The Project Gutenberg eBook of Zu stark für dies Leben This ebook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this ebook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. Title: Zu stark für dies Leben Als Fortsetzungsroman im »Vorwärts« (1927) Author: Iwan Heilbut Release date: August 10, 2025 [eBook #76661] Language: German Original publication: Berlin: Vorwärts-Verlag G. m. b. H, 1927 Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by the library of the Friedrich-Ebert-Stiftung. *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ZU STARK FÜR DIES LEBEN *** Zu stark für dies Leben. Von Iwan Heilbut. Erstes Kapitel. „Ich mache Schluß, Herr Grahl.“ „Guten Abend denn, Herr Uri.“ Grahl zog die elektrische Birne, die von einem grüngläsernen Schirm umgeben, über seinem Graukopf hing, tiefer zu sich herab. Er beugte sich näher aufs Buch und zeichnete mit dem Lineal zwei sorgfältige Linien, eine dicke und dicht unter dieser die dünne. Seine Augen hinter den Brillengläsern verfolgten mit Sorgfalt die Feder, und die Lippen waren mit einem Ausdruck von Behutsamkeit gespitzt. Die Hände, von schweren Adern durchlaufen, zitterten leise. Als er mit den Linien fertig war, wischte er mit einem Ausdruck von Zufriedenheit über den grauen Schnurrbart. Uri, ein dreißigjähriger Mann, breitschultrig, mit einem dicken braunblonden Bart auf der Oberlippe, hatte inzwischen in der Garderobe die Hände mit Bimsstein gesäubert, das Jackett gewechselt. Er kam nun durch die lange Reihe zwischen den leeren Pulten an dem Platz vorbei, wo Grahl vor dem Buch stand, leise murmelnd addierte und schrieb. „Wir wären wieder die letzten ...“ sagte Herr Uri mit einem Seufzer. Der Alte nickte und murmelte fort. „Kommen Sie mit mir,“ forderte Uri auf, „Sie versäumen sonst gewiß noch die Zeit. Und Sie wissen, von welcher Wichtigkeit die Versammlung ist, die heute abend zu den geplanten Entlassungen Stellung nimmt. Nicht _ein_ Mann von unserer Fakturenabteilung darf fehlen.“ „Kann ich denn?“ fragte Grahl und ein Lächeln, das beinahe schmerzlich zu nennen war, zog seinen schmalen Mund in die Breite. „Ich bin so entsetzlich im Rückstand mit meiner Arbeit. Sehen Sie, jenen Haufen Fakturen habe ich geprüft – und dieser Haufen bleibt mir zu prüfen übrig. Sie bemerken, daß dieser der größere von beiden ist. Ich soll bis zum dritten Oktober die Arbeit beendet haben, Sie wissen, bis dahin müssen die Rechnungen fertig zur Zahlung sein. Also vier Tage ... Aber wie soll ich – wie kann ich – wie werde ich fertig – wenn eben kein Wunder eintritt ...“ „Unmöglich, Herr Grahl,“ sagte Uri entschieden, „unmöglich, daß Sie, als Mitglied der Angestelltenvertretung fehlen.“ „Ich kann aber ... ich kann aber nicht ... Sie sehen doch selber ... Mein Gott, ich will ja nicht leugnen, daß ich den Kollegen durch das Mandat, das ich habe, verpflichtet bin. Aber bin ich nicht noch fester an meine Verpflichtung zur _Arbeit_ gebunden, die mir die Firma bezahlt? Sehen Sie, ich gehe demnächst in die Sechzig. Und während meiner ganzen Laufbahn an diesen Pulten, länger als sechsundzwanzig Jahre, hat noch niemand Grund gefunden, zu sagen: Dieser Grahl ist nicht so verläßlich als man es wünschte. – Soll mir das nun mit grauen Haaren zum ersten Male passieren?“ Er machte eine Bewegung, um die Brille besser vor’s Auge zu rücken, und schrieb. Nach einer kleinen Weile, indessen Uri ihm stumm zugesehen hatte, sagte Grahl, als ob er alles, was er gesprochen, noch einmal bei sich wiederholt hätte, gleichsam abschließend: „Na ja. Das ist doch erklärlich –?“ Darauf sagte Uri – und er versuchte deutlich, seinen Worten Wichtigkeit zu verleihen: „Erklärlich? Erklärlich wäre es mir, Herr Grahl, wenn Sie eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung zur Stelle wären. _Das_ wäre erklärlich.“ Grahl blickte ihn an. „Nicht ich allein meine,“ fuhr Uri fort, „daß Sie, lieber Kollege Grahl, mehr noch als irgendein anderer, Vorteil finden, wenn heute Abend unsere Resolution stark und einig herauskommt.“ „Ich?“ Grahl riß die Brille herunter und starrte den Sprecher erschrocken an. „Ich? Meinen Sie ... ich?“ Und mit einemmal flog das schmerzliche Lächeln um den Mund, es wollte sich unter dem grauen hängenden Schnurrbart verstecken – aber Uri wußte bereits, daß Grahl ihn verstanden hatte. „Ja,“ sagte er, mit ein wenig schauspielerischem Affekt, „Sie und kein anderer.“ Und scheinbar, um seinen werdenden Sieg recht zu genießen, fügte er hinzu: „Kommen Sie _nun_ mit?“ Er hätte das nicht zu fragen brauchen, denn er sah, daß Grahl in nervöser Eile die Papiere zusammenschob, das Buch auf dem Boden gegen die Pultseite lehnte und schnell seine Utensilien im Innern verschloß. Er lief, vornübergebeugt, zur Garderobe, und als er in Hut und Ueberrock, aber mit ungewaschenen Händen und ein wenig schnaufend, zurückkam, rief er – es sollte Humor sein: „So ist der Mensch! Mich hätte nichts vermocht, mein Pult zu verlassen, als dieser Gedanke an meine eigene Existenz. Meinen Sie wirklich,“ fügte er leiser hinzu, „meinen Sie wirklich, ich ... ich befände mich in Gefahr? Aber, mein Gott, das ist doch unmöglich zu denken! Bin ich nicht siebenundzwanzig Jahre im Dienst? – Wir müssen den anderen Ausgang nehmen, um diese Zeit hat der Hauswart das große Portal schon geschlossen. – Und dazu bin ich Obmann der Angestellten. Es ist doch unmöglich. Ich bin nicht zu kündigen, wissen Sie? Dafür sorgt unser Ausschuß, nicht wahr – ich bin doch im Ausschuß, ich bin doch immun!“ „Um so wichtiger ist,“ sagte Uri, „daß Sie Ihr Amt nicht versäumen. – Da kommt eine Bahn!“ Sie befanden sich auf der Straße, im Regen. Das mächtige weite Haus, das nichts weniger als das Kontor eines der größten Warenhäuser der Stadt vorstellte, lag wie ein Schiff, in dem nur wenige Lichter brennen, mit seiner Front in einer belebten Straße der Handelsstadt – aber die Beiden waren durch die andere Ausgangstür in eine abseitige Straße gekommen. Sie hätten nötig gehabt, die Trambahn zu nehmen, auch wenn der Herbsthimmel freundlicher und das Pflaster weniger sprühend gewesen wäre – denn von der Sankt-Petri-Kirche schlug es achtmal. Auf acht Uhr war der Beginn der Versammlung in einem Vorstadtlokal, in der „Krone“ bestimmt. Das Innere des Wagens war ziemlich leer, im Herzen der Stadt schläft das Leben um diese Zeit. Grahl war vom Laufen noch außer Atem. „Es ist eine Schande,“ fing Uri an, „acht hat es geschlagen. Statt unser Recht, unser Arbeitsstundengesetz zu schützen, brechen wir es aus freien Stücken.“ „Was mich betrifft,“ antwortete Grahl, während hinter ihm an den Scheiben der Regen lief, „ich gestehe, daß ich mich trotz meiner Immunität nicht sicher fühle. Ich kann nicht umhin, die Unzufriedenheit meiner Vorgesetzten recht gut zu begreifen.“ „Sie haben den schwierigsten Posten in unserer Abteilung,“ warf Uri ein. Grahl schwieg und blickte mit seinen nachdenklichen Augen auf die Stiefelspitzen. „Heute morgen kam ich wieder um einige Minuten zu spät. In der letzten Zeit passiert mir das oft, und unten am Eingang vermerkt die Kontrolle sogar die Zahl der Minuten. Ich bin gewiß, daß unser Bureauchef, Herr Karst, schon längst unserem Chef über mich einen gewissen Bericht erstattet hat? – Meinen Sie auch?“ „Es wäre leicht zu denken,“ antwortete Uri, „Karst sucht förmlich Vorkommnisse, an denen er seine Ergebenheit für Firma und Chef demonstrieren kann. – Aber bitte, erklären Sie mir, Herr Grahl – warum verhindern Sie nicht solche Unregelmäßigkeiten, da Sie doch wissen, wie Ihr Ruf unter ihnen leidet?“ „Ja, ja,“ sagte Grahl. Er lächelte wieder. „Sehen Sie, da ist eine Sache, die nimmt mich so sehr in Anspruch, daß ich so ziemlich den ganzen Tag daran denke. Daher auch lahmt meine Arbeit ein wenig. Die Konzentration ist nicht so billig zu haben, wenn solch ein Gedanke, der sich nicht auflösen läßt, in einem steckt. Aber laß!“ unterbrach er sich plötzlich mit einer abwehrenden Bewegung der Hand. Dann blickte er wieder wortlos auf seine Stiefel. Uri, der nicht ohne weiteres auf die erwünschte Erklärung verzichten wollte, stellte noch eine bezügliche Frage. Grahl hörte ihn nicht, wie es schien. Gleich darauf rief der Schaffner die Haltestation, an der sie den Wagen verlassen mußten. Sie gingen mit eiligen Schritten zur „Krone“. Zweites Kapitel. Als Grahl und Uri im Klubzimmer der „Krone“ anlangten, war der Raum von Biergeruch, Zigarettendunst und Durcheinandergewirr der Stimmen durchwirbelt; aus einer Ecke, wo übrigens einige Jünglinge untereinander tanzten, klang das Gehämmer auf einem Klavier. Sie haben noch nicht begonnen? dachte Grahl und biß ärgerlich auf den hängenden Schnurrbart, denn er hatte gehofft, die Formalitäten schon erledigt zu finden, um sofort an der Resolution teilnehmen zu können. Er begab sich sofort an den Sofaplatz vor der Mitte des Tisches und eröffnete seinerseits eilig, mit gewohnten Worten, den Abend, verlas die Bekanntmachungen in einem Zuge und brachte die Hauptfrage zur Besprechung, während der junge Mann am Klavier mit gelangweiltem Ausdruck seinen Bock eine nachlässige Drehung beschreiben ließ. „Bekannt ist worden, daß seitens der Personalabteilung der Firma ein Plan in Vorschlag gebracht worden ist, das Personal zu verringern. Da die Durchführung dieses Vorschlags nur auf Kosten des Arbeitsstundengesetzes erfolgen kann, ersucht der Ausschuß um eine Resolution des Personals, um im gegebenen Fall zum Handeln bereit zu sein.“ Obgleich allen Anwesenden der Inhalt, wenn auch nicht der Wortlaut dieser von Grahl verlesenen Eingabe schon vorher bekannt gewesen war, da dieser Antrag das eigentliche Ereignis des Abends bildete, erhob sich dennoch ein Lärm, ähnlich dem vorigen – der kaum mit Mühe verebbt war. Ironische Rufe flogen durcheinander, jeder Bemerkung folgte mit doppelt verstärkter Stimme die nächste, so daß eine Steigerung des Durcheinanders am Ende schlechthin nicht zu denken war. Am lebhaftesten gebärdete sich aber der junge Mann, der sich vom Klavierbock erhoben hatte, mit überschwenglichen Gebärden die rechte Hand über dem Kopfe schüttelnd. „Ich weiß,“ schrie er mit so maßloser Anstrengung, daß die Adern an seinem hageren Halse, die der niedere Kragen ohnehin stark hervortreten ließ, bedeutend schwollen, „ich weiß, wer der erste ist, der hinausfliegt. Das bin ich!“ Er rief es mit einer Art Siegesgewißheit. Sein Haar war blond wie Getreidestiele, seine Augen kindlich und offen. Er war achtzehn Jahre und hieß „der Geiger“, weil er abends mit Geigenspiel in Cafés sein Monatseinkommen erhöhte. Hier ist der Platz, eine Begebenheit zu erzählen, die dem „Geiger“ an einem Spätsommervormittag geschehen ist. Der „Geiger“, den sein Violinspiel in Kaffeehäusern nicht nur mit Geld, sondern in gleichem Maße mit jungen Damen bekannt gemacht hatte, war am Tage des betreffenden Tages von einem Brief in rosa Umschlag überrascht und sozusagen tödlich verwundet worden. Als er das Kontor betrat, lag in seinen sonst so lustigen Augen der ergreifendste Ausdruck von Gleichgültigkeit gegen die Dinge des Lebens. Er setzte sich auf seinen Bock, starrte mit einem schrägen Blick trübselig ins Leere, und zog endlich das rosa Kuvert aus der Brusttasche seines Jacketts, um es dicht vor die Nase zu bringen. Er atmete so wahrscheinlich das feine Parfüm des Papiers ein ... er steckte sogar die Nase ins Innere des Umschlags, und es war als sog er sich voll von Schmerz. Denn es stieg ihm blank über die Augen. Auf diesen Augenblick hatte sein Schicksal gewartet. Der Chef, ein furchtbarer Mann auch für solche, die sich in keiner Beziehung schuldig fühlten – sein Blick traf alle Angestellten mit einer Schärfe, mit welcher ein Stein durch das Fenster ins Innere einer friedlichen Wohnung einschlägt – dieser Herr Winter, der mehrere Male am Tag durch die Pultreihen streifte, plötzlich auftauchend und unvermittelt die Stimme erhebend, ein jähes Geschrei in der Nacht – er befand sich nun hinter dem „Geiger“, der nichts davon ahnte, und beobachtete seinen Angestellten, der, seine Nase tief in den rosa Umschlag gesenkt, in der schmerzlichsten Haltung dasaß. Zu einer Rettungsaktion seitens seiner Kollegen war es zu spät – und übrigens platzten die anderen an ihren Pulten vor innerlicher Erwartung, wie es begänne, wie es geschähe ... „Wie alt sind Sie?“ krachte es förmlich los. Der „Geiger“ fuhr herum. Er sah aus, als wollte er sagen: Ja, wenn du auf Zehenspitzen heranschleichst, du Gauner, da kann ich dich wohl nicht hören. Dann richtete er sein vorwurfsvolles Gesicht auf sein Gegenüber. Warum habt ihr mich nicht gewarnt, ihr Filous ...! sollte das heißen. Da krachte es neben ihm noch einmal: „Ich frage, wie alt Sie sind.“ Der „Geiger“ konnte sich immer noch nicht zur Antwort entschließen. Er empfand so natürlich! Na, na ...! hätte er leicht gesagt, halb erstaunt, halb verächtlich – es fehlte nicht viel. Als er aber bemerkte, daß das tiefrote Gesicht, in das er hineinsah, wahrhaftig bis in die Stirne erbleichte, beeilte er sich. „Achtzehn Jahre, Herr Winter.“ „Achtzehn Jahre ... hmhm ...“ wiegte Winter den spitzen Kahlkopf. Er war so klein; er blickte zu dem langaufgeschossenen „Geiger“ hinauf, der sich nun sogar respektvoll erhob. „Haben Sie einen Vater?“ fragte Herr Winter, unheimlich tief, und so laut, daß man die Stimme noch an den letzten Pulten am Ausgang vernahm. Es war so still im Kontor – man hätte eine Bureaunadel fallen hören. „Einen Vater? – Jawohl,“ gab der „Geiger“ zur Antwort. „Und“, fragte der Chef, „er erzieht Sie nicht besser?“ Darauf wußte der junge „Geiger“ keine Antwort mehr. Er sah seinem Chef zuerst in die seegrünen Augen, dann auf die Geiernase und endlich auf die Brillantnadel in der Krawatte. „Zeigen Sie mir diesen Brief,“ sagte Winter. „Mit nichten,“ sagte der „Geiger“ entschlossen. „Dieser Brief ist an mich.“ „Zeigen Sie ihn,“ sagte Winter lauter. „Wie kann ich!“ rief der „Geiger“ entrüstet, „ich kann nicht die Dame, die mir dies schreibt, kompromittieren.“ Damit wußte Herr Winter immerhin etwas und es sah aus, als wollte er gehen. Plötzlich schrie er: „Wieviel verdienen Sie aber im Monat?“ Der „Geiger“ nannte sein lächerliches Anfangsgehalt. „Und für mein Geld ...!“ schrie Herr Winter und schnappte. „Sie bestehlen mich!“ Und er ging mit langsamen schallenden Schritten davon. Der „Geiger“, dessen Gehirn an diesem Morgen mehr tragen mußte, als es imstande war, murmelte noch: „Meinetwegen!