Sämmtliche Werke 1: Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen I

By Gogol

Project Gutenberg's Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by Nikolaj Gogol

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Title: Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I

Author: Nikolaj Gogol

Editor: Otto Buek

Translator: Otto Buek

Release Date: March 1, 2017 [EBook #54262]

Language: German


*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK SÄMMTLICHE WERKE 1: DIE ***




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                             Nikolaus Gogol
                              Tote Seelen

                              Erster Band




                             Nikolaus Gogol
                            Sämmtliche Werke
                              In 8 Bänden


                             Herausgegeben
                                  von
                               Otto Buek


                                 Band 1


                          München und Leipzig
                            bei Georg Müller
                                  1909

                                E. R. W.


                             Nikolaus Gogol




           Die Abenteuer Tschitschikows oder Die toten Seelen


                               Übertragen
                                  von
                               Otto Buek


                                 Band 1


                          München und Leipzig
                            bei Georg Müller
                                  1909

                                E. R. W.


               Von diesem Buche wurden 100 Exemplare auf
               van Geldern abgezogen, in der Presse
               nummeriert und in Ganzleder gebunden. Der
               Preis eines solchen Exemplares beträgt 16
               Mark. Den Druck besorgten _Mänicke_ und
               _Jahn_ in Rudolstadt. Titel und Einband
               zeichnete _E. R. Weiß_.




                        Vorrede des Herausgebers


Eine Gesamtausgabe der Werke Gogols bedarf keiner besonderen
Rechtfertigung; sie hat ihre Rechtfertigung in sich selbst. Unter allen
großen Meistern des Romans, die die russische Literatur im XIX.
Jahrhundert hervorgebracht hat, nimmt Gogol eine besondere und
einzigartige Stellung ein; mögen die Vorgänger oder Nachfolger ihn, was
Weite des Horizonts, Tiefe der Seelenanalyse, Reinheit und Kultur der
Kunstform anbetrifft, erreichen oder gar übertreffen, an _Originalität_
und Ursprünglichkeit kommt ihm keiner gleich. Er selbst hat immerdar zu
seinem älteren Zeitgenossen Puschkin als dem unerreichten Vorbild einer
reinen idealisierenden Dichtung emporgeblickt, und er hat in einer
berühmten Apostrophe der »Toten Seelen« dieser Differenz und dem Abstand
zwischen seiner Begabung und der Puschkins in beredten Worten Ausdruck
gegeben, doch selbst Puschkin bleibt bei seinem großen und einzigen
Talent nur ein Zweig und Schößling am Stamm der großen europäischen
Literatur. In Gogol aber schuf sich das junge russische Volk zum ersten
Mal eine adäquate vollgültige dichterische Form, in ihm realisierte sie
einen literarischen Typus, der von da ab das Muster und Ideal für alle
kommenden Schriftstellergenerationen Rußlands geworden ist. Das ganze
jüngere Dichtergeschlecht von Turgenjew bis Tolstoi, das sich das
Interesse der westlichen Völker eroberte und unsere Aufmerksamkeit auf
Rußland hinlenkte, geht auf Gogol als seinen Ursprung zurück. In ihm
liegen alle Motive und Ideen, die _sie_ entwickeln und entfalten, wie im
Keime beschlossen, _er_ gab das Thema an, das sie in mannigfachen
Paraphrasen und Modulationen variieren; er schuf die Kunstform, an der
sie sich schulten; sie dachten und dichteten in seiner Sprache. Und
nicht in unsicheren unausgereiften Ansätzen vollzog er diesen
Schöpfungsakt an der russischen Dichtung, sondern mit dem Siegel der
Kraft und der Fülle der Vollendung rief er sein Werk -- die russische
Literatur -- fast wie aus dem Nichts hervor. Wie nur bei ganz wenigen
Ausnahmen, zeigen all seine Werke die gleiche reine Linie des großen
Talents, und es gibt unter ihnen schlechterdings nichts Minderwertiges
und Unbedeutendes. Und zugleich mit der Dichtung hat Gogol den Typus des
russischen _Dichters_ geschaffen, indem er in sich jenen ewigen
Gegensatz, der das Leben der größten russischen Künstler beherrscht, zur
Ausprägung brachte; den Gegensatz zwischen dem _Dichter_ und dem
_Propheten_, die in ihnen ständig im Streite liegen. Bei keinem aber
tragen die Werke selbst trotz aller Objektivität so sehr den Stempel des
Persönlichen, wie bei Gogol, sind sie so sehr das treue Spiegelbild der
eigenen geistigen Lebenskämpfe, der Niederschlag ihrer Schwankungen und
Stimmungen, wie bei ihm. Schon aus diesem Grunde wird für das
Verständnis dieser so komplizierten und originalen Persönlichkeit der
Überblick über das Gesamtschaffen des Dichters zur Notwendigkeit.

Einen solchen Überblick soll die vorliegende Ausgabe ermöglichen. Es
wurde dabei von einer chronologischen Anordnung der Werke abgesehen und
eine solche nach fachlichen Gesichtspunkten zugrunde gelegt. Die
inhaltlich und formal zusammengehörigen Schöpfungen sollen hier auch
zusammen erscheinen. Daß die Chronologie darüber nicht zu kurz kommt,
dafür ist durch ausführliche redaktionelle Noten genügend gesorgt, die
sich im Anhange eines jeden Bandes finden. In den folgenden zwei Bänden
sind vor allem der Roman »Die toten Seelen« und drei einzelne Novellen
vereinigt, die auch durch einen ideellen Zusammenhang miteinander
verknüpft sind und sich gegenseitig beleuchten und erklären. Beide Bände
führen den Leser sogleich auf den Gipfel des Gogolschen Schaffens und
gewähren ihm einen großen Ausblick auf den Ideen- und Formengehalt
seiner Dichtung. Die »Toten Seelen« sind das größte Prosawerk des
modernen Rußlands und eines der Hauptwerke der humoristischen und
satirischen Literatur überhaupt: ein grauenhaftes Bild der Korruption
und der allgemeinmenschlichen und spezifisch russischen Verkommenheit.
Daneben ein soziologisches Gemälde eines historischen Zeitalters, in dem
der Extrakt einer Kulturepoche konzentriert ist. Was aber dem Ganzen --
neben diesen wahrlich nicht geringen Vorzügen -- seinen Ewigkeitswert
sichert -- das ist das Menschliche und Typische, das es in sich birgt:
die Darstellung des Menschenlebens, wie es, von der kulturell-zufälligen
Einkleidung abgesehen, sich ausnimmt, wenn das Rangverhältnis der Triebe
verkehrt, und das Dasein von aller Geistigkeit und Idealität entblößt
wird. Es ist der Gerichtstag über die moderne Kultur, die den
_Erwerbstrieb_ sanktionierte und heiligte und das Denken und Trachten
des modernen Menschen auf die rein materielle Macht und Beherrschung der
Natur hinlenkte. Gogol hat diese Kulturtendenz nur in ihren Anfängen, in
ihrer Entstehung beobachten können, aber er hat mit dem
bewunderungswürdigen Scharfblick eines Hellsehers die ganzen Folgen
dieser Erscheinung für das Geistesleben antizipiert: den seelenmordenden
Fluch der Erwerbsjagd und des Besitzes, die nivellierende und alles
erstickende Trivialität eines auf das Bloßstoffliche gerichteten Wesens.
Es gab keinen stärkeren Schilderer des _Gemein_menschlichen,
Alltäglichen und Brutalen, als Gogol, und so ist auch er es gewesen, der
in den »Toten Seelen« das grandiose Symbol und in dem irrenden Ritter
des Erwerbs Pawel Iwanowitsch Tschitschikow -- den unsterblichen Typus
für das Triviale und Mittelmäßige fand, das die große Masse unseres
Lebens und den Querschnitt unserer Kultur bildet. -- Ein Gegenstück zu
dem großen Gemälde der »Toten Seelen« ist die romantische Novelle »Das
Porträt«, in der der Dichter die verheerenden Folgen desselben
Grundtriebes für Kunst schildert. Diese Novelle ist zugleich ein
erschütterndes Bekenntnis von dem Zwiespalt der »zwei Seelen«, in dem
sich Gogols Leben aufzehrte; der einen, die von einem glühenden Drange
nach dem Idealen ergriffen, sich in der Welt der Körper nie dauernd wohl
fühlte, und der andern, die wie keine zweite mit dem Blick fürs
Irdische begabt, das Auge nie von der Erdenwelt und allem
Menschlich-Allzumenschlichen abzuziehen vermochte.

Eine ausführliche Analyse der in diesem Bande vereinten Dichtungen
findet der Leser in der Einführung des bekannten Gogolforschers und
Mitgliedes der Petersburger Akademie der Wissenschaften, Nestor
Kotljarewski, die wir dem ersten Bande vorausschicken, eine
Gepflogenheit, der wir auch bei den folgenden Bänden treu zu bleiben
gedenken.

Zum Schluß wage ich noch den Wunsch auszusprechen, daß der deutsche
Leser dieser Gesamtausgabe Gogols die freie Empfänglichkeit
entgegenbringen möge, die das Werk eines Dichters beanspruchen kann, der
zwar der Gegenwart nicht mehr angehört, doch aber lebendig in ihr wirkt,
und dessen Schätzung in seinem Vaterlande mit dem zeitlichen Abstand nur
noch steigt und in fortwährendem Wachstum begriffen ist.

_Charlottenburg_, den 24. Dezember 1908.

                                                        Dr. Otto Buek.




                               Einführung


                                   I.

Gogols Roman »Die toten Seelen« nimmt in der russischen
Literaturgeschichte des XIX. Jahrhunderts eine besondere und
einzigartige Stellung ein. Es ist der erste Roman von künstlerischem
Werte, in dem der russischen Gesellschaft ein großes und treues Bild
ihres eigenen Lebens geschenkt ward, ein Bild, das aus dem Pinsel eines
großen Künstlers und Realisten herstammte. In diesem Roman vergißt der
russische Dichter zum ersten Mal sich selbst, seine persönlichen
Sympathien und Antipathien, jene erbaulichen moralischen Betrachtungen,
die er nach alter Sitte in seine Novellen und Erzählungen einzuflechten
pflegte, und ist nur noch von einem Wunsche ergriffen: die nackte
Wahrheit auszusprechen über die dunkeln Seiten des Zeitalters, in dem er
lebt.

In diesem Sinne stellen die »Toten Seelen« ein künstlerisches Denkmal
dar, das in der Geschichte der russischen Literatur eine neue Ära
eröffnet.

In den ersten Jahrzehnten des XIX. Jahrhunderts -- dem Zeitalter der
sogenannten »Romantik« und des »Sentimentalismus« gab es für den
russischen Dichter nur _ein_ Objekt, das ihn stetig beschäftigte, seine
eigene Persönlichkeit. Es gab nichts Wichtigeres für ihn als sein
eigenes Selbst, mit all seinen Gedanken, Stimmungen und dem freien Spiel
seiner Phantasie. Er wußte vor allem davon zu erzählen, wie die gesamte
Umwelt sich in ihm, dem Dichter spiegelte; und daher blieb sein
Verhältnis zu dieser Umwelt immer rein subjektiv. Mit dem vierten
Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts erfährt jedoch dieses subjektive
Verhalten des Künstlers zu seiner Umgebung eine Wandlung, die sich sehr
rasch vollzieht und schnell in der gleichen Richtung fortschreitet. Von
nun ab geht das Streben des Künstlers vor allem darauf, das Leben so
treu und vollständig als nur möglich zu ergreifen und wiederzuspiegeln;
das Leben selbst in seiner ganzen Mannigfaltigkeit und in seinem
Gegensatz zu ihm, dem Dichter wird jetzt der wichtigste Gegenstand
seines Interesses. Er beginnt es bis tief ins Einzelne zu analysieren,
um es dann im Ganzen oder in seinen Teilen rein und treu zu
reproduzieren. Der Künstler sieht sein größtes Verdienst darin, seine
eigenen Sympathien und Antipathien zurücktreten zu lassen und womöglich
ganz zu verbergen. Er strebt nur darnach, jenen Stoff, den er zu
bearbeiten hat, so objektiv und unparteiisch als möglich zu erfassen und
restlos in sich aufzunehmen.

Erst mit Gogol tritt diese Hinwendung des Künstlers zur objektiven
Darstellung in der russischen Literatur ganz unverhüllt ans Licht. Im
»Revisor« und in den »Toten Seelen« besitzen wir zwei streng
realistische Gemälde russischen Lebens aus der Epoche Nikolaus' I. So
wurde Gogol zum Begründer der sogenannten »naturalistischen« Schule, die
den Ruhm der russischen Literatur auch nach dem Westen trug. Und darin
sind alle russischen Künstler den Spuren Gogols gefolgt, indem sie alle
die Umwelt zum Gegenstand eines peinlichen und gründlichen Studiums
machten, um sie dann als Ganzes oder doch einen Ausschnitt von ihr
objektiv doch zugleich künstlerisch wiederzuspiegeln. Das war die
Arbeitsmethode aller großen russischen Künstler; von Turgenjew,
Dostojewski und Ostrowski bis zu Gontscharow, Tolstoi und
Saltykow-Schtschedrin. Und wenn auch ein jeder von ihnen seine in seinen
Werken eigene Weltanschauung zum Ausdruck brachte und mit besonderer
Liebe bei _den_ Gestalten verweilte, die ihm selbst am nächsten standen;
wenn er mitten hinein in die Gemälde realer Wirklichkeit rein
persönliche Betrachtungen einflocht, und sich's erlaubte, eine Art
Glaubensbekenntnis vor dem Leser abzulegen, so waren doch ihre Werke vor
allem und in erster Linie ein großes und detailliertes Bild der
lebendigen Wirklichkeit, ein historisches Dokument einer Epoche; es
blieb stets die Hauptsorge des Künstlers: nicht seine persönlichen
Ansichten und Gefühle zum Ausdruck zu bringen, sondern die Idee und den
Umriß des Lebens zu erfassen, das sich vor seinen Augen entrollte.

So wird es verständlich, welch einen gewaltigen Einfluß das Schaffen
Gogols auf die Entwickelung der russischen Literatur gewinnen mußte. Der
sentimentale Roman mit seiner didaktischen Tendenz, die romantische
Novelle, die dem Leben so fremd blieb, und die bekannten zahlreichen
lyrischen Herzensergießungen in Prosa traten immer mehr zurück, um den
Raum für die Milieuerzählung -- für die realistische wirklichkeitstreue
Novelle mit ihrem großen und weiten Horizont frei zu machen: für eine
Prosaerzählung, die den Leser zu einem kritischen Verhalten gegen das
Leben und die ihn umgebende Wirklichkeit erweckte.


                                  II.

Aber der Schriftsteller, der so entschlossen damit begonnen hatte, eine
Annäherung zwischen Kunst und Leben herbeizuführen -- Nikolaus
Wassiljewitsch Gogol (1809-1852) -- war von Natur nichts weniger als ein
nüchterner, kaltblütiger Beobachter, oder ein Mann von kritischem
Verstande und einer Phantasie, die es versteht, ihre stürmischen Triebe
zu bändigen.

Gogol war mit einer wahrhaft romantischen Seele zur Welt gekommen, und
doch wurde es seine Mission, der Dichtkunst reine Muster einer
realistischen, kühlen und nüchternen Naturdarstellung zu schenken. In
diesem Widerspruche liegt die ganze Tragödie seines Lebens beschlossen.

Gogol gehört unbedingt zu jener Gattung von Menschen, für die die
Gegenwart nur ein Hinweis auf ein zukünftiges Ideal ist, und die ein
starker Glaube an ihre providentielle Sendung beseelt.

Das geistige Wesen eines solchen Menschen zieht ihn immer in eine andre
Welt empor -- eine Welt der Vollkommenheit, in die er alles verlegt, was
ihm wert und teuer ist: all seine Begriffe von einer unerschütterlichen
Ordnung der Gerechtigkeit, seinen Glauben an eine ewige Liebe und eine
jedem Wandel entrückte Wahrheit. Diese ideale Welt begleitet ihn durch
das ganze Leben, sie leuchtet ihm voran in Tagen und Stunden der
Finsternis. Überall und jederzeit findet er in ihr seinen Lohn oder
seine Strafe und Verurteilung, _sie_ beschäftigt ununterbrochen seinen
Verstand und seine Phantasie, und oft absorbiert sie seine
Aufmerksamkeit so vollständig, daß sie ihn die Erde vergessen läßt; noch
häufiger aber ist sie dem Menschen die einzige Stütze, die ihn aufrecht
erhält bei der schweren Arbeit an der Gestaltung und Formung des
irdischen Daseins.

