Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.

By Friedrich Gerstäcker

The Project Gutenberg EBook of Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band., by 
Friedrich Gerstäcker

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org


Title: Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band.
       Unter Palmen. Gesammelte Erzählungen.

Author: Friedrich Gerstäcker

Release Date: April 29, 2014 [EBook #45534]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTER PALMEN UND BUCHEN. ***




Produced by Matthias Grammel and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription
was produced from images generously made available by
Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)









                        Unter Palmen und Buchen.


                             Zweiter Band.

                             Unter Palmen.


                        Gesammelte Erzählungen
                                 von
                         Friedrich Gerstäcker.


  [Illustration: Dekoration]


                               Leipzig,
                       Arnoldische Buchhandlung.
                                 1866.




Inhaltsverzeichniß.


                                                         Seite

     Das Klima der Tropen.                                   1

     El Comisario.                                           8
 	Erstes Capitel - Tomaco.                             8
 	Zweites Capitel - Die erste Crinoline.              21
 	Drittes Capitel - Der Alarm.                        29
 	Viertes Capitel - Die Einnahme von Tomaco.          43
 	Fünftes Capitel - Baptista.                         64
 	Sechstes Capitel - Der Succurs.                     93
 	Siebentes Capitel - Der Commissair in der Falle.   106
	Letztes Capitel - Im Pailon.                       126

     Am Cachavi.                                           137
 	Erstes Capitel - In Concepcion.                    137
 	Zweites Capitel - Ein Besuch beim Alkalden.        150
 	Drittes Capitel - Die Canoefahrt.                  163
 	Viertes Capitel - Nach dem Pailon.                 182
 	Fünftes Capitel - Die Indianerin.                  200
 	Sechstes Capitel - Im Walde.                       212
	Siebentes Capitel - In Cachavi.                    238

     Der Tiger                                             260

     Negerleben                                            273




Das Klima der Tropen.


Daß es in jenen Ländern, welche innerhalb der heißen Zone liegen und die
wir kurzweg »die Tropen« nennen, auch sehr heiß sein muß, gilt als eine
völlig feststehende Thatsache, und man hört gar nicht etwa so selten,
daß Leute an einem recht warmen Sommertag bei uns die armen Menschen
bemitleiden, die »bei _=der=_ Hitze« auch noch unter dem Aequator sitzen
müssen. Zehn gegen eins läßt sich aber wetten, daß in sehr vielen heißen
Ländern jene armen bemitleideten Menschen in der nämlichen Zeit sich
viel kühler und behaglicher befinden, als wir selber.

Es giebt allerdings Landstriche, wo die Hitze außerordentlich drückend
sein und durch verschiedene Umstände noch vermehrt werden kann. So z. B.
in den afrikanischen, asiatischen und auch australischen Wüsten, wo der
trockene Sand den ganzen Tag über von der Sonne gebrannt wird und noch
lange nach Sonnenuntergang die eingesogene Brutwärme wieder aushaucht.
Weit anders dagegen ist es in allen übrigen Tropenländern der Erde.

Vor allen Dingen dürfen wir annehmen, daß es dort -- so sonderbar das
auch klingen mag -- doch in der That nie heißer wird, als es bei uns an
recht heißen Sommertagen ebenfalls werden kann, keinenfalls heißer. Ich
weiß mich nicht zu erinnern, daß ich in irgend einem Lande der Welt --
und selbst das nur an einzelnen sehr heißen Tagen -- mehr als
neunundzwanzig und einen halben oder dreißig Grad Réaumur im Schatten
gehabt habe, und das blos in Afrika; in Indien dagegen, in Australien,
in der Südsee und in allen Tropenländern Amerika's habe ich nie mehr als
achtundzwanzig und einen halben bis neunundzwanzig Grad im Schatten
erlebt, und glaube auch nicht, daß es je dort heißer wird.

Was diesen Ländern den Namen der _=heißen=_ giebt, ist also nicht die
_=größere=_ Hitze, sondern die das ganze Jahr ununterbrochen währende,
aber dafür hat man dort wieder andere Vortheile, welche die Hitze lange
nicht so empfinden lassen, wie sie bei uns empfunden wird.

Wir in Europa sind nämlich nur auf ein _=kaltes=_ Klima eingerichtet,
und erwischt uns einmal hier eine so heiße Zeit, wie im letzten Sommer,
so haben wir keinen Schlupfwinkel, wohin wir flüchten können, und
meinen gleich, daß wir schmelzen müßten. In den heißen Ländern dagegen
ist man vollständig darauf vorbereitet. Die Häuser sind danach gebaut
mit hohen, luftigen Zimmern, durch welche die Luft überall frei aus und
ein kann, ohne durch enge Fensterhöhlen einen schädlichen Zug zu
erregen; Badehäuser stehen überall, die Kleidung ist ebenfalls dem Klima
angemessen und alle Beschäftigungen und Arbeiten sind so eingetheilt,
daß sich besonders die Europäer den Sonnenstrahlen nie in den heißesten
Tagesstunden aussetzen.

Ein anderer Vortheil, den man dort hat, liegt in den kurzen Tagen. In
den Tropen geht die Sonne, mit geringem Unterschied, durch das ganze
Jahr jeden Tag um sechs Uhr auf und um sechs Uhr unter. Bei uns, wo sie
sich in den längsten Tagen schon gleich nach drei Uhr Morgens zeigt,
erhitzt sie um sieben Uhr schon den Boden mehr, als dort um neun Uhr;
auch hat sie dort um vier Uhr Abends schon wieder ihre Kraft verloren.
Noch angenehmer aber ist das Klima, z. B. in Indien, in der Regenzeit,
wo fast jeden Nachmittag um drei Uhr ein kleiner Wolkenbruch, den die
Leute dort scherzhaft Regen nennen, vom Himmel herunterfällt und die
Erde kühlt und erfrischt. Die Abende in dieser Jahreszeit sind dann
wahrhaft wundervoll und von drückender Hitze von der Zeit an keine Rede
mehr. Aber trotzdem, daß die Hitze dort eigentlich nie lästig wird,
erschlafft sie doch mit den Jahren den Körper, denn nicht allein die
_=kalten Nächte=_ fehlen, sondern überhaupt der _=Winter=_, in dem sich
Menschen wie Pflanzen wieder ausruhen und frische Kräfte sammeln können.
Es ist mit einem Wort nicht _=heißer=_ dort, als bei uns im Sommer, ja
die Hitze wird dort in einzelnen Fällen vielleicht nicht einmal als so
drückend verspürt, aber es ist _=ewig=_ Sommer und das reibt zuletzt die
stärkste und kräftigste Constitution auf.

Aber nicht alle Tropenländer sind etwa so heiß; an der Westküste von
Amerika z. B. kennt man, selbst unter den niedrigsten Breiten, eine
andauernde Hitze nur an wenigen Stellen. Die Ursache davon erklärt ein
Blick auf die Karte -- das niedere Land ist dort zu schmal und im Osten
von den schneebedeckten Cordilleren begrenzt, im Westen vom Meer
bespühlt und den Seewinden offen, darum kann es da nie sehr heiß werden,
wenigstens hat man immer kühle Nächte.

Es ist eine sonderbare Thatsache, daß ein ganz bedeutender Handel,
gerade von Deutschland aus, nach Peru mit den allerschwersten und
dicksten Tuchen getrieben wird, und nicht etwa für das innere,
hochgelegene Land werden diese allein verwandt, sondern selbst in dem
an der Küste und im flachen Lande liegenden Lima (12 Grad südl. Breite)
getragen. Sowie aber die Sonne im Meere versinkt und die Luft von den
Schneeriesen der Cordilleren herüberweht, wird es auch ordentlich frisch
an der Küste, und man kann einen warmen Rock recht gut vertragen. Selbst
unter dem Aequator sind die Nächte frisch und angenehm, und da über den
ungeheuern Waldungen von Ecuador und Neu-Granada der Himmel fast stets
bedeckt ist, die Sonne also auch nie ordentliche Kraft gewinnt, so
steigt die Hitze dort über Tag selten höher als 26° -- nie aber über 28
-- und selbst das nur auf wenige Stunden.

Die Linie des ewigen Schnees wird in den Tropen auf 16,000 Fuß gerechnet
und fällt, jemehr sie sich der kalten Zone nähert, bis sie etwa unter
80° nördlicher wie südlicher Breite die Meeresfläche erreicht. Ganz
genau trifft das aber auf die Grade nicht zu. Besonders in den
Cordilleren Südamerikas liegt die Schneelinie unter 15-17° südl. Breite
fast höher oder wenigstens eben so hoch, wie unter der Linie selber. Die
Ursache davon sind eine Masse kalter Hochebenen in der Nachbarschaft und
eine große Menge schneebedeckter Berge, welche näher zum Aequator
liegen und dadurch die Luft unnatürlich kälter machen, als es unter
gewöhnlichen Umständen der Fall sein dürfte.

Als ein Beispiel, in wie großer Höhe unter den Tropen noch Menschen
wohnen können, während in Europa, z. B. in der Schweiz, die Gletscher an
manchen Stellen bis zu 5000 Fuß und tiefer herabreichen, mag die Stadt
Cerro de Pasco in Peru dienen. Cerro de Pasco, eine Stadt, die in den
Cordilleren unmittelbar an den reichen Silberminen jener Berge entstand,
liegt etwa unter 11° südl. Breite, aber 14,500 Fuß hoch über der
Meeresfläche -- also noch etwas unter der Linie des ewigen Schnees --
aber es fällt dort schon ewiger Schnee, wenn er auch nicht immer liegen
bleibt, denn fast kein Tag vergeht im ganzen Jahr, an dem es nicht ein
wenig schneit. Nur ein dürftiges Gras wächst dort an den Bergen, das
immer gelb aussieht, weil die Spitzen stets erfroren sind. Das Futter
für die Lastthiere müssen diese selber aus den tiefer gelegenen Thälern
heraufholen -- Bohnen und Hülsenfrüchte sind dort tropische Gewächse und
werden eingeführt, mit ihnen aber auch Ananas und Bananen, denn die
Thiere brauchen nur ein Paar Meilen weiter hinabgeschickt zu werden, um
die Region des Zuckerrohrs zu erreichen.

Der Aufenthalt in solcher Höhe ist aber trotzdem nicht unerträglich,
wenn auch der Neuankömmling im Anfang viel an Kopfschmerzen zu leiden
hat und besonders lange einen leisen Druck auf den Schläfen fühlt. Man
gewöhnt sich zuletzt daran, und der Beweis liegt schon darin, daß die
Stadt Cerro de Pasco nahe an 14,000 Einwohner zählt. Nur sehr viel
kleine Kinder sollen dort sterben, und wie ich hörte, vergeht kein Tag,
an dem nicht wenigstens eine Kinderleiche beerdigt wird. Cerro de Pasco
ist, soviel ich weiß, die höchstgelegene Stadt der ganzen Erde.




El Comisario.




Erstes Capitel.

Tomaco.


Die Grenze zwischen den beiden Republiken Neugranada und Ecuador an der
Westküste Süd-Amerikas bildet der aus den Cordilleren mit wildem
Ungestüm niederstürzende Fluß Mira -- und auch wirklich nichts weiter,
als die _=Grenze=_, denn erst ganz nahe der See, im flachen Land, ist es
möglich, ihn mit Booten zu befahren. Weiter oben hat er einen viel zu
steilen Fall, und riesige Felsblöcke, die er überall aus seinem Bett und
von seinen Ufern losgerissen, machen die Passage selbst für Canoes
gefährlich.

Durch die Gewalt, mit welcher er aus den Bergen kommt, und bei einer
außerordentlich kräftigen Strömung durchriß er aber das niedere
fruchtbare Land an verschiedenen Stellen, und bildete so einige kleine
Inseln, von denen Tomaco die wichtigste, und ein wirkliches
Miniaturparadies ist. Ein Paradies nämlich, was Scenerie und Vegetation
betrifft, denn sonst sorgen die Bewohner dieser Republiken schon dafür,
daß die paradiesischen Zustände in ihrem Lande nicht zu sehr an die alte
Sagenheimath unserer Vorältern erinnern.

Ein vielleicht hundert oder hundertzwanzig Fuß hoher Felsen scheint den
Kern der Insel zu bilden, an dem sich die Macht des Stromes in früheren
Jahrhunderten brach, so daß dieser gezwungen wurde, sich rechts und
links daran hin seine Bahn, dem Meere zu, zu suchen. Aber der
fruchtbarste Boden deckt das alte Gestein und, ganz unähnlich ihren
Nachbarn an der Küste, die zu faul sind, einen Fruchtkern in den Boden
zu stecken, haben die Leute, die sich dort auf der kleinen Insel
niederließen, einen wahren Garten aus ihr geschaffen, dessen Producte
jetzt Käufer an der ganzen Küste finden.

Fortwährend legen dort kleine Schooner an, die von Guajaquil besonders
Waaren und leider auch Getränke bringen, und, dafür mit Cocosnüssen,
Bananen, Cherimoyen, Alligatorpears (~aguacarta~), Ananas und andern
kostbaren Früchten beladen, wieder dorthin zurückkehren, oder ihre
Fracht auch an den Zwischendörfern absetzen, und dafür Gummi oder Cacao
einnehmen.

Im Anfang bestand die kleine Ansiedelung, die sich auf der Insel
gegründet, nur aus wenigen Personen, die sich theils mit dem sehr
bedeutenden Fischfang, theils mit dem Gartenbau beschäftigten. -- Nach
und nach siedelten sich mehr dort an, Kaufläden entstanden und
Branntweinschenken; eine Brennerei wurde sogar auf der Insel selber
angelegt, um das dort gezogene Zuckerrohr gleich an Ort und Stelle zu
verwerthen, und der Verkehr wuchs so bedeutend, daß es sogar der kleine
englische Dampfer, der seine regelmäßigen Fahrten zwischen Panama und
Guajaquil macht, für vortheilhaft fand, dort anzulegen und so eine
Postverbindung zwischen Tomaco und der übrigen Welt herzustellen.

Einen Alkalde wählten sich die Leute zwar noch immer selber und aus
ihrer Mitte, und sie hatten bis dahin von den gar nicht seltenen
Revolutionen Neugranadas eigentlich nur dann erst Kunde bekommen, wenn
die Sache vorbei und für eine oder die andere Partei entschieden war.
Wie sich der Wohlstand der Insel aber mehr und mehr hob, lenkte sie auch
-- keinen Falls zu ihrem Vortheil -- die Aufmerksamkeit der Regierung
auf sich, und die Wichtigkeit ihres Besitzes stellte sich mehr und mehr
heraus, als auch das unmittelbar daran stoßende Ecuador
Oberhoheitsrechte über Tomaco beanspruchte.

Trotzdem hatte man in der letzten Revolution, die Mosquera gegen die
bestehende Regierung anzettelte, noch sehr wenig von den Lasten des
Krieges gefühlt, und einzelne Familien zogen sich sogar aus dem, den
ewigen Streifcorps beider Parteien preisgegebenen Bogota hierher zurück.
Aber dieser Friede sollte nicht lange dauern, denn während südlich von
ihnen in Ecuador der Mulattengeneral Franco die Fackel der Empörung in
ein ruhiges Land schleuderte und seine Macht mit gemietheten Banden eine
kurze Zeit aufrecht hielt, rüstete Mosquera im Norden ein paar kleine
Schiffe aus, um auch die Küstenplätze des Reiches zu besetzen, während
er mit seinen Truppen das Innere durchzog und mit wechselndem Glück bald
Bogota, die Hauptstadt, einnahm, bald wieder daraus vertrieben wurde. An
eine _=Vertheidigung=_ derselben dachte man nie. -- Welche Partei gerade
die stärksten Banden hatte, rückte ein, und die andere zog indessen ab,
um größere Verstärkung zu bekommen.

Ob Mosquera siegte oder besiegt wurde, unruhige und beunruhigende
Gerüchte zuckten überall an der Küste auf und ab, und ließen die
Eingeborenen, die nicht das geringste Interesse an dem endlichen Ausgang
des Kampfes hatten, ihres Lebens sich nie freuen. Was lag ihnen daran,
ob ihr Präsident Mosquera oder sonst wie hieß? Sie bekamen ihn auf
Tomaco doch nie zu sehen, und selbst zu Ecuador hätten sie sich mit der
größten Gleichmüthigkeit schlagen lassen, wenn sie weiter keinen
Nachtheil hatten.

Aber es ist eine alte Geschichte, daß weder in Republiken noch
Monarchien das eigentliche Volk selber eine Revolution macht, sondern im
Gegentheil dazu überredet werden muß. Der materielle Druck einer
Regierung wirkt nie so unerträglich, treibt nie so rasch zum Aeußersten,
wie der geistige, den das eigentliche Volk nicht so leicht fühlt.

Auch Mosquera's Regierung würden sich die Einwohner von Tomaco mit
Vergnügen unterworfen haben, so weit es nämlich die unteren Classen, die
Fischer und Ackerbauer betraf, denn sollten sie sich etwa, eines Namens
wegen, widersetzen und ihre Netze und Boote, ihre Anpflanzungen und
Gärten preisgeben? -- Aber in Tomaco befand sich ein unter der alten
Regierung gewählter Alkalde, ein Postmeister, ein Steuereinnehmer --
lauter Leute, die allerdings in bloßen Füßen und Kattunhemden in der
Welt herumliefen, aber trotzdem eine Stellung zu verlieren hatten. Sie
stützten mit ihrem Anhang das alte Regime, während die hierher
geflüchteten Neu-Granadienser Alles thaten, was in ihren Kräften stand,
um gegen Mosquera und die Umsturzpartei zu wirken. Es wurde ihnen das
um so leichter, als Mosquera in dem Verdacht stand, eine
Militärherrschaft gründen zu wollen, und das war die verhaßteste von
Allen, denn die jungen Leute fürchteten, nicht mit Unrecht, ausgehoben
und in das innere, ungesunde Land geschleppt zu werden.

Kurz, Mosquera schien in Tomaco, wenn man die Bevölkerung hätte wollen
über ihn abstimmen lassen, wenig Aussicht auf Erfolg zu haben. Desto
größer war die Beunruhigung der Leute, als der kleine Dampfer, die
»Anna«, eines Tages die Kunde mit nach Tomaco brachte, daß Mosquera
Buenaventura besetzt habe, und zwei »Kriegsschiffe« schon von dort
ausgelaufen seien, um die südlicher liegenden Küstenstädte ebenfalls dem
»neuen Präsidenten« zu unterwerfen. Sie hatten wenigstens Buenaventura
schon verlassen, als die Anna dort anlief, wenn es auch noch eine Weile
dauern konnte, bis sie hierherzu aufkreuzten, da ihnen Wind, wie
Strömung an der Küste fortwährend entgegen waren.

Wie ein Lauffeuer zuckte diese Schreckenskunde über die Insel und die
Bewohner schienen gar nicht an Widerstand zu denken, bis ein Franzose,
der dort eine Art von Hôtel oder Branntweinwirthschaft mit einem
Kaufladen hielt und außerdem noch herüber und hinüber speculirte, der
Unschlüssigkeit ein Ende machte, und von seinem Ladentisch aus den
Einwohnern auseinander setzte, daß sie sich _=vertheidigen=_ und ihre
Freiheit bewahren müßten.

Der Mann sprach jedenfalls als Fremder unparteiisch, denn daß er ein
Dutzend alte Musketen und ordinäre, schon halb verrostete Flinten auf
Lager hatte, und außerdem Pulver und Munition führte, wovon er in
ruhigen Zeiten außerordentlich wenig absetzte, konnte ihn kaum dazu
bewogen haben, seinen Mitbürgern einen solchen Rath zu geben.
Nichtsdestoweniger versäumte er keine Zeit, um die genannten
Kriegsinstrumente, so rasch es anging, wenigstens von außen, wieder
etwas in Stand zu setzen und den Rost zu entfernen. Was er an sonstigen
Waffen: Pistolen und Messern, besaß, wurde ebenfalls vorgesucht, um zur
Schau auf seinem Ladentische auszuliegen.

Unterdessen wirkte das ausgestreute Gift. In seinem Laden sammelten sich
vorzugsweise die Müßiggänger der Stadt, um bei einem Glase Aguaardiente
oder süßen Liqueurs, den sie sehr gern tranken und den Monsieur Renard
so schlecht als theuer führte, ihre zukünftige Haltung zu besprechen.
Sie wollten sich zu einem Entschluß hinaufarbeiten, der aber -- wie die
Meisten recht gut wußten -- im letzten und entscheidenden Augenblick
doch unausführbar war.

Welchen Widerstand hätten sie einer bewaffneten Macht bieten wollen? Ein
einziger Raketenschuß würde ihre ganze aus Bambus und Schilfdächern
erbaute kleine Stadt in Brand gesteckt haben. Befestigungen gab es gar
nicht -- die Straßen lagen sämmtlich offen, feindliche Boote konnten in
der Fluthzeit fast an jedem Theile der Insel landen. Dazu war die
Bevölkerung fast waffenlos und, wenn sie auch Waffen gehabt hätte,
ungeübt in dem Gebrauch derselben. Alle Vernunftgründe sprachen deshalb
dafür, etwas, das man doch nun einmal nicht ändern konnte, ruhig über
sich ergehen zu lassen, noch dazu, da es ihnen nicht einmal Nachtheil
bringen konnte. -- Aber der Branntwein! Sobald die Köpfe erregt waren,
fingen die Leute an, welche ihre _=jetzige=_ Regierung ebenfalls nur dem
Namen nach kannten, patriotisch zu werden, und eines Tages, ehe es
dunkel wurde, hatte Louis Renard seine sämmtlichen alten Musketen an den
Mann gebracht, sogar seine eigene und letzte, ziemlich gute Doppelflinte
verkauft und mit seiner Munition so weit aufgeräumt, daß ein neuer
Auftrag nach Guajaquil oder Panama nöthig wurde.

Am nächsten Morgen waren die Bewohner von Tomaco auch schon mit
Tagesanbruch munter, und Kundschafter erkletterten den Felsen, um von
dort aus einen besseren Ueberblick über die See zu gewinnen, und etwa
ansegelnde Fahrzeuge augenblicklich signalisiren zu können. Ueberhaupt
befand sich die Stadt in einer ziemlichen Aufregung, da sich zu gleicher
Zeit eine Art von Miliz gebildet hatte, die freilich nur in der einen
Hinsicht uniform war, daß sämmtliche »Soldaten« _=ohne=_ Uniform
erschienen. Auch zwei kleine Kanonen wurden vorgesucht, die der
Postmeister einmal von der »Anna« erstanden hatte, wo man sie gebraucht,
um Signalschüsse zu geben. Natürlich fehlte es an Kugeln dazu, die sich
aber durch kleine Stücke gehackten Bleies ersetzen ließen, und es sah in
der That so aus, als ob die Stadt entschlossen wäre, ihre »heiligen
Rechte« bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen -- aber es sah
auch nur so aus.

Die Leute exercirten allerdings den ganzen Vormittag und als die
Seebrise mit dem nahenden Abend das Land bestrich, begannen sie noch
einmal, und die Meisten hatten sich schon gemerkt, was Links und Rechts
war. Als indeß der ganze Tag verlief, ohne daß sich ein feindliches
Segel blicken ließ, und am nächsten und nächstfolgenden Mosquera's
Flotte immer noch auf sich warten ließ, erkaltete der Eifer, und man
fing an, seinen gewohnten Beschäftigungen wieder nachzugehen. Sie mußten
das ja auch, wenn sie überhaupt leben wollten, denn wer denkt in diesem
Klima daran, sich Vorräthe von dem anzulegen, was er gerade braucht! An
der Insel lagen ein kleiner Schooner und zwei Wallfischboote, die
angelaufen waren, um Früchte zu kaufen; diese mußten ihre Ladung
bekommen, und die Fischer durften ebenfalls nicht länger müßig liegen,
denn Alles murrte, daß kein einziger frischer Fisch im ganzen Orte zu
finden war.

Man tröstete sich sogar damit, daß die ganze Flottengeschichte nicht
wahr sei. Der liebe Gott wüßte, welches Märchen man den Leuten von der
Anna in Buenaventura aufgebunden hatte. Mosquera dachte wahrscheinlich
gar nicht daran, sie in ihrem abgelegenen Fischerdorf zu belästigen, und
ihre Vorsichtsmaßregeln waren unnütz gewesen -- hatten aber freilich nur
jenen leichtsinnigen Menschen Schaden gethan, die sich verleiten ließen,
so Hals über Kopf Schießwaffen und Munition zu kaufen. Was sollten sie
jetzt mit den alten Schießeisen anfangen?

In einem neugebauten Haus, das sich durch die noch nicht
wettergebräunten Tragestämme und das helle, frische Dach deutlich von
den anderen unterschied, auch auffallend sauberer gehalten war und oben,
statt der sonst gewöhnlich halb oder ganz fehlenden Seitenwände, neue
Bambusseiten zeigte, deren regelmäßig eingeschnittene Fenster mit einer
dort gebräuchlichen Art von Bambusjalousien verhangen waren, wohnte ein
Señor Ramos mit seiner Familie, der vor etwa drei Monaten mit seiner
Frau, einem Kinde und zwei schwarzen Dienstleuten hierher übersiedelte,
gleich nach seiner Ankunft den Platz kaufte und das Haus darauf baute.

In jenen glücklichen Ländern nämlich braucht man zu einem Hausbau keine
Maurer, Zimmerleute, Tischler, Dachdecker, Tüncher, Glaser, Schlosser,
Tapezierer und wie die schrecklichen Menschen alle heißen, die einem
Bauherrn das Leben bis in das innerste Herzblut hinein vergiften, so daß
er tagtäglich das Bauen auf ewige Zeiten verschwört. Wer sich ein »Haus«
bauen will, accordirt dasselbe mit einem Eingeborenen, der sich entweder
von seiner eigenen Familie helfen läßt, oder ein paar Nachbarn zur
Arbeit nimmt, dann werden die dazu nöthigen Stämme im Walde frisch
gefällt, Einer spaltet die jungen Palmen, die zu Boden oder Wänden
benutzt werden sollen, indem man sie einhackt und ausbreitet, ein
Anderer holt das Schilf oder die Palmenblätter zum Dach und schnürt sie
mit Bast in Büschel zusammen. Wenn einmal die Löcher gegraben sind, in
welche die Pfähle zu stehen kommen, die den oberen und einzigen Stock
tragen sollen, so ist auch das Haus in einer einzigen Woche fertig, und
kann bezogen werden. Die Häuser stehen dort alle auf Pfählen. Es ist das
viel gesünder und luftiger und auch des vielen Ungeziefers wegen nöthig,
das sich unten auf dem Boden weit zahlreicher einfinden würde. Nur in
den kleinen Städten haben die _=Kaufleute=_ ihre Läden unten, indem sie
einen Palmen- oder Bambusverschlag um die unteren Stämme machen, aber
auch sie _=wohnen=_ oben. Ueberhaupt würde es Niemandem einfallen, auf
der feuchten Erde zu schlafen, wenn er sich nicht gerade draußen im Wald
befindet, und dazu gezwungen ist.

Señor Ramos muthete das nicht einmal seinen Dienstleuten zu, sondern
setzte noch ein kleines Nebenhaus für diese an, das zwar seine besondere
Leiter hatte, mit dem Hauptgebäude aber im ersten Stock durch einen
schmalen und schwanken Bambussteg verbunden war, der Abends durch eine
vorgebundene und mit einer Matte bedeckte Gitterthür von dem nämlichen
Material abgesperrt wurde.

Señor Ramos mußte -- wenn die Vermuthung der Leute von Tomaco richtig
war -- ein sehr reicher Mann sein, denn er arbeitete nicht allein Nichts
-- das thaten sehr Viele in Tomaco -- er verkaufte auch Nichts, und
bezahlte Alles, was er brauchte -- wenn das auch nicht viel war -- baar
und in blankem Silber. Er verließ auch sein Haus nur sehr selten,
schrieb aber dort fleißig, und nur, wenn der englische Dampfer kam, fuhr
er mit dem Capitän an Bord zurück, blieb dort, bis das kleine Fahrzeug
wieder zu arbeiten anfing, und kehrte nachher in seinem eigenen Canoe,
das sein Neger ruderte, an Land und in sein Haus zurück.

Er war, wie man recht gut wußte, ein Feind Mosquera's und ein getreuer
Anhänger der Regierung von Panama, denn er hatte, als er hierher zog,
kein Hehl daraus gemacht. Trotzdem kaufte er sich weder bei Señor Renard
eine von dessen alten Musketen, noch exercirte er mit in der Sonne am
Strand, und als ihn der Postmeister direct dazu aufforderte, sich an der
Nationalvertheidigung zu betheiligen, meinte er, er könne schon
exerciren, und wenn es wirklich zum Kampf käme, würde er neben dem
Postmeister fechten, -- eine Sache, die der Postmeister -- allerdings
aber nur im Stillen -- für sehr unwahrscheinlich fand, denn er selber
war noch gar nicht mit sich einig, ob er es soweit würde kommen lassen.




Zweites Capitel.

Die erste Crinoline.


Jetzt herrschte wieder Ruhe auf Tomaco. Fünf Tage waren vergangen, seit
Capitän King von der Anna die Nachricht gebracht hatte, daß die
Mosqueraflotte unterwegs sei. Sie fand aber durch Nichts eine
Bestätigung, im Gegentheil war sogar eben ein Canoe von Irapiche
eingelaufen, das Gummi geladen hatte, und dafür Aguaardiente mitnehmen
wollte, und dessen Leute aussagten, an der ganzen nördlichen Küste wisse
man Nichts von einem Einbruch der Mosquera-Truppen. Bonaventura sollten
sie allerdings besetzt haben, von dort aber seien die Schiffe wieder
nach Norden gegangen, um zuerst Panama zu nehmen, und dadurch die
Regierung des ganzen Landes in die Hand zu bekommen.

Der leichte, sorglose Sinn der Bevölkerung verlangte nicht mehr, denn
schon die gehabte Aufregung war ihnen unbequem gewesen. Die Fischer
schaukelten schon lange wieder draußen in ihren Canoes, während die
Landeigenthümer hinaus in ihre Platanare gingen, um die schweren
Fruchttrauben derselben an den Strand zu tragen, oder hinauf in die
Cocospalmen zu steigen, um die erst halbreifen, aber mit erquickendem
Wasser gefüllten Früchte abzupflücken und mit einer geschickten
Schwingung der Hand so hinabzuwerfen, daß sie sich in der Luft drehten
und dann mit ihrer Spitze in den Sand fielen. Schlugen sie breit auf, so
platzten sie leicht durch ihr Gewicht, denn die Nuß ist so mit Milch
angefüllt, daß diese herausspritzt, sowie man nur mit einem Messer
hineinsticht.

In dem kleinen Städtchen herrschte wieder ganz das alte Leben. Nur die
Frauen waren in einer etwas ungewöhnlichen Bewegung, denn »Señor Renard«
hatte mit dem Dampfer von Panama einen Gegenstand bekommen und eben
ausgepackt, der ihr Interesse wunderbar fesselte, und zu den
lebhaftesten Debatten Veranlassung gab.

Der Gegenstand war in der That von großer Wichtigkeit, nämlich nichts
Geringeres als -- eine _=Crinoline=_, und zwar die erste, die in diesem
entlegenen Theil der Welt je gesehen worden.

In einem Ort, wo es so viel müßige Leute gab, wie in Tomaco, verstand es
sich von selbst, daß die wenigen Kaufleute beim Auspacken ihrer eben
angekommenen Waaren immer eine Menge von Zuschauern hatten. Es lag das
ja auch mit in ihrem eigenen Interesse, denn es machte eine Ankündigung
derselben unnöthig, sobald das schöne Geschlecht Stück für Stück
derselben in Augenschein nahm, und dann sicherlich schon an dem
nämlichen Abend Stück für Stück einzeln besprach und kritisirte. Selbst
schon beim Auspacken wurde manches Stück verkauft, denn darin bleiben
sich die Menschen überall in der ganzen Welt gleich, ob sie nun in einer
braunen oder weißen Haut herumgehen: daß sie nämlich gern das Neueste
haben und sich besonders bei der Auswahl solcher Dinge zu dem hingezogen
fühlen, was ihnen aus fremden Ländern gebracht wird.

Auch diesmal hatte sich ein Theil Neugieriger eingefunden, als Renard
seine neuen Waaren öffentlich -- wie er es stets that -- auspackte, und
allerdings wäre es nicht leicht gewesen, etwas Derartiges in diesen
offenen Häusern heimlich zu thun. Renard kam freilich selbst in
Verlegenheit, als er diese erste und einzige Crinoline aus ihrem
Versteck hervorzog und entfaltete, denn wenn ihm auch der Verkäufer in
Panama angezeigt hatte, daß er ihm in Kiste so und so, einen aus
_=Paris=_ erhaltenen Artikel neuer Damenmoden mitschicke, so war der
Franzose, der früher Kellner, dann Matrose auf einem Walfischfänger
gewesen und später in Chile desertirt war, doch keineswegs in die
Toilettengeheimnisse der Damen soweit eingeweiht, um selbständig gleich
an Ort und Stelle beurtheilen zu können, wie dieser höchst
durchsichtige Gegenstand zu einer Damengarderobe verwandt werden könne.
Den _=Nutzen=_ begriff er nicht, und als Zierrath oder Schmuck schienen
ihm die Drahtreifen nicht elegant genug, um gerade aus _=Paris=_ zu
kommen.

»~Que es esta?~« (Was ist das?) riefen die Damen wie aus einem Munde,
als er das wunderliche Ding entpuppte. -- »~'donde viene~, (wo kommt
es her?) ~Señor?~«

»~No se~,« (Ich weiß nicht) sagte Monsieur Renard achselzuckend, indem
er den fraglichen Gegenstand selbst mißtrauisch betrachtete, »~alguna
cosa por las Señoritas~« (Etwas für die Damen).

»~Por las Señoritas? Impossible! Que barbaridad!~« stöhnte eine dicke
Negerin entrüstet, als ihr vielleicht einfiel, wie sie in einem solchen
_=Kleidungsstück=_ aussehen würde.

Das wunderbare Fabrikat ging nun von Hand zu Hand; während aber die
jungen Mädchen errötheten und unter einander kicherten, die älteren
Damen mißbilligend den Kopf schüttelten, sammelten sich immer mehr Leute
vor dem Hause des Herrn Renard, und mit _=wenigen=_ Ausnahmen fehlte,
kaum eine Viertelstunde später, keine von Evas Töchtern -- hoch oder
gering -- um den neuen Putz in Augenschein zu nehmen.

Aber zu einem Resultat kamen sie nicht. Selbst das Wort Crinolina blieb
ihnen ein Räthsel, denn Niemand wußte, was es bedeuten solle, obgleich
es spanisch klang. Es waren nämlich weder Pferdehaare, noch Leinwand
daran, was es allenfalls hätte bedeuten _=können=_, sondern nur
Baumwolle und Eisendraht.

Endlich machte Señora Ramos' Schwarze, die bei der Versammlung nicht
fehlen durfte, den Vorschlag, ihre Herrin zu fragen. Diese hatte sich in
Bogota -- wenn sie auch hier außerordentlich einfach ging, stets nach
der neuesten Mode gekleidet, und ihr Herr bekam immer Zeitungen, in
denen lauter Neues stand. Vielleicht wußten die es.

Das war ein Vorschlag zur Güte, und Renard's Frau -- eine Eingeborene --
wurde augenblicklich abgesandt, um eine Aufklärung, wenn irgend möglich,
zu erbitten, indessen die Damen in äußerster Spannung auf dem Posten
blieben. Sie _=mußten=_ doch erfahren, wie dieses neue Kleidungsstück
_=getragen=_ würde.

Nach einer Viertelstunde endlich -- und wie lang ihnen diese wurde! --
kehrte sie zurück und das Räthsel war gelöst. Dies Drahtgeflecht stellte
nur einen _=Unterrock=_ vor -- die anderen Kleider wurden _=darüber=_
gezogen, um recht hübsch und weit auszublähen. -- Das war das ganze
Geheimniß, aber die Lösung befriedigte die Damen noch nicht, denn nun
wollten sie auch einmal sehen, wie das wunderliche Ding _=getragen=_
würde, und ob es _=praktisch=_ wäre -- das heißt, ob es vornehm aussähe.

Hier aber fand sich eine andere Schwierigkeit, denn Niemand wollte es
anfangs anprobiren -- selbst Señora Renard weigerte sich hartnäckig.
Eine alte Negerin erbot sich endlich -- gegen angemessene Vergütung
natürlich -- die Probe an _=sich=_ machen zu lassen. Sie trotzte allen
Schrecken. Renard aber war klug genug, darauf nicht einzugehen, denn er
wollte die neue Mode, von der er später einen erklecklichen Profit
hoffte, nicht gleich von vornherein lächerlich und dadurch unmöglich
machen. Endlich bewog er ein junges allerliebstes Mädchen von Halbblut
durch das Opfer eines buntseidenen Tuches, die Crinoline unter ihr Kleid
zu ziehen. Die Toilette wurde im Laden selber, unter der Beihülfe von
Renard's Frau, gemacht, die Thüre indeß verhangen, und die rings
versammelten Frauen hielten schon unberufene Neugierige ab, daß sich
nicht ein oder der andere junge Bursche gelüsten ließ, durch die
allerdings zahlreichen Ritzen des Hauses zu schauen, denn im Stande
wären die es gewesen.

Es war ein großer Moment im Leben dieses einfachen Naturvolkes, als
Juanna, wie das junge Mädchen hieß, endlich im vollen Staat und Glanz
aus der Mattenthür des Ladens trat, denn da sich ihr Kleid als zu kurz
und eng erwiesen, hatte ihr Madame Renard für die Probe ihr bestes
Sonntagskleid geborgt, das mit seinen rothen und grünen Blumen
ordentlich glänzte und funkelte. Verschämt und kichernd ging die junge
Dame ein paar Mal vor dem Laden auf und ab, immer dann und wann selbst
staunend auf die Pracht niederzuschauen, die sie umgab. Wen störte es,
daß sie bloße Füße hatte, und daß ihr das volle lockige schwarze Haar
wild und ungeordnet um die Schläfe hing?

Die Damen fingen wirklich schon an, Geschmack an der Sache zu finden.
Wie viel schöner sah man das _=Muster=_ auf einem Kleid, wenn man es so
ausgespannt tragen konnte, und wie vornehm schaute das arme einfache
Ding, das Mädchen, in dem Gestell aus -- und wie viel Zeug brauchte man
für einen einzigen Rock.

Juanna selbst wünschte sich in ihrem ungewohnten Staat auch der kranken
Schwester zeigen, die daheim lag und Nichts von all den Herrlichkeiten
zu sehen bekam. Leichtsinniger Weise erlaubte es ihr Renard -- wohnte
sie doch nur schräg gegenüber -- und Juanita flog der eigenen Wohnung
zu, an der -- wie bei allen übrigen Häusern, nur eine schmale Leiter --
oft nur ein eingekerbter Baumstamm -- lehnte, um an diesem auf und ab zu
steigen.

Die Meisten der Neugierigen folgten ihr, kaum aber war sie drei oder
vier Stufen hinauf gestiegen, als die Zuschauer unten in ein schallendes
Gelächter ausbrachen. Das arme Kind merkte jetzt, daß ihr Kleid, das ihr
sonst glatt am Körper niederhing, weit auf der Leiter ausblähte.
Aengstlich drückte sie es zusammen, aber die elastischen Reifen wichen
aus -- was sie auf der einen Seite niederdrückte, stand auf der anderen
um so viel weiter ab. Vor Scham tief erröthend, sprang sie endlich von
der Leiter mit _=einem=_ Satz hinab, um die häßlichen Reifen so rasch
als möglich los zu werden.

Das gab der Crinoline den Todesstoß, denn daran hatte bis jetzt noch
Niemand gedacht. Welche Frau oder welches Mädchen hätte mit einem
solchen Putz ihr Haus je verlassen oder wieder dahin zurückkehren
können? Es war rein unmöglich, denn an _=allen=_ Häusern lehnten diese
Leitern, und Monsieur Renard that das Einzige, was er mit der Crinoline
überhaupt thun konnte -- denn kaufen wollte sie jetzt Niemand -- er
hing sie in seinen Laden unter Siebe, eiserne Töpfe, Besen und andere
dergleichen im Handel vorkommende Dinge, an der Decke auf, und nahm sich
vor, mit dem nächsten Dampfer nach Panama an seinen Correspondenten zu
schreiben, ihm doch um Gottes Willen keine weitere Nachsendung
_=derartiger=_ Moden zu machen.

Juanna hieß aber von dem Tag an nur La Crinolita in der ganzen Stadt,
und lange noch standen die Leute vor dem Hause und lachten und
plauderten mit einander, bis endlich ein tüchtiger Regenschauer sie in
ihre Häuser trieb, und sie von dort aus, über die Straße hinüber und
unter einander, aber doch unter Dach, das höchst interessante Gespräch
über die merkwürdige Neuigkeit fortsetzen konnten. An Mosquera's Flotte
dachte Niemand mehr.




Drittes Capitel.

Der Alarm.


So rückte der Abend heran. Der Regen hatte aufgehört und am westlichen
Horizont wurde eben noch ein rother Gluthstreifen sichtbar, den die
untergehende Sonne auf ihrer Bahn nach sich zog, als plötzlich ein Canoe
um die nördliche Landzunge bog und, von den Rudern der darin Sitzenden
getrieben, wie ein Pfeil über das Wasser dahin und der Landung zuschoß.

»_=Mosquera!=_« hieß der Schreckensruf, der gleich darauf durch die
kleine, noch ebenso ruhige Stadt zuckte -- »_=Mosquera!=_ -- Draußen
segeln die Schiffe an und Tomaco ist vom Feinde bedroht.«

Das war ein Durcheinanderlaufen, und wie sich Alles noch vor wenigen
Stunden lachend und jubelnd um Renard's Laden gedrängt hatte, so rannten
die Leute jetzt nach dem Strande, um von den eingelaufenen Fischern das
Nähere über die beunruhigende Kunde zu hören. Selbst Señor Ramos befand
sich diesmal unter den Neugierigen. Aber der Bericht, den die Seeleute
geben konnten, lautete immer noch unbestimmt, wenn er auch das
Schlimmste fürchten ließ.

Sie hatten draußen an der Punta Mariana gefischt, und befanden sich
schon wieder auf dem Heimweg, als sie zwei Fahrzeuge bemerkten, die
gegen den Wind aufkreuzten und augenscheinlich auf Tomaco zuhielten. Das
eine war ein Schooner gewesen, das andere eine Galeotte. Wie sie näher
kamen, hatten sie auf dem Schooner eine Flagge aufgezogen, da sie aber
von ihnen fortwehte, konnten sie die Farben nicht erkennen, und
wahrscheinlich sollte das ein Zeichen sein, daß man sie an Bord
verlangte, um dort vielleicht als ~practicos~ oder Lootsen zu dienen.

Aus Furcht davor hatten sie sich in die Ruder gelegt und waren geflohen,
während das kleinere Fahrzeug, die Galeotte, sobald sie das an Bord
merkte, versuchte, ihnen den Weg abzuschneiden. Aber das ging freilich
nicht; sie selbst hielten sich in seichtem Wasser, wohin ihnen das
tiefer gehende Segelschiff nicht folgen durfte, wenn es nicht auf den
Grund gerathen wollte, und als es wenden mußte, trieb es der ungünstige
Wind viel mehr zurück, als daß es Fortgang gemacht hätte.

»Und wann könnten sie hier sein?«

Keinen Falls vor morgen früh, denn von der letzten Punta aus hatten sie
die beiden Kriegsfahrzeuge nur noch in weiter Ferne gesehen, und ohne
Lootsen an Bord durften sie nicht wagen, in dunkler Nacht hier
einzulaufen.

Das war der einzige Trost, den sie mitbrachten, aber am nächsten Morgen
konnten die Bewohner von Tomaco darauf rechnen, den unwillkommnen Besuch
der Feinde da zu haben.

Was nun thun? Ihr erster Nationalitätseifer war schon merklich
abgekühlt, und sollten sie wirklich all' ihr Hab' und Gut daran wagen,
um der Regierung in Panama, die bis dahin _=noch gar Nichts für sie=_
gethan, die Insel in treuer Botmäßigkeit zu erhalten? Wer vergütete
ihnen den Schaden, wenn die Stadt in Brand geschossen wurde? -- Aller
Wahrscheinlichkeit nach Niemand, und die Stimmung der Bevölkerung fing
an, eine entschieden friedliche zu werden. Selbst Renard, der keine
verkäuflichen Waffen mehr an der Hand hatte, hütete sich, ein einziges
aufregendes Wort fallen zu lassen, ja er wußte sogar einige Beispiele
von andern Städten Neu-Granadas zu erzählen, wo Mosquera -- weil er
keinen Widerstand gefunden -- vollkommen friedlich eingezogen war und
Niemanden belästigt hatte.

Nur der Postmeister blieb Feuer und Flammen und war wieder emsig
beschäftigt, die Landwehr zu organisiren, die er am liebsten die ganze
Nacht durch hätte exerciren lassen. Dazu brachte er die Leute nun
allerdings nicht, aber sein Beispiel diente doch dazu, sie wenigstens in
etwas aufzuregen. -- Schämten sie sich doch, so gar kalt zu bleiben, wo
es die Vertheidigung des Vaterlandes und des eigenen Heerdes galt. Sie
verstanden sich also dazu, am nächsten Morgen, noch vor Tag, den Strand
zu besetzen, die Kanonen zu richten und -- wie es der Postmeister
verlangte -- »mit Gut und Blut ihre Ehre und ihre Rechte zu
vertheidigen.«

Der Postmeister sorgte auch dafür, daß sie nicht zu lange schliefen,
denn kaum tauchte der Morgenstern über den Baumwipfeln des festen Landes
auf, so rasselte, von ihm selber bearbeitet, eine alte Trommel durch die
stillen Straßen der Stadt, um in einer Art von verzweifeltem
Generalmarsch die Bevölkerung zu wecken, die jungen Männer herauszurufen
und die Frauen und Kinder durch den ungewohnten Lärm fast zu Tod zu
ängstigen.

Er unterließ auch keine Vorsichtsmaßregeln. Ein Canoe wurde, als noch
tiefe Nacht auf dem Meere lag, an die nördliche Punta hinaufgeschickt,
um dort auf Wacht zu liegen, bis der Tag anbreche, und dann ungesäumt
genaue Kunde zu bringen. Ebenso wurden auf den Felsen hinauf Posten
geschickt, und ihnen eine kleine Fahne mitgegeben, durch welche sie
bestimmte Botschaften auf eine vorher bestimmte Art herabwinken sollten
-- was sie aber natürlich vergaßen, ehe sie nur oben waren.

Unterdessen ließ er die beiden Kanonen an die äußerste Spitze der Insel
schaffen, von wo er aus beide Canäle -- wenn auch nicht gerade
beschießen, doch jedenfalls bedrohen konnte, und ebenso mußten die
Leute mit Spitzhacken und Schaufeln arbeiten, um eine Art Schanze
aufzuwerfen, hinter der sie gedeckt gegen das Feuer der Schiffe stehen
konnten. In dem lockeren Sande war leicht zu arbeiten und sie hatten
bald eine Brustwehr ausgegraben, die hinreichend schien, sie zu
verbergen, wenn sie auch einer wirklichen Kanonenkugel kaum einen
Widerstand geboten hätte.

Bis Tagesanbruch waren sie richtig damit fertig. Der Postmeister blickte
mit Stolz auf das vollendete Werk, und als der Tag graute, hingen Aller
Blicke mit Spannung an dem westlichen Horizonte, den noch ein duftiger
Nebel deckte. Kaum aber hob sich die Sonne, so preßte sie auch diese
leichten Schwaden auf die Oberfläche der See nieder, von der sie rasch
aufgesogen wurden, und »dort sind sie! dort sind sie!« lief der Ruf von
Mund zu Mund und fand bald sein Echo in der Stadt, der die geängstigten
Frauen und Kinder entströmten, um den Feind mit eigenen Augen zu
schauen.

Zu gleicher Zeit winkten die Posten auch auf den Hügeln mit ihren
Fahnen, und kam das nach der Punta ausgesandte Canoe in voller Eile
zurück. -- Sie Alle hatten den Feind zu gleicher Zeit bemerkt, und die
Richtung, welche die kleinen Fahrzeuge mit der schwachen Morgenbrise
nahmen, ließ keinen Zweifel mehr, daß Tomaco wirklich ihr Ziel sei. --
Aber waren es auch wirklich Kriegsschiffe?

In dem breiten weißen Streifen, der um den Rumpf herum lief, zeigten
sich allerdings die schwarzen viereckigen Portlöcher -- aber ob es
gemalte oder wirkliche Porte waren, ließ sich in der Entfernung noch
nicht erkennen, und solche _=gemalte=_ Porte führten fast alle
Kauffartheischiffe, während die wahren Kriegsschiffe gewöhnlich ganz
schwarz angestrichen waren und nicht die geringste Abzeichnung trugen.

Der Postmeister selber, der eine Art von Telescop besaß, das er einmal
einem Walfischfänger um ein Billiges abgekauft, bemühte sich vergebens,
etwas Genaueres zu erkennen -- das verwünschte Glas hatte so viel
gekratzte Risse! -- Nicht einmal eine Flagge zeigten sie, und suchten
nur mit sämmtlichen beigesetzten Segeln den schwachen Wind zu fassen und
dadurch vorwärts und auf Ankergrund zu kommen. Mit der Seebrise, die den
Nachmittag etwa um drei Uhr einsetzte, durften sie sicher darauf
rechnen, die Einfahrt des Hafens in ihrer Gewalt zu haben.

Es war jetzt in der That nichts weiter zu thun als diesen Zeitpunct eben
abzuwarten, denn ein verzweifelter Plan, den der Postmeister entwarf,
mit Canoes und Booten nämlich in die offene See hinauszufahren, und die
Kriegsschiffe zu entern und zu nehmen fand auch nicht den geringsten
Anklang. Die Leute meinten ganz vernünftig: wenn sie _=das=_ wollten,
könnten sie ja nur ruhig warten, bis die beiden Fahrzeuge zu ihnen
hereinkämen; dann hätten sie es doch jedenfalls weit bequemer.

Indessen ging der Alkalde, dem nicht wohl bei der Sache wurde, zu Señor
Ramos hinüber, um dessen Meinung zu hören; er staunte aber nicht wenig,
als ihm dieser ganz ruhig sagte, _=er=_ würde an seiner Stelle nicht den
geringsten Widerstand leisten, denn einem ordentlichen Angriff hielten
seine Leute doch nicht Stand, und Widersetzlichkeit würde den Feind nur
erbittern, aber nie etwas an der Sache -- der Besetzung Tomacos durch
Mosquera's Truppen -- ändern.

»Wenn Sie das nur dem Postmeister gesagt hätten!« entgegnete, etwas
bestürzt, der Alkalde. »Der ist ganz Feuer und Flamme.«

»Der Postmeister ist ein Bramarbas,« sagte Señor Ramos ruhig. -- »Lassen
Sie den da draußen maneuvriren, er wird nicht den geringsten Schaden
thun.«

Dabei blieb es, und die Einwohner von Tomaco beobachteten mit
ängstlicher Spannung das zwar langsame, aber doch unverkennbare
Näherrücken der »Flotte«.

Den stolzen Namen _=Flotte=_ verdienten die beiden kleinen Fahrzeuge
allerdings nicht. Es waren ein paar ganz gewöhnliche Schooner, wie sie
überhaupt an der Küste kreuzten, um Tauschhandel zu treiben und selten
größere Reisen als nach Panama und wieder zurück zu machen. Noch dazu
wurden zu diesen Fahrten gewöhnlich die ältesten und schlechtesten
Schiffe benutzt, da sie in dieser Breite nie eine schwere See oder gar
einen Sturm zu fürchten hatten. Das Schlimmste, womit sie kämpfen
mußten, waren Windstillen, die ihre Reise oft um das Dreifache
verlängerten. Uebrigens fanden sie überall an der Küste kleine Häfen, wo
sie einlaufen und frische Provisionen kaufen konnten -- Wassermangel
fand in einer Gegend nie statt, wo wenigstens einmal an _=jedem=_ Tag
ein kleiner Wolkenbruch fiel, so daß man an Deck, mit einem
ausgespannten Segeltuch, leicht auffangen konnte, was man über Tag
brauchte.

Die beiden kleinen Fahrzeuge schienen nun auch nicht um einen Grad
besser zu sein, als alle anderen derartigen gleichen Gelichters, und
möglich, daß der Postmeister, der lange Jahre seines Lebens an der Küste
zugebracht, auch der festen Ueberzeugung war, er hätte es nur mit
friedlichen Küstenfahrern zu thun und könne, in sehr billiger und
gefahrloser Weise, seinen Muth zeigen und seinen Landsleuten imponiren.
Mosquera, noch nicht im Besitz Panamas oder irgend eines anderen
bedeutenden Hafens, war aber in der That genöthigt gewesen, ein paar
ganz gewöhnliche Schooner, wie er sie an der Küste genommen oder
aufgekauft hatte, zu bemannen und zu armiren, und da die Bewohner dieser
kleinen Hafenplätze auch wohl noch nie ein wirkliches Kriegsschiff
gesehen hatten, so konnten sie, seiner Meinung nach, recht gut Alles
erfüllen, zu was er sie brauchte -- und erfüllten es auch in vielen
Fällen.

Die Spannung am Lande hatte ihren Höhepunct erreicht, als beide
Schooner, etwa Mittags um 12 Uhr, draußen vor dem Eingange des Canals,
neben einander ankerten, und gleich darauf ein kleines Boot in See
gelassen wurde -- was man mit bloßen Augen deutlich erkennen konnte --
in das einige Mann hineinstiegen und dann dem Lande zuruderten. Hinten
im Heck des Bootes stand ein Offizier, und als er näher kam, hob er eine
kleine weiße Fahne empor -- es war richtig ein Parlamentairboot, und da
die Leute recht gut wußten, daß sie von den paar Mann keinen Ueberfall
zu fürchten hatten, drängten sie mehr und mehr der Landung zu, um dort
gleich an Ort und Stelle das Schlimmste zu erfahren.

Selbst der Postmeister, der aber seinen Leuten streng anbefahl, auf
ihren Posten zu bleiben, den sie bis auf den letzten Mann vertheidigen
wollten, näherte sich der Stelle, um bei dem Kriegsrath zugezogen zu
werden.

Still und schweigend ruderte indeß das Boot heran, und die vier Leute an
den Riemen -- ruppig genug aussehende Burschen, wenn sie wirklich zu
einem Kriegsschiff gehörten -- warfen bei ihrer Arbeit etwas scheu den
Kopf zurück nach den Leuten am Strande, und schienen keineswegs eines
ganz freundlichen Empfanges gewiß zu sein.

Vollkommene Ruhe bewahrte indeß der Offizier selber, der, als das Boot
den Sand scheuerte, von seinem Sitze aufstand und die weiße Fahne
emporhob. Da aber gerade Ebbe war, lag das Boot, wenn auch schon
festgefahren, noch immer wohl zehn oder zwölf Schritte von dem seichten
Strande ab, und Einer der Leute sprang ohne Weiteres hinaus und in's
Wasser, um ihn auf seinen Schultern auf trockenen Boden zu tragen, denn
er hatte Stiefeln an, die er nicht naß machen durfte.

Der Offizier nahm das auch an, und zwar als eine Sache, die sich von
selbst verstand, wenn es ihm auch in der Würde seiner Stellung und
europäischen Augen gegenüber vielleicht Eintrag gethan hätte, so
huckepack und nichts weniger als graziös, an's Land geritten zu kommen.
Hier aber war man etwas Aehnliches schon so gewöhnt, daß Niemand nur
eine Miene deshalb verzog und der Alkalde, in etwas steifer und
gezwungener Haltung ihm entgegentrat, um zu erfragen, was er wünsche und
was die Schiffe da draußen beabsichtigten.

Der Offizier grüßte freundlich, ohne sich dann aber bei weiteren
Höflichkeiten aufzuhalten, sagte er ruhig:

»Señores, ich komme hierher im Namen meines Capitäns und Admirals, des
ehrenwerthen Don Juan Salcantra, um Sie aufzufordern, Sr. Excellenz, dem
geliebten und tapferen Präsidenten Mosquera, den Huldigungseid zu
leisten und zu schwören, daß Sie diesen Platz gegen alle Feinde Sr.
Excellenz vertheidigen und ihm überhaupt treue Unterthanen sein wollen.«

Todtenstille folgte dieser Aufforderung, und selbst der Alkalde war in
Verlegenheit, was er darauf erwidern solle. Mit der Schlauheit und
Geschmeidigkeit der ganzen spanischen Race ließ er aber doch nicht lange
auf eine Antwort warten und erwiderte freundlich:

»Señor, wir sind ruhige und friedliebende Bürger auf Tomaco, die mit
treuer Anhänglichkeit an ihrer Regierung hängen und erst vor ein paar
Tagen erfahren haben, daß eine Revolution im Lande ausgebrochen sei. Daß
der neue Präsident in Panama Mosquera heißt, wußten wir noch gar nicht,
und wenn Sie uns von dort den schriftlichen Befehl zu dem eben
Verlangten bringen, sind wir mit Vergnügen bereit, Ihrem Wunsche zu
willfahren.«

»Die Regierung in Panama,« sagte nun der Offizier finster, »ist gestürzt
-- General Mosquera regiert jetzt allein im Lande, und deshalb haben die
verschiedenen Hafenplätze auch von ihm allein Befehle entgegen zu
nehmen, die er aber nie schriftlich, sondern nur mündlich giebt.«

»Bitte um Entschuldigung, Señor,« nahm der Postmeister das Wort. »Die
Regierung von Panama ist _=nicht=_ gestürzt, wenigstens nicht, daß
_=Sie=_ etwas davon wissen könnten, denn der englische Dampfer, der
direct von Panama kam, hat erst _=nach=_ Ihnen Buenaventura verlassen,
und uns noch Depeschen _=unserer=_ Regierung mitgebracht.«

»Señor,« erwiderte der Offizier kalt, »die Regierung von Panama ist im
_=ganzen Lande=_ gestürzt, und in Panama eingeschlossen, Sie können
dieselbe also nicht mehr Regierung nennen. Aber ich bin nicht hier, um
mich mit Ihnen in einen Wortstreit einzulassen. Meine Aufforderung an
Sie ergeht nur dahin, ob Sie sich den _=rechtmäßigen=_ Behörden
unterwerfen wollen, wo nicht, werden wir mit unseren Schiffen Ihren
Gehorsam zu _=erzwingen=_ wissen, und die Folgen -- haben Sie sich dann
selber zuzuschreiben. -- Ich bitte um Antwort.«

»Und die soll Ihnen werden,« rief der enragirte Postmeister, ehe der
Alkalde selber das Wort ergreifen konnte. -- »Kommen Sie nur so nahe,
daß wir Sie mit unseren Kanonen erreichen können, so wollen wir Ihnen
eine Antwort hinüberschicken, daß Ihnen die Köpfe brummen.«

»Ist das Ihr letztes Wort?« frug der Offizier finster.

Der Alkalde wollte etwas erwidern, aber die Umstehenden, denen die kecke
Rede ihres Postmeisters imponirte, brachen in ein donnerndes Hurrah aus,
und die Leute im Boote griffen erschreckt nach ihren Rudern, weil sie
sich nicht sicher fühlten, daß die übermüthigen Burschen am Ende über
sie herfallen könnten. -- Was wußten sie von Völkerrecht oder
Parlamentairflagge!

Der Offizier mochte etwas Aehnliches fürchten, denn er trat dicht zum
Rand des Wassers zurück und sah sich nach seinen Leuten um. Dadurch
gewannen die Bewohner von Tomaco nur neuen Muth. Der Alkalde wollte
etwas sprechen, aber er kam nicht zu Worte -- wieder gaben die
Hurrahschreier eine volle Salve, und der Offizier, mit gänzlicher
Mißachtung seiner blanken Stiefeln und trockenen Beinkleider, trat in
das Seewasser hinein, war mit wenigen Schritten bei seinem Boote,
schwang sich hinein, und während sich die Ruderer mit aller Macht in die
Riemen legten, glitt die etwas plumpe Jolle wieder in tiefes Wasser
zurück und dem Schiffe zu.




Viertes Capitel.

Die Einnahme von Tomaco.


Draußen in See hatte indeß die Mannschaft mit großer Spannung dem Erfolg
des Parlamentairs entgegengesehen, denn dieser gab ja die Entscheidung,
ob sie die vor ihnen liegende Insel ruhig besetzen oder sie erst nach
einem vielleicht harten und blutigen Kampfe erobern sollten.

Und eine wunderliche Mannschaft war es in der That, welche die Decks der
kleinen Fahrzeuge füllte. Besonders der Schooner, eigentlich das
stärkere Schiff von den beiden, zeichnete sich darin aus, denn
zusammengeleseneres Volk ließ sich kaum auf der Welt denken. Nicht ein
Mann sah aus wie der andere oder hatte auch nur das geringste
Seemännische in seinem Wesen. Schmutzig, abgerissen, nicht einmal in
ihrer Hautfarbe gleich, die vom tiefen Schwarz des Negers bis zu der
braunen Haut des Halbindianers alle verschiedenen Schattirungen zeigte,
räkelten sie sich und lagen über Deck, und die drei oder vier Europäer
dazwischen schienen einer ganz anderen Welt anzugehören.

Besonders der Steuermann, ein Engländer, und wie alle englischen
Seeleute sauber und adrett gekleidet, sah mit unbeschreiblicher
Verachtung auf den Troß hinab, als er jetzt oben auf dem Quarterdeck,
sein Telescop in der Hand, die Befehle des Capitäns, eines
Neu-Granadiensers, erwartete.

Aber die Schiffe wenigstens paßten zu der Mannschaft, denn wenn man
ihnen von _=außen=_ auch erst kürzlich einen frischen Ueberzug von
Oelfarbe gegeben hatte, so konnte das doch den Augen eines Kundigen die
alten Schäden nicht verbergen, die sich nicht übertünchen ließen. Selbst
der Hauptmast war geflickt und die Segel schienen nur aus einzelnen
Lappen zusammengesetzt zu sein -- die meisten Taue bestanden aus
zusammengedrehter roher Haut und aus dem Deck selber hatte Alter oder
lange Benutzung schon ganze Spähne herausgefressen, daß es gar nicht
mehr ordentlich gescheuert werden konnte. Ueberhaupt sah das ganze
Fahrzeug genau so aus, als ob es eine einzige tüchtige See rettungslos
in den Grund waschen müsse, während der untere Raum, in dem die
Besatzung schlief und aß, gar keine Beschreibung zuließ.

Allerdings _=hatte=_ der Steuermann versucht, in diese Wirthschaft
Ordnung oder doch wenigstens Reinlichkeit zu bringen, aber vergebens.
Die ganze Mannschaft trat gegen ihn auf, und da ihn der Capitän in
seinen Bemühungen nicht im Geringsten unterstützte, ja seinem
Cajütenjungen sogar gestattete, daß er die Cajüte in einem ähnlichen
Zustande hielt, so ließ er es endlich gehen; was sollte er sich auch mit
den Land-Lubbern die Schwindsucht an den Hals ärgern?

Jetzt kam das Boot zurück.

»Wie die Kerle nur rudern!« brummte er leise vor sich hin. »Ein
Heidenglück, daß hier kein Mensch einen Begriff davon hat, wir müßten
uns zu Tode schämen mit unserer Bande. Hol' sie der Henker!«

Und er spuckte dabei seinen Tabacksaft mit einem wahren Ingrimm in's
Meer hinein.

Das Boot kam indeß näher und der Capitän -- oder Almirante, wie er sich
stolz nennen ließ -- hatte schon ungeduldig mit seinem Fernrohre hinüber
gesehen. Der Offizier, der jetzt im Boot aufgerichtet stand, schüttelte
die emporgehobene Hand zum Zeichen der Verneinung, und leise vor sich
hinfluchend rief der Neu-Granadienser:

»Nun, Señores, wenn Ihr es denn nicht anders haben wollt, so kann ich
Euch nicht helfen! -- Señor Culpepper,« wandte er sich dann an den
Engländer, »geben Sie den Befehl, daß die Kanonen scharf geladen werden,
wir wollen den Herren da am Ufer, sowie wir etwas näher hinan kommen
können, die in Buenaventura aufgetragenen Grüße bringen.«

Señor Culpepper zerbiß eine Verwünschung zwischen den Zähnen und ging
nach vorn, denn was auf einem wirklichen Kriegsschiffe nur durch den
Befehl und die Pfeife des Bootsmannes beordert wird, mußte er selber
überwachen, und vielleicht auch mit Hand anlegen, wenn er es gethan
haben wollte.

Indem stieg eine schmächtige hagere Gestalt in einem blauen Rock mit
blanken Knöpfen und straff anliegenden schwarzen Haaren, einen kleinen
Panamahut auf dem Kopf, an Deck, wo ein paar Matrosen eben beschäftigt
waren, das Sonnenzelt aufzuspannen. Der Neuheraufgekommene aber, wenn er
auch selbst vom »Almirante« mit großer Achtung behandelt wurde, hatte
kein angenehmes Aeußere. Die gelbe Hautfarbe seines Gesichts trug eine
Menge bläulicher Flecke, beinahe als ob er einmal einen Schrotschuß auf
den Kopf bekommen hätte, und wenn er auch nicht gerade schielte, hatte
das eine Auge doch -- was man im gewöhnlichen Leben so nennt -- einen
falschen Blick. Dabei ging der Mann immer ein wenig gebückt und sah wie
lauernd und mißtrauisch um sich her.

An Bord unter den Leuten hieß er gleich vom ersten Tage an »die Ratte«,
wenn er auch einen ziemlich hohen Posten zu bekleiden schien und von den
Officieren gewöhnlich Señor Comisario genannt wurde -- was kümmerte das
die Mannschaft? -- an Bord hatte er ihnen doch Nichts zu befehlen.

»Nun, wie ist es?« fragte er, sowie er das Deck betrat und den lauernden
Blick umherwarf. -- »Das Boot noch nicht zurück?«

»Dort kommt es eben langseit,« sagte der Seemann. »Wir müssen, wie ich
merke, Gewalt brauchen.«

»Dann lassen Sie das Nest in Grund und Boden zusammen schießen, Señor
Almirante!« rief der Commissair, während seine Augen ein unheimliches
Feuer annahmen. »Die Canaillen haben es nicht besser verdient, und wenn
wir an der Küste _=einmal=_ ein solches Exempel statuiren, so erspart
uns das eine Menge Mühe vielleicht für andere Plätze.«

»Wenn es nicht sein _=muß=_,« sagte der Seemann kopfschüttelnd, »so
möchte ich es gerade bei Tomaco nicht gern thun. Es ist einer der
betriebsamsten Orte Neu-Granadas.«

»Rebellisches Gesindel!« rief der Commissair im Eifer. »Ich kenne sie
von früher her und besser als Sie glauben. Verrätherisches Pack die
ganze Bande, und seien Sie versichert, daß ich jede Maßregel vertrete,
die Sie gegen _=dies=_ Volk in Anwendung bringen.«

Der Seemann erwiderte nichts darauf, denn der ausgesandte Parlementair
stieg eben an Bord und machte seine Meldung.

»Und haben Sie erfahren, ob ein Señor José Ramos hier in Tomaco lebt?«
unterbrach ihn der Commissair, ehe er seinen Bericht ganz vollendet
hatte.

»Señor,« sagte dieser, »ich hatte an Land mehr zu thun, als mich nach
einzelnen Persönlichkeiten zu erkundigen. Der Zeitpunkt war gerade nicht
besonders passend.«

»Aber Sie haben doch wenigstens Jemanden von dort mitgebracht, der uns
nähere Auskunft geben könnte!« rief der Commissair, indem er einen
giftigen Blick nach dem jungen Mann schoß.

»Wir waren froh, daß wir uns selber wieder fortbrachten,« erwiderte
dieser, »denn die Stimmung schien eine sehr aufgeregte zu sein.
Uebrigens haben sie dort drüben im Sande Schanzen aufgeworfen und
dieselben auch wahrscheinlich mit Kanonen armirt, wenn ich das von dort,
wo ich mich befand, auch nicht ganz deutlich erkennen konnte.«

»Was für Kanonen werden sie hier am Lande haben!« sagte der Capitain
verächtlich. -- »Unsere Zwanzigpfünder sollen da schon ganz anders mit
ihnen sprechen. Wie steht es mit der Fluth, Señor Culpepper?«

»Fängt eben an zu steigen, Señor,« lautete die Antwort -- »vor drei
Stunden dürfen wir aber nicht daran denken, die Anker zu lichten, denn
wenn wir hier auf dem Sande festfahren, und sie haben wirklich so ein
Ding wie ein Geschütz am Land, so können sie mit uns machen was sie
wollen.«

Der Capitain erwiderte nichts, sondern ließ sein Boot bemannen und
ruderte nach der Galeotte hinüber, während der Commissair, seine Nägel
beißend, an Deck auf und ab ging und nur manchmal das Telescop aufnahm,
um zu beobachten, was da drüben am Lande vorging.

Indessen schlenderte der Steuermann wieder über Deck, damit dort --
soweit das möglich war -- Alles in Ordnung gebracht würde, wenn es
wirklich zu einem Kampf kommen sollte. Vorn am Gangspill lehnte ein
anderer Europäer -- ein junger Franzose, der den Posten eines ~master
at arms~ bekleidete. Er hatte beide Arme auf das Gangspill gelehnt,
stützte sein Kinn darauf und blickte in tiefem Sinnen nach dem Lande
hinüber.

»Nun Bill,« sagte Mr. Culpepper zu ihm, indem er neben ihm stehen blieb
und ihm auf die Schulter klopfte, »worüber denkt Ihr nach?«

»Ich, Sir?« sagte der Franzose, der ziemlich gut englisch sprach, denn
er hatte lange in Canada gelebt, und schien auf der See daheim zu sein.
Er war reinlich und ganz matrosenartig gekleidet, was man von der
übrigen Gesellschaft _=nicht=_ sagen konnte -- »ich überlege mir eben,
daß es eine verdammt viel bessere Beschäftigung wäre, da drüben auf dem
Rücken unter einer Cocospalme zu liegen, als hier mit einer
nichtswürdigen Bande von Land-Lubbern sich zu Schanden zu ärgern. Ich
habe das Leben hier bis an den Hals satt.«

»Ich wohl nicht, Camerad?« lachte der Engländer mit einem leisen Fluch.
-- »Aber was kann's helfen? Heute bekommen wir wenigstens einmal
Abwechselung in die Wirthschaft und ich kann Euch sagen, daß ich
neugierig bin, wie sich unsere tapferen Neu-Granadienser im Feuer
benehmen werden.«

»Im Feuer?« sagte der Franzose verächtlich. -- »So lange sie nicht
fortlaufen _=können=_, werden sie natürlich Stand halten. Uebrigens geb'
ich Euch mein Wort, daß es hier an Bord gefährlicher ist, _=hinter=_
einer von unseren alten Kanonen zu stehen, wie davor, denn _=ich=_
möchte nicht dabei sein, wenn sie abgefeuert werden.«

Der Engländer lachte laut auf.

»Und habt Ihr sie nicht selber heute zu dem Zwecke geladen?«

»Bah!« sagte der Franzose. -- »Die sind schon oft geladen, aber noch nie
abgeschossen worden -- so lange ich wenigstens an Bord bin -- und so
lange ich an Bord bin, werd' ich es auch zu vermeiden suchen, darauf
könnt Ihr Euch verlassen.«

»Wird aber diesmal nicht gehen,« schmunzelte der Engländer, »denn die
_=Ratte=_ scheint eine ganz besondere Wuth auf das Nest da drüben zu
haben, und kann die Zeit nicht erwarten, wo der Befehl zum Feuern
gegeben wird.«

»Die Ratte soll -- zu Grase gehen,« brummte Bill durch die Zähne. »Ich
möchte nur wissen, was _=der=_ hier schon einmal ausgeheckt hat, daß er
so wüthend auf den Ort ist. Habt Ihr je ein freundlicheres Plätzchen in
der Welt gesehen, Mate?« fuhr er fort und deutete mit dem Arm nach der
reizenden Insel hinüber. -- »Kann es etwas Pittoreskeres geben, als
jenen alten grauen Felsen mit den Palmen am Fuße, seiner hellgrünen
Zuckerrohr-Mantille und den prachtvollen, breitblätterigen Bananen oben
auf dem Gipfel? Wie friedlich könnten die Menschen hier leben -- und
leben auch so, wahrscheinlich -- wenn wir sie mit unserer verwünschten
Politik in Ruhe ließen und die »Ratte«, statt sie hier an's Land zu
setzen, einfach im Canal ersäuften.«

Der Engländer lachte leise vor sich hin und ging wieder nach hinten, wo
er jetzt, da die Fluth schon scharf einsetzte und der Bug vom Land
abgedreht lag, einen besseren Ueberblick über die Insel hatte. Der
Capitain kam ebenfalls zurück und die Mannschaft wurde zum Essen
gerufen, um völlig bereit zu sein. So rückte etwa drei Uhr heran -- das
Wasser war bedeutend gestiegen, und da der Commissair ebenfalls
unablässig drängte, um an Land zu kommen, gab der »Admiral« endlich den
Befehl, die Anker wieder zu lichten und aufzusegeln.

»Fertig zum Feuern!« lautete dabei der Befehl. Es schien wirklich Ernst
zu werden, und der ~master at arms~ wurde auf das Quarterdeck
befohlen.

»Lassen Sie Ihre Leute bei den Kanonen stehen, Sir,« redete ihn hier der
Capitain an, »und beim ersten Schuß, der vom Lande her fällt, geben Sie
eine Salve -- eine ganze Breitseite (es waren drei Kanonen an jeder
Seite) und zielen Sie gut.«

»Sehr wohl, Señor Almirante,« sagte der Franzose, mit der Hand an der
Mütze, »aber -- wollen Sie mir eine Bemerkung erlauben?«

»Was ist da noch zu bemerken?« fragte der Capitain scharf.

»Weiter nichts,« bemerkte der Franzose, »als daß der Schooner das
Abfeuern der Kanonen nicht aushält. Sie sind zu schwer für uns.«

»Mit dem Bedenken kommen Sie _=jetzt=_, im entscheidenden Augenblick?«
fuhr der Capitain auf.

»Señor,« erwiderte der Mann ruhig, »als ich in Buenaventura der kleinen
Prügelei wegen von den Behörden eingesteckt wurde und die Wahl bekam,
zwei Monate in einer wahren Pesthöhle von Gefängniß zu sitzen, oder an
Bord dieses Kriegsschiffes zu gehen, hatte ich mit der Armirung
desselben nichts zu thun. Jetzt haben Sie mich zum Geschützmeister
gemacht und es ist meine Schuldigkeit, Sie vor der Gefahr zu warnen.«

»Sie wollen mir doch nicht sagen,« rief der Admiral, »daß wir nicht
wagen dürften, einen Schuß zu thun!«

»Allerdings,« erwiderte mit unzerstörbarer Ruhe der Franzose. »Ich habe
den Schooner genau untersucht -- die Planken und Rippen sind so morsch,
daß Sie in keinem anderen Wasser damit fahren könnten, wie gerade hier
-- sie halten nur noch bei ruhiger Fahrt aus reiner Gefälligkeit
zusammen. Ich weigere mich übrigens nicht, zu feuern. Geben Sie den
Befehl, und Sie sollen sehen, daß Ihre Geschützstücke ordentlich bedient
werden. -- Ich kann schwimmen und wenn der alte Kasten auseinander geht
und die Kanonen nicht platzen, so hoffe ich an Land zu kommen. Daß wir
aber heute Abend, wenn wir nur eine einzige Breitseite abfeuern, die
Wand bersten, und eine Stunde später voll Wasser laufen, darauf gebe ich
Ihnen mein Ehrenwort« -- und seine Mütze lüftend drehte er sich ab und
ging wieder ruhig auf seinen Posten.

Der Capitain blieb in einer höchst unbehaglichen Stimmung zurück und
auch der Commissair war ein sehr bestürzter Zuhörer der Unterredung
gewesen, denn er hatte bis jetzt einen ganz anderen Begriff von ihrer
Marine gehabt. Sank das Schiff wirklich, so war _=er=_ verloren, denn
_=er=_ konnte _=nicht=_ schwimmen, und ob sie in einem Boot freundlich
an der Küste empfangen würden, bezweifelte er sehr.

Der Engländer wurde jetzt gerufen, um seine Meinung über die Sache zu
hören, aber er zuckte die Achseln. Der Franzose war, wie er bestätigte,
gelernter Schiffszimmermann, und hatte ihn schon ein paar Mal auf den
wahrhaft traurigen Zustand der Schiffshölzer aufmerksam gemacht. Er
traute selber nicht und wenn sie _=seinem=_ Rath folgen wollten, so
hielten sie mit Schießen wenigstens so lange als möglich zurück. Der
Schooner macht jetzt schon so viel Wasser, daß sie auf jeder Wacht eine
volle Stunde pumpen müßten, und ihn dann noch nicht einmal frei bekämen.
-- Wenn sich durch Erschütterung des Feuerns die Hölzer noch mehr
lösten, stünde er für nichts. -- Uebrigens könne _=er=_ auch schwimmen.

Und damit spuckte er sein Priemchen über Bord und schnitt sich ein
frisches ab, während der Schooner, von der Galeotte dicht gefolgt, mit
der jetzt einsetzenden Seebrise rasch seinem Ziele entgegenlief und
einem Kampfe, sobald er vom Lande aus begonnen wurde, nun schon gar
nicht mehr ausweichen _=konnte=_. _=Gegen=_ diese Brise und die starke
Strömung der einsetzenden Fluth wären die erbärmlich segelnden Fahrzeuge
gar nicht im Stande gewesen, die offene See wieder zu erreichen.

Der »Almirante« befand sich in Verlegenheit, denn es kann ja nichts
Fataleres für den Befehlshaber eines Kriegsschiffes geben, als zu hören,
daß die Kanonen, die zu dem besonderen Zwecke an Bord geschafft wurden,
um damit zu schießen, nicht abgefeuert werden dürften, wenn man nicht
befürchten wolle, nicht etwa Schaden nach außen anzurichten, sondern das
eigene Fahrzeug zu ruiniren. Wer weiß auch, was er gethan hätte, wenn
gerade Ebbe gewesen wäre und ein günstiger Wind ihm irgend eine andere
Bewegung erlaubt hätte, als die, vorwärts zu segeln. So aber befand er
sich genau in der Lage eines Cavalleristen, dessen Pferd mit ihm,
angesichts der feindlichen Reihen, durchgeht, und zwar gerade auf die
Feinde zu. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, als zu thun, als ob er das
Pferd noch selber regiere und lenke, und nur aus rasender Tapferkeit zu
diesem tollkühnen Angriff getrieben werde. Er war auch mit sich einig,
denn wenn wir zu einem Entschluß _=gezwungen=_ werden, ist es nicht
schwer, ihn zu fassen.

Jetzt befand man sich der im Sande eingegrabenen Batterie gegenüber.
Deutlich konnte man schon die dort am Ufer durcheinander laufenden
Soldaten erkennen und der Capitän bemerkte mit seinem Glas, daß sie
wirklich mit einem Gegenstande, der einer Kanone ähnlich sah,
beschäftigt waren. Es dauerte auch nicht lange, so folgte ein Blitz,
dann eine kleine weiße Rauchwolke und während der Schuß zu ihnen
herüberdröhnte, sprangen die Leute alle nach dieser Seite des Fahrzeugs,
um zu sehen, welche Richtung die Kugel nehmen würde. -- Aber keine Kugel
kam. Dicht am Ufer spritzte das Wasser allerdings an ein paar Stellen
auf, das war aber wenigstens hundert Schritt vom Schiff selber entfernt
und nicht einmal in der Richtung, sondern viel weiter nach hinten.
Uebrigens erfolgte kein Befehl einer Erwiderung an Bord. Die Leute
standen mit brennenden Lunden neben ihren Kanonen, aber sie schossen
nicht, und mit wahrhaft majestätischer Ruhe glitten die beiden
Fahrzeuge, die zu wenig Tiefgang hatten, um bei steigender Fluth ein
Auflaufen zu fürchten, an den so mühsam aufgeworfenen Schanzen vorüber
und gerade auf die Stadt zu, bis sie, dieser gegenüber, plötzlich auf
ein gegebenes Signal die Segel lösten und die Anker niederrollen ließen.
Kaum zwei Minuten später schwang ihr Bug mit der Strömung herum und
beide zeigten jetzt der Stadt die drohenden Seiten, mit denen sie jeden
Moment den Angriff beginnen konnten.

»Und was wollen Sie thun?« fragte der Commissair ängstlich, als der
Capitän sein Boot beorderte, um selber an das Land zu fahren.
»Uebereilen Sie um Gotteswillen nichts, daß Sie Ihre Schiffe nicht
gefährden.«

»Haben Sie keine Angst,« sagte der Seemann mit einem verächtlichen
Lächeln. -- »Es wäre ja Schade um das Material. Uebrigens kenne ich
meine Landsleute und hoffe das _=ohne Blutvergießen=_ durchzusetzen was
wir durch unsere Kanonen erreichen wollten. Dann werden Sie mir
erlauben, nach Buenaventura zurückzukehren und dort diese kostbaren
Fahrzeuge der Obhut Sr. Excellenz wieder zu überliefern.«

»Von Herzen gern, von Herzen gern, Almirante,« rief der Commissair
rasch. »Auch hoffe ich, Ihnen dann einige wichtige Gefangene mitzugeben.
Meine Kundschafter, die mir meldeten, daß Señor Ramos mit seiner Familie
nach Tomaco geflüchtet sei, und jetzt hier gegen Mosquera agitire,
_=können=_ sich nicht geirrt haben und dann war unsere Reise nicht
umsonst, denn ich gebe Ihnen mein Wort, daß dieser Ramos der
gefährlichste und schlimmste Agitator in ganz Neu-Granada ist.«

»~Veremos!~« erwiderte der Capitän trocken und stieg in sein Boot
hinab, mit dem die Leute schon seiner warteten. Er nahm nicht einmal
eine weiße Fahne mit, sondern steuerte das Boot direct auf eine sich am
Strand sammelnde Menschengruppe zu, weil er an der Stelle ziemlich
richtig den besten Landungsplatz vermuthete. Zu gleicher Zeit sah er,
wie die an den Sandschanzen aufgestellte Mannschaft im Sturmschritt mit
ihren beiden kleinen Kanonen herbeieilte, um -- wenn nöthig --
vielleicht den Landungsplatz zu vertheidigen, denn daß sie gegen die
Schiffe selber mit ihren Geschützen nichts ausrichten konnten, hatten
sie wohl bei dem ersten Mal Feuern bemerkt.

Der Alkalde erwartete ihn schon, und diesmal fest entschlossen, sich
durch den Postmeister nicht wieder das Wort vor dem Mund wegnehmen zu
lassen. Er trat auch dem Capitain, sowie dieser an's Land sprang,
entgegen und sagte, indem er ihm die Hand reichte und schüttelte:

»Buenos Dias, Señor! -- Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen.
Können _=Sie=_ uns vielleicht Aufklärung geben, zu welchen Zweck Sie
hier Ihre beiden Schiffe vor unserer Stadt geankert haben?«

Ein leises Lächeln flog über die Züge des Seemannes, als er antwortete:

»Mit weit größerem Rechte, mein verehrter Señor, könnte ich _=Sie=_
fragen, weshalb Sie auf ein paar Schiffe Ihres eigenen Landes, die einen
Hafen ihres eigenen Territoriums besuchen, feuern lassen. -- Bitte,
unterbrechen Sie mich nicht. Wäre ich Ihnen wirklich feindlich gesinnt,
was hinderte mich, furchtbare Rache für die Beleidigung zu nehmen, denn
Sie werden mir zugeben, daß eine einzige in diese Bambushäuser gefeuerte
Kanone entsetzliche Verwirrung anrichten und viele Menschenleben
gefährden würde. Um aber kein Blut treuer Unterthanen unseres theueren
Vaterlandes zu vergießen, um den Bürgerkrieg nicht auf dies friedliche
Eiland zu tragen, komme ich noch einmal zu Ihnen, um Sie aufzufordern,
das zu thun, was Sie doch nicht mehr ändern können: Sr. Excellenz den
jetzigen Präsidenten der Republik, Señor Mosquera, anzuerkennen und ihm
Treue zu schwören. Ich selber komme nur als der Feind derer, die den
Huldigungseid verweigern -- im anderen Fall sind wir Freunde und
Bundesgenossen, und ich stehe mit meiner Person dafür, daß Sie weder an
Ihrer Stadt, noch irgend einem derselben angehörenden loyalen Bürger
geschädigt werden sollen.«

»Aber bester Herr,« sagte der Alkalde, durch die freundliche und
vernünftige Anrede schon halb gewonnen und nur noch in Verlegenheit, wie
er vor den Umstehenden eine vielleicht etwas zu rasche Sinnesänderung
beschönigen sollte, »wir -- wir wissen hier eigentlich noch gar nichts
von Sr. Excellenz, dem neuen Präsidenten. Wir sind friedliebende
Menschen, die mit keinem Lande einen Krieg wollen -- am allerwenigsten
mit dem eigenen, aber wie -- wie bekommen wir denn eine Garantie, daß
nicht -- ohne jedoch das Geringste gegen Ihre eigene Person andeuten zu
wollen -- daß nicht irgend ein Schiff bei uns anlegen könnte, welches
irgend einen neuen Namen als Präsident und Regierung aufstellt und
Besitz von der Insel ergreift?«

»Darüber beruhigen Sie sich,« sagte der Seemann; »ich handele nicht nach
eigener Machtvollkommenheit, sondern habe einen Regierungs-Commissair an
Bord, der, von Buenaventura aus mit allen nöthigen Papieren und
Schriftstücken beglaubigt, das Weitere mit Ihnen auf vollkommen
gesetzlichem Wege in Ordnung bringen wird. Der Herr ist Ihnen auch,
soweit ich erfahren habe, nicht einmal ein Fremder, sondern war früher
selber, wie er mich versicherte, ein Einwohner oder wohl gar ein Beamter
dieser Insel --«

»In der That? Und sein Name?«

»Señor Fosca.«

»Fosca? Alle Teufel!« platzte der Alkalde etwas erstaunt heraus; »Señor
Fosca ist Regierungs-Commissair geworden?« Aber es blieb ihm keine Zeit
mehr zum Ueberlegen, denn der Postmeister kam gerade mit einem
_=Theil=_ seiner Leute wenigstens herbei, da ihm keineswegs alle
folgten. Die Meisten, indem sie eine Beschießung der Stadt fürchteten,
liefen nach ihren Häusern, um dort zu retten, was sie retten konnten.
Der Alkalde war aber fest entschlossen, diesmal ohne den Postmeister zu
handeln, und sagte deshalb rasch und bestimmt:

»Wenn Sie mir Ihr Wort geben, Señor, daß der Stadt kein Schaden
geschehen soll, so glaube ich in Uebereinstimmung mit meinen Mitbürgern
zu handeln, wenn ich Ihnen erkläre, daß wir den Präsidenten Mosquera
anerkennen wollen.«

»Ja wohl! Gewiß! ~En verdad -- con gusto!~« tönte es von allen Seiten,
denn das entschlossene Aufsegeln der Kriegsschiffe hatte seine Wirkung
auf die Gemüther nicht verfehlt.

»Und das Versprechen gebe ich Ihnen,« sagte der Seemann, dem damit eine
wahre Centnerlast von der Seele fiel, denn eine Weigerung hätte ihn in
die größte Verlegenheit gebracht.

»Und wissen Sie, welche Verantwortung Sie da auf sich nehmen, Señor
Alkalde?« schrie der Postmeister, der eben zur rechten Zeit erschien, um
zu spät zu kommen. »Wir sind hier freie Bürger, und wenn irgend ein
Präsident --«

»Fosca ist Regierungs-Commissair und an Bord,« flüsterte ihm der Alkalde
zu, indem er seinen Arm faßte; »halten Sie das Maul.«

Der Postmeister sah ihn verdutzt an. Es war augenscheinlich, daß er den
Sinn der Worte nicht so rasch begriff, aber der Alkalde warf ihm einen
warnenden Blick zu, und sich auf dem Absatz herumdrehend nahm er den Hut
ab, schwenkte ihn in der Luft und rief mit seiner weit hinaus dröhnenden
Stimme:

»~Compañeros el viva! Viva Sa Excellencia el praesidente Señor
Mosquera! -- El viva!~«

»~El viva! El viva!~« jubelten ihm die Leute nach, die ebenfalls ihre
Hüte schwenkten, und wie ein Lauffeuer pflanzte sich der Schrei durch
die Stadt fort. Galt er ja doch als Friedenszeichen und war den Leuten
eine Bürgschaft, daß sie von den Schrecken und Gefahren des Krieges
verschont bleiben sollten. Mit _=der=_ Gewißheit hätten sie irgend einen
lebenden oder auch todten Menschen -- wer er immer gewesen -- leben
lassen.

Es war in der That ein Jubel auf der Insel, als ob man diesem Augenblick
schon seit Jahren mit der größten Spannung entgegengesehen hätte, und
daß der Postmeister gerade, der noch vor wenigen Stunden da unten am
Strande Sandschanzen aufgeworfen und selbst eine Kanone auf die
nahenden Schiffe abgefeuert, in den Ruf mit einstimmte, fiel keiner
Seele mehr auf.




Fünftes Capitel.

Baptista.


Der Capitän hatte seine Schuldigkeit gethan und sein Ziel viel rascher
und vollkommener erreicht, als er je gehofft. Es drängte ihn deshalb
wieder an Bord zurück. Aber so bald kam er noch nicht los, denn von
allen Seiten strömten Menschen herbei, um ihm die Hand zu drücken und
ihm zu erklären, daß sie gute Freunde bleiben und keinen Krieg
miteinander haben wollten. Und nicht allein die Männer thaten das,
sondern ganz besondere Energie entwickelten die Negerweiber, von denen
die Insel ein außerordentlich starkes Contingent stellte, und wo solch
eine alte würdige Dame einmal die Hand des Seemannes erwischte, ließ sie
nicht sogleich wieder los. Sie versicherten ihm dabei stets mit ihrer
gewöhnlich tiefen Baßstimme, daß sie sich unendlich glücklich schätzen
würden, wenn er zu ihnen in das Haus kommen und eine Tasse Chocolade
trinken wolle.

Er hatte Mühe sich ihrer zu erwehren, und sein Boot endlich wieder
gewinnend, sprang er hinein und ließ sich an Bord zurückrudern.

Still vor sich hin mußte er freilich unterwegs lachen, wenn er sich
überlegte, daß Tomaco eigentlich nur dadurch friedlich erobert und
Mosquera eine neue Stadt gewonnen sei, daß sich beide Theile vor
einander gefürchtet hätten, denn wie die Sachen standen, konnten sie
sich gegenseitig keinen großen Schaden thun. Die List _=war=_ aber
gelungen; die Bewohner von Tomaco hatten sich durch eine völlig
unausführbare Drohung: die Beschießung der Stadt, einschüchtern lassen,
und es lag jetzt an Señor Fosca, das Weitere in Frieden und Freundschaft
zu arrangiren und sich mit den Behörden zu verständigen.

Als der Capitän sein kleines Fahrzeug erreicht und den Befehl gegeben
hatte, Munition und Kugeln wieder fortzuräumen und die »Geschützstücke«
auf's Neue zu befestigen -- ein sicheres Zeichen also, daß von einem
Kampf nicht weiter die Rede war -- trat plötzlich der Franzose zu seinem
Admiral heran, und seinen kleinen Wachshut abnehmend, wollte er ihn eben
anreden, als Señor Fosca mit triumphirendem Blick auf diesen zukam und
rief:

»Ich weiß Alles! Schon ehe Sie zurückkamen war ein Fruchtboot hier. --
Meine alten Freunde sind noch dieselben -- der nämliche Eifer, Einer
dem Andern einen Verdienst vor der Nase wegzuschnappen. -- Aber ich habe
auch Ihren Erfolg erfahren und -- daß Señor Ramos wirklich hier mit
seiner ganzen Familie lebt. Er kann uns jetzt nicht mehr entgehen und
ich bitte Sie also, Almirante, mir nachher sechs Mann von Ihren Leuten
zur Verfügung zu stellen, um den Verräther zu verhaften.«

»Mein bester Señor,« sagte der Seemann, dem die Sache augenscheinlich
fatal war, -- »ich habe den guten Leuten da drüben versprochen, sie
nicht weiter zu schädigen.«

»Aber der Verräther war ausgenommen,« rief Fosca rasch, -- »gehört er
doch auch gar nicht nach Tomaco und geht der Stadt nicht das Geringste
an. Señor Almirante, ich habe den _=strengen=_ Auftrag von Sr.
Excellenz, auf diesen gefährlichsten aller Staatsverräther zu fahnden
und ihn nach Buenaventura zu liefern. Ich möchte nicht in des Mannes
Haut stecken, der ihm Zeit und Gelegenheit ließe, zu entkommen.«

»Ach was!« brummte der Seemann verdrießlich vor sich hin, »so gefährlich
wird die Sache nicht sein, Señor. Aber meinetwegen thun Sie, was Sie
nicht lassen können und nehmen Sie sich von Leuten was Sie brauchen. Ich
mache _=Sie=_ aber dafür auch für alle Folgen verantwortlich, wenn Sie
die jetzt beruhigten Einwohner wieder aufreizen und unser Aller
Sicherheit dadurch gefährden.«

»_=Die=_ Verantwortung übernehme ich,« sagte der Commissair, und ein
boshaftes Lächeln zuckte über sein fahles Gesicht, als er sich umdrehte
und wieder in die Cajüte hinunter stieg.

»Was wollen Sie?« wandte sich der Capitän nun, eben nicht in bester
Laune, an den jungen Franzosen, der indessen zurückgetreten war, um sein
Anliegen später vorzubringen.

»Señor Almirante,« sagte der Franzose, »wie ich zu meiner Freude sehe,
ist kein Krieg mehr nöthig. Unter diesen Verhältnissen brauchen Sie aber
auch keinen ~master at arms~ mehr, und da ich jetzt ein unnützes Möbel
an Bord bin, so wollte ich Sie ersuchen, mir meine Entlassung zu geben.
Ich möchte gern in mein eigenes Vaterland zurückkehren.«

»Thut mir leid,« sagte der Seemann barsch, »Ihre Zeit ist noch nicht um
und außerdem brauche ich Sie nothwendig. Sie sind Schiffszimmermann,
nicht wahr?«

»Ein sehr mittelmäßiger,« bestätigte achselzuckend der Gefragte.

»Thut nichts! Wahrscheinlich immer noch besser als unsere
_=carpinteros=_ in Buenaventura. -- Sie müssen mit helfen, den Schooner
wieder in Stand zu setzen, wenn wir zurückkommen.«

»Den Schooner?« lächelte der Franzose. -- »Ach ja, es geht, wenn er
einen neuen Rumpf und andere Masten bekommt und nachher frisch
aufgetakelt werden kann. An _=den=_ alten Kasten werden Sie aber doch
keine Reparaturkosten mehr wegwerfen wollen?«

»Das ist Sache der Regierung,« brach der Capitain kurz ab. »Sie gehen
jedenfalls mit zurück und dort findet sich das Weitere. Sehen Sie
indessen zu, daß mir das Volk kein Unglück mit dem Pulver anrichtet --
daß sie besonders da unten nicht rauchen. Haben Sie mich verstanden?«

»Vollkommen gut, Señor,« sagte der Franzose mit einer Verbeugung, als
der Seemann an ihm vorüberschritt und dem Commissair in die Cajüte
folgte.

»Abgeblitzt!« lachte der Engländer, der, als er auf das Quarterdeck kam
die Unterredung gehört hatte. -- »Hätte ich Euch auch vorher sagen
wollen, Camerad, denn wenn der Alte uns paar Europäer von Bord ließe,
wen behielt er denn da zurück als die Buschläufer, die ein Fallreep
nicht von der Besanschote zu unterscheiden wissen. Nein, damit ist's
nichts! Ich hätte selber Einsprache dagegen erhoben, also schlagt Euch
die Phantasien aus dem Kopfe.«

»Wird wohl nicht anders werden, Mr. Culpepper,« stimmte der Franzose
bei, indem er leise vor sich hinpfeifend, nach vorn ging.

Der Nachmittag war indessen schon ziemlich weit vorgerückt; die Sonne
stand kaum noch eine halbe Stunde hoch am westlichen Himmel und die
Wolken begannen schon die den Tropen eigene, violette Färbung
anzunehmen, als Señor Fosca mit seinem Boot an Land fuhr. Statt der
erbetenen sechs Mann Wache hatte er sich aber zwölf ausgesucht, die
vollständig bewaffnet ihn begleiten sollten, und der Capitain that da
auch keinen Einspruch. Er wollte augenscheinlich mit der ganzen Sache
nichts zu thun haben.

Am Land wurde er von den Spitzen der Behörden empfangen, der Alkalde,
der Postmeister und der Steuerbeamte -- dessen Posten er selber früher
einmal auf Tomaco bekleidet hatte -- standen an der Landung und die
Begrüßung -- wenn man überhaupt auf äußere Anzeichen schließen konnte --
war eine herzliche.

Am liebsten hätte Señor Fosca nun allerdings das vorgenommen, was ihm am
meisten am Herzen zu liegen schien: die Verhaftung des Hochverräthers --
aber das ging doch nicht -- der wichtigere Act und zwar die Uebernahme
der Insel und die Huldigung des neuen Präsidenten mußte vorausgehen, und
die _=Spitzen=_ der Bevölkerung, von den meisten dort Ansässigen
begleitet, begaben sich demnach in das »Regierungsgebäude« (ein Haus,
das sich vor den übrigen nur durch einen etwas größeren Umfang
auszeichnete), um den feierlichen Act dort vorzunehmen.

Vorher hatte der Postmeister, der jetzt die Geschmeidigkeit selber zu
sein schien und gar nicht so that, als ob er je den geringsten
Widerstand gegen Mosquera's Ansprüche geleistet, eine längere und
geheime Unterredung mit Señor Fosca, und dann erfolgte in ziemlich
summarischer Weise die Uebergabe der Stadt und Insel an den neuen
Herrscher, mit der Bestätigung der jetzigen Beamten in ihrem Dienst.

Es war unterdessen vollkommen dunkel geworden und die beiden
»Kriegsfahrzeuge« in dem Canal hatten jedes an ihrem Vormast eine rothe
Laterne aufgezogen. Wachen brauchte es nicht an Deck, denn die ganze
Mannschaft lag zerstreut darauf herum oder saß plaudernd vorn auf der
Back oder auf den Railings. Hinten auf dem Quarterdeck ging der Franzose
mit verschränkten Armen auf und ab; der englische Steuermann lag bequem
auf einer Bank ausgestreckt und rauchte seine Cigarre.

Der Franzose hatte seine Jacke neben sich auf dem Steuerrad hängen,
jetzt ging er hin und zog sie wieder an.

»Nun, Bill,« lachte Mr. Culpepper. »Ihr friert doch nicht in _=der=_
Temperatur?«

»Das nicht, Sir,« sagte der Mann gleichgiltig, »aber der Thau fängt an
zu fallen, und da drüben zieht auch wieder ein Wetter herauf. Wir
bekommen eine böse Nacht.«

»Ob es in dem verbrannten Lande nicht auch alle Tage vom Himmel
herunterschüttet!« brummte der Engländer und rauchte ruhig weiter. --
Der Franzose beschäftigte sich damit, einen Theil der noch unordentlich
umherliegenden Brassen aufzurollen. Eine davon aber, ohne daß es Mr.
Culpepper sehen konnte, nahm er und hing sie über Bord, dann stieg er
langsam und gleichmüthig über die Railing, ließ sich an dem Tau
geräuschlos hinab und verschwand im nächsten Augenblick unter Wasser.

»Heh, Bill!« rief der Engländer nach einer Weile, ohne jedoch den Kopf
zu wenden. -- »Wohin wolltet Ihr denn eigentlich, wenn Euch der Alte
losgelassen hätte?«

Er bekam keine Antwort und sah sich jetzt erstaunt um. -- Das Deck war
leer.

»Hm!« brummte Mr. Culpepper vor sich hin. »Habe ihn doch gar nicht
fortgehen hören --«

»Du, Juan, da schwimmt ein Fisch!« sagte einer der Leute vorn an Bord.
»Wetter! Das muß ein großer Kerl sein. Ich mache meine Angel zurecht,
vielleicht fangen wir ihn.«

Es hatte sich für einen Moment ein dunkler Gegenstand über Wasser
gezeigt, verschwand aber sogleich wieder und einige der Leute holten ihr
Angelgeräth vor. Es gab wirklich viel Fische dort in der Nähe des Landes
und das aufsteigende Gewitter begünstigte den Fang.

Bill, wie ihn Mr. Culpepper alter Gewohnheit wegen nannte, hieß
eigentlich weder Bill, noch Guillaume, sondern Baptiste Lecomb, und
hatte unterdeß seine Flucht so keck und rasch ausgeführt, daß er als ein
ganz vortrefflicher Schwimmer das Land erreichte und längst zwischen den
dunklen Häusern verschwunden war, ehe er an Bord vermißt wurde. Am Land
zog er sich vor allen Dingen aus, und rang seine Kleider soweit als
möglich trocken, daß er sich nirgends durch die übergroße Nässe verrieth
-- eine Erkältung brauchte er in dem heißen Clima nicht zu besorgen --
und erkundigte sich dann bei dem ersten Eingeborenen, den er antraf, ob
kein Europäer, besonders ob kein Franzose in dem Orte wohne. Er befand
sich nicht weit von Renard's Haus und als er zu diesem hingewiesen war,
machte er keine weitern Umstände einzutreten.

Monsieur Renard war eben nach Hause zurückgekommen und bei der Uebergabe
der Stadt an Mosquera gegenwärtig gewesen. Er stand in seinem Laden und
war gerade im Begriff, seine beiden Lampen anzuzünden, da er an diesem
Abend unter den obwaltenden Verhältnissen nicht ohne Grund zahlreiche
Gäste erwartete, und die jetzt aufflackernde einzelne Oelflamme nur ein
sehr ungewisses Licht verbreitete. Wie in aller Welt hätte man auch eine
_=solche=_ Festlichkeit in einem _=solchen=_ Ort anders feiern wollen
als durch Trinken, und Renard wußte, daß er die besten Getränke in der
Stadt hielt. -- Es waren wenigstens die theuersten.

Eben nicht angenehm überrascht wurde er da durch den etwas unerwarteten
Besuch, der sich ihm ohne Weiteres als Deserteur von einem der
neugranadiensischen Kriegsschiffe vorstellte.

Baptiste war in der That nicht der Mann, große Umstände zu machen, und
nach seiner ersten Einführung setzte er nur hinzu, indem er sich im
Laden umsah:

»Zuerst, Landsmann, sehe ich, Sie haben hier Getränke, also bitte ich,
geben Sie mir einen tüchtigen Cognac, denn heißes Wasser zu einem Grog,
der mir besser thun würde, ist gewiß nicht fertig -- es ist wenigstens
nie fertig, wenn es am nöthigsten gebraucht wird, und dann verschaffen
Sie mir ein Canoe, damit ich nach Ecuador entkommen kann.«

»Und brauchen Sie sonst Nichts?« fragte Renard, über diese
Zwanglosigkeit erstaunt.

»Ein paar Dutzend Franken baar Geld wären allerdings erwünscht, denn das
Einzige, was ich von landesüblicher Münze besitze,« fuhr der junge
Franzose fort, »sind zwei schlechte ecuadorische Reale, sogenannte
Dimesstücke, die ich Ihnen hier nicht einmal für Ihren Cognac anbieten
mag. Ich darf doch einen Landsmann nicht beleidigen.«

»Alle Wetter!« lachte Renard, den diese ganz eigene Keckheit -- und er
selber war sonst nicht gerade blöde -- zu amüsiren anfing, »Sie trotzen
nicht schlecht auf unsere Landsmannschaft, Kamerad, denn wissen _=Sie=_
wohl, daß Sie mich hier -- mit dem neuen Regime im Lande -- durch Ihre
Flucht in die furchtbarste Verlegenheit bringen können, sobald man
erfährt, daß ich das Geringste damit zu thun hätte!«

»Bah!« sagte Baptiste gleichgültig. »Sie wissen recht gut, daß jeder
Franzose, unter ähnlichen Umständen, das Nämliche für _=Sie=_ thun
würde, also ist es nicht der Mühe werth, nur ein Wort weiter deshalb zu
verlieren. Oder wollten Sie mich etwa an die Bestien wieder ausliefern?«

»Aber, bester Freund,« sagte Renard, wirklich in Verlegenheit, »was
hilft Ihnen selbst ein Canoe? Der Weg von hier nach dem Pailon -- dem
nächsten Platz in Ecuador -- ist gar nicht so leicht zu finden und Sie
brauchen --«

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen,« lachte Baptiste. -- »Ich bin
nicht zum ersten Male in Tomaco und kenne den Weg sowohl durch die
Lagune wie um die Punta Manglares.«

»Dann, bester Freund,« sagte Renard rasch, indem er ihm ein tüchtiges
Glas Cognac einschenkte, das Baptiste mit einem vergnügten »~à votre
santé~! Apropos, haben Sie nicht ein paar Cigarren?« leerte -- »kann
ich Ihnen keinen bessern Rath geben als -- und hier haben Sie auch
einige vortreffliche Esmeralda-Cigarren -- als sich das erste beste
Canoe von der Landung zu nehmen und zu machen, daß Sie fortkommen, denn
wenn man Sie an Bord vermißt, werden Sie auch augenblicklich verfolgt
werden, und wo soll man Sie an einem Ort verbergen der nicht einmal
Wände, viel weniger heimliche Verstecke hat? Nur so viel Rücksicht bitte
ich Sie auf einen Landsmann zu nehmen, daß Sie _=mein=_ Canoe liegen
lassen. Es hat vorn am Bug einen kleinen Messingknopf mit einem Hufeisen
darunter genagelt. Ein Ruder gebe ich Ihnen mit.«

»Sehr schön,« sagte Baptiste. »Ihr Canoe ist sicher, aber vorher
beantworten Sie mir noch eine Frage. Lebt hier im Ort ein Señor Ramos?
Apropos, haben Sie hier eine Hinterthüre, wenn Jemand vorn in den Laden
kommen sollte?«

»Allerdings, aber je länger Sie zögern, desto schwieriger wird Ihre
Flucht sein. Ein Señor Ramos lebt allerdings hier; kennen Sie ihn?«

»Ist er derselbe Ramos, der vor drei Jahren in Buenaventura wohnte?«

»Er zog glaube ich von dort nach Bogota.«

»Er hat Familie?«

»Eine sehr hübsche junge Frau und ein Kind, ein kleines Mädchen von etwa
sechs oder sieben Jahren.«

»~Peste!~« rief Baptista, indem er mit dem Fuße aufstampfte, »dann
kann ich noch nicht fort.«

»Und was haben Sie mit _=dem=_ zu thun?« fragte der Franzose. »Er hält
mit keinem Menschen Verkehr, und von ihm dürfen Sie keine Hülfe
erwarten.«

»Aber _=er=_ braucht sie!« rief Baptiste rasch. »Vor drei Jahren, als
ich in Buenaventura todtkrank und verlassen lag, hat _=er=_ mich in sein
Haus aufgenommen und wie ein eigenes Kind gepflegt. -- Seine Frau ist
ein Engel und die kleine Adriana ein Cherub. Meine Hand soll verdorren,
wenn ich die braven Leute im Stich lasse!«

»Das ist nicht übel!« rief Renard ärgerlich werdend. »Erstlich braucht
Señor Ramos weder Ihre noch eines andern Menschen Hülfe, und verlangt
sie auch wahrscheinlich gar nicht, und dann möchte ich wissen, was
_=Sie=_ ihm nützen wollten, da Sie sich selber nicht einmal auf offener
Straße dürfen blicken lassen.«

»So haben Sie nichts davon gehört?« fragte Baptiste, »daß ihn der neue
Commissair -- diese schieläugige Canaille mit dem Körper einer Katze und
der Seele eines Schakals -- gefangen nach Buenaventura schleppen will,
ihn und die junge Frau und den Engel von einem Kind in jene Hölle von
Gefängniß, das mich, einen starken, kräftigen Mann, fast zum Selbstmord
trieb?«

»Alle Wetter!« sagte Monsieur Renard halblaut und erstaunt. -- »Also
darauf liefen die Anfragen des Señor Fosca hinaus? -- Aber wie können
Sie ihm helfen?« fuhr er dann laut und kopfschüttelnd fort. »In der
Stadt hat Señor Ramos wenig oder gar keine Freunde, denn er hielt mit
keinem Menschen Verkehr und war immer stolz und aufgeblasen. -- Gegen
mich auch,« setzte er etwas gereizt hinzu, »denn ich kam ihm ganz
freundlich entgegen und meine Frau hat den Leuten sogar einen Besuch
gemacht, obgleich wir sie gar nicht kannten, aber nicht ein Fuß von
ihnen ist über unsere Schwelle gekommen, außer den, welchen die
Dienstleute darüber setzten, wenn sie Waaren holten, die sie aber schon
hier holen _=mußten=_, weil sie sie sonst nirgends so gut und billig
bekommen.«

»Hat er seinen Neger bei sich?« fragte Baptista rasch, und ohne auf das,
was Renard sagte, zu hören, »einen flinken Mulattenjungen, der Antonio
heißt?«

»Einer des Namens ist allerdings bei ihm, ein Bursche von vielleicht
vierundzwanzig Jahren.«

»Wenn ich nur _=den=_ wenigstens sprechen könnte, daß man ihn warnte --«

»Alle Teufel!« rief Renard schnell. -- »Jetzt kommen Leute.«

»Wo ist das Ruder?« rief Baptista rasch.

»Da hier in der Ecke lehnen zehn oder zwölf.«

Der Franzose griff ohne Weiteres eins davon heraus.

»Dort hinaus! Da ist die Thüre in den Hof. -- Machen Sie, daß Sie
hinüber nach Ecuador kommen.«

Baptista sprang der Thüre zu, als dort ebenfalls Stimmen laut wurden.

»Caramba!« murmelte er leise vor sich hin. -- »Das war zu spät.« Den
Blick umherwerfend erspähte er ein leeres Brodfaß, das dicht neben der
Ausgangsthüre und in einer Art von Gang stand, der aber nur durch
Kisten, Nagelfässer und sonstige Waaren gebildet wurde. Ohne Renard ein
Wort weiter zu sagen, oder ihn um Erlaubniß zu fragen, legte er die Hand
auf den Rand desselben, stützte sich mit der Rechten auf das Ruder und
sprang hinein. Das Ruder lehnte er dann daneben und hatte eben noch Zeit
sich unterzuducken, als die Thüre auch schon aufging und ein paar
Einwohner von Tomaco, unter ihnen der Postmeister, den Laden auf diesem
ihrem Hause näher liegenden Wege betraten. Gleichzeitig kam auch, laut
und leidenschaftlich mitsammen redend, ein Schwarm von Menschen von der
anderen Seite und Renard, der, ehe er nur einen Entschluß fassen konnte,
seinen verzweifelten Landsmann schon in seinem Versteck und dessen
Flucht für jetzt wenigstens völlig abgeschnitten sah, warf nur rasch und
fast unwillkürlich eine gerade dort liegende alte Matte über das Faß,
und machte sich dann bereit, seine -- jedenfalls in _=diesem=_
Augenblick unwillkommenen -- Gäste zu empfangen.

Señor Ramos hatte sich an diesem bewegten Tage, wie immer, streng
abgeschlossen in der Räumlichkeit seines eigenen Hauses und inmitten
seiner kleinen Familie gehalten, denn er suchte absichtlich Alles zu
vermeiden, was ihn mit dem politischen Treiben Tomacos hätte in
Berührung bringen können. Was half es auch, welche politische Richtung
diese äußerste, vollkommen abgeschiedene Ecke des Staates verfolgte? Sie
stand mit dem übrigen Lande in gar keiner Verbindung, und hatte sich dem
zu fügen, was an den Hauptplätzen und im Herzen der Republik erkämpft
und ausgefochten wurde.

Welchen Theil er früher an diesen Kämpfen genommen hatte -- Niemand
wußte es in Tomaco; Niemand kümmerte sich darum. Hier schien er nur
darauf bedacht, seine Häuslichkeit so freundlich als möglich
herzurichten, was ihm denn auch mit den wenigen ihm hier zu Gebote
stehenden Mitteln sicher gelungen war.

Das Haus zeichnete sich vor den übrigen, wie schon früher erwähnt,
allerdings nur durch seine etwas größere Sauberkeit, und die zierlich
gearbeiteten Bambusjalousien, vielleicht auch dadurch aus, daß es
vollkommen _=geschlossen=_ stand, und nur dann einen Einblick in das
Innere gewährte, sobald die Fenster in der Abendkühle weit geöffnet
wurden. Im Innern aber konnte es mit keinem der übrigen verglichen
werden, denn Señor Ramos hatte keine Kosten gescheut, ein kleines
neu-granadiensisches Paradies daraus zu schaffen.

Den Boden deckte vollständig eine chinesische roth- und gelbgestreifte
Strohmatte, ein Luxus, der sich in keinem einzigen der andern Häuser
fand. Die Betten, die in einem kleinen Bambusverschlag standen, waren
reinlich _=überzogen=_ und mit schneeweißen Mosquitonetzen versehen, und
selbst die Wände waren nicht leer und ein Spiegel hing über einem
kleinen sauber polirten Tisch von inländischem Mahagoniholz, während
zwei Oelgemälde in vortrefflicher Ausführung Ansichten des wunderbar
schönen Innern von Neu-Granada darstellten.

Der Tisch war gerade zum Abendbrod gedeckt und die Chocolade dampfte in
Tassen von feinem Porcellan, während auf den Schüsseln gebratene Bananen
und Fische, frische Eier, feiner Schiffszwieback und eine dampfende
Schüssel mit Reis und gekochten Austern verriethen, daß es sich die
Bewohner auch in leiblichen Genüssen an nichts fehlen ließen. Auf dem
Tische brannten zwei Stearinlichter in Porcellanleuchtern. Dazu standen
in einem besonderen silbernen Gestell zwei junge angeschnittene
Cocosnüsse auf dem Tisch, deren süßes Wasser oder Milch als kühlendes
Getränk dienen sollte, und die Frau, eine reizende liebe Gestalt, mit
rabenschwarzen Locken und feurigen Augen, hatte gerade der Kleinen die
Serviette umgebunden und sie auf ihrem Stühlchen näher zum Tisch
gerückt, als unten vor dem Hause Stimmen laut wurden, ohne daß sie
jedoch Geschrei oder Toben gehört hätten. Es war als ob eine Menge von
Leuten mit einander flüstere oder leise spreche.

»Was ist das?« sagte die Frau, erschreckt aufhorchend. »Hörst Du nichts,
José?«

»Was wird es sein, mein Kind!« erwiderte freundlich der Mann. »Müßiges
Volk, das sich noch in der Straße herumtummelt, bis es von dem Gewitter
in die Häuser getrieben wird. Setz' Dich, Schatz! Die Chocolade wird
sonst kalt.«

»Sie kommen die Leiter herauf!« rief die Frau ängstlich. »Was können sie
in _=der=_ Zeit noch von uns wollen? Es ist so viel fremdes Volk im
Ort.«

»Gott weiß es!« erwiderte der Mann, jetzt ebenfalls aufstehend, denn die
Frau hatte Recht. »Bleib' sitzen, Adriana, mein Kind. Laß _=Du=_ Dich
wenigstens nicht stören. Bleibe Du auch hier, mein Herz, ich werde
selber nachsehen.«

»Ave Maria!« sagte plötzlich eine Stimme draußen an der kleinen
Bambusthür, die ebenfalls nur dieses eine Haus verschloß -- denn Niemand
wird in einem der südamerikanischen Länder ein fremdes Haus ohne diese
fromme Anrede betreten, wenn auch der Sinn derselben oft nicht mehr
bedeutet als der profane Anruf bei uns, ob Jemand daheim sei.

»Purisima!« erwiderte Don Jose und öffnete die Thür, aber ein kaltes,
eisiges Gefühl durchzuckte sein Herz als der Lichter Schein auf das
bleiche tückische Gesicht des Commissairs fiel, der mit einem
spöttischen Lächeln das kleine freundliche Gemach rasch mit den Augen
überflog und dann höhnisch sagte:

»Ungemein erfreut, Don José, Euch nach _=langem=_ Suchen _=endlich=_ in
Euerm stillen Asyl aufgefunden zu haben. Die Señorita doch wohl, hoffe
ich? Bedauere, wenn ich vielleicht stören sollte, aber Geschäfte, wie
Ihr wißt, Don José, dulden nun einmal keinen Aufschub.«

»Señor Fosca!« sagte Ramos fast tonlos -- und er mußte sich zusammen
nehmen, um seine Fassung zu bewahren. »Ich hatte nicht erwartet,
_=Euch=_ hier zu sehen, denn ich glaubte, daß --«

»Ich noch ruhig hinter den eisernen Gittern säße, hinter die _=Ihr=_ die
Güte gehabt, mich zu setzen, wie?« lächelte der Mann und eine fast
teuflische Bosheit zuckte über sein außerdem nicht schönes Gesicht.

»Ich that nur meine Pflicht, Señor,« erwiderte Ramos.

»Natürlich, Don José, natürlich! -- _=Mehr=_ thun wir Alle nicht. Aber
wollen Sie mich wirklich heute Abend hier an der Thüre stehen lassen?
Señorita, bitte, setzen Sie sich, Sie zittern ja, als ob Sie einen Geist
gesehen hätten.«

Ohne ein Wort zu erwidern schob ihm Don José einen Stuhl hin, auf den er
aber, mit einer höflich dankenden Verbeugung, nur zuschritt und mit der
Hand dessen Lehne ergriff, sich aber nicht niedersetzte.

»Es wird mir nicht so viel Zeit bleiben,« sagte er endlich, während er
mit tückischer Schadenfreude das Entsetzen beobachtete, das sein
Erscheinen unter den glücklichen Menschen angerichtet, »denn ich muß
heute Abend noch an Bord zurückkehren, aber die _=Pflicht=_ wird eine
angenehme, da ich die Fahrt in so liebenswürdiger Gesellschaft mache.
Señorita, ich möchte Sie bitten, etwas Wäsche zusammen zu packen, denn
Sie werden uns begleiten.«

»Ich!« rief die Frau erbebend, und ihre Wangen überzog Todenblässe. --
»Was, um der Jungfrau Willen, haben Sie vor?«

»Señor,« sagte aber Ramos, der sich die größte Gewalt anthun mußte, um
ruhig zu bleiben, -- »führt Sie eine Botschaft hierher, die Sie für
_=mich=_ haben, so bitte ich, sich direct an _=mich=_ deshalb zu wenden
-- einen unpassenden Scherz, den Sie sich mit meiner Frau erlauben,
dürfte ich nicht in der Stimmung sein, ruhig zu ertragen. Sie wissen
doch, daß Sie hier in _=meinem=_ Hause sind?«

»Señor Ramos,« erwiderte der Commissair mit seiner ewig lächelnden Ruhe,
die dem Gegner das Blut wie Feuer durch die Adern strömen machte,
»behalten Sie Ihr kaltes Blut! -- Uebrigenes kann ich Ihnen die
Versicherung geben, daß ich in diesem Augenblick zu nichts weniger als
zum Scherzen aufgelegt bin. Als ich Ihrer Frau Gemahlin sagte, sie würde
uns begleiten, sprach ich im vollen Ernst, denn ich bin hierhergekommen,
Señor Ramos, um Sie und Ihre Familie im Namen Sr. Excellenz unseres
hohen und berühmten Präsidenten Mosquera als _=Hochverräther=_ zu
verhaften und nach Buenaventura hinüber zu führen.«

»Meine Familie?« schrie Don José fast außer sich. -- »Und wenn ich
wirklich ein Hochverräther wäre, was hätte mein Weib -- mein Kind dabei
zu thun?«

»Das Kind allerdings nichts,« lächelte der Commissair, »aber die Anklage
lautet gegen Sie und Ihre Frau Gemahlin, und so leid es mir thut --«

»Hund, verruchter!« stöhnte da Ramos, der seine Wuth nicht länger
mäßigen konnte, indem er eins der auf dem Tisch liegenden Messer
aufgriff und damit auf den Buben lossprang. Fosca aber, der mit der
entschiedenen Absicht hierher gekommen war, seinen Todfeind bis zum
Aeußersten zu reizen und dann erst zu vernichten, war darauf vollkommen
vorbereitet und hatte nichts versäumt.

Bei der ersten Bewegung, die der Wüthende machte, stieß er die Thüre auf
und in dem Moment sprangen die indessen heraufgeschlichenen Soldaten --
Gesindel, das er sich selber zu dem Zweck an Bord ausgesucht -- über die
Schwelle und legten ihre Gewehre an. Die Frau fuhr in jähem Entsetzen
nach ihrem Kind, das schreiend die Aermchen nach ihr ausstreckte, aber
ihre Kräfte vermochten nicht sie länger aufrecht zu halten; sie brach
ohnmächtig zusammen und ihr Mann, alles Uebrige in der Angst um die
Gattin vergessend, ließ das Messer fallen und sprang zu, um sie zu
unterstützen.

»Bindet den Verräther!« sagte Fosca ruhig, und ehe Ramos, mit der
Ohnmächtigen beschäftigt, nur den Sinn der Worte begriff, hatten sich
ein Paar der halbwilden Burschen schon auf ihn geworfen. Während ihn der
Eine mit dem Kolben vor die Stirn stieß, daß er zur Seite stürzte,
faßten die Andern seine Arme, zwangen sie zurück und schnürten sie fest.

Für einen Augenblick herrschte jetzt eine Scene der gräßlichsten
Verwirrung in dem kleinen Gemach. Der Gefangene, der nur für einen
Augenblick betäubt gewesen war, fuhr empor und suchte sich von seinen
Banden zu befreien. In dem Ringen stürzte der Tisch um und das Kind
kreischte so laut, daß es die Mutter damit wieder zum Leben zurückrief.
-- Aber auf der Straße unten sammelten sich ebenfalls Leute, und zwar
Bewohner der Stadt, die den Señor Ramos immer nur als einen braven,
ruhigen Mann gekannt, und jetzt nicht halb zufrieden waren, ihn so
behandelt zu sehen, aber auch keinen entscheidenden Schritt gegen das
bewaffnete wilde Gesindel wagen wollten.

»Nichtswürdiger Bube!« rief da Ramos, sobald er nur wieder Athem und
Besinnung erlangte, das ganze Furchtbare seiner jetzigen Lage zu
übersehen. -- »Diebische, schuftige Canaille, aus dem Gefängniß
entsprungen, um hier Deine boshafte Rache an Unschuldigen zu üben....!«

Ein Soldat kam heraufgesprungen und flüsterte Fosca einige Worte zu. --
Die Stimmung unten wurde eine immer drohendere, und so gern sich der
Commissair vielleicht noch eine Weile länger an den Qualen der
Unglücklichen geweidet hätte, durfte er es doch nicht wagen. Er wußte
genau, wie weit er gehen konnte und daß er in der Furcht der Bevölkerung
vor einem Conflict seine beste Stütze hatte, war aber einmal der Damm
durchbrochen, so ließen sich die Folgen nicht absehn. So lag ihm denn
nur daran, der Scene so rasch als möglich ein Ende zu machen.

»Knebelt den Burschen!« sagte er finster. »Wir dürfen uns nicht länger
mit ihm aufhalten -- und dann an Bord.«

Den Soldaten selber war das ein erwünschter Befehl, denn sie fürchteten
nicht mit Unrecht, daß er ihnen das Volk über den Hals schreien könne.
Im Nu war das Knebeln geschehen, denn darin besaßen sie eine
anerkennungswerthe Fertigkeit.

Ramos befand sich wenige Secunden später machtlos in der Gewalt seiner
Feinde.

»Señor, um der heiligen Jungfrau Willen, was habt Ihr mit uns vor?« rief
die Frau. -- »Was ist geschehen, daß so Entsetzliches nöthig wurde?«

»Señorita,« sagte Fosca, dem jetzt nur daran lag, fort und an Bord zu
kommen, und der deshalb vor allen Dingen die Frau beruhigen mußte, »wenn
Ihr Herr Gemahl nicht nach einer Waffe gegriffen hätte, wäre das Alles
unnöthig gewesen. Ertragen Sie für jetzt, was sich nicht ändern läßt,
mit Geduld. Die Anklage ist allerdings erhoben und da die Regierung den
Befehl zu Ihrer Verhaftung erließ, so muß derselbe auch ausgeführt
werden. An Ort und Stelle finden Sie aber vielleicht Mittel und Wege,
sich wirksam zu vertheidigen und Ihrer Rückreise -- wenn Sie
freigesprochen werden -- steht dann nicht das Mindeste im Wege; jetzt
fort mit ihm, Ihr Leute! -- Macht rasch! Das Boot wartet. Señorita, wenn
Sie noch etwas von Ihren Sachen mitzunehmen wünschen, was Sie auf der
_=Reise=_ brauchen, so habe ich nicht das Geringste dawider. -- Alles
Andere ist Staatseigenthum und wird Ihnen erst bei Ihrer Freisprechung
in Buenaventura wieder eingehändigt.«

»Staatseigenthum?«

»Bitte, beeilen Sie sich ein wenig, denn so leid es mir thut, kann ich
Ihnen doch nur noch fünf Minuten Zeit geben.«

So völlig machtlos die Frau bei dem ersten Begreifen dessen, was sie
bedrohte, in sich zusammen gebrochen war, so vollkommen klar stand jetzt
Alles vor ihrer Seele, und das Entsetzliche, anstatt sie zu beugen,
hielt sie aufrecht. Sie sah den Gatten widerstandslos in der Gewalt der
Feinde, sah sich und ihr Kind von einem gleichen Schicksal bedroht und
fühlte, daß sie für Alle denken mußte. Mit zitternder Hand strich sie
sich die herabgefallenen Locken aus der Stirn, aber ihr Blick schweifte
fest und suchend in dem kleinen Gemach umher und haftete im nächsten
Augenblick auf der angstvollen Gestalt Antonio's, der neben dem
furchtsam zusammengekauerten Mulattenmädchen in der kleinen Hinterthüre
stand.

»Ah, Teresa,« rief sie diese an, »mach ein wenig rasch! Muchacha, wir
haben Eile. Gieb mir etwas Kinderwäsche für meine Adriana heraus -- und
für mich auch. -- Wir gehen auf Reisen. Das Mädchen darf mich doch
begleiten, Señor?«

»Bedaure sehr, Ihnen das abschlagen zu müssen, Señorita,« sagte Fosca
kalt. -- »Es ist nicht Sitte, daß Gefangene Dienerschaft mitnehmen, und
der Raum auf dem Schooner ist ohnedieß außerordentlich beschränkt.«

»Die Reise wird nicht lange dauern?«

»Höchstens zwei Tage. Wir laufen vor dem Wind nach Buenaventura hinauf.«

»Gut denn! Wie Gott will! Hier, Teresa -- still, mein Herz, weine nicht
-- die Mama bleibt bei Dir -- hier, Teresa, diese Sachen packe in die
kleine chinesische Kiste -- dies auch noch -- hier ist noch ein
Kleidchen für Adriana --«

Sie war an den Schreibtisch ihres Mannes getreten und hatte dort aus
einer der Schiebladen ein kleines Kästchen genommen, das sie mit ihrem
Körper so verdeckte, um es vor den Blicken des Commissairs zu verbergen.
Ihr Auge suchte dabei Antonio und der schlaue Schwarze begriff
augenblicklich, was sie wollte. Als sie an ihm vorüberging, hatte sie es
ihm gereicht und er es auch schon mit einer raschen Bewegung hinter sich
und hinaus in das Dunkle geschafft.

»Madame erlauben mir vielleicht, daß ich Ihnen behülflich bin,« sagte da
vortretend Fosca, -- »es versteht sich von selbst, daß Sie alle
_=Werthsachen=_ ausliefern, um den _=Staat=_ für etwaige entstehende
Unkosten zu decken.«

»Ich verstehe,« sagte die Señora kalt. -- »Sie haben volle Freiheit
hier, Señor --«

»Wo ist der Mulatte, der da noch eben in der Thüre stand?«

»Haben Sie Auftrag, auch _=ihn=_ wegen Hochverrathes zu verhaften?«
fragte die junge Frau mit einem bitteren Lächeln.

Fosca schritt rasch der kleinen Hinterthüre zu, aber der Mulatte war
verschwunden und über die schwanken Bambusstäbe, die da draußen die
Brücke zu dem Hintergebäude bildeten, wagte er nicht, ihm zu folgen.
Ohne Weiteres machte er sich dagegen über die wenigen Schränke her. Von
dem Bette riß er ein Tuch herunter und breitete es auf den Boden, dann
warf er darauf, was ihn des Mitnehmens werth dünkte, band es zusammen
und gab es einem der Soldaten zum Tragen. Aber er schien noch nicht
befriedigt, denn er hatte bis jetzt kein baares Geld gefunden und wandte
sich deshalb an die Frau.

»Nehmen Sie, was Sie finden,« sagte diese verächtlich, »und verlangen
Sie nur nicht, daß ich Ihnen suchen helfe. -- Ich wüßte übrigens nicht,
daß der Staat seine Beamten zum _=Plündern=_ in die Häuser schickt.«

Fosca durchwühlte noch eine Zeitlang alle Fächer, aber die Zeit mochte
ihm selber dabei zu lang währen. Vor Allem mußte er seine Gefangenen an
Bord und in Sicherheit schaffen -- nachher konnte er ja noch immer
hierher zurückkehren. Indessen beorderte er zwei von den Soldaten, auf
Wacht zu bleiben und Niemanden hinauf zu lassen. Zwei Andere trugen
indessen den Gefangenen zur Treppe, wo andere standen, sie zu
unterstützen. Aber Ramos richtete sich hier auf und stieg selber die
Stufen hinab. Widersetzlichkeit hätte auch nichts geholfen und ihn
selber nur den Mißhandlungen der Buben ausgesetzt.

Vor dem Hause hatten sich indeß eine Menge von Menschen versammelt, und
untereinander flüsterten die Leute und bedauerten die arme Frau und das
Kind, aber Niemand wagte ihnen thätlich beizustehen. Wer konnte auch
wissen, welches furchtbare Verbrechen die Beiden begangen hatten!




Sechstes Capitel.

Der Succurs.


»Hallo, Renard! Noch dunkel hier?« riefen die erst Eintretenden den
Franzosen an. -- »Was, zum Teufel! treibt Ihr? Ist das Oel ausgegangen?«

»Einen Augenblick, Señores, einen Moment nur!« rief Renard, geschäftig
um seinen Ladentisch herumeilend, um Licht zu machen, denn die eine
düster brennende Lampe erhellte den Raum nicht zum dritten Theil. »Bin
ja selber erst jetzt nach Hause gekommen. Alle Wetter! An solchen Tagen
kann man doch nicht daheim sitzen und die Welt eben treiben lassen was
sie will.«

»Unseren Alkalden begreife ich nicht, daß er diesen -- Señor hier nach
Herzenslust wirthschaften läßt,« riefen die Vordersten, als sie von der
Frontthüre aus das Haus betraten. -- »Es ist schändlich, die arme Frau
so zu behandeln. _=Die=_ hat doch wahrhaftig keinen Hochverrath
begangen.«

»~Quien sabe, compañero~« sagte ein Anderer. »Es passiren wunderliche
Dinge in der Welt, und was hätten wir machen wollen? Uns der neuen
Regierung widersetzen? -- Eine hübsche Bande von Soldaten haben sie
mitgebracht und was für ein Gewissen hätten sich _=die=_ Kerle daraus
gemacht, unter uns hinein zu schießen. Renard, ein Glas von Eurem besten
Cognac. Mir ist die Geschichte in den Magen gefahren, und ich muß sie
hinunterspühlen.«

»Was ist denn vorgefallen, Señores?« fragte Renard neugierig gemacht,
indem er die beiden Oellampen rasch angezündet hatte und die
Cognacflasche mit Gläsern auf den Ladentisch stellte.

»Ach was? Nichts!« sagte der Postmeister, der von der andern Seite kam.
-- »Mir auch die Flasche! Nichts, als daß sie diesen Señor Ramos endlich
abgefaßt haben und ihn nun mit nach Buenaventura nehmen. Ich habe dem
Burschen nie getraut, denn er that immer viel zu geheimnißvoll und
wollte mit Keinem von uns Umgang haben.«

»Aber was hat die Frau damit zu thun, Don Gaspar?« redete ein anderer
den Postmeister an. »Die und das arme Kind auf ihren schmierigen
Schooner und zwischen all' das Gesindel zu schleppen, ist doch mehr als
grausam und der Präsident weiß sicher nichts davon.«

»Was geht's uns an? Das ist _=ihre=_ Sache!« brummte der noch vor
wenigen Stunden so wüthende Nationalitätsvertheidiger. -- »_=Wir=_ haben
genug mit unseren eigenen Angelegenheiten zu thun.«

»Hülfe, Señores! Hülfe um des Himmels Erbarmen Willen!« rief ein junger
Mulattenbursche, der in die Thüre gestürzt kam und sich verstört in dem
Raume umsah. -- »Meinen armen Herrn, meine arme Señora und das kleine
liebe Kind haben sie fortgeschleppt und wollen sie in's Gefängniß
stecken! O, helfen Sie, helfen Sie! Señor Ramos so ein guter, braver
Mann -- so eine gute, brave und schöne Dame! Es ist ja schrecklich!«

»Ach was! Mache daß Du fortkommst, Braunfell!« schrie ihn der
Postmeister an, der übrigens nicht _=viel=_ lichter war wie Jener
selber. »Wenn Deine Herrschaft nichts verbrochen hat, wird ihr auch
nichts geschehen, und _=hat=_ sie sich etwas eingebrockt, nun gut, dann
bekommt sie jetzt Gelegenheit es auszuessen.«

»Es ist eigentlich eine wunderbare Geschichte, Don Gaspar,« sagte ein
Mann, der einen kleinen Schooner hatte und mit diesem gewöhnlich Fahrten
zwischen der Insel und den übrigen Küstenstrichen machte, »daß man den
Ramos einsteckt, der beim Ansegeln der Fahrzeuge ruhig in seinem Hause
saß, und _=Euch=_ frei laufen ließ, der Ihr die Mannschaft nicht allein
gegen den Usurpator -- wie Ihr ihn nanntet -- aufgeboten, nein, sogar
Eure furchtbare Kanone auf die _=Feinde=_ abgefeuert habt und jetzt seid
Ihr auf einmal ein Herz und eine Seele mit der Gesellschaft --«

»Kümmert Euch um Euch selber!« rief Don Gaspar, dem das Gespräch nicht
angenehm zu sein schien. -- »So lange wir noch nicht wußten, daß wir es
mit einer rechtmäßigen Regierung zu thun hatten, waren es unsere Feinde,
und ich glaube, ich habe bewiesen, daß ich mein Leben und Blut für mein
Vaterland wagen kann. Wie aber die Sache jetzt steht, mit einem
wirklichen Regierungs-Commissair an Bord, der ordentliche Vollmacht vom
Präsidenten hat --«

»Die aber noch Keiner von uns zu sehen bekommen,« unterbrach ihn der
Andere wieder.

»Er braucht sie auch nicht _=Jedem=_ unter die Nase zu reiben!« rief der
kleine Mann ärgerlich, »und wir sollten froh sein, daß wir endlich
geregelte Verhältnisse bekommen, denn diese ewigen Revolutionen bringen
uns nur hier Gefahr und können uns nie etwas nützen.«

»Schöne geregelte Verhältnisse das,« sagte der Erste wieder, »wenn man
friedliche Familien Nachts aus ihren Häusern holt und auf das erste
beste Schiff schleppt!«

»Verbrecher müssen auch wie Verbrecher behandelt werden,« rief Don
Gaspar, sein ausgetrunkenes Glas auf den Tisch stoßend. »Ehrliche Leute
haben sich weder davor zu fürchten, noch sich darum zu kümmern.« Und
seinen Hut auf das eine Ohr schiebend verließ er rasch das Haus.

»_=Ehrliche=_ Leute!« lachte der Schoonermann hinter ihm her. --
»Prachtvolle ehrliche Leute, die, alle Beide! -- Weil der eine Lump
Steuerdefraudationen begangen hat, mußte er bei Nacht und Nebel fort von
hier, und weil er den Anderen nicht verrathen, muß der jetzt durch Dick
und Dünn mit ihm, wenn er sich nicht selber an den Pranger stellen
will.«

»~Oh por amor de Dios~, helft meiner armen Herrschaft!« bat der
Mulatte noch einmal. -- »Hat mein armer Herr jemals einen Menschen
gekränkt? -- Hat die gute liebe Dame nicht vielen, vielen Armen
Wohlthaten erzeigt, und war sie nicht immer _=lieb=_ und freundlich
gegen Jeden, Jeden?«

»Ja, mein braver Bursche,« sagte der Schoonermann, »das ist Alles recht
schön und gut, aber so viel ich weiß, haben sie sie schon an Bord des
Schiffes und was können _=wir=_ da machen?«

»Ach nein, Señor,« rief der Mulatte rasch, -- »das Boot war abgefahren
-- Señor Fosca konnte nicht fort -- er war sehr böse und hat sie jetzt
so lange unter das Haus des Alkalden gethan -- einen Platz, wo sich
sonst die Kühe und Schweine aufhalten. -- Meine arme, arme Señora!«

Stimmen wurden laut draußen und sechs oder acht der Schiffssoldaten
drangen in den Raum.

»Hallo, Señores!« sagte Monsieur Renard. -- »Was wünschen Sie? Auf der
Jagd nach Hochverräthern, wie?«

»Ein Officier ist von unserem Schiff entflohen,« sagte der Eine der
Leute barsch, »ein Franzose, einer von Euren Landsleuten und wir sollen
hier nachsuchen, ob er sich nicht in Eurer Wohnung aufhält. Ist er da,
so gebt ihn heraus, denn er kann nicht fort. Unsere beiden Boote
kreuzen an der anderen Seite und wir müssen ihn wieder haben. Almirante
hat 50 Dollar geboten, wer ihn wiederbringt.«

»~Peste!~« murmelte Monsieur Renard leise zwischen den Zähnen, während
die übrigen Gäste den Laden verließen, um mit dem braunen wilden Volk in
keine Berührung zu kommen. -- »Aber, Señores, hier ist er nicht, so viel
sehen Sie, er müßte sich denn während meiner Abwesenheit _=oben=_
versteckt haben. Bitte, gehen Sie hinauf und durchsuchen Sie das ganze
Haus. Ich würde nie einen Deserteur beherbergen.«

»O du lieber Himmel!« stöhnte der arme Mulatte und stützte sich mit dem
Ellenbogen an das nämliche Faß, in dem Baptiste versteckt lag, »wer wird
meiner armen Herrschaft helfen?«

»Kommen Sie nur, Señores,« sagte Renard, dem jetzt nur daran lag, die
Leute aus dem Laden zu bringen, weil er sich ziemlich sicher wußte, daß
sein Landsmann die ihm vergönnte Zeit zur Flucht benutzen würde. Die
Soldaten, in der Hoffnung, den Entsprungenen zu finden, folgten ihm auch
rasch; kaum hatten sie aber den unteren Raum verlassen, als Antonio, wie
von einer Schlange gestochen, zurückschrak, denn aus dem Fasse heraus
ergriff eine Hand seinen Arm -- aber eine Stimme flüsterte gleich
darauf:

»_=Ich=_ helfe Dir, Camerad! Komm!« Mit _=einem=_ Satze war der Franzose
aus seinem Verstecke heraus, ergriff das Ruder, nahm, ohne besonders
wählerisch zu sein, noch ein anderes von den dort lehnenden, das er dem
Mulatten in die Hand drückte und zog den armen Teufel, der gar nicht
wußte, was er von dem Allem denken sollte, mit sich und durch die
Hinterthüre in's Freie hinaus.

Er bedurfte keiner langen Zeit, um sich mit dem Mulatten zu
verständigen.

»Kennst Du mich nicht mehr, Tonio?«

»No, Señor! -- Es ist dunkel --«

»Hast Du Baptiste vergessen?«

»O Señor Batista -- unsere arme Señora --«

»Komm, mein Bursche! So lange Leben da ist, so lange ist Hoffnung, und
wenn wir nicht zu helfen vermögen, so können wir dem schurkischen Fosca
wenigstens ein Messer in den Giftbalg rennen. Ich bin heute Abend gerade
bei Laune. Hast Du ein Canoe?«

»Ein gutes, großes Canoe -- läuft wie der Wind.«

»Können wir damit in See gehen?«

»In See? -- Ich weiß nicht -- große Wellen in See.«

»Bah! Besser ersoffen als nach Buenaventura,« sagte Baptiste. -- »Wo
liegt Dein Canoe?«

»Gleich dort drüben an dem Sandbluff.«

»Wenn wir nur Jemanden hätten, der bereit stände.«

»Teresa!« sagte der Mulatte rasch.

»Gut -- und noch ein Ruder soll sie mitnehmen. Fort mit Dir! Ich bleibe
hier so lange unter dem Hause, bis Du zurückkommst.«

Der Mulatte flog mehr als er ging die Straße hinab und Baptiste drückte
sich in den Schatten des nächsten Ueberbaues, wo er auch eine Entdeckung
nicht zu fürchten hatte, denn um alle _=die=_ Plätze abzusuchen, würden
die Soldaten eine ganze Nacht gebraucht haben. Antonio blieb aber auch
nur wenige Minuten.

»Was nun, Master? -- Was können wir zwei gegen alle die Soldaten
ausrichten? -- Sie werden _=uns=_ todtschießen und die arme Señora doch
mit fortschleppen.«

»_=Was=_ wir machen können, Camerad, weiß ich selber noch nicht,« lachte
Baptiste in tollem Uebermuth. »Das muß der Augenblick geben. Ich fühle
mich aber aufgelegt, mit einer ganzen Rotte der feigen Schufte
anzubinden, und kann ich die Unglücklichen nicht befreien, so liefere
ich mich selber wieder an den Schooner aus, denn sie sollen _=die=_
Reise nicht ohne einen Freund an Bord machen.«

»_=Sie=_ sind von dem Schiffe entflohen?«

»Bst, Camerad! Jetzt ist keine Zeit zum Geschichten erzählen. Wo ist des
Alkalden Haus?«

»Gleich dort drüben. Sowie wir um diese Ecke biegen, liegt es vor uns.«

»So komm!« flüsterte Baptiste. -- »Wenn ich erkannt werden sollte und
fliehen müßte, findest Du mich gleich nachher unter dem nämlichen Hause
wieder, wo ich eben auf Dich gewartet habe. Die Schufte werden auch das
ganze Haus geplündert haben.«

»Das Beste hat die Señora gerettet,« rief Antonio rasch, »ein Kästchen,
das sie mir zum Aufheben gegeben.«

»Und wo ist das?«

»Teresa nimmt es mit zum Canoe.«

»Bravo, mein Junge! Das war gescheit und nun vorwärts.«

In der Straße, in welche sie einbogen, war Alles todtenstill und
Baptiste blieb zögernd stehen. -- Die Gefangenen mußten schon
fortgebracht sein, denn sie hätten sonst wenigstens Soldaten sehen
müssen. Antonio ergriff seinen Arm und drückte ihn leise.

»Bleibt hier einen Augenblick,« flüsterte er, »ich bin gleich zurück!«
und wie ein Pfeil glitt er über die dunkle Straße hinüber und dann dicht
an der anderen Seite hin, bis zu des Alkalden Haus. Aber schon nach
wenigen Secunden kehrte er zurück. Kein Mensch war mehr dort zu sehen,
die Gefangenen mußten schon an Bord geschafft sein.

»Dann sei Gott uns gnädig!« flüsterte Baptiste zwischen den
zusammengebissenen Zähnen durch. »Ich habe mein Wort gegeben, und beim
Himmel, ich will es halten.«

»Was wollt Ihr thun, Señor?«

»Ich kehre an Bord zurück. Allein und freudlos sollen die armen Menschen
ihren Feinden nicht überantwortet werden. Wo liegt Dein Canoe?«

»Gleich dort drüben, Señor, etwas oberhalb der Schiffe. O meine arme,
arme Señora!«

»Wo stand ihr Haus früher?«

»Wenn wir durch diese Gasse gehen, kommen wir daran vorbei. -- O so
schön war es dort! So lieb und freundlich, bis die bösen, bösen Menschen
kamen.«

»Fort! fort! Wir dürfen hier nicht länger zögern. -- Komm dort vorbei,
vielleicht hören wir noch etwas von ihnen. Was liegt auch daran, ob ich
der Patrouille begegne.« Und mit raschen Schritten, fast in einem halben
Lauf, rannte er die Gasse hinab, mit Antonio an seiner Seite.

»Dort liegt das Haus.«

»Da ist noch Licht darin,« rief Baptiste überrascht.

»Sie werden es völlig plündern. Señor Fosca läßt nichts zurück, denn
seit ihn mein Herr in Bogota wegen Unterschlagung und Betrug in's
Gefängniß werfen ließ, hat er eine furchtbare Wuth auf ihn bekommen.«

»Also deshalb? Wahrhaftig, sie tragen Sachen herunter. Komm, Antonio,
wir wollen ihnen helfen.« Und rasch entschlossen, wie er immer war,
schritt er, von dem Mulattenburschen aber nur scheu gefolgt, gerade über
die Straße hinüber, wo er einen Soldaten mit einem Pack traf, während
der andere gerade wieder die Leiter hinaufstieg.

»Aber Muchachos,« redete er den Burschen wie ärgerlich an, -- »was
vertrödelt Ihr die Zeit hier auf eine so nichtswürdige Weise? Wißt Ihr
nicht, daß sie an Bord auf Euch warten?«

»Pero Señor!« sagte der Bursche ganz erstaunt seinen Offizier ansehend.
-- »Sind Sie denn nicht fortgelaufen? Caracho! Sie werden doch in der
ganzen Stadt gesucht!«

»Du faselst wohl?« rief Baptiste. »Marsch mit Euch! Der Commissair wird
wüthend werden.«

»Aber der Commissair hat uns ja eben erst noch einmal heraufgeschickt.
Er will Alles mitnehmen, ehe er die Gefangenen an Bord schafft.«

»Hat er die _=noch=_ nicht drüben?« rief der Franzose wie ärgerlich,
»das ist ja rein zum rasend werden mit der Langweiligkeit. Wer ist noch
bei ihm?«

»Weiter Niemand als sechs von unseren Leuten, zum Rudern und zur
Bewachung.«

»Aber ein Boot hat er doch?«

»Ja, von der Galeotte ist eins herübergeschickt. Das ist eben die
Mannschaft, denn die Anderen sind den Fluß hinauf, weil sie glaubten,
daß _=Sie=_ nach Ecuador hinüber wollten.«

»Ich nach Ecuador? Unsinn!« rief Baptiste, mit wenigen Schritten die
Stufen hinauffliegend. Dort überraschte er den zweiten nicht minder als
seinen Cameraden, durch sein Erscheinen, aber er ließ ihn gar nicht zu
Worte kommen.

»Fort mit Dir, Bursche!« rief er. »Die Zeit vergeht! Wir müssen zum
Boot!« Ohne Weiteres das Bettzeug von einem der Gestelle nehmend, trug
er es an die Treppe und warf es hinunter. -- »Hier, Antonio, trage das!«
-- Dann griff er das andere auf, hob es sich auf den Kopf, und folgte
damit ebenfalls.

Der Soldat wagte natürlich keinen Einspruch. Wie konnte er auch? Daß
sein Vorgesetzter den Befehl in die Hand nahm, verstand sich von selbst,
und daß es geheißen hatte, er sei desertirt -- lieber Gott! an Bord der
Schiffe herrschte überhaupt so viel Confusion, daß ein solcher kleiner
Mißgriff nicht einmal zu den Unwahrscheinlichkeiten gehörte. Daß aber
der Offizier solche Eile hatte, beunruhigte ihn, denn die Soldaten
trauten noch immer dem Frieden nicht in der Stadt. War etwas
vorgefallen? Wenn sie hier abgeschnitten und beim Plündern eines Hauses
gefaßt wurden, konnte es ihnen schlecht gehen. In aller Hast griff er
auf, was ihm gerade unter die Hände kam, und folgte den Vorangegangenen,
die schon unterwegs nach dem Boote waren.




Siebentes Capitel.

Der Commissair in der Falle.


In einer entsetzlichen Lage waren indessen die unglücklichen Gefangenen,
die, ganz der Willkür ihres Henkers anheim gegeben, den rohen Scherzen
und dem Spott der Soldaten zur Zielscheibe dienen mußten, damit diese
sich die müßige Zeit am Ufer vertreiben konnten. Fosca hinderte sie auch
nicht daran und Señor Ramos knirschte machtlos seine Zähne zusammen. Er
konnte nichts dagegen thun. Mit auf den Rücken gebundenen Händen lag er
hinten im Boot, während neben ihm im Heck, die Steuerreeps in der Hand,
der Commissair Platz genommen hatte. Die Frau kauerte mit dem Kinde in
der Mitte des Bootes, neben ihren dort aufgehäuften Habseligkeiten, und
ihre stillen Thränen netzten die Wangen der Kleinen, während sie ihr
liebe Worte gab, sie zu beruhigen suchte und ihr Trost zusprach --
Trost, der ihr selber fehlte.

Der Commissair war schon fast ungeduldig geworden, denn wenn auch seine
eigene Habgier die Leute noch einmal hinauf geschickt hatte, um so viel
als möglich mit fortzuführen, fing die Zeit ihm doch an lang zu werden.

Die Soldaten schlenderten indessen am Ufer auf und ab, als einer von
ihnen die Ankunft der Erwarteten meldete.

»Nun endlich!« rief ihnen Fosca schon von weitem entgegen. »Das hat
lange gedauert. Macht, daß Ihr herein kommt. Aber wozu schleppt Ihr den
ganzen Plunder mit herunter? Wer hat Euch gesagt, daß Ihr die Betten
mitnehmen sollt? Wir haben ja nicht einmal im Boote Platz. Werft die
Lumpen dort auf den Sand und legt nur das Andere herein.«

»Bitte um Entschuldigung, Señor Comisario,« lachte Baptiste, indem er
seine Ladung, _=gegen=_ den Befehl, in das Boot warf und dann Antonio's
ebenfalls abnahm und den ersten folgen ließ; »es ist eine alte Regel,
beim Ausräumen nichts zurückzulassen, und da die Gefangenen doch
unterwegs wahrscheinlich auch schlafen wollen, brachte ich mit, was mir
unter die Hände kam.«

»Caramba!« rief der Commissair erstaunt. »Señor Batista? Ich meinte, die
ganze Mannschaft sei hinter Ihnen her, um Sie wieder einzufangen!«

»Das ist prächtig,« lachte der Franzose. »Dasselbe haben mir schon die
Burschen gesagt. Wenn ich also auf speciellen Befehl des Admirals in der
Stadt herumlaufe, um einige Aufträge auszuführen, hetzt der Steuermann
die Soldaten hinter mir drein, um mich wieder einzufangen. Kostbare Idee
das! -- Aber rasch, Jungens, das Wasser fällt schnell, die Ebbe muß bald
ausgelaufen sein und wir bleiben auf trockenem Sande sitzen. Holzköpfe,
Ihr, seht Ihr nicht daß das Boot schon aufsitzt? Angefaßt da! Rasch,
damit wir es wieder flott bekommen!«

Die Thatsache ließ sich nicht leugnen und die Soldaten, völlig beruhigt
darüber, daß ihr Officier _=nicht=_ hatte weglaufen wollen -- er wäre
sonst doch wahrhaftig nicht freiwillig wieder gekommen -- sprangen in
das Wasser und schoben das Boot zurück, bis es wieder flott wurde.

»Wir haben hier nicht alle Platz!« rief der Commissair.

»Das ist richtig. Dann bleiben die Soldaten zurück, bis wir das Boot
wieder herüber schicken können.«

»Das geht nicht,« beharrte Fosca. »Ich muß Wache bei dem Gefangenen
haben.«

»Dann wird doch wohl noch ein Canoe aufzutreiben sein,« sagte Baptiste.
-- »He, Bursche, hast Du kein Canoe in der Nähe?«

»Gleich hier oben, Señor,« rief Antonio, an den die Frage gerichtet war.

»Dann hole es, schnell!«

Der Mulatte verschwand wie ein Schatten in der Nacht.

»Wer war der?« fragte der Commissair.

»Ein Bursche, der uns heute Abend noch frisches Fleisch herüber liefern
soll. Er muß mit an Bord, um den Auftrag zu erhalten.«

Ein eigener wilder Plan zuckte durch des Franzosen Hirn. Noch war es
vielleicht möglich die Unglücklichen zu retten, wenn er den größten
Theil der Soldaten beseitigen konnte. Aber wie? Gewohnt jedoch, Alles
dem Augenblick zu überlassen, sprang er jetzt ebenfalls in das Boot,
angeblich um das Gepäck zu ordnen, in Wirklichkeit, um es so zu
vertheilen, daß so wenig als möglich Menschen darin sitzen konnten.

Die Gefangenen hatten ihn gar nicht beachtet und noch viel weniger in
der Dunkelheit erkannt. Waren doch auch Jahre verflossen, daß sie seine
Stimme gehört, die damals, von Krankheit geschwächt, auch matt und hohl
genug geklungen hatte. Und wie konnten sie ihn an Bord hier und unter
denen vermuthen, die im Begriff waren, ihr ganzes Lebensglück zu
zerstören!?

Von oben den Canal herunter kam jetzt das Canoe gerudert und lief im
nächsten Augenblick etwa zehn Schritt von dem anderen auf den Sand.

»Hallo! Was ist das für ein Frauenzimmer da drin?« rief der Commissair.

»Die Wäscherin, Señor, die an Bord soll und die ich dort oben fand,«
erwiderte Antonio rasch gefaßt, und Ramos zuckte unwillkürlich zusammen,
denn _=jetzt=_ hatte er seines treuen Burschen Stimme erkannt. Aber
Baptiste rief, auf die Idee eingehend:

»Zum Henker und wegen der bin ich eine volle Stunde in dem dunklen Nest
und drüben an der Punta herumgehetzt! Ich glaubte schon, der Admiral
würde mir alle Wetter auf den Hals fluchen, wenn ich sie nicht
mitbrächte. Aber hinein hier mit ihr in das Boot! Die darf ich nicht
drüben bei den Soldaten lassen.«

»Hier in das Boot geht sie nicht mehr,« rief der Commissair dazwischen.
»Caramba! Mann, wen und was wollt Ihr denn nicht _=noch=_ hereinpacken?«

Baptiste war nicht gesonnen, seinen einmal gewonnenen Vortheil
aufzugeben. _=Jetzt=_ mußte er mit dem _=Boote=_ fliehen -- das war die
letzte Möglichkeit eines Erfolges, und da er mit dem Canoe nie hätte
wagen dürfen, schwer geladen in die offene See hinauszusteuern, so bot
das Boot, so mittelmäßig es auch sonst sein mochte, doch unendlich mehr
Sicherheit. Ohne deshalb auch weiter den Befehl des Commissairs zu
beachten und das Mulattenmädchen, das schnell an Land gesprungen war,
selber in den Bug des Bootes hebend, sagte er:

»Ueberlassen Sie das Alles mir, verehrter Herr! _=Ich=_ bringe Sie
sicher hinüber, denn mir liegt selbst daran, von der Sache abzukommen.
Auf einem Kriegsschiff macht man nicht gern den Polizeidiener und
Büttel. -- He, kannst Du rudern, Bursche?«

»Gewiß, Señor,« erwiderte Antonio.

»Dann marsch hinein mit Dir und stoß ab! Halt, für das Canoe sind zu
viel Leute! Zwei können noch mit hier herein.«

»Wenn Sie nicht den ganzen Platz verpackt hätten,« rief der Commissair
unwillig. »Werft doch den Plunder über Bord.«

»Gut, dann legt Eure Gewehre hier herein. Gebt sie her! Herr Commissair,
bitte um ein wenig Raum.« Und die Gewehre der Leute nehmend, trug er sie
selber, das Wasser nicht achtend, hinter nach den Steuerreeps.

»Und wie soll ich jetzt steuern?« fragte Fosca ärgerlich.

»Das besorge ich selber. Jetzt vorwärts! Einer von Euch noch herein. Du
hier, Pedro!« sagte er, einen kleinen schwächlichen Burschen aus dem
Trupp ergreifend. »Setze Dich da vorn hin und rudere aus Leibeskräften.
Nun ab! Kommt mit dem Canoe nach, so rasch Ihr könnt.«

Die Soldaten waren ganz verdutzt. Wenn ihnen aber das hastige,
fremdartige Benehmen ihres Officiers auch auffiel, konnten sie doch
nichts dagegen thun, denn er war einmal ihr Vorgesetzter, und so lange
es sich der Commissair gefallen ließ, durfte es _=ihnen=_ auch recht
sein.

»Caracho, Señor!« lachte der Eine. »Die Señorita hätten Sie uns
ebensogut im Canoe lassen können. -- Sie haben ja schon eine an Bord.«

»Nichts für uns Beide, Camerad!« rief ihm der Franzose zu, während er,
von Antonio kräftig unterstützt, das Boot mit dem Ruder hinaus in tiefes
Wasser stieß. Dort wirkte schon die Strömung und sie mußten zu den
Rudern greifen.

»Bitte, Señor,« sagte dann Baptiste, indem er ziemlich rücksichtslos
über die Gefangenen hin nach hinten stieg und sich zu dem gebundenen
Ramos niederbog, »der Señor hier liegt mir im Wege. Steuern _=Sie=_
einmal einen Augenblick.«

»Ja steuern!« brummte der Commissair. »Alle Gewehre liegen auf den
Reepen.«

»Fassen Sie nur das Ruder mit der Hand an. Sie wissen sich doch sonst
immer so vortrefflich zu helfen, Señor.«

Der Ton, mit dem dieses gesagt wurde, frappirte den Neu-Granadienser,
aber er mußte in der That das Steuer etwas aufdrehen, wenn das Boot
nicht mit der Strömung zu weit hinabgetrieben werden sollte. Er erhob
sich zu dem Zweck, kniete auf den Sitzbord und richtete das Ruder.

»Muth!« flüsterte in demselben Moment Baptiste dem Gefangenen zu und
Ramos fühlte, wie ein scharfes Messer seine Bande durchschnitt. Seine
Arme wurden frei.

»Und nun legt Euch in die Ruder, Burschen!« rief der Franzose, sich
wieder aufrichtend, den beiden Leuten zu, indem er selber zum
Steuerruder ging und die Gewehre so zurückschob, daß er zwischen sie und
den Commissair zu sitzen kam.

»~Guarda se, Señor~,« sagte der Soldat, »sie sind alle geladen.«

»Ich weiß es. Nehmt Euch nur beim Aussteigen damit in Acht, daß Keiner
an dem Hahn hängen bleibt. So, Señor Comisario, jetzt werde ich Sie
ablösen. Haben Sie die Güte und rücken Sie noch ein klein wenig
hinüber.«

»Halten Sie nicht zu tief! Die Strömung ist hier sehr stark und wir
treiben sonst vorbei,« sagte Fosca, als er sah, daß der Franzose den Bug
mehr abfallen ließ.

»Nur keine Angst, Señor,« lachte dieser in der Erregung des Augenblickes
und das Herz klopfte ihm, als ob es ihm die Brust zersprengen wollte.
»Ich verfehle mein Ziel nicht, und passen Sie auf, was für eine
angenehme Fahrt wir haben.«

»Sie treiben wahrhaftig zu weit nach unten! Caracho, Señor! Können Sie
nicht steuern? Sehen Sie doch, wie das Canoe hält.«

»Ja, mein bester Señor,« lachte Baptiste -- sie waren dem Canoe
wenigstens hundert Schritte voraus. »Die Leute da drüben wollen auch an
_=Bord=_, wir aber sind im Begriff, eine kleine _=Seefahrt=_ zu machen.«

»Eine Seefahrt?« rief der Commissair, erschreckt von seinem Sitze
aufspringend. -- »Verrath!«

Er hatte das Wort noch nicht ganz heraus, als ihm Baptiste's Finger den
Hals wie in einem Schraubstock zusammenpreßten.

»Señor Ramos,« rief er dabei, »auf und an Ihr Ruder! Du, Pedro, nach
vorn! Die geringste Bewegung die Du machst, und ich jage Dir eine von
den Kugeln durch den Leib -- oder halt! Willst Du rudern, so rudere, was
Du rudern kannst, und es soll nachher Dein Schade nicht sein, aber bei
dem geringsten Zeichen von Verrath bist Du eine Leiche!«

»Ja, Señor, gewiß -- wenn ich muß.«

»Du mußt! Antonio, bei der ersten falschen Bewegung, die er macht,
rennst Du ihm Dein Messer in den Leib und wirfst ihn über Bord. Rudere
jetzt! Stärker! Caramba, es ist für Dein Leben, Patron, denn wenn wir
eingeholt werden, massakrire ich Dich selber.«

»Hallo!« schrien jetzt die im Canoe befindlichen Soldaten hinter ihnen
her. »Weiter hinauf! Ihr verfehlt das Schiff.«

»Bube!« zischte der gefangene Commissair unter dem furchtbaren Griff
seines Nachbars durch die Zähne, und sich dann mit äußerster
Kraftanstrengung frei machend, schrie er in einem wahren Aufkreisch um
Hülfe. Aber es war nur ein einziger Ruf, den er ausstoßen konnte, denn
Baptiste, der das Steuer nicht loslassen konnte, hatte nur einen Moment
in seinem Griffe nachgelassen. _=Der=_ Gefahr durften sie sich nicht
aussetzen und ehe der Ueberlistete einen zweiten Schrei ausstoßen
konnte, traf ihn die geballte Faust des kräftigen Franzosen so
eisenstark gegen die Schläfe, daß er, wie von einer Kugel getroffen,
zusammenknickte.

»Jetzt binden und knebeln Sie ihn, Señor!« rief er Ramos zu. »Rasch! Um
unser aller Leben, denn wirkliche Gefahr erwartet uns erst, wenn sie auf
den Schiffen mißtrauisch werden.«

Es bedurfte keiner Worte weiter. Ramos begriff ihre Lage besser als
irgend ein Anderer, wenn er sich auch noch nicht denken konnte, wer sein
Befreier sei. Es war auch keine Zeit zu fragen, und mit einem Stück des
Seils, mit dem er selber gebunden gewesen, schnürte er dem noch
Bewußtlosen die Glieder zusammen und zwang ihm dann das Halstuch seines
Kindes zwischen die Zähne in den Mund.

Sie trieben jetzt, ungefähr noch 120 Schritte von dem nächsten Schiff
entfernt, an diesem vorbei.

»~Ahoy the boat!~« schrie Mr. Culpepper's Stimme von dort herüber. --
»Was für ein Boot ist das? Wohin wollt Ihr?«

Keine Antwort erfolgte. Baptiste wußte nicht gleich, was er erwidern
sollte, oder fürchtete, sich durch seine Stimme zu verrathen.

»Boot hinab! Rasch! Hinunter mit Euch, Ihr Jungen! Die besten Ruderer
hinein und vier Mann mit Gewehren, hinter dem Boot dort her! Gebt Feuer,
wenn sie nicht halten und dann rasch wieder geladen!«

Die Worte hallten deutlich von dort herüber.

»~Diable!~« murmelte Baptiste vor sich hin. -- »Mit zwei Rudern kommen
wir nicht aus der Stelle. Señor, Sie müssen mit helfen. Rasch, greifen
Sie ein Ruder auf, um Ihr Leben. Oder können Sie steuern? Ich habe mehr
Kraft.«

»_=Ich=_ kann steuern,« sagte da die junge Frau, die vor Aufregung
zitternd die letzten Vorgänge beobachtet, aber noch nicht gewagt hatte,
eine Frage zu thun, ein Wort laut werden zu lassen. Wie ein Traum kam
ihr das Ganze vor, und der Uebergang von dem furchtbarsten erdenkbaren
Elend und Jammer zu Freiheit und Leben war ihr so überraschend schnell,
so unerwartet, nie mehr gehofft gekommen, daß sie noch immer nicht
daran glauben mochte. Jetzt aber, wo ihre eigene Kraft und
Geschicklichkeit ihnen nützlich werden konnte, brach sie das Schweigen.

»Brav, Señora, brav!« rief Baptiste jubelnd aus. »Das giebt uns ein
Ruder mehr. Und jetzt, Teresa, hierher! Weiter zurück, mein Schatz! Der
Bug drückt vorn zu viel nieder und wir gehen deshalb zu schwer. Du
kannst das Kind nehmen.«

»Teresa?« fragte die Frau erstaunt, aber Freudenthränen weinend und doch
in zitternder Angst kroch das arme Mädchen über die aufgethürmten Betten
hinweg zu ihrer Herrin, vor der sie niederfiel und ihre Knie umfaßte.

»Weg mit den Thränen, Schatz! Weg mit den Thränen!« rief Baptiste
lachend. »Dazu ist nachher Zeit. Wir werden da draußen Salzwasser genug
in's Boot kriegen. -- So recht, Pedro, lege Dich tüchtig hinein! Es soll
Dein Schaden nicht sein und wir wollen doch sehen, ob wir in Ecuador
nicht noch etwas Besseres aus Dir machen können als einen lumpigen
Soldaten. _=Wir=_ sind jetzt Kameraden, und ich lasse Dich nicht im
Stich.«

Dadurch, daß das Mädchen zurückkommen mußte, hatte das Boot viel an
leichterer Fahrt gewonnen, denn der Bug hob sich. Des Seemanns scharfes
Ohr hatte aber auch bereits das Einsetzen der Ruder vom Schiffe her
gehört, wenn sie den Schooner selber auch schon nicht mehr auf dem
dunklen Hintergrunde des Manglarenwaldes erkennen konnten. Nur die
rothen Lichter leuchteten noch herüber.

»Nun für unser Leben!« rief er, sein eigenes Ruder aufgreifend, während
die Señora das Steuer genommen und nicht zu viel versprochen hatte, als
sie versicherte, sie könne es regieren. »Halten Sie den Bug jetzt noch
immer auf jenen hellleuchtenden Stern zu -- es ist die Venus, und mag er
uns Glück bedeuten heute Abend.«

Von jetzt an wurde kein Wort mehr gesprochen. Die vier Männer ruderten
schweigend, aber aus Leibeskräften, denn sie wußten, daß nur größere
Schnelligkeit sie retten konnte.

Da fielen rasch hinter einander drei Schüsse von dem verfolgenden Boot.

»Großer Gott, sie schießen!« rief die Frau. »Lege das Kind auf den Boden
des Bootes, Teresa.«

»Nicht hierher,« beruhigte sie Baptiste, da er, mit dem Rücken nach vorn
im Boot sitzend, das Abblitzen der Gewehre hatte sehen können. »Es ist
unmöglich, daß sie uns hier schon erkennen, wenn nicht die hellen Betten
zu sehr leuchten.«

»Werft sie über Bord!« bat Ramos.

»Bewahre!« lachte der Franzose, »lieber den Comisario. Erst müssen wir
finden, daß sie uns zu schwer sind. Decke jenen dunklen Poncho darüber,
der auf dem Sitzbrett liegt, Teresa. Er gehört freilich dem Herrn
Commissair, aber zu dem Zweck wird er ihn uns wohl leihen.«

»Aber was bedeuten die Schüsse?«

»Nichts Gutes,« sagte Baptiste finster. »Es sind Signale für das Boot an
der anderen Seite der Insel, um dasselbe herbeizurufen, und wenn es
wirklich in der Nähe ist, kann es uns den Weg abschneiden. Aber
caramba!« setzte er mit fest zusammengebissenen Zähnen hinzu. -- »Wir
haben auch Gewehre im Boot und im schlimmsten Falle können wir ihnen
einen wärmeren Empfang bereiten als sie jetzt wohl denken.«

»Aber keine Munition.«

»Pedro hat doch gewiß seine Patronentasche mit. Wie viel Patronen sind
darin?«

»Zwanzig, Señor.«

»Bravo, und sechs geladene Gewehre, die Festung ist armirt.«

»Und mit dem Boot hinter uns?«

»Ah bah!« sagte Baptiste, sich in sein Ruder legend. -- »Die Sache ist
allerdings fast zu interessant, um angenehm zu sein, aber hol's der
Teufel! -- Entschuldigen Sie, Señora, auf See lernt man ein rohes
Sprechen, ohne manchmal etwas dabei zu denken -- ich hoffe doch noch,
daß wir die hohe See gewinnen sollen und wenn sie uns da hinaus folgen,
nun, dann formiren wir mit den Matratzen eine kleine Festung um den
schwachen Theil der Besatzung und wehren uns eben unserer Haut. Vorwärts
jetzt! -- Mit dem Reden geht Kraft verloren.«

Wieder wurden hinter ihnen drei Schüsse abgefeuert und Baptiste sah zu
seinem Schrecken, daß sie diesmal nicht in die Luft schossen, sondern
hinter ihnen her. Aber die Entfernung war noch zu groß, nur wenn sie
hoch gehalten hätten, wäre vielleicht eine oder die andere Kugel bis zu
ihnen geschlagen. So fielen sie alle zu kurz und er hütete sich wohl ein
Wort darüber zu sagen, um die Frauen nicht unnützer Weise zu
beunruhigen.

Das Boot flog rasch durch das Wasser und eine Zeit lang wurde kein Wort
weiter gewechselt. Der Commissair war wieder zur Besinnung gekommen und
wand sich krampfhaft am Boden des Bootes, aber er konnte keinen Schaden
thun und Baptiste, neben dem er lag, behielt ihn auch scharf im Auge.

»Wenn wir uns ein klein wenig mehr rechts hielten,« sagte Ramos
endlich, -- »die Gefahr wäre dort geringer, einem der anderen Boote zu
begegnen.«

»Wir dürfen nicht,« erwiderte Baptiste, -- »wenn sie uns nachher den Paß
zwischen der Punta Manglares und der Insel verlegen, so treiben sie uns
weit in See hinaus und dort steht jetzt ein tüchtiger Südwind, von dem
wir hier nur noch nichts fühlen, weil wir durch das südliche Land
gedeckt sind. Vorwärts! Hier ist die Spitze der Insel! In wenigen
Minuten muß es sich entscheiden! Bis jetzt war Gott mit uns, er wird uns
nun auch nicht verlassen.«

Das hinter ihnen folgende Boot hatte jedenfalls etwas an sie gewonnen,
man konnte die Ruderschläge desselben deutlicher hören, aber _=ihre=_
Ruder knarrten und machten dadurch zu viel Geräusch.

»Teresa,« sagte Baptiste, »nimm Lappen oder Tücher, was Du gerade hast,
Schatz, tauche sie in's Wasser und lege sie uns unter die Ruder,
verstehst Du? So! Ich habe mir schon geholfen,« fuhr er fort, indem er
sein Taschentuch in die Ruderdolle brachte, -- »nur für die Anderen.«

Das war bald geschehen und sie hatten nun den Vortheil, wenigstens
geräuschlos zu fliehen.

Auf Baptiste's Wunsch ließ die junge Frau das Boot jetzt noch ein wenig
dem Land zu abfallen. So nahe befanden sie sich jetzt am Ufer, daß die
auf der Backbord-Seite Rudernden mit ihren Riemen schon den Sand fühlen
konnten. Sie durften nicht wagen, näher hinan zu halten. Da hörten sie
plötzlich laute Stimmen und Fluchen, dicht an ihrer Linken.

Fast unwillkürlich hielten Alle mit Rudern ein und wie ein dunkler
Schatten glitt das Boot, von der Ebbe und Strömung des Mira begünstigt,
über die Oberfläche.

»Seco!« sagte da eine deutliche Stimme. »Caracho, Basilio! Ich sagte Dir
es gleich, daß wir hier auf den Grund rennen würden. Nun sitzen wir
fest. Hinaus mit Euch, daß wir den faulen Kasten wieder flott bekommen.«

»Sie sitzen fest! Vorwärts!« jubelte Baptiste mit vorsichtig gedämpfter
Stimme -- und wieder trafen die Ruder in's Wasser, immer noch die
vorherige Richtung haltend, um wenigstens aus dem Bereich der
Schußwaffen zu kommen. Die in dem anderen Boot hatten wirklich in dem
Augenblick zu viel mit ihrer eigenen Lage zu thun, um nach etwas Anderem
auszuschauen. Sie waren jedenfalls über Bord gesprungen, um das dadurch
erleichterte Boot vom Sand abzuheben und wieder in tieferes Wasser zu
schieben. Deutlich konnten die Flüchtigen das Plätschern und Fluchen
der Leute hören. Aber so dicht mit den Köpfen über dem Wasserspiegel
mochte doch wohl einer oder der andere der Leute das vorbeigleitende
Boot bemerkt haben. Plötzlich war Alles ruhig und eine Stimme rief
gleich nachher:

»He da! Ist das nicht ein Boot?«

Keine Antwort folgte.

»Caracho! Warum antwortet Ihr nicht? -- Schieß, Pablo!«

»Vorwärts um der heiligen Jungfrau willen!« drängte Baptiste. -- »Sie
sind noch nicht flott. Jeder Ruderschlag bringt uns weiter aus dem
Bereich ihrer verdammten Flinten.«

Es dauerte wohl zwei Minuten, bis sie den scharfen Blitz eines
abgefeuerten Gewehres sahen, aber gute Schützen sind diese spanischen
Abkömmlinge nicht, schlechte Gewehre hatten sie ebenfalls und im Dunkeln
auf den Schatten eines Bootes zu halten ist ein schwieriges Ding. Die
Kugel schlug wenigstens vier oder fünf Ellen rechts von den Fliehenden
auf das Wasser. Und kein zweiter Schuß folgte. Die Mannschaft wollte
sich wahrscheinlich nicht auf das unsichere Feuern verlassen und lieber
ihr Boot rasch wieder flott bekommen.

Dann antworteten wieder einige Schüsse von dem verfolgenden Boot, und
die Burschen des gestrandeten schrien als Antwort so laut sie konnten.

»Jetzt links hinüber, Señora!« rief da Baptiste. -- »Immer an den
Manglaren hin! Dort ist tiefes Wasser, bis wir an die nächste Punta
kommen. Sie ist nicht mehr weit, und haben wir erst die zweite Mündung
des Mira hinter uns, dann sind wir gerettet.«

Die Leute arbeiteten mit Anspannung aller ihrer Kräfte und selbst Pedro
leistete Außerordentliches, denn es schien ihm selber nicht viel daran
zu liegen, in den eben erst verlassenen Kriegsdienst zurückzukehren.

Deutlich konnten sie jetzt noch einmal die Zurufe von den verschiedenen
Booten unterscheiden; auch die Ruder hörten sie wieder knarren, aber die
Verfolger, mit dem Terrain kaum genau bekannt, schienen unsicher
geworden zu sein, welche Richtung das flüchtige Boot genommen habe.
Vielleicht fürchteten sie auch mit der Ebbe hinaus in See genommen zu
werden.

Eine Viertelstunde später herrschte Todtenstille auf dem Wasser, die nur
durch das leise Plätschern der Ruder unterbrochen wurde. Sie waren
gerettet.




Letztes Capitel.

Im Pailon.


Sie waren gerettet, immer aber noch arbeiteten die Ruderer wacker
vorwärts, und das Boot glitt an dem dunklen Ufer rasch dahin. Jetzt
hatten sie die Mündung des Mira erreicht, und in der Dunkelheit war es
fast, als ob es das offene Meer sei. Don José hielt auch wirklich mit
Rudern inne und frug, ob sie sich nicht jetzt links am Lande halten
müßten.

»Wenn wir Fluth hätten, oder in einem Canoe säßen, ja, Señor,« sagte
Baptiste, immer noch mit unterdrückter Stimme, obgleich schon lange mehr
kein Laut der Verfolger zu ihnen gedrungen war. »Mit dem Boote hier
dürfen wir aber getrost wagen um die Punta Manglares zu fahren, denn
gegen den Mira hätten wir sonst ein tüchtiges und schweres Stück
anzurudern. Vorwärts, Señorita! Gerade hindurch, bis wir den Wald wieder
erreichen, den Sie dort wie einen dunklen Streifen vor sich sehen. Nur
ein kleines Stück dann noch weiter, und wir kommen in die offene See.«

»Und kennen Sie den Weg?«

»Wie meine Tasche.« --

Wieder ruderten sie schweigend weiter, denn unter dem Schatten der
Manglaren wollte sie Alle noch nicht das unruhige Gefühl verlassen, als
ob an jeder Ecke ein anderes Boot der Verfolger auftauchen, und ihnen
den Weg zur Rettung abschneiden könnte. Aber sie hatten Nichts mehr zu
fürchten, und kaum eine halbe Stunde später trug sie die rasch
abströmende Ebbe zwischen einer mit Manglaren bewachsenen langen Insel
und der dort vorspringenden Landzunge hindurch, und wenige Minuten noch
und ihr Boot schaukelte auf den langen getragenen Wogen des stillen
Oceans.

Glücklicher Weise trafen sie hier nicht mehr den scharfen Süder, den
Baptiste gefürchtet, und der sie gezwungen hätte die Fluth abzuwarten
und wieder zurück in den letzten Mira-Arm einzulaufen, um von dort aus
den Canal zu suchen. Der Wind hatte sich vollständig gelegt, und nur die
See wogte noch und hob sich und sank mit dem darüber hingleitenden Boot.

Zur Linken öffnete sich ihnen ein wunderbarer Anblick, so daß Aller
Blicke unwillkürlich dorthin flogen, denn dort schäumte bei fast
niedrigstem Wasserstand die Brandung über und gegen die freigelegten
Sandbänke an, und warf ihre phosphorglühenden Wogen, deren weiße Kämme
wie flüssiges Gold schimmerten und leuchteten, donnernd gegen den
Strand. -- Und immer und immer erneute sich das Bild! sowie die eine
Sturzsee in tausend blitzende Funken zerfloß, bildete sich weiter zu
ihnen eine neue, die mehr und mehr anschwoll und von glitzernden
Gluthenstreifen durchzogen zu sein schien, bis sie sich hob und brach
und dann einen wahren Feuerregen umhersprühte.

»Wie furchtbar schön ist das!« hauchte die Frau, das großartige
Schauspiel aber doch mit scheuen Blicken betrachtend, denn wenn sich
eine neue Woge hob, war es, als ob sie näher und näher zu ihnen kam, und
sie unmerklich aber sicher, wie in einer gewaltigen Strömung dort
hinüber reißen müßte. »Werden wir dort nicht hinein treiben?«

»Nein, Señora,« sagte Baptiste freundlich. »Haben Sie keine Angst! Die
Elemente sind gnädiger mit uns als die Menschen. Ich fürchtete einen
scharfen Süder, bei dem wir allerdings Schwierigkeiten gehabt haben
würden hier vorbei zu laufen, aber statt dessen erhebt sich, wie ich
eben fühle eine leichte Seebrise, und mit der können wir es uns bequemer
machen, als wir es bis jetzt gehabt haben. Bitte führen Sie nur noch
kurze Zeit das Steuer -- nur nicht weiter in die See hinaus, nur immer
in der nämlichen Entfernung von den Brandungswellen, wie wir uns bis
jetzt gehalten, ich werde jetzt das Boot ein wenig behaglicher
herrichten.« Er legte sein Ruder nieder, stieg über die Sachen hinweg,
die er in der Mitte so eng als möglich zusammenpackte, und eine der
Matratzen vorn im Boote ausbreitete, daß sie eine Art von Mulde bildete.

»So Señora,« sagte er dann freundlich, indem er zurück stieg und ihr die
Hand reichte, »jetzt klettern Sie hier vorn herüber. -- Haben Sie keine
Angst, ich halte Sie. Das Kind gebe ich Ihnen dann nach, und legen Sie
sich da vorn ganz unbesorgt zum Schlafen nieder. Sie bedürfen der Ruhe
und die arme kleine Adriana auch.«

»Aber wer sind Sie,« sagte die Frau jetzt, indem sie seinen Anordnungen
folgte, »daß Sie Ihr Leben für uns wagten und jetzt auch noch so
freundlich Sorge tragen?«

»Wenn wir Tageslicht bekommen, erkennen Sie mich vielleicht wieder,«
lächelte Baptiste. »Jetzt überlassen Sie uns nur die Sorge um das Boot.«

Aus seinem Ruder richtete er nun einen kleinen Mast her, aus einem der
Betttücher machte er ein Segel, ein anderes Ruder gebrauchte er zum
Ausholer, und als er die Schote befestigt hatte und anzog, fühlten sie
bald, daß der Wind in die Leinwand schlug und anzog. Ziemlich so rasch
wie vorher mit den Rudern, aber völlig geräuschlos, und sanft wie von
einer Schaukel gehoben und fortgeführt, glitt das Boot über die Fluth
und die junge Frau, ihr schlummerndes Kind im Arm, war, von den
Aufregungen der letzten Nacht zum Aeußersten erschöpft, bald in einen
sanften Schlaf gefallen.

Pedro, der arme Teufel, der für sein Leben gerudert hatte, fühlte sich
ebenfalls so todesmatt, daß er, als ihm Baptiste den Befehl gab sein
Ruder einzunehmen, zurück mit dem Kopf gegen die Matratze sank und
augenblicklich einschlief.

Und immer weiter, jetzt gerade nach Süden, dann ein wenig zum Osten
zurückhaltend, steuerte Baptiste das Boot. Neben ihm wand sich aber der
unglückselige Commissair in solchen augenscheinlichen Schmerzen, daß
Ramos endlich selber Mitleiden mit dem Verräther fühlte und leise sagte:

»Dürfen wir ihm nicht jetzt wenigstens den Knebel aus dem Munde nehmen?
ich fürchte, er erstickt.« --

»Schade wär's nicht um ihn,« sagte Baptiste trocken, »aber meinetwegen.
Er wird ja ohnedieß klug sein und das Maul halten, oder wir machen
kurzen Proceß mit ihm und werfen ihn über Bord. Es wäre überhaupt das
Beste, ihn hier an einer oder der anderen Manglarenspitze auszusetzen,
dort könnte er sich amüsiren und die zahllosen Mosquitos füttern.« Aber
er bog sich doch, noch während er sprach, zu dem Gefangenen über und
nahm ihm das Tuch aus dem Mund. Fosca athmete tief und schwer auf, aber
er gab keinen Laut von sich. Die Drohung hatte gewirkt, denn ein
Aussetzen in den Manglaren[A] wäre ein sicherer und furchtbarer Tod für
ihn gewesen.

So fuhren sie langsam weiter. Die Brise blieb schwach, aber doch immer
stark genug, um das Boot, das sie von der Seite fing, vorwärts zu
treiben, bis endlich am östlichen Horizont, den der niedere Laubgürtel
des flachen Landes bildete, die Wolken anfingen sich zu lichten. Der Tag
brach an, aber die Atmosphäre ist in diesem Himmelsstrich fast nie rein
und ungetrübt, wenigstens nur in sehr seltenen Fällen Morgens.

Ein leiser Duft ruhte auf dem Walde, durch die feuchten Schwaden
erzeugt, die ihm unausgesetzt entstiegen. Aber vor ihnen lag die Mündung
des Pailon, die erste und nördlichste Ansiedlung in Ecuador -- an der
linken Landspitze (eigentlich einer Insel); bald konnten sie die
einzelnen Häuser der dort wohnenden Fischer erkennen. Die Fluth stieg
dabei wieder, und von ihr geführt liefen sie mit dem ersten Morgengrauen
in den breiten herrlichen Canal ein, der an beiden Seiten von, ihre
Zweige bis zum Wasser niederhängenden Manglaren dicht begrenzt, gerade
nach Süden hinab dem kleinen Fischerdorf San Lorenzo zuführte.

Die Frau war erwacht und mit dem stillen Frieden um sich, mit dem
Gefühle vollkommener Sicherheit hob sich ihr Herz zu Gott, und ihr Kind,
ihre liebe Adriana an sich pressend, betete sie leise aber brünstig zu
dem Allerbarmer --

Aber welch ein wunderbarer Ton um sie her? Wie ferner Orgelklang traf er
ihr Ohr, leise summend in vollen melodischen Akkorden! Und als sie
erstaunt den eigenthümlichen Klängen horchte, war es ihr fast, als ob
sie aus der Meerestiefe zu ihr heraufdrangen. -- Es konnte keine
Täuschung sein! Dicht unter dem Boot klang es vor, jetzt rechts ein
wenig, jetzt links, und als sie sich über den Rand des Bootes bog, wurde
der Laut voller und deutlicher. Da ging dort drüben, über dem grünen
Laubmeer, die Sonne auf und goß ihr Licht über die funkelnde,
spiegelglatte Bai.

»Hören Sie den Orgelklang, Señora?« frug Baptiste.

»Was, um Gottes Willen, ist das?«

»Das sind die singenden Fische des Pailon,« lachte der junge Franzose,
»die gerade ihr Morgenconcert zu halten scheinen.«

Als er sich aufrichtete, fiel der Sonne Licht voll auf seine
freundlichen edlen Züge, und der Blick der Frau heftete fragend an
ihnen.

»Und kennen Sie mich _=noch=_ nicht, Señorita?« fragte der junge Mann
herzlich. »Auch _=Sie=_ nicht, Señor Ramos? Hab ich mich so entsetzlich
verändert, oder ist die Erinnerung an den armen kranken Matrosen, den
Sie in Ihrem Haus in Buenaventura so treulich pflegten, ganz Ihrem
Gedächtniß entschwunden?«

»Don Batista!« rief Ramos, seine Hand ergreifend und herzlich
schüttelnd. »Wie sollen wir Ihnen das je danken?«

»Danken?« entgegnete der junge Mann. »Ich bin lange genug _=Ihr=_
Schuldner geblieben. Jetzt wollen wir vor allen Dingen dieses
unglückselige Menschenkind losbinden,« fuhr er lachend fort, um den Dank
von sich abzuwenden. -- »Allmächtiger Gott, wie sieht dieser
Neu-Granadiensische Commissair aus! Hier ist seine Macht aber vorbei.
Wir sind innerhalb der Grenzen von Ecuador, und der Platz, dem wir uns
nähern, soviel ich gehört habe, in den Händen einer englischen
Compagnie. Was fangen wir mit dem elenden Patron an?«

Noch während er sprach, hatte er die Leine gelöst, die des Gefangenen
Hände und Arme zusammenschnürte und Fosca richtete sich mühsam empor. Er
sah in der That entsetzlich aus. Sein Gesicht war, von dem Schlag der
ihn betäubte, mit geronnenem Blut und dem Schmutz des Bootes bedeckt,
sein Rock und Hemd zerrissen, und der boshafte Blick des Buben flog
scheu und tückisch von Einem zum Andern.

»Beim Himmel,« lachte Baptiste, »ich weiß, was ich thue. Mir fehlt
gerade ein Erwerbszweig und ich werde die Jammergestalt hier in San
Lorenzo für Geld sehen lassen. Entrée ein halbes Pfund Cacaobohnen
oder ein Dutzend Esmeraldas-Cigarren.«

»Ihr habt jetzt die Macht,« knirschte der Gefangene zwischen den Zähnen
durch, »aber es wird eine Zeit kommen, wo Ihr mir Rechenschaft für diese
Behandlung geben sollt. Ich bin Neu-Granadiensischer Beamter und
Präsident Franco in Ecuador wird nicht dulden, daß ich so behandelt
werde.«

»Präsident Franco wird in nächster Zeit noch viel mehr dulden müssen,«
lachte Baptiste verächtlich, »wenn sie ihn nicht etwa jetzt schon aus
dem Land hinausgejagt haben. Aber Frieden, Kamerad. Du hast uns an Bord
genug geärgert, um diese Züchtigung zu verdienen, hättest Du nicht auch
wie ein Verräther und Schuft an diesen braven Leuten gehandelt.... Von
jetzt an -- und das ist die mildeste Strafe, die Dir werden konnte --
keine Gemeinschaft mehr zwischen uns! Hier setze ich Dich an das Land,
und dann sorge dafür, mein Bursche, daß Du so rasch als möglich in Dein
gesegnetes Neu-Granada hinüber kommst, denn erfahren sie _=hier=_ Deine
Geschichte, so stehe ich Dir für Nichts. _=Dort=_ liegt San Lorenzo,«
fuhr er fort, als sie eben eine Biegung der Bai erreichten, die sich
nach Osten in das innere Land hineinzog. »Dort liegen die friedlichen
Fischerwohnungen eines braven Volkes. Dort, Señor Ramos, können Sie,
wenn Sie nicht in das Innere gehen wollen, die Entwickelung der Wirren
Ihres Vaterlandes ruhig abwarten, denn unter diesen Leuten lebt kein
Verräther.«

»Aber _=Sie=_ bleiben bei uns,« fiel die Señora rasch ein -- »Sie müssen
uns Gelegenheit geben Ihnen zu beweisen, wie tief wir uns Ihnen
verpflichtet fühlen.«

»Vorerst,« lachte Baptiste, »werde ich hier meine mitgebrachte
Waffensammlung verkaufen, die wenigstens einen Theil des Lohns
einbringen kann, den mir die Regierung des braven Mannes da für
erzwungene Dienste schuldig ist und dann -- ~Quien sabe~ -- das
Uebrige findet sich.«

Das Boot glitt, fast nur durch die Fluth vorwärts getragen, in eine
kleine Bucht ein, die im Westen das Fischerdorf begrenzte; gleich an der
äußersten Spitze, an einem dort vorspringenden Felsen landete Baptiste
und sagte zu Fosca:

»So Señor, hinaus mit Ihnen und das zur Warnung: Haben wir die Sachen
hier an Land geschafft und begegnet die Señora beim Aussteigen noch
einmal Ihrer nichtswürdigen Physiognomie, dann seien Sie versichert, daß
ich Sie eigenhändig anpacke und hier von dem Felsen hinunterwerfe. Ein
Bad könnte Ihnen überhaupt Nichts schaden. Sie haben also etwa zehn
Minuten Vorsprung. Marsch!«

Fosca ließ sich das nicht zweimal sagen. Mit Händen und Füßen kletterte
er an dem rauhen Steinblock empor, und im nächsten Augenblick war er am
Land verschwunden. Als die Señora das Ufer betrat, war keine Spur mehr
von ihm zu sehen, und erst Nachmittags erfuhren sie, daß er ein Canoe
gemiethet habe und mit der nächsten Ebbe nach Tomaco zurückgegangen
sei.

FUSSNOTEN:

[A] Die Manglaren oder Mangrovebäume sind ein Seegewächs, denn
sie stehen nur da am Land, wo die Fluth der See ihre Wurzeln bespühlen
kann. Ihr Boden ist Schlamm und kein lebendes Wesen hält sich zwischen
ihnen auf als Krabben und Mosquitos.




Am Cachavi.


Erstes Capitel.

In Concepcion.

An dem Santiago-Flusse in Ecuador, tief im Walde drinnen, von Palmen-
und Bananenhainen umgeben, liegt das kleine Binnenstädtchen Concepcion
so malerisch und freundlich, wie sich nur etwas denken läßt.

Dicht unter demselben mündet der, kurz vorher den Cachavi aufnehmende
Bogota in den breiteren und tieferen Santiago, und vermittelt, wenn auch
nur durch Canoes, die Verbindung mit der reichsten Provinz des Innern,
mit Imbaburru und deren Hauptstadt Ibarra, während der Santiago durch
die Tola-Mündung mit dem Meer in direkter Verbindung steht und nach
Norden hinauf sogar, durch die Taja-Lagune, einen breiten und bequemen
Wasserweg nach dem Pailon und der dort neu angelegten englischen Colonie
und deren Hafen bildet. Den meisten und lebendigsten Verkehr unterhielt
es aber doch mit dem fast nur von Negern bewohnten Cachavi und den
dortigen Golddistrikten, und wenn auch der Handel mit dem Innern nur
durch Lastträger betrieben werden konnte, da nicht einmal ein
Maulthierpfad durch den Wald führte, war der Umsatz doch nicht
unbedeutend und die Leute befanden sich wohl und in guten Umständen.

Der Santiago sowohl, wie der Bogota fließen aber auch durch ein reiches,
unendlich fruchtbares Land, und breite ausgedehnte Baumwollen- und
Zuckerrohrfelder mit weiten Cacao- und Bananenanpflanzungen (sogenannten
Platanaren) geben Zeugniß, welch' reichen Ertrags der Boden dort fähig
ist, und wie er die geringste Arbeit tausendfältig lohnt. Sie sind auch
ziemlich dicht besiedelt, wenn auch nicht von den Ureinwohnern des
Landes, die sich in den feuchten und heißen Niederungen dieser Gegend
nicht so wohl zu fühlen scheinen, als weiter oben in den kühleren Bergen
und an den rasch quellenden Gebirgswässern. Möglich aber auch, daß sie
von den Negern, mit denen sie überhaupt nicht gern Gemeinschaft halten,
zurückgedrängt wurden.

Als nämlich mit der Abschüttelung des spanischen Joches die Leibeigenen
der spanischen Provinzen freigegeben und für ewige Zeiten frei erklärt
wurden, da zerstreuten sie sich -- besonders in Ecuador und Neu-Granada
-- vorzugsweise über dies Terrain und wurden _=Herren=_ des dortigen
Bodens, dessen Sclaven sie bis jetzt gewesen waren. Ueberall am Santiago
und Bogota legten sie Estancien an, rodeten den Wald aus, und pflanzten
Bananen, Cacao, Kaffee und Zuckerrohr, und wenn sie jetzt auch nach
ihrer Bequemlichkeit arbeiteten, und nicht mehr vom Tagesanbruch bis in
die späte Nacht Hacke und Schaufel führen mußten, so dankte ihnen der
Boden doch mit verschwenderischer Hand für die geringe Mühe, die sie auf
seine Pflege verwandten, und wo sie nicht eben _=reich=_ wurden, hatten
sie doch vollauf zu leben.

Welche Bedürfnisse kannten sie denn auch, die sie nicht hier mit
Leichtigkeit beschaffen mochten. Ihre Wohnungen waren um weniges besser,
als die, in denen sie früher von ihren Herren einquartirt worden, ihre
Kleidung -- eine baumwollene Hose und ein eben solches Hemd mit einem
selbst geflochtenen Strohhut blieb dieselbe, und was sie an Nahrung
brauchten und wünschten, lieferte das Land.

So bildeten sie bald, in diesen Distrikten wenigstens, die große
Majorität des Staates und es gab Dörfer, wo sie sich sogar ihren
Alkalden aus eigener schwarzer Mitte wählten.

Nur die Stellen der Gobernadores und Friedensrichter besetzte die
Regierung mit den ~Hijos del pais~ -- das heißt nicht etwa den
eigentlichen »Söhnen des Landes,« den Indianern, sondern mit den
Abkömmlingen der spanischen Raçe, die auch solche Plätze viel besser zu
verwerthen und auszubeuten verstanden.

Ecuador war allerdings eine Republik, aber es wäre deshalb der obersten
Staatsbehörde doch nicht im Traum eingefallen, dem Volk in seinen
eigenen Richtern eine _=Majorität=_ zu gestatten.

Auch Concepcion war zu einem sehr großen Theil von Negern bewohnt.
Nichts destoweniger blieben aber in dieser größeren Stadt die _=Weißen=_
in der Majorität, wo sie schon durch ihre Farbe den Stand der
Honoratioren vertraten. Ueberhaupt hat der _=Neger=_ nur in sehr
seltenen Fällen -- so geschickt er oft in mechanischen Arbeiten sein mag
-- Talent zum _=Handel=_. Es fehlt ihm der Speculationsgeist, und die
verschiedenen Läden befanden sich deshalb sämmtlich in der Hand von
Weißen. Eben so waren -- wie sich das von selbst versteht -- der
Geistliche, der Alkalde und der Schullehrer Abkömmlinge der spanischen
Raçe, und selbst ein italienischer Schneider hatte sich dort etablirt;
und sich -- wie das gewöhnlich diese Art von Professionisten thun -- zu
einer der ersten politischen Größen und zu einer entschiedenen
Opposition der bestehenden Regierung aufgeschwungen.

Señor Rigoli, wie der kleine, sehr lebendige Mann hieß, hing nämlich mit
Leib und Seele an der Quitenischen Regierung, während der Alkalde und
Geistliche besonders -- Beide von dem gegenwärtigen Usurpator des
Südens, dem Mulattengeneral Franco eingesetzt -- für diesen nach allen
Kräften zu wirken suchten.

Rigolis Feinde behaupteten allerdings, nur der Geist des Widerspruchs
hätte den kleinen Italiener in diese politische Richtung geworfen, denn
ohne Widerspruch konnte er nicht existiren: aber er leugnete dies
vollkommen, und würde dadurch jedenfalls seine beste Kundschaft in den
Honoratioren der Stadt verloren haben, wenn sie eben nicht gezwungen
gewesen wären, bei ihm arbeiten zu lassen. Er hatte nämlich keinen
Concurrenten im Ort, als einen Neger, der Alles verdarb, was er unter
die Scheere bekam, aber dafür auch zu den leidenschaftlichsten Anhängern
Francos gehörte und alle Augenblicke neue Gerüchte über die gewonnenen
Siege des Mulattengenerals verbreitete.

Uebrigens war diese politische Meinungsverschiedenheit bis jetzt sehr
harmlos verlaufen, denn Theil an den großen Kämpfen ihres Vaterlandes
konnten die Bewohner von Concepcion nicht nehmen, dafür lagen sie von
dem Hauptplatz der Action zu weit entfernt, und völlig abgeschieden und
aus dem Weg in ihrem reizenden Thal. Aber es würzte doch die
Unterhaltung, und wenn Rigoli Abends in der Posada _=eine=_ Flasche
Tschitscha getrunken und eine zweite vor sich hatte, hielt er so lange
politische Reden, bis er seine Gegner -- wenn auch nicht überzeugte,
doch wenigstens zu Paaren trieb, und zuletzt gewöhnlich das Schlachtfeld
allein behauptete.

So lebhaft aber derartige Debatten fast jeden Abend geführt wurden --
und in der letzten Zeit lebhafter als je, da sich ein Franco'scher
Offizier hier aufhielt, was aber nicht vermochte, den kleinen muthigen
Mann der Nadel einzuschüchtern -- so still lag Concepcion während der
heißen Stunden des Tages, wenn die Häuser keinen Schatten mehr warfen
und die breiten Bananenwipfel ihre sonst vom leichtesten Luftzug
bewegten Fächerblätter still und regungslos hielten. Dann ließ sich auch
kein lebendes Wesen mehr auf der Straße blicken und in den luftigen, auf
Pfählen gebauten Häusern, schaukelten die Bewohner derselben in ihren
Hängematten, oder lagen ausgestreckt auf dem Boden unter ihren
Mosquitonetzen.

Nicht weit von der Plaza, freundlich genug gelegen und von bunt
blühenden und duftigen Akazien halb versteckt, wie von einer einzelnen
Cocospalme überragt, stand ein kleines, niederes und düsteres Gebäude,
aus festen, eisenharten Stämmen aufgeführt, und die Fenstereinschnitte
-- und welches andere Haus hatte hier überhaupt Fenster, wo alle Wände
offen lagen -- mit dicken eisernen Gittern verwahrt.

Es war die »~colabozo~«, das Gefängniß Concepcions, und in der That
gewöhnlich leer und offenstehend, aus dem Grund vielleicht, damit ein
Jeder hinein gehen, und sich den unheimlichen dumpfigen Raum betrachten
könne. Heute aber schien sie verschlossen und fest verriegelt, und
draußen an der schweren Thür auch noch mit einem riesigen Vorlegeschloß
gesichert, denn der »Schließer« konnte doch nicht immer davor sitzen,
eines einzigen lumpigen Gefangenen wegen.

In dem Gefängniß aber, die Stirn gegen das Gitter gepreßt, lehnte ein
junger, bis zum Gürtel nackter Neger, und hielt mit dem einen, durch die
Stäbe hinausgestreckten Arm die Hand eines bildhübschen Negermädchens,
das vor seiner Zelle stand und in der Linken ein bunt gewürfeltes Tuch
mit Gaben hielt, die sie dem Gefangenen wahrscheinlich mitgebracht.

»Armer José,« klagte dabei das Mädchen, indem ihr die großen hellen
Thränen in die Augen traten -- »daß es dahin mit Dir kommen mußte. Oh
was hast Du nur verbrochen, daß sie Dich in den schrecklichen Kerker
werfen konnten!«

»Verbrochen, ~mi corazon~ -- Nichts,« seufzte der junge Bursch.
»Nichts auf der Welt weiter, als daß ich Dich, nach jahrelanger
Abwesenheit, wieder einmal sehen wollte. -- Nur deshalb nahm ich an der
Tola-Mündung das Canoe, und weil ich Einzelner nicht so stark rudern
konnte, als die vier starken Cajapas-Indianer, holten sie mich hier ein
und ich muß jetzt büßen.«

»Aber die Sclaverei ist ja doch bei uns aufgehoben,« rief das Mädchen
heftig, -- »Mutter und Vater waren schon _=freie=_ Menschen, und die
Gesetze verbieten den Weißen, Sclaven zu halten.«

»Die Gesetze,« zischte der junge Bursch trotzig zwischen den Zähnen
durch, -- »wer hat die Gesetze gegeben, als nur die Weißen, und sie
machen damit, was sie wollen. Was bin ich anderes als der Sclave jenes
Guajaquilenen? Er hatte mir Geld geborgt, und ich muß es jetzt
abverdienen.«

»Oh Jos~é~,« sagte da das Mädchen mit leisem, wie schüchternem Vorwurf
im Ton, aber einem gar so lieben und herzlichen Blick -- »weshalb
_=hast=_ Du von ihm geborgt? -- konntest Du denn das böse, häßliche
Trinken nicht lassen, womit Du uns Beide jetzt unglücklich gemacht?«

Der junge Bursche senkte beschämt den Kopf.

»Du hast Recht, ~querida~«, sagte er leise -- »ich war schlecht und
leichtsinnig, aber schon seit langen Monden trinke ich nicht mehr, und
arbeite fleißig -- doch was hilft es mir. Wir ziehen ununterbrochen von
Ort zu Ort, und die Arbeitstage, die er mir dem Gesetz nach gestatten
muß, nützen mir Nichts, denn für wen soll ich arbeiten auf der Reise?«

»Und wie viel bist Du ihm schuldig?« frug das Mädchen ängstlich.

»Ich weiß es nicht,« seufzte der junge Bursch -- »er schreibt sich Alles
auf, was er mir giebt, und soviel hat mir der Alkalde gesagt, daß ich
für 40 Dollars ein ganzes Jahr für ihn arbeiten muß --«

»Und ist es soviel?«

»Ich glaube es nicht -- was hat er mir denn gegeben? Die dürftigste
Kleidung, ein paar Stangen Taback und schon seit langen Monden kein
~aguardiente~ mehr. -- Ich trinke nicht -- nie mehr -- ich habe es Dir
versprochen, Eva.«

»Dann laß mich dafür sorgen, daß Du frei wirst, José,« sagte das
junge Mädchen, und frohe Zuversicht leuchtete aus ihren Augen. »Ich habe
das letzte Jahr viel, recht viel gearbeitet. Ich habe den Leuten
Lebensmittel in die Minen gefahren, und selber ein wenig Gold gegraben,
auch bei unserem Alkalden in Cachavi geschafft, Tag und Nacht, wie seine
Frau krank war und sich nicht selber helfen konnte. Das Geld liegt in
Cachavi -- ich hole es. -- Was brauchen _=wir=_ es auch, wir sind beide
kräftig und gesund, und können uns schon auch ohne das eine Heimath
gründen.«

»Aber wie willst Du nach Cachavi hinauf kommen, Herz?« frug der junge
Bursch, -- »der Fluß ist reißend, und allein wärst Du nie im Stande, ein
Canoe über die Stromschnellen zu bringen.«

»Mein Bruder ist hier,« sagte das Mädchen -- »er lernt ein Handwerk bei
einem Weißen. -- Der ist gut -- der wird ihm erlauben, daß er mir helfen
darf, und wenn wir heute Abend fortfahren, können wir morgen schon oben
sein.«

»Dein Bruder ist schwächlich --«

»Aber _=ich=_ bin stark,« rief das junge Mädchen lächelnd -- »hab' kein
Sorge, José, ich bringe Dir Hülfe, und wenn Du mir nur versprichst,
nie mehr zu trinken, so können wir bald ein neues und schönes Leben
beginnen.«

»Oh wie von Herzen gern verspreche ich Dir das, aber -- der Weiße giebt
mich nicht wieder los, und hat mir schon gesagt, daß er mich, wenn er
wieder nach Concepcion zurückgekehrt, an den Padre verkaufen will, und
der bekommt immer Recht. -- Hält er nicht schon seit sieben Jahren drei
Sclaven in seinem Haus, und sind sie je im Stande gewesen, sich frei zu
kaufen?«

»Dann gehe ich zu dem Meister Rigoli,« sagte das Mädchen entschlossen --
»er ist gut -- er wird mir helfen und der Präsident selber nicht leiden,
daß sie hier die Gesetze unter die Füße treten, die er zum Besten
unseres Stammes gegeben hat. Er will ja keine _=Sclaven=_ im Lande
leiden -- alle Menschen sollen frei und gleich sein.«

»Ach Du mein liebes Herz,« seufzte da José, »was weiß der Präsident
von uns armen Schwarzen in Concepcion, und ist es nicht gerade einer
seiner Offiziere, dem ich angehöre? Glaubst Du denn, daß er _=mir=_
gegen _=den=_ beistehen würde?«

»Laß Du mich nur machen,« lächelte aber das junge Mädchen
zuversichtlich, »Señor Rigoli bringt Alles in Ordnung, und ich und mein
Bruder fahren indessen, so rasch uns die Ruder treiben können, den Strom
hinauf, um das Geld zu holen. Stromabwärts geht's ja nachher wie der
Wind, und in einem halben Tag bin ich vom Cachavi hier unten.«

»Du treues Herz, -- und Alles das meinethalben.«

»Und hier habe ich Dir indessen auch etwas mitgebracht,« fuhr das junge
Mädchen fort, indem sie das Tuch zu ihm emporhob. Aber sie fand bald,
daß sie es, dickgefüllt wie es war, nicht durch die Stäbe brachte, und
begann deshalb rasch es auszupacken.

»Hier,« sagte sie, indem sie ihm die einzelnen Sachen hinein reichte --
»sind in ihren Blättern gekochte Bananen -- hier etwas geröstetes
Schweinefleisch -- ich konnte Dir nicht soviel bringen, sie fordern
einen so hohen Preis dafür -- hier hast Du Erdnüsse und rothen Pfeffer,
und die Chokolade habe ich selbst für Dich gerieben und da« -- fügte sie
leise hinzu -- »ist auch etwas Geld. -- Es ist nicht viel,« lächelte sie
wehmüthig, »aber ich habe ja auch immer gespart und gespart, damit wir
dereinst ein kleines Häuschen bauen und uns ein Stück Vieh und ein paar
Hühner anschaffen könnten. -- Aber schau nicht so traurig d'rein, José
-- wenn wir _=beide zusammen=_ arbeiten, gehts ja auch nachher so viel
rascher und irgendwo am Bogota oder Santiago wird sich ja wohl noch ein
Plätzchen für uns finden, wo wir uns eine Stelle urbar machen können.«

»Du wackeres, wackeres Kind, wie soll ich Dir das je danken?« sagte José
gerührt.

»Und _=hast=_ Du es mir nicht schon gedankt?« erwiderte wehmüthig das
junge Mädchen -- »lebte denn ein Mensch auf der weiten Welt, der die
arme Waise nach der Eltern Tode lieb hatte, und für sie und ihren Bruder
sorgte, wie Du?«

»Und was _=hab'=_ ich gethan?«

»Viel -- sehr viel,« sagte das Mädchen rasch -- »Du hast mir die
_=Hoffnung=_ für dieses Leben erhalten, denn als wir die Mutter begraben
hatten, war es mir, als ob ich mich auch in das stille Grab legen müßte,
und nie, nie im Leben wieder froh werden könnte. -- Und Alles, Alles
wäre auch nachher gut gegangen, wenn nur das böse Trinken -- aber ich
will Dir jetzt keine Vorwürfe machen, José,« unterbrach sie sich rasch
-- »Du hast mir ja versprochen, daß es nie, nie mehr geschehen soll, und
jetzt gilt es nur, Dich aus Deiner Sclaverei zu befreien.«

»Du willst schon fort?«

»Ich muß -- die Zeit vergeht, vorher aber habe ich noch mit meinem
Bruder und seinem Lehrmeister zu sprechen, und nachher muß ich suchen,
daß ich ein Canoe geborgt bekomme. Aber das krieg' ich schon,« setzte
sie lächelnd hinzu, »denn alle Menschen sind jetzt gut mit mir, weil
sie sehen, daß ich brav und fleißig bin. Also mit Gott, José -- aber ich
komme noch einmal zu Dir zurück, und bringe Dir dann auch ein paar
Cocosnüsse zum Trinken mit. Die Señora Bastiano hat deren viele in ihrem
Garten, und erlaubt mir schon ein paar zu pflücken.«

»Mein liebes, liebes Herz.«

»Hab' guten Muth,« lachte da das Mädchen, die den Geliebten nicht wollte
merken lassen, wie weh ihr selber um's Herz war, »bald bring' ich Hülfe
und dann brauchen wir uns nicht mehr zu trennen -- Lebe wohl José« --
und mit beiden Armen sich kraftvoll an dem Gitter emporhebend, brachte
sie ihren Mund über die unterste Eisenstange, drückte einen Kuß auf
seine Lippen, und lief dann flüchtigen Schrittes durch die Straßen
hinab.




Zweites Capitel.

Ein Besuch beim Alkalden.


In einer der Hauptstraßen der kleinen Stadt, und in einem, ebenfalls auf
Pfählen gebauten Eckhaus, lebte und schneiderte Meister Rigoli mit drei
Lehrjungen, die er sich, wie er meinte, nur angenommen hatte, um seinen
täglichen Aerger nicht zu vermissen, denn alle Arbeit mußte er doch
selber thun -- und that sie auch wirklich, weil ihm Niemand -- weder in
der Politik noch in der Schneiderei -- etwas recht machen konnte.

Rigoli war aber trotzdem von Herzen ein seelensguter Mensch, der nie
Jemandem wissentlich ein Unrecht gethan hätte, aber auch eben so wenig
ein Unrecht an anderen Menschen leiden konnte. Ein so bescheidenes
Metier er dabei trieb, so fürchtete ihn selber der Alkalde, denn er
hatte -- was man so im gewöhnlichen Leben zu nennen pflegt -- Haare auf
den Zähnen, und war dabei viel gescheuter und belesener als der Alkalde
selber -- wozu allerdings nicht viel gehörte.

In dieser Tageszeit schienen aber auch _=seine=_ geistigen Kräfte
erschöpft zu sein, denn inmitten seiner Lehrlinge, die Nadel in der
Hand, ein neu zugeschnittenes Kleidungsstück vor sich auf den Knien, war
er eingenickt, und als Eva geräuschlosen Schrittes die zu seiner
Werkstätte aufführende Leiter hinanstieg und dabei ihr schüchternes
»~Ave Maria~« murmelte, um ihre Gegenwart bemerkbar zu machen, hörte
sie dasselbe von keiner Seele beantwortet -- denn die Jungen schliefen
ebenfalls.

Sie blieb einen Augenblick auf der Leiter stehen, und während sie sich
mit den nackten, vollen Armen auf die niedere Schwelle stützte, von wo
aus sie den ganzen inneren Raum mit den Augen überfliegen konnte, zuckte
ein leichtes Lächeln über ihre wirklich schönen Züge. Aber es war auch
nur ein Moment, denn rasch kam wieder das Gefühl ihrer eigenen,
unglücklichen Lage über sie, und daß sie keine Zeit versäumen dürfte,
wenn sie den Geliebten wirklich retten wollte.

Mit lauter Stimme wiederholte sie deshalb ihr meldendes »~Ave Maria~,«
das der kleine Rigoli aber, noch halb im Schlaf, mit einem sehr profanen
»Caracho, Señor, ~tres varas~ -- ~no es possible~ --« beantwortete.

Durch seine eigenen, laut herausgestoßenen Worte erwachte er indeß
vollkommen, und sich im ersten Augenblick erstaunt umsehend, -- er
begriff augenscheinlich nicht gleich was mit ihm vorgegangen --
überzeugten ihn die schlafenden Lehrlinge an seiner Seite doch rasch
genug von dem Thatbestand. Er machte sich selber und einen neben ihm
sitzenden dicken und entsetzlich schwitzenden Mulattenjungen auch rasch
dadurch munter, daß er diesem eine derbe Ohrfeige steckte, die ihn
blitzschnell auf die Füße brachte. Die Anderen erwachten dadurch
ebenfalls und griffen rasch und mechanisch nach ihrer fallengelassenen
Arbeit, während der Meister kopfschüttelnd sagte:

»Ob das faule Volk nicht jede Gelegenheit benutzt! Caramba, Señores, ich
werde Euch auf den Pelz kommen, wenn Ihr mir nicht besser aufpaßt! -- He
meine kleine Eva -- ~entra~, Schatz, ~entra~. -- Was bringst _=Du=_
mir? ist der Wollkopf, Señor Bastiano, wieder nicht mit seinem Rock
zufrieden?«

»Ach Señor,« sagte das junge Mädchen, indem sie der Aufforderung Folge
leistete und die letzten Stufen der Leiter emporstieg, neben der sie
sich dann am Boden niederkauerte -- »mit einer Bitte für mich selber
komm ich diesmal.«

»Mit einer Bitte, Schatz? -- nun laß hören.«

»Daß Ihr mir auf zwei Tage den Bruder borgen möget, um ein Canoe nach
Cachavi hinauf zu rudern.«

»Ihr Beiden? -- aber wozu? was wollt ihr denn oben?« frug Rigoli
kopfschüttelnd.

Eva schwieg einen Augenblick und sah still und ängstlich vor sich
nieder. Endlich faßte sie sich ein Herz und erst mit leiser, dann immer
festerer Stimme erzählte sie dem kleinen gutmüthigen Italiener ihre
einfache Leidensgeschichte. Das Schicksal des Geliebten, den jener
Francosche Offizier -- trotzdem daß die Gesetze die Sclaverei verböten,
als Sclave halte, und hier in das Gefängniß geworfen habe, weil er nur
auf wenige Tage nach Cachavi hinauf gewollt, wo er sie selber zu finden
geglaubt. Jetzt aber gedenke der Weiße den armen José wieder mit
fort von hier zu nehmen, Gott nur wisse wohin, daß sie ihn vielleicht
nie im Leben wieder zu sehen bekomme, und sie selber wolle jetzt nach
Cachavi hinauf, um von dort ihr mühsam gespartes und bei dem Alkalden
hinterlegtes Geld zu holen und den Geliebten frei zu kaufen.

Der kleine Rigoli hatte der Erzählung aufmerksam zugehört, und im Anfang
wohl seine Arbeit wieder dabei aufgenommen und weiter genäht, aber je
mehr er sich in die Sache hinein dachte, desto empörter wurde er, und
die neben ihm liegende Scheere aufgreifend rief er, als Eva geendet:

»Da haben wir die Geschichte, und dieser Lump von Alkalden wagt es, mir
von Freiheit und Gesetzlichkeit zu reden; Sclaverei, wie sie im Buche
steht -- Unterdrückung des Volkes, Mißbrauch der Amtsgewalt,
ungerechtfertigte Einkerkerung, Veräußerung der Menschenrechte -- aber
ich weiß weshalb. Eben dieser selbe Señor Cerro, der hier mit seinem
gelben, nichtswürdigen Gesicht herumläuft und sich einen Francoschen
Offizier nennt, hat diesem hergeregneten Alkalden die Stelle
verschafft, und jetzt hocken sie mitsammen unter einer Decke -- der
Padre nicht ausgenommen, und glauben, _=sie=_ können die Herren und
Meister hier im Lande spielen. Da wollen wir aber einen Riegel
vorschieben,« fuhr er fort, indem er von seinem Sitz aufsprang, und sich
den etwas heruntergerutschten Hosenbund wieder in die Höhe zog. »Dieser
kleine blutgierige Wütherich, dieser Franco, hat _=uns=_ hier oben
Nichts zu befehlen, sonst wäre er längst mit seinen Soldaten hierher
gekommen und gegen Quito marschirt, und dasselbe Recht, was _=der=_ hat,
Präsident zu sein, habe ich auch, wenn ich auch nicht schwarz bin und
Haare statt Wolle auf dem Kopfe habe. -- Und jetzt komm einmal, Eva --
jetzt wollen wir dieser obersten Gerichtsbarkeit einmal einen Besuch
abstatten, daß ihr die Augen übergehen sollen.«

Und damit hatte er seine Toilette beendet, stülpte sich seinen kleinen
Panamahut auf und schritt der Leiter zu.

Das arme Negermädchen war eine bestürzte Zuhörerin des Ganzen gewesen,
denn wenn sie auch die einzelnen Ausdrücke und deren Sinn nicht
verstand, begriff sie doch so viel, daß der kleine Schneidermeister
ihrer obersten Gerichtsbehörde zu Leibe wollte, und daß sie dabei Zeuge
sein sollte. Wenn _=der=_ Mann aber, der die Macht hatte, ihren
Geliebten in's Gefängniß zu werfen, böse gemacht wurde, welches
furchtbare Unglück konnte er über sie Alle verfügen, und mit zitternder
Stimme bat sie:

»Oh Señor, macht den Herrn Alkalden nicht böse, oder er sperrt uns Alle
mit einander ein, und dann hat José Niemanden in der Welt mehr, der
ihm helfen kann.«

»_=Mich=_ einsperren?« lachte aber jetzt Meister Rigoli bei dem Gedanken
laut auf -- »_=mich=_, den einzigen Schneider, den sie in der ganzen
Stadt haben? -- Das Mädchen ist himmlisch! -- Nein, mein Schatz, da hab'
keine Furcht. So viel Verstand hat unser Alkalde denn doch noch -- wenn
ich auch nicht für _=mehr=_ einstehen möchte, und daß er _=Dir=_ Nichts
thut, das laß meine Sorge sein. Und jetzt komm, arbeiten kann ich doch
nichts mehr mit den Gedanken um das allgemeine Wohl im Kopf, und nun
wollen wir einmal sehen -- und wo ich _=Euch=_ Schlingel wieder
schlafend finde, wenn ich zurück komme, statuire ich ein Exempel an Euch
-- ob wir die oberste Gerichtsbehörde nicht überzeugen können, daß wir
in einer Republik leben, und freie Bürger sind -- komm.«

Und ohne ihr weiter Zeit zu einem Einwand zu lassen, kletterte er voran
die Leiter hinunter und schritt dann, von dem zitternden Mädchen dicht
gefolgt, die Straße hinauf, der Wohnung des Alkalden zu.

Es war allerdings jetzt _=keine=_ Besuchszeit in den Tropen, und der
würdige Friedensrichter denn auch noch mitten in seiner Siesta, welche
er in der, nach dortiger Landessitte kurz geschlungenen Hängematte halb
sitzend, halb liegend verträumte. Rigoli schien aber nicht gesonnen,
sich bei Kleinigkeiten und leeren Ceremonialformen aufzuhalten. Den
Neger, der ihm unten den Aufgang verweigern wollte, schob er einfach bei
Seite und hatte denn auch die Genugthuung, ihr gesetzliches Oberhaupt
bald völlig erwacht, wenn auch nicht eben sehr erfreut, in der
Hängematte sitzen zu sehen, um zu hören was er verlange.

»Ich habe Sie gestört, Señor Alkalde,« sagte der kleine Mann, der den
Sturm allein versucht hatte, denn Eva wäre unter keiner Bedingung zu
bewegen gewesen, ihm dahinauf zu folgen.

»Das haben sie allerdings, Señor Rigoli,« versicherte der Alkalde mit
einem nichts weniger als freundlichen Gesicht, »und die Sache muß in der
That sehr wichtig sein, daß Sie einem Manne, der ununterbrochen von
schweren Geschäften geplagt ist, die einzige kleine Ruhe seiner Siesta
kürzen.«

»Bitte um Verzeihung, Señor,« sagte Rigoli ohne weitere Umstände, »aber
die Sache ist allerdings wichtig, denn es handelt sich hier darum, ob
wir noch ein Gesetz im Lande haben, oder nicht.«

»Lieber Meister Rigoli,« sagte der Alkalde, durch die Anrede in seiner
Laune eben nicht gebessert -- »ich bin schon so ziemlich daran gewöhnt,
daß Sie sich fortwährend um Sachen bekümmern, die Sie eigentlich gar
Nichts angehen. Was ist nun wieder?«

»Die Sache, Señor,« sagte der kleine Italiener gereizt, »geht _=jeden=_
Bürger an, denn wenn ich unter einer despotischen Regierung hätte leben
wollen, so wäre ich lieber in meiner eigenen Heimath geblieben.«

»Sie hätten wirklich besser daran gethan.«

»Meinen Sie?« rief Rigoli ärgerlich, »aber wir wollen uns nicht wieder
zanken,« setzte er ruhiger hinzu. -- »Die Sache selber ist auch zu
ernst, denn sie betrifft unserer Aller Freiheit -- die Menschenrechte
eines ganzen Volkes, die hier -- vielleicht ohne Ihr Wissen -- verletzt
werden.«

»Da wäre ich doch begierig -- aber bitte, wollen Sie nicht Platz nehmen,
Señor.«

»Mit Vergnügen,« sagte Señor Rigoli, der sich um Alles nicht hätte etwas
vergeben mögen. -- »Und nun zur Sache: Sie wissen doch, daß hier ein
Neger im Gefängniß sitzt.«

»Ich habe ihn selber einsperren lassen. Er war seinem Herrn entlaufen,«
sagte der Alkalde ruhig.

»So besteht also in Ecuador, trotz den dagegen erlassenen Gesetzen, noch
immer die Sclaverei?« rief Rigoli rasch.

»Bitte um Verzeihung,« erwiderte der Alkalde -- »er ist nicht der
Sclave, sondern nur der Diener seines Herrn, bis er diesem die schuldige
Summe abgearbeitet hat.«

»Wenn ich also irgend Jemandem ein paar Thaler schuldig bin -- oder
umgekehrt, Señor Alkalde,« sagte der kleine Schneider, »wenn _=mir=_
Jemand einen ähnlichen Betrag schuldete, so wäre ich eben so berechtigt,
den besagten Herrn in _=Dienst=_ zu nehmen und ihn -- wenn er nicht
gehorchte, einsperren zu lassen, wie?«

Der Alkalde bekam einen etwas rothen Kopf, denn die Frage war zu
deutlich gestellt gewesen, als daß er sie nicht hätte auf die 52 Dollars
beziehen sollen, die er selber dem vor ihm Sitzenden noch schuldete.

»Señor,« sagte er, aber doch etwas verlegen, »Sie vergessen, daß ein
solches Gesetz nur für Neger und frühere Sclaven Kraft haben kann; es
ist wenigstens noch nie auf einen Caballero angewandt worden, oder
könnte auf ihn angewendet werden.«

»Und das nennen Sie eine Republik.«

»Bah, sein Sie vernünftig -- einen Unterschied muß es nun einmal in der
Welt geben, und wo man keine Schwarze hat, bildet, wie Sie mir selber
erzählt haben, ein Theil der _=Weißen=_ das Proletariat.«

»Aber ich habe gehört, daß jener Señor, der sich einen Francoschen
Offizier nennt, und eher aussieht wie ein durchgegangener Schulmeister,
die Absicht haben soll, seinen _=Diener=_, wenn Sie denn so wollen, zu
verkaufen?«

»Er kann ihn nicht _=verkaufen=_,« bemerkte der Alkalde kopfschüttelnd,
»das würde direkt gegen die Gesetze verstoßen, aber er mag ihn an einen
Anderen, der ihm die ausgelegten Gelder zurückerstattet, _=abtreten=_.«

»Danke Ihnen -- und ist das etwas Anderes als _=verkaufen=_?«

»Lieber Freund,« sagte der Alkalde, dem das Gespräch unangenehm wurde,
»ländlich, sittlich -- Sie sind mit unseren Gebräuchen noch zu wenig
bekannt, um die inneren Triebfedern zu erkennen, durch welche die
Staatsmaschine in Gang gehalten wird.«

»Und nennen Sie eine _=Umgehung=_ der Gesetze eine innere Triebfeder?«

»Es war ein Irrthum, dessen sich die Gesetzgeber schuldig machten,«
bemerkte der Ecuadorianer trocken, »die Sclaverei völlig abzuschaffen,
und wir thun nur unsere Schuldigkeit, wenn wir den einmal begangenen und
unwiderruflichen Fehler soviel als möglich gut zu machen suchen.«

»Caracho!« rief der kleine Italiener, »das heißt ehrlich gesprochen, und
eigentlich hätte ich einen anderen Namen dafür. -- Aber damit kommen wir
nicht zur Sache. Unter welchen Bedingungen wird der gefangene Neger
wieder freigegeben?«

»Sobald er seine eingegangene Schuld bezahlt,« lautete die Antwort.
»Derartige Leute benutzen aber höchst selten die ihnen durch unser
Gesetz verstatteten drei freien Tage in jeder Woche, um für sich selber
zu arbeiten, und ihre eingegangenen Verpflichtungen abzutragen.«

»Und wie kann er arbeiten?« rief Rigoli rasch, »wenn sein Herr die ganze
Zeit mit ihm im Lande umherzieht, und ihm die Feiertage nicht einmal
anrechnet, um seine Heimath zu besuchen?« -- Der Alkalde zuckte die
Achseln.

»Das ist allerdings ein Punkt,« sagte er, »den das Gesetz _=nicht=_
vorgesehen hat, denn ich sehe keine Möglichkeit um einen ~caballero~
zu zwingen, ruhig an einer Stelle zu bleiben, damit der ihm verschuldete
Diener Geld in der Nachbarschaft verdienen kann.«

»Und wie viel beträgt des Burschen Schuld jetzt?«

»Soviel ich weiß einige vierzig Thaler,« erwiderte der Richter --
»jedenfalls über ein Jahrlohn -- und wenn es nur _=ein=_ und vierzig
sind, hat er ein Recht ihn zur Arbeit anzuhalten.«

»Und wenn das Geld in einigen Tagen bezahlt wird?«

»Ich weiß doch nicht recht,« sagte der würdige Richter etwas verlegen,
»ob der Señor damit gezwungen werden kann, seine Rechte auf die
_=Jahresarbeit=_ des Burschen aufzugeben, denn er hat keine weiteren
Zinsen von dem ausgelegten Capital.«

»So? -- _=das=_ wollen wir denn aber einmal sehen,« rief der kleine
Italiener, in vollem Ingrimm von seinem Stuhl emporspringend. -- »Wenn
das die neuen Gesetze sind, die der verdammte Mulattengeneral in unserem
Lande geben will!«

»Señor Rigoli,« unterbrach ihn der Alkalde erschreckt, »wissen Sie, daß
Sie von unserer höchsten Obrigkeit sprechen, und ich eigentlich
gezwungen wäre --«

»Zum Henker mit unserer ganzen Obrigkeit,« beharrte aber der
unverbesserliche kleine Schneider, der nicht den geringsten Respekt,
weder vor dem Präsidenten noch vor dem Alkalden zeigte. -- »Wenn es denn
so mit uns steht, dann will ich doch sehen, ob nicht das _=Volk=_
einmal gelegentlich die Sache in die Hand nehmen kann, und wo _=Sie=_
dann bleiben, Señor, und der Padre mit Einschluß Ihres Franco'schen
Generals, darauf bin ich nachher selber neugierig.«

»Señor Rigoli, Sie werden mich noch zwingen, ernstere Maßregeln mit
Ihnen zu ergreifen.«

»Ach Papperlapapp,« sagte der Italiener verächtlich, »drohen gilt nicht,
aber das versichere ich Sie, Señor, wird das Geld herbeigebracht, und
der Schwarze _=nicht=_ freigelassen, dann zettele ich Ihnen hier eine
Negerrevolution an, die sich gewaschen hat, und dann wollen wir doch
einmal sehen, ob wir die Francosche Wirthschaft nicht auch bei der
Gelegenheit auseinanderjagen können.«

»Señor Rigoli!« rief der Alkalde und fuhr aus seiner Hängematte in die
Höhe, aber der kleine Italiener nahm keine Notiz mehr von ihm, stülpte
seinen Hut auf und verließ ohne Weiteres das Haus.




Drittes Capitel.

Die Canoefahrt.


In ängstlicher Furcht hatte indessen das arme Negermädchen unten auf den
Erfolg der Unterredung gewartet, und die lauten, ärgerlichen Stimmen
oben konnten sie wahrlich nicht dabei beruhigen. -- Jetzt endlich kam
der weiße Mann zurück -- aber er sah erhitzt und ärgerlich aus. Sie
wagte nicht einmal ihn zu fragen, welche Hoffnung sie fassen dürfe. Der
kleine Italiener ließ sie aber nicht lange in Ungewißheit.

»Nimm Deinen Bruder, Schatz,« sagte er, »und mache daß Du nach Cachavi
zurückkommst und Dein Geld holst -- ich würde es Dir selber borgen, aber
die Lumpen hier zahlen so schlecht, daß man kaum landesübliche Münze
genug für Bananen und Chocolade im Haus behält. Hast Du ein Canoe?«

»Noch nicht, Señor,« sagte das Mädchen schüchtern; »aber die Señora
Bastiano borgt mir gewiß das ihrige.«

»Gut dann; Du könntest meines kriegen, aber am Bug ist ein Stück
herausgebrochen, und muß erst wieder gemacht werden -- das soll aber
jetzt gleich geschehen, denn ich weiß nicht, wie bald ich es selber
brauchen werde. Wann willst Du fort?«

»Gleich, Señor -- der Weg ist weit,« sagte das junge Mädchen, »sobald
ich nur das Canoe habe.«

»Noch eins -- wie viel Geld hast Du denn eigentlich, Schatz?«

»Es werden wohl 46 Dollars sein,« erwiderte zitternd das arme Kind --
»glauben Sie, daß es genug ist, um den armen José zu befreien?«

»Genug? sicher!« rief der kleine Italiener, sich vergnügt die Hände
reibend -- »und sag' dem Alkalden in Cachavi nur, zu welchem Zweck Du es
willst, und daß sie hier Deinen Liebsten als Sclaven halten, dem Gesetz
zum Trotz. -- Und wenn Du zurückkehrst, so komme gleich zu mir, und ich
bringe die Sache in Ordnung, darauf kannst Du Dich verlassen.
Verstanden?«

»Oh wie soll ich Euch je dafür danken, Señor?«

»Danken? für was?« brummte der kleine Mann vor sich hin -- »wenn ich Dir
das Geld geben könnte, hättest Du Ursache dafür -- so nicht -- mach'
nur, daß Du fort kommst.«

Eva ließ sich das nicht zweimal sagen, und flog die Straße hinab der
Wohnung der »Señora Bastiano«, einer würdigen Negerdame, zu. Allerdings
machte diese noch einige Schwierigkeiten, denn sie wollte morgen oder
übermorgen selber nach dem Pailon hinüber fahren, um dort einige alte
Freunde zu besuchen, da ihr aber das junge Mädchen fest versprach, bis
spätestens übermorgen wieder zurück zu sein, ließ sie sich endlich
erbitten, und kaum zwei Stunden später, nachdem Eva noch von José
Abschied genommen, und seine Seele mit freudiger Hoffnung erfüllt
hatte, saßen die beiden Geschwister, Eva und ihr Bruder Tonio, im Canoe,
ruderten den Santiago hinab, bis zu der nächsten Landspitze und bogen
dann in den Bogota ein, um hier ihre beschwerliche und ermüdende Fahrt
gegen die Strömung zu beginnen.

Aber Eva kannte keine Ermüdung; der freundliche Italiener hatte die
beiden Geschwister auch noch außerdem mit Mundvorrath versehen, daß sie
nirgends anzulaufen brauchten. Frisches Wasser quoll ebenfalls um sie
her, denn bis hierher reichte die Fluth des Meeres nicht, und rüstig und
unverdrossen ruderten sie bis zu der Mündung des Cachavi, wo dann die
Strömung des wohl kleineren, aber viel reißenderen Flusses so mächtig
wurde, daß sie zu ihren Stangen greifen mußten. Aber unermüdlich
arbeiteten sie vorwärts, die ganze Nacht hindurch und noch stand am
nächsten Tage die Sonne hoch am Himmel, als sie das kleine
Negerstädtchen, wo früher ihre Eltern gewohnt, erreichten.

Eva hatte hier keine Schwierigkeit, das ersparte Geld von dem Alkalden
zu bekommen, denn diese Leute speculiren nicht mit den ihnen
anvertrauten Capitalien. Das Geld hing wohlverwahrt in einem Beutel von
weißem Baumwollenzeug an einer etwas versteckten Stelle unter dem Dach
und war rasch herbeigeholt; aber der Alkalde, ein alter greiser Neger,
der früher selber Sclave gewesen, und durch das Emancipationsgesetz
befreit worden, hatte mehr von der Welt gesehen, als das junge Mädchen,
und schien dem unerfahrenen Kinde nur ungern den mühsam genug verdienten
und aufgespeicherten Schatz anzuvertrauen.

Er kannte die Leute, die sich ~caballeros~ nennen, durch und durch,
und wäre am liebsten selber mit nach Concepcion hinab gefahren, um bei
dem dortigen Alkalden die Sache in Ordnung zu bringen -- aber es ging
nicht. Seine Frau war wieder krank und eine Tochter lag am Fieber
darnieder, und dann erwarteten sie jetzt auch mit jedem Tage die
indianischen Träger von Ibarra, die ihnen eine Menge neuer Waaren
bringen sollten, bei deren Verkauf er jedenfalls zugegen sein mußte.
Kurz es ging eben nicht an, und er mußte das junge Mädchen ihrem
Schicksal überlassen.

Diese wäre am liebsten auch gleich an dem nämlichen Abend wieder
aufgebrochen, um auch nicht eine Stunde so werthvoller Zeit zu
versäumen, aber ihr überdieß schwächlicher Bruder war durch die
ungewohnte Anstrengung so erschöpft, daß er einer Nacht Schlaf
nothwendig bedurfte. Der Alkalde selber litt ebenfalls nicht, daß sich
das junge Mädchen so übermäßig anstrenge, sie mußte deshalb bei ihm
übernachten, aber mit Tagesgrauen war sie wieder auf, röstete für sich
und Tonio ein paar Bananen zu Frühstück und Mittagessen, und ging dann
selber zu dem Canoe hinab, um dieses, das die Nacht über stets hoch an
Land hinaufgezogen werden mußte, da der Fluß oft so plötzlich steigt,
flott zu bekommen.

Ihr Bruder packte indessen oben die Bananen ein, und der alte Alkalde
war selber mit zum Fluß gekommen, um nachzusehen, daß sie ihr Geld gut
verwahre, und ihr Glück auf die Reise zu wünschen.

Dem jungen Mädchen war bei der Arbeit -- das Canoe allein über das
Geröll in's Wasser zu schieben -- warm geworden, und sie hatte ihr
leichtes Oberkleid ab und in's Canoe geworfen, der kurze dünne
Kattunrock reichte ihr dabei kaum bis über's Knie. Aber ihr Gesicht
strahlte vor Freude, denn heute noch -- heute, konnte sie den Geliebten
befreien, durfte ihn selber aus seinem dumpfen Kerker in die liebe
Gottesnatur hinausführen, und das Herz hätte ihr fast zerspringen mögen
vor Lust und Seligkeit.

Mit viel geringerem Eifer kam ihr Bruder, von dem Alkalden begleitet,
zum Ufer herunter. Ihm wäre es weit lieber gewesen, wenn er hier oben,
in seiner Vaterstadt, ein paar Rasttage hätte machen dürfen, und von
der übermäßigen Anstrengung gestern thaten ihm außerdem noch die Arme
weh.

Eva sah, wie er nur zum Ufer herabkam, seine betrübte Miene und lachte
ihn fröhlich an.

»Da, setz' Dich vorn hinein in's Canoe und mach' es Dir bequem, Tonio --
ich brauche Dich heute nicht zum Rudern, denn der Fluß trägt uns allein
schon rasch zu Thal.«

»Und hier ist Dein Geld, Mädel,« sagte der Alkalde, indem er der jungen
Dirne den Beutel reichte, »verwahre es gut und laß es nicht in's Wasser
fallen.«

»Ich bin ja doch kein Kind mehr, Señor,« sagte die Jungfrau, indem sich
ein leises Erröthen über ihre dunklen Züge stahl, »seht -- hier schlag'
ich es fest in das Tuch, und wenn ich auch schwimmen müßte, so kann's
nicht verloren gehen.«

Damit nahm sie sich ein seidenes, buntes, aber schon lange verblichenes
Tuch, das ihr José einmal in früherer Zeit geschenkt, vom Hals,
faltete das Geld hinein, verband die beiden Enden dicht mit im Canoe
liegenden Bast und schlug es sich dann um die schlanke Hüfte. -- »So --
und _=noch=_ einen Knoten, und nun dürft Ihr sicher sein, daß ich es
nach Concepcion bringe.«

»Dann mit Gott, mein Kind,« sagte der alte Neger. »Du bist ein
rechtschaffenes und braves Mädchen, und verdienst dereinst glücklich zu
werden. Hast Du Deinen José aber befreit, dann bleibe nicht in
Concepcion zwischen den vielen Weißen -- sie hassen uns, wenn sie sich's
auch nicht immer merken lassen. -- Kommt herauf zu uns nach Cachavi --
zu verdienen giebts hier immer, und daß Du an mir einen treuen Freund
hast, weißt Du ja.«

»Dank Euch, Señor -- Dank Euch recht vom Herzen -- ich werde die
freundlichen Worte nie vergessen, die Ihr zu der armen Waise
gesprochen,« sagte die Jungfrau, -- »und Gott nur weiß, wie bald wir
Eure Hülfe in Anspruch nehmen müssen. Geht aber Alles gut, und bleibt
José und ich gesund, dann hoff' ich, gründen wir uns auch unseren
eigenen Heerd, ohne irgend Jemandem zur Last zu fallen. Wir sind Beide
jung und kräftig und der Herr da oben wird ja weiter helfen. -- Alles in
Ordnung, Tonio?«

»Alles, Eva,« sagte der junge Bursch, der sich behaglich vorn in dem
Canoe ausstreckte -- »stoß ab, daß wir vielleicht in der Hitze ein
Bischen in den Schatten fahren können.«

Das Mädchen trat, ohne ein Wort weiter zu sagen, aus dem Canoe hinaus in
die klare Fluth, um das schwanke Fahrzeug von den letzten Steinen, auf
denen es noch auflag, los zu heben, als ein scharfer, gellender Schrei
vom oberen Theil des Stromes niederschallte, und rasch in dem Dorfe
selber an mehreren Stellen beantwortet wurde.

»Halt, Mädel! Halt!« rief der alte Alkalde rasch und erschreckt -- »die
Wasser kommen. Hab' ich es mir doch fast gedacht, denn es donnerte
tüchtig gegen Morgen, und oben in den Gebirgen ist ein starker Regen
gefallen.«

»Desto rascher kommen wir hinab,« lachte aber das tollkühne Ding, indem
sie ihr Canoe mit starker Hand in den Strom hineinstieß, und selber
nachsprang.

»Caramba, Eva,« rief ihr Bruder erschreckt, indem er sich mit beiden
Armen an dem Rand des Canoe emporrichtete. -- »Du willst doch nicht etwa
fahren, wenn die Wasser kommen?«

»Und warum nicht?«

»Das ist Thorheit, Mädel!« schrie der Alkalde, indem er selber in die
Fluth hineinsprang, um das Canoe noch zu erfassen und zurückzuziehen.

»Zu spät!« lachte aber Eva, indem sie ihr Ruder schon gegen die Steine
gesetzt hatte, und das schlanke Boot mit scharfem Druck in den Strom
hinaustrieb. -- »Wir können ja auch Beide schwimmen, und schlägt das
Canoe gar um, bringen wir's schon wieder in die Höh'. Adios, Señor,
adios! Habt keine Sorge um uns. Ich weiß ein Ruder zu führen. Hei, da
kommt die Woge! Jetzt, Tonio, liege still und rühre und rege Dich nicht.
-- Adios, Señor, auf Wiedersehen in Cachavi!«

Vom Strande nieder stürzten eine Masse schwarzer Gestalten nach dem
Flußufer, um ihre dort angebundenen Fahrzeuge in Sicherheit zu bringen,
denn rasend schnell steigt oft das Wasser in diesem kleinen, den
mächtigen Bergen entquellenden Strome. Unten im Thal ist vielleicht das
schönste, sonnigste Wetter, und das Wasser des Cachavi selber, so klar
wie Krystall, murmelt still dahin in der eingeengten Bahn. Aber weiter
oben hat der Sturm seinen Tanz gehalten, und die Wolken haben ihre
Sturzfluth über die Hänge entladen, an deren steilen Abdachungen nieder
Bach an Bach in die Hauptader hinabspringt. Den Lehm aber wuschen sie
mit, und nicht allmählig wächst der Fluß dann an, nein, so gewaltsam und
mit einem Guß, wie ihm die Massen zugetheilt wurden, so wälzt er sie in
einer hohen, lehmfarbenen Woge die Bahn entlang, und hinter dieser
braust und kocht schäumend die Sturmfluth, nicht selten Felsblöcke aus
ihrem Bett drängend und mit sich fort führend.

Sie kann auch nicht heimlich nahen. Schon von weitem hört man ihr
dumpfes Brausen, und wie sie die Bäume schüttelt und Busch und
Strauchwerk tief hineintaucht in ihre kochenden Wogen; wahrhaft
unheimlich sieht es aus, wenn die hohe gelbe Welle sich überstürzend in
den klaren Strom hineinpeitscht, und wenn sie, darüber hinrollend, die
zurückgelassene Fluth in flüssigen Lehm verwandelt.

Der Fluß steigt in einem solchen Falle oft drei bis vier Fuß in wenigen
Minuten und führt mit Pfeilesschnelle auf seiner Oberfläche dahin, was
er sich losgespült. Indianer und Schwarze aber, die an seinem Ufer
wohnen, flüchten, wenn sie sich gerade in ihren Canoes befinden, in
wilder ängstlicher Eile an Land und ziehen ihre Fahrzeuge hinter sich
her, bis sie dieselben in sicherer Entfernung von den rasenden Wassern
wissen.

Nun wußte der alte Alkalde allerdings, daß ein Mensch, wenn er sein
Ruder gut gebrauchen konnte, wohl im Stande wäre, die Mitte der Strömung
zu halten, und aufkochende Wirbel zeigten immer schon voraus, wo ein vom
Wasser kaum bedeckter Felsen ihm hätte Gefahr bringen können. Aber das
schwache Mädchen -- war _=sie=_ im Stande, das Canoe zu steuern, und
wenn ihr die Kraft gebrach -- sie kannte die Gefahr gar nicht, von einer
solchen Fluth erfaßt zu werden, gegen die keine Menschenkraft im Stande
gewesen wäre anzuschwimmen. Wenn ihr Kopf gegen einen Felsen traf --

Aber zu spät kamen alle Warnungen und Zurufe; das tolle Mädchen
_=wollte=_ nicht hören, und hochaufgerichtet, das Ruder im Wasser
haltend, das Antlitz aber der heranstürmenden gelben Woge zugewandt, um
ihr mit voller, ungeschwächter Kraft entweichen zu können, stand sie da.
Sie wußte, daß die Gefahr schon halb vorüber war, sobald sie nur die
erste hohe Welle verhindert hatte ihr die Fluth in das Canoe zu werfen
-- jetzt kam sie heran -- das Ruder setzte sie ein, daß es sich von dem
Drucke bog -- fort schnellte das Canoe, hinter ihr die gelbe drohende
Masse -- aber das Wasser, das so vorausdrängte, hob das Hintertheil des
leichten Fahrzeugs, jetzt faßte es die Woge und drohte den Bug vorn in
den Grund zu bohren, Tonio stieß einen Angstschrei aus, und hielt sich
krampfhaft an dem Bootrand fest.

»Gewonnen!« jubelte da die wilde Schifferin, indem sie den linken Arm
emporwarf, aber keine Zeit blieb ihr jetzt weitere Zeichen zu geben,
denn ihre ganze Gewandtheit erforderte die Regierung des Bootes, das sie
mit kundiger Hand inmitten der furchtbaren Strömung zu lenken wußte.

Und es war ein wunderbar schönes, wenn auch wildes Bild.

Hochaufgerichtet im Canoe, den schlanken, üppigen und rabenschwarzen
Oberkörper nackt bis zum Gürtel, mit jeder Muskel in voller Thätigkeit,
stand die Jungfrau. Das wollige, in kleine Zöpfe geflochtene Haar
flatterte im Wind, die dunklen, seelenvollen Augen glühten im Triumph
über ihr gewonnenes Wagestück, die vollen rothen Lippen hatte sie
trotzig aufgeworfen, daß zwei Reihen perlengleicher Zähne sichtbar
wurden, und das lange Ruder mit voller Sicherheit, und dadurch auch mit
Ruhe führend, glitt sie wie eine schwarze Najade über die schäumende
Fluth.

Die zum Strome hinabgesprungenen jungen Männer hatten ihr anfangs
erschreckt und sprachlos nachgesehen, denn keiner von allen zweifelte
daran, daß die erste und schwerste Sturzfluth auch ihr Schicksal
besiegeln und das Canoe rettungslos senken und füllen müßte. Wie es sich
aber hob und sank und wieder hob, und die schlanke Gestalt des Mädchens
fest und unerschüttert in ihrem Nachen stehen blieb, da donnerte ein
lauter Jubelruf der Bewunderung und des Beifalls hinter ihr her, und ein
leichtes Lächeln flog über ihre schönen Züge, als er ihr Ohr erreichte.
-- Aber schon hatte sie die nächste Biegung des Stromes erreicht -- wie
ein Pfeil glitt der Kahn, von der stürzenden Fluth getragen, dahin --
ihr Ruder begegnete der Kraft, die sie an das jenseitige Ufer zu werfen
drohte -- sie hielt die Mitte des Stromes, und wenige Secunden später
war auch der Schrei schon in weiter Ferne verhallt, und hoher, mächtiger
Urwald umgab sie an allen Seiten.

Tonio, der kleine schwarzbraune Bursche, dem aber der Muth der Schwester
vollständig gebrach, hatte mit Entsetzen sich zum Theilhaber eines
Wagestücks machen sehen, das ihm die krause Wolle zu Berge trieb. Mit
beiden Händen fest an den Rand des Canoes geklammert, erwartete er auch
nichts Geringeres, als dieses sinken und umdrehen zu sehen, wobei sie
selber dann, wenn sie an's Ufer schwimmen wollten, gegen die noch immer
hier und da aus der gährenden Fluth vorragenden Felsböcke geschleudert
und elend zerschellt werden würden. Er war sich auch in dem Augenblick
wirklich noch nicht einmal recht klar, ob die Schwester ihr Fahrzeug
muthwillig in den Strom hinausgestoßen, oder ob die Sturzfluth sie in
ihrem wilden Ansturm vom Ufer losgerissen habe, und das Canoe jetzt,
grimmig spielend, seinem Verderben entgegen wirbelte. -- Aber es behielt
seine Richtung -- es schwankte wohl unter den nachpressenden Wellen und
tanzte auf und ab, aber der schlanke Bug vermied sorgfältig jede Gefahr,
die ihm durch Felsen oder treibendes Holz drohen konnte und hoch und
aufgerichtet, mit den blitzenden Augen jeden gefährlichen Punkt
bewachend und ihm ausweichend, stand Eva im Rücktheil des Bootes.

Die ersten Wellen hatten dabei wohl ihre Spritzkämme an Bord gesandt und
eine Menge Wasser hineingeworfen, das gleich anfangs keine Zeit blieb zu
beseitigen. Jetzt aber war die erste Gefahr überwunden, und sich völlig
bewußt der weiteren Fahrt auch ruhig begegnen zu können, wandte sie ihre
Aufmerksamkeit auch wieder dem Boote zu.

»Komm, Tonio,« sagte sie lachend, »rutsch ein Stückchen weiter zurück zu
mir, daß ich das Wasser im Canoe unter die Füße bekomme. Was fürchtest
Du Dich, Muchacho, Du weißt ja doch, daß ich ein Canoe zu führen
verstehe.«

»Ja, aber Eva,« klagte der Knabe, indem er jedoch dem Befehl Folge
leistete, »was fiel Dir denn auch ein, in den Strom hinauszustoßen, wo
die Fluth kam. Wenn ich das vorher gewußt hätte, wär' ich gewiß nicht
mit Dir gefahren.«

»Du bist gar nicht wie ein Junge, Tonio,« sagte das junge Mädchen
lachend, indem sie den rechten Fuß im Canoe feststellte, und dann mit
dem linken das im Canoe stehende Wasser faßte, und es so gegen ihr
rechtes Bein schnellte, daß es hoch aufspritzend über Bord flog. Mit
sechs, acht Streichen hatte sie das kleine Fahrzeug vom Wasser klar, und
das bischen Nässe, das zurückblieb -- bah, was schadete das den bloßen
Füßen der Maid; ja, es kühlte sie eher, indem es darüber hinwusch.

Aber jetzt erforderte der Fluß auch wieder ihre volle Aufmerksamkeit,
denn noch war er nicht hoch genug gestiegen, um die darin liegenden
Stromschnellen völlig auszugleichen, und vor ihr lag eine Stelle, in der
die gelbe Fluth gurgelte und zischte, und überall verrätherische, unter
dem Wasser lauernde Felsen kündete.

»Setz' Dich, Eva,« bat Tonio, »wenn das Canoe einen Stein streift,
fliegst Du hinaus und kannst Dir Schaden thun.«

»Wenn ich sitze, seh' ich die Felsen nicht,« entgegnete aber die wackere
Bootführerin, »hab' keine Angst, Herz, ich führe Dich sicher hindurch.
Ist es denn das erste Mal, daß ich durch solches Wasser steuere?«

Im nächsten Moment brodelte und schäumte die Fluth um den Bug und wie es
die Wellen faßten, rieb der flache Boden ein paar Mal auf den glatten
Steinen. Aber Eva hatte nicht zu viel versprochen, wenn sie dem Bruder
versicherte, sie führe durch, was sie begonnen. Jetzt lag das Ruder
zwischen ihren Füßen und mit einer leichten, aber zähen Stange, die sie
aufgegriffen, lenkte sie den Lauf des Canoes so geschickt, daß es auch
nicht ein einzig Mal die Seite den gefährlichen Stellen bot.
Blitzesschnell aber schoß das leichte Fahrzeug in den aufgeregten
Wassern seine Bahn dahin, und Secunden brauchten sie dazu, um Stellen zu
passiren, gegen die sie gestern noch, mit Anspannung aller ihrer Kräfte
halbe Stunden lang anarbeiten mußten.

Erst aber nur einmal eine einzige Legua zurückgelegt, und die Gefahr war
vorüber; das Wasser fing an sich wieder zu beruhigen -- es stieg wohl
noch, aber nur langsam, und mit unermüdeter Kraft trieb Eva ihren Nachen
weiter.

Nur ein einziges Mal landeten sie auch unterwegs, und zwar an einer
Stelle, wo ein alter Neger, ein Freund ihres verstorbenen Vaters, den
Urwald gelichtet und einen Platanar angelegt hatte, und der Alte ließ
sie nicht fort, ehe sie nicht einen Becher Chokolade bei ihm getrunken
hatten. Aber dann ging es auch weiter, und Tonio mußte jetzt ebenfalls
sein Ruder nehmen, um noch rascher das Ziel zu erreichen.

Am Cachavi selber trafen sie überhaupt wenig gelichtete Punkte --
das tiefer gelegene Land war fruchtbarer, und als sie den ruhigern
Bogota erreichten, schien es ordentlich, als ob sie die Wildniß
hinter sich gelassen hätten. Noch mußten sie allerdings weite
Strecken Wald passiren, aber dann lichtete sich dieser plötzlich,
und die breitblätterigen Bananen schüttelten ihre edel geformten
Wipfel bis dicht über die, steil unter ihnen abfallende Uferbank.
Hochstämmige Cocospalmen ragten mit ihren gefiederten Kronen über
die darunter versteckten Wohngebäude der Menschen, und Cacao- und
Baumwollenpflanzungen bewiesen, daß auch der _=freie=_ Neger, wo ihm
zu seiner Entwicklung nur Raum gegeben wird, dem Boden mehr abzuringen
weiß, als er zu seinem eigenen Bedarfe braucht.

Aber wenig genug beachtete das junge Mädchen diese Anfänge der
Civilisation, diese Zeichen regen Fleißes, und nur dann und wann haftete
ihr Blick hier und da auf einer freundlicher gelegenen Hütte, aus deren
Schattenbäumen vielleicht eine Fülle goldiger Orangen hervorleuchtete,
während zahmes Vieh am Ufer des Flusses weidete, denn so hatte sie sich
ihre eigene Heimath oft und oft in stillen Stunden ausgemalt, und ein
schwerer Seufzer hob dann wohl ihre Brust, wenn sie daran dachte, wie
lange sie Beide -- sie und ihr José, wohl noch hart und bitter
arbeiten müßten, ehe sie das ersehnte Ziel erreicht. -- Aber der Arm
ruhte dabei auch keinen Augenblick -- je näher sie der Mündung des
Bogota in den Santiago kamen, desto schärfer griff sie aus, denn jede
Viertelstunde, die sie hier versäumte, verlängerte ja auch die
Kerkerhaft des Geliebten.

Endlich sah sie das breite, klare Wasser des schönen Stromes vor sich --
um die Landzunge bog der Bug ihres Canoes, und dort voraus schimmerten
wieder die weißen Häuser von Concepcion im Sonnenlicht.

Oh wie bog sich ihr Ruder gegen die Strömung des Santiago jetzt an, um
die kurze Strecke dort hinüber zurückzulegen, und wie trieb sie den
Bruder an, den sie bis jetzt so viel als möglich geschont, um sie in
dieser letzten kurzen Fahrt zu unterstützen. Er theilte ihre Eile gar
nicht, denn dort wartete nur wieder die Werkstatt des kleinen Italieners
auf ihn, der er gar so gern noch eine kurze Zeit entgangen wäre -- aber
die Schwester ließ ihn nicht. Aus allen Kräften mußte er sich in's Ruder
legen, und kaum berührte ihr Canoe den Sand, unterhalb der Stadt, als
sie auch schon mit flüchtigem Satz an's Land sprang, Tonio die Sorge um
das Canoe überlassend.

Kaum nahm sie sich dabei Zeit, ihr Oberkleid wieder umzuwerfen, so
drängte es sie, dem Geliebten die Kunde seiner baldigen Freiheit zu
bringen, und rasch hatte sie auch das Gefängniß erreicht, aber -- ein
eisiges Gefühl ergriff ihr Herz, als sie das niedere, unheimliche
Gebäude schon von weitem erblickte, denn -- die Thür stand offen. --
Hatten ihn die _=Weißen=_ frei gelassen, oder war er --

Ueber den Plan schlenderte der Schließer des Gebäudes, ein alter
mürrischer Neger mit einem, von den Blattern ganz zerrissenen Gesicht.
-- Sie kannte ihn.

»Oh Pedro!« rief sie ihn mit zitternder Stimme an -- »wo -- wohin habt
Ihr José gethan?«

»José?« antwortete der Alte mürrisch -- »sein Herr ist mit ihm heute
Morgen den Strom hinab gefahren. -- Was weiß ich, wohin.«




Viertes Capitel.

Nach dem Pailon.


Eva's Herzblut stockte bei der furchtbaren Kunde. -- So war alle Mühe
und Aufopferung umsonst gewesen und José -- der unglückliche
José auf's Neue für sie verloren. Im ersten Augenblick stand sie
auch wirklich regungslos und keines Gedankens fähig an derselben Stelle,
nur von dem Gefühl ihres Unglücks, ihrer Verlassenheit erfüllt, und der
alte Pedro war lange in den Schatten seiner eigenen Wohnung
zurückgekehrt, ehe sie einen neuen Entschluß fassen konnte, was nun zu
thun -- wie zu handeln.

Rigoli -- der kleine freundliche Weiße -- er blieb jetzt ihre einzige
Hoffnung, und wenige Minuten später stand sie in seiner Wohnung.

Der Italiener war allerdings auf's Aeußerste überrascht, sie schon
wieder in Concepcion zu sehen, und wollte es kaum glauben, daß sie in
der Zeit nach Cachavi hinauf und wieder zurückgerudert sein könne. Aber
das mitgebrachte Geld, das sie ihm zeigte, ließ keinen Zweifel mehr, und
Rigoli, der indessen den Gefangenen nicht aus den Augen verloren, erging
sich nun erst für kurze Zeit in einer Reihe der lästerlichsten
Verwünschungen gegen den schuftigen Guajaquilenen, jenen Francoschen
Offizier, und gegen den Alkalden selber, der mit ihm jedenfalls unter
einer Decke stecke. Eva, die ihn dabei mit keiner Sylbe unterbrach,
erfuhr nun, daß er gestern noch einmal bei dem Alkalden gewesen sei, und
dort einen heftigen Auftritt mit diesem gehabt habe, als er hörte, daß
sich der angebliche Offizier zur Abreise bereit mache. Er verlangte,
daß dieser die Rückkunft des abgesandten Boten erwarten solle, der
abgegangen wäre um die Summe für den Loskauf des Gefangenen
herbeizuholen -- ja er erbot sich sogar selber Bürgschaft für die
Zahlung des Geldes zu leisten -- Alles aber vergebens. Der Guajaquilene
behauptete, daß er seinen _=Diener=_ jetzt gerade nothwendig brauche, da
er an den Pailon hinüber und von dort durch den Wald wieder nach
Concepcion zurückkehren wolle. Er wisse aber nicht, ob er dort sicher
einen Träger bekommen könne. Wenn er zurückkehre und das Geld wirklich
bezahlt werde, so ließe sich weiter über die Sache sprechen.

»Und kehrt der Weiße wirklich hierher zurück?«

»Der Teufel trau' ihm!« rief Rigoli heftig aus -- »möglich ist's, aber
sicher in keinem Fall, denn was ich mir über die Sache denke, so ist
dieser vorgebliche Franco'sche General weiter Nichts als ein ganz
gewöhnlicher Landspeculant, der die Gegend hier abschnüffeln will, ob er
irgendwo einen vortheilhaften Kauf machen kann, ohne Schwielen dabei in
die Hände zu bekommen. Wenn er den José aber hier nicht an den Padre
abtreten darf, so verkauft er ihn unterwegs, wo er die erste beste
Gelegenheit bekommt, und ein paar hundert Dollars daran verdienen kann.
Die nöthigen Papiere sind ja leicht genug fabricirt, und wenn er dem
armen Jungen, der natürlich weder schreiben noch lesen kann, etwas von
baldiger Freiheit vorschwatzt, malt der sein Zeichen unter irgend einen
Wisch, den er ihm vorlegt.«

»Armer José,« hauchte das zitternde Mädchen.

»Wenn wir einen anderen Alkalden hätten, als diesen Holzklotz von einem
Menschen,« zürnte der kleine Italiener, »so wäre so etwas ganz unmöglich
gewesen. Aber mache einmal etwas gegen diesen -- ich hätte bald was
gesagt. Er blieb dabei, daß kein Gesetz des ganzen Staates irgend einen
weißen und freien Mann zwingen könne, seine Reise aufzuschieben, und
fort ist er jetzt an den Pailon -- ich hab' ihn nicht halten können.«

»Und wenn ich ihm dort das Geld für José brächte,« rief das Mädchen
plötzlich, von einem neuen Gedanken ergriffen, »müßte er ihn dort nicht
frei geben?«

»Hm,« sagte Rigoli -- »aber Du kannst nicht allein an den Pailon gehn --
Du kennst ja Niemand dort.«

»Die Señora Bastiano fährt heute oder morgen dorthin ab. Sie befahl mir
ihr Canoe rasch zurückzubringen, weil sie es für die Reise brauchte. --
Sie nimmt mich mit -- und ist auch bekannt dort und geachtet --«

»Geachtet? -- hm,« sagte der kleine Schneider, der seine ganz eigene
Idee darüber hatte, wie geachtet die dicke Negerin wohl in der, jetzt
von lauter Fremden besetzten Ansiedlung sein würde. Aber er mochte dem
armen Kinde auch das Herz nicht unnöthiger Weise vielleicht schwer
machen und sagte endlich:

»Nun, versuchen kannst Du's immer, Schatz -- Schaden wird's nicht thun,
ob's Dir aber hilft -- Gott weiß es. Säßen wir hier nur nicht so
weggesetzt aus der Welt, ich ginge -- straf mich dieser und jener,
meiner Seel' selber zum Präsidenten, und wenn es selbst dieser blutige
Franco wäre, und schenkte ihm einmal ein Glas reinen Wein ein; aber von
hier aus müßte ich erst nach Tomaco in Neu-Granada, und dort auf das
Dampfboot passen, und wo das Geld dazu hernehmen, wo keiner der hiesigen
Lumpe Geld genug im Sack hat, auch nur den Stoff für seine Hosen zu
bezahlen.«

»Lebt wohl, Meister Rigoli,« sagte Eva herzlich -- »und habt Dank --
vielen Dank für die Mühe, die Ihr Euch meinetwegen gegeben. Ich werde es
Euch nie vergessen.«

»Bah Mädel,« sagte der kleine gutmüthige Mann, »reden wir nicht weiter
davon. Ich wollte ich könnte Dir mehr helfen. Aber laß gut sein, jetzt
-- geh erst mit Deiner dicken Señora an den Pailon, und wenn Du dann
zurückkommst und Nichts ausgerichtet hast --«

»Aber sie müssen ihn doch freilassen, wenn ich das Geld für ihn
bezahle.«

»Na ich setze ja nur den schlimmsten Fall -- gewiß müßen sie, wenn ihre
Gesetze nicht lauter Lügen sein sollten -- aber ich meine ja nur so --
wenn Du trotz alle dem Nichts ausrichten solltest, dann komm wieder zu
mir hierher und -- ich weiß dann freilich selber noch nicht, was ich
gleich thun werde, aber einen Skandal giebts, darauf kannst Du Dich
verlassen -- einen Mordskandal, und das Andere -- wollen wir dann eben
abwarten. Schon gut, Mädel, schon gut, -- mach' jetzt, daß Du zu Deiner
Señora Bastiano hinüber kommst. Apropos, wo ist denn Dein Bruder
eigentlich -- ah, da kommt er eben angekrochen. Na! der wird schön müde
sein von der Parforcetour. Du hast den Teufel im Leibe. Nun er mag heute
schlafen und sich ordentlich ausruhen, daß er mir morgen wieder frisch
bei Kräften ist.«

Wie in einem Traum stieg das arme Mädchen die Leiter hinab und eilte dem
Hause der Patronin zu, von der allein sie jetzt noch Hülfe und
Unterstützung hoffte. Die alte würdige Dame war übrigens den Augenblick
bereit, sie mitzunehmen, aber für heute Abend war an den Aufbruch nicht
mehr zu denken. Sie hatte das Canoe gar nicht so rasch zurück erwartet
-- sie mußte ja damit geflogen sein -- einige Provisionen mußten auch
noch eingelegt, und einige Abschiedsbesuche gemacht werden -- Morgen
früh aber jedenfalls -- je früher desto besser, um die Morgenkühle noch
zu benutzen, und dann wollten sie den Señor schon kriegen, der einen
freien Mann zum Sclaven herabwürdigte. _=Sie=_ kannte alle Familien am
Pailon -- brave ehrenwerthe Leute, mit denen sie in intimster Verbindung
stand -- die ließen sie nicht im Stich, und Eva konnte ganz ruhig sein,
auf dem Rückweg hätten sie ihren José mit im Canoe.

Das Mädchen brannte vor Ungeduld, aber die Señora Bastiano war nicht aus
ihrem Gleis zu bringen, und es blieb eben bei der Abfahrt auf den
nächsten Morgen.

Schon vor Tag war Eva munter und unten an der Landung, um das kleine
Canoe in Stand zu setzen und ja keine Zeit zu versäumen -- aber es half
ihr Nichts. Eine Reise nach dem Pailon war für die würdige Dame, die nur
selten aus ihren vier Pfählen kam, eine viel zu wichtige Begebenheit,
um sie so leichthin anzutreten. Die dazu nöthigen Vorbereitungen mußten
mit der ihrem Stande würdigen Ordnung getroffen werden. Dabei hatte sie
sich überlegt, daß das kleine Canoe ein solches Auftreten aber unmöglich
mache, und deshalb beschlossen, ein größeres zu miethen.

Dem lagen nun allerdings keine Schwierigkeiten entgegen, denn große
Canoes gab es in Concepcion genug, und ein solches war bald
herbeigeschafft, aber es erforderte einige Zeit, ehe eine hübsch und
vollständig schattige Laube in dem Heck desselben aufgebaut werden
konnte, und wenn auch Eva unermüdlich Bananenblätter und Stäbe
herzutrug, und die Arbeiter zur Eile antrieb, so wurde es doch fast zehn
Uhr, ehe sie Alles in Stand hatten, und die Señora gerufen werden
konnte.

Und jetzt kam sie. Señora Bastiano war wirklich eine Persönlichkeit in
Concepcion, -- unter der farbigen Ra~ç~e wenigstens. Ihr Mann besaß
ein nicht unbedeutendes Grundeigenthum und hielt eine Menge Leute in
seinen Diensten. Außerdem spielte er ganz vortrefflich die Marimba oder
Holzharmonika, und da die alte Señora wirklich ein gutes Herz hatte und
viele Arme unterstützte, so war sie gewißermaßen ein Orakel der Neger
geworden, die sich bei ihr und ihrem Gatten in schwierigen Verhältnissen
gern Rath, und wenn es sein mußte, auch Hülfe holten.

Es ist dabei wunderbar, mit welcher Würde solche alte Negerdamen
aufzutreten pflegen, wenn sie einen gewissen Rang in der Gesellschaft
einnehmen, oder doch einzunehmen glauben. Keine Fürstin mag es ihnen an
huldreicher _=Herablassung=_ gleich thun, wo sie mit minder Glücklichen
zusammen kommen, und da sie sich außerdem sehr gewählt kleiden und fast
immer eine sehr tiefe Baßstimme haben, so kann sich der Europäer, wenn
er ihnen begegnet, selten eines Lächelns erwehren -- aber ich wollte es
ihm nicht rathen, daß es die Señora bemerkte. Ein völlig vernichtender
Blick würde ihn gewiß dafür strafen.

Señora Bastiano war der Typus dieser Negerfrauen. Wohlbeleibt, wenn auch
nicht übermäßig stark, aber sehr voll gebaut, und mit zurückgebogenem
Kopf einherschreitend, trug sie ein carrirtes Seidenkleid; darüber,
trotz der niederbrennenden Sonne, einen papageygrünen chinesischen
Shawl, eine dicke Kette von Bernsteinkugeln um den braunen Hals, und
glanzlederne Schuhe aber _=ohne=_ Strümpfe, und einen hellgelben,
seidenen Sonnenschirm oder Knicker, den sie aber nur als Fächer
benutzte.

Die Begleitung Eva's war ihr dabei ganz angenehm, denn wenn sie auch
selbstverständlich ein Mädchen zur Bedienung mitnahm, sahen zwei doch
besser und anständiger aus, und Eva dankte Gott, als sie endlich im
Canoe saßen, das von zwei starken Negern gerudert wurde, und sie nun
unterwegs waren. Rückten sie doch nun auch mit jedem Ruderschlage ihrem
Ziele näher. Sie selber wollte auch gleich mitarbeiten, aber das litt
die Señora nicht.

»Laß Du das nur die Leute thun, mein Kind,« sagte sie freundlich, aber
bestimmt. »Die haben Mark in den Knochen und bringen uns schon rasch
genug vorwärts, ob wir ein paar Stunden früher oder später an den Pailon
kommen, bleibt sich doch vollkommen gleich. Du kriegst Deinen José.«
Damit war die Sache abgemacht.

Das Canoe war ein breites, sehr bequem hergerichtetes Fahrzeug, aus dem
Stamm eines der mächtigen Waldriesen dieser Gegend ausgehauen, mit
flachem Boden, daß es nicht so leicht umschlug, und um ihm noch größere
Sicherheit zu geben, mit ein paar schwachen Balsastämmen[B] an beiden
Seiten. Den dritten Theil des ganzen Canoes deckte dabei eine
laubenartige Hütte, gerade hoch genug, daß man bequem, und ohne
anzustoßen, darunter sitzen konnte. Sie war einfach durch gebogene und
am Canoe befestigte Bambusstäbe hergestellt, über welche die breiten
Blätter der wilden und keine Frucht tragenden Banane gelegt und
festgesteckt wurden, und so dicht, daß sie nicht allein die
Sonnenstrahlen verhinderten durchzubrechen, sondern auch einen recht
tüchtigen Regenschauer abhalten konnten, -- und auf beides mußte man in
diesem Klima gefaßt sein.

In der Mitte der Laube nun, auf einer Anzahl von weichen Matten, saß die
Señora, zu ihren Füßen kauerte die mitgenommene Dienerin, und wenigstens
des Steuers hatte sich Eva bemächtigt, um doch etwas beitragen zu
können, zur Beschleunigung ihrer Reise.

So ruderten sie mit der nicht unbedeutenden Strömung -- nachdem der
Abschied am Ufer von einer Anzahl anderer würdiger Damen auch noch
einige Zeit in Anspruch genommen -- rasch vorwärts, und wie ein
wechselndes Bild von Palmen, Bananen und mächtigem Urwald, der seine
Riesenzweige bis weit über das Ufer hinausstreckte, glitt die Landschaft
an ihnen vorüber.

»Siehst Du das Haus dort, an der rechten Uferbank, Eva?« frug da die
alte Dame, nachdem sie etwa eine Stunde so gefahren waren, »wo die
vielen Orangen stehen?«

»~Si~ Señora.«

»Fahre dort an die Landung.«

»Wollen wir halten?«

»Ja mein Kind; die Señora Piedra würde es mir sehr übel nehmen, wenn ich
vorbeiführe, ohne ihr einen guten Morgen zu sagen. -- Es sind gar
achtbare Leute die Piedras.«

Eva gehorchte seufzend, und eine volle Stunde ihrer kostbaren Zeit wurde
damit verschwendet, daß sich ein paar alte Frauen leere Höflichkeiten
sagten, und Chokolade dazu tranken.

Und das war nur der Anfang einer vollkommenen Kette von Besuchen
gewesen, denn Señora Bastiano schien es mit einem höchst empfindlichen
Gefühl von Schicklichkeit ganz unversöhnbar zu halten, daß sie auch nur
ein einziges Haus vorbeifuhr, in welchem eine, selbst flüchtige
Bekanntschaft wohnte. Und was für Zeit brauchte sie nicht allein zum
Ein- und Aussteigen, und dem vorläufigen Anfragen im Hause, wohinauf
immer erst einer der Ruderer mußte, um sich zu erkundigen, ob die
»Señora« daheim und geneigt sei, den Besuch zu empfangen. Wie sie aber
den vierten solcher Besuche gemacht und glücklich beendet hatten, trat
die _=Fluth=_ ein, in deren Bereich sie sich schon befanden, und um ihre
Leute nicht unnöthig anzustrengen, wie auch den dringenden Anforderungen
einer anderen dicken Mulattin nachgebend, dort zu übernachten, wurde das
Boot noch am hellen lichten Tag an Land gezogen und Halt gemacht. Bei
Nacht wäre Señora Bastiano überhaupt nicht gefahren -- ihre Nerven
vertrugen das nicht.

So versäumten sie die Ebbe, und mußten bis zur zweiten Ebbe warten, die
erst um neun Uhr Morgens eintrat. Dann erst gingen sie wieder unterwegs,
aber auch nur, um diese unglücklichen Besuche zu erneuern, mit denen
wieder ein Theil der günstigen Zeit nutzlos vergeudet wurde.

Eva hätte blutige Thränen der Ungeduld weinen mögen, aber selbst ihre
Bitten fruchteten Nichts bei der alten Dame.

»Kind, das verstehst Du nicht,« sagte sie leutselig, »wenn Du einmal
älter bist, wirst Du auch einsehen, daß man Rücksichten im Leben zu
nehmen hat, und daß wir uns selber damit ehren, wenn wir Anderen eine
Ehre erweisen.«

Es blieb auch dabei, und als sie endlich die Gegend der Manglaren
erreichten, wo die Ansiedelungen seltener wurden, und zuletzt ganz
aufhörten, war es zum zweiten Male nöthig geworden, in dem letzten Hause
zu übernachten.

Von da an nahmen die Visiten ein Ende; nur im Garcero sprach die Señora
am nächsten Morgen noch einmal vor, traf aber glücklicher Weise Niemand
zu Hause, da die Bewohner der Ansiedelung sämmtlich nach dem Pailon und
San Lorenzo hinaufgefahren waren, und jetzt endlich faßten
undurchdringliche Manglaren das sumpfige Ufer ein, Lagune schloß sich an
Lagune und bildete Inseln und Küstenland, an dem zur Fluthzeit das
Wasser in den Zweigen und wunderlichen Wurzelbildungen der Mongrove
wusch, und zur Ebbezeit den von Millionen von Krabben bevölkerten
Schlamm offen legte.

Bald fuhren sie auch in den breiten und tiefen Canal des Pailon ein, der
in einem rechtwinkeligen Arm erst von dem nördlich gelegenen Ocean nach
Süden hineinläuft, und hier von der Mündung der Tolita-Lagune direkt
nach Osten einmündet. An dem Süd-Ufer dieses breiten Armes lag das
kleine Fischerdorf San Lorenzo.

Es hatte die Nacht über wieder gegossen, was vom Himmel herunter wollte
-- wie denn überhaupt in diesem Himmelsstrich und inmitten der weiten,
waldbewachsenen Niederungen selten eine Nacht ohne Regen vorüber geht --
aber jetzt, nachdem sie die Morgennebel niedergedrückt, stand die Sonne
frei und klar am Himmel, und beleuchtete die wunderschöne Bai, und
blitzte von den Millionen Regentropfen des Waldmeeres nieder.

Vor dem Canoe her strichen ein paar große braune Pelikane, und ein
Fregattenvogel stand hoch, mit zitterndem Flügelschlage in blauer Luft,
bis er sich einen Fisch zur Beute ersehen, auf den er dann wie ein Pfeil
herunter schoß, tief unter Wasser tauchte, und wenige Momente später
wieder mit tropfenden Schwingen ordentlich aus der Fluth emporschnellte,
um seine Beute hoch in dem eigenen Element zu verzehren.

Bis hierher hatten sie die Ebbe günstig für sich gehabt, von da an aber
kam sie aus dem Pailon heraus gegen sie an, und wenn sie auch schon ihre
größte Kraft verloren, mußten die beiden Schwarzen nun doch tüchtig
rudern, um gegen sie anzuarbeiten. Ein Beilegen in den Manglaren war
unmöglich, denn dort hätten sie Mosquitos und eine kleine nichtswürdige
Art von Stechfliegen, Jejen genannt, zu Tode gepeinigt, und Señora
Bastiano kannte jene Stellen zu genau, um sich vom Ungeziefer mißhandeln
zu lassen. Da mochten die Neger lieber schwitzen.

Es war etwa drei Uhr Nachmittags, als sie San Lorenzo endlich erreichten
-- leider in voller Ebbe, wo das ganze Ufer von einem vielleicht vierzig
Schritt breiten Schlammgürtel so vollständig eingefaßt war, daß an ein
Landen gar nicht gedacht werden konnte. Die Neger sprangen allerdings
über Bord, und schoben das Canoe so weit es nur möglicher Weise ging,
auf den Schlamm hinauf und dem Ufer um etwa zehn Schritt näher -- dann
aber arbeitete ihnen das solide Gewicht der Señora so entschieden
entgegen, daß sie es auch keinen Zoll breit weiter vorrücken konnten,
und die Señora hatte jetzt die Wahl, bis zur wachsenden Fluth hier
draußen sitzen zu bleiben -- was immer noch vier volle Stunden dauern
konnte, oder das allerdings nicht ganz würdevolle Entree nach San
Lorenzo hinein zu wählen, und mit hochaufgeschürzten Röcken durch den
etwa knietiefen Schlamm an Land zu waten.

Beides schien ihr gleich unangenehm, so entschloß sie sich denn endlich
zu der kürzeren, wenn auch schmerzlicheren Procedur, zog ihre Schuhe
aus, die sie Eva zu tragen gab, packte ihrer anderen Dienerin den
Sonnenschirm und eine Anzahl anderer Kleinigkeiten mit einem Korb
Backwerk auf, das sie den Kindern ihrer Freunde mitgebracht, und --
stieg über Bord.

Es war allerdings ein höchst komischer Anblick, die alte würdige Dame in
dieser Situation, und dabei mit dem ernsthaftesten Gesicht von der Welt,
durch den tiefen Schlamm waten zu sehen, und ein paar Fremde, die am
Ufer standen, wollten sich auch halb todt darüber lachen -- aber um so
viel finsterere Falten zog das braune Gesicht der alten Dame, die ihre
Kleider in der Angst, sie im Schlamm zu verunreinigen, noch weit höher
aufnahm als eigentlich nöthig gewesen wäre. Aber muthig watete sie
vorwärts, und hatte endlich die Genugthuung, eine kleine Quelle zu
erreichen, die während der Ebbe in ein paar Steinlöchern frisches Wasser
hielt, und wo sie im Stande war, sich von ihrem Mädchen die Füße waschen
zu lassen.

Dort aber mußte sie noch immer eine Weile in der bisher behaupteten
Stellung verharren, bis ihre Dienerin die ihr anvertrauten Sachen
abgelegt hatte, und dann im Stande war, ihre Señora mit Hülfe eines
Spahns erst von dem gröbsten Schlamm zu säubern, und dann reinzuwaschen.
Erst jetzt durfte sie wagen, ihre Kleider fallen zu lassen, und ihre
Schuhe anzulegen, um, wie es ihrem Stande zukam, in der Stadt zu
erscheinen.

Darauf aber hatte Eva schon nicht mehr gewartet. Leicht und flüchtig,
war sie nur wenig in den Schlamm eingesunken, und wie sie nur die Schuhe
am Ufer auf einen trocknen Platz gestellt, eilte sie flüchtigen Laufes
in die Stadt hinauf, um sich dort nur erst die Gewißheit zu holen, daß
José in San Lorenzo angekommen sei und dort weile. Mehr verlangte
sie ja nicht -- in allem Uebrigen würde ihr die Señora Bastiano gewiß
schon helfen.

Armes Kind, auch _=dieser=_ Weg schien vergebens gewesen, denn gleich im
nächsten Haus erfuhr sie, daß gestern allerdings ein »Señor
Ecuadoriano,« der ihrer Beschreibung entsprach, mit einem Canoe und
einem schwarzen Diener eingetroffen sei, und Verkehr mit den Fremden
gehabt habe, dann aber, und zwar noch gestern Abend, oder jedenfalls
heute Morgen vor Tagesanbruch _=zu Lande=_ aufgebrochen sei, denn er
habe das Canoe an die Fremden verkauft. Zu Lande _=konnte=_ er aber
keinen anderen Weg eingeschlagen haben, als die erst kürzlich durch die
Wildniß ausgehauene »Trocha«.[C] Ob er auf der aber beabsichtige bis zum
Bogota, und dann hinauf nach Quito zu gehen, oder ob er nach Concepcion
zurückkehren wolle, wußte Niemand anzugeben.

Der gutmüthige Ecuadorianer, dem das junge, in Thränen fast zerfließende
Mädchen leid that, ging sogar selber zu den dort eingetroffenen
Engländern hinüber, um sich zu erkundigen, ob sie etwas über den Fremden
und sein nächstes Ziel wüßten, erfuhr aber auch keine bestimmte Antwort.
Er hatte nur, ihnen gegenüber, geäußert, daß er den Weg durch die Trocha
einschlagen wolle, um das Land kennen zu lernen. Sein Geschäft war, wie
er angab, Juwelenhandel, und er hatte ihnen eine Anzahl von kostbaren
Steinen zum Verkauf angeboten. Die Leute aber, die hierher gekommen
waren um das Land zu cultiviren, brauchten keine Diamanten und Saphire,
und als er fand, daß er hier keine Geschäfte machen konnte, war er ohne
Weiteres wieder aufgebrochen.

Als Diener hatte er die Leute mitgenommen, die ihn hierher gerudert,
einen jungen Negerburschen und zwei alte Mulatten.

FUSSNOTEN:

[B] Die Balsa ist ein vollkommen korkähnliches, außerordentlich
leichtes weißes Holz -- nicht wie der Kork nur die Rinde des Baumes. Der
Balsabaum wächst oft zu zwei- und dritthalb Schuh Stärke und eignet
sich, seiner fabelhaften Leichtigkeit wegen, ganz vorzüglich zum
Wassertransport. Er hat nicht viel mehr Gewicht, als das Mark unseres
Ahorns, ist aber fester.

[C] Trocha ein Pfad, nicht mit geebnetem Weg, sondern nur eine
Bahn durch den Wald -- durch angekerbte Stämme bezeichnet.




Fünftes Capitel.

Die Indianerin.


Was jetzt thun? In ihrer Verzweiflung lief Eva zurück zur Señora
Bastiano, aber die alte Dame war schon, mit ihrer unteren Toilette
wieder in Ordnung, auf einer ihrer Staatsvisiten begriffen, die hier
natürlich den Weißen -- als geborenen Honoratioren, zuerst galten. Sie
besuchte gerade einen Ecuadorianer, den sie aber just bei einer etwas
wunderlichen Beschäftigung traf. Er stand nämlich unten in seinem Hof
und hatte einen alten Topf auf dem Feuer stehen, in dem er bemüht
schien, eine Hand voll rostiger Nägel, ein zerbrochenes Harpuneneisen
und ein paar ausgediente Vorhängeschlösser abzukochen.

»Ave Maria!« sagte die Señora, indem sie vor Erstaunen die Hände
zusammen schlug, »das alte Eisen wollen Sie doch nicht weich kochen,
Señor?«

»Ah Señora Bastiano -- auch einmal in San Lorenzo?« lachte der Mann. --
»Sie kommen gerade recht zum Mittagsessen -- haben Sie aber keine
Furcht, meine Frau wird Ihnen schon etwas Besseres zubereiten. -- Ich
koche hier eben nur schwarze Dinte.«

»Aus alten Vorlegeschlössern?«

»Aus altem Eisen und grünen Cocosnußschalen -- man muß sich zu helfen
wissen, Señora, wenn man so weit von einer Stadt abwohnt. Aber wollen
Sie nicht hinaufgehen? Manuelita wird sich unendlich freuen, Sie zu
begrüßen. Ich komme auch gleich nach.«

Die Señora folgte würdevoll der Einladung, und als Eva den Platz
erreichte, war es unmöglich, jetzt ein Anliegen bei ihr vorzubringen.
Sie wäre in diesem Augenblick mit Entrüstung über eine solche
Unschicklichkeit abgewiesen worden.

Dicht daneben wohnte eine alte Indianerin mit ihrer Tochter. Wie Eva mit
niedergeschlagenen und thränenden Augen auf der Straße stand, rief die
Alte gutmüthig von oben herunter:

»Was hast Du, Kind? -- weshalb weinst Du? komm herauf.«

Draußen in der Bai lag ein Schiff, dasselbe, das die neuen Einwanderer
hierher gebracht. Ein paar betrunkene Matrosen kamen lachend und
schreiend die Straße herab, und aus Furcht, von ihnen gesehen zu werden,
folgte das arme Mädchen der Einladung.

Dort mußte sie jetzt erzählen, was sie hierher geführt, und weshalb sie
so traurig sei, und die Alte schüttelte dabei den Kopf und sagte:

»Die Fremden sind schlimm, aber die eigenen Landeskinder sind noch viel
schlimmer, wo sie einen von uns, sei es nun ein schwarzer oder ein
brauner Mensch, unterdrücken können. Daß ihre Haut von der Sonne
_=gebleicht=_ ist, während die unsere davon gebrannt wurde -- ist's
_=unsere=_ Schuld? aber verachten thun sie uns doch, wo wir ihnen in den
Weg treten, und prahlen thun sie auch, daß Gott der Herr _=uns=_ nur
erschaffen habe, um für _=sie=_ zu arbeiten.«

»Aber wie kann ich den armen Menschen jetzt befreien?« bat Eva, die nur
dem _=einen=_ Gedanken folgen mochte.

»Ja mein Herz,« sagte die Alte kopfschüttelnd, »was willst _=Du=_ da
machen? Wäre es hier im Orte, so könnten Dir die Fremden vielleicht
dabei helfen, die bringen Manches fertig, was Unsereiner für unmöglich
gehalten hätte. Aber während Du hier herumläufst und Deine Zeit
verlierst, marschirt der Weiße ruhig seine Bahn fort, und kommt er dann
nachher, wo die Trocha ausläuft, oben an den Bogota, so ist er mit einem
der dort immer vorbeifahrenden Canoes fort, und wer soll Dir sagen, ob
er stromauf oder stromab gegangen.«

»Und mündet der Pfad an keinem Haus aus?«

»Segne Dich Gott, Kind, nein. Blanker, wilder Wald ist's, durch den er
läuft, voll von wilden Schweinen und Schlangen und Tigern, so daß sich
keiner von unseren besten Männern _=allein=_ hinein getraut. Es gehen
immer nur wenigstens zwei mitsammen hinein, damit sie Hülfe haben, wenn
Einem ein Unglück zustößt.«

Eva hatte mit ängstlich klopfendem Herzen der Beschreibung gelauscht,
aber vor ihrer Seele stand nur das Bild des Geliebten, der, selbst
während sie hier zauderte, weiter und weiter in eben jenen furchtbaren
Wald hineingetrieben wurde, während sie ja die Mittel in Händen hielt,
ihn der Freiheit, dem Leben wiederzugeben.

»Und kann ich den Weg finden?« sagte sie endlich, und ihr Auge glühte
dabei von einem wilden, fast unheimlichen Feuer -- »ich fürchte mich
nicht vor dem Walde, ich bin ja darin aufgewachsen.«

»Die Trocha, Schatz?« sagte die Alte -- »und wer wird mit Dir gehen?«

»Ich habe Niemand,« seufzte das arme Mädchen, »aber Gott ist mit mir.«

Die Alte schüttelte den Kopf.

»Das ist Wahnsinn,« brummte sie. »Wenn Du auch der Trocha folgen
könntest, und wirklich von keinem Tiger unterwegs gefressen würdest, was
wolltest Du machen, wenn Dich der Weiße nachher wieder unverrichteter
Sache fortschickte -- was er jedenfalls thut. Wenn er Deinen José
hätte losgeben wollen, so würde er ihn nicht von Concepcion mit
fortgenommen haben. Wart's ab, Kind, Du bist noch jung, und es fällt Dir
schwer etwas aufzugeben, an das Du Dein Herz gesetzt hast -- mit den
Jahren lernst Du's« -- setzte sie seufzend hinzu, »und -- wirst es auch
zuletzt gewöhnt. Lieber Himmel, was wird uns hier auf der Welt _=nicht=_
genommen, das wir lieb und theuer hatten, und die Geistlichen, wenn sie
einmal zu uns kommen -- sagen dann, man müsse dem lieben Gott für
_=Alles=_ danken -- auch für Leid und Trübsal.«

»Wenn ich nur den Platz wüßte, wo die Trocha beginnt,« sagte Eva, die
keine Sylbe der letzten Rede verstanden, oder auch nur auf den Sinn
geachtet hatte.

Das junge Indianermädchen hatte daneben gestanden, und mit mitleidigen
Blicken die Fremde betrachtet.

»Ich weiß den Platz im Wald, wo die Trocha beginnt« sagte sie plötzlich
-- »ich war dort -- ich bringe Dich über den Nadadero hinüber, bis zu
der Stelle, wo die niedergebrochenen Stämme über den Sumpf führen.«

»Und was soll ihr das helfen, Muchacha,« rief die Alte, »thörichtes
Kinderzeug, das Ihr alle beide seid und glaubt, Ihr müßtet Euren Willen
haben zu jeder Zeit. Soll das tollkühne Mädchen etwa allein in die
Wildniß hineinlaufen, und elend darin zu Grunde gehn? Wer hat sie dann
auf dem Gewissen? -- Du und ich.«

»Oh fürchtet nicht für mich,« rief Eva rasch, »ich bin stärker als ihr
glaubt.«

»Was hilft Dir Deine Stärke, Kind, wenn Du Dich verirrst und in die
Sümpfe, oder gar zurück zu der Bai in die Manglaren hinein geräthst --
Perdido! es ist ein entsetzliches Wort, und ich möchte Dir nicht
wünschen, daß Du seine Schrecken erfährst. Sei vernünftig und füge
Dich.«

Eva stand zaudernd -- aber wieder tauchte des armen José Bild vor
ihr auf.

»Ich gehe,« hauchte sie -- »führe mich, gutes Mädchen -- thu' mir die
Liebe, und zeige mir den Weg. Du bist ja die Einzige, die mir helfen
will.«

»So komm,« sagte das junge Indianermädchen entschlossen. »Sie hat Recht,
Mutter; ich würde gerade so an ihrer Stelle handeln.«

»So lauft meinetwegen,« rief die Alte mürrisch. »Wer nicht hören will,
muß fühlen, ~caramba~ und ich will mit Euch beiden tollen Mädchen
Nichts weiter zu thun haben. So viel aber prophezeihe ich Dir, Negrilla
-- Dein Geld nehmen Sie Dir ab, und Deinen José führen sie trotzdem
mit fort. Ich kenne die beiden braunen Schufte, die der Ecuadorianer bei
sich hat. -- Der Eine von ihnen war es, der meines Vaters Haus bei
Esmeraldas in Brand steckte, und daß der Andere nicht in Cachavi vor
fünf Jahren gehangen wurde, verdankt er nur seiner schnellen Flucht. Es
ist böses, böses Volk, dem Du allein nachlaufen willst und -- gebe Gott,
daß Dir nichts Schlimmeres geschieht.«

»Gott wird mich schützen und die heilige Jungfrau,« sagte Eva fest --
»und Ihr, habt Dank für den guten Rath, aber wenn ich José erst
erreicht habe, fürchte ich Nichts. -- Er wird mich schon schützen, denn
sein Arm ist stark wie Eisen.«

Die Alte seufzte tief auf, aber sie sah wohl, daß sie dem fremden
Mädchen den einmal gefaßten Entschluß nicht ausreden könne.

»Halt,« sagte sie aber plötzlich -- »dort in der Calebasse ist etwas
gebackener Reis -- den nimm mit -- und da, die Bananen binde in Dein
Tuch -- Du mußt etwas auf dem Weg zum Leben haben, denn im Walde findest
Du Nichts als Negritonüsse, und weiter oben drinnen, wilde bittere
Castanien.«

»Tausend, tausend Dank.«

»Und noch eins -- dort in der Ecke steht eine alte Lanze, die mir einmal
ein Strolch von Neu-Granadienser für Branntwein in Pfand gegeben hat. Er
soll heute noch wiederkommen, und das alte Ding lehnt schon drei volle
Jahr in meinem Hause hier, und ärgert mich jedesmal, wenn ich es
ansehe. Nimm es mit.«

»Die Lanze?« lächelte Eva.

»Ja wohl, die Lanze,« sagte die Frau mürrisch. -- »Du magst sie als
Stock gebrauchen, zum Gehen -- sie ist nicht zu lang dazu, oder als
Wehr, wenn Dir etwas zustoßen sollte -- wer weiß es denn, und zu schwer
ist sie auch nicht zum Tragen. -- Und noch eins, merke Dir den Weg gut
durch den Sumpf, wenn Du allein zurückkehren solltest, daß Du den
nachher nicht verfehlst, und dann -- dann sprich wieder hier vor.«

»Wie soll ich Euch für Alles danken,« sagte das junge Mädchen
schüchtern.

»Für was, für das alte Eisen?« brummte die Frau. -- »Am allerliebsten
ließ ich Dich gar nicht gehen -- ja ich weiß schon,« setzte sie hinzu,
als Eva eine bittende Bewegung machte, »all' mein Reden hilft mir doch
Nichts -- also lauf -- und daß ~Du~ mir bald wieder zurückkommst,
Cherita -- bis zum Sumpf magst Du mitgehen, aber weiter keinen Schritt.«

»Weiter kann ich ihr ja auch Nichts helfen, Mutter,« sagte das junge
Mädchen -- »so komm, Fremde -- Du hast einen weiten Weg;« und rasch
stieg sie die Leiter hinab, während Eva noch einmal der Alten, statt
weiteren Dankes, die Hand schüttelte, und der Vorangegangenen dann
freudig folgte.

Es war ein wunderliches Paar, die beiden Mädchen. Die junge Negerin,
voll aufgeblüht, mit dem Typus der aethiopischen Ra~ç~e, aber alles
Unschöne daran gemildert, und mit dem vollen Ebenmaß ihrer Glieder,
schlank und hoch gewachsen, während die Indianerin, vielleicht kaum
sechzehn Jahre zählend, von lichtbrauner Farbe, wohl schlank, aber
kleiner und schmächtiger war als Eva. Ihre Züge trugen den vollen
Ausdruck der kaukasischen Ra~ç~e. Herrliches langes, schwarzes Haar
floß ihr um die Schultern, und die dunklen, seelenvollen Augen wurden
von den herrlichsten Wimpern beschattet. Auch ihre Hände und Füße waren
zierlich und klein geformt, aber ihr ganzer Körper schien fast zu zart
für dieses wilde Leben, und als Eva rasch und rüstig neben ihr
hinschritt, faßte sie bittend ihre Hand und sagte:

»Du darfst nicht so rasch gehen, Fremde -- mir thut es sonst hier in der
Seite weh.«

»Bist Du krank, Herz?« frug Eva freundlich.

»Nein,« lächelte das junge Mädchen wehmüthig. -- »Die Mutter behauptet
es freilich, aber nur, weil sie sich so übermäßig sorgt. Siehst Du, so
geht es ganz gut, und wir kommen doch rasch von der Stelle.«

So schritten die beiden Mädchen durch das Fischerdorf, das nur aus
einzelnen, über den Rasen zerstreuten Häusern bestand, und tauchten in
ein kleines Dickicht ein, durch welches ein sumpfiger Weg nach den
Platanaren führte. Aber was kümmerte sie der Schlamm -- beide
hochgeschürzt und mit nackten Füßen, schritten sie rasch hindurch, und
passirten jetzt die Bananenanpflanzung, in der sie eine Masse gefällter
und darin umhergeworfener Bäume überklettern mußten.

Dicht dahinter lag der Nadadero, ein kleiner, reizender Waldstrom mit
klarem Wasser, aber überall leicht zu durchwaten, und an dem anderen
Ufer desselben betraten sie den eigentlichen Wald, aber hier noch licht
und offen, aus Oelpalmen und der Palma real, Negritos und Laubwald
bestehend.

Hier zeigte ihr Cherita zuerst den Beginn der Trocha -- der sie von
jetzt zu folgen hatte, und die hier aus weiter Nichts bestand, als
einzelnen Marken an den Bäumen -- ein Stück Rinde abgeschlagen oder
einen Busch eingehauen, denn kein wirklicher Fußpfad führte hier
hindurch. Die Hauptschwierigkeit war aber, den Durchgang durch den
nächsten Sumpf zu finden, und die Indianerin hatte sich den gemerkt.
Der Platz lag auch nicht mehr weit. Kaum eine Viertelstunde mochten sie
so zurückgelegt haben, als sich das Terrain wieder senkte, und bald
führte sie ihre Begleiterin seitab von den Marken zu einer Stelle, wo
einer der mächtigen Waldriesen querüber in den Sumpf geschlagen war.
Hier blieb sie stehen.

»Dort ist Dein Pfad, Schwester,« sagte sie leise, »und mag Gott Dich
schützen, daß Du Deinen Zweck erreichst. Cherita wird für Dich beten.«

»Dank, Dank, Du herziges Kind,« sagte das junge Negermädchen gerührt,
umschlang sie mit ihren Armen und drückte einen Kuß auf ihre Lippen.

»Und werd' ich es je erfahren?«

»Ich sende Dir Botschaft -- verlass' Dich darauf.«

»Sei glücklich!« flüsterte die Indianerin noch einmal, während ein Paar
große, helle Thränen ihre Augen füllten. Dann wandte sie sich ab und
kehrte nach dem Dorf zurück, während Eva, den Lanzenschaft als Stütze
brauchend, auf den alten Baum hinübersprang, und mit flüchtigen
Schritten darauf hin eilte, ihrem Ziel entgegen.




Sechstes Capitel.

Im Walde.


Es war ein ganz eigenes, fast erdrückendes Gefühl, das Eva's Herz
erfaßte, als sie zuerst _=allein=_ in den düstern Urwald eintauchte, der
in keinem Lande der Welt mächtiger und bewältigender auftritt, als in
_=diesen=_ Sümpfen. Aber sie schaute weder rechts, noch links --
José war der einzige Gedanke, den sie kannte, und nur ihr Auge flog
forschend über die nächsten Büsche, um die angehauenen Zweige und
dadurch die einzig richtige Bahn nicht zu verfehlen.

Hier im Anfang war das freilich noch nicht möglich, denn der Zufall
hatte da, wo der abgebrochene Wipfel des einen Baumes endete, einen
anderen ihm entgegengeworfen, so daß diese beiden den schlimmsten und
tiefsten Theil des Sumpfes vollkommen überdeckten. Wo sie den Baum
verlassen mußte, sank sie nur noch auf mehrere Schritte weit bis über
die Knie in flüssigen Schlamm, und zähes, dicht verwachsenes Wurzelwerk,
das durch seine zahllosen und festen Fasern vielleicht eine Brücke über
einen unsichtbaren Abgrund bildete, denn der eingestoßene Lanzenschaft
fand _=keinen=_ Grund. Aber dicht vor ihr lag fester Boden, und dort
zeigte auch bald ein von einem Popabaum abgehauener Spahn mit der, an
dem Stamm hinuntergelaufenen dicken und süßen, aber schon gelb
gewordenen Milch deutlich und leicht erkennbar die Stellen, wo sich die
Trocha in den Wald hineinzog.

Dicht über ihr ertönte plötzlich ein gellender Schrei, und Eva schrak
empor, aber es war nur ein Affenschwarm, den ihr Erscheinen geängstigt
hatte, denn die scheuen Thiere flüchteten jetzt über die dicht in
einander gewachsenen Wipfel hin, um eine ruhigere Stelle zu suchen, als
diese, und doch lag auch hier Todesschweigen auf der Waldung. Doch das
Mädchen wendete dem plappernden, davon flüchtenden Trupp keinen Blick
zu; nur ängstlich forschte sie nach den spärlichen Zeichen, die das
Messer der Weißen hie und da an einem Busch zurückgelassen, und mit den
nackten Füßen flog sie dabei leicht hin über niedergebrochene Aeste und
weiter hin, als sie die Hügel erreichte, über rauhes Gestein.

Aber je weiter sie kam, desto deutlicher wurde auch die Trocha, die man
Anfangs, wie noch unsicher der Richtung, kaum bezeichnet hatte. Durch
das ärgste Dickicht fand sie an manchen Stellen eine ordentliche und
breite Bahn freigehauen, und brauchte jetzt wenigstens nicht mehr zu
fürchten, ihren Weg zu verlieren.

Wie still und geheimnißvoll lag aber der Wald! Wie das rauschte und
brauste! Doch Eva war in dem Walde ja daheim, und fürchtete nicht seine
Oede und Einsamkeit.

~Huhp, Huhp!~ klang von da drüben her der wie hülferufende Ton einer
ängstlichen Stimme.

»Rufe nur!« lachte das Mädchen trotzig vor sich hin, »_=mich=_ lockst Du
nicht von meinem Wege ab, falscher Verirrter!«[D] und fester packte sie
ihren Lanzenschaft und glitt die steilen, schlüpfrigen Lehmabhänge
nieder, watete durch niedere Bergwasser und klomm an feuchten Hängen
hinauf, immer und aufmerksam der angezeigten Spur folgend.

Wohl hielt sie dabei den Blick am Boden selber, denn gerade von diesem
Theil des Landes waren ihr gar schreckliche Geschichten erzählt worden,
wie er von giftigen Schlangen wimmeln sollte. Aber sie fand bald, daß es
in ihren heimischen Wäldern grade so viel, oder besser, grade so wenig
gab, als hier, denn nur selten einmal sah sie eine kleine Schlange scheu
aus der Trocha hinaus in das Dickicht schlüpfen, und wandte den Kopf
nicht einmal, um nachzusehen.

Vorwärts lag ihre Bahn, aber wie schwül es hier in dem feuchten Walde
war, in den dichten Büschen, während die niederen Negritopalmen mit
ihren wunderlich stacheligen Fruchtkugeln den Raum zwischen Unterholz
und Palmenkronen vollständig ausfüllten, und dadurch den Wald so
dichteten, daß kein Sonnenstrahl auf das dunkelgelbe nasse Laub fallen,
und es je abtrocknen konnte.

Und wie das plötzlich raschelte und wühlte, und brach um sie her.
Erschrocken hielt sie still und horchte, aber es war nur ein Rudel von
wilden Schweinen, von Seynos, von denen sie nichts zu fürchten hatte,
wenn sie nicht eines der Jungen angriff, das dann vielleicht durch sein
Quietschen die Alten zu Hülfe gerufen. Grunzend, und dann und wann
einander bei Seite stoßend, durchwühlten sie quer über die Trocha
hinüber den Grund, und Eva blieb dicht vor ihnen stehen, um sie erst
vorüber zu lassen.

Da bekam ein alter Keiler Wind von ihr, und hob sichernd den Rüssel.

»Fort mit Dir, Bursche,« rief das Mädchen, und schwenkte die Lanze, und
mit einem lauten, halb erschreckten, halb ärgerlichen Grunzen floh die
schwarze Gestalt in den dicken Busch hinein, wohin ihm das alarmirte
Rudel jetzt flüchtig folgte. Ein wahrhaft mephitischer Geruch erfüllte
aber die Luft, durch die sie davon gestürmt.

Und weiter verfolgte das junge Negermädchen ihre Bahn. Ein kleiner,
reißender Waldstrom lag quer durch ihren Pfad, aber was kümmerte sie
der, sie schwamm hindurch und nahm sich, drüben am anderen Ufer
angelangt, kaum Zeit die tropfenden dünnen Kleider nothdürftig
auszuringen. Vorwärts mußte sie; überall vor sich im Wege sah sie die
deutlichen Spuren der vorangegangenen Männer, den Eindruck von den
Stiefeln jenes Guajaquilenen, die Fährten der nackten Füße seiner drei
Begleiter, und sie wußte, daß die schmalste davon ihrem José gehörte
-- vorwärts, denn einen großen Vorsprung hatten diese, und erreichten
sie den Bogota _=vor=_ ihr, dann war auch dieser schwere Gang vergebens,
und der Geliebte vielleicht auf immer für sie verloren.

Immer wellenförmiger wurde das Terrain, und gegen Abend umwölkte sich
auch der bis jetzt lichte Himmel, und der Regen viel in Strömen herab.
Wohl passirte sie jetzt wieder eine der mit Palmzweigen gedeckten
Hütten, in denen Wanderer schon übernachtet hatten, und darunter hätte
sie im Trocknen ausruhen können. Aber was that ihr das Wasser! Durchnäßt
war sie doch schon lange, in ihrem dünnen Zeug, und in dem heißen Klima
kühlte sie das eher, als daß es ihr hinderlich gewesen wäre. Weiter
strebte sie, weiter, und als der Abend endlich zu dämmern anfing,
beflügelte sie ihre Schritte nur noch mehr, als ob sie damit der
einbrechenden Nacht hätte entfliehen können.

Umsonst; furchtbar rasch schwand die kurze Dämmerung, und als sie
trotzdem ihren Weg noch fortsetzen wollte, sah sie doch bald die
Unmöglichkeit eines solchen Wagnisses ein.

Kaum eine Viertelstunde war vergangen, seit sie oben am Himmel durch
eine gelegentliche kleine Lücke in den Baumwipfeln die Wolken sich hatte
in der Abenddämmerung röthen sehen, und wenn auch der Himmel noch licht,
wie ein zartes, helles Gewebe, durch das Baumgewölbe schimmerte, lag
doch schon tiefe, undurchdringliche Nacht auf dem Urwald drunten.

Eva sah bald die Unmöglichkeit ein, ihren Weg in dieser Finsterniß zu
verfolgen. Sie war nicht mehr im Stande die Zeichen der Trocha zu
erkennen. Nur einen riesigen Baumstamm sah sie noch durch das Dunkel
schimmern, und eilte jetzt zu dessen Wurzel, um dort und im Schutz
seiner Zweige den dämmernden Morgen zu erwarten.

Und wie das jetzt um sie her lebte und sich regte in der Wildniß, denn
mit einbrechender Nacht erwachen ja die meisten Waldbewohner erst zu
ihrer geheimnißvollen Thätigkeit. Nicht weit von ihr suchte wieder ein
Affenschwarm seinen Ruheplatz für die Nacht, und wie das da oben in den
alten Wipfeln plapperte und kreischte und zankte und grunzte! Es war ein
entsetzlicher Lärm, ehe sie alle einen bequemen Sitz gefunden hatten,
und keiner den andern mehr belästigte. Endlich wurde es still, nur ein
oder das andere kleine Aeffchen gab noch manchmal einen Schrei von sich,
dann verstummte auch das.

Jetzt hämmerte plötzlich, dicht über ihr im Baume ein Specht, der
Carpintero, wie ihn die Ecuadorianer nennen. Was suchte der noch in der
Dunkelheit? Aber er schwieg rasch, denn nebenan im Gebüsch begann »die
verlorene Seele« ihr leises, klagendes Lied, nicht unähnlich dem
Ansetzen unserer eigenen heimischen Nachtigall, aber viel stärker, viel
seelenvoller, mit einem Ton, als ob er dem furchtbarsten Gram eines
bedrückten, kummervollen Herzens Laute gäbe.

Die »verlorene Seele« nennt der Indianer diesen Vogel, und Eva traten
die Thränen in die Augen, als sie den klagenden Tönen lauschte, die
genau so klangen, als ob sie aus ihrem eigenen Herzen kämen.

Es war völlig Nacht geworden, und mächtige Leuchtkäfer schwirrten durch
die Finsterniß und zuckten, wie kleine Miniaturblitze, in gelben und
grünen Lichtern von Busch zu Busch. Und jetzt, da bellte eine Schlange,
nicht zehn Schritt von ihr entfernt, die wahrscheinlich die Nähe eines
Menschen gewittert hatte. Unwillkürlich griff das junge Mädchen nach der
am Baum lehnenden Waffe, um das ekle Geschöpf von sich abzuhalten; war
es doch auch ein unheimlicher Gast, ihm in der Finsterniß zu begegnen.

Deutlich konnte sie das Ungethüm durch das Laub schlüpfen hören, wie es
sich über die feuchten Blätter hinwegwand, aber es kam nicht näher, es
scheute die Nähe der Menschen, und nahm die Richtung seitab von dem
Baum.

Und das alte faule Holz umher fing an zu leuchten, und nahm
phantastische, abenteuerliche Formen an. Von allen Seiten schimmerte es
durch den Wald; dort hing ein altes, halbverfaultes Blatt von einer
Negritopalme nieder und zeigte in seinem Phosphorschein die
skelettgleichen Rippen der Blätter, hier glich ein heruntergebrochener,
von feuchtem Moder überzogener Ast in seinen Windungen der Form einer
glühenden Schlange.

Jetzt ein leiser, leichter Schritt durch den Wald; eine Tigerkatze
vielleicht, die auf Beute ausging, und scheu die fremde, aber auch
gefürchtete Witterung umschlich, die sie bekommen, und nun -- Eva fuhr
entsetzt von ihrem Lager empor, ein lautes Prasseln und Brechen durch
die Zweige, und gleich darauf ein schmetternder Schlag, der den Boden
selbst erbeben machte, aber _=ihr=_ drohte keine Gefahr. Nur einer der
alten Waldriesen, der vielleicht Jahrtausenden getrotzt, war
niedergebrochen, in seinem Fall das ganze, ihm im Wege stehende
Unterholz mit sich zu Boden reißend. Die Affen wurden wieder laut und
schnatterten und klagten, und die Eule antwortete mit ihrem monotonen,
hohlen Ruf dem dumpfen Fall des niedergebrochenen Baumes.

Das junge Mädchen sank wieder auf ihr Lager zwischen den alten Wurzeln
zurück, und wenn es sie auch jetzt in dem dünnen, nassen Zeug, trotz der
warmen Nacht, anfing zu frösteln, drückte sie sich doch in Moos und
Blätter hinein, und war bald sanft und süß eingeschlafen.

       *       *       *       *       *

Kaum eine Legua von ihr in der Trocha, an einer der schon früher
errichteten und mit Palmenblättern gedeckten Ranchos hielt an dem
nämlichen Abend Señor Cerro, um dort zu übernachten, und warf sich, als
er die Stelle erreichte, todesmüde unter einen Baum, daß seine Leute
indessen den Schlafplatz wieder herstellen konnten.

Ein ziemlich starker Baumast war nämlich in der Zeit, in der er nicht
gebraucht worden, auf den Rancho gestürzt, und hatte ein Paar von den
Stangen zerbrochen und einige Blätter geschädigt. Außerdem mußte auch
das alte Laub, was zur Lagerstatt gedient hatte, hinaus- und
fortgeschafft werden, ehe sich der Weiße hineinwagte, denn wer wußte, ob
es nicht Schlangen, Centipeden, und welches andere Ungeziefer noch
beherbergte.

Señor Cerro war gerade nicht bei guter Laune. Er hatte unterwegs einen
Affen zu ihrem Abendbrod schießen wollen, dem flüchtenden Trupp aber
nicht so rasch nachkommen können, und wie er ihnen im Dickicht den Weg
abzuschneiden suchte, war er mit dem Gewehr gestürzt, daß an diesem der
Schaft abbrach.

Einer der Mulatten versuchte zwar, ihn mit Bast wieder
zusammenzuschnüren, aber es ging nicht, er bekam keinen Halt, und
mißmuthig ließ der Ecuadorianer endlich die doch jetzt nutzlose Waffe zu
dem übrigen Gepäck in einen der Körbe legen.

Seine drei Diener gingen indessen rüstig daran, das Lager wieder in
Ordnung zu bringen, und der Eine von ihnen nahm die Axt und fällte ein
paar junge, gut bewipfelte Palmen, während der Andere mit seiner
Macheta die einzelnen langen Blätter abhieb.

José, der arme Bursche und Leibeigene seines strengen, mürrischen Herrn,
faßte dann das Mittelblatt an der Spitze, riß es von einander und trat
zwischen die Hälften, bis er das Hauptblatt dadurch in zwei völlig
gleiche Theile schied, die dann sowohl dazu dienten, das Dach des
Ranchos wieder auszubessern, als auch zu Schlafmatten verwandt werden
konnten. Diese wurden zum Rancho geschleppt und sorgfältig ausgebreitet,
und in kaum einer halben Stunde war die Wohnung für diese Nacht wieder
völlig regendicht und mit einer neuen Matratze versehen auf's Neue
hergestellt.

Der älteste Mulatte hatte indessen noch eine andere stärkere Palme
umgehauen, deren Wipfel er von einander hieb, um zu dem Herz oder Kern
zu gelangen, denn diese Stelle enthielt ein schneeweißes, vortreffliches
Mark, das ausgezeichnet schmeckte und recht gut als Gemüse dienen
konnte.

José packte indessen aus dem Provisionskorb den er unterwegs zu tragen
hatte, die für den Herrn mitgenommenen Lebensmittel, scharf geröstetes
Schweinefleisch und in Fett hart gebratene Bananenscheiben, sowie einige
getrocknete Fische aus, und stellte den eisernen Topf zum Feuer, um die
Chokolade darin zu kochen.

Es war aber plötzlich vollständig dunkel geworden, und der Ecuadorianer
hatte sich auf die am besten ausgepolsterte Seite des Rancho geworfen
und suchte die Beendigung der Mahlzeit durch Flüche und Verwünschungen
zu beeilen. Um die Langeweile indeß zu tödten, fing er die einzelnen
großen Leuchtkäfer, die von dem Feuerschein herbeigelockt, herüber und
hinüber durch den Rancho schwirrten, drückte ihnen die Flügeldecken
auseinander, daß der darunter leuchtende hellgelbe Punkt deutlich zum
Vorschein kam, und mit den beiden grün schimmernden Kugeln, welche die
schönen Thiere am Kopf trugen, wie Edelsteine erglänzten. Dann band er
sie neben einander an eine der Querstangen des Rancho, so daß sie
ordentlich Licht darin verbreiteten, und ließ die armen Thiere dort in
all ihrer Pracht sich abzappeln und quälen, bis mit ihrem Tod auch der
Feuerschein erlosch.

Aber selbst dieses Licht genügte ihm nicht, seine endlich fertige
Mahlzeit dabei zu verzehren, denn während er aß und die beiden Mulatten
ihre eigenen Vorräthe heraussuchten, mußte José eine kleine Fackel von
zusammengeknetetem Gummi elasticum halten, die ein zwar dunkelrothes
aber doch vollkommen helles Licht verbreitete, und -- als der Herr
endlich abgespeist, wieder ausgelöscht und in ein Blatt gewickelt wurde,
um bis zum nächsten Abend aufgespart zu werden.

Die Diener mochten ihre Mahlzeit beim Schein des Feuers verzehren, oder
im Dunklen, wie sie wollten.

Seine Decken waren indessen für den Herrn ebenfalls ausgebreitet worden,
und eine zum Daraufliegen, die andere zum Hineinhüllen benutzend, war er
bald sanft und fest eingeschlafen.

Am nächsten Morgen dämmerte kaum der Tag, als José schon wieder emsig
beschäftigt war, das Feuer frisch anzufachen, das ein gegen Morgen
gefallener Regenguß völlig ausgelöscht hatte. Er trug zu dem Zweck die
trockenen Hülsen einer reifen Cocosnuß bei sich, die wie Zunder fangen
und die Gluth bis zur letzten Faser hartnäckig halten. Es war übrigens
kein leichtes Stück Arbeit, in diesem nassen Walde, wo Alles bis in das
Mark hinein von Feuchtigkeit durchdrungen ist, ein helles Feuer
anzufachen, und er gebrauchte eine lange Zeit dazu. Indessen der Herr
schlief ja noch, und endlich hatte er es so weit, um den Chokoladentopf
wieder an die Gluth setzen zu können. Die Sonne war aber schon lange
über den Horizont herauf, als er damit zu Stande kam, und da sich die
beiden Mulatten ebenfalls nicht sonderlich beeilten, ihre Morgenruhe zu
unterbrechen, war es fast acht Uhr geworden, ehe sie wieder an den
Aufbruch denken konnten.

Aber ihr Ziel lag nicht mehr weit. Kaum eine halbe Stunde bequemen
Marsches brachte sie an das Ufer des breiten Bogota, und sie fanden hier
schon, nachdem sie zuerst ein häßliches Bambusdickicht passirt waren,
einen ziemlich großen und freien Platz ausgehauen, der selbst vom Fluß
aus deutlich sichtbar war, und die Stelle künden sollte, an welcher die
Trocha ausmündete.

Aeußerst vorsichtig schritten aber die Diener über jene Stelle, welche
durch den Bambus ausgehauen war, denn den zwar kleinen, aber furchtbar
harten und scharfen Dornen, welche an dessen Auszweigungen sitzen, und
mit denen der Boden hier bestreut war, boten selbst ihre harten, aber
nackten Sohlen nicht hinlänglich Widerstand. Den Lagerplatz dagegen
hatten die früher hier Gewesenen vollständig abgeräumt, und es war dort
sogar ein großer Rancho gebaut, um unmittelbar am Ufer übernachten zu
können.

Schon von Weitem konnten die Wanderer die breite und offene Lichtung im
Walde und damit das erste Ziel ihres beschwerlichen Marsches erkennen,
denn dort auf dem Strome lag der _=Sonnenstrahl=_, der nie in diese
dichten Wälder drang, und es war ein ganz eigenthümlich wohlthuendes
Gefühl, mit dem sie den offenen, freien Platz betraten.

Der Guajaquilene schien sich aber am wenigsten diesem Genuß hinzugeben,
denn so bequem er bis jetzt seinen Weg verfolgt hatte, so rasch sprang
er nun an das Ufer und schien dort ein Canoe zu suchen, das, wie man ihm
am Pailon gesagt, dort angebunden liegen sollte. Aber nirgends war ein
dem ähnliches Fahrzeug zu erblicken, und gerade dort, wo die Trocha am
Ufer des Bogota ausmündete, lag weder an dieser, noch an der anderen
Seite ein besiedelter und dann auch bewohnter Platz. Wald, dichter,
undurchdringlicher Wald deckte beide Ufer, und noch viel dichter in der
unmittelbaren Nähe des Wassers, als weiter zurück, denn hier war er noch
mit Bambus und Schling- und Schmarozerpflanzen verwachsen.

»Caracho,« murmelte Señor Cerro leise zwischen den Zähnen durch, indem
er den Fuß unwillig auf den Boden stampfte, »ob man sich auch noch auf
einen Menschen in der Welt verlassen kann.«

»Kein Boot da, Señor?« frug der eine Mulatte, »nun wartet nur ein klein
Weilchen, den Bogota fahren immer Canoes hinunter und hinauf.«

»Aber ich will weder hinunter noch hinauf.«

»Weiß schon, Señor,« grinste der Mulatte, »aber wenn wir erst Hand auf
Bug haben, fährt es uns hin, wohin wir wollen, auch gerad' über den
Strom.«

»Und glaubt Ihr gewiß, daß Ihr den Weg nach Alto Tambo finden könnt?«

»Sicher wie was,« nickte der Gelbe, »Señor hat doch das kleine gelbe
Messingding?«

»Den Compaß? Ja!«

»Schön -- der zeigt genau die Richtung an, und wenn wir fortgehen, wie
die Trocha läuft, immer gerade aus, so treffen wir auf ~Camino real~,
können ihn gar nicht verfehlen; läuft gerade quer durch von Cachavi nach
Malbucho hin.«

»So wollen Sie nicht zurück nach Concepcion, oder hinauf nach Cachavi,
Señor?« frug José erschreckt.

»Du, mein Bursche,« sagte der Mulatte tückisch, »gehst hin, wohin man
Dich schickt, und wenn Dein Herr weder Lust nach Concepcion noch Cachavi
hat, so schleppst Du Deinen Bambuskorb eben durch den Wald. Was kann's
Dich kümmern.«

»Und ist der Wald nicht zu dicht?« fragte noch einmal der Ecuadorianer,
ohne von des Negerburschen Frage die geringste Notiz zu nehmen.

»~Si, un poco!~« lachte der Andere, »aber wir kommen schon durch. Nero
geht mit der Macheta vorweg und Señor hinterher, und sagen nur immer
nach dem Compaß, rechts oder links, oder gerad aus -- dauert zwei Tage,
sind wir im Weg.«

»Und Lebensmittel?«

»Bah, Menge von Palmen und wildem Honig und Kastanien. Kommen schon
durch -- besser wie durch Cachavi.«

»Ich weiß nicht -- ich wäre doch lieber erst nach Cachavi gefahren, um
dort frische Lebensmittel einzunehmen.«

»Da geht Nero aber nicht mit,« sagte der erste Mulatte trocken.

»Caramba,« rief der Ecuadorianer, »glaubst Du, es würde Einer der
schwarzen Schufte dort wagen dürfen, Hand an Dich zu legen, so lange Du
in _=meinen=_ Diensten stehst? Den wollte ich sehen.«

»~Quien sabe~,« brummte der Mulatte achselzuckend -- »besser ist
besser, und wir sparen dabei noch außerdem eine lange Strecke Weg.«

»Wenn nur mein Gewehr nicht zerbrochen wäre.«

»Machen wir wieder,« lachte der Mulatte -- »gar nicht weit von hier am
Fluß -- glaube ein Stückchen weiter oben, wohnt ein Schmied, der legt
ein Blech darum. Der hat auch großen Platanar, nehmen wir Lebensmittel
und gehen dann gerad' durch, durch den Wald.«

»Wenn nur erst ein Canoe käme.«

»Hallo, was ist das?« rief der Mulatte rasch, und drehte den Kopf der
Richtung zu, von der sie eben hergekommen -- »dort geht ein Mensch.«

»Ein Mensch?« rief der Ecuadorianer emporfahrend, denn allerdings war es
etwas Außerordentliches, in _=dieser=_ Wildniß noch ein lebendes Wesen
zu finden -- »Caramba -- ein Mädchen?« fuhr er aber noch überraschter
fort, als im nächsten Augenblick Eva aus den Büschen trat. Aber diese
achtete weder auf ihn noch einen der beiden Mulatten; nur José hatte ihr
fernsehender Blick gesucht, nur auf diesen sprang sie zu, und seine Hand
ergreifend rief sie freudig aus:

»Gott sei Dank, José! Gott sei Dank, so war mein langer einsamer Weg
doch nicht umsonst, und ich bin noch zur rechten Zeit gekommen.«

»Meine Eva!« rief der junge Bursch bewegt -- »aber wie um Gottes Willen
kommst Du in diese Wildniß -- Von Concepcion in einem Canoe?«

»Hat das Mädchen ein Canoe bei sich?« frug der Ecuadorianer rasch und
erfreut.

»Nein, Señor,« sagte die junge Negerin, langsam dabei den Kopf
schüttelnd -- »derselben Trocha bin ich gefolgt wie Sie --«

»Allein?« rief Nero erstaunt.

»Wie ich hier stehe.«

»Mein armes, armes Mädchen,« sagte José gerührt, »aber hier sind wir am
Bogota-Fluß, und das nächste Canoe kann und wird Dich wieder zwischen
die Ansiedlungen bringen. Wenn Dich nun eine Schlange gebissen, oder ein
wildes Thier gefaßt hätte.«

»Die Thiere des Waldes sind barmherziger als die Menschen,« sagte das
Mädchen leise.

»Und wo willst Du hin, Muchacha?« frug sie der Ecuadorianer, indem sein
Blick die tadellosen Formen des Mädchens überflog -- »Du kannst bei uns
bleiben, wenn Du Lust hast -- es soll Dein Schade nicht sein.«

»Ich wollte zu Euch, Señor?«

»Zu mir? Caramba!« lachte der Ecuadorianer vergnügt auf, »das trifft
sich ja herrlich, denn in dem vermaledeiten Wald ist das Leben
langweilig und öde genug.«

»Zu Euch -- José's -- Eures Dieners wegen,« fuhr aber die junge Negerin
fort, ohne den Doppelsinn der Worte zu verstehen oder zu beachten.

»_=José's=_ wegen? In der That, und was hast _=Du=_ mit _=dem=_ zu thun,
wenn man fragen darf?«

Eva antwortete nicht gleich. Sie knüpfte von ihrem Gürtel das kleine
Säckchen mit Silber los, das sie sorgfältig da vorne verwahrt hatte, und
es dann in der Hand dem weißen Mann entgegenhaltend, sagte sie bittend:

»Nehmt das, Señor, ich bin einen weiten, mühsamen Weg gekommen, um es
Euch zu bringen, und ich habe lange, sehr lange hart arbeiten müssen,
bis ich so viel zusammenbringen konnte, aber es ist mit Freuden
geschehen, wenn ich mir damit José's Freiheit erkaufen kann. Nehmt, es
ist mehr, wie sein jährlicher Lohn beträgt; es sind sechsundvierzig
Dollars, und laßt uns dann mitsammen in die Heimath ziehen.«

»Eva, mein braves, wackeres Mädchen!« rief José.

Der Ecuadorianer aber, während des armen Kindes Blicke in Angst und
Hoffnung an ihm hingen, nahm lächelnd das Geld und wog es in der Hand.

»Also das ist Dein Schatz,« sagte er höhnisch, »und nur seinet-, nicht
_=meinet=_wegen bist Du hier in den Wald gekommen?«

Des Mädchens Blick hing zitternd an den kalten, spöttischen Zügen des
Weißen.

»Und gebt Ihr ihn jetzt frei?«

»Frei?« lachte dieser, »wenn das Alles wäre, was er mir schuldete! Aber
glaubst Du denn, Du albernes Ding, daß ich ihn die zwei Jahre nur
_=dafür=_ genährt und gekleidet und mit ~agua ardiente~ versorgt habe?
Hundertundzwanzig Dollars ist er mir schuldig, und wenn die entrichtet
werden --«

»Hundertundzwanzig, Señor,« rief da José erschreckt, »und wofür _=die=_
Summe? Für die baumwollene Hose und Jacke, und den alten Hut?«

»Halte Dein Maul, Bursche, bis Du gefragt wirst,« unterbrach ihn finster
der Weiße, »in meinem Buch ist Alles eingetragen, und wenn Du einmal
Deine Schulden abverdient hast, kannst Du meinethalben Deiner Wege
gehen, ich will froh sein, wenn ich mich nicht mehr mit Dir zu plagen
brauche.«

»Aber Señor,« -- bat das Mädchen.

»Das Geld hier werd' ich ihm aber zu Gute schreiben,« lächelte der
Ecuadorianer tückisch. »Sind es wirklich sechsundvierzig Dollars, denn
jetzt habe ich keine Lust sie nachzuzählen, so bleibt er dann nur noch
mit 74 in meiner Schuld, und wenn er fleißig ist, und Du ihm dabei
hilfst, so kann er immer in Jahr und Tag frei kommen,« und er schob den
Beutel dabei in seine Brusttasche.

»Aber jetzt -- _=jetzt=_ soll er _=nicht=_ mit mir gehen?« bat das
Mädchen in Todesangst: »Oh, treibt nicht Euren Scherz mit uns, Señor,
wir sind arm und unglücklich genug in der Welt, und haben Nichts, Nichts
weiter als einander. Seid barmherzig!«

»Laß mich zufrieden mit Deinen Quängeleien,« unterbrach sie der
Ecuadorianer ungeduldig. »Du hast es jetzt gehört -- genug damit. Wir
haben noch einen weiten Weg vor uns, und da kann ich den Diener, wenn
ich ihn gerade am Nöthigsten brauche, nicht fortschicken. -- Alle
Wetter, Burschen, kommt da nicht ein Canoe?«

»Von unten herauf, Señor,« grinste Nero, »eben biegt es um die
Landspitze -- gerade zur rechten Zeit, um uns hier fortzubringen. Wohin
_=wir=_ gehen, folgt uns das alberne Ding doch nicht.«

»Señor,« sagte José, der mit fest zusammengebissenen Zähnen dem
Urteilsspruch des Weißen gelauscht hatte -- »wenn Ihr mich nicht wollt
frei lassen -- wenn ich noch fort muß in den Wald mit Euch, und die
Gesetze Euch darin beschützen, dann gebt dem armen Kinde auch das Geld
wieder -- dann will ich selber abverdienen, was ich Euch schulde.«

»_=Du=_ sprichst, wenn Du gefragt wirst, mein Junge,« lachte der
Ecuadorianer, »denn ich weiß selber gut genug, was ich zu thun habe.
Und jetzt pack' Deinen Korb auf, trag' ihn zum Ufer hinab, und ruf' das
Canoe heran, daß wir weiter kommen.«

»Nicht einen Schritt, bis Ihr Eva das Geld zurückgegeben habt,« rief
José, und sein Auge leuchtete von einem unheimlichen Feuer. -- »Ich
weiß, daß Ihr unter Euren Gesetzen mit uns Negern noch schalten wollt,
wie es Euch gefällt, aber beim ewigen Gott --«

»Rebellion?« zischte der Weiße zwischen den zusammengebissenen Zähnen
durch -- »aber dafür giebt's ein Mittel, Nero, wenn sich der Hund
widersetzt, klopfe ihn einmal mit Deiner Macheta auf den Schädel.«

»Den wollen wir schon kriegen,« lachte der riesige Mulatte, indem er die
Macheta ergriff -- »fort mit Dir, Caracho!« rief er dabei, indem er den
Neger mit der Faust in den Nacken griff, und ihn vorwärts stoßen wollte
-- »hinunter die Bank da, oder ich _=mache=_ Dir Beine.«

José hatte sich, der rohen Uebermacht gegenüber, bis jetzt so schwach
und willenlos gezeigt, daß die beiden Mulatten ihn schon auf dem ganzen
Weg zur Zielscheibe ihres Spottes gemacht. Was er aber auch ertragen und
geduldet, so lange er sich allein und hülfslos wußte, und vielleicht
selber dabei fühlte, wie große Schuld er an seiner eigenen Knechtschaft
trage, jetzt in Eva's Gegenwart kochte sein Blut auf, und jäh
emporfahrend stieß er den Mulatten vor die Brust, daß dieser
zurücktaumelte, in einer Wurzel hängen blieb und mit schwerem Schlag,
der Länge nach, zu Boden stürzte.

»Caracho,« rief der andere Mulatte, und sprang dem Neger nach der Kehle,
und dieser konnte sich seines Gegners kaum erwehren, als Nero mit einem
wahren Wuthgeheul vom Boden emporschnellte.

»Negerbestie,« schrie er dabei, und mit der schweren und scharfen
Macheta ausholend, sprang er von hinten auf José zu.

»Mörder!« kreischte da Eva, die in zitternder Todesangst Zeuge des
beginnenden und so ungleichen Kampfes gewesen. Sie wußte dabei kaum, was
sie that, aber die Lanze, die sie noch immer hielt, mit beiden Händen
fassend, rannte sie die Spitze derselben dem Mulatten, gerade als er den
Stich gegen José führen wollte, in die Achselhöhle hinein, daß er mit
einem gellenden Aufschrei zusammen brach.

Mit einem gotteslästerlichen Fluch riß in diesem Augenblick der
Ecuadorianer einen Revolver aus seiner Tasche und drückte ihn drei vier
Mal auf das Mädchen ab; aber Du lieber Gott, er trug die Waffe schon
wochenlang in der Tasche, und in diesem ewigen Regen, und
ununterbrochenen feuchten Dünsten, die dem Boden entsteigen, versagt ja
schon nach zwölf Stunden jedes frisch geladene Gewehr, und machtlos
schlug der Hahn auf die Hütchen nieder.

Aber jetzt war auch José's Blut in Wallung gerathen, und die Macheta
aufgreifend, die der Hand des zusammenbrechenden Mulatten entfallen war,
warf er sich in blinder Wuth auf seinen bisherigen Herrn, der es
indessen nicht für gerathen fand, den Angriff abzuwarten. Auch der
Mulatte hatte mit Entsetzen seinen Kameraden stürzen sehen, und Beide --
er wie der Weiße, stoben vor den gegen sie gehobenen Waffen des zur
Verzweiflung getriebenen Negerpaars in die nächsten Büsche hinein, und
aus Sicht.

José wäre nun am liebsten dem Weißen gefolgt, und dessen Leben war dann
verloren, aber Eva ergriff seinen Arm, und in der Angst, daß noch irgend
ein unglücklicher Zufall ihre Flucht hemmen könne, rief sie bittend:

»Komm José -- o komm -- da naht das Canoe -- es führt uns der Heimath
entgegen --«

»Er wird uns verfolgen und anklagen.«

»Lass' ihn -- dann flüchten wir in den Wald hinein, und die Wildniß sei
unsre Heimath, wohin sie nicht wagen dürfen, uns zu folgen -- Komm José
-- es ist Blut genug geflossen,« setzte sie schaudernd hinzu, »oh
vermehre nicht die Schrecken dieser Stunde -- aber ich konnte nicht
anders.«

»Du rettest mein Leben!« rief José.

»Fort von hier -- ich sterbe selber, wenn ich das Blut noch länger sehen
muß, das _=ich=_ vergoß« -- und schaudernd vor dem Entsetzlichen, sprang
sie die steile Uferbank hinab.

Es war ein einzelner Neger, der hier in seinem Canoe vorüberruderte, und
von Concepcion kommend, wollte er nach Hause -- nach Cachavi
zurückkehren. Er lenkte den Bug seines Fahrzeugs rasch dem Lande zu, als
er das Mädchen am Ufer stehen und winken sah, und wenige Minuten später
hatte er Eva wie José in seinem Fahrzeug aufgenommen, das jetzt, von
sechs kräftigen Armen getrieben, die Fluth unter dem Bug aufschäumen
machte, und jede neue Gefahr hinter sich ließ.

FUSSNOTEN:

[D] ~El perdido~ nennen die Ecuadorianer einen ziemlich
großen braunen Vogel, der genau einen solchen Ruf hat, als ob ein Mensch
in der Wildniß verirrt wäre, und um Hülfe riefe.




Siebentes Capitel.

In Cachavi.


In Cachavi herrschte große Aufregung, und Niemand dachte heute an's
Arbeiten. Die _=Männer=_ mußten nämlich einen wichtigen Fall berathen,
über den indeß die _=Frauen=_ schon lange einig waren, und -- während
sich die Ehegatten in dem breiten Gerichtsgebäude sammelten, überall auf
den Straßen in kleinen Gruppen standen.

Die Sache betraf aber auch in der That nichts Geringeres, als die Flucht
José's von seinem weißen Herrn, und die Ermordung des Mulatten, denn Eva
wie José hatten bei ihrer Ankunft in Cachavi dem Alkalden die ganzen
Vorgänge treu und einfach erzählt, und um seinen Schutz gebeten, wenn
sie bis hierher verfolgt werden sollten.

Der Fall kam übrigens zu einer höchst ungünstigen Zeit, denn erst
gestern war ein Canoe von der Tolamündung eingetroffen, wo sie Nachricht
von Esmeraldas gehabt haben wollten, daß General Franco von Guajaquil
aufgebrochen wäre, Bodegas genommen hätte, und jetzt gegen Quito
marschire, um sich das ganze Land zu unterwerfen. Wenn er Sieger blieb
-- und die Berichte, die seine Anhänger hierher gesandt, ließen kaum
einen Zweifel darüber -- so schickte er einen Theil seiner Schwärme auch
jedenfalls in diesen entlegenen Theil des Landes, und was hatten sie
dann zu hoffen, wenn sie gegen einen seiner eigenen Offiziere Partei
genommen?

Die Frauen sind in der ganzen Welt über solche Combinationen erhaben.
Bei ihnen spricht das Herz das _=erste=_ Wort, und nur der Augenblick
entscheidet ihre Handlungen. Die Frauen deshalb waren auch fest
entschlossen, den armen jungen Burschen nicht wieder auszuliefern, und
was Eva betraf -- ei! _=den=_ hätten sie sehen wollen, der ihr in ihrer
eigenen Vaterstadt ein Leides that, und daß sie dem pockennarbigen
Mulatten einen Lanzenstich versetzt -- der hatte den _=Strick=_
verdient, zehnmal und hundertmal, und war ja schon einmal bei Nacht und
Nebel von Cachavi in einem gestohlenen Canoe geflüchtet, um der
gerechten Strafe für seine Missethaten zu entgehen.

In dem Gerichtssaal tagten indeß die Männer, und eine wunderliche
Versammlung war es, der der Alkalde präsidirte. Aber kein Mulatte fand
sich unter ihnen, lauter ächte, rabenschwarze Söhne Aethiopiens, wenn
auch wohl Alle auf diesem Grund und Boden geboren, saßen, lagen und
standen in dem Raum umher und rauchten ihre Papiercigarre. Sie Alle,
ohne Ausnahme, waren nackt bis auf den Gürtel, und selbst das dichte,
fest zusammengekräußte Wollenhaar verschmähte einen Hut.

Eva und José waren erst diesen Morgen vernommen worden, und Keiner der
hier Anwesenden zweifelte, daß sie mit jedem Wort Wahrheit gesprochen.
Der Alkalde selber hatte ja auch das Geld für Eva in Verwahrung gehabt,
und ihr es erst vor wenigen Tagen ausgehändigt. Er wußte genau, wie viel
es gewesen, und was sie damit gewollt.

Der Alkalde, eine schlanke, muskulöse Gestalt, mit schon grauem Wollkopf
und etwas Cavalièrem in seinem ganzen Wesen, wie denn überhaupt die
_=freien=_ Neger -- selbst in den Sklavenländern die Sklaven, wenn sie
sich am Sonntag ihre eigenen Herren wissen -- sehr gern die Bewegungen
und Manieren der Weißen nachahmen, hatte den Leuten jetzt eine lange
Rede gehalten, worin er beide Seiten der Frage beleuchtete, und seine
Zuhörer dadurch in völliger Ungewißheit ließ, zu welcher Seite er sich
eigentlich schlug, und welche Meinung _=sie=_ haben sollten. Es war
dabei schmählich warm geworden; die Sonne stand im Zenith, und kein
Lüftchen regte sich, das die Temperatur hätte nur in etwas abkühlen
können.

Ein kleiner dicker Neger, in Cachavi sehr geachtet, weil er die besten
und festesten Dächer flechten konnte, nahm da endlich das Wort und
sagte:

»Was zerbrechen wir uns denn den Kopf über ungelegte Eier. Das
Wettermädel hat dem schuftigen Nero eine Lanze in den Leib gerannt, weil
er den José mit der Macheta todtschlagen wollte -- soweit ist Alles in
Ordnung. Wenn wir uns hier im Walde nicht _=selber=_ helfen, wer soll es
sonst thun? und daß sie dem schurkischen Mulatten einen Denkzettel
gegeben, oder ihn auch meinetwegen todt gestochen hat, ist nur ein
Gewinn für die Colonie. -- Daß aber der José ein Recht hatte wegzugehen,
wenn sein Jahresgeld bezahlt worden, das mein' ich, ist außer aller
Frage, und wenn ihn der Señor zurückhaben will, mag er einfach herkommen
und beweisen, daß er ihm noch etwas schuldig ist. Nachher kommen wir
wieder zusammen, was sollen wir uns jetzt bei der Hitze abquälen.«

Der Vorschlag klang viel zu vernünftig, als daß ihm nicht alle Uebrigen
hätten beistimmen sollen. Der Alkalde schüttelte zwar mit dem Kopf; im
Grunde genommen war's ihm aber vielleicht auch recht, die Sache vor der
Hand auf sich beruhen zu lassen; alle diese Menschen leben ja doch nur
dem Augenblick. Die Sitzung war also damit geschlossen, und die Frauen
erfuhren wenige Minuten später zu ihrer Genugthuung, daß José und Eva
vor der Hand in Cachavi bleiben könnten. -- Wenn noch etwas in der Sache
geschehen solle, so möchten's die Herren in Concepcion anfangen. _=Sie=_
wollten weiter nichts damit zu thun haben.

So vergingen zwei Tage, ohne daß man etwas von dem unteren Strom gehört
hätte, und den Bewohnern von Cachavi lag auch jetzt eine andere Sache am
Herzen. Die schon lange von Ibarra erwarteten Indianer, welche neue
Waare bringen sollten, waren nämlich immer noch nicht eingetroffen, und
allerlei dumpfe Gerüchte und Vermuthungen durchliefen die kleine Stadt.
Waren sie verunglückt? -- böse Ströme hatten sie unterwegs zu passiren
-- oder sollte sich der Krieg schon bis dort in die entlegene Provinz
Imbaburru gezogen haben, daß sie dem Feinde in die Hände gefallen? Es
wäre ein harter Schlag für das kleine Städtchen gewesen, denn viele der
Einwohner würden unter dem Verlust gelitten haben.

Man beschloß endlich, ihnen einen Boten entgegen zu senden -- oder
vielmehr zwei, denn ein Einzelner würde nie den Wald auf irgend eine
Entfernung betreten -- um sich Gewißheit zu verschaffen, und zwei der
Männer wurden gemiethet, und noch an dem nämlichen Tage in die Wildniß
hinein gesandt, die Cachavi vom Malbucho auf reichlich vier Tagereisen
trennte.

An demselben Nachmittag langte aber eine andere Kunde an, die ihr
Interesse wieder an das Schicksal der beiden jungen Leute fesselte.

In Concepcion war nämlich der Weiße mit Nero's Leiche und dem anderen
Mulatten eingetroffen, und hatte die Auslieferung seines Dieners und der
Mörderin verlangt, und der Alkalde von Concepcion sandte jetzt einen
Boten nach Cachavi, um die beiden Verbrecher mit einer dort
beizugebenden Wache überliefert zu bekommen.

Der Bote kehrte aber unverrichteter Sache zurück. Der Alkalde hielt es
nach der neulich zusammenberufenen Versammlung nicht einmal für nöthig,
auf's Neue bei den Einwohnern anzufragen -- oder seine Frau entschied
vielmehr für ihn, denn sie fertigte den Boten, einen Gerichtsdiener von
Concepcion, gleich so energisch ab, und auf ihr Schreien sammelten sich
rasch so viele dunkle, drohende Gestalten, daß der arme Teufel froh war,
wie er wieder in seinem Canoe saß, und ungeschädigt das Negerdorf im
Rücken hatte.

Das war nun allerdings ein ganz entschiedener Akt der Widersetzlichkeit
gegen die bestehende Autorität gewesen, und der Alkalde selber hätte
vielleicht gewünscht, seine eigene Ehehälfte etwas weniger
leidenschaftlich dabei zu sehen, aber die Sache war einmal geschehen,
und ließ sich nicht mehr ändern, und da das ganze Dorf der Abfertigung
beistimmte, brauchte er auch die Verantwortung nicht allein zu tragen.

Herrschte denn überhaupt in Ecuador ein gesetzlicher Zustand? -- war das
Land nicht in Aufruhr und offenem Bürgerkrieg begriffen, und wußte denn
irgend Einer von Allen -- in Cachavi sowohl wie in Concepcion -- wer
jetzt Präsident im Lande sei -- und wenn er es sei, wie lange? War es
Franco noch, dann allerdings hatte der Alkalde von Concepcion den Schutz
desselben, um sich den Rücken zu decken, und konnte in dem Fall auch
wohl eine Rechtsverletzung in _=seinem=_ Sinne strafen, falls Franco's
Truppen in der That das Land besetzten, oder der Mulattengeneral Geld
genug schickte, um Soldaten hier für ihn anzuwerben -- war das aber
nicht der Fall, so hätte es ihm schwer werden sollen, sich von der
Negercolonie Gehorsam zu erzwingen, und _=den=_ Zeitpunkt konnten sie
eben ruhig abwarten.

Wer aber dadurch in die grimmigste Verlegenheit gerieth, war der Alkalde
von Concepcion. Dieser Señor Cerro, der hier als Franco'scher Offizier
auftrat, verlangte, wie er erklärte, nicht mehr als sein _=Recht=_, und
da er selber von Franco'schen Behörden in seine Stelle eingesetzt
worden, _=konnte=_ er das nicht gut vernachlässigen, ohne die
Franco'sche Regierung auf den Fuß zu treten. Jetzt aber weigerten ihm
die verwünschten Neger da oben ganz direkt den Gehorsam, und was blieb
ihm da anders übrig, als seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen? Der
mußten sie sich ja dann auch fügen, oder offene Rebellion erklären, was
derartige Leute aber nicht sogleich thaten, da die Negeremancipation,
wie sie von der einen Regierung eingesetzt worden, von einer andern auch
eben so leicht wieder umgestoßen werden konnte.

Es galt also, einen raschen und entschiedenen Entschluß zu fassen, denn
dieser Señor Cerro drohte mit einem Bericht an den General Franco, und
der _=mußte=_ vermieden werden. Also überraschte denn der Alkalde die
Bewohner Concepcions am nächsten Morgen mit einem Aufruf an die
Nationalgarde, und verbreitete dabei -- um sich den Rücken zu decken --
die Kunde in dem kleinen Ort, daß General Franco Quito genommen habe,
jetzt gegen Ibarra vorrücke, und einen Theil seines Heeres über San
Pedro und Malbucho an den Bogota senden werde, um sich von der Loyalität
seiner Unterthanen zu überzeugen.

Das wirkte wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel für Viele, die bis
jetzt geglaubt hatten, der Revolution des übrigen Landes viel zu fern zu
sein, um je darunter leiden zu können, und deshalb auch, obgleich im
Herzen vollkommen Quitenisch gesinnt, doch General Franco's Partei
anerkannten -- nur eben der Bequemlichkeit wegen. Aber was ließ sich
thun? -- Gehorchten sie dem Aufruf nicht, und überschwemmten die
Franco'schen Banden wirklich das Land, dann durften sie sich auch fest
darauf verlassen, als Mißliebige denuncirt, und von den Freibeutern nach
Herzenslust gebrandschatzt zu werden. Wohl oder übel holten sie also
alle ihre halbverrosteten Waffen herbei, und um zehn Uhr Morgens lagen
vier Canoes mit Bewaffneten, und das fünfte mit dem Alkalden, Señor
Cerro, und sämmtlichen Dienern der Gerechtigkeit reisefertig an der
Landung, und setzten sich zusammen in Bewegung stromauf.

An ihnen vorbei aber glitt ein anderes, leichtes Canoe, von vier
stämmigen Negern gerudert, und am Steuer saß der kleine italienische
Schneider, der die Aufforderung, zur Nationalgarde zu stoßen, mit Hohn
zurückgewiesen hatte, und jetzt auf eigene Faust die Reise machte.

Als ihn der Alkalde bemerkte, schien er nicht übel Lust zu haben, den
kleinen contrairen Fremden zu arretiren, denn es ahnte ihm, daß der
Bursche, wenn er vor ihnen einträfe, da oben böses Blut machen würde.
Ehe er aber mit seinem Entschluß völlig im Reinen war, passirte das
Canoe schon das vorderste des Zuges, und an ein Einholen desselben war
nicht mehr zu denken. Daß der kleine, nichtswürdige Italiener aber nicht
warten würde, wenn er ihn anriefe, wußte er vorher, und durfte sich auch
deshalb nicht einmal mit einem solchen Versuch blamiren.

Des Alkalden Befürchtung war aber auch sehr gerechtfertigt, denn Rigoli
hatte kaum von der Anklage und dem Unternehmen der tapferen Ecuadorianer
gehört, als er auch augenblicklich beschloß, dem entgegen zu arbeiten.
Seine Neger entwickelten dabei einen wahren Feuereifer, ihn vorwärts zu
bringen, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch landete er schon in
Cachavi, während die schweren Canoes der Bewaffneten, obgleich sie
ebenfalls die halbe Nacht gearbeitet hatten, doch endlich beilegen, und
Tageslicht abwarten mußten.

Es mochte elf Uhr Mittags sein, als sie das Negerdorf in Sicht bekamen,
und sie sahen sich dabei eben nicht angenehm überrascht, die Landung
Mann an Mann mit den herkulischen, halbnackten Einwohnern besetzt zu
finden, die dabei noch Lanzen, Machetas, Musketen und eine Masse anderer
gefährlicher Werkzeuge in Händen hielten.

Was jetzt thun? -- der Alkalde wäre am liebsten gleich wieder
umgekehrt, und hätte sich damit begnügt, einen Bericht an die Regierung
in Guajaquil abzufassen, daß das Land im Aufstande wäre, und General
Franco eine Armee zum Schutz der beleidigten Autorität herbeisenden möge
-- aber Señor Cerro ließ ihn nicht.

»Glauben Sie doch nur nicht,« rief er ihm zu, »daß sich diese
sclavischen Hunde ernstlich widersetzen werden -- lassen Sie uns hier
unten landen, und in geschlossenen Colonnen hinaufmarschiren, und zeigen
sie den geringsten Widerstand, so schießen wir das ganze Nest in Brand.«

»Ja, Señor,« sagte der Alkalde verlegen, »aber sie haben nur schon
gezeigt, daß sie Widerstand leisten _=können=_. Ihre eigene Erfahrung
--«

Der Ecuadorianer knirschte die Zähne zusammen, wenn er an den Moment
dachte, wo er vor einem _=Mädchen=_ die Flucht ergriffen, und die
Erinnerung daran diente wahrlich nicht dazu, ihn zu besänftigen.

»Vorwärts,« rief er; »bei der geringsten Widersetzlichkeit feuert Ihr
zwischen den nackten Trupp hinein -- wir wollen ihnen die schwarzen
Felle pfeffern, und ich übernehme jede Verantwortung, die daraus für Sie
entstehen könnte.«

Der Nationalgarde von Concepcion blieb in der That weiter nichts übrig,
als wenigstens zu landen, wenn sie sich nicht auf ewige Zeiten
lächerlich machen, und dem Gespött der Neger aussetzen wollte. Die
Canoes wurden deshalb an das steinige Ufer gelenkt, und die Besatzung
derselben sprang, ohne daran im Geringsten verhindert zu werden, auf
trockenen Boden.

Etwas unterhalb der Stadt, und gerade der Kirche gegenüber befanden sie
sich hier; als sie aber das eigentliche und hohe Ufer erklommen, waren
sie auf's Aeußerste erstaunt, auch nicht einen der Feinde mehr zu sehen.
Wie in den Boden hinein schienen diese verschwunden, und Señor Cerro
rief triumphirend aus:

»Nun, Señor, habe ich es Ihnen nicht vorher gesagt? Wo sind die feigen
Canaillen jetzt geblieben? Zeigen Sie ihnen Ernst, und Keiner von Allen
wagt auch nur, Ihnen frech in's Auge zu sehen.«

»Da kommt der Alkalde.«

»Der alte Wollkopf?«

»Er wird wahrscheinlich unterhandeln wollen.«

»Fertigen Sie ihn kurz ab, das ist das Beste; keine Unterhandlungen mit
Rebellen.«

Der Alkalde dachte anders darüber; der alte Neger war aber jetzt schon
zu dicht herangekommen, um ein weiteres Gespräch zu gestatten, und wie
er sich auf etwa zehn Schritte genaht hatte, sagte er ruhig:

»Señor Alkalde, können Sie mir vielleicht erklären, weshalb die Boote
mit den Bewaffneten hier an unserer friedlichen Stadt landen? Ich hoffe
doch nicht, daß der Bürgerkrieg bis in unser stilles Asyl gedrungen
ist.«

»Señor Alkalde,« erwiderte der Ecuadorianer sehr förmlich, »die Ursache
kennen Sie wahrscheinlich. Es handelt sich hier um die Auslieferung
einer Mörderin, und die Zurückgabe eines entlaufenen und
contractbrüchigen Dieners. Machen Sie keine Schwierigkeiten, ~amigo~,
denn die Gesetze müssen in Kraft gehalten werden, und es sollte mir
wahrhaft leid thun, wenn ich gezwungen würde, von der mitgekommenen
Macht Gebrauch zu machen.«

»Señor Alkalde,« erwiderte der alte Neger da, aber vollkommen ruhig --
»ich glaube fest, daß wir noch Alles in Frieden beilegen können, wenn
Sie nicht eben zu sehr auf Ihre _=Macht=_ trotzen, und Recht und Gesetz
auch für uns gelten lassen.«

»Das versteht sich von selbst,« rief der Alkalde aus Concepcion rasch.

»Schön,« sagte der Alte, der übrigens keine Waffe in den Händen trug,
»dann können wir Ihnen den Beweis liefern, daß das arme Mädchen, welches
Sie eines Mordes anklagen, nur in einem Akt der Nothwehr handelte, als
sie jenen nichtsnutzigen Mulatten, der den Tod schon zehnmal verdient
hatte --«

»Sie stach ihn meuchelmörderisch nieder,« schrie Señor Cerro dazwischen.
--

»Ueber den Haufen stieß,« fuhr der alte Neger ruhig fort. »Und was den
weggelaufenen Diener betrifft, für den jener Herr da die Auslösungssumme
schon in der Tasche hat, und nicht wieder herausgeben wollte, so braucht
er uns nur die Beweise zu liefern, _=wofür=_ ihm José 120 Dollars
schuldet, und wenn die Belege alle richtig sind, soll ihm entweder das
noch fehlende Geld ausgezahlt werden, oder er seinen Diener
zurückbekommen. Finden Sie das nicht in der Ordnung?«

»Gegen das Letzte ließe sich allerdings nichts --«

»Und glaubt Ihr Canaillen,« schrie der Ecuadorianer in voller Wuth
heraus, »daß ich mich zwingen ließe, _=einem Neger=_ Contracte
vorzulegen? Beim ewigen Gott, es ist weit in Ecuador gekommen, aber dem
wollen wir ein Ende machen. -- Gebt Ihr die beiden Verbrecher gutwillig
heraus oder nicht?«

Der alte Neger antwortete ihm gar nicht -- er hob beide Hände
trichterförmig an den Mund, und stieß einen eigenthümlichen, aber
durchdringenden und lauten Ton damit hervor. -- Und überall umher wurde
es lebendig -- den Fluß herunter, den sie von hier aus deutlich
übersehen konnten, kamen plötzlich noch vier Canoes mit bewaffneten
Negern -- selbst den Strom herauf ruderten zwei mit Anstrengung aller
ihrer Kräfte, und aus allen Häusern quollen -- jedenfalls dem
verabredeten Zeichen gehorchend -- Massen von dunklen, drohenden
Gestalten, ohne sich jedoch im Geringsten feindlich zu gebehrden. Nur
den Platz schlossen sie in einem weiten Bogen vollständig ein, wo die
Canoes von Concepcion gelandet waren, und der dortige Alkalde bemerkte
zu seinem Entsetzen, daß ihre eigenen Fahrzeuge unten im Fluß von den
beiden stromauf kommenden Canoes vom Ufer gelöst, und an die andere
Seite hinüber geführt wurden, was ihnen natürlich jeden Rückzug
abschnitt.

Zu gleicher Zeit ertönte aber aus dem Walde des anderen Ufers ein
gellender, langgezogener Schrei, der jedoch nicht in Verbindung mit den
hier getroffenen Vorbereitungen zu stehen schien, denn die Neger selber
stutzten und horchten dort hinüber, aber nicht lange.

»Die Indianer kommen!« jubelte eine Stimme, und bald antwortete ein
wildes, tobendes Jauchzen dem Meldungsruf von da drüben. -- Das aber
brachte die tapferen Schaaren von Concepcion, die sich hier überhaupt
sehr in der Minderzahl sahen, ganz außer Fassung.

»Die Indianer kommen?« Hatten diese verzweifelten Schwarzen auch noch
die wilden Horden des Innern zu ihrer Hülfe herbeigerufen?

»Señor,« rief der Alkalde den alten Neger ängstlich an, »ich mache Sie
für jedes Blutvergießen hier verantwortlich. -- Wir sind als friedliche
Boten des Gesetzes zu Ihnen gekommen --«

»_=Der=_ ist verantwortlich,« sagte der alte Mann ruhig, »der den ersten
Schuß abfeuert, oder die erste Lanze wirft.«

»Aber Sie haben unsere Canoes wegnehmen lassen.«

»Zu Ihrer Abreise stehen Ihnen dieselben immer wieder zur Verfügung,«
lächelte der Alte -- »aber wer kommt da?« unterbrach er sich plötzlich
rasch und selber erstaunt, als sein Blick nach dem jenseitigen Ufer
hinüberflog -- »Soldaten?«

»Das sind die Truppen des General Franco!« rief der Alkalde von
Concepcion jubelnd aus -- »Viva Franco! Viva Franco!« schrie er dabei,
aber ziemlich vereinzelt, denn beide Parteien waren in diesem Augenblick
gleich gespannt, ob sie von dorten her Freund oder Feind zu erwarten
hätten.

Das Dickicht da drüben wurde in der That in diesem Augenblick lebendig,
und Gewehre blitzten in der Sonne -- und braune, aber uniformirte
Burschen sprangen die Uferbank hinab, und in das seichte Wasser hinein,
um den Fluß zu durchwaten.

»Viva Franco!« schrie der Alkalde noch einmal in einem Uebermaß von
Entzücken. -- »Das sind die Truppen des tapferen Generals!«

»Viva Flores!« donnerte aber in dem Augenblick von dort drüben der
Gegengruß herüber, daß der Magistratsperson das letzte Wort vor Angst in
der Kehle stecken blieb. -- »Franco, der schuftige Dieb, ist verjagt,
~_=Flores=_ el viva~!«

»~El viva~!« jubelten da die Neger, die sich von allen Seiten zum Ufer
drängten -- »~el viva~! -- ~el viva~!«

Und »~Flores el viva~« schallte es jetzt sogar aus den Reihen der
Concepcionsleute selber, die gar nicht daran dachten, die usurpirten
Rechte des Mulattengenerals zu vertheidigen, wo sie noch dazu die
Uebermacht auf Flores Seite sahen.

Der Alkalde war indessen rasch gefaßt. _=Was=_ konnte _=ihm=_ hier
geschehen? Huldigte das Volk der, wie es schien, siegreichen
Quitenischen Regierung, welchen Grund hätte _=er=_ dann gehabt, sich dem
nicht anzuschließen? Und wie er sich nur von seinem ersten Erstaunen
erholt hatte, Quitenische Soldaten von dieser Seite her marschiren zu
sehen, wo er jene furchtbare Wildniß wußte, stimmte er plötzlich lustig
in den Ruf mit ein.

Alles drängte indessen dem Ufer zu, das die durch das Wasser watenden
Soldaten jetzt erreicht hatten, und dabei sehr erfreut schienen, hier
_=keine=_ Feinde, sondern Bundesgenossen zu finden. Da erhob sich
plötzlich am unteren Theil des Flusses ein Lärm, der aber nur von ein
paar einzelnen Menschen ausgehen konnte.

»Caracho!« hörten sie eine Stimme in wildem Fluch -- »was haltet Ihr
mich fest? -- was habe ich mit Euch zu schaffen?«

»Du mit uns wohl nichts, mein Schatz,« lachte dagegen des kleinen
Italieners Stimme; »aber _=wir=_ dagegen so viel mehr mit _=Dir=_. Was
hast Du denn ausgefressen, daß Du auf einmal Fersengeld geben willst?«

»Was ist dort? -- Wen habt Ihr da?« frug jetzt der Quitenische
Offizier, der seine Leute rasch gesammelt hatte, weil er noch immer
nicht recht wußte, wie er mit den Bewohnern dieser Gegend stand. Das
Vivarufen allein hielt er noch für keine genügende Bürgschaft.

»Weiter Niemanden, Señor,« sagte da der kleine, herbeikommende
Schneider, während seine vier Neger den Gefangenen schon fest gefaßt,
und ihm in aller Eile die Hände auf dem Rücken zusammen geschnürt hatten
-- »als einen Herrn, der sich für einen Franco'schen Offizier ausgiebt,
und unter _=der=_ Firma einen ganzen Haufen voll Unheil angerichtet
hat.«

»Señor Cerro,« rief aber der fremde Offizier erstaunt, »das ist ja ein
eigenes Zusammentreffen. Also _=Sie=_ sind ein Franco'scher
_=Offizier=_?«

»Ich kenne Sie nicht, Señor,« sagte der Gebundene finster; »aber wenn
_=Sie=_ wirklich _=Quitenischer=_ Offizier sind, so verlange ich
wenigstens als Kriegsgefangener behandelt, und nicht in den Händen
dieser Schufte gelassen zu werden.«

»Hoho, Señor,« schrie Rigoli lebendig, »wir werden Dir gleich Deinen
Schädel weich klopfen, wenn Du Deine Zunge nicht im Zaume hältst.«

»Ich glaube, Sie sind in ganz richtiger Verwahrung, Señor,« erwiderte
aber kalt der Quitener. -- »Das ist kein Offizier, ~compañeros~,«
wandte er sich dann an die Leute, »sondern ein Schuft, der in Guajaquil,
als eine Art Kammerdiener des Mulattengenerals, einen bedeutenden
Diebstahl beging, und dann flüchtig wurde. Durchsucht ihn doch einmal,
vielleicht finden wir noch eine Anzahl Juwelen bei ihm, die damals
vermißt wurden.«

»Sieh einmal an,« lachte der Italiener -- »das Geldsäckchen der armen
Eva hatte er auch noch, das habe ich aber schon in Sicherheit gebracht
-- nun, vielleicht finden wir noch mehr.«

Cerro machte einen verzweifelten Versuch, seine Banden zu zerreißen,
aber die Neger hielten ihn wie in einem Schraubstock. Er wurde zu Boden
geworfen, und bald fand sich denn auch, daß er in einem um den Leib
geschnallten Geldgürtel eine Anzahl werthvoller Steine und Golddoublonen
versteckt trug.

Indessen hatten die Bewohner von Concepcion Kunde aus dem Innern von den
Neugekommenen, wie auch von den sie begleitenden indianischen
Lastträgern erfragt, und als sie jetzt die Bestätigung erhielten, daß
der kleine Tyrann Franco schon vor drei Wochen aus Guajaquil verjagt und
zu Schiff getrieben, das ganze Land aber in den Händen des Quitenischen
Generals Flores, und der Bürgerkrieg wirklich beendet sei, kannte der
Jubel keine Grenzen.

Natürlich war jetzt von einer Verfolgung oder Bestrafung José's keine
Rede mehr. Der »Señor Cerro« blieb gebunden in den Händen der Polizei,
um ihn in den nächsten Tagen durch den Sumpf nach Ibarra, und von da
nach Quito zu schaffen, wo er den ordentlichen Gerichten übergeben
werden sollte. Der würdige Alkalde von Concepcion aber war ebenfalls
machtlos geworden, und die Bürger der kleinen Stadt luden den Offizier
mit seinen Leuten jetzt auf das Herzlichste ein, mit ihnen nach
Concepcion hinab zu fahren, und dort den Sieg der gerechten Sache solenn
zu feiern.

Rigoli war einer der lebhaftesten bei dieser Einladung, und ruhte auch
nicht eher, bis er den Offizier, um den Zug mit ihm zu eröffnen, allein
und an der Spitze seiner Flotte in seinem Canoe hatte, das er jetzt mit
einer, in dem dortigen Laden zusammengekauften und rasch genähten
ecuadorianischen blau, roth und gelben Flagge schmückte.

Aber er vergaß in seinem Jubel auch nicht das arme, junge Paar, das so
viel Leid ausgestanden. Noch in der nämlichen Woche kehrte er nach
Cachavi zurück, und vier Wochen später bezogen José und Eva einen
kleinen, reizenden Rancho, unmittelbar unter der Stelle, wo der Cachavi
in den Bogota mündet, mit Orangenbäumen vor dem Hause, und ein paar
wehenden Cocospalmen, wie einem schon angepflanzten Platanar. Die
Hochzeit aber wurde in Cachavi ausgerichtet, und Rigoli tanzte darauf,
zum Jubel der Neger, die sich über den kleinen fidelen Burschen vor
Lachen ausschütten wollten, mit der jungen Frau die erste Marimba.




Der Tiger.


Es war an einem jener wundervollen Abende, wie wir sie wirklich nur in
den Tropen finden, daß ich auf Java mit Herrn Phlippeau zu seiner
Kaffeepflanzung nach Lembang hinauf fuhr. Lembang liegt außerdem schon
etwa 4500 Fuß über der Meeresfläche, von drei bis sechs Uhr Abends war
der gewöhnliche, fast immer von Gewittern begleitete Schauer gefallen,
der die Erde abgekühlt und die Bäume und Pflanzen mit seinem
erfrischenden Segen überschüttet hatte, und die Luft kühl und labend.
Hoch am Himmel stand das südliche Kreuz, und ein wunderbarer Blüthenduft
wehte von den Fruchtbaum-Oasen der einzelnen Kampongs oder Dörfer zu uns
herüber.

Die Theeplantage von Tjoem Boeloeit hatten wir schon lange hinter uns,
und der Weg zog sich ziemlich steil an dem Berghang empor, aber die vier
munteren Macassarhengste zogen den leichten Wagen rasch bergan, und
unsere Cigarren rauchend und im Fond zurückgelegt, genossen wir mit
voller Lust den wahrhaft wundervollen Abend.

So erreichten wir endlich die Höhe des Berges, auf dem das Wohnhaus mit
den Kaffeegebäuden, Mühlen und Trockenhäusern lag, von denen wir selber
etwa noch sechshundert Schritt entfernt sein mochten, als ich einen
eigenen dumpfen Ton zu hören glaubte, und in demselben Moment auch die
Pferde unruhig wurden und von dem Kutscher kaum konnten in der Straße
gehalten werden.

»Was ist?« fragte Herr Phlippeau, sich rasch im Wagen aufrichtend. --

»~Tau, Tuwan!~« sagte der Bursche mit seinem singenden Ton und
achselzuckend -- aber wir sollten nicht lange darüber in Zweifel
bleiben, denn kaum waren die Thiere, wenn auch noch schnaubend und
blasend, wieder dazu gebracht worden anzuziehen, als plötzlich das
laute, donnerähnliche Gebrüll eines Tigers an unser Ohr schlug und die
Pferde jetzt so wild und erschreckt zurückfuhren und in die Höh'
bäumten, daß uns nur eben Zeit blieb aus dem Wagen zu springen und ihnen
in die Zügel zu fallen.

Es gelang auch endlich sie wenigstens so weit zu beruhigen, daß sie
still standen, aber an ein Weiterfahren war vor der Hand nicht zu
denken, da sie sich alle im Geschirr verwickelt hatten, und ehe wir das
in der Dunkelheit lösen und in Ordnung bringen konnten, ertönte ein
neues Brüllen der verwünschten Bestie, worauf sie es ärger als zuvor
trieben. Der eine kleine Hengst besonders begann so furchtbar hinten
auszukeilen, daß der malayische Kutscher gar nicht mehr in seine Nähe
wollte; ebensowenig war dieser aber zu bewegen, nach dem kaum
zweihundert Schritt entfernten Kampong zurück zu laufen und Hülfe von
dort herbeizuholen, denn bis jetzt hatten wir alle Hände voll zu thun
die Pferde zu verhindern, daß sie nicht den Wagen seitwärts vom Weg
abschoben und zertrümmerten.

Herr Phlippeau redete dabei heftig und ärgerlich in malayisch auf ihn
ein; da er aber sehr rasch sprach, verstand ich nicht, was er sagte, und
halb lachend, halb fluchend wandte er sich endlich gegen mich und rief:

»Jetzt fürchtet sich der Esel vor dem Tiger, den er selber jeden Morgen
füttert.«

»Dem Tiger?« --

»Allerdings; ich habe ihn ja neben meinem eigenen Haus in einem Käfig.
Das ist aber schon das zweite Mal, daß es mir die Bestie so macht, und
ich muß sie todtschießen, denn die Pferde wollen mir Nachts gar nicht
mehr in die Nähe der Häuser und scheuen schon, wenn der Wind nur von
dort herüberweht und ihnen die Witterung zuträgt.«

Es gelang uns endlich die Pferde los und frei zu machen, daß der Wagen
wenigstens nicht mehr gefährdet war, und ich sprang jetzt selber nach
dem Kampong hinüber, um ein paar der dortigen Einwohner herbeizurufen,
damit sie die Pferde einzeln führen konnten. Wir selber wollten
natürlich viel lieber die kurze Strecke nach dem Hause zu _=gehen=_, als
daß wir uns noch einmal der Arbeit mit den scheuen Thieren unterzogen.

Der Tiger schien sich beruhigt zu haben, kaum aber hatten die herbei
gerufenen Malayen die Thiere gefaßt, als das Gebrüll von neuem begann
und die kleinen Hengste toller als je zu schnauben und auszuschlagen
begannen. Das aber war jetzt der Malayen Sache, mit ihnen fertig zu
werden, wir selber schritten rasch auf dem breiten, gut gehaltenen Weg
den Häusern zu, und erfuhren am andern Morgen, daß die Eingeborenen
wirklich gestern Abend noch mehrere Stunden gebraucht hatten, um die
erschreckten Pferde in ihre Umzäunung zu bringen.

Herr Phlippeau war aber fest entschlossen die unbequeme Bestie, die ihm
denselben Streich schon einmal gespielt hatte, als er vor einigen Tagen
mit seiner Frau zurück nach Hause wollte, abzuschaffen, was eben nicht
anders geschehen konnte, als sie todt zu schießen. Der Transport nach
Batavia hinab, wo er den Tiger hätte gut genug an eines der
heimkehrenden Schiffe verkaufen können, war zu lang und unbequem, auch
kostspielig, und ich selber wurde zum Executor bestimmt.

Am nächsten Morgen nahm ich deßhalb meine Büchse und ging zu dem Käfig,
oder Kasten, der mitten auf einem offenen Platz, etwa vierzig Schritt
von den Häusern der malayischen Diener entfernt, und zwischen diesen und
den Wohngebäuden stand. Der Kasten war gar nicht von starker Art und nur
aus etwa 4 Zoll starken Stäben von Arenpalmen-Holz gemacht. Dieses Holz
eignet sich aber vortrefflich dazu wilde, störrische Bestien zu halten,
denn erstens ist es zäh, und dann splittert es, wenn diese hineinbeißen
wollen, und sticht sie in das Zahnfleisch, so daß sie selten mehr als
einen oder zwei Versuche machen, ihr Gefängniß zu durchbrechen.

Die Malayen selber waren aber sehr froh, als sie hörten daß der Tiger
getödtet werden sollte, denn ihrer Behauptung nach hatte er die letzte
Nacht so furchtbar gewüthet und an seinem Käfig gerüttelt, daß sie
gefürchtet zu haben schienen, er würde sich wirklich frei machen, und
dann ihnen zuerst einen Besuch abstatten, ehe er sich in seinen Wald
zurückzog. -- Der Tiger mußte jetzt übrigens den Zorn und die Ungeduld,
die er die Nacht gefühlt, überwunden haben, denn er lag lang
ausgestreckt und ruhig in seinem Käfig und leckte seine Tatzen mit der
stachligen Zunge.

Es war noch ein junges, vielleicht zweijähriges Thier, schlank und
geschmeidig, mit glattem, wundervoll gezeichnetem Fell. Wie ich aber auf
ihn zu und dicht an seinen Käfig trat, hörte er mit Lecken auf, duckte
sich womöglich noch dichter auf den Boden nieder, legte die Ohren
zurück, fletschte die Zähne und knurrte leise und tief, wie ein
ärgerlicher Hund. So lag er eine lange Weile -- seine Augen waren
ordentlich grün geworden und leuchteten unheimlich, und wie ich einen
Arm nach seinem Käfig ausstreckte, als ob ich ihn berühren wollte, fuhr
er plötzlich mit einem wilden Satz und weit geöffnetem Rachen gegen die
Stäbe an. Aber er biß, von früher her wahrscheinlich gewitzigt, nicht
hinein, sondern schien sich damit zu begnügen, mir nur anzuzeigen, daß
ihm meine Gegenwart unbequem sei.

Einige zwanzig Arbeiter vom Platz hatten sich indessen ziemlich dicht um
den Käfig versammelt, und nur die Frauen wichen scheu zurück, als das
gereizte Thier empor fuhr. Der Tiger aber, wie damit zufrieden gestellt,
daß er uns seinen Muth und seine Kampfbegier gezeigt, war wieder in
seine alte Stellung zurückgefallen, und nur der tückische Blick blieb
mir seitwärts zugewandt, als ob er in mir seinen schlimmsten Feind
ahnte. Wäre er frei gewesen, so bin ich auch fest überzeugt, daß er
mich, vor allen Anderen, angenommen hätte. -- So freilich mußte er sich
das vergehen lassen; der kleine aber starke Käfig hielt ihn sicher
genug.

Der Kasten war in der That kaum breit genug, daß das so geschmeidige
Thier im Stande schien sich darin umzudrehen, und er lag jetzt mit dem
Gesicht nach vorn und den Rücken der schmalen Thür zugedreht, die mit
einem hölzernen Zapfen verschlossen gehalten wurde, vollkommen bequem zu
einem sicheren Schuß.

Da ich ihn noch abstreifen wollte, ehe es zu heiß wurde, zögerte ich
auch nicht lange, und ließ die Malayen von der anderen Seite
zurücktreten, weil ich nicht wußte, ob meine Spitzkugel, die ich damals
noch führte -- ich bin auf der Jagd aber vollkommen davon zurück
gekommen -- nicht doch vielleicht durch den Schädel schlagen und auf der
anderen Seite noch Unheil anrichten konnte. Die neugierigen Burschen
waren aber kaum fern zu halten, so wollten sie alle, ganz in der Nähe,
den Tod des Raubthiers betrachten, und wie ich nur wenigstens vor der
Kugel freien Raum hatte, trat ich dicht an den Käfig, hielt dem
Raubthier die Mündung des Büchsenlaufs vor das Ohr und drückte ab.

Der Tiger zuckte nicht einmal zusammen; der halb und tückisch nach mir
gehobene Kopf fiel auf seine Tatzen nieder, und die Malayen sprangen
jetzt zu ihm heran. Wie ich selber aber nun den Schuß gefeuert hatte,
gab ich mein Gewehr dem Nächsten zum Halten, trat hinten an den Kasten,
zog den Pflock heraus und öffnete die kleine Thür. Das aber hatten die
Malayen nicht gedacht. Auf den Tiger war allerdings ein Schuß gefallen,
aber daß er todt sei und keinem Menschen auf der Welt mehr schaden
könne, wußte ich nur allein, die Malayen schienen wenigstens von einem
so raschen und nicht von der geringsten Bewegung begleiteten Tod noch
keineswegs überzeugt, und kaum hatte ich die Klappe geöffnet, ja wie ich
nur den Pflock herauszog, stoben sie alle in wilder Flucht und mit
lautem Geschrei auseinander und ihren Hütten zu.

Es war ein höchst komischer Anblick, und vergebens mein Rufen, daß der
Tiger todt und unschädlich sei. Erst als ich mich nicht weiter um sie
kümmerte und den Tiger beim Schwanz ergriff, aus dem Käfig zog und
anfing ihn abzustreifen, kamen sie wieder schüchtern näher und lachten
nun selber, in ihrer gutmüthigen Weise, über ihre Furcht. Keiner aber
legte mit Hand an, und sie ließen mich meine Arbeit ganz allein
vollenden. Erst als ich die Haut vollkommen herunter hatte und mir nun
von Einigen dünne Bambusstäbe bringen ließ, um sie auszuspannen und dann
in der Sonne rasch zu trocknen, machten sich ein paar von ihnen daran
den Körper aufzuschlitzen.

Im Anfang wußte ich allerdings nicht, zu welchem Zweck das geschah, denn
daß sie das Fleisch des Tigers nicht essen, hatte ich schon oft
bestätigen hören. Sie nahmen aber auch nur das Herz des Raubthiers
heraus, das sie in kleine Stücke schnitten und unter einander
vertheilten. Wie ich ihnen noch erstaunt zusah, verschluckten auch ein
paar von ihnen ihren Antheil gleich roh an Ort und Stelle, und nur mein
letzter Führer auf der Rhinocerosjagd, ein Bursche, der auch nicht einen
Funken von Courage besaß und bei dem Ausreißen vorher der
Schnellfüßigste gewesen, verschwand mit seinem Stück und kehrte erst
nach einigen Minuten ohne dasselbe zurück.

Er sollte mir jetzt erklären, was dieser Gebrauch bedeute, denn zum
Sattessen hatten sie das Fleisch keinesfalls genossen, dazu waren die
Bissen zu klein gewesen. Er kam dann endlich, wenn auch etwas verschämt,
mit dem Bekenntniß heraus, daß die Javanen, wenn sie ein Stück von dem
Herzen des Tigers verzehren, auch einen Theil von dessen Muth bekämen.
Rasch setzte er aber hinzu, daß er nichts davon gegessen habe, das solle
ich nicht glauben -- und dabei saß ihm das frische Blut noch in den
Mundwinkeln.

Merkwürdiger Aberglauben, den die Leute haben, nicht wahr? -- Und machen
wir civilisirten Christen es etwa besser, haben wir nicht eine Menge von
Dingen, die andere Völkerschaften für ebenso unhaltbar und thöricht
halten, wie wir jenen Gebrauch? Es ist und bleibt dieselbe Geschichte,
und wir wollen nur nicht selber eingestehen, das wir _=Alle=_ Balken im
Auge tragen.

Thöricht ist der Gebrauch aber schon aus dem Grund, weil die Leute mit
dem Stück vom Herzen den _=Muth=_ des Tigers gewinnen wollen; es giebt
nämlich auf der Welt keine, zwar blutgierigere, aber auch feigere
Bestie, als gerade den Tiger. Er reißt Menschen nieder, ja, aber nur,
wenn er sie aus dem Hinterhalt überfallen kann, nie und nimmer offen und
Gesicht in Gesicht. Heimlich schleicht er herbei und liegt auf der
Lauer, um irgend ein Stück Wild oder auch vielleicht ein Rind zu
erbeuten, aber schon das Geräusch des nahenden Menschen schreckt ihn
empor und treibt ihn in die Flucht, und wenn man in Java wirklich von
_=Menschen=_ hört, die er überfallen hat, so sind es fast immer nur
Frauen und Kinder, an die er sich gewagt.

Schon seine ganze Jagd beweist, wie wenig Muth er besitzt, denn er muß
getrieben und umstellt werden, ehe man ihn zum Schuß bekommen kann, und
nur schwer verwundet oder in der Verzweiflung sich überlistet zu sehen,
nimmt er, wenn er nicht länger fliehen _=kann=_, den Kampf an, und dann
freilich ist er ein gefährlicher Gegner, ja vielleicht der gefährlichste
von allen wilden Bestien, weil seine Gewandtheit seiner furchtbaren
Kraft gleich kommt.

Es ist vorgekommen, daß ein Tiger eins der kleinen Javanischen Pferde
aus einer fünf Fuß hohen Umzäunung geraubt hat, ohne den Zaun zu
durchbrechen, und er muß es, wenn er nicht damit hinüber _=gesprungen=_
ist, doch wenigstens hinübergehoben haben, wozu kaum _=vier=_ Menschen
im Stande gewesen wären -- und draußen trug er es im Rachen fort. Aber
Märchen sind es auch wieder, wenn man behauptet, daß ein einziger Schlag
seiner Tatze einen Büffel betäube und zu Boden werfe. Nur wenn er ihm
auf den Nacken springen kann, ist der _=einzelne=_ Büffel verloren, und
den dortigen ~bantings~ oder wilden Rindern mit ihren spitzen Hörnern,
die sich stets in Trupps halten, soll er scheu aus dem Wege gehen, und
nur wo das ungestraft geschehen kann, auf ein Kalb fahnden.

Es giebt in Java viel Tiger, und man findet sogar in den Walddistrikten
hie und da sogenannte »todte Kampongs«, die von den Bewohnern der vielen
Tiger wegen früher verlassen und deren Stätten von der gewaltigen
Vegetation schon lange überwuchert wurden, so daß nur die früher dort
gepflanzten Cocos- und Arecapalmen die Stellen bezeichnen, auf denen sie
gestanden. Und doch wird von dem Jäger nur in höchst seltenen Fällen,
und dann selbst nur durch Zufall, ein Tiger im Wald angetroffen und
erlegt, denn der Tiger hält eben nicht Stand. Nur in Gruben wird er
gefangen, oder hie und da benutzt auch wohl ein Europäer ein von der
Bestie zerrissenes und aufgefundenes Stück, um Nachts dabei anzusitzen
und sie auf dem Anstand zu erlegen. Alle von den Eingeborenen erbeuteten
Felle _=müssen=_ dabei an die Regierung eingeliefert werden und der
Eigenthümer bekommt dafür eine vom Staat festgesetzte Prämie von früher
fünfzehn jetzt zwanzig Gulden.

Der Tiger spielt aber, trotz seiner Feigheit, bei den Javanen eine große
Rolle und besonders seinen Krallen -- außer der Wirkung, die das frisch
verzehrte Herz ausüben soll -- trauen sie noch eine besondere Kraft zu,
oft sehr zum Aerger der Europäer, die sich dort angekaufte oder sonst
gewonnene Felle gern vollständig erhalten wollen. Die Eingeborenen
stehlen nämlich diese Krallen, wo sie ihrer nur irgend habhaft werden
können, und auch an dem Fell, das ich an jenem Tag abstreifte und zum
Trocknen in die Sonne hing, fehlten sie schon an dem nämlichen Abend
sämmtlich.




Negerleben.


Die Menschen gewöhnen sich -- und es ist das eine merkwürdige Thatsache
-- mit der Zeit selbst an das Wunderbarste, so daß sie es zuletzt nicht
einmal der Mühe werth halten, mehr darüber nachzudenken. Wir sehen die
Sonne auf- und untergehen, die Pflanzen keimen und wachsen, das Meer
ebben und fluthen -- sehen Winter und Sommer kommen, den Baum aus einem
Kern, den Schmetterling aus einer Raupe, den Lieutenant aus einem
Wickelkind entstehen, und bemerken die Verwandlung nicht einmal mehr,
die für uns etwas Alltägliches geworden.

So staunen wir auch wohl anfangs neue Erfindungen an und bewundern die
Kraft des Dampfes und Elektro-Magnetismus -- aber nicht lange, dann
benutzen wir sie und können uns kaum noch denken, daß es eine Zeit
gegeben hat, in der sie nicht gekannt war.

Ebenso geht es mit althergebrachten Gewohnheiten und Sitten. Kommt ein
Europäer in ein tropisches Land, so ist er ganz erstaunt, dort auf
einmal einer Race zu begegnen, die vollkommen nackt in der Welt
herumläuft, und will sich halb todt lachen, wenn sich der König eines
fremden Volkes zu ihm auf die Erde setzt und ihn um etwas Tabak
anspricht; aber kaum lebt er vier Wochen unter den Leuten, so sieht er
weder die Nackten mehr, noch findet er etwas Außerordentliches in der
Herablassung Sr. Majestät.

Genau so geht es uns mit der Sclaverei.

Wenn sie noch nie bestanden hätte und ein Mensch sich dann erfrechen
wollte, einen zweiten, der eine andere Hautfarbe hat, als er, und nicht
ganz so »gebildet« ist, zu zwingen, für ihn umsonst zu arbeiten, während
er in der nämlichen Zeit dessen Frau und Kinder an einen Dritten
verkaufte, so wären wir außer uns und hielten das mit Recht für eine
Scheußlichkeit und Niederträchtigkeit. Jetzt aber sind wir so gewohnt,
von Negersclaven und deren Versteigerung zu hören, daß die meisten
Menschen bis vor kurzer Zeit gar nichts Absonderliches mehr in der Sache
fanden. Ja, in den Ländern, wo die Sclaverei wirklich bestand, wurde
sogar das Recht der Weißen, schwarze Sclaven zu halten, in den Schulen
gelehrt, und Geistliche entblödeten sich nicht, die heilige Schrift zu
mißbrauchen, um ein solches Verbrechen als von Gott selber eingesetzt
hinzustellen.

Daß wir die Baumwolle theurer bezahlen müssen, wenn es einmal keine
Sclaven mehr giebt, steht wohl fest, denn der Arbeiter verlangt dann
seinen verdienten Lohn, aber das Rechtlichkeitsgefühl civilisirter
Menschen hat sich endlich dahin ausgesprochen, daß ein wenn auch durch
Jahrtausende geübter Brauch doch ein Mißbrauch und eine
Niederträchtigkeit sein könne, und während in Rußland die Leibeigenen
freigegeben wurden, traten in Nordamerika Hunderttausende unter Waffen,
um ihr Vaterland von der Schmach zu befreien, zu den Sclavenstaaten
gezählt zu werden.

Es fällt mir indessen hier nicht ein, eine Abhandlung über die
Sclaverei, ihre Nichtberechtigung oder Berechtigung zu schreiben. Der
gesunde Sinn des Volkes hat längst darüber entschieden und sie für ein
Verbrechen erklärt -- wenn es auch selbst in Deutschland noch einige
Menschen giebt, die sie vertheidigen und mit schalen Phrasen ihre
Existenz als nothwendig darzustellen suchen. Ich selber möchte hier dem
Leser nur eine kurze Schilderung der Zustände geben, in denen ich Neger
in den verschiedenen Welttheilen getroffen habe, und eine solche
Zusammenstellung ist immer insofern interessant, als sie einen
Vergleich zuläßt.

Von der Heimath der Neger will ich nicht reden. Leute, die mit deren
Vaterland genau vertraut sind, haben das schon viel besser gethan, als
ich es im Stande wäre. Nach Allem aber, was man von ihnen hört und
sieht, scheint es, daß sie dort, wo sie mit den Weißen noch nicht in
nähere Berührung kamen, wie das auch bei den Indianern der übrigen
Welttheile der Fall ist, harmlos und gastfrei sind und eben nicht mehr
arbeiten, als sie zu ihrem Lebensunterhalt brauchen.

Dann kommen die Europäer zu ihnen. Portugiesische Sclavenhändler
durchziehen das Land, die Gier nach Reichthümern wird in ihnen erregt,
alle Leidenschaften werden wachgerufen und zu Verbrechen gesteigert, und
dann werfen sich die Weißen in die Brust und sagen: »Was für thierische
Völker sind das! Kann sie Gott der Herr für etwas Anderes erschaffen
haben, als den Weißen durch ihre Körperkraft zu dienen?«

Wir wollen uns diese thierischen Völker betrachten, wie sie in anderen
Ländern der Erde leben, wohin sie aber nur durch die Weißen selber
gebracht wurden.

Die eingeborenen Afrikaner sind nämlich keine seefahrende Nation, woran
auch vielleicht die ungünstige Beschaffenheit ihrer Küsten die Schuld
trägt. Nur die ihnen zunächstliegenden wenigen Inseln haben sie
bevölkert und sie entweder ganz besetzt, oder sich mit den Ureinwohnern
vermischt, wie z. B. auf der Westküste von Madagascar.

Daß die Eingeborenen Australiens eine Mischlingsrace von Aethiopiern und
Malayen sein sollten, ist nur eine Phantasie Blumenbach's. Die
australischen Schwarzen sind ein unzweifelhafter Urstamm, und nie hat
ein Aethiopier oder Neger deren Küsten, außer auf einem Schiffe der
Weißen, betreten.

Auch im ostindischen Archipel, ja selbst in dem ihnen gegenüberliegenden
Arabien finden wir keine Spur von ihnen als freien Einwanderern. Sie
sind nur als Sclaven dort hinüber geschleppt, während sie von den an
ihren Küsten landenden Abkömmlingen der kaukasischen Race weiter und
weiter in das innere Land zurückgedrängt wurden.

Wenn sie aber nicht selber zur See gehen wollten, so gab man ihnen
Passage, und die Spanier und Portugiesen, nachdem sie in Amerika die
gutmüthigen Indianer unter dem Vorwand, ihre Seelen zu retten,
erschlagen oder zu Tode geknechtet hatten, mußten schon Sclaven dort
hinüber führen, um die Arbeit zu thun, die das faule Seeräubergesindel
nicht selber verrichten mochte.

Nordamerika folgte, und wie sich der Reis-, Baumwollen- und
Zuckerrohrbau als ergiebig zeigte, schaffte man Neger dort hinüber, die
nicht allein die Felder bestellen mußten, sondern auch einen
einträglichen Handelsartikel bildeten.

Die Sclaven werden nun überall, wo man sie hält, nur in seltenen Fällen
wirklich schlecht behandelt, denn es liegt im eigenen Interesse des
Besitzers, sie gesund und bei Kräften zu erhalten. Sie dürfen deshalb
ebensowenig, wie ein Pferd oder Stier, überarbeitet werden, und die
Hauptkunst eines ordentlichen »Sclavenzüchters« besteht darin, so viel
Arbeit aus ihnen herauszubekommen, als sie leisten können, ohne sie
dabei zu schädigen.

Es giebt Ausnahmen -- ich kenne auch selbst aus den Vereinigten Staaten
Beispiele von boshafter, ausgesuchter Grausamkeit -- Geschichten, wie
sie selbst Mrs. Beecher-Stowe nicht schlimmer erdacht hat, die doch das
Mögliche darin leistete, aber es sind das doch nur Ausnahmen. Im Ganzen
hatten sie ihre bestimmte Arbeitszeit und ihre ihnen angemessene Kost,
auch die nöthige Kleidung, und die meisten Herren gaben ihnen auch noch
einen Gartenplatz, um darin für sich selber zu arbeiten. Die
Vertheidiger der Sclaverei sagen nun: »Was will so ein Neger mehr? Ist
er nicht viel besser daran, als unsere deutschen Armen, die, wenn sie
krank und elend werden, verhungern können, ohne daß sich ein Mensch um
sie bekümmert? Der Herr muß seinen Sclaven erhalten, auch wenn er nicht
arbeitet.«

Das ist wahr, und die gezwungene Arbeit bleibt das geringste Elend der
Sclaven -- das furchtbarste ist der Verkauf.

Eine Negerfamilie hat über Tag ihre Arbeit gethan, ihr Herr ist gut und
milde mit ihnen, sie werden freundlich behandelt, aber -- er liegt krank
in seinem Haus. Wenn er morgen stirbt, wird das Gut mit seinem Inventar,
zu dem die Sclaven gehören, verkauft, und was wird dann aus ihnen? Jetzt
noch sitzen Vater und Mutter mit ihren Kindern beisammen -- wie lange
noch? Die Gesetze verboten freilich, daß in den Staatsauctionen die
Familien getrennt wurden; aber wer kaufte die Neger auf den Auctionen?
Nur herumreisende Yankees, denn kein anständiger Südländer würde sich zu
dem schmutzigen Geschäft eines Sclavenhändlers hergegeben haben; nur
diese Menschenclasse, die der freie Norden und dort hauptsächlich der
kleine Complex der eigentlichen Yankeestaaten, Massachusets, Connecticut
und Vermont liefert. Die aber machten sich auch kein Gewissen daraus,
Familien zu trennen und das Weib von dem Gatten, Kinder aus dem Arme der
Eltern zu reißen. Es war einmal ihr Geschäft, für das ja auch sogar
mancher deutsche Gelehrte seine Lanze einlegte und, wenn auch unbewußt,
seine Rechtmäßigkeit vertheidigte.

Das ist das Furchtbare im Leben des Negersclaven, daß er nie und zu
keiner Stunde seiner eigenen Familie sicher ist, daß er, wenn er sein
Kind auf den Arm nimmt und es herzt und küßt, nicht weiß, ob nicht schon
morgen ein frecher, tabakkauender Weißer, von den Gesetzen beschützt,
den Arm danach ausstreckt und er es nie, nie wiedersieht. Fragt die
Aermsten unserer Armen, fragt die unglücklichen Erzgebirger, die sich in
ungünstigen Jahren von faulen Kartoffeln nähren und nicht einmal genug
von _=der=_ Nahrung haben, ob sie mit ihm tauschen möchten!

Aber sonst geht es den Negern gut.

Es ist gerade so, als ob ich von einem Menschen sage: »Er hat freilich
die Schwindsucht -- aber sonst geht es ihm gut.«

Ein glücklicher Leichtsinn half dem Volk übrigens das oft
Unerträglichste wirklich zu ertragen. Ja, man hörte wohl dann und wann
einmal von dem Selbstmord einer Mutter, der man ihr Kind geraubt und die
sich in den Strom gestürzt; auch hat dann und wann ein junger Bursch aus
thörichter Eifersucht einen Aufseher erschlagen und ist natürlich
deshalb gehangen worden. Aber war das nicht Wahnsinn, mußte er denn
nicht wissen, daß die Sclavinnen alle Eigenthum ihres Herrn sind, und
keines der Mädchen dem Aufseher oder ~nigger-driver~ eine kleine
Gefälligkeit weigern konnte, wenn sie nicht die Hölle auf Erden haben
wollte?

Wie vergnügt die jungen Leute trotzdem zur Arbeit gingen! Es lag ihnen
einmal im Blut, und wenn man sie so zusammen schwatzen und lachen hörte,
hätte man kaum glauben können, daß eine einzige Sorge ihr Leben trübe?

Der Neger hat ungemein viel Sinn für das Komische und Niemand in der
Welt kann herzlicher und lauter lachen, als ein Neger. Ihr Jaw! Jaw!
Jaw! hört man oft unglaubliche Strecken weit, und sie biegen sich dabei
zurück und zeigen ein paar Reihen von Zähnen, die an blendender Weiße
Nichts zu wünschen übrig lassen. Musik und Tanz lieben sie ebenfalls
leidenschaftlich, und das einfachste Instrument genügt, um eine ganze
Plantage auf die Füße zu bringen. Oft und oft habe ich die Arbeiter
bewundert, die an der Levée von New-Orleans die schweren
Baumwollenballen und Zucker-»~hogsheads~« an Bord der Schiffe wälzen.
Besonders das letztere Geschäft treiben sie systematisch.

Es giebt nämlich kaum eine schwerere Arbeit, als solch ein großes
Zuckerfaß zu rollen, denn es ist nie vollständig gefüllt. Der schwere
Zucker fällt dadurch fortwährend nach unten, so daß stets das ganze
Gewicht gehoben werden muß. Je schwerer die Arbeit aber, desto lauter
und lustiger geht es dabei zu, und man soll nur einmal die acht Mann,
die gewöhnlich zu einem großen Faß gebraucht werden, sehen, wie sie
dabei hüpfen und springen und im Tact ein munteres Lied singen. Wie am
Bord der Schiffe bei schweren Arbeiten, macht auch hier Einer den
Vorsänger, der irgend eines ihrer oft schwermüthigen, oft ausgelassenen
Negerlieder singt, in das dann, beim Ende eines jeden Verses, der Chor
in lauter jubelnder Lust einfällt. Aber noch nicht genug, der Vorsänger
ist auch zugleich Vortänzer, und während er jetzt mit triefender Stirn
gegen die ungefüge Last anarbeitet, springt er plötzlich zurück, tanzt,
während er die zwei letzten Strophen seines Verses singt, um die
Arbeitenden und das Faß her, und wirft dann mit dem Refrain seine
Schulter wieder gegen das riesige Hogshead.

So finden wir sie in den Sclavenstaaten, während sie in der Freiheit
ganz andere, viel gesetztere Menschen werden und ihrer Arbeit mit großem
Eifer, aber weit ruhiger obliegen, den fröhlichen leichtherzigen Sinn
aber auch da nicht verleugnen.

In den nördlichen Staaten der Union leben Tausende und Tausende von
freien »Farbigen«, wie sie sich dort selbst bezeichnen, denn sie setzen
eine Ehre darin, nicht etwa Schwarze oder gar Neger und noch schlimmer
Nigger genannt zu werden, da das Wort Nigger eins ihrer eigenen und
ärgsten Schimpfworte ist. Sie belegen ihre Race auch deshalb nur mit dem
Namen ~coloured people~ oder farbiges Volk, und der Unterschied
zwischen ihnen und den Weißen wird mit ~a white lady~ und ~a coloured
lady~ oder ~a white gentleman~ und ~a coloured gentleman~
ausgedrückt.

Nun fand man sie allerdings in vielen Gewerken vertreten; sehr selten
wird man aber einen der Race als Drechsler, Blechschmied, Uhrmacher &c.
antreffen, selbst Kaufleute und Händler wurden sie nur in
Ausnahmsfällen. Dagegen monopolisirten sie schon früher in allen
nordischen Städten Amerikas sowohl, wie selbst im Süden die sogenannten
~barbershops~ oder Barbierläden, in denen auch stets zugleich frisirt
wird. Sämmtliche Köche und Kellner in den großen Hotels, ~Oystershops~
und anderen Anstalten sind ebenfalls »~coloured men~« und keine
Musikbande besteht fast von den Canadischen Seen nieder bis zum Cap Horn
an der Südspitze des Festlandes, wo nicht ein Neger oder Mulatte die
große Trommel schlüge oder Cymbeln und Triangel bearbeitete.

Auch an Bord von Schiffen sind sie meist Köche und Stewards, seltener
Matrosen, nie aber konnten sie als Steuermann fahren und können es
wahrscheinlich noch nicht, denn kein weißer amerikanischer Matrose würde
sich von ihnen etwas befehlen lassen.

Merkwürdig ist überhaupt die grenzenlose Verachtung, mit welcher die
farbigen Leute, selbst in ihren lichtesten Abkömmlingen, von den weißen
Nordamerikanern behandelt wurden, ehe ihre Emancipation erklärt war. Sie
hatten im Theater ihre bestimmten Plätze, auf der Eisenbahn ihre
besonderen Wagen, sie mußten in den Straßen jedem Weißen ausweichen,
wenn sie sich nicht augenblicklicher Züchtigung aussetzen wollten, und
nur in neuerer Zeit scheint man den Versuch gemacht zu haben, sie in
_=Allem=_ den weißen Bürgern der Union gleichzustellen, ja ihnen sogar
das Stimmrecht zu verleihen, und es bleibt abzuwarten, wie lange das gut
thut. Es wird aber sehr schwer sein, die alten Vorurtheile so mit einem
Mal zu beseitigen, denn der Weiße _=haßte=_ nicht allein den Neger --
das hätte sich ändern lassen --, nein er _=verachtete=_ ihn auch, und
ein derartiges Gefühl ist unendlich schwer in Achtung zu verkehren.
Geschah doch sogar das Außerordentliche vor einigen Jahren in einem der
ersten Hotels Bremens, einer _=deutschen=_ Stadt, wo ein
Violinenvirtuos, ein Mulatte und ein durchaus gebildeter junger Mann,
die Tafel auf Geheiß des Wirthes verlassen mußte, weil die dort das Haus
zahlreich frequentirenden amerikanischen Schiffscapitaine drohten, das
Hotel in Verruf zu erklären, wenn der _=Nigger=_ nicht entfernt würde.

Jetzt ist die Sclaverei im Norden aufgehoben, und das einzige Land des
amerikanischen Continents, wo es noch (außer in einem kleinen Theile
Guianas) Negersclaven giebt, ist Brasilien. Dorthin wird auch noch --
trotz aller dem entgegenlaufenden Gesetze -- ein lebhafter Negerhandel
von der afrikanischen Küste getrieben. Man scheint übrigens die Sclaven
in Brasilien -- so weit ich nämlich darüber urtheilen kann, -- ziemlich
gut zu behandeln, und die Regierung thut auch ihr Möglichstes der
Verbreitung der Sclaverei entgegenzutreten. Verbietet man doch sogar
den deutschen Colonisten dort Sclaven zu halten. Die Neger verleugnen
aber auch dort ihr leichtes Blut nicht und verrichten die schwersten
Arbeiten unter Singen und Lachen. So sah ich einst vier Neger ein
Pianino in Rio-Janeiro durch die Straßen tragen, und zwar auf ganz
eigenthümliche, dort aber stets gebräuchliche Weise. Sie trugen das
ziemlich schwere Instrument an den vier Ecken auf den Köpfen, und
keuchten nicht etwa ihren Weg entlang, sondern _=tanzten=_. Einer von
ihnen hatte eine Art von Castagnetten, mit denen er den Tact angab, und
während sie mit lauter, jubelnder Stimme und außerordentlich vergnügten
Gesichtern eines ihrer tollen Lieder sangen, tanzten sie dabei im wahren
Sinn des Worts auf dem breiten Trottoir hin und verdrehten ihre Körper
in der wunderlichsten Art.

In sämmtlichen Republiken des amerikanischen Continents sind die
Negersclaven freigegeben, denn mit Recht hielten es die damaligen
Gesetzgeber einer Republik für unwürdig, alle Menschen frei und
gleichberechtigt zu erklären, und doch dabei die eine bestimmte Race in
Banden und Knechtschaft zu halten. An der ganzen Westküste Amerikas, wie
auch in den La Plata-Staaten, giebt es, dem Gesetz nach, keinen Sklaven
mehr. Wo aber wäre schon ein Gesetz gegeben worden, das nicht der
Eigennutz und die Habgier der Menschen zu umgehen und kraftlos zu machen
gewußt!

Das Gesetz in Ecuador und Peru sagt ausdrücklich, daß dort kein Neger
mehr als Sclave gehalten und verkauft werden darf, und doch geschieht
Beides noch bis zu dieser Stunde, wenn auch in beschränktem Maße, aber
noch dazu vor Gericht und von den Gesetzen unterstützt. Das Wie? ist
leicht erklärt. Die Neger sind Alle frei, aber -- Contracte haben,
zwischen Arbeitgeber und Arbeiter, volle Gültigkeit. Die Neger sind,
wenn nicht zur Arbeit gezwungen, ziemlich faul, und Viele von ihnen auch
dem Trunk ergeben. Haben sie gar kein Geld mehr, so arbeiten sie, und
Weiße finden sich überall, die ihnen Vorschuß geben. Hat der Neger aber
von einem Weißen erst einmal Vorschuß bis zu einer Höhe von vierzig
Dollars erhalten, dann kommt der Gläubiger zu den Schwarzen und sagt:
»Hör' einmal, lieber Freund, das geht nicht mehr. Was Du mir schuldig
bist, kannst Du allerdings nach und nach abarbeiten, aber Du mußt mir
jetzt hier diesen Schein unterschreiben, daß ich vierzig Dollars an Dich
zu fordern habe und Du mir dafür ein Jahr dienen willst. Was Du indessen
brauchst, geb' ich Dir.« Der Schwarze unterschreibt nun den Schein und
tritt in den Dienst des Weißen, dessen Sclave er von dem Augenblick ist,
denn in nur sehr seltenen Fällen wird er wieder frei. Was er nämlich
indessen an Kleidern und Schuhwerk braucht, oder an Branntwein haben
will, giebt ihm sein neuer Herr bereitwillig, zu von ihm selbst
festgestellten Preisen, und sorgt dadurch schon dafür, daß er bis zum
Ende des Jahres wieder die alten vierzig Dollars Schulden hat.

Auch ein förmlicher Verkauf ist dabei nicht ausgeschlossen, wenn dieser
auch unter einem anderen Namen stattfindet. Ein Anderer zahlt nämlich
dem Gläubiger die Schuldsumme vor Gericht, und eine Kleinigkeit mehr
privatim, wenn verlangt, und der Sclave -- wechselt seinen Herrn.

In Ecuador haben sich die befreiten Sclaven meist in das niedere Land
gezogen und dort ganze Districte besiedelt. In den mächtigen
Niederungen, besonders an den Ufern der verschiedenen Ströme, sind
förmliche Niederlassungen von ihnen gegründet, und man kann dort
tagelang reisen ohne einen anderen Menschen als einen Neger oder
Mulatten zu treffen. So fand ich am Cachavi (einem kleinen Strom, der
sich in den Santiago ergießt und durch diesen mit dem Pailon in
Verbindung steht) eine völlige kleine Negerrepublik. Sie hatten dort
einen schwarzen Alcalden und schwarze Beamte und nur ein einziger weißer
Händler, ein Italiener, lebte zwischen ihnen.

So war es an der ganzen Westküste aufwärts, während auch im Süden die
Ufer des Guajaquilstroms meistens von Schwarzen besetzt und bebaut
waren, die dort Platanare- und Cacaopflanzungen angelegt hatten, während
die Weißen den Handel zwischen ihnen vermittelten.

Anders stellte sich das Verhältniß in Peru, wo es kein niederes
sumpfiges Land giebt, das ihnen, wie in den nördlicheren Staaten, allein
überlassen blieb. Dort halten sich die Schwarzen in der Nähe von Lima,
oder selbst in der Stadt auf -- eben nicht zum Nutzen der öffentlichen
Sicherheit -- und es giebt kaum ein frecheres, vorlauteres Volk in der
weiten Welt, als diese freigesprochenen Neger Perus. Ganze Vorstädte
bevölkern sie dort, und während die Regierung die jungen Leute meist
unter die Soldaten steckte, sind doch noch genug übrig geblieben, um die
Straßen unsicher zu machen. Nicht mit Unrecht legte man nämlich den
Schwarzen einen großen Theil jener Straßenräubereien zur Last, die in
der unmittelbaren Nähe Limas verübt wurden und ihren Höhepunkt
erreichten, als die Todesstrafe aufgehoben wurde. Die Gefängnisse waren
nämlich so beengt, daß man die Verbrecher gar nicht alle darin
unterbringen konnte, und es ist wohl nicht blos eine Fabel, wenn die
Peruaner behaupten, daß man damals, wenn die Zellen gefüllt waren und
neue Sträflinge eingeliefert wurden, die hinausließ, die am längsten
gesessen hatten. Erst als Präsident Castilla im Jahre 1860 die
Todesstrafe nothgedrungen wieder einführte und zugleich ein riesiges
Zellengefängniß mit furchtbaren Behältern im Bau begann, nahmen die
Verbrechen etwas ab, wenn sie auch nicht ganz aufhörten.

Und tragen die Schwarzen allein an diesen Verbrechen die Schuld? Ich
glaube kaum. Befreite Sclaven nur waren es, die das gewonnene Gut, ihre
Freiheit, misbrauchten, weil sie nie gelernt hatten es zu schätzen, und
wahr ist das Wort:

    Vor dem Sclaven, wenn er die Kette bricht --
    Vor dem freien Menschen erzittere nicht.

Wir dürfen uns deshalb auch nicht wundern, wenn wir noch von manchem
Misbrauch hören sollten, den die Neger in Nordamerika von ihrer Freiheit
machen. Es ist leicht, aus einem Sclaven einen freien Menschen, aber
entsetzlich schwer, aus einer rohen arbeitenden Kraft plötzlich und mit
einem Schlag einen civilisirten und vernunftbegabten Staatsbürger zu
machen.

Unverhältnißmäßig wenig Neger giebt es, zum großen Glück für die dortige
Bevölkerung, in Australien, was aber nur zufälligen Umständen zu
verdanken ist.

In Nordamerika waren die kriegerischen Eingeborenen nicht zur Arbeit zu
zwingen, und zogen sich, durch ihr Terrain begünstigt, weiter und weiter
in ihre Wälder zurück; ebenso in Brasilien. In den übrigen spanischen
Colonien, wo jene Piraten, die auf ihren verschiedenen Raubzügen die
Länder nach und nach entdeckten, von fanatischen Priestern angestachelt,
Millionen unschuldige Menschen unter dem Vorgeben erschlugen, ihre
Seelen zu retten, rotteten sie die Bevölkerung aus. In allen diesen
Ländern mußte der Sclavenhandel die fehlenden Arbeiter ersetzen. Nicht
so in Australien, das von England aus nur als Verbrechercolonie in
Besitz genommen, und durch hinübergesandte Sträflinge zuerst colonisirt
wurde. Dort brauchte man keine Sclaven, denn die Kettengänge der
verurtheilten Verbrecher verrichteten so lange die Arbeit, bis
freiwillige Einwanderer, durch den Reichthum des Landes angelockt, ihre
Plätze einnahmen. So kommt es denn, daß sich dort nur sehr wenig Neger
aufhalten, und es sind das fast nur einzelne, von Schiffen entlaufene
Matrosen. Ja selbst diese hielten sich in den Städten auf und mieden,
nach einigen verunglückten Versuchen, das innere Land, wo sie bald
fanden, daß selbst ihr Aufenthalt dort mit Lebensgefahr für sie
verknüpft sei, da ihnen die Australischen Schwarzen erbittert
nachstellten.

Merkwürdig ist der Haß der Mulatten und Quadronen gegen die Neger, deren
Stamm sie doch entsprossen. Wie der Wolf keinen grimmigeren Feind in der
Welt hat, als den Wolfshund, wie der Renegat kein Volk so hart bedrückt,
als seinen eigenen Stamm, so haßt der Mulatte selbst den Weißen, der ihn
unter die Füße tritt, nicht so bitter, wie seine eigene schwarze
Verwandtschaft, und die grausamsten und unerbittlichsten Sclavenaufseher
oder ~nigger-driver~ der ganzen Welt sind überall die Mulatten selber.

Besonders hat sich das auch in dem Befreiungskrieg von Haiti gezeigt, wo
die Mulatten die entsetzlichsten Grausamkeiten gegen die eigentlichen
Neger begingen, und wieder ihrerseits von diesen auf das Bitterste
verfolgt und, wo es anging, vernichtet wurden.

Der Charakter der Negerrace ist im ganzen gutmüthig, denn bei nur
einigermaßen freundlicher Behandlung sind sie leicht bei guter Laune
und willig zu jeder Arbeit zu erhalten. Viel religiöser Sinn liegt nicht
in ihnen, wo sie sich aber einmal in diese Richtung werfen, da werden
sie auch leicht fanatisch, besonders die Frauen, und neigen dann meist
zu den Secten, deren Religionsübungen in den lautesten Ausbrüchen
stattfinden, wie z. B. die Methodisten in Amerika. Diese haben in der
That die meisten Anhänger unter den Schwarzen, und einer solchen Andacht
beizuwohnen, wenn der »Geist« über die Betenden kommt und sie zu rasen
anfangen, wenn sie stampfen, springen, schreien und ihre eigene scharfe
Ausdünstung dabei den geschlossenen Raum erfüllt, ist das
Haarsträubendste, was man sich auf der Welt denken kann.

Dabei lieben sie Putz und helle Farben. Die Frauen besonders kleiden
sich am liebsten in Weiß und Hellgelb und es steckt wirklich etwas vom
Affen in ihrer Natur, wenn man sieht, wie gewissenhaft der freie
Schwarze die Moden der Weißen nachahmt, und wie komisch er sich darin
bewegt.

Nehmen wir ein Bild aus der Zeit vor Aufhebung der Sclaverei, Ein alter,
würdiger gelbbrauner Gentleman mit vollkommen weißwolligem Haar, der in
seiner Jugend vielleicht auf irgend einer südstaatlichen Pflanzung
Baumwolle pflückte, später als Steward auf einem Dampfboot mit furchtbar
gescheiteltem Haar eine Serviette unter dem Arme herumtrug, um sich im
reiferen Mannesalter hinter den gestreiften Barbierpfahl der schönen
Kunst zurückzuziehen, hat sich endlich zur Ruhe gesetzt und ordentlich
rührend ist die steife Ehrbarkeit, mit der er jetzt seinen schwarzen
Frack, weiße Hosen, ein großes, schneeweißes Jabot, riesige Vatermörder
und eine vergoldete Dose trägt.

Dort kommen zwei schwarze Damen Broadway herunter. Es ist Sonntag
Nachmittag, die eine Dicke -- mit einer Statur, mit der sie auf jeder
deutschen Messe als »Kolossdame« ihr Glück machen könnte, -- ist in ein
weißes, ausgeschnittenes Mousselinkleid gehüllt, das ihre Reize mehr
verräth, als verbirgt -- Sie trägt dabei eine goldene Kette, riesige
Ohrringe, Broche, Gürtelschnalle, Armbänder, Ringe, kurz einen wahren
Juwelierladen von Offenbacher Arbeit, einen weißen Seidenhut mit
sämmtlichen Landesfarben der Welt, und einen orangegelben chinesischen
Shawl. Die junge Dame aber, die sie bei sich hat, ein junges Ding von
noch kaum siebenzehn Jahren, voll und schlank gebaut, nur von
Rabenschwärze und mit etwas zu sehr aufgeworfenen Lippen, aber
prachtvollen Zähnen und ein paar wahren Gluthaugen, geht ebenfalls weiß
gekleidet und noch dazu höchst kokett mit weißen Rosen in dem wulstigen
Wollhaar, das in unzählige kleine Zöpfe geflochten ist.

Ihnen begegnet ein junger Stutzer -- ebenfalls »couleurt.« Er war
Steward in einem der ersten Hôtels Philadelphias und ist jetzt nach
New-York gekommen, um hier ein »Engagement« zu suchen. Er geht ~à
quatre épingles~ gekleidet, ordentlich carrikirt modern, mit
hellblauer, kaum fingerbreiter Cravatte, veilchenblauen
Glacéhandschuhen, Glanzstiefeln, großcarrirten, sehr engen Pantalons,
hellblauem Frack mit gelben Knöpfen, weißer, gestickter Weste,
Tuchnadel, Hemdknöpfen, Uhrkette und Berloques, kurz mit Schmuck
behangen, wie ihn bei uns nur ein jüdischer Weinreisender trägt. Ein
kleines Rohrstöckchen mit Elfenbeingriff, ein gekrümmtes Knie
vorstellend, hält er an die dicken Lippen und betrachtet musternd die
ihm Begegnenden. Da fällt sein Blick auf das ungleiche Paar.

»~By Golly!~« ruft er entzückt aus, »~Missus Nelson and the lovely
blossom Miss Sarah Mary!~« (Madame Nelson und die liebliche Blüthe
Fräulein Sarah Mary.)

»~Oh, Looord a Massy,~« sagte die alte würdige Dame mit einem tiefen
Grundbaß, indem sie erstaunt mitten im Weg stehen bleibt und beide Hände
-- von denen die eine den Sonnenschirm, die andere den »Strickbeutel«
hält, erstaunt emporhebt, »Mr. Brown in New-York.« Die junge Dame
lächelt verschämt und zeigt zwei Reihen wundervoller Zähne und ein paar
verführerische Grübchen in den Backen. Mr. Brown ist ganz befangen von
der aufgeblühten Knospe, die er seit Jahren nicht gesehen. Er behält den
Hut in der Hand.

»Bitte, bedecken Sie sich, Mr. Brown,« sagte die Dame, »~Gemmen always
do~.« (Die Herren thuen das immer.)

Mr. Brown gehorcht, aber noch immer wie in einem Traum. Dabei vergißt er
die für Einen seiner Race stets nöthige Aufmerksamkeit in der Straße.

Ein junger Patricier kommt des Weges; er ist elegant, aber nachlässig
gekleidet, sein Gesicht sieht verlebt und unzufrieden aus. Er scheint
nicht besonders guter Laune; seine Stirn ist in Falten gezogen:
plötzlich stößt er gegen den ent- und verzückten Mr. Brown aus
Philadelphia an.

»Kannst Du nicht aus dem Weg gehen, verdammter Nigger!« und ein
Faustschlag schleudert den Unglücklichen aus seinem Himmel und von dem
Trottoir hinab, daß ihm der Hut vom Kopf und der Stock mit dem
Elfenbeinknie aus der Hand fällt.

»~Loooord a Massy!~« haucht die alte würdige Dame wieder in tiefer
Entrüstung, aber mit nur halblauter Stimme, und der unglückliche Mr.
Brown wagt gar keine Entgegnung und hebt nur bestürzt seine
Habseligkeiten wieder auf. Er weiß recht gut, daß alle Weißen in Sicht
bei der geringsten Widersetzlichkeit über ihn herfallen und ihn mit
Händen und Füßen mißhandeln würden. Klagen? bei wem?

»~No dammage done~« (kein Schaden verursacht), lacht ein Irländer, der
gerade sehr vergnügt mit seiner »~dray~« oder seinem Karren
vorüberfährt.

Es waren das tägliche Scenen in New-York und sind es vielleicht noch,
denn das Volk, was auch die Regierung für Gesetze erläßt, wird sich
schwer daran gewöhnen können, dem »Nigger« eine Gleichberechtigung mit
sich selber zuzugestehen.

Dadurch bleiben sie auf sich selber angewiesen -- eine verachtete Classe
in einer ihnen fremden Welt, selbst wenn sie sich, wie das gar nicht
etwa selten geschieht, zu Wohlstand und selbst Reichthum hinaufarbeiten.

So besuchte ich einst das Haus eines alten, sehr reichen Mulatten, der
am False River in Louisiana eine große Plantage und selbst viele
Sclaven hatte. Ich wollte einen von diesen von ihm miethen und wurde von
der ~chamber maid~ oder dem »Kammermädchen«, das mir die Thüre
öffnete, in das untere, hohe und luftige »Parlour« gewiesen.

Welch ein Unterschied: die Stammesgenossen des alten Herrn wohnten da
draußen in kleinen, dürftigen Negerhütten, ihre Kleidung war ein
weißbaumwollener Kittel, ihre Nahrung die gewöhnliche Negerkost: Speck
und Syrup -- und hier?

Das Zimmer war mit einer rothen, geschmackvollen Tapete ausgeschlagen.
Gepolsterte Divans und Fauteuils standen darin umher und
Mahagonymeubles. An den Wänden hingen -- allerdings nicht gerade von den
ersten Künstlern gemalte -- Bilder alter, würdiger Herren und Damen aus
der Familie, mit schwarzbraunen Gesichtern und Wulstlippen, aber in
höchstem Staat und Glanz -- es schien der Ahnensaal zu sein -- und auf
dem einen Divan und in dem einen Fauteuil lehnten zwei gelbbraune Damen
von etwa zwei- und sechsundzwanzig Jahren in einem sehr losen, aber sehr
sauberen Morgenanzug -- die erhitzten Gesichter komischer Weise dicht
mit weißem Puder bestreut, um die transpirirte Feuchtigkeit
abzutrocknen. Sie empfingen mich aber mit Grazie, und der alte Herr,
der bald darauf eintrat, machte das Geschäft mit mir in wenigen Minuten
ab.

Es war ein Mann von -- wie man ihn dort taxirte -- etwa hunderttausend
Dollars Vermögen, aber dennoch durfte er nicht wagen, sich in irgend
einem Hôtel mit an den Tisch zu setzen, oder -- wenn er einmal das
Dampfboot nach New-Orleans benutzen wollte -- auf diesem in der Cajüte
zu fahren. Er mußte im Zwischendeck bleiben, wohin die »Niggers«
gehörten.

Wie wunderbar ist überhaupt die ganze Race über den Erdboden zerstreut!
In der Heimath, unter ihren kleinen Fürsten, deren Geldgier die Weißen
erregt haben, geknechtet, gehetzt, eingefangen und an die Fremden
verkauft, arbeiten sie in einigen Ländern unter der Peitsche ihres
Aufsehers, während sie in anderen, der eigenen Heimath entfremdet, als
unabhängige Menschen leben dürfen -- und wie benutzen sie diese
Freiheit?

Der Stamm Israels, auf ganz ähnliche Weise in der Welt zerstreut, macht
einen anderen Gebrauch davon. Die Mehrzahl weiß, daß sie, nicht zu der
bevorzugten Kaste gehörend, nie durch sich selbst, nur durch den Erwerb
herrschen kann, und wirft ihre ganze Fähigkeit auf diesen Zweig. Der
Neger nicht. Er hat keinen Sinn für Wissenschaften, kein Geschick für
den Handel, und was er sich verdient, geschieht mit schwerer Arbeit oder
eisernem Fleiß. Allerdings haben wir einige Ausnahmen, wie z. B. Ira
Aldridge und einige Wenige, die sich wirklich der Kunst gewidmet, aber
sie stehen viel zu vereinzelt da, um auch nur zu zählen.

Wo wir in Europa Neger oder ihre Abkömmlinge zu sehen bekommen, sind es
entweder in Livrée gesteckte herrschaftliche Diener, Kunstreiter, oder
Gesindel, das sich auf den Messen und Märkten herumtreibt, um dort
entweder die große Trommel zu schlagen oder sich als Indianer in den
Buden für Geld sehen zu lassen.

Der Neger lernt dabei leicht eine fremde Sprache, aber nie rein, und
besonders scheint ihn der Buchstabe R darin zu stören, während dagegen
die Indianerstämme, z. B. die australischen Schwarzen, ein ganz
merkwürdiges Gehör für einen fremden Klang haben und vorgesprochene
Sätze auf das Genaueste nachsprechen.

Vollkommen ungerecht wäre es aber, dem Stamm der Neger, wenn sie bis
jetzt auch noch nicht gerade viel darin geleistet haben, alle geistigen
Fähigkeiten abzusprechen, denn wenn wir gerecht sein wollen, müssen wir
immer annehmen, wie wenig Gelegenheit ihnen bis jetzt geboten wurde,
sich zu entwickeln. Selbst wo man sie freigegeben hat, hörten sie nie
auf, einen untergeordneten Stamm zu bilden, und wo man ihnen wirklich
ein eigenes und freies Terrain anwies, um einen eigenen und
selbstständigen Staat dort zu bilden, oder wo sie sich das selber
nahmen, wie in der Negercolonie in Liberia oder auf Haiti, war es immer
nur wieder ein heißes, tropisches Land, das sie bewohnten und das nun
einmal einer jeden geistigen Entwicklung hinderlich ist und Geist und
Körper erschlafft. Selbst der Europäer, so lange er nicht seinen, in
einer gemäßigten Zone gestärkten Körper, mit in ein heißes Land bringt,
fühlt sich dort am wenigsten zu geistigen Arbeiten angeregt, wie können
wir es da von dem Neger verlangen?

Freieren Spielraum bekommen sie jetzt allerdings in den
nordamerikanischen Staaten, aber sie werden immer und ewig ein
verachteter Stamm bleiben, unbequem durch ihre Masse, aber deshalb nur
noch mehr gehaßt, und wenn man nicht ein Mittel findet sie zu
Hunderttausenden aus dem Land zu schaffen, so kann gerade das Anwachsen
des Negerstammes, inmitten der weißen Bevölkerung, später noch einmal zu
schweren und blutigen Conflicten führen.


                                _=Leipzig=_,
                       Druck von Giesecke & Devrient.




Anmerkungen des Bearbeiters:

gesperrt ersetzt durch  _= ... =_
Fraktur  ersetzt durch   ~ ... ~
Inhaltsverzeichnis um Einzelkapitel erweitert.
Unterschiedliche Schreibweisen deutscher und englischer Wörter wurden
überwiegend beibehalten.






End of the Project Gutenberg EBook of Unter Palmen und Buchen. Zweiter Band., by 
Friedrich Gerstäcker

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK UNTER PALMEN UND BUCHEN. ***

***** This file should be named 45534-8.txt or 45534-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/4/5/5/3/45534/

Produced by Matthias Grammel and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net (This transcription
was produced from images generously made available by
Bayerische Staatsbibliothek / Bavarian State Library.)


Updated editions will replace the previous one--the old editions
will be renamed.

Creating the works from public domain print editions means that no
one owns a United States copyright in these works, so the Foundation
(and you!) can copy and distribute it in the United States without
permission and without paying copyright royalties.  Special rules,
set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to
copying and distributing Project Gutenberg-tm electronic works to
protect the PROJECT GUTENBERG-tm concept and trademark.  Project
Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you
charge for the eBooks, unless you receive specific permission.  If you
do not charge anything for copies of this eBook, complying with the
rules is very easy.  You may use this eBook for nearly any purpose
such as creation of derivative works, reports, performances and
research.  They may be modified and printed and given away--you may do
practically ANYTHING with public domain eBooks.  Redistribution is
subject to the trademark license, especially commercial
redistribution.



*** START: FULL LICENSE ***

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full Project
Gutenberg-tm License available with this file or online at
  www.gutenberg.org/license.


Section 1.  General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg-tm
electronic works

1.A.  By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement.  If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy
all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your possession.
If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project
Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound by the
terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or
entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8.

1.B.  "Project Gutenberg" is a registered trademark.  It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement.  There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement.  See
paragraph 1.C below.  There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this agreement
and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm electronic
works.  See paragraph 1.E below.

1.C.  The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the Foundation"
or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project
Gutenberg-tm electronic works.  Nearly all the individual works in the
collection are in the public domain in the United States.  If an
individual work is in the public domain in the United States and you are
located in the United States, we do not claim a right to prevent you from
copying, distributing, performing, displaying or creating derivative
works based on the work as long as all references to Project Gutenberg
are removed.  Of course, we hope that you will support the Project
Gutenberg-tm mission of promoting free access to electronic works by
freely sharing Project Gutenberg-tm works in compliance with the terms of
this agreement for keeping the Project Gutenberg-tm name associated with
the work.  You can easily comply with the terms of this agreement by
keeping this work in the same format with its attached full Project
Gutenberg-tm License when you share it without charge with others.

1.D.  The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work.  Copyright laws in most countries are in
a constant state of change.  If you are outside the United States, check
the laws of your country in addition to the terms of this agreement
before downloading, copying, displaying, performing, distributing or
creating derivative works based on this work or any other Project
Gutenberg-tm work.  The Foundation makes no representations concerning
the copyright status of any work in any country outside the United
States.

1.E.  Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1.  The following sentence, with active links to, or other immediate
access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear prominently
whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work on which the
phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the phrase "Project
Gutenberg" is associated) is accessed, displayed, performed, viewed,
copied or distributed:

This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with
almost no restrictions whatsoever.  You may copy it, give it away or
re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included
with this eBook or online at www.gutenberg.org

1.E.2.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is derived
from the public domain (does not contain a notice indicating that it is
posted with permission of the copyright holder), the work can be copied
and distributed to anyone in the United States without paying any fees
or charges.  If you are redistributing or providing access to a work
with the phrase "Project Gutenberg" associated with or appearing on the
work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1
through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the
Project Gutenberg-tm trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or
1.E.9.

1.E.3.  If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional
terms imposed by the copyright holder.  Additional terms will be linked
to the Project Gutenberg-tm License for all works posted with the
permission of the copyright holder found at the beginning of this work.

1.E.4.  Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5.  Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6.  You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any
word processing or hypertext form.  However, if you provide access to or
distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format other than
"Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official version
posted on the official Project Gutenberg-tm web site (www.gutenberg.org),
you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a
copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon
request, of the work in its original "Plain Vanilla ASCII" or other
form.  Any alternate format must include the full Project Gutenberg-tm
License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7.  Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8.  You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works provided
that

- You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
     the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
     you already use to calculate your applicable taxes.  The fee is
     owed to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he
     has agreed to donate royalties under this paragraph to the
     Project Gutenberg Literary Archive Foundation.  Royalty payments
     must be paid within 60 days following each date on which you
     prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax
     returns.  Royalty payments should be clearly marked as such and
     sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the
     address specified in Section 4, "Information about donations to
     the Project Gutenberg Literary Archive Foundation."

- You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
     you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
     does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
     License.  You must require such a user to return or
     destroy all copies of the works possessed in a physical medium
     and discontinue all use of and all access to other copies of
     Project Gutenberg-tm works.

- You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any
     money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
     electronic work is discovered and reported to you within 90 days
     of receipt of the work.

- You comply with all other terms of this agreement for free
     distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9.  If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg-tm
electronic work or group of works on different terms than are set
forth in this agreement, you must obtain permission in writing from
both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and Michael
Hart, the owner of the Project Gutenberg-tm trademark.  Contact the
Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1.  Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
public domain works in creating the Project Gutenberg-tm
collection.  Despite these efforts, Project Gutenberg-tm electronic
works, and the medium on which they may be stored, may contain
"Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or
corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual
property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a
computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by
your equipment.

1.F.2.  LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees.  YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3.  YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3.  LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from.  If you
received the work on a physical medium, you must return the medium with
your written explanation.  The person or entity that provided you with
the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a
refund.  If you received the work electronically, the person or entity
providing it to you may choose to give you a second opportunity to
receive the work electronically in lieu of a refund.  If the second copy
is also defective, you may demand a refund in writing without further
opportunities to fix the problem.

1.F.4.  Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO OTHER
WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO
WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5.  Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages.
If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the
law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be
interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by
the applicable state law.  The invalidity or unenforceability of any
provision of this agreement shall not void the remaining provisions.

1.F.6.  INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in accordance
with this agreement, and any volunteers associated with the production,
promotion and distribution of Project Gutenberg-tm electronic works,
harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees,
that arise directly or indirectly from any of the following which you do
or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg-tm
work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any
Project Gutenberg-tm work, and (c) any Defect you cause.


Section  2.  Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of computers
including obsolete, old, middle-aged and new computers.  It exists
because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from
people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come.  In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations.
To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation
and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4
and the Foundation information page at www.gutenberg.org


Section 3.  Information about the Project Gutenberg Literary Archive
Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service.  The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541.  Contributions to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent
permitted by U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is located at 4557 Melan Dr. S.
Fairbanks, AK, 99712., but its volunteers and employees are scattered
throughout numerous locations.  Its business office is located at 809
North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887.  Email
contact links and up to date contact information can be found at the
Foundation's web site and official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:
     Dr. Gregory B. Newby
     Chief Executive and Director
     [email protected]

Section 4.  Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment.  Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States.  Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements.  We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance.  To
SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any
particular state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States.  U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses.  Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations.
To donate, please visit:  www.gutenberg.org/donate


Section 5.  General Information About Project Gutenberg-tm electronic
works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm
concept of a library of electronic works that could be freely shared
with anyone.  For forty years, he produced and distributed Project
Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S.
unless a copyright notice is included.  Thus, we do not necessarily
keep eBooks in compliance with any particular paper edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search facility:

     www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.