; sein
Plan wurde aber durch Indianer vereitelt, die die Spanier angriffen
und sie zwangen, sich auf ihre Schiffe zurückzuziehen. Eine
Karavelle blieb als seeuntüchtig am Lande zurück; mit den übrigen
drei Schiffen trat Kolumbus den Heimweg an. Es war Ende April. Auf
weitere Entdeckungsfahrten konnte Kolumbus nicht ausgehen; er litt
zu sehr unter den wilden Stürmen, die sich immer wiederholten und
seinen Schiffen so zusetzten, daß er sich endlich gezwungen sah, um
das nackte Leben zu retten, alle Schiffe auf den Strand von Jamaika
laufen zu lassen. Die Schiffe, die bereits große Löcher hatten und
deren Wände aussahen wie Honigwaben, füllten sich rasch bis zum Deck
mit Wasser, so daß die Matrosen nur noch das Verdeck zum Aufenthalt
benutzen konnten. Anfangs erwiesen die Indianer sich freundlich und
lieferten Lebensmittel und Boote; später aber verweigerten sie dies,
bis Kolumbus klugerweise eine gerade eintretende Mondfinsternis
benutzte, um den abergläubischen Indianern mit dem Zorne des Himmels
zu drohen. Das half denn auch. Dann galt es wieder, eine gefährliche
Meuterei zu unterdrücken, die erst im Mai 1504 mit der Niederlage der
Empörer endigte. Sechs Wochen später schlug die Stunde der Erlösung.
Der Statthalter Ovando hatte von St. Domingo Hilfe geschickt, und im
September kehrte Kolumbus endgültig in die Heimat zurück, um die Neue
Welt nie wieder zu betreten. Ende November landete er in Kadix als ein
Schiffbrüchiger.

                   *       *       *       *       *

Was war die Ernte dieses Lebens voller Mühen und Gefahren? Krankheit,
Erniedrigung und Armut. In Kastilien besaß Kolumbus keinen Dachziegel;
in Spanien war er auf das Wirtshausleben angewiesen, und er hatte
nie die Mittel, seine Rechnungen zu bezahlen. Siech kehrte er heim;
er hatte keine Freunde mehr. Niemand kümmerte sich um den armen
Schiffbrüchigen; man stellte sich bloß, wenn man seinen Namen nannte.
Er mußte am eigenen Leibe die bittere Wahrheit bestätigt finden,
daß die Geschichte der Menschheit zum großen Teil die Geschichte
menschlicher Niedrigkeit ist. Da er aufhörte, zu nützen, fing er an,
lästig zu werden.

Der gottgesandte Vizekönig ist nun dem Bettler gleichgeachtet, denn
der spanische König weiß plötzlich nichts mehr von all den verbrieften
Versprechungen, die er Kolumbus gemacht hat. Man hat bald vergessen,
daß er der Welt neue Hoffnungen, neue Ziele, neue Bestrebungen, neue
und weitere Grenzen gegeben hat; daß er die physische Geographie und
die Ethnographie bereichert; daß er das menschliche Denken vertieft und
die Entwicklungsmöglichkeit des Menschen beträchtlich vergrößert hat.
Man schenkt diesem stolzen Sieger -- Mitleid. Man vergißt ihn selber
rasch. Er stirbt am 20. Mai 1506 zu Valladolid; aber sein Tod geht
eindruckslos vorüber.

Was sterblich an ihm war, liegt seit 1796 im Dome zu Habana.




                         Michelangelos Leben.


Welch seltsamer Art sind doch die Schauer, die wir beim Anblick eines
uralten Palastes empfinden, in dem ein großer Mensch gelebt hat! Als
ob irgend etwas von dem Geiste des längst Vermoderten noch an den
Steinfliesen hafte, so leise treten wir auf, vorsichtig durch die
gewölbten Hallen tastend, als hätten wir Furcht, den Toten aus seinem
vielhundertjährigen Schlafe zu wecken.

Hier ist ein Stück Stein aus der Mauer des Hauses, in dem Michelangelo
Buonarroti seine bildhauerischen Wunder schuf. Der Stein zeichnet
sich durch nichts von anderen Steinen aus. Und doch bewahre ich ihn
pietätvoll auf und erkläre meinen Freunden mit wichtiger, frommer
Miene: Hier ist ein Stück Stein aus der Mauer des Hauses, in dem
Michelangelo gelebt hat .....

Und selbst die Ironischen und Überlegenen lachen nicht; sie werden
ernst und schweigsam, als weile Michelangelo unter uns. Der
künstlerisch empfindende Mensch kennt dieses reine Gefühl, das weder
der Ehrfurcht vor den fünf Jahrhunderten entspringt, noch durch den
Rausch erweckt wird, den der Name bewirkt. Ohne zum Götzenanbeter zu
werden, fühlt man aber plötzlich alle kritischen Teufel in sich durch
irgendeinen guten Engel besiegt, und der Verstand, dieser Maulwurf,
ist vollständig überrumpelt von der Empfindung. Man sinkt hinunter in
eine tote Epoche, die voller Glanz war und Größe. Man ist in einer
kleinen Zeit allmählich allem Großen so fremd geworden, daß man beinahe
erschrickt, wo man ihm begegnet. Und wo begegnete man ihm auf kleinem
Raume häufiger, als in Florenz, der Stadt Leonardo da Vincis, Raffaels
und Dantes? Man weiß, welch eine unerhörte Vereinigung von großer
Kunst und Wissenschaft die Medici zu schaffen wußten, und daß viele
der besten Namen der florentinischen Geschichte sich in einen kurzen
Zeitraum zusammendrängen. Auch der Name Michelangelo ist darunter ....

                   *       *       *       *       *

Er wurde am 6. März 1475 im toskanischen Städtchen Caprese, in der
damaligen Republik Florenz gelegen, als Sproß eines alten Florentiner
Adelsgeschlechtes geboren. Sein Vater, der Bürgermeister und Richter,
ließ ihm bei der Geburt von den Sternkundigen das Horoskop stellen, und
man fand, daß er unter einem glücklichen, aber auch verhängnisvollen
Stern geboren sei.

Nach abgelaufener Amtszeit kehrte der Vater auf sein Gut in Settignano
zurück. Hier bekam der kleine Michelangelo die Frau eines Steinmetzen
als Amme, die auch die Tochter eines Steinmetzen war; darum scherzte
Michelangelo in späteren Jahren, er habe die Bildhauerkunst mit der
Ammenmilch eingesogen. Als er heranwuchs und eine gelehrte Schule
besuchte, benutzte er jede freie Zeit zum Zeichnen, obwohl der
Vater ihn wegen dieser Nebenbeschäftigung heftig tadelte. Aber der
künstlerische Drang in dem jungen Michelangelo war so stark, daß
der Vater nicht nur das Widerstreben aufgeben mußte, sondern sogar
beschloß, den Sohn in der Malerei ausbilden zu lassen. Am 1. April
1488 wurde der dreizehnjährige Michelangelo bei Domeniko Ghirlandajo,
dem bedeutendsten Maler von Florenz, in die Lehre gegeben, um die
Malerei zu erlernen. Für die Dienste, die er seinem Meister während der
dreijährigen Lehrzeit leisten würde, sollte Michelangelo eine Vergütung
von vierundzwanzig Gulden (etwa hundertfünfundsechzig Mark) bekommen.

In den Lebensbeschreibungen Michelangelos wird viel erzählt von den
zahlreichen Proben ungewöhnlicher Begabung, die der Lehrling ablegte.
Besondere Bewunderung fand auch außerhalb der Werkstätte eine gemalte
Nachbildung des heiligen Antonius, des berühmten Kupferstiches von
Martin Schongauer. Auf dem Fischmarkte studierte der junge Michelangelo
die opalisierenden Farben der Schuppen, Flossen und Augen der
mannigfachen Fische, um auf seinen Bildern die Farben naturgetreu
wiedergeben zu können. Und Michelangelo malte das, was er sah, in
Form und Farbe so echt und naturwahr -- heute würde man sagen: mit so
erstaunlichem Naturalismus --, daß sein Meister eines Tages entzückt
ausrief, daß der Lehrling mehr verstehe als sein Meister. Das geschah
nämlich, als Michelangelo einmal, als Ghirlandajo an dem Fensterschmuck
von S. Maria Novella arbeitete, das Malergerüst mit einigen darauf
befindlichen Gehilfen abzeichnete. Von der großen Gewandtheit, die er
sich in der Nachahmung alter Kupferstiche erwarb, machte Michelangelo
bei der Ausführung seiner Studien und Einfälle später gern Gebrauch.

Lorenzo de Medici, der Herrliche, empfand es um diese Zeit als einen
Mangel, daß Florenz sich nur durch seine Maler, nicht aber auch durch
seine Bildhauer auszeichnete. Darum richtete er in dem Garten seines
Palastes eine Art Kunstschule ein, deren Leitung er einem Sohne des
großen Bildhauers Donatello, dem Bildhauer Bertoldo übertrug, der
zugleich Aufseher der Antikensammlung war. Als Lorenzo sich nun an
Ghirlandajo mit der Anfrage wandte, ob in seiner Werkstatt vielleicht
einige junge Leute seien, die Lust hätten, die Bildhauerei zu erlernen,
sandte ihm dieser einige seiner besten Schüler zu, darunter auch
Michelangelo. Nachdem der junge Künstler durch seine ersten Tonmodelle
schon die besondere Aufmerksamkeit Lorenzos erregt hatte, nahm er zum
erstenmal einen Meißel zur Hand und versuchte sich an einem Stückchen
Marmor, aus dem er eine grinsende Maske herausmeißelte. Zwischen den
spöttisch verzogenen Lippen sah man die Zähne. Lorenzo betrachtete das
Werk und bewunderte die Selbständigkeit und den Mut des Künstlers.
Scherzhaft bemerkte er, der Kopf habe einen Fehler, denn alte Leute
hätten kein so vollständiges Gebiß mehr; Michelangelo meißelte denn
auch nachträglich mit kindlicher Gewissenhaftigkeit eine dem Leben
nachgebildete Zahnlücke in den Mund der Maske.

Lorenzo fand an dem Wesen des jungen Künstlers und an seiner Begabung
einen so großen Gefallen, daß er ihn unter seine Hausgenossen aufnahm.
Der Vater Michelangelos, der nur ein kümmerliches Einkommen hatte,
erhielt zum Dank für seine Einwilligung ein Amt, und als er um eine
frei gewordene Stelle beim Zollamt bat, übertrug Lorenzo sie ihm
sofort, die Bescheidenheit des Wunsches mißbilligend: »Du wirst immer
arm bleiben!«

Michelangelo selbst erhielt ein monatliches Einkommen von fünf Dukaten
und als Gunstbezeigung einen violetten Mantel.

So lebte Michelangelo über drei Jahre (von 1489-1492) im
Mediceerpalast. Er speiste mit den Söhnen des Stadtoberhaupts und
bewegte sich in den bunten Gesellschaften der geistreichen Männer,
die an diesem Hofe verkehrten. Zwei Marmorwerke, die Michelangelo in
jener Zeit nach eigener Erfindung ausführte, das »Madonnarelief« in
Donatelloscher Manier und »Der Kampf der Lapithen und Kentauren«,
zeigen schon prachtvoll die starke Eigenart und das Genie
Michelangelos. Die Ausführung der Körper ist so vollkommen, daß sie
bei einem so jugendlichen Bildhauer geradezu unbegreiflich erscheint.
Schon seine anspruchsvollen Zeitgenossen sagten, besonders vom
Kentaurenkampf, mit Recht, daß man nicht das Werk eines jungen Mannes,
sondern das eines fertigen und reifen Meisters zu sehen glaube, der in
seiner Kunst eine ebenso große Erfahrung wie Durchbildung genossen
habe.

Die bewunderten Fresken des Masaccio waren für Michelangelo wie für
das ganze damalige Künstlergeschlecht eine reine Quelle der Belehrung.
Michelangelo zeichnete die Vorbilder aber mit größerem Geschick nach,
als irgendeiner der anderen. Der Neid erwachte, und die Feindseligkeit
gegen Michelangelo wurde noch besonders dadurch geschürt, daß er so
unklug war, sich über die Fehler seiner Genossen lustig zu machen.
Die Folge davon war, daß ihm einer eines Tages einen so heftigen
Faustschlag ins Gesicht gab, daß sein Nasenbein zertrümmert wurde.
Der Täter, Pietro Torrigiano, wurde zwar aus Florenz verbannt, aber
Michelangelo blieb zeitlebens entstellt.

Als Lorenzo, der Herrliche, im April 1492 starb, war es für
Michelangelo mit dem sorgenfreien, anregenden und glanzvollen Leben zu
Ende. Er kehrte in sein Vaterhaus zurück. Er kaufte einen Marmorblock,
der unbenützt dalag, und meißelte einen überlebensgroßen Herkules,
der im Strozzipalast aufgestellt wurde. 1529 wurde das Bildwerk
verkauft und an König Franz I. von Frankreich geschickt. Im siebzehnten
Jahrhundert stand es in einem Garten von Fontainebleau, der 1713
zerstört wurde, und seitdem blieb auch der Verbleib des Herkules
unbekannt. Verschwunden ist auch ein kleines hölzernes Kruzifix, das
Michelangelo 1494 ausgeführt hatte und das auf dem Hochaltar der
Kirche San Spirito aufgestellt worden war. Der Prior bewies dem jungen
Michelangelo seine Dankbarkeit, indem er ihm im Kloster mehrere Zimmer
zur Verfügung stellte, wo er ungestört seinem Wissensdrang Genüge tun
und durch das Zergliedern von Leichen sich eine gründliche Kenntnis vom
Bau des menschlichen Körpers verschaffen konnte.

Pietro de Medici, Lorenzos Sohn, hatte nicht die glänzenden
Eigenschaften des Vaters geerbt; aber auch er setzte Michelangelo
wieder in seine vorige Stellung ein.

                   *       *       *       *       *

Es geschah während des eisigen Januars des Jahres 1494 ....

Vor dem Hause des alten Buonarroti, in einer dunklen und einsamen
Gasse, standen eines Nachts drei Jünglinge in warme Mäntel gemummt.
Trotzdem zitterten sie vor Kälte, denn es war ein grimmiger Frost.
Der Wind umtobte stöhnend und pfeifend das schlafende Haus; aus einem
einzigen Fenster nur fiel ein spärlicher Lichtschein auf die Straße.
Zum zweitenmal ergriff nun einer der Jünglinge den bronzenen Türklopfer
und pochte laut und wütend an das Tor. Endlich bemerkte man, wie das
Licht sich zu bewegen begann, wie es aufzuckte und hin und her irrte
und wie dann das erleuchtete Fenster dunkel wurde. Zugleich vernahm
man Schritte im Flur, und bald darauf wurde die morsche Eichentür
aufgeschlossen. In ihrem Rahmen stand ein kaum mittelgroßer Jüngling,
der eine Windleuchte über seinem Kopfe hielt, mit der er auf die Straße
hinausleuchtete.

»Wer da?« fragte er barsch.

»Freunde!« riefen drei Stimmen zugleich und lachten. Michelangelo
leuchtete ihnen ins Gesicht und erkannte nun Baccio, Gentile und
Mariotto.

»Ich kenne euch,« antwortete Michelangelo langsam, als wollte er sagen:
»Ihr seid keineswegs meine Freunde.«

Er hatte sie am Hofe Lorenzos, seines jüngst verstorbenen Schutzherrn,
kennen gelernt. Oft war er mit ihnen in den Prachträumen der
mediceischen Paläste zusammengetroffen, in den Lorbeerhainen und
Piniengängen von Carregi, in deren tiefen Schatten er an die Götter der
Hellenen dachte; in den wundervollen Gärten der Villa Ambra, wo die
Tage Platos von neuem heraufzukommen schienen.

[Illustration: Selbstbildnis Michelangelos. (Radierung.)]

»Was wollt ihr von mir?« fragte Michelangelo endlich.

»Beim Zeus!« rief Baccio beleidigt aus, »vor allem einen freundlicheren
Empfang!«

»Ruhe!« tönte die ernste Stimme Mariottos dazwischen. »Die alten
Zeiten Lorenzos kehren wieder nach Florenz zurück,« sagte er, zu
Michelangelo gewendet. »Piero folgt dem Beispiel seines Vaters. Mit dem
kommenden Lenz halten nicht nur die Rosen ihren Einzug, sondern auch
die vertriebenen Grazien. Es regt sich neuer Kunstsinn im Hause der
Mediceer.«

»Piero de Medici liebt die Kunst,« fügte Gentile hinzu, »und eben darum
weiß er auch dich zu schätzen. Es würde ihn stolz machen, sagte er
sogar, wenn er dich an sein Haus fesseln könnte.«

Michelangelo wandte sich schweigend und mit Verachtung ab.

»Es ist kalt,« sagte er, »was wollt ihr also von mir?«

Mariotto nahm das Wort: »Piero von Medici schickt nach dir. Er hält
heute Hof im Pittipalaste. Inmitten von Gesang, Musik und Lärm hat
er deiner gedacht. Er hat einen Wunsch an dich. Da haben wir uns
angeboten, dich herbeizuholen. Also ziere dich nicht und komm!«

Michelangelo rührte sich nicht und schwieg.

»Hoffentlich erkennst du die Ehre,« sagte Baccio noch immer mürrisch;
»du weißt, wer Piero ist, und wir sind keine Diener.«

»Ich gehe nicht,« antwortete Michelangelo kurz. »Ich danke euch und
ich danke Piero von Medici. Sagt ihm, daß ich krank sei, daß ich über
einem Buche grüble, das seines Vaters Freund, der treffliche Meister
Poliziano, geschrieben.«

»Derselbe Poliziano,« rief Gentile aus, »weilt zur Stunde im Palaste
und trug mir auf, dich in seinem Namen zu grüßen.«

»Willst du Piero mit deiner Weigerung beleidigen?« fragte Mariotto.

»Poliziano in Florenz? Im Pittipalaste? O!« Sein Antlitz heiterte sich
auf; er stellte die Windleuchte auf das Gesimse. »Tretet ein!« bat
Michelangelo; »ich gehe sofort mit euch!« und er eilte ins Haus, sich
anzukleiden.

»Welch ein empörender Stolz!« brummte Baccio; »er spricht mit uns, als
wären wir Lakaien! Als würde er uns eine Ehre erweisen!«

»Still!« warnte Mariotto, denn Michelangelo kehrte eben zurück,
den Kopf mit einem Hute bedeckt und in den veilchenblauen Mantel
eingehüllt, den Lorenzo ihm vor zwei Jahren geschenkt hatte.

»Gehen wir also!« forderte Gentile auf; »ich bin vor Kälte ganz
erstarrt.« Der Wind heulte und große Schneeflocken wirbelten in der
kalten Luft, die um die Köpfe der vier Jünglinge tanzten.

»Komm schneller!« drängte Gentile; »wir haben die Diener unweit des
Flusses mit Laternen warten lassen, weil wir deine stille Gasse nicht
aus nächtlichem Schlafe wecken wollten. Wir dachten an das strenge
Gesicht deines Vaters, und ich hoffe, wir haben ihn nicht aus dem
Schlafe geweckt.«

Sie schritten eilig durch die dunklen, winkligen Gassen zwischen
schweigenden Palästen dahin, die in der dicken Finsternis doppelt
düster aussahen. Am Lugarno warteten die Diener mit Fackeln und
Stocklaternen, die gespenstige Lichtreflexe auf die Umgebung warfen und
riesenhafte Schatten erzeugten.

Der Arno rauschte und brauste, und am jenseitigen Ufer sah man die
Kirche San Miniato sich wie ein finsterer Koloß vom dunklen Himmel
abheben. Der Weg führte über die alte Brücke, wo sich niedrige Häuschen
aneinanderschmiegten, als wollten sie sich gegenseitig vor dem Umfallen
bewahren. Noch wenige Gassen, und Michelangelo stand mit seinen
Gefährten vor dem riesenhaft aufstrebenden Palaste Pitti. Die Diener
steckten die Fackeln in die eisernen Arme, die an den Eingangspfeilern
befestigt waren, die im Augenblick blutigrot beschienen wurden. Eine
Anzahl von Pferden stampfte ungeduldig auf dem Vorplatz, der fröhlichen
Gäste Pieros harrend. Aus dem Innern des Palastes scholl von Zeit zu
Zeit Fanfarenlärm heraus, Lachen und Gesang, der sich mit dem Heulen
des Windes mischte.

»Endlich!« rief Baccio aus; »endlich sind wir am Ziele.« Sie
schüttelten die Schneeflocken von ihren Mänteln und traten rasch in den
Palast ein. Der Flur war hell erleuchtet; im taghellen Hofe rauschte
ein Springbrunnen, während der Hintergrund von schwarzen Zypressen,
Zedern und düsteren Pinien ausgefüllt wurde.

Michelangelo betrachtete das seltene Schauspiel des Schneewirbels, aber
seine Freunde zogen ihn fort, die majestätischen Treppen empor. Sie
traten in einen großen Saal, der mit kostbaren Teppichen geschmückt
war. In der Nähe des Kamins, in dem ein großes Feuer loderte, saß Piero
von Medici und unterhielt sich lebhaft. Er nickte Michelangelo gnädig
zu, hieß ihn kurz willkommen, wandte sich dann aber wieder sofort
seiner Unterhaltung zu. Michelangelo beachtete den kühlen Empfang
nicht; übrigens antwortete er ebenso zurückhaltend und nachlässig. Er
wandte sich sofort dem Saale zu, und es dauerte auch nicht lange, bis
er den ehrwürdigen Kopf des Dichters Poliziano entdeckt hatte, der
einsam in der Nische eines hohen Fensters saß. Sofort war Michelangelo
an seiner Seite. Sie begrüßten einander sehr herzlich und beide waren
tief gerührt; offenbar dachten sie beide an die zusammen verlebten
sonnigen Tage unter Lorenzo, dem Herrlichen. Sie seufzten auf und
schwiegen einen Augenblick. Dann rückten sie einander näher, denn der
Lärm, der im Saale herrschte, ließ die beiden ihre Einsamkeit doppelt
empfinden. Sie konnten sich vertraulich miteinander unterhalten, ohne
befürchten zu müssen, daß man sie stören würde.

»Wie lange habe ich dich nicht gesehen,« sagte Poliziano freudig
bewegt.

»Und wie habe ich mich nach Euch gesehnt!« entgegnete Michelangelo.
»Ihr wißt am besten, was Ihr mir wart. Ihr seid der Erste gewesen, der
mir Mut und Anregung zur selbständigen Arbeit gegeben hat. Aus den
Quellen Eures Geistes und Eures Wissens durfte ich Unwissender schöpfen
und meinen Durst löschen.«

Poliziano lächelte und winkte mit der Hand das Lob ab. »Wäre der
göttliche Funke nicht in dir gewesen, dann wären meine Anregungen
vergeblich gewesen. Die Flamme wäre dann nicht ausgebrochen, mein
lieber Michelangelo. Du warst der einzige unter Hunderten, ja unter
einem ganzen Geschlecht, der für meine Worte empfänglich war.
Empfänglich sein für das Schöne, das ist alles, Michelangelo. Du bist
es im Übermaße. Wundere dich darum nicht, daß du so viele Neider hast.«

»Sie sagen, daß ich die Schönheit nicht sehe,« erwiderte der Jüngling
düster und voll Gram.

»Da du die Schönheit wiedergibst, wie ~du~ sie siehst und
fühlst, und nicht wie andere sie empfinden, da du nicht die Schönheit
nachahmst, die sie gewöhnt sind, zu sehen, sondern die, die in deiner
~eigenen~ Seele lebt, so gibst du die einzige und wahre Schönheit,
die der Mensch verehren sollte.«

Die Mienen Michelangelos heiterten sich auf.

»Ihr kennt mich so gut!« rief er entzückt aus. »Was ich unbestimmt
und unklar fühle, das vermögt Ihr auszusprechen. Ihr habt gut
begriffen, was ich in mir selber kaum verstehe. Ein Beweis, wie Ihr mir
nachzufühlen vermöget, ist Euer Gedicht, das ich vor einer Stunde von
neuem gelesen. Das Gedicht, das die ewig junge griechische Sage mit
neuem Leben erfüllt. Ich meine Euren Orpheus, Meister Poliziano!«

Der Dichter lächelte traurig. »Als ich das Gedicht schrieb, war ich so
jung und so mutig wie du. O, ihr Adlerschwingen der Jugend! Ihr kühnen,
vermessenen Träume! Damals schien es mir ein leichtes, emporzufliegen
aus der drückenden Enge unserer Kirchspiele und mit einem Sprung auf
die Fluren der echten Tragödie hinüberzusetzen. Stolzer Traum! Ich
strebte der Sonne zu, aber meine Schwingen waren zu schwach. Ah, ich
war vielleicht ein Ikarus, aber als ich der Sonne zu nahe kam, fiel
ich herab. Welch ein Riesenkampf ist das Schaffen des Künstlers! Die
Eingebung entzündet uns wie ein Blitzschlag. Und ist es jemals möglich,
aus diesem göttlichen Feuer, das in uns zu lodern begonnen hat, als
Sieger hervorzugehen?«

»Aber hat der Bildhauer nicht einen noch weit schwierigeren Kampf
mit der toten Masse zu bestehen, die er beleben will? Wenn er einem
chaotischen Steinklumpen gleichsam eine Seele einhauchen will? Ihn von
Tod und Nichtsein erlösen und zu Leben und Sein führen will? Welch ein
mühsames Ringen, durch einen formlosen Stein zu den Herzen der Menschen
zu sprechen! Sie an einem Stein die ewigen Gesetze der Schönheit
erkennen lehren! Ich glaube nicht, daß die Griechen in meinem Sinne
Sieger waren über die tote Masse. Ihren Bildwerken fehlt die Seele. Sie
sind starr und kalt und ruhig. Der Frost der Materie weht mich daraus
an. Aber muß Schönheit nicht erwärmen? Muß sie nicht leuchten und leben
und gleichsam zu unserer Seele sprechen?«

»Das wirst du ihr geben,« sagte Poliziano prophetisch zu Michelangelo,
der sich in Feuer gesprochen hatte; »du wirst der Schönheit die Poesie
des Schmerzes leihen.«

»Ich verstehe nicht recht,« entgegnete Michelangelo; seine Augen wurden
abgrundtief und blickten in die Weite. Er atmete heiß und schwer wie im
Fieber. »Erklärt es mir,« bat er leise den Dichter. Doch da rief ihn
gerade Piero von Medici an, der am geöffneten Fenster stand und über
den Hof in die Gärten hinaussah.

»Bei Venus und Bacchus!« rief er. »Wie lügt heute nacht das schöne
Florenz. Seht nur, meine Herren, wie sich die Stadt mit frecher
Anmaßung in ein jungfräuliches Gewand hüllt. Sie scheint wie aus Marmor
gemeißelt. Welch eine schöne Statue müßte sich aus diesem geschmeidigen
Material formen lassen, mein lieber Buonarroti; das wäre in der Tat
eine Aufgabe für dich! Das Material für deine Statue ist direkt vom
Himmel gefallen; nie wirst du reineren Stoff verarbeiten. Willst du mir
eine große Freude bereiten, dann geh in den Hof hinab und forme uns
irgendeine göttliche Gestalt aus dem Schnee.«

»Welch ein kindischer Einfall!« murmelte Poliziano mit einem Blick auf
den verdüsterten Michelangelo.

Piero von Medici hatte die Worte Polizianos gehört; aber er ließ es
sich nicht merken, obwohl er im Innern sehr erzürnt war. »Meister
Poliziano,« sagte er, »bin ich nicht ein Philosoph? Mit meiner Idee
einer Statue aus Schnee will ich den Künstlern ja nur sagen, wie
vergänglich ihre Werke sind. Sie träumen alle von der Unsterblichkeit.
Der Schnee da unten predigt aber: ~nütze den Augenblick~! Wer
weiß, wo du morgen bist!«

[Illustration: Der junge Michelangelo an der Arbeit.]

»Man muß zwischen Künstlern einen Unterschied machen, wie zwischen
Menschen,« antwortete Poliziano trocken. »Jeder nimmt gewöhnlich nur
sich selber als Maßstab für die Dinge und Mitmenschen. Die echte Größe
aber, das Genie, das ist ein Gottesgeschenk.«

»Ihr habt recht,« bemerkte Piero und schwieg ärgerlich.

Inzwischen hatte sich Michelangelo, ohne aufzuhorchen, dem Fenster
genähert und schaute verzückt in die Gärten. Das Schneegestöber hatte
nachgelassen; am Himmel flimmerten die Sterne wie Goldstaub, und die
Erde leuchtete märchenhaft weiß. Ein jeder Baum schien aus Marmor
gehauen. Der Anblick riß den Künstler mit fort. Wortlos verließ er
den Saal, um zu vollenden, was Piero in kindischer Launenhaftigkeit
gewünscht. Die Zauberpracht dieses überirdischen Bildes reizte ihn zu
eigenem Schaffen. Hier sah er eine gleichsam verzauberte Welt, die weiß
und starr und kalt dem Himmel ins Angesicht sah; eine Welt, die nach
Licht und Sonne zu rufen schien, und nach einem Liede, das sie aus
diesem Bann erlöse.

»Orpheus, der Sänger!« ging es blitzartig durch Michelangelos Kopf.
Er befahl, rasch den Schnee zusammenzukehren und ihn an einer
bestimmten Stelle aufzuhäufen. Und während Pietro de Medici sich oben
im Saale unterhielt, und längst seine Bitte vergessen haben mochte,
arbeitete Michelangelo bei dem rötlichen Licht unzähliger Fackeln mit
fieberhaftem Eifer an seinem Werke.

Seine Seele war noch erfüllt von den Gedanken, die die Unterredung
mit Poliziano in ihm geweckt hatte. Der Schnee war fest genug und
ließ sich von der begnadeten Hand Michelangelos gefügig formen und
meistern. Den unteren Teil der Statue legte Michelangelo breit an
und verdeckte die große energische Bewegung des Fußes mit einem bis
zur Erde herabwallenden Gewande. Der mächtige Schritt des Orpheus
sollte die Entschlossenheit des Sängers andeuten, trotz aller bereits
erlebter Schrecken doch noch einmal in die Unterwelt einzudringen.
Seine erhobenen Hände hielten die Leier, als wollten sie noch einmal
in die Saiten greifen. Sein Antlitz, das der Künstler scharf und
bis ins kleinste ausarbeitete, war ernst; es sprach aus ihm die
Kraft des Liedes und ein Mut, der vor nichts zurückzuschrecken
schien. Michelangelo modellierte mit Liebe und Eifer, als würde er
seinen Orpheus in Erz für die Ewigkeit schaffen, und nicht nur zur
Befriedigung einer Augenblickslaune. Als er die Arbeit beendet hatte,
trat er einige Schritte zurück und seufzte tief auf.

»Nein, es ist nicht das, was ich gewollt habe,« rief er endlich
unzufrieden aus. »Aus diesen Zügen spricht eine frostige Kälte, wie
aus dem Schnee. Ich hab' es anders geträumt! Das ist wieder diese
hellenische Starrheit, diese Todesruhe! So hätten ihn die Künstler in
Athen dargestellt. Aber sieht so ein Mensch aus, der die vernichtenden
Worte des Schicksals vernommen hat?«

Er stand unzufrieden und wortlos vor seinem Werk. Die Fackeln
erloschen, der Tag begann heraufzudämmern. Der Himmel rötete sich
leicht, und endlich stieg die Sonne in ihrer goldenen Majestät am
Horizont empor. In den verschneiten Gärten blitzte und flimmerte es,
als sei silberner Puder überallhin verstreut.

In dem Augenblick entstand auf der Terrasse hinter seinem Rücken Lärm.
Piero von Medici war mit dem ganzen Hofstaat herausgetreten, und alle
brachen beim Anblick der wundervoll beleuchteten und glitzernden Statue
des Orpheus in begeisterte Bewunderung aus.

Poliziano eilte die Stufen herab und umarmte schweigend den Künstler.

»Nein, nein,« wehrte Michelangelo bitter lächelnd ab; »es ist
mißlungen. In seinem Antlitz spiegelt sich nicht das, was er in seinem
Herzen fühlt. Das ist kein Mensch; das ist nur eine Idee.«

»Aber eine göttliche Idee,« warf Poliziano ein.

»Aber kein Mensch!« wiederholte Michelangelo schmerzlich. »Wo ist die
Verzweiflung, die wie eine Natter an seinem Herzen nagt? Wo ist der
Schmerz, der ihn vernichtet? Nein, das ist nicht Orpheus, das ist eine
starre Leiche. Ich will das Gespenst nicht länger sehen.«

Und Michelangelo verbarg seinen Kopf an der Brust Polizianos, ohne auf
ein Wort des Trostes zu hören. Über seinem Kopfe tönten die Lobeshymnen
noch weiter; aber alles Lob vergrößerte nur seinen Schmerz.

»Die törichten Blinden,« stöhnte er verzweifelt; »sie sehen offenbar
nicht, daß dieser Orpheus bloßer Schnee in Menschengestalt ist.«

Da erscholl wie aus einer Kehle ein neuer Ausruf von der Terrasse, und
Poliziano zuckte zusammen. Unwillkürlich hob Michelangelo den Kopf und
sah auf seine Statue. Sie hatte sich bewegt; die Sonne hatte das Wunder
vollbracht. Sie bewarf die Statue mit Millionen ihrer heißen Pfeile.
Sie leckte den Schnee von den Bäumen und Büschen. Von den Pinien und
Oliven tropfte es unaufhörlich; in Bächen lief der geschmolzene Schnee
von den Dächern herab; er zerrann auf dem Grase wie ein Traum. Auch der
Orpheus wurde von den Strahlen der Sonne totgeküßt.

Die untere Hälfte der Statue stand noch unbeweglich da; der feste
Schritt des Orpheus und sein Gewand hatte noch keinen Schaden gelitten.
Aber Kopf und Brust waren verwundet. Seine Arme sanken zu beiden
Seiten wie erschlafft herab, die Leier entfiel seinen Händen. Der Kopf
neigte sich nach rückwärts, das Kinn gab nach, so daß sich der Mund
leicht öffnete und sich in eine krumme, nach unten gebogene Linie
verwandelte. Die Augen, die ihre bestimmten Umrisse verloren, schienen
sich wie in großem Schmerz zu schließen. Und die Schärfe aller gleich
genau angedeuteten Gesichtszüge milderte sich während des Tauens zu
einem merkwürdigen Einklang. Eine Lebensregung schien durch den Schnee
zu gehen, ein belebender Funke schien die Statue erwecken zu wollen.
Nun glaubte man wirklich, Orpheus zu sehen, von der Verzweiflung
zerknirscht, von Schmerzen zerwühlt, den Tod im Herzen, aber doch noch
aufrecht stehend, ein leidender, atmender Held, den man sterben sieht.

Michelangelo sah wie gebannt auf sein Werk. Ein freudiges Lächeln
umspielte seine Lippen, und mächtig bewegt drückte er Poliziano die
Hand. »Endlich sehe ich klar, was ich dunkel geahnt!« flüsterte er;
»nun weiß ich, was meinem Orpheus gefehlt hat und was von heute
an keiner meiner Schöpfungen mehr fehlen soll: ~der seelische
Ausdruck~! Wozu diente wohl alle äußere Schönheit, wenn sie nicht
die ~inneren~ Vorgänge verkünden würde. Dank dir, o Sonne, du hast
mich Großes gelehrt!«

»Die Sonne, die dir den rechten Weg gewiesen, das ist dein eigenes
Gefühl, dein eigener Geist,« sagte Poliziano. »Ja, du hast heute etwas
Großes gefunden -- ~dich selbst~! Nun darfst du hoffen, zu siegen.
Wie weit wirst du die andern überragen! Glück auf den Weg! Und doch muß
ich dich beklagen, mein armer Freund. Auf der Höhe steht man einsam,
und Größe erweckt Haß und Neid. Alles verzeiht dir die Menge, nur
nicht, daß du über ihr stehst, daß du dich von ihr ausschließest. Du
wirst dein ganzes Leben lang eine Dornenkrone tragen müssen.«

Noch ehe Poliziano zu Ende gesprochen hatte, sank die Statue dröhnend
zu Boden. Nichts blieb von ihr übrig, als ein formloser Klumpen rasch
zerfließenden Schnees. Ein Aufschrei des Mitleids und Bedauerns kam von
der Terrasse her, dann aber erscholl Gelächter, aus dem die fröhliche
Stimme Pieros herausklang. »Sieh,« rief er laut herab, »die Belehrung,
die ich dir versprochen habe, ist dir nun zuteil geworden. Die Werke
des Künstlers vergehen, wie der Schnee vor der Sonne.«

»Ja, eine große Belehrung ist mir zuteil geworden,« antwortete
Michelangelo, mit dankbarem Lächeln zum Himmel emporblickend. »Nun weiß
ich über den Stoff zu siegen und ihn zu beseelen. Nun soll man aus
meinen Werken den Pulsschlag des Lebens fühlen.«

Und versunken in seine Gedanken ging er von dannen. Von niemand hatte
er sich verabschiedet; man vergaß ihn bald. Poliziano trat mit ihm auf
den Platz hinaus und sah ihm nach, wie er allein durch die Gassen von
Florenz dahinschritt, um seinen großen Ideen und Werken nachzuhängen,
die er nunmehr schaffen sollte. Es war wahr: er hatte sich selbst
gefunden .....

                   *       *       *       *       *

Florenz ertrug die Herrschaft des anmaßenden Piero nicht lange. Schon
im November 1494 wurden die Mediceer vertrieben. Michelangelo ging
dem Ereignis aus dem Wege und begab sich nach Venedig und dann nach
Bologna, wohin auch die Mediceer geflüchtet waren. Hier, wo sich der
Stadtvorsteher Aldovrandi seiner angenommen und ihm Arbeit verschafft
hatte, blieb Michelangelo bis zur Mitte des Jahres 1495 und kehrte
dann wieder nach Florenz zurück, zur Zeit, als gerade der fanatische
Prediger Savonarola an der Spitze des Volkes stand.

Unter anderen Bildwerken, die Michelangelo jetzt ausführte, befand sich
auch ein schlafender Liebesgott. Auf Anraten eines schlauen Kaufmannes
gab Michelangelo diesem Marmorwerk künstlich ein antikes Aussehen
und es wurde dann auch als ein ~eben ausgegrabenes~ Bildwerk an
den Kardinal Riario nach Rom verkauft. Der Händler hatte zweihundert
Dukaten dafür bekommen; an Michelangelo lieferte er aber nur dreißig
ab; so wurden der Kardinal ~und~ Michelangelo betrogen. Aber auch
dieser Betrug zeitigte zufällig Gutes. Denn als der Kardinal erfuhr,
daß Michelangelo der Schöpfer des Kupido sei, machte er zwar den
Handel rückgängig, aber er veranlaßte Michelangelo gleichzeitig zur
Übersiedelung nach Rom. Im Juni 1496 kam er dort an und wohnte beim
Kardinal, wo er zunächst ein ganzes Jahr beschäftigungslos zubringen
mußte, obwohl man ihm reiche Aufträge versprochen hatte.

Bald darauf machte er aber die Bekanntschaft des römischen Edelmanns
Jacopo Galli, in dessen Auftrag Michelangelo zwei lebensgroße
Marmorbildnisse, einen »Kupido« und einen »Bacchus« ausführte. Galli
verschaffte dem jungen Meister auch einen Auftrag von dem französischen
Gesandten in Rom, für den Michelangelo jene wundervolle verklärte
»Pietà« meißelte, die sich jetzt in der nach ihr benannten Capella
della Pietà befindet.

Während aber Michelangelo in Rom unsterbliche Werke schuf, führte sein
Vater, der durch die Vertreibung der Mediceer sein Amt verloren hatte,
in Florenz ein kümmerliches Dasein. Sehnsüchtig harrte er auf die
Heimkehr des Sohnes, der den Vater von Rom aus kräftig unterstützte.
»Ihr mögt mir glauben« -- schrieb er nach Hause --, »daß auch ich
Ausgaben und Mühe habe; aber was Ihr von mir verlangen werdet, das
werde ich Euch schicken, und wenn ich mich als Sklaven verkaufen müßte.«

In der Tat sorgte Michelangelo nach der Vollendung der Pietà auch
für seine jüngeren Brüder Buonarroto und Giovan Simone, indem er
ihnen zur Gründung einer kleinen Wollstoffabrik verhalf. 1501 kehrte
Michelangelo, dem Drängen seines Vaters nachgebend, nach Florenz
zurück, wo er zunächst den Auftrag erhielt, für eine Kapelle im Dome
zu Siena fünfzehn kleine Heiligenfiguren auszuführen, dann aber von
den Vorstehern des Dombaues zu Florenz vor die erste Riesenaufgabe
gestellt wurde: aus einem bereits behauenen Block, der schon
fünfunddreißig Jahre lang unberührt dalag, einen »David« von neun Ellen
Höhe auszumeißeln. Der Auftrag war um so schwieriger, als der erste
Bildhauer, der sich daran gemacht hatte, die Aufgabe zu lösen, an ihr
gescheitert war. Er hatte aber dem Marmorblock bereits bestimmte Formen
gegeben, und an diese war Michelangelo nun gebunden. Im September 1501
machte sich Michelangelo mutig an die Arbeit, und Anfang 1504 wurde das
hundertachtzig Zentner schwere Bildwerk mit ungeheurem Pomp enthüllt.

Während der drei Jahre hatte Michelangelo aber noch andere Arbeiten
ausgeführt; so einen zweiten lebensgroßen David als Sieger mit dem
Haupte des Goliath unter den Füßen; ferner: zwei Madonnenreliefs in
Rundformat, einen sterbenden Adonis und einige Gemälde. 1505 folgt die
Madonnenmarmorgruppe -- eine Bestellung flandrischer Kaufleute --, die
in der Liebfrauenkirche zu Brügge steht.

Michelangelo, ein dreißigjähriger Mann, stand jetzt in dem Rufe des
ersten Bildhauers der Welt. Und als er sich eben anschickte, mit
dem größten Maler der Zeit, dem dreiundfünfzigjährigen Leonardo
da Vinci, um die Siegespalme zu streiten, wurde er inmitten der
Ausführung seiner Arbeit, die die Pisanerschlacht darstellen sollte,
vom Papst Julius II. nach Rom berufen, damit Michelangelo ihm schon
bei Lebzeiten ein Grabmal baue. Der Plan war mit außerordentlicher
Pracht erdacht. »Ich bin des gewiß,« schreibt Michelangelo am 2. Mai
1506 an San Gallo nach Rom, »wird es errichtet, so hat es in der
ganzen Welt nicht seinesgleichen.« Michelangelo kaufte in Karrara für
tausend Dukaten Marmorblöcke, und da ihn die Ungeduld nicht warten
ließ, bis die Steinberge nach Rom geschafft waren, begann er gleich
in den Marmorbrüchen ein paar Figuren in Arbeit zu nehmen, an denen
er zunächst acht Monate arbeitete. 1506 wurden die Blöcke auf dem
Petersplatze in Rom abgeladen; sie hätten hingereicht, einen Tempel
daraus zu erbauen. Und die kolossale Größe des Werkes war denn auch
mit schuld daran, daß es nicht zustande kam. Die Peterskirche, in
der es aufgestellt werden sollte, war zu klein, und abergläubische
Zwischenredereien trugen ebenfalls dazu bei, daß der Papst den Gedanken
an das Grabmal ganz fallen ließ. Statt dessen sollte Michelangelo die
Decke der vatikanischen Kapelle ausmalen, die Sixtus IV. hatte erbauen
lassen. Michelangelo, der diesen Auftrag nicht übernehmen wollte, zog
sich dadurch die Ungunst des Papstes zu, flüchtete nach Florenz, ward
aber wieder zurückgerufen und in Gnaden in Bologna aufgenommen, wo der
im Kampf gegen Cesare Borgia siegreiche Papst weilte, nachdem er sich
die Stadt unterworfen und tributpflichtig gemacht hatte.

Michelangelo fertigte hier in den nächsten drei Jahren eine
Kolossalerzstatue von Julius II. an. Der Papst hatte tausend Dukaten
dafür bezahlt; aber als Michelangelo mit seiner Arbeit fertig war und
seine Auslagen abgerechnet hatte, besaß er von den tausend Dukaten
noch etwa vier, obwohl er in Bologna in recht kärglichen Verhältnissen
gelebt hatte. Nach der Enthüllung dieses Erzbildes eilte Michelangelo
sofort zu seinen hilfsbedürftigen Angehörigen nach Florenz zurück;
aber da er jetzt in den Diensten des Papstes stand, mußte er bald
wieder nach Rom zurückkehren und trotz seines inneren Sträubens mit der
Ausmalung der Kapelle beginnen. Und so vollbrachte Michelangelo dies
Werk, das berühmte sogenannte Sixtinische Deckengemälde, in dem er das
Herrlichste und Wunderbarste schuf, was die Monumentalmalerei überhaupt
hervorgebracht hat; eine so schöne und gewaltige Schöpfung, wie sie in
dieser Vollkommenheit nie wieder erreicht worden ist.

Er stellte die Vorgeschichte der Erlösung dar; die Schöpfung und den
Sündenfall und das Versinken der Menschheit in Sünde; dazu das Hoffen
auf den Erlöser, die Verkündigung seiner Ankunft und Vorbedeutungen der
Erlösung.

Er begann damit am 10. Mai 1508 und vollendete es, obwohl er es ganz
allein ohne jedwede fremde Hilfe ausführte, und obgleich er seine
Arbeit öfters und lange unterbrechen mußte, im Oktober 1512. Das ist
um so staunenswerter, als Michelangelo nicht gesund war, unter den
drückendsten Geldsorgen zu leiden hatte, und die Not seiner Angehörigen
ihn ebenfalls sehr quälte.

So schreibt er an seinen Vater im Juni 1509: »Seit 13 Monaten habe
ich vom Papste kein Geld erhalten und meine, innerhalb anderthalb
Monaten unter allen Umständen welches zu bekommen, da ich das, was ich
gehabt, ausgegeben haben werde. Wenn er's mir nicht gäbe, müßte ich
Geld borgen, um zu Euch zurückzukehren, denn ich besitze nicht einen
Pfennig.«

Eine andere Stelle aus einem Briefe an seinen Bruder Giovansimone
(aus derselben Zeit) lautet: »Seit zwölf Jahren bin ich, kümmerlich
lebend, durch ganz Italien gewandert, habe jede Schmach erduldet, jedes
Ungemach erlitten, meinen Körper mit jeder Anstrengung gepeinigt, das
eigene Leben unzähligen Gefahren ausgesetzt, einzig und allein, um
meiner Familie zu helfen.«

An seinen Bruder Buonarroti schreibt er am 18. September 1512: »Ich
teile Euch mit, daß ich nicht einen Groschen besitze und gleichsam
barfüßig und nackt bin und das, was mir noch zukommt, nicht eher, als
bis ich mein Werk vollendet habe, erhalten kann; und ich erdulde sehr
große Mühen und Unbequemlichkeiten.«

Eine fürchterliche Pein war endlich die körperliche Anstrengung beim
Malen an der Decke, wobei der Kopf stets in den Nacken gelegt und die
Augen nach aufwärts verdreht werden mußten. Er selbst spottete darüber
in einem launigen Gedicht, daß er, gekrümmt wie ein syrischer Bogen,
das Gesicht von den herabtropfenden Farben bunt gemustert wie ein
Mosaikfußboden, dies Werk ausführen mußte:


      Schon hat mir diese Crux 'nen Kropf geschaffen,
      Wie er vom Wasser wächst im Land Lombardien
      Den Katzen -- oder ist's noch sonst wo anders --
      Und mit Gewalt strebt unters Kinn der Bauch.

      Den Bart fühl' ich gen Himmel sich erheben,
      Am Buckel liegt das Hirn, harpyienhaft
      Krümmt sich die Brust mir, und vom Pinsel
      Tropft aufs Gesicht ein buntes Paviment.

      Dehnt vorn sich aus die Schwarte, schrumpft sie hinten
      Beim Krummsichbiegen wieder arg zusammen:
      So spann' ich mich gleich einem Syrer Bogen.

      Drum trügerisch und seltsam
      Entspringt die Urteilskraft dem Schoß des Geistes;
      Denn übel schießt es sich aus krummem Rohr.

      Tritt ein, Johann, nunmehr
      Für meine Ehre, für mein stummes Malwerk;
      Ich bin ja nicht am Platz noch, ach! kein Maler.


Und von diesem Werke, angesichts dessen sich Michelangelo das Talent
als Maler absprach, sagte Goethe: »Ich konnte nur sehen und anstaunen.
Die innere Sicherheit und Männlichkeit des Meisters, seine Großheit
geht über allen Ausdruck.«

[Illustration: Michelangelo mit seinem Mose.]

Ein Zufall fügte es, daß um dieselbe Zeit, als Michelangelo mit seinem
Deckengemälde fertig wurde, die vertriebenen Medicis wieder in Florenz
einzogen und von ihren ehemaligen Rechten sofort Besitz ergriffen.
Michelangelo erneuerte alsbald die alten Beziehungen und setzte es
durch, daß sein greiser Vater wieder in dasselbe Amt eingesetzt wurde,
das er ehedem innegehabt hatte.

Michelangelo durfte jetzt auch an die Ausführung des früher in Angriff
genommenen Grabmals gehen, obwohl der Besteller, Papst Julius, bereits
1513 starb. Giovanni de Medici (Papst Leo X.) war sein Nachfolger und
zugleich der Jugendfreund Michelangelos. Für das Grabmal war ein Preis
von sechzehntausendfünfhundert Dukaten und eine Arbeitszeit von sieben
Jahren festgesetzt. Aber weder dies Werk, noch andere Werke großen
Stiles, die Michelangelo geplant und zum Teil schon in Angriff genommen
hatte, wurden vollkommen ausgeführt. Dafür betraute man ihn einige
Jahre später mit einer anderen großen Aufgabe, die seinen Namen in die
Ewigkeit tragen sollte: Die Ausführung der Mediceergräber.

In dieser Zeit tummelten sich Spanier, Franzosen, Schweizer, Deutsche
und Italiener in den schönen Gefilden am Po, am Ticino und an der
Etsch umher, verwüsteten die Felder und Weinberge, brandschatzten
oder zerstörten Städte und Dörfer, befleckten den Boden mit Blut
und Leichen, führten Gefangene hinweg, um Lösegeld zu gewinnen, und
übten Greuel und Erpressung jeder Art. Dazu kam die Pest, der auch
der geliebte Bruder Michelangelos, Buonarroto, erlag. Florenz rüstete
sich zum Kampfe um die Freiheit, und unter neun Männern, die gewählt
worden waren, um für die Befestigung der Stadt zu sorgen, befand sich
auch Michelangelo. Er wurde zum obersten Leiter der Befestigungen von
Florenz ernannt und machte seinem Amt durch Umsicht und Geschick alle
Ehre. Aber trotz seiner kriegerischen Tätigkeit fand er noch Zeit,
sich ab und zu heimlich in die Grabkapelle zu stehlen und dort an den
angefangenen Figuren zu arbeiten.

Allerdings arbeitete Michelangelo unter der größten körperlichen und
geistigen Qual. Um 1530 war er bis zur Fleischlosigkeit abgemagert.
»Michelangelo« -- schreibt ein Zeitgenosse -- »wird nicht mehr lange
leben, wenn nicht Abhilfe geschafft wird; denn er arbeitet viel, ißt
wenig und schlecht und schläft auch nicht, und seit einem Monat wird
er stark behindert durch Kopfschmerzen und Schwindel; er hat, kurz
gesagt, zwei Übel: eins am Kopf und eins am Herzen, und für jedes gibt
es ein Heilmittel; man muß nur die Ursache kennen und aussprechen.« Das
Heilmittel für den Kopf sollte darin bestehen, daß dem Meister verboten
würde, während des Winters in der feuchten und kalten Kapelle, wo er
sich den Tod hole, zu arbeiten; das Heilmittel für das Herz sollte in
der Regelung der Sache des Juliusgrabes bestehen, um dessentwillen
Michelangelo ganz in Schwermut verfallen war.

»Malerei und Skulptur«, schreibt er am 24. Oktober 1542 an Luigi del
Riccio, »Arbeiten und Treuhalten haben mich ruiniert und ständig wird
aus Schlechtem noch Schlechteres. Besser für mich wäre gewesen, ich
hätte in meiner Jugend Schwefelhölzer zu machen gelernt.«

Und am selben Tage an Monsignor Aliotti: »Ich finde, meine ganze Jugend
habe ich verloren, seitdem ich an dieses Grabmal gebunden bin und
soviel als möglich Papst Leo und Papst Klemens Widerstand geleistet
habe; und mein allzu großes Vertrauen, das man nicht kennen will, hat
mich ruiniert. So will's mein Schicksal.«

Für beide Heilmittel wurde nun zwar gesorgt, so gut es ging; aber
der Tod seines Beschützers, des Papstes Clemens VII., machte wieder
alle Versprechungen und Pläne zunichte. Da Michelangelo von dem neuen
Gebieter der Stadt, dem lasterhaften Alessandro, der ihn haßte, nicht
nur keinen Schutz zu erwarten hatte, sondern im Gegenteil Verfolgung,
so blieben sogar die Mediceergräber unvollendet.