“ und „Nun tue ich den ganzen Tag nichts mehr – es komme, was mag,“ ging hinaus zur Garderobe und schloß sich in seine gewohnte Kabine ein, um ein wenig zu rauchen. Daher war der „Geiger“ an diesem Abend so fest überzeugt davon, daß auf der Liste der zu entlassenden Angestellten sein Name zu oberst stünde. Von den Ausschußmitgliedern, die sich um den großen Tisch zusammengezogen hatten, war inzwischen eine Entschließung verfaßt worden. Sie wurde nun den Versammelten vorgelegt. „Der Ausschuß versagt seine notwendige Zustimmung zur Entlassung eines Angestellten in jedem Fall, wenn die Entlassung nicht anders als mit der Absicht einer Personalverringerung begründet erscheint. Eine derartige Absicht kann durch den Gang des Betriebes durchaus nicht gerechtfertigt werden. Die Befugnis des Ausschusses zum Einschreiten gegen Entlassungen wie die bezeichneten ergibt sich aus dem Paragraph drei im zweiten Abschnitt des Arbeitsgesetzes.“ Als diese Resolution, trotz den Zwischenrufen des „Geigers“, der noch eine Klausel verlangte, im übrigen einstimmig angenommen war, drehte sich dieser auf seinem Klavierbock und behämmerte wieder die Tasten. Die Anfangsstimmung drang durch. Einige Herren vom Ausschuß verabschiedeten sich, die Ausschußmitglieder waren alle reiferen Alters. Mehrere Angestellte wollten nicht bleiben, da sie unmöglich am vorletzten Tage des Monats – es war der neunundzwanzigste September des Jahres neunzehnhundertundvierundzwanzig – ein Vergnügen sich vorstellen imstande waren. Es hatte kaum zu den beiden Gläsern hellen Bieres gereicht ... Der mit höflichem, dennoch sehr hastigem Gruß, das Zimmer als erster verließ, war Grahl. Drittes Kapitel. Als er nach Hause kam, fand er sein Essen in einer innerlich gepolsterten Kiste, die er an einem Sonntag mit seinem Sohne Hermann verfertigt hatte, warmgestellt. Hermann, der Arzt werden wollte, und über den Tag in Instituten, Vorlesungen oder in Bibliotheken war, las in der Zeitung, die er mit beiden Händen ausgebreitet vor dem Gesichte hielt. „Hermann,“ sagte Grahl gedämpft, indem er mechanisch den Suppenlöffel zum Munde hob, „sind sie schon schlafen gegangen?“ „Ja, beide,“ gab Hermann ebenso leise zurück. Diese „beiden, die bereits schlafen gegangen,“ waren Anna, die Frau Jakob Grahls, und Gertrud, seine achtzehnjährige Tochter. Hermann war nur fünfeinhalb Jahre älter als seine Schwester. Die Aehnlichkeit mit dem Vater war deutlich erkennbar. Er hatte dieselben vernünftigen Augen, in welchen nur dieser eine Ausdruck von sachlich beherrschter Innerlichkeit lag. Seine Lippen dagegen, die meistenteils wie die seines Vaters als ein schmales Bändchen gezogen waren, konnten sich manchmal, wenn er lebhaft mit einem Gedanken beschäftigt schien, trotzig nach außen werfen. „Weißt du vielleicht,“ fragte Grahl nach einer Weile, während der nur das leise Schlürfen der Lippen vom Löffel zu hören gewesen, „weißt du, Hermann, ob jemand im Laufe des Tages das Vorderzimmer besichtigt hat?“ „Nein,“ sagte Hermann, „es war niemand da.“ Sein Gesicht war auch beim Sprechen von der Zeitung verdeckt. „So,“ sagte Grahl. „Hmhm. Merkwürdig ... Als ob das Unglück mit diesem Mörk in das Zimmer gezogen wäre. Noch niemand war da, um es zu besichtigen.“ Er hatte den Namen Mörk leise hervorgestoßen, als hinderten ihn Verlegenheit oder Wut, mit offener Stimme zu sprechen. Hermann hatte die Zeitung dichter zu sich herangezogen. „Vielleicht,“ sagte er ruhig, „sind den suchenden Einlogierern unsere vier Treppen eine Bemühung, die sie nicht lieben.“ „Aber die jungen Studenten!“ entgegnete Grahl. „Ich hatte damit gerechnet. Wir sind nicht so weit von der Akademie.“ „Ja, ja,“ sagte Hermann. „Was steht in der Zeitung?“ „Nichts Interessantes.“ „Aber du liest sehr interessiert.“ Beide schwiegen. Plötzlich begann Grahl, noch leiser, aber ungleich lebhafter als zuvor: „Du mußt morgen zur Zeitung gehen, den Redakteur des lokalen Teiles besuchen und ihm eine Sache nahelegen. Du weißt wohl schon, hm, was ich meine?“ Das Lächeln, das ihn immer vor der Preisgabe eines Gesichtes, das er zu verbergen gewillt war, beschützte, zog seinen linken Mundwinkel aufwärts. „Den Namen nicht nennen?“ sagte Hermann sachlich, fast ohne Ausdruck. „Das ist es, ja,“ sagte Grahl noch leiser. Er häufelte einen Rest von Suppenkraut auf dem Teller. „Höchstwahrscheinlich wird ein Bericht über die Verhandlung erscheinen. Bitte den Redakteur, er möge sich mit den Anfangsbuchstaben begnügen. Statt des vollen Namens deiner Mutter setze er „G.“, zum Schlimmsten „A. G.“. Aber auch nicht den vollen Namen von ... Mörk. Oder vielleicht nur: Die Angeklagte ... der Kläger. Ich denke, der Zeitungsmann wird sich, auf deine besondere Bitte, ohne Weigern solch einer Art von Bezeichnung bedienen. Meinst du nicht auch?“ „Kann sein.“ „Du willst es versuchen?“ „Natürlich. – Uebrigens – ich müßte zu sämtlichen Zeitungen gehen. Kann Gertrud nicht einen Weg übernehmen?“ „Ich möchte, daß Gertrud nicht nur deine Mutter auf diesem entsetzlichen Wege morgen begleitet, sondern auch über den ganzen Tag bei ihr bleibt.“ „Ich werde es besorgen.“ „Gehe zu den drei großen Blättern: Anzeiger, Nachrichten, Städtisches Blatt. – Was für einen Eindruck hast du von deiner Mutter am Abend gehabt? Glaubst du, sie wird überleben, wenn –“ „Ich habe sie nur flüchtig gesehen,“ unterbrach ihn Hermann. „Sie ging schlafen, bald nachdem ich gekommen war. Und in der halben Stunde, daß sie im Sofa saß, konnte ich, wenn ich über den Löffel blickte, ihr Lächeln bemerken, dies unerklärliche Lächeln, das an dem Tage begann, als das Gericht uns die Anklageschrift auf den Rücken schickte.“ „Und was hat sie mit dir geredet?“ „Kein Wort.“ „O dieser Mörk, dieser Mörk,“ stöhnte Grahl, „hätte er niemals das Zimmer bewohnt.“ „Ist sonst noch etwas, Papa,“ fragte Hermann, der aufstand und alle Beilagen nach ihren Nummern zusammenlegte. „Nein, nichts, mein Junge ... außer den Zeitungsberichten, weißt du.“ „Gute Nacht.“ „Gute Nacht, mein Junge.“ „Noch eins,“ sagte Hermann und wandte, schon an der Tür, den Kopf um ein kleines rückwärts. „Ich werde morgen sehr früh aus dem Hause müssen. Ich sage dir also schon heute für morgen Adieu.“ Grahl hörte noch seine festen Schritte, wie er über den Flur in das Zimmer hinüberging, wo Gertrud lag und wahrscheinlich noch wachte. Dann ging er selber behutsam ins Nebenzimmer. Dort, in dem Bette neben dem seinen, bei einem Lämpchen, das neben der Uhr stand, mit festverschlossenem Munde lag Anna, von ergrauendem Haar das glühende Gesicht umrahmt, aber ohne Bewegung und unhörbar atmend. Viertes Kapitel. Am nächsten Morgen beim Kaffeetrinken saß Anna im Sofa. Grahl begann, wie in den letzten Tagen gewohnt, eine Unterhaltung von nebensächlichen Dingen, auf welche Anna mit kargen Worten, dazu mit ihrem beständigen Lächeln einging. Grahl fühlte die Zeiger weiterrücken, er vergewisserte sich, daß seine Zeit schon knapp überschritten war – aber er wollte seine Frau nicht verlassen, ohne ein bestimmtes Wort gefunden zu haben. Er suchte danach. Wie jeden Morgen empfand er es als Unmöglichkeit, Anna in ihrem einsamen Unglück für sich zu lassen. An diesem, dem entscheidenden Tage, erschien ihm das als Verrat, als der Bruch einer Pflicht. Er saß und blickte vor sich in die Tasse – bis Anna aufstand und schweigend die Stube verließ. Der Morgen war dunkel. Regen sprang auf den blanken Straßen, an den Sielen schäumten die Strudel. Bei der Haltestelle, die in der Nähe der Wohnung gelegen war, hielt Grahl im Laufen inne. Aber die Trambahnen waren bei solchem Wetter kurz vor Beginn der Geschäftszeit so überladen, daß sie die Stationen ohne zu halten durchfuhren. Und Grahl, unfähig auf einem Ort zu verharren, begann zu laufen – aus Furcht vor versäumter Zeit und aus dem Bedürfnis, das Denken in seinem Gehirn zu zerstreuen – in einem Tempo, wie es ein eiliger Schuljunge anschlägt. Er hätte bei tüchtigem Schritt weit länger als eine halbe Stunde für seinen Weg gebraucht – nun lief er mit langen Beinen über die Straße, der Schmutz des Pflasters spritzte an seinen Hosen hinauf, und die Füße, in undichten Stiefeln, wurden vom Wasser gebadet. Er kämpfte um jede Sekunde und erledigte seinen Lauf in siebenundzwanzig Minuten – aber es war mithin doch dreizehn Minuten nach neun geworden. Als Grahl in die Nähe des Kontorhauses kam, zog er den Hut sehr tief ins Gesicht und ging nahe an den Häusern. Er fürchtete nichts so sehr, als seinem Chef, der selber erst eine Viertelstunde nach neun zu kommen pflegte, hier zu begegnen. Er wußte bereits aus Erfahrung, daß Winters Automobil von der anderen Seite auffuhr – daher hielt er das Auge spähend vorwärts gerichtet, indem er mit kleinen Anläufen dem großen Portal näher kam. Aber noch etwa zehn Schritt vom Eingang entfernt, bemerkte er das blaue Automobil, wie es hielt ... und schon erschien die zum Aussteigen etwas gebückte Gestalt seines Chefs. Grahl, überrascht von diesem Ereignis, stand einen Augenblick still, wie an die Stelle gezwungen. Er wollte zurück. Aber die Vorstellung: wie Winter an seinem leeren Pulte vorbeischreitend, stutzen würde und fragen ... trieb ihn auf’s Geratewohl vorwärts. Wäre er blind gewesen – genauer hätte er nicht ins Verderben hineintappen können. Am Portal war er seinem Chef um einige Schritte voraus, er stieß die Türe auf, aber nur einen schmalen Spalt, durch welchen er selber allein hindurchschlüpfen konnte ... Daß Winter, der nun vor der zugefallenen Tür stand, schon allein wegen der Unhöflichkeit auf den vor ihm Gekommenen aufmerksam werden mußte, sagte Grahl sich nicht. Er kämpfte nur, wie ein Sterbender, um den Augenblick, und wollte nichts weiter denken. Er jagte mit eingezogenem Kopf, an der Kontrolle vorbei, die Treppen hinauf. Indessen fuhr Winter, vom Hauswart höflich bedient, in einem nur für Chefs und höhere Angestellte bestimmten Aufzug die Höhe dreier Etagen aufwärts. Als er durch die Pultreihen kam, langsamen Schritts, um alle Plätze eingehend zu mustern, war Grahl, noch im Straßenjackett, statt wie gewohnt in der schwarzen Lüsterjacke, mit einer Rechnung beschäftigt. Grahls Stirne war dunkelrot. Winter blieb neben ihm stehen ... so lange, bis Grahl seine Augen hob. „Und Sie schämen sich nicht?“ schrie Winter so laut, daß alle Köpfe im Nacken zuckten. Grahl starrte ihn an. Winter ging um den Bock herum, blickte unter das Pult, zog mit den Händen Mantel und Hut hervor, die Grahl dort in Eile verborgen hatte, schleuderte sie zur Erde und schrie noch einmal: „Sie schämen sich nicht?“ Grahl, der bis in den Vorderkopf, wo seine dünnen Haare klebten, erbleicht war, machte eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger zum Brillenglas – aber diese Bewegung war so, als griff er sich an das Herz. Winter betrachtete ihn mit seegrünen, zynisch lachenden Augen. – Warum demütigt er mich dermaßen? dachte Grahl, wofern es Denken zu nennen war, was in ihm vorging. Endlich, endlich ging Winter weiter. Er ging langsam wie stets. Einem Lehrling befahl er, den Personalchef Herrn Karst zu rufen, der am anderen Ende des Ganges in einem mit Glaswänden geschlossenen Raum die Abteilung ganz überblicken konnte. Wenige Augenblicke später schon sah man Karst, eine große, breitschulterige Erscheinung, den Gang zum Privatkontor durchschreiten. Sein Gesicht, in dem nach Muster der alten Militärs ein Schnurrbart stand, war voll und breit, von gesunder Farbe, wie das eines Landmanns. Der Ausdruck der Augen, wenngleich nicht Klugheit, so doch ein Geschick zur Diplomatie verratend, dazu der wiegend elastische Gang – dies alles in einem verriet die Brutalität eines Mannes, der sich vom Pult des Kontokorrentbuchhalters bis in den „Glaskasten“ hinaufgearbeitet, und nun nicht vergessen hatte, wie schwer der Aufstieg gewesen wäre, und wie leicht nun der Vorteil an Macht zu ziehen ... Jetzt betrat Karst mit einer Verbeugung und klingendem „Guten Morgen, Herr Winter,“ den Raum seines Prinzipals, um gleich darauf die Tür zu schließen. In der folgenden Stunde versuchte Grahl, sich zur Arbeit zu sammeln. Aber er raschelte nur unter Fakturen, blätterte in dem Journal hin und her. Seine Hände zitterten, hinter der Stirn führten zwei Stimmen Fiebergespräche. Als der Personalchef nach mehr als dreiviertel Stunden zurück durch den Gang gekommen war, um in seinem Glasraum die Morgenpost zu sichten, bemühte sich Grahl, den Augenblick zu bemerken, wenn Karst, mit dem Lesen des letzten Briefes zu Ende, für eine kurze Pause, die zwischen dieser und seiner nächsten Beschäftigung eintreten mußte, müßig am Schreibtisch saß. Als dieser Zeitpunkt gekommen war, ging Grahl in den „Glaskasten“, verbeugte sich, wünschte Guten Morgen, und bat mit leiser Stimme um Urlaub für einige Stunden, von halb zwölf gerechnet bis etwa um zwei. Karst, der nie den Ausdruck der Mienen veränderte, fragte nach einer Begründung. Grahl gab einen nicht aufzusparenden Weg, eine Altersversorgung betreffend, vor. Karst konnte ein leises Lächeln nicht unterdrücken als er nach einer Pause erwiderte, Grahl möge diese Besorgung seiner Interessen noch um einige Zeit verschieben, später sei ihm der Urlaub gerne gestattet. Bei dieser Antwort erbleichte Grahl. Zusammen mit dem verschwiegenen Lächeln drückten die Worte aus, was seinen Herzschlag stocken machte. Er betonte noch einmal die Dringlichkeit seines Weges – aber nun eigentlich nur noch zur Entschuldigung seiner Bitte. Er war ganz verwirrt. Dazu fragte Karst, in dessen Augen nun keine Spur mehr von Lächeln lag, nach dem Stande der Arbeit. Und Grahl konnte nicht anders, als die Wahrheit gestehen. Karst nickte – er hätte nicht grausamer antworten können – als ob ihm dies und nichts anderes erwartet käme. Doch, ergänzte Grahl, hoffte er durch vermehrte Stunden der Tagesarbeit mit der Prüfung seiner Fakturen noch bis zum rechten Termine fertig zu werden. Das hoffe er auch, sagte Karst, indem er nun auch den Ton zu dem vorigen Lächeln fand. Damit wandte er sich einer Liste zu, die inzwischen von einem Lehrling gebracht worden war. Grahl befand sich wieder allein vor dem Pulte. Arbeiten war ihm unmöglich. Seine Gedanken waren bei Anna und Gertrud. Sie standen nun vor dem Richter, er aber, der zwar mit seiner Zeugenaussage auf keinem Fall dem Geschick eine Wendung zu geben vermochte, fehlte in dieser Stunde. In einer Stunde, wo Anna, die glühende Angst der Erwartung, und im furchtbarsten Fall der Entscheidung, ein Gewicht auf dem Herzen erdulden mußte, für das die bürgerliche Gesellschaft in ihrer kompakten Masse die Wage bestimmt hat. Grahl wütete gegen sich selber. Er durfte sich nicht den Weg von der Arbeitsstätte zu Anna um den Preis der preiszugebenden Wahrheit erzwingen – aber die erfundene Begründung für seinen erwünschten Urlaub war schwach, lächerlich schwach gewesen. Dennoch hatte er plötzlich den Einfall, mit dieser selben Begründung direkt bei dem Chef den Antrag zu wiederholen. Er ist ein Mensch, sagte er vor sich hin, indem er mit seinen Händen die grauen Strähnen strich, die seinen Vorderkopf leicht überdeckten. Er ging in die Garderobe, um die Hände zu waschen. Als er eintrat, verstummte sofort das Gespräch der dort versammelten jungen Leute. Es blieb still, bis er den Raum verließ. Sein Gemüt war bedrückt. Er stand an der Tür zum Privatkontor seines Chefs. Er klopfte, trat ein und wartete auf eine einladende Geste, ehe er begann. Aber Winter, nachdem er sich unterrichtet hatte wer an der Tür stand, senkte die Augen hinter dem mit gelben Hornreifen umrandeten Kneifer auf die Lektüre, die vor ihm lag. „Ich möchte Sie bitten ...“ begann Jakob Grahl. „Sie wenden sich wohl an Ihren Bureauchef!“ Und Grahl wendete sich mit gebogenen Knien und ging. Sein nächster Gedanke war, ohne Erlaubnis das Haus zu verlassen. Dieser Vorsatz war schon so stark befestigt, daß Grahl bis an die Garderobe kam. Aber dort, vor der Türe, den eckigen Schlüssel bereits in der Hand, schlug ihm die Ueberzeugung, daß dieser Entschluß die wohlbegründete Lösung des Arbeitsverhältnisses seitens der Firma zur Folge haben mußte, mit solcher Heftigkeit vor die Stirn, daß er aus seinem in sich selber versunkenen Denken wie durch den Anblick einer drohenden Tiefe erschreckt, zu der Wirklichkeit seiner Lage erwachte. Er sah sich schon jetzt dem Willen sämtlicher Vorgesetzten, der Gleichgültigkeit oder Spottlust und Klatschsucht seiner Kollegen preisgegeben. Er wußte nichts Besseres zu tun, als in Unterordnung die Pflicht zu erfüllen und in Demut zu hoffen, daß alle Anzeichen, die seine Entlassung vorauszuverkünden schienen – das Lächeln Herrn Karsts, das verstummte Gespräch der Kollegen, die Ereignisse dieses Morgens, die verachtende Haltung des Chefs – dennoch nichts mehr als Täuschungen wären, die den schreckhaften Vater, der seine Familie zu jeder Minute bewußt als den Antrieb im Innern spürte, zu leicht übermannten. Die Hoffnung und bange Erwartung vermochten sogar, ihm für einige Zeit vergessen zu machen, was Anna in dieser Stunde erleben mußte. Man muß bedenken, daß der Gedanke, als Mann mit ergrautem Haar aus dem Dienste entlassen zu werden, schon am dreißigsten September, das will heißen: am Termin der Kündigung auf den ersten November desselben Jahres, die Perspektive auf Schrecknisse einer Zeit eröffnen konnte, wie der vor einigen Jahren beendete Krieg sie an einem gewissen Wendepunkt mit grausamen Händen gezeichnet; wie sie eben erst – aber dies trifft nicht einmal auf alle Familien zu – von den ungleich menschenfreundlichen Händen des Friedens verwischt worden war. Die Wirkung – die seelische wie die körperliche – der Kohlrübenjahre war damals und ist noch in unseren Tagen so mächtig, daß die Furcht vor der Situation des Stellungslosen in einer Zeit, da Massenentlassungen Mode wurden, keiner besonderen Begründung bedarf. Grahl – noch vor wenigen Stunden von einer ganz anderen Sorge gepeinigt – kannte jetzt nur noch _eine_ Bitte an die schicksalsfügende Macht, an welche er glaubte, ohne sich dessen bewußt zu sein: Daß bis um die sechste Stunde der drohende Schlag der Entlassung ihn nicht treffen möge. Denn um jene Zeit verließen der Chef und die Mehrzahl der Angestellten das Haus. Hatte sich bis dahin die Gefahr nicht entladen, so war sie über ihm weitergezogen. Aber noch war diese sechste Stunde nicht da. Nach drei rief ihn die Telephonistin in eine Zelle. „Anna,“ sagte er, und mit lautschlagendem Herzen nahm er den Hörer. Es war die Bitte um Aufschub eines zahlungssäumigen Kunden, dessen Konto Grahl in den Büchern führte. Von nun an erschrak er jedesmal, wenn die Klingel des Telephons zu schrillen begann. Der Termin des Prozesses war um zwölf Uhr gewesen, aller Berechnung nach war nun das Urteil schon lange gesprochen. Sie wußten es, Gertrud wußte es, Hermann wahrscheinlich auch ... Und Anna ... Er aber saß hier und rang seine Finger, von Kümmernissen zu beiden Seiten des Herzens benagt. Mußten sie nicht schon längst eine Nachricht durchs Telephon für ihn haben? Und wäre es nur aus Besorgnis um ihn, warum er, seinem Versprechen entgegen, nicht im Gerichtsgebäude erschienen war ... Daß dieser erwartete Anruf nicht kam, erfüllte ihn mit brennender Angst, die in plötzlichen Wogen bis in die Augen stieg. Die Zeiger waren bis fünf geschlichen, aus dem Privatkontor vernahm man die langhinsummenden Töne der Uhr. Grahl tat einen Atemzug der Erleichterung, aber indem seine Brust sich senken wollte, fiel auf das Buch, das mit offenen Seiten auf seinem Pult lag – ein Brief! Sein Kopf fuhr herum. Er sah den sechzehnjährigen Lehrling Menzel, der sich eben auf seinem Absatz drehte – übrigens nicht mit der Absicht, das mokante Lächeln auf seinem Gesicht zu verheimlichen. Grahl berührte den Brief noch nicht. Kein Brief mit der Post, keine Marke, kein Stempel. „Herrn Jakob Grahl, im Hause,“ stand auf dem Kuvert. Er faßte es an – er brauchte es nicht zu öffnen. Er schob es in seine Hosentasche. Sein Gesicht war aschgrau. Er fühlte den Halt seines Körpers verlorengehen, gleichsam ein notwendiges Gewicht aus dem Kopfe fallen. Es blieb eine Leere. Er stützte die hohe zerbrechliche Stirn zwischen Daumen und Zeigefinger der Linken, während die Rechte noch in der Tasche am Umschlag tastete. Ein zitternder Seufzer ging unbewußt aus seinem bebenden Munde hervor. In diesem Augenblick durchschritt Winter mit seinen schallenden Schritten die Reihe der Pulte, er trug den schwarzen Hut tief auf die Geiernase gerückt. Ein gelber Rock hing von seinem gekrümmten Rücken herunter, er trug ein paar brauner Lederhandschuhe mit einem schweren Handstock mit silberner Krücke in Händen. Vor dem Hause erwartete ihn sein Automobil. Fünftes Kapitel. Außer dem Kontenführer Grahl war noch dem „Geiger“ gekündigt worden, der erst kürzlich über den Lehrlingsgrad hinaus, in die Stellung eines Kommis geklettert war. Während aber der Kündigung Grahls ein Bemerken, das auf Ueberzähligkeit hinwies, als Begründung zugefügt war, entbehrte das Schreiben, welches der „Geiger“ erhalten hatte, einer entsprechenden Angabe ganz und gar. Der „Geiger“ empörte sich auch durchaus nicht dagegen. Er hatte in einem seiner Cafés, wo er abends spielte, ein Mädchen kennen gelernt, mit welchem er ohnehin schon einige Male über den Tag spazieren gegangen war, obgleich diese Tage weder als Fest- noch als Sonntage auf dem bürgerlichen Kalender standen. Das Geigenspiel konnte ihn über dem Abgrund vollkommenen Geldmangels halten. Dazu hatte der „Geiger“ einen Vater, der ebenso jovial war wie er. Der Vater hatte die Mittel, sich jedes Vergnügen zu leisten. Aus Gewissenszwang wollte er, was er sich selber gönnte, seinem Sohn nicht versagen. Seide Freunde neckten den „Geiger“ mit einem unter den Angestellten beliebten Spruch. Einer rief: „Du wirst Kommis –“ worauf der Chorus einfiel: „Aber nich bi mi!“ Wenn sie in der Garderobe in der Nähe des Fensters standen und „durch die Nase rauchen“ probierten, neckten sie ihn. Er pfiff den Rauch weg und sagte: „Egal!“ Die innere Verfassung des anderen Gekündigten war anders. Der anfängliche Sturz der Empfindungen hatte die Denkkraft gelähmt. Und als er am Abend niemanden in der gleichwohl erleuchteten Wohnstube fand, aber Anna mit ihrem selbstvernichtenden Lächeln im Bett – nun nicht mehr glühend von innerlicher Erregung und Präparation für die Stunde am Richtertisch, sondern weiß bis in die schweigenden Lippen – da sah der Alte nur noch die Kurve des Untergangs, er fühlte die Hand eines Schicksals, der zu entrinnen vergeblich wäre. Diese Familie war ihr verfallen. Ich weiß nicht warum, sagte Grahl, ich weiß nur: es ist so. Er konnte sich keine Rettung mehr denken. Er wünschte einen beschleunigten Schluß. Er hoffte wirklich im Schlaf dies Ende zu finden. Indem er, beinahe stumpf von Leiden, in sein Bett, neben der verbissenen schweigenden Anna, hineinstieg, wanderten seine Gedanken zu Hermann und Gertrud, die nur die Hälfte des Schicksals kannten – nur das Teil, das ihre _Mutter_ betroffen hatte. Ich wünsche euch eine andere Seele, als ich sie besitze, sagte er wie zum Nachtgebet. Mehr Kraft, mehr Härte des Herzens, Kinder ... Er fand keinen Anfang für eine Frage, welche die Bestätigung dessen verlangte, was er schon wußte. Er fühlte, daß mit gebrochenem Schweigen der Schmerz, der dieser Frau wie ein eisiger Block die Tränen versperrte, sich lösen mußte. Von den Gedanken aufs neue bewegt, verbreitete sich innerlich eine Erleuchtung – als ob hier Schuld und Verfehlung keinerlei Rolle spielten. Und all das wäre das Schicksal, wie ein Jeder das Seine gesondert empfängt. Die Erkenntnis, daß seine vom Leben gefurchte Seele es war, die ihn die Niederlage des heutigen Tages und endlich den Untergang leiden ließ – dies Gefühl erfüllte ihn, ohne daß er nach einer Begründung fragte, gleichwie ein Glück. Er war stolz, sein Schicksal, je schwerer, je lieber, zu tragen. Da sagte er: „Anna!“ Der Glauben, der in ihm zu herrschen begann, machte ihn mächtig, die Wirklichkeit in dem heiteren Lichte der Unschuld zu sehen und er meinte diese Gabe des Sehens teilen zu können, mit wem er es wünschte. Anna aber sagte nicht mehr als _ein_ Wort, in dem sich eine Lippe rührte, sonst nichts: „Gefängnis.“ „Habe darum keinen Gram. Ueberwinde das mit dem Stolz deines Herzens, wie ich.“ Er blickte sie an. Sie hob die blasse Hand von der Decke und drehte den Docht der kleinen Lampe so tief, daß sie verlöschte. Er nahm ihre Hand, sie entzog sie ihm nicht. Aber sie weinte auch nicht und sie sprach kein Wort. Auch er wußte nichts mehr zu sagen. Die Helligkeit in ihm war plötzlich erloschen. Er ließ ihre Hand los und bohrte den Kopf in die Kissen. * * * * * Gertruds Stimme weckte den Vater am folgenden Morgen. Er lag einige Minuten mit offenen Augen, ohne daß eine Erinnerung an die Dinge von gestern kam. Das Bett neben ihm war leer. Er hob sich erschreckt auf den Ellenbogen – in einer Sekunde standen die Tatsachen um ihn herum. Verwundert, wie das Gedächtnis an den verhängnisvollsten Tag seines Lebens, um soviel später in ihm erwachen konnte, als er selbst – und grübelnd, ob nicht die Fähigkeit, zu vergessen, was zu vergessen von Nutzen sei, ein zu erkämpfendes Können des Innern wäre ... so stand er auf, sah in den grauen, rieselnden Morgen, durch leckenden Regen, und kleidete sich langsam an. Eine Schwermut, körperlich, schien ihn zu lähmen. Mit seinem Sohne ging er ein Stück des Weges. Er hatte sich von dem Anblick der leidenden Frau mit Gewalt getrennt. Hermann unterrichtete ihn mit leiser, von sachlichem Ausdruck beherrschter Stimme, von den Ereignissen des vergangenen Tages. Frau Anna Grahl war zu einer Gefängnisstrafe von dreiundeinhalb Monaten verurteilt worden. Sie war nicht einmal dazu gekommen, die wohlvorbereitete Verteidigung, alle die in schlaflosen Nächten eingeschärften und oft wiederholten Wendungen, am Richtertisch vorzutragen. Der Vorsitzende hatte ihr inneres Bekenntnis, zu dem sie nicht aufgefordert war, mit einem herrischen Ausbruch der Ueberlegenheit, die sich offenbar mit besonderer Anerkennung respektiert sehen wollte, unterdrückt, und die Angeklagte in die einzige Haltung gedrängt, die ihr in ihren eigenen Augen nun noch gemäß war: in stolzen, schweigenden Trotz. So hat sie also den Kampf aufgegeben, und ließ es gehen, ohne hinzuhören – schloß Hermann mit einem flüchtigen Seitenblick. „Ich biege hier ab. Guten Morgen, Vater.“ Grahl hatte die Kündigung sorglich verschwiegen. Sein Wunsch war, die bedrückten Herzen der Seinen durch die Form, die er selber hielt, zu erleichtern. Nichtsdestoweniger waren in ihm der leidensbereite Wille, die stolze Demut unter das Schicksal, die am vorigen Abend in eigenartiger Kraft aus der Schwäche erstanden waren – verstummt und vergessen. Aber das gleiche Gefühl für die Pflicht, das ihn am Kontorpult beherrschte, war in der Sorge um seine Familie wieder erwacht; es lenkte seine Entschlüsse in völliger Unbekümmertheit um die geschehenen Verstöße, mit welchen ein Vorgesetzter die Führung des Angestellten belasten konnte. Er berief auf den selbigen Abend die Ausschußversammlung ein. Die Ausschußmitglieder bestanden aus sechs Vertretern des Personals, von denen Grahl der älteste war. Sie trafen am Abend in einer Restauration, die „Himmelspforte“ genannt, zusammen. Grahl forderte auf, seiner Entlassung den Ausschußwillen entgegenzusetzen, da er, als Mitglied des Ausschusses, in einem Verhältnis zur Firma stände, das bei erloschenem Mandat erst zu lösen wäre, nicht früher. Aber zu seinem Erstaunen waren die übrigen Ausschußmitglieder durchaus nicht einig in ihrer Meinung. Es ergab sich, daß drei unter ihnen in ihrem Gewissen Bedenken empfanden, das Interesse ihres Kollegen zu schützen, ohne den Standpunkt der Firma in Rücksicht zu ziehen. Diesen Standpunkt, hieß es, kenne man wohl, obgleich er – wohl aus einer gewissen Milde – in dem Entlassungsschreiben verschwiegen war. Der eigentliche Grund zur Entlassung Grahls – darin waren diese drei Herren sicher – wäre natürlich der Mangel an Arbeitskraft und Zuverlässigkeit, der in den letzten Wochen vermocht hatte, den guten Kredit seiner siebenundzwanzig Arbeitsjahre zu annullieren. Wie sollten sich also diese gewissenhaften Ausschußmitglieder für Grahl entscheiden? Widerrede wurde dagegen laut. Grahl selber erklärte, daß _die_ Begründung, die das Kündigungsschreiben enthielt, maßgebend wäre – nicht eine verschwiegene. Wer nähme wohl an, die Firma wäre in ihrer Erklärung von zarter Rücksicht geleitet? Im übrigen hielt der Einwand, die mangelnden Qualitäten betreffend, nicht Stich. Wenn im Verlauf von mehr als einem Vierteljahrhundert ein Mann mit niemals lahmendem Willen die Kraft seines Denkens und Tuns in den Dienst einer Firma gestellt habe, so sei er nicht davonzujagen gleich einem ungebärdigen Hunde, wenn ihn in einem gefährlichen Augenblicke seines Familienlebens die Kraft für eine Spanne verlasse. Er setzte sich wieder und stützte den Kopf in die zitternde Hand. Man fragte ihn, ob er nicht dies persönliche Schicksal als Begründung seiner offenbaren Veränderung vortragen wollte. Er schüttelte mit dem Kopf, ohne die Hand von den Augen zu lösen. Den drei Vorsichtigen wurde noch andershin widersprochen. Wiewohl es auch möglich sei – führte ein Obmann aus –, daß die Entlassung des Kollegen Grahl aus den vorhin genannten Gründen erfolgt sei, so bestehe die Tatsache dennoch fort, daß Entlassungen zu Zwecken von Ersparnis einiger Angestelltensaläre ohnehin in Aussicht genommen waren. Mehrere Posten mit geringerer Arbeitsbelastung sollten, je zwei, vereinigt an einen der beiden Postenverwalter übertragen werden, um den zweiten zur Uebernahme anderer Tätigkeit freizumachen. Hätte