Zu stark für dies Leben : Als Fortsetzungsroman im »Vorwärts« (1927)

By Heilbut

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Title: Zu stark für dies Leben
        Als Fortsetzungsroman im »Vorwärts« (1927)

Author: Iwan Heilbut

Release date: August 10, 2025 [eBook #76661]

Language: German

Original publication: Berlin: Vorwärts-Verlag G. m. b. H, 1927

Credits: Jens Sadowski and the Online Distributed Proofreading Team at https://www.pgdp.net. This file was produced from images generously made available by the library of the Friedrich-Ebert-Stiftung.


*** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ZU STARK FÜR DIES LEBEN ***





                        Zu stark für dies Leben.


                           Von Iwan Heilbut.




                            Erstes Kapitel.


„Ich mache Schluß, Herr Grahl.“

„Guten Abend denn, Herr Uri.“

Grahl zog die elektrische Birne, die von einem grüngläsernen Schirm
umgeben, über seinem Graukopf hing, tiefer zu sich herab. Er beugte sich
näher aufs Buch und zeichnete mit dem Lineal zwei sorgfältige Linien,
eine dicke und dicht unter dieser die dünne. Seine Augen hinter den
Brillengläsern verfolgten mit Sorgfalt die Feder, und die Lippen waren
mit einem Ausdruck von Behutsamkeit gespitzt. Die Hände, von schweren
Adern durchlaufen, zitterten leise. Als er mit den Linien fertig war,
wischte er mit einem Ausdruck von Zufriedenheit über den grauen
Schnurrbart.

Uri, ein dreißigjähriger Mann, breitschultrig, mit einem dicken
braunblonden Bart auf der Oberlippe, hatte inzwischen in der Garderobe
die Hände mit Bimsstein gesäubert, das Jackett gewechselt. Er kam nun
durch die lange Reihe zwischen den leeren Pulten an dem Platz vorbei, wo
Grahl vor dem Buch stand, leise murmelnd addierte und schrieb.

„Wir wären wieder die letzten ...“ sagte Herr Uri mit einem Seufzer. Der
Alte nickte und murmelte fort. „Kommen Sie mit mir,“ forderte Uri auf,
„Sie versäumen sonst gewiß noch die Zeit. Und Sie wissen, von welcher
Wichtigkeit die Versammlung ist, die heute abend zu den geplanten
Entlassungen Stellung nimmt. Nicht _ein_ Mann von unserer
Fakturenabteilung darf fehlen.“

„Kann ich denn?“ fragte Grahl und ein Lächeln, das beinahe schmerzlich
zu nennen war, zog seinen schmalen Mund in die Breite. „Ich bin so
entsetzlich im Rückstand mit meiner Arbeit. Sehen Sie, jenen Haufen
Fakturen habe ich geprüft – und dieser Haufen bleibt mir zu prüfen
übrig. Sie bemerken, daß dieser der größere von beiden ist. Ich soll bis
zum dritten Oktober die Arbeit beendet haben, Sie wissen, bis dahin
müssen die Rechnungen fertig zur Zahlung sein. Also vier Tage ... Aber
wie soll ich – wie kann ich – wie werde ich fertig – wenn eben kein
Wunder eintritt ...“

„Unmöglich, Herr Grahl,“ sagte Uri entschieden, „unmöglich, daß Sie, als
Mitglied der Angestelltenvertretung fehlen.“

„Ich kann aber ... ich kann aber nicht ... Sie sehen doch selber ...
Mein Gott, ich will ja nicht leugnen, daß ich den Kollegen durch das
Mandat, das ich habe, verpflichtet bin. Aber bin ich nicht noch fester
an meine Verpflichtung zur _Arbeit_ gebunden, die mir die Firma bezahlt?
Sehen Sie, ich gehe demnächst in die Sechzig. Und während meiner ganzen
Laufbahn an diesen Pulten, länger als sechsundzwanzig Jahre, hat noch
niemand Grund gefunden, zu sagen: Dieser Grahl ist nicht so verläßlich
als man es wünschte. – Soll mir das nun mit grauen Haaren zum ersten
Male passieren?“ Er machte eine Bewegung, um die Brille besser vor’s
Auge zu rücken, und schrieb. Nach einer kleinen Weile, indessen Uri ihm
stumm zugesehen hatte, sagte Grahl, als ob er alles, was er gesprochen,
noch einmal bei sich wiederholt hätte, gleichsam abschließend: „Na ja.
Das ist doch erklärlich –?“

Darauf sagte Uri – und er versuchte deutlich, seinen Worten Wichtigkeit
zu verleihen: „Erklärlich? Erklärlich wäre es mir, Herr Grahl, wenn Sie
eine halbe Stunde vor Beginn der Versammlung zur Stelle wären. _Das_
wäre erklärlich.“

Grahl blickte ihn an.

„Nicht ich allein meine,“ fuhr Uri fort, „daß Sie, lieber Kollege Grahl,
mehr noch als irgendein anderer, Vorteil finden, wenn heute Abend unsere
Resolution stark und einig herauskommt.“

„Ich?“ Grahl riß die Brille herunter und starrte den Sprecher
erschrocken an. „Ich? Meinen Sie ... ich?“ Und mit einemmal flog das
schmerzliche Lächeln um den Mund, es wollte sich unter dem grauen
hängenden Schnurrbart verstecken – aber Uri wußte bereits, daß Grahl ihn
verstanden hatte.

„Ja,“ sagte er, mit ein wenig schauspielerischem Affekt, „Sie und kein
anderer.“ Und scheinbar, um seinen werdenden Sieg recht zu genießen,
fügte er hinzu: „Kommen Sie _nun_ mit?“

Er hätte das nicht zu fragen brauchen, denn er sah, daß Grahl in
nervöser Eile die Papiere zusammenschob, das Buch auf dem Boden gegen
die Pultseite lehnte und schnell seine Utensilien im Innern verschloß.
Er lief, vornübergebeugt, zur Garderobe, und als er in Hut und
Ueberrock, aber mit ungewaschenen Händen und ein wenig schnaufend,
zurückkam, rief er – es sollte Humor sein: „So ist der Mensch! Mich
hätte nichts vermocht, mein Pult zu verlassen, als dieser Gedanke an
meine eigene Existenz. Meinen Sie wirklich,“ fügte er leiser hinzu,
„meinen Sie wirklich, ich ... ich befände mich in Gefahr? Aber, mein
Gott, das ist doch unmöglich zu denken! Bin ich nicht siebenundzwanzig
Jahre im Dienst? – Wir müssen den anderen Ausgang nehmen, um diese Zeit
hat der Hauswart das große Portal schon geschlossen. – Und dazu bin ich
Obmann der Angestellten. Es ist doch unmöglich. Ich bin nicht zu
kündigen, wissen Sie? Dafür sorgt unser Ausschuß, nicht wahr – ich bin
doch im Ausschuß, ich bin doch immun!“

„Um so wichtiger ist,“ sagte Uri, „daß Sie Ihr Amt nicht versäumen. – Da
kommt eine Bahn!“

Sie befanden sich auf der Straße, im Regen. Das mächtige weite Haus, das
nichts weniger als das Kontor eines der größten Warenhäuser der Stadt
vorstellte, lag wie ein Schiff, in dem nur wenige Lichter brennen, mit
seiner Front in einer belebten Straße der Handelsstadt – aber die Beiden
waren durch die andere Ausgangstür in eine abseitige Straße gekommen.
Sie hätten nötig gehabt, die Trambahn zu nehmen, auch wenn der
Herbsthimmel freundlicher und das Pflaster weniger sprühend gewesen wäre
– denn von der Sankt-Petri-Kirche schlug es achtmal. Auf acht Uhr war
der Beginn der Versammlung in einem Vorstadtlokal, in der „Krone“
bestimmt. Das Innere des Wagens war ziemlich leer, im Herzen der Stadt
schläft das Leben um diese Zeit.

Grahl war vom Laufen noch außer Atem.

„Es ist eine Schande,“ fing Uri an, „acht hat es geschlagen. Statt unser
Recht, unser Arbeitsstundengesetz zu schützen, brechen wir es aus freien
Stücken.“

„Was mich betrifft,“ antwortete Grahl, während hinter ihm an den
Scheiben der Regen lief, „ich gestehe, daß ich mich trotz meiner
Immunität nicht sicher fühle. Ich kann nicht umhin, die Unzufriedenheit
meiner Vorgesetzten recht gut zu begreifen.“

„Sie haben den schwierigsten Posten in unserer Abteilung,“ warf Uri ein.

Grahl schwieg und blickte mit seinen nachdenklichen Augen auf die
Stiefelspitzen. „Heute morgen kam ich wieder um einige Minuten zu spät.
In der letzten Zeit passiert mir das oft, und unten am Eingang vermerkt
die Kontrolle sogar die Zahl der Minuten. Ich bin gewiß, daß unser
Bureauchef, Herr Karst, schon längst unserem Chef über mich einen
gewissen Bericht erstattet hat? – Meinen Sie auch?“

„Es wäre leicht zu denken,“ antwortete Uri, „Karst sucht förmlich
Vorkommnisse, an denen er seine Ergebenheit für Firma und Chef
demonstrieren kann. – Aber bitte, erklären Sie mir, Herr Grahl – warum
verhindern Sie nicht solche Unregelmäßigkeiten, da Sie doch wissen, wie
Ihr Ruf unter ihnen leidet?“

„Ja, ja,“ sagte Grahl. Er lächelte wieder. „Sehen Sie, da ist eine
Sache, die nimmt mich so sehr in Anspruch, daß ich so ziemlich den
ganzen Tag daran denke. Daher auch lahmt meine Arbeit ein wenig. Die
Konzentration ist nicht so billig zu haben, wenn solch ein Gedanke, der
sich nicht auflösen läßt, in einem steckt. Aber laß!“ unterbrach er sich
plötzlich mit einer abwehrenden Bewegung der Hand. Dann blickte er
wieder wortlos auf seine Stiefel. Uri, der nicht ohne weiteres auf die
erwünschte Erklärung verzichten wollte, stellte noch eine bezügliche
Frage. Grahl hörte ihn nicht, wie es schien. Gleich darauf rief der
Schaffner die Haltestation, an der sie den Wagen verlassen mußten. Sie
gingen mit eiligen Schritten zur „Krone“.




                            Zweites Kapitel.


Als Grahl und Uri im Klubzimmer der „Krone“ anlangten, war der Raum von
Biergeruch, Zigarettendunst und Durcheinandergewirr der Stimmen
durchwirbelt; aus einer Ecke, wo übrigens einige Jünglinge untereinander
tanzten, klang das Gehämmer auf einem Klavier. Sie haben noch nicht
begonnen? dachte Grahl und biß ärgerlich auf den hängenden Schnurrbart,
denn er hatte gehofft, die Formalitäten schon erledigt zu finden, um
sofort an der Resolution teilnehmen zu können. Er begab sich sofort an
den Sofaplatz vor der Mitte des Tisches und eröffnete seinerseits eilig,
mit gewohnten Worten, den Abend, verlas die Bekanntmachungen in einem
Zuge und brachte die Hauptfrage zur Besprechung, während der junge Mann
am Klavier mit gelangweiltem Ausdruck seinen Bock eine nachlässige
Drehung beschreiben ließ.

„Bekannt ist worden, daß seitens der Personalabteilung der Firma ein
Plan in Vorschlag gebracht worden ist, das Personal zu verringern.
Da die Durchführung dieses Vorschlags nur auf Kosten des
Arbeitsstundengesetzes erfolgen kann, ersucht der Ausschuß um eine
Resolution des Personals, um im gegebenen Fall zum Handeln bereit zu
sein.“

Obgleich allen Anwesenden der Inhalt, wenn auch nicht der Wortlaut
dieser von Grahl verlesenen Eingabe schon vorher bekannt gewesen war, da
dieser Antrag das eigentliche Ereignis des Abends bildete, erhob sich
dennoch ein Lärm, ähnlich dem vorigen – der kaum mit Mühe verebbt war.
Ironische Rufe flogen durcheinander, jeder Bemerkung folgte mit doppelt
verstärkter Stimme die nächste, so daß eine Steigerung des
Durcheinanders am Ende schlechthin nicht zu denken war. Am lebhaftesten
gebärdete sich aber der junge Mann, der sich vom Klavierbock erhoben
hatte, mit überschwenglichen Gebärden die rechte Hand über dem Kopfe
schüttelnd. „Ich weiß,“ schrie er mit so maßloser Anstrengung, daß die
Adern an seinem hageren Halse, die der niedere Kragen ohnehin stark
hervortreten ließ, bedeutend schwollen, „ich weiß, wer der erste ist,
der hinausfliegt. Das bin ich!“ Er rief es mit einer Art
Siegesgewißheit. Sein Haar war blond wie Getreidestiele, seine Augen
kindlich und offen. Er war achtzehn Jahre und hieß „der Geiger“, weil er
abends mit Geigenspiel in Cafés sein Monatseinkommen erhöhte. Hier ist
der Platz, eine Begebenheit zu erzählen, die dem „Geiger“ an einem
Spätsommervormittag geschehen ist.

Der „Geiger“, den sein Violinspiel in Kaffeehäusern nicht nur mit Geld,
sondern in gleichem Maße mit jungen Damen bekannt gemacht hatte, war am
Tage des betreffenden Tages von einem Brief in rosa Umschlag überrascht
und sozusagen tödlich verwundet worden. Als er das Kontor betrat, lag in
seinen sonst so lustigen Augen der ergreifendste Ausdruck von
Gleichgültigkeit gegen die Dinge des Lebens. Er setzte sich auf seinen
Bock, starrte mit einem schrägen Blick trübselig ins Leere, und zog
endlich das rosa Kuvert aus der Brusttasche seines Jacketts, um es dicht
vor die Nase zu bringen. Er atmete so wahrscheinlich das feine Parfüm
des Papiers ein ... er steckte sogar die Nase ins Innere des Umschlags,
und es war als sog er sich voll von Schmerz. Denn es stieg ihm blank
über die Augen. Auf diesen Augenblick hatte sein Schicksal gewartet. Der
Chef, ein furchtbarer Mann auch für solche, die sich in keiner Beziehung
schuldig fühlten – sein Blick traf alle Angestellten mit einer Schärfe,
mit welcher ein Stein durch das Fenster ins Innere einer friedlichen
Wohnung einschlägt – dieser Herr Winter, der mehrere Male am Tag durch
die Pultreihen streifte, plötzlich auftauchend und unvermittelt die
Stimme erhebend, ein jähes Geschrei in der Nacht – er befand sich nun
hinter dem „Geiger“, der nichts davon ahnte, und beobachtete seinen
Angestellten, der, seine Nase tief in den rosa Umschlag gesenkt, in der
schmerzlichsten Haltung dasaß. Zu einer Rettungsaktion seitens seiner
Kollegen war es zu spät – und übrigens platzten die anderen an ihren
Pulten vor innerlicher Erwartung, wie es begänne, wie es geschähe ...

„Wie alt sind Sie?“ krachte es förmlich los.

Der „Geiger“ fuhr herum. Er sah aus, als wollte er sagen: Ja, wenn du
auf Zehenspitzen heranschleichst, du Gauner, da kann ich dich wohl nicht
hören. Dann richtete er sein vorwurfsvolles Gesicht auf sein Gegenüber.
Warum habt ihr mich nicht gewarnt, ihr Filous ...! sollte das heißen.

Da krachte es neben ihm noch einmal: „Ich frage, wie alt Sie sind.“

Der „Geiger“ konnte sich immer noch nicht zur Antwort entschließen. Er
empfand so natürlich! Na, na ...! hätte er leicht gesagt, halb erstaunt,
halb verächtlich – es fehlte nicht viel. Als er aber bemerkte, daß das
tiefrote Gesicht, in das er hineinsah, wahrhaftig bis in die Stirne
erbleichte, beeilte er sich.

„Achtzehn Jahre, Herr Winter.“

„Achtzehn Jahre ... hmhm ...“ wiegte Winter den spitzen Kahlkopf. Er war
so klein; er blickte zu dem langaufgeschossenen „Geiger“ hinauf, der
sich nun sogar respektvoll erhob.