Aber selbst in dieser unvollendeten Gestalt sichern sie Michelangelos
Ruhm für alle Zeiten. Der Eindruck, den dies Monumentalwerk, das von
so ernstem Geiste beseelt ist, auf den Beschauer macht, ist der einer
höchst weihevollen und ehrfürchtigen Stimmung vor dem Genius, der es
geschaffen hat.

Der Nachfolger des verstorbenen Papstes, Paul III., fesselte
Michelangelo wieder an sich, und in seinem Auftrage malte der Künstler
in der Sixtinischen Kapelle das berühmte »Jüngste Gericht«, in dem
Michelangelo den Tag der Auferstehung mit allen Schrecken einer
gewaltigen Phantasie schildert.

Es wäre noch von vielen anderen Bildwerken, Malereien und
architektonischen Werken zu sprechen; aber hier soll keine Betrachtung
seiner künstlerischen Werke, sondern nur der äußere Lebensumriß des
größten Bildhauers der neuen Zeit gegeben werden.

In den letzten Jahren seines Lebens blieb Michelangelo von großen
Stürmen und wenigstens von äußeren Sorgen verschont. Er war auch
körperlich wieder zu Kräften gekommen und hatte sogar, dank seiner
einfachen und mäßigen Lebensweise, die die Not ihn gelehrt hatte, eine
gewisse Wohlhabenheit erreicht.

Am 18. Februar 1564 entschlief Michelangelo. Der Leichnam wurde in der
Apostelkirche aufgebahrt. Der Papst wollte ihn im St. Petersdome, wo
sonst nur die Päpste beigesetzt wurden, bestatten lassen, obwohl es
dem Wunsche Michelangelos, in der heimatlichen Erde zu ruhen, entgegen
gewesen wäre. Darum ließ ein Neffe Michelangelos den Sarg mit der
Leiche, als Warenballen verpackt, heimlich nach Florenz schaffen. Am
12. März wurde der geöffnete Sarg in der Kirche San Croce ausgestellt.
Auf Kosten des Herzogs Cosimo wurde darauf in der San Lorenzo-Kirche
eine Leichenfeier ins Werk gesetzt, so großartig und prunkhaft, wie
Florenz vordem noch keine gesehen hatte. Man bekommt einen Begriff
davon, wie herrlich die Feier gewesen sein muß, wenn man bedenkt,
daß Maler und Bildhauer ~monatelang~ an der künstlerischen
Ausschmückung der Lorenzo-Kirche gearbeitet hatten. Die Feier fand erst
am 14. Juli 1564 statt. Mit einem unvergleichlichen Aufwand von Kunst
und pompöser Pracht ehrte Florenz seinen unsterblichen großen Sohn, und
an seinem Katafalk trauerte der Genius der Kunst.




                               Galilei.


Im Jahre des Halleyschen Kometen, dem sich das Interesse der ganzen
Welt zuwandte und der die Menschheit wieder zwang, sich, wenn auch
oberflächlich, mit astronomischen Dingen zu beschäftigen, ist es
sicherlich nicht unwillkommen, etwas über Galilei zu erfahren, den
Zeitgenossen Keplers, den noch lange nicht genug gewürdigten großen
Entdecker, diese himmelstürmende Natur, diesen ganz Großen, der --
wie Goethes Faust -- nicht eher ruhte, zu erforschen, was die Welt im
Innersten zusammenhält, bis eine Macht, die größer war als er, ihn mit
Blindheit schlug.

Wenn man ihn nur einen Physiker oder Astronomen nennt, verkleinert
man ihn. Man darf nicht vergessen, daß der Astronom von heute
gewöhnlich nur ein Spezialist ist, der bei seiner Wissenschaft
durchaus nicht immer jenes Grauen empfindet, das Laplace beim Anblick
des Sternenhimmels angewandelt hat, und der auch die Bewunderung und
Ehrfurcht nicht kennt, die das Gemüt Kants vor dem bestirnten Firmament
erfüllte.

Der Astronom der Renaissance sucht nicht lediglich nach neuen Sternen;
er weiß, daß hinter den leuchtenden Welten noch irgendeine Kraft wohnt,
der er nicht gewachsen ist. Und doch möchte er dem Schöpfer gern hinter
die Kulissen schauen.

Wie es das größte Verdienst des Mittelalters ist, die innere Welt
des Seelenlebens vertieft zu haben, ist es das höchste Verdienst der
Renaissance-Astronomen, uns den Himmel geweitet zu haben, indem sie
ihn uns näherbrachten. Sie entdeckten neue Welten in sich, in ihrer
Seele (z. B. Dante, Petrarca) und neue Welten am Himmelsraume (z. B.
Kopernikus, Kepler, Galilei). Sie sind nicht bloße Sterngucker oder
Registratoren. Das neue Bild am Himmelsgewölbe, das sie schaffen, gibt
ihnen auch eine neue Anschauung vom Zusammenhange der Natur.

Welche Kräfte und Gesetze sind es, die das Weltsystem zusammenhalten
und die dem Menschen die Macht geben, dieses System in Gedanken
aufzubauen? Wer gab dem Menschen diese hohen Gedanken?

Diese Astronomen sind zugleich auch durchaus tüchtige Philosophen.
Sie bringen eine echte und große Begeisterung mit, und wenn sie ihre
kindlich einfachen Fernrohre vors Auge rücken, ist es ein erhabenes,
wortloses Gebet, das durch ihre Seele zieht ....

Es war nicht meine Absicht, eine Vorlesung über Geschichte der
Astronomie zu hören, als ich nach Florenz ging. Aber ein Zufall führte
mich in den alten Palast, den der Graf Paolo Galletti in der Via de
Banchi bewohnt, in dem ich acht kostbare Tage verbringen durfte. Am
zweiten Tage unseres unvergeßlichen Zusammenseins hatte sich Graf
Galletti als ein Sammler und Gelehrter entpuppt, der sein Leben der
Galilei-Forschung weihte und der mich einen Blick werfen ließ in seine
reichen und unschätzbaren Sammlungen.

Welch eine sonderbare Wohnung war das! Man befand sich in einer
weitläufigen Bildergalerie, deren gründliches Studium allein einige
Tage gekostet hätte. Da waren düstere Gemälde von Giotto und Pontormo,
Prachtstücke von Guido Reni und Fra Bartolomeo und einige unbekannte
Porträts aus der besten Zeit von Franz Hals. In den Korridoren befanden
sich kostbare Kupferstiche, in jedem Winkel Marmorwerke und Antiken.
In der Küche standen Ausgrabungen vom alten Tempel auf Fiesole. Das
Haus war voller geheimer Türen, die zu verborgenen Treppen führten; ein
ängstlicher Wirrwarr von Gängen, Fluchten und Nischen.

Ein Gemach aber, das Studierzimmer des Grafen, überbot in seinem wirren
Durcheinander die Kunst aller Regisseure, die je ihre Phantasie an
»Fausts Studierzimmer« erprobt haben. Retorten, Globusse, Wagschalen,
Mörser, Klöpfel, Urkunden, Pergamentrollen, sonderbar geformte Lampen,
ureinfache Mikroskope, astronomische Karten, Fernrohre, Glaskelche,
Schädel, alles lag in einem malerischen Kunterbunt umher.

»Dies« -- erklärte mir der Graf, und er zeigte mir ein vergilbtes,
vom Staub und von der Zeit zernagtes Pergamentblatt -- »dies ist
die Originalurkunde, die den Kanonikus Girolamo (Savonarola) in den
Verbrennungstod schickt. Betrachten Sie, bitte, auch diese Blätter! Es
sind die Originalgedichte Franzesko di Medicis. In jener unscheinbaren
Kassette dort bewahre ich einen Pack Briefe von Zwingli, die er
an meine Ahnen gerichtet hat. Mit einer theologischen Schlauheit,
die ihresgleichen sucht, bemüht er sich, sie für seine Ideen
herumzubekommen. Welch eine klare und kräftige Natur; man begegnet
solchen Menschen nicht mehr. Aber, was Sie mehr interessieren wird,
das ist dies Manuskript der ›Göttlichen Komödie‹, von der Dante etwa
zehn oder zwölf Abschriften besaß. Beachten Sie das Datum hier: der 29.
Juni 1416. Von ebenso großem Werte ist auch dieser Kodex; die reizenden
Kompositionen, die Sie sehen, rühren von Pico de la Mirandolas Hand
her. Worauf man sehr gespannt sein wird, das sind verschiedene Gedichte
von Torquato Tasso, den Goethe in seiner Tragödie verewigt hat und die
Tasso schrieb, kurz bevor er ins Irrenhaus kam. Ich will nicht von den
Briefen Donato Giannottis sprechen, des großen Freundes Michelangelos,
auch nicht von den Briefen Macchiavellis und Benvenuto Cellinis, die
ich besitze und die durch mich noch ihrer Veröffentlichung harren.
Ich mache Sie lieber auf jenes Porträt aufmerksam, das von den
bedeutendsten italienischen Kritikern als Selbstporträt Michelangelos
erkannt wurde.«

»Soviel mir aber bekannt ist,« sagte ich, »hat die neuere
Kunstforschung mit Sicherheit festgestellt, daß es von Michelangelo
keine Selbstporträts geben kann, weil er sich niemals selbst gemalt
hat.«

»Es handelt sich hier vielleicht um das von einem zeitgenössischen
Freunde angefertigte Porträt,« meinte der Graf. »Sie werden mich nun
fragen, wie all diese Schätze in meinen Besitz gekommen sind? Ganz
einfach. Ich bin der Besitzer der Villa, die Galilei in Arcetri bewohnt
hat, und in ihr fanden sich all diese Kostbarkeiten vor. Sie waren
also Eigentum Galileis, von dem ich noch weit Wertvolleres besitze.
Das ganze astronomische und physikalische Handwerkszeug, dessen der
Astronom sich auf der Villa Arcetri bediente, jener Villa, in die ihn
seine jesuitischen Feinde verbannt hatten, ist in meinem Besitz. Mit
Ausnahme der Bronzelampe, die Sie im Dome zu Pisa gesehen haben und
die Galilei zur Entdeckung des Pendelgesetzes die Anregung gab, sind
fast alle Instrumente in meinen Händen, mit deren Hilfe Galilei seine
bedeutenden Entdeckungen gemacht hat.«

»Ach, erzählen Sie mehr von ihm,« bat ich den Grafen.

»Gern,« erwiderte er. »Schon der Tag, an dem er zur Welt kam, hat
für mich etwas Geheimnisvolles, und auch für Sie, wenn Sie an die
Seelenwanderung glauben. Galilei wurde an demselben Tage geboren,
an dem Michelangelo starb; am 18. Februar 1564. Pisa ist seine
Geburtsstadt. Vinzenzo, sein Vater, war ein Florentinischer Edelmann,
der sich durch Schriften über die Theorie der Musik und Mathematik
einen besonderen Ruf erworben hatte. Seine Mutter, Giulia, stammte aus
dem alten und berühmten Geschlecht der Ammannati. Bald nachdem Galilei
zur Welt gekommen war, zogen seine Eltern nach Florenz, wo er auch
seine erste Erziehung erhielt. Galilei sollte Tuchhändler werden, ein
Geschäft, das bei den Florentinern damals in hohen Ehren stand. Aber
als der Vater die hervorragende Begabung des Knaben bemerkte, ließ er
ihm eine Erziehung angedeihen, die mehr auf eine wissenschaftliche
Laufbahn abzielte. In der Verfertigung mechanischer Instrumente
und Maschinen und besonders im Zeichnen zeigte Galilei schon als
Knabe großes Geschick. Der Vater schickte nun seinen Sohn 1581 auf
die Universität nach Pisa, wo er die Arzneiwissenschaft studieren
sollte. Zugleich hörte er dort Vorlesungen über das, was man damals
aristotelische Philosophie nannte. Abgestoßen von diesen haarspaltenden
und fruchtlosen Diskussionen griff Galilei oft als Gegner in diese
Streitigkeiten ein. Dafür nannte man ihn auch den ›Zankapfel‹.
Das hinderte ihn nicht, die naturwissenschaftlichen Irrtümer der
aristotelischen Philosophie zu verwerfen und das Gute der dialektischen
Lehrsätze hochzuhalten. Aber seine stärkste Liebe wandte er dennoch den
Naturwissenschaften und der Mathematik zu.

»Eines Tages bemerkte er, daß eine im Dome zu Pisa hängende Lampe,
wenn sie durch Zugluft in Schwingungen geriet, zur Vollendung jeder
einzelnen Schwingung immer gleich viel Zeit gebrauchte, mochte der
Windstoß stärker oder schwächer und also die Schwingung größer oder
kleiner sein. Er schloß daraus, daß die Zeit, welche ein pendelartig
schwingender Körper zur Vollendung jeder einzelnen Schwingung
gebraucht, nicht durch die Stärke des ihm gegebenen Stoßes bestimmt
werde, sondern nur durch die Entfernung desselben von seinem
Aufhängungspunkt, also durch die Länge des Fadens oder Stabes, an
dessen Ende er befestigt ist. Zu Hause angestellte Versuche mit Pendeln
von verschiedener Länge bestätigten diese Vermutung und belehrten
zugleich den jungen Naturforscher, daß es dabei auch nicht auf das
größere oder geringere Gewicht des Pendels ankomme. Nun tauchte sofort
der Gedanke in Galilei auf, diese Entdeckung auf die Messung der
kleineren Zeitteile anzuwenden. Er maß zunächst die Schnelligkeit der
Pulsschläge, dann die von Sekunde zu Sekunde zunehmende Geschwindigkeit
frei fallender Körper. Von nun ab diente ihm das Pendel bei allen
physikalischen, besonders aber bei astronomischen Beobachtungen, bis,
sehr viel später, Huygens das Pendel auch mit Uhrwerken in Verbindung
brachte. Der Vater Galileis hatte endlich auch seinem Sohne erlaubt,
das Studium der Arzneikunde aufzugeben und sich ausschließlich den
physikalischen und mathematischen Wissenschaften zu widmen, und der
junge Galilei zeigte sich dieser väterlichen Vergünstigung bald würdig.
Er las zum Beispiel die Schriften des Archimedes mit so großem Erfolge,
daß er, angeregt durch die Lektüre, die hydrostatische Wage erfand.
Dieses bestaubte Ding hier stellt den ersten Versuch der Galileischen
Wasserwage dar, die er so scharfsinnig beschreibt. ›La Bilancetta‹
nannte er das Werk, wovon ich gleichfalls das Manuskript mein eigen
nenne.

»Man fing an, von dem jungen Erfinder und Entdecker zu sprechen; sein
Name war in Italien bald berühmt. Er korrespondierte jetzt mit den
bedeutendsten Fachgelehrten; ganz besonders interessierte sich aber
für ihn ein in Pesaro lebender Mathematiker, der Marchese Guidubaldo
del Monte, der Galilei veranlaßte, das Gesetz vom Schwerpunkt zu
vervollkommnen und besser auszuarbeiten. Der vierundzwanzigjährige
Galilei kam dieser Aufforderung nach und übertraf mit der Lösung der
gestellten Aufgabe alle bisherigen Leistungen auf diesem Gebiete. Man
nannte ihn jetzt, 1589, den Archimedes seiner Zeit und man übertrug
ihm zugleich die gerade freigewordene Professur für Mathematik an der
Universität zu Pisa, die er ein paar Jahre vorher hatte verlassen
müssen, weil er damals nicht über Mittel genug verfügte, seinen
Doktor zu machen. Seine Besoldung war sehr gering, aber er benützte
die Stellung seines öffentlichen Amtes zu neuen Forschungen und
zur Verbreitung der bisher angestellten. Seine Landsleute Varchi
und Benedetti hatten schon 1544 die Behauptung ausgesprochen, daß
alle Körper von gleicher Dichtigkeit, mögen sie groß oder klein
sein (z. B. ein Lot Blei ebenso wie ein Pfund Blei), bei gleicher
Fallhöhe die gleiche Geschwindigkeit erlangten. Exakt bewiesen war
dieser Satz keineswegs und fast alle damaligen Physiker leugneten
ihn. Galilei erst erbrachte, trotz alles Spottes der Gegner, den
unanfechtbaren Beweis für die Richtigkeit des Satzes. Er ging noch
weiter und erforschte noch das Gesetz, wonach die Fallgeschwindigkeit
von Sekunde zu Sekunde wächst und daß die am Ende des Falles erlangte
Geschwindigkeit fallender Körper sich verhalte wie die Quadrate der
Zeiten. Galilei hat diese Entdeckung zwar erst fünfzig Jahre später
drucken lassen, aber inzwischen hat er dieses Gesetz vielfach praktisch
angewendet und er hat natürlicherweise mit vielen Sachverständigen
darüber korrespondiert. Immerhin hatte die Gewohnheit Galileis, die
Veröffentlichung seiner so wichtigen Entdeckungen lange aufzuschieben,
die unangenehme Folge, daß ihm oft die Priorität für seine Entdeckungen
und Erfindungen bestritten wurde. Es würde Bände füllen, wenn man
ausführlich erzählen wollte, welche Kämpfe Galilei allein um das
Prioritätsrecht seiner Erfindungen stets ausfechten mußte. Und noch bis
heutigestags ist vieles ungeklärt, da noch immer zahlreiche Manuskripte
und Briefe Galileis, die über das Prioritätsrecht Auskunft geben
könnten, ungedruckt in Bibliotheken liegen.

»Zu jener Zeit war es an italienischen Universitäten üblich, die
Professoren nur für eine gewisse Zahl von Jahren anzustellen. Galileis
erste Anstellung lautete auf drei Jahre. Die große Bedürftigkeit
der Familie Galileis, noch gesteigert durch den erfolgten Tod des
Vaters, machten es dem jungen Professor zwar höchst wünschenswert,
die Professur in Pisa noch zu behalten, aber seine Freimütigkeit und
seine Liebe zur Wahrheit nötigten ihn, das Amt dennoch aufzugeben.
Johann von Medici, der in hohem Ansehen stehende Stiefbruder des
regierenden Großherzogs, hatte eine Maschine zur Reinigung der Häfen
und Kanäle erfunden, und Galilei war unklug genug, diese Erfindung aus
mechanischen Gründen als unbrauchbar abzuweisen. Das zog ihm natürlich
den Haß des Medici zu, der mit den übrigen zahlreichen Feinden und
Neidern Galileis gemeinsame Sache machte, um ihn beim Großherzog
anzuschwärzen. Galilei sah den kommenden Sturm voraus und zog sich
nach Florenz zurück. Wiederum bemühte sich der Marchese del Monte
für ihn beim Senat der venetianischen Republik für die durch Moletis
Tod erledigte Professur der Mathematik an der Universität zu Padua.
1592 erhielt Galilei diese Stellung zunächst auf sechs Jahre. Durch
seine Vorträge lockte er hier zahlreiche Zuhörer der verschiedensten
Altersstufen an sich und verfaßte Werke über Kriegsbaukunst, Mechanik
u. a., die er zwar noch nicht drucken ließ, die sich aber dennoch durch
Abschriften sehr bald verbreiteten.

»Um dieselbe Zeit erfand Galilei auch das Thermoskop, das erste
Instrument zur Bestimmung der Wärmeverhältnisse, wovon ich leider nur
die von Galilei herrührende schematische Darstellung besitze. Galilei
bediente sich einer engen Glasröhre, die an dem einen Ende offen war,
an dem anderen aber in eine hohle Kugel auslief. Er goß in diese Röhre
etwas Wasser, verschloß sie alsdann, kehrte sie um und tauchte sie
in ein Gefäß voll Wasser, aus welchem er den größten Teil der Röhre
mit der daran befindlichen hohlen Kugel hervorragen ließ, während ein
ganz kleiner Teil mit der Öffnung, die Galilei nun wieder freimachte,
unter Wasser blieb. In der Kugel war also jetzt atmosphärische Luft
abgesperrt, und wenn diese sich durch Einwirkung der Wärme ausdehnte,
so trieb sie einen Teil des in der Röhre stehenden Wassers durch die
jetzt unten befindliche Öffnung heraus in das Wassergefäß; zog sich
hingegen die Luft in der Kugel durch Abnahme der Wärme zusammen, so
stieg durch den Druck der äußeren Luft das Wasser in der Röhre.

»So unvollkommen ein solches Instrument war, für die damalige Physik
bedeutete es immerhin einen großen Fortschritt. 1594 erhielt Galilei
von der Republik Venedig ein Privilegium auf zwanzig Jahre für eine von
ihm erfundene hydraulische Maschine.

»Und hier ist der Proportionalzirkel, den Galilei bald darauf erfand,
und der von den Ingenieuren und Geometern seiner Zeit sehr hoch
geschätzt wurde. Es gab in jener Zeit noch nicht unsere bequeme
Einrichtung des Patentamtes. Allein, wie heute, wurden auch damals
die Erfinder reichlich betrogen. Wer damals einen solchen Zirkel
besitzen wollte, mußte an Galilei schreiben, und er verfertigte so
viel, wie er liefern mochte. Aber mehr als zehn oder elf Exemplare
wird es kaum geben. Seine Arbeitskraft war von anderen Dingen zu sehr
in Anspruch genommen. Und dann, sich lange Zeit mit derselben Sache zu
beschäftigen, langweilte ihn am Ende. Er hatte noch viel zu tun.

»1599 wurde Galilei seine Professur in Padua auf weitere sechs Jahre
mit Gehaltszulage verlängert. Inzwischen hatte sich sein Ruhm auch
weit verbreitet. Kepler, der in ihm einen treuen Mitverfechter des
kopernikanischen Systems erkannt hatte, war seit 1597 in Briefwechsel
mit ihm getreten und drei Jahre später auch Tycho de Brahe, der
berühmte dänische Astronom. Unter seinen Zuhörern an der Universität
fanden sich jetzt auch Fürsten ein; von allen Ländern reiste man nach
Padua, um Galilei zu hören.

»Im Jahre 1604 erschien im Sternbild des Schlangenträgers ein neuer
Stern, der, nachdem er achtzehn Monate lang geleuchtet hatte,
wieder verschwand. Galilei hielt mehrere Vorträge über diese
Erscheinung, in denen er zu beweisen suchte, daß der Stern keine bloße
Lufterscheinung, sondern ein wirklicher Stern gewesen sei. Mit dieser
Behauptung widersprach er freilich der Lehre des Aristoteles von der
Unveränderlichkeit des Fixsternhimmels, zu welcher sich damals die
meisten seiner Zeitgenossen bekannten. Nur seine Zuhörer und einige
aufgeklärte Männer der Wissenschaft jubelten ihm zu.

»Er fuhr fort, sich mit den Lehren der höheren Mechanik zu
beschäftigen, mit den Lehren vom Magneten, vom Licht und den Farben,
vom Schall, von der Ebbe und Flut, von den Bewegungen der Tiere. 1609,
als er Venedig besuchte, kam ihm das Gerücht zu Ohren, ein Holländer
hätte dem Prinzen Moritz von Nassau ein Instrument überreicht, durch
welches man die entferntesten Körper so sähe, als ob sie ganz in die
Nähe gerückt wären. Wie dies Instrument beschaffen war, darüber erfuhr
Galilei nichts. Aber das Gerücht allein genügte, um seine ehrgeizige
Natur zur Tat anzuspornen und seinem erfinderischen Geist einen neuen
und großartigen Aufschwung zu geben. Eiligst nach Padua zurückgekehrt,
hatte er schon ein paar Tage später ein solches Instrument selbständig
konstruiert; er reiste damit wieder nach Venedig und überreichte dem
Dogen und dem Senat sein neues Instrument. Hier ist es! Ja, nun lachen
Sie über dieses Gerümpel! Daß der Mond von Gebirgsketten durchzogen
wird, ist heute eine banale Tatsache für uns; aber bedenken Sie, welch
eine Umwälzung es in der Seele Galileis hervorrufen mußte, als er zum
ersten Male sah, was noch nie vor ihm eines Menschen Auge gesehen.
Man versteht es, wenn das Volk einen Menschen, dem es gelungen war,
mittels dieser plumpen Röhre das Rätsel des Mondes zu schauen, für
einen Zauberer hielt. Wollten doch selbst aristotelische Philosophen
nicht durch dieses unscheinbare Ding sehen, das dem Firmament plötzlich
ein ganz anderes Antlitz gab. Wie? Dieser kleine Professor da aus
Padua will uns jählings unseren guten Glauben nehmen an den Himmel des
Aristoteles?

»Von welch tiefer Menschenkenntnis zeugt doch die Antwort, die er
ihnen gab! ›Wenn die Sterne selbst vom Himmel herabstiegen zur Erde
und Zeugnis ablegten für mich, so würdet ihr euch nicht überzeugen
lassen!‹ Zugleich beleuchtet diese traurig stimmende Antwort den ganzen
Lebensgang Galileis.

»Immerhin hatte diese Entdeckung zur Folge, daß Galilei nun die
Professur in Padua mit einem Jahresgehalt von tausend Gulden für
Lebenszeit übertragen wurde. Nie hat sich Galilei für den ersten
Erfinder des Fernrohrs ausgegeben; aber es [Illustration: Galilei
beobachtet die Himmelskörper.]

gebührt ihm wohl der Ruhm, es optisch vervollkommnet und zuerst zu
wichtigen astronomischen Entdeckungen angewandt zu haben. In den
nächsten Jahren wendeten sich daher die Fürsten und Astronomen,
welche Fernrohre zu besitzen wünschten, immer an Galilei. Er zuerst
entdeckte die Gebirge des Mondes und er zuerst maß ihre Höhe. Er fand
ferner, daß die Milchstraße nichts anderes sei, als eine unzählbare,
dichtgedrängte Menge kleiner Sterne; daß auch die sogenannten
Nebelflecke nur Sterne seien; daß aber die Fixsterne durch das Fernrohr
nicht, wie die Planeten, vergrößert würden. 1610 entdeckte er die vier
Monde des Jupiter und zwei Jahre später gelang es ihm, die Bahnen und
Umlaufszeiten dieser Jupitertrabanten zu berechnen. Er machte nun den
Vorschlag, die häufig auftretenden Verfinsterungen der Jupitermonde
zur Bestimmung der geographischen Längen und also zur Vervollkommnung
der Schiffahrt zu benützen. Um dieselbe Zeit beobachtete er auch
Sonnenflecke; er wagte es aber nicht, mit dieser neuen Entdeckung
hervorzutreten, bis seine Freunde ebenfalls von deren Richtigkeit
überzeugt waren. Alle diese neuen Entdeckungen mußten ihm bei den
denkfaulen Anhängern des aristotelischen Sternhimmels natürlich nur
Feinde schaffen. Aber die Aufmunterungen Keplers und des Großherzogs
von Toskana, der unseren Entdecker fortgesetzt mit reichen Geschenken
bedachte, halfen Galilei über viele Bitternisse hinweg. Den drängenden
Bitten des Großherzogs nachgebend, gab Galilei im August 1610 sein
Lehramt in Padua auf und siedelte nach Florenz über, wo er als ›erster
Philosoph und Mathematiker des Großherzogs‹ ausschließlich seinen
Erfindungen, Entdeckungen und der Ausarbeitung seiner Werke leben
konnte. Aber, obwohl diese Veränderung auch Galilei die volle Freiheit
zurückgab, sie schloß auch manche Nachteile in sich. Galilei verließ
Padua, wo ihm unbeschränkte Lehrfreiheit zugesichert war, wo er die
höchste Achtung der edelsten Venetianer genoß und wo er ein für seine
Zeit sehr beträchtliches Gehalt empfing, um sich in die Abhängigkeit
eines jungen Fürsten zu begeben, dessen Gunst leicht wechseln konnte
und der dem starken Einfluß der intrigierenden Jesuiten ausgesetzt war,
die von der venetianischen Republik ausgeschlossen waren. Als seine
besorgten Freunde ihn vor diesem Schritte warnten, weil sie künftige
Verfolgungen der römischen Kirche befürchteten, war es aber schon zu
spät.

»Im September desselben Jahres, gleich nach seiner Übersiedelung nach
Florenz, entdeckte Galilei, daß der Planet Venus, ebenso wie der
Mond, zu verschiedenen Zeiten verschiedene Lichtphasen darbiete. Er
fand weiter, daß der scheinbare Durchmesser des Mars und der Glanz
dieses Planeten merkwürdigen Veränderungen unterworfen seien. Bei
einem Besuche in Rom, im April 1611, zeigte er mehreren Kardinälen die
Sonnenflecke, die er beobachtet hatte, und aus der Bewegung dieser
Flecke schloß er die Achsendrehung des Sonnenkörpers. Er erwarb sich
in Rom rasch viele Freunde und Bewunderer und ebenso viele Feinde und
Neider. Der Kardinal del Monte erklärte zwar in einem Briefe an den
toskanischen Großherzog, daß man Galilei im alten Rom zweifellos eine
Ehrensäule auf dem Kapitol errichtet haben würde; aber das hinderte
Galileis Neider nicht -- da man ihm wissenschaftlich nichts anhaben
konnte --, ihn in den Ruf der Ketzerei zu bringen.

»Nach der Rückkehr von diesem römischen Besuch entdeckte Galilei die
Gesetze der Hydrostatik und erfand das Ding hier. Ein Mikroskop! Das
erste Mikroskop! Sie sehen, welch armseliger Mittel dieser große Mensch
sich bedienen mußte, um ein Mikroskop herzustellen, das er erst später
verfeinerte und besser ausarbeitete.

»Jetzt begannen aber auch die Anklagen, daß Galilei durch Verteidigung
und Ausbreitung des kopernikanischen Systems die Bibel angreife
und sich der Ketzerei schuldig mache, immer lauter zu werden. Die
Verwandten des Großherzogs Cosimo II. wurden mißtrauisch gegen Galilei
und schenkten den Einflüsterungen der Jesuiten immer mehr Gehör.
Galilei verteidigte sich, er sei zwar ein Anhänger des Kopernikus,
habe aber niemals die Bibel angreifen wollen, welche sich da, wo in
ihr von physikalischen und astronomischen Dingen die Rede sei, den
Vorstellungen und der Ausdrucksweise des Altertums anpasse, ohne diese
Vorstellungen als Glaubenslehren aufzustellen. Kopernikus selbst sei
von den Häuptern der Kirche immer als ein rechtgläubiger Katholik
angesehen worden und der Papst Paul III. hätte sogar die Widmung seiner
Bücher entgegengenommen. Aber bei den von Neid und Haß erfüllten
Gegnern Galileis schlugen diese Gründe nicht an. Besonders ereiferte
sich der Dominikanerorden, dem die Inquisition der Ketzer anvertraut
war. Der Mönch Caccini predigte 1614 in Florenz öffentlich gegen
Galilei und verhöhnte ihn und seine astronomischen Entdeckungen.
Galilei entschloß sich unaufgefordert im November 1615 eine zweite
Reise nach Rom zu machen, um sich dort vor den höchsten geistlichen
Behörden zu rechtfertigen. Er blieb bis in den Mai 1616 in Rom, wo er
von den Geistlichen und selbst vom Papste sehr wohlwollend empfangen
wurde; Galilei konnte aber nicht verhindern, daß das kopernikanische
System jetzt förmlich als der Heiligen Schrift widersprechend erklärt
wurde. Galileis oft leidenschaftlicher Eifer für die Sache der
Wahrheit scheint ihm in Rom mehr geschadet als genützt zu haben,
und der Großherzog von Toskana, der von allen Vorgängen in Rom wohl
unterrichtet war, fand es für die Sicherheit seines Freundes nötig, ihn
nach Florenz zurückzurufen.

»Als Urban VIII. aus dem Hause Barberini Papst wurde, der als
Kardinal Galilei sehr zugetan war und ihm 1620 sogar ein Lobgedicht
zugeschickt hatte, reiste Galilei abermals nach Rom, um den Papst
zu beglückwünschen. Er wurde sehr gnädig empfangen, reich beschenkt
und bei seiner Rückkehr mit einem belobenden Breve an den Großherzog
entlassen. Galilei hatte aber mit dieser Romreise noch einen anderen
Zweck im Auge. Obwohl er durch die förmliche Verdammung des Kopernikus
zum Schweigen über dessen System verurteilt war, hatte er im stillen
ein Werk über dieses System vorbereitet und er erhoffte von dem neuen
Papst die Erlaubnis zur freien Darlegung seiner Ideen. Man hielt ihn
aber mit unbestimmten Hoffnungen hin. Um seine Absicht durchzuführen,
machte Galilei 1628 und 1630 wiederholte Reisen nach Rom. Sein Werk
wurde von mehreren Zensoren beurteilt, in manchen Einzelheiten geändert
und endlich erhielt er die Erlaubnis zur Drucklegung. 1632 erschien
dieses Werk in Dialogform.

»Im Auslande habe man die Meinung verbreitet -- führt Galilei in diesem
Werke aus --, das Verbot, die Bewegung der Erde zu lehren, sei nicht
die Frucht reiflicher Überlegung, sondern leidenschaftlicher Aufregung,
und sei von Personen ausgegangen, denen die für das kopernikanische
System sprechenden Gründe nicht bekannt, oder die zum Urteil darüber
nicht befähigt wären. Um diese unbegründete Meinung zu widerlegen und
um zu zeigen, daß in Rom, wo er sich damals aufgehalten und mit den
vornehmsten Prälaten des päpstlichen Hofes über diesen Gegenstand
konferiert habe, alles hierauf Bezügliche so gut bekannt gewesen sei
als sonstwo, habe er nun sein Werk geschrieben, in welchem er alles
zusammenfasse, was sich ~gegen~ die gewöhnlichen Gründe für die
Unbeweglichkeit der Erde und was sich ~für~ das kopernikanische
System sagen lasse. Nur überwiegende religiöse Gründe, nicht Unkenntnis
und Leidenschaftlichkeit seien in Rom die Veranlassung gewesen, die
Unbeweglichkeit der Erde zum Dogma zu erheben und die entgegengesetzte
Meinung für eine bloße mathematische Laune zu erklären.

»Dadurch, daß Galilei der Sache diese Wendung gab, hatte er nun zwar
von der Zensur die Erlaubnis zum Drucke seines Werkes erlangt; wenn
er aber gehofft hatte, dadurch seine Feinde zu beschwichtigen oder
einer Anklage beim Inquisitionsgericht zu entgehen, so hatte er
sich bitter getäuscht. Sein Werk machte zu großes Aufsehen, sowohl
durch den Beifall, den es bei den aufgeklärten Zeitgenossen fand,
als durch die Menge von Gegenschriften, die es hervorrief. Auch ward
Galileis eigentliche Absicht, dem kopernikanischen System, trotz des
Verdammungsurteils, den Sieg zu verschaffen, selbst den beschränktesten
Mönchen sehr bald klar. Fanatismus und Verketzerungssucht waren bald am
Werk, um Galilei zu schaden. Urban VIII., das Haupt der katholischen
Kirche, hätte selbst beim besten Willen Galilei nicht länger zu
schützen vermocht. Er konnte den öffentlichen und geheimen Anklagen
gegen Galilei sein Ohr nicht länger verschließen.

»Schon im August 1632 berief man in Rom eine Kommission von Theologen
und Mathematikern zur Untersuchung zusammen, die allesamt bekannte
Widersacher Galileis waren. Der zweiundzwanzigjährige Ferdinand II. von
Toskana, der seinem Vater Cosimo II. im Jahre 1621 in der Regierung
gefolgt war, suchte vergeblich die drohende Gefahr von Galilei
abzuwenden. Er machte mit Recht geltend, daß Galileis Werk ja einer
mehrmaligen, strengen Zensur unterworfen und nach Vorschrift abgeändert
worden sei. Der Papst nannte aber die erlangte Erlaubnis zum Drucke
des Werkes eine erschlichene und berief sich auf das Dekret vom 16.
Februar 1616 -- hier sehen Sie es im Original mit der Unterschrift des
Papstes Paul V.! --, worin Galilei bei Androhung schwerer Kerkerstrafe
verboten wird, fernerhin die kopernikanische Lehre zu verteidigen.
Papst Urban war in großen Zorn geraten. Die Untersuchung gegen Galilei
wurde unterdessen ganz im stillen weitergeführt; nicht einmal die Namen
der ernannten Untersuchungskommissarien wurden bekannt. Ende Oktober
desselben Jahres erhielt Galilei die Vorladung, sich zum Verhör in
Rom einzustellen. Er suchte nun zwar Aufschub zu gewinnen, indem er
sein hohes Alter, seine Kränklichkeit und die Beschwerlichkeit der
an der Grenze des Kirchenstaates abzuhaltenden Quarantäne geltend
machte. Allein, seine Bitten blieben fruchtlos; Galilei mußte sich
zur Reise entschließen und am 13. Februar 1633 langte er in Rom an.
Er stieg in der Villa Medici, dem toskanischen Gesandtschaftshotel,
ab, und stellte sich in den nächsten Tagen einigen Kardinälen und
Assessoren des Inquisitionsgerichts vor, die er ziemlich wohlgesinnt
fand, von denen er jedoch den Rat erhielt, äußerst zurückgezogen zu
leben und nur die zwingendsten Besuche anzunehmen. Galilei erfuhr, der
Hauptvorwurf, den man ihm mache, sei die Übertretung des Befehls vom
Jahre 1616, gar nicht mehr über das kopernikanische System zu sprechen.
Galilei behauptete aber, es sei ihm damals nur verboten worden, jenes
System zu verteidigen und sein Werk sei keine Verteidigung, sondern
nur eine Zusammenstellung der Gründe für und gegen die Sache. Endlich
am 12. April 1633 wurde Galilei vor das Gericht geführt. Er mußte
nun im Inquisitionsgebäude bleiben, wurde jedoch in kein Gefängnis
gesperrt; er durfte vielmehr in den Zimmern des Gerichtsfiskus
wohnen, konnte seinen eigenen Diener behalten, es war ihm erlaubt, im
Hofe des Hauses spazierenzugehen -- lauter Vergünstigungen, die beim
Inquisitionsgericht ganz unerhört waren. Gleich bei dem ersten Verhör
scheint ihm jedoch unter Strafe der Exkommunikation das Versprechen
abgenommen worden zu sein, über das, was mit ihm vorginge, das
strengste Stillschweigen zu beobachten.

»Nachdem er achtzehn Tage in dieser Abgeschlossenheit zugebracht hatte,
erbat sich Galilei ein neues Verhör; er sagte aus: Seit drei Jahren
habe er sein Werk über Kopernikus nicht wieder gelesen; jetzt sei er
durch diesen Prozeß veranlaßt worden, es nochmals genau durchzusehen,
um gewissenhaft zu prüfen, ob nicht gegen seinen Willen etwas aus
seiner Feder geflossen sei, was man ihm als Ungehorsam gegen die Kirche
auslegen könne. Er habe nach so langer Zeit sein Buch wie das eines
anderen Verfassers durchstudiert und nun allerdings gefunden, daß
es Stellen enthalte, welche einen Leser, der ihn nicht genau kenne,
zum Glauben verleiten könnten, der Verfasser habe die Gründe für die
Meinung, die er ~widerlegen~ wollte, darum so beredt vorgetragen,
damit man diese Meinung als die richtige ~annehme~. Gestatte man
es, so wolle er eine Fortsetzung schreiben, worin er die falsche und
von der Kirche verdammte Lehre mit den kräftigsten Gründen, die Gott
ihm eingeben werde, widerlegen wolle. In bezug auf die Erlaubnis zum
Drucke seines Werkes habe er alles getan, wozu ihn das frühere Dekret
verpflichte. Doch wolle er sich nicht von Irrtum freisprechen, wohl
aber von List und Bosheit; er klage sich selber des Ehrgeizes an, seine
Kunst in Darlegung der Gründe für das kopernikanische System beweisen
zu wollen. Man möge sein hohes Alter, seine Kränklichkeit, seinen
seit zehn Monaten erlittenen Kummer, die Beschwerden der Reise, die
Verleumdungen, denen er ausgesetzt sei, mit in Erwägung ziehen.

»An demselben Tage, an dem dies Verhör stattgefunden hatte,
wurde Galilei wieder in die Villa Medici zurückgesandt, um seine
Gesundheit zu stärken. Erst am 22. Juni mußte er abermals vor dem
Inquisitionsgericht erscheinen. Man behielt ihn diesen Tag und die
folgende Nacht dort und führte ihn dann in das Dominikanerkloster
+alla Minerva+, wo ihm sein Urteil eröffnet wurde. Es erklärt
ihn für schuldig, ketzerischen Meinungen in betreff der Bewegung der
Erde, angehangen zu haben; es spricht ihn aber von den auf ein solches
Verbrechen gesetzten Strafen unter der Bedingung frei, daß er seine
physikalischen und astronomischen ›Irrtümer‹ abschwöre und verfluche.
Ferner solle sein Werk über das ptolemäische und kopernikanische
Weltsystem durch eine öffentliche Bekanntmachung verboten und
Galilei selbst auf eine vom Gericht nach Willkür zu bestimmende Zeit
gefangengehalten werden. Die nächsten drei Jahre hindurch solle Galilei
wöchentlich einmal die sieben Bußpsalmen rezitieren. Schließlich behält
sich das Gericht vor, diese Strafen und Bußen nach seinem Gutdünken zu
verändern oder zu mildern.

»Es wird erzählt, daß Galilei, welcher die Abschwörung seiner Lehren
kniend leisten mußte, während er sich wieder erhob, halb laut gesagt
haben soll ›+e pur si muove+‹! (›und sie -- die Erde -- bewegt
sich doch!‹). Aber eine so gefährliche Äußerung im Munde eines damals
so tief gebeugten Greises ist ziemlich unwahrscheinlich.

»Freilich haben sie ihn nicht ganz mundtot machen können. Der
Name dieses Erforschers der Sterne war inzwischen selber zu einem
leuchtenden Gestirn geworden am Himmel des Ruhmes, und sie konnten ihn
nicht gut auslöschen. Sie nahmen ihm zwar einen großen Teil seiner
›teuflischen Instrumente‹ fort, mit denen er in den Werken Gottes
herumspionierte, aber sein Genie konnten sie ihm nicht nehmen.

»Der Papst verwandelte die im Urteile ausgesprochene Gefängnisstrafe in
Haft und später erhielt er die Erlaubnis, sich in die Nähe von Florenz
auf sein Landgut zu Arcetri zu begeben, wo er auch die Besuche seiner
Freunde annehmen durfte; nur große Gesellschaften dort zu empfangen,
war ihm untersagt. Arcetri scheint Galilei vorzüglich darum zu seinem
Aufenthalte gewählt zu haben, weil es ganz nahe bei dem Kloster lag, in
welchem seine beiden natürlichen Töchter als Nonnen lebten. Zu seinem
tiefsten Schmerze starb die älteste dieser Töchter schon im April 1634.
Gleichzeitig mit diesem Familienunglück traf ihn eine harte abschlägige
Antwort aus Rom auf seine Bitte um die Erlaubnis, von seiner Villa aus
zuweilen das eine Meile entfernt gelegene Florenz besuchen zu dürfen.
Es wurde ihm sogar mit Strafen gedroht, wenn er wieder solche Bitten
wage.

»Aber seine Gefangenschaft -- wie anders soll man ein Leben voller
Kummer unter beständiger jesuitischer Aufsicht nennen? -- seine
Gefangenschaft konnte nicht verhindern, daß er seine Studien
fortsetzte, daß er die schwankenden Bewegungen der Mondkugel entdeckte
und die Gesetze der Kohäsion aufstellte. Freilich muß man nicht
glauben, daß er unter all den Verfolgungen und Kränkungen nicht
schrecklich gelitten hätte. Werfen Sie nur einen Blick auf diese
Terrakottabüste, die aus seinen letzten Jahren stammt; ich besitze
verbürgte Nachrichten darüber, daß sie dem lebendigen Menschen am
nächsten kommt und daß sie den getreuesten Eindruck von Galileis
Physiognomie gibt. Ist sie nicht ein ebenbürtiges Abbild seiner
vergällten Seele? Galilei erinnert hier an einen Jupiter, dessen Stirn
von schweren Sorgen umwölkt ist. Wie immer bei genialen Menschen sind
auch in seinen Zügen wunderbare Größe und tiefstes Leid vereint. Krank
an Leib und Seele erwartete Galilei schon damals den Tod.

»Seine Freunde sorgten jetzt für Verbreitung und Druck seiner gelehrten
Arbeiten im Auslande, während die römische Inquisition überall, wo
sie Einfluß besaß, den Druck neuer Werke Galileis verbot. Aber diese
entwicklungsfeindlichen Inquisitoren vermochten, trotz aller Ränke,
nicht den Fortschritt des menschlichen Denkens aufzuhalten; die
Verfolgungen Galileis machten seinen Namen und seine Lehren erst recht
berühmt.

»Schon seit 1632 hatte Galilei an den Augen gelitten, war aber immer
wiederhergestellt worden; allein im Jahre 1637 erblindete zuerst
sein rechtes Auge und bald auch das linke. Ein Jahr vorher hatte
Galilei seinem Freunde, dem Grafen von Noailles, ein neues größeres
Werk über Mechanik überreicht, die ›+Discorsi e dimostrazioni
matematiche intorno a due nuove scienze+‹, in welchem die ›beiden
neuen Wissenschaften‹, die Lehre vom Widerstande fester Körper beim
Zerbrechen und Zerreißen, und die Theorie der Bewegung, nicht nur der
gleichförmigen, sondern auch der beschleunigten, niedergelegt waren.
Mit Recht schätzte Galilei selbst diese +Discorsi+ höher als
alle seine übrigen Werke, denn hier offenbart sich am meisten sein
Talent zur Erforschung der Naturgesetze unter der sicheren Leitung
der Mathematik. Während seine vielfachen astronomischen Entdeckungen
doch eigentlich nur Früchte aufmerksamer Beobachtung waren, die
nach der Erfindung des Fernrohres jedem zufallen mußten, der zuerst
hinreichenden Fleiß darauf verwendete und die darum auch von vielen
anderen Beobachtern als ihre Entdeckungen in Anspruch genommen wurden,
entwickelte Galilei in diesen +Discorsi+, unbestreitbar als der
Erste, die Gesetze des freien Falles, als auch des Falles auf gegebenen
Flächen und Kurven, die Bahn geworfener Körper, die Schwingungen
des Pendels und der tönenden Körper, und die Gesetze der Bewegung
überhaupt. Dies Werk ist daher die Grundlage der Akustik, Ballistik, ja
der gesamten Dynamik der neueren Zeit.

»Am 8. Januar 1642 setzte ein schleichendes Fieber seinem Leben ein
Ende. Galileis Leichnam wurde in dem Familienbegräbnisse der Galilei
in Florenz in der Kirche S. Croce beigesetzt. Als seine Verehrer ihm
dort ein Denkmal setzen wollten, verhinderte es die Inquisition. Selbst
noch im Tode war Galilei diesen Henkern im Wege. Erst 1674 durfte über
seinem Grabe

[Illustration: Der schiefe Turm zu Pisa, von dessen Höhe Galilei Körper
verschiedenen Gewichts herabfallen ließ.]

eine Ruhmestafel angebracht werden und 1737 wurde ihm dort ein
Ehrendenkmal aus Marmor errichtet.

»Ich habe es noch vor mir, die Geschichte seines Lebens zu
schreiben, über das ich durch zahlreiche Notizen, die von Galilei
selbst herrühren, reichen Aufschluß erhalten habe. Er muß ein sehr
liebenswürdiger Mensch gewesen sein; er war wohltätig und gastfrei,
standhaft im Leiden, reizbar, aber leicht versöhnlich, mitteilsam
und offen und erst im Alter melancholisch und schweigsam. Da er
angenehm zu unterhalten verstand, war er einer der wünschenswertesten
Gesellschafter. Und erfüllt es nicht mit Bewunderung, zu sehen, wie
dieser Mann neben all seinen Arbeiten noch Zeit übrig hat, den Pegasus
zu reiten und sein Gemütsleben in Verse zu bannen?! Auch von diesen
besitze ich die unveröffentlichten Originale. Er war ein Freund und
Kenner der schönen Künste, sowie der Literatur; nicht allein der
alten, sondern auch der italienischen. Er liebte das Landleben und
beschäftigte sich besonders gern mit der Kultur des Weinstocks. Und
dann, wie viele philosophische Abhandlungen habe ich von ihm im
Manuskript! Er war als Philosoph nicht minder groß, denn als Physiker.
Aber letzterdings mußten ihm seine Augen doch alles sein, die nicht
aufhören wollten, die Tiefen des Himmels zu ergründen. Manche meinen,
seine Erblindung sei den anstrengenden Beobachtungen der Sonnenflecke
und der Mondesoberfläche zuzuschreiben. Vielleicht war es aber auch
die Strafe für seine Vermessenheit, daß Gott ihn endlich mit Blindheit
schlug. Gewiß schmerzte ihn aber der Tod seiner Augen nicht einmal so
sehr, wie ihn die geistige Blindheit seiner Peiniger quälte. Studieren
Sie ihn und je größere Gesichtspunkte Sie nehmen, desto näher werden
Sie ihm kommen.

»Die meisten freilich -- ich habe in den Galerien vor Michelangelos
Bildwerken, vor Raffaels Gemälden Gelegenheit genug, die unerhörtesten
internationalen Salbadereien anzuhören -- die meisten finden es
bequemer, zu fragen: Wo war dieser Mensch, dieser Künstler,
dieser Forscher klein? Wie schlaue Detektive spüren sie den großen
Renaissancemenschen persönliche kleine Dinge nach, gleichsam um
die Menschen herabzuziehen. Hat Michelangelo nicht doch irgendeine
Schwäche gehabt? Hat er nicht irgendeine Gemeinheit begangen? Wie mit
Bleigewichten sind sie von einem schalen Kleinkramwissen belastet und
vermögen deshalb nicht unterzutauchen in den Geist der Renaissance. Sie
erinnern mich an das Wort Heines: ›Nur wenn wir im Kot uns fanden, so
verstanden wir uns gleich.‹ Natürlich hatte auch Galilei seine Fehler;
hat er doch tatsächlich im Jahre 1633 einen Meineid geleistet und auf
den Knien seine ganze Lehre abgeschworen. Gewiß, dieser Meineid ist
ein Flecken in seinem reinen Leben. Aber zweierlei ist zu bedenken:
dieser Meineid rettete ihm das Leben, das noch einen außerordentlichen
Wert erhielt durch die Herausgabe der berühmten ›+Discorsi+‹, auf
denen die moderne Physik begründet ist. Und dann, vergessen wir doch
nicht, daß Galilei auch der Erste war, der selbst in der Sonne Flecken
entdeckt hat ...«

Der Graf war zu Ende.

Es ist wahr, daß die Nachwelt den großen Menschen einen Legendenkranz
ums Haupt flicht. Wir wollen diesen Kranz nicht zerreißen, wollen den
Duft nicht fortnehmen, der die Helden der Menschheit umgibt, so wie
eine edle Patina auf alten Bronzen lagert und ihre Ehrwürdigkeit noch
erhöht.

Große Männer gleichen jenen erhabenen Bergesgipfeln, für die wir erst
in der Entfernung den richtigen Standpunkt gewinnen, wo man sie denn
hoch über alle Bergketten emporragen sieht.




                       Die Jungfrau von Orleans.


Der Glaube an das Dasein einer übernatürlichen Welt wurzelt urtief
im menschlichen Gemüt. Aus diesem Glauben und aus dem Glauben an
Wunder und an die Gewalt des Satans über den Menschen wurde auch der
Aberglaube an Zauberei geboren, der sich von Jahrhundert zu Jahrhundert
immer mehr entwickelte, und im Mönchstum und in der Unwissenheit die
stärksten Stützen gefunden hat. Weil in der Bibel die Zauberei öfters
mit dem Tode bedroht wird und von zauberischen und übernatürlichen
Dingen vielfach die Rede ist (die Wundertaten des Moses und der
ägyptischen Sterndeuter, Bileams Esel, die Hexe von Endor usw.), so war
ein Zweifel, daß es Hexen und Zauberer gab, ganz ausgeschlossen. Und
wenn durch Bileams Esel ein Engel redete, warum sollten die Hexen sich
nicht in Katzen und Werwölfe verwandeln können, durch die der Teufel
sprach? Gerade die Mönche brüteten hinter ihren Klostermauern die
abenteuerlichsten Hirngespinste aus. Sie gaben den Phantasiegebilden
des Volkes bestimmte Gestalt. Sie schilderten die Teufel mit
unheimlichen dicken Köpfen, langgezogenen Hälsen, hagergelben
Gesichtern, langen schmutzigen Bärten, Pferdezähnen und Pferdefüßen,
feurigen Augen, glühenden Schlünden, breiten Mäulern, knotigen Knien,
krummen Beinen, geschwollenen Knöcheln und verkehrten Füßen. Und
ungeachtet dieser scheußlichen Ungeschlachtheit schlüpften sie durch
Türen, Gitter und Ritzen und störten den Andächtigen und Betenden.

