Untersuchungen über Goethes Faust in seiner ältesten Gestalt

By J. Collin

The Project Gutenberg eBook, Untersuchungen Ueber Goethes Faust in seiner
Aeltesten Gestalt, by Joseph Collin


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Title: Untersuchungen Ueber Goethes Faust in seiner Aeltesten Gestalt

Author: Joseph Collin

Release Date: December 1, 2004  [eBook #14223]

Language: German


***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTERSUCHUNGEN UEBER GOETHES FAUST
IN SEINER AELTESTEN GESTALT***


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UNTERSUCHUNGEN ÜBER GOETHES FAUST IN SEINER ÄLTESTEN GESTALT.

I. Der erste Monolog und die Erdgeistscene.

INAUGURAL-DISSERTATION ZUR ERLANGUNG DER DOCTORWÜRDE BEI DER HOHEN
PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT DER GROSSH. LUDEWIGS-UNIVERSITÄT GIESSEN

EINGEREICHT VON J. COLLIN.

Giessen, 1892.







VORBEMERKUNG.

    Zuletzt sind die Verdienste sein und unser sind die Fehler.

    (Hebbel im Prolog zu Goethes hundertjähriger Geburtstagsfeier.)


Durch die Auffindung der Göchhausenschen Abschrift des Faust ist für die
Faustforschung ein fester Boden geschaffen worden. Wir haben jetzt einen
bestimmten Bestand von Scenen vor uns, von denen wir wissen, daß sie
vollendet waren, als Goethe Ende 1775 nach Weimar kam. Nicht
ausgeschlossen ist allerdings, daß nicht auch noch anderes, Entworfenes,
kurz Angedeutetes, vielleicht gar mehr oder weniger Ausgeführtes in
jener eigentümlichen Urhandschrift vorhanden war, die Goethe an der
bekannten Stelle seiner Italienischen Reise unter dem 1. März 1788
beschreibt[1]. Man darf wohl als sicher annehmen, daß dieses Manuscript
der Abschreiberin nicht zugänglich war, sondern ihr eben auch nur eine
Abschrift vorlag, die der Dichter daraus zum Vorlesen oder zur
Verbreitung in Freundeskreisen angefertigt hatte, wobei natürlich nur
ausgeführte Scenen aufgenommen wurden.

Aber noch einen anderen Gewinn hat Erich Schmidts Fund uns gebracht. Ein
glücklicher Zufall macht es hier einmal möglich, auf die bis dahin
geübte Faustforschung die Probe zu machen. Dabei hat sich denn für
jeden, der sich nicht dagegen verblendet, ergeben, daß die Methode
dieser Forschung einer gründlichen Nachprüfung bedürfe. Man hatte ohne
weiteres eine anderswo beliebte, schon an und für sich bedenkliche
Methode auf den Faust angewandt und mit ihr, sehr wenig im Geiste des
Dichters, dem ein Zerteilen und Zerstückeln ganz und gar nicht gemäß
war, sein Werk, das ja allerdings mit doppelter Unterbrechung zu
verschiedenen Zeiten begonnen, weitergeführt und vollendet worden ist,
noch außerdem in verschiedene, angeblich nicht zusammengehörige Teile
zerrissen. Die ganze Einseitigkeit dieses Verfahrens offenbart sich
besonders in der Art, wie z.B. Scherer den Eingangsmonolog zerpflückt.

Wir sind nun belehrt, daß wir ein Gedicht noch von anderen
Gesichtspunkten aus betrachten müssen als den äußerlichen des Stils und
des Metrums, daß wir tiefer und liebevoller in den Gedankengang des
Dichters eindringen müssen und nicht sofort, wenn uns das Verständnis
einer Stelle oder des Zusammenhangs nicht klar entgegentritt, es dem
Dichter zurechnen und Widersprüche, aufgegebene Pläne u.a.m. annehmen
dürfen. Erst durch tiefes Eindringen in das Kunstwerk ist aus ihm selbst
die Methode seiner Betrachtung und Erklärung zu gewinnen: es ist
verfehlt, irgend eine anderswo zu entnehmen und sie, ohne die Eigenart
des Werkes zu beachten, darauf zu übertragen.

Im folgenden soll der Versuch gemacht werden, den ältesten Faust auf
seinen Gedankengehalt zu prüfen, ihn mit den übrigen Werken des Dichters
und sonstigen Äußerungen seines Geistes aus jenen Jahren in Verbindung
zu setzen und so einen Überblick über die geistige Entwicklung des
jungen Goethe zu gewinnen.

Von hier aus wird sich denn die Möglichkeit ergeben, die Entstehungszeit
der einzelnen Scenen näher zu bestimmen, vor allem aber hineinzublicken
in das schöpferische Innere des Dichters, um ihn bei dem Schaffen seiner
Gestalten zu belauschen. Was soll es dagegen viel helfen, wie man es
gethan hat, einen Haufen Parallelstellen aus seinen und seiner
Zeitgenossen Werken hinzuschütten und nur aus dem rohen Gleichklang der
Worte, der Ähnlichkeit der Bilder, die Gleichzeitigkeit von einzelnen
Scenen mit jenen zu beweisen? Eine Geschichte des Geistes des Dichters,
seiner inneren Entwicklung muß versucht, seine Berührungen und seine
Verwandtschaft mit den Geistern seiner Zeit aufgedeckt, die Gedanken des
Dichters in ihrer Zugehörigkeit zu seinen und seiner Zeit
Gedankenkreisen betrachtet werden. Das Gewebe darf nicht zerrissen,
vielmehr muß seinem inneren Zusammenhang, dem Verlauf der Fäden
eingehend nachgeforscht werden.

Der Eingangsmonolog, die Erdgeistscene, die Wagner- und die
Schülerscene, die Scene in Auerbachs Keller, ein großer Teil der
Gretchentragödie sind jetzt als ein Werk des jungen Goethe erwiesen. Der
älteste Faust tritt also damit als ein wichtiges Glied in die Reihe der
Jugendwerke ein. Sein innerer Zusammenhang mit jenen soll daher im
folgenden nachgewiesen und so ein fester Boden gewonnen werden zur
Erklärung und zeitlichen Festsetzung der einzelnen Hauptteile des
ältesten Faust, über deren Entstehungszeit auch jetzt noch eine große
Unklarheit herrscht. Auch die zeitgenössische Litteratur ist dabei
heranzuziehen, vor allem der geistesverwandte Herder, dessen Verhältnis
zu seinem großen Schüler ebenfalls der Klarstellung bedarf. Endlich wird
dann auch die Untersuchung ergeben, welches der Grundgedanke der
ältesten Dichtung sei, und von hier aus zu prüfen sein, ob der Dichter
in den späteren Fortsetzungen damit eine wesentliche Änderung
vorgenommen, oder ob er in gleichem Geiste weitergebaut und ausgebaut
habe. Von der abgeschlossen vorliegenden Untersuchung kann hier nur ein
Teil als Probe gegeben werden, der wiederum nur ein Teil der
eingereichten Dissertation ist. Das Weitere wird bei nächster
Gelegenheit folgen.

Goethes Werke u.s.w. sind angeführt nach der Weimarischen Ausgabe,
soweit sie bis jetzt erschienen ist; (G. Werke herausgeg. im Auftrage
der Großherzogin Sophie von Sachsen; Weimar. Böhlau: 1) Werke. 2)
Naturwissenschaftl. Schriften. 3) Tagebücher. 4) Briefe)--ferner nach
Hirzels Sammlung: Der junge Goethe. Seine Briefe und Dichtungen von
1764-1776. Mit einer Einleitung von Michael Bernays. 3. Teile. Leipzig;
Hirzel.--(D.j.G.)

Die Gespräche nach Biedermann: Goethes Gespräche, Bd. 1-9. Leipzig. F.W.
v. Biedermann 1889-1891.

Die Frankfurter Gelehrten Anzeigen (F.G.A.) nach dem Neudruck Seufferts
in den deutschen Litteraturdenkmalen des 18. Jahrhunderts. No. 7 u. 8.

Goethes Anteil an Lavaters Physiognomik nach E. von der Hellen, Goethes
Anteil an Lavaters Physiognomischen Fragmenten. Frankfurt a. M.
Litterarische Anstalt Rütten und Loening 1888.--(v.d.H.)

Im übrigen Goethes Werke nach der bei Hempel erschienenen Ausgabe (darin
in Teil 20-23 v. Loepers Commentar zu Dichtung und Wahrheit.)

Herders Werke nach der von Suphan besorgten Ausgabe (Berlin,
Weidmannsche Buchhandlung; seit 1877.)

Hamanns Schriften nach der Ausgabe von Fr. Roth; Berlin bei G. Reimer
1821 ff.




UNTERSUCHUNGEN ÜBER GOETHES FAUST IN SEINER ÄLTESTEN GESTALT.


Goethes Faust in seiner ältesten Gestalt, wie er uns jetzt seit Erich
Schmidts glücklicher Entdeckung der Göchhausenschen Abschrift
vorliegt[2], zerfällt in drei deutlich zu scheidende, unmittelbar auf
einander folgende Hauptmassen. Es sind: 1) Der erste Monolog Fausts mit
der Erdgeistscene: (V. 1-168 = 354-521). 2) eine Reihe von Scenen, die
mit einander gemein haben, daß sie auf akademische Zustände ein
satirisches Licht werfen. Die erste von ihnen zeigt uns den Professor
Faust mit seinem Famulus Wagner: sie ist unmittelbar mit der ersten
Hauptmasse verbunden. (V. 109-248 = 522-605.) Darauf folgt jedoch ohne
anderen als inneren Zusammenhang die Schülerscene. (V. 249-444 =
1868-2050). Der Teufel in des Professors Maske belehrt den jungen
Studenten. Eine dritte Scene (V. 445-452, von da in Prosa. Z. 1-210 mit
Liedern untermischt = V. 2073-2336) führt mitten hinein in das rohe,
geistlose Treiben akademischer Jugend. Doch gehört die Scene in
Auerbachs Keller im übrigen in einen neuen Zusammenhang; sie ist die
erste Station auf Fausts Welt- und Lebensfahrt. In diese Scenenreihe
hätte, wenn sie ausgeführt worden wäre, die Disputationsscene gepaßt.
(Paralip. 11. 12.)[3] Der Doctorschmaus (V. 1712) hätte sich an sie
angeschlossen. Jedenfalls hatte also der Dichter ursprünglich dem
akademischen Leben und Treiben, auf dessen Boden ja sein Held zunächst
stand, von dem er losgerissen werden sollte, eine ausführlichere
Behandlung zugedacht. 3) Die Gretchentragödie, das im ältesten Faust am
meisten ausgeführte und daher auch räumlich bedeutendste Stück; sie
beginnt mit der ersten Begegnung von Faust und Gretchen und endet mit
der Kerkerscene. (V. 458-1435; danach zwei Scenen in Prosa Z. 1-66 und
1-112, unterbrochen durch die Verse 1436-1441; = 2605-3216; 3342-3369;
3374-3659; 3776-3834. Z. 1-81; 4399-4612.) Eine einzige Scene des
ältesten Faust wurde später ganz fallen gelassen; es ist die kleine
Übergangsscene vor der Gretchentragödie (Landstraße. 453-456); alle
übrigen finden sich, wenn auch teils verändert, teils umgedichtet im
Fragment von 1790[4] und in der Ausgabe von 1808 wieder.



1. Der erste Monolog und die Erdgeistscene.

Die erste Hauptmasse gliedert sich wieder in verschiedene Teile; nämlich
V. 1-32 = 354-385; eine Art von Prolog, um uns über Vorgeschichte und
Sage Fausts aufzuklären.--V. 33-65 = 386-418; ein lyrischer Erguß, der
Fausts Sehnsucht nach der Natur und seiner Erkenntnis, in welch
unnatürliche Verhältnisse er selbst eingeschlossen sei, tief empfundenen
Ausdruck verleiht.--V. 66-106 = 419-459: Faust wendet sich dem
Zauberbuch zu; die Wirkung des Zeichens des Makrokosmus.--V. 107-160 =
460-513: Die Erdgeistscene. Darauf folgen als Abschluß und Übergang zu
der Wagnerscene die Verse 161-168 = 514-521. In welchem Zusammenhang
stehen nun diese vier Teile? Was enthalten sie? Was kann ihr Inhalt uns
sagen, um die Zeit ihrer Entstehung näher zu bestimmen?

Der erste Teil hält sich in der Hauptsache an die Überlieferung der Sage
von Dr. Faust, wie sie uns im Volksbuch[5] und Volksschauspiel[6]
entgegentritt. Faust hat alle Wissenschaften durchstudiert, ohne
Befriedigung für seinen Erkenntnisdrang zu finden; er hat sich darum der
Magie ergeben, um auf diesem Wege zu seinem Ziele zu gelangen. Er hält
im Anfang eine Überschau über seine Studien, es ist dies ein Motiv, das
in der Litteratur durchaus volkstümlich geworden war. Im ältesten
Volksbuch (1587) ist Faust ursprünglich Theologe, um dann Dr. Medicinae,
Astrologus und Mathematicus zu werden; ebenso in dem späteren Auszug des
christlich Meinenden. Im Volksschauspiel hat er jede Fakultät und alle
nur denkbaren Wissenschaften studiert. Bei Marlowe zuerst, dessen Dr.
Faustus Goethe nicht kannte, werden die Wissenschaften einzeln
aufgezählt, geprüft und verworfen. Ähnlich findet sich das Motiv in dem
Spiel von Frau Jutten verwertet, ebenso auch z.B. bei Andrea in dem
guten Leben eines rechtschaffenen Diener Gottes (mitgeteilt von Herder
in den Briefen das Studium der Theologie betreffend,[7]) S. 103 und mit
Fischartischer Wortspielerei Seite 108. Ursprünglich schloß es sich an
das Trivium und Quadrivium, später an die vier Fakultäten an. Dies alte
volkstümliche Motiv zu benutzen, lag dem Dichter um so näher, da er
ähnliches selbst erlebt hatte. Auch er hatte sich in allem Wissen
umhergetrieben; in Straßburg hatte er sich neben seinem Fachstudium mit
der Medizin beschäftigt. Seine Dissertation berührte sich mit dem
Gebiete der Theologie. In Frankfurt nahm er dann unter Hamanns und
Herders Einfluß am Bibelstudium wie an theologischen Zeitfragen
lebhaften Anteil. Das beweisen eine Reihe Recensionen in den Frankfurter
Gelehrten Anzeigen des Jahres 1772, vor allem die beiden theologischen
Schriften, die, im J. 1773 erschienen, zugleich den Abschluß einer
religiösen Epoche Goethes bedeuten. Nicht ohne Bedeutung aber für die
Zeitbestimmung--darauf mag schon hier im Zusammenhang hingewiesen
werden--ist das »leider« auch die Theologie. Denn erst im Jahre 1773
wandte sich der junge Goethe entschieden von den rechtgläubigen, durch
seine Beziehungen zu der Brüdergemeinde genährten Anschauungen ab.
Spinoza begann zu wirken (s. den Brief an Höpfner vom 7. Mai 1773[8]).
Das Fragment Mahomet[9] zeigt zuerst den pantheistischen Einfluß. Die
satirischen Dramen der lebensfreudigen Jahre 1773 und 1774 beweisen
durch ihren Spott die Änderung, die in seinen Ansichten eingetreten war.
Sein lebensfroher Pelagianismus, der mehr und mehr nach der düsteren
Leidenszeit der zweiten Hälfte des Jahres 1772 in ihm erstarkt war,
schüttelte unwillig die Fesseln des alten Glaubens ab. In prometheischem
Übermut stellte er sich als selbständig der Gottheit gegenüber. In einer
solchen Zeit kam ihm das »leider« aus vollem Herzen, wenn er auf frühere
Bestrebungen und Meinungen zurückschaute.

Daß Faust überhaupt aber seine Studien als einen auf ihm lastenden Druck
empfindet, dessen er nur seufzend gedenken mag, paßt weniger für den
Gelehrten des 16. als für den Menschen des 18. Jahrhunderts, der sich
grade von jener unfruchtbaren, starren, kleinlich polyhistorischen
Gelehrsamkeit mehr und mehr zu befreien strebte[10]. Auch er hatte
sich, wie der Dichter später erklärt, in allem Wissen herumgetrieben und
war früh genug auf die Eitelkeit desselben hingewiesen worden.[11] Doch
bewahrte ihn sein Lebensgang in der Jugend davor, allzusehr mit der
Schulweisheit seiner Zeit in Berührung zu kommen, sodaß er etwa ihren
lebenhemmenden Einfluß so empfunden hätte, wie z.B. Lessing und
Herder. Der junge Lessing mußte sich erst durch den Wust der
Excerptengelehrsamkeit und Collektaneenweisheit durcharbeiten zu der
Erkenntnis, daß ihn die Bücher wohl gelehrt aber nimmermehr zu einem
Menschen machen würden; und so ward aus dem Theologus ein Weltmensch,
wie einst Dr. Faust. Herder aber trieb es gar hinaus aus der engen,
eingeschränkten Sphäre in die Welt, das Leben. Wie beweglich klagt er im
Journal seiner Reise vom Jahre 1769 über die verlorenen Jahre: »Ich wäre
nicht ein Tintenfaß von gelehrter Schriftstellerei, nicht ein Wörterbuch
von Künsten und Wissenschaften geworden, die ich nicht gesehen habe und
nicht verstehe: ich wäre nicht ein Repositorium voll Papiere und Bücher
geworden, das nur in die Studierstube gehört.«[12] Man sieht, Fausts
Unbehagen und Unbefriedigung über das Unfruchtbare seiner Studien waren
die des Jahrhunderts seines jungen Dichters[13].

Dagegen fehlt der Hinweis auf die wissenschaftlichen Grade (V. 7.-360.)
nicht in der Überlieferung; bezeichnend hat jedoch der Dichter im
ältesten Faust mit ihr eine kleine Änderung vorgenommen, während er im
Fragment und der Ausgabe von 1808 wieder zu ihr zurückgekehrt ist. Statt
des mittelalterlichen Magistertitels wird ursprünglich der mehr moderne
Professortitel gebraucht. Denn offenbar hatte kurz nach den akademischen
Jahren der junge Dichter noch mehr, als später ausgeführt wurde, die
Absicht, auf das akademische Leben und Treiben grade seiner Zeit
satirische Streiflichter zu werfen, was ja auch das Thema der zweiten
Hauptmasse von Scenen ist. Daher ward von vornherein mehr Gewicht auf
Fausts akademische Lehrthätigkeit gelegt. Das Treiben auf einer
Universität, an der Faust wirkte, bildete einen Hintergrund, von dem der
Held sich mehr und mehr loslösen, zu dem er in Gegensatz treten sollte.
Die eigenen Erfahrungen des Dichters aus seinem Universitätsleben, vor
allem aus dem Kampfjahr 1772, da er in den Frankfurter Gelehrten
Anzeigen gegen trockene Schulweisheit und tote Buchstabengelehrsamkeit,
gegen unhistorische Auffassung und lebenbeengende Spekulation unter
Herders Fahnen gefochten, mit einer Scholastik, die wir uns gewöhnt
haben, mittelalterlich zu nennen, obwohl sie nie ausstirbt, einen
frischen, fröhlichen Krieg geführt hatte, verliehen diesem Teil seines
Gemäldes kräftige, lebenswahre Farben.

Für Fausts Entschluß endlich, sich der Magie zu ergeben, bot ihm
ebenfalls sein früheres Leben Beziehungen[14]. Hatte doch er, in dessen
Geiste sich zwei Zeitalter bekämpften, sich selbst noch einst mit
magischen Versuchen befaßt und sich ganz im Sinne der Alchemisten eine
Weltanschauung gebildet.

Wir sehen danach, wie in diesem ersten Teile das vom Dichter Erlebte mit
den überlieferten Zügen der Sage wohl in Einklang gebracht werden
konnte. Wie gut die Verschmelzung gelungen sei, zeigt auch der ganze
Charakter des kurzen Prologs; mehr altertümlich-kräftig mutet er uns an,
besonders im Gegensatz zu der folgenden ganz modern-weichen Partie, als
sollte sich gleich von Anfang der durchgehende grundsätzliche
Unterschied zwischen dem Faust der Sage und dem des Dichters in zwei
verschieden angeschlagenen Grundtönen offenbaren.

Keinen Anhalt dagegen gibt die Sage, wenn Faust es empfindet und
ausspricht, daß er über die große Masse der Gelehrten weit
hinausrage[15], ihm aber dafür auch fehle, woran sie sich freuen,
nämlich bei aller Beschränkung der Glaube, sie wüßten etwas Rechtes,
vermöchten die Menschen zu bessern und bekehren. Wie Sokrates den
Sophisten gegenüber, die da glaubten, etwas zu sein ohne es zu sein, zu
der Erkenntnis gekommen war, daß wir nichts wissen können, so auch hier
Faust. Für ihn ist sie zunächst niederschmetternd, für den Philosophen
des Altertums ward sie die erste Stufe, von ihr aus zu klaren Begriffen
aufzusteigen. Sein Charakter hatte schon den jungen Goethe frühe zu
dichterischer Darstellung gereizt. Die Lektüre von Platons Apologie,
Hamanns Sokratischen Denkwürdigkeiten[16] hatten ihn ihm näher gebracht.
Die Geschichte Gottfriedens von Berlichingen, in der er seinen Helden in
mutigem, aber vergeblichem Kampfe gegen eine neue Zeit dargestellt
hatte, war eben vollendet worden; da drängte sich ihm am Ende des Jahres
1771 der Plan zu einem Sokrates auf; nach dem Götz zog ihn das Bild
eines Geisteshelden, von welchem Schlage ja auch Faust war, an; der
heldenmütige Kampf gegen die feindlichen Mächte des Unverstands und des
Scheins, gegen das »pharisäische Philistertum« sollte vorgeführt
werden[17]. Es ward nicht ausgeführt. Was dem Dichter daraus lebendig
blieb, ward von dem mächtigen Strom des Hauptwerkes aufgenommen, diente
dem hierin mit Sokrates geistesverwandten Faust zur Charakteristik.

Faust entbehrt aber nicht nur der Freude, die die große Menge bei ihren
Beschäftigungen empfindet, auch sonst mangelt seinem Leben jede äußere
Zierde und jeder Glanz, die ihm, da er die Schranken seiner inneren
Menschheit fühlt, eine Art von Ersatz bieten könnten für die innere
Einschränkung des Menschen[18]; auch in seinem äußeren Leben ist ihm
eine gewisse Freiheit der Bewegung nicht vergönnt: So empfindet er tief
in seinem Inneren die Grenzen der Menschheit, und blickt er nach außen,
so fühlt er sich auch hier in der Enge. »Es möcht kein Hund so länger
leben!«--Der Vergleich mit Werther drängt sich hier von selbst auf. Was
ihn kennzeichnet, ist das Gefühl, nie Befriedigung finden zu können.
Ahnungen und Begierden sieht er in seinem Inneren, die in keinem
Verhältnis stehen zu der Einschränkung der thätigen und forschenden
Kräfte des Menschen. Als sich aber auch keine Aussicht zeigt, eine
mächtige Leidenschaft, die ihn ganz erfüllt, zu befriedigen, vermag er
nicht mehr länger zu leben und gibt sich den Tod.

Er hat jedoch ebenfalls bei seinem mächtigen inneren Ringen das
deutliche Gefühl, daß er sich dadurch grade von der großen Masse der
Menschen unterscheide, nicht minder aber sieht er ein, daß jenen dafür
auch die Erkenntnis ihrer Eingeschränktheit abgehe, und sie sich darum
in den engen Grenzen ihres Daseins glücklich fühlen und es, so gut es
geht, ausschmücken und verzieren, eine Freude, die ihm nie werden kann.
Darum gibt es für den kranken Werther von Anfang an für all das nur
einen Trost, im Herzen das süße Gefühl der Freiheit, und daß er diesen
Kerker verlassen kann, wann er will[19].

Nicht Befriedigung finden zu können und endlich sogar da nicht, wo sie
doch anderen gegeben ist, dazu die Enge des bürgerlichen Lebens, ein
Motiv, das der Dichter noch weiter ausgestattet und verstärkt hat, um
ausdrücklich damit die That seines Helden zu begründen, treiben Werther
in den Tod. Daß für beides das Leben des Dichters reichlichen Stoff
lieferte, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Am schärfsten
ausgeprägt erscheint der Gegensatz zwischen menschlichem Streben und den
Kümmerlichkeiten und Plagen des gewöhnlichen Lebens noch einmal in
Künstlers Erdenwallen vom Sommer 1774, hier aber, sehr bezeichnend für
den durch den Werther innerlich befreiten Dichter, ausklingend in
kräftige Trostworte an den klagenden und verzagenden Künstler[20].

Ausgangspunkt ist also im Werther wie im Faust das tiefe Problem von der
Bedingtheit der menschlichen Natur gegenüber seinem unendlichen Streben,
von dem daraus sich ergebenden inneren Freiheitsdrange; im Werther geht
dieses Streben jedoch schließlich in die Form einer endlosen
Leidenschaft über, die sich ein bestimmtes, einzelnes Ziel gesteckt hat:
im Faust bleibt es auf das Höchste im Leben gerichtet; er findet die
Kraft durch eine auf das Gebiet des Erreichbaren sich beschränkende,
immer bedeutender werdende Thätigkeit Befriedigung zu suchen und das
Unerforschliche für sich bestehen zu lassen. »Ich hatte nie die Idee,
aus dem Sujet ein einzelnes Ganze zu machen,« schreibt er an S.
Laroche[21], da er Mitte Februar 1774 am Werther arbeitete. Allerdings
nicht: denn sie war damals schon in seinem Geiste als der Keim
vorhanden, aus dem sich der Faust bilden sollte. So deutet es nicht bloß
auf einen äußeren Zusammenhang, sondern auf einen inneren, dem Dichter
noch wohl bewußten, wenn er viel später zu Eckermann sagte: Der Faust
entstand mit meinem Werther[22].

Werther tötet sich selbst; Faust sucht zunächst noch einen Ausweg, um zu
seinem Ziele zu gelangen: er ergibt sich der Magie, wie es die Sage
vorgezeichnet hatte. Was hofft er durch sie zu erlangen? Erkenntnis
dessen, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, d.h. also das
geistige Band der Schöpfung, das schöpferisch fortwirkend das
Geschaffene zu einem Ganzen vereint, ferner alle wirkende Kraft und, wie
er in der Sprache der Alchemisten fortfährt, Samen, d.h. die jene
hervorbringenden Ursachen. Man vergleiche dazu folgende Stelle in den
Aufsätzen Nach Falkonet und über Falkonet[23], wo er von der Gewalt der
Zauberei spricht, die den Künstler allgegenwärtig faßt, dadurch ihm die
Welt ringsumher belebt wird: »Davon fühlt nun der Künstler nicht allein
die Wirkungen, er dringt bis in die Ursachen hinein, die sie
hervorbringen.« Faust will also nicht allein die wirkenden Kräfte der
Natur schauen, sondern auch die sie erzeugenden Ursachen[24]. Wozu aber,
wenn nicht, um selbst zu schaffen? Ihn verlangt es also nach einer
schöpferischen Erkenntnis der Natur, um gleich ihr schaffen zu können;
dagegen drängt es ihn fort von einer unfruchtbaren Wissenschaft, die
sich mit Worten ohne lebendige Kraft und lebendigen Sinn begnügt. Von
dem Drang nach solchem Wissen ist er also von Anfang an geheilt. Ihm
kommt es allein auf eine schöpferische Erkenntnis der Natur an, die, wie
er einsieht, durch Wissen nicht erlangt werden kann. Wir befinden uns
damit in dem Gedankenkreise, in dem sich der junge Goethe besonders in
den Jahren 1773 und 1774 bewegte, da er lebhaft nach Erkenntnis der
Natur und ihrer schöpferischen Kräfte verlangte, um so in das Geheimnis
lebendiger künstlerischer Darstellung einzudringen. Vor allem ist es das
Jahr 1774, jene herrliche Zeit mit mächtiger Lebenskraft
hervorquellender Genialität, da er in den Gedichten über Kunstnatur und
Naturkunst seinem gewaltigen Streben nach künstlerischer Thätigkeit und
zugleich dem Zweifel, der Unruhe, den Fragen und Klagen, wie und ob eine
der schaffenden Natur ähnliche Schöpfungskraft auch bei ihm lebendig
werden könnte, wechselnden Ausdruck gibt. Eine Art von Antwort auf
Fausts erste Frage nach dem inneren Zusammenhalt der Welt erteilt dabei
eines von ihnen[25], das wohl mit Recht dem Jahr 1774 zugeschrieben
werden darf:

    Und fühle, wie die ganze Welt
    Der große Himmel zusammenhält.[26]

Diese Andeutungen mögen hier genügen, denn wir werden bei Besprechung
des 3. Theils des ersten Monologs noch einmal auf des jungen Goethe
Natur- und Kunstanschauungen im Zusammenhange zurückkommen müssen. Nur
auf eins sei noch hingewiesen, was wir auch im weiteren Gang der
Betrachtung noch öfter bemerken werden; es ist die Art, wie der Dichter
überlieferten Begriffen und Anschauungen aus seinem eigenen Inneren
neuen Lebensgehalt gibt, wie sie ihm erst dadurch lebendig werden, daß
sie in Beziehung zu seinem eigenen Fühlen und Denken treten. So
verbündet sich in ihm der Begriff mittelalterlicher Magie, die ja auch
in das schöpferische Geheimnis der Natur eindringen wollte, um selbst,
allerdings in anderem Sinne, zu schaffen, mit jener Magie des Künstlers,
die er als Dichter oft genug gefühlt hatte und die er als bildender
Künstler mehr und mehr in ihrer Zaubergewalt zu empfinden hoffte.

Der zweite Teil des Monologs (V. 33-65 = 386-418--Scherer in den
Betrachtungen über Faust[118]) faßt verkehrt V. 33-74 = 386-427
zusammen, obwohl mit der Angabe des Themas: Flieh! Auf! Hinaus ins weite
Land! ein deutlicher und bestimmter Abschluß gegeben ist, und mit dem
folgenden Verse offenbar ein neuer Gedankengang sich eröffnet[27]
unterscheidet sich von dem ersten zunächst in der Art des Ausdrucks. Ist
der erste Teil mehr episch gehalten, indem er auf Empfindungen
zurückgeht, die Faust nicht zum ersten Mal bewegen, so gibt der zweite
solche, die ihn mit aller Gewalt im Augenblick ergreifen. Der Übergang
zu dieser daher lyrisch gehaltenen Partie geschieht anscheinend ganz
äußerlich dadurch, daß das Mondlicht in Fausts Zimmer fällt. Man hat nun
bei diesen beiden Teilen von einer Verschiedenheit des Stils und der
Metrik gesprochen und nicht nur angenommen, sie seien zu verschiedenen
Zeiten gedichtet, sondern sogar, daß der zweite zum vorhergehenden wie
zu dem folgenden in unlösbarem Widerspruch stünde.[28] Ehe man jedoch
von Stilverschiedenheit reden darf und daraus solche Schlüsse zieht, ist
die Frage zu stellen, ob sie vielleicht nicht innerlich durch die
Verschiedenheit des Inhalts notwendig begründet sei. Mußte nicht etwa
der Dichter von selbst für seine Empfindung eine andere Ausdrucksweise
wählen, mußte nicht wiederum diese das für sie geeignete Metrum sich
selbst schaffen? Betrachten wir aber die beiden ersten Teile, so ergibt
sich deutlich, daß unmöglich der Eingang, der uns zur Aufklärung der
Lage einen kurzen Bericht von etwas gibt, das Faust nicht zum ersten Mal
empfindet, in gleichem Ton gehalten werden konnte als der darauf
folgende unmittelbar aus der Seele quellende Erguß.

Trotzdem dürfen wir fragen: Warum hat der Dichter nicht unmittelbar an
das: »Drum hab ich mich der Magie ergeben« angeknüpft? Wodurch ist diese
lyrische Partie begründet, die anscheinend den Zusammenhang unterbricht?

Faust hat sich der Magie ergeben, um auf unnatürlichem Wege zur
Erkenntnis der Natur zu gelangen. Da kündet sich die Natur draußen
selbst an, indem sie auf einmal bei diesen Worten ihr helles Licht in
seinen düsteren Kerker wirft. Es ist eine Warnung der Natur; ihr Licht
sucht einzudringen in das Dunkel der Beschwörungsnacht und möchte ihm
zurufen: Nicht durch Magie gelangst du zur Erkenntnis meiner; nur durch
die Natur führt der Weg zur Natur! Allein Faust versteht die Warnung
nicht, und darf sie nicht verstehen. Sie wird ihm zu einer bloßen
Mahnung an die Natur. Ein ossianisches Nachtbild[29] steht sie vor
seinem Auge; sehnsuchtsvoll fühlt er sich zu ihr hingezogen; bei ihr
möchte er, der sich endlich durch beklemmenden Wissensdurst
durchgerungen hat, Erfrischung und Heilung der gelähmten Lebenskraft
suchen.

Allein die Erscheinung verschwindet, er sieht sich wieder in seinem
grabähnlichen Kerker; aber nun kommt es ihm zum Bewußtsein, in welchem
Gegensatz zur Natur er lebt, der doch die lebenschaffende Natur in ihren
geheimsten Tiefen ergründen will; er hat sich selbst in diesen Kerker
geschlossen, der ihn an alles andere gemahnt als an das tiefe Leben der
Natur. Ist es da noch wunderbar, wenn er in seinem Inneren sich
eingeengt fühlt, wenn in solcher Umgebung alle lebendige Kraft gehemmt
wird? Darum fort aus dieser Enge, hinaus ins weite Land! Natur und
Wissen als Gegensätze sind ihm aufgegangen; ebenso die Natur draußen und
die für den Gelehrten so charakteristische Physiognomie seiner
Umgebung[30]. Man stelle sich dagegen den jungen Dichter selbst vor,
schaffend in seiner von Werken lebendiger Kunst geschmückten
Künstlerwerkstätte!

Allein der Gegensatz zwischen Natur und Magie wird ihm noch nicht klar,
darf ihm nicht klar werden; hofft er doch bei ihr, wie wir sehen werden,
die Natur zu finden und Belehrung von ihr zu erhalten! Warum hat nun der
Dichter also hier die Natur warnend und mahnend eingeführt? Offenbar,
weil er sich im Widerspruch zu der Überlieferung der Sage fühlt. Darum
will er uns ahnen lassen und möchte auch seinen Helden ahnen lassen:
durch Magie nicht zur Natur, allein durch die Natur! Der Mensch des 18.
Jahrhunderts, der Zeitgenosse Rousseaus, dessen ganzes jugendliches
Streben nach der Natur gerichtet war, tritt hier in Widerstreit mit dem
düsteren Aberglauben einer vergangenen, aber immer noch nachwirkenden
Zeit. Daher durchbricht er, nachdem er sich im Eingang im großen Ganzen
an die Sage gehalten hatte, weil sie ihm Beziehungen zu seinem Leben
bot, für einen Augenblick die den modernen Dichter beengenden Schranken
der alten Sage, und um so mächtiger ergießt sich der Strom seiner
eigensten Empfindung dahin. Der Zusammenhang zwischen den beiden ersten
Teilen des Monologs ist also völlig klar und widerspruchslos. Ja, der
scheinbare Widerspruch ist grade ein Beweis für die Einheit im Geiste
des Dichters, aus der sie entsprungen sind. Er beruht nicht auf einem
Gegensatze zwischen den beiden Teilen, sondern auf dem eigentümlichen
Verhältnisse, das der moderne Dichter zu der alten Sage einnimmt; es ist
dies gerade beim Faust der wichtigste Grund geworden, weshalb er nach
dem Jahre 1775 die Arbeit so lange ruhen ließ. Dieser innere Widerspruch
zwischen Sage und Dichter muß daher wohl beachtet werden; er ist stets
fruchtbar zu machen, wenn wir das Werk eines Dichters betrachten, der
eine alte Sage, deren im Lauf der Jahrhunderte fest gewordene Form er
nicht völlig zerschlagen darf, ohne damit zugleich ihren eigentlichen
Gehalt zu verflüchtigen, zum Stoff seiner Dichtung gewählt hat. Unter
demselben Gesichtspunkt sind Homers Epen, unter demselben das
Nibelungenlied zu betrachten; wer ihn nicht beachtet, wird dazu kommen
gerade, was dem neuen Dichter gehört, im Gegensatz zu den unzerstörbaren
Bestandteilen der Sage als spätere Zusätze und Einschiebsel
anzusehen.[31]

Auch mit dem dritten Teile des Monologs besteht, wie schon angedeutet,
durchaus kein unlösbarer Widerspruch. Der Dichter läßt das angeschlagene
Motiv fallen; man sähe nicht, warum, meint Scherer.[32] Er muß es fallen
lassen. Faust flieht nicht hinaus zur Natur, sondern wendet sich, ganz
im Charakter der Sage, dem Zauberbuche zu. Warum läßt der Dichter Faust
nicht fliehen? Ließ er das geschehen, so zerschlug er damit das Gefäß
der Sage, in das er doch seine Empfindungen legen wollte. Welche
Fortsetzung war da noch möglich? Ein Faust, der sich nicht der Magie
ergab, der keinen Bund mit dem Teufel schloß, sondern sich unmittelbar
an die Natur gewendet hätte, war kein Faust mehr. Der Dichter mußte
seinen subjectiven Standpunkt der Sage gegenüber aufgeben, und nachdem
er seiner eigenen Empfindung ein Zugeständnis gemacht und sie so uns
hatte ahnen lassen, mit richtigem Takte zu der Überlieferung
zurückkehren. Der klare Blick des Dichters durfte seinem Helden nicht
gegeben werden. Erst viel später sollte ihm die Erkenntnis werden:

    Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen,
    Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen,
    Stünd' ich, Natur, vor dir ein Mann allein,
    Da wär's der Mühe wert, ein Mensch zu sein.[33]

Jetzt darf aber Faust diesen Gegensatz zwischen Natur und Magie noch
nicht fassen, wie er den zwischen Natur und Wissen nach langer bitterer
Erfahrung erkannt hat[34]. Er muß glauben, in der Magie die Natur als
Lehrerin zu finden.

Faust wendet sich dem Zauberbuch zu, das vor ihm liegt. Sollte es ihm
genügende Führung auf seinem Wege zur Erkenntnis sein? Wird er dann
nicht den Lauf der Sterne erkennen? Wird er also nicht auch hier die
Natur finden, die ihn unterweise?

Mit feinem Geschick führt der Dichter den Begriff der Natur hier ein;
Natur kann man ja beides nennen und sind ja auch beide, die
alchemistische wie die in der Auffassung und dem Sinn seiner Zeit. Damit
ist zugleich die Verbindung zwischen dem zweiten und dem dritten Teile
hergestellt.

Scherer stellt hier die Frage, warum Faust nicht schon längst das
Zauberbuch aufgeschlagen habe, warum er nur eine Minute länger in dem
qualvollen Zustand des Nichtwissens geblieben sei?[35] Sei es denkbar,
daß er es so lange besessen und es nie ordentlich betrachtet habe?
Daraus, daß er es jetzt erst betrachte, zieht er den Schluß, daß er es
jetzt erst erhalten habe[36]; er glaubt daher, in den Zusammenhang
gehöre eine Scene, in der es gebracht werde, wie es im Volksschauspiel
der Fall ist. Allein diese Fragen und Bedenken Scherers sind sehr
verkehrt und überflüssig[37]. Der Dichter mußte uns doch einen so
wichtigen Schritt in Fausts Leben, wie es der Übergang zur Magie ist,
lebendig darstellen, vor unseren Augen geschehen lassen. Er ist ja das
eigentliche Thema des ganzen Monologs. Wir müssen uns doch vorstellen,
daß das Stück eben von diesem Entschlusse seinen Ausgang nimmt. Es ist
in feierlichster Nachtstunde. Faust sitzt unruhig auf seinem Sessel am
Pult; vor ihm liegt das Zauberbuch; heute Nacht will er den großen
Schritt thun, zum ersten Mal die Geister beschwören. Zunächst wiederholt
er uns die Geschehnisse der Vergangenheit, die seine Absicht zur Reife
gebracht, seinen Entschluß begründen. Alles Wissen hat ihn nicht zum
Ziele gebracht. Klagend blickt er auf die verlorene Zeit des Lebens
zurück. Ein neues Leben soll beginnen. Jetzt soll die Magie helfen! Das
für seine Zukunft bestimmende Wort ist ausgesprochen, da kündet sich ihm
die Natur als erste Erscheinung der Beschwörungsnacht warnend an; aber
Faust versteht die Mahnung nur in Beziehung auf die eben abgethane
Vergangenheit, in der er sich in grab- und kerkerähnlicher Umgebung mit
allem toten Wissen gequält, um das Geheimnis des Lebens und der
Schöpfung zu ergründen; noch nicht darf ihm aber klar werden, was er
erst im langen Lebensgange erfahren soll, daß auch Magie ihn niemals so
wenig wie das Wissen zu seinem Ziele bringen werde. Faust greift, wie er
es von Anfang an beabsichtigt hatte, zu dem Zauberbuche. Was will da
noch die kleinliche Frage, woher er das Buch habe, warum er es nicht
schon früher aufgeschlagen habe? Der Dichter mußte doch alles nach der
Erzählung des Eingangs in lebendiger Darstellung auflösen. Wie er das
Buch erhalten habe, das kümmert den Dichter sehr wenig; das gehört vor
die Scene, nicht in die Scene. Denn wenn auch jetzt erst mit V. 66=419
die Beschwörung beginnt, so beginnt das Stück selbst mit der Absicht und
dem Entschluß, sie vorzunehmen, was Scherer nicht verstanden hat.

Ganz und gar mißverstanden hat Scherer den Dichter noch in einem anderen
Punkte, und dies ist auch der Grund, weshalb er die zweite Partie mit V.
74 = 427 ansetzt, sie also mitten in einem Satze abschliessen läßt.
Obwohl im V. 66 = 419 mit dem: Und dies geheimnisvolle Buch------ein
deutlicher Übergang gemacht wird, und damit das in der zweiten Partie
angeschlagene Motiv von der Flucht zur Natur aus den angegebenen Gründen
fallen gelassen wird, glaubt Scherer trotzdem, Faust denke auch hier
noch (V. 66-74 = 419-427) daran, fortzugehen. Er hat nämlich im V. 68 =
420 die Worte: »Ist Dir das nicht Geleit genug?« völlig verkehrt
aufgefaßt, insofern er glaubt, das Buch solle ihm als Begleiter auf
seinem Gange dienen, um draußen die Beschwörung zu beginnen[38]! Aber
nicht auf seinem Gange zur Natur draußen soll ihn das Buch begleiten,
sondern auf dem Wege, den er jetzt einschlagen will, der ihn mittelbar
auch zu ihr geleiten soll. Scherer hat also auch nicht vermocht
auseinanderzuhalten, daß die Natur in V. 70 = 423, die er in dem
Zauberbuch zu finden hofft, etwas anderes sei, als die Natur draußen,
die ihm im 2. Teile in ihrer Herrlichkeit erschienen war, daß aber
zugleich der gleiche Begriff dem Dichter eine vortreffliche Brücke zum
Übergang und zur Rückkehr zu dem Thema des ersten Monologs schlage. Das
gibt natürlich eine Kette von Mißverständnissen; so muß er auch
annehmen, die Beschwörung solle im Freien geschehen, daher er sich denn
billig verwundern muß, wenn nachher (V. 75 = 428) Faust gar nicht
fortgehe, um Geister zu beschwören.

Doch zurück zu dem Dichter! Ehe Faust das Zauberbuch aufschlägt, um die
geheimnisvollen Zeichen zu betrachten, die er zur Beschwörung gebrauchen
will, überlegt er, wie er sich zu ihnen verhalten solle. Nicht durch
trockenes Sinnen will er sie ergründen, sondern sich unmittelbar an die
Geister selbst wenden, deren Zeichen er erblicken wird. Auch hier
erkennen wir wieder den modernen Dichter. Das Zauberbuch spielt bei ihm
nur eine nebensächliche Rolle; es bietet die Zeichen dar; an die Geister
will sich Faust dann ohne weiteres richten, ohne dazu sich der krausen
Beschwörungsformeln zu bedienen. Denn sie schweben neben ihm; was bedarf
es da der Bereitung? Wie nun aber vorher dem Begriff der Natur eine
doppelte Geltung geliehen war, weiß Goethe auch hier den Geisterglauben
doppelsinnig zu verwerten. Der Alchemist glaubte an Elementargeister,
die die ganze Natur erfüllen; der moderne empfindende Dichter fühlt
ebenfalls die Natur überall von lebendigem Geisterhauch umweht; ihm ist
es zu einer festen, dichterischen Vorstellung geworden, daß allem in der
Natur ein Geist einwohne, es umschwebe. Dieser schöne Glaube, der in
einem lebendigen Naturgefühl wurzelte, war damals wieder aufgelebt, da
man wieder die Welt mit dem Gefühl zu erfassen begonnen hatte. Wir
finden ihn an vielen Stellen in der Dichtung des jungen Goethe aufs
glücklichste verwertet; auch der wieder lebendig gewordene Glaube an den
Genius[39] gehört hierher. So heißt es in dem Wanderer (1772) von dem
Geist der Vergangenheit:

    Welchen der umschwebt
    Wird in Götterselbstgefühl
    Jedes Tags genießen[40].

Im Fragment Mahomet (1773), der Geist Gottes wohne im Stein, schwebe um
den Thon[41]. Faust[42] verkündet:--alles--webt in ewigem Geheimnis
unsichtbar sichtbar neben Dir; über der Stätte des Erschlagenen schweben
rächende Geister.--Die Musen umschweben den Dichter[43]. Der Geist der
Geliebten umschwebt die Stätte, da Clavigo stirbt[44]. Werther sucht
sich so diese Erscheinung zu erklären[45]; »Ich weiß nicht, ob so
täuschende Geister um diese Gegend schweben, oder ob die warme
himmlische Phantasie in meinem Herzen ist, die mir alles ringsumher so
paradiesisch macht«.--Die Gestalt der Mutter schwebt um Lotte, Werthers
Seele über seinem Sarge[46]. Fernando bittet den Schatten seines
unglücklichen Weibes um Vergebung, wenn er um ihn schwebe[47]. (Vergl.
auch Briefe Nr. 239, 6. Nr. 245 S. 119, 15-16.--) u.s.w.----

Der Dichter konnte also seine eigene tief empfundene Anschauung mit der
mittelalterlichen recht wohl verbinden, ohne sie dadurch in ihrer
Bedeutung völlig aufzuheben. Umgibt ja nach seiner eigenen Erklärung den
großen Künstler beständig und innig eine magische Welt, die nicht
künstlich heraufbeschworen werden muß, für die tief im Innern seiner
Natur selbst sich der Zauberstab birgt zur dauernden Beschwörung.

Nach der Einleitung der Verse 66-76 = 419-429, mit der zugleich Faust
von vornherein die Art, wie er die Geister beschwören wolle, bestimmt
hat, schlägt er endlich das Zauberbuch auf. Scherer irrt hier doppelt,
wenn er trotz der Angabe des Dichters behauptet, Faust habe schon vorher
das Zauberbuch aufgeschlagen und fühle sich eben dadurch von Geistern
umgeben[48]; er versteht demnach nicht, wie Goethe den Geisterglauben
der Sage mit seiner eigenen dichterischen Anschauung zu einem ihm
gemäßen Ganzen verschmolzen hat; wie er also Sage und eigenes Empfinden,
so sehr sie sich widersprechen mögen, aufs glücklichste vereinigt hat.
Ist nicht die Welt ein Geisterall? Umgeben uns nicht überall die
Geister? Was bedarf es da der Vermittelung, was widerwärtiger Formeln?
Antwortet mir, wenn Ihr mich hört! Mit diesem Beschwörungsprogramm
öffnet er das Zauberbuch, das die heiligen Zeichen ihm weisen soll, und
erblickt das des Makrokosmos, des Weltalls. Es ist also der Weltgeist,
wie auch Shaftesbury den Kosmos bezeichnete; (»für mich der prächtigste
Namen für Gott«, meint Herder in einem Brief an Merck (Straßburg den 12.
September 1770)[49].) Der Faust des Dichters geht also nicht wie der der
Sage zuerst den Teufel an; aber wenn auch der Gang der Überlieferung
geändert ist, so bleibt der Dichter immerhin noch innerhalb der weiteren
Schranken des alchemistischen Geisterglaubens. Zunächst stellt er die
Wirkung dar, die beim ersten Anblick ohne weiteres auf Faust überströmt.
Jugendliches Lebensgefühl, neue Lebenskraft geht von ihm auf den aus,
der Jugend, Leben und Kraft geopfert hat in mühseliger, unfruchtbarer
Wissensarbeit. In innern Frieden wandelt sich der tobende Drang;
Lebensfreude erfüllt ihn wieder; ein geheimnisvoller Trieb ist in ihm
erwacht, der ihn zur Enthüllung geheimnisvoller Naturkraft treibt. Ist
er ein Gott? So klar liegt die wirkende Natur vor seinem geistigen Auge.
»Die Welt liegt vor ihm,--wie vor ihrem Schöpfer, der in dem Augenblick,
da er sich des Geschaffenen freut, auch alle die Harmonien genießt,
durch die er sie hervorbrachte, und in denen sie besteht[50].«

Wie der Künstler die schaffenden Kräfte der Natur erschaut, um
gottgleich zu schaffen und solche künstlerische Harmonien gleich ihr
hervorzubringen, so auch Faust, der ebenfalls nach schöpferischer
Erkenntnis verlangt. Jetzt versteht er den Spruch des Weisen, daß die
Geisterwelt der Natur uns nicht verschlossen sei; an uns nur liegt es.
wenn sie uns verborgen bleibt. Unser Sinn, unser Herz muß dazu geöffnet
werden.

    Sieh, so ist Natur ein Buch lebendig,
    Unverstanden, doch nicht unverständlich[51];

»Das Gefühl ist die Harmonie!« ruft Goethe in dem schon mehrfach
angezogenen herrlichen Aufsatze »Nach Falkonet und über Falkonet«
aus[52]. Das Auge des Künstlers findet sie überall, überall sieht er die
heiligen Schwingungen und leisen Töne, womit die Natur alle Gegenstände
verbindet. Bei jedem Tritt eröffnet sich ihm eine magische Welt. Dieser
tiefe Einblick in die Natur wird also auch Faust zu teil, da er das
Zeichen des Makrokosmos erschaut. Wie aber dies Gefühl erweckt und wach
gehalten werde, sagt auch der Weise, dessen Worte er jetzt erst zu
fassen vermag:

    Auf bade, Schüler, unverdrossen
    Die irdsche Brust im Morgenrot.

Mit anderen Worten: durch vertrauten Umgang mit der Natur wird die tiefe
Erkenntnis der Natur, und zwar hier der Weltnatur, errungen. Das
kabbalistische Zeichen fordert demnach ebenfalls Faust auf, sich
unmittelbar an die Natur zu wenden; zog es ihn aber vorhin bei jener
ersten Mahnung nach einer geisterhaft ossianischen Nacht hin, wie sie
dem kranken Werther behagen mochte, so erscheint ihm jetzt die Weltnatur
lockend in leuchtendem Glanze der Morgenröte.

Ein helleres Licht über den tieferen Zusammenhang zwischen dem Zeichen
des Makrokosmus und jenem Mahnworte des Weisen verbreitet sich noch,
wenn wir Herders Schrift: »Älteste Urkunde des Menschengeschlechts«[53]
zur Erklärung heranziehen. Der erste Band erschien Ostern 1774. Mit
begeisternder Anerkennung zeigt sie Goethe am 8. Juni 1774 Schönborn
an[54]. Scherer[55] hat bereits mit Recht auf ihre Bedeutung für unsere
Stelle hingewiesen; es wird sich jedoch lohnen, noch tiefer als er es
gethan hat, auf Herders Ausführungen einzugehen. Die älteste Urkunde des
Menschengeschlechts ist die Schöpfungsgeschichte im ersten Kapitel des
ersten Buches Mosis. Herder bekämpft zunächst die unhistorische Art
ihrer Erklärung. Alle physische und metaphysische Weisheit des 18.
Jahrhunderts muß hierbei fern bleiben. Vielmehr hinaus aus den dumpfen
Lehrstuben in die freiere Luft des Orients! Er versetzt sich daher ganz
in die Natur des Morgenlandes und in die sinnliche Anschauungskraft des
Morgenländers. Wo offenbart sich aber unserem Auge die Schöpfung besser
und immer von neuem als jeden Morgen im werdenden Tage?

»Komm hinaus, Jüngling, aufs freie Feld und merke. Die urälteste
herrlichste Offenbarung Gottes erscheint Dir jeden Morgen als Thatsache,
großes Werk Gottes in der Natur[56]«. Für den Menschen ist nun die
Schöpfung ein Gewühl einzelner abgesonderter, ganzer Geschöpfe; jedes
für sich eine Welt; keins mit dem andern zusammenhängend, keins dem
andren ähnlich. Was soll er da aus dieser bestürmenden Rhapsodie aller
Geschöpfe herauslesen? Der moderne Mensch sucht sich durch Zergliedern
und Absondern zu helfen. Der Naturmensch aber, der nichts von diesen
Abstraktionsgaben weiß, trachtet danach, sich aus diesem Chaos von
Wesen, Kräften, Gestalten, Formen den Kosmos zu bilden. »Für den
lebenden, wirkenden Naturmenschen--was war nun da für ein Bild, Ordnung,
Lehrmethode, die ihm die Schöpfung unbetäubend und doch ganz, nach und
nach und doch im Zusammenhange, mit Macht, Einwirkung, Lust fürs Herz
und ohne Blendung und Düsterung des Auges gebe--suche Naturkündiger
zwischen Himmel und Erde, andres Bild, bessere Ordnung und Folge, als
diese----Lehrmethode Gottes!« d.h. die er jeden Morgen bei dem
»Unterricht unter der Morgenröte« anwendet[57]. Gott selbst ist es, der
bei jedem Tagesanbruche die Schöpfung in schöner, deutlicher Folge am
Auge des Menschen vorüberführt. Er belehrt nicht durch Schlüsse und
Abstraktionen (trockenes Sinnen!), sondern durch Gegenwart und
Kraft[58]!

In dieser ältesten Urkunde liegt aber zugleich auch die älteste
Hieroglyphe verborgen. Die sechs Tagewerke und der Sabbat, nach
Entstehung und Folge angeordnet, ergeben das älteste kabbalistische
Zeichen »aus 6 Triangeln, wo sich alles auf einander bezieht,--jenes in
allen Magien und Allegorien so berühmte Sechseck[59]!« Diese Entdeckung,
auf die sich Herder viel zu gut that, hatte er schon 1770 in Straßburg
gemacht und ihr dort weiter nachgespürt[60]. Diese Hieroglyphe ist also
nichts minder, als Schöpfung Himmels und Erden[61]! Sie ist das Zeichen
des Makrokosmus; sie ist von Gott selbst geschrieben. »Siehe da, der
erste Schriftversuch Gottes mit dem Menschen, diese Hieroglyphe![62]«
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb? ruft darum bei ihrem Anblick
Faust aus.

Herder verfolgt dann ihre Spuren weiter bei andren Völkern, so bei den
Ägyptern, wo sie in der Gestalt der sieben heiligen Buchstaben
die Schöpfung der Welt, den Zusammenklang aller Wiesen, die Leier
der Welt ausdrückt[63]. Sie erscheint weiterhin in verkürzter
Form [Symbol: Diagonales Radkreuz] als Zeichen des Weltalls, des
_Weltgeistes_, der Schöpfungskraft, als ein Symbol der Kräfte des
Weltalls[64]. Es bedeutet Kneph: »Den unsterblichen Weltgeist, der alles
durchgehet und durchhauchet: den guten Dämon, Sinnbild alles Guten[65].«

Fassen wir zusammen: Die älteste Hieroglyphe ist ein Zeichen der
Weltschöpfung; es ist entstanden aus dem Schöpfungsbericht, der sich
wieder auf die Vorgänge in der Natur gründet; es gibt das Bild des
Kosmos in harmonischer Verknüpfung der wirkenden Urkräfte: es ist das
Zeichen des Weltgeistes, in dem alle Naturkräfte enthalten sind.
Offenbar hat in der That alle spätere Kabbala und Magie hierauf
weitergebaut[66]. Die Hieroglyphe kommt aber, insofern sie in dem
Schöpfungsbericht verborgen ist, von Gott selbst; sie mahnt uns also,
nicht nur die Schöpfung in ihr zu erblicken, sondern sie auch mehr und
mehr dadurch zu erkennen, daß wir sie jeden Tag mit der Morgenröte in
schönster Folge immer wieder von neuem schauen.

Jetzt erst verstehen wir den tieferen Zusammenhang in den Versen 77-93 =
430-446. Da Faust das Zeichen der Weltschöpfung, des Weltgeistes
erblickt, geht zunächst ein lebendiger Hauch von ursprünglichem Leben
auf ihn über, wie ihn der Naturmensch einst gefühlt. Ein Gott hat dies
Zeichen geschrieben, das auf einmal das Bild der schaffenden
geschaffenen Weltnatur heraufbeschwört. Die Urkräfte, die in ihm
symbolisiert sind, enthüllen sich. Gottgleich erkennt er die Harmonien
der wirkenden Natur. Aber die Erscheinung mahnt ihn auch, sie mit
lebendigen, nicht durch Abstraktionen abgestumpften Sinnen in sich
aufzunehmen, dahin zu gehen, wo die Welt sich werdend und wirkend immer
wieder am schönsten offenbart, hinaus in die Morgenröte[67]!

Der Dichter hat die Wirkung, die das Zeichen auf Faust ausübte, zunächst
dargestellt. Wie mit einem Schlage steht die schaffende Weltnatur vor
seinem geistigen Auge; ihr Bild hat er gesehen, nicht etwa das Zeichen
betrachtet. Sie selbst hat ihm zugerufen, sich unmittelbar mit frischen
Sinnen an die Natur zu wenden. Dem darf natürlich nicht Folge gegeben
werden, ebenso wenig wie jener ersten Mahnung der Natur. Faust muß von
der Höhe seiner Empfindung herabsteigen. Die lebendige Erscheinung, zu
der das Zeichen nur den äußeren Anstoß gegeben hatte, ist verschwunden;
im folgenden sieht er das All in seinem harmonischen Zusammenhange nur
an der Hand der Charaktere des Zeichens. »Er beschaut das Zeichen;«--er
deutet es aus. Der Strom der Dichtung bequemt sich wieder den engeren
Ufern der Sage. Man darf aber wohl sagen, erst dadurch, daß jene Zeichen
auf einen so reinen, ja göttlichen Ursprung zurückgeführt waren, wurden
sie dem Dichter verwendbar. Hat Faust vorher die schaffende Weltnatur
vor seinem entzückten Auge gesehen, so erblickt er jetzt durch
Vermittlung des Zeichens, was es ihm als solches allein zeigen konnte,
nichts anderes als die Harmonie des Kosmos. Bei der nun folgenden
Beschreibung konnte sich der Dichter den alchemistischen Anschauungen um
so leichter wieder anschließen, da sie in der That die Natur in schöner
Verknüpfung darstellen, so daß sie ohne große Änderung auch dichterisch
verwertet werden konnten[68]. Endlich gingen auch sie auf älteste
Vorstellungen oder Versuche kosmischer Weltanschauungen zurück, wie z.B.
der Orphiker und Pythagoräer, deren Zusammenhang mit der ältesten
Hieroglyphe Herder ebenfalls nachgewiesen hatte. Man vergleiche, was er
darüber sagt. Sie dachten sich den Makrokosmos als großes Weltei, das
sie aus verschiedenen Lagen und Kreisen zusammenlegten; »Unten, was
erzeugt ward, die sichtbaren Elemente, Erde, Wasser, Luft, Feuer: überm
Monde die unsichtbaren Kreise, die erzeugten: die _alle zusammentönend,
in einander wirkend_! sie machten die hohe Hermesleier! den Klang der
Sphären, den der Weltschöpfer oben und nieden. Alles in Eins!
_Zusammenklang_. Das Bild ist einfach, anschaulich, schön, und wenn man
die alten Schriftsteller gelesen, ist mehr als alles--wahr[69]!« Die
Ähnlichkeit mit Goethes Bildern liegt auf der Hand; nur hat er statt des
Bildes von der Leier das durch die Bibel geheiligte und auch
anschaulichere von der Himmelsleiter gebraucht, das übrigens auch die
Alchemie sich nicht hatte entgehen lassen. Helmont[70], den Goethe
ausdrücklich unter denen nennt, deren Werke er in seiner alchemistischen
Epoche kennen gelernt hat, benutzt es in folgender Weise[71]: »dieser
Weg ist kein ander, kann auch kein ander seyn, als welcher durch Jacobs
Leiter vorgestellt worden: denn gleicherweise wie auff derselben die
Engel Gottes auff und niedersteigen, also steigen die wesentlichen
lebendigen Kräffte oder geistlichen Leiber der himmlischen Lichter
unabläßlich von oben herab durch die ätherische Lufft zu dieser untern
Welt, als von dem Haupt zu den Füßen; und hernach, wann sie ihre
Auswürkung vollbracht, so steigen sie zu ihrem eigenen Nutz und
Verbesserung wieder von unten auffwerts zu dem Haupt, mit demselbigen
wieder vereiniget------Und dieses Auff- und Niedersteigen der
himmlischen Kräfte, und die stetige Verbesserung und Verherrlichung, die
daran hanget, und darvon herkommt, wehret und beharret ohne Unterlaß,
und muß nothwendig also thun.«

Aus derartigen Anschauungen und Vorstellungen, die der Dichter zu
verschiedenen Zeiten in sich aufgenommen hatte, schuf er aus sich
heraus ein neues poetisch empfundenes Ganze[72]. Mit Recht macht
Scherer[73] hierbei auf die Kosmogonie in dem, wie wir sehen werden,
gleichzeitigen Satyros[74] aufmerksam.

Goethe entwirft aber hier nicht bloß ein Bild des Kosmos, sondern auch
von den verschiedenen Stufen der Weltschöpfung; er benutzt hier, weil
ihm offenbar die biblischen Vorstellungen dazu nicht genügend poetische
Farben lieferten, die der älteren griechischen Philosophie, deren
Zusammenhang mit den ersteren Herder nachgewiesen zu haben glaubte. So
sind hier Elemente aus den Lehren von Anaximander, Empedokles,
Philolaos, der Eleaten zu einem poetischen Gesamtbild vereinigt.

Faust schildert also an unserer Stelle entzückt die Harmonie des Kosmos,
die er durch das Zeichen und in ihm erblickt. Welch Schauspiel! ruft er
noch begeistert aus; aber mit diesem Worte wird ihm auf einmal bewußt,
woran er sich jetzt entzücke[75]. Damit aber sinkt er nun völlig von der
Höhe gesteigerter Empfindung herab. Die alten sehnsüchtigen Klagen
seiner Nichtbefriedigung ertönen von neuem. Was er eben gesehen, ist nur
ein Schauspiel: er hat nicht an dem Bilde genug. Ihn dürstet nach mehr,
nach der lebendigen schaffenden Kraft, die alle diese Harmonien
hervorbringt; nach den Quellen, aus denen alles Leben quillt, den
Brüsten, aus denen auch Himmel und Erde ihre Lebensnahrung saugen.
Diesen mütterlichen Busen möchte er fassen[76]; nach ihm drängt sich
seine welke Brust hin; er weiß, er tränkt, und er sollte vergeblich
schmachten!

Dies mächtige Sehnen Fausts nach schöpferischer Kraft, das wieder aus
der inner eigensten Tiefe des Dichterherzens aufströmt, führt uns zu dem
Künstler Goethe zurück. Die Kunstgedichte des Jahres 1774 geben uns ein
vollständigeres Bild jener Stimmung, als die Verse unserer Stelle, die
davon gleichsam ein gedrängter Auszug sind. Wie sehnsüchtig verlangt es
ihn dort nach dem Urquell der Natur, daraus er schöpfend

    Himmel fühl und Leben
    In die Fingerspitzen hervor[77]!

Seinen Prometheus geleitete Minerva zu dem Quell alles Lebens. Wer führt
ihn? Was frommt ihm die glühende Natur an seinem Busen, was hilft ihm
das Gebildete der Kunst, wenn liebevolle Schöpfungskraft nicht seine
Seele füllt und in den Fingerspitzen wieder bildend wird?[78]

    O daß die innre Schöpfungskraft
    Durch meinen Sinn erschölle--[79]

fleht er; und Werther möchte einen Augenblick in der eingeschränkten
Kraft seines Busens einen Tropfen der Seligkeit des Wesens fühlen, das
alles in sich und durch sich hervorbringt[80]. Wo faß ich Dich,
unendliche Natur? ist der Grundgedanke, der all das künstlerische
Streben des Dichters durchzieht. Nicht nur auf Erkenntnis der Natur ist
es gerichtet; es ist nicht nur sehnsüchtige Liebe zu ihr, wie im
Ganymed:

    Daß ich Dich fassen möcht'
    In diesen Arm!
    Ach, an Deinem Busen
    Lieg ich, schmachte,--[81]

Ihr wird die Befriedigung gewährt, der Sehnende hinaufgetragen an den
Busen des allliebenden Vaters. Nicht dagegen wird sie dem kranken
Werther zu teil; denn sein Herz ist tot: er hat verloren, was seines
Lebens einzige Wonne war, die heilige belebende Kraft, mit der er Welten
um sich schuf; so steht er vor Gottes Angesicht wie ein versiegter
Brunn, wie ein verlechter Eimer![82] Ihm ist das Gefühl der harmonischen
Natur entschwunden, vor allem aber die ihm einst einwohnende
schöpferische Kraft. Anders der Dichter!

    Ich fühl, ich kenne Dich, Natur,
    Und so muß ich Dich fassen.

schreibt er am Ende des Jahres 1774 an Merck; er schaut zurück und
sieht, wie sich sein Sinn schon manches Jahr _erschließe_.

    Wie er, wo dürre Haide war,
    Nun Freudenquell genießet,
    Da ahnd ich ganz Natur nach Dir,
    Dich frei und lieb zu fühlen--[83]

»Ideales Streben nach Einwirken und Einfühlen in die ganze Natur«,
bezeichnet in einem späteren Schema[84] Goethe den ersten Monolog. Mit
Recht. Faust sehnt sich wie sein Dichter nach unmittelbarer, lebendiger
Erfassung der Natur durch das Gefühl, danach er schaffen und wirken
könne gleich der Natur.

Das Zeichen des Makrokosmus kann ihm also keine Befriedigung
versprechen; die anfangs durch seinen Anblick hochgesteigerte Flut der
Empfindung hat mehr und mehr geebbet. Der frühere Zustand kehrt wieder,
mit ihm der Unwille; in solcher Stimmung schlägt er das Buch um und
erblickt das Zeichen des Erdgeistes.

Überblicken wir noch einmal den ganzen Monolog bis zu der nun
beginnenden Erdgeistscene (V. 107 = 460), so zeigt sich in allen Teilen
der schönste Zusammenhang; er ist aus einem Gusse; nirgends ein
Widerspruch, der uns berechtigte, spätere Einschiebungen, Änderungen des
Plans anzunehmen. Der Widerspruch, den man in der Verbindung der
einzelnen Teile hat wahrnehmen wollen, liegt wo anders; er liegt in dem
Dichter selbst, in dem Ringen des mit der Überlieferung der alten Sage
so verschieden empfindenden Dichters; aber grade bei diesem Kampfe kommt
sein eigenstes Gefühl in den wunderbarsten Tönen zum Durchbruch; gerade
hier zeigt sich die hohe Kunst des jungen Dichters, der immer wieder zu
den überlieferten Formen zurückzukehren und zwischen seiner eigenen
Empfindung und jenen auf das glücklichste zu vermitteln weiß, so daß
dadurch das wechselnde Bild auf- und absteigender Gefühle entsteht, wie
es uns in dem ersten Monologe entgegentritt. Nach dem Prolog hebt sich
die Welle immer höher anschwellend, um dann in dem dritten Teile wieder
zunächst zu sinken; aber mit dem Anblick des Zeichens des Makrokosmus
beginnt ein neues Aufsteigen; die Worte des Weisen: Auf, bade, u.s.w.,
bilden hier den Höhepunkt, wie vorher: Flieh! Auf! hinaus ins weite
Land! Beides mahnt denselben Weg zu betreten, den der Natur. Danach
senkt sich die Welle wieder mehr und mehr, bis schließlich mit dem
Bewußtsein davon Faust in den alten Zustand der Unbefriedigung
zurückfällt und sich so Anfang und Ende des Monologs mit einander
verbinden.

Die ganze Scene in ihrer Einheit ist, wie bemerkt, als Beschwörungsscene
aufzufassen. Faust hat sich der Magie ergeben. Diese Nacht sollen vor
unseren Augen zum ersten Mal die Geister beschworen werden. Vor ihm
liegt das Zauberbuch. Unruhe erfüllt ihn vor dem entscheidenden
Schritte. Noch einmal wiederholt er sich und uns die Gründe zu seinem
Entschluß, mit denen sich uns zugleich die Hauptzüge seines früheren
Lebens enthüllen. Was erwartet er nun von der Magie? Nicht unfruchtbares
totes Wissen, sondern lebendige, schöpferische Erkenntnis der Natur.
Doch ehe er jetzt zur Beschwörung schreitet, mahnt ihn die Natur leise
an sich. Das Mondenlicht ergießt sich in sein Zimmer; es verdunkelt
gleichsam das vor ihm liegende Buch. Warum, Sohn der Natur, vertraust du
dich nicht unmittelbar der Mutter? Allein der im Dunklen Wandelnde
versteht sie noch nicht völlig; er erkennt nur den Widerspruch seines
früheren Lebens mit der Natur; nicht aber vermag sie ihn von der Magie
zurückzuhalten. Der Dichter hat es also verstanden, hier Töne
anzuschlagen, die nicht alle für Faust mitklingen, wohl aber uns hörbar
sind. Er vernimmt: Fort aus deinem Kerker zur Natur, um von allem Wissen
die Brust rein zu baden!--nicht aber: Bleib fern von der Magie, geh zur
Natur, sie wird dich nicht bloß heilen und befreien, sondern auch
belehren! Darum wendet er sich wieder dem Zauberbuche zu; auch mit
seiner Hülfe wird er zur Natur kommen; sie wird ihn unterweisen, wie er
zu ihren Geistern reden könne, daß sie ihn hören. Sollte es ihm also
nicht genügendes Geleit sein auf dem Wege zu ihr? Er bereitet sich, es
aufzuschlagen. Er wird darin, die heiligen Zeichen erblicken. Was dann
thun? Nicht durch trockenes Sinnen, wie er es früher, da er sich mit dem
Wissen quälte, sie ergründen, unmittelbar will er sich an die Geister,
die ihn umschweben, wenden.

Da er das Buch aufgeschlagen, erblickt er das Zeichen des Makrokosmus;
es ist das Zeichen des Weltalls, des Weltgeistes; göttlichen Ursprungs
hat es seinen Weg durch alle Völker und Zeiten genommen und ist der
Magie als Eigentum geblieben. Auf diesen Ursprung hat es denn auch
Goethe nach Herders Vorgang zurückgeführt[85]. Bei seinem Anblick steht
ihm die ganze Weltschöpfung lebendig vor Augen. Neues Leben und
Wirkungskraft erfüllt ihn. »Wie vor jedem großen Gedanken der Schöpfung,
wird in der Seele reg, was auch Schöpfungskraft in ihr ist« schreibt der
Dichter später in dem Gebete der dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe im
Juli 1775[86]. Gottgleich schaut Faust tief hinein in die Gründe der
schaffenden geschaffenen Natur. Wie einst Werther in glücklichen Tagen,
da ihn das volle warme Gefühl seines Herzens an der lebendigen Natur mit
Wonne überströmte, wird auch Faust von Freude erfüllt. Man vergleiche
dazu die herrliche Stelle in Werthers Brief vom 18. August[87].--Ihm
erweckt aber nicht ein Zeichen das Bild der ganzen Schöpfung, der
gestalteten, wie der wirkenden Weltnatur, sondern der Anblick des
Naturlebens selbst; durch es wird sein Auge geöffnet für das innere
glühende heilige Leben der Natur; indem er es erschaut, steht die Welt
in ihren Grundzügen vor ihm. Die herrlichen Gestalten der unendlichen
Welt bewegen sich allebend in seiner Seele: »Ungeheure Berge umgaben
mich, Abgründe lagen vor mir, und Wetterbäche stürzten herunter, die
Flüsse strömten unter mir, und Wald und Gebirg erklang. Und ich sah sie
wirken und schaffen in einander in den Tiefen der Erde, all die Kräfte
unergründlich.« Gleich Faust sieht er die wirkende Natur vor seiner
Seele liegen, ihre Kräfte sich ihm enthüllen[88]. Diese Stelle kann
also recht wohl dazu dienen, uns das zu ergänzen, was auch Faust
erblickt. Für ihn verbindet sich damit die Mahnung, als Schüler des
göttlichen Lehrers in der Natur selbst die Schöpfung da zu betrachten,
wo sie sich am deutlichsten und herrlichsten in ihr offenbart. Auch hier
geht es also darauf hinaus, daß Faust zur Natur hingewiesen wird; das
zweite Mal noch bestimmter als das erste Mal. Sie ist nicht bloß dazu
da, daß sich der Mensch in ihrem Thau gesund bade sondern sie fordert
aus dem Munde des Weisen auf, bei ihr selbst zu suchen, was Faust
erstrebt: Auf, bade, Schüler, unverdrossen, die ird'sche Brust im
Morgenrot! Allein der Dichter muß ihn von der Höhe dieser Erkenntnis
wieder herabführen. Faust beschaut das Zeichen, was er aber in ihm
erblickt, ist nur noch die Harmonie der wirkenden Kräfte des Alls, wie
sie sich in ihm vermittelst des Zeichens in schöner Verknüpfung
darstellt. Er will aber mehr; er will aus dem Urquell aller
Wirkungskraft und alles Lebens selbst schöpfen, um ihrer gottgleich
teilhaftig zu werden. So sehnte sich auch Werther, aus dem schäumenden
Becher des Unendlichen jene schwellende Lebenswonne zu trinken, und nur
einen Augenblick in der eingeschränkten Kraft seines Busens einen
Tropfen der Seligkeit des Wesens zu fühlen, das alles in sich und durch
sich hervorbringt[89]. Zunächst allerdings entzückt Faust der Anblick
des kunstvollen Baus des Kosmos; er steht vor ihm mit demselben Gefühl
wie vor einem harmonisch gebildeten Kunstwerk. So stand der junge Goethe
vor Erwins Meisterwerk: »Mit welcher unerwarteten Empfindung überraschte
mich der Anblick, als ich davor trat. Ein ganzer, großer Eindruck füllte
meine Seele, den, weil er aus tausend harmonierenden Einzelnheiten
bestand, ich wohl schmecken und genießen, keineswegs aber erkennen und
erklären konnte. Sie sagen, daß es also mit den Freuden des Himmels
sei, und wie oft bin ich zurückgekehrt, diese himmlisch-irdische Freude
zu genießen, den Riesengeist unsrer ältern Brüder, in ihren Werken zu
umfassen.--Schwer ists dem Menschengeist, wenn seines Bruders Werk so
hoch erhaben ist, daß er nur beugen und anbeten muß. Wie oft hat die
Abenddämmerung mein durch forschendes Schauen ermattetes Aug mit
freundlicher Ruhe geletzt, wenn durch sie die unzähligen Teile zu ganzen
Massen schmolzen, und nun diese, einfach und groß, vor meiner Seele
standen, und meine Kraft sich wonnevoll entfaltete, zugleich zu genießen
und zu erkennen. Da offenbarte sich mir in leisen Ahndungen, der Genius
des großen Werkmeisters.« Er weiht ihn in seine Geheimnisse ein.--»Wie
froh konnt ich ihm meine Arme entgegenstrecken, schauen die großen,
harmonischen Massen, zu unzählig kleinen Teilen belebt; wie in Werken
der ewigen Natur, bis aufs geringste Zäserchen, alles Gestalt, und alles
zweckend zum Ganzen«[90].

Allein der Genius des Weltalls offenbart sich Faust nicht so, wie er es
in seinem ungeduldigen Streben verlangt; es wird ihm nicht gegeben,
sich unmittelbar dem Göttlichen zu nähern. In prometheischem Unwillen
wendet er sich von ihm ab, schlägt das Buch um[91] und erblickt das
Zeichen des Erdgeistes.



Die Erdgeistscene und der Schluß des ersten Monologs.

(V. 107-168 = 460-521.)

Auch beim Anblick des Zeichens des Erdgeistes äußert sich zuerst die
Wirkung, die von ihm auf Faust ausgeht; aber sie ist anderer Art als die
war, die vom Makrokosmus auf ihn überging. Nachdem der Rausch des
Entzückens vorüber ist, fühlt er selbst, daß zwischen dem Weltgeist und
ihm keine unmittelbare Beziehung bestehe. Wie sollte er mit ihm so in
Verbindung kommen, daß eine dauernde, nachhaltige Wirkung möglich wäre?
Was blieb schließlich übrig als eine Förderung seiner Erkenntnis, seines
Schauens? Ganz anders beim Erdgeist; er ist ihm näher; bei seinem
Anblick fühlt er sofort seine thätigen Kräfte erregt, gesteigert. Sein
Geist ist über ihn ergossen und von ihm erfüllt, redet er sofort in
seiner Sprache. Zu was treibt er ihn mit nicht geheimnisvollen Trieb?
Wage dich hinein ins Leben; erlebe diese Erdenwelt mit ihrem Weh und
Glück, Leid und Freud, schlage dich tapfer mit allen Stürmen herum, und
wenn dein Schiff im Sturm zerschellt, so mögen den Unerschrockenen die
Trümmer zerschlagen! Zum Leben also wird er aufgefordert, er, der
übereilt, ohne je gelebt zu haben, aus dem Quell des Lebens selbst zu
schöpfen sich vermaß. Mächtig quillt jetzt die Kraft zum Leben in ihm
auf, d.h. auf dieser Erde das dem Menschen Beschiedene zu tragen, tapfer
zu kämpfen und ebenso unterzugehen. »Es möcht kein Hund so länger leben«
rief er aus beim Rückblick auf sein eben abgeschlossenes Leben. Wie
anders jetzt? Wie anders auch als Werther? Faust hat in dem Erdgeist den
Geist des Erdenlebens erkannt; d.h. in ihm selbst schlummert dieser Teil
vom Wesen desselben; er ist mit ihm darin verwandt und dadurch zieht er
ihn an. Sofort kündigt sich daher sein Erscheinen an. In gewaltiger
Erregung nimmt er die Anzeichen wahr; er fühlts, daß der erflehte Geist
um ihn schwebe; er fordert ihn auf, sich zu enthüllen. Neue, nie
gekannte Gefühle ringen sich von seinem Herzen los, und dieses Herz in
seiner ganzen gesteigerten Anziehungskraft gibt sich liebend dem Geiste
hin. Vergebens; Er muß ihn beschwören; er faßt das Buch und spricht sein
Zeichen geheimnisvoll aus; in einer Flamme erscheint der Geist in
widerlicher Gestalt.

Eine doppelte Beschwörung also! Einmal durch die Anziehungskraft, die
Fausts Geist ausübt, insofern er dem Erdgeist ähnlich ist. Er erkennt
eine Seite seines Wesens, die auch er in sich trägt; damit zieht er ihn
an. Allein diese geistige Art der Beschwörung genügt nicht; er muß zu
den magischen Formeln greifen und ihn so zu sich zwingen[92]. Warum nun
diese doppelte Beschwörung? Offenbar nimmt auch hier wieder der moderne
Dichter Stellung zu den Überlieferungen der alten Sage. Für ihn gibt es
nur eine Art der Beschwörung, eine mit der Zeit mehr und mehr sich
steigernde Geistesverwandtschaft, die endlich den lang erflehten Geist
uns zu eigen macht, daß er uns alles offenbare, so wie Erwins Geist dem
wieder und wieder Betrachtenden erschien, ihm seine Geheimnisse zu
enthüllen. Allein das ist keine Beschwörung, wie sie die Sage von Faust
fordert, der sich der Magie ergeben hat. Darum muß er, zugleich wohl
wissend, welchen Vorteil die alten Formen der Sage grade dem Dichter
bieten, seinen Helden sich ihrer bedienen lassen; aber auch hier fehlt
nicht die tiefere Begründung dafür, daß der Geist sich nicht enthüllt.
Denn wie wir noch sehen werden, hat Faust sein Wesen nur zum Teil
erkannt; er ist noch nicht völlig mit ihm eins geworden; sein ganzes
Wesen wird von ihm nicht begriffen: er kündigt sich an, aber er enthüllt
sich nicht. So muß denn doch die Zauberformel dran. Der Geist erscheint
nun in körperlicher Gestalt.

Scherer[93] hat diesen Zusammenhang nicht erkannt; er bemerkt zu V. 123
= 475: »aber der Geist ist noch gar nicht erfleht. Faust hat ihn noch
mit keinem Wort um sein Erscheinen gebeten.« Er versteht also nicht, wie
in den Versen 111-114 = 464-467 auch eine Beschwörung enthalten sei; er
übersieht, daß der Geist später selbst erklärt, was ihn im Grunde
hergerufen habe, der Seele mächtig Flehen, der Seele Ruf[94]. Die
Beschwörung von innen heraus, aus dem mächtig verlangenden und sich doch
hingebenden Herzen ist dem Dichter bedeutungsvoller als die durch
Zauberformeln. Scherer kommt durch dies Mißverständnis zu dem ganz
verkehrten Schlusse, die Erdgeistscene, die er erst mit V. 115 = 468
beginnen läßt, sei nicht von Anfang an bestimmt gewesen, sich
unmittelbar an das übrige anzuschließen. Auch seine Einteilung ist
wieder falsch; denn ohne Frage beginnt ein neuer, vierter Teil der
ersten Hauptmasse mit V. 107 = 460.--Welch ungeheuerlichen Folgen diese
Irrtümer haben, lese man a.a.O. S. 323 nach, wo er vor der Erdgeistscene
ganze Akte hinzudichtet!

Der Erdgeist ist Faust in widerlicher Gestalt erschienen; er wendet sich
entsetzt von der schrecklichen Erscheinung ab. Der Geist muß ihn daran
erinnern, wie er lange an seiner Sphäre (der Kreis, den seine
Wirksamkeit erfüllt[95]) gesogen habe; allein er erträgt den Anblick
nicht; er erliegt unter der Gewalt der Erscheinung[96]. Er selbst hat
ihn erfleht, gerufen aus der Tiefe seines Wesens heraus; und nun, da er
ihm gefolgt, wird der Übermensch, der sich in titanischem Drang den
Geistern gleich zu heben vermaß, von erbärmlichem Grauen gefaßt, zittert
er bis in alle Tiefen seines Lebens hinein, aus denen er sich empor zu
ihm drang, dem Wurm gleich, der von dem Tritt des Wanderers sich
wegkrümmt. Da rafft sich Faust auf. Nach dem Höchsten hat er gestrebt,
vor dessen Bild er eben noch entzückt gestanden, und er soll der
Flammenbildung weichen! Er findet sich wieder, er ist Faust, ist
seinesgleichen.

Was hier der Erdgeist ihm zuruft, ist wichtig für Fausts Charakteristik.
Es ergänzt das Bild, das er im Eingang von sich selbst gegeben hat, und
fügt den im allgemeinen der Sage entsprechenden Zügen neue modernerer
Art hinzu. Jetzt sehen wir deutlicher sein mächtiges Streben vor uns;
jetzt verstehen wir besser, warum ihm alles Wissen nicht genug that. Ein
titanischer, übermenschlicher Drang beseelt ihn, sich den Geistern
gleich zu heben. Der Dichter gibt also dem Faust der Sage sein eigenes
unendliches Verlangen--für ihn müssen wir sagen,--sich zu dem Göttlichen
zu erheben, wie es auch einst Werther vor den Tagen seiner Leiden
gefühlt hat. Allein bei ihm wird es abgelenkt auf eine Leidenschaft, und
durch sie und in der Enge bürgerlicher Beschränkung aufgerieben. Bei
Faust stellt sich dagegen das Problem von vornherein anders. Sein
Unendlichkeitsstreben sollte innerhalb der Grenzen der Menschheit das
Höchste leisten und nicht in der Glut einer unbefriedigten Leidenschaft
untergehen. Werther war die unglückliche Blüte dieser Epoche im Leben
des Dichters[97], Faust sollte die glücklichere werden.

Die Fülle seines eigenen reichen Lebens hat also Goethe in die Form der
alten Sage gegossen; seine ganze Vergangenheit hat er Faust im voraus
mitgegeben. Darum kann sich auch jener dem Erdgeist näher fühlen, kann
dieser von ihm sagen, er habe an seiner Sphäre lang gesogen. Der Faust,
der nach der Sage sich in unfruchtbarem Wissen gequält, hat zugleich
auch die titanische Seele seines Dichters. Damit erledigt sich auch
Scherers Bedenken über V. 131 = 484, Faust habe noch nicht lange an der
Sphäre des Erdgeists gesogen[98].

Da Faust sich für seinesgleichen erklärt hat, enthüllt ihm nun der
Geist die ganze Tiefe seines Wesens: In den Fluten des Lebens, im Sturm
der Thaten ist er das bewegende und erregende Element. In Geburt und
Grab, dem ewigen Wechsel von Vergehen und Entstehen, gleich einem ewig
auf- und abwogenden Meere, offenbart er sich belebend und zerstörend. In
dieser Weise schafft er immer wieder von neuem am sausenden Webstuhl der
Zeit und wirkt das lebendige Kleid der Gottheit, d.h. die Hülle, in der
sie immer wieder in Erscheinung tritt. Was ist danach der Erdgeist? Er
ist offenbar der Geist des Lebens der Erde, als welchen ihn auch Faust
sogleich erkannt hat; aber nicht bloß in jenem beschränkten Sinne; auch
nicht bloß des Naturlebens, sondern des Lebens in jedem und im weitesten
Sinne; er ist also auch der Geist des thätigen, handelnden Lebens; er
ist überhaupt der Geist des Lebens, wie es sich auf der Erde von Stufe
zu Stufe aufsteigend überall im Niedrigsten und im Höchsten offenbart.
Wer ihn ganz begreifen will, muß ihn in der ganzen unendlichen Fülle
dieses Lebens begreifen. In dem späteren Schema bezeichnet ihn Goethe
mit seinen wesentlichsten Merkmalen als Welt- und Thatengenius[99]. Als
solcher offenbart er sich nicht nur als schaffendes Princip, sondern
auch als zerstörendes. Er läßt die Welle des Daseins sich heben und
wieder senken. Er schafft so als einwohnende schöpferische Ursache immer
wieder von neuem die lebendige Welt der Erscheinung, das sichtbare
Kleid der Gottheit.--Wie bildete sich nun der Dichter diese Anschauung?
Zunächst konnte er sich wieder an die alchemistische Überlieferung
anschließen. Sie gab allen Planeten, also auch der Erde ihren
Geist[100]. Man braucht dazu keine nähere Kenntnis des Giordano Bruno
anzunehmen[101]. Es war dies der allgemeine Glaube jener Zeit. Endlich
war auch in der eigenen Zeit ein neuer Geisterseher erstanden:
Swedenborg. Goethe nennt ihn am Schlusse der schönen Recension über
Lavaters Aussichten in die Ewigkeit: »den gewürdigten Seher unsrer
Zeiten, rings um den die Freude des Himmels war, zu dem Geister durch
alle Sinnen und Glieder sprachen, in dessen Busen die Engel
wohnten[102].« Er glaubte an eine große immaterielle Welt, zu der die
Intelligenzen, die mit Körpern verbunden sind, oder nicht, die
empfindenden Subjecte in allen Tierarten, und endlich alle Principien
des Lebens gehören[103]. Der dichterischen Phantasie des jungen Goethe,
die alles beseelte und überall hinter der Erscheinung das Wehen des
schöpferischen Geistes spürte, mußte eine solche alles mit Geist und
Leben erfüllende Anschauung besonders zusagen. Fühlte er nicht in sich
selbst den Genius? Sprach nicht aus allem ein Geist? Aus Erwins
Meisterwerk hatte einst der Geist des Erbauers zu ihm geredet. Sein
Wanderer erschaute auch aus den Trümmern des Tempels den Genius des
Meisters:

    Glühend webst du
    Über deinem Grabe,
    Genius![104]

Den Genius des Vaterlandes fleht er um den künftigen jungen Dichter,
den er nach seinem Bilde gezeichnet.[105] Wie leicht konnte sich daher
sein Geisterglaube mit dem früherer Zeiten verbinden und sich so die
Vorstellung eines Erdgeistes von neuem daraus entwickeln! Er wird ihm
nun zu einem Geist des Lebens in allen seinen Erscheinungen auf der
Erde, vom niedrigsten bis zum höchsten, vom sich unbewußten bis zum
bewußten, vom leidenden bis zum im höchsten Sinne thätigen Leben;
zugleich ruht in ihm das Princip des Lebens, das abwechselnd schafft und
zerstört, um so immer wieder neues Leben zu haben.

Dieser Wechsel zwischen Zerstören und Schaffen hatte Goethes Teilnahme
bei seiner Betrachtung der Natur von Jugend auf erregt. Uralte, die
Menschen zu allen Zeiten bewegende Fragen knüpfen sich daran an. Hat der
Mensch nur vor allem einen Blick für das zerstörende, übersieht er das
schaffende Princip, so leuchtet es ein, wie verhängnisvoll ein solcher
einseitiger Standpunkt für die Auffassung und den Gang seines Lebens
werden muß. Die Weltanschauung, die die Vergänglichkeit und Eitelkeit
alles Irdischen auf das stärkste betont, all der düstere, weltfeindliche
Pessimismus wurzelt hier. Auch der junge Goethe ist von dieser Seite des
Irdischen lebhaft berührt worden und hat zu ihr Stellung genommen; am
schönsten in dem Gedicht »Der Wandrer«, das noch vor dem Wetzlarer
Aufenthalt im Frühling 1772 entstanden ist. Zunächst sieht der Wanderer
auf seinem Gange nur die traurigen Reste der Zerstörung: Säulenstümpfe,
erloschene Inschriften, Trümmer eines Tempels. So wenig schützt also die
Natur das Werk ihres Meisters; unempfindlich zertrümmert sie ihr
Heiligtum. Da wird der Blick des Klagenden vom Tode abgewendet und an
das Leben gemahnt. Die Bewohnerin dieser Trümmer gibt ihm ihren
blühenden Knaben in den Arm,--ein herrliches Übergangsmotiv!--der, über
den Resten der Vergangenheit geboren, einem neuen Leben entgegenwächst.
Jetzt ist sein Auge geöffnet; ringsum sieht er die blühende und grünende
Natur; die Schwalbe, die am Architrav ihr Nest gebaut, die Hütte, die
der Mensch zwischen Trümmern erbaut, er genießt über Gräbern. Natur, du
ewig keimende, ruft er aus, schaffst jeden zum Genuß des Lebens![106]
Damit war also alle einseitige Naturbetrachtung verworfen. Nicht dazu
sind wir geschaffen, allein die Vergänglichkeit zu sehen und darüber zu
klagen; denn überall erwächst wieder aus dem Tod neues Leben, das zu
genießen wir da sind. Denselben Standpunkt vertritt Goethe in der
Recension über Sulzers schöne Künste vom 18. Dezember 1772[107]. »Sind
die wütenden Stürme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut und
Tod in allen Elementen nicht ebenso wahre Zeugen ihres (der Natur)
ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne über volle Weinberge und
duftende Orangenhaine? Was würde Herr Sulzer zu der liebreichen Mutter
Natur sagen, wenn sie ihm eine Metropolis, die er mit allen schönen
Künsten als Handlangerinnen erbaut und bevölkert hätte, in ihren Bauch
hinunterschlänge?«

Man weiß, welch mächtigen Eindruck das Erdbeben von Lissabon (1. Nov.
1755) auf alle Zeitgenossen und auch auf den frühreifen Knaben Goethe
gemacht hat[108]. Man benutzte es damals als gräßliches Argument gegen
den Optimismus und seinen Grundsatz, alles sei gut[109]. Vergebens
suchte sich sein junges Gemüt gegen diese Eindrücke herzustellen. Nach
und nach vergißt er aber die Zornesäußerungen über die Schönheit der
Welt und die mannigfache Güte, die uns darin zu teil wird[110]. So
gelang es ihm allmählich einen Standpunkt einzunehmen, von dem aus er
zwischen Pessimismus und Leibnitz-Popischem Optimismus einen glücklichen
Ausweg fand:

»Was wir von Natur sehen, ist Kraft, die Kraft verschlingt; nichts
gegenwärtig, alles vorübergehend; tausend Keime zertreten, jeden
Augenblick tausend geboren; groß und bedeutend, mannigfaltig ins
Unendliche, schön und häßlich, gut und bös, alles mit gleichem Rechte
nebeneinander existierend«[111].

In humoristischer Weise findet sich diese Naturanschauung als Kampf ums
Dasein behandelt im Monolog des Einsiedlers im Satyros[112]. Sehr
bezeichnend aber hat der kranke Werther allein ein Auge für die
zerstörende Seite der Natur; er, der früher überall mit vollem warmen
Gefühl die schaffende Natur gesehen, sieht jetzt nur noch die
zerstörende Kraft in der Natur. Der Schauplatz des unendlichen Lebens
wandelt sich vor ihm in den Abgrund des ewig offenen Grabs.--»Ha! Nicht
die große seltene Not der Welt, diese Fluten, die eure Dörfer wegspülen,
diese Erdbeben, die eure Städte verschlingen, rühren mich; mir
untergräbt das Herz die verzehrende Kraft, die in dem All der Natur
verborgen liegt, die nichts gebildet hat, das nicht seinen Nachbarn,
nicht sich selbst zerstörte. Und so taumle ich beängstet! Himmel und die
Erde und all die webenden Kräfte um mich her! Ich sehe nichts als ein
ewig verschlingendes, ewig wiederkäuendes Ungeheuer![113]«

Aus frühesten Anregungen ist demnach diese Betrachtung der Natur auf ein
in ihr waltendes zerstörendes und schaffendes Princip herausgewachsen
und die glücklich gewonnene Anschauung ist dann auch zur näheren
Bestimmung des Wesens des Erdgeistes benutzt worden; übrigens begegnete
sich Goethe auch hier wieder mit alchemistischen Vorstellungen. Nach
Agrippa[114] herrscht auf der Erde das Gesetz des Entstehens und
Vergehens, (lex generationis et corruptionis[115]), so daß also von
dieser Seite aus des Dichters Auffassung vom Erdgeiste nicht
beziehungslos war. Noch später aber beim Rückblick auf die Frankfurter
Zeit hebt er als besonders kennzeichnend hervor, den ersten Drang, das
ungeheuere Geheimnis, das sich in stetigem Erschaffen und Zerstören an
den Tag legt, zu erkennen[116].

Der Erdgeist ist nun nicht bloß ein Geist der irdischen Lebenskraft, die
hervorbringt und zerstört, die Woge des Daseins steigen und sinken läßt,
er wallt nicht nur in den Fluten des Lebens auf und ab, sondern ist auch
der Geist der That im Leben, des thätigen, mit Bewußtsein wirkenden
Lebens. Die Natur hat den Menschen nicht allein zum Genuß des Lebens, zu
Leid und Freud, Glück und Weh geschaffen, sondern auch zur Thätigkeit
und Wirksamkeit. »Er hätte mir nur sagen sollen, daß es im Leben bloß
auf das Thun ankomme, das Genießen und Leiden findet sich von selbst«,
bemerkt Goethe später in der Geschichte seines Lebens[117]. Während
»alle die andern Armen Geschlechter der kinderreichen lebendigen Erde
Wandeln und weiden In dunkelm Genuß Und trüben Schmerzen des
augenblicklichen Beschränkten Lebens, Gebeugt vom Joche der
Notdurft[119]«, galt es für ihn zum Thun zu kommen. Diese Erkenntnis
ward dem jungen Goethe immer klarer und lebendiger. Denn für ihn wie für
seinen Helden Faust war es eine Lebensfrage, sich im Leben durchzuringen
zu den Sphären höchster Thätigkeit. Hamanns herrliche, aber schwer zu
befolgende Maxime konnte ihm dabei den Weg weisen: »Alles, was der
Mensch zu leisten unternimmt, es werde nun durch That oder Wort oder
sonst hervorgebracht, muß aus sämtlichen vereinigten Kräften
entspringen; alles Vereinzelte ist verwerflich[120].« Denn er hatte es
zwar nicht nötig, sich vom Banne der Schulwissenschaft und der
Spekulation zu befreien und eine lebendige, fruchtbare Thätigkeit an
ihre Stelle zu setzen; für ihn galt es einer allzugroßen Nachgiebigkeit
gegen die Eindrücke der Außenwelt, einer allzu gesteigerten
Empfindungsfähigkeit ein Gegengewicht zu schaffen. Er fand es in der
dichterischen Produktion, suchte es auch in der Thätigkeit des bildenden
Künstlers. Zu einer Zeit, wo die Empfindsamkeit überwog, erkannte er
denn auch das Gegenmittel. Die Berührung mit der heroischen Stärke des
Altertums machte es ihm bewußt, was ihm fehle. Über Pindars Worten
[Griechisch: epikratein dynasthai] ging es ihm auf; und was Thätiges
an ihm war, lebte auf[121].

Unter [Griechisch: epikratein] versteht er aber Meisterschaft, Virtuosität,
d.h. also höchste Thätigkeit. Die ganze Jugendpoesie der Frankfurter
Jahre seit 1771 durchzieht dieser Gegensatz. Weißlingen ist der erste
Vertreter der krankhaften Empfindlichkeit; ihm gegenüber steht
Adelheid; sie ist nicht von Anfang an die Teufelin, die ihn verdirbt,
sondern sie vermeint zunächst noch den titanischen Funken in ihm
erwecken zu können, ihn zu dem »activen« Manne zu machen, den sie in ihm
erwartete[122]. Und in der That scheint die lebendige Kraft, die von ihr
ausgeht, »die Atmosphäre von Leben, Mut, thätigem Glück,« die um sie
ist[123], auf ihn zu wirken, wie das Zeichen des Erdgeistes auf Faust:
»Und nun gleich entfesselten Winden über das ruhende Meer! Du sollst an
den Felsen, Schiff! und von da in Abgrund! und wenn ich mir die Backen
drüber zersprengen sollte«[124]. Allein die Wirkung hält bei ihm nicht
an; Adelheid aber, da sie seine Unfähigkeit durchschaut, verläßt und
verdirbt ihn. Dasselbe Verhältnis liegt zwischen Clavigo und Carlos vor,
nur daß der letztere nicht mehr der Feind, sondern der Freund des
Schwachen ist. Auf der höchsten Hohe erscheint diese Krankheit im
Werther. Bei ihm wird durch seine wunderbare Empfind- und Denkensart,
der er sich ganz überließ, und die endlose Leidenschaft, alles, was
thätige Kraft an ihm war, ausgelöscht[125]; und er, der sich nicht, wie
Weißlingen und Clavigo, in schwerer Schuld verstrickt hatte, fällt durch
eigene Hand.

Ganz im Sinne Fausts hatte der Dichter, da er im Mai 1772 gen Wetzlar
zog, zwar nicht dem Erdgeist, wohl aber der Gottheit zugesungen, von ihr
erfüllt:

    Allgegenwärt'ge Liebe!
    Durchglühst mich,
    Beutst dem Wetter die Stirn,
    Gefahren die Brust,
    Hast mir gegossen
    Ins früh welkende Herz
    Doppeltes Leben
    Freude zu leben.
    Und Mut[126].

Von diesem gewonnenen Lebensmute aus war dann zu dem dritten, höchsten
Leben vorzudringen, dem der That, auf daß das Herz nicht welke, sondern
noch köstliche Früchte trage![127]

Wir sehen danach, wie tief diese Auffassung des Erdgeistes als eines
Geistes des Lebens und der That im Leben des Dichters begründet liegt.

Bemerkenswert für die Art, wie bei der verschiedensten Gelegenheit
gewonnene Erkenntnis, liebgewordene Motive sich bei dem jungen Goethe
hervordrängen, ist die physiognomische Charakteristik des Brutus als des
Mannes der That[128], die am Ende der Frankfurter Zeit (1775)
geschrieben ist[129]:

Zuerst wird wieder die Wirkung des Bildes geschildert: »Welche Kraft
ergreift dich mit diesem Anblicke! u.s.w.--Eherner Sinn ist hinter der
steilen Stirne befestigt, er packt sich zusammen und arbeitet vorwärts
in ihren Höckern, jeder wie die Buckeln auf Fingals Schild von
heischendem Schlacht- und Thatengeiste schwanger. Nur Erinnerung von
Verhältnissen großer Thaten ruht in den Augenknochen, wo sie durch die
Naturgestalt der Wölbungen zu anhaltendem, mächtig wirksamen Anteil
zusammengestrengt wird.----Mann verschlossener That! langsam reifender,
aus tausend Eindrücken zusammen auf einen Punkt gedrängter That! In
dieser Stirne ist nichts Gedächtnis, nichts Urteil, es ist ewig
gegenwärtiges, ewig wirkendes, nie ruhendes Leben, Drang und
Weben!«--Sogar etwas verderbendes findet er in ihm[130].

Das Verhältnis des Erdgeistes endlich zu seiner Schöpfung, dem
lebendigen Kleid der Gottheit, der sichtbaren Erdenwelt ist offenbar im
Geiste Spinozas gedacht. Seine Philosophie hatte Goethe spätestens seit
dem Frühling 1773 kennen gelernt[131]. Auf der Rheinreise im Sommer 1774
war sie ein wichtiger Gesprächsstoff zwischen ihm und Fr. Jacobi. Es
fügte sich dabei wieder vortrefflich, daß ja auch seine Anschauungen in
manchem mit den alchemistischen seiner Zeit zusammentrafen. Hatten sie
allem einen Geist gegeben, so ließ auch Spinoza alles, wenn auch in
verschiedenem Grade beseelt sein[132]. Gott ist ihm die immanente,
bewirkende Ursache der Schöpfung. Die Welt ist eben nur die sichtbar
gewordene Wirkung der göttlichen Schöpferkraft; die einzelnen Dinge
sind die Modi, die Erscheinungsformen der unendlichen göttlichen
Substanz (natura naturans = wirkende, n. naturata = bewirkte Natur).

Bei Goethe erscheint nun der Erdgeist im Auftrage Gottes handelnd; er
setzt gleichsam in höherem Befehle das irdische Schaffen fort. Denn der
Dichter ist eben genötigt, da er sich einmal im Rahmen des
alchemistischen Geisterglaubens bewegt und zwischen dem Geist des Alls,
der Gottheit, und dem der Erde geschieden hatte, die rein spinozistische
Auffassung entsprechend abzuändern.

Der Erdgeist hat Faust sein Wesen enthüllt. Jetzt redet er ihn an; er
will ihm zeigen, daß er sein Wesen erkenne, ihm sagen, wie nah er sich
ihm fühle; er nennt ihn dabei einen geschäftigen Geist, der die weite
Welt umschweife. Da ist der Bann der Beschwörung gebrochen, er hört die
niederschmetternde Kunde:

    Du gleichst dem Geist, den du begreifst,
    Nicht mir!

Dann verschwindet der Geist. Faust stürzt zusammen: er, das Ebenbild
Gottes, der dem Geist des Alls zu gleichen sich vermaß, gleicht nicht
einmal dem Geist der Erde! Die Scene bricht ab. Wagner erscheint.

Hier erhebt sich die Frage: Wodurch wird der Bann der Beschwörung
gebrochen? Warum verschwindet der Erdgeist grade jetzt? Woraus schließt
er, daß Fausts Geist dem seinen nicht gleiche? Jedenfalls muß er dies
Fausts letzten Worten entnommen haben. Was enthalten sie? Er nennt den
Erdgeist einen geschäftigen Geist. Er hat sich ihm als der Geist
höchster Thätigkeit offenbart, und nun setzt Faust diese der
Geschäftigkeit gleich. Geschäftigkeit ist aber eine Thätigkeit ohne
Zweck, ohne Folge, ohne Frucht, ohne Ziel. So nennt sich der junge
Goethe selbst einmal geschäftig ohne fleißig[133]. Faust kennzeichnet
sein eigenes Wesen, indem er dem Erdgeist diese Eigenschaft gibt. Aber
auch der Dichter hatte sie in seinem Wesen als einen Mangel in seiner
Entwicklung entdeckt, den er zu einer Tugend umbilden mußte. Denn er
fühlte Adel und kannte Zweck[134]. »Auch hat mir endlich«, schreibt er
in den bereits angezogenen Wetzlarer Brief an Herder, »der gute Geist
den Grund meines spechtischen Wesens entdeckt. Über den Worten Pindars
[Griechisch: epikratein dynasthai] ist mirs aufgegangen[135].« Das
spechtische Wesen Goethes, wie es Herders Spott genannt hatte, war
dessen ewiger Tadel gewesen. Nun sieht er selbst ein, daß es eine
Schwäche sei, die er überwinden müsse. »Wenn ich nun überall
herumspaziert bin, überall nur dreingeguckt habe, nirgends zugegriffen.
Dreingreifen. packen ist das Wesen jeder Meisterschaft[136]«. Die
Geschäftigkeit muß zu der zielbewußten Thätigkeit des Meisters werden.
Mit diesem Mangel seines Wesens, über den der Dichter sich längst klar
geworden war, über den er aber seinen Helden erst aus seinem dunklen
Zustande zur Klarheit aufführen mußte, hängt es auch zusammen, wenn
Faust den Geist als einen, der die weite Welt umschweife, auffaßt und
wiederum dadurch sich selbst verrät. Denn was ist dies Schweifende
anders als was der Dichter eben mit dem Herumspazieren und Dreingucken
an sich getadelt hatte, was ihm aus Pindars Worten: [Griechisch: Eidos
phua, psephaenos anaer myrian aretan atelei noo geuetai, oupot' atrekei
kateba podi, mathontes] usw. wie Schwerter durch die Seele gegangen
war[137]? In demselben Sinne tadelt er an Lavater, ein schweifender
Geist habe ihm die kollektive Kraft entzogen und so der besten Freude,
des Wohnens in sich selbst beraubt[138]; ebenso wieder an sich selbst,
da zu Zeit seiner Liebe zu Lili all die Gegensätze seiner Natur
aufgewühlt wurden, mit den klagenden Worten: Entweder auf einem Punkt,
fassend, festklammernd, oder schweifen gegen alle vier Winde[139]! Über
Lenz bemerkt er später, er habe bei ihm darauf gedrungen, daß er aus dem
formlosen Schweifen sich zusammenziehen und die Bildungsgabe, die ihm
angeboren war, mit kunstgemäßer Fassung benutzen möchte[140]. Er setzt
also dem schweifenden Geist die kollektive Kraft, eine Art innerer
Konzentration, das Wohnen in sich selbst, wie er es gerne nannte,
entgegen. Dies Wohnen in sich selbst erzeugt, indem er sie auf einen
Punkt sammelt, die schöpferische Kraft; es gehört darum zum Wesen der
Gottheit, also auch zu dem des Erdgeistes. »O, ich würde an deinem Busen
der ewigen Götter einer sein, die in brütender Liebeswärme in sich
selbst wohnten und in einem Punkte die Keime von tausend Welten gebaren
und die Glut der Seligkeit von tausend Welten auf einen Punkt
fühlten«,--ruft Franz im Götz aus[141]. Es ist daher für den im höchsten
Sinne thätigen und schöpferischen Menschen zu erstreben; so begegnet er
uns auch in der Charakteristik des Brutus als des Mannes der That: »Sieh
das ewige Bleiben und Ruhen auf sich selbst«[142]. Faust hat also in dem
Wesen des Erdgeistes nicht erkannt, daß er auch der Geist der höchsten
Thätigkeit ist, daß er nicht die Welt umschweife, sondern in ihr wohne
als das schöpferische Princip, das durch Zusammenziehung aller
zerstreuten Kräfte sie immer wieder hervorbringe[143]. Damit hat er
ausgesprochen, was ihm selbst noch fehle, trotzdem aber sich überhebend,
ohne daß eine innere Kraft ihn dazu berechtige, sich dem Geiste nahe, ja
gleich gefühlt. Auch dies trägt dazu bei, daß er verschmäht wird[144].
Dagegen wird der Bescheidenheit des Jüngers vor dem Bilde der Venus in
Künstlers Vergötterung die Antwort:

       Du wirst Meister sein.
    Das starke Gefühl, wie größer dieser ist,
    Zeigt, daß dein Geist seinesgleichen ist[145].

Ebenso wie Faust wird aber in den Parabeln die Eiche von der Ceder
zurückgewiesen: »Die Eiche sprach: Ich gleiche dir, Ceder! Thor! sagte
die Ceder: als wollt' ich sagen, ich gleiche dir«[146].

Fassen wir noch einmal das Wesentliche der Erdgeistscene zusammen! Faust
erblickt das Zeichen des Erdgeistes; er fühlt sich ihm näher als dem
Geist des Alls. Was er in ihm erkennt, was also auch in ihm selbst
verborgen liegt, ist das dem Geist einwohnende rastlose Leben. Von
diesem Hauch getroffen, fühlt er in sich den Mut entstehen, sich in das
Leben hinaus zu wagen und alles, was es zuteilt, Freud und Leid, Kampf
und Untergang, tapfer auf sich zu nehmen. Durch dieses Gefühl ist er in
einer Beziehung dem Geiste gleich. Dadurch zieht er ihn an; er kündigt
sich an, aber da die Erkenntnis und die Wesensverwandtschaft nicht
vollständig ist, erscheint er nicht. Da beschwört ihn Faust mit
magischer Formel. Nun erscheint er, aber in widerlicher Gestalt. Faust
wendet sich ab. Sein ganzes übermenschliches Streben war darauf
gerichtet, sich den Geistern gleich zu heben; er hat sich ihnen zu
nähern gesucht und war durch dies Verlangen in ihre Sphäre eingedrungen;
hatte sich dadurch die Kraft der Anziehung erworben; so hat er endlich
den Erdgeist erfleht, beschworen. Er ist ihm erschienen, und nun liegt
er im Staub, windet sich gleich den Würmern. »Das erbärmliche Liegen im
Staube--und des Winden der Würmer«--damit vergleicht der Dichter dieses
Gefühl in einem Augenblicke, da ihm gewährt ward, was seinem Helden
versagt blieb: »schwebend im herrlich unendlich heiligen Ocean unsers
Vaters des ungreiflichen, aber des berührlichen.--Nennbare, aber
unendliche Gefühle durchwühlen mich--«[147]. Faust gewinnt die Kraft der
Erhebung wieder. Der Geist enthüllt ihm sein Wesen, aber er erkennt
darin nicht, weil er an ihr nicht Teil hat, die höchste Thätigkeit und
das, was sie erzeugt. Er hat wohl erkannt, daß er der Geist rastlosen
Lebens sei, allein nicht, daß dieses Leben, wie es das Wesen des Geistes
offenbart, zu dauernder, zielbewußter Thätigkeit zu steigern sei. Sein
Streben ist titanisch, aber seine Kraft nicht die des Prometheus! Sein
Geist hat sich noch nicht, wie Goethe es später nannte, zur Entelechie
entwickelt. Er gleicht nur seinem Geiste, nicht dem Erdgeiste. Denn um
ihn zu erkennen, müßte er er selbst sein[148]. Der Erdgeist
verschwindet, sobald Faust ihre Verschiedenheit ausgesprochen hat.

Es bleiben nur noch eine Reihe wichtiger Fragen zu beantworten, die in
sich zusammenhängen: Worin liegt es begründet, daß Faust sich zunächst
an die Geister des Makrokosmos und der Erde wendet? Bietet uns das
innere Leben des Dichters dafür einen Anhalt? In welchem Verhältnis
steht der Geist des Alls zu dem der Erde? Der Faust der Sage übergibt
sich dem Teufel, der des Dichters erhebt sich zu den Geistern, dem
Göttlichen. Diese Erhebung, die Sehnsucht, sich dem Göttlichen
unmittelbar zu nähern, ist einer der bemerkenswertesten Züge in der
Entwickelung des jungen Goethe. Er bedeutet in dem Gesamtbilde seines
Lebens eben nichts anderes als den Drang, die innewohnende Fähigkeit,
die er in dunklen Ahnungen in sich fühlte, auf das Höchste zu steigern
und auszubilden[149]. Schon frühe finden wir ihn in dem jungen Goethe
ausgeprägt. Bekannt ist die Erzählung am Ende des ersten Buches von
Dichtung und Wahrheit, wie der Knabe sich der Gottheit unmittelbar zu
nähern gesucht. Die üblen Folgen dieses Versuches konnten ihm damals
schon andeuten, wie gefährlich es überhaupt sei, sich Gott auf
dergleichen Wegen nähern zu wollen. In der seltsamen Weltanschauung, die
er sich in seiner alchemistischen Epoche bildete, ist es Lucifer, der
durch seinen Abfall von Gott den Geistern die süße Erhebung zu ihrem
Ursprung verkümmert. Dieses Streben, sich zu Gott zu erheben, offenbart
sich in dem Dichter in der verschiedensten Weise, als titanischer Drang,
Gott gleich zu schaffen und Schaffenslust zu genießen, aus dem
schäumenden Becher des Unendlichen zu trinken, dann wieder als
sehnsüchtige Liebe zu dem allliebenden Vater. Es ist die Religion des
Dichters.

    »In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
    Sich einem Höhern, Reinem, Unbekannten
    Aus Dankbarkeit freiwillig hin zu geben,
    Enträtselnd sich den ewig Ungenannten;
    Wir heißens: fromm sein«[150].

dichtet er später. In diesem Unendlichkeitsstreben macht sich aber das
Gefühl der Beschränkung geltend. Dazwischen wogt es im Innern des
Dichters auf und ab, bis er endlich wie Lucifer und Prometheus im
Hochgefühl der inneren Schöpfungskraft von Gott undankbar abfällt und in
sich selbst den höheren Ursprung zu finden glaubt, um aber bald wieder
die trotzige Erhebung gegen die Gottheit aufzugeben und sich wieder
seinem Ursprung zuzuwenden[151].

Dieser Grundzug seines Lebens tritt uns in der Dichtung des jungen
Goethe mannigfach entgegen. In Wanderers Sturmlied[152], das in der Zeit
nach dem Wetzlarer Aufenthalt gedichtet ist, zuerst und besonders
bemerkenswert, weil wir hier hinein blicken können in den inneren Kampf
des Dichterherzens zwischen dem Trieb der Erhebung und dem Gefühl seiner
Schwäche. Klagend empfindet er den Mangel innerer Wärme; er muß sein
Herz anfeuern, der Gottheit (Phoebus Apollo als Weltgenius) entgegen zu
glühen, damit nicht ihr Blick unbeachtend an ihr vorübergleite. Es liegt
darin also zugleich der Gedanke, daß die Erhebung für den Menschen nötig
sei, wenn er Gottes Mitwirkung erhalten solle[153]. In dem Fragment
Mahomet[154] von 1773 sucht der Held des Stückes den einen Gott, dem er
ungeteilt sein ganzes Gefühl weihen könne, in dem alles enthalten sei.
Sein liebendes Herz hebt sich dem Erschaffenden, und siehe, der Herr,
sein Gott, naht sich, freundlich zu ihm. In Mahomets Gesang[155] endlich
preist der Dichter in erhabenem Schwung den Menschen, der sich durch
nichts abhalten läßt, seinem Ursprung unaufhaltsam zuzueilen, der auf
seinem Siegeslaufe auch noch andere, deren gleichem Verlangen ihre Kraft
nicht entspricht, mit sich fortreißt und dem erwartenden Erzeuger
freudebrausend an das Herz trägt. Im Ganymed[156] (1773) ist es mehr die
sehnsüchtige Liebe des Unendlichen, wie sie auch die schöne Seele in
ihren Bekenntnissen zu ihrem Heilande fühlt, als kräftiges Hinstreben;
aber auch sie findet ihr Erhören; auch der Sehnende wird emporgetragen
zu dem Busen des allliebenden Vaters. Allein mit dem Verlangen nach
Erhebung verbindet sich leicht der vermessene Glaube, Gott gleich zu
werden, gleich ihm zu schaffen, gleich ihm die Wonne des Geschaffenen zu
fühlen. Du wirst sein, flüstert die Stimme des Versuchers im Inneren,
wie Gott. Der Kampf zwischen dem unendlichen Streben und dem Gefühl der
Einschränkung steigert sich, bis eine Art feindseliger Ruhe im Kampfe
eintritt. Der Mensch zieht sich in stolzer Kraft ganz auf sich zurück
und verschmäht trotzig alle göttliche Hilfe. Allein diese Aufwallung
legt sich bald; er beginnt sich zu resignieren, um den inneren Frieden
wieder zu gewinnen. »Denn auch der einzelne«, so bemerkt er später in
seiner Lebensgeschichte, »vermag seine Verwandtschaft mit der Gottheit
nur dadurch zu bethätigen, daß er sich unterwirft und anbetet«[157]. Die
spinozistische Gesinnung jedoch, die der junge Goethe in sich
aufgenommen hatte, war zu beidem angethan, einen rücksichtslosen
Individualismus zu schaffen und dann wieder unter Anerkennung der
Schranken der Endlichkeit sich in Liebe zur Gottheit zu erheben[158].

Kehren wir zu Faust zurück! Auch er hat das Streben, sich dem
Göttlichen, »den Geistern« gleich zu heben. Dazu sucht er sie zu
beschwören. Das erste, was er in dem Zauberbuche erblickt, ist das
wichtigste aller Zeichen, das des Makrokosmus. Der Geist des Makrokosmus
ist, wenn wir die Geisterterminologie, zu der den Dichter sein Stoff
nötigte, bei Seite lassen, die Gottheit des Weltenalls. Hier scheint nun
Faust Gelegenheit gegeben zu sein, sich ihr unmittelbar zu nähern. Macht
er, der sich ja als Ebenbild Gottes fühlt, und da er das Göttliche in
dem Zeichen erkannt hat, den Versuch, es zu thun? In welchem Verhältnis
steht er zur Gottheit? Es ist weniger die sehnende Liebe, wie sie im
Ganymed ihren Ausdruck findet, es ist, wenn auch nur verhüllt,
angedeutet, der Drang nach schöpferischer Kraft, die er aus dem Urquell
alles Seins zu schöpfen begehrt; aber gleich seinem Dichter fühlt Faust
bereits, daß ihm hier durch unmittelbare Annäherung an das Göttliche
keine Befriedigung winkt. Daher gibt er, zunächst sehnsüchtig klagend,
dann unwillig werdend, den Versuch auf. Faust vor dem Bilde des
Makrokosmus bietet uns also in kurzer Zusammenfassung den Gang einer
Entwicklung, die in seinem Dichter selbst vorgegangen war. Der erste
Monolog ist danach bereits auf einer Stufe gedichtet, da Goethe erkannt
hatte, sich unmittelbar dem Göttlichen zu nähern, sei ein vergebliches
Verlangen. Deshalb wendet sich sein Held unwillig gleich Prometheus von
ihm ab; er gibt es auf, mit dem Weltgeist selbst zu ringen[159].

Dem Geist des Irdischen wendet er sich zu; aus seinem Wesen schöpft er
sofort die Begeisterung, sich in das Leben zu wagen; mit anderen Worten,
wenn auch Faust noch nicht die deutliche Erkenntnis hat, grade auf
diesem Wege innerhalb der Grenzen der Menschheit zu seinem Ziele
gelangen zu können, so hat er doch das dunkle Gefühl, der Mensch sei
zunächst auf das Leben dieser Erde angewiesen. In dieser für Faust in
ihren wichtigen Folgen noch dunklen, dem Dichter schon klareren
Empfindung liegt das tiefe Problem[160],--es ist das Problem der ganzen
Dichtung--daß sich der Mensch eben dadurch, daß er im vollsten und
höchsten Sinne das Irdische erlebe, das Recht auf ein Fortleben auf
einer höheren Stufe, auf ein höheres Leben erwerbe. Dann braucht nur die
Gnade von oben die auf Erden im Leben begangene Schuld zu tilgen, und
gereinigt steigt er hinauf zu den Sphären der Liebe und reiner
Thätigkeit. Hier wurzelt also der edle Realismus des Dichters in Leben
und Kunst, der immer reiner und schöner predigt: Gedenke zu leben, laß
das Leben, wenn es durch deinen Busen hindurchgegangen ist, wieder rein
und treu entstehen; es wird nie des höheren Sinnes entbehren, stets nach
dem Höchsten weisen, zu ihm führen! Dieser tiefe Grundgedanke, der sich
durch seine ganze Dichtung zieht, wird in ihr aufs mannigfaltigste zum
Ausdruck gebracht; zum ersten Mal wohl am Schluß des schönen Aufsatzes
von deutscher Baukunst (1772). Wenn der Künstler das irdische Leben in
Arbeit und Genuß, in Begehren und Leiden genossen hat und irdischer
Schönheit satt, göttlicher aber wert geworden ist, dann erhebe er sich
zu ihr und mehr als Prometheus leit' er die Seligkeit der Götter auf die
Erde[161]! »Trachtet ihr, daß ihr Lebenskenntnis erlanget, euch und eure
Brüder aufzubauen«, ruft er in den biblischen Fragen aus[162]. Frei wie
Wolken, fühlt, was Leben sei! Stehn auf seinen Füßen, Der Erde
genießen--verkündet ganz in des Dichters Sinne Satyros[163], um jedoch
mit einem lächerlichen Mittel nach dem Ziele hinzuweisen. »Rasch ins
Leben hinein!« feuert er sich selbst an in der schönen Allegorie an
Schwager Kronos[164] (gedichtet am 10. October 1774). »Weit hoch,
herrlich der Blick Rings ins Leben hinein! Vom Gebirg zum Gebirg
Schwebet der ewige Geist. Ewiges Lebens ahndevoll«. Also auch hier
erscheint der Geist des Lebens. In diesem Leben, auf dieser Erde, muß
dem Menschen sein höchstes Ziel, die Ausbildung des Reinmenschlichen,
wodurch er einer höheren Stufe würdig wird, zu erreichen möglich sein.
Humanus scheidet erst, nachdem er ein Beispiel des Lebens gegeben und so
dafür gesorgt hat, daß sein Geist sich in allen verkörpert hat und
keines besonderen irdischen Gewandes mehr bedarf[165]. Das Beispiel des
Menschen lehre uns darum das Göttliche glauben[166]! Nicht mit den
Göttern solle sich der Mensch messen; denn hebt er sich aufwärts, dann
haften nirgends die unsicheren Sohlen; auf der wohlgegründeten,
dauernden Erde stehe er mit festen markigen Knochen, ohne sich indes
auch hier zu überheben[167]. Halber Trotz spricht dagegen noch aus dem
Gedichte Menschengefühl[168] und in noch herberen Worten drückt sich
endlich Faust selbst aus:

    Das Drüben kann mich wenig kümmern;

         *     *     *

    Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
    Und diese Sonne scheinet meinen Leiden[169];

und vor allem am Ende des zweiten Teils:

    Nach drüben ist die Aussicht uns verrannt;
    Thor, wer dorthin die Augen blinzend richtet,
    Sich über Wolken seinesgleichen dichtet!
    Er stehe fest und sehe hier sich um;
    Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.
    Was braucht er in die Ewigkeit zu schweifen![170]

Man sieht, wie mannigfach dasselbe Thema angeschlagen wird; aber überall
hören wir hindurch: Halte dich zunächst an das irdische Leben; hier ist
der Boden, auf dem der Mensch wurzelt; nicht aber verlange er mit
Überspringung dieses Lebens nach einem, das ihm hier noch nicht gegeben
ist. Diese Erkenntnis prägt sich auch im ältesten Faust aus, wenn sich
Faust unwillig vom Zeichen des Weltgeistes ab und dem Geist der Erde
zuwendet. Aber er wird von ihm verschmäht, da er sich ihm zu einer Zeit
gleichsetzt, wo er sein Wesen noch nicht völlig d.h. innerhalb den
Grenzen seiner menschlichen Natur erlebt hatte. Von hier aus haben wir
zum ersten Mal einen Ausblick, in welcher Weise sich das Faustproblem
weiter bilden mußte. Faust mußte hinaus in das Leben, um es in jedem,
also auch im höchsten Sinne zu erleben. Dazu sollte und mußte dann der
Teufel selbst schließlich sehr gegen seinen Willen beitragen. Er war es
grade, der ihn mit sich fortriß auf den ihm noch fremden Boden des
Lebens, im Wahne, ihn dort verderben und in seine Gewalt bringen zu
können:

    Ich macht ihm deutlich, daß das Leben
    Zum Leben eigentlich gegeben.

         *     *     *

    So lang man lebt, sei man lebendig![171]

Allein wenn auch Faust sich zunächst in schwerer Schuld verstrickte, so
gewann er doch wieder im Leben, wo er sie allein gewinnen konnte, die
Kraft zu einem höheren Leben. Aus der kummervollen Sphäre des ersten
Teils, ähnlich der, die der junge Dichter selbst durchlebt, erhob er
sich zu höheren Regionen in würdigere Verhältnisse[172]: Goethe wußte
daher wohl, was er sagte, wenn er kurz vor seinem Tode an Humboldt
schrieb (am 17. März 1832): Es sind über sechzig Jahre her, daß die
Conception des Faust bei mir jugendlich von vornherein klar, die ganze
Reihenfolge der Scenen hingegen weniger ausführlich vorlag.[173]

Es bleibt nun noch eine Frage zu beantworten: Weshalb erscheint der
Erdgeist in widerlicher Gestalt? Im Fragment ist zwar bereits diese
scenarische Bezeichnung getilgt, aber nicht Fausts Entsetzen.
»Schreckliches Gesicht« ruft er auch hier sich abwendend aus, nicht
minder das: »Weh, ich ertrag dich nicht.« Knüpfen wir zunächst an das
letztere an, so ist es klar, daß das Ungeheuere der Erscheinung auf
Faust einen niederdrückenden Einfluß ausüben mußte. Goethe selbst
erklärt, wie in seiner Jugend das Erhabene, das sein Gefühl formlos oder
zu unfaßlichen Formen gebildet hervorbrachte, ihn mit einer Größe
umgeben mußte, der er nicht gewachsen war[174]. Überhaupt lag es in
seiner Natur, daß er alle Eindrücke zu stark empfand, daher er sich
bemühen mußte, sich von dem Drang und Druck des Allzuernsten und
Mächtigen zu befreien, das in ihm fortwaltete[175]. In diesem
gesteigerten Empfindungsvermögen lag eben die Stärke und Schwäche seiner
dichterischen wie menschlichen Natur. Werther erliegt aus diesem Grunde
unter der Gewalt der Herrlichkeit der Natur, die ihm erschienen
ist[176]. Ähnliches konnte er auf der Sommerreise 1774 von Fritz Jacobi
erfahren, was er gewiß damals als etwas, das ihn auf das heftigste
erschüttert hatte, dem neuen Freunde nicht vorenthielt. Er schreibt
darüber später: »Es war nämlich jenes Sonderbare, eine von allen
religiösen Begriffen ganz unabhängige Vorstellung endloser Fortdauer,
welche mich in dem angezeigten Alter, (im achten oder neunten Jahre) bei
dem Nachgrübeln über die Ewigkeit a parte ante, unversehens mit einer
Klarheit anwandelte, und mit einer Gewalt ergriff, daß ich mit einem
lauten Schrei auffuhr und in eine Art von Ohnmacht versank.------«

»Der Gedanke der Vernichtigung, der mir immer gräßlich gewesen war,
wurde mir nun noch gräßlicher; und ebensowenig konnte ich die Aussicht
einer ewig dauernden Fortdauer ertragen.------Ohngefähr von meinem
siebenzehnten bis in mein dreiundzwanzigstes hatte ich mich in diesem
letzteren Zustande befunden, (er glaubte, die Erscheinung habe für ihn
das Fürchterliche verloren) als auf einmal die alte Erscheinung wieder
vor mich trat. Ich erkannte ihre eigene gräßliche Gestalt, war aber
standhaft genug, sie festzuhalten für einen zweiten Blick, und wußte nun
mit Gewißheit, sie war! Sie war, und hatte ein in dem Maße objectives
Wesen, daß sie jede menschliche Seele, in welcher sie Dasein erhielt,
gerade so wie die meinige afficieren müßte.------Seitdem hat diese
Vorstellung, ohngeachtet der Sorgfalt, die ich beständig anwende, sie zu
vermeiden, mich noch oft ergriffen. Ich habe Grund zu vermuten, daß ich
sie zu jeder Zeit willkürlich in mir erregen könnte, und glaube, es
stände in meiner Macht, wenn ich sie einige Male hinter einander
wiederholte, mir in wenig Minuten dadurch das Leben zu nehmen[177]«.

Es ist also einmal das Ungeheuere der Erscheinung, das Faust
niederdrückt und ihm dabei das Gefühl der eigenen Kleinheit gibt[178].
Damit aber verbindet sich, insofern dem Menschen enthüllt wird, was ihm
verborgen bleiben soll, das Schreckliche, Gräßliche. Es ist ein uralter
Glaube, daß die Erkenntnis des dem Menschen Verbotenen ihn mit Abscheu,
Schrecken, Widerwillen erfüllt. Der erste Mensch, der gegen Gottes Gebot
von dem Baum der Erkenntnis gekostet, scheut sich vor seiner eigenen
Blöße. Der Jüngling von Sais bleibt von Entsetzen gepackt, da er den
Schleier der Gottheit gelüftet[179]. Darum warnt Goethe selbst in dem
Gedichte »Genius die Büste der Natur enthüllend.«

    Bleibe das Geheimnis teuer!
    Laß' den Augen nicht gelüsten!
    Sphynxnatur, ein Ungeheuer,
    Schreckt sie dich mit hundert Brüsten.

Dazu der gute Rat, der auch Faust gilt:

    Suche nicht verborgene Weihe!
    Unterm Schleier laß das Starre!
    Willst Du leben, guter Narre,
    Sieh nur hinter dich ins Freie![180]

Dazu kommt endlich noch, daß für den Künstler Goethe des Ungeheuere
auch ein ästhetisches Unbehagen erzeugt. »Soll das Ungeheure«--meint er
später--nicht erschrecken; so muß es eine unnatürliche, scheinbar
unmögliche Verbindung eingehen, es muß sich das Angenehme
zugesellen[181]. Aus diesen Gründen also erscheint der Erdgeist, da ihn
Faust mit unnatürlichen, verbotenen Mitteln Gestalt anzunehmen gezwungen
hat, um ungeduldig eine Erkenntnis vorweg zu nehmen, die ihm erst im
Lebensgange erwachsen sollte, in schrecklicher, widerlicher
Gestalt[182].

Sobald aber der Geist verschwunden ist und Faust nicht mehr unmittelbar
unter dem Banne des Schrecklichen steht, endlich gar sich sein Famulus
Wagner angekündigt, denkt er nur noch daran, daß er gewürdigt worden
ist, den Geist zu schauen, daß bei der Erscheinung, wenn er sie auch
nicht völlig fassen konnte, ihm doch eine Fülle von Erschautem zu Teil
geworden ist. Daher fühlt er sich auch, da Wagner sich naht, noch tiefer
niedergedrückt wie durch des Geists Erscheinen[183]. Keineswegs ergreift
ihn das Gefühl der Überlegenheit über ihn, sondern nur das, daß er durch
ihn wieder zum Kleinlichsten und Beschränktesten der Menschennatur
herabgezogen werde in einem Augenblicke da er sich in der Fülle dessen,
was er gesehen hatte, zu verlieren sehnte.

Mit Recht konnte daher auch Faust die Erscheinung des Erdgeistes als
sein höchstes Glück bezeichnen[184], vor allem aber wegen des danach
erfolgenden Bundes mit dem Teufel. Der Widerwille des Dichters gegen
diese ihm von der Sage gebotene Weiterführung des Dramas drückt sich
aufs deutlichste in dieser bereits im Fragment mit V. 166 = 519
vorgenommenen Änderung aus[185]. Die Wendung des Motivs dahin, daß sich
Faust an Wagners Kleinheit[186] aufrichtet, gehört der Ausgabe von 1808
an. Der Übergang aber von der alten zur neuen Fassung dieses Motivs ist
noch deutlich. Das ursprüngliche Gefühl bricht durch in den Versen (606
f.):

    Darf eine solche Menschenstimme hier.
    Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?

Danach folgt der Übergang zu dem neuen, worauf sich dann das weitere
aufbaut:

    Doch ach für diesmal dank ich dir,
    Dem Ärmlichsten von allen Erdensöhnen.



Die Entstehungszeit des ersten Monologs und der Erdgeistscene.

Wann sind nun der erste Monolog und die Erdgeistscene gedichtet? Diese
Frage darf jetzt, da ihre Einheit erwiesen ist, für die ganze erste
Hauptmasse gestellt werden. Denn gerade das, was man als sich
widersprechend nachweisen wollte, deutet auf die innere Einheit im
Geiste des Dichters hin. »In der Poesie gibt es keine Widersprüche«[187].
Wie sich für den Schöpfer in der von ihm geschaffenen Welt nichts
widerspricht, so auch im Geiste des Dichters. In ihn sich zu versetzen,
ihn zu erkennen, ist die Aufgabe des, der seine Werke verstehen will. In
dem Dichter, in dem, was er gelebt, empfunden, erschaut, geahnt, ersehnt
hat, liegt auch der Schlüssel für das Verständnis seiner Dichtung. In
dem ersten Monolog und der Erdgeistscene ist keine Zeile, die der junge
Goethe nicht erlebt hätte, die nicht aus seinem lebendigen Gefühle
geflossen wäre, natürlich auch keine so, wie er sie erlebt hatte[188].
Wenn auch dem Sohne des aufgeklärten Zeitalters, dessen Auswüchse er
selbst bekämpft hatte, und dem er dennoch angehörte, auf Schritt und
Tritt die alte Sage widerstrebte, so kehrt doch der Dichter immer wieder
zu ihr zurück, und er ist so glücklich, aus seinem eigenen Leben den
Stoff nehmen zu können, womit er die alte Form erfülle, wie es scheinen
möchte, in dem Geiste der Überlieferung, in der That aber, indem er mit
seinem Geiste das Alte neu belebte. War das nicht mehr möglich, dann
brach die Dichtung ab. Denn Charakter und Thaten seiner Helden mußten
sich mit Charakter und Thaten in ihm amalgamieren, wenn ein Werk sich
völlig ausgestalten sollte[189].

Daher fragt es sich bei einem Werke Goethes immer: Wann waren diese
Gefühle bei dem Dichter in dieser Weise lebendig, daß sie zu Motiven
seiner Dichtung werden konnten? Wann rang er sich aus dem »Wirrwarr des
Gefühls« mehr und mehr zur Klarheit durch, um endlich durch die
Darstellung sich von allem Druck zu befreien und zu vollständiger
Gewißheit über das, was ihn bewegte, zu gelangen. Äußerliche, zufällig
überlieferte Entstehungsangaben fördern uns hier nicht viel; den Spuren
seiner Motive muß nachgegangen werden[190]. Dabei hilft uns, was wir vom
Leben des Dichters sicher und verbürgt wissen, vor allem aber seine
gleichzeitige Dichtung. Sie muß herangezogen werden, daß wir durch sie
einen sicheren Boden gewinnen; sie gibt uns die Entstehung, Entwicklung
und Ausbildung der Motive, die der Dichter immer wieder von neuem aus
seinem Inneren holt, um sie für seine Dichtung fruchtbar zu machen. Dann
können wir mit Bestimmtheit erklären: Um diese Zeit hat der Dichter
diese Anschauung in sich in dieser Weise ausgebildet. Die Stelle ist
also damals geschrieben. Das, was er geschaffen, ist das lebendige Kleid
des dichterischen Geistes, das er sich selbst immer von neuem wirkt. Aus
dem wechselnden Gewand müssen wir auf den Geist des Dichters schließen
und in die Tiefen seiner Entwicklung eindringen.

Da nun im vorigen Schritt für Schritt die Entstehungsmotive aufgedeckt
sind und sich aus dem von selbst sich aufdrängenden Vergleich mit der
übrigen Dichtung des jungen Goethe, zumal da wir über ihre Entstehung
besser unterrichtet sind, ein bestimmter Anhalt gewinnen ließ, so ist
die Frage über die Entstehung der ersten Hauptmasse schon beantwortet.

Vor allem sprang uns der charakteristische Zusammenhang mit Werthers
Leiden in die Augen. Wir wissen, daß dieser Roman schon Ende 1773
geplant war, daß er aber erst Anfang 1774, als die eigentümlichen
Lebensumstände des Dichters selbst dafür sorgten, zur Ausführung
kam[191]. Auch bei Werther erscheint der Unendlichkeitsdrang, aber nur
als ein ungeheurer Hintergrund; auch er will sich Gott gleich heben, um
Schaffenslust zu genießen; aber für ihn ist dies Streben eine Zeit, die
hinter ihm liegt. Ihm ist von vornherein nicht die Kraft gegeben, es zu
verwirklichen. Er fühlt den titanischen Drang des Übermenschen in sich,
aber nicht seine Stärke. Er, dessen Geist nach dem Unendlichen griff,
wird von einer Leidenschaft gepackt, die ihn ganz ausfüllt, die ebenso
endlos werden muß, wie sein früheres Streben. Und auch jetzt wird ihm
keine Befriedigung. Ein Versuch, sich durch Thätigkeit zu befreien,
mißlingt in der Enge des bürgerlichen Lebens, schneidet ihm dies
Rettungsmittel ab und vermehrt noch den Druck der Einschränkung. Er
befreit sich durch den Tod. Der geniale, nach dem Höchsten ringende
Mensch stellt sich hier im bürgerlichen Kleide des 18. Jahrhunderts dar;
allein er sollte nicht einmal in dem kleinen Leben die Befriedigung
finden, die es sonst seinen Angehörigen, so seinem glücklichen
Nebenbuhler, gab. Zugleich wird ihm die Enge dieses Lebens beschämend
dargethan;--auch ein bürgerliches Drama. Vielleicht hat auch Goethe
ursprünglich die Absicht gehabt, eines daraus zu machen[192]. Zunächst
hatte er aber überhaupt nicht die Idee aus dem Sujet ein einzelnes Ganze
zu machen. Seine Absicht war also den Grundgedanken des Werther,
unendliches Streben im Kampfe mit menschlicher Einschränkung und seine
Folgen, im Faust darzustellen, der ihn ja, wie wir aus Gotters Versen
wissen, in jener kritischen Zeit beschäftigte. Das Leben brachte es
anders; es schuf den unglücklichen Bruder Fausts, der frühe zu Grunde
ging. Es war das ein großer Vorteil für den Dichter; was er im Werther
weitläufig dargestellt hatte, brauchte hier nur, insofern sie
wesensgleich waren, angedeutet zu werden. Allein Fausts Lebensgang
sollte weitergeführt werden. Sein unendlicher Drang, der nach
Befriedigung verlangte, durfte nicht nur als Hintergrund seines Lebens
erscheinen: er durfte nicht völlig etwa in einer Leidenschaft aufgehen;
er mußte der Faden der Handlung bleiben, selbst da, wo er verloren
gegangen zu sein schien. Faust durfte nicht im kleinen Leben untergehen,
er mußte hinaus in die Welt, ins Leben! Auch ihn faßt das Gefühl der
Unbefriedigung und der kläglichen Enge seines Lebens; er verwünscht sein
Leben, aber nicht das Leben überhaupt; er ist von gesünderer
Konstitution als sein unglücklicher Bruder. Ihm schwindet nie die
innere Kraft, wenn er sie auch nicht immer, im dunklen tappend,
anzuwenden weiß. Er fühlt den Mut zum Leben!

Aus alledem darf der Schluß gezogen werden, daß die erste Hauptmasse des
Faust nach dem Werther gedichtet ist, daß gerade der Werther die innere
Arbeit am Faust unterbrach, die erst nach seiner Vollendung wieder
aufgenommen ward. Die erste Hauptmasse ist also frühestens im Jahr 1774
gedichtet.

Dazu stimmt auch völlig, was, wie wir gesehen haben, von religiöser und
künstlerischer Anschauung und überhaupt von seiner Lebensanschauung hier
dichterischen Ausdruck gefunden hat. In seinem Verhältnis zu dem
Göttlichen offenbart sich die Erkenntnis, daß eine unmittelbare
Annäherung unmöglich, dem Schmachtenden nicht vergönnt sei, aus dem
Urquell des Lebens selbst sich schöpferische Kraft zu holen. Darum
wendet er sich unwillig von der Gottheit ab. Der Zusammenhang mit der
Gefühlswelt, der der Prometheus entsprungen ist, ist hier deutlich. Auch
er wendet sich im heftigen Unwillen von den Göttern ab, da er sieht, daß
sie ihm nichts geben können; aber er sucht alsdann in seinem Stolz alles
in sich. Das thut Faust nicht. Der prometheische Trotz erscheint also
hier schon überwunden. Auch in dem Drama Prometheus, das Ende 1773
gedichtet ist[193], ist der schließliche Sieg der Gottheit über den
Empörer im voraus angedeutet. Mag sich daher auch Faust in
prometheischem Unwillen abwenden, so erhebt er sich doch nicht in
prometheischem Trotz gegen das Göttliche. Daß sich aber diese übermütige
Aufwallung, die sich in stolzer Konzentration in sich gegen die Gottheit
verschloß, so bald gelegt hatte, dazu trug nicht zum geringsten bei, daß
der junge Goethe von neuem an die Grenzen menschlichen Vermögens
erinnert worden war, bei seinen Versuchen auf dem Gebiete der bildenden
Kunst, mit der er sich ernstlicher in den Jahren 1773/74 beschäftigte,
einer Zeit, da das Dichten und Bilden unaufhaltsam mit einander
ging[194]. Wir wissen, wie er in eigentümlicher Verkennung seiner
Fähigkeiten daran glaubte, zum bildenden Künstler geschaffen zu sein.
Damals schlägt ihm das Herz, da er zum ersten Mal in Öl zu malen
beginnt: »Mit welcher Beugung, Andacht und Hoffnung, drück ich nicht
aus, das Schicksal meines Lebens hängt sehr an dem Augenblick[195].«

Die nach Schöpfungskraft verlangenden Kunstgedichte dieser Zeit drücken
dieselbe Sehnsucht im besondren Fall aus, die im Faust ins allgemeine
gezogen ist; im einzelnen haben wir eine innere Übereinstimmung gefunden
mit der wohl erst 1775 niedergeschriebenen kleinen Abhandlung: Nach
Falkonet und über Falkonet. Endlich weist uns die Weltanschauung, wie
sie der Dichter in dem Verhältnis des Erdgeistes zum Weltgeist und im
Wesen des ersteren selbst geoffenbart hat, auf eine Zeit reiferer, nach
und nach im Lebensgange gewonnener Erkenntnis hin. Es ist der Gedanke,
daß das unbedingte Streben des Menschen innerhalb des Lebens auf dieser
Erde in zielbewußter Thätigkeit das Höchste zu leisten versuche und
nicht etwa in thörichtem Ansturm gegen die Schranken menschlicher
Bedingtheit seine Kräfte unnütz verbrauche, womit sich denn für das
Gedicht eine unendliche Perspektive eröffnete.

Ferner ist wohl nicht an der Thatsache zu zweifeln, daß Goethe das
Zeichen des Makrokosmus Herdersche Gedanken der ältesten Urkunde an die
Hand gaben und es ihm ermöglichten, alchemistische Anschauungen seinem
Denken gemäß darzustellen. Das Buch Herders, für das Goethe wie Merck
die größte Teilnahme zeigten, ist Ostern 1774 erschienen[196]. An eine
spätere Einschiebung der Verse 86-93 = 439-446 darf natürlich nicht mit
Scherer bei dem gerade hier ganz eigentümlichen Zusammenhang in den
Versen 77-93 = 430-446 gedacht werden. Von einem Sichwiederholen in der
schönen Gedankenfolge ist ebenfalls keine Rede[197]. Scherer ist
übrigens nur zu dieser Annahme gekommen, weil er eine spätre Mitteilung
Goethes zu stark gepreßt hat. Er schreibt am 11. Mai 1820 an Zelter über
Satyros: »Er fällt mir ein, da er eben ganz gleichzeitig mit diesem
Prometheus in der Erinnerung vor mir aufersteht, wie du gleich fühlen
wirst, sobald du ihn mit Intention betrachtest. Ich enthalte mich aller
Vergleichung; nur bemerke, daß auch ein wichtiger Teil des Faust in
diese Zeit fällt«. Daß zu diesem wichtigen Teil des Faust vor allem die
erste Hauptmasse zu rechnen sei, hat man mit Recht angenommen.

Prometheus ist nun allerdings im Jahre 1773 gedichtet, aber Satyros
gehört in seiner endgültigen Fassung, wie er in Goethes Werken steht,
sicher erst in den Sommer 1774. Denn der Satyros oder der vergötterte
Waldteufel, diese Satire auf die Geniefrechheit, ist zugleich auch ein
Spott auf die prometheische Überhebung. Er steht also zeitlich dem Faust
näher als Prometheus, wofür sich auch im weitren noch Anzeichen finden
werden. Goethe selbst behauptete zwar in einem Gespräche mit der
Fahlmer, er sei schon vor ihrer Abreise fertig gewesen[198]; es ist aber
offenbar auch hier der Fall, was ein günstiges Geschick so oft bei
seinen Schöpfungen eintreten ließ, daß im Fortgang des Lebens seinen
dichterischen Plänen immer reicherer Stoff dargebracht wurde. So hat
unbedingt die Bekanntschaft mit Basedow im Sommer 1774, auf den und
nicht etwa gar auf Herder Satyros gedeutet werden muß, den Anlaß zu
einem lebenswahreren Bilde des Helden und damit zur eigentlichen
Vollendung des Werkes gegeben. Prometheus war der tiefernste Erguß eines
sich mächtig erhebenden Gefühls nach Zeiten schweren Drucks. Auf
demselben Boden wurzelt auch Faust. Satyros dagegen ist der Spott über
genialische Anmaßung überhaupt, die aus der Tendenz nach unmittelbarer
Natur entstehen mußte, ein Spott, der um so stärker in ihm rege ward,
wenn er sich umschaute und sah, wie sein eignes Streben sich in andren
ihm verzerrt entgegenstellte. Das Drama ist also aufzufassen als die
Satire über das Genietreiben der Zeit, das sich auf verschiedene Weise
in verschiedenen offenbarte. Individuelle Züge bot ihm das Leben dazu in
Fülle, die er jedoch nie so benutzte, daß etwa seine Gestalten gar
portraitartige Abbilder derer geworden wären, die ihm dazu gestanden
hatten. Genie kämpft hier mit sich selbst[199]. Daher bricht auch durch
das Zerrbild das reine Bild wahrer Genialität öfters in ergreifender
Weise durch; denn das Genie selbst hat die Satire geschrieben, nicht
Nicolai.

Nach alledem darf also angenommen werden, daß der erste Monolog und die
Erdgeistscene im Jahre 1774 gedichtet sind, nach dem Werther, nach dem
Erscheinen der ältesten Urkunde, nach der Rheinreise und der
Bekanntschaft mit Jacobi. Am 13. August war Goethe wieder heimgekehrt.

Die Stimmung der dieser Reise folgenden Zeit, in der auf die Tage
toller, überschäumender Lebenslust wieder ein Rückschlag eintrat, paßt
vortrefflich zu dem eigentümlichen wehmütigen Tone jener ersten Scenen.
Selbst aus den satirischen Hervorbringungen dieser Zeit weht ein andrer
Hauch als aus den Keckheiten der Fastnachtspiele von 1773. Die
empfindsame Grundstimmung kommt wieder mehr zum Vorschein, denn auch mit
Werther war sie nicht ganz beseitigt; nur ihre schlimmsten Folgen waren
zu eigener Warnung geschildert. Sie kehrte periodisch wieder; gehörte
sie ja doch zu der inner eigensten Natur des Dichters[200]. Ebenso zeigt
sich damals das Zurückkommen vom Überschwang des Titanismus. Auf beides
weisen uns die Briefe jener Tage. Am Tage der Heimkehr schon schreibt er
an Jacobi: »Ich schwebe im Rauschtaumel, nicht im Wogensturm, doch ists
nicht eins, welcher uns an Stein schmettert? Wohl denen, die Thränen
haben[201].« In einer solchen Stimmung hätte auch ihn der Erdgeist
verschmäht. Daß der prometheische Trotz der Konzentration auf sich
allein gewichen ist, zeigen die folgenden Worte aus einem Briefe an
Jacobi vom 21. August: »daß zwar herrlich ist selbstständig Gefühl, daß
aber antwortend Gefühl wirkender macht, ist ewig wahr, und so dank
deinem guten Geist und so wohl unsern Geistern, daß sie sich
gleichen[202].« In diesem Gefühle zog sich sein Faust nicht auf sich
selbst zurück, sondern wandte sich dem Erdgeist zu, im Glauben, ihm zu
gleichen. Am 24. August schreibt er an Sophie La Roche: »Was ist das
Herz des Menschen? sind der wirklichen Übel nicht genug? Muß es sich
auch noch aus sich selbst phantastische schaffen! Doch was klag ich! Die
Unruhe und Ungewißheit sind unser Teil und lassen Sie uns die tragen mit
Mut, wie ein braver Sohn, der die Schulden seines Vaters übernommen
hat[203].«

Am 31. August richtet er an Jacobi die schönen Worte, wie der Mensch
sich nicht schweifenden Geistes an den Schöpfungen anderer genügen
lassen dürfe, sondern selbst für seinen Teil thätig sein müsse »in
herzlich wirkender Beschränkung[204]«. Am 15.(?) September klagt er
wieder der Freundin: »ich muß die Welt lassen, wie sie ist, und dem
heiligen Sebastian gleich, an meinen Baum gebunden, die Pfeile in den
Nerven, Gott loben und preisen[205]. Was wird aus mir werden?« ruft er
aus[206]. »Ich bin stürmisch, verworren, und hafte doch nur auf wenig
Ideen.« schreibt er am Anfang des October[207]. Am 10. October ist nach
seiner Angabe die schöne Allegorie an Schwager Kronos gedichtet. Die
Zeit, die im Prometheus als allmächtige Gottheit, als Herr der Götter
und Menschen erscheint, wie sie auch Pindar den Herrn aller nennt, die
seinem Erdgeist der sausende Webstuhl ist, an dem er das Kleid der
Schöpfung wirkt, ist ihm hier Führer des Lebenswagens. Rasch ins Leben
hinein! ruft er ihm zu; aber der Gedanke an den Untergang drängt sich
ihm auch hier auf. Er fühlt Mut zum Leben und zum Sterben, wie sein
Faust. Am 15. Oktober aber berichtet bereits Boie: »Sein Dr. Faust ist
fast fertig und scheint mir das Größte und Eigentümlichste von allem.«
Bald danach hält er wieder Einkehr in sich, wie später seine Iphigenie
in der höchsten Gefahr[208]: »Ich lag zeither stumm in mich gekehrt und
ahndete in meiner Seele auf und nieder, ob eine Kraft in mir läge, all
das zu tragen, was das eherne Schicksal künftig noch mir und den
meinigen zugedacht hat; ob ich einen Fels fände, wohin ich im letzten
Notfall mich mit meiner Habe flüchtete[209].« Das Schicksal kam ihm am
Ende des Jahres von selbst zu Hülfe. Seit dem 11. Dezember 1774 richtete
sich sein Blick mehr und mehr nach Weimar. Sollte es ihm gelingen, aus
seiner kleinen Welt hinauszukommen in eine größere?

Über die Sprache der ersten Hauptmasse kann hier im einzelnen nicht
abgehandelt werden; im allgemeinen ist es, da sie großenteils ein
unmittelbarer lyrischer Erguß gegenwärtiger Gefühle Fausts ist, auch die
Sprache lebendiger Empfindung, wie sie sich besonders in der Frankfurter
Zeit unter dem Einfluß von Klopstocks und Herders Empfindungssprache
entwickelte und ihren Höhepunkt in Werthers Leiden erreichte: Sie ist
reich an bestimmten Wendungen, Lieblingsausdrücken, Attributen, durch
deren Gebrauch sie ihr eigentümliches, selbst formelhaftes Gepräge
erhält. Hier sei nur auf einzelne Eigentümlichkeiten hingewiesen, die
grade für die Entstehungszeit der ersten Scenen bemerkenswert sind. Es
ist dies die Anwendung des Wörtchens »all« in unflektierter Form, das
grade in Werthers Leiden in überreichem Maße angebracht ist. Goethe hat
es hier wie dort bei der ersten Herausgabe seiner Werke teils getilgt,
teils durch die flektierte Form oder anderswie ersetzt. Sechsmal hat es
der Dichter im Anfang des Faust verwertet: V. 17 = 370 »all Freud«,
später »alle Freud'«--V. 43 = 396 »von all dem Wissensqualm« (von
allem).--V. 49 = 402 »von all dem Bücherhauf« (mit [von] diesem
Bücherhauf). V. 61 = 414 besonders charakteristisch: »statt all der
lebenden Natur« (statt der lebendigen Natur).--V. 82 = 435 »all das
innere Toben« (das i. T.)--V. 112 = 462 »All Erden Weh und all ihr
Glück« (der Erde Weh, der Erde Glück).

Erwähnenswert ist auch das Zeitwort »erwühlen« in V. 127 = 479. Das
zusammengesetzte Wort kommt in übertragener Bedeutung nur hier beim
jungen Goethe vor[210]. Das einfache ist dagegen ein Lieblingswort des
Dichters auch noch in späterer Zeit; aber vor dem Jahre 1774 läßt es
sich bei ihm nicht nachweisen, während das Substantivum Gewühl sich
schon in den Mitschuldigen findet[211]. In den Briefen erscheint es erst
seit 1775: Br. 2. N. 286 an Gräfin Stolberg vom Januar 1775. S. 230:
»wenn das Bild des Unendlichen in uns wühlt;« und in Nr. 363 vom 26.
October an dieselbe das Compositum durchwühlen; dagegen lesen wir es
öfters in den Gedichten von 1774: »hingewühlt« d.j.G. 3. 161. wühlen 3.
162. durchwühlend. 3. 170.--in Erwin (1775) wühlenden. 3. 512.--ebenda:
Wühlen 3. 521. in Stella (1775) durchwühlen. 3. 640.--Zu »eratmend« V.
134 = 186 vergl. d.j.G. 3. 159. (3. 180. wohler atmend?)--zur Erklärung:
Br. 2. Nr. 83. S. 8. 20 ff.--



Leben.

Der Verfasser dieser Abhandlung, Josef Collin, ist am 2. Februar 1864 zu
Mainz geboren; er besuchte in den Jahren 1873-1881 das Gymnasium seiner
Vaterstadt und bezog alsdann die Universität Gießen, um sich dem Studium
der alten Sprachen, des Deutschen und der Geschichte zu widmen. Seine
Gießener Studienzeit, die nur durch einen Aufenthalt an der Berliner
Hochschule im Sommersemester 1883 unterbrochen wurde, schloß Anfang 1886
mit bestandener Lehramtsprüfung ab. Nachdem er hierauf am Gymnasium zu
Mainz sein Probejahr beendet und danach seiner militärischen
Dienstpflicht genügt hatte, fand er an dem Gymnasium zu Darmstadt und
später für längere Zeit an dem zu Laubach Verwendung. Herbst 1891 ward
ihm auf sein Nachsuchen ein halbjähriger Urlaub zur Fortsetzung seiner
Studien in der deutschen Sprache und Litteraturgeschichte auf der
Landesuniversität gewährt, nach dessen Ablauf er am Realgymnasium zu
Gießen verwendet ward. Daselbst ward er Dez. 1892 fest angestellt. Gern
benutzt er die Gelegenheit, da er zum ersten Mal mit einer
wissenschaftlichen Arbeit vor die Öffentlichkeit tritt, seiner verehrten
Lehrer, der Herren Professoren Bratuscheck, Braune, Clemm, Kirchhoff,
Oncken, Paulsen, Philippi, Roediger, Schiller, Schmidt, Siebeck
dankbaren Sinns zu gedenken und zuletzt Herrn Prof. Behaghel für die ihm
während seines Urlaubs erwiesene Teilnahme und Förderung seinen Dank
auszusprechen.

Collin.

       *       *       *       *       *

FUSSNOTEN:

[1] Vergl. Düntzer. Neue Beiträge zur Goetheforschung 1891. S. 153 ff.

[2] Werke Bd. 14.--G. F. in ursprünglicher Gestalt nach der
Göchhausenschen Abschrift herausgegeben von E. Schmidt. Zweiter Abdruck.
Weimar, Böhlau 1888.

[3] W. Bd. 14. S. 290 ff.

[4] F. ein Fragment von Goethe, herausgegeben von W.L. Holland.
Freiburg. 2. Aufl. 1882, und v. B. Seuffert, D. Litteraturdenkmale des
18. u. 19. Jahrh. N. 5.--W. Bd. 14.

[5] Das Volksbuch von Dr. Faust (1587). Neudrucke deutscher
Litteraturwerke des 16. und 17. Jahrh. N. 7 u. 8.--Das Faustbuch des
christl. Meinenden. D. Litteraturdenkmale. N. 39.

[6] Herausgeg. von Engel.

[7] W. Bd. 11.

[8] Br. 2. N. 148. S. 85.

[9] D.j.G. 2. S. 28 ff.

[10] Vergl. z.B. Sauer in der Einleitung zu »Stürmer und Dränger«
(Deutsche Nationallitteratur, herausgegeben von J. Kürschner, Bd. 79 1.
S. 29 f.)

[11] D.W. T. 2. B. 10. W. Bd. 27 S. 321.

[12] W. Bd. 4 S. 347.

[13] Vergl. auch Minor u. Sauer, Studien zur Goethephilologie S. 77.

[14] D.W. T. 2. B. 8. W. Bd. 27. S. 203 ff. und Ende des 8. Buches.

[15] Noch kräftiger drückt sich der gleichzeitige Satyros aus: Kein
Mensch ist so weis' und klug als ich. (D.j.G. III. 477.)

[16] W. Bd. 2. S. 1. ff.

[17] Br. 2. N. 85. an Herder. Ende 1771. (S. 11.)

[18] Vorzüglich auf das Motiv der äußeren Beschränkung gründet sich die
zur Zeit der dritten Faustbeschäftigung gedichtete Ballade »Der
Schatzgräber«. Es ist überhaupt zu beachten, wie sich auch damals die
Arbeit am F. in der übrigen Poesie abspiegelt.

[19] D.j.G. 3. S. 242 f.

[20] a.a.O. 3. S. 198 ff.

[21] Br. 2. X. 208. S. 147 f.

[22] Gespr. Bd. 7. S. 10.

[23] D.j.G. 3. 690.

[24] Vergl. auch Goethe in Lavaters Physiognomik: Und so begierig der
Mensch zu sein scheint, die wahre Beschaffenheit eines Dings und die
Ursachen seiner Wirkungen zu erkennen, so selten wirds doch bei ihm
unüberwindliches Bedürfnis. (V.d.H. S. 40.)

[25] D.j.G. 3. 157. In eine Zeichenmappe. An Merck.

[26] Dazu das spätere Epigramm: Problem. W. 2. 272.

[27] Aufsätze über Goethe S. 315. G. I. 6. (1885.)

[28] Scherer a.a.O. S. 315.

[29] D.j.G. 3. 327.

[30] Man vergl. Goethe in Lavaters Phys. 1. Zugabe: (v.d.H. S. 83.) Was
den Menschen umgibt, wirkt nicht allein auf ihn, er wirkt auch wieder
zurück auf selbiges, und indem er sich modificieren läßt, modificiert er
wieder rings um sich her. So lassen Kleider und Hausrat eines Mannes
sicher auf dessen Charakter schliessen. Die Natur bildet den Menschen,
er bildet sich um, und diese Umbildung ist doch wieder natürlich; er,
der sich in die große, weite Welt gesetzt sieht, umzäunt, ummauert sich
eine kleine drein und staffiert sie aus nach seinem Bilde.--(Das ist
deine Welt, das heißt eine Welt!)--Herder W. 1. 249. von dem Kritiker:
als ein zweiter Pluto bewacht er altes angeerbtes Gerät und ehrwürdigen
Auskehricht der Litteratur: u.s.w.--vergl. auch noch D.j.G. 3. 690.--

[31] Durchaus nicht beachtet hat ihn z.B. Gwinner, Goethes Faustidee
u.s.w. Frankfurt a.M. 1892. Er hält gerade das für die Grundidee des
Goethischen Faust, was viel eher die des F. der Sage zu nennen wäre!

[32] Neue Faustkommentare; in d. Aufs. über G. S. 278.

[33] F. 2. Teil. V. 11404 ff. (Bd. 15. 1. S. 307.)

[34] Dies übersieht z.B. K. Fischer. (Goethes Faust nach seiner
Entstehung, Idee und Komposition; 2. Aufl. Stuttg. 1887.) Er läßt die
Sage zu wenig zu ihrem Recht kommen und betont allzu stark und zu
formelhaft den Grundgedanken dieser doch episodischen zweiten Partie.
(S. 430 ff.) Von hier aus allein darf aber Fausts Charakter nicht
aufgefaßt werden, wenn sie auch zur Charakteristik des Dichters
besonders wertvoll ist.

[35] Betrachtungen über Faust a.a.O. S. 311 ff.

[36] A.a.O. S. 323.

[37] Die neue Ausgabe des Faust von Calvin Thomas, (Boston, 1892) der
sich in seiner Einleitung ebenfalls gegen Scherer wendet, konnte hier
noch nicht benutzt werden. (Vergl. Geigers Anzeige in der Beilage zur
Allgem. Zeitg. 1892. N. 253.)

[38] So faßt es auch z.B. noch Graffunder, Preuß. Jahrb. 68. S. 717.

[39] Vergl. Minor u. Sauer, Studien zur Goethephilologie S. 77 ff.

[40] D.j.G. 2. 11.

[41] a.a.O. 2. 29.

[42] F. V. 1141 f. = 3449 f.--S. 82. Z. 55 f.--S. 227. Z. 68.

[43] D.j.G. 2. 4.

[44] a.a.O. 3. 434.

[45] a.a.O. 3. 237.

[46] a.a.O. 3. 298. 373.

[47] a.a.O. 3. 629.

[48] a.a.O. S. 310 f.

[49] Wagner. 2. 9.

[50] D.j.G. 3. 690., man vergleiche auch die sinnverwandte Stelle in
Stella 3. 665.--es ist so licht, so offen um mich her, und ich freue
mich des!--Er ist wieder da! Und in einem Wink steht rings um mich die
Schöpfung lebevoll und ich bin ganz Leben--

[51] D.j.G. 3. 169.--Br. 2. 266 a vom 4. Dez. 1774.--

[52] D.j.G. 3. 689.

[53] W. 6. 193 ff.

[54] Br. 2. 231. S. 172 f. vergl. auch 2. 228. S. 169 vom 16. Juni 1774.

[55] Aus Goethes Frühzeit; Q. F. 34. S. 71 ff.

[56] W. 6. S. 258.

[57] a.a.O. S. 267.

[58] a.a.O. S. 269.

[59] a.a.O. S. 293.

[60] Wagner. 1. S. 10. vom Oktober 1770.

[61] W. 6. 298.

[62] a.a.O. S. 298.

[63] a.a.O. S. 339.

[64] a.a.O. S. 340 f.

[65] a.a.O. S. 351.

[66] a.a.O. S. 471. 484.

[67] Man vergl. hierzu aus Künstlers Erdewallen die Verse:

    Aurora, wie neukräftig liegt die Erd um Dich,
    Und dieses Herz fühlt wieder jugendlich,
    Und mein Auge, wie selig Dir entgegen zu weinen.

D.j.G. 3. 198. Jacobi in seinem Allwill macht diese zur Mode gewordene
Verehrung der Morgenröte auch mit. Br. vom 8. März; Ausg. v. 1812. Bd.
1. S. 25 f.--Was den Weisen betrifft, so ist natürlich an keine
bestimmte Person zu denken, nicht etwa an Herder, wie Scherer thut. Was
bei Goethe der Weise ist, ist bei Herder Gott selbst. Es ist nur eine
Wendung, wie sie auch Goethe sonst gebraucht; vergl. d.j.G. 3. 487. Der
Weise sagt:--Der Weise war nicht klein--Nichts scheinen, aber alles
sein.

[68] Vergl. D.u.W. 2. T. B. 8. (Werke 27. 204 f.): Mir wollte besonders
die Aurea Catena Homori gefallen, wodurch die Natur, wenn auch
vielleicht auf phantastische Weise, in einer schönen Verknüpfung
dargestellt wird;----

[69] W. 6. 380.

[70] W. 27. 204.

[71] Graffunder: Der Erdgeist und Mephistopheles in Goethes Faust.
(Preuß. Jahrb. 68. S. 705.)

[72] Mit Unrecht wirft ihm Scherer Mangel an malerischer Anschaulichkeit
vor; er hat übersehen, daß hier nicht, wie in den vorhergehenden Versen,
von dem Weltall selbst, sondern nur von einer bildlichen Darstellung
seiner Harmonien die Rede ist. (Herder im Faust. Aus G. Frühzeit S. 74.)

[73] a.a.O. S. 73.

[74] D.j.G. 3. 483 f.

[75] Den Gegensatz, dessen sich Faust hier bewußt wird, bezeichnet der
Goethe geistesverwandte Herder so:--aber das ist doch alles nur totes
Bild. Witz einer schönen Vergleichung--wenns Leben, Anschauen,
unmittelbares Gefühl der allwirkenden Gottheit sein konnte. W. 6. S.
221.

[76] Das Bild hat also durchaus nichts Widerwärtiges.

[77] D.j.G. 3. 168.--Vergl. zu diesen Ausführungen auch Gwinner a.a.O.
S. 182 f.--

[78] D.j.G. 3. 173.

[79] Br. 2. N. 266. vom 5. Dez. 1774.

[80] D.j.G. 3. 291.

[81] D.j.G. 3. 181.

[82] D.j.G. 3. 331.

[83] Br. 2. S. 266.

[84] Paralipomena 1 (W. 14. 287.)--Vergl. Harnack, Vj.-schr. f.
Littgesch. 4. 169.--Pniower, ebenda 5. 408 ff.

[85] Hier ist die Grundlage des M. zu suchen, nicht wie Graffunder
meint, in den alchemistischen Werken; (a.a.O. S. 704 f.) ihre
Vorstellungen verbinden sich mit denen Goethes dann weiterhin um so
besser, da sie ja auch dieselbe Quelle hatten.

[86] D.j.G. 3. 695.

[87] A.a.O. 3. 290 f.

[88] Sehr bezeichnend ist für V. 438 die spätere Einschaltung: rings um
mich her, während Faust ursprünglich so wenig wie Werther sich auf die
rings umgebende Natur beschränkte, sondern ihr Blick von da aus
weiterschweifte über das All der Schöpfung.

[89] D.j.G. 3. 291.

[90] Von deutscher Baukunst. D.j.G. 2. 209 f. Man vergl. auch in
Künstlers Erdewallen den Künstler vor dem Bild der Venus Urania:

    Meine Göttin, deiner Gegenwart Blick
    Überdrängt mich wie erstes Jugendglück,
    Die ich in Seel und Sinn, himmlische Gestalt,
    Dich umfasse mit Bräutigams Gewalt.

Bewerkenswert ist auch hier eine Stelle aus Jacobis Allwill, (Br. Nr.
16. vom 30. März. S. 147 f.) die offenbar nach Herderisch-Goethischer
Vorlage geschaffen ist. Allwill begeistert sich hier am Anblick einer
Linde:

Erquickendes Grün, die lieblichste Farbe im schönsten Wechsel, tanzend
und spielend mit dem Lichte.--Das ist es--ja das, und weiter nichts, was
deinen Blick an diese leise wehende Lindenkrone heftet; was mit sanftem
Entzücken deinen Busen füllt; in dir alle Regungen der Liebe weckt, und
dich begeistert! Das und weiter nichts?... Jener Leben und Liebe
erweckende Schein, eine Schrift ohne Sinn und Sprache? Davon klopfte mir
so das Herz, drängte mich so mein Geist, heiterte sich mein ganzes
Wesen, daß ich leere Züge ohne Bedeutung anschaute?------du winkest mir
aus deiner Herrlichkeit auf jene Blätter im Erstreben ihres höchsten
Daseins, wie sie längs den saftvollen Ästen in jugendlicher,
kraftvollster Gestalt sich brüsten--du winkest... O, höher schlägt mir
das Herz, fröhlicher schwingt mein Geist seine Flügel. Ich sehe!--die
ganze Fülle, die ganze Kraft des Wesens da; das war es, was mich
ergriff, mich durchdrang, sich mir darstellte, als ich erkannte und
nicht wußte vor Entzücken! Wohl uns! So bringt die Natur ihren gesamten
Inhalt dem Menschen ans Herz und unterrichtet ihn auf die lieblichste
Weise unmittelbar u.s.w.

[91] Aber nicht: Weg mit dem Buche! wie Kuno Fischer, Goethes Faust
u.s.w. S. 427 meint; denn Fausts Unwille gilt nicht ihm, sondern seiner
Unfähigkeit, das Weltall zu umfassen.

[92] Diese Beschwörung übersieht wieder Fischer a.a.O. S. 427 und 429
völlig und nimmt nur die erstere, die natürliche Magie des Geistes an.
»Die Beschwörung geschieht nach keiner Vorschrift aus einem Buche der
Magie, nach keiner kabbalistischen Formel, sie enthält nichts von
Zauberkram;« damit ist jedoch die scenarische Zwischenbemerkung nach V.
129 = 481 völlig außer Acht gelassen. Allzu großen Wert legt Fischer
ferner darauf, daß F. nicht die Hölle und ihre Geister, sondern die Erde
anrufe. Allein damit macht der moderne Dichter nur vorübergehend seiner
Empfindungsart ein Zugeständnis. Schließlich beschwört Faust doch den
Teufel. Hierin liegt auch der Grund für Fischers verkehrte Ansicht.
Mephistopheles sei ursprünglich nicht als Teufel gedacht.--Einen
ähnlichen Fehler macht auch Gwinner a.a.O. S. 201, wenn er behauptet, F.
bringe den E. durch die anhaltend gesteuerte Energie zur Erscheinung.

[93] Betrachtungen über F. a.a.O. S. 322.

[94] V. 136 = 488; 138 = 490.

[95] D.j.G. 3. 450.

[96] A.a.O. 3. 236.

[97] D.W.T. 3. B. 12. W. 28. S. 149.

[98] A.a.O. S. 322.

[99] Paralip. 1. W. 14. S. 287.--Der Erdgeist wirkt also nicht etwa auf
Fausts Wissensdrang ein; sondern ruft in ihm den Lebensdrang hervor. Mit
jenes Erscheinen wird grade der Übergang zum eigentlichen Thema des F.
gemacht: durch Lebenskenntnis zur schöpferischen That. Vergl. Vischer,
Goethes Faust, Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts S. 15.

[100] Graffunder a.a.O. S. 706 f.

[101] G. I. 7. (1886) S. 242.

[102] F.G.A. N. 88. vom 3. Nov. 1772. (S. 582.)

[103] Man vergl. Herders Recension über Kants Träume eines
Geistersehers. (W. 1. S 125 f.)

[104] D.j.G. 2. 10.

[105] F.G.A. N. 70 vom 1. Sept. 1772.--S. 463.

[106] D.j.G. 2. 7. ff.--vergl. auch W. Tischbeins Idyllen. W. 3. S. 122
N. 1.

[107] F.G.A. N. 101. v. 1772. S. 666.

[108] D.W. 1. Teil. B. 1. W. 26. S. 43.

[109] Loepers Anmerkg. N. 36 zu dieser Stelle; S. 257.

[110] D.W. a.a.O. S. 63.--vergl. auch den Schluß des 4. B. S. 255.

[111] F.G.A. a.a.O. S. 667.

[112] D.j.G. 3. 469 f.

[113] D.j.G. 3. 292.

[114] W. 26. s. 255.

[115] de occulta philosophia, s. Graffunder a.a.O. S. 707.

[116] Vergl. auch den Aufsatz »Die Natur« von 1782: Leben ist ihre
schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben.
(Im Journal von Tiefurt; Schriften der Goethe-Gesellschaft Bd. 7. S.
260.)----Darüber auch Gwinner a.a.O. S. 128.

[117] Auch das spätere Schema (Paralip. 1. W. 14. S. 287.) macht diesen
Unterschied zwischen Lebensgenuß und dem Thatengenuß, dem bewußten wie
dem unbewußten. Denn das »von außen gesehen« oder »nach außen«
bezeichnet dort eben den unbewußten G. im Zustand der Dumpfheit, indem
der Mensch noch nicht zu klaren Ideen durchgedrungen ist.--Falsch
verstanden von Pniower, Vj. f. Littgesch. V. S. 409.

[118] W. 27. S. 12.

[119] Meine Göttin (W. 2. S. 59 f.).

[120] D.W. T. 3. B. 12. W. 28. 108.

[121] Br. 2, N. 88, Mitte Juli 1772 an Herder; S. 16.

[122] D.j.G. 2. 101.

[123] A.a.O. 2. 84.

[124] A.a.O. 2. 103.

[125] A.a.O. 3. 346.

[126] A.a.O. 2. 26.

[127] In diesem Sinne erhält später der Schatzgräber die Mahnung: Trinke
Mut des reinen Lebens!----Darauf baut sich ein thätiges und fröhliches
Leben auf: Tagesarbeit! Abends Gäste! Saure Wochen! Frohe Feste!--W. 1.
182.--Ein dreifaches Leben nimmt G. auch in den Sprüchen an: Das
Höchste, was wir von Gott empfangen haben, ist das Leben, die rotierende
Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt;
der Trieb, das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jedem
unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch bleibt
uns und anderen ein Geheimnis. Die zweite Gunst der von oben wirkenden
Wesen ist das Erlebte, das Gewahrwerden, das Eingreifen der lebendig
bewegten Monas in die Umgebungen der Außenwelt, wodurch sie sich selbst
erst als innerlich Grenzenloses, als äußerlich Begrenztes gewahr wird...
Als drittes entwickelt sich nun dasjenige, was wir als Handlung und
That, als Wort und Schrift gegen die Außenwelt richten. (N.
1028-30.)--Danach wäre also der Erdgeist der Geist des Lebens an sich,
des bewußten Lebens und des thätigen Lebens. Zu einseitig faßt ihn darum
z.B. F.A. Mayer Ztschr. f. östr. Gymnas. XL. S. 298, als Geist der That,
ebenso H. Schmidt als den der Geschichte (Preuß. Jahrb. 39. S.
375)--völlig verkehrt aber Rieger (G. Faust nach s. religiösen Gehalte),
wenn er gar behauptet, er habe keinen Teil, an dem, was wirklich Leben
heißt!

[128] v. d. Hellen. S. 199 ff.

[129] A.a.O. S. 186.

[130] A.a.O. S. 201.

[131] Br. 2. N. 148 vom 7. Mai 1773. S. 85.

[132] Ethik. II. Zusatz zum 13. Lehrsatze.

[133] Br. 2. N. 249, vom 15. September 1774. S. 196.

[134] Br. 2. N. 88 aus Mitte Juli 1772. S. 16 mit Beziehung auf Herders
Worte in seiner Recension über Denina vom 7. Juli 1772 in den F.G.A. S.
355. Z. 10. G. hatte also die Rec. schon gelesen, da er den Brief
schrieb. Vergl. den Schluß des Briefes. S. 19. Dies hat Steig, Vj.-schr.
V. S. 232. übersehen.

[135] Br. 2. N. 88. S. 16.

[136] A.a.O. S. 17.

[137] Diese Pindarstelle ist aus Teilen zweier Oden zusammengesetzt.
Olymp. 2. 94 ff. u. besonders Nem. 3. 41. ff. Vor allem in der letzteren
ist das Schweifende in den verschiedensten Wendungen seinen Symptomen
entsprechend ausgedrückt:----[Griechisch: psephennos anaer allot' alla
pneon oupot' atreke kateba podi, myrian d'aretan atelei noo geuetai]
(ein dunkler Mann, wandelt er dahin dorthin keuchend, unsicheren
Schrittes, kostet von tausenderlei Gutem halben Sinnes).

[138] Br. 2. N. 231 an Schönborn vom 8. Juni 1774. S. 174.

[139] Br. 2. Nr. 843. v. 3. Aug. 1775 an G. Stolberg. S. 275.

[140] D.W. Teil 3. B. 14. W. 28. S. 250.

[141] D.j.G. 2. 184.

[142] v.d.H. S. 199.

[143] Man vergleiche für diese Auffassung Goethes spätere Äußerung in
dem Aufsatze Shakespeare u. kein Ende: Shakespeare gesellt sich zum
Weltgeist, er durchdringt die Welt wie jener (H. 28. S. 731).

[144] Auch K. Fischer a.a.O. S. 431 hat nicht richtig erkannt, weshalb
der Erdgeist Faust verschmähe, wenn er bemerkt: »Der Erdgeist sieht nur
die Ohnmacht des Phantasierausches, der das Leben und dessen Mächte
nicht kennt; u.s.w.------«

[145] Briefe Goethes an S. v. La Roche u.s.w. herausgegeben von Loeper
S. 56 (geschr. am 18. Juli 1774).

[146] D.j.G. 3. 501 N. 7; vergl. auch 3. 489:

    O Freund, der Mensch ist nur ein Thor,
    Stellt er sich Gott als seinesgleichen vor.


[147] Br. 2. Nr. 363 v. 26. Oktober 1775. (S. 303.)

[148] Vergl. Gespr. 2. S. 180 mit Riemer am 2. August 1807: »Alle
Philosophie über die Natur bleibt doch nur Anthropomorphismus, d.h. der
Mensch, eins mit sich selbst, teilt allem, was er nicht ist, diese
Einheit mit, zieht es in die seinige herein, macht es mit sich selbst
eins. Um die Natur zu erkennen, müßte er sie selbst sein. Was er von der
Natur ausspricht, das ist etwas, d.h. es ist etwas Reales, es ist ein
Wirkliches, nämlich in Bezug auf ihn. Aber was er ausspricht, das ist
nicht alles, es ist nicht die ganze Natur, er spricht nicht die
Totalität derselben aus.« So auch Faust nicht die Totalität des
Erdgeistes. Er ist ihm also nicht wesensgleich, wie z.B. Vischer,
Goethes Faust, Neue Beiträge zur Kritik des Gedichts S. 263, glaubt,
sondern nur ein Teil von jenes Kraft; er hält sich auch keineswegs für
gleich groß, worin Vischer die Ursache seiner Verschmähung sucht,
sondern grade für wesensgleich oder doch wesensähnlich.

[149] D.W. T. 2. B. G. W. 27. S. 276. Unsere Wünsche sind Vorgefühle der
Fähigkeiten, die in uns liegen, Vorboten desjenigen, was wir zu leisten
imstande sein werden, u.s.w.; vergl. a.a.O. T. 3. B. 11. W. 28. S. 50.--

[150] W. 3. S. 24.

[151] D.W. T. 4. Bd. 20. S. 173.

[152] D.j.G. 2. 3 ff.

[153] Vergl. dazu Elisabets Ansicht über das Gebet in dem ältesten Götz;
(D.j.G. 2. 99.) über Goethes Pelagianismus D.W. T. 3. B. 15. W. 28. S.
305.

[154] D.j.G. 2. 28.

[155] a.a.O. 2. 30.

[156] a.a.O. 3. 181.--Auf diese Ode bezieht sich wohl die Stelle in dem
Briefe an die Fahlmer vom 9. April 1773. (Br. 2. N. 74.)------konnt
ich Ihnen----länger nicht vorenthalten, warmer Jugend gute
Frühlingsempfindungen, daran Sie sich denn erbauen werden, an dem
heiligen Leben mehr als am heiligen Grabe, hoff ich.

[157] D.W. T. 1. B. 5. W. 26. S. 320.

[158] Über Goethe u. Spinoza vergl. z.B. Rößler, die Entstehung des F.
Grenzboten. 1883. IV. S. 494.

[159] Eins u. Alles. W. 3. 81. Vergl. auch, was er über das Gedicht
»Weltseele« am 20. Mai 1826 an Zelter schrieb: »Das Gedicht stammt aus
der Zeit her, wo ein reicher jugendlicher Mut sich noch mit dem
Universum identificierte, es auszufüllen, ja, es in seinen Teilen wieder
hervorzubringen glaubte.« Es gehört der Zeit der zweiten Jugend, der
dritten Beschäftigung mit Faust an.

[160] Die wahre Bedeutung der Erdgeistscene liegt also darin, daß der im
Dunkeln wandelnde F. auf das Leben hingewiesen wird, nicht etwa in dem,
worin sie Gwinner sucht S. 215, in der Veranschaulichung der mit der
falschen Richtung und mit dem Mißbrauche des Erkenntnistriebes
verbundenen Hochgefahr!! Die Scene steht also mit der Idee des F. in
keiner Incongruenz (S. 214).--Die Mission des Erdgeists ist mit jenem
Hinweis erfüllt; daher ist auch nicht mit Fischer S. 431 an eine
nochmalige Erscheinung zu denken. Eine absteigende Linie ist es, die vom
Makrokosmus zum Erdgeist zum Teufel führt, um aus der Hölle durch die
Welt zum Himmel wieder aufzusteigen.

[161] D. j. G. 2. 213 f.

[162] A.a.O. 2. 241.

[163] A.a.O. 3. 481 f.

[164] A.a.O. 3. 159.

[165] W. 2. S. 94 ff. (Hempel.)

[166] W. 2. 83.

[167] W. 2. 81 f.

[168] W. 2. 86.

[169] W. 14. V. 1660 ff.

[170] W. 15. V. 11442 ff.

[171] Maskenzug von 1818. Der junge Dichter hat bekanntlich vor dem
Teufels-Bündnis Halt gemacht; erst später ist die die angedeutete
Verknüpfung gelungen. Die älteste Dichtung führt uns bezeichnender Weise
nur Faust vor und nach dem Bunde vor; und gerade dieser erste Teil, der
uns Faust auf einer Höhe zeigt, die fast der gleichkommt, auf der sein
Dichter stand, ist mit besonderer Liebe ausgemalt.

Faust und die Natur, der Makrokosmus, der Erdgeist, und endlich auch
Faust und Wagner, lauter glänzende Bilder; aber nun Faust und der
Teufel! Dazu konnte sich der junge Goethe noch nicht verstehen, obwohl
er ja jene hellen Bilder gemalt hatte, um seinem eigenen Empfinden ein
Zugeständnis zu machen und nicht sofort mit dem Dunkel beginnen zu
müssen.

[172] W. 15. 2. S. 199. Ankündigung des Zwischenspiels zu Faust

[173] Bemerkenswerth für die Entstehung des Faust ist, wie G. sich die
des Hamlet dachte: So kam Shakespearen der erste Gedanke zu seinem H.,
wo sich ihm der Geist des Ganzen als unerwarteter Eindruck vor die Seele
stellte, und er die einzelnen Situationen, Charaktere und Ausgang des
Ganzen in erhöhter Stimmung übersah, als ein reines Geschenk von oben,
worauf er keinen unmittelbaren Einfluß gehabt hatte, obgleich die
Möglichkeit, ein solches Aperçu zu haben, immer einen Geist wie den
seinigen voraussetzte u.s.w. Gespr. 6. S. 283.

[174] D.W. T. 2. B. 6. W. 27. S. 14.

[175] A.a.O. T. 2. B. 9. W. 27. S. 258.

[176] D.j.G. 3. 236.

[177] Werke, Leipzig bei G. Fleischer 1819. IV. B. Beilage 3. S. 67 ff.

[178] Vergl. in der zusammenfassenden und rückblickenden Stelle der
ausgefüllten großen Lücke V. 612 f. u. 627.

[179] Herder W. Bd. 6. S. 353 u. Schillers bekanntes Gedicht: Das
verschleierte Bild zu Sais.

[180] W. (Hempel) 3. 136.--Interessant zur Vergleichung mit der
Erdgeistscene ist eine Stelle aus einem Gedicht Gisekes, das die
Spinozistische Gottheit schildert:

    »Die dem Bernis in seiner einsamen Grotte
    Schrecklich erschien, als sie schnell ein blasses Feuer erfüllte
    Und vor seinem bestürzten Auge die Welt zu vergehen schien.

         *     *     *

    »Gott, Du schenktest ihm Mut, die schreckliche Nacht zu ertragen!
    Plötzlich gab ihm den Tag ein Donnerschlag wieder und mit ihm
    Stieg aus den Trümmern der Erd' ein unermeßlicher Riese,
    Eine Welt an Größe, hervor; an Gestalt ein Kolossus,
    Schrecklich dem Aug und doch nach Ebenmaßen gebauet.
    Sein gewaltiges Haupt war ein Gebirge, die Haare
    Wälder, sein schreckendes Aug' ein entzündeter Feuerofen
    Oder ein flammender Abgrund. In einen Körper verwandelt
    Stand vor dem Dichter die Welt. In seinen kleinsten Gefäßen
    Flossen die Bäche gemächlich, und durch die schwellenden Adern
    Brauste das Weltmeer dahin. Sein Kleid war der Schleier der Lüfte.
    Also träumte Spinoza sich Gott.«

(bei Herder in einer Rec. über G.--W. 4. S. 275 f.)

[181] D.W. T. 2. B. 9. W. 27. S. 270.

[182] Zum Sprachgebrauch von widerlich vergl. Herder erstes kritisches
Wäldchen: (W. Bd. 3. S. 181.) »Nun gibts eine andere Widrigkeit, das
Gefühl einer heterogenen Nervenanschauung, durch das zu Heftige, zu
Gewaltsame«. (Vergl. auch S. 183, wo widrig und widerlich als
gleichbedeutend gebraucht werden.)

[183] Zu der Wendung: »O Tod« vergl. D.j.G. 1. 185, damit man nicht so
törichte Schlüsse daraus ziehe, wie das Marbach in seiner Erklärung des
Faust S. 49 thut.

[184] Vergl. auch gegen Scherers Einwand Weltrich im Magazin für die
Litt. des In- und Auslandes S. 219.

[185] Vergl. V. 1577 f.

    O war ich vor des hohen Geistes Kraft
    Entzückt, entseelt dahin gesunken!


[186] Zu bemerken ist auch die Änderung des trockenen Schwärmers in den
trockenen Schleicher. (V. 169 = 521.) Der Grund liegt wohl darin, daß
das Wort in dem hier gebrauchten Sinne dem Dichter selbst nicht mehr
geläufig war. Aufschluß gibt Herders im Novemberheft 1776 des Merkur
erschienener Aufsatz Philosophei und Schwärmerei. Danach ist der
Schwärmer der geistig unselbständige Mensch, der sich für Dinge und
Ideen, die grade Mode sind, in eine Art kalter Begeisterung versetzen
läßt. »Ein Mensch, der von gesundem Verstande ohne gesunden Verstand,
von richtigen Begriffen ohne richtigen Begriff, von ewiger Toleranz mit
möglichster Intoleranz spricht, welchen gelinderen Namen kann er sich
versprechen als--Schwärmer?« (W. Hempel Bd. 17 S. 302.--)----Vor einigen
Jahren redete man von Winckelmanns, Hagedorns, Lipperts Ideen, von
Sachen, die man nie gesehen, von Abstractionen des Gefühls, die man nie
empfunden;--(S. 103.)--In ähnlicher Weise beginnt nun auch Wagner zu
reden.--

[187] Gespr. 2. 71. mit Luden am 19. August 1806.--Vergl. auch E.
Schmidt Aufgaben und Wege der Faustphilologie. (Beil. zur allgem. Zeitg.
1891. 119. 2.)

[188] Gespr. 7. 218.

[189] 2. N. 243. S. 157.

[190] Vergl. Rößler, die Entstehung des F. Grenzboten 1883. IV. S. 439.

[191] Br. 2. N. 167. vom 15. Sept. 1773.--S. 106.--N. 208 Mitte Febr.
1774.--S. 147.

[192] Br. 2. N. 162. vom Juli 1773. S. 97.

[193] Schönborn an Gerstenberg am 12. Oktober 1773 berichtet über die
Vorlesung der zwei ersten Akte; vergl. G.J. 1, 290 ff.

[194] Br. 2. N. 180. Herbst 1773. S. 120.

[195] A.a.O. 2. 261. v. 20. Nov. 1774. S. 205.

[196] Br. 2. N. 228 u. 231. S. 172 ff.--Wagner 3. S. 110.

[197] Aus Goethes Frühzeit S. 75.

[198] Gespräche 1. N. 15. S. 25 ff; über die Satyrosfrage bei anderer
Gelegenheit mehr; vergl. Scherer, aus Goethes Frühzeit S. 43 ff; eine
Deutung auf Bahrdt von Spengler in der Zeitschr. f. östr. Gymnas. XII.
S. 393.--Biedermann in seinen Goetheforschungen S. 9 f. 456 N.F. S. 13
ff.

[199] D.W. T. 4. B. 18. W. 29. S. 84.

[200] W. Bd. 28. S. 370. Taedium vitae. Wertherianism. Düstre
Lebenslast. Periodisch wiederkehrend.

[201] Br. 2. N. 238. S. 182.

[202] Br. 2. N. 243. S. 188.

[203] Br. 2. N. 244. S. 189.

[204] Br. 2. N. 247. S. 194

[205] N. 250. S. 197.

[206] N. 252. S. 198.

[207] N. 256. S. 201.

[208] Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen? W. 10. V 1885.

[209] Br. 2. N. 258 an S. La Roche vom 21. Oktober 1774. S. 212

[210] in eigentlicher: D.j.G. 3. 584.

[211] a.a.O. 1. 186.--auch 2. 36.--vergl. W. Bd. 9. S. 482.

       *       *       *       *       *




UNTERSUCHUNGEN ÜBER GOETHES FAUST IN SEINER ÄLTESTEN GESTALT.

II. DIE SATIRISCHEN SCENEN.

1. DIE WAGNERSCENE.
2. DIE SCHÜLERSCENE.
3. DIE SCENE IN AUERBACHS KELLER.

HABILITATIONSSCHRIFT DER PHILOSOPHISCHEN FAKULTÄT DER GROSSH.
LUDEWIGS-UNIVERSITÄT GIESSEN ZUR ERLANGUNG DER VENIA LEGENDI

VORGELEGT VON Dr. J. COLLIN.

GIESSEN, 1893.





II. DIE SATIRISCHEN SCENEN.[212]


Die akademisch-satirischen Scenen des ältesten Faust folgen unmittelbar
auf einander und bilden, drei an der Zahl, eine deutlich von der ersten
wie der dritten unterschiedene Hauptmasse.[213] Sie stehen keineswegs
unter sich in unmittelbarem Zusammenhang, aber sie haben gemeinsam, daß
sie deutsches Universitätsleben und -treiben des 18. Jahrhunderts in
seinen verschiedenen Beziehungen darstellen. Die beiden ersten von ihnen
stehen sich nach Form und Inhalt näher, die dritte, in ihrem größeren
Teil in Prosa geschrieben, gehört in einen anderen Zusammenhang; sie ist
die erste Station auf Fausts Weltreise. Alle drei aber geben uns ein
Bild der Welt, in der sich Faust bis dahin bewegt oder mit der er sich
berührt hatte. Sie bilden den Hintergrund, von dem sich Faust mit seinem
hohen Streben scharf und deutlich abhebt, von dem er sich dann auch mehr
und mehr entfernt. Auch in der Sage steht Faust auf diesem Boden; sein
hauptsächlicher Verkehr ist dort mit Studenten. Ganz in dieser
studentischen Sphäre hat z.B. der Maler Müller seinen Faust belassen.



1. Die Wagner-Scene.

(V. 169-248 = 522-605 mit Ausschluß der V. 598-601.)

Die Wagnerscene ist bereits im ältesten Faust unmittelbar an die erste
Hauptmasse angeschlossen. Der Erdgeist ist verschwunden. Faust will
sich seinen Empfindungen über die Erscheinung überlassen, da wird er
durch Wagners Klopfen unterbrochen. Er tritt herein in höchst burleskem
Gegensatz zu der ungeheueren Erscheinung des Erdgeists. Damit ist von
vornherein der Ton dieser ganzen zweiten Scenenreihe angegeben; wir
befinden uns besonders bei den beiden ersten auf dem Boden der kecken
Fastnachtspiele von 1773/74; der Kampf, den der junge Goethe im Jahre
1772 in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen begonnen hatte, ward in ihnen
weiter fortgesetzt. Hans Sachsischer Rythmus bot sich dafür willig dar,
und es gilt besonders für jene beide Faustscenen, was der Dichter später
in seiner Lebensgeschichte bemerkt, bedeutende Werke, die eine
jahrelange, ja eine lebenslängliche Aufmerksamkeit und Arbeit
erforderten, seien auf so verwegenem Grunde bei leichtsinnigen Anlässen
mehr oder weniger aufgebaut worden[214].--Die Verbindung zwischen der
ersten und zweiten Scenenreihe ist nur wenig eng; sie beruht auf dem
Motiv der Störung. Aus der Fülle der Empfindungen gerissen und an das
Unbedeutende und Kleinliche seiner Umgebung erinnert zu werden, mochte
dem jungen Dichter oft genug begegnet sein. So erzählt er in Dichtung
und Wahrheit[215], wie er in den Tagen, da ihm seine erste Liebe
entrissen worden war, in Wäldern sich ergangen und sich in ihm im
Wechselgespräch mit der Natur das Gefühl des Erhabenen erzeugt habe.
»Die kurzen Augenblicke solcher Genüsse verkürzte mir noch mein
denkender Freund; aber ganz umsonst versuchte ich, wenn ich heraus an
die Welt trat in der lichten und mageren Umgebung ein solches Gefühl bei
mir wieder zu erregen; ja kaum die Erinnerung davon vermochte ich zu
erhalten.« So unterbricht hier Wagner Faust in dem Wechselgespräch, das
er mit dem Erdgeist in seinem Busen begonnen hatte. Dies Motiv findet
sich, wie man richtig gesehen hat[216], noch öfter bei dem jungen
Goethe; in dem Mahometfragment wird ähnlich Mahomet in seiner Erhebung
zum Göttlichen durch seine Pflegemutter gestört;[217] im Prometheus wird
durch Merkur Prometheus aus der Gesellschaft seiner Geschöpfe
gerissen[218]; in Werthers Leiden heißt es einmal: »Ein unerträglicher
Mensch hat mich unterbrochen. Meine Thränen sind getrocknet. Ich bin
zerstreut«[219].

Faust wendet sich unwillig ab, als Wagner eintritt; dieser bittet um
Verzeihung und erklärt zugleich den Grund seines Kommens. Die
Gefühlsausbrüche seines Herrn hat er für Deklamation gehalten![220] Um
ja nichts zu versäumen, wo er etwas bei seinem Professor profitieren
könnte, kommt er sogar in tiefer Nacht zu ihm. Handelt es sich doch auch
um eine Kunst, die gerade jetzt, wie er behauptet, an der Tagesordnung
und darum von besonderer Wirkung sei. Damit ist das Thema des ersten
Teils dieser Scene angeschlagen. Es ist der Streit gegen die äußere Form
und zwar insbesondere auf dem Gebiet der Rede. Wie soll man, so fragt
sich Wagner, zumal wenn man der Welt fast ganz entfremdet ist, sie zu
dem Guten überreden? Er glaubt, das durch die äußere Form des Vortrags
erreichen zu können. Da bricht denn Faust gewaltig los. Auch die Form
muß gefühlt sein; das Gefühl des Redners muß ihn mit seinem Zuhörer
verbinden; er muß ein Gefühl dafür haben, was er ihm zu sagen hat.
»Deswegen gibts doch eine Form«, schreibt Goethe im Anhang zu Wagners
Mercier[221], »die sich von jener--es war dort die Rede von der äußeren
theatralischen Form--unterscheidet, wie der innere Sinn vom äußern, die
nicht mit Händen gegriffen, die gefühlt sein will. Unser Kopf muß
übersehen, was ein anderer Kopf fassen kann, unser Herz muß empfinden,
was ein anderes füllen mag.« Innere Form[222] nennt er sie im Gegensatz
zu jener äußerlichen, nach der Wagner verlangt. Nicht nur der Gehalt,
auch Form muß aus dem Innern geholt werden; um auf den Menschen zu
wirken, muß gerade der Inhalt der Gefühle schon im Innern so geformt
werden, daß er dem Gefühl derer entspreche, auf die eingewirkt werden
soll. »_Gehalt bringt die Form mit_«[223]. Weil aber bereits im Inneren
mit den Gefühlen, um ihnen wirkende Kraft zu verleihen, eine Art
künstlerischer Umformung vorgehen muß, darum erklärt er a.a.O. S. 687:
»Jede Form, auch die gefühlteste, hat etwas Unwahres, allein sie ist ein
für allemal das Glas, wodurch wir die heiligen Strahlen der verbreiteten
Natur an das Herz des Menschen zum Feuerblick sammeln. Aber das Glas!
_Wems nicht gegeben wird, wirds nicht erjagen_, es ist wie der
geheimnisvolle Stein der Alchimisten Gefäß und Materie Feuer und
Kühlbad.« Aus dem Herzen muß also mit dem Gehalt auch die Form kommen,
um die Herzen der Hörer zu bezwingen. Was kann es dagegen bedeuten,
mühsam erst die Teile zu einem Ganzen zusammenzuleimen, aus dem von
anderen bereits Geschaffenen einzelnes zusammenzutragen, und es dann mit
dem Feuer eines fast erloschenen Herzens kümmerlich zu beleben? Was kann
das anderes eintragen, als Bewunderung von denen, die selbst nur
äußerlich nachzuahmen verstehen und darum auch vom Äußerlichen noch
ergriffen werden?

Wagner wagt noch eine Einwendung, mit der er das anfangs Geäußerte (V.
173 = 525.) in veränderter Form nochmals vorbringt:

    »Allein der Vortrag nützt dem Redner viel.«

Abermals erregt er seines Herrn heftigen Unwillen. Nicht nur jede andere
Form als die der Inhalt selbst mit aus dem Innern bringt, ist zu
verschmähen, auch jede äußere Kunst des Vortrags ist abzuweisen. Auch er
muß von der im Inneren wohnenden Kraft unmittelbar hervorgebracht
werden. Alle Künstelei dabei gehört ins Puppenspiel, auf die Bühne[224].
Was soll es heißen, gleich den Narren mit den Schellen zu läuten und so
die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen[225]? Was brauchts der Kunst, um
die Gefühle der Freundschaft und Liebe auszudrücken? Was ist es nötig
auf die Wortjagd zu gehen, wenn man im Ernst etwas sagen will? Alle
diese glänzenden Worte, mit denen jene die Abfälle des Menschenlebens
künstlich aufstutzen, was erzeugen sie anders, als leeres Geräusch so
unerquicklich, wie wenn im Herbst der Nebelwind durch die abgestorbenen,
dürren Blätter säuselt?--Der Dichter bekämpft also in diesem ersten
Teile der Scene (V. 169-204 = 522-557) das Äußerliche der Form und das
Künstliche des Vortrags[226], mit denen zugleich Kümmerlichkeit des
Inhalts Hand in Hand geht, und verweist dagegen auf das Gefühl. Das
Gefühl! Unter diesem Zeichen kämpfte die neue Richtung gegen den
Rationalismus der Zeit; es war die Quelle, aus der alles geschöpft
werden sollte; also auch Inhalt und Form in Kunst und Dichtung,
überhaupt in allem, was der Mensch hervorbringen wollte[227]. Nur das
sollte ausgesprochen, dargestellt, gebildet werden, was im Inneren
lebendig empfunden war; der Inhalt, der sich sonst so von selbst
verstand, ward die Hauptsache[228]. Dabei durfte er am wenigsten durch
die künstlichen Schranken einer äußerlichen Form behindert werden, auf
deren Ausbildung die vorhergehende Epoche ausschließlich Wert gelegt
hatte. Die Kerkerwände der drei Einheiten im Drama wurden
gesprengt[229]. »Besser ein verworrenes Stück machen als ein
kaltes[230].« Alle Regeln wurden abgethan, die man mit Mühe aufgestellt
hatte, da sie das wahre Gefühl von Natur und den wahren Ausdruck
desselben zerstörten[231]. Auch der Ausdruck, die Form muß gefühlt sein.
»Die characteristische Kunst«, schreibt der junge Goethe[232], »ist nun
die einzig wahre. Wenn sie aus inniger, einiger, eigener,
selbstständiger Empfindung um sich wirkt, unbekümmert, ja unwissend
alles Fremden, da mag sie aus rauher Wildheit oder aus gebildeter
Empfindsamkeit geboren werden, sie ist ganz und lebendig.« Bei solchen
Anschauungen galt Unform und Formlosigkeit mehr als Form, wenn nur der
Gehalt aus der Tiefe des Busens kam. »Mir ist alles lieb und wert, was
treu und stark aus dem Herzen kommt, mags übrigens aussehen, wie ein
Igel oder wie ein Amor,« schrieb Goethe am 17. August an die
Karschin[233]. »Der Freiheits- und Naturgeist der Zeit,« bemerkt er
später, »der jedem sehr schmeichlerisch in die Ohren raunte, man habe
ohne viele äußere Hilfsmittel Stoff und Gehalt genug in sich selbst,
alles komme nur darauf an, daß man ihn gehörig entfalte«, weht uns aus
solchen Anschauungen entgegen. Darum kennzeichnet er in dem späteren
Schema[234] die Scene folgendermaßen: »_Streit zwischen Form und
Formlosem. Vorzug dem formlosen Gehalt vor der leeren Form. Gehalt
bringt die Form mit. (Die innere Form.) Die Widersprüche, statt sie zu
vereinigen, disparater zu machen._«--Mit ihrer Vereinigung begann für
den Dichter selbst eine neue Epoche; er suchte nun bloß den Gehalt in
seinem Busen allein, die Form in seinem Geist.[235]

In unserer Fauststelle ist der Kampf gegen leere, äußere Form besonders
auf das Gebiet der Rede hinübergespielt. Vor allem ist wohl an die
Predigt und den akademischen Vortrag gedacht. Deklamation nannte man
damals die Kunst des Vortrags und die Kunst schöne Worte zu machen. Seit
Sturms Tagen war dieser leere Formalismus, die Kunst, die Rede mit
glänzenden Federn zu schmücken, herrschend geworden. Der Einfluß
französischer Rhetorik verlieh ihr im 18. Jahrhundert einen neuen
glänzenden Anstrich. Dagegen erhob sich denn auch die neue
Gefühlsrichtung, voran ihr Meister, Herder[236]. Die Frankfurter
Gelehrten Anzeigen, die vorübergehend 1772 ihr Organ geworden waren,
kämpften, wie gegen allen Formalismus und Rationalismus, auch gegen
diese Äußerlichkeit.

So schreibt Herder[237] daselbst in seiner Beurteilung von Schlözers
Vorstellung seiner Universalhistorie[238]: »Vorstellung, und gewiß viel
Theatralisches und Mimisches geht das ganze Büchlein durch. Die ersten
Kapitel: »Begriff der allgemeinen Weltgeschichte! Zusammenhang der
Begebenheiten! Synchronistische Anordnung,« und im ganzen Verfolg alle
Stellen, die es nur einigermaßen werden konnten, sind bloße Deklamation
geworden, und in so lautem, gestikulierendem Ton, daß man sich wundern
sollte, wie das »der Grundriß zu einem akademischen Kollegio, und
Grundriß zur strengsten Wissenschaft, der Historie« sein solle.

»Wir bitten sie, daß sie ihn nirgends zu stark anfassen mögen; er ist
ein schönes Krausgewinde aus so mancherlei neuern Schriften aufgewunden,
und daher auch so perlend, aber auch so unsicher und schwach, als
dergleichen Aufgewinde aus einer andern fremden Textur, wo es eigentlich
seinen Sitz hatte, zu sein pflegt.--Ist die französische Deklamation
nach diesem Schnitte eine nützliche Neuigkeit? Gewinnen oder verlieren
unsere Lehrstühle, wenn sie statt Vorlesungen, Reden, und statt
Lehrbücher zierliche Feuerwerke von Luftschwärmern bekommen?«
u.s.w.[239] Herder scheint zu reden, wenn es S. 343. 19 ff. heißt:
»allein, überall herrscht nichts als ein schwüler Deklamationshimmel,
der das Leere der Thomasischen[240] Schöpfung bedenkt. Statt einzelner
psychologischer Schritte, und langsamer Schläge des psychologischen
Ahndungsstabes, das krauseste Labyrinth eines französischen Ballets.«
Wie der Meister, so auch der Schüler. In der unbezweifelt Goethischen
Beurteilung von Sulzers schönen Künsten lesen wir: »Wir erstaunen, wie
Herr S., wenn er auch nicht drüber nachgedacht hätte, in der Ausführung
die große Unbequemlichkeit nicht fühlen mußte, daß, so lange man in
generalioribus sich aufhält, man nichts sagt, und höchstens durch
Deklamation den Mangel des Stoffes vor Unerfahrenen verbergen
kann«[241]. Vielleicht, spricht auch S. 552 Goethe: »Das ganze Werk
schwimmt in Deklamation.« Mit deutlicher Beziehung auf die Predigtart
erklärt dann wieder Herder in den Provinzialblättern von 1774: »Akteurs
sollen Prediger und können _nie_ sein.«[242]

Herderscher Geist ist es also, der sich hier im Kampf gegen alles leere
Wortgepränge und jede künstliche Vortragsweise mit dem gleichgestimmten
des jungen Goethe verbindet.[243] Selbst die Bezeichnung der urteillos
bewundernden Menge ist in Herders Ton. Kinder und Affen nennt sie Faust,
so wie sie im Jahrmarktsfest der Zigeunerhauptmann, unter dessen Maske
bekanntlich Herder verborgen ist, Kinder und Fratzen, Affen und Katzen,
schilt[244].

In dem zweiten Teile der Scene schlägt Wagner ein neues Thema an. Auch
hier zeigt sich sein Gegensatz zu Faust aufs schärfste. Er beginnt von
seinem Streben zu reden, das aber nur wissenschaftlich ist. Auch er
fängt gleich Faust im ersten Monolog mit einem Seufzer an. Hat Faust
alle Wissensgebiete durchforscht und ist unbefriedigt, des Lebens
überdrüssig zurückgekommen, so scheint Wagner das Leben zu kurz im
Verhältnis zur Wissenschaft. Nach ihren Quellen sehnt er sich, wie Faust
nach dem Quell des Lebens; bang fragt sich jener, wie er zu ihnen
gelange. Wir sehen also, wie der Dichter die beiden Strebenden scharf
und deutlich kontrastiert hat.

Gegen solche kümmerliche Anschauung erhebt sich Faust wieder: das
Pergament sollte die heilige Quelle sein, daraus dauernde Befriedigung
zu schöpfen wäre? Auch Erquickung ist nicht draußen zu suchen, nicht
etwa in Büchern zu finden; wiederum verweist er ihn auf sein eigenes
Gefühl; nur aus eigener Seele vermag sie zu quillen. In diesem Sinne
schreibt der Dichter an Merck:

    Nicht in Rom, in Magna Gräcia,
    Dir im Herzen ist die Wonne da![245]

Allein Wagner kennt gar nicht diesen Drang nach Befriedigung und
Erquickung. Ihm genügt es schon, worin sich der Dünkel des Gelehrten
herrlich offenbart, sich, wie er es stolz nennt und es seit Montesquieu
Mode geworden war, in den Geist der Zeiten zu versetzen, das Wissen
vergangener Zeiten kennen zu lernen und dann im Hochgefühle des
gewonnenen Fortschritts auf sie von der Höhe der eigenen erleuchteten
Zeit herabzublicken[246]. Beides fordert Fausts Spott heraus. Indem er
an seine dünkelhafte Überhebung anknüpft, weist er ihn auf das
Unzugängliche seines Strebens hin. Die Zeiten der Vergangenheit sind uns
ein verschlossenes Buch. Was da die Forscher den Geist der Zeiten
heißen, ist im Grunde nur der Herren eigener Geist; jenachdem er ist,
spiegelt sich die Geschichte ab. Was kommt aber dabei zum Vorschein? Man
hat nur Sinn für den Kehricht und das Gerümpel einer Zeit, um darin zu
wühlen und Nachlese zu halten; wenns hoch kommt, ergibt sich die
Darstellung eines äußerlich glänzenden Ereignisses mit der Zugabe von
trefflichen pragmatischen Maximen, wie sie ins Puppenspiel gehören.

Mit dieser spöttischen Polemik betreten wir wieder den Kampfplatz der
neuen Richtung. Hier gilt die Fehde dem unhistorischen Verfahren der
Wissenschaften, dem armseligen Kleingeist, der in der Vergangenheit nur
einen großen Trümmerhaufen sieht, in dessen Wust er Scherben und
Auskehricht sammelt; sie gilt dem Pragmatismus in der Geschichtschreibung,
der Sucht, sofort aus allem allgemeingültige Maximen, die nun so ohne
weiteres für uns brauchbar sein sollen, aufzuklauben;--und bei all der
Kläglichkeit noch die lächerliche Überhebung des aufgeklärten
Zeitalters! Herder, der Schüler Hamanns, ist auch hier der Führer im
Streit. Mit den schärfsten Waffen hat er vor allem gegen unhistorische
Auffassung der Vergangenheit auf allen Gebieten in Wissenschaft und
Kunst angekämpft. Er hat das Beispiel gegeben, wie man sich in der That
völlig in die Zeiten der Vergangenheit versetzen, den modernen Menschen
abstreifen, liebevoll die Schwingungen des menschlichen Geistes auf
jedem Boden, im Morgen- und Abendland, in jeder Zeit, im Altertum und
Mittelalter, erkennen und sie aus sich begreifen müsse. Damit waren die
verschütteten Quellen der Vergangenheit wieder eröffnet, neu und
lebendig strömten sie wieder hervor, frische Kraft konnte wieder aus
ihnen geschöpft werden, um das ganze geistige Leben zu erneuern. In den
Fragmenten über die neuere deutsche Litteratur wird dieser Standpunkt
zum ersten Mal auf diesem Gebiete in seinem vollen Umfang und seiner
mächtigen Bedeutung für sie geltend gemacht. In den Frankfurter
Gelehrten Anzeigen ist der Kampf mit einzelnen Vertretern der
unhistorischen Auffassung auch auf anderen Gebieten im vollen Gange.
Gegen das Mosaische Recht von Michaelis, wobei sich uns zugleich ein dem
Wagnertypus in manchem ähnliches Gelehrtenbild zeigt, begründet er z.B.
seinen Tadel so: »denn nichts ist eigentlich aus dem orientalischen
Geist der Zeit, des Volkes, der Sitte erklärt, sondern nur überall
Blumen eines halb orientalischen, gut europäischen common-sense
herübergestreut, der weder den tiefen Forscher noch den wahren Zweifler
und den Morgenländer, der Ader seines Stammes fühlet, am wenigsten
befriedigen werden. Gewisse Dinge von diesen ließen sich auch selbst mit
der zuversichtlichen Miene des Herrn M. gewiß nicht ganz geben; wer aber
mit der Geschichte nur buhlet, nur die Gabe hat aufzustutzen und
einzukleiden, wo man die Wahrheit eben nackt sehen will------Phyllida
meam non habeto! Hier ist alles nur immer im Geiste unsres Jahrhunderts
behandelt, dem guten Moses politische Maximen geliehen, die selbst bei
uns doch nur oft loci communes sind, und jenem Volk, jener Zeit, jenem
Gesetzgeber wahrhaftig fremde waren.[247]«

Im gleichen Sinne kämpft auch der junge Goethe, schon ganz im Sinne
unserer Stelle schreibt er über eine Schrift von Sonnenfels: »Von
Geheimnissen (denn welche große historische Data sind für uns nicht
Geheimnisse?), an welche nur der tieffühlendste Geist mit Ahndungen zu
reichen vermag, in den Tag hinein zu raisonnieren!------Durchaus werden
die Gesetze en gros behandelt; alle Nationen und Zeiten durch einander
geworfen; unsrer Zeit solche Gesetze gewünscht und gehofft, die nur
einem erst zusammengetretenen Volk gegeben werden konnten«[248]. Man
vergleiche auch vorher die bekannte Äußerung über Römerpatriotismus![249]
Vielleicht redet auch er am Schlusse einer in der Hauptsache
Schlosserschen Rezension;[250] er (oder Herder?) in der Beurteilung von
Bahrdts Eden, dem vorgeworfen wird, in Moses Bestandteile deutscher
Universitätsbegriffe des 18. Jahrhunderts aufgedeckt zu haben[251].

Diesen Kampf haben beide auch später noch fortgesetzt. Herder hat immer
und immer wieder diesen Grundgedanken verfochten, besonders in der
Ältesten Urkunde, in Auch eine Philosophie der Geschichte u.s.w. Der
junge Goethe in der Baukunst gegen den Abbé Laugier[252], ebenso in
seinen Satiren, die noch von der im Jahre 1772 erweckten Fehdelust
eingegeben sind. Wieland wird wegen seiner unhistorischen Auffassung
griechischen Heldentums, Bahrdt wegen der der Evangelisten derb
verspottet.[253]

Mit dieser verfehlten Anschauung verband sich nun meist der kümmerliche
Sinn für allen Wust und Kram der Vergangenheit, von dem nicht genug auf
einen Haufen zusammengetragen werden konnte. Die Ausdrücke, die Goethe
dafür gebraucht, gehören wieder ganz der Coteriesprache der neuen
Richtung an; »ein Haufen von Scherbengerät«--so bezeichnet Herder ein
Werk, das statt auf den Boden und in den Geist des Orients zu versetzen,
allen möglichen Kram vom Wege aufliest;[254] von demselben: ein Haufen
Totenbeine ohne Geist und Leben![255] Trödelkram nennt Herder alle
wissenschaftliche Beschäftigung seiner Zeit kurzweg in seiner
Beurteilung von Deninas Staatsveränderungen[256]. Archäologischer
Trödelkram! urteilt der junge Goethe in seiner Rezension von Seybolds
Schreiben über Homer.[257]

Nicht minder eifern beide gegen den Pragmatismus und die Lust, sogleich
Maximen aufzustellen, die nicht besser sind als die Gemeinplätze im
Puppenspiel.[258] Herder lobt Denina, »da er nicht so sehr malet und
raffiniert, und Maximen von Staatsveränderungen sucht als die Franzosen,
die jetzt fast aller Welt den Geschichtton angegeben haben: sondern auch
dem Wurf der Begebenheiten, dem Schicksal, was die Welt leitet, viel,
und vielleicht nur manchmal zu viel einräumet[259].«--Weiterhin ruft er
aus: Wer da weiß, was es für eine Schaumblase sei, was man Maxime nennt?
wie schwer und selten ein Mensch ihr immer und deutlich und als
Hauptführerin folget; wie unmöglich, daß ihr Menschen Jahrhunderte
folgen?----[260] Von Maximen aber, die in der That für den Menschen
etwas bedeuten, spricht offenbar der junge Goethe das schöne Wort: »Doch
diese Maximen verwebt die Natur selbst in große Seelen; bei ihnen hören
sie auf Maximen zu sein und werden bloß Gefühl[261].«

Bei all dieser Kümmerlichkeit und Kleinlichkeit auch noch der
dünkelhafte Stolz auf das erleuchtete Zeitalter! So nannte es sich
selbst, so spottete die gegnerische Richtung; z.B. Herder in der zuletzt
angeführten Rezension;[262] Goethe über einen ungeschickten Angriff auf
die erleuchteten Zeiten;[263] »aberweises Jahrhundert von Litteratoren«
nennt er es in der Satire auf Wieland[264]. Am schärfsten ist wieder
Herder in den Schriften jener Zeit, so in der Ältesten Urkunde: Celten
und Scythen, Äthiopier und Indier, Araber und Perser, Chaldäer und
Griechen--hier läßt sich ein Berg Pflaumfedergelehrsamkeit
zusammenblasen: »wie unwissend alle über den philosophischen Ursprung
der Dinge! Zerduscht und Hermes, Orpheus und Pythagoras, Plato und
summus Aristoteles, Zeno und Thales--wie elend sie erbauet«--aber Wir!
Wir![265]

Besonders ist es die kleine Schrift: »Auch eine Philosophie der
Geschichte zur Bildung der Menschheit,« die das Thema, wie wirs denn so
herrlich weit gebracht, in mannigfachster Weise anschlägt[266]. Eine
Stelle sei hervorgehoben, weil sie auch sonst an Faust anklingt: Warum
endlich trägt man den Roman einseitiger Hohnlüge denn in alle
Jahrhunderte, verspottet und verunziert, damit die Sitten aller Völker
und Zeitläufte, daß ein gesunder, bescheidener, uneingenommener Mensch
ja fast in allen sogenannt pragmatischen Geschichten aller Welt nichts
endlich mehr als den ekelhaften Wust des Preisideals seiner Zeit zu
lesen bekommt? Der ganze Erdboden wird Misthaufe, auf dem wir Körner
suchen und krähen! Philosophie des Jahrhunderts[267].

Goethischer Geist hat sich also in diesem zweiten Teile der Wagnerscene
mit dem verwandten Herderischen zu einer scharfen Kritik des
kleinlichen, dabei sich überhebenden Geistes der Wissenschaft am Ende
des 18. Jahrhunderts verbunden. Angeregt in dieser Weise Stellung zu
nehmen im Widerspruch mit einer Epoche, in der common-sense und
verwässerte französische Aufklärung sich ungebührlich breit machten,
ward der junge Goethe zuerst durch die Bekanntschaft mit Herder in
Straßburg, vor allem aber durch seine thätige Teilnahme an dem frischen,
fröhlichen Feldzuge der Frankf. Gel. Anzeigen vom Jahre 1772. Auf diesem
Boden erwuchsen die satirischen Ausfälle der Jahre 1773 und 1774, alle,
wie er selbst zugesteht, aus der durch Herders scharfen Humor
veranlaßten Unart entsprungen;[268] in ihre Reihe gehören auch die
satirischen Scenen im Faust.

Wagner versucht nun, wie am Schluß des ersten Teils der Scene, noch
einen Einwand zu machen. Wagt er es auch nicht etwas auf Fausts
Skepticismus über menschliche Erkenntnisfähigkeit auf dem Gebiet der
Geschichte zu erwidern, so lenkt er doch seinen Blick auf ein anderes,
auf die Kenntnis der Welt und des inneren Menschen; »Kenntnis des
menschlichen Herzens, wie man es damals nannte[269].« Auch danach
verlangte ja das Jahrhundert. Statt des Wissens suchte man nach
Erfahrung. Aus Dichtung und Wahrheit ist bekannt, wie der junge Goethe
ebenfalls danach Verlangen trug und wie er von Behrisch beschieden
ward[270]. Das eigentliche Studium des Menschen sei der Mensch selbst,
hieß es; Pope schreibt seinen Versuch vom Menschen; andre folgten, wie
Hartley, Hemsterhuis. Es schob sich damit ein Keil hinein in die
trockene Schulweisheit der Zeit. Der trockene Schwärmer Wagner macht
also auch diese Mode mit. Die am Anfang des neunten Buches von Dichtung
und Wahrheit angeführte Stelle der Allgem. deutschen Bibliothek[271]
zeigt uns diese Gegensätze. »Die Philosophie«, fügt Goethe dort hinzu,
»mit ihren abstrusen Forderungen war beseitigt, die alten Sprachen,
deren Erlangung mit so viel Mühseligkeit verknüpft ist, sah man in den
Hintergrund gerückt, die Compendien, über deren Zulänglichkeit uns
Hamlet schon ein bedenkliches Wort ins Ohr geraunt hatte, wurden immer
verdächtiger, man wies uns auf die Betrachtung eines bewegten Lebens
hin, das wir so gerne führten, und auf die Kenntnis der Leidenschaften,
die wir in unserem Busen teils empfanden, teils ahneten, und die, wenn
man sie sonst gescholten hatte, uns nunmehr als etwas Wichtiges und
Würdiges vorkommen mußten, weil sie der Hauptgegenstand unserer Studien
sein sollten, und die Kenntnis derselben als das vorzüglichste
Bildungsmittel unserer Geisteskräfte angerühmt ward. Überdies war eine
solche Denkweise meiner eigenen Überzeugung, ja meinem poetischen Thun
und Treiben ganz angemessen«[272]. So scheint es auch Goethe zu sein,
der ein Werk, das sich mit diesen Fragen beschäftigte, in den Frankf.
Gel. Anzeigen beurteilte[273].

Allein Wagner wird auch von der Pforte dieser Erkenntnis zurückgewiesen;
ist sie auch nicht unmöglich, so ist doch die wahre Erkenntnis auf
wenige beschränkt; für sie bringt sie aber nur, falls sie ausgesprochen
wird und nicht im Innern bewahrt bleibt, schwere Gefahr. Denn trotz
aller gerühmten Toleranz, für die der junge Goethe selbst in seinem
Schreiben des Pastors eingetreten war, wo er gefordert hatte, sie dürfe
nicht aus Gleichgültigkeit entspringen, sondern müsse auch aus dem
Herzen kommen, war es auch im 18. Jahrhundert noch gefährlich dem Pöbel
sein Gefühl und Schauen zu offenbaren. Der Verfasser der oben erwähnten
Schrift z. B. befürchtet üble Folgen für sein Buch aus dem
Verfolgungsgeist dieser Zeiten. Der Rezensent fügt hinzu: »Wir können
ihm dafür nicht bürgen, ob es gleich sehr unrecht wäre, eine
Untersuchung, die den Menschen nur auf einer Seite betrachtet, zu
verdammen, die Betrachtung der anderen Seite kann alles wieder gut
machen. Doch wenn man verdammen will, wer denkt daran!«[274] In seinem
Traktat über die Toleranz aber schreibt der junge Goethe: »Genung, die
Wahrheit sei uns lieb, wo wir sie finden.------Und wem darum zu thun
ist, die Wahrheit dieses Satzes noch bei seinem Leben zu erfahren, der
wage, ein Nachfolger Christi öffentlich zu sein, der wage sichs merken
zu lassen, daß ihm um seine Seligkeit zu thun ist! Er wird einen Unnamen
am Halse haben, ehe er sichs versieht, und eine christliche Gemeine
macht ein Kreuz vor ihm«[275].

Faust bricht die Unterredung, für die Wagner keine bessere Bezeichnung
als gelehrt weiß, ab; Wagner entfernt sich. Der Gegensatz ihres Wesens
tritt Faust noch einmal lebhaft vor die Seele. Er selbst greift nach dem
Höchsten; da es ihm nicht wird, schwindet ihm alle Hoffnung--und Wagner
verliert sie nie, der bei seinem Streben am Kleinlichsten haften bleibt
und mit dem Niedrigsten sich begnügt. Der kranke Adler, dessen Schwingen
gelähmt sind, und die selbstgenügsame Taube![276]

Mit wenigen, aber kräftigen Strichen hat der Dichter das Bild des
kleinen Gelehrten hingeworfen, dem gegenüber das Fausts um so heller
strahlt. Er scheint uns der Typus des kleinen Gelehrten überhaupt zu
sein, obwohl er ganz mit den Farben des 18., keines Falls des 16.
Jahrhunderts gemalt ist. Einzelne Züge boten sich Goethe allenthalben
da, selbst bei den Angesehensten der Zeit. Er vereinigte sie zu einem
Bilde. So entstand Wagner, der trockene Schwärmer, der sich ohne
Begeisterung für alles, was in der Wissenschaft Mode geworden ist,
begeistert[277], »ein Typus von der Fruchtteuerung und dem Kleingeist
des Jahrhunderts[278]«, einer von denen, »quibus peiore ex luto finxit
praecordia Titan[279],« einer jener unselbständigen, dabei eingebildeten
Köpfe, die überall stoppelnd und Nachlese haltend, ihr Unwesen trieben,
vom Schlage jenes Gießer Professors Chr. H. Schmid, den einst Herder in
einer Rezension zusammengehauen[280], den Goethe bei seinem Besuche in
Gießen so ergötzlich verspottet[281] und auch im Jahrmarktsfest
mitgenommen hatte[282]. Doch fehlen bei Goethe alle individuellen
Beziehungen; er hat ein allgemeines Zeitbild geschaffen, während Maler
Müller in dem Zerrbild des Magister Knellius mehr einzelne, allerdings
niedrigste und gemeinste Züge verwendet und vielleicht in der That auch
dabei an Schmid gedacht hat[283]. Goethes Freunde aber, die den Faust
schon in Frankfurt kennen gelernt hatten, haben wohl, besonders da
Goethe über die Freuden des jungen Werthers sehr ungehalten war, bei
Wagner auch an Nicolai gedacht.



Entstehungszeit der Wagnerscene.

Die Frage nach der Entstehung dieser Scene ist im allgemeinen schon
durch die vorhergegangene Erörterung beantwortet. Es kann danach kein
Zweifel sein, daß die in dem Kampfesjahre von 1772 gewonnene lebendige
Erfahrung die Farbe zu dem Bilde geliefert hat, was der Dichter, auch
hier noch streitend, von der Gelehrsamkeit der Zeit entworfen hat[284].
Damit ist diese Scene in eine Reihe gestellt mit den ausgeführten
Satiren, die meist in der Nachwirkung des Kampfes von 1772 noch aus
jener Streitlaune heraus und unter dem Einfluß Herderischen Humors
entstanden sind. Wir sind demnach von selbst auf die Jahre 1773 und 1774
hingewiesen. Es fragt sich also, ob in der Scene bestimmte Beziehungen
enthalten seien, die den Ausschlag für das eine oder das andere Jahr
geben könnten. Im großen und ganzen konnte der Ideenkreis, in dem die
Scene sich bewegt, als schon in den Rezensionen der Frankf. Gel.
Anzeigen vorhanden nachgewiesen werden. Im ersten Teile der Scene
ergaben sich Beziehungen und Anklänge zu dem 1775 entstandenen Anhang zu
Mercier[285]. Allein was Goethe damals niederschrieb, konnte er sich
recht wohl schon viel früher in seinem Geiste als bestimmte Ansicht
gebildet haben, um so mehr als offenbar Herders persönliche Anregung
beim Straßburger Aufenthalte dazu bei mitgewirkt hatte. Im übrigen
fanden sich Beziehungen mit Schriften Herders, die erst im Jahre 1774
erschienen, so den Provinzialblättern und Auch eine Philosophie der
Geschichte zur Bildung der Menschheit; aber bei diesen Parallelen ist
von vorn herein Vorsicht geboten[286]. Es ist ja derselbe Geist, der
hier kämpft, in Herder wie in dem jungen Goethe. Dieser Geist äußert
sich leicht in gleichen Wendungen und Bildern. Dazu kommt noch, daß sich
die neue Richtung auch ihre Sprache geschaffen hatte; es hatte sich mit
der Zeit ein fester Bestand von Worten und Wendungen gebildet, die sich
mit geringen Veränderungen immer wieder benutzen ließen. So entstand
leicht eine gewisse Gleichmäßigkeit im Ausdruck und im Gebrauch von
Lieblingsworten und Bildern, die dazu nicht bloß von schriftlicher,
sondern auch mündlicher Überlieferung herrühren konnten. Suphan[287]
hatte auf die Ähnlichkeit des merkwürdigen Ausdrucks: Schnitzel kräuseln
in V. 202 = 555 mit dem von Herder in den Provinzialblättern[288]
gebrauchten: gekräuseltem Schnitzwerke hingewiesen. Ein ähnliches Bild
findet sich jedoch schon früher bei Herder; es ist bereits auf die
Stelle hingewiesen worden, wo er Schlözers Leitfaden ein schönes
Krausgewinde aus mancherlei neuen Schriften aufgewunden nennt. Hier sind
es also Fäden, die aus einem andren Gewebe aufgezogen und gekräuselt
sind; auch jenes Bild vom krausen Labyrinth ist aus ähnlicher
Vorstellung hervorgegangen. Ferner meint auch Herder mit seinem
Schnitzwerk wohl etwas anderes als Goethe mit seinen Schnitzeln.
Schnitzwerk ist Schnitzerei; gekräuseltes Schnitzwerk also eine krause
Schnitzerei, die dem künstlerischen Geschmack als unnatürlich,
künstlich, überladen, verworren und verwirrend erscheint. Herder denkt
an die geschnitzte Handhabe eines Gefäßes, die beim Gebrauch zerbricht,
wie der Bogen in Lessings Fabel[289]. Über sie übersieht der des
Einfachen und Natürlichen entwöhnte Blick die andere Handhabe, die
»einfältig, stark, unzerbrechlich, wahre Handhabe« ist. Schnitzel
dagegen sind Abfälle, das, was beim Schneiden oder Schnitzeln als
unbrauchbar weggeworfen wird; sie sind wertlos wie die dürren Blätter
des Baumes, unlebendig[290]. Solche Abfälle werden aber gerade von jenen
Nachlesern zusammengesucht. Es ist dasselbe kümmerliche Interesse, wie
es nachher am Historiker verspottet wird, überall den Schutt und das
Gerümpel zu sammeln. Das Zeitwort schnitzeln gebraucht Herder sonst für
eine kleinliche, geistlose und künstliche Beschäftigung. So schreibt er
in den Fragmenten: Die lateinische Litteratur erstickte den Geist und
schnitzelte den Geschmack an Spekulationen und Unsinn--[291]. Am Spane
schnitzeln gebraucht er in der Bedeutung von kleinlichen Herumtadeln und
-bessern in Zusammenhang mit am Farbenklümpchen klauben[292]. Das
Substantivum Schnitzel gebraucht dagegen Goethe sonst oft; ebenso Merck.
An ihn schreibt er über Lenz: »Er hat Sublimiora gefertigt; kleine
Schnitzel, die Du auch haben sollst«[293]. (Man beachte den Gegensatz
zwischen Sublimiora und Schnitzel!); ein andermal: »so schnitzelweis
genießt kein Mensch was«[294]. Wieland an Merck am Allerheiligentag
1779:[295] Rezensionsschnitzel; dafür auch Schnitzen; einmal: Die
neuerlich übersandten Schnitzen, wie du es nennst[296], (also als ein
Merckischer Ausdruck!) Der Ausdruck »Kräuseln« findet sich beim jungen
Goethe öfters, in gebundener Rede immer im Reim auf »säuseln«; so schon
in der Laune des Verliebten: »indem er sich mit dir im Reihen
kräuselt,«[297] also hier gleich sich kunstvoll drehen. Dann im Faust
außer an unserer Stelle noch V. 558 = 2706. Den Sand--kräuseln = im Sand
künstliche Figuren hervorbringen; am 26. Dezember 1774 schreibt er an
Schlosser: »Denn der Wirbel kräuselt mir schon bei frühem Morgen das
Köpfchen;«[298] in Cäsars Charakteristik bei Lavater spricht er von
dessen gekräuselter, unbestimmter und fatal zurückgehender Stirne[299].
Bekannt ist endlich die Stelle in Claudine von Villa Bella: »Das ist
doch einmal ein gescheuter Einfall von ihnen; etwas unglaubliches, daß
sie wieder zur Natur kehren; denn sonst pflegen sie immer das Gekämmte
zu frisieren; das Frisierte zu kräuseln; und das Gekräuselte am Ende zu
verwirren, und bilden sich Wunderstreiche darauf ein«[300]. Also auch
hier: im Gegensatz zur Natur etwas Künstliches noch mehr verkünsteln.
Das Eigenschaftswort kraus gebraucht der junge Goethe ebenfalls
häufiger; so in seiner Rezension über Sandrart, wo er vom üppigen
Auswuchs krauser Diction spricht;[301] im Faust V. 329 (in der alten
Fassung der Schülerscene): Aber sieht drin so bunt und kraus------das
Compositum krausborstig in der Baukunst: und so graute mirs--vom Anblick
eines mißgeformten kr. Ungeheuers;[302] vorher ist die Rede von dem
gedrechselten Puppen- und Bilderwerk, von abenteuerlichen Schnörkeln und
erdrückenden Zierart, was er dann alles in jenen Worten zusammenfaßt.
Kräuseln bedeutet also etwas schnörkelhaft, künstlich aufputzen und
verzieren; es ist dem Klaren, Einfachen entgegengesetzt, wie etwa die
Kunst der Gothik oder des Rokkoko der stillen Einfalt des Altertums.
»Und es ist doch nichts wahr als was einfältig ist;« schreibt Goethe
schon am 13. Februar 1769 an Fr. Oeser[303]. Bei der Wendung Schnitzel
kräuseln haben wir also die Vorstellung, die den ganzen ersten Teil der
Scene durchzieht, daß etwas Inhaltleeres äußerlich künstlich aufgeputzt
werde, um damit die Augen der Menschen zu bestechen[304]. Das Goethische
Bild ist also denn doch von dem Herders verschieden; die Ähnlichkeit
kommt nur daher, daß es aus dem gleichen Gedankenkreise hervorgegangen
ist, der sich bei seinem geistigen Zusammengehören auch ähnlicher
Wendungen und Bilder bediente. So findet sich z.B. in dem Entwurfe zu
den Provinzialblättern, den Goethe gewiß nicht gelesen hat, eine Stelle,
die an V. 175 ff. = 528 ff. deutlich anklingt: »Akteurs sollen Prediger
und können nie sein; oder sie sind das schlechteste, lächerlichste Ding
unter der Sonne, und unter keiner Sonne, wenn in die Kirche und auf das
Theater keine Sonne scheint. Theaterillusion ist so etwas ganz
anderes--doch was gehört das hierher, für den der die Sache etwas näher
erwogen?«[305] Solche grundsätzliche Anschauungen hatte aber Goethe von
Herder oft genug ausgesprochen und auch durch die That bestätigt
gehört[306].

Auch Beziehungen zu der kleinen, mit den Provinzialblättern gleichzeitig
erschienenen, Schrift: Auch eine Philosophie u.s.w. sind nicht so
überzeugend, daß sie viel beweisen könnten. Der Geist, der in ihr weht,
ist auch schon in früheren Schriften Herders zu erkennen und war auch
wohl im mündlichen Austausch der Gedanken zum Ausdruck gekommen.
Suphan[307] hat aus der erwähnten Schrift zu V. 222 f. = 575 f. die
Stelle angezogen: »Philosoph, wilt Du den Stand deines Jahrhunderts
ehren und nützen: das Buch der Vorgeschichte liegt vor Dir! Mit sieben
Siegeln verschlossen, ein Buch voll Weissagung«. Aber ähnliches hatte
Goethe selbst schon von der Geschichte der Vergangenheit gesagt;[308]
und vor beiden ihr gemeinsamer Prophet Hamann in den Sokratischen
Denkwürdigkeiten: »Doch vielleicht ist die ganze Historie mehr
Mythologie als es dieser Philosoph meint, und gleich der Natur ein
versiegelt Buch, ein verdecktes Zeugnis. ein Rätsel, das sich nicht
auflösen läßt, ohne mit einem anderem Kalbe als unserer Vernunft zu
pflügen[309].« Aus allen spricht der gleiche Geist der neuen
Gefühlsrichtung, der sich gegen die herrschende rationalistische erhebt.
Ebenso wenig darf auch aus der von uns angezogenen Stelle[310] ein
Schluß auf die Abfassungszeit der Scene gezogen werden. Es sind
Äußerungen gleichgestimmter Geister, die gegen dieselben Verkehrtheiten
der Zeit ankämpfen[311].

Ein sicherer Anhalt zur genaueren Zeitbestimmung läßt sich also aus
derlei Anklängen nicht gewinnen. Die Frage steht demnach noch offen, ob
die Scene 1773 oder 1774 gedichtet sei. Sie erscheint nun in einem
gewissen Zusammenhange mit der ersten Hauptmasse; sie ist mit ihr durch
ein Übergangsmotiv verbunden, das der junge Goethe auch sonst benutzt
hat. Darf man also vielleicht daraus schließen, daß sie nach und im
Zusammenhang mit der ersten Hauptmasse entstanden sei? Ist dies nicht
das Natürlichste? Nötig ist jedoch diese Annahme von vornherein nicht.
Denn da der Stoff der Dichtung seit Jahren in dem Dichter schon lebendig
war und sich mehr und mehr ausbildete, konnte ja nach einem äußerm
Anstoß und je nach der Stimmung des Dichters sich bald diese, bald jene
Scene aus dem in seinem Geiste bestehenden Zusammenhange loslösen und
ausgestalten; ja es konnte sich sogar, wie es bei Werthers Leiden
eintrat, ein besonderes kleines Werk abzweigen, an das er zunächst noch
gar nicht gedacht hatte, worauf er mit um so größerer Klarheit und
Bestimmtheit zu seinem Hauptwerk zurückkehrte. Wie er es später that,
konnte er auch damals die Absicht sachte neben sich hergehen lassen und
die gerade interessantesten Stellen ausarbeiten[312]. Daher kommt auch,
wie bei dem Volksliede das Sprunghafte in der Komposition. Dem Dichter
war sein Stoff so lebendig, daß er manche Mittelglieder in der
Ausführung von selbst überging. Deshalb konnte er recht wohl auch die
Wagnerscene ausführen, von Anfang an in der Absicht, die erste
Hauptmasse damit abzubrechen und sie unmittelbar daran anzuschließen. So
hat er ja auch die Schülerscene außer allem Zusammenhang gedichtet. Der
erste Monolog und die Erdgeistscene schwebten ihm dann dabei bereits im
allgemeinen vor der Seele. In der unbezweifelt Goethischen Beurteilung
von Lavaters Aussichten in die Ewigkeit finden wir schon eine Stelle,
die sich in manchem mit dem Grundgedanken des ersten Monologs
vergleichen läßt: »Wie deutlich sieht man nicht------eine Seele, die von
Spekulation über Keim und Organisation ermüdet, sich mit der Hoffnung
letzt, die Abgründe des Keims dereinst zu durchschauen, die Geheimnisse
der Organisation zu erkennen, und vielleicht einmal da als Meister, Hand
mit anzulegen, wovon ihr jetzt die ersten Erkenntnislinien nur schwebend
vordämmern; eine Seele, die in dem großen Traum von Weltall,
Sonnendonnern und Planetenrollen, sich über das Irdische hinauf
entzückt, Erden mit dem Fuß auf die Seite stößt, tausend Welten mit
einem Finger leitet und dann wieder in den Leib versetzt, für die
mikromegischen Gesichte, Analogie in unseren Kräften, Beweisstellen in
der Bibel aufklaubt«[313]. Man sieht, wie das in dem Dichter bereits
vorhandene Bild von Faust zur Charakteristik Lavaters mit beigetragen
hat.

Kann er nicht also von Anfang an beabsichtigt haben, mit der Wagnerscene
ein Gegenstück zu der Erdgeistscene zu schaffen, um den
niedergedrückten Faust vor unseren Augen wieder zu erheben? Kann er
nicht etwa dann sie schon in jener satirisch gestimmten Zeit des Jahres
1773 nicht lange nach den kecken Vorstößen der Fr. Gel. Anzeigen, mit
denen sie in so engem Zusammenhang steht, ausgeführt haben? Man sieht
also aus diesen Erwägungen, daß eine ganz bestimmte Entstehungszeit, wie
es bei der ersten Hauptmasse möglich war,[314] aus der Scene selbst
nicht zu ermitteln ist. Sie kann vor wie nach jener gedichtet sein; sie
kann eben so wohl im Jahre 1773 wie 1774 gedichtet sein.

Auch die Sprache bietet nicht viel Besonderes: V. 201 = 554. »Und all
die Reden,« wofür die späteren Fassungen: »Ja, eure Reden« bieten. Zu
der wenig glücklichen Ausdrucksweise und Versform in V. 179. 180 = 532.
533 vergleiche man aus der ersten Hauptmasse V. 144 = 496.



2. Die Schülerscene.

(V. 249-444 = 1868-2050.)

Die Schülerscene ist zunächst darum von Bedeutung, weil hier
Mephistopheles zum ersten Mal auftritt. Mit der Wagnerscene, die ihr im
ältesten Faust unmittelbar vorhergeht, steht sie in keiner Verbindung;
sie ist vielmehr der beste Beweis, wie der Dichter auch außerhalb des
Zusammenhangs das ausführte, wozu ihm das Leben den nötigen Stoff und
die Anregung gegeben hatte. Die große Lücke zwischen den beiden Scenen
blieb lange unausgefüllt. Das Fragment von 1790 gab nur das Endstück der
Vertragsscene und den sich anschließenden kurzen Monolog des Teufels
zu[315]. Die wesentliche Arbeit bei der Vollendung des ersten Teils
bestand eben in der Ausfüllung der Lücke, vor der einst der junge
Goethe Halt gemacht hatte, weil es ihm damals wie auch noch später an
erlebtem Stoffe und der Stimmung mangelte. Daß jedoch trotzdem zwischen
der Wagner- und der Schülerscene ein innerer Zusammenhang besteht, der
es begreiflich macht, weshalb der Dichter gerade diese Scene ausgeführt
hat, ist bereits angedeutet worden und wird aus dem folgendem noch
klarer werden.

Mephistopheles erscheint hier in der Maske des Professors; er ist im
Schlafrock und hat eine große Perrücke auf. Der Dichter denkt also dabei
wieder an den Professor des 18., nicht des 16. Jahrhunderts. Ein Student
tritt auf, nicht ein Schüler; diese mehr dem Mittelalter angemessene
Bezeichnung weist erst das Fragment auf, wie es auch die Maske des
Teufels jener Zeit entsprechend geändert hat. Überhaupt hat von allen
Scenen diese die durchgreifendsten Änderungen erfahren und ist darum im
ältesten Faust die am meisten von der späteren Fassung verschiedene
Scene. Sie besteht hier aus zwei deutlich geschiedenen Teilen; zuerst
werden nach der Einleitung, die auch später nur unwesentlich abgeändert
worden ist, äußerliche studentische Angelegenheiten, wie Wohnung und
Tisch, verhandelt, dann erst geht Mephistopheles auf das Studium selbst
ein. Die Überschau über die vier Fakultäten fehlt; denn der Student hat
sich von vornherein für die Medizin entschieden. Mephistopheles weist
ihn aber ebenfalls auf Logik und Metaphysik hin und äußert sich danach,
den Professorton aufgebend, in der bekannten Weise über die Medizin. Den
ersten dieser beiden Teile hat Goethe begreiflicher Weise später
gestrichen, dagegen den zweiten mit der angegebenen Erweiterung
verwertet.

Die Einleitung[316] ist, wie gesagt, im großen Ganzen unverändert
geblieben. Der Student tritt auf, um den berühmten Professor kennen zu
lernen und seinen Rat zu erbitten. Es gefällt dem Neuangekommenen gar
nicht und er möchte schon wieder fort. Sein Grund dafür ist,--dies ist
die erste Abweichung von der späteren Fassung--daß es ihm in der
heißhungrigen Luft des Ortes nicht behagt, der den Studenten als seine
Beute betrachtet. Damit ist der Übergang zu dem der ältesten Fassung
eigentümlichen ersten Teile gegeben. Der Professor aber, dem des
Studenten Bedenklichkeit wenig gefallen will, entschuldigt in lässiger
Weise das, woran jener Anstoß genommen, und dann beginnt er, nicht etwa
vom Gang und von der Einrichtung des Studiums, sondern--vom Logis als
einer Hauptsache zu sprechen. Allein dem Studenten liegen ganz andre
Dinge am Herzen: er möchte gern alles Gute zusammen haben, das Böse sich
vom Leibe halten, Freiheit und auch Zeitvertreib und endlich auch dabei
studieren. Mit beweglichen Worten bittet er ihn schließlich, ihm bei der
Sorge um das Heil seiner Seele zu helfen. Das ist nun nichts für den
Teufel. In komischer Verlegenheit kratzt er sich und bringt ohne
weiteres das Gespräch wieder auf das Logis. Er verweist ihm das
Wirtshausleben, gibt ihm einige Winke für sein Verhalten gegen die
Professoren und schließt mit der Empfehlung einer Wohnung. Dem Studenten
ists bei dem Gerede immer unbehaglicher geworden; als nun der Professor
aber auch von dem studentischen Tisch beginnen will, unterbricht er ihn
und deutet auf das hin, was ihm die Hauptsache ist, des »Geists
Erweiterung!« Mephistopheles weist ihn spottend ab; der Student kennt
noch nicht den Geist der Akademien, wenn er erwartet, er könne auf ihnen
seinen Geist erweitern. Ohne Umstände springt darum der Professor zu dem
neu angeschlagenen wichtigen Thema über und läßt sich nun nicht mehr in
der Schilderung des studentischen Tisches stören, wobei denn auch sonst
noch mancher gute Rat abfällt. Danach kommt erst wieder der andre mit
dem, was ihn bewegt, zum Wort. Es erfolgt statt einer Antwort die Frage
nach der Fakultät. Von hier an geht endlich Mephistopheles auf das
Studium selbst ein. (Zweiter Teil der Scene.)

Was will nun der Dichter mit der niedrig derben Komik des ersten Teils?
Klar ist es, daß der Teufel in der Maske des Professors den Professor
verspotten will; es ist auch verständlich, daß er aus diesem Grunde mehr
sagen muß als der Professor selbst gesagt hätte. Seine Denkart sollte
vollständig dargestellt werden und dazu hätte das nicht genügt, was er
sich sonst selbst auszusprechen erlaubte. Daraus erklären sich die
anscheinenden Übertreibungen in den Versen 285 ff. und 324; ebenso wenig
darf es befremden, daß Mephistopheles manchmal aus seiner Rolle fällt,
so z.B. wenn er V. 309. 310 allzu offenherzig über den Geist der
Akademien spricht.

Nach alledem ist offenbar schon in dem ersten Teil der Scene eine Satire
auf das Professorentum beabsichtigt. Auch hier spricht Mephistopheles im
Professorton[317]. Wir müssen daraus unbedingt den Schluß ziehen, daß es
in der That Professoren gegeben habe, die in solch gemein-frivoler Weise
zu ihren Studenten sprachen und Logis und Mittagstisch für wichtiger
hielten als das Studium. Daß eine Satire in diesem Sinne beabsichtigt
ist, zeigt uns deutlich des Studenten Benehmen. Er will etwas ganz
anderes hören als Belehrungen über jene Dinge, auf die der Professor ein
solches Gewicht legt. So geht er V. 268 überhaupt nicht auf die Frage
nach dem Logis ein, sondern bringt vor, was ihm am Herzen liegt, seine
sittliche und geistige Ausbildung. Allein mit Gewalt kommt der
Professor, ohne auch nur im geringsten jenes bewegliche Bitten zu
beachten, auf sein Thema zurück. Der Student unterdrückt auch sein
Unbehagen über das, was er wider Willen anhören muß, nicht (vergl. V.
291 u. 303 f.). Als nun aber der Professor zu einem ähnlichen Thema,
zur Bestellung des Mittagtisches übergehen will, wird er abermals von
ihm an das Wichtigere, des Geists Erweiterung, gemahnt. Allein er läßt
sich nicht beirren und führt auch dieses Hauptstück in derselben Weise
zu Ende. Jedoch ist es hier _Mephistopheles_, der mit feinerem,
überlegenem Spotte den immer dringender werdenden Neuling abwehrt. Zum
dritten Male endlich erinnert ihn der Schüler darauf an das, was ihm
Herzensbedürfnis ist, eine Anleitung zu erhalten auf den verworrenen
Pfaden der Wissenschaft. Jetzt erst stellt der Professor, indem er sich
bezeichnender Weise das Ansehen gibt als habe er sich über das
Wesentliche nun ausgesprochen und halte die Unterhaltung für
beendet[318], die Frage nach der Fakultät.

Eine satirische Absicht ist also jedenfalls vorhanden. Der Dichter trägt
nicht etwa aus jugendlich naiver Freude an solchen Scherzen diese
Derbheiten vor, sondern verbindet damit einen bestimmten Zweck. E.
Schmidt nimmt daher einen verkehrten Standpunkt ein, wenn er sich
abfällig über diesen Teil äußert, von unreifem Geplauder spricht und
anzudeuten scheint, daß es für die Leipziger Zeit des Dichters gerade
gut genug sei[319]. Allein wie er sich selbst dazu verhält, hat der
junge Goethe im Bilde des Studenten, der, wie wir sehen werden,
keineswegs der Leipziger Fuchs[320] ist, klar genug angedeutet. Des
Dichters Spott muß sich gegen damals im Professorentum vorhandene
Auswüchse richten, die ihm bekannt waren, und er wurde auch jedenfalls
sofort von dem kleinen Kreise, für den seine Satiren vor allem gedichtet
waren, verstanden und auf bestimmte Verhältnisse und Personen bezogen.
Wir können heute nur noch vermuten, wen er etwa gemeint habe. Denn daß
er hier eine Satire ohne bestimmte Spitze geschrieben habe, ist bei
einem Dichter, der stets aus dem vollen Leben geschöpft und für das
Leben gedichtet hat, nicht anzunehmen. Wenn auch die persönlichen
Beziehungen in den satirischen Dichtungen des jungen Goethe noch so
versteckt oder ins allgemeine gezogen sind, vorhanden sind sie. Es muß
daher unsere Aufgabe sein, Umschau zu halten im akademischen Leben des
18. Jahrhunderts und zu prüfen, ob sich damals im Professorentum
wirklich Auswüchse der Art bemerkbar machten, wie sie hier der Witz des
Dichters vorauszusetzen scheint. Gab es in der That Professoren, die
sich nicht scheuten, im Verkehr mit ihren Schülern den rohesten und
seicht-frivolsten Studententon anzuschlagen, die es nicht verschmähten,
sich mit den ungebildetesten unter ihnen auf eine gleichniedrige Stufe
zu stellen und ihren kümmerlichsten Interessen durch die platteste
Unterhaltung entgegenzukommen?

Nun wissen wir allerdings, daß etwa seit der zweiten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts auch im akademischen Leben die alle freien Regungen
hemmende Strenge und Pedanterie eine Gegenbewegung hervorrief, die zum
Teil um so zügelloser auftrat, je enger grade hier die Schranken gezogen
waren. Also auch hier Sturm und Drang; auch hier und fast ausschließlich
die Erscheinung, daß sich innerlich haltlose, äußerlich gewandte, mit
einer gewissen Leichtigkeit der Auffassung und Darstellung begabte
Menschen den neuen Bestrebungen zuwandten, die jedoch, nachdem sie kurze
Zeit geglänzt hatten, im Dunkel verschwanden, oft mit Schmach und
Schande von ihrer Höhe gestürzt wurden und frühe ein verfehltes Leben
beschlossen. Gerade das Gelehrtentum trug am meisten dazu bei, dem Namen
des Genies einen schlimmen Klang zu verleihen. Denn es trug, wie Kawerau
treffend bemerkt, das Fratzenhafte des Genietums an sich, aber ohne die
idealen Züge jener bewegten Strebezeit[321].

Einer der Führer dieser Bewegung, der zugleich Schule zu machen
verstand, war Klotz, jener Hallische Professor, dessen Namen durch
Lessings und Herders Gegnerschaft bekannt geblieben ist. Mit einer
gewissen formalen Gewandtheit ausgerüstet, hatte er zugleich eine gute
Witterung für das Neue, das er sofort mitzumachen begann. Er verspottet
nicht nur die herrschende Pedanterie in Wissenschaft und Leben, sondern
redet auch zu einer Zeit, wo abermals das klassische Altertum eine
Auferstehung feierte, ihm das Wort und vertritt dabei eine
ästhetisierende Auffassung, die jedoch nie in die Tiefe zu dringen
vermag. Er schreibt dazu--denn Satire ist diesen Neuerern allen mehr
oder weniger eigen--eine Reihe akademischer Satiren, wie Mores
Eruditorum, Genius Saeculi (1760), die im Tone der Dunkelmännerbriefe
gehalten sind, einer Form, die sich von selbst darbot, da wieder um
ähnliches gestritten ward wie zur Zeit des Humanismus. In den Ridicula
litteraria (1762) verspottet er unter anderem ganz im Geschmack der
neuen Richtung die Metaphysik[322]. Klotz hängt also mit ihr zusammen,
weshalb es auch nicht wunderbar ist, daß Lessing und Herder zunächst mit
Anerkennung von ihm sprachen. Aber lange konnten sie sich nicht
täuschen; bald musste ihnen die Hohlheit und Oberflächlichkeit des
angeblichen Mitstreiters klar werden. Klotz war auch einer jener
trockenen Schwärmer, die sich ohne inneres Feuer künstlich für Ideen und
Gegenstände begeisterten, die Mode geworden waren[323]. Dazu kam noch,
daß er auch sittlich jedes festen Haltes entbehrte; er war der erste,
der die sittliche Zerfallenheit in die eigentliche Gelehrsamkeit
verpflanzte[324]. Darum war es auch eine Handlung der Notwehr, solche
gefährliche Freunde öffentlich abzuschütteln, was denn auch Lessing
Klotz gegenüber mit der ganzen Wucht seiner Persönlichkeit that. Denn es
galt mehr als nur diesen Gegner niederzuschmettern. Klotz starb früh.
Hausen errichtete ihm durch seine Biographie eine Schandsäule auf seinem
Grabe. Goethe bezeigte sein Interesse, das er an Klotz nahm, dadurch,
daß er Hausens Schrift in den Frankfurter Gelehrten Anzeigen
besprach[325] und später im Anschluß daran ebenda Jacobis ängstliche
Protestationen wegen seiner Beziehungen zu Klotz mit verdientem Hohne
zurückwies[326]. Zur Zeit seiner Blüte hatte es Klotz trefflich
verstanden, einen Kreis von Anhängern zu sammeln und geistesverwandte
Naturen an sich zu ziehen, mit deren sittlicher Haltung es womöglich
noch schlimmer bestellt war als mit der ihres Beschützers; zu ihnen
gehören unter anderen Riedel und Bahrdt. Auch gegen Riedel, der fast
Lessing selbst bestochen hätte, gedachte Herder aufzutreten; er schrieb
über seine Theorie der schönen Künste sein viertes Wäldchen, das er
jedoch nicht veröffentlichte[327]. Riedel ward 1768, als der Kurfürst
Emmerich Joseph die Universität Erfurt neubegründete, dorthin berufen.
Auch ihm fehlte nicht die satirische Ader; eine seiner Satiren: Launen
an meinen Satyr ist in den F.G.A. besprochen, vielleicht von
Goethe[328]. Riedel fand von allen diesen Genies das traurigste Ende; er
starb, nachdem er sich seine Stellung in Wien verscherzt hatte, im
Irrenhause[329].

Der berüchtigste dieser Schwarmgeister, der uns hier am meisten
interessiert, da er sich auch mit Goethe verschiedentlich berührte, war
K. Fr. Bahrdt. Auch er gehört zu den falschen Propheten, die über Nacht
wie Pilze aufschießen, sobald sich eine neue Zeit angekündigt hat. Sie
haben anscheinend das gleiche Streben, mitzuarbeiten an der
Verwirklichung neuer und großer Ideen, die sie mit beredten Worten zu
verkünden wissen; allein die Mittel, die sie anwenden, sind oft
gewöhnlich, ja verwerflich und gemein. Der junge Goethe erkannte mit
klarem Auge das Wesen dieser eigentümlichen Erscheinung; so kam ihm der
Gedanke, sie im Bilde des Mahomet darzustellen[330]. Allein der Plan
wurde, trotzdem die nähere Bekanntschaft mit Lavater und Basedow ihm
neuen Stoff geliefert hatte, nicht weiter ausgeführt; wohl aber ein
scherzhaftes Seitenstück dazu, der Satyros, in dem er einen der
tüchtigeren dieser Propheten, obwohl er in sein Bild mit dem Rechte des
Dichters noch anderer Züge aufgenommen hat, verspottet[331]. Satyros;
denn satyrgleich folgten jene, viele das Evangelium der Natur mit
Behagen mißbrauchend, die eigene rohe Natur unverhüllt zu zeigen, dem
Dionysoszuge der neuen Kulturbewegung. Im Pater Brey hatte der Dichter
schon vorher einen der weniger bedeutenden dieser Propheten abgethan.

Bahrdt war es nun, der den Genieton auch in die Theologie trug[332]. In
Leipzig konnte Goethe schon von ihm hören; denn als er dort noch Student
war, war Bahrdt bereits Dozent. Als jener Leipzig verließ, mußte es
dieser verlassen, dort unhaltbar geworden durch Vorkommnisse, die das
Unsittliche seines Wesens aller Augen bloßgelegt hatten. Bezeichnender
Weise wurde danach sofort Klotzens Teilnahme für den früheren Gegner
wach, als habe der plötzlich entdeckte sittliche Mangel ihm die
Befähigung zur Aufnahme in den Klotzischen Kreis verschafft[333] Bahrdt
reiste nach Halle und Klotz empfahl ihn für eine Professur an der
Universität Erfurt, wohin er auch berufen ward. Über den Ton, der dort
herrschte, gibt Bahrdt in seiner Lebensgeschichte zum Teil Aufschluß.
Riedel gab ihn an; Bahrdt ward bald sein gelehriger Schüler, obwohl er
sich zwar anfangs unfähig fühlte, »diese Vollkommenheit der
Genies-Sitten sogleich zu erreichen«[334].

Riedel glich dem wildesten Jenaischen Studenten; der roheste Burschenton
war bei ihm üblich, in dem er die größten Albernheiten und Possen trieb.
Bahrdt gelang es bald, ihm darin gleich zu kommen. Beide ließen sich in
Gesellschaft mit Studenten ein, in der Lustigkeit und Spötterei der
herrschende Ton waren[335]. Und nun das Tollste von allem! Obwohl
unverheiratet, begann Bahrdt Kostgänger zu halten und selbst für den
Tisch seiner Studenten zu sorgen. Der Professor als Koch! der sich, wie
er selbst rühmt, besonders darauf verstand, den Speisen die letzte Würze
zu geben[336].

Dieser Mann, der zugleich seit jenem Skandal von der Rechtgläubigkeit
zur Aufklärung abgeschwenkt war, der seine Redegewandheit auf das
schändlichste mißbrauchte, um seine Zuhörer über seine wahre Gesinnung
zu täuschen, wurde 1771 an die Universität Gießen berufen und trat damit
Goethes Gesichtskreis wieder näher. In Darmstadt wurde er mit Merck
bekannt, und pflegte auch, wie er angibt, im Hause des Herrn von Hesse,
des Schwagers von Herder zu verkehren. Auch die Landgräfin Karoline
schenkte ihm Beachtung[337]. Als Merck 1772 Direktor der Frankfurter
Gelehrten Anzeigen geworden war, lud er durch einen Brief vom 18. Januar
auch Bahrdt zur Theilnahme ein;[338] es ist jedoch sehr wohl möglich,
daß er sich schon vorher unaufgefordert an das neue Unternehmen
herangedrängt hat. Die Rezension vom 17. Januar[339] erinnert
allerdings, wie Scherer meint,[340] stark an die Art Bahrdts. Man
bemerke nur die Polemik gegen den Teufelsglauben (S. 32. Z. 17 ff.), das
rationalistische Geschwätz auf S. 31. Z. 26 ff. und die S. 33. Z. 28 f.
ausgesprochene Ansicht, die den Verfasser der Neuesten Offenbarungen im
voraus verkündet. Bahrdt hat sich noch weiter an diesem Jahrgang
beteiligt, obgleich er dem Herausgeber von Anfang an Ungelegenheiten
bereitete[341]. Eine Rezension ist aber gegen Bahrdt gerichtet; es ist
die auf S. 319 ff., in der seine 1772 erschienene Schrift Eden
besprochen wird[342]. Goethe hat sie bekanntlich später als sein
Eigentum erkannt und in die Ausgabe seiner Werke aufgenommen. Es scheint
auch an seiner Urheberschaft nicht zu zweifeln zu sein[343].
Bemerkenswert ist, wie er auch hier schon das falsche Prophetentum
scharf kennzeichnet und abweist: »Wenn diese Herren so viele oder so
wenige Philosophie haben, sich das Menschenlehren zu erlauben, so sollte
ihnen ihr Herz sagen, wie viel unzweideutiger Genius, unzweideutiger
Wandel, und nicht gemeine Talente zum Beruf des neuen Propheten
gehören[344].«

Im Jahre 1773 ist aber Bahrdt der Direktor der Zeitung und rühmt sich
noch später, daß er Deinets Zeitungsbude fast ganz allein furniert
habe[345]. In demselben Jahre machte er auch den Versuch Hofprediger in
Darmstadt zu werden. Aus Mosers Gutachten über ihn sei hier einstweilen
schon auf folgende charakteristische Stelle aufmerksam gemacht: »Seine
Kanzelgaben sind ausnehmend und er besitzt eine hinreißende
Beredsamkeit; man darf aber ohne alle Medisance sagen, daß ein
vortrefflicher _Komödiant_ an ihm verdorben sei,«------.[346]

Der Versuch mißlang; ebenso der unmittelbar darauf unternommene,
Nachfolger des Seniors Plitt in Frankfurt zu werden, obwohl sich Deinet
sehr für ihn bemühte[347]. 1773 erschien ferner seine Homiletik, aus der
uns hier nur eine Stelle angeht, die geeignet ist, das beste Schlaglicht
auf die Oberflächlichkeit und gemeine Gesinnungsart dieses Menschen zu
werfen; sie lautet: »Ich meinesteils halte so viel auf eine schöne
Deklamation und Aktion, daß ich längst gewünscht habe, man möchte in
jedem Lande ein paar gute Schauspieler halten, welche die Kandidaten
darin übten[348].« Wem fallen hier nicht Wagners Worte ein:

    Ich hab es öfter rühmen hören,
    Ein Komödiant könnt einen Pfarrer lehren.

und Fausts treffende Entgegnung:

    Ja wenn der Pfarrer ein Komödiant ist.
    Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

Einen offenen Angriff auf Bahrdt machte der junge Dichter nach dem
Erscheinen der Neuesten Offenbarungen Gottes in Briefen und Erzählungen
(seit 1772) mit seinem kleinen Prolog, in dem er ihn, wie es schon in
jener Rezension geschehen war, wegen der ungeschichtlichen,
modernisierenden Auffassung (hier der Evangelien) spottend zurecht
wies[349], Auch im Jahrmarktsfest zu Plundersweilen darf man wohl, wie
Scherer vermutet hat, hinter dem Hanswurst (Lichtputzer) Bahrdt
suchen[350]. Auf einen gewissen Zusammenhang zwischen ihm und Goethe
deutet auch der Scherz, den man sich mit Lavater erlaubte, ihm statt
Goethes Bild das von Bahrdt zu schicken[351]. Bekannt ist schließlich
aus Dichtung und Wahrheit sein Besuch bei Goethe, bei dem er über den
Prolog scherzte und ein freundliches Verhältnis wünschte[352] (1775).

Nachdem nun Bahrdts Persönlichkeit, seine Bedeutung in seiner Zeit
geschildert, seine Berührung mit dem jungen Goethe erörtert sind, dürfen
wir wohl fragen: Ist nicht vielleicht jenes satirische Zerrbild in der
Schülerscene nach Bahrdt gezeichnet? Ist es nicht am ehesten von ihm
anzunehmen, daß er, der Genosse Riedels, seinen Studenten gegenüber
solchen Ton angeschlagen[353] und er, der Erfurter Küchenmeister, mit
solcher Dringlichkeit über Logis und Mittagstisch gesprochen habe? Wie
er im Prolog sein wissenschaftliches Treiben verspottete, so hätte der
Dichter hier seine fragwürdige Persönlichkeit zum Gegenstand seiner
Satire gemacht und damit auf eine der wundesten Stellen im akademischen
Leben der Zeit den Finger gelegt. Wir dürfen darum schon hier im
Zusammenhang darauf hinweisen, wie ganz und gar die satirischen Scenen
des ältesten Faust aus der eignen Zeit des jungen Dichters geschöpft
sind, wie uns durch sie eine Reihe von Erscheinungen aus dem Leben des
18. Jahrhunderts wieder lebendig werden und umgekehrt auch jene Zeit den
besten Kommentar zu ihnen liefern kann. Wagner, der trockene Schwärmer,
eine ganz neue Art der Schulgelehrsamkeit, und hier das liederliche
Genie, als passende Maske des Teufels![354]

Und nun noch eins! Es betrifft die eigentümliche Maske, in der
Mephistopheles auftritt, »im Schlafrock eine große Perrücke auf«. Denn
auch sie scheint ein äußeres Kennzeichen Bahrdts gewesen zu sein. Im
Prolog zwar sitzt er ganz angezogen am Pult und schreibt;[355] aber da
ist er auch zum Ausgang bereit. Dagegen haben wir den Doktor Bahrdt in
Schlafrock und Perrücke in zwei Briefen Deinets. Am 20. Juli 1773 bittet
der letztere ihn um sein Portrait für Lavater, aber ohne Perrücke; am
27. September 1773 berichtet Deinet von dem Bilde, das damals in Arbeit
war, und es stellt Bahrdt im Schlafrock dar, allerdings, wie gewünscht,
ohne die Perrücke[356]. Mit diesem Bilde, das am 15. Oktober in Deinets
Händen war, wurde bekanntlich Lavater mystifiziert, so wie ja auch in
unserer Scene der Student vom Teufel in der Maske des Professors zum
besten gehalten wird. Wenn daher Mephistopheles in Schlafrock und
Perrücke auftrat, so mochte schon von vornherein Goethes Frankfurter und
Darmstädter Kreis darauf gefaßt sein, auch in weitren Eigenheiten jenes
verspottet zu sehen und zu hören.

Diesem Zerrbilde des Professors gegenüber ist der Student aufs
liebevollste gezeichnet; daß der Dichter hierbei viel von seinem eigenem
Wesen und von seinen eigenen Erfahrungen verwerthet hat, ist nicht zu
bezweifeln. In ähnlicher Weise kam auch Goethe nach Leipzig, wenn auch
wohl nicht mit den hohen Absichten, wie sie der Student in unserer Scene
ausspricht; umgekehrt war er auch nicht in einer so hilflosen Unklarheit
über sein Studium, sondern trat mit einem ganz bestimmten Plane
auf[357]. Schwere Enttäuschungen blieben allerdings auch ihm nicht
erspart. Keinswegs erschien ihm jedoch der Professor in einer solchen
Karrikatur. Vielmehr erschien ihm, sich zu einer akademischen Lehrstelle
fähig zu machen, das Wünschenswerteste für sich[358]. Er schreibt an
seinen Vater: »Noch eins! Sie können nicht glauben, was es eine schöne
Sache um einen Professor ist. Ich bin ganz entzückt gewesen, da ich
einige von diesen Leuten in ihrer Herrlichkeit sah. Nil istis
splendidius, gravius ac honoratius. Oculorum animique aciem ita mihi
perstrinxit, autoritas gloriaque eorum, ut nullos praeter honores
Professurae alios sitiam[359].« Selbst Gottsched, den er in den
Leipziger Briefen ob seiner Gestalt und seiner Familienverhältnisse
verhöhnt,[360] dessen Verdienste er aber sonst anerkennt, bot ihm keine
Veranlassung zu solchem Spott, wie er aus dem ersten Teile der
Schülerscene spricht.

Was der Student begehrt, entspricht auch nicht etwa Wünschen und
Hoffnungen, mit denen der junge Goethe nach Leipzig kam; er will nicht
bloß studieren, es handelt sich für ihn besonders um das Heil seines
inneren Menschen, und zwar in ganz bestimmter Richtung: er möchte gern
alles Gute zusammen haben, sich dagegen das Böse vom Leibe halten. Damit
ist ein Grundzug im Wesen des jungen Goethe bezeichnet. Er hat ihn
selbst früh erkannt und an seiner Umbildung gearbeitet. »Der
Mensch«--schreibt er in der Rezension über Sulzers schöne Künste--»durch
alle Zustände befestigt sich gegen die Natur, ihre tausendfache Übel zu
vermeiden, und nur das Maß von Gutem zu genießen; bis es ihm endlich
gelingt, die Circulation aller seiner wahr- und gemachten Bedürfnisse in
einen Palast einzuschließen, so fern es möglich ist, alle zerstreute
Schönheit und Glückseligkeit in seine gläserne Mauern zu bannen, wo er
denn immer weicher und weicher wird, den Freuden des Körpers Freuden der
Seele substituiert, und seine Kräfte von keiner Widerwärtigkeit zum
Naturgebrauche aufgespannt, in Tugend, Wohlthätigkeit, Empfindsamkeit
zerfließen[361].« Mit diesen Worten ist das Charakteristische der
empfindsamen Epoche vortrefflich ausgedrückt. Denn sie war es, die da
glaubte, der Mensch sei nur da, um das Gute zu genießen, das Böse sich
dagegen vom Leibe zu halten, kurz sich schon auf Erden ein Elysium zu
gründen[362]. Diese Anschauung wird von dem Dichter überwunden durch die
andre, die sich in ihm in der düsteren Leidenszeit nach dem Wetzlarer
Aufenthalt mehr und mehr befestigt hatte, der Mensch sei zu Genuß und
Leiden, Freud und Leid geschaffen, habe der Erde Glück und Weh zu
tragen[363]. »Genuß, dieses unerklärbare Herumdrehen, Schweben,
Aufgelöstliegen in einer Empfindung, das ist, wie wir glauben, der Zweck
oder vielmehr der Endpunkt alles dessen, was in dem Menschen ist[364].«
Es ist offenbar Goethe, der so spricht; aber am Ende des Jahres 1772
erklärte er Genuß und Leiden für den Mittelpunkt des Lebens[365]. Die
Lebensanschauung seiner empfindsamen Zeit, die er selbst schon hinter
sich gelassen hatte, hat also der Dichter dem Studenten gegeben.
Außerdem begehrt er Freiheit und Zeitvertreib; auch ein Wunsch, den ein
Wagner nicht gethan hätte. Er, der der Enge des Collegiums nun glücklich
entronnen ist, hat nicht Lust, sich körperlich und geistig in neue
Fesseln schlagen zu lassen. Sich die nötige Heiterkeit und
Geistesfreiheit für die Studien durch freie Bewegung zu schaffen, dazu
war auch einst der Student Goethe in Straßburg von seinem Lehrer ermahnt
worden[366]. Unser Student will endlich auch tief studieren. Des Geists
Erweiterung ist sein Schlagwort. Eine Fakultät genügt ihm darum nicht;
das Höchste und Tiefste möchte er fassen, Himmel und Erde, die ganze
Natur! Eine stattliche Reihe von Forderungen; man vernimmt den echten
Sohn der fordernden Epoche[367]. Wer denkt nicht zugleich an Faust?
Sind sie nicht beide geistesverwandt? Stehen sie nicht zu einander wie
Jüngling und Mann?[368] Wer wird nicht durch die Forderungen des einen
an die des anderen erinnert? Was hier der in Dumpfheit noch Befangene,
naiv begehrlich, und doch bescheiden von dem teuflischen Professor
verlangt, das klingt ganz ähnlich dem, was am Schluß der bereits im
Fragment enthaltenen Vertragsscene, wenn auch im andren Tone und dem
Denken und Fühlen des Mannes entsprechend umgebildet, vom Teufel Faust
selbst fordert. Die beiden Scenen: Der Teufel und der fordernde Faust
und der Teufel und der fordernde Schüler folgen als passende Gegenstücke
im Fragment wie in der Ausgabe von 1808 unmittelbar auf einander.
Offenbar hat also der Dichter von Anfang an das Bedürfnis gehabt, uns in
dem Bilde des Studenten zugleich ein Bild von Fausts eigener Jugend zu
geben und es dem des Mannes zur Seite zu stellen. Faust verlangt
allerdings nicht nur alles Gute, sondern, wie er schon vom Hauche des
Erdgeistes berührt, ausgerufen, der Menschheit Wohl und Weh auf seinen
Busen zu häufen. Aber die Universalität des Wollens ist beiden noch
gemeinsam. Was der Student mit der Naivität und Unbeholfenheit seiner
Jugend »das Gute so allzusamm« nennt, das heißt ins Männliche Fausts
übertragen:

    Und was der ganzen Menschheit zugeteilt ist,
    Will ich in meinem innren Selbst genießen,

Wünscht der Student seinen Geist zu erweitern, von Himmel und Erden und
der ganzen Natur mit ihm, so viel er vermöchte, zu fassen, so will Faust
mit seinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen und sein eigen Selbst
zu dem der Menschheit erweitern.[369]

Wir kehren zur Schülerscene zurück. Für sein Begehren hat der Student
noch keine Befriedigung finden können. Er ist schnell enttäuscht worden.
Die Bahn der Weisheit ist ihm eröffnet worden; aber wirres Gestrüpp
blickt ihm entgegen, und seitwärts, wo ihm die Ferne ein schönes Thal
mit frischen Quellen vorgespiegelt hatte, trockne Wüste. Der Jüngling
verzweifelt aber noch nicht und wendet sich etwa vom Wissen überhaupt
ab, sondern geht den berühmten Professor an, ihm guten Rat zu
geben[370]. Sein Geschick führt ihn jetzt schon zum Teufel, ohne daß er
ihn gerufen hätte.

Nachdem jener eine Zeit lang sein possenhaftes Spiel mit ihm getrieben,
geht er endlich auf seine Fragen ein.

Ein zweiter Teil der Scene beginnt, der nicht mehr mit derber Komik,
sondern mit feiner Ironie den Spott gegen die Wissenschaft und ihre
Vertreter fortsetzt.

Der Student will Mediziner werden, ohne sich jedoch, wie wir schon
gesehen haben, damit auf ein Fachstudium beschränken zu wollen. Wenn
auch noch unklar, so schwebt ihm doch als höchstes Ziel seines Studiums
die Natur vor; noch klingt es, wie Stammeln, da er seinen Wunsch
bekennt[371]. Der junge Goethe war einst ebenso zu einem Fachstudium
bestimmt auf die Universität gekommen; auch sein Sinn war von vornherein
mehr auf anderes gerichtet, allerdings noch nicht auf das Studium der
Natur. Nachdem er sich ihr in den Tagen seiner Krankheit in Frankfurt
auf mystisch-alchemistischem Wege zu nähern versucht hatte, trat er ihr
erst in Straßburg auf dem der Wissenschaft nahe. Er wandte sich neben
seinem Fachstudium der Medizin zu; »das Medizinische reizte mich, weil
es mir die Natur nach allen Seiten, wo nicht aufschloß, doch gewahr
werden ließ«[372]. Darum ist auch wohl der Student im Faust sofort zur
Medizin entschlossen. »Fortsetzung der übrigen Natur und medizinischen
Studien. Unendliche Zerstreuungen. _Vorbild zum Schüler im Faust_.« So
lautet ein bemerkenswertes, neu aufgefundenes Schema zu der obigen
Stelle im 11. Buch von Dichtung und Wahrheit[373]. Mephistopheles lobt
zwar den Studenten, aber da er ihn auf den alten, ausgetretenen Weg der
Wissenschaft weisen will, um Gelegenheit zu haben, seinen Spott
fortzusetzen, warnt er ihn vor der Gefahr der Zerstreuung, wie sie ja
auch Goethe selbst bei ähnlichem Streben zur Genüge erprobt hatte. Darum
zuerst Collegium Logicum!

Durch diese Eingangspforte hatte auch einst der junge Goethe in Leipzig
das Feld der Wissenschaft betreten müssen[374].

Die Vorzüge der Logik werden nun mit feiner Ironie auseinandergesetzt.

An Geists Erweiterung ist bei ihr nicht zu denken; sie schnürt ihn
gewaltsam ein, daß er bedächtig den vorgeschriebenen Weg schleiche; sie
zerreißt, was in uns so fest verbunden ist, daß wir es als eins
empfinden, in mehrere Teile. »Also wie der Mensch ißt und trinkt, und
verdaut, ohne zu denken, daß er einen Magen hat, also sieht er, vernimmt
er, handelt und verbindet seine Erfahrungen, ohne sich dessen eigentlich
bewußt zu sein[375].« Dies natürliche Band hebt die Logik auf. »In der
Logik«--so erklärt Goethe später, offenbar in Erinnerung an unsere
Fauststelle--»kam es mir wunderlich vor, daß ich diejenigen
Geistesoperationen, die ich von Jugend auf mit der größten
Bequemlichkeit verrichtete, so auseinanderzerren, vereinzeln und
gleichsam zerstören sollte, um den rechten Gebrauch derselben
einzusehen[376].« Das Trennen und Zergliedern war und blieb Goethes
Natur zuwider[377]. Obwohl es--so spottet Mephistopheles weiter--bei der
Erzeugung der Gedanken offenbar auf ein Verbinden ankommt und es dabei
ähnlich zugeht wie beim Weben, da unzählige Fäden, einmal durch einen
Schlag in Bewegung gesetzt, sich zum Gewebe vereinigen, so kommt nun der
Philosoph und beweist, was ihm hier das Hauptstück zu sein scheint, die
Notwendigkeit des Vorganges und wie notwendig eins aus dem andern folgt.
Was hilft uns aber diese Weisheit? Keiner denkt daran, wie wenig damit
gewonnen ist. Keiner wird dadurch ein Weber, daß er die Fäden des
Gewebes auftrennt und sie im einzelnen nachweist. Gerade die Hauptsache,
die Kraft, die ein Ganzes in allen seinen Teilen hervorbringt, wird
außer Acht gelassen. »Schädlicher als Beispiele sind dem Genius
Principien. Vor ihm mögen einzelne Menschen einzelne Teile bearbeitet
haben. Er ist der erste, aus dessen Seele die Teile, in ein ewiges Ganze
zusammengewachsen, hervortreten.« So Goethe in der Baukunst;[378] bei
der dritten Wallfahrt nach Erwins Grabe im Juli 1775 ruft er über dessen
Meisterstück aus: »Du bist eins und lebendig, gezeugt und entfaltet,
nicht zusammengetragen und geflickt[379].« Während daher das Genie
schöpfergleich ein Ganzes, zu dem sich die Teile eben durch die zeugende
Kraft von selbst zusammenfügen, hervorbringt, treibt die Philosophie
gerade dem Lebendigen, das sie erkennen und darstellen möchte, den Geist
aus; die Teile hält sie zwar in der Hand; aber das geistige Band, das
sie zum Ganzen verflocht, ist zerrissen[380]. Ebenso macht es auch die
Chemie; sie sucht die Teile der schaffenden Natur in die Hand zu
bekommen, im Glauben, daraus könne sie ein Ganzes bilden. Mit unbewußtem
Spotte nennt sie diesen rohen Versuch treffend _Encheiresis_ naturae,
als vermöchten ihre Handgriffe den schaffenden Geist der Natur zu
ersetzen[381]. Im ähnlichen Sinne äußert sich auch Herder in den
Fragmenten: »Allein zur Erweckung des Genies trägt dies Zergliedern
nichts bei; bei aller Mühe bleibt die vivida vis animi so unangetastet
als der rector Archaeus bei den Scheidekünstlern: Erde und Wasser bleibt
ihnen; die Flamme verflog, und der Geist blieb unsichtbar; allen ihren
chymischen Zusammensetzungen können sie nach dem, was sie bei der
Scheidekunst gewahr wurden, zwar Farbe, Geruch und Geschmack, nie aber
die Kraft der Natur geben[382].« Die gemeine Encheiresis der Natur,
wodurch sie Leben schafft und fördert, wie sich Goethe einmal am Ende
seines Lebens ausdrückt, wird durch solche Bemühungen nicht
enthüllt[383]. Ein Unerforschliches, wie er es zu nennen pflegte, bleibt
bestehen; ein Geheimnis, in das allerdings der Faust des jungen Goethe
noch einzudringen begehrte[384].

Die Logik schlägt also den Geist in unnatürliche Fesseln; sie hemmt die
freie Entwicklung der Gedanken; sie führt, statt den schöpferischen
Genius zu wecken, zu einem unproduktiven Trennen und Sondern; sie tötet,
statt daß sie belebe. Das Genie in seinem Schaffensdrang, das nach dem
geistigen Band sucht, das die Welt im Innersten zusammenhält, kämpft
gegen den starren Mechanismus in der Wissenschaft. Dem Studenten ist es
selbstverständlich nicht klar, was der Professor eigentlich meint.
Mephistopheles tröstet ihn, das Verständnis werde schon kommen, sobald
er nur alles zu reduzieren und klassifizieren gelernt habe. »Was heißt
das anders«--hören wir Goethe mit ähnlichem Spott auf jene
Schulausdrücke in der Lavaterrezension reden--»als durch gelehrtes
Nachdenken sich eine Fertigkeit erworben zu haben, auf wissenschaftliche
Klassifikation eine Menschenseele zu reduzieren«. Und ähnlich in der
Beurteilung von Sulzers schönen Künsten: »daß einer, der ziemlich
schlecht raisonnierte, sich einfallen ließ, gewisse Beschäftigungen und
Freuden der Menschen, die bei ungenialischen gezwungenen Nachahmern
Arbeit und Mühseligkeit wurden, ließen sich unter die Rubrik Künste,
schöne Künste klassifizieren, zum Behuf theoretischer Gaukelei, das ist
denn der Bequemlichkeit wegen Leitfaden geblieben zur Philosophie
darüber, da sie doch nicht verwandter sind als septem artes liberales
der alten Pfaffenschulen[385].« »Meine Wissensbegierde wurde
reg«--scherzt er in den biblischen Fragen--»und ich bat ihn mich in die
Schule zu nehmen. Das that er gerne, denn er sticht gewaltig auf einen
Professor, konsultierte hier und da seine Hefte, und das Dozieren stund
ihm gar gravitätisch an. Nur bemerkt ich bald, daß die ganze Kunst auf
eine kalte Reduktion hinauslief.«[386]------Der Spott richtet sich also
gegen den philosophischen Hang, alles in bestimmte Klassen gebracht, auf
einzelne Begriffe reduziert, in ein System zu zerren, wogegen wiederum
sich die Gefühlsrichtung als gegen etwas, das alles wahre Leben
ersticke, erhoben hatte[387].--Dem Studenten wirds bei dem betäubenden
Klang der Schulausdrücke ganz schwindlich im Kopf[388]. Mephistopheles
fährt weiter: Nach der Logik die Metaphysik! Sie sucht mit dem Verstand
zu begreifen und faßlich zu machen, was zu seinem Gebiete gar nicht
gehört; dann müssen eben Worte aushelfen. Wieder einer der vielen
Angriffspunkte, die sich der neuen Bewegung darboten. Mit ihren
schärfsten Waffen wenden sich Hamann und Herder gegen die Unfehlbarkeit
der Metaphysik, die alles beweisen zu können meinte und doch so oft nur
taube Worte gab. Mephistopheles schließt seine Belehrung mit einigen
guten, natürlich wieder ironisch gemeinten Ratschlägen, die den äußeren
Gang des Studiums betreffen. Der Student bittet ihn darauf, ihm auch für
sein Fachstudium, die Medizin, einen Fingerzeig zu geben, Mephistopheles
ist aber nun des Professortons satt;[389] er legt die Maske ab und ist
wieder Teufel. Jetzt empfiehlt er dem Studenten nicht mehr wie vorher,
wo es ja auch nur versteckter Hohn war, den engen Pfad der
Schulwissenschaft zu wandeln. Was nützt das Studium? Der Mensch kann
doch nicht mehr fassen als ihm gegeben ist. Darum weist er ihn auf das
wirkliche Leben hin. Bei diesem guten Rate offenbart sich aber der
Teufel, er sucht den Menschen bei seiner niedrigen und gemeinen Seite zu
fassen und ihn anzureizen, den Vorteil des überlegenen Verstandes zum
Schaden oder zur Beherrschung anderer auszubeuten. Der Teufel lockt zum
Leben, aber um den Menschen zu verderben. In ähnlicher Weise hätte
Mephistopheles auch zu Faust sprechen müssen, wenn der Dichter schon im
ältesten Faust eine solche Scene ausgeführt hätte, um ihn von der
Wissenschaft weg zu einem Leben, wie es in des Teufels Sinne ist, zu
führen[390]. Dem Studenten gefällt das Bild praktischen Lebens, das der
Teufel entworfen, schon besser als der philosophische Lehrgang, den ihm
der Professor zuerst vorgezeichnet hat.

Mephistopheles schließt darauf mit den denkwürdigen Worten ab, die, vom
Teufel ausgesprochen, zugleich im höchsten Sinne gelten:

    Grau, teurer Freund, ist alle Theorie
    Und grün des Lebens goldner Baum.

Klar und scharf ist damit wiederum der Gegensatz zwischen der alten und
neuen Richtung ausgesprochen: Fort mit dem spekulativ-theoretischen
Erkenntnisgang; nur aus dem Leben selbst erblüht eine wahre, lebendige
Weisheit. Vom Baum der Erkenntnis weg zum Baum des Lebens! »Noch immer
steht der Baum der Erkenntnis mitten unter uns; je weniger man davon
isset, desto besser; und wehe denen, die sonst keine Nahrung haben!« So
in einer Rezension der F.G.A., die vielleicht Goethe gehört;[391]
jedenfalls ist die Bemerkung ganz in seinem Geiste. »Der Mensch ist
nicht zum Methaphysicieren da«--ruft Herder in der schon mehrfach
angezogenen Beurteilung eines Werkes von J. Beattie aus--»und trennet er
einmal Vernunft vom gesunden Verstande, Spekulation von Gefühl und
Erfahrung--der Dädalus und Ikarus hat den festen Boden der Mutter Erde
verlassen; wohin kann er sich mit seinen wächsernen pennis homini non
datis hin verlieren? wohin kann er sinken?--Spekulation als
Hauptgeschäfte des Lebens--welch elendes Geschäfte! _Sie gewöhnt endlich
alles als Spekulation anzusehen!_ ein Opium, was alle Lebenskraft tötet
und mit süßen Träumen sättigt, u.s.w.--Spekulation löset das eiserne
Band der Natur, Trieb und Nerven in Zwirnsfäden« u.s.w.[392] Goethe
selbst scheint wieder zu reden in einer kurzen Mitteilung über Lavaters
Geheimes Tagebuch: »Das wahre Leben verdrängt gewiß das Spekulieren, so
wie Gefühl das Raisonnement;«[393]--Mit voller Bestimmtheit ist Goethe
in folgenden Worten der Rezension über Sulzers schöne Künste zu
erkennen: »Er bedenke, daß er sich durch alle Theorie den Weg zum wahren
Genusse versperrt, denn ein schädlicheres Nichts, als sie, ist nicht
erfunden worden[394].«

Überall also im Widerspruch zu dem starren Formalismus der Zeit der
Hinweis auf Lebenskraft und Lebensgehalt; aus den Geisteskämpfen dieser
Zeit sind auch vor allem die satirischen Scenen des ältesten Faust
erwachsen. Dies ist der Boden, in dem sie wurzeln.

Für den Studenten freilich sind die widerspruchsvollen Lehren des
Professors ebenso viele Rätsel, ihm ists als wie ein Traum. Zum Abschied
überreicht er sein Stammbuch. Der Teufel schreibt sich mit den Worten
ein, mit denen einst die Schlange im Paradies die ersten Menschen
lockte[395]. Die symbolische Bedeutung der Scene ist dadurch zum
Schlusse deutlich ausgedrückt und zugleich in die Form gebracht, die
bereits die älteste Urkunde des Menschengeschlechts gebraucht
hatte.[396] Mephistopheles weist wieder auf den Baum der Erkenntnis hin;
er will den Schüler auf denselben Pfad verlocken, auf dem einst auch
Faust wandelte, ehe er sich dem Teufel übergab. Aber der Erfahrene sieht
voraus, welch schwere Pein auch jenem aus der erstrebten Gottähnlichkeit
erwachsen würde. Dann wird es auch ihm nach dem Baume des Lebens
verlangen; Er wird verstehen lernen, was ihm einst in des Teufels Worten
noch unverständlich geblieben war. Die Geistesverwandtschaft zwischen
Faust und dem Schüler ist schon betont[397]. Darum bildet auch der
letztere von selbst einen Gegensatz zu Wagner, wodurch die beiden
satirischen Scenen des ältesten Faust in noch höherem Grade einen
gewissen Zusammenhang in ihrer Entstehung und Bedeutung erkennen lassen.
Goethe stellt sie später selbst in dem Schema so gegenüber: _Helles
kaltes wissenschaftliches Streben: Wagner. Dumpfes warmes
wissenschaftliches Streben: Schüler_[398].

Was endlich die Anlage der ganzen Scene betrifft, so ist sie in einer
ganz und gar volkstümlichen und in der Litteratur eingebürgerten Form
gehalten. Solche Belehrungsdialoge entsprachen durchaus dem lehrhaften
Charakter der Litteratur, besonders seitdem sie durch die Reformation zu
einer wichtigen Waffe für Aufklärung, Anfeindung, Verspottung geworden
waren. Auch die besondere Form, daß der Schüler vom Lehrer oder
überhaupt der Jüngere vom Vorgeschritteneren belehrt wird, fehlt nicht;
vor allem findet sie sich gerade in der poetischen Litteratur. Schröder
hat in der Vierteljahrschrift auf das Spiel von Frau Jutten
hingewiesen[399]. Daraus zu folgern, daß es Goethe gekannt habe, ist zu
voreilig. Denn diese Form war ein überliefertes Element der
Volksdichtung. Besonders eigentümlich ist jedoch die Ähnlichkeit mit
J.V. Andreas gutem Leben eines rechtschaffenen Diener Gottes, das Herder
in den Briefen das Studium der Theologie betreffend mitgeteilt hat[400].
Ein Kandidat der Theologie wird hier durch die praktische Lebensweisheit
eines alten Pfarrers belehrt. Nachdem jener das Studium der Logik,
Rhetorik, Physik, Ethik beendet und sich auch für sein Fachstudium
vorbereitet hat, geht er auf die Suche nach dem Amt. Unterwegs trifft er
einen alten Pfarrer an, den er ganz in der Art anmaßlicher Jugend
anredet, wie später der Schüler im zweiten Teile des Faust.

    Der alte Herr sprach: mein Herr Studios,
    Mich dünkt, Eur' Kunst, die mach sich los.
    Die Logik wird sich in euch regen,
    Daß Ihr mit mir redt so verwegen.

Mit einem kräftigen Wort Luthers wird er weiterhin abgewiesen. Als ihn
aber danach der Pfarrer über den Unterschied zwischen der
wissenschaftlichen Theorie und der Amtspraxis belehren will, bricht
seine anmaßliche Schulweisheit noch einmal durch[401]. Er spricht:

    Ihr gabt aufs Geistlich' Acht,
    Und der Philosophie nichts acht,
    Daher möcht es wohl kommen sein,
    Daß Euch die Welt nit wollt ein.

Der Pfarrer macht ihn aber mit fischartischem Humor darauf aufmerksam,
wie auch er durch die Schule der freien Künste gegangen sei, bis endlich
»die Praktik kommt zu Haus, die all Theorik treibet aus.«

Der Kandidat, der das ganze Gespräch erzählt, bemerkt dazu:

    »Die Ding' mir spanische Dörfer waren,«--

Darauf beginnt die eigentliche Belehrung über die Schwierigkeiten des
Predigtamtes; alsdann wird auf dessen Verlangen:

    Doch bitt ich, wollt mich weiter lehren,
    Wo ich mich nun hinaus soll kehren?

der hohe Wert des Predigerstandes gepriesen. Beschämt und erfreut geht
der Jüngling mit dem Pfarrer in sein Haus, mit dem Wunsche, daß allen
seinen Gesellen so die Schellen abgetrennt würden. Es ist nicht
unmöglich, daß bereits der junge Goethe diese Pastoraltheologie,
vielleicht durch Herders Vermittlung, gekannt habe. Einzelne Anklänge an
die Schülerscene wird man heraus gehört haben; jedenfalls beweist das im
Hans Sachsischen Maß gehaltene Gedicht, daß die ganze Anlage der
Faustscene im Boden der volkstümlichen Litteratur wurzelt. Dagegen ist
es ihr eigentümlich, daß sie zugleich eine Mystifikation der Art ist,
wie sie Goethe im Leben und in seiner Dichtung liebte;[402] sie bringt
ihm hier den Vorteil, den Professor in der Maske des Professors ohne
besondere Verletzung der Wahrscheinlichkeit verspotten zu können.

Es ist uns nun noch übrig, die Einheit der ganzen Scene zu betonen und
gegen gewisse Angriffe in Schutz zu nehmen.--Daß die Scene aus zwei
verschiedenen Teilen bestehe, wird niemand bezweifeln; dagegen darf man
nicht mit Anwendung einer Methode, die auch mehr ihre Freude daran hat,
zu zerstückeln und auseinander zu zerren als künstlerische Einheit zu
empfinden, den von Anfang an vorhandenen inneren Zusammenhang bestreiten
und gar die Scene in zwei Teile zerlegen, die zu verschiedenen Zeiten
entstanden und später notdürftig zusammengeflickt worden seien. Wie
Scherer diese Kunst am ersten Monolog geübt, so Pniower an der
Schülerscene[403]. Er geht von der Erscheinung der Wiederholung aus d.h.
von der Thatsache, daß ein Dichter sich innerhalb desselben Werkes
wiederhole, einzelne Gedanken und Motive wieder aufgreife, um sich von
neuem in alte Stimmungen zu versetzen. Man wird davon mit Recht bei
einem größeren Werke sprechen können, das im Laufe vieler Jahre
entstanden, eine Zeit lang unterbrochen, schließlich die redigierende
Hand nötig machte, also etwa bei dem Fragment von 1790 und ganz
besonders bei der Ausgabe von 1808. Mißtrauisch wird man aber dem bei
einem Werk gegenüberstehen, wo von einer Redaktion keine Rede sein kann,
wie beim ältesten Faust, dessen einzelne Teile, nachdem sie im Geist
des Dichters ausgetragen waren, durch einen bestimmten Anstoß in einem
ununterbrochenen Strom, des Entstehens hervorgebracht wurden, von denen,
wie er selbst erklärt, nichts nieder geschrieben ward, was nicht
bestehen konnte[404]. Pniower hält nun die Verse 339. 340 für eine
solche Wiederholung und zwar aus V. 386 = 1955 (»Nehmt euch der besten
Ordnung wahr.«); er schließt daraus, daß die beiden zusammengehörigen
Verse 339. 340:

    Ihr seid da auf der rechten Spur,
    Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen[405].

Flickverse seien und bei einer späteren Zusammenfügung der ursprünglich
getrennten Teile der Scene eingeschoben worden seien. Diese Annahme
findet er dadurch bestätigt, daß sie weder zum Vorhergehenden noch zum
Folgenden recht paßten; darauf baut er weiter und sucht die völlige
Verschiedenheit der beiden Teile im Ton, Stil, Metrik nachzuweisen und
auch damit seine Ansicht zu stützen.

Der erste und der Grundirrtum ist in der Annahme enthalten. V. 340 sei
nur eine Wiederholung des späteren Verses 386. Im ersten Falle aber--und
damit ist auch der richtige Zusammenhang nach vor- und rückwärts
gegeben--warnt doch Mephistopheles den Studenten, der das ganze
Universum mit seinem Geiste umfassen möchte, vor der Gefahr der
Zerstreuung bei der ungeheuren Ausdehnung des Wissensgebietes. Dagegen
empfiehlt er nun als gutes Mittel die Logik, die den Geist, der ringsum
wissenschaftlich schweifen möchte, in enge Schranken drängt und den
vorgeschriebenen Weg zu wandeln zwingt; sie bringt ihm, der sich sonst
zerstreuen könnte, die wahre Konzentration. Denn an diese Gegensätze ist
hier zu denken, nicht etwa wie Pniower mit völliger Verkennung des
bestehenden Zusammenhanges meint, an andre als wissenschaftliche
Zerstreuung[406]. Zugleich gewinnt Mephistopheles mit dem »Doch« die
erwünschte Gelegenheit, sich dem Thema, das ihm am Herzen liegt,
zuzuwenden, wie er ähnlich auch in V. 277 und V. 409 dazu übergeht.
Darum gehört auch die Anrede an die Spitze von V. 341 und nicht von 339;
denn jetzt erst ist er wieder in seinem Fahrwasser und beginnt die
eigentliche Belehrung[407]. V. 339. 340. sind also beim Vortrag
herablassend anerkennend und rasch abbrechend zu sprechen, während dann
mit V. 341 der lehrhafte Ton in seiner ganzen professoralen Würde
einsetzt.

V. 376 bezieht sich dagegen auf den äußeren Gang des Studiums überhaupt;
hier ist nicht mehr die Rede von einer inneren Zucht des Geistes durch
die verschiedenen Disziplinen der Wissenschaft, sondern von
Regelmäßigkeit im Besuch der Vorlesung, im Nachschreiben u.s.w.

Pniower hat demnach das »Zerstreuen« falsch verstanden; er ist dazu wohl
durch die Änderung verführt worden, die Goethe später an unsrer Stelle
vorgenommen, und mit der er dem Zerstreuen einen ganz andren Sinn
gegeben hat, V. 1902 spricht Mephistopheles dieselben Worte; darauf
folgt aber nicht sogleich seine Spottrede auf die Logik, sondern
zunächst schließt sich eine Bemerkung des Schülers an, in der er
allerdings das Zerstreuen im anderen Sinne faßt, in dem von Freiheit und
Zeitvertreib, die er im ältesten Faust V. 272 bereits in seinem langen
Wunschzettel für sich verlangt hatte[408]. Danach warnt ihn der Teufel
vor Zeitverlust und gibt ihm als Mittel dagegen die Ordnung an:

    »Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.«[409]

Aber auch hier ist Ordnung von der in V. 386 = 1955 gemeinten ganz und
gar verschieden; im Grunde ist es dasselbe, wenn hier die Ordnung
empfohlen, dort vor der Gefahr der Zerstreuung gewarnt wird; denn auch
sie bezieht sich auf den inneren Gang des Studiums, darauf, daß der
Schüler hübsch ordentlich den alten Weg trete und mit dem
propädeutischem Studium der Logik den Anfang mache. In V. 1955 ist nach
wie vor die äußere Ordnung, fleissiger Kollegienbesuch u.s.w. gemeint.
Hervorgebracht wurde diese ganze Verschiebung eben dadurch, daß der
Dichter alten Bestand (V. 272.) in erweiterter Form hier einfügte, weil
es sich so am leichtesten, mit leiser Umdeutung des Sinns von
»zerstreuen« machen ließ. Den charakteristischen Zug, das Verlangen nach
Freiheit und Zeitvertreib, wodurch der Schüler in Gegensatz zu Wagner
tritt, wollte Goethe offenbar bei der späteren Redaktion nicht
verwischen. Nachdem dem »Zerstreuen« einmal ein anderer Sinn gegeben
war, war nun natürlich am Anfang der Rede des M. (V. 1909 f.) Wechsel im
Ausdruck nötig; er setzte daher eine mit der alten Wendung ungefähr
gleichbedeutende ein, wobei es ihm im Augenblick gewiß nicht gegenwärtig
war, daß er an der späteren Stelle das gleiche Wort schon
einmal--allerdings in anderm Sinn--gebraucht habe.--Mit der Annahme von
Flickversen ist es also nichts.

Nun ist es allerdings unzweifelhaft, daß die beiden Teile der Scene in
Inhalt, Sprache, Metrik verschieden sind; d.h. also, daß mit der
Verschiedenheit des Gehalts auch die der Form verbunden ist. Zu dem
burlesken Inhalt gehört auch die derbere, volksmäßige Sprache; diese
kleidet sich dann von selbst in das Gewand des für sie geeigneten, hier
des kurzen, gedrungenen vierhebigen Verses. Dunkel scheint sie nur, wo
man sie nicht versteht:[410] für Sentenzen war natürlich kein Raum[411].

Wie wenig mit derartigen sprachlichen und metrischen Kriterien ohne
Zuziehung des gesamten sprachlichen und metrischen Materials zu machen
ist, zeigt sich bei Pniowers Untersuchung, wenn er z.B. das Fehlen des
pronomen personale beim Zeitwort als Zeitmesser annimmt, der eine
frühere Stufe Goethischer Sprache anzeige; aber diese Auslassung findet
sich im älteren Götz (1771) gerade seltener wie in dem von 1773[412].
Der vierhebige Vers ist schließlich ebenso wenig ausschlaggebend; er
kommt z.B. wie Pniower selbst angibt, in den 76 ersten Versen des
Monologs vor, die offenbar ins Jahr 1774 gehören; ebenso in der ersten
Scene der Gretchentragödie, im Monolog Valentins, auch noch meist in der
Brunnenscene, über deren Entstehungszeit wir noch näheres ermitteln
werden; auch Pater Brey wird angeführt, der ja aber auch in die Jahre
1773/74 gehört und nicht so früh zu setzen ist, wie es Pniower
thut[413]. Der Brief an Merck, den die Weimarische Ausgabe in den Dez.
1771 setzt, gehört natürlich nicht in diese Zeit[414].

Es bleibt die wichtigste Frage: Ist es möglich, daß der Dichter zwei an
Inhalt so grundverschiedene Teile gleichzeitig gedichtet habe? Darauf
ist nur zu sagen, was schon wiederholt betont worden ist, daß der
Dichter die derben Scherze des ersten Teiles nicht aus bloßer Freude
daran vorbringe, sondern eine bestimmte satirische Absicht habe und auf
thatsächlich vorhandene und bekannte Mißstände im Professorentum ziele,
der Ton also auch hier professoral sei[415]. Sein eigenes Herz ist nicht
bei den Späßen des Professors, sondern bei dem Studenten, der sie mit
Entsetzen und Widerwillen vernimmt und immer wieder von dem zu hören
verlangt, was ihm das Höchste ist, des Geists Erweitrung. Man könnte
noch einwenden, ob sich nicht der Dichter auf einer späteren
Entwicklungsstufe vor derartigen derben Scherzen gescheut hätte. Aber
das wissen wir ja vom jungen Goethe, daß er seinem Übermut zu jeder Zeit
die Zügel schießen ließ, diese Possen aber gerade seit 1773 erst recht
in dem kleinen Kreise von Goethes Freunden im Schwange waren. 1775 hat
er das derbe Gedicht auf Nikolai geschrieben,[416] ebenso das derbste,
was er wohl je gedichtet hat, Hanswursts Hochzeit[417]. Derartige
unkünstlerische Auswüchse gehören mit zu der Natur des jungen Goethe;
sie zeigen sich in milderer Art auch in seinen größeren Werken neben den
herrlichsten Stellen edler Kunst, im Götz und Werther[418]. Es war dies
eben eine Folge von der Anschauung der Sturm- und Drangperiode, die wir
auch in der Wagnerscene gefunden haben, alles, was aus der Empfindung
komme mit der von ihr selbst mitgebrachten Form, sei anzuerkennen. »Die
charakteristische Kunst ist nun die einzig wahre[419].«

Man denke auch an das bezeichnende Wort aus einem Briefe an die Karschin
vom Jahre 1775: »Mir ist alles lieb, was treu und stark aus dem Herzen
kommt, mags übrigens aussehen wie ein Igel oder wie ein Amor[420].« Im
ersten Teil der Schülerscene siehts nun mehr aus wie ein Igel; aber
daraus ist noch kein Schluß auf eine verschiedene Entstehungszeit zu
ziehen. Die Einheit der Scene darf nicht bezweifelt werden. Die Frage,
wann sie entstanden sei, kann jetzt beantwortet werden.



Entstehungszeit der Schülerscene.

Auch für die Schülerscene bildet das Jahr 1772, die Beteiligung an den
Frankfurter Gelehrten Anzeigen, die breite Grundlage. Sie gehört also
zugleich mit der Wagnerscene in engeren Zusammenhang mit den satirischen
Dichtungen der Jahre 1773 und 1774.

Man ist bei keiner Scene in größerer Unklarheit über die Zeit der
Entstehung gewesen als bei ihr. Schon Luden, in dem bekannten Gespräch
mit Goethe,[421] glaubt, sie sei wegen ihrer unmittelbaren Anschauung
des akademischen Lebens und Treibens in Goethes Universitätsjahre zu
setzen. Neuerdings hat Seuffert sie gar, besonders durch den Charakter
ihres ersten Teiles verführt, der Leipziger Zeit des Dichters
zugewiesen[422]. Was zu dieser Annahme nicht recht passen will, wird
dann nach bekannter Methode für später an- und eingeflickt erklärt. Die
Scene bietet aber gerade für die Leipziger Zeit den geringsten Anhalt.
Der Student, wie er hier auftritt, geht in seinem wissenschaftlichen
Streben, neben der Medizin vor allem die Natur des Alls zu erfassen, auf
die Straßburger Zeit zurück. Der Dichter sagt es zum Überfluß auch
selbst. Für den derben Angriff auf das Professorentum und für den
feinen, ironischen Spott auf die Universitätsweisheit boten ihm aber das
Kampfjahr 1772 und die daraus erwachsenen neuen Beziehungen eine
reichere Fülle von Stoff als ihm zugleich auf einer weniger hohen
Entwicklungsstufe seine Studentenjahre hätten bieten können. Darum
stehen auch Wagner- und Schülerscene innerlich in engstem Zusammenhang.
In beiden wird gegen die beschränkte Schulweisheit und ihre starre
Methode, die allem wahren Leben feind sind,[423] angekämpft; in der
einen ist es Faust selbst, der mit heftigem, aber edlem Unwillen gegen
jene geistlose Auffassung der Wissenschaft loszieht; in der andren der
Teufel. Da herrscht natürlich ein andrer Ton; der Schalk ists, der in
lustiger Maskerade, erst mit derbem, dann mit feinem Scherze, den
Professor des 18. Jahrhunderts durch den Ton und Inhalt seiner Worte
aufs ergötzlichste verhöhnt. Erst zuletzt wird auch dem Teufel sein
Recht. Die Maske fällt, der Versucher steht da. Natürlich ist nicht an
eine Verhöhnung Fausts zu denken, weil er ja auch Professor ist[424].
Denn über seinen Standpunkt sind wir ja durch die unmittelbar
vorhergehende Wagnerscene völlig im klaren.

Die beiden Scenen sind also die wichtigsten Bruchstücke der akademischen
Satire, der ursprünglich, da durch sie der Hintergrund zu Fausts Streben
gegeben war, ein breiterer Raum und eine größere Bedeutung zugedacht war
wie in der späteren Ausführung.

Endlich hätte schon die Thatsache, daß Mephistopheles in unserer Scene
auftritt, davor warnen müssen, sie einer allzufrühen Zeit zuzuweisen.
Wie ausgezeichnet ist er gleich hier bei seinem ersten Auftreten
charakterisiert! Scherz und Ironie sind seine Waffen; überlegener
Verstand ist ihm gegeben, mit dem er die menschlichen Verkehrtheiten
durchschaut und von Verachtung des Menschen erfüllt, nur das Schlechte
in ihm aufregt, um ihn zu seinen Zwecken zu benutzen. Wie ganz und gar
hält sich dabei der Weltkluge in der Sphäre der Wirklichkeit! Welch ein
Gegensatz zu Fausts mächtigem Gefühl, das alle menschliche Beschränkung
zu durchbrechen sucht. Völlig klar ist außerdem schon hier
ausgesprochen, was der Teufel will. Der Schluß der Schülerscene, wo er
die Maske für uns ablegt, gibt uns einen Anhalt dafür, wie er zu Faust
gesprochen hätte, wenn eine solche Scene im ältesten Faust ausgeführt
worden wäre. Seine Forderung heißt: hinaus ins Leben! allerdings zu
einem Leben in des Teufels Sinne, das den Menschen ins Verderben bringe;
allein der Boden, auf den ihn der Teufel weist, ist doch derselbe, auf
dem dem Menschen allein auch höchstes Glück und schließliche Erlösung
beschieden sind. Damit ist uns zugleich ein Ausblick eröffnet auf die
ursprüngliche Art der Verbindung zwischen Teufel und Erdgeist. Daß sie
in Verbindung standen, ist bekannt, geht aus der Dichtung selbst hervor.
So wie später Gott und Teufel einander gegenüber stehen und mit einander
zusammenhängen, so anfangs Erdgeist und Teufel. Der erstere war von dem
Dichter als Geist des Lebens der Erde in jedem Sinne, auch im höchsten
des thätigen Lebens gedacht. Faust hatte aber den ganzen ungeheuren
Umfang seines Wesens noch nicht zu fassen vermocht. Mephistopheles ist
nun auch ein Geist des Lebens, also auch im Erdgeist mit einbegriffen,
wie Gutes und Böses, Tod und Leben, Zerstören und Erschaffen in seinem
Wesen sind, wie ja auch der Teufel in der Schöpfung Gottes enthalten
ist. Das Leben aber, zu dem der Teufel verführt, gründet sich allein auf
das Ausleben des Schlechten und Gemeinen, das in jedem Menschen wohnt,
auf diesem Weg sucht er ihn zu verderben; er ist darum natürlich der
Feind jeder Erhebung, jedes Aufschwungs und jeder Begeisterung und hat
gerade seine Freude, dem gestürzten Titanen seine ganze Schwäche und
Ohnmacht zu zeigen, jede Erhebung zu verkümmern und das Schlechte im
Menschen zu stärken. Der kalte, gefühllose Verstand ist ihm gegeben,
dessen Hauch das warme Gefühl im Herzen erstarren macht;[425] er ist
also mit andren Worten der Widersacher, der im Innern des Menschen
wohnt, sein Gefühl erstickt, dem Trieb der Erhebung entgegenwirkt, indem
er höhnend auf das Unmögliche weist, und ihn endlich dahin bringt, sich
trotzig beim Gemeinen, Niedrigen, Schlechten zu beruhigen, es allein in
sich zu nähren. Alles das glaubt der Teufel eben am besten im Strudel
des Lebens erreichen zu können. Innerhalb des Wirklichen herrscht der
Teufel, im Reich der Idee hat er keine Macht. Bei Faust war für ihn der
Augenblick gekommen, da er vom Erdgeist verschmäht war, an seiner Kraft,
der Gottheit sich zu nähern verzweifelte, sein Geist, der nur noch die
Ohnmacht und Schwäche des menschlichen Geistes empfand, dem teuflischen
glich und so ihn von selbst anzog. Den Versuch, Erdgeist und Teufel in
dieser Weise mit einander in Verbindung zu bringen,[426] hat der Dichter
bekanntlich später--aber erst zur Zeit der dritten Beschäftigung mit
Faust--aufgegeben, offenbar weil sich keine allgemein faßliche Form
dafür bot, und er ist mit richtigem Gefühl auf die uralte, zum
Allgemeingut gewordene Anschauung zurückgegangen, nach der Gott und
Teufel es sind, die mit einander und gegen einander auf das Leben des
Menschen einwirken.

Die Scene ist also jedenfalls nicht außer allem Zusammenhang gedichtet,
sondern läßt uns überall die Fäden erkennen, die sie mit den übrigen
Teilen des Gedichtes verbindet; sie kann nur zu einer Zeit entstanden
sein, wo dem Dichter bereits das Wesen des Erdgeistes und sein
Verhältnis zum Teufel klar vor der Seele stand. Man wird darum schon aus
diesem Grunde von allzufrühen Ansätzen absehen müssen. Vor 1773 ist die
Schülerscene in keinem Falle gedichtet; es entsteht nun auch hier wieder
die Frage, wie bei der Wagnerscene, ob 1773 oder 1774. Denn über 1774
hinauszugehen, haben wir keine Veranlassung. Eine bestimmte Entscheidung
wird sich aber auch hier nicht treffen lassen. Wenn die Vermutung
richtig ist, Bahrdt habe im ersten Teil der Scene zum Bilde des
Professors gestanden, so wird dadurch ebenfalls nur bestätigt, was aus
dem übrigen hervorgeht, sie sei 1773 oder 1774 entstanden. Eine scharf
begrenzte Zeit wie beim ersten Monolog hebt sich also nicht heraus. Auch
die Sprache gibt keinen sicheren Anhalt; Nachlässigkeiten beweisen, daß
auch hier die Feile fehlte; Vergl. noch V. 263: Sieht all so trocken
ringsum aus. V. 336 f. von _aller_ Erden, von _allem_ Himmel und _all_
Natur,----V. 316 bekleiben; auch in den Biblischen Fragen d.j.G. 2. 232
unten und im Satyros a.a.O. 3. 493.



3. Die Scene in Auerbachs Keller.

Die Scene in Auerbachs Keller muß ebenfalls in den Zusammenhang der
akademisch-satirischen Scenen mit einbezogen werden; sie unterscheidet
sich jedoch von den beiden im ältesten Faust unmittelbar vorhergehenden,
die, wie wir gesehen, den gleichen Zweck haben, Verkehrtheiten der
Wissenschaft und ihrer Vertreter zu verspotten. Ein Bild studentischen
Lebens und Treibens, wie es sich auf dem Boden der Kneipe abspielt,
entrollt sie vor unseren Augen. Die Satire ist aber hier nicht
feindselig; keinem Gegner ist sie in den Mund gelegt; sie ergibt sich
hier ganz von selbst aus dem dramatisch bewegten Gemälde, das von dem
Dichter entworfen ist. Das Leben und Treiben dieser Gesellen spielt sich
vor unseren Augen ab. Unsere Scene ist also durchaus dramatisch gehalten
und ganz anderer Art als die beiden Kampfdialoge, in denen immer der
eine der Unterredner eine sehr untergeordnete Rolle spielte.

Ein weiterer Unterschied ist: wir bewegen uns hier wieder völlig auf dem
Boden der Sage, aber der Dichter hat es dabei nicht nötig gehabt, seinem
modernen Empfinden Zugeständnisse zu machen. Faust mit seinen
teuflischen Kunststücken, der Ort der Handlung, der Verkehr mit
Studenten, der Faßritt, alles zusammen gehört der Überlieferung an. Aus
diesen überlieferten Elementen hat der Dichter eine ganz eigenartige
Scene geschaffen; vielleicht hat auch eine Fassung des Volksschauspiels
bereits eine Auerbachscene erhalten,[427] die dann den unmittelbaren
Anstoß zu der unseren gegeben hätte. Sie gewährt also ein in jeder
Beziehung von den übrigen verschiedenes Bild; die erste Hauptmasse ist
mehr lyrisch gehalten; die beiden folgenden Scenen sind
polemisch-didaktisch, diese ist dramatisch, wie die Scenen des Götz, im
Geiste Shakespeares. Der Anfang ist in Versen; aber eigentümlicher
Weise, sobald es nicht mehr die Empfindung ist, die sich im wechselnden
Rythmus zum Ausdruck bringt, nicht mehr satirische Polemik, die das Maß
der Fastnachtsspiele annimmt, sobald das dramatische Element zum
Durchbruch kommt, da tritt nach den ersten wenigen Versen wie von selbst
die Prosa hervor, in die sich im Anfang der Frankfurter Zeit der Götz
gekleidet hatte, an ihrem Ende der Egmont kleiden sollte. Dieser
Übergang aus dem Reimvers in die Prosa ist auch deshalb von Bedeutung,
weil wir wohl daraus den Schluß ziehen dürfen, die Auerbachscene sei die
erste der Prosascenen im Faust. Denn wäre schon eine solche
niedergeschrieben gewesen, so hätte Goethe wohl nicht erst den Versuch
gemacht, eine dramatisch so bewegte Scene in Verse zu fassen.

Wir treten mit ihr zugleich in eine neue Sphäre des Dramas; denn wir
treffen hier Faust auf der ersten Station seiner Weltfahrt, die er mit
Mephistopheles unternimmt. Der Faden der Handlung ist also auch hier
weitergesponnen. Mephistopheles hat, wie wir es schon in der
Schülerscene aus seinem Verhalten zu dem Studenten entnehmen dürfen,
Faust nach dem Scheitern aller seiner hohen Pläne aufgefordert, sich mit
ihm in die Welt, in das Leben zu begeben. Die Welt, in die er ihn zuerst
führt, ist die, die der junge Dichter aus eigener Erfahrung kannte:
zunächst die kleine des studentischen Treibens. Von seinem späteren
Standpunkt aus hat er darum nicht mit Unrecht, jene Sphäre, in die er
seinen Helden versetzt hatte, eine kümmerliche genannt.

Nach dem ganzen Inhalt der Scene werden wir bei der Frage nach den
Entstehungsmotiven mehr auf die Suche nach äußerer als innerer Erfahrung
gewiesen, die sich dann mit dem Überlieferten zu einem Ganzen verband;
indes selbst hier, wo man es doch am wenigsten erwarten sollte, hat auch
das innere Leben des Dichters mitgearbeitet. Im ersten Teil, bis zum
Auftreten von Faust und Mephistopheles, will das rohe Treiben der
Studenten anfangs nicht recht in Gang kommen; endlich versuchen sies mit
Singen: verschiedene Lieder werden angestimmt, keines findet Beifall,
bis Frosch das Lied von der Ratte singt, dessen Rundreim vom Chor
mitgesungen wird. Hierbei hat nun offenbar der Dichter in der Person
Siebels, der, von seiner Geliebten verschmäht und in seinem Ehrgeiz
gekränkt, seinem Unmut in Wendungen Shakespearischer Art Luft macht, mit
dem Rattenliede, das den unglücklich Liebenden im Bilde der vergifteten
Ratte darstellt, deren Schmerzen die Vergifterin lachend zusieht, und
in der Art, wie Siebel seine Teilnahme mit jener zu erkennen gibt, seine
eigene unglückliche Stimmung in der Zeit seiner Liebe zu Lili
verspottet. Diese Annahme wird durch eine Stelle aus einem Briefe an die
Gräfin Auguste Stolberg vom 17. September 1775 bestätigt, wo er, wie man
schon längst gesehen,[428] das peinigende Gefühl seiner unglücklichen
Liebe in ähnlicher Weise vergleicht: »Mir wars in all dem, wie einer
Ratte, die Gift gefressen hat, sie läuft in alle Löcher, schlürft alle
Feuchtigkeit, verschlingt alles Eßbare, das ihr in Weg kommt, und ihr
Inneres glüht vor unauslöschlich verderblichem Feuer[429].«, Wie hier
und im Liede unter dem Bild der Ratte der unglücklich Liebende verborgen
ist, so in dem Gedichte Lilis Park, das ähnlicher Stimmung entsprungen
ist, unter dem des Bären, der allerdings seine menschliche Natur nicht
verleugnen kann. Er ist wirklich vom Zauber der Liebe ergriffen, der
aber ähnlich wie Gift auf ihn einwirkt:

    Ich arbeite mich ab, und bin ich matt genung,
    Dann lieg ich an gekünstelten Kaskaden,
    Und kau und wein und wälze halb mich tot,----[430]

Die Geliebte hat aber ihren Scherz mit ihm:

    So treibt sies fort mit Spiel und Lachen;[431]

         *     *     *

    Ha! manchmal läßt sie mir die Thür halboffen stehn,
    Seitblickt mich spottend an, ob ich nicht fliehen will[432].

Das Spottlied ist verklungen, Siebel, der die Beziehung zu seinem
Zustand wohl herausgefühlt hat, darob verspottet, da treten Faust und
Mephistopheles ein. Die Burschen stellen ihre Vermutungen über sie an;
dann versuchen sie es, die neu Angekommenen aufzuziehen, und laden sie
schließlich zu ihrem Trinkgelage ein. Auch dieser zweite Teil gipfelt in
einem Liede, zu dem Mephistopheles aufgefordert wird. Der Teufel, der,
wie er vorgibt, aus dem Lande Krugantinos kommt, ist dazu gleich bereit.
Er singt das Lied vom Floh, der Günstling am Hofe geworden; alle
Höflinge müssen darum seine Eigenheit ertragen, keiner darf sich, was
doch sonst jedem erlaubt ist, seiner erwehren. Wir dürfen nun selbst
hierbei nach der Beziehung zu dem Leben des Dichters fragen. Am 11.
Dezember 1774 hatte ihn Knebel, der Erzieher des Prinzen Konstantin von
Weimar besucht und ihn dazu vermocht, sich den beiden Weimarischen
Prinzen, die in Frankfurt angekommen waren, vorzustellen; am 13. Dez.
folgte er ihnen mit Knebel nach Mainz nach[433]. Seit dieser Zeit sind
Goethes Blicke nach Weimar gerichtet; Knebel ist es, durch den er mit
dem dortigen Hofe Fühlung zu behalten sucht[434]. In Goethes Vaterhause
entspinnt sich aber seit diesem Besuche ein eigentümlicher Streit. Dem
Sohn war die Aussicht auf den Hofdienst eröffnet, der Vater wollte davon
nichts wissen und gab seine Abneigung durch volkstümliche Redensarten
kund; der Sohn blieb ihm aber die Entgegnung nicht schuldig. Daraus
entsprangen dem Dichter kleine Dialoge, die diesen Gegensatz behandeln,
und von denen er einige in seiner Lebensgeschichte mitgeteilt hat. Zu
ihnen gehört z.B. der Reim:

    Willst du die Not des Hofes schauen!
    Da wo dichs juckt, darfst du nicht krauen![435]

Der Zusammenhang mit dem Flohlied tritt deutlich zu Tage; es ist
offenbar nur ein Niederschlag der kleinen Streitigkeiten, die damals in
Goethes Vaterhause an der Tagesordnung waren, da der fürstliche Besuch
dem Sohn auf Bahnen, die den Wünschen des Vaters nicht entsprachen, eine
lockende Aussicht eröffnete.

Das Flohlied ist der Höhepunkt des zweiten Teils der Scene, in der
Mephistopheles eine Hauptrolle spielt, während Faust, der keine Stimme
hat, ganz zurücktritt. In dem folgendem Teil tritt dagegen Faust hervor
und zwar als der Zauberer der Sage, der unter höllischer Mitwirkung zum
ersten Mal seine Zauberkünste versucht. Der Teufel hat mit dem Liede
seinen Beitrag zu der Gesellschaft geliefert, Faust thuts, indem er den
Wein herbeischafft[436]. Alle Wünsche sind befriedigt, da verrät sich
durch Siebels Unvorsichtigkeit der höllische Spuk. Alle wollen über den
Zauberer her; allein der verblendet sie so, daß sie sich in ihrem Wahn
mit komischen Gebärden einander zuwenden[437]. Faust bricht endlich den
Zauber und entfernt sich mit Mephistopheles; einer hat ihn sogar auf
einem Faß hinausreiten sehen[438]. In komischer Angst brechen dann auch
die Gesellen auf, nicht ohne daß Siebel noch einmal nachsieht, ob nicht
doch der Wein noch laufe.



Entstehungszeit der Scene in Auerbachs Keller.

Die Frage, wann diese Scene gedichtet sei, läßt sich leicht und sicher
beantworten. Zunächst gibt uns das das Flohlied einen deutlichen
Fingerzeig; es kann nicht vor dem 11. Dezember 1774 entstanden sein;
denn erst seit dieser Zeit war dem Dichter die Aussicht auf den
Hofdienst eröffnet worden, hatte der Gedanke daran für ihn Bedeutung
gewonnen. P. Hoffmann hat nachgewiesen, daß das Goethische Lied mit
Schubarts Fabel ohne Moral: Der Hahn und der Adler in Zusammenhang
steht[439]. Die Rolle, die bei Goethe der Floh spielt, hat bei Schubart
weniger geeignet der Hahn ein. Goethe hat sich nicht gescheut, hier mit
volkstümlichen Scherze in Fischarts Geiste zu ändern. Schubarts Fabel
erschien im 7. Stück der Deutschen Chronik Bd. 1. S. 55 f. vom 21. April
1774. Jedenfalls ist also nach diesem Zeitpunkt und auch nicht eher als
bis das Thema für den Dichter eine Beziehung erhalten hatte, das
Flohlied gedichtet.

Einen weiteren Anhalt geben das Rattenlied und die ihm unmittelbar
folgenden und vorausgehenden Auslassungen; sie führen uns mitten hinein
in die Lilische Epoche, wie Fritz Jacobi einmal die Zeit von Goethes
Liebe zu Lili Schönemann genannt hat[440]. Wann er aber solcher Stimmung
war, daß er sich durch bittere Selbstverspottung von der Qual seines
Zustandes zu befreien suchte, das zeigt die angeführte Briefstelle vom
17. September 1775. Es sind die letzten Wochen vor seiner Flucht nach
Weimar, in denen seine Pein auf das höchste gestiegen war. Vergebens war
er im Sommer in die Schweiz geflohen[441]. Mit der Rückkehr begann auch
der jähe Wechsel in der Stimmung, das Zweifeln und Quälen, die
schwebende Pein wieder. Die Briefe an die Gräfin Stolberg geben davon
beredtes Zeugnis[442]. Ihren Höhepunkt erreichten die qualvollen Kämpfe
im Herzen des Dichters mit der Herbstmesse[443]. Damals ist das mit dem
Rattenlied stimmungsverwandte Gedicht Lilis Park entstanden, das »mit
genialer Heftigkeit das Widerwärtige erhöht und durch komisch-ärgerliche
Bilder das Entsagen in Verzweiflung umzuwandeln trachtet«[444]. Es ist
uns nur in seiner späteren Fassung erhalten; von der früheren dürfen wir
wohl annehmen, daß sie den Scherz noch derber aufgetragen habe und auch
dadurch dem Rattenlied verwandt gewesen sei.

Alles drängt uns so zu der Annahme, unsere Scene sei im September 1775
geschrieben. Nun enthält Goethes Brief vom 17. September die Angabe:
»Ist der Tag leidlich und stumpf herumgegangen; da ich aufstund, war mir
gut, ich machte eine Scene an meinem Faust«. Nachdem er dann berichtet,
was er weiterhin getrieben habe, folgt die angeführte Umschreibung des
Rattenliedes. Man hat daher allgemein sich zu der Ansicht erklärt, die
Scene in Auerbachs Keller sei in der Morgenfrühe des 17. September 1775
gedichtet[445]. Neuerdings wird diese Vermutung bezweifelt, so von E.
Schmidt,[446] weil Goethes Improvisation auf dem Zürchersee am 15. Juni
1775.

    Ohne Wein kanns uns auf Erden
    Nimmer wie dreihundert werden[447]...

nur aus dem Rundreim:

    Uns ist gar kannibalisch wohl
    Als wie fünfhundert Säuen!

zu verstehen sei. Allein jener Scherz, der doch gewiß nicht darauf
berechnet war, mit unserer Scene in der Hand aufgenommen zu werden,
beruht hier wie dort auf einer volkstümlichen Wendung, die dem Dichter
jederzeit geläufig war. Die Auslassung in jener ersten Fassung ist
selbst ein Scherz; die Ergänzung selbstverständlich[448]. Außerdem ist
nicht zu verkennen, daß wir es an beiden Stellen mit weiter nichts zu
thun haben als mit einer Umschreibung des ebenso volksbeliebten
Ausdrucks »sauwohl«, den Goethe gerade in dem Tagebuch der
Schweizerreise verschiedentlich anwendet[449]. Eine übermütig lustige
Stimmung, nur selten gemischt mit der Erinnerung an sein Weh, spricht
uns aus den wenigen abgerissenen Blättern dieses Tagebuchs an; noch
später konnte er mit ihnen seiner Schilderung der Reise frische
Unmittelbarkeit und Lebendigkeit geben[450]. Doch mag eine andere
Beziehung zwischen jenen Reiseaufzeichnungen und der Scene in Auerbachs
Keller obwalten. Ist es nicht möglich, daß die noch frische Erinnerung
an die tollen lärmenden Stunden, die er mit seinen Reisegesellen erlebt,
so daß es denn einmal heißt: »Gejauchzt bis 12«[451] mit dazu
beigetragen habe, dem lärmenden, albernen Treiben der Studenten in
Auerbachs Keller die Farbe des Lebens zu verleihen? Man denke auch an
die Wirtshausscene in Mannheim, die sich gleich beim Antritt der Reise
zwischen Goethe und den beiden Grafen Stolberg abspielte[452]. Einer von
ihnen, Fritz Stolberg, war dazu in ähnlicher Lage wie Goethe;[453] auch
er konnte also zu dem komischen Bilde Siebels beisteuern. Der
burschikose Ton, der unter ihnen geherrscht haben muß, ist uns noch
heute vernehmbar, wenn wir den Brief vom 4. Oktober 1775 lesen, den
Goethe nach der Reise an Fr. L. von Stolberg und Genossen geschrieben
hat[454]. Merck hatte ihn vorher gewarnt und gar manchmal bildete er
sich ein, der Darmstädter Freund zupfe ihn am Kragen[455]. Der Dichter
brauchte also nur den Ton ihres gemeinsamen Treibens etwas niedriger zu
stimmen, die Farbe etwas derber aufzutragen; auch Erinnerungen an
studentisches Unwesen, wie er es selbst, zuletzt noch im Sommer 1772 in
Gießen, gesehen hatte, mögen Anteil an unserer Scene haben; auch darüber
hatte Merck bekanntlich seinen größten Abscheu bezeugt[457].

Über die Entstehungszeit der Scene besteht demnach kein Zweifel. Sie
gehört in die zweite dramatische Epoche des jungen Goethe der
Frankfurter Jahre. Shakespeares Geist schwebt über ihr; wir spüren die
Nähe des Egmont, der sich damals ebenfalls bildete. Sie zeigt uns den
Übergang von dem Vers der satirischen Dialoge zu der Prosa dramatisch
bewegter Handlung, für die der Dichter erst später die entsprechende
metrische Form fand. Die Scene ist jedenfalls nach der Schweizerreise
gedichtet mit großer Wahrscheinlichkeit im September 1775. Es ist darum
ganz entsprechend, den 17. September als den Tag ihrer Entstehung
anzunehmen, obwohl der Beweis dafür nicht mit völliger Sicherheit
erbracht werden kann. Man könnte vielleicht einwenden, die Lieder auf
die sich die Zeitberechnung vor allem stützt, seien vor der Ausbildung
der Scene selbst gedichtet; aber dann wäre das Rattenlied im September
verfaßt, und die Scene könnte dann nicht viel später entstanden sein.
Völlig verkehrt wäre aber anzunehmen, die Lieder seien etwa nachträglich
in die Scene eingetragen worden; denn die beiden ersten Teile derselben
verlangen von Anfang an durchaus die Lieder und verlören ohne sie ihren
inneren Zusammenhang[458].

Nach alledem sind wir zu der Annahme berechtigt, daß die Scene in
Auerbachs Keller im September 1775, vielleicht in der Morgenfrühe des
17. September vom Dichter mit rascher, glücklicher Hand hingeworfen sei.

       *       *       *       *       *

FUSSNOTEN:

[212] Vergl. meine Doktordissertation: Untersuchungen über Goethes Faust
I. Der erste Monolog und die Erdgeistscene. Gießen 1892.

[213] S. a.a.O. S. 7.

[214] D.W. T. 4. B. 18. W. Bd. 29. S. 83 f.

[215] a.a.O. T. 2. B. 6. Bd. 27. S. 15.

[216] Scherer. Aus Goethes Frühzeit. S. 74.

[217] D.j.G. 2. 28.

[218] a.a.O. 3. 449.

[219] a.a.O. 3. 322.

[220] Ein für Wagner höchst charakteristischer Zug, der ihn sofort im
Gegensatz zu Faust erscheinen läßt. W. kennt keine andere Begeisterung
als am fremden Feuer; und auch sie ist ihm nichts weiter als eine
nützliche Schulübung. Dasselbe setzt er auch ohne weiteres bei seinem
Herrn voraus.

[221] D.j.G. 3. 686.

[222] a.a.O. S. 687.

[223] Paralip. 1 zu Faust. (W. 14. S. 287.)

[224] Von gleicher Verachtung für eine Dichtung, die eigens für die
Bühne schreibt, um durch ihre äußerlichen Mittel zu wirken, schreibt
Goethe im Anhang zu Mercier a.a.O. S. 687: »Wer übrigens eigentlich für
die Bühne arbeiten will, studiere die Bühne, Wirkung der Fernemalerei,
der Lichter, der Schminke, Glanzleinewand und Flittern, lasse die Natur
an ihrem Ort, und bedenke ja fleißig, nichts anzulegen, als was sich auf
Brettern zwischen Latten, Pappendeckel und Leinwand, _durch Puppen_, vor
Kindern ausführen läßt.«

[225] Vergl. Andreä bei Herder W. 11, S. 118:

    Drum wünsch ich, daß all meine G'sellen
    Ihn'n auch abtrennen lan die Schellen.


[226] Ganz anders dachte bezeichnender Weise z.B. Bahrdt über
Deklamation und Aktion; Leben. 2, S. 148.--Über die berüchtigte Stelle
seiner Homiletik (1773) und die Beziehung, die unsere Stelle offenbar
darauf haben muß.

[227] Vergl. auch Sauers Einleitung zu den Stürmern und Drängern,
Kürschner, Deutsche Nationallitt. Bd. 79 I. S. 33 f.

[228] D.j.G. 3. 686.

[229] a.a.O. 2. 40.

[230] a.a.O. 3. 686.

[231] a.a.O. 3. 245.

[232] a.a.O. 2. 212.

[233] Br. 2. Nr. 338. S. 282.

[234] Paralip. 1. W. 14. S. 287.

[235] Vergl. Dauer im Wechsel. (W. 1. S. 120.) zur Zeit der dritten
Beschäftigung mit Faust gedichtet.

[236] Schon im Journal der Reise von 1769: Sich vor einer Gewohnheits-
und Kanzelsprache in Acht zu nehmen, immer auf die Zuhörer sehen, für
die man redet, sich immer in die Situation einpassen, in der man die
Religion sehen will, immer für den Geist und das Herz reden: Das muß
Gewalt über die Seelen geben! oder nichts gibts! Hier ist die vornehmste
Stelle, wo sich ein Prediger würdig zeigt. Hier ruhen die Stäbe seiner
Macht.--W. Bd. 4. S. 370.

[237] Herders Ansichten in dieser Sache hatte Goethe bereits in
Straßburg erfahren, wo er auch Gelegenheit hatte, die Art seines
Vortrages kennen zu lernen. Er schreibt darüber: Seine Art zu lesen war
ganz eigen; wer ihn predigen gehört hat, wird sich davon einen Begriff
machen können. Er trug alles ernst und schlicht vor; völlig entfernt von
aller dramatisch-mimischen Darstellung, vermied er sogar jene
Mannigfaltigkeit, die bei einem epischen Vortrag nicht allein erlaubt
ist, sondern wohl gefordert wird: eine geringe Abwechselung des Tons
u.s.w. (D.W. T. 2. Bd. 10. W. 27. S. 341.)--Über den Geist, der in
dieser Hinsicht im Straßburger Kreise herrschte, berichtet er mit
Anführung der alten Lesart aus der Wagnerscene: »Schon früher und
wiederholt auf die Natur gewiesen wollten wir daher nichts gelten lassen
als Wahrheit und Aufrichtigkeit des Gefühls, und der rasche derbe
Ausdruck desselben,

    »Freundschaft, Liebe, Brüderschaft,
    Trägt die sich nicht von selber vor?

»war Losung und Feldgeschrei, woran sich die Glieder unserer kleinen
akademischen Horde zu erkennen und zu erquicken pflegten.« (a.a.O. T. 3.
B. 11. W.B. 28. S. 57.) Herders Fragmente las er in Wetzlar zum ersten
Mal und nichts genoß er daraus inniger, »als das wie Gedank und
Empfindung den Ausdruck bildet.« (Br. 2. N. 88. an Herder Mitte Juli
1772. S. 18.)

[238] F.G.A. N. 60. den 28. Juli 1872--S. 392. Z. 25 ff.--393. 3. ff. 22
ff.--Vergl. Haym, Herder Bd. 1. S. 601 ff.

[239] Vergl. noch a.a.O. S. 393. 26 f. 35 f. 395. 15.

[240] Thomas, essais sur le caractère etc.--Die Rezension wird von R.
Steig, Vierteljahrschr. f. Litt.-Gesch. 5, 223 ff. für Herder nicht in
Anspruch genommen.

[241] a.a.O. S. 666.

[242] W. Bd. 7. S. 219.

[243] Vergl. noch D.j.G. 2. 216. v. d. Hellen, S. 49. Br. 2. N. 216. S.
155.

[244] D.j.G. 3. 207. vergl. auch 2. 202 f.

[245] Br. 2. 266 a. S. 327.

[246] Ein Ton, den besonders Voltaire angeschlagen hatte; vergl. z.B.
15. Haym, Herder Bd. 1. S. 544.

[247] F.G.A. S. 222. 18 ff. (Vergl. auch 223. 36 ff. N. 24. den 28.
April 1772.)

[248] a.a.O. S. 271. 6 ff. (N. 41. den 22. Mai 1872.) Die Abneigung, in
diesen Geheimnissen zu lesen, ist Goethe zeitlebens geblieben; vergl.
das Gespräch mit Luden vom 19. August 1806. (Gespr. 2. S. 82.)

[249] a.a.O. S. 270. 7 ff.

[250] a.a.O. S. 295. 5 ff.

[251] a.a.O. S. 321. 6 f. (Nr. 49. den 19. Juni 1772.)

[252] D.j.G. 2. 206 ff.

[253] Noch 1776 klingt dies Thema nach und an die Fauststelle an in dem
Schreiben an Herder, da es sich um seine Berufung nach Weimar handelte:

    Und im Grund weder Luther noch Christ
    Im mindesten hier gemeinet ist,
    Sondern was in dem Schöpsen-Geist
    Eben lutherisch und christlich heißt.

Br. 3. N. 404 vor 20. Februar 1776? S. 33. 5 ff.

[254] F.G.A. S. 453. 35 ff. (N. 69. den 23. August 1772.)

[255] a.a. O. S. 455. 36.--Vergl. auch Hamann 2. S. 289.

[256] a.a.O. S. 356. 2. (N. 54. den 7. Juli 1772.)

[257] a.a.O. S. 482. 36. (N. 73. den 11. September 1772.)

[258] Vergl. die oben angeführte Stelle. (F.G.A. S. 222. 32 f.)

[259] a.a.O. S. 553. 20 ff. (N. 54 den 7. Juli 1772.)

[260] a.a.O. S. 354 35 ff.

[261] a.a.O. S. 230. 28 ff. (N. 35. den 1. Mai 1772.)

[262] a.a.O. N. 355. 37 f.

[263] a.a.O. S. 490. (N. 74. den 15. September 1872.)--vielleicht auch
S. 477. 4 f. (N. 72. den 8. Sept. 1772.)

[264] D.j.G. 2. S. 391.--Noch später nennt er in der Farbenlehre bei der
Charakteristik des 18. Jahrhunderts es das selbstkluge.

[265] W. Bd. 6. S. 203 f.

[266] Vergl. Suphan in der Vierteljahrschr. f. Litt.-Gesch. Bd. 1. S.
527.

[267] In den Zusätzen zum dritten Abschnitte;--vergl. Haym, Herder, Bd.
1. S. 538 ff.

[268] W. Bd. 28. S. 281.

[269] D. W. am Anfange des 17. B. W. Bd. 29. S. 37.

[270] B. 7. W. Bd. 27. S. 146.

[271] Von 1765. S. 128-131.--Die »bedeutende« Stelle ist von Heyne.

[272] W. Bd. 27. S. 226 f.

[273] a.a.O. S. 682 ff. (N. 103. den 25. Dez. 1772 u. 104 den 29. Dez.).
Das Werk heißt: Erfahrungen und Untersuchungen über den
Menschen.--(Vergl. auch Scherer in der Einl. S. XC.)

[274] a.a.O. S. 688. 4 ff.

[275] D.j.G. 2. S. 226. Vergl. auch 3. S. 439. die Verse im ewigen
Juden:

    Es waren, die den Vater auch gekannt.
    Wo sind sie denn? Eh, man hat sie verbrannt.

--und Br. 2. N. 270. vom 23. Dez. 1774. S. 218. 7 ff.--Der junge G. hat
also doch »thöricht« geschrieben, (V. 238 = 591.) und nicht »kühn«, wie
Vischer, G. Faust, N. Beiträge u.s.w. N. 272 annahm. Es ist aber ja gar
nicht so bös gemeint, daß er Vischers Strafrede verdient hätte.

[276] D.j.G. 2. S. 16 ff.

[277] Vergl. Rosenkranz, G. u. seine Werke, Königsberg 1847. S.
406.--Der nüchterne Verstand, der doch für die Ärmlichkeiten seiner
Forschung schwärmen kann, u.s.w.

[278] So Herder in den F.G.A. S. 456. 34.

[279] Herder W. 1. S. 256.

[280] Goethe Br. 2. Nr. 85. (Ende 1771.) S. 12. 14 ff.

[281] W. Bd. 28. S. 161. (D. W. 37. B. 12.)

[282] Vergl. auch Br. 2. N. 116. vom 25. Dez. 1772. S. 51. 4 ff.

[283] Neudruck S. 63. 24 ff.: solch ein Bursch, den die lungensüchtigste
Imagination nicht krüppelhafter zusammenstoppeln kann das non plus ultra
von Armseligkeit, der Plauderer, Nichtswisser; die Nachlese des
menschlichen Verstandes!--s. G. J. 1. 181.--Noch schärfer nimmt ihn
Müller von Itzehoe in seinem Roman Siegfried von Lindenberg (Kürschner
Bd. 57. S. 360 f.) vor:----Der Lumpensammler am Parnaß, der ohne
Unterlaß vor den Thüren der Gelehrten herumschleicht, und hinter ihren
Gärten, dort das Kehricht, und hier den Misthaufen durchwühlet, ob er
irgend einen kassierten Brouillon oder sonst einen verworfenen Lumpen
von einem Gedicht aufstöbern kann u.s.w.

[284] Das hat im Grunde Weiße, Kritik und Erklärung des G.F. Leipzig
1837. S. 85 schon richtig erkannt, wenn er in unserer Scene bei aller
schlagenden Kraft und epigrammatischen Schärfe im Grunde nur die
Gemeinplätze der sogenannten Genieperiode findet.

[285] Man darf auch die erste Scene von Erwin und Elmire zum Vergleiche
herbeiziehen, in der Olympia mit unmutigem Eifer die moderne Erziehung
bekämpft und alle Einwendungen ihrer Tochter zurückweist; (z.B. die Art
des Einwands d.j.G. 3. 508. Unsre Kenntnisse, unsre Talente!). Erwin
reicht in seinen Anfängen bekanntlich bis 1773 zurück.

[286] Gegen die äußerliche Verwendung der Parallelstellen wendet sich
mit Recht z.B. Braitmaier Goethekult. u. Goethephilologie, Tübingen
1892. S. 23.

[287] G. J. 6. S. 309. u. V. J. Schr. f. Litt.-gesch. 1. S. 525 ff.

[288] W. Bd. 7. S. 304 unten.--Vergl. auch Huther, Herder im Faust, (Z.
f. d. Ph. Bd. 21. S. 329 f.) der ganz irrig von gekräuseltem
_Schnitzel_werke spricht und in Folge dessen den Ausdruck völlig falsch
erklärt.

[289] Noch deutlicher ist das Bild in den Entwürfen von 1773. Bd. 7. S.
189: Möglich? ich glaube vielmehr, es wäre die einzige wahre, wenn sie
uns nicht gerade abgekehrt und das gekreiselte, schwache Schnitzwerk der
Philosophie, an dem uns aber das rechte Gefäß gerade vor der Hand
abbricht, uns vorstünde.

[290] Vergl. auch Koegel in der Viertelj.-schr. f. Litt.-gesch. 1. S.
60.

[291] W. 1. S. 365.

[292] Auch eine Phil. d. Gesch. u.s.w. Hempel. W. B. 21. S. 159.

[293] Br. 3, N. 514. vom 16. Sept. 1776. S. 111.

[294] Br. 3. N. 729 vom 5. Aug. 1778.--S. 238.--

[295] Wagner 1. S. 188. 290. 339.

[296] Wieland an Merck am 3. Aug. 1872.

[297] D.j.G. 1. S. 116 u. W. Bd. 9. V. 53. S. 5.

[298] Br. 2. N. 272. S. 221.

[299] v.d.H. S. 207.

[300] D.j.G. 3. S. 580.

[301] F.G.A. S. 540. 9. (N. 82. den 13. Okt. 1772.)

[302] D.j.G. 2. S. 209.

[303] Br. 1. N. 51. S. 200.

[304] Vergl. auch die wohl auch Goethische Wendung: den Sand
aufgeraffter Formeln und Floskeln gaffenden Jünglingen vom Katheder ins
Gesicht werfen. (F.G.A. S. 426. 34 ff. N. 65. den 14. Aug. 1772.)

[305] W. Bd. 7. S. 219.

[306] D. W. T. 2. Bd. 10. (W. Bd. 27. S. 541.)

[307] V.-j.-schr. f. Litt.-gesch. Bd. 1. S. 528.

[308] F.G.A. S. 271. 6 ff.

[309] W. 2. S. 19.

[310] S. 18.

[311] Ein abschreckendes Beispiel jener Sucht, überall angebliche
Parallelstellen aufzuspüren, die dem Dichter natürlich bei seinem Werke
vorgeschwebt haben, auf die man hin kecklich die Entstehungszeit ganzer
Scenen festsetzt, gibt Huther in dem oben angeführten Aufsatze. Er
versteigt sich zu der Behauptung: der Dichter dramatisiert von hier an
bis zum Ende der ganzen Scene die von Herder in den Provinzialblättern
geführte Polemik gegen den von Spalding in dessen Buch von der
Nutzbarkeit des Predigtamtes vertretenen theologischen Rationalismus
u.s.w. (a.a.O. S. 330.). Ähnlich macht es z.B. auch Biedermann mit dem
Satyros; Stellen Basedowscher Schriften sind nach ihm die Vorlage für
einzelne und darunter gerade die schönsten und empfundensten Stellen
jener Dichtung. Geht das so fort mit dieser kläglichen, ganz
undichterischen Auffassung der Werke unseres Dichters, so ist er bald
nur noch als der zu betrachten, der eine Reihe Prosaschriften der Zeit
in schöne Verse gebracht!

[312] an W. v. Humboldt d. 17. März 1832.

[313] F.G.A. S. 579 unten u. 580. 1 ff. (N. 88 d. 3. Nov. 1772.)

[314] Vergl. meine Dissertation S. 76 ff.

[315] V. 1770-1867.

[316] V. 249-266 = 1868-1895.

[317] Vergl. V. 403.

[318] Darum hat auch später, nachdem der erste Teil gestrichen war,
diese Frage (V. 196 f.), die dadurch am Ende der Einleitung steht, dort
keine rechte Stelle mehr und ihre alte Bedeutung damit eingebüßt.

[319] Goethes F. in ursprünglicher Gestalt u.s.w. S. XXV.--Ähnlich auch
Weltrich, wenn er den Witz hier studentisch grün nennt (Magazin für d.
Litt. d. In- u. Ausl. Jahrg. 57. (1888.) S. 254). Vergl. ferner Seuffert
Vj.-schr. f. Litt.-gesch. 4. 340.

[320] E. Schmidt: ebenda.

[321] Grenzboten, Jahrg. 46 (1887) 4. S. 16 (K. Fr. Bahrdt).

[322] Laus Metaphysices in consessu Metaphysicorum recitanda; ebenfalls
in einer Form abgefaßt, die in den Kämpfen des Humanismus und der
Reformation viel gebraucht worden war. Über Klotz vergl. z.B. Ebeling,
Geschichte der Komischen Litteratur in Deutschland seit der Mitte des
18. Jahrhunderts Bd. 1. S. 210 ff.

[323] Ein bezeichnendes Beispiel dazu ist seine »lächerliche Nachahmung
des Winckelmannischen Enthusiasmus bei der Bewunderung der Venus
Kallipygos!« (Lessing, Entwürfe zur Fortsetzung der Briefe
antiquarischen Inhalts Nr. XCV; W. Bd. 13. Hempel.)

[324] Prutz in Raumers Historischen Taschenbuch 1850. S. 662.

[325] S. 284 f. Nr. 43. den 29. Mai 1772.

[326] S. 670 f. Nr. 101. den 18. Dezember 1772.

[327] W. Bd. 4. S. 3 ff. vergl. Haym, Herder u.s.w. Berlin 1880. Bd. 1.
S. 248 ff.

[328] S. 297 f. N. 45. den 5. Juni 1772; vergl. Scherer S. LXXXI.

[329] Ebeling a.a.O. S. 402.--E. Schmidt in d. Allgem. Deutschen
Biographie.

[330] D.W. T. 3. B. 14. W. Bd. 28. S. 294 ff.

[331] D.W. T. 3. B. 13. W. Bd. 28. S. 186.

[332] Vergl. Kawerau a.a.O. S. 17.

[333] K. Fr. Bahrdt, Geschichte seines Lebens u.s.w. 1. 387.

[334] a.a.O. 2. 7.

[335] Vergl. v. Gehrens Artikel bei Ersch und Gruber u. besonders
Erhards Anmerkung über die Erfurter Zeit.

[336] Bahrdt, Gesch. s. Lebens u.s.w. Bd. 2. S. 32.

[337] a.a.O. S. 182 f.

[338] Br. an Bahrdt. 1. 168 f. Vergl. Scherers Einl. zu Seufferts
Neudruck der F.G.A. S. XLVIII ff.

[339] S. 29 ff. N. 5 d. 17. Januar 1772.

[340] a.a.O. S. XLIX.

[341] a. a. O. S. XVII.

[342] N. 49 den 19. Juni 1772.

[343] Scherer S. LXXXII denkt an Herder; vergl. Minor Studien 110 f.
Steig in der Vjschr. f. Litteraturgesch. 5. 223 weist sie dagegen Herder
nicht zu.

[344] a.a.O. S. 319. Z. 32 ff.

[345] Leben 2. S. 244; über den Jahrgang 1773 der F.G.A. vergl. Scherer
a.a.O. S. LXXIV.

[346] Frank in Raumers Histor. Taschenbuche 1866. S. 232.

[347] Briefe an B. 2. 157 f. 172.

[348] Vergl. auch Lebensgesch. 2. S. 149.

[349] D.j.G. 2. 380 ff.; vergl. D.W. T. 3. B. 13. W. 28. S. 236.

[350] Aus Goethes Frühzeit, S. 34 f.; dazu F.G.A. S. XXX. Der
Marktschreier ist dann aber Deinet, nicht aber der Gießener Schmid, der
nur unter der Maske des Wagenschmiermanns zu suchen ist.

[351] D.W. T. 3. B. 14. W. 28. S 258.

[352] a.a.O. B. 13. Daß ihn Goethes Angriff empfindlich getroffen und er
ihn auch so bald nicht vergaß, beweisen die Bemerkung in seiner Allgem.
Theolog. Bibliothek II. 323 und die später entworfene Charakteristik
Goethes im Kirchen- u. Ketzeralmanach aufs Jahr 1781; vergl. Frank
a.a.O. S. 238. 287.

[353] Daß er ihn nicht so bald verlernt habe, bezeugt er selbst in
seiner Lebensgeschichte 2 S, 12 f.

[354] Vergl. die V. 1232 f. = 3540 f. der Gretchentragödie:

    Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,
    Vielleicht wohl gar ein Teufel bin.


[355] Man beachte überhaupt die Ähnlichkeit des Prologs mit der
Schülerscene in der äußeren Anlage: Besuch bei einem Professor.

[356] Br. an Bahrdt 2, S. 167. 169.

[357] D.W. T. 2. B. 6. W. 29. S. 41 f.

[358] a.a.O. S. 42.

[359] Br. 1. No. 4; den 13. Oktober 1765. Nachschrift. S. 11. Z. 5 ff.

[360] a.a.O. N. 6. S. 14. Z. 17 ff. und No. 7. S. 17. Z. 14 ff.

[361] F.G.A.N. 101, den 18. Dezember 1772. S. 667. Z. 31 ff.

[362] Vergl. das Gedicht Elysium an Uranien: (D.j.G. 2. 22 ff.) Uns
gaben die Götter Auf Erden Elysium. Dazu seinen Schluß: Ach, warum nur
Elysium!--Daß die Poesie des j.G. nicht allzusehr in Empfindsamkeit
zerfloß, dafür sorgte schon Shakespeares gewaltige Erscheinung. Man lese
nur den Schluß der Shakespeare-Rede! (a.a.O. 2. 43.)

[363] Vergl. Haym, Herder 1. 577. Mit dem ganzen Menschen zu wirken, zu
leiden, zu genießen--dieser Drang war in tieferen Geistern wie Hamann,
erwacht. Er machte sich in der Dichtung des jungen Goethe in
ergreifenden Offenbarungen Luft.

[364] F.G.A. N. 78 vom 29. September 1772. S. 517. Z. 15 ff. vergl.
Scherer S. LXXXIX.

[365] a.a.O. N. 104 vom 29. Dez. S. 688 oben. Vergl. Scherer S. XC.

[366] D.W. T. 3. B. 11. W. 28. S. 9. f.

[367] a.a.O. B 15. W. 28. S. 338 f.

[368] Vergl. z.B. Schubarth, Über Goethes F. Berlin 1830. S. 228.

[369] Erweitern ist ein charakteristischer Lieblingsausdruck des jungen
Goethe der Jahre 1771-1775; z.B. d.j.G. 2. 40. (zum Shakespearetag):
»ich fühlte aufs lebhafteste meine Existenz um eine Unendlichkeit
erweitert;« a.a.O. 3. 419 (Klavigo). Möge deine Seele sich
erweitern--ähnlich ebenda 377 oben; 3. 305 (Werther) s. Geist zu
erweitern; 3. 449 (Prometheus): »Vermögt ihr mich auszudehnen, erweitern
zu einer Welt.« (Vergl. dazu F. G. A. S. 518. Z. 2. in einer offenbar
Goethischen Rezension: Das Ausdehnen der eignen Existenz--)--Br. 2. N.
266. S. 212 unten (v. 5. Dez. 1774.): »und dieses enge Dasein hier zur
Ewigkeit erweitern«. (Vergl. auch die ähnlichen Wendungen Br. 2. N. 88.
S. 173. 15 f. d.j.G. 3. 162. Könnt ich doch ausgefüllt einmal u.s.w.)

[370] So wandte man sich in jener fordernden Epoche schließlich an das
Genie, »das durch seine magische Gabe den Streit schlichten und die
Forderungen leisten würde«. (D.W. T. 3. B. 15. W. 28. S. 340.)

[371] Vergl. Br. 2. N. 266 v. 5. Dez. 1774 S. 212:

    Ich zittre nur, ich stottre nur,
    Ich kann es doch nicht lassen,
    Ich fühl, ich kenne dich, Natur,
    Und so muß ich dich fassen.


[372] D.W. T. 3. B. 11. W. 28. S. 7.

[373] a.a.O. S. 360.

[374] Br. 1. No. 6 den 21. Oktober 1765. S. 14 Z. 15. D.W. T. 2. B. 6.
W. 27. S. 53.

[375] v.d.H. S. 40 (Lavater I. 21. 17-19.). Dieser Satz steht in einer
der Zugaben, die Goethe nach v.d. Hellen am 23. Januar 1775 abschickte,
(a.a.O. S. 28.)

[376] D.W. a.a.O. S. 53.

[377] S. schon das Leipziger Gedicht: Die Freuden (d.j.G. 1. 103), dazu
Br. 1. N. 63 v. 14. Juli 1770. S. 239. 33 ff.--D.W. T. 1. B. 4 W. 26. S.
187. Da ja selbst Naturforscher öfter durch Trennen und Sondern als
durch Vereinigen und Verknüpfen, mehr durch Töten als Beleben sich zu
unterrichten glauben.

[378] D.j.G. 2. 206.

[379] a.a.O. 3. 694. (Gebet.)

[380] In der lebendigen Natur geschieht nichts, was nicht in einer
Verbindung mit dem Ganzen steht,------es ist nur die Frage: Wie finden
wir die Verbindung dieser Phänomene, dieser Begebenheiten? (Der Versuch
als Vermittler von Objekt und Subjekt. 1773. Hempel, W. 34. S. 70.)

[381] Mit schließlicher Beziehung auf die alte Lesart im F. an unserer
Stelle sprach sich G. später also aus: Unsre Naturforscher lieben ein
wenig das Ausführliche. Sie zählen uns den ganzen Bestand der Natur in
lauter besonderen Teilen zu und haben glücklich für jeden besonderen
Teil auch einen besonderen Namen. Das ist Thonerde, das ist Kieselerde!
Das ist dies und das ist das! Was bin ich aber nun dadurch gebessert,
wenn ich auch alle Benennungen innehabe? Mir fällt immer, wenn ich
dergleichen höre, die alte Lesart aus F. ein: Encheiresin u.s.w. Was
helfen mir denn die Teile? was die Namen? Wissen will ich, was jeden
einzelnen Teil so hoch begeistigt, daß er den andren aufsucht, ihm
entweder dient oder ihn beherrscht, je nachdem das allem ein- und
aufgeborene Vernunftgesetz den zu dieser, den zu jener Rolle befähigt.
Aber gerade in diesem Punkte herrscht überall das tiefste
Stillschweigen.

[382] W. 1. 255.

[383] Br. vom 21. Januar 1832 an Wackenroder. (Müller, Goethes letzte
litterarische Thätigkeit. S. VIII.)

[384] Vergl. Hamann W. 4. 27: Ja wißt ihr endlich nicht, Philosophen,
daß es kein physisches Band zwischen Ursache und Wirkung, Mittel und
Absicht gibt, sondern nur ein geistiges, nämlich des Köhlerglaubens?--(S.
auch Herder W. 6. 202 f. 266 f.)

[385] F.G.A. S. 580. Z. 25 ff. u. S. 666 oben.

[386] D.j.G. 2. 231.

[387] Den verfluchten Mechanismus unsrer mit aller Macht neuen
Philosophie, wie es Hamann nennt. (W. 1. 413.)--»Allein--heißt es in
einer gewiß Goethischen Rezension, die wir schon oben anziehen
konnten--man muß nicht durch das System, und hätte mans auch selbst
gemacht, sondern mit bloßen, leiblichen Augen in den Menschen sehen.«
(F.G.S. 517. Z. 9. ff.--»Systemateley« bildet er weiter unten dafür;
vergl. Scherer S. LXXXIX.) Ebenso spricht auch wohl Goethe S. 521. Z. 21
f.: Er müßte wissen, daß die Natur zu allen Systemen zum Voraus Nein
gesagt------(s. Scherer S. LXXXIX). In der Baukunst (D.j.G. 2. 297.)
spottet er über die Atmosphäre des Systems; vergl. auch a.a.O. S. 124.
Z. 3 f.--

[388] Zu dem vom Dichter gebrauchten Bilde, vergl. a.a.O. S. 224:--es
mag den Jüngern dabei der Kopf gedreht haben, wie selbigen ganzen Abend,
denn sie verstunden nicht eine Silbe von dem, was der Herr sagte.

[389] Das Fragment hat hier bereits bezeichnender Weise geändert, da
damals die Satire auf akademische Verhältnisse für den Dichter in den
Hintergrund getreten war.--In den F.G.A. S. 482 (Schreiben über den
Homer N. 73) spricht G. von dem unbedeutendem Tone Professorlicher
Tugendlichkeit. Man beachte auch, wie in dieser Rezension der
Professortitel spottend wiederholt wird. (S. 481. Z. 8. 28, 482. Z. 5,
10, 16. 483. Z. 6.)

[390] Zu V. 415. 416 = 2021. 2022 vergl. den ähnlichen Rat für Faust:
(V. 2062; zuerst im Fragment V. 541.) Sobald du dir vertraust, sobald
weißt du zu leben; s. auch Paralip. 9. W. 14. 289.--Zu V. 411. 412 =
2017. 2018: »Doch der den Augenblick ergreift, daß ist der rechte Mann.«
Vergl. v.d.H. S. 188. Lavater II. 254. 12 über Scipio: Unbeweglich in
seinen Verhältnissen ist der Mann, stets den Augenblick ergreifend,
u.s.w. (Dazu v. d. Hellen S. 186 und Br. 2. N. 354 an Lavater vom 8.
September 1775. S. 286. Z. 19.)

[391] a.a.O. S. 614. Z. 34 ff. vergl. Scherer XC.--S. auch Herder zu
Dalbergs Betrachtungen über das Universum: Eben die Kontrarietät im
Menschen ist das Siegel Gottes in unserer Natur, der Baum der Erkenntnis
Gutes und Böses in einen ewigen Baum des Lebens verwandelt. (Hempel W.
Bd. 17. S. 462.)

[392] a.a.O. S. 554. Z. 24 ff. 555. Z. 2 ff.

[393] a.a.O. S. 672. Z. 8 ff.; vergl. Scherer S. LXXXVII.

[394] a.a.O. S. 665. Z. 25 ff.; vergl. auch Br. 2. N. 180 an Rüderer,
Herbst 1773. S. 120. Z. 15 f.--Dazu Haym, Herder, Bd. 1. 499 f.

[395] Vergl. Herder zu Dalbergs Betrachtungen über das Universum:
(Hempel Bd. 17. S. 460) alle Philosophie also, die von sich anfängt und
mit sich aufhört, ist von ihrer Muhme, der Schlange.

[396] Das verkennt z.B. Düntzer, Deutsche Nationallitteratur Bd. 93.
Goethes Werke XII. S. 83.

[397] Auch in seinem Götz hat z.B. der junge Dichter dem Jugendlichen in
sich selbst Ausdruck verliehen, indem er den Haupthelden jugendliche
Nebenpersonen zur Seite gab. (Georg u. Franz.)

[398] W. Bd. 14. S. 287. (Paralip. 1.)

[399] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 336 f.

[400] W. Bd. 11. 103 ff.

[401] Man vergleiche auch, wie in den Biblischen Fragen Vater und Sohn
einander gegenüberstehen, und wie der erstere den sehr selbstbewußten
Sohn, der eben von der Universität zurückgekommen ist, in ähnlicher
Weise zu belehren sucht. (D.j.G. 2. 231.)

[402] Man vergl. Erwins Verkleidung als Eremit in Erwin u. Elmire, den
Krugantino in Klaudine von Villa Bella und die Vermummung des Hauptmanns
im Pater Brey.

[403] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 317 ff.

[404] Gespr. Bd. 7. S. 10.

[405] 339. 340 = 1902. 1903, aber seit dem Fragment an andrer Stelle.

[406] a.a.O. S. 322.

[407] Vergl. Pniowers Einwand a.a.O. S. 323.

[408] V. 1904 ff.:

    Ich bin dabei mit Seel und Leib
    Doch freilich würde mir behagen
    Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib
    An schönen Sommerfeiertagen.


[409] V. 1909.

[410] Pniower a.a.O. S. 326 meint V. 317 ff. sei die Ausdrucksweise so
unklar, daß die Interpretation der Worte auf nicht geringe
Schwierigkeiten stoße. M. aber, der den studentischen Tisch im Gegensatz
zu der Mutter Tisch spottend beschreibt, will mit den Versen »Hammel und
Kalb küren ohne End, als wie unsers Herr Gotts Firmament«, doch nur
sagen, der Student müsse sich Hammel- und Kalbfleisch so endlos wählen,
wie auch das Himmelsgewölbe es sei.

[411] a.a.O. S. 327.

[412] In Götz (A.) ist es in 16 Fällen, in G. (B.) aber über 40 mal
ausgelassen; denn gerade seit 1773 schöpft G. mehr als je aus der
Sprache des Volks und des 16. Jahrhunderts.

[413] a.a.O. S. 332 f.--Es geschieht seiner offenbar Erwähnung in dem
Br. an B. Jakobi v. 29. Nov. 1773 (2 N. 187. S. 128. Z. 4 ff.) »Auf
Faßnacht könnts anmarschieren«--meint der Dichter; dasselbe in dem
Sylvesterbrief an B. Jacobi (2. N. 197. S. 138. Z. 9). Im März 1774 ist
aber das versprochene Fastnachtstück immer noch nicht fertig (Br. 2. N.
213 an J. Fahlmer S. 153. Z. 5 ff.); auch schließlich auf Ostern noch
nicht; s. Br. 2. N. 215. S. 154. Z. 13 ff. u. N. 217. S. 158. Z. 16 ff.
So erhielt das Stück schließlich die Bezeichnung: Ein Fastnachtsspiel
auch wohl zu tragieren nach Ostern u.s.w.. G. überließ es bekanntlich
Klinger mit den übrigen Farcen des Neueröffneten moralisch-politischen
Puppenspiels zur Veröffentlichung.

[414] Was auch Pniower S. 333 annimmt; s. dagegen Düntzer, Neue Beiträge
z. Goetheforschung. 1891. S. 199 ff.

[415] Gegen Pniower a.a.O. S. 225.

[416] D.j.G. 3. 180.

[417] a.a.O. 3. 494 ff.

[418] S. Abeken, Goethe in den Jahren 1771-1775. S. 270 f.

[419] D.j.G. 2. 212.

[420] Br. 2. N. 348. S. 282. Z. 12 ff.

[421] Gespr. 2. 76.

[422] Vjschr. f. Litt.-gesch. 4. 339.

[423] Aber nicht nur stehen diese beiden mit einander in innerem
Zusammenhang, sondern sie spinnen auch den Faden, weiter, der sich
bereits durch die erste Hauptmasse zieht. Faust d.h. der geniale,
hochstrebende Mensch gerät mit seinem _Lebens- und Schaffensdrang_ in
Widerstreit mit den Schranken seiner Natur; er begehrt von jenem erfüllt
das Unmögliche und wird überall abgewiesen. In den beiden folgenden
Scenen kämpft nun der schöpferische Geist des Dichters, den er
nicht nur Faust, sondern sogar dem _Teufel_ gegeben hat, gegen
das Unschöpferische, Unfruchthare, Leblose an. Dem gleichen Geiste sind
demnach die erste Hauptmasse und die Wagner- und Schülerscene
entsprungen. Wir drücken den Kern ihres Inhalts so aus: Das
Schöpferische im Menschen d.h. das Göttliche im Widerstreit mit den
Grenzen seiner menschlichen Natur (1. Monolog u. Erdgeistscene; vergl.
auch Werther.)--Das Schöpferische im Kampf mit dem Unschöpferischen,
das, insofern es anmaßlich alles erfüllt, dem Genialen auch eine Art
Schranke errichtet, die es zwar mit leichter Mühe niederreißt, die aber
ebenso rasch wieder hergestellt wird. (Wagner- u. Schülerscene.)

[424] Seuffert a.a.O. S. 342.

[425] Treffend bemerkt Schiller in dem Br. vom 26. Juni 1797: »Der
Teufel behält durch seinen Realism vor dem Verstand, und der Faust vor
dem Herzen recht.« Darauf Goethe am nächsten Tage: »So werden wohl
Verstand und Vernunft, wie zwei Klopffechter, sich grimmig
herumschlagen, um abends zusammen freundschaftlich auszuruhen.«--Man
vergl. auch Hebbels Wort: Gott teilt sich nur dem Gefühl, nicht dem
Verstande mit; dieser ist sein Widersacher, weil er ihn nicht erfassen
kann. Das weist dem Verstande den Rang an. (Tagebücher 1. S. 109.)

[426] Auf eine ursprüngliche Verbindung zwischen Erdgeist und Teufel hat
bekanntlich zuerst Ch. H. Weiße, Kritik und Erläuterung des Goetheschen
Faust, Leipzig 1837. S. 86 ff. aufmerksam gemacht; er zog aber bereits
den falschen Schluß, dem Erdgeist sei eine wiederholte Erscheinung und
überhaupt eine wesentlichere Rolle zugedacht gewesen.

[427] Vergl. G. J. 3. 341.

[428] Vergl. z.B. K. Fischer, Goethes Faust (3. Aufl.) Bd. 2. S. 28.

[429] Br. 2. N. 335. S. 292. Z. 23 ff.

[430] D.j.G. 3. 189.

[431] a.a.O. S. 190.

[432] S. 191.--Vergl. auch Pniower, Zwei Probleme des Urfaust, Vjschr.
f. Littgesch. 3. 149.

[433] D.W. T. 3. 15. W. 28. S. 315 ff.

[434] Vergl. Br. 2, N. 273 vom 28. Dez. 1774; N. 278 vom 13. Jan. 1775;
N. 320 vom 14. April; auch N. 328 vom 3. Mai; N. 334 vom 4. Juni; N. 342
vom 1. Aug. und schließlich N. 361 Mitte Oktober 1775 mit der Meldung
seiner Ankunft.

[435] D.W. T. 3. B. 15, W. 28. S. 322 oben.

[436] Vergl. das Volksbuch von 1587 Neudruck S. 185.--Diese Rolle ist
ihm übrigens bereits im Fragment als seiner nicht würdig wieder
genommen.

[437] Vergl. den Weinrebenzauber Vjschr. f. Littgesch. 1. 470. u.
Schröer in seiner Ausgabe 1. 143.

[438] Volksbuch von 1587. Neudruck S. 130; V. des christl. Meinenden
Neudr. S. 15.

[439] Vjschr. f. Littgesch. 2. 160.

[440] Briefe an u. von Merck (Wagner 2. 123.)

[441] Br. 2. N. 343 vom 3. August 1775. S. 273. Z. 16 ff.

[442] Vergl. Br. 2. N. 340 vom 25. Juli; N. 343 vom 3. August; N. 355
vom 14.-19. Sept. 1775.

[443] D.W. T. 4. B. 19. W. Bd. 29. S. 158. Sie begann am 10. September.

[444] D.W. T. 4. B. 19. W. Bd. 29. S. 159 unten.--Vergl. auch das Schema
zu B. 17. a.a.O. S. 213, in dem G. das Gedicht in die Zeit der
Michaelismesse setzt; dagegen früher v. Loeper Anm. 730 zu D.W. und in
der Ausgabe der Gedichte 2. 335, der sich, ehe aber noch jenes Schema
bekannt geworden war, für die Zeit der Ostermesse entschieden hatte.

[445] Vergl. z.B. K. Fischer, Goethes Faust nach seiner Entstehung
u.s.w. 2. Aufl. 1887. S. 241 ff.

[446] In seiner Ausgabe des ältesten F. S. XXIII; ebenso Pniower Vjschr.
f. Littgesch. 2. 147.

[447] Tageb. Bd. 1. S. 1.

[448] Düntzers Erklärung der Stelle, es sei an die Steigerung zu
dreihundertfaltiger Kraft des Trinkers zu denken, wird wohl niemand
beitreten wollen. (Ztschr. f. d. Phil. Bd. 21. 1889. S 374.)

[449] a.a.O. S. 4. Z. 17. Daß es der Erde so sauwohl und so weh ist
zugleich; (wozu man die edlere Fassung dieses Gedankens in dem zweiten,
Ende 1775 geschriebenen, Teil des ewigen Judens d.j.G. 3. 411.
vergleiche:

    Fühlt, wie das reinste Glück der Welt
    Schon eine Ahnung von Weh enthält.)

S. 6. Z. 23. Sauwohl u. Projekte.

[450] D.W. T. 4. B. 18. W. Bd. 29. S. 103 ff.

[451] Tageb. 1. S. 5. Z. 10 u. D.W. a.a.O. S. 117.

[452] D.W. a.a.O. S. 95.

[453] a.a.O. S. 94;--auch in den Br. 2. N. 340. S. 270. Z. 12 ff. N.
343. S. 273. Z. 13 ff. 274. Z. 14 ff.

[454] a.a.O. N. 358. S. 298.

[455] D.W. a.a.O. S. 95.

[456] Bezieht sich vielleicht darauf, die Stelle in dem Brief v. 4. Okt.
a.a.O. S. 398. S. 4 ff.: Ich hab euch drei dramatisiert. Gr. Christian
Truchseß, Gr. Leopold und Junker Kurt. Wo ihr auf dem großen
Krönungssaal zu Frankfurt in naturalibus hingestellt sind. (?!)

[457] Vergl. D.W. T. 3. B. 12. W. Bd. 28. S. 170: »Denn wie es
angeborene Antipathien gibt, so wie gewisse Menschen die Katzen nicht
leiden können, anderen dieses oder jenes in der Seele zuwider ist, so
war Merck ein Todfeind aller akademischen Bürger, die sich nun freilich
zu jener Zeit in Gießen in der tiefsten Rohheit gefielen. Mir waren sie
ganz recht: ich hätte sie wohl auch als Masken in einem meiner
Fastnachtsspiele brauchen können, aber ihm verdarb ihr Anblick bei Tage
und des Nachts ihr Gebrüll jede Art von gutem Humor.«

[458] S. Pniower. Vjschr. f. Littgesch. 2. S. 146 ff.--K. Fischer.
Goethes Faust (3. Aufl.) Bd. 2. S. 48.



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IN SEINER AELTESTEN GESTALT***


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