„Haben Sie einen Vater?“ fragte Herr Winter, unheimlich tief, und so
laut, daß man die Stimme noch an den letzten Pulten am Ausgang vernahm.
Es war so still im Kontor – man hätte eine Bureaunadel fallen hören.

„Einen Vater? – Jawohl,“ gab der „Geiger“ zur Antwort.

„Und“, fragte der Chef, „er erzieht Sie nicht besser?“

Darauf wußte der junge „Geiger“ keine Antwort mehr. Er sah seinem Chef
zuerst in die seegrünen Augen, dann auf die Geiernase und endlich auf
die Brillantnadel in der Krawatte.

„Zeigen Sie mir diesen Brief,“ sagte Winter.

„Mit nichten,“ sagte der „Geiger“ entschlossen. „Dieser Brief ist an
mich.“

„Zeigen Sie ihn,“ sagte Winter lauter.

„Wie kann ich!“ rief der „Geiger“ entrüstet, „ich kann nicht die Dame,
die mir dies schreibt, kompromittieren.“

Damit wußte Herr Winter immerhin etwas und es sah aus, als wollte er
gehen. Plötzlich schrie er: „Wieviel verdienen Sie aber im Monat?“

Der „Geiger“ nannte sein lächerliches Anfangsgehalt.

„Und für mein Geld ...!“ schrie Herr Winter und schnappte. „Sie
bestehlen mich!“

Und er ging mit langsamen schallenden Schritten davon. Der „Geiger“,
dessen Gehirn an diesem Morgen mehr tragen mußte, als es imstande war,
murmelte noch: „Meinetwegen!“ und „Nun tue ich den ganzen Tag nichts
mehr – es komme, was mag,“ ging hinaus zur Garderobe und schloß sich in
seine gewohnte Kabine ein, um ein wenig zu rauchen.

Daher war der „Geiger“ an diesem Abend so fest überzeugt davon, daß auf
der Liste der zu entlassenden Angestellten sein Name zu oberst stünde.

Von den Ausschußmitgliedern, die sich um den großen Tisch
zusammengezogen hatten, war inzwischen eine Entschließung verfaßt
worden. Sie wurde nun den Versammelten vorgelegt.

„Der Ausschuß versagt seine notwendige Zustimmung zur Entlassung eines
Angestellten in jedem Fall, wenn die Entlassung nicht anders als mit der
Absicht einer Personalverringerung begründet erscheint. Eine derartige
Absicht kann durch den Gang des Betriebes durchaus nicht gerechtfertigt
werden. Die Befugnis des Ausschusses zum Einschreiten gegen Entlassungen
wie die bezeichneten ergibt sich aus dem Paragraph drei im zweiten
Abschnitt des Arbeitsgesetzes.“

Als diese Resolution, trotz den Zwischenrufen des „Geigers“, der noch
eine Klausel verlangte, im übrigen einstimmig angenommen war, drehte
sich dieser auf seinem Klavierbock und behämmerte wieder die Tasten. Die
Anfangsstimmung drang durch. Einige Herren vom Ausschuß verabschiedeten
sich, die Ausschußmitglieder waren alle reiferen Alters. Mehrere
Angestellte wollten nicht bleiben, da sie unmöglich am vorletzten Tage
des Monats – es war der neunundzwanzigste September des Jahres
neunzehnhundertundvierundzwanzig – ein Vergnügen sich vorstellen
imstande waren. Es hatte kaum zu den beiden Gläsern hellen Bieres
gereicht ...

Der mit höflichem, dennoch sehr hastigem Gruß, das Zimmer als erster
verließ, war Grahl.




                            Drittes Kapitel.


Als er nach Hause kam, fand er sein Essen in einer innerlich
gepolsterten Kiste, die er an einem Sonntag mit seinem Sohne Hermann
verfertigt hatte, warmgestellt. Hermann, der Arzt werden wollte, und
über den Tag in Instituten, Vorlesungen oder in Bibliotheken war, las in
der Zeitung, die er mit beiden Händen ausgebreitet vor dem Gesichte
hielt.

„Hermann,“ sagte Grahl gedämpft, indem er mechanisch den Suppenlöffel
zum Munde hob, „sind sie schon schlafen gegangen?“

„Ja, beide,“ gab Hermann ebenso leise zurück.

Diese „beiden, die bereits schlafen gegangen,“ waren Anna, die Frau
Jakob Grahls, und Gertrud, seine achtzehnjährige Tochter. Hermann war
nur fünfeinhalb Jahre älter als seine Schwester. Die Aehnlichkeit mit
dem Vater war deutlich erkennbar. Er hatte dieselben vernünftigen Augen,
in welchen nur dieser eine Ausdruck von sachlich beherrschter
Innerlichkeit lag. Seine Lippen dagegen, die meistenteils wie die seines
Vaters als ein schmales Bändchen gezogen waren, konnten sich manchmal,
wenn er lebhaft mit einem Gedanken beschäftigt schien, trotzig nach
außen werfen.

„Weißt du vielleicht,“ fragte Grahl nach einer Weile, während der nur
das leise Schlürfen der Lippen vom Löffel zu hören gewesen, „weißt du,
Hermann, ob jemand im Laufe des Tages das Vorderzimmer besichtigt hat?“

„Nein,“ sagte Hermann, „es war niemand da.“ Sein Gesicht war auch beim
Sprechen von der Zeitung verdeckt.

„So,“ sagte Grahl. „Hmhm. Merkwürdig ... Als ob das Unglück mit diesem
Mörk in das Zimmer gezogen wäre. Noch niemand war da, um es zu
besichtigen.“

Er hatte den Namen Mörk leise hervorgestoßen, als hinderten ihn
Verlegenheit oder Wut, mit offener Stimme zu sprechen. Hermann hatte die
Zeitung dichter zu sich herangezogen.

„Vielleicht,“ sagte er ruhig, „sind den suchenden Einlogierern unsere
vier Treppen eine Bemühung, die sie nicht lieben.“

„Aber die jungen Studenten!“ entgegnete Grahl. „Ich hatte damit
gerechnet. Wir sind nicht so weit von der Akademie.“

„Ja, ja,“ sagte Hermann.

„Was steht in der Zeitung?“

„Nichts Interessantes.“

„Aber du liest sehr interessiert.“ Beide schwiegen. Plötzlich begann
Grahl, noch leiser, aber ungleich lebhafter als zuvor: „Du mußt morgen
zur Zeitung gehen, den Redakteur des lokalen Teiles besuchen und ihm
eine Sache nahelegen. Du weißt wohl schon, hm, was ich meine?“ Das
Lächeln, das ihn immer vor der Preisgabe eines Gesichtes, das er zu
verbergen gewillt war, beschützte, zog seinen linken Mundwinkel
aufwärts.

„Den Namen nicht nennen?“ sagte Hermann sachlich, fast ohne Ausdruck.

„Das ist es, ja,“ sagte Grahl noch leiser. Er häufelte einen Rest von
Suppenkraut auf dem Teller. „Höchstwahrscheinlich wird ein Bericht über
die Verhandlung erscheinen. Bitte den Redakteur, er möge sich mit den
Anfangsbuchstaben begnügen. Statt des vollen Namens deiner Mutter setze
er „G.“, zum Schlimmsten „A. G.“. Aber auch nicht den vollen Namen von
... Mörk. Oder vielleicht nur: Die Angeklagte ... der Kläger. Ich denke,
der Zeitungsmann wird sich, auf deine besondere Bitte, ohne Weigern
solch einer Art von Bezeichnung bedienen. Meinst du nicht auch?“

„Kann sein.“

„Du willst es versuchen?“

„Natürlich. – Uebrigens – ich müßte zu sämtlichen Zeitungen gehen. Kann
Gertrud nicht einen Weg übernehmen?“

„Ich möchte, daß Gertrud nicht nur deine Mutter auf diesem entsetzlichen
Wege morgen begleitet, sondern auch über den ganzen Tag bei ihr bleibt.“

„Ich werde es besorgen.“

„Gehe zu den drei großen Blättern: Anzeiger, Nachrichten, Städtisches
Blatt. – Was für einen Eindruck hast du von deiner Mutter am Abend
gehabt? Glaubst du, sie wird überleben, wenn –“

„Ich habe sie nur flüchtig gesehen,“ unterbrach ihn Hermann. „Sie ging
schlafen, bald nachdem ich gekommen war. Und in der halben Stunde, daß
sie im Sofa saß, konnte ich, wenn ich über den Löffel blickte, ihr
Lächeln bemerken, dies unerklärliche Lächeln, das an dem Tage begann,
als das Gericht uns die Anklageschrift auf den Rücken schickte.“

„Und was hat sie mit dir geredet?“

„Kein Wort.“

„O dieser Mörk, dieser Mörk,“ stöhnte Grahl, „hätte er niemals das
Zimmer bewohnt.“

„Ist sonst noch etwas, Papa,“ fragte Hermann, der aufstand und alle
Beilagen nach ihren Nummern zusammenlegte.

„Nein, nichts, mein Junge ... außer den Zeitungsberichten, weißt du.“

„Gute Nacht.“

„Gute Nacht, mein Junge.“

„Noch eins,“ sagte Hermann und wandte, schon an der Tür, den Kopf um ein
kleines rückwärts. „Ich werde morgen sehr früh aus dem Hause müssen. Ich
sage dir also schon heute für morgen Adieu.“

Grahl hörte noch seine festen Schritte, wie er über den Flur in das
Zimmer hinüberging, wo Gertrud lag und wahrscheinlich noch wachte. Dann
ging er selber behutsam ins Nebenzimmer. Dort, in dem Bette neben dem
seinen, bei einem Lämpchen, das neben der Uhr stand, mit
festverschlossenem Munde lag Anna, von ergrauendem Haar das glühende
Gesicht umrahmt, aber ohne Bewegung und unhörbar atmend.




                            Viertes Kapitel.


Am nächsten Morgen beim Kaffeetrinken saß Anna im Sofa. Grahl begann,
wie in den letzten Tagen gewohnt, eine Unterhaltung von nebensächlichen
Dingen, auf welche Anna mit kargen Worten, dazu mit ihrem beständigen
Lächeln einging. Grahl fühlte die Zeiger weiterrücken, er vergewisserte
sich, daß seine Zeit schon knapp überschritten war – aber er wollte
seine Frau nicht verlassen, ohne ein bestimmtes Wort gefunden zu haben.
Er suchte danach. Wie jeden Morgen empfand er es als Unmöglichkeit, Anna
in ihrem einsamen Unglück für sich zu lassen. An diesem, dem
entscheidenden Tage, erschien ihm das als Verrat, als der Bruch einer
Pflicht. Er saß und blickte vor sich in die Tasse – bis Anna aufstand
und schweigend die Stube verließ.

Der Morgen war dunkel. Regen sprang auf den blanken Straßen, an den
Sielen schäumten die Strudel. Bei der Haltestelle, die in der Nähe der
Wohnung gelegen war, hielt Grahl im Laufen inne. Aber die Trambahnen
waren bei solchem Wetter kurz vor Beginn der Geschäftszeit so überladen,
daß sie die Stationen ohne zu halten durchfuhren. Und Grahl, unfähig auf
einem Ort zu verharren, begann zu laufen – aus Furcht vor versäumter
Zeit und aus dem Bedürfnis, das Denken in seinem Gehirn zu zerstreuen –
in einem Tempo, wie es ein eiliger Schuljunge anschlägt. Er hätte bei
tüchtigem Schritt weit länger als eine halbe Stunde für seinen Weg
gebraucht – nun lief er mit langen Beinen über die Straße, der Schmutz
des Pflasters spritzte an seinen Hosen hinauf, und die Füße, in
undichten Stiefeln, wurden vom Wasser gebadet. Er kämpfte um jede
Sekunde und erledigte seinen Lauf in siebenundzwanzig Minuten – aber es
war mithin doch dreizehn Minuten nach neun geworden.

Als Grahl in die Nähe des Kontorhauses kam, zog er den Hut sehr tief ins
Gesicht und ging nahe an den Häusern. Er fürchtete nichts so sehr, als
seinem Chef, der selber erst eine Viertelstunde nach neun zu kommen
pflegte, hier zu begegnen. Er wußte bereits aus Erfahrung, daß Winters
Automobil von der anderen Seite auffuhr – daher hielt er das Auge
spähend vorwärts gerichtet, indem er mit kleinen Anläufen dem großen
Portal näher kam. Aber noch etwa zehn Schritt vom Eingang entfernt,
bemerkte er das blaue Automobil, wie es hielt ... und schon erschien die
zum Aussteigen etwas gebückte Gestalt seines Chefs. Grahl, überrascht
von diesem Ereignis, stand einen Augenblick still, wie an die Stelle
gezwungen. Er wollte zurück. Aber die Vorstellung: wie Winter an seinem
leeren Pulte vorbeischreitend, stutzen würde und fragen ... trieb ihn
auf’s Geratewohl vorwärts. Wäre er blind gewesen – genauer hätte er
nicht ins Verderben hineintappen können. Am Portal war er seinem Chef um
einige Schritte voraus, er stieß die Türe auf, aber nur einen schmalen
Spalt, durch welchen er selber allein hindurchschlüpfen konnte ... Daß
Winter, der nun vor der zugefallenen Tür stand, schon allein wegen der
Unhöflichkeit auf den vor ihm Gekommenen aufmerksam werden mußte, sagte
Grahl sich nicht. Er kämpfte nur, wie ein Sterbender, um den Augenblick,
und wollte nichts weiter denken. Er jagte mit eingezogenem Kopf, an der
Kontrolle vorbei, die Treppen hinauf. Indessen fuhr Winter, vom Hauswart
höflich bedient, in einem nur für Chefs und höhere Angestellte
bestimmten Aufzug die Höhe dreier Etagen aufwärts. Als er durch die
Pultreihen kam, langsamen Schritts, um alle Plätze eingehend zu mustern,
war Grahl, noch im Straßenjackett, statt wie gewohnt in der schwarzen
Lüsterjacke, mit einer Rechnung beschäftigt. Grahls Stirne war
dunkelrot. Winter blieb neben ihm stehen ... so lange, bis Grahl seine
Augen hob.

„Und Sie schämen sich nicht?“ schrie Winter so laut, daß alle Köpfe im
Nacken zuckten. Grahl starrte ihn an. Winter ging um den Bock herum,
blickte unter das Pult, zog mit den Händen Mantel und Hut hervor, die
Grahl dort in Eile verborgen hatte, schleuderte sie zur Erde und schrie
noch einmal: „Sie schämen sich nicht?“

Grahl, der bis in den Vorderkopf, wo seine dünnen Haare klebten,
erbleicht war, machte eine Bewegung mit Daumen und Zeigefinger zum
Brillenglas – aber diese Bewegung war so, als griff er sich an das Herz.
Winter betrachtete ihn mit seegrünen, zynisch lachenden Augen. –

Warum demütigt er mich dermaßen? dachte Grahl, wofern es Denken zu
nennen war, was in ihm vorging. Endlich, endlich ging Winter weiter. Er
ging langsam wie stets. Einem Lehrling befahl er, den Personalchef Herrn
Karst zu rufen, der am anderen Ende des Ganges in einem mit Glaswänden
geschlossenen Raum die Abteilung ganz überblicken konnte. Wenige
Augenblicke später schon sah man Karst, eine große, breitschulterige
Erscheinung, den Gang zum Privatkontor durchschreiten. Sein Gesicht, in
dem nach Muster der alten Militärs ein Schnurrbart stand, war voll und
breit, von gesunder Farbe, wie das eines Landmanns. Der Ausdruck der
Augen, wenngleich nicht Klugheit, so doch ein Geschick zur Diplomatie
verratend, dazu der wiegend elastische Gang – dies alles in einem
verriet die Brutalität eines Mannes, der sich vom Pult des
Kontokorrentbuchhalters bis in den „Glaskasten“ hinaufgearbeitet, und
nun nicht vergessen hatte, wie schwer der Aufstieg gewesen wäre, und wie
leicht nun der Vorteil an Macht zu ziehen ... Jetzt betrat Karst mit
einer Verbeugung und klingendem „Guten Morgen, Herr Winter,“ den Raum
seines Prinzipals, um gleich darauf die Tür zu schließen.