Was immer für Überzeugungen solch ein Mensch haben mag, stets wird er
entweder hinter dem Leben zurückbleiben oder ihm weit voraneilen. Er
vermag sich nicht zu ergeben und zu demütigen vor dem Unabwendlichen und
Tatsächlichen. Immer fast wird er das reale Leben entwerten, und es
gewöhnlich verachten. Er vergewaltigt seinen Begriff und seine
Vorstellung von der Wirklichkeit um seines Traumes willen, und sehnt
sich meist nach der Vergangenheit, die er idealisiert; in der Regel
aber lebt er vom Vorgeschmack einer schöneren Zukunft: ein
nüchtern-kritisches Verhalten zu den Tatsachen bleibt ihm versagt, weil
er diese Tatsachen stets im Lichte seines Vorurteils sieht, und sie in
die Lebensprinzipien hineinzwängt, an die er glaubt, _entgegen_ allen
Tatsachen. Er ist es nicht gewöhnt, sein Streben mit seinem Kräftevorrat
in Einklang zu bringen, und er vermag es nicht, ängstlich und peinlich
innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeit an seinem Lebenswerke tätig zu
sein; die schwierigsten Fragen erscheinen ihm leicht lösbar, zugleich
aber kann ihm schon der kleinste Mißerfolg, wie er keinem erspart
bleibt, das Gleichgewicht rauben und mißmutig machen. Er ist verliebt in
jenen idealen Begriff vom Leben, den er sich selbst zurechtgelegt hat,
und darum wird es ihm so schwer, sich in die irdische Prosa
hineinzufinden, die nun einmal ein unvermeidliches und notwendiges
Erbteil unseres Lebens bildet.

Solche Menschen pflegen wir mit dem Namen »Romantiker« zu bezeichnen,
indem wir uns eines alten und dunkelen Wortes bedienen, welches das
Übergewicht des Gefühls über den Verstand, und der Schwärmerei über das
Interesse des Augenblicks in der menschlichen Seele kennzeichnen soll.

Die ganze Tragödie des Menschen und des Schriftstellers Gogol besteht
eben darin, daß der romantische Zug seines Geistes in einen Widerspruch
mit seinem eigenen Schaffen geraten mußte. Er war ein _Romantiker_ mit
allen charakteristischen Merkzeichen dieses Typus. Er liebte es, sich in
einer phantastischen Welt, in einer Welt der Sehnsucht und Erwartung zu
bewegen, d. h. entweder beschönigte und schmückte er das Leben aus,
indem er es in ein Märchen verwandelte, oder er stellte es sich vor, wie
es gemäß seinen religiösen und sittlichen Begriffen sein sollte. Er litt
furchtbar unter dem Zwiespalt, der ständig zwischen seinem Traume und
dem klaffte, was er um sich her erblickte, und es gelang ihm nie, das
Gefühl der Qual und des Sehnens durch eine gesunde Kritik am Bestehenden
und Unabwendlichen zu mildern. Wie alle Romantiker war er verliebt in
jenes Lebensideal, das er sich selbst geschaffen hatte, und -- was die
Hauptsache ist -- er hielt sich für berufen, das Herannahen dieses
Ideals zu beschleunigen und seinen endgültigen Triumph auf Erden
vorzubereiten. Er war nicht nur ein _träumender_, sondern auch ein
_kämpfender_ Romantiker.

Doch bei all seiner romantischen Veranlagung besaß Gogol eine wundersame
Gabe, die das ganze Glück und die Schönheit, und zugleich das ganze
Unglück seines Lebens ausmachte: er besaß die seltene Fähigkeit, die
ganze Erbärmlichkeit, Kleinheit und Prosa, die Gemeinheit und den
Schmutz des wirklichen Lebens zu entdecken und überall zu erkennen. All
jene prosaischen Seiten des Lebens, die der Romantiker gewöhnlich
absichtlich nicht beachtet, die er übersieht oder übersehen _will_, sie
alle drängten sich auf Gogols Palette und verlangten gebieterisch nach
einer künstlerischen Verkörperung. Nur selten hat die Natur einen
Menschen hervorgebracht, der von Natur ein solcher Romantiker und
zugleich ein solcher Künstler in der Darstellung alles _Un_- und
_Wider_romantischen war, wie Gogol. Es ist daher ganz natürlich, daß der
Künstler bei einer solchen Spaltung und Zerklüftung seines Gemüts und
einer schöpferischen Begabung zu schwerem Leiden verurteilt war, und
sich nie von dem harten Zwiespalt zu befreien vermochte, der nur mit dem
Siege _einer_ dieser beiden Seelenkräfte endigen konnte: entweder mußte
das Talent, das Leben in seiner nackten Prosa darzustellen, im Künstler
das romantische Drängen seiner Seelen ertöten, oder die romantische
Stimmung mußte umgekehrt in ihm die Kraft wahrheitsgetreuer
Widerspiegelung des Lebens durch die Kunst ersticken und zerstören.

Tatsächlich fand schließlich das Letztere statt: Gogols großes Talent
zur realistischen Lebensschilderung erlosch, und er verwandelte sich
immer mehr in den reinsten und aufrichtigsten Verkündiger religiöser und
sittlicher Gedanken. Doch vor dem endgültigen Erlöschen leuchtete dieses
realistische Talent noch einmal hell auf, um sich in den »Toten Seelen«
zum letzten Male in seinem ganzen Glanze zu entfalten.


                                  III.

Dieser Roman ist eine späte Frucht des Gogolschen Genies. Ein Werk, das
erst nach einem langen Kampfe zwischen den romantischen Neigungen seiner
Phantasie und seiner starken Begabung für die scharfe und treue
Lebensbeobachtung vollendet werden konnte.

Schon in seinen ersten Novellen, den »Abenden am Weiler bei Dikanka«
(1831-32), machten sich die ersten Spuren dieses Zwiespalts bemerkbar.
In diesen Novellen trat Gogol als Schilderer kleinrussischen Lebens und
der niederen Volksklasse hervor, zugleich aber als phantasievoller Poet,
der die alten Sagen und Legenden schöpferisch neugestaltete und belebte.
Dieses früheste Werk läßt ganz deutlich eine Mischung beider Stile
erkennen, wobei freilich der träumerisch-phantastische noch die Oberhand
behält. Selbst die Naturbeschreibungen und die Charakteristik vieler von
den handelnden Personen ist in diesem Stile gehalten -- was Gogol
freilich nicht hinderte, andere Personen und Situationen mit
unverfälschter Schlichtheit und im Geiste einer wahren und echten
Realistik darzustellen. In dieser Vermischung zweier Stile, wie in dem
alternierenden Wechsel von Frohsinn und Wehmut, Weinen und Lachen,
zeigte es sich deutlich, daß das Schaffen des Dichters noch keine feste
Richtung angenommen hatte, daneben aber kam darin der innere Kampf zum
Ausdruck, der sich schon damals in des Künstlers Seele abspielte: der
Idealismus des Phantasten vermochte sich nicht zu vertragen mit der
starken Begabung des Realisten, der mit seinem Blicke die ganze
Häßlichkeit und Gemeinheit des Wirklichen durchdrang, welches er doch
selbst in einem andern, höheren und idealeren Sinne zu erfassen und zu
deuten strebte.

Über diese hohe und ideale Bedeutung des künstlerischen Schaffens hat
Gogol in den ersten Jahren seiner schriftstellerischen Tätigkeit sehr
viel nachgedacht. Ihn beschäftigte damals ganz besonders das bei den
Romantikern so beliebte Thema von den Leiden, die der Träumer, der
Idealist und der Künstler ganz notwendig auf sich nehmen muß, wenn ihn
das Schicksal schonungslos zusammenstoßen läßt mit der häßlichen,
unbarmherzigen Wirklichkeit. Am tiefsten hat Gogol dies Problem von
Zwiespalt zwischen Traum und Leben durchgeführt in seiner Novelle »Das
Porträt« (1834).

Diese Novelle erinnert inhaltlich ganz an eine Erzählung von E. Th. A.
Hoffmann. Sie behandelt das Seelendrama eines jungen Künstlers, der
Verrat übt an der echten, reinen und hohen Kunst, sich aus Habgier in
den Dienst der Mode stellt, und zuletzt im Wahnsinn stirbt, als er
erkennt, daß er sein Talent zugrunde gerichtet hat. Der böse Genius
dieses unglücklichen Künstlers ist ein phantastisches Porträt des
Antichristen, das mit einer so realistischen oder vielmehr
naturalistischen Kunst dargestellt ist, daß ein Teil der Seele des
Antichristen in dieses Bildnis übergegangen ist.

Die Kunst soll dem _Ideale dienen_ und nicht der _Reproduktion des
Wirklichen_ in seiner ganzen Nacktheit und Häßlichkeit -- dies ist der
Grundgedanke dieser Erzählung -- deren Moral ebenso durch den tragischen
Tod des Künstlers, der sich der Jagd nach dem Golde und der Mode ergab,
wie aus dem verderblichen Einfluß des Porträts, zu uns spricht: dieses
Porträts, das das Produkt einer hyperrealistischen Kunst war.

Wie die deutschen Romantiker, so war auch Gogol von einem hohen, beinahe
religiösen Glauben an die Kunst ergriffen. Aber seine Kunstanschauung
vermochte doch nicht jenen Widerspruch vor ihm zu verhüllen, der
immerdar zwischen der Welt des Traumes und unserm Leben besteht. Er sah
den Abgrund, der zwischen diesen beiden Welten klafft, beständig vor
Augen, und dieser Anblick hatte für ihn etwas Furchtbares und
Schreckenerregendes. Es gibt nur eine Möglichkeit, ihn zu vergessen: sie
liegt in der Erschütterung und in dem Verlust des seelischen und
geistigen Gleichgewichts. Dies ist das Thema der beiden Erzählungen »Der
Newski-Prospekt« und »Aus dem Tagebuch eines Wahnsinnigen«.

Aber ganz allmählich vollzieht sich im Schaffen Gogols eine
entscheidende Wendung. Er gibt seinem Talente nach, er unterwirft sich
ihm, und geht zur Darstellung der Realität, der Wirklichkeit über; er
beschönigt sie nicht und idealisiert nicht mehr; er spiegelt sie ab, wie
sie ist, in erster Linie nach ihrer negativen Seite, die ihm von jeher
so stark in die Augen stach. Und nun stößt er mit dieser gemeinen
trivialen und schmutzigen Wirklichkeit auf dem Felde der Kunst zusammen,
und da erhebt sich vor ihm die ernste Frage, auf die er schon im
»Porträt« hingewiesen hat: dient die Kunst auch dann noch ihrer hohen
Mission, wenn sie den Schmutz und das Laster zur Darstellung bringt, und
zwar so natürlich und lebendig zur Darstellung bringt, daß es fast den
Anschein hat, als bleibe ein Stück von diesem Schmutz und diesem Laster
auf dem Kunstwerk selber haften?

Und doch konnte Gogol seinem Talent auf die Dauer nicht Widerstand
bieten. So kam es, daß er seine Kunst immer mehr dem Leben annäherte.
Diese Annäherung macht sich besonders stark fühlbar in der
Novellensammlung, die im Jahre 1834 gleichzeitig mit seinen romantischen
Erzählungen erschien, und die den Namen »Mirgorod« trägt.

Eine dieser Novellen die »Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« ist ein
schlichtes Idyll, die Geschichte zweier zur Neige gehender
Menschenleben: ein psychologisches Essay, von einer Tiefe und Poesie,
wie sie von keiner romantischen Idylle erreicht wird. Die sentimentalen
und romantischen Schriftsteller liebten solche dankbare Sujets, wie die
Erzählung von zwei liebenden Herzen, die sich inmitten des Friedens der
Natur und fern von allen Lockungen der Kultur zusammenfinden. Die
»Gutsbesitzer aus der guten alten Zeit« sind ein glücklicher Versuch,
die romantischen Elemente in diesem Stoff durch reale und kulturelle zu
ersetzen. An die Stelle der einsamen und wüsten Gegenden tritt hier ein
kleinrussisches Dorf -- an die Stelle der blasierten und enttäuschten
Helden und der schwermütigen oder leidenschaftlichen Heldinnen -- ein
altes Ehepaar; aber trotz dieser Schlichtheit und Durchsichtigkeit ist
diese Novelle überall von einer tiefen Wahrheit und Poesie durchdrungen.
Sie stellt in dem Schaffen Gogols einen der entscheidenden Siege des
Realismus' über die Romantik dar.

Ein ganz anderer poetischer Horizont tut sich vor uns in der
historischen Erzählung »Taras Bulba« auf. Auch hier bemerkt man eine
deutliche Wendung von dem früheren idealisierenden Stil zum Realismus,
natürlich in dem Maße, als dies in einem historischen Romane möglich
ist. Es gibt eine Ansicht, nach der »Taras Bulba« Gogols größtes Werk
darstellt, und dieser Wertung fehlt es nicht an einer gewissen
Berechtigung. Der Inhalt dieser Erzählung ist vielleicht nicht weniger
umfassend und vielgestaltig wie der der »Toten Seelen«; auch hier findet
man denselben Reichtum an den mannigfaltigsten Typen und Episoden, die
gleiche Kraft und das gleiche schnelle Tempo der Handlung. Die
psychischen Regungen und Bewegungen sind im »Taras Bulba« vielleicht
sogar noch tiefer als in irgend einem andern Gogolschen Werke, schon aus
dem Grunde, weil die Gefühle und Empfindungen der Helden hier ernster
und komplizierter sind, als die der handelnden Personen in den »Toten
Seelen«. »Taras Bulba« -- das ist ein heroisches Epos, das einer
gewissen Idealität nicht entbehrt. Es lebt etwas darin vom Geist der
alten Sage, trotzdem aber bleiben die Seelenregungen der handelnden
Menschen stets wahr und frei von jeder romantischen Überspannung. Die
alte Zeit des Saporoger Kosakentums mit ihrem Kostüm, ihrem häuslichen
Leben, ihren Kriegen und Schlachten, die Beziehungen zwischen Juden und
Polen -- das alles ist im »Taras Bulba« mit einer wunderbaren Echtheit
und Wahrheit geschildert; dazu kommen die beschreibenden und
schildernden Elemente, die mit großer Geschicklichkeit in die Handlung
eingeflochten sind; sie beschweren sie nicht, sondern verleihen ihr bloß
noch mehr Lebhaftigkeit und Kolorit. »Taras Bulba« ist in seiner Art
eine kleinrussische _Ilias_, sowohl was das epische Gleichmaß der
Darstellung und den kriegerischen Geist des Werkes, als vor allem die
strenge Durchführung der Charaktere und die Plastizität der Episoden
anbetrifft. -- Soweit also der Realismus in einer historischen Erzählung
als künstlerisches Element neben dem legendären und der Archeologie
möglich und zulässig ist, ist er in dieser Epopöe zum Durchbruch
gekommen.

Aber so recht heimisch in der realistischen Darstellungskunst wurde
Gogol erst mit der Vollendung seiner berühmten Komödie: »Der Revisor«
(1836).

Gogol gehört zu jener wenig zahlreichen Dichtergruppe, die das
»russische« Theater schuf und die russische Lebenswirklichkeit
ungeschminkt und ohne Beschönigung auf die Bühne brachte. Die Geschichte
des russischen nationalen Theaters hat man von den Komödien »Von Wisins«
zu datieren. In diesen Stücken ist das Leben der adligen Gutsbesitzer,
der Epoche Katharinas I., mit genügender Treue geschildert, doch macht
sich hier noch ein Element unliebsam bemerkbar: das sentimentale
Räsonnement. Gleichfalls der Adel, diesmal aber der städtische
Beamtenadel, ist das Milieu, in dem Gribojedows »Verstand schafft
Leiden« spielt, diese geniale Satire, aber keineswegs auch geniale
Komödie. Auch hier erscheint die Wahrheit in einer gewissen Verzerrung:
ein Zugeständnis an die literarischen Traditionen der französischen
Vorbilder.

Im »Revisor« endlich betritt die russische Beamtenwelt die Bühne. Auf
den Gegenstand dieser Komödie waren die Zuschauer schon in gewissem
Sinne vorbereitet durch eine Reihe von freilich recht farblosen Stücken,
in denen die Schriftsteller des XVIII. und der ersten Hälfte des XIX.
Jahrhunderts die Korruption gegeißelt und moralische Tiraden gegen die
Bestechlichkeit zum besten gegeben hatten. Der »Revisor« überragt alle
diese Stücke um Haupteslänge, schon deshalb, weil die in ihm
gezeichneten Typen wirkliche lebendige Menschen waren, denen der
Zuschauer jederzeit -- wenn auch nicht allen zugleich, so doch in
einzelnen Repräsentanten -- in seiner nächsten Nachbarschaft begegnen
konnte. Nach Gogol war es Ostrowski, der in seinen Dramen den
Kaufmannsstand auf die Bühne brachte und so das Gemälde des russischen
Lebens um einige bedeutsame Typen bereicherte. Das waren die drei
»finsteren Reiche« -- die Welt des _Adels_, des _Beamtentums_ und des
_Kaufmannsstandes_, die von nun ab den Russen von der Bühne herab an
jene dunklen Seiten der Wirklichkeit mahnten, die er stets zu
idealisieren geneigt war. In letzter Zeit ist diese Reihe noch um ein
neues Gemälde vermehrt und vervollständigt worden -- um das Bild der
dunkelen Welt des niederen Volkes: in dem Drama »Die Macht der
Finsternis« von Tolstoi.