Die Mönche waren die ausübenden Zauberer. Sie gaben sich als
berufsmäßige Wundertäter aus, weil sie danach trachteten, dem Volke,
das im geheimen noch immer den alten heidnischen Gottheiten anhing,
diese zu verleiden, und die Wunder Christi, der Propheten und der
Heiligen besonders glaubhaft zu machen. Sie, die Diener Gottes,
vermochten allein Gott zu versöhnen -- denn die Krankheiten galten
damals ja nur als Strafen des Ewigen für begangene Sünden -- und die
Mönche allein hatten die Kraft, die Dämonen durch Vaterunser, durch
Salbung, Händeauflegen, Anrufen des Jesunamens zu bannen. Wenn der
Mensch von Gott erschaffen worden ist, so kann Gott nicht wollen, daß
sein Geschöpf leide, denn Gott ist die Güte. Leidet der Mensch aber
dennoch, so ist es der Böse, der Teufel, welcher im kranken Leibe mit
Gott kämpft. Wenn aber Gott und Satanas sich streiten, ist natürlich
der Mensch der Prügelknabe. Daher also die Schmerzen. Aber dieser
vom Teufel Besessene bekommt nun nicht etwa ein Mittel gegen seine
Schmerzen, sondern mit Gebet und Buße, mit Opferung und Weihrauch wird
der Teufel ausgetrieben. Zauber- und Segensprüche, Beschwörungsformeln
und Reliquien waren in jenen Zeiten an der Tagesordnung. Die Mönche
mußten eben zu groben Mitteln greifen, um die Reste des Heidentums
auszurotten.

Es muß in den Köpfen jener Zeit sehr seltsam ausgesehen haben. Man
glaubte, daß der Papst nicht esse und trinke; daß alte kranke Weiber
Hexen seien, die auf hohe Berge ritten, und mit teuflischen Geistern
dämonische Kinder zur Welt brächten; daß Werwölfe verwandelte Hexen
wären. Man glaubte, daß es Teufelssalben gäbe, denen eine zauberische
Wirkung innewohnte; daß es einen Alp gäbe, der wie ein wilder
Orang-Utan aussehe und nachts die Menschen quäle; daß Hexen Ungewitter
hervorrufen könnten; daß sie nachts die Euter der Kühe leer tränken;
daß verschluckte Kirschenkerne im Magen zu keimen begönnen. Man liest
von Besessenen, die vor den Altären der Heiligen Urnen voll Münzen
erbrachen. Man erfährt, daß die Muskatnuß kräftiger werde, wenn sie
der Mann bei sich trage; daß das Ungeziefer aus Fäulnis entstehe; daß
die Wunde eines Ermordeten zu bluten beginne, wenn der Mörder sich dem
Leichnam nähere.

Die Hexen verschrieben sich dem Teufel mit einem Tropfen Blut oder
durch einen Nagel, ein Haar, einen Strohhalm, eine Nadel, eine
Nuß, einen Kirschkern. Auch sie geben sich mit Besprechungen,
Zeichendeutungen und anderen Zaubereien ab. Sie haben den Mond in der
Gewalt und machen Ebbe und Flut. Sie streichen mit Rabenfedern bösen
Tau vom faulen Moor und würgen Schweine. Sie schwimmen im Sieb übers
Meer und entfesseln Stürme. Der Wind ist ihnen untertan. Sie zaubern
dem Menschen Auszehrung an. Sie sind mordsüchtig und entstellen den
Leib. Sie reiten die Menschen und saugen ihnen das Herzblut aus. Sie
sind prophetisch begabt. In den Tagen, in die die Geburt Jesu fällt,
krähen die Hähne die ganze Nacht, die Geister dürfen nicht spuken, die
Hexen nicht zaubern. Die bangen ruhelosen Seelen Ertrunkener und am
Scheidewege Begrabener müssen nachts umherirren. Auch Menschen, die
während ihrer Lebenszeit Geld erpreßt haben, finden im Grabe keine
Ruhe. Sie müssen nachts wandern, bis sie ihre Sünden gebüßt haben.
Am Nordpol wohnen die bösen Geister; die guten Geister bringen den
Menschen, während sie schlafen, Segen ins Haus. Beim Mondlicht ziehen
die Feen und Zwerge geheimnisvolle Kreise auf dem Rasen, von denen das
Schaf nicht frißt. Zanken sich die Geister, dann steigen böse Nebel
vom Meere ans Land und erzeugen Fieber; Bäche wachsen zu verheerenden
Strömen an; der Bauer pflügt und sät umsonst; die Schafe erkranken in
der Hürde; Krähen fliegen; auf den Waldwegen wächst dichtes Unkraut
-- kurz eine ganze Brut von Plagen entsteht. Die Elfen benaschen
Milchtöpfe, necken die Mägde, verderben den Brei, lassen die Butter
mißraten, erschrecken nächtliche Wanderer durch Lachen und leiten sie
irre. Sie locken den Hengst, indem sie das Wiehern der Stute nachahmen;
verwandeln sich in einen Schemel und fliegen gerade dann weg, wenn sich
jemand darauf setzen will. Sie verwirren nachts die Mähne der Pferde
und flechten ihnen Weichselzöpfe, die, wiederum entwirrt, auf Unglück
deuten. Aus all diesen Gründen bittet man um Schutz vor den Elfen und
Kobolden. Sie sind unsterblich. Sie wandeln über den Gischt des Meeres
und tanzen auf dem Rücken des Nordwindes. Bald sind sie Feuergeister,
die Schrecken bringen und sich in einen zuckenden Blitzstrahl
verwandeln; bald sind sie lockende, singende Sirenen. Bald ahmen sie
die Schalmei nach und bald tolles Hundegekläff; bald den Hahnenschrei,
bald das Wellenplätschern. Sie können sich unsichtbar machen. Sie
finden ihren Weg im Dunkeln. Wer aber durch Forschungen Herrschaft
über die Geister erlangt hat, vermag gleichfalls Stürme zu entfesseln,
die Sonne zu verdunkeln, das Meer aufzupeitschen, Bäume zu entwurzeln,
Berge zittern zu machen und Tote aus ihren Grüften zu rufen und sie
wieder zu beleben. Ein Zaubermantel ist sein. Was man auf der Erde
erblickt, gehorcht ihm. Auf seinen Wink dorrt und verwelkt alles, was
grünt; sobald er will, muß der Fels Wasser spenden und aus trockenen
Klippen sprudeln reiche Quellen. Die reißenden Wasserwogen verwandelt
er zu Brücken; die Winde gehorchen ihm. Ihm gehorchen die Ströme und
die wilden Tiere.

Aber den Hexen gelingen Wunder und Untat erst, nachdem sie den
zauberischen Sud gebraut. Die Hexen haben es vom Teufel gelernt.
Sie nahmen Fett von toten Kindern, vermischt mit Epich, Wolfswurz,
Alberbaumzweigen, Ruß, Kalmus, Fünffingerkraut und Fledermausblut.
Zuweilen kochten sie einen Brei aus Kinderfleisch, Mohn, Judenkirschen
und Schierling. Sie bestrichen damit den Besen, die Ofengabel und
den ganzen Leib, setzten sich auf den Besen oder auf die Ofengabel,
murmelten die Hexenformel »Obenaus und nirgends an« und flogen zum
Schornstein hinaus. Zuweilen führte sie auch der leibhaftige Teufel
durch die Lüfte davon. Wenn die Katze miaute, das Käuzchen wimmerte,
der Igel quiekte, der Uhu ächzte und der Rabe krächzte, war die Stunde
reif. Daß die Hexen sich dieser Salbe bedienten, ist eine historische
Tatsache; daß sie wirklich zum Kamin hinausflogen, ist natürlich
Unsinn. Die Salbe, mit der die Hexen sich einrieben, hatte eine
schlaferregende und betäubende Wirkung und viele Richter und Ärzte
beobachteten Hexen, die nach Anwendung der Salbe in Schlaf fielen und
nach ihrem Wiedererwachen von Schornsteinfahrten, Satansmessen und
Hexentänzen fabelten, obgleich sie sich in ihrem ohnmächtigen Schlafe
nicht von der Stelle gerührt hatten. Die Salbe hatte nur diese starken
Träume bewirkt und ausgelöst.

Als Ort der Hexenzusammenkünfte war gewöhnlich ein hoher Berg
ausersehen oder eine tief in der Erde verborgene Höhle; die Gruft toter
Mörder. Auf ihrem Ritt durch die Lüfte, bedienten sie sich auch der
Harken und Böcke.

Der Teufel zeichnete seine Knechte und Dienerinnen mit besonderen
Mälern, Auswüchsen und Beulen; stach man in solch ein Satansmal hinein
-- die Richter taten es stets --, so gaben sie, wenn man wirklich
Teufelsmägde vor sich hatte, kein Blut von sich.

Es wurde schon erwähnt, daß nicht nur das gemeine Volk von solchen
abergläubischen Vorstellungen durchsetzt war, sondern auch die
Aristokratie des Landes bis hinauf zum Könige.

Alle aus jener Zeit veröffentlichten Akten, Bücher und Briefe sprechen
fortwährend von Marter, Folterbank, Hängen, Rädern, Köpfen; aber es
wird dabei nicht sehr viel Gemüt verschwendet. Stirbt jemand plötzlich,
so denkt man in den meisten Fällen an Giftmord; natürliche Ursachen
scheinen ausgeschaltet. Ein Sprichwort jener Tage lautet: »Wer mit
dreiundzwanzig Jahren nicht starb, mit vierundzwanzig nicht ertrank,
und mit fünfundzwanzig nicht gemordet wurde -- muß Gott für das Wunder
danken«. Wird jemand aus nicht deutlich erkennbaren Ursachen krank
oder zeigt jemand einen besonderen Grad von Leidenschaft, so denkt man
zuerst an Zauberei. Man verachtete und verdammte zwar die Zauberer und
Zauberinnen, aber man glaubte an sie.

Wenn man sich nicht vorsah, hatten einem die verschrienen Weiber, die
es mit dem Satan hielten, die schönste Krankheit angehext. Sogar
Luther schrieb an den Kurfürst Johann von Sachsen: »Keine Krankheit
kommt von Gott, der gut ist und jedermann alles Gute tut, sondern kommt
vom Teufel, der alles Unglück stiftet und anrichtet.« Die Hexen, die
Wurzeln des Übels, mußten also mit Feuer ausgerottet werden, sowie
man Baumwurzeln ausrodet. Die Ärzte jener Zeit, die den behexten
Kranken weder Rat noch Heilung zu bringen vermochten, riefen in ihren
medizinischen Werken mit vereinten Kräften nach dem Henker. Sie sind
von der Teufelskraft der Hexen durchdrungen und verlangen im Namen
der ganzen Menschheit deren Tod durch Feuer und Wasser. Sie halten es
geradezu für ein Verbrechen, wenn die christliche Obrigkeit sich nicht
bemüht, diese Ungeheuer vom Erdboden zu vertilgen.

Und in der Tat war ja auch der Hexenprozeß durch die immer häufiger
werdenden Anklagen wegen Zauberei endlich eine weltgeschichtliche
Einrichtung geworden; am Ebro wie am Rhein, an der Themse wie an
der Seine, in den Alpen wie an den Meeresküsten, in katholischen
wie in protestantischen Ländern loderten die Scheiterhaufen für
denselben Wahn. Im Kurfürstentum Trier allein wurden in wenigen Jahren
sechstausendfünfhundert Menschen, im Brandenburgischen zwölfhundert,
im Würzburgischen zweihundert und in Lothringen neunhundert Menschen
hingerichtet, die der Zauberei angeklagt waren.

Die Grausamkeit, mit welcher die Hexen gefoltert wurden, kannte
keine Grenzen. Unter den Marterinstrumenten kommen die Presse, die
Schraube, Stricke, der Bock, das Pferd, die Leiter, das Halsband,
der spanische Kragen, der dänische Mantel, die englische Jungfrau,
die braunschweigischen Stiefel und andere fürchterliche Dinge vor,
die die Qual des Verurteilten in niederträchtig raffinierter Weise
verlängerten. Man goß ihnen siedend-heißes Öl oder auch Teer auf die
nackten Gliedmaßen, trieb ihnen Nägel unter die Fußnägel, röstete
sie mit brennenden Kerzen unter den Armen, hing sie an ihren Zöpfen
tagelang auf.

Um die Hexen leichter zum Bekenntnis zu bringen, wurde ihnen vom
Henker die Hexensuppe gereicht: ein Getränk aus Bier, geriebenem Brot,
Hechtgalle, schwarzem Kümmel, gestoßenen Knochen verbrannter Hexen, das
Ganze stark gesalzen. Sie mußten ein Hemd aus Werg anziehen, das an
einem Tag gesponnen, gewebt und genäht worden war. Ein Amulett wurde
ihnen umgehängt.

Wenn die Angeklagten wirklich Hexen waren und mit dem Satan im Bunde
lebten, so hätte er sie ja auch aus der Hand der Richter befreit, hätte
ihnen die Folter erspart und sie vom Scheiterhaufen errettet -- dieser
sehr einfache Gedanke wurde von den Einsichtigen immer wieder, aber
freilich vergeblich, den verblendeten Richtern, Priestern und Bütteln
vorgehalten. Es fiel den Abergläubischen auch nie auf, daß die als
Hexen Verschrienen häufig ~alte~, ~arme~ Weiber waren, was
sie ja nicht gewesen wären, wenn sie vom Teufel Jugend und Reichtum
verlangen konnten, und daß keine einzige Hexe versucht hatte, sich vor
Gericht unsichtbar zu machen, obwohl man sie doch gerade ~dieser~
teuflischen Kunst wegen verbrannte.

In dieser Zeit, in der solche Vorstellungen aber im Schwange waren,
lebte auch die Jungfrau von Orleans und wir werden jetzt sehr viel
leichter verstehen, warum auch sie endlich dem Aberglauben ihrer
Zeitgenossen zum Opfer fallen mußte.

                   *       *       *       *       *

Johanna war am Dreikönigstage, dem 6. Januar 1412 im Dorfe Domremy, am
linken Ufer der Maas, geboren. Sie war oft Zeuge, wie sich die Kinder
ihres Dorfes für die Sache des Königs mit denen des nahen Dorfes Maxey
schlugen, das zur englischen Partei hielt. Sie wuchs still und fromm
auf, von ihrer Mutter Isabella häuslich erzogen. Ihr Vater, Jakob,
war Bauer mit einem kleinen Vermögen. Von einer jüngeren Schwester
Katharina, sowie von dem ältesten Bruder Jakob wird wenig erzählt; die
beiden anderen Brüder, Johann und Peter, folgten Johanna später in den
Krieg. Ob sie als Kind die Herde gehütet, konnte sie sich später nicht
entsinnen. Wohl aber rühmte sie sich im späteren Verhör zu Rouen, daß
ihre Mutter sie nähen gelehrt habe und daß es in ganz Rouen wohl keine
Frau gäbe, die ihr darin etwas zu zeigen habe. Lesen und schreiben
konnte sie nicht; den Religionsunterricht erhielt sie allein von ihrer
Mutter. Er beschränkte sich auf das Vaterunser, das Ave Maria und
das Kredo. Alle Zeugen aus ihrem Hause rühmten ihr gutes Herz; sie
pflegte die Kranken und beschenkte die Armen. Sie war so mildtätig und
gutherzig, daß die Vögel ihr aus der Hand pickten.

Daß Wundergeschichten und Legenden auf sie eingewirkt haben, ist
ziemlich sicher anzunehmen. Von einem nahen Walde bei Domremy gingen
allerlei Sagen, daß dort Feen hausten und daß sie besonders eine Quelle
bei einer Buche liebten, die man den »Baum der Damen« nannte. An ihren
Zweigen hingen die Kinder geweihte Kränze auf. Daneben lief eine alte
Prophezeiung des Zauberers Merlin durch die Lande, die besonders in
Johannas Heimat so erzählt wurde: Durch eine Frau sei Frankreich
zugrunde gegangen -- gemeint war die verschwendungssüchtige, sittenlose
und intrigante Königin Isabella --, durch eine Jungfrau werde es wieder
gerettet werden.

Zu alledem gesellten sich die Schrecken des Krieges; arme Flüchtlinge
kamen ins Dorf, denen Johanna ihr Bett abtrat, um selbst auf dem
Getreidespeicher zu schlafen. Einmal mußte auch Johanna mit ihren
Eltern und Nachbarn vor den wilden Kriegshorden flüchten, und als sie
zurückkehrten, war das Dorf verwüstet, ihr heimatliches Haus zerstört,
die Kirche niedergebrannt.

Johanna empfand das Schreckliche und Barbarische des Krieges inniger
und schmerzvoller als die andern. Sonst merkte man ihr nichts
Außerordentliches an. Sie war nur in sich gekehrt und sehr schüchtern.
Und vielleicht war nur das eine an ihr auffällig, daß sie oft zur
Kirche ging und beichtete, obwohl sie noch ein Kind war und nichts zu
beichten haben konnte.

Sie war erst zwölf Jahre alt. Die bayerische Isabella hatte durch den
Vertrag von Troyes 1420 Frankreich an den König von England verraten,
indem sie Heinrich V. von England zum Erben Frankreichs einsetzte und
ihm ihre Tochter Katharina zur Gemahlin gab. Karl VI. von Frankreich
war 1422 gestorben und sein Sohn, der rechtmäßige Nachfolger, irrte,
um sein Reich betrogen, machtlos von Stadt zu Stadt und von Schloß
zu Schloß. Da war Johanna an einem Sommertag, an dem gefastet werden
mußte, mittags im Garten des elterlichen Häuschens, als sie plötzlich
einen Heiligenschein gewahrte, aus dem sie eine Stimme vernahm, die
also sprach: »Johanna, sei immer und immer ein gutes, folgsames Kind
und gehe oft zur Kirche!« Johanna erschrak sehr; die Stimme kehrte aber
öfters wieder. Der Heiligenschein nahm immer mehr körperliche Gestalt
an, bis Johanna später in der Lichterscheinung den Erzengel Michael
erkannte.

Sie wuchs, wurde kräftig und schön, voll sanfter Milde und es ging
ein Zauber von ihrer Erscheinung aus, mit dem sie in der Folge den
wildesten Krieger beschämen und umwandeln konnte. Aber sie blieb
dennoch das Kind, das sie war, obwohl ihr Geist reifte und immer
hellseherischer wurde. Die Stimmen, die in ihr sprachen, wurden in
demselben Maße, wie sich das Elend des Landes steigerte, immer lauter
und eindringlicher. »Johanna!« mahnte es in ihr, »eile dem König von
Frankreich zu Hilfe und du wirst ihm sein Königreich zurückerobern.«
Und sie antwortete zitternd und zag: »Gestrenger Herr, ich bin nur ein
armes Mädchen, ich kann weder reiten, noch Reisige führen.« Die Stimme
erwiderte: »Geh zu Baudricourt, dem Hauptmann von Vaucouleurs, der wird
dich zum König führen lassen. Die heilige Katharina und die heilige
Margarete werden dir beistehen.« Da blieb sie bestürzt stehen und
weinte, als hätte sie ihr ganzes Schicksal schon vor Augen gesehen. Der
heilige Michael erschien ihr aber wieder und flößte ihr Mut ein. Er
sprach zu ihr von dem Jammer, der in Frankreich laut wurde; dann kamen
die heiligen Frauen von himmlischem Glanz umgeben und sprachen zu ihr
mit rührender Stimme, daß sie in Tränen ausbrach.

Und nun begann in ihrem Innern ein harter schmerzlicher Kampf, der fünf
Jahre dauerte. Das fromme, schüchterne und arbeitsame Kind sollte die
traute Heimat, die Gespielinnen der Jugend und den väterlichen Garten
verlassen; sollte nicht mehr die Stimmen der Eltern und Geschwister
vernehmen, sondern nur noch die erschütternden Stimmen der Heiligen.
Das Kind, das bei jedem Wort, das ein Mann zu ihm sprach, errötete,
sollte in das wilde Kriegsgetümmel, sollte sich unter die rauhen
Soldaten mischen, unter diese wilden, groben, ungebildeten Leute,
die mit schreiend bunten Gewändern und mit dreister Rede prahlten,
die nur danach trachteten, so trunken als möglich zu sein und sich
reichste Beute zu sichern. Und vor allem mußte Johanna, um den inneren
Stimmen zu folgen, dem geliebten Vater ungehorsam werden, der, als
er zum ersten Male von Johannas Vorhaben hörte, zornig in die Worte
ausbrach: »Wenn ich glauben könnte, daß sie so etwas täte, würde ich
sie mit meinen eigenen Händen ertränken.« Er fürchtete um sein Kind,
weil er wußte, daß man nicht an ihre inneren heiligen Stimmen glauben,
sondern sie bald für eine Teufelshexe erklären würde. Und wir wissen ja
nun, welch ein Los ihrer als Hexe in der damaligen Zeit harrte. Aber
das alles half nichts. Die Stimmen drängten sie immer mächtiger zum
Schlachtfelde.

Um sie von ihrem Gedanken abzubringen, griffen die verzweifelten Eltern
zu einer List. Man wollte sie durch eine Heirat zur Vernunft bringen.
Ein junger Mann aus dem Dorfe fand sich bereit, zu erklären, sie habe
ihm, als sie noch klein war, die Ehe versprochen, und da Johanna es
natürlich ableugnete, ließ er sie vor das Kirchengericht nach Toul
berufen; man glaubte, daß sie nicht wagen würde, sich zu verteidigen
und sich lieber zur Heirat verurteilen lassen würde. Aber man irrte
sich. Sie erschien vor Gericht, verteidigte sich und gewann ihre
Freiheit.

Die Angehörigen widersetzten sich noch immer ihrem Entschlusse. Aber es
war ihr inzwischen gelungen, ihren Onkel von ihrer himmlischen Sendung
zu überzeugen. Und er nahm sie mit sich in sein Dorf Petit-Burey
(Burey-la-Côte), das eine Stunde von Domremy entfernt war, und gab an,
seine Frau bedürfe der Pflege Johannas. Die Eltern wußten zunächst noch
nichts von dem festen Entschlusse der Tochter, denn sie hatte sich nur
von einer kleinen Kameradin verabschiedet. »Und hätte ich hundert Väter
und hundert Mütter gehabt und wäre ich eine Königstochter gewesen --
da Gott es mir gebot, ~mußte~ ich fort,« antwortete sie später
ihren Richtern in Rouen. Von ihrem Oheim ließ sich Johanna nun nach
Vaucouleurs zu dem Ritter Baudricourt führen, mit dem sie am 23. Mai
1428 zusammentraf. Sie wußte vorher, daß er sie abweisen würde; ihre
»Stimmen« hatten ihr gesagt, daß es ihr erst zum dritten Male gelingen
würde, sich Gehör zu verschaffen.

Baudricourt war ein rauher Degen, der von niemand sonst Hilfe erhoffte,
als von seiner Waffe. Er wußte nicht, was er sagen sollte, als in
ihrem groben, roten Dorfkleide das Bauernmädchen vor ihm stand, und
das nun mit fester Stimme erklärte, sie komme von ihrem Herrn gesandt,
um dem Dauphin zu melden, daß dies Königreich des Herrn sei, daß
aber der Dauphin zum König bestimmt sei und daß sie ihn würde salben
lassen. Hauptmann Baudricourt lachte sich eins und gab dem Onkel
den Rat, Johanna mit ein paar tüchtigen Ohrfeigen zu ihren Eltern
zurückzuschicken.

Der Sommer verging und der Herbst und der Januar 1429 kam heran.
Johanna beklagte sich: »Und doch muß ich noch vor Mitfasten bei dem
Dauphin sein, müßte ich mir auch, um zu ihm zu kommen, die Beine bis zu
den Knien ablaufen. Denn für ihn gibt es keine andere Hilfe als mich,
obgleich ich lieber bei meiner armen Mutter am Spinnrocken bliebe;
denn das ist ja nicht eigentlich meine Arbeit. Aber ich muß gehen und
es verrichten, denn mein Herr will es.«

Allmählich ward das Volk von Johannas frommem Gottvertrauen bewegt
und begeistert. Zwei Edelleute, Ritter de Metz und der Schildknappe
Bertrand de Poulengy hatten sich ebenfalls Johanna angeschlossen.
Baudricourt hatte inzwischen von Karl, der in Chinon weilte, die
Genehmigung erhalten, Johanna ins Feld zu schicken. Das Volk drängte
immer heftiger und als die Gottgesandte endlich noch die Niederlage
bei Rouvray auf den bestimmten Tag vorausgesagt hatte, ließ er sie mit
einem recht schlechten Schwert abziehen. Außer den beiden Edelleuten
begleiteten sie noch zwei Bogenschützen, des Königs Bote und ihr Bruder
Peter. Die Bürger von Vaucouleurs steuerten sie aus und ihr Onkel
kaufte ihr ein Pferd.

So ritt sie etwa am 20. Februar 1429 fort, mitten in das von den
Kriegsbanden unsicher gemachte Land hinein, nachdem sie vorher ihre
Eltern brieflich noch einmal um Verzeihung gebeten hatte.

Mit ruhiger Heiterkeit durchzog sie das wüste Land. Sie trug nun
männliche Kleidung, um sie nie wieder abzulegen. Und dennoch schien
sie anmutig und mädchenhaft. Sie bewahrte ihre kindliche Einfalt und
Frömmigkeit und hielt in jedem Städtchen an, um die Messe zu hören.
Manchmal sank den Begleitern der Mut oder sie verloren die Geduld
ob der Gebetsverzögerungen; aber Johanna wußte sie immer wieder zu
trösten. Sie überschritt endlich die Loire und kam am 6. März in
Chinon an, wo der König in seinem weitläufigen Schlosse Hof hielt. Man
zögerte zwei Tage lang, ehe man sie empfing; der König glaubte, sich
lächerlich zu machen. Seine Lage war freilich eine verzweifelte, aber
einem Bauernmädchen die Führung des Krieges zu überlassen, war doch
eine Selbstverspottung in den Augen Europas. Aber gesetzt auch, sie
konnte Wunder tun, wer bürgte dafür, daß Gott mit ihr im Bunde war?
Vielleicht war es der Böse? Nein, die Geschichte war zu unglaublich.
Der Erzbischof von Reims hatte die stärksten Bedenken. Aber am 9. März
empfing sie der Dauphin dennoch.

Es war Abend, und fünfzig Fackeln erleuchteten den prunkenden Saal.
Alle Edlen und Ritter waren versammelt. Jeder war neugierig, das
Wunder zu sehen. Sie trat bescheiden ein und erstaunte keineswegs
ob der glänzenden Menge. Sofort erkannte sie den König, der sich
unter die Ritter gemengt hatte, um unerkannt zu bleiben und obwohl
er anfangs geleugnet hatte, daß er der König sei, umfaßte sie seine
Knie und sprach: »Edler Dauphin, mein Name ist Johanna, die Jungfrau.
Der König der Himmel offenbart Euch durch mich, daß Ihr in der Stadt
Reims gesalbt und gekrönt werden sollt und daß Ihr der Statthalter des
Königs der Himmel, der da ist der König von Frankreich, sein werdet.«
Der König nahm sie zur Seite und nach einer kurzen Unterhaltung hatte
sie ihm die geheimsten Gedanken seines Herzens offenbart. Trotzdem
mißtraute man ihr und ließ sie von Professoren der Theologie einem
Verhör unterwerfen. Der eine fragte sie: »Wozu braucht Gott denn
Kriegsleute, wenn er Frankreich erretten will?« Sie antwortete
ruhig: »Die Kriegsleute werden sich schlagen, und Gott wird den Sieg
verleihen.« Ein anderer Theologe, der einen häßlichen Dialekt sprach,
fragte: »In welcher Sprache reden denn deine Stimmen?« und Johanna
gab schlagfertig zurück: »In einer besseren als die Eure.« »Gott will
nicht, daß man dir ohne Zeichen glaube,« rief ein Dritter zornig aus.
Johanna sagte: »Ich bin nicht gekommen, um Zeichen und Wunder zu tun;
mein Zeichen wird sein, daß ich die Belagerung von Orleans aufhebe.«

Man konnte nicht fertig mit ihr werden und ließ sie in Ruhe. Es war
auch kein Augenblick mehr zu verlieren, denn die Gefahr hatte ihren
Gipfel erreicht. Man entschloß sich nun, die Jungfrau auszurüsten. Sie
verlangte ein Schwert, das sie genau beschrieb und das, wie sie angab,
hinter einem Altare gefunden wurde. Ihr militärisches Gefolge bestand
aus dem Schildknappen Ritter Jean d'Aulon, dem Pagen Immergut, zwei
Herolden, einem Hausmeister und zwei Dienern. Zum Feldpriester wählte
sie sich den Augustinermönch Jean Pasqueral. Ihr Bruder Peter blieb bei
ihr.

[Illustration: Johannas Geburtshaus in Domremy.]

Jetzt verabschiedete sie sich vom König. In Tours ließ sie sich noch
eine Fahne malen, wie ihre »Stimmen« sie ihr beschrieben hatten:
Lilien auf der einen Seite, auf der anderen Gott, auf einem Regenbogen
thronend. Und nun zog sie in den Kampf.

                   *       *       *       *       *

Des Weges unkundig, hatte sie sich der Führung der Kriegshauptleute
überlassen. Sie zogen auf dem linken Ufer der Loire nach Orleans.
Am 29. April erblickte Johanna zum ersten Male die Türme der Stadt.
Im nahen Schlößchen Reuilly rastete Johanna bis zum Abend. Und am
selben Abend acht Uhr, Freitag, den 29. April, zog Johanna durch das
burgundische Tor in Orleans ein. Sie war noch nicht siebzehnundeinhalb
Jahre alt. Die ganze Stadt war ihr entgegengegangen. Ihr Schildknappe,
die Fahne tragend, schritt voran und neben Johanna, die in voller
Rüstung auf weißem Rosse saß, schritt ihr Page Immergut. Links von
ihr ritt der königliche Vetter Graf Dunois, der Bastard von Orleans,
und hinter ihr kamen ihre Brüder; Herren und Ritter folgten, Knappen,
Hauptleute, Schöffen der Stadt. Freudetrunken umringte sie das Volk,
das mit Fackeln ihren Weg beleuchtet hatte. Männer, Frauen und Kinder
drängten sich an sie heran, um sie zu berühren.

Die belagerte Stadt jubelte, als sei sie bereits entlagert; eine
himmlische Beruhigung senkte sich auf alle Gemüter. Nach sieben Monaten
des Kampfes war dieser liebliche Engel erschienen, um ein Wunder zu
vollbringen. Denn die Engländer, von dem Ereignis ganz bestürzt,
hielten sich in ihren Bastillen verschanzt. Sie sahen dem Zuge der
Jungfrau wie betäubt zu und wagten keinen Angriff.

Am folgenden Morgen eilte sie zum Bastard und verlangte den Sturm auf
die englischen Verschanzungen; aber der Kriegsrat folgte ihr nicht.
Von der Brücke aus ruft sie nun den drüben verschanzten Engländern zu,
sich zu ergeben, aber die lachen die Jungfrau nur aus, obwohl sie im
geheimen Angst haben vor der »Zauberin«.

Und jetzt beginnt ein wütender Kampf. Eine Schlacht nach der andern
wird geschlagen, ein Sturm nach dem andern wird gelaufen. Und Johanna,
das kaum achtzehnjährige Mädchen, ist stets die mutige Anführerin, der
Feldherren und Soldaten blindlings folgen. Vom 2. bis 5. Mai ist sie
fast immer im Felde, immer in der Rüstung und zu Roß; nur ab und zu
wirft sie sich nieder, um inbrünstig um Sieg zu beten und eine kleine
Weile zu ruhen. Und am 6. Mai endlich ist der Sieg zu Gunsten der
Franzosen entschieden. Von den etwa achthundert Engländern sind kaum
zweihundert übrig, während die Franzosen nur geringe Verluste erlitten
haben. Aber als die letzte Schlacht, die dreizehn Stunden gedauert hat,
glücklich vorüber ist, vergießt Johanna Tränen des Glücks über den Sieg
und Tränen des Mitleids mit den Gefallenen, die ohne Beichte starben.
Nun begann der Triumphzug in die Stadt. Glocken läuteten, Trompeten
schmetterten Siegesfanfaren, Jubelgeschrei erhob sich, Segenswünsche
wurden laut. Die Jungfrau wurde in die Wohnung geleitet, wo sie zu
Gaste war. Ein großes Festmahl war ihr gerüstet, aber sie nahm nur
einige Brotschnitten zu sich, die sie in weinvermischtes Wasser tauchte.

In der Nacht räumten die Engländer noch die letzten Bastillen. Am
folgenden Morgen verkündeten die Turmwächter, daß sich das feindliche
Heer auf dem Felde in Ordnung stelle. Johanna und der Bastard von
Orleans eilten mit ihren Truppen hinzu. Man fragte Johanna, was man
tun solle. »Die Messe hören,« antwortete sie. Sie ließ einen Tisch
bringen, den sie zum Altar schmückte, und der Gottesdienst begann. Als
er zu Ende war, fragte Johanna, wohin die Engländer den Kopf wendeten.
»Nach Meung zu,« war die Antwort. »Beim Namen Gottes,« sagte nun die
Jungfrau, »sie ziehen ab; laßt sie ziehen; wir wollen dem Himmel
danken und sie nicht weiter verfolgen, denn es ist heute Sonntag.« In
patriotischer Stimmung beschlossen die Bürger und Frauen der Stadt den
denkwürdigen Tag durch eine feierliche Prozession.

Das eine Gebot der himmlischen Stimmen, Orleans zu befreien, war nun
erfüllt. Es blieb ihr noch das andere: den König nach Reims zu führen
und ihn zu krönen.

Am 10. Mai verließ sie Orleans und ging nach Loches, wo der König
weilte, um ihn zu dem Zuge nach der Krönungsstadt zu drängen. Aber sie
stieß auf Widerstand, der allerdings berechtigt war. Denn die Engländer
hatten noch eine Menge Plätze an der Loire besetzt, aus denen sie erst
hätten vertrieben werden müssen. Die Jungfrau fügte sich dem neuen
Kriegsunternehmen und begann den Feldzug an der Loire.

Am 12. Juni fiel ~Jargeau~. Der Herzog von Alençon zögerte mit
dem Sturm; es sei noch nicht Zeit, meinte er. »Es ist immer Zeit,«
antwortete Johanna, »sobald es Gott will. Aber hast du Angst, artiger
Herzog? Weißt du nicht, daß ich deiner Frau versprochen habe, dich
unverletzt heimzuführen?« Solcher Rede widerstand er nicht, und so
wurde Jargeau gestürmt. Johanna versöhnte auch die königliche Partei
mit dem am Hofe verhaßten mürrisch-stolzen Konnetabel Artus de
Richemont, der der Jungfrau erst hatte geloben müssen, treu dem Könige
zu dienen. Mit seiner Hilfe wird ~Beaugency~ bei Blois am 17. Juni
genommen. Jetzt verlassen die Engländer auch Meung und am 18. Juni
werden sie bei Patay in der Beauce so gründlich geschlagen, daß die
Loire von jetzt an für immer von ihnen befreit bleibt. An demselben
Tage wurde auch der mächtige englische Feldherr Talbot gefangen.

Während man sich der reichen Herren bemächtigte, um ein bedeutendes
Lösegeld zu gewinnen, wurde das arme Kriegsvolk einfach
niedergemetzelt. Etwa zweitausend Tote bedeckten das Schlachtfeld, und
Johanna brach, beim Anblick so vieler Leichen, in Tränen aus. Trotz
allem war sie ein Kind geblieben; die Kriegsgreuel hatten ihr Herz
nicht verhärtet. Ein französischer Soldat hieb neben ihr unbarmherzig
einen armen Engländer nieder, der ihn um Gnade anflehte. »O du böser
Franzose,« rief Johanna erschüttert aus, sprang vom Pferde, richtete
den Verwundeten auf, pflegte und tröstete ihn und erleichterte ihm
seine Sterbestunde.

Und nun unternimmt sie den Triumphzug nach Reims. Die Höflinge setzten
ihrem Plane zwar noch immer Widerstand entgegen und rieten, man müsse
erst noch dieses Städtchen nehmen, dann jenes; müsse die Normandie erst
vom Feinde säubern; aber Johanna beharrte auf ihrem Entschluß, den
König vor dem Volke zu weihen. Das Volk selbst, das von den Wundertaten
der Jungfrau begeistert war, riß den König mit fort und drängte ihn
endlich, in den Zug nach Reims zu willigen. Johanna war nach Orleans
geeilt, um neue Truppen zu sammeln, aber als sie zum königlichen Hof
nach Gien zurückkehrte, war man dort schon wieder unschlüssig geworden.
Die Höflinge fürchteten sich vor jedem Mauerloch, in dem man ein paar
Engländer vermutete. Aus Verdruß über diese armseligen Menschen verließ
sogar Johanna den Hof und blieb zwei Tage außerhalb der Stadt. Nur
eins entschuldigte die Feigheit des Hofes: es war kein Geld in der
königlichen Schatzkammer. Aber Volk und Ritter waren so entflammt,
daß sie erklärten, auf ihre eigenen Kosten ins Feld ziehen zu wollen,
wenn Johanna sie anführe. Nun mußte der Hof sich fügen und zog in die
Richtung nach Reims. Am 5. Juli kam man vor der Stadt ~Troyes~
an, die sich weigerte, die Tore zu öffnen oder gar auf die Briefe
des Königs und der Johanna hin, sich zu ergeben. Die ängstlichen
königlichen Räte machten wieder den Vorschlag, sich an die Loire
zurückzuziehen. Aber Johanna flehte den König an, sich nur drei Tage zu
halten; in dieser Frist verspreche sie ihm, die Stadt entweder durch
Liebe oder durch Waffen zu gewinnen. Man rüstete zum Angriff, der keine
drei Tage dauerte. Die Waffentaten von Orleans hatten ihre Wirkung auf
die Bürger von ~Troyes~ nicht verfehlt. Sie verlangten nur freien
Abzug mit ihrer ganzen Habe. Der König gewährte das, dachte aber nicht
an die Gefangenen, die die Troyesjeser auch mit fortschleppen wollten.
Johanna war die einzige, die an diese Franzosen dachte, und sie setzte
auch am 9. Juli ihre Befreiung durch.

Und von nun ab gleicht der Zug in der Tat einem Triumphzuge.
~Chalons~, von der Jungfrau aufgefordert, sich dem Könige des
Himmels und dem Dauphin Karl zu ergeben, öffnet am 14. Juli seine
Tore, und alle übrigen Festungen unterwegs tun das gleiche. Aus der
Champagne und den Grenzorten eilt das Volk herbei, darunter Bürger
aus Domremy, die Johanna freudig begrüßten. Ahnungsvoll sagt ihnen
Johanna: »Ich fürchte nichts, als den Verrat.« Wieder ist der Hof
voller Besorgnis; es fehlt an Geld, es fehlen Geschütze, um Reims zu
nehmen. »Fürchtet nichts,« sagt Johanna zum Dauphin; »die Bürger werden
sich Euch ergeben, noch ehe Ihr ankommt und Euch entgegengehen.« Und
es war so gekommen, wie sie es in ihrem unbegrenzten Gottvertrauen
vorausgesagt hatte. Die Bürger schickten die Ältesten und Vornehmsten
dem Dauphin entgegen, und am Abend des 16. Juli zog Karl in Reims ein.
Eine wundersame Rührung überkam Johanna. »Wenn ich sterben soll,«
rief sie, »wäre ich recht glücklich, wenn man mich hier begrübe.« »Wo
glaubst du einmal zu sterben?« fragte sie der Erzbischof. »Wo es Gott
gefallen wird,« gab sie zurück; »ich möchte gern, daß es ihm gefiele,
mich wieder heimziehen zu lassen zu meiner Schwester und zu meinen
Brüdern; sie wären so froh, mich wiederzusehen. Ich habe wenigstens
getan, was unser Herr mir geboten hat.«

Am folgenden Tage, dem 17. Juli, wurde der König nach der uralten
Zeremonie in der Kathedrale mit dem heiligen Öl gesalbt. Der Prunk
war überwältigend, und die Volksmenge, die herbeigeströmt war, eine
ungeheure. Während der ganzen Feierlichkeit stand Johanna in ihrer
Rüstung am Altar neben dem König, ihre Gottesfahne in der Hand. Als
der König gesalbt war, warf sich Johanna vor ihm nieder, umarmte seine
Knie und weinte bitterlich, und alles Volk weinte mit ihr. »O König,«
rief sie, »nun ist der Wille Gottes geschehen, der da wollte, daß ich
Orleans befreite und Euch in Eure Stadt Reims führte, um das heilige
Öl zu empfangen, zeigend, daß Ihr der wahre König seid, und Euch das
Königreich Frankreich gehören soll.«

In Reims sah Johanna auch ihren Vater wieder, der mit den andern
herbeigeeilt war, sein Kind, das er abgöttisch liebte, zu umarmen.

Aber was sollte sie nun, nachdem sie ihre Aufgaben erfüllt sah, tun?
Sie blieb in den Diensten des Königs, obwohl die inneren Stimmen
aufgehört hatten, zu sprechen. Sie dachte an ihr baldiges Ende, denn
sie trug ihrem Beichtvater auf, den König zu bitten, wenn sie gestorben
sein werde, Kapellen für diejenigen zu bauen, die für ihr Vaterland ihr
Leben gelassen hatten. Das Wiedersehen Johannas mit ihren Eltern und
Geschwistern hatte in ihr auch die mächtige Sehnsucht erweckt, in die
Heimat zurückzukehren. Aber der König, der ihr so viel zu danken hatte,
wollte sie nicht entlassen. Dazu kam der Rausch des Sieges und die
Hoffnung, den Krieg rasch zu beenden. Alle Städte, vor denen der König
erschien, öffneten ihm freiwillig ihre Tore. Es schien fast, als ob es
keinen Engländer mehr in Frankreich gäbe.

Da kam plötzlich die erste Niederlage, und der Verrat an der Jungfrau.

Im August war der König mit dem Heere auf Paris losmarschiert; aber
durch einen heimlich geschlossenen Vertrag hatte Karl VII. selbst den
Sieg der Jungfrau gelähmt und ihr Leben preisgegeben. Am 28. August
hatte der König mit den Burgundern einen Waffenstillstand auf vier
Monate abgeschlossen. Johanna wurde von trüben Ahnungen erfüllt, als
ihr im Lager vor Paris ihr geweihtes Schwert zerbrach; es war ihr, als
ob Gott ihr damit ein Zeichen geben wollte, daß ihr Streiten im Dienste
Frankreichs beendet sei. Trotzdem fand am 8. September ein Sturm auf
Paris statt; es war das Geburtsfest der Jungfrau Maria. Die Franzosen
wurden aber zurückgeworfen, und Johanna am Schenkel verwundet. Nun
erhoben all die Zauderer und Feiglinge, die nur widerwillig Johanna
gefolgt waren, ihre Stimmen, und der König hörte nur zu gern auf sie.
Das Heer verließ die Provinz und zog sich an die Loire zurück. Das
Drängen und Flehen der Jungfrau war umsonst. Nun hing sie ihre Rüstung
unmutig vor den Reliquien der Abtei zu St. Denis auf und folgte dem
Könige.

Das war kein kriegerischer Heerzug mehr; der Rückzug glich einer
unordentlichen Flucht. Ende September kam der König in Bourges an; dort
heilte Johanna ihre Wunde. Jeden Morgen ging sie zur Frühmesse, Gott um
neuen Sieg anflehend.

Der Herzog von Alençon brannte darauf, sein Herzogtum in der Normandie
wiederzugewinnen; er rüstete sich und bat den König, ihm die Jungfrau
zu schicken, denn viele, die sonst gern mit ihm zogen, würden sich
nicht von der Stelle rühren, wenn die Jungfrau nicht mitginge. Aber
der engherzige und ehrgeizige falsche Erzbischof von Reims und mehrere
Herren, die den Hof regierten, verwarfen den Vorschlag. Die Loire
stromaufwärts waren noch einige Städte in den Händen der Burgunder;
gegen diese willigte man ein, die Begeisterung Johannas zu benutzen.
Es gelang ihr auch, fast schon von allen verlassen, im November die
fliehenden Truppen zum Sturm auf St. Pierre-le-Moustier zu führen und
den Platz zu nehmen. Aber die Belagerung von La Charité mißlang »zum
großen Mißfallen der Jungfrau«. Kurz darauf, Anfang Dezember, versetzte
der König die Jungfrau, ihre Eltern, ihre Brüder und deren Nachkommen
unter dem Namen +~Du Lis~+ in den Adelstand. Johanna war
nicht eitel, und ihre Erhebung in den Adel befriedigte nicht ihren
Tatendrang, machte die Vorwürfe der Tatenlosigkeit nicht verstummen.

Endlich am 28. März, des trägen Wartens am Hofe überdrüssig, reiste
Johanna heimlich ab, ohne vom König Abschied zu nehmen und ging nach
Ligny. Ihre Seele war krank vor Trauer, denn bald nachher hatte
sie eine Erscheinung, die ihr Böses weissagte. Die innere Stimme
verkündigte ihr, daß sie noch vor dem Johannisfeste in die Hände des
Feindes fallen würde; daß dies unvermeidlich wäre; daß sie darüber
aber nicht erschrecken, sondern im Gegenteil dieses Kreuz dankbar aus
der Hand Gottes hinnehmen sollte, da ihr Gott auch die Kraft geben
würde, es zu tragen. Johanna flehte zu ihren Heiligen, sie möchten Gott
bitten, ihr die Schmerzen einer langen Gefangenschaft zu ersparen und
sie durch einen schnellen Tod in sein heiliges Paradies aufnehmen zu
wollen. Aber die Heiligen offenbarten ihr nichts weiter; Geduld und
Schickung in ihr Los rieten ihr die Stimmen. Johanna vertraute ihre
Ahnungen keinem an.

Der unglückselige Tag nahte heran. Es war am 23. Mai 1430. Der Herzog
von Burgund belagerte Compiègne an der Oise, das sich für Karl VII.
erklärt hatte. An diesem Tage hatte sich Johanna in die Stadt geworfen
und machte einen Ausfall. Anfangs wichen die Belagerer, dann aber
sammelten sie sich wieder und trieben die Belagerten in die Stadt
zurück. Die Jungfrau war zurückgeblieben, um den Rückzug zu decken.
Als sie in die Stadt wollte, war das Tor schon geschlossen. Sie wurde
von den nachdringenden Feinden erkannt, ein Pikarder Bogenschütze riß
sie vom Pferde. Der Bastard von Vendôme ergriff sie und verkaufte sie
an Johann von Ligny, einen Lehnsmann des Burgunderherzogs. Sie war
nun Kriegsgefangene und nach dem Kriegsrecht unverletzlich, noch dazu
als Jungfrau dem besonderen Schutze der Ritter anvertraut. Aber man
achtete weder Gesetz, noch Recht, noch Sitte. Das feindliche Lager
jubelte ausgelassen und um die arme Johanna begann ein unerhörter
Judasschacher. Sie war verraten, und sie sollte nun den Schmerz, als
Jungfrau in Feindeshand zu sein, bis zur bitteren Neige auskosten.

Allerlei politische Streitigkeiten, allerlei niedrige Interessen um
Länderbesitz ließen es den englischen Bischöfen und besonders dem
ehrgeizigen Kardinal von Winchester als wünschenswert erscheinen,
die Jungfrau von Orleans als eine Hexe, die mit dem Teufel im Bunde
stand, anzuklagen. Glückte es, diese Klage durchzufechten, so stand
ihr jenes fürchterliche Los bevor, das wir eingangs dieser Schilderung
dargestellt haben. Ein dienstwilliges Werkzeug bot sich in dem Bischof
Cauchon von Beauvais dar, den seine Bürger 1429 bei Karls Triumphzug
vertrieben hatten, und der nun Rache nahm, indem er sich mit Leib und
Seele den Engländern ergab, um die Jungfrau zu Fall zu bringen.

Schon am 26. Mai ging auf Betreiben Winchesters vom Inquisitionsgericht
eine Aufforderung an den Herzog von Burgund, die Jungfrau als
der Zauberei verdächtig auszuliefern. Dieselbe Aufforderung kam
gleichzeitig von der Pariser Universität. Und am 12. Juni verkündigte
ein königlicher Brief an die Universität, daß der Bischof Cauchon und
der Inquisitor den Prozeß gemeinschaftlich führen würden. Jean de Ligny
hielt Johanna auf einem seiner Schlösser verborgen und Cauchon bot nun
für ihre Auslieferung zehntausend Frank, »so viel, wie man für einen
König oder einen Fürsten gibt«.

Johanna sah mit Schaudern und Schrecken der Auslieferung an die
Engländer entgegen. Sie bat ihre Schutzheiligen um Rat, aber die
Stimmen gaben ihr nur die Antwort, daß sie leiden müsse. Zum ersten
Male wurde sie nun ihren »Stimmen« ungehorsam und wollte fliehen.
Sie sprang aus dem Turme und blieb halbtot liegen. Man hob sie auf,
die Damen von Ligny pflegten sie; aber zwei Tage lang aß sie nichts;
sie wollte sterben. Die Gemahlin de Lignys warf sich ihrem Gatten
zu Füßen und beschwor ihn, sich durch die Herausgabe Johannas nicht
für ewig zu entehren. Aber der Elende hatte schon das Blutgeld der
Engländer empfangen und lieferte Johanna im Oktober seinem Lehnsherrn,
dem Herzog von Burgund, aus. Der führte sie erst nach Arras, dann in
den befestigten Turm von Crotoy. Hier sah sie das Meer, an dessen
jenseitigem Ufer die Küste von England war. Ein gefangener Priester las
hier jeden Morgen die Messe vor ihr, und sie betete inbrünstig.

Eines Tages verkündigte sie, daß ihr der Erzengel die Befreiung von
Compiègne auf den 1. November angezeigt habe. Und so traf es auch ein.
Der Herzog von Burgund war selbst geschlagen worden. Diese Niederlage
reizte seinen Stolz, und in seinem Zorn entschloß er sich, die Jungfrau
an die Engländer auszuliefern.

                   *       *       *       *       *

Johanna, noch nicht neunzehnjährig, mußte nun, sobald sie sich in
den Händen ihrer Todfeinde befand, ihr Leben als abgeschlossen
betrachten. Was ihrer nun wartete, war namenlose Qual, Verkennung,
Schande, Hohn und grausamer Tod. Sie mußte ihre Sehnsucht nach der
Heimat ersticken, alle Wünsche des jungen Herzens töten; denn jetzt
umgaben sie die Mauern von Rouen, woraus ein Entrinnen unmöglich war.
Sie, vor der sich das Königshaus und alle Prinzen verneigten, die mit
jauchzender Begeisterung vom Volke vergöttert wurde, war nun den rohen
Beschimpfungen der Priester und den Quälereien der Gefangenwärter
ausgesetzt. Anfang Dezember 1430 war sie in dem festen Turm des
Schlosses von Rouen eingekerkert worden, und ein Schlosser hatte vor
Zeugen erklärt, er hätte Befehl erhalten, einen engen, eisernen Käfig
für Johanna zu schmieden, worin sie an Hals, Händen und Füßen gefesselt
lag und wo sie bis zum Beginn ihres Prozesses liegen mußte. Später
hatte sie am Tage die Füße in eisernen Fesseln, die durch eine Kette
an einem Holzklotz befestigt waren. Nachts wurden diese Fesseln noch
vermehrt; eine besondere Kette umschloß noch ihren Leib.

Man hatte anfangs versucht, sie als Hexe und Zauberin zu richten,
aber die Juristen von Rouen fanden die Angaben, obwohl der feindliche
Cauchon sie gemacht hatte, nicht genügend. Man eröffnete gegen sie
nun einen Prozeß wegen Ketzerei. Der treibende böse Geist dieser
Verhandlungen blieb Winchester, der Universität und Richter immer von
neuem anstachelte. Johanna war unrettbar verloren, und König Karl, dem
sie alles geopfert und alles gegeben, dem sie Sieg über Sieg und die
Krone geschenkt hatte, tat nicht das geringste, um sie zu erretten.
Nicht das geringste! Endlich, am 21. Februar, wurde Johanna vor ihre
Richter geführt. Sie zeigte sich hier, wie damals im Verhör von
Poiters, unerschrocken, verständig, fromm, unschuldig und kindlich.
Der Bischof ermahnte sie, ohne Ausflüchte die Wahrheit zu sagen; sie
entgegnete aber, sie werde nur auf Fragen antworten, über die sie
sprechen könne. Am 22. und 24. Februar drang man aufs neue in sie;
endlich versprach sie, zu sagen, was sie über ihren ~Prozeß~
wüßte, aber nicht alles, was sie wüßte. Das Verhör und die Qual
Johannas gestalteten sich zu einem herzergreifenden und erschütternden
Drama. Sie bat, daß man ihr wenigstens die Fußfesseln abnehmen möchte,
aber man entgegnete ihr, das sei deshalb unmöglich, weil sie öfters
versucht habe, zu entfliehen. »Das habe ich wohl getan,« sagte sie,
»aber das ist jedem Gefangenen erlaubt. Und würde ich entrinnen können,
so dürfte man mich keiner Unredlichkeit zeihen, denn ich habe nichts
versprochen.«

Sie wurde über tausend Dinge ausgefragt, die gar nichts mit ihrem
Prozeß zu tun hatten, und Johanna gab stets freimütige und furchtlose
Antworten; alle boshafte Arglist wurde zu Schanden vor der Einfalt
ihres kindlichen Gemütes. Die Richter wurden zuletzt ergriffen von
der rührenden Gewalt dieser Unschuld, die weder lesen noch schreiben
gelernt hatte und trotzdem den Gelehrten Antworten gab, über die sie in
höchstes Staunen gerieten. Cauchon merkte, daß das ungünstige Urteil
über sie wankend zu werden begann, und er zog es deshalb vor, nicht
mehr im Saale des Schlosses zu verhandeln. Statt dessen ging er vom 10.
bis 17. März in ihr Gefängnis, um dort im Beisein von zwei Zeugen und
zwei Beisitzern die peinigenden Verhöre fortzusetzen.

[Illustration: Die Straße der Jungfrau in Orleans mit Kathedrale.]

Schon am Anfang des Prozesses hatte ein Ehrenmann, der Jurist Jehan
Lohier, der gegen das Ungesetzliche des Prozesses protestiert hatte,
fliehen müssen, um dem Tode zu entgehen. Es kam also in diesem Prozeß
gar nicht darauf an, Recht und Unrecht zu prüfen, sondern Johanna in
jedem Falle zu ~verurteilen~. Denn der schlimmste Vorwurf, den
ihre Richter ihr zu machen hatten, war der, daß sie selbst im Kerker
Mannestracht trug, die die Kirche bei Frauen als sündhaft verwarf. Das
junge Mädchen aber schämte sich, zu sagen, daß sie diese Tracht
nur zum Schutze vor den brutalen englischen Soldaten trug, die
ihren Kerker bewachten, und denen Johanna ja auf Gnade und Ungnade
ausgeliefert war. Ihr letzter Trost im Kerker war ihr Beichtiger
Loyseleur. Er hatte sich für einen Anhänger Karls VII. ausgegeben und
hatte allmählich das ganze Vertrauen Johannas gewonnen. Aber als Rat
abgehalten wurde, ob man die Jungfrau der Folter unterwerfen solle,
rieten nur drei Männer zu dieser Grausamkeit, und einer dieser drei
Schufte war ihr Beichtvater Loyseleur.

Unter solchen Martern und Leiden brach für Johanna die Osterwoche an.
Der heiligste Tag des Mittelalters, der Ostersonntag, wurde von den
fünfhundert Glocken Rouens festlich eingeläutet. Durch die Straßen der
Stadt rauschte Leben und Lärm, während die Retterin des Landes und des
Königs einsam und verlassen angeschmiedet im Kerker schmachtete. Der
Bischof hatte ihr einen Fisch geschickt, durch dessen Genuß sie heftig
erkrankte. Sie hielt sich für vergiftet. Der Hauptmann der Stadt geriet
darüber in heftige Unruhe. »Der König möchte um nichts in der Welt, daß
sie eines natürlichen Todes stürbe,« sagte der grausame Soldat; »der
König hat die Jungfrau gekauft, sie kostet ihn genug. Sie soll durch
die Justiz sterben, soll durch Feuer oder Wasser umkommen. Darum seht
zu, wie ihr sie gesund macht.«

Man pflegte sie denn auch, um sie nachher verbrennen zu können. Man
pflegte sie, aber sie blieb schwach. In dieser Stimmung hoffte man, sie
zu einem Widerruf ihrer göttlichen Sendung bewegen zu können, denn man
wollte gern die Krönung Karls VII. als ein Werk des Teufels darstellen.
Aber sie widerrief nichts. Was man ihr auch vorhielt, womit man ihr
auch immer drohte, und wie sehr man sie auch quälte, sie verließ sich
in allen Stücken auf Gott den Herrn.

Man versuchte es nun mit Listen und Schrecken. Am 11. Mai ließ man
den Henker in ihr Gefängnis kommen und erklärte ihr, daß man sie zur
Folter führen würde, wenn sie nicht widerriefe. Aber sie widerrief
nicht.

Jetzt kam die Antwort der Pariser Universität an. Die Gelehrten hatten
Johanna als eine Dienerin des Teufels erkannt; auf Grund dieser
Erklärung wurde Johanna abermals ermahnt, sie antwortete aber: »Und
wenn ich Henker und Feuer vor mir sähe und selbst wenn ich schon im
Feuer wäre, ich könnte nur sagen, was ich schon gesagt habe.«

Die Sache währte schon zu lange; man wollte ein Ende machen. Am
23. Mai waren hinter einer Kirche auf dem Kirchhofe zwei Gerüste
aufgebaut worden, auf denen die Kardinäle, die Richter, die Schreiber,
die Gerichtsdiener, dreißig Beisitzer und die Folterknechte Platz
genommen hatten. Notare waren zugegen, um die Geständnisse Johannas
aufzuschreiben; ein Prediger saß dabei, um sie zu ermahnen. Am Fuße
eines Gerüstes saß der Henker auf seinem Karren, bereit, jedem Winke
zu folgen. Aber auch diese fürchterliche Zeremonie verfehlte ihren
Eindruck auf Johanna; sie blieb gleich unerschrocken und standhaft.
Endlich wurde ihr die Verdammungsakte vorgelesen. Und als man sie noch
einmal vergeblich ermahnt hatte, zu gestehen, gerieten die Engländer
in Wut, schrien über Verrat und erhoben einen so gewaltigen Lärm, daß
Johanna verwirrt, bedrängt, bestürmt nachgab und, ohne recht zu wissen,
was sie tat, an Stelle der Unterschrift ein Kreuz unter den Widerruf
setzte. Sie war vollständig betäubt. Der Bischof Cauchon rief: »Führt
sie nun hin, wo ihr sie hergenommen habt.«

So unglaublich betrogen, den Engländern aufs neue preisgegeben, hatte
sie keinen anderen Trost mehr als den Tod. Die Engländer verlangten
immer grimmiger, daß Johanna sterbe. Sie waren in tierische Wut
geraten. »Verbrennt die Hexe!« riefen einstimmig Soldaten, Lords,
Feldherren und Kronbeamte.

Der dreißigste Mai brach an, ein Mittwoch. Als sie durch den
Beichtvater Martin Ladvenu, der gekommen war, um ihr den Tod
anzukündigen und sie zur Buße zu ermahnen, erfahren hatte, welches Los
ihr bestimmt war, und daß sie noch an demselben Tage sterben sollte,
brach sie in lauten Jammer aus, rang die Hände und zerraufte sich die
Haare. »O wie schrecklich und grausam man mich behandelt! Soll denn
mein Leib, so ganz und gar rein und niemals entweiht, heute verbrannt
und zu Asche verwandelt werden! Wehe! Wehe! Ich möchte lieber siebenmal
enthauptet, als so verbrannt werden. Ich berufe mich auf Gott, den
großen Richter, über das Leid und Unrecht, das man mir antut.«

Sie beichtete und nahm das Abendmahl, das man ihr gab, obwohl man
sie als »Ketzerin« und »Hexe« verurteilt hatte. Als Johanna nach der
Kommunion den Bischof, der sie verraten hatte, gewahr wurde, sagte sie
zu ihm: »Bischof, ich sterbe durch Euch!«

Nun begann der Zug. Es war neun Uhr morgens, als sie in weiblicher
Kleidung auf einen Karren geladen wurde. Neben ihr saßen der Priester
Ladvenu und der Gerichtsdiener Massieu, der später für sie ausgesagt
hat. Das Volk zitterte und weinte vor Teilnahme, aber mit ihren
gezückten Schwertern hielten achthundert Engländer die Mengen in Ruhe.
Johanna weinte und rief ein über das andre Mal: »O Rouen, Rouen! soll
ich denn hier sterben?« Das war ihre einzige Klage. Sie murrte nicht
gegen ihre Heiligen, die ihr Befreiung versprochen hatten, und klagte
nicht über den König, der sie so schnöde verlassen hatte.

Drei Gerüste waren aufgebaut. Auf dem einen saßen der Kardinal und der
Bischof mit den Priestern, auf dem andern die Richter mit dem Amtmann,
dem Prediger und der Jungfrau; das dritte war der Scheiterhaufen von
Gips, auf dem ein wahrer Holzhügel aufgebaut war, damit Johanna langsam
darauf verbrenne und dabei vom ganzen Volke gesehen werden könne.
Zuerst hielt nun ein berühmter Gelehrter der Pariser Universität eine
Predigt, und als diese beendet war, ermahnte der Bischof von Beauvais
die Verurteilte, an ihr Seelenheil zu denken, sich ihrer Missetaten zu
erinnern und Buße zu tun.

Johanna kniete in innigem Gebete nieder. Sie vergab allen und bat, daß
man auch ihr vergebe. »Betet für mich!« rief sie den Umstehenden zu.
Die Priester bat sie, daß jeder eine Messe für sie lesen möchte, und
von ihrer keuschen, gottergebenen Art waren alle bis zu Tränen gerührt.
Sogar ihre Verräter und Todfeinde, der Bischof Cauchon, der Bischof von
Boulogne und Winchester vergossen Krokodilstränen.

Als die Richter ihre Rührung überwunden hatten, wurde Johanna laut die
Verurteilung verlesen, und man übergab sie dem Henker. Sie bat um ein
Kreuz. Ein Engländer machte ihr eins aus zwei Holzstäbchen; sie nahm
es mit Dankbarkeit an, küßte es und barg es unter ihrem Gewande. Aber
sie wünschte noch ein wirkliches Kirchenkreuz, um im Sterben den Blick
darauf heften zu können. Man brachte ihr eins aus der nahen Kirche,
und während sie es küßte, sprach ihr der Priester Isambart Trost zu.
Inzwischen war es Mittag geworden, und die Hauptleute riefen: »Na, ihr
Priester, wollt ihr uns hier Mittag halten lassen?«

Und ohne zu warten, bis der Amtmann kraft des Gesetzes gesprochen
hatte, schickten sie zwei Profose hinauf, die Johanna den Priestern
entrissen. Sie wurde von den Soldaten ergriffen und zu dem Henker
gezerrt. Dem sagten sie: »Tu dein Amt!« Diese greuelvolle, empörende
Roheit gegen das wehrlose Opfer war so schrecklich anzusehen, daß viele
Anwesende, darunter mehrere Richter, davonliefen, um nichts mehr zu
sehen.

Als sie oben auf dem Scheiterhaufen stand und nun die Menge und die
Stadt überblickte, sagte sie nur: »O Rouen, ich habe große Angst,
daß du um meinen Tod zu leiden haben wirst!« Nach dem Brauche des
katholischen Mittelalters wurde sie nun an den Pfahl gebunden, und man
setzte ihr die Ketzermütze auf, auf der die Worte standen: »Ketzerin,
Rückfällige, Abtrünnige, Götzendienerin.« Nun zündete der Henker den
Holzstoß an. Johanna sah es und stieß einen Schrei aus. Der Priester
Ladvenu, der mit ihr hinaufgestiegen war, ermutigte sie; sie aber
dachte gar nicht mehr an sich, sondern nur an die Gefahr, der sich der
Priester aussetzte; sie hieß ihn hinabsteigen.

Und jetzt, in diesem schrecklichen Augenblick, trat Cauchon an den Fuß
des Scheiterhaufens und drang noch einmal in die Unglückliche, um ein
Geständnis zu erhalten. Umsonst. Sie wiederholte nur, was sie diesem
Bischof schon am Morgen gesagt hatte: »Bischof, ich sterbe durch Euch.
Mein König ist an dieser Tat unschuldig.«

Die Flamme züngelte empor. Und schon von den Flammen umlodert, rief sie
noch: »Meine Stimmen waren von Gott; meine Stimmen haben mich nicht
betrogen.« Aber als sich immer mehr Rauch entwickelte, vernahm man nur
noch den Schrei »Jesus!« dann war sie still für alle Ewigkeit ...

Zehntausend Menschen weinten. Nur ein paar besonders rohe Engländer
lachten. Einer von ihnen hatte geschworen, eigenhändig ein Bündel
Reisig zu den Flammen zu tragen; in dem Augenblick, als er es in die
Lohe warf, gab Johanna den Geist auf. Der Soldat fiel um, und die
Kameraden führten ihn in eine nahe Schenke, um ihn zu erfrischen. Er
war ganz außer sich und sagte: »Als Johanna ihren letzten Seufzer tat,
habe ich eine Taube aus ihrem Munde fliegen sehen.« Er erholte sich
nicht mehr und starb bald darauf. Der Henker war ebenfalls entsetzt; er
beichtete am Abend dem Priester Isambart, aber er fand dennoch keine
Ruhe und konnte nicht glauben, daß Gott ihm je vergeben werde. Und
ein Sekretär des Königs von England sagte, als er von der Hinrichtung
zurückgekommen war, das, was wohl alle heimlich empfanden und dachten,
aber nicht auszusprechen wagten: »~Wir sind verloren, denn wir haben
eine Heilige verbrannt!~«

Alle, die an der Verurteilung der Jungfrau beteiligt waren, sind denn
auch bald darauf eines elenden Todes gestorben oder verschollen, und
die noch Überlebenden, die mitschuldig waren, ließ der Sohn Karls VII.,
Ludwig XI., gefangennehmen und denselben Tod erleiden, den Johanna
erlitten hatte.

Dem armen Vater Johannas brach bei der Kunde vom qualvollen Tode seines
heldenmütigen Kindes das Herz; er starb bald. Die Mutter zog nach
Orleans, wo sie von der Stadt bis zu ihrem Tode eine Leibrente erhielt.

Zwanzig Jahre nach dem Tode Johannas wurde auf Ansuchen der Mutter und
der Verwandten der Prozeß der Rehabilitation vorgenommen. Im Juli 1456
wurde zu Rouen ihre Ehrenrettung ausgesprochen; der Papst Pius IX.
hatte sie genau vierhundert Jahre später selig gesprochen, und somit
war die Prophezeiung erfüllt, die König Karl in Schillers »Jungfrau
von Orleans« ausspricht: »Selig preisen sollen sie die spätesten
Geschlechter«. Nun ist Johanna im Jahre 1909 heilig gesprochen worden
und somit hat sich auch jene andere Prophezeiung Schillers erfüllt:


  »Ihr Name soll dem heiligen Denis
  Gleich sein, der dieses Landes Schützer ist,
  Und ein Altar sich ihrem Ruhm erheben.«




                           Der Doktor Faust.


Wir sind im Zeitalter des Hans Sachs, und es ist Kirchweihwoche.
Auf einer großen Wiese vor dem Städtchen haben fahrende Händler,
Kesselflicker, Korbflechter, Bettelmusikanten und Tanzbärentreiber
ihre Buden und Zelte aufgeschlagen. Allerhand Wunderdinge werden hier
zur Schau gestellt. Betrunkene rohe Bauern mischen sich unter die
Pandorenspieler und Dudelsackpfeifer; Akrobaten stehen auf dem Kopf,
Kunststückmacher ziehen sich lebendige Schlangen aus den Nasenlöchern,
Degenschlucker zeigen ihre blendenden Künste, Gaukler lasen ihrem
Munde Fontänen entsteigen. Man sieht bärtige Weiber, Ichneumons,
Nashörner, Dromedare. Die Kaufleute machen einen Höllenlärm und
bieten ihre grellfarbigen Waren an; sie schreien wild und zwecklos
durcheinander. Oder sie blasen mit vollen Backen auf der Querpfeife
und schlagen die Pauke, oder sie tanzen auf einem dicken Seil, das
höchstens zwei Meter über der Erde ausgespannt ist. Um den Bärentreiber
schart sich die gaffende Menge. Plötzlich taucht der Hanswurst auf. Er
schlägt den Leuten auf die Köpfe und treibt sie wie das liebe Vieh zu
einer anderen Bude hin, zur Bude des Wundermannes.

Der hat ein feuerrotes Gesicht, das dick aufgedunsen ist, weißblondes
Haar und eine kahle Platte -- das Zeichen der großen Gelahrtheit.
Er trägt einen sonderbaren Spitzenkragen und ungewöhnlich rote
Pluderhosen; Bänder hängen daran herunter, wie an einem Erntekranz.
Ein Dutzend Ehrenketten beschweren das schwarzsamtene Wams, das nach
venetianischem Schnitt gearbeitet ist; seine Finger sind mit unzähligen
Ringen bedeckt, und jeden Ring ziert eine besonders große Kamee, die
von einem Grabstein geschnitten ist. Er trägt einen prachtvollen
türkischen Dolch, und rings um seine Hüften baumelt, wie bei einem
Wilden des Urwalds, ein Kranz mannigfacher zauberkräftiger Anhängsel.

So steht er da und schreit und haut in die Luft und wirft eine Menge
lateinischer Brocken ins Volk. »Er kann reden wie ein Arzt«, heißt das
Sprichwort jener Tage. Er spricht etwas von der Stellung der Gestirne,
vom Pulsschlag und Perpendikel, von Blut und Hexen, von Zauberei
und vom Satanas. Nach jedem Satze reißt sein Diener, der Hanswurst,
schlechte Witze, um die Gaffer bei guter Laune zu erhalten. Und erst
wenn genug Leute vor der Bude herumstehen, nimmt der Wundermann sein
großes »Zeugenbuch« hervor: »Da leset, wie ich in Spanien, Frankreich,
Rom und dahinten in der Türkei geehrt worden bin! Hier haben sie
alle ihre Namen hingemalt, die Bischöfe und Fürsten und der Teufel
weiß, wer noch. Hier seht ihr, wie sie vor ihrer Heilung ausgesehen
haben; hier seht ihr die geschwollenen Wangen, bleichen Gesichter
und verzerrten Stirnen leibhaftig abkonterfeit. Und ich, ich habe
sie kuriert; ich allein; ich, der größte Zauberer der beiden Welten;
ich, der größte Hexenmeister und Totenbeschwörer, der geschickteste
Wetterbanner und gesuchteste Wunderdoktor, den die Erde je getragen
hat! Ich, Doktor Faust, des Teufels Freund und der Meister der Hölle!«

Wenn er nur so spräche, würde man ihn noch bescheiden nennen müssen;
aber er prahlt gewöhnlich das Blaue vom Himmel herunter. Und wenn
er nur den tausendsten Teil von dem leistete, was er zu leisten
verspricht, dann wäre der Teufel noch immer ein Stümper gegen ihn.

Woher sollte er auch seine Kenntnisse haben?

Der Arzt des Mittelalters studierte nicht Anatomie, sondern Alchimie:
Die Kunst, Gold zu machen; nicht Physiologie, sondern Astrologie: Die
Kunst, aus den Planeten wahrzusagen; anstatt Menschen gesund zu machen,
machte er Kalender. Anstatt nach dem Wo und Wie der Krankheit zu
sehen, sah er nach dem Mond und seinen Stellungen; bevor er seinen Rat
erteilte, schaute er erst nach den Sternen und dann nach dem Urin.

Er beobachtete sorgfältig die Himmelskörper, ihre Bewegungen, ihren
Stand und deutete diese Verhältnisse auf die Schicksale der unter
diesen Gestirnen Geborenen. In der Tat geschieht auch kein bedeutendes
Ereignis, das er nicht durch vorangehende Zeichen und Himmelswunder
ankündigen zu können behauptet. Kometen gelten als Botschafter des
erzürnten Gottes, die den Menschen allerhand Strafen und Plagen
andeuten. Befinden sich die Kometen beispielsweise beim Saturn, dann
erfolgt Pest, Unfruchtbarkeit und Verrat.

Diese Sterngucker, Geheimniskrämer und Wunderärzte kamen, wie die
Heuschreckenplage, hauptsächlich von England in alle übrigen Länder.
Der eine macht mit seinem Wunderstein großes Aufsehen, an dem er die
Patienten lecken läßt, worauf sie angeblich sofort gesund werden.
Der andere hext mit seiner wunderbringenden Salbe Blinde sehend und
Lahme gehend und er gibt vor, einen Trank brauen zu können, der ein
Fortleben in Ewigkeit sichert. Der Dritte berührt nur die Kranken und
sofort verschwinden die Schmerzen, die Kröpfe schrumpfen zusammen
und Skrofulöse sind gesundet. Er speit den Tauben in die Ohren und
sofort hören sie; er gibt den Zahnleidenden eine Ohrfeige, daß die
kranken Zähne nur so herausfliegen. Der Vierte macht aus dem Kot
der verschiedensten Tiere Rezepte, mittels deren er alle und alles
heilt. Der Fünfte verwandelt Metalle und glaubt an die mit Blut
unterschriebenen Verträge zwischen Mensch und Satanas, zwischen Hexe
und Teufel.

Kein Wunder, daß dieser Aberglaube so verbreitet war, nachdem die
Kaiser und Könige selbst mit gutem Beispiel vorangingen. König
Jakob von England, Maria Stuarts Sohn, schrieb ein Zauberbuch. Karl
V., Maximilian II., Kurfürst Joachim I. gaben ihren Goldmachern
reichliche Beschäftigung, denn ihre Verschwendungssucht erheischte
immer neue Geldmittel. Heinrich VI. und Rudolf II. standen selbst in
den Laboratorien ihrer Dunkelmänner, Gold machend und Lebenselixiere
brauend. Man hatte an den Höfen seine Sterndeuter und Alchimisten, wie
man seine Hofnarren hatte; nur daß die Narren meistens klüger waren als
die Goldmacher.

Viele dieser Ärzte zogen aber auch von Ort zu Ort, von Markt zu
Markt. Und diese Gestalt des herumziehenden Wunderdoktors hat sich
noch mehrere Jahrhunderte hindurch erhalten; denn Abraham a Santa
Clara, der große satirische Prediger, der am Ende des siebzehnten
Jahrhunderts gelebt hat, kennt diese Wundermänner ebenfalls noch aus
eigener Anschauung. Er gibt folgende Schilderung von ihnen: »Man findet
unter diesen Leuten sehr liederliche und nichtsnutzige Gesellen, die
sich auf das Lügen und Betrügen stattlich verstehen, absonderlich
viel aus denselbigen, die auf allen Märkten und Kirchweihen ihre
Stände aufschlagen und ihrem Sinne nach mit etlichen Brettern eine
Universität aufrichten, wo sie den Bauern und dem gewöhnlichen Volk
mit ihren grundlosen Predigten das Geld aus dem Beutel locken, da kann
man zuweilen hören, mit welch gewichtigen Lügen sie ihre Wahrheit
hervorstreichen; einer zieht etliche Zahnwurzeln heraus und beteuert
es hoch, daß er diese selbst an dem Meeresgestade dreizehn Meilen
hinter Syrakus ausgegraben und diese seien gut für ein verfallenes
Gehör, wobei sie sehr oft auch vorgeben, wie solche auch die Könige
von Paphlagonien an den Ohren zu tragen pflegten und ein so scharfes
Gehör bekamen, daß sie ein altes Weib über dreißig Meilen husten hören,
ei so lüg! Ein anderer zeigt ein Pulver -- es ist nichts anderes als
ein geriebener Weinstein! -- und schwört, daß er solches aus der Neuen
Welt durch die spartische Flotte habe bringen lassen und es sei nichts
anderes als pure Asche von dem verbrannten Vogel Phönix und eine
Messerspitze voll von diesem Pulver vertreibe allen Schwindel, so daß
sogar einer über einen Steg gehen könne, der nicht breiter sei als
ein Fiedelbogen, ei so lüg! Mit dergleichen wurmstichigen Predigten
betrügen sie sehr viel einfältige Leute, es sollen aber dieses
Gelichters Ärzte -- nicht alle Ärzte sind so beschaffen -- gleichwohl
bedenken, daß das Heulen und Zähneklappern ihnen nicht wird ausbleiben
nach Aussage des Psalmisten David. Einen Stand oder Profession ohne
böse Leute und ohne tadelhafte und gewissenlose Gesellen gibt es
überhaupt selten, ebensowenig wie einen Sommer ohne Mücken, ein Buch
ohne Eselsohr, einen Apfelbaum ohne Wurmstich, eine Schule ohne
Eselsbank, einen Wald ohne Gimpel, eine Kirchweih ohne Rauferei und
eine Schreiberei ohne Kleckserei.«

Hat unser Doktor Faust lange genug geschrien und geprahlt, dann holt
er mit sicherem Blick irgendeinen Tölpel aus der Menge heraus, zieht
ihn herauf auf seine Meßbude und schlägt ihm vor aller Augen mit einem
gewöhnlichen eisernen Schlüssel in einer halben Minute fünf Zähne aus.
Der arme Kerl stutzt wortlos, aber die Menge schreit bravo, klatscht
Beifall, und jubelt dem Wundermanne zu. Und man stürmt seine Bude, um
sich die gesunden Zähne ausschlagen zu lassen.

Aber es sind nicht nur Zähne, die unser Doktorsmann in seiner Meßbude
zieht; er barbiert, schert, ätzt, schneidet und brennt, setzt
Schröpfköpfe und macht Aderlässe und Klistiere -- ein vielseitiger
Mann. Vor allem aber: er zaubert. Wir werden nachher von seinen
Kunststücken hören.

Drinnen in der Wunderbude sieht es etwa aus wie in einer modernen
Bauernschenke, die ein Museum vorstellen soll. Menschen- und
Pferdeschädel liegen herum, getrocknete Pflanzen- und Blumenbündel
hängen an den Wänden; schlecht ausgestopfte Tiere baumeln von der
niedrigen Decke herab: Fledermäuse, Raben, Igel, Iltisse, Eichhörnchen,
ein Bussard. Mörser und Klöpfel, Kolben, Flaschen und Kruken mit
großen Aufschriften stehen umher. Auf einem Tische liegen Feilen
und kleine Sägen, Messer, Zangen, Geißfüße und seltsam geformte
Schlüssel. In kleinen zahlreichen Näpfen liegen Menschenzähne und
Zähne von Säugetieren und Fischen. Das Ganze macht den Eindruck einer
herumziehenden Apotheke.

Aber die Apotheke des sechzehnten Jahrhunderts sieht naturgemäß
wesentlich anders aus, als die der Gegenwart. Denn auch der Apotheker
ist ein Mann, der viel Geld verdienen will, und der infolgedessen
nicht das führt, was die klugen und vorgeschrittenen Ärzte anraten --
denn sie sind in der Minderheit und haben nur eine kleine Anzahl von
Patienten --, sondern das, was die abergläubische Menge verlangt, die
vom Kurpfuscher geschickt wird und die lieber an törichten Hokuspokus
glaubt, als an vernünftige Heilmittel. Zum Apothekeninventar gehören
gepulverte Edelsteine, gestoßener Bernstein, Meerschaum, Erde vom
Kalvarienberge. Man findet gebrannte Maulwürfe, Elenhörner, Wolfsgalle
und Wolfsleber, Hirsch- und Bockblut, Hühnermagen, Hechtzähne,
gedörrte Kröten (die werden noch 1815 als Mittel gegen Epilepsie
empfohlen!), Krebsaugen, Schlangenfett, Bärenschmalz, Mückenfett,
Gemszähne, Hasentalg, Schafsgalle, die Haut der Pfauenfüße, Fuchslunge,
Elsternaugen, Eichhornhirn, Auerhahnzunge, Krähenzunge, Pferdehaare,
Menschenhaare, Rabenkot und zugleich den Kot so ziemlich aller
Tiere, Schwalbensteine, Federn vom Kreuzschnabel, Schildkrötenblut,
Froschlaich, Igelkrallen, Fledermausflügel, Eingeweide des Chamäleon,
geraspelte Menschenschädel, menschliche Leichenteile von Erhängten
und Geköpften, ägyptische Mumien, Blut der Hingerichteten usw. Auch
Käfer wurden zu Heilzwecken verwendet; z. B. der siebenpunktierte
Sonnenkäfer, das Bluthähnchen, der schwarze, rotgeränderte Blattkäfer,
die Rüsselkäferarten, die auf den Artischocken leben und die spanische
Fliege.

Natürlich ging man um jene Zeit nicht sehr milde mit all dem Getier um,
das man für die Apotheke nötig hatte, denn oft mußte es bei lebendigem
Leibe gesotten, verbrannt oder zerstoßen werden, wenn es -- nach der
Meinung der Kurpfuscher -- dem Kranken helfen sollte. Da war die
schrecklichste Tierquälerei an der Tagesordnung.

Die Zahl der Pflanzen, die so eine Apotheke führte, ist sehr groß. Hier
sind einige der am meisten gebrauchten: Bibernell, Fenchel, Majoran,
Safran, Kreuzkraut, Wetterkerze, Sauerampfer, Fünffingerkraut, die
Wetterglocke, die Herrgottskrone, Wermut, Mariendistel, Habichtskraut,
Natternkopf, der spitze und breite Wegerich, das Dreifaltigkeitskraut,
der Tag- und Nachtschatten, Löwenzahnblätter, Fieberklee, Himmelsbrot,
Frauenmantel, die Kamille, das Wildfräuleinkraut, der Johannisgürtel,
Tausendgüldenkraut, die Pfefferminze, Hundszunge, Lavendelkraut,
Muskatnuß, Igelkraut, die Feige, Senf, Knoblauch, Tabak, Fallkraut,
Beschreikraut, Schwindelbeere, Warzenkraut, Pestwurz, Schinderrose,
Totenbeere, Totennessel, Lauskraut, Lungenkraut, Leberbalsam, Blutwurz,
Zahnwurz, Augentrost, Wehedistel, Wildmutterkraut, Teufelsabbiß,
Teufelsbart, Teufelswurz, Teufelchen, Teufelspeitsche, Teufelskralle,
Teufelsauge, Hexenklee, Hexenohr, Hexenlauch, Hexenkohl, Hexenkraut,
Hexenmehl, Schlehenhexe und Wetterhexe.

Alle diese Kräuter sind aber nur dann heilsam, wenn sie im
Frauendreißiger, das ist vom 15. August bis 14. September, schweigsam
gesammelt worden sind, oder auch in der Osternacht, der Johannisnacht
und Christnacht.

Um jene Zeit des Mittelalters war das Kräutersammeln ein mühseliges,
undankbares und wenig einbringliches Geschäft; überdies zeitraubend
und gefahrvoll, weil man dadurch leicht in den Verruf der Hexerei
kam. Es konnten sich ihm nur gründlich studierte Männer widmen, deren
Gelahrtheit freilich kein Hindernis war, ebenso abergläubisch zu
sein, wie Zigeuner und Verbrecher. Diese Kräutersammler mußten mit
der Natur vertraut sein wie die Tiere des Feldes und Waldes; ja, ihre
astronomische, zoologische, botanische, geologische, physikalische
und chemische Kenntnis mußte mindestens den Anstrich allumfassenden
Wissens haben. Es war nötig, daß sie die Gesetze der Sterndeutung und
Goldmacherkunst beherrschten; daß sie sich auf die Kunst verstanden,
Träume zu deuten, alle Knochenbrüche und inneren Krankheiten aus dem
Urin zu lesen und womöglich die Pest in Abwesenheit zu heilen. Es ist
selbstverständlich, daß man von ihnen die vollständige Beherrschung der
damaligen medizinischen Kenntnisse forderte. Anatomie, Physiologie und
Pathologie -- die damals allerdings noch in den ersten Anfängen staken
-- waren Wissenschaften, von denen sie natürlich auch läuten gehört
hatten.

Aber diese »Halbärzte«, die man als »Naturkundige« bezeichnete, obwohl
sie nur ein oberflächliches und verworrenes Wissen von der Natur
hatten, waren auch meistens ihre eigenen Destillatoren, und da niemand
sonst die Natur so gut kannte wie sie, waren sie auch ihre eigenen
Kräutersammler. Allein, das Wort »Kräutersammler« ist durch die
Jahrhunderte schon zu verblaßt und gibt ganz und gar keinen Begriff
von dem, was man darunter zu verstehen hat und überdies verrät es
auch nicht, daß der Kräutersammler, von dem ich hier spreche, den
~berufsmäßigen~ Kräuterhändler aus tiefstem Herzensgrunde als
einen unwissenden, bloß geldgierigen Kurpfuscher verachtete. Und
außerdem ist der Destillator nicht ~nur~ Kräutersammler im engen
Sinne des Wortes. Unseren Kräutersammler, der nichts aus Habgier
und alles aus Freude am Kurieren tut, findet man um Mitternacht auf
Kirchhöfen herumlungern, wo er nach alten Sargnägeln gräbt, welche
Gicht, Zahnweh und Cholera heilen; in feuchten Schluchten sucht er um
die Geisterstunde bei umwölktem Nachthimmel nach dem Feuersalamander
und der gefleckten Eidechse. Auf dem Hügel vor dem Tore, wo man die
Diebe und Mörder hängt, schneidet er Holzsplitter vom Galgen ab; denn
wenn man sich mit diesen die Zähne stochert, bekommt man sein Lebtag
kein Zahnweh mehr. In jedem Mauseloch gräbt er herum; er hebt große
Steine hoch, um feiste Ohrwürmer, Blindschleichen, den Tausendfuß
und anderes Gewürm zu fangen; er stampft in eigenartiger Weise auf
den Fuchsbau, um die Jungen herauszulocken, deren Kot er braucht, um
Krämpfe und schmerzende Ohren zu beruhigen. Er stapft in den Moorwiesen
umher, wo die Kröten dicht beieinanderhocken; denn die Kröte spielt
in der mittelalterlichen Heilkunde eine sehr große Rolle. Man sieht
ihn in der Leichenhalle, im sogenannten »Beinhause«, über den Toten
gebeugt, den man gestern hierhergebracht hat, wie er ihm Haare und
Fußnägel abschneidet, die gegen Bräune nicht minder wirksam sein
sollen als gegen andere Krankheiten. Die Tierquälerei steht bei ihm
in hoher Blüte. Er sucht das Nest der Schwarzdrossel, des Kuckucks
und der Elster, die er alle ausraubt, weil er die Herzen, die Augen
und die Leberchen der jungen Brut in seiner Apotheke braucht, in der
fast alles abergläubischen Zwecken dient. In seinem riesenhaften
Pflanzenkasten ist ein Tohuwabohu von allen möglichen Tieren, Pflanzen
und Gesteinsarten. Kein Tierchen läuft ihm über den Weg, das dem großen
Bedarf unseres Sammlers nicht seinen Tribut zollen müßte; keine Pflanze
blüht im verborgenen, von der er nicht für seine Apotheke, in der alles
aufgespeichert liegt, was die Natur nur hergibt, ein Steuerteil erheben
würde. Alles was das Auge erspäht, alles was in der Natur greifbar ist,
alles was die Hand nur erreichen kann, wird zu irgendeinem Heilzwecke
ausgebeutet. Freilich sind es meistens Kräuter, die unser Destillator
verwendet; aber er geht nicht hin und pflückt zu jeder beliebigen
Stunde, zu jeder beliebigen Jahreszeit gerade das, was da grünt und
blüht; er hat seine abergläubischen Vorschriften innezuhalten wie
der Teufel selbst, an den er glaubt, und er spricht lang und breit
von der rechten und besten Zeit, zu der die vorhin genannten Kräuter
einzusammeln sind. Unser geplagter Kräutermann muß nämlich auf die
Sonne, den Mond und die Sterne achten; ob Halbmond oder Vollmond ist;
ob erste Mitternachtshälfte, ob zweite; ob die Venus grün schillert
oder blau; ob die Sonne Wasser zieht oder nicht; ob sie sengt oder
strahlt usw.

Die Kunst, die vermeintlich besten Säfte aus Tier und Pflanze
herauszukochen, stand unleugbar hoch im Kurse. Es war dazu nichts
Geringeres als eine für die damaligen Begriffe vollkommene Kenntnis
des Planetensystems vonnöten; insbesondere wurden die Kräfte der Sonne
studiert -- was man so studieren nennt -- und man gab sich Mühe, ihre
ewigen Gesetze, nach denen sie arbeitete und denen sie unterworfen war,
zu ergründen. Natürlich wurden viele »Weisheiten« darüber zum besten
gegeben, die wir längst ins Fabelbuch geschrieben haben. Überdies
verfiel man auch noch auf den absonderlichen Gedanken, daß man mittels
der Hitze, natürlicher oder künstlicher, aus Tier und Pflanze alle
»Feuchtigkeit« herausziehen müsse, wie die Sonne alle Feuchtigkeit
aus der Erde ziehe. Und ebenso wie diese von der Sonne aufgesogene
Feuchtigkeit wieder als Regen, Schnee und Hagel herabfalle und die
Felder fruchtbar mache oder auch verwüste, ebenso könne und müsse die
aus Tier und Pflanze gewonnene Feuchtigkeit Menschen heilen können und
gewiß auch töten, wenn sie falsch angewendet würde.

Man sieht, mit der mühsamen Auffindung der Pflanzen und Materien, die
der Kräutermann benötigte, war seine Arbeit noch nicht zu Ende. Wenn er
schon alle Tiere und Pflanzen am richtigen Orte, zur vorgeschriebenen
Stunde, bei richtiger Beleuchtung und entsprechender Jahreszeit
gesammelt hatte, und wenn er -- immer nach dem Vorbilde der Sonne --
aus Strauch und Getier bereits alle irgendwie verwendbaren Materien und
Kräfte ausgezogen hatte, war er gerade am Anfang seines Geschäftes.
Denn das Zubereiten der Säfte selbst erforderte die größte Umsicht und
Geduld, Ausdauer und Fleiß, Kenntnisse der abergläubischen Geheimlehre,
in der von überirdischen Kräften die Rede war, und ~Kenntnis vor
allem der künstlichen und natürlichen Wärmeentwicklung und des
Einflusses dieser entwickelten Wärme auf die ausgezogenen Säfte~.
~Wie lange~ mußten Violen und Lilien, Hexenbart und Drudenfuß
zusammengekocht werden, bis der Sud auch ~wirksam~ wurde? ~Wie
viel~ Wärme hatte der Saft der Dachsleber oder der der Krähenaugen
nötig, um zur Verwendung als Mittel gegen die Gelbsucht brauchbar
zu werden? Und ~welche~ Wärme? Die des Ofens oder der Sonne?
Welcher Sonne? Der direkten Sonnenstrahlen oder der durch einen Spiegel
aufgefangenen Reflexstrahlen? Oder der in einem Brennglase in einem
Punkte gesammelten Strahlen? Oder vielleicht noch andere Wärme? Die des
ungelöschten Kalks oder der Erde? Die Wärme des faulenden Laubes oder
Mistes? Welchen Mistes? Der Kuh oder des Pferdes?

Das waren wichtige Fragen, solange man keine Öfen hatte, die eine
beliebige Wärmeregulierung ermöglichten. Denn von der richtigen Lösung
dieser gewiß verzwickten Aufgaben, die desto krauser und sinnloser
waren, je größer der Aberglaube war, hing ja das Gelingen oder
Mißlingen eines solchen Gebräus nicht minder ab.

Und man kann sich ferner denken, daß die Frage, in was für einem
~Gefäß~ das schreckliche Gemisch gebraut werden sollte, von nicht
geringerer Bedeutung war. Man muß einmal ein solch mittelalterliches
Destillierbuch in der Hand gehabt, all die tausend Formen der
Glaskolben, Trichter, Behälter, Flaschen usw. gesehen haben, um den
großen törichten Ernst zu begreifen, mit dem man über die Gefäßfrage
spricht. Es ist, als ob man sich plötzlich in die ~Zauberwelt~ des
Doktor Faust versetzt fühlte und man versteht, wie leicht ein solcher
Kräutersammler in jenen Tagen in den gefährlichen Ruf kommen konnte, er
pflege Umgang mit den Hexen, und der Teufel sei allabendlich bei ihm
zu Gaste, um in seltsam geformten Gläsern Höllengetränke zu brauen.
Es soll indessen nicht geleugnet werden, daß ein solcher Ruf dem
Destillator beim abergläubischen, Heilung suchenden Volk nur -- nützte.
Je größer der zauberische Glorienschein war, den eine abergläubische
Menge um sein Haupt wob, je mehr Zulauf hatte er. Man hoffte zwar auf
Gott, aber man glaubte an den Teufel.

                   *       *       *       *       *

Dies ist das Bild des ~sagenhaften Faust inmitten seiner
Tätigkeit~, desselben Doktor Faust, über den ungefähr dreitausend
Bücher geschrieben worden sind und dem Goethe durch seine herrliche
Dichtung die Unsterblichkeit gesichert hat.

Seit Jahrhunderten hat diese Figur die Dichter und Historiker in gleich
starker Weise angezogen und die Sage, die sich schon früh um Doktor
Faust gebildet hat, ist eine der tiefsten und großartigsten aller
deutschen Sagen, die uns den Glauben an ein Bündnis zwischen Mensch und
Teufel lebendig veranschaulicht.

[Illustration: Doktor Fausts Geburtshaus zu Roda.]

Mit zwei Wurzeln hat sich die Sage gleichsam in das Herz des Volkes
gegraben. Es waren ~erstens~ die Reste der ältesten Mythologien,
die im Faust verewigt waren; denn die meisten Erzählungen von Fausts
Taten und Erlebnissen, wie sie das Volksbuch uns erhalten hat, sind
nur umgestaltete Götter- und Elfensagen. Aber es war nicht nur dieser
mythologische Gehalt, der das Volk an der Faustsage anzog, sondern
~zweitens~ der philosophische und theologische Inhalt. Die
Frage nach der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit der Seele, der
Weltschöpfung usw. beschäftigte die Gemüter damals weit mehr und
tiefer als heute. Im Doktor Faust war nun eine Figur gebildet, in der
alles das zum Ausdruck kam, was damals das Volk bewegte. Faust lehnt
sich gegen Gott auf; er verbindet sich mit der Hölle, um durch sie zu
erlangen, was der Himmel ihm versagt hat. Denn damals glaubte man ja
noch, daß der Teufel sein Unwesen persönlich auf Erden treibe. Doktor
Faust übergibt sich dem Teufel, weil er an der ewigen Seligkeit
zweifelt; er streitet mit Mephistopheles über Weltentstehung und
Weltuntergang, über den Bau des Himmels, den Lauf der Gestirne, die
Beschaffenheit der Hölle, den Zweck und Sinn des menschlichen Lebens.
Kurz, im Volksbuch der Faustsage wird alles das ~ausgesprochen~,
was sonst der mittelalterliche Mann aus dem Volke kaum zu denken
wagte, und gerade deshalb haben die Dichter immer wieder diese Sage
bearbeitet, weil sie in ihr alles niederlegen konnten, was sie selber
im tiefsten Innern bewegte.

~Historisch~ ist an Faust das Folgende:

Er lebte etwa von 1480 bis ungefähr 1545. Sein Vorname war weder
Heinrich, wie Goethe ihn nennt, noch Johann, wie er gewöhnlich in
der Sage genannt wird, sondern ~Georg~. Viele Forscher nehmen
an, daß er aus Knittlingen im Württembergischen stammte und daß er
sich in Ingolstadt eine gediegene Bildung erwarb. Er befand sich ums
Jahr 1507 in Ingolstadt, dann in Gelnhausen, Würzburg und zuletzt in
Kreuznach, wo ihm Franz von Sickingen -- der in Goethes »Götz von
Berlichingen« verewigt ist -- eine Schulmeisterstelle anvertraute.
Faust erwies sich aber der Stelle als unwürdig. 1513 war er in Erfurt,
wo er nach einigen Jahren ausgewiesen wurde. 1520 war er in Bamberg,
wo er gegen ein Geldgeschenk dem Bischof Georg III. sein Schicksal aus
den Sternen prophezeite. Dann zog er nach Heidelberg, wo er sich bis
etwa 1525 aufhielt. Später begegnen wir ihm in Wittenberg, von wo er
hinausgetrieben wird, endlich wieder in Ingolstadt als Zahnbrecher,
wo ihm das gleiche Schicksal widerfährt. Besser ging es ihm beim
Erzbischof von Köln: Hermann von Wied. Doktor Faust soll endlich zu
Staufen im Breisgau als Sechziger eines plötzlichen, gewaltsamen Todes
gestorben sein.

Er war als ein gewaltiger Prahler verschrien und zog als
Hokuspokusmacher und Arzt, in der Weise, wie wir ihn bereits
geschildert haben, von Stadt zu Stadt. Denn allzulange duldeten ihn
die wohlweisen Magistratspersonen nie in ihren Mauern. Er nannte sich
den Philosoph aller Philosophen, rühmte sich in Würzburg, daß er
alle Wunder Christi vollbringen könne, so oft es verlangt werde; in
Wittenberg, daß er in den Himmel fliegen könne und daß er in Krakau
alle Künste der Magie erlernt habe. Die Schlacht bei Pavia und die
Eroberung Roms seien den Italienern nur geglückt, weil er ihnen durch
seine Zaubermacht geholfen habe.

Leichtgläubig wie das Volk war, wurden viele seiner Aufschneidereien
für bare Münze genommen und als vollbrachte Tatsachen weitererzählt.
Alle Zaubergeschichten, die damals reichlich im Umlauf waren,
wurden auf seine Person übertragen und viele andere wurden ihm
noch angedichtet. Sie machten ihn berühmt und zugleich berüchtigt.
Da aber solche Zaubereien, wie Faust sie vollbracht haben wollte,
nach Annahme des abergläubischen Volkes nur mit Hilfe des Satans
auszuführen waren, so erzählte man sich, Faust habe ein Bündnis
mit dem Teufel geschlossen, der ihn in Gestalt eines Pudels -- daß
Faust einen Pudel hatte, wird historisch verbürgt -- begleitet und
schließlich auf schreckliche Weise ums Leben gebracht und seinen
Leichnam auf den Mist geworfen habe. Auf diese Weise hat die Phantasie
des Volkes Fausts im Dunkel liegendes Leben ausgeschmückt und es
entstand die ~Faustsage~, die bereits fünfzig Jahre nach Fausts
Tod in voller Blüte steht. In ihr ist Faust bereits zum Vertreter der
mittelalterlichen Zauberer erhoben und durch seinen Namen werden die
verschiedensten Sagen und Märchen wie durch ein Band zusammengehalten.

Faust, so erzählt das älteste Volksbuch, das uns schon ganz ins
Sagenhafte führt, war gebürtig aus Roda bei Weimar. Seine Eltern waren
arme, fromme Bauersleute; aber sein Onkel zu Wittenberg war reich,
und da er keine Kinder besaß, nahm er Faust an Sohnes Statt an. Da
geriet er aber in schlechte Gesellschaft und begann Zauberschriften
zu studieren, die lauter Beschwörungsformeln und magische Figuren
enthielten: »Buch Mosis und dreifacher Höllenzwang«, »Mächtige
Beschwörung der höllischen Geister«, »Hauptzwang der Geister zu
menschlichen Diensten«, »Das Geheimnis der heiligen Gertrudis zur
Erlangung zeitlicher Schätze und Güter« und viele andere. Er ward
Kräutermann, Goldmacher, Destillator, Sterndeuter und Arzt. Nun lernte
er Zaubern und Geisterbeschwören und als er es gut verstand, begab
er sich eines Abends in den Spessart, um -- wie er behauptete -- den
Teufel anzurufen. Auf einem Kreuzwege zog er Zauberkreise um sich her
und begann die fürchterliche Beschwörung. Da erhob sich ein mächtiges
Getöse, die Bäume bogen sich bis zur Erde, und der Mond verbarg sich
hinter vorbeieilenden Wolkenfetzen. Es donnerte gewaltig, während die
wilde Jagd vorüberzog. Pfeile wurden von unsichtbarer Hand auf Faust
abgeschossen, und es erklang eine liebliche Musik. Gesang ertönte, und
als Faust aufblickte, gewahrte er eine Menge tanzender Teufel, die mit
ihren höllischen Schwertern klirrten und mit Spießen um sich warfen.

Als dieser Höllenlärm vorüber war, beschwor Faust den Teufel zum
zweitenmal und nun erschien über Fausts Haupt ein giftspeiender Drache.
Vom Himmel fiel ein Stern herab, der sich in eine feurige Kugel
verwandelte und nachdem Faust diese dreimal beschworen hatte, nahm
sie die Gestalt eines feurigen Mannes an; der ging eine Viertelstunde
stumm um Fausts Zauberkreis herum, verwandelte sich endlich in einen
grauen Mönch und fragte nach Fausts Begehr. Faust bestellte ihn für die
folgende Nacht um zwölf Uhr zu sich, doch forderte ihn der Teufel aufs
neue auf, zu schwören, daß er dem Fürsten der Hölle ergeben sein wolle.

Um Mitternacht fordert Faust vom Teufel, daß er ihm bis an seinen
Tod diene, alle seine Wünsche erfülle, unsichtbar in seinem Hause
walte und wenn er erscheine, daß er dann die Gestalt und Kleidung
eines Franziskanermönches annehme. Dagegen verlangt Mephostophiles,
Faust solle sich ihm mit seinem Blute verschreiben, den christlichen
Glauben ableugnen, aller Christen Feind sein, sich nie bekehren und
nie heiraten. Faust stellt diese gotteslästerliche Verschreibung
aus, fordert darin aber ausdrücklich, daß der Teufel vor allem
seinen Wissensdurst befriedigen müsse, den Gott nicht gestillt habe.
Mephostophiles (oder Mephistophiles, auch Mephistopheles) bringt
Speisen, Wein und Kleider für Faust und dessen Famulus Wagner; außerdem
erhält Faust vom Teufel wöchentlich fünfundzwanzig Kronen Taschengeld.

Wie widersinnig dieser ganze Teufelsglaube war und was es mit der
Zauberei auf sich hatte, ersieht man schon aus diesem kärglich
bemessenen Taschengeld. Denn wenn Faust hätte zaubern können, hätte er
auch nicht diese jämmerlichen fünfundzwanzig Kronen des Satans nötig
gehabt. Was konnten wohl für so einen mächtigen Zauberer fünfundzwanzig
Kronen in der Woche bedeuten? Und daß anderseits Faust für Speise,
Trank und Kleidung allein seine Seligkeit verkauft hätte -- abgesehen
davon, daß auch dies ein abergläubischer Unsinn ist --, dazu wird Faust
als ein viel zu weiser und wissensdurstiger Mann geschildert.

Das erste ist, berichtet die Sage, daß Faust dem bösen Geiste eine
Reihe theologischer, philosophischer und naturwissenschaftlicher
Fragen vorlegt, Fragen über die Beschaffenheit der Hölle, über die
Macht des Satans, über Luzifers Verstoßung aus dem Himmel, über die
Weltschöpfung, den Bau des Himmels und der Gestirne, über den Wechsel
der Jahreszeiten, die Mephostophiles dem Vertrage gemäß beantwortet. Um
sich weiter zu unterrichten, unternimmt Faust drei Reisen, eine in die
Hölle, die zweite durch den Wolken- und Sternenhimmel, die dritte durch
die meisten Reiche der Erde; die Hölle selbst sieht Faust freilich
nicht; er lernt sie nur in einem Traumgesicht kennen, das der Teufel
ihm vorgaukelt.

Nun beginnt Faust seine Zauberkunststücke, die aber allesamt
ebenfalls wieder im Widerspruch stehen mit dem Faust, der das höchste
Wissen der Menschheit zu umfassen sucht. Seine Zaubereien sind --
wie man gleich sehen wird -- weiter nichts, als zeitvertreibende
Taschenspielerkunststückchen, ganz unwürdig dieses groß angelegten
Faust. Man sieht nur, daß das Volk, das Faust diese Zaubersagen
angedichtet, gar nicht darüber nachgedacht hat, daß ein solcher
Mensch sein Seelenheil nicht preisgegeben hätte, nur um das Volk zu
unterhalten und durch Schelmereien zu belustigen.