In der folgenden Stunde versuchte Grahl, sich zur Arbeit zu sammeln.
Aber er raschelte nur unter Fakturen, blätterte in dem Journal hin und
her. Seine Hände zitterten, hinter der Stirn führten zwei Stimmen
Fiebergespräche. Als der Personalchef nach mehr als dreiviertel Stunden
zurück durch den Gang gekommen war, um in seinem Glasraum die Morgenpost
zu sichten, bemühte sich Grahl, den Augenblick zu bemerken, wenn Karst,
mit dem Lesen des letzten Briefes zu Ende, für eine kurze Pause, die
zwischen dieser und seiner nächsten Beschäftigung eintreten mußte, müßig
am Schreibtisch saß. Als dieser Zeitpunkt gekommen war, ging Grahl in
den „Glaskasten“, verbeugte sich, wünschte Guten Morgen, und bat mit
leiser Stimme um Urlaub für einige Stunden, von halb zwölf gerechnet bis
etwa um zwei. Karst, der nie den Ausdruck der Mienen veränderte, fragte
nach einer Begründung. Grahl gab einen nicht aufzusparenden Weg, eine
Altersversorgung betreffend, vor. Karst konnte ein leises Lächeln nicht
unterdrücken als er nach einer Pause erwiderte, Grahl möge diese
Besorgung seiner Interessen noch um einige Zeit verschieben, später sei
ihm der Urlaub gerne gestattet. Bei dieser Antwort erbleichte Grahl.
Zusammen mit dem verschwiegenen Lächeln drückten die Worte aus, was
seinen Herzschlag stocken machte. Er betonte noch einmal die
Dringlichkeit seines Weges – aber nun eigentlich nur noch zur
Entschuldigung seiner Bitte. Er war ganz verwirrt. Dazu fragte Karst, in
dessen Augen nun keine Spur mehr von Lächeln lag, nach dem Stande der
Arbeit. Und Grahl konnte nicht anders, als die Wahrheit gestehen. Karst
nickte – er hätte nicht grausamer antworten können – als ob ihm dies und
nichts anderes erwartet käme. Doch, ergänzte Grahl, hoffte er durch
vermehrte Stunden der Tagesarbeit mit der Prüfung seiner Fakturen noch
bis zum rechten Termine fertig zu werden. Das hoffe er auch, sagte
Karst, indem er nun auch den Ton zu dem vorigen Lächeln fand. Damit
wandte er sich einer Liste zu, die inzwischen von einem Lehrling
gebracht worden war.

Grahl befand sich wieder allein vor dem Pulte. Arbeiten war ihm
unmöglich. Seine Gedanken waren bei Anna und Gertrud. Sie standen nun
vor dem Richter, er aber, der zwar mit seiner Zeugenaussage auf keinem
Fall dem Geschick eine Wendung zu geben vermochte, fehlte in dieser
Stunde. In einer Stunde, wo Anna, die glühende Angst der Erwartung, und
im furchtbarsten Fall der Entscheidung, ein Gewicht auf dem Herzen
erdulden mußte, für das die bürgerliche Gesellschaft in ihrer kompakten
Masse die Wage bestimmt hat. Grahl wütete gegen sich selber. Er durfte
sich nicht den Weg von der Arbeitsstätte zu Anna um den Preis der
preiszugebenden Wahrheit erzwingen – aber die erfundene Begründung für
seinen erwünschten Urlaub war schwach, lächerlich schwach gewesen.
Dennoch hatte er plötzlich den Einfall, mit dieser selben Begründung
direkt bei dem Chef den Antrag zu wiederholen. Er ist ein Mensch, sagte
er vor sich hin, indem er mit seinen Händen die grauen Strähnen strich,
die seinen Vorderkopf leicht überdeckten. Er ging in die Garderobe, um
die Hände zu waschen. Als er eintrat, verstummte sofort das Gespräch der
dort versammelten jungen Leute. Es blieb still, bis er den Raum verließ.
Sein Gemüt war bedrückt. Er stand an der Tür zum Privatkontor seines
Chefs. Er klopfte, trat ein und wartete auf eine einladende Geste, ehe
er begann. Aber Winter, nachdem er sich unterrichtet hatte wer an der
Tür stand, senkte die Augen hinter dem mit gelben Hornreifen umrandeten
Kneifer auf die Lektüre, die vor ihm lag.

„Ich möchte Sie bitten ...“ begann Jakob Grahl.

„Sie wenden sich wohl an Ihren Bureauchef!“

Und Grahl wendete sich mit gebogenen Knien und ging.

Sein nächster Gedanke war, ohne Erlaubnis das Haus zu verlassen. Dieser
Vorsatz war schon so stark befestigt, daß Grahl bis an die Garderobe
kam. Aber dort, vor der Türe, den eckigen Schlüssel bereits in der Hand,
schlug ihm die Ueberzeugung, daß dieser Entschluß die wohlbegründete
Lösung des Arbeitsverhältnisses seitens der Firma zur Folge haben mußte,
mit solcher Heftigkeit vor die Stirn, daß er aus seinem in sich selber
versunkenen Denken wie durch den Anblick einer drohenden Tiefe
erschreckt, zu der Wirklichkeit seiner Lage erwachte. Er sah sich schon
jetzt dem Willen sämtlicher Vorgesetzten, der Gleichgültigkeit oder
Spottlust und Klatschsucht seiner Kollegen preisgegeben. Er wußte nichts
Besseres zu tun, als in Unterordnung die Pflicht zu erfüllen und in
Demut zu hoffen, daß alle Anzeichen, die seine Entlassung
vorauszuverkünden schienen – das Lächeln Herrn Karsts, das verstummte
Gespräch der Kollegen, die Ereignisse dieses Morgens, die verachtende
Haltung des Chefs – dennoch nichts mehr als Täuschungen wären, die den
schreckhaften Vater, der seine Familie zu jeder Minute bewußt als den
Antrieb im Innern spürte, zu leicht übermannten. Die Hoffnung und bange
Erwartung vermochten sogar, ihm für einige Zeit vergessen zu machen, was
Anna in dieser Stunde erleben mußte.

Man muß bedenken, daß der Gedanke, als Mann mit ergrautem Haar aus dem
Dienste entlassen zu werden, schon am dreißigsten September, das will
heißen: am Termin der Kündigung auf den ersten November desselben
Jahres, die Perspektive auf Schrecknisse einer Zeit eröffnen konnte, wie
der vor einigen Jahren beendete Krieg sie an einem gewissen Wendepunkt
mit grausamen Händen gezeichnet; wie sie eben erst – aber dies
trifft nicht einmal auf alle Familien zu – von den ungleich
menschenfreundlichen Händen des Friedens verwischt worden war. Die
Wirkung – die seelische wie die körperliche – der Kohlrübenjahre war
damals und ist noch in unseren Tagen so mächtig, daß die Furcht vor der
Situation des Stellungslosen in einer Zeit, da Massenentlassungen Mode
wurden, keiner besonderen Begründung bedarf. Grahl – noch vor wenigen
Stunden von einer ganz anderen Sorge gepeinigt – kannte jetzt nur noch
_eine_ Bitte an die schicksalsfügende Macht, an welche er glaubte, ohne
sich dessen bewußt zu sein: Daß bis um die sechste Stunde der drohende
Schlag der Entlassung ihn nicht treffen möge. Denn um jene Zeit
verließen der Chef und die Mehrzahl der Angestellten das Haus. Hatte
sich bis dahin die Gefahr nicht entladen, so war sie über ihm
weitergezogen.

Aber noch war diese sechste Stunde nicht da. Nach drei rief ihn die
Telephonistin in eine Zelle. „Anna,“ sagte er, und mit lautschlagendem
Herzen nahm er den Hörer. Es war die Bitte um Aufschub eines
zahlungssäumigen Kunden, dessen Konto Grahl in den Büchern führte.

Von nun an erschrak er jedesmal, wenn die Klingel des Telephons zu
schrillen begann. Der Termin des Prozesses war um zwölf Uhr gewesen,
aller Berechnung nach war nun das Urteil schon lange gesprochen. Sie
wußten es, Gertrud wußte es, Hermann wahrscheinlich auch ... Und Anna
... Er aber saß hier und rang seine Finger, von Kümmernissen zu beiden
Seiten des Herzens benagt. Mußten sie nicht schon längst eine Nachricht
durchs Telephon für ihn haben? Und wäre es nur aus Besorgnis um ihn,
warum er, seinem Versprechen entgegen, nicht im Gerichtsgebäude
erschienen war ... Daß dieser erwartete Anruf nicht kam, erfüllte ihn
mit brennender Angst, die in plötzlichen Wogen bis in die Augen stieg.

Die Zeiger waren bis fünf geschlichen, aus dem Privatkontor vernahm man
die langhinsummenden Töne der Uhr. Grahl tat einen Atemzug der
Erleichterung, aber indem seine Brust sich senken wollte, fiel auf das
Buch, das mit offenen Seiten auf seinem Pult lag – ein Brief! Sein Kopf
fuhr herum. Er sah den sechzehnjährigen Lehrling Menzel, der sich eben
auf seinem Absatz drehte – übrigens nicht mit der Absicht, das mokante
Lächeln auf seinem Gesicht zu verheimlichen. Grahl berührte den Brief
noch nicht. Kein Brief mit der Post, keine Marke, kein Stempel. „Herrn
Jakob Grahl, im Hause,“ stand auf dem Kuvert. Er faßte es an – er
brauchte es nicht zu öffnen. Er schob es in seine Hosentasche. Sein
Gesicht war aschgrau. Er fühlte den Halt seines Körpers verlorengehen,
gleichsam ein notwendiges Gewicht aus dem Kopfe fallen. Es blieb eine
Leere. Er stützte die hohe zerbrechliche Stirn zwischen Daumen und
Zeigefinger der Linken, während die Rechte noch in der Tasche am
Umschlag tastete. Ein zitternder Seufzer ging unbewußt aus seinem
bebenden Munde hervor. In diesem Augenblick durchschritt Winter mit
seinen schallenden Schritten die Reihe der Pulte, er trug den schwarzen
Hut tief auf die Geiernase gerückt. Ein gelber Rock hing von seinem
gekrümmten Rücken herunter, er trug ein paar brauner Lederhandschuhe mit
einem schweren Handstock mit silberner Krücke in Händen. Vor dem Hause
erwartete ihn sein Automobil.




                            Fünftes Kapitel.


Außer dem Kontenführer Grahl war noch dem „Geiger“ gekündigt worden, der
erst kürzlich über den Lehrlingsgrad hinaus, in die Stellung eines
Kommis geklettert war. Während aber der Kündigung Grahls ein Bemerken,
das auf Ueberzähligkeit hinwies, als Begründung zugefügt war, entbehrte
das Schreiben, welches der „Geiger“ erhalten hatte, einer entsprechenden
Angabe ganz und gar. Der „Geiger“ empörte sich auch durchaus nicht
dagegen. Er hatte in einem seiner Cafés, wo er abends spielte, ein
Mädchen kennen gelernt, mit welchem er ohnehin schon einige Male über
den Tag spazieren gegangen war, obgleich diese Tage weder als Fest- noch
als Sonntage auf dem bürgerlichen Kalender standen. Das Geigenspiel
konnte ihn über dem Abgrund vollkommenen Geldmangels halten. Dazu hatte
der „Geiger“ einen Vater, der ebenso jovial war wie er. Der Vater hatte
die Mittel, sich jedes Vergnügen zu leisten. Aus Gewissenszwang wollte
er, was er sich selber gönnte, seinem Sohn nicht versagen.

Seide Freunde neckten den „Geiger“ mit einem unter den Angestellten
beliebten Spruch. Einer rief:

                          „Du wirst Kommis –“

worauf der Chorus einfiel:

                           „Aber nich bi mi!“

Wenn sie in der Garderobe in der Nähe des Fensters standen und „durch
die Nase rauchen“ probierten, neckten sie ihn. Er pfiff den Rauch weg
und sagte: „Egal!“

Die innere Verfassung des anderen Gekündigten war anders. Der
anfängliche Sturz der Empfindungen hatte die Denkkraft gelähmt. Und als
er am Abend niemanden in der gleichwohl erleuchteten Wohnstube fand,
aber Anna mit ihrem selbstvernichtenden Lächeln im Bett – nun nicht mehr
glühend von innerlicher Erregung und Präparation für die Stunde am
Richtertisch, sondern weiß bis in die schweigenden Lippen – da sah der
Alte nur noch die Kurve des Untergangs, er fühlte die Hand eines
Schicksals, der zu entrinnen vergeblich wäre. Diese Familie war ihr
verfallen. Ich weiß nicht warum, sagte Grahl, ich weiß nur: es ist so.
Er konnte sich keine Rettung mehr denken. Er wünschte einen
beschleunigten Schluß. Er hoffte wirklich im Schlaf dies Ende zu finden.
Indem er, beinahe stumpf von Leiden, in sein Bett, neben der verbissenen
schweigenden Anna, hineinstieg, wanderten seine Gedanken zu Hermann und
Gertrud, die nur die Hälfte des Schicksals kannten – nur das Teil, das
ihre _Mutter_ betroffen hatte. Ich wünsche euch eine andere Seele, als
ich sie besitze, sagte er wie zum Nachtgebet. Mehr Kraft, mehr Härte des
Herzens, Kinder ...

Er fand keinen Anfang für eine Frage, welche die Bestätigung dessen
verlangte, was er schon wußte. Er fühlte, daß mit gebrochenem Schweigen
der Schmerz, der dieser Frau wie ein eisiger Block die Tränen
versperrte, sich lösen mußte. Von den Gedanken aufs neue bewegt,
verbreitete sich innerlich eine Erleuchtung – als ob hier Schuld und
Verfehlung keinerlei Rolle spielten. Und all das wäre das Schicksal, wie
ein Jeder das Seine gesondert empfängt. Die Erkenntnis, daß seine vom
Leben gefurchte Seele es war, die ihn die Niederlage des heutigen Tages
und endlich den Untergang leiden ließ – dies Gefühl erfüllte ihn, ohne
daß er nach einer Begründung fragte, gleichwie ein Glück. Er war stolz,
sein Schicksal, je schwerer, je lieber, zu tragen. Da sagte er: „Anna!“
Der Glauben, der in ihm zu herrschen begann, machte ihn mächtig, die
Wirklichkeit in dem heiteren Lichte der Unschuld zu sehen und er meinte
diese Gabe des Sehens teilen zu können, mit wem er es wünschte.

Anna aber sagte nicht mehr als _ein_ Wort, in dem sich eine Lippe
rührte, sonst nichts: „Gefängnis.“

„Habe darum keinen Gram. Ueberwinde das mit dem Stolz deines Herzens,
wie ich.“ Er blickte sie an.

Sie hob die blasse Hand von der Decke und drehte den Docht der kleinen
Lampe so tief, daß sie verlöschte. Er nahm ihre Hand, sie entzog sie ihm
nicht. Aber sie weinte auch nicht und sie sprach kein Wort. Auch er
wußte nichts mehr zu sagen. Die Helligkeit in ihm war plötzlich
erloschen. Er ließ ihre Hand los und bohrte den Kopf in die Kissen.

                   *       *       *       *       *

Gertruds Stimme weckte den Vater am folgenden Morgen. Er lag einige
Minuten mit offenen Augen, ohne daß eine Erinnerung an die Dinge von
gestern kam. Das Bett neben ihm war leer. Er hob sich erschreckt auf den
Ellenbogen – in einer Sekunde standen die Tatsachen um ihn herum.
Verwundert, wie das Gedächtnis an den verhängnisvollsten Tag seines
Lebens, um soviel später in ihm erwachen konnte, als er selbst – und
grübelnd, ob nicht die Fähigkeit, zu vergessen, was zu vergessen von
Nutzen sei, ein zu erkämpfendes Können des Innern wäre ... so stand er
auf, sah in den grauen, rieselnden Morgen, durch leckenden Regen, und
kleidete sich langsam an. Eine Schwermut, körperlich, schien ihn zu
lähmen.