In seiner Komödie schwang Gogol die Geißel des Spottes über eine ganze
Kategorie gesellschaftlicher Mißstände und Laster, die mächtig in das
soziale Leben eingriffen: er brachte die Dummheit, die Gemeinheit und
Hohlheit der Administration auf die Bühne und strafte die offizielle
Welt, indem er sie dem Spott und Hohn eines Windbeutels, des hohlsten
aller Schwätzer preisgab, und sie durch ihn brandschatzen ließ. Zu guter
Letzt aber stellte er sie vor ihren gesetzlichen Richter und sandte
ihnen einen Gendarmen, der sie zur Vernunft bringen sollte. Die Komödie
bleibt in ihrem ersten Akt streng objektiv und sachlich, im letzten
freilich drängt sich die Moral recht deutlich vor. Der Polizeimeister
erscheint in seiner ganzen Dummheit, gibt sich selbst dem Gelächter und
der Verachtung preis und geizt nicht mit starken Worten zu seiner
eigenen Charakteristik. Der Gendarm erscheint, wie im letzten Akt des
Tartüffe, als der Vertreter des Gesetzes zur Beschwichtigung und
Beruhigung der Zuschauer; er erinnert sie daran, daß das Auge der
Regierung beständig wacht, auch dann noch, wenn man glaubt, daß es
schlafe. Aber der außerordentliche künstlerische Takt des Dichters hat
es so einzurichten verstanden, daß die Moral die Wahrheit der
Situationen und die Lebendigkeit der Typen nicht beeinträchtigte. Bis
dahin waren es die Zuschauer gewöhnt, mitten in der Handlung allerhand
erhebende und erbauliche Reden von der Bühne zu vernehmen, im »Revisor«
aber fehlten diese Reden vollständig. Diese Komödie war eine völlig
neue, originale Tat; sie paßte in keine der bekannten Formen der
dramatischen Kunst hinein, denn sie war weder eine sentimentale Komödie,
noch eine Posse, noch ein moralisches Schauspiel.

Dieses Werk trug seinem Schöpfer einen großen Schmerz und
viele Enttäuschungen ein, denn es regte die heftigsten und
leidenschaftlichsten Anklagen gegen ihn auf. Er suchte Rettung und
Heilung von seiner geistigen Schwermut und der Gereiztheit gegen seine
Mitbürger in einer Reise. Dies war das ständige Mittel Gogols, das er
gegen seine Melancholie und gegen seine geistige Müdigkeit anwandte, und
es wirkte in der Tat weit sicherer und unfehlbarer als alle Medikamente.
Diese Neigung zum Wandern, zum Wechsel des Aufenthaltes war in seiner
romantischen Veranlagung begründet. In dieser Beziehung hatte er viel
Ähnlichkeit mit einem jener Schwärmer, die von Sehnsucht, Melancholie
oder Grimm getrieben, ihre Heimat verließen, um den Ufern eines neuen
fernen Vaterlandes zuzustreben. Auch Gogol besaß solch ein fernes
Vaterland, obwohl er Rußland mit einer geradezu abgöttischen Liebe
liebte, und sich unter fremden Menschen nie wohl fühlte. Er hatte noch
eine andere große Liebe: Italien.

Gogol hat oft über seine Leidenschaft für das Wandern und Reisen
gegrübelt, und nach Gründen gesucht, um sein Nomadenleben zu
rechtfertigen; er begründete sie mit seiner Krankheit, die ihm einen
häufigen Wechsel des Klimas zur Notwendigkeit machte, und mit dem rein
geistigen Bedürfnis des Künstlers, der eine Distanz zwischen sich, den
Menschen und dem Leben suchte, wenn er sie in seinen Werken zur
Darstellung bringen wollte. Zuweilen freilich, wenn er in längeren
Abständen wieder nach Rußland zurückkehrte, fühlte er etwas wie
Gewissensbisse und ein mächtiges Anschwellen der Liebe zu seiner Heimat;
aber diese Gefühle blieben ohnmächtig gegenüber dem unklaren Drange, der
ihn in die Ferne zog. Seine Seele trug die Spuren jener Krankheit an
sich, die einst zu Beginn des Jahrhunderts im Westen herrschte, die
Menschen von der Heimat losriß und sie zu fernen Gestaden hintrieb --
jene Krankheit an der ein Byron und ein Chateaubriand litten, und für
die Schubert in seinem Liede »Der Wanderer«, dem Lieblingslied aller
russischen Jünglinge und Jungfrauen der dreißiger Jahre einen so
wundervollen musikalischen Ausdruck fand.

Allein was Gogol von seiner fünfjährigen Reise im Auslande (von
1836-1841) mitbrachte, war weder ein pessimistisches Tagebuch, noch ein
sentimentales Epos. Er brachte den ersten Teil der »Toten Seelen« mit:
einen Roman oder eine Dichtung, in der der junge russische Realismus
seinen höchsten Triumph feierte. Es war der letzte Sieg, den Gogol im
Felde der Dichtung erringen sollte.


                                  IV.

Während seines Aufenthaltes im Auslande und besonders in Italien war
Gogol sehr fleißig und die Arbeit ging glatt vonstatten. Es war die
Zeit, wo seine Schöpferkraft in voller Blüte stand. Die romantischen
Neigungen, die noch zum letztenmal in der schönen Novelle »Rom« zum
Ausbruch gekommen waren, traten allmählich zurück und machten einer
nüchternen, ruhigen und humorvollen Lebensanschauung Platz. Das sich
immer stärker entfaltende Talent des Schilderers, das zu einer innigen
Verschmelzung der künstlerischen Wahrheit mit der Lebenswahrheit
hinstrebte -- gewann immer mehr die Oberhand, was nicht nur in der
Zurückstellung und Aufgabe aller früheren Pläne, die noch im Geiste des
alten romantischen Stils konzipiert waren, zum Ausdruck kam, sondern
auch in der Art wie Gogol seine älteren Werke umschuf und neu
bearbeitete.

In solch einem realistischen Geiste gestaltete Gogol zu dieser Zeit
seine Erzählungen »Das Porträt« und »Taras Bulba« um. Am stärksten und
freiesten aber entfaltete sich diese Kraft des Humoristen und
Lebensschilderers, die in dieser Epoche ihre höchsten Siege über die
sentimentalisch-romantischen Neigungen und Stimmungen des Dichters
feierte, in der Novelle: »Der Mantel«. Dieses Werk nimmt eine ganz
besondere Stellung in der Geschichte der russischen Literatur ein. Es
ist das zeitlich erste und vielleicht vollkommenste Beispiel dieser
Gattung, die später eine große Verbreitung fand und eine große soziale
Bedeutung gewann. Es ist eine Seite aus der Geschichte der »Erniedrigten
und Beleidigten«, die unmittelbar nach Gogol Dostojewski unter seinen
besonderen Schutz nahm. Im Westen setzte dieses Eintreten für die
Schwachen und Benachteiligten durch die Literatur und durch die Tat etwa
um dieselbe Zeit mit dem Wachstum und der raschen Verbreitung der
sozialistischen Ideen ein. In Rußland aber rührte der erste Versuch, die
Gesellschaft für jene große Masse derer zu interessieren, an denen sie
achtlos vorübergeht, von Gogol her, der ganz unbeeinflußt von den
westeuropäischen Tendenzen in seinem »Mantel« ein Werk schuf, das man
mit Recht als den Ausgangspunkt und Ursprung der sogenannten
»Anklageliteratur« in Rußland erklärt hat. Man muß dabei nur im Auge
behalten, daß in Gogols Erzählung der Protest und die Anklage sehr
abgedämpft erscheinen und mehr durch ein weiches Gefühl der Teilnahme
und des Mitleids ersetzt sind. Der Dichter läßt uns mit seinem
unscheinbaren Helden alle wichtigsten Etappen seines Lebens durchleben;
wir besuchen ihn in seiner Dachkammer, wo er langsam von jedem Rubel
Groschen auf Groschen in sein kleines Büchschen zurücklegt, alljährlich
das kleine Häuflein Kupfergeld nachzählt, um es durch Silbermünzen zu
ersetzen, wo er hungert und friert, die Kerze spart, seine Kleider
auszieht, damit sie nicht zu schnell fadenscheinig werden, und wo er
einsam in seinem Schlafrock dasitzt, die ewige Idee des Mantels in
seinem Geiste tragend; wir folgen ihm ins Departement, wo man ihn
ebensowenig beachtet, wie eine vorüber schwirrende Fliege, wo man ihn
verspottet, ihm Papierschnitzel auf seinen Kopf schüttet, wo er jahraus,
jahrein hinter seinem Pulte hockt und die Buchstaben sorgfältig aufs
Papier malt, oder die Akten beiseite legt, die er zu seinem eigenen
Vergnügen kopieren will. Der phantastische Schluß, den Gogol dieser
Erzählung gegeben hat, ist zwar etwas willkürlich, aber überaus
glücklich erfunden und trägt einen ganz anderen Charakter als seine
früheren phantastischen Erzählungen. Das Phantastische enthält eine
solche starke Beimischung von Spott, Humor und Fröhlichkeit, daß es fast
völlig gegen das letztere Element zurücktritt und seinen romantischen
Charakter gänzlich einbüßt. Der Autor braucht das Wunderbare nur um der
paar kleinen Genrebilder willen, mit denen er seine Novelle beschließt.

So stark war Gogols Kunst, wenn er sich von seiner alten Manier abwandte
und seinem scharfen Beobachtungstalent und seinem Humor freien Lauf
ließ.

Wer jedoch die Kraft und Macht dieser Gabe kennen lernen will, der muß
zu der tragikomischen Dichtung »Die toten Seelen« greifen. Hier legt
jede Seite ein beredtes Zeugnis dafür ab.


                                   V.

Die Arbeit an den Toten Seelen war für den Verfasser eine hohe Freude
und ein großer Schmerz. Noch nie hatte er einen so erhabenen Genuß und
eine solche innere Befriedigung empfunden, als in jenen Stunden, wenn
ganze Seiten seiner Dichtung wie von selbst aus der Feder flossen, und
nie hat er so gelitten, als in jenen langen Jahren, wo er monatelang auf
die ersehnte Inspiration warten mußte. Diese Arbeit hat Gogol 16 Jahre
lang beschäftigt: von 1835, als er die ersten Seiten des Werkes
niederschrieb, bis zum Beginn des Jahres 1852, als ihm der Tod die Feder
aus der Hand nahm. Von diesen 16 Jahren brauchte er 6: von 1835-1841 --
während der er natürlich noch an andern Dichtungen arbeitete -- um den
ersten Teil zu vollenden. Die ihm noch übrig bleibenden 10 Jahre waren
ganz mit Versuchen ausgefüllt, eine Fortsetzung für sein Werk zu finden.

Nach der Idee des Autors sollten die »Toten Seelen« eine »Dichtung«
werden, in welcher Rußland in der ganzen Mannigfaltigkeit seines
staatlichen und sozialen Lebens, mit all seinen lichten und dunkelen
Seiten erscheinen sollte. Gogol wollte hier in neuer Form das alte Epos
wieder aufleben lassen; daher nannte er wohl mit bewußter Anspielung auf
die Homerischen Gesänge seinen Roman -- ein Poem d. h. eine Dichtung.
Der Gesamtplan des Werkes stand natürlich im Geiste des Verfassers nicht
gleich völlig fertig da, und nahm mit den Jahren eine recht seltsame
Richtung an. Die ruhige, uninteressierte epische Erzählung verwandelte
sich immer mehr in eine Predigt sittlicher Wahrheiten, und der Wunsch,
Rußland möglichst vollständig nach all seinen Seiten darzustellen, trat
immer mehr hinter dem Ideal zurück, der ganzen Menschheit eine neue
Lehre zu künden, die die Seele erheben und ihr Leben erhöhen sollte.

Gogol behielt den Entwurf zu seiner Dichtung für sich und sprach nur
selten und ganz im Allgemeinen zu seinen nächsten Freunden davon, wie
groß und tief sein Plan war. Die übertrieben stolzen Reden Gogols über
sein Werk erregten die heftigste Opposition unter seinen Freunden und
Bekannten, sie ärgerten und verstimmten sie. Hätten sie gewußt, wie
großartig dieser Plan des Künstlers tatsächlich war, sie hätten ihm
vielleicht seine Überhebung verziehen, die um so verzeihlicher war, als
Gogol nicht so sehr auf sein Künstlertum stolz war, als vielmehr darauf,
daß er im Besitze der sittlichen Wahrheit zu sein glaubte, und er fühlte
sich verpflichtet, seinen Nächsten diese Wahrheit zu verkünden, sobald
er dieser hohen Aufgabe würdig geworden war.

Aber obgleich Gogol den Plan zu seinem Werk geheim hielt, ist es dennoch
möglich, nach gelegentlichen Äußerungen und Anspielungen, nach seinen
Unterhaltungen mit nahestehenden Personen, sowie nach seinen Briefen und
den Fragmenten des zweiten Teiles, das Geheimnis des Schriftstellers mit
genügender Genauigkeit zu enthüllen; es ist zugleich das Geheimnis des
Künstlers und Moralisten.

»Gott hat mich erschaffen,« sagt Gogol einmal, »und er hat mir nichts
von meiner Mission verheimlicht. Ich bin gar nicht dazu geboren, um eine
_Epoche in der Literaturgeschichte_ zu begründen. Mein Beruf ist weit
einfacher und naheliegender: er besteht darin, woran überhaupt jeder
Mensch und nicht ich allein vor allem denken sollte. Mein Gebiet ist die
Seele, die starke, solide Sache des Lebens. Und daher muß auch mein
Handeln und mein Schaffen stark und solide sein.« »Die toten Seelen«
sollten in ihrem Gesamtaufbau ein solch »solides, starkes« Werk werden,
auf das der Mensch sich zu stützen vermochte, wenn Gewitterstürme über
seine Seele dahinbrausten, sie sollten der Katechismus seiner Rettung
sein. Diese Dichtung sollte dem Menschen ein Führer zu seiner sittlichen
Wiedergeburt werden, wie es für den Verfasser ein reinigendes Gebet war,
nach seiner geistigen und seelischen Erleuchtung, und nachdem er Buße
getan hatte für seine eigenen Sünden.

Wie aber hatte dem Dichter eine solche Idee kommen können?

Gogol war von Natur sentimental veranlagt, er liebte es, zu belehren und
zu predigen. Dieser moralisierende Ton findet sich schon in seinen
frühesten Briefen und zeugt nicht nur von den Zweifeln, die den Knaben
bewegten, sondern auch von dem lyrischen Schwung seiner Seele. Diese
Lyrik in seinem Fühlen und Denken suchte auch einen Ausdruck in seinen
Novellen, und so finden wir in diesen ersten Erzählungen neben einem
unschuldigen Frohsinn und Humor eine starke melancholische Note; den
Schmerz über die vielen traurigen Seiten des Lebens. Aber in demselben
Maße, als Gogols Humor ernster wurde, wurde auch der Dichter immer
stärker von dem Gedanken ergriffen, er sei berufen, etwas ganz Großes zu
erschaffen, und so kam es, daß ihn die sittlichen Tendenzen immer
mächtiger erfüllten und mit sich fortrissen. Nach der ersten Aufführung
des »Revisor« überzeugte er sich, daß er wirklich die Kraft zu einer
sittlichen Einwirkung auf die Masse besaß, und von da ab war er
entschlossen, diese Kraft in den Dienst einer großen Sache zu stellen
und die Macht, die ihm verliehen war, nicht in kleinen Taten zu
verzetteln. Schon in seiner Jugend, als er sich dieser Macht noch nicht
bewußt war, träumte er davon, etwas Großes zu leisten, der Wohltäter und
Lehrer seiner Nächsten und ein Held und Kämpfer für das Vaterland zu
werden. Um diese hohe Mission durchzuführen, setzte er seine ganze
Hoffnung auf sein Talent und begann nach einer seiner würdigen Aufgabe
d. h. nach einem großen und bedeutenden Stoff zu suchen, der seinem
Glauben an sich selbst Recht gab, und dessen Gestaltung zu einer
wirklichen Wohltat für die Nächsten werden sollte.