das Schicksal also nicht Grahl getroffen, so wäre ihm gleichwohl ein anderer zum Opfer gefallen. Derjenige nämlich, der nach der Geschäftsleitung Ansicht am wenigsten Nutzen der Firma bringe. – Das sehe man ein, nicht wahr? Man müsse also _dagegen_ sein, im Prinzip. Stände im Falle des „Geigers“ die unanfechtbare Begründung mit seiner Faulheit nicht fest zu erwarten, so wäre auch dieser Kündigung die notwendige Beistimmung des Ausschusses zu versagen. Es handle sich um Entscheidungen, die für Jeden einmal Bedeutung erlangen könnten. Ueber allem aber dies: Zu was bestände denn das Gesetz, das die Entlassung des Obmanns verbietet? Wer könnte bürgen, daß nicht eben sein Amt im Ausschuß es war, das ihn zum Fallen gereift hätte? Und wer von den Ausschußmitgliedern dächte hierbei nicht an sich selber? Er verlangte die Unterschriften. Die drei Widerstrebenden dachten wahrscheinlich sehr intensiv an sich selber. Sie hielten die Macht ihres Mandats für gering im Verhältnis zur Macht eines Leiters der Personalabteilung, gegen dessen Beschlüsse man wohl am besten nicht knurrt. Ein Mandat hat auch einmal ein Ende, dachten sie wohl ... Und sie konnten sich nicht für ihren Kollegen entscheiden. Sie meinten, etwaige Mängel der Führung seien durchaus nicht durch ein im übrigen unantastbares Amt als gedeckt zu betrachten. Darauf berief sich Grahl erneut auf die Begründung des Kündigungsschreibens, in welchem mit keinem Worte irgendeines Mangels gedacht war. Es gelang ihm nicht, sie auf seine Seite zu ziehen. Und obgleich dem gegebenen Rechte nach kein Ausschußmitglied seine Unterschrift unter das Einspruchsschreiben, das inzwischen gefertigt war, hätte verweigern können, so zeigte es sich dennoch, daß die drei Nichtgewillten bis zum Ende in ihrer Opposition verharrten. Ihre Furcht vor dem Eindruck, den ihre Unterschrift unter ein dem Willen der Geschäftsleitung entgegengesetztes Schriftstück hervorrufen mußte, war begreiflich groß. Nach langem Widerstande bemerkte Grahl, daß sein beharrliches Dringen aufs Recht ihm dennoch keinen Vorteil brachte, und er ergab sich darein, seinen Fall als den Fall eines einfachen Angestellten zu führen. Noch bei einem Stimmenverhältnis von drei zu drei war _für_ den Angestellten entschieden. Das Schriftstück, in welchem der Ausschuß die Einwilligung zur Entlassung des Buchhalters Grahl versagte, trug die folgenden Unterschriften: Baaß, Ehrlich, Grahl. Grahl ging in bedrückter Stimmung nach Hause. Die Unzulänglichkeit dieser an sich so verläßlichen Institution hatte ihn überrascht und erschüttert. Er war für den Tag, für den Monat und für den nächstfolgenden auch, gerettet. Aber gewöhnt, bei der Bilanz seiner Lebenshaltung nicht nur die Gegenwart, sondern auch Vergangenheit und Zukunft in Betrachtung zu ziehen, bangte ihm vor den kommenden Zeiten, die ihn zwingen würden, die Hilfe der Ausschußmitglieder erneut anzurufen. Wenn sie ihm dann sein Recht versagten? Gewiß, er würde es von höherer Stelle erhalten. Das Recht schützt der Staat ... Als er nach Hause kam, fand er wieder die Stube erleuchtet und leer. Er ging schweigend durch alle Zimmer; Hermann und Gertrud fand er in ihrer gemeinsamen Stube lesend. Als er ihre hochgezogenen roten Stirnen wahrnahm, unterdrückte er seine Frage. Frau Anna Grahl war bereits ins Gefängnis gegangen. Sechstes Kapitel. Am zweiten Oktober wurde das Schriftstück, das der Ausschuß am vorhergehenden Abend beraten hatte, dem Personalchef Herrn Karst übergeben. Dies geschah gegen Mittag. Nachmittags ging Herr Karst in das Kontor des Chefs, und die Türe wurde nachdrücklich geschlossen. Aber bis zum Abend geschah durchaus nichts. Grahl blieb an diesem Tage bis fast in die Nacht am Pulte, um die Fakturenkontrolle, wie erforderlich, am nächsten Tage beenden zu können. Mitunter gelang es ihm, wohl eine Viertelstunde lang ruhig und aufmerksam die Salden der Konteninhaber zu prüfen, – dann plötzlich fuhr er sich mit der Hand über Stirn und Augen, blickte um sich, um zu bemerken, daß selbst Herr Uri schon fortgegangen war, und daß außer dem hellgrünen Licht, das auf sein Pult von der Lampe über ihm strahlte, das ganze Kontor im Dunkel lag. Dann konnte er zehn Minuten lang mit verdeckten Augen sitzen und denken. Er dachte an Anna. Die Notwendigkeit trieb ihn wieder zur Arbeit. Wenn er die Menge des noch zu bewältigenden Materials vor sich sah, fühlte er, wie sein Herz sich krampfte, ein Schwindel begann seinen Kopf zu verwirren. Mit einem stöhnenden Laut, gewaltsam, setzte er seine Rechnungen fort. Grahl hatte einen der lastendsten Posten, er führte die Konten der Firmen, deren Titel mit M, N oder R begannen. Auf diesen Platz, das „Konto MR“, war er, als ein zuverlässiger Buchführer, im Laufe der Jahre – noch unter dem Vater des jetzigen Chefs und unter wechselnden Personalvorgesetzten – gelangt. Aehnlich umfangreichen Arbeitsstoff hatte höchstens der Kontenführer des „Konto ST“ zu bewältigen. Für diese Erscheinung eine Erklärung zu finden, ist leicht, wenn man die Statistik der vorkommenden Namen in unserem Lande betrachtet; eine solche Statistik bietet zum Beispiel das Adreßbuch der Stadt. Am nächsten Tage mußte Grahl statt fertiger Arbeit die Erklärung abgeben, daß er in einigen Tagen bestimmt alle von ihm geführten Konten zum Abschluß gebracht haben würde. Nicht lange nachdem diese Mitteilung seinerseits geschehen war, befahl ihm der Personalchef Karst, sich unverzüglich in eine andere Abteilung, das Revisionsbureau, zu begeben. Der Dienst dieses Ressorts bestand darin, die Arbeit der Kontenführer zu prüfen, ihre Fehler zu finden und richtigzustellen. Zwar erforderte diese kontrollierende Tätigkeit Ausdauer und ein gewisses Talent, das mit dem Spürsinn zu tun hat – aber dennoch wurden die Posten dort meist mit jungen Angestellten und Kontoristinnen besetzt, deren Monatsgehälter einem der niedersten Sätze des Angestelltentarifs entsprachen. Kaum hatte Grahl seinen Dienst in dieser Abteilung begonnen, als der Lehrling Menzel den Raum betrat, um ein verschlossenes Kuvert auf seinen Platz zu legen. Grahl öffnete und fand nun in deutlichen Worten die Begründung zu seiner Entlassung ausgesprochen – dies war die Antwort auf die gestern erfolgte Eingabe des Ausschusses. Als Grahl jenes Wort, das, alles in einem, den Grund zur Entlassung aussprach, las – suchte er tastend nach einem Halt. Im übrigen wurde ihm dringend geraten, freiwillig aus diesem unerquicklichen Dienstverhältnis auszuscheiden, das, je weiter er es in die Länge zu dehnen versuche, desto mehr an Schaden ihm bringen würde. Das Wort, die Begründung, hieß: Unfähigkeit. Wäre Grahl seiner ersten Regung gefolgt, hätte er sich um eine Unterredung mit Karst oder gar mit Winter bemüht. Aber gewarnt durch den letzten Bescheid, den er von Winter hatte entgegennehmen müssen, hielt er sich fest vor dem Pult, und es gelang ihm notdürftig, sich zu seiner neuen Arbeit zu sammeln. Als die Kontorzeit vorüber war, begab er sich eilig zur Post, um dort einen Brief, einen schmerzerfüllten Protest, aufzusetzen. Später strich er die innerlichst gefühlten Worte heraus und als er das Schreiben in sauberer Abschrift an einem der Schalter gegen Quittung aufgab, da war es ein sachlich gestraffter Widerspruch. „Man hätte mir eine Frist zur Verfügung stellen sollen,“ schrieb Grahl, „zum Beweisen, daß das Nachlassen meiner Arbeitskraft nur auf äußere Einflüsse ohne Dauer zurückzuführen war. Man hätte mit mir verhandeln sollen“ (das Wort „menschlich handeln“ hatte zuvor an dieser Stelle gestanden), „statt dessen hat man mich schweigend beobachtet und in Unkenntnis meiner Lage mir gekündigt.“ Er merkte es wohl – an dem nächsten wie an allen folgenden Tagen: Von seinen Vorgesetzten als Arbeitskraft völlig verachtet, ward er von seinen Kollegen im Rücken verspottet. Diese seltsamen Kreaturen, die ihn so lange als arbeitsamen, rechtschaffenen Buchhalter kannten, schoben die Oberzähne über die Unterlippe, fast bis aufs Kinn, als wollten sie sagen: Du Verräter der Firma, der gegen die Autorität opponiert, – hebe dich fort, wir haben mit dir nichts zu tun. Der Einzige, der ihn freundlich ansprach, war Uri. Sie waren während einiger Jahre Pultgenossen gewesen. Der Leiter der Revisionsabteilung war Baaß, derselbe, der im Ausschuß für Grahl gegen seine Entlassung gehandelt hatte. Aber nun erschien dem biederen Manne die Stellung, in die er sich selber begeben hatte, nicht mehr ungefährlich – auch war ihm vielleicht von höherer Stelle die Initiative, die er jetzt ergriff, nahegelegt. Er besah sich öfters am Tage seinen Revisionsangestellten Grahl, indem er sich mit der roten, fleischigen Hand über den goldblonden Borstenschnurrbart strich. Und endlich erklärte er Grahl – er brauchte zu dieser Erklärung sechs Worte: er wisse mit ihm nichts anzufangen. Ueber diese Erklärung war Grahl so verdutzt, daß er die Augenlider zusammenzog, als blinzelte er gegen Rauch. Er fragte seinen Ausschußkollegen nach dem Anlaß, den er zu solchen Worten gegeben: und er erfuhr, daß er, Jakob Grahl, der Arbeit, die man ihm gab, sich augenscheinlich durchaus nicht gewachsen zeigte. „Erledige ich nicht, was man mir zu erledigen gibt?“ „Schon recht,“ sagte Baaß und rieb mit dem Zeigefinger über den Borst unter der Nase – „aber man kann Ihnen leider nur wenig geben. Sie arbeiten langsam, Herr Grahl.“ Unfähigkeit! sagte Grahl für sich, obgleich er wußte, daß Baaß all dies sagte, um ihn aus irgendeinem Grunde, den er nicht kannte, zu verderben. Er biß die Zähne gegeneinander und machte jene Bewegung zur Brille, wie um sie besser vors Auge zu setzen – und schwieg. Was kümmert mich dies, sagte er sich später, mir bleibt mein Mandat, das mich schützt. Er war entschlossen, in diesem Kampfe nicht nachzugeben. Ich sehe keine Veranlassung, dachte er in kaltem Trotz, mich aus freien Stücken auf die Straße zu setzen. Ermordet mich und schafft mich hinaus ... lebendig bringt ihr mich nicht vor die Türe. Aber während dieser Zeit schweigenden Kampfes wurde er äußerlich und auch innerlich anders. Hatte er früher mit Hermann die Tagesereignisse gern und lebhaft besprochen – so saß er jetzt schweigend, bleich, mit aufgewälztem Stirnbein und verdeckten Augen seinen Kindern gegenüber beim Abendbrot. Sie dachten, es wäre das Unglück der Mutter, das seine Gestalt so mager erscheinen ließ. Und in Wirklichkeit – _war_ es nicht dies? Ja, _auch_ dies. – Mitunter meinte er nachdenklich bei sich selber, daß diese _beiden_ Kümmernisse _auf einmal_ nicht ohne heilsamen Vorteil wären, da dem einen Kummer, sobald er stärker zum Herzen vorstieß, der andere zur Ablösung kam. Zwei Tage später aber, als Baaß seiner Unzufriedenheit Ausdruck gegeben hatte, wurde Grahl auch von dem neuen Posten im Revisionsbureau enthoben und in die Paketannahme versetzt. Er übernahm dort den Posten eines Herrn, der an diesem Tage aus unbekanntem Grunde nicht wieder zur Arbeit erschienen war. Grahls Tätigkeit war mit einigen Boten zusammen, die sehr verwundert waren, den Herrn Buchhalter Grahl, den sie noch vor kurzem mit tiefgezogener Mütze gegrüßt hatten, nun als ihresgleichen beim Quittieren, Sortieren und bei der Verteilung eingehender Pakete zu sehen. Er selber fand diese Verwunderung seiner neuen Kollegen natürlich, und er behandelte sie mit der gleichen Achtung, die er nicht nur für Menschen, sondern vielmehr für jedes lebende Wesen empfand. Wenn er abends über die dunklen Straßen den Heimweg ging, wagte er es, seine Mienen abzuspannen, und sein über den Tag aufrecht getragener Körper gab sich nun Erschlaffung hin. Seine Lider lagen schwer über dem trostlosen Blick; seine Mundwinkel, von dem struppigen Schnurrbart wirr überhangen, waren tief bis ins Kinn gefurcht. Es war in solchen Augenblicken ein Ausdruck des Grams schon vermischt mit den Mienen verächtlicher Gleichgültigkeit – Gleichgültigkeit gegen die flackernden Blicke, den hitzigen Atem der Welt. Einmal traf er am Ausgang mit Uri zusammen. Sie gingen ein Stück des Weges miteinander. Uri erzählte, der erste Nachfolger Grahls auf dem „Konto MR“ sei schon am dritten Tage an ein anderes Pult zu anderer Arbeit versetzt worden. Der nächste aber, ein junger Mann, der sich viel auf seine Gewandtheit zugute tat – hatte während eines einzigen Tages des Amtes gewaltet, um am nächsten und allen folgenden Tagen überhaupt nicht mehr im Hause sichtbar zu werden. Er zog es vor, mit gutem Mut eine Stellung bei einer anderen Firma zu suchen. Das „Konto MR“ hatte seitdem den Namen erhalten: „Konto Ueber die Kraft“. Grahl schwieg dazu. Uri seufzte einige Male. „Sie wissen doch, Grahl,“ begann er, „daß nun auch gegen den Ausschußwillen beim Arbeitsgericht Einspruch erhoben worden ist?“ „Was ... sagen Sie da?“ sagte Grahl leichenblaß. Seine Stimme war rauh. Er zog die Augenlider zusammen. Plötzlich stolperte er seitwärts einige Schritte und hielt sich schwer atmend an einem Baum. „Nicht erschrecken, Grahl,“ sagte Uri und nahm seinen Arm. „Meiner Meinung nach erwartet Sie Kampf ... Kampf und Sieg. Das Arbeitsgericht wird, in gerechter Betrachtung, sich für den Ausschußwillen entscheiden müssen.“ „Das Arbeitsgericht, soso ...“ sagte Grahl mit einem Ausdruck von Gleichgültigkeit. Als er aber in seiner Stube hinter der Zeitung die leidenden Mienen vor den Kindern versteckte, erwachte der Anfangstrotz wieder auf, der dem Gefühl für die Seinen entsprang. Hermann las in dem kleinen Band einer volkstümlichen Bibliothek – es war eine Einführung in die Philosophie –, Gertrud, indem sie an einem Kleide nähte, beachtete jede Bewegung des Vaters, jeden Blick – um ihm das Teeglas aufs neue zu füllen oder die Teller vom Tische zu tragen oder das Gaslicht zu regulieren. Sie war es auch, die ihre Mutter in ihrer jetzigen Wohnung besuchte. Niemanden anders wollte die Frau zu Besuch haben. Mitunter sah Grahl seine Tochter mit einem kurzen dankbaren Ausdruck an, als hätte er all seine Zärtlichkeit, die er in der denkbar verschwiegensten Weise zu äußern imstande war, auf das Kind zu übertragen. Siebentes Kapitel. Am 21. Oktober, dem Termin der Arbeitsgerichtsverhandlung in Sachen der Firma Winter, Kommanditgesellschaft, gegen den Buchhalter Jakob Grahl, befanden sich vor dem Vorsitzenden: als der Vertreter der antragstellenden Firma der Personalchef Karst, als seine Zeugen Herr Baaß nebst einem andern Ausschußmitgliede – welches übrigens eines der drei widerspenstigen war –; ihm gegenüber: der Angestellte Grahl mit seinen Zeugen: Uri, langjährigem Pultgenossen von Grahl, und Rottmann, dem früheren Personalchef, der vor Jahresfrist als ein sechsundsiebzigjähriger Mann nach mehr als drei Jahrzehnten die Arbeit endgültig aus den Händen gelegt hatte. Er widersprach mit leiser fester Stimme der Meinung Herrn Karsts, der in dem Buchhalter Grahl das Prinzip der Unzuverlässigkeit _in corpore_ erblickte. Rottmann vermochte mit gutem Gedächtnis aus Redewendungen Grahls, die er zitierte, und charakteristischer Handlungsweise, die er lebhaft zu schildern wußte, dem Vorsitzenden und seinen Beisitzern ein lebendiges Bild zu vermitteln. – Nach ihm wurde der Leiter der Revisionsabteilung, Herr Baaß, um seine Zeugenaussage befragt. Herr Baaß, indem er sich über den Schnurrbart rieb, begann im Tone der echtesten Ueberzeugung die Worte Herrn Karsts zu wiederholen. Aber er hatte kaum einige Sätze vorgebracht, als Grahl, der mit graublassem Gesicht und geschwollenen Schläfen am Tische stand, in unhemmbarer Erregung, mit hastig gestoßener heller Stimme zu widersprechen begann. Der Vorsitzende rief ihn zur Ruhe, er vermahnte ihn, bis die Aufforderung zur Rede an ihn erginge, stille zu schweigen. Aber Grahl, mit beschwörend vorgestreckten Armen, rief mit dringlichstem Ausdruck: „Ihn treibt im besten Falle die Furcht, mit einem günstigen Wort über meine Leistung die Gunst seiner Obern zu verlieren. Ihn hindert Feigheit, ehrlich zu sein – nicht Feigheit, nein, ich verzeihe ihm das, weil ich weiß, wie es tut, um das Brot der Zukunft zu bangen.“ Darauf schwieg er still. Und es war eine Stille im Saal. Der Vorsitzende und seine Nebenmänner, von dem echten Klang dieser Stimme erschüttert, vergaßen den kühlen Ausdruck, dessen sie sich sonsthin bedienten. Die übrigen, die vor dem Tische standen, verhielten den Atem. Nur Karst, zuerst überrascht und mit ängstlichen Mienen – gab sich nun den verächtlichsten Ausdruck, dessen er fähig war. – Das Gericht ging nun zur Beratung über. Dies Arbeitsgericht war vormals eine Funktion des Kaufmannsgerichts gewesen. Infolge vieler willkürlicher Entlassungen hatte es sich zur besonderen Instanz ausgebildet, und sein Zweck war die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Angestellten. Die Entscheidung dieses Gerichts war der „Beschluß“, gegen den ein Einspruch nicht möglich war. – Grahl stand mit gesenkten Augen am Tisch. Seine stummen Lippen drückten den Ueberdruß eines Mannes aus, der am Ende des Kampfes, ob Sieg oder Niederlage, mit der Empfindung unbegrenzter Verachtung den Platz verlassen wird. Dennoch wurde er noch um eine Nuance bleicher, als der Vorsitzende den Beschluß zu verkünden begann. Der Beschluß hatte folgenden Wortlaut: „In der Sache der Firma Winter, Komm.-Ges., Antragstellerin, gegen den Buchhalter Jakob Grahl, Antragträger, die Erwirkung der Erlaubnis zur Entlassung des Antragträgers betreffend, erkennt das Arbeitsgericht durch Richter und Beisitzer für Recht: Die beantragte Zustimmung zur Kündigung Grahls wird versagt. – Die Begründung folgt schriftlich.“ „Sehen Sie,“ sagte Herr Uri, der gar nicht zur Zeugenaussage gekommen war, „sehen Sie, Grahl, nun haben Sie doch nicht umsonst ihr gutes Zeug angelegt.“ Grahl bewegte die Lippen. Gertrud und Hermann, sagte er lautlos. Er lachte über Herrn Uris Spaß. Auf den Abend lud er ihn in die Wohnung ein. Herr Uri, der nicht verheiratet war, bewohnte ein kleines Zimmer und saß an den Abenden, die schon winterlich waren, in Cafés oder Restaurants. – Vorerst begaben sich die beiden zurück an die Arbeit, denn erst war Mittag vorbei. Grahl ging gebeugt, mit schüchtern gebogenen Knien neben der aufrechten breiten Gestalt seines Zeugen. Schon am Eingang zum Kontorhause, wo sie einige Bekannte trafen, rief Uri das Ergebnis mit schallender Stimme aus. Er drehte an seinem kräftigen Schnurrbart und lachte. Er ging an sein Pult, Grahl in die Paketannahme. Abends bewirtete Grahl, der nun erleichterten Herzens seinen Kindern alle Erlebnisse der letzten Woche mitteilen konnte, den Gast. Zwar mußte er sich diesen Posten in der Paketannahme gefallen lassen ... mußte, noch mehr, bei Ablauf seines Mandats der Entlassung gewärtig sein – an eine Mandatsverlängerung war schwer zu glauben ... „Aber, mein Gott, hieße es nicht eigentlich undankbar sein, an diesem Tage der sicheren Gegenwart zu vergessen?“ fragte Uri, „um einer nicht unbedenklichen Zukunft willen?“ „Ja, ja,“ sagte Grahl. Aber er faßte nervös an die Brille und sah seine Kinder an. „Und übrigens,“ meinte Uri, „stehen das Fräulein Tochter wie der Herr Sohn auf eigenen Füßen?“ Nein, Hermann studierte und brauchte nun einmal die Unterstützung des Vaters. „Und Fräulein Gertrud?“ fragte Herr Uri. „Gehen Sie nicht nach dem Beispiel so vieler Frauen in berufliche Konkurrenz mit uns Männern?“ Grahls Tochter wurde rot, als Herr Uri, dieser Mann mit seinem großen Schnurrbart und den offenen blauen Augen, sich direkt an sie wandte. Sie schüttelte nur den Kopf. „Das gefällt mir,“ sagte Herr Uri lachend, „und auch, daß Sie, was Ihre Kopfzier betrifft, nicht im Wettbewerb mit den Männern stehen.“ Hier mußten alle lachen. Herr Uri machte auf seine Art Komplimente. Gertrud hatte zwei goldblonde Zöpfe dicht und breit im Nacken gewunden. Sie bedeckten die Ohren – die sicherlich so dunkel erröteten wie Wangen und Stirn, als Herr Uri das Glas, mit einem leichten Rotwein gefüllt, ihr entgegenhielt, und mit seinem galantesten Lächeln sagte: „Zuerst auf Wohl und Genesung Ihrer Mutter im Krankenhause – und nun auf das Ihre!“ Er lachte und trank. Grahl legte seine weiße Stirn zwischen Daumen und Zeigefinger; Gertrud bückte sich, um ein Fädchen vom Teppich zu geben; Hermann sprach einige Silben, stand auf und entfernte sich aus der Stube. Achtes Kapitel. Am folgenden Tage wurde Grahl durch den Lehrling Menzel vor Herrn Karst gerufen. Herr Karst las in einem Briefe ruhig bis zu Ende, ohne den Gruß von Grahl erwidert zu haben, der nahe der Tür stehengeblieben war. Als er mit dem Lesen fertig war, machte der Personalchef dem Angestellten den Vorschlag, freiwillig zum Ende des Monats auszuscheiden. Grahl glaubte im Ernst, nicht richtig verstanden zu haben. Herr Karst wiederholte den Vorschlag und Grahl konnte darauf nur fragen: Ob nicht gestern ein Beschluß der Instanz in dieser Sache entschieden hätte? Herr Karst überhörte diese Bemerkung. Es schien, als interessierten ihn nur seine eigenen Worte – und außer diesen höchstens die Bestätigung, die nach seinem Wunsch zu erfolgen hatte. Er wiederholte wörtlich das vorige Verlangen. Grahl preßte die flache Hand an die Stirn. – Sie nehmen mich hier beleidigend einfach, schien er zu denken. – „Wie soll ich auf das mir zugesprochene Recht verzichten?“ sagte er laut. – „Sie wollen also nicht?“ fragte Karst. – „Nein.“ – „Gehen Sie an Ihre Arbeit.“ – Grahl ging in die Paketannahme zurück. Am nächsten Morgen wurde er wieder in das Glashaus des Herrn Karsts gerufen. „Haben Sie sich meine Frage inzwischen bedacht?“ fragte Karst. – „Ich hatte keine Veranlassung, dies zu tun.“ – „Was sollen wir also mit Ihnen beginnen?“ – Grahl schwieg. Dann sagte er fest: „Ich bin tauglich zur Arbeit, so gut wie ein anderer.“ – Mit einem Mal begann der Personalchef zu lächeln. Er stand auf und ging in vertraulicher Art bis dicht vor Grahl. Dann sagte er leise: „Ich will Ihnen einmal im geheimen eine Andeutung machen. Sie haben sich an der höchsten Stelle vorübergehend in Ungunst gebracht.“ – Grahl sagte kein Wort. Er blickte sein Gegenüber wartend an. – „Bedenken Sie,“ fuhr der Personalchef geheimnisvoll leise fort, „daß Ihr Mandat als Vertreter des Personals Sie in eine feindliche Stellung zur Leitung gedrängt hat.“ – „Was soll das heißen?“ fragte Grahl, indem er die Lider zusammenzog. – „Ihr Mandat ist zum Schaden für Sie, wie es scheint.“ – Er bemerkte, daß Grahl zu zittern und schwer zu atmen begann. Plötzlich verzog der Alte den Mund zu spöttischem Lächeln. „Das Gesetz, das den Angestelltenvertreter gegen die Leitung immun macht,“ sagte er langsam, „ist also nicht überflüssig, wie’s scheint. Vor dem Arbeitsgericht war von anderen Mängeln die Rede.“ – Karst biß die Lippen verärgert zusammen. – „Für Ihre Andeutung danke ich, ja,“ vollendete Grahl mit vollkommen höflichem Tonfall. Karst sah seinen Plan gescheitert. Grahl durchschaute, daß man ihn von dem Amt eines Ausschußmitgliedes ablocken wollte, um ihn der Immunität zu berauben. Sein Gesicht verriet sein Verständnis davon. – „Gehen Sie an Ihre Arbeit,“ sagte der Personalchef verdrießlich. Nach der Erregung und einer gewissen Wut, welche ihn überkam – ihm schienen die Mittel, mit welchen man ihn übertölpeln wollte, gar zu beleidigend – stellte sich eine Ruhe ein, aus dem Gefühl von Geborgenheit unter dem Spruch, mit dem das Gericht ihn vor dem furchtbaren Winter des Stellungslosen bewahrte. Morgens, wenn er die Wohnung verließ, schlug ihm der Windstoß, ein Bote des nahen November, kalt ins Gesicht. Grahl empfand seine Sicherheit mit triumphierender Freude, und er bestärkte sich, allen Versuchen, die ihn zu törichten Schritten verführen sollten, mit wortkarger Ablehnung oder offensichtlicher Ironie zu begegnen. Sie hatten ihm seinen alten Posten genommen – das mochten sie tun. Die Stellung, das Brot ihm zu nehmen, sollte so leicht nicht fallen. Dazwischen stand ein Gesetz. Er war inzwischen auch in den Besitz der Urteilsbegründung gelangt. „Da die Klägerin“ – hieß es in der Begründung – „bei ihrem ausgedehnten Betriebe vielerlei Verwendungsmöglichkeit für den Beklagten besitzt, so ist in keiner Weise begreiflich, warum dem Beklagten, dessen Tauglichkeit auf dem lange geführten Posten bestritten wird, nicht eine andere Tätigkeit übertragen werden sollte. Beklagter scheint zurzeit, unter dem Einfluß besonderer Verhältnisse, nicht voll dem gewohnten Amte genügen zu können. „Das Gericht“ – hieß es weiter – „hält es für seine Pflicht, den häufigen Wechsel im Ausschuß zu unterdrücken. Denn nur ein Ausschuß, der die Verhältnisse der Firma und der Angestellten im einzelnen kennt, ist seiner Aufgabe gewachsen. Nur dort, wo ein wirklich wohlbegründetes Interesse des Arbeitgebers ersichtlich ist, wird er daher seine Zustimmung zur Kündigung geben. An einem solchen wohl begründeten Interesse fehlt es in diesem Falle durchaus.“ Da konnte Grahl also ruhig sein. – Am nächsten Tage wurde er abermals vor den Personalchef gerufen. – „Sie wünschen gewiß ein Zeugnis zu erhalten?“ fragte ihn Karst – Unwillkürlich erbleichte Grahl. Er führte Daumen und Zeigefinger zur Brille. – „Nicht wahr?“ sagte der Personalchef lächelnd. Dies gutmütige Lächeln in dem vollen brutalen Gesicht warnte den Alten. – „Warum sollte ich wünschen, ein Zeugnis zu erhalten?“ stieß er gereizt hervor. – „Halten Sie es nicht für besser,“ sagte Karst, mit ernster Miene im Sessel lehnend, „daß Sie zum ersten November den Dienst hier quittieren?“ – „Ich denke gar nicht daran,“ rief Grahl. – „Ueber kurz oder lang werden Sie _doch_ Ihren Posten verlassen müssen,“ sagte Karst mit überzeugter Stimme und gegeneinanderklopfenden Fingerspitzen; „es kann Ihnen vielleicht gelingen, einen Monat länger bei uns herumzuliegen. – Uebrigens, schämen Sie sich denn nicht, diesen Posten da in der Paketannahme so ganz selbstverständlich innezuhalten?“ – „Ich habe mir diesen Posten niemals gewünscht,“ rief Grahl entrüstet. – „Und Sie hoffen,“ fuhr sein Gegner fort, ohne dem Ausruf Beachtung zu schenken, „Sie hoffen nach Ihrem trotzigen Widerstand noch ein brauchbares Zeugnis zu erhalten?“ – „Ich will kein Zeugnis,“ rief Grahl, „ich habe Arbeit, ich habe Stellung – ich brauche kein Zeugnis.“ – „Sie werden bald anderer Meinung sein.“ – Grahl lachte. – „Ich rate Ihnen, sich klug zu verhalten. Geben Sie diese Stellung auf, wie man von Ihnen verlangt – so werden Sie mittels des Zeugnisses, das wir Ihnen ausstellen wollen, bald eine neue, besser geeignete Stellung gefunden haben. Verharren Sie aber in Ihrem ungeschickten Verhalten, so bleibt Ihnen, wenn Sie sich von den Tatsachen überflügelt finden, die Hilfe von unserer Seite versagt.“ – „Mein gutes Schicksal erspart mir,“ schrie Grahl, „sowohl das Los, eine Stellung suchen zu müssen – eine Stellung in dieser Zeit! – als auch das Unglück, Ihr Zeugnis erwarten zu müssen. Ich will nichts mehr hören!“ schrie Grahl. – „Gehen Sie an Ihre Arbeit,“ sagte der Personalchef, ohne ihn anzublicken. „Hetzt mich, hetzt mich,“ murmelte Grahl, als er den langen Flur im Kellergeschoß hinabging – dort war die Paketannahme –; „solange ihr mich wie einen Hasen zu treiben versucht, merke ich doch, wie gern ihr mich fangen möchtet.“ – Im Innern gereizt, aber äußerlich still, seinen Kummer sowie die Ursachen heimlich verschweigend, saß Grahl in seiner Stube, wo Gertrud, ihm gegenüber, mit langsamen regelmäßigen Zügen Brief um Brief und dazu die Adressen schrieb. Neben ihr lag die Abendzeitung, in welcher sie mehrere Inserate unter der „Zimmer“-Rubrik mit Kreuzen bezeichnet hatte. – Hermann war wohl zu einem Vortrag gegangen. Plötzlich schellte es an der Wohnungstür. Beide erschraken. Gertrud ging; Grahl preßte die Hand auf die Brust ... Es war Herr Uri. Er konnte nicht umhin, gleich beim Eintritt einige sehr lustige, freundliche Sachen zu Gertrud zu sagen. Er komplimentierte die Farbe des Kleides und fand noch mehr zu bewundern. Gertrud legte eilig die fertigen Briefe zusammen, sie begab sich in die Küche, um für den Gast ein Abendbrot zu bereiten. Als Herr Uri sich mit Grahl allein in der Stube befand, wurde der Ausdruck seines Gesichts nachdenklich ernst. Und dann – mit wenigen Worten unterrichtete er Grahl von dem neuesten Schlag, zu welchem man gegen ihn ausholte. Baaß und jenes Ausschußmitglied, das vor dem Arbeitsgericht mit Baaß zusammen als Zeuge der Firma erschienen war – diese beiden hatten in einer Versammlung, die eben beendigt war und sowohl alle Ausschußmitglieder, mit Ausnahme von Grahl, als auch eine Anzahl von Angestellten vereinigt hatte, den folgenden Antrag gestellt: Nach den beleidigenden Ausfällen Grahls vor dem Arbeitsgericht gegen eines der Ausschußmitglieder, Herrn Baaß, sei eine nutzbringende Gemeinschaft zwischen Grahl einerseits und den übrigen Mitgliedern andererseits zu bezweifeln. Unter Verzicht auf eine Entschuldigung seitens Grahls werde dieser aufgefordert, von seinem Posten als Ausschußmitglied zurückzutreten. Grahl sprang auf, fiel in den Stuhl zurück, stemmte eine Faust auf das Herz und stöhnte. „Ich werde nicht!“ rief er aus, „ich habe keine Veranlassung, von meinem Posten zurückzutreten. Wer kann mich zwingen? Mich deckt nicht mein Recht allein – mich schützt das Gesetz auf zweifache Weise.“ „Lieber Grahl,“ sagte Herr Uri, „ich habe Ihnen mit dieser Nachricht nichts Gutes gebracht. Aber nun wird jene Aufforderung, welche Sie höchstwahrscheinlich schon morgen treffen wird, nicht mehr vermögen, Sie zu einem unbesonnenen Entschluß zu verleiten.“ „Mich verleiten?“ rief Grahl. „Zu einem Entschluß? Ich habe keine Veranlassung ... Was? Halten mich meine Kollegen für schwachsinnig – wie?“ Gertrud, ein Tablett vorsichtig in Händen tragend, kam an die Tür. Herr Uri sprang auf, um ihr behilflich zu sein. Und während der Stunde, für die Uri noch blieb, konnte er solch ein gutmütiges frohes Geplauder mit der Tochter seines Kollegen treiben, als wäre an diesem Abend von gar nichts Ernstem die Rede gewesen. Neuntes Kapitel. Am nächsten Morgen fand Grahl, wie erwartet, den Brief. Er hatte bereits ein kurzgehaltenes Antwortschreiben verfaßt, in dem er erklärte, es gäbe für ihn keine Veranlassung, von dem Amt, zu welchem die Stimmen der Wähler ihn berufen hatten, zurückzutreten. – Er ersuchte einen Boten, dies Schreiben zu überbringen, und blieb in einem Gefühl von Befriedigung und Verzweiflung zurück. Um sein laut klopfendes Herz zu beschwichtigen, wiederholte er sich mit gemurmelten Worten, daß das Gesetz seine Stellung auf zweifache Weise schützte. Aber die innerliche Empfindung von dennoch nagender Angst entsprang der Gewißheit von einem dunkel sich näher gegen ihn wälzenden Ende. Er hörte die triumphierenden Hörner der Jäger, das Kläffen der Hunde. Seine Stirne nickte kaum merkbar, nickte unaufhörlich nach dem unaufhörlichen Takt seines klopfenden Herzens. Am Nachmittage wurde ihm ein Schreiben gebracht, des Inhalts, daß sämtliche Ausschußmitglieder von ihrem Amte zurückgetreten wären, um einen vom Personal neu zu wählenden Ausschuß zu ermöglichen und somit das unerwünschte Nebeneinander mit Grahl zu lösen. – Grahl, ohne merkbar mit einer Miene zu zucken, steckte den Brief in die Tasche. Nun wußte er auch, daß es eben diese Maßnahme war, die er gefürchtet hatte, als die Empfindung von Angst in ihm zu klopfen begann. Für eine halbe Stunde und länger war sein Denken gelähmt. Dann schrieb er mit fiebernder Hand einen Brief: Er protestierte; er verlangte Gehör. Die Erregung in ihm, die nach entscheidender Aussprache drängte, trieb ihn, mit eigenen Händen den Brief in die Revisionsabteilung Herrn Baaß zu bringen. O, er kannte sie wohl, seine Kollegen vom Ausschuß. Sie standen nun alle unter dem Einfluß von Karst, dem sie gut zu gefallen suchten; der selber nun wohl eine Gunstbezeugung für die Vollstrecker seines Willens daran wenden mußte, nachdem dieser sein Wille, in unmittelbarem Angriff auf Grahl, sein Ziel nicht hatte erreichen können ... Als er in dem langen Flur, dicht bei der Kantine, an der Tafel vorbeigehen wollte, wo für die Angestellten wichtige Mitteilungen zu finden waren, blickte ihn die Ueberschrift eines Aufrufs an: „Neuwahl zum Ausschuß am 29. Oktober“. – Grahl blieb stehen. Sein Herz stand still. Es war schon zu spät. Nun hieß ein Versuch, die Gegner von ihrem Unrecht zu überzeugen, sich vor ihnen zur Erde beugen ... umsonst sich zur Erde beugen. – Er wendete sich mit schurrenden Sohlen und kehrte den Weg über den langen Flur, sich nah an den getünchten Wänden haltend, zurück. Das Oktoberwetter umpfiff ihn, als er den Weg nach Hause ging. War er vogelfrei? Mit seinem Mandat ging seine Immunität verloren. Ein Versuch zu erneuter Kandidatur wäre sinnlos. Aber dann blieb noch ein anderes Recht. Er konnte noch als einfacher Angestellter den bald neugebildeten Ausschuß zum Einspruch gegen die Kündigung aufrufen, die ihn voraussichtlich am letzten Tage des Monats traf. Aber die Hoffnung, die ihn auf diesem Wege begleiten konnte, war lächerlich winzig. Denn sicherlich würde die Mehrzahl der alten Ausschußmitglieder den neu zu wählenden Ausschuß bilden. Die Auflösung samt der folgenden Wahl – dies war ein taktischer Zug, wahrscheinlich betrieben von Karst, den Buchhalter Jakob Grahl aus dem Amt zu entfernen. War er nicht vogelfrei? Am 29. Oktober wird ihn ein Brief von seinem erloschenen Mandat in Kenntnis setzen, am 31. ein anderer von seiner Entlassung am 1. Dezember. Dann kann er noch einmal zum neuen Ausschuß gehen, der sich im besten Fall aus anderen Untertanen zusammensetzt als der alte – das kann er, als der gekündigte Buchhalter Grahl ... aber er wird es nicht tun. Er hüpfte von einem Fuß auf den andern. Obgleich ihm der Wind ins Gesicht pfiff, glühte die Stirn. Nur die Finger, in seinen Manteltaschen, und die hüpfenden Füße waren eiskalt. * * * * * Aber es kam noch anders, als er erwartet hatte. Am Morgen des Neunundzwanzigsten war an Stelle des Aufrufs zur Wahl eine Mitteilung an die Tafel geheftet: Aus Mangel an Kandidaten konnte die Wahl nicht vonstatten gehen. – Es gab also keinen Ausschuß mehr. – Niemand wünschte durch die Eigenschaft als Führer des Personals in einen etwaigen Konflikt mit der Leitung der Firma zu geraten. Man hatte ja wohl bemerkt, wie wenig Sicherheit eine Immunität bedeutet, wenn sie Herrn Karst nicht gefällt ... Mit der Kündigung, welche Grahl erwartungsgemäß am Vormittag des 31. Oktober (zum 1. Dezember) erhielt, wurde ihm sein Gehalt für den vergangenen Monat verabfolgt. An der Summe fehlte beinahe ein Drittel zu seinem Monatssalär. Er wandte sich an den Kassierer, der ihm erklärte, daß für den vergangenen Monat der Gehaltstarif für Boten und Packer, nach welchem der Vorgänger auf seinem Posten gelohnt worden war, auch für _ihn_ Geltung hätte. – Ohne zu merken, daß er gegen Böcke rannte, und Menschen, die ihm im Wege standen, beiseite stieß, lief Grahl durchs Kontor und trat in den „Glaskasten“ ein, wo Herr Karst, einen Brief diktierend, am Schreibtisch saß. Ehe Grahl den ersten Satz mit hastiger, oft versagender Kehle zu Ende gesprochen hatte, hielt ihm Karst einen geschlossenen Umschlag entgegen. Er trug eine Aufschrift: „Zeugnis für Jakob Grahl“. – Grahl hörte Herrn Karst noch die Worte sagen: „Sie können nach Hause gehen. Die Firma verzichtet auf Ihre Tätigkeit, obgleich das Dienstverhältnis bis zum 1. Dezember geht. Sie brauchen nicht wiederzukommen. _Trotzdem_ wird Ihnen am Letzten des kommenden Monats das Gehalt für einen Boten bezahlt. Adieu.“ Herr Karst fuhr fort, einen Brief zu diktieren. Grahl wollte entgegnen ... aber es schien ihm dann, als wäre es sinnlos, etwas zu sagen. – „Vollkommen sinnlos,“ sagte er mit vernehmlicher Stimme und stand im Regen vorm Haus. * * * * * „....., den 31. Oktober 1924. Herrn Jakob Grahl. Am 29. Oktober 1924 ist das Mandat des alten Angestelltenausschusses erloschen. Ein neuer Ausschuß ist nicht gewählt worden. Es besteht also seit diesem Tage kein Ausschuß mehr. Mit dem Erlöschen des Mandats des alten Angestelltenausschusses ist auch Ihre Zugehörigkeit zum Angestelltenausschuß erloschen. Die Voraussetzungen, weswegen uns von seiten des Arbeitsgerichts eine Kündigung versagt worden ist, sind somit in Fortfall gekommen. Wir kündigen Ihnen daher hiermit Ihre Stellung zum 1. Dezember 1924. Hochachtungsvoll Winter, Komm.-Ges. (Personalleitung) Karst.“ * * * * * „....., den 31. Oktober 1924. Zeugnis. Herr Jakob Grahl war vom 1. Mai 1898 bis 31. Oktober 1924 bei uns beschäftigt. Er fand während dieser Zeit in verschiedenen Abteilungen Verwendung und erledigte die leichteren Arbeiten zu unserer Zufriedenheit. Das Vertragsverhältnis wurde von uns zum 1. Dezember 1924 gelöst, weil Herr Grahl sich den Anforderungen unserer Buchhaltung nicht gewachsen zeigte und wir eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn in anderen Abteilungen nicht fanden. Seine Führung war, abgesehen von den letzten drei Monaten, gut. ppa. Winter, Komm-Ges. Karst.“ Zehntes Kapitel. Zu seiner Verwunderung fand er zu Hause weder Gertrud noch Hermann, obgleich der Eingang zur Wohnung unverschlossen gewesen war. Es war ihm recht, mit sich selber allein zu sein. Er legte sich, bleierne Schwere in Kopf und Füßen, aufs Sofa. Er wünschte zu schlafen, um vor den Gedanken, die hinter der Stirne eilig wie Mäuse durcheinanderflohen, Ruhe zu haben. Er fand sich nicht fähig, den in seiner Sache notwendigen Entschluß zu fassen. In Wirklichkeit – sagte er sich, wenn er die letzte Kraft seines Denkens für einen Augenblick zu sammeln vermochte – in Wirklichkeit muß die Verteidigung gegen das Unrecht, das mir getan worden ist, einfach sein; obgleich diese Pflicht, mich zu wehren, wie eine unabwälzbare Last auf mir kniend, mich lähmt ... Plötzlich wurde die Wohnungstür in nervöser Hast mit dem Schlüssel geöffnet. Die Stubentür wurde aufgerissen; Hermann, bleich und mit klebrigem Haar, rief verzweifelt: „Vater, komm mit.“ Grahl sprang auf. In diesem Augenblick fühlte er nichts mehr von seinen Leiden, er stolperte durch den Flur, und ohne den Hut aufzusetzen, folgte er seinem Sohn die Treppen hinunter, indem er beständig sagte: „Was ist denn geschehen? Ist deiner Mutter etwas geschehen?“ und Hermann mit seiner abgehetzten heiseren Kehle hervorstieß: „Komm mit, ich erzähle dir unterwegs.“ An der Haltestation der Straßenbahn blickte Hermann den Lauf der Schienen hinunter. „Wir müssen laufen, es kommt keine Bahn,“ flüsterte er, und ohne zu zögern, warf er den Körper herum und hastete weiter. – „Hermann, ich folge nicht mehr – keinen Schritt“ – keuchte der Vater, „wenn ich nicht nun erfahre ... Ist deiner Mutter ... oder ist Gertrud ... Hermann ...“ „Gertrud,“ stieß Hermann im Laufen heraus, „ist heute früh zum Gefängnis gegangen. Sie kam dann zurück und holte mich – wie ich dich. Als ich von ihr erfuhr, was geschehen war, angeblich geschehen, lief ich zu dir ins Bureau. Dort sagte man mir, du wärest nach Hause gegangen. So ist es gewesen ...“ „Was ist denn geschehen?“ „Es ist vielleicht gar nicht geschehen, gar nicht so furchtbar, Vater ... aber du mußt denken, bei dir ... du mußt dir das Furchtbarste denken. Dann bist du sicher ... vor jeder Nachricht, die uns erwartet. Stelle dir vor ... das Schlimmste – es braucht darum nicht zu _sein_.“ „Ich stelle mir nun das Schlimmste vor – Hermann – ist es so?“ „Ich weiß es selber nicht, Vater. Ich weiß es nicht.“ So rannten sie bis zum Bahnhof, wo sie den Vorortzug, mit dem sie zur Wette gelaufen waren, davonfahren sehen mußten. Sie hatten eine Viertelstunde zu warten, sie gingen, jeder für sich, umher. Sie blickten aneinander vorbei und schwiegen. Im Abteil führten sie eine Unterhaltung, die darin bestand, daß Grahl seinen Sohn – und Hermann den Vater ermahnte, des Schlimmsten gewärtig zu bleiben ... des Schlimmsten, das denn nichts anderes als ein natürlicher Punkt des Lebens sei. „Ich denke meine Gedanken zu Ende, Vater, und bleibe ruhig. Bleibe auch du ruhig, Vater.“ „Ich kann was vertragen, Hermann. Man muß auch mal zeigen, daß man sich meistern kann. – Uebrigens ist es noch gar nicht gesagt ...“ „Natürlich ist es nur eine Sicherheit gegen den äußersten Fall, wenn wir uns ...“ „Ganz ruhig bleiben, mein Junge, ganz ruhig ...“ Als sie aber in einer Räumlichkeit mit nackten Wänden an der Bahre standen, auf welcher die Strafgefangene Anna Grahl mit ein wenig geöffneten Augen lag, waren die Vorbereitungen gänzlich vergessen. Hermann, mit dem Ausdruck eines skeptischen Philosophen, stand an der langen Seite der Bahre, die Brauen herunter-, den Mundwinkel aufwärts gezogen, als nähme er mit schlichter Nachdenklichkeit das Geschehnis zur Kenntnis. Er nickte sogar in einer Weise, als fände er hier eine naturwissenschaftliche Annahme bestätigt. Dann ging er hinaus. – Grahl hatte zuerst überrascht geblickt. Dann betrachtete er mit einer Miene von Grauen, Schrecken und schmerzlicher Verdrossenheit die durch einen Spalt glänzend blickenden Augen in jenem bekannten unbekannten Gesicht, auf welchem trotz der Verzerrtheit des Mundes die hohe Fremdheit vollkommener Ruhe und unendlicher stiller Entferntheit schwieg. Dann wich sein Blick zur Seite, wo, neben der Bahre, ein Halstuch lag, zusammengerollt wie ein Strick. Er sah wieder die offenen Lippen, die tiefe Färbung des Angesichts – seine Augen gingen langsam über die fremde geöffnete Kleidung und langsam wieder hinauf bis zur Stirn ... Mißtrauen und ängstliche Ahnung, wie sie sich eines Knaben in unbekannter geheimnisvoller Umgebung bemächtigten, runzelten seine Haut überm Brillensattel. „Anna,“ sagte er leise ... „lebst du nicht mehr?“ Es schien ihm, als zuckte die Unterlippe. – Kein Laut. Da stampfte Grahl mit dem Fuß. Es war aus. Und der Schmerz, der Kampf, die Arbeit ums Leben – was sie beide gemeinsam gehabt und getragen ... Das war alles umsonst? War nur dies? Schon wieder besiegt? Schon wieder besiegt? Ja, ungerecht wie die Menschen – so war auch der Tod. Elftes Kapitel. Am Abend saßen die Kinder Grahls, jedes für sich beschäftigt, am Tisch, während ihr Vater mit blauen Schläfen regungslos auf dem Sofa lag. Es klingelte an der Wohnungstür und Herr Uri kam. Beim Anblick der gramdurchfurchten Gesichter legte Herr Uri für einen Augenblick den Kopf auf die Seite, als sagte er bei sich selbst: Welch ein Unglück, ja, ja ... diese Kündigung. – Aber ehe er über die Ereignisse im Kontor hätte beginnen können, sagte der Alte mit einer bedeutungsvollen Bewegung: „Sie kommen zur rechten Zeit, mein Lieber. Ich möchte mit Ihnen ein wenig spazieren gehen. Ich brauche Luft um die Stirn.“ Er erhob sich vom Sofa. Aber indem er merklich erbleichte, fiel er zurück. „Es ist nichts,“ sagte er nach einer Pause mit schwachem Lächeln, „draußen wird das vorübergehen.“ Er strich seinen Kindern mit einer ruhigen Bewegung über die Scheitel. Gertrud neigte den Kopf noch tiefer und brachte endlich ihr Nähzeug lautlos bis an die Augen. An der Treppe zögerte Grahl. „Geben Sie mir Ihren Arm, mein Lieber ... ich weiß nicht ... die Treppe ...“ Herr Uri führte ihn langsam hinunter. Die frische sternklare Straße machte ihn tiefer atmen, er seufzte. Es war, als ob von Augenblick zu Augenblick Regungen eines hohen Schmerzes zitternd vom Kopfe zum Herzen liefen, sein Gemüt mit jenem Frieden erfüllend, den die Demut unter das Schicksal erzeugt. – Herr Uri berichtete unterdessen, gleichsam zum Troste, von einigen Mißvergnügten im Personal, die ihrer Empörung über den Abschied des Alten Ausdruck zu geben begannen. Es hatte sich nun herausgestellt, daß der Nachfolger Grahls in der Paketannahme – eben derselbe Angestellte war, der früher den Posten gehalten hatte. Es war ein Bote, welchem die Firma den Urlaub für das vorgehende Jahr noch schuldete. – In seiner Abwesenheit hatte man Grahl auf den Posten gestellt, mit seinem Wiedererscheinen hatte man ihn entlassen. „Glauben Sie denn,“ fragte Grahl, „daß diese Stimmen, die sich nun einzeln für mich erheben, nachdem sie so lange geschwiegen haben – glauben Sie, daß diese Stimmen etwas vermögen, nachdem die letzte Vertretung des Personals unter der Macht des Geldherrn und unter der Vorsichtigkeit der Angestellten vergangen ist?“ Herr Uri schwieg. Dann sagte er leiser: „Das ist wahr – unser Recht ist dahin.“ „Wir wollen nicht davon reden, Uri,“ sagte der Alte; „wenn es so und nicht anders auf Erden ist, kann man wohl schlecht was dagegen sagen. Geben Sie mir bitte Ihren Arm. – – Heute vormittag, Uri, hat meine Frau mittels eines Tuches, das sie sich etwas fest um den Hals wickelte, ihre aristokratische Gleichgültigkeit gegen dies Leben öffentlich kundgetan. Ich bin ganz verwirrt, muß ich sagen. Sie ist davon gegangen – sie hielt es für gut – mich ließ sie beinahe beschämt zurück. Uri, einige sterben, weil sie sich vor den Menschen fürchten; andere, weil sie sich eingestehen, daß sie nicht ins rechte Milieu geraten sind, als sie in die Menschenwelt eingelassen wurden. Ich weiß nicht recht ... ich habe einen Respekt. Wenn ein Mensch nicht mehr weiter kann und daher umkehrt – dann heißt man das: Schwäche. Meine Frau war stark, da ist gar kein Zweifel. Sie hat sich bestimmt nicht zurückgezogen aus Furcht. Sie konnte den Kopf so hoch wie sie wollte tragen. Das hätte sie auch in dieser Sache vermocht. Sie hatte da eine Sache, Uri, müssen Sie wissen ... Gut, Anna war also stark. Aber ich? Ich habe um Anna, wenn ich sie lächeln sah – ich verstand ihr Lächeln so gut, so ganz, daß ich mich heute nicht hätte wundern sollen – ich habe um sie so gezittert und so an der Seele geblutet, daß ich nichts mehr vom Leben wußte und sah, außer ihr. Die äußere Welt, in der ich gebunden war, verlor ihre Wirklichkeit, ich kannte in ihr meinen Platz nicht mehr, es gab für mich keine Sorgen, noch Pflichten – ich lebte mit ihrem Leben, mit ihrem Leiden hab ich gelitten, ich war über Tag und Nacht in der Seele der Frau, die so lächeln konnte, daß ich mich für die Menschheit schämte, die dies Lächeln herausgefordert hatte. Sie müssen wissen, man hat sie verklagt und vor die Richter gebracht. Um einen Dreck und nichts ... Aber weiter von mir. Sie sehen, das war meine Schwäche. Meine wesentliche Verwandlung, deren Zeuge Sie waren, Uri, in deren Verlauf meine Hände lahmten, und alle mich für stumpf und ermattet hielten – diese Verwandlung führte mich ins heftigste innerste Leben. Aber ich hätte da Einhalt gebieten müssen, nicht wahr ... Auf den Gedanken komme ich erst jetzt. Es sollten einige ausgemustert werden – und weil ich der Schwächste schien, griffen sie mich. Ich hätte auch, als sie im Ausschuß begannen, mich an den Rand zu drängen, mit ganz anderen Mitteln mich wehren müssen. Man kann sich ja wohl auch anders wehren, nicht wahr? Ich hätte Baaß nicht beleidigen sollen, oder, nachdem ich es einmal getan, hätte ich unternehmen sollen, ihn zu versöhnen. Ihn hätte ich auf den Abend an meinen Tisch zu einer Flasche Wein bitten sollen – statt dessen habe ich _Sie_ eingeladen. Ich hätte ein Machtmittel bei mir behalten sollen, einen Austauschwert – statt dessen ließ ich mir alles nehmen und behielt nur mein Recht. Ich war bis zum Schluß der irrigen Meinung, die höchste Macht sei – das Recht. Uebrigens – und Sie können hieran meine ganze Schwäche erkennen – dieser Meinung bin ich noch jetzt. Ich habe keine Kraft, sie von mir zu tun, keine Gelegenheit – nämlich keinen Wunsch. Wenn ich wünschte, im Unrecht zu sein, wünschte ich nicht mehr, meine Sache zu gewinnen. Und wie ich nun einmal bin, rief ich nicht einmal Beistand zu Hilfe – ich sah alles so einfach an, ich war ja im Recht. Wenn die Natur mich für einen kurzen Abschnitt verwandelt, so daß meine Kraft, wie in Krankheit, lahmt, so bin ich doch eben im Recht ... und die Menschen müssen dies Recht respektieren, ohne Erklärung von meiner Seite, ohne Preisgabe eines Gefühls, dessen Art es ist, stumm im Leben zu bleiben. Gott sorgt für alle, heißt es zu unrecht, wie ich bemerke; aber ein reicher Mann, das Haupt einer Kommanditgesellschaft, kann für tausend sorgen, wenn er nur will. Unter den Tausenden einer mußte hinaus – denn dieses einen Monatssalär wollte ein Sparsamer sparen – dieser eine war ich – ich war schwach – _denn_ ich war schwach – dies „denn“ ist sehr wichtig – verstehen Sie mich – es empört mich – ja ... ja, ich bin schwach ...“ Er hatte sich aus dem Arm Uris gerissen. Etwa zehn Schritte noch ging er fort. Dann wurde sein Gang ein Torkeln vornüber. Er torkelte auf die Seite, wo eine Laterne stand. Mit der Absicht, sich anzuklammern, hob er den rechten Arm. Aber plötzlich fiel der Arm herab. Grahl sank in die Knie, schlug zur Seite, machte noch eine kurze Bewegung und lag regungslos auf dem Pflaster. „Was ist Ihnen ... Grahl ...“ sagte Uri, indem er die zerbrochene Brille hinter den Ohren des Liegenden löste. Dann wendete er ihn mühsam in das Licht der Laterne, blickte ihm in die Augen und schwieg. Zwölftes Kapitel. Einige Tage nach dem Begräbnis ihrer Eltern saß Gertrud abends allein am Tisch, die Augen auf beide Arme gelegt. Ueber ihr zischte leise das Gaslicht. Vor ihr stand die Lade einer Kommode, deren Inhalt zum Teil auf dem Tisch ausgebreitet war. Mit ihren Armen lag Gertrud auf einigen Blättern beschriebenen Briefpapiers. Neben ihr krümmte sich ein besonderes Blatt, welches wahrscheinlich zerknüllt in dem Schubfach gelegen hatte, denn es bog sich mit vielen Falten und knackte, als wollte es sich nicht in die neue Lage gewöhnen. Dies Fach, das Gertrud an diesem Abend zu sichten unternommen hatte, war Frau Annas Privatfach gewesen, in welches noch keines der Kinder Einblick genommen hatte. Gertrud, um sie ihrem Bruder zu ersparen, hatte entschlossen die gefürchtete Arbeit begonnen. Aber nun stockte sie schon, von der Gegenwart dieser lebendigen Schrift übermannt, unter aufsteigenden Erinnerungen. Plötzlich klopfte es an die Tür und Herr Uri war da. Gertrud sprang auf. Herr Uri mußte von Hermann, der eben die Wohnung verlassen hatte, eingelassen worden sein. Auf seinen Gruß erhielt er ein schmerzliches Lächeln zur Antwort, er hörte den hellen Ton unterdrückten Schluchzens – und befand sich, ehe er noch zu Worte gekommen war, allein in der Stube. Mit dem dringenden Wunsche, diesem Mädchen, dem von ihren Eltern geblieben war, was sich auf einem Tische ausbreiten ließ, Trost, Hilfe und – wenn es die Konstellation ergäbe – mehr noch zu bringen, ließ sich Herr Uri auf dem Sofa nieder. Es gingen Minuten vorbei. Die Wanduhr schlug. Endlich bemerkte er das Blatt, das offensichtlich einmal zerknüllt gewesen war, und las. „Sehr geehrter Herr Mörk! Sie haben mich beim Gericht verklagt. Sie denken wahrscheinlich bei sich: Diese Frau ist eine Verbrecherin, es ist gut, sie vor die Richter zu bringen. Wenn ich Ihnen aber dagegen sage, daß ich in meinem Leben bis heute – da mir von meinen blonden Haaren das letzte ergraut ist – noch niemals versuchte, irgend jemandem mit Bedacht zu schaden, und daß mein Unrecht, wenn es nun einmal zu existieren scheint, ein Spiel des Unglücks mit meinem ehrlichen Namen ist – so ziehen Sie vielleicht die Anklage, die Sie gegen mich führen, zurück? Was mir auch vom Gericht aus geschehen möge, ich werde nicht vor Schande und auch nicht vom Hohn meiner Nachbarn sterben. Aber der Gedanke, ein falsches Urteil entgegennehmen zu müssen, das ist für mich ein Todesgedanke. Ich weiß, daß vieles gegen mich zeugt, und ich sage Ihnen: Ich bin _doch_ nicht schuldig. Und ich werde es _nicht_ ertragen.“ An Stelle der Unterschrift standen folgende Worte: „Nie im Leben schick ich dies ab.“ Herr Uri nahm die Blätter von Gertruds Platz. „Abschrift. Herr Mörk! Wäre ich Ihre Mutter, und ich würde von meines dreißigjährigen Sohnes Bosheit erfahren, von seiner schamlosen Art – ich würde vergessen, daß dies giftige Wesen mein Sohn ist. Wir kennen alle den Grund zu diesem Prozeß, mit dem Sie uns einige Monate drohten, ehe Sie ihn zur Ausführung brachten. Da die Drohungen mein Kind nicht zu Ihrer Verfügung willfährig machten, so wollen Sie doch Ihre Rache haben! Die haben Sie jetzt. Aber Sie haben auch einen Schlag ins Gesicht erhalten, von der Hand meiner Tochter! Ich glaube, Sie denken länger daran, als ich an die armselige Rache von Ihnen. Ich gehe singend ins Gefängnis hinein, mir ist das eine kleine Erholung. Ich speie Sie an! Anna Grahl.“ „(Für den Gerichtstag.) Herr Richter! Jetzt will _ich_ einmal diese Sache berichten. Es handelt sich um einen Stuhl. Dieser Stuhl, der kostbarste in meinem Hause, war ein Sessel mit rotem Seidenplüschbezug. Weil er war der schönste Sessel, den ich hatte, stand er im Vorderzimmer, wo alle guten Möbel stehen. Dies Vorderzimmer bewohnte Herr Mörk. Er hat meinen Sessel so schlecht behandelt, als wäre der Stuhl eine Waschtischplatte. Flecke im Stoff und Schrammen am Holz fand ich immer neu. Endlich verlangte ich, daß Herr Mörk meinen Stuhl reparieren lasse. Herr Mörk sagte: ja. Und ich denke mir, Herr Mörk hat gewußt, warum er nicht gern von dem Sessel sprach. (Bei dieser Stelle sehe ich Mörk an, mit einem vielbedeutenden Blick, so daß die Richter sich denken können, bei welchen Gelegenheiten mein Sessel zu Schaden kam.) Der Tapezierer holte den Sessel und behielt ihn einige Wochen. Nun hatte ich aber inzwischen die Wohnungsmiete zu bezahlen. Ich brauchte Geld. Herr Mörk ist der einzige Mieter in meiner Wohnung gewesen. Mein Sohn ist Student, meine Tochter lernt Schneiderei, nur der Vater verdient für uns alle. Ich verlangte Herrn Mörk nun die Summe ab, die mir der Tapezierer als Kosten für seine Arbeit zum Voraus genannt hat. Das waren fünfzehn Mark. Denn der Stuhl war verschandelt. Herr Mörk hat gefragt, wo der Stuhl denn nun wäre. Der Stuhl war damals beim Tapezierer. Ich gab ihm zur Antwort: Den Sessel bekäme er niemals wieder. Weil nun Herr Mörk nicht gern von dem Sessel spricht (hier seh ich Mörk wieder an), bezahlte er mir die fünfzehn Mark und war still. Aber einige Wochen später, als der Stuhl schon wieder im Hause war und bei uns in der Stube stand, wollte Herr Mörk die Quittung des Tapezierers sehen. Ich hatte nun eine Rechnung, die lautete über acht Mark und fünfzig. Diese Summe hab ich bezahlt, als der Tapezierer den Sessel zurück in die Wohnung brachte. Ich hatte damals bei mir gedacht: Eigentlich sollte das teurer werden. – Aber weiter nichts. Wie Herr Mörk nun die Rechnung zu sehen verlangte, merkte ich, daß ich ins Unrecht kam. Darum ging ich zum Tapezierer, er sollte mir eine Rechnung geben von fünfzehn Mark, und ich wollte ihm sechs Mark und fünfzig dazu bezahlen. Der Tapezierer fragte, weshalb ich es teurer haben wollte, und ich erzählte ihm das. Da wollte der Tapezierer nicht. Ich sagte ihm aber, er _müsse_ – weil er mir doch zum Voraus _fünfzehn_ Mark, aber nicht acht Mark und fünfzig gesagt hat. Er antwortete mir, es hätte weniger Arbeit gemacht als er dachte. Und es bliebe dabei. Da habe ich ihm erklärt, was er täte, und habe ihm auch gesagt, wie Herr Mörk es nicht gut mit uns meinte. Der Tapezierer wollte trotzdem nicht. Da bin ich nach Hause gegangen und habe mir ein Stück Rechenpapier genommen und habe die Rechnung des Tapezierers darauf geschrieben und am Ende die Zahl, die der Tapezierer im Anfang genannt hat. Herr Mörk ist zum Tapezierer gegangen, der erzählte ihm dann den Sachverhalt. Nun hat mich Herr Mörk vor Gericht gebracht, obgleich er wohl wußte, wie einfach die sechs Mark und fünfzig auf gütlichem Wege von mir zu haben waren. Herr Mörk war aber nicht auf sein Geld, sondern auf seine Rache bedacht –“ „Diese Rede hat meine unglückliche Mutter fest im Gedächtnis gehabt,“ sagte Gertrud, die vor Herrn Uri stand, „und schon im ersten Satz unterbrach sie der Richter so schroff, daß sie für die folgende Verhandlung fast gänzlich verstummte. Lesen Sie diesen Zeitungsbericht. Sagen Sie mir, weshalb sind die Richter und Zeitungsleute so grausam? Ist es nicht _so_ genug?“ „Warum denn nicht?“ hieß die Ueberschrift des Artikels. – Warum denn nicht, sagte Frau Anna Grahl, die sich gestern vor dem Richter zu verantworten hatte, warum soll ich nicht sechs Mark und fünfzig verdienen? Und sie ahmte mit emsigem Fleiß die Handschrift es Tapezierers nach, um die vollendete Abschrift dem Untermieter Herrn Mörk, der seinerseits die Reparatur für einen zuschanden gerittenen Sessel zu zahlen hatte, mit dem kleinen Aufschlag von achtzig Prozent zu präsentieren. Herr Mörk aber sagte nun umgekehrt: Warum denn ja? und besuchte einmal den Tapezierer Herrn Bethge – „Dieser Schreiberhund gehört vor Gericht,“ brummte Herr Uri, dem der Zorn das Blut in die Stirne getrieben hatte. „Er lebt von dem Schicksal der vor den Richter Geladenen und ist ihnen dankbar, indem er seinen erbärmlichen Witz daran wendet, sie zu verhöhnen.“ „Ja, es war genug, um zwei Menschen davonzujagen!“ Herr Uri erhob sich und stand gerade vor Gertrud. „Nein,“ sagte er ruhig, „sie sind Beide an einem Tage gegangen, mit einem schlechten Geschmack vom Leben, aber durchaus nicht gejagt. Ihre Mutter war konsequent genug, dies ihr Erlebnis ins allgemeine zu übertragen. Sie sah den Menschen den Zähnen der Hunde ausgesetzt, – er braucht sich nur eine Blöße zu geben. Sie wünschte nicht solchen dauernden Zustand, für den ihr nicht Mut, aber Knechtseligkeit, Unterwürfigkeit, Listigkeit fehlte – und vor allem die Schwäche, ein sinnloses Leben zu Ende zu führen. Ein vor Gewalt ungesichertes Dasein war sinnlos für sie, ihr fehlte die Müdigkeit, unfrei zu leben. Sie war noch nicht zahm. So war auch Grahl. Er lebte verständig, gerecht – und an dem Tage, als er bemerkte, man müsse das Beste im Leben freiwillig vernichten, um unter den Menschen im Kampf zu bestehen, da ging sein Dasein von selber zu Ende. Es ist nicht Stärke – wie die Leute so gerne behaupten, um sich selbst zu bemänteln –, sondern Schwäche, wenn sie ein Leben, das sie für sinnlos halten, doch weiter führen. Alle bemühen sich, zahm zu sein. Sehen Sie Ihren Bruder Hermann. Er ist wie Ihr Vater. Aber er fürchtet sich, er will nicht so sein, er kennt seinen Untergang mit seinem starken, trotzigen Herzen als Steuer. Darum zieht er sich lieber vor sich selber zurück, er ist sich gefährlich. – Er taucht in die Tiefe, um mit den anderen zu leben, zu handeln und ihre Sprache zu sprechen. Man nennt die Sieger im Kampf unter Menschen die Starken – aber die wahren Starken sind zu stark für dies Leben.“ Es entstand eine Pause. „Noch eins,“ sagte Uri, und zog seinen braunblonden Schnurrbart. „Noch eins“ – und er wurde fast rot – „ist das Zimmer von diesem Mörk noch leer?“ „Ja,“ sagte Gertrud. „Ich möchte da wohnen,“ sagte Herr Uri. „Sie –?“ fragte Gertrud und stockte. „Morgen,“ fragte Herr Uri, „ziehe ich ein?“ Anmerkungen zur Transkription Die einzige Veröffentlichung von „Zu stark für dies Leben“ wurde vom 21. Juni bis zum 10. Juli 1927 im „Vorwärts“, Berlin, in 14 Folgen gedruckt: 1. 25. Juni, S. 5 2. 26. Juni, S. 5 3. 28. Juni, S. 5 4. 29. Juni, S. 5 5. 30. Juni, S. 5 6. 1. Juli, S. 5 7. 2. Juli, S. 5 8. 3. Juli, S. 5 9. 5. Juli, S. 5 10. 6. Juli, S. 5 11. 7. Juli, S. 5 12. 8. Juli, S. 5 13. 9. Juli, S. 5 14. 10. Juli, S. 5 Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher): [Folge 2]: ... Der „Geiger“, dem sein Violinspiel in Kaffeehäusern nicht ... ... Der „Geiger“, den sein Violinspiel in Kaffeehäusern nicht ... [Folge 3]: ... unmöglich am vorletzten Tages des Monats – es war der ... ... unmöglich am vorletzten Tage des Monats – es war der ... [Folge 4]: ... Tage, erschien ihm das als Verrat, als den Bruch einer Pflicht. ... ... Tage, erschien ihm das als Verrat, als der Bruch einer Pflicht. ... [Folge 7]: ... mit niemals lahmenden Willen die Kraft seines Denkens und ... ... mit niemals lahmendem Willen die Kraft seines Denkens und ... [Folge 10]: ... ersten November den Dienst hier quittieren!“ – „Ich denke ... ... ersten November den Dienst hier quittieren?“ – „Ich denke ... [Folge 11]: ... er nicht vogelfrei? Am 29. Oktober wird ihm ein Brief von ... ... er nicht vogelfrei? Am 29. Oktober wird ihn ein Brief von ... *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ZU STARK FÜR DIES LEBEN *** Updated editions will replace the previous one—the old editions will be renamed. Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright law means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part of this license, apply to copying and distributing Project Gutenberg™ electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG™ concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark, and may not be used if you charge for an eBook, except by following the terms of the trademark license, including paying royalties for use of the Project Gutenberg trademark. If you do not charge anything for copies of this eBook, complying with the trademark license is very easy. You may use this eBook for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports, performances and research. Project Gutenberg eBooks may be modified and printed and given away—you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the trademark license, especially commercial redistribution. START: FULL LICENSE THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK To protect the Project Gutenberg™ mission of promoting the free distribution of electronic works, by using or distributing this work (or any other work associated in any way with the phrase “Project Gutenberg”), you agree to comply with all the terms of the Full Project Gutenberg™ License available with this file or online at www.gutenberg.org/license. Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project Gutenberg™ electronic works 1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg™ electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to and accept all the terms of this license and intellectual property (trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all the terms of this agreement, you must cease using and return or destroy all copies of Project Gutenberg™ electronic works in your possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a Project Gutenberg™ electronic work and you do not agree to be bound by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph 1.E.8. 1.B. “Project Gutenberg” is a registered trademark. It may only be used on or associated in any way with an electronic work by people who agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few things that you can do with most Project Gutenberg™ electronic works even without complying with the full terms of this agreement. See paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project Gutenberg™ electronic works if you follow the terms of this agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg™ electronic works. See paragraph 1.E below. 1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation (“the Foundation” or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection of Project Gutenberg™ electronic works. Nearly all the individual works in the collection are in the public domain in the United States. If an individual work is unprotected by copyright law in the United States and you are located in the United States, we do not claim a right to prevent you from copying, distributing, performing, displaying or creating derivative works based on the work as long as all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope that you will support the Project Gutenberg™ mission of promoting free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg™ works in compliance with the terms of this agreement for keeping the Project Gutenberg™ name associated with the work. You can easily comply with the terms of this agreement by keeping this work in the same format with its attached full Project Gutenberg™ License when you share it without charge with others. 1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern what you can do with this work. Copyright laws in most countries are in a constant state of change. If you are outside the United States, check the laws of your country in addition to the terms of this agreement before downloading, copying, displaying, performing, distributing or creating derivative works based on this work or any other Project Gutenberg™ work. The Foundation makes no representations concerning the copyright status of any work in any country other than the United States. 1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg: 1.E.1. The following sentence, with active links to, or other immediate access to, the full Project Gutenberg™ License must appear prominently whenever any copy of a Project Gutenberg™ work (any work on which the phrase “Project Gutenberg” appears, or with which the phrase “Project Gutenberg” is associated) is accessed, displayed, performed, viewed, copied or distributed: This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most other parts of the world at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the United States, you will have to check the laws of the country where you are located before using this eBook. 1.E.2. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not contain a notice indicating that it is posted with permission of the copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in the United States without paying any fees or charges. If you are redistributing or providing access to a work with the phrase “Project Gutenberg” associated with or appearing on the work, you must comply either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg™ trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.3. If an individual Project Gutenberg™ electronic work is posted with the permission of the copyright holder, your use and distribution must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms will be linked to the Project Gutenberg™ License for all works posted with the permission of the copyright holder found at the beginning of this work. 1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg™ License terms from this work, or any files containing a part of this work or any other work associated with Project Gutenberg™. 1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this electronic work, or any part of this electronic work, without prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with active links or immediate access to the full terms of the Project Gutenberg™ License. 1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary, compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including any word processing or hypertext form. However, if you provide access to or distribute copies of a Project Gutenberg™ work in a format other than “Plain Vanilla ASCII” or other format used in the official version posted on the official Project Gutenberg™ website (www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means of obtaining a copy upon request, of the work in its original “Plain Vanilla ASCII” or other form. Any alternate format must include the full Project Gutenberg™ License as specified in paragraph 1.E.1. 1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying, performing, copying or distributing any Project Gutenberg™ works unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9. 1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing access to or distributing Project Gutenberg™ electronic works provided that: • You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from the use of Project Gutenberg™ works calculated using the method you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed to the owner of the Project Gutenberg™ trademark, but he has agreed to donate royalties under this paragraph to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid within 60 days following each date on which you prepare (or are legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty payments should be clearly marked as such and sent to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in Section 4, “Information about donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation.” • You provide a full refund of any money paid by a user who notifies you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he does not agree to the terms of the full Project Gutenberg™ License. You must require such a user to return or destroy all copies of the works possessed in a physical medium and discontinue all use of and all access to other copies of Project Gutenberg™ works. • You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the electronic work is discovered and reported to you within 90 days of receipt of the work. • You comply with all other terms of this agreement for free distribution of Project Gutenberg™ works. 1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project Gutenberg™ electronic work or group of works on different terms than are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing from the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the manager of the Project Gutenberg™ trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below. 1.F. 1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread works not protected by U.S. copyright law in creating the Project Gutenberg™ collection. Despite these efforts, Project Gutenberg™ electronic works, and the medium on which they may be stored, may contain “Defects,” such as, but not limited to, incomplete, inaccurate or corrupt data, transcription errors, a copyright or other intellectual property infringement, a defective or damaged disk or other medium, a computer virus, or computer codes that damage or cannot be read by your equipment. 1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the “Right of Replacement or Refund” described in paragraph 1.F.3, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project Gutenberg™ trademark, and any other party distributing a Project Gutenberg™ electronic work under this agreement, disclaim all liability to you for damages, costs and expenses, including legal fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH DAMAGE. 1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a written explanation to the person you received the work from. If you received the work on a physical medium, you must return the medium with your written explanation. The person or entity that provided you with the defective work may elect to provide a replacement copy in lieu of a refund. If you received the work electronically, the person or entity providing it to you may choose to give you a second opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If the second copy is also defective, you may demand a refund in writing without further opportunities to fix the problem. 1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE. 1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied warranties or the exclusion or limitation of certain types of damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement violates the law of the state applicable to this agreement, the agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or unenforceability of any provision of this agreement shall not void the remaining provisions. 1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone providing copies of Project Gutenberg™ electronic works in accordance with this agreement, and any volunteers associated with the production, promotion and distribution of Project Gutenberg™ electronic works, harmless from all liability, costs and expenses, including legal fees, that arise directly or indirectly from any of the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any Defect you cause. Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™ Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of electronic works in formats readable by the widest variety of computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg™ and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org. Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit 501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by U.S. federal laws and your state’s laws. The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West, Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to date contact information can be found at the Foundation’s website and official page at www.gutenberg.org/contact Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine-readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. To SEND DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state visit www.gutenberg.org/donate. While we cannot and do not solicit contributions from states where we have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition against accepting unsolicited donations from donors in such states who approach us with offers to donate. International donations are gratefully accepted, but we cannot make any statements concerning tax treatment of donations received from outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff. Please check the Project Gutenberg web pages for current donation methods and addresses. Donations are accepted in a number of other ways including checks, online payments and credit card donations. To donate, please visit: www.gutenberg.org/donate. Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works Professor Michael S. Hart was the originator of the Project Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg™ eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our website which has the main PG search facility: www.gutenberg.org. This website includes information about Project Gutenberg™, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.