Mit seinem Sohne ging er ein Stück des Weges. Er hatte sich von dem
Anblick der leidenden Frau mit Gewalt getrennt. Hermann unterrichtete
ihn mit leiser, von sachlichem Ausdruck beherrschter Stimme, von den
Ereignissen des vergangenen Tages. Frau Anna Grahl war zu einer
Gefängnisstrafe von dreiundeinhalb Monaten verurteilt worden. Sie war
nicht einmal dazu gekommen, die wohlvorbereitete Verteidigung, alle die
in schlaflosen Nächten eingeschärften und oft wiederholten Wendungen, am
Richtertisch vorzutragen. Der Vorsitzende hatte ihr inneres Bekenntnis,
zu dem sie nicht aufgefordert war, mit einem herrischen Ausbruch der
Ueberlegenheit, die sich offenbar mit besonderer Anerkennung respektiert
sehen wollte, unterdrückt, und die Angeklagte in die einzige Haltung
gedrängt, die ihr in ihren eigenen Augen nun noch gemäß war: in stolzen,
schweigenden Trotz. So hat sie also den Kampf aufgegeben, und ließ es
gehen, ohne hinzuhören – schloß Hermann mit einem flüchtigen
Seitenblick. „Ich biege hier ab. Guten Morgen, Vater.“

Grahl hatte die Kündigung sorglich verschwiegen. Sein Wunsch war, die
bedrückten Herzen der Seinen durch die Form, die er selber hielt, zu
erleichtern. Nichtsdestoweniger waren in ihm der leidensbereite Wille,
die stolze Demut unter das Schicksal, die am vorigen Abend in
eigenartiger Kraft aus der Schwäche erstanden waren – verstummt und
vergessen. Aber das gleiche Gefühl für die Pflicht, das ihn am
Kontorpult beherrschte, war in der Sorge um seine Familie wieder
erwacht; es lenkte seine Entschlüsse in völliger Unbekümmertheit um die
geschehenen Verstöße, mit welchen ein Vorgesetzter die Führung des
Angestellten belasten konnte.

Er berief auf den selbigen Abend die Ausschußversammlung ein. Die
Ausschußmitglieder bestanden aus sechs Vertretern des Personals, von
denen Grahl der älteste war. Sie trafen am Abend in einer Restauration,
die „Himmelspforte“ genannt, zusammen. Grahl forderte auf, seiner
Entlassung den Ausschußwillen entgegenzusetzen, da er, als Mitglied des
Ausschusses, in einem Verhältnis zur Firma stände, das bei erloschenem
Mandat erst zu lösen wäre, nicht früher.

Aber zu seinem Erstaunen waren die übrigen Ausschußmitglieder durchaus
nicht einig in ihrer Meinung. Es ergab sich, daß drei unter ihnen in
ihrem Gewissen Bedenken empfanden, das Interesse ihres Kollegen zu
schützen, ohne den Standpunkt der Firma in Rücksicht zu ziehen. Diesen
Standpunkt, hieß es, kenne man wohl, obgleich er – wohl aus einer
gewissen Milde – in dem Entlassungsschreiben verschwiegen war. Der
eigentliche Grund zur Entlassung Grahls – darin waren diese drei Herren
sicher – wäre natürlich der Mangel an Arbeitskraft und Zuverlässigkeit,
der in den letzten Wochen vermocht hatte, den guten Kredit seiner
siebenundzwanzig Arbeitsjahre zu annullieren. Wie sollten sich also
diese gewissenhaften Ausschußmitglieder für Grahl entscheiden?

Widerrede wurde dagegen laut. Grahl selber erklärte, daß _die_
Begründung, die das Kündigungsschreiben enthielt, maßgebend wäre – nicht
eine verschwiegene. Wer nähme wohl an, die Firma wäre in ihrer Erklärung
von zarter Rücksicht geleitet? Im übrigen hielt der Einwand, die
mangelnden Qualitäten betreffend, nicht Stich. Wenn im Verlauf von mehr
als einem Vierteljahrhundert ein Mann mit niemals lahmendem Willen die
Kraft seines Denkens und Tuns in den Dienst einer Firma gestellt habe,
so sei er nicht davonzujagen gleich einem ungebärdigen Hunde, wenn ihn
in einem gefährlichen Augenblicke seines Familienlebens die Kraft für
eine Spanne verlasse. Er setzte sich wieder und stützte den Kopf in die
zitternde Hand.

Man fragte ihn, ob er nicht dies persönliche Schicksal als Begründung
seiner offenbaren Veränderung vortragen wollte. Er schüttelte mit dem
Kopf, ohne die Hand von den Augen zu lösen.

Den drei Vorsichtigen wurde noch andershin widersprochen. Wiewohl es
auch möglich sei – führte ein Obmann aus –, daß die Entlassung des
Kollegen Grahl aus den vorhin genannten Gründen erfolgt sei, so bestehe
die Tatsache dennoch fort, daß Entlassungen zu Zwecken von Ersparnis
einiger Angestelltensaläre ohnehin in Aussicht genommen waren. Mehrere
Posten mit geringerer Arbeitsbelastung sollten, je zwei, vereinigt an
einen der beiden Postenverwalter übertragen werden, um den zweiten zur
Uebernahme anderer Tätigkeit freizumachen. Hätte das Schicksal also
nicht Grahl getroffen, so wäre ihm gleichwohl ein anderer zum Opfer
gefallen. Derjenige nämlich, der nach der Geschäftsleitung Ansicht am
wenigsten Nutzen der Firma bringe. – Das sehe man ein, nicht wahr? Man
müsse also _dagegen_ sein, im Prinzip. Stände im Falle des „Geigers“ die
unanfechtbare Begründung mit seiner Faulheit nicht fest zu erwarten, so
wäre auch dieser Kündigung die notwendige Beistimmung des Ausschusses zu
versagen. Es handle sich um Entscheidungen, die für Jeden einmal
Bedeutung erlangen könnten. Ueber allem aber dies: Zu was bestände denn
das Gesetz, das die Entlassung des Obmanns verbietet? Wer könnte bürgen,
daß nicht eben sein Amt im Ausschuß es war, das ihn zum Fallen gereift
hätte? Und wer von den Ausschußmitgliedern dächte hierbei nicht an sich
selber? Er verlangte die Unterschriften.

Die drei Widerstrebenden dachten wahrscheinlich sehr intensiv an sich
selber. Sie hielten die Macht ihres Mandats für gering im Verhältnis zur
Macht eines Leiters der Personalabteilung, gegen dessen Beschlüsse man
wohl am besten nicht knurrt. Ein Mandat hat auch einmal ein Ende,
dachten sie wohl ... Und sie konnten sich nicht für ihren Kollegen
entscheiden. Sie meinten, etwaige Mängel der Führung seien durchaus
nicht durch ein im übrigen unantastbares Amt als gedeckt zu
betrachten. Darauf berief sich Grahl erneut auf die Begründung des
Kündigungsschreibens, in welchem mit keinem Worte irgendeines Mangels
gedacht war. Es gelang ihm nicht, sie auf seine Seite zu ziehen. Und
obgleich dem gegebenen Rechte nach kein Ausschußmitglied seine
Unterschrift unter das Einspruchsschreiben, das inzwischen gefertigt
war, hätte verweigern können, so zeigte es sich dennoch, daß die drei
Nichtgewillten bis zum Ende in ihrer Opposition verharrten. Ihre Furcht
vor dem Eindruck, den ihre Unterschrift unter ein dem Willen der
Geschäftsleitung entgegengesetztes Schriftstück hervorrufen mußte, war
begreiflich groß. Nach langem Widerstande bemerkte Grahl, daß sein
beharrliches Dringen aufs Recht ihm dennoch keinen Vorteil brachte, und
er ergab sich darein, seinen Fall als den Fall eines einfachen
Angestellten zu führen. Noch bei einem Stimmenverhältnis von drei zu
drei war _für_ den Angestellten entschieden. Das Schriftstück, in
welchem der Ausschuß die Einwilligung zur Entlassung des Buchhalters
Grahl versagte, trug die folgenden Unterschriften: Baaß, Ehrlich, Grahl.

Grahl ging in bedrückter Stimmung nach Hause. Die Unzulänglichkeit
dieser an sich so verläßlichen Institution hatte ihn überrascht und
erschüttert. Er war für den Tag, für den Monat und für den
nächstfolgenden auch, gerettet. Aber gewöhnt, bei der Bilanz seiner
Lebenshaltung nicht nur die Gegenwart, sondern auch Vergangenheit und
Zukunft in Betrachtung zu ziehen, bangte ihm vor den kommenden Zeiten,
die ihn zwingen würden, die Hilfe der Ausschußmitglieder erneut
anzurufen. Wenn sie ihm dann sein Recht versagten? Gewiß, er würde es
von höherer Stelle erhalten. Das Recht schützt der Staat ...

Als er nach Hause kam, fand er wieder die Stube erleuchtet und leer. Er
ging schweigend durch alle Zimmer; Hermann und Gertrud fand er in ihrer
gemeinsamen Stube lesend. Als er ihre hochgezogenen roten Stirnen
wahrnahm, unterdrückte er seine Frage.

Frau Anna Grahl war bereits ins Gefängnis gegangen.




                           Sechstes Kapitel.


Am zweiten Oktober wurde das Schriftstück, das der Ausschuß am
vorhergehenden Abend beraten hatte, dem Personalchef Herrn Karst
übergeben. Dies geschah gegen Mittag. Nachmittags ging Herr Karst in das
Kontor des Chefs, und die Türe wurde nachdrücklich geschlossen. Aber bis
zum Abend geschah durchaus nichts.

Grahl blieb an diesem Tage bis fast in die Nacht am Pulte, um die
Fakturenkontrolle, wie erforderlich, am nächsten Tage beenden zu können.
Mitunter gelang es ihm, wohl eine Viertelstunde lang ruhig und
aufmerksam die Salden der Konteninhaber zu prüfen, – dann plötzlich fuhr
er sich mit der Hand über Stirn und Augen, blickte um sich, um zu
bemerken, daß selbst Herr Uri schon fortgegangen war, und daß außer dem
hellgrünen Licht, das auf sein Pult von der Lampe über ihm strahlte, das
ganze Kontor im Dunkel lag. Dann konnte er zehn Minuten lang mit
verdeckten Augen sitzen und denken. Er dachte an Anna. Die Notwendigkeit
trieb ihn wieder zur Arbeit. Wenn er die Menge des noch zu bewältigenden
Materials vor sich sah, fühlte er, wie sein Herz sich krampfte, ein
Schwindel begann seinen Kopf zu verwirren. Mit einem stöhnenden Laut,
gewaltsam, setzte er seine Rechnungen fort.

Grahl hatte einen der lastendsten Posten, er führte die Konten der
Firmen, deren Titel mit M, N oder R begannen. Auf diesen Platz, das
„Konto MR“, war er, als ein zuverlässiger Buchführer, im Laufe der Jahre
– noch unter dem Vater des jetzigen Chefs und unter wechselnden
Personalvorgesetzten – gelangt. Aehnlich umfangreichen Arbeitsstoff
hatte höchstens der Kontenführer des „Konto ST“ zu bewältigen. Für diese
Erscheinung eine Erklärung zu finden, ist leicht, wenn man die Statistik
der vorkommenden Namen in unserem Lande betrachtet; eine solche
Statistik bietet zum Beispiel das Adreßbuch der Stadt.

Am nächsten Tage mußte Grahl statt fertiger Arbeit die Erklärung
abgeben, daß er in einigen Tagen bestimmt alle von ihm geführten Konten
zum Abschluß gebracht haben würde. Nicht lange nachdem diese Mitteilung
seinerseits geschehen war, befahl ihm der Personalchef Karst, sich
unverzüglich in eine andere Abteilung, das Revisionsbureau, zu begeben.
Der Dienst dieses Ressorts bestand darin, die Arbeit der Kontenführer zu
prüfen, ihre Fehler zu finden und richtigzustellen. Zwar erforderte
diese kontrollierende Tätigkeit Ausdauer und ein gewisses Talent, das
mit dem Spürsinn zu tun hat – aber dennoch wurden die Posten dort meist
mit jungen Angestellten und Kontoristinnen besetzt, deren Monatsgehälter
einem der niedersten Sätze des Angestelltentarifs entsprachen. Kaum
hatte Grahl seinen Dienst in dieser Abteilung begonnen, als der Lehrling
Menzel den Raum betrat, um ein verschlossenes Kuvert auf seinen Platz zu
legen. Grahl öffnete und fand nun in deutlichen Worten die Begründung zu
seiner Entlassung ausgesprochen – dies war die Antwort auf die gestern
erfolgte Eingabe des Ausschusses. Als Grahl jenes Wort, das, alles in
einem, den Grund zur Entlassung aussprach, las – suchte er tastend nach
einem Halt. Im übrigen wurde ihm dringend geraten, freiwillig aus diesem
unerquicklichen Dienstverhältnis auszuscheiden, das, je weiter er es in
die Länge zu dehnen versuche, desto mehr an Schaden ihm bringen würde.
Das Wort, die Begründung, hieß: Unfähigkeit.

Wäre Grahl seiner ersten Regung gefolgt, hätte er sich um eine
Unterredung mit Karst oder gar mit Winter bemüht. Aber gewarnt durch den
letzten Bescheid, den er von Winter hatte entgegennehmen müssen, hielt
er sich fest vor dem Pult, und es gelang ihm notdürftig, sich zu seiner
neuen Arbeit zu sammeln. Als die Kontorzeit vorüber war, begab er sich
eilig zur Post, um dort einen Brief, einen schmerzerfüllten Protest,
aufzusetzen. Später strich er die innerlichst gefühlten Worte heraus und
als er das Schreiben in sauberer Abschrift an einem der Schalter gegen
Quittung aufgab, da war es ein sachlich gestraffter Widerspruch. „Man
hätte mir eine Frist zur Verfügung stellen sollen,“ schrieb Grahl, „zum
Beweisen, daß das Nachlassen meiner Arbeitskraft nur auf äußere
Einflüsse ohne Dauer zurückzuführen war. Man hätte mit mir verhandeln
sollen“ (das Wort „menschlich handeln“ hatte zuvor an dieser Stelle
gestanden), „statt dessen hat man mich schweigend beobachtet und in
Unkenntnis meiner Lage mir gekündigt.“

Er merkte es wohl – an dem nächsten wie an allen folgenden Tagen: Von
seinen Vorgesetzten als Arbeitskraft völlig verachtet, ward er von
seinen Kollegen im Rücken verspottet. Diese seltsamen Kreaturen, die ihn
so lange als arbeitsamen, rechtschaffenen Buchhalter kannten, schoben
die Oberzähne über die Unterlippe, fast bis aufs Kinn, als wollten sie
sagen: Du Verräter der Firma, der gegen die Autorität opponiert, – hebe
dich fort, wir haben mit dir nichts zu tun. Der Einzige, der ihn
freundlich ansprach, war Uri. Sie waren während einiger Jahre
Pultgenossen gewesen.

Der Leiter der Revisionsabteilung war Baaß, derselbe, der im Ausschuß
für Grahl gegen seine Entlassung gehandelt hatte. Aber nun erschien dem
biederen Manne die Stellung, in die er sich selber begeben hatte, nicht
mehr ungefährlich – auch war ihm vielleicht von höherer Stelle die
Initiative, die er jetzt ergriff, nahegelegt. Er besah sich öfters am
Tage seinen Revisionsangestellten Grahl, indem er sich mit der roten,
fleischigen Hand über den goldblonden Borstenschnurrbart strich. Und
endlich erklärte er Grahl – er brauchte zu dieser Erklärung sechs Worte:
er wisse mit ihm nichts anzufangen.

Ueber diese Erklärung war Grahl so verdutzt, daß er die Augenlider
zusammenzog, als blinzelte er gegen Rauch. Er fragte seinen
Ausschußkollegen nach dem Anlaß, den er zu solchen Worten gegeben: und
er erfuhr, daß er, Jakob Grahl, der Arbeit, die man ihm gab, sich
augenscheinlich durchaus nicht gewachsen zeigte.