So konnte die Anekdote von dem Kauf der »toten Seelen« schnell ihren
komischen Charakter verlieren und sich in einen Gegenstand verwandeln,
für den der Dichter nicht gleich eine feste Begrenzung und einen
passenden Rahmen fand. Auf dieses Sujet konzentrierte Gogol von nun ab
die ganze Kraft seines Lyrismus, in ihm wollte er der Macht seiner
eigenen sittlichen Überzeugungen Ausdruck verleihen; er begann diesen
Stoff ständig zu erweitern und zu vertiefen, um ihn bis zu der Höhe
jenes »großen Gegenstandes« emporzuheben, nach dessen Gestaltung er sich
sagen konnte: das hohe und teure Werk, von dem er seit seiner frühesten
Jugend träumte, sei vollendet. Es ist begreiflich, daß eine solche
Umformung einer schlichten Anekdote zu einer grandiosen Idee nur langsam
und allmählich vor sich gehen konnte, und daß der Autor selbst bei
Beginn seiner Arbeit nicht zu sagen vermochte, welche Gestalt sie bei
ihrer Vollendung annehmen werde.

Neben dieser _ethischen_ Tendenz gewann auch die _patriotische_ Absicht
des Dichters einen mächtigen Einfluß auf die Dichtung. Gogols
Patriotismus hatte mit den Jahren bedeutend zugenommen, und als der
Dichter an die Ausführung seines Planes ging, hatte sich seine Liebe zum
Vaterland bereits zu einer stark _konservativen_ Weltanschauung mit
einer ausgesprochenen religiösen Färbung zusammengeschlossen. Und dieser
Patriotismus wie das Streben, seinen Mitmenschen den Weg zur Wahrheit zu
weisen, blieb nicht in seiner Entwickelung stecken, sondern erstarkte
noch mehr in dem Maße, als der Dichter an der ständigen Erweiterung und
Vertiefung seines Werkes tätig war. Gogol mußte in seinem Roman über
Rußland sprechen, und er hat seinem Vaterlande, besonders im ersten
Teil, manch bitteres Wort gesagt. Als er noch nicht an eine Fortsetzung
seiner Dichtung dachte, ließ er uns seine Heimat nur von »einer Seite«
sehen, und noch dazu von ihrer allerunansehnlichsten. Der Held des
Romans und alle Personen, mit denen er zusammentraf, waren Menschen von
einer geradezu erbärmlichen Hohlheit. Sie so zu lassen -- das bedeutete
grausam und herzlos gegen das eigene Vaterland verfahren, das hieß über
seine guten Seiten, hieß über alle Russen schweigen, die einen Anspruch
auf unsere Liebe und Achtung hatten. Gogols immer wachsende Liebe zum
Vaterlande verpflichtete ihn, seinen Mitbürgern in seiner Dichtung auch
ein Wort der Ermutigung, der Teilnahme und der Liebe zu sagen. Je mehr
sich der Rahmen der Erzählung erweiterte, um so drängender empfand er
diese Verpflichtung. Und Gogol schritt vom Humor und von der Satire zur
Verherrlichung Rußlands und zur Bewunderung der russischen Tugenden
fort. Er wollte ihnen einen gebührenden Platz in seiner Dichtung
einräumen und spielte schon im ersten Teil des Romans darauf an. Er
wußte, daß der Leser ein Recht hatte, auch eine Darstellung der _besten_
Seiten des russischen Lebens von ihm zu fordern; indem er diesem Wunsche
entgegenkam und seinem eigenen patriotischen Gefühl Folge leistete, fing
er an, nach neuen positiven Typen für sein Werk zu suchen und seine
Seele wieder bis zur schwungvollen Begeisterung seiner früheren Werke
emporzustimmen.

Dies ist der Anteil der patriotischen Idee am Gesamtplan der Dichtung.
Einen kaum geringeren, wenn nicht noch stärkeren Einfluß auf des
Dichters Schaffen gewann die religiöse Stimmung, die Gogol mit jedem
Jahre immer machtvoller in ihren Bann schlug. Im Auslande entstand ihm
die Überzeugung von der besonderen Mission, die er zu erfüllen habe. Ihn
beseelte ein starker Glaube an Gott und Gottes besondere Anteilnahme an
ihm und seiner Arbeit. Sein literarisches Schaffen steigerte sich in
seinen Augen bis zu einer Art Gottesdienst, und so ist es nur natürlich,
daß er sein Leben wie eine ernste und schwere Pflicht zu betrachten
begann, eine Pflicht, für die sich der Mensch lange kräftigen und
stählen muß, wenn er die große Aufgabe erfüllen will, die Gott in seine
Hände gelegt hat. Gogol begann sich auf seine schriftstellerische
Aufgabe durch Fasten und Gebet vorzubereiten; er »arbeitete ständig an
sich selbst«, schonungslos suchte er alles in sich auszurotten, was er
für unheilig und sündhaft hielt, und er richtete all seine Gedanken auf
seine sittliche Wiedergeburt; nur mit reinem Herzen und einem verklärten
Gemüt glaubte er seine hohe Sendung erfüllen zu können, und diese
Stimmung fand natürlich auch ihren Ausdruck in seiner Dichtung. Diese
sollte zu einer sittlichen Predigt werden, die sich an die Mitbürger und
Mitbrüder wendete, und zu einem Akt der Reinigung von den eigenen
Sünden.

So verschmolz für Gogol die schriftstellerische Aufgabe mit der
eigensten Sache seines Herzens. Seine Dichtung wurde für ihn zu einem
reinigenden Opfer. Die Sünden, von denen er in ihr sprach, forderten
Sühne und Ahndung -- die Sünden seiner _Helden_, wie seine _eigenen_.
Sein Werk verwandelte sich in die Geschichte der Verklärung und
Erleuchtung einer sündhaften und irrenden Seele, es nahm eine tiefe
mystische Bedeutung an -- einen ähnlichen Sinn wie das große Epos
Dantes, das Gogol stets mit ehrfürchtiger Bewunderung las.

Gogol wollte selbst ein zweiter Dante werden, der aus der Finsternis zum
Licht, aus der Hölle zum Himmel emporsteigt, der Gedanke, seine Helden
mit sich emporzuziehen, sie durch Reue und Buße aus sündigen zu,
wenngleich nicht _heiligen_, so doch _edlen_ und _sittlichen_ Menschen
zu machen, ergriff und erschütterte die Seele des Dichters aufs tiefste.
Dieser Gedanke sollte im zweiten und dritten Teile der Dichtung zur
Ausführung kommen, aber Gogol kam nie über das Nachdenken und Entwerfen
hinaus, und überantwortete schließlich das, was er davon
niedergeschrieben hatte, den Flammen. So ist denn alles, was uns in
vollendeter und dichterisch abgerundeter Form erhalten blieb, nur der
erste Teil der Dichtung: die Geschichte vom Sündenfall des Russen, die
Erzählung von seinen Lastern, seiner Hohlheit, seiner Nichtigkeit und
Gemeinheit.


                                  VI.

Wenn wir jene Stellen in den »Toten Seelen«, wo der Verfasser auf den
geheimnisvollen Sinn seiner Dichtung und auf die folgenden Teile
hindeutet, d. h. alle lyrischen Exkurse ausnehmen, in denen der Dichter
selbst das Wort ergreift, dann bildet dieser Roman gewissermaßen die
direkte, wenngleich viel reichere und vielseitigere Fortsetzung des
»Revisors«. Beide Werke stellen ein ungeschminktes, in seiner Wahrheit
erschütterndes Bild russischen Lebens dar. Die handelnden Personen im
»Revisor« waren Beamte, zu denen sich in den »Toten Seelen« noch
Gutsbesitzer und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint hier
unendlich erweitert und vertieft. Die psychischen Regungen und
Bewegungen der Helden des »Revisors« waren noch wenig differenziert und
nicht sehr vielgestaltig -- ganz anders verhält es sich in den »Toten
Seelen«, wo ein viel reicheres und nuancierteres Leben, voll starker
Kontraste pulsiert. Eine ganze Galerie charakteristischer Typen rollt
sich vor uns auf, und jede dieser Typen zeigt eine scharfe
ausgesprochene Physiognomie, die von der ersten bis zur letzten Seite
der Dichtung unbeirrt festgehalten wird. Inmitten dieser Personen, die
wie lebendige, blutvolle Menschen vor uns stehen, lebt und bewegt sich
der Held: Pawel Iwanowitsch _Tschitschikow_; ihn verbindet kein engeres
Band mit der Gesellschaft, die ihn umgibt, sondern er kommt von außen
hereingeschneit wie _Chlestakow_ im »Revisor«. Dieser Held ist vom Autor
mit besonderer Liebe und Sorgfalt gezeichnet. Er ist das Zentrum, um das
sich alle Personen der Dichtung gruppieren, und unser Führer in diesem
Panoptikum von Leibeigenen, Gutsbesitzern und Beamten, von denen jeder
einzeln und für sich genommen so unendlich komisch und lächerlich wirkt,
und die alle zusammengenommen einen so tieftraurigen Eindruck
hervorrufen.

Und doch ist Gogol mit seinen Helden noch sehr gnädig verfahren. Es ist
keine Frage, daß Tschitschikow ein Mann von recht zweifelhaften
moralischen Qualitäten, einer dunklen Vergangenheit und einer recht
unerfreulichen Aktualität ist. Als Mensch und Bürger ist er ein Gauner
und Spitzbube im vollen Sinne des Wortes, als Persönlichkeit der
typische Repräsentant einer sehr weit verbreiteten Durchschnittsmoral,
die in ihrem tiefsten Grunde die Unsittlichkeit selbst ist, die aber
selber lebt und leben läßt. Indessen hat sich der Dichter nicht mit
dieser kühlen und unbefangenen Charakteristik dieses so liebenswürdigen
und höflichen Räubers begnügt; er erzählt uns die ganze Geschichte
seiner Jugend, er erklärt uns, wie in Tschitschikow diese räuberischen
Instinkte entstehen konnten, und läßt uns darüber nachsinnen, ob die
ganze Verantwortung für die Spitzbübereien und Gaunereien seines Helden
wirklich auf Tschitschikow allein fällt, oder ob nicht die größere
Hälfte seiner Schuld auf das Konto des Milieus, in dem er aufwuchs,
abgewälzt werden muß. Ja, Gogol geht zuletzt sogar so weit, daß er dem
Leser geradezu die Frage vorlegt: »Ist Tschitschikow denn tatsächlich
ein solcher Lump?« Und er fährt fort: »Warum gleich ein Lump? Warum
sollen wir so streng gegen unsere Nächsten sein? -- Er ist einfach das,
was man einen guten _Wirt_ und ein _Erwerbsgenie_ nennt.«

Der _Erwerbstrieb_ trägt die Schuld an allem: er ist die Ursache, daß
Dinge geschehen, die die Welt als nicht ganz sauber bezeichnet.
Tschitschikow ist das Opfer seiner Leidenschaft »und es gibt
Leidenschaften, deren Wahl nicht in der Macht des Menschen liegt«.

Wenn es aber möglich war, schon für Tschitschikow soviel mildernde
Umstände geltend zu machen, so war dies noch leichter bei seinen
Freunden und Bekannten, die ja wirklich nicht einmal so schuldig waren.
Und in der Tat verfuhr der Dichter gegen sie alle mit großer Milde; vor
allem gegen die Adligen, die er mit noch größerer Nachsicht behandelt,
als die Beamten. Freilich sind auch sie lauter hohle, armselige, elende
Menschen, aber eine besondere Entrüstung und eine allzu große Empörung
regen sie nicht in uns auf. Wir lachen wohl über sie, wir bemitleiden
sie, aber schließlich würden auch wir mit ihnen leben können, ohne daß
uns allzu große Opfer und Kompromisse zugemutet zu werden brauchten. Was
ließe sich schließlich gegen den so vertrauensseligen und gutmütigen
Manilow einwenden, der stets bei jedem nur die besten Absichten
voraussetzt? Ja, selbst ein Sabakewitsch läßt sich fast ertragen: dieser
grobe und ungeschlachte Halsabschneider, der uns nur hin und wieder
durch seine tierischen Instinkte in Erstaunen setzt, die übrigens für
seine Nächsten völlig unschädlich sind. Auch Pljuschkin und Korobotschka
verdienen eher unser Mitleid als unsere Verurteilung. Der Autor selbst,
der die ganze Kleinheit und Hohlheit ihrer Seelen und die Armseligkeit
ihres Lebens offen zur Schau stellt, beeilt sich, den Leser vor einer
voreiligen Verurteilung dieser beiden zu warnen. Er zeigt uns Pljuschkin
in der glücklichsten, schon weit zurückliegenden Zeit seines Lebens, und
wir verstehen, daß ein Unglücklicher vor uns steht, der ein Opfer der
Leidenschaft ist, gegen die er nicht zu kämpfen vermag. Der Dichter
spricht mit tiefem Schmerz von der Erbärmlichkeit, Kleinheit und
Häßlichkeit, bis zu der ein Mensch herabsinken kann; er weist hin auf
diese Entartung des Menschenbildes und gibt uns den weisen Rat, wenn wir
aus dem weichen, zarten Jugendalter hinaustreten in das strenge
verhärtende Mannesalter, uns mit einem möglichst großen Vorrat von
Begeisterung und Idealismus zu versehen und ihn unterwegs nicht
leichtsinnig zu verschwenden. Gogol droht uns mit diesen lebendigen
Leichen, und doch spricht er stets in einer Weise von ihnen, daß sie
nicht Abscheu hervorrufen, sondern uns eine Träne des Mitleids
entlocken. Selbst Nosdrjow, diese Synthese von Unrast, Unverfrorenheit,
Spitzbüberei und Zynismus, hat Gogol etwas so Gutmütiges und von jeder
Böswilligkeit Freies verliehen, daß er uns beinahe völlig entwaffnet und
die Fähigkeit nimmt, ihm ernsthaft zu zürnen.

So freundlich und milde verfuhr Gogol mit all jenen Personen, die er mit
seinem Helden zusammenführte, d. h. mit jener Klasse von Freien, die
keine eigentlichen Beamten darstellen. Dagegen war er weit strenger
gegen dieselben Menschen, wenn sie irgend ein Amt im Staate bekleideten,
mit andern Worten, wenn sie Beamte waren.

Wie der »Revisor«, so enthalten auch die »Toten Seelen« keine Spur von
einer politischen Anspielung. Die Satire berührte auch nicht mit einem
Wort die höhere Obrigkeit und setzte sich bloß mit den niederen Klassen
des Beamtenstandes auseinander.

Die ganze Dichtung bietet das Muster einer guten Gesinnung dar und daher
konnte sie auch den Leser zu keinerlei Betrachtungen veranlassen, die
sich _gegen_ die Regierung und Administration richteten, mit Ausnahme
etwa der schicksalsreichen »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«, die der
Zensor durchaus nicht freigeben wollte, und die erst nach bedeutenden
Änderungen und Zugeständnissen seitens des Autors die Zensur passierte.
Diese Geschichte war die einzige gegen die souveräne Gewalt gerichtete
Anspielung, die sich Gogol erlaubt hatte. In allen andern Fällen wählte
er sich bloß die ausführenden Organe dieser Gewalt zur Zielscheibe,
wobei er die Wucht seiner Angriffe genau nach Rang und Stellung seiner
Helden abstufte. Je höher ein Beamter stand, um so milder beurteilte ihn
der Verfasser, welcher freilich nicht die Absicht hatte, der Regierung
durchaus nur Schmeichelhaftes zu sagen, sondern sich allein von der
Erwägung leiten ließ, daß ein hohes Maß von Intelligenz den Menschen
auch zu einer höheren Sittlichkeit verpflichte.

So sind denn in den »Toten Seelen« alle höheren Beamten, selbst
abgesehen vom Generalgouverneur und vom Gouverneur, lauter ehrenwerte
und liebenswürdige Männer, die höchstens ein paar Seltsamkeiten oder
Eigenheiten an sich haben. Diese ganze so nette Beamtengesellschaft gibt
dem Moralisten nur wenig Anlaß zur Betrübnis, ja, er könnte sich nach
Gogols Ausdruck unter ihnen ganz wie zu Hause fühlen.

Aber das Bild wechselt jäh und mächtig, wenn wir aus dem Kreise dieser
relativ hochgestellten Provinzbeamten in die niederen Sphären
hinabsteigen und zusammen mit Tschitschikow die mit kleinen Beamten
bevölkerten Amtszimmer und Bureaus betreten. Hier befinden wir uns im
Reiche der Akten, der schmutzigen und der sauberen, innerhalb dessen
Unrecht und Bosheit einen viel freieren Spielraum haben. Wir sind
zugegen bei der Herbeischaffung falscher Zeugen, die ohne viel Umstände
unter den gerade anwesenden, größtenteils ungebildeten Gerichtsbeamten
ausgewählt werden; wir sehen wie Tschitschikows Spitzbubenstück die
Sanktion des Gesetzes erhält, wobei dem letzteren aus reiner
Liebenswürdigkeit gegen ihn nicht einmal die gesetzlichen Gebühren
abgenommen, sondern unbegreiflicher Weise einem andern Bittsteller aufs
Konto gesetzt werden ... mit einem Wort, wir befinden uns mitten in
einer Gesellschaft von wirklichen Gaunern und Betrügern, denen jede Spur
von Sentimentalität, welche ihre Vorgesetzten auszeichnete, fremd ist,
und die einem nüchternen illusionslosen Utilitarismus huldigen.

Wenn wir noch tiefer hinabsteigen, und uns aus der Stadt auf das Land
begeben, so treffen wir hier schon auf ausgemachte Lumpen und Schurken,
wie z. B. auf den Gendarmerieobersten Drobjaschkin, den Mann mit dem
weichen und zärtlichen Herzen, der alle Dörfer heimsucht und sie wie
eine verheerende Epidemie durchstreift, wofür er dann schließlich auch
von den Bauern ins Jenseits befördert wird. Diese Seite, die uns von den
Heldentaten der Dorfpolizei berichtet, ist sicher die kühnste in der
gesamten Dichtung.

Der erste Teil der »Toten Seelen« ist somit tatsächlich eine Epopöe der
menschlichen Erbärmlichkeit und Nichtigkeit. Erbärmlich ist dieser
_Erwerbsritter_ mit dem Instinkte des Raubtieres, erbärmlich und
armselig -- diese ganze Stadtgesellschaft, Männer wie Frauen --
erbärmlich dieses Reich der kleinsten, nichtigsten Interessen, dieses
prinzipienlose Vegetieren, diese geistige Beschränktheit, dieser Klatsch
und diese Verleumdung. Am charakteristischsten aber ist es wohl, daß
auch der _Bauern_stand, von dem der Autor nur ganz kurz und bei
Gelegenheit handelte, in den »Toten Seelen« vorzüglich nach seiner
unansehnlichen und erbärmlichen Seite dargestellt ist. Der Bauer ist
weder schlecht noch tugendhaft, weder gut noch böse, sondern nur
armselig, beschränkt und stumpfsinnig. Der Dichter wollte weder seinen
Verstand, noch sein Herz idealisieren und erheben, wie das viele
sentimentale und romantische Schriftsteller unter Gogols Zeitgenossen
taten; aber er wollte ihn auch nicht schlecht machen, wie das wohl der
Satiriker getan hätte, der die Aufmerksamkeit des Lesers auf die Sünden
und Laster unserer ärmeren und schwächeren Mitbrüder lenken will, um
sein Nachdenken und sein Interesse für sie zu wecken.

Daß der Dichter ein herzliches Mitgefühl für diese seine Mitbrüder
hatte, daran ist gar kein Zweifel. Ein kurzer Einblick in die
Betrachtungen, die Tschitschikow über das Schicksal der von ihm
gekauften Bauern anstellt, genügt, um sich zu überzeugen, daß sich der
Dichter in seiner Phantasie das Los dieser Armen, denen ihre Herrn nach
ihrem Tode ein so schmeichelhaftes Zeugnis ausgestellt hatten, in
lebhaften Farben ausmalte. Aber jedesmal, wenn Tschitschikow auf seinem
Wege einem Bauern begegnet, bekommt er nichts zu hören außer dem
törichten Gerede eines Onkel Mitjaj und Onkel Minaj. In der ganzen
Dichtung findet sich auch nicht eine Seite, wo der russische Bauer etwas
von dem ihm angeborenen Mutterwitz und der Pfiffigkeit spüren läßt, wo
er uns durch jene geistigen und seelischen Fähigkeiten erfreut, von
denen alle Freunde des Vaterlandes uns so oft und sicherlich nicht ohne
Grund zu erzählen wußten.


                                  VII.

Dies ist in seinen wesentlichen Zügen der Inhalt des _ersten_ noch
erhaltenen Teils dieser großen Vaterlandsdichtung. Wie wir sahen, hatte
dieses Werk für seinen Verfasser einen tiefen sittlichen Sinn gewonnen;
es war seine Absicht, uns erst eine Reihe von hohlen, lasterhaften und
erbärmlichen Menschen vorzuführen, um uns dann ein schönes Bild ihrer
Erhebung zu geben; diese Dichtung war in den Augen des Autors eine an
sein Vaterland gerichtete Verheißung, daß es sich einst von allem
Häßlichen und Schmutzigen reinigen und der göttlichen Liebe würdig
erweisen werde. Dieser ethische Sinn seines Werkes wurde Gogol durch
seine religiösen Anschauungen, seinen Patriotismus und sein weiches,
mitleidiges Herz diktiert. Es steht fest, daß Gogol als Ankläger des
Lasters, der Schwäche, der Gemeinheit, der Trägheit und Indolenz, mit
einem Wort, aller nur möglichen persönlichen und sozialen Schäden, einer
der fortgeschrittensten russischen Männer gewesen ist, und dieses hohe
Verdienst um das Vaterland vermag ihm niemand zu entreißen oder zu
schmälern.

Aber bei einer näheren Bekanntschaft mit seinen Werken überzeugt man
sich leicht, daß seine Kraft und sein Talent nicht allein in der Anklage
und Geißelung bestand. Dieser Satiriker war in Wahrheit ein weicher,
milder, zum Mitleid geneigter Mensch, und wußte gegen dieselben Menschen
gerechte Nachsicht zu üben, die er in seinen Werken an den Pranger
stellte. Er fand Worte der Vergebung und Rechtfertigung noch für den
Lasterhaftesten, ja er liebte es eigentlich gar nicht, von Lastern zu
sprechen und zog es vor, sie Schwächen zu nennen, wobei er den Leser
stets zur Milde gegen die Angeklagten und Verworfenen zu stimmen suchte.
Er brachte die Menschen zur Erkenntnis ihrer Sündhaftigkeit. Nicht
sowohl durch die Aufdeckung ihrer Schlechtigkeiten und ihrer Sünden, als
vielmehr dadurch, daß er in ihnen das Mitleid für ihre Nächsten weckte,
die durch eigene oder fremde Schuld ins Unglück geraten waren.

Doch es sind nicht diese sittlichen Ideen und Anschauungen, die die
große Bedeutung der »Toten Seelen« für die Literatur und das Leben
Rußlands ausmachen. Das Werk blieb unvollendet, und der russische Leser
erlebte nichts von den kühnen Verheißungen des Dichters. Der Leser
behielt nichts in seiner Hand zurück, als eine große Anklageschrift
gegen die Gesellschaft, in der er lebte, eine Anklageschrift freilich,
die von der Hand eines Meisters der Wirklichkeitsdichtung und eines
großen realistischen Künstlers stammte.

Die »Toten Seelen« sind das erste Muster eines großen realistischen
Romans in der Literatur Rußlands, und das Schicksal, das oft sein
ironisches Spiel mit den Menschen treibt, wollte es, daß dieses große
Vorbild eines realistischen Romans von einem Romantiker und von einem
Dichter geschrieben werden sollte, der seine Schriftstellerlaufbahn mit
einem romantischen Traum begann und sie mit einer religiösen Predigt
beschloß.

Aber die Natur hatte diesem Prediger ein wunderbares Talent in die Wiege
gelegt, er besaß wie kein anderer die Fähigkeit einer reinen,
ungeschminkten, von jeder Idealisierung freien Wirklichkeitsdarstellung
-- und in der kurzen Periode, wo dieses Talent seinen Kulminationspunkt
erreichte, um schnell und für immer zu erlöschen, erschuf der Dichter
dieses großartige Gemälde von tiefster Wahrheit, in dem der Russe zum
erstenmal sich selbst und sein eigenes Leben in einem Spiegelbilde von
verblüffender Treue erblickte.

                                                  Nestor Kotljarewski.




                Die Abenteuer des Grafen Tschitschikows
                                  oder
                           Die Toten Seelen.
                              Erster Teil


                             Erstes Kapitel

Durch das Tor eines Gasthofes der Provinzstadt N. N. rollte ein
schmucker, leicht federnder, kleiner Wagen, wie ihn gewöhnlich
Junggesellen zu benutzen pflegen, als da sind: Oberstleutnants a. D.,
Majore, Edelleute, die etwa hundert Bauern besitzen, u. s. w. -- mit
einem Worte jene Klasse von Menschen, die man wohlgeborene Herren
mittleren Ranges nennt. Im Wagen saß ein Herr von nicht gerade
überwältigender Schönheit, aber doch von angenehmem Äußeren; er war
weder allzu dick noch allzu dünn, man konnte nicht sagen, daß er alt
war, doch war er andererseits auch nicht übermäßig jung. Seine Ankunft
erregte in dem Gasthofe nicht das geringste Aufsehen und war von
keinerlei besonderen Ereignissen begleitet; nur zwei Bauern, die vor der
Türe der dem Gasthof gegenüberliegenden Schenke standen, machten ein
paar Bemerkungen, die sich noch dazu mehr auf das Gefährt, als auf den
Insassen bezogen. »Sieh dir mal das Rad an,« sagte der eine zum andern.
»Was meinst du? Würde es wohl zum Beispiel bis Moskau halten, oder
nicht?« -- »Gewiß,« antwortete der andere. »Aber bis Kasan wird es wohl
nicht halten, denk ich.« -- »Bis Kasan wohl kaum,« versetzte der andere.
Damit war die Unterhaltung zu Ende. Als dann der Wagen vor dem Gasthofe
hielt, ging noch ein junger Mann vorüber. Er trug kurze, sehr enge weiße
Nankinghosen und einen Frack, der modern sein sollte und unter dem ein
Vorhemd hervorguckte, das eine Tulasche-Nadel mit einem Kopf in Form
einer bronzenen Pistole schmückte. Der junge Mann drehte sich um, sah
sich den Wagen an, während er seine Mütze, die der Wind fortzublasen
drohte, mit der Hand festhielt, und ging seiner Wege.

Als der Wagen in den Hof fuhr, wurde der Herr von dem Kellner oder
Aufwärter, wie man sie in den russischen Schenken zu nennen pflegt,
empfangen, einem so lebhaften und beweglichen Wesen, daß es ein Ding der
Unmöglichkeit war, ein Bild von seinen Gesichtszügen zu gewinnen.
Gewandt und sicher kam er mit der Serviette in der Hand herausgelaufen,
ein hoch aufgeschossener Bursche in einem langen baumwollenen Rock,
dessen Taille beinahe in der Höhe des Nackens saß, schüttelte seine
Mähne und führte den Herrn flink durch den langen hölzernen Flurgang, um
dem Reisenden das ihm von Gott bestimmte Gemach zu zeigen. -- Das Zimmer
war eins von der bekannten Art; denn auch der Gasthof war einer von der
bekannten Art, wie nämlich alle Gasthöfe in den Provinzstädten sind, wo
die Reisenden für zwei Rubel täglich ein ruhiges Zimmer erhalten: mit
Schwabenkäfern, die wie Pflaumen aus allen Ecken hervorgucken, und mit
einer Kommode vor der Tür, die ins anstoßende Gemach führt, in dem der
Nachbar wohnt, ein stiller, schweigsamer, aber äußerst neugieriger Mann,
der sich aufs lebhafteste für den Reisenden und alle Einzelheiten seiner
Person interessiert. Die äußere Fassade des Gasthofes entsprach durchaus
dem Innern: sie war sehr lang und hatte zwei Stockwerke; das untere war
nicht geweißt und ließ noch die dunkelroten Ziegelsteine erkennen,
die, an sich schon nicht ganz sauber, infolge der heftigen
Witterungsumschläge noch mehr nachgedunkelt waren. Die obere Etage war
gelb angestrichen, wie überall. Unten waren Läden, wo Pferdegeschirr,
Bindfaden und Bretzel verkauft wurden. In dem Eckladen, oder richtiger
im Fenster des Ladens saß ein Sbitenverkäufer[1] mit einem Samowar aus
Kupfer und einem Gesicht, das ebenso kupferrot war wie sein Samowar,
sodaß man aus der Ferne fast glauben konnte, auf dem Fenster ständen
zwei Samoware, wenn nicht der eine von ihnen einen pechschwarzen Bart
gehabt hätte.

Während der Reisende sich noch sein Zimmer näher ansah, wurde sein
Gepäck hereingetragen. Zunächst ein etwas abgenutzter Koffer aus weißem
Leder, dem man es ansah, daß er nicht zum erstenmal eine Reise machte.
Der Koffer wurde vom Kutscher Seliphan, einem kleinen Mann in einem
kurzen Pelz, und vom Lakaien Petruscha hereingebracht. Letzterer war ein
Bursche von etwa dreißig Jahren und trug einen weiten abgetragenen Rock,
der offenbar von seinem Herrn stammte; er machte einen etwas strengen
und mürrischen Eindruck und hatte große dicke Lippen und eine ebensolche
Nase. Nach dem Koffer wurden ein kleines Kästchen aus Mahagoni mit
eingelegten Verzierungen aus Korelischem Birkenholz, ein Paar
Schuhleisten und ein gebratenes Huhn hereingebracht, das in blaues
Papier eingewickelt war. Als alles besorgt war, begab sich der Kutscher
Seliphan in den Stall, wo er sich mit den Pferden zu schaffen machte,
während sich der Lakai Petruscha in dem kleinen Vorzimmer einrichtete,
einem finstern Loche, wohin er aber schon seinen Mantel und zugleich mit
diesem einen merkwürdigen Geruch mitgebracht hatte, der nur ihm
eigentümlich war. Dieser Geruch teilte sich auch einem Sack mit
allerhand Utensilien der Bediententoilette mit, den er gleich darauf
hereinschleppte. In dieser Kammer stellte er an der Wand ein enges
dreibeiniges Bett auf und legte einen Gegenstand darauf, der einer
Matratze ähnlich sah, flach und zusammengedrückt wie ein Pfannkuchen und
vielleicht ebenso fettig wie dieser; er hatte sich das Ding von dem
Gastwirte geben lassen.

[Fußnote 1: Sbiten: ein Getränk aus Wasser, Honig und Lorbeerblättern
oder Salbei, das von den niederen Klassen statt Tee getrunken wird.]

Während die Diener mit der Einrichtung beschäftigt waren, begab sich der
Herr in den Salon des Gasthofes. Jeder Reisende weiß aus Erfahrung, wie
so ein Salon beschaffen zu sein pflegt: immer dieselben mit Oelfarbe
gestrichenen Wände, die oben vom Rauche geschwärzt und tiefer unten wie
poliert sind durch die Rücken der Reisenden und mehr noch durch die der
einheimischen Kaufleute, die an Markttagen sechs oder sieben Mann hoch
hierher kommen, um ihre bestimmte Anzahl Tassen Tee zu trinken; dieselbe
rauchige Decke, derselbe geschwärzte Kronleuchter mit einer Unzahl
herabhängender Glaskristalle, die jedesmal herumhüpften und klirrten,
wenn der Kellner über den abgeriebenen Läufer von Wachstuch sprang und
dabei gewandt das Tablett schwenkte, auf dem eine Unmenge von Teetassen
ruhte, wie Vögel am Meeresstrande; dieselben Ölgemälde, die eine ganze
Wand einnahmen, mit einem Wort: es war alles wie überall, höchstens mit
dem Unterschied, daß auf einem der Bilder eine Nymphe mit so gewaltigen
Brüsten dargestellt war, wie sie der Leser noch nicht gesehen hat.
Übrigens begegnet man ähnlichen Naturspielen auf vielen historischen
Gemälden, von denen man nicht weiß, woher sie, wann sie und von wem sie
zu uns nach Rußland gebracht wurden; mitunter freilich waren es unsere
vornehmen Würdenträger und Kunstliebhaber selbst, die sie in Italien auf
Anraten der sie begleitenden Kuriere kauften. Der Herr warf seine Mütze
hin und legte sein wollenes, regenbogenfarbenes Halstuch ab, wie es
unsere Ehefrauen ihren Gatten eigenhändig zu häkeln pflegen, wobei sie
stets noch allerhand nützliche Lehren hinzufügen, wie das Tuch umgelegt
werden muß; wer sie dagegen den Hagestolzen anfertigt, das kann ich
nicht mit Bestimmtheit sagen, Gott weiß es, ich habe nie ein solches
Halstuch getragen. Nachdem also der Herr sein Halstuch abgelegt hatte,
bestellte er sich ein Mittagessen. Während die verschiedenen Speisen,
die einem gewöhnlich in den Gasthöfen vorgesetzt werden, aufgetragen
wurden, als da sind: Krautsuppe mit Pasteten aus Blätterteig, die
wochenlang für die Reisenden aufgehoben und bereit gehalten werden,
ferner Hirn mit Schoten, Würstchen mit Kraut, eine gebratene Pularde,
eine saure Gurke und das unvermeidliche jederzeit vorrätige
Splittertörtchen; während also dies alles aufgetragen wurde, aufgewärmt
oder kalt, ließ er sich von dem Diener oder Kellner allerhand törichte
Geschichten erzählen: wer den Gasthof früher besessen habe, wer sein
jetziger Besitzer sei, wie groß die Einnahmen seien, ob der Herr ein
großer Hallunke sei usw., worauf der Kellner die gewohnte Antwort gab:
»Oh! ein großer Spitzbube! gnädiger Herr!« Wie in dem aufgeklärten
Europa, so gibt es jetzt auch in dem aufgeklärten Rußland eine Menge
höchst ehrenwerter Leute, die es nicht über sich bringen, in einem
Gasthaus zu speisen, ohne mit dem Kellner zu schwatzen oder gar mit ihm
ihre Scherze zu treiben. Übrigens stellte der Ankömmling nicht nur
sinnlose Fragen: er erkundigte sich auch ganz genau nach dem Gouverneur,
nach dem Gerichtspräsidenten und Staatsanwalt der Stadt -- mit einem
Wort: er überging auch nicht einen von den hohen Beamten; und mit fast
noch größerer Ausführlichkeit erkundigte er sich nach allen bedeutenden
Großgrundbesitzern der Umgegend: wieviel Bauern ein jeder von ihnen
habe, wie weit von der Stadt er wohne, ja sogar was er für einen
Charakter habe und wie oft er in die Stadt komme; er fragte genau nach
den Zuständen, die im Kreise herrschten, ob es in der Provinz vielleicht
Krankheiten oder Epidemieen, wie tödlich verlaufende Fieber, Blattern u.
s. f. gegeben habe, und dies alles tat er mit einer Peinlichkeit und
Ausführlichkeit, die weit mehr als bloße Neugierde erkennen ließ. Im
Betragen des Herrn lag etwas Gesetztes und Solides; auch schneuzte er
sich ungewöhnlich laut. Es läßt sich kaum sagen, wie er das machte,
jedenfalls tönte seine Nase dabei gleich einer Trompete. Aber dieser
scheinbar so harmlose und unbedeutende Vorzug eroberte ihm die
Hochachtung des Kellners, welcher jedesmal, wenn er diesen Laut vernahm,
seine Mähne schüttelte, sich ehrerbietig aufrichtete, seinen Kopf etwas
von seiner Höhe herabsinken ließ und fragte: »Wünschen der Herr
vielleicht etwas?« Nach dem Essen trank der Herr eine Tasse Kaffee und
ließ sich auf dem Sofa nieder. Er schob sich ein Kissen in den Rücken,
das in den russischen Gasthäusern statt mit weicher Wolle mit einem
Etwas gestopft wird, das die größte Ähnlichkeit mit Kieseln oder
Ziegelsteinen hat. Er begann zu gähnen und ließ sich in sein Zimmer
führen, wo er sich niederlegte, um zwei Stunden lang zu schlummern.
Nachdem er geruht hatte, schrieb er auf den Wunsch des Kellners seinen
Stand, Vor- und Familiennamen auf einen Papierfetzen, damit diese, wie
sich's gehört, der Polizei mitgeteilt werden könnten. Als der Kellner
die Treppe hinabstieg, buchstabierte er den Inhalt des Geschriebenen:
»Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow, Gutsbesitzer, reist in
eigenen Angelegenheiten.« Während der Kellner den Zettel noch immer zu
entziffern suchte, verließ Pawel Iwanowitsch Tschitschikow den Gasthof,
um sich die Stadt anzusehen, die offenbar einen befriedigenden Eindruck
auf ihn machte; denn er fand, daß sie sich durchaus mit jeder andern
Provinzhauptstadt messen konnte: die gelbe Farbe der steinernen und das
bescheidene Dunkelgrau der hölzernen Häuser fielen besonders ins Auge.
Die Häuser hatten ein, zwei oder anderthalb Stockwerke, mit den
stereotypen Mansarden, die wohl nach der Ansicht der dortigen
Architekten besonders schön waren. Stellenweise schienen diese Häuser
wie verloren inmitten der Straße, die breit wie ein Feld war, und
zwischen den Bretterzäunen, die gar kein Ende nehmen wollten; an andern
Punkten dagegen stießen sie eng aneinander, und hier machte sich auch
mehr Leben und Bewegung bemerkbar. Hie und da sah man vom Regen
verwaschene Schilder, auf denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein
Paar blaue Hosen abgebildet waren, und die die Unterschrift zierte:
Arschawski, Schneidermeister. Oder ein Hutgeschäft, mit Mützen und Hüten
und einem Schild mit der Inschrift: »Der Ausländer Wassili Fjodorow.«
Auf einem dieser Schilder sah man ein Billard mit zwei Spielern in
Fräcken abgebildet, wie sie in unseren Theatern die Gäste zu tragen
pflegen, die im letzten Akte auf der Bühne erscheinen. Die Spieler waren
in der Stellung dargestellt, wo sie mit den Queues gerade zum Stoße
ausholen, mit ein wenig zurückgezogenen Armen und gekrümmten Beinen, als
ob sie soeben einen Luftsprung gemacht hätten. Unter diesem Bilde befand
sich die Inschrift: »Hier ist eine Schenke!« Hie und da standen unter
freiem Himmel auf der Straße Tische mit Nüssen, Seife, und Honigkuchen,
die gleichfalls wie Seife aussahen. Etwas weiter befand sich eine
Garküche, auf deren Aushängeschild ein mächtiger Fisch abgebildet war,
in dem eine Gabel steckte. Am häufigsten aber begegnete man den
zweiköpfigen schwarzen Staatsadlern, welche heute bereits durch die
lakonische Inschrift: »Ausschank« ersetzt sind. Das Pflaster war überall
ziemlich schlecht. Der Herr warf auch einen Blick in den städtischen
Garten, der aus ein paar dünnen Bäumchen bestand, welche offenbar sehr
schlecht fortkamen und unten von Pfählen gestützt wurden, die ein
Dreieck bildeten und mit grüner Ölfarbe angestrichen waren. Übrigens
hieß es von ihnen in den Zeitungen, obwohl sie kaum Schilfhöhe
erreichten, bei Beschreibung einer Illumination: »Dank der Fürsorge
unseres Zivilgouverneurs ward unsere Stadt durch einen Garten voller
breitkroniger, schattenreicher Bäume verschönt, die an heißen
Sommertagen angenehme Kühle spenden.« Weiterhin hieß es: »Es sei rührend
anzusehen, wie die Herzen der Bürger in überquellender Dankbarkeit
erzitterten und Tränenströme in warmer Anerkennung der Verdienste
unseres verehrten Stadtoberhauptes vergössen.« Der Herr erkundigte sich
bei einem Polizisten ausführlich nach dem kürzesten Wege zur Domkirche,
zu den Amtsgebäuden, zum Gouverneur und begab sich schließlich zum Fluß
hinab, der mitten durch die Stadt floß. -- Unterwegs riß er einen
Reklamezettel ab, der an einer Plakatsäule klebte, um ihn zu Hause in
Ruhe durchzulesen. Dann betrachtete er aufmerksam eine Dame von recht
angenehmem Äußeren, die auf den Holzbrettern des Bürgersteiges an ihm
vorüberging, begleitet von einem Knaben in militärischem Aufputz, der
ein Bündel in der Hand trug. Und nachdem er noch manchmal einen Blick
auf das Ganze geworfen hatte, wie um sich die Örtlichkeit gründlich
einzuprägen, ging er nach Hause und stieg geradewegs die Treppe zu
seinem Zimmer empor, gefolgt vom Kellner, der ihn hierbei leicht
unterstützte. Nachdem er seinen Tee getrunken hatte, setzte er sich an
seinen Tisch, ließ sich eine Kerze bringen, nahm das Plakat aus der
Tasche und begann zu lesen, wobei er sein rechtes Auge ein wenig
zukniff. Übrigens stand nicht viel Bemerkenswertes auf dem Zettel. Man
gab ein Drama von Kotzebue, in dem ein Herr Popljowin den Rolla und ein
Fräulein Sjablowa die Kora spielten. Die übrigen Personen waren noch
unbedeutender. Trotzdem las er sämtliche Namen durch, bis auf die Preise
der Parterreplätze und erfuhr, daß der Zettel in der städtischen
Buchdruckerei hergestellt worden war; dann drehte er ihn um, um sich zu
überzeugen, ob nicht noch etwas auf der Rückseite stehe. Aber da er
nichts fand, rieb er sich die Augen, faltete ihn sorgsam zusammen und
legte ihn in das Kästchen, in dem er alles aufzubewahren pflegte, was
ihm unter die Finger kam. Ich glaube der Tag wurde mit einer Portion
kalten Kalbsbratens, einer Flasche Kislischtschi (Kaltschale) und einem
festen Schlaf beschlossen, den ein Schnarchen begleitete, ähnlich dem
Geknarr eines Pumpenkrahns, wie man sich in einigen Gegenden unseres
geräumigen russischen Vaterlandes auszudrücken pflegt. --

Der ganze folgende Tag war Besuchen gewidmet. Der Reisende stellte sich
allen Honoratioren der Stadt vor. Er machte dem Gouverneur einen
Achtungsbesuch, der, wie sich's herausstellte, ebenso wie Tschitschikow
weder dick noch dünn war, den Annenorden im Knopfloch trug und, wie man
sich erzählte, selbst Prätendent des Sternes war; im übrigen war er ein
gutmütiger alter Herr, der sich sogar bisweilen in Tüllstickereien
versuchte. Sodann begab er sich zum Vizegouverneur, zum Staatsanwalt,
zum Gerichtspräsidenten, zum Polizeimeister, zum Branntweinpächter und
Direktor der staatlichen Fabriken ... leider ist es nicht ganz leicht,
all die Gewaltigen dieser Welt aufzuzählen; genug, unser Reisender
entwickelte eine lebhafte Geschäftigkeit im Besuchemachen: er ging sogar
zum Inspektor der Sanitätsverwaltung und zum Stadtbaumeister, um ihnen
seine Aufwartung zu machen. Und lange noch saß er in seinem Wagen, bei
sich erwägend, wem er wohl noch einen Besuch machen könne, aber leider
fand sich in der Stadt kein Beamter mehr, den er nicht schon beglückt
hätte. Im Gespräch mit den Machthabern verstand er es vorzüglich, einem
jeden von ihnen eine Schmeichelei zu sagen. Zum Gouverneur sagte er wie
beiläufig, wenn man in seine Provinz komme, glaube man sich im
Paradiese, die Wege seien herrlich, es sei einem, als führe man über
Samt; und er fügte hinzu, die Regierung, welche es verstände, weise
Männer auf verantwortungsvolle Stellen zu setzen, verdiente das höchste
Lob und die größte Anerkennung. Dem Polizeimeister sagte er etwas höchst
Schmeichelhaftes über die städtischen Polizisten und den Vizegouverneur
und den Gerichtspräsidenten, die erst Staatsräte waren, nannte er im
Gespräche zweimal wie im Versehen »Exzellenz«, was ihnen sichtlich
Freude bereitete. Der Erfolg von alledem war, daß der Gouverneur ihn
noch am selben Tage zu einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause
einlud; auch von den übrigen Beamten erhielt er Einladungen, vom einen
zum Diner, vom andern zu einer Partie Boston oder einer Tasse Tee.

Über sich selbst viel zu reden, vermied der Reisende offenbar. Und wenn
er etwas sagte, so waren es meist Gemeinplätze. Er drückte sich mit
einer auffallenden Bescheidenheit aus, und sein Gespräch bewegte sich in
diesen Fällen in Redewendungen aus der Büchersprache, wie etwa folgende:
er sei ja nur ein unbedeutender Wurm auf dieser Welt, nicht wert, daß
man sich viel um ihn kümmere. Er habe in seinem Leben schon viel
erfahren und durchgemacht, für die Wahrheit gelitten und sich viele
Feinde erworben, die ihm sogar nach dem Leben trachteten. Jetzt sehne er
sich nach Ruhe, und daher suche er sich endlich ein Plätzchen, wo er
ungestört leben könne. Er habe es bei seiner Ankunft in dieser Stadt für
seine erste Pflicht gehalten, die hervorragenden Repräsentanten des
Beamtenstandes aufzusuchen und ihnen seine Hochachtung auszusprechen.
Das war alles, was man in der Stadt über den Fremden in Erfahrung
bringen konnte, der nicht zögerte, bei der Soiree des Gouverneurs zu
erscheinen. Die Vorbereitungen zu dieser Abendgesellschaft nahmen gute
zwei Stunden in Anspruch, und hierbei legte der Reisende eine solche
peinliche Aufmerksamkeit für seine Toilette an den Tag, wie man ihr nur
selten begegnet. Nach einem kurzen Nachmittagsschläfchen ließ er sich
ein Waschbecken reichen und rieb sich hierauf lange Zeit beide Wangen
mit Seife, wobei er die Zunge von innen gegen die Backe drückte. Dann
nahm er dem Hausdiener das Handtuch von der Schulter, trocknete sein
rundliches Gesicht überall sorgfältig ab, indem er bei den Ohren anfing
und dem Diener zuvor zweimal gerade ins Gesicht prustete. Dann trat er
vor den Spiegel, um sich das Vorhemd anzulegen, riß sich zwei aus der
Nase hervorragende Härchen aus und stand gleich darauf in einem
preißelbeerfarbenen roten gesprenkelten Fracke da. Nachdem er so seine
Toilette vollendet hatte, bestieg er seine eigene Equipage und fuhr
durch die ungemein breiten Straßen, welche von dem spärlichen Lichte
beleuchtet wurden, das aus einigen Fenstern fiel. Das Haus des
Gouverneurs war indessen so glänzend erleuchtet wie bei einem Ball; vor
dem Hause standen Wagen mit hellen Laternen, sowie zwei Gendarmen. Aus
der Ferne klangen die Rufe der Vorreiter herüber; mit einem Wort, es war
alles so, wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, mußte
er die Augen für einen Moment schließen, weil der blendende Glanz der
Lichter, der Lampen und Damentoiletten geradezu überwältigend war. Alles
war wie mit Licht übergossen. Schwarze Fräcke schwirrten einzeln und in
Gruppen durch den Saal, wie Fliegen um den Zuckerhut an einem heißen
Julitag, während ihn die Wirtschafterin zerteilt und vor dem offenen
Fenster in weiße leuchtende Stücke zerschlägt: alle Kinder umstehen sie
und verfolgen mit Neugierde die Bewegungen ihrer arbeitsharten Hände,
welche den Hammer schwingen, während geflügelte Schwadronen von Fliegen
von einem leichten Winde emporgetragen, kühn herbeifliegen, als wären
sie die Herren des Hauses, und sich die Kurzsichtigkeit der Frau und das
Sonnenlicht, das ihr Auge blendet, zu nutze machend, die süßen
Leckerbissen hier vereinzelt, dort in dichten Haufen umschwirren.
Gesättigt vom reichen Sommer, der ohnehin auf Schritt und Tritt leckere
Gaben austeilt, kamen sie herbeigeflogen, nicht etwa um zu naschen,
sondern bloß um sich zu zeigen, auf dem Zuckerhaufen herumzuspazieren,
eine an der anderen ihre Vorder- oder Hinterfüßchen zu wetzen und sie an
den Flügelchen zu reiben oder endlich, die beiden Vorderpfötchen
vorstreckend, sich das Köpfchen zu krauen und mit einer kühnen Wendung
davonzufliegen, um bald in neuen, zudringlichen Schwärmen
wiederzukehren. Tschitschikow fand kaum Zeit, sich umzusehen, als der
Gouverneur ihn schon am Arme faßte und der Gouverneurin vorstellte. Auch
bei dieser Gelegenheit vergab sich der Reisende nichts: er sagte der
Dame ein Kompliment, wie es sich für einen Mann in mittleren Jahren
schickt, dessen Rang und Titel weder sehr hoch noch sehr niedrig sind.
Als die tanzenden Paare Aufstellung nahmen und alle Zuschauer an die
Wand drückten, stand er, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, da, und
betrachtete die Tänzer einige Minuten lang sehr aufmerksam. Viele von
den Damen waren sehr gut gekleidet und trugen moderne Toiletten, andre
dagegen hatten an, was Gottes Vorsehung in eine Provinzstadt gelangen
läßt. Die Herren zerfielen hier wie überall in zwei Kategorien: die
einen waren sehr dünn und hager und drehten sich beständig um die Damen
herum; unter diesen gab es einige, die man nicht leicht von Petersburger
Herren hätte unterscheiden können; sie hatten ebenso sorgfältig
gepflegte Backenbärte, und ihre Barttracht war ebenso wohl überlegt und
geschmackvoll, oder sie hatten einfach hübsche, glattrasierte Ovale,
nahmen ebenso ungezwungen neben den Damen Platz, sprachen ebensogut
französisch und brachten die Damen genau so zum Lachen wie in
Petersburg. Die andere Kategorie von Herren bildeten die dicken, oder
die, welche Tschitschikow glichen, also weder sehr dick waren, ohne doch
wiederum zu dünn zu sein. Diese waren ganz anders in ihrem Auftreten,
sie sahen weg, gingen den Damen aus dem Wege und schauten immer aus, ob
nicht der Kammerdiener des Gouverneurs irgendwo einen grünen Tisch für
das Whistspiel aufgestellt habe. Ihre Gesichter waren rund und
wohlgenährt, einzelne hatten sogar eine Warze oder Pockennarben; sie
trugen ihr Kopfhaar weder in Form von Büscheln, noch Locken, noch >_a la
Diable m'emporte_< (Hol mich der Teufel), wie die Franzosen es nennen.
Das Haar war entweder kurz geschoren oder glatt ins Gesicht gekämmt, wie
geleckt, und ihre Gesichtszüge waren rund und kräftig. Das waren die
geachteten Würdenträger der Stadt. Ach ja! Die Dicken verstehen es
besser, auf dieser Welt Geschäfte zu machen als die Dünnen. Die Dünnen
sind meist Beamte für besondere Aufträge oder werden bloß in den Listen
geführt und treiben sich müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu
Leichtes, Luftiges und ist ganz unsicher. Die Dicken besetzen dagegen
nie einen Platz, der abseits vom geraden Wege liegt, sie nehmen immer
die bedeutenden Stellungen ein, und wenn sie sich einmal hinsetzen, so
sitzen sie fest und sicher, sodaß eher der Sitz unter ihnen kracht oder
sich biegt, als daß sie herunterfallen. Jeder äußere Glanz ist ihnen
verhaßt, der Frack sitzt ihnen freilich nicht so gut, wie den Dünnen,
dafür sind ihre Schatullen voll, und es ruht der Segen Gottes auf ihnen.
Der Dünne hat schon nach drei Jahren keine Seele mehr, die nicht
verpfändet ist, der Dicke aber lebt ganz ruhig, und siehe da --
plötzlich steht irgendwo am Ende der Stadt ein Haus da, das er sich auf
den Namen der Frau erworben hat, dann am andern Ende ein zweites, ferner
ein kleines Gut in der Nähe des Städtchens und ein Stück Land mit allem
Zubehör. Und schließlich quittiert der Dicke, nachdem er Gott und dem
Kaiser genug gedient und sich die allgemeine Achtung erworben hat,
seinen Dienst, verläßt die Stadt und wird Landwirt, ein prächtiger
russischer Landjunker, macht ein offenes Haus und lebt ruhig und
herrlich und in Freuden. Seine dünnen Erben aber bringen wiederum nach
guter russischer Sitte den ganzen väterlichen Besitz im Eilposttempo
durch. Es läßt sich nicht verheimlichen, daß unseren Tschitschikow
ähnliche Betrachtungen beschäftigten, während er sich die Gesellschaft
näher ansah, und die Folge hiervon war, daß er sich schließlich zu den
Dicken gesellte, wo er beinahe lauter bekannte Gesichter vorfand: da war
der Staatsanwalt, ein Herr mit buschigen, schwarzen Augenbrauen, der ein
wenig mit dem linken Augenlid zuckte, wie wenn er sagen wollte: »kommen
Sie doch ins Nebenzimmer, ich möchte Ihnen etwas erzählen« -- übrigens
ein ernster und schweigsamer Mann. Da war der Postmeister, ein kleines
Männchen, aber ein Witzbold und Philosoph; ferner der Gerichtspräsident,
ein sehr verständiger und liebenswürdiger Herr -- sie alle begrüßten ihn
wie einen alten Bekannten, worauf Tschitschikow sich ein wenig linkisch,
aber doch nicht ohne Grazie verbeugte. Hier machte er auch die
Bekanntschaft eines sehr höflichen und freundlichen Herrn, eines
Gutsbesitzers, namens Manilow, und eines etwas plump aussehenden Herrn
Sabakewitsch, der ihm sofort auf den Fuß trat und »Bitte um
Entschuldigung« dazu sagte. Zugleich reichte man ihm eine Spielkarte,
als Aufforderung zu einer Partie Whist, die er mit der gleichen
höflichen Verbeugung annahm. Man setzte sich an den grünen Tisch, und
blieb bis zum Abendessen sitzen, ohne sich zu erheben. Die Unterhaltung
hörte sogleich auf, wie das immer zu sein pflegt, wenn man nun endlich
an eine ernste Beschäftigung geht. Und obwohl der Postmeister sehr
redselig war, so erhielt doch auch _sein_ Gesicht einen nachdenklichen
Ausdruck, er bedeckte seine Oberlippe mit der unteren und verharrte
während des ganzen Spiels in dieser Stellung. Wenn er eine Figur
ausspielte, dann schlug er mit der Hand kräftig auf den Tisch. War es
eine Dame, dann fügte er hinzu: »Raus, alte Popin!« War es dagegen ein
König, so rief er: »Raus mit dem Tambower Bauern!« Der Präsident aber
antwortete: »Dem geb ich's auf den Schnauzbart! Dem geb ich's auf den
Schnauzbart!« Zuweilen entschlüpften ihnen Ausdrücke, wie die folgenden,
während sie mit den Karten auf den Tisch schlugen: »Ach was: Was nicht
is, is nicht, in solchen Fällen spielt man Schellen!« oder einfache
Ausrufe wie: »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen,
Pickelchen!« oder einfach »Pikkolo«. Lauter Namen, mit denen sie in
ihrer Gesellschaft die Farben zu bezeichnen pflegten. Nach Beendigung
eines jeden Spieles wurde, wie das so zu geschehen pflegt, laut
gestritten. Unser neu angekommener Gast beteiligte sich auch am Streit,
aber er wußte das so geschickt zu machen, daß alle zwar sahen, daß er
auch mitstritt, doch aber immer liebenswürdig blieb. Er sagte niemals:
»Sie spielten ...« sondern stets: »Sie hatten die Güte ... zu spielen«
oder: »ich habe mir erlaubt, Ihre Zwei zu stechen« u. s. w. Um seine
Gegner noch mehr zu gewinnen, reichte er ihnen jedesmal seine
emaillierte Tabaksdose, auf deren Grunde zwei Veilchen zu sehen waren,
die er des Wohlgeruchs wegen hineingetan hatte. Am meisten
interessierten unseren Reisenden die beiden Gutsbesitzer Manilow und
Sabakewitsch, von denen schon oben die Rede war. Er erkundigte sich
sogleich nach ihnen beim Präsidenten und beim Postmeister, die er
hierbei ein wenig beiseite nahm. Die wenigen Fragen, die er ihnen
vorlegte, ließen erkennen, daß der neue Gast nicht nur sehr wißbegierig,
sondern auch sehr gründlich war, denn er suchte vor allem in Erfahrung
zu bringen, wieviel Bauern ein jeder von ihnen besäße, und in welcher
Verfassung sich ihre Güter befänden; erst hierauf fragte er auch nach
ihren Vor- und Zunamen. In ganz kurzer Zeit wußte er sie alle zu
bezaubern. Der Gutsbesitzer Manilow, ein Mann in den besten Jahren, mit
Augen süß, wie Zucker, die er beim Lachen stets zusammenkniff, war ganz
begeistert von ihm. Er drückte ihm lange die Hand und bat ihn inständig,
ihm doch die Ehre eines Besuchs bei ihm auf dem Lande zu machen, und er
fügte hinzu, sein Gut wäre nur fünfzehn Werst vom Stadttor entfernt,
worauf Tschitschikow mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem
Händedruck erwiderte, er werde dieser freundlichen Aufforderung nicht
nur mit dem größten Vergnügen nachkommen, sondern halte es sogar für
seine heiligste Pflicht. Sabakewitsch aber sagte lakonisch: »Ich bitte
gleichfalls darum,« dabei machte er eine kleine Verbeugung und zog den
Fuß ein wenig an, der in einem Stiefel von so gewaltigen Dimensionen
steckte, daß man wohl vergeblich nach einem zweiten Fuß suchen würde,
der zu diesem Stiefel gepaßt hätte, besonders zu unserer Zeit, wo die
Recken und Ritter in Rußland im Aussterben begriffen sind.

Am folgenden Tag war Tschitschikow zum Mittagessen und zu einer
Abendgesellschaft beim Polizeimeister geladen. Um drei Uhr, nach dem
Mittagessen setzte man sich an den Tisch zum Whistspielen und spielte
bis zwei Uhr nachts durch. Dort machte Tschitschikow unter anderm auch
die Bekanntschaft eines Gutsbesitzers namens Nosdrjow, eines sehr
gewandten Herrn von dreißig Jahren, der ihn nach drei bis vier Worten zu
duzen begann. Den Polizeimeister und den Staatsanwalt duzte Nosdrjow
gleichfalls und behandelte sie höchst familiär; aber als man sich
hinsetzte und um einen hohen Einsatz zu spielen anfing, gaben der
Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr genau auf die Stiche acht, die
er machte, und ließen keine Karte aus den Augen, die er ausspielte. Den
nächsten Abend war Tschitschikow beim Gerichtspräsidenten, der seine
Gäste, darunter zwei Damen, in einem etwas fettigen Schlafrock empfing.
Dann besuchte er eine Soirée beim Vizegouverneur, ein großes Diner beim
Branntweinpächter und ein _kleines_ Diner beim Staatsanwalt, das sich
übrigens neben dem großen wohl sehen lassen konnte; und endlich noch ein
Dejeuner nach der Messe, welches vom Stadthaupt veranstaltet wurde und
gleichfalls ein Mittagessen aufwog. Mit einem Wort, er war kaum eine
Stunde zu Hause und kam nur in den Gasthof, um zu schlafen. Der Reisende
verstand es dabei, sich in jede Situation zu finden und zeigte sich
überall als erfahrener Weltmann. Worauf auch die Rede kam, er wußte
immer ein passendes Wort einzuflechten; sprach man von Pferdezucht, so
wußte auch er etwas über die Pferdezucht zu sagen; sprach man von den
Vorzügen der Hunde, so machte er auch hierbei ein paar feine
Bemerkungen; unterhielt man sich über eine Untersuchung, die vom
Gerichtshof angestellt wurde, -- so ließ er merken, daß ihm auch die
gerichtlichen Kniffe nicht ganz unbekannt seien; war die Rede vom
Billardspiel -- so gab er sich auch beim Billardspiel keine Blöße; kam
das Gespräch auf die Tugend -- so konnte er auch sehr schön, und sogar
mit Tränen im Auge von der Tugend reden; oder kam man auf die
Branntweindestillation zu sprechen, auch über Branntweindestillation
wußte er Bescheid -- oder auf die Zollwächter und Zollbeamten -- er
sprach auch über diese, als ob er selbst Zollbeamter oder Zollwächter
gewesen wäre. Das Merkwürdigste dabei war, daß er bei alledem eine
gewisse Würde und Gesetztheit bewahrte, und immer ein feines und
vornehmes Betragen zeigte. Er sprach weder zu laut noch zu leise,
sondern ganz so, wie es sich schickt. Mit einem Wort: von welcher Seite
man ihn auch betrachten mochte, er war durchaus ein Ehrenmann vom
Scheitel bis zur Sohle. Alle Beamten waren hoch erfreut über die Ankunft
dieser neuen Erscheinung. Der Gouverneur erklärte ihn für einen
wohlgesinnten Mann -- der Staatsanwalt für einen tüchtigen Mann -- der
Gendarmerieoberst für einen gelehrten -- der Gerichtspräsident für einen
hochgebildeten und ehrenwerten -- der Polizeimeister für einen
ehrenwerten und liebenswürdigen Mann und die Frau des Polizeimeisters
für einen _sehr_ liebenswürdigen und galanten Mann. Ja selbst
Sabakewitsch, der selten gut über seine Mitmenschen redete, sprach, als
er spät abends aus der Stadt zurückkehrte, während er sich entkleidete
und zu seiner mageren Frau ins Bett stieg: »Schatz, ich war heute abend
beim Gouverneur und beim Polizeimeister zu Mittag, wo ich die
Bekanntschaft des Kollegienrates Pawel Iwanowitsch Tschitschikow gemacht
habe: ein äußerst angenehmer Herr!« Worauf seine Gemahlin »Hm« machte
und ihm einen leichten Fußtritt gab.

Diese für unseren Gast so schmeichelhafte Meinung bildete und erhielt
sich so lange in der Stadt, bis eine seltsame Eigentümlichkeit des
Reisenden sowie eine Unternehmung oder eine Passage, wie man sich in der
Provinz auszudrücken pflegt, von der der Leser in Kürze Näheres erfahren
soll, nahezu die ganze Stadt aufs höchste in Staunen und Zweifel
versetzten.


                            Zweites Kapitel

Schon mehr als eine Woche lebte der Fremde in der Stadt, indem er
beständig die Diners und Abendgesellschaften besuchte und so, wie man zu
sagen pflegt, seine Zeit auf recht angenehme Weise verbrachte. Endlich
entschloß er sich, seine Besuche auch über die Stadtgrenze auszudehnen
und den beiden Gutsbesitzern, Manilow und Sabakewitsch, seinem
Versprechen gemäß seine Aufwartung zu machen. Mag sein, daß ihn hierzu
noch ein anderer triftigerer Grund veranlaßte, eine ernstere
Angelegenheit, die ihm noch mehr am Herzen lag ... Doch von alledem wird
der Leser schon nach und nach und an der richtigen Stelle etwas
erfahren, vorausgesetzt, daß er die Geduld hat, diese lange Erzählung
durchzulesen, die sich in ihrem weiteren Verlauf noch mehr ausdehnen und
freier entfalten wird, je mehr sie sich dem Ende nähert, welches unser
Werk krönen soll. Der Kutscher Seliphan empfing die Weisung, die Pferde
in aller Frühe vor den uns schon bekannten Wagen zu spannen; Petruschka
aber erhielt den Befehl, zu Hause zu bleiben und das Zimmer nebst dem
Koffer zu bewachen. Es wird für den Leser nicht überflüssig sein, die
Bekanntschaft dieser beiden Leibeigenen unseres Helden zu machen. Obwohl
beide zwar nicht gerade bemerkenswerte und auffallende Persönlichkeiten,
sondern wie man zu sagen pflegt, Leute zweiten oder sogar dritten Ranges
sind, und obgleich die bedeutendsten Vorgänge und die Federn dieser
Dichtung eben nicht auf ihnen ruhen, und sie höchstens einmal berühren
oder leichthin streifen; -- der Verfasser liebt es nun einmal so sehr,
in allen Dingen möglichst gründlich und ausführlich zu sein, und so
möchte er auch hier, trotzdem er selbst ein sehr guter Russe ist, genau
und peinlich verfahren, wie ein Deutscher. Auch wird es gar nicht viel
Zeit und Raum in Anspruch nehmen, weil nicht mehr viel zu dem
hinzuzufügen bleibt, was der Leser schon weiß, wie z. B. dies, daß
Petruschka einen etwas weiten braunen Rock trug, der einmal seinem Herrn
gehört hatte, und daß er wie alle Leute seines Schlages eine große Nase
und dicke Lippen hatte. Er neigte eher zur Schweigsamkeit als zur
Geschwätzigkeit und war sogar von einem hohen Trieb zur Bildung d. h.
zur Lektüre beseelt, worin er sich nicht irre machen ließ, auch wenn er
den Inhalt der Bücher nicht verstehen konnte: es war ihm vollkommen
gleichgültig, was er las, ob es nun »Die Abenteuer eines verliebten
Ritters,« eine einfache Fibel oder ein Gebetbuch war, -- er las alles
mit der gleichen Aufmerksamkeit; hätte man ihm ein chemisches Lehrbuch
in die Hand gegeben, -- er hätte auch dieses nicht verschmäht. Ihn
freute nicht das, _was_ er las, sondern das Lesen selbst, oder richtiger
der Prozeß des Lesens, daß sich nämlich aus den Buchstaben stets irgend
ein Wort bildete, dessen Bedeutung freilich mitunter nur der Teufel
selbst enträtseln mochte. Diese Lektüre wurde gewöhnlich im Vorzimmer in
liegender Stellung, auf dem Bett oder auf der Matratze vorgenommen, die
infolge dieses Umstandes ganz zusammengedrückt und dünn wie ein
Pfannkuchen war. Außer der Lesewut hatte er noch zwei Gewohnheiten, die
zwei weitere Charakterzüge seiner Person bildeten: er liebte es zu
schlafen, ohne sich auszukleiden, so wie er ging und stand, in dem
bekannten Rock, und ferner schleppte er immer eine eigene Atmosphäre,
jenen ihm eigentümlichen Geruch mit sich, der ein wenig an den Duft
eines Wohnzimmers erinnerte, so daß er nur irgendwo sein Bett
aufzustellen und seinen Mantel und seine Habseligkeiten mitzubringen
brauchte, um sofort den Eindruck zu erwecken, daß dieses Zimmer seit
zehn Jahren von Menschen bewohnt werde, selbst wenn bislang noch niemand
darin gewohnt hatte. Tschitschikow, ein sehr empfindlicher Herr, der
leicht Ekel empfand, rümpfte gewöhnlich die Nase, wenn er morgens
gleichsam auf nüchternen Magen mit dem ersten Atemzuge diese Luft
einzog, schüttelte den Kopf und murmelte: »Hol' dich der Teufel, Kerl!
Du schwitzt wohl? Geh doch einmal ins Bad!« Worauf Petruschka gar nichts
erwiderte und sich nur mit etwas zu schaffen machte; er nahm wohl die
Bürste, um den an der Wand hängenden Frack seines Herrn auszubürsten,
oder er begann einfach die Stube aufzuräumen. Woran dachte er wohl,
während er still schwieg? Vielleicht sagte er zu sich selbst: »Du bist
mir auch der Rechte! Bist du's noch immer nicht satt, vierzigmal ein und
dasselbe zu wiederholen ...« Gott mag es wissen, es ist schwer zu
erraten, was ein leibeigener Bedienter sich denkt, wenn sein Herr ihm
gute Lehren gibt. Das ist etwa alles, was sich zunächst über Petruschka
sagen läßt. Der Kutscher Seliphan war ein ganz anderer Mensch ... Aber
der Autor hat schwere Bedenken, seine Leser so lange mit Leuten der
unteren Klasse zu unterhalten, da er aus Erfahrung weiß, wie ungern sie
die Bekanntschaft der niederen Stände machen. So ist nun einmal der
Russe: nach nichts verlangt ihn mehr, als die Bekanntschaft von Leuten
zu machen, ja mit ihnen familiär zu werden, die auch nur um _einen_ Rang
höher stehen als er, und der Gruß eines Grafen oder Fürsten gilt ihm
mehr als die herzlichste Freundschaft. Der Autor macht sich sogar einige
Sorgen, weil sein Held nur Kollegienrat ist. Ein Hofrat wird sich noch
allenfalls dazu herablassen, ihn kennen zu lernen, aber die, welche
bereits den Rang eines Generals erreicht haben -- werden am Ende gar,
was Gott verhüte, einen jener verächtlichen Blicke auf ihn werfen, wie
sie der Mensch stolz auf alles wirft, was ihm zu Füßen einherkreucht,
oder werden was noch schlimmer wäre, mit einer Nichtachtung an ihm
vorbeigehen, die für den Autor tödlich wäre. Doch so betrübend beides
auch sein mag, wir müssen dennoch zu unserem Helden zurückkehren.
Nachdem er also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
getroffen hatte, erwachte er in aller Frühe, wusch sich, rieb sich vom
Kopf bis zu den Füßen mit einem nassen Schwamm ab, was er nur des
Sonntags zu tun pflegte -- doch traf es sich gerade so, daß der Tag ein
Sonntag war --, dann rasierte er sich, bis seine Wangen an Glanz und
Glätte dem Atlas gleichkamen, zog den bekannten gesprenkelten
preißelbeerfarbenen Frack und darüber einen mit Bärenfell gefütterten
Pelzmantel an und ging die Treppe hinunter, wobei ihn der Kellner unter
dem Arm faßte und bald auf der einen, bald auf der anderen Seite
unterstützte. Er bestieg den Wagen, welcher rasselnd durch das Tor des
Gasthofes auf die Straße hinaus rollte. Ein vorübergehender Pope lüftete
seinen Hut und grüßte; ein paar Straßenjungen in schmutzigen Hemden
streckten ihre Hand aus und murmelten: »Lieber Herr, eine Gabe für uns
arme Waisen!« Als der Kutscher bemerkte, daß der eine nicht übel Lust
hatte, auf den Wagentritt zu springen, langte er ihm eins mit der
Peitsche und der Wagen polterte weiter über die Steine. Man war nicht
wenig erfreut, als man in der Ferne einen gestreiften Schlagbaum
erblickte, der anzeigte, daß die Qualen des holperigen Pflasters und
noch manche andere bald überstanden seien. Und nachdem Tschitschikow
noch ein paarmal gegen den Kutschbock geflogen war, rollte der Wagen
jetzt auf ziemlich weichem Boden fort. Kaum lag die Stadt hinter ihnen,
da bot sich ihnen die bekannte Aussicht mit ihren Geschmacklosigkeiten
und Langweiligkeiten zu beiden Seiten der Landstraße: kleine mit Moos
bewachsene Erdhügel, junger Tannenwald, junge, niedrige und dünne
Fichtenstämme, angekohlte Baumstämme, wildes Heidekraut und ähnliches
Zeug. Hie und da begegnete man schnurgerade angelegten Dörfern, deren
Häuser in ihrer Bauart an alte Holzklaftern erinnerten. Die Hütten waren
mit grauen Dächern gedeckt und mit hölzernem Schnitzwerk verziert, das
die Form eines gestärkten Handtuches hatte und vom Dache herabhing. Ein
paar Bauern saßen wie gewöhnlich in Schafpelzen auf den Bänken vor der
Tür. Die Bäuerinnen mit dicken Gesichtern und eingeschnürten Brüsten
sahen aus den oberen Fenstern heraus. Durch das untere Fenster guckte
ein Kalb oder steckte ein Schwein seine blinde Schnauze hervor. Mit
einem Wort: das bekannte Bild. Nachdem sie fünfzehn Werst zurückgelegt
hatten, erinnerte sich Tschitschikow, daß nach Manilows Beschreibung
sein Gut nicht mehr fern sein könne; aber auch der sechzehnte
Streckenpfosten flog vorüber, ohne daß etwas von dem Gute zu entdecken
gewesen wäre. Und wenn sie nicht zufällig zwei Bauern begegnet wären,
wäre es ihnen sicher nicht geglückt, das Gut zu erreichen. Auf die
Frage, ob das Dorf Samanilowka noch weit sei, nahmen die Bauern die
Mützen ab, und der eine von ihnen, der etwas klüger zu sein schien und
einen Spitzbart trug, antwortete: »Vielleicht meinen Sie Manilowka und
nicht Samanilowka?« --

»Nun ja, Manilowka« --

»Manilowka! Wenn du noch eine Werst fährst, dann bist du da, d. h. dann
liegt es gerade rechts.« --

»Rechts?« sagte der Kutscher.

»Rechts,« sagte der Bauer. »Das ist der Weg nach Manilowka. Ein
Samanilowka gibt es überhaupt nicht. Es heißt so, d. h. sein Name ist
Manilowka. Ein Samanilowka aber existiert hier nicht. Da gerad auf dem
Berge wirst du ein steinernes, zweistöckiges Haus erblicken. Das ist das
Herrenhaus. Da wohnt nämlich der Herr selbst. Und das ist Manilowka. Ein
Samanilowka gibt es hier garnicht und hat es hier nicht gegeben.«

Man machte sich also auf, Manilowka zu suchen. Nachdem sie noch zwei
Werst gefahren waren, kamen sie an einem Feldweg vorüber. Dann fuhren
sie noch zwei, drei oder sogar vier Werst; aber das zweistöckige,
steinerne Haus war noch immer nicht zu sehen. Hier erinnerte sich
Tschitschikow, daß, wenn uns ein Freund auf ein Landgut einlädt, das
fünfzehn Werst entfernt ist, die Entfernung dann sicherlich dreißig
Werst beträgt. Die Lage des Dorfes Manilowka hatte gewiß wenig
Verlockendes. Das Herrenhaus stand einsam auf einer Anhöhe und war jedem
Winde ausgesetzt, dem es einfiel, zu blasen. Der Abhang des Berges, auf
dem es stand, war mit schön geschorenem Rasen bedeckt. Hie und da
standen Bosquets nach englischer Manier aus Flieder und gelben Akazien.
Fünf bis sechs Birken streckten stellenweise in kleinen Gruppen ihre
dünnbelaubten, schmächtigen Wipfel empor. Unter zweien von ihnen befand
sich eine Laube mit einer flachen grünen Kuppel auf blauen, hölzernen
Säulen, welche die Inschrift trug: »Tempel einsamer Betrachtungen«;
etwas weiter unten lag ein Teich ganz im Grünen, was übrigens in den
englischen Gärten der russischen Gutsbesitzer keine Seltenheit ist. Am
Fuße dieser Anhöhe und teilweise auch längs des Abhanges schimmerten
überall kleine Blockhäuser, welche unser Held aus irgend einem Grunde
sofort zu zählen begann und deren er mehr als zweihundert zählte. Sie
standen ganz nackt da, nirgends erblickte man ein Bäumchen oder etwas
frisches Grün. Nichts wie die kahlen Balken starrten einen an. Die
Landschaft wurde durch zwei Bauersfrauen belebt, welche mit malerisch
aufgesteckten und aufgepolsterten Kleidern bis an die Knie im Teich
wateten und an zwei Stöcken ein zerrissenes Netz hinter sich her
schleiften, in dem sich zwei Krebse und eine silbern schimmernde Forelle
gefangen hatten. Die Weiber schienen sich veruneinigt zu haben und
traktierten einander mit Schimpfworten. Etwas abseits in der Ferne
schimmerte ein Fichtenwald in melancholischem Blau. Auch das Wetter
entsprach ganz der Stimmung, der Tag war weder klar noch trübe, sondern
zeigte eine Art hellgraue Färbung, wie man sie nur an den alten
Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, dieses zwar recht
friedlichen, aber besonders an Sonntagen recht unmäßigen Truppenteils.
Zur Vervollständigung des Bildes fehlte es nicht an einem Hahn, der die
Rolle eines Wetterpropheten spielte und jeden Witterungsumschlag
vorausverkündigte. Und obwohl sein Kopf von den Schnäbeln anderer Hähne
wegen gewisser Liebeshändel vollkommen bis auf die Hirnschale zerhackt
war, krähte er noch immer aus vollem Halse und schlug sogar noch mit den
Flügeln, die zerfetzt und zerzupft waren, wie ein Paar alte zertretene
Matten. Als Tschitschikow sich dem Tore näherte, bemerkte er den
Hausherrn, der in einem grünen Rock von Wolle auf der Freitreppe stand
und die Hände wie einen Schirm über die Augen hielt, um den
heranrollenden Wagen besser betrachten zu können. In dem Maße, als der
Wagen sich dem Hause näherte, wurden seine Augen munterer und
verbreitete sich ein Lächeln über sein Gesicht.

»Pawel Iwanowitsch!« rief er schließlich aus, während Tschitschikow aus
dem Wagen stieg. »Endlich haben Sie sich doch an uns erinnert!«

Die beiden Freunde küßten sich sehr herzlich, und Manilow führte seinen
Freund ins Zimmer. Obwohl die Zeit, während der sie den Flur, das
Vorzimmer und den Speisesaal durchschreiten, nur sehr kurz ist, wollen
wir doch zusehen, ob es uns nicht gelingt, sie uns zunutze zu machen, um
ein paar Worte über den Hausherrn zu sagen. Hier aber muß der Autor
leider gestehen, daß ein solches Unternehmen seine großen
Schwierigkeiten hat. Es ist weit leichter einen Charakter von einer
gewissen Größe zu schildern. Da braucht man die Farben nur so mit der
Hand auf die Leinewand zu werfen -- schwarze flammende Augen, dicke
buschige Augenbrauen, die große Stirnfalte, der schwarze oder feuerrote
Mantel kühn über die Schulter geworfen -- und das Porträt ist fertig;
aber all diese Herrschaften, deren es so viele auf der Welt gibt, die
sich äußerlich so sehr ähnlich sehen, und doch bei näherem Studium
und Anblick eine ganze Reihe äußerst feiner, kaum faßbarer
Eigentümlichkeiten aufweisen -- diese Leute sind äußerst schwer zu
porträtieren. Da muß man seine Aufmerksamkeit bis aufs Äußerste
anspannen, ehe es einem gelingt, all die feinen, fast verschwindenden
Züge hervortreten zu lassen, und es wird überhaupt nötig, den durch die
Menschenkenntnis geschärften Blick bis tief auf den Grund der
Menschenseele hinabzusenken.

Nur Gott allein hätte vielleicht sagen können, was Manilow für einen
Charakter hatte. Es gibt eine Gattung von Menschen, die man
folgendermaßen zu bezeichnen pflegt: nicht Fisch, nicht Fleisch, nicht
dies noch das, in der Stadt nicht Bogdan, noch auf dem Land Seliphan,
wie das russische Sprichwort lautet. Vielleicht könnte man Manilow zu
_ihnen_ zählen. Äußerlich machte er einen recht stattlichen Eindruck;
seine Züge waren nicht unliebenswürdig, aber diese Liebenswürdigkeit war
zu stark mit einer gewissen Süßigkeit versetzt; in seinem Betragen und
Verhalten machte sich das Bestreben bemerkbar, Vertrauen und Zuneigung
zu erwerben. Er lächelte einnehmend, war blond und hatte himmelblaue
Augen. Wenn man sich mit ihm unterhielt, hätte ein jeder im ersten
Augenblick ausgerufen: »Welch ein angenehmer und freundlicher Mensch!«
Im darauffolgenden Augenblick sagt man nichts mehr, und noch einen
Augenblick später denkt man sich: >Pfui Teufel!< und macht, daß man
fortkommt; oder wenn man ihm nicht entfliehen kann, fühlt man eine
geradezu tödliche Langeweile. Nie hörte man ein lebhaftes oder
anmaßendes Wort von ihm, wie man es von jedem hören kann, wenn man einen
Gegenstand berührt, der ihm am Herzen liegt. Jeder hat sein
Steckenpferd: bei dem einen sind es die Windhunde; dem anderen kommt es
so vor, als ob er ein großer Musikliebhaber sei, und die ganzen Tiefen
dieser Kunst empfinde; ein dritter versteht sich auf ein feudales
Mittagessen; ein vierter bemüht sich eine Rolle zu spielen, die um
wenigstens einen Zoll höher, als die ihm vorgeschriebene ist; ein
fünfter, dessen Ziele weniger hoch gesteckt sind, schläft und träumt
davon, wie er bei einem Gartenfeste Seite an Seite mit einem
Flügeladjutanten stolz vor allen Menschen, vor seinen Freunden und
Bekannten, ja sogar vor denen die er nicht kennt, vorbeispaziert; ein
sechster hat eine so kräftige Hand, daß ihm der unnatürliche Wunsch
kommt, einem vornehmen Herrn oder auch irgend einer Null einen kleinen
Hieb zu versetzen, während die Hand des Siebenten sich durchaus nicht
enthalten kann, überall Ordnung zu stiften und sich an die Herrn
Stationschefs oder die Postillons heranzumachen -- mit einem Wort, ein
jeder hat etwas, was er sein Eigen nennt, nur Manilow hatte nichts
derartiges. Zu Hause sprach er sehr wenig und dachte nur nach und
philosophierte, worüber er aber nachdachte, das weiß wohl auch nur Gott
allein. Man konnte auch nicht sagen, daß er sich mit der Landwirtschaft
beschäftigte, denn er fuhr niemals aufs Feld; das ging alles wie von
selbst, auch ohne ihn. Wenn der Verwalter zu ihm sagte: »Gnädiger Herr,
es wäre doch gut, wenn wir es so und so machten,« dann antwortete er
gewöhnlich »Ja, ja, gar nicht übel!« während er ruhig seine Pfeife
weiter rauchte, eine Gewohnheit, die er noch zur Zeit seines Dienstes in
der Armee angenommen hatte, wo er für einen der bescheidensten und
höflichsten Offiziere gehalten wurde. »Ja, ja, durchaus nicht übel!«
wiederholte er. Wenn ein Bauer zu ihm kam, sich hinterm Ohr kratzte und
sprach: »Gnädiger Herr, darf ich auf einen Tag fortgehen, um mir das
Geld für die Steuern zu verdienen,« dann sagte er: »Geh nur!« und fuhr
fort, seine Pfeife zu rