Sämmtliche Werke 2: Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen II

By Gogol

The Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 2: Die Toten Seelen II /
Novellen, by Nikolaj Gogol

This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and most
other parts of the world at no cost and with almost no restrictions
whatsoever.  You may copy it, give it away or re-use it under the terms of
the Project Gutenberg License included with this eBook or online at
www.gutenberg.org.  If you are not located in the United States, you'll have
to check the laws of the country where you are located before using this ebook.

Title: Sämmtliche Werke 2: Die Toten Seelen II / Novellen
       Die Toten Seelen II / Der Mantel / Die Nase / Das Porträt

Author: Nikolaj Gogol

Editor: Otto Buek

Translator: Otto Buek
            Mario Spiro
            S. Bugow

Release Date: March 1, 2017 [EBook #54263]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 2: DIE ***




Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.






                             Nikolaus Gogol
                            Tote Seelen, II
                                Novellen




                             Nikolaus Gogol
                            Sämmtliche Werke
                              In 8 Bänden


                             Herausgegeben
                                  von
                               Otto Buek


                                 Band 2


                          München und Leipzig
                            bei Georg Müller
                                  1909

                                E. R. W.


                             Nikolaus Gogol




           Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen


                               Übertragen
                                  von
                               Otto Buek


                                 Band 2


                          München und Leipzig
                            bei Georg Müller
                                  1909

                                E. R. W.




                                 Inhalt


   Die Abenteuer Tschitschikows, Zweiter Teil  Seite    1
   Novellen:
   Der Mantel                                    »    223
   Die Nase                                      »    283
   Das Porträt                                   »    329




                Die Abenteuer des Grafen Tschitschikows
                                  oder
                           Die Toten Seelen.
                              Zweiter Teil


                            Erstes Kapitel.

Warum bloß wollen wir die Armut, nichts als die Armut und die
beklagenswerte Unvollkommenheit unseres Lebens öffentlich zur Schau
stellen, indem wir die Menschen aus der Wildnis, aus den entlegensten
Winkeln unseres Vaterlandes ausgraben und hervorziehen? -- Was ist zu
machen, wenn das nun einmal die Eigenart des Verfassers ist, und wenn er
selbst so sehr an seiner eigenen Unzulänglichkeit krankt, daß er eben
nur dies eine kann: die Armut und nichts als die Armut und
Unvollkommenheit unseres Lebens darstellen, indem er seine Menschen aus
der Wildnis und aus den entlegensten Winkeln unseres Vaterlandes
ausgräbt? Und so sind wir denn abermals mitten in die Wildnis
hineingeraten und wieder auf ein ödes trauriges Nest gestoßen. Und noch
dazu welch ein Nest und welch eine Wildnis!

Wie der Riesenwall einer unendlichen Festung mit Türmen und Bastionen,
zog sich in endlosen Windungen von mehr als tausend Werst eine
ununterbrochene Gebirgskette hin. Stolz und majestätisch erhob sie sich
über die grenzenlose Ebene, bald als nackter Ton- und Kalkfelsen, bald
als senkrecht abstürzende Bergwand, durchsetzt von Spalten und Rissen,
bald wieder in Form von grünen Kuppen, bedeckt mit jungem Buschwerk, das
zwischen kahlen Baumstümpfen emporragte und von weitem wie zartes
Lammfell aussah, bald endlich als dichter dunkler Wald, den die Axt
seltsamer Weise noch verschont hatte. Der Fluß, der überall zwischen
hohen Ufern dahinströmte, folgte den Bergen in mancherlei
Schlangenwindungen, nur hie und da entfernte er sich von ihnen, floß
zwischen Feldern und Wiesen dahin, schlängelte sich in leuchtenden
Serpentinen, verschwand plötzlich, noch einmal hell aufblitzend im
strahlenden Sonnenlicht in einem Gehölz von Birken, Espen oder Erlen und
tauchte endlich wieder triumphierend aus dem Dunkel hervor, überall
begleitet von Brücken, Windmühlen und Dämmen, die ihm bei jeder Wendung
nachzueilen schienen.

An einer Stelle war die steile Gebirgsmasse besonders dicht mit dem
Lockenschmuck jungen Baumgrünes überzogen. Durch künstliche Anpflanzung
hatte sich hier dank den Unebenheiten des Gebirgshanges die Vegetation
aus Nord und Süd zusammengefunden. Eiche, Ahorn, Birnbäume und
Weidenbüsche, Beifuß und Birke, Fichten und dicht von Hopfen umrankte
Ebereschen kletterten überall, _hier_ einträchtig und sich gegenseitig
im Wachstum unterstützend, _dort_ sich hemmend und eng zusammengedrängt,
den steilen Berg hinan. Oben am Scheitel mischten sich mit den grünen
Wipfeln die roten Dächer der Gutsgebäude, die Giebel und Dachfirste der
dahinter versteckten Bauernhütten, das oberste Stockwerk des
Herrenhauses mit seinem geschnitzten Balkon und dem halbrunden Fenster
-- und hoch über dieser Masse nah beieinander liegender Häuser und Bäume
streckte eine altertümliche Kirche ihre fünf vergoldeten Türme in die
Luft, deren jeder ein Glockenspiel enthielt. Die Türme waren mit
goldenen durchbrochenen Kreuzen geschmückt, die mit ebensolchen Ketten
von gleichem Metall an den Kuppeln befestigt waren, so daß man aus der
Ferne den Eindruck hatte, als glühte und flimmerte die Luft von
glänzendem gemünztem Golde, das frei im blauen Äther schwebte, ohne an
etwas befestigt zu sein. Und diese ganze Masse von Bäumen, Dächern und
Kreuzen spiegelte sich wie auf den Kopf gestellt lieblich im Flusse
wieder, wo die hohen mißgestalteten Weidenstämme, die teils vereinzelt
am Ufersaume, teils tief im Wasser standen, ihre von grünem schleimigen
Flußschwamm und treibenden Wasserlilien umsponnenen Zweige und Blätter
in die Fluten hinabtauchten und in die Betrachtung dieses reizenden
Bildes versunken schienen.

Dieser Anblick war in der Tat sehr hübsch, aber der Blick aus der Höhe
ins Tal, von der Terrasse des Hauses in die weite Ferne war noch viel
schöner. Kein Gast, kein Besucher vermochte es gleichgültig auf dem
Balkon zu verweilen: der Atem stockte ihm in der Brust vor Staunen und
Entzücken, und er konnte bloß ausrufen: »Gott wie geräumig und frei ist
es hier!« Ein unendlicher grenzenloser Raum breitete sich vor ihm aus:
Hinter den Wiesen, die mit Buschwerk und mit Windmühlen übersät waren,
erhoben sich dunkle Wälder wie eine Reihe grün schimmernder Zonen;
hinter den Wäldern leuchteten gelbliche Sanddünen durch die sich mählich
verfinsternde Luft; auf diese folgten wiederum Wälder, die bläulich
schimmerten, wie ein sich weithin dehnendes Meer oder eine weite
Nebelfläche; dahinter lagen wieder Sanddünen, welche zwar nicht mehr so
hell, wie die ersten, aber doch noch deutlich sichtbar gelb glimmten und
leuchteten. Am fernen Horizont bemerkte man die Konturen eines
Bergrückens: das waren Kalkfelsen, die selbst bei schlechtestem Wetter
beständig in blendender Weiße erstrahlten, wie wenn eine ewige Sonne sie
beleuchtete. An ihrem Fuße, der zum Teil aus Gipsgestein bestand, hoben
sich hie und da nebelgrau flimmernde Flecken von dem blendenden Weiß des
Hintergrundes ab: das waren ferne Dörfer, die jedoch kein menschliches
Auge erkennen konnte -- nur die goldene Spitze einer Kirche, die hin und
wieder aufblitzte wie ein glühender Funke, ließ ahnen, das dies ein
großes, von Menschen bewohntes Dorf sei. Das Ganze aber war in eine
tiefe Stille getaucht, die nicht einmal von dem kaum bis ans Ohr
dringenden Lied der Sänger der Lüfte gestört wurde, welche sich in den
reinen Äther emporschwangen und bald im weiten Raume verloren. Mit einem
Wort, kein Gast noch Besucher konnte ruhig auf dem Balkon weilen, und
wenn er einige Stunden in die Betrachtung verloren dagestanden hatte,
brach er immer wieder in den schon bekannten Ruf aus: »Gott, wie
geräumig und frei es hier ist.«

Wer aber war der Bewohner und Besitzer dieses Landgutes, das gleich
einer uneinnehmbaren Festung dalag und zu dem von dieser Seite nicht
einmal ein Fahrweg hinführte. Man mußte schon von der andern Seite
heranzukommen suchen -- wo weit auseinanderstehende Eichen den
herannahenden Reisenden freundlich begrüßten, indem sie ihre breiten
Äste weit ausstreckten wie die Arme eines Freundes und ihn bis zu dem
Hause hingeleiteten, dessen Spitze wir schon von hinten gesehen haben,
und das jetzt ganz frei und offen dalag, zwischen einer langen Reihe von
Bauernhütten mit ihren geschnitzten Giebeln und Dachfirsten, und der
Kirche, die im Golde ihrer Kreuze und des durchbrochenen Schnitzwerkes
der in der Luft hängenden Ketten erstrahlte.

Es war der Gutsbesitzer des Tremalachanskschen Kreises Andrei
Iwanowitsch Tentennikow. Der Glückliche war ein junger Mann von
dreiunddreißig Jahren, der noch dazu unverheiratet war.

Was war nun dieser Gutsbesitzer Andrei Iwanowitsch Tentennikow für ein
Mensch? Wie war sein Wesen; was hatte er für Eigenschaften und für einen
Charakter? -- Darnach müssen wir uns natürlich bei den lieben Nachbarn
erkundigen, geneigte Leserinnen. Einer von ihnen, der zu jener Gattung
verabschiedeter Stabsoffiziere und Lebemänner gehörte, die jetzt schon
im Aussterben begriffen ist, pflegte sich folgendermaßen über ihn zu
äußern: »Ein ganz gewöhnlicher Schweinehund!« Ein General, der etwa zehn
Werst von ihm entfernt wohnte, sagte gewöhnlich: »Der junge Mann ist
nicht dumm, aber er hat sich gar zu viel in den Kopf gesetzt. Ich könnte
ihm nützlich sein, denn ich habe gewisse Verbindungen in Petersburg und
sogar beim ...« Der General beendigte seinen Satz niemals. Der
Kreisrichter kleidete seine Antwort in folgende Form: »Ich will mir mal
morgen die rückständigen Steuern von ihm abholen!« und ein Bauer hätte
auf die Frage, was sein Herr für ein Mensch sei, überhaupt nichts
geantwortet. Mit einem Wort, die Meinung, die die Nachbarn von ihm
hatten, war recht ungünstig. Vorurteilslos gesprochen aber war Andrei
Iwanowitsch eigentlich kein schlechter Mensch, sondern einfach einer von
denen, die unnütz auf der Erde herumlaufen. Es gibt ja doch ohnedies
genug Leute, welche unnütz auf der Erde herumlaufen, warum also sollte
gerade Tentennikow es nicht tun? Übrigens wollen wir hier gleich einen
kurzen Abriß seines Tagewerks geben, und da bei ihm ein Tag stets dem
andern glich, so mag der Leser darnach selbst urteilen, was er für einen
Charakter hatte, und inwieweit sein Leben den ihn umgebenden
Naturschönheiten entsprach.

Morgens pflegte er recht spät zu erwachen, dann richtete er sich im
Bette auf und rieb sich lange die Augen. Zu seinem Pech waren die Augen
sehr klein, und daher nahm diese Operation sehr viel Zeit in Anspruch.
Während der ganzen Dauer dieser Handlung stand ein Mann, namens
Michailo, mit einem Waschbecken und einem Handtuch an der Tür. Dieser
arme Michailo mußte immer stundenlang so dastehen; dann ging er in die
Küche und kam noch einmal wieder; aber sein Herr saß noch immer im Bett
und rieb sich die Augen. Endlich sprang er aber doch auf, wusch sich,
zog seinen Schlafrock an und trat in den Salon um ein Glas Tee, Kaffee,
Kakao oder sogar frische Milch zu trinken. Er trank immer in kurzen
Zügen, indem er die Brotkrumen rücksichtslos umherstreute und die
Tabakasche überall achtlos hinfallen ließ. So saß er wohl zwei Stunden
lang beim Frühstück, doch das genügte noch nicht. Dann nahm er noch eine
Tasse kalten Tee und ging langsam ans Fenster, das in den Hof führte.
Hier spielte sich jeden Tag folgende Szene ab.

Vor allem zankte sich der Hausdiener Grigorij in seiner Eigenschaft als
Aufwärter mit der Schließerin Perphiljewna, die er mit folgenden
Ausdrücken zu bedenken pflegte: »Ach du Jammerseele, du nichtsnutziges
Frauenzimmer du! Du solltest doch lieber den Mund halten, du gemeines
Geschöpf!«

»Du willst wohl _so_ etwas haben?« heulte die Jammerseele oder
Perphiljewna, indem sie ihm die geballte Faust hinhielt. Dieses
Frauenzimmer war nicht ungefährlich und hatte recht derbe und kräftige
Manieren, trotz ihrer starken Vorliebe für Rosinen, Marmelade und andere
Süßigkeiten, die sie in ihrem Schranke verschlossen hielt.

»Du liegst dir ja sogar mit dem Verwalter in den Haaren, du Staubkorn,
elendiges,« kreischte Grigorij.

»Der Verwalter ist doch gerad so'n Dieb wie du, du glaubst wohl der Herr
kennt euch nicht; er ist doch hier und hört alles.«

»Wo ist der Herr?«

»Da sitzt er am Fenster und sieht alles.«

Und in der Tat, der Herr saß am Fenster und sah alles.

Um dieses Sodom und Ghomorrha noch zu vervollständigen schrie ein Knabe
auf dem Hofe aus voller Kehle, der von der Mutter eine Ohrfeige bekommen
hatte, und ein Windspiel stimmte winselnd mit ein, indem es sich mit dem
Hinterteil auf die Erde setzte; der Koch hatte nämlich kochendes Wasser
aus dem Fenster gegossen und es verbrüht; mit einem Worte alles heulte
und plärrte unerträglich. Der Herr sah und hörte sich alles an, aber
erst als der Lärm so entsetzlich wurde, daß er Tentennikow in seinem
Nichtstun zu stören begann, schickte er in den Hof hinunter und ließ
sagen, die da unten möchten doch etwas _leiser lärmen_.

Zwei Stunden vor dem Mittagessen begab sich Andrei Iwanowitsch in sein
Zimmer, um an einem großen Werke zu arbeiten, das ganz Rußland von
sämtlichen nur möglichen Standpunkten: vom bürgerlichen, vom
politischen, vom philosophischen und religiösen umfassen und beleuchten
sollte; auch sollte es die schwierigen Aufgaben und Probleme lösen, die
die Zeit gestellt hatte und klar bestimmen, in welcher Richtung Rußlands
große Zukunft läge; mit einem Wort, es war ein Werk wie nur ein moderner
Mensch es planen konnte. Übrigens hatte es zunächst beim Nachdenken über
dieses grandiose Unternehmen sein Bewenden: man kaute an der Feder, warf
ein paar Zeichnungen aufs Papier, und schob dann alles wieder beiseite;
statt dessen wurde ein Buch zur Hand genommen, das man bis zum
Mittagessen nicht wieder fortlegte. In diesem Buche las man, während die
Suppe, die Sauce, der Braten und sogar die süße Speise verzehrt wurde,
ruhig weiter, und es kam mitunter vor, daß manche Speisen ganz kalt und
andre überhaupt nicht angerührt wurden. Dann trank man noch eine Tasse
Kaffee und rauchte ein Pfeifchen dazu und spielte noch eine Partie
Schach mit sich selbst. Was darauf noch weiter bis zum Abendessen getan
wurde -- ist tatsächlich schwer zu sagen. Ich glaube es wurde überhaupt
nichts mehr getan.

So verbrachte der junge dreiunddreißigjährige Mann, der immer im
Schlafrock und ohne Halsbinde dasaß ganz mutterseelenallein und von
aller Welt verlassen, seine Zeit. Das Spaziergehen und Herumlaufen
machte ihm keinen Spaß, er hatte nicht einmal Lust hinaufzugehen, oder
ein Fenster zu öffnen, um frische Luft in das Zimmer hineinzulassen, und
der herrliche Anblick des Dorfes, an dem sich Gäste und Besucher nicht
genug erfreuen konnten, schien für den Besitzer selbst überhaupt nicht
zu existieren. Aus alledem kann der Leser ersehen, daß Andrei
Iwanowitsch Tentennikow zu der großen Familie der Leute gehörte, die in
Rußland nicht alle werden und die man früher bei uns Schlafmützen,
Faulenzer, Bärenhäuter usw. zu nennen pflegte, und für die ich heute
wirklich keinen Namen zu finden wüßte. Ob solche Charaktere _geboren_
werden oder sich allmählich bilden, als ein Produkt trauriger
Lebensverhältnisse, in deren harte und strenge Umgebung der Mensch
hineingestellt ist, das ist eine Frage. Statt sie zu beantworten tut man
vielleicht besser, die Geschichte der Kindheit und der Lehrjahre Andrei
Iwanowitschs zu erzählen.

»Anfangs schien alles darauf abzuzielen, daß etwas Vernünftiges aus ihm
werden sollte. Mit zwölf Jahren kam der etwas kränkliche und
träumerische, aber begabte und scharfsinnige Knabe in eine Schule, deren
Direktor ein für jene Zeit wirklich ungewöhnlicher Mensch war. Der
Abgott der Jünglinge und das bewunderte Vorbild aller Lehrer und
Erzieher. Alexander Pawlowitsch war mit einem außerordentlichen
Feingefühl begabt. Wie gut kannte er den russischen Charakter! Wie
kannte er das kindliche Gemüt! Wie verstand er es, die Kinder zu leiten
und zu lenken! Es gab keinen Schelm oder Wildfang, der, wenn er etwas
angestellt hatte, nicht selbst zum Direktor kam, um ihm seine Streiche
und Untaten zu beichten. Aber das war noch nicht alles: er erhielt eine
harte Strafe, aber der kleine Schelm ließ darum keineswegs die Nase
hängen, sondern verließ das Zimmer aufrechter als vorher. Es lag etwas
wie frischer Mut in seinen Zügen, und eine innere Stimme schien zu ihm
zu sprechen: »Vorwärts! Erhebe dich schnell wieder und stelle dich ruhig
wieder auf beide Beine, trotzdem du gefallen bist.« Nie hielt der
Direktor seinen Zöglingen lange Reden über gutes Betragen. Er pflegte
nur zu sagen: »Ich verlange von meinen Schülern nur dies eine: daß sie
vernünftig und verständig sind, sonst nichts! Wer den Ehrgeiz hat, klug
zu werden, der hat nicht Zeit unartig zu sein; die Unarten müssen von
selbst verschwinden.« Und so war es in Wirklichkeit, die Unarten
verschwanden ganz von selbst. Ein Schüler, der kein ernstes Streben
hatte, lenkte nur die Verachtung seiner Kameraden auf sich. Die
erwachsenen Esel und Schafsköpfe mußten es sich gefallen lassen von den
Kleinsten mit den kränkendsten Spitznamen getauft zu werden, und durften
ihnen kein Härchen krümmen. »Das geht zu weit!« sagten viele, »diese
Knaben werden allzu gescheit, das muß sie hochmütig machen.« »Nein, das
geht durchaus nicht zu weit,« antwortete er, »die schwach Begabten
behalte ich nicht lange in der Schule; es genügt schon, wenn sie den
einen Lehrgang durchmachen; für die Begabteren habe ich noch einen
zweiten Kursus.«(1) Und in der Tat, die Begabten mußten noch einen
zweiten Kursus durchmachen. Manche Unarten und Streiche gestattete er
und machte gar nicht den Versuch sie zu unterdrücken; in diesem
Über-den-Strang-Schlagen der Kinder sah er den Beginn der Entwickelung
ihrer seelischen Regungen und er erklärte, er könne es nicht entbehren,
sondern brauche es vielmehr wie ein Arzt den Ausschlag, -- um mit
Sicherheit zu ermitteln, was in des Menschen Innerem eigentlich vorgehe.

Wie liebten ihn aber auch die Knaben! Nie trifft man eine solche
Anhänglichkeit und Liebe der Kinder zu ihren Eltern, nie gab es selbst
in dem unvernünftigen Lebensalter, wo man sich rücksichtslos sinnlosen
Leidenschaften in die Arme wirft, eine so gewaltige unauslöschliche
Neigung, wie die Liebe zu ihm. Bis zum Grabe, bis zu den letzten
Lebenstagen noch, erhoben die dankbaren Zöglinge am Geburtstage ihres
herrlichen Lehrers, der schon längst gestorben war, auf sein Andenken
ihren Pokal, schlossen die Augen und vergossen seinetwegen Tränen der
Rührung. Beim kleinsten Lob aus seinem Munde überlief den Schüler ein
freudiges Beben und ein ehrgeiziges Streben spornte ihn an, all seine
Kameraden zu übertreffen. Die Unbegabten hielt er nicht lange in der
Schule fest; sie brauchten nur einen kurzen Lehrgang durchzumachen; die
Begabten aber hatten einen doppelten Lehrgang zurückzulegen, und die
letzte Klasse, die nur aus ganz Auserwählten bestand, hatte gar keine
Ähnlichkeit mit der anderer Schulen. Erst hier verlangte er all das von
dem Zögling, was andre unvernünftigerweise schon von den Kindern
verlangen -- nämlich jenen entwickelteren Verstand, der selbst nicht
spottet, es aber versteht, jeden Spott ruhig zu ertragen, dem Dummen zu
verzeihen, sich nicht reizen zu lassen, die Geduld nicht zu verlieren,
niemals Rache zu üben und sich immer eine stolze Ruhe und
unerschütterliche Selbstbeherrschung zu bewahren; alles was geeignet
ist, aus einem Menschen einen starken Mann zu formen, kam hier beständig
zur Anwendung und er selbst stellte unaufhörlich Versuche und
Experimente mit seinen Schülern an. O, wie vorzüglich kannte er die
Wissenschaft des Lebens!

Die Zahl seiner Lehrer war nicht sehr groß. In den meisten Fächern
unterrichtete er selbst. Er verstand es, ohne Pedanterie und weitläufige
Terminologie, ohne großartige Theorien und geschwollene Phrasen das
eigentliche Wesen, die Seele einer jeden Wissenschaft darzustellen,
sodaß auch der ungereifte Geist es sofort begriff, wozu er dies Wissen
nötig hatte. Von allen Wissenschaften wählte er nur die, welche geeignet
sind, aus dem Menschen einen Bürger seines Vaterlandes heranzubilden.
Der größte Teil seiner Vorlesungen handelte davon, was den Jüngling in
der Zukunft erwarte und er verstand es so gut, den ganzen Horizont
seiner Laufbahn vor ihm aufzurollen, daß der Jüngling schon auf der
Schulbank mit allen Gedanken und Träumen seiner Seele in seinem
künftigen Berufe: im Staatsdienste lebte. Er verheimlichte nichts vor
ihnen: weder die Enttäuschungen noch die Hindernisse, die sich vor dem
Menschen auf seinem Lebenswege erheben, weder die Versuchungen noch die
Verführungen, die ihn erwarten, dies alles führte er ihnen in
ungeschminkter Nacktheit vor Augen, ohne ihnen das Geringste
vorzuenthalten. Nichts war ihm fremd, wie wenn er selbst alle Ämter und
Berufe kennen gelernt hatte. Und seltsam, sei es nun, daß der Ehrgeiz in
ihnen so stark angeregt war, sei es daß im Auge dieses außerordentlichen
Pädagogen etwas lag, was dem Jüngling ein beständiges »Vorwärts!«
zuzurufen schien -- dieses Wort, das der Russe so gut kennt und das bei
seiner feinfühligen Natur so große Wunder wirkt -- genug, die jungen
Leute fingen sogleich an selbst die Schwierigkeiten aufzusuchen und
dürsteten förmlich darnach, sich überall dort geschäftig und tätig zu
zeigen, wo es galt, eine Schwierigkeit oder ein Hindernis zu überwinden
und einen hohen Mut und Seelenstärke zu beweisen. Nur ganz wenigen
gelang es diesen Lehrgang zurückzulegen, aber dafür waren es auch lauter
starke kräftige Männer geworden, die gewissermaßen im Pulverdampfe
gestanden hatten. Im Dienste wußten sie sich an den exponiertesten
Stellen zu halten, während viele, die weit klüger waren als sie, es
nicht lange im Dienste aushielten, ihn wegen kleiner persönlicher
Unannehmlichkeiten quittierten oder bequem und träge(2) wie sie waren in
die Hände von Gaunern und Erpressern gerieten. Dagegen standen die
andern nicht nur fest und ohne zu wanken auf ihrem Posten, sondern
verstanden es sogar, gereift durch Menschen- und Seelenkenntnis auch auf
die schlechten und unehrlichen Leute noch einen starken sittlichen
Einfluß auszuüben.(3)

Das glühende Herz des ehrgeizigen Knaben pochte lange bei dem bloßen
Gedanken, daß er endlich auch in diese Klasse versetzt werden würde. Man
sollte meinen, für unseren Tentennikow hätte es gar nichts Besseres
geben können als einen solchen Erzieher. Das Unglück wollte es jedoch,
daß gerade in dem Augenblick, als er in diese Klasse der Auserwählten
versetzt worden war -- wonach er sich so lebhaft gesehnt hatte -- der
vortreffliche Lehrer einem unerwarteten Tode zum Opfer fiel. Das war ein
wahrhaft furchtbarer Schlag, ein schrecklicher unersetzlicher Verlust
für den jungen Mann. Nun wurde es in der Schule mit einem Male ganz
anders. An die Stelle des Alexander Petrowitsch trat jetzt ein gewisser
Fjodor Iwanowitsch. Er ging vor allem daran, allerlei äußere
Vorschriften und ein strenges Reglement einzuführen und verlangte von
den Kindern lauter Dinge, die man nur von Erwachsenen verlangen konnte.
In dem freien Sichgehenlassen sah er nichts wie Ungezogenheit und
Zügellosigkeit. Wie im bewußten Gegensatz zu seinem Vorgänger erklärte
er gleich am ersten Tage, er lege gar keinen Wert auf den Verstand und
die Fortschritte der Schüler in den Wissenschaften, sondern allein auf
das gute Betragen.(4) Aber seltsam! gerade dies, wonach er so eifrig
strebte, das gute Betragen konnte Fjodor Iwanowitsch seinen Schülern
nicht beibringen. Sie machten allerhand schlechte Streiche, suchten sie
aber geheim zu halten. Am Tage ging alles wie am Schnürchen, dafür gab
man sich in der Nacht wilden Orgien und Zechereien hin.

Auch mit den Wissenschaften ging es ganz seltsam. Fjodor Iwanowitsch
stellte neue Lehrer mit neuen Anschauungen und neuen Grundsätzen an. Sie
ließen ein wahres Hagelwetter von neuen Worten und Termini auf die
Schüler niedergehen; sie vernachlässigten in ihrer Darstellung
keineswegs die logischen Zusammenhänge, sie berücksichtigten die neueren
Fortschritte der Wissenschaft und Technik, es fehlte ihnen nicht an
Feuer und wahrhafter Begeisterung -- aber ach bei alledem fehlte es doch
ihrer Wissenschaft an dem rechten Leben! Ihre tote Wissenschaft erhielt
in ihrem Munde etwas Starres und noch Totenähnlicheres. Mit einem Wort,
es ging alles drunter und drüber. Die Achtung vor der Schulobrigkeit und
Autorität ging ganz verloren, man lachte und spottete über die Lehrer,
nannte den Direktor Fritze, Pauker und wie die schönen Namen sonst noch
heißen. Es schlichen sich Laster ein, die durchaus nicht mehr unschuldig
waren, ja die Schüler machten raffinierte Streiche, daß man sich
genötigt sah viele von ihnen ganz auszuschließen. In zwei Jahren war die
Schule kaum noch wiederzuerkennen.

Andrei Iwanowitsch hatte einen stillen und sanften Charakter. Er fand
kein Gefallen an den nächtlichen Orgien seiner Kameraden, die vor dem
Fenster der Wohnung ihres Direktors ganz ungeniert ein Dämchen
einquartiert hatten, auch machte er ihre schlechten Streiche und frechen
Reden über die Religion nicht mit, zu denen sie sich nur deshalb
verstiegen, weil sie zufällig einen recht dummen Popen zum Lehrer
hatten. Nein, seine Seele ahnte selbst durch den Traum hindurch ihren
göttlichen Ursprung. Es gelang ihnen nicht, ihn zu verführen, aber er
ließ sehr bald die Nase hängen. Sein Ehrgeiz war schon erwacht, aber es
gab leider kein Feld, auf dem er ihn hatte betätigen können. Es wäre
besser gewesen, wenn dieser Ehrgeiz überhaupt nicht geweckt worden wäre.
Andrei Iwanowitsch hörte wie sich die Professoren auf dem Katheder
ereiferten und mußte dabei stets an seinen früheren Lehrer denken, der,
auch ohne sich aufzuregen, immer klar und verständig blieb. Was hörte er
nicht alles für Gegenstände und Fächer! Philosophie, Medizin, sogar
Jurisprudenz, allgemeine Weltgeschichte und zwar in einem solchen
Umfange, daß der Professor in ganzen drei Jahren kaum über die
Einleitung und über die Entstehung gewisser deutscher Städte hinauskam
-- und Gott weiß was er nicht noch alles hörte, aber dies alles blieb in
seinem Kopfe wie ein Haufe von formlosen Stücken liegen -- dank seinem
angeborenen Verstande fühlte er nur, daß dies nicht die richtige
Unterrichtsmethode sein könne, worin aber nun die rechte bestand -- dies
wußte er selbst nicht. Und oft noch mußte er an Alexander Petrowitsch
denken, und dann wurde ihm so schwer ums Herz, daß er nicht wußte, wo er
sich vor Schmerz lassen sollte.

Aber das eben ist das Glück der Jugend, daß sie noch eine Zukunft hat.
Je näher die Zeit heranrückte, wo seine Lehrzeit ein Ende nehmen sollte,
um so lebhafter schlug das Herz in seiner Brust. Er sprach zu sich
selbst: »Das alles ist ja noch nicht das Leben, das wahre Leben fängt
erst mit dem Staatsdienst an, da beginnt die Zeit der großen Taten.« Und
ohne einen Blick auf den herrlichen Winkel zu werfen, der alle Gäste und
Besucher in Staunen und Entzücken versetzte, ohne dem Grabe seiner
Eltern einen Besuch abgestattet zu haben, eilte er wie alle ehrgeizigen
Menschen nach Petersburg, das Ziel aller feurigen jungen Leute, die aus
allen Gegenden Rußlands hierher zusammenströmen, um in den Staatsdienst
zu treten, um zu glänzen, Karriere zu machen oder auch nur ganz
oberflächlich von unserer eiskalten, farblosen, trügerischen
gesellschaftlichen Bildung zu nippen. Allein Andrei Iwanowitsch sah sich
in seinem ehrgeizigen Streben sehr bald gehemmt und abgekühlt durch
seinen Onkel den wirklichen Staatsrat Onufrij Iwanowitsch. Dieser
erklärte kategorisch, die Hauptsache, auf die alles ankomme, sei eine
gute Handschrift; alles Übrige sei unrichtig; ohne diese jedoch könne er
es unmöglich bis zum Minister oder einer höheren Staatsstellung bringen.
Nur mit großer Müh und durch die hohe Protektion seines Onkels gelang es
ihm endlich, sich eine kleine Stellung in einem untergeordneten
Departement zu verschaffen. Als er den prachtvollen hell erleuchteten
Saal mit dem glänzenden Parkett und all den lackierten Tischen betrat,
da hatte er den Eindruck, als säßen hier die ersten Würdenträger des
Reiches, die über das Schicksal des ganzen Landes zu entscheiden hätten,
und als er dann die Legionen schöner Herren erblickte, die den Kopf auf
die Schulter gebeugt, dasaßen und laut mit den Federn kritzelten, und
wie er nun aufgefordert wurde, hinter einem Tische Platz zu nehmen und
ein Aktenstück abzuschreiben (es hatte wie mit Absicht einen ganz
unbedeutenden Inhalt; handelte es sich doch um drei Rubel, wegen der
schon ein halbes Jahr lang hin- und hergeschrieben wurde) da überlief
den unerfahrenen Jüngling ein ganz merkwürdiges Gefühl. Die um ihn
herumsitzenden Herren erinnerten ihn lebhaft an kleine Schuljungen! Zur
Vervollständigung der Ähnlichkeit waren noch einige von ihnen in die
Lektüre eines dummen Romans, eine Übersetzung aus einer fremden Sprache
vertieft; sie hielten ihn zwischen den Blättern des Aktenstückes
versteckt, suchten sich den Anschein zu geben, als seien sie mit der
Durchsicht der Akten beschäftigt und fuhren jedesmal zusammen, wenn der
Vorgesetzte in der Türe erschien. Dies alles kam ihm so seltsam vor und
er konnte das Gefühl nicht los werden, daß seine frühere Tätigkeit
unendlich viel bedeutender und die Vorbereitung zum Staatsdienst weit
schöner gewesen war, als der Staatsdienst selbst. Er sehnte sich wieder
in seine Schulzeit zurück. Plötzlich stand Alexander Petrowitsch wie
lebendig vor seinem geistigen Blick -- und er konnte nur mit Mühe seine
Tränen unterdrücken.

Das ganze Zimmer begann sich zu drehen. Die Tische und die Beamten
wirbelten durcheinander und fast wäre er in dieser plötzlichen
Umnachtung zu Boden gesunken. »Nein,« sagte er, als er wieder zu sich
kam, leise zu sich selber, »ich will dennoch ans Werk gehen, so
kleinlich es mir auch erscheint.« Nachdem er sich so selbst ermutigt
hatte, beschloß er, seinen Dienst ruhig weiter zu versehen, wie alle
andern.

Wo ist die Welt ganz freudenleer? Auch Petersburg bietet trotz seines
rauhen, finstern Äußeren mancherlei Genüsse. Draußen herrscht eine
fürchterliche Kälte von dreiunddreißig Grad; wie ein entfesselter böser
Geist jagt heulend die Schneesturmhexe, dies Kind des Nordens, durch die
Luft, wütend fegt sie den Schnee über das Straßenpflaster, klebt den
Leuten die Augen zusammen, und bestreut die Pelz- und Mantelkragen, die
Schnurrbärte der Menschen und die Schnauzen der Tiere mit weißem Puder;
aber anheimelnd blinkt zwischen den durcheinanderwirbelnden
Schneeflocken hindurch irgendwo hoch oben im vierten Stock ein
freundlich erleuchtetes Fenster; in einem gemütlichen Zimmer beim Lichte
bescheidener Stearinkerzen und beim traulichen Gesumm der Teemaschine
werden hier Herz und Seele erwärmende Gedanken ausgetauscht, erklingt
manch herrliches, begeistertes Poetenwort, mit dem Gott sein liebes
Rußland so reichlich beschenkte, und in erhabener Glut erbebt manch
Jünglingsherz wie nirgends sonst, nicht einmal unter dem schwellenden
Himmel des Südens.

Tentennikow gewöhnte sich bald an den Dienst, aber die berufliche
Tätigkeit wurde ihm nicht zum eigentlichen Ziel und Selbstzweck, wie er
zuerst geglaubt hatte, sondern sie rückte gewissermaßen an die zweite
Stelle. Sie diente ihm dazu, seine Zeit besser einzuteilen, und lehrte
ihn die wenigen freien Augenblicke, die ihm übrig blieben, erst recht
schätzen. Sein Onkel der wirkliche Staatsrat fing schon an zu glauben,
daß aus dem Neffen noch etwas Rechtes werden könne, als dieser plötzlich
einen ganz dummen Streich machte. Hier müssen wir einflechten, daß sich
unter den vielen Freunden Andrei Iwanowitschs zwei junge Leute befanden,
die zur Klasse der sogenannten »verbitterten« Menschen gehörten. Das
waren zwei von jenen seltsamen und unruhigen Charakteren, die nicht nur
keine _Ungerechtigkeit_ geduldig zu ertragen vermögen, sondern nicht
einmal das, was ihnen wie eine Ungerechtigkeit erscheint. Von Natur
gutmütig, aber unklug und systemlos in ihren Handlungen, verlangen sie
von andern Leuten alle nur möglichen Rücksichten, während sie selbst
äußerst intolerant gegen andre Menschen sind. Ihre feurige Rede und die
äußerlich zur Schau getragene edle Entrüstung gegen die Gesellschaft
machten einen starken Eindruck auf Tentennikow. Im Umgang mit ihnen
schärften sich seine Nerven und erwachte in ihm eine gewisse
Empfindlichkeit und Reizbarkeit. Er lernte von ihnen, all jene
Kleinigkeiten zu bemerken, die er früher kaum beachtet hatte. Fjodor
Nikolajewitsch Lenitzyn, der Chef einer der Abteilungen, die sich in
jenem prachtvollen Saal befanden, erregte plötzlich sein Mißfallen. Es
schien ihm, daß sich Lenitzyn ganz und gar in ein Stück Zucker
verwandelte und sein Gesicht zu einem widerlich süßen Lächeln verzog,
wenn er mit Leuten sprach, die über ihm standen, dagegen sofort eine
essigsaure Miene machte, wenn er sich an seine Untergebenen wandte; daß
er sich nach Art aller kleinlichen Menschen alle die merkte, die an den
großen Festtagen nicht zu ihm kamen, um zu gratulieren und es denen
nicht vergessen konnte, deren Namen er nicht auf der beim Portier
ausliegenden Liste fand. Infolgedessen faßte er eine unüberwindliche,
beinahe physische Antipathie gegen ihn. Es war fast so, als stachele und
reize ihn beständig ein böser Geist, Fjodor Fjodorowitsch eine
Unannehmlichkeit zu bereiten. Mit einer geheimen Freude suchte er nach
einer passenden Gelegenheit und sie fand sich sehr bald. Einmal wurde er
so grob gegen ihn, daß ihm von der vorgesetzten Behörde bedeutet wurde,
-- er müsse den Chef um Verzeihung bitten oder um seinen Abschied
einkommen. Er nahm seinen Abschied. Sein Onkel, der wirkliche Staatsrat,
kam ganz erschrocken zu ihm gelaufen und flehte ihn an: »Um
Gotteswillen, Andrei Iwanowitsch! Ich bitte dich! Was machst du? Deine
ganze, so glücklich begonnene Karriere aufs Spiel zu setzen, bloß weil
du einen Vorgesetzten bekommen hast, der dir nicht gefällt! Was soll das
nur bedeuten? Wenn jeder es so machen wollte, dann bliebe doch überhaupt
keiner mehr im Amte. Komm zu dir, sei vernünftig ... Überwinde deinen
falschen Stolz und deine Eitelkeit, fahre zu ihm hin und sprich dich mit
ihm aus!«

»Es handelt sich hier doch gar nicht _darum_, lieber Onkel,« sagte der
Neffe. »Es wird mir ja garnicht schwer, ihn um Verzeihung zu bitten. Ich
bin wirklich schuld: er ist mein Vorgesetzter, und ich hätte nicht so
mit ihm reden dürfen. Aber die Sache ist die: für mich gibt es noch
einen andern Dienst und eine andre Aufgabe: ich habe dreihundert Bauern,
mein Gut liegt darnieder, und mein Verwalter ist ein Narr. Der Staat
wird nicht sehr viel verlieren, wenn ein anderer meinen Platz im Bureau
einnehmen und meine Akten abschreiben wird, aber er verliert sehr viel,
wenn dreihundert Bauern ihre Steuern nicht bezahlen können. Bedenken
Sie, ich bin doch Gutsbesitzer: das ist kein Beruf, bei dem man müßig
dasitzen könnte. Wenn ich für die Erhaltung, für die Hebung der Lage der
mir anvertrauten Menschen sorge und dem Staate dreihundert tüchtige,
nüchterne und fleißige Untertanen auf die Beine stelle, -- habe ich
damit etwa weniger getan, als irgend ein Departementschef Lenitzyn?«

Der wirkliche Staatsrat sperrte vor Verwunderung den Mund weit auf;
einen solchen Redeerguß hatte er nicht erwartet. Er dachte etwas nach
und begann dann etwa folgendermaßen: »Aber trotzdem ... nein, was denkst
du nur? Du kannst dich doch nicht auf dem Lande vergraben? Die Bauern
sind doch kein Umgang für dich! Hier ist's doch anders, da begegnet man
doch hin und wieder einmal einem General oder einem Fürsten. Und wenn du
Lust hast, kannst du auch an irgend einem schönen öffentlichen Gebäude
vorübergehen. Hier gibt es doch Gasbeleuchtung und europäische
Industrie, dagegen dort! da siehst du doch nichts wie Bauern und
Bauernweiber. Warum willst du dich unter so ungebildete Menschen
begeben?«

Aber diese so überzeugenden Einwände und Vorstellungen des Onkels
machten keinen rechten Eindruck auf den Neffen. Das Land erschien ihm
als ein Hort der Freiheit, als Nährmutter schöner Träume und Gedanken,
als das einzige Feld einer nützlichen Tätigkeit. Er hatte sich schon die
allerneuesten Werke über Landwirtschaft besorgt. Mit einem Wort, zwei
Wochen nach dieser Unterhaltung befand er sich schon in der Nähe jener
Plätze, wo er seine Jugend verlebt hatte, und jenes lieblichen Winkels,
der jeden Gast und Besucher so in Begeisterung versetzte. Ein ganz neues
Gefühl bemächtigte sich seiner. Alte längst verblaßte Eindrücke
erwachten in seiner Seele. Manche Plätze hatte er schon ganz vergessen,
und neugierig wie ein Neuling betrachtete er die herrlichen Gegenden, an
denen er vorüberkam. Und plötzlich begann sein Herz aus einem
unbekannten Grunde heftig zu schlagen. Doch als dann der Weg durch eine
enge Schlucht in das Dickicht eines gewaltigen Urwaldes führte und er
oben und unten, über und unter sich dreihundertjährige Eichenstämme, die
drei Menschen kaum zu umfassen vermochten, untermischt mit Tannen, Ulmen
und Schwarzpappeln erblickte, die noch höher waren als die gewöhnlichen
Pappeln und als er dann auf die Frage: »Wem gehört dieser Wald?« die
Antwort erhielt: »Tentennikow,« und wie dann der Weg den Wald verließ,
sich an Espenhainen, jungen und alten Weidenbäumen und Sträuchen, und an
den fernen Gebirgsketten vorüberzog und den Fluß zweimal auf Brücken
überschritt, ihn bald zur Rechten bald zur Linken lassend und als der
Reisende auf die Frage: »Wem gehören diese Wiesen und diese
überschwemmten Felder?« wiederum die Antwort erhielt: »Tentennikow,« und
als dann der Weg den Berg hinaufklomm und auf dem hohen Plateau weiter
fortlief, vorbei an Korngarben, Weizen, Roggen und Gerste und sich noch
einmal an all den Plätzen entlang zog, an denen man schon einmal
vorbeigekommen war und die nun plötzlich weit näher gerückt schienen,
und als der Weg immer dunkler wurde und in den Schatten breiter
weitverzweigter Bäume untertauchte, die dicht beieinander auf dem grünen
Rasenteppich standen, welcher sich bis zur Grenze des Dorfes hinzog; als
die mit Schnitzwerk verzierten Bauernhütten, die roten Dächer der
steinernen Gutsgebäude ihm freundlich entgegenschimmerten, als die
goldene Spitze des Kirchturms vor ihm aufblitzte und das feurig pochende
Herz ihm auch ohne zu fragen sagte, wo er sich jetzt befand, -- da
machten sich die immer höher schwellenden Gefühle in folgenden lauten
Worten Luft: »War ich nicht ein Narr bis auf den heutigen Tag. Das
Schicksal hatte mich zum Besitzer eines irdischen Paradieses ausersehen,
und ich verdammte mich selbst zu niederen Schreiberdiensten, machte mich
zum Knechte toter Buchstaben. Da habe ich nun viel gelernt, eine
sorgfältige Erziehung genossen, mich über die Dinge orientiert, mir
einen großen Schatz von Kenntnissen angeeignet, deren man zur Förderung
des Guten unter seinen Untergebenen, zur Hebung eines ganzen Gebietes,
zur gewissenhaften Erfüllung der zahlreichen Pflichten eines
Gutsbesitzers bedarf, der Verwalter, Richter und Ordnungswächter in
einer Person ist! Und da gehe ich hin und vertraue diesen Posten irgend
einem ungebildeten und unfähigen Inspektor an! Und wähle mir statt
dessen den Beruf eines Gerichtsschreibers und kümmere mich um die
Prozesse anderer Leute, die ich überhaupt noch nicht gesehen habe und
deren Wesen und Charakter ich nicht einmal kenne. Wie konnte ich nur
dies Papierregiment, diese phantastische Verwaltung von Provinzen, die
vielleicht tausend Werst von mir entfernt sind, die ich noch nie mit dem
Fuße betreten habe und wo ich einen ganzen Haufen von Dummheiten
anrichten kann -- der realen Verwaltung meiner eigenen Güter vorziehen?«

Unterdessen aber erwartete ihn ein andres Schauspiel. Die Bauern hatten
von der Ankunft ihres Herrn gehört und sich an der Freitreppe des
Herrenhauses versammelt. Bunte Tücher, Gürtel, Hauben, Bauernkittel und
die mächtigen malerischen Bärte dieses schönen Menschenschlages drängten
sich um ihn. Und als dann aus hundert Kehlen der Ruf ertönte:
»Väterchen! Hast du dich endlich unser erinnert!« und den alten Leuten,
die noch seinen Großvater und Urgroßvater gekannt hatten unwillkürlich
die Tränen in die Augen traten, da konnte auch er seine Rührung nicht
unterdrücken. Und er mußte sich insgeheim fragen: »So viel Liebe! Womit
habe ich sie nur verdient?« -- »Wohl damit, daß ich sie nie gesehen,
mich nie um sie gekümmert habe!« Und er schwur sich, von nun an alle
Mühe und Arbeit mit ihnen zu teilen.

Und Tentennikow machte sich ganz ernstlich an die Verwaltung und
Bewirtschaftung seines Gutes. Er setzte den Erbzins herab, verringerte
die Fronarbeit und ließ den Bauern mehr Zeit für ihre eigenen Arbeiten.
Den dummen Verwalter jagte er davon und kümmerte sich selbst um alles.
Er erschien selbst auf den Feldern, auf der Tenne, auf der
Getreidedarre, in den Mühlen und am Landungsplatz; und er war beim Laden
und bei der Abfertigung der Barken zugegen, sodaß die Trägen und Faulen
sich bereits hinter den Ohren am Kopf kratzten. Aber das dauerte nicht
lange.(5) Der Bauer ist nicht dumm, er begriff bald, daß der Herr zwar
flink und gewandt sei und wirklich Lust habe, was Tüchtiges zu leisten,
aber noch nicht recht wisse, wie er es anfangen solle; auch war seine
Ausdrucksweise gar zu kompliziert und zu gebildet. Schließlich kam es
soweit, daß sich Herr und Bauer -- es wäre zu viel gesagt -- garnicht
verstanden, aber doch nicht recht miteinander harmonierten und es nie
lernten, den gleichen Ton zu treffen.

Tentennikow bemerkte bald, daß auf dem herrschaftlichen Grund und Boden
alles bei weitem nicht so gut gedieh, wie auf dem des Bauern: das Korn
wurde früher ausgesät und ging später auf; und doch konnte man nicht
sagen, daß die Leute schlecht arbeiteten. Der Herr stand immer selbst
dabei und ließ den Bauern sogar einen Becher Branntwein reichen, wenn
sie sich besonders viel Mühe gaben. Trotzdem aber stand bei den Bauern
der Roggen schon längst in vollen Halmen, der Hafer reifte, die Hirse
schoß mächtig empor, bei ihm dagegen grünte das Korn noch kaum und die
Ähren waren kaum gefüllt. Mit einem Wort, der Herr merkte, daß ihn der
Bauer einfach hinterging trotz aller Erleichterungen und Wohltaten, die
er ihm angedeihen ließ. Er machte den Versuch, die Bauern zur Rede zu
stellen, da erhielt er aber folgende Antwort: »Wie können Sie nur
glauben, gnädiger Herr, daß wir nicht an den Nutzen und Vorteil der
Herrschaft denken. Sie haben doch selbst gesehen, wieviel Mühe wir uns
beim Pflügen und Säen gegeben haben! -- Sie haben uns doch sogar einen
Becher Branntwein geben lassen.« Was konnte er darauf antworten?

»Warum steht denn aber das Getreide so schlecht?« fragte der Herr
weiter.

»Gott weiß es! Der Wurm hat's wohl von unten angenagt! Und dann kommt
noch der schlechte Sommer dazu: es hat ja nicht ein einziges Mal
geregnet.«

Aber der Herr sah, daß der Wurm das Getreide der Bauern verschont hatte,
und es regnete auch so merkwürdig, sozusagen streifenweise, sodaß nur
der Bauer Vorteil davon hatte, während auch nicht ein Tropfen das
herrschaftliche Kornfeld traf.

Und noch schwerer wurde es ihm mit den Frauen auszukommen. In einem fort
bettelten sie um Befreiung von der Arbeit und klagten über die Lasten
des Frondienstes. Seltsam! Er verlangte überhaupt keine Lieferungen von
Leinwand, Beeren, Pilzen und Nüssen mehr von ihnen, erließ ihnen die
Hälfte aller andern Arbeiten, weil er glaubte, die Frauen würden die
freigewordene Zeit für ihre häuslichen Arbeiten verwenden, für die
Wäsche und Kleidung ihrer Männer sorgen und ihre Gemüsegärten
vergrößern. Welch ein Irrtum! Statt dessen griff der Müßiggang, das
Raufen, die Klatschsucht und allerhand Zänkereien derartig unter dem
schönen Geschlecht um sich, daß die Männer jeden Augenblick zum Herrn
gelaufen kamen und ihn baten: »Gnädiger Herr, bringen Sie diesen Satan
von einem Weibe zur Vernunft! Das ist ja der reinste Teufel. Mit der
kann kein Mensch auskommen!«

Mehrmals schon hatte er sich überwunden und seine Zuflucht zur Strenge
nehmen wollen. Aber wie konnte er es übers Herz bringen! Wie konnte er
streng sein, wenn so eine Frau daher kam und nach rechter Weiberart zu
heulen begann? Dazu sahen sie alle so krank und elend aus und waren in
so häßliche widerwärtige Tücher und Lappen gehüllt! (Woher sie sie bloß
nahmen -- das weiß Gott allein!) »Fort, geh mir aus den Augen, daß ich
dich nicht zu sehen brauche!« rief der arme Tentennikow und hatte gleich
darauf das Vergnügen zu sehen, wie das Weib aus dem Tore hinaustrat,
sich mit einer Nachbarin um irgend eine Rübe zu zanken begann und ihr
trotz ihrer Kränklichkeit so kräftig den Buckel volldrosch, wie es ein
gesunder Bauer nicht schöner fertiggebracht hätte.

Eine Zeitlang wollte er eine Schule für sie gründen, aber das gab eine
solch tolle Verwirrung, daß er ganz mutlos wurde, den Kopf hängen ließ,
und bedauerte überhaupt damit angefangen zu haben!

Bei seiner Tätigkeit als Schiedsrichter und Mittler merkte er
gleichfalls, daß sich mit all den juristischen Kniffen und Finessen
nicht viel anfangen ließ, auf die ihn seine philosophischen Professoren
gebracht hatten. Die eine Partei log, die andre schwindelte nicht
weniger und schließlich konnte nur der Teufel aus der Sache klug werden.
Und er erkannte, daß die schlichte Menschenkenntnis weit wertvoller war,
als alle juristischen Kniffe und philosophischen Bücher; -- er fühlte,
daß ihm noch etwas fehlte, was dies aber war, das wußte nur Gott allein.
Und es passierte etwas, was so oft zu passieren pflegt: weder verstand
der Herr den Bauern noch der Bauer den Herrn; und beide, sowohl der Herr
wie der Bauer schoben sich gegenseitig die Schuld zu. Dies kühlte den
Eifer des Gutsbesitzers erheblich ab. Wenn er jetzt hinging, um die
Arbeiten zu beaufsichtigen, dann ließ er es fast ganz an der früheren
Aufmerksamkeit fehlen. Während der Heuernte achtete er nicht mehr auf
den leisen Ton der Sensen, er sah nicht, wie die Heuschober errichtet,
wie das Heu verladen wurde und bemerkte nicht, daß um ihn herum die
Erntearbeiten in vollem Gange waren. -- Seine Augen blickten in die
Ferne; befand er sich abseits von den Arbeiten, so suchte das Auge
irgend einen Gegenstand in der Nähe oder er blickte nach der Seite, wo
der Fluß eine Wendung machte, und wo ein Kerl mit roten Beinen und rotem
Schnabel auf und ab spazierte -- ich meine natürlich einen Vogel und
keinen Menschen; neugierig beobachtete er, wie der Vogel am Ufer einen
Fisch fing und ihn eine Zeitlang im Schnabel hielt, tiefsinnig
überlegte, ob er ihn verschlucken solle oder nicht, und aufmerksam den
Fluß hinabblickte, wo in der Ferne ein anderer ähnlicher Vogel zu sehen
war, der noch keinen Fisch gefangen hatte, aber aufmerksam nach dem
Vogel mit dem Fisch im Schnabel ausschaute. Oder er schloß die Augen,
richtete den Kopf in die Höhe zu dem blauen Himmelsraume empor, und ließ
seine Nase den Geruch der Felder einsaugen und die Ohren den Gesang des
gefiederten luftigen Sängervolkes auffangen, wenn sie sich allenthalben
im Himmel und auf der Erde zu einem wundersamen Chore vereinen, in dem
kein Mißklang die schöne Harmonie stört: im Roggen schlägt die Wachtel,
der Wiesenknarrer pfeift im Grase, die Hänflinge fliegen zwitschernd
herüber und hinüber, eine Schnepfe blökt während sie sich in die Luft
schwingt, die Lerchen trillern, sich hoch im blauen Himmelsraum
verlierend, und wie ein Trompetenton erklingt der Schrei der Kraniche,
die hoch oben in den Lüften ihre dreieckigen Flugreihen formieren. Die
ganze Umgegend tönt und klingt und gibt jeden Laut wundersam zurück ...
O Gott! Wie herrlich ist doch Deine Welt noch in der Wildnis, in dem
kleinsten Dörfchen, fern von den abscheulichen großen Landstraßen und
Städten! Aber auch dieses wurde ihm mit der Zeit langweilig. Bald hörte
er ganz auf, aufs Feld zu gehen, von nun ab hockte er beständig im
Zimmer und wollte nicht einmal mehr den Verwalter empfangen, wenn dieser
kam, um ihm seinen Bericht zu erstatten.

Früher sprach noch von Zeit zu Zeit ein Nachbar bei ihm vor; irgend ein
Husarenleutnant a. D., ein leidenschaftlicher Raucher, der ganz mit
Tabakqualm gesättigt war, oder ein radikaler Student, der seine Studien
nicht vollendet hatte und seine Weisheit aus allerhand modernen
Broschüren und Zeitungen schöpfte. Aber auch dies begann ihn zu
langweilen. Die Unterhaltungen dieser Leute kamen ihm bald recht
oberflächlich vor; ihr europäisch-sicheres und gewandtes Auftreten, die
Ungeniertheit, mit der sie ihm aufs Knie klopften, ihre Schmeicheleien
und Familiaritäten erschienen ihm gar zu unverhüllt und offen. Er
beschloß daher, den Verkehr mit ihnen abzubrechen und entledigte sich
ihrer in sehr schroffer Weise. Als nämlich ein Repräsentant jener Sorte
von Obersten und Lebemännern, die heute bereits im Aussterben begriffen
sind, ein überaus angenehmer Gesellschafter und Freund oberflächlicher
Unterhaltungen und zugleich der Vordermann und Vertreter jener neuen bei
uns eben erst aufkommenden Denkart, Warwar Nikolajewitsch
Wischnepokromow ihn einmal besuchte, um sich so recht von Herzen über
Politik, Philosophie, Literatur, Moral und sogar über die Finanzlage
Englands mit ihm auszusprechen, da schickte er seinen Diener hinaus und
ließ ihm sagen, er sei nicht zu Hause, wobei er zugleich die
Unvorsichtigkeit hatte, sich am Fenster zu zeigen. Die Blicke des
Hausherrn und des Gastes begegneten sich. Der eine murmelte natürlich
»so ein Schweinehund!« durch die Zähne, worauf ihm der andere
gleichfalls so etwas wie einen Schweinehund nachsandte. Damit endete
ihre Bekanntschaft. Seitdem besuchte ihn niemand mehr.

Er war eigentlich recht froh darüber und gab sich ganz dem Nachdenken
über sein großes Werk über Rußland hin. In welcher Weise dieses geschah
-- hat der Leser bereits gesehen. In seinem Hause bürgerte sich von
selbst eine merkwürdige -- liederliche Ordnung ein. Trotzdem kann man
nicht sagen, daß es keine Augenblicke gab, wo er nicht sozusagen aus
seinem Schlafe erwachte. Wenn die Post neue Zeitungen und Journale ins
Haus brachte und er beim Lesen auf den Namen eines alten Kameraden
stieß, der sich im Staatsdienste zu einer bedeutenden Stellung
emporgeschwungen hatte, oder sein Teil zum Fortschritt der
Wissenschaften und der Sache der ganzen Menschheit beigetragen hatte,
dann schlich sich ein stiller leiser Schmerz in sein Herz und eine
sanfte, stumme aber bittere Klage über sein tatenloses Leben entrang
sich seiner Seele. Dann erschien ihm sein ganzes Dasein ekelhaft und
häßlich. Mit ungewöhnlicher Klarheit erstand vor ihm die längst hinter
ihm liegende Zeit seiner Schuljahre, und das Bild von Alexander
Petrowitsch wurde plötzlich vor ihm lebendig, und Tränenbäche stürzten
ihm aus den Augen .....

Was bedeuteten diese Tränen? Offenbarte sich etwa in ihnen die tief
erschütterte Seele, das schmerzliche Geheimnis ihrer Leiden, des
Schmerzes über den großen und edlen Menschen, der in seinem Innern
schlummerte und der mitten im Wachstum stecken geblieben war, noch ehe
er vermocht hatte sich zu entwickeln und zu erstarken? Noch nicht
erprobt im Kampf mit der Mißgunst des Schicksals, hatte er noch jene
hohe Reife nicht erreicht, die ihn lehrte, sein eigenes Wesen zu erhöhen
und zu kräftigen in dem Ansturm gegen Hemmungen und Hindernisse;
dahingeschmolzen wie glühendes Metall war ein reicher Schatz großer
herrlicher Gefühle, ohne die letzte Stählung und Härtung erhalten zu
haben; allzu früh für ihn war der herrliche Lehrer gestorben, und nun
gab es auf der ganzen Welt keinen Menschen mehr, der fähig gewesen wäre,
die durch fortwährende Erschütterungen geschwächten Kräfte und den
jeglicher Widerstandskraft beraubten machtlosen Willen zu heben und zu
wecken, -- der ihn mit lebendigem Worte ermuntert -- der Seele ein
belebendes »Vorwärts« zugerufen hätte, ein Ruf, nach dem ein jeder
Russe, überall in jeder Lebenslage, ob hoch oder niedrig, in jedem Rang,
Beruf und Stande so lebhaft dürstet.

Wo ist der, der unserer russischen Seele in ihrer eigenen teuren
Muttersprache dieses allgewaltige Wort »Vorwärts« zuzurufen vermöchte?
Wer kennt so gut alle Kräfte und Fähigkeiten, die ganze Tiefe unseres
Wesens, daß er uns mit einem Zauberwink zum höchsten Leben fortreißen
könnte? Mit welchen Tränen, mit welcher Liebe würde es ihm der Russe
danken! Aber Jahrhunderte auf Jahrhunderte verrinnen; in schmachvoller
Trägheit und sinnloser Geschäftigkeit unreifer Jünglinge versinkt unser
Geschlecht, und nicht will uns Gott den Mann senden, der es verstünde,
dieses allgewaltige Wort zu sprechen!

Und doch hätte ein Ereignis Tentennikow beinahe aus seinem Schlaf
geweckt und eine völlig Umwälzung in seinem Charakter hervorgebracht. Es
war eine Art Liebesgeschichte, aber auch sie hatte keine weiteren
Folgen. In Tentennikows Nachbarschaft, etwa zehn Werst von seinem Gute
entfernt lebte ein General, der wie wir schon wissen nicht allzu
freundlich von Tentennikow sprach. Dieser General lebte wie ein echter
General d. h. wie ein großer Herr, machte ein offenes Haus und liebte
es, daß seine Nachbarn ihn besuchten und ihm ihre Aufwartung machten; er
selbst erwiderte natürlich die Besuche nicht, hatte eine rauhe heisere
Stimme, las viele Bücher und besaß eine Tochter, ein ganz seltsames,
ungewöhnliches Wesen. Sie hatte etwas so Lebensvolles, wie das Leben
selbst.

Ihr Name war Ulenka, sie hatte eine merkwürdige Erziehung genossen. Eine
englische Gouvernante hatte sie erzogen, die kein Wort russisch
verstand. Ihre Mutter war schon sehr früh gestorben und der Vater hatte
keine Zeit sich viel um sie zu kümmern. Übrigens konnte es bei seiner
unsinnigen Liebe zu seiner Tochter gar nicht anders geschehen, als daß
er sie schrecklich verwöhnte. Bei ihr atmete alles Selbständigkeit und
Eigenart, wie bei einem Kinde, das in der Freiheit erzogen ward. Wenn
jemand gesehen hätte wie ein plötzlicher Zorn strenge Falten in die
herrliche Stirn grub, wie sie sich leidenschaftlich mit ihrem Vater
stritt dann hätte er wohl glauben können, sie sei das launischste
Geschöpf von der Welt. Aber sie wurde nur dann zornig, wenn sie von
einer Ungerechtigkeit oder Grausamkeit hörte, die einem andern
widerfahren war. Niemals zürnte oder stritt sie sich um ihrer selbst
willen und nie suchte sie sich zu rechtfertigen. Wie schnell aber
verschwand ihr Zorn, wenn sie den, dem sie zürnte, in Unglück und Elend
sah! Sie hätte jedem, der sie um ein Almosen bat, sofort ihren
Geldbeutel mit seinem ganzen Inhalt zugeworfen, ohne zu überlegen, ob
das auch vernünftig sei(6) oder nicht. Es war etwas Heftiges, Ungestümes
in ihr. Wenn sie sprach, dann schien alles dem Gedanken zu folgen, ja
ihm voranzueilen: der Ausdruck ihres Gesichtes, ihre Sprache, die
Bewegungen, ihre Hände; selbst die Falten ihres Kleides schienen
vorauszuflattern, und man konnte fast glauben, sie müsse selbst mit
ihren Worten davonfliegen. Sie hatte nichts Verschlossenes an sich, vor
keinem Menschen hätte sie sich gefürchtet, ihre geheimsten Gedanken zu
offenbaren, und keine Macht der Welt hätte sie zum Schweigen veranlassen
können, wenn sie reden wollte. Ihr entzückender Gang, ein Gang, wie nur
sie allein ihn hatte, war so frei und fest, daß jeder, der ihr
begegnete, unwillkürlich zur Seite trat und ihr den Weg freigab. In
ihrer Gegenwart überkam jeden bösen Menschen etwas wie Verlegenheit, und
er verstummte. Die Kecksten und Frechsten fanden keine Worte und
verloren ihre ganze Fassung und Sicherheit, während die Blöden sofort
ganz unbefangen mit ihr zu plaudern begannen wie mit keinem andern
Menschen auf der Welt und schon nach den ersten Worten schien es einem
solchen, als hätte er sie schon irgendwo und irgendwann kennen gelernt
und als hätte er diese selben Züge schon irgendwo gesehen: in seiner
frühesten Kindheit, an die er sich kaum noch erinnerte, im eigenen
Vaterhause, an einem glücklichen Abend, während fröhliche Kinderscharen
spielten und lärmten, und traurig erschien ihm noch lange nachher der
Ernst und die Reife des Mannesalters.

Tentennikow ging es mit ihr ganz ebenso wie allen andern Menschen. Ein
unerklärlich neues Gefühl bemächtigte sich seiner. Ein heller
Lichtstrahl erhellte einen Augenblick sein monotones und trauriges
Leben.

Der General nahm Tentennikow zuerst recht freundlich und herzlich auf,
eine rechte Harmonie aber wollte sich zwischen ihnen trotzdem nicht
herstellen. Jede Unterhaltung endigte mit einem Streit, der stets ein
unangenehmes Gefühl in beiden zurückließ; denn der General konnte keinen
Widerspruch und keine Gegenrede vertragen. Andererseits war auch
Tentennikow ein ziemlich empfindlicher junger Mann. Natürlich vergab er
dem Vater manches um seiner Tochter willen, und der Friede zwischen
beiden blieb so lange ungestört, bis eines schönen Tages zwei Verwandte
des Generals: eine Gräfin Boldyrew und eine Fürstin Jusjakow bei ihm zu
Besuch eintrafen: beide Hofdamen der alten Kaiserin, die aber doch noch
einige gute Verbindungen mit einflußreichen Personen in Petersburg
besaßen; der General bemühte sich lebhaft, ihre Zuneigung zu gewinnen.
Tentennikow kam es so vor, daß der General seit dem Tage ihrer Ankunft
etwas kälter gegen ihn wurde, ihn kaum noch beachtete und ihn wie eine
stumme Person behandelte. Er redete ihn oft von oben herab an; nannte
ihn »mein Bester« oder »Verehrtester« und sagte einmal sogar »du« zu
ihm. Andrei Iwanowitsch fuhr auf. Er biß die Zähne zusammen, wußte sich
aber unter ungeheurer Selbstüberwindung soviel Geistesgegenwart zu
bewahren, um ihm mit sehr sanfter und höflicher Stimme zu erwidern,
während alles in ihm kochte und rote Flecken auf seinem Gesichte
hervortraten: »Ich bin Ihnen für Ihre Güte großen Dank schuldig Herr
General. Mit diesem vertraulichen »du« bieten Sie mir ein enges
Freundschaftsbündnis an, und verpflichten mich, Sie gleichfalls »du« zu
nennen. Aber der Unterschied der Jahre macht einen so familiären Verkehr
zwischen uns vollkommen unmöglich!« Der General wurde verlegen. Er
suchte seine Gedanken zu sammeln und das rechte Wort zu finden;
schließlich erklärte er, das »du« sei von ihm durchaus nicht in dem
Sinne gemeint gewesen, in dem etwa alte Leute es sich erlauben, einen
jungen Menschen »du« anzureden. Von seinem Generalsrang sagte er kein
Wort.

Natürlich brachen beide nach diesem Vorfall jeglichen Verkehr
miteinander ab, und seine Liebe wurde im Keime erstickt. Das Licht
erlosch, das einen Moment vor ihm aufgeleuchtet war, und die nun
herabsinkende Dämmerung war noch finsterer und dunkler, als vordem. Sein
Leben kehrte wieder in die alten Bahnen zurück und nahm seine frühere
Gestalt an, die der Leser schon kennen gelernt hat. Und wiederum lag er
tagelang untätig da. Das Haus starrte vor Schmutz und Unordnung. Der
Besen steckte tagelang mitten im Zimmer in einem Haufen Schutt. Die
Unterhosen trieben sich sogar im Salon umher, auf dem eleganten Tisch
vor dem Sofa lagen ein Paar schmutzige Hosenträger, gleichsam als
Festgabe für den eintretenden Gast. Tentennikows ganzes Leben wurde so
armselig und schläfrig, daß nicht nur seine Diener aufhörten, ihn zu
achten, sondern selbst die Hühner ohne jeden Respekt nach ihm pickten.
Er konnte stundenlang mit der Feder in der Hand dasitzen und allerhand
Figuren auf ein vor ihm liegendes Blatt zeichnen: Brezel, Häuser,
Hütten, einen Bauernwagen, ein Dreigespann usw. Mitunter aber vergaß er
alles um sich her, und dann bewegte sich die Feder ganz von selbst über
das Papier ohne daß der Hausherr etwas davon wußte und formte ein
kleines Köpfchen mit feinen, scharfen Zügen, einem schnellen forschenden
Blick und einem leicht emporgekämmten Haarbüschel -- und staunend sah
der Zeichner, daß es das Abbild jenes Wesens war, dessen Porträt kein
Künstler hätte malen können. Und dann wurde ihm noch wehmütiger und
schmerzlicher ums Herz; er wollte nicht mehr glauben, daß es ein Glück
auf dieser Erde gibt, und darnach wurde er nur noch trauriger und
einsilbiger als vordem. So war die Stimmung Andrei Iwanowitsch
Tentennikows. Da bemerkte er plötzlich, als er sich eines Tages nach
seiner Gewohnheit ans Fenster setzte, um in den Hof hinabzusehen, und zu
seinem Erstaunen weder Grigorij noch Perfiljewna erblickte, daselbst
eine gewisse Unruhe und Bewegung.

Der junge Koch und die Aufwartefrau liefen hin um das Tor zu öffnen; es
tat sich auf, und ließ drei Pferde sehen, ganz wie man sie auf
Triumphbögen abgebildet findet: eine Schnauze rechts, eine links und
eine in der Mitte. Hoch über ihnen thronte ein Kutscher und ein
Bedienter in einem weiten Rock und mit einem Taschentuch um den Kopf.
Hinter diesen saß ein Herr in Mantel und Mütze, tief eingehüllt in ein
regenbogenfarbiges Plaid. Als die Equipage vor der Treppe hielt, zeigte
es sich, daß es nur eine leichte Kutsche auf Federn war. Der Herr, der
ein ungewöhnlich anständiges Äußeres hatte, sprang beinahe mit der
Schnelligkeit und Gewandtheit eines Militärs aus dem Wagen und eilte die
Treppe hinauf.

Andrei Iwanowitsch bekam Angst. Er hielt den Ankömmling für einen
Regierungsbeamten. Hier muß ich nachholen, daß er in seiner Jugend in
eine dumme Geschichte verwickelt gewesen war. Ein paar philosophierende
Husarenoffiziere, die eine Menge moderner Broschüren gelesen hatten, ein
Ästhet, der die Universität nicht beendigt hatte, und ein
heruntergekommener Spieler wollten eine Wohltätigkeitsgesellschaft
gründen unter der Oberleitung eines Freimaurers, eines alten Gauners,
der gleichfalls dem Kartenspiel ergeben, aber ein sehr redegewandter
Herr war. Die Gesellschaft hatte sich ein außerordentlich hohes Ziel
gesteckt: nämlich die ganze Menschheit von den Ufern der Themse bis
Kamtschatka, dauernd zu beglücken. Dazu bedurfte man jedoch einer
ungewöhnlich großen Kasse, und die Geldspenden, die den großmütigen
Mitgliedern abgenommen wurden, waren unerhört groß. Wo das Geld hinkam,
das wußte freilich niemand außer dem ersten Vorsitzenden, der die
Oberleitung in den Händen hatte. Tentennikow wurde durch zwei Freunde in
diese Gesellschaft eingeführt; das waren zwei von jenen verbitterten
Menschen, die von Natur gutmütig, sich durch die vielen Toaste auf die
Wissenschaft, die Aufklärung und ihre künftigen Heldentaten im Dienste
der Menschheit dem Trunk ergeben hatten und zu berufsmäßigen Säufern
geworden waren. Tentennikow besann sich noch zur rechten Zeit, und trat
aus dieser Gesellschaft aus. Aber die Gesellschaft hatte sich schon in
gewisse andre Operationen eingelassen, mit denen sich ein Edelmann
eigentlich nicht abgeben sollte, die aber bald darauf zu unangenehmen
Folgen und sogar zu Konflikten mit der Polizei führten ... Es ist daher
kein Wunder, daß Tentennikow auch nach seinem Austritt und nachdem er
alle Beziehungen zu diesen Leuten abgebrochen hatte, seine Ruhe nicht
ganz wiederfinden konnte: sein Gewissen war nicht vollkommen rein. Und
daher sah er jetzt nicht ohne Schrecken auf die Türe, die sich gleich
öffnen mußte.

Aber seine Angst verflog sofort, als der Gast mit einer schier
unglaublichen Gewandtheit seine Verbeugung machte, wobei er zum Zeichen
der Achtung seinen Kopf etwas zur Seite geneigt hielt. In kurzen aber
bestimmten Worten erklärte dieser, daß er schon seit längerer Zeit teils
in Geschäften, teils aus Wißbegierde Rußland bereise: unser Land sei
sehr reich an merkwürdigen Dingen, ganz abgesehen von dem Überfluß an
Erwerbsmöglichkeiten und den großen Unterschieden in der
Bodenbeschaffenheit; er sei entzückt von der reizenden Lage des Gutes,
hätte es aber trotz dieser entzückenden Lage doch niemals gewagt, den
Gutsherrn durch seinen ungelegenen Besuch zu belästigen, wenn nicht
seiner Kutsche infolge der Überschwemmungen dieses Frühjahrs und der
schlechten Wege plötzlich ein Unfall zugestoßen wäre; die Reparatur
werde nämlich die Meisterhand geübter Schmiedekünstler erfordern. Bei
alledem aber hätte er es sich, auch wenn mit seiner Kutsche gar nichts
passiert wäre, dennoch nicht versagen können, ihm persönlich seine
Aufwartung zu machen.

Als der Gast seine Rede beendigt hatte, machte er mit geradezu
bezaubernder Liebenswürdigkeit einen Kratzfuß und ließ dabei seine
eleganten Lackstiefel mit den reizenden Perlmutterknöpfen sehen, um
gleich darauf, trotz seiner Körperfülle, mit der Elastizität eines
Gummiballes ein paar Schritte zurückzuspringen.

Andrei Iwanowitsch hatte sich schon längst beruhigt; er nahm an, das
müsse irgend ein wißbegieriger Gelehrter oder Professor sein, der
Rußland bereist, um Pflanzen oder vielleicht sogar seltene Fossilien zu
sammeln. Er erklärte sogleich seine Bereitwilligkeit, ihm in allen
Dingen behilflich zu sein; bot ihm seine Wagenbauer und Schmiede für die
Reparatur der Kutsche an, bat ihn, sich's bei ihm so bequem zu machen,
wie in seinem eigenen Hause, ließ den Gast in einem großen Lehnsessel
_à la Voltaire_ Platz nehmen, und schickte sich an, seine
Erzählung anzuhören, die sicherlich von allerhand gelehrten
naturwissenschaftlichen Gegenständen handeln würde.

Allein der Gast brachte die Rede mehr auf einige Gegenstände des inneren
Lebens. Er verglich sein Leben mit einem Schiff, das auf hoher See von
heillosen Stürmen und Winden dahingetrieben werde; erwähnte wie oft er
schon Amt und Beruf habe wechseln müssen, wieviel er für die Wahrheit
gelitten habe und wie er infolge der Nachstellungen seiner Feinde schon
oft in Lebensgefahr geschwebt habe, und noch vielerlei andres, woraus
Tentennikow ersehen konnte, daß sein Gast eher ein Mann der Praxis sei.
Zum Schluß führte er sein weißes Batisttaschentuch an die Nase und
schneuzte sich so laut, wie Andrei Iwanowitsch es noch niemals gehört
hatte. Mitunter begegnet man wohl in einem Orchester einer solchen
vertrackten Trompete; wenn die einmal einen Ton von sich gibt, dann
scheint es einem, als habe es nicht im Orchester, sondern im eigenen
Ohre gekracht. Ein ähnlicher Laut erdröhnte jetzt durch die plötzlich
erwachten Gemächer des in ewigen Schlaf versunkenen Hauses, und gleich
darauf erfüllte die Luft ein intensiver Geruch nach Kölnischem Wasser,
der sich durch ein leichtes Schütteln des Batisttaschentuches unsichtbar
im Zimmer verbreitete.

Der Leser hat vielleicht schon erraten, daß der Gast kein andrer war,
als unser verehrter, von uns so lange vernachlässigter Pawel Iwanowitsch
Tschitschikow. Er war etwas älter geworden: diese Zeit war an ihm
offenbar nicht ohne Stürme und Sorgen vorübergegangen. Selbst der Frack,
in dem er stets zu erscheinen pflegte, schien etwas abgetragen zu sein;
auch Kutscher und Equipage, der Diener, die Pferde und das Geschirr
sahen ein wenig verbraucht und verschlissen aus. Auch seine Finanzlage
schien nicht allzu glänzend zu sein. Aber der Ausdruck seines Gesichts,
und der feine Anstand seines Auftretens waren noch ganz dieselben wie
früher. Ja sein Benehmen und seine Formen waren eher noch etwas
liebenswürdiger geworden, und er legte die Füße noch gewandter
übereinander, wenn er im Lehnstuhle Platz nahm. Seine Aussprache war
fast noch weicher, in seinen Worten und Redewendungen lag beinahe _noch_
mehr Vorsicht und Mäßigung, in seiner Haltung noch mehr Klugheit und
Sicherheit, und fast noch mehr Takt in seinem ganzen Betragen. Sein
Kragen und sein Vorhemd waren weißer und glänzender als Schnee, und
obwohl er auf Reisen war, klebte auch nicht ein Federchen an seinem
Frack: er hätte sofort eine Einladung zu einem Geburtstagsdiner annehmen
können. Kinn und Backen waren so glatt rasiert, daß nur ein Blinder über
die angenehme Fülle und Rundung nicht in Entzücken geraten konnte.

Im Hause ging sofort eine gewaltige Umwälzung vor sich, die eine Hälfte,
die bislang stets in Dunkel und Finsternis gelegen hatte, weil die Laden
geschlossen und zugenagelt waren, erstrahlte plötzlich in blendender
Helligkeit. In den schön erleuchteten Zimmern wurden die Möbel
umgestellt, und bald nahm alles folgendes Aussehen an: das Zimmer,
welches zum Schlafgemach ausersehen war, wurde mit allen zur
Nachttoilette nötigen Gegenständen ausgerüstet, die Stube die als
Arbeitszimmer dienen sollte ... doch halt, zuerst müssen wir wissen, daß
in diesem Zimmer drei Tische standen: ein Schreibtisch vor dem Sofa, ein
Spieltisch vor dem Spiegel zwischen den Fenstern und ein dritter
Ecktisch in einer Zimmerecke, zwischen der Schlafzimmertüre und der in
den unbewohnten anstoßenden Salon führenden Türe, in dem zerbrochene
Möbel standen. Dieser Saal diente bis jetzt als Vorzimmer und war etwa
ein Jahr lang von niemandem betreten worden. Auf diesem Ecktische fand
die Garderobe ihren Platz, die der Reisende in seinem Koffer mitgebracht
hatte und zwar: ein Paar zu dem bekannten Frack gehörige Beinkleider,
ein Paar _neue_ Beinkleider, ein Paar _graue_ Beinkleider, zwei
Sammetwesten, zwei Atlaswesten und ein Gehrock. Dies alles wurde
übereinander, in Form einer Pyramide aufgeschichtet, und ein seidenes
Taschentuch über das Ganze gebreitet. In der andern Ecke zwischen Tür
und Fenster wurden in langer Reihe die Stiefel aufgestellt: ein Paar
_nicht mehr ganz_ neue, ein Paar _ganz_ neue, ein Paar Lackschuhe und
ein Paar Morgenschuhe. Auch sie wurden ebenso schamhaft mit einem
seidenen Taschentuch zugedeckt -- ganz als ob sie überhaupt nicht
vorhanden wären. Auf dem Schreibtisch wurden sofort folgende Gegenstände
in schönster Ordnung gruppiert: die Schatulle, eine Flasche mit
Kölnischem Wasser, ein Kalender und zwei Romane, von beiden jedoch nur
der zweite Band. Die reine Wäsche wurde in der Kommode untergebracht,
die sich schon vorher im Schlafzimmer befand; die Wäsche hingegen, die
zur Wäscherin geschafft werden sollte, wurde zu einem Bündel
zusammengebunden und unter das Bett geschoben. Auch der Koffer wurde,
nachdem er ausgeräumt war, unters Bett gestellt. Der Säbel, der
unterwegs immer mitgenommen wurde, um den Räubern und Dieben Schrecken
einzujagen, wurde auch im Schlafzimmer untergebracht und an einem Nagel
in der Nähe des Bettes aufgehängt. Alles nahm das Aussehen höchster
Sauberkeit und einer ganz ungewöhnlichen Ordnungsliebe an. Nirgends war
ein Papierschnitzel, ein Federchen oder ein Stäubchen zu entdecken.
Selbst die Luft schien gleichsam feiner und besser geworden zu sein: in
ihr verbreitete sich der angenehme Geruch einer frischen gesunden
Mannsperson, die ihre Wäsche nicht zu lange trägt, regelmäßig baden geht
und sich Sonntags mit einem nassen Schwamm abwäscht. In dem Saal, der
als Vorzimmer diente, schien sich eine Zeitlang der Geruch des Dieners
Petruschka festsetzen zu wollen, aber Petruschka wurde bald ausquartiert
und, wie es sich gehörte, in der Küche untergebracht.

In den ersten Tagen fürchtete Andrei Iwanowitsch ein wenig für seine
Unabhängigkeit; er hatte einige Sorge, der Gast könne ihn belästigen,
unliebsame Änderungen in seiner Lebensweise einführen, und die von ihm
mit soviel Glück aufgestellte Tageseinteilung stören, allein seine
Besorgnisse waren unbegründet. Unser Freund Pawel Iwanowitsch legte eine
ganz außerordentliche Elastizität und Fähigkeit an den Tag, sich an
alles anzupassen. Er sprach sich beifällig über die philosophische
Langsamkeit seines Wirtes aus und erklärte, sie verheiße ein langes
Leben. Über sein Einsiedlertum äußerte er sich sehr treffend, es nähre
in dem Menschen die großen Gedanken. Er warf auch einen Blick auf die
Bibliothek, sprach sehr lobend über die Bücher im allgemeinen und
bemerkte, sie bewahrten den Menschen vor dem Müßiggang. Er ließ nur sehr
wenige Worte fallen, aber alles, was er sagte war ernst und bedeutend.
In allem, was er tat, aber erwies er sich fast noch liebenswürdiger und
taktvoller. Er kam und ging immer zur rechten Zeit, plagte den Wirt
nicht mit Fragen und Wünschen, wenn dieser einsilbig und nicht zur
Unterhaltung geneigt war; spielte mit Vergnügen eine Partie Schach mit
ihm, und schwieg gleichfalls mit Vergnügen. Während der eine den
Tabakrauch in krausen Wolken in die Luft blies, suchte sich der andre,
da er keine Pfeife rauchte, eine ähnliche Beschäftigung: so holte er zum
Beispiel seine Tabaksdose aus schwarzem Silber aus der Tasche, nahm sie
zwischen zwei Finger seiner linken Hand, und drehte sie mit einem Finger
der rechten rasch um den der linken, ganz so, wie die Erdkugel sich um
ihre eigene Achse dreht, oder er trommelte mit dem Finger auf dem Deckel
herum und pfiff eine Melodie dazu. Mit einem Wort, er störte seinen Wirt
nicht im mindesten. »Zum erstenmal im Leben sehe ich einen Menschen, mit
dem sich's leben läßt!« sagte Tentennikow zu sich selbst, »diese Kunst
ist bei uns im allgemeinen recht wenig verbreitet. Unter uns gibt es
mancherlei Leute: kluge, gebildete und auch wirklich gute Menschen, aber
Menschen von immer gleichmäßigem Charakter, Menschen, mit denen man ein
Jahrhundert lang zusammen leben könnte, ohne sich zu zanken -- solche
Menschen kenne ich nicht. Wieviel solche Leute gibt's denn bei uns
überhaupt? Dies ist der erste Mensch dieser Art, den ich kennen lerne.«
So urteilte Tentennikow über seinen Gast.

Tschitschikow war seinerseits gleichfalls sehr froh, daß er eine
Zeitlang bei einem so ruhigen und friedlichen Herrn wohnen durfte. Das
Zigeunerleben hatte er gründlich satt bekommen. Sich einmal einen Monat
lang ordentlich ausruhen, den Anblick des herrlichen Gutes, den Duft der
Felder und des beginnenden Frühlings so recht von Herzen genießen zu
können, das war sogar mit Rücksicht auf die Hämorrhoiden von großem
Nutzen und Vorteil.

Man hätte nicht leicht einen schöneren Winkel zu seiner Erholung finden
können. Der Frühling, dessen Sieg durch starke Fröste aufgehalten worden
war, entfaltete sich plötzlich in seiner ganzen Pracht, und überall
sproßte junges Leben. Wälder und Wiesen schimmerten bläulich, aus dem
frischen Smaragd des ersten Grünes leuchtete hell das Gelb der Kuhblume
hervor, und die rötlich-violette Anemone neigte sanft ihr zartes
Köpfchen. Schwärme von Mücken und Scharen von Insekten zeigten sich über
den Sümpfen, verfolgt von der langbeinigen Wasserspinne, und von allen
Seiten flüchteten die Vögel in das trockene, schützende Schilfrohr. Hier
strömte alles zusammen, um einander zu sehen und sich näher kennen zu
lernen. Plötzlich bevölkerte sich die Erde, die Wälder erwachten, in den
Wiesen wurde es lebendig und laut. In den Dörfern schlang sich der
Reigen. Wieviel Raum gab es hier, um sich im Freien zu ergehen. Wie hell
leuchtete das Grün! Wie frisch war die Luft! Wieviel Vogelsang in den
Gärten! Paradiesisches Jauchzen und Jubeln des Alls! Das Dorf tönte und
sang, wie bei einem Hochzeitsfest!

Tschitschikow ging viel spazieren. Zu Wanderungen und Spaziergängen bot
sich die reichste Gelegenheit. Bald erging er sich auf dem flachen
Hochplateau, wo sich die Aussicht auf die unten liegenden Täler, mit den
großen Seen auftat, welche die über die Ufer getretenen Flüsse
zurückgelassen hatten, und aus denen ganze Inseln von dunklen noch
unbelaubten Wäldern hervorragten; oder er schritt mitten durch das
Dickicht dunkler Wälder, und finsterer Gründe, wo die Bäume mit
Vogelnestern geschmückt, dicht beisammen standen und die Raben krächzend
durcheinander flogen, und gleich einer Wolke den Himmel verfinsterten.
Über trockeneres Erdreich konnte man bis zum Landungsplatz wandern, wo
die ersten Barken, mit Erbsen, Gerste und Weizen beladen in die See
stachen, und wo sich das Wasser mit ohrenbetäubendem Getöse auf das
Mühlrad stürzte, das sich langsam in Bewegung zu setzen begann. Oder er
ging hin, um sich die ersten Frühjahrsarbeiten anzusehen, und zu
beobachten, wie sich ein Stück frisch gepflügtes Ackerland mitten durch
das Grün der Felder zog und der Sämann mit der Hand auf das Sieb
trommelnd, welches ihm auf der Brust hing, gleichmäßig den Samen
ausstreute, ohne auch nur ein Körnchen auf der einen oder andern Seite
zu verschütten.

Tschitschikow besuchte jedes Fleckchen. Er unterhielt sich und besprach
alles mit dem Verwalter, mit den Bauern und dem Müller. Er erkundigte
sich nach allem, nach dem Wo und Wie und fragte wie es mit dem Haushalt
stehe, wieviel Getreide verkauft werde, was im Frühjahr und Herbst für
Korn gemahlen wird, wie jeder Bauer heißt, wer mit diesem und jenem
verwandt ist, wo er seine Kuh gekauft hat, womit er sein Schwein
füttert, mit einem Wort er vergaß nichts. Er ließ sich auch sagen,
wieviel Bauern gestorben wären, und erfuhr, daß es nur wenige seien. Als
kluger Mann erkannte er sofort, daß es nicht allzu glänzend um Andrei
Iwanowitsch' Haushalt stand. Überall entdeckte er Unterlassungssünden,
Nachlässigkeit, Diebstahl, auch die Trunksucht war recht verbreitet, und
er dachte sich: »Was der Tentennikow doch für ein Rindvieh ist! So ein
Gut! und es so zu vernachlässigen! Man könnte sicherlich ein Einkommen
von fünfzigtausend Rubeln daraus herauswirtschaften!«

Mehr als einmal kam ihm bei diesen Spaziergängen der Gedanke, selbst
einmal -- d. h. natürlich nicht jetzt, sondern später, wenn die
Hauptsache erledigt sein, und er Geld in Händen haben würde -- selbst
einmal so ein friedlicher Besitzer eines ähnlichen Gutes zu werden. Und
sofort tauchte natürlich das Bild eines jungen, frischen Weibchens mit
weißem Gesicht, aus dem Kaufmannsstande oder sonst einem reichen Kreise
vor ihm auf. Ja, er träumte sogar davon, daß sie musikalisch sei. Er
stellte sich auch die junge Generation seiner Nachkommen vor, deren
Bestimmung es war, die Familie Tschitschikow zu verewigen: einen
munteren Jungen und eine schöne Tochter, oder sogar zwei Jungen und
zwei, ja selbst drei Mädel, damit alle wissen sollten, daß er wirklich
gelebt, existiert, und nicht etwa bloß wie ein Gespenst oder Schatten
über die Erde gewandelt wäre -- und damit er sich vor dem Vaterlande
nicht zu schämen brauchte. Dann kam ihm wohl der Gedanke, daß es nicht
übel wäre, wenn er auch im Rang ein wenig aufrückte: Staatsrat zum
Beispiel. Das war immerhin ein recht anständiger und achtbarer Titel!
Was kommt einem nicht alles in den Sinn, wenn man spazieren geht: so
mancherlei, was den Menschen aus dieser langweiligen, traurigen
Gegenwart entführt, ihn neckt, reizt, seine Einbildungskraft bewegt und
ihr selbst dann noch schmeichelt, wenn er überzeugt ist, daß es nie
eintreffen wird.

Auch Tschitschikows Bedienten gefiel es recht gut auf dem Lande. Sie
gewöhnten sich schnell an das neue Leben. Petruschka schloß bald
Freundschaft mit dem Hausdiener Grigorij, obwohl beide zuerst sehr
wichtig taten und sich furchtbar aufbliesen. Petruschka suchte Grigorij
Sand in die Augen zu streuen und mit seiner Erfahrenheit und
Weltkenntnis zu imponieren; Grigorij aber übertrumpfte ihn sofort mit
Petersburg, wo Petruschka noch nicht gewesen war. Er machte zwar noch
einen Versuch zu opponieren und wollte die ganze Entfernung der Gegenden
geltend machen, die er besucht hatte, aber Grigorij nannte ihm einen
solchen Ort, den man nicht einmal auf der Karte hätte finden können, und
er sprach von mehr als dreißigtausend Werst, sodaß der Diener Pawel
Iwanowitschs ganz verdutzt sitzen blieb, den Mund weit aufriß und von
allen Knechten und Mägden ausgelacht wurde. Trotzdem nahm die Sache den
allerschönsten Ausgang; beide Diener schlossen eine enge Freundschaft.
Am Ende des Dorfes Lyssyer Pimen war eine Schenke, die einem gewissen
Akulka gehörte, den man den Bauernvater nannte. Hier in diesem Lokal
konnte man sie zu allen Tageszeiten sehen. Dort wurde die Freundschaft
besiegelt, damit wurden sie zu »Stammgästen« der Kneipe wie man sich im
Volke auszudrücken liebt.

Für Seliphan gab es andre Anziehungspunkte. Jeden Abend wurden im Dorfe
Lieder gesungen; die Dorfjugend versammelte sich, um den beginnenden
Frühling durch Gesänge und Tänze zu feiern; es schlang sich der Reigen
und löste sich wieder. Die schlanken rosigen Mädchen, von einem
Liebreiz, wie man ihn heute in den größeren Dörfern kaum noch findet,
machten einen gewaltigen Eindruck auf ihn, sodaß er stundenlang dastehen
und sie angaffen konnte. Es war schwer zu sagen, welche von ihnen die
Schönste war; sie hatten alle schneeweiße Busen und Hälse, große runde
und verschleierte Augen, den Gang eines Pfaus und einen Zopf der bis an
den Gürtel reichte. Wenn er sie bei ihren weißen Händen faßte, und sich
mit ihnen langsam im Reigen vorwärtsbewegte oder zusammen mit den andern
Burschen gleich einer Mauer gegen sie vorrückte, wenn die Mädchen laut
lachend auf sie zukamen und sangen: »Wo ist der Bräutigam, Bojaren?« und
wenn dann die Gegend ringsum allmählich in Nacht versank und weit hinter
dem Flusse das treue Echo der Melodie melancholisch zurücktönte, dann
wußte er kaum, wie ihm geschah. Und noch lange nachher: am Morgen und in
der Dämmerung, ob er schlief oder wachte -- immer wieder kam es ihm so
vor, als halte er ein Paar weiße Hände in seinen Händen und bewege sich
langsam mit ihnen im Reigen.

Auch Tschitschikows Pferde fühlten sich in ihrer neuen Wohnung sehr
wohl. Das Deichselpferd, der Assessor, und selbst der Schecke fanden den
Aufenthalt bei Tentennikow gar nicht langweilig, den Hafer vortrefflich
und die Lage der Ställe außerordentlich bequem. Ein jedes hatte seinen
Stand, der zwar von dem des andern durch einen Verschlag abgeteilt war,
über den man jedoch leicht hinweggucken konnte. Daher konnte man auch
die andern Pferde sehen, und wenn es einem unter ihnen, selbst dem das
in der äußersten Ecke stand, einfiel loszuwiehern, war es den andern
leicht möglich, dem Kameraden in der gleichen Weise zu antworten.

Mit einem Wort, alles fühlte sich bei Tentennikow bald wie zu Hause. Was
jedoch die Angelegenheit anbetraf, wegen der Pawel Iwanowitsch das weite
Rußland bereiste, nämlich die toten Seelen, so war er in dieser
Beziehung äußerst vorsichtig und taktvoll geworden, selbst dann wenn er
es mit kompletten Narren zu tun hatte. Tentennikow aber las doch
immerhin Bücher, philosophierte, suchte sich über die Ursachen und
Gründe aller Erscheinungen klar zu werden -- über ihr Warum und Weshalb
.... »Nein, vielleicht ist es besser, ich fange vom andern Ende an!« So
dachte Tschitschikow. Er plauderte oft mit den Knechten und Mägden, und
so erfuhr er unter anderem einmal, daß der Herr früher häufig zu einem
seiner Nachbarn -- einem General zu Gaste fuhr, daß der General eine
Tochter habe, daß der Herr für das Fräulein -- und auch das Fräulein für
den Herrn eine gewisse ... daß sie sich aber plötzlich entzweit und von
da ab für immer gemieden hätten. Er selbst hatte auch schon bemerkt, daß
Andrei Iwanowitsch beständig mit Bleistift und Feder allerhand Köpfe
zeichnete, die einander alle sehr ähnlich sahen.

Eines Tages nach dem Mittagessen, als er wieder einmal nach seiner
Gewohnheit die silberne Tabaksdose mit dem Zeigefinger um ihre Achse
drehte, sagte er zu Tentennikow: »Sie haben alles was das Herz begehrt,
Andrei Iwanowitsch; nur eins fehlt Ihnen noch.«

»Das wäre?« fragte jener, indem er eine krause Rauchwolke in die Luft
blies.

»Eine Lebensgefährtin,« versetzte Tschitschikow. Andrei Iwanowitsch
entgegnete nichts, und damit war das Gespräch für dies Mal zu Ende.

Tschitschikow ließ sich jedoch nicht einschüchtern, suchte sich einen
andern Zeitpunkt aus -- diesmal war es _vor_ dem Abendbrot -- und sagte
plötzlich mitten in der Unterhaltung: »Wirklich, Andrei Iwanowitsch, Sie
sollten heiraten!«

Aber Tentennikow entgegnete auch nicht ein Wort, gerad als ob ihm dieses
Thema unangenehm sei.

Allein Tschitschikow ließ sich nicht abschrecken. Das dritte Mal wählte
er wieder eine andre Zeit und zwar _nach_ dem Abendbrod, und sprach
folgendermaßen: »Nein wirklich, von welcher Seite ich mir Ihre
Lebensverhältnisse auch ansehe, ich komme immer wieder zur Überzeugung,
daß Sie heiraten müssen. Sie verfallen noch in Hypochondrie.«

Sei es daß Tschitschikows Worte diesmal besonders überzeugend waren,
oder daß Andrei Iwanowitsch heute besonders zur Aufrichtigkeit und
Offenherzigkeit geneigt war, er stieß einen Seufzer aus und sagte, indem
er wieder eine Rauchwolke aufsteigen ließ: »Bei allen Dingen muß man
Glück haben, man muß als Sonntagskind geboren werden, Pawel
Iwanowitsch.« Und er erzählte ihm alles, genau so wie es sich ereignet
hatte: die ganze Geschichte seiner Bekanntschaft mit dem General und
ihre Entzweiung.

Als Tschitschikow die bekannte Affäre Wort für Wort kennen gelernt
hatte, und hörte, daß wegen des einen kleinen Wörtchens »du« eine so
große Geschichte entstanden war, blieb er ganz verdutzt sitzen. Mehrere
Minuten lang sah er Tentennikow prüfend in die Augen, ohne entscheiden
zu können, ob er ein kompletter Narr oder bloß ein bißchen dumm sei.

»Andrei Iwanowitsch! ich bitte Sie!« sprach er endlich, indem er jenen
bei beiden Händen nahm: »Was ist denn das für eine Beleidigung? Was
finden Sie denn in dem Wörtchen »du« Beleidigendes?«

»Das Wort selbst enthält natürlich keine Beleidigung,« entgegnete
Tentennikow: »die Beleidigung lag in dem Sinn, in dem Ausdruck, mit dem
dieses Wort gesprochen wurde. >Du!< -- das soll heißen: >wisse, daß du
ein minderwertiges Subjekt bist; ich verkehre nur darum mit dir, weil
ich keinen besseren habe als dich; jetzt dagegen, wo die Fürstin
Jusjakin gekommen ist, bitte ich dich, dich daran zu erinnern, wo dein
eigentlicher Platz ist und dich an die Türe zu stellen.< _Das_ hat es zu
bedeuten!« Bei diesen Worten funkelten die Augen unseres sanften und
milden Andrei Iwanowitsch; in seiner Stimme zitterte die Erregung eines
aufs tiefste beleidigten Gefühls nach.

»Nun und wenn es sogar etwas Ähnliches zu bedeuten hätte? -- Was ist
denn dabei?« sagte Tschitschikow.

»Wie? Sie verlangen von mir, daß ich ihn nach diesem Benehmen noch
weiter besuche?«

»Ja, was ist denn das für ein Benehmen? Das kann man doch nicht einmal
ein Benehmen nennen,« sagte Tschitschikow kaltblütig.

»Wieso kein >Benehmen<,« fragte Tentennikow erstaunt.

»Das ist überhaupt kein Benehmen, Andrei Iwanowitsch. Das ist bloß so
eine Gewohnheit dieser Herren Generäle: sie duzen alle Leute. Und
schließlich, warum sollte man das einem so verdienten und geachteten
Mann nicht einmal gestatten?«

»Das ist ganz was andres,« versetzte Tentennikow, »wäre er nur ein alter
Herr oder ein armer Kerl, und nicht so eitel, stolz und empfindlich,
wäre er kein General, dann würde ich es ihm sehr gern erlauben, mich
_du_ zu nennen, und es sogar mit Respekt aufnehmen.«

»Tatsächlich, er ist ein Narr!« dachte Tschitschikow. »Einem zerlumpten
Kerl würde er es gestatten, einem General dagegen nicht!« Und nach
dieser Erwägung fuhr er laut fort: »Gut, meinetwegen, zugegeben, daß er
Sie beleidigt hat, aber Sie haben sich doch revanchiert: er hat Sie
beleidigt, und Sie haben ihm die Beleidigung zurückgegeben. Aber wie
kann man sich wegen einer solchen Bagatelle entzweien und eine Sache so
im Stiche lassen, die einem persönlich am Herzen liegt? Nein, da muß ich
schon um Entschuldigung bitten, das ist doch ... Wenn Sie sich einmal
ein Ziel gesteckt haben, dann müssen Sie auch drauf los gehen, komme was
da will. Wer achtet denn darauf, daß die Menschen einen anspeien. Alle
Menschen bespeien einander. Heute finden Sie keinen Menschen auf der
ganzen Welt, der nicht um sich schlägt und einen nicht anspuckt.«

Tentennikow war über diese Worte aufs höchste betroffen, er saß ganz
verblüfft da und dachte nur: »Ein zu seltsamer Mensch, dieser
Tschitschikow!«

»Ist das ein wunderlicher Kauz! dieser Tentennikow!« dachte
Tschitschikow, und er fuhr laut fort: »Andrei Iwanowitsch, lassen Sie
mich zu Ihnen sprechen, wie zu einem Bruder. Sie sind noch so
unerfahren. Erlauben Sie mir, daß ich die Sache ins Reine bringe. Ich
will zu Seiner Exzellenz hinfahren und ihm erklären, daß die Sache
Ihrerseits auf einem Mißverständnis beruht, und auf Ihre Jugend und Ihre
geringe Welt- und Menschenkenntnis zurückzuführen ist.«

»Ich habe nicht die Absicht, vor ihm zu kriechen!« sagte Tentennikow
gekränkt »und kann auch Sie nicht dazu zu ermächtigen!«

»Zum Kriechen bin ich nicht fähig,« versetzte Tschitschikow gleichfalls
gekränkt. »Ich bin nur ein Mensch. Ich kann mich irren und fehlen, aber
kriechen -- niemals! Entschuldigen Sie Andrei Iwanowitsch; ich meine es
zu gut mit Ihnen, als daß sie ein Recht hätten, meinen Worten einen so
beleidigenden Sinn unterzulegen.«

»Verzeihen Sie, Pawel Iwanowitsch, ich bin schuld!« sagte Tentennikow
gerührt und ergriff Tschitschikow dankbar bei beiden Händen. »Ich wollte
Sie wirklich nicht beleidigen. Ihre gütige Teilnahme ist mir sehr
wertvoll. Das schwöre ich Ihnen. Aber geben wir dies Gespräch auf, wir
wollen nie wieder über diese Sache reden!«

»Dann fahre ich eben, ohne einen besonderen Anlaß, zum General«, sprach
Tschitschikow.

»Wozu?« fragte Tentennikow, indem er Tschitschikow verwundert ansah.

»Ich will ihm meine Aufwartung machen!« versetzte Tschitschikow.

»Was für ein seltsamer Mensch ist doch dieser Tschitschikow!« dachte
Tentennikow.

»Was für ein seltsamer Mensch ist doch dieser Tentennikow!« dachte
Tschitschikow.

»Ich fahre morgen gegen zehn Uhr früh zu ihm, Andrei Iwanowitsch. Ich
glaube je eher man einem solchen Herrn seinen Achtungsbesuch macht, um
so besser. Leider ist bloß meine Kutsche noch nicht in der rechten
Verfassung, ich möchte Sie daher nur um die Erlaubnis bitten, Ihren
Wagen zu benutzen. Ich möchte schon morgen so gegen zehn Uhr zu ihm
hinfahren!«

»Aber natürlich. Welch eine Bitte! Sie haben nur zu befehlen. Nehmen Sie
jeden Wagen, welchen Sie wollen: es steht alles zu Ihrer Verfügung!«

Nach dieser Unterhaltung verabschiedeten sie sich und begaben sich ein
jeder auf sein Zimmer, um schlafen zu gehen und nicht ohne beiderseits
über die Eigenheiten des andern nachzudenken.

Und doch: war es nicht merkwürdig: als am andern Tage der Wagen vorfuhr
und Tschitschikow mit der Gewandtheit eines Militärs, in einem neuen
Frack, weißer Weste und weißer Halsbinde hineinsprang und davonfuhr, um
dem General seine Aufwartung zu machen: -- da geriet Tentennikow in eine
solche Aufregung, wie er sie noch nie zuvor erlebt hatte. All seine
eingerosteten und schlummernden Gedanken kamen in Unruhe und Bewegung.
Eine nervöse Raserei bemächtigte sich plötzlich mit aller Gewalt dieses
schläfrigen und in Bequemlichkeit und Müßiggang versunkenen Träumers.

Bald setzte er sich auf das Sofa, bald trat er ans Fenster, bald nahm er
ein Buch zur Hand, bald wieder versuchte er es, über etwas nachzudenken.
Verlorene Liebesmüh! Er konnte keinen Gedanken fassen. Oder er versuchte
es, an gar nichts zu denken. Vergebliches Bemühen! Armselige Bruchstücke
eines Gedankens, allerhand Gedankenendchen und -fragmente drängten sich
in sein Hirn und bestürmten seinen Schädel. »Ein merkwürdiger Zustand!«
sagte er und setzte sich ans Fenster, um auf den Weg hinauszublicken,
der den dunklen Eichenwald durchschnitt, und an dessen Ende eine
Staubwolke sichtbar war, welche der davonrollende Wagen aufgewirbelt
hatte. Doch verlassen wir Tentennikow und folgen wir Tschitschikow.


                            Zweites Kapitel.

In einer knappen halben Stunde trugen die braven Rosse Tschitschikow
über die etwa zehn Werst lange Strecke hinweg -- erst ging es durch den
Eichwald, dann durch das Kornfeld, das zwischen langen Streifen frisch
gepflügten Ackerlandes lag und im ersten Grün des Frühlings prangte,
dann wieder den Rand des Gebirgs entlang, wo sich in einem fort
herrliche Fernblicke auftaten -- und endlich durch eine breite
Lindenallee, deren Laub sich eben zu entfalten begann, bis zu dem Gute
des Generals. Die Lindenallee ging bald in eine Allee schlanker Pappeln
über, die unten in geflochtene Körbe eingefaßt waren, und führte zuletzt
auf ein gußeisernes Torgitter, hinter dem man den prächtigen, mit
reichem krausem Schnitzwerk verzierten Giebel des Herrenhauses
erblickte, der von acht Säulen mit Korinthischen Kapitälen getragen
wurde. Überall roch es nach Ölfarbe, die allem einen neuen Anstrich gab,
und keinem Ding Zeit ließ, alt zu werden. Der Hof war so glatt und
sauber, daß man über Parkett zu wandeln glaubte. Als der Wagen vor dem
Hause Halt machte, sprang Tschitschikow respektvoll heraus und betrat
die Treppe. Er ließ sich gleich beim General anmelden, und wurde direkt
in dessen Arbeitszimmer geführt. Die majestätische Gestalt des Generals
machte einen tiefen Eindruck auf unseren Helden. Er hatte einen
zugeknöpften Sammetschlafrock von himbeerroter Farbe an, sein Blick war
offen, sein Gesicht männlich, er trug einen großen Schnurrbart und einen
stattlichen graumelierten Backenbart und Haare, die im Nacken ganz kurz
geschnitten waren; sein Hals war breit und dick oder »dreistöckig«, wie
man bei uns zu sagen pflegt, d. h., er wies drei Längsfalten und eine
Querfalte auf: mit einem Wort, es war einer von jenen prächtigen
Generalstypen, an denen das Jahr 1812 so reich war. General
Betrischtschew war, wie wir alle, mit einem ganzen Haufen von Vorzügen
und Mängeln gesegnet. Diese wie jene waren jedoch, wie das bei uns
Russen oft zu geschehen pflegt, recht bunt durcheinandergewürfelt:
Großmut und Aufopferungsfähigkeit, in entscheidenden Momenten auch
Tapferkeit, Verstand und bei alledem eine genügende Dosis Eitelkeit,
Ehrgeiz, Eigensinn und kleinliche Empfindlichkeit, ohne die der Russe
nun einmal nicht auskommen kann, wenn er nichts zu tun hat und nichts
ihn zum Handeln bestimmt. Er hatte eine starke Abneigung gegen alle die,
welche ihm den Rang abgelaufen hatten und äußerte sich in sarkastischer
Weise über sie. Am meisten aber hatte einer seiner früheren Kollegen von
ihm zu leiden, denn der General war fest davon überzeugt, daß er in
bezug auf Verstand und Fähigkeiten hoch über jenem stand, und doch hatte
ihn der andere überholt und war bereits Generalgouverneur zweier
Provinzen. Unglücklicherweise befand sich auch noch eins von den Gütern
des Generals in einer dieser Provinzen, sodaß dieser gewissermaßen von
seinem Kollegen abhängig war. Der General rächte sich reichlich; er
sprach bei jeder Gelegenheit von seinem Nebenbuhler, kritisierte eine
jede seiner Verordnungen und erklärte jede seiner Maßnahmen und
Handlungen für den Gipfelpunkt des Unverstandes und der Torheit. Alles
an ihm hatte einen gewissen merkwürdigen Anstrich, vor allem auch seine
Bildung. Er war nämlich ein großer Freund und Vorkämpfer der Aufklärung;
auch wollte er immer mehr und alles besser wissen, als andre Leute und
daher hatte er die Menschen nicht gern, die etwas wußten, was ihm
unbekannt war. Mit einem Wort, er liebte es durch seinen Verstand zu
glänzen. Einen großen Teil seiner Erziehung hatte er im Auslande
genossen, trotzdem aber wollte er den russischen Aristokraten spielen.
Bei einem Charakter, der soviel Härten und soviel starke hervorstechende
Gegensätze aufwies, war es nur natürlich, daß er im Dienst beständig mit
Unannehmlichkeiten zu kämpfen hatte, was ihn schließlich auch
veranlaßte, seinen Abschied zu nehmen. Die Schuld, daß es so gekommen
war, schob er auf eine gewisse feindliche Partei, denn er hatte nicht
den Mut, sich selbst für etwas verantwortlich zu machen. Auch nach
seinem Abschied behielt er seine vornehme und majestätische Haltung. Ob
er nun einen Frack, einen Gehrock oder einen Schlafrock anhatte -- er
blieb sich immer gleich. Von seiner Stimme bis zur letzten Geste und
Bewegung war alles an ihm gebieterisch und majestätisch, und flößte
jedem unter ihm Stehenden wenn auch nicht Achtung, so doch wenigstens
Furcht oder Scheu ein.

Tschitschikow fühlte beides: Ehrfurcht _und_ Scheu. Er neigte den Kopf
ehrerbietig zur Seite, streckte die Hände aus, wie wenn sie ein Tablett
mit Teetassen ergreifen wollten, verbeugte sich mit bewundernswürdiger
Gewandtheit fast bis zur Erde und sagte: »Ich habe es für meine Pflicht
gehalten, Exzellenz meine Aufwartung zu machen. Die hohe Achtung vor den
Tugenden der Männer, die das Vaterland auf den Schlachtfeldern
verteidigten, veranlaßte mich, mich Eurer Exzellenz persönlich
vorzustellen.«

Dem General schien diese Introduktion nicht zu mißfallen. Er machte eine
sehr gnädige Kopfbewegung und sagte: »Ich freue mich sehr, Ihre
Bekanntschaft zu machen. Bitte nehmen Sie Platz! Wo haben Sie gedient?«

»Das Feld meiner Tätigkeit,« sprach Tschitschikow, indem er sich im
Lehnstuhl niederließ -- aber nicht in der Mitte, sondern ein wenig
seitwärts auf der Kante -- und mit der Hand die Stuhllehne festhielt,
»das Feld meiner Tätigkeit begann im Kameralhof, Exzellenz, um seinen
weiteren Verlauf an verschiedenen Stellen zu nehmen; ich habe im
Hofgericht, in einer Baukommission und im Zollamt gedient. Mein Leben
läßt sich mit einem Schiff inmitten stürmischer Wogen vergleichen,
Exzellenz. Ich kann wohl sagen, ich bin mit Geduld aufgesäugt und
großgepäppelt, ich selbst bin sozusagen die personifizierte Geduld.
Wieviel ich allein von meinen Feinden zu erdulden hatte, das vermag
weder ein Wort noch der Pinsel eines Künstlers zu schildern. Erst jetzt
an meinem Lebensabend suche ich mir einen Winkel, wo ich den Rest meiner
Tage verbringen kann. Einstweilen habe ich mich bei einem der nächsten
Nachbarn Eurer Exzellenz niedergelassen ...«

»Bei wem, wenn ich fragen darf?«

»Bei Tentennikow, Exzellenz.«

Der General runzelte die Stirn.

»Er bereut es schwer, Exzellenz, daß er Eurer Exzellenz nicht die
schuldige Achtung erwiesen hat.«

»Achtung! Wovor?«

»Vor den Verdiensten Eurer Exzellenz,« sagte Tschitschikow. »Er kann
bloß das rechte Wort nicht finden ... Er sagt: >Wenn ich Seiner
Exzellenz nur irgendwie ... denn ich weiß doch die Männer zu schätzen,
die das Vaterland gerettet haben,< sagt er.«

»Ja, was will er denn? ... Ich bin ihm doch garnicht böse!« versetzte
der General, der schon weit milder gestimmt war. »Ich habe ihn herzlich
lieb gewonnen und bin überzeugt, daß er mit der Zeit noch ein sehr
nützlicher Mensch werden kann.«

»Sehr richtig bemerkt, Exzellenz,« fiel Tschitschikow ein. »Ein sehr
nützlicher Mensch; er ist so sprachgewandt und schreibt auch sehr
schön.«

»Aber ich glaube er schreibt allerhand Dummheiten. Ich glaube er macht
Verse oder so etwas.«

»Oh nein, Exzellenz, durchaus keine Dummheiten. Er schreibt an einem
sehr ernsten und bedeutenden Werke. Er schreibt .... eine Geschichte,
Exzellenz ....«

»Eine Geschichte? ... Was für eine Geschichte?«

»Eine Geschichte« ... hier hielt Tschitschikow ein wenig inne, war es
nun, weil ein General vor ihm saß, oder wollte er der Sache bloß eine
größere Bedeutung beilegen, genug er fügte hinzu: »eine Geschichte der
Generäle, Exzellenz!«

»Wie? der Generäle? Welcher Generäle?«

»Der Generäle im allgemeinen, Exzellenz, überhaupt aller Generäle ...
das heißt, ich wollte eigentlich sagen, der _vaterländischen_ Generäle.«

Tschitschikow fühlte, daß er sich gar zu weit verrannt hatte, und war
daher sehr verlegen. Er hätte vor Ärger ausspucken mögen und sagte zu
sich selbst: Herrgott, was rede ich da für einen Blödsinn.

»Entschuldigen Sie, ich verstehe noch nicht ganz ... wie ist denn das?
Soll es die Geschichte einer bestimmten Epoche, oder sollen es einzelne
Biographieen werden. Und dann: handelt es sich um sämtliche Generäle die
existiert, oder nur um die, die am Feldzug des Jahres 1812 teilgenommen
haben?«

»Seht richtig, Exzellenz, nur um die letzteren!« Und er dachte sich:
»Schlagt mich tot, ich verstehe kein Wort!«

»Ja, warum kommt er denn dann nicht zu mir! Ich könnte ihm äußerst
interessantes Material geben!«

»Er hat nicht den Mut, Exzellenz!«

»Was für ein Unsinn! Wegen irgend eines dummen Wortes, das unter uns
gefallen ist ... Ich bin doch gar nicht so ein Mensch. Ich will
meinetwegen selbst zu ihm hinfahren.«

»Das würde er nie zugeben, er wird selbst kommen,« sagte Tschitschikow,
er hatte sich schon ganz wieder erholt und dachte sich dabei: »Hm! die
Generäle kommen mir aber gerade zupaß; und dabei hat meine Zunge doch
ganz frech darauflos geschwätzt!«

In dem Arbeitszimmer des Generals hörte man ein Geräusch. Die Nußholztür
eines geschnitzten Schrankes öffnete sich von selbst. Auf der Rückseite
der Tür erschien das lebende Bild eines Mädchens, welches die Türklinke
in der Hand hielt. Wenn auf dem dunkelen Hintergrunde des Zimmers
plötzlich ein hell von Lampen erleuchtetes Lichtbild erschienen wäre, es
hätte durch sein plötzliches Erscheinen keinen so gewaltigen Eindruck
hervorbringen können, wie diese liebliche Gestalt. Sie war offenbar
hereingekommen, um etwas zu sagen, aber als sie einen unbekannten
Menschen im Zimmer sah --. Mit ihr zugleich schien ein Sonnenstrahl in
die Stube gedrungen zu sein, und das ganze finstere Gemach des Generals
schien zu leuchten und zu lächeln. Tschitschikow konnte sich im ersten
Moment keine Rechenschaft ablegen, was für ein Wesen eigentlich vor ihm
stand. Es war schwer zu sagen, in welchem Lande sie geboren war, denn
man hätte nicht so leicht ein so reines und vornehmes Profil finden
können, es sei denn auf antiken Kameen. Schlank und leicht wie ein Pfeil
schien ihre edle Gestalt alles zu überragen. Aber das war nur eine
schöne Täuschung. Sie war keineswegs sehr groß. Dieser Schein rührte
bloß von der wunderbaren Harmonie her, in der all ihre Glieder standen.
Das Kleid, das sie anhatte, schmiegte sich ihrer Gestalt so wohltuend
an, daß man hätte glauben können, die berühmtesten Schneiderinnen wären
zusammengekommen, um zu beratschlagen, was ihr am besten stehen möchte.
Aber auch das war nur eine Täuschung. Sie dachte nicht lange über ihre
Toilette nach, alles ergab sich wie von selbst: an zwei, drei Stellen
hatte die Nadel ein kaum zugeschnittenes Stück des einfarbigen Stoffes
berührt und dieses hatte sich selbst in edlen Falten um ihren Leib
gelegt; hätte man dieses Gewand samt ihrer Trägerin im Bilde
festgehalten, so hätten alle modischen Damen und Fräuleins ausgesehen,
wie bunte Kühe oder irgend eine Schöne vom Trödelmarkt. Und hätte man
sie mit diesen Falten und in diesem sie umhüllenden Gewande in Marmor
gehauen, so hätte man dieses Bildnis das Werk eines genialen Künstlers
genannt. Nur einen Mangel hatte sie: sie war fast zu zart und
schmächtig.

»Darf ich Ihnen mein Nesthäkchen vorstellen!« sagte der General, indem
er sich an Tschitschikow wandte. Ȇbrigens verzeihen Sie, ich kenne
Ihren Vor- und Vaternamen noch nicht ...«

»Muß man denn den Vor- und Vaternamen eines Mannes kennen, der sich noch
durch keinerlei Vorzüge und Tugenden ausgezeichnet hat,« entgegnete
Tschitschikow, während er seinen Kopf bescheiden auf die Seite neigte.

»Immerhin ... So etwas muß man doch wissen!«

»Pawel, Iwanowitsch, Exzellenz!« sagte Tschitschikow, indem er sich
beinahe mit der Gewandtheit eines Militärs verbeugte und mit der
Elastizität eines Gummiballs zurücksprang.

»Ulinka!« fuhr der General fort. »Pawel Iwanowitsch hat mir soeben eine
äußerst interessante Neuigkeit mitgeteilt. Unser Nachbar Tentennikow ist
gar kein so dummer Mensch, wie wir angenommen haben. Er arbeitet an
einem großen Werk: an einer Geschichte der Generäle des Jahres 1812.«

»Ja, wer hat denn gesagt, daß er dumm ist,« sagte sie schnell. »Das
konnte doch höchstens dieser Wischnepokromow glauben, dem du so
vertraust, Papa, und der bloß ein hohler und gemeiner Mensch ist.«

»Warum denn gemein? Er ist etwas oberflächlich, das ist wahr!« sagte der
General.

»Er ist auch etwas gemein und etwas schlecht und nicht nur
oberflächlich. Wer seine Brüder so behandelt, und seine eigene Schwester
aus dem Hause jagen konnte, das ist ein abscheulicher, häßlicher
Mensch.«

»Aber das erzählt man doch bloß von ihm.«

»Solche Dinge erzählt man nicht umsonst. Ich kann dich nicht verstehen,
Papa. Du hast ein selten gutes Herz und doch kannst du mit einem
Menschen verkehren, der tief unter dir steht und von dem du weißt, daß
er schlecht ist.«

»Sehen Sie,« sagte der General lächelnd zu Tschitschikow. »So liegen wir
uns stets in den Haaren!« Dann wandte er sich wieder zu Ulinka und fuhr
fort: »Liebes Herzchen! Ich kann ihn doch nicht davonjagen!« sagte der
General.

»Warum denn davonjagen? Aber man braucht ihn doch nicht mit soviel
Achtung zu behandeln und ihn gleich in sein Herz zu schließen!«(7)

Hier hielt es Tschitschikow für seine Pflicht, gleichfalls ein Wörtchen
zu sagen.

»Jedes Wesen verlangt nach Liebe,« sprach Tschitschikow. »Was soll man
machen? Auch das Tier liebt, daß man es streichelt, es steckt seine
Schnauze aus dem Stall heraus, als ob es sagen wollte: komm, streichele
mich.«

Der General fing an zu lachen. »Ganz recht: so ist es. Es steckt seine
Schnauze hervor und bittet: da streichele mich! Ha, ha, ha! Nicht bloß
die Schnauze, der ganze Mensch steckt tief im Dreck, und doch verlangt
er, daß man ihm sozusagen Teilnahme erweise .... Ha, ha, ha!« Der
General schüttelte sich vor Lachen. Seine Schultern, welche einstmals
dicke Achselklappen getragen hatten, bebten, als ob sie auch heute noch
mit dicken Achselklappen geschmückt wären.

Auch Tschitschikow lachte kurz auf, stimmte jedoch sein Gelächter aus
Achtung vor dem General mehr auf den Buchstaben e ab: he, he, he, he,
he, he! Auch er schüttelte sich vor Lachen, nur bewegten sich seine
Schultern nicht, denn sie trugen keine dicke Achselklappen.

»So ein Kerl beschwindelt und bestiehlt erst den Staat und verlangt dann
noch, daß man ihn dafür belohnen soll! Wer wird sich denn mühen und
abquälen, ohne Ansporn und Aussicht auf eine Belohnung!« sagte er. »Ha,
ha, ha, ha!«

Ein schmerzliches Gefühl verdüsterte das edle, liebliche Gesicht des
Mädchens: »Papa! Ich verstehe nicht, wie du bloß lachen kannst! Mich
stimmen solche Schlechtigkeiten und solche gemeine Handlungen bloß
traurig. Wenn ich sehe, wie irgend ein Mensch ganz öffentlich und vor
allen Leuten einen Betrug verübt, und ihn nicht die Strafe der
allgemeinen Verachtung trifft, so weiß ich kaum noch, was in mir
vorgeht, dann werde ich selbst böse und schlecht; ich denke und denke
und ....« Sie war nahe daran, in Tränen auszubrechen.

»Bitte, sei uns nur nicht böse,« sagte der General. »Wir sind doch ganz
unschuldig an der Sache. Nicht wahr?« fuhr er fort, indem er sich an
Tschitschikow wandte. »So, nun gib mir einen Kuß und geh auf dein
Zimmer, ich muß mich gleich umkleiden, denn es ist bald Zeit zum
Mittagessen.«

»Du ißt doch bei mir?« sagte der General und warf Tschitschikow einen
Blick zu.

»Wenn Eure Exzellenz bloß ...«

»Bitte ohne Umstände. Es wird wohl noch für dich reichen. Gott sei Dank!
Wir haben heute Kohlsuppe.«

Tschitschikow streckte seine beiden Hände aus und ließ den Kopf
ehrfurchtsvoll herabsinken, sodaß er alle Gegenstände im Zimmer einen
Augenblick aus den Augen verlor und nur noch die Spitzen seiner Schuhe
sehen konnte. Nachdem er eine Weile in dieser respektvollen Stellung
verharrt war, und hierauf den Kopf wieder erhob, sah er Ulinka schon
nicht mehr. Sie war verschwunden. An ihrer Stelle stand ein Riese von
einem Kammerdiener mit einem buschigen Schnauzbart und wohlgepflegtem
Backenbart, der, eine silberne Schüssel und ein Waschbecken in den
Händen hielt.

»Du erlaubst wohl, daß ich mich in deiner Gegenwart umkleide!«

»Sie dürfen sich nicht bloß in meiner Gegenwart umkleiden, vielmehr
steht es Ihnen frei, in meiner Gegenwart alles zu tun, was Ihnen
beliebt, Exzellenz.«

Der General zog die eine Hand aus dem Schlafrock und streifte sich die
Hemdärmel an den athletischen Armen in die Höhe. Hierauf begann er sich
zu waschen, wobei er um sich spritzte und prustete wie eine Ente. Das
Seifenwasser stob nur so durch das Zimmer.

»Ja, ja, sie wollen alle einen Ansporn und eine Belohnung haben,« sagte
er indem er sich seinen dicken Hals rings herum sorgfältig abtrocknete
... »Streichele ihn, streichele ihn nur. Ohne Belohnung hört er nun
einmal nicht auf zu stehlen!«

Tschitschikow befand sich in selten guter Laune. Eine Art Begeisterung
war plötzlich über ihn gekommen. »Der General ist ein lustiger und
gutmütiger alter Herr! Man könnte es am Ende versuchen!« dachte er und
als er sah, daß der Kammerdiener mit dem Waschbecken hinausgegangen war,
rief er aus: »Exzellenz! Sie sind so gütig und aufmerksam gegen
jedermann! Ich habe eine große Bitte an Sie zu richten.«

»Was für eine Bitte?« -- Tschitschikow sah sich vorsichtig um.

»Ich habe einen Onkel, einen alten sehr gebrechlichen Herrn. Er hat
dreihundert Seelen und zweitausend ... und ich bin sein einziger Erbe.
Er kann sein Gut nicht mehr allein verwalten, weil er schon zu alt und
zu schwach dazu ist, mir aber will er es auch nicht überlassen. Er gibt
einen höchst seltsamen Grund dafür an: >Ich kenne meinen Neffen nicht,<
sagt er, >vielleicht ist er ein Verschwender und Tunichtgut. Er soll mir
erst beweisen, daß er ein zuverlässiger Mensch ist, und sich selbst erst
einmal dreihundert Seelen erwerben, dann will ich ihm meine dreihundert
dazugeben.<«

»Erlauben Sie mal! Ist der Mann denn ganz närrisch?« fragte der General.

»Das wäre noch nicht das Schlimmste, wenn er bloß ein Narr wäre. Das
wäre sein eigener Schade. Aber versetzen Sie sich auch in meine Lage,
Exzellenz ... Denken Sie, er hat eine Schließerin die bei ihm wohnt, und
diese Schließerin hat Kinder. Da muß man sich doch in acht nehmen, daß
er ihr nicht noch sein ganzes Vermögen vermacht.«

»Der alte Narr hat seinen Verstand verloren, das ist das Ganze,« sagte
der General. »Ich sehe nur keine Möglichkeit, wie ich Ihnen hier helfen
könnte!« fuhr er fort, indem er Tschitschikow erstaunt ansah.

»Ich habe eine Idee, Exzellenz. Wenn Sie mir alle toten Seelen, die Sie
besitzen, überlassen wollten, Exzellenz, ich meine auf Grund eines
Kaufvertrages, ganz so als ob sie noch am Leben wären, dann könnte ich
dem Alten diesen Vertrag zeigen, und er müßte mir die Erbschaft
aushändigen.«

Jetzt aber lachte der General so laut auf, wie wohl noch nie ein Mensch
gelacht hat: So lang er war, sank er in den Lehnstuhl, warf den Kopf
über die Rücklehne und wäre beinahe erstickt. Das ganze Haus kam in
Bewegung. Der Kammerdiener erschien in der Türe, und die Tochter kam
ganz erschrocken herbeigelaufen.

»Papa, was ist geschehen?« rief sie entsetzt und sah ihn bestürzt an.
Aber der General vermochte lange Zeit hindurch keinen Laut von sich zu
geben. »Sei ruhig, es ist nichts, liebes Kind. Ha, ha, ha. Geh nur auf
dein Zimmer. Wir kommen gleich zum Mittagessen. Beunruhige dich nicht.
Ha, ha, ha.«

Und nachdem der General ein paarmal nach Luft geschnappt hatte, fing er
mit erneuter Kraft an zu lachen; laut hallte es durch das ganze Haus,
vom Vorzimmer bis zur letzten Stube.

Tschitschikow wurde ein wenig unruhig.

»Der arme Onkel! Wie der zum Narren gehalten werden soll! Ha, ha, ha.
Wie der dasitzen wird, wenn er statt der lebenden Bauern lauter tote
kriegt. Ha, ha!«

»Es geht schon wieder los!« dachte Tschitschikow. »Ist der kitzlich! Er
wird noch platzen!«

»Ha, ha, ha!« fuhr der General fort. »So ein Esel! Wie einem nur so
etwas einfallen kann: Geh, erwirb dir mal erst selbst dreihundert
Seelen, dann sollst du noch weitere dreihundert dazu haben! Er ist
wahrhaftig ein Esel!«

»Ganz recht, Exzellenz, er ist wirklich ein Esel!«

»Na, aber dein Scherz ist auch nicht ohne! Den Alten mit toten Bauern
abzuspeisen! Ha, ha, ha! Bei Gott, ich würde viel drum geben, könnte ich
nur dabei sein, wenn du ihm den Kaufvertrag überreichst! Was ist er
eigentlich für ein Mensch? Wie sieht er aus? Ist er sehr alt?«

»Gegen achtzig Jahre!«

»Und ist er noch rüstig? Kann er noch gut gehen? Er muß doch noch recht
kräftig sein, wenn er mit der Schließerin zusammenlebt?«

»Keine Spur! Exzellenz. Er ist so hilflos wie ein Kind!«

»So ein Narr! Nicht wahr? Er ist doch ein Narr!«

»Sehr richtig, Exzellenz! Ein vollkommener Narr!«

»Und fährt er noch spazieren? Macht er Besuche? Ist er noch gut auf den
Beinen?«

»Ja, aber es wird ihm doch schon recht schwer.«

»So ein Narr! Aber er ist doch noch ganz rüstig? Wie? Hat er noch
Zähne?«

»Nur noch zwei, Eure Exzellenz!«

»So ein Esel! Sei mir nicht böse, Verehrtester. -- Er ist zwar dein
Onkel, aber ist _doch_ ein Esel.«

»Freilich ist er ein Esel, Exzellenz. Trotzdem er mein Verwandter ist
und es mir schwer wird, es einzugestehen, daß Sie recht haben, aber was
soll ich machen?«

Der gute Tschitschikow schwindelte. Es wurde ihm durchaus nicht schwer,
dies einzugestehen, um so weniger, als er schwerlich je solch einen
Onkel besessen hatte.

»Eure Exzellenz wollen also die Freundlichkeit haben ...«

»Dir die toten Seelen abzukaufen? Für diesen großartigen Gedanken sollst
du sie mitsamt dem Grund und Boden und ihrer jetzigen Wohnung haben. Du
darfst dir meinetwegen den ganzen Friedhof mitnehmen. Ha, ha, ha, ha.
Nein dieser Alte! Wird dem ein Streich gespielt! Ha, ha, ha, ha.«

Und das Gelächter des Generals hallte aufs neue durch alle Zimmer.[1]

[Fußnote 1: Hier fehlt ein größeres Stück, das den Übergang vom zweiten
zum dritten Kapitel bilden sollte.

                                                      Anm. d. Herausg.
                                                                     ]


                            Drittes Kapitel.

Wenn der Oberst Koschkarjow wirklich verrückt ist, so wäre das garnicht
übel, sagte Tschitschikow, als er sich wieder unter offenem Himmel auf
freiem Felde befand. Alle menschlichen Behausungen lagen weit hinter
ihm; und er sah jetzt nichts mehr als das freie Himmelsgewölbe und zwei
kleine Wolken in der Ferne.

»Hast du dich auch ordentlich nach dem Wege zum Obersten Koschkarjow
erkundigt, Seliphan?«

»Sie wissen doch, Pawel Iwanowitsch, ich hatte soviel mit dem Wagen zu
tun, und da fand ich keine Zeit dazu. Aber Petruschka hat den Kutscher
nach dem Wege gefragt.«

»So ein Esel! Ich habe dir doch gesagt, daß du dich nicht auf Petruschka
verlassen sollst; Petruschka ist sicher wieder besoffen.«

»Das ist doch keine große Weisheit,« sagte Petruschka, indem er sich ein
wenig auf seinem Sitze umdrehte und nach Tschitschikow hinschielte. »Wir
müssen bloß den Berg hinabfahren, und dann geht's längs der Wiese
weiter, das ist das Ganze!«

»Und du hast wohl nichts außer Fusel in den Mund genommen! Das ist das
Ganze! Du bist mir der Rechte! Von dir kann man wohl auch sagen: der
Kerl setzt Europa durch seine Schönheit in Erstaunen.« Nach diesen
Worten strich sich Tschitschikow über sein Kinn und dachte: »Es ist doch
ein großer Unterschied zwischen einem gebildeten Mann der besseren
Stände und so einer groben Lakaienphysiognomie.«

Unterdessen rollte der Wagen schon den Berg hinab. Und wiederum sah man
nichts als Wiesen und weite mit Espen-Waldungen bepflanzte Flächen.

Leicht federnd glitt das bequeme Gefährt vorsichtig die kaum merkliche
Neigung des Berghanges hinab; dann ging es weiter an Wiesen, Feldern und
Windmühlen vorbei; donnernd rollte der Wagen über die Brücken und tanzte
mit Schwanken über das weiche, holprige Erdreich. Doch auch nicht _ein_
Hügel, noch eine einzige Unebenheit der Straße beunruhigten die weichen
Partieen unseres Reisenden auch nur im geringsten. Das war die reinste
Wonne und keine Equipage.

Weidenbüsche, dünne Erlen und Silberpappeln flogen rasch an ihnen vorbei
und streiften die beiden auf dem Bocke sitzenden Leibeigenen Seliphan
und Petruschka beständig mit ihren Zweigen. Dem letzteren rissen sie
sogar mehrmals die Mütze vom Kopf. Der gestrenge Lakai sprang in einem
fort vom Bock herab, schalt auf die dummen Bäume und auf den, der sie
gepflanzt hatte, aber er konnte sich trotzdem nicht entschließen, seine
Mütze anzubinden, oder sie mit der Hand festzuhalten, denn er hoffte,
dies sei das letzte Mal gewesen und es werde ihm nun nicht wieder
passieren. Bald gesellten sich noch Birken und hie und da eine Tanne zu
den Bäumen. Die Wurzeln waren dicht mit Gras bedeckt, auf dem blaue
Schwertlilien und gelbe Waldtulpen wuchsen. Der Wald wurde immer
dunkeler und drohte die Reisenden in undurchdringliche Nacht
einzuhüllen. Da blitzte plötzlich von allen Seiten zwischen Ästen und
Baumstämmen ein heller Lichtschimmer, gleich einem leuchtenden
Spiegelreflexe auf. Die Bäume traten auseinander, die glänzende Fläche
wurde immer größer ... vor ihnen lag ein See -- ein mächtiger
Wasserspiegel von etwa vier Werst in die Breite. Auf dem
gegenüberliegenden Ufer tauchten mehrere kleine Blockhütten auf. Dies
war das Dorf. Aus den Fluten drangen laute Schreie und Rufe hervor. Etwa
zwanzig Mann bis an den Gürtel, bis zu den Schultern oder bis zum Halse
im Wasser stehend, waren damit beschäftigt, ein Netz ans Ufer zu ziehen.
Dabei war ihnen ein Unfall passiert. Zugleich mit den Fischen war ihnen
ein wohlbeleibter Mann ins Netz geraten, der ungefähr ebenso breit als
lang war, und aussah wie eine Wassermelone oder wie ein Faß. Seine Lage
war eine verzweifelte und er schrie aus voller Kehle: »Dionys, du Klotz!
gib es doch dem Kosma! Kosma nimm doch dem Dionys das Tauende aus der
Hand. Stoß doch nicht so, du großer Thomas, komm stell dich hierher, wo
der kleine Thomas steht. Teufel! Ich sag's euch, ihr werdet noch das
Netz zerreißen.« Offenbar fürchtete sich die Wassermelone nicht für ihre
Person: ertrinken konnte sie nicht, dazu war sie zu dick, sie mochte die
tollsten Purzelbäume schlagen, um unterzutauchen, das Wasser trug sie
immer wieder empor; ja es hätten sich ihr ruhig noch zwei Personen auf
den Rücken setzen können, sie hätte sie dennoch über Wasser gehalten wie
eine eigensinnige Schweinsblase und höchstens ein wenig gestöhnt und mit
der Nase Blasen ausgepustet. Aber der Mann hatte große Angst, das Netz
könne reißen und die Fische könnten entschlüpfen, und daher mußten ihn
mehrere Menschen zugleich mit dem Netz an Stricken ans Ufer ziehen.

»Das ist wohl der Gutsherr, der Oberst Koschkarjow,« sagte Seliphan.

»Warum?«

»Sehen Sie doch bloß, was er für einen Körper hat. Der ist viel weißer
als bei den andern, und auch sein Umfang ist beträchtlich, wie sich's
für einen vornehmen Herrn schickt.«

Unterdessen hatte man den im Netz gefangenen Gutsherrn schon bedeutend
näher ans Ufer herangezogen. Als er wieder Boden unter seinen Füßen
fühlte, richtete er sich auf, und bemerkte in demselben Augenblick die
den Fahrdamm herabrollende Equipage nebst ihrem Insassen Tschitschikow.

»Haben Sie schon zu Mittag gegessen?« rief der Herr ihm entgegen, indem
er mit den gefangenen Fischen in der Hand ans Ufer trat. Er steckte noch
ganz im Netze drin, etwa wie zur Sommerzeit ein Damenhändchen in einem
durchbrochenen Handschuh, hielt die eine Hand wie einen Schirm über die
Augen, um sich gegen die Sonne zu schützen und die andre etwas tiefer
unten, ungefähr in der Stellung der Mediceischen Venus, die eben dem
Bade entsteigt.

»Nein,« versetzte Tschitschikow, nahm die Mütze ab und grüßte
verbindlichst aus der Kutsche.

»Nun dann danken Sie ihrem Schöpfer!«

»Wieso?« fragte Tschitschikow neugierig, die Mütze über dem Kopfe
haltend.

»Sie werden gleich sehen! He, kleiner Thomas! Laß das Netz los, und nimm
den Stör aus dem Behälter heraus. Kosma, du Klotz, geh, hilf ihm!«

Die zwei Fischer zogen den Kopf eines Ungeheuers aus dem Behälter hervor
-- »Seht mal, was für ein Fürst! Der hat sich aus dem Flusse hierher
verirrt!« rief der kugelrunde Herr. »Fahren Sie nur in den Hof hinein!
Kutscher nimm den unterm Weg durch den Gemüsegarten! Lauf doch großer
Thomas, du Holzklotz, mach das Gartentor auf! Er wird Sie begleiten, ich
komme gleich nach ...«

Der langbeinige und barfüßige große Thomas lief, ganz so wie er war, im
bloßen Hemde vor dem Wagen her durch das ganze Dorf. Vor jeder Hütte
hingen allerhand Fischereigerätschaften, Netze, Reusen usw.; alle Bauern
waren Fischer; dann öffnete Thomas das Gitter des Gartens, und der Wagen
fuhr zwischen Gemüsebeeten hindurch nach einem offenen Platz in der Nähe
der Dorfkirche. Etwas weiter hinter der Kirche sah man die Dächer der
Gutsgebäude.

»Dieser Koschkarjow ist etwas spleenig!« dachte Tschitschikow.

»So, da bin ich!« erscholl eine Stimme von der Seite! Tschitschikow sah
sich um. Der Gutsherr fuhr in einem grasgrünen Nankingrock, gelben
Beinkleidern und ohne Halsbinde wie ein Kupido neben ihm her. Er saß
seitwärts in der Droschke und nahm den ganzen Sitz ein. Tschitschikow
wollte ihm etwas sagen, aber der Dicke war bereits wieder verschwunden.
Gleich darauf erschien sein Wagen wieder an der Stelle, wo das Netz mit
den Fischen herausgezogen worden war, und wieder hörte man die Stimmen
rufen: >Großer Thomas, kleiner Thomas! Kosma und Denys!< Als aber
Tschitschikow bei dem Portale des Herrenhauses vorfuhr, sah er den
dicken Gutsbesitzer zu seinem größten Erstaunen schon auf der Treppe
stehen, wo er den Ankömmling in Empfang nahm und freundschaftlichst in
seine Arme schloß. Wie er so schnell hierhergeflogen war -- dies blieb
ein Rätsel. Man küßte sich dreimal kreuzweise nach alter russischer
Sitte: der Gutsherr war ein Mann alten Schlages.

»Ich habe Ihnen Grüße von Seiner Exzellenz zu überbringen,« sagte
Tschitschikow.

»Von welcher Exzellenz?«

»Von Ihrem Verwandten, dem General Alexander Dimitriewitsch.«

»Wer ist dieser Alexander Dimitriewitsch?«

»General Betrischtschew,« versetzte Tschitschikow ein wenig betroffen.

»Ich kenne ihn nicht,« entgegnete jener erstaunt.

Tschitschikows Verwunderung wurde mit jedem Augenblick größer.

»Ja, wie denn nur ...? Ich habe doch hoffentlich das Vergnügen, mit dem
Herrn Oberst Koschkarjow zu sprechen?«

»Nein hoffen Sie lieber nicht! Sie befinden sich nicht bei ihm, sondern
bei mir. Peter Petrowitsch Petuch! Petuch![2] Peter Petrowitsch!«
versetzte der Hausherr.

Tschitschikow war starr vor Staunen. »Nicht möglich?« sagte er, indem er
sich an Seliphan und Petruschka wandte, die gleichfalls mit offenem
Munde dastanden, und die Augen weit aufsperrten. Der eine saß auf dem
Bock, der andere stand an der Wagentüre. »Was habt ihr bloß gemacht, ihr
Esel? Ich hab euch doch gesagt, ihr sollt zum Obersten Koschkarjow
fahren ... Das ist doch Peter Petrowitsch Petuch ...«

[Fußnote 2: Petuch = deutscher Hahn.]

»Das habt ihr fein gemacht, Jungens! Geht in die Küche, laßt euch ein
Glas Schnaps geben ...« rief Peter Petrowitsch Petuch. »Spannt die
Pferde aus und geht gleich ins Speisezimmer!«

»Ich schäme mich wirklich! So ein Irrtum! So plötzlich! ...« stammelte
Tschitschikow.

»Durchaus kein Irrtum. Warten Sie mal erst ab, wie Ihnen das Mittagessen
schmecken wird und dann sagen Sie, ob es ein Irrtum war. Ich bitte
schön,« sagte Petuch, indem er Tschitschikow am Arme nahm und ihn ins
Innere des Hauses führte. Hier kamen ihnen zwei Jünglinge in
Sommeranzügen entgegen; beide so dünn wie ein Paar Weidenruten und wohl
eine Arschin[3] länger als ihr Vater.

»Meine Söhne! Sie besuchen das Gymnasium und sind nur während der Ferien
hier ... Nikolascha bleib hier und unterhalte den Gast; und du,
Alexascha, komm mit mir.« Mit diesen Worten verschwand der Hausherr.

Tschitschikow blieb mit Nikolascha zurück und versuchte eine
Unterhaltung mit ihm anzuknüpfen. Nikolascha schien sich zu einem
lieblichen Früchtchen entwickeln zu wollen. Er erzählte Tschitschikow
sofort, es habe gar keinen Zweck, ein Provinzgymnasium zu besuchen, er
und sein Bruder haben die Absicht, nach Petersburg zu fahren, weil es
sich ja doch nicht lohne, in der Provinz zu leben ...

[Fußnote 3: Arschin = 2/3 Meter.]

»Ich verstehe schon,« dachte Tschitschikow, »euch locken die Boulevards
und Cafés ...« Dann aber fragte er ihn laut: »Sagen Sie, wie steht es
mit dem Gute Ihres Vaters?«

»Ich habe Hypotheken darauf!« fiel hier der Vater selbst ein, der
plötzlich wieder im Salon auftauchte: »Mehrere Hypotheken.«

»Schlimm, sehr schlimm!« dachte Tschitschikow: »Bald wird es kein Gut
mehr geben, auf dem keine Hypotheken lasten. Man muß sich beeilen ...«
»Sie hätten sich doch etwas Zeit lassen sollen mit den Hypotheken,«
sagte er mit teilnehmender Miene.

»O nein. Das macht nichts!« versetzte Petuch. »Man sagt, es sei sogar
vorteilhaft. Heutzutage nimmt alles Hypotheken auf, man will doch nicht
hinter den andern zurückbleiben? Und dann, ich habe mein ganzes Leben
lang hier gelebt; nun will ich es einmal mit Moskau versuchen. Meine
Söhne reden mir auch immer zu, sie wollen durchaus eine großstädtische
Bildung haben.«

»So ein Narr!« dachte Tschitschikow: »er wird alles durchbringen und
auch seine Söhne zu Verschwendern erziehen. Und dabei hat er ein so
schönes Gut. Wo man hinschaut, spricht alles von Wohlstand. Die Bauern
haben es gut, und auch der Herr leidet keinen Mangel. Wenn sie aber erst
ihre Bildung aus den Restaurants und Theatern beziehen, dann wird alles
zum Teufel gehen. Er sollte lieber ruhig auf dem Lande bleiben, der
Windbeutel.«

»Ich weiß, was Sie jetzt denken!« sagte Petuch.

»Wie?« sagte Tschitschikow etwas verlegen.

»Sie denken: >Dieser Petuch ist doch ein Narr: erst lädt er einen zum
Mittagessen ein, und läßt einen warten. Das Essen ist immer noch nicht
aufgetragen.< Es kommt, es kommt schon, Verehrtester. Passen Sie auf,
ein geschorenes Mädel kann sich nicht schneller den Zopf flechten, als
das Essen auf dem Tisch stehen wird.«

»Himmel! Da kommt Platon Michailowitsch angeritten!« sagte Alexascha,
der am Fenster stand und hinausblickte.

»Er reitet auf seinem Fuchs!« fiel Nikolascha ein, indem er sich aus dem
Fenster beugte.

»Wo? Wo?« schrie Petuch und lief gleichfalls ans Fenster.

»Wer ist das, Platon Michailowitsch?« fragte Tschitschikow Alexascha.

»Unser Nachbar, Platon Michailowitsch Platonow, ein _vortrefflicher_
Mensch, ein ganz _ausgezeichneter_ Mensch,« antwortete der Hausherr
selbst.

In diesem Augenblick trat Platonow ins Zimmer. Er war ein schöner
schlanker Mann mit hellblondem lockigem Haar. Ein Ungetüm von einem
Hunde namens Jarb folgte ihm, laut mit dem Halsband klirrend, auf dem
Fuße.

»Haben Sie schon gegessen?«

»Ja danke!«

»Sie kommen wohl, um sich über mich lustig zu machen. Was soll ich mit
Ihnen anfangen, wenn Sie schon gespeist haben?«

Der Gast lächelte und sagte: »Ich kann Sie beruhigen, ich habe so gut
wie garnichts gegessen: ich hatte keinen Appetit.«

»Wenn Sie nur gesehen hätten, was wir heute für einen Fang gemacht
haben! Was für ein Stör uns ins Netz gegangen ist! Und was für
Karauschen und Karpfen dazu!«

»Man ärgert sich beinahe, wenn man Sie sprechen hört. Warum sind Sie
immer so guter Laune?«

»Warum sollte ich denn Trübsal blasen? Ich bitte Sie!« sagte der
Hausherr.

»Wie? Warum? -- Weil es traurig und langweilig auf der Welt ist.«

»Sie essen nicht genug, das ist alles. Suchen Sie sich einmal ordentlich
satt zu essen. Das ist auch so eine moderne Erfindung dieser Trübsinn
und diese Melancholie. Früher war man nie melancholisch.«

»Niemals! Ich weiß auch gar nicht, wo ich die Zeit dazu hernehmen soll.
Am Morgen -- da schläft man, kaum hat man die Augen aufgemacht, so steht
schon der Koch vor einem, und man muß das Menu für das Mittagessen
zusammenstellen, dann trinkt man Tee, fertigt den Verwalter ab, geht
fischen und eh man sich's versieht, ist es schon Zeit zum Mittagessen.
Nach dem Mittagessen kommt man kaum dazu ein Schläfchen zu tun, denn
schon wieder ist der Koch da, und man muß das Abendbrot bestellen, nach
dem Abendbrot kommt wieder der Koch, und man muß wieder ans Mittagessen
für _morgen_ denken. Wo hat man da Zeit zum Trübsinn?«

Während beide sich unterhielten, betrachtete Tschitschikow den neuen
Ankömmling, der ihn durch seine außergewöhnliche Schönheit, seine
schlanke, wohlgebaute Gestalt, die Frische einer noch unverbrauchten
Jugendkraft und die jungfräuliche Reinheit seines von keinem Pickel
verunzierten Teints in Erstaunen setzte. Weder Leidenschaft noch
Schmerz, noch selbst etwas, was auch nur eine entfernte Ähnlichkeit mit
einer Gemütsbewegung oder Unruhe hatte, hatten je sein jugendlich reines
Antlitz berührt oder eine Falte in die ruhige Fläche eingegraben, aber
freilich hätten sie sie auch nicht beleben können. Sein Gesicht behielt
stets etwas Schläfriges, trotz des ironischen Lächelns, das es bisweilen
erheiterte.

»Auch ich kann, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten, nicht recht
verstehen, wie man mit einem solchen Gesicht, wie das Ihrige traurig
sein kann!« sagte Tschitschikow. »Wenn man natürlich an Geldmangel
leidet, oder Feinde hat, ... es gibt ja immer Menschen, die einem
nachstellen und sogar nach dem Leben trachten ...«

»Glauben Sie mir,« unterbrach ihn der schöne Gast, »glauben Sie mir, daß
ich mich der Abwechselung halber mitunter sogar nach irgend einer
kleinen Aufregung _sehne_? Wenn mich doch jemand ein bißchen ärgern
wollte, oder etwas derartiges -- aber nicht einmal _das_ passiert einem.
Das Leben ist bloß langweilig -- das ist alles.«

»Dann haben Sie wohl nicht genug Land oder vielleicht zu wenig Bauern.«

»Durchaus nicht. Mein Bruder und ich haben zusammen etwa zehntausend
Acker und über tausend Seelen.«

»Merkwürdig. Dann kann ich es nicht verstehen. Aber vielleicht hatten
Sie unter Mißernten und Epidemieen zu leiden? Haben Sie vielleicht viele
Bauern verloren?«

»Im Gegenteil, alles befindet sich in der schönsten Verfassung, mein
Bruder ist ein vorzüglicher Landwirt.«

»Und bei alledem sind Sie traurig und verstimmt! Das verstehe ich
nicht,« sprach Tschitschikow achselzuckend.

»Passen Sie auf, den Trübsinn wollen wir gleich verjagen,« sagte der
Hauswirt, »Alexascha, lauf mal rasch nach der Küche und sag dem Koch, er
soll uns die Fischpastetchen hereinbringen. Wo ist nur der Faulpelz
Emeljan! Der hält wohl wieder Maulaffen feil. Und dieser Dieb, der
Antoschka? Warum tragen sie die kalte Platte nicht auf?«

Jetzt aber öffnete sich die Türe. Der Faulpelz Emeljan und der Dieb
Antoschka erschienen mit einer Serviette unter dem Arm, deckten den
Tisch, und stellten einen Untersatz mit sechs Karaffen voll Likören von
verschiedener Farbe darauf. Um diese gruppierte sich bald eine ganze
Kette von Tellern, mit allerhand appetitreizenden Speisen. Die Diener
bewegten sich flink hin und her und trugen immer neue zugedeckte
Schüsseln herein, in denen man die Butter lustig schmoren hörte. Der
Faulpelz Emeljan und der Dieb Antoschka machten ihre Sache ganz
vortrefflich. Sie hatten ihre Spitznamen gewissermaßen bloß zum Ansporn
und zur Ermunterung erhalten. Der Hausherr war durchaus kein Freund vom
Schimpfen, dazu war er viel zu gutmütig; aber ein Russe kann halt ohne
ein gepfeffertes Wort nicht auskommen. Er braucht es ebenso wie sein
Gläschen Schnaps zur Beförderung der Verdauung. Was ist zu machen! Das
ist nun einmal seine Natur, daß er die reizlose Kost nicht leiden mag!

Auf die kalte Platte folgte das eigentliche Mittagessen. Hier
verwandelte sich unser gutmütiger Hausherr in einen wahren Tyrannen.
Kaum bemerkte er, daß einer der Gäste nur noch ein Stück auf dem Teller
hatte, so legte er ihm sofort ein zweites auf, indem er hinzufügte: »In
der Welt _paart_ sich alles, Mensch, Tier und Vogel!« Hatte einer _zwei_
Stück auf seinem Teller, so legte er ihm noch ein _drittes_ auf, indem
er bemerkte: »Das ist doch keine Zahl: zwei! Aller guten Dinge sind
drei.« Hatte der Gast _drei_ Stücke gegessen, so rief er schon: »Haben
Sie etwa schon einen dreirädrigen Wagen oder eine dreieckige Hütte
gesehen?« Auch auf die Zahl _vier_, auf die fünf usw. hatte er ein
Sprichwort bereit. Tschitschikow hatte sicherlich schon seine zwölf
Stücke verschlungen und dachte: »Na, jetzt wird dem Hausherrn doch wohl
nichts mehr einfallen!« Aber er irrte sich: ohne ein Wort zu sagen,
legte ihm dieser den ganzen Rückenteil eines am Spieß gebratenen Kalbes
samt den Nieren auf den Teller. Und was für eines Kalbes!

»Es hat zwei Jahre lang nichts wie Milch bekommen,« sagte der Hausherr.
»Ich hab's gepflegt wie mein eigenes Kind.«

»Ich kann nicht mehr!« stöhnte Tschitschikow.

»Kosten Sie mal erst, und dann sagen Sie: ich kann nicht mehr!«

»Es geht nicht mehr rein! Ich hab' keinen Platz mehr im Magen.«

»In der Kirche war auch kein Platz mehr, da kam der Polizeimeister und
sieh da, es fand sich doch noch ein Plätzchen. Dabei war ein solches
Gedränge, daß kein Apfel zu Boden fallen konnte. Kosten Sie nur: dieses
Stückchen -- das ist auch ein Polizeimeister.«

Tschitschikow kostete, und in der Tat -- das Stück hatte große
Ähnlichkeit mit dem Polizeimeister, es fand sich richtig noch ein Platz,
und doch schien sein Magen schon bis oben voll zu sein.

»So ein Mensch darf nicht nach Petersburg oder Moskau fahren. Bei seiner
Freigiebigkeit hat er in drei Jahren keinen Heller mehr!« Er wußte noch
nicht, daß man heute darin schon viel weiter ist: auch ohne allzu
gastfrei zu sein, kann man dort sein Vermögen in drei Jahren -- was sage
ich in drei Jahren! -- in drei Monaten durchbringen.

Unterdessen füllte der Hausherr die Gläser unentwegt nach; was die Gäste
stehen ließen, das durften Alexascha und Nikolascha austrinken, die ein
Glas nach dem andern hinter die Binde gossen; man konnte schon hier
sehen, welches Gebiet menschlichen Wissens sie bei ihrer Ankunft in der
Hauptstadt besonders pflegen würden. Die Gäste wußten kaum, wie ihnen
geschah; sie schleppten sich nur mit Mühe auf den Balkon hinaus, um hier
sogleich in einem Lehnstuhl zu sinken. Der Hausherr aber hatte kaum in
dem seinen Platz genommen, als er sofort zurücksank und einschlief. Sein
wohlbeleibtes Ich verwandelte sich in einen großen Blasebalg und ließ
dem offenen Mund und den Nasenlöchern solche Töne entströmen, wie sie
selbst unseren modernen Komponisten selten einzufallen pflegen: hier
mischten sich Trommelwirbel mit Flötenklängen und kurzen abgebrochenen
Lauten, die am meisten Ähnlichkeit mit Hundegebell hatten.

»Hören Sie, wie der pfeift?« sagte Platonow.

Tschitschikow mußte lachen.

»Freilich; wenn man so ein Mittagessen hinter sich hat, woher soll da
die Langeweile kommen? Da übermannt einen der Schlaf -- nicht wahr? Ja.
Sie entschuldigen doch, aber ich kann wirklich nicht verstehen, wie man
schlechter Laune sein kann: dagegen gibt es doch so viele Mittel.«

»Und die wären?«

»Was kann ein junger Mann nicht alles anfangen? Tanzen, musizieren ...
irgend ein Instrument spielen ... oder ... warum sollte er zum Beispiel
nicht heiraten?«

»Wen nur?«

»Als ob es in der Umgegend keine hübschen reichen Mädchen gäbe!«

»Es gibt keine!«

»Nun, dann sieht man sich eben wo anders um. Man macht eine Reise« ...
Plötzlich fiel Tschitschikow eine großartige Idee ein. »Da haben Sie das
beste Mittel gegen Trübsinn und Langeweile!« sagte er, indem er Platonow
in die Augen blickte.

»Was für eins?«

»Reisen.«

»Wohin soll man denn reisen?«

»Wenn Sie Zeit haben, dann kommen Sie doch mit mir,« sagte Tschitschikow
und dachte sich, während er Platonow betrachtete: »Das wäre fein. Er
könnte die Hälfte der Ausgaben tragen, und die Wagenreparatur könnte er
eigentlich _allein_ übernehmen.«

»Und wohin fahren Sie?«

»Augenblicklich reise ich nicht so sehr in eigenen Angelegenheiten als
im Interesse eines andern. General Betrischtschew ein naher Freund von
mir, und ich darf wohl sagen mein Wohltäter hat mich gebeten, einige von
seinen Verwandten zu besuchen ... Das mit den Verwandten ist natürlich
sehr wichtig, aber eigentlich reise ich doch auch sozusagen zu meinem
eigenen Vergnügen: denn die Welt kennen lernen, sich in den großen
Strudel und Wirbel des Menschenvolks zu stürzen -- man mag sagen was man
will, das ist gewissermaßen ein lebendes Buch und auch eine Art
Wissenschaft.« Und während er dies sagte, dachte er sich: »Wirklich, es
wäre fein. Er könnte sogar die _ganzen_ Kosten tragen, am Ende könnten
wir auch seine Pferde benutzen, unterdessen würden sich die meinigen auf
seinem Gute ausruhen und ordentlich pflegen.«

»Warum sollte ich nicht eine kleine Reise wagen?« dachte unterdessen
Platonow. -- »Zu Hause habe ich ohnedies nichts zu tun, für die
Wirtschaft sorgt mein Bruder auch ohne mich; sie würde also nicht im
mindesten unter meiner Abwesenheit leiden. Warum sollte ich also nicht
mitreisen?« -- »Wären Sie unter Umständen bereit, etwa zwei Tage bei
meinem Bruder zu Gaste zu bleiben?« sagte er laut. »Sonst läßt mich mein
Bruder nicht fort.«

»Aber mit dem größten Vergnügen. Meinetwegen sogar drei Tage.«

»Nun denn, also abgemacht. Wir fahren!« sagte Platonow lebhaft.

Tschitschikow schlug ein. »Bravo. Wir fahren!«

»Wohin? Wohin?« rief der Hausherr, der eben aus dem Schlafe erwacht war,
und sie erstaunt anstarrte. -- »Nein, liebe Herren, ich habe die Räder
von Ihrem Wagen abnehmen lassen und Ihren Hengst haben wir fortgejagt,
Platon Michailowitsch, der ist fünfzehn Werst weit von hier. Nein, heute
müssen Sie schon die Nacht bei mir bleiben, morgen essen wir etwas
früher zu Mittag, und dann mögt Ihr meinetwegen reisen.«

Was sollte man da machen? Man mußte sich schon zum Bleiben entschließen.
Dafür wurden sie durch einen wundervollen Frühlingsabend schadlos
gehalten. Der Hausherr gab ein Fest auf dem Flusse. Zwölf Ruderer mit
vierundzwanzig Rudern führten sie unter frohen Gesängen über den
spiegelglatten Rücken des Sees. Aus dem See gelangten sie in den Fluß,
der sich in unabsehbare Ferne vor ihnen ausdehnte und überall von
flachen Ufern begrenzt war. Sie mußten immerfort über Taue hinwegfahren,
die quer durch den Fluß gezogen, und an denen Netze befestigt waren.
Auch nicht eine Welle kräuselte die glatte Wasserfläche; ganz still und
lautlos glitten die herrlichen Landschaftsbilder an ihnen vorüber, und
dunkele Gehölze und Haine entzückten ihren Blick durch die mannigfache
Anordnung und Gruppierung ihrer Bäume. In gleichmäßigem Takt legten sich
die Bootsknechte in die Ruder; sie erhoben sie alle vierundzwanzig
plötzlich wie ein Mann in die Höhe -- und wie von selbst, einem leichten
Vogel gleich, glitt der Kahn über den unbeweglichen Wasserspiegel dahin.
Ein junger Bursche, ein starker breitschultriger Kerl, der dritte Mann
vom Steuer, machte den Vorsänger und stimmte mit seiner reinen hellen
Stimme, die aus einer Nachtigallenkehle zu kommen schien, ein Lied an,
dann fielen fünf andre ein, sechs weitere lösten sie ab, und laut
schwoll an und ergoß sich der Gesang: unendlich und grenzenlos, wie
Rußland selbst. Sogar Petuch ließ sich manchmal fortreißen und
unterstützte den Chor, wenn es ihm an Kraft fehlte, mit einem Ton, der
eine gewisse Ähnlichkeit mit Hühnergegacker hatte; ja sogar
Tschitschikow hatte an diesem Abend das lebhafte Gefühl, daß er ein
Russe sei. Nur Platonow dachte: »Was ist eigentlich schönes an diesem
melancholischen Lied? Es stimmt einen nur noch trauriger, als man schon
ist.«

Es fing schon an zu dämmern, als man zurückkehrte. Es wurde finster; die
Ruder schlugen jetzt das Wasser, in dem sich der Himmel schon nicht mehr
spiegelte. Als man am Ufer landete, war es bereits völlig dunkel.
Überall waren Holzstöße angezündet, die Fischer kochten auf Dreifüßen
eine Suppe aus lebendigen noch zappelnden Bärschen. Alles war schon zu
Hause. Das Vieh und das Geflügel war schon lange in den Ställen, der
Staub, den sie aufwirbelten, hatte sich gelegt, die Hirten standen an
den Toren und warteten auf die Milchtöpfe und auf eine Einladung zur
Fischsuppe. Das leise Gesumme der menschlichen Stimmen klang durch die
Nacht, und fernes Hundegebell hallte aus einem Nachbardorf herüber. Der
Mond ging eben auf und begann die dunkele Umgegend in sein Licht zu
hüllen; bald lag alles hell erleuchtet da. Welch herrliches Bild! Aber
es gab niemand, der sich daran erfreuen konnte. Statt sich auf ein paar
feurige Hengste zu schwingen und im tollen Galopp um die Wette durch die
Nacht zu jagen, saßen Nikolascha und Alexascha stumm da und dachten an
Moskau, an die Café's und Theater, von denen ihnen ein Kadett, der aus
der Hauptstadt zu Besuch gekommen war, soviel vorerzählt hatte; ihr
Vater dachte daran, wie er seine Gäste recht schön abfüttern könnte, und
Platonow gähnte. Am lebhaftesten war noch Tschitschikow: »nein wirklich,
ich muß mir auch einmal ein Gut kaufen!« Und er sah sich schon im Geiste
an der Seite eines strammen Weibchens, umringt von einer ganzen Schaar
kleiner Tschitschikows.

Beim Abendessen aß man wieder sehr reichlich. Als Tschitschikow das ihm
zum Schlafen angewiesene Zimmer betrat und sich zu Bett legte, da
befühlte er seinen Bauch und sagte: »Die reinste Trommel! Da geht kein
Polizeimeister mehr hinein!« Die Umstände fügten es so merkwürdig, daß
sich dicht neben dem Schlafzimmer die Stube des Hausherrn befand. Die
Zwischenwand war sehr dünn, und daher konnte man alles hören, was
nebenan gesprochen wurde. Der Hausherr bestellte gerade beim Koch unter
dem Namen eines frühen Dejeuners ein regelrechtes Mittagsessen für den
morgigen Tag. Und wie gründlich er das besorgte! Bei einem Toten wäre
noch der Appetit erwacht!

»Dann backst du mir eine viereckige Fischpastete,« sagte er, indem er
mit der Zunge schnalzte und die Luft heftig einsog. »Ein Viertel füllst
du mit den Bocken des Störs und mit Mark, das andere mit Buchweizenbrei,
Schwämmen, Zwiebeln, süßer Fischmilch, Hirn und noch so was Ähnlichem,
na du weißt schon ... Auf der einen Seite mußt du sie recht braun
backen, auf der anderen braucht sie nicht so durchgebacken zu sein. Vor
allem achte auf die Füllung -- die muß gründlich geschmort werden, daß
sie sich auch ordentlich verbindet, weißt du, und ja nicht
auseinanderfällt, sondern einem im Munde zergeht, wie Schnee; man darf
es selbst kaum merken.« Während er dies sagte, schnalzte Petuch wieder
mit der Zunge und gab einen schmatzenden Laut von sich.

»Hol's der Teufel! Der läßt einen nicht schlafen,« dachte Tschitschikow
und zog sich die Decke über den Kopf, um nur nichts mehr zu hören. Aber
das half ihm nichts, auch unter der Decke hörte er Petuch noch.

»Und garniere mir den Stör auch recht fein mit Sternchen aus roten
Rüben, mit Stinten und Pfifferlingen; nimm auch noch Rüben, Möhren,
Bohnen und noch dies und jenes dazu, du weißt schon; also recht viel
Garnitur, hörst du! Den Schweinemagen mußt du mit Eis füllen, damit er
auch ordentlich aufgeht!«

Noch mancherlei andere Leckerbissen bestellte Petuch. Immer wieder hörte
man ihn sagen: »Brat ihn mir, und back ihn mir auch recht durch, und
dämpfe sie mir gründlich!« Als er endlich bei einem Truthahn angelangt
war, schlief Tschitschikow ein.

Am nächsten Tage aßen sich die Gäste derartig voll, daß Platonow nicht
mehr auf seinem Pferde sitzen konnte. Petuch's Reitknecht mußte den
Hengst nach Hause bringen. Dann bestieg man die Equipage. Der
großschnauzige Hund lief träge hinter dem Wagen her: er hatte sich
gleichfalls vollgefressen.

»Nein, das geht zu weit!« sagte Tschitschikow, als sie den Hof verlassen
hatten.

»Der Mensch ist immer guter Laune! Das ist das ärgerlichste.«

»Wenn ich deine siebzigtausend Rubel Rente hätte, dann dürfte mir der
Trübsinn nicht einmal zur Türe herein!« dachte Tschitschikow. »Da ist
der Branntweinpächter Murasow -- der hat zehn Millionen. Leicht gesagt,
zehn Millionen -- das nenne ich ein Sümmchen!«

»Haben Sie nichts dagegen, wenn wir unterwegs einen kleinen Abstecher
machen? Ich möchte mich gern noch von meiner Schwester und von meinem
Schwager verabschieden.«

»Aber mit dem größten Vergnügen!« sagte Tschitschikow.

»Er ist ein ganz hervorragender Landwirt. Der erste hier in der Gegend.
Er bezieht Einkünfte im Werte von zweimal hunderttausend Rubel von einem
Gut, das vor acht Jahren noch keine zwanzigtausend abwarf.«

»Aber das muß ja ein äußerst interessanter und hochachtbarer Mensch
sein! Ich bin sehr begierig, einen solchen Mann kennen zu lernen. Ich
bitte Sie ... Denken Sie doch nur ... Und wie heißt er?«

»Kostanshoglo.«

»Und sein Vor- und Vatername, wenn ich bitten darf?«

»Konstantin Fjodorowitsch.«

»Konstantin Fjodorowitsch Kostanshoglo. Ich bin wirklich begierig auf
seine Bekanntschaft! Von einem solchen Mann kann man viel lernen.«

Platonow übernahm die schwere Aufgabe, Seliphan zu instruieren, was sehr
notwendig war, da dieser sich kaum auf dem Bocke zu halten vermochte.
Petruschka war bereits zweimal kopfüber aus dem Wagen gefallen, und es
war daher nötig, ihn mit einem Strick an dem Kutschbock festzubinden.

»So ein Schwein!« Das war alles, was Tschitschikow sagen konnte.

»Sehen Sie! da fangen seine Güter an!« sagte Platonow. »Das sieht doch
gleich ganz anders aus!«

Und in der Tat: vor ihnen lag eine mit jungem Walde bewachsene Schonung,
-- jedes Bäumchen war schlank und gerade wie ein Pfeil, dahinter sah man
ein zweites gleichfalls noch junges Wäldchen, und hinter diesem erhob
sich ein alter Forst voll prächtiger Tannen, eine immer höher als die
andre. Dazwischen kam wieder eine Schonung, ein Streifen _junger_ und
dahinter ein Streifen alter Wald. Dreimal nacheinander fuhren sie durch
den Wald, wie durch ein Tor in einer Mauer: »Dieser ganze Wald ist kaum
acht bis zehn Jahre alt, ein andrer kann zwanzig Jahre warten, und
selbst dann ist er noch nicht so hoch.«

»Wie hat er es aber nur gemacht!«

»Fragen Sie ihn selbst. Das ist ein so vortrefflicher Kenner des Grund
und Bodens -- bei dem geht nichts verloren. Er kennt nicht nur den Boden
ganz genau, er weiß auch, in welcher Nachbarschaft jedes Bäumchen und
jede Pflanze am besten gedeiht, was für Bäume er neben dem Getreide
pflanzen muß usw. Jedes Ding erfüllt bei ihm immer gleichzeitig drei bis
vier Funktionen. Der Wald ist nicht nur des Holzes wegen da, sondern
auch deswegen, weil die Felder an der und der Stelle so und so viel
Feuchtigkeit brauchen und so und so viel Schatten spenden, und die
trockenen Blätter benutzt er zum Düngen des Bodens ... Wenn überall
rings umher Dürre herrscht, so ist bei ihm alles in schönster Ordnung;
alle Nachbarn klagen über Mißernte, er allein braucht sich nicht zu
beklagen. Schade, daß ich selbst so wenig von diesen Dingen verstehe und
nicht zu erzählen weiß ... Wer kennt bloß all seine Kniffe und
Kunststücke! ... Man nennt ihn hier allgemein einen Zauberer. Was der
nicht alles hat! ... Und doch! Trotzalledem ist es langweilig!«

»Das muß in der Tat ein erstaunlicher Mensch sein!« dachte
Tschitschikow. »Es ist sehr bedauerlich, daß der junge Mann so
oberflächlich ist und einem nichts erzählen kann.«

Endlich tauchte auch das Gut auf. Die zahlreichen auf drei Anhöhen
gelegenen Hütten nahmen sich von Ferne wie eine Stadt aus. Jeder der
drei Hügel war von einer Kirche gekrönt, überall sah man mächtige
Getreide- und Heuschober stehen. »Hm!« dachte Tschitschikow, »man merkt
gleich, daß hier ein königlicher Gutsbesitzer wohnt!« Die Hütten waren
alle fest und dauerhaft gebaut; hie und da sah man einen Bauernwagen
stehn -- und auch der Wagen war stark und neu; die Bauern, denen man
begegnete, hatten alle kluge und gescheidte Gesichter; auch das Hornvieh
war von der besten Sorte, und selbst die Schweine der Bauern sahen aus
wie Aristokraten. Man hatte den Eindruck, dies sei der Ort, wo die
Bauern wohnen, welche das Silber, wie es im Liede heißt: mit Schaufeln
nach Hause tragen. Hier gab es keine englischen Parks, noch Rasenplätze,
noch andre kunstvolle Anlagen, statt dessen zog sich nach alter Sitte
eine lange Reihe von Kornspeichern und Arbeiterhäusern bis dicht ans
Herrenhaus, damit der Gutsherr auch alles kontrollieren könne, was rund
um ihn her vor sich geht; auf dem hohen Dache des Herrenhauses erhob
sich eine Art Leuchtturm; das war kein architektonischer Schmuck; er war
nicht dazu da, damit der Hausherr und seine Gäste sich an der schönen
Aussicht ergötzen könnten, sondern um die Arbeiter auch auf den
entferntesten Feldern ständig zu beaufsichtigen. Die Reisenden wurden an
der Haustreppe von flinken Dienern empfangen, die gar keine Ähnlichkeit
mit dem ewig betrunkenen Petruschka hatten; auch hatten sie keine
Fräcke, sondern Jacken aus gewöhnlichen selbstgewebtem blauen Tuch an,
wie sie die Kosacken zu tragen pflegen.

Die Frau des Hauses kam auf die Treppe hinausgelaufen. Sie hatte eine
frische Gesichtsfarbe wie Milch und Blut, und war schön wie Gottes
heller Tag, sie glich Platonow wie ein Ei dem andern, nur mit dem
Unterschiede, daß sie nicht so matt und schlaff, wie er, sondern immer
heiter und gesprächig war.

»Guten Tag, Bruder! Bin ich aber froh, daß du gekommen bist. Konstantin
ist leider nicht zuhause, aber er muß bald kommen.«

»Wo ist er denn?«

»Er hat mit ein paar Händlern im Dorfe zu tun,« sagte sie, während sie
die Gäste ins Zimmer geleitete.

Tschitschikow sah sich neugierig in der Wohnung dieses merkwürdigen
Menschen um, der ein Einkommen von zweimal hunderttausend Rubeln hatte,
denn er glaubte, er werde aus _dieser_ den Charakter und das Wesen des
Besitzers erkennen können, wie man etwa von einer Muschel auf die Auster
oder von dem leeren Schneckengehäuse auf die Schnecke schließt, die es
einstmals bewohnte und ihren Abdruck darin hinterlassen hat. Aber das
Wohnhaus erlaubte es nicht, irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Die Zimmer
waren alle schlicht und einfach ausgestattet und beinahe leer; da gab es
weder Fresken, noch Bronzen, noch Blumen, noch Etageren mit kostbarem
Porzellan, ja nicht einmal Bücher. Mit einem Wort, alles deutete darauf
hin, daß das Wesen, das hier hauste, sich den größten Teil seines Lebens
garnicht innerhalb der vier Zimmerwände, sondern draußen im Felde
aufhielt und daß es seine Pläne nicht vorsorglich und sybaritisch im
weichen Lehnstuhl am Kaminfeuer überlegte und dort seinen Gedanken
nachhing, sondern daß sie ihm an Ort und Stelle, mitten in der Tätigkeit
einfielen und auch _dort_ ins Werk gesetzt wurden. In den Zimmern konnte
Tschitschikow nur die Spuren eines echt weiblichen häuslichen Sinnes
entdecken: auf den Tischen und Stühlen lagen Bretter von Lindenholz, auf
denen offenbar zum Trocknen bestimmte Blumenblätter ausgeschüttet waren.

»Was ist das für ein Plunder, der hier herumliegt, Schwester?« sagte
Platonow.

»Das ist doch kein Plunder!« versetzte die Hausfrau. »Das ist das beste
Mittel gegen Fieber. Voriges Jahr haben wir alle unsere Bauern damit
kuriert. Hieraus machen wir Likör, und jenes dort soll eingemacht
werden. Ihr lacht uns immer mit unseren Marmeladen und unserem
eingelegten Gemüse aus; nachher aber lobt Ihr es selbst, wenn Ihr es
eßt.«

Platonow ging ans Klavier und betrachtete die aufgeschlagenen Noten.

»Herrgott, das alte Zeug!« sagte er, »Schämst du dich gar nicht,
Schwester?«

»Nimm mir's nicht übel, Bruder, ich habe nicht Zeit, mich auch noch mit
Musik abzugeben. Ich habe nicht Zeit, mich auch noch mit Musik
abzugeben. Ich habe eine achtjährige Tochter, die ich unterrichten muß.
Soll ich sie etwa einer ausländischen Gouvernante überlassen, bloß damit
ich genug freie Zeit habe, um mich mit Musik zu beschäftigen? -- Nein
entschuldige, das tue ich denn doch nicht!«

»Bist du langweilig geworden, Schwester!« sagte der Bruder und trat ans
Fenster: »Ah, da ist er ja schon, er kommt, eben kommt er!« rief
Platonow.

Tschitschikow lief gleichfalls ans Fenster. Ein Mann von etwa vierzig
Jahren, mit braunem lebhaftem Gesicht, in einer Jacke von Kamelhaaren
kam auf das Haus zugeschritten. Auf sein Kostüm pflegte er nicht zu
achten. Er trug eine Sammtmütze. Ihm zur Seite gingen zwei Männer
niederen Standes, mit respektvoll entblößtem Haupte, in einer lebhaften
Unterhaltung begriffen; der eine war ein einfacher Bauer, der andre ein
durchreisender Händler, ein durchtriebener Kerl in einem Rock mit langen
Schößen. Da sie alle drei an der Treppe stehen blieben, konnte man ihr
Gespräch deutlich im Zimmer hören.

»Das beste was ihr tun könnt, ist folgendes: kauft euch bei eurem Herrn
los. Ich will euch die Summe meinetwegen vorschießen; ihr könnt sie ja
allmählich bei mir abarbeiten!«

»Nein, Konstantin Fjodorowitsch, wozu sollen wir uns loskaufen? Nehmen
Sie uns lieber ganz zu sich. Bei Ihnen können wir nur Gutes lernen.
Einen so klugen Mann wie Sie, gibt es nicht wieder auf der ganzen Welt.
Heutzutage hat man seine Not, man kann sich nicht genug in acht nehmen.
Die Kneipwirte haben euch solche Schnäpse erfunden, das brennt einem im
Magen, daß man danach gleich einen ganzen Eimer Wasser austrinken
möchte: eh man sich's versieht, ist die letzte Kopeke ausgegeben. Die
Versuchung ist auch allzugroß. Ich glaube der Böse regiert die Welt, bei
Gott! Was erfinden sie nicht alles, um den Bauern ganz toll zu machen!
Tabak und all diese Finessen. Was soll man anfangen, Konstantin
Fjodorowitsch? Man ist auch nur ein Mensch -- man läßt sich halt leicht
verführen.«

»Hör mal: hier handelt es sich doch um folgendes. Wenn ihr zu mir kommt,
dann seid ihr doch auch nicht frei. Es ist wahr, ihr bekommt alles, was
ihr braucht: eine Kuh und ein Pferd; aber ich verlange auch was von
meinen Bauern, wie kein anderer Gutsbesitzer. Bei mir müssen sie vor
allem _arbeiten_ -- das ist das erste; ob nun für mich oder für sich
selbst, das ist ganz gleich, gefaulenzt wird bei mir nicht. Ich arbeite
ja auch wie ein Stier, ebensoviel wie meine Bauern, weil ich es an mir
selbst erfahren habe: all diese Schrullen kommen einem bloß in den Kopf,
weil man nicht arbeitet. Also denkt mal über die Sache nach und überlegt
sie euch ordentlich, wenn ihr zusammenkommt.«

»Wir haben ja schon so viel überlegt, Konstantin Fjodorowitsch. Selbst
die alten Leute bei uns sagen schon: >bei Ihnen sind die Bauern alle
reich, das ist doch kein Zufall; auch Ihre Priester sind so mitleidig
und so gütig. Die unsrigen hat man uns doch weggenommen, und jetzt haben
wir niemanden, der einen rechtschaffen beerdigen könnte.<«

»Es ist doch besser, du sprichst noch einmal darüber mit der Gemeinde.«

»Wie Sie befehlen!«

»Nicht wahr, Konstantin Fjodorowitsch, Sie sind schon so gut und gehen
etwas mit dem Preise herunter,« sagte der durchreisende Kaufmann im
langen blauen Rock, der an der andern Seite von Kostanshoglo schritt.

»Ich habe dir's schon gesagt, ich lasse nicht mit mir handeln. Ich bin
nicht so wie andre Gutsbesitzer, bei denen du immer gerade dann
erscheinst, wenn sie ihre fälligen Schulden bezahlen müssen. Ich kenne
euch viel zu gut; ihr führt eine Liste über alle, welche Zahlungen zu
machen haben. Das ist doch sehr einfach. So ein Mann ist in einer
verzweifelten Lage, da gibt er euch natürlich alles um den halben Preis
her. Bei mir ist das anders. Was soll ich mit deinem Gelde anfangen? Bei
mir können die Sachen ruhig drei Jahre lang liegen bleiben; ich habe
keine Hypothekengelder zu bezahlen!«

»Sie haben ganz recht, Konstantin Fjodorowitsch. Ich sage das ja auch
nur, um auch ferner mit Ihnen in Verbindung zu bleiben, und nicht aus
Habsucht und Eigennutz. Bitte, hier sind dreitausend Rubel Handgeld!«
Bei diesen Worten zog der Kaufmann ein Päckchen schmutziger Banknoten
aus der Brusttasche. Kostanshoglo nahm sie sehr kaltblütig, ohne sie
nachzuzählen in Empfang, und steckte sie in die Rocktasche.

»Hm,« dachte Tschitschikow, »wie wenn das sein Taschentuch wäre!« Doch
jetzt erschien Kostanshoglo in der Türe des Salons. Er machte einen
tiefen Eindruck auf Tschitschikow durch sein verbranntes Gesicht, die
struppigen schwarzen Haare, welche stellenweise schon einen leichten
Anflug von Grau erkennen ließen, den lebhaften Ausdruck der Augen und
seine etwas gallige Art, die auf seine südliche Herkunft hindeutete. Er
war kein echter Russe. Wußte er doch selbst nicht genau, woher seine
Vorfahren stammten. Er kümmerte sich jedoch nicht um seinen Stammbaum;
das paßte nicht in sein System, und er fand, daß sich in der Wirtschaft
damit nicht viel anfangen ließe. Er selbst hielt sich für einen Russen,
und kannte auch keine andere Sprache außer der russischen.

Platonow stellte Tschitschikow vor. Beide küßten sich.

»Weißt du Konstantin, ich habe mich entschlossen, eine kleine Reise zu
machen, und mir einige unserer Gouvernements anzusehen. Ich will meine
Langeweile los werden,« sagte Platonow, »Pawel Iwanowitsch hat mir
vorgeschlagen, mit ihm zu reisen.«

»Das ist ja vortrefflich!« sagte Konstanshoglo. »Und welche Gegend
gedenken Sie zu besuchen?« fuhr er fort, indem er sich liebenswürdig an
Tschitschikow wandte.

»Ich muß gestehen,« sagte Tschitschikow, indem er den Kopf höflich auf
die Seite neigte und mit der Hand über die Stullehne strich, »ich muß
gestehen, daß ich eigentlich nicht in meinem eigenen, sondern im
Interesse eines andern reise: ein naher Freund von mir, ich darf wohl
sagen mein Wohltäter, General Betrischtschew hat mich gebeten, einige
von seinen Verwandten aufzusuchen. Das mit den Verwandten ist natürlich
sehr wichtig, aber andererseits reise ich doch auch sozusagen zu meinem
eigenen Vergnügen, denn ganz abgesehen von dem Nutzen den das Reisen für
die Hämorrhoiden hat; die Welt kennen zu lernen, sich in den Wirbel und
Strudel des Menschenvolkes zu stürzen -- das ist sozusagen ein lebendes
Buch und auch eine Art Wissenschaft.«

»Sehr richtig! Es ist ganz gut, wenn man sich in der Welt umsieht.«

»Sehr fein bemerkt! Das ist tatsächlich wahr, es ist wirklich gut. Man
sieht allerhand Dinge, die man sonst nie gesehen hätte, und trifft mit
Menschen zusammen, denen man vielleicht niemals begegnet wäre. Manche
Unterhaltung ist Goldes wert, wie zum Beispiel gleich hier, wo sich mir
eine so glückliche Gelegenheit bietet ... Ich wende mich an Sie,
verehrtester Konstantin Fjodorowitsch. Helfen Sie mir, belehren Sie
mich, stillen Sie meinen Durst und weisen Sie mir den Weg zur Wahrheit.
Ich lechze nach Ihren Worten, wie nach himmlischem Manna.«

»Ja, was denn nur? ... Was soll ich Sie denn lehren?« sprach
Kostanshoglo verlegen. »Ich habe doch selbst nur ein paar Groschen
Lehrgeld bezahlt.«

»Die Weisheit, verehrter Mann, lehren Sie mir die Weisheit und die
Kunst, das schwere Steuer der Landwirtschaft zu regieren, einen sicheren
Gewinn zu erzielen, Reichtum und Wohlstand zu erwerben und zwar keinen
eingebildeten, sondern einen wirklichen Wohlstand, denn das ist doch die
Pflicht eines jeden Bürgers und damit verdient man sich die Achtung
seiner Mitmenschen.«

»Wissen Sie was?« sagte Kostanshoglo und sah ihn nachdenklich an,
»bleiben Sie einen Tag bei mir. Ich will Ihnen die ganze Einrichtung
zeigen und Ihnen alles erzählen. Eine große Weisheit werden Sie hier
nicht finden.«

»Aber natürlich! Bleiben Sie doch!« fiel die Hausfrau ein; dann wandte
sie sich an ihren Bruder und fuhr fort: »Bleib doch, Bruder, du hast
doch keine Eile.«

»Mir ist es einerlei. Wenn Pawel Iwanowitsch nichts dagegen hat?«

»Nicht das Geringste, mit dem größten Vergnügen ... Da ist nur noch ein
Umstand: ein Verwandter des General Betrischtschew, der Oberst
Koschkarow ...«

»Der ist aber doch verrückt!«

»Natürlich ist er verrückt! Ich hätte ihn ja auch gar nicht besucht,
aber General Betrischtschew, wissen Sie, ein guter Freund von mir, und
sozusagen mein Wohltäter ...«

»Wissen Sie was? Dann machen Sie es doch so,« sagte Kostanshoglo:
»fahren Sie doch gleich zu ihm, er wohnt keine zehn Werst von hier. Mein
Wagen ist angespannt -- setzen Sie sich hinein und fahren Sie hin. Zum
Tee können Sie schon wieder zurück sein.«

»Eine großartige Idee!« rief Tschitschikow aus und griff nach dem Hut.

Der Wagen fuhr vor, und brachte ihn in einer halben Stunde zum Obersten.
Im Dorfe ging es drunter und drüber: hier wurde gebaut, dort eine
Reparatur vorgenommen, überall lagen Haufen von Kalk, Ziegelsteinen und
Balken herum. Daneben sah man ein paar Häuser, die wie Gerichtsgebäude
aussahen. Auf dem einen befand sich eine Inschrift in goldenen Lettern:
»Depot für landwirtschaftliche Werkzeuge«, auf einem andern las man:
»Hauptrechnungskammer«, »Komitee für Gemeindeangelegenheiten«,
»Normalschule für Landleute«. Mit einem Wort, weiß der Teufel, was es da
nicht alles gab!

Er traf den Obersten vor einem Stehpult mit der Feder in den Zähnen. Der
Oberst empfing Tschitschikow außerordentlich freundlich. Er machte den
Eindruck eines äußerst gutmütigen und höflichen Menschen; sofort fing er
an davon zu erzählen, wieviel Mühe es ihn gekostet habe, sein Gut auf
die Höhe zu bringen, auf der es sich jetzt befindet; er beklagte sich
schmerzlich darüber, wie schwer es sei, den Bauern begreiflich zu
machen, was die »höheren Antriebe« sind, die der Mensch nur aus einem
vernunftgemäßen Luxus, aus der Beschäftigung mit Wissenschaften und
Künsten gewinnt; daß es ihm noch immer nicht gelungen sei, die
Bäuerinnen zu veranlassen, doch ein Korsett anzulegen, während er in
Deutschland, wo er 1814 mit seinem Regiment gestanden, die Tochter eines
einfachen Bauern kennen gelernt habe, die Klavier spielen konnte;
dennoch aber werde er den Trotz der Unwissenheit und Unbildung brechen,
und es bestimmt erreichen, daß seine Bauern Bücher lesen, während sie
hinter dem Pfluge hergehen und sich auf diese Weise über den
Franklinschen Blitzableiter, die Georgien Virgils und die chemische
Analyse des Bodens unterrichten.

»Daß du dich nur nicht täuschst!« dachte Tschitschikow. »Denken Sie
bloß, ich habe die »Gräfin Laveillère« bis heute noch nicht gelesen. Ich
kann immer keine Zeit dazu finden.«

Der Oberst sprach noch lange darüber, wie man die Menschen wohlhabend
und glücklich machen könne. Eine besondere große Bedeutung legte er der
Kleidung bei: er setzte seinen Kopf dafür ein, daß, wenn nur die Hälfte
aller russischen Bauern Hosen nach deutschem Schnitt anziehen wollte,
die Wissenschaften emporblühen, der Handel sich heben und das goldene
Zeitalter für Rußland anbrechen würde.

Tschitschikow sah ihm aufmerksam ins Gesicht, hörte ihn ruhig an und
sagte schließlich zu sich selbst: »Ich glaube, mit dem brauche ich mich
nicht zu genieren;« und er erklärte sofort, er habe tote Seelen nötig,
zuvor aber müsse ein Kaufvertrag abgeschlossen werden und dazu bedürfe
es _der_ und _der_ Formalitäten.

»Soweit ich aus Ihren Worten ersehen kann,« sagte der Oberst, ohne auch
nur im geringsten in Verlegenheit zu geraten, »ist das ein _Gesuch_, das
Sie an mich richten! Nicht wahr?«

»Sehr richtig.«

»Dann haben Sie wohl die Güte, es schriftlich zu formulieren. Das Gesuch
muß nämlich erst ins »Bureau für Berichte und Anzeigen«, dort wird es
signiert, und erst dann kommt es in meine Hände; ich gebe es hierauf an
das Komitee für Gemeindeangelegenheiten weiter, von dort geht es an den
Verwalter, der Erhebungen anstellen wird, und der Verwalter läßt es
endlich zusammen mit dem Sekretär ...«

»Ich bitte Sie!« sprach Tschitschikow, »auf diese Weise wird sich ja die
Sache furchtbar in die Länge ziehen. Ein solcher Gegenstand läßt sich
doch nicht schriftlich behandeln. Das ist ja so eine delikate ...
Angelegenheit, die ... Die Seelen sind doch gewissermaßen ... schon tot
...«

»Sehr gut. Dann schreiben Sie doch einfach, daß die Seelen gewissermaßen
schon tot sind.«

»Nein bitte, wie kann ich das? So etwas kann man doch nicht
niederschreiben. Wenn sie auch wirklich tot sind, so soll es doch den
Anschein haben, als ob sie noch leben ...«

»Gut, dann schreiben Sie eben: _es ist nötig, oder es ist erwünscht,
oder man legt Wert darauf, daß es den Anschein habe, als ob sie noch
leben_. Ohne schriftliche Fixierung geht das doch gar nicht. Denken Sie
bloß an England oder sogar an Napoleon. Ich will Ihnen einen Mann
mitgeben, der Sie überallhin begleiten wird.«

Er schellte. Ein Mann erschien in der Türe.

»Herr Sekretär! Rufen Sie den Kommissar.« Gleich darauf trat auch der
Kommissar herein, ein Mann, dem man es nicht recht ansehen konnte, was
er war, ein Bauer oder ein Beamter. »Er wird Sie überall hinführen.«

Was war da zu machen? Tschitschikow entschloß sich aus Neugierde, dem
Kommissar zu folgen und diese so überaus wichtigen Instanzen kennen zu
lernen. Das »Bureau für Berichte und Anzeigen« stand nur auf dem
Aushängeschild, die Tür war dagegen verschlossen. Der Chef des Bureaus
Chryljow war in das soeben gegründete Komitee für Gemeindebauten
versetzt. Seine Stelle versah der Kammerdiener Berjosowski; aber auch
der war von der Baukommission irgendwohin geschickt worden. Sie gingen
daher in das Departement für Gemeindeangelegenheiten -- da wurden jedoch
gerade Reparaturen vorgenommen, hier weckten sie einen Mann, der
betrunken dasaß und schlief, aber aus dem ließ sich auch nichts
herausbringen. »Bei uns herrscht eine große Unordnung!« sagte
schließlich der Kommissar zu Tschitschikow. »Die Leute tanzen unserem
Herrn alle auf der Nase. Bei uns hängt alles von der Baukommission ab;
sie holt die Leute von ihrer Arbeit weg und schickt sie überallhin,
wohin es ihr beliebt. Nur bei der Baukommission kommt man auf seinen
Vorteil.« Er war offenbar sehr unzufrieden mit der Baukommission.
Tschitschikow wollte nicht mehr sehn. Als sie zum Obersten
zurückkehrten, erklärte er diesem, bei ihm herrsche ein großer Wirrwar,
man könne sich da unmöglich zurechtfinden, und ein Bureau für Berichte
und Anzeigen gäbe es überhaupt nicht.

Der Oberst schäumte auf in edlem Zorn und drückte Tschitschikow dankbar
die Hand. Er griff sofort zur Feder und verfaßte acht in strengstem Tone
gehaltene Anfragen: mit welchem Rechte die Baukommission eigenmächtig
über Beamte verfügt habe, die garnicht zu ihrem Ressort gehörten? wie
der Oberverwalter es habe zulassen können, daß der Vorsitzende sich
entfernte, um an einer Untersuchung teilzunehmen, ohne seinen Posten
zuvor einem andern übergeben zu haben? und wie das Komitee für
Gemeindeangelegenheiten ruhig darüber hinweggehen konnte, daß es
überhaupt kein Bureau für Anzeigen und Berichte gebe?

»Das gibt wieder eine tolle Verwirrung!« dachte Tschitschikow und wollte
schon wegfahren, da aber sagte Koschkarjow:

»Nein, ich lasse Sie nicht fort. Hier handelt es sich um meine Ehre. Ich
will Ihnen beweisen, was das ist: eine geregelte, organisierte
Wirtschaft. Ich will Ihre Sache einem Mann übergeben, der allein soviel
wert ist, wie alle anderen zusammen: er hat die Universität beendigt.
Sehen Sie, solche Leibeigene habe ich! Um Ihre kostbare Zeit nicht
allzulange in Anspruch zu nehmen, bitte ich Sie höflichst, sich
einstweilen in meine Bibliothek verfügen zu wollen,« fuhr der Oberst
fort, indem er eine Seitentür öffnete: »Hier finden Sie Bücher, Papier,
Federn, Bleistifte -- mit einem Wort, alles, was Sie wünschen. Bitte!
alles steht zu Ihrer Verfügung. Tuen Sie, als ob Sie zu Hause wären. Die
Aufklärung und Wissenschaft sollte allen offen stehen.«

So sprach Koschkarjow, während er Tschitschikow in die Bibliothek
geleitete. Diese war ein mächtiger Saal der von unten bis oben mit
Büchern vollgepfropft war. Auch ein paar ausgestopfte Tiere befanden
sich darin. Alle Wissenszweige waren vertreten: da gab es Bücher über
Forstwissenschaft, Viehzucht, Schweinezucht, Gartenbau,
Spezialzeitschriften über alle Wissensgebiete, wie sie einen zugeschickt
werden, bloß damit man auf sie abonniert, die aber kein Mensch liest.
Als Tschitschikow sich überzeugt hatte, daß dies alles Bücher waren, die
sich kaum dazu eigneten, einem in angenehmer Weise die Zeit zu
vertreiben, ging er an den nächsten Schrank, aber o weh! er geriet aus
dem Regen in die Traufe: dieser enthielt wiederum nichts als
_philosophische_ Bücher. Das erste, was ihm ins Auge fiel, waren sechs
gewaltige Bände mit der Ueberschrift: »Einführung in die Lehre vom
Denken, Theorie der Abstraktion, der Allheit, und Wesenheit in ihrer
Anwendung auf die Erkenntnis der organischen Prinzipien der Polarität in
der gesellschaftlichen Produktivität.« Was für ein Buch Tschitschikow
auch aufschlagen mochte, auf jeder Seite las er immer nur von:
_Erscheinung_, _Entwickelung_, _Abstraktion_, _Geschlossenheit_, _An und
Für sich sein_, mit einem Wort, weiß der Teufel, was nicht alles in so
einem Buche stand! »Das ist nichts für mich,« sagte Tschitschikow, und
ging an einen dritten Schrank, der wieder lauter _kunstgeschichtliche_
Bücher enthielt. Er zog einen mächtigen Folianten mit Bildern aus der
antiken Mythologie hervor, die sich nicht gerade durch übermäßige
Sittsamkeit auszeichneten und begann darin zu blättern. Solche Bilder
gefallen besonders Junggesellen in mittleren Jahren, mitunter aber auch
alten Herren, die ihre Einbildungskraft durch Ballette und ähnliche
gepfefferte Dinge anzuregen lieben. Nachdem Tschitschikow mit dem einen
Buche fertig war, wollte er schon zu einem zweiten ähnlichen übergehen,
als Oberst Koschkarjow mit strahlender Miene und einem Bogen Papier in
der Tür erschien.

»Es ist alles erledigt; zur schönsten Zufriedenheit erledigt! Der
Mensch, von dem ich Ihnen erzählt habe, ist tatsächlich ein Genie. Dafür
will ich ihn aber auch über alle anderen erheben und ein eigenes
Departement für ihn einrichten. Sehen Sie doch bloß, was das für ein
heller Kopf ist, und wie er in ein paar Minuten mit allem fertig
geworden ist.«

»Na, Gott sei Dank!« dachte Tschitschikow und schickte sich an, zu
hören. Der Oberst begann mit der Vorlesung:

»Indem ich an die Untersuchung des mir von Ew. Hochwohlgeboren erteilten
Auftrages gehe, habe ich die Ehre, folgendes zu Ew. Hochwohlgeboren
Kenntnis zu bringen:

Erstens ist schon in dem Gesuch des Herrn Ritters und Kollegienrates
Pawel Iwanowitsch Tschitschikow ein grundlegendes Mißverständnis
enthalten, denn die in den Revisionslisten verzeichneten Seelen werden
unvorsichtiger Weise _tot_ genannt. Dahingegen wird er wahrscheinlich
Seelen gemeint haben, die dem Tode nahe sind, keineswegs aber absolut
tote Seelen. Zudem verrät auch schon diese Bezeichnung eine
Bildungsstufe, die lediglich aus dem Studium der bloß empirischen
Wissenschaften geschöpft zu sein scheint, und etwa dem Niveau einer
Gemeindeschule entspricht, denn die Seele ist _unsterblich_.«

»So ein Schelm!« sagte Koschkarjow und hielt ein wenig inne. »Hier will
er Ihnen eines auswischen. Aber nicht wahr? welch eine gewandte,
schneidige Feder er führt!«

»Zweitens sind überhaupt keine Seelen vorhanden, weder solche, die dem
Tode nahe sind, noch irgendwelche andre, die nicht schon hypothekarisch
belastet wären, denn sie sind nicht nur alle ohne Ausnahmen mit
einfachen, sondern sogar mit doppelten Hypotheken belastet, sodaß noch
außerdem hundertfünfzig Rubel pro Kopf auf jede Seele kommen,
ausgenommen das kleine Dorf Gurmailowka, welches infolge eines Prozesses
mit dem Gutsbesitzer Perdrschtschew mit Beschlag belegt ist, wie dies in
Nummer 42 der »Moskauer Nachrichten« zu lesen steht.«

»Warum haben Sie mir dies denn nicht gleich gesagt? Wozu haben Sie mich
unnütz aufgehalten?« sagte Tschitschikow ärgerlich.

»Ich bitte Sie, das mußte sich doch alles erst auf dem richtigen
Instanzweg ergeben. Das ist doch kein Spaß. Unbewußt und sozusagen
instinktiv kann jeder Narr sowas rauskriegen, es muß aber mit Bewußtsein
geschehen.«

Tschitschikow griff wütend nach seiner Mütze, und lief eilig zum Hause
hinaus, ohne auch nur die gewöhnlichsten Pflichten des Anstandes zu
wahren: er war sehr böse. Der Kutscher wartete schon mit dem Wagen vor
der Tür, er wußte, daß es keinen Zweck hatte, die Pferde auszuspannen,
denn um Futter für die Tiere zu erhalten, hätte er erst ein
schriftliches Gesuch einreichen müssen, und der Beschluß, den Pferden
ihren Hafer auszufolgen, wäre erst am folgenden Tage erschienen. Der
Oberst lief Tschitschikow jedoch nach; er drückte ihm krampfhaft die
Hand, preßte sie ans Herz und dankte ihm, daß er ihm Gelegenheit gegeben
habe, den ganzen Betrieb in der Praxis funktionieren zu sehen. Man müsse
den Leuten schon hin und wieder einen kleinen Puff versetzen. Sonst
könne alles leicht einschlafen und der Verwaltungsmechanismus träge
werden und einrosten. Dieser Vorfall habe ihm einen glücklichen Gedanken
eingegeben, nämlich den, eine neue Kommission zu gründen, die den Namen
tragen soll: »Kommission zur Aufsicht über die Baukommission«. Dann
würde es niemand mehr wagen zu stehlen.

Unzufrieden und ärgerlich kam Tschitschikow zu später Stunde bei
Kostanshoglo an. Man hatte schon längst Licht angezündet.

»Warum kommen Sie so spät?« sagte Kostanshoglo, als Tschitschikow in der
Türe erschien.

»Worüber haben Sie so lange mit ihm gesprochen?« fragte Platonow.

»Einen solchen Narren habe ich in meinem ganzen Leben nicht gesehen!«
rief Tschitschikow aus.

»Das ist noch gar nichts!« meinte Kostanshoglo. »Koschkarjow ist
trotzdem eine tröstliche Erscheinung. Man braucht solche Leute, weil
sich in ihnen die Torheiten unserer »weisen Männer« gewissermaßen
karrikiert und recht drastisch offenbaren. -- All jene Neunmalklugen,
die, noch ehe sie sich zu Hause ordentlich umgesehen haben, sich in der
Fremde allerhand Flausen in den Kopf setzen. Sehen Sie doch mal, was wir
jetzt für Gutsbesitzer bekommen haben: Was die nicht alles für
Neuerungen einführen: Komptoirs, Manufakturen, Schulen und Kommissionen,
und weiß der Teufel, was noch alles! So sind aber die gescheidten Leute!
Kaum daß man sich von der französischen Invasion und dem Jahr 1812
erholt hat, da fangen sie schon wieder an, Unordnung zu stiften und
alles einzureißen. Wahrhaftig, die haben schlimmer gehaust als der
Franzose. Wir werden bald so weit kommen, daß irgend ein Peter
Petrowitsch Petuch noch einer der tüchtigsten Gutsbesitzer sein wird.«

»Aber er hat doch schon Hypotheken aufgenommen?« sagte Tschitschikow.

»Na, natürlich! Alles wandert ins Bankhaus, alles, alles!« Kostanshoglo
redete sich allmählig immer mehr in Zorn. »Da haben Sie zum Beispiel
eine Hut- und eine Kerzenfabrik -- natürlich müssen die Werkmeister aus
London verschrieben werden. Man wird ja zum reinsten Krämer! Der
Gutsbesitzer -- ein so hochachtbarer Beruf -- wird Fabrikant und
Manufakturist! Webstühle um Tüllkleider für die »Dämchen« aus der Stadt
zu fabrizieren, und diese Frauenzimmer ...«

»Aber du selbst hast doch auch Fabriken,« bemerkte Platonow.

»Wer hat denn die gebaut?«

»Das kam ganz von selbst. Es war halt so viel Wolle da, daß ich sie
nicht absetzen konnte. -- Da fing ich eben an, Stoffe zu weben, lauter
_dickes_, einfaches Zeug -- das verkaufe ich gleich hier bei mir auf dem
Markt. Das sind doch bloß Dinge, die die Bauern brauchen, meine eigenen
Bauern. Oder ein anderes Beispiel: die Fischer haben sechs Jahre lang
ihre Fischschuppen hier am Ufer hingeworfen. Wo sollte ich bloß hin mit
ihnen. Ich habe halt angefangen, Leim aus ihnen zu sieden. Das hat mir
vierzig Tausend eingebracht. So kommt bei mir alles von selbst.«

»Teufel!« dachte Tschitschikow, indem er ihn bewundernd anblickte.
»Verstehst du dich aber aufs Geldverdienen!«

»Das habe ich auch nur gemacht, weil so viele Arbeitslose zu mir
gelaufen kamen, die ohnedies vor Hunger gestorben wären. Wir hatten ja
Hungersnot. Alles dank den Herren Fabrikanten, welche das Säen vergessen
hatten. Solche Fabriken gibt's bei mir in Hülle und Fülle, mein Bester,
jedes Jahr 'ne andre. Je nachdem, was ich gerade für Abfälle zu
verwerten habe. Sieh' nur ordentlich bei dir zu Hause nach! Mit jedem
Plunder kannst du noch was verdienen, sodaß du ihn schließlich
fortwirfst und sagst: ich will nicht mehr. Ich baue mir ja auch keine
Häuser mit Säulengängen und Giebeln.«

»Wirklich erstaunlich ... Das merkwürdigste aber ist, daß man mit jedem
Plunder was verdienen kann!« sagte Tschitschikow.

»Aber ich bitte Sie, wenn die Menschen die Dinge doch ganz einfach so
nehmen wollten, wie sie sind. Aber da will gleich jeder Kunstschlosser
und Mechaniker sein und holt gleich ein Instrument herbei, um das
Kästchen zu öffnen, während es doch ganz einfach aufgeht. Und dazu muß
er erst extra nach England fahren! Das ist es! Solche Narren!« Bei
diesen Worten spuckte Konstanshoglo aus. »Und dabei kommt er tausendmal
dümmer zurück, als wie er ins Ausland fuhr.«

»Aber Konstantin, du regst dich schon wieder auf!« sagte die Frau
besorgt, »du weißt doch, daß dir das schadet.«

»Ja, wie soll man sich denn da nicht aufregen! Wenn es sich hierbei noch
um etwas handelte, was einen nichts angeht. Aber das sind doch alles
Dinge, die einem am Herzen liegen. Es schmerzt einen doch, wenn man
sieht, wie der russische Charakter verdorben wird. Es ist jetzt eine Don
Quixoterie bei uns aufgekommen, die wir früher garnicht gekannt haben!
Wenn einem die Aufklärung zu Kopfe gestiegen ist, dann wird er gleich
ein Don Quixote. Gründet allerhand Schulen, von denen sich nicht mal ein
Narr was träumen läßt. Diese Schulen bilden nur Menschen heran, die zu
nichts nütze sind, weder auf dem Lande, noch in der Stadt. Höchstens
lauter Trinker, die einen sehr hohen Begriff von ihrer Würde haben. Oder
so einer will in Humanität machen -- dann wird er ein Don Quixote der
Humanität: baut allerhand alberne Krankenhäuser und Asyle mit
Säulenhallen für 'ne Million, richtet sich selbst zugrunde und bringt
andere Leute an den Bettelstab. Da habt ihr dann die Humanität!«

Aber Tschitschikow war es keineswegs um die Aufklärung zu tun. Er wollte
durchaus näheres darüber erfahren, wie man mit jedem Plunder was
verdienen könne; jedoch Kostanshoglo ließ ihn nicht zu Worte kommen;
immer neue, heftige Reden entströmten seinem Munde, er war jetzt schon
nicht mehr imstande, sie zu unterdrücken.

»Und dann grübeln sie darüber nach, wie sie den Bauern aufklären sollen
... sorgt mal erst dafür, daß er reich und ein tüchtiger Landwirt wird,
dann wird er schon selbst für seine Bildung sorgen. Sie können sich
garnicht vorstellen, wie dumm heutzutage alle Leute geworden sind. Was
diese Federfuchser nicht alles schreiben! Wenn einer ein Buch in die
Welt setzt, dann stürzen sich gleich alle darauf ... Hören Sie doch, was
sie jetzt für eine neue Weisheit verkündigen: >Der Bauer führt ein zu
primitives Leben; er muß auch den Luxus kennen lernen, man muß ihm
höhere Bedürfnisse beibringen ...< Weil sie selbst dank diesem Luxus zu
Waschlappen geworden sind und weil es keinen achtzehnjährigen Burschen
mehr gibt, der nicht schon von allem gekostet, bald keine Zähne mehr im
Munde, und eine Glatze hat, wie eine Schweinsblase -- darum wollen Sie
andere Leute gleichfalls anstecken. Wir sollten Gott danken, daß wir
doch wenigstens noch _einen_ gesunden Stand haben, der noch nichts von
diesen Launen und Einfällen weiß! Dafür müßten wir Gott unendlich
dankbar sein. Jawohl -- der Landmann verdient unsere allergrößte Achtung
-- wozu rührt ihr ihn also an? Gott gebe, daß alle Leute so wären wie
er.«

»Sie glauben also, es sei noch das Einträglichste sich mit der
Landwirtschaft zu beschäftigen?« fragte Tschitschikow.

»Das Sittlichste, wenn auch nicht gerade das Einträglichste. >Im
Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen<, heißt es in der
Bibel. Daran ist nicht zu rütteln und zu deuteln. Es ist durch eine
hundertjährige Erfahrung erwiesen, daß die Beschäftigung mit dem
Ackerbau den Menschen reiner, edler, besser und sittlicher macht. Ich
sage nicht -- daß man nichts andres tun dürfe -- aber der Grund zu allem
muß in der Landwirtschaft liegen ... das ist's. Die Fabriken werden
schon ganz von selbst kommen; richtige, vernünftige Fabriken -- in denen
Dinge hergestellt werden, die der Mensch hier, an Ort und Stelle
braucht, und nicht all diese Luxusgegenstände, die nur zur Befriedigung
eingebildeter Bedürfnisse dienen und die heute unsere Menschen nur
verweichlichen. Nicht solche Fabriken, die um ihrer Existenz willen und
um nur einen recht großen Absatz zu haben, zu den schändlichsten Mitteln
ihre Zuflucht nehmen, und das unglückliche Volk verderben und verführen.
Ich für meinen Teil, werde nie ein solches Unternehmen gründen, und wenn
die Leute mir noch so viel von seinem Nutzen vorreden, ich werde mich
nie dazu hergeben, jene sogenannten höheren Bedürfnisse zu erzeugen und
Tabak, Zucker usw. zu produzieren, und wenn ich eine Million deswegen
verlieren müßte. Wenn schon das Laster durchaus in die Welt kommen soll,
dann will _ich_ wenigstens meine Hände nicht mit im Spiele haben! Ich
will rein dastehen vor Gott ... Zwanzig Jahre lang lebe ich _in_ und
_mit_ dem Volke; ich weiß, was das für Folgen hat.«

»Was mich am meisten wundert, ist dies, daß man die Reste und Abfälle so
gut verwerten und mit jedem Plunder Geld verdienen kann, vorausgesetzt
natürlich, daß man sparsam und weise zu wirtschaften versteht.«

»Hm! Und unsere Volkswirtschaftler!« fuhr Kostanshoglo fort, ohne auf
ihn zu hören, und sein Gesicht nahm einen boshaften und sarkastischen
Ausdruck an. »Tüchtige Leute diese Herren Ökonomen! Ein Narr sitzt auf
dem andern. Die Kerls sehen nicht weiter als ihre dumme Nase reicht! Und
so ein Esel steigt noch aufs Katheder, setzt die Brille auf und ...
Narren!« Und wieder spuckte er ärgerlich aus.

»Das ist alles sehr schön und richtig, ärgere dich aber doch bitte nicht
so,« sagte die Frau, »als ob es nicht möglich ist, über diese Dinge zu
reden, ohne gleich außer sich zu geraten.«(8)

»Wenn man Ihnen zuhört, verehrter Konstantin Fjodorowitsch, dann beginnt
man gewissermaßen den Sinn des Lebens zu verstehen, man erfaßt sozusagen
den Kern der Sache. Aber gestatten Sie mir, einen Augenblick diese
allgemeinmenschlichen Dinge beiseite zu lassen, und Ihre Aufmerksamkeit
auf eine Privatangelegenheit zu richten. Nehmen wir einmal an, ich wäre
Gutsbesitzer geworden, und hätte die Absicht, in kürzester Zeit zu
Reichtum und Wohlstand zu gelangen, um damit sozusagen eine ernste
Bürgerpflicht zu erfüllen, -- wie sollte ich das wohl anfangen?«

»Wie man es anfangen soll, um reich zu werden?« fiel Kostanshoglo ein:
»Ganz einfach: ...«

»Das Abendessen ist fertig,« sagte die Hausfrau, indem sie sich vom Sofa
erhob; sie ging in die Mitte des Zimmers und hüllte ihren jungen Körper
zitternd in ihr Tuch.

Tschitschikow sprang beinahe mit der Gewandtheit eines Militärs vom
Stuhle auf, hielt ihr höflich den Arm hin und führte sie feierlich durch
zwei Zimmer hindurch bis in den Speisesaal, wo schon die offene
Suppenterrine auf dem Tische stand und einen angenehmen würzigen Duft
von frischen Wurzeln und Frühlingskräutern verbreitete. Alle Anwesenden
nahmen Platz. Die Bedienten setzten die Speisen in zugedeckten Schüsseln
nebst allem Zubehör rasch und sicher auf den Tisch nieder und entfernten
sich. Kostanshoglo liebte es nicht, daß die Dienstboten mit anhörten,
was bei Tische gesprochen wurde, oder daß sie ihm in den Mund sahen,
während er aß.

Nachdem Tschitschikow mit der Suppe fertig war und ein Gläschen von
einem ganz vorzüglichen Getränk, das wie Ungarwein schmeckte, geleert
hatte, wandte er sich abermals an den Hausherrn: »darf ich noch einmal
auf den Gegenstand unseres soeben unterbrochenen Gesprächs zurückkommen,
Verehrtester. Ich wollte Sie fragen, wie man es anfangen, was man tun
muß, wie man sich verhalten soll ...«[4]

                   *       *       *       *       *

.... »Selbst wenn er vierzigtausend für sein Gut verlangen sollte, würde
ich sie ihm an Ihrer Stelle sofort auf den Tisch legen.«

»Hm!« Tschitschikow wurde nachdenklich. »Und warum kaufen Sie es denn
nicht selber?« sagte er dann mit einer gewissen Schüchternheit.

»Alles hat seine Grenze. Ich habe schon mit _meinen_ Gütern genug zu
tun. Und dann schreien unsere Adeligen ohnedies schon, daß ich mir ihre
verzweifelte Lage zunutze mache und ihre Ländereien für einen Spottpreis
aufkaufe. Das habe ich bald satt.«

[Fußnote 4: Hier fehlen zwei Seiten im Manuskript. Dazu hat Schewyrew in
der ersten Auflage folgende Bemerkung gemacht: Das Gespräch zwischen
Tschitschikow und Kostanshoglo weist hier eine größere Lücke auf. Man
muß annehmen, daß Kostanshoglo Tschitschikow den Vorschlag macht, das
Gut seines Nachbars Chlobujew zu erwerben.

                                                Anm. des Herausgebers.
                                                                     ]

»Daß doch die Menschen immer schlecht von einem reden müssen!« sagte
Tschitschikow.

»Und erst in unserer Provinz! Das können Sie sich garnicht vorstellen:
man nennt mich hier garnicht anders als einen Filz und Geizhals. Sich
selbst verzeihen sie alles. Da heißt es immer: >Ich habe freilich alles
durchgebracht; aber das kommt daher, weil ich eben höhere Bedürfnisse
hatte, weil ich die Handelsleute und Industriellen (er sollte lieber
sagen, die Lumpen und Gauner!) unterstützte; freilich wenn man wie ein
Schwein lebt, so wie dieser Kostanshoglo< ...«

»Ich wollte, ich wäre selbst ein solches Schwein!« sagte Tschitschikow.

»Alles Unsinn! Was sind das für höhere Bedürfnisse! Wem wollen sie denn
was weismachen? Wenn sie sich auch ein paar Bücher anschaffen, -- sie
lesen sie ja doch nicht. Na, und was übrig bleibt, das sind schließlich
die Kosten und der ... Und das alles kommt bloß daher, weil ich keine
Diners gebe und ihnen kein Geld leihen will. Diners gebe ich nun einmal
nicht, weil mir das unbequem ist: das bin ich halt nicht gewöhnt. Will
einer zu mir kommen und an meiner Tafel mitessen -- mit dem größten
Vergnügen. Und daß ich kein Geld leihe -- das ist ganz einfach nicht
wahr. Wenn jemand zu mir kommt, der wirklich Not leidet und mir genau
Rechenschaft gibt, was er mit meinem Gelde anzufangen gedenkt: wenn ich
aus seinen Worten entnehme, daß er einen vernünftigen Gebrauch davon
machen und daß ihm das Geld einen wirklichen Gewinn eintragen wird, dann
werde ich es ihm nicht abschlagen und nicht einmal Zinsen dafür
verlangen.«

»Das muß ich mir merken,« dachte Tschitschikow.

»So einem werde ich es nie abschlagen,« fuhr Kostanshoglo fort. »Aber
mein Geld aus dem Fenster zu schmeißen, fällt mir auch nicht ein. Nein,
da muß man mich schon entschuldigen. Hol's der Teufel! Da kriegt einer
den Einfall, seiner Maitresse ein Diner zu geben, oder er will sein Haus
luxuriös ausstatten; will wie ein Verrückter, mit irgend einem
Frauenzimmer auf den Maskenball gehen, oder ein Jubiläum feiern, weil er
so und soviel Jahre lang müßig auf der Welt herumläuft -- und dazu soll
ich ihm noch Geld leihen!«

Hier spuckte Kostanshoglo ärgerlich aus und hätte in Gegenwart seiner
Frau beinah ein paar unanständige Schimpfworte fallen lassen. Der
dunkele Schatten einer finsteren Hypochondrie verdüsterte sein Gesicht.
Zahlreiche Quer- und Längsfalten bedeckten seine Stirn, ein deutliches
Zeichen dafür, wie heftig sich in ihm die Galle regte.

»Gestatten Sie mir, hochverehrter Herr, Ihre Aufmerksamkeit noch einmal
auf den Gegenstand unseres soeben unterbrochenen Gesprächs
zurückzulenken,« sagte Tschitschikow und stürzte noch ein Gläschen
Himbeerlikör herunter, der wirklich ganz vorzüglich war. »Nehmen wir
einmal an, ich kaufte jenes Gut, das Sie zu erwähnen geruhten, was
denken Sie wohl? wie schnell und in wie langer Zeit könnte man wohl so
reich werden, daß ...«

»Wenn Sie durchaus _schnell_ reich werden wollen,« unterbrach ihn
Kostanshoglo kurz und streng, »dann werden Sie niemals reich werden;
wenn Sie dagegen die feste Absicht haben, reich zu werden, und nicht
nach der Zeit fragen, dann werden Sie sehr schnell zu Ihrem Ziele
kommen.«

»Wirklich?« sagte Tschitschikow.

»Ja,« versetzte Kostanshoglo kurz, es schien fast, daß er sich über
Tschitschikow ärgerte, »man muß die Arbeit lieb haben, ohne das kann man
nichts erreichen. Man muß an der Landwirtschaft Freude haben! -- Jawohl!
Und glauben Sie mir -- sie ist gar nicht langweilig. Das ist auch so ein
neuer Einfall, daß es auf dem Lande langweilig ist ... ich für meinen
Teil käme vor Langerweile um, wenn ich auch nur einen Tag in der Stadt
verbringen müßte, so wie diese Herrschaften ihre Zeit totschlagen: in
ihren Klubs, und Restaurants und Theatern. Narren! Nichts als Narren.
Eine ganze Generation von lauter Eseln! Ein Landwirt hat keine Zeit zur
Langenweile. In seinem Leben gibt es keine leeren Zwischenräume -- jeder
Augenblick ist ausgefüllt. Schon diese Mannigfaltigkeit seiner
Beschäftigung, seiner Tätigkeit! -- und welch einer Tätigkeit! -- diese
Tätigkeit hat etwas wahrhaft Erhebendes für Herz und Geist! Sagt was ihr
wollt, der Mensch geht hier doch gewissermaßen Hand in Hand mit der
Natur, wird zum Mitwisser und Mitarbeiter an der ganzen Schöpfung, an
allem, was rund herum um ihn vorgeht. Sehen Sie doch nur hin, was das
ganze Jahr über alles geschafft werden muß: wie noch vor Anbruch des
Frühlings alles auf dem Posten ist und auf seine Ankunft wartet: da muß
die Aussaat vorbereitet, das Korn in den Scheunen noch einmal
durchgesehen, gemessen und getrocknet, da muß nachgerechnet werden,
wieviel Arbeit zu allem erforderlich sein wird. Alles wird im voraus
überlegt und dann ein Überschlag gemacht. Und wenn dann das Eis bricht
und die Flüsse frei werden, wenn dann alles trocken ist und die Erde
sich lockert -- dann arbeitet in den Gärten und Gemüsebeeten der Spaten,
und Pflug und Egge im Felde: man pflanzt, man setzt, man sät. Verstehen
Sie, was das heißt? Das ist wohl eine Kleinigkeit? Es ist die künftige
Ernte, die hier vorbereitet wird! Der Segen des ganzen Landes wird hier
ausgesät. Die Nahrung für Millionen! ... Dann kommt der Sommer ... Nun
beginnt die Heuernte, man mäht und mäht ... Doch jetzt kommt die
Erntezeit; erst der Roggen, dann der Weizen, dann Gerste und Hafer.
Alles ist in fieberhafter Tätigkeit; da heißt's keinen Augenblick
verlieren, man möchte zwanzig Augen haben, und doch hätte keines Zeit
zum Ruhen. Und wenn dann alles fertig ist und auf die Tenne gebracht und
zu Garben zusammengebunden ist -- dann muß man schon wieder weiter
denken; der Acker muß für die Wintersaat gepflügt, die Scheunen, die
Darren, die Viehställe müssen geputzt werden, dazu kommt noch die ganze
Frauenarbeit -- wenn man dann die Summe zieht, so sieht man erst, was
man geleistet hat; aber da ist ja ... Und erst der Winter! Da wird auf
allen Tennen gedroschen und dann das gedroschene Korn von den Darren in
die Scheunen gebracht. Man geht in die Mühlen und in die Fabriken,
besucht die Arbeitswerkstätten und die Bauern und sieht, was sie tun und
treiben. Ach, ich kann Ihnen sagen, wenn ein Zimmermann mit der Axt
umzugehen weiß, dann kann ich zwei Stunden lang dastehen und ihm
zuschauen, so ein Vergnügen macht mir's, ihn arbeiten zu sehen. Und wenn
man fühlt, daß diese ganze Tätigkeit einen Sinn und ein Ziel hat, wie um
uns her alles wächst und sich mehrt und Frucht und Gewinn bringt -- ich
kann Ihnen garnicht sagen, was dann in einem vorgeht. Nicht deshalb,
weil sich das Geld vermehrt -- Geld ist natürlich auch eine schöne Sache
-- aber weil das alles das Werk deiner Hände ist; weil du siehst, daß du
selbst die Ursache, der Schöpfer von alledem bist, und daß du wie irgend
ein Magier oder Zauberer nichts wie Wohlstand, Glück und Überfluß über
alles ausschüttest. Nun, sagen Sie, können Sie sich einen höheren Genuß
vorstellen?« fuhr Kostanshoglo fort und blickte empor; die Falten waren
verschwunden. Wie ein König am Tage seiner feierlichen Krönung, so
strahlte er in heller Freude, und sein Gesicht schien zu leuchten.
»Nein, Sie werden auf der ganzen Welt keinen ähnlichen Genuß finden!
Denn hierin ahmt der Mensch den Schöpfer nach: Gott hat sich das
Schaffen als den höchsten aller Genüsse vorbehalten, und er verlangt vom
Menschen, daß auch er gleich Ihm um ihn herum Glück und Wohlergehen
schaffe. Und das nennt man eine langweilige Beschäftigung!«

Wie der Gesang eines Paradiesvogels erschienen Tschitschikow die
süßtönenden Reden des Hausherrn, an denen er sich garnicht satt hören
konnte. Das Wasser lief ihm im Munde zusammen. Seine Augen strahlten
einen fettigen Glanz aus und nahmen einen zuckersüßen Ausdruck an; er
hätte immer weiter zuhören mögen.

»Konstantin, ich glaube, es ist Zeit, daß wir uns erheben,« sagte die
Hausfrau und stand auf. Alle folgten ihr. Tschitschikow bot der Wirtin
den Arm und führte sie in den Salon zurück, aber diesmal fehlte es
seinen Bewegungen an der gewohnten Leichtigkeit und Gewandheit, denn
seine Gedanken wurden von anderen weit wichtigeren Fragen bewegt.

»Du magst sagen, was du willst, es ist trotz alledem trostlos und
langweilig,« erklärte Platonow, der hinter ihnen herging.

»Der Gast ist kein dummer Kerl,« dachte der Hausherr; »er ist
aufmerksam, sehr gesetzt und würdig in seinen Reden und vor allem kein
Schwätzer.« Bei diesem Gedanken wurde er noch fröhlicher; die
Unterhaltung schien ihn warm gemacht zu haben, und er freute sich, daß
er einen Menschen gefunden hatte, der es verstand, seine weisen
Ratschläge mit Verstand entgegenzunehmen.

Und als man dann in dem gemütlichen Zimmer, in dem einige Kerzen ein
angenehmes Licht verbreiteten, dem Balkon gegenüber Platz nahm, als die
Sterne hoch über den Baumwipfeln des schlafenden Gartens freundlich zu
ihnen durch die Glastür hereinblinkten, da wurde es Tschitschikow so
wohlig zu mute, wie schon lange nicht mehr: wie wenn er sich endlich
nach langen Irrfahrten unter dem trauten Dach des Vaterhauses befände,
wie wenn er schon alles sein eigen nannte, wonach sein Herz begehrte,
und mit dem Worte »Genug« seinen Pilgerstab in die Ecke gestellt hätte.
Diese beglückende Stimmung verdankte er den klugen Reden des gastfreien
Hausherrn. Für jeden Menschen gibt es gewisse Worte, die ihm lieber und
vertrauter sind, als alle andern Worte. Und oft geschieht es, daß man
irgendwo in einem entlegenen Nest, unter lauter Larven einen Menschen
findet, dessen erwärmende Unterhaltung einen den unwegsamen Weg, die
Unbequemlichkeiten des Nachtlagers, den Mißton des heutigen Treibens und
den Trug vergessen läßt, der den Menschen umgarnt. Mit unbegreiflicher
Lebhaftigkeit prägt sich ein so verbrachter Abend für alle Zeiten
unserer Erinnerung ein, mit rührender Treue bewahrt sie uns jede noch so
kleine Einzelheit auf: wer zugegen war, wo ein jeder saß, was er in der
Hand hielt: die Wände, die Zimmerecken und jede unbedeutende
Kleinigkeit.

Ganz so erging es Tschitschikow an jenem Abend, alles prägte sich seinem
Gedächtnis tief ein: das freundliche schlicht möblierte Zimmer, der
gutmütige Ausdruck im Gesicht des klugen Hausherrn, ja selbst das
Tapetenmuster, die Pfeife mit dem Bernsteinmundstück, die Platonow
gereicht wurde, der Rauch, den er Jarb in seine dicke Schnauze blies,
Jarbs ärgerliches Schnauben, das Lachen der lieblichen Hausfrau, ihre
vorwurfsvollen Worte: »Laß ihn doch, quäl doch das Tier nicht so.« Die
lustig flackerndern Kerzen, das zirpende Heimchen in der Zimmerecke, die
Glastür, die Frühlingsnacht, die über die hohen Baumwipfel schwebend zu
ihnen hineinblickte, der schwarze mit funkelnden Sternen übersäte
Himmel, und der helle Gesang der Nachtigallen, die ihr Lied aus der
Tiefe grünblättriger Haine laut hinausschmetterten in die herrliche
Nacht ...

»Wie Ihre Reden mein Herz laben! hochverehrter Konstantin
Fjodorowitsch!« sagte Tschitschikow. »Ich kann wohl sagen, ich habe in
ganz Rußland keinen Menschen getroffen, der Ihnen an Verstand
gleichkäme.«

Der andere lächelte, fühlte er doch selbst, daß Tschitschikow unrecht
hatte. »Nein, nein, wenn Sie einen wirklich klugen Menschen kennen
lernen wollen, -- hier ist einer, von dem man tatsächlich sagen kann: --
das ist ein kluger Mensch; ich bin nicht wert, ihm die Schuhriemen
aufzubinden.«

»Wer ist denn das?« fragte Tschitschikow erstaunt.

»Das ist unser Branntweinpächter Murasow.«

»Ich höre schon zum zweiten Mal von ihm!« rief Tschitschikow aus.

»Das ist ein Mensch! Der könnte nicht bloß ein Gut, der könnte einen
ganzen Staat verwalten. Hätte ich ein Königreich, ich würde ihn sofort
zu meinem Finanzminister ernennen.«

»Man sagt, er sei ein Mann, der jeden Maßstab der Wahrscheinlichkeit
übersteigt: er soll sich zehn Millionen erworben haben.«

»Ach was zehn! Die vierzig sind schon überschritten. Bald wird halb
Rußland ihm gehören!«

»Was sagen Sie!« rief Tschitschikow, indem er den Mund öffnete und sein
Gegenüber erstaunt anstarrte.

»Unbedingt! Das ist ganz klar. Wer nur ein paar Hunderttausende besitzt,
der wird langsam reich, wer dagegen Millionen hat, der hat sozusagen
einen gewaltigen Wirkungsradius: was er ergreift, das verdoppelt und
verdreifacht sich in seiner Hand: er hat ein zu weites Feld, einen zu
großen Spielraum. Da gibt's keine Nebenbuhler. Mit ihm kann sich keiner
messen. Er kann die Preise ansetzen, sie können nicht sinken, denn es
ist ja niemand da, der ihn unterbieten könnte.«

»Herrgott, Herrgott!« sagte Tschitschikow und schlug ein Kreuz.
Tschitschikow sah Kostanshoglo ins Auge, und der Atem wollte ihm
ausgehen: »Das ist ja geradezu unfaßbar! Man wird ganz starr vor
Schrecken! Man bewundert die Weisheit der Schöpfung, wenn man einen
Käfer betrachtet; ich für meinen Teil finde es weit wunderbarer, daß
solch gewaltige Summen durch die Hand _eines_ Sterblichen gehen können.
Darf ich Sie noch nach einer Sache fragen: sagen Sie, bei der Gründung
dieses Vermögens ist es doch wohl nicht ganz sauber zugegangen?«

»Im Gegenteil, der Mann steht völlig rein da, er hat sich stets nur der
saubersten Mittel bedient.«

»Das ist unmöglich, das kann ich nicht glauben! Wenn es sich bloß um
Tausende handelte, aber hier geht es um Millionen ...«

»Umgekehrt. Tausende erschwindelt man sich, die Millionen dagegen werden
leicht erworben. Ein Millionär braucht die krummen Wege nicht: er
braucht nur immer geradeauszugehen und zu nehmen, was vor ihm liegt. Ein
andrer kann's eben nicht aufheben, es fehlt ihm die Kraft dazu -- der
Millionär aber hat keine Nebenbuhler, sein Wirkungsradius ist zu groß ..
ich sage Ihnen ja, was er ergreift, verdoppelt und verdreifacht sich ...
Was bringen dagegen ein paar Tausende ... zehn bis zwanzig Prozent.« ...

»Was ich am unbegreiflichsten finde, ist, daß er mit ein paar Kopeken
angefangen haben soll!«

»Das ist nun mal nicht anders. Das ist eben der Lauf der Dinge,« sagte
Kostanshoglo. »Wer reich geboren und erzogen ist, und von Jugend auf
immer mit Tausenden zu tun hat, der erwirbt sich nicht noch was hinzu,
der hat schon allerhand Launen, Bedürfnisse und weiß Gott was noch
alles! Man muß von Anfang an anfangen und nicht mit der Mitte -- mit der
Kopeke und nicht mit dem Rubel -- von unten und nicht von oben: dann
erst lernt man die Welt und die Menschen ordentlich kennen, unter denen
man später leben muß. Wenn man erst das eine und das andre am eignen
Leibe gespürt und die Erfahrung gemacht hat, daß jede Kopeke, wie es
heißt, mit einem Rubel festgenagelt ist, und wenn man erst alles
durchgemacht und alle Prüfungen überstanden hat, dann wird man klug und
besitzt Erfahrung genug, um keine Schnitzer zu machen und bei seinen
Unternehmungen nicht Schiffbruch zu leiden. Glauben Sie mir, ich spreche
die Wahrheit. Man muß von Anfang anfangen und nicht mit der Mitte. Wer
mir sagt: >Gib mir hunderttausend Rubel, dann sollst du sehen, wie
schnell ich reich werde,< dem glaube ich nicht; der spekuliert auf das
Glück und geht nicht sicher. Man muß mit der Kopeke anfangen.«

»In diesem Falle müßte ich einmal sehr reich werden,« versetzte
Tschitschikow und mußte unwillkürlich an die toten Seelen denken: »denn
ich fange in der Tat mit nichts an.«

»Konstantin, es ist wirklich Zeit, daß wir Pawel Iwanowitsch etwas Ruhe
gönnen; er will sicher schlafen gehen,« sagte die Hausfrau, »du aber
plauderst immer weiter.«

»Natürlich werden Sie reich werden,« erwiderte Kostanshoglo, ohne auf
seine Frau zu hören. »Passen Sie auf, das Gold wird Ihnen noch einmal in
Strömen zufließen. Sie werden gar nicht wissen, wo Sie damit hin
sollen.«

Pawel Iwanowitsch war ganz wie verzaubert, er schwebte wie in einem
herrlichen Reiche schmeichelnder Träume und Hoffnungen. Es war ihm ganz
wirr im Kopfe. Seine feurige Einbildungskraft webte goldene Blumen in
den silbernen Teppich seines mächtig anschwellenden Reichtums, und immer
wieder klangen ihm Kostanshoglos Worte in den Ohren: »Das Gold wird
Ihnen noch einmal in Strömen zufließen.«

»Wirklich Konstantin, für Pawel Iwanowitsch ist es Zeit schlafen zu
gehen.«

»Was hast du nur? Geh doch schlafen, wenn du Lust hast,« sagte der
Hausherr und hielt inne; Platonow schnarchte so laut, daß das ganze
Zimmer dröhnte, und neben ihm lag Jarb, der fast noch lauter schnarchte,
als sein Herr. Jetzt erst merkte Kostanshoglo, daß es in der Tat Zeit
zum Schlafengehen war, er rüttelte daher Platonow auf und sagte:
»Schnarch doch nicht so!«, dann wünschte er Tschitschikow eine gute
Nacht, alle gingen auseinander, und bald lag jeder in seinem Bett in
tiefen Schlaf versunken.

Nur Tschitschikow konnte nicht einschlafen. Seine Gedanken wollten nicht
zur Ruhe kommen. Er sann unaufhörlich darüber nach, wie er es anfangen
sollte, der Besitzer eines wirklichen, echten und keines bloß
eingebildeten oder phantastischen Gutes zu werden. Nach dem Gespräch mit
dem Hausherrn war ihm mit einem Male alles klar! Die Möglichkeit, reich
zu werden, lag in greifbarer Deutlichkeit vor ihm! Der so schwierige
Beruf des Landwirts erschien ihm plötzlich so leicht, so einfach und
natürlich, und ganz wie geschaffen für seine Natur! Wenn er nur erst
seine Hypothek auf diese Toten hätte und Besitzer eines reellen Gutes
wäre. Schon sah er sich im Geist alles verwalten und lenken -- ganz wie
Kostanshoglo es ihn gelehrt hatte -- gewandt, umsichtig und sicher, ohne
vorzeitige Neuerungen einzuführen, ehe er das Alte gründlich kennen
gelernt hatte; alles sah er sich mit eigenen Augen an, er kannte alle
Bauern persönlich, versagte sich jeden Luxus und Überfluß und widmete
sich allein der Arbeit und dem Haushalt. Er genoß schon im voraus die
große Freude, die ihn erwartete, wenn überall strenge Ordnung herrschen,
alle Räder der Wirtschaftsmaschine sich munter bewegen und eins das
andere vorwärts stoßen und zur Tätigkeit anspornen würde. Überall Leben
und geschäftige Tätigkeit; wie in einer lustig klappernden Mühle sich
das Korn im Handumdrehen verwandelt, so sollten in seiner Mühle alle
Abfälle und jeglicher Plunder zu Staub zermahlen werden, um als bares
Geld wieder herauszukommen. Sein wunderbarer Gastfreund stand beständig
vor ihm und verließ ihn keinen Augenblick. Das war der erste Mann in
ganz Rußland, vor dem er eine ganz persönliche Hochachtung empfand. Bis
auf den heutigen Tag hatte er einen Menschen nur wegen seiner Titel und
Würden oder weder seines hohen Einkommens geachtet: des Verstandes wegen
hatte er eigentlich noch nie jemand besonders hoch geschätzt.
Kostanshoglo war der erste Mann, mit dem es ihm anders ging.
Tschitschikow fühlte, daß er sich mit diesem Menschen auf keine Kniffe
und Kunststücke einlassen dürfe, und daher beschäftigte ihn jetzt ein
ganz anderes Projekt -- der Ankauf des Chlobujewschen Gutes. Er besaß
selbst zehntausend Rubel, fünfzehntausend hoffte er von Kostanshoglo
leihen zu können; hatte dieser doch selbst erklärt, er sei bereit, jedem
zu helfen, der zu Reichtum und Wohlstand kommen wolle; den Rest --
dachte er durch eine Hypothek zu decken, schlimmstenfalls aber konnte er
den Verkäufer warten lassen. Das ging schließlich auch: mochte jener
sich doch mit den Gerichten herumplagen, wenn es ihm Spaß machte! Und
lange noch lag er so da und dachte darüber nach, bis schließlich
Morpheus, der, wie man zu sagen pflegt, das ganze Haus schon vier
Stunden lang in seinen Armen hielt, sich auch seiner erbarmte. Bald war
Tschitschikow in einen tiefen Schlaf versunken.


                            Viertes Kapitel.

Am folgenden Tage ging alles, wie es sich nicht besser wünschen ließ.
Kostanshoglo schoß Tschitschikow bereitwilligst zehntausend Rubel vor,
ohne Zinsen oder eine Bürgschaft zu verlangen; dieser mußte ihm bloß
eine gewöhnliche Quittung ausstellen: so gern half er jedem, der sich
Besitz und Wohlstand erwerben wollte. Aber mehr noch; er erbot sich,
Tschitschikow persönlich zu Chlobujew zu begleiten, um das Gut mit ihm
zusammen in Augenschein zu nehmen. Tschitschikow war in der besten
Laune. Nach einem reichlichen Frühstück machten sich alle auf den Weg,
nachdem alle drei in Pawel Iwanowitschs Wagen Platz genommen hatten: die
leeren Kutschen des Hausherrn folgten ihnen in einiger Entfernung nach.
Jarb lief voraus und scheuchte die Vögel am Wege. Fünfzehn Werst lang
sah man auf beiden Seiten nichts als Wälder und Ackerland, das zu
Kostanshoglos Gute gehörte. Sowie aber dieses zu Ende war, änderte sich
das Bild ganz plötzlich; das Korn stand niedrig, und statt der Wälder
erblickte man überall nichts als Baumstümpfe. Trotz der hübschen Lage
merkte man es dem Nachbargut an, daß es schon lange Zeit vernachlässigt
worden war. Zuerst kam man an einem neuen steinernen Hause vorüber, das
aber unbewohnt war, denn es war noch nicht vollendet; auf dieses folgte
ein zweites bewohntes, das dem Gutsherrn gehörte. Die Gäste fanden den
Gutsherrn noch ungekämmt und verschlafen; er war nämlich erst vor kurzem
aufgestanden. Er mochte etwa vierzig Jahre alt sein; sein Halstuch saß
schief, sein Rock war geflickt, und der eine Stiefel hatte ein Loch.

Er war hocherfreut über die Ankunft der Gäste, als ob Gott weiß was
geschehen wäre: man hätte glauben können, er sähe seine Brüder nach
langer Trennung zum ersten Male wieder.

»Konstantin Fjodorowitsch! Platon Michailowitsch! Nein solch eine
Freude. Ich muß mir wirklich die Augen reiben! Ich dachte schon, zu mir
kommt keiner mehr. Jeder geht mir aus dem Wege, wie der Pest: alle Leute
denken, ich will sie um Geld anbetteln. Ja, ja, Konstantin
Fjodorowitsch. Das Leben ist schwer. Ich sehe -- ich bin selbst schuld
an allem. Aber, was soll ich tun? Ich lebe wie ein Schwein. Verzeihen
Sie bitte, meine Herren, daß ich Sie in einem solchen Kostüm empfange:
Sie sehen, meine Stiefel sind durchlöchert. Was darf ich Ihnen
vorsetzen?«

»Bitte, ganz ohne Umstände! Wir wollen ein Geschäft mit Ihnen machen.
Hier haben Sie einen Käufer für Ihr Gut; Pawel Iwanowitsch
Tschitschikow,« sagte Kostanshoglo.

»Ich freue mich von Herzen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bitte, lassen
Sie mich Ihre Hand drücken!«

Tschitschikow reichte ihm beide Hände.

»Ich würde Ihnen gern mein Gut zeigen, verehrtester Pawel Iwanowitsch,
es ist sehr interessant ... Aber darf ich zuvor fragen, meine Herren, ob
Sie auch gegessen haben?«

»Freilich haben wir gegessen,« versetzte Kostanshoglo, der ihn möglichst
schnell los sein wollte. »Wir wollen keine Zeit verlieren und das Gut
gleich jetzt besichtigen.«

»Gut, dann wollen wir gehen.« Chlobujew nahm seine Mütze in die Hand.
»Kommen Sie, Sie sollen selbst sehen, wie unordentlich und liederlich
ich bin.«

Die Gäste setzten ihre Hüte auf und schritten die Dorfstraße hinab.

Zu beiden Seiten der Straße standen finstere elende Hütten mit winzigen
Fenstern, die mit alten Lappen zugestopft waren.

»Ja, kommen Sie, Sie sollen selbst sehen, wie unordentlich und
liederlich ich bin,« sagte Chlobujew. »Es war natürlich sehr vernünftig
von Ihnen, daß Sie schon gegessen haben. Sie werden mir's nicht glauben,
Konstantin Fjodorowitsch, ich habe nicht einmal ein Huhn mehr im Hause,
soweit ist's mit mir gekommen!«

Er seufzte, und da er wohl ahnte, daß er bei Konstantin Fjodorowitsch
nur wenig Teilnahme finden werde, nahm er Platonow unter den Arm und
ging mit ihm voraus, indem er seine Hand kräftig an sich drückte,
Kostanshoglo und Tschitschikow blieben ein wenig zurück und folgten
ihnen Arm in Arm in einiger Entfernung.

»Man hat's nicht leicht, Platon Michailowitsch, wahrhaftig!« sagte
Chlobujew zu Platonow. »Sie können sich's garnicht vorstellen, wie
schwer man es hat! Kein Geld, kein Korn, keine Stiefel -- für Sie sind
das freilich alles bloß Worte einer fremden Sprache. Das wäre natürlich
nicht so schlimm, wenn man noch jung und unverheiratet wäre. Aber wenn
all diese Sorgen und dies Ungemach einen im Alter überfallen und man hat
noch dazu ein Weib und fünf Kinder -- dann verliert man den Mut, ob man
will oder nicht ...«

»Und wenn Sie das Gut verkaufen -- glauben Sie, daß Ihnen damit geholfen
wäre?« fragte Platonow.

»Ach was! Geholfen!« versetzte Chlobujew mit einer hoffnungslosen
Gebärde. »Es wird _doch_ alles bei der Bezahlung der Schulden
draufgehen, ich selbst werde keine tausend Rubel übrig behalten!«

»Und was wollen Sie dann anfangen?«

»Das weiß Gott allein.«

»Warum tun Sie denn gar nichts, um aus diesen Verhältnissen
herauszukommen?«

»Was soll ich denn machen?«

»Nehmen Sie doch irgend eine Stellung an.«

»Ich habe ja keinen Rang und keine Titel. Was kann ich für eine Stellung
annehmen? Ich kann höchstens einen ganz unbedeutenden Posten erhalten.
Und was soll ich mit einem Gehalt von fünfhundert Rubeln anfangen? Ich
habe doch eine Frau und fünf Kinder.«

»Nehmen Sie doch eine Stellung als Verwalter auf einem Gute an.«

»Wer wird mir denn sein Gut anvertrauen, wo ich selbst alles
durchgebracht habe!«

»Ja aber man muß doch etwas unternehmen, wenn man vor dem Hungertode
steht. Ich will meinen Bruder fragen, ob er Ihnen nicht durch irgend
einen Bekannten eine Stelle in der Stadt verschaffen kann.«

»Nein, Platon Michailowitsch,« sagte Chlobujew seufzend und drückte
Platonow kräftig die Hand. »Ich tauge doch zu nichts mehr! Ich bin
vorzeitig alt geworden, und leide an Kreuzschmerzen und an Rheumatismus.
Das sind die alten Sünden! Was kann ich denn leisten? Wozu soll ich den
Staat plündern? Es gibt jetzt ohnedies genug Leute, die nur deshalb in
den Staatsdienst treten, weil sie ein warmes Plätzchen haben wollen.
Gott behüte! Ich will nicht, daß den armen Leuten noch neue Steuern
aufgehalst werden, damit ich nur mein Gehalt ausbezahlt bekomme!«

»Das sind die Folgen seiner ausschweifenden Lebensweise!« dachte
Platonow. »Das ist noch schlimmer als meine Lethargie.«

Während sie so sprachen, ging Kostanshoglo mit Tschitschikow hinter
ihnen her; er war ganz außer sich vor Wut.

»Da, sehen Sie,« sagte er, indem er mit dem Finger auf das Dorf wies:
»was er aus den Bauern gemacht hat! Dieses Elend! Nicht mal Pferd und
Wagen haben sie mehr. Wenn eine Viehseuche im Lande ausbricht, -- dann
darf man nicht mehr an sein eigenes Hab und Gut denken: da verkauft man
eben alles und schafft neues Vieh für den Bauer an, damit er auch nicht
_einen_ Tag ohne die notwendigen Arbeitswerkzeuge bleibt. Aber das da
läßt sich nicht so schnell wieder gut machen. Dazu braucht man viele
Jahre. Der Bauer ist ja auch schon ganz verändert, er bummelt und säuft.
Wenn man ihn nur ein einziges Jahr lang ohne Arbeit sitzen läßt, dann
hat man ihn für alle Zeiten verdorben: er gewöhnt sich daran, in Lumpen
herumzulaufen und findet Geschmack am Vagabundenleben ... Und sehen Sie
einmal das Land an. Nun was sagen Sie,« fuhr er fort, indem er auf die
Wiesen deutete, die gleich hinter den Hütten sichtbar wurden. »Alles
Land, das jedes Frühjahr überschwemmt ist. Ich würde da Flachs säen, der
mir allein fünftausend Rubel einbringen würde, und dann würde ich Rüben
pflanzen, die mir noch einmal viertausend eintragen müßten ... Sehen Sie
sich bloß einmal den Roggen dort am Abhange an; da hat einer ein paar
Körner verschüttet. Denn er hat ja doch kein Korn gesät -- das weiß ich.
Und dort -- diese Schlucht! Da würde ich einen Wald anlegen. Die Stämme
sollten mir bald bis an den Himmel reichen. Und so einen Schatz, so ein
herrliches Stück Land läßt er brach liegen! Wenn man schon keinen Pflug
hat, um es zu pflügen, dann nimmt man den Spaten, gräbt es um und
pflanzt Gemüse darauf. Das gäbe einen prächtigen Gemüsegarten! Aber man
muß den Spaten selbst in die Hand nehmen, muß Frau und Kinder und alle
Dienstboten zu Hilfe nehmen, und arbeiten bis man hinfällt! Und wenn man
schließlich selbst dabei zugrunde geht, dann hat man doch wenigstens
seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit getan, und ist doch nicht
krepiert wie ein Schwein, weil man sich bei Tisch zu voll gefressen
hat!« Hier spuckte Kostanshoglo zornig aus und eine finstere Wolke
umschattete seine Stirn.

Als sie sich dem Abhang näherten und in die mit wildem Beifuß bewachsene
Schlucht hinabsahen, da leuchtete plötzlich eine Windung des Flusses
hell auf, hinter ihm erhob sich ein dunkler Gebirgszug, und ein Teil vom
Hause des Generals Betrischtschew, das in der Perspektive viel näher
erschien, tauchte aus dem Gebüsch auf. Dahinter bemerkte man einen
lockigen, mit Wald bewachsenen Berg, der in der Entfernung bläulich
flimmerte. Dieser Berg brachte Tschitschikow auf den Gedanken, das
könnte wohl das Gut Tentennikows sein, und er sagte, »wenn man hier
einen Wald anpflanzen würde, -- dann gäbe es einen Anblick, der sich,
was Schönheit anbelangt, ruhig mit ....«

»Ach! Sie sind ein Freund von schönen Ausblicken,« sagte Kostanshoglo
plötzlich, und sah ihn sehr streng an. »Nehmen Sie sich in acht, wenn
Sie zuviel auf die schöne Aussicht geben, können Sie eines Tages ohne
Brot und auch ohne alle Aussichten dasitzen. Fragen Sie lieber nach dem
Nutzen und nicht nach der äußeren Schönheit. Die Schönheit wird schon
von selbst kommen. Das beste Beispiel sind die Städte: die
allerschönsten Städte sind die, welche gleichsam von selbst aus dem
Boden gewachsen sind, wo jeder sich ein Haus nach seinem eigenen
Geschmack und Bedürfnis gebaut hat. Die Städte dagegen, die alle nach
einer Schablone gebaut sind, -- sehen aus wie Kasernen. Vergessen Sie
die Schönheit und denken Sie vor allem an den Nutzen und an Ihre
Bedürfnisse.«

»Wie schade, daß man so lange warten muß! Man möchte alles recht schnell
so sehen, wie man es zu haben wünscht ...«

»Sie sind doch kein fünfundzwanzigjähriger Jüngling ...! Man merkt
gleich den Petersburger Beamten ...! Geduld! Arbeiten Sie mal erst sechs
Jahre nacheinander. Pflanzen, säen, graben Sie, ohne einen Augenblick
auszuruhen. Es ist schwer, gewiß, es ist sogar _sehr_ schwer. Aber wenn
Sie den Boden erst einmal gründlich aufgerüttelt haben, sodaß er Ihnen
selbst hilft, so ist das gleich eine ganz andre Sache, als Ihre .... Ja,
ja, Verehrtester, dann werden Sie merken, daß außer Ihren _siebzig_ noch
_siebenhundert_ andre, _unsichtbare_ Hände an der Arbeit waren! Alles
verzehnfacht sich! Ich brauchte jetzt keinen Finger zu rühren -- und
doch ginge alles wie von selbst. Ja die Natur liebt die Geduld: das ist
ein Gesetz, das uns der Herr selbst gegeben hat, _Er_ der die Geduldigen
selig pries.«

»Wenn man Sie reden hört, dann fühlt man neue Kraft durch seine Adern
rinnen. Man bekommt Mut und Lust zum Schaffen!«

»Sehen Sie doch, wie das Stück Land dort gepflügt ist!« rief
Kostanshoglo mitleidig und bitter aus, indem er auf den Abhang zeigte.
»Ich kann es hier nicht länger aushalten; diese Unordnung und
Verwahrlosung bringt mich um. Sie können den Kauf mit ihm auch ohne mich
abschließen. Nehmen Sie diesem Narren diesen Schatz so schnell als
möglich ab. Er schändet bloß Gottes herrliche Natur!« Kostanshoglo war
sehr aufgeregt und sah finster und ärgerlich drein. Er nahm Abschied von
Tschitschikow, holte Chlobujew ein und verabschiedete sich gleichfalls
von ihm.

»Aber ich bitte Sie, Konstantin Fjodorowitsch!« sagte der Hausherr
erstaunt, »Sie sind doch erst eben gekommen und wollen schon wieder
fort!«

»Ich kann nicht länger bleiben. Ich muß unbedingt wieder nach Hause
fahren,« versetzte Kostanshoglo. Er verabschiedete sich, stieg in den
Wagen und fuhr davon.

Chlobujew schien den Grund seines plötzlichen Verschwindens begriffen zu
haben.

»Konstantin Fjodorowitsch hat's nicht ausgehalten,« sagte er, »für einen
so tüchtigen Landwirt wie er ist es freilich kein Vergnügen, diese
schreckliche Wirtschaft mit anzusehn. Glauben Sie mir, Pawel
Iwanowitsch, ich habe in diesem Jahr nicht einmal Korn gesät. Mein
Ehrenwort! Ich hatte keinen Samen, ganz abgesehen davon, daß ich keinen
Pflug und kein Pferd habe, um zu pflügen. Man sagt, Ihr Bruder sei ein
so vorzüglicher Wirt, Platon Michailowitsch; von Konstantin
Fjodorowitsch will ich gar nicht reden! -- Das ist ein Napoleon in
seinem Fach. Ich habe mich schon oft gefragt: Warum mußten sich soviel
Geist und Verstand in einem Kopfe vereinigen. Warum konnte nicht auch
für meinen Schädel wenigstens ein Tröpfchen übrig bleiben. Nehmen Sie
sich in acht, meine Herren; beim Übergang über diesen Steg ist die
größte Vorsicht geboten, wenn Sie nicht in die Pfütze plumpsen wollen.
Ich habe im Frühjahr die Bretter ausbessern lassen ... Am meisten tun
mir meine armen Bauern leid ... sie brauchen ein gutes Beispiel, aber
was kann _ich_ ihnen für ein Beispiel geben? Was soll ich machen? Nehmen
Sie sie mir ab, Pawel Iwanowitsch. Wie soll ich sie an Ordnung gewöhnen,
wenn ich selbst ein so unordentlicher Mensch bin? Ich hätte sie am
liebsten ganz freigelassen, aber das hätte ja auch keinen Sinn. Ich weiß
sehr gut, daß man erst _andre Menschen_ aus ihnen machen muß, Menschen,
die zu leben verstehen. Dazu bedürfte es eines gerechten und strengen
Mannes, der immer mit ihnen zusammenlebt und sie durch sein eigenes
Beispiel und seine unermüdliche Tätigkeit ... Ein Russe -- das sehe ich
an mir selbst -- kann nicht ohne einen Menschen auskommen, der ihn
aufmuntert und anspornt, sonst schläft er ein und versauert.«

»Seltsam,« sagte Platonow, »woran liegt das bloß; daß der Russe immer
gleich einschläft, und daß der gemeine Mann ein Taugenichts und ein
Trunkenbold wird, wenn man ihn aus dem Auge läßt!«

»Das macht der Mangel an Bildung,« bemerkte Tschitschikow.

»Weiß Gott, woran das liegt. Wir haben doch auch eine gewisse Bildung,
haben die Universität besucht, und wozu taugen wir? Was habe ich zum
Beispiel gelernt? Verstehe ich es denn zu leben, eher habe ich es
gelernt, mein Geld für allerhand Luxus und überflüssige Finessen
auszugeben; und ich kenne bloß solche Dinge, die einen Geld kosten? --
Aber glauben Sie nur nicht, daß das daher kommt, weil ich einen
schlechten Unterricht genossen habe. -- Durchaus nicht, der Unterricht
war nicht schlechter als der meiner Kameraden. Zweien oder dreien von
ihnen hat er ja auch genützt, aber vielleicht nur deshalb, weil sie auch
ohnedies gescheit und begabt genug waren, die übrigen haben für nichts
Interesse, als wie man seine Gesundheit ruiniert und andern Leuten ihr
Geld abnimmt. Bei Gott. Wissen Sie, was ich glaube: mitunter kommt es
mir fast so vor, als ob der Russe -- ein verlorener Mensch ist. Wir
wollen alles und können nichts. Alles verschieben wir auf morgen, dann
nehmen wir uns vor, ein neues Leben zu beginnen, und strenge Diät zu
halten; ja prosit, noch am selben Abend schlägt man sich den Bauch so
voll, daß einem die Augenlider zusinken und man die Zunge kaum bewegen
kann -- dann sitzt man da wie eine Eule und glotzt die andern Leute an
-- wahrhaftig. Und so sind wir alle!«

»Ja,« sagte Tschitschikow lächelnd, »so was kann vorkommen!«

»Wir sind garnicht zum Vernünftigsein geboren. Ich glaube nicht, daß es
vernünftige Menschen unter uns gibt. Selbst wenn ich mit meinen eigenen
Augen sehe, daß ein Mensch ein geordnetes Leben führt, Geld verdient und
erspart, dann traue ich ihm trotzdem nicht. Lassen Sie ihn erst einmal
alt werden, früher oder später fällt er doch dem Teufel in die Krallen
und bringt seinen letzten Heller durch. Und so sind alle: die Gebildeten
wie die Ungebildeten. Nein, es fehlt uns eben noch etwas, ich weiß
freilich selbst nicht recht, was es ist.«

Auf dem Rückwege genoß man denselben Anblick. Eine grauenhafte Unordnung
machte sich überall in unangenehmer Weise bemerkbar. Das einzige Neue
war eine große Pfütze inmitten der Straße. Alles bot das Bild einer
furchtbaren Verwilderung und Vernachlässigung dar: beim Gutsherrn wie
beim Bauern. Ein böses Weib in einem fettigen groben Leinenrock hatte
ein kleines Mädchen halbtot geprügelt und schimpfte nun, was das Zeug
hält, auf eine dritte Person, indem sie alle Teufel zu Hilfe rief. Etwas
weiter standen zwei Bauern und sahen mit stoischem Gleichmut zu, wie das
betrunkene Weib sich ereiferte und schimpfte. Der eine kratzte sich die
hintere Partie und der andere gähnte. Dieses Gähnen schien sich auch den
Häusern und Gebäuden mitzuteilen, selbst die Dächer schienen zu gähnen.
Dieser Anblick wirkte ansteckend auf Platonow, er konnte sich nicht
enthalten gleichfalls zu gähnen. -- Ein Flicken saß auf dem andern. Bei
einer Hütte ersetzte ein Haustor das Dach, die morschen, eingefallenen
Fensterrahmen wurden von Stangen gestützt, welche aus der
herrschaftlichen Scheune entwendet waren. Wie man sieht, hielt man sich
im Haushalt an das System der Fabel von »Trischkas Kaphtan«, man trennte
die Aufschläge und Rockschöße ab, um die Löcher im Ärmel zu stopfen.

»Das ist gerade kein beneidenswerter Zustand,« sagte Tschitschikow, als
sie nach gründlicher Besichtigung vor dem Hause anlangten ... Man begab
sich ins Zimmer, und die Gäste waren erstaunt über die seltsame Mischung
von Armut und dem Flitterglanz eines modernen Luxus. Auf dem Tintenfaß
saß eine Figur, die wohl Shakespeare darstellen sollte, auf dem Tische
lag ein eleganter Elfenbeinstift, mit dem sich der Hausherr den eigenen
Rücken kratzte. Die Hausfrau war modern und geschmackvoll gekleidet, sie
sprach von der Stadt, und vom Theater, das dort gerade eröffnet worden
war. Die Kinder waren lustig und munter. Die Knaben und die Mädchen
trugen hübsche und geschmackvolle Kleider. Es wäre freilich besser
gewesen, sie hätten bunte Leinenröcke und schlichte Hemdchen angezogen,
und wären im Hofe herumgelaufen ganz wie die einfachen Bauernkinder.
Bald erschien auch eine Dame, die der Hausfrau einen Besuch machte, eine
schreckliche Schwätzerin, die furchtbar viel unnützes und törichtes Zeug
plapperte. Die Damen zogen sich zurück, und die Kinder liefen gleich
darauf auch fort. Die Herren blieben allein im Zimmer.

»Also, was ist Ihr Preis?« sagte Tschitschikow. »Ich muß gestehen, es
wäre mir lieb den äußersten Preis zu erfahren, denn das Gut ist in einer
viel schlechteren Verfassung, als ich annahm.«

»Oh, in der allerschlechtesten Verfassung, Pawel Iwanowitsch,« versetzte
Chlobujew. »Aber das ist noch nicht alles. Ich will Ihnen nichts
verheimlichen: von den hundert Seelen, die in der Revisionsliste stehen,
sind nur noch fünfzig am Leben; die Cholera hat bei uns furchtbar
aufgeräumt; der Rest ist ohne Paß davongelaufen. Sie können Sie auch zu
den Toten zählen; wenn man sie von Gerichts wegen zurückholen wollte,
dann würde das solche Unkosten verursachen, daß das ganze Gut den
Gerichten verfiele. Ich fordere daher auch nur fünfunddreißigtausend.«

Tschitschikow fing natürlich an zu handeln.

»Ich bitte Sie? Fünfunddreißigtausend! Fünfunddreißigtausend für so ein
Gut! Nein sagen wir doch lieber fünfundzwanzigtausend.«

Platonow wurde verlegen. »Kaufen Sie es nur, Pawel Iwanowitsch,« sagte
er. »Für so ein Gut kann man schon eine solche Summe bezahlen. Wenn Sie
keine fünfunddreißigtausend dafür geben wollen, dann kaufen wir es, mein
Bruder und ich.«

»Also gut, ich bin einverstanden,« sagte Tschitschikow ganz erschrocken.
»Nur eins; ich kann die Hälfte der Summe erst nach einem Jahr bezahlen.«

»Nein, Pawel Iwanowitsch! Darauf kann ich mich leider in keinem Fall
einlassen; Sie müssen mir gleich jetzt die Hälfte geben, und die andre
in spätestens zwei Wochen. Die Bank würde mir ja dies Geld auszahlen,
wenn ich nur soviel hätte, um ...«

»Ja, wie denn nur? Ich weiß wirklich nicht,« sagte Tschitschikow, »ich
habe ja überhaupt nur zehntausend Rubel flüssig.« Er log. Wenn man das
von Kostanshoglo entliehene Geld hinzurechnete, verfügte er im ganzen
über zwanzigtausend Rubel. Aber man entschließt sich bekanntlich nicht
leicht, eine so große Summe auf den Tisch zu legen.

»Nein; ich bitte Sie, Pawel Iwanowitsch. Ich versichere Ihnen, ich
brauche unbedingt fünfzehntausend.«

»Ich will Ihnen fünftausend Rubel leihen,« unterbrach ihn Platonow.

»Unter diesen Umständen könnte ich's vielleicht wagen!« sagte
Tschitschikow und dachte sich: »Hm, das trifft sich aber gut, daß er mir
was leihen will.« Er ließ sich seine Schatulle aus dem Wagen bringen und
nahm sofort die für Chlobujew bestimmten zehntausend Rubel heraus; die
übrigen fünftausend versprach er ihm morgen mitzubringen; wohl gemerkt,
er _versprach_ es nur, in Wahrheit wollte er ihm nur dreitausend geben,
den Rest dachte er ihm später nach zwei oder drei Tagen auszuhändigen;
wenn es ging, wollte er ihn jedoch noch länger warten lassen. Pawel
Iwanowitsch wurde es ganz _besonders_ schwer, sich von seinem Gelde zu
trennen. Wenn es aber unbedingt notwendig war, so schien es ihm immer
noch besser, das Geld wenigstens _einen_ Tag später, als verabredet,
auszuzahlen. Das heißt, eigentlich machte er es genau so, wie wir alle.
Es macht uns doch allen Spaß, unseren Schuldner etwas warten zu lassen:
mag er sich doch seine Absätze ablaufen und eine Weile im Vorzimmer
sitzen! Als ob er wirklich durchaus nicht mehr warten könnte! Was geht
es uns an, daß ihm vielleicht jede Stunde teuer ist, und daß seine
Geschäfte darunter leiden! »Kommen Sie nur morgen wieder, Verehrtester,
heute habe ich leider keine Zeit!«

»Und wohin wollen Sie ziehen, wenn das Gut verkauft ist?« fragte
Platonow Chlobujew. »Haben Sie denn noch ein andres Gütchen?«

»Nein, ich muß schon in die Stadt übersiedeln, dort habe ich ein eigenes
Häuschen. Ich hätte das ja auch ohnedies machen müssen: wenn nicht für
mich, so um meiner Kinder willen: sie müssen doch was lernen, ich muß
ihnen einen Religionslehrer, einen Tanzlehrer und Musiklehrer halten. Wo
wollen Sie die auf dem Lande hernehmen?«

»Er hat keinen Bissen Brot im Hause, und will seinen Kindern
Tanzunterricht geben lassen!« dachte Tschitschikow.

»Merkwürdig!« dachte Platonow.

»Aber wir müssen doch unser Geschäft auch begießen!« sagte Chlobujew:
»He Kirjuschka! Hol doch mal schnell eine Flasche Champagner!«

»Er hat kein Stück Brot im Hause, dafür aber Champagner!« dachte
Tschitschikow.

Platonow wußte dagegen überhaupt nicht, was er denken sollte.

Zu seinem Champagner war Chlobujew fast gegen seinen Willen gekommen. Er
hatte in die Stadt nach Kwas schicken lassen, aber im Kaufladen wollte
man ihm keinen Kwas[5] leihen. Was sollte er tun? Man mußte am Ende doch
seinen Durst stillen. Da erschien ein französischer Weinreisender aus
Petersburg, der überließ seinen Wein allen Leuten auf Kredit. So blieb
denn Chlobujew nichts übrig, und er mußte ihm auch ein paar Flaschen
Champagner abnehmen.

[Fußnote 5: Eine Art Weißbier.]

Der Champagner stand bald auf dem Tische. Jeder trank drei Gläser, und
die Stimmung wurde bald animiert, Chlobujew taute auf, wurde
liebenswürdig und geistreich und ließ eine Menge Anekdoten und Witze vom
Stapel. Aus seinen Reden sprach eine große Welt- und Menschenkenntnis!
Wie scharf und richtig faßte er die Dinge auf, wie sicher und treffend
konnte er die Gutsherren aus der Nachbarschaft mit ein paar Worten
charakterisieren, wie klar erkannte er all ihre Fehler und Mängel, wie
gut war ihm die Geschichte aller Gutsbesitzer, die sich ruiniert hatten,
bekannt; wie komisch und originell wußte er ihre kleinen Eigenheiten und
Gewohnheiten zu beschreiben: die Gäste waren ganz bezaubert von seiner
Unterhaltung, und hätten ihn bereitwilligst für den Gescheitesten aller
Menschen erklärt.

»Ich verstehe nicht, wie Sie bei soviel Geist und Verstand nicht Mittel
und Wege finden, um sich zu helfen,« sagte Tschitschikow.

»An den Mitteln fehlt es mir nicht,« sagte Chlobujew und rückte sogleich
mit einem ganzen Haufen von Projekten heraus. Aber sie waren alle so
unsinnig, so seltsam, und ließen so sehr jegliche Welt- und
Menschenkenntnis vermissen, daß man nur mit den Achseln zucken und sagen
konnte: »Herrgott! welch eine unendliche Kluft liegt doch zwischen der
Welt- und Menschenkenntnis und der Fähigkeit, sie auszunutzen!« All
seine Pläne hatten zur Voraussetzung, daß er sich plötzlich hundert-
oder sogar zweihunderttausend Rubel verschaffen könnte. Wenn ihm das
gelänge, dann glaubte er, würde alles in den rechten Gang kommen, die
Wirtschaft würde aufblühen, alle Löcher würden sich verstopfen lassen,
die Einkünfte würden sich vervierfachen, und bald würde er auch in der
Lage sein, all seine Schulden zu bezahlen. Und er schloß seine Rede mit
folgenden Worten: »Aber was soll man machen? Es gibt halt keinen solchen
edlen Mann, der sich entschließen würde, mir zweihundert- oder
meinetwegen auch nur hunderttausend Rubel zu leihen. Es ist wohl nicht
Gottes Wille.«

»Das fehlte noch, daß Gott solch einem Narren zweimalhunderttausend
Rubel in den Schoß werfen sollte!« dachte Tschitschikow.

»Ich habe ja freilich noch eine Tante, eine dreifache Millionärin,«
sagte Chlobujew, »eine sehr fromme alte Dame: für Kirchen und Klöster
hat sie immer was übrig, aber wenn's gilt, seinem Nächsten zu helfen,
dann ist sie sehr spröde. Wissen Sie, so eine Tante alten Schlages, es
lohnt sich schon, sie einmal näher anzusehen. Sie hat allein gegen
vierhundert Kanarienvögel, dazu Möpse, Gesellschafterinnen und Bediente,
wie man sie heute garnicht mehr findet. Der jüngste ihrer Diener ist
mindestens sechzig Jahre alt, trotzdem sie ihn immer: »He Bursche!«
ruft. Wenn sich ein Gast nicht so benimmt, wie sie es wünscht, dann läßt
sie bei Tisch die Schüssel an ihm vorbeigehen, und die Bedienten tun
natürlich, was sie befiehlt. Na, was sagen Sie?«

Platonow lächelte.

»Und wie ist ihr Familienname?« fragte Tschitschikow.

»Sie wohnt in unserm Städtchen und heißt Alexandra Iwanowna
Chanassarowa.«

»Warum wenden Sie sich denn nicht an sie?« fragte Platonow teilnehmend.
»Ich meine, wenn sie sich in die Lage Ihrer Familie versetzte, könnte
sie es Ihnen garnicht abschlagen.«

»O nein. Das bringt sie doch fertig. Meine Tante hat eine recht robuste
Natur. Die Alte ist hart wie ein Kieselstein, Platon Michailowitsch!
Außerdem sind aber noch genug andre Leute da, die sich bei ihr
einzuschmeicheln suchen und beständig um sie herum sind. Da ist sogar
einer, der es auf einen Gouverneursposten abgesehen hat und sich für
einen Verwandten ausgibt .... Tu mir den Gefallen,« sagte er plötzlich
zu Platonow, »nächste Woche gebe ich ein Diner, zu dem ich alle
Honoratioren der Stadt einladen will.«

Platonow riß die Augen auf. Er wußte noch nicht, daß es in Rußland -- in
den Residenzen und Provinzstädten -- solche Lebenskünstler gibt, deren
Existenz ein unauflösliches Rätsel bildet. So ein Mann hat sein ganzes
Vermögen durchgebracht, steckt bis über die Ohren in Schulden, weiß
nicht, wo er einen Groschen hernehmen soll und gibt dennoch plötzlich
ein großes Diner. Alle Teilnehmer an diesem Fest behaupten, es sei das
letzte, morgen werde der Hausherr in den Schuldturm kommen. Aber siehe
da: es vergehen zehn Jahre -- unser Hexenmeister behauptet nach wie vor
seinen Platz in der Gesellschaft, steckt tiefer in Schulden denn je, und
gibt noch immer Diners, von denen alle Gäste glauben, es seien die
letzten, und noch immer ist alles überzeugt, daß der Hausherr morgen in
den Schuldturm kommen werde.

Chlobujews Haus in der Stadt war ein höchst seltsames und eigenartiges
Ding. Heute hielt dort ein Priester im Meßgewande eine Andacht ab,
morgen übten französische Schauspieler ein Stück ein. Es gab Tage, wo es
keine Brotkrume im Hause gab, was aber nicht ausschloß, daß bald darauf
ein großes Fest stattfand, an dem viele Schauspieler und Künstler
teilnahmen, die in höchst nobler Weise bewirtet und beschenkt wurden.
Dann kamen wieder so trübe Zeiten, daß ein anderer sich an Chlobujews
Stelle längst erhängt oder erschossen hätte; aber was ihn immer wieder
rettete, war seine Religiosität, die sich merkwürdigerweise aufs beste
mit seinem liederlichen Lebenswandel vertrug. In solchen Augenblicken
las er die Lebensbeschreibungen von Märtyrern und Asketen, die ihren
Geist dazu erzogen hatten, alles Unglück mit Gleichmut zu ertragen und
sich darüber zu erheben. Dann wurde er ganz weich und gerührt, und seine
Augen füllten sich mit Tränen. Er fing an zu beten -- und seltsam! --
immer kam ihm von irgend einer Seite eine unerwartete Hilfe; sei es nun,
daß sich ein alter Freund an ihn erinnerte und ihm Geld schickte, oder
daß irgend eine zufällig vorüberreisende unbekannte Dame, die von ihm
gehört hatte, ihm in einer plötzlichen großmütigen Regung ihres
weiblichen Herzens ein größeres Geschenk machte; oder er gewann einen
Prozeß, von dem er selbst noch nie etwas gehört hatte. Dann pries er
demütig die unerschöpfliche Barmherzigkeit der Vorsehung, ließ
Dankgebete abhalten, und begann von neuem sein liederliches Leben.

»Er tut mir leid, er tut mir wirklich sehr leid,« sagte Platonow zu
Tschitschikow, nachdem sie sich von ihm verabschiedet und ihren Wagen
wieder bestiegen hatten.(9)

»Ein verlorener Mensch!« versetzte Tschitschikow. »Solche Leute sollte
man nicht bedauern.«

Bald hatten sie ihn vergessen. Platonow dachte nicht mehr an ihn, weil
ihn die Menschen bei seiner Trägheit und Apathie ebensowenig
interessierten wie die ganze übrige Welt. Sein Herz krampfte sich
mitleidig zusammen, wenn er andre Leute leiden sah, aber diese
Empfindungen hinterließen keine dauernden Eindrücke in seiner Seele.
Schon nach wenigen Augenblicken war Chlobujew vergessen. Platonow dachte
nicht mehr an ihn, weil er kaum an sich selbst dachte. Auch
Tschitschikow hatte Chlobujew vergessen, weil seine Gedanken allen
Ernstes auf sein soeben erworbenes Gut gerichtet waren. Jedenfalls wurde
er jetzt, wo er plötzlich kein bloß eingebildeter, sondern leibhaftiger
Besitzer eines keineswegs phantastischen Landgutes geworden war,
nachdenklich, seine Gedanken und Pläne wurden ruhiger und gesetzter und
verliehen seinem Gesicht unwillkürlich einen bedeutenden Ausdruck:
»Geduld und Arbeit! Das ist keine Hexerei, die habe ich sozusagen mit
der Muttermilch eingesogen. Das ist für mich nichts neues. Aber werde
ich in meinem Alter auch noch soviel Geduld aufbringen wie in meinen
jungen Jahren?« Genug, wie dem auch sein mochte, wie er die Sache auch
ansah, von welcher Seite er sie betrachtete, er überzeugte sich, daß er
mit dem Kauf ein gutes Geschäft gemacht hatte. Er konnte ja auch eine
Hypothek auf das Gut aufnehmen, nachdem er zuvor das beste Land in
kleine Parzellen geteilt und verkauft hatte. Aber er konnte die Sache
schließlich auch selbst in die Hand nehmen, und ein tüchtiger Landwirt
nach der Art Kostanshoglos werden; er durfte sicherlich auf dessen Rat
und Beistand rechnen, jetzt wo er sein Nachbar geworden, und wo er ihm
zu so großem Danke verpflichtet war. Ja, man konnte es auch
folgendermaßen machen: man konnte das Land weiter verkaufen
(selbstverständlich nur dann, wenn man sich selbst nicht mit der
Bewirtschaftung des Gutes befassen wollte) und nur die toten und
flüchtigen Bauern behalten. Das hätte noch einen andern Vorteil: man
konnte überhaupt ganz vom Schauplatz verschwinden und Kostanshoglo das
von ihm entliehene Geld gar nicht zurückgeben. Ein sonderbarer Gedanke!
Man kann nicht sagen, daß _Tschitschikow_ auf diesen Gedanken gekommen
war, er stand vielmehr plötzlich wie von selbst vor ihm, neckte,
verspottete ihn und blinzelte ihn listig an. Ein leichtsinniger,
liederlicher Gedanke! Wer wohl der Schöpfer solcher Gedanken ist, die so
plötzlich über uns kommen? ... Tschitschikow empfand eine große Freude,
daß er Gutsbesitzer geworden war -- kein bloß eingebildeter oder
phantastischer, nein ein wirklicher wahrhafter Gutsbesitzer, der ein
_Grundstück_, ein Stück Land und Leibeigene -- keine bloß vorgestellten,
nur in der Phantasie existierenden, sondern wirkliche lebendige Arbeiter
besaß. Und allmählich fing er an, auf seinem Platz herumzuhopsen, sich
die Hände zu reiben und sich selbst zuzublinzeln, er ballte die Hand,
legte sie an den Mund wie eine Trompete und begann einen lustigen Marsch
zu blasen, ja er rief sich sogar ganz laut ein paar aufmunternde Worte
zu, und gab sich Kosenamen wie: mein Schnäuzchen, oder mein kleiner
Kapaun! Aber er besann sich gleich darauf, daß er ja nicht allein sei,
wurde plötzlich wieder still und suchte den Eindruck zu verwischen, den
der Ausbruch einer ungezügelten Freude auf seinen Nachbar gemacht haben
mochte; und als Platonow, der die ihm zu Ohren gekommenen Töne für Worte
hielt, welche an ihn gerichtet waren, Tschitschikow ansah und fragte:
»Wie meinen Sie?« da antwortete jener verlegen: »Nichts, garnichts.«

Jetzt erst sah er sich um und bemerkte, daß sie schon längst durch eine
herrliche Allee fuhren, eine reizende Mauer aus Birkenstämmen zog sich
zu beiden Seiten den Weg entlang. Die hellen Stämme der Espen und Birken
glänzten wie ein schneeweißer Staketenzaun; schlank und leicht hoben sie
sich von dem zarten Grün der kaum entfalteten Blätter ab. Die
Nachtigallen im Gebüsch schlugen laut um die Wette. Gelbe Waldtulpen
schimmerten hell auf dem Grase. Tschitschikow konnte sich nicht recht
darüber klar werden, wie er plötzlich an diesen herrlichen Fleck gelangt
war, denn noch kurze Zeit vorher hatten sie sich auf offenem Felde
befunden. Zwischen den Bäumen hindurch sah man eine weiße steinerne
Kirche, und auf der andern Seite hinter der Allee -- ein Gitter. Am Ende
des Weges tauchte jetzt ein Herr auf, der ihnen entgegenzugehen schien:
er trug eine Mütze und einen Knotenstock in der Hand. Ein englischer
Schäferhund auf langen dünnen Beinchen lief vor ihm her.

»Da ist ja mein Bruder!« sagte Platonow, »Kutscher, halten Sie doch!«
Mit diesen Worten sprang er aus dem Wagen. Tschitschikow folgte seinem
Beispiel. Die Hunde schlossen sofort Freundschaft und beschnupperten
sich gegenseitig. Der mit den dünnen Beinen hieß Asor, schnell näherte
er sich seinem Kameraden Jarb und fuhr ihm mit seiner flinken Zunge über
die Schnauze, dann leckte er Platonow die Hände und sprang schließlich
an Tschitschikow empor und küßte ihn aufs Ohr.

Die Brüder umarmten sich.

»Aber lieber Platon, was machst du mir für Geschichten?« sagte der
Bruder, und blieb stehen. Sein Name war Wassilij.

»Was meinst du?« versetzte Platonow phlegmatisch.

»Aber ich bitte dich! Drei Tage lang läßt du überhaupt nichts von dir
hören. Petuchs Stallknecht hat deinen Hengst mitgebracht. >Er ist mit
einem Herrn weggefahren<, sagt er. Hättest du mir doch nur ein Wort
gesagt, wohin, wozu und auf wie lange du verreist bist, lieber Bruder,
wer tut denn nur so was? Gott allein weiß, was ich mir all diese Tage
für Gedanken gemacht habe!«

»Was soll ich machen? Ich habe es vergessen,« versetzte Platonow. »Wir
haben Konstantin Fjodorowitsch einen Besuch gemacht; er läßt dich
grüßen; deine Schwester ebenfalls. Pawel Iwanowitsch, darf ich Ihnen
meinen Bruder Wassilij vorstellen. Lieber Wassilij, dies ist Pawel
Iwanowitsch Tschitschikow.«

Beide Herrn, die hiermit aufgefordert wurden, sich näher kennen zu
lernen, drückten sich die Hand, nahmen ihre Mützen ab und küßten sich.

»Wer mag wohl dieser Tschitschikow sein?« dachte Wassilij. »Mein Bruder
Platon ist nicht gerade wählerisch in seinen Bekanntschaften.« Er
betrachtete Tschitschikow aufmerksam, soweit dies der Anstand zuließ,
und überzeugte sich, daß dieser, nach seinem Äußern zu urteilen, ein
sehr respektabler Herr war.

Tschitschikow betrachtete Wassilij seinerseits gleichfalls so
aufmerksam, als dies der Anstand gerade zuließ und sah, daß der Bruder
etwas kleiner war als Platon; sein Haar war etwas dunkeler und sein
Gesicht lange nicht so hübsch, wie das des Bruders, aber in seinen Zügen
lag viel mehr Leben, Bewegung und Herzensgüte. Man sah es ihm gleich an,
daß er nicht so schläfrig war wie Platon. Aber hierauf achtete Pawel
Iwanowitsch nur wenig.

»Weißt du, Wassja, ich habe mich entschlossen, mit Pawel Iwanowitsch
eine kleine Reise durch das heilige Rußland zu machen. Vielleicht werde
ich so meine Melancholie los.«

»Ja, wie kommst du nur plötzlich auf so etwas?« sagte der Bruder
Wassilij ganz erstaunt; er hätte beinahe noch hinzugefügt: »Und zu
alledem willst du noch mit einem Menschen reisen, den du zum ersten Mal
siehst, der vielleicht ein übler Kerl oder weiß Gott was nicht alles
ist.« Voller Mißtrauen schaute er nach Tschitschikow hin, aber er war
erstaunt über sein respektables Äußeres.

Sie traten rechts durchs Tor in einen altertümlichen Hof: auch das Haus
sah recht altertümlich aus; heute werden keine solchen Häuser mehr
gebaut: es hatte ein hohes Dach, und überall waren Schutzdächer
angebracht. Zwei gewaltige Linden standen in der Mitte des Hofes und
warfen einen mächtigen Schatten, der fast die Hälfte der ganzen Fläche
einnahm. Rings um sie herum standen mehrere Bänke. Blühende
Fliederbüsche und Faulbäume faßten den Hof wie ein Perlenhalsband ein;
eine Mauer friedigte ihn ein, welche ganz unter Blättern und Blüten
verschwand. Das Herrenhaus war von allen Seiten geschlossen, nur eine
kleine Tür und ein paar Fenster guckten freundlich unter den Ästen
hervor. Hinter den schnurgeraden Baumstämmen sah man die Küche, die
Vorratskammern und die Keller. Sie alle befanden sich im Garten. Die
Nachtigallen schlugen laut und erfüllten ihn mit ihrem Gesang.
Unwillkürlich zog ein beseeligendes Gefühl des Friedens in das Herz ein.
Alles gemahnte an jene sorglosen Zeiten, wo die Menschen noch friedlich
und gütlich nebeneinander lebten, und wo noch alles schlicht und einfach
herging. Bruder Wassilij lud Tschitschikow ein, Platz zu nehmen, und man
ließ sich auf den Bänken unter den Linden nieder.

Ein siebzehnjähriger Bursche in einem hübschen rosafarbenen Hemde
brachte ein Tablett herein und stellte es vor ihnen auf den Tisch. Es
war mit Karaffen voll Fruchtlimonaden der verschiedensten Arten und
Farben besetzt. Hier waren alle Sorten vertreten: die einen waren dick
und zähe wie Öl, andere moussierten wie Brauselimonaden. Nachdem der
Bursche die Karaffen auf den Tisch gestellt hatte, ergriff er die
Schaufel, die an einem Baume lehnte, und ging in den Garten. Die
Gebrüder Platonow hatten wie ihr Schwager Kostanshoglo keine
Dienstboten, sondern eigentlich nur Gärtner. Alle Knechte mußten der
Reihe nach dieses Amt übernehmen. Bruder Wassilij behauptete immer, die
Dienstboten bildeten keinen besonderen Stand: einem etwas reichen oder
bringen, das könne ein jeder und dazu brauche man sich keine besonderen
Bedienten zu halten; der Russe sei nur solange brav und fleißig, tüchtig
und kein Faulpelz, als er Hemd und Bauernkittel trage, sowie er sich
einen deutschen Rock anschaffe, werde er plötzlich plump und
ungeschickt, er fange an zu faulenzen, wechsele sein Hemd nicht mehr,
und gehe überhaupt nicht mehr ins Bad; er liege nur noch in seinem
deutschen Rocke herum und schlafe, bis sich in seinem neuen Kleide
zahllose Scharen von Wanzen und Flöhen einnisten. Vielleicht hatte er in
diesem Punkte nicht ganz unrecht. Auf dem Gute der Brüder waren die
Bauern ganz besonders vornehm und reich: der Kopfputz der Frauen
schimmerte von Gold, und die Ärmel ihrer Hemden waren schön gestickt wie
ein türkischer Schal. »Unser Haus ist berühmt wegen seiner Limonaden,«
sagte Wassilij.

Tschitschikow nahm das erste Fläschchen und schenkte sich ein Glas ein:
es schmeckte ganz wie Lindenmeth, den er einst in Polen getrunken hatte:
es moussierte wie Champagner, und die Kohlensäure stieg ihm in
angenehmem Bogen aus dem Mund in die Nase. »Der reinste Nektar!« sagte
er. Er schenkte sich noch ein Gläschen aus einer zweiten Karaffe ein --
und siehe da, es schmeckte noch besser.

»Das Getränk aller Getränke!« sagte Tschitschikow. »Ich kann wohl sagen,
bei Ihrem verehrten Schwager Konstantin Fjodorowitsch, habe ich den
besten Likör, bei Ihnen dagegen die herrlichste Limonade getrunken, die
ich jemals gekostet habe.«

»Der _Likör_ kommt ja auch von uns: den hat meine Schwester gemacht. Und
nach welcher Richtung gedenken Sie jetzt zu reisen? Welche Orte wollen
Sie besuchen?« fragte Bruder Wassilij.

»Ich reise,« versetzte Tschitschikow, indem er sich ein wenig auf der
Bank hin und her schaukelte, sich vornüber beugte und mit der Hand über
das Knie strich: »ich reise eigentlich nicht so sehr in eigenem
Interesse, wie in dem eines andern. General Betrischtschew, ein guter
Freund von mir, und ich kann wohl sagen mein Wohltäter, hat mich
gebeten, einige von seinen Verwandten zu besuchen. Die Sache mit den
Verwandten ist natürlich sehr wichtig, andererseits aber reise ich doch
auch wieder gewissermaßen in eigenen Angelegenheiten: denn ganz
abgesehen von der guten Wirkung, die das Reisen auf die Hämorrhoiden
hat, man erweitert seine Weltkenntnis, stürzt sich in den Strudel und
Wirbel des Menschenvolkes -- und das ist an und für sich schon sozusagen
ein lebendiges Buch und auch eine Art Wissenschaft.«

Bruder Wassilij wurde nachdenklich. »Der gute Mann spricht etwas
geschraubt, es liegt aber doch was Wahres in seinen Worten,« dachte er.
Er schwieg eine Weile still und sagte, indem er sich an seinen Bruder
Platon wandte: »Weißt du, Platon, ich fange an zu glauben, eine Reise
könnte dich wirklich etwas aufrütteln. Du leidest an einer Art geistigen
Schlafkrankheit, du bist einfach eingeschlummert, -- und nicht etwa weil
du übersättigt oder übermüdet bist, sondern weil es dir an lebendigen
Empfindungen und Eindrücken fehlt. Mir geht es gerade umgekehrt. Ich
wünschte, ich könnte nicht so stark und lebhaft empfinden und mir die
Dinge nicht so sehr zu Herzen nehmen.«

»Wozu nimmst du dir auch alles zu Herzen,« sagte Platon. »Du suchst
selbst nach Gründen oder erfindest dir welche, um dir Sorgen zu machen
und dich unnütz aufzuregen.«

»Man braucht sie doch garnicht zu erfinden, wenn man auf Schritt und
Tritt Unannehmlichkeiten hat,« versetzte Wassilij. »Hast du gehört, was
uns Lenitzyn in deiner Abwesenheit für einen Streich gespielt hat? -- Er
hat das Stück Haideland, auf dem wir Johannisnacht feiern, einfach
annektiert. Erstlich gebe ich dies Stück für kein Geld her ... Hier
feiern meine Bauern jedes Jahr Johannisnacht, mit diesem Flecke sind
soviel Erinnerungen für das ganze Gut verbunden; mir ist eine alte Sitte
-- etwas Heiliges, und ich bin bereit jedes Opfer für sie zu bringen.«

»Er wird das wohl nicht gewußt haben, als er es sich nahm,« sagte
Platonow, »er ist noch ganz neu hier im Lande, er kommt doch erst eben
aus Petersburg; man muß ihm die Sache klar machen.«

»Oh er weiß alles ganz genau. Ich habe zu ihm geschickt, und es ihm
sagen lassen. Er hat mir nur Grobheiten an den Kopf geworfen.«

»Du hättest eben selbst hinfahren und ihm alles erklären sollen.
Besprich doch die Sache mit ihm selbst.«

»Nein, danke schön. Er spielt mir zu sehr den großen Herrn. Zu dem fahre
ich nicht hin. Fahr du doch hin, wenn du durchaus willst.«

»Ich würde schon fahren, aber du weißt ja, ich mische mich nicht in
diese ... Er könnte mich ja _auch_ übers Ohr hauen und betrügen.«

»Wenn Sie wünschen, so will ich zu ihm hinfahren,« sagte Tschitschikow,
»erklären Sie mir nur, worum es sich handelt.«

Wassilij sah ihn an und dachte: »Dem scheint das Reisen großen Spaß zu
machen.«

»Können Sie mir nicht ungefähr andeuten, was er für ein Mensch und was
das für eine Angelegenheit ist?« fuhr Tschitschikow fort.

»Es ist mir sehr peinlich, Sie mit einem so unangenehmen Auftrag zu
betrauen. Meiner Ansicht nach ist er ein schlechter Kerl: er gehört dem
ärmeren Adel unserer Provinz an, und hat sich in Petersburg
hinaufgedient, nachdem er die illegitime Tochter irgend eines großen
Herrn geheiratet hat, und spielt jetzt den vornehmen Mann. Er will hier
den Ton angeben. Aber die Leute hierzulande sind auch nicht dumm, sie
kümmern sich den Teufel um die Mode, und Petersburg ist für sie garnicht
maßgebend.«

»Natürlich,« sprach Tschitschikow, »und worum handelt es sich?«

»Sehen Sie, er hat ja das Land wirklich nötig, wenn er nicht so
rücksichtslos gewesen wäre, hätte ich ihm gern an einer andern Stelle
umsonst ein Stück abgetreten ... So aber könnte der hochnäsige Mensch
noch glauben ...«

»Ich bin der Ansicht, es ist besser man sucht sich friedlich zu
verständigen: vielleicht ist die ganze Affäre ... Mit hat schon mancher
seine Sache anvertraut, und noch keiner hat es bereut ... General
Betrischtschew hat mir ja auch ...«

»Aber es ist mir so peinlich, daß Sie meinetwegen mit einem solchen
Menschen reden sollen ...«[6]

                   *       *       *       *       *

»...(10) Besonders wenn man berücksichtigt, daß dies ein Geheimnis war,«
sagte Tschitschikow, »denn das eigentlich Schädliche hierbei ist nicht
so sehr das Verbrechen wie das Ärgernis, das damit gegeben wird.«

»Ja wohl, Sie haben ganz recht,« fiel Lenitzyn ein, indem er den Kopf
ganz auf die Seite neigte.

»Wie angenehm es doch ist, sich mit einem andern einig zu wissen,«
sprach Tschitschikow. »Ich habe da auch eine Sache, die man in gewissem
Sinne gesetzlich und ungesetzlich zugleich nennen kann; oberflächlich
betrachtet scheint sie ungesetzlich zu sein, _tatsächlich_ steht sie
jedoch keineswegs im Widerspruch mit den Gesetzen. Ich brauche eine
Hypothek, aber ich kann es doch niemandem zumuten, das Risiko auf sich
zu nehmen und zwei Rubel für die lebendige Seele zu bezahlen. Wenn ich
Pech habe -- und Bankrott mache -- was Gott verhüte, -- dann hat der
Besitzer das Nachsehen: da habe ich mich denn entschlossen, mir den
Umstand zunutze zu machen, daß es tote und flüchtige Bauern gibt, die
noch nicht aus der Revisionsliste gestrichen sind; womit ich zugleich
ein christliches Werk tue und ihrem armen Besitzer die Steuern abnehme,
die er für sie bezahlen muß. Wir wollen der Formalität wegen nur einen
Kaufvertrag abschließen, wie wenn es sich um lebende handelte.«

[Fußnote 6: Hiermit schließt die 96. Seite des Manuskripts, weiter
fehlen zwei Seiten. In der ersten Auflage des zweiten Bandes hat S.
Schewyrew folgende Anmerkung zu dieser Stelle gemacht: »Hier ist eine
Lücke im Manuskript, welche wohl die Erzählung enthielt, wie
Tschitschikow sich aufmachte, um den Gutsbesitzer Lenitzyn zu besuchen.«

                                                Anm. des Herausgebers.
                                                                     ]

»Hm! Das ist aber eine höchst merkwürdige Geschichte!« dachte Lenitzyn
und rückte mit dem Stuhle ein wenig zurück. »Diese Sache ist allerdings
derartig ....« begann er.

»Ein Ärgernis kann es ja hierbei nicht geben, weil die Sache doch geheim
bleibt,« versetzte Tschitschikow; »zudem sind wir doch beide
wohlgesinnte und zuverlässige Menschen.«

»Hm, aber trotzdem, die Sache ist so eigentümlich ..«

»Ein Ärgernis kann es nicht geben,« entgegnete Tschitschikow offen und
ehrlich. »Es ist doch genau so eine Sache wie die, von der wir soeben
gesprochen haben: wir beide sind gutgesinnte, verständige, reife Leute,
die eine Stellung in der Gesellschaft einnehmen -- und dann bleibt doch
alles geheim.« Und während er dies sagte, sah er ihm offen und ehrlich
ins Auge.

Obgleich Lenitzyn sehr gewandt, sicher und ein gewiegter Geschäftsmann
war, geriet er diesmal ganz aus der Fassung, um so mehr als er sich
durch einen merkwürdigen Zufall gleichsam in seinem eigenen Netze
gefangen hatte. Er war gar keiner schlechten Handlung fähig und wollte
nichts Unrechtes tun, auch nicht im geheimen. »Ist das aber eine
sonderbare Geschichte!« dachte er: »Darnach schließe noch einer
Freundschaft mit einem anständigen Menschen. Eine schöne Geschichte!«

Aber das Schicksal und die Verhältnisse schienen Tschitschikow ganz
besonders günstig zu sein. Wie um beiden aus dieser kritischen Situation
zu helfen, trat plötzlich die junge Hausfrau, Lenitzyns Gattin, ins
Zimmer; sie war bleich, klein und mager, nach Petersburger Mode
gekleidet und hatte eine große Schwäche für Menschen, die in jeder
Hinsicht korrekt und _comme il faut_ waren. Gleich darauf brachte die
Amme Lenitzyns sein Söhnchen auf dem Arme herein, das erste Kind, die
Frucht einer zärtlichen Liebe der jungen Gatten. Tschitschikow sprang
schnell auf, ging gewandt und sicher auf die Hausfrau zu, neigte den
Kopf leicht auf die Seite und bezauberte die Petersburger Dame und nach
ihr auch das Kindchen durch seine Liebenswürdigkeit. Der Knabe fing zwar
zuerst an zu heulen, aber Tschitschikow gelang es schnell, ihn zu
beruhigen: er rief ihm: La, la, la, la mein Herzchen, zu, schnippte mit
den Fingern, zeigte ihm ein reizendes Karneolsiegel, das er an der
Uhrkette trug, und brachte das Kind bald so weit, daß es sich ruhig auf
den Arm nehmen ließ. Dann packte er es, hob es fast bis zur Decke hinauf
und entlockte dem Knaben zur höchsten Freude beider Eltern ein
liebliches Lächeln. Aber war es nun das ungewohnte Vergnügen oder hatte
es einen andern Grund, plötzlich passierte dem Kleinen etwas höchst
Peinliches.

»Ach Gott, ach Gott!« schrie Lenitzyns Gattin auf; »er hat Ihnen den
ganzen Frack verdorben!«

Tschitschikow warf einen Blick auf sein Kostüm; in der Tat: der eine
Ärmel des neuen Fracks war hin: »Daß dich doch der Teufel holte, kleiner
Satan!« dachte er ärgerlich.

Der Herr des Hauses, die Hausfrau und die Amme: alles lief hinaus, um
Kölnisches Wasser zu holen: dann kamen sie von allen Seiten angelaufen
und versuchten ihn abzuwischen.

»Es macht nichts, es macht nichts, das ist ja eine Kleinigkeit!« sagte
Tschitschikow und suchte seinem Gesicht einen möglichst freundlichen
Ausdruck zu verleihen: »Ein Kind in diesem goldenen Alter kann einem
doch nichts verderben,« wiederholte er, trotzdem aber dachte er sich:
»So ein Schelm, daß dich doch die Wölfe fräßen, hat der mich aber schön
zugerichtet, der verdammte kleine Schelm!«

Indessen dieser scheinbar so unbedeutende Vorfall hatte den Hausherrn
ganz zu Tschitschikows Gunsten umgestimmt. Wie konnte er einem Gast
etwas abschlagen, der seinen Kleinen in so harmloser Weise unterhalten
und geliebkost, und seine Güte so großmütig mit dem eigenen Frack
bezahlt hatte? Um den Menschen kein schlechtes Beispiel zu geben,
beschloß man die Sache im geheimen zu erledigen, denn nicht sowohl die
Sache selbst, als das Ärgernis, zu dem sie Anlaß gab, konnte ja Schaden
stiften.

»Doch nun erlauben Sie mir, Ihnen zum Dank für Ihre Güte auch einen
kleinen Dienst zu leisten. Ich möchte die Vermittlerrolle in Ihrem
Streit mit den Gebrüdern Platonow übernehmen. Sie brauchen doch Land?
Nicht wahr?«


                          Fünftes Kapitel.[7]

Jedermann sucht sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. »Was mich
zwickt, das zwick' ich wieder,« sagt ein russisches Sprichwort.
Tschitschikow begab sich nun auf eine kleine Entdeckungsreise durch
seine Koffer und Kisten; sie war von Erfolg gekrönt, und so wanderte
denn während dieser Expedition mancherlei aus den Koffern in die
Privatschatulle hinüber. Mit einem Wort, es wurde alles aufs beste
erledigt. Tschitschikow hatte ja nicht gestohlen, sondern nur die
Gelegenheit benutzt. Wir suchen doch auch aus allem Möglichen Nutzen zu
ziehen: der eine aus Staatswäldern, der andere aus Staatsgeldern, ein
dritter bestiehlt seine eigenen Kinder wegen irgend einer durchreisenden
Schauspielerin, ein vierter -- seine Bauern, um sich Möbel vom Hombs
oder eine Equipage anzuschaffen. Was ist zu machen, wo es heute soviel
Verführungen in der Welt gibt: teuere Restaurants mit geradezu
wahnsinnigen Preisen, Redouten, Gartenfeste, Zigeuner, Bälle usw. Es ist
doch so schwer, darauf zu verzichten, wenn alle Leute ringsherum
dasselbe tun, -- und dann ist es doch auch Mode, da soll sich einer von
alledem fernhalten! Tschitschikow hätte eigentlich schon unterwegs sein
sollen, aber die Wege waren nicht in Ordnung. Unterdessen sollte in der
Stadt noch eine andere Messe eröffnet werden: nämlich die für die
vornehmen Leute.(11) Auf der andern Messe wurde mehr mit Pferden, Vieh,
Rohprodukten und allerhand Waren gehandelt, welche die Bauern auf den
Markt brachten und die von Viehhändlern und Kaufleuten aufgekauft
wurden. Nun aber wurde alles, was auf der Messe zu Nischnij Nowgorod von
den Händlern an Handelsartikeln für den Bedarf der vornehmeren Leute
aufgekauft worden war, hierhergebracht. Da fand sich alles zusammen:
alle Räuber und Plünderer der russischen Geldbeutel, Franzosen mit
Pomade, und Französinnen mit Hüten, die Räuber des mit Schweiß, Mühe und
Blut erworbenen Geldes -- diese ägyptische Heuschreckenplage, wie
Kostanshoglo sich auszudrücken liebte, dieses Ungeziefer, das nicht nur
alles auffrißt, sondern auch noch seine Eier zurückläßt und sie in die
Erde verscharrt.

[Fußnote 7: In dem Manuskript trägt dieser Abschnitt keine
Kapitelüberschrift; er stammt also aus einem ganz frühen Entwurf, in dem
die Kapiteleinteilung noch nicht durchgeführt war.

                                                      Der Herausgeber.
                                                                     ]

Nur die Mißernte hielt viele Gutsbesitzer zu Hause zurück. Dafür machten
die Beamten, die ja unter keinen Mißernten leiden, ihren Beutel um so
weiter auf, und ihre Frauen taten leider desgleichen. Sie hatten ihre
Köpfe noch voll von allerhand Büchern, die in der letzten Zeit in der
Welt verbreitet worden waren, um den Menschen neue Bedürfnisse
einzupflanzen, und nun _dürsteten_ sie förmlich nach neuen Genüssen. Ein
Franzose eröffnete ein neues Lokal, einen öffentlichen Garten, wie man
ihn in der Provinz noch nie gesehen hatte, wo man angeblich zu besonders
billigen Preisen soupieren konnte; zudem erhielt man die Hälfte auf
Kredit. Dies genügte, daß nicht nur alle Abteilungschefs, sondern selbst
alle kleineren Beamten, die schon im voraus mit den Geldgeschenken ihrer
Klienten rechneten, dorthin strömten. Auch wünschte man seine Pferde und
seinen Kutscher öffentlich sehen zu lassen. Hier floß alles zusammen,
hier trafen sich Leute jeden Standes, um sich zu vergnügen und zu
zerstreuen ... Trotz des scheußlichen Wetters und dem Kot auf den
Straßen flogen überall elegante Equipagen hin und her. Woher sie kamen,
das weiß Gott allein, aber sicherlich hätten sie sich auch in Petersburg
ruhig sehen lassen können. Die Kaufleute und Kommis lüfteten leicht ihre
Mützen und sprachen die vorübergehenden Damen höflich an. Nur hie und da
sah man Männer mit langen Bärten und ballonartigen Pelzmützen. Alles
hatte einen europäischen Anstrich; überall begegnete man Herren mit
schönrasierten Gesichtern und ... hohlen Zähnen.

»Bitte hierher, hierher! Aber bitte treten Sie doch nur einen Augenblick
in meinen Laden. Mein Herr, mein Herr!« hörte man hie und da kleine
Jungen schreien.

Aber die vornehmen Herren und Damen, die so vertraut mit dem
europäischen Wesen waren, hatten nur einen Blick der Verachtung für sie;
nur ganz selten setzte einer eine würdige Miene auf und machte ... Pst;
dort wieder hörte man jemand rufen: Hier gibt's Stoffe, helle, dunkle,
bunte usw.

»Haben Sie einen glänzenden preißelbeerfarbenen Stoff für einen
Herrenanzug?« fragte Tschitschikow.

»Die schönsten Stoffe,« versetzte der Kaufmann, während er mit der einen
Hand die Mütze abnahm und mit der andern auf den Laden deutete.
Tschitschikow trat ein. Der Kaufmann hob geschickt das Brett des
Ladentisches in die Höhe und stand gleich darauf auf der andern Seite,
mit dem Rücken zu den Stoffen, die in Rollen übereinander aufgeschichtet
waren und die ganze Wand vom Fußboden bis zur Decke einnahmen. Das
Gesicht dem Käufer zugewandt, stützte er sich mit beiden Händen auf den
Tisch und sagte, indem er seinen Oberkörper leicht hin- und herwiegte:
»Was für einen Stoff wünschen Sie?«

»Einen glänzenden Stoff, olivengrün oder flaschengrün, etwas was dem
Preißelbeerrot nahekommt,« versetzte Tschitschikow.

»Ich darf Ihnen versichern, daß ich Ihnen nur das Allerbeste vorlegen
werde. Sie können höchstens in den zivilisiertesten Hauptstädten Europas
etwas Besseres finden. He! Bursche! Hol doch mal den Stoff Nummer 34
herunter! Nein, nicht doch! nicht den! Wozu strebst du immer über deine
Sphäre hinaus, wie so ein Proletarier! So! Wirf ihn mir zu! Bitte! Das
ist ein Stoff, kann ich Ihnen sagen!« Und der Kaufmann rollte den Stoff
auf und hielt ihn Tschitschikow direkt unter die Nase, sodaß dieser den
seidenen Glanz nicht bloß fühlen, sondern auch riechen konnte.

»Ganz schön, aber das ist nicht das, was ich haben will,« sagte
Tschitschikow. »Ich habe im Zollamt gedient, da brauche ich etwas
Erstklassiges, das Beste, was es überhaupt gibt, und dann muß der Stoff
mehr rötlich, weniger flaschengrün und mehr preißelbeerfarben sein.«

»Ich verstehe: Sie wollen genau die Farbe, die gerade modern zu werden
beginnt. Da habe ich einen ganz vorzüglichen Stoff. Ich mache Sie
freilich darauf aufmerksam, daß er sehr teuer ist, dafür ist er aber
auch von allererster Qualität.«

Der Europäer kletterte hinauf. Wieder fiel ein Ballen auf den Tisch. Er
rollte ihn mit einer Gewandtheit auf, wie man sie nur in der guten alten
Zeit hatte, und vergaß dabei ganz, daß er schon einem späteren
Geschlechte angehörte. Dann kam er hinter dem Tisch hervor, hielt den
Stoff ans Licht, indem er mit den Augen blinzelte und sagte: »Eine
wunderbare Farbe! Navarinoscher[8] Rauch mit Feuerglanz!«

Der Stoff fand Tschitschikows Beifall; man einigte sich über den Preis,
obwohl dieser prifix (_prix-fix_) war, wie der Kaufmann behauptete. Dann
spannte er ihn geschickt zwischen beiden Händen, und wickelte ihn
hierauf nach echt russischer Art, d. h. mit unglaublicher Schnelligkeit
in ein Stück Papier. Hierauf drehte und wendete er das Paket noch ein
paar Mal hin und her, indem er einen dünnen Bindfaden herumlegte, und es
mit einem energischen Knoten verschnürte. Eine Schere schnitt den
Bindfaden durch, und in demselben Augenblick lag alles in dem
bereitstehenden Wagen. Der Kaufmann lüftete den Hut und grüßte. Es hatte
seine guten Gründe, warum der Kaufmann den Hut abnahm: das war eine
Anspielung, daß der Käufer sofort zahlen solle.(12)

»Haben Sie dunkles Tuch?« hörte man jetzt eine Stimme sagen.

»Teufel! das ist Chlobujew,« sagte Tschitschikow leise zu sich selber
und drehte jenem den Rücken zu; er wollte nicht, daß Chlobujew ihn sehe,
denn er hielt es für unklug, sich mit ihm in Verhandlungen über die
Erbschaft einzulassen. Aber jener hatte ihn schon gesehen und erkannt.

[Fußnote 8: Gemeint ist die Farbe des Rauches der Navarinoschen
Seeschlacht.]

»Wie? Pawel Iwanowitsch, Sie gehen mir doch nicht etwa absichtlich aus
dem Wege? Ich kann Sie nirgends finden, und doch liegen die Verhältnisse
so, daß ich ernstlich mit Ihnen reden muß.«

»Verehrtester, Verehrtester!« sagte Tschitschikow, indem er ihm beide
Hände drückte; »glauben Sie mir, ich habe es mir schon selbst so oft
vorgenommen, mit Ihnen zu sprechen, aber ich hatte leider nie Zeit!«
Tatsächlich aber dachte er: »Wenn dich doch der Teufel holte!« Plötzlich
jedoch erblickte er den eben eintretenden Murasow. »Herrgott! Afanassij
Wassiljewitsch! Wie befinden Sie sich?«

»Und Sie?« sagte Murasow, indem er den Hut abnahm. Auch der Kaufmann und
Chlobujew nahmen ihre Mützen ab.

»Ich habe immer Kreuzschmerzen, auch der Schlaf läßt zu wünschen übrig.
Vielleicht weil ich mir zu wenig Bewegung mache!«

Aber statt näher auf Tschitschikows Klagen und den Grund seiner
Schmerzen einzugehen, wandte sich Murasow an Chlobujew: »Ich sah Sie in
den Laden treten, Ssemjon Ssemjonowitsch, und da bin ich Ihnen
nachgegangen. Ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen, können Sie mir
nicht einen Besuch machen?« »Aber natürlich, natürlich!« versetzte
Chlobujew eilig, und beide gingen hinaus.

»Was mögen sie wohl miteinander zu reden haben?« dachte Tschitschikow.

»Afanassij Wassiljewitsch -- ist ein sehr würdiger und kluger Mann,«
sagte der Kaufmann; »er ist außerordentlich tüchtig in seinem Fach, aber
er hat keine Bildung. Ein Kaufmann ist doch sozusagen Negotiant und
nicht bloß Kaufmann. Damit sind aber doch gewissermaßen auch allerhand
Budgets und Reaktionen verbunden, sonst sind wir dem Pauperismus
verfallen.« Tschitschikow zuckte die Achseln.

»Pawel Iwanowitsch, ich suche Sie überall!« rief plötzlich eine Stimme.
Es war Lenitzyn. Der Kaufmann nahm ehrfürchtig den Hut ab.

»Sie? Fjodor Fjodorowitsch?«

»Um Gottes willen, kommen Sie, lassen Sie uns schnell zu mir nach Hause
fahren, ich muß mit Ihnen sprechen,« sagte jener. Tschitschikow sah ihn
an -- er sah ganz bleich aus und seine Gesichtszüge waren entstellt.
Tschitschikow bezahlte und verließ den Laden.

»Ich warte auf Sie, Ssemjon Ssemjonowitsch,« sagte Murasow, als er
Chlobujew eintreten sah. »Bitte kommen Sie doch zu mir ins Zimmer!« Und
er geleitete Chlobujew in die Stube, die der Leser schon kennen gelernt
hat. Selbst bei einem Beamten, der jährlich nur siebenhundert Rubel
Gehalt bezieht, hätte man kein unansehnlicheres, schlichter
ausgestattetes Zimmer finden können.

»Sagen Sie, ich nehme an, daß sich Ihre Verhältnisse gebessert haben?
Ihre Tante hat Ihnen doch sicher etwas hinterlassen.«

»Was soll ich sagen, Afanassij Wassiljewitsch? Ich weiß wirklich nicht,
ob sich meine Verhältnisse gebessert haben. Ich habe bloß fünfzigtausend
Bauern und dreißigtausend Rubel bar erhalten; damit mußte ich einen Teil
meiner Schulden bezahlen -- und jetzt sitze ich wieder da und habe
nichts. Was aber die Hauptsache ist, die Geschichte mit dieser Erbschaft
ist nicht einmal ganz sauber. Es sind da allerhand Gaunereien und
Betrügereien vorgekommen, Afanassij Wassiljewitsch! Ich will es Ihnen
gleich erzählen, Sie werden staunen, was alles in der Welt vorkommt.
Dieser Tschitschikow ...«

»Erlauben Sie mal, Ssemjon Ssemjonowitsch; ehe wir von diesem
Tschitschikow reden, wollen wir erst einmal von Ihnen selbst sprechen.
Sagen Sie mal! wieviel Geld würde Ihrer Meinung nach erforderlich sein,
um Ihre Gläubiger zu befriedigen; wieviel brauchen Sie, um wieder in
geordnete Verhältnisse zu kommen?«

»Meine Verhältnisse sind sehr schlecht,« versetzte Chlobujew. »Um da
herauszukommen, alle Schulden zu bezahlen und ein bescheidenes Auskommen
zu haben, dazu brauche ich mindestens hunderttausend Rubel, wenn nicht
noch mehr! Mit einem Wort: das ist einfach unmöglich.«

»Nun, und wenn Sie dies alles hätten, wie würden Sie dann Ihr Leben
einrichten?«

»Oh, dann würde ich mir eine kleine Wohnung mieten und mich ganz der
Erziehung meiner Kinder widmen. An mich selbst darf ich gar nicht mehr
denken. Mit meiner Karriere ist es zu Ende; in den Staatsdienst kann ich
doch nicht mehr eintreten: ich tauge ja doch zu nichts mehr!«

»Das bliebe doch ein müßiges Leben, und Sie wissen, Müßiggang ist aller
Laster Anfang, da nahen sich einem allerhand Versuchungen, an die ein
fleißiger und tätiger Mensch garnicht einmal denkt.«

»Ich kann halt nicht mehr, ich tauge zu nichts mehr! ich bin schon zu
stumpf und apathisch, um etwas anzufangen. Zu alledem leide ich noch an
Kreuzschmerzen.«

»Aber wie kann man nur ohne Arbeit leben? Wie können Sie es bloß auf der
Welt aushalten ohne ein Amt und eine Tätigkeit? Ich bitte Sie! Blicken
Sie doch um sich! Jedes Wesen auf Gottes Erde erfüllt eine gewisse
Bestimmung und hat seine Funktion. Selbst der Stein ist nur dazu da,
damit ihn jemand gebraucht oder bei einem nützlichen Werke verwendet,
und der Mensch, das klügste, vernünftigste aller Geschöpfe sollte sein
Leben tatenlos hinbringen -- das ist doch unmöglich.«

»So ganz ohne Tätigkeit bin ich doch auch nicht. Ich kann mich doch mit
der Erziehung meiner Kinder beschäftigen.«

»Nein, Ssemjon Ssemjonowitsch! Nein. Das ist das allerschwerste. Wie
soll _der_ Kinder erziehen, der es nicht einmal verstanden hat, sich
selbst zu erziehen, Kinder kann man doch nur durch sein eigenes Beispiel
erziehen, indem man ihnen das Leben _vorlebt_. Und sagen Sie ehrlich,
kann _Ihr_ Leben ihnen zum Vorbild dienen? Von Ihnen könnten sie
schließlich doch nur lernen, wie man die Zeit müßig hinbringt, oder sie
mit Kartenspiel totschlägt. Nein, Ssemjon Ssemjonowitsch, lassen Sie
lieber _mich_ Ihre Kinder erziehen. Sie werden sie nur verderben.
Überlegen Sie sich doch die Sache einmal recht ordentlich. Was Sie zu
Grunde gerichtet hat, das ist der Müßiggang -- daher müssen Sie _ihn_
vor allem meiden. Ein Mensch kann doch nicht ohne allen Halt im Leben
sein. Er muß doch irgendwelche Pflichten haben. Selbst der Tagelöhner
hat seinen Beruf. Er hat zwar nur ein kärgliches Einkommen, aber er muß
es sich selbst verdienen, und daher hat er auch ein Interesse an seiner
Tätigkeit.«

»Bei Gott, Afanassij Wassiljewitsch! Ich habe es versucht, ich habe mir
redliche Mühe gegeben! Was soll ich machen? Ich bin schon zu alt, jetzt
bin ich nicht mehr fähig, etwas Neues zu unternehmen. Sagen Sie doch
nur: was soll ich denn anfangen? Ich kann doch nicht in den Staatsdienst
treten? Oder soll ich mich etwa noch mit fünfundvierzig Jahren neben
einen jungen Anfänger ins Bureau, hinter den Tisch setzen? Und dann bin
ich unfähig, Geschenke anzunehmen -- -- ich werde mir selber nur schaden
und andern im Wege sein. Außerdem haben sich unter den Beamten auch
schon Kasten gebildet. Nein, Afanassij Wassiljewitsch, ich hab's mir
schon überlegt, ich hab's versucht und darüber nachgedacht, was ich wohl
für eine Stellung annehmen könnte -- nein ich tauge nicht dazu. Ich
passe höchstens noch ins Armenhaus.«

»Das Armenhaus ist für _die_ da, die im Leben etwas geleistet und
gearbeitet haben; _die_ dagegen, die sich amüsiert haben, solange sie
jung waren, bekommen zur Antwort, was die Ameise zum Grashüpfer sagte:
>Geh, tanze weiter!< Aber auch im Armenhaus wird gearbeitet, auch da muß
man sich nützlich machen; dort spielt man nicht etwa Whist, Ssemjon
Ssemjonowitsch,« fuhr Murasow fort, indem er Chlobujew fest ins Gesicht
sah, »Sie betrügen sich nur selbst und mich dazu.«

Murasow sah ihm ernst und lange ins Gesicht, aber der arme Chlobujew
vermochte nichts zu antworten, und er fing an, Murasow leid zu tun.(13)

»Hören Sie, Ssemjon Ssemjonowitsch ... Sie beten doch, Sie gehen in die
Kirche und lassen keine Frühmesse und keinen Abendgottesdienst aus.
Trotzdem es Ihnen schwer wird, stehen Sie ganz früh auf und gehen --
gehen um vier Uhr morgens in die Kirche, wo noch alles in tiefem Schlafe
liegt.«

»Das ist etwas andres -- Afanassij Wassiljewitsch. Hier weiß ich, daß
ich das nicht um der Menschen willen, sondern um _Dessen_ willen tue,
der uns alle in dieses Leben gesandt hat. Was soll ich machen! Ich
glaube, daß Er mir gnädig sein wird, daß Er mir verzeihen und mich in
Gnaden aufnehmen wird, so häßlich und schlecht ich auch bin, während
mich die Menschen mit dem Fuße fortstoßen und meine besten Freunde mich
verraten und nachher noch sagen werden, sie hätten es in der besten
Absicht getan.«

Ein bitteres Gefühl spiegelte sich in Chlobujews Gesicht. Dem alten
Herrn traten die Tränen in die Augen ...

»Dann dienen Sie doch wenigstens _Dem_, Der allen Wesen so gnädig ist.
Er freut sich ebenso sehr über die Arbeit, wie über ein Gebet. Suchen
Sie sich irgend eine Beschäftigung, ganz gleich was für eine, wenn es
nur eine _Beschäftigung_ ist. Arbeiten Sie, als ob Sie es für _Ihn_ und
nicht für die Menschen täten. Schöpfen Sie meinetwegen Wasser in einem
Sieb, aber denken Sie, daß Sie es um Seinetwillen tun. Schon das wäre
ein Vorteil, Sie würden wenigstens keine Zeit und Gelegenheit finden,
was Schlechtes zu tun: Ihr Geld zu verspielen, zu schmausen und zu
schlemmen, unmäßig zu leben und den oberflächlichen weltlichen Genüssen
nachzugehen. Ach Ssemjon Ssemjonowitsch. Kennen Sie Iwan Potapowitsch?«

»Jawohl. Ich kenne und schätze ihn sehr hoch!«

»Das war doch wirklich ein tüchtiger Kaufmann: er hatte über eine halbe
Million; wie er aber sah, daß ihm alles zum Vorteil ausschlägt -- da
wurde er unmäßig und ließ sich gehen. Er ließ seinem Sohn französischen
Unterricht geben und verheiratete seine Tochter an einen General. Von da
ab sah man ihn nicht mehr im Laden oder in der Börsenstraße; wenn er
einen Freund auf der Straße traf, dann schleppte er ihn gleich mit ins
Gasthaus, um mit ihm Tee zu trinken. Da konnte er tagelang bei seinem
Tee sitzen. Der Erfolg war natürlich, daß er Bankrott machte. Zu alledem
hatte er noch Unglück mit seinem Sohn ... Sehen Sie, jetzt dient er bei
mir als Kommis. Er hat ganz von Anfang angefangen. Seine Verhältnisse
haben sich gebessert. Er könnte sich ganz leicht wieder eine halbe
Million verdienen. Aber nun _will_ er nicht mehr. >Jetzt bin ich halt
Kommis, und als Kommis will ich auch sterben. Nun bin ich frisch und
gesund geworden,< sagte er, >damals aber hatte ich einen dicken Bauch
und die beginnende Wassersucht ... Nein ich danke,< sagte er. Tee nimmt
er überhaupt nicht mehr in den Mund. Kohlsuppe und Brei, das ist seine
ganze Nahrung. Jawohl! Und so fromm ist er geworden, wie keiner von uns,
und er tut soviel Gutes für die Armen, wie selten einer; mancher andere
würde auch gerne helfen, wenn er nicht sein ganzes Vermögen
durchgebracht hätte.«

Der arme Chlobujew war nachdenklich geworden. Der Alte ergriff seine
beiden Hände: »Ssemjon Ssemjonowitsch! Wenn Sie wüßten, wie leid Sie mir
tun! Ich habe die ganze Zeit über an Sie gedacht. Hören Sie, Sie wissen
doch, daß in unserem Kloster ein Eremit lebt, der nie einen Menschen
sieht. Das ist ein Mann von großem Verstande, oh, von einem solchen
Verstande, ich kann's gar nicht sagen. Er sagt auch nie ein Wort. Aber
_wenn_ er einmal einen Rat erteilt ... Ich erzählte ihm einmal, ich habe
einen kranken Freund, den Namen nannte ich ihm nicht ... Er hörte mich
ruhig an und unterbrach mich dann plötzlich mit folgenden Worten:
>Gottes Sache vor allem. Da baut man Kirchen und es ist kein Geld da:
man muß Geld für den Kirchenbau sammeln!< Und damit schlug er die Türe
zu. Ich dachte lange nach, was das wohl bedeuten könne >Offenbar will er
mir keinen Rat erteilen<, sagte ich mir. Und so ging ich denn zu unserm
Archimandriten. Kaum hatte ich sein Zimmer betreten, so fragt er mich
schon, ob ich nicht einen Menschen kenne, den man beauftragen könne,
Geld für den Bau einer Kirche zu sammeln, es müßte aber ein Mann aus dem
Adels- oder aus dem Kaufmannsstande sein, der eine bessere Erziehung
genossen habe und sich der Sache annehmen wolle, als ob sein ganzes Heil
davon abhänge? Ich blieb ganz bestürzt stehen. Gott im Himmel. Das ist
ja das Amt, das der Mönch Ssemjon Ssemjonowitsch übertragen will. Das
Wandern wäre ja sehr gut gegen seine Krankheit. Wenn er mit seinem Buche
vom Gutsbesitzer zum Bauern und vom Bauern zum Bürger gehen wird, wird
er sehen, wie die Menschen leben und was ein jeder für Bedürfnisse hat.
Wenn er dann wiederkommt, nachdem er mehrere Provinzen durchwandert hat,
wird er Land und Leute besser kennen, als alle Stadtbewohner. Und solche
Menschen brauchen wir ja gerade! Der Fürst hat mir erklärt, er gäbe viel
dafür, wenn er solch einen Beamten finden könnte, der die Verhältnisse
nicht aus den Büchern und Akten, sondern _tatsächlich_ kennt, so wie sie
in Wirklichkeit sind, denn aus den Akten kann man, wie man sagt,
überhaupt nichts mehr erfahren: so verwickelt seien die Dinge.«

»Sie haben mich ganz verwirrt und ratlos gemacht, Afanassij
Wassiljewitsch,« sagte Chlobujew, indem er Murasow erstaunt anblickte.
»Ich kann nicht einmal glauben, daß Sie das zu _mir_ sagen: dazu bedarf
man eines unermüdlichen, tatkräftigen Menschen. Und dann kann ich doch
nicht Frau und Kinder verlassen, die ja nicht einmal was zu essen
haben?«

»Um Frau und Kinder brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Für die will ich
schon Sorge tragen, und an Lehrern soll es den Kindern nicht fehlen. Es
ist doch besser und anständiger, Geld und milde Gaben für ein
gottgefälliges Werk zu sammeln, als mit dem Felleisen herumzugehen und
zu betteln. Ich gebe Ihnen einen einfachen Wagen, Sie brauchen aber
keine Angst zu haben, daß er Sie zu sehr durchrütteln wird: das wird
Ihnen nur gut tun, das ist ganz gesund. Und dann gebe ich Ihnen noch
etwas Geld auf den Weg, damit Sie auf Ihrer Reise denen etwas geben
können, die am meisten Not leiden. Sie werden auf diese Weise manch
gutes Werk tun können: Sie werden schon keine Fehler machen und wirklich
nur _denen_ geben, die es wert sind. Wenn Sie so das Land bereisen,
werden Sie die Menschen tatsächlich kennen lernen ... und es wird Ihnen
nicht so gehen, wie irgend einem Beamten, vor dem alle Angst haben ...
Mit Ihnen wird jeder gern sprechen wollen, weil er weiß, daß Sie Geld
für die _Kirche_ sammeln.«

»Ich sehe in der Tat, daß dies ein vortrefflicher Gedanke ist, und ich
wünschte mir wirklich, ich könnte auch nur einen kleinen Teil davon
ausführen; aber ich fürchte, es übersteigt meine Kräfte!«

»Ja, was übersteigt denn unsere Kräfte nicht?« versetzte Murasow. »Es
gibt doch gar nichts, wozu unsere Kräfte ausreichen; alles geht über
unsere Kraft. Ohne Hilfe von oben kann uns überhaupt nichts gelingen.
Aber das Gebet gibt uns Kraft. Der Mensch schlägt ein Kreuz, sagt: >Gott
hilf!< rudert und erreicht schließlich doch das Ufer. Darüber brauchte
man nicht erst lange zu grübeln. So etwas muß man einfach als eine
göttliche Mission auffassen. Der Wagen steht schon bereit für Sie;
laufen Sie jetzt schnell zum Archimandriten, holen Sie sich das Buch,
bitten Sie ihn um seinen Segen und dann machen Sie sich auf den Weg.«

»Nun gut, ich gehorche Ihnen und nehme es als einen Wink von oben. --
Gott sei mir gnädig!« sagte er zu sich selbst und fühlte plötzlich, wie
Mut und Kraft sein Herz durchfluteten. Es war fast, als ob sein Geist
aus einem tiefen Schlafe erwachte, beseelt von der Hoffnung auf einen
Ausweg aus seiner traurigen und verzweifelten Lage. Ein Lichtschimmer
blitzte in der Ferne auf ...

Doch verlassen wir Chlobujew und wenden wir uns wieder zu
Tschitschikow.(14)

                   *       *       *       *       *

Unterdessen wurden bei den Gerichten immer neue Klagen eingereicht. Es
tauchten plötzlich Verwandte auf, von denen niemand je etwas gehört
hatte. Wie die Geier auf das Aas, so stürzte sich alles auf das
ungeheuere Vermögen, das die Alte hinterlassen hatte: es regnete nur so
von Denunziationen, man beschuldigte Tschitschikow und behauptete, das
letzte Testament sei gefälscht, genau ebenso wie das erste; man brachte
Beweise vor, daß er größere Geldsummen gestohlen und unterschlagen habe.
Ja, man beschuldigte ihn sogar, tote Seelen gekauft und während seiner
Dienstzeit im Zollamt zollpflichtiges Gut über die Grenze geschmuggelt
zu haben. Alle alten Geschichten wurden ausgegraben, seine ganze
Vergangenheit wurde wieder ans Licht gezogen. Gott allein weiß, wie man
das alles herausgeschnüffelt und in Erfahrung gebracht hatte, jedenfalls
waren plötzlich schwer belastende Dinge ans Licht gekommen, von denen
Tschitschikow glaubte, niemand außer ihm und den vier Wänden, innerhalb
deren er lebte, könne davon Kenntnis haben. Einstweilen war dies alles
noch ein gerichtliches Geheimnis, noch war es ihm selbst nicht zu Ohren
gekommen, obwohl ein vertrauliches Schreiben seines Rechtsanwaltes, daß
ihm bald zugestellt wurde, ihn davon in Kenntnis setzte, daß die Sache
bald losgehen müsse. Der Brief war nur ganz kurz: »Ich beeile mich,
Ihnen mitzuteilen, daß uns in Ihrer Sache mancherlei Scherereien
bevorstehen, aber lassen Sie sich einen guten Rat geben: regen Sie sich
nicht unnütz auf. Die Hauptsache ist jetzt -- Ruhe. Wir wollen die Sache
schon wieder einrenken.« Dieser Brief beruhigte ihn vollkommen. »Ein
Genie!« sagte Tschitschikow. Um seine glückliche Stimmung zu
vervollständigen, brachte ihm in diesem Augenblick der Schneider auch
noch den neuen Anzug. Eine unbändige Lust packte ihn, sich selbst in dem
neuen Frack von Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz zu sehen. Er zog
die Beinkleider an, die ihm überall so vorzüglich saßen, daß man ihn
ruhig hätte abkonterfeien dürfen. Die Hosen lagen ganz eng an und ließen
seine prachtvollen Lenden und die vollen Waden sehen; der Stoff
schmiegte sich so glatt an, und ließ alle feinsten Einzelheiten
erkennen, was ihnen eine noch größere Biegsamkeit und Elastizität
verlieh. Als er hinten die Hosenschnalle anzog, da glich sein Bauch
einer Trommel. Er schlug mit der Bürste darauf und sagte: »So ein
Trottel! Und _doch_, im ganzen genommen, wirkt er höchst malerisch.« Der
Frack schien noch besser genäht zu sein, als die Hosen: da gab es auch
nicht ein Fältchen, im Rücken saß er vorzüglich, die Taille war schön
geschwungen und ließ die ganze Statur genau hervortreten. Auf
Tschitschikows Bemerkung, der rechte Ärmel drücke ihn etwas unter der
Achselhöhle, antwortete der Schneider bloß mit einem Lächeln: darum saß
er auch um so besser in der Taille. »Sie können ganz ruhig sein, Sie
können ganz ruhig sein, was die Arbeit angeht,« wiederholte er mit
unverhohlener Freude: »So einen Frack bekommen Sie überhaupt nicht
wieder außer etwa in Petersburg.« Der Schneider stammte selbst aus
Petersburg, und auf seinem Schilde stand zu lesen: »_Ein Ausländer aus
London und Paris_«. Er liebte es nicht zu spaßen und wollte mit den
beiden Städten ein für allemal allen andern Schneidern den Mund stopfen,
damit in Zukunft keiner seinen Kunden mehr mit einer dieser Städte
kommen sollte. Mochte er doch irgend ein »Karlseruh« oder »Kopenhaga«
auf sein Schild setzen.

Tschitschikow bezahlte den Schneider in nobelster Weise und begann sich,
nachdem er allein geblieben war, aufmerksam im Spiegel zu betrachten:
und zwar ganz wie ein Künstler, d. h. nach ästhetischen Gesichtspunkten
und gewissermaßen _con amore_. Es stellte sich heraus, daß alles noch
weit schöner war, als früher: seine Wangen waren noch interessanter,
sein Kinn noch anziehender geworden; der weiße Kragen paßte vorzüglich
zur Farbe der Wangen, die blaue Atlaskrawatte ließ den Kragen noch
weißer erscheinen und das modern gefaltete Vorhemdchen verlieh der
Krawatte einen besonderen Farbenton, die nobele Sammetweste bildete
einen ausgezeichneten Fond für das Vorhemdchen und der Frack von
Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz leuchtete wie Seide und
vervollständigte noch die Harmonie des Ganzen. Er drehte sich rechts --
und siehe, alles war vortrefflich; er drehte sich links -- und es war
noch besser! Er hatte die Figur eines Kammerherrn oder eines vornehmen
Mannes, der fließend französisch parliert und, selbst wenn er wütend
wird, es nicht wagt, ein russisches Schimpfwort zu gebrauchen, sondern
sich aus Zartgefühl auch hierbei noch der französischen Sprache bedient.
Hierauf neigte er seinen Kopf ein wenig auf die Seite und versuchte es,
eine Pose anzunehmen, als spräche er mit einer Dame in mittleren Jahren,
von modernster und exquisitester Bildung; das war einfach ein Tableau,
etwas für einen Künstler: rein zum Malen! Zu seinem Pläsier machte er
noch einen leichten Luftsprung: etwas wie ein Entrechat, sodaß die
Kommode erzitterte und ein Fläschchen mit Kölnischem Wasser
herunterfiel; aber das störte ihn nicht im mindesten. Er nannte das
Fläschchen, wie es sich gehörte, ein albernes Ding, und dachte: »Zu wem
soll ich jetzt zu allererst hingehen? Am besten, ich gehe ...« Da ertönt
plötzlich im Flur etwas wie Sporengeklirr, und in der Türe erscheint ein
Gendarm: bis an die Zähne bewaffnet, als wollte er ein ganzes Heer
repräsentieren, und sagt: »Sie haben sich sofort beim Generalgouverneur
zu melden!« Tschitschikow war ganz starr vor Schrecken. Vor ihm stand
ein Schreckbild mit einem mächtigen Schnauzbart, einem wallenden
Pferdeschweif, der ihm vom Kopfe herabfiel, eine Schärpe über der
_rechten_ und eine Schärpe über der _linken_ Schulter und einen
gewaltigen Pallasch an der Seite. Ja, es schien ihm, als ob er an der
andern Seite noch ein Gewehr und weiß der Teufel was sonst noch alles
hängen hatte: eine ganze Armee in einer Person! Er wollte etwas
einwenden, aber die Schreckensgestalt antwortete grob: »Sie haben sofort
mitzukommen!« Hinter der Vorzimmertür sah er noch eine andre ähnliche
Schreckensgestalt auftauchten; er warf einen Blick durchs Fenster: auf
der Straße vor seinem Hause hielt eine Equipage. Was war da zu machen?
Er mußte sich dazu bequemen, und ganz so wie er da war, in seinem Frack
von Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz im Wagen Platz nehmen.
Zitternd und zähneklappernd machte er sich auf den Weg und fuhr,
begleitet von dem Gendarm direkt zum Generalgouverneur.

Im Vorzimmer ließ man ihm gar nicht erst Zeit sich zu sammeln. »Treten
Sie ein, der Fürst erwartet Sie schon!« sagte der diensthabende Beamte.
Wie durch einen leichten Nebel sah er das Vorzimmer, voller Kuriere, die
allerhand Pakete in Empfang nahmen, und hierauf einen Saal, den er
durchschreiten mußte, und er dachte: »Wie? Wenn sie mich nun plötzlich
ergreifen, und ohne gerichtliche Untersuchung und ohne alle Formalitäten
einfach nach Sibirien befördern!« Sein Herz fing heftig an zu klopfen,
weit heftiger als bei dem eifersüchtigsten Liebhaber. Endlich tat sich
die verhängnisvolle Tür auf: vor ihm lag ein Zimmer mit zahlreichen
Schränken und Tischen, die mit Büchern und Portefeuilles bedeckt waren:
der Fürst stand vor ihm, schrecklich in seinem Zorn wie der
personifizierte Rachegott.

»Alleszermalmer!« dachte Tschitschikow, »er wird mich zerreißen, wie der
Wolf das Lamm!«

»Ich habe Sie geschont, ich habe Ihnen erlaubt, in der Stadt zu bleiben,
während Sie eigentlich ins Zuchthaus gehörten; Sie aber haben sich von
neuem durch den gemeinsten Schurkenstreich befleckt, mit dem sich jemals
ein Mensch beschmutzt hat!« Die Lippen des Fürsten bebten vor Zorn.

»Was ist das für ein gemeiner Schurkenstreich, Durchlaucht?« sagte
Tschitschikow, der am ganzen Leibe zitterte.

»Die Frau,« sagte der Fürst, indem er näher auf ihn zuging und
Tschitschikow gerade in die Augen blickte: »die Frau, die das Testament
auf Ihr Geheiß unterschrieben hat, ist verhaftet worden, und wird Ihnen
gegenübergestellt werden.«

Tschitschikow wurde es dunkel vor den Augen.

»Durchlaucht! Ich will Ihnen die ganze Wahrheit sagen. Ich bin schuldig,
ja ich bin schuldig; aber nicht so schuldig, wie Sie glauben, meine
Feinde haben mich verleumdet.«

»Sie _kann_ niemand verleumden, denn in Ihnen steckt unendlich viel mehr
Gemeinheit und Niedertracht, als der schlimmste Lügner ersinnen kann.
Ich glaube, Sie haben in Ihrem ganzen Leben keine ehrliche Tat
vollbracht. Jede Kopeke, die Sie besitzen, ist erschwindelt und
ergaunert. Es gibt eine Art von Raub und Verbrechen, auf die die Knute
und Sibirien stehen! Nein, Ihr Maß ist voll! Du wirst sofort ins
Gefängnis abgeführt werden; dort magst du zusammen mit den gemeinsten
Schurken und Räubern auf die Entscheidung deines Schicksals warten. Und
das kannst du als Gnade ansehen, denn du bist noch weit schlimmer als
sie: sie sind einfache Leute, in Pelz und Kittel, du dagegen ...« Er
warf einen Blick auf den Frack von Navarinoscher Rauchfarbe mit
Feuerglanz, ergriff die Glockenschnur und klingelte.

»Durchlaucht!« schrie Tschitschikow, »haben Sie Erbarmen! Sie sind doch
auch Familienvater. Ich flehe Sie um Gnade an: nicht für mich, für meine
alte Mutter!«

»Du lügst!« rief der Fürst zornig. »Genau so hast du damals für deine
Kinder und deine Familie, die du nie besessen hast, um Gnade gefleht!
Jetzt ist es die Mutter!«

»Durchlaucht! Ja ich bin ein Schurke, ein gemeiner niederträchtiger
Schuft!« sagte Tschitschikow ... »Ich habe wirklich gelogen, denn ich
hatte weder Kinder noch Familie; aber Gott sei mein Zeuge, ich hatte
stets die Absicht, mich zu verheiraten, meine Pflicht als Mensch und
Bürger zu erfüllen, um mir später einmal die Achtung meiner Vorgesetzten
und Mitbürger zu verdienen! ... Aber welch ein unglückliches
Zusammentreffen der Umstände! Durchlaucht! Mit meinem Schweiß und Blut
mußte ich mir mein tägliches Brot verdienen. Und dabei diese
Versuchungen und Verführungen auf Schritt und Tritt ... nichts als
Feinde und Gegner ... Räuber und Mörder ... Mein ganzes Leben war wie
ein stürmischer Wirbel oder ein schwankender Kahn auf offenem Meer, ein
Spielball der Winde und Wellen. Ich bin -- auch nur ein Mensch --
Durchlaucht!«

Tränenströme stürzten aus seinen Augen. Er warf sich vor dem Fürsten auf
die Kniee, wie er ging und stand: im Frack von Navarinoscher Rauchfarbe
mit Feuerglanz, mit der Sammetweste und seidenen Krawatte, in den
herrlich sitzenden Hosen und seiner schönen Frisur, die eine Wolke von
Wohlgeruch und feinstem Eau-de-Cologne-Duft aussendete; er beugte sich
tief vor dem Fürsten und schlug mit dem Kopf gegen den Fußboden.

»Fort, fort von mir! Ein Soldat soll kommen und ihn mitnehmen!« sagte
der Fürst zu den eintretenden Gendarmen.

»Durchlaucht!« schrie Tschitschikow und umklammerte mit beiden Armen den
einen Stiefel des Fürsten.

Der Fürst zuckte zusammen, ein Schauder rann ihm durch alle Adern.
»Fort, fort mit ihm! sag ich!« rief er, indem er seinen Fuß aus der
Umklammerung Tschitschikows zu befreien versuchte.

»Durchlaucht! Ich rühre mich nicht vom Fleck, bis Sie mir verziehen
haben,« sagte Tschitschikow, ohne den Fuß des Fürsten loszulassen, sodaß
dieser, als er einen Schritt machte, ihn mitsamt seinem Frack von
Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz auf dem Fußboden nach sich
schleifte.

»Fort! Gehen Sie, sag ich Ihnen!« rief der Fürst mit jenem
unerklärlichen Gefühl des Ekels und Widerwillens, das ein Mensch beim
Anblick eines häßlichen Insekts empfindet, ohne doch den Mut zu haben,
es zu zertreten. Er riß seinen Fuß mit solcher Gewalt los, daß
Tschitschikow einen Tritt vor Nase, Lippen und das wohlgerundete Kinn
erhielt, aber er gab den Stiefel doch nicht frei und klammerte sich nur
noch stärker an ihn. Zwei kräftige Gendarmen schleppten ihn nur mit Mühe
fort, sie nahmen ihn unter den Arm und führten ihn durch die lange
Zimmerflucht hinaus. Er war bleich und niedergeschlagen und befand sich
in jenem furchtbaren und gefühllosen Zustande, wo der Mensch den
finsteren und unabwendlichen Tod vor Augen sieht, dieses entsetzliche
Schreckbild, das unserem ganzen Wesen so sehr widerspricht.

In der Tür, die auf die Treppe führte, begegnete ihnen Murasow. Ein
Hoffnungsstrahl erhellte plötzlich Tschitschikows verdüstertes Gemüt.
Mit geradezu unnatürlicher Kraft hatte er sich plötzlich aus den Händen
beider Gendarmen losgerissen und warf sich nun vor dem erstaunten
Murasow auf die Kniee.

»Pawel Iwanowitsch, Bester! was ist Ihnen?«

»Retten Sie mich! Man führt mich ins Gefängnis, aufs Schafott.«

Hier aber packten ihn die Gendarmen und führten ihn hinaus, ohne ihn
ausreden zu lassen.

Eine feuchte dumpfe Zelle, in der es nach den Stiefeln und Fußlappen der
Garnisonsoldaten duftete, ein ungestrichener Tisch, zwei schlechte
Stühle, ein vergittertes Fenster und ein verfallener Ofen, der beständig
rauchte, ohne zu wärmen -- das war der Raum, in dem unser Held
untergebracht wurde, er, der bereits begonnen hatte, die Wonnen des
Lebens zu kosten und in seinem eleganten neuen Frack von Navarinoscher
Rauchfarbe mit Feuerglanz die Aufmerksamkeit seiner Mitbürger auf sich
zu lenken. Man erlaubte ihm nicht, seine Sachen zu ordnen, er durfte
nicht einmal seine Schatulle mit dem Gelde mitnehmen, das er sich mühsam
erworben hatte ... All seine Papiere, die Verträge über den Kauf der
toten Bauern -- alles war jetzt in den Händen der Beamten. Er fiel auf
die Erde und hoffnungsloser Gram fing an, einem gierigen Wurme gleich an
seinem Herzen zu nagen. Immer heftiger zerfleischte er sein armes
wehrloses Herz. Noch ein Tag, noch ein einziger Tag voll solchen
Schmerzes, und wer weiß, ob Tschitschikow überhaupt noch auf der Welt
gewesen wäre. Aber auch über Tschitschikow wachte eine schirmende und
rettende Hand. Eine Stunde darauf öffnete sich die Türe des Gefängnisses
und hereintrat: »der alte Murasow«.

Hätte jemand einem müden und erschöpften, von brennendem Durste
gequälten und mit dem Staube und Schmutze des Weges bedeckten Wanderer
ein paar Tropfen frischen Quellwassers in die trockene Kehle geträufelt,
-- es hatte ihn nicht so beleben können, wie dies Ereignis unsern armen
Tschitschikow.

»Mein Retter!« rief Tschitschikow plötzlich, indem er vom Fußboden aus,
auf den er sich in seinem herzzerreißenden Schmerz niedergeworfen hatte,
nach Murasows Hand griff, sie schnell küßte und an seine Brust drückte.
»Gott lohne es Ihnen, daß Sie zu mir Unglücklichem kommen!«

Und er brach in Tränen aus.

Der Greis sah ihn mit traurigem schmerzlichem Blicke an und sagte nur:
»Pawel, Pawel Iwanowitsch! Pawel Iwanowitsch! Was haben Sie getan?«

»Was soll ich machen! Er hat mich zugrunde gerichtet, der Verfluchte!
Ich konnte nicht Maß halten; und verstand es nicht, zur rechten Zeit
aufzuhören. Er hat mich verführt, der verfluchte Satan, daß ich alle
Grenzen menschlicher Vernunft und Besonnenheit überschritt! Ja, ich habe
gefehlt, ich habe schwer gefehlt! Und doch wie konnte man mich so
behandeln. Einen Edelmann, ohne Untersuchung und ohne gerichtliches
Urteil ins Gefängnis zu werfen! ... Einen Edelmann, Afanassij
Wassiljewitsch! Man mußte mir doch wenigstens Zeit lassen, nach Hause zu
gehen und meine Sachen zu ordnen? Es liegt ja noch alles so herum wie
früher, und es ist niemand da, der sich darum kümmert. Meine Schatulle!
Afanassij Wassiljewitsch! O meine Schatulle! Da steckt doch mein ganzes
Vermögen drin, das ich mir im Schweiße meines Angesichts mit meinem
Blut, durch jahrelange Mühen und Entbehrungen erworben habe. Meine
Schatulle, Afanassij Wassiljewitsch! Sie werden mir ja alles stehlen und
fortschleppen! O mein Gott, mein Gott!«

Er konnte sich nicht mehr beherrschen, und außerstande den Schmerz
niederzukämpfen, der sein Herz krampfhaft erschütterte, fing er laut an
zu schluchzen, mit einer Stimme, die durch die dicken Mauern des
Gefängnisses hindurch drang und weithin widerhallte; er ergriff die
Atlaskrawatte und den Kragen seines Anzugs und riß den herrlichen Frack
von Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz in Stücke.

»Ach Pawel Iwanowitsch, wie hat Sie doch die Gier nach Wohlstand und
Reichtum verblendet, daß Sie sich nicht klar wurden über Ihre furchtbare
Lage!«

»O mein Wohltäter! retten Sie mich, retten Sie mich!« schrie der arme
Pawel Iwanowitsch ganz verzweifelt, indem er vor ihm auf die Kniee sank.
»Der Fürst liebt Sie. Für Sie wird er alles tun!«

»Nein, Pawel Iwanowitsch, ich kann nichts für Sie tun, selbst wenn ich
es wollte, und so sehr ich es auch wünschte. Sie sind in die Macht des
unerbittlichen Gesetzes und nicht in menschliche Hände gefallen!«

»Er hat mich verführt; der Satan! der Verdammte, dieser Auswurf des
Menschengeschlechtes!«

Und er rannte mit dem Kopfe gegen die Wand und schlug so stark mit der
Faust auf den Tisch, daß er sich seine Hand blutig schlug; aber er
fühlte weder den Schmerz im Kopfe, noch die furchtbare Wucht des
Schlages.

»Pawel Iwanowitsch, beruhigen Sie sich; denken Sie lieber daran, sich
mit Ihrem _Gotte_ auszusöhnen und nicht mit den Menschen; denken Sie an
Ihre arme Seele!«

»O welch ein schreckliches Schicksal, Afanassij Wassiljewitsch. Ward je
einem Menschen ein solch furchtbares Los zuteil? Mit welch geradezu
mörderischer Geduld und Ausdauer habe ich mir jede Kopeke erspart;
wahrlich mit harter Mühe und Arbeit, im Schweiße meines Angesichts habe
ich sie erworben. Ich habe doch niemand beraubt oder die Staatskasse
bestohlen, wie es andre Leute machen. Und wozu habe ich Kopeke auf
Kopeke gespart? Um den Rest meiner Tage anständig zu verleben; um meiner
Frau und meinen Kindern etwas zu hinterlassen, denn ich wollte mir eine
Familie gründen, zum Wohle des Staates und um meinem Vaterlande zu
dienen. Das war mein einziges Ziel. Ich habe unrecht getan; ich leugne
es nicht, ich habe mich schwer vergangen ... aber was soll ich tun? Und
doch wich ich erst da vom geraden Wege ab, als ich sah, daß der gerade
Weg nicht zum Ziele führt, und daß der krumme eben der kürzere ist. Aber
ich habe doch gearbeitet und mich ehrlich angestrengt. Wenn ich jemand
was fortgenommen habe, so nahm ich's nur den Reichen. Es gibt doch
Schurken beim Gericht, die der Krone Tausende stehlen, die armen Leute
plündern und denen, die nichts haben, die letzte Kopeke wegnehmen! Nein,
sagen Sie, hab ich nicht Unglück? -- noch jedes Mal, wenn ich die
Früchte meiner Mühe zu ernten, sie schon sozusagen mit Händen zu greifen
glaubte, brach ein Sturm über mich herein, strandete ich an einem Riff,
und mein ganzes Schiff zerschellte. Einmal hatte ich schon
dreihunderttausend Rubel Kapital in Händen und ein dreistöckiges Haus
dazu, zweimal schon habe ich mir ein Gut gekauft ... Ach Afanassij
Wassiljewitsch. Womit verdiente ich diese Schicksalsschläge? Glich denn
nicht schon ohnedies mein Leben einem schwankenden Kahn auf stürmischem
Ozean? Wo bleibt da die ewige Gerechtigkeit? Wo der Lohn für meine
Geduld und meine unerhörte Ausdauer? Dreimal mußte ich von Anfang
anfangen: nachdem ich alles verloren, begann ich von neuem, mit wenigen
Kopeken in der Tasche, während sich ein anderer längst dem Trunke
ergeben hätte und in der Schenke verkommen wäre. Wie vieles mußte ich in
mir unterdrücken, wieviel mußte ich aushalten! Wahrlich, jede Kopeke ist
sozusagen mit dem ganzen Aufgebot meiner Geisteskraft errungen! Wie
leicht hatten es andre Leute, für mich aber war jede Kopeke wie das
Sprichwort sagt mit einem silbernen Nagel festgenagelt, und diese
festgenagelte Kopeke mußte ich mir, Gott sei mein Zeuge, mit geradezu
eiserner Geduld und Unermüdlichkeit erringen.«

Er fing an zu schluchzen, ein unerträglicher Schmerz zerriß sein Herz;
kraftlos sank er auf einen Stuhl nieder und riß dabei den einen
herabhängenden halbzerfetzten Frackschoß vollends ab; er schleuderte ihn
weit von sich, fuhr sich mit beiden Händen durch sein Haar, um dessen
Pflege er sonst so eifrig bemüht war, und zerraufte es unbarmherzig; er
schien sich an seinem eigenen Schmerze zu weiden, und sein durch nichts
zu beschwichtigendes Herzeleid mit dem physischen Schmerz betäuben zu
wollen.

Murasow saß ihm lange stumm gegenüber, in die Betrachtung dieses
seltsamen noch nie gesehenen Schauspieles versunken. Unterdessen wand
sich der unglückliche erbitterte Mensch, der sich noch vor kurzem mit
der Gewandtheit und Ungezwungenheit eines Weltmannes oder Militärs
bewegt hatte, in einem unwürdigen Aufzuge, mit zerzausten Haaren,
zerrissenem Frack, aufgeknöpften Beinkleidern und mit blutender Hand zu
seinen Füßen, fortwährend bittere Flüche gegen die feindlichen Mächte
ausstoßend, die den Menschen befehden.

»Ach Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch! Was hätte aus Ihnen für ein
Mensch werden können, wenn Sie sich mit derselben Kraft und Ausdauer
einer ehrlichen Arbeit gewidmet und sich ein edleres Ziel gesteckt
hätten. Herrgott! wieviel Gutes hätten Sie stiften können! Wenn doch nur
_einer_ der Menschen, die das Gute lieben, soviel Anstrengungen machte,
wie Sie es taten, um Kopeke auf Kopeke zu häufen, wenn sie es doch
verständen, ihre Eigenliebe und ihren Ehrgeiz so für das Gute zu opfern,
ohne sich selbst zu schonen, wie Sie sich nicht schonten, um Ihren
Besitz zu mehren! -- Gott, wie herrlich würde es dann auf unserer Erde
aussehen! ... Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch! Nicht das ist das
Traurige, daß Sie schuldig wurden und sich an andern vergingen, sondern
daß Sie sich so schwer an sich selbst vergangen haben: an Ihren reichen
Kräften und Fähigkeiten, die Ihnen zuteil wurden. Es war Ihre
Bestimmung: ein großer Mann zu werden, Sie aber haben Ihre Kräfte
verzettelt und sich selbst zugrunde gerichtet.«

Es gibt unergründliche Tiefen der menschlichen Seele: wie weit sich auch
der irrende Mensch vom geraden Wege entfernt haben, wie verstockt auch
der unverbesserliche Verbrecher in seinen Gefühlen sein mag, wie trotzig
er auf seinem lasterhaften Leben beharren mag: wenn man ihm sein
besseres Selbst und seine von ihm selbst in den Kot gezogenen Tugenden
vorhält, dann bäumt sich alles in ihm, und tieferschüttert steht er da.

»Afanassij Wassiljewitsch,« sagte der arme Tschitschikow und ergriff
Murasows beide Hände. »Oh! wenn es mir gelänge, frei zu kommen und mein
Vermögen zurückzugewinnen! Ich schwöre Ihnen, ich würde von nun ab ein
ganz neues Leben beginnen! Retten Sie mich, o mein Wohltäter, retten Sie
mich!«

»Was kann ich nur tun? Ich müßte wider das Gesetz streiten. Aber selbst
wenn ich mich dazu entschließen könnte, vergessen Sie eines nicht: der
Fürst ist sehr gerecht, -- er wird unter keinen Umständen nachgeben.«

»O, mein Wohltäter! Sie können alles erreichen! Mich schreckt das Gesetz
nicht -- gegen das Gesetz werde ich schon Mittel und Wege finden -- was
mich empört, ist dies: daß ich unschuldig ins Gefängnis geworfen wurde,
wie ein Hund, daß mein ganzes Vermögen, meine Papiere, meine Schatulle
.... O, retten Sie mich! Helfen Sie mir!«

Er umklammerte die Füße des alten Mannes und benetzte sie mit seinen
Tränen.

»Ach, Pawel Iwanowitsch, Pawel Iwanowitsch!« sagte der alte Murasow,
indem er den Kopf schüttelte: »wie hat Sie doch dieser Reichtum
verblendet! Sie denken nur an ihn und hören nicht auf Ihre arme Seele?«

»Ich will auch an meine Seele denken, nur retten Sie mich!«

»Pawel Iwanowitsch!« sprach der alte Murasow und hielt einen Augenblick
inne. »Es liegt nicht in meiner Macht, Sie zu retten -- das sehen Sie
doch selbst. Aber ich verspreche Ihnen, alles zu tun, was ich nur kann,
um Ihr Los zu erleichtern, und Sie zu befreien. Ich weiß nicht, ob mir
dies gelingen wird, aber ich werde mir die größte Mühe geben. Sollte ich
jedoch wider Erwarten Glück haben: Pawel Iwanowitsch -- dann bitte ich
mir einen Lohn für meine Bemühungen aus. Pawel Iwanowitsch, ich flehe
Sie an: lassen Sie ab von dieser Gier und Jagd nach dem Erwerb. Ich gebe
Ihnen mein Ehrenwort: wenn ich mein ganzes Vermögen verlöre -- und es
ist weit größer als das Ihrige -- ich würde ihm keine Träne nachweinen.
Wahrlich, was liegt am Besitz, den man mir jeden Tag konfiszieren kann,
worauf es ankommt, das sind die Güter, die mir niemand zu nehmen oder zu
stehlen vermag! Sie haben doch schon lange genug auf dieser Welt gelebt.
Sie nennen ja Ihr Leben selbst einen schwankenden Kahn auf wogendem
Meer. Sie besitzen genug, um den Rest Ihrer Tage sorglos verleben zu
können. Lassen Sie sich in einem stillen Erdenwinkel nieder; in der Nähe
einer Kirche, nahe bei schlichten braven Menschen, oder wenn Sie schon
den glühenden Wunsch haben, Nachkommen zu hinterlassen, so heiraten Sie
ein armes braves Mädchen, das an einfache Verhältnisse und an ein
mäßiges Leben gewöhnt ist. Vergessen Sie diese lärmende Welt und all
ihre Launen und Verführungen: es schadet gar nichts, wenn auch die Welt
Sie vergißt: sie kann uns keinen Frieden gewähren, Sie sehen ja selbst:
sie ist voller Feinde, Verführungen und Verrätereien.«

»Unbedingt, ganz unbedingt! Ich hatte schon die Absicht und wollte eben
ein ordentliches Leben beginnen, wollte mich ganz der Landwirtschaft
widmen und meine Bedürfnisse einschränken. Der Dämon der Verführung hat
mich verwirrt und vom rechten Wege abgeführt, dieser Satan, dieser
verfluchte Teufel, o diese Schlangenbrut!«

Ganz neue, ungeahnte Gefühle, die er sich nicht zu erklären vermochte,
durchdrangen plötzlich seine Brust, es war, als ob sich in ihm etwas
regte; und aus tiefem Schlummer erwachte etwas ganz Fernes, längst
Vergessenes ... etwas, das eine strenge tote Lehre in frühester Kindheit
im Keime erstickt hatte, das eine trübselige, trostlose Jugend, die Enge
des Vaterhauses, die Einsamkeit seines traurigen Lebens fern von der
Familie, die Armut und Armseligkeit der ersten Eindrücke in ihm
unterdrückt hatten; und alles das, was das harte und kalte Auge des
Schicksals, das ihn traurig und wie durch ein trübes, vom Schneesturme
verwehtes Fenster angeblickt, in sein Inneres zurückgeschreckt hatte,
schien sich nun plötzlich losreißen und nach außen drängen zu wollen.
Ein Stöhnen entrang sich seiner Brust, er bedeckte sein Antlitz mit
beiden Händen und sprach mit schmerzdurchzitterter Stimme: »Wahrhaftig,
Sie haben recht!«

»Ihre Menschenkenntnis und Ihre Erfahrung haben Ihnen nicht geholfen,
weil Sie sie in den Dienst des Unrechts stellten. Hätten Sie doch einer
gerechten Sache gedient! ... Ach Pawel Iwanowitsch, warum haben Sie sich
selbst zugrunde gerichtet. Erwachen Sie: noch ist es nicht zu spät, noch
ist es Zeit ...«

»Nein, es ist zu spät, zu spät!« stöhnte Tschitschikow mit einer Stimme,
bei deren Klang Murasow fast das Herz springen wollte. »Ich fange an zu
fühlen, zu begreifen, daß ich irrte und weit, weit vom rechten Wege
abwich, aber ich kann nicht mehr anders! Nein, ich bin einmal so
erzogen. Mein Vater hat mir beständig Moral gepredigt, hat mich
geschlagen und mich schöne Sittensprüche abschreiben lassen, während er
selbst vor meinen Augen den Nachbarn ihr Holz wegstahl und mich zwang,
ihm dabei behilflich zu sein. Ich selbst war Zeuge, wie er einen
falschen Prozeß begann und ein armes Waisenmädchen verführte, deren
Vormund er war. Das lebendige Beispiel wirkt mehr als alle
Moralpredigten. Ich sehe und fühle es sehr gut, daß ich ein schlechtes
Leben führe, Afanassij Iwanowitsch, und doch verabscheue ich das Laster
nicht: ich bin stumpf geworden, ich liebe das Gute nicht, und mir fehlt
jene herrliche Neigung zu gottgefälligen Werken, die uns bald zur
zweiten Natur, zur Gewohnheit wird ... Ich kann nicht mit demselben
Eifer dem Guten dienen, der mich beseelt, wenn mir Reichtum und
Wohlstand als Preis winken. Ich spreche die Wahrheit -- was soll ich
machen?«

Der Greis seufzte tief auf ....

»Pawel Iwanowitsch! Sie haben soviel Willenskraft, soviel Geduld und
Ausdauer. Die Arznei schmeckt bitter, und doch schluckt sie der Kranke,
denn er weiß: nur so kann er genesen. Sie lieben das Gute nicht -- so
zwingen Sie sich, das Gute zu tun, ohne es zu lieben. Das wird Ihnen
noch höher angerechnet werden, als dem, der das Gute tut, weil er es
lieb hat. Versuchen Sie es, sich nur ein paar Mal zu zwingen ... dann
wird die Liebe schon von selbst kommen. Glauben Sie mir, es läßt sich
alles erreichen. Es ist uns gesagt worden: Das Reich Gottes muß errungen
werden. Es muß mit Gewalt erstürmt, mit Gewalt erworben und errungen
werden. Ach, Pawel Iwanowitsch! Wahrlich: Sie besitzen diese Kraft, die
so vielen andern fehlt, diese eiserne Geduld, und Sie sollten
unterliegen? Wahrhaftig! ich glaube fürwahr: Sie waren ein _Held_, ein
_Heros_ heute in unserer Zeit, wo alle Menschen so schwach, so energie-
und willenlos sind.«

Man sah förmlich, wie diese Worte Tschitschikow in die Seele drangen und
den Ehrgeiz, der tief auf ihrem Grunde schlummerte, aufstachelten. War
es auch kein bestimmter Entschluß, so war es doch etwas Starkes, Festes,
was einem Entschlusse sehr ähnlich sah, das jetzt in seinen Augen
aufblitzte ....

»Afanassij Wassiljewitsch!« sprach er mit fester Stimme: »wenn es Ihnen
gelingen sollte, mir die Freiheit und die Mittel zu verschaffen, damit
ich diese Stadt wenn auch nur mit einem kleinen Vermögen verlassen kann,
dann gebe ich Ihnen mein Wort, ich will ein neues Leben beginnen: dann
kaufe ich mir ein kleines Gut, werde Landwirt und fange an zu sparen,
nicht für mich selbst, sondern um andern zu helfen und Gutes zu tun,
soweit es in meinen Kräften steht; ich will versuchen, mich selbst und
all diese städtischen Diners und Schlemmereien zu vergessen, und ein
einfaches nur der Arbeit gewidmetes Leben zu führen.«

»Gott stärke Sie in diesem Entschluß!« sagte hocherfreut der alte Mann.
»Ich will all meine Kräfte einsetzen, um den Fürsten zu bewegen, daß er
Ihnen die Freiheit schenkt. Ob es mir gelingen wird, oder nicht, das
weiß Gott allein. Auf jeden Fall wird Ihr Los erleichtert werden. O,
mein Gott! Umarmen Sie mich, und lassen Sie sich umarmen! Wie haben Sie
mich erfreut! Und nun behüte Sie Gott, ich gehe sofort zum Fürsten.«

Tschitschikow blieb allein.

Sein ganzes Wesen war aufs tiefste erschüttert. Er war ganz weich
geworden. Auch das Platin, das härteste aller Metalle, das dem Feuer am
längsten widersteht, schmilzt am Ende, wenn man die Flamme in der Esse
anfacht, die Blasebälge stärker tritt und des Feuers Hitze zu
unerträglicher Glut anschwillt -- allmählich wird es weißer und immer
weißer -- das _eigensinnige_ Metall, bis es sich endlich verflüssigt: so
gibt auch der stärkste Charakter nach in der Esse der Leiden und
Schicksalsschläge, wenn sie immer heftiger auf ihn niederhageln und mit
ihrer unerträglichen Glut die harte Rinde seines Wesens erweichen ...

»Zwar verstehe und fühle ich es selbst nicht, doch aber will ich all
meine Kräfte einsetzen, um es andre fühlen zu machen; zwar bin ich
selbst schlecht, doch aber will ich all meine Kraft zusammennehmen, um
andre zu bessern; zwar bin ich selbst ein schlechter Christ, doch aber
will ich alles daransetzen, um kein Ärgernis zu geben. Ich werde selbst
Hand anlegen und auf dem Lande im Schweiße meines Angesichts tätig sein;
ich werde mir eine ehrliche Arbeit suchen, um auch auf andre einen guten
Einfluß auszuüben. Bin ich denn zu gar nichts mehr nütze? Ich habe doch
eine gewisse Befähigung zur Landwirtschaft, ich bin sparsam, flink,
gewandt und besonnen, ich habe sogar Energie und Ausdauer. Man muß nur
wollen ...«

So dachte Tschitschikow und schien mit halberwachten Seelenkräften etwas
ahnend zu ergreifen. Es war fast, als fühlte er mit dunklem Instinkt,
daß es eine Aufgabe gibt, die der Mensch hier auf Erden zu erfüllen hat,
und die sich überall, in jedem Erdenwinkel erfüllen läßt, trotz aller
widrigen Verhältnisse, trotz aller Zweifel und Unruhe, die den Menschen
auf jedem Posten bestürmen, auf den er gestellt ist. Und das werktägige
Leben, fern vom Lärm der Städte und den Versuchungen und Verführungen,
die der müßige, von der Arbeit entwöhnte Mensch erdacht hat, stand
plötzlich so deutlich vor ihm, daß er seine peinliche Lage beinahe
vergaß und vielleicht sogar geneigt gewesen wäre, der Vorsehung für
diesen harten Schicksalsschlag zu danken, wenn er seine Freiheit und
wenigstens einen _Teil_ seines Vermögens wiedererlangt hätte ... Aber da
öffnete sich die kleine Türe zu seiner schmutzigen Zelle, und herein
trat ein Beamter namens Ssamoswistow, ein flotter Bursche und Epikuräer,
ein breitschultriger, schlanker, hochgewachsener Mann, ein
ausgezeichneter Kamerad, ein Zechbruder und ein geriebener Kerl, wie ihn
seine eigenen Freunde nannten. In Kriegszeiten hätte der Mensch wahre
Wundertaten vollbracht: irgend einen Patrouillenritt durch gefährliche
und unwegsame Gegenden ausführen, oder dem Feind eine Kanone vor der
Nase wegstehlen -- das wäre so etwas für ihn gewesen. Aber da es keine
militärische Stelle für ihn gab, auf der man vielleicht einen
anständigen Menschen aus ihm hätte machen können, so gab er sich die
größte Mühe, allen Menschen schlechte Streiche zu spielen. Merkwürdig!
Er hatte höchst sonderbare Ansichten und Grundsätze: seinen Freunden war
er ein guter Kamerad, er verriet sie niemals und hielt ihnen gegenüber
stets sein Wort; seine Vorgesetzten dagegen hielt er für eine Art
feindliche Batterie, durch die man sich durchschlagen mußte, wobei es
erlaubt war, jeden schwachen Punkt, jede Bresche und Fahrlässigkeit
seitens des Gegners auszunutzen.

»Ich weiß schon, ich habe schon von Ihrer Sache gehört!« sagte er, als
er merkte, daß sich die Tür hinter ihm fest geschlossen hatte. »Macht
nichts, macht nichts! Lassen Sie den Mut nicht sinken; wir bringen alles
wieder in Ordnung. Wir werden uns alle für Sie bemühen. Wir stehen Ihnen
ganz zur Verfügung. Dreißigtausend Rubel -- für uns alle zusammen und
die Sache ist gemacht.«

»Wirklich?« rief Tschitschikow aus, »und ich werde ganz freigesprochen?«

»Ganz und gar! Sie bekommen sogar noch Schadenersatz für Ihre Verluste.«

»Und für Ihre Bemühungen?«

»Dreißigtausend. Alles inbegriffen -- für die Unsrigen, für die Leute
des Generalgouverneurs und für den Sekretär.«

»Aber erlauben Sie, wie kann ich nur? ... Meine Sachen ... meine
Schatulle ... das ist doch alles versiegelt, in den Händen der Polizei
...«

»In einer Stunde haben Sie alles wieder! Schlagen Sie ein?«

Tschitschikow reichte ihm seine Hand. Sein Herz klopfte, er glaubte
nicht recht, das es möglich sei ...

»Doch nun leben Sie wohl. Unser gemeinsamer Freund bittet mich Ihnen zu
sagen: die Hauptsache ist: ruhig Blut und Geistesgegenwart!«

»Hm!« dachte Tschitschikow, »ich verstehe: der Rechtsanwalt!«
Ssamoswistow entfernte sich. Als Tschitschikow sich wieder allein in
seiner Zelle befand, wollte er noch immer nicht recht an dessen Worte
glauben, aber es verging keine halbe Stunde, da wurde ihm schon seine
Schatulle gebracht: die Papiere, das Geld -- alles war in schönster
Ordnung. Ssamoswistow spielte die Rolle eines Inspektors: er gab den
Posten einen Rüffel, weil er nicht wachsam genug sei, gab dem
Gefängnisaufseher den Befehl, noch ein paar Soldaten zur Verstärkung der
Wache kommen zu lassen, beschlagnahmte die Schatulle und entnahm ihr
sämtliche Papiere, die Tschitschikow im geringsten kompromittieren
konnten, dann band er alles zusammen, versiegelte es und beauftragte
einen Soldaten, das Paket sofort Tschitschikow zu überbringen, unter dem
Vorwand, es befänden sich Bettwäsche und die notwendigsten Stücke der
Nachttoilette darin, sodaß Tschitschikow zugleich mit seinen Papieren
noch warme Sachen erhielt, mit denen er seinen sterblichen Leib zudecken
konnte. Diese prompte Zustellung bereitete ihm eine unsagbare Freude. Er
faßte wieder Hoffnung und schon fing er aufs neue an, von allerhand
schönen Dingen zu träumen: vom Theater und einer reizenden Tänzerin, der
er die Kur machte. Das Gut und die ländliche Stille verblaßten merklich,
dagegen malte sich ihm die Stadt und ihr lärmendes Getriebe in weit
helleren und klareren Farben ... »O Leben!«

Unterdessen hatte vor den Gerichten und Tribunalen ein Prozeß von
geradezu grenzenlosen Dimensionen begonnen. Die Federn der Schreiber
waren emsig an der Arbeit; gescheite Leute schnupften Tabak, zerbrachen
sich die Köpfe, und hatten einen beinahe künstlerischen Genuß beim
Studium dieser herrlichen schwungvoll geschriebenen Akten. Der
Rechtsanwalt lenkte und leitete wie ein verborgener Zauberkünstler den
ganzen Mechanismus; noch ehe jemand Zeit hatte sich umzusehen, hatte er
alle in seinem Netze gefangen. Der Wirrwarr wurde immer größer.
Ssamoswistow übertraf sich selbst durch seine geradezu unerhörte
Kühnheit und Frechheit. Er brachte in Erfahrung, wo die jüngst
verhaftete Frau untergebracht war, ging sofort hin und trat mit der
sicheren und kecken Miene eines Chefs oder Vorgesetzten ein, so daß der
Posten »Honneur« machte und stramm stand. »Stehst du schon lange hier?«
-- »Seit heute morgen, Euer Gnaden!« -- »Wirst du bald abgelöst?« -- »Um
drei Uhr, Euer Gnaden!« -- »Ich werde dich brauchen. Ich werde dem
Offizier sagen, daß er statt deiner einen andern herschicken soll.« --
»Zu Befehl, Euer Gnaden!« Hierauf fuhr er nach Hause, und um nur ja
niemand in die Sache zu verwickeln und alle Spuren zu verwischen, zog er
sich sofort um. Er verkleidete sich als Gendarm und klebte sich einen
künstlichen Schnurrbart und Backenbart an, sodaß ihn der Teufel selbst
nicht erkannt hätte. Er ging in das Haus, wo Tschitschikow wohnte,
ergriff das erste beste Weib, das ihm unter die Hände kam, übergab sie
zwei jungen forschen Beamten, die auch eingeweiht waren, und erschien
plötzlich ganz wie es sich gehört mit einem großen Schnauzbart und einem
Gewehr vor dem Posten: »Marsch ... der Kommandeur hat mich hierher
geschickt; ich soll dich ablösen.« Er löste den andern ab und pflanzte
sich selbst mit dem Gewehr in der Hand vor dem Eingang auf. Das war
alles, was er brauchte. Unterdessen hatte man das eine Weib mit einem
andren vertauscht, das überhaupt nichts wußte, und keine Ahnung von der
ganzen Sache hatte. Das erste Weib wußte man so gut zu verstecken, daß
später kein Mensch mehr herauskriegen konnte, wo es eigentlich geblieben
war. Während Ssamoswistow so seine Rolle als Soldat spielte, vollbrachte
der Rechtsanwalt seinerseits wahre Wundertaten auf dem bürgerlichen
Schauplatz! Er ließ dem Gouverneur durch eine dritte Person mitteilen,
daß der Staatsanwalt die Absicht habe, ihn zu denunzieren; dem
Gendarmerieoberst ließ er mitteilen, daß ein Beamter, der sich im
geheimen in der Stadt aufhielte, ihn denunzieren wolle; dem
geheimnisvollen Beamten brachte er die Überzeugung bei, daß es einen
noch geheimnisvolleren Beamten gäbe, der ihn denunzieren wolle -- und er
brachte alle dadurch in eine solche Lage, daß sich jeder an ihn wenden
mußte, um sich Rat und Beistand zu holen. Es entstand ein furchtbarer
Wirrwarr: eine Denunziation jagte die andre, es kamen unerhörte Dinge an
den Tag, wie sie hier unter der Sonne noch nie vorgekommen, und sogar
solche, die _überhaupt_ nicht vorhanden waren. Jeder Plunder fand seine
Verwendung, alles wurde hervorgeholt und ans Licht gezogen: daß einer
ein unehelicher Sohn war, was für einen Beruf und Stand er hatte, daß er
sich eine Maitresse hält, und wessen Frau einem andern nachläuft.
Skandalgeschichten und allerhand schmutzige Affären wurden mit dem Fall
Tschitschikow und den Toten Seelen derartig vermengt und in Verbindung
gebracht, daß man absolut nicht herauskriegen konnte, welche von diesen
Affären den tollsten Unsinn darstellte: beide waren einander wert. Als
dann schließlich die Akten beim Generalgouverneur einliefen, konnte der
arme Fürst überhaupt nichts mehr verstehn. Der Beamte, der den Befehl
erhalten hatte, einen Extrakt oder Auszug aus den Akten zu machen, ein
gewandter und gescheiter Mann, verlor darüber beinahe den Verstand, er
konnte den roten Faden in der ganzen Sache durchaus nicht finden. Der
Fürst hatte gerade um diese Zeit große Sorgen wegen einer ganzen Reihe
anderer Angelegenheiten, von denen eine unangenehmer war, als die andre.
In einem Teil der Provinz war eine Hungersnot ausgebrochen. Die Beamten,
die hingeschickt worden waren, um Brot unter die Hungernden zu
verteilen, hatten die Lebensmittel nicht in der richtigen Weise
verwendet. In einem andern Teil der Provinz regten sich die Sektierer.
Jemand hatte das Gerücht unter ihnen verbreitet, daß der Antichrist
gekommen sei, der nicht einmal die Toten in Ruhe lasse und tote Seelen
aufkaufe. Sie taten Buße, sündigten weiter und machten unter dem
Vorwande, den Antichristen fangen zu wollen, ein paar Nicht-Antichristen
den Garaus. An einer andern Stelle waren Unruhen unter den Bauern
ausgebrochen; sie hatten sich gegen die Gutsbesitzer und gegen den
Gendarmerieobersten empört. Ein paar Landstreicher hatten das Gerücht
verbreitet, jetzt sei die Zeit gekommen, wo die Bauern Gutsbesitzer
werden und Fräcke anziehen müßten, während die Gutsbesitzer den
Bauernkittel anlegen und selbst Bauern werden müßten -- und ein ganzer
Bezirk hatte daraufhin, ohne zu überlegen, daß es unter diesen Umständen
ja viel zu viele solche Gutsbesitzer und Gendarmerieoffiziere geben
werde -- die Steuern verweigert. Man mußte zu Zwangsmaßregeln greifen.
Der arme Fürst war ganz verstimmt und befand sich in der höchsten
Aufregung. Da teilte man ihm mit, der Branntweinpächter Murasow sei
gekommen. »Er soll eintreten!« sagte der Fürst. Der Greis betrat das
Zimmer.

»Da haben Sie Ihren Tschitschikow. Sie setzten sich für ihn ein und
versuchten, ihn zu verteidigen. Jetzt hat man ihn bei einer Sache
ertappt, zu der sich der schlimmste Dieb und Räuber nicht hergegeben
hätte.«

»Erlauben Sie mir, Ihnen mitzuteilen, Durchlaucht, daß ich die ganze
Sache nicht recht gut verstehe.«

»Die Fälschung eines Testaments, und was für eine Fälschung! ... Darauf
steht öffentliche Züchtigung mit der Knute!«

»Durchlaucht -- was ich jetzt sage, sage ich nicht, um Tschitschikow zu
verteidigen -- aber das ist doch alles noch garnicht bewiesen: die
Untersuchung hat ja noch garnicht stattgefunden.«

»Wir haben Beweise: die Frau, die die Rolle der Toten spielte, ist
verhaftet. Ich will sie sofort in Ihrer Gegenwart verhören.« Der Fürst
klingelte und befahl, die Frau holen zu lassen.

Murasow schwieg still.

»Eine niederträchtige Gaunerei! Und ist es nicht eine Schande, daß die
höchsten Beamten der Stadt, ja sogar der Gouverneur selbst in sie
verwickelt sind. Er wenigstens dürfte doch nicht da sein, wo die Diebe
und Faulenzer ihr Wesen treiben!« sagte der Fürst heftig.

»Aber der Gouverneur ist doch einer der Erben; er hatte doch gewisse
Rechte und Ansprüche darauf; und daß auch die andern von allen Seiten
herbeigelaufen kamen und mit daran profitieren wollten -- das ist doch
nur _menschlich_, Durchlaucht! Eine reiche Frau stirbt, sie hinterläßt
ein Testament, das weder klug noch gerecht ist, und nun strömen von
allen Seiten Menschen zusammen, die gern was verdienen möchten -- das
ist doch alles so menschlich, so natürlich ...«

»Ja, aber wozu all diese schmutzigen Geschichten? ... Die Schurken!«
sagte der Fürst empört. »Ich habe nicht einen einzigen anständigen
Beamten: lauter Lumpen.«

»Durchlaucht! wer von uns ist denn gut, d. h. ganz so, wie er sein
sollte? Alle Beamten unserer Stadt sind doch Menschen, die haben ihre
Vorzüge und ihre Tugenden, es gibt sehr viele unter ihnen, die ihre
Sache wirklich verstehen und tüchtige Fachleute sind, aber wer ist denn
frei von Sünde?«

»Hören Sie, Afanassij Wassiljewitsch: sagen Sie mir bitte -- Sie sind
der einzige ehrliche Mensch, den ich kenne -- was macht es Ihnen
eigentlich für ein Vergnügen, allerhand Schurken und Gauner in Schutz zu
nehmen?«

»Durchlaucht!« versetzte Murasow: »wie die Menschen auch sein mögen, die
Sie Schurken und Gauner nennen -- sie bleiben immer doch Menschen. Wie
soll man denn den Menschen nicht in Schutz nehmen, wenn man weiß, daß er
die Hälfte all seiner Übeltaten aus Roheit und Unwissenheit begeht. Wir
tuen doch selbst auf Schritt und Tritt unrecht und stürzen jeden
Augenblick andere Menschen ins Unglück, oft ohne jede böse Absicht.
Durchlaucht haben doch auch neulich sehr ungerecht gehandelt!«

»Wie?« rief der Fürst erstaunt aus. Er war aufs höchste überrascht durch
die unerwartete Wendung, die die Unterhaltung nahm.

Murasow wartete ein wenig und schwieg: er schien zu überlegen und sagte
schließlich: »Nun, denken Sie zum Beispiel an den Fall Derpennikow.«

»Aber Afanassij Wassiljewitsch! Das war doch ein Verbrechen gegen den
Staat, das nahezu an Landesverrat grenzt!«

»Ich verteidige ihn nicht. Aber ist es denn gerecht, einen Jüngling, der
sich infolge seiner Unerfahrenheit von anderen verführen und fortreißen
läßt, ebenso hart zu bestrafen, wie einen der Rädelsführer? Dieser
Derpennikow mußte doch dieselbe Strafe erleiden wie irgend ein
Woronoi-Drjannoi, und doch war ihr Vergehen ganz verschieden.«

»Um Gottes willen ...« sagte der Fürst, dem man seine Aufregung deutlich
anmerkte: »Wissen Sie etwas davon? Sprechen Sie, ich bitte Sie! Ich habe
erst neulich nach Petersburg geschrieben und gebeten, man möge sein Los
mildern.«

»Nein, Durchlaucht, ich sage nicht, daß ich etwas weiß, was Sie nicht
auch wissen. Es gibt allerdings einen Umstand, der ihm von Nutzen sein
könnte, aber er würde selbst nichts davon hören wollen, weil das einem
andern schaden würde. Ich meine bloß dies: ob Sie sich damals nicht
vielleicht allzusehr übereilt haben? Verzeihen Sie mir, Durchlaucht, ich
urteile nach meinem eigenen schwachen Verstande. Sie haben mir mehrmals
geboten, aufrichtig zu sein. Als ich noch Direktor war, da hatte ich
auch viele Arbeiter unter mir: gute und schlechte. Ich hätte damals auch
das frühere Leben meiner Leute berücksichtigen müssen, denn wenn man
nicht alles ganz kaltblütig überlegt, sondern die Menschen gleich
anschreit -- dann schüchtert man sie nur ein, und kriegt überhaupt
nichts aus ihnen heraus; zeigt man ihnen dagegen Teilnahme und fragt sie
nach allem, wie ein Bruder den Bruder fragt -- dann sagen sie einem
alles ganz von selbst und bitten gar nicht darum, daß man Gnade walten
lassen solle; sie sind auch garnicht erbittert und zürnen niemandem,
weil sie sehen, daß nicht wir sie bestrafen wollen, sondern das Gesetz.«

Der Fürst versank in Nachdenken, doch in diesem Augenblick trat ein
junger Beamter ins Zimmer und blieb mit dem Portefeuille unter dem Arm
ehrfurchtsvoll an der Türe stehen. Sorge und angestrengte Tätigkeit
spiegelten sich auf seinem jungen und noch frischen Gesicht. Man sah es
ihm an, daß er Beamter für besondere Aufträge war. Dies war einer der
wenigen Menschen, die wirklich mit Liebe bei der Sache waren und denen
das Aktenstudium Freude machte. Er hatte weder einen brennenden Ehrgeiz,
noch einen heißen Durst nach Geld und Reichtum, noch suchte er es den
andern gleichzutun, er arbeitete nur aus dem Grunde, weil er überzeugt
war, daß er hier an dieser Stelle an seinem Platze war, wie an keiner
andern der Welt, und daß das seine Lebensaufgabe sei. Wenn es galt, eine
verwickelte Sache Schritt für Schritt zu verfolgen, zu analysieren, sie
in ihre Teile zu zerlegen, in diesem Labyrinth den leitenden Faden zu
entdecken, und alles aufzuklären, -- dann war er in seinem Element. Er
fand sich reichlich belohnt für seine Mühe und Arbeit und die vielen
schlaflosen Nächte, wenn die Sache sich endlich aufzuhellen begann, wenn
ihre geheimsten Triebfedern ans Licht kamen und er fühlte, daß er
imstande war, sie mit wenigen Worten klar und deutlich darzulegen, sodaß
sie jedem einleuchtete und vollkommen durchsichtig wurde. Man kann wohl
sagen, kein Schüler freut sich so sehr, wenn ihm endlich der Sinn eines
schwierigen Satzes oder die wahre Bedeutung des Gedankens eines großen
Schriftstellers aufgeht, als er sich freute, wenn es ihm gelungen war,
eine verwickelte Sache zu entwirren. Dafür aber ....

»... mit Brot in den Gegenden wo Hungersnot herrscht; ich kenne diesen
Teil besser als die Beamten: ich will selbst untersuchen, was und
wieviel ein jeder braucht. Und wenn Euere Durchlaucht gestatten, will
ich auch persönlich mit den Sektierern reden. Unsereiner, d. h. ein
einfacher Mann, kann sie ja doch leichter zum Reden bringen, und
vielleicht gelingt's mir mit Gottes Hilfe, die Sache auf friedlichem
Wege zu schlichten. Die Beamten aber werden doch nicht mit ihnen fertig:
da kommt es höchstens zu weitläufigen Schreibereien; sie werden ja schon
so nicht mehr klug aus den Akten und sehen bald über all dem Papier die
Sache selbst nicht mehr. Ich will auch von Ihnen kein Geld dafür haben,
denn bei Gott, in solch einer Zeit wäre es wirklich eine Schande, noch
an seinen Vorteil zu denken, wo die Menschen vor Hunger sterben. Ich
habe noch etwas Korn in Reserve: außerdem habe ich schon nach Sibirien
schicken lassen; bis zum nächsten Sommer erhalte ich wieder neues
geliefert.«

»Gott allein kann es Ihnen vergelten, Afanassij Iwanowitsch, Sie leisten
mir einen sehr großen Dienst damit. Ich sage Ihnen kein Wort mehr, weil
hier -- das werden Sie selbst fühlen -- weil hier jedes Wort ohnmächtig
wäre. Aber lassen Sie mich wenigstens noch eins über jene Bitte sagen.
Sagen Sie selbst: habe ich denn das Recht, ganz über eine solche Sache
hinwegzugehen, wäre es anständig und ehrlich von mir, diesen Schurken zu
verzeihen?«

»Bei Gott! Durchlaucht, so darf man sie nicht nennen, um so mehr, da es
viele ehrenwerte Männer unter ihnen gibt. Die Lage der Menschen ist oft
schwer, Durchlaucht, oft sogar sehr schwer. Mitunter scheint es, daß ein
Mensch nach allen Seiten hin schuldig ist, und wenn man dann näher
zusieht -- ist _er_ es garnicht gewesen.«

»Aber was werden sie selbst sagen, wenn ich sie laufen lasse? Es gibt
doch Leute unter ihnen, die nachher noch hochnäsiger werden und am Ende
noch behaupten werden, sie hätten uns eingeschüchtert. Sie werden die
ersten sein, die keine Achtung für ....«

»Durchlaucht, erlauben Sie mir, Ihnen meine Ansicht zu sagen: lassen Sie
sie alle rufen, erklären Sie ihnen, daß Ihnen alles bekannt ist,
schildern Sie ihnen Ihre eigene Lage, so wie Sie sie mir eben
geschildert haben, und fragen Sie sie um Rat: was ein jeder von ihnen an
Ihrer Stelle gemacht hätte.«

»Ja, glauben Sie denn, daß sie besseren Regungen zugänglich sind außer
allerhand Intrigen und dem Wunsch, sich zu bereichern? Glauben Sie mir,
sie werden mich auslachen.«

»Das glaube ich nicht, Durchlaucht. Jeder Mensch, selbst der, der
schlechter ist als die andern, hat ein gesundes Gefühl für das Rechte.
Es sei denn etwa irgend ein fremder Wucherer oder einer, der kein Russe
ist .. Nein, Durchlaucht, Sie haben es nicht nötig, sich zu verstecken.
Sagen Sie es ihnen ganz offen, wie Sie es mir gesagt haben. Sie schmähen
sie ja doch und sagen, Sie seien ein stolzer und ehrgeiziger Mensch, der
gar nichts hören will und sehr selbstbewußt ist -- nun so mögen sie die
Dinge sehen, wie sie sind. Was liegt Ihnen schließlich daran? Ihre Sache
ist doch gerecht und gut. Sprechen Sie zu ihnen, als legten Sie nicht
vor ihnen, sondern vor Gott selbst Rechenschaft ab.«

»Afanassij Iwanowitsch,« sagte der Fürst nachdenklich: »ich will es mir
überlegen, einstweilen aber danke ich Ihnen herzlich für Ihren Rat.«

»Und wie ist es mit Tschitschikow, Durchlaucht? Wollen Sie ihm die
Freiheit schenken?«

»Sagen Sie diesem Tschitschikow, er soll machen daß er fortkommt, und
zwar so schnell als möglich; je weiter er von hier ist, desto besser.
Ihm könnte ich niemals verzeihen.«

Murasow verneigte sich und begab sich vom Fürsten direkt zu
Tschitschikow. Er fand ihn bereits in der besten Laune, in höchster
Seelenruhe mit einem respektablen Mittagessen beschäftigt, das ihm in
mehreren Porzellanschüsseln aus einem gleichfalls recht respektablen
Restaurant in die Zelle gebracht worden war. Aus seinen ersten Worten
konnte der alte Herr sofort erkennen, daß Tschitschikow schon mit
einzelnen von den gerissenen Beamten gesprochen hatte. Er begriff sogar,
daß hier auch der gelehrte Rechtsanwalt seine unsichtbare Hand mit im
Spiel hatte.

»Hören Sie, Pawel Iwanowitsch,« sagte er, »ich bringe Ihnen die
Freiheit, aber unter einer Bedingung, daß Sie sofort die Stadt
verlassen. Packen Sie alle Ihre Sachen, und machen Sie, daß Sie
fortkommen; Sie dürfen es keinen Augenblick aufschieben, sonst
verschlimmern Sie nur Ihre Lage. Ich weiß, daß Ihnen irgend ein Mensch
hier Verhaltungsmaßregeln gibt; daher will ich Ihnen verraten, daß man
noch einer andern Affäre auf der Spur ist, und keine Macht der Erde wird
ihn mehr retten können. Es macht ihm natürlich Spaß, auch andere Leute
zugrunde zu richten, da es ihm allein zu langweilig wäre, aber die Sache
wird bald aufgedeckt sein. Ich habe Sie in der besten Geistesverfassung
zurückgelassen, in einer besseren als jetzt. Ich rate Ihnen daher
ernstlich, folgen Sie meinem Rat. Ja, ja, es kommt wirklich nicht auf
den Besitz allein an, um dessentwillen die Menschen sich miteinander
streiten und einander umbringen, als ob es möglich wäre, hier auf Erden
ein geordnetes Leben zu beginnen, ohne an das künftige zu denken.
Glauben Sie mir Pawel Iwanowitsch, solange die Menschen nicht all das
fahren lassen, um dessentwillen sie sich in dieser Welt auffressen und
zerfleischen, und nicht daran denken, ihren _geistigen_ Besitz in
Ordnung zu bringen -- wird es auch um den irdischen Besitz nicht
wohlbestellt sein. Es werden Zeiten der Hungersnot und der Armut kommen,
wie für ein ganzes Volk, so auch für den Einzelnen ... Das ist doch so
klar. Sagen Sie, was Sie wollen, der Körper hängt doch von der Seele ab.
Wie aber kann man dann verlangen, daß alles gut gehe? Denken Sie nicht
an die toten Seelen, sondern an Ihre eigene lebendige Seele, und machen
Sie sich mit Gottes Hilfe auf den Weg zu einem neuen Leben! Ich verreise
auch morgen. Beeilen Sie sich! Es kann Ihnen schlecht gehen, -- wenn ich
nicht mehr da bin.«

Der Alte verstummte und ging hinaus. Tschitschikow versank in
Nachdenken. Der Sinn des Lebens erschien ihm abermals in seiner hohen
Bedeutung. »Murasow hat recht,« sagte er, »es wird Zeit, einen andern
Weg einzuschlagen.« Mit diesen Worten verließ er das Gefängnis. Der
Wachposten trug ihm die Schatulle nach ..... Seliphan und Petruschka
waren ganz selig, als sie sahen, daß ihr Herr wieder frei war, und
freuten sich, als ob Gott weiß was passiert wäre. »Nun, meine Lieben,«
sagte Tschitschikow, indem er sich gnädig an sie wandte: »jetzt müssen
wir packen und abreisen.«

»Seien Sie unbesorgt, Pawel Iwanowitsch. Sie sollen sehen, wie wir
fliegen werden,« sprach Seliphan: »Wir werden jetzt einen guten Weg
haben: es ist reichlich Schnee gefallen. Es ist wirklich Zeit, daß wir
die Stadt verlassen. Wahrhaftig, ich habe sie bald so satt, daß ich sie
garnicht mehr ansehen mag.«

»Geh zum Wagenbauer und sage ihm, er soll unsere Kutsche auf ein
Schlittengestell setzen,« versetzte Tschitschikow und ging selbst in die
Stadt. Aber er konnte sich doch nicht entschließen, Abschiedsbesuche zu
machen. Nach diesem unglücklichen Vorfall war es ihm peinlich, um so
mehr, da in der Stadt allerlei äußerst ungünstige Gerüchte über ihn
zirkulierten. Er suchte jeder Begegnung mit Bekannten sorgfältig aus dem
Wege zu gehn und trat nur ganz unbemerkt in den Laden jenes Kaufmannes,
bei dem er den Stoff von Navarinoscher Rauchfarbe mit Feuerglanz gekauft
hatte; er erstand noch einmal vier Arschin zu einem Frack und Hosen und
begab sich hierauf selbst zu demselben Schneider, der ihm den Anzug
genäht hatte. Dieser erklärte sich bereit, seinen Fleiß und Eifer für
den doppelten Preis gleichfalls zu verdoppeln und ließ das Völkchen
seiner Gehilfen die ganze Nacht hindurch bei Kerzenlicht mit Schere,
Bügeleisen und Zähnen arbeiten, sodaß der Frack noch am nächsten Tage
fertig war. Die Pferde waren schon angespannt, aber Tschitschikow wollte
den Frack dennoch erst anprobieren. Er war sehr schön, ganz ebenso schön
wie der erste. Aber ach! Tschitschikow bemerkte etwas Glänzendes, weiß
Schimmerndes zwischen seinen Haaren und murmelte schmerzlich: »Wie
konnte ich mich auch so der Verzweiflung hingeben? Vor allem aber hätte
ich mir die Haare nicht ausraufen dürfen!« Nachdem er seine
Schneiderrechnung bezahlt hatte, setzte er sich in seinen Wagen und
verließ die Stadt in einer seltsamen Gemütsverfassung. Das war nicht
mehr der alte Tschitschikow: das war nur noch eine Ruine des früheren
Tschitschikow. Man konnte seinen inneren Seelenzustand mit einem
zerstörten Gebäude vergleichen, das nur deswegen niedergerissen wurde,
um ein neues daraus zu erbauen, mit dessen Wiederaufbau man jedoch noch
nicht begonnen hat, weil der Architekt den definitiven Plan noch nicht
gesandt und die Arbeiter im Zweifel sind, was sie tun sollen. Eine
Stunde vor ihm war der alte Murasow zusammen mit Potapytsch in einem mit
Matten gedeckten Zeltwagen abgefahren, und eine Stunde nach
Tschitschikows Abreise erging der Befehl an die Beamten, vor dem Fürsten
zu erscheinen: er verreise nach Petersburg und wolle sie vorher alle,
bis auf den letzten noch einmal sehen.

In dem großen Saal des Hauses, welches der General-Gouverneur bewohnte,
war die gesamte Beamtenschaft der Stadt versammelt vom Gouverneur bis
zum letzten Titularrat: die Bürovorsteher und Abteilungschefs, allerhand
Räte, Assessoren, Kislojedow, Krasnonossow, Samoswistow, solche die
Geschenke annahmen und solche, die keine annahmen, ganze und halbe
Heuchler und Pharisäer, und solche, die gar nicht heuchelten. Sie alle
warteten nicht ohne Unruhe und Aufregung auf das Erscheinen des
Generalgouverneurs. Endlich betrat der Fürst den Saal, er war weder
finster noch heiter: sein Blick war ebenso fest wie sein Schritt. Die
ganze Beamtenschaft verbeugte sich -- viele verneigten sich tief bis zur
Erde. Der Fürst antwortete mit einer leichten Verbeugung und begann
folgendermaßen:

»Ehe ich nach Petersburg reise, hielt ich es für richtig, Sie noch
einmal zu sehen und Ihnen wenigstens zum Teil den Anlaß zu meiner Reise
mitzuteilen. Es hat sich hier eine sehr unangenehme und peinliche Sache
abgespielt. Ich nehme an, daß viele von den Anwesenden wissen, welche
Sache ich meine. Diese Sache hat zur Aufdeckung einer ganzen Reihe von
Vorgängen geführt, die nicht weniger schmachvoll sind, und in die sogar
solche Männer verwickelt scheinen, die ich bisher für rechtschaffen und
ehrlich hielt. Mir ist auch die geheime Absicht bekannt, alles so zu
verwirren und durcheinanderzubringen, daß es völlig unmöglich werde,
diesen Fall auf dem formalen Rechtsweg zu entwirren und zu erledigen.
Ich weiß auch, wer der Hauptschuldige ist, obwohl er es sehr klug und
fein verstanden hat, alle Beweise für seine Teilnahme zu beseitigen. Nun
aber habe ich mich entschlossen, der Sache nicht auf dem formalen
Rechtswege noch auf dem Aktenwege nachzugehen, sondern sie wie in
Kriegszeiten vor das Kriegsgericht zu bringen und rasch zu erledigen.
Ich hoffe, daß der Kaiser mir die Vollmacht dazu geben wird, wenn ich
ihm den ganzen Vorfall ausführlich darlege. In einem solchen Fall, wo es
nicht möglich ist, den bürgerlichen Rechtsweg zu beschreiten, wo ganze
Schränke mit Akten verbrennen, und wo man sich bemüht, durch einen
Haufen von falschen Zeugnissen und unbegründeten Denunziationen eine
schon an sich recht dunkle Affäre noch mehr zu verdunkeln -- da halte
ich das Kriegsgericht für das einzige zuverlässige Mittel, und ich
wünsche Ihre Meinung darüber zu hören.«

Der Fürst hielt einen Augenblick inne, als erwarte er eine Antwort. Alle
standen stumm da, den Blick zu Boden gesenkt. Viele waren sehr bleich
geworden.

»Außerdem ist mir noch eine Sache bekannt geworden, obgleich ihre
Urheber der festen Überzeugung leben, daß niemand etwas davon erfahren
konnte. Auch dieser Fall soll nicht auf dem Aktenwege erledigt werden,
da ich selbst hier der Ankläger und Supplikant bin, und Sie können
sicher sein, daß ich zwingende und evidente Beweise vorlegen werde.«

Einer der Beamten zuckte zusammen, und einzelne von den Ängstlicheren
wurden gleichfalls bestürzt und verlegen.

»Es versteht sich von selbst, daß der Hauptschuldige und Anstifter
seiner Titel und Ränge entkleidet und daß sein Eigentum konfisziert
werden wird. Die übrigen werden ihrer Ämter enthoben. Es versteht sich
von selbst, daß zugleich mit ihnen auch viele Unschuldige werden mit
leiden müssen. Aber was soll ich machen? Die Sache ist zu schmählich und
schreit nach einer gerechten Strafe und Ahndung. Obwohl ich weiß, daß
dies nicht einmal andern zur Lehre dienen wird, da wieder andere an ihre
Stelle treten und die, welche bis zu heutigem Tage ehrlich waren,
unehrlich und solche, denen man Vertrauen schenken wird, zu Betrügern
und Verrätern werden werden -- obwohl ich dies alles weiß, bin ich
gezwungen, so hart und grausam zu verfahren, denn das Gesetz ist
verletzt und fordert strengste Ahndung. Ich weiß, daß man mir Härte und
Grausamkeit vorwerfen wird, aber ich weiß auch ... daß ich Sie in ein
gefühlloses Werkzeug der Gerechtigkeit verwandeln muß, das auf die
Häupter der Schuldigen herabfallen soll.«

Ein Zittern lief unwillkürlich über alle Gesichter.

Der Fürst war sehr ruhig. Weder Zorn noch Empörung spiegelte sich in
seinen Zügen.

»Jetzt bittet euch derselbe, in dessen Händen das Schicksal vieler liegt
und den selbst keine Bitten zu erreichen vermochten, jetzt fleht er euch
alle an: Alles soll vergessen, jede Schuld soll getilgt und vergeben
sein: ich will euer aller Fürsprecher sein, wenn ihr meine Bitte
erfüllen wollt. Meine Bitte aber ist diese: Ich weiß, daß kein Mittel,
keine Einschüchterung und keine Strafe imstande ist, das Unrecht
auszurotten, es hat schon zu tief Wurzeln gefaßt. Die schimpfliche
Sitte, Geschenke anzunehmen, ist zur Notwendigkeit und zum Bedürfnis
geworden, selbst bei solchen Leuten, die nicht mit der Anlage zum Bösen
geboren wurden. Ich weiß wohl, daß es für viele beinahe unmöglich ist,
gegen die allgemeine Strömung zu schwimmen. Und doch muß ich heute, in
einem entscheidenden und großen Augenblick, wo das Vaterland in Gefahr
ist, und wo ein jeder Bürger alles auf sich nimmt und alles zum Opfer
bringt, -- einen Ruf an Sie ergehen lassen, oder doch wenigstens an die
unter Ihnen, die noch ein russisches Herz in der Brust tragen, und für
die _Großherzigkeit_ und _Edelmut_ noch keine leeren Worte geworden
sind. Wozu wollen wir hier davon reden, wer von uns am meisten schuldig
ist? Vielleicht trage ich die größte Schuld; vielleicht habe ich Sie
zuerst allzu strenge und unfreundlich empfangen; vielleicht habe ich
durch meinen übertriebenen Argwohn so manchen unter euch abgestoßen, der
den ehrlichen Willen hatte, mir nützlich zu sein, obgleich auch ich
meinerseits etwas tun konnte .... Wenn Sie wirklich wollten, daß die
Gerechtigkeit auf der Seite Ihres Landes sei, wenn Sie Ihr Vaterland
wirklich lieb gehabt hätten, dann durften Sie sich nicht durch den Stolz
und die Härte meines Auftretens gekränkt fühlen; Sie mußten Ihren
Ehrgeiz und Ihre verletzte Eitelkeit unterdrücken und Ihr eigenes Ich
zum Opfer bringen. Ich hätte Ihre Selbstlosigkeit und Ihre hohe Liebe
zum Guten unmöglich nicht bemerken und mein Ohr unmöglich Ihren
verständigen und nützlichen Ratschlägen verschließen können. Am Ende muß
sich doch der Untergebene an den Charakter seines Vorgesetzten und nicht
der Vorgesetzte an seine Untergebenen anpassen. Jedenfalls wäre das
richtiger und bequemer, denn die Untergebenen haben nur _einen_
Vorgesetzten, während der Vorgesetzte viele Hunderte von Untergebenen
hat. Aber lassen wir es jetzt beiseite, wer hier die meiste Schuld
trägt. Jetzt handelt es sich darum, daß uns die Pflicht auferlegt ward,
das Vaterland zu retten; unser Vaterland geht nicht daran zugrunde, daß
zwanzig fremde Völkerstämme uns mit Krieg überziehen, es geht zugrunde
an _uns_ selbst; denn neben der rechtmäßigen Regierung und Verwaltung
hat sich noch eine andre Regierung gebildet, die weit stärker ist als
jede gesetzliche Macht. Man hat bestimmte Forderungen aufgestellt, alles
ist genau taxiert und abgeschätzt, und die Preise sind bereits allgemein
bekannt gegeben. Und kein Regierender vermag es, selbst wenn er weiser
wäre als alle Gesetzgeber und Regierenden der Welt, das Übel wieder
auszurotten, und wenn er die schlechten Beamten tausendmal in ihren
Machtbefugnissen beschränkte, indem er noch andre Beamten anstellte, um
jene zu beaufsichtigen. Alles ist umsonst, bis ein jeder von uns fühlen
lernt, daß er ganz so, wie er sich in der Zeit der Volksaufstände
wappnete ... heute wappnen muß gegen Unrecht und Unwahrheit. Als Russe,
als ein Mensch, der durch die heiligen Bande der Blutsverwandtschaft mit
euch verbunden ist, in dessen Adern dasselbe Blut fließt wie in den
euren, wende ich mich in diesem Augenblick an euch. Ich wende mich an
die unter euch, die einen Begriff davon haben, was eine vornehme
Denkungsart ist. Ich fordere euch auf, euch an die Pflicht zu erinnern,
die dem Menschen vorgezeichnet ist, an jedem Punkte, wo er steht. Ich
bitte euch, euch dieser eurer Pflicht und der Bedeutung eures irdischen
Berufes klarer bewußt zu werden, weil uns dieses nur dunkel vorschwebt,
und weil wir kaum ...«




                                Novellen


                             übersetzt von
                        Mario Spiro und S. Bugow


                               Der Mantel

In einer Ministerial-Abteilung ...

Aber es ist sicher besser, ich sage nicht in welcher. In Rußland nämlich
gibt es keine empfindlichere Menschenklasse, als die der Ministerial-,
Armee- und Kanzleibeamten, kurz, aller derer, die man im allgemeinen
unter dem Namen »Bürokraten« zusammenzufassen pflegt. Hält sich
heutzutage der eine von ihnen für auch nur ein wenig in seiner Ehre
gekränkt, so bildet er sich sogleich ein, daß in seiner Person auch die
ganze Gesellschaft eine Unbill erlitten hat. So soll neulich einmal ein
Kreisrichter -- ich weiß nicht mehr, in welcher Stadt -- einen Bericht
abgefaßt haben, in dem er dartun wollte, daß man den Erlassen der
Regierung nicht mehr die gebührende Achtung entgegenbringe, erfreche man
sich doch sogar, dem geheiligten Titel eines Kreisrichters eine
verächtliche Nebenbedeutung beizulegen. Und zum Beweise dafür hatte er
seinem Berichte einen riesigen Folianten beigelegt, eine Art Roman, in
dem man auf jeder zehnten Seite einem völlig berauschten Kreisrichter
begegnen konnte. Um also von vornherein allen künftigen Reklamationen
den Riegel vorzuschieben, habe ich es vorgezogen, den Schauplatz der
folgenden Vorgänge undeutlich zu lassen und mich mit der Angabe: In
einer Ministerialabteilung zu begnügen. In einer Ministerialabteilung
war ein Individuum beschäftigt, natürlich ein Beamter, der -- ich kann
es leider nicht verschweigen -- ein wenig schlicht und unbedeutend
aussah. Er war recht klein, und pockennarbig, hatte rote Haare, die ihm
jedoch an der Stirn bereits ausgefallen waren, und war sogar etwas
kurzsichtig, beide Wangen waren voller Runzeln, und sein Gesicht hatte
eine bleiche Farbe, wie bei allen Leuten, die an Hämorrhoiden leiden.
Was soll man machen. So sah nun mal unser Held aus, so hatte ihn das
Petersburger Klima verunstaltet. Was seinen Rang im Amte betrifft --
denn bei uns ziemt es sich vor allem, den Rang eines Beamten
festzustellen -- so war er das, was man im allgemeinen unter einem
ewigen »Titular-Rat«[9] versteht; d. h. er war einer jener Unseligen,
die bekanntlich schon so oft die ironischen Pfeile gewisser
Schriftsteller herausgefordert haben, einer Menschenklasse, die die
beklagenswerte Angewohnheit hat, Arme, die sich nicht zu verteidigen
vermögen, anzugreifen. Der Familienname dieses Beamten war
Baschmatschkin (zu deutsch Schuhmann). Dieser Name läßt deutlich
erkennen, daß er von dem Worte Schuh herstammt; wann und zu welcher Zeit
er jedoch von einem Schuh hergeleitet worden ist, das ist völlig
unbekannt. Der Vater, der Großvater und sogar der Schwager unseres
Beamten, sowie überhaupt sämtliche Baschmatschkins hatten immer nur
Stiefel getragen, die sie sich dreimal im Jahre neu sohlen ließen. Der
Vor- und Vatername unseres Helden war Akakij Akakiewitsch. Vielleicht
wird der Leser diese Namen etwas seltsam und gesucht finden, aber ich
kann ihm die Versicherung geben, daß dem nicht so ist, sondern daß die
Umstände es zur Unmöglichkeit gemacht hatten, ihm andere Namen zu geben.
Man höre, wie das kam! Akakij Akakiewitsch wurde, wenn mich nicht alles
trügt, in der Nacht zum 23. März geboren. Seine verstorbene Mutter, die
einen Beamten geheiratet hatte, eine gute, einfache Frau, ging
natürlich, wie sich's auch gebührt, sofort daran, ihren Neugeborenen
taufen zu lassen. Die Mutter lag noch im Bette, das sich der Türe
gegenüber befand, zu ihrer Rechten stand der Pate, Iwan Iwanowitsch
Jeroschkin, eine sehr gewichtige Persönlichkeit seines Amtes, Bürochef
im Senate, -- und ihm zur Linken die Patin Arina Semenowna
Biellobruschkow, die Frau eines Polizei-Inspektors, die mit mancherlei
Vorzügen ausgestattet war. Man schlug der Wöchnerin drei Namen zur
Auswahl vor: Mokius, Sosias oder den des Märtyrers Chosdasat.

[Fußnote 9: Die russische bürokratische Hierarchie oder der Tschin
zerfällt in vierzehn Klassen. Der Titular-Rat gehört der neunten an.]

»Nein,« dachte sie, »die gefallen mir alle nicht!«

Um ihren Wünschen Rechnung zu tragen, schlug man im Kalender ein anderes
Blatt auf und legte den Finger auf drei andere Namen: Trifili, Dula und
Warachatius. »Aber das ist ja wie eine Strafe Gottes!« rief die alte
Mutter aus. »Hat man jemals solche Namen gesehen? Wahrhaftig, heute höre
ich sie zum ersten Male in meinem ganzen Leben. Wenn es wenigstens noch
Waradat oder Baruch wäre, aber Trifili und Warachatius!«

Man blätterte von neuem im Kalender und fand nun Pawsikachi und
Wachtissi.

»Nein, nun wird es mir klar,« rief die Alte, »es soll nicht sein! So mag
er denn meinetwegen den Namen seines Vaters bekommen, wenn man nun
einmal keinen besseren wählen kann. Der Vater heißt Akaki. So mag der
Sohn denn auch Akaki heißen!« Und so taufte man ihn denn auf den Namen
Akaki Akakiewitsch. Das Kind wurde über den Taufstein gehalten:
natürlich schrie es hierbei und verzog das Gesicht zu einer Grimasse,
wie wenn es hätte ahnen können, daß es eines Tages Titular-Rat werden
würde. So aber spielte sich dies alles ab. Wir haben diese Tatsachen
deshalb so breit erzählt, damit der Leser sich davon überzeugen kann,
daß es gar nicht anders hätte kommen können und daß ein anderer Name für
den kleinen Akaki unmöglich gewesen wäre.

Zu welcher Zeit Akaki Akakiewitsch in die Kanzlei eintrat und wer ihm
dort einen Platz verschaffte, vermag heute niemand mehr zu sagen. Wie
viele Vorgesetzte aller möglichen Schattierungen auch schon aufeinander
gefolgt waren, er nahm unentwegt seinen alten Platz ein, man sah ihn
stets auf demselben Stuhle sitzen, in derselben Haltung, über dieselbe
Arbeit gebeugt, mit demselben Range, so daß man hätte glauben können,
daß er schon in diesem Zustande fertig auf die Welt gekommen sei, mit
seinen kahlen Schläfen und in seiner Dienstuniform. -- In der Kanzlei,
in der er angestellt war, nahm niemand auch nur die geringste Rücksicht
auf ihn. Selbst die Bureaudiener erhoben sich nicht bei seinem
Eintritte, sie beachteten ihn nicht im mindesten und rechneten mit ihm
nicht mehr als mit einer Fliege, die gerade davongeflogen war. Seine
Vorgesetzten behandelten ihn mit kalter Herrschsucht. Die Gehilfen des
Bureauchefs dachten nicht einmal daran, ihm zu sagen, wenn sie vor ihm
einen Stoß von Papieren aufhäuften:

»Haben Sie doch die Güte, dieses hier abzuschreiben!« --

oder etwa:

»Das ist etwas sehr Interessantes, eine äußerst angenehme Arbeit!«

oder irgend ein angenehmes Wort, wie es unter wohlerzogenen Beamten am
Platze ist.

Akaki nahm jedoch stets die Akten an, ohne danach zu fragen, wer sie vor
ihm hingelegt hatte, und ob der Betreffende überhaupt dazu berechtigt
gewesen war. Er nahm sie und begann sie sofort getreulich abzuschreiben.
Seinen Kollegen, die bei weitem jünger als er waren, diente er als
Gegenstand für ihre Spöttereien und zur Zielscheibe für ihre
Geistesblitze -- soweit man bei Beamten und besonders bei Kanzleibeamten
überhaupt von Geist reden kann. Bald erzählten sie sich eine Menge
erfundener Geschichten über ihn und über die Frau, bei der er wohnte,
eine siebzigjährige Greisin. Man sprach davon, daß sie ihn hin und
wieder verprügle, man fragte ihn, wann er denn mit ihr vor den Altar
treten wolle. Oder man ließ auch auf sein Haupt Papierkügelchen
herabregnen und wollte ihm dann weismachen, daß es Schneeflocken wären.
Aber Akaki schenkte diesen Attacken nicht die geringste Beachtung; er
erweckte den Eindruck, als wüßte er garnichts von der Gegenwart der
andern. Alle diese kleinen Quälereien taten seiner Beharrlichkeit im
Arbeiten keinen Abbruch, und trotz all dieser Versuchungen lief ihm auch
nicht ein einziger Schreibfehler unter. Wurde ihm jedoch einmal der
Scherz zu unerträglich, zerrte man ihn etwa am Arme und hinderte ihn am
Schreiben, so sagte er auch dann nur:

»Lassen Sie mich doch in Ruhe! Warum wollen Sie mich denn durchaus
beleidigen?« Und es lag etwas merkwürdig Rührendes in diesen Worten und
in der Art, wie er sie sprach.

Eines Tages geschah es, daß ein junger Mann, der soeben eine Anstellung
im Bureau erhalten hatte und nach dem Beispiel der andern sich auf seine
Kosten lustig machen wollte, beim Klange dieser Stimme dastand, als
hätte er einen Stich ins Herz bekommen, -- und von nun an sah er den
alten Beamten mit ganz andern Augen an.

Man hätte meinen können, daß eine übernatürliche Macht ihn von seinen
Kollegen, die er soeben erst kennen gelernt und die er zuerst für
gebildete und anständige Leute gehalten hatte, trennte. Ja bald empfand
er vor ihnen nur noch einen starken Widerwillen. Und noch viel später
mitten in der lustigsten Gesellschaft stand ihm das Bild dieses alten
kleinen Titularrates mit der kahlen Stirn vor Augen und in seinen Ohren
tönten die Worte wider:

»Lassen Sie mich doch! Weshalb wollen Sie mich denn durchaus
beleidigen?«

Und er hörte mit diesen Worten auch noch andere, die in ihnen
schlummerten:

»Bin ich nicht euer Bruder?«

Der junge Mann verbarg sein Gesicht in den Händen, und oft noch zuckte
er später bei der Erkenntnis zusammen, daß das menschliche Herz doch nur
wenig menschliche Empfindung in sich berge, und daß soviel Härte und
Roheit selbst denen eigen wäre, die eine feine und vornehme Erziehung
genossen hätten, und o Gott! auch in denen, die im allgemeinen für
gütige und ehrenwerte Menschen galten.

Nirgends konnte man einen Beamten finden, der seinen Pflichten mit
gleichem Eifer oblag wie unser Akaki Akakiewitsch. Was sage ich, mit
gleichem Eifer -- arbeitete er doch mit Liebe, mit Leidenschaft. Wenn er
Akten abschrieb, so öffnete sich vor ihm eine überaus schöne, eine
freundliche Welt. Man konnte von seinen Zügen das Vergnügen, das ihm das
Kopieren bereitete, ablesen. Es gab für ihn Lieblingsbuchstaben, die er
mit einer ganz besonderen Genugtuung malte -- in der wahren Bedeutung
des Wortes; kam er an eine wichtige Stelle, so wurde er ein ganz
anderer: er lächelte, seine Augen funkelten, seine Lippen bewegten sich,
-- und wer ihn kannte, konnte leicht aus seiner Physiognomie ersehen,
welchen Buchstaben er jetzt gerade druckte.

Wäre er nach Verdienst belohnt worden, so hätte er sich zu seinem
eigenen Erstaunen vielleicht zum Range eines Staatsrates erhoben
gesehen. Aber, wie seine witzigen Kollegen sagten, durfte er in seinem
Knopfloche nichts wie eine Schnalle tragen, und seine ganze
Beharrlichkeit trug ihm nur Hämorrhoiden ein.

Übrigens muß ich hier hinzufügen, daß er eines Tages doch eine gewisse
Aufmerksamkeit erregte. Ein Direktor, ein anständiger, wohlgesinnter
Mann, der ihn für seinen langen Dienst belohnen wollte, befahl, ihm eine
wichtigere Arbeit anzuvertrauen als die, die in der Kopierung der
gewöhnlichen Akten bestand, und zwar sollte er einen Bericht an irgend
eine andere Behörde abfassen, die Titel verschiedener Akten ändern und
im ganzen Texte das Pronomen der ersten Person durch das der dritten
ersetzen.

Akaki machte sich an die Arbeit, aber sie erregte ihn derartig, sie
kostete ihn solche Anstrengungen, daß ihm der Schweiß von der Stirn rann
und er endlich ausrief:

»Nein, gebt mir lieber etwas zum Abschreiben!«

Und von nun an ließ man ihn bis an sein Lebensende kopieren.

Es schien fast, als ob außer seinen Kopieen nichts auf der Welt für ihn
existiere. An seinen Anzug dachte er nie. Seine ursprünglich grüne
Uniform hatte allmählich eine mehlig-rote Farbe angenommen; sein Kragen
war so eng und so niedrig, daß sein Hals, der eigentlich kurz war,
beträchtlich über ihn hinausragte und abnorm lang erschien, ähnlich wie
bei jenen Gipskatzen mit beweglichen Köpfen, die die fremden Hausierer
in den russischen Dörfern feilbieten, um sie an die Bauern zu verkaufen.

Stets gab es irgend ein Ding, das an seiner Kleidung haften geblieben
war, -- bald ein Faden, bald ein Strohhalm. Außerdem hatte er eine ganz
besondere Vorliebe dafür, gerade in dem Momente unter einem Fenster
vorbeizugehen, wo man aus ihm einen nichts weniger als reinlichen
Gegenstand auf die Straße warf, und nur selten war sein Hut nicht mit
einer Melonenschale oder ähnlichem Plunder garniert. Niemals fiel es ihm
ein, sich mit dem, was auf den Straßen vor sich ging und alltäglich vor
sich geht, zu beschäftigen, mit Dingen, die die kecken forschenden
Blicke seiner jungen Kollegen unbedingt auf sich zogen; ja, die waren
gewohnt, wenn sie spazieren gingen, auf dem entgegengesetzten Trottoir
sofort alles Merkwürdige herauszufinden, wenn etwa ein Sterblicher mit
zerrissenen Beinkleidern sich zeigte, was ihnen stets ein boshaftes
Lächeln entlockte.

Akaki Akakiewitsch seinerseits sah nur die geraden und regelmäßigen
Linien seiner Kopieen vor sich, und er mußte schon plötzlich an die
Schnauze eines Pferdes, das ihm seinen vollen Atem ins Gesicht blies,
geraten, um sich zu erinnern, daß er sich nicht vor seinem Pult befand,
vor seinen schönen kalligraphischen Musterbeispielen, sondern mitten auf
der Straße. Und kam er nach Hause, so setzte er sich sofort zu Tisch,
schlang hastig seine Kohlsuppe hinunter und verzehrte dann unbekümmert
um das, was man ihm vorsetzte, irgend ein Stück Rindfleisch mit
Knoblauch -- samt den Fliegen und andern Lieblichkeiten, die Gott und
der Zufall dazugetan hatten. Hatte er seinen Magen gefüllt, dann stand
er auf, holte ein kleines Tintenfaß aus der Tasche und begann
pflichtgemäß die Akten abzuschreiben, die er sich nach Hause mitgenommen
hatte. Hatte er zufällig gerade keine dienstlichen Schriftstücke
abzuschreiben, so kopierte er zu seinem eigenen Vergnügen Dokumente,
denen er eine besondere Wichtigkeit beimaß -- nicht wegen ihrer mehr
oder weniger interessanten Fassung, sondern weil sie an irgend eine
hochgestellte Persönlichkeit gerichtet waren.

Selbst dann, wenn der graue Himmel St. Petersburgs von dem Schleier der
Nacht verhüllt ist und der ganze Beamtenstab sein Mahl je nach seinen
gastronomischen Neigungen und dem Gewichte seiner Börse eingenommen hat,
-- wenn alle Welt sich von dem Kratzen der Federn im Bureau, von den
Sorgen und den Geschäften und all den Unbequemlichkeiten, die sich die
unruhigen Menschen oft selbst unnützerweise auferlegen, zu erholen
sucht, so ist es ganz natürlich, daß die Beamten den Rest des Tages
irgend einer persönlichen Zerstreuung widmen. Die einen fahren ins
Theater, die andern gehen spazieren und vergnügen sich damit, die
Toiletten und Hüte zu betrachten, andere wieder besuchen eine Soirée, wo
sie an irgend ein hübsches Mädchen -- irgend einen Stern, der am
bescheidenen Horizonte ihres bürokratischen Himmels aufsteigt, einige
zärtliche und tiefempfundene Worte richten. Manche dagegen -- und diese
sind die zahlreichsten -- besuchen einen Kollegen, der im dritten oder
vierten Stockwerke eine kleine Wohnung, bestehend aus einer Küche und
einem Zimmer inne hat, ja einem Zimmer, das einen mühselig erbeuteten
Luxusgegenstand, eine Lampe oder irgend einen auf Grund langer
Einschränkungen gekauften Artikel birgt.

Kurz, es ist die Stunde, da jeder Beamte auf die eine oder die andere
Weise seinem Müßiggange nachgeht: hier spielt man eine Partie Whist,
dort nimmt man Tee mit billigen Bisquits zu sich oder man raucht aus
einer langen Pfeife Tabak. Man erzählt sich die Skandalgeschichten, die
in der großen Welt passieren, denn in welcher Situation sich der Russe
immer befinden mag, nie kann er seine Gedanken von seiner offiziellen
Gesellschaft wegwenden, über die so kuriose Anekdoten im Umlaufe sind,
wie zum Beispiel die von dem Kommandanten, dem heimlich hinterbracht
wird, irgend ein Schurke habe dem Pferde auf dem Standbild Peters des
Großen den Schweif abgeschnitten.

Mit einem Wort, selbst in diesen Stunden der Erholung und des Amüsements
blieb Akaki Akakiewitsch seinen Gewohnheiten treu. Niemand hätte sagen
können, daß er ihn auch nur ein einziges Mal des Abends in Gesellschaft
gesehen habe. Wenn er vom vielen Abschreiben müde geworden war und nicht
mehr weiter konnte, legte er sich zu Bett und dachte an die Freuden des
folgenden Tages, an all die schönen Kopieen, die ihm der liebe Gott noch
reserviert hatte.

So floß das friedliche Leben eines Mannes hin, der bei einem Einkommen
von vierhundert Rubeln mit seinem Schicksale vollkommen zufrieden war,
und er würde vielleicht ein hohes Alter erreicht haben, wäre er nicht
einem unglücklichen Zwischenfall zum Opfer gefallen, wie er nicht nur
Titularräte, sondern auch die geheimen, die wirklichen Staatsräte, die
Hofräte und selbst die, die niemals einen Rat geben oder empfangen,
treffen kann.

In St. Petersburg haben alle diejenigen, die nur über ein Einkommen von
ungefähr vierhundert Rubeln verfügen, einen furchtbaren Feind, und
dieser gräßliche Feind ist kein anderer als der nordische Winter, obwohl
man im allgemeinen behauptet, er wäre der Gesundheit sehr zuträglich.

Gegen neun Uhr morgens, wenn die Beamten der verschiedenen Ämter sich in
ihr Bureau begeben, sticht ihnen die Kälte ohne Unterschied so sehr die
Nase, daß die meisten von ihnen nicht wissen, wohin sie sie verstecken
sollen.

Wenn in solchen Augenblicken die hohen Würdenträger in Person so sehr
unter der Kälte leiden, daß ihnen die Stirne weh tut und die Tränen in
die Augen steigen, wie schlimm muß es da erst den Titularräten ergehen,
die doch über gar keine Mittel verfügen, um sich gegen die Unbilden der
Kälte zu schützen. Da sie sich nur in einen leichten Mantel haben hüllen
können, so bleibt ihnen als letzte Rettung nur übrig, fünf oder sechs
Straßen im Eilschritt zu durchlaufen und sodann bei dem Portier halt zu
machen, um hier so lange auf den Füßen herumzuspringen, bis sie ihre
eingefrorenen bureaukratischen Fähigkeiten wiedererlangt hatten.

Seit einiger Zeit empfand Akaki Akakiewitsch im Rücken und in den
Schultern einen stechenden Schmerz, obwohl er in großer Eile und außer
Atem die Entfernung von seiner Wohnung zu seinem Bureau zu durchlaufen
pflegte. Nachdem er lange hierüber nachgedacht hatte, gelangte er
schließlich zu der Annahme, daß sein Mantel nicht mehr ganz intakt sein
müsse. Kaum war er in sein Zimmer eingetreten, als er dieses
Kleidungsstück sorgfältig untersuchte und hierbei feststellte, daß der
einst so kostbare Stoff an zwei oder drei Stellen sich in den reinsten
Tüll verwandelt hatte und so dünn geworden war, daß er fast durchsichtig
schien; außerdem war das Futter völlig zerrissen. Man muß nämlich
wissen, daß dieser Mantel schon lange zur Zielscheibe für die
Spöttereien von Akakis mitleidslosen Kollegen gedient hatte. Ja, man
hatte ihm sogar die edle Bezeichnung eines Mantels entzogen, um ihn
Kapuze zu taufen. Tatsache ist allerdings, daß dieses Kleidungsstück ein
äußerst merkwürdiges Aussehen hatte. Im Laufe der Jahre war der Kragen
immer mehr zusammengeschrumpft, denn von Jahr zu Jahr hatte der arme
Titular-Rat ein Stück davon abgeschnitten, um mit ihm eine schadhafte
Stelle des Mantels auszubessern, und diese Flicke verrieten nichts
weniger als eine kundige Schneiderhand. Sie waren möglichst ungeschickt
aufgesetzt und sahen keineswegs schön aus. Als Akaki Akakiewitsch seine
traurigen Betrachtungen beendet hatte, sagte er sich, daß er ohne
Zaudern den Mantel zu dem Schneider Petrowitsch, der im vierten Stock
eine ganz dunkle Kammer bewohnte, bringen müsse.

Petrowitsch war ein Individuum, das schielte, pockennarbig war und im
nüchternen Zustande der Ehre teilhaftig wurde, für die Herren Beamten
Röcke und Beinkleider anzufertigen, wenn er nicht gerade etwas anders im
Kopfe hatte. Ich könnte wohl darauf verzichten, hier länger bei diesem
Schneider zu verweilen; aber da es der Brauch nun einmal so will, keine
Persönlichkeit in einer Erzählung vorzustellen, deren Physiognomie man
nicht genau zu schildern vermöchte, so bin ich gezwungen, meinen
Petrowitsch mehr oder minder naturgetreu abzukonterfeien. Früher, als er
noch bei seinem Herrn Leibeigner war, hieß er ganz schlicht Gregori.
Freigelassen, glaubte er es sich schuldig zu sein, den Namen Petrowitsch
anzunehmen. Zugleich begann er zu trinken, zunächst nur an den hohen
Feiertagen, dann jedoch an allen Kirchenfesten, die im Kalender mit
einem Kreuz verzeichnet sind. In dieser Beziehung blieb er den
Gewohnheiten seiner Großväter treu, und wenn seine Frau mit ihm zanken
wollte, hieß er sie eine gottlose Person und eine Deutsche. Und da wir
diese Frau schon erwähnt haben, so wollen wir auch von ihr noch ein paar
Worte sagen: leider ist nur nicht viel über sie zu berichten, außer daß
sie eben die Frau des Petrowitsch war, und daß sie eine Haube auf dem
Kopfe trug. Im übrigen war sie nicht gerade eine Schönheit zu nennen,
höchstens erlaubte es sich ein Gardesoldat, wenn er ihr auf der Straße
begegnete, ihr unter die Haube zu gucken, seinen Mund zu einem Lächeln
zu verziehen und einen unbestimmten Laut von sich zu geben. Akaki
Akakiewitsch kletterte also bis zur Mansarde des Schneiders hinauf. Die
Treppe, die zu ihr führte, war dunkel, schmutzig, feucht und strömte,
wie alle Proletarierwohnungen in St. Petersburg, einen Nase und Augen
beizenden Branntweingeruch aus.

Während der Titular-Rat die schlüpfrigen Stufen hinaufkroch, überlegte
er, welchen Preis Petrowitsch wohl für die Reparatur fordern könnte, und
er beschloß, ihm unter keinen Umständen mehr als zwei Rubel anzubieten.

Die Tür des Schneiders stand weit offen, um den Rauchwolken aus der
Küche einen Ausgang zu verschaffen; Petrowitschs Frau war gerade dabei,
hier Fische zu braten. Akaki Akakiewitsch ging quer durch die Küche, die
so voller Rauch war, daß man nicht einmal die vielen sie bevölkernden
Schwaben sehen konnte, er ging durch die Küche, ohne daß die Frau seiner
ansichtig wurde und trat in die Stube hinein, wo der Schneider auf einem
großen, roh gezimmerten und ungestrichenen Tische saß, die Beine wie ein
türkischer Pascha übereinandergeschlagen und nach der Art der meisten
russischen Schneider mit nackten Füßen.

Wenn man an ihn näher herantrat, so zog vor allem ein Umstand die
Aufmerksamkeit auf ihn: nämlich der Nagel eines Daumens, der zwar ein
wenig verstümmelt, sonst aber hart und starr war wie die Schale einer
Schildkröte. Um den Hals hatte er einen Knäul Seidenfaden und mehrere
Zwirnsträhne geschlungen und auf seinen Knieen lag ein zerfetzter Rock.
Seit einigen Minuten bemühte er sich, eine Nadel einzufädeln, jedoch
ohne Erfolg. Er wetterte zuerst auf die Dunkelheit, dann auf den Faden.

»Willst du nun endlich hinein, Taugenichts!« schrie er. »Bald habe ich
keine Kraft mehr, verdammtes Ding!«

Akaki Akakiewitsch merkte sogleich, daß er einen ungünstigen Augenblick
erwischt hatte, wo Petrowitsch schlechter Laune war. Es wäre ihm lieber
gewesen, Petrowitsch in einer jener günstigen Stunden anzutreffen, in
denen der Schneider schon ein wenig angeheitert war, oder -- wie seine
Frau sich auszudrücken pflegte -- wo dieser einäugige Teufel sich eine
solide Ration Fusel einverleibt hatte. Dann war es für den Kunden ein
leichtes, ihm einen beliebigen Preis aufzuschwatzen, ja der Schneider
ging in seinen Komplimenten bisweilen so weit, daß er sich ehrfürchtig
vor ihm vorbeugte und ihn mit Danksagungen überschüttete.

Oft jedoch mischte sich die Frau in die geschäftlichen Abmachungen,
beklagte sich über ihren Mann, schrie und tobte und erklärte, er sei
betrunken gewesen und habe die Arbeit zu einem viel zu niedrigen Preise
angenommen. Dann bot man einige Kopeken mehr, und der Handel war
abgeschlossen.

Heute aber hatte zu des Titular-Rats Unglück Petrowitsch bis zu diesem
Momente noch nicht der Flasche zugesprochen, und in dieser
Gemütsverfassung war der Schneider starrköpfig, unvernünftig und fähig,
einen schrecklich hohen Preis zu fordern.

Akaki Akakiewitsch sah diese Gefahr voraus und hätte gern wieder Reißaus
genommen; jedoch es war dazu zu spät: das Auge des Schneiders, sein
einziges Auge, denn er war einäugig, hatte ihn bereits entdeckt, und so
stammelte denn Akaki Akakiewitsch mechanisch:

»Guten Tag, Petrowitsch!«

»Guten Tag, Herr!« antwortete der Schneider, dessen Blick sich sofort
auf die Hand des Titular-Rates heftete, um zu erkennen, was für ein
Objekt sie trug.

»Ich war gekommen ... Petrowitsch, nun ... Ich wollte ...«

Hier ist die Bemerkung am Platze, daß der furchtsame Titular-Rat es sich
zur Regel gemacht hatte, seine Gedanken nur durch halbe Phrasen, Worte,
Präpositionen, Adverbien oder Redeteile, die überhaupt keinen Sinn
ergaben, auszudrücken.

War jedoch die Angelegenheit, um die es sich handelte, von besonderer
Wichtigkeit, so gelang es ihm niemals, den angefangenen Satz zu Ende zu
sprechen. Wenn die Sache jedoch ganz besonders schwierig war, dann
stotterte er nur ein paar Worte heraus: »Das ist doch wirklich ganz ...«
und dann folgte überhaupt nichts mehr. Bald hatte er selbst vergessen,
was er eigentlich sagen wollte und glaubte, er habe schon alles gesagt.

»Was wünschen Sie, Herr?« fragte Petrowitsch ihn, indem er ihn mit
seinem einzigen Auge vom Kopf bis zu den Füßen musterte und seinen
fragenden Blick über Kragen, Manschetten, Taille, Knöpfe, kurz über die
gesamte Uniform Akakis gleiten ließ, die er sehr gut kannte, da er
selbst all diese Herrlichkeiten angefertigt hatte. Das ist nun mal die
Eigentümlichkeit aller Schneider, dies ist ihr erster Gedanke, sowie sie
einem Bekannten begegnen.

Akaki antwortete stotternd wie gewöhnlich:

»Ich möchte ... Petrowitsch, ... dieser Mantel ... sehen Sie das Tuch
... übrigens ... ich für meinen Teil ... ich glaube, er ist noch ganz
gut ... nur ein wenig bestaubt ... Ja, ja, er sieht schon ein wenig
abgetragen aus ... aber er ist doch noch ganz neu ... nur an einer
Stelle ein wenig abgescheuert ... da, am Rücken ... und hier an der
Schulter ... zwei oder drei kleine Risse ... Sehen Sie es nicht? ... es
ist ja gar nicht der Rede wert ... Es ist gar nicht viel daran zu tun
...«

Petrowitsch ergriff den unglückseligen Mantel, breitete ihn auf dem
Tische aus, betrachtete ihn schweigend und schüttelte dann das Haupt.
Dann streckte er den Arm nach dem Fenster aus, um sich seine runde mit
dem Bilde eines Generals gezierte Tabaksdose herunterzunehmen. Ich weiß
nicht, was das für ein General war, denn die Stelle, wo sich das Gesicht
befand, war mit dem Finger durchlöchert, und da hatte der Schneider
flugs einen viereckigen Streifen Papier darüber geklebt.

Als Petrowitsch sich nun endlich eine Prise genommen hatte, nahm er die
Kutte von neuem in die Hände, hielt sie ans Licht und schüttelte zum
zweitenmal den Kopf. Sodann schaute er sich genau das Futter an,
schüttelte sie nochmals, hob wiederum den Deckel seiner vor Zeiten mit
dem Porträt eines Generals geschmückten und mit einem Papierstreifen
geflickten Tabakdose hoch, entnahm ihr eine zweite Prise, machte die
Dose zu, steckte sie ein und schrie endlich:

»Daran ist überhaupt nichts mehr auszubessern! Das ist ja nur ein ganz
elender Fetzen!«

Bei diesen Worten krampfte sich Akaki Akakiewitschs Herz zusammen.

»Weshalb nicht, Petrowitsch?« fragte er in dem weinerlichen Ton eines
Kindes, »dieser Rock sollte nicht mehr auszubessern sein? Aber so sehen
Sie doch, Petrowitsch! nicht wahr, es sind ja nur ein paar Risse an der
Schulter drin, und Sie haben genug Flicken, um sie aufzunähen.«

»Allerdings habe ich genug Flicken,« versetzte Petrowitsch, »aber wie
soll ich sie denn darauf nähen? Das Tuch ist abgescheuert und hält
nirgends mehr stand.«

»Ach was! so werden Sie einfach einen größeren Flicken nehmen!«

»Wo soll man denn da einen Flicken aufsetzen, der wird ja doch nicht
halten, der Flicken wäre auch zu groß; das kann man doch kaum noch Tuch
nennen, ein Windstoß genügt ja, um es völlig zu zerfetzen!«

»Näh ihn ... schon auf ... Ich bitte dich ... Das geht doch nicht.«

»Nein!« erwiderte Petrowitsch bestimmten Tones, »da ist gar nichts mehr
zu machen! Dieser Stoff hat ausgedient. Es wäre besser, daraus für den
Winter Fußlappen zu machen; das wärmt die Füße weit mehr als Strümpfe.
Ja, ja, das ist auch so eine deutsche Erfindung, um den Leuten Geld
abzunehmen.«

Petrowitsch ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ohne den Deutschen eins
auszuwischen.

»Sie müssen sich einen neuen Mantel machen lassen,« fügte er hinzu.

»Einen neuen Mantel?«

Akaki Akakiewitsch ward es schwarz vor den Augen. Das Atelier des
Schneiders fing an ihn zu umkreisen und der einzige Gegenstand, den er
deutlich zu erkennen vermochte, war das mit Papier überklebte Porträt
des Generals auf Petrowitschs Tabaksdose.

»Einen neuen Mantel?« murmelte er wie traumverloren. »Aber ich habe doch
kein Geld dazu.«

»Jawohl, einen neuen Mantel!« wiederholte Petrowitsch mit grausamer
Beharrlichkeit.

»Aber, ... selbst ... wenn ... angenommen, ich faßte einen solchen
Entschluß ... wieviel? ...«

»Sie wollen sagen, wieviel er kosten würde?«

»Ja.«

»So was wie hundertundfünfzig Papierrubel werden Sie schon anwenden
müssen,« erwiderte der Schneider, indem er die Lippen zusammenkniff.

Dieser Schneider liebte die starken Effekte und fand ein ganz besonderes
Vergnügen darin, seine Kunden zu verblüffen und dann mit seinem einzigen
schielenden Auge den Ausdruck ihres Gesichts zu beobachten.

»Hundertundfünfzig Rubel für einen Mantel?« sagte Akaki Akakiewitsch.

Und der Titular-Rat sprach diese Worte mit einem Ton aus, der fast einem
Schrei glich, vielleicht dem ersten, den er seit seiner Geburt
ausgestoßen hatte, denn gewöhnlich sprach er ja mit großer
Furchtsamkeit.

»Ja,« versetzte Petrowitsch, »ohne Marderkragen und Seidenfutter für den
Umhang; sonst würde er sich auf zweihundert Rubel belaufen.«

»Petrowitsch, ich beschwöre Sie,« unterbrach ihn Akaki Akakiewitsch
flehend, der auf den Schneider und all seine Effekte gar nicht mehr
hörte, ihn auch nicht hören wollte; »ich beschwöre Sie, diesen Mantel
irgendwie auszubessern, damit er noch eine Zeit halten kann!«

»Nein! das wäre verlorene Mühe und eine unnütze Ausgabe, eine reine
Verschwendung,« versetzte Petrowitsch.

Akaki Akakiewitsch zog sich nach diesen Worten ganz niedergeschmettert
zurück, während Petrowitsch mit zusammengekniffenen Lippen, mit sich
selbst äußerst zufrieden wegen der so mannhaften Verteidigung des
gesamten Schneiderstandes, stehen blieb.

Ziellos und betäubt irrte Akaki wie ein Somnambule in den Straßen umher.

»Welche Widerwärtigkeit!« sprach er beim Gehen vor sich hin.
»Wahrhaftig, ich hätte niemals gedacht, daß das so ausgehen würde ...
Nein,« fuhr er nach einem kurzen Schweigen fort, »ich konnte nicht
annehmen, daß es dazu kommen würde ...« Dann schwieg er wieder eine
Weile still und sagte schließlich: »Ich befinde mich augenblicklich in
einer durchaus unerwarteten Situation ... in einer solchen Verlegenheit,
daß ...«

Und während er solcher Art sein Selbstgespräch fortsetzte, schlug er,
anstatt nach Hause zu gehen, eine seiner Wohnung völlig entgegengesetzte
Richtung ein, jedoch ohne dessen gewahr zu werden. Ein Schornsteinfeger
schwärzte ihm beim Vorübergehen den Rücken. Von einem im Bau
befindlichen Hause herab fiel ihm eine ganze Mütze mit Gips auf den
Kopf; er jedoch sah und merkte nichts. Erst als er mit gesenktem Haupte
gegen einen Wachtposten stieß, der ihm mit vorgehaltener Hellebarde den
Weg versperrte und ihm aus seiner Dose Tabak auf die schwielige Hand
schüttete, erwachte er rauh aus seinen Träumen.

»Was tust du hier?« schrie ihn der brutale Hüter der öffentlichen
Ordnung an; »kannst du nicht, wie es sich gehört, auf dem Trottoir
gehen?«

Dieser plötzliche Anruf riß Akaki Akakiewitsch endlich völlig aus dem
Zustande der Betäubung. Er sammelte wieder seine Gedanken, überblickte
kaltblütig die Situation und ging ernst und freimütig mit sich zu Rate
wie mit einem Freunde, dem man alle seine Herzensgeheimnisse anvertraut.

»Nein,« sagte er endlich, »heute werde ich nichts bei Petrowitsch
erreichen; heute ist er schlechter Laune ... vielleicht hat ihn seine
Frau geprügelt, -- ich werde ihn nächsten Sonntag wieder aufsuchen.
Sonntag Morgen nach einer durchschwärmten Nacht wird er stark schielen,
Durst haben, trinken wollen und seine Frau gibt ihm kein Geld dazu. Ich
werde ihm ein Zehnkopekenstück in die Hand drücken, dann wird er viel
eher zugänglich sein und mit sich über den Mantel sprechen lassen.«

Sich an dieser Hoffnung stützend, wartete Akaki Akakiewitsch bis zum
nächsten Sonntag. An diesem Tage begab er sich, als er von ferne
Petrowitschs Frau ihr Haus hatte verlassen sehen, zu dem Schneider und
fand ihn, wie er erwartet hatte, in dem Zustande völligster
Niedergeschlagenheit. Er schielte stärker als je und war ganz
verschlafen. Kaum hatte jedoch der Schneider vernommen, worum es sich
handelte, als er Akaki Akakiewitsch sofort anschnauzte, als sei der
Teufel in ihn gefahren.

»Nein, da gibts gar nichts mehr zu tun! Sie können sich jetzt nur einen
neuen Mantel kaufen.«

Akaki Akakiewitsch drückte ihm hier ein Zehnkopekenstück in die Hand.

»Danke, Euer Gnaden,« antwortete Petrowitsch, »ich werde auf Ihre
Gesundheit trinken. Was jedoch Ihren Mantel anbetrifft, so dürfen Sie
gar nicht mehr an ihn denken. Er ist nicht mehr einen roten Heller wert.
Lassen Sie mich nur ruhig gewähren, ich werde Ihnen einen prachtvollen
neuen anfertigen -- ich bürge Ihnen dafür!«

Der arme Akaki Akakiewitsch bat ein Mal über das andere Mal den
Schneider, den alten zu reparieren, aber Petrowitsch wollte ihn gar
nicht mehr anhören und sagte: »Ich will Ihnen schon einen neuen
anfertigen ... Glauben Sie mir. Ich werde mir die größte Mühe geben. Ja,
ich werde sogar, wie es jetzt Mode ist, silberne Haken und Ösen an dem
Kragen anbringen.«

Jetzt erst begriff Akaki Akakiewitsch, daß er sich tatsächlich einen
neuen Mantel werde anschaffen müssen, und zum zweitenmal fühlte er sich
einer Ohnmacht nahe. Sich einen neuen Mantel machen lassen! Aber womit
ihn bezahlen? Er hatte allerdings, um die Wahrheit zu sagen, zu den
Feiertagen Ansprüche auf eine offizielle Gratifikation. Aber dafür hatte
er schon längst eine Bestimmung gefunden. Er mußte sich ein Paar
Beinkleider kaufen und einem Schuhmacher eine alte Schuld bezahlen, der
ihm zwei Paar Stiefel ausgebessert und zwei neue Schäfte aufgesetzt
hatte. Er mußte sich bei der Näherin drei neue Hemden und zwei von jenen
Kleidungsstücken anfertigen lassen, die beim Namen zu nennen, gegen den
literarischen Anstand verstößt, kurz alles war schon im voraus bestimmt.
Und sollte -- ein unerwartetes Glück! -- der Direktor etwa die
Gratifikation von vierzig auf fünfzig Rubel erhöhen, was wäre
schließlich dieser magere Überschuß im Vergleich mit der unerhört hohen
Summe, die Petrowitsch für den Mantel gefordert hatte? Ein Tropfen
Wasser im Ozean.

Er wußte freilich, daß Petrowitsch die Angewohnheit hatte, mitunter ganz
unglaubliche Preise zu verlangen, sodaß sich seine Frau oft nicht
enthalten konnte, ihn mit folgenden Worten anzufahren:

»Bist du verrückt, du Esel? Bald arbeitest du für ein reines Nichts, und
ein andermal reitet dich der Teufel, einen so unendlich hohen Preis zu
fordern, den der Kerl selbst nicht wert ist.«

Er glaube demnach, daß Petrowitsch auch mit einem Preise von achtzig
Rubel für einen neuen Mantel einverstanden sein würde. Aber wo sollte
man selbst diese achtzig Rubel hernehmen? Vielleicht würde es ihm
gelingen, wenn er alle Hebel in Bewegung setzte, die Hälfte oder sogar
noch etwas mehr aufzutreiben. Woher aber sollte er die andere Hälfte
nehmen!

Wir müssen dem Leser von den Mitteln, die Akaki Akakiewitsch zur
Beschaffung dieser Summe anzuwenden gedachte, Rechenschaft geben!

Er hatte die Gewohnheit angenommen, so oft er einen Rubel erhielt, eine
Kopeke in eine kleine Sparbüchse zu werfen, die stets fest verschlossen
war. Am Ende eines jeden Halbjahres nahm er diese kleinen Kupferstücke
heraus und ersetzte sie durch Silbergeld von gleichem Werte. Dieses
Sparsystem hatte er schon ziemlich lange durchgeführt, und so beliefen
sich nach Verlauf einiger Jahre seine Ersparnisse auf etwas mehr als
vierzig Rubel. So besaß er wenigstens die Hälfte der in Betracht
kommenden Summe. Aber die andere Hälfte! Wo sollte er die andern vierzig
hernehmen? Akaki stellte unabsehbare Berechnungen an; schließlich sagte
er sich, daß er mindestens ein Jahr hindurch verschiedene seiner
Ausgaben reduzieren könne, des Abends auf den Tee verzichten, keine
Kerze anzünden und -- wenn er etwas zu arbeiten hätte -- sich mit seinen
Akten ins Zimmer seiner Wirtin setzen müßte, um seine Arbeit bei ihrer
Kerze zu vollenden. Er faßte auch den Entschluß, auf der Straße
möglichst sanft und vorsichtig aufzutreten, ja wenn es ging auf den
Zehenspitzen über das Trottoir und das Pflaster zu gehen, um seine
Sohlen nicht zu schnell durchzuscheuern, seine Wäsche nicht so oft
waschen zu lassen, sie beim Nachhausekommen auszuziehen und statt dessen
bloß seinen baumwollenen Schlafrock anzulegen, ein zwar sehr altes
Stück, das die Zeit jedoch glücklicherweise noch ziemlich verschont
hatte.

Anfangs waren ihm diese Entbehrungen etwas peinlich, aber nach und nach
gewöhnte er sich an seine neue Lebensweise und brachte es sogar soweit,
sich, ohne Abendbrot gegessen zu haben, zur Ruhe zu begeben. Während
sein Körper unter dieser Unterernährung litt, fand sein Geist in der
unaufhörlichen Beschäftigung mit seinem Mantel neue Anregung. Von diesem
Augenblicke an hätte man sagen können, daß seine Natur das passende
Komplement gefunden, daß er sich verheiratet hätte, daß noch ein anderer
Mensch immer um ihn war, daß er nicht mehr einsam war und daß ihm eine
Gefährtin zur Seite stände, die ihn auf allen seinen Lebenswegen
begleitete; diese Gefährtin -- war das Bild seines Mantels, wohl
wattiert und gefüttert, eines Mantels, der überhaupt nicht umzubringen
war.

Und man sah ihn viel entschlossener und mutiger als früher
einherschreiten, er war ein Mensch geworden, der nur ein Ziel vor Augen
hatte, das er auf jeden Fall erringen will. Die Charakterlosigkeit und
Ängstlichkeit in seinem Gesichtsausdruck und in seinen Handlungen, seine
lässige Haltung: mit einem Wort, all jene schwankenden und unsicheren
Züge waren auf einmal verschwunden. Mitunter glänzten seine Augen wie in
neuem Leben, und in seinen kühnen Träumen legte er sich bereits die
Frage vor, ob er sich nicht an seinem Mantel auch ganz gut einen
Mantelkragen anbringen lassen könne.

Diese Gedanken machten ihn bisweilen merkwürdig zerstreut. Eines Tages,
als er wieder seine Akten abschrieb, bemerkte er plötzlich, daß ihm
beinahe ein Fehler untergelaufen wäre.

»O, o!« rief er aus.

Und schnell machte er das Zeichen des Kreuzes.

Mindestens einmal im Monat begab er sich zu Petrowitsch, um sich mit ihm
über den kostbaren Mantel zu unterhalten und andre wichtige Dinge mit
ihm festzustellen, zum Beispiel wo er das Tuch kaufen solle, wie teuer
es wohl zu stehen kommen werde und welche Farbe in Betracht käme.

Jeder dieser Besuche führte zu neuen Erwägungen; aber jedesmal kehrte er
zwar etwas besorgt aber doch glücklich und zufrieden nach Hause zurück,
denn nun mußte doch endlich der Tag erscheinen, an dem alles besorgt,
und der Mantel fix und fertig sein würde.

Dieses große Ereignis trat viel früher, als er gehofft hatte, ein. Der
Direktor bewilligte ihm eine Gratifikation nicht von vierzig oder
fünfzig, sondern von fünfundsechzig Rubeln. Hatte etwa dieser brave
Beamte bemerkt, daß unser Freund Akaki Akakiewitsch so dringend eines
neuen Mantels bedurfte? oder verdankte unser Held diese seltene
Freigebigkeit nur seinem guten Sterne?

Wie dem auch immer war, Akaki Akakiewitsch wurde um zwanzig Rubel
reicher. Eine solche Vermehrung seiner Ersparnisse mußte notwendig die
Verwirklichung seines Vorhabens beschleunigen.

Noch zwei oder drei Monate, während deren er hungerte, und Akaki
Akakiewitsch hatte seine achtzig Rubel beisammen. Sein gewöhnlich
friedliches Herz begann heftig zu schlagen. Sowie er die ungeheure Summe
von achtzig Rubeln beisammen hatte, suchte er Petrowitsch auf, und alle
beide begaben sich noch am selbigen Tage zusammen zu einem Tuchhändler.

Ohne Zaudern kauften sie dort eine gute Ware. Kein Wunder! Seit mehr
denn einem Jahre hatten sie sich über diese Anschaffung unterhalten,
über alle Einzelheiten hatten sie debattiert und Monat für Monat hatten
sie die Auslagen des Kaufmanns aufs sorgfältigste studiert um sich über
die Preise zu vergewissern. Dafür erklärte aber Petrowitsch auch, einen
bessern Stoff würde man schwerlich finden. Als Futter nahmen sie äußerst
feste Leinewand, die nach der Meinung des Schneiders besser als Seide
war und überdies einen unvergleichlichen, viel schöneren Glanz hatte.
Marder kauften sie nicht, da sie ihn zu teuer fanden, aber sie
entschieden sich für das schönste Katzenfell, das es in dem ganzen Laden
gab und das man schließlich wohl auch für Marder halten konnte.

Um dieses Kleidungsstück anzufertigen, bedurfte Petrowitsch voller
vierzehn Tage; denn er machte eine zahllose Menge von Stichen, ohne die
wäre er allerdings früher fertig geworden. Er berechnete seine Arbeit
mit zwölf Rubeln; weniger konnte er nicht fordern: alles war mit Seide
gearbeitet, und der Schneider hatte die Nähte mit den Zähnen, deren
Spuren man noch sah, gebügelt. Endlich kam er an, der so innig
herbeigesehnte Mantel. Es ist mir nicht möglich, genau den Tag zu
beschreiben, aber sicherlich war es der feierlichste Tag in dem Leben
Akakij Akakiewitschs.

Der Schneider brachte den Mantel selbst schon am frühen Morgen, bevor
der Titular-Rat sich in sein Büro begab. Er hätte garnicht zu
gelegenerer Zeit kommen können, denn die Kälte machte sich bereits
bitter fühlbar, und drohte mit der Zeit noch weit heftiger zu werden.

Petrowitsch näherte sich seinem Kunden mit der würdevollen Miene eines
weltberühmten Schneiders. Seine Physiognomie war von einem seltenen
Ernst; niemals hatte der Titular-Rat ihn so gesehen. Er war von seinem
Verdienst durchdrungen und bemaß in Gedanken voller Stolz den Abstand,
der den Flickschneider von dem Künstler, dem Verfertiger neuer
Kleidungsstücke, scheidet.

Der Mantel war in eine neue, erst kürzlich gewaschene Leinewanddecke
gehüllt, die der Schneider sorgfältig aufknüpfte und dann wieder
zusammenlegte, um sie seiner Tasche anzuvertrauen. Dann faßte er stolz
den Mantel mit beiden Händen an und legte ihn Akakij Akakiewitsch auf
die Schultern. Hierauf half er ihm vollends hinein, strich ihm mit der
Hand noch einmal über den Rücken, und ein Lächeln der Genugtuung
überlief seine Züge, als er ihn in seiner ganzen Länge majestätisch
herabfallen sah; schließlich mußte Akakij Akakiewitsch ihn noch einmal
weit aufmachen und sich dem Schneider von vorne präsentieren.

Als ein Mann reiferen Alters wollte Akakij Akakiewitsch auch die Ärmel
anprobieren; Petrowitsch half ihm in die Ärmel hinein, und siehe da, sie
saßen wundervoll. Kurz, der Mantel war tadellos in allen seinen
Einzelheiten, und der Schnitt ließ nichts zu wünschen übrig.

Während der Schneider sein Werk betrachtete, verfehlte er nicht, darauf
hinzuweisen, daß er ihn nur wegen der geringen Miete, weil er in einer
kleinen Nebenstraße wohne und nichts für ein Aushängeschild zu zahlen
brauche, sowie wegen seiner langjährigen Bekanntschaft mit Akakij
Akakiewitsch so billig hergestellt hätte. Dann bemerkte er noch, daß ein
Schneider vom Newski Prospekt allein für die Fasson eines gleichen
Mantels mindestens fünfundsiebzig Rubel gefordert haben würde. Akakij
Akakiewitsch wollte sich jedoch über diesen Punkt nicht erst in eine
Diskussion einlassen, denn er fürchtete sich vor den horrenden Summen,
mit denen Petrowitsch zu prahlen liebte. Er zahlte, dankte und verließ
seine Stube, um sich in seinem neuen Mantel nach dem Büro zu begeben.

Petrowitsch ging mit ihm und machte mitten auf der Straße halt, um ihm
so weit wie möglich mit den Augen zu folgen. Dann verließ er die Straße,
durchquerte eiligst eine kleine Gasse und rannte nach der Straße zurück,
um den Mantel noch einmal von einer andern Seite, d. h. von vorne zu
betrachten.

Voll süßer Gedanken, in einer wahren Feiertagsstimmung, näherte sich
Akakij seinem Büro. Jeden Augenblick fühlte er, daß von seinen Schultern
ein neues Kleidungsstück herabhing und beglückte sich selbst mit einem
holden Lächeln der Genugtuung.

Zwei Dinge vor allem gingen ihm durch den Kopf: zunächst, daß der Mantel
warm war, sodann, daß er gut aussah. Ohne irgendwie auf den Weg, den er
gegangen war, geachtet zu haben, betrat er plötzlich die Kanzlei, legte
seinen Schatz im Vorzimmer ab, schaute ihn sich noch einmal sorgfältig
von allen Seiten an und bat den Portier, recht sorgsam auf den Mantel zu
achten.

Ich weiß nicht, wie sich das Gerücht in den Bureaus verbreitet hatte,
daß Akaki Akakiewitsch sich einen neuen Mantel angeschafft, und die alte
Kapuze zu existieren aufgehört habe. Jedenfalls eilten alle Kollegen
Akaki Akakiewitschs herbei, um seinen herrlichen Mantel zu bewundern und
den Titular-Rat mit so warmen Glückwünschen zu überhäufen, daß er nicht
umhin konnte, ihnen mit einem Lächeln der Genugtuung zu antworten, das
bald jedoch wieder einer gewissen Verlegenheit Platz machte.

Aber wie groß war seine Überraschung, als seine schrecklichen Kollegen
ihn merken ließen, daß sein Mantel einer feierlichen Einweihung bedürfe
und daß sie auf ein feines Mahl rechneten. Der arme Akaki Akakiewitsch
war darüber so bestürzt, so betäubt, daß er nicht wußte, was er zu
seiner Entschuldigung anführen sollte. Errötend stotterte er, das
Kleidungsstück sei gar nicht so neu, wie man glauben mochte, der Mantel
wäre vielmehr schon ganz alt.

Einer seiner Vorgesetzten, irgend ein Gehilfe des Bürovorstehers, der
ohne Zweifel dartun wollte, daß er so gar nicht stolz auf seinen Rang
und Titel war und daß er die Gesellschaft seiner Untergebenen nicht
verschmähte, nahm das Wort und sagte:

»Meine Herren, anstelle von Akaki Akakiewitsch werde ich Sie bewirten.
Ich lade Sie ein, diesen Abend den Tee bei mir einzunehmen, ich habe
heute gerade Geburtstag!«

Alle Beamten dankten ihrem Chef für seine Güte und beeilten sich, seine
Einladung mit großer Freude anzunehmen. Akaki Akakiewitsch wollte zuerst
ablehnen, man hielt ihm jedoch vor, daß das sehr unhöflich von ihm wäre,
gewissermaßen eine unverzeihliche Handlungsweise, und so fügte er sich
denn in das Notwendige.

In Gedanken empfand er übrigens eine gewisse Freude darüber, daß er auf
diese Art Gelegenheit hatte, sich in seinem Mantel auf der Straße zu
zeigen. Dieser ganze Tag war für ihn ein Fest. In dieser glücklichen
Stimmung trat er in seine Wohnung ein, zog seinen Mantel aus und hängte
ihn, nachdem er einmal übers andre Stoff und Futter geprüft hatte, an
die Wand. Dann holte er seine alte Kapuze herbei, um sie mit
Petrowitschs Meisterstück zu vergleichen. Seine Blicke wanderten von
einem Kleidungsstück zum andern und sanft lächelnd dachte er: »Welch ein
Unterschied!« Und noch lange nachher, beim Mittagessen konnte er sich
eines Lächelns nicht erwehren, wenn er daran dachte, in was für einer
Verfassung sein alter Mantel sich befand.

Ganz fröhlich nahm er diesmal seine Mahlzeit ein, und darnach setzte er
sich nicht wie sonst an seine Kopieen. Nein er streckte sich wie ein
rechter Sybarit auf seinem Sofa aus und erwartete das Herannahen des
Abends. Dann zog er sich schnell an, nahm seinen Mantel und ging.

Es dürfte mir leider nicht möglich sein, Ihnen die Wohnung dieses
Vorgesetzten anzugeben, der seine Untergebenen so freigebig eingeladen
hatte. Mein Gedächtnis beginnt bereits etwas nachzulassen, und die
Straßen und Häuser St. Petersburgs richten in meinem Hirn eine derartige
Verwirrung an, daß ich große Mühe habe, mich nur einigermaßen zurecht zu
finden. Einzig und allein daran erinnere ich mich, daß der würdige
Beamte in einem der schönsten Stadtviertel wohnte, und daß infolgedessen
seine Wohnung sehr weit von der Akakis entfernt war.

Zuerst durchwanderte der Titular-Rat mehrere schlechtbeleuchtete
Straßen, die ganz ausgestorben schienen, aber je mehr er sich der
Wohnung seines Vorgesetzten näherte, um so heller und belebter wurden
die Straßen. Er begegnete einer zahllosen Menge nach der neuesten Mode
gekleideter Spaziergänger, schönen eleganten Frauen und Herren, die
Biberkragen trugen. Die Bauernschlitten mit ihren Holzbänken und ihren
mit goldenen Nägeln geschmückten Gittern wurden immer seltener, und alle
Augenblicke bemerkte er forsche Kutscher mit roten Samtmützen, die mit
Bärenfellen versehene Schlitten aus lackiertem Holz und prachtvolle
Karossen lenkten, oder er sah vornehme Equipagen mit eleganten
Kutschböcken, die knirschend über den Schnee dahinglitten.

Das war für unsern Akaki Akakiewitsch ein gänzlich neues Schauspiel.
Seit vielen Jahren war er nicht des Abends ausgegangen. So recht
neugierig blieb er vor der Auslage einer Kunsthandlung stehen. Ein
Gemälde zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Das war das Porträt einer
Frau, die ihren Schuh ausgezogen hatte und ihren kleinen entzückenden
Fuß von einem jungen Manne mit dickem Schnurrbart und langer Fliege, der
durch eine halbgeöffnete Tür blickte, bewundern ließ.

Nachdem Akaki Akakiewitsch dieses Bild genug angeschaut hatte,
schüttelte er den Kopf und setzte lächelnd seinen Weg fort. Warum
lächelte er wohl? Etwa wegen der Fremdheit des Gegenstandes? für den er
sich trotzdem gleich allen anderen Leuten ein gewisses Verständnis
bewahrt hatte? Oder vielleicht deshalb, weil er wie die meisten seiner
Kollegen dachte: die Franzosen haben mitunter etwas zu seltsame
Einfälle; wenn sie einmal so eine Sache machen wollen, dann ist es
wirklich so eine Sache. Ach, er dachte wohl an gar nichts, und im
übrigen ist es sehr schwer, sich in die Seele eines andern zu versetzen
und die Gedanken der Menschen zu lesen.

Endlich gelangte er vor das Haus, in dem der Gehilfe des Bureauchefs
wohnte. Sein Vorgesetzter lebte wie ein Grandseigneur; auf der Treppe
brannte eine Laterne, bewohnte er doch eine ganze Etage im zweiten
Stock. Als unser Akaki Akakiewitsch eingetreten war, erblickte er eine
lange Reihe Galoschen, dazwischen dampfte und brodelte mitten im Zimmer
ein Samowar, an den Wänden hingen die Mäntel, von denen mehrere mit
Samt- und mit Pelzkragen versehen waren. Aus dem Zimmer nebenan drang
ein wirres Geräusch, das bestimmtere Formen annahm, als ein Diener die
Tür öffnete und mit einem Tablett voll leerer Tassen, einem Topf mit
Sahne und einem Korb mit Kuchen herausschritt. Die Gäste mußten bereits
lange versammelt sein, und sie hatten augenscheinlich bereits ihre erste
Tasse Tee geleert.

Akaki hängte seinen Mantel selbst an einen Haken und ging dann auf das
hell erleuchtete Zimmer zu, in dem sich seine mit langen Pfeifen
ausgerüsteten Kollegen um einen Spieltisch gruppiert hatten, sich sehr
laut unterhielten und ihm Stühle hin und her schoben.

Er trat ein, blieb jedoch verlegen auf der Türschwelle stehen, da er
nicht wußte, was er tun sollte. Aber seine Kollegen hatten ihn schon
bemerkt, begrüßten ihn mit großem Hallo und eilten sofort in das
Vorzimmer, um seinen Mantel zu bewundern. Dieser Ansturm raubte unserem
braven Titular-Rat seine ganze Haltung. Da er aber ein schlichter und
treuherziger Mann war, freute er sich dennoch ganz aufrichtig über die
Glückwünsche, die man ihm zu seinem kostbaren Kleidungsstücke
darbrachte. Bald darauf gaben seine Kollegen ihm nun die Freiheit wieder
und gingen an ihre Whisttische zurück. Diese Bewegung, diese Erregung,
die lebhafte Konversation, die vielen Menschen ... das alles verwirrte
unseren schüchternen Akaki Akakiewitsch im höchsten Grade. Er wußte
nicht, wo er seine Hände und Füße hintun, wie er sie verbergen sollte;
schließlich setzte er sich zu den Spielern, sah bald auf ihre Karten,
bald auf ihre Gesichter, nach kurzer Zeit fing er jedoch zu gähnen und
sich zu langweilen an, denn er empfand, daß die Stunde bereits längst
verstrichen war, um die er sich zur Ruhe zu begeben pflegte. Er wollte
sich zurückziehen, doch hielt man ihn zurück, indem man ihm klarmachte,
er dürfe sich unmöglich entfernen, ohne ein Glas Champagner zur Feier
dieses denkwürdigen Tages getrunken zu haben.

Nach einer Stunde trug man das Abendessen auf, das aus Heringsalat,
kaltem Kalbsbraten, Kuchen, Pasteten und gemischtem Backwerk bestand; zu
jedem Gang gab es den sogenannten Champagner. Akaki Akakiewitsch sah
sich genötigt, zwei große Gläser von diesem prickelnden Getränk zu
leeren, und nach kurzer Zeit bereits begann alles um ihn herum ein
heiteres Ansehen anzunehmen. Indes vergaß er nicht, daß Mitternacht
vorüber und daß es längst Zeit zum Nachhausegehen war.

In der Furcht, noch länger zurückgehalten zu werden, schlich er sich
insgeheim ins Vorzimmer, wo er den Schmerz erlebte, seinen Mantel auf
dem Boden erblicken zu müssen. Er schüttelte ihn mit größter Sorgfalt,
entfernte jedes kleine Federchen, zog ihn an und ging die Treppe
hinunter.

Die Straßen waren noch beleuchtet. Die kleinen von den Dienstboten und
dem niederen Volke besuchten Läden waren noch geöffnet; einige waren
zwar schon verschlossen, doch konnte man an dem Lichtschein, der aus den
Türspalten fiel, unschwer erkennen, daß die Gäste noch nicht gegangen
waren. Wahrscheinlich saßen die Knechte und Mägde noch immer in
lebhaftem Gespräche beisammen, in dem sie ihre Herren in vollkommener
Unklarheit über ihren Aufenthaltsort ließen.

Überaus froh und etwas bezecht schlug Akaki Akakiewitsch den Weg nach
seiner Wohnung ein. Er lief sogar, ohne zu wissen warum, einer Dame
nach, die wie ein Blitz an ihm vorbeihuschte, und deren sämtliche
Körperteile sich in lebhafter Bewegung befanden. Aber er besann sich
bald wieder, blieb einen Augenblick stehen und setzte dann seinen Weg
langsam weiter fort, höchst verwundert über das lebhafte Tempo, das er
angeschlagen hatte. Bald gelangte er wieder in dunkele und unbelebte
Gassen und plötzlich merkte er, daß er sich in einer jener Straßen
befand, die sich des Tags und noch mehr in der Nacht durch ihre Ruhe
auszeichneten. Heute aber erschien sie noch einsamer und schauerlicher.
Alles um ihn hatte ein finsteres Aussehen. Die Laternen wurden immer
seltener, da die Stadtverwaltung offenbar nur wenig Öl für die
Beleuchtung dieses Viertels bewilligte ... Holzhäuser, Palisadenzäune --
aber nirgends eine lebende Seele. Bei dem fahlen Schein dieser Laternen
glänzte der Schnee, und all die kleinen Häuser mit ihren verschlossenen
Läden lagen in der Dunkelheit gar trübselig da. Er gelangte an eine
Stelle, wo die Straße in einen riesigen, mit Häusern bebauten Platz
mündete, die von der anderen Seite aus kaum zu sehen waren. Es schien
fast, als befände man sich in einer weiten und trostlosen Wüste.

In der Ferne, Gott weiß wo, schimmerte ein Licht von einem Schilderhause
her, das ihm am Ende der Welt zu stehen schien. Mit einem Male verlor
Akaki Akakiewitsch seine fröhliche Stimmung. Er ging mit starkem
Herzklopfen auf das Licht zu, er ahnte eine drohende Gefahr. Der vor ihm
liegende Raum erschien ihm größer als der Ozean.

»Nein,« sagte er, »ich will lieber garnicht hinsehen!«

Und er ging weiter, indem er die Augen beständig zumachte. Als er sie
öffnete, sah er sich plötzlich von mehreren bärtigen Männern umgeben,
deren Gesichter er nicht erkennen konnte. Es wurde ihm dunkel vor den
Augen, sein Herz krampfte sich zusammen.

»Dieser Mantel gehört mir,« schrie einer der Männer, indem er Akaki
Akakiewitsch an dem Kragen faßte.

Akaki Akakiewitsch wollte um Hilfe rufen. Einer der Angreifer schloß ihm
indessen mit seiner Faust, die die Größe eines Beamtenkopfes hatte, den
Mund und sagte zu ihm:

»Laß dir's nur nicht einfallen, zu schreien!« Im selben Augenblick
fühlte der Titular-Rat, wie man ihm seinen Mantel auszog, und fast
gleichzeitig ließ ihn ein Fußtritt in den Schnee rollen, in dem er
bewußtlos liegen blieb.

Einige Sekunden später kam er wieder zu sich; aber er vermochte niemand
mehr zu erblicken. Seiner Kleidung beraubt und ganz erfroren begann er
aus Leibeskräften zu schreien, aber seine Rufe konnten kaum bis zum
anderen Ende des Platzes dringen. Ganz außer sich lief er über den Platz
und stürzte mit der letzten Kraft der Verzweiflung auf das
Schilderhäuschen zu, wo die Wache, Gewehr bei Fuß, ihn neugierig
betrachtete und fragte, weshalb zum Teufel er denn einen solchen Lärm
vollführe und wie ein Verrückter liefe.

Als Akaki Akakiewitsch den Soldaten erreicht hatte, beschuldigte er ihn
mit bebender Stimme der Trunkenheit, weil er nicht bemerkt hatte, daß
man in nächster Nähe von ihm die Passanten bestehle und ausplündere.

»Ich habe nichts gesehen,« erwiderte der Mann, »ich sah Sie nur mitten
auf dem Platze zusammen mit zwei Individuen. Ich glaubte, es wären Ihre
Freunde. Es ist unnütz, sich deshalb aufzuregen. Suchen Sie morgen den
Polizei-Inspektor auf, er wird die Angelegenheit in die Hand nehmen,
nach den Dieben des Mantels forschen lassen und eine Untersuchung
einleiten.«

Der unglückliche Akaki Akakiewitsch kam in einem fürchterlichen Zustande
zu Hause an: die wenigen Haare, die er noch am Hinterkopf und an der
Schläfe hatte, hingen ihm wirr über die Stirn; Brust, Rücken und
Beinkleider waren voller Schnee. Als seine alte Wirtin ihn wie einen
Besessenen an die Tür klopfen hörte, stand sie schnell auf und kam auf
nackten, nur in Pantoffeln steckenden Füßen herbeigeeilt. Sie öffnete
die Türe, indem sie ihre nur mit einem Hemde bekleidete Brust mit der
einen Hand schamhaft zudeckte. Aber bei Akaki Akakiewitschs Anblick
prallte sie entsetzt zurück.

Als er ihr erzählte, was ihm zugestoßen war, rang sie die Hände und
rief:

»Sie müssen sich nicht an den Polizei-Inspektor wenden, sondern an den
Bezirks-Kommissar. Der Inspektor wird Sie mit schönen Worten abspeisen
und doch nichts für Sie tun. Aber den Bezirks-Kommissar kenne ich schon
lange. Meine alte Köchin Anna, eine Finnländerin, dient jetzt bei ihm
als Amme, und ich sehe sie oft unter unseren Fenstern vorbeikommen. Er
geht jeden Sonntag in die Kirche, um zu beten, und wirft allen Leuten
freundliche Blicke zu, man sieht es ihm gleich an, daß er ein braver
Mann ist.«

Nach dieser beruhigenden Empfehlung zog sich Akaki traurig in sein
Zimmer zurück. Wer sich nur einigermaßen in die Situation eines andern
hinein versetzen kann, wird begreifen, wie er die Nacht verbrachte.

Am andern Morgen begab er sich sofort zum Bezirks-Kommissar. Man
bedeutete ihm, daß dieser hohe Beamte noch schlief. Um zehn Uhr kam er
wieder. Der hohe Beamte schlief noch. Um elf Uhr war der Kommissar
ausgegangen. Der Titular-Rat stellte sich noch einmal um die Essenszeit
ein, aber die Schreiber wollten ihn durchaus nicht vorlassen und fragten
ihn, was er wolle und warum er es denn so eilig habe, ihren Chef zu
sprechen. Zum erstenmal in seinem Leben machte Akaki Akakiewitsch einen
Energieversuch. Er erklärte kategorisch, daß er unbedingt und zwar auf
der Stelle mit dem Kommissar reden müsse, er komme aus dem Departement,
daher dürfe man ihn keinesfalls abweisen, denn es handle sich um eine
äußerst wichtige Staatsangelegenheit, und sollte es etwa jemand
einfallen, ihn zu behindern, so würde er sich beschweren, und dies
könnte ihnen teuer zu stehen kommen.

Auf solchen Ton konnte man nichts weiter erwidern. Einer der Schreiber
ging hinaus, um den Chef herbeizuzitieren. Dieser gewährte nun Akaki
Akakiewitsch eine Audienz, hörte sich jedoch seine Erzählung über den
Raub seines Mantels in einer recht merkwürdigen Weise an. Anstatt sich
für den Hauptpunkt, nämlich den Diebstahl, zu interessieren, fragte er
den Titular-Rat, wie er denn dazu gekommen wäre, zu so ungewöhnlicher
Stunde nach Hause zu gehen, und ob er nicht etwa in einem verdächtigen
Hause gewesen sei.

Völlig verblüfft durch diese Frage fand der Titular-Rat keine Antwort
und zog sich zurück, ohne genau zu wissen, ob man sich überhaupt mit
seiner Angelegenheit beschäftigen würde oder nicht.

Er war den ganzen Tag über nicht in seinem Bureau gewesen: (ein
unerhörtes Ereignis in seinem Leben). Am folgenden Tage erschien er
wieder, aber in welchem Zustand! bleich, aufgeregt, mit seinem alten
Mantel, der nun noch jämmerlicher aussah als ehedem. Als seine Kollegen
erfuhren, welches Unglück ihn betroffen hatte, fanden sich noch immer
einige Rohlinge, die aus vollem Halse darüber lachen zu müssen glaubten;
die Mehrzahl indessen empfand aufrichtiges Mitleid mit ihm und
veranstaltete zu seinen Gunsten eine Subskription. Unglücklicherweise
hatte dieses löbliche Unternehmen nur ein völlig ungenügendes Resultat,
weil diese selben Beamten und Vorgesetzten bereits kurz vorher zu zwei
Subskriptionen beigesteuert hatten: zunächst mußten sie sich ein Porträt
ihres Direktors anfertigen lassen, sodann handelte es sich um das
Abonnement auf ein Werk, das ein Freund ihres Chefs soeben hatte
erscheinen lassen. Das war der Grund, weswegen nur eine ganz
unbedeutende Summe zusammenkam.

Einer von ihnen, der Akaki Akakiewitsch ehrliche Teilnahme
entgegenbrachte, wollte ihm wenigstens aus Mangel an Besserem einen
guten Rat geben. Er sagte ihm, daß es verlorene Mühe wäre, sich noch
einmal an den Bezirkskommissar zu wenden, denn vorausgesetzt, daß dieser
Beamte sich wirklich Mühe geben sollte, um sich das Lob seiner
Vorgesetzten zu verdienen, und daß es ihm in der Tat glücken sollte,
seinen Mantel aufzufinden, so würde die Polizei dieses Kleidungsstück so
lange in Verwahrung behalten, bis sich der Titular-Rat nicht
unumstößlich sicher als der alleinige und wahre Besitzer des Mantels
legitimiert habe. Er ermahnte ihn also, sich an eine gewisse,
hochgestellte Persönlichkeit zu wenden, welche hochstehende
Persönlichkeit dank ihrer guten Beziehungen zu den Behörden die Sache
ohne große Schwierigkeit erledigen könne.

In seiner Verwirrung entschloß sich Akaki, dieser Ansicht Folge zu
leisten. Welche Stellung in der Beamtenskala diese hohe Persönlichkeit
eigentlich bekleidete, wie hoch denn ihr Rang in Wirklichkeit war, hätte
man nicht sagen können. Man wußte einzig und allein, daß diese _hohe
Persönlichkeit_ erst seit kurzer Zeit in ihrem Amte säße, bis dahin war
sie nämlich eine ganz unbedeutende Persönlichkeit gewesen. Allerdings
gab es andre noch höher gestellte Persönlichkeiten, aber bekanntlich
finden sich ja immer Leute, in deren Augen eine Persönlichkeit, die
andre Menschen für unbedeutend halten, eine sehr hohe und bedeutende
Persönlichkeit ist. Genug, der in Frage stehende Beamte setzte alle
möglichen Hebel in Bewegung, um noch höher zu steigen. So zwang er alle
andern Beamten, die unter ihm standen, am Fuße der Treppe auf ihn zu
warten, bis er erschien, und niemand konnte direkt zu ihm gelangen,
sondern dies alles mußte auf dem strengsten Ordnungswege geschehen. Der
Kollegien-Sekretär teilte einem Regierungs-Sekretär das Audienzgesuch
mit, der es seinerseits an einen Titular-Rat oder einen noch höheren
Beamten weitergab, und dieser stattete endlich der hohen Persönlichkeit
darüber Bericht ab.

Das ist der gewöhnliche Gang der Geschäfte in unserem heiligen Rußland.
Der Wunsch, es den hohen Beamten gleich zu tun, bewirkt, daß jeder die
Manieren seines Vorgesetzten nachäfft. Vor noch nicht allzu langer Zeit
ließ ein erst eben zum Chef eines kleinen Bureaus beförderter
Titular-Rat über einem seiner Zimmer die Aufschrift »Beratungssaal«
anbringen. An der Tür standen Diener mit roten Kragen und gestickten
Röcken, um die Bittsteller anzumelden und einzulassen, die sie in einen
äußerst kleinen, kaum einem gewöhnlichen Schreibtisch Platz bietenden
»Saal« hineinführten.

Aber kehren wir zu unserer hohen Persönlichkeit, zu unserem Beamten,
zurück. Er hatte eine imponierende majestätische Haltung, wenngleich
sein Benehmen und seine Gewohnheiten recht primitiv waren; sein System
faßte sich in einem einzigen Wort zusammen, und dieses hieß: Strenge,
Strenge, Strenge. Er pflegte dieses Wort dreimal zu wiederholen, und
beim letztenmal sah er den, mit dem er gerade zu tun hatte,
bedeutungsvoll an. Er hätte gut darauf verzichten können, soviel Energie
zu entfalten, denn seine zehn Untergebenen, die den ganzen
Regierungsmechanismus seiner Kanzelei bildeten, fürchteten ihn schon
ohnehin genug. Wenn sie ihn nur von weitem sahen, legten sie eiligst
ihren Federhalter hin und stürzten herbei, um bei seinem Vorübergang
Spalier zu bilden. In seinen Gesprächen mit seinen Untergebenen
beobachtete er immer eine strenge Haltung und sprach stets nur folgende
Worte:

»Was erlauben Sie sich? Wissen Sie auch, mit wem Sie sprechen? Vergessen
Sie nicht, wen Sie vor sich haben!«

Im übrigen war er ein braver Mann und liebenswürdig und gefällig gegen
seine Freunde. Nur sein Generalsrang hatte ihm den Kopf verdreht. Seit
dem Tage, an dem er ihn erhalten hatte, verbrachte er den größten Teil
seiner Zeit in einer Art Schwindel und wußte kaum noch, wie er sich
benehmen sollte, doch wurde er wieder im Verkehr mit seinesgleichen
menschlich und vernünftig. Dann benahm er sich wie ein anständiger und
in mancher Beziehung sogar wie ein recht gescheiter Mensch. Befand er
sich jedoch mit einem Untergebenen zusammen, dann war der Teufel los --
dann beschränkte er sich auf ein strenges Schweigen, und in dieser
Situation war er wirklich zu bedauern, um so mehr, als er selbst
empfand, wie viel angenehmer er seine Zeit hätte verbringen können.

Allen, die ihn in solcher Stimmung beobachteten, konnte es nicht
entgehen, daß er vor Verlangen brannte, sich in eine interessante
Konversation zu mischen, aber die Furcht, unklugerweise zu zuvorkommend
zu erscheinen, sich etwas zu vergeben, sich zu familiär zu zeigen, hielt
ihn davon zurück. Um sich Gefahren dieser Art zu entziehen, beobachtete
er eine außerordentliche Reserve und sprach nur von Zeit zu Zeit irgend
ein einsilbiges Wort. Kurz, er hatte sein System so auf die Spitze
getrieben, daß man ihn einen langweiligen Peter nannte, und dieser Titel
war wohl verdient.

Das war die hohe Persönlichkeit, die Akaki Akakiewitsch um Hilfe und
Schutz angehen mußte. Der Augenblick, den er wählte, um seine Absicht
auszuführen, schien äußerst ungünstig, besonders für Akaki Akakiewitsch,
dagegen um so günstiger, um der Eitelkeit des Generals zu schmeicheln.

Die hohe Persönlichkeit befand sich gerade in ihrem Arbeitszimmer und
plauderte angeregt mit einem alten Jugendfreunde, der vor kurzem
angekommen war und den sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte, als man
ihr meldete, daß ein Herr Baschmakschin um die Ehre einer Audienz bei
Seiner Exzellenz nachsuchte.

»Wer ist das?« fragte er kurz und sehr erstaunt.

»Ein Beamter!«

»Warten lassen. Beschäftigt. Ich habe keine Zeit, ihn zu empfangen.«

Die hohe Persönlichkeit schwindelte. Nichts hinderte sie daran, die
gewünschte Audienz zu gewähren. Beide Freunde hatten schon alles
durchgesprochen. Schon mehr als einmal war ihre Unterhaltung von langen
Pausen unterbrochen worden, nach deren Beendigung sie sich beide
freundschaftlich auf die Knie klopften:

»So geh, lieber Iwan Abramowitsch!«

»Ja, ja, Stephan Warlamowitsch!«

Aber der Direktor wollte den Bittsteller nicht gleich empfangen, um
seinen Freund seine ganze Bedeutung empfinden zu lassen, dieser hatte
nämlich den Dienst quittiert und wohnte jetzt auf dem Lande; daher
wollte ihm der Direktor deutlich demonstrieren, daß die Beamten sich so
lange im Vorzimmer zu gedulden hätten, bis es ihm gefiele, sie zu
empfangen.

Endlich -- nach mehreren Zwiegesprächen und einigen neuen Pausen,
währenddessen die beiden Freunde in ihren bequemen Lehnsesseln liegend,
den Rauch ihrer Zigarren zur Decke sandten, schien sich der
General-Direktor plötzlich daran zu erinnern, daß man ihn um eine
Audienz gebeten hätte. Er rief seinen Sekretär, der mit verschiedenen
Akten an der Tür stand, und sagte: »Ich glaube es wartet da irgend ein
Beamter auf mich. Lassen Sie ihn herein!«

Als er Akaki Akakiewitschs ansichtig wurde, der sich ihm mit
untertäniger Miene in seiner alten Uniform näherte, wandte er sich
schroff zu ihm und fuhr ihn in jenem strengen und rauhen Tone an, den er
sich, wenn er in seinem Zimmer allein war, vor dem Spiegel einstudiert
hatte, noch eine ganze Woche bevor er seinen neuen Posten einnehmen und
sich General nennen durfte.

»Was wollen Sie?«

Der schon ganz eingeschüchterte Akaki Akakiewitsch war wie
niedergeschmettert von dieser schroffen Anrede. Indes versuchte er es
sich so gut er konnte verständlich zu machen und zu erzählen, wie man
ihn in unmenschlicher Weise seines neuen Mantels beraubt hatte, nicht
ohne seinen Bericht mit einer Menge überflüssiger Flickworte zu
verbrämen. Er fügte hinzu, er habe sich an Seine Exzellenz gewandt in
der Hoffnung, daß er dank dieser hohen und gütigen Protektion bei dem
Polizei-Präsidenten oder bei andern hohen Behörden wieder in den Besitz
seines Kleidungsstückes gelangen könne.

Der General-Direktor fand aus irgend einem Grunde, daß dies Benehmen
viel zu familiär sei und herrschte ihn daher kurz an: »Wie Herr! Sie
wissen nicht, was Sie in so einem Falle zu tun haben? Was fällt Ihnen
ein? Sie kennen wohl den Instanzenweg nicht? Sie hätten eine Bittschrift
einreichen sollen, die in die Hände des Bureauchefs und aus ihnen in die
des Abteilungsvorstandes gelangt wäre; dieser hätte sie meinem Sekretär
überreicht, durch den sie mir hätte zugestellt werden müssen.«

»Gestatten Sie mir,« unterbrach ihn Akaki Akakiewitsch mit großer
Anstrengung, um den kargen Rest von Geistesgegenwart, der ihm geblieben
war, zusammenzunehmen. Fühlte er doch, daß er schon vor Schrecken und
Erregung schwitzte. »Gestatten Sie mir, Eure Exzellenz, Ihnen zu
bemerken, daß, wenn ich mir die Freiheit genommen habe, Sie mit dieser
Angelegenheit zu belästigen, die Sekretäre ... die Sekretäre sind Leute,
von denen man nichts zu erwarten hat.«

»Wie? Was? Wahrhaftig!« schrie ihn der General-Direktor an. »Sie wagen
es, hier eine solche Sprache zu führen? Wie sind Sie denn zu solchen
Ansichten gelangt? Es ist eine Schmach, zu sehen, wie sich junge Leute
derartig gegen ihre Vorgesetzten empören!«

In seinem Ungestüm sah wohl der General-Direktor garnicht, daß der
Titular-Rat bereits die Fünfzig überschritten hatte und daß die
Bezeichnung: junger Mann nur noch relativ auf ihn angewendet werden
konnte: im Vergleich mit einem Siebzigjährigen nämlich!

»Wissen Sie auch,« fuhr die hohe Persönlichkeit fort, »mit wem Sie
sprechen? Erinnern Sie sich, vor wem Sie stehen? Erinnern Sie sich
daran! Ich sage: erinnern Sie sich daran!«

Diese Worte begleitete er mit heftigem Fußstampfen, und seine Stimme
nahm eine solche Schärfe, einen so furchterregenden Umfang an, daß auch
ein anderer erschrocken zusammengefahren wäre.

Akaki war völlig gelähmt; er zitterte, seufzte, konnte sich kaum
aufrecht halten und wäre ohne das Zuhilfekommen des Bureaudieners
unfehlbar zu Boden gesunken. Man führte, oder vielmehr man schleppte ihn
fast ohnmächtig hinaus.

Der General-Direktor war über die Wirkung seiner Worte ganz erstaunt;
sie überstieg seine Erwartung, und voller Genugtuung darüber, daß sein
herrischer Ton auf einen Greis einen solchen Eindruck gemacht hatte, daß
dieser arme Mann sein Bewußtsein verlor, warf er einen flüchtigen Blick
auf seinen Freund, um zu sehen, wie er diesen Ausgang aufgenommen hatte.
Wie grenzenlos wurde da seine Zufriedenheit mit sich selbst, als er
sogar bei seinem Freunde, der unschlüssig dasaß und ihn mit einem
gewissen Schrecken ansah, einen tiefen Eindruck feststellte!

Wie Akaki Akakiewitsch die Treppe hinunter gelangte und wie er die
Straßen durchwanderte, darüber hätte er selbst niemals Rechenschaft
geben können; denn er war mehr tot als lebendig. In seinem ganzen Leben
war er noch nicht von einem General-Direktor, und noch dazu von einem so
strengen General-Direktor, so heftig gescholten worden.

In dem heulenden Schneesturm, der draußen tobte, wanderte er mit offenem
Munde dahin, ohne dieses abscheuliche Wetter überhaupt zu bemerken, und
ohne auf dem Trottoir vor dem Schneegestöber Schutz zu suchen. Der Wind,
der nach Petersburger Sitte aus allen vier Himmelsrichtungen blies,
verursachte ihm eine Halsentzündung. Nach Hause zurückgekehrt, war er
außerstande, ein Wort zu sprechen. Sein ganzer Körper war geschwollen,
und daher legte sich Akaki Akakiewitsch zu Bett. So groß ist mitunter
die Wirkung einer gründlichen Moralpauke!

Am folgenden Tage fieberte Akaki heftig. Dank der großmütigen Hilfe des
St. Petersburger Klimas machte seine Krankheit in kurzer Zeit
beunruhigende Fortschritte. Als der Arzt sich einstellte, war all seine
Kunst bereits nutzlos. Der Doktor fühlte ihm den Puls, aber er konnte
nichts mehr ausrichten, so verschrieb er ihm denn ein Rezept, um ihn
doch nicht ohne die Segnungen der medizinischen Wissenschaft sterben zu
lassen, und erklärte, daß der Kranke nur noch zwei Tage zu leben hätte.

Dann wandte er sich an Akakis Wirtin und sagte: »Sie haben keine Zeit
mehr zu verlieren; lassen Sie ihm doch gleich einen Sarg aus Fichtenholz
machen, denn ein eichner wäre für diesen armen Mann wohl zu teuer.«

Hörte Akaki Akakiewitsch diese verhängnisvollen Worte? Waren sie es, die
eine so erschütternde Wirkung auf ihn ausübten? Beklagte er sich ganz
leise über sein trauriges Schicksal? Niemand hätte es sagen können,
redete er doch bereits im Delirium. Seltsame Visionen jagten
unaufhörlich durch sein geschwächtes Hirn. Bald sah er sich Petrowitsch
gegenüber, den er beauftragte, ihm einen Mantel anzufertigen, bald sah
er Fußangeln für die Diebe, die er beständig unter seinem Bett zu
entdecken glaubte. Bald hatten sie sich unter seiner Decke verkrochen,
und er flehte seine Wirtin an, sie fortzujagen. Bald fragte er, warum
die alte Kapuze noch an der Wand hänge, wo er doch einen neuen Mantel
habe, bald sah er sich vor dem General-Direktor, der ihn wieder mit
Vorwürfen überhäufte, so daß er seine Exzellenz um Gnade bat. Bald
verwirrte er sich in so seltsame und schreckliche Flüche und Reden, daß
die erschreckte alte Frau sich bekreuzigte. Niemals in ihrem Leben hatte
sie derartige Dinge von ihm gehört, und die zornigen Worte des Kranken
ließen sie um so mehr außer sich geraten, als der Titel einer Exzellenz
jeden Augenblick wiederkehrte. Bald murmelte er von neuem sinnlose Sätze
ohne Zusammenhang, die sich aber immer um denselben Punkt drehten: um
den Mantel.

Endlich hauchte der arme Akaki Akakiewitsch seinen letzten Seufzer aus.
Man legte weder auf sein Zimmer noch auf seinen Schrank Siegel -- und
zwar aus dem einfachen Grunde, weil er keinen Erben hatte und nur ein
Päckchen Gänsefedern, ein Heft mit weißem Aktenpapier, drei Paar
Strümpfe, einige Hosenknöpfe und seinen alten Mantel hinterließ. Wem
fielen diese Reliquien zu? Das weiß Gott allein! Der Verfasser dieser
Erzählung muß gestehen, daß er es unterlassen hat, sich genauer darüber
zu informieren.

Akaki Akakiewitsch wurde in ein Leichentuch gehüllt und nach dem
Kirchhof gebracht, auf dem man ihn beisetzte. Die große Stadt Petersburg
fuhr in ihrem gewöhnlichen Leben fort, wie wenn der Titularrat niemals
existiert hätte.

So schwand ein menschliches Wesen dahin, das weder einen Beschützer,
noch einen Freund gehabt, das nie jemand ein wahrhaft herzliches
Interesse eingeflößt, das nicht einmal die Neugier der sonst doch so
forschungswütigen Männer erregt hatte, jener Schnüffler, die es doch
sonst nicht verschmähen, eine gewöhnliche Fliege zum Zwecke einer
mikroskopischen Untersuchung auf die Nadel zu spießen. Ohne ein einziges
Wort der Klage hatte dieses Wesen die Mißachtung und den Spott seiner
Kollegen ertragen. Ohne daß es je ein außerordentliches Erlebnis gehabt
hätte, war es seinen Weg zum Grabe dahingewandert, und als ihm am Ende
seiner Tage ein Lichtblick in Form eines Mantels sein elendes Dasein
belebt hatte, mußte das Schicksal es niederwerfen, ganz so, wie es auch
die Großen dieser Welt niederzuwerfen pflegt! ....

Einige Tage nach seinem Tode ließ ihm sein Chef durch einen Boten
mitteilen, daß er sich sofort auf seinen Posten zu begeben habe. Der
Bureaudiener kam jedoch mit der Nachricht zurück, daß der Titular-Rat
nicht mehr kommen könne.

»Und weshalb nicht?« fragten die Beamten.

»Weil er bereits tot und vor vier Tagen begraben worden ist!«

So erfuhren Akaki Akakiewitschs Kollegen seinen Tod.

Am Tage darauf nahm seinen Platz ein anderer Beamter ein, der viel
robuster und gröber war und der sich nicht die Mühe nahm, beim Kopieren
der Akten die Buchstaben so aufrecht hinzumalen, sondern der eine viel
schrägere Schrift hatte.

                   *       *       *       *       *

Es könnte scheinen, als müsse Akaki Akakiewitschs Geschichte hier
endigen, und als hätten wir nichts mehr über ihn mitzuteilen. Allein der
bescheidene Titular-Rat war dazu bestimmt, nach seinem Tode noch manchen
Tag von sich reden zu machen: wie zur Belohnung für sein bescheidenes
von niemandem beachtetes Dasein, und unsere Erzählung nimmt hier ganz
unerwarteter Weise eine recht phantastische Wendung.

Eines Tages verbreitete sich in St. Petersburg das Gerücht, daß in der
Nähe der Katharinenbrücke Nacht für Nacht ein Gespenst in der Uniform
eines Kanzleibeamten erscheine, einen gestohlenen Mantel suche und allen
Passanten, ohne sich im mindesten um deren Titel oder Rang zu kümmern,
ihre wattierten, mit Katzen-, Otter-, Bären-, Biberfell gefütterten
Mäntel, kurz alle solche, die die Menschen erfunden haben, um ihr
eigenes Fell gegen die Kälte zu schützen, abnehme. Ein dermaliger
Kollege des Titular-Rates hatte dieses Gespenst gesehen und in ihm
sofort Akaki Akakiewitsch erkannt. Er war, tödlich erschrocken, so
schnell er konnte, davongelaufen, und so war es ihm gelungen, zu
entkommen, aber -- obwohl er schon fern war -- hatte er es doch mit der
Faust drohen sehen. Überall erfuhr man, daß die Rücken und die Schultern
von Räten, -- nicht nur von Titular-Räten, -- sondern auch von
Staatsräten infolge dieses unqualifizierbaren Raubes ihrer schönen
warmen Kleidung den heftigsten Erkältungen ausgesetzt waren.

Die Polizei traf natürlich alle möglichen Maßregeln, um dieses Gespenst
-- tot oder lebend -- zu ergreifen und an ihm eine exemplarische Strafe
zu vollziehen; und das wäre ihr auch beinahe gelungen.

Eines Abends hatte ein Posten in der Kirjuschkingasse das Glück, das
Gespenst gerade in dem Momente am Kragen zu packen, wo es einem alten
Musiker, der vormals die Flöte gespielt hatte, seinen Friesmantel
fortnehmen wollte. Die Wache rief zwei Kameraden zu Hilfe und vertraute
ihnen den Gefangenen an, während sie mit der Hand in ihren Stiefel
langte, um ihre Tabaksdose zu suchen, und ihre schon zum sechsten Male
erfrorene Nase wieder etwas zu beleben. Aber der Tabak war wohl von
solcher Art, daß selbst ein Toter ihn nicht gut vertragen konnte. Kaum
hatte der Posten seinem linken Nasenloche einige Körnchen anvertraut,
während er das rechte zuhielt, als der Gefangene so gewaltig zu niesen
begann, daß die drei Soldaten fühlten, wie ein Nebel ihre Augen
verhüllte. Während sie sich die Lider rieben, verschwand das Gespenst
spurlos, so daß sie nicht recht wußten, ob sie es auch wirklich in ihren
Händen gehalten hatten. Von diesem Tage an hatten alle Wachen eine so
große Furcht vor Gespenstern, daß sie nicht einmal einen lebendigen
Menschen mehr zu verhaften wagten und sich darauf beschränkten, ihm von
ferne zuzurufen:

»Geht weiter! Geht weiter!«

Das Phantom fuhr fort, in der Nähe der Kalinkinbrücke umzugehen, und
verbreitete in dem ganzen Viertel einen gewaltigen Schrecken unter allen
ängstlichen Leuten.

Kehren wir jedoch zu der hohen Persönlichkeit, der ursprünglichen
Veranlassung unserer phantastischen, aber durchaus wahren Geschichte,
zurück. Der Wahrheit gemäß müssen wir zugeben, daß die hohe
Persönlichkeit, bald nachdem sich der arme von ihr so schlecht
behandelte Akaki Akakiewitsch entfernt hatte, etwas wie Mitleid mit ihm
empfand. Ein gewisses Gefühl der Teilnahme war dem Herzen des hohen
Herrn durchaus nicht fremd; er selbst hatte manch edle Regung, -- sein
einziger Fehler bestand darin, sie infolge des maßlosen Stolzes auf
seinen Titel zu unterdrücken. Als sein Freund gegangen war, hatte er
sich aufs teilnahmsvollste mit diesem unglücklichen bleichen Titular-Rat
beschäftigt, den er immer in seiner Verstörtheit vor sich sah, sich
krümmend unter den grausamen Vorwürfen, die er ihm gemacht hatte. Diese
Vision beunruhigte ihn derartig, daß er eines Tages einem seiner Beamten
den Auftrag gab, sich über Akaki Akakiewitschs Schicksal zu unterrichten
und festzustellen, ob man noch etwas für ihn tun könne.

Als der Bote mit der Nachricht zurückkam, daß der arme kleine Beamte
kurz nach der Audienz einem plötzlichen Fieberanfall zum Opfer gefallen
war, empfand der General-Direktor starke Gewissensbisse und verbrachte
den ganzen Tag in der düstersten Stimmung.

Um sich ein wenig zu zerstreuen und seine peinlichen Eindrücke zu
verjagen, begab er sich des Abends zu einem Freunde, bei dem er eine
angenehme Gesellschaft antraf, und -- was die Hauptsache war -- lauter
Personen von seinem Rang, so daß er sich nicht zu genieren brauchte.

Und wirklich sah er sich auch bald all seiner melancholischen Gedanken
enthoben, er wurde wieder lebhaft, fing Feuer, beteiligte sich in
liebenswürdigster Weise an den Gesprächen, wie wenn nichts vorgefallen
wäre, und verbrachte so einen sehr schönen Abend.

Zum Souper trank er zwei Glas Champagner, bekanntlich das beste Mittel,
um seine Heiterkeit wieder zu gewinnen. Unter dem Einflusse dieses
schäumenden Trankes bekam er Lust zu etwas ganz Besonderem: er beschloß
daher, nicht unmittelbar nach Hause zu gehen, sondern eine seiner
Freundinnen, ich glaube es war eine deutsche Dame, namens Karoline
Iwanowna, aufzusuchen, zu der er zärtliche Beziehungen unterhielt.

Ich möchte hierbei betonen, daß die hohe Persönlichkeit keineswegs mehr
jung war, ja, daß man sie überall als tadellosen Gatten und guten
Familienvater rühmte. Ihre beiden Söhne, deren einer bereits in einem
Ministerium angestellt war, und ein sechszehnjähriges Töchterchen mit
einer zwar hakenförmigen aber doch ganz reizenden Nase, kamen
allmorgentlich in sein Zimmer, um ihm die Hand zu küssen und ihm mit den
Worten: _Bonjour, papa_ guten Morgen zu sagen.

Seine Gattin, eine frische und noch immer anziehende Erscheinung, bot
ihm zuerst die Hand zum Kusse, ergriff sodann die seine und drehte sie
nach innen, um sie ihrerseits an ihre Lippen zu führen. Obgleich sich
die hohe Persönlichkeit also in ihrer Häuslichkeit äußerst wohl fühlte
und durch die Zärtlichkeiten der Familienmitglieder vollauf befriedigt
schien, glaubte sie dennoch auch in einem anderen Viertel den Galanten
spielen zu müssen. Die Freundin, mit der seine Gattin seine
Zärtlichkeiten teilen mußte, war keineswegs jünger als diese; aber so
sind die Rätsel des Lebens, und wir sind ja nicht befugt, sie hier lösen
zu wollen.

Die hohe Persönlichkeit ging also die Treppe hinunter, bestieg ihren
Schlitten und sagte zu dem Kutscher:

»Zu Karoline Iwanowna!«

Sorgfältig in seinen warmen Mantel eingehüllt, befand er sich in der
angenehmsten Stimmung, die sich ein Russe nur wünschen mag, einer
Stimmung, wo man selbst an nichts denkt und sich der Geist doch in einem
Kreislauf von Gedanken bewegt, von denen die einen immer wohltuender
sind als die anderen, und wo man sich garnicht die Mühe zu nehmen
braucht, nach ihnen zu suchen oder sie festzuhalten. Er dachte an die
glücklichen Stunden, die er soeben in so angenehmer Gesellschaft
verbracht hatte, an die geistreichen Bemerkungen, die den kleinen Kreis
zu lautem Lachen gereizt und die er halblaut kichernd wiederholte.
Hierbei fand er, daß sie noch genau so komisch waren wie damals, als er
sie zum ersten Male gehört hatte, und er wunderte sich daher nicht im
mindesten darüber, daß er so herzhaft hatte lachen müssen.

Von Zeit zu Zeit störte ihn ein heftiger Windstoß, der ihn plötzlich
ganz unmotiviert anwehte und ihm ganze Schneehaufen ins Gesicht
schleuderte, in seinen Betrachtungen. Der Nord pfiff durch seinen
Mantel, blähte ihn wie ein Segel auf, schlug ihm den Kragen um die Ohren
und nötigte ihn, seine ganze Kraft zusammenzunehmen, um sich wieder aus
ihm herauszuwinden.

Plötzlich fühlte die hohe Persönlichkeit, wie eine machtvolle Hand sie
am Kragen packte. Sie wandte sich um und bemerkte einen kleinen, mit
einer alten Uniform bekleideten Mann. Entsetzt erkannte sie Akaki
Akakiewitschs Züge, und diese Züge waren bleich wie der Schnee und
abgezehrt wie die eines Toten.

Aber wer beschreibt den Schrecken der hohen Persönlichkeit, als sie
bemerkte, daß sich der Mund des Toten in krampfhaften Zuckungen verzog,
den Direktor mit eisigem Grabeshauche anblies und in folgende Worte
ausbrach:

»Endlich habe ich dich ... endlich kann ich dich am Kragen packen. Ich
will meinen Mantel. Du hast dich nicht um mich gekümmert, als ich in
Nöten war, und mich nur mit Schmähungen überhäuft. -- Nun sollst du mir
deinen Mantel geben!«

Der arme hohe Beamte war ein Kind des Todes. In seinem Bureau vor seinen
Untergebenen fehlte es ihm sicher nicht an Mut und Charakterstärke; er
brauchte nur einen Subalternen streng anzusehen, und schon rief jeder,
der einen Blick auf seine kräftige Gestalt und sein imponierendes
Äußeres warf: »Welch ein Charakter!«

Aber wie bei so vielen anderen hochmütigen Beamten offenbarte sich sein
Heldentum nur in seiner äußeren Erscheinung, und in diesem Augenblick
war er so erschrocken, daß er sogar um seine Gesundheit fürchten mußte.

Mit zitternder Hand zog er sich selbst seinen Mantel aus und rief seinem
Kutscher zu:

»Schnell nach Hause! Schnell!«

Als der Kutscher diese Stimme hörte, die, wie das in solchen
Augenblicken wohl vorkommt, einen sehr bestimmten und energischen Klang
hatte und meist von noch viel bestimmteren und energischeren Taten
begleitet zu sein pflegte, neigte er vorsichtig den Kopf, schwang seine
Peitsche und ließ seinen Schlitten pfeilschnell dahinsausen. In weniger
als sechs Minuten hielt der Schlitten vor dem Hause der hohen
Persönlichkeit. Bleich, erschrocken und ohne Mantel stieg er aus und
begab sich sofort nach seinem Zimmer. Statt zu Karoline Iwanowna zu
fahren, war er schleunigst zu sich nach Hause geeilt. Er verbrachte eine
so schreckliche Nacht, daß seine Tochter am andern Morgen während des
Tees entsetzt ausrief:

»Du bist ja heute so bleich, Papa!«

Er sagte nichts, weder von dem, was er gesehen, noch von dem, wo er
gewesen war, und was er am Abend vorher hatte tun wollen. Indes machte
dieses Ereignis einen tiefen Eindruck auf ihn. Von diesem Tage an fragte
er seine Untergebenen nicht mehr in seiner bisherigen schroffen Art:

»Was erlauben Sie sich? Wissen Sie, wer vor Ihnen steht?«

Oder, wenn es ihm doch noch bisweilen widerfuhr, in herrischem Tone mit
ihnen zu sprechen, so hörte er doch wenigstens vorher erst ihr Gesuch
an.

Und wie seltsam! Von diesem Tage an zeigte sich das Gespenst nicht mehr.
Augenscheinlich hatte es überhaupt keine andere Absicht gehabt, als sich
den Mantel des General-Direktors anzueignen. Jedenfalls hörte man von
nun an nichts mehr davon, daß den Leuten ihre Mäntel geraubt wurden.
Allerdings gab es noch einige ängstliche und übereifrige Personen, die
sich durchaus nicht beruhigen wollten und behaupteten, daß sich das
Phantom noch immer und zwar in andern entlegeneren Stadtvierteln zeige
... Und in der Tat, ein Wachtposten wollte sogar mit eigenen Augen
gesehen haben, wie es an einem Hause vorübergeeilt war. Der Posten war
jedoch von Natur ein wenig schwächlich -- hatte doch sogar ein
gewöhnliches ausgewachsenes Ferkel, das aus einem Privathause
ausgebrochen war, ihn zur größten Freude und Erheiterung der
herumstehenden Droschkenkutscher einmal ganz einfach umgeworfen. Dafür
ließ er sich freilich nachher von jedem einen Groschen für Tabak geben,
um sie zu strafen, weil sie sich über ihn lustig gemacht hatten. Da er
also ein solcher Schwächling war, wagte er es nicht, das Gespenst zu
verhaften, sondern begnügte sich damit, ihm in der Dunkelheit
nachzuschleichen. Da aber drehte sich das Gespenst plötzlich um und
schrie ihn an: »Was willst du?« wobei es ihm eine so schreckliche Faust
zeigte, wie man sie sogar bei einem Lebenden nicht so leicht zu sehen
bekommt.

»Nichts,« antwortete der Wachtposten und nahm eiligst Reißaus.

Dieser Schatten war jedoch schon bedeutend größer als der des
Titular-Rats und trug einen enormen Schnauzbart. Er schien mit mächtigen
Schritten der Obuhoffbrücke zuzueilen und verschwand gleich darauf in
der dunklen Nacht.


                                Die Nase


                                   I.

Am 25. März trug sich in St. Petersburg ein außerordentliches Ereignis
zu.

Auf dem Wosnessenski-Prospekt wohnte der Barbier Iwan Jakowlewitsch,
dessen Familienname von dem Schilde, auf dem man nur noch die Abbildung
eines an Wangen und Kinn eingeseiften Herrn nebst der Inschrift: »Hier
wird auch zur Ader gelassen!« erkennen konnte, geschwunden war. Dieser
Barbier Iwan Jakowlewitsch wachte also ziemlich frühzeitig auf und
atmete den Duft von warmem Brote ein. Er richtete sich im Bette etwas
empor und sah, wie seine Frau, eine äußerst respektable Dame und
leidenschaftliche Liebhaberin des Kaffees, einige frischgebackene Brote
aus dem Ofen hervorholte.

»Heute, meine liebe Praskowia Ossipowna, werde ich keinen Kaffee
trinken,« sagte Iwan Jakowlewitsch; »ich habe mehr Appetit auf Brot mit
Zwiebeln.«

Um die Wahrheit zu sagen: Iwan Jakowlewitsch hätte gar zu gern von
beidem gekostet; doch war er von vornherein von der Unmöglichkeit einer
derartigen Schwelgerei völlig durchdrungen, denn Praskowia Ossipowna
ließ solche Launen nicht zu.

»Iß meinetwegen Brot, Schafskopf,« dachte die Frau bei sich; »für mich
wird dann um so mehr Kaffee übrig bleiben ...« und sie warf ein Brot auf
den Tisch.

Iwan Jakowlewitsch zog aus Schicklichkeitsgründen einen Leibrock über
sein Hemd, nahm -- nachdem er am Tische Platz genommen hatte -- etwas
Salz, stutzte zwei Zwiebeln, ergriff ein Messer und schickte sich an,
das Brot höchst bedächtig zu zerteilen. Er schnitt es in zwei Hälften,
schaute sich die eine Fläche an und bemerkte zu seiner größten
Verwunderung etwas Weißliches. Iwan Jakowlewitsch kratzte vorsichtig mit
dem Messer daran herum und befühlte es mit dem Daumen. »Das Ding ist ja
ganz hart!« sagte er zu sich; »was mag denn das nur sein?«

Er schälte es mit den Fingern heraus und fand -- eine Nase! Iwan
Jakowlewitsch ließ seine Arme sinken; dann begann er sich seine Augen zu
reiben und befühlte es noch einmal mit dem Finger. In der Tat, es war
eine Nase, eine wirkliche Nase, und dazu noch eine Nase, deren Bildung
er wiederzuerkennen glaubte.

Entsetzen malte sich auf Iwan Jakowlewitschs Zügen: aber dieses
Entsetzen war harmlos im Vergleich mit der Empörung, die sich seiner
Gattin bemächtigte.

»Wo hast du nur diese Nase abgeschnitten, du Vieh?« fing sie
wutentbrannt zu schreien an. »Du Dieb, du Trunkenbold! Ich werde dich
selbst der Polizei denunzieren! Was für ein Lumpenkerl! Schon drei
Herren haben mir gesagt, du zerrst beim Rasieren derartig an den Nasen,
daß du sie beinahe abreißt!«

Allein Iwan Jakowlewitsch war weder tot noch lebend, hatte er doch
soeben festgestellt, daß diese Nase keine andere war als die des
Kollegien-Assessors Kowalew, den er Mittwochs und Sonntags zu rasieren
pflegte.

»Schweig doch, Praskowia Ossipowna,« sagte er, »ich werde sie in ein
Stück Leinewand einschlagen und sie in irgend eine Ecke verstecken, wo
sie einige Tage liegen bleiben mag. Dann werde ich sie forttragen.«

»Damit bin ich ganz und gar nicht einverstanden. Ich soll zugeben, daß
du eine abgeschnittene Nase im Zimmer versteckst? Du gerösteter Zwieback
du! Er kann nur sein Rasiermesser abziehen und ist nicht fähig, sein
Geschäft schnell und solid auszuführen! Herumstreicher, Strauchdieb!
Glaubst du etwa, ich werde mir deinetwegen Scherereien mit der Polizei
zuziehen? Ach, du bist ein Taugenichts, ein dummer Klotz bist du! Weg
damit! Fort! Da, trag sie weg, wohin du willst. Ich will nichts davon
wissen!«

Iwan Jakowlewitsch war völlig zerschmettert. Er überlegte und überlegte
... und wußte im Grunde garnicht was.

»Der Teufel soll wissen, wie das nur möglich ist!« sagte er endlich,
indem er sich mit der Hand über die Ohren fuhr. »Bin ich gestern
betrunken nach Hause gekommen oder nicht? Allerdings kann ich das nicht
mit Gewißheit sagen. Aber allem Anschein nach handelt es sich hier um
einen ganz außergewöhnlichen Vorgang; denn das Brot -- das Brot wird
doch gebacken, während eine Nase ... Weiß Gott, ich verstehe das nie und
nimmer!«

Iwan Jakowlewitsch verstummte. Der Gedanke, ein Polizist könnte diese
Nase bei ihm entdecken und ihn zur Rechenschaft ziehen, versetzte ihn in
eine vollkommene Niedergeschlagenheit. Es war ihm bereits, als sähe er
einen roten, reich mit Silber besetzten Kragen, und einen Degen vor sich
... und er zitterte am ganzen Körper. Endlich zog er seine Beinkleider
und Stiefel an, wickelte die Nase schnell unter den peinlichsten
Ermahnungen seiner Frau in ein Stück Leinewand und verließ seine
Wohnung.

Er hatte die Absicht, die Nase irgendwo an einem Brunnen, unter einer
Schwelle niederzulegen oder sie wie absichtslos fallen zu lassen, und
dann in eine andere Straße einzubiegen.

Aber unglücklicherweise lief er einem Bekannten in die Arme, der ihn
sofort zu fragen anfing:

»Wo gehst du denn hin?« oder: »Wen willst du denn schon so frühzeitig
rasieren?« sodaß Iwan Jakowlewitsch durchaus keinen günstigen Moment für
sein Vorhaben erwischen konnte. In der Folge glückte es ihm zwar einmal,
die Nase fallen zu lassen; aber ein Schutzmann machte ihm schon von
weitem mit der Hellebarde ein Zeichen und rief ihm zu: »Heb's doch auf!
Du hast da etwas fallen lassen!« Und Iwan Jakowlewitsch ward so
genötigt, die Nase aufzuheben und in seine Tasche zu stecken.
Verzweiflung überfiel ihn, und zwar um so heftiger, je mehr sich die
Straße bevölkerte und je mehr Läden und Wirtshäuser geöffnet wurden.

Er entschloß sich, auf die Isaaksbrücke zu gehen. Vielleicht würde er
dort ein Mittel finden, die Nase unbemerkt in die Newa zu werfen! ...

Aber ich habe einen Fehler begangen, daß ich dem Leser bis jetzt noch
nichts über Iwan Jakowlewitsch, eine in mancher Hinsicht bemerkenswerte
Persönlichkeit, berichtet habe.

Iwan Jakowlewitsch war wie jeder russischer Handwerker, der etwas auf
sich hält, ein furchtbarer Trunkenbold, und obgleich er täglich die
Bärte anderer Leute rasierte, rasierte er doch niemals seinen eigenen.
Sein Frack -- denn Iwan Jakowlewitsch trug nie einen Überrock -- war
bunt oder vielmehr schwarz und mit gelblich-zimtfarbenen und grauen
Flecken übersät; der Kragen glänzte schon ein wenig, und anstelle von
drei Knöpfen sah man nichts mehr als ein Paar abgerissene Zwirnsfäden.

Iwan Jakowlewitsch war in jeder Beziehung ein Zyniker; wenn der
Kollegien-Assessor Kowalew nach seiner Gewohnheit, während er rasiert
wurde, zu ihm sagte:

»Deine Hände stinken immer, Iwan Jakowlewitsch!« so antwortete er
gelassen:

»Warum sollen sie denn stinken?«

»Ich weiß nicht, Brüderchen, aber sie stinken!« versetzte hierauf der
Kollegien-Assessor Kowalew; und Iwan Jakowlewitsch nahm dann erst eine
Prise und seifte hierauf Kowalews Wangen, seine Oberlippe, die Partie
hinter den Ohren und unter dem Kinne ein -- mit einem Worte, er seifte
ihn ein, wo es ihm Vergnügen machte.

Dieser ehrenwerte Bürger war nun endlich auf der Isaaksbrücke
angekommen. Zunächst warf er einen spähenden Blick auf die Umgebung,
beugte sich über das Geländer, wie wenn er die vielen Fische im Wasser
beobachten wollte, und warf dann das Päckchen mit der Nase ganz behutsam
hinab.

Es war ihm zumute, als fielen ihm mit einem Male zehn Pud[10] vom
Herzen. Ja, er lächelte sogar.

Anstatt sich nun auf den Weg zu machen, um schnell seine Beamten zu
rasieren, trat er in ein Lokal ein, das ein Schild mit der Inschrift
»Tee und Lebensmittel« trug, und bestellte dort ein Glas Punsch.
Plötzlich bemerkte er jedoch ganz in der Nähe am Ende der Brücke, den
Bezirkskommissar, einen Mann von vornehmem Äußeren, mit breitem
Backenbart, Dreispitz und Degen. Iwan Jakowlewitsch wurde vor Entsetzen
starr wie ein Eisklumpen. Der Kommissar winkte ihm mit der Hand und
sagte zu ihm:

[Fußnote 10: Ein Pud = etwa 35 Pfund.]

»Komm doch mal näher, mein Lieber!«

Iwan Jakowlewitsch zog, da er die gebräuchlichen Höflichkeitsformen sehr
wohl kannte, schon von weitem die Mütze, sprang herbei und sagte:

»Ich wünsche Ew. Wohlgeboren einen schönen guten Morgen!«

»Nein, nein, Brüderchen, laß nur das >Ew. Wohlgeboren< aus dem Spiel! --
Sag mir lieber, was hattest du da auf der Brücke zu tun?«

»Wahrhaftig, Herr, ich war gerade auf dem Wege zu meinen Kunden, die ich
rasieren soll, und schaute hinab, ob die Strömung sehr stark ist!«

»Du lügst! Du schwindelst! So kommst du mit nicht davon! Willst du mir
jetzt wohl Rede stehen?«

»Ich bin bereit, Ew. Gnaden zwei-, ja sogar dreimal wöchentlich ohne
jede Bezahlung zu rasieren!« versetzte Iwan Jakowlewitsch.

»Nein, lieber Freund! Das sind Dummheiten! Mich rasieren bereits drei
Barbiere und rechnen sich diese Funktion zur Ehre an. Aber ich bitte
dich, mir zu sagen, was du dort gemacht hast!«

Iwan Jakowlewitsch erblaßte ...

Aber hier hüllt plötzlich ein undurchdringliches Dunkel unsere
Geschichte ein, und über die folgenden Geschehnisse weiß man absolut
nichts zu berichten.


                                  II.

Der Kollegien-Assessor[11] Kowalew erwachte eines Morgens besonders früh
und bewegte seine Lippen, um ein lautes Brr ... brr ... auszustoßen, wie
es so seine Art war, wenn er munter wurde, ohne daß er hierfür einen
Grund hätte angeben können. Er reckte sich erst tüchtig und suchte dann
nach einem kleinen Spiegel, der auf dem Tische stand. Er wollte sich ein
Pickelchen anschauen, das am Abend vorher auf seiner Nase aufgesprungen
war. Aber zu seinem größten Erstaunen befand sich anstelle seiner Nase
in seinem Gesicht eine durchaus ebene und glatte Fläche! Voller
Schrecken ließ Kowalew sich Wasser bringen und wusch sich die Augen mit
dem Handtuch aus: wahrhaftig, er hatte keine Nase mehr! Er befühlte die
Stelle mit der Hand und kniff sich ins Fleisch, um festzustellen, ob er
vielleicht noch schliefe; aber nein, er schien tatsächlich nicht zu
schlafen. Der Kollegien-Assessor Kowalew sprang aus seinem Bett,
schüttelte und rüttelte sich, -- doch die Nase war und blieb
verschwunden! Er ließ sich sofort seine Kleider bringen und stürzte
schleunigst zu dem Polizeivorstand.

Aber inzwischen ist es Zeit geworden, einige Worte über Kowalew zu
sagen, damit der Leser ermessen kann, um welche Art von
Kollegien-Assessor es sich bei unserem Freunde Kowalew handelt.

[Fußnote 11: Kollegien-Assessor: so heißen die Beamten des achten
Beamtengrades. Im Heere nennt man sie Major; diese Bezeichnung führt
Kowalew.]

Man darf nicht etwa die Kollegien-Assessoren, die diesen Rang ihren
Diplomen verdanken, mit denen verwechseln, die ihn während ihrer
Dienstzeit im Kaukasus erhalten haben. Die Kollegien-Assessoren mit
wissenschaftlicher Bildung ... aber ich will doch lieber aufhören, denn
Rußland ist ein so seltsames Land, daß all seine Kollegien-Assessoren
von Riga bis Kamtschatka sich getroffen fühlen, wenn auch nur von einem
dieser Gattung die Rede ist. Und das gilt auch für alle Ämter und alle
Grade.

Kowalew war ein _kaukasischer_ Kollegien-Assessor. Seit zwei Jahren erst
bekleidete er diesen Rang, und es gab kaum einen Moment, in dem er sich
nicht an seine Stellung erinnerte; um sich noch mehr Ansehen und Gewicht
zu verleihen, stellte er sich niemals als simplen Kollegien-Assessor
vor, sondern stets als Major. »Hör doch, mein Täubchen,« sagte er
gewöhnlich, so oft er auf der Straße eine alte Frau traf, die Leinewand
feilbot, »geh doch zu mir in meine Wohnung; ich wohne in der
Sadovaja[12] und frage nur: >Wohnt hier der Major Kowalew?< Jedermann
wird dir gern Auskunft erteilen.« Oder begegnete er einer artigen
Schönen, so flüsterte er ihr ganz leise zu: »Du brauchst nur nach der
Wohnung des Majors Kowalew zu fragen, liebes Kind!« Aus diesem Grunde
wollen auch wir ihn von nun an stets den »Major« nennen.

[Fußnote 12: Große Straße in St. Petersburg.]

Der Major Kowalew pflegte jeden Tag einen Spaziergang auf dem
Newski-Prospekt zu machen. Sein Hemdkragen war stets peinlich sauber und
frisch gestärkt. Sein Backenbart war von jener Art, wie man ihn noch bei
Gouvernements- und Kreislandmessern, Architekten und Militär-Ärzten, d.
h. fast bei allen Leuten trifft, die runde Backen und rote Wangen haben
und gut »Boston« spielen. Dieser Backenbart zieht sich von der Mitte der
Wangen bis dicht unter die Nase hin. Major Kowalew trug an der Uhrkette
eine ganze Sammlung von kleinen Korallenberlocken, die mit einem Wappen
oder auch mit der Inschrift »Mittwoch«, »Donnerstag«, »Montag« usw.
versehen waren. Der Zwang der Verhältnisse hatte ihn dazu veranlaßt,
nach Petersburg zu ziehen, hauptsächlich aus dem Grunde, weil er eine
seinem Range angemessene Stellung bekleiden wollte, und zwar wenn er
Glück hatte, die eines Vize-Gouverneurs, oder doch wenigstens die eines
schlichten Exekutors in irgend einem angesehenen Departement. Der Major
Kowalew war einer Ehe durchaus nicht abgeneigt, doch mußte seine
Auserkorene über eine Mitgift von mindestens zweihunderttausend Rubeln
verfügen. Und nun mag sich der Leser in die Empfindungen dieses Majors
versetzen, als er anstelle seiner recht hübschen und wohlgebildeten Nase
nur eine alberne, glatte und flache Ebene erblickte.

Unglücklicherweise zeigte sich auch nicht ein einziger Kutscher auf der
Straße; so war er also genötigt, zu Fuß zu gehen -- in seinen Mantel
eingehüllt und das Gesicht hinter einem Taschentuch verbergend, wie wenn
er gerade Nasenbluten hätte.

»Aber vielleicht ist es doch nur eine Einbildung von mir; es ist doch
unmöglich, daß mir meine Nase so ohne weiteres aus dem Gesicht
geschwunden ist,« dachte er.

Und er kehrte in einer Konditorei ein, um dort einen Blick in den
Spiegel zu werfen. Zum Glück für ihn befand sich weiter niemand im
Lokal, außer einigen Burschen, die gerade auskehrten und die Stühle
zurecht rückten. Einige von ihnen trugen noch ganz schlaftrunken heiße
Kuchen in Körben hinaus; auf den Tischen und Stühlen lagen
kaffeebefleckte Zeitungen vom gestrigen Tage.

»Also Mut! Gott sei Dank ist sonst niemand hier,« sagte er; »nun kann
ich meine Untersuchung beginnen!«

Er näherte sich dem Spiegel und blickte hinein.

»Der Teufel mag wissen, wie das nur gekommen ist,« schrie er, indem er
empört ausspie; »wenn sich wenigstens anstelle meiner Nase noch etwas
anderes befände! Aber nichts, absolut gar nichts!«

Nachdem er die Zähne vor Wut aufeinander gebissen hatte, verließ er das
Lokal und beschloß, wider seine Gewohnheit unterwegs niemand anzusehen
und keinem auch nur das geringste Lächeln zu spenden.

Plötzlich blieb er wie versteinert vor der Tür eines Hauses stehen.
Seine Augen wurden von einer unerklärlichen Erscheinung angezogen: ein
Wagen hielt dicht neben dem Trottoir, der Schlag wurde geöffnet und ihm
entstieg ein uniformierter Herr, der eiligst die Treppe hinaufeilte. Wie
groß war Kowalews Entsetzen, wie groß war sein Erstaunen, als er in ihm
seine eigene Nase wiedererkannte. Angesichts dieses außergewöhnlichen
Schauspieles war ihm zu Mute, als ob sich alles um ihn herumdrehe, und
nur mit Mühe vermochte er sich aufrecht zu halten. Aber trotzdem
beschloß er, obwohl er am ganzen Körper zitterte wie ein Fieberkranker,
zu warten, bis dieser Herr wieder zurückkehren würde, um in seinen Wagen
zu steigen.

Nach Ablauf zweier Minuten erschien die »Nase« tatsächlich. Sie trug
eine goldgestickte Uniform mit hohem steifen Kragen, Beinkleider aus
Semischleder, und an der Seite einen Degen. An den Federn ihres Hutes
konnte man erkennen, daß es sich um einen Staatsrat handelte. Der Anzug
des Herrn wies darauf hin, daß er gerade Besuche abstattete. Er schaute
sich nach links und nach rechts um, rief dem Kutscher ein »Vorwärts!« zu
und rollte davon.

Der unglückliche Kowalew fühlte sich dem Wahnsinn nahe. Er wußte nicht,
was er von einem so überraschenden Ereignis halten sollte. Wie war es
denn auch nur möglich, daß eine Nase, die sich noch gestern abend in
seinem Gesicht befand und die weder gehen noch fahren konnte, jetzt eine
Uniform trug! Er stürzte hinter dem Wagen her, der glücklicherweise
nicht sehr weit fuhr und vor dem Gostini Dwor[13] halt machte.

Er rannte wie ein Besessener und schlüpfte zwischen einer Reihe alter
Bettlerinnen mit verbundenen Gesichtern und zwei großen Öffnungen statt
der Augen hindurch, über die er sich früher so oft lustig gemacht hatte.
Sonst trieben sich hier nur wenig Menschen umher. Kowalew befand sich in
einer solchen geistigen Verwirrung, daß er keinen Entschluß fassen
konnte und lediglich in allen Winkeln und Ecken nach dem Herrn Ausschau
hielt; endlich sah er ihn vor einem Laden stehen. Die Nase verbarg ihr
Gesicht völlig in ihrem hohen Kragen und betrachtete mit gespannter
Aufmerksamkeit die ausliegenden Waren.

[Fußnote 13: Ein großer Bazar.]

»Soll ich ihn anreden?« dachte Kowalew. »Aus seiner ganzen
Persönlichkeit, aus seiner Uniform und seinem Dreispitz geht klar und
deutlich hervor, daß es ein Staatsrat ist. Wenn ich nur wüßte, wie ich
es anstellen soll! ...«

Schließlich begann er ganz in der Nähe des Staatsrates zu husten; aber
die Nase verließ auch nicht für eine Minute ihren Standpunkt.

»Mein Herr!« sagte Kowalew, der sich innerlich Mut zuzusprechen
versuchte, »mein Herr! ...«

»Was wünschen Sie?« fragte die Nase, indem sie sich umwandte.

»Ich finde es erstaunlich, mein Herr ... mir scheint, daß ... Sie
sollten doch wissen, wohin Sie gehören. Und plötzlich finde ich Sie, und
noch dazu ... hier? ... Sie müssen doch zugeben ...«

»Verzeihung; ich kann absolut nicht begreifen, wovon Sie sprechen.
Erklären Sie sich deutlicher!«

»Wie soll ich mich ihm noch verständlich machen?« dachte Kowalew. Und
sich ein Herz fassend begann er:

»Sicherlich ... übrigens bin ich Major. Ich habe zurzeit keine Nase. Sie
müssen zugeben, das schickt sich doch nicht. Einer Hökerin, die auf der
Woskressenski-Brücke geschälte Orangen feilbietet, mag es ja im Grunde
nichts ausmachen, ohne Nase herum zu laufen. Jedoch was mich anbetrifft,
der ich die Ehre habe, Beamter zu sein und der ich außerdem Beziehungen
zu vielen Häusern unterhalte, zu Damen der Gesellschaft, wie zum
Beispiel zu Frau Tschechtarewa, die die Frau eines Staatsrates ist, und
noch zu vielen andern, ... urteilen Sie selbst ... Ich weiß nicht, mein
Herr« -- und hierbei zuckte der Major Kowalew mit den Achseln --
»entschuldigen Sie tausendmal ... aber wenn man die Sache vom Standpunkt
der Ehre und der Pflicht betrachtet ... Sie können selbst begreifen ...«

»Ich begreife absolut nichts,« erwiderte die Nase. »Erklären Sie sich
deutlicher.«

»Mein Herr,« versetzte Kowalew mit Würde, »ich weiß nicht, wie ich Ihre
Worte auffassen soll. Hier handelt es sich doch, wie mich dünkt, um
einen durchaus klaren Vorgang. Oder wollen Sie ... denn kurz und gut,
Sie sind doch meine eigene Nase!«

Die Nase blickte den Major an, und runzelte die Stirne.

»Sie täuschen sich, mein Herr; ich bin durchaus selbständig. Außerdem
können zwischen uns nicht die geringsten Beziehungen existieren. Nach
den Knöpfen Ihrer Uniform zu urteilen, müssen Sie in einem andern
Ressort dienen.«

Und nach diesen Worten drehte ihm die Nase den Rücken.

Kowalew war nun völlig verwirrt und wußte nicht, was er tun, ja nicht
einmal was er sich denken sollte. In diesem Augenblick ertönte das
angenehme Rascheln eines seidenen Gewandes. Eine alte, über und über mit
Spitzen behängte Dame ging an ihm vorbei, begleitet von einem jungen
Mädchen, deren weißes Kleid ihre harmonische Figur aufs vorteilhafteste
zur Geltung brachte; sie trug einen gelben federleichten Hut. Beide
Damen wurden von einem baumlangen Heiducken mit mächtigem Bart und einem
ganzen Dutzend von Mantelaufschlägen begleitet. Er blieb hinter den
Damen stehen und öffnete seine Tabaksdose.

Kowalew trat nahe an sie heran, rückte den Kragen seines Batisthemdes
zurecht, brachte sein an einer goldenen Kette hängendes Petschaft in
Ordnung und wandte seine ganze Aufmerksamkeit der jungen Dame zu, die
sich leicht wie eine Frühlingsblume bewegte und eine kleine weiße Hand
mit fast durchsichtigen Fingern an ihre Lippen führte. Das Lächeln auf
Kowalews Gesicht wurde noch intensiver, als er unter dem Hut ein rundes
Kinn von blendender Weiße und einen Teil der Wange bemerkte, die in
ihrem Teint einer zarten Frühlingsblume glich.

Aber nur zu bald prallte er wie von einer Tarantel gestochen zurück.

Er hatte sich soeben daran erinnert, daß er keine Nase mehr hatte; und
heiße Tränen entströmten seinen Augen.

Er wandte sich um, um dem uniformierten Herrn laut und deutlich zu
sagen, daß er nur die Larve eines Staatsrates trüge, daß er ein Lump,
ein Spitzbube wäre und daß er nichts weiter sei als seine eigne Nase ...
Aber die Nase war verschwunden; sie hatte den günstigen Augenblick
benutzt und sich entfernt, höchstwahrscheinlich, um noch einen Besuch
abzustatten.

Dieser Umstand stürzte Kowalew vollends in Verzweiflung. Er blieb noch
eine Minute unter dem Säulengang stehen und schaute sich gespannt nach
allen Seiten um, ob er nicht etwas von der Nase bemerken könne. Er
erinnerte sich deutlich, daß ihr Hut mit Federn geschmückt und die
Uniform mit Gold gestickt war; aber er hatte nicht auf den Mantel
geachtet, auch nicht auf die Farbe des Wagens noch auf die der Pferde;
er wußte nicht einmal, ob hinten ein Lakai gestanden hatte und was für
eine Livree er trug. Überdies waren eine solche Anzahl von Fahrzeugen
aller Art im Trab durch die Straßen gefahren, daß es schwer war, sie
voneinander zu unterscheiden. Und hätte er auch das gesuchte
herausgefunden, wie hätte er ihm Halt gebieten sollen?

Der Tag war sehr schön und sonnig. Auf dem Newski-Prospekt wimmelte es
von Menschen. Ein üppiger Damenflor überschwemmte das ganze Trottoir von
der Polizei-Brücke bis zur Anitschkin-Brücke. Hier ging ein Hofrat, ein
Bekannter von Kowalew, den er meist, besonders aber vor fremden Leuten,
»Oberstleutnant« zu titulieren pflegte. _Dort_ sah er seinen Busenfreund
Jaryschkin, der sich beim Bostonspiel oft genug hineinlegen ließ, und
_dort_ einen andern Major, der gleich ihm seinen Grad im Kaukasus
erlangt hatte, und der ihm nun mit der Hand ein Zeichen gab, er möge
doch zu ihm herüberkommen.

»Der Teufel soll ihn holen!« sagte Kowalew. »Kutscher! bring mich doch
auf dem nächsten Wege zum Polizei-Präfekten.«

Kowalew bestieg eine Droschke und schrie dem Kutscher jeden Augenblick
zu: »Fahr zu, so schnell du kannst!«

»Ist der Polizei-Präfekt zu sprechen?« fragte er sofort beim Eintritt in
das Vestibül.

»Nein,« antwortete der Portier; »er ist soeben weggegangen.«

»Das ist ja wundervoll!«

»Gewiß,« fügte der Portier hinzu, »erst vor ganz kurzer Zeit ist er
fortgegangen. Wären Sie nur eine Minute früher gekommen, Sie hätten ihn
sicher noch getroffen.«

Ohne das Taschentuch vom Gesicht zu nehmen, stürzte Kowalew wieder in
den Wagen zurück und rief dem Kutscher mit verzweifelter Stimme zu:

»Fahr weiter!«

»Wohin?« fragte der Kutscher.

»Geradeaus!«

»Wie? Geradeaus? Wir befinden uns doch an einer Straßenecke: also rechts
oder links?«

Diese Frage verwirrte Kowalew und zwang ihn von neuem zum Nachdenken. In
seiner Lage wäre es vor allem angebracht gewesen, aufs Polizeipräsidium
zu gehen, nicht weil seine Angelegenheit direkt in das Polizeiressort
gehörte, sondern weil er hier auf eine schnellere Erledigung als sonst
wo rechnen konnte. Sich an das Ressort zu wenden, in dem die Nase
angestellt war, wäre sicher unklug gewesen, ging doch bereits aus den
eigenen Äußerungen der Nase zur Evidenz hervor, daß es für diesen Mann
nichts Heiliges gab. Weshalb sollte er sich denn nicht mittels einer
Lüge aus einer solchen Lage befreien, er hatte doch ganz frech gelogen,
als er behauptete, daß er nie etwas mit ihm zu tun hatte. Kowalew wollte
dem Kutscher gerade den Befehl geben, er solle ihn zum Polizei-Präsidium
fahren, als ihm der Gedanke kam, daß dieser miserable Kerl, der sich bei
ihrer ersten Begegnung so perfid benommen hatte, den günstigen
Augenblick benutzen und die Stadt verlassen könnte; -- und dann wären
alle Nachforschungen überflüssig gewesen, oder sie konnten sich, was
Gott verhüten mochte, wohl gar einen ganzen Monat hinziehen. Endlich gab
ihm, wie er glaubte, der Himmel selbst einen Wink. Er beschloß, direkt
nach der Expedition der Amtszeitung zu fahren und dort sofort eine
Annonce mit der genauen Angabe seines Signalements einrücken zu lassen,
damit die, die der Nase begegneten, sie ihm zuführen oder ihm doch
wenigstens die Wohnung dieses Räubers mitteilen konnten.

Nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, befahl er dem Kutscher, nach
der betreffenden Expedition zu fahren, bearbeitete während der ganzen
Fahrt unaufhörlich den Rücken des Automedon mit seinen Fäusten und
schrie:

»Schneller, du Spitzbube! Schneller, Kanaille!«

»Aber, Herr!« antwortete nur immer kopfschüttelnd der Kutscher und
schlug mit dem Zügel über den Rücken des Pferdes, das so behaart war wie
ein Bologneserhund.

Endlich hielt die Droschke, und Kowalew trat ganz atemlos in ein kleines
Empfangszimmer, wo ein alter Beamter in einem schäbigen Frack und mit
einer Brille hinter einem Tische saß, einen Federkiel zwischen den
Zähnen hielt und Kupfergeld zählte.

»Wer nimmt hier Annoncen an?« schrie Kowalew; »doch ich bitte um
Verzeihung, guten Morgen vor allen Dingen!«

»Guten Morgen!« sagte der alte Beamte und blickte einen Moment empor, um
seine Aufmerksamkeit sofort wieder seinen Geldhaufen zuzuwenden.

»Ich möchte ein Inserat aufgeben ...«

»Einen Augenblick nur bitte ich Sie, sich gedulden zu wollen,« fuhr der
Beamte fort, indem er mit der Hand eine Zahl auf das Papier schrieb und
mit einem Finger der Linken an der Rechenmaschine zwei Kugeln verschob.

Ein galonnierter Diener von äußerst korrektem Aussehen, dem man seine
lange Dienstzeit in aristokratischen Häusern anmerkte, stand mit einem
Zettel vor dem Tisch und hielt es für angebracht, auf seine
gesellschaftliche Bildung hinzuweisen.

»Seien Sie überzeugt, mein Herr, daß dieser kleine Hund keine acht
Groschen wert ist; ich für meine Person würde nicht acht Pfennig für ihn
geben. Aber die Frau Gräfin betet ihn an, bei Gott! sie betet ihn in der
Tat an, -- deshalb verspricht sie seinem Ueberbringer hundert Rubel. In
aller Höflichkeit sei's gesagt, aber unter uns: die Geschmacksrichtungen
der Leute sind doch ganz unberechenbar. Wenn man schon einmal
Hundeliebhaber ist, so halte man sich meinetwegen einen Windhund oder
einen Pudel; dafür kann man ruhig fünfhundert, ja auch tausend Rubel
anwenden, aber dann hat man auch einen wirklich wertvollen Hund.«

Der ehrenwerte Beamte hörte sich diese Ausführungen mit einer sehr
bezeichnenden Miene an und zählte unterdessen ruhig die Buchstaben des
Zettels, den der Diener mitgebracht hatte. Links von ihm hatte sich eine
Menge alter Weiber, Handlungsgehilfen und Portiers gleichfalls mit
Zetteln in der Hand angesammelt.

Aus einem dieser Zettel ging hervor, daß ein Kutscher, der sich sehr gut
geführt hatte, von seinem Besitzer aus dem Dienst entlassen worden war,
aus einem andern, daß man eine noch wenig benutzte, um 1814 aus Paris
bezogene Kutsche zum Verkauf feilbot. Hier suchte ein neunzehnjähriges
Dienstmädchen, das waschen und gleichzeitig noch andere Arbeiten
verrichten konnte, eine Stellung. Dort wollte jemand eine Droschke ohne
Federn verkaufen, oder einen jungen, feurigen, siebzehn Jahre alten
Apfelschimmel, oder erst kürzlich aus London eingetroffenen Rüben- und
Rettichsamen, oder ein Landhaus mit allem Zubehör (zwei Pferdeställen,
nebst einem Platz, wo man einen prachtvollen Birken- oder Tannenwald
anpflanzen konnte usw.). Wieder andere annoncieren, daß sie alte Sohlen
zu verkaufen hätten, und luden täglich von 8 bis 3 Uhr zu deren
Besichtigung ein.

Das Zimmer, in dem sich der ganze Schwarm aufhielt, war klein, und
infolgedessen war die Luft in ihm äußerst dumpf; allein der
Kollegien-Assessor Kowalew merkte nichts davon, denn sein Gesicht war
mit einem Taschentuch verhüllt und seine Nase befand sich Gott weiß wo
--

»Mein Herr, darf ich Sie bitten ... Ich habe es sehr eilig ...« sagte er
endlich ungeduldig.

»Gleich, gleich! ... Zwei Rubel dreiundvierzig Kopeken! ... Nur noch
eine Minute! ... Ein Rubel vierundsechzig Kopeken!« sagte der alte Herr,
indem er den alten Frauen und den Portiers die Zettel ins Gesicht warf.

»Was wünschen Sie?« sagte er endlich, indem er sich an Kowalew wandte.

»Ich bitte Sie,« sagte Kowalew ... »es handelt sich um eine schier
unglaubliche Spitzbüberei; bis zu diesem Augenblick weiß ich noch nicht,
wie sie bloß passieren konnte. Ich bitte Sie jetzt nur, annoncieren zu
wollen, daß derjenige, der mir diesen Halunken herbeischafft, eine gute
Belohnung erhalten soll.«

»Wollen Sie mir bitte Ihren Namen angeben?«

»Nein! weshalb meinen Namen? es ist mir ganz unmöglich, ihn zu nennen.
Ich habe aber gute Beziehungen, zum Beispiel zu Frau Tschechtarewa, der
Gattin eines Staatsrates, oder zu Frau Pelagia Grigoriewna Podtotschina,
die einen höheren Offizier zum Mann hat. Wenn sie es erführen ... Gott
behüte! Sie können ganz einfach schreiben: >Ein Kollegien-Assessor< oder
noch besser: >Ein Major<.«

»Und der Ausgerückte war Ihr Leibeigner?«

»Was für ein Leibeigner? Das wäre noch keine so große Gemeinheit! Nein,
mir ist ... die Nase ausgerückt! ...«

»Hm! was für ein merkwürdiger Familienname! Und um welche Summe hat Sie
Herr Nase bestohlen?«

»Nase! Aber Sie sind nicht bei Sinnen! Meine Nase, meine eigene Nase ist
es, die verschwunden ist, ich weiß nicht, wohin. Der Teufel hat mir
einen Streich spielen wollen!«

»Aber auf welche Weise ist sie verschwunden? Ich verstehe absolut nichts
von alledem!«

»Ich kann Ihnen nicht sagen, auf welche Weise. Aber das wichtigste bei
dieser Angelegenheit ist die Tatsache, daß sie jetzt in der Stadt
herumspaziert und sich Staatsrat tituliert. Und aus diesem Grunde bitte
ich Sie, zu annoncieren, daß derjenige, der sie fassen sollte, sie ohne
Verzug zu mir bringen möge. Sagen Sie übrigens selbst: wie soll ich ohne
diesen Körperteil, der doch unbedingt zu meiner Person gehört,
existieren? Es handelt sich hier doch nicht etwa um eine Zehe ... wenn
man einen Schuh trägt, so würde man ihr Fehlen ja garnicht bemerken.
Aber ich gehe doch jeden Donnerstag zu Frau Staatsrat Tschechtarewa;
Frau Pelagia Grigoriewna Podtotschina, die Gattin eines höheren
Offiziers und Mutter eines reizenden Töchterchens, ist eine gute
Bekannte von mir. Außerdem habe ich noch zu andern vornehmen Familien
Beziehungen, und nun mögen Sie selbst urteilen, ob ich so herumlaufen
kann ... Es ist mir doch augenblicklich ganz unmöglich, mich irgendwo zu
zeigen.«

Der Beamte überlegte, indem er fortwährend die Lippen zusammenkniff.

»Nein, ein solches Inserat kann ich nicht aufnehmen!« sagte er endlich
nach längerem Stillschweigen.

»Wie? -- Weshalb nicht?«

»Weil die Zeitung dadurch ihren guten Ruf verlieren könnte. Wenn jemand
schreibt, daß ihm seine Nase abhanden gekommen ist, dann ... Auch ohne
dies wird schon genug davon gesprochen, daß alle möglichen Torheiten und
Lügen gedruckt werden!«

»Und weshalb ist das töricht? Mein Fall ist doch, wie mir scheint, ganz
klar und ....«

»Das ist Ihre Meinung! Aber hören Sie, was uns vorige Woche passiert
ist. Es erscheint ein Beamter, ganz wie Sie heute, und bringt uns ein
Inserat, das ihn zwei Rubel dreiundsiebzig Kopeken kostet. In diesem
Inserat wird das Entlaufen eines schwarzen Pudels angekündigt. Sie
werden einwenden: >Ich kann keine Ähnlichkeit mit meinem Fall
entdecken!< Aber es stellte sich bald heraus, daß das lediglich eine
Mystifikation gewesen war; mit dem Pudel war der Kassierer eines
Geschäftes gemeint.«

»Aber ich suche doch garnicht nach einem Pudel, sondern nach meiner
eigenen Nase; hören Sie: das ist doch fast so, als ob ich nach mir
selbst suchte!«

»Nein, ich kann ein solches Inserat nicht aufnehmen!«

»Aber wenn doch meine Nase in der Tat verschwunden ist?«

»Wenn sie verschwunden ist, so geht das nur den Arzt etwas an; ich habe
gehört, daß einige von ihnen eine große Geschicklichkeit in der
Herstellung künstlicher Nasen entwickeln! Übrigens bin ich der Meinung,
daß Sie ein Spaßvogel sind und sich in guter Gesellschaft gern einen
Scherz erlauben!«

»Ich beschwöre Sie bei allem, was mir heilig ist! Gestatten Sie, wenn es
nicht anders geht, daß ich es Ihnen demonstriere!«

»Warum diese Aufregung?« fuhr der Beamte fort, indem er eine Prise nahm.
»Aber schließlich ..., wenn es Sie weiter nicht inkommodiert,« fügte er
neugierig hinzu, »ich würde mir die Sache mit Vergnügen ansehen!«

Der Kollegien-Assessor zog das Taschentuch von seinem Gesichte fort.

»In der Tat, das ist äußerst sonderbar!« sagte der Beamte. »Die Stelle
ist ja ganz eben wie ein frischgebackener Eierkuchen. Ja, sie ist glatt,
-- es ist schier unglaublich!«

»Nun, wollen Sie jetzt noch streiten? Jetzt sehen Sie wohl selbst, daß
Sie mein Inserat unmöglich nicht aufnehmen können. Ich wäre Ihnen dafür
zu ganz besonderem Dank verpflichtet, und ich bin sehr froh darüber, daß
diese Gelegenheit mir das Vergnügen verschafft hat, Ihre Bekanntschaft
zu machen.«

Der Major ließ sich, wie man sieht, sogar zu einer Schmeichelei herab.

»Die Sache mit der Annonce hätte an und für sich keine Schwierigkeit,«
sagte der Beamte; »nur sehe ich darin keinen Vorteil für Sie. Sie
sollten sich an irgend einen geschickten Journalisten wenden, der Ihren
Fall als Naturphänomen behandeln und darüber einen Artikel in der »Biene
des Nordens« -- hierbei nahm er eine Prise -- »zur Belehrung der Jugend«
-- hierbei schneuzte er sich -- »oder noch besser zur allgemeinen
Unterhaltung veröffentlichen könnte.«

Der Kollegien-Assessor war der Verzweiflung nahe. Er warf einen Blick
auf das Feuilleton des Zeitungsblattes und auf die Theaternotizen; ein
Lächeln huschte über sein Gesicht, als er den Namen einer hübschen
Schauspielerin las, und er steckte schon die Hand in die Tasche, um
einen blauen Zettel hervorzuholen -- denn nach seiner Meinung mußten die
höheren Offiziere mindestens im Parkett sitzen --; aber der Gedanke an
seine Nase verdarb ihm jedes Vergnügen.

Der Beamte hatte das lebhafteste Mitgefühl mit Kowalew, der sich in
einer höchst peinlichen Situation befand. Von dem Wunsche beseelt,
seinen Kummer ein wenig zu mildern, hielt er es für gut, ihm mit einigen
Worten seine Teilnahme auszusprechen:

»Wahrhaftig, ich bin sehr betrübt, daß Ihnen ein solches Mißgeschick
widerfahren ist. Nehmen Sie vielleicht eine Prise Tabak? Das vertreibt
die Kopfschmerzen und den Hang zur Melancholie! Außerdem ist es ein
unfehlbares Heilmittel gegen Hämorrhoiden!«

Mit diesen Worten reichte der Beamte ihm seine Tabaksdose, indem er den
Deckel, der mit dem Porträt einer Dame im Hut geschmückt war, in sehr
geschickter Weise wegschob.

Dieser unüberlegte Höflichkeitsakt brachte Kowalew um den Rest seiner
Geduld.

»Ich verstehe nicht, wie Sie solche Scherze machen können!« sagte er
zornig. »Sehen Sie denn nicht, daß mir augenblicklich gerade der
Körperteil fehlt, der zum Nehmen einer Prise unbedingt erforderlich ist?
Der Teufel soll Ihren Tabak holen! Ich kann ihn jetzt garnicht mehr
sehen, selbst dann nicht, wenn es kein stinkender Beresinski, sondern
echter Rapé wäre.«

Nach diesen Worten verließ er tiefgekränkt das Zeitungsbureau und begab
sich aufs Polizei-Kommissariat.

Als Kowalew ins Bureau trat, traf er dort einen Beamten an, der gerade
gähnte, sich streckte und laut zu sich selbst sprach: »Ich würde jetzt
mit großem Vergnügen noch ein paar Stündchen schlafen.«

Man sieht hieraus, daß ihm die Ankunft des Kollegien-Assessors nichts
weniger als gelegen kam.

Der Polizei-Kommissar war ein großer Liebhaber von allen möglichen
Kunstgegenständen; doch zog er einen mit dem kaiserlichen Wappen
geschmückten Schein allen andern Dingen vor.

»Das ist ein Stück,« sagte er oft, »wie es nirgends ein besseres gibt:
es braucht keine Nahrung, nimmt wenig Platz ein, läßt sich bequem in die
Tasche stecken und zerbricht nicht, wenn es einmal zu Boden fällt.«

Er empfing Kowalew sehr kühl und ließ die Bemerkung fallen, daß die
Stunde nach dem Mittagessen nicht der geeignete Moment zur Erledigung
amtlicher Nachforschungen wäre, und daß die Natur uns selbst darauf
hinwiese, daß es gut sei, einen Augenblick der Ruhe zu pflegen, wenn man
gegessen habe -- woraus der Kollegien-Assessor ersehen konnte, daß die
Gepflogenheiten der Philosophen des Altertums dem Kommissar nicht ganz
unbekannt waren --, und daß ein ordentlicher Mann seine Nase nicht
verliere.

Diese Worte verwundeten unseren Helden aufs tiefste.

Hierbei muß bemerkt werden, daß Kowalew eine äußerst empfindliche Natur
war. Er konnte alles verzeihen, was man über ihn sagte, doch niemals
vergab er einen Verstoß gegen die seiner amtlichen Würde gebührende
Achtung. Er dachte daran, daß man in den Theaterstücken alle üblen
Bemerkungen über die Subaltern-Offiziere durchgehen ließ, aber niemals
ein Wort, das sich gegen die höheren Offiziere richtete. Der Empfang des
Kommissars brachte ihn derartig aus der Fassung, daß er kopfschüttelnd
und im Bewußtsein seiner Würde die Hände erhob und erklärte:

»Ich muß gestehen, daß ich auf solche beleidigende Äußerungen nichts zu
erwidern habe.«

Und damit ging er.

Er suchte seine Wohnung auf; es war ihm, als wären seine Beine
abgestorben. Es wurde bereits dunkel, und seine Behausung erschien ihm
nach allen diesen fruchtlosen Nachforschungen sehr traurig und sehr
schmutzig. Beim Eintritt in das Vorzimmer bemerkte er auf dem alten
schmutzigen Ledersopha seinen Diener Iwan, der auf dem Rücken lag, sich
damit unterhielt, an die Zimmerdecke zu spucken, und hierbei mit großer
Geschicklichkeit stets ein und dieselbe Stelle traf. Eine solche
Gleichgültigkeit versetzte ihn vollends in Wut; er schlug ihm mit seinem
Hut auf die Stirn und schrie ihn an:

»Du Esel hast doch immer nur Torheiten im Sinn!«

Iwan sprang von seiner Bank herunter und stürzte schleunigst herbei, um
ihm seinen Mantel abzunehmen.

Der Major trat müde und traurig in sein Zimmer, warf sich in einen
Sessel, seufzte einigemal laut auf und sagte:

»Mein Gott! Mein Gott! Womit habe ich ein solches Unglück verdient?
Hätte ich eine Hand oder einen Fuß verloren -- das wäre noch nicht so
schlimm; aber ein Mensch ohne Nase, das ist doch ... weiß der Teufel
was! Ein Vogel, der kein Vogel ist, ein Bürger, der das Bürgerrecht
verloren hat, das ist ganz einfach ein Ding, das man nehmen und zum
Fenster hinauswerfen möchte. Wäre sie mir wenigstens noch im Kriege oder
im Duell abhanden gekommen, oder hätte ich es wenigstens selbst
verschuldet! Aber so um nichts und wieder nichts, ohne jede Veranlassung
zu verduften! Nein, nein ... das ist ja ganz unmöglich!« -- fügte er
nach kurzem Nachdenken hinzu --, »es ist ganz unglaublich, daß eine Nase
so ohne weiteres verschwindet. Das ist doch zu unwahrscheinlich.
Sicherlich träume ich bloß oder ich bilde es mir nur ein. Vielleicht
habe ich aus Versehen statt eines Glases Wasser den Branntwein
ausgetrunken, mit dem ich mir nach dem Rasieren mein Gesicht einreibe.
Dieser Schafskopf Iwan wird ihn sicher nicht weggenommen haben, und so
habe ich ihn gewiß ganz ahnungslos heruntergegossen.«

Und um sich zu beweisen, daß er nüchtern sei, kniff sich der Major so
heftig ins Fleisch, daß er einen lauten Schrei ausstieß. Dieser Schmerz
überzeugte ihn endgültig davon, daß er am Leben war und vernünftig
handelte. Er trat ganz leise vor den Spiegel und blinzelte zuerst mit
den Augen, da er sich mit der Hoffnung schmeichelte, die Nase könne doch
vielleicht noch an ihrem Platze sein; aber er trat sogleich wieder einen
Schritt zurück und murmelte:

»Die reinste Karikatur!«

Die Sache war ihm ganz unverständlich; wäre ihm noch ein Knopf
verschwunden, ein silberner Löffel, eine Uhr oder etwas dergleichen! --
aber eine Nase ... und noch dazu auf welche Weise? wohl gar aus seinem
eigenen Zimmer? Der Major Kowalew ließ alle die verschiedenen Umstände
an sich vorüberziehen und kam schließlich zu dem Resultat, daß noch am
ehesten Frau Podtotschina, die Gattin eines höheren Offiziers, an seinem
Unglücke Schuld sein konnte, da sie ihn heftig zum Schwiegersohne
begehrte. Es machte ihm Spaß, ihrer Tochter den Hof zu machen, doch ging
er einer deutlichen Erklärung stets aus dem Wege. Als die Dame ihm nun
offen mitteilte, daß sie ihm gern ihre Tochter zur Frau geben würde,
lehnte er diese Ehre unter vielen Komplimenten mit der Begründung ab, er
wäre noch zu jung und müsse noch gegen fünf Jahre dienen, um die runde
Zahl von zweiundvierzig Jahren zu erreichen.

Sicherlich hatte die Frau des höheren Offiziers aus diesem Grunde
beschlossen, sich zu rächen, ihn zu verderben, und zu diesem Behufe
einige alte Hexen gegen ihn ins Feld geführt; denn es war ja unmöglich,
daß ihm die Nase auf die eine oder die andere Weise abgeschnitten sein
sollte. Niemand war im Zimmer gewesen. Der Barbier Iwan Jakowlewitsch
hatte ihn noch am Mittwoch rasiert, und während des ganzen Tages, sowie
auch am Donnerstag war seine Nase noch ganz heil und gesund gewesen.
Daran erinnerte er sich ganz deutlich. Außerdem hätte er doch irgend
einen Schmerz empfinden müssen, die Wunde wäre auch nicht so schnell
geheilt und nicht so platt wie ein Fladen geworden.

Er schmiedete in seinem Hirn alle möglichen Pläne, er wollte die Frau
Podtotschina beim Gericht verklagen oder sich wenigstens persönlich zu
ihr begeben und sie zur Rechenschaft ziehen.

Plötzlich wurde er in seinem Sinnen durch einen Lichtschimmer gestört,
der durch die Türritzen drang und ihm ankündigte, daß Iwan im Vorzimmer
eine Kerze angezündet hatte.

Gleich darauf erschien Iwan selbst, eine Kerze in der Hand haltend, und
bald war das Zimmer hell erleuchtet. Kowalews erste Bewegung war es,
sein Taschentuch zu ergreifen und die Stelle zu verdecken, an der sich
noch tags zuvor seine Nase befunden hatte, damit der dumme Lakai nicht
das Maul aufzureißen brauchte, wenn er seinen Herrn so sonderbar
entstellt sah.

Iwan hatte nicht Zeit gehabt, seine Kammer aufzusuchen, denn eine
unbekannte Stimme ließ sich im Vorzimmer vernehmen und fragte:

»Wohnt hier der Kollegien-Assessor Kowalew?«

»Treten Sie ein; hier wohnt allerdings der Major Kowalew,« sagte dieser,
indem er eiligst die Tür öffnete.

Der Polizeikommissar, ein Mann von würdigem Aussehen, mit einem nicht
all zu hellen, noch all zu dunklen Backenbart und runden Wangen,
derselbe, den wir beim Beginn dieser Erzählung am Ende der Isaaks-Brücke
getroffen haben, trat ein.

»Sie hatten die Ehre, Ihre Nase zu verlieren?«

»In der Tat!«

»Sie ist soeben gefunden worden.«

»Was sagen Sie da?« schrie der Major Kowalew. Die Freude machte ihn
sprachlos.

Er sah den Polizisten, der vor ihm stand, starr an, wobei seine Lippen
und Wangen von dem flackernden Kerzenlicht erhellt wurden.

»Auf welche Weise?« fragte er endlich.

»Durch einen erstaunlichen Zufall: man hat sie gerade im Moment ihrer
Abreise verhaftet. Sie hatte schon einen Platz im Wagen eingenommen, um
nach Riga zu fahren. Ihr Paß lautete auf den Namen eines Beamten. Und
das Sonderbarste ist, daß ich selbst sie zuerst für einen Herrn gehalten
habe; aber ich setzte glücklicherweise meine Brille auf und erkannte
sogleich, daß es eine Nase war. Ich muß Ihnen nämlich sagen, daß ich
kurzsichtig bin, und wie Sie jetzt vor mir stehen, erkenne ich wohl, daß
Sie ein Gesicht haben, aber ich unterscheide weder Nase, noch Bart, noch
sonst etwas. Meine Schwiegermutter, die Mutter meiner Frau, sieht auch
nicht mehr als ich.«

Kowalew konnte sich nicht mehr beherrschen.

»Wo ist sie? Wo? Ich laufe sofort hin.«

»Regen Sie sich nicht auf. Da ich wußte, daß Sie sie sehr nötig haben,
habe ich sie gleich mitgebracht. Das Merkwürdigste ist, daß der
Hauptschuldige an dieser ganzen Angelegenheit ein Lump von Barbier aus
der Wosnessenski-Straße ist, der zur Zeit bereits im Polizeigewahrsam
sitzt. Ich habe ihn schon lange im Verdacht, daß er ein Trunkenbold und
Dieb ist; erst vor drei Tagen hat er in einem Laden eine Schachtel mit
Knöpfen entwendet. Ihre Nase ist gänzlich unversehrt.«

Mit diesen Worten griff der Agent in seine Tasche und holte die Nase
hervor, die in ein Stück Papier eingewickelt war.

»Ja, das ist sie!« schrie Kowalew. »Das ist sie und keine andere!
Trinken Sie vielleicht eine Tasse Tee mit mir?«

»Ich danke Ihnen für Ihre außerordentliche Liebenswürdigkeit, aber das
ist mir leider unmöglich. Ich muß mich von hier aus sofort in ein
Konfektionshaus begeben ... In den letzten Tagen sind die Lebensmittel
entsetzlich teuer geworden ... Meine Schwiegermutter, die Mutter meiner
Frau, und meine Kinder warten zu Hause auf mich ... Mein Ältester
berechtigt zu den schönsten Hoffnungen; das ist wirklich ein recht
intelligenter Bursche; aber mir fehlen die Mittel, ihm eine geeignete
Erziehung zu geben ...«

                   *       *       *       *       *

Nachdem der Kommissar den Kollegien-Assessor verlassen hatte, befand
sich dieser einige Minuten in einer unbeschreiblichen Geistesverfassung;
einen Moment lang konnte er seine Lage kaum überblicken. Die plötzliche
Freude hatte ihn ganz matt gemacht. Endlich nahm er die wieder gefundene
Nase vorsichtig zwischen seine beiden Hände und schaute sie noch einmal
mit großer Aufmerksamkeit an.

»Ja, das ist sie! Das ist sie in der Tat!« sagte er. »Hier auf der
linken Seite ist auch das Pickelchen von gestern ...«

Der Major hätte vor Freude laut aufjubeln mögen.

Aber auf dieser Welt ist nichts von langer Dauer; bald läßt die Freude
nach und, während Sekunde auf Sekunde vergeht, weicht auch sie schnell
einer peinigenden Abspannung, um unmerklich wieder zum gewohnten
Gleichmaß zurückzukehren, so wie der Kreis, den das Fallen eines Steines
im Wasser erzeugt, allmählich in der glatten Oberfläche zerrinnt.

Kowalew begann, das Vorgefallene zu überdenken, und begriff, daß sein
Abenteuer noch nicht zu Ende war. Die Nase war wohl gefunden, aber jetzt
mußte man sie vor allen Dingen wieder an ihren alten Platz bringen und
befestigen.

»Wenn sie nun nicht halten wird?«

Bei diesem Gedanken erbleichte der Major.

Von einer unerklärlichen Furcht gepackt stürzte er an den Tisch und
ergriff den Spiegel, um sich die Nase nur nicht schief anzusetzen. Seine
Hände zitterten. Mit großer Vorsicht und Behutsamkeit drückte er sie
wieder an ihren alten Platz. Doch welch ein Schrecken! die Nase hielt
nicht! ... Er führte sie an seinen Mund, erwärmte sie mit seinem Atem
und brachte sie von neuem an die glatte Fläche, die sich zwischen seinen
beiden Wangen befand. Die Nase wollte absolut nicht halten!

»So sitz doch, du Rindvieh!« sagte Kowalew zu ihr.

Aber die Nase schien wie aus Holz zu sein und fiel mit einem recht
sonderbaren Ton gleich einem Stück Kork auf den Tisch. Kowalews ganzes
Gesicht zuckte konvulsivisch zusammen.

»Ist es denn möglich, daß sie in der Tat nicht haften bleiben sollte?«
sagte er voller Schrecken.

Er drückte sie noch einmal auf die Stelle, an die sie gehörte, -- aber
auch dieses Mal ohne Erfolg.

Kowalew rief Iwan und trug ihm auf, zum Arzte zu gehen, der eine der
schönsten Wohnungen im ersten Stock des Hauses inne hatte. Dieser Arzt
war ein Mann von feiner Lebensart, außerdem verfügte er über ein Paar
herrliche pechschwarze Favoris und eine prachtvolle urgesunde Frau.
Schon am frühen Morgen pflegte er frische Äpfel zu essen. Als besondere
Eigentümlichkeit wäre dann noch die außerordentliche Pflege zu erwähnen,
die er seinem Munde angedeihen ließ, denn er spülte ihn nach dem
Aufstehen fast dreiviertel Stunden lang und putzte sich stets die Zähne
mit fünf verschiedenen Bürstchen.

Der Arzt ließ nicht lange auf sich warten.

Nachdem er sich danach erkundigt hatte, wieviel Zeit verstrichen war,
seit Kowalew den Verlust bemerkt hatte, faßte er den Major am Kinn und
gab ihm mit dem Zeigefinger an der Stelle, wo sich früher die Nase
befunden hatte, einen so tüchtigen Nasenstüber, daß der Major mit dem
Kopfe zurückzuckte und mit ihm ziemlich heftig an die Mauer schlug. Der
Arzt meinte, das mache weiter nichts, und befahl ihm, mit dem Kopf von
der Wand abzurücken und ihn ein wenig nach links zu neigen, befühlte ihn
und ließ dann ein gedehntes »Hm« vernehmen. Zum Schluß gab er ihm noch
einen Nasenstüber, sodaß Kowalew mit dem Kopf zurückfuhr wie ein Pferd,
dessen Zähne man untersucht.

Nach dieser Einleitung schüttelte der Arzt den Kopf und sagte:

»Nein, es ist unmöglich! Es ist besser, Sie lassen die Geschichte auf
sich beruhen, sonst könnte es noch schlimmer werden. Gewiß kann man die
Nase wieder befestigen; ich könnte es sogar auf der Stelle tun, das
unterliegt keinem Zweifel. Aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß es
dann noch schlimmer werden kann.«

»Das ist ja großartig! Aber wie kann ich denn ohne Nase existieren?«
sagte Kowalew. »Schlimmer als jetzt kann es ja garnicht werden. Da soll
doch das heilige Donnerwetter dreinschlagen! Wo kann ich mich denn mit
einem solchen grotesken Kopf blicken lassen? Ich muß doch meine guten
Beziehungen pflegen, heute abend muß ich sogar noch zwei Besuche
abstatten. Ich bin mit vielen einflußreichen Personen bekannt, so z. B.
mit Frau Staatsrat Tschechtarewa, und mit Frau Podtotschina, die die
Gattin eines höheren Offiziers ist, wenngleich ich mit dieser Dame nach
dem Vorgefallenen nur noch durch die Polizei verkehren werde. Tun Sie
mir den Gefallen,« fügte Kowalew mit bittender Stimme hinzu, »setzen Sie
sie mir wieder an, mir ist jedes Mittel recht. Wenn es auch nicht gut
aussieht, die Hauptsache ist, daß sie hält; in gefährlichen Situationen
könnte ich sie ja etwas mit der Hand stützen. Im übrigen tanze ich auch
garnicht, sodaß ich nicht etwa zu befürchten brauche, daß sie sich durch
eine unvorsichtige Bewegung ablösen könnte. Und was das Honorar für
Ihren Besuch anbetrifft, so können Sie überzeugt sein, daß, soweit es
mir meine Mittel gestatten ...«

»Glauben Sie mir,« sagte der Arzt nicht allzu laut, aber auch nicht
allzu leise, auf jeden Fall aber in überzeugendem und eindringlichem
Tone, »daß ich meine Kunst niemals um des schnöden Mammons willen
ausübe. Das wäre gegen meine Grundsätze und gegen meinen Beruf. Ich
nehme gern eine Vergütung für meinen Besuch an, aber einzig und allein,
um Sie nicht durch meine Weigerung zu verletzen. Gewiß kann ich Ihre
Nase wieder anheften. Aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, wenn Sie es
mir so nicht glauben wollen, daß es sehr häßlich aussehen wird. Lassen
Sie doch lieber die Natur walten! Waschen Sie die betreffende Stelle
recht häufig mit kaltem Wasser, und ich versichere Sie, daß Sie sich
ohne Nase ebenso gut befinden werden als mit ihr. Und dann gebe ich
Ihnen noch den Rat, die Nase in einem Gefäß mit Spiritus aufzubewahren
oder noch besser zwei Suppenlöffel Branntwein und heißen Essig in den
Rezipienten zu tun, -- auf diese Weise könnten Sie viel Geld für sie
erhalten. Ich selbst würde sie Ihnen gern abnehmen, wenn Sie nicht zu
teuer sind!«

»Nein, nein, um keinen Preis in der Welt würde ich sie verkaufen!« rief
der Major Kowalew verzweifelt aus; »lieber will ich sie vernichten!«

»Entschuldigen Sie,« sagte der Arzt und erhob sich; »ich wollte Ihnen
nur nützlich sein ... Was ist da zu tun? Auf jeden Fall haben Sie sich
von meinem guten Willen überzeugt.«

Mit diesen Worten und mit einer vornehmen Handbewegung verließ der Arzt
das Zimmer. Kowalew hatte nicht einmal sein Gesicht deutlich gesehen und
in seiner tiefen Betäubung nur die Manschetten seines schneeweißen
Hemdes bemerkt, das aus den Ärmeln des schwarzen Frackes
hervorleuchtete.

Am folgenden Tage beschloß er, noch bevor er die Klage gegen Frau
Podtotschina einreichte, an sie zu schreiben und sie zu fragen, ob sie
seiner Forderung nicht vielleicht gutwillig Folge leisten wollte.

Dieser Brief lautete folgendermaßen:

                 »Sehr geehrte Frau Alexandra Grigoriewna!

   Es ist mir unmöglich, Ihre äußerst seltsame Handlungsweise zu
   begreifen. Seien Sie überzeugt, daß Sie hierdurch nichts gewinnen
   und mich keineswegs dazu zwingen werden, Ihre Tochter zu heiraten.
   Was die Angelegenheit mit meiner Nase anbetrifft, so ist die Rolle,
   dessen versichere ich Sie, die Sie, die Hauptanstifterin, in ihr
   spielen, von allem andern zu schweigen, schon völlig aufgeklärt. Ihr
   plötzliches Verschwinden von ihrem Platze, ihre Flucht, ihre
   Verkleidung als Beamter wie ihr darauffolgendes Auftreten in
   natürlicher Gestalt: das alles ist nur die Folge einer Behexung, die
   Sie oder irgend welche von Ihnen bezahlte Kreaturen gegen mich
   inszeniert haben. Was nun mich anbetrifft, so glaube ich die Pflicht
   zu haben, Ihnen im voraus anzukündigen, daß ich, sollte die in Frage
   kommende Nase sich nicht noch heute an ihrem alten Platze befinden,
   mich gezwungen sehen würde, den Beistand und Schutz der Gerichte
   anzurufen.

   Im übrigen bin ich mit der Versicherung meiner vorzüglichen
   Hochachtung

                                                  Ihr ergebener Diener
                                                      Platon Kowalew.«

                     »Geehrter Herr Platon Kusmitsch!

   Ihr Brief hat mich in außerordentliches Erstaunen versetzt. Ich
   gestehe offen, ich hätte von Ihnen nie so ungerechte Vorwürfe
   erwartet. Ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich den Beamten, von
   dem Sie sprechen, weder maskiert, noch in eigener Gestalt, bei mir
   empfangen habe. Allerdings hat mich Philipp Iwanowitsch
   Potantschikow besucht. Und obgleich er in der Tat um die Hand meiner
   Tochter angehalten hat und auf einen tadellosen, nüchternen
   Lebenswandel und große Bildung hinweisen konnte, habe ich ihm doch
   keinerlei Hoffnung gegeben. Sie sprechen dann noch von Ihrer Nase.
   Wenn Sie damit sagen wollen, daß ich die Absicht habe, Ihnen eine
   Nase zu drehen statt Sie endgültig abzuweisen, so kann ich hierüber
   nur meiner Überraschung Ausdruck verleihen. Denn wie Sie sehr wohl
   wissen, ist gerade das Gegenteil davon der Fall; und wenn Sie
   gegenwärtig gesonnen sein sollten, meine Tochter zu Ihrem Ehegemahl
   zu machen, so bin ich bereit, Ihnen sofort jede Genugtuung zuteil
   werden zu lassen. Damit wäre in der Tat einer meiner innigsten
   Wünsche erfüllt. In dieser Hoffnung bin ich wie stets

                                               Ihre gehorsame Dienerin
                                              Alexandra Podtotschina.«

»Nein!« sagte Kowalew nachdem er den Brief gelesen hatte, »sie ist
sicher unschuldig. Das ist ja ganz unmöglich! Solch einen Brief kann nie
und nimmer eine Person schreiben, die ein Verbrechen auf ihrem Gewissen
hat.«

Der Kollegien-Assessor verstand sich auf diese Dinge, war er doch schon
mehrfach mit Untersuchungen in den kaukasischen Provinzen betraut
worden.

»Wie mag es nur geschehen sein?« fragte er sich immer wieder. »Hol's der
Teufel!«

Und er ließ resigniert die Hände sinken.

Unterdessen hatte sich in der ganzen Residenz das Gerücht von diesem
außergewöhnlichen Ereignis verbreitet -- und zwar, wie es ja Brauch ist,
nicht ohne Zutaten und Übertreibungen. Alle Gemüter standen zu dieser
Zeit gerade unter dem Eindruck übernatürlicher Vorgänge. Kurz vorher
hatten nämlich das Publikum allerhand Experimente mit dem tierischen
Magnetismus beschäftigt; die tanzenden Stühle waren für die
Scheunenstraße noch etwas völlig Neues. Man braucht es also nicht allzu
sonderbar zu finden, daß bald darauf das Gerücht auftauchte, die Nase
des Kollegien-Assessors Kowalew spazire bereits seit längerer Zeit jeden
Tag um drei Uhr auf dem Newski-Prospekt herum. Eine Menge Neugieriger
strömte daher alltäglich dorthin. Irgend jemand hatte erzählt, die Nase
hielte sich in Junkers Magazin auf, und gleich stauten sich dort die
Menschen derartig, daß die Polizei sich genötigt sah, einen
Ordnungsdienst einzurichten. Ein sehr ehrenwerter Spekulant von höchst
würdigem Äußeren mit einem prachtvollen Backenbart, der am Ausgang der
Theater verschiedene Süßigkeiten und trockene Kuchen feilzubieten
pflegte, ließ daher schöne solide hölzerne Bänke vor dem Laden
aufstellen, lud die Neugierigen ein, Platz zu nehmen und erhob ein
Eintrittsgeld von sechzig Kopeken pro Zuschauer. Ein Oberst a. D.
erschien schon ganz früh an Ort und Stelle, um sich das Schauspiel
anzuschaun, und schlängelte sich mit großer Mühe durch die Menge; aber
zu seiner größten Empörung sah er im Fenster des Magazins anstatt der
Nase nur ein ganz gewöhnliches baumwollenes Kamisol nebst einer
Lithographie, die ein junges Mädchen darstellte, wie es sich seinen
Strumpf hinaufzieht, und einen Stutzer mit ausgeschnittener Weste und
Spitzbart, der sie hinter einem Baume beobachtet -- ein Bild, das schon
seit mehr als zehn Jahren an dieser Stelle hing. Der Oberst ging fort,
indem er ärgerlich sagte:

»Wie kann man nur die Leute durch solche dumme und unwahrscheinliche
Gerüchte auf die Beine bringen? ...«

Dann wurde allgemein davon gesprochen, daß die Nase des Majors Kowalew
garnicht auf dem Newski-Prospekt, sondern im Taurischen Garten
herumspaziere; man sagte, sie befände sich schon lange dort, schon
Chozrew-Mirza habe in der Zeit, da er dort wohnte, sehr über dieses
seltsame Naturwunder gestaunt. Von der medizinischen Fakultät wurden
einige Studenten hingesandt; eine ehrenwerte Dame von hoher Geburt bat
den Wächter des Gartens in einem Privatschreiben, dieses Phänomen doch
ja ihren Kindern zu zeigen und womöglich eine gründliche, lehrreiche
Erklärung hinzuzufügen.

All diese Geschehnisse bildeten das Entzücken jener Müßiggänger, die bei
keiner Gesellschaft fehlen dürfen und deren Pflicht es ist, die Damen zu
zerstreuen -- und dies in um so höherem Maße, als ihr Vorrat an
Neuigkeiten zurzeit völlig erschöpft war. Indes zeigte sich doch eine
Minderheit ehrlicher und vernünftiger Leute sehr ungehalten über all
diese Scherze. Ein Herr erklärte sogar voller Empörung, er begriffe
nicht, wie in einem aufgeklärten Jahrhundert solche falsche und absurde
Gerüchte entstehen könnten, ja, er wunderte sich darüber, daß die
Regierung diesen Vorgängen nicht mehr Beachtung schenke. Dieser Herr
gehörte augenscheinlich zu jener Menschenklasse, die es für
wünschenswert hält, daß die Regierung sich in alle Angelegenheiten
mische, selbst in die alltäglichen Zwistigkeiten der Ehegatten.
Infolgedessen ... Aber hier hüllt sich unsere Historie von neuem in
einen dichten Schleier, und über alle folgenden Ereignisse ist wieder
nichts bekannt.


                                  III.

Es gibt keinen Unsinn, der in dieser Welt nicht möglich wäre, und oft
passieren Dinge, die geradezu unglaublich sind. So befand sich dieselbe
Nase, die in Gestalt eines Staatsrates spazieren gegangen war und in der
ganzen Stadt eine solche Aufregung verursacht hatte, plötzlich auf ganz
unerklärliche Weise wieder an ihrem alten Platz zwischen den beiden
Wangen des Majors Kowalew. Das geschah am 7. April.

Als der Major an diesem Morgen erwachte und in den Spiegel sah,
erblickte er darin seine Nase. Er griff mit seiner Hand nach ihr, --
wahrhaftig, es war seine Nase.

»Mein Gott!« sagte Kowalew, und er wollte schon vor Freude im Zimmer
barfuß ein Tänzchen machen, aber das Eintreten Iwans hinderte ihn daran.
Er befahl ihm, sofort Waschwasser zu bringen und besah sich noch einmal
im Spiegel -- aber die Nase war in der Tat wieder da! Er trocknete sich
mit dem Handtuch ab und blickte zum dritten Mal in den Spiegel, -- aber
die Nase war noch immer da!

»Sieh doch mal her, Iwan, ich glaube, ich habe da so eine Art Pickel auf
der Nase,« sagte er und dachte indessen bei sich:

»Was für ein Unglück, wenn Iwan mir plötzlich antwortete: >Nein, Herr,
Sie haben nicht nur keinen Pickel auf der Nase, Sie haben ja überhaupt
keine Nase!<«

Aber Iwan bemerkte:

»Ich sehe gar keinen Pickel; Ihre Nase ist ganz rein.«

»Gut, vortrefflich, der Teufel soll mich holen!« sagte der Major im
stillen zu sich selbst und knipste mit den Fingernägeln.

In diesem Augenblick erschien der Barbier Iwan Jakowlewitsch im
Türrahmen -- furchtsam wie eine Katze, die ein Stück Talg gestohlen und
dafür Prügel bekommmen hat.

»Sag mal vor allem: sind deine Hände auch sauber?« schrie ihm Kowalew
schon von weitem entgegen.

»Gewiß sind sie sauber!«

»Du lügst!«

»Bei Gott, sie sind sauber, Herr!«

»Na, dann mal los!«

Kowalew setzte sich, und Iwan Jakowlewitsch band ihm eine Serviette um.
In einem Moment verwandelte sich der ganze Bart und ein Teil der Wangen
mit Hilfe eines Pinsels in einen Crême, wie ihn die Kaufleute an ihren
Namenstagen den Gästen servieren.

»Da schau her!« sagte Iwan Jakowlewitsch zu sich selbst, nachdem er sich
die Nase angesehen; dann wandte er den Kopf ein wenig, um sie auch von
der Seite zu prüfen, »wahrhaftig sie sitzt tadellos!« -- und noch lange
betrachtete er die Nase. Endlich erhob er mit einer Zartheit und
Behutsamkeit, als ob es sich hier um seine eigene Person handle, zwei
Finger, um die Nasenspitze zu ergreifen.

Das war Iwan Jakowlewitschs System.

»Achtung!« schrie Kowalew.

Iwan Jakowlewitsch ließ die Hand sinken, verlor den Kopf und zitterte
wie noch nie zuvor in seinem Leben. Endlich begann er mit großer
Vorsicht, ihm unter dem Kinn mit dem Rasiermesser den Hals zu kitzeln;
obwohl es ihm sehr schwer wurde, da er ja das Geruchsorgan nicht stützen
durfte, überwand er doch alle Schwierigkeiten dadurch, daß er mit dem
Zeigefinger bald die Wange, bald das Kinn anfaßte, und so führte er denn
sein Geschäft glücklich zu Ende.

Hierauf kleidete sich Kowalew an, nahm eine Droschke und fuhr
schnurstracks nach einer Konditorei. Schon auf der Schwelle befahl er
dem Kellner, ihm eine Tasse Schokolade zu bringen, und blickte
gleichzeitig schnell noch einmal in den Spiegel: wahrhaftig, die Nase
war noch da! Fröhlich wandte er sich um und fixierte mit spöttischer
Miene zwei Offiziere, deren einer eine Nase hatte, die nicht viel größer
war als ein Westenknopf.

Dann begab er sich auf die Kanzlei des Departements, in dem er sich um
die Stelle eines Vizegouverneurs oder doch wenigstens um die eines
Exekutors bewarb; als er durch das Empfangszimmer schritt, schaute er in
den Spiegel, -- die Nase war noch immer da!

Hierauf fuhr er zu einem andern Kollegien-Assessor, der gleichfalls
Major war, einem großen Spaßvogel, dem er auf all seine bissigen
Bemerkungen stets nur die eine Antwort zu geben pflegte:

»O, ich kenne dich ja, du bist boshaft!«

Und er dachte sich unterwegs:

»Wenn der Major bei meinem Anblick nicht in Lachen ausbricht, so ist das
das sicherste Zeichen, daß alles in Ordnung ist.«

Aber der Kollegien-Assessor ließ sich nichts merken.

»Gut! vortrefflich! der Teufel soll ihn holen!« murmelte Kowalew.

Auf der Straße begegnete er Frau Podtotschina, der Gattin eines höheren
Offiziers nebst ihrer Tochter; er machte eine tiefe Verbeugung und wurde
mit den freudigsten Ausrufen begrüßt. Er unterhielt sich längere Zeit
mit ihnen, nahm eine Prise aus seiner Tabaksdose und stopfte sie sich
mit Absicht in ihrer Gegenwart in beide Nasenlöcher, indem er sich
dachte:

»Da habt ihr's! Ihr Weiber, ihr seid Gänse! Ich denke ja garnicht daran,
mich mit deiner Tochter zu verheiraten! _Par amour_ -- na, meinetwegen!
Das ginge noch allenfalls.«

Und der Major Kowalew zeigte sich, als ob nichts geschehen wäre, auf dem
Newski-Prospekt, in den Theatern und überall. Seine Nase saß, wie wenn
nichts vorgefallen wäre, fest in seinem Gesicht, und niemand sah es ihr
an, daß sie einst so weit umhergeirrt war. Und seitdem sah man Major
Kowalew stets in guter Laune, er lachte und blickte mit
leidenschaftlichem Interesse allen schönen Frauen nach. Einmal sah man
ihn sogar im Laden von Gostini Dwor ein Ordensband kaufen; zu welchem
Zwecke dies geschah, das wußte freilich niemand, denn er war ja garnicht
Ritter eines Ordens.

Das ist die Geschichte, die sich in der nördlichen Hauptstadt unseres
großen Reiches abgespielt hat. Jetzt finden wir allerdings bei näherer
Überlegung viel Unwahrscheinliches in ihr. Ohne davon zu sprechen, daß
es doch höchst sonderbar ist, wenn eine Nase verschwindet und an
verschiedenen Stellen in Gestalt eines Staatsrates auftaucht, -- wie
konnte Kowalew nicht begreifen, daß man doch nicht durch die Amtszeitung
nach einer Nase suchen darf? Ich will hier garnicht einmal den hohen
Preis erwähnen, den man für ein Inserat bezahlen muß. Das ist eine
Kleinigkeit. Denn ich gehöre ganz und gar nicht zu den habgierigen
Leuten. Aber so etwas ist doch unschicklich, lächerlich und töricht!

Und dann noch dies: wie geriet die Nase in ein Brot, und wie konnte Iwan
Jakowlewitsch selbst ...? Nein, das werde ich nie und nimmer begreifen;
wahrhaftig, das verstehe ich nicht! Was aber noch erstaunlicher und noch
unverständlicher ist, das ist der Umstand, daß sich Autoren solche
Gegenstände wählen können. Man muß zugeben, daß das in der Tat ganz
unbegreiflich ist. Geradezu ... nein, nein! Ich verstehe auch nicht ein
Wort davon! Erstens bringt es dem Vaterland nicht den geringsten Nutzen,
und zweitens ... aber auch zweitens hat niemand einen Vorteil davon. Ich
weiß einfach nicht, was das für einen Sinn hat.

Und dennoch und trotz alledem läßt sich letzten Endes vielleicht doch
eins oder das andere oder das dritte davon begreifen! Denn schließlich,
wo stößt man denn nicht auf Unbegreifliches? Und wenn man ordentlich
über alles nachdenkt, so bleibt sicher doch wenigstens _etwas_ davon
bestehen. Man mag sagen, was man will: derartige Dinge kommen in der
Welt vor -- wenngleich höchst selten, aber sie _kommen_ vor.


                              Das Porträt


                              Erster Teil.

Nirgends blieben soviel Menschen stehen wie vor dem Bilderladen in der
Schtschukin-Passage. Dieser Laden bot in der Tat eine äußerst
mannigfaltige Sammlung von Sehenswürdigkeiten dar: die Bilder waren
meistenteils mit Ölfarbe gemalt, mit dunkelgrünem Lack gefirnißt und mit
dunkelgelben, flittergoldenen Rahmen versehen. Eine Winterlandschaft mit
weißen Bäumen, ein völlig roter, einer Feuersbrunst gleichender Abend,
ein flämischer Bauer mit einer Pfeife und einem ausgerenkten Arm, der
eher einem Truthahn in Manschetten als einem Menschen ähnlich sieht: das
sind gewöhnlich die Lieblingsthemata dieser Gemälde. Dazu kamen noch
einige gestochene Abbildungen: ein Porträt von Chosrev-Mirsa in einer
Hammelfellmütze und etwa das Bild eines Generals mit Dreispitz und
krummer Nase. Überdies pflegen die Türen eines solchen Ladens mit ganzen
Bündeln von Werken, die auf große Bogen gedruckt sind und von der
instinktiven Begabung des Russen zeugen, behangen zu sein. Auf einem war
die Zarentochter Miliktrissa Kirbitjewna, auf einem andern die Stadt
Jerusalem zu sehen, über deren Häuser und Kirchen ohne weitere Umstände
ein intensives Rot gestrichen war, ein Rot, das auch einen Teil der Erde
und zwei betende russische Bauern in Fausthandschuhen einhüllte. Für
diese Erzeugnisse findet sich schwer ein Käufer, um so leichter jedoch
ein Zuschauer. Irgend ein Taugenichts von Lakai sieht sie sich schon
sicher an, während er die Wirtshaus-Menage für seinen Herrn in der Hand
hält, der seinem Magen die Suppe wohl nicht allzu heiß einverleiben
wird; neben ihm steht sicher irgend ein in einen Mantel eingehüllter
Soldat, dieser Kavalier des Trödelmarktes, der zwei Federmesser
feilbietet, und eine Höckerfrau aus Ochta mit einer Schachtel, die
Schuhe enthält. Jeder genießt auf seine Art. Die Bauern pflegen ihre
Zeigefinger darauf zu drücken, die Kavaliere betrachten die Bilder mit
ernster Miene, die Handwerksburschen lachen und machen sich mit Hinweis
auf die Karikaturen übereinander lustig, alte Lakaien in Friesmänteln
schauen sich diese Dinge an, weil sie schließlich doch irgendwo gähnen
müssen, und die Höckerinnen, diese jungen russischen Weiber, kommen
instinktiv hierher gelaufen, um zu hören, was denn das Volk wieder
zusammen klatscht, und um sich das anzuschaun, was sich das Volk
anschaut.

Um diese Zeit blieb auch der junge Künstler Tschartkow, der gerade die
Passage passierte, unwillkürlich vor dem Laden stehen; der alte Mantel
und der nicht sehr sorgfältige Anzug ließen in ihm einen Menschen
erkennen, der seiner Arbeit mit Selbstvergessenheit ergeben war und
keine Zeit hatte, sich um die Kleidung zu kümmern, die doch gerade für
die Jugend sonst einen geheimnisvollen Reiz in sich zu bergen pflegt. Er
blieb vor dem Laden stehn und lachte zuerst innerlich über diese
greulichen Bilder. Dann bemächtigte sich seiner eine unwillkürliche
Versonnenheit, er fing an, darüber nachzudenken, wem diese Machwerke
wohl von Nutzen wären. Daß das russische Volk von diesen Jeruslanen
Lazarewitschen, diesen Freß- und Saufhelden, sowie von dem Foma und
Jerjoma hingerissen wird, das erschien ihm nicht verwunderlich: die
abgebildeten Gegenstände waren dem Volke durchaus verständlich. Aber wo
sind die Käufer für diese bunten, schmutzigen Ölpinseleien, wem konnten
diese flämischen Bauern, diese roten und blauen Landschaften, die
bereits einen gewissen Anspruch auf eine etwas höhere Stufe der Kunst
erheben, gefallen, einer Kunst, die gerade hier aufs tiefste erniedrigt
wird? Dies waren allem Anschein nach keineswegs Werke eines Kindes oder
eines Autodidakten, sonst wäre in ihnen bei aller gefühllosen
Karikierung doch etwas wie ein starker Impuls zum Ausdruck gekommen.
Aber hier war nichts zu entdecken als Stumpfheit, eine kraftlose,
greisenhafte Talentlosigkeit, die sich eigenmächtig in die Reihen der
Künste drängte, während sie doch lediglich unter den niedrigsten
Handwerken ihren Platz hatte, -- eine Talentlosigkeit, die übrigens
ihrem Beruf treu blieb und das Handwerkliche mitten in die Kunst
importierte. Dieselben Farben, die gleiche Manier, dieselbe geübte Hand,
die eher einem roh gearbeiteten Automaten gehören mochte, als einem
Menschen! ...

Lange stand er vor diesen schmutzigen Bildern, bis er schließlich gar
nicht mehr an sie dachte, inzwischen aber sprach der Besitzer des
Ladens, ein verschimmelter Kerl in einem Friesmantel und mit einem seit
Sonntag nicht rasierten Barte, auf ihn ein, und feilschte mit ihm um den
Preis, ohne sich davon unterrichtet zu haben, was ihm gefallen hatte und
was er kaufen wollte. »Hier, für diese Bäuerlein und diese kleine
Landschaft, will ich nur einen weißen Schein haben. Sehen Sie sich doch
nur diese Malerei an! Die sticht einem geradezu in die Augen; die sind
eben erst aus der Börse gekommen, sogar der Firnis ist noch nicht
trocken. Oder nehmen Sie doch vielleicht den Winter hier! Nur fünfzehn
Rubel! der Rahmen kostet doch allein soviel! Das ist dafür aber auch ein
rechter Winter!« Hierbei schnellte der Händler mit den Fingerspitzen
leicht gegen die Leinewand, wahrscheinlich, um die Güte des Winters
recht zu betonen. »Befehlen der Herr, daß ich sie zusammenbinde und zu
Ihnen trage? Wo belieben Sie zu wohnen? He, Junge, gib mal einen
Bindfaden her!« -- »Wart, Bruder, nicht so schnell!« sagte der endlich
zu sich kommende Maler, als er sah, daß der lebhafte Händler sich im
Ernst daran machte, sie zusammenzubinden. Es war ihm etwas peinlich,
nichts zu kaufen, nachdem er sich schon so lange im Laden aufgehalten
hatte, und er sagte: »Aber warte, ich will mal sehen, ob ich nicht dort
etwas für mich finde.« Und er bückte sich und fing an, die auf dem
Fußboden aufgestapelten, abgescheuerten, verstaubten, alten
Schmierereien aufzuheben, die offenbar keine sonderliche Ehre genossen.
Da waren altertümliche Porträts von Ahnen, deren Nachkommen man in der
Welt sicher nirgends hätte finden können -- unbekannte Bilder, deren
Leinwand durchgerissen war, mit Rahmen ohne Vergoldung: mit einem Worte,
allerlei alter Plunder. Aber der Maler fing an, sie genauer zu
untersuchen, indem er in seinem Inneren zu sich sagte: »Vielleicht
findet sich doch noch etwas darunter!« Er hatte mehr als einmal gehört,
wie man mitunter bei Trödlern zwischen altem Kram Gemälde großer Meister
fand.

Als der Besitzer bemerkte, wohin sich Tschartkow verkrochen hatte, ließ
seine Zuvorkommenheit nach, er placierte sich in seiner gewöhnlichen
Stellung und gebührenden Würde wieder vor seiner Tür, rief die Passanten
an und zeigte ihnen mit einer großen Geste seinen Laden. »Hierher,
Väterchen! Hier sind Bilder! Kommen Sie herein, kommen Sie herein!
Soeben von der Börse importiert!« Er schrie sich tot, aber meistenteils
ohne jeden Erfolg, schwatzte unterdessen zur Genüge mit dem
Resteverkäufer, der ebenfalls ihm gegenüber an der Türe seiner Bude
stand, und erinnerte sich schließlich, daß er noch einen Käufer im Laden
hatte; sofort wandte er den Außenstehenden den Rücken zu und begab sich
hinein. »Na, Väterchen, haben Sie schon etwas ausgewählt?« Aber der
Künstler stand schon eine geraume Zeit vor einem Porträt in einem großen
Rahmen, der von vergangener Pracht zeugte und auf dem jetzt kaum noch
die Spuren der Vergoldung glänzten.

Das war ein Greis mit einem bronzefarbenen, schmächtigen Gesicht und
hervorstehenden Backenknochen. Seine Züge schienen einen Augenblick von
einer krampfhaften Bewegung erfaßt zu sein und muteten nicht wie
nordische Kraft an; der feurige Süden spiegelte sich in ihnen wieder. Er
war in ein weites asiatisches Kostüm gehüllt. Wie schmutzig und
beschädigt das Porträt auch war, Tschartkow entdeckte in ihm sofort die
Spuren der Arbeit eines großen Künstlers, nachdem es ihm gelungen war,
den Staub vom Gesicht zu entfernen. Das Porträt schien nicht ausgeführt
zu sein, aber die Kraft der Pinselführung war eine überwältigende.
Seltsamer als alles waren jedoch die Augen; der Künstler schien seine
ganze Kraft und seine ganze Sorgfalt auf sie verwandt zu haben. Sie
starrten einen an, blickten geradezu aus dem Porträt heraus und
zerstörten beinahe die ganze Harmonie durch ihre sonderbare
Lebhaftigkeit. Als er das Porträt näher an die Tür gebracht hatte,
blickten ihn die Augen noch stärker an. Fast denselben Eindruck machten
sie auch auf die Umstehenden. Die Frau, die hinter ihm stehen gelieben
war, rief: »Er starrt, er starrt mich an!« und wich zurück. Eine
unangenehme, ihm selbst unbegreifliche Empfindung bemächtigte sich
seiner, und er stellte das Bild auf den Boden.

»Na, meinetwegen nehmen Sie doch das Porträt!« meinte der Ladenbesitzer.

»Und was kostet es?« fragte der Künstler.

»Nun, dafür kann man doch nicht viel verlangen! Geben Sie fünfundsiebzig
Kopeken!«

»Nein.«

»Na, was geben Sie?«

»Zwanzig,« sagte der Maler, indem er sich zum Weggehen anschickte.

»Nein, mit was für einem Preis Sie herausrücken! Mit zwanzig Kopeken ist
ja nicht einmal der Rahmen bezahlt! Sie wollen es wohl morgen kaufen?
Herr Herr, kehren Sie doch zurück! legen Sie wenigstens zehn Kopeken zu.
Nehmen Sie, nehmen Sie es, also gut, geben Sie zwanzig Kopeken.
Wirklich, nur um den Anfang zu machen; nur, weil Sie der erste Käufer
sind.« -- Und dabei führte er mit der Hand eine Geste aus, die zu sagen
schien: »Sei dem, wie ihm sei, mag das Bild verloren gehen!«

So hatte denn Tschartkow ganz unerwartet ein altes Porträt gekauft, und
er dachte sich: »Wozu habe ich es gekauft? wozu brauche ich es?« Aber es
blieb ihm nichts mehr übrig. Er nahm ein Zwanzigkopekenstück aus der
Tasche, gab es dem Ladenbesitzer, nahm das Porträt unter den Arm und
trug es nach Hause. Unterwegs erinnerte er sich daran, daß die zwanzig
Kopeken, die er soeben weggegeben hatte, sein letztes Geld waren. Seine
Gedanken trübten sich mit einem Mal; ein Gefühl des Ärgers und der
gleichgültigen Leere erfaßte ihn im selben Augenblick. »Hol's der
Teufel! Wie scheußlich ist es auf der Welt!« dachte er wie jeder Russe,
dessen Geschäfte nicht blühen. Und fast mechanisch ging er schnellen
Schrittes, voller Verdrossenheit, weiter. Der Schimmer der untergehenden
Sonne tauchte die eine Himmelshälfte in ein tiefes Rot; noch waren die
dieser Seite zugewandten Häuser von ihrem warmen Schein schwach
bestrahlt; aber nach und nach erglänzte immer stärker und stärker der
kühle bläuliche Schein des Mondes. Halbdurchsichtige Schatten von
Häusern und Menschen fielen wie lange Schweife auf die Erde. Voller
Bewunderung blickte der Maler zum Himmel empor, der in einem
durchsichtigen, feinen, unbestimmten Lichte schimmerte, und dabei
entschlüpften seinem Munde die Worte: »Was für ein zarter Ton!« »Wie
ärgerlich! Hol's der Teufel!« Und während er sich das Porträt bequemer
zurechtschob, das fortwährend unter seinem Arme hinunterglitt,
beschleunigte er seine Schritte.

Müde und ganz in Schweiß gebadet, schleppte er sich nach seiner Wohnung
in der 15. Linie auf der Wassilij-Insel, mühsam und keuchend kletterte
er die mit Spülwasser begossenen und von den Spuren von Katzen und
Hunden verunreinigten Treppen hinauf. Er pochte an die Tür; niemand
antwortete, sein Diener war nicht zu Hause. Er lehnte sich auf das
Fensterbrett und entschloß sich, geduldig zu warten, bis er endlich
hinter sich die Schritte eines Burschen in blauem Hemde vernahm: dies
war sein Faktotum und Modell, sein Farbenreiber und Dielenfeger, der den
Fußboden allerdings mit seinen Stiefeln stets wieder zu beschmutzen
pflegte, während er ihn fegte. Der Bursche hieß Nikita und brachte
während der Abwesenheit seines Herren die ganze Zeit vor dem Tore zu.
Nikita gab sich lange Zeit große Mühe, das Schlüsselloch zu finden, das
infolge der Dunkelheit kaum zu sehen war. Endlich wurde die Tür
geöffnet. Tschartkow betrat sein Vorzimmer, das, wie bei den meisten
Künstlern, unerträglich kalt war, ein Umstand, den sie allerdings im
allgemeinen nicht bemerken. Ohne Nikita seinen Mantel zu übergeben,
begab er sich in sein Atelier, einen großen, aber niedrigen
quadratischen Raum mit zugefrorenen Fensterscheiben, der mit allerlei
künstlerischem Plunder, Stücken von Gipshänden, Keilrahmen, angefangenen
und wieder weggeworfenen Skizzen und bunten, auf Tischen und Stühlen
liegenden Draperieen angefüllt war. Er war äußerst müde, legte den
Mantel ab, stellte zerstreut das mitgebrachte Porträt zwischen zwei
andere Bilder und warf sich auf einen schmalen Diwan, von dem man nicht
behaupten konnte, daß er mit Leder bezogen war, denn die Messingknöpfe,
die es einst befestigt hatten, residierten in stolzer Selbständigkeit.
Das Gleiche ließ sich von dem Leder behaupten, sodaß Nikita seine
schwarzen Socken, Hemden und allerlei schmutzige Wäsche darunter
aufbewahren konnte. Nachdem er ein wenig auf ihm gesessen und gelegen,
soweit hier von Liegen die Rede sein konnte, und sich genügend ausgeruht
hatte, fragte er endlich nach einer Kerze.

»Wir haben keine Kerze mehr!« sagte Nikita.

»Weshalb nicht?«

»Es war doch schon gestern keine da,« sagte Nikita. Der Künstler
erinnerte sich in der Tat, daß es auch gestern keine Kerze mehr gab,
beruhigte sich und schwieg still. Er ließ sich auskleiden und zog
hierauf seinen schon arg verschlissenen Schlafrock an.

»Der Wirt ist wieder dagewesen!« fuhr Nikita fort.

»So! Er kam wegen des Geldes!« meinte der Künstler mit wegwerfender
Miene.

»Aber er war nicht allein da,« sagte Nikita.

»Wer denn noch?«

»Ich weiß nicht, wer. Irgend so ein Polizeibeamter.«

»Wozu denn ein Polizeibeamter?«

»Ich weiß nicht, wozu! Er meinte, weil die Wohnung noch nicht bezahlt
ist.«

»Nun, und was soll daraus werden?«

»Ich weiß nicht, was daraus werden soll. Er meinte, wenn er nicht zahlen
will, so soll er doch ausziehen! Sie wollten beide morgen wiederkommen.«

»Mögen sie nur kommen!« sagte Tschartkow mit trauriger Gleichgültigkeit,
und eine melancholische Regenstimmung bemächtigte sich seiner.

Der junge Tschartkow war ein Künstler, dessen Talent zu manchen
Hoffnungen berechtigte. In Augenblicken der Inspiration zeigte sein
Pinsel scharfe Beobachtungsgabe, tiefes Verständnis und einen heißen
Drang, der Natur nahe zu kommen. »Sieh, sieh, Bruder,« sagte ihm mehr
als einmal sein Professor, »du hast Talent. Es wäre eine Sünde, wenn du
es zugrunde richten wolltest. Aber du hast keine Geduld. Irgend etwas
lockt dich, dir gefällt etwas, und du bist gleich davon hingerissen,
alles übrige ist dir dann Quark, hat für dich keinen Wert mehr, du
willst es dir garnicht einmal anschaun ... sieh dich nur vor, daß aus
dir nicht etwa ein moderner Maler wird. Deine Farben sind schon jetzt
etwas zu scharf und zu schreiend; deine Zeichnung ist nicht mehr streng
und manchmal geradezu schwach ... Die Linie verschwimmt, du trachtest
schon nach modernen Beleuchtungseffekten und willst nur das wiedergeben,
was dem ersten besten in die Augen springt. Nimm dich in acht, daß du
nicht etwa in die Manier der Engländer verfällst! ... Gieb acht, die
große Welt beginnt dich bereits zu reizen. Ich habe schon manchmal eine
stutzerhafte Krawatte bei dir bemerkt oder einen gebügelten Hut ... ich
weiß ja, wie verlockend es ist, für Geld Bilder nach dem Geschmack der
Mode zu malen. Aber daran geht ein Talent zugrunde, anstatt daß es ihm
Förderung einträgt. Hab Geduld, beschäftige dich sorgfältig mit jeder
Arbeit, laß ab vom Dandytum ... Mögen doch andere dem Gelde nachjagen
... dein Vermögen wird dir trotzdem nicht entgehen.«

Der Professor hatte zum Teil recht. Manchmal mochte unser Maler in der
Tat etwas über die Stränge schlagen, es den Gecken gleichtun, mit einem
Wort: zeigen, daß auch er eigentlich noch recht jung war. Aber bei
alledem verstand er es auch, sich zu zügeln. Bisweilen konnte er, wenn
er an seine Arbeit gegangen war, alles vergessen, und er riß sich nicht
anders von ihr los als wie von einem herrlichen Traume. Sein Geschmack
wurde immer subtiler; noch erfaßte er nicht die ganze Tiefe Raffaels,
doch wurde er von der raschen, breiten Pinselführung Guidos hingerissen,
er blieb vor den Porträts Tizians stehen und begeisterte sich an der
vlämischen Schule. Noch war der dunkle Schleier, der die alten Bilder
verhüllt, nicht ganz vor ihm geschwunden, aber schon vermochte er ihn
hin und wieder mit seinem Blicke zu durchdringen, obgleich er dem
Professor innerlich nicht beistimmte, daß die alten Meister für uns so
durchaus unerreichbar wären. Ihm schien es sogar, daß das neunzehnte
Jahrhundert sie in mancher Beziehung bedeutend überholt hätte, daß die
Nachbildung der Natur recht häufig intensiver, lebendiger, treuer
geworden war, kurz, er dachte in diesem Falle genau so wie gewöhnlich
die Jugend denkt, die schon einiges zu verstehen beginnt und es mit
Stolz und Selbstbewußtsein empfindet. Manchmal wurde er ärgerlich, wenn
er sah, wie ein zugereister Maler, ein Franzose oder etwa ein Deutscher,
der oft genug garnicht einmal ein Maler von Beruf war, nur durch
gewohnheitsmäßige Routine, flotte Pinselführung und schreiende Farben
allgemeines Aufsehen erregte und sich in einem Augenblick ein ganzes
Kapital erwarb. Solche Gedanken kamen ihm, nicht wenn er, ganz von
seiner Arbeit absorbiert, Essen, Trinken und die ganze Welt vergaß,
sondern nur dann, wenn die Not ihn zu arg bedrängte, wenn er keine
Kopeke mehr hatte, um sich Pinsel und Farben zu kaufen und wenn der
aufdringliche Wirt zehnmal am Tage kam, um die Miete für die Wohnung von
ihm zu verlangen. Dann malte sich wohl in seiner hungrigen Phantasie in
angenehmem Lichte das Leben eines reichen Malers, dann spielte er sogar
mit dem Gedanken, der so oft das Hirn eines Russen überfällt, alles im
Stich zu lassen und sich aus Gram und allem zum Trotz dem Trunk zu
ergeben. Und nun war er wieder einmal in einer solchen Lage.

»Ja, hab Geduld, hab nur Geduld!« wiederholte er verdrießlich; »aber
schließlich hat auch die Geduld ihr Ende. Hab Geduld, und womit soll ich
denn eigentlich morgen das Mittagsessen bezahlen? Stunden wird es mir
niemand, und wenn ich auch alle meine Bilder und Zeichnungen verkaufen
wollte, so würde man mir doch für sie alle zusammen noch keine zwanzig
Kopeken geben. Sie sind mir wohl von Nutzen gewesen, gewiß, ich fühle
es! An keinem von ihnen habe ich umsonst gearbeitet; aus jedem habe ich
etwas gelernt. Aber was frommt mir das? Es sind Skizzen, Versuche ...
und das werden sie immer bleiben, immer nur Skizzen, Versuche ... Und
wer, der nicht zufällig meinen Namen kennt, wird sie denn kaufen mögen?
Wer bedarf denn eigentlich dieser Zeichnungen nach der Antike, dieser
Naturstudien oder gar meiner unbeendigten »Psyche«? Wen interessiert
dieser Ausblick aus meinem Zimmer oder das Porträt meines Nikita, wenn
es auch wirklich besser ist, als die Arbeiten irgend eines Modemalers?
Und weshalb das alles? Weshalb quäle ich mich ab und plage ich mich, wie
ein Schüler mit dem Abc, wo ich doch nicht weniger berühmt sein, als die
andern und gleich ihnen Geld verdienen könnte.«

Bei diesen Worten zitterte und erblaßte der Maler plötzlich. Ein
krampfhaft verzerrtes Gesicht starrte ihn von der Leinwand her -- sich
weit vorbeugend -- an; zwei schreckliche Augen richteten sich auf ihn,
als ob sie ihn verzehren wollten. Die Lippen schienen ihn bedeuten zu
wollen, er solle schweigen. Erschrocken wollte er aufschreien und Nikita
rufen, der bereits in seinem Vorzimmer schnarchte wie ein zweiter
Polyphem. Aber plötzlich blieb er stehen und lachte. Das Gefühl der
Angst verließ ihn einen Augenblick; es war das von ihm gekaufte Porträt,
das er ganz vergessen hatte. Der Mondschein, in den das ganze Zimmer
getaucht war, beleuchtete auch das Bild und teilte ihm eine sonderbare
Lebendigkeit mit. Er fing an, es zu betrachten und zu reinigen. Er
benetzte einen Schwamm mit Wasser, fuhr einige Mal mit ihm über die
Fläche, wusch den dicken und fest an ihm klebenden Staub und Schmutz
herunter, hängte es vor sich an die Wand hin und war über dieses
ungewöhnliche Werk noch mehr erstaunt als vorher. Das ganze Gesicht
schien Leben zu bekommen und die Augen blickten ihn so an, daß er
erzitterte, zurückwich und ganz verdutzt sagte: »Er sieht mich an, er
blickt mich mit Menschenaugen an!« Tschartkow mußte plötzlich an eine
Geschichte denken, die er einmal von seinem Professor über ein Bildnis
des berühmten Lionardo da Vinci gehört hatte, jenes Bildnis, das der
große Meister, trotzdem er mehrere Jahre daran gearbeitet hatte, doch
noch immer für unvollendet ausgab, und das nach Vasaris Worten dennoch
von allen für das vollkommenste und vollendetste Kunstwerk erklärt
wurde. Am hervorragendsten waren daran die Augen, die in höchstem Maße
die Bewunderung aller Zeitgenossen hervorriefen. Selbst die winzigsten,
kaum sichtbaren Äderchen waren berücksichtigt und auf die Leinwand
gebannt, aber hier, bei diesem jetzt vor ihm hängenden Porträt, war es
noch sonderbarer. Das war keine Kunst mehr; es störte sogar die Harmonie
des Bildes. Das waren lebendige, menschliche Augen. Es schien, als wären
sie einem lebenden Antlitze entnommen und in dieses Bildnis eingesetzt.
Das hatte nichts mehr mit jenem hohen Genuß zu tun, den die Seele
angesichts eines Kunstwerkes empfindet, wie entsetzlich auch der
dargestellte Gegenstand sein mag. Des Beschauers bemächtigte sich
vielmehr nur ein krankhaftes quälendes Gefühl.

»Was ist das?« fragte sich der Künstler unwillkürlich. »Das ist doch in
der Tat Natur, lebendige Natur! Woher also dieses seltsame, unangenehme
Gefühl? Oder wäre die sklavische, peinliche Naturnachahmung an sich
schon ein Vergehen, wirkte sie wie ein greller unharmonischer Ton? Oder
erscheint der Gegenstand, wenn man gefühllos, gleichgültig, ohne innere
Anteilnahme an ihn herantritt, stets nur in seiner abschreckenden
Wirklichkeit -- ohne jenen Glanz eines gewissen, unbegreiflichen,
überall verborgenen Gedankens? -- in jener Wirklichkeit, die sich
offenbart, wenn wir uns, mit einem anatomischen Messer bewaffnet, einem
Menschen nahn, in der Erwartung, etwas Herrliches zu schaun, sein
Inneres bloßlegen und eines Ungeheuers gewahr werden? Warum erscheint
denn die einfache gemeine Natur bei einem Künstler in einer gewissen
Verklärung -- und man erhält keinen gemeinen Eindruck? Im Gegenteil! es
scheint einem, als hätte man einen großen Genuß gehabt, und alles fließt
und bewegt sich ruhiger und gleichmäßiger um einen herum. Und warum
erscheint ebendieselbe Natur bei einem anderen Künstler niedrig und
schmutzig, während doch auch er der Natur treu blieb? Es fehlt ihm eben
das Etwas, das sie verklärt. Ganz wie eine Landschaft, so herrlich sie
auch sein mag, doch unvollkommen erscheint, wenn kein Sonnenstrahl sie
erleuchtet.«

Er näherte sich aufs neue dem Porträt, um diese wunderbaren Augen zu
betrachten, und sah wieder mit Entsetzen, daß sie ihn wirklich
anstarrten. Das war keine Kopie nach der Natur mehr, das war jene
entsetzliche Lebhaftigkeit die dem Gesicht eines dem Grabe entstiegenen
Toten Leben gegeben hätte. War es der Mondschein, der Wahngebilde und
Träume mit sich brachte und jedem Ding eine andre Form verlieh als das
nüchterne positive Tageslicht? Oder war etwas anderes die Ursache? Es
wurde ihm -- er wußte selbst nicht warum -- ängstlich und bang zumute,
er fürchtete sich, allein im Zimmer zu bleiben. Er trat leise vom
Porträt zurück, wandte sich nach der andern Seite und bemühte sich, es
nicht anzublicken; inzwischen aber schielte sein Auge dennoch ganz wie
von selbst unwillkürlich nach ihm hin. Schließlich verursachte ihm sogar
die Regelmäßigkeit, mit der er das Zimmer durchmaß, Unruhe. Es war ihm,
als folgte ihm immer jemand, und jedesmal sah er sich scheu um. Jede
Feigheit lag ihm fern, aber seine Einbildungskraft und seine Nerven
waren sehr feinfühlig, und an diesem Abend konnte er sich seine
instinktive Furcht selbst nicht erklären. Er setzte sich in eine Ecke,
aber auch hier hatte er das Gefühl, als werde ihm gleich jemand über die
Achsel in das Gesicht schaun. Selbst Nikitas Schnarchen, das aus dem
Vorzimmer herüberdrang, vermochte nicht, seine Angst zu verscheuchen.
Endlich erhob er sich zaghaft, ohne die Augen zu erheben, von seinem
Platze, begab sich hinter die spanische Wand und legte sich in sein
Bett. Durch eine Spalte sah er das vom Monde bestrahlte Zimmer und das
ihm gerade gegenüber an der Wand hängende Porträt. Noch bedeutsamer
heftete es jetzt die Blicke auf Tschartkow, als suchte es niemand anders
als ihn. Voller Unruhe entschloß er sich, sein Lager zu verlassen, er
ergriff ein Laken, trat an das Porträt heran und hüllte es in das
Betttuch ein.

Nachdem er dies getan hatte, legte er sich ruhig wieder zu Bett und
begann über die Armut, über das erbärmliche Schicksal des Künstlers,
über den Dornenweg, der ihn in dieser Welt erwartet, nachzudenken,
unterdessen aber blickten seine Augen unwillkürlich durch die Spalte der
spanischen Wand nach dem vom Betttuch verhüllten Porträt. Der
Mondenschein ließ das Weiß des Lakens noch heller erscheinen, und es kam
Tschartkow so vor, als schimmerten die schrecklichen Augen schon durch
das Leinentuch hindurch. Furchtsam starrte er hin, als wollte er sich
davon überzeugen, daß es sich um eine Illusion handelte. Aber jetzt ...
tatsächlich ... jetzt steht es vor ihm ... er sieht es, sieht es ganz
klar. Das Laken ist nicht mehr vorhanden. Das Porträt steht ganz frei da
und schaut ihn über alles hinweg unverwandt an, späht geradezu in sein
Inneres hinein. Es wurde ihm kalt ums Herz, ... doch da sieht er mit
einem Male, wie der Greis sich bewegt, sich plötzlich mit beiden Händen
auf den Rahmen stützt, sich emporreckt und beide Beine herausstreckend,
aus dem Rahmen springt. Durch den Spalt des Bettschirmes war nur noch
ein leerer Rahmen wahrzunehmen. Die Schritte hallten im Zimmer wider und
näherten sich immer mehr dem Schirme. Das Herz des armen Künstlers
begann stärker zu pochen. Während er vor Angst kaum zu atmen wagte,
schien er darauf gefaßt zu sein, daß der Greis gleich den Kopf nach ihm
hinter den Schirm strecken würde. Und in der Tat, jetzt beugte sich sein
bronzefarbenes Antlitz mit den großen rollenden Augen über ihn.
Tschartkow versuchte voller Qual aufzuschrein, bemerkte jedoch, daß ihm
der Ton in der Kehle stecken blieb; er versuchte sich zu rühren, irgend
eine Bewegung auszuführen. Jedoch die Glieder versagten ihren Dienst.
Mit offenem Munde und stockendem Atem betrachtete er dieses furchtbare,
hochgewachsene, in ein weites asiatisches Gewand gehüllte Phantom und
wartete ab, was es tun würde. Der Greis ließ sich am Fußende des Lagers
nieder und zog etwas aus den Falten seines Kleides hervor. Es war ein
Geldbeutel. Er schnürte ihn auf, packte ihn an den beiden Endzipfeln,
schüttelte ihn ... und mit dumpfem Geräusch fielen schwere Rollen, die
wie längliche Säulchen aussahen, auf den Boden; jede war in blaues
Papier eingeschlagen und trug die Aufschrift: »Tausend Dukaten«. Seine
langen knochigen Finger aus den weiten Ärmeln herausstreckend, begann
der Alte, die Rollen zu öffnen, aus denen ihm das Gold entgegenglänzte.
Mit wie tödlicher Qual auch der Alpdruck auf dem Künstler lastete, er
war doch von dem Anblicke des Goldes ganz hingerissen und beobachtete
unverwandt, wie die knochigen Hände es aufrollten, wie es glänzte, fern
und dumpf klirrte und wie der Alte es dann wieder einhüllte. Plötzlich
bemerkte er eine Rolle, die abseits von den anderen unter sein Bett
gefallen war; fast krampfhaft ergriff er sie und spähte voller Furcht
danach, ob sie der Alte nicht etwa vermißte. Der Greis schien jedoch
sehr beschäftigt zu sein. Er suchte alle seine Rollen zusammen, legte
sie wieder in den Beutel und trat, ohne ihn zu beachten, hinter der
spanischen Wand hervor. Tschartkows Herz schlug heftig, als er hörte,
wie sich die Schritte im Zimmer immer mehr und mehr von ihm entfernten.
Er umschloß die Rolle in seiner Hand mit kräftigerem Drucke und
erzitterte am ganzen Körper, als er plötzlich vernahm, wie sich die
Schritte wieder dem Schirme näherten. Offenbar war der Alte gewahr
geworden, daß ihm eine Rolle fehlte, und so spähte er denn auch zu ihm
hinter die Wand. Voller Verzweiflung hielt der Künstler die Rolle
krampfhaft in seiner Hand fest, machte eine ungeheure Anstrengung, sich
zu bewegen, schrie auf und erwachte.

Kalter Schweiß bedeckte ihn am ganzen Körper. Sein Herz schlug so stark,
wie es nur schlagen konnte. Die Brust war wie eingeschnürt, wie wenn sie
den letzten Atemzug getan hätte. »War es denn wirklich ein Traum?« sagte
er, indem er sich mit beiden Händen an den Kopf faßte. Aber die
furchtbare Lebhaftigkeit der Erscheinung widersprach dieser Annahme.
Hatte er doch, nachdem er bereits erwacht war, gesehen, wie der Alte in
den Rahmen hineinschlüpfte; sogar ein Zipfel seines weiten Gewandes
flatterte noch vor ihm her, und seine Hand spürte deutlich, daß sie noch
vor einer Minute irgend einen schweren Gegenstand gehalten hatte. Der
Mondschein überflutete das Zimmer und ließ bald eine Staffelei, bald
eine fertige Haube, bald eine auf dem Stuhl vergessene Draperie, bald
ein Paar ungeputzte Stiefel in den finsteren Ecken hervortreten. Erst
jetzt bemerkte Tschartkow, daß er nicht im Bette lag, sondern dicht vor
dem Porträt auf seinen beiden Beinen stand. Wie er hierhin gelangt war,
das konnte er sich auf keine Weise erklären. Noch mehr aber setzte ihn
der Umstand in Erstaunen, daß das Porträt unverhüllt war -- das Laken
fehlte tatsächlich! -- Regungslos und voller Angst starrte er es an und
sah, wie sich zwei lebendige, menschliche Augen unverwandt auf ihn
richteten. Kalter Schweiß bedeckte sein Antlitz. Er wollte fliehen,
fühlte aber, daß seine Füße wie angewurzelt waren. Und nun sieht er --
es ist kein Traum! -- wie die Züge des Greises Bewegung gewinnen und
seine Lippen sich ihm entgegenspitzen, als wollten sie sich an ihn
festsaugen. Mit einem Schrei der Verzweiflung sprang er zurück und
erwachte.

»War auch das nur ein Traum?« fragte er sich und tastete mit den Händen
um sich, während sein Herz zum Zerspringen klopfte. Ja, er lag noch
genau in jener Lage, in der er eingeschlafen war, auf dem Bett. Vor ihm
stand der Schirm, das Zimmer war vom Mondschein erfüllt, und durch den
Spalt der spanischen Wand konnte er noch das sorgfältig mit dem Laken
verhüllte Porträt sehen, genau so, wie er es selbst verhüllt hatte.
Folglich hatte er wieder geträumt; aber die geballte Faust hatte noch
immer die Empfindung, daß sie irgend etwas umschlossen hielt. Sein Herz
klopfte stark und schrecklich. Das Gefühl, als lastete etwas auf seiner
Brust, war unerträglich. Er spähte durch den Spalt und betrachtete
unverwandt das Laken. Und nun sieht er klar und deutlich, wie dieses
allmählich heruntergleitet, als ob sich zwei Hände unter ihm bewegten
und sich bemühten, es abzustreifen. »Herr Gott, was ist denn das?« rief
er voller Verzweiflung, bekreuzigte sich und erwachte.

War auch dies ein Traum? Er sprang halb wahnsinnig, besinnungslos aus
dem Bett, unfähig, zu begreifen, was denn eigentlich mit ihm geschehen
war: ob ein Alpdrücken oder ein Spuk, ein Fieberwahn oder eine lebendige
Erscheinung ihn gequält hatte. In der Absicht, die seelische Erregung
und das stürmende Blut, das heftig durch all seine Adern rollte, zu
stillen, trat er ans Fenster und öffnete es halb. Ein kalter Windstoß
von außen her brachte ihn wieder zu sich. Der Mond bestrahlte noch immer
die Dächer und die weißen Mauern, wenn auch jetzt hin und wieder kleine
Wölkchen über den Himmel glitten. Alles war still. Nur selten drang das
ferne Rasseln einer Mietsdroschke an das Ohr, deren Kutscher, in
Erwartung eines verspäteten Fahrgastes, von seiner faulen Mähre
eingewiegt, in irgend einer versteckten Gasse schlummerte. Lange schaute
Tschartkow zum Fenster hinaus. Schon zeigten sich am Himmel die
Anzeichen der nahenden Morgenröte; endlich fühlte er das Bedürfnis zu
schlafen, er schlug das Fenster zu, entfernte sich, legte sich ins Bett
und schlief bald fest ein wie ein Toter.

Er erwachte sehr spät und hatte jenes unangenehme Gefühl, das einen
Menschen nach einer Kohlendunstvergiftung überfällt. Sein Kopf schmerzte
ihn heftig. Im Zimmer war es trübe; eine unangenehme Feuchtigkeit
erfüllte die Luft und drang durch die Spalten seiner Fenster, die mit
Bildern oder grundierten Keilrahmen verstellt waren. Mürrisch und
unzufrieden wie ein begossener Hahn setzte er sich auf seinen
verschlissenen Diwan, ohne zu wissen, was er beginnen, was er tun
sollte, und überdachte schließlich seinen ganzen Traum. Dabei wirkte
dieser in der Erinnerung so stark auf ihn, daß er sich sogar dem Argwohn
hingab, vielleicht hätte ihn doch nicht nur ein einfacher Traum oder
eine Wahnidee heimgesucht, sondern irgend etwas anderes, -- etwa eine
Vision. Er schob das Laken zurück und betrachtete nun dieses
schreckliche Porträt beim hellen Tageslicht. Die Augen wirkten in der
Tat durch ihr ungewöhnliches Feuer ganz erstaunlich; und doch konnte er
nichts Schreckliches an ihnen entdecken, nur blieb in seiner Seele eine
unbestimmte, unerklärliche, peinigende Empfindung zurück. Trotzdem aber
wollte er nicht recht daran glauben, daß es lediglich ein Traum gewesen
war. Es schien ihm, als enthielte seine Vision ein entsetzliches
Bruchstück der Wirklichkeit. Er hatte das Gefühl, als ob ein Etwas im
Blick und im Gesichtsausdruck des Greises ihm zuflüsterte, daß er diese
Nacht bei ihm gewesen sei. Seine Hand empfand noch den Druck, wie wenn
eine andere sich erst kurz vorher von ihr losgerissen hätte, und er kam
zur Überzeugung, daß die Rolle auch nach dem Erwachen noch in seiner
Hand gewesen wäre, wenn er sie nur fester gehalten hätte.

»Herrgott! wenn mir doch nur ein Teil dieses Geldes gehörte!« sagte er,
indem er tief aufseufzte, und er glaubte zu sehen, wie alle Rollen mit
der verlockenden Aufschrift »Tausend Dukaten«, die er im Traum erblickt
hatte, aus dem Beutel herausfielen. Sie öffneten sich, das Gold glänzte
und funkelte vor seinen Augen und wurde dann wieder eingewickelt, er
aber verharrte unbeweglich und wie von Sinnen, in die leere Luft
starrend, völlig unfähig, sich von diesem Gegenstande loszureißen, wie
ein Kind, das vor einer süßen Speise sitzt und, während ihm das Wasser
im Munde zusammenläuft, zusehen muß, wie sie von anderen verzehrt wird.

Da wurde plötzlich heftig an die Tür gepocht, was ihn wieder auf
unangenehme Weise in die Wirklichkeit zurückversetzte. Der Wirt trat
ein, und mit ihm der Polizeikommissar, dessen Erscheinen auf kleine
Leute bekanntlich noch widerwärtiger wirkt als das Gesicht eines
Bettlers auf einen Reichen. Der Wirt des kleinen Hauses, in dem
Tschartkow lebte, war eins jener Wesen, die irgendwo in der 15. Linie
der Wassilij-Insel, im Petersburger Viertel oder in einer entfernteren
Ecke von Kolomna ein Häuschen besitzen -- ein Geschöpf, deren es in
Rußland noch viele gibt und deren Charakter ebenso schwer zu bestimmen
ist, wie die Farbe eines abgetragenen Rockes. In seiner Jugend war er
Hauptmann der Infanterie und ein rechter Bramarbas gewesen, war aber
auch in Zivilangelegenheiten verwandt worden: ein Meister im Prügeln,
behend, geckenhaft und dumm; nun aber, wo er alt geworden war,
vereinigten sich alle diese hervorstechenden Eigenheiten zu einer
gewissen undeutlichen Verschwommenheit. Jetzt war er Witwer und hatte
schon seinen Abschied genommen; daher vernachlässigte er sein Äußeres,
er prahlte nicht mehr so unverschämt, war nicht mehr so arrogant und
liebte es nur, Tee zu trinken und dabei allerlei Unsinn
zusammenzuschwatzen; er ging beständig im Zimmer auf und ab, putzte die
Talgkerze, besuchte pünktlich nach Ablauf jedes Monats seine Mieter
wegen des Mietzinses, trat öfters mit dem Schlüssel in der Hand auf die
Straße hinaus, um einen Blick auf das Dach seines Hauses zu werfen, und
vertrieb seinen Portier beständig aus seiner Kammer, in der dieser
gewöhnlich sein Lager aufschlug: mit einem Wort, es war einfach ein Mann
im Ruhestande, der nach einem langen liederlichen Leben, währenddessen
er so oft strapaziöse Reisen in Postkutschen machen mußte, nichts
zurückbehalten hatte als ein paar platte Gewohnheiten.

»Sehen Sie doch selbst, Waruch Kusmitsch!« meinte der Wirt, indem er
sich an den Polizeikommissar wandte und mit den Armen eine bezeichnende
Geste vollführte; »er bezahlt die Wohnung nicht, er zahlt nun einmal
nicht!«

»Was soll ich denn machen, wenn ich kein Geld habe? Warten Sie doch nur,
ich werde schon bezahlen!«

»Ich kann nicht warten, Väterchen,« erwiderte der Wirt heftig und
klopfte mit dem Schlüssel, den er in der Hand hielt, auf den Tisch. »Der
Oberstleutnant Potogonkin wohnt schon sieben Jahre lang in meinem Hause;
Anna Petrowna Buchmisterowa hat mir eine Scheune und einen Stall für
zwei Pferde abgemietet: eine Frau, die drei Dienstboten hat! Da sehen
Sie, was für Mieter ich habe. Offengestanden, bei mir ist es nicht
Sitte, daß man mir den Zins schuldig bleibt. Wollen Sie sofort das Geld
bezahlen und dann die Wohnung räumen.«

»Ja, wenn Sie sich dazu verpflichtet haben, dann müssen Sie auch
zahlen,« meinte der Polizeikommissar, indem er leicht den Kopf
schüttelte und den Zeigefinger zwischen zwei Knöpfe seines Uniformrockes
steckte.

»Aber womit soll ich denn bezahlen? Das ist doch eben die Frage. Ich
verfüge jetzt noch nicht über einen Pfennig.«

»In diesem Falle müssen Sie Iwan Iwanowitsch durch die Erzeugnisse Ihrer
Kunst sicherstellen,« meinte der Kommissar. »Er wird vielleicht damit
einverstanden sein, sich die Miete in Bildern bezahlen zu lassen.«

»Nein, Väterchen, ich danke schön für die Bilder! Wären es noch Gemälde
von vornehmem Inhalt, so daß man sie an die Wand hängen könnte, ... etwa
ein General mit einem Stern, oder ein Porträt des Fürsten Kutusow! Aber
da malt er sich hier einen Bauern im Hemde hin, seinen Diener, der ihm
die Farben reibt! Noch ein Bild von dem Schwein zu malen! Ich werde ihm
den Buckel vollhauen! Er hat mir alle Nägel aus den Riegeln
herausgezogen. Dieser Schuft! Sehen Sie nur, was für Gegenstände er sich
wählt. Da malt er sein Zimmer! Hätte er noch wenigstens eine saubere,
aufgeräumte Stube genommen! Aber wie das hier gemalt ist! Mit dem ganzen
Schmutz und Dreck, der überall herumliegt! Sehen Sie mal, wie er mir das
Zimmer versaut hat! Wollen Sie doch selbst sehen. Bei mir wohnen die
Mieter sieben Jahre lang, ein Oberst und Frau Buchmisterowa, Anna
Petrowna ... Wahrhaftig, ich muß Ihnen gestehen, es gibt keinen
schlimmeren Mieter als einen Maler ... Der lebt wie ein Schwein! ...
Einfach wie ein ..., Gott soll mich davor bewahren!«

Und dies alles mußte der arme Maler geduldig anhören. Der
Polizeikommissar beschäftigte sich inzwischen mit der Prüfung der Bilder
und Skizzen und bekundete hierbei, daß er eine lebendigere Seele hatte
als der Wirt, und sogar für künstlerische Eindrücke nicht ganz
unempfänglich war.

»He,« sagte er, während er mit dem Finger gegen eine Leinwand klopfte,
auf der ein nacktes Frauenzimmer dargestellt war, »dieser Gegenstand ist
ja recht pikant, ... und dieser Kerl hier, weshalb ist denn der so
schwarz unter der Nase? Hat er sich etwa mit Tabak beschmutzt? Wie?«

»Das ist ein Schatten!« antwortete Tschartkow herb und ohne ihn
anzusehen.

»Nun, den könnte man auch wo anders hinsetzen! Unter der Nase fällt es
doch gar zu sehr auf,« sagte der Kommissar. »Und wessen Porträt ist dies
hier?« fuhr er fort, indem er sich dem Bilde des Greises näherte. »Der
ist ja entsetzlich! War er denn wirklich so schrecklich? Mein Gott, der
starrt einen ja geradezu an! Sieh einmal, was für Blitze der schleudert!
Wer hat Ihnen denn dazu Modell gesessen?«

»Ach, das ist ein ...,« sagte Tschartkow, doch er sprach den Satz nicht
zu Ende.

Man vernahm ein Krachen ... Der Kommissar hatte offenbar infolge des
ungeschlachten Baues seiner polizeilichen Hände den Rahmen des Bildes zu
fest angepackt. Die Leisten an der Seite waren eingedrückt, die eine
fiel auf den Boden, und mit ihr flog klirrend eine in blaues Papier
gehüllte Rolle heraus. Die Aufschrift »Tausend Dukaten« sprang
Tschartkow in die Augen. Wie wahnsinnig stürzte er herbei, um sie
aufzuheben, ergriff die Rolle und umschloß sie krampfhaft mit einer
Hand, die sich mit der schweren Last herabsenkte.

»Es klang doch hier wie Geld!« sagte der Kommissar, der etwas Klirrendes
hatte auf den Boden fallen hören und den die Schnelligkeit, mit der
Tschartkow herbeistürzte, daran hinderte, genau zu erkennen, was es war.

»Und was geht Sie das an? Was brauchen Sie zu wissen, was ich hier
habe?«

»Das geht mich deshalb was an, weil Sie dem Wirt sofort die Miete zahlen
müssen! Weil Sie Geld haben, aber nichts zahlen wollen!«

»Also gut, ich werde ihn heute bezahlen!«

»Warum wollten Sie dann aber nicht schon früher bezahlen? Wozu mußten
Sie den Wirt beunruhigen und die Polizei belästigen?«

»Weil ich dieses Geld nicht angreifen möchte! Ich werde ihm heute abend
alles bezahlen und sofort die Wohnung räumen, weil ich bei einem solchen
Wirte nicht mehr bleiben will.«

»Nun also, Iwan Iwanowitsch, er wird Ihnen alles bezahlen,« sagte der
Kommissar, sich an den Wirt wendend. »Wenn es sich jedoch herausstellt,
daß Sie heute abend nicht gebührend befriedigt werden, dann sollte es
mir sehr leid tun, Herr Maler!«

Sprach's, setzte seinen Dreispitz auf und ging zum Flur hinaus. Der Wirt
folgte ihm mit gesenktem Kopf und anscheinend etwas nachdenklich auf dem
Fuße.

»Gott sei Dank, der Teufel hat sie geholt!« sagte Tschartkow, als er
hörte, daß die Tür des Vorzimmers sich hinter ihnen geschlossen hatte.
Er warf noch einen Blick in den Flur, schickte Nikita fort, um ganz
allein zu bleiben, schloß die Tür hinter ihm ab und begann, nachdem er
wieder in sein Zimmer zurückgekehrt war, unter heftigem Herzklopfen die
Rolle zu öffnen. Wahrhaftig! sie enthielt lauter glänzende Dukaten, die
alle ohne Ausnahme neu geprägt waren und wie Feuer funkelten! -- Wie
wahnsinnig hockte er über dem Goldhaufen und fragte sich immer und immer
wieder: »Ist das alles nicht doch nur ein Traum?« Die Rolle enthielt
genau tausend Goldstücke. Äußerlich glichen sie völlig denen, die er im
Traum gesehen hatte. Einige Minuten wühlte er prüfend in ihnen herum und
konnte sich noch immer nicht beruhigen. In seiner Phantasie lebten
plötzlich alle Geschichten von Schätzen und Schatullen mit Geheimfächern
auf, die vorsorgliche Ahnen ihren Enkeln in der sicheren Voraussicht
ihres zukünftigen Ruins hinterlassen hatten. Er dachte sich: »Vielleicht
hatte auch in diesem Falle irgend ein Großvater den Einfall, seinem
Enkel ein Geschenk zu hinterlassen, indem er es in dem Rahmen eines
Familienporträts verbarg.« Voll von romantischen Vorstellungen fing er
sogar an, darüber nachzudenken, ob nicht etwa zwischen diesem Vorfall
und seinem Schicksale irgend eine geheime Verbindung bestände, ob nicht
gar dieses Porträt irgendwie mit seinem Leben verknüpft wäre, und ob es
nicht von einer geheimnisvollen Macht vorausbestimmt gewesen sei, daß er
es erwerben sollte. Neugierig betrachtete er den Rahmen des Porträts. An
einer Seite war eine Rinne ausgehöhlt, die so geschickt und unmerklich
von einem Brettchen verdeckt wurde, daß die Dukaten hier bis in alle
Ewigkeit ungestört verblieben wären, hätte nicht die gründliche Hand des
Polizeikommissars dort einen Einbruch verübt. Er betrachtete das Porträt
und bewunderte immer wieder die vollkommene Arbeit und die ungewöhnliche
Zeichnung der Augen. Jetzt kamen sie ihm gar nicht mehr schrecklich vor,
ließen jedoch noch immer ein unangenehmes Gefühl in seinem Innern
zurück. »Nein,« sagte er zu sich selbst, »wessen Großvater du auch sein
magst, ich werde dich doch mit Glas bedecken und dir einen goldenen
Rahmen anfertigen lassen.« Hierbei ließ er die Hand auf den vor ihm
liegenden Goldhaufen fallen und sein Herz begann infolge dieser
Berührung heftig zu pochen. »Was nun tun?« dachte er, während er die
Blicke auf das Geld richtete. »Jetzt bin ich mindestens für drei Jahre
gesichert, ich kann mich in meiner Mansarde einschließen und arbeiten.
Jetzt habe ich Geld genug für Farben, Essen, Trinken, Tee, und für die
sonstigen Lebensbedürfnisse sowie für die Wohnung. Stören und belästigen
wird mich jetzt niemand mehr. Ich werde mir eine vorzügliche
Gliederpuppe kaufen, werde mir einen Gipstorso bestellen, werde mir Füße
modellieren lassen, eine Venus aufstellen, Stiche nach den besten
Bildern anschaffen, und, wenn ich dann diese drei Jahre für mich allein
ohne Übereilung und ohne an den Verkauf zu denken, arbeite, überhole ich
alle meine Kollegen und kann ein tüchtiger Künstler werden.«

So sprach er im Einklang mit der Vernunft, die ihm diesen guten Vorsatz
eingab. Aber aus seinem Inneren ertönte eine andere Stimme vernehmlicher
und klangvoller, und als er noch einmal auf das Gold blickte, da
erwachten ganz andere Gefühle in ihm: die Bedürfnisse seiner
zweiundzwanzig Jahre, die Sehnsucht einer stürmenden Jugend! Jetzt war
alles in seiner Macht, was er bisher nur mit neiderfüllten Augen
angeschaut, was er nur von der Ferne bewundert hatte, während ihm das
Wasser im Munde zusammenlief. Hei, wie ihm das Herz zu pochen begann,
als er nur daran dachte, sich einen modernen Frack anzuziehn, nach dem
langen Fasten endlich einmal über die Stränge zu schlagen, sich eine
schöne Wohnung zu mieten und sich sogleich ins Theater und in eine
Konditorei zu begeben. Er steckte das Geld in die Tasche und trat auf
die Straße hinaus.

Vor allem ging er zum Schneider, ließ sich vom Kopf bis zu den Füßen neu
einkleiden, wobei er sich unaufhörlich wie ein Kind anstaunte, kaufte
Parfüms und Pomade, mietete sich -- ohne lange zu handeln -- eine
vornehme Wohnung auf dem Newski-Prospekt mit Spiegeln und großen
Fensterscheiben, erstand ebenfalls, ohne sich zu besinnen in einem Laden
eine teure Lorgnette und eine Unmenge von Krawatten, -- weit mehr als er
überhaupt nötig hatte --, ließ sich von einem Friseur die Locken
kräuseln, fuhr zweimal in einer eleganten Equipage ohne jeden Zweck
durch die Stadt, aß sich in einer Konditorei an Konfitüren satt, und
ging dann ins Restaurant »Zum Franzosen«, von dem er bis jetzt nicht
mehr Ahnung hatte als von dem Reiche der Mitte. Dort speiste er stolz
wie ein Spanier, warf hochmütige Blicke auf seine Mitgäste und strich
sich vor dem Spiegel unaufhörlich die gebrannten Locken zurecht; er
trank sogar eine Flasche Champagner, den er bis dahin ebenfalls nur vom
Hörensagen kannte. Der Wein benebelte sein Hirn ein wenig, und so trat
er denn animiert, angeheitert und keck oder wie man in Rußland zu sagen
pflegt: »Selbst dem Teufel kein Bruder!« auf die Straße. Wie ein Geck
spazierte er den Bürgersteig entlang und warf nachlässige Blicke durch
seine Lorgnette auf die Passanten; auf der Brücke gewahrte er seinen
früheren Professor und huschte keck an ihm vorbei, als hätte er ihn gar
nicht bemerkt, so daß der verdutzte Professor noch lange unbeweglich
stehen blieb wie ein personifiziertes Fragezeichen ...

Alle seine Sachen und alles, was er noch besaß, die Staffelei, die
Bilder, die Leinewand, hatte er noch am selben Abend in seine
prachtvolle Wohnung bringen lassen; das Bessere stellte er an
exponierten Stellen auf, das Minderwertige warf er in die Ecke; dann
schritt er in den glänzenden Zimmern auf und ab wie ein Pfau, wobei er
sich unaufhörlich im Spiegel betrachtete. In seiner Seele erwachte
sofort das unüberwindliche Verlangen, den Ruhm bei den Haaren zu packen
und sich der ganzen Welt zu zeigen. Schon war es ihm, als hörte er Rufe
wie die folgenden: »Tschartkow! Tschartkow! Haben Sie das Bild von
Tschartkow gesehen? Über was für eine rasche Pinselführung doch der
Tschartkow verfügt! Was für ein mächtiges Talent dieser Tschartkow
besitzt!« Verträumt ging er wieder durch sein Zimmer und war bald in wer
weiß welche Regionen entrückt. Gleich am andern Tage begab er sich mit
einem Dutzend Dukaten zu dem Herausgeber eines vielgelesenen Blattes, um
sich dessen großmütigen Beistand zu erbitten; er wurde von dem
Journalisten, der ihn sofort »Geehrter Herr« anredete, ihm beide Hände
drückte, und sich eingehend nach seinem Vor- und Vatersnamen und nach
seiner Adresse erkundigte, aufs gastfreundlichste empfangen, -- und
schon am nächsten Tage erschien in der Zeitung gleich hinter einer
Ankündigung von neu in den Handel gebrachten Talgkerzen ein Artikel mit
folgender Überschrift:


          »_Ein ungewöhnliches Talent!_ Der Maler Tschartkow.

Wir beehren uns, die gebildeten Einwohner der Hauptstadt mit einer --
man kann ruhig sagen -- in jeder Beziehung herrlichen und
außerordentlichen Entdeckung zu erfreuen. Alle sind darin einig, daß wir
viele bezaubernde Physiognomien und Gesichter von wunderbarer Schönheit
besitzen, nur gab es bis jetzt kein Mittel, sie auf die wundertätige
Leinewand zu übertragen und sie dadurch der Nachkommenschaft zu
erhalten. Jetzt ist diesem Mangel abgeholfen. Ein Künstler ist uns
erstanden, der alles in sich vereinigt, was uns not tut. Von nun ab darf
jede Schönheit fest davon überzeugt sein, daß sie sich mit der ganzen
Grazie ihres ätherischen, leichten, faszinierenden und wunderbaren
Reizes im Porträt wiederfinden wird ... Der ehrwürdige Familienvater
wird sich von seiner Familie umgeben erblicken, der Kaufmann, der
Krieger, der Bürger, der Staatsmann können ihre glorreiche Laufbahn
ruhig fortsetzen. Eilt, eilt alle von einem Fest, von einem
Spaziergange, von einem Besuche bei einem Freunde, bei einer Kusine,
oder aus einem eleganten Laden, eilt hin zu ihm, zu diesem großen
Künstler. Das herrliche Atelier des Malers Newski-Prospekt Nr. .. steckt
voller Porträts, die von seinem Pinsel herrühren und eines Van Dyck oder
Tizian würdig sind. Man weiß nicht, worüber man sich mehr wundern soll:
über den Realismus, die Ähnlichkeit mit den Originalen, oder über die
ungewöhnliche Kraft und Frische der Pinselführung. Preis Dir, mein
Künstler, Du hast das große Los gezogen. Vivat, Andrei Petrowitsch! (Der
Journalist hatte anscheinend viel für das Familiäre übrig.) Bedecke Dich
und uns mit ewigem Ruhme, wir wissen es wohl, Dich zu würdigen;
allgemeines Aussehen, ein gewaltiger Zuspruch und zugleich damit
Reichtum und Wohlstand -- obwohl sich einige Journalisten aus unserer
Mitte auch dagegen auflehnen werden -- wird Dein Lohn sein.«

Mit heimlichem Vergnügen sah der Künstler diese Anzeige; sein Gesicht
strahlte. In der Presse wurde über ihn geredet, das war etwas ganz Neues
für ihn. Mehrere Male hintereinander überlas er die Zeilen. Der
Vergleich mit Van Dyck und Tizian schmeichelte ihm sehr. Der Satz »Vivat
Andrei Petrowitsch« erweckte ebenfalls sein Wohlgefallen. Er wurde auf
bedrucktem Papier mit Vor- und Vaternamen genannt, eine Ehrung, die er
bis dahin noch nicht gekannt hatte. Er begann rasch, im Zimmer auf- und
abzugehen, und sich mit den Fingern durch die Haare zu fahren; bald
setzte er sich in ein Fauteuil, bald sprang er wieder auf und ließ sich
auf dem Diwan nieder, indem er sich fortwährend vorstellte, wie er die
Besucher empfangen würde, dann trat er an eine Leinewand heran und
pinselte keck darauf los, immer bestrebt, der Hand recht graziöse
Bewegungen abzulocken.

Schon am folgenden Tage schellte es an der Türe, und er beeilte sich,
sie zu öffnen. Eine Dame, in Begleitung eines Lakaien in einer
pelzgefütterten Livree, und ihrer Tochter, eines jungen achtzehnjährigen
Mädchens, betrat das Atelier.

»Sind Sie Monsieur Tschartkow?« fragte die Dame. Der Künstler verneigte
sich.

»Es wird soviel über Sie geschrieben; Ihre Porträts sollen der Gipfel
der Vollkommenheit sein.« Nach diesen einleitenden Worten bewaffnete die
Dame ihr Auge mit einem Lorgnon und ließ die Blicke schnell über die
nackten Wände gleiten. »Und wo sind Ihre Porträts?«

»Man hat sie soeben abgeholt,« sagte der Künstler etwas verlegen. »Ich
bin erst vor kurzem in diese Wohnung gezogen, und so kommt es, daß sie
noch unterwegs sind ... sie sind noch nicht angekommen.«

»Waren Sie in Italien?« fragte die Dame, indem sie ihr Lorgnon in
Ermangelung eines andern Objektes für ihre Beobachtungen auf ihn selbst
richtete.

»Nein, ich war nicht dort, ich hatte aber immer die Absicht ... Übrigens
habe ich es jetzt aufgeschoben ... Bitte hier ist ein Fauteuil ... Sind
Sie nicht müde?«

»Danke, ich habe sehr lange in meiner Equipage gesessen. Ah, hier!
Endlich sehe ich eine Arbeit von Ihnen,« sagte die Dame, während sie an
die gegenüberliegende Wand eilte und ihr Lorgnon auf die dort lehnenden
Skizzen, Perspektiven und Porträts richtete. »_C'est charmant, Lise,
venez-ici!_ Ein Zimmer im Stile von Teniers. Sieh doch diese Unordnung!
Ein Tisch ... auf dem eine Büste steht, eine Hand, eine Palette ...
Dieser Staub hier, siehst du, wie der Staub gemalt ist? _C'est
charmant!_ -- Und hier eine andere Leinwand: eine Frau, die sich das
Gesicht wäscht ... _Quelle jolie Figure!_ ... Ach, ein Bäuerlein! Liese,
Liese ... ein Bäuerlein im russischen Hemd. Schau her, ein Bäuerlein!
... Also Sie malen nicht nur Porträts?«

»O, das ist nur eine Bagatelle, ein Scherz! Lauter Skizzen!«

»Sagen Sie bitte, was halten Sie von den heutigen Porträtisten? Nicht
wahr, es gibt jetzt keinen solchen mehr, wie Tizian? Keine solche Kraft
in der Farbengebung ... Keine solche ... wie schade, daß ich es Ihnen
nicht russisch sagen kann. (Die Dame war eine Liebhaberin der Malerei
und hatte bewaffnet mit ihrem Lorgnon alle Galerien Italiens
durchwandert.) Allerdings Monsieur Nohl! Ach, wie der malt! Was für eine
ungewöhnliche Pinselführung! Ich finde, daß in seinen Gesichtern sogar
noch mehr Ausdruck enthalten ist, als in denen Tizians. Kennen Sie
Monsieur Nohl?«

»Wer ist dieser Nohl?« fragte der Maler.

»Monsieur Nohl? oh, das ist ein Talent! Er hat meine Tochter gezeichnet,
als sie noch zwölf Jahre alt war. Sie müssen unbedingt zu uns kommen --
Liese, du wirst ihm dein Album zeigen! Wissen Sie, wir sind in der
Meinung hierhergekommen, daß Sie sofort ein Porträt von Liese in Angriff
nehmen würden.«

»Aber mit Vergnügen, ich stehe Ihnen sogleich zu Diensten.« Sofort schob
er die Staffelei mit einem präparierten Keilrahmen heran, nahm die
Palette in die Hand und heftete den Blick auf das blasse Gesichtchen der
Tochter. Wäre er ein Kenner der menschlichen Natur gewesen, er hätte in
diesem Gesichte sogleich die ersten Spuren einer kindlichen Leidenschaft
für Bälle, einer peinigenden Unzufriedenheit über die Länge der Zeit vor
und nach dem Mittagessen, den Wunsch, sich in einem gewissen Kleide auf
einem Gartenfest sehen zu lassen, die drückenden Folgen eines
erheuchelten Eifers für die verschiedensten Künste, zu dem sie die
Mutter zur Erbauung der Seele und Erhebung des Gefühls zwang, bemerkt.
Allein der Künstler entdeckte in diesem zarten Antlitz nichts wie eine
lockende Aufgabe für seinen Pinsel: eine fast porzellanartige
Durchsichtigkeit des Körpers, ein entzückendes leichtes Vibrieren, ein
dünnes, zartes Hälschen und eine aristokratische Zierlichkeit der Figur.
Und er bereitete sich schon im voraus auf einen Triumph; endlich war die
Gelegenheit da, den Schwung und den Glanz seines Pinsels, der sich bis
dahin nur an den rohen Zügen ordinärer Modelle, an langweiligen Antiken
und Kopien nach einigen klassischen Meistern versucht hatte, zu
offenbaren. Und er stellte sich schon vor, wie dieses duftige Gesicht
ihm von der Leinwand entgegenblicken werde.

»Wissen Sie,« sagte die Dame mit einem fast rührenden Ausdruck, »ich
möchte ... sie hat jetzt dieses Kleid an ... mir wäre es offengestanden
lieber, daß sie ein Kleid trüge, an das wir schon gewöhnt sind. Es wäre
mir lieb, wenn sie ganz einfach gekleidet wäre und im Schatten eines
Baumes säße ... mit einer Wiese im Hintergrunde und mit der Aussicht auf
eine weidende Herde oder einen Hain, ich möchte nicht, daß es so
aussähe, als fahre sie irgend wohin zu einem Ball oder zu einer
modischen Soirée ... Offengestanden, unsere Bälle töten die Seele so
sehr und morden jeden letzten Rest eines Gefühls; Einfachheit, mehr
Einfachheit! Nicht wahr?« Doch ach, leider konnte man es sowohl der
Mutter wie der Tochter vom Gesicht ablesen, daß sie sich alle beide auf
allerhand Bällen so müde getanzt hatten, daß sie beinahe wie Wachs
anzuschauen waren.

Tschartkow machte sich ans Werk, ordnete die Haltung seines Modells an,
überlegte sich alles reiflich, nahm mit dem Pinsel das Maß, kniff das
eine Auge ein wenig zu, warf den Kopf zurück, fixierte die junge Dame
von weitem und begann zunächst eine Skizze zu entwerfen, die er in einer
Stunde beendigte. Da er mit seiner Arbeit zufrieden war, machte er sich
sofort an die eigentliche Ausführung. Das Schaffen riß ihn vollkommen
hin, er hatte sogar schon die Gegenwart der aristokratischen Damen
vergessen, kehrte hin und wieder zu seinen Bohèmegepflogenheiten zurück,
indem er sich durch einige Ausrufe anfeuerte, und machte zuweilen
halblaute Bemerkungen, wie es so die Art eines Künstlers ist, wenn er
sich mit ganzer Seele seinem Werke hingibt. Ohne viel Umstände zu
machen, ließ er auf einen Wink des Pinsels hin das Modell, das sich
schließlich zu bewegen begann und eine starke Müdigkeit erkennen ließ,
den Kopf hochheben.

»Genug, fürs erste Mal wird es wohl genug sein!« sagte die Dame. »Nein
bitte, noch ein wenig,« bat der eifrige Maler.

»Nein, es ist Zeit! Liese, es ist schon 3 Uhr!« versetzte die Dame, zog
ihre kleine, an einer goldnen Kette vom Gürtel herabhängende Uhr hervor
und rief ganz überrascht aus: »Ach wie spät!«

»Nur noch ein Augenblickchen,« sagte Tschartkow mit der einfältigen und
bittenden Gebärde eines Kindes.

Jedoch die Dame war diesmal offenbar nicht geneigt, seinen
künstlerischen Wünschen nachzugeben, versprach ihm aber dafür, ein
anderes Mal länger zu bleiben.

»Das ist doch ärgerlich!« dachte Tschartkow, »meine Hand war gerade in
Schwung gekommen.« Und er erinnerte sich daran, wie er von niemandem
gestört und gehindert wurde, als er noch in seinem Atelier auf der
Wassilij-Insel arbeitete. Nikita pflegte gewöhnlich ganz regungslos auf
einem Flecke zu sitzen, man konnte ihn malen, so lange man wollte, ja,
er schlief sogar in der gewünschten Stellung ein. Unzufrieden legte
Tschartkow Pinsel und Palette auf den Stuhl und blieb verdrießlich vor
der Leinwand stehn.

Ein Kompliment der vornehmen Dame weckte den Nachdenklichen aus seinem
Traume, er stürzte schnell zur Tür, um die Damen hinauszugeleiten. Auf
der Treppe erhielt er die Einladung, in der nächsten Woche bei ihnen zu
dinieren, und kehrte mit fröhlicher Miene in sein Zimmer zurück. Die
aristokratische Dame hatte ihn vollkommen bezaubert -- bis dahin hatte
er solche Geschöpfe als etwas für ihn Unerreichbares angesehen, als
Wesen, die nur dazu geboren sind, in prächtigen Equipagen mit Dienern in
kostbaren Livreen und gallonierten Kutschern an armen Sterblichen, wie
er, vorbeizusausen und einen im verschlissenen Mantel zu Fuß
einherschreitenden Burschen mit einem gleichgültigen Blick zu streifen.
Mit einem Male aber war eines dieser Wesen zu ihm in seine Wohnung
gekommen; er malte dessen Porträt und war zu einem Diner in ein
aristokratisches Haus eingeladen. Eine ganz ungewöhnliche Zufriedenheit
bemächtigte sich seiner, er war vollständig trunken vor Freude und
belohnte sich für seine gute Laune mit einem famosen Souper, einem
Theaterbesuch und einer nochmaligen ziellosen Spazierfahrt in einer
Equipage durch die Stadt.

Während all dieser Tage kam ihm seine gewohnte Arbeit gar nicht in den
Sinn; er war nur mit Vorbereitungen auf den Besuch beschäftigt, und
wartete auf den Augenblick, wo die Glocke zu ertönen pflegte. Endlich
erschien die Dame mit ihrer blassen Tochter wieder. Er ließ sie Platz
nehmen, rückte die Leinewand schon mit einer gewissen Sicherheit und mit
den Prätensionen eines Mannes von feinen Manieren zurecht, und begann
seine Arbeit. Der sonnige Tag und die gute Beleuchtung leisteten ihm
große Dienste. Er entdeckte an seinem duftigen Modell eine Menge von
Einzelheiten, deren Beachtung und Fixierung auf der Leinewand dem
Porträt einen hohen Wert verleihen konnten. Er sah, daß es wohl möglich
war, etwas Besonderes zu leisten, wenn er alles so vollkommen
darzustellen vermochte, wie es ihm jetzt in der Natur entgegentrat. Sein
Herz fing leicht zu klopfen an, weil er die Kraft in sich fühlte, etwas,
was andere noch nicht bemerkt hatten, zum Ausdruck zu bringen. Die
Arbeit nahm ihn ganz in Anspruch, er gab sich ihr völlig hin und vergaß
bald wieder die aristokratische Herkunft des Originals; mit benommenem
Atem stellte er fest, wie die zarten Züge und der fast durchsichtige
Körper des siebenzehnjährigen Mädchens allmählich auf der Leinwand
erschienen. Keine noch so zarte Nuance entging ihm, er traf den leichten
gelben Ton, einen kaum merklichen bläulichen Schimmer unter den Augen --
und war sogar schon im Begriff, einen kleinen Pickel, der sich auf der
Stirne befand, zu verzeichnen, als er plötzlich neben sich die Stimme
der Mutter vernahm. »Ach nein, wozu nur? Das ist nicht nötig! Auch hier
haben Sie ... hier an einigen Stellen scheint es mir etwas zu gelb zu
sein, und auch dies sieht ganz aus, wie ein dunkler Flecken.« Der Maler
fing an zu erklären, daß sich gerade diese Pünktchen und die gelbe Farbe
besonders gut machten, weil sie im Gesicht als angenehme und leichte
Töne wirkten. Er erhielt jedoch zur Antwort, daß das überhaupt keine
Töne seien, daß sie sich garnicht gut ausnähmen, und daß es ihm nur so
vorkäme. »Aber so erlauben Sie mir doch wenigstens, hier, an dieser
einen Stelle, etwas Gelb aufzutragen!« bat der Künstler mit harmloser
Miene. Indessen gerade das wurde ihm nicht erlaubt. Man erklärte ihm,
daß Liese heute bloß nicht in Stimmung sei, daß sie sonst ganz und gar
nicht gelb aussehe, und daß ihr Gesicht im Gegenteil durch die Frische
seines Teints überrasche. Traurig machte er sich daran, die
beanstandeten Spuren seines Pinsels von der Leinewand zu tilgen. Viele
fast unmerkliche Züge mußten schwinden, und mit Ihnen schwand zum Teil
auch die Ähnlichkeit dahin. Gleichgültig begann er dem Bilde jenes
konventionelle Kolorit mitzuteilen, das sich von vornherein ganz
mechanisch und wie von selbst einstellt und auch einem nach der Natur
gemalten Gesicht eine gewisse kühle Idealität verleiht, wie wir sie auf
Schülerprogrammen antreffen. Die Dame war jedoch sehr zufrieden, daß
nunmehr das Verletzende der Farbengebung gänzlich vermieden wurde. Sie
drückte nur ihr Erstaunen darüber aus, daß die Arbeit so langsam vor
sich ging, und fügte hinzu, sie hätte gehört, er könnte schon in zwei
Sitzungen ein vollständiges Porträt malen. Der Maler fand hierauf keine
Antwort. Die Damen erhoben sich und wollten fortgehen. Er legte den
Pinsel nieder, geleitete sie bis an die Tür und blieb lange Zeit in
trüber Stimmung vor seinem Porträt stehen.

Er starrte es stumm und gedankenlos an; inzwischen aber schwebten jene
zarten weiblichen Züge, jene Schatten und luftigen Töne, die er bemerkt,
und die sein Pinsel dann so schonungslos vernichtet hatte, vor seinem
Auge. Ganz von ihnen erfüllt, stellte er das Porträt beiseite und suchte
aus irgend einer Ecke seine »Psyche« hervor, die er vor längerer Zeit
einmal flüchtig skizziert hatte. Es war ein graziös hingemaltes, aber
rein ideales und kaltes Gesichtchen, das bloß allgemeine und wenig
charakteristische Züge aufwies und noch auf keinem lebendigen Körper
saß. Er begann diese Züge mit dem Pinsel nachzuziehen, während er sich
dabei an alles erinnerte, was sein scharfes Auge an dem Antlitze seiner
aristokratischen Besucherin bemerkt hatte. Die von ihm erfaßten Linien,
Schatten und Töne nahmen hierbei jene verklärte Form an, wie sie dem
Künstler erscheinen, wenn er die Natur genügend in sich aufgenommen hat,
sich nunmehr von ihr entfernt und ein ihr ebenbürtiges Werk schafft. Die
Psyche lebte allmählich wieder auf, und der Gedanke, der ihn kaum
flüchtig bewegt hatte, nahm wieder Fleisch und Blut an. Der
Gesichtstypus der vornehmen jungen Dame teilte sich von selbst der
Psyche mit, und dadurch erhielt sie einen eigenartigen Ausdruck, der ihr
das Recht auf den Namen eines wahrhaft originellen Werkes verleihen
durfte. Er hatte gleichsam in den Einzelheiten und im Ganzen ausgenutzt,
was ihm das Original bot, und war von seiner Arbeit vollkommen
hingerissen. Einige Tage lang beschäftigte er sich nur mit ihr, da
überraschte ihn zufällig das Eintreten der bekannten Damen bei dieser
Arbeit. Er hatte keine Zeit, das Bild von der Staffelei zu entfernen;
die beiden Damen stießen einen frohen Ruf des Erstaunens aus und
schlugen die Hände zusammen.

»_Lise, Lise!_ ach, wie ähnlich! _Superbe, superbe!_ Was für ein schöner
Einfall, sie in einem griechischen Kostüm zu malen! Welche
Überraschung!«

Der Künstler wußte nicht, wie er die Damen über ihren angenehmen Irrtum
aufklären sollte. Verlegen und mit gesenktem Kopf bemerkte er leise:
»Das ist Psyche!«

»Als Psyche? _C'est charmant!_« sagte die Mutter lächelnd zu ihrer
gleichfalls lächelnden Tochter. »Nicht wahr, _Lise_, so machst du dich
am besten, so als Psyche, nicht? _Quelle idée délicieuse!_ Aber was für
eine Arbeit! Das ist ja ein Correggio! Offengestanden, ich habe zwar von
Ihnen gelesen und gehört, ich wußte aber doch nicht, daß Sie ein solches
Talent sind. Nein, Sie müssen unbedingt auch noch _mein_ Porträt malen!«
Die Dame wollte sich offenbar gleichfalls als Psyche präsentieren ...

»Was soll ich mit ihnen anfangen?« dachte der Künstler. »Wenn sie es
selbst durchaus wollen, gebe ich einfach die »Psyche« für das aus, was
ihnen am meisten behagt!« Und er sagte laut: »Belieben Sie noch für eine
Weile Platz zu nehmen. Ich möchte hier noch einen Tupfen auftragen!«

»Ach, ich fürchte, daß Sie hier irgend etwas ... Sie ist jetzt so
ähnlich.«

Aber der Künstler merkte wohl, daß sich ihre Befürchtungen nur auf
gelben Ton bezogen, und beruhigte sie, indem er sagte, daß er den Augen
nur noch etwas mehr Glanz und Ausdruck geben wolle. In Wirklichkeit aber
war es ihm zu peinlich zumute, er wollte wenigstens die Ähnlichkeit mit
dem Original noch etwas verstärken, damit ihm wenigstens niemand seine
Schamlosigkeit zum Vorwurf machen könne. Und in der Tat, das Antlitz
ließ bald immer deutlicher die Züge des blassen Mädchens erkennen.

»Genug,« sagte die Mutter, die zu fürchten begann, daß die Ähnlichkeit
allzu groß werden könnte. Dem Künstler wurde durch ein Lächeln, durch
Geld, Komplimente, herzliche Händedrücke und eine Einladung zum Diner
eine reichliche Belohnung zuteil: mit einem Worte, er wurde nur so
überschüttet mit Schmeicheleien und höchsten Zeichen der Anerkennung.

Das Porträt erregte in der Stadt Aufsehen. Die Damen zeigten es ihren
Freundinnen; alle bewunderten die Kunst, mit der der Maler es verstanden
hatte, die Ähnlichkeit zu wahren und dem Original dennoch Schönheit und
Liebreiz zu verleihen. Dieser Punkt wurde natürlich nicht ohne einen
leichten Anflug von Neid festgestellt, und mit einem Male war der
Künstler mit Arbeiten überhäuft. Fast schien es, als wollte die ganze
Stadt sich bei ihm porträtieren lassen. Im Flur ertönte jeden Augenblick
die Glocke. -- Dieser äußere Erfolg konnte zwar sein Glück ausmachen, da
er ihm eine große Praxis verschaffte, und die Mannigfaltigkeit und die
Zahl der Gesichter, die er malen mußte, war in der Tat sehr groß. Leider
waren es jedoch alles Menschen, mit denen man nur schwer auskommen
konnte, eilige, beschäftigte Menschen oder Personen, die der großen
Gesellschaft angehörten und infolgedessen noch mehr als alle anderen
abgehetzt und aufs äußerste ungeduldig waren.

Die einzige Forderung, die von allen Seiten an ihn gestellt wurde, war
diese, daß er was Gutes leisten und möglichst schnell arbeiten solle.

Bald sah der Maler die Unmöglichkeit ein, seine Porträts sorgfältig
auszuführen, er gelangte vielmehr zur Überzeugung, daß man die genauere
Charakteristik durch einen leichten und flotten Pinselstrich ersetzen,
nur das große Ganze, den allgemeinen Ausdruck festhalten müsse und sich
nicht mit besonderen subtilen Einzelheiten abgeben dürfe: mit einem
Worte, er begriff, daß er es sich nicht erlauben konnte, die Natur in
ihrer ganzen Vollkommenheit wiederzugeben. Außerdem muß hinzugefügt
werden, daß fast alle seine Modelle auch noch andere Wünsche geltend
machten. Die Damen verlangten, daß hauptsächlich die Seele und das Wesen
auf den Porträts betont, andere Züge dagegen unter Umständen durchaus
hintangesetzt würden, daß alle Ecken abgerundet, alle Mängel verwischt
oder wenn möglich ganz und gar ausgemerzt werden sollten, mit einem
Worte, daß das Gesicht zur Bewunderung, wenn nicht gar zur Anbetung
reizen solle. Daher nahmen, wenn sie zur Sitzung kamen, ihre Mienen
einen solchen Ausdruck an, daß der Künstler aufs höchste erstaunt war.
Die eine bemühte sich, eine gewisse Melancholie auf ihrem Gesichte
wiederzuspiegeln, die andere nahm eine verträumte Pose an, die dritte
wollte um jeden Preis den Mund kleiner erscheinen lassen und spitzte ihn
so zu, bis er sich endlich in einen Punkt verwandelte, der nicht größer
als ein Stecknadelknopf war. Trotz alledem aber verlangte man
Ähnlichkeit und ungezwungene Natürlichkeit von ihm. Und die Herren waren
nicht besser als die Damen. Der eine wollte mit einer kraftvollen,
energischen Kopfhaltung dargestellt werden, der andere mit
durchgeistigten und gen oben gerichteten Augen. Ein Gardeleutnant
wünschte, daß Mars aus seinen Blicken hervorleuchte, ein Zivilbeamter
hatte das Bestreben, möglichst viel Gradheit und Edelmut in seinen
Gesichtsausdruck zu legen, stützte die Hand auf ein Buch, das die
deutliche Aufschrift trug: »Ich bin stets für die Wahrheit
eingetreten!«, und wollte in dieser Pose porträtiert sein. Anfangs trat
dem Künstler infolge dieser Forderungen der Schweiß auf die Stirn, all
dies mußte genau durchdacht werden, und doch räumte man ihm nur eine
geringe Frist dafür ein. Schließlich jedoch begriff er den Kern der
Sache und wurde nicht im geringsten mehr verlegen. Schon zwei, drei
Worte reichten hin, ihn darüber zu belehren, wie sich ein jeder
dargestellt wissen wollte. Wer nach einem Mars Verlangen trug, dem
steckte er einen Mars ins Gesicht, wer es auf einen Byron abgesehen
hatte, dem gab er eine byronische Haltung! Ob die Damen als Corinna, als
Undine oder gar als Aspasia erscheinen wollten, war für ihn ohne jeden
Belang: er willigte mit großem Vergnügen in alles ein und legte schon
aus eigner Machtvollkommenheit einem jeden eine beträchtliche Dosis
Wohlgeratenheit bei, bekanntlich eine Willkür, die nirgends Schaden
stiften kann und für die man sogar mitunter eine gewisse Unähnlichkeit
mit in den Kauf nimmt. Allmählich fing er selbst an, sich über die
erstaunliche Schnelligkeit und Flottheit seines Pinsels zu wundern. Die
Porträtierten aber waren ganz entzückt und erklärten ihn für ein Genie.

Tschartkow wurde in jeder Beziehung ein Modemaler. Er begann, Diners zu
besuchen und Damen in die Galerien und sogar auf Bälle und Feste zu
begleiten, sich geckenhaft zu kleiden und laut zu behaupten, daß ein
Künstler gesellschaftsfähig sein müsse, daß er sich standesgemäß zu
betragen habe, daß sich die Maler im allgemeinen wie die Schuster
kleiden, sich nicht anständig zu benehmen, den höheren Ton nicht zu
wahren verstehen und jeder Bildung entbehren. Bei sich zu Hause im
Atelier beobachtete er die peinlichste Reinlichkeit und Akkuratesse; er
hielt sich zwei elegante Lakaien, nahm stutzerhafte Schüler an, kleidete
sich mehrere Male am Tage um, ließ sich das Haar brennen, beschäftigte
sich damit, verschiedene Gesten einzustudieren, mit denen er seine
Besucher zu empfangen gedachte, und legte den größten Wert auf die
Pflege seines Äußeren, um einen möglichst günstigen Eindruck auf die
Damen zu machen, mit einem Wort, man konnte in ihm bald kaum noch jenen
Künstler wiedererkennen, der einst unbemerkt und im stillen in seinem
Kämmerlein auf der Wassilij-Insel gearbeitet hatte. Über Künstler und
Kunst fällte er nur noch die anmaßendsten Urteile, er behauptete, man
mäße den früheren Meistern zu viel Wert bei, denn sie alle mit Ausnahme
von Raffael hätten keine lebendigen Menschen, sondern bloß Heringe
geschaffen, und er erklärte, die Ansicht, daß ihnen etwas Heiliges
innewohne, existiere nur in der Einbildung der Beschauer; ja selbst
Raffael habe nicht nur vollendete Werke geschaffen und viele seiner
Bilder genössen überhaupt nur aus einem gewissen Atavismus einen so
hohen Ruhm; er schrie, daß Michelangelo ein Prahler sei, der nur durch
Kenntnis der Anatomie imponieren wollte, daß er gar keine Grazie besäße,
und daß man einen wirklichen Glanz, und die wahre Kraft der
Pinselführung und des Kolorits nur in dem gegenwärtigen Zeitalter finden
könne. Dann kam er naturgemäß auch auf sich selbst zu sprechen. »Ich
verstehe nicht, wozu sich die Menschen so anstrengen,« pflegte er zu
sagen, »da hocken und brüten sie über ihrer Arbeit: ein Mensch, der
mehrere Monate hintereinander an einem Bilde herumtiftelt, ist meines
Erachtens nichts als ein gewöhnlicher Tagelöhner und kein Künstler; ich
kann nicht glauben, daß er Talent besitzt. Ein Genie schafft kühn und
schnell. Sehen Sie,« pflegte er zu sagen, indem er sich an seine
Besucher wandte, »dieses Porträt hier habe ich in zwei Tagen gemalt,
dieses Köpfchen in einem Tage, dies hier nur in wenigen Stunden, und das
dort in etwas mehr als einer Stunde. Nein, offengestanden, ich kann doch
ein Werk nicht als Kunst gelten lassen, in dem Strich neben Strich
gesetzt ist, nein, das ist Handwerkerarbeit und keine Kunst mehr.« So
sprach er zu seinen Gästen, und diese bewunderten die Kraft und
Leichtigkeit seiner Pinselführung, stießen Rufe des Erstaunens aus, wenn
sie hörten, in wie kurzer Zeit die Werke entstanden waren, und teilten
es nachher auch anderen mit. »Das ist ein Talent, o ein großes, wahres
Talent! Sehen Sie nur, wie seine Augen glänzen, wenn er spricht. _Il y a
quelque chose d'extraordinaire dans toute sa figure!_«

Dem Künstler schmeichelte es, solche Reden über sich zu hören. Wenn er
in den Journalen öffentlich gelobt und gepriesen wurde, dann freute er
sich wie ein Kind, obgleich diese Lobeserhebungen von ihm für bares Geld
gekauft worden waren. Er trug ein solches Zeitungsblatt immer mit sich
herum und zeigte es gleichsam unabsichtlich all seinen Bekannten und
Freunden. Und dies ergötzte ihn aufs höchste, so einfältig und naiv es
war. Sein Ruhm wuchs, die Aufträge und Bestellungen mehrten sich; schon
fing er an, der immer gleichen Porträts und Gesichter, deren Ausdruck er
bereits auswendig kannte, überdrüssig zu werden. Schon malte er ohne
große Begeisterung, indem er sich nur noch bemühte, den Kopf auf die
Leinewand zu werfen; das übrige überließ er seinen Schülern. Früher
suchte er wenigstens noch, seinen Porträts ein neues Moment
abzugewinnen, durch eine neue Stellung, durch die Kraft der
Pinselführung oder durch gewisse Effekte zu überraschen. Jetzt
langweilte ihn auch dies allmählich. Das dauernde Grübeln und Suchen
nach Neuem ermüdete seinen Geist. Er _konnte_ es bald auch gar nicht
mehr, er hatte dazu auch keine Zeit. Die unregelmäßige Lebensweise und
die Gesellschaft, in der er die Rolle eines Lebemanns zu spielen suchte,
entfremdeten ihn der wirklichen Arbeit. Seine Pinselführung wurde kalt
und stumpf, und erstarrte unmerklich in eintönigen, konventionellen,
längst verbrauchten Formen. Die langweiligen, kalten, ewig gepflegten,
ledernen oder sozusagen zugeknöpften Gesichter der Beamten, der
militärischen wie der zivilen, boten dem Pinsel in der Tat keinen großen
Spielraum. Die prächtigen Drapierungen, die starken Bewegungen und
Leidenschaften hatte er völlig vergessen. Von künstlerischer
Komposition, von dramatischem Leben, von einer erhabenen Steigerung war
überhaupt nicht mehr die Rede. Vor seinen Augen schwirrten nichts wie
Uniformen, Korsetts und Fräcke, alles Dinge, die einen Künstler kalt
lassen und die jede Phantasie ertöten. Selbst die am leichtesten zu
erreichenden Vorzüge gingen seinen Arbeiten jetzt ab, trotzdem aber
fanden sie immer noch Anerkennung, wenn auch wirklich Kenner und
Künstler angesichts seiner letzten Bilder nur mit den Achseln zuckten.
Die wenigen, die Tschartkow von früher her kannten, vermochten nicht zu
verstehen, wie ein Talent, dessen Stärke sich schon in dem jungen
Schüler gezeigt hatte, so zugrunde gehen konnte, und sie bemühten sich
vergebens, zu erraten, wie in einem Menschen plötzlich die Begabung
erlöschen könne, in demselben Augenblick, wo seine Kräfte erst eben zu
voller Entfaltung gekommen waren.

Aber der von seinen Erfolgen trunkene Künstler hörte alle diese
Äußerungen nicht. Schon begann er zu altern, mit den Jahren bemächtigte
sich seiner eine gewisse geistige Schwerfälligkeit, er wurde allmählich
immer dicker und ging sichtlich in die Breite. Schon las er in den
Zeitungen und Journalen Epitheta wie die folgenden: »Unser verehrter
Andrej Petrowitsch!« »Unser hochverdienter ...!« Schon bot man ihm
Ehrenämter an, lud ihn zu Prüfungen ein und wählte ihn in verschiedene
Komitees, schon trat er, wie es im gesetzteren Alter immer zu geschehen
pflegt, entschieden für Raffael und die alten Meister ein, nicht weil er
durchaus von ihrem hohen Werte durchdrungen war, sondern nur deshalb, um
sie als Angriffswaffe gegen seine jüngeren Kollegen zu benutzen. Schon
vergnügte er sich damit, nach Art älterer Herren der ganzen Jugend ohne
Ausnahme Sittenlosigkeit oder eine tadelnswerte Geistesrichtung zum
Vorwurf zu machen. Schon neigte er sich der Auffassung zu, daß alles in
der Welt ganz einfach und wie von selbst vor sich gehe, daß es keine
Inspiration gebe und daß alles einem strengen Regiment, der Ordnung und
einer monotonen Regelmäßigkeit unterworfen sein müsse, -- mit einem
Wort, er war bereits in jene Jahre gekommen, wo aller Sturm und Drang,
der überhaupt jemals in einem Menschen pulsiert hat, zu verschwinden
beginnt, wo die Töne des zauberhaften Bogens nur gedämpft an die Seele
rühren und das Herz nicht mehr mit erschütternden Klängen umkreisen, wo
der Kuß der Schönheit keine jungfräulichen Kräfte mehr in Flammen
wandelt -- wo sich dafür aber alle verglühten Gefühle dem Klirren des
Goldes um so zugänglicher erweisen, immer aufmerksamer auf seine
verlockende Musik lauschen, ihr allmählich und unmerklich immer mehr
Macht über sich einräumen und sich sanft von ihr einlullen lassen.

Der Ruhm kann dem, der ihn gestohlen und nicht verdient hat, keinen
Genuß gewähren. Nur den, der seiner würdig ist, erfüllt er ständig mit
einem wonnigen Schauder. Und so wandten sich alle seine Empfindungen und
Wünsche dem Golde zu. Das Gold wurde ihm Leidenschaft, Ideal,
Schreckbild, Genuß und Lebenszweck. In seinen Tischen häuften sich
Päckchen von Banknoten an, und wie jeder, dem dieses schreckliche
Geschenk zuteil wird, verwandelte er sich nach und nach immer mehr in
einen langweiligen, nur dem Golde zugänglichen, törichten Geizhals,
einen sinnlosen Sammler, und er war schon auf dem besten Wege, zu einem
jener Sonderlinge zu werden, deren es in unserer seelenlosen Welt gar
viele gibt. Ein warmblütiger und gütiger Mensch betrachtet sie voll
Entsetzen, ihm erscheinen sie als steinerne Särge, die sich vor ihm
bewegen und einen leblosen Klumpen anstelle eines Herzens in sich
bergen. Aber eine merkwürdige Begebenheit sollte bald sein ganzes Wesen
durchrütteln und erschüttern.

Eines Tages erblickte er auf seinem Tische ein Schreiben, in dem die
Akademie der Künste ihn als ihr hochverehrtes Mitglied um sein
Erscheinen und um sein Urteil über ein neues Werk bat, das aus Italien
angekommen war und einen dort zur Vervollkommnung weilenden russischen
Künstler zum Urheber hatte. Dieser Künstler war ein ehemaliger Freund
von ihm, der seit langem die Leidenschaft für die Kunst in sich barg,
und sich mit der feurigen Seele eines Fanatikers in seine Arbeit
vergraben hatte; er hatte sich von all seinen Freunden und Verwandten,
von allen lieben Gewohnheiten losgerissen und war in ein Land geeilt, wo
ein herrlicher Himmel eine majestätische Kunst reifen läßt: in das
überwältigende Rom, bei dessen Erwähnung eines Künstlers feuriges Herz
stets voll und stürmisch zu schlagen pflegt. Dort versenkte er sich wie
ein Einsiedler in sein Werk und in ein durch nichts abgelenktes Studium.
Ihn kümmerte es wenig, daß sich die Menschen über sein seltsames Wesen
aufhielten, daß man seine Unfähigkeit, sich in der guten Gesellschaft zu
bewegen, seine Verachtung der konventionellen Formen tadelte und von dem
Schaden sprach, den er dem Künstlerstande durch seinen ärmlichen,
altmodischen Anzug zufügte. Es war ihm völlig gleichgültig, ob ihm seine
Kollegen zürnten oder nicht, er hatte auf alles zugunsten der Kunst
verzichtet und hatte ihr alles geopfert. Unermüdlich besuchte er die
Galerien und Museen, er konnte stundenlang vor den Werken der großen
Meister stehen und deren wundervolle Pinselführung studieren. Er
vollendete kein Werk, bevor er sich angesichts dieser großen Vorbilder
geprüft und sich aus ihren Werken einen stummen und doch so beredten Rat
geholt hatte. An lärmenden Unterhaltungen und Streitigkeiten beteiligte
er sich nie, er nahm weder für, noch gegen die Puristen Partei, sondern
ließ allen die schuldige Anerkennung zuteil werden, indem er in allem
nur das Schöne zu entdecken wußte, bis er sich endlich einzig und allein
dem göttlichen Raffael als seinem Lehrmeister überließ, -- wie auch ein
großer Dichter, der schon so viele verschiedene Werke voll Anmut und
majestätischer Schönheit kennen gelernt hat, zuletzt nur noch Homers
Ilias als die überragende Dichtung gelten läßt, nachdem er entdeckt hat,
daß in diesem Epos alles enthalten ist, was man von einem Kunstwerk
verlangen kann, und daß sich hier alles in höchster Vollkommenheit
wiederspiegelt. Und so hatte er sich denn bei dieser beständigen Arbeit
an sich selbst eine hervorragende Schaffenskraft, eine machtvolle
Schönheit der Gedanken und die hohe Anmut einer schier überirdischen
Pinselführung erworben.

Als Tschartkow in den Saal eintrat, fand er bereits eine Menge von
Besuchern vor, die vor dem Bilde standen. Eine tiefe Stille, wie sie nur
selten unter so zahlreichen Kritikern herrscht, empfing ihn diesmal. Er
beeilte sich, seinem Gesicht einen bedeutenden Ausdruck und eine
tiefsinnige Kennermiene zu geben und trat vor das Bild. Aber, o Gott!
was war das, was er da erblickte!

Nein, makellos und herrlich wie eine Braut stand das Werk des Künstlers
vor ihm. Bescheiden, göttlich, unschuldig und einfach wie das Genie
selbst, schien es hoch über allem zu schweben. Es war, als senkten die
himmlischen Gestalten, verwundert über so viele auf sie gerichteten
Blicke, schamhaft ihre herrlichen Wimpern. Mit einem Gefühl
unwillkürlichen Staunens starrten die Eingeweihten die neue, nie
gesehene Pinselführung an. Hier schien alles vereinigt zu sein: Die
Schulung an Raffael, die sich in der hohen Vornehmheit der Haltung, und
die an Corregio, die sich in der vollkommenen Technik verriet. Aber den
gewaltigsten Eindruck machte die in der Seele des Künstlers wirkende
Schöpferkraft. Jedes kleinste Detail des Gemäldes war von ihr
durchdrungen; alles atmete eine strenge Gesetzmäßigkeit und innere
Kraft; jedes Ding ließ jene wundervoll schwebende und fließende Rundung
der Linien erkennen, die nur der Natur eigen ist und die nur das Auge
des schaffenden Künstlers sieht, bei dem Nachahmer und Kopisten aber
stets eckig und hart erscheint. Man fühlte ganz deutlich, wie der
Künstler alles, was er der äußeren Welt entnommen, in sich, in seiner
Seele verschlossen hatte, um es erst später aus dieser geistigen Quelle
gleich einem harmonischen, feierlichen Liede hervorsprudeln zu lassen.
Und sogar den Uneingeweihten wurde klar, was für ein unermeßlicher
Abgrund zwischen einem Kunstwerk und einer einfachen Kopie der Natur
gähnt. Es ist unmöglich, jene ungewöhnliche Stille zu schildern, die
alle Anwesenden beobachteten, während sie ihre Augen auf das Bild
gerichtet hatten. Kein Knistern, kein Laut störte die andächtige
Stimmung. Die Wirkung des Bildes hatte sich inzwischen nur noch
verstärkt. Strahlend und wie ein unbegreifliches Wunder löste es sich
von allem Irdischen los, um sich schließlich ganz in einen Augenblick --
die Frucht eines dem Künstler vom Himmel eingegebenen Gedankens -- zu
verwandeln, in einen Moment, dem das ganze menschliche Leben nur als
Vorbereitung dient. Unwillkürlich wandelte die das Bild umringenden
Beschauer das Bedürfnis zu weinen an; es schien, als hätten sich alle
Kunstanschauungen, alle dreisten, regellosen und willkürlichen
Abweichungen des Geschmacks hier zu einem wortlosen Hymnus auf das
göttliche Werk vereinigt.

Unbeweglich, mit offenem Munde stand Tschartkow vor dem Bilde, und erst
als schließlich doch eine kleine Bewegung durch die Reihen der Besucher
und Autoritäten ging, als man sich laut über den Wert des Werkes zu
unterhalten begann, als man sich schließlich auch an Tschartkow mit der
Bitte wandte, sein Urteil abzugeben, kam er wieder zu sich, versuchte
seine gewöhnliche gleichmütige Miene aufzusetzen und war eben im
Begriff, ein paar Plattheiten zu äußern, wie man sie wohl von
verknöcherten Routiniers zu hören bekommt. Er wollte schon sagen: »Hm,
gewiß, man kann dem Maler ja nicht alles Talent absprechen; Talent hat
er, das ist unleugbar. Man sieht, daß er etwas ausdrücken will. Was aber
die Hauptsache betrifft,« -- und hierauf sollten natürlich einige
lobende Worte folgen, die keinem Künstler gut bekommen wären. Aber er
führte seine Absicht nicht aus, die Rede erstarb auf seinen Lippen,
statt dessen drangen Tränen und Seufzer leidenschaftlich aus seiner
Brust hervor, und wie ein Wahnsinniger lief er aus dem Saal.

Eine Minute lang stand er regungslos und wie versteinert mitten in
seinem prächtigen Atelier, seine ganze Vergangenheit lebte einen
Augenblick wieder in ihm auf, als wäre die Jugend zu ihm zurückgekehrt,
und als wären die erloschenen Funken seines Talentes in ihm wieder
aufgelodert. Die Binde fiel plötzlich von seinen Augen. Gott! wie hatte
er die besten Jahre seiner Jugend so unbarmherzig zugrunde richten, die
spärliche Flamme, die vielleicht auch in seiner Brust gebrannt hatte,
und die sich vielleicht jetzt groß und herrlich entfaltet und vielleicht
ebenfalls Tränen des Staunens und der Dankbarkeit entlockt hätte, so
plump ersticken können. Wie hatte er sie in sich ertöten, erbarmungslos
vernichten können! Es schien, als wären in diesem Augenblicke plötzlich
alles Streben und alle Leidenschaften in seiner Seele erwacht, alle
Gefühle, die auch sie einmal gekannt hatte ... Er ergriff den Pinsel und
trat vor die Leinwand. Ein kalter Schweiß bedeckte seine Stirn; er
verwandelte sich völlig in _einen_ einzigen Wunsch und war ganz von
_einem_ Gedanken beseelt. Er wollte den gefallenen Engel darstellen.
Diese Vorstellung stimmte am besten mit seinem Seelenzustand überein,
aber ach, alles was er begann: all seine Figuren, seine Posen, Gruppen
und Ideen hatten etwas Gezwungenes und Wirres. Sein Pinsel und seine
Phantasie wurden zu sehr von der Gewohnheit gehemmt, und der ohnmächtige
Drang, die Schranken und Fesseln, die er sich selber auferlegt hatte, zu
zerbrechen, verleitete ihn gleich zu Anfang zu Unrichtigkeiten und
Fehlern. Er hatte die ermüdend lange Stufenleiter der nur allmählich zu
erwerbenden Kenntnisse und der ersten Grundgesetze der großen
zukünftigen Wissenschaft übersprungen. Ein heftiger Verdruß bemächtigte
sich seiner, er ließ all' seine letzten Schöpfungen: die seelenlosen
Modebilder, die Porträts von Husarenoffizieren, vornehmen Damen und
Staatsräten aus seinem Atelier entfernen, sperrte sich allein in sein
Zimmer ein, befahl, niemand hereinzulassen und versenkte sich ganz in
die Arbeit. Wie ein geduldiger Knabe, wie ein Schüler saß er an seinem
Werk; aber ach, wie unbefriedigend und schwächlich war alles, was sein
Pinsel schuf. Bei jedem neuen Schritt strauchelte er über die Unkenntnis
der elementarsten Regeln; jedes kleinste, unbedeutendste Detail wirkte
erkältend auf seinen Eifer und stellte sich seiner Phantasie als
unüberbrückbares Hindernis entgegen. Der Pinsel wandte sich
unwillkürlich wieder den alten versteinerten Formen zu, die Arme nahmen
ihre gewohnte Haltung an, der Kopf wagte es nicht, sich eine
ungewöhnliche Wendung zu gestatten; selbst der Faltenwurf des Kleides
hatte etwas Schablonenhaftes, wollte sich ihm durchaus nicht fügen und
sich nicht an die neue Körperstellung anpassen. Und Tschartkow fühlte
es, fühlte es selbst und sah es mit eigenen Augen.

»Hatte ich denn wirklich einmal Talent? habe ich mich nicht selbst
betrogen?« Mit diesen Worten suchte er seine früheren Werke hervor, die
er einst in so reiner Stimmung, so völlig frei von Habsucht und Geldgier
in seiner ärmlichen Mansarde auf der abgelegenen Wassilij-Insel, fern
von den Menschen geschaffen hatte; damals, als er noch nichts von
Überfluß und all den raffinierten Genüssen der Großstadt wußte. Jetzt
stand er wieder vor den alten Bildern, betrachtete sie aufmerksam, und
sein ganzes früheres Leben voll Not und Entbehrung erstand wieder vor
ihm. »Ja ...« sagte er ganz verzweifelt, »ich _hatte_ Talent! wohin ich
auch blicke, überall entdecke ich deutliche Spuren davon!«

Er blieb stehen und erzitterte plötzlich am ganzen Leibe. Sein Blick
begegnete einem Augenpaar, das starr auf ihn gerichtet war. Es war jenes
ungewöhnliche Porträt, das er einst in der Schtschukin-Passage gekauft
hatte. Die ganze Zeit hindurch hatte es hinten gestanden, von anderen
Bildern verdeckt, und so war es ihm völlig aus dem Gedächtnis
entschwunden. Jetzt aber, wo alle modernen Porträts und Gemälde, die
sein Atelier anfüllten, entfernt waren, blickte es plötzlich zusammen
mit den früheren Werken seiner Jugend hervor. Als er sich nun an die
sonderbare Geschichte dieses Porträts erinnerte, als er daran dachte,
daß dieses merkwürdige Bildnis gewissermaßen die Ursache seiner Wandlung
geworden war, daß die große Geldsumme, die ihm auf so wunderbare Weise
zuteil geworden, alle die falschen und eitlen Regungen, die sein Talent
zugrunde richten sollten, in ihm erwecket hatte, da wurde seine Seele
von einem fast sinnlosen Grimm erfaßt, und er ließ das verhaßte Bildnis
sofort hinaustragen. Aber die seelische Erregung wollte ihn trotzdem
nicht verlassen. All seine Gefühle, ja sein ganzes Wesen waren bis aufs
Tiefste aufgerührt, jetzt lernte auch er jene entsetzliche Qual kennen,
die nur ganz selten und wie ausnahmsweise in der Natur vorkommt, wenn
ein schwaches Talent sich mehr abzuringen versucht, als es zu leisten
vermag, und doch den rechten Ausdruck nicht finden kann; jene Qual, die
zwar einen Jüngling zu großen Taten spornt, aber den, der schon zu alt
ist, um zu träumen, vergebens und fruchtlos mit einem heißen
Schaffensdurste peinigt -- jene entsetzliche Qual, die einen Menschen zu
grauenhaften Untaten anstiften kann! Ein entsetzlicher, rasender Neid
bemächtigte sich seiner. Er wurde gelb vor Ärger, wenn er einem Werke
gegenüberstand, das den Stempel des Talentes trug. Er knirschte mit den
Zähnen und durchbohrte es mit seinem Blick gleich einem Basilisk. In
seiner Seele regten sich höllische Vorsätze, wie sie so leicht kein
Mensch ersinnt, und mit einer schier rasenden Energie war er bemüht, sie
zur Ausführung zu bringen. Er fing an, alles Beste anzukaufen, was in
seiner Kunst produziert wurde. Nachdem er um teures Geld ein Bild
erstanden hatte, trug er es behutsam in sein Zimmer, stürzte sich mit
der Wut eines Tigers darauf, riß es entzwei, schnitt es in Stücke und
zerstampfte es mit frohlockendem Lachen. Das bedeutende Vermögen, das er
angehäuft hatte, ermöglichte es ihm, dieses teuflische Bedürfnis zu
befriedigen: er riß all seine mit Gold gefüllten Säcke auf und öffnete
all seine Truhen. Nie hat es ein so verständnisloses Scheusal gegeben,
das so viele herrliche Kunstwerke vernichtet hätte, wie dieser rasende
Racheteufel. Auf allen Auktionen, wo er sich zeigte, verzweifelte jeder
im voraus daran, sich ein Kunstwerk erwerben zu können, es schien, als
hätte der erzürnte Himmel diese entsetzliche Geißel absichtlich in die
Welt gesandt, um sie aller Harmonie zu berauben. Diese grauenhafte
Leidenschaft ließ ihn in einem schrecklichen Lichte erscheinen. Von
ewiger Bosheit sprach sein Angesicht. Ein wütender Welt- und Menschenhaß
und eine furchtbare Lebensfeindschaft spiegelten sich in seinen Zügen
wieder. Er schien jener leibhaftige furchtbare Dämon zu sein, den uns
Puschkin so wunderbar geschildert hat. Nichts als giftgeschwollene Reden
und heftige Worte des Tadels entquollen seinem Munde. Er glich einer
Harpye, wenn er auf der Straße dahergestürmt kam; alle, selbst seine
guten Bekannten, bemühten sich, ihm auszuweichen, wenn sie seiner von
ferne ansichtig wurden, und suchten eine solche Begegnung zu vermeiden,
ja sie erklärten, ein solches Zusammentreffen genüge schon, um ihnen den
ganzen Tag zu vergiften.

Zum Glück für die Welt und die Kunst konnte ein solch aufgeregtes und
gewalttätiges Leben nicht lange dauern. Die Dimensionen, zu denen seine
Leidenschaft anwuchs, waren zu kolossal und übertrieben, als daß ein
schwacher Mensch sie auf die Dauer aushalten konnte. Die Wut- und
Wahnsinnsanfälle wiederholten sich immer häufiger und gingen schließlich
in eine entsetzliche Krankheit über, -- ein furchtbares, von einem
heftigen, schnell um sich greifenden Schwindsuchtsanfall begleitetes
Fieber ergriff ihn und binnen drei Tagen war nur noch ein Schatten von
ihm zurückgeblieben. Dazu kamen noch alle Merkmale eines unheilbaren
Irrsinns. Er wütete so um sich, daß ihn oft mehrere Menschen nicht
bändigen konnten. Immer wieder tauchten die längst vergessenen
lebendigen Augen eines seltsamen Porträts vor ihm auf; und dann verfiel
er in ein fürchterliches Toben. Alle Menschen, die sein Bett umstanden,
schienen ihm diesen grauenhaften Porträts zu gleichen, und diese
Porträts verdoppelten, verdreifachten, vervierfachten sich vor seinen
Augen; es kam ihm vor, als wenn alle Wände mit Bildern bedeckt wären,
die ihre lebendigen Augen starr und unbeweglich auf ihn gerichtet
hielten; schreckliche Porträts blickten von der Decke, vom Boden nach
ihm hin, das Zimmer weitete sich aus und dehnte sich bis ins Unendliche,
um immer noch mehr von diesen starren und unbeweglichen Augen fassen zu
können. Der Arzt, der sich verpflichtet hatte, ihn zu behandeln, und der
schon manches über seine seltsame Geschichte gehört hatte, bemühte sich
aus aller Kraft, die geheimnisvolle Beziehung zwischen den
Wahnvorstellungen, die der Irrsinn erzeugte, und den realen Vorgängen zu
ermitteln, er hatte jedoch keinen Erfolg damit. Der Kranke begriff und
fühlte nichts als seine Qual, stieß nur entsetzliche Schreie aus und
führte ganz unzusammenhängende Reden. Endlich gab er in einem letzten
stummen Ausbruch des Schmerzes sein Leben auf. Seine Leiche war
schrecklich anzusehen. Von seinen ungeheuren Reichtümern war nichts mehr
zu entdecken; als man jedoch die zerstreuten Fetzen und Stücke der
großen Kunstwerke fand, deren Wert viele Millionen betrug, da erst
verstand man, welch entsetzlichen Gebrauch er von ihnen gemacht hatte.


                              Zweiter Teil

Eine Menge von Equipagen, Droschken und Kaleschen stand vor dem Portal
eines Hauses, in dem der Nachlaß eines jener reichen Kunstliebhaber
versteigert wurde, die einstmals in den Anblick von Zephyren und Kupidos
versenkt, ihr ganzes Leben sanft verträumten, ohne eigenes Zutun sich
den Ruf von Mäzenen erwarben und treuherzig ihre Millionen
verschwendeten, die sie von ihren soliden Vätern geerbt oder sogar
früher einmal durch ihre eigene Arbeit erworben hatten. Solche Mäzene
gibt es bekanntlich heute nicht mehr, unser neunzehntes Jahrhundert hat
schon längst die langweilige Physiognomie eines Bankiers angenommen, der
seine Millionen nur in der Gestalt von nüchternen auf dem Papier
verzeichneten Zahlenreihen genießt. Eine bunte Menge von Besuchern und
Käufern, die von allen Seiten wie die Raubvögel herbeigestürzt waren,
erfüllte den großen Saal. Da sah man ganze Scharen von russischen
Händlern aus der Passage und sogar von dem Trödelmarkt in blauen
deutschen Röcken; ihr Aussehen und ihr Gesichtsausdruck war hier
sicherer, freier und fiel nicht durch jene unangenehmere Unterwürfigkeit
und Dienstbereitschaft auf, die dem russischen Händler so eigentümlich
ist, wenn er die Kunden in seinem Laden bedient. Hier ließen sie sich
ruhig gehen, trotzdem sich in demselben Saale viele Aristokraten
befanden, vor denen sie an einem andern Orte durch tiefe Bücklinge und
Kratzfüße den an den eigenen Stiefeln herbeigetragenen Staub weggefegt
hätten. Hier benahmen sie sich ganz ungezwungen, betasteten ohne viel
Umstände zu machen, die Bilder und Bücher, um die Güte der Waren
festzustellen, und schraubten dreist die Preise, die die gräflichen
Kunstkenner für ein Werk boten, in die Höhe. Hier traf man so manchen
Repräsentanten jener Menschenklasse, die man auf allen Auktionen findet,
und die täglich zu einer Versteigerung gehen, so wie man wohl in ein
Wirtshaus geht; hier begegnete man all den vornehmen und
aristokratischen Kunstfreunden, die es für ihre Pflicht hielten, keine
Gelegenheit zu versäumen, bei der sie ihre Sammlungen vergrößern
könnten, und die zwischen 12 und 1 Uhr nichts Besseres zu tun hatten,
und endlich fehlte es auch nicht an jenen ehrenwerten Herren, deren
Anzüge und Börsen einen recht dürftigen Eindruck machen und die hier
täglich ohne jedes eigennützige Ziel erscheinen, einzig und allein zu
dem Zwecke, um zu beobachten, wie ein Kauf zustande kommt, -- wer mehr,
und wer weniger geben, wer den andern überbieten, und wem endlich der
Gegenstand zugesprochen werden wird. Viele Bilder standen ganz regellos
durcheinander, dazwischen sah man Möbel und Bücher mit den Initialen des
früheren Besitzers, der vielleicht niemals das löbliche Bedürfnis
gespürt hatte, in sie hineinzublicken. Da gab es chinesische Vasen,
marmorne Tischplatten, neue und alte Möbel mit verschnörkelten Linien,
Greifen, Sphinxen und Löwentatzen, Lampen und Kronleuchter _mit_ und
_ohne_ Vergoldung: alles war aufeinandergestapelt, und es herrschte hier
nicht einmal so viel Ordnung, wie man sie selbst in einem Kunstladen
vorzufinden pflegt. Das Ganze stellte sozusagen ein großes Chaos von
Kunstwerken dar. Überhaupt ist ja das Gefühl, das wir angesichts einer
Versteigerung empfinden, sehr seltsam. Alles mutet einen an wie ein
Begräbnis. Der Saal, in dem sie stattfindet, ist stets düster, die mit
Möbeln und Bildern verstellten Fenster lassen das Licht nur spärlich
hineindringen, das auf den Gesichtern liegende Schweigen und die
Grabesstimme des Ausrufers, der mit dem Hammer aufschlägt und zu Ehren
der armen, hier auf so sonderbare Weise zusammengeratenen Künste eine
Messe liest: alle diese Momente verstecken, wie es scheint, noch das
eigentümlich Frostige des Eindrucks. Die Auktion war offenbar im vollen
Gange. Ein großer Haufe anständig gekleideter, dicht zusammenstehender
Menschen ließ deutliche Spuren seines Interesses und seiner Erregung
erkennen. Die Worte »... Rubel! ... Rubel!« die von allen Seiten
ertönten, ließen dem Ausrufer keine Zeit, den immer noch wachsenden
Preis, der bereits das Vierfache des zu Anfang genannten betrug, zu
wiederholen; die herumstehende Menge bemühte sich um ein Porträt, das
jeden, der auch nur ein wenig von der Malerei verstand, aufs lebhafteste
fesseln mußte. Es trug den sichtbaren Stempel eines Genies. Anscheinend
war es schon des öfteren restauriert und erneuert worden, es stellte die
dunklen Züge eines mit einem weiten Gewande bekleideten Asiaten dar,
dessen Gesicht einen ganz ungewöhnlich eigenartigen Ausdruck hatte. Was
jedoch die Umstehenden am meisten in Staunen setzte, das war das
intensive Leben, das aus seinen Augen strahlte; je länger man sie
betrachtete, um so tiefer schienen sie einem bis ins innerste Innere zu
blicken. Diese Eigentümlichkeit, die auffallende Kunstfertigkeit des
Malers nahmen die Aufmerksamkeit fast aller in Anspruch. Viele der
Bewerber waren bereits zurückgetreten, weil der Preis ganz enorm in die
Höhe geschraubt wurde. Lediglich zwei als Kunstliebhaber bekannte
Aristokraten waren noch übriggeblieben und wollten durchaus nicht auf
die Erwerbung des Gemäldes verzichten. Sie erhitzten sich und hätten
wahrscheinlich den Preis bis zum Absurden emporgetrieben, wenn nicht
plötzlich einer der Anwesenden sich mit der folgenden Bemerkung an sie
gewandt hätte: »Darf ich Sie bitten, Ihren Streit einen Augenblick ruhen
zu lassen? Ich habe vielleicht mehr Anrecht auf dieses Porträt als jeder
andere!«

Diese Worte lenkten sofort die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf den
Sprecher; es war ein schlanker Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, mit
langen schwarzen Locken. Sein sympathisches Gesicht, das eine gewisse
freundliche Sorglosigkeit wiederspiegelte, ließ eine Seele erkennen, die
sich von allen aufreibenden Erregungen, die der gesellschaftliche
Verkehr mit sich bringt, fernhielt. Seine Kleidung entbehrte aller
modischen Übertriebenheiten, jeder seiner Züge deutete auf seinen
Künstlerberuf hin. Und in der Tat, es war ein Maler namens B., den viele
der Anwesenden persönlich kannten.

»Wie seltsam Ihnen auch meine Worte erscheinen mögen,« fuhr er fort, als
er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gerichtet sah, »Sie würden
doch vielleicht selbst einsehen, daß ich berechtigt war, sie zu äußern,
wenn Sie sich dazu entschließen könnten, eine kleine Geschichte mit
anzuhören. Alles bestärkt mich in der Überzeugung, daß gerade dies das
Porträt ist, das ich suche.«

Eine nur allzu natürliche Neugierde sprach aus allen Gesichtern, und
selbst der Ausrufer hielt mit offenem Munde und mit erhobenem Hammer,
neugierig und gespannt in seinem Geschäfte inne. Zu Beginn der Erzählung
wandten sich die Blicke vieler unwillkürlich dem Porträt zu, um sich
nach und nach immer mehr auf den Erzähler zu heften, dessen Bericht
immer interessanter und spannender wurde.

»Jedem von Ihnen ist doch wohl jener Stadtteil bekannt, den man Kolomna
nennt,« begann er. »Hier ist alles anders als in den andern Teilen
Petersburgs. Dies Quartal erinnert weder an die Hauptstadt, noch an die
Provinz. Wenn man in dies Kolomnaviertel gerät, ist einem fast zumute,
als ob einen nach und nach alle jugendlichen Gefühle und Leidenschaften
verlassen. Hier hinein fällt kein Zukunftsblick, hier ist alles ruhig
und starr und unbeweglich. Hierher flüchtet sich alles, was sich als
Niederschlag des Hauptstadtbetriebes absetzt. Hier schlagen inaktive
Beamte, Witwen und Personen in bescheidenen Verhältnissen ihr
Ruheplätzchen auf, die auf eine Entscheidung des Senats harren und sich
daher selbst zu einem fast lebenslänglichen Aufenthalt in diesem
Quartier verurteilt haben; hier wohnen verabschiedete Köchinnen, die
sich den ganzen Tag hindurch auf den Märkten herumtreiben, stundenlang
in dem Kramladen stehen, mit dem Verkäufer schwatzen und sich jeden Tag
für fünf Kopeken Kaffee und für vier Kopeken Zucker kaufen, und endlich
findet sich hier noch jene Sorte von Leuten, die man am besten mit dem
einen Worte »die Aschgrauen« bezeichnen könnte, Menschen, deren Anzug
und deren Gesicht, Haare und Augen eine trübe, aschgraue Farbe haben,
wie ein Tag, an dem es nicht stürmt und wo die Sonne nicht scheint,
sondern wo weder das eine noch das andre stattfindet: ein grauer Nebel
hüllt alles ein und nimmt allen Gegenständen ihre scharfen Konturen. Zu
ihnen kann man alle abgedankten Logenschließer, Titularräte und
Marsjünger mit einem ausgestochenen Auge und dicken aufgedunsenen Lippen
rechnen. Lauter Menschen ohne Temperament und ohne jede Leidenschaft,
sie gehen stumpfsinnig einher ohne dem, was um sie her passiert, die
geringste Aufmerksamkeit zu schenken und schweigen tagelang, ohne an
etwas zu denken. In ihren Zimmern sieht es öde und leer aus; oft besteht
ihr Mobiliar einzig und allein aus einer Karaffe mit echter russischer
Wodka, an der sie den ganzen Tag unaufhörlich nippen, ohne daß sie ihnen
ernstlich zu Kopfe steigt, was einem gewöhnlich nur nach einem kräftigen
Schluck zustößt, wie ihn sich wohl Sonntags ein junger deutscher
Handwerksbursche -- dieser Student der Meschtschanskistraße[14] und
alleinige Beherrscher des Bürgersteigs zu gestatten pflegt, --
allerdings erst -- wenn Mitternacht vorüber ist.

In Kolomna geht es äußerst still zu; nur selten zeigt sich ein Wagen, in
dem Schauspieler sitzen, und der dann durch sein donnerndes Gerassel
allein die allgemeine Ruhe stört. Hier gibt es nur Fußgänger, so mancher
Droschkenkutscher kommt hier oft langsam und ohne Fahrgast dahergefahren
oder schleppt etwas Heu für seine struppige Mähre herbei. Eine Wohnung
kann man hier schon für fünf Rubel monatlich haben, den Morgenkaffee
miteingeschlossen. Witwen, die eine kleine Pension beziehen, gehören
hier schon zu den vornehmsten Leuten; das sind Damen von gutem Benehmen,
die ihre Zimmer oft fegen und sich mit ihren Nachbarinnen über die
teuren Preise des Fleisches und des Kohles unterhalten. Sie haben
gewöhnlich eine junge Tochter, ein wortkarges, mitunter recht niedliches
Geschöpf, dazu ein garstiges Hündchen und eine Wanduhr mit einem traurig
tickenden Pendel. Weiter gibt es hier Schauspieler, denen es ihre Gage
nicht gestattet, von Kolomna wegzugehen, ein freies Völkchen, das wie
alle Künstler nur dem Genusse lebt. Sie sitzen in ihren Schlafröcken da,
und reparieren wohl eine Pistole, kleben aus Pappe allerlei Gegenstände,
die man im Hause braucht, spielen mit einem Freunde oder Gast eine
Partie Dame oder Karten und verbringen so den ganzen Tag, wobei man
jedoch nicht etwa denken darf, daß sie am Abend etwas anderes tun,
höchstens daß sie zuweilen noch einen Grog zu sich nehmen. Auf diese
Magnaten und Aristokraten von Kolomna folgt schließlich nur noch das
gemeinste und verkommenste Pack; es genauer zu bezeichnen, wäre ebenso
schwierig, wie die Aufzählung jener zahlreichen Insekten, die in altem
Essig keimen. Da gibt es alte Weiber, die beten, alte Weiber, die
trinken, und solche, die zugleich beten und trinken, ferner solche, die
sich auf völlig unbekannte Weise durchschlagen, und wie emsige Ameisen
ganze Haufen alter Lumpen und Wäschestücke von der Kalinkin-Brücke nach
dem Trödelmarkte schleppen, um sie dort für fünfzehn Kopeken zu
verkaufen; mit einem Worte der elendeste Bodensatz der Menschheit,
dessen Lage selbst der menschenfreundlichste Sozialpolitiker kaum zu
verbessern vermöchte.

[Fußnote 14: Kleinbürgerstraße.]

All diese Leute habe ich nur zu dem Zwecke angeführt, um Ihnen zu
zeigen, wie oft dieses Volk in die Notlage kommt, eine plötzliche,
vorübergehende Hilfe in Anspruch und zu einer Anleihe seine Zuflucht zu
nehmen. Und in der Tat findet man unter ihnen auch viele Wucherer, die
ihnen gegen ein Pfand und hohe Zinsen kleinere Summen leihen. Diese
kleinen Wucherer sind viel herzloser und gefühlloser, als die großen,
denn sie entspringen aus der Armut und aus einem seine Lumpen offen zur
Schau stellenden Elend, das der reiche und vornehme Wucherer gar nicht
kennt, weil er nur mit solchen Kunden zu tun hat, die in einer eleganten
Equipage vorfahren, -- und daher erstirbt in ihnen schon früh jedes
menschliche Gefühl. Unter diesen Wucherern gab es einen ... aber hier
darf ich wohl erwähnen, daß das Geschehnis, welches ich Ihnen erzählen
will, in das verflossene Jahrhundert, nämlich in die Regierungszeit der
verstorbenen Zarin Katharina II. fällt. Sie können sich vorstellen, daß
auch das Äußere Kolomnas und ihr inneres Leben sich seitdem bedeutend
verändert haben. Also unter den Wucherern gab es einen, der in jeder
Beziehung ein ungewöhnlicher Mensch war. Er hatte sich schon vor langer
Zeit in diesem Viertel niedergelassen und trug stets ein weites,
asiatisches Gewand. Seine dunkle Gesichtsfarbe deutete auf seine
südliche Herkunft hin; welcher Nation er jedoch eigentlich angehörte, ob
er ein Inder, Grieche oder Perser war, darüber konnte niemand etwas
Bestimmtes aussagen. Der hohe, fast ungewöhnliche Wuchs, das dunkle,
magere, verbrannte Antlitz, die seltsame, auffallende Gesichtsfarbe und
die großen, feurigen Augen mit den finsteren, buschigen Augenbrauen
ließen ihn als eine markante Erscheinung unter allen aschgrauen
Bewohnern der Hauptstadt hervortreten. Selbst seine Behausung hatte
keine Ähnlichkeit mit den einförmigen Holzbaracken Kolomnas. Er wohnte
in einem steinernen Hause, wie sie vormals genuesische Kaufleute zu
errichten pflegten. Die Fenster hatten eine unregelmäßige Form, waren
alle verschieden groß und mit Riegeln und hölzernen Läden versehen.
Dieser Wucherer unterschied sich schon dadurch von seinen Kollegen, daß
er jeden seiner Klienten, ob es nun eine alte Bettlerin oder ein
verschwenderischer höherer Beamter des Hofes war, mit einer beliebigen
Summe zu versehen vermochte. Vor seinem Hause hielten oft elegante
Equipagen, aus deren Schlag bisweilen der Kopf einer feinen Weltdame
hervorlugte. Man erzählte sich, wie das so gewöhnlich geschieht, daß
seine eisernen Truhen mit unermeßlich viel Geld, Diamanten und
verschiedenen kostbaren Pfandgegenständen angefüllt seien, daß er aber
trotzdem frei von der Habgier gewöhnlicher Wucherer wäre. Er verlieh
sein Geld sehr gerne und setzte annehmbare äußerst bequeme
Zahlungstermine für seine Kunden an, nur ließ er die Zinsen durch
allerhand eigentümliche arithmetische Operationen zu ganz maßlosen
Summen anwachsen. So wenigstens urteilte Fama über ihn; was aber am
auffälligsten war und auf jeden Fall alle verblüffen mußte, das war das
seltsame Schicksal aller derer, die bei ihm Geld borgten. Sie gingen
alle auf klägliche Weise zugrunde. Ob es nun aber nur leeres Geschwätz,
nur ein sinnloses, abergläubiges Gerede der Menschen oder ein mit
Absicht verbreiteter Klatsch war, das blieb unbekannt. Indessen gab es
doch einige Fälle, die sich binnen ganz kurzer Zeit vor allen Augen
abspielten und die einen tiefen und überwältigenden Eindruck auf die
Leute machten. Damals lenkte gerade ein Jüngling aus einer vornehmen
aristokratischen Familie, der sich bereits in jenen Jahren im
Staatsdienste ausgezeichnet hatte, die Aufmerksamkeit auf sich: ein
glühender Verehrer alles Echten und Erhabenen, ein eifriger Förderer
menschlicher Geistesarbeit und hoher Kunst, mit einem Worte ein Mensch,
der ein wahrhafter Mäzen zu werden versprach. So kam es denn, daß er
sehr bald nach seinen Verdiensten von der Zarin selbst ausgezeichnet
wurde, die ihm ein mit seinen eigenen Wünschen und Ansprüchen
übereinstimmendes bedeutendes Amt und einen Posten anvertraute, auf dem
er viel für die Wissenschaften und für alles Gute wirken konnte. Der
junge Beamte umgab sich mit Künstlern, Dichtern und Gelehrten. Er wollte
allen Arbeit verschaffen und alle nach Kräften fördern. Er gab auf
eigene Kosten eine Reihe von nützlichen Werken heraus, verteilte eine
Menge von Aufträgen und setzte viele Preise aus; auf diese Weise
verausgabte er ungeheuer viel Geld und geriet schließlich in pekuniäre
Verlegenheiten. Aber da er ein vornehmer und hochherziger Charakter war,
wollte er nicht von seinem Vorhaben abstehen, er suchte überall Anleihen
aufzunehmen und wandte sich endlich an den uns schon bekannten Wucherer.
Er erhielt auch eine bedeutende Summe von ihm, aber bald darauf ging
eine gewaltige Veränderung mit ihm vor: er wurde mit einem Male ein
Verfolger und Unterdrücker aller aufstrebenden Geister und Talente. An
allem, was ihm vor Augen kam, entdeckte er sofort die schlechten Seiten
und deutete jedes harmlose Wort falsch. Um diese Zeit brach gerade die
französische Revolution aus, und dieses Ereignis gab ihm plötzlich den
Anlaß zu allen möglichen Verdächtigungen und häßlichen Taten, überall
fing er an, revolutionäre Umtriebe zu wittern; jedes Ereignis schien ihm
eine schlimme Andeutung zu enthalten. Er wurde so argwöhnisch, daß er
sich schließlich sogar selbst zu mißtrauen begann; er gab sich zu einer
ganzen Reihe abscheulicher und höchst ungerechter Denunziationen her und
machte dadurch unzählige Menschen unglücklich. Die Folgen einer solchen
Handlungsweise war natürlich die, daß das Gerücht davon bis an den Thron
gelangte. Die großmütige Kaiserin war ganz entsetzt und sprach sich in
hochherziger Weise, die der schönste Schmuck gekrönter Häupter ist,
darüber aus. Ihre Worte sind uns zwar nicht genau überliefert, aber ihr
tiefer Sinn prägte sich im Herzen vieler ein. Die Kaiserin bemerkte, es
seien gar nicht die monarchischen Regierungen, die die hohen und
vornehmen Seelenregungen unterdrückten; in einer solchen Staatsform
seien die Werke des Geistes, der Dichtung und der Künste keineswegs
verachtet und Verfolgungen ausgesetzt, vielmehr seien die Monarchen ihre
natürlichen Protektoren, erst unter _ihrem_ hochherzigen Schutze
erstände ein Shakespeare, ein Molière usw., während andererseits ein
Dante in seinem republikanischen Vaterlande keine Ruhestätte finden
konnte. Wahre Genies entfalteten sich nur in den glänzenden Zeitaltern
mächtiger Könige und Königreiche und nicht unter dem Einflusse häßlicher
politischer Vorgänge und terroristischer Republiken, die der Welt bis
jetzt noch keinen einzigen Dichter geschenkt hätten. Sie erklärte, man
müsse die Dichter und Künstler reichlich belohnen und auszeichnen, denn
sie schenkten der Seele Ruhe und Frieden und bewahrten sie vor häßlichen
Leidenschaften und Empörung; die Gelehrten, die Dichter und alle
schaffenden Künstler seien die Perlen und Diamanten in den Kaiserkronen:
sie seien der höchste Schmuck, der das Zeitalter eines großen Herrschers
kröne und ihm einen herrlichen Glanz verleihe. Während die Kaiserin
diese Worte sprach, war sie unendlich schön und göttlich. Ich erinnere
mich, daß die alten Leute nicht anders als mit Tränen in Augen davon
sprechen konnten. Alle zeigten die lebhafteste Teilnahme für den Fall.
Zur Ehre unserer Nation muß hier bemerkt werden, daß sich in dem Herzen
eines Russen stets der hochherzige Wunsch regt, die Partei der
Bedrückten zu ergreifen. Der hohe Beamte, der das ihm geschenkte
Vertrauen zu sehr mißbraucht hatte, wurde gebührend bestraft und seines
Amtes enthoben, aber noch eine weit peinigendere Strafe war es für ihn,
daß er eine unverhüllte und allgemeine Mißachtung aus den Gesichtern
seiner Mitbürger lesen konnte. Es läßt sich kaum beschreiben, wie sehr
seine eitle Seele darunter litt. Gekränkter Stolz, betrogener Ehrgeiz,
vernichtete Hoffnungen: all diese Empfindungen vereinigten sich zu einer
drückenden Qual, und in entsetzlichen Wahnsinnsanfällen riß sein
Lebensfaden ab. Noch ein anderer frappanter Fall trug sich gleichfalls
vor aller Augen zu. Von den vielen schönen Frauen, an denen unsere
nordische Hauptstadt damals nicht arm war, lief besonders _eine_ allen
anderen den Rang ab. Sie vereinigte in sich in wunderbarer Weise alle
Reize unserer nordischen Schönheit mit denen des Südens; das war ein
kostbarer Edelstein, wie man ihn nur selten auf der Welt findet. Mein
Vater gestand, niemals in seinem Leben etwas Ähnliches gesehen zu haben.
Alle Vorzüge schienen sich in diesem Wesen vereinigt zu haben: Reichtum,
Geld und seelische Anmut. An Bewerbern fehlte es natürlich nicht; der
interessanteste und hervorragendste unter ihnen aber war ein Fürst R...,
ein vornehmer junger Mann von wahrhaft edelem Charakter, wohlgestaltet
und von ritterlichem, hochherzigem Wesen, das höchste Ideal aller
Frauen, ein richtiger Romanheld und in allem ein echter Grandisson.
Fürst R. war leidenschaftlich, ja geradezu wahnsinnig in sie verliebt,
und seine Liebe wurde ebenso feurig erwidert. Leider erschien bloß den
Verwandten diese Partie als Mesalliance. Die Erbgüter seiner Familie
gehörten nämlich nicht mehr ihm, die ganze Familie war in Ungnade
gefallen, und der schlechte Zustand seiner Verhältnisse war allgemein
bekannt. Plötzlich verläßt der Fürst für eine Zeitlang die Hauptstadt,
allem Anscheine nach, um seine Verhältnisse zu regeln, taucht aber bald
darauf wieder auf, wobei er einen unglaublichen Prunk und Luxus
entfaltete. Seine glänzenden Feste und Bälle machen ihn bald bei Hofe
bekannt. Der Vater der Schönen ist ihm wohlgeneigt, und bald darauf
findet in der Stadt eine Hochzeitsfeier statt, die überall Aufsehen
erregt. Woher diese Veränderung und der ungeheure Reichtum des
Bräutigams stammte, darüber konnte freilich niemand genauere Auskunft
geben; man tuschelte bloß im geheimen davon, er wäre irgendwelche
Abmachungen mit dem rätselhaften Wucherer eingegangen und hätte bei ihm
eine größere Anleihe gemacht. Wie dem aber auch war, die Hochzeit
beschäftigte die ganze Stadt, und Bräutigam wie Braut erregten den Neid
aller Leute. Jedermann wußte, wie heiß und standhaft sie sich geliebt --
und was für lange Qualen beide zu erdulden gehabt hatten; überall
schätzte man sie wegen ihres edelen Charakters und ihrer hohen Vorzüge.
Die leidenschaftlichsten unter den Frauen malten sich schon im voraus
die paradiesischen Wonnen aus, die den jungen Ehegatten bevorständen.
Und doch kam alles anders. Im Lauf eines einzigen Jahres ging mit dem
Gatten eine furchtbare Veränderung vor. Das Gift einer argwöhnischen
Eifersucht und Unduldsamkeit schien plötzlich seinen bis dahin vornehmen
und makellosen Charakter angefressen zu haben; unerklärliche Launen
entstellten sein ganzes Wesen; er wurde ein Tyrann, der seine Frau
beständig quälte, und scheute schließlich -- was niemand voraussehen
konnte -- nicht einmal vor den unmenschlichsten Taten zurück: er
peinigte und schlug seine eigene Gattin. Schon nach einem Jahre war die
Frau nicht wieder zu erkennen, sie, die noch unlängst eine so glänzende
Erscheinung gewesen war und Scharen von treuen Anbetern und glühenden
Verehrern angezogen hatte. Endlich ließ sie -- unfähig, ihr schweres Los
noch weiter zu ertragen -- ein Wort über Scheidung fallen, aber der
Gatte geriet schon bei dem leisesten Gedanken daran in Wut. In der
ersten Erregung drang er mit einem Messer bewaffnet in ihr Zimmer ein,
und er hätte sie zweifellos sofort niedergestochen, wenn er nicht
überwältigt und festgehalten worden wäre. Ganz außer sich und voller
Verzweiflung zückte er sein Messer gegen sich selbst und beschloß sein
Leben in schrecklichen Qualen.

Außer diesen beiden Fällen, die sich vor den Augen der ganzen Welt
abgespielt hatten, wurde noch eine Reihe anderer erzählt, die sich unter
den niedren Klassen zutrugen, und die fast alle einen ebenso
entsetzlichen Ausgang nahmen. Ehrliche, nüchterne Männer wurden
plötzlich zu Trunkenbolden, Gehilfen bestahlen ihre Chefs, ein
Droschkenkutscher, der viele Jahre hindurch ehrlich und fleißig gedient
hatte, erstach auf einmal einen Fahrgast wegen einiger Pfennige.
Natürlich mußten solche Erzählungen, die noch dazu meist sehr
ausgeschmückt und übertrieben waren, den einfältigen Bewohnern Kolomnas
eine Art unwillkürlichen Grauens einflößen. Niemand zweifelte mehr
daran, daß dieser Mann mit der Hölle im Bunde stehe. Man erzählte sich,
daß er seinen Kunden Bedingungen stelle, die einem die Haare zu Berge
steigen ließen, und die der unglückliche Schuldner nie einem andern
mitzuteilen wagte; daß sein Geld eine besondere Anziehungskraft ausübe,
von selbst zu glühen anfange und seltsame Merkzeichen an sich trage ...,
mit einem Worte, es waren viele unsinnige Gerüchte über ihn im Umlauf.
Und so ist es denn auch nicht weiter merkwürdig, daß die ganze
Einwohnerschaft Kolomnas, diese ganze Welt armer alter Frauen, kleiner
Beamter und untergeordneter Schauspieler, kurz, all dieses elenden
Volkes, das wir soeben beschrieben haben, lieber alle Leiden und die
höchste Not auf sich nehmen, als den schrecklichen Wucherer um ein
Darlehn angehn wollte, es gab sogar arme alte Frauen, die es vorzogen,
vor Hunger zu sterben, als ihre Seele zugrunde zu richten. Wenn man dem
Wucherer auf der Straße begegnete, wurde man unwillkürlich von einer
seltsamen Angst ergriffen. Die Passanten wichen ihm furchtsam aus,
drehten sich immer wieder nach ihm um und verfolgten die in der Ferne
verschwindende riesenhafte Gestalt noch lange mit ihren Blicken. Schon
in seinem Äußern lag so viel Ungewöhnliches, daß jedermann unwillkürlich
den Eindruck hatte, es mit einem übernatürlichen Wesen zu tun zu haben.
Diese harten, scharf gemeißelten Züge, wie man sie selten bei einem
Menschen antrifft, diese glühende, bronzene Gesichtsfarbe, diese dichten
buschigen Augenbrauen, die unerträglich schrecklichen Augen, selbst
seine weite, bauschige asiatische Kleidung -- alles schien darauf
hinzudeuten, daß alle Leidenschaften anderer Menschen vor denen, die
dieser Körper in sich barg, verbleichen mußten. Jedesmal, wenn mein
Vater ihm begegnete, blieb er unbeweglich stehen und konnte sich bei
solch einer Gelegenheit nicht enthalten, laut auszurufen: »Ein Teufel!
Ein wahrhaftiger Teufel!« Doch nun muß ich Sie schnell noch mit meinem
Vater bekannt machen, der übrigens der eigentliche Held dieser
Geschichte ist.

Mein Vater war in vielen Beziehungen ein merkwürdiger Mensch. Er war ein
seltener Künstler, einer von denen, wie sie nur Rußland aus seinem
jungfräulichen Schoße erzeugt, ein Autodidakt, der alle künstlerischen
Gesetze und Regeln ohne Lehrer und ohne die Anleitung der Schule ganz
aus sich selbst heraus entdeckt hatte, und in dem mächtigen Drange nach
ständiger Vervollkommnung, aus Gründen, die ihm vielleicht selbst
unbekannt blieben, immer den Weg ging, den ihm sein Instinkt wies: er
war eines jener ursprünglichen Wunder, die von den Zeitgenossen nicht
selten mit dem verletzenden Beiwort »ungebildeter Mensch« bezeichnet und
die durch Angriffe und eigenes Mißgeschick nicht ernüchtert und
abgekühlt werden, sondern nur noch neuen Eifer und neuen Drang aus ihnen
schöpfen und dann jene Werke innerlich weit hinter sich lassen, die
ihnen den oben erwähnten Titel eingebracht haben. Er erkannte in jedem
Gegenstand intuitiv die Gegenwart einer Idee; ganz von selbst ging ihm
die wahre Bedeutung des Wortes »Historische Malerei« auf, er begriff,
warum ein einfacher Zopf, ein schlichtes Porträt von Raffael, Lionardo
da Vinci, Tizian oder Correggio einen Anspruch auf diese Bezeichnung
hatten, während ein riesiges Gemälde geschichtlichen Inhalts dennoch nur
ein Genrebild bleiben konnte, trotz aller Prätensionen des Malers, damit
ein großes historisches Gemälde geschaffen zu haben. Sowohl eigene
Neigung als innere Überzeugung führten ihn den religiösen Stoffen des
Christentums, der höchsten und letzten Stufe des Erhabenen, zu. Er besaß
weder Ehrgeiz, noch Empfindlichkeit, Eigenschaften, die leider bei so
vielen Künstlern einen wesentlichen Bestandteil ihres Charakters bilden.
Dies war eine herbe Persönlichkeit, ein ehrlicher, gerader, beinahe
grober Mensch, der sich nach außen durch eine harte Rinde gegen die
Umwelt abschloß und innerlich nicht ohne Stolz war, der sich jedoch über
seine Mitmenschen zwar stets in schroffer Weise, doch zugleich milde und
versöhnlich äußerte. »Wozu soll ich mich nach ihnen richten?« pflegte er
gewöhnlich zu sagen; »ich arbeite ja nicht für sie! Ich will meine
Bilder ja nicht in einem Salon bewundern lassen! Wer mich versteht, wird
mir sicher dankbar sein. Einem Mann aus der vornehmen Gesellschaft kann
man es nicht weiter verargen, wenn er nichts von Malerei versteht; dafür
versteht er was von Karten, von guten Weinen oder Pferden ... Wozu
braucht denn ein großer Herr auch mehr zu wissen? Wenn so ein Mensch
erst von allem gekostet hat und sich auf das Geistreicheln verlegt, dann
ist er erst recht nicht zu ertragen. _Suum cuique!_ Schuster bleib bei
deinen Leisten! Meiner Meinung nach ist ein Mensch, der es offen
eingesteht, wo er nicht Bescheid weiß, einem Heuchler vorzuziehen, der
so tut, als ob er etwas von Dingen versteht, von denen er gar keine
Ahnung hat, und der nur herumpfuscht und andre Leute schädigt.« Er
arbeitete schon für den bescheidensten Preis, der ihm nur die Mittel zum
Unterhalt seiner Familie und die Möglichkeit zu weiterem Schaffen bot.
Auch weigerte er sich niemals, einem andern zu helfen und einem armen
Kollegen hilfreich die Hand zu reichen. Er hatte sich den einfachen,
frommen Glauben unserer Ahnen erhalten, und das war vielleicht der
Grund, daß es ihm so gut gelang, den von ihm gemalten Gesichtern jenen
hohen Ausdruck zu verleihen, nach dem so manches große Talent vergebens
strebt. Endlich glückte es ihm, durch unausgesetzte Arbeit und rastlose
Verfolgung des einmal vorgesteckten Zieles auch die Achtung derer zu
erringen, die ihn früher einen ungebildeten Menschen und einen
hausbackenen Autodidakten genannt hatten. Er bekam Aufträge, Wandgemälde
für Kirchen zu malen, und es fehlte ihm nie an Arbeit. Einmal war er
gerade durch solch ein Werk sehr in Anspruch genommen. Ich erinnere mich
nicht mehr genau an das Sujet und weiß nur noch, daß auf dem Gemälde der
gefallene Engel, der Geist der Finsternis, dargestellt werden sollte.
Dieses Problem beschäftigte ihn lange Zeit: Wie würde er ihn malen? In
der Person dieses Engels mußte der furchtbare Druck und die Pein, die
auf dem Menschen lastet, zum Ausdruck kommen. Hierbei schwebte ihm wohl
oft das Bild des rätselhaften Wucherers vor, und er dachte sich
unwillkürlich: »Das wäre das rechte Vorbild für meinen Teufel!« Und nun
stellen Sie sich selbst vor, wie erstaunt und erschrocken er war, als
eines Tages, während er arbeitete, an die Tür seines Ateliers gepocht
wurde, und der schreckliche Wucherer bei ihm eintrat. Kein Wunder, daß
sein Inneres erbebte, und ein heftiges Zittern seinen ganzen Körper
überlief.

»Du bist Maler?« fragte er, ohne viel Umstände zu machen, meinen Vater.

»Ja, ich bin Maler!« versetzte mein Vater verwirrt und gespannt, was nun
folgen würde.

»Gut! Dann porträtiere mich! Ich werde vielleicht bald sterben! Kinder
habe ich nicht. Aber ich will nicht ganz untergehen, ich will
weiterleben. Kannst du mir ein solches Porträt malen, das den vollen
Eindruck des Lebens macht?«

Mein Vater dachte: »Was kann ich mir Besseres wünschen? Er bietet sich
mir selbst als Modell für den Teufel an!« So willigte er denn ein, sie
einigten sich über Zeit und Preis, und gleich am nächsten Tage erschien
mein Vater mit Pinsel und Palette bei ihm. Der Hof mit den hohen Mauern,
die Hunde, die eisernen Tore und Riegel, die bogenförmigen Fenster, die
mit merkwürdigen Teppichen bedeckten Truhen und endlich der seltsame
Hausherr selbst, der ihm unbeweglich gegenüber saß: all das machte einen
eigentümlichen Eindruck auf ihn. Die Fenster waren wie mit Absicht unten
so verstellt und verhängt, daß das Licht nur von oben hereindringen
konnte. »Hol's der Teufel! wie fein sein Gesicht jetzt beleuchtet ist!«
sagte er vor sich hin und fing eifrig an zu arbeiten, wie wenn er
befürchtete, daß die günstige Beleuchtung bald verschwinden könne. »Was
für eine Kraft in ihm liegt,« wiederholte er leise; »wenn es mir nur zur
Hälfte gelingt, ihn so darzustellen, wie er jetzt dasitzt, dann wird er
alle meine früheren Arbeiten in den Schatten stellen. Er wird mir
wahrhaftig aus der Leinwand herausspringen, wenn ich der Natur auch nur
im mindesten treu bleibe. Was für auffallende Züge!« wiederholte er
unaufhörlich, indem er noch eifriger arbeitete, und nun sah er selbst,
wie schon einige Partien des Gesichts auf der Leinwand erschienen. Aber
je mehr er sich ihnen näherte, ein desto stärkeres, ihm selbst
unbegreifliches Gefühl der Unruhe und der Furcht überfiel ihn. Trotzdem
aber nahm er sich vor, jede kaum merkliche Linie, jeden kleinsten
Ausdruck mit peinlicher Genauigkeit zu registrieren. Vor allem
beschäftigte er sich mit der Darstellung der Augen; in ihnen lag so viel
Kraft, daß man offenbar gar nicht hoffen durfte, ihr tiefstes Wesen auf
dem Bilde wiederzugeben. Dennoch hatte er sich fest vorgenommen, um
jeden Preis alle, auch die unwesentlichsten Töne und Schattierungen aus
ihnen herauszuholen und ihr Geheimnis zu ergründen ... Aber kaum hatte
er begonnen, sich in sie zu versenken und zu vertiefen, als ein solch
unbegreiflicher Druck, ein solch eigentümlicher Widerwille seine Seele
erfaßte, daß er für einige Zeit den Pinsel niederlegen mußte, um erst
nach dieser Ruhepause die Arbeit wieder aufzunehmen. Endlich konnte er
es nicht länger ertragen; er fühlte, wie sich diese Augen in seine Seele
bohrten und eine sonderbare Unruhe in ihr hervorriefen. Am dritten Tage
wurde dieses Gefühl noch intensiver. Ihm wurde ganz ängstlich zumute. Er
warf den Pinsel in die Ecke und erklärte dem Wucherer mit Nachdruck, er
könne ihn unmöglich weiter malen. Da hätte man sehen müssen, welche
Veränderung diese Worte in dem schrecklichen Manne hervorriefen. Er warf
sich plötzlich vor dem Maler auf die Knie, umklammerte seine Füße und
flehte ihn an, das Porträt zu vollenden, er erklärte, daß sein ganzes
Schicksal und seine ganze irdische Existenz von diesem Porträt abhingen,
schon jetzt habe ja des Künstlers Pinsel seine lebendigen Züge auf der
Leinwand festgehalten -- wenn diese Züge genau im Bilde fixiert würden
-- werde sein Leben durch eine übernatürliche Macht im Porträt weiter
fortbestehen; dann brauche er nicht ganz zu sterben, und er werde der
Welt erhalten bleiben. Diese Bitten entsetzten meinen Vater; sie
erschienen ihm so ungewöhnlich und frevelhaft, daß er Pinsel und Palette
wegwarf und jählings aus dem Zimmer stürzte.

Der Gedanke an dieses Ereignis beunruhigte ihn die ganze Nacht und den
ganzen Tag hindurch; am andern Morgen ließ ihm der Wucherer durch eine
Frau, das einzige Wesen, das bei ihm diente, das Porträt zustellen. Sie
erklärte ihm ohne alle Umschweife, daß ihr Herr das Bild nicht haben
wolle, nichts dafür bezahlen werde und es ihm daher zurücksende. Am
Abend desselben Tags erhielt er die Kunde von dem Tode des Wucherers,
und die Nachricht, daß er demnächst nach dem Brauche seiner Religion
beigesetzt werden solle. Dies alles erschien ihm höchst unerklärlich und
seltsam, zu alledem aber machten sich von diesem Moment an in seinem
Charakter gewisse Veränderungen bemerkbar. Er litt unter einer
merkwürdigen Erregtheit und Ruhelosigkeit, deren Ursache er selbst nicht
begreifen konnte, ja er tat bald darauf etwas, was wohl niemand von ihm
erwartet hätte. Seit einer gewissen Zeit lenkten die Arbeiten eines
seiner Schüler die Aufmerksamkeit eines kleinen Kreises von Kennern und
Liebhabern auf sich; mein Vater hatte sein Talent immer anerkannt und
eine tiefe Neigung für ihn gefaßt. Jetzt aber wurde er plötzlich von
einem häßlichen Neid gegen ihn ergriffen. Die allgemeine Sympathie, die
sich in den Unterhaltungen über ihn äußerte, wurde meinem Vater ganz
unerträglich. Endlich erfuhr er zu seinem großen Verdruß, daß sein
Schüler den Auftrag erhalten hatte, ein Bild für eine erst vor kurzem
vollendete prachtvolle Kirche zu malen. Das versetzte ihn in eine
furchtbare Wut. »Ich werde diesem Grünschnabel doch nicht den Triumph
gönnen!« rief er aus. »Nein, mein Lieber, du hoffst zu früh, die Alten
in den Staub zu ziehen! Gott sei Dank, noch fühle ich genug Kraft in
mir! Wir wollen doch abwarten, wer den andern zuerst in den Staub
zieht!« Und der biedere, in seinem Kerne grundehrliche Mann wandte sich
allen möglichen Ränken und Schleichwegen zu, die er bisher stets
verabscheut hatte, und brachte es endlich auch so weit, daß um den
Auftrag für das Kirchenbild ein allgemeiner Wettbewerb ausgeschrieben
wurde, an dem sich natürlich auch andere Künstler beteiligten durften.
Hierauf schloß er sich in seinem Atelier ein und machte sich eifrig an
die Arbeit. Es schien, als ob sich seine ganzen Kräfte und seine ganze
Persönlichkeit auf dieses Gemälde konzentriert hätten, und in der Tat
kam so eins seiner besten Werke zustande. Niemand zweifelte daran, daß
ihm die Palme zufallen würde. Die Bilder wurden der Jury eingereicht,
aber alle anderen Werke verhielten sich zu diesem wie die Nacht zum
Tage. Plötzlich jedoch machte einer der anwesenden Kunstrichter -- wenn
ich nicht irre, ein Geistlicher -- eine Bemerkung, die alle überraschte.
»In dem Bilde dieses Künstlers offenbart sich wirklich ein starkes
Talent,« meinte er, »aber den Gesichtern geht der fromme, heilige
Ausdruck ab. Es liegt vielmehr etwas Dämonisches in diesen Augen, als
hätte eine böse Macht die Hand des Künstlers geführt.« Alle blickten
hin, und in der Tat, die Wahrheit dieser Worte ließ sich nicht
bestreiten. Mein Vater stürzte auf sein Bild los, wie um diese
verletzende Bemerkung selbst auf ihre Berechtigung hin zu prüfen, aber
er gewahrte mit Entsetzen, daß er allen seinen Gestalten die Augen des
Wucherers verliehen hatte. Sie blickten ihn so teuflisch und vernichtend
an, daß er selbst unwillkürlich schauderte. Das Bild wurde abgelehnt,
und er mußte zu seinem unbeschreiblichen Ärger erfahren, daß die Palme
seinem Schüler zufiel. Es läßt sich unmöglich beschreiben, in welcher
Wut und Raserei er nach Hause zurückkehrte. Er hätte beinahe meine
Mutter geschlagen, er warf die Kinder hinaus, zerbrach Pinsel und
Staffeleien, riß das Porträt des Wucherers von der Wand, ließ sich ein
Messer geben und wollte Feuer im Kamin entzünden, um das Bild -- nachdem
er es in Stücke geschnitten hätte -- zu verbrennen. Aber bei diesem
Vorhaben wurde er durch die Ankunft eines Freundes überrascht, der
soeben in das Zimmer getreten war. Dieser Freund war gleich ihm ein
Maler, ein lustiger Bursche, der stets mit sich zufrieden war, sich
nicht mit weitliegenden Plänen abgab und alle Arbeiten, die ihm unter
die Hand kamen, fröhlich in Angriff nahm, um sich nach deren Beendigung
noch fröhlicher ans Schlemmen und Zechen zu machen.

»Was hast du da? Was willst du verbrennen?« fragte er ihn, indem er an
das Porträt herantrat. »Aber ich bitte dich, das ist ja eines deiner
besten Werke! Das ist ja der Wucherer, der erst kürzlich gestorben ist!
Ja, das ist ein vollkommenes Kunstwerk! Den hast du nicht bloß
vorzüglich getroffen, du bist ihm sozusagen in die Augen
hineingekrochen! So lebhaft haben sie ja nicht einmal geblickt, als er
noch am Leben war, wie hier bei dir!«

»Ich möchte gern sehen, wie sie mich aus dem Feuer anblicken werden!«
sagte mein Vater, während er eine Bewegung machte, um das Porträt in den
Kamin zu schleudern. »Halt, um Gottes willen,« fiel der Freund ein und
hielt ihn am Arme fest. »Gib es doch lieber mir, wenn es dir so lästig
ist!« Mein Vater sträubte sich anfangs, gab aber schließlich nach, und
der lustige Kerl schleppte -- höchst erfreut über diese Erwerbung -- das
Porträt mit sich fort.

Nachdem er fortgegangen war, fühlte sich mein Vater mit einem Male
ruhiger, als wäre ihm mit der Entfernung des Porträts eine Last vom
Herzen gefallen. Er wunderte sich selbst über seinen Zorn, seinen Neid
und die offenkundige Wandlung in seinem Charakter. Er dachte lange über
seine Tat nach, war in tiefster Seele betrübt und sagte mit innerem Gram
zu sich selbst: »Nein! Diese Strafe hat mir Gott auferlegt! Es war
wohlverdient, daß mein Bild zurückgewiesen wurde; es war ja nur zu dem
Zwecke geschaffen, um meinen Genossen zu vernichten. Ein teuflisches
Gefühl des Neides hat meinen Pinsel geführt, daher mußte sich auch ein
teuflisches Gefühl in dem Bilde wiederspiegeln.« Sofort suchte er seinen
ehemaligen Schüler auf, umarmte ihn stürmisch, bat ihn um Verzeihung und
bemühte sich -- soweit es ihm möglich war -- seine Schuld wieder gut zu
machen. Von nun ab war er wieder friedlich bei der Arbeit wie ehedem,
aber jetzt konnte man immer ein tiefes Sinnen in seinen Zügen bemerken.
Er betete häufiger, er war viel schweigsamer als früher und drückte sich
nicht mehr so schroff über die Menschen aus. Selbst das herbe Äußere
seines Wesens schien sich verloren zu haben. Bald darauf aber ereignete
sich etwas, was ihn noch tiefer erschütterte. Er hatte seinen Freund,
der sich das Porträt von ihm ausgebeten hatte, schon seit längerer Zeit
nicht gesehen und sich schon mehrmals vorgenommen, ihn zu besuchen, da
erschien dieser selbst eines Tages plötzlich in seinem Atelier. Nachdem
beide ein paar gleichgültige Worte gewechselt hatten, sagte der Freund:
»Du hattest nicht so ganz unrecht, Bruder, als du das Porträt verbrennen
wolltest! Mag es der Teufel holen; es hat etwas Schreckliches an sich!
Ich glaube an keine Hexerei, aber man mag sagen, was man will! -- ich
glaube, der Böse sitzt darin.«

»Wieso?« fragte mein Vater.

»Seitdem ich es bei mir aufgehängt habe, liegt es auf mir wie ein
furchtbarer Druck ... als ob ich jemand ermorden wollte. Zeit meines
Lebens wußte ich nicht, was Schlaflosigkeit heißt, jetzt aber habe ich
nicht nur diesen Zustand kennen gelernt, ich habe auch solche Träume ...
d. h. ich weiß selbst nicht recht, ob es nur Träume sind oder noch
irgend etwas anders: wie wenn mich ein böser Geist erwürgen will ... und
immer spukt der verfluchte Alte im Zimmer herum. Mit einem Worte, ich
kann dir meinen Zustand gar nicht schildern. Niemals ist mir so etwas
passiert. Ich bin all diese Tage wie ein Wahnsinniger herumgelaufen ...
Eine entsetzliche Angst verfolgte mich, immer wartete ich auf etwas
Furchtbares, ich fühlte, wie ich zu niemand ein fröhliches und
aufrichtiges Wort sagen konnte, stets schien es mir, als würde ich
beobachtet und bespitzelt. Erst nachdem ich das Porträt meinem Neffen
geschenkt habe, der es sich selbst von mir erbeten hat, ist mir's, als
wenn mir ein Stein vom Herzen gefallen wäre. Mit einem Schlage wurde mir
wieder froh zumute, so wie du mich hier vor dir siehst! Wahrhaftig,
Freund, da hast du aber einen schönen Teufel geschaffen!«

Mein Vater lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit auf diese Erzählung
und fragte schließlich: »Und jetzt ist das Porträt bei deinem Neffen?«

»Ach was! Bei meinem Neffen ... Der hielt es ja auch nicht aus!«
versetzte der Spaßvogel. »Des Wucherers eigene Seele scheint in dieses
Porträt hinübergewandert zu sein. Er springt aus dem Rahmen, spaziert in
dem Zimmer herum -- und was mein Neffe sonst noch darüber erzählt, geht
über jede Beschreibung. Ich würde ihn tatsächlich für verrückt halten,
hätte ich nicht fast ganz das Gleiche erlebt. Er hat das Porträt an
irgend einen Kunstfreund verkauft, aber auch dieser konnte es nicht
aushalten und hat es seinerseits wieder einem andern aufgehalst.«

Diese Worte machten einen tiefen Eindruck auf meinen Vater. Er versank
in tiefes Grübeln, wurde melancholisch und gelangte endlich zur
Überzeugung, daß sein Pinsel dem Teufel als Werkzeug gedient hatte, daß
das Leben des Wucherers tatsächlich zum Teil auf das Porträt
übergegangen war, und daß es jetzt die Menschen beunruhige, ihnen
dämonische Empfindungen einflöße, Künstler vom rechten Wege abbringe,
häßliche Anwandlungen von Neid erzeuge usw. Drei Unglücksfälle, die sich
unmittelbar darauf ereigneten: der plötzliche Tod seiner Frau, seiner
Tochter und seines kleinen Sohnes, erschütterten ihn aufs tiefste, er
hielt sie für eine Strafe des Himmels und entschloß sich, aus dem
weltlichen Leben zu scheiden.

Gleich nach Vollendung meines neunten Jahres ließ er mich in die
Kunstschule eintreten und zog sich selbst nach Erledigung seiner
geschäftlichen Angelegenheiten in ein einsames Kloster zurück, wo er
bald die Mönchskutte anlegte. Dort setzte er alle Brüder durch seine
asketische Lebensführung und durch die strenge Beobachtung aller
Klostersatzungen in Erstaunen. Als der Prior erfahren hatte, daß er ein
Maler sei, trug er ihm auf, für die Klosterkirche das Bild ihres
Heiligen zu malen. Aber der fromme und demütige Bruder erklärte
entschieden, daß er unwürdig sei, den Pinsel zu führen, weil er ihn
entweiht habe, und daß er seine Seele zuerst durch harte Arbeit und
schwere Opfer reinigen müsse, um wieder würdig zu sein, eine solche
Arbeit zu übernehmen. Zwingen wollte man ihn nicht. Er versuchte es für
seine Person -- soweit dies möglich war -- die strengen Satzungen des
Klosterlebens noch zu verschärfen; schließlich genügte ihm jedoch auch
dieses nicht mehr, es erschien ihm nicht hart genug. Er erbat sich den
Segen des Priors, verließ das Kloster und zog sich in eine völlige
Einsamkeit zurück. Er baute sich aus Baumzweigen eine Hütte, nährte sich
nur von rohen Wurzeln, trug Steine von einer Stelle zur andern, stand
von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit gen Himmel erhobenen Armen da,
murmelte beständig Gebete -- mit einem Worte, er erlegte sich alle nur
möglichen Geduldsproben und Prüfungen auf, für die man nur in den
Lebensbeschreibungen der Heiligen Beispiele finden kann. So peinigte er
einige Jahre hindurch seinen Körper und stärkte ihn gleichzeitig mit
Hilfe der belebenden Kraft des Gebetes. Endlich erschien er eines Tages
wieder in dem Kloster und sprach entschlossen zum Prior: »Jetzt bin ich
bereit! Wenn es Gott gefällt, werde ich meine Arbeit vollenden.«

Der Gegenstand, den er darstellen wollte, war die Geburt Jesu. Ein
ganzes Jahr verbrachte er bei seiner Arbeit, ohne seine Zelle zu
verlassen, wobei er sich nur notdürftig durch kärgliche Nahrung am Leben
erhielt und ununterbrochen betete. Als diese Zeit vorüber war, war das
Bild fertig. Es war ein Wunderwerk der Malerei geworden. Hier muß ich
bemerken, daß weder die Brüder, noch der Prior viel von der Malerei
verstanden, aber alle waren über die ungewöhnliche Reinheit und
Heiligkeit der Gestalten aufs höchste erfreut. Eine göttliche Demut und
Milde in den Zügen der heiligen Gottesmutter, die sich über ihr Kind
beugt, ein tiefes Sinnen in den Augen des göttlichen Kindes, das schon
etwas von der Zukunft zu erkennen scheint, ein feierliches Schweigen der
von dem göttlichen Wunder überwältigten Könige, die vor dem Kinde knien,
und endlich eine überirdische, unbeschreibliche Stille, die über dem
ganzen Bilde lag: dies alles verband sich zu einer so harmonischen Kraft
und Macht der Schönheit, daß der Eindruck ein geradezu zauberischer,
magischer war. Alle Brüder stürzten vor dem neuen Bilde auf die Knie,
und der gerührte Prior sprach: »Wahrlich! Es ist nicht möglich, daß ein
Mensch nur mit Hilfe menschlicher Kunst ein solches Bild zu schaffen
vermochte; eine höhere, heilige Kraft hat deinen Pinsel geführt; des
Himmels Segen ruhte auf deinem Werke!«

Um diese Zeit schloß ich mein Studium in der Akademie ab, ich erhielt
die goldene Medaille und mit ihr eröffnete sich mir die frohe Aussicht
auf eine Kunstreise nach Italien, den schönsten Traum eines
zwanzigjährigen Künstlers. Ich hatte nur noch die Pflicht, mich von
meinem Vater, von dem ich seit zwölf Jahren getrennt lebte, zu
verabschieden. Ich muß gestehen, daß sein Bild längst aus meiner
Erinnerung geschwunden war. Ich hatte einiges über die Strenge und
Heiligkeit seines Lebens gehört und bereitete mich schon im voraus
darauf vor, das herbe Äußere eines durch das ewige Fasten und Wachen
abgemagerten und vertrockneten Anachoreten zu erblicken, für den nichts
auf der Welt existiert, als seine Zelle und seine Gebete. Aber wie war
ich erstaunt, als ich mich plötzlich einem herrlichen, göttlichen Greise
gegenüber befand! In seinem Gesichte spiegelte sich auch nicht die
geringste Ermattung oder Müdigkeit, es strahlte vielmehr von der
Klarheit und Helligkeit einer himmlischen Freude. Ein schneeweißer Bart
und ganz dünne, fast ätherische Haare von der gleichen silbrigen Farbe
bedeckten malerisch seine Brust und die Falten seiner schwarzen Kutte,
und reichten bis zu dem Stricke herab, der sein ärmliches Mönchsgewand
umgürtete. Am meisten jedoch wunderte ich mich darüber, aus seinem Munde
Gedanken und Worte über die Kunst zu vernehmen, die ich sicherlich noch
lange in meiner Seele bewahren werde. Und ich wünschte aufrichtig, daß
ein jeder meiner Kollegen ein Gleiches tue.

»Ich habe auf dich gewartet, mein Sohn,« sagte er, während er mich
segnete; »dir steht ein Weg bevor, den du von nun an dein ganzes Leben
hindurch beschreiten wirst. Dein Weg ist rein, irre nicht von ihm ab. Du
hast Talent, Talent aber ist die kostbarste Gabe Gottes. Richte es also
nicht zugrunde. Erforsche, studiere alles was du siehst! Mache alles
deinem Pinsel dienstbar! Doch strebe stets danach, in jedem Ding die
innere Idee zu entdecken, und vor allem das tiefe Geheimnis der
Schöpfung zu ergründen. Selig ist der Auserwählte, der es enthüllt hat.
Für ihn gibt's in der Natur kein gemeines Motiv. Im Geringen und Kleinen
bleibt der wahrhaft schöpferische Künstler ebenso erhaben wie im Großen.
Das Verächtliche wirkt nicht mehr verächtlich, weil es von der
herrlichen Seele des Schöpfers durchleuchtet wird und einen hohen
Ausdruck erhält, indem es durch das reinigende Feuer seines Geistes
hindurchgeht. Die Kunst läßt den Menschen das zukünftige himmlische
Paradies ahnen; schon aus diesem Grunde steht sie höher als alles
andere. Und wie die feierliche Ruhe jede weltliche Erregung, wie das
Schaffen die Zerstörung, wie der Engel -- bloß durch die reine Unschuld
seiner lichten Seele -- all die unzählbaren Kräfte und stolzen
Leidenschaften des Satans übertrifft, so steht erhaben über allem, was
es auf der Welt gibt, das hohe Werk der Kunst! Ihr sollst du alles zum
Opfer bringen, sie mußt du lieben mit dem ganzen Feuer deiner Seele,
nicht mit der Inbrunst, die die irdische Wollust entfacht, sondern mit
einer stillen himmlischen Begeisterung; ohne sie ist der Mensch nicht
imstande, sich über die Erde zu erheben und die hohe wunderbare Harmonie
zu erzeugen, die den Frieden in unser Herz gießt. Denn um die ganze Welt
zu dieser Besänftigung und Versöhnung zu bringen, steigt ja ein edles
Kunstwerk zu uns vom Himmel herab. Daher erregt es nie Unfrieden und
Empörung in der Seele, sondern strebt ewig, gleich einem wundersam
klingenden Gebet, zu Gott empor. Freilich gibt es Augenblicke, finstere
Augenblicke ...« Er hielt inne und ich sah, wie sich plötzlich sein
klares Antlitz verdüsterte, als hätte eine Wolke es beschattet. »Ich
hatte ein Erlebnis ...« fuhr er fort, »bis auf den heutigen Tag ist mir
nicht klar, was jene rätselhafte Gestalt bedeutete, deren Porträt ich
damals gemalt habe. Es war wie eine teuflische Erscheinung. Ich weiß,
die Welt leugnet die Existenz des Teufels, und daher will auch ich nicht
über ihn sprechen. Ich will nur sagen, daß ich jenen Mann nur mit einem
heftigen Widerwillen gemalt habe. Ich arbeitete ohne jede Freude und
Liebe an meinem Werk. Ich mußte mich mit Gewalt zur Arbeit zwingen. Ich
suchte mein inneres Gefühl zu betäuben und der Natur treu zu bleiben.
Das war kein Kunstwerk, das ich schuf, und daher sind auch die
Empfindungen, die sich beim Anblick dieses Bildes aller Menschen
bemächtigen, wild und rebellisch; es sind Gefühle der Unruhe, die es
erzeugt, und keine Offenbarungen hoher Kunst, weil der Künstler auch in
der Wiedergabe der Leidenschaft die edle Ruhe bewahrt. Ich habe gehört,
daß dieses Porträt von Hand zu Hand geht und überall quälende,
peinigende Eindrücke erregt, daß es im Künstler Gefühle des Neides, des
dumpfen Hasses gegen seine Genossen und den bösen Trieb zur Verfolgung
und Unterdrückung entfache. Möge der Allerhöchste dich vor solchen
Leidenschaften bewahren! Es gibt nichts Entsetzlicheres als sie. Es ist
besser, alle Leiden eines Gehetzten und Verfolgten auf sich zu nehmen,
als einem andern auch nur das geringste Unrecht zuzufügen. Rette die
Reinheit deiner Seele! Wem ein Talent geschenkt ward, dessen Seele muß
reiner und edler sein, denn die der andern. Jenen wird vieles verziehen
werden, ihm aber nichts. Den, der sein Haus in einem festlichen Gewande
verläßt, braucht nur ein vorüberfahrender Wagen ein wenig mit Kot zu
bespritzen, und schon umringen ihn hunderte von Leuten, zeigen mit den
Fingern auf ihn und spotten über seine Nachlässigkeit, während ein
anderer von unten bis oben beschmutzt sein kann, ohne daß es die Menge
bemerkt; er trägt einen gewöhnlichen Alltagsrock, und da fällt es eben
nicht weiter auf.«

Nach diesen Worten segnete er und umarmte er mich. Niemals in meinem
Leben fühlte ich mich so erhoben wie an diesem Tage. Mit tiefer
Ehrfurcht und einem Gefühle seltener Bewunderung, das mehr war, als
einfache Kindesliebe, schmiegte ich mich an seinen Busen und küßte seine
herabhängenden, silberweißen Haare.

Eine Träne glänzte in seinen Augen. »Erfülle mir noch eine Bitte, lieber
Sohn,« sagte er beim Abschied zu mir. »Vielleicht gelingt es dir einmal,
das Porträt zu entdecken, von dem ich dir erzählt habe. Du wirst es
sofort an den ungewöhnlichen Augen und an ihrem unnatürlichen Ausdruck
erkennen. Solltest du es finden, so gelobe mir, es zu vernichten.«

Sie können selbst beurteilen, ob es mir nach alledem noch möglich war,
ihm dieses heilige Versprechen zu verweigern. Ich schwur ihm hoch und
heilig, seine Bitte zu erfüllen. Fünfzehn Jahre lang vermochte ich
nicht, irgend etwas zu entdecken, was der Beschreibung meines Vaters
auch nur im geringsten entsprach, als mir plötzlich bei dieser Auktion
....«

Der Künstler vollendete den Satz nicht; er richtete sein Auge auf die
Wand, um das Porträt noch einmal zu prüfen, und alle, die ihm mit
Spannung zugehört hatten, taten instinktiv dasselbe, wie er; aller Augen
suchten das geheimnisvolle Porträt. Aber zum allgemeinen Erstaunen war
es plötzlich von der Wand verschwunden. Ein leises Gemurmel und
Geflüster durchlief die Menge, doch plötzlich eilte wie ein Lauffeuer
das Wort: Gestohlen! durch den Saal. Offenbar war es jemand gelungen,
während die Zuhörer gespannt auf den Erzähler lauschten, das Bild zu
entwenden, und noch lange nachher blieben die Zuhörer im Zweifel, ob sie
diese merkwürdigen Augen wirklich gesehen hatten, oder ob es nur ein
Traum gewesen war: ein Traum, der ihre von der Betrachtung der alten
Gemälde ermüdeten Augen getäuscht hatte, um gleich darauf für immer zu
verschwinden.




                        Anhang zum zweiten Teil


             Varianten zum zweiten Teil der »Toten Seelen«.

Der zweite Band der »Toten Seelen« wurde im Jahre 1840 begonnen, allein
das Werk blieb Fragment. Von der ursprünglichen Fassung dieses zweiten
Teiles hat sich nur ein einziges Heft mit dem ersten Entwurfe eines
Kapitels erhalten. 1842 arbeitete Gogol nach seinen ersten
Aufzeichnungen einen neuen Entwurf aus und schrieb ihn sauber ab. Es ist
jedoch nicht bekannt, aus wieviel Kapiteln er bestand. Von dieser
Fassung haben sich vier Hefte erhalten. Noch im selben Jahre 1842
beginnt Gogol den ins Reine geschriebenen Text aufs neue umzuarbeiten
und entwirft in diesen Heften: »ein Chaos, aus dem der Kosmos der >Toten
Seelen< hervorgehen soll«. Dies ist der Text, den wir unserer Ausgabe
des zweiten Bandes zugrunde gelegt haben. Der vollständige Text dieser
Fassung ist nicht auf uns gekommen, er wurde Juni und Juli 1845 vom
Autor verbrannt. Wir führen in diesem Anhang die wichtigsten Varianten
der ursprünglichen Fassung an. Sie bilden eine wichtige Ergänzung zum
vorliegenden Text und sind geeignet, dem Leser einen tieferen Einblick
in die Idee und den Grundplan des ganzen Werkes, vorzüglich aber des
unvollendeten zweiten Teiles zu vermitteln.

                                                    _Der Herausgeber._

                   *       *       *       *       *

1. Wir haben unserem Text auch die _letzten_ Verbesserungen und
Ergänzungen mit eingefügt, die zum Teil über den Zeilen, zum Teil auf
dem linken Rande der Seite nachgetragen waren. Das folgende Stück ist
mehrfach verändert und umgestaltet worden. Der ursprüngliche Text hatte
nach seiner ersten Umarbeitung folgende Fassung erhalten:

Ob solche Charaktere _geboren_ werden -- oder ob sie allmählich dazu
werden, was sie sind -- diese Frage läßt sich nicht beantworten. Wir
wollen daher lieber zuerst die Geschichte seiner Kindheit und seiner
Erziehung erzählen -- und den Leser selbst urteilen lassen. Der Direktor
der Schule, in welcher Tentennikow erzogen wurde, war ein ganz
außerordentlicher Mann: Alexander Petrowitsch besaß die Gabe, das Wesen
eines Menschen durch eine Art Instinkt zu erraten. Es gab kein Kind,
das, wenn es einen Streich begangen hatte, nicht selbst zu ihm ging, um
ihm alles zu beichten. Aber mehr noch. Wenn der kleine Wildfang ihn
verließ, dann ließ er nicht etwa die Nase hängen, sondern er ging
erhobenen Hauptes von ihm hinaus, mit dem festen Entschluß, wieder gut
zu machen, was er verbrochen hatte. In den Vorwürfen, die Alexander
Petrowitsch seinen Schülern machte, lag etwas Ermutigendes und
Kräftigendes: nach ihm war der Ehrgeiz die eigentliche Triebfeder, die
die menschlichen Fähigkeiten zur Entwickelung und zur Reife bringt, und
daher war er vor allem darauf bedacht, diesen Trieb zu erwecken.
Alexander Petrowitsch sprach nie vom Betragen der Kinder. Statt dessen
pflegte er zu sagen: »Ich verlange Verstand und nichts anderes von
meinen Schülern. Wer darnach strebt, seinen Verstand auszubilden, der
denkt nicht an dumme Streiche; diese verschwinden dann ganz von selbst.«
Man warf ihm vor, er ließe den Begabten gar zu viel Freiheit und erlaube
ihnen, sich über die weniger Begabten lustig zu machen und sie sogar zu
kränken. Hierauf pflegte er zu entgegnen: »Was soll ich machen? Ich habe
nun einmal eine Vorliebe für die Klugen und ich will, daß alle es sehen
sollen.« Er hielt es auch für notwendig, vor allem ....

2. In der Gesamtausgabe der Werke Gogols, die 1867 unter der Redaktion
von Th. W. Tschishow erschienen ist, hat diese Stelle folgenden
Wortlaut: »Dieser wunderbare Lehrer machte einen tiefen Eindruck auf den
Knaben. Andrei Iwanowitschs feuriges und von Ehrgeiz erfülltes Herz
pochte noch lange bei dem Gedanken, daß er zu den Auserwählten gehören
werde, die den zweiten Lehrgang durchmachen durften. Und in der Tat mit
sechzehn Jahren hatte Tentennikow seine Genossen so weit überholt, daß
er als einer der Tüchtigsten in die oberste Klasse versetzt wurde. Er
selbst wollte kaum an dies große Glück glauben.«


                    3. Variante der andern Fassung.

Als er klein war, war er ein gescheiter und begabter Knabe gewesen, bald
lebhaft und ausgelassen, bald träumerisch und nachdenklich. War es ein
glücklicher oder unglücklicher Zufall -- genug er kam in eine Schule,
deren Direktor trotz einiger Schwächen und Eigenheiten, ein in seiner
Art ungewöhnlicher Mensch war. Alexander Petrowitsch besaß die Gabe, das
Wesen und die Eigenart russischer Charaktere richtig herauszufühlen und
zu erkennen; und er wußte, welche Sprache man mit ihnen sprechen muß.
Nie ließ ein Kind die Nase hängen, wenn es von ihm fortging; im
Gegenteil, selbst wenn es einen strengen Verweis erhalten hatte, fühlte
es sich gestärkt und ermutigt und von dem glühenden Wunsche beseelt,
seinen Fehler oder sein Vergehen wieder gut zu machen. Die Schar der
Zöglinge dieses Mannes war äußerlich so lebhaft, unartig und mutwillig,
sodaß man sie für ein ungezügeltes Korps von Freischärlern hätte halten
können; aber das wäre eine Täuschung gewesen; die Macht _eines_ Menschen
hielt dieses ganze Korps zusammen. Es gab keinen Schelm oder Wildfang,
der nicht selbst zum Direktor gekommen wäre, um ihm all seine Streiche
und Untaten zu beichten. Die feinsten Regungen ihrer Seele waren ihm
bekannt und vertraut. Sein Tun und Lassen war in jeder Hinsicht
ungewöhnlich. Er erklärte, man müsse im Menschen vor allem das Ehrgefühl
wecken -- er nannte den Ehrgeiz die Kraft, die den Menschen
vorwärtstreibt --, ohne diesen Trieb zu entbinden, sei es unmöglich,
einen Menschen zur Tätigkeit zu spornen. Manche Unarten und Streiche
ließ er den Kindern hingehen, und machte gar nicht den Versuch, sie zu
unterdrücken: in diesem Überdenstrangschlagen der Kinder sah er den
Beginn der Entwickelung ihrer seelischen Regungen. Er bedurfte dessen,
um zu erforschen, was im Kinde verborgen lag. So beobachtet ein kluger
Arzt ruhig die vorübergehenden Anfälle des Kranken oder einen Ausschlag,
der sich plötzlich auf der Haut zeigt, und er bekämpft sie nicht,
sondern untersucht und betrachtet sie aufmerksam, um um so sicherer zu
erkennen, was in des Menschen Innern vorgeht.

Die Zahl seiner Lehrer war nicht sehr groß: in den meisten Fächern
unterrichtete er selbst, und man muß gestehen, er verstand es, ohne
Pedanterie und weitläufige Terminologie, ohne jene großartigen
Anschauungen und Perspektiven, mit denen junge Professoren viel Staat zu
machen pflegen, das eigentliche Wesen, die Seele einer Wissenschaft in
wenigen Worten wiederzugeben, so daß auch die ungereiften Geister es
sofort begriffen, warum sie dieses Wissen nötig hatten. Er behauptete,
das was der Mensch am meisten brauche, sei die Wissenschaft des Lebens;
wenn er sich erst diese angeeignet habe, dann werde er schon selbst
begreifen und einsehen, womit er sich in erster Linie beschäftigen
müsse.

Diese Wissenschaft hatte er zum Gegenstand eines besonderen Lehrfaches
erhoben, an dem nur die Bevorzugtesten teilnehmen durften. Die
Unbegabten entließ er schon nach Beendigung der ersten Klasse, worauf
sie gleich in den Staatsdienst eintraten. Er war nämlich der Ansicht,
daß man sie nicht zuviel quälen und plagen dürfe; es sei schon genug,
wenn man geduldige und fleißige Arbeiter aus ihnen mache, die einen
gegebenen Auftrag genau und pünktlich zur Ausführung bringen, und sich
ohne Hochmut, Überhebung und einen allzu weiten Horizont in ihrer Sphäre
bewegen könnten. »Mit den Klugen und Begabten dagegen muß ich mir viel
Mühe geben,« pflegte er oft zu sagen. Und hier, beim Unterricht dieses
Gegenstandes wurde Alexander Petrowitsch ein völlig anderer Mensch; er
erklärte schon in den allerersten Stunden, bisher habe er von seinen
Schülern nichts wie gesunden Menschenverstand gefordert, nun aber werde
er von ihnen einen höheren Verstand verlangen -- nicht jene Art von
Verstand, die dazu gehört, um einen Dummkopf zu hänseln oder lächerlich
zu machen, sondern jene, die es über sich zu gewinnen vermag, jegliche
Beleidigung zu ertragen, dem Toren zu vergeben und sich stets zu
beherrschen. Hier erst verlangte er das von seinen Schülern, was andre
schon von Kindern fordern. Das war es, was er eine höhere Art von
Verstand nannte: In jeder Lebenslage in Schmerz, Bitternis und
Enttäuschung jene hohe Ruhe zu bewahren, -- die das dauernde Besitztum
jedes Menschen sein sollte -- das war es, was er Verstand nannte. Aber
Alexander Petrowitsch zeigte bei dieser Gelegenheit auch, daß er die
Wissenschaft vom Leben wirklich kannte. Von allen Wissenschaften wählte
er nur die aus, welche geeignet waren, aus dem Menschen einen tüchtigen
Bürger seines Landes zu machen. Der größte Teil der Vorlesungen bestand
darin, daß der Lehrer den Schülern erzählte, was den Menschen in allen
Berufsarten und auf allen Stufen des Staatsdienstes und privater
Betätigung erwarte. Alle Bitternisse und Enttäuschungen, alle
Hindernisse, die sich vor dem Menschen auf seinem Lebenswege erheben,
alle Verführungen und Versuchungen, die ihm bevorstehen, führte er ihnen
nackt und ungeschminkt vor Augen, und er verheimlichte nichts von ihnen.
Nichts war ihm fremd, wie wenn er selbst alle Berufe und Ämter kennen
gelernt hätte. Mit einem Wort, die Zukunft, wie er sie den Schülern
ausmalte, war keineswegs rosig. Und seltsam! sei es nun, daß der Ehrgeiz
in ihnen so stark angeregt war, sei es, daß im Auge dieses merkwürdigen
Pädagogen etwas aufblitzte und leuchtete, das dem Jüngling ein
beständiges »Vorwärts« zuzurufen schien -- dieses herrliche Wort,
welches im russischen Volke solche Wunder wirkt, -- genug, die jungen
Leute fingen sogleich selbst an, die Schwierigkeiten und Fährnisse
aufzusuchen, und dürsteten darnach, sich überall da tätig und wirksam zu
zeigen, wo es ein Hindernis zu überwinden, wo es galt, einen hohen Mut
und Seelenstärke an den Tag zu legen. Es kam etwas Nüchternes und
Vernünftiges in ihr Leben hinein. Alexander Petrowitsch stellte
allerhand Versuche und Prüfungen mit ihnen an, und sorgte dafür, daß
ihnen bald durch sie selbst, bald seitens ihrer eigenen Kameraden
schwere Kränkungen widerfuhren; als sie es aber merkten, wurden sie noch
vorsichtiger. Der Erfolg dieses Lehrganges war nicht sehr bedeutend. Die
wenigen Jünglinge jedoch, die ihn vollständig absolvierten, waren
abgehärtete Männer geworden, die gewissermaßen im Pulverdampf gestanden
hatten. Im Dienste wußten sie sich auf dem exponiertesten Posten zu
halten, während viele, die weit klüger waren, als sie, es nicht lange
aushielten, wegen kleiner persönlicher Unannehmlichkeiten den Dienst
quittierten oder, ahnungslos wie sie waren, in die Hände von Gaunern und
Erpressern gerieten. Dagegen verharrten die Zöglinge des Alexander
Petrowitsch nicht nur fest auf ihren Posten, sondern verstanden es auch,
gereift durch Menschen- und Seelenkenntnis, einen hohen sittlichen
Einfluß noch auf die schlechten und unehrlichen Menschen auszuüben.

4. In dem von Tschishow herausgegebenen Text der »Toten Seelen« findet
sich folgende Variante dieser Stelle:

»An die Stelle Alexander Petrowitschs trat ein gewisser Fjodor
Iwanowitsch, ein gutmütiger und eifriger Mann, der jedoch eine ganz
andre Ansicht vertrat als jener. In dem freien Sichgehenlassen der
Kinder der oberen Klasse witterte er etwas wie Unerzogenheit und
Zügellosigkeit. Daher ging er sogleich daran, allerlei äußere
Vorschriften und Regeln aufzustellen, er verlangte, daß die jungen Leute
während der Stunde die äußerste Stille bewahren und niemals anders als
paarweise spazieren gehen sollten; ja er wollte sogar die Distanz
zwischen zwei Paaren mit dem Metermaße abmessen. Die Schüler mußten, des
schöneren Anblicks wegen, nach der Größe und nicht nach ihren
Fähigkeiten auf den Schulbänken Platz nehmen, so daß die Dummen die
fettesten Bissen erhielten und -- die Klugen sich mit den Knochen
begnügen mußten. Dies erregte Unzufriedenheit, und alles murrte laut,
als der neue Direktor wie mit Absicht im Gegensatz zu seinem Vorgänger
erklärte, daß er keinen Wert auf die Begabung und die Fortschritte der
Schüler in den Wissenschaften lege, vor allem auf ein gutes Betragen
sehe, und daß er einen Knaben, der schlecht lerne, aber ein gutes
Betragen habe, noch immer einem gescheiten Schlingel vorziehe. Aber
gerade das, wonach er so eifrig strebte, sollte Fjodor Iwanowitsch nicht
erreichen.«


                    5. Variante der andern Fassung.

Unterdessen aber wartete seiner ein andres Schauspiel. Das ganze Gut
hatte von der Ankunft erfahren und sich vor der Freitreppe des
herrschaftlichen Hauses versammelt. Bauernkittel, Bärte von jeder nur
möglichen Form: spatenförmige, schaufelförmige, keilförmige, rote,
blonde, silberweiße ... bedeckten den Platz. Die Bauern schrieen aus
voller Kehle: »Bist du endlich da Väterchen? Wir haben so lange auf dich
gewartet!« Unter den etwas ferner stehenden kam es zu einer Prügelei,
weil jeder sich in die vorderen Reihen durchdrängen wollte. Ein altes,
welkes Mütterchen, das wie eine getrocknete Birne aussah, wand sich
zwischen den Beinen der andern durch, ging auf ihn zu, schlug die Hände
zusammen und quiekte: »Du mein liebes Rotznäschen! Nein, wie mager du
bist. Die verfluchten Deutschen haben dich, scheint's, halbtot gequält!«
-- »Fort mit dir, Alte!« riefen ihr all die Schaufel-, Spaten- und
Spitzbärtigen zu: »drängt sich da vor, das krumme Gestell!« Einer von
ihnen ließ hier noch ein Wörtchen folgen, bei dem nur ein russischer
Bauer sich das Lachen verbeißen kann. Der Herr aber hielt es nicht aus
und lachte laut auf, und doch war er gerührt bis in die tiefste Seele.
»So viel Liebe! Und wofür nur?« dachte er. »Dafür, daß ich sie nie
gesehen, mich nie um sie gekümmert habe! Von heut ab aber geb ich euch
das Versprechen, eure Mühen und Arbeiten mit euch zu teilen! Ich will
all meine Kräfte anspannen und euch helfen, das zu werden, was ihr sein
solltet, wozu euch eure eigenste gute und prächtige Natur bestimmt hat,
-- eure Liebe zu mir soll nicht vergeblich gewesen sein, ich will euer
wahrhafter Vater werden!«

Und Tentennikow ging ganz ernstlich an die Verwaltung und
Bewirtschaftung des Gutes. Er sah sofort, daß sein Verwalter wirklich
ein altes Weib und ein Narr war mit allen schlechten Eigenschaften eines
Verwalters; d. h. er führte zwar sorgfältig Rechnung über Hühner und
Eier, über Hanf und Leinwand, welche von den Bauernfrauen geliefert
wurden, aber er hatte keine Ahnung von der Getreideernte und Aussaat,
und zu alledem war er sehr argwöhnisch und fürchtete sich vor jedem
Bauern, weil er glaubte, er stelle ihm nach dem Leben. Tentennikow jagte
den dummen Verwalter davon und nahm sich einen andern, einen
energischen, forschen Mann; er ging über die nebensächlichen Dinge
hinweg und richtete sein Augenmerk auf das Wesentliche, er setzte den
Erbzins herab, verringerte die Fronarbeit, ließ den Bauern mehr Zeit,
für sich selbst zu arbeiten, und glaubte, nun würde alles ganz
vortrefflich weitergehen. Er interessierte sich für alles, erschien
selbst auf den Feldern, auf der Tenne, auf der Korndarre, in den Mühlen,
am Landungsplatz und war beim Laden und bei der Abfertigung der Barken
und Kähne zugegen.

»Ja, ja, der ist schnellfüßig!« sagten die Bauern und kratzten sich
hinter den Ohren, denn sie waren bei dem langen Weiberregiment des
früheren Verwalters allesamt in Trägheit und Müßiggang verfallen. Aber
das dauerte nicht lange.


                    6. Variante der andern Fassung.

Bisweilen sieht wohl ein Mensch etwas Ähnliches im Traume und dann
träumt er sein ganzes Leben lang davon, (die Wirklichkeit versinkt ihm
für alle Zeiten) und er ist zu nichts mehr zu brauchen. Ihr Name war
Ulinka. Sie hatte eine merkwürdige Erziehung genossen. Sie war von einer
englischen Gouvernante erzogen worden, die kein Wort Russisch verstand.
Ihre Mutter war schon früh gestorben, und ihr Vater hatte keine Zeit,
sich viel um sie zu kümmern. Übrigens konnte es bei seiner unsinnigen
Liebe zu seiner Tochter nicht anders kommen, als daß er sie verwöhnte.
Es ist außerordentlich schwer ein Bild von ihr zu geben. Sie hatte etwas
Lebendiges wie das Leben selbst. Sie war eigentlich mehr lieblich als
schön und gütig als klug; sie war schlanker und ätherischer als ein
klassisches Frauenbildnis. Man hätte unmöglich sagen können, welches
Land ihr seinen Stempel aufgedrückt habe, denn man hätte nicht so leicht
ein ähnliches Profil und ähnliche Gesichtszüge finden können, es sei
denn auf antiken Kameen. Da sie in voller Freiheit aufgewachsen war, war
alles an ihr eigenartig und urwüchsig. Wenn jemand gesehen hätte, wie
ein plötzlicher Zorn strenge Falten in ihre herrliche Stirne grub, und
wie sie sich leidenschaftlich mit ihrem Vater stritt, er hätte glauben
können, dies sei das launischste Geschöpf von der Welt. Aber sie wurde
nur dann zornig, wenn sie davon hörte, daß ein anderer ungerecht oder
grausam behandelt worden war. Wie schnell jedoch wäre dieser Zorn
verschwunden, wenn sie denselben Menschen, dem sie zürnte, im Unglück
gesehen hätte. Wie hätte sie ihm da ihren Geldbeutel zugeworfen, ohne
darüber nachzudenken, ob dies klug oder dumm sei, wie hätte sie ihr
Kleid in Stücke gerissen, um ihn zu verbinden, wenn er verwundet gewesen
wäre.


                    7. Variante der andern Fassung.

»O nein, Exzellenz,« fiel hier Tschitschikow ein, indem er sich an
Ulinka wandte. »Als Christen müssen wir gerade solche Menschen lieben.«
Und er fuhr gleich darauf mit einem verschmitzten Lächeln zum General
gewendet fort: »Kennen Sie vielleicht die Geschichte, Exzellenz: Lieb'
uns so schwarz, wie wir sind, wenn wir weiß und sauber sind, wird uns
jeder lieb haben.«

»Nein, ich kenne sie nicht.«

»Oh, das ist eine sehr verzwickte Geschichte,« sprach Tschitschikow noch
immer verschmitzt lächelnd. »Auf dem Gute des Fürsten Guksowski, den
Eure Exzellenz sicherlich kennen ...«

»Nein, ich habe nicht das Vergnügen.«

»Lebte einmal ein Verwalter, ein junger Deutscher, Exzellenz. Eines
Tages mußte er wegen der Rekrutenaushebung usw. nach der Stadt fahren.
Natürlich mußten die Richter tüchtig geschmiert werden. Übrigens
gewannen sie ihn gleichfalls lieb und nahmen ihn sehr freundlich auf.
Einmal war er bei ihnen zum Mittag eingeladen, und da sagte er denn
unter anderem: >Nun, meine Herren? Wollen Sie _mir_ nicht auch einmal
die Ehre geben und mich auf dem Gute des Fürsten besuchen?< >Gern<,
sagen sie. >Wir kommen<. Kurze Zeit darauf hatte das Gericht auf einem
der Güter des Grafen Trechmetjew eine Untersuchung vorzunehmen. Eure
Exzellenz kennen doch wohl den Grafen ...?«

»Nein, ich habe nicht die Ehre.«

»Die Untersuchung selbst fand nun freilich nicht statt, dafür aber
kehrten sie im Wirtschaftsgebäude, beim alten gräflichen Ökonomen ein,
und da wurden dann drei Tage und drei Nächte lang ununterbrochen Karten
gespielt. Die Teemaschine und der Punsch wurden natürlich überhaupt
nicht abgetragen. Bald war es dem Alten indessen zu viel, und, um sie
los zu werden, sagte er zu ihnen: >Warum sucht ihr denn nicht diesen
Deutschen, den Verwalter des Fürsten, auf? Er wohnt ja gar nicht weit
von hier.< -- >Ei, das ist eine Idee,< schreien sie, setzen sich
halbbetrunken, unrasiert und verschlafen wie sie sind in ihre Wagen, und
fort geht es zu dem Deutschen. -- Dieser aber hatte sich gerade
verheiratet, Exzellenz: mit einem jungen subtilen Fräulein aus einem
Pensionat (Tschitschikow versuchte die Subtilität mimisch auszudrücken).
Sie saßen gerade zusammen beim Tee und dachten an nichts Schlimmes -- da
öffnet sich plötzlich die Tür -- und die ganze Gesellschaft stürmt
herein.«

»Ich kann mir die Situation denken -- die sind mir aber auch gut!«
bemerkte der General.

»Der Verwalter war ganz erschrocken und sagt: >Was wünschen Sie?<

>He!< rufen sie. >Bist du so einer?< Und bei diesen Worten veränderten
sich plötzlich ihre Gesichter und ihre Mienen. >Wir kommen in einer
offiziellen Angelegenheit. Wieviel Schnaps brennt ihr hier auf dem Gute!
Her mit den Kassenbüchern!< Der versucht Einwände zu machen. >Hollah. Wo
sind die Zeugen!< Sie lassen ihn packen, schleppen ihn gebunden in die
Stadt, und der brave Deutsche muß anderthalb Jahr in der
Untersuchungshaft schmachten.«

»Schöne Geschichte!« sagte der General.

Ulinka schlug vor Schreck die Hände zusammen.

»Seine Frau suchte sich überall für ihn zu verwenden,« fuhr
Tschitschikow fort. »Aber was kann eine junge, unerfahrene Frau
ausrichten? Noch gut, daß sich ein paar brave Leute fanden, die ihr den
Rat gaben, die Sache auf dem Wege des Vergleichs aus der Welt zu
schaffen. So kam er denn schließlich mit zweitausend Rubeln und einem
Mittagessen davon. Während dieses Mittagessens nun, als alle bereits ein
wenig angeheitert waren, und er gleichfalls, sagen sie plötzlich zu ihm:
>Schämtest du dich denn gar nicht, uns so zu behandeln? Du wolltest uns
durchaus geschniegelt und gebügelt, rasiert und im Frack vor dir sehen:
Nein Verehrtester, lieb uns so schwarz wie wir sind, wenn wir weiß und
sauber sind, wird uns jeder lieb haben.<«

Der General lachte laut auf. Ulinka seufzte schmerzlich.

»Ich verstehe nicht, wie Sie lachen können, Papa!« sagte sie schnell,
und edler Zorn verdunkelte ihre herrliche Stirn ... »So eine gemeine
Handlung, für die man sie, ich weiß nicht wohin, schicken sollte ...«

»Liebes Kind, ich verteidige sie ja gar nicht,« sagte der General, »aber
was soll ich machen, wenn ich es so lächerlich finde. Wie sagten Sie
gleich: Liebe uns so weiß wie ...«

»So schwarz ... Exzellenz,« verbesserte ihn Tschitschikow.

»Lieb uns so schwarz wie wir sind, wenn wir weiß sind, wird uns jeder
lieb haben. Ha, ha, ha, ha ...« Und der ganze Körper des Generals
schüttelte sich vor Lachen. Die Schultern, welche einstmals
Achselklappen getragen hatten, bebten, als ob sie auch noch heute mit
Achselklappen geschmückt wären.

Tschitschikow lachte gleichfalls kurz auf, stimmte sein Gelächter jedoch
aus Achtung vor dem General mehr auf den Laut e ab: »he, he, he, he.«
Und sein Körper begann sich gleichfalls vor Lachen zu schütteln, nur
seine Schultern bebten nicht, denn sie trugen keine dicken
Achselklappen.

»Dieser unrasierte Gerichtshof mag schön ausgesehen haben!« rief der
General aus und fuhr fort zu lachen.

»Ja, Exzellenz, ein drei Tage langes Wachen ohne Schlaf -- -- das ist so
gut wie gefastet: sie sahen sehr mitgenommen aus, sehr mitgenommen!«
sagte Tschitschikow und fuhr fort, zu lachen.


                    8. Variante der andern Fassung.

»Ich errichte auch keine besonderen Gebäude zu diesem Zwecke. Ich
besitze keine großartigen Prachtbauten mit Säulen und Giebeln, ich
verschreibe mir keine Meister und Handwerker aus dem Auslande, vor allem
aber würde ich nie einen Bauern seiner natürlichen Tätigkeit: der
Landwirtschaft entziehen; in meinen Fabriken wird nur während einer
Hungersnot gearbeitet, und auch dann beschäftige ich nur zugewanderte
Arbeiter, die sich damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Ich habe eine
ganze Menge solcher Fabriken, Verehrtester. Jedermann sollte sich erst
einmal genauer auf seinem Gute umsehen, dann würde er bemerken, daß sich
jeder Lappen noch zu was verwenden läßt, und daß man aus jedem Plunder
noch einen Gewinn herausschlagen kann, so daß man ihn schließlich sogar
wegwirft und sagt: »Fort damit! Ich brauche dich nicht!«

»Das ist wirklich erstaunlich!« sagte Tschitschikow ganz ergriffen. »Im
höchsten Grade erstaunlich! Das wunderbarste aber ist, daß jeglicher
Plunder noch Gewinn bringen kann!«

»Hm! Das ist es nicht allein!« Skudronshoglo schloß seine Rede nicht:
die Galle hatte sich in ihm angesammelt, und er mußte seinen Zorn an
seinen Gutsnachbarn auslassen. »Da ist noch so ein gescheiter Kopf! --
Was denken Sie wohl, was der für ein Gebäude errichtet hat. Ein Asyl für
Arme; einen steinernen Palast -- auf dem Lande! Ein christliches Werk!
Wenn der Mensch sich durchaus nützlich machen und hilfsbereit erweisen
will, dann mag er doch dem Bauern helfen, seine Schuldigkeit zu tun und
ihn nicht daran hindern, seine Pflicht als Christenmensch zu erfüllen.
Hilf dem Sohne, seinen kranken Vater pflegen, und laß es nicht zu, daß
er sich ihn vom Leibe schafft. Verhilf ihm dazu, daß er seinen Bruder
und seinen Nächsten bei sich im Hause aufnehmen kann, gib ihm die Mittel
dazu, unterstütze ihn aus allen Kräften, und ziehe dich nicht von ihm
zurück, sonst wird er seine christlichen Pflichten vollkommen vergessen.
Wohin man blickt, lauter Don Quixotes! _Zweihundert Rubel_ jährlich
kommt _ein_ Mensch dem Armenhause zu stehen! Mit diesem Gelde will ich
auf meinem Gute ganze _zehn_ Menschen ernähren!« Skudronshoglo war sehr
zornig und spie vor Wut aus.

Tschitschikow interessierte sich nicht für das Armenhaus: er wollte
durchaus die Rede darauf bringen, daß jeder Plunder Gewinn bringen kann.
Aber Skudronshoglo war sehr zornig, die Galle regte sich lebhaft in ihm,
und seine Rede strömte unaufhaltsam fort.

»Und dann gibt es da noch einen andern Don Quixote: einen Don Quixote
der Aufklärung! Der baut überall Schulen! In der Tat, gibt es etwas
Nützlicheres für den Menschen als die Kenntnis der Sprache und Schrift?
Was aber macht _er_? Jetzt kommen die Bauern aus den Dörfern und klagen
mir: >Was sind denn das für Zustände, Väterchen! Unsere Söhne sind ganz
aufsässig geworden, sie wollen uns gar nicht mehr bei der Arbeit helfen,
wollen alle Schreiber werden -- man braucht aber doch gar nicht so viele
Schreiber -- einer ist schon genug!< So weit ist es also schon
gekommen!«

Tschitschikow interessierte sich auch nicht für die Schulen, jedoch
Platonow griff diese Frage auf und bemerkte: »Dabei kann man aber doch
nicht stehen bleiben, daß wir _jetzt_ keine Schreiber brauchen. Wir
müssen auch an unsere Nachkommen denken.«

»Ach laß doch, Bruder! Laß doch das Klügeln! Was wollt Ihr nur mit Euren
Nachkommen! Alle Menschen glauben, sie seien Genies, wie Peter der
Große. Achtet doch lieber darauf, was vor Eurer Nase vorgeht, und denkt
nicht immer an Eure Nachkommen; sorgt lieber dafür, daß Eure Bauern
wohlhabend und reich werden, und daß sie Zeit behalten, auch etwas zu
lernen, wenn sie Lust dazu haben; stellt Euch nicht mit dem Stocke in
der Hand vor sie hin und schreit sie nicht an: >Du mußt in die Schule
gehen, ob du willst oder nicht!< Weiß der Teufel, womit die Leute
heutzutage anfangen! Nein, bitte, hören Sie mal, ich fordere Sie auf,
selbst zu urteilen.« Hier rückte Skudronshoglo näher an Tschitschikow
heran und nahm ihn sozusagen gründlich ins Gebet, um ihn recht tief in
die Sache einzuweihen, d. h. er packte ihn beim Knopfloch seines
Frackes: »Sagen Sie, was kann klarer sein? Die Bauern sind doch dazu da,
damit Sie sie in ihrem Beruf und Stand unterstützen und fördern. Worin
aber besteht dieser? Was ist denn die Beschäftigung der Bauern? Doch
wohl der Ackerbau, die Landwirtschaft? Nun, so sorgen Sie auch dafür,
daß er ein tüchtiger Landwirt wird. Das ist doch klar. Nicht? Nein, da
finden sich gescheite Köpfe, die erklären: >Aus diesem Zustande muß er
herausgeführt werden. Sein Leben ist zu primitiv und einfach: er soll
auch etwas von dem Luxus kosten.< Daß ihr selbst infolge dieses Luxus
lauter Waschlappen und keine Menschen mehr seid und, weiß der Teufel, an
was für neuen Krankheiten leidet, und daß es bald keinen
achtzehnjährigen Bengel mehr geben wird, der nicht schon von allem
gekostet hat -- der keine Zähne im Munde und keine Haare mehr auf dem
Kopfe hat, -- daran denkt ihr nicht und wollt auch noch andre Leute
anstecken! Gott sei Dank, daß wir wenigstens noch einen gesunden Stand
besitzen, der noch nichts von all diesen Finessen weiß! Dafür müßten wir
Gott ewig dankbar sein. Jawohl, einen Landwirt achte ich weit höher als
einen andern Menschen. Gott gäbe, daß alle Menschen Ackerbau trieben!«

»Sie sind also der Ansicht, es sei am vorteilhaftesten, Landwirt zu
werden?« fragte Tschitschikow.

»Ich meine, es ist vernünftiger und ehrenhafter und nicht vorteilhafter.
Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot erwerben -- das ward
uns allen gesagt, und nicht umsonst. Es ist durch eine jahrhundertlange
Erfahrung bewiesen, daß die Landwirtschaft die Sitten verbessert und
veredelt. Wo der Ackerbau die Grundlage des gesellschaftlichen Lebens
bildet, da herrscht Wohlstand und Überfluß! Da gibt es keine Armut und
keinen Luxus, sondern Gesundheit und Zufriedenheit. Es ist dem Menschen
gesagt: Erwirb dir dein Brot, arbeite .. da gibt es nichts zu klügeln!
Ich sage zum Bauern: >Es ist ganz gleich, für wen du dich mühst: für
mich, für dich, für deinen Nachbarn ... die Hauptsache ist, daß du
arbeitest. Bei der Arbeit bin ich dein erster Gehilfe. Hast du kein
Vieh, nun wohl -- da ist ein Pferd, eine Kuh, ein Wagen. Ich bin bereit,
dir alles zu geben, nur sei fleißig und arbeite! Für mich wäre es der
Tod, wenn dein Haushalt in Unordnung geriete und wenn ich Armut und
Mißwirtschaft um mich sehe. Ich dulde keinen Müßiggang: ich bin bei dir,
damit du arbeitest.< Hm. Man glaubt, man könne seine Einkünfte durch
Fabriken und industrielle Unternehmungen vermehren! Denken Sie doch
lieber erst daran, daß jeder Ihrer Bauern wohlhabend werde, dann werden
Sie ganz von selbst reich werden, auch ohne Fabriken und all diese
dummen Erfindungen.« ...


                    9. Variante der andern Fassung.

»So ein Esel!« dachte Tschitschikow. »Solch eine Tante würde ich hegen
und pflegen, wie eine Amme ihr Kind.«

»Wissen Sie, so eine Unterhaltung ist doch recht trocken!« sagte
Chlobujew. »He, Kirjuschka! Bring schnell noch eine Flasche Champagner.«

»Nein, nein, ich kann nicht mehr trinken,« fiel hier Platonow ein.

»Ich auch nicht,« sagte Tschitschikow, und beide weigerten sich
kategorisch, weiter zu trinken.

»Nun, so versprechen Sie mir wenigstens, daß Sie mich in der Stadt
besuchen werden. Am 8. Juni gebe ich ein kleines Diner für die
Honoratioren der Stadt.«

»Wie!« rief Platonow aus. »Jetzt, wo Sie so gut wie ruiniert sind, geben
Sie Diners?«

»Was soll ich machen? Ich kann nicht anders, das ist halt meine
Pflicht,« versetzte Chlobujew. »Sie haben mich doch auch eingeladen.«

10. Vor diesem Worte sind in der vorliegenden Fassung zwei Seiten
herausgeschnitten. Wir führen hier die entsprechende Stelle aus der
andern Fassung an:

»Die Sache ist eigentlich ein großer Unsinn. Er hat nicht genug Land,
und da hat er sich eben ein fremdes Stück Brachland angeeignet, d. h. er
rechnete darauf, daß niemand es braucht, und daß die Besitzer nicht
drauf achten werden ... bei uns aber versammeln sich schon seit vielen
Jahren die Bauern gerade an dieser Stelle, um dort Johannisnacht zu
feiern. Daher bin ich noch eher bereit, ihm ein anderes und sogar
besseres Stück Land abzutreten, als dieses. Jede alte Sitte ist mir
heilig.«

»Sie würden ihm also unter Umständen ein anderes Stück Land abgeben?«

»Ja, d. h. wenn er nicht so mit mir verfahren wäre, aber ich glaube, er
will die Gerichte anrufen. Meinetwegen, wir wollen doch sehen, wer den
Prozeß gewinnt. Nach dem Plan ist es freilich nicht vollkommen klar,
aber ich habe genug Zeugen, lauter alte Leute, die noch am Leben sind,
und sich sehr gut erinnern, wem das Land gehört hat.«

»Hm!« dachte Tschitschikow. »Wie ich sehe, seid ihr alle beide
raffinierte Kerls.« Und er fügte laut hinzu: »Mir scheint, diese Sache
läßt sich friedlich beilegen. Alles hängt davon ab, ob sich jemand
findet, der zwischen Ihnen vermitteln kann .. Schriftl....«

Damit schließt die 96. Seite der Handschrift; die folgenden zwei Seiten
sind verloren gegangen. In der ersten Ausgabe des zweiten Bandes der
»Toten Seelen« hat S. P. Schewyrew folgende Bemerkung zu dieser Stelle
gemacht: Hier fehlt eine größere Partie, in der wahrscheinlich erzählt
wird, wie Tschitschikow zum Gutsbesitzer Lenitzyn fährt. Der Her.

»... daß es auch für Sie selbst sehr vorteilhaft wäre z. B. alle toten
Seelen auf meinen Namen zu übertragen, d. h. ich meine alle die toten
Bauern auf Ihrem Gute, die noch in den Revisionslisten stehen. Dann
könnte ich auch die Steuern für sie bezahlen. Um aber kein Ärgernis zu
geben, könnten wir _pro forma_ einen Kaufkontrakt aufsetzen, ganz so,
als ob sie noch am Leben wären.«

»Da haben wir's!« dachte Lenitzyn: »das ist aber eine höchst merkwürdige
Geschichte.« Er schob sogar seinen Stuhl ein wenig zurück, denn er
befand sich in der höchsten Verlegenheit.

»Ich zweifele nicht im mindesten daran, daß Sie hierüber mit mir
einverstanden sein werden,« fuhr Tschitschikow fort, »denn das ist eine
ganz ähnliche Sache, wie die, welche wir soeben besprochen haben. Sie
bleibt natürlich ganz unter uns -- wir sind doch gesetzte und
vernünftige Leute, und es kann daher gar kein Ärgernis geben.«

Was war zu machen? Lenitzyn befand sich in einer äußerst peinlichen
Situation. Er hatte durchaus nicht voraussehen können, daß die von ihm
noch vor wenigen Minuten geäußerte Ansicht so schnell in die Tat
umgesetzt werden könnte. Dieser Vorschlag kam ihm vollkommen unerwartet.
Selbstverständlich konnte für niemand etwas Schädliches daraus
entstehen: jeder Gutsbesitzer hätte, wenn es darauf angekommen wäre,
ebensogut Hypotheken auf diese Seelen aufgenommen, wie auf die
lebendigen, dem Staat konnten also keinerlei Verluste daraus entstehen;
der ganze Unterschied bestand bloß darin, daß sie jetzt in _einer_ Hand
vereinigt sein würden, während sie sich im andern Falle in vielen
befunden hätten. Trotzdem aber hatte er seine Bedenken. Er war ein
Mensch, der sich streng an die Gesetze hielt und ein Geschäftsmann im
guten Sinne war. Er hätte sich nie bestechen lassen und für Geld eine
schlechte Sache vertreten. Diesmal aber war er unschlüssig, denn er
wußte nicht recht, wie er von diesem Fall denken, wie er ihn bezeichnen
sollte: handelte es sich hier um ein sauberes oder um ein unsauberes
Geschäft? Hätte sich ein andrer mit einem solchen Vorschlag an ihn
gewandt, dann hätte er sagen können: »Ach Unsinn, das sind Torheiten!
Ich will doch nicht mehr Puppen spielen und alberne Streiche machen!«
Aber der Gast gefiel ihm so sehr, es bestanden zwischen ihnen so viele
Berührungspunkte in bezug auf ihre Anschauungen über die Fortschritte
der Aufklärung und der Wissenschaften, wie konnte er ihm da etwas
abschlagen? Lenitzyn befand sich in einer überaus verzwickten Lage.

In diesem Augenblick trat die Hausfrau, die junge Gattin Lenitzyns ins
Zimmer, wie um ihn aus dieser verzweifelten Situation zu erlösen. Sie
war bleich und mager wie alle Petersburger Damen und ebenso
geschmackvoll gekleidet wie diese. Ihr folgte die Amme auf dem Fuße, die
ein Kind auf den Armen trug, die jüngste Frucht der jungen Ehe.
Tschitschikow ging natürlich sofort auf die Dame zu und begrüßte sie
aufs liebenswürdigste. Aber ganz abgesehen hiervon, schon die Geste mit
der er ihr entgegentrat und dabei den Kopf anmutig auf die Seite neigte,
genügte vollkommen, um sie ganz für sich einzunehmen. Dann eilte er auf
das Kind zu, welches zwar im ersten Augenblick laut zu schreien begann,
sich aber sehr schnell wieder beruhigte, als Tschitschikow ein paar
freundliche Worte sagte, ihm A--u, A--u zurief, mit den Fingern
schnippte und ihm seine Uhrkette mit dem Carneolpetschaft zeigte.
Schließlich wurde es so zutraulich, daß es sich von Tschitschikow ruhig
auf die Hände nehmen und hoch in die Luft heben ließ, ja, es begann
sogar fröhlich zu lachen, was auch das Elternpaar höchlich erfreute.

Aber war es nun das Vergnügen, welches das Kindchen verspürte, oder
etwas andres, genug es passierte ihm plötzlich etwas sehr Unangenehmes.
Frau Lenitzyn schrie laut auf: »Ach Gott, ach Gott, er wird Ihnen noch
den ganzen Frack verderben!«

Tschitschikow warf einen Blick auf den Ärmel seines neuen Frackes und
war aufs höchste erschrocken. Der ganze Ärmel war hin: »Wenn dich doch
der Teufel holte, verdammter Schelm!« murmelte er ärgerlich vor sich in.

Der Hausherr, die Hausfrau und die Amme eilten schleunigst davon, um
kölnisches Wasser zu holen; hierauf liefen sie von allen Seiten auf ihn
zu und begannen seinen Frack zu waschen und zu scheuern.

»Das macht nichts, das macht wirklich nichts,« sagte Tschitschikow: »Was
kann einem denn ein unschuldiges Kind antun?« Zugleich aber dachte er
sich: »Und wie geschickt er das gemacht hat, der kleine Teufel! Ein
goldenes Alter!« bemerkte er, als er endlich ganz trocken war, und ein
freundliches Lächeln erhellte aufs neue seine Züge.

»Tatsächlich,« versetzte der Hausherr, der sich gleichfalls mit einem
freundlichen Lächeln an Tschitschikow wandte, »was gibt es Schöneres als
das Kindesalter. Man hat keine Sorgen, man denkt nicht an die Zukunft
...«

»Ja, mit einem Kinde würde ich sofort tauschen,« entgegnete
Tschitschikow.

»Sofort!« sagte Lenitzyn.

Ich glaube indes, daß beide schwindelten. Wenn man ihnen im Ernst einen
solchen Tausch angeboten hätte, sie wären sofort zu Kreuze gekrochen. Es
ist doch auch wirklich kein Vergnügen, bei der Amme auf dem Arme zu
sitzen und fremde Fräcke zu ruinieren.

Die junge Frau, die Amme und das Kind hatten sich entfernt, denn auch
der Kleine bedurfte einer gründlichen Reinigung: er hatte nicht nur
Tschitschikow beglückt, sondern auch sich selbst nicht ganz vergessen.

Übrigens nahm dieser scheinbar so unwesentliche Vorfall den Hausherrn
noch mehr für Tschitschikow ein. Und in der Tat, wie konnte er einem so
angenehmen und höflichen Gast etwas abschlagen, einem Gaste, der so
freundlich gegen seinen Kleinen gewesen war, und seine Güte noch dazu so
großmütig mit seinem Frack bezahlen mußte. Lenitzyn dachte nämlich:
»Warum sollte ich seine Bitte eigentlich nicht erfüllen, wenn er es doch
so sehr wünscht ...«


                    11. Variante der andern Fassung.

Um dieselbe Zeit lag Tschitschikow in seinem persischen mit Gold
bordierten Schlafrock auf dem Sofa und verhandelte mit einem
vorüberreisenden Schmuggler jüdischer Abstammung, der das Russische mit
einem deutschen Akzent sprach; vor ihnen lagen ein Stück feinste
holländische Leinwand, die Tschitschikow gekauft hatte, um sich neue
Hemden machen zu lassen, und zwei Pappschachteln mit Seife von
allererster Qualität (es war dieselbe Seife, die er sich ehemals während
seines Dienstes im Raziwillschen Zollamt zu halten pflegte, und die
tatsächlich die Kraft besaß, den Wangen eine geradezu unerhörte Reinheit
und Zartheit zu verleihen). Während nun Tschitschikow mit Kennerblick
all diese für jeden gebildeten Menschen so überaus notwendigen
Gegenstände einkaufte, hörte man draußen das Gerassel eines
heranrollenden Wagens. Die Fensterscheiben erklirrten, und gleich darauf
betrat Seine Exzellenz Alexei Iwanowitsch Lenitzyn das Zimmer.

»Exzellenz, was sagen Sie zu dieser Leinwand und zu dieser Seife, und
wie gefällt Ihnen dies Ding hier, das ich mir gestern angeschafft habe?«
Mit diesen Worten setzte Tschitschikow eine mit Gold und Glasperlen
verzierte Kappe auf und präsentierte sich seinem Gast mit einem Anstand
und einer Würde, die der des persischen Schahs nicht viel nachgegeben
hätte.

Aber Seine Exzellenz antwortete nichts und sagte nur:

»Ich muß Sie dringend in einer Angelegenheit sprechen.« Man sah es ihm
an, daß er sehr erregt war. Der ehrenwerte Kaufmann mit dem deutschen
Akzent wurde sofort hinausbefördert, und beide Freunde blieben allein.

»Wissen Sie, was passiert ist? Eine schöne Geschichte! Es hat sich noch
ein zweites Testament gefunden, das die alte Dame vor fünf Jahren
gemacht hat. Darin verschreibt sie die Hälfte ihrer Güter dem Kloster
und die andre Hälfte ihren beiden Adoptivtöchtern. Das ist alles.«

Tschitschikow war ganz erschrocken.

»Aber dies Testament gilt doch nicht, es hat doch nichts zu bedeuten; es
hat durch das zweite seine Rechtskraft verloren!«

»Es steht aber im zweiten Testament nichts davon drin, daß das erste
dadurch annulliert wird.«

»Das versteht sich ganz von selbst: das letzte stößt alle vorhergehenden
um. Das bedeutet nichts! Das erste Testament hat keine Gültigkeit. Ich
kenne den Willen der Verstorbenen sehr gut. Ich war doch zugegen, als es
aufgesetzt wurde. Wer hat es unterschrieben, wer waren die Zeugen?«

»Es ist nach allen Regeln beim Gericht attestiert. Als Zeugen fungierten
die Assessoren a. D. Burmilow und Chawanow.«

»Das ist schlimm, sehr schlimm!« dachte Tschitschikow. »Dieser Chawanow
soll ein ehrlicher Mensch sein. Burmilow ist ein alter Tartüffe, der
liest Sonntags in der Kirche aus der Bibel vor. -- Ach was, Unsinn,
Unsinn,« fuhr er laut fort, denn er fühlte sich wieder mutig und
entschlossen. »Das weiß ich besser: ich war zugegen, als die Alte starb.
Ich muß das doch besser wissen als andre Leute. Ich bin bereit, die
Sache zu beschwören.«

Diese Worte und diese Entschlossenheit beruhigten Lenitzyn ein wenig.

Er war sehr aufgeregt und fragte sich schon, ob Tschitschikow nicht am
Ende das Testament gefälscht haben könnte (er hätte es sich freilich
nicht einmal vorstellen können, daß die Sache sich so verhalte, wie sie
sich in Wahrheit verhielt). Jetzt machte er sich Vorwürfe wegen seines
Argwohnes. Tschitschikows Bereitwilligkeit, alles zu beschwören, war ein
offenkundiger Beweis, daß er .... Wir wissen freilich nicht, ob Pawel
Iwanowitsch wirklich den Mut gehabt hätte, einen Eid darauf abzulegen,
jedenfalls aber hatte er den Mut, es zu behaupten.

Tschitschikow ließ sofort den Wagen vorfahren und begab sich zu seinem
Rechtsanwalt. Dieser Rechtsanwalt war ein außerordentlich geschickter
und erfahrener Mann. Er befand sich schon seit fünfzehn Jahren im
Anklagezustand, aber er verstand es, seine Maßregeln so gut zu treffen,
daß es unmöglich war, ihn seines Amtes zu entsetzen. Jedermann wußte,
daß er es für seine Heldentaten hundertfach verdient hatte, in die
Strafkolonien verschickt zu werden. Er wurde der schlimmsten Dinge
verdächtigt, aber es wollte nie gelingen, zwingende Beweise gegen ihn
aufzubringen. Der Mann war tatsächlich mit einem geheimnisvollen
Schimmer umgeben, man hätte ihn sicher für einen Zauberer erklärt, wenn
unsere Erzählung in einem unaufgeklärten Zeitalter gespielt hätte.

Der Rechtsanwalt setzte Tschitschikow durch seinen fettigen Schlafrock
in Erstaunen, der in einem krassen Gegensatz zu den schönen
Mahagonimöbeln, der goldenen, mit einer Glasglocke bedeckten Stutzuhr,
dem Armleuchter, der durch die Tüllhülle hindurchschimmerte und zu der
ganzen Umgebung stand, denn diese trug den deutlichen Stempel einer
weltmännischen europäischen Bildung.

Tschitschikow ließ sich jedoch durch den skeptischen Blick des
Rechtsanwalts keineswegs aus der Fassung bringen, sondern klärte ihn
über die schwierige Sachlage auf und ließ die verlockende Aussicht auf
seinen Dank und seine Erkenntlichkeit für den ihm erteilten Rat und
Beistand vor ihm erstehen.

Der Rechtsanwalt spielte dagegen auf die Unzuverlässigkeit aller
irdischen Dinge und Güter an und deutete Tschitschikow gegenüber in
zarter Weise an, daß eine Taube auf dem Dache wenig gilt, und ein
Sperling in der Hand ihm lieber sei.

Was war da zu machen? Man mußte ihm schon den Sperling in die Hand
drücken. Die skeptische Kühle unseres Philosophen verschwand sofort, und
es stellte sich heraus, daß er der beste Mensch von der Welt und ein
äußerst angenehmer Gesellschafter war, der selbst Tschitschikow, was die
Schönheit und weltmännische Gewandtheit der Umgangsformen anbelangte,
wenig nachgab.

»Machen wir doch lieber nicht so viel Umstände -- Sie haben sich wohl
das Testament gar nicht ordentlich angesehn; es wird sicher noch irgend
eine Bemerkung oder eine Notiz darin stehen. Nehmen Sie es lieber für
einige Zeit an sich. Eigentlich ist es ja verboten, solche Objekte mit
sich nach Hause zu nehmen, aber wenn man die Beamten ordentlich darum
angeht ... Ich für meinen Teil werde meinen ganzen Einfluß aufbieten.«

»Ich verstehe,« dachte Tschitschikow und versetzte: »In der Tat, ich
kann mich nicht mehr genau darauf besinnen, ob es nicht doch eine Notiz
enthielt -- es ist fast so, als ob ich das Testament gar nicht selbst
aufgesetzt hätte.«

»Das Beste ist, Sie sehen selbst nach. Übrigens können Sie ganz ruhig
sein,« fuhr er gutmütig fort. »Machen Sie sich jedenfalls keine Sorgen,
selbst wenn es noch schlimmer kommt. Verzweifeln Sie niemals, es gibt
keine solche Sache, die sich nicht wieder gut machen ließe. Sehen Sie
doch mich an. Ich bin immer ruhig. Was man auch gegen mich unternehmen
mag, ich lasse mich nicht in meiner Gemütsruhe stören.« Und in der Tat,
das Gesicht unseres Philosophen ließ nicht die geringste Bewegung
erkennen, so daß Tschitschikow lange ...

»Natürlich ist das das wichtigste,« versetzte er. »Aber Sie werden mir
doch zugestehen, daß es Verhältnisse geben kann, Gefahren und
Nachstellungen seitens der Feinde, und so verzwickte Lagen, daß man
darüber seine Geistesgegenwart verlieren muß.«

»Glauben Sie mir, das wäre kleinmütig,« entgegnete der Philosoph sehr
ruhig und freundlich. »Achten Sie vor allem darauf, daß die Sache auf
dem Aktenwege erledigt wird, und daß es keine mündlichen
Auseinandersetzungen gibt. Sobald Sie jedoch bemerken, daß es zum
Klappen kommt, und daß die Entscheidung herannaht, -- dann dürfen Sie
sich nicht etwa rechtfertigen oder verteidigen, sondern Sie müssen
einfach mit neuen Tatsachen herausrücken.«

»Man muß also ...«

»Die Sache möglichst verwickeln -- das ist alles,« versetzte der
Philosoph, »sie mit neuen, nicht zur Sache gehörigen Details
komplizieren, die auch noch andre Leute in die Affäre hineinziehen. Man
muß die Fäden durcheinander wirren -- das ist das ganze Geheimnis. Mögen
doch die Petersburger Beamten sehen, wie sie damit fertig werden!«
wiederholte er, indem er Tschitschikow sehr vergnügt ansah, so wie ein
Lehrer seinen Schüler, wenn er ihm ein besonders interessantes Kapitel
aus der russischen Grammatik erklärt.

»Ja, es ist gut, wenn man solche Details findet, mit denen man die Augen
anderer Leute umnebeln kann!« sagte Tschitschikow, indem er den
Philosophen gleichfalls mit Vergnügen betrachtete, wie ein Schüler, der
die interessante Stelle aus der Grammatik, die ihm sein Lehrer erklärt,
schon begriffen hat.

»Sie werden sich schon finden! Glauben Sie mir, daß Sie sich finden
werden: wenn man sich nur häufig genug darin übt, dann wird auch der
Kopf allmählig erfinderischer. Vor allem aber bedenken Sie, daß man
Ihnen dabei helfen wird. Wenn die Sache recht kompliziert ist, dann
finden viele Leute ihren Vorteil dabei: man braucht immer mehr Beamte,
und diese wollen ihrerseits immer mehr Gehalt haben. Mit einem Wort, man
muß nur recht viele Leute an der Sache interessieren. Es macht nichts,
wenn ein paar Unschuldige mit hineingezogen werden: sie müssen sich
rechtfertigen, auf die Anklagen antworten, sich loskaufen usw. Da gibt's
eben was zu verdienen. Glauben Sie mir: sowie die Umstände wirklich
kritisch werden, muß man zuallererst daran denken, die ganze Affäre
recht verwickelt zu machen. Und das läßt sich so gut bewerkstelligen,
daß sich bald niemand mehr auskennt. Warum bin ich immer so ruhig? Weil
ich genau weiß: wenn meine Sache schief geht, dann ziehe ich alle
miteinander in sie hinein: den Gouverneur, den Vizegouverneur, den
Polizeimeister, den Kassierer -- ich lasse keinen frei ausgehen. Ich
kenne ihre Verhältnisse ganz genau; ich weiß, ob einer dem andern zürnt,
ob er sich über ihn ärgert und ihm etwas Böses gönnt. Meinetwegen mögen
sie sich nachher aus der Affäre ziehen. Unterdessen aber können andere
Leute etwas dabei verdienen. Man kann eben nur im trüben Wasser krebsen
gehn. Sie warten ja alle zusammen darauf, daß nur ein möglichst großer
Wirrwarr entsteht.« Hier sah der Jurist und Philosoph Tschitschikow
wiederum so vergnügt an, wie ein Lehrer seinen Schüler, dem er ein noch
weit interessanteres Kapitel aus der russischen Grammatik erklärt.

»Nein, dieser Mann ist tatsächlich ein Weiser,« dachte Tschitschikow und
verabschiedete sich in der besten und vergnügtesten Laune vom
Rechtsanwalt.

Er fühlte sich wieder vollständig beruhigt, daher warf er sich mit einer
nachlässigen Sicherheit in die weichen Kissen seiner Equipage, befahl
Seliphan das Verdeck herabzulassen und setzte sich bequem im Polster
zurecht, ganz wie ein Husarenoberst a. D. oder Herr Wyschnepokromow in
eigener Person. Als er _zum_ Rechtsanwalt fuhr, hatte er das Verdeck
schließen lassen und sogar seine Füße tief in die Lederdecke gehüllt,
jetzt dagegen schlug er ein Bein über das andre, und wandte allen
Vorübergehenden sein lächelndes Gesicht zu, das unter dem keck auf das
Ohr gerückten neuen Seidenhut nur so vor Heiterkeit strahlte. Seliphan
erhielt den Befehl, die Richtung nach dem Tuchmarkt zu nehmen. Die
einheimischen und zugereisten Kaufleute standen an ihren Ladentüren und
grüßten ihn ehrerbietig; Tschitschikow erwiderte seinerseits ihren Gruß
nicht ohne ein gewisses Selbstbewußtsein. Viele von ihnen kannte er
schon; andre waren zwar erst vor kurzem angekommen, doch waren auch sie
ganz entzückt von dem gewandten und sicheren Wesen und den feinen
Manieren des fremden Herrn, und bewillkommneten ihn daher wie einen
alten Bekannten. In der Stadt Tfuslawlew gab es fast immer eine Messe;
war der Pferde- und Getreidemarkt zu Ende, dann kamen die Luxuswaren für
die vornehmeren und gebildeteren Herrschaften an die Reihe. Die
Kaufleute, die per Axe angereist kamen, rechneten damit, per Schlitten
nach Hause zurückzukehren.

»Bitte hierher, treten Sie gefälligst ein,« rief ihm ein Kaufmann von
der Ladentüre aus entgegen. Er trug einen deutschen Rock, der in Moskau
verfertigt war, und verbeugte sich mit selbstgefälliger Höflichkeit.
Sein Haupt war entblößt, und er schwenkte mit der einen Hand seinen Hut,
während er mit der andern leicht über sein rundes Kinn strich. Hierbei
suchte er seinem Gesicht einen ausnehmend feinen und gebildeten Ausdruck
zu geben.

Tschitschikow trat in den Laden: »Lassen Sie sehen, was Sie für Stoffe
haben, Verehrtester.«

Der vornehme Kaufmann hob sofort das Brett, das die zwei Ladentische
verband, in die Höhe, schaffte sich so einen Durchgang und stand
sogleich dienstbereit da, indem er seinen Waren den Rücken und dem
Käufer sein Gesicht zuwendete. In dieser Stellung begrüßte er entblößten
Hauptes und den Hut respektvoll lüftend, noch einmal seinen Gast. Dann
setzte er den Hut auf, stützte sich mit beiden Händen auf den
Ladentisch, beugte sich etwas vor und sagte: »Was für Stoffe wünschen
Sie? Englische Manufakturwaren? oder ziehen Sie unsere vaterländischen
Produkte vor?«

»Ich wünsche einen russischen Stoff,« versetzte Tschitschikow, »aber von
der allerbesten Sorte, einen sogenannten englischen.«

»Und welche Farben finden Ihren Beifall?« fragte der Kaufmann, der sich
noch immer in der angenehmsten Weise auf seinen beiden Händen
balancierte.

»Haben Sie einen glänzenden dunkelen oder oliven- oder flaschengrünen
Stoff, wenn möglich mit einer preißelbeerfarbenen Nuance?«

»Ich kann Ihnen das Versprechen geben, daß Sie die allerbeste Sorte
erhalten werden, was Besseres werden Sie auch in beiden Hauptstädten
nicht finden,« versetzte der Kaufmann und schickte sich an, den Stoff zu
holen. Er warf die Rolle gewandt auf den Tisch, rollte sie von hinten
auf und hielt den Stoff ans Licht. »Ein wunderbares Farbenspiel! Das
Allermodernste, etwas für den erlesensten Geschmack!« Und in der Tat,
der Stoff glänzte wie Seide. Der Kaufmann hatte mit feinem Instinkte
erkannt, daß ein Kenner der Tuchsorten vor ihm stand und daher wollte er
erst gar nicht mit einem Stoff zu zehn Rubel pro Meter anfangen.

»Hm, nicht übel,« bemerkte Tschitschikow, nachdem er das Tuch flüchtig
gemustert hatte. »Aber wissen Sie was, Verehrtester, zeigen Sie mir
lieber gleich die Sorte, die Sie zuletzt vorlegen; und dann: haben Sie
keinen mit einem Stich ins Rote?«

»Ich verstehe: Sie wollen genau so eine Farbe, wie sie heute modern zu
werden beginnt. Da habe ich einen Stoff von allererster Qualität. Ich
mache Sie darauf aufmerksam, daß er sehr teuer ist, aber wie gesagt:
dafür ist es auch die allerbeste Sorte.«

Die Rolle fiel von oben herab. Der Kaufmann rollte sie mit noch größerer
Geschwindigkeit auseinander und fing sie am andern Ende auf. Diesmal war
es ein echter Seidenstoff; er zeigte ihn Tschitschikow, jedoch so, daß
dieser nicht nur die Möglichkeit hatte, ihn gründlich zu besichtigen,
sondern sogar zu betasten und zu beriechen. Und er fügte nur kurz hinzu:
»Navarinosche Rauchfarbe mit Feuerglanz.«


                    12. Variante der andern Fassung.

Man einigte sich über den Preis. Ein eisernes Metermaß maß Tschitschikow
gleich einem Zauberstabe in wenigen Augenblicken den Stoff für Frack und
Hosen zu. Dann machte der Kaufmann einen kleinen Einschnitt mit der
Schere, riß das Tuch mit beiden Händen der ganzen Breite nach
auseinander und verbeugte sich, nachdem diese Operation vollendet war,
in außerordentlich feiner und liebenswürdiger Weise vor Tschitschikow.
Das Zeug wurde hierauf zusammengerollt und geschickt in Papier
gewickelt. Hierauf wurde eine dünne Schnur herumgeschlungen und das
Paket war fertig. Tschitschikow wollte schon in die Tasche greifen, aber
da fühlte er, wie eine zarte Hand seine Taille angenehm umschlang, und
seine Ohren vernahmen die Worte: »Was kaufen Sie hier ein,
Verehrtester.«

»Ah, welch glückliches Zusammentreffen!« rief Tschitschikow aus.

»Ja, es ist ein glücklicher Zufall, der uns hier zusammenführt,« hörte
er die Stimme desselben Mannes sagen, der seine Taille umschlungen
hatte. Es war Wyschnepokromow. »Ich wollte schon achtlos an dem Laden
vorübergehn, da sehe ich plötzlich ein bekanntes Gesicht -- einem
solchen Vergnügen kann man sich doch unmöglich entziehen. Ja, ja, dies
Jahr sind die Stoffe weit schöner. Es ist eine wahre Schande. Früher
konnte man beim besten Willen nichts Vernünftiges bekommen. Ich hätte
gern vierzig Rubel bezahlt ... meinetwegen sogar fünfzig, wenn ich nur
etwas Gutes bekommen hätte. Was mich anbelangt, so will ich entweder das
Allerbeste oder lieber gar nichts haben. Nicht wahr?«

»Sehr richtig!« versetzte Tschitschikow. »Wozu quält man sich so, wenn
man nicht auch was Gutes haben soll?«


                    13. Variante der andern Fassung.

Der alte Mann begrüßte alle Anwesenden und wandte sich direkt an
Chlobujew: »Entschuldigen Sie, aber ich sah von weitem, wie Sie in den
Laden traten, und da entschloß ich mich, Ihnen nachzugehen und Ihre Zeit
ein wenig in Anspruch zu nehmen. Wenn Sie nachher frei sind und an
meinem Hause vorüberkommen, dann seien Sie doch so freundlich, einen
Augenblick bei mir einzutreten. Ich habe mit Ihnen zu sprechen.«

Chlobujew versetzte: »Sehr gern, Afanassij Wassiljewitsch.«

Der alte Herr verabschiedete sich und ging hinaus. »Mir wirbelt's
förmlich im Kopfe,« sagte Tschitschikow »wenn ich daran denke, daß
dieser Mensch ganze zehn Millionen hat. Das ist einfach unmöglich!«

»Ja, das gehört sich in der Tat nicht,« bemerkte Wyschnepokromow; »die
Kapitale sollten nicht in der Hand Einzelner konzentriert sein. Das ist
ein Gegenstand, über den in Europa sehr viel geschrieben wird. Wenn du
Geld hast, mußt du es auch mit den andern teilen: mache Geschenke, gib
Bälle, entwickele einen wohltätigen Luxus, bei dem die Arbeiter und
Handwerker etwas verdienen.«

»Das kann ich gar nicht verstehen!« wiederholte Tschitschikow. »Zehn
Millionen! Und dabei lebt er wie ein gewöhnlicher Bauer! Hol's der
Teufel, was kann man nicht alles mit zehn Millionen anfangen! Da kann
man ein Leben beginnen. Nur Fürsten und Generäle sollten bei mir
verkehren!«

»Jawohl,« bemerkte der Kaufmann, »das ist in der Tat keine gebildete
Art. Wenn ein Kaufmann Ehrenbürger ist, dann ist er eben nicht mehr
Kaufmann sondern gewissermaßen schon Negoziant. Dann muß ich mir auch
eine Loge im Theater halten, und kann meine Tochter doch keinem
einfachen Oberst mehr zur Frau geben. Nein, dann müßte schon mindestens
ein General kommen, einem andern geb ich sie einfach nicht. Was ist mir
ein Oberst? Und mein Essen bestellte ich beim Konditor und nicht bei
einer gewöhnlichen Köchin ...«

»Da ist doch jedes Wort überflüssig!« sagte Wyschnepokromow. »Mit zehn
Millionen kann man vieles anfangen. Geben Sie mir nur die zehn
Millionen, Sie sollen schon sehen, was ich damit beginne!«

»Nein,« dachte Tschitschikow: »bei _dir_ wären die zehn Millionen
schlecht aufgehoben. Wenn ich dagegen ein solches Sümmchen hätte, ich
wüßte sie in der Tat gut anzulegen.«

»Ja, wenn ich zehn Millionen besäße,« dachte Chlobujew, »dann wäre ich
nicht so töricht wie früher, ich würde sie nicht so sinnlos vergeuden.
Nachdem man so schreckliche Erfahrungen gemacht hat, kennt man den Wert
jeder Kopeke. Ja, jetzt würde ich es ganz anders anfangen ...« Aber
gleich darauf wurde er nachdenklich und legte sich innerlich die Frage
vor: »Würde ich das Geld jetzt wirklich vernünftiger anlegen?« dann
machte er eine hoffnungslose Gebärde und fügte hinzu: »Kein Gedanke! Ich
glaube, ich würde es ebenso ausgeben wie früher.« Damit verließ er den
Laden und begab sich zu Murasow, höchst gespannt darauf, was dieser ihm
mitzuteilen habe.

»Ich erwartete Sie!« sagte Murasow, als er Chlobujew eintreten sah.
»Bitte, kommen Sie doch in mein Zimmer.« Und er führte Chlobujew in das
Stübchen, welches der Leser bereits kennen gelernt hat. Selbst ein
Beamter, der jährlich nur 700 Rubel Gehalt bezieht, könnte in keinem
schlichteren und unscheinbareren Stübchen hausen.

»Sagen Sie bitte, Ihre Verhältnisse haben sich doch gebessert? Ich
glaube, Ihre Tante hat Ihnen etwas hinterlassen?«

»Was soll ich Ihnen sagen, Afanassij Wassiljewitsch? Ich weiß nicht, ob
sich meine Verhältnisse wirklich gebessert haben. Ich habe bloß fünfzig
Bauern und dreißigtausend Rubel geerbt; damit muß ich einen Teil meiner
Schulden bezahlen, und dann behalte ich so gut wie nichts übrig. Was
aber die Hauptsache ist, die Geschichte mit diesem Testament ist nicht
ganz sauber. Es sind da allerhand Betrügereien vorgekommen, Afanassij
Wassiljewitsch! Ich will Ihnen alles erzählen, Sie werden sich wundern,
was für Dinge in der Welt passieren. Dieser Tschitschikow ...«

»Erlauben Sie, Peter Petrowitsch, bevor wir von diesem Tschitschikow
reden, möchte ich zuerst von Ihnen selber sprechen. Sagen Sie mir bitte,
wieviel Geld hätten Sie wohl nötig, um wieder in geordnete Verhältnisse
hineinzukommen? Was denken Sie wohl?«

»Um meine Verhältnisse zu ordnen, und ein ganz bescheidenes Leben
beginnen zu können -- dazu brauche ich mindestens hunderttausend Rubel,
wenn nicht noch mehr.«

»Nun und wenn Sie dieses Geld hätten, was würden Sie dann wohl
anfangen?«

»Ich würde mir eine kleine Wohnung mieten und mich der Erziehung meiner
Kinder widmen, ich kann doch nicht mehr in den Staatsdienst eintreten.
Ich bin ja zu nichts mehr zu gebrauchen.«

»Warum sind Sie zu nichts zu gebrauchen?«

»Ja was könnte ich denn beginnen? Sagen Sie selbst, ich kann doch nicht
wieder als Bureauschreiber anfangen. Sie vergessen, daß ich Familie
habe. Ich bin schon über die Vierzig, leide an Kreuzschmerzen und bin
träge und müde geworden. Und eine bessere Stelle werde ich doch nicht
erhalten; dazu bin ich zu schlecht angeschrieben. Ich muß Ihnen übrigens
gestehen, ich würde auch keine Stellung annehmen, wo es was zu verdienen
gibt. Ich bin zwar ein schlechter Kerl und ein Spieler, aber
Geldgeschenke würde ich nicht nehmen. Alles andre, nur nicht dies. Mit
diesem Krasnonossow und Samosistow würde ich mich nicht vertragen.«

»Verzeihen Sie, aber ich kann trotzdem nicht begreifen, wie man leben
kann, wenn man kein Ziel, wenn man keinen Weg vor Augen hat; man kann
doch nicht weiterfahren, wenn man keinen Boden unter den Füßen hat; man
kann doch das Wasser nicht ohne Kahn durchschiffen. Das Leben ist eben
eine Reise. Entschuldigen Sie, Peter Petrowitsch, aber die Leute, von
denen Sie da reden, haben doch wenigstens einen Weg vor sich, sie sind
tätig und arbeiten zum mindesten. Freilich sind sie vom rechten Wege
abgekommen, wie das uns sündigen Menschen wohl passieren kann; aber wir
wollen hoffen, daß sie sich wieder zurecht finden werden. Wer nur
vorwärts marschiert, -- _muß_ schließlich das Ziel erreichen, man
braucht die Hoffnung nicht aufzugeben, daß er wieder auf den rechten Weg
hinauskommt. Wie aber soll einer den Weg finden, der müßig dahinlebt.
Der Weg kommt doch nicht selbst zu uns.«

»Glauben Sie mir, Afanassij Wassiljewitsch, ich fühle, wie recht Sie
haben .... aber ich sage Ihnen, in mir ist jeder Trieb zur Tätigkeit
erstorben. Ich sehe nicht, daß ich noch jemandem in der Welt von Nutzen
sein könnte. Ich fühle, ich bin nichts wie ein unnützer Holzklotz.
Früher, als ich noch jünger war, da schien es mir, daß alles vom Gelde
abhänge, daß, wenn ich bloß ein paar Hunderttausende in der Hand hätte,
ich alle Menschen glücklich machen könnte. Ich wollte arme Künstler
unterstützen, Bibliotheken einrichten, allerhand nützliche Institutionen
gründen und Sammlungen anlegen. Ich bin nicht ohne Geschmack und weiß,
daß ich das Geld besser zu verwenden wüßte, als die meisten reichen
Leute, die nichts Vernünftiges zuwege bringen. Jetzt sehe ich jedoch,
daß auch dies eitel ist und wenig Wert hat. Nein, Afanassij
Wassiljewitsch, ich tauge nichts mehr, gar nichts mehr, das können Sie
mir glauben. Ich bin zu nichts mehr fähig.«

14. Hier schließt der Text des späteren Entwurfs. Die neuere Fassung
dieser Stelle hängt in der Handschrift nicht mit der ursprünglichen
zusammen. Daher mußte der ursprüngliche Text bis zu der Stelle
reproduziert werden, die keiner weiteren Überarbeitung unterzogen wurde.


                      Variante der andern Fassung.

»Hören Sie, Peter Petrowitsch, Sie gehen doch auch in die Kirche, um zu
beten; ich weiß es, Sie versäumen keine Früh- noch Abendmesse. Sie
stehen nicht gern früh auf, und doch tuen Sie es und gehen -- schon um 4
Uhr zum Gottesdienst, wenn noch alle Leute schlafen.«

»Das ist etwas ganz andres, Afanassij Wassiljewitsch. Das tue ich um
meines Seelenheiles willen, denn ich bin überzeugt, daß ich damit mein
müßiges Leben mindestens ein klein wenig wieder gut mache. So
widerwärtig ich mir selbst bin, ein so schlechter Kerl ich auch sein
mag, ich hoffe doch, daß ein demütiges Gebet und eine gewisse
Selbstüberwindung Gott wohlgefällig sind. Ich will Ihnen gestehen, ich
bete ohne Glauben, aber ich bete dennoch. Ich fühle bloß, daß es einen
Herrn gibt, von dem alles abhängt; so erkennt auch das Pferd und das
Vieh seinen Herrn, der über sie gebietet.«

»Sie beten also zu dem, dem Sie wohlgefällig sein wollen, weil Sie um
das Heil Ihrer Seele besorgt sind, und das gibt Ihnen Kraft und
veranlaßt Sie so früh aufzustehen. Glauben Sie mir, wenn Sie mit
derselben Energie Ihrem Berufe nachgehen wollten, wie Sie Ihm dienen, zu
dem Sie beten, Sie würden bald eine Tätigkeit finden, und kein Mensch in
der Welt könnte Ihre Begeisterung dämpfen.«

»Afanassij Wassiljewitsch. Ich muß wiederholen, das ist was ganz andres.
Im ersten Falle sehe ich doch, daß ich handele. Ich sage Ihnen, ich bin
bereit, in ein Kloster zu gehen, ich will die schwersten Lasten tragen,
die man mir auferlegt, und die härtesten Arbeiten tun, denn dort werde
ich wissen, für wen ich mich mühe. Da brauche ich nicht nachzudenken und
zu grübeln. Dort bin ich überzeugt, daß die für mich Rechenschaft
ablegen werden, die mir sagen, was ich zu tun habe. Dort habe ich mich
zu unterwerfen, und ich weiß, daß ich mich Gott unterwerfe.«

»Ja, aber warum denken Sie denn in weltlichen Dingen nicht ebenso? Wir
sollen doch auch in der Welt _Gott_ dienen und keinem andern. Und wenn
wir einem andern dienen, so tuen wir es auch nur deswegen, weil wir
überzeugt sind, daß Gott selbst es so will; ohne das könnten wir
niemandem dienen. Was sind denn all unsere Gaben und Fähigkeiten, die
bei jedem anders geartet sind? Das sind doch nur Werkzeuge unseres
Gottesdienstes: in Worten oder Taten. Sie können doch nicht ins Kloster
gehen; Sie sind an die Welt gewöhnt und haben Familie!«

Murasow schwieg. Auch Chlobujew sagte kein Wort.

»Sie glauben also, Sie könnten Ihr Leben auf eine feste Grundlage
stellen und von nun ab vernünftiger und sparsamer wirtschaften, wenn Sie
zweihunderttausend Rubel hätten?«

»Das heißt, ich würde wenigstens eine Tätigkeit haben, der ich gewachsen
bin -- ich würde mich der Erziehung meiner Kinder widmen, und ich hätte
die Möglichkeit, ihnen tüchtige Lehrer zu halten.«

»Soll ich Ihnen etwas sagen, Peter Petrowitsch! Nach zwei Jahren werden
Sie wieder ganz tief in Schulden stecken, wie in einem Netz.«

Chlobujew schwieg eine Weile still und sagte dann gedehnt: »Aber nach
den Erfahrungen, die ich ....«

»Ach, da ist doch kein Wort zu verlieren!« fiel Murasow ein. »Sie haben
ein gutes Herz, Ihre Freunde werden zu Ihnen kommen und Sie um Geld
bitten -- Sie werden es ihnen ja doch nicht abschlagen können; wenn Sie
einen armen Mann sehen, werden Sie ihm helfen; wenn ein Freund zu Ihnen
kommt, werden Sie ihn recht gut bewirten wollen und sich jeder
menschenfreundlichen Regung hingeben. Ihren Vorteil und das Rechnen aber
werden Sie dabei vergessen. Und schließlich lassen Sie mich Ihnen noch
in aller Aufrichtigkeit das eine sagen: Sie sind ja garnicht imstande,
Ihre Kinder gut zu erziehen. Seine Kinder kann nur ein Vater erziehen,
der seine Pflicht schon erfüllt hat. Und Ihre Frau ... sie hat ja ein
gutes Herz ... aber sie ist selbst nicht so erzogen, um Kinder erziehen
zu können. Ich frage mich sogar -- Sie entschuldigen mich doch, Peter
Petrowitsch -- ob es Ihren Kindern nicht am Ende schaden könnte, stets
mit Ihnen zusammen zu sein!«

Chlobujew war nachdenklich geworden; er prüfte sich in Gedanken nach
allen Richtungen und hatte schließlich das Gefühl, daß Murasow nicht
ganz unrecht hatte.

»Wissen Sie was, Peter Petrowitsch! Überlassen Sie mir Ihre Kinder und
die Ordnung Ihrer Verhältnisse, verlassen Sie Ihre Familie und Ihre
Kinder, ich will schon für sie sorgen. Ihre Verhältnisse sind doch
gewissermaßen so, daß Sie ganz in meiner Hand sind; Sie sind doch nahe
am Verhungern. Hier gilt es einen Entschluß zu fassen. Kennen Sie Iwan
Potapytsch?«

»Gewiß, und ich verehre ihn sehr, trotzdem er in einer Joppe
herumläuft.«

»Iwan Potapytsch war Millionär, seine Töchter heirateten lauter Beamte,
und er lebte wie ein Fürst. Aber er machte Bankrott -- und da blieb ihm
eben nichts andres übrig, als ein gewöhnlicher Kommis zu werden. Es
wurde ihm wirklich nicht leicht, aus einer einfachen Schüssel zu essen,
_ihm_, der an silberne Teller gewöhnt war, und die Hände wollten nicht
recht arbeiten, denn sie hatten es nicht gelernt. Sehen Sie, jetzt
könnte Iwan Potapytsch wieder aus silbernen Schüsseln essen, aber nun
will er es selbst nicht. Er hat sich wieder genug zusammengespart, aber
er sagt: >Nein, Afanassij Wassiljewitsch, jetzt diene ich nicht mehr mir
selber, sondern _Gott_. Ich mag jetzt nichts mehr um meiner selbst
willen tun. Ich gehorche Ihnen, weil ich Gott gehorchen will und nicht
den Menschen, und da Gott nur durch den Mund der besten Menschen zu uns
spricht. Sie sind klüger als ich, und daher bin nicht ich dafür
verantwortlich, sondern Sie.< -- Sehen Sie, so denkt Iwan Potapytsch,
und doch ist er, wenn ich ehrlich sein soll, viel, viel klüger als ich.«

»Afanassij Wassiljewitsch, ich will ja gern Ihre Überlegenheit
anerkennen ... ich will gern Ihr Diener sein, und alles tun, was Sie
wollen, ich gebe mich ganz in Ihre Hände. Aber legen Sie mir keine Last
auf, die ich nicht tragen kann: ich bin kein Potapytsch, und ich sage
Ihnen, daß ich zu nichts Gutem mehr tauge.«

»Ich werde Ihnen nichts auferlegen, Peter Petrowitsch, aber da Sie doch
nun einmal Gott dienen wollen -- da haben Sie ein Gott wohlgefälliges
Werk! Es wird hier eine Kirche gebaut, das Geld dazu muß durch
freiwillige Spenden frommer Menschen aufgebracht werden. Leider fehlt es
an Mitteln, sie müssen durch eine Sammlung herbeigeschafft werden.
Ziehen Sie einen einfachen Pelz an -- Sie sind doch jetzt ein schlichter
Mensch -- ein verarmter Edelmann -- und so gut wie ein Bettler, was
brauchen Sie sich zu schämen? -- nehmen Sie das Kassenbuch in die Hand,
besteigen Sie einen einfachen Bauernwagen und besuchen Sie alle Städte
und Dörfer der Umgegend. Der Archierei[15] wird Ihnen seinen Segen geben
und Ihnen das Kassenbuch aushändigen. Nehmen Sie es und ziehen Sie mit
Gott!«

[Fußnote 15: Erzpriester.]

Peter Petrowitsch war sehr erstaunt über die völlig neue Tätigkeit, die
ihm hier vorgeschlagen wurde. Er war doch immerhin ein Mann von altem
Adel und sollte sich jetzt in einem Bauernwagen durchrütteln lassen und
mit dem Buche durch Städte und Dörfer ziehen, um Geld für die Kirche zu
sammeln! Aber er konnte nicht mehr zurück, er konnte sich der Sache
nicht mehr entziehen. War es doch ein von Gott gewolltes Werk!

»Sie überlegen noch?« fragte Murasow, »Sie werden damit einen doppelten
Dienst leisten: Gott und mir.«

»Ihnen?«

»Das will ich Ihnen gleich sagen. Sie werden in Gegenden kommen, wo ich
noch nicht war, und werden dort an Ort und Stelle alles erfahren: wie
die Bauern leben, wo die Leute reicher sind, wo sie Not leiden, und wie
überall die Verhältnisse liegen. Ich will Ihnen gestehen, ich liebe die
Bauern von ganzem Herzen, vielleicht deshalb, weil ich selbst von Bauern
abstamme. Die Sache ist nämlich die, es haben sich da schlimme Dinge
unter ihnen verbreitet. Allerhand Herumtreiber und Sektierer suchen sie
zu verführen und gegen die Obrigkeit aufzureizen, und wenn ein Mensch
Not leidet, dann lehnt er sich so leicht auf. Als ob es eine so schwere
Sache ist, einen Menschen unzufrieden zu machen, der sich in einer
bedrängten Lage befindet. Aber das ist es ja gerade, die Hilfe und
Strafe darf nicht von unten kommen. Es wäre schlimm, wenn man sich sein
Recht mit den Fäusten erkämpfen wollte, daraus kann nichts Gutes
entstehen; dabei haben nur die Diebe und Räuber den Vorteil. Sie sind
ein kluger Mensch, Sie werden alles gründlich studieren und in Erfahrung
bringen, wo ein Mensch wirklich Not leidet, wo andre ihn bedrücken, und
wo sein eigner unruhiger Charakter die Schuld trägt. Und dann, wenn Sie
wiederkommen, werden Sie mir alles ganz genau erzählen. Ich will Ihnen
auf jeden Fall eine kleine Summe mitgeben, die Sie unter die verteilen
mögen, die wirklich und unschuldigerweise Not leiden. Es wird auch gut
sein, wenn Sie sie mit Worten trösten und es ihnen recht klar machen, es
sei Gottes Wille, daß wir unsere Bürde ohne Murren tragen, zu ihm beten,
wenn wir unglücklich sind und nicht toben, uns nicht auflehnen und uns
nicht selbst zu unserem Rechte verhelfen. Mit einem Worte, reden Sie
ihnen gut zu, ohne sie gegen jemand aufzuwiegeln, und lehren Sie sie,
ihr Los geduldig ertragen. Wo Sie aber Haß und Zorn gegen jemand finden,
da nehmen Sie all Ihre Kräfte zusammen.«

»Afanassij Wassiljewitsch! Das Amt, das Sie mir übertragen wollen, ist
ein heiliges Amt,« sagte Chlobujew. »Dies ist ein heiliges Werk!
Bedenken Sie, wen Sie damit betrauen. Man kann es nur einem Menschen
übertragen, der selbst gewissermaßen einen heiligen Lebenswandel führt,
der es versteht, andern Leuten zu verzeihen.«

»Ich sage ja auch nicht, das Sie dies _alles_ ausführen sollen, tuen
Sie, was möglich ist, was in Ihren Kräften steht. Die Sache ist die: Sie
werden trotzdem mit einem großen Wissensschatz und einer großen
Ortskenntnis zurückkehren, Sie werden genau über die Lage der
betreffenden Provinzen orientiert sein. Ein Beamter würde dem Bauern nie
persönlich gegenübertreten, und auch der Bauer würde nicht aufrichtig
gegen ihn sein. Sie aber, der Sie zu ihm kommen, um Beiträge für die
Kirche zu sammeln, -- Sie werden überall einen Einblick gewinnen in die
Lage des kleinen Mannes, in den Hausstand des Kaufmanns usw., Sie werden
Gelegenheit haben, jeden genau nach allem auszufragen. Ich sage Ihnen
das, weil der Generalgouverneur solche Leute wie Sie gerade jetzt
besonders nötig hat, und Sie können, ganz abgesehen von den
bureaukratischen Titeln, eine Stellung erhalten, wo Sie vielen Nutzen
stiften werden.«

»Gut denn! Ich will's versuchen, ich will all meine Kräfte anspannen und
mir die größte Mühe geben,« sagte Chlobujew. Man hörte es seiner Stimme
an, daß er wieder Mut und Kraft schöpfte, und er erhob wieder tapfer das
Haupt, wie ein Mensch, den eine neue Hoffnung belebt. »Ich sehe, daß
Gott Ihnen die rechte Einsicht geschenkt hat. Sie verstehen manche Dinge
weit besser, als wir kurzsichtigen Leute.«

»Doch nun möchte ich Sie endlich fragen: Was ist es mit Tschitschikow,
und von welcher Angelegenheit sprachen Sie vorhin?« sagte Murasow.

»Ach Gott, von Tschitschikow kann ich Ihnen geradezu unerhörte Dinge
erzählen. Was der alles anstellt ... Wissen Sie auch, Afanassij
Wassiljewitsch, daß das Testament gefälscht ist! Das echte Testament hat
sich gefunden. Darnach sind die Pflegetöchter die Erbinnen des ganzen
Gutes.«

»Was sagen Sie? Und wer hat das falsche Testament hergestellt?«

»Das ist es ja eben. Es ist eine ganz schmutzige Geschichte. Man sagt:
Tschitschikow sei der Verfasser; das Testament sei erst nach dem Tode
der Testantin unterschrieben: man hätte ein Weib gefunden, die man
verkleidet habe, und die es anstelle der Verstorbenen unterschrieben
hat. Mit einem Wort eine ganz häßliche und skandalöse Affäre. Man hat
Verdacht, daß auch noch andere Beamte daran beteiligt sind. Man spricht
schon überall davon, und der Generalgouverneur soll bereits davon Kunde
haben. Man sagt, es seien über tausend Klagen von den verschiedensten
Seiten eingelaufen. Die Freier machen sich jetzt schon an Marja
Jeremejewna; zwei Beamte liegen sich ihretwegen in den Haaren. Eine
widerwärtige Geschichte, Afanassij Wassiljewitsch.«

»Ich habe noch garnichts davon gehört, aber die Sache wird sicherlich
nicht ganz sauber sein. Ich muß gestehen, daß dieser Pawel Iwanowitsch
Tschitschikow mir eine höchst rätselhafte Persönlichkeit ist,« sagte
Murasow.

»Ich habe meinerseits auch eine Klage eingereicht, um daran zu erinnern,
daß es noch einen rechtmäßigen Erben gibt ...«

»Mögen sie sich meinetwegen alle miteinander in den Haaren liegen,«
dachte Chlobujew, als er sich von Murasow verabschiedet hatte. --
»Afanassij Wassiljewitsch ist nicht dumm. Er wird sich die Sache wohl
überlegt haben, als er mir diesen Auftrag gab. Ich muß ihn eben erfüllen
-- das ist das Ganze.« Und er fing schon an, an seine Reise zu denken,
während Murasow noch immer in Gedanken wiederholte: »Ein höchst
rätselhafter Mensch dieser Pawel Iwanowitsch Tschitschikow! Wer mit
dieser Willenskraft und dieser Ausdauer auf ein edles Ziel hinarbeitete!
...«

                   *       *       *       *       *

Nachdem Gogol 1845 das Manuskript des zweiten Teiles der toten Seelen
verbrannt hatte, ging er sogleich an die Ausarbeitung eines neuen
Planes. Anfang März 1846 war schon ein Teil des zweiten Bandes fertig.
In den folgenden Jahren wurde die Arbeit unter mehreren größeren
Unterbrechungen fortgesetzt. Juni 1849 las Gogol Frau A. O. Smirnow
mehrere Kapitel der _neuen_ Fassung vor. Arnoldi, der einige Male bei
diesen Vorlesungen zugegen war, gibt den Inhalt des von ihm Gehörten
folgendermaßen wieder (vergl. Kap. 1 und 2 unserer Ausgabe):

»Soweit ich mich erinnere, begann es (das erste Kapitel des zweiten
Teils) ein wenig anders; es war überhaupt weit sorgfältiger
durchgearbeitet, obwohl der Inhalt derselbe war. Dieses Kapitel schloß
mit dem Gelächter des Generals Betrischtschew. Hierauf folgte ein
zweites Kapitel, in dem ein Tag im Hause des Generals beschrieben wird.
Tschitschikow blieb zum Mittagessen da. An dem Diner nahmen außer Ulinka
noch zwei Personen teil: eine Engländerin, die die Rolle einer
Gouvernante spielte, und ein Spanier oder Portugiese, der seit
unvordenklichen Zeiten und ohne angebbaren Grund auf dem Gute
Betrischtschews wohnte. Die Engländerin war eine ältere Jungfrau, ein
farbloses, ziemlich häßliches Wesen mit einer großen schmalen Nase und
sehr lebhaften Augen. Sie hielt sich kerzengerade, konnte tagelang
schweigen und ließ nur ihre Augen mit dem dumm-fragenden Blick beständig
nach allen Seiten schweifen. Der Portugiese hieß, soweit ich mich
erinnere: Expanton, Chsitendon oder so ähnlich; aber ich weiß bestimmt,
daß alle Dienstboten des Generals ihn bloß »Eskadron« nannten. Er
schwieg auch fortwährend, mußte jedoch nach dem Essen eine Partie Schach
mit dem General spielen. Während des Diners passierte nichts
Außerordentliches. Der General war lustig und scherzte mit
Tschitschikow, der einen großen Appetit entwickelte. Ulinka war
nachdenklich, ihr Gesicht belebte sich bloß, wenn die Rede auf
Tentennikow kam. Nach dem Essen spielte der General eine Partie Schach
mit dem Spanier und wiederholte andauernd, während er eine Figur
vorschob: »Lieb uns so weiß wie«, worauf Tschitschikow ihn beständig
verbesserte: »So schwarz, Exzellenz.« »Ja, ja,« sagte der General, »lieb
uns so schwarz, wie wir sind, weiß würde uns der Herrgott selbst lieb
haben.« Nach fünf Minuten versprach er sich jedoch abermals und fing
wieder an: »Lieb uns so weiß wie«. -- Tschitschikow verbesserte ihn aufs
neue, und der General wiederholte noch einmal: »Lieb uns so schwarz wie
wir sind, wenn wir weiß und sauber wären, würde uns auch der Herrgott
lieb haben.« Nachdem der General mehrere Partieen mit dem Spanier
gespielt hatte, schlug er Tschitschikow vor, ein paar Partieen mit ihm
zu spielen, und auch hier wußte sich Tschitschikow äußerst geschickt aus
der Affäre zu ziehen. Er spielte sehr gut, bedrängte und setzte den
General mit seinen Zügen in Verlegenheit, verlor aber schließlich doch
die Partie: der General war sehr zufrieden, daß er einen so starken
Spieler wie Tschitschikow besiegt hatte, und gewann ihn noch mehr lieb.
Beim Abschied bat er ihn, sobald als möglich wiederzukehren, und auch
Tentennikow mitzubringen. Als Tschitschikow wieder zu Tentennikow kam,
erzählte er ihm, wie traurig Ulinka sei, wie sehr der General es
bedauere, daß er ihn gar nicht mehr bei sich sähe, wie der General sein
Benehmen aufrichtig bereue und sogar bereit sei, ihm zuerst einen Besuch
abzustatten und ihn um Verzeihung zu bitten, nur um das Mißverständnis
aus der Welt zu schaffen. Das war natürlich alles erfunden. Aber
Tentennikow, der sterblich in Ulinka verliebt war, freute sich
selbstverständlich, einen Vorwand zu haben und erklärte, wenn die Sache
sich so verhalte, werde er es nicht dazu kommen lassen und noch morgen
zum General fahren, um ihm mit seinem Besuch zuvorzukommen.
Tschitschikow billigt diesen Entschluß, und beide verabreden sich, am
folgenden Tage zum General Betrischtschew zu fahren. Am Abend desselben
Tages gesteht Tschitschikow Tentennikow, daß er den General
angeschwindelt und ihm erzählt habe, daß Tentennikow eine Geschichte der
Generäle schreibe. Dieser versteht nicht, wozu Tschitschikow so etwas
gesagt habe, und weiß nicht, was er machen soll, wenn der General auf
diese Geschichte zu sprechen kommen sollte. Tschitschikow erklärt ihm,
er wisse eigentlich selbst nicht, wie ihm dieses Wort entschlüpft sei,
aber es sei nun einmal nicht mehr zu ändern, und er bittet ihn, wenn er
durchaus nicht lügen könne, doch wenigstens still zu schweigen und die
Sache nicht geradezu abzuleugnen, um _ihn_ -- Tschitschikow nicht vor
dem General zu kompromittieren. Hierauf fahren beide nach dem Gute des
Generals. Tentennikow begrüßt den General und Ulinka, und man setzt sich
zum Mittagessen. Die Beschreibung dieses Diners war meiner Ansicht nach
die schönste Stelle im zweiten Bande. Der General saß in der Mitte,
rechts von ihm Tentennikow, links Tschitschikow, neben Tschitschikow
Ulinka, neben Tentennikow der Spanier und zwischen dem Spanier und
Ulinka -- die Engländerin. Der General war sehr zufrieden, daß er sich
wieder mit Tentennikow ausgesöhnt hatte, und mit einem Menschen plaudern
konnte, der eine Geschichte der vaterländischen Generäle schrieb.
Tentennikow war glücklich, weil Ulinka ihm gegenübersaß, mit der er von
Zeit zu Zeit einen Blick wechselte. Ulinka war gleichfalls glücklich,
weil der Geliebte wieder zu ihnen zurückgekehrt war, und der Vater die
alten guten Beziehungen zu ihm wiederhergestellt hatte, und auch
Tschitschikow war sehr zufrieden mit seiner Rolle als Mittler in dieser
reichen und vornehmen Familie. Die Engländerin ließ ihre Augen frei nach
allen Seiten schweifen, der Spanier betrachtete seinen Teller und erhob
seinen Blick nur dann, wenn ein neues Gericht aufgetragen wurde. Er
suchte sich den besten Bissen aus, und ließ ihn nicht aus den Augen,
während die Schüssel längs der Tafel die Runde machte, oder bis sich
jemand des guten Bissens bemächtigt hatte. Nach dem zweiten Gange
brachte der General das Gespräch auf Tentennikows Werk und erwähnte das
Jahr 1812. Tschitschikow zitterte vor Angst und wartete gespannt auf die
Antwort. Aber Tentennikow zog sich gewandt aus der Affäre. Er erwiderte,
es sei nicht seine Aufgabe, eine Geschichte des Feldzuges, der einzelnen
Schlachten und der Personen zu schreiben, die in diesem Kriege eine
Rolle gespielt hätten, das Jahr 1812 sei nicht durch die Taten Einzelner
bemerkenswert, es gäbe auch ohne ihn genug Geschichtsschreiber, die
diese Epoche behandelt hätten, aber man müsse diese Zeit von einer
andern Seite ansehen; was sie besonders auszeichne, sei dies, daß das
ganze Volk sich wie ein Mann erhoben habe, um das Vaterland zu
verteidigen; alle Intrigen, alle kleinlichen Interessen und
Leidenschaften seien für eine Zeitlang verstummt; alle Stände hätten
sich in dem einen Gefühl der Vaterlandsliebe vereint, jeder wäre bereit
gewesen, sein Letztes dahinzugeben und alles für die gemeinsame Sache
aufzuopfern. Das sei das Große an diesem Kriege, und das wäre es, was er
wohl in einem leuchtenden Bilde festhalten möchte: all diese vielen
unbeachteten Heldentaten und diese geheimen und großen Opfer eines
Volkes! Tentennikow sprach lange und mit Begeisterung; er war in diesem
Augenblick völlig durchdrungen von glühender Liebe zu seinem russischen
Vaterlande. Betrischtschew hörte ihm ganz entzückt zu; zum erstenmal
hörte er ein so lebendiges, warmes Wort. Eine Träne rollte ihm wie ein
reiner Diamant den Schnurrbart hinunter. In diesem Moment war der
General sehr schön. Und Ulinka? Sie hing förmlich mit den Augen an
Tentennikow, sie schien jedes seiner Worte gierig einzuschlürfen; wie
eine herrliche Musik berauschten sie diese Reden, sie liebte, sie war
stolz auf ihn. Der Spanier betrachtete seinen Teller noch aufmerksamer
als früher und die Engländerin sah alle Anwesenden mit einem dummen und
verständnislosen Blick an. Als Tentennikow geendigt hatte, blieb alles
eine Zeitlang stumm, alle waren aufs tiefste erschüttert ...
Tschitschikow, der gern auch etwas sagen wollte, brach zuerst das
Schweigen. »Ja,« bemerkte er, »1812 herrschte eine furchtbare Kälte!« --
»Es handelt sich hier gar nicht um die Kälte,« sagte der General und sah
ihn sehr streng an. Tschitschikow wurde verlegen. Der General reichte
Tentennikow die Hand und dankte ihm herzlich; aber Tentennikow war ganz
selig, denn er las Beifall und Anerkennung in Ulinkas Augen, die
Geschichte der Generäle war vergessen. Der Tag verlief still und
angenehm für alle Beteiligten. -- An die nun folgende Anordnung der
Kapitel kann ich mich nicht mehr genau erinnern, ich weiß nur noch, daß
Ulinka sich nach diesem Vorfall entschloß, mit ihrem Vater ernstlich
über Tentennikow zu sprechen. Eines Abends, kurz vor dieser
entscheidenden Unterhaltung, besuchte sie das Grab ihrer Mutter um
Stärkung in einem Gebet zu finden. Nach dem Gebet betrat sie das Zimmer
ihres Vaters, kniete vor ihm nieder und bat ihn um seine Einwilligung zu
ihrer Verlobung mit Tentennikow; der General schwankte lange, gab jedoch
schließlich seine Zustimmung. Tentennikow wurde herbeigerufen und
erfuhr, daß der General einverstanden sei. Dieses geschah einige Tage
nach dem Friedensfest. Als Tentennikow die Einwilligung erhalten hatte,
ließ er Ulinka einen Augenblick allein und lief ganz außer sich vor
Glück in den Garten. Er mußte mit sich allein sein. Das Glück
überwältigte ihn! ... Hier folgten bei Gogol zwei herrliche lyrische
Seiten. -- Ein heißer Sommertag -- um die Mittagszeit. Tentennikow sitzt
in dem dichten schattenreichen Garten, und rings um ihn herum herrscht
eine tiefe heilige Stille. Dieser Garten war wunderbar geschildert;
jedes Zweiglein war beschrieben: die glühende Mittagshitze in der Luft,
die Grillen im Grase, die vielen schwärmenden Insekten, und endlich
Tentennikows Gefühle, des glücklich Liebenden und Wiedergeliebten! --
Ich erinnere mich lebhaft, daß diese Beschreibung so wundersam, so
voller Kraft, Farbe und Poesie war, daß mir das Herz vor Erregung stille
stand. Gogol las vorzüglich! -- Im Übermaß seines Gefühls weinte
Tentennikow vor Glück und Seligkeit, und er schwor sich, sein ganzes
Leben seiner Braut zu widmen. In diesem Moment erschien Tschitschikow am
Ende der Allee. Tentennikow umarmt und dankt ihm: »Sie sind mein
Wohltäter, Ihnen verdanke ich all mein Glück, wie kann ich Ihnen nur
danken. Mein Leben wäre zu wenig für solch einen Dienst.« Sofort kommt
Tschitschikow eine Idee: »Ich habe nichts für Sie getan, das ist ein
bloßer Zufall,« antwortet er, »ich bin sehr erfreut, aber Sie können
sich sehr leicht dankbar erweisen.« »Wodurch, wodurch?« ruft
Tentennikow, »sprechen Sie es aus, schnell, und es ist geschehen.« Hier
erzählt ihm Tschitschikow von seinem angeblichen Onkel, und daß er 300
Bauern brauche, wenn auch bloß auf dem Papiere. »Aber warum müssen sie
denn unbedingt tot sein?« fragt Tentennikow, der nicht recht versteht,
was Tschitschikow eigentlich will. »Ich werde Ihnen _pro forma_ all
meine 300 Seelen verschreiben, und Sie können unseren Vertrag Ihrem
Onkel zeigen; nachher, wenn Sie Ihr Gut erhalten haben, können wir ja
den Kontrakt wieder vernichten.« Tschitschikow ist ganz sprachlos vor
Erstaunen. »Wie? Und Sie fürchten sich nicht vor solch einem Schritt ...
Sie fürchten sich gar nicht, daß ich Sie betrügen und Ihr Vertrauen
mißbrauchen könnte?« Aber Tentennikow läßt ihn nicht ausreden. »Was?«
ruft er aus, »ich sollte _Ihnen_ mißtrauen, dem ich mehr verdanke als
mein Leben.« Hier umarmen sie sich, und die Sache war abgemacht.
Tschitschikow schlief an diesem Abend süß ein. Am andern Tage fand im
Hause des Generals eine große Beratung statt, wie man den Verwandten die
Verlobung mitteilen solle; ob es sich schriftlich erledigen ließe, oder
ob jemand die Nachricht persönlich hinbringen solle. Betrischtschew war
offenbar sehr unruhig und machte sich Sorgen, wie die Fürstin Sjusjukina
und seine andern vornehmen Verwandten dieses Ereignis aufnehmen würden,
Tschitschikow wußte sich auch hier wieder nützlich zu erweisen: er
machte dem General den Vorschlag, ihn, Tschitschikow, zu sämtlichen
Verwandten zu schicken, um sie durch ihn von der Verlobung Ulinkas und
Tentennikows benachrichtigen zu lassen. Natürlich hatte er dabei wieder
das Geschäft mit den toten Seelen im Auge. Sein Vorschlag wurde mit Dank
angenommen. »Ich kann mir nichts Besseres wünschen,« dachte der General,
»er ist ein gescheiter Kopf und hat gute Manieren; er wird es verstehen,
den Leuten die Sache mit der Verlobung so plausibel zu machen, daß alle
zufrieden sein werden.« Der General bot Tschitschikow seinen
zweisitzigen, im Auslande verfertigten Wagen an, und Tentennikow stellte
ihm noch ein viertes Pferd zur Verfügung. Tschitschikow sollte sich
schon nach wenigen Tagen auf den Weg machen. Von da ab sahen ihn alle im
Hause des Generals als einen ihrer Angehörigen, als einen Freund des
Hauses an. Nachdem er zu Tentennikow zurückgekehrt war, ließ er sofort
Seliphan und Petruschka rufen und erklärte ihnen, sie sollten sich zur
Abreise rüsten. Seliphan war bei Tentennikow ganz träge und faul
geworden, er glich kaum noch einem Kutscher mehr, und die Pferde blieben
ganz ohne Pflege und Aufsicht. Petruschka aber stellte fortwährend den
Bauernmädchen nach. Als jedoch der leichte und beinahe neue Wagen des
Generals eintraf, und Seliphan hörte, daß er nun auf dem breiten
Kutschbock sitzen und vier Pferde lenken werde, da erwachten wieder all
seine Kutscherinstinkte, er betrachtete die Equipage mit großer
Aufmerksamkeit, mit Kennerblick und verlangte von den Knechten des
Generals allerhand Reserveschrauben und Schlüssel, wie sie überhaupt
nicht existieren. Auch Tschitschikow dachte mit Vergnügen an seine Reise
und malte sich schon aus, wie er sich auf den weichen Polstern
ausstrecken, und wie das vierte Pferd seinen federleichten Wagen schnell
wie der Wind dahintragen werde.«

Auf wieviel Kapitel der hier wiedergegebene Inhalt verteilt war, hat
Arnoldi nicht genau angegeben: er bemerkt hierzu: »Dies ist alles, was
Gogol in meiner Gegenwart vom zweiten Bande vorgelesen hat. Meiner
Schwester hat er, wie ich glaube, _neun_ Kapitel vorgelesen« [Rußkij
Westnik (Russischer Bote) 1862, Januarheft, Seite 74-79]. Die
Umarbeitung der Niederschrift fand gleichzeitig mit der Arbeit an der
Fortsetzung der Dichtung statt. Im Januar 1850 waren »eigentlich nur
zwei bis drei Kapitel« vollständig fertig.

Gegen Ende 1851 oder im Anfang des Jahres 1852 las Gogol Schewyrew die
beiden letzten Kapitel des zweiten Bandes der »Toten Seelen« vor. Alles,
was er von diesem Teil in dem Zeitraum von 1845 bis 1852
niedergeschrieben hatte, hat er selbst wenige Tage vor seinem Tode
verbrannt.


                         Anhang zu den Novellen

_Der Mantel._ Der Plan zu dieser Novelle stammt aus dem Jahre 1834. Der
erste Entwurf aus dem Jahre 1839; vollendet wurde sie 1841, und 1842 für
die erste Ausgabe der gesammelten Werke neu bearbeitet, wo diese
Erzählung zum ersten Male abgedruckt ist.

                   *       *       *       *       *

_Die Nase._ Diese Novelle wurde 1832 begonnen und in ihrer ersten
Fassung die für den Moskowski Nabljudatel (Moskauer Beobachter) bestimmt
war, Anfang März 1835 vollendet. 1836 wurde sie noch einmal für den
Puschkinschen »Sowremennik« (»Der Zeitgenosse«) umgearbeitet, wo sie im
dritten Bande erschienen ist. Die Freigabe durch die Zensur erfolgte
1836. Auf Verlangen des Zensors mußte folgende Stelle des Manuskripts
vor der Drucklegung im »Zeitgenossen« umgearbeitet werden:

»Er eilte in die Kirche und drängte sich durch eine Reihe alter
Bettlerinnen hindurch, deren Köpfe so tief in allerhand Tüchern und
Lappen steckten, daß man von ihren Gesichtern nichts sah, als die beiden
Augen. Wie herzlich hatte er oft über sie gelacht, heute aber schritt er
an ihnen vorbei und betrat die Halle. Die Kirche war nur schwach
besucht, die Mehrzahl der Beter stand vorne am Eingange in der Türe.
Kowaljew war so erregt und verstimmt, daß er es nicht über sich gewann,
zu beten. Er suchte »die Nase«, suchte sie in allen Winkeln und sah den
Herrn endlich etwas abseits in einer Ecke stehen. Die Nase hatte ihr
Gesicht ganz in einem hohen Stehkragen versteckt und betete mit dem
Ausdruck tiefster Andacht. »Unter welchem Vorwande soll ich mich ihm
bloß nähern?« dachte Kowalew. »Er ist gekleidet, wie ein vornehmer Herr,
und noch dazu Staatsrat.« Er stellte sich neben ihn und hustete ein
paarmal laut, aber die Nase verharrte in ihrer andächtigen Stellung und
beugte sich immerfort tief bis zur Erde. »Geehrter Herr!« sagte Kowalew,
indem er sich selbst Mut zuzusprechen suchte: »Geehrter Herr!« »Was ist
Ihnen gefällig?« entgegnete jener, indem er sich umdrehte. -- »Ich finde
es sehr seltsam, mein Herr, ... Mir scheint, Sie sollten wissen, wo Ihr
Platz ist ... und plötzlich finde ich Sie ... hier ... in der Kirche.
Sie müssen selbst zugeben, daß ...«

»Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen. Bitte erklären Sie sich
deutlicher.« »Wie soll ich es ihm nur klar machen?« dachte Kowalew,
faßte jedoch wieder Mut und begann: »Ich will natürlich ... Übrigens bin
ich ... Ohne Nase herumzulaufen ... Sie müssen doch zugeben, in meiner
Lage ist das höchst peinlich. Ich bin doch kein Hökerweib, das an der
Woskressenskibrücke sitzt und geschälte Apfelsinen feilbietet ... _Die_
braucht freilich keine Nase ... Aber ein Mann, der Ansprüche auf einen
Gouverneursposten hat ... und sie ganz ohne Zweifel erfüllt sehen wird
... Ich weiß wirklich nicht, mein Herr.« -- Hierbei zuckte der Major mit
den Achseln. »Verzeihen Sie. Wenn man diese Sache vom Standpunkt des
Ehr- und Pflichtbewußtseins betrachtet, dann müssen Sie doch selbst
einsehen ...« »Ich verstehe kein Wort,« versetzte die Nase, »bitte
drücken Sie sich etwas deutlicher aus.«

»Mein Herr,« sagte Kowalew ernst und würdig. »Ich weiß nicht, wie ich
Ihre Worte auffassen soll ... Die Sache liegt doch wohl _sehr_ klar ...
oder Sie wollen bloß nicht ... _Sie sind doch meine Nase_, meine
_eigene_ Nase!« Die Nase sah den Major an und runzelte die Stirn.

»Sie befinden sich in einem Irrtum, mein Herr! Ich stehe völlig
selbständig da. Nebenbei bemerkt kann es zwischen uns keine näheren
Beziehungen geben. Nach den Knöpfen Ihrer Interimsuniform zu urteilen,
dienen Sie im Senat oder doch im Justizministerium, während ich in der
wissenschaftlichen Branche tätig bin.« Kowalew befand sich in der
größten Verlegenheit und war ganz verwirrt. »Was soll ich machen?«
dachte er. Doch in diesem Augenblick vernahm er in der Nähe das
angenehme Rauschen einer Damenrobe. Eine ältere, ziemlich umfangreiche
Dame, die in einem üppigen Spitzenkleide steckte, welches einige
Ähnlichkeit mit einem gothischen Bau hatte, betrat die Kirche. Sie wurde
begleitet von einer jüngeren und schlankeren Dame in einem Kleide, das
sich in schönen Falten um ihre schlanke Gestalt legte, und mit einem
Strohhut, der so leicht und zart war, wie eine Meringentorte. Hinter
beiden stand ein großer Herr mit einem mächtigen Backenbart und einem
ganzen Dutzend Kragen; er war eben im Begriff seine Tabaksdose zu öffnen
und wollte gerade eine Prise nehmen. Kowalew näherte sich der Gruppe,
ordnete den Batistkragen seines Vorhemdes, sowie die Berlocken an seiner
Uhrkette und wendete mit einem lächelnden Seitenblick seine
Aufmerksamkeit der duftigen Dame zu, die sich gleich einer
Frühlingsblume leicht vornüberbeugte und ihr Händchen mit den weißen
durchsichtigen Fingern an die Stirne führte. Das Lächeln, welches auf
Kowalews Lippen schwebte, wurde immer breiter und intensiver, als ihm
unter dem Hut ein Teil ihres Kinns und ihrer Wange entgegenleuchtete.
Aber plötzlich sprang er zurück, wie wenn er sich an einem glühenden
Eisen verbrannt hätte; er erinnerte sich, daß er in seinem Gesicht
anstelle der Nase nur eine glatte Fläche hatte, und Tränen entströmten
seinem Auge. Er drehte sich um um dem Herrn offen zu erklären, er trage
bloß die Maske eines Staatsrats, während er in Wahrheit ein Betrüger und
ein Lump sei; tatsächlich sei er nichts _andres_ als seine _eigene_
Nase. Aber die Nase war bereits verschwunden, sie hatte wahrscheinlich
schon einen bedeutenden Vorsprung gewonnen und stattete wieder irgend
jemandem einen Besuch ab. Kowalew verließ die Kirche. Das Wetter war
wundervoll, heiter und sonnig; auf dem Newski-Prospekt wimmelte es nur
so von Menschen. Ein wahrer Sturzbach von Damen flutete durch die
Straße. Dort kam ihm schon ein guter Bekannter entgegen, der Hofrat ...«

Eine bedeutende Umarbeitung erfuhr auch die folgende Stelle der
ursprünglichen Fassung: »Der ehrenwerte Beamte hörte ihn mit
vielsagender Miene an und fuhr fort, das vor ihm liegende Geld zu
zählen, von dem er 2 Rubel 33 Kopeken, die er für das Inserat erhalten
hatte, beiseite legte. Zu beiden Seiten standen allerhand alte Weiber,
Kommis, Hausburschen und Kutscher, jeder mit Zetteln in der Hand. In dem
einen Zettel wurde angekündigt, es sei ein tüchtiger nüchterner Kutscher
von guter Führung abzugeben; in dem andern wurde eine noch wenig
gebrauchte Equipage feilgeboten, die aus der Zeit Peters des Großen
stammte und keine heile Schraube mehr hatte. Der eine hatte ein gesundes
Mädchen von neunzehn Jahren abzugeben, die als Wäscherin gedient hatte,
aber auch bei andern häuslichen Arbeiten zu verwenden war, der jedoch
schon mehrere Zähne fehlten; ein anderer suchte eine solide Droschke zu
verkaufen, der nur eine Feder mangelte, oder einen jungen wilden
Apfelschimmel von 17 Jahren; dort wurden ein Posten frisch aus London
eingetroffener Rüben und Radieschensamen, und dort wieder sogenannte
indische Radieschen ausgeboten, eine schöne Villa mit allen
Bequemlichkeiten, zwei Pferdeställen und einem Platz, wo man sehr gut
einen Garten anlegen konnte. Ferner wurde der Verlust eines Geldbeutels
bekannt gegeben und dem ehrlichen Finder eine anständige Belohnung in
Aussicht gestellt, oder es wurden Käufer für alte Sohlen gesucht, wobei
die Reflektanten aufgefordert wurden, sich zu einer bestimmten Stunde
zur Versteigerung einzufinden. Das Zimmer, in dem sich alle diese Leute
aufhielten, war klein, vollgeraucht und die Luft in ihm war so dumpf und
dick, daß man sie mit dem Messer schneiden konnte, denn die russischen
Bauern haben die merkwürdige Eigentümlichkeit, die Luft bedeutend zu
verdichten, und wo einmal vier Hausknechte in roten Hemden und ein
Kutscher zusammenkommen, da kann man ruhig eine Axt in der Luft
aufhängen. Zum Glück konnte der Kollegien-Assessor nichts davon riechen,
er hielt sich ja ein Taschentuch vors Gesicht und dann befand sich ja
auch seine Nase Gott weiß wo.« --

Das von den Worten »Gleich, gleich« bis zum Schluß des zweiten Kapitels
reichende Stück ist eine spätere Bearbeitung des ursprünglichen weit
einfacheren Textes. In dem ersten Manuskript lautete diese Stelle
folgendermaßen:

»Gleich, gleich! -- Zwei Rubel dreiundvierzig Kopeken ... einen Rubel
sechzig Kopeken!« sagte der grauhaarige Herr, während er den alten
Weibern und den Hausburschen ihre Zettel ins Gesicht warf. »Und was
wünschen Sie?« fragte er endlich, indem er sich an Kowalew wandte.

»Ich möchte ganz besonders darum bitten ...,« sagte Kowalew: »es ist
eine unerhörte Gaunerei oder Betrügerei passiert -- ich kann der Sache
noch immer nicht auf den Grund kommen. Ich bitte Sie nur, in die Zeitung
einrücken zu lassen, daß derjenige, der diesen Schurken dingfest macht,
eine ausreichende Belohnung erhalten soll.«

»Hm, darf ich Sie um Ihren Familiennamen bitten?«

»Kowalew, -- Kollegien-Assessor Kowalew, Sie brauchen übrigens bloß zu
schreiben: ein Mann vom Range eines Majors ...«

»Ja und wer ist denn eigentlich der Flüchtling? Ist er einer Ihrer
Leibeigenen?«

»O nein, keineswegs ein Leibeigener! Das wäre noch keine so große
Gemeinheit. Nein es ist eine ... Nase.«

»Hm, was für ein merkwürdiger Name! Und hat Sie denn dieser Herr Nase um
eine große Summe bestohlen?«

»Eine _Nase_ ... das heißt, Sie verstehen mich falsch. Meine -- meine
eigene Nase ist ganz spurlos verschwunden. Der Teufel selbst hat sich
einen Scherz mit mir erlaubt. -- Und nun fährt diese Nase als Herr
verkleidet durch die Stadt und hält alle Leute zum Narren ... Ich möchte
Sie nun bitten, eine Annonce in die Zeitung einrücken zu lassen, daß
jeder, der den Kerl abfassen sollte, ihn mir persönlich vorführen möge
-- diesen Gauner, diesen Hundesohn ... Entschuldigen Sie bitte, ich muß
husten, mein Hals ist ganz trocken. Ich bringe kaum noch ein Wort
heraus.«

Der Beamte wurde nachdenklich, was man aus seinen fest
zusammengekniffenen Lippen schließen konnte.

»Nein, eine solche Annonce kann ich nicht aufnehmen,« sagte er
schließlich nach längerem Stillschweigen.

»Wie? Warum nicht?«

»So. Die Zeitung würde ihren Ruf aufs Spiel setzen. Da könnte jeder
kommen und anzeigen, daß ihm seine Nase oder seine Lippen ausgerückt
seien ... Man spricht schon ohnedies, daß soviel falsche Gerüchte
verbreitet und soviel Torheiten gedruckt werden.«

»Ja, wenn mir aber doch meine Nase wirklich abhanden gekommen ist!«

»Wenn sie Ihnen abhanden gekommen ist, so ist das Sache des Arztes. Man
sagt, es gibt Menschen, die Ihnen Nasen von beliebiger Form ansetzen
können. Übrigens scheinen Sie mir ein Schalk zu sein, Sie machen wohl
gern einen Scherz.«

»Ich schwöre Ihnen bei allem was mir heilig ist. Bei Gott ich lüge
nicht! Soll ich es Ihnen zeigen?«

»Aber ich bitte Sie, warum wollen Sie sich unnütz bemühen,« fuhr der
Beamte fort, indem er eine Prise nahm. Ȇbrigens, wenn es Ihnen nicht zu
viel Umstände macht, so würde ich mir die Sache doch ganz gern ansehen,«
fügte er mit einem neugierigen Blick hinzu.

Der Kollegien-Assessor zog das Taschentuch weg.

»In der Tat, das ist sehr merkwürdig,« sagte der Beamte, »das sieht
genau so aus, wie ein frisch gebackener Eierkuchen. Die Fläche ist ja
geradezu unglaublich glatt und eben.«

»Nun, was sagen Sie jetzt! Also bitte lassen Sie die Annonce sofort
einrücken.«

»Ich könnte sie schließlich einrücken lassen. Das wäre ja eine
Kleinigkeit, nur kann ich nicht sehen, daß Ihnen ein großer Vorteil
daraus erwachsen würde. Wenn Sie es durchaus wünschen, daß die Sache
bekannt wird, so teilen Sie die Geschichte doch einem Schriftsteller
mit, einem Mann, der eine gewandte Feder führt, der könnte den Fall als
ein interessantes Naturspiel beschreiben und den Artikel in der »Biene
des Nordens« veröffentlichen, (hier nahm er wieder eine Prise) zum
Nutzen und zur Belehrung aller jungen Leute, die sich mit den
Wissenschaften beschäftigen (hierbei wischte er sich die Nase ab), oder
überhaupt zur Unterhaltung und zur allgemeinen Erbauung.«

Der Kollegien-Assessor war völlig verzweifelt und niedergeschlagen. Er
warf einen Blick auf ein vor ihm liegendes Zeitungsblatt und den
Vergnügungsanzeiger; schon wollte ein Lächeln sein Gesicht verklären,
als er den Namen einer hübschen Schauspielerin las, und seine Hand griff
mechanisch nach der Tasche -- sie suchte nach einem blauen Schein, denn
nach Kowalews Ansicht mußten Personen vom Range eines Stabsoffiziers
mindestens im Parkett sitzen. Aber der Gedanke an seine Nase schnitt wie
ein scharfes Messer in sein Herz. Der arme Kowalew machte sich also auf
und begab sich von einem unerträglichen Schmerz gequält zum
Polizeikommissar, der ein großer Freund von Süßigkeiten war; sein ganzer
Flur und sein ganzes Eßzimmer war mit Zuckerhüten vollgestellt, die ihm
die Kaufleute aus einer besonderen Freundschaft für ihn verehrt hatten.
Die Köchin zog dem Polizeibeamten gerade seine großen Stulpenstiefel
aus, sein Degen und seine ganze Kriegsrüstung hingen schon friedlich in
der Ecke; sein dreijähriges Söhnchen machte sich bereits mit dem
mächtigen Dreimaster zu schaffen, und der Kommissar war eben im Begriff,
sich nach den Strapazen des kriegerischen Lebens den Genüssen des
Friedens hinzugeben. Da trat Kowalew bei ihm ein, gerad als jener sich
bequem auf dem Sofa ausstrecken wollte, seinen Mund zu einem kräftigen
Gähnen verzog und sagte: »So, nun leg' ich mich auf zwei Stunden hin;
ich werde ein feines Schläfchen tun.« Daher kann man sich vorstellen,
wie ungelegen ihm der Besuch des Kollegien-Assessors kam, und ich weiß
nicht, ob er, auch wenn er ihm einige Pfund Tee oder ein paar Meter Tuch
mitgebracht hätte, viel freundlicher empfangen worden wäre.
Der Kommissar war ein großer Freund der Künste und aller
Manufakturgegenstände überhaupt, trotzdem er oft behauptete, es gäbe
nichts Angenehmeres als eine Staatsbanknote: »Sie braucht nur wenig
Platz, läßt sich bequem in die Tasche stecken, und wenn man sie fallen
läßt, geht sie nicht entzwei.«

Der Polizeikommissar empfing Kowalew ziemlich kühl und trocken. Er
erklärte, daß die Zeit nach dem Essen nicht der geeignete Moment für
amtliche Nachforschungen sei; die Natur selbst weise darauf hin, daß der
Mensch, wenn er sich satt gegessen habe, der Ruhe pflegen müsse, (woraus
deutlich hervorgeht, daß der Polizeikommissar ein Philosoph war); einem
anständigen Menschen könne es nie passieren, daß ihm die Nase abgerissen
werde, und es laufen in der Welt genug Majore herum, die nicht einmal
ihre Unterhosen sauber zu halten wissen, und sich in allerhand
unanständigen Lokalen herumtreiben.

Diese Worte trafen unseren Helden mitten ins Herz! Man muß nämlich
wissen, daß Kowalew eine äußerst empfindliche Natur war. Er konnte alles
verzeihen, was man über ihn sagte, nur keinen Verstoß gegen die seiner
amtlichen Würde gebührende Achtung. Er war der Ansicht, daß man auch in
den Theaterstücken wohl eine Bemerkung über die höheren Offiziere
durchlassen könne, aber niemals ein Wort, das sich gegen die
_Stabs_offiziere richtet. Der Empfang des Polizeikommissars brachte ihn
derartig aus der Fassung, daß er empört den Kopf schüttelte, die Hände
weit ausstreckte und würdevoll ausrief: »Ich muß gestehen, daß ich auf
solche beleidigende Äußerungen nichts zu erwidern habe ...« Und damit
ging er hinaus.

Der Major kehrte mehr tot als lebendig nach Hause zurück; nach all
diesen seelischen Erschütterungen wußte er kaum noch, ob er auf seinen
Füßen stehe oder nicht. Er warf sich müde in einen Lehnstuhl und brach,
nachdem er sich ein wenig ausgeruht hatte, in bittere Klagen aus: »Mein
Gott, mein Gott! Womit habe ich bloß ein solches Unglück verdient? Hätte
ich noch eine Hand oder einen Fuß verloren, wären mir meine beiden Ohren
abhanden gekommen -- es wäre noch immer leichter zu ertragen, aber ein
Mensch ohne Nase -- das ist ein Ding, das man nehmen und zum Fenster
hinauswerfen möchte. Hätte man sie mir noch abgeschnitten, oder wäre ich
selbst schuld daran -- aber so ganz ohne Grund zu verschwinden! Weiß
Gott, das ist doch zu unwahrscheinlich! Vielleicht schlafe ich bloß, und
ich habe dies alles nur geträumt.« -- Und der Kollegien-Assessor kniff
sich mit dem Finger ins Fleisch, sodaß er vor Schmerz beinahe laut
aufgeschrieen hätte. »Nein, hol's der Teufel, ich schlafe nicht!« Er
stand ganz leise auf, näherte sich vorsichtig dem Spiegel, kniff die
Augen erst ein wenig zu und blickte dann plötzlich hinein: »Wer weiß,
vielleicht hatte er doch noch eine Nase!« aber er sprang sogleich wieder
vom Spiegel zurück und murmelte: »Weiß der Teufel! Die reinste
Karikatur!«

Und in der Tat, der Fall war wirklich ganz unmöglich und völlig
unwahrscheinlich; man hätte ihn wirklich für einen Traum halten müssen,
wenn er nicht tatsächlich passiert wäre und sich nicht eine ganze Menge
von völlig einwandfreien Beweisen dafür gefunden hätte. Der Major
überlegte lange Zeit, wer wohl hier der Schuldige sein möchte; und kam
schließlich zum Resultat, daß noch am ehesten eine Witwe, die Gattin
eines verstorbenen Stabsoffiziers, die Schuld an seinem Unglück treffe.
Diese wünschte nämlich, daß der Major ihre Tochter heiraten solle, und
er hatte ihr auch in der Tat die Cour geschnitten, war aber zugleich
einer deutlichen Erklärung stets aus dem Wege gegangen. Als ihm jedoch
die Witwe offen mitteilte, daß sie ihm gern ihre Tochter zur Frau geben
würde, da trat er den Rückzug an und sagte, er sei noch zu jung und
müsse noch gegen fünf Jahre dienen, um die runde Zahl von zweiundvierzig
Jahren zu erreichen. Sicherlich hatte sich die Witwe an ihm rächen
wollen, sich daher entschlossen, ihn zu verstümmeln, und ein paar alte
Hexen gegen ihn aufgehetzt, wahrscheinlich aber hatte auch sie selbst
mit dabei geholfen.

Während er noch über diese Dinge nachgrübelte, hörte er plötzlich im
Vorzimmer eine fremde Stimme: »Wohnt hier der Kollegienassessor
Kowalew?«

»Bitte treten Sie ein. Der Kollegienassessor ist zu Hause!« sagte er,
indem er vom Stuhl aufsprang und die Türe öffnete. Es war der
Polizeikommissar, der am Ende der Isaksbrücke gestanden hatte, ein Mann
von sehr würdigem Äußeren.

»Ich glaube, Sie beliebten, Ihre Nase zu verlieren.«

»In der Tat!«

»Sie ist soeben angehalten worden.«

»Was sagen Sie« rief der Major hocherfreut aus. »Auf welche Weise ist
das geschehen?«

»Durch einen sehr merkwürdigen Zufall. Man hat sie fast im Moment ihrer
Abreise angehalten. Sie hatte schon ihren Platz im Postwagen
eingenommen, um nach Riga zu fahren. Der Paß war schon längst
ausgestellt und lautete auf einen Schuldirektor in Tambow. Das
Merkwürdigste jedoch ist, daß ich sie selber für einen Herrn gehalten
habe, aber ich hatte zum Glück meine Brille mitgenommen; so setzte ich
sie denn auf und erkannte sogleich, daß es nur eine Nase war. Ich bin
nämlich kurzsichtig, und wie Sie jetzt vor mir stehen, unterscheide ich
weder Nase noch Bart oder sonst etwas. Meine Schwiegermutter, die Mutter
meiner Frau, sieht auch fast gar nichts.«

Kowalew war außer sich vor Freude: »Wo ist sie, wo? Ich laufe sofort
hin!«

»Seien Sie ganz ruhig, ich weiß, daß Sie sie brauchen, ich habe sie
deshalb gleich mitgebracht. Das Seltsamste ist, daß der Hauptschuldige
an der ganzen Sache ein Lump von Barbier aus der Wosnessenski-Straße
ist, der zurzeit schon in Polizeigewahrsam sitzt. Ich habe ihn schon
lange in Verdacht, daß er ein Dieb und ein Trunkenbold ist; erst vor
drei Tagen hat er im Gostinny Dwor ein halbes Dutzend Knöpfe gestohlen.
Ihre Nase ist gänzlich unversehrt.« Mit diesen Worten steckte der
Polizeikommissar seine Hand in die Tasche und holte die Nase heraus, die
in ein Stück Papier eingewickelt war.

»Ja, das ist sie!« rief Kowalew ganz selig aus. »Das ist sie wirklich.
Wollen Sie eine Tasse Tee mit mir trinken?«

»Mit dem größten Vergnügen, aber es ist mir leider unmöglich. Ich bin
sehr beschäftigt. Die Lebensmittel sind jetzt so teuer geworden. Meine
Schwiegermutter, d. h. die Mutter meiner Frau, wohnt auch bei mir im
Hause. Und dann habe ich noch Kinder. Der Älteste berechtigt zu den
schönsten Hoffnungen, das ist wirklich ein recht intelligenter Bursche,
mir fehlen nur leider die Mittel, ihm eine gute Erziehung zu geben.«

Kowalew begriff die Anspielung, nahm einen roten Zettel vom Tisch und
drückte ihn dem Polizeikommissar in die Hand, dieser machte einen
Kratzfuß und ging zur Tür hinaus; fast im selben Augenblick hörte
Kowalew seine Stimme auf der Straße, wo er einem dummen Bauern, der mit
seiner Fuhre auf den Boulevard geraten war, eine kräftige Mahnung in
Form einer Ohrfeige erteilte. Der Kollegienassessor kam endlich wieder
zu sich, denn die Freude hatte ihm alle Besinnung geraubt ... »Gott sei
Dank, jetzt habe ich doch wieder eine Nase! Nun will ich sie mir aber
auch wieder ansetzen.« Mit diesen Worten versuchte er es, sie an ihren
alten Platz zu bringen, aber zu seinem Erstaunen mußte er bemerken, daß
die Nase durchaus nicht haften bleiben wollte. »Nun sitz doch fest, du
Rindvieh!« sagte er zu ihr, aber die Nase war ganz dumm und fiel immer
wieder auf den Tisch, sowie er sie losließ. Das Gesicht des Majors
verzerrte sich krampfhaft. »Sollte sie wirklich nicht haften bleiben?«
sprach er erschrocken. Aber die Nase fiel tatsächlich auf den Tisch.
»Ach Gott, ach Gott! Ja, wie kann sie denn auch festsitzen? Ich habe ja
ganz vergessen, daß, wenn sie einmal abgeschnitten ist, man sie doch gar
nicht wieder ansetzen kann.«

Unterdessen hatte sich das Gerücht von diesem außerordentlichen Ereignis
in der ganzen Residenz verbreitet, und natürlich, wie das zu geschehen
pflegt, nicht ohne viele Zutaten und Ausschmückungen. Um diese Zeit
standen gerade alle Gemüter unter dem Eindruck übernatürlicher Vorgänge:
erst kurz vorher hatten Experimente mit dem tierischen Magnetismus das
ganze Publikum beschäftigt. Dazu war die Geschichte mit den tanzenden
Stühlen in der Stallhofstraße noch in jedermanns Gedächtnis, und es war
daher kein Wunder, daß man sich bald darauf zu erzählen begann, die Nase
des Kollegienassessors Kowalew gehe jeden Tag pünktlich um drei Uhr auf
dem Newski-Prospekt spazieren. Eine Menge von Neugierigen strömte dort
jeden Tag zusammen. Dieses Ereignis bildete das besondere Entzücken all
jener eleganten Müßigänger, die bei keiner Gesellschaft fehlen, und die
es sich zur Pflicht machen, die Damen zu unterhalten und zum Lachen zu
bringen. Die Sache kam ihnen sehr gelegen, da ihr Vorrat an Neuigkeiten
zurzeit völlig erschöpft war. Aber es gab doch auch viele, die sehr
ungehalten über diese Klatschereien waren, und ein Herr mit einem Stern
erklärte ganz empört, er begreife nicht, wie in einem aufgeklärten
Jahrhundert solche falsche und abgeschmackte Gerüchte entstehen könnten;
ja er wunderte sich, daß die _Regierung_ diesen Vorgängen nicht mehr
Beachtung schenkte. Dieser Herr gehörte augenscheinlich zu jener
Menschenklasse, die es für wünschenswert hält, daß die Regierung sich in
alle Angelegenheiten mische, selbst in die alltäglichen Zwistigkeiten
der Ehegatten.

Der arme Kollegienassessor hatte von all diesen Gerüchten Kunde
bekommen, obwohl ich nicht sagen kann, auf welche Weise, denn er verließ
fast niemals sein Zimmer. -- Er befahl, niemand vorzulassen, ließ sich
nirgends sehen, nicht einmal im Theater, und wenn selbst die tollste
Posse gegeben wurde; er spielte nicht einmal mehr eine Partie Boston,
mied sogar Herrn Jaryschkin, der sein Busenfreund war, und magerte im
Laufe eines Monats derartig ab, daß er bald mehr einer Leiche als einem
lebendigen Menschen glich ...

Übrigens war all das, was hier beschrieben ist, nur ein Traum des
Majors. Als er wieder erwachte, geriet er so außer sich vor Freude, daß
er wie toll aus seinem Bette sprang, zum Spiegel lief, und als er sich
überzeugt hatte, daß alles am rechten Flecke saß, im bloßen Hemde durch
das Zimmer zu hüpfen begann. Er führte sogar einen ganzen Tanz auf, der
eine Art Mischung aus einer Française und einer polnischen Mazurka
darstellte. Und als sein Diener Iwan den Kopf durch die Tür steckte, um
zu sehen, was sein Herr treibe, da rief der Major ihm zu: »Mach, daß du
hinaus kommst! Worüber wunderst du dich?« Nach einer Minute aber warf er
sich aufs Bett, richtete sich jedoch gleich wieder auf und schrie: »He,
Iwan!« -- »Was wünschen der gnädige Herr?« -- »Hat nicht ein Mädel -- so
ein hübsches, nettes Mädel nach dem Major Kowalew gefragt?« -- »Nein,
gnädiger Herr!« -- »Hm,« sagte der Major Kowalew und blickte lächelnd in
den Spiegel.«

Gogol hat »Die Nase« _noch einmal_ für die _erste_ Gesamtausgabe seiner
Werke umgearbeitet und ihr dort einen andern _Schluß_ gegeben. Im
Sowremennik (»Zeitgenossen«) von Puschkin lautet dieser Schluß
folgendermaßen:

»Da geschah etwas ganz Merkwürdiges und Unerklärliches. Plötzlich befand
sich die Nase des Majors wieder an ihrem alten Platze. Dies geschah im
Anfang Mai, ich kann jedoch nicht genau sagen, ob es am fünften oder
sechsten Mai war. Als der Major frühmorgens erwachte, nahm er den
Spiegel zur Hand und bemerkte, daß die Nase sich ganz, wie es sich
gehörte, zwischen den beiden Wangen des Majors befand. Höchst erstaunt
ließ er den Spiegel auf den Boden fallen und befühlte die Nase mehrmals
mit der Hand, denn er war nicht sicher, ob es auch wirklich eine Nase
sei. Aber da er sich überzeugte, daß es in der Tat nichts anders als
seine höchsteigene Nase war, sprang er aus dem Bett und absolvierte im
Zimmer einen Tanz, der eine Mischung aus einer Française und einem
russischen Trepak darstellte. -- Dann ließ er sich anziehen, wusch sich
und rasierte sich das Kinn, das bereits eine große Ähnlichkeit mit einer
Bürste angenommen hatte, mit der man sich bequem die Kleider bürsten
konnte. -- Und schon nach wenigen Minuten sah man den Kollegienassessor
auf dem Newski-Prospekt herumspazieren, wo er lustig einherschritt und
fröhliche Blicke auf alle Passanten warf; viele sahen ihn sogar im
Gostinny Dwor ein schmales Ordensband kaufen, zu welchem Zwecke dies
jedoch geschah -- das hätte freilich niemand sagen können, denn er besaß
gar keinen Orden.

Eine äußerst merkwürdige Geschichte! Ich kann sie absolut nicht
verstehen. Und was soll das alles? Was hat es für einen Zweck? Ich bin
überzeugt, daß weit mehr als die Hälfte davon ganz unwahrscheinlich ist.
Es kann nicht sein; es ist völlig unmöglich, daß eine Nase ganz allein
in einer Uniform in der Stadt herumfährt -- und noch dazu als ein Mann
von dem hohen Range eines Staatsrats! Und konnte denn Kowalew wirklich
nicht begreifen, daß man nicht durch die Zeitung nach einer Nase suchen
darf? Ich meine das nicht in dem Sinne, daß eine Annonce eine sehr teure
Sache ist. Das sind alles Kleinigkeiten. Ich gehöre gar nicht zu den
geizigen und habgierigen Leuten. Aber das ist unschicklich, das ist ganz
ungehörig und geht nun einmal nicht. Eine Absurdität und weiter nichts!
-- Und dann dieser Barbier Iwan Jakowlitsch! Wozu mußte er so plötzlich
auftauchen und dann wieder verschwinden, ohne daß man weiß, warum und zu
welchem Zweck. -- Ich gestehe, ich kann es absolut nicht begreifen, wie
ich selbst so etwas schreiben konnte? Ich begreife überhaupt nicht, wie
ein Autor sich solch ein Sujet wählen kann! Wozu soll das führen?
Welchen Zweck kann das haben? Was beweist diese Erzählung? Nein -- ich
verstehe es nicht, ich verstehe es ganz und gar nicht. -- Freilich ...
die Phantasie ist keinen Gesetzen unterworfen, und dann passieren doch
in der Welt auch wirklich viele ganz unerklärliche Dinge: wie aber
verhält es sich mit diesem Fall? -- Warum mußte die _Nase_ von Kowalew
... und warum mußte Kowalew _selbst_ ...? Nein, ich verstehe es nicht,
ich verstehe es durchaus nicht. Die Sache erscheint mir so unerklärlich,
daß ich ... Nein, das läßt sich einfach nicht verstehen!«


_Das Porträt._ Der erste Entwurf dieser Novelle erschien in Gogols
»Arabesken«, 1841 wurde sie in Rom umgearbeitet. Die neue Fassung ist
frühestens im März 1837 begonnen. 1842 wurde sie noch einmal
durchgesehen und korrigiert und am 17. März dieses Jahres Pletnew
eingesandt, der sie im »Sowremennik« (Der Zeitgenosse) Band XXVI Nr. 3
abdruckte. Die Freigabe durch die Zensur erfolgte am 30. Juni 1842. 1851
nahm der Verfasser für die zweite Auflage seiner »Werke« noch einige
unbedeutende stilistische Veränderungen vor.

                   *       *       *       *       *


                 Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.




Anmerkungen zur Transkription


Verweise auf Varianten im Text des zweiten Teils der Toten Seelen
(im Anhang) sind mit Nummern in runden Klammern gekennzeichnet.

Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
verändert.

Zwei offensichtliche Übertragungsfehler wurden ebenfalls unverändert
belassen. Auf Seite 71 sagt der General zu Tschitschikow: »Dir die
toten Seelen abzukaufen?« Im Original heißt es hingegen richtig: »zu
überlassen«, da ja der General der Besitzer der Bauern ist. Auf Seite
171 hat Chlobujew nicht »fünfzigtausend Bauern«, sondern wie im Original
»fünfzig Bauern« geerbt.

Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. 25]:
   ... Ohren Kopf kratzten. Aber das dauerte nicht lange.(5) Der ...
   ... Ohren am Kopf kratzten. Aber das dauerte nicht lange.(5) Der ...

   [S. 28]:
   ... dann ließ er es fast ganz an der früheren Aufmerkksamkeit ...
   ... dann ließ er es fast ganz an der früheren Aufmerksamkeit ...

   [S. 28]:
   ... auffangen, wenn sie sich allenthaben im Himmel und ...
   ... auffangen, wenn sie sich allenthalben im Himmel und ...

   [S. 46]:
   ... wie jeder Bauer heißt, wer mit diesen und jenem verwandt ...
   ... wie jeder Bauer heißt, wer mit diesem und jenem verwandt ...

   [S. 49]:
   ... und die Lage der Ställe außerordenlich bequem. ...
   ... und die Lage der Ställe außerordentlich bequem. ...

   [S. 60]:
   ... ergreifen wollten, vertbeugte sich mit bewundernswürdiger ...
   ... ergreifen wollten, verbeugte sich mit bewundernswürdiger ...

   [S. 70]:
   ... »Und fährt er noch spazieren? Macht er Besuche. ...
   ... »Und fährt er noch spazieren? Macht er Besuche? ...

   [S. 70]:
   ... Ist er noch gut auf den Beinen!« ...
   ... Ist er noch gut auf den Beinen?« ...

   [S. 79]:
   ... »Sagen Sie, wie steht es mit dem Gute Ihres Vaters!« ...
   ... »Sagen Sie, wie steht es mit dem Gute Ihres Vaters?« ...

   [S. 79]:
   ... »Ich weiß, was Sie jetzt denken?« sagte Petuch. ...
   ... »Ich weiß, was Sie jetzt denken!« sagte Petuch. ...

   [S. 80]:
   ... Alexyascha. ...
   ... Alexascha. ...

   [S. 82]:
   ... sehne? Wenn mich doch jemand ein bischen ärgern ...
   ... sehne? Wenn mich doch jemand ein bißchen ärgern ...

   [S. 89]:
   ... weitere lößten sie ab, und laut schwoll an und ergoß sich ...
   ... weitere lösten sie ab, und laut schwoll an und ergoß sich ...

   [S. 89]:
   ... zu jagen, saßen Nikoloscha und Alexascha stumm da und ...
   ... zu jagen, saßen Nikolascha und Alexascha stumm da und ...

   [S. 92]:
   ... herein!« dachte Tschitschikow. »Da ist der Brantweinpächter ...
   ... herein!« dachte Tschitschikow. »Da ist der Branntweinpächter ...

   [S. 92]:
   ... meiner Schwester und von meinen Schwager verabschieden.« ...
   ... meiner Schwester und von meinem Schwager verabschieden.« ...

   [S. 92]:
   ... erste hier in der Gegend. Er bezieht Einkünft im Werte ...
   ... erste hier in der Gegend. Er bezieht Einkünfte im Werte ...

   [S. 96]:
   ... konnte Tchitschikow nur die Spuren eines echt weiblichen ...
   ... konnte Tschitschikow nur die Spuren eines echt weiblichen ...

   [S. 97]:
   ... in einem Jacke von Kamelhaaren kam auf das Haus
       zugeschritten. ...
   ... in einer Jacke von Kamelhaaren kam auf das Haus
       zugeschritten. ...

   [S. 99]:
   ... »Ich habe dir's schon gesagt, Ich lasse nicht mit mir ...
   ... »Ich habe dir's schon gesagt, ich lasse nicht mit mir ...

   [S. 100]:
   ... kannte auch keine andere Sprache außer der russichen. ...
   ... kannte auch keine andere Sprache außer der russischen. ...

   [S. 103]:
   ... er an davon zu erzählen, wieviel Mühe es ihm gekostet ...
   ... er an davon zu erzählen, wieviel Mühe es ihn gekostet ...

   [S. 103]:
   ... Tschitschikow sah ihn aufmerksam ins Gesicht, hörte ...
   ... Tschitschikow sah ihm aufmerksam ins Gesicht, hörte ...

   [S. 107]:
   ... steht zu ihrer Verfügung. Tuen Sie, als ob Sie zu ...
   ... steht zu Ihrer Verfügung. Tuen Sie, als ob Sie zu ...

   [S. 111]:
   ... daß man sich von den französischer Invasion und dem ...
   ... daß man sich von der französischen Invasion und dem ...

   [S. 124]:
   ... Der andere lächelte, fühlte er doch selbst, daß Tschischitkow ...
   ... Der andere lächelte, fühlte er doch selbst, daß Tschitschikow ...

   [S. 134]:
   ... »Und was wollen Sie dann anfangen!« ...
   ... »Und was wollen Sie dann anfangen?« ...

   [S. 140]:
   ... die einem Geld kosten? -- Aber glauben Sie nur nicht, ...
   ... die einen Geld kosten? -- Aber glauben Sie nur nicht, ...

   [S. 142]:
   ... und töchrichtes Zeug plapperte. Die Damen zogen sich ...
   ... und törichtes Zeug plapperte. Die Damen zogen sich ...

   [S. 153]:
   ... Name war Wassillij. ...
   ... Name war Wassilij. ...

   [S. 162]:
   ... den Fingern, zeigte ihm ein reizendes Karnealsiegel, ...
   ... den Fingern, zeigte ihm ein reizendes Karneolsiegel, ...

   [S. 162]:
   ... »Das dich doch der Teufel holte, kleiner Satan!« ...
   ... »Daß dich doch der Teufel holte, kleiner Satan!« ...

   [S. 163]:
   ... für ihre Güte auch einen kleinen Dienst zu leisten. Ich ...
   ... für Ihre Güte auch einen kleinen Dienst zu leisten. Ich ...

   [S. 171]:
   ... Betrügereien vorgekommen, Alfanassij Wassiljewitsch! ...
   ... Betrügereien vorgekommen, Afanassij Wassiljewitsch! ...

   [S. 179]:
   ... wurde, ihn davon in Kenntnis setzte, das die Sache ...
   ... wurde, ihn davon in Kenntnis setzte, daß die Sache ...

   [S. 206]:
   ... zu nehmen.« ...
   ... zu nehmen?« ...

   [S. 217]:
   ... »Es versteht sich von selbst, deß der Hauptschuldige ...
   ... »Es versteht sich von selbst, daß der Hauptschuldige ...

   [S. 218]:
   ... gehabt hätten, dann durften sie sich nicht durch den Stolz
       und ...
   ... gehabt hätten, dann durften Sie sich nicht durch den Stolz
       und ...

   [S. 218]:
   ... und ihr eigenes Ich zum Opfer bringen. Ich hätte Ihre ...
   ... und Ihr eigenes Ich zum Opfer bringen. Ich hätte Ihre ...

   [S. 227]:
   ... im Kalender ein anderes Blatt auf und legten den Finger ...
   ... im Kalender ein anderes Blatt auf und legte den Finger ...

   [S. 237]:
   ... Petrowitsch war ein Individium, das schielte, pockennarbig ...
   ... Petrowitsch war ein Individuum, das schielte, pockennarbig ...

   [S. 256]:
   ... so eine Sache machen wollen, dann ist es wirlich so ...
   ... so eine Sache machen wollen, dann ist es wirklich so ...

   [S. 279]:
   ... sein imponierendes Äußere warf: »Welch ein Charakter!« ...
   ... sein imponierendes Äußeres warf: »Welch ein Charakter!« ...

   [S. 290]:
   ... Aber hier hüllt plötzlich ein undurchdringles Dunkel ...
   ... Aber hier hüllt plötzlich ein undurchdringliches Dunkel ...

   [S. 291]:
   ... ebene und glatte Fäche! Voller Schrecken ließ Kowalew ...
   ... ebene und glatte Fläche! Voller Schrecken ließ Kowalew ...

   [S. 298]:
   ... Weise und einen Teil der Wange bemerkte, die in ...
   ... Weiße und einen Teil der Wange bemerkte, die in ...

   [S. 307]:
   ... Der Major lies sich, wie man sieht, sogar zu einer ...
   ... Der Major ließ sich, wie man sieht, sogar zu einer ...

   [S. 315]:
   ... Kowalew begann, das Vorgefallene zu überbedenken, ...
   ... Kowalew begann, das Vorgefallene zu überdenken, ...

   [S. 323]:
   ... und über alle folgenden Ereignisse ist wieder nichs bekannt. ...
   ... und über alle folgenden Ereignisse ist wieder nichts bekannt. ...

   [S. 327]:
   ... Und der Mojor Kowalew zeigte sich, als ob nichts ...
   ... Und der Major Kowalew zeigte sich, als ob nichts ...

   [S. 335]:
   ... an und zeigte ihnen mit einer großen Geste sein Laden. ...
   ... an und zeigte ihnen mit einer großen Geste seinen Laden. ...

   [S. 343]:
   ... für das vollkommenste und vollendeste Kunstwerk ...
   ... für das vollkommenste und vollendetste Kunstwerk ...

   [S. 344]:
   ... mit jenen hohen Genuß zu tun, den die Seele angesichts ...
   ... mit jenem hohen Genuß zu tun, den die Seele angesichts ...

   [S. 344]:
   ... Messer bewaffnet, einen Menschen nahn, in der Erwartung, ...
   ... Messer bewaffnet, einem Menschen nahn, in der Erwartung, ...

   [S. 347]:
   ... begann der Alte, die Rollen zu öffnen, aus denen ihn ...
   ... begann der Alte, die Rollen zu öffnen, aus denen ihm ...

   [S. 348]:
   ... Die Brust war wie eigeschnürt, wie wenn sie den letzten ...
   ... Die Brust war wie eingeschnürt, wie wenn sie den letzten ...

   [S. 364]:
   ... ist, als in denen Tizians. Kennen Sie Monsieur Nohl!« ...
   ... ist, als in denen Tizians. Kennen Sie Monsieur Nohl?« ...

   [S. 385]:
   ... stimmte am besten mit seinen Seelenzustand überein, ...
   ... stimmte am besten mit seinem Seelenzustand überein, ...

   [S. 399]:
   ... eigentümliche arithmetrische Operationen zu ganz ...
   ... eigentümliche arithmetische Operationen zu ganz ...

   [S. 403]:
   ... Vater gestand, niemals in seinen Leben etwas Ähnliches ...
   ... Vater gestand, niemals in seinem Leben etwas Ähnliches ...

   [S. 438]:
   ... »So schwarz ... Exzellenz,« verbesserte ihm Tschitschikow. ...
   ... »So schwarz ... Exzellenz,« verbesserte ihn Tschitschikow. ...

   [S. 458]:
   ... hineinzukommen. Was denken Sie wohl?« ...
   ... hineinzukommen? Was denken Sie wohl?« ...

   [S. 475]:
   ... umgearbeitet worden: ...
   ... umgearbeitet werden: ...

   [S. 476]:
   ... versetzte die Nase, »bitten drücken Sie sich etwas deutlicher ...
   ... versetzte die Nase, »bitte drücken Sie sich etwas deutlicher ...

   [S. 480]:
   ... seinen fest zusammengekniffen Lippen schließen konnte. ...
   ... seinen fest zusammengekniffenen Lippen schließen konnte. ...






End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 2: Die Toten Seelen
II / Novellen, by Nikolaj Gogol

*** END OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 2: DIE ***

***** This file should be named 54263-8.txt or 54263-8.zip *****
This and all associated files of various formats will be found in:
        http://www.gutenberg.org/5/4/2/6/54263/

Produced by Jens Sadowski and the Online Distributed
Proofreading Team at http://www.pgdp.net. This book was
produced from images made available by the HathiTrust
Digital Library.

Updated editions will replace the previous one--the old editions will
be renamed.

Creating the works from print editions not protected by U.S. copyright
law means that no one owns a United States copyright in these works,
so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United
States without permission and without paying copyright
royalties. Special rules, set forth in the General Terms of Use part
of this license, apply to copying and distributing Project
Gutenberg-tm electronic works to protect the PROJECT GUTENBERG-tm
concept and trademark. Project Gutenberg is a registered trademark,
and may not be used if you charge for the eBooks, unless you receive
specific permission. If you do not charge anything for copies of this
eBook, complying with the rules is very easy. You may use this eBook
for nearly any purpose such as creation of derivative works, reports,
performances and research. They may be modified and printed and given
away--you may do practically ANYTHING in the United States with eBooks
not protected by U.S. copyright law. Redistribution is subject to the
trademark license, especially commercial redistribution.

START: FULL LICENSE

THE FULL PROJECT GUTENBERG LICENSE
PLEASE READ THIS BEFORE YOU DISTRIBUTE OR USE THIS WORK

To protect the Project Gutenberg-tm mission of promoting the free
distribution of electronic works, by using or distributing this work
(or any other work associated in any way with the phrase "Project
Gutenberg"), you agree to comply with all the terms of the Full
Project Gutenberg-tm License available with this file or online at
www.gutenberg.org/license.

Section 1. General Terms of Use and Redistributing Project
Gutenberg-tm electronic works

1.A. By reading or using any part of this Project Gutenberg-tm
electronic work, you indicate that you have read, understand, agree to
and accept all the terms of this license and intellectual property
(trademark/copyright) agreement. If you do not agree to abide by all
the terms of this agreement, you must cease using and return or
destroy all copies of Project Gutenberg-tm electronic works in your
possession. If you paid a fee for obtaining a copy of or access to a
Project Gutenberg-tm electronic work and you do not agree to be bound
by the terms of this agreement, you may obtain a refund from the
person or entity to whom you paid the fee as set forth in paragraph
1.E.8.

1.B. "Project Gutenberg" is a registered trademark. It may only be
used on or associated in any way with an electronic work by people who
agree to be bound by the terms of this agreement. There are a few
things that you can do with most Project Gutenberg-tm electronic works
even without complying with the full terms of this agreement. See
paragraph 1.C below. There are a lot of things you can do with Project
Gutenberg-tm electronic works if you follow the terms of this
agreement and help preserve free future access to Project Gutenberg-tm
electronic works. See paragraph 1.E below.

1.C. The Project Gutenberg Literary Archive Foundation ("the
Foundation" or PGLAF), owns a compilation copyright in the collection
of Project Gutenberg-tm electronic works. Nearly all the individual
works in the collection are in the public domain in the United
States. If an individual work is unprotected by copyright law in the
United States and you are located in the United States, we do not
claim a right to prevent you from copying, distributing, performing,
displaying or creating derivative works based on the work as long as
all references to Project Gutenberg are removed. Of course, we hope
that you will support the Project Gutenberg-tm mission of promoting
free access to electronic works by freely sharing Project Gutenberg-tm
works in compliance with the terms of this agreement for keeping the
Project Gutenberg-tm name associated with the work. You can easily
comply with the terms of this agreement by keeping this work in the
same format with its attached full Project Gutenberg-tm License when
you share it without charge with others.

1.D. The copyright laws of the place where you are located also govern
what you can do with this work. Copyright laws in most countries are
in a constant state of change. If you are outside the United States,
check the laws of your country in addition to the terms of this
agreement before downloading, copying, displaying, performing,
distributing or creating derivative works based on this work or any
other Project Gutenberg-tm work. The Foundation makes no
representations concerning the copyright status of any work in any
country outside the United States.

1.E. Unless you have removed all references to Project Gutenberg:

1.E.1. The following sentence, with active links to, or other
immediate access to, the full Project Gutenberg-tm License must appear
prominently whenever any copy of a Project Gutenberg-tm work (any work
on which the phrase "Project Gutenberg" appears, or with which the
phrase "Project Gutenberg" is associated) is accessed, displayed,
performed, viewed, copied or distributed:

  This eBook is for the use of anyone anywhere in the United States and
  most other parts of the world at no cost and with almost no
  restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it
  under the terms of the Project Gutenberg License included with this
  eBook or online at www.gutenberg.org. If you are not located in the
  United States, you'll have to check the laws of the country where you
  are located before using this ebook.

1.E.2. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is
derived from texts not protected by U.S. copyright law (does not
contain a notice indicating that it is posted with permission of the
copyright holder), the work can be copied and distributed to anyone in
the United States without paying any fees or charges. If you are
redistributing or providing access to a work with the phrase "Project
Gutenberg" associated with or appearing on the work, you must comply
either with the requirements of paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 or
obtain permission for the use of the work and the Project Gutenberg-tm
trademark as set forth in paragraphs 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.3. If an individual Project Gutenberg-tm electronic work is posted
with the permission of the copyright holder, your use and distribution
must comply with both paragraphs 1.E.1 through 1.E.7 and any
additional terms imposed by the copyright holder. Additional terms
will be linked to the Project Gutenberg-tm License for all works
posted with the permission of the copyright holder found at the
beginning of this work.

1.E.4. Do not unlink or detach or remove the full Project Gutenberg-tm
License terms from this work, or any files containing a part of this
work or any other work associated with Project Gutenberg-tm.

1.E.5. Do not copy, display, perform, distribute or redistribute this
electronic work, or any part of this electronic work, without
prominently displaying the sentence set forth in paragraph 1.E.1 with
active links or immediate access to the full terms of the Project
Gutenberg-tm License.

1.E.6. You may convert to and distribute this work in any binary,
compressed, marked up, nonproprietary or proprietary form, including
any word processing or hypertext form. However, if you provide access
to or distribute copies of a Project Gutenberg-tm work in a format
other than "Plain Vanilla ASCII" or other format used in the official
version posted on the official Project Gutenberg-tm web site
(www.gutenberg.org), you must, at no additional cost, fee or expense
to the user, provide a copy, a means of exporting a copy, or a means
of obtaining a copy upon request, of the work in its original "Plain
Vanilla ASCII" or other form. Any alternate format must include the
full Project Gutenberg-tm License as specified in paragraph 1.E.1.

1.E.7. Do not charge a fee for access to, viewing, displaying,
performing, copying or distributing any Project Gutenberg-tm works
unless you comply with paragraph 1.E.8 or 1.E.9.

1.E.8. You may charge a reasonable fee for copies of or providing
access to or distributing Project Gutenberg-tm electronic works
provided that

* You pay a royalty fee of 20% of the gross profits you derive from
  the use of Project Gutenberg-tm works calculated using the method
  you already use to calculate your applicable taxes. The fee is owed
  to the owner of the Project Gutenberg-tm trademark, but he has
  agreed to donate royalties under this paragraph to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation. Royalty payments must be paid
  within 60 days following each date on which you prepare (or are
  legally required to prepare) your periodic tax returns. Royalty
  payments should be clearly marked as such and sent to the Project
  Gutenberg Literary Archive Foundation at the address specified in
  Section 4, "Information about donations to the Project Gutenberg
  Literary Archive Foundation."

* You provide a full refund of any money paid by a user who notifies
  you in writing (or by e-mail) within 30 days of receipt that s/he
  does not agree to the terms of the full Project Gutenberg-tm
  License. You must require such a user to return or destroy all
  copies of the works possessed in a physical medium and discontinue
  all use of and all access to other copies of Project Gutenberg-tm
  works.

* You provide, in accordance with paragraph 1.F.3, a full refund of
  any money paid for a work or a replacement copy, if a defect in the
  electronic work is discovered and reported to you within 90 days of
  receipt of the work.

* You comply with all other terms of this agreement for free
  distribution of Project Gutenberg-tm works.

1.E.9. If you wish to charge a fee or distribute a Project
Gutenberg-tm electronic work or group of works on different terms than
are set forth in this agreement, you must obtain permission in writing
from both the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and The
Project Gutenberg Trademark LLC, the owner of the Project Gutenberg-tm
trademark. Contact the Foundation as set forth in Section 3 below.

1.F.

1.F.1. Project Gutenberg volunteers and employees expend considerable
effort to identify, do copyright research on, transcribe and proofread
works not protected by U.S. copyright law in creating the Project
Gutenberg-tm collection. Despite these efforts, Project Gutenberg-tm
electronic works, and the medium on which they may be stored, may
contain "Defects," such as, but not limited to, incomplete, inaccurate
or corrupt data, transcription errors, a copyright or other
intellectual property infringement, a defective or damaged disk or
other medium, a computer virus, or computer codes that damage or
cannot be read by your equipment.

1.F.2. LIMITED WARRANTY, DISCLAIMER OF DAMAGES - Except for the "Right
of Replacement or Refund" described in paragraph 1.F.3, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation, the owner of the Project
Gutenberg-tm trademark, and any other party distributing a Project
Gutenberg-tm electronic work under this agreement, disclaim all
liability to you for damages, costs and expenses, including legal
fees. YOU AGREE THAT YOU HAVE NO REMEDIES FOR NEGLIGENCE, STRICT
LIABILITY, BREACH OF WARRANTY OR BREACH OF CONTRACT EXCEPT THOSE
PROVIDED IN PARAGRAPH 1.F.3. YOU AGREE THAT THE FOUNDATION, THE
TRADEMARK OWNER, AND ANY DISTRIBUTOR UNDER THIS AGREEMENT WILL NOT BE
LIABLE TO YOU FOR ACTUAL, DIRECT, INDIRECT, CONSEQUENTIAL, PUNITIVE OR
INCIDENTAL DAMAGES EVEN IF YOU GIVE NOTICE OF THE POSSIBILITY OF SUCH
DAMAGE.

1.F.3. LIMITED RIGHT OF REPLACEMENT OR REFUND - If you discover a
defect in this electronic work within 90 days of receiving it, you can
receive a refund of the money (if any) you paid for it by sending a
written explanation to the person you received the work from. If you
received the work on a physical medium, you must return the medium
with your written explanation. The person or entity that provided you
with the defective work may elect to provide a replacement copy in
lieu of a refund. If you received the work electronically, the person
or entity providing it to you may choose to give you a second
opportunity to receive the work electronically in lieu of a refund. If
the second copy is also defective, you may demand a refund in writing
without further opportunities to fix the problem.

1.F.4. Except for the limited right of replacement or refund set forth
in paragraph 1.F.3, this work is provided to you 'AS-IS', WITH NO
OTHER WARRANTIES OF ANY KIND, EXPRESS OR IMPLIED, INCLUDING BUT NOT
LIMITED TO WARRANTIES OF MERCHANTABILITY OR FITNESS FOR ANY PURPOSE.

1.F.5. Some states do not allow disclaimers of certain implied
warranties or the exclusion or limitation of certain types of
damages. If any disclaimer or limitation set forth in this agreement
violates the law of the state applicable to this agreement, the
agreement shall be interpreted to make the maximum disclaimer or
limitation permitted by the applicable state law. The invalidity or
unenforceability of any provision of this agreement shall not void the
remaining provisions.

1.F.6. INDEMNITY - You agree to indemnify and hold the Foundation, the
trademark owner, any agent or employee of the Foundation, anyone
providing copies of Project Gutenberg-tm electronic works in
accordance with this agreement, and any volunteers associated with the
production, promotion and distribution of Project Gutenberg-tm
electronic works, harmless from all liability, costs and expenses,
including legal fees, that arise directly or indirectly from any of
the following which you do or cause to occur: (a) distribution of this
or any Project Gutenberg-tm work, (b) alteration, modification, or
additions or deletions to any Project Gutenberg-tm work, and (c) any
Defect you cause.

Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper
edition.

Most people start at our Web site which has the main PG search
facility: www.gutenberg.org

This Web site includes information about Project Gutenberg-tm,
including how to make donations to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to
subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.