„Erledige ich nicht, was man mir zu erledigen gibt?“

„Schon recht,“ sagte Baaß und rieb mit dem Zeigefinger über den Borst
unter der Nase – „aber man kann Ihnen leider nur wenig geben. Sie
arbeiten langsam, Herr Grahl.“

Unfähigkeit! sagte Grahl für sich, obgleich er wußte, daß Baaß all dies
sagte, um ihn aus irgendeinem Grunde, den er nicht kannte, zu verderben.
Er biß die Zähne gegeneinander und machte jene Bewegung zur Brille, wie
um sie besser vors Auge zu setzen – und schwieg.

Was kümmert mich dies, sagte er sich später, mir bleibt mein Mandat, das
mich schützt. Er war entschlossen, in diesem Kampfe nicht nachzugeben.
Ich sehe keine Veranlassung, dachte er in kaltem Trotz, mich aus freien
Stücken auf die Straße zu setzen. Ermordet mich und schafft mich hinaus
... lebendig bringt ihr mich nicht vor die Türe.

Aber während dieser Zeit schweigenden Kampfes wurde er äußerlich und
auch innerlich anders. Hatte er früher mit Hermann die Tagesereignisse
gern und lebhaft besprochen – so saß er jetzt schweigend, bleich, mit
aufgewälztem Stirnbein und verdeckten Augen seinen Kindern gegenüber
beim Abendbrot. Sie dachten, es wäre das Unglück der Mutter, das seine
Gestalt so mager erscheinen ließ. Und in Wirklichkeit – _war_ es nicht
dies? Ja, _auch_ dies. – Mitunter meinte er nachdenklich bei sich
selber, daß diese _beiden_ Kümmernisse _auf einmal_ nicht ohne heilsamen
Vorteil wären, da dem einen Kummer, sobald er stärker zum Herzen
vorstieß, der andere zur Ablösung kam.

Zwei Tage später aber, als Baaß seiner Unzufriedenheit Ausdruck gegeben
hatte, wurde Grahl auch von dem neuen Posten im Revisionsbureau enthoben
und in die Paketannahme versetzt. Er übernahm dort den Posten eines
Herrn, der an diesem Tage aus unbekanntem Grunde nicht wieder zur Arbeit
erschienen war. Grahls Tätigkeit war mit einigen Boten zusammen, die
sehr verwundert waren, den Herrn Buchhalter Grahl, den sie noch vor
kurzem mit tiefgezogener Mütze gegrüßt hatten, nun als ihresgleichen
beim Quittieren, Sortieren und bei der Verteilung eingehender Pakete zu
sehen. Er selber fand diese Verwunderung seiner neuen Kollegen
natürlich, und er behandelte sie mit der gleichen Achtung, die er nicht
nur für Menschen, sondern vielmehr für jedes lebende Wesen empfand.

Wenn er abends über die dunklen Straßen den Heimweg ging, wagte er es,
seine Mienen abzuspannen, und sein über den Tag aufrecht getragener
Körper gab sich nun Erschlaffung hin. Seine Lider lagen schwer über dem
trostlosen Blick; seine Mundwinkel, von dem struppigen Schnurrbart wirr
überhangen, waren tief bis ins Kinn gefurcht. Es war in solchen
Augenblicken ein Ausdruck des Grams schon vermischt mit den Mienen
verächtlicher Gleichgültigkeit – Gleichgültigkeit gegen die flackernden
Blicke, den hitzigen Atem der Welt.

Einmal traf er am Ausgang mit Uri zusammen. Sie gingen ein Stück des
Weges miteinander. Uri erzählte, der erste Nachfolger Grahls auf dem
„Konto MR“ sei schon am dritten Tage an ein anderes Pult zu anderer
Arbeit versetzt worden. Der nächste aber, ein junger Mann, der sich viel
auf seine Gewandtheit zugute tat – hatte während eines einzigen Tages
des Amtes gewaltet, um am nächsten und allen folgenden Tagen überhaupt
nicht mehr im Hause sichtbar zu werden. Er zog es vor, mit gutem Mut
eine Stellung bei einer anderen Firma zu suchen. Das „Konto MR“ hatte
seitdem den Namen erhalten: „Konto Ueber die Kraft“.

Grahl schwieg dazu. Uri seufzte einige Male. „Sie wissen doch, Grahl,“
begann er, „daß nun auch gegen den Ausschußwillen beim Arbeitsgericht
Einspruch erhoben worden ist?“

„Was ... sagen Sie da?“ sagte Grahl leichenblaß. Seine Stimme war rauh.
Er zog die Augenlider zusammen. Plötzlich stolperte er seitwärts einige
Schritte und hielt sich schwer atmend an einem Baum.

„Nicht erschrecken, Grahl,“ sagte Uri und nahm seinen Arm. „Meiner
Meinung nach erwartet Sie Kampf ... Kampf und Sieg. Das Arbeitsgericht
wird, in gerechter Betrachtung, sich für den Ausschußwillen entscheiden
müssen.“

„Das Arbeitsgericht, soso ...“ sagte Grahl mit einem Ausdruck von
Gleichgültigkeit.

Als er aber in seiner Stube hinter der Zeitung die leidenden Mienen vor
den Kindern versteckte, erwachte der Anfangstrotz wieder auf, der dem
Gefühl für die Seinen entsprang. Hermann las in dem kleinen Band einer
volkstümlichen Bibliothek – es war eine Einführung in die Philosophie –,
Gertrud, indem sie an einem Kleide nähte, beachtete jede Bewegung des
Vaters, jeden Blick – um ihm das Teeglas aufs neue zu füllen oder die
Teller vom Tische zu tragen oder das Gaslicht zu regulieren. Sie war es
auch, die ihre Mutter in ihrer jetzigen Wohnung besuchte. Niemanden
anders wollte die Frau zu Besuch haben. Mitunter sah Grahl seine Tochter
mit einem kurzen dankbaren Ausdruck an, als hätte er all seine
Zärtlichkeit, die er in der denkbar verschwiegensten Weise zu äußern
imstande war, auf das Kind zu übertragen.




                           Siebentes Kapitel.


Am 21. Oktober, dem Termin der Arbeitsgerichtsverhandlung in Sachen der
Firma Winter, Kommanditgesellschaft, gegen den Buchhalter Jakob Grahl,
befanden sich vor dem Vorsitzenden: als der Vertreter der
antragstellenden Firma der Personalchef Karst, als seine Zeugen Herr
Baaß nebst einem andern Ausschußmitgliede – welches übrigens eines der
drei widerspenstigen war –; ihm gegenüber: der Angestellte Grahl mit
seinen Zeugen: Uri, langjährigem Pultgenossen von Grahl, und
Rottmann, dem früheren Personalchef, der vor Jahresfrist als ein
sechsundsiebzigjähriger Mann nach mehr als drei Jahrzehnten die Arbeit
endgültig aus den Händen gelegt hatte. Er widersprach mit leiser fester
Stimme der Meinung Herrn Karsts, der in dem Buchhalter Grahl das Prinzip
der Unzuverlässigkeit _in corpore_ erblickte. Rottmann vermochte mit
gutem Gedächtnis aus Redewendungen Grahls, die er zitierte, und
charakteristischer Handlungsweise, die er lebhaft zu schildern wußte,
dem Vorsitzenden und seinen Beisitzern ein lebendiges Bild zu
vermitteln. – Nach ihm wurde der Leiter der Revisionsabteilung, Herr
Baaß, um seine Zeugenaussage befragt. Herr Baaß, indem er sich über den
Schnurrbart rieb, begann im Tone der echtesten Ueberzeugung die Worte
Herrn Karsts zu wiederholen. Aber er hatte kaum einige Sätze
vorgebracht, als Grahl, der mit graublassem Gesicht und geschwollenen
Schläfen am Tische stand, in unhemmbarer Erregung, mit hastig gestoßener
heller Stimme zu widersprechen begann. Der Vorsitzende rief ihn zur
Ruhe, er vermahnte ihn, bis die Aufforderung zur Rede an ihn erginge,
stille zu schweigen. Aber Grahl, mit beschwörend vorgestreckten Armen,
rief mit dringlichstem Ausdruck:

„Ihn treibt im besten Falle die Furcht, mit einem günstigen Wort über
meine Leistung die Gunst seiner Obern zu verlieren. Ihn hindert
Feigheit, ehrlich zu sein – nicht Feigheit, nein, ich verzeihe ihm das,
weil ich weiß, wie es tut, um das Brot der Zukunft zu bangen.“

Darauf schwieg er still. Und es war eine Stille im Saal. Der Vorsitzende
und seine Nebenmänner, von dem echten Klang dieser Stimme erschüttert,
vergaßen den kühlen Ausdruck, dessen sie sich sonsthin bedienten. Die
übrigen, die vor dem Tische standen, verhielten den Atem. Nur Karst,
zuerst überrascht und mit ängstlichen Mienen – gab sich nun den
verächtlichsten Ausdruck, dessen er fähig war. – Das Gericht ging nun
zur Beratung über.

Dies Arbeitsgericht war vormals eine Funktion des Kaufmannsgerichts
gewesen. Infolge vieler willkürlicher Entlassungen hatte es sich zur
besonderen Instanz ausgebildet, und sein Zweck war die Schlichtung von
Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Angestellten. Die Entscheidung
dieses Gerichts war der „Beschluß“, gegen den ein Einspruch nicht
möglich war. – Grahl stand mit gesenkten Augen am Tisch. Seine stummen
Lippen drückten den Ueberdruß eines Mannes aus, der am Ende des Kampfes,
ob Sieg oder Niederlage, mit der Empfindung unbegrenzter Verachtung den
Platz verlassen wird. Dennoch wurde er noch um eine Nuance bleicher, als
der Vorsitzende den Beschluß zu verkünden begann.

Der Beschluß hatte folgenden Wortlaut:

„In der Sache der Firma Winter, Komm.-Ges., Antragstellerin, gegen den
Buchhalter Jakob Grahl, Antragträger, die Erwirkung der Erlaubnis zur
Entlassung des Antragträgers betreffend, erkennt das Arbeitsgericht
durch Richter und Beisitzer für Recht: Die beantragte Zustimmung zur
Kündigung Grahls wird versagt. – Die Begründung folgt schriftlich.“

„Sehen Sie,“ sagte Herr Uri, der gar nicht zur Zeugenaussage gekommen
war, „sehen Sie, Grahl, nun haben Sie doch nicht umsonst ihr gutes Zeug
angelegt.“

Grahl bewegte die Lippen. Gertrud und Hermann, sagte er lautlos. Er
lachte über Herrn Uris Spaß. Auf den Abend lud er ihn in die Wohnung
ein. Herr Uri, der nicht verheiratet war, bewohnte ein kleines Zimmer
und saß an den Abenden, die schon winterlich waren, in Cafés oder
Restaurants. – Vorerst begaben sich die beiden zurück an die Arbeit,
denn erst war Mittag vorbei. Grahl ging gebeugt, mit schüchtern
gebogenen Knien neben der aufrechten breiten Gestalt seines Zeugen.
Schon am Eingang zum Kontorhause, wo sie einige Bekannte trafen, rief
Uri das Ergebnis mit schallender Stimme aus. Er drehte an seinem
kräftigen Schnurrbart und lachte. Er ging an sein Pult, Grahl in die
Paketannahme.

Abends bewirtete Grahl, der nun erleichterten Herzens seinen Kindern
alle Erlebnisse der letzten Woche mitteilen konnte, den Gast. Zwar mußte
er sich diesen Posten in der Paketannahme gefallen lassen ... mußte,
noch mehr, bei Ablauf seines Mandats der Entlassung gewärtig sein – an
eine Mandatsverlängerung war schwer zu glauben ... „Aber, mein Gott,
hieße es nicht eigentlich undankbar sein, an diesem Tage der sicheren
Gegenwart zu vergessen?“ fragte Uri, „um einer nicht unbedenklichen
Zukunft willen?“

„Ja, ja,“ sagte Grahl. Aber er faßte nervös an die Brille und sah seine
Kinder an.

„Und übrigens,“ meinte Uri, „stehen das Fräulein Tochter wie der Herr
Sohn auf eigenen Füßen?“

Nein, Hermann studierte und brauchte nun einmal die Unterstützung des
Vaters.

„Und Fräulein Gertrud?“ fragte Herr Uri. „Gehen Sie nicht nach dem
Beispiel so vieler Frauen in berufliche Konkurrenz mit uns Männern?“

Grahls Tochter wurde rot, als Herr Uri, dieser Mann mit seinem großen
Schnurrbart und den offenen blauen Augen, sich direkt an sie wandte. Sie
schüttelte nur den Kopf.

„Das gefällt mir,“ sagte Herr Uri lachend, „und auch, daß Sie, was Ihre
Kopfzier betrifft, nicht im Wettbewerb mit den Männern stehen.“

Hier mußten alle lachen. Herr Uri machte auf seine Art Komplimente.
Gertrud hatte zwei goldblonde Zöpfe dicht und breit im Nacken gewunden.
Sie bedeckten die Ohren – die sicherlich so dunkel erröteten wie Wangen
und Stirn, als Herr Uri das Glas, mit einem leichten Rotwein gefüllt,
ihr entgegenhielt, und mit seinem galantesten Lächeln sagte: „Zuerst auf
Wohl und Genesung Ihrer Mutter im Krankenhause – und nun auf das Ihre!“

Er lachte und trank.

Grahl legte seine weiße Stirn zwischen Daumen und Zeigefinger; Gertrud
bückte sich, um ein Fädchen vom Teppich zu geben; Hermann sprach einige
Silben, stand auf und entfernte sich aus der Stube.




                            Achtes Kapitel.


Am folgenden Tage wurde Grahl durch den Lehrling Menzel vor Herrn Karst
gerufen. Herr Karst las in einem Briefe ruhig bis zu Ende, ohne den Gruß
von Grahl erwidert zu haben, der nahe der Tür stehengeblieben war. Als
er mit dem Lesen fertig war, machte der Personalchef dem Angestellten
den Vorschlag, freiwillig zum Ende des Monats auszuscheiden.

Grahl glaubte im Ernst, nicht richtig verstanden zu haben. Herr Karst
wiederholte den Vorschlag und Grahl konnte darauf nur fragen: Ob nicht
gestern ein Beschluß der Instanz in dieser Sache entschieden hätte? Herr
Karst überhörte diese Bemerkung. Es schien, als interessierten ihn nur
seine eigenen Worte – und außer diesen höchstens die Bestätigung, die
nach seinem Wunsch zu erfolgen hatte. Er wiederholte wörtlich das vorige
Verlangen. Grahl preßte die flache Hand an die Stirn. – Sie nehmen mich
hier beleidigend einfach, schien er zu denken. – „Wie soll ich auf das
mir zugesprochene Recht verzichten?“ sagte er laut. – „Sie wollen also
nicht?“ fragte Karst. – „Nein.“ – „Gehen Sie an Ihre Arbeit.“ – Grahl
ging in die Paketannahme zurück.

Am nächsten Morgen wurde er wieder in das Glashaus des Herrn Karsts
gerufen. „Haben Sie sich meine Frage inzwischen bedacht?“ fragte Karst.
– „Ich hatte keine Veranlassung, dies zu tun.“ – „Was sollen wir also
mit Ihnen beginnen?“ – Grahl schwieg. Dann sagte er fest: „Ich bin
tauglich zur Arbeit, so gut wie ein anderer.“ – Mit einem Mal begann der
Personalchef zu lächeln. Er stand auf und ging in vertraulicher Art bis
dicht vor Grahl. Dann sagte er leise: „Ich will Ihnen einmal im geheimen
eine Andeutung machen. Sie haben sich an der höchsten Stelle
vorübergehend in Ungunst gebracht.“ – Grahl sagte kein Wort. Er blickte
sein Gegenüber wartend an. – „Bedenken Sie,“ fuhr der Personalchef
geheimnisvoll leise fort, „daß Ihr Mandat als Vertreter des Personals
Sie in eine feindliche Stellung zur Leitung gedrängt hat.“ – „Was soll
das heißen?“ fragte Grahl, indem er die Lider zusammenzog. – „Ihr Mandat
ist zum Schaden für Sie, wie es scheint.“ – Er bemerkte, daß Grahl zu
zittern und schwer zu atmen begann. Plötzlich verzog der Alte den Mund
zu spöttischem Lächeln. „Das Gesetz, das den Angestelltenvertreter gegen
die Leitung immun macht,“ sagte er langsam, „ist also nicht überflüssig,
wie’s scheint. Vor dem Arbeitsgericht war von anderen Mängeln die Rede.“
– Karst biß die Lippen verärgert zusammen. – „Für Ihre Andeutung danke
ich, ja,“ vollendete Grahl mit vollkommen höflichem Tonfall.

Karst sah seinen Plan gescheitert. Grahl durchschaute, daß man ihn von
dem Amt eines Ausschußmitgliedes ablocken wollte, um ihn der Immunität
zu berauben. Sein Gesicht verriet sein Verständnis davon. – „Gehen Sie
an Ihre Arbeit,“ sagte der Personalchef verdrießlich.

Nach der Erregung und einer gewissen Wut, welche ihn überkam – ihm
schienen die Mittel, mit welchen man ihn übertölpeln wollte, gar zu
beleidigend – stellte sich eine Ruhe ein, aus dem Gefühl von
Geborgenheit unter dem Spruch, mit dem das Gericht ihn vor dem
furchtbaren Winter des Stellungslosen bewahrte. Morgens, wenn er die
Wohnung verließ, schlug ihm der Windstoß, ein Bote des nahen November,
kalt ins Gesicht. Grahl empfand seine Sicherheit mit triumphierender
Freude, und er bestärkte sich, allen Versuchen, die ihn zu törichten
Schritten verführen sollten, mit wortkarger Ablehnung oder
offensichtlicher Ironie zu begegnen. Sie hatten ihm seinen alten Posten
genommen – das mochten sie tun. Die Stellung, das Brot ihm zu nehmen,
sollte so leicht nicht fallen. Dazwischen stand ein Gesetz.

Er war inzwischen auch in den Besitz der Urteilsbegründung gelangt.

„Da die Klägerin“ – hieß es in der Begründung – „bei ihrem ausgedehnten
Betriebe vielerlei Verwendungsmöglichkeit für den Beklagten besitzt, so
ist in keiner Weise begreiflich, warum dem Beklagten, dessen
Tauglichkeit auf dem lange geführten Posten bestritten wird, nicht eine
andere Tätigkeit übertragen werden sollte. Beklagter scheint zurzeit,
unter dem Einfluß besonderer Verhältnisse, nicht voll dem gewohnten Amte
genügen zu können.

„Das Gericht“ – hieß es weiter – „hält es für seine Pflicht, den
häufigen Wechsel im Ausschuß zu unterdrücken. Denn nur ein Ausschuß, der
die Verhältnisse der Firma und der Angestellten im einzelnen kennt, ist
seiner Aufgabe gewachsen. Nur dort, wo ein wirklich wohlbegründetes
Interesse des Arbeitgebers ersichtlich ist, wird er daher seine
Zustimmung zur Kündigung geben. An einem solchen wohl begründeten
Interesse fehlt es in diesem Falle durchaus.“

Da konnte Grahl also ruhig sein. –

Am nächsten Tage wurde er abermals vor den Personalchef gerufen. – „Sie
wünschen gewiß ein Zeugnis zu erhalten?“ fragte ihn Karst –
Unwillkürlich erbleichte Grahl. Er führte Daumen und Zeigefinger zur
Brille. – „Nicht wahr?“ sagte der Personalchef lächelnd. Dies gutmütige
Lächeln in dem vollen brutalen Gesicht warnte den Alten. – „Warum sollte
ich wünschen, ein Zeugnis zu erhalten?“ stieß er gereizt hervor. –
„Halten Sie es nicht für besser,“ sagte Karst, mit ernster Miene im
Sessel lehnend, „daß Sie zum ersten November den Dienst hier
quittieren?“ – „Ich denke gar nicht daran,“ rief Grahl. – „Ueber kurz
oder lang werden Sie _doch_ Ihren Posten verlassen müssen,“ sagte Karst
mit überzeugter Stimme und gegeneinanderklopfenden Fingerspitzen; „es
kann Ihnen vielleicht gelingen, einen Monat länger bei uns
herumzuliegen. – Uebrigens, schämen Sie sich denn nicht, diesen Posten
da in der Paketannahme so ganz selbstverständlich innezuhalten?“ – „Ich
habe mir diesen Posten niemals gewünscht,“ rief Grahl entrüstet. – „Und
Sie hoffen,“ fuhr sein Gegner fort, ohne dem Ausruf Beachtung zu
schenken, „Sie hoffen nach Ihrem trotzigen Widerstand noch ein
brauchbares Zeugnis zu erhalten?“ – „Ich will kein Zeugnis,“ rief Grahl,
„ich habe Arbeit, ich habe Stellung – ich brauche kein Zeugnis.“ – „Sie
werden bald anderer Meinung sein.“ – Grahl lachte. – „Ich rate Ihnen,
sich klug zu verhalten. Geben Sie diese Stellung auf, wie man von Ihnen
verlangt – so werden Sie mittels des Zeugnisses, das wir Ihnen
ausstellen wollen, bald eine neue, besser geeignete Stellung gefunden
haben. Verharren Sie aber in Ihrem ungeschickten Verhalten, so bleibt
Ihnen, wenn Sie sich von den Tatsachen überflügelt finden, die Hilfe von
unserer Seite versagt.“ – „Mein gutes Schicksal erspart mir,“ schrie
Grahl, „sowohl das Los, eine Stellung suchen zu müssen – eine Stellung
in dieser Zeit! – als auch das Unglück, Ihr Zeugnis erwarten zu müssen.
Ich will nichts mehr hören!“ schrie Grahl. – „Gehen Sie an Ihre Arbeit,“
sagte der Personalchef, ohne ihn anzublicken.

„Hetzt mich, hetzt mich,“ murmelte Grahl, als er den langen Flur im
Kellergeschoß hinabging – dort war die Paketannahme –; „solange ihr mich
wie einen Hasen zu treiben versucht, merke ich doch, wie gern ihr mich
fangen möchtet.“ –

Im Innern gereizt, aber äußerlich still, seinen Kummer sowie die
Ursachen heimlich verschweigend, saß Grahl in seiner Stube, wo Gertrud,
ihm gegenüber, mit langsamen regelmäßigen Zügen Brief um Brief und dazu
die Adressen schrieb. Neben ihr lag die Abendzeitung, in welcher sie
mehrere Inserate unter der „Zimmer“-Rubrik mit Kreuzen bezeichnet hatte.
– Hermann war wohl zu einem Vortrag gegangen.

Plötzlich schellte es an der Wohnungstür. Beide erschraken. Gertrud
ging; Grahl preßte die Hand auf die Brust ... Es war Herr Uri. Er konnte
nicht umhin, gleich beim Eintritt einige sehr lustige, freundliche
Sachen zu Gertrud zu sagen. Er komplimentierte die Farbe des Kleides und
fand noch mehr zu bewundern. Gertrud legte eilig die fertigen Briefe
zusammen, sie begab sich in die Küche, um für den Gast ein Abendbrot zu
bereiten.

Als Herr Uri sich mit Grahl allein in der Stube befand, wurde der
Ausdruck seines Gesichts nachdenklich ernst. Und dann – mit wenigen
Worten unterrichtete er Grahl von dem neuesten Schlag, zu welchem man
gegen ihn ausholte. Baaß und jenes Ausschußmitglied, das vor dem
Arbeitsgericht mit Baaß zusammen als Zeuge der Firma erschienen war –
diese beiden hatten in einer Versammlung, die eben beendigt war und
sowohl alle Ausschußmitglieder, mit Ausnahme von Grahl, als auch eine
Anzahl von Angestellten vereinigt hatte, den folgenden Antrag gestellt:
Nach den beleidigenden Ausfällen Grahls vor dem Arbeitsgericht gegen
eines der Ausschußmitglieder, Herrn Baaß, sei eine nutzbringende
Gemeinschaft zwischen Grahl einerseits und den übrigen Mitgliedern
andererseits zu bezweifeln. Unter Verzicht auf eine Entschuldigung
seitens Grahls werde dieser aufgefordert, von seinem Posten als
Ausschußmitglied zurückzutreten.

Grahl sprang auf, fiel in den Stuhl zurück, stemmte eine Faust auf das
Herz und stöhnte. „Ich werde nicht!“ rief er aus, „ich habe keine
Veranlassung, von meinem Posten zurückzutreten. Wer kann mich zwingen?
Mich deckt nicht mein Recht allein – mich schützt das Gesetz auf
zweifache Weise.“

„Lieber Grahl,“ sagte Herr Uri, „ich habe Ihnen mit dieser Nachricht
nichts Gutes gebracht. Aber nun wird jene Aufforderung, welche Sie
höchstwahrscheinlich schon morgen treffen wird, nicht mehr vermögen, Sie
zu einem unbesonnenen Entschluß zu verleiten.“

„Mich verleiten?“ rief Grahl. „Zu einem Entschluß? Ich habe keine
Veranlassung ... Was? Halten mich meine Kollegen für schwachsinnig –
wie?“

Gertrud, ein Tablett vorsichtig in Händen tragend, kam an die Tür. Herr
Uri sprang auf, um ihr behilflich zu sein. Und während der Stunde, für
die Uri noch blieb, konnte er solch ein gutmütiges frohes Geplauder mit
der Tochter seines Kollegen treiben, als wäre an diesem Abend von gar
nichts Ernstem die Rede gewesen.




                            Neuntes Kapitel.


Am nächsten Morgen fand Grahl, wie erwartet, den Brief. Er hatte bereits
ein kurzgehaltenes Antwortschreiben verfaßt, in dem er erklärte, es gäbe
für ihn keine Veranlassung, von dem Amt, zu welchem die Stimmen der
Wähler ihn berufen hatten, zurückzutreten. – Er ersuchte einen Boten,
dies Schreiben zu überbringen, und blieb in einem Gefühl von
Befriedigung und Verzweiflung zurück. Um sein laut klopfendes Herz zu
beschwichtigen, wiederholte er sich mit gemurmelten Worten, daß das
Gesetz seine Stellung auf zweifache Weise schützte. Aber die innerliche
Empfindung von dennoch nagender Angst entsprang der Gewißheit von einem
dunkel sich näher gegen ihn wälzenden Ende. Er hörte die triumphierenden
Hörner der Jäger, das Kläffen der Hunde. Seine Stirne nickte kaum
merkbar, nickte unaufhörlich nach dem unaufhörlichen Takt seines
klopfenden Herzens.

Am Nachmittage wurde ihm ein Schreiben gebracht, des Inhalts, daß
sämtliche Ausschußmitglieder von ihrem Amte zurückgetreten wären, um
einen vom Personal neu zu wählenden Ausschuß zu ermöglichen und somit
das unerwünschte Nebeneinander mit Grahl zu lösen. – Grahl, ohne merkbar
mit einer Miene zu zucken, steckte den Brief in die Tasche. Nun wußte er
auch, daß es eben diese Maßnahme war, die er gefürchtet hatte, als die
Empfindung von Angst in ihm zu klopfen begann. Für eine halbe Stunde und
länger war sein Denken gelähmt. Dann schrieb er mit fiebernder Hand
einen Brief: Er protestierte; er verlangte Gehör.

Die Erregung in ihm, die nach entscheidender Aussprache drängte, trieb
ihn, mit eigenen Händen den Brief in die Revisionsabteilung Herrn Baaß
zu bringen. O, er kannte sie wohl, seine Kollegen vom Ausschuß. Sie
standen nun alle unter dem Einfluß von Karst, dem sie gut zu gefallen
suchten; der selber nun wohl eine Gunstbezeugung für die Vollstrecker
seines Willens daran wenden mußte, nachdem dieser sein Wille, in
unmittelbarem Angriff auf Grahl, sein Ziel nicht hatte erreichen können
...

Als er in dem langen Flur, dicht bei der Kantine, an der Tafel
vorbeigehen wollte, wo für die Angestellten wichtige Mitteilungen zu
finden waren, blickte ihn die Ueberschrift eines Aufrufs an: „Neuwahl
zum Ausschuß am 29. Oktober“. – Grahl blieb stehen. Sein Herz stand
still. Es war schon zu spät. Nun hieß ein Versuch, die Gegner von ihrem
Unrecht zu überzeugen, sich vor ihnen zur Erde beugen ... umsonst sich
zur Erde beugen. – Er wendete sich mit schurrenden Sohlen und kehrte den
Weg über den langen Flur, sich nah an den getünchten Wänden haltend,
zurück.

Das Oktoberwetter umpfiff ihn, als er den Weg nach Hause ging. War er
vogelfrei? Mit seinem Mandat ging seine Immunität verloren. Ein Versuch
zu erneuter Kandidatur wäre sinnlos. Aber dann blieb noch ein anderes
Recht. Er konnte noch als einfacher Angestellter den bald neugebildeten
Ausschuß zum Einspruch gegen die Kündigung aufrufen, die ihn
voraussichtlich am letzten Tage des Monats traf. Aber die Hoffnung, die
ihn auf diesem Wege begleiten konnte, war lächerlich winzig. Denn
sicherlich würde die Mehrzahl der alten Ausschußmitglieder den neu zu
wählenden Ausschuß bilden. Die Auflösung samt der folgenden Wahl – dies
war ein taktischer Zug, wahrscheinlich betrieben von Karst, den
Buchhalter Jakob Grahl aus dem Amt zu entfernen. War er nicht vogelfrei?
Am 29. Oktober wird ihn ein Brief von seinem erloschenen Mandat in
Kenntnis setzen, am 31. ein anderer von seiner Entlassung am 1.
Dezember. Dann kann er noch einmal zum neuen Ausschuß gehen, der sich im
besten Fall aus anderen Untertanen zusammensetzt als der alte – das kann
er, als der gekündigte Buchhalter Grahl ... aber er wird es nicht tun.

Er hüpfte von einem Fuß auf den andern. Obgleich ihm der Wind ins
Gesicht pfiff, glühte die Stirn. Nur die Finger, in seinen
Manteltaschen, und die hüpfenden Füße waren eiskalt.

                   *       *       *       *       *

Aber es kam noch anders, als er erwartet hatte. Am Morgen des
Neunundzwanzigsten war an Stelle des Aufrufs zur Wahl eine Mitteilung an
die Tafel geheftet: Aus Mangel an Kandidaten konnte die Wahl nicht
vonstatten gehen. – Es gab also keinen Ausschuß mehr. – Niemand wünschte
durch die Eigenschaft als Führer des Personals in einen etwaigen
Konflikt mit der Leitung der Firma zu geraten. Man hatte ja wohl
bemerkt, wie wenig Sicherheit eine Immunität bedeutet, wenn sie Herrn
Karst nicht gefällt ...

Mit der Kündigung, welche Grahl erwartungsgemäß am Vormittag des 31.
Oktober (zum 1. Dezember) erhielt, wurde ihm sein Gehalt für den
vergangenen Monat verabfolgt. An der Summe fehlte beinahe ein Drittel zu
seinem Monatssalär. Er wandte sich an den Kassierer, der ihm erklärte,
daß für den vergangenen Monat der Gehaltstarif für Boten und Packer,
nach welchem der Vorgänger auf seinem Posten gelohnt worden war, auch
für _ihn_ Geltung hätte. – Ohne zu merken, daß er gegen Böcke rannte,
und Menschen, die ihm im Wege standen, beiseite stieß, lief Grahl durchs
Kontor und trat in den „Glaskasten“ ein, wo Herr Karst, einen Brief
diktierend, am Schreibtisch saß. Ehe Grahl den ersten Satz mit hastiger,
oft versagender Kehle zu Ende gesprochen hatte, hielt ihm Karst einen
geschlossenen Umschlag entgegen. Er trug eine Aufschrift: „Zeugnis für
Jakob Grahl“. – Grahl hörte Herrn Karst noch die Worte sagen: „Sie
können nach Hause gehen. Die Firma verzichtet auf Ihre Tätigkeit,
obgleich das Dienstverhältnis bis zum 1. Dezember geht. Sie brauchen
nicht wiederzukommen. _Trotzdem_ wird Ihnen am Letzten des kommenden
Monats das Gehalt für einen Boten bezahlt. Adieu.“

Herr Karst fuhr fort, einen Brief zu diktieren. Grahl wollte entgegnen
... aber es schien ihm dann, als wäre es sinnlos, etwas zu sagen. –
„Vollkommen sinnlos,“ sagte er mit vernehmlicher Stimme und stand im
Regen vorm Haus.

                   *       *       *       *       *

                                         „....., den 31. Oktober 1924.

   Herrn Jakob Grahl.

   Am 29. Oktober 1924 ist das Mandat des alten Angestelltenausschusses
   erloschen. Ein neuer Ausschuß ist nicht gewählt worden. Es besteht
   also seit diesem Tage kein Ausschuß mehr.

   Mit dem Erlöschen des Mandats des alten Angestelltenausschusses ist
   auch Ihre Zugehörigkeit zum Angestelltenausschuß erloschen.

   Die Voraussetzungen, weswegen uns von seiten des Arbeitsgerichts
   eine Kündigung versagt worden ist, sind somit in Fortfall gekommen.

   Wir kündigen Ihnen daher hiermit Ihre Stellung zum 1. Dezember 1924.

                                                      Hochachtungsvoll
                                  Winter, Komm.-Ges. (Personalleitung)
                                                               Karst.“

                   *       *       *       *       *

                                         „....., den 31. Oktober 1924.

                                 Zeugnis.

   Herr Jakob Grahl war vom 1. Mai 1898 bis 31. Oktober 1924 bei uns
   beschäftigt.

   Er fand während dieser Zeit in verschiedenen Abteilungen Verwendung
   und erledigte die leichteren Arbeiten zu unserer Zufriedenheit.

   Das Vertragsverhältnis wurde von uns zum 1. Dezember 1924 gelöst,
   weil Herr Grahl sich den Anforderungen unserer Buchhaltung nicht
   gewachsen zeigte und wir eine Beschäftigungsmöglichkeit für ihn in
   anderen Abteilungen nicht fanden.

   Seine Führung war, abgesehen von den letzten drei Monaten, gut.

                                                ppa. Winter, Komm-Ges.
                                                               Karst.“




                            Zehntes Kapitel.


Zu seiner Verwunderung fand er zu Hause weder Gertrud noch Hermann,
obgleich der Eingang zur Wohnung unverschlossen gewesen war. Es war ihm
recht, mit sich selber allein zu sein. Er legte sich, bleierne Schwere
in Kopf und Füßen, aufs Sofa. Er wünschte zu schlafen, um vor den
Gedanken, die hinter der Stirne eilig wie Mäuse durcheinanderflohen,
Ruhe zu haben. Er fand sich nicht fähig, den in seiner Sache notwendigen
Entschluß zu fassen. In Wirklichkeit – sagte er sich, wenn er die letzte
Kraft seines Denkens für einen Augenblick zu sammeln vermochte – in
Wirklichkeit muß die Verteidigung gegen das Unrecht, das mir getan
worden ist, einfach sein; obgleich diese Pflicht, mich zu wehren, wie
eine unabwälzbare Last auf mir kniend, mich lähmt ...

Plötzlich wurde die Wohnungstür in nervöser Hast mit dem Schlüssel
geöffnet. Die Stubentür wurde aufgerissen; Hermann, bleich und mit
klebrigem Haar, rief verzweifelt: „Vater, komm mit.“ Grahl sprang auf.
In diesem Augenblick fühlte er nichts mehr von seinen Leiden, er
stolperte durch den Flur, und ohne den Hut aufzusetzen, folgte er seinem
Sohn die Treppen hinunter, indem er beständig sagte: „Was ist denn
geschehen? Ist deiner Mutter etwas geschehen?“ und Hermann mit seiner
abgehetzten heiseren Kehle hervorstieß: „Komm mit, ich erzähle dir
unterwegs.“ An der Haltestation der Straßenbahn blickte Hermann den Lauf
der Schienen hinunter. „Wir müssen laufen, es kommt keine Bahn,“
flüsterte er, und ohne zu zögern, warf er den Körper herum und hastete
weiter. – „Hermann, ich folge nicht mehr – keinen Schritt“ – keuchte der
Vater, „wenn ich nicht nun erfahre ... Ist deiner Mutter ... oder ist
Gertrud ... Hermann ...“

„Gertrud,“ stieß Hermann im Laufen heraus, „ist heute früh zum Gefängnis
gegangen. Sie kam dann zurück und holte mich – wie ich dich. Als ich von
ihr erfuhr, was geschehen war, angeblich geschehen, lief ich zu dir ins
Bureau. Dort sagte man mir, du wärest nach Hause gegangen. So ist es
gewesen ...“

„Was ist denn geschehen?“

„Es ist vielleicht gar nicht geschehen, gar nicht so furchtbar, Vater
... aber du mußt denken, bei dir ... du mußt dir das Furchtbarste
denken. Dann bist du sicher ... vor jeder Nachricht, die uns erwartet.
Stelle dir vor ... das Schlimmste – es braucht darum nicht zu _sein_.“

„Ich stelle mir nun das Schlimmste vor – Hermann – ist es so?“

„Ich weiß es selber nicht, Vater. Ich weiß es nicht.“

So rannten sie bis zum Bahnhof, wo sie den Vorortzug, mit dem sie zur
Wette gelaufen waren, davonfahren sehen mußten. Sie hatten eine
Viertelstunde zu warten, sie gingen, jeder für sich, umher. Sie blickten
aneinander vorbei und schwiegen.

Im Abteil führten sie eine Unterhaltung, die darin bestand, daß Grahl
seinen Sohn – und Hermann den Vater ermahnte, des Schlimmsten gewärtig
zu bleiben ... des Schlimmsten, das denn nichts anderes als ein
natürlicher Punkt des Lebens sei.

„Ich denke meine Gedanken zu Ende, Vater, und bleibe ruhig. Bleibe auch
du ruhig, Vater.“

„Ich kann was vertragen, Hermann. Man muß auch mal zeigen, daß man sich
meistern kann. – Uebrigens ist es noch gar nicht gesagt ...“

„Natürlich ist es nur eine Sicherheit gegen den äußersten Fall, wenn wir
uns ...“

„Ganz ruhig bleiben, mein Junge, ganz ruhig ...“

Als sie aber in einer Räumlichkeit mit nackten Wänden an der Bahre
standen, auf welcher die Strafgefangene Anna Grahl mit ein wenig
geöffneten Augen lag, waren die Vorbereitungen gänzlich vergessen.
Hermann, mit dem Ausdruck eines skeptischen Philosophen, stand an der
langen Seite der Bahre, die Brauen herunter-, den Mundwinkel aufwärts
gezogen, als nähme er mit schlichter Nachdenklichkeit das Geschehnis zur
Kenntnis. Er nickte sogar in einer Weise, als fände er hier eine
naturwissenschaftliche Annahme bestätigt. Dann ging er hinaus. – Grahl
hatte zuerst überrascht geblickt. Dann betrachtete er mit einer Miene
von Grauen, Schrecken und schmerzlicher Verdrossenheit die durch einen
Spalt glänzend blickenden Augen in jenem bekannten unbekannten Gesicht,
auf welchem trotz der Verzerrtheit des Mundes die hohe Fremdheit
vollkommener Ruhe und unendlicher stiller Entferntheit schwieg. Dann
wich sein Blick zur Seite, wo, neben der Bahre, ein Halstuch lag,
zusammengerollt wie ein Strick. Er sah wieder die offenen Lippen, die
tiefe Färbung des Angesichts – seine Augen gingen langsam über die
fremde geöffnete Kleidung und langsam wieder hinauf bis zur Stirn ...
Mißtrauen und ängstliche Ahnung, wie sie sich eines Knaben in
unbekannter geheimnisvoller Umgebung bemächtigten, runzelten seine Haut
überm Brillensattel. „Anna,“ sagte er leise ... „lebst du nicht mehr?“

Es schien ihm, als zuckte die Unterlippe. – Kein Laut.

Da stampfte Grahl mit dem Fuß.

Es war aus. Und der Schmerz, der Kampf, die Arbeit ums Leben – was sie
beide gemeinsam gehabt und getragen ...

Das war alles umsonst? War nur dies?

Schon wieder besiegt? Schon wieder besiegt? Ja, ungerecht wie die
Menschen – so war auch der Tod.




                            Elftes Kapitel.


Am Abend saßen die Kinder Grahls, jedes für sich beschäftigt, am Tisch,
während ihr Vater mit blauen Schläfen regungslos auf dem Sofa lag. Es
klingelte an der Wohnungstür und Herr Uri kam. Beim Anblick der
gramdurchfurchten Gesichter legte Herr Uri für einen Augenblick den Kopf
auf die Seite, als sagte er bei sich selbst: Welch ein Unglück, ja, ja
... diese Kündigung. – Aber ehe er über die Ereignisse im Kontor hätte
beginnen können, sagte der Alte mit einer bedeutungsvollen Bewegung:
„Sie kommen zur rechten Zeit, mein Lieber. Ich möchte mit Ihnen ein
wenig spazieren gehen. Ich brauche Luft um die Stirn.“

Er erhob sich vom Sofa. Aber indem er merklich erbleichte, fiel er
zurück. „Es ist nichts,“ sagte er nach einer Pause mit schwachem
Lächeln, „draußen wird das vorübergehen.“ Er strich seinen Kindern mit
einer ruhigen Bewegung über die Scheitel. Gertrud neigte den Kopf noch
tiefer und brachte endlich ihr Nähzeug lautlos bis an die Augen.

An der Treppe zögerte Grahl. „Geben Sie mir Ihren Arm, mein Lieber ...
ich weiß nicht ... die Treppe ...“ Herr Uri führte ihn langsam hinunter.
Die frische sternklare Straße machte ihn tiefer atmen, er seufzte. Es
war, als ob von Augenblick zu Augenblick Regungen eines hohen Schmerzes
zitternd vom Kopfe zum Herzen liefen, sein Gemüt mit jenem Frieden
erfüllend, den die Demut unter das Schicksal erzeugt. – Herr Uri
berichtete unterdessen, gleichsam zum Troste, von einigen Mißvergnügten
im Personal, die ihrer Empörung über den Abschied des Alten Ausdruck zu
geben begannen. Es hatte sich nun herausgestellt, daß der Nachfolger
Grahls in der Paketannahme – eben derselbe Angestellte war, der früher
den Posten gehalten hatte. Es war ein Bote, welchem die Firma den Urlaub
für das vorgehende Jahr noch schuldete. – In seiner Abwesenheit hatte
man Grahl auf den Posten gestellt, mit seinem Wiedererscheinen hatte man
ihn entlassen.

„Glauben Sie denn,“ fragte Grahl, „daß diese Stimmen, die sich nun
einzeln für mich erheben, nachdem sie so lange geschwiegen haben –
glauben Sie, daß diese Stimmen etwas vermögen, nachdem die letzte
Vertretung des Personals unter der Macht des Geldherrn und unter der
Vorsichtigkeit der Angestellten vergangen ist?“

Herr Uri schwieg. Dann sagte er leiser: „Das ist wahr – unser Recht ist
dahin.“

„Wir wollen nicht davon reden, Uri,“ sagte der Alte; „wenn es so und
nicht anders auf Erden ist, kann man wohl schlecht was dagegen sagen.
Geben Sie mir bitte Ihren Arm. – – Heute vormittag, Uri, hat meine Frau
mittels eines Tuches, das sie sich etwas fest um den Hals wickelte, ihre
aristokratische Gleichgültigkeit gegen dies Leben öffentlich kundgetan.
Ich bin ganz verwirrt, muß ich sagen. Sie ist davon gegangen – sie hielt
es für gut – mich ließ sie beinahe beschämt zurück. Uri, einige sterben,
weil sie sich vor den Menschen fürchten; andere, weil sie sich
eingestehen, daß sie nicht ins rechte Milieu geraten sind, als sie in
die Menschenwelt eingelassen wurden. Ich weiß nicht recht ... ich habe
einen Respekt. Wenn ein Mensch nicht mehr weiter kann und daher umkehrt
– dann heißt man das: Schwäche. Meine Frau war stark, da ist gar kein
Zweifel. Sie hat sich bestimmt nicht zurückgezogen aus Furcht. Sie
konnte den Kopf so hoch wie sie wollte tragen. Das hätte sie auch in
dieser Sache vermocht. Sie hatte da eine Sache, Uri, müssen Sie wissen
... Gut, Anna war also stark. Aber ich? Ich habe um Anna, wenn ich sie
lächeln sah – ich verstand ihr Lächeln so gut, so ganz, daß ich mich
heute nicht hätte wundern sollen – ich habe um sie so gezittert und so
an der Seele geblutet, daß ich nichts mehr vom Leben wußte und sah,
außer ihr. Die äußere Welt, in der ich gebunden war, verlor ihre
Wirklichkeit, ich kannte in ihr meinen Platz nicht mehr, es gab für mich
keine Sorgen, noch Pflichten – ich lebte mit ihrem Leben, mit ihrem
Leiden hab ich gelitten, ich war über Tag und Nacht in der Seele der
Frau, die so lächeln konnte, daß ich mich für die Menschheit schämte,
die dies Lächeln herausgefordert hatte. Sie müssen wissen, man hat sie
verklagt und vor die Richter gebracht. Um einen Dreck und nichts ...
Aber weiter von mir. Sie sehen, das war meine Schwäche. Meine
wesentliche Verwandlung, deren Zeuge Sie waren, Uri, in deren Verlauf
meine Hände lahmten, und alle mich für stumpf und ermattet hielten –
diese Verwandlung führte mich ins heftigste innerste Leben. Aber ich
hätte da Einhalt gebieten müssen, nicht wahr ... Auf den Gedanken komme
ich erst jetzt. Es sollten einige ausgemustert werden – und weil ich der
Schwächste schien, griffen sie mich. Ich hätte auch, als sie im Ausschuß
begannen, mich an den Rand zu drängen, mit ganz anderen Mitteln mich
wehren müssen. Man kann sich ja wohl auch anders wehren, nicht wahr? Ich
hätte Baaß nicht beleidigen sollen, oder, nachdem ich es einmal getan,
hätte ich unternehmen sollen, ihn zu versöhnen. Ihn hätte ich auf den
Abend an meinen Tisch zu einer Flasche Wein bitten sollen – statt dessen
habe ich _Sie_ eingeladen. Ich hätte ein Machtmittel bei mir behalten
sollen, einen Austauschwert – statt dessen ließ ich mir alles nehmen und
behielt nur mein Recht. Ich war bis zum Schluß der irrigen Meinung, die
höchste Macht sei – das Recht. Uebrigens – und Sie können hieran meine
ganze Schwäche erkennen – dieser Meinung bin ich noch jetzt. Ich habe
keine Kraft, sie von mir zu tun, keine Gelegenheit – nämlich keinen
Wunsch. Wenn ich wünschte, im Unrecht zu sein, wünschte ich nicht mehr,
meine Sache zu gewinnen. Und wie ich nun einmal bin, rief ich nicht
einmal Beistand zu Hilfe – ich sah alles so einfach an, ich war ja im
Recht. Wenn die Natur mich für einen kurzen Abschnitt verwandelt, so daß
meine Kraft, wie in Krankheit, lahmt, so bin ich doch eben im Recht ...
und die Menschen müssen dies Recht respektieren, ohne Erklärung von
meiner Seite, ohne Preisgabe eines Gefühls, dessen Art es ist, stumm im
Leben zu bleiben. Gott sorgt für alle, heißt es zu unrecht, wie ich
bemerke; aber ein reicher Mann, das Haupt einer Kommanditgesellschaft,
kann für tausend sorgen, wenn er nur will. Unter den Tausenden einer
mußte hinaus – denn dieses einen Monatssalär wollte ein Sparsamer sparen
– dieser eine war ich – ich war schwach – _denn_ ich war schwach – dies
„denn“ ist sehr wichtig – verstehen Sie mich – es empört mich – ja ...
ja, ich bin schwach ...“

Er hatte sich aus dem Arm Uris gerissen. Etwa zehn Schritte noch ging er
fort. Dann wurde sein Gang ein Torkeln vornüber. Er torkelte auf die
Seite, wo eine Laterne stand. Mit der Absicht, sich anzuklammern, hob er
den rechten Arm. Aber plötzlich fiel der Arm herab. Grahl sank in die
Knie, schlug zur Seite, machte noch eine kurze Bewegung und lag
regungslos auf dem Pflaster.

„Was ist Ihnen ... Grahl ...“ sagte Uri, indem er die zerbrochene Brille
hinter den Ohren des Liegenden löste. Dann wendete er ihn mühsam in das
Licht der Laterne, blickte ihm in die Augen und schwieg.




                           Zwölftes Kapitel.


Einige Tage nach dem Begräbnis ihrer Eltern saß Gertrud abends allein am
Tisch, die Augen auf beide Arme gelegt. Ueber ihr zischte leise das
Gaslicht. Vor ihr stand die Lade einer Kommode, deren Inhalt zum Teil
auf dem Tisch ausgebreitet war. Mit ihren Armen lag Gertrud auf einigen
Blättern beschriebenen Briefpapiers. Neben ihr krümmte sich ein
besonderes Blatt, welches wahrscheinlich zerknüllt in dem Schubfach
gelegen hatte, denn es bog sich mit vielen Falten und knackte, als
wollte es sich nicht in die neue Lage gewöhnen. Dies Fach, das Gertrud
an diesem Abend zu sichten unternommen hatte, war Frau Annas Privatfach
gewesen, in welches noch keines der Kinder Einblick genommen hatte.
Gertrud, um sie ihrem Bruder zu ersparen, hatte entschlossen die
gefürchtete Arbeit begonnen. Aber nun stockte sie schon, von der
Gegenwart dieser lebendigen Schrift übermannt, unter aufsteigenden
Erinnerungen.

Plötzlich klopfte es an die Tür und Herr Uri war da. Gertrud sprang auf.
Herr Uri mußte von Hermann, der eben die Wohnung verlassen hatte,
eingelassen worden sein. Auf seinen Gruß erhielt er ein schmerzliches
Lächeln zur Antwort, er hörte den hellen Ton unterdrückten Schluchzens –
und befand sich, ehe er noch zu Worte gekommen war, allein in der Stube.

Mit dem dringenden Wunsche, diesem Mädchen, dem von ihren Eltern
geblieben war, was sich auf einem Tische ausbreiten ließ, Trost, Hilfe
und – wenn es die Konstellation ergäbe – mehr noch zu bringen, ließ sich
Herr Uri auf dem Sofa nieder. Es gingen Minuten vorbei. Die Wanduhr
schlug. Endlich bemerkte er das Blatt, das offensichtlich einmal
zerknüllt gewesen war, und las.

   „Sehr geehrter Herr Mörk!

   Sie haben mich beim Gericht verklagt. Sie denken wahrscheinlich bei
   sich: Diese Frau ist eine Verbrecherin, es ist gut, sie vor die
   Richter zu bringen. Wenn ich Ihnen aber dagegen sage, daß ich in
   meinem Leben bis heute – da mir von meinen blonden Haaren das letzte
   ergraut ist – noch niemals versuchte, irgend jemandem mit Bedacht zu
   schaden, und daß mein Unrecht, wenn es nun einmal zu existieren
   scheint, ein Spiel des Unglücks mit meinem ehrlichen Namen ist – so
   ziehen Sie vielleicht die Anklage, die Sie gegen mich führen,
   zurück? Was mir auch vom Gericht aus geschehen möge, ich werde nicht
   vor Schande und auch nicht vom Hohn meiner Nachbarn sterben. Aber
   der Gedanke, ein falsches Urteil entgegennehmen zu müssen, das ist
   für mich ein Todesgedanke. Ich weiß, daß vieles gegen mich zeugt,
   und ich sage Ihnen: Ich bin _doch_ nicht schuldig. Und ich werde es
   _nicht_ ertragen.“

An Stelle der Unterschrift standen folgende Worte:

   „Nie im Leben schick ich dies ab.“

Herr Uri nahm die Blätter von Gertruds Platz.

                                „Abschrift.

   Herr Mörk!

   Wäre ich Ihre Mutter, und ich würde von meines dreißigjährigen
   Sohnes Bosheit erfahren, von seiner schamlosen Art – ich würde
   vergessen, daß dies giftige Wesen mein Sohn ist. Wir kennen alle den
   Grund zu diesem Prozeß, mit dem Sie uns einige Monate drohten, ehe
   Sie ihn zur Ausführung brachten. Da die Drohungen mein Kind nicht zu
   Ihrer Verfügung willfährig machten, so wollen Sie doch Ihre Rache
   haben! Die haben Sie jetzt. Aber Sie haben auch einen Schlag ins
   Gesicht erhalten, von der Hand meiner Tochter! Ich glaube, Sie
   denken länger daran, als ich an die armselige Rache von Ihnen. Ich
   gehe singend ins Gefängnis hinein, mir ist das eine kleine Erholung.

   Ich speie Sie an!

                                                          Anna Grahl.“

                          „(Für den Gerichtstag.)

   Herr Richter!

   Jetzt will _ich_ einmal diese Sache berichten. Es handelt sich um
   einen Stuhl. Dieser Stuhl, der kostbarste in meinem Hause, war ein
   Sessel mit rotem Seidenplüschbezug. Weil er war der schönste Sessel,
   den ich hatte, stand er im Vorderzimmer, wo alle guten Möbel stehen.
   Dies Vorderzimmer bewohnte Herr Mörk. Er hat meinen Sessel so
   schlecht behandelt, als wäre der Stuhl eine Waschtischplatte. Flecke
   im Stoff und Schrammen am Holz fand ich immer neu. Endlich verlangte
   ich, daß Herr Mörk meinen Stuhl reparieren lasse. Herr Mörk sagte:
   ja. Und ich denke mir, Herr Mörk hat gewußt, warum er nicht gern von
   dem Sessel sprach. (Bei dieser Stelle sehe ich Mörk an, mit einem
   vielbedeutenden Blick, so daß die Richter sich denken können, bei
   welchen Gelegenheiten mein Sessel zu Schaden kam.) Der Tapezierer
   holte den Sessel und behielt ihn einige Wochen. Nun hatte ich aber
   inzwischen die Wohnungsmiete zu bezahlen. Ich brauchte Geld. Herr
   Mörk ist der einzige Mieter in meiner Wohnung gewesen. Mein Sohn ist
   Student, meine Tochter lernt Schneiderei, nur der Vater verdient für
   uns alle. Ich verlangte Herrn Mörk nun die Summe ab, die mir der
   Tapezierer als Kosten für seine Arbeit zum Voraus genannt hat. Das
   waren fünfzehn Mark. Denn der Stuhl war verschandelt. Herr Mörk hat
   gefragt, wo der Stuhl denn nun wäre. Der Stuhl war damals beim
   Tapezierer. Ich gab ihm zur Antwort: Den Sessel bekäme er niemals
   wieder. Weil nun Herr Mörk nicht gern von dem Sessel spricht (hier
   seh ich Mörk wieder an), bezahlte er mir die fünfzehn Mark und war
   still. Aber einige Wochen später, als der Stuhl schon wieder im
   Hause war und bei uns in der Stube stand, wollte Herr Mörk die
   Quittung des Tapezierers sehen. Ich hatte nun eine Rechnung, die
   lautete über acht Mark und fünfzig. Diese Summe hab ich bezahlt, als
   der Tapezierer den Sessel zurück in die Wohnung brachte. Ich hatte
   damals bei mir gedacht: Eigentlich sollte das teurer werden. – Aber
   weiter nichts. Wie Herr Mörk nun die Rechnung zu sehen verlangte,
   merkte ich, daß ich ins Unrecht kam. Darum ging ich zum Tapezierer,
   er sollte mir eine Rechnung geben von fünfzehn Mark, und ich wollte
   ihm sechs Mark und fünfzig dazu bezahlen. Der Tapezierer fragte,
   weshalb ich es teurer haben wollte, und ich erzählte ihm das. Da
   wollte der Tapezierer nicht. Ich sagte ihm aber, er _müsse_ – weil
   er mir doch zum Voraus _fünfzehn_ Mark, aber nicht acht Mark und
   fünfzig gesagt hat. Er antwortete mir, es hätte weniger Arbeit
   gemacht als er dachte. Und es bliebe dabei. Da habe ich ihm erklärt,
   was er täte, und habe ihm auch gesagt, wie Herr Mörk es nicht gut
   mit uns meinte. Der Tapezierer wollte trotzdem nicht. Da bin ich
   nach Hause gegangen und habe mir ein Stück Rechenpapier genommen und
   habe die Rechnung des Tapezierers darauf geschrieben und am Ende die
   Zahl, die der Tapezierer im Anfang genannt hat. Herr Mörk ist zum
   Tapezierer gegangen, der erzählte ihm dann den Sachverhalt. Nun hat
   mich Herr Mörk vor Gericht gebracht, obgleich er wohl wußte, wie
   einfach die sechs Mark und fünfzig auf gütlichem Wege von mir zu
   haben waren. Herr Mörk war aber nicht auf sein Geld, sondern auf
   seine Rache bedacht –“

„Diese Rede hat meine unglückliche Mutter fest im Gedächtnis gehabt,“
sagte Gertrud, die vor Herrn Uri stand, „und schon im ersten Satz
unterbrach sie der Richter so schroff, daß sie für die folgende
Verhandlung fast gänzlich verstummte. Lesen Sie diesen Zeitungsbericht.
Sagen Sie mir, weshalb sind die Richter und Zeitungsleute so grausam?
Ist es nicht _so_ genug?“

„Warum denn nicht?“ hieß die Ueberschrift des Artikels. – Warum denn
nicht, sagte Frau Anna Grahl, die sich gestern vor dem Richter zu
verantworten hatte, warum soll ich nicht sechs Mark und fünfzig
verdienen? Und sie ahmte mit emsigem Fleiß die Handschrift es
Tapezierers nach, um die vollendete Abschrift dem Untermieter Herrn
Mörk, der seinerseits die Reparatur für einen zuschanden gerittenen
Sessel zu zahlen hatte, mit dem kleinen Aufschlag von achtzig Prozent zu
präsentieren. Herr Mörk aber sagte nun umgekehrt: Warum denn ja? und
besuchte einmal den Tapezierer Herrn Bethge –

„Dieser Schreiberhund gehört vor Gericht,“ brummte Herr Uri, dem der
Zorn das Blut in die Stirne getrieben hatte. „Er lebt von dem Schicksal
der vor den Richter Geladenen und ist ihnen dankbar, indem er seinen
erbärmlichen Witz daran wendet, sie zu verhöhnen.“

„Ja, es war genug, um zwei Menschen davonzujagen!“

Herr Uri erhob sich und stand gerade vor Gertrud. „Nein,“ sagte er
ruhig, „sie sind Beide an einem Tage gegangen, mit einem schlechten
Geschmack vom Leben, aber durchaus nicht gejagt. Ihre Mutter war
konsequent genug, dies ihr Erlebnis ins allgemeine zu übertragen. Sie
sah den Menschen den Zähnen der Hunde ausgesetzt, – er braucht sich nur
eine Blöße zu geben. Sie wünschte nicht solchen dauernden Zustand, für
den ihr nicht Mut, aber Knechtseligkeit, Unterwürfigkeit, Listigkeit
fehlte – und vor allem die Schwäche, ein sinnloses Leben zu Ende zu
führen. Ein vor Gewalt ungesichertes Dasein war sinnlos für sie, ihr
fehlte die Müdigkeit, unfrei zu leben. Sie war noch nicht zahm. So war
auch Grahl. Er lebte verständig, gerecht – und an dem Tage, als er
bemerkte, man müsse das Beste im Leben freiwillig vernichten, um unter
den Menschen im Kampf zu bestehen, da ging sein Dasein von selber zu
Ende. Es ist nicht Stärke – wie die Leute so gerne behaupten, um sich
selbst zu bemänteln –, sondern Schwäche, wenn sie ein Leben, das sie für
sinnlos halten, doch weiter führen. Alle bemühen sich, zahm zu sein.
Sehen Sie Ihren Bruder Hermann. Er ist wie Ihr Vater. Aber er fürchtet
sich, er will nicht so sein, er kennt seinen Untergang mit seinem
starken, trotzigen Herzen als Steuer. Darum zieht er sich lieber vor
sich selber zurück, er ist sich gefährlich. – Er taucht in die Tiefe, um
mit den anderen zu leben, zu handeln und ihre Sprache zu sprechen. Man
nennt die Sieger im Kampf unter Menschen die Starken – aber die wahren
Starken sind zu stark für dies Leben.“

Es entstand eine Pause.

„Noch eins,“ sagte Uri, und zog seinen braunblonden Schnurrbart. „Noch
eins“ – und er wurde fast rot – „ist das Zimmer von diesem Mörk noch
leer?“

„Ja,“ sagte Gertrud.

„Ich möchte da wohnen,“ sagte Herr Uri.

„Sie –?“ fragte Gertrud und stockte.

„Morgen,“ fragte Herr Uri, „ziehe ich ein?“


                     Anmerkungen zur Transkription

Die einzige Veröffentlichung von „Zu stark für dies Leben“ wurde vom 21.
Juni bis zum 10. Juli 1927 im „Vorwärts“, Berlin, in 14 Folgen gedruckt:

                          1.   25.  Juni,  S. 5
                          2.   26.  Juni,  S. 5
                          3.   28.  Juni,  S. 5
                          4.   29.  Juni,  S. 5
                          5.   30.  Juni,  S. 5
                          6.    1.  Juli,  S. 5
                          7.    2.  Juli,  S. 5
                          8.    3.  Juli,  S. 5
                          9.    5.  Juli,  S. 5
                         10.    6.  Juli,  S. 5
                         11.    7.  Juli,  S. 5
                         12.    8.  Juli,  S. 5
                         13.    9.  Juli,  S. 5
                         14.   10.  Juli,  S. 5

Offensichtliche Fehler wurden stillschweigend korrigiert. Weitere
Änderungen sind hier aufgeführt (vorher/nachher):

   [Folge 2]:
   ... Der „Geiger“, dem sein Violinspiel in Kaffeehäusern
       nicht ...
   ... Der „Geiger“, den sein Violinspiel in Kaffeehäusern
       nicht ...

   [Folge 3]:
   ... unmöglich am vorletzten Tages des Monats – es war der ...
   ... unmöglich am vorletzten Tage des Monats – es war der ...

   [Folge 4]:
   ... Tage, erschien ihm das als Verrat, als den Bruch einer
       Pflicht. ...
   ... Tage, erschien ihm das als Verrat, als der Bruch einer
       Pflicht. ...

   [Folge 7]:
   ... mit niemals lahmenden Willen die Kraft seines Denkens und ...
   ... mit niemals lahmendem Willen die Kraft seines Denkens und ...

   [Folge 10]:
   ... ersten November den Dienst hier quittieren!“ – „Ich
       denke ...
   ... ersten November den Dienst hier quittieren?“ – „Ich
       denke ...

   [Folge 11]:
   ... er nicht vogelfrei? Am 29. Oktober wird ihm ein Brief von ...
   ... er nicht vogelfrei? Am 29. Oktober wird ihn ein Brief von ...






*** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK ZU STARK FÜR DIES LEBEN ***


    

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written explanation to the person you received the work from. If you
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with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
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opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

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in paragraph 1.F.3, this work is provided to you ‘AS-IS’, WITH NO
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1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
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or any Project Gutenberg™ work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg™ work, and (c) any
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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg™

Project Gutenberg™ is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg™’s
goals and ensuring that the Project Gutenberg™ collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg™ and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org.

Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non-profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation’s EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state’s laws.

The Foundation’s business office is located at 809 North 1500 West,
Salt Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up
to date contact information can be found at the Foundation’s website
and official page at www.gutenberg.org/contact

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg™ depends upon and cannot survive without widespread
public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine-readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular state
visit www.gutenberg.org/donate.

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate.

Section 5. General Information About Project Gutenberg™ electronic works

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg™ concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg™ eBooks with only a loose network of
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