Zu Innsbruck beschwor Faust Alexander den Großen und dessen Gemahlin
aus der Unterwelt herauf und führte sie Karl dem Fünften vor. Diese
Geistererscheinungen, wie alle anderen Zaubereien Fausts, die nur
auf einer geschickten Täuschung beruhen, werden ja noch heute einem
gutgläubigen Publikum gezeigt. Dort zauberte Faust auch einem Ritter,
der aus dem Fenster schaute, ein Hirschgeweih an, so daß der seinen
Kopf weder vorwärts noch rückwärts bewegen konnte. Erst als der ganze
Hof den Ritter verlacht hatte, löste Faust den Zauber. Wie Faust später
den kaiserlichen Hof verließ, zog ihm der Ritter mit sechs Reitern
nach, um Rache an ihm zu nehmen; da eilte Faust in ein Gehölz am Wege,
und als er wieder heraustrat, schien seinen Verfolgern das ganze Gehölz
voll geharnischter Ritter; sie flohen, aber sie wurden umringt und
ergaben sich. Faust ließ sie aber frei; doch zauberte er den Menschen
Ziegenhörner und den Pferden Kuhhörner an, die sie einen Monat lang
tragen mußten.

Vor Gotha verschlang Faust einst einem Bauer ein Fuder Heu nebst dem
Wagen und den Pferden; doch als der zu Tode geängstigte Bauer beim
Bürgermeister Klage führte und zum selben Platz zurückkam, standen
Wagen und Pferde unversehrt da. Ebenso machte es Faust einmal bei
Zwickau.

Drei Grafen, die in Wittenberg studierten, führte Faust mit Hilfe
seines Zaubermantels in einer Nacht nach München und wieder zurück.
Sie schauten dort der Hochzeit zu, welche der Sohn des Fürsten hielt,
doch Faust hatte ihnen verboten, ein Wort zu sprechen. Als nun der eine
sprach, wurde er gefangen genommen und eingekerkert, während Faust mit
den andern davonflog.

Von einem Wechsler lieh Faust einst sechzig Taler auf einen Monat. Als
die Frist vorüber war, bot er, da er noch nicht zahlen konnte, dem
Wechsler zur größeren Sicherheit sein Bein zum Pfande. Der Wechsler
nahm das Bein, das Faust sich abgesägt hatte, und warf es, weil ihm
das Tragen lästig wurde und weil er einen Prozeß fürchtete, in einen
Fluß. Nach drei Tagen wollte Faust das Pfand einlösen; da der Wechsler
den Fuß aber nicht mehr beschaffen konnte, ging er seiner Forderung
verlustig und mußte noch sechzig Taler dazu bezahlen. Faust hatte
natürlich nach wie vor seinen Fuß; alles war nur augenverblendende
Schwarzkunst.

Auf einem Jahrmarkte verkaufte Faust einem Roßtäuscher ein Pferd für
vierzig Gulden; doch als dieser es in die Schwemme ritt, verwandelte
es sich unter ihm in ein Bündel Stroh. Er eilte zu Faust zurück,
der scheinbar schlafend auf seinem Bette lag, zog ihn am Bein, aber
kaum hatte er ein wenig daran gezerrt, so hatte er es auch schon
ausgerissen. Erschrocken entfloh der Roßtäuscher, doch Faust, der ihn
nur verblendet hatte, lachte sich krumm und schief. Ebenso verkaufte
Faust ein andermal fünf Schweine für dreißig Gulden; aber als sie der
Käufer, trotz der Warnung Fausts, ins Wasser getrieben hatte, schwammen
nur fünf Strohbündel darin herum.

Das Geld, mit dem Faust seine wüsten Zechereien bezahlte, pflegte sich
einige Tage später stets in Kot oder in Hornspäne zu verwandeln.

Zu Wittenberg sah unser Schwarzkünstler einst, wie sich zwölf Studenten
vor seinem Hause miteinander stritten. Er verblendete ihnen die Augen
und sie schlugen nun, ohne sich gegenseitig zu erkennen, wütend
aufeinander los.

Bei einem tollen Zechgelage zauberte Faust einst im Winter einen
Rebstock auf den Tisch, der voll reifer Trauben hing. Niemand sollte
die Trauben abschneiden, ehe Faust das Zeichen gegeben hätte. Begierig
faßte jeder mit der einen Hand eine Traube und mit der anderen ein
Messer; da entzauberte Faust ihre Augen und sie erkannten, daß jeder
nahe daran war, die Nase seines Nachbars abzuschneiden.

Als Faust einst in einer Schenke das Singen und Schreien der Bauern
verdroß, machte er, daß ihnen plötzlich der Mund weit aufstand und sie
kein Wort zu sprechen vermochten, bis er sie wieder entzauberte. -- Zu
Heilbronn bezauberte er die Kühe auf gleiche Weise, deren Muhen ihn
verdroß.

Beim Grafen von Anhalt ließ Faust einst im Januar durch seinen Geist
auf Wunsch der Gräfin Obst herbeischaffen, das er innerhalb einer
halben Stunde aus den fernsten Ländern herbeiholte. Auch baute er dort
über Nacht ein Zauberschloß, in welchem er den Grafen und noch viele
Gäste herrlich bewirtete. Doch als sie aufbrachen, ging das Schloß in
Flammen auf und sie hatten allesamt Hunger, als ob sie nichts gegessen
hätten.

An Fastnacht fuhr Faust mit Studenten einmal auf einer Leiter in den
Keller des Salzburger Bischofs, wo sie allerlei Weine tranken.

Am weißen Sonntage führte Faust den Studenten die griechische Helena
vor, deren Schönheit sie dermaßen entzückte, daß beschlossen ward, sie
tags darauf malen zu lassen. Zu Erfurt, wo Faust Vorlesungen hielt
über Homer, beschwor er einst die Helden der Ilias und der Odyssee und
führte sie den Studenten vor. Als diese aber den schrecklichen Riesen
Polyphem herkommen sahen, der nur mitten in der Stirn ein Auge hatte,
das er furchtbar rollte, bekamen die Studenten eine Heidenangst; Faust
lachte sich aber halbtot.

Bei Braunschweig begegnete Faust einst einem Bauern, der einen leeren
Wagen mit vier Pferden führte. Faust bat ihn, sich aufsetzen zu dürfen
und da der Bauer ihm dies verweigerte, ließ er die vier Räder des
Wagens an die Stadttore Braunschweigs fliegen und die Pferde wie tot
niederstürzen. Als der Bauer jedoch auf den Knien um Verzeihung bat,
hieß ihn Faust Erde auf die toten Pferde werfen; alsbald erhoben sie
sich wieder unverletzt und auch die Räder saßen wieder an den Achsen.

Zu Neu-Ruppin pflegte Faust abends mit den Bürgern, die ins Wirtshaus
kamen, Karten zu spielen und zu würfeln. Er hatte Pferdefüße und gewann
sehr viel.

Als Faust in Leipzig mit mehreren Studenten an einem Weinkeller
vorüberging und die Küfer verhöhnte, welche sich vergeblich mühten, ein
Faß von achtzehn Eimern Inhalt heraufzuwinden, versprach der Besitzer
demjenigen das Faß Wein als Eigentum, welcher es allein heraufschaffen
könne. Da setzte sich Faust auf das Faß, als sei es ein Pferd und ritt
damit zum Keller hinaus. Es gibt einen Vers auf dieses Zauberstück, der
lautet:

      »Der Doktor Faust zu dieser Frist
      Aus Auerbachs Keller geritten ist
      Auf einem Faß mit Wein geschwind,
      Welches gesehn viel Mutter -- Kind;
      Hat's durch sein subtil Kunst getan,
      Des Teufels Lohn empfangen davon.«

In Erfurt wohnte ein Junker, der mit Faust befreundet war. Als dieser
Junker bei einem Gelage mit mehreren Freunden Fausts zusammensaß,
rief einer im Scherz Faust herbei, der sich gerade am kaiserlichen
Hof in Prag aufhielt. Alsbald erschien Faust, von Mephostophiles
begleitet, der sich in ein geflügeltes Roß verwandelt hatte. Während
des Zechens fragte er jeden Anwesenden, was für Wein er trinken wolle,
darauf bohrte er vier Löcher in den Tisch und es flossen daraus die
verschiedensten Weinarten. Gegen Morgen eilte er wieder durch die Lüfte
nach Prag. Noch bis vor kurzem wurde in Erfurt das Haus gezeigt, wo der
mit Faust befreundete Stadtjunker wohnte.

Später einmal lud Faust dieselben Freunde in Erfurt zu einem Gastmahle
zu sich. Als sie angekommen waren, sahen sie noch keine Vorbereitungen
zur Bewirtung. Da schlug Faust mit einem Messer auf den Tisch und es
trat ein Diener herein, welchen Faust fragte, wie schnell er sei. Der
antwortete: Wie ein Pfeil. Das schien Faust zu langsam und er entließ
ihn darum; es kam ein zweiter, schnell wie der Wind, der auch entlassen
wurde; erst der dritte, welcher so schnell war, wie der Gedanke des
Menschen, schaffte bald die herrlichsten Speisen und Getränke in Hülle
und Fülle herbei.

Ein andermal soll er vierzigtausend Höllengeister zu seiner Bedienung
beschworen haben, fand aber keinen flink genug.

In Frankfurt traf Faust während der Messe einst mit vier Gauklern
zusammen, welche einander die Köpfe abschlugen und wieder aufsetzten.
Sobald ein Kopf vom Körper getrennt war, wuchs aus einem dabeistehenden
Gefäß voll gereinigten Wassers eine Lilie, welche die Wurzel des Lebens
hieß. Faust bemerkte das und durchschlitzte die Lilie, welche eben
wieder emporschoß, heimlich mit einem Messer; da versuchten die drei
Zauberer vergeblich, ihrem vierten Gesellen den Kopf wieder aufzusetzen.

Zu Straßburg bewährte sich Faust als vortrefflicher Schütze; selbst
nach dem Teufel schoß er, der oft laut aufschrie.

Wenn Faust reiste, mußten ihm die Geister vorn, hinten und zu beiden
Seiten den Weg pflastern. Zu Regensburg war es seine größte Freude, auf
der Donau Kegel zu schieben und Fische zu fangen.

Als er einst am Karfreitag in Jerusalem war, befahl er dem Teufel,
drei Ellen Leinwand zu bringen und ganz Portugal darauf zu malen, so
daß man jedes Haus sehen könne. Dies hatte Mephostophiles in wenigen
Augenblicken getan, und nun befahl ihm Faust, Christus am Kreuz
abzumalen, aber nichts daran zu vergessen, besonders nicht den heiligen
Namen. Das konnte Mephostophiles nicht; darum verblendete er die Sinne
Fausts und malte statt Jesum eine Venus, auf die Faust zustürzte,
wodurch er denn endgültig der Hölle verfallen war.

Im siebzehnten Jahre seines Bundes mit dem Teufel mußte sich ihm Faust
aufs neue verschreiben, weil er sich von einem frommen Manne fast hätte
bekehren lassen.

Im neunzehnten Jahre lud Faust einst um die Weihnachtszeit eine
Gesellschaft fröhlicher junger Menschen in seinen Garten zu Wittenberg
und zur Verwunderung der Gäste grünte und blühte alles und nirgends war
zu erkennen, daß es Winter war.

Neben Mephostophiles hatte Faust noch einen dienstbaren Geist namens
Prästigiar, der die Gestalt eines schwarzzottigen Hundes hatte. Diesen
lieh er einst einem Abt in Halberstadt auf drei Jahre; doch schon nach
dem ersten Jahre starb der Abt im Wahnsinn.

Auf einem Bergschloß in der Nähe von Heilbronn (Boxberg) streckte Faust
einst seine Hand nach dem Regenbogen aus, der am Himmel stand. Da
senkte sich der Regenbogen immer tiefer und tiefer herab, bis ihn Faust
ergriff und festhielt. Er erbot sich, auf ihm zum Himmel zu reiten,
doch als die Anwesenden sich's verbaten, ließ Faust den Regenbogen los,
der wieder an seinen Platz zurückschnellte.

Auf einer Reise nach Wittenberg verschlang Faust in einem Wirtshause
den Aufwarteburschen, der ihn nicht rasch genug bediente, und trank
darauf einen großen Kessel voll Wasser. Nachher fand man den Burschen
tropfnaß hinter dem Ofen im Schwenknapf liegen, wo er zum Gaudium der
Gäste am Kragen herausgezogen wurde.

Bei einem Bankett, das Kaiser Maximilian einmal gab, verwandelte Faust,
um seine Dankbarkeit zu bezeigen, das Schlafzimmer des Kaisers eines
Morgens in einen Zaubergarten. Man hörte Nachtigallen singen, die Amsel
und die Wachtel schlugen fröhlich, Papageien schwatzten durcheinander.
Indische Hähne und Hennen liefen herum, Rebhühner, Haselhühner,
Kraniche, Reiher, Schwäne und Störche. Man sah Laub und Gras und die
seltensten Blumen; Narzissen und Rosen prangten ringsum. Der Garten
war bestanden mit Granaten-, Pomeranzen-, Limonien-, Zitronen- und
Feigenbäumen; Kirsch-, Birn- und Äpfelbäume wuchsen bunt durcheinander.
Orangenbäume trugen Datteln, Tannenbäume trugen Aprikosen,
Kastanienbäume trugen Pfirsiche. Schmucke Tauben flogen gurrend hin und
her und belebten das zauberschöne Bild. Allein nach etwa einer Stunde,
ehe man sich's versah, fingen die Blätter an den Bäumen an zu welken,
die strotzenden Früchte fielen herab und verdorrten, Blumen schrumpften
zusammen und bald kam ein Windstoß zum Gemach herein, der wehte alles
herab, so daß der köstliche Zauber in einem Augenblick verschwunden war
und alle Gäste nun vermeinten, sie hätten bloß geträumt.

Bei einem anderen Zechgelage mit Studenten ließ Faust einmal neben
vielen Braten auch einen schönen, großen, gebratenen Kalbskopf
auftragen. Er bat einen der Studenten, den Kopf zu zerlegen. Als dieser
nun das Messer ansetzte, fing der Kalbskopf mit lauter Stimme an zu
sprechen: »Mordio! Helfio! Auweh! Was hab' ich dir getan, du elender
Rotzlöffel!«

Ein andermal ließ Faust während einer Tafel Wolken heraufziehen, und
als sie sich teilten, leuchteten die Sterne hindurch; nach einer Weile
türmte sich neues Gewölk auf, die Sonne begann heftig zu blenden, so
daß alle Anwesenden sich bekreuzten; ein Regenbogen wölbte sich vor
der Tafel des Kaisers; bald verschwand er wieder und es folgten Blitz,
Donner, Hagel und strömender Regen. Die Gäste flohen entsetzt, obwohl
keiner Schaden gelitten hatte.

Einem Freiherrn, der bei Eisleben wohnte, schuf Faust einen Lustwald
voll Nachtigallen, Drosseln, Fasanen und Papageien; einige von den
Vögeln verkündeten die Zukunft; als Faust aber gestorben war, flogen
sie alle wieder davon.

Als nun die vierundzwanzig Jahre, welche Faust sich von der Hölle
ausbedungen hatte, verflossen waren, wurde er vom Teufel geholt,
erzählt die Sage. Er setzte seinen Famulus Christoph Wagner zum
Erben ein und trug ihm auf, alle seine Kunststücke, Zauberpossen und
wunderlichen Abenteuer, die er getrieben, getreu aufzuzeichnen und sie
in eine Historie zu bringen.

[Illustration: Doktor Faust in seinem Studierzimmer.]

Am Morgen seines letzten Tages zog Faust mit vielen Freunden in das
Dorf Rimlich bei Wittenberg und erzählte ihnen voller Reue, wie er sein
Leben verspielt habe und was ihm nun bevorstehe. »Wisset« -- sagte er
-- »daß ich von Jugend an, während mich Gott mit einem guten Verstand
begabt hat, mit solcher Gabe nie zufrieden war, sondern viel höher
hinaus und über andere emporkommen wollte. Darum habe ich mich mit
Ernst und Fleiß auf die Schwarzkunst gelegt. Jedoch meine Vermessenheit
geriet mir bald zum Bösen. Ich mußte mich dem höllischen Luzifer mit
Leib und Seele verschreiben, Gott lästern, die heilige Dreifaltigkeit
höhnen und der Kirche absagen. Dafür habe ich gutes Essen und Trinken
eingetauscht und die Erfüllung aller Begierden. Fressen, Saufen und
Spielen waren meine Vergnügungen, für die ich nun meine ewige Seligkeit
verloren habe. Ich habe Gott den Herrn verlassen und nun gehöre ich dem
Satanas.«

In der Nacht zwischen zwölf und eins, als Fausts Stundenglas abgelaufen
war, erhob sich ein mächtiger Wirbelsturm. In Fausts Zimmer hörte man
ein grauenerregendes Pfeifen und Zischen, als ob das ganze Haus von
Nattern und Schlangen erfüllt wäre. Fausts Tür ging auf; mit schwacher
Stimme hörte man ihn noch um Hilfe rufen, dann war alles still und
stumm. Am nächsten Morgen fand man Fausts ganzes Zimmer mit Blut
bespritzt; sein Körper lag auf einem Misthaufen.

Noch nach dem Tode erschien Faust seinem Famulus und offenbarte ihm
vieles Geheime. Auch sahen ihn viele, die bei Nacht an seinem Hause in
Wittenberg vorübergingen, zum Fenster herausschauen. Und in dem Hause
ward es seit seinem Tode so unheimlich, daß kein Mensch sich mehr
getraute, darin zu wohnen. Noch lange, lange nachher blieb es verrufen.
Im Dreißigjährigen Kriege rettete sich der Dorfschulze zu Brade
bei Wittenberg dadurch das Leben, daß er dem Soldaten, der auf ihn
eingedrungen war, sagte, dies sei das Haus, in welchem Doktor Faust,
der Schwarzkünstler, vom Teufel geholt worden sei. Zum Beweise zeigte
er sogar an der Wand eine blutbefleckte Stelle, und der Soldat entfloh
mit Schrecken.

Faust soll auch Zauberbücher geschrieben haben. Das berühmteste trug
den Titel: »~Doktor Fausts großer und gewaltiger Höllenzwang~,
mächtige Beschwörungen der höllischen Geister, besonders des Aziels,
daß dieser Schätze und Güter von allerhand Arten gehorsamvoll, ohne
allen Aufruhr, Schreckenssetzung und Schaden vor den gestellten Kreis
seiner Beschwörer bringen und zurücklassen müsse«.

Nach Zwickau kamen noch im Jahre 1700 Schatzgräber und forderten unter
schweren Drohungen Fausts Bücher, die sich auf der Zwickauer Bibliothek
befinden sollten. Die Zwickauer Schüler lernten aus Fausts Schriften
angeblich das Mantelfahren und flogen -- so redeten sie der Menge ein
-- auf ihren Schulmänteln über die Stadtmauern und um die Teiche herum.
Wer Fausts »Höllenzwang« vorwärts las, dem erschien der Teufel; las man
ihn rückwärts, so entfloh er wieder; wer ihn aber nicht rückwärts lesen
konnte, der wurde vom Satan umgebracht. --

So hieß es jahrhundertelang.

Noch heute gibt es Betrüger genug, die sich als Hexenmeister aufspielen
und dem abergläubischen Volk unter Berufung auf Fausts »Höllenzwang«
die Sparpfennige aus den Taschen locken. Auch diese Gaukler verstehen
es, gebratene Kalbsköpfe mittels der Bauchredekunst sprechen,
mit Hilfe von versteckten Schattenbilderlampen Gestalten aus der
Unterwelt erscheinen zu lassen und einen Regen blanker Goldstücke
aus dem Ärmel zu schütteln, einem Menschen den Kopf abzuschlagen und
wieder aufzusetzen usw. Insbesondere haben die auch in Deutschland
herumziehenden indischen Fakire diese Taschenspielerkünste auf eine
ganz erstaunliche Höhe gebracht. Und wenn man sieht, daß sich selbst
die kühlsten Beobachter durch diese Kunststücke oft blenden lassen,
kann man es gut verstehen, daß das unwissende Volk Zauberei und Spuk
in den Kunststücken erblickte, die durch einfache Fingerfertigkeit zu
erklären waren. Aber immerhin beweisen diese modernen Schwarzkünstler,
daß Faust und seine Taten in der Seele des Volkes noch immer lebendig
sind.




                         Goethe der Botaniker.


Wenn man von Goethe erzählt, so spricht man vom Juwel des ganzen
Menschengeschlechts. In einem kurzen Überblick den größten Menschen und
bedeutendsten Dichter der Welt betrachten, das wäre darum ein ebenso
unwürdiges, wie tollkühnes Beginnen.

Selbst wenn man sich darauf beschränkt, nur eine kleine Seite dieses
gewaltigen Geistes zu beschreiben, ist man ob der Fülle des Materials
in Verlegenheit. Umfaßt doch heute die Literatur über Goethe schon eine
Bibliothek, die mehr als zehntausend Bände zählt.

Darum soll hier nicht von seinen herrlichen Dichtungen die Rede
sein, die in der gesamten Weltliteratur unübertroffen dastehen;
auch das Leben Goethes sei hier nicht geschildert, obwohl viele
Forscher im Zweifel sind, ob Goethe als Mensch nicht noch größer und
bewundernswürdiger war, denn als Dichter.

Nie vorher und nie nachher hat ein Mensch eine so umfassende Bildung
besessen wie Goethe; aber ebenso groß war auch sein Edelmut und seine
Hochherzigkeit; er war hilfreich und gut, selbstlos, pflichtgetreu
und unermüdlich in der Arbeit. Als Dichter und als Übersetzer, als
Kunsthistoriker und als Naturforscher hat er alle Pforten der Schönheit
vor uns aufgeschlossen. Er erst hat uns gelehrt, Kunst und Natur in
vollen Zügen zu genießen. Denn ~vor~ Goethe wußte man nicht, wie
herrlich das Reisen ist, und wie voll tausend heimlicher Wunder die
Natur! Die Sehnsucht, die ~uns~ heute ins Gebirge und in die
Wälder zieht, die Freude, die wir heute in Flur und Au, an der See und
in den Alpen empfinden, hat erst Goethe in uns geweckt. Unsere Ahnen
kannten sie nicht. Für den Menschen des Altertums und Mittelalters
waren Wälder und Berge Orte des Grauens und Schreckens, vor denen man
sich fürchtete. Dazu kam die Unsicherheit vieler Gegenden, in denen
sich Räuber und wilde Tiere aufhielten; ferner die Kostspieligkeit
und Beschwerlichkeit des Reisens überhaupt und die höchst mangelhafte
Verpflegung. Wenn man reiste, um sich zu zerstreuen, so suchte man die
Städte auf, um fremde Länder und fremde Menschen kennen zu lernen; aber
die freie Gottesnatur verachtete man; sie war der Aufenthalt böser
Geister und Dämonen. Nur Menschenfeinde, Besessene oder Einsiedler
suchten die Waldeinsamkeit auf, in der sie niemand störte. Vor Goethe
sang man nicht die herrlichen Rheinlieder, kannte man nicht die
Fußreisen durch den Harz, Thüringer Wald, den Schwarzwald oder das
Riesengebirge. Vor Goethe dachten nur wenige daran, die eisbedeckten
Alpengletscher zu besteigen oder um der Kunst und glühenden Landschaft
willen eine Reise nach Italien zu machen. Der Idyllendichter Salomon
Geßner, der Naturforscher und Poet Albrecht von Haller, dem wir das
große Gedicht über »Die Alpen« verdanken, der pädagogische Reformator
Rousseau, Winckelmann, der sein Leben der Wiedererweckung der antiken
Kunst geweiht hat, unser Dichter Lessing -- das sind einige berühmte
Ausnahmen, die größere Reisen oder Fußwanderungen nach den Alpen
beziehungsweise nach Italien unternommen hatten und die ziemlich
vereinzelt dastehen.

Die Natur war nur für die Fachgelehrten da; soweit Lehrer, Ärzte,
Apotheker und Kräutersammler sie eben beruflich brauchten.

Aber es ist klar, daß diese unbegrenzte Liebe Goethes zur Natur
ihn auch nicht eher ruhen ließ, als bis er sie im Innersten erfaßt
und erkannt hatte. Und so gibt es denn auch kaum ein Gebiet der
Naturwissenschaften, auf dem er nicht Unvergängliches, Grundlegendes
und Bleibendes geleistet hätte. Mit seinen Arbeiten über Anatomie und
Optik, Mineralogie und Geologie, Meteorologie und Klimatologie haben
sich die größten Gelehrten beschäftigt und auseinandergesetzt. Seine
Arbeiten auf diesen Gebieten haben anregend und fruchtbringend gewirkt,
und keiner, der sich dem einen oder anderen Gebiet zuwenden will, kann
an Goethe achtlos vorübergehen.

Wir wollen uns hier ein wenig mit Goethe dem Botaniker befassen, wo wir
ihn unmittelbar in der Natur wirken sehen.

                   *       *       *       *       *

Er selbst berichtet uns, daß er als Frankfurter Stadtkind noch nicht
einmal den Unterschied der drei Reiche gekannt habe; infolgedessen
hatte er sich auch wenig mit dem Reiche der Blumen beschäftigt. Erst
als er in Weimar einzog, als Sechsundzwanzigjähriger, beglückte ihn der
Gewinn, Staub und Stadtluft mit Land, Wald und Garten zu vertauschen.
Und erst durch seinen Beruf als Minister am Weimarer Hofe, wurde er
zur ernsten Beschäftigung mit den Naturwissenschaften geführt. Er
hatte die Leitung der Forstverwaltung, und durch seine Teilnahme an
den großen Jagden im Thüringer Wald begann er die Natur der Bäume zu
studieren. Der Herzog hatte ihm einen großen Garten geschenkt, »ein
rechter Gelehrtengarten«, der ihm eine reiche Quelle zur Beobachtung
der Pflanzen wurde, und in dem sein Geist ausruhen konnte.

Wenn man vom Schloß Weimar kommend, die Ilm überschreitet, gelangt
man zum Stern, in dessen Nähe am Abhang des Ilmtales der ansteigende
Goethesche Garten liegt. Am Fuße der Schrägung steht ein einfaches
Gartenhaus, dessen erstes Stockwerk unter Schlingpflanzen, Geißblatt
und wilder Rebe versteckt ist. Mitten im Gartenhang befindet sich eine
einladende Laube, von hohen Bäumen und Sträuchern umgeben, von der man
eine anmutvolle Aussicht genießt. Eine Steintafel, die da eingefügt
ist, erzählt uns, daß diese Laube die Geburtsstätte herrlicher
Dichtungen war, und daß Goethe hierher ging, um seine Sorgen und Kämpfe
zu überdenken, seinen Forschungen und stillen Freuden nachzuhängen. Die
umgebenden Bäume besaßen die ganze Liebe Goethes.

      »Sag' ich's euch, geliebte Bäume,
      Die ich ahndevoll gepflanzt,
      Als die wunderbarsten Träume
      Morgenrötlich mich umtanzt.
      Wachset wie aus meinem Herzen,
      Wachset in die Luft hinein;
      Denn ich grub ja Freud' und Schmerzen
      Unter eure Wurzeln ein.«

Oft saß Goethe nachts auf dem Altan des Gartenhauses und schlummerte,
während laute Gewitter ihn umtobten. Er fand es unter Blitz, Donner und
Regen so herrlich, daß ihm das Bett leid wurde, und so oft er erwachte,
mitternachts, um zwei, um vier Uhr, immer entzückte ihn von neuem die
Herrlichkeit des Himmels. Seiner Freundin Charlotte von Stein schickte
er bald selbstgezogenen Spargel, eigengezüchtete Rosen, Erdbeeren usw.
Selbst in Winternächten weilte er gern hier. Und als er endlich 1782
in sein vornehmes Stadthaus übersiedelt, und ihm jemand den Garten
abkaufen will, geht er noch einmal hinaus. »Jede Rose sagte zu mir: und
du willst mich weggeben? In dem Augenblick fühlte ich, daß ich diese
Wohnung des Friedens nicht entbehren könne.«

Ein so inniges Leben im Garten mußte in Goethe natürlich viele Gedanken
über das Walten und Weben der Natur auslösen. Wenn er durch die Felder
reitet, denkt er über die Entstehung und Bildung der Erdoberfläche
nach und um bei seinen Studien im Reiche der Pflanzen nicht ohne
Lehrer zu sein, wählt er die Werke Linnés, der erst vor wenigen Jahren
verstorben war, nachdem er die ganze naturgeschichtliche Anschauung
seiner Zeit beherrscht und reformiert hatte.

Aber Goethe fand sich in dieser rubrizierten und klassifizierten Welt
Linnés nicht zurecht. Er studierte auf eigene Faust weiter und weckte
in seiner ganzen Umgebung dieselbe Leidenschaft für botanische Studien.
Der Herzog selbst wurde ein eifriger Gartenliebhaber, schaffte die
seltensten ausländischen Gewächse in seine Gartenhäuser und kaufte für
seine Bibliothek die kostbarsten botanischen Werke an. Goethe kaufte
Mikroskope zum genaueren Studium, sezierte Kokosnüsse und stellte
mit den verschiedensten Samen allerhand Keimversuche an, mit Pisang,
Kaktus, Trüffeln, Morcheln, Steinpilzen, Pfefferkörnern, Leinsamen,
Roggen, Erbsen, Linsen, Kartoffeln, Tee, Bier, Fichtenzweigen.
Bald schreibt er einem Freunde: »Ich habe in der Botanik hübsche
Entdeckungen und Kombinationen gemacht,« und einer Freundin: »Wie
lesbar mir das Buch der Natur wird, kann ich Dir nicht ausdrücken; mein
langes Buchstabieren hat mir geholfen, jetzt wirkt's auf einmal, und
meine stille Freude ist unaussprechlich.«

Im Juni 1785 begibt sich Goethe in Gesellschaft von seinem Freunde
Knebel auf die Reise. Auf dem Burgweg bei Jena begegnen sie
einem siebzehnjährigen Studenten namens Dietrich, der mit der
Botanisiertrommel auf dem Rücken heimwärts wandert. Er wird aber von
Goethe angehalten, muß die Büchse öffnen, die Pflanzen herausnehmen,
ihre lateinischen und deutschen Namen aufsagen, Klasse und Ordnung des
Linnéschen Systems angeben, den Nutzen in Land- und Hauswirtschaft
erläutern. Da er das Examen recht gut besteht, wird er von Goethe
zu einem Spaziergang eingeladen, auf dem beide Federgras pflücken,
Frauenschuh, Spinnen- und Fliegenorchis, das bleiche Vogelnest und
andere botanische Zierden der Jenenser Kalkberge. Dietrich wird
aufgefordert, die Herren auf einer Reise durchs Fichtelgebirge und ins
Karlsbad zu begleiten, und hocherfreut sagt er zu.

Tags darauf macht sich die Gesellschaft auf den Weg; da Goethe aber
unterwegs erkrankt, muß die Reise auf sechs Tage unterbrochen werden.
Dann geht's über Schleiz, Hof und Weinsiedel ins Fichtelgebirge hinein.
So oft man an einer Wiese vorbeifährt, muß der Kutscher anhalten; der
Student steigt aus, um die merkwürdigsten Pflanzen zu sammeln und den
Herren im Wagen vorzuzeigen, während Goethe, Linnés »System« auf den
Knien, in dem Buche blättert und Linnés Beschreibung nachliest.

In den Bergen besteigt die kleine Reisegesellschaft den Seeberg und
den Ochsenkopf. In einer Schlucht erblickt Goethe auf dem Grunde einen
purpurroten Fleck, der seine Verwunderung erregt. Sofort steigen die
Herren hinab und erblicken ein Torfmoor, auf dem der Sonnentau mit
seinen purpurnen Blattrosetten sich so massenhaft angesiedelt hat,
daß das Moor wie ein blutroter Teppich erscheint. Goethe untersucht
die Pflanzen sorgfältig und findet an den Blättern kleine Insekten
haften. Es ist der ~insektenfressende Sonnentau~, der, sobald
er mit seinen klebrigen Blütenblättern ein Insekt gefangen hat, es
nicht mehr losläßt und, wie die Schlange ihr Opfer verschlingt und
nach einiger Zeit die unverdauten Reste auswirft, das gefangene Tier
in seinem Kelche einschließt, ihm -- wie die Spinne -- mörderisch das
Blut entzieht, die Weichteile aufzehrt und erst dann wieder seine Blüte
öffnet, wenn neuer Hunger ihn treibt, und wenn ihm das unverdauliche
Hautskelett des Opfers lästig wird.

Aber nicht nur das lebende Insekt wird von dem Sonnentau mit großem
Appetit verzehrt. In der Verdauungskunst können die Blättchen des
Sonnentaus überhaupt mit jedem Tiermagen in den Wettkampf treten. Sie
verdauen auch leicht das rohe, das gekochte und gebratene Kalb- und
Rindfleisch. Gekochtes Eiweiß bekommt ihnen ebenfalls vortrefflich.
Sie sind auch Freunde eines scharf paprizierten Käses. Ja, sogar
an Knorpel, Leim, stickstoffreichen Pflanzensamen, Blütenstaub,
Knochensplittern und selbst am steinharten Zahnschmelz verderben sie
sich ihren beneidenswerten Magen nicht. Dagegen verschmähen sie jedwede
mehlige, fette, süße und saure Speise; essen, wenn man ihnen fettes
Fleisch reicht, wie viele Menschen, nur das Fleisch und lassen das
Fett liegen, und können sich, wenn man sie überfüttert oder ihnen die
Mahlzeiten zu schnell hintereinander verabreicht, wie die Kinder, an
den Folgen der Magenverstimmung und der unregelmäßigen Nahrungszufuhr
eine schwere Krankheit, ja sogar den Tod holen.

So ist Goethe einer der Ersten, der eine insektenfressende Pflanze
beobachtete. Denn erst fast ein Jahrhundert später hat der große
Naturforscher Darwin sein Werk über die insektenfressenden Pflanzen
veröffentlicht.

Die Pflanzen, die Goethe auf dieser Reise sammelte, hat er in Herbarien
eingelegt, die man noch jetzt im Goethe-Haus zu Weimar sehen kann, wo
sie in acht schwarzgestrichenen Holzkisten untergebracht sind. Die
Pflanzen sind in die vierundzwanzig Klassen des Linnéschen Systems
eingeteilt und sauber auf Papierblätter aufgeklebt; daneben stehen die
deutschen und lateinischen Namen. Auch Goethes Pflanzenpresse ist noch
vorhanden.

Als die Reisenden endlich in Karlsbad angelangt waren, hatten sie
sofort einen Kreis erlesener Freunde um sich: Frau von Stein, Gräfin
Bernstorff, die Fürstin Lubormirska, Graf Brühl, Herder, Voigt, Bode.

Schon in aller Herrgottsfrühe muß Dietrich, der junge Kräutersammler,
die Flora Karlsbads absuchen, die gesammelten Pflanzen in großen
Bündeln an den Brunnen bringen und, während Goethe seine bestimmte
Anzahl Becher leert, ihre Namen laut ausrufen. Die Pflanzen werden
sorgfältig eingelegt und Goethe erklärt seinem Kreise die Ideen, die
die Pflanzen in ihm erweckt haben.

Nun läßt ihm die Botanik keine Ruhe mehr; von den hochentwickelten
Pflanzen wagt er sich jetzt bereits in das schwer zu durchwandernde
Reich der Kryptogamen, studiert Moose, Schwämme, Flechten und Algen.
Im Winter 1785/86 setzt er eifrig das Botanisieren und Mikroskopieren
fort. Im Juni schreibt er an seine Freundin, Frau von Stein: »Die
Blumen haben mir wieder gar schöne Geschichten zu bemerken gegeben,
bald wird es mir gar hell und licht über alles Lebendige.« Und ein paar
Tage darauf: »Ich bin von tausend Vorstellungen getrieben, beglückt und
gepeinigt; das Pflanzenreich rast wieder in meinem Gemüte, ich kann es
nicht einen Augenblick loswerden, mache aber auch schöne Fortschritte.
Es ist eine wunderbare Epoche, in der Du mir eben fehlst. Am meisten
freut mich jetzt das Pflanzenwesen, das mich verfolgt, und das ist's
eben, wie mir die Sache zu eigen wird. Es zwingt sich mir alles auf;
ich sinne nicht darüber, es kommt mir alles entgegen, und das ungeheure
Reich vereinfacht sich mir in der Seele, so daß ich die schwerste
Aufgabe gleich weglesen kann. Wenn ich nur jemand den Blick und die
Freude mitteilen könnte! Es ist aber nicht möglich: und es ist kein
Traum, keine Phantasie, es ist ein Gewahrwerden der Form, mit der die
Natur gleichsam nur immer spielt und spielend das mannigfaltige Leben
hervorbringt. Hätte ich Zeit in dem kurzen Leben, so getraut' ich mich,
es auf alle Reiche der Natur, auf ihr ganzes Reich auszudehnen.«

Ende des Jahres 1786 ging Goethe über den Brenner nach Italien. Am
Walchensee bemerkt er den ersten Bergahorn und die erste Gentiane,
hinter Innsbruck die ersten Lärchenbäume, an der Brennerstraße die
ersten Zirbelkiefern. Er stellt Betrachtungen an über den Einfluß
des Höhenklimas auf die Gestaltung der Alpenpflanzen. Und inmitten
der Weingelände des wilden Etschtales, inmitten der Maisfelder, der
Fruchtbäume, der Maulbeer-, Nuß- und Quittenbäume fühlt er sich wie
neugeboren. In Verona erregen die Jahrhunderte alten Zypressen in ihm
das Gefühl der Verehrung. Als er einige Zweige mit grünen Zapfen und
einige blühende Zweige der Kapernstaude sich von einem Diener nach
Hause tragen läßt, schauen ihm die Vorübergehenden auf die Finger »und
machen sich ihre Gedanken dabei«.

Aber erst im botanischen Garten von Padua tritt ihm die
Pflanzenherrlichkeit des Südens in überwältigender Pracht vor Augen;
zauberhaft leuchtet ihm eine hohe breite Mauer mit feuergelben Glocken
der kletternden Bignonie entgegen. Eine Fächerpalme, die erste im
Lande, zieht seine ganze Aufmerksamkeit an. Diese Palme lebt noch
heute und überrascht mit ihrem siebenfach verzweigten Riesenstamm,
ihren grünen Blattfächern und ihren gelben Blütenrispen den deutschen
Besucher als eine lebende Reliquie des großen Dichters; sie ist mit
einer Inschrift versehen, die sie als »Goethepalme« bezeichnet und
so Goethes Besuchs im botanischen Garten gedenkt. »Hier in dieser
mir entgegentretenden Mannigfaltigkeit,« schreibt Goethe, »wird mir
der Gedanke immer lebendiger, daß man sich alle Pflanzengestalten
vielleicht aus ~einer~ entwickeln kann. Hierdurch wird es möglich
werden, Geschlechter und Arten wahrhaft zu bestimmen ... Auf diesem
Punkt bin ich in meiner botanischen Philosophie stecken geblieben und
sehe noch nicht, wie ich mich entwirren will.«

Aber seine Gedanken wachsen immer mehr. Je weiter Goethe nach Süden
kommt, desto mehr fremdartige Pflanzen bemerkt er, die er in jedem
Garten, auf jeder Lustfahrt sammelt. »Die Botanik übe ich auf Wegen
und Stegen, ich werde immer sicherer, daß ich die allgemeine Formel
gefunden habe, die auf alle Pflanzen anwendbar ist.« Viele Versuche aus
jener Zeit sind noch erhalten; so einige Dattelpalmen, die Goethe aus
Kernen herangezogen, um ihre Entwicklung zu beobachten. Sie schmücken
noch heute als hundertjährige Goethepalmen in der Villa Malta einen der
Hügel von Rom.

Als Goethe im Frühjahr 1788 nach Weimar zurückkehrt, liegen die Lehr-
und Wanderjahre in den Naturwissenschaften hinter ihm; er ist zum
Meister gereift. Je mehr er sich der Heimat entfremdet fühlt, desto
verwandter wird ihm die Natur. »Aus Italien, dem formenreichen, war
ich in das gestaltlose Deutschland zurückgekehrt, heiteren Himmel mit
trübem zu vertauschen. Im Laufe von zwei vergangenen Jahren hatte ich
ununterbrochen beobachtet, gesammelt, gedacht, jede meiner Anlagen
auszubilden gesucht; der Natur glaubte ich abgemerkt zu haben, wie
sie gesetzlich zu Werke geht, um lebendiges Gebild als Muster alles
Künstlichen hervorzubringen ... Aber schmerzlich vermißte ich jede
Teilnahme; die Freunde, statt mich zu trösten und wieder an sich zu
ziehen, brachten mich zur Verzweiflung. Niemand verstand meine Sprache.«

Es vergingen nach der Rückkehr aus Italien noch zwei Jahre
ununterbrochenen Studierens, Beobachtens und Durchsprechens mit den
Freunden, ehe er mit seinen botanischen Ideen an die Öffentlichkeit
trat. Endlich, im Frühjahr 1790, hatte er den »Versuch, die
Metamorphose der Pflanzen zu erklären«, zugleich mit der Faustdichtung
der Öffentlichkeit übergeben. Aber die Ernte seines jahrelangen
Bemühens, zu zeigen, ~daß sich die mannigfaltigen Erscheinungen der
Flora auf ein allgemeines einfaches Prinzip zurückführen lassen~,
war ein großer entmutigender Mißerfolg. Die Fachgelehrten lehnten das
Werk Goethes als das eines außerhalb der Zunft stehenden Dilettanten
ab; sie sahen ein freches Wagnis darin, das festgefügte Gebäude des
Linnéschen Systems erschüttern zu wollen. Die Freunde überschütteten
Goethe mit gutgemeinten Warnungen, die blühenden Auen der Poesie mit
Gewächshäusern und getrockneten Herbarien zu vertauschen. Kurz, Goethe
stand einsam. »Es ist die größte Qual,« ruft er aus, »nicht verstanden
zu werden, wenn man nach großer Bemühung und Anstrengung sich endlich
selbst und die Sache zu verstehen glaubt; es treibt zum Wahnsinn, den
Irrtum immer wiederholen zu hören, aus dem man sich mit Mühe gerettet
hat.«

Das Unglück Goethes war, daß er seine Abhandlung um ein Jahrhundert
zu früh hatte erscheinen lassen, ehe es Botaniker gab, die imstande
waren, sie zu studieren und zu verstehen. Er fand zwar manche
Anerkennung, aber im großen und ganzen war seine Zeit nicht reif dafür.

Trotz aller Enttäuschungen dachte Goethe aber daran, einen zweiten
Teil der Metamorphose herauszugeben, der die erläuternden Abbildungen
und Beweise für seine neue Lehre bringen sollte. Herbarien wurden
gesammelt, Merkwürdigkeiten in Spiritus verwahrt, Zeichnungen
verfertigt, Kupfer gestochen.

Inzwischen hatte in Frankreich Rousseau, der ebenfalls ein
leidenschaftlicher und bahnbrechender Botaniker war, aufs
eindringlichste dahin gewirkt, daß an Stelle der Linnéschen
Klassenunterschiede die Ordnung der Natur zu ihrem Rechte komme. Goethe
zögerte nicht lange, die neue Ordnung in seinem Weimarer Berggarten
aufzunehmen, und der gegenwärtige Goethesche Garten zeigt noch heute
dieselbe ursprüngliche Anordnung in vier geradlinige, rechteckige
Beete, die von Buchskanten, alten Rosenstöcken, Geißblatt und anderen
Schlingpflanzen eingefaßt sind. In der Mitte befinden sich zwei
kreisrunde Rabatten, sowie ein schöner Laubengang, der von einer
Kornelkirschhecke gebildet wird; prächtige alte Bäume wachsen darin;
Blutbuchen, Kastanien, Eschen, Robinien.

Goethe wandte sich nun vorzugsweise der ~Physiologie~ der Pflanzen
zu; er studiert zunächst die Wirkung des Lichtes auf die Pflanze. Im
Sommer 1796 läßt er sich Glastafeln anfertigen aus gelbem, blauem und
violettem Glas; diese Gläser läßt er in Rahmen fassen, und die Rahmen
legt er auf Holzkästchen, die bis zur Hälfte mit Erde angefüllt sind,
in welcher die verschiedensten Samen ruhen, die gut gepflegt und zur
Entwicklung gebracht werden.

Fast jeden Tag hob Goethe die Glastafeln auf, um zu kontrollieren, ob
die Farbe der Gläser auf das Wachstum der Pflanzen von Einfluß sei.
Dann untersuchte er, wie sich Pflanzen entwickeln, denen man das Licht
entzieht. Zu dem Zwecke ließ er in einem leeren Gewächshause eine
Menge verschiedener Blumensamen in die Erde aussäen und das Haus durch
Läden verfinstern. Herder hatte die irrige Meinung, die Keime würden
sich ohne Licht überhaupt nicht entwickeln; die Zukunft belehrte ihn
aber, daß die Keime sich wohl entwickelt hatten, daß die Blättchen aber
klein und blaßgrün geblieben waren. Aber sobald Goethe im Juli die
Läden fortnehmen ließ, gewannen die weißlichen Blättchen bald wieder
ihre gesunde grüne Farbe zurück.

In einer klaren Juninacht ging Goethe einmal in seinem Garten auf
und ab und beobachtete plötzlich auf den Blumen des roten Mohns ein
flammenähnliches Aufblitzen. Goethe stellte fest, daß es sich dabei
nicht um ein wirkliches Aufleuchten, sondern nur um eine besondere
Farbenerscheinung handelte.

So war er unablässig bemüht, neue Beispiele des Bildens und Umbildens
der Pflanzen zu sammeln; besonders förderte ihn sein Verhältnis zur
Universität Jena, deren Kurator er war. Unter Goethes wohlwollender,
geschäftskundiger und intelligenter Leitung führte er mit den
bescheidensten Mitteln eine Blüte dieser Hochschule herbei, die
ohnegleichen war. Er gründete Bibliotheken, Institute und Sammlungen
und legte einen botanischen Garten und ein Museum an. So oft er in
Jena war, bewohnte er das schlichte Gartenhaus, dessen einfache
Zimmereinrichtung der moderne verwöhnte Mensch nicht ohne Rührung
betrachtet.

Hier knüpfte Goethe auch Beziehungen zu dem achtundzwanzigjährigen
Alexander von Humboldt an, der sich vor seiner großen amerikanischen
Reise lange in Jena aufhielt. »Meine naturhistorischen Arbeiten sind
durch Humboldts Gegenwart aus dem Winterschlaf geweckt,« schreibt
Goethe an Knebel. Und an Humboldt selbst: »Es waren die schönsten Jahre
meines Lebens, wo ich in Ihrer Nähe Ihres wohltätig begeisternden
Einflusses genoß.« Zu Eckermann sagte Goethe: »Was persönlicher
Gedankenaustausch fördert, empfinde ich, wenn Männer wie Humboldt hier
durchkommen, und mich in dem, was ich suche und was mir zu wissen nötig
ist, in einem Tage weiterbringen, als ich sonst auf meinem einsamen
Wege in Jahren nicht erreicht hätte.«

Goethes Idee der Metamorphose der Pflanzen, die darauf beruhte, daß
der Bauplan der Pflanze unendlich einfach sei, insofern sie immer nur
ein- und dasselbe Organ in den verschiedensten Formen entwickelt,
diese Idee ist heute selbstverständliches Gemeingut der Wissenschaft
geworden, und man hat darüber vergessen, wie viele jahrelange Kämpfe es
Goethe gekostet hat, sie durchzusetzen. Erst der fast siebzigjährige
Forscher kann rückblickend sagen: »Mir ist ein erwünschtes Los
gefallen. Jünglinge gelangten auf den Weg, dessen ich mich erfreue,
teils veranlaßt durch meine Vorübung, teils auf der Bahn, wie sie
der Zeitgeist eröffnet. Stockung und Hemmnis sind nunmehr kaum zu
befürchten; eher vielleicht Voreiligkeit und Übertreibung, als
Krebsgang und Stillstand. In so guten Tagen, die ich dankbar genieße,
erinnert man sich kaum jener beschränkten Zeit, wo meinen ersten
Bestrebungen niemand zu Hilfe kam.«

Und noch immer läßt er nicht ab, alles, was ihm im Leben der Pflanzen
als bemerkenswert auffällt, aufzuzeichnen. Mit herzlicher Freude
vernimmt er, daß ein botanischer Freund einem der edelsten Bäume des
brasilianischen Urwaldes den Namen »Goethea« gegeben.

Doch nun kommen die Jahre, in denen er sich müde fühlt, dem Wanderer
gleich, der still ausruht und die rüstige Jugend an sich vorbeiziehen
läßt, um neue Länder zu entdecken und unbebaute Felder der Wissenschaft
urbar zu machen. »Es ist das höchste Glück des Menschen, das
Erforschbare erforscht zu haben und das Unerforschte in Ehrfurcht zu
genießen.«

                   *       *       *       *       *

Wie sehr Goethe seine ~poetischen~ Werke mit Gleichnissen aus der
Pflanzenwelt geschmückt hat, ist zu bekannt, als daß man es besonders
hervorheben müßte; aber wir wissen jetzt, daß er diese Symbole aus
eigener Anschauung, gewissermaßen direkt aus den Händen der Natur,
empfangen hat, und wir wissen ferner, daß ihn seine botanischen Studien
gelehrt haben, die ganze Natur als ein ~einziges~ großes Reich
zu betrachten; er teilte sie nicht in drei Reiche. Für ihn gab es
nur ~ein~ Reich des Lebens, das von den einfachsten Anfängen in
unzähligen Zwischenstufen Schritt für Schritt sich zu den höchsten
Gestaltungen erhebt, überall denselben Gesetzen unterworfen. Keine
neuen Kräfte, keine ihrem Wesen nach verschiedene Tätigkeiten treten
auf. Der Baum des Lebens ist ein einziger und einheitlicher, der seine
Wurzeln in den Gebilden der ~Pflanzen~ ausbreitet, sich in den
Stämmen der ~Tiere~ zu immer vollkommeneren Formen erhebt und im
~Menschen~ die höchste Blüte entfaltet.

Worin -- habe ich mich oft gefragt -- besteht wohl die große und
tiefe Freude, die Feld und Wald uns bereiten? Ist diese Freude etwas
anderes als eine Ahnung der geheimnisvollen Beziehung, die zwischen dem
Menschen und der Pflanzenwelt besteht? Denn seit der Mensch auf der
Erde wandelt, hat er die Natur, die ihn umgibt, in sich aufgenommen
und für seine Vorstellungen auszubeuten gesucht. Der Mensch fing an,
die verschiedenen Pflanzengestaltungen zu prüfen, inwiefern die eine
mehr, die andere weniger das andeutete, was in seinem Inneren vorging.
Durch die Pflanzen, die er wählte, teilte er seine Gefühle mit. Die
weiße Lilie entsprach der Unschuld, das Leberblümchen dem Ärger, die
Klette bedeutete Anhänglichkeit, die Brennessel Bosheit, das Veilchen
Bescheidenheit, die Schlüsselblume Aufrichtigkeit, das Heidekraut
Einsamkeit, die Aster Kummer, der Lorbeer Ruhm, die Palme Sieg, die
Eiche Stärke und Ehre, der Wein Fröhlichkeit, die Ähre Fruchtbarkeit,
die Dornen Unglück, das Immergrün Hoffnung, die Rose Liebe, der
Rosmarin Tränen, die Zypresse den Tod usw. Man sprach durch Blumen, wie
die alten Ägypter sich durch Bilder verständigten.

Der Mensch erkannte die unzähligen innigen Beziehungen, die zwischen
Mensch und Pflanze herrschen, in bezug auf Wachstum, Klima, Nahrung,
Verdauung, Schlaf, Gefühl, Seele; in bezug auf Ironie und Grobheit,
Karikatur und Schönheit, Gefräßigkeit und Bescheidenheit, Parasiten-
und Schmarotzertum, Reichtum und Armut, Umgebung und Gesellschaft, Luft
und Wetter, Kost und Bekleidung, Persönlichkeit und Menge, Genialität
und Philisterium, Raffiniertheit und Intelligenz, Frechheit und Anmut.
Denn es gibt keinen Zustand, keine Daseinsform, die in der Pflanzenwelt
nicht ihre Verkörperung gefunden hätte.

Das ~Klima~ beeinflußt die Pflanzenwelt in dem gleichstarken Grade
wie den Menschen. In der heißen Zone leben die fast durchweg schlanken
und breitschulterigen nackten Menschen, im Norden Asiens die kleinen
verkümmerten Beringsvölker. Ebenso sprießt die Pflanzenwelt der heißen
Zone üppig und verschwenderisch, während die Flora der nördlichen
Breitengrade ein trauriges zwerghaftes Dasein fristet.

Wie die Pflanzen sind auch die Menschen entweder durch natürliche
~Grenzen~, durch Meere oder Hochgebirge voneinander getrennt,
oder sie gestatten von den Grenzen aus bei naher Berührung einen
gegenseitigen Austausch ihrer Bewohner. Wie im Pflanzenreiche leben im
Reiche der Menschen unter gleichem Himmel doch in scharfer Abgrenzung
und in gesonderten Staaten Menschen verschiedener Sprache und
Abstammung; aus der Verschmelzung mehrerer Urstämme ist eine gemischte
Bevölkerung hervorgegangen.

Pflanzen ~schlafen~ wie der Mensch, und der Schlaf ist ihnen
ebenso vorteilhaft und notwendig. Auch die Pflanze schützt sich vor
Erkältungen und vor dem Tod durch Erfrieren, indem sie in hellen,
kalten Nächten nicht die breite Fläche, sondern die scharfe Kante
dem Himmel zukehrt, um die Wärmeausstrahlung zu verhindern oder doch
zu vermindern. Die meisten Blumen begeben sich erst gegen Abend zur
Ruhe. Die Blüten ziehen sich eng zusammen, und die Blätter kehren ihre
Unterseite nach oben.

Man könnte die Blumen auch nach ihrem ~Dufte~ einteilen, der
ihre Seele ist. In der Tat ist der Duft das edelste Kunstwerk, das
die Pflanze in den tausend Tätigkeiten ihres Lebens hervorbringt. Der
Duft ist unerklärbar und unerforschlich wie die menschliche Seele, und
ebenso verschieden wie sie. Die Düfte sind die Gefühle der Blumen.

Und es gibt ~Grobiane~ in der Pflanzenwelt, die, angefaßt, einen
Geruch von sich geben, den man in guter Gesellschaft nicht näher
beschreiben möchte.

Man hat ferner ~Schmarotzerpflanzen~ beobachtet, die ausschließlich
von anderen Pflanzen leben und ihnen die Kräfte wegstehlen. Wie
Riesenschlangen greifen sie die mächtigsten Stämme an und winden sich
fest um sie, als wollten sie die Kolosse ersticken. Sie strecken sich
nach den umstehenden Bäumen und Bäumchen aus, ergreifen den nächsten
Nachbar, umwickeln Schößlinge und Sprößlinge und bilden zahllose
pflanzliche Laokoon-Gruppen.

Es gibt auch ~Karikaturen~ in der Pflanzenwelt, die die Baumform
zu verhöhnen scheinen. Das sind die Parodisten unter den Pflanzen.
Man denke nur an die Kakteen. Sie predigen fast absichtlich die
Gesetzlosigkeit jeder Form. Bald kriechen sie schlangenartig am Boden
hin, bald hocken sie wie überfüllte Blasen übereinander. Bald sind
sie scharfkantig und lang wie Balken, bald unförmig riesengroß wie
entartete Kürbisse. Bald -- in den südlichen Ländern -- sind sie
haushoch, bald so klein wie eine Erbse. Bald haben sie die Form des
stachligen Kugelfisches, bald die einer platten Flunder. Sie können
aussehen wie plumpe Puppen und wie die Schnauze des Sägehais; man sieht
sie Tropfsteingebilde nachäffen und Biertonnen verhöhnen. --

Den Grundstein zu allen diesen Beobachtungen hat ~Goethe~ gelegt,
der nicht nur als Dichter an der Spitze der Menschheit steht.




                          Goethe in Venedig.


Ich krame gar zu gern auf den alten Böden, die unter der Dachschrägung
liegen und mit einer kleinen verstellbaren Fensterluke versehen sind;
wo es nach Ruß und Rauch, nach Wäschedunst und heißer Sonne riecht;
wo verhungerte Spinnen neben den Fliegengerippen in ihren verstaubten
Netzen hängen; wo allerhand Ungetier still und verstohlen herumkreucht;
wo zehntausend wertlose schiffbrüchige Dinge umherliegen: geköpfte
Puppen, leere Sektflaschen, künstliche Palmen, alte, weiß Gott! wie
alte Schmöker, Stühle ohne Beine, Lackstiefelchen mit klaffenden
Wunden, verbeulte kupferne Kasserollen, Beinkleider, denen man
entwachsen ist, rostiges Eisenzeug, Schulhefte, ein zerbröckelndes
Herbarium, Rhomboiden und Pyramiden aus Pappdeckel, ein Kinderwagen und
noch so viel anderer unnützer Plunder.

Ich krame gar zu gern in diesem schwer bestaubten, toten Gerümpel, das
mir so viele kostbare Erinnerungen schenkt und so viel Geliebtes, das
tot ist, wieder lebendig werden läßt. In diesen Rumpelspeichern sitzt
mit Urgroßmuttershaube die Zeit und träumt ihre Träume von der Ewigkeit
und vom Zerfall aller irdischen Dinge ...

Habt ihr ihr noch nie zugeschaut, ihrem leisen melancholischen Wirken
und Weben und ihrer stillen, unermüdlichen Arbeit? Wie sie zum
Beispiel dem kleinen Kinderwagen, in dem ihr einst als der Abgott
eurer Eltern gelegen, und der so blink und so blank durch die Gärten
der Stadt gefahren wurde, wie sie diesem Wagen, in dem ihr eure ersten
Lebensjahre verbracht habt, ganz langsam die kleinen, entzückenden
Vorhänge fortreißt und den Stoff Faden um Faden auseinandernimmt.
Wie sie den braunen Firnis ableckt! Wie sie die spiegelhellen
Nickelstangen anhaucht, daß sie erblinden! Wie sie das ganze Gerippe
des Wagens bloßlegt, dann auch an diesem nackten Gestell zu nagen
beginnt und so lange daran nagt und knuspert und knackt und beißt, bis
es zusammenbricht, und ihr nichts weiter mehr seht als ein Häuflein
Eisenstangen und Korbweiden? Freilich das dauert Jahre, Jahre ... aber
sie hat ja keine Eile.

Ich krame gar zu gern in diesen formlos gewordenen, in der Auflösung
begriffenen Dingen, die die Vergangenheit zur Gegenwart machen. Da
komme ich zuweilen herauf auf den Rumpelkoben, um nach den lieben
Erinnerungsstücken zu schauen, die zu Staub werden zwischen den
langsamen Kiefern der Zeit. Der Klopfwurm hämmert im Dachgebälk, in den
Mauerlöchern verkriecht sich der Tausendfuß, und auf dem Dache gurren
die Tauben. Manchmal geht auch eine Katze da oben spazieren, streckt
ihren martialischen Schnurrbart zur offenen Fensterluke herein und sagt
mir »Guten Tag!«

Als ich wieder einmal da oben zwischen den vermotteten Trümmern
verblaßter Erinnerungen saß, fiel mir ein Kasten voller Steine in die
Hände, die am Strande des Adriatischen Meeres aufgelesen waren.

Und kaum sah ich diese buntfarbigen, von den Meereswellen
abgeschliffenen Felssplitter, als plötzlich ganz Venedig vor meinem
Geiste auftauchte, wo die Heimat dieser Steine ist.

Kennt ihr Venedig? ...

Wenn ihr euch mir anvertrauen wollt, will ich euch führen ...

                   *       *       *       *       *

Es ist morgens fünf Uhr ...

Venedig schläft noch ... Das Venedig, von dem man an grauen Herbsttagen
träumt, nach dem man sich an bleiernen Wintertagen immer wieder sehnt.
Der palastbesäumte +Canale grande+ schläft noch. Aber rudert mit
mir in der schwarzen stillen Gondel bis zur Rialtobrücke, laßt das
Venedig des Märchens, das Venedig der Dogen hinter euch versinken ...

Und nun wollen wir uns in den Gassen herumtreiben, in denen Shylock
und Tubal Handel trieben, in denen Shakespeare wohl die Hälfte des
»Kaufmanns von Venedig« spielen läßt, was -- topographisch betrachtet
-- gar nicht möglich ist.

Es ist das Venedig, von dem ihr nie sprechen hört; das Venedig der
Armen. In seinem Venetianischen Brief vom 29. September 1786 erwähnt
Goethe dieses Viertel; er spricht von dem Zwang, den der beschränkte
Raum auf die Bauart ausübte. Die Häuser suchten die Luft -- sagt er
-- wie Bäume, die geschlossen stehen; sie mußten an Höhe zu gewinnen
suchen, was ihnen an Breite abging. »Auf jede Spanne des Bodens geizig
und gleich anfangs in enge Räume gedrängt, ließen sie zu Gassen nicht
mehr Breite als nötig war, eine Hausreihe von der gegenüberstehenden
zu trennen und dem Bürger notdürftige Durchgänge zu erhalten ... Die
Enge und Gedrängtheit des Ganzen glaubt man nicht, ohne es gesehen zu
haben. Gewöhnlich kann man die Breite der Gassen mit ausgereckten Armen
entweder ganz oder beinahe messen, in den engsten stößt man schon mit
den Ellbogen an, wenn man die Hände in die Seite stemmt.«

In der Tat, es gibt da elende Winkel, in die die italienische Sonne
nie einen Strahl wirft. Hier fällt kein Licht herein; hier ist alles
fruchtbar ohne Sonne. Und hier, wo wir jetzt wandern, hat schon mit der
Morgendämmerung ein rastloses Wirken begonnen. Das malerische Bild ist
von starkem Eindruck, aber allerdings auf Kosten der armen Teufel, die
Leben und Gesundheit dafür lassen. Krumme Häuser seht ihr, als hätten
Blinde sie aufgebaut; Gesichter, als hätte die Hölle sie ausgebleicht.
Schönheit muß man hier nicht suchen. Freude und Lust, Paläste, Kirchen
und Theater, kostbare Juwelen und seltene Gemälde, alte Spitzen und
erlesene Antiken -- alles, was dem Leben den Glanz des Genusses gibt,
erscheint plötzlich furchtbar und tyrannisch. Voll stolzer Verachtung
zwang jenes Venedig alle die Demütigen und Armen, die Erniedrigten
und Geächteten in diese menschenunwürdigen Stadtteile, in diese
Gassen voll ekler Dünste, voller Kehricht und Moder. Hier warf es die
Tausende von Sklaven her, denen es einen jämmerlichen Unterschlupf
gewährt und die sich am Tage um eines Soldo willen bekämpfen und
beneiden, verfluchen und töten. Hier leben die kleinen Händler, die
Fabrikarbeiter und Arbeiterinnen, die schwindsüchtigen Glasbläser und
Glasspinnerinnen, die Mosaiksetzer, die Perlendreher und Holzschnitzer
-- jeder ein Künstler in seiner Art.

[Illustration: Goethe in der Campagna.]

Die prächtigen, für satte und zufriedene Leute berechneten Läden auf
dem Markusplatz schlafen noch friedlich; aber in den häßlichen und
gewundenen Straßen, durch die wir jetzt kommen, schwimmt bereits der
Rauch schlechter Öfen. Rundum Häuser, die zusammengeklebt einander
stützen und vor dem Umfallen bewahren; schmutzigbraune, ockergelbe,
rosarote, bleichgrüne, graue Häuser. Mauern an Mauern aus verwittertem,
vor Alter sterbendem Stein, Fenster mit staubgrauen Gardinen blicken
griesgrämig drein. Schwere Beklommenheit befällt euch. Man kann das,
was man hier atmet, ebensowenig als Luft bezeichnen, wie man einen
Stein Brot nennen kann. Wo ihr hinblickt, gewahrt ihr das schändliche
Zeugnis eines ungleichen, heißen, aber vergeblichen Kampfes, den
der Vater gegen den Sohn führt, und der Bruder gegen die Schwester.
Man sieht unansehnliche Kasernenbauten, Kramläden, Weinkneipen,
Barbierläden, Schuppen mit Polstermöbeln gefüllt, von denen die
Fetzen herabhängen, Trödelbuden, eine Schlosserwerkstätte, Flure mit
gefälschten Antiquitäten vollgepropft.

Gegen sechs Uhr beginnt es hier lebhaft zu werden; verworrenes Gesumme
aus Gängen und Gäßchen; fernes Sprechen zusammengepferchter Menschen.
Gegen sieben Uhr wimmelt es bereits, und ihr habt den Eindruck, als
seien alle Ameisen allmählich aus ihren Löchern hervorgekrochen, um nun
den ganzen Tag unermüdlich herumzulaufen und Soldi zu sammeln.

Es scheint Wochenmarkt zu sein. In langen Reihen ziehen sich
offene Buden an den Häuserwänden hin, hinter denen die Verkäufer
in fieberhafter Eile ihre Waren auspacken. Ganze Berge von Orangen
und Zitronen, von grünen Feigen und Mispeln wachsen im Nu vor euch
auf. Wagen und Körbe stehen umher; ganze Haufen von lebendigem und
geschlachtetem Federvieh umgeben euch plötzlich. Hühner gackern,
Tauben gurren. Kupferbraune Tagelöhner, verblühte Frauen, oft mit
einem Säugling an der Brust, frühwelke Kinder, die erst Menschen
werden wollen, große und kleine Taschendiebe, dickleibige Hausfrauen,
schlecht frisierte und schlecht gekleidete Mädchen, Matrosen, Händler,
Pfaffen, Klosterschüler, Polizisten quirlen hier durcheinander. Alles
mögliche kommt zum Verkauf: alle südlichen Obstarten, Hammelfleisch,
das metallgrüne Mücken umschwirren, Artischocken, Bananen, blasses,
ungesalzenes, ungemein schlechtes Brot, Seile, Spaten, Gedärme, alte
Röcke, alte Möbel, alte Chiantiflaschen, alte Geigen, Papageien und
Seegras; es ist ein buntes lebendiges Museum.

Händler und Käufer, Betrüger und Betrogene, der ganze Markt schreit
hilflos und zwecklos durcheinander. Die Kleinkrämer, die ihre Ware
auf der Erde ausgebreitet haben, halten die Passanten mit befehlenden
und flehenden Rufen fest. Mit gellender Stimme betteln sie. Ihr seht
erregte und wilde Gesichter. Sie zanken um nichts; aber wie sie so
dastehen und einander an die Kehle möchten, ist doch ein originelles
Bild, das durch keine rohe Linie verunstaltet wird. Hier wird Räuberei
am hellen Tage getrieben; Lug und Trug und falsche Eide klingen an euer
Ohr, schimpfliche Frechheit macht sich breit, Feigheit und Qual auf
Schritt und Tritt. Die Seelen hacken alle wild aufeinander los. Aber
alles doch mit einer bestimmten Gewohnheit und Selbstverständlichkeit
und -- so widersinnig es klingt -- mit einer gewissen Ruhe.

Denn das Schauspiel wiederholt sich täglich; es ist der Kampf um den
Soldo. Verweilt eine Stunde in diesem scheußlichen Dunstkreis voll
Elend und Unrecht, in diesen arbeitsreichen, erniedrigenden Gassen, und
ihr habt für euer ganzes Leben das starke Gefühl von der Zweiseitigkeit
aller schönen Dinge.

Aber wir wollen zum Rialto zurück. Wir biegen in die erste Straße ein
und sind am Fischmarkt. Ihr tretet auf Seeschnecken, Patellen und
Fischeingeweide. Der Boden ist schuppenübersät und glitschig. Kübel
und Körbe, Bottiche und Fässer, Netze und Wagschalen, Tische und Bänke
voller Fische, Krebse, Krabben, Schnecken, Austern und Muscheltiere
in hundert Formen und Größen. Das zuckt und zappelt und kriecht
und krabbelt und hüpft und wimmelt durcheinander. Der Anblick ist
gruselig; man muß aber das Getier, diese unglücklichen aufgehaschten
Meeresbewohner, die Goethe so viel Vergnügen machten, nicht auf dem von
wüstem Geschrei und Geklapper erfüllten Platze beobachten. Man tut
besser, die engen Gäßchen verlassend, durch den nördlichen +Canale
grande+ zu gondeln, um die Insel der Santa Clara herum, hinaus auf
den Lido ...

Dort ist das Meer ...

»Das Meer ist doch ein großer Anblick ... Dort habe ich heute die
Wirtschaft der Seeschnecken, Patellen und Taschenkrebse gesehen
und mich herzlich darüber gefreut,« sagt Goethe. »Was ist doch ein
Lebendiges für ein köstliches, herrliches Ding! Wie abgemessen in
seinem Zustande, wie wahr, wie seiend!«

Im weiteren Verlauf schildert Goethe sehr lebendig die Jagd, die die
Taschenkrebse auf die Patellen machten. Man kann als Naturforscher sich
gewiß herzlich freuen über diesen Kampf und man kann als Dichter die
sehr sentimentale Betrachtung anstellen, wie seltsam es doch ist, daß
einer den anderen fressen muß. Aber lassen wir solche Gedanken nicht
aufkommen.

Das Meer umspült den Strand und lächelt dem blauen Himmel ins Antlitz.
In vollem Laufe stürmt es scherzhaft die Lagunen und wirft ganze
Wasserstürze wirbelnden Schaumes auf den Kiessand. Mit breiten Zungen
beleckt es die Düne, gleitet aber sofort wieder sanft zurück, sich
krümmend, wie der Leib einer riesigen Schlange. Welle auf Welle jagt
hintereinander her. Ein sanfter Wind liebkost die mächtige Brust des
Meeres, die sich gleichmäßig hebt und senkt, und die lachende Sonne
wärmt sie mit ihren warmen Strahlen. Grünliche Wellen schleudern den
weißen Schaum ihrer flockigen Rücken weit auf den Strand und zerfließen
mit leichtem Rascheln. Ihr vertraut dem Meere eure Gedanken an, und
es reinigt sie von Schmutz und von Sorge, von allem Kleinen und
Kleinlichen.

Das Meer ist ein großer Anblick ...

                   *       *       *       *       *

Goethe hatte diese »Wunderstadt«, diese »Biber-Republik« 1786 zum
ersten Male gesehen, hatte sie so gesehen, wie sie hier geschildert
wurde.

Am 30. September lief er ohne Führer in die entferntesten Quartiere
der Stadt. Er sehnte sich nach Einsamkeit, denn »nirgends fühlt man
sich einsamer als im Gewimmel, wo man sich, allen ganz unbekannt,
durchdrängt«. Er suchte sich in dem Labyrinth der kleinen Gäßchen
zurechtzufinden, ohne irgend jemand zu fragen; er nahm nur die
Himmelsrichtung zum Führer. »Es ist ein unglaubliches Gehecke
ineinander, und meine Manier, sich recht sinnlich davon zu überzeugen,
die beste. Auch habe ich mir, bis an die letzte bewohnte Spitze, der
Einwohner Betragen, Lebensart, Sitte und Wesen gemerkt; in jedem
Quartiere sind sie anders beschaffen. Du lieber Gott, was doch der
Mensch für ein armes gutes Tier ist!«

Die kleinen Häuschen, die dicht beieinander unmittelbar in den
Kanälen standen, wunderten ihn. Und täglich erweitert er durch neue
Spaziergänge seine Kenntnis der Stadt. Er kaufte sich einen Plan,
studierte ihn gründlich und bestieg zunächst den Markusturm, der noch
mehr als hundert Jahre stehenbleiben sollte, dann 1903 einstürzte
und nun wieder neu aufgebaut ist. Seinen Augen bot sich ein einziges
Schauspiel. Zu seinen Füßen lag die märchenschöne Stadt mit ihren
schimmernden Palästen und das weite blaue Meer, auf dem Galeeren
und Fregatten, Segler und Gondeln wie kleine Nußschalen hin und her
wimmelten.

An einem Sonntag ärgerte er sich über den Kehricht, der in allen Gassen
lag. »Die Leute schieben den Kehrig in die Ecken; auch sehe ich große
Schiffe hin und wieder fahren, die an manchen Orten stilliegen und
das Kehrig mitnehmen, Leute von den Inseln umher, welche des Düngers
bedürfen; aber es ist in diesen Anstalten weder Folge noch Strenge, und
desto unverzeihlicher die Unreinlichkeit der Stadt.«

Andere Anordnungen, insbesondere architektonische Verzierungen des
Straßenpflasters, gefallen ihm so gut, daß er gleich einige Skizzen
davon entwirft. »So hat man immer Trieb und Lust, vor fremden Türen zu
kehren.«

In der Carità bewundert er Palladios Baukunst. In der Kirche Il
Redentore, ebenfalls ein Bauwerk Palladios, bewundert er besonders die
breiten goldgestickten Ranken und Laubwerke. Aber bei näherem Zusehen
fand er sich betrogen. »Alles, was ich für Gold gehalten hatte, war
breitgedrücktes Stroh, auf Papier geklebt, der Grund mit lebhaften
Farben angestrichen, und das so mannigfaltig und geschmackvoll,
daß dieser Spaß, dessen Material gar nichts wert war, und der
wahrscheinlich im Kloster selbst ausgeführt wurde, mehrere tausend
Taler müßte gekostet haben, wenn er echt hätte sein sollen. Man könnte
es gelegentlich wohl nachahmen.«

An den Opernvorstellungen, die er mehrfach besuchte, fand er
keinen rechten Genuß; das Ballett war von »elender Erfindung« und
wurde ausgepfiffen. Im Dogenpalast wohnt er einer öffentlichen
Rechtsverhandlung bei, die ihn stark in Atem hält. Auch gefiel ihm die
ganze Art der Prozeßführung, die er ausführlich beschreibt, besser,
»als unsere Stuben- und Kanzleihockereien.«

In einem weiten Saale des Palastes saßen an der einen Seite die
Richter im Halbkreis. Ihnen gegenüber, auf einem Katheder, der mehrere
Personen fassen konnte, befanden sich die Advokaten beider Parteien;
vor ihnen auf einer Bank Kläger und Beklagte. Ein dürres Schreiberlein,
in schwarzem, kümmerlichem Rocke, hielt ein dickes Heft in der Hand,
um daraus vorzulesen. Der Saal war von Zuschauern und Zuschauerinnen
gedrängt voll. Der Streit war sehr wichtig, denn er ging gegen die
Gemahlin des Dogen, die in eigener Person auf dem Anklagebänkchen hatte
Platz nehmen müssen. Hinter einem kleinen Tische saß auf einem niederen
Schemel ein Männchen, das eine Sanduhr in der Hand hielt. Solange
nämlich der Schreiber las, wurde die dafür aufgewendete Zeit nicht
gerechnet, sobald aber ein Advokat zu sprechen begann, dem nur eine
gewisse Zeit zur Verteidigung eingeräumt war, ließ das Männchen die
Sanduhr laufen, die es sofort wieder umkippte, sobald der Schreiber
oder sonst eine Person etwas zwischendurch sprach oder einzuwerfen
hatte.

Die Komödie gefiel Goethe ausgezeichnet; sowohl die Gerichtskomödie,
in der man dem Verteidiger die Zeit so kärglich zumaß, daß er gar
nicht daran denken konnte, den Angeklagten würdig zu verteidigen, als
auch die wirkliche Komödie, wo Goethe zunächst ein Maskenstück sah. Es
unterhielt ihn mit »unglaublicher Abwechslung« mehr als drei Stunden;
am meisten amüsierte ihn aber das Publikum. »Die Zuschauer spielen mit,
und die Menge verschmilzt mit dem Theater in ein Ganzes. Den Tag über
auf dem Platz und am Ufer, auf den Gondeln und im Palast, der Käufer
und Verkäufer, der Bettler, der Schiffer, die Nachbarin, der Advokat
und sein Gegner, alles lebt und treibt und läßt es sich angelegen sein,
spricht und beteuert, schreit und bietet aus, singt und spielt, flucht
und lärmt. Und abends gehen sie ins Theater und sehen und hören das
Leben ihres Tags, künstlich zusammengestellt, artiger aufgestutzt, mit
Märchen durchflochten, durch Masken von der Wirklichkeit abgerückt,
durch Sitten genähert. Hierüber freuen sie sich kindisch, schreien
wieder, klatschen und lärmen. Von Tag zu Nacht, ja von Mitternacht zu
Mitternacht ist immer alles eben dasselbe.«

Ein andermal ergötzt ihn wieder in einem Stück von Goldoni die Komödie
sowohl, als auch die ausgelassene Heiterkeit des Publikums. Es war ein
Gelächter und Gejauchze im Theater von Anfang bis zu Ende.

Die Venetianer feierten gewöhnlich in den ersten Tagen des Oktober
einen alten Sieg über die Türken. Das Fest wurde durch ein Hochamt
eingeleitet, dem auch Goethe beiwohnte. Er sah die vergoldeten Barken
an dem kleinen Platze vor der Kirche der heiligen Justina landen, die
die Fürsten und einen Teil des Adels brachten. Er sah, wie sich seltsam
gekleidete Schiffer mit rotgemalten Rudern vorwärts bemühten. Am Ufer
harrte die Geistlichkeit; die Bruderschaften mit angezündeten Kerzen,
die sie auf Stangen und tragbaren silbernen Leuchtern trugen, drängten
und wogten durcheinander; mit Teppichen beschlagene Holzbrückchen
wurden aus den Gondeln und Barken herausgereicht, um das Aussteigen
zu erleichtern. Zuerst kamen die Savj, die vornehmsten Ratsherren mit
ihren langen violetten Kleidern, dann die Senatoren in ihren langen
scharlachroten Gewändern. Zuletzt kam der Älteste mit einer goldenen
phrygischen Mütze geschmückt. Er trug einen langen goldenen Talar und
den Hermelinmantel. Drei Diener trugen seine Schleppe. Und dies ganze
bunte Schauspiel spielte sich auf dem kleinen Platze vor der Kirche
ab, vor deren Türen geschmückte Herolde die erbeuteten Türkenfahnen
hielten. »Mir nordischem Flüchtling hat diese Zeremonie viel Freude
gemacht. Bei uns, wo alle Feierlichkeiten kurzröckig sind, und wo die
größte, die man sich denken kann, mit dem Gewehr auf der Schulter
begangen wird, möchte so etwas nicht am Ort sein.« Der Doge, ein schön
gewachsener, krank aussehender Mann, hielt sich recht würdevoll und
sah aus wie der Großpapa des ganzen Geschlechts. Die Kleidung stand
ihm sehr gut, und das feine und durchsichtige Käppchen, das er unter
der Mütze trug, bedeckte blütenweißes Haar. Fünfzig Nobili, in langen
dunkelroten Schleppkleidern waren mit ihm; schöne große Männer mit
ausdrucksvollen Köpfen, auf denen sie blonde Lockenperücken trugen, mit
klugen, weißen, ruhigen und selbstsicheren Gesichtern.

An einem anderen Abend bestellte Goethe sich den famosen Gesang der
Fischer, die ihm nach ihren eigenen Melodien etwas von Tasso und
Ariost vorsingen mußten. Bei Mondschein bestieg er eine Gondel, einen
Sänger vorn und einen hinten, die abwechselnd sangen. Sie ließen ihre
Stimmen laut in die Nacht hinausschallen, aufs Meer hinaus, wo der
Wind sie weitertrug. In der Ferne vernimmt ein anderer Schiffer, der
die Melodie kennt, den Gesang, und antwortet mit der nächsten Strophe
des Textes. Dann erwidert der erste wieder, und so ist immer einer
das Echo des anderen. Die ganze Nacht hindurch geht der Gesang, ohne
daß die rudernden Schiffer ermüden würden. Am Ufer der Giudecca stieg
Goethe aus und ging am Kanal entlang, um den Genuß des Singens in der
Nähe und des Erwiderns in der Ferne tiefer auskosten zu können. Der
Gesang war so klagend und melancholisch und so ans Herz greifend,
daß Goethe bis zu Tränen gerührt wurde. Ein Schiffer riet ihm, daß
er sich die singenden Schifferfrauen vom Lido anhören möchte; sie
hätten die Gewohnheit, wenn ihre Männer ins Meer hinausruderten, um
zu fischen, sich ans Ufer zu setzen und mit durchdringender Stimme
abends Gesänge erschallen zu lassen, bis sie von fern die Stimmen ihrer
Männer vernähmen. Auf diese Weise unterhielten sie sich, seien nicht
beieinander und doch beieinander. Es sei, als ob ein Einsamer und
Verlassener in der Ferne sehnsüchtig klage und darauf warte, daß ihn
ein Gleichgestimmter vernehme und ihm antworte.

Die Gemälde von Veronese, Tizian, Bellini, Giorgione, Tintoretto und
anderen großen Malern erwecken Goethes ganze Feuerbegeisterung.

Aber es zieht ihn immer wieder hinaus zum Lido, zum Meere, wo er
stundenlang liegen und Ebbe und Flut beobachten kann. Der Strand
ist so sehr von Muscheln besät, daß er sich um ihretwillen Kinder
herbeiwünscht, die sich daran erfreuen könnten. Aber da keine Kinder
in der Nähe sind, füllt er sich selber die Taschen damit an. Besonders
gern sieht er aber den Taschenkrebsen zu, die während der Flut an
den Strand gespült werden und nun in ihre salzige Flut nicht mehr
zurückkommen. Es wimmelt und krabbelt dann besinnungslos durcheinander,
denn auf dem Trockenen bleiben, bedeutet so viel wie den Tod. Das Meer
weicht aber immer mehr zurück, die Sonne sticht und trocknet rasch,
und nun heißt es ebenso rasch ins Meer zurückwandern. Bei dieser
Gelegenheit suchen die Taschenkrebse ihren Raub. »Wunderlicher und
komischer kann man nichts sehen, als die Gebärden dieser aus einem
runden Körper und zwei langen Scheren bestehenden Geschöpfe; denn die
übrigen Spinnenfüße sind nicht bemerklich. Wie auf stelzenartigen Armen
schreiten sie einher und sobald eine Patelle sich unter ihrem Schild
vom Flecke bewegt, fahren sie zu, um die Schere in den schmalen Raum
zwischen der Schale und dem Boden zu stecken, das Dach umzukehren und
die Auster zu verschmausen. Die Patelle zieht sachte ihren Weg dahin,
saugt sich aber gleich fest an dem Stein, sobald sie die Nähe des
Feindes merkt. Dieser gebärdet sich nun wunderlich um das Dächelchen
herum, gar zierlich und affenähnlich; aber ihm fehlt die Kraft, den
mächtigen Muskel des weichen Tierchens zu überwältigen; er leistet auf
diese Beute Verzicht, eilt auf eine andere wandernde los, und die erste
setzt ihren Zug sachte fort. Ich habe nicht gesehen, daß irgendein
Taschenkrebs zu seinem Zwecke gelangt wäre, obgleich ich den Rückzug
dieses Gewimmels stundenlang beobachtet habe.«

Man sieht, Goethe war in Venedig nicht müßig; mit allen Sinnen nahm er
das neue wundervolle Bild dieser märchenumrankten Stadt in sich auf, so
daß man ihm wohl glauben kann, wenn er schließlich bei seiner Abreise
sagt: »Ich habe gut aufgeladen und trage das reiche, sonderbare,
einzige Bild mit mir fort.«




                              Beethoven.


Durch die Straßen von Paris heulte das Volk. Waffen blitzten, drohende
Fäuste reckten sich in die Höhe. Wüste Schädel, scheußliche Fratzen,
fanatische Köpfe tauchten auf. Die Bastille wurde gestürmt, und bald
darauf wurde die Guillotine in Tätigkeit gesetzt. Menschenbeladene
Karren rasselten zum Richtplatz hin. Die blutige, rachedurstige
Freiheitsgöttin johlte aufwieglerisch in den Gassen. Die große
furchtbare Revolution war ausgebrochen, die mit den Strömen roten
Blutes die der Menschheit so lange Jahre angetane Schmach wegspülen
wollte, und der Schrei nach Freiheit stieg tausendstimmig zum Himmel
empor.

Und schon war der Mann da, der alsbald all die neuerwachten Kräfte
Frankreichs in seiner Hand vereinigte und sich zum neuen Schicksal
des Volkes aufwarf. Er eilte von den Pyramiden herbei, durchmaß in
rasenden Märschen Italien und eroberte seiner Republik in drei Jahren
halb Europa. Schon war Bonaparte Konsul und nicht lange darauf und
er war der Kaiser Napoleon. Jetzt mochte Österreich sich wehren,
mochte Preußen sich erheben, mochte selbst Rußland sich rühren. Dieses
Schicksal, das unter dem Namen Napoleon auftrat, schien unbesiegbar
zu sein. Kalt und erzen stand er in Europas Mitte. Ein Wink seiner
Hand entschied Riesenschlachten. Ein Blick seiner Augen entschied über
das Schicksal zweier Nationen. Alles, alles fraß dieser Moloch; ganze
Völker fielen seiner Gier zum Opfer. Seit den Cäsaren Roms war so
unerhörte Größe nicht mehr gesehen worden.

Und Deutschland hatte am schlimmsten darunter zu leiden. Ganz
Deutschland war von den Armeen des Weltherrschers umzingelt. Ganz
Deutschland wogte in Donner und Dampf und wenn der Rauch sich verzog,
sah man neue entsetzliche Leichenfelder. Man schickte Greise in den
Krieg, Knaben griffen zu den Waffen. Es nützte alles nichts. Jungfrauen
zogen auf die Schlachtfelder, um zu heilen und zu helfen. Es nützte
alles nichts. Für Deutschland war die Zeit der Befreiung noch nicht
gekommen. Das Deutsche Reich war infolge der überkommenen Uneinigkeit
der deutschen Fürsten zersplittert. Was aber der Gegner nicht besaß,
und was Deutschland noch retten konnte und mußte, das war der deutsche
Geist. Fichte in seinen Reden an die deutsche Nation und Schiller
erinnerten mit flammenden Worten daran, daß es galt, die heiligsten
Güter zu verteidigen. Deutschland stellte der großen ~Kraft~
Frankreichs seinen großen ~Geist~ entgegen: ~Goethe~, der den
Weltenbezwinger Napoleon zur Hochachtung zwingt, und ~Beethoven~,
den gewaltigsten Gestalter der Erde, Beethoven, der das Tonreich neu
gestaltete, neu eroberte und der den Schlachtendonner Napoleons noch
übertönte durch seine vom Himmel herabgeholten Gewitter.

                   *       *       *       *       *

Wir können den Namen Beethoven bis ins siebzehnte Jahrhundert
zurückverfolgen, wo in Antwerpen ein Weinhändler namens Wilhelm van
Beethoven gelebt hat, der Ur-Urgroßvater unseres Ludwig. Wilhelms
Sohn, Heinrich Adelard war Schneider und Vater von rund einem Dutzend
Kindern. Eins davon, Louis, der heimlich von Hause durchgebrannt
war, wurde ein wandernder Musikant, bis er 1733 am Hofe des Bonner
Kurfürsten eine feste Stellung als Bassist erlangte. Er avancierte bis
zum erzbischöflich kurfürstlichen Kapellmeister, in welcher Stellung
er in seiner goldgestickten, zinnoberroten Uniform eine recht gute
Figur machte. Doch hatte er sich, um seine Einkünfte zu vermehren,
nebenbei einen kleinen Weinhandel zugelegt, der ihm aber nur Unglück
bringen sollte. Sowohl seine Frau als auch der einzige Sohn Johann
verfielen dem Laster des Trunkes. Johann verstand sich sehr gut auf das
Weinproben, und diese Schwäche nahm so überhand, daß der ganze Haushalt
gestört und der Sohn schließlich sogar des Amtes entsetzt wurde. Der
Vater bestimmte seinen Sohn Johann auch für die Musik; aber der brachte
es nicht weiter als bis zum Tenoristen der Hofkapelle mit dreihundert
Taler Jahresgehalt.

Magdalena Kewerich aus Ehrenbreitstein, eine hübsche schlanke Person,
die als Kammerjungfer gedient hatte und schon mit neunzehn Jahren die
Witwe des kurtrierischen Leibkammerdieners Layen war, wurde 1763 Johann
van Beethovens Frau. Sie war die Tochter eines Kochs und vermögenslos;
und da die Heirat dem Vater durchaus nicht gefiel, trennten sich Vater
und Sohn. Am 17. Dezember 1770 entsprang dieser Ehe ~Ludwig van
Beethoven~.

[Illustration: Beethovens Geburtshaus in Bonn.]

Aber da Ludwig noch mehrere Geschwister hatte, herrschte im Hause
Mangel und Not. Anfangs hatte der wohlhabende Großvater Louis, an
dem Ludwig mit aller Innigkeit hing, nachgeholfen, trotzdem er wegen
der Heirat noch erzürnt war. Aber er starb schon, als Ludwig erst
drei Jahre alt war. Als die Bedrängnis immer größer wurde, machte der
Vater mehrere Gesuche um Gehaltsaufbesserung, die aber abschlägig
beschieden wurden, weil seine Führung nicht die beste war. Oft mußte
der herangewachsene Ludwig seinen trunkenen Vater auf offener Straße
aus den Händen der Polizei befreien und man begreift, wie diese
schmerzlichen Vorfälle sich dem Gedächtnisse des jungen Beethoven
eingruben und ihn allmählich verschlossen und trotzig machten. Er litt
zweifellos unter der Trunksucht des Vaters, über den er trotzdem nie
ein hartes Wort äußerte, noch auch eine abfällige Bemerkung seitens
eines Dritten je geduldet hätte.

Infolge dieser Zustände wurden die Verhältnisse im Elternhause immer
mehr zerrüttet; die Erbschaft wurde von den Krankheiten der Kinder
und dem Wein bald verschlungen, so daß Glas- und Porzellanschränke,
Silberservice und Leinwand hintereinander zum Trödler wandern mußten.

Die Erziehung und Ausbildung, die der junge Beethoven erhielt, war
deshalb sehr ungeordnet und mangelhaft. Der Vater war, um seine Not zu
vergessen, meist trunken und in der Trunkenheit despotisch, und obwohl
die Mutter große Geduld an den Tag legte, wurde der Knabe scheu und in
sich gekehrt.

Aber dieser Knabe wurde zugleich auch der gute Stern an dem trüben
Himmel des Elternhauses, sobald der Vater erst einmal das Talent seines
Sohnes entdeckt hatte, der später die ganze Familie vom Untergang
erretten sollte.

So oft der Vater am Klavier saß und sang, horchte der Knabe aufmerksam
zu und versuchte die Melodie nachzuspielen, so daß ihm der Vater
schon im fünften Lebensjahre Unterricht im Klavier- und Violinspiel
erteilte. Und eines Tages verfiel der Vater auf die Idee, seinen Sohn
zu einem Wunderkinde zu machen und mit ihm umherzuziehen, um Geld zu
verdienen. Nun begannen harte Tage für den jungen Ludwig, der oft vom
Spiel mit den Kindern weggeholt wurde, um seine Aufgaben zu üben.
Kein Weinen half ihm; mit unerbittlicher Strenge und mit reichlichen
Prügeln verfolgte der Vater sein Ziel und eines Tages kündigte er in
einer Kölner Zeitung an, daß am 26. März -- der wurde auch Beethovens
Todestag! -- 1778 sein Söhnchen »von sechs Jahren mit verschiedenen
Klavierkonzerten die Ehre haben werde aufzuwarten, wo er allen hohen
Herrschaften ein völliges Vergnügen zu leisten sich schmeichle, um so
mehr, da er zum größten Vergnügen des ganzen Hofes sich hören zu lassen
die Gnade gehabt habe«.

Der Knabe wurde also, damit das Wunder größer sei, um ein Jahr jünger
gemacht; Beethoven glaubte aber nie, daß es nur eine absichtliche
falsche Angabe sei.

Des jungen Beethovens Schule war hauptsächlich die Not. Außer dem
Vater unterrichtete ihn ein Jahr lang der Sänger Tobias Pfeiffer, der
bei Beethovens in Kost und Logis war und das Klavierspiel vollkommen
beherrschte. Noch in späteren Jahren hat Beethoven diesem seinem
Lehrer von Wien aus oft Unterstützungen zukommen lassen, obwohl
ihn der Unterricht zuweilen um alle Kindheitsfreude und oft um den
Schlaf gebracht hatte. Denn oft, wenn der Vater und Pfeiffer nachts
zusammen aus dem Wirtshaus kamen, wurde der kleine Ludwig aus dem Bett
geholt und bis zum Morgen am Klavier festgehalten. Der Erfolg dieser
spartanischen Erziehung zur Musik war immerhin so groß, daß die Leute
vor den Fenstern stehnblieben, wenn Pfeiffer und der kleine Beethoven
zusammen »variierten«.

Im Jahre 1781 finden wir den zehnjährigen Ludwig mit seiner Mutter auf
einer Reise nach Holland, wo er in vornehmen Häusern spielte und die
Leute durch seine Fertigkeit in Erstaunen setzte. Aber die Einnahmen
müssen auf dieser Reise nicht groß gewesen sein, denn Beethoven sagte
später: »Die Holländer, das sind Pfennigfuchser; ich werde Holland
nimmermehr besuchen.«

Inzwischen erlernte Beethoven im Franziskanerkloster auch das
Orgelspiel, das er bald so weit beherrschte, daß er beim Gottesdienst
als Gehilfe verwendet werden konnte. Sein Lehrer in dieser Kunst war
erst der Hoforganist van den Eeden und dann dessen Nachfolger, der
feine Musiker Christian Gottlob Neefe, der einen bedeutenden Einfluß
auf das Kompositionstalent Beethovens ausgeübt hat. Schon 1782 konnte
er den elfjährigen Knaben fest anstellen und ihm so die Anwartschaft
auf die Hoforganistenstelle selbst verschaffen. Die Hauptgrundlage
des Unterrichts, den Beethoven von Neefe empfing, war Bachs
wohltemperiertes Klavier.

Inzwischen fiel Beethovens Improvisationstalent immer mehr auf,
und er selbst versuchte schon, wenn er sich ans Klavier setzte,
um zu phantasieren, bestimmte Empfindungen, bestimmte Bilder und
Menschen durch die Töne zu charakterisieren. Mit zwölf Jahren entwarf
er die entzückenden »Bagatellen« fürs Klavier, die er später als
op. 33 herausgegeben hat, und dreizehn Jahre alt, ließ er einige
Klaviersonaten drucken, die er dem Kurfürsten gewidmet hatte. Um diese
Zeit leitete er auch bereits, wenn Neefe verhindert war, die Proben im
Theater, und er machte sich sogar einmal den Spaß, den sehr tonfesten,
kurfürstlichen Sänger Heller während des Gottesdienstes durch kühne
Abschweifung bei der Begleitung ganz aus dem Konzept zu bringen. Der
Kurfürst verbat sich freilich solche »Geniestreiche«; er war aber von
der außerordentlichen Begabung des jungen Beethoven, der inzwischen
Cembalist und Bratschist am kurfürstlichen Orchester geworden war, sehr
überrascht.

Solche Erfahrungen veranlaßten nun seine Gönner, ihn einem allerersten
Meister in Unterricht zu geben, und 1787 finden wir denn auch den
Bonner Hoforganisten Beethoven als Mozarts Schüler in Wien. Mozart
läßt sich etwas von Beethoven vorspielen, bleibt aber anfangs kühl bis
ans Herz, weil er es für ein einstudiertes Paradestück hält. Als ihn
Beethoven aber um ein Thema zum Phantasieren bittet, »phantasiert« er
denn so, daß Mozart denen, die im Nebenzimmer zuhören, zuruft: »Auf den
gebt acht, der wird einmal in der Welt von sich reden machen.«

Trotz dieser Meinung wurde es nicht viel mit dem Unterricht. Mozart
war zu sehr mit seinen eigenen Angelegenheiten und mit der Komposition
des »Don Juan« beschäftigt. Zudem kam noch, daß die Mutter Beethovens
heftig erkrankte, so daß er schon nach wenigen Wochen Wien verließ,
um zur geliebten Mutter zu eilen, die bald darauf, vierzig Jahre alt,
starb.

»Sie war mir eine so gute, liebenswürdige Mutter,« schreibt er in einem
Briefe bald darauf, nachdem sie gestorben war; »sie war meine beste
Freundin. O wer war glücklicher als ich, da ich noch den süßen Namen
›Mutter‹ aussprechen konnte! Und er wurde gehört, und wem kann ich ihn
jetzt sagen?«

Mit dem Tode der Mutter nahm die Trunksucht des Vaters immer mehr
zu, so daß er seine Stimme verlor und bald darauf seines Amtes
entsetzt wurde. Beethoven mußte nun beim Hofamte bitten, die Hälfte
des väterlichen Gehalts ihm als Erziehungsbeitrag für seine jüngeren
Geschwister anzuweisen. Nun fühlte sich Beethoven noch vereinsamter als
früher.

Eine zweite Mutter fand er in der Nachbarswitwe Frau von Breuning,
zu deren Kindern er als Klavierlehrer kam. In diesem Hause, in dem
er nicht nur den größten Teil des Tages, sondern auch manche Nacht
zubrachte, wurde er als eigenes Kind behandelt. Hier hat er die erste
Bekanntschaft mit der deutschen Literatur gemacht, sowie seinen ersten
gesellschaftlichen Schliff erhalten.

Neben diesem Hause ist noch der Graf Waldstein zu nennen, dem die
Sonate +op.+ 53 gewidmet ist. Der Graf ahnte das Genie Beethovens,
mit dem er befreundet war und hat ihm manche Geldunterstützung zuteil
werden lassen, die er als Gratifikation vom Kurfürsten ausgab, um
Beethovens Reizbarkeit zu schonen. Graf Waldstein schickte Beethoven
wieder nach Wien, damit er dort bei Haydn die letzte Schulung
erhalte. Der Kurfürst unterstützte Beethoven ebenfalls, der nun mit
hochgeschwellten Empfindungen im November 1792 nach Wien reist, das
damals für Musik die maßgebendste Stadt war. Nach den Stunden bei
Haydn, die Beethoven mit je acht Groschen, sowie Kaffee oder Schokolade
honorierte, verwarf Beethoven alles, was er bis dahin komponiert hatte.

Beethoven mußte nun daran denken, sich auf eigene Füße zu stellen.
Seine beiden jüngeren Brüder waren versorgt; sie folgten ihm freilich
beide bald nach. Haydn nahm den Unterricht nicht sehr streng und ließ
Beethoven vieles, was regelwidrig war, durchgehen. Als aber einst J.
Schenk den lernbegierigen Beethoven auf der Straße traf, machte er
ihn auf die Fehler in den Übungsheften aufmerksam, die der Lehrer
unverbessert gelassen hatte. Und als schließlich Haydn Beethoven, der
eben drei Trios komponiert hatte, noch geraten hatte, ein Trio davon
(+op.+ 1 in +C moll+) nicht zu veröffentlichen, weil es zu
gewagt sei, wurde Beethoven mißtrauisch, brach den Unterricht bei
Haydn kurzerhand ab und ging zum Komponisten des »Dorfbarbiers«, zu
Schenk, in die Lehre. Beethoven widmete die drei Trios dem Fürsten Karl
Lichnowsky, von dessen Frau Beethoven sagte, sie hätte eine Glasglocke
über ihn setzen lassen wollen, damit kein Unwürdiger ihn berühre.

Zur Selbsterkenntnis erwacht, begann Beethoven immer mehr den Mangel
einer regelrechten Schulbildung zu empfinden. Da er in seiner Kindheit
ausschließlich musikalische Studien trieb, war seine übrige Ausbildung
natürlich sehr vernachlässigt worden. Rechnen war ihm das ganze Leben
hindurch sehr beschwerlich; mit der Orthographie haperte es auch
stark. Er hatte ein wenig Latein und ein bißchen Französisch gelernt.
Allein der Hauch einer edleren Geistesbildung, der Bonn durchzog, als
Beethoven noch dort weilte, und der Verkehr mit gebildeten Menschen
führte ihn dafür wieder geistigen Höhen zu, die andere Künstler nicht
zu ersteigen vermochten. In Wien suchte Beethoven seine mangelhafte
Bildung vollends durch eifrige Lektüre der großen Dichter und Denker
auszugleichen, und um sich geschmeidigere Umgangsformen anzueignen,
besuchte er einen Tanzlehrer. Dabei führte er einen streng sittlichen
Lebenswandel, denn als ihm während eines fröhlichen Ausflugs eine
Kellnerin einmal zu nahe trat, gab er ihr eine schallende Ohrfeige.
Im Homer, den er gern las, strich er sich die Stelle an: »Auch vieles
Schlafen ist schädlich«.

Von Schenk ging Beethoven zu Albrechtsberger in die Lehre, dem größten
zeitgenössischen Theoretiker, der das zu viel an Drill beanspruchte,
was Haydn zu wenig berücksichtigt hatte. Aber schon war in Beethoven
etwas, was sich gegen diese Regeln auflehnte. Er hatte bereits als
Knabe das Handwerksmäßige und das, was an der Musik ~erlernbar~
war, gelernt und er sah ein, daß jedes wahrhafte Genie sich seine
eigenen Gesetze geben müsse. Darum kam Albrechtsberger auch bald zu
dem Urteile, daß Beethoven »nie was Ordentliches lernen würde«, und
selbst zu den Freunden Beethovens sagte er: »Gehen Sie nicht mit dem
Beethoven um, der hat nichts gelernt.« Beethoven gab diesen Lehrer auf
und ging zu Salieri, dem Todfeinde Mozarts, um bei ihm Unterricht in
dramatischer Komposition und in Gesangsmusik zu nehmen; er wollte die
italienische Musik von Grund aus kennen lernen.

Am 30. März 1795 erlebte Wien das erste Auftreten des Pianisten
Beethoven. Die zweite Nummer des Programms war »ein neues Konzert auf
dem Pianoforte (+C dur op. 15+), gespielt von dem Meister Herrn
Ludwig von Beethoven und von seiner Erfindung«.

Beethoven war jetzt fünfundzwanzig Jahre alt. Er schien damals als ein
guter, ruhig gestimmter, bescheidener Mann, dessen Spiel von ungemeiner
Fertigkeit war und mehr zum Herzen sprach, als das aller Vorgänger.
Sein Spiel machte einen ungewöhnlichen Eindruck und allgemein hatte
man das Gefühl, daß sich hier einer in Tönen aussprach, der seine
eigenen Wege ging. Beethoven ~charakterisierte~ am Klavier; er
benutzte die hohen und tiefen Lagen, um sowohl verträumte, als auch
tiefinnerliche Empfindungen auszudrücken. Er wurde am Instrument zum
Dichter, der neue Welten schuf und gestaltete. Am schönsten spielte er,
wenn er allein im Zimmer war, und die Zuhörer sich in einem Nebenraum
befanden. Dann blieb aber auch kein Auge trocken, und es wundert uns
nicht, wenn er 1796 von Prag aus an seinen Bruder schreibt: »Meine
Kunst erwirbt mir Freunde und Achtung, was will ich mehr!« Von Prag aus
führte ihn eine Kunstreise über Dresden und Leipzig nach Berlin, wo
ihn der König Friedrich Wilhelm II. sehr huldvoll empfing. Er spielte
einige Male bei Hofe und komponierte die Cellosonate (+op. 5+),
weil der König selbst das Violoncell spielte. »Beethovens Phantasien
waren im höchsten Grade glänzend und staunenswert,« erzählt uns sein
Schüler Czerny; »in welcher Gesellschaft er sich auch befinden mochte,
er verstand es, auf die Hörer einen solchen Eindruck hervorzubringen,
daß manche in lautes Weinen ausbrachen. Denn es war etwas Wunderbares
in seinem Ausdruck, noch außer der Schönheit und Originalität seiner
Ideen und der geistreichen Art, wie er dieselben zur Darstellung
brachte. Wenn er eine Improvisation dieser Art beendet hatte, konnte
er in lautes Lachen ausbrechen und seine Zuhörer über die Bewegung,
in die er sie versetzt hatte, ausspotten. Zuweilen fühlte er sich
sogar verletzt durch diese Zeichen der Teilnahme. ›Wer kann unter so
verwöhnten Kindern leben‹, sagte er, und einzig aus diesem Grunde
lehnte er es ab, eine Einladung anzunehmen, welche der König von
Preußen nach einer solchen Improvisation an ihn ergehen ließ.«

Beethoven fand sich in Berlin sehr ernüchtert. Er kam vom weichen Süden
und hatte gehofft, im Norden harten, mannhaften Menschen zu begegnen;
er fand schwelgerische Üppigkeit, Abgelebtheit, Weiberhaftes. Das war
nicht der Geist, den er suchte.

Auch in der Berliner Singakademie, deren Direktor damals Zelter war
-- der Freund Goethes -- trat Beethoven auf, und auch hier traten den
Zuhörern Tränen in die Augen.

[Illustration: Beethovenstatue von Kaspar von Zumbusch.]

Sehr enttäuscht kam Beethoven nach Wien zurück und nun begann er mit
aller Energie daran zu arbeiten, »einst ein großer Mann zu werden«.
Zugleich aber legte er den Grundstein zu seiner so tragischen
Erkrankung.

An einem sehr heißen Sommertage des Jahres 1796 kam Beethoven ganz
erhitzt nach Hause, riß Türen und Fenster auf, zog sich bis auf die
Beinkleider aus und kühlte sich am offenen Fenster ab. Die Folge war
eine gefährliche Krankheit, die sich während der Genesung auf das
Gehör legte. Und von dieser Zeit an nahm auch die Taubheit Beethovens
fortschrittweise zu, die ihm wohl die schwersten moralischen Prüfungen
auferlegte und seinen ganzen Mannesmut herausforderte. »Dein Beethoven
lebt sehr unglücklich,« schreibt er einige Jahre später an einen
Freund, »im Streite mit Natur und Schöpfer; schon mehrmals fluchte ich
letzterem, daß er seine Geschöpfe dem kleinsten Zufall ausgesetzt,
so daß oft die schönste Blüte dadurch zernichtet und zerknickt wird.
Wisse, daß mir der edelste Teil, mein Gehör, sehr abgenommen hat. Wie
traurig ich nun leben muß, alles was mir lieb und teuer ist, meiden! O,
wie glücklich wäre ich jetzt, wenn ich mein vollkommenes Gehör hätte,
dann eilte ich zu Dir, aber so muß ich von allem zurückbleiben, meine
schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mir
mein Talent und meine Kunst geheißen hätten. Traurige Resignation, zu
der ich jetzt meine Zuflucht nehmen muß.«

Und an einen anderen Freund schreibt er 1801: »Nun hat der neidische
Dämon, meine schlimme Gesundheit, mir einen schlechten Stein ins Brett
geworfen, nämlich: mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer
geworden ... Ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu; seit
zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weil mir's nicht
möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgendein
anderes Fach, so ging's noch eher, aber in meinem Fache ist das ein
schrecklicher Zustand; dabei meine Feinde, deren Zahl nicht gering ist,
was werden diese dazu sagen?«

Aber trotzdem weinte er nicht; er ermannte sich in seinem Schmerz,
stärkte seine eiserne Selbstzucht, bis ihm sein siegender Wille über
diese schreckliche Wendung seines Schicksals hinweghalf, und er sich
wieder seinen Werken zuwenden konnte. Sein stolzes Künstlerbewußtsein
kam ihm gut dabei zu Hilfe. Er hatte eingesehen, daß der wahre Adel
des Menschen von ~innen~ kommt, und daß nur das ~Können~
wirkliche Rangunterschiede zu schaffen vermag. So wie er dachte,
handelte er auch. Seine Freunde, den Fürsten Lichnowsky und den Prinzen
Louis Ferdinand, behandelte Beethoven genau wie seinesgleichen; er
fühlte sich ihnen gegenüber in nichts geringer. Er wohnte einige Zeit
im Palais des Fürsten Lichnowsky, konnte sich aber der Hausordnung
nicht fügen; es war ihm auch später unmöglich, bei seinem Schüler, dem
Erzherzog, die Hofetikette mitzumachen, von deren Zwang er denn auch
zum Entsetzen der Lakaien entbunden wurde. Als Beethoven 1806 während
des Kriegsgetümmels zu Lichnowsky auf Schloß Grätz floh, bat der Fürst
den Künstler, seinen Gästen, den französischen Offizieren, die das
Schloß besetzt hatten, doch etwas am Flügel vorzuspielen. Beethoven war
aber über diese Zumutung, vor den Deutschfeindlichen zu konzertieren,
derart empört, daß er aufsprang, im Regen nach Troppau rannte und von
dort so schnell als möglich nach Wien zurückeilte.

In der Abendgesellschaft, die eine Gräfin zu Ehren des Prinzen Louis
Ferdinand gab, war für Beethoven und andere nichtadelige Gäste an einem
Seitentische gedeckt worden; als aber Beethoven bemerkte, daß er mit
dem Hochadel nicht an einem Tische speisen sollte, stürmte er davon.
Louis Ferdinand veranstaltete Beethoven zu Ehren ein paar Tage später
ein Revanchediner und ließ zu seiner rechten Seite für Beethoven und
zur linken für eben jene Gräfin decken.

Solche und ähnliche Züge zeigen Beethoven als einen überaus stolzen,
seines Genies wohlbewußten Menschen, der schroff und hart werden
konnte, wenn man ihm die Ehren versagte, die er glaubte, beanspruchen
zu dürfen.

Aber es gibt auch ebensoviele rührende Züge, die Zeugnis ablegen von
seinem reichen Mitgefühl und seinem überaus großen Zartsinn.

Als er einmal in Heiligenstadt weilte, einem kleinen Dörfchen bei
Döbling, wo er, der ein fanatischer Sommerfrischler war, die schöne
Jahreszeit verlebte, klangen ihm aus einem Häuschen die Töne seiner
+F dur+-Sonate entgegen. Er horchte und hörte eine zarte Stimme
sagen: »Was gäbe ich darum, das Stück von jemand zu hören, der ihm
gerecht wird.« Beethoven durch den Klang der Stimme betroffen, trat
in das Haus ein und setzte sich an das jämmerliche Instrument. Da
er bemerkte, daß keine Noten auflagen, blickte er fragend auf die
verlegene Spielerin und bemerkte jetzt erst an ihrem Gesichtsausdruck,
daß sie blind war und nur nach dem Gehör gespielt hatte. Beethoven war
im Innersten gerührt; der Mond schien gerade ins Zimmer und beleuchtete
das schwermutvolle Antlitz der Blinden. Unwillkürlich brach der Bruder
der Blinden in die Worte aus: »Die arme Schwester!« Es lag ein Bedauern
in dem Ausruf, daß es der Schwester nicht vergönnt war, den Mondschein
zu ~sehen~. Beethoven aber sagte sehr ergriffen: »Ich will ihr
den Mondschein ~spielen~!« Er setzte sich ans Instrument und
improvisierte ein weltverlorenes, musikalisches Gedicht, das später die
Mondscheinsonate genannt wurde. Und um diese Zeit galt er schon als ein
mürrischer, finsterer Mann.

Die Menschen konnten ihn nicht erziehen; das ~Leben~ bildete ihn
und schliff seine Unebenheiten ab. Da mit den Jahren seine Taubheit
immer mehr zunahm, konnte man nur noch schriftlich mit ihm verkehren.
Der Umgang mit ihm wurde den Menschen unbequem; sie blieben von ihm
fort, ihn seiner Einsamkeit überlassend. Nach und nach mußte er das
Dirigieren aufgeben und das öffentliche Spielen, denn er las auf
den Gesichtern seiner Zuhörer: Mitleid. Das machte ihn verdrossen
und stumm. Er versank ganz in sich selber, tauchte nur noch in die
eigenen Tiefen hinab, um die unschätzbaren Perlen heraufzuholen, die
auf dem Grunde seiner Seele lagen. Aber je mehr er an sich selber zum
Schatzgräber wurde, desto mehr vernachlässigte er die Menschen seiner
Umgebung. Sein Verhältnis zu ihnen wurde ein recht tragisches.

Im Jahre 1802 ist Beethoven wieder etwas mehr um die Heilung seines
Gehörleidens besorgt und geht deshalb wieder nach Heiligenstadt.
In trübster Seelenstimmung und in seiner großen Sehnsucht nach
verständnisvollen Menschen schreibt da der große Einsame seinen letzten
Willen nieder, diesen furchtbaren Aufschrei eines liebedürstenden
Herzens: »O ihr Menschen, die ihr mich für feindselig, störrisch
oder misanthropisch haltet oder erklärt, wie unrecht tut ihr mir,
ihr wißt nicht die geheime Ursache von dem, was euch so scheinet;
mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl
des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten, dazu war ich
immer aufgelegt; aber bedenket, daß seit sechs Jahren ein heilloser
Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert,
von Jahr zu Jahr, in der Hoffnung gebessert zu werden, betrogen,
endlich zu dem Überblick eines dauernden Übels gezwungen. Mit einem
feurigen lebhaften Temperamente geboren, selbst empfänglich für
die Zerstreuungen der Gesellschaft, mußte ich früh mich absondern,
einsam mein Leben zubringen. Welche Demütigung, wenn jemand neben mir
stand und von weitem eine Flöte hörte, und ich nichts hörte! Solche
Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung; es fehlte wenig und ich
endigte selbst mein Leben. Nur sie, die Kunst, sie hielt mich zurück.
Ach, es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das
alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte. Geduld, sie muß
ich nun zur Führerin wählen, dauernd, hoffe ich, soll mein Entschluß
sein, auszuharren. O Menschen, wenn ihr einst dies leset, so denkt,
daß ihr mir unrecht getan, und der Unglückliche, er tröste sich, einen
seinesgleichen zu finden, der trotz allen Hindernissen der Natur doch
noch alles getan, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen
aufgenommen zu werden; mit Freuden eil' ich dem Tode entgegen; komm
wann du willst, ich gehe dir mutig entgegen.«

Heiligenstadt blieb Beethovens Lieblingsaufenthalt, und seine besonders
liebkoste Idee war, ganz aufs Land zu gehen. Hätte er ein Bauerngut,
meinte er, so könnte er allem Elend entfliehen. Abends im Bett las er
bei zwei Kerzen Tacitus, Plutarch, Plato, Homer, Shakespeare, Ossian,
Klopstock, Kant, Herder, Goethe und Schiller. Morgens wanderte er
schon vor Sonnenaufgang in die erwachende Natur hinaus, in der er bis
zum Frühstück »studierte«. Dort fühlte er sich glücklich und selig,
fühlte sich »sehr geliebt von den Göttern am Ende der Welt« und hatte
mit keinem Gemeinschaft. Er lief in den Fluren in Hemdärmeln herum --
»spazierenarbeitend« wie er sagte --, komponierte, schwatzte mit den
Bauern, die den »graupeten Musikanten« wohl kannten und, da er seiner
Magd nicht traute, trug er das Gemüse für den Mittagstisch selbst im
blauen Taschentuch nach Hause. Dabei brüllte er Melodienbruchstücke so
laut vor sich hin, daß die Ochsen vor ihm Reißaus nahmen.

Er blieb sein Leben lang ein Einsamer, der sein Inneres in Tönen
verausgabte. Mit seiner hohen Tatenlust hing seine Liebe zur Freiheit
zusammen, und so erklang denn auch in seinen Werken die Idee der
Völkerfreiheit.

Eines Tages war der französische Gesandte Bernadotte mit Beethoven
bekannt geworden und regte bei ihm den Gedanken an, Napoleon durch ein
großes Orchesterwerk zu feiern. Dieser Anregung vermochte Beethoven
um so eher zu folgen, als er in Napoleon den Konsul als Führer der
Nation verehrte, als Gesetzgeber wahrer Freiheit. So schuf er denn die
dritte Symphonie (+op. 55+), die nur den Titel »Bonaparte« führte,
und eben sollte sie gerade der Pariser Gesandtschaft übermittelt
werden, da bringt ein Schüler Beethovens, Ferdinand Ries, die Nachricht
von Napoleons Kaiserwahl. Beethoven erwartete von Napoleon, daß er
die Würde ablehnen würde, aber der Fürst Lichnowsky, der dazukam,
bestätigte nur die Wahl. Da riß Beethoven das Titelblatt herunter,
schleuderte die Partitur zur Erde, trampelte wütend mit den Füßen
darauf herum und schrie zornig: »Also auch er ein gewöhnlicher Mensch!«

Lange wollte Beethoven von dieser Symphonie nichts mehr wissen. Als
sie aber später vom Fürsten Lobkowitz zur Aufführung in seinem Palais
erbeten ward, radierte er auf der Abschrift das Wort »Bonaparte« so
wütend aus, daß ein Loch im Manuskript entstand. Er widmete sein Werk
nun dem Fürsten und nannte es jetzt »+Sinfonia eroica+« mit dem
Nebensatz, »um das Andenken eines großen Menschen zu feiern«. Bei der
ersten Aufführung mißfiel es dem Fürsten, und von der Galerie rief
bei der ersten öffentlichen Aufführung der Eroica eine Stimme laut
herunter: »Ich gäb' noch einen Kreuzer, wenn's nur aufhörte.« Dagegen
war Prinz Louis Ferdinand so entzückt davon, daß er sich das Werk
gleich dreimal hintereinander vorspielen ließ. In diesem Werke war ja
auch alles, was im geknechteten deutschen Volke an Größe und Idealismus
nach Ausdruck rang, in ungeheuren Musikwogen dargestellt, in einer
kraftvollen Sprache, die die Hörer mit fortriß und emporhob.

In dieser Zeit lebte Beethoven vom Stundengeben, was er als eine große
Last empfand, und vom Ertrage seiner Werke. Fürst Lichnowsky hatte
ihm außerdem ein Ehrengehalt von sechshundert Gulden ausgesetzt, so
daß Beethoven sich einen gewissen Luxus leisten konnte. Er hielt sich
zum Beispiel ein Pferd, das ihm Graf Browne für seine »Variationen«
geschenkt hatte; er erinnerte sich aber erst an die Existenz dieses
Pferdes, als ihm die stark angewachsene Futterrechnung vorgelegt wurde.

Beethovens Erscheinung wird von den Zeitgenossen folgendermaßen
beschrieben: er war eher klein, als mittelgroß, sehr stämmig und
untersetzt. Er hatte kleine schwarze Augen, die leuchteten, aber bei
fixiertem Blick fast stechend wurden, und schwarze Haare, die in
eine herrliche Stirn hineinhingen, einen wahren Sitz majestätischer
Schöpferkraft, dazu ein pockennarbiges Gesicht von roter gesunder
Farbe, eine kurze, eckige Nase, plumpe Hände mit kurzen Fingern, kleine
hastige Bewegungen. Dazu sah er meist so finster aus, wie seine in
»wunderbarer Konfusion« befindliche Wohnung. Er war sehr unbeholfen,
fast linkisch. Selten nahm er etwas zur Hand, das nicht fiel oder
zerbrach; das Tintenfaß warf er mehrmals ins Klavier; alles wurde
umgeworfen, beschmutzt, zerstört. Sein Eigensinn kannte oft keine
Grenzen, und stets führte er, allen Hindernissen trotzend, dennoch
durch, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Baden und Waschungen
in kaltem Wasser waren mit seine Hauptbedürfnisse. Als Getränk war
ihm frisches Brunnenwasser unentbehrlich, das er von früh bis spät
in kolossalen Mengen trank. Auch trank er sehr gern Kaffee, den er
sich selber bereitete. Er zählte dabei mit peinlicher Genauigkeit
für jede Tasse sechzig Bohnen ab. Bei den Mahlzeiten war er wenig
wählerisch. Von allen Weinen schmeckten ihm wunderlicherweise gerade
die verfälschten am besten, unter denen er viel zu leiden hatte.
Auch ein gutes Glas Bier und die Tabakspfeife, dazu die Augsburger
Allgemeine Zeitung, deren Lektüre ihm sehr viel Zeit stahl, das waren
seine kleinen Hauptfreuden.

Bei einem Spaziergange um Baden bei Wien riß ihm einst der Sturm seinen
Hut vom Kopfe. Er ~mußte~ ihn wiederhaben, und so rannte Beethoven
auf der Böslauerstraße meilenweit seinem Hute nach. Schweißtriefend,
zerzaust, atemlos und beschmutzt hielt man ihn in der Wiener Neustadt
als »Lump« auf und nur dank seiner Bekanntschaft mit dem Bürgermeister
Meißner konnte man ihn aus den Händen der Polizei befreien. Aber seinen
Hut hatte er wieder.

Als ihm einst sein Freund Breuning mitteilte, ein Quartett hätte nicht
gefallen, antwortete er: »Wird ihnen schon einmal gefallen.« Nach
der Schlacht bei Jena bemerkt er über Napoleon: »Schade, daß ich die
Kriegskunst nicht so verstehe, wie die Tonkunst, ich würde ihn doch
besiegen.«

[Illustration: Beethovens Sterbehaus in Wien.]

Seinen größten Spaß hatte er, wenn man ihn auf die grammatikalischen
Fehler aufmerksam machte, die sich in seinen Werken fanden. »Ich sage,
es ist recht,« meinte er dann. Man entgegnete wohl: »Diese Schreibart
ist fehlerhaft und nicht erlaubt,« und Beethoven erwiderte: »Nun, so
erlaube ~ich~ es.«

Er war kein seßhafter Mieter; es duldete ihn nirgends lange; er fühlte
sich überall ungemütlich. In fünfunddreißig Jahren wechselte er seine
Wohnung vielleicht fünfunddreißigmal. Mit den Wiener Hausmeistern
stand er fast immer auf dem Kriegsfuße. Er studierte beständig die
Wohnungszettel an den Haustoren, um gleich ein neues Heim zu haben,
wenn ihm das alte nicht mehr behagte. Und da er in seiner Stube
trommelte und übermäßig brüllte und, seit sein Gehör schlecht geworden
war, förmliche Kanonaden am Klavier losließ, da er ferner bei seinen
Waschungen solche Überschwemmungen anrichtete, daß das Wasser durch die
Fußbodenritzen sickerte, war jedes Haus wieder froh, ihn loszuwerden.
Er wohnte immer im höchsten Stockwerk. Sein Zimmer sah sehr wüst aus
und ungemütlich; überall lagen Papiere umher und Kleidungsstücke;
Koffer standen herum; im übrigen waren die Wände kahl, und es befand
sich kaum ein Stuhl im Zimmer. Er trug einen dunklen, langhaarigen,
alten Rock, in dem er wie Robinson Crusoe aussah, und in sein Gesicht
hing das zottige, pechschwarze Haar. Sein Kopf konnte zuweilen für den
eines Jupiter gelten, obwohl er nicht schön war. Beethoven wußte das.
»Nun kannst Du mir helfen, eine Frau suchen,« schreibt er einmal einem
Freunde; »schön muß sie aber sein, nicht Schönes kann ich nicht lieben
-- sonst müßte ich mich selbst lieben.«

Er war auch ein großer Tierfreund. Wenn er zum Beispiel sah, daß
kleine Jungen auf Schmetterlinge Jagd machten, verscheuchte er immer
die Kinder oder verhinderte sie sonst am Fangen der Sommervögel.
Dieser Zug hing mit seiner großen Liebe zur Natur zusammen und mit
seiner Sehnsucht, allen lebendigen Geschöpfen die Freiheit zu geben.
In großartiger Weise hat er beides in seiner sechsten Symphonie zum
Ausdruck gebracht, der sogenannten »Pastorale«, in der das freie
Landleben in der Natur seine höchste Verherrlichung erfahren hat.

Interessant war seine Freundschaft zum Hofsekretär Zmeskall von
Domanovecz durch die äußerst drolligen Briefe, die Beethoven ihm
schrieb und von denen wir ein paar zum besten geben wollen, weil sie
uns Beethoven auch von der humorvollen Seite zeigen.


                                  I.

   »An seine Hochwohl--wohl--wohlgeboren den Herrn von Zmeskall,
   Kaiserlicher und Königlicher wie auch Königlicher Kaiserlicher
   Hofsekretair, Seine Hochwohlgeboren, sowie des Herrn von Zmeskall
   Zmeskalität haben die Gewogenheit, zu bestimmen, wo man sie morgen
   sprechen kann. Wir sind Ihnen ganz verflucht ergeben.


                                                                B.«

                                  II.


      »Liebster Baron Dreckfahrer!

     +Je vous suis bien obligé pour votre faiblesse des vos yeux+ --
  übrigens verbitte ich mir inskünftige, mir meinen frohen Mut, den
  ich zuweilen habe, nicht zu nehmen, denn gestern durch Ihr Zmeskall
  Domanoveczisches Geschwätz bin ich ganz traurig geworden. Hol' Sie der
  Teufel, ich mag nichts von Ihrer ganzen Moral wissen; ~Kraft~ ist die
  Moral der Menschen, die sich vor anderen auszeichnen, und wenn Sie mir
  heute wieder anfangen, so plage ich Sie so sehr, bis Sie alles gut und
  löblich finden, was ich tue. Adieu Baron, Ba...ron ron, nor, orn, rno,
  onr.«


                                 III.


   »Verfluchter eingeladener Domanetz -- nicht Musikgraf, sondern
   Freßgraf, Dinergraf, Soupergraf etc. -- Kommen Sie, wenn Sie der
   Kanzleigefängniswärter entwischen läßt. Ich esse heute zu Hause
   des besseren Weines halber. Wenn Sie sich bestellen, was Sie haben
   wollen, so wäre mir's lieb, wenn Sie auch zu mir kommen wollten, den
   Wein bekommen Sie gratis und zwar besser wie in dem hundsföttischen
   ›Schwanen‹. Ihr kleinster Beethoven.«


                                  IV.


   »Geliebtester +Conte di Musica+! Wohl bekomme Euch der Schlaf,
   und auf heute wünschen wir Euch einen guten Appetit und eine gute
   Verdauung. Das ist alles, was dem Menschen zum Leben nötig ist, und
   doch müssen wir das alles so teuer bezahlen. -- Darum sind wir, Euer
   gnädigster Herr, gezwungen, uns herabzulassen und Euch zu bitten um
   ein Darlehen von fünf Gulden, welches wir Euch binnen einigen Tagen
   wieder zufließen lassen werden. Lebt wohl, geliebtester +musico+
   und +conte di musica+. Euer wohlaffektionierter Beethoven.
   Gegeben in unserem Komponier-Kabinett.«


Im Hause des Hofrats von Birkenstock hatte Beethoven auch Bettina
Brentano kennen gelernt, damals Braut Achim von Arnims und intime
Freundin Goethes. Ihre tief musikalische Natur sehnte sich nach
Beethoven. Als sie sich kennen lernten, sang Beethoven ihr das Lied
»Kennst du das Land«, zwar mit scharfer und schneidender Stimme, aber
mit tiefem Ausdruck. »Aha,« rief Beethoven aus, »die meisten Menschen
sind gerührt über etwas Gutes, das sind aber keine Künstlernaturen.
Künstler sind feurig, die weinen nicht.«

Von diesem Tage an waren sie täglich zusammen und wurden immer mehr
befreundet. Bettina schrieb öfters über ihre Zusammenkünfte mit
Beethoven schwärmerische Briefe an Goethe. »O Goethe,« heißt es da
einmal, »kein Kaiser und kein König hat so das Bewußtsein seiner Macht,
und daß alle Kraft von ihm ausgehe, wie dieser Beethoven.«

1812 machte Beethoven eine Reise nach Teplitz, wo er Varnhagen, Tiedge,
Elise von der Recke und andere bedeutende Persönlichkeiten kennen
lernte. Und das Jahr darauf, als er wieder in Teplitz weilte, machte er
endlich die Bekanntschaft Goethes, mit dem er nun sehr oft zusammenkam.
Goethe schrieb an seinen Freund Zelter: »Beethoven habe ich in Teplitz
kennen gelernt. Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt. Allein,
er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar nicht
unrecht hat, wenn sie die Welt verabscheuenswert findet, aber sie
freilich dadurch weder für sich, noch für andere genußreicher macht.
Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn
sein Gehör verläßt. Er, der ohnehin lakonischer Natur ist, wird es nun
doppelt durch diesen Mangel.«

Goethe, der von den im Bade anwesenden Fürsten mannigfache
Auszeichnungen erfahren hatte, wollte besonders der Kaiserin seine
Ergebenheit bezeigen und riet auch Beethoven, in bescheidener Weise
das gleiche zu tun. »Ei was!« antwortete Beethoven, »so müßt Ihr's
nicht machen. Ihr müßt ihnen tüchtig an den Kopf werfen, was sie an
Euch haben, sonst werden sie's gar nicht gewahr. Ich hab's ihnen anders
gemacht.« Und nun erzählte Beethoven, wie ihn einmal der Erzherzog,
sein Schüler, habe warten lassen und er darauf fortgegangen sei. Einen
Orden könnten sie einem wohl anhängen, könnten einen wohl zum Hofrat
machen, aber nicht zum Goethe oder zum Beethoven; davor müßten sie
Respekt haben. Und während Beethoven so sprach, kam gerade der ganze
Hofstaat an. Beethoven sagte nun zu Goethe: »Bleibt mir in meinem Arm
hängen; ~sie~ müssen ~uns~ Platz machen.« Aber Goethe machte
sich los und stellte sich mit abgezogenem Hut an die Seite, während
Beethoven mit verschränkten Armen und nur den Hut ein wenig rückend,
mitten durch die Hofgesellschaft ging, die sich infolgedessen teilen
und ihm Platz machen mußte. Alle grüßten ihn freundlich. Auf der
anderen Seite blieb Beethoven stehen und wartete auf Goethe, der sich
so lange tief verneigte, bis die Gesellschaft vorübergegangen war.
Beethoven sagte: »Auf Euch habe ich gewartet, weil ich Euch ehre und
achte, wie Ihr es verdient, aber jenen habt Ihr zu viel Ehre angetan.«
Beethoven fand Goethe zu geziert. »Ihm behagt die Hofluft zu sehr;
mehr, als es einem Dichter ziemt,« schreibt er an einen Freund.

Ihm widerstrebte alles äußere Wesen; sein ganzes Leben war auf innen
eingestellt; er haßte alle Eitelkeit. Deshalb schickte er auch eine
Visitenkarte seines Bruders, der ihm zu Neujahr gratuliert hatte und
auf welcher zu lesen war »Johann van Beethoven, Gutsbesitzer« zurück
und schrieb auf die Rückseite »Ludwig van Beethoven, Hirnbesitzer«.

Und doch war es nicht läppischer Stolz, der ihn zuweilen so hochfahrig
erscheinen ließ. »O Gott, gib mir die Kraft, mich zu besiegen,«
schreibt er 1812 in sein Tagebuch; »mich darf ja nichts mehr an das
Leben fesseln.« Und 1813: »O Gott, Gott, sieh auf den unglücklichen
Beethoven herab, laß es nicht länger so dauern.«

Frau Streicher nahm sich seiner häuslichen Verwirrung an, die so groß
war, daß Beethoven eines Tages nicht einmal mehr Stiefel zum Ausgehen
hatte. Einer seiner Gönner war inzwischen gestorben, und ein anderer,
Fürst Lobkowitz, war selber arg verschuldet und in Bedrängnis. »Es ist
hart, beinahe um des lieben Brotes willen zu schreiben! So weit habe
ich es nun gebracht,« stöhnt Beethoven 1818. Seine Einnahmen standen um
diese Zeit in der Tat beinahe im umgekehrten Verhältnis zu seinem Ruhm.
Es war eine Ironie des Schicksals, daß Beethoven, der in diesen Jahren
sehr viel äußere Bedrängnis auszustehen und der sich von aller Welt
verschlossen zurückgezogen hatte, in Wien zu einer Art Sehenswürdigkeit
geworden war. Nur wenige Kollegen, Schubert, Liszt und Weber, die ihn
besuchten, wurden empfangen. Und zu diesen äußeren Sorgen kamen noch
andere.

Seit dem im Jahre 1815 erfolgten Tode seines Bruders Karl nahm
Beethoven sich auch dessen unmündigen Sohnes, seines Neffen Karl,
an, dessen Vormund und Erzieher er wurde und auf den er alle innige
Familienliebe übertrug, die er so viele Jahre zurückgedämmt hatte.

Wegen seines Ehrengehaltes lag er in fortwährenden Streitigkeiten mit
den Gerichten, in denen er stets von neuem zu beweisen hatte, daß er
noch am Leben sei. Eine besondere Kränkung tat man ihm an, als er
in einem Prozesse seinen vermeintlichen Adel erweisen sollte. Tief
verletzt zeigte er auf Herz und Kopf und rief »Hier und hier«.

Die Wohnungs- und Dienstmädchensorgen quälten ihn auch nicht wenig. In
der Mödlinger Hauptstraße, wo er damals wohnte, komponierte er, wie
er selbst sagte, »im Schweiße seines Angesichtes« und schlug, Tag und
Nacht arbeitend, mit Händen und Füßen so stark den Takt, daß ihm die
Wohnung gekündigt werden mußte.

[Illustration: Beethovens Grabmal in Wien.]

Das Leben schien ihm nun ein Dornenweg; ein Spießrutenlaufen durch
tausend Drangsale und alltägliche Plackereien. »Für dich, armer
Beethoven, gibt es kein Glück von außen,« lautet nun seine Einsicht.
Seine brüske, verbitterte Art zeichnete sich sogar in seiner
Handschrift aus, von der Zelter sagte: »Beethoven schreibt immer wie
mit einem Besenstiel,« und Beethoven selbst gesteht: »Das Leben ist
zu kurz, um Buchstaben und Noten zu ~malen~, und schöne Noten
brächten mich schwerlich aus den Nöten.«

Trotzdem bewahrte er sich sein gutes Herz und seine reiche
Menschenliebe. Er unterstützte reichlich seine beiden Brüder. Als
er erfuhr, daß Deutschland das letzte Kind des großen Musikers Bach
hungern ließ, verschaffte er ihm unter vielen Umständen die nötigen
Lebensmittel. Für eine herumziehende Musikantengesellschaft, deren Not
ihn dauerte, komponierte er einen Walzer und schrieb selbst die Stimmen
dazu aus.

Er selbst vernachlässigte sich sehr; sogar in der Kleidung ließ er sich
jetzt stark gehen. Seine grauen Haare waren immer unfrisiert, und mit
seinem krausen Buschkopf bot er eine auffallende Erscheinung. Als eine
Dame einmal ganz entzückt seine schöne Stirn bewunderte, sagte er kurz
angebunden: »Nun, so küssen Sie sie!«

Seine große Aufopferungsfähigkeit tritt uns aber in ihrer ganzen
Großartigkeit entgegen in dem Verhältnis zu seinem Neffen Karl, dem
er sich mit Leib und Seele, mit Gut und Geld widmete; er spielte und
tollte mit ihm herum, behütete ihn wie seinen Augapfel und erntete
nur Undank. Beethoven wollte den Jungen zum Gelehrten oder Künstler
machen; aber der Neffe entlief seinem Onkel, mißachtete ihn, wurde
von der Universität entlassen, spielte, flanierte, log, unterschlug
Gelder, bis er eines Tages einen mißglückten Selbstmordversuch machte
und blutüberströmt dem unglücklichen Onkel ins Haus gebracht wurde, der
über diesem Streich fast zusammenbrach.

Ohnehin hatte ein Leberleiden schon begonnen, die Gesundheit Beethovens
zu untergraben. Und als die Gelbsuchtsanfälle sich mehrten, dachte er
an sein Testament. Als der Neffe von seinem dummen Streich genesen war,
wurde er von der Polizei der Stadt verwiesen und zog nach Gneixendorf.
Beethoven, der an dem Neffen, den er zum »geliebten Universalerben«
bestimmt hatte, mit unverminderter Liebe hing, zog ebenfalls nach dem
Dorfe hinaus, wo ihn die Diener und Bauern, die ihm in Flur und Wald
begegneten, heftig auslachten, wenn sie ihn gerade beim Komponieren
betrafen. Er gestikulierte so stark, daß das Vieh, das ihm begegnete,
scheu wurde und die Bauern ihm oft zuriefen: »He! a bissl stader!«

Auf einer Rückreise von Gneixendorf nach Wien mußte Beethoven fiebernd
in einem Dorfwirtshause übernachten. An einer Bauchfellentzündung
leidend, kam er auf einem Milchwagen, »dem elendesten Fuhrwerk des
Teufels«, am 2. Dezember 1826 in Wien an und wurde von Stunde zu Stunde
elender.

Beethoven schickt seinen Neffen aus, zwei befreundete Ärzte zu holen,
die versagen aber ihre Hilfe, weil ihnen der Weg von der Stadt nach
der entfernten Wohnung Beethovens zu weit ist. Beethoven bittet seinen
Neffen, andere Ärzte zu besorgen; der leichtsinnige Bursche vergißt
aber ganz daran, setzt sich statt dessen in ein Kaffeehaus und spielt
Billard. Erst sehr spät fällt ihm der Auftrag des todkranken Onkels
wieder ein, aber anstatt wenigstens jetzt selber auf die Suche zu
gehen, gibt er seinen Auftrag dem Kellner weiter, der ebenfalls daran
vergißt. Drei Tage darauf wird der Kellner zufällig selbst krank und
in der Klinik, wohin er gebracht werden muß, erinnert er sich jetzt
erst des erhaltenen Auftrags. Jetzt erst erhält Beethoven ärztliche
Hilfe. Aber es ist schon zu spät, da bereits Wassersucht eingetreten
ist. Dazu kommen noch neue Gemütserschütterungen, und da nächtliche
Erstickungsanfälle auftraten, muß der Bauchstich gemacht werden. Beim
Anblick des Wassers, das ihm aus dem Leibe läuft, hat er noch so viel
Humor, dem Arzt zu sagen, er sei ein wahrer Moses, der mit dem Stabe
an den Felsen geschlagen habe, daß das Wasser kam. »Besser Wasser aus
dem Bauch, als aus der Feder,« tröstete er sich. Eine Sorge verläßt
ihn: der Neffe Karl betritt die militärische Karriere; dafür kommt
eine neue Sorge: die militärische Ausstattung des Neffen hat sehr viel
gekostet, und es ist Geldnot eingetreten. Die Krankheit zieht sich in
die Länge, obwohl Beethoven schon zum drittenmal operiert worden ist.
Und von allen Bekannten kümmert sich fast niemand um ihn, außer den
allernächsten Freunden. Und nun nähert sich Beethoven immer mehr seinem
irdischen Ende. Am 23. März empfängt er die Sterbesakramente. Tags
darauf beginnt der Todeskampf.

Am 26. März 1827 blieb die kleine Pyramidenuhr, ein Geschenk der
Fürstin Lichnowsky, stehen, und noch heute soll diese Uhr, so oft
ein Gewitter naht, stehnbleiben. Gegen fünf Uhr toste mit gewaltigem
Donner, Schnee und Hagelschlag mitten im Winter ein Unwetter heran.
Nur Beethovens Schwägerin, Frau van Beethoven, und ein junger Schüler
Beethovens waren im Sterbezimmer anwesend. Plötzlich wurde das Zimmer
durch einen Blitz grell beleuchtet. Der Sterbende öffnete weit die
Augen, erhob die rechte Hand und blickte mit drohender Miene starr gen
Himmel. Dann sank er zurück. Der Recke war tot.

Seinem Leichenbegängnis folgte keine Gattin, nach der er sich so oft
gesehnt hatte und kein eigenes Kind. An seinem Grabe weinte die ganze
Welt. Zwanzigtausend Menschen folgten dem Sarge, und alle Schulen waren
geschlossen.




                         Der Erfinder Edison.


In Orange in New Jersey, inmitten eines Netzes elektrischer Leitungen,
erhebt sich ein von weiten, einsamen Gärten umgebenes Haus. Die Front
gebietet über einen großen Rasenplatz, der von kiesbestreuten Wegen
durchkreuzt ist und sich bis zu einem pavillonartigen Gebäude hinzieht.
Dieser Pavillon ist rings von einer Reihe sehr bejahrter hoher Bäume
beschattet.

Hier wohnt Thomas Alva Edison, der Mann, der das Echo gefangennahm, der
fast taube Zauberer so vieler Wunderdinge, die geschaffen sind, um dem
Ohr ein Fest zu bereiten.

An einem Herbstabend der letzten Jahre geschah es, daß Edison sich in
das Innere seines Privatlaboratoriums zurückzog. In seinem bequemen
amerikanischen Klubsessel saß er mit aufgestützten Ellbogen allein,
eine Havanna rauchend, obwohl er sonst nicht rauchte, weil der Tabak
große Pläne so leicht in Träumereien zerfließen läßt. Von seinem
bereits sagenhaft gewordenen Gewand umhüllt, dem schwarzseidenen Umhang
mit den violetten Quasten, sah er zerstreut vor sich hin und schien in
tiefe Betrachtung versunken.

Die Tische waren übersät mit tausenderlei Instrumenten, Räderwerken,
geheimnisvollen Mechanismen, elektrischen Apparaten, Teleskopen,
Reflektoren, Magneten, Retorten, Phiolen und Tafeln, die mit Zahlen
bedeckt waren.

Die untergehende Sonne beleuchtete die von Ahorn- und Tannenbäumen
bestandenen Hügel von New Jersey, und hin und wieder wurde das Gemach
blitzartig von aufglühenden elektrischen Funken erhellt.

Der Wind wehte kühler; ein Gewitter hatte am Nachmittage die Luft
durchfeuchtet, und die Blumen vor dem Fenster schickten nun ihre
schweren Düfte herein. Ihr betäubendes Aroma ermattete die lebhaften
Gedanken Edisons, und unbewußt wurde er von dem Reiz der Dämmerung
eingefangen ...

Im Februar des kommenden Jahres wurde er sechzig Jahre alt und es
reizte ihn nun, gleichsam am Vorabend des Greisenalters, über sein
mühseliges, leidensvolles Leben nachzudenken ... all die mühseligen
Wege, die er gehen mußte, ehe er als der größte Erfinder auf dem Gebiet
der Elektrotechnik allgemein anerkannt war, in Gedanken zu gehn.

Er sah das Bild Milans vor sich, seiner Geburtsstadt im
nordamerikanischen Ohio, in der er am 11. Februar 1847 zur Welt kam.

Väterlicherseits stammte Edison aus einer alten holländischen
Müllersfamilie, die ungefähr um 1737 in Nordamerika eingewandert
war. Er sah im Geiste den Vater vor sich, wie er in Milan einen
schwunghaften Getreide- und Holzhandel betrieb, an dem er zum
wohlhabenden Manne wurde. Und sah die, ach, nun tote Mutter, eine
Kanadierin, die von einer eingewanderten schottischen Familie abstammte
und eine vorzügliche Erziehung genossen hatte. Vor ihrer Heirat war
sie Lehrerin gewesen, um später ihren Beruf auch am jungen Edison
auszuüben. Das blühende Geschäft hatte den Eltern die Möglichkeit eines
behaglichen Lebens gegeben und die Hoffnung einer sorglosen Zukunft.
Die Eltern liebten ihren Thomas Alva mit großer Zärtlichkeit! Wie
machten sie ihm seine Kinderjahre zu Jahren sonniger Freude!

Aber Glück ist wandelbar und nicht von langer Dauer. Der Eisenbahnbau
begann, um dem Handel einen neuen Weg zu eröffnen. Es begann ein
tolles Hämmern und Schmieden. Aber durch diese Eisenbahn wurde der
Kanalverkehr des Ohio lahmgelegt, dem der Vater hauptsächlich seine
Einnahmen verdankte. Das Geschäft des Vaters ging zurück, und als
gar noch eine allgemeine finanzielle Krisis hereinbrach, ging des
Vaters Betrieb vollkommen zugrunde, so daß die Familie sich plötzlich
allen Bitternissen der Armut gegenübergestellt sah. Aber nur das
Geschäft brach zusammen, nicht auch der Vater, der vielmehr mit zäher
ungebrochener Energie daranging, sich im Port Huron im Staate Michigan
ein neues Heim zu gründen und mit erstaunlicher Arbeitskraft sein
Leben von neuem aufzubauen. Thomas Alva war damals sieben Jahre alt.
Er hatte bereits angefangen, in die Schule zu gehn, als schon sein
erster Unterricht durch diese Umsiedelung gestört und gehemmt wurde.
In Port Huron wurde er nun, um das Schulgeld zu sparen, nicht mehr in
die Schule geschickt; die Mutter übernahm vielmehr selbst die weitere
Ausbildung des Knaben. Die lehrte ihn schreiben, lesen und rechnen
und diese gemeinschaftliche Arbeit schuf ein sehr inniges Verhältnis
zwischen Mutter und Sohn. Wie spornte sie immer seinen Wissenseifer an
und gab seiner Phantasie reiche geistige Nahrung.

Aber auch in Port Huron ging das Geschäft des Vaters nicht recht
vorwärts; die Familie blieb arm. Es war aus mit den sorglosen Jahren
der Kindheit; die Spielzeit war vorbei. Schon als Zwölfjähriger mußte
der junge Edison daran denken, etwas mitzuverdienen. Er nahm eine
Stelle als Zeitungsjunge an der Eisenbahn an, die Port Huron mit
Detroit verbindet.

Und Edison sieht im Geiste rückwärts; sieht, wie er zwischen diesen
beiden Stationen täglich hin und her fährt, während der Fahrt von Wagen
zu Wagen wandert, um den Reisenden Zeitungen, Süßigkeiten, Früchte
und andre Erfrischungen anzubieten, wodurch er sich eine bescheidene
tägliche Einnahme sichert, die er zum größten Teil seinen Eltern
bringt. Die Stunden, die zwischen der Ankunft des Zuges in Detroit
und seiner Abfahrt liegen, bringt er damit zu, seine Geschäftsgänge
zu besorgen, seine Zeitungsexemplare einzukaufen und in der
Volksbibliothek zu arbeiten, deren viele tausend Bände gewissenhaft
durchzulesen er sich ernsthaft vorgenommen hat. Er liest tatsächlich
auch die Bücher, wie sie ihm gerade zur Hand kommen, der Reihe
nach wahllos durch, und als er schon eine Strecke von fünfzehn Fuß
weggelesen hat, wird die Bibliothekleitung endlich auf sein Vorhaben
aufmerksam und lenkt seine Lesewut in die richtigen Bahnen. Unter den
bereits verschlungenen Büchern befanden sich recht schwierige Werke;
zum Beispiel Gibbons »Verfall und Untergang des römischen Reiches«,
Humes »Geschichte Englands« und »Die Geschichte der Reformation«,
Burtons »Anatomie der Melancholie« und andre Bücher.

Auf der hundert Kilometer langen Bahnstrecke Port Huron-Detroit war
der junge Edison bald eine sehr bekannte und beliebte Person. Aber
wichtiger war für ihn, daß er sich auch die Zuneigung des Bahnpersonals
erwarb. Denn er hatte es in erster Reihe dem Personal zu danken,
daß man ihm das ausschließliche Recht des Zeitungsverkaufs auf den
Lokalzügen der genannten Strecke zubilligte; außerdem hatte man ihm
noch einen alten ausrangierten Gepäckwagen zur Verfügung gestellt, der
gewöhnlich leer im Zuge mitlief.

Welche wundervollen Stunden hat er in diesem Rumpelwagen erlebt! Schon
als dreizehnjähriger Knabe hatte Edison große Freude an chemischen
Experimenten, und so häufte er in der einen Hälfte des Wagens allerhand
Apparate und Flaschen mit Chemikalien an und gestaltete ihn zu einem
kleinen chemischen Laboratorium um, während er in der andren Hälfte
seine Zeitungen, Fruchtkörbchen und andere Handelsartikel aufbewahrte.

Über seinen chemischen Versuchen vergaß er aber nicht, seinen
Geschäften nachzugehen; im Gegenteil, seine Tätigkeit war, wie
bei allen Amerikanern, auf Gewinn und Erwerb gerichtet. Er kaufte
gewöhnlich zweihundert Zeitungsexemplare; zuweilen hätte er aber
auch dreihundert verkaufen können. Als er nach der Ursache dieses
schwankenden Verkaufs forschte, bemerkte er bald, daß sich der Absatz
nach der Wichtigkeit und Sensation der aktuellen Vorgänge richtete,
und er war nun so schlau, ehe er seine Exemplare kaufte, jedesmal die
Überschriften der Zeitung erst rasch zu überfliegen und sie gleichsam
auf ihre sensationelle Wirkung hin zu prüfen. Und danach bemaß er
dann auch ganz seinen Bedarf. Um jene Zeit war gerade der große Krieg
zwischen den Nord- und Südstaaten ausgebrochen, und das reisende
Publikum war nach den neuesten Nachrichten stets sehr begierig.

Eines Tages las Edison auf der Probenummer der Zeitung in Riesenlettern
eine Überschrift, die eine große Schlacht mit fünfzigtausend Toten und
Verwundeten ankündigte. Blitzartig durchfuhr ihn der Gedanke, daß
ihm der Verkauf dieser Zeitungsnummer großen Gewinn bringen könnte,
wenn es ihm gelänge, die Aufmerksamkeit der Reisenden längs der ganzen
Zugstrecke rechtzeitig auf diese große Neuigkeit hinzulenken. Schon
hatte er einen fertigen Plan im Kopf. Er eilte zur Telegraphenstation
und bestimmte einen ihm bekannten Beamten ein kurzes Telegramm
über eine große Schlacht mit fünfzigtausend Toten und Verwundeten
abzusenden, mit der Bitte, diese Depesche an der schwarzen Tafel, auf
der gewöhnlich die Verspätungen der Züge angezeigt wurden, mit Kreide
anzuschreiben. Edison erbot sich, dem Beamten für diesen Dienst ein
halbes Jahr lang unentgeltlich eine täglich erscheinende Abendzeitung
und zwei Journale zu liefern, eine Wochen- und eine Monatsschrift.
Der Beamte ging auf den Vorschlag ein und versprach, das Telegramm
rechtzeitig abzusenden. Nun galt es noch, eine möglichst große Anzahl
Zeitungsexemplare zu erhalten. Geld hatte Edison nicht, und als er
sich an den Vorsteher der Speditionsabteilung mit der Bitte wandte,
ihm tausend Exemplare auf Kredit zu überlassen, wurde ihm das rundweg
abgeschlagen. Viel Zeit war bis zum Abgang des Zuges nicht mehr zu
verlieren; kurz entschlossen wandte sich Edison an den Eigentümer
der Zeitung selbst, sagte ihm, wer er sei und bat um fünfzehnhundert
Exemplare, die er am nächsten Tage bezahlen wollte. Der Besitzer der
Zeitung, ein hagerer ernster Mann, musterte den kecken vierzehnjährigen
Zeitungsboy einen Augenblick, kritzelte einige Worte auf einen Zettel
und gab ihn Edison mit den Worten: »Trag's hinunter, und du wirst
erhalten, was du wünschest.« Niemand war glücklicher als Edison. Im
Triumph trug er seinen schweren Ballen Zeitungen fort, faltete und
legte sie noch auf der Straße mit Hilfe einiger Knaben zurecht und
lief zu seinem Zuge. Jetzt hatte er nur noch die eine Sorge, ob der
Telegraphenbeamte auch Wort gehalten hatte. Denn davon hing ja der
glückliche Ausgang seines Unternehmens ab.

Und wie dann der Erfolg seine Erwartungen bei weitem übertraf! Wie er
schon, als der Zug auf der ersten Station Utica einlief, eine Menge
Menschen auf dem Bahnsteig herumstehen sah, die, durch sein Telegramm
neugierig gemacht, ungeduldig die Ankunft des Zuges erwarteten, um
genauere Nachrichten über die große Schlacht zu erhalten. Wie er nun
einen Arm voll Zeitungen nahm, aus seinem Güterwagen sprang und im
Nu vierzig Exemplare zu zwanzig Pfennig (fünf Cent) abgesetzt hatte,
während er sonst an dieser Station kaum zwei Exemplare loswerden
konnte. Auf der nächsten Station, Mount Clemens, war noch eine größere
Menschenmenge versammelt. Jetzt hatte er vierzig Pfennig für das
Exemplar gefordert und hatte trotzdem hundertfünfzig Stück verkauft.
Ähnlich ging es auf den folgenden Stationen. Am tollsten war es aber
auf der Endstation Port Huron, wo Edison zu Hause war. Als er hier mit
den letzten paar hundert Exemplaren, die ihm geblieben waren, sich auf
den Weg zur Stadt machte, die anderthalb Kilometer entfernt lag, kam
ihm unterwegs ein großer Schwarm aufgeregter Menschen entgegen, die
ebenfalls durch sein schlaues Manöver in höchste Erregung versetzt
worden waren. Sie riefen alle nach Zeitungen und Edison verkaufte
ihnen einen großen Teil, das Exemplar zu einem Vierteldollar (mehr
als eine Mark). Die Nachricht, daß der kleine Edison mit den neuesten
Depeschen vom Kriegsschauplatze kam, verbreitete sich mit Windeseile
nach der Stadt, und Edison sah sich genötigt, auf den Stufen, die zur
Tür einer Kirche emporführten, Posto zu fassen, um sich des Andranges
zu erwehren. Der Gottesdienst sollte gerade beginnen, aber die Türen
waren noch offen, daher strömten die Menschen heraus, und es entstand
ein tolles Wettbieten auf die letzten hundert Exemplare der kostbaren
Zeitungsnummer.

Mit einem kleinen Vermögen kam Edison am Abend nach Hause, wo er seinen
Eltern von der gelungenen Unternehmung berichtete und ihnen den größten
Teil seines Gewinnes einhändigte.

Der glückliche Ausgang dieser kleinen Spekulation blieb auf die
Entwicklung Edisons nicht ohne starken Einfluß. Zunächst stärkte sich
sein Selbstvertrauen, sein Unternehmungsgeist wurde angeregt, so daß
der Vierzehnjährige Geschäftsunternehmungen wagt, die von seinen
außerordentlichen Anlagen beredtes Zeugnis ablegen. Er verdankte ja
sein kleines Vermögen jenem Telegramm, und so war es ganz natürlich,
daß die Telegraphie und ihre gewaltige Bedeutung für den Verkehr ihn
besonders lebhaft interessieren mußte. Er vernachlässigte nun die
Chemie auf Kosten der Elektrizität, über deren geheimnisvolle Kraft er
in der folgenden Zeit alles zusammenlas, was ihm nur erreichbar war. Er
kaufte und verfertigte sich elektrische Apparate, um selbst elektrische
Versuche anstellen zu können.

Inzwischen war er rastlos bemüht, aus seinem Zeitungsverkauf möglichst
großen Gewinn zu ziehen, denn ohne Geldmittel war es ihm nicht möglich,
seine Kenntnisse zu erweitern. Er dachte sogar daran, selbst eine
kleine Zeitung herauszugeben, um seine Einnahmen zu vermehren und,
die Tat dem Gedanken gleich folgen lassend, ging er sofort an die
Ausführung. Für wenig Geld hatte er bald eine alte ausrangierte Presse
und einen Satz alter Typen erworben, die er nach seinem Gepäckwagen
schaffte, wo er denn auch seine Versuche begann. Das Setzen und Drucken
hatte er in der Druckerei, von der er bisher die Zeitung bezog, den
Arbeitern abgesehen; trotzdem kostete es ihn freilich unendliche Mühe
und manche schlaflose Nacht, bis er den Reisenden seiner Strecke seine
eigene kleine Zeitung, die er »Grand Trunk Herald« nannte, zu drei
Cent das Exemplar verkaufen konnte. Sie erschien einmal wöchentlich
und kostete im Monatsabonnement acht Cent (zweiunddreißig Pfennig);
jedenfalls war es das einzige Journal der Welt, das den Namen einer
Eisenbahnzeitung mit Fug und Recht trug, da sie im Eisenbahnzuge
selbst fertiggestellt wurde. Der vierzehnjährige Edison war sein
eigener Redakteur, Setzer, Drucker und Zeitungsjunge. Ehe die erste
Nummer aber erschien, machte der diplomatische Junge einem der
Generaldirektoren der Bahnlinie einen Besuch und bat ihn um die Ehre,
sein erster Abonnent zu werden. Seine Bitte wurde erfüllt und überdies
bedachte man ihn mit einem kleinen Geldgeschenk. Unter dem Bahnpersonal
selbst gewann er eine stattliche Zahl Abonnenten, und auch zahlreiche
Reisende kauften die Zeitung, so daß er in kurzer Zeit vierhundert
Abonnenten zählte. Ihr Inhalt bestand meist aus Lokalnotizen,
Bahnerlebnissen, Zugverbindungen, Verkehrsneuigkeiten, wichtigen
Familienereignissen und Inseraten. Um neue Leser anzulocken, erhielt
jeder Abonnent seine Zeitung mit aufgedrucktem Namen. Die weltberühmte
Londoner Zeitung, die »Times«, würdigte dieses Edisonsche Blättchen
sogar einer Besprechung, und der große Erfinder der Lokomotive,
Stephenson, bestellte eine Spezialausgabe dieser Zeitung für sich
allein.

Edisons Einnahmen wuchsen; seine Arbeit wurde freilich auch immer
größer, so daß er endlich mehrere junge Burschen als Gehilfen anstellen
mußte. Nun konnte er seinen Eltern bereits einen Monatsgewinn von
vierzig Dollar (hundertundsiebzig Mark) abliefern.

Trotz dieses günstigen Resultates war er nicht zufrieden; er wollte
seine Zeitung auf ein höheres Niveau erheben, sie fesselnder gestalten.
Und so gab er mit einem gleichalterigen Kameraden eine neue Zeitung
heraus, »Paul Pry« benannt, nach einer bekannten Lustspielfigur, die
einen neugierigen, umherspähenden, spionierenden Charakter hatte. Die
neue Zeitung war in jeder Beziehung der alten überlegen. Allein, da er
selber noch ein Knabe war, teilte Edison oft auch knabenhafte Torheiten
mit und wurde bei der Mitteilung mancher Neuigkeiten übermütig und
ausfallend. So geschah es, daß ein Leser der Zeitung sich und sein
peinliches Erlebnis eines Tages selbst lächerlich gemacht sah; in
höchste Wut versetzt, lauerte der herkulische Mensch dem jungen Edison
auf und schleuderte ihn kurzerhand in den St. Clairfluß. Edison konnte
aber gut schwimmen und rettete sich glücklich ans Ufer; jedoch machte
das unfreiwillige Bad dem »Paul Pry« rasch ein vorzeitiges Ende.

Kurze Zeit nach diesem unglücklichen Abenteuer fiel in dem alten
rumpligen Gepäckwagen, der nicht auf Federn ruhte, durch die heftigen
Stöße der Lokomotive eine Flasche Phosphorlösung um. Sie explodierte
und der Wagen geriet in Brand. Das Feuer wurde zwar mühelos gelöscht,
aber der Zugführer hatte schon längst nach einer Gelegenheit gesucht,
den kleinen Edison loszuwerden, der in dem alten Wagen fürchterlich
dünstende chemische Versuche anstellte und mit den Druckpressen einen
schrecklichen Radau vollführte. Der Zugführer ließ nun sofort alle
Habseligkeiten Edisons rücksichtslos ausräumen, verbot ihm die weitere
Benützung des Gepäckwagens und gab ihm noch obendrein ein paar so
mächtige Ohrfeigen, daß Edison das Trommelfell des einen Ohres platzte,
auf dem er zeitlebens taub blieb.

Edison rückte sich im Sessel zurecht und faßte unwillkürlich an das
taube Ohr. Er hatte viel gelitten darum. Ganz in seinen Erinnerungen
lebend, fühlte er noch jetzt, nach fünfundvierzig Jahren, die Hand des
brutalen Zugführers in seinem Antlitze brennen. Überwältigt von Schmerz
und Scham mußte er damals zusehen, wie der Zugführer abdampfte. Und
Edison stand mit seinen zerbrochenen Gläsern, Retorten und Apparaten
heulend auf dem Bahnsteig.

Der Verlust seines geliebten Laboratoriums war ein schrecklicher Schlag
für Edison. Die höchste Verzweiflung hatte ihn gepackt. Seine Mutter
tröstete ihn und räumte ihm den Wohnungskeller ein, in dem er seine
Versuche fortsetzen konnte. Der Gepäckwagen war ihm nun entzogen, seine
Stellung als Zeitungsjunge konnte man ihm aber nicht nehmen. Und so
fuhr er denn, wie in den ersten Tagen, zwischen Detroit und Port Huron
hin und her, um wieder seine alte Zeitung zu verkaufen. Die freie Zeit,
die ihm blieb, verwandte er auf elektrische Versuche, denen von nun
ab sein Hauptinteresse gehörte. Zunächst wollte er eine telegraphische
Anlage bauen. Er hatte sich ein Buch über Telegraphie gekauft, das
er eifrig studierte. Aus gewöhnlichem Eisendraht stellte er nun eine
Leitung her, die sein Haus mit dem eines Kameraden verband und mittels
eines alten Kabelstückes, das er im Fluß gefunden hatte, wurde diese
Leitung »unterführt«. Zwei riesige Katzen wurden beschafft, deren
rückwärts geriebenes Fell als elektrische Stromquelle dienen sollte.
Diese kindlichen Versuche hatten aber kein anderes Ergebnis, als daß
die Katzen, die keine Lust hatten, Reibungsversuche an sich machen zu
lassen, die beiden Knaben bös zerkratzten und übel zurichteten.

Das Mißlingen spornte Edison aber zu neuen Versuchen an. Er kaufte,
indem er sich selbst große Entbehrungen auferlegte, allerhand alte
elektrische Apparate und Elemente und setzte seine Versuche mit
einer Ausdauer fort, die den Kameraden oft zur Verzweiflung brachte.
Schmerzlich war es inmitten all dieser Versuche für Edison, daß er
die Kunst des Telegraphierens nicht beherrschte. Ein Zufall kam
ihm jedoch auch hier glücklich zustatten. Der Zug, auf dem Edison
Zeitungsjunge war, hatte auf der Station Mount Clemens gewöhnlich
eine halbe Stunde Aufenthalt, um Rangierungen vorzunehmen und einen
Güterwagen abzustoßen. Edison schlenderte mit seinen Zeitungen am Zuge
entlang, als er plötzlich gewahrte, daß der kaum dreijährige Sohn des
Stationsvorstehers ahnungslos auf dem Gleise spielte, auf dem der
abgestoßene Güterwagen eben ziemlich rasch herangerollt kam. Voller
Geistesgegenwart schleuderte Edison seine Zeitungen fort, war mit
einem Satz an der gefährlichen Stelle und hatte gerade noch Zeit, sich
mit dem Jungen auf die andere Seite zu werfen. Im nächsten Augenblick
erhielt Edison auch schon am Stiefelabsatz vom Wagen einen heftigen
Stoß, der den jungen Lebensretter darüber belehrte, in welcher großen
Todesgefahr beide geschwebt hatten. Beide waren, vornüberstürzend,
mit dem Gesicht so heftig auf einen Kieshaufen aufgeschlagen, daß
sich die kleinen Steinchen tief ins Fleisch gebohrt hatten. Aber diese
Verletzungen waren ungefährlich, und die glücklichen Eltern wußten
nicht, wie sie dem fünfzehnjährigen Lebensretter danken sollten. Der
Stationsvorsteher Mackenzie war arm und lebte nur von seinem knappen
Gehalt. Da er aber Edisons Neigungen kannte, erbot er sich, ihm
die Kunst des Telegraphierens beizubringen, die Edison weit höher
einschätzte, als eine Geldbelohnung, und so wurde Edison zu einem
Telegraphisten ausgebildet. Er konnte für dieses Studium freilich nur
die Nachtstunden benützen, da er tagsüber mit dem Zeitungsverkauf zu
tun hatte. Trotzdem machte Edison bei seinem rastlosen Eifer so rasche
Fortschritte, daß er schon nach vierzehn Tagen dem Stationsvorsteher
einen vollständigen Satz telegraphischer Apparate vorlegen konnte, die
er in einer Büchsenmacherei selbst angefertigt hatte. Trotzdem die
Apparate auf einem Briefkuvert Platz hatten, funktionierten sie doch
vortrefflich. Und praktisch wie Edison war, legte er auch gleich eine
eigene Telegraphenlinie an, um Port Huron mit dem Bahnhof zu verbinden,
der anderthalb Kilometer entfernt lag. Er nagelte einfach ausgeglühten
Eisendraht mit gewöhnlichen Nägeln an die Pfosten einer hölzernen
Einfriedigung. Das Telegramm kostete fünfzig Pfennig (zwölfeinhalb
Cent). Bei trockenem Wetter arbeitete die Linie exakt; bei feuchtem war
aber die Isolierung zu schlecht. Allein, da im ersten Monat nur drei
Depeschen aufgegeben wurden, suchte Edison anderweitige und lohnendere
Beschäftigung.

Als Eingeweihter in telegraphische Geheimnisse, wurde er nun ständiger
Besucher der Telegraphenämter. Er war sehr beliebt und benutzte jede
Gelegenheit, um seine Kenntnisse zu vertiefen. Nach drei Monaten hatte
er es denn zu einer größeren Vollkommenheit gebracht als sein Lehrer;
er war vorbereitet genug, um die Stelle eines Telegraphisten ausfüllen
zu können. Er verließ endlich, von der größten telegraphischen
Gesellschaft Nordamerikas noch um neunzig Mark Gehalt betrogen, seine
Heimatstadt zum ersten Male, um im kanadischen Stratford einen Posten
als Telegraphist anzunehmen, den ihm der Stationsvorsteher Mackenzie
verschafft hatte.

Und nun begann eigentlich erst für Edison die Zeit der wechselvollen
Erlebnisse, der mühseligen Arbeit, der schweren Enttäuschungen und der
großen Entbehrungen, die keinem erspart bleiben, der Großes erreichen
und Bedeutendes schaffen will. Es begann für Edison die Zeit, in der
sein Genie auf harte, aber kräftigende Proben gestellt wurde.

Er bezog ein monatliches Gehalt von fünfundzwanzig Dollar und
hatte schweren Nachtdienst, denn sein Vorgesetzter war hart und
unnachsichtig. Um die Wachsamkeit seiner Telegraphisten kontrollieren
zu können, hatte er die Vorschrift erlassen, daß jeder alle halbe
Stunde das Wort »+six+« telegraphieren solle. Nun hatte Edison
die Gewohnheit, in seiner dienstfreien Zeit die Telegraphenbureaus in
der Umgebung von Stratford zu besuchen, und er machte oft so weite
Ausflüge, daß er gerade noch knapp zu seinen Dienststunden eintraf.
Die Folge war, daß er des Nachts sehr müde war, und daß ihm die
Innehaltung des Kontrollzeichens sehr lästig wurde. Er kam daher auf
den Gedanken, diese Arbeit durch einen »anderen« verrichten zu lassen,
nämlich durch die Uhr. Er befestigte an der Uhr ein kleines Rad, das
bestimmte Einschnitte hatte; dieses Rad schaltete er mittels Drähte in
den Stromkreis des Telegraphenapparates ein und ließ auf diese Weise
die Uhr alle halbe Stunden das verlangte Wort telegraphieren. Das
ging eine Zeitlang ganz gut, bis man bemerkte, daß, sobald das Wort
»+six+« telegraphiert war, einige Buchstaben nicht telegraphiert
werden konnten. Man untersuchte den Fehler und entdeckte Edisons
arbeitsparende Vorrichtung, die sofort beseitigt wurde. Und fast wäre
Edison selber »beseitigt« worden. In dieser Vorrichtung lag aber
schon die Grundidee zu dem späteren Distrikttelegraphen Edisons, der
patentiert und verkauft wurde.

Weniger glücklich verlief ein anderer Vorfall, bei dem sich Edison
grobe Pflichtversäumnis hatte zuschulden kommen lassen. Es gehörte
zu seinen Obliegenheiten, gewissen ankommenden Nachtzügen je nach
der Anweisung des Zugabfertigers das Signal zum Halten oder zum
Weiterfahren zu geben. Eines Nachts sollte er einen ankommenden
Güterzug auf einer Station halten lassen; Edison telegraphierte aber
dem Abfertiger die Ankunft des Zuges, bevor er wirklich eingelaufen
war, und entfernte sich, um spazierenzugehen. Er glaubte noch
rechtzeitig zurücksein zu können; aber der Zug war schon früher da, als
Edison angenommen hatte und, da der Zugführer infolge der Abwesenheit
Edisons keinen Befehl zum Halten vorfand, war er wieder weitergefahren.
Edison wollte nun zum nächsten Güterschuppen eilen, wo die
Nachtgüterzüge zu halten pflegten, um Frachtstücke ein- und auszuladen;
aber in der Dunkelheit fiel er in eine Grube, aus der er sich nur
schwer herausarbeiten konnte. Und als er zerschunden und atemlos an
dem Schuppen angekommen war, war es wieder zu spät. Er stürzte wieder
zur Station zurück und schickte eine Depesche nach der nächsten
Station, aber auch diese kam schon zu spät, und wenn nicht die beiden
Lokomotivführer sehr achtsam gewesen wären, hätte es unvermeidlich
zu einem Zusammenstoß kommen müssen. Als der Betriebsdirektor diese
Geschichte erfuhr, lud er den Sechzehnjährigen vor sich, um ihm zu
erklären, daß er ihn unbarmherzig auf fünf Jahre ins Gefängnis schicken
werde. Aber während Edison gerade das trübe Schicksal seiner nächsten
Zukunft erfuhr, kamen zwei Freunde des Direktors zu Besuch, die ihn
sofort in eine Unterhaltung zogen, und diese hochwillkommene Ablenkung
benutzte Edison, um auszureißen. Mit dem nächsten Zuge reiste er, wie
er ging und stand, nach Port Huron zurück.

Edisons Genie sollte sich auch hier bewähren. Der Winter war sehr hart
gewesen, und als nun im Frühjahr das mächtige Treibeis des Huron-Sees
herankam, zerriß es das Kabel zwischen Port Huron und der jenseits
des mächtig breiten Flusses liegenden Stadt Sarnia. Der Verkehr war
sehr gestört, die Herstellung des Kabels war unmöglich. Völlig ratlos
wandte man sich an Edison, der sich auf die Weise zu helfen wußte,
daß er mit einer Lokomotive dicht an den Fluß heranfuhr und nun mit
der Signalpfeife ein Telegramm hinüber»pfiff«. Mit kurzen Tönen ahmte
Edison die Punkte, mit langgezogenen die Striche des Morse-Alphabets
nach. Und er pfiff die Frage in den Nebel hinaus: »Hallo, Sarnia, hörst
du mich?« Und nachdem er das Signal mehrere Male vergeblich hatte
ertönen lassen, wurde man endlich am jenseitigen Ufer doch aufmerksam,
erkannte die Bedeutung der schrillen Pfiffe und die Telegraphisten
antworteten auf dieselbe Weise die Antwort zurück. So war die
Verbindung wiederhergestellt.

Diese findige Leistung machte Edison bekannt, und es fiel ihm deshalb
auch nicht schwer, eine Stellung als Telegraphist zu finden. Aber
da er viel unter Neid und Klatschsucht zu leiden hatte, und seine
Dienstvorschriften öfters verletzte, weil er unermüdlich seinen
eigenen Untersuchungen nachhing, mußte er seinen Aufenthaltsort oft
wechseln. So taucht der Siebzehnjährige in Adrian auf, in Fort Wayne,
Indianopolis, Cincinnati und Memphis. In Indianopolis gelang ihm auch
seine erste Erfindung, der selbsttätige Wiedergeber, der die Tätigkeit
des Telegraphisten überflüssig machte. Er hatte die Telegramme, die mit
einer Geschwindigkeit von fünfzig Worten in der Minute einliefen, für
die Presse wortgetreu wiederzugeben und hatte sich nun einen Apparat
konstruiert, der das mit einer Geschwindigkeit von dreißig Worten in
der Minute erledigte. Er hielt die Vorrichtung zwar geheim; aber eines
Tages, da sein Apparat, wo es sich um die Wiedergabe einer äußerst
wichtigen Gesetzesvorlage handelte, allzusehr im Rückstande blieb,
wurde dieser geniale Betrug entdeckt und Edison wurde auf der Stelle
entlassen.

[Illustration: Edison in seinem Laboratorium.]

Er begab sich nach Cincinnati, wo er sechzig Dollar im Monat verdiente
und durch aufopfernden Pflichteifer bald auf hundertundfünf Dollar
stieg, wanderte aber bald darauf nach Memphis, wo die Telegraphisten
hundertundfünfundzwanzig Dollar (fünfhundert Mark) im Monat verdienten.
Der Betriebsdirektor quälte sich vergeblich damit ab, eine Erfindung zu
machen, durch welche New York und New Orleans in direkte telegraphische
Verbindung treten konnten und als dies dem jungen Edison, unter
Anwendung seiner in Indianopolis gemachten Erfindung, nach kurzer Zeit
gelungen war, wurde der Direktor von solchem Neid erfaßt, daß er eine
falsche Anklage gegen Edison erhob, die zu seiner Entlassung führte.

Jetzt traf ihn aber seine Entlassung höchst ungünstig. Edison hatte
eben einen großen Teil seines Gehalts -- wie immer -- den Eltern
geschickt. Er war vollständig mittellos und da er nie viel Wert auf
seine äußere Erscheinung gelegt hatte, stand es auch um seine Kleidung
sehr schlecht. Überdies war der Winter vor der Tür. Edison faßte
trotzdem Mut und wanderte wie ein Handwerksbursche mehrere hundert
Kilometer zu Fuß nach Louisville. Halbtot vor Hunger und Kälte und
Überanstrengung, mit Stiefeln ohne Sohlen, mit einem Strohhut auf dem
Kopf und in dünner, fadenscheiniger Sommerkleidung stapfte Edison in
den schnee- und eisbedeckten Straßen von Louisville umher, sich nach
dem Telegraphenamt hinfragend, wo er um eine Anstellung bat. Und als
der zerlumpte Bettler eine Probe seiner Geschicklichkeit gegeben hatte,
erhielt er auch Beschäftigung.

Bis zu seinem neunzehnten Jahre blieb Edison in Louisville. Er brachte
es hier in der Kunst der Depeschenübertragung bis auf fünfundvierzig
Worte in der Minute. Inzwischen hatte er sich auch eine ganze
Bibliothek über elektrische Studien angeschafft und setzte außerdem
seine Experimente unentwegt fort.

Es war den Beamten aber streng untersagt, die elektrischen Batterien
und Elemente anzurühren. Eines Nachts hatte Edison etwas Schwefelsäure
nötig und ging ins Batteriezimmer, sie zu holen. Dabei verschüttete
er ein Teil der Säure, die durch den Fußboden drang und im darunter
liegenden Zimmer des Direktors Schreibtisch und Teppich zerstörte. Der
aufgebrachte Vorgesetzte jagte Edison davon. Er ging zu seinen Eltern,
blieb anderthalb Jahre in seiner Heimatstadt Telegraphist und erfand
dort die Methode, ein einziges Kabel für zwei Stromkreise nutzbar zu
machen. Die Gesellschaft, der er seine Erfindung überließ, lohnte ihn
mit einem Freibillett nach Boston, wo ihm eine Stellung angeboten war.

Gleich beim Beginn seiner Tätigkeit legte er Proben einer so
außerordentlichen Geschicklichkeit ab, daß die Kollegen, die erst
geglaubt hatten, ihn verhöhnen zu können, ihm die größte Hochachtung
bezeigten und sich um seine Freundschaft bewarben. Und da es um
diese Zeit auch seinen Eltern wieder besser zu gehen begann, wurde
er von dem schweren Druck befreit, der bisher auf ihm lastete.
Seine teilnahmsvollen Kameraden, sein freundlicher Vorgesetzter und
endlich die Freundschaft eines Herrn Milton Adams wirkten belebend
auf seine Fähigkeiten und schienen tausend Pläne und Erfindungen in
ihm zu wecken. Die erste Erfindung, die er hier ausführte, war ein
Abstimmungstelegraph, der die zeitraubende Arbeit des Zählens bei
Parlamentsabstimmungen ersparen sollte. Die Erfindung, auf die Edison
große Hoffnungen gesetzt hatte, wurde 1869 zwar patentiert; praktisch
fand man sie aber unverwertbar. Die Ablehnung empfand Edison sehr
schmerzlich; er lernte aber auch von diesem Fehlschlag, eine Erfindung
erst auf ihre Brauchbarkeit hin zu prüfen, ehe er an ihre Ausarbeitung
Kosten und Mühen verschwendete.

In Boston hatte Edison sich eine kleine Werkstatt gemietet. Seine
Freunde hatten für das Bekanntwerden seiner Fähigkeiten wohl gesorgt,
so daß er bald kleine Aufträge bekam. Besonders zwei Aufgaben fesselten
ihn jetzt sehr stark: die Herstellung eigener telegraphischer
Druckapparate für die Mitteilung der Kurse im Geldverkehr und die
Benutzung ~eines~ Drahtes zur gleichzeitigen Sendung mehrerer
Depeschen. Deutschland kannte zwar schon diese Telegraphie; aber in
Amerika hat erst Edison die Telegraphie auf eine so vollkommene Stufe
erhoben, daß man die dadurch gemachten Ersparnisse auf etwa fünfzehn
Millionen Dollar taxiert.

Indessen, es wollte ihm auch hier nicht gelingen, einen wesentlichen
~praktischen~ Erfolg für seine Erfindungen zu erringen; das
verleidete ihm Boston, und er beschloß, sein Wirkungsfeld nach der
Zentrale des amerikanischen Geschäftslebens zu verlegen: nach New York.
Und in großer Sorge um seine Zukunft reiste er dahin.

Aber auch hier hatte er in den ersten Wochen bitter zu kämpfen. Er fand
keine Stellung, und niemand interessierte sich für seine Erfindung. Er
wäre auf dem erbarmungslosen New Yorker Pflaster in die äußerste Not
gekommen, wenn ihn nicht ein Zufall die rechten Wege geführt hätte.
Zuweilen scheint es wirklich, als hätte ein guter Geist immer seine
Schritte gelenkt, um ihn, wenn auch scheinbar auf Umwegen, seinen
Zielen entgegenzubringen.

Als Edison nach New York kam, war es gerade der Schauplatz einer
dreisten Spekulation des Millionärs Jay Gould, der alles Gold hatte
aufkaufen lassen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Das Bureau des
Herrn Law war das einzige, das mit allen sechshundert Geldmaklerbureaus
in telegraphischer Verbindung stand und wo man erfuhr, wie es um den
Goldkurs stand. Eine Unzahl besorgter Geschäftsleute forderte vom
Bureau Law Nachrichten. Die Beamten hatten alle Hände voll Arbeit.
Da versagt plötzlich zum Unglück -- und zum Glück Edisons -- der
Haupttelegraphenapparat. Die Störung verursachte eine ungeheure
Erregung bei der draußen harrenden Menge, die von Minute zu Minute
immer drohender anschwoll. Law und seine Beamten waren vollständig
kopflos geworden, als der beschäftigungslose Edison, der mit der
drängenden Menschenmasse unbeachtet ins Bureau geschoben worden war,
den Apparat, der die Störung verursachte, rasch betrachtet hatte
und nun sagte: »Ich glaube, Mister Law, ich kann Ihnen zeigen, wo
die Störung liegt. Eine Kontaktfeder ist zerbrochen, zwischen zwei
Zahnräder gefallen und hindert dadurch die Umdrehung der Scheibe mit
den Papierstreifen.« Edisons Vermutung war richtig. In kurzer Zeit
hatte er die Störung beseitigt, und Law engagierte Edison sofort als
Aufseher über alle Teile des telegraphischen Betriebes mit dem hübschen
Monatsgehalt von nahezu dreizehnhundert Mark (dreihundert Dollar).
Mit einem Schlage war Edison ein gemachter Mann. Er war für alle Zeit
die fürchterlichen Nahrungssorgen los, und von nun an nimmt seine
Entwicklung einen raschen und glänzenden Verlauf.

Seine Tätigkeit bei Law brachte es mit sich, daß Edison sich wieder
der Herstellung verbesserter telegraphischer Apparate zuwandte. Seine
Verbesserungen riefen indessen eine Umwälzung auf diesem Gebiete
hervor, daß er schließlich seine Stellung dadurch verlor. Inzwischen
war er aber in New York bereits so bekannt, daß er in einer Fabrik
für elektrische Apparate sofort wieder eine neue Stellung fand. Hier
vervollkommnete er seine früher erwähnte Erfindung des Drucktelegraphen
für Kursberichte, die ihm bei Laws Konkurrenzgesellschaft eine gleiche
Stellung eintrug, wie er sie bei Law gehabt hatte. Und als er hier
die telegraphischen Einrichtungen verbesserte, kaufte ihm diese
Gesellschaft das Benützungsrecht für seine letzten Erfindungen ab und
zahlte ihm dafür etwa hundertundsiebzigtausend Mark.

                   *       *       *       *       *

Edisons Havannazigarre war ausgegangen und er entzündete sie von neuem,
noch immer seinen Erinnerungen nachgehend ...

Er hatte hundertundsiebzigtausend Mark bekommen. Niemand war
glücklicher als er. Wie einfach und wahr hatte der deutsche Dichter
Goethe das Gretchen im Faust es sagen lassen: Am Golde hängt doch
alles! Jetzt, mit diesem Vermögen in den Händen, konnte er seine
heißesten Wünsche stillen, konnte sich eine umfangreiche Werkstätte
mit allem Zubehör einrichten, um die Fabrikation seiner Erfindungen
selber betreiben zu können. Und obwohl diese Einrichtung so ziemlich
das ganze Vermögen wieder verschlungen hatte, hatte es Edison trotzdem
nicht zu bereuen. Seine Fabrik war bald so beschäftigt, daß sie in
kurzer Zeit zu klein geworden war. Innerhalb weniger Jahre mußte er die
stets größer gewählte Fabrik mit einer immer noch größeren vertauschen
und 1873 war er von der ursprünglichen Werkstatt in New York in die
gegenüberliegende Stadt Newark in seine Fabrik eingezogen, in der er
bereits dreihundert Arbeiter beschäftigte. Sein Name war schon berühmt,
und er genoß in der Geschäftswelt bedeutenden Kredit.

Seine Geschäftsführung war ebenso merkwürdig wie sein ganzes Leben.
Da es seinem Buchhalter einst passierte, daß er bei der Bilanz einen
Überschuß von siebentausendfünfhundert Dollar herausgerechnet hatte,
während in Wirklichkeit ein Defizit von fünfzehntausend Dollar
vorhanden war, brachte dieser Irrtum Edison dazu, alle Buchführung
für unnützen Schwindel und kostspieligen Zeitvertreib zu erklären.
Von Stund' an führte er sein Geschäft ohne Buchführung. Aber nur
ein Geist von der Fassungskraft Edisons konnte die Buchführung, die
kein geschäftlicher Betrieb entbehren kann, beiseitelassen, ohne
Schaden zu erleiden. Seine Untergebenen hatten auch keine bestimmten
Arbeitsstunden; die Arbeitszeit richtete sich ganz nach den vorhandenen
Aufträgen. Man hätte erwarten sollen, daß eine solche Geschäftsführung
ohne Bücher und ohne geregelte Arbeitszeit ein wahres Chaos zur Folge
haben würde. Nichts von alledem. Freilich ließ sich diese Einrichtung
auch nur deshalb ohne Störung durchführen, weil Edisons Arbeiter
zugleich seine Kameraden waren, die mit Liebe und Bewunderung an ihm
hingen.

Und Edison selbst gab Beispiele von fast übermenschlicher Arbeitskraft.
Eines Tages hatte er für hundertundfünfundzwanzigtausend Mark
telegraphische Apparate zu liefern; sie waren fertig, funktionierten
aber nicht richtig, ~mußten~ aber rechtzeitig und tadellos
geliefert werden. Edison ließ alle Apparate in sein Laboratorium
bringen, schloß die Tür und sagte zu seinen Assistenten: »Ich habe
die Tür abgeschlossen, und nun müßt ihr bleiben, Kameraden, bis die
Arbeit beendet ist.« Und es folgten ~hintereinander sechzig Stunden
angestrengter Arbeit~, in denen kaum Zeit blieb, etwas zu essen; von
Schlafen war keine Rede; aber die Apparate waren zur bestimmten Zeit
fertig. Edison selbst schlief hinterher sechsunddreißig Stunden.

Aber diese Doppeltätigkeit, Erfinder und Fabrikant zugleich, konnte
Edison nicht auf die Dauer durchführen. Er gab seine Fabrik auf, die
ihm in drei Jahren einen Gewinn von mehr als anderthalb Millionen
gebracht hatte, und verwendete das Geld dazu, ein großes Grundstück
in Menlo-Park zu kaufen und ein Laboratorium darauf zu bauen, das
eines der großartigsten Amerikas werden sollte. Er schaffte sich die
vollkommensten und kostbarsten physikalischen und chemischen Apparate
an; eine Werkstatt, die dreißig Meter lang und zehn Meter breit war,
wurde mit allen erdenklichen mechanischen Drehbänken, Maschinen und
Werkzeugen versehen; eine Dampfmaschine von achtzig Pferdestärken
versorgte die Anlage. Eine wissenschaftliche Bibliothek fehlte nicht.
Sogar eine Orgel wurde angeschafft, denn Edison liebte es, bei
angestrengter geistiger Arbeit sich von den wohltuenden Harmonien der
Musik besänftigen zu lassen. 1876 zog Edison hier ein und hatte einen
Stab außerordentlich tüchtiger Hilfskräfte um sich versammelt. Der
weitaus hervorragendste war Charles Bachelor, dessen Dienste für Edison
unschätzbar waren.

Hier machte Edison in den folgenden zehn Jahren seine bedeutendsten
Erfindungen. 1869 war er ein armer Teufel, der in New York stellungslos
umherlief; 1879 ein weltberühmter Erfinder, ein vielfacher Millionär.
Aber dieser beispiellose Erfolg wurde nicht durch irgendwelche
Glücksfälle erreicht, sondern nur durch zähe, harte Arbeit, ein Wort,
das im Leben Edisons die allererste Rolle spielt und alle seine Erfolge
erklärt.

Keine seiner Erfindungen -- er besitzt bereits nahezu tausend Patente
-- machte seinen Namen jedoch so populär wie der Phonograph, den er
1877 in Menlo-Park erfand; ein zungen- und zahnloses Instrument,
ohne Schlund und ohne Kehlkopf, eine tote, tonlose Masse, die
nichtsdestoweniger alle Töne nachahmt, und mit deiner Stimme spricht.
Noch nach Jahrhunderten, nachdem du längst in Staub zerfallen bist,
kann dieser Apparat deinen Urenkeln alles wiederholen, was du in den
Apparat hineingesprochen hast, und zwar so, als sprächest du lebendig
zu ihnen.

Immerhin dauerte es zehn Jahre, bis der Phonograph, wesentlich
verbessert, 1888 im Londoner Kristallpalast zum ersten Male in Europa
vorgeführt wurde. Edison hatte eine Walze mitgeschickt, von deren
Phonogramm aus er selbst zu den Besuchern sprach, und die Königin von
England und andere hohe Persönlichkeiten schickten ihm vermittels des
Phonographen ihren Dank zu. 1889 wurden fünfundvierzig Phonographen
mit Walzen, die alle lebenden Sprachen wiedergaben, auf der großen
Pariser Weltausstellung gezeigt, wo sie täglich von dreißigtausend
Menschen besichtigt wurden. Heute gibt es wohl kein Städtchen mehr in
der zivilisierten Welt, dessen Einwohner diese Erfindung Edisons nicht
kennen würden.

Sie würde noch immer eine ungeheure Umwälzung hervorrufen, wenn man
sie so ausnützen würde, wie sie es erlaubt. Der Phonograph könnte die
Stenographen überflüssig machen; Briefe ließen sich direkt auf die
Platten sprechen, die man dann mit der Post verschicken könnte; hat
man Lust, musikalische Leistungen der berühmtesten Künstler der Erde
zu hören, so kann man sie sich ja heute schon kaufen; phonographische
Bücher könnten die gedruckten ersetzen, was vor allem für die Blinden
von weittragendster Bedeutung wäre; die Sprachen wilder Stämme und
schwer zugänglicher Völker könnten phonographisch festgehalten werden;
jede Familie wäre imstande, die Stimmen lieber Verstorbener jederzeit
wieder zu sich sprechen zu lassen; man könnte sich statt eines
Bilderalbums ein phonographisches Album anlegen.

Edison selber hat scherzhalber einmal im Schlafzimmer eines Gastes,
dessen Furchtsamkeit er kannte, einen phonographischen Apparat
aufgestellt, der um Mitternacht ernst und feierlich die Worte rief:
»Mensch, bereite dich vor zum Sterben.« Entsetzt floh der Gast zu dem
Hausherrn, der dann den ganzen Mechanismus erklären mußte, um den
Geängstigten zu beruhigen.

Auch die Puppenindustrie hat sich in ungeheurem Umfange des
Phonographen bemächtigt und sprechende Puppen hergestellt, die kleine
Lieder singen oder ganze Sätze sprechen und Gedichtchen aufsagen. Die
jetzige Königin von Holland hat als eine der ersten solch eine Puppe
zum Spielen bekommen.

Andere Erfindungen Edisons, wie der Phonometer, das Megaphon und
das Aerophon sind weniger bekannt geworden, obwohl auch sie von
außerordentlicher Bedeutung sein könnten. Praktisch von weit
größerer Bedeutung als der Phonograph wurde aber das elektrische
~Glühlicht~, das Edison zwar nicht erfunden, aber auf die Höhe
der Vollkommenheit gebracht hat, die es gegenwärtig besitzt. Als er
nach endlosen und oft mißlungenen Versuchen, die viele schlaflose
Nächte gekostet hatten, seine Lampen endlich so weit verfeinert hatte,
daß er die Brenndauer einer Lampe von anfangs zwanzig bis vierzig auf
tausend Stunden erhöhen konnte, stattete er alle seine Räumlichkeiten
von innen und außen mit etwa siebenhundert Glühlampen aus. Diese neue
Lampe machte in Nordamerika ein solches Aufsehen, daß aus allen Teilen
des Landes Besucher herbeiströmten, zu deren Beförderung oft besondere
Extrazüge nach Menlo-Park eingelegt werden mußten. Die Aktien der
Glühlichtgesellschaft stiegen von hundert Dollar bis auf dreitausend
Dollar.

Edison legte jetzt eine Glühlampenfabrik an, die die Stammutter
aller Glühlampenfabriken der Welt wurde. Der geschäftliche Erfolg
dieser Lampe war ebenso gewaltig wie die Revolution, die sie im
Beleuchtungswesen heraufbeschworen hat. 1884 wurde auch in Berlin eine
Deutsche Edisongesellschaft gegründet, aus der später die Berliner
Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft hervorgegangen ist, deren
elektrische Anlagen wohl die bedeutendsten der ganzen Welt sind.

Es ist unmöglich, alle Erfindungen Edisons auf dem Gebiete der Schwach-
und Starkstromtechnik hier auch nur andeutungsweise zu erwähnen. Eine
seiner wichtigsten Erfindungen ist aber die Benutzung der elektrischen
Kraft zu Verkehrszwecken. Die Versuchsbahn, die er auf seinem großen
Grundstück in Menlo-Park baute, bewährte sich so vortrefflich, daß sie
seitdem in der Alten und Neuen Welt rasche Verbreitung gefunden hat.
Als der Vorstand der Gesellschaft für elektrische Bahnen Edison einst
in Menlo-Park besuchte, um zu kontrollieren, wie weit die elektrische
Personenbeförderung sei, bat der Erfinder die Gäste, mit ihm die
Lokomotive zu besteigen, die gerade auf der Versuchsbahn bereit stand.
Die Herren, im Glauben, Edison wolle ihnen etwas erklären, stiegen
ahnungslos auf. Edison zog einen Hebel, und die Maschine ging los. Er
steigerte ihr Fahrtempo bis zur raschesten Schnellzuggeschwindigkeit,
daß die Hüte der Gäste davonflogen, die sich zitternd festklammerten
und Edison flehentlich baten, aufzuhören. Sie fürchteten eine
Katastrophe. Das machte Edison Spaß, und er fuhr noch rascher. Erst als
die Herren vor Angst schlotterten, hielt er an, und mit Zittern und
Zähneklappern stiegen sie ab und machten sich eiligst aus dem Staube.
Sie kontrollierten Edison nie wieder und fragten ihn nichts mehr.

Als Edison 1876 von Newark nach Menlo-Park verzog, hatte er seine
Werkstätten und Laboratorien so umfangreich angelegt, daß sie seiner
Meinung nach ausreichen mußten, selbst wenn er seine Tätigkeit noch
bedeutend erweiterte. Aber innerhalb der nächsten zehn Jahre waren
dennoch so viele Vergrößerungsbauten und Nebengebäude nötig, daß
sie mannigfache Unbequemlichkeiten im Gefolge hatten. Edison mußte
wieder an ganz enorme Vergrößerungen denken, und so gründete er 1886
zu Orange in New Jersey ein neues Laboratorium, dies hier, in dem er
jetzt sinnend saß, und das hinsichtlich seiner Größe, Vollkommenheit
und Vollständigkeit der Einrichtungen als das erste der Welt bezeichnet
wird. Das dreistöckige Hauptgebäude ist fünfundsiebzig Meter lang und
achtzehn Meter breit; die vier kleineren einstöckigen Bauten sind
je dreißig Meter lang und acht Meter breit. Das Bibliothekszimmer,
ein fürstlich ausgestatteter Raum, enthält fünfzigtausend wertvolle
wissenschaftliche Werke. Im Vorratsraum, der einzig in seiner Art ist,
findet man von allen Stoffen und Mineralien der Erde, mögen sie noch
so kostbar und schwer erreichbar sein, eine größere Probe. In der
eigentlichen Werkstätte arbeiten Tausende von fleißigen Händen, obwohl
es keine Fabrik ist, sondern alles, was hier gearbeitet wird, nur dazu
dient, die erfinderischen Ideen Edisons auf ihre Brauchbarkeit hin zu
prüfen.

Eine Treppe höher liegen die Bureaus und Arbeitszimmer, in denen
die Assistenten Edisons Skizzen entwerfen, Zeichnungen und
Pläne anfertigen, Berechnungen und theoretische Untersuchungen
anstellen. Weiter oben befinden sich Säle, in denen die Erfindungen
Edisons ausgestellt sind. Ein besonderer Glasbläserraum dient der
Herstellung der mannigfachen Apparate aus Glas, die zu chemischen und
physikalischen Experimenten erforderlich sind.

Ein anderer Bau dient lediglich photographischen Zwecken, und hier hat
Edison das Kinetoskop, das Mutoskop, den bekannten Kinematographen
erfunden und endlich den Phono-Kinematographen, von dem er selbst
sagt: »Ich zweifle durchaus nicht daran, daß wir in nicht allzu
ferner Zeit in jedem Dorfe eine große Opernvorstellung für zehn Cent
Eintrittsgeld haben werden. Man wird die Patti in ihrem eigenen Zimmer
sehen und hören können; man wird sie sogar noch hundert Jahre nach
ihrem Tode auftreten lassen können. Parlamentsverhandlungen, bedeutende
politische Persönlichkeiten, geschichtliche Vorgänge können in
derselben Weise festgehalten und zu jeder späteren Zeit wiedergegeben
werden. Nach einem Jahrhundert kann man noch den Papst Leo und seine
Kardinäle sehen und sie sprechen hören. Welch eine Methode, Geschichte
zu schreiben! Wie viel wirkungsvoller kann man künftigen Generationen
eine Vorstellung von geschichtlichen Ereignissen und bedeutenden
Männern übermitteln, als durch gesprochene oder geschriebene Worte!
Schriftliche Berichte würden gänzlich aufhören, geschichtliche
Bedeutung zu haben. Und doch ist dies alles nicht so wunderbar, wie es
scheint.«

Edisons Mutter war schon 1871 gestorben, und da ihr Tod eine jähe
Lücke in sein Seelenleben gerissen hatte, gründete er schon zwei Jahre
später ein eigenes Heim. Unter den bei ihm beschäftigten Arbeiterinnen
hatte ein junges Mädchen, Mary Stillwell, seine Aufmerksamkeit erregt;
die Achtung, die er wegen ihrer echt weiblichen Tugenden vor ihr
hegte, verwandelte sich bald in eine leidenschaftliche Zuneigung.
Seine Werbung fand Gehör; 1873 wurde sie seine Gattin. Sie hatte ihm
drei Kinder geschenkt: Marianne, Thomas Alva und William Leslie, und
1881 starb sie schon, von allen Angestellten ihres Mannes verehrt und
geliebt. Edison empfand einen so großen Kummer über den Verlust seiner
Gattin, daß er auf ein längeres Krankenlager geworfen wurde. Wieder
genesen, stürzte er sich wie ein Wütender in die Arbeit; aber sein Herz
darbte. Und er gesundete erst dann wieder vollkommen, als er in einer
neuen Ehe ein neues Glück fand.

                   *       *       *       *       *

»Der Ruhm hat bereits Legenden um mich gewoben« -- dachte Edison
weiter -- »man nennt mich den Phonographenpapa, den Zauberer von
Menlo-Park, den Magiker des Westens. Bedeutende Dichter haben mich und
meine ›Zauberkunst‹ in ihren Werken dargestellt. Was ist aber meine
Erfindungskunst anderes als die Triebkraft, die auch im Korne lebt!?«

Er streifte melancholisch die Asche seiner Zigarre ab und begann auf
und ab zu gehen.

»Und nun gehe ich in die Sechzig ein, und es ist bald zu Ende mit dem
bißchen Leben! Was sind alle die Spielereien, die ich erfunden habe, im
Verhältnis zu der Kraft, die uns Menschen zuruft: Werde und vergehe!
Was ist diese geheimnisvolle elektrische Kraft, deren Herr ich bin?
Nein, wir sind alle Ignoranten und werden es bleiben.«

Er hielt inne, dachte noch einen Augenblick nach, dann sagte er
achselzuckend: »Schließlich ist auch an der menschlichen Torheit etwas
Gutes. Man lernt aus ihr. Aber nun ist's genug geträumt.«

Und er ging frisch an die Arbeit.




               Loewes Verlag Ferdinand Carl, Stuttgart.


   =Brandt, Karsten, Aus eigner Kraft.= 17 Lebensbilder denkwürdiger
   Männer. Für Knaben im Alter von 12 bis 14 Jahren. Mit 4 Bunt-, 4
   Tonbildern, sowie vielen Porträts. 8°. Eleg. geb. M. 4.--.

Nach Inhalt und begleitenden Illustrationen ist diese Jugendschrift
besonders geeignet, unserer reiferen Jugend den idealen Ansporn für die
spätere berufliche Laufbahn zu geben, indem den jugendlichen Lesern
neben geschichtlichen Streiflichtern der Werdegang bedeutender Männer,
wie:

   ~Körner~, ~Friesen~, ~Jahn~, ~Hofer~, ~Speckbacher~, ~Radetzky~,
   ~Zieten~, ~Blücher~, ~Kolumbus~, ~Schwarz~, ~Gutenberg~,
   ~Stephenson~, ~Franklin~, ~Reis~, ~Senefelder~, ~Siemens~, ~Krupp~,

in fesselnder und zugleich begeisterter Weise vor Augen geführt
wird. Eignet sich zunächst dieser Band als Weihnachtsgeschenk für
Knaben im Alter von 12-14 Jahren, so dürfte er auch bei allen anderen
Gelegenheiten, wie Konfirmation etc., eine willkommene Gabe sein, zumal
eine würdige Einbanddecke das Ganze in harmonischem Gewande präsentiert
und schon äußerlich sich des gediegenen Eindrucks versichert.

                   *       *       *       *       *

Es ist ein vortrefflicher Gedanke, der heranwachsenden Knabenwelt
den Lebens- und Werdegang denkwürdiger Männer nach geschichtlichen
Tatsachen und besten zeitgenössischen Quellen, frei von unnötigem,
novellistischem Beiwerk, zu schildern, und sie damit durch Illustration
und Inhalt gleich lebhaft, real und ideal, zu fesseln. Die ganz
hervorragende Eigenart dieser neuen, epochemachenden Jugendschrift
dürfte den jugendlichen Lesern gewiß auch mancherlei dankenswerte
Klarheit über den Wert des Kämpfens, Ringens und endlichen Siegens
aus eigener energischer Kraft geben und den schweren Entschluß der
Berufswahl vorbildlich günstig beeinflussen. Ein Werk, in welchem
Heldennamen aus den verschiedensten Lebensgebieten, wie Theodor Körner,
Blücher, Kolumbus, Gutenberg, Senefelder, Siemens u. a. m. beschrieben
sind, gehört zu den Geschenkbüchern, die nie veralten, die dem Knaben,
dem Jüngling, ja dem Manne noch lieb und unvergessen sind. Der auf
besten Bahnen wandelnde Herausgeber hat somit mit diesen siebzehn
wertvollen Lebensbildern Deutschlands strebsamen Knaben eine gewiß
hochwillkommene, sich auch durch die prächtige, würdige Ausstattung von
selbst empfehlende Gabe geschaffen, in welcher internationale große
Männer ein ehrendes Andenken gefunden haben.

                                                Haus-Orakel, München.

Zu beziehen durch jede Buchhandlung des In- und Auslandes.


   =Leben und Weben in Wald und Feld.= Für die 9-12jährige Jugend
   herausgegeben von ~Christian Brüning~. Mit 6 Bunt-, 8 Ton-, 6
   Vollbildern, sowie 69 Textillustrationen. 8°. Elegant geb. M. 4.50,
   Volksausgabe M. 3.--.

Wie in seinen »Wanderungen durch die Natur« der Verfasser mit den
Kindern durch Wiese, Moor und Heide geht, so durchstreift er jetzt
abermals mit ihnen Wald und Feld. Er führt sie in den winterlichen
Forst und zeigt ihnen, wie dort munteres Leben herrscht, wo der
Unkundige nur Öde und Grabesruhe vermutet. Er bringt sie hinein in die
Werkstatt des jungen Lenzes und läßt sie den Schaffenden belauschen bei
seiner Arbeit. Er genießt mit ihnen Maienwonne und Maienherrlichkeit,
durchwandert mit ihnen Täler und Höhen des Harzes, zeigt ihnen das
Tierleben der Sommernacht, geht mit ihnen hinaus zur Erntezeit, lehrt
sie die Freunde und Feinde des Landmannes und des Gärtners kennen, läßt
sie einen Blick tun in die Geheimnisse des edlen Weidwerks und gibt
ihnen Anleitung zu eigenem Denken und Forschen. Erhöht wird der Wert
des Buches noch durch die Abbildungen, die sich auf den ersten Blick
sämtlich als Kunstwerke präsentieren.


   »=Auf nach Frankreich!=« Kriegsfreiwillig bei den
   Dreiundachtzigern 1870/71. Von ~Justus Pape~. 8°. Elegant geb. M.
   3.--.

Eigene Erlebnisse, Anschauungen und Stimmungsbilder sind es, die der
Verfasser in schlichten Worten aus den ereignisschweren Tagen jener
großen Kriegsjahre schildert. Gerade aber weil dieses Buch nicht von
hohen, allgemeinen Gesichtspunkten geleitet ist, verfolgen wir vom
Tage der Mobilmachung an gern, ja mit erhöhtem Interesse alle jene
ernsten und heitern Episoden, wie sie sich für den einzelnen Mann in
Wirklichkeit abspielten und abspielen. Ob vor dem Feinde oder auf
Vorposten, während langwieriger Märsche oder im Lagerleben, stets sind
wir geneigt, anregende Vergleiche zu stellen und nehmen Eindrücke in
uns auf, die uns mit großer Befriedigung bis zur letzten Zeile an diese
interessanten, volkstümlichen Darbietungen fesseln. Selbst die Jugend
wird das Buch mit Begeisterung als eins der ihrigen bezeichnen.

Zu beziehen durch jede Buchhandlung des In- und Auslandes.


   =Brüning, Christian, Wanderungen durch die Natur.= Für
   9-12jährige Knaben und Mädchen. 12 Bunt-, 15 Textbilder. 8°. Elegant
   gebunden M. 4.--, Volksausgabe M. 2.50.

Welch glücklicher Gedanke des auf pädagogischem Gebiete kompetenten
Verfassers: Der Vater selbst begleitet seine Teuren in zwanglosen
Ausflügen hinaus in Feld und Wald und macht sie mit allem, was dort
lebt und webt, im Zwiegespräche vertraut. Kein Halm, kein Insekt
entgeht der aufmerksamen Betrachtung und eingehenden Belehrung. Die
vorzüglichen Illustrationen erhöhen außerdem die Freude an diesem
herrlichen Buche, es ist von wirklich großem Werte.


   =Brüning, Christian, Wunder aus dem Pflanzenreiche.= Für die
   Jugend herausgegeben. Mit 6 Bunt-, 4 Ton- und 7 Vollbildern, sowie 75
   Textillustrationen. 8°. Elegant geb. M. 4.--, Volksausgabe M. 2.50.

In der Schule hat man die alte Methode über Bord geworfen und
neue Bahnen in der Botanik eingeschlagen. Wir hören und sehen mit
Erstaunen, wie unter dem Zeichen des neuen Unterrichts das Interesse
der Kinder mächtig geweckt, und die Pflanze, an der man sonst achtlos
vorüberging, mit andern Augen betrachtet, zum lebenden Wesen wird.
Wie gern würde wohl mancher Vater und manche Mutter und andere,
die dem Forschungstrieb des Kindes nicht gleichgültig und fremd
gegenüberstehen, mit den Kleinen an der Hand durch Garten und Aue
wandeln, und sie die Gebilde der Natur und ihr Leben beobachten und
verstehen lehren, wenn ihnen nur selbst ein Fingerzeig gegeben wäre.
Diesen Zwecken soll das schöne Buch dienen, aber auch der Jugend selbst
einen ernsten Einblick in Pflanzenwelt und Pflanzenleben geben --
ein Fundament, auf dem später weitergebaut werden kann. Das Bild als
belehrendes Anschauungsmittel steht den Worten überall helfend und
fördernd zur Seite!

Zu beziehen durch jede Buchhandlung des In- und Auslandes.


   =Twain, Mark= (Samuel L. Clemens), =Prinz und Bettelknabe=.
   Eine Erzählung für die Jugend im Alter von 12-16 Jahren. Deutsch von
   ~Helene Lobedan~. Mit vielen Illustrationen. 8°. 3. Aufl. Eleg.
   geb. M. 4.--. (Hochmoderne Aufmachung.)

Diese im Urtext englische Erzählung gehört zu den besten literarischen
Erzeugnissen der Weltliteratur. Sie führt künstlerisch, und damit klar
und konkret anschaulich in das Mittelalter Englands hinein, ist daher
im besten Sinne belehrend in der Kulturgeschichte. Außerordentliche
Erziehungsmomente heben sich -- ohne aufdringlich zu sein --
wirkungsvoll ab, und der Standpunkt edler Menschlichkeit wird vertreten
durch die Titelhelden.

Die schmucke Einbanddecke, sowie die künstlerisch vollendeten
zahlreichen Textillustrationen machen das Buch zu einem der
gediegensten, modern ausgestatteten Geschenkwerke.


   =E. P. A. Roland, 30 Jahre in der Fremdenlegion.= Erlebnisse
   dreier Deutscher unter französischer Fahne in Afrika und Asien. Eine
   Erzählung für die reifere Jugend von 14-16 Jahren. Mit 39 Textbildern
   von Willy Planck. 8°. Eleg. geb. M. 4.--.

Die Fremdenlegion hat in den letzten zehn Jahren ungefähr gerade so
viel Opfer an jungen Deutschen gefordert, wie der ganze Krieg von
1870/71.

Ein Buch, das wie das vorliegende der Jugend in gänzlich einwandfreien
aber wahrheitsgetreuen Schilderungen Einblick in die so eigenartigen
Sitten und Gebräuche der Fremdenlegion bietet, verdient die weiteste
Beachtung. In spannend gehaltener Erzählung folgt der Leser drei
jungen Deutschen auf ihren schwierigen Märschen und Feldzügen unter
französischer Fahne als Legionäre nach Asien und Afrika und nimmt so
regen Anteil an deren Erlebnissen. Diese Enthüllungen dürften dazu
beitragen, volle Aufklärung über das Wesen der Fremdenlegion zu bieten
und den breiten Strom alljährlich zur Legion sich meldender junger
verblendeter Männer vor dem Eintritt in dieselbe zu warnen.

Das Buch ist sehr zu empfehlen und wird allgemeines Interesse erregen.

Zu beziehen durch jede Buchhandlung des In- und Auslandes.


   =Fridtjof Nansens Erfolge.= Ergebnisse seiner letzten
   Nordpol-Expedition an Bord des »Fram«. Allgemein faßlich
   dargestellt von ~Eugen von Enzberg~. Mit 8 Voll- und 25
   Textbildern nach Aquarellen von ~H. Grobet~, 2 Bildnissen der
   Expeditionsteilnehmer, sowie einer Karte der Polarländer. Vierzehnte
   durchgesehene Auflage. 8°. Eleg. geb. M. 4.50, Volksausgabe M. 3.--.

Nansens Erfolge werden stets und ständig die Bewunderung der Mit- und
Nachwelt finden und behalten. Daran kann sich auch nichts ändern,
wenn etwa andere Nordpolforscher dem Ziele noch näher kommen sollten
oder schon nähergerückt sind. Das vorliegende Buch gibt in großen
Umrissen zunächst einen Einblick in jene nordischen Gebiete, die von
altersher kühne Männer begeistert haben, und schildert im besonderen
die große Expedition Nansens, die die Öffentlichkeit nach ihrer
Rückkehr im Jahre 1896 als die erfolgreichste bezeichnet hat, weil
Nansen dabei eine ganz neue Pfadweisung bewirkte. Dreizehn Auflagen
hat das Buch bislang erfahren und war einige Zeit vergriffen. Durch
Übernahme des Verlagsrechts und Veröffentlichung einer vierzehnten, neu
durchgesehenen Auflage unter Beifügung eines zeitgemäßen Bildmaterials
hofft die jetzige Verlagsstelle zu den alten noch eine große Zahl
neuer Freunde zu erwerben. -- »Nicht für ›Männer vom Fach‹ sind diese
Schilderungen aus Nansens Feder wiedergegeben,« schreibt der Verfasser
in seiner ersten Auflage, »sondern für alle diejenigen, die den streng
wissenschaftlichen Untersuchungen nicht folgen können und denen es auch
an Zeit und Gelegenheit fehlt, umfangreiche Werke zu lesen, -- mit
einem Worte: für weitere Kreise und für die Jugend. Und unserer lieben
Jugend widme ich diese Blätter -- mögen sie ihren Beifall finden!«


                             Illustration





*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK KULTURHISTORISCHE CHARAKTERBILDER ***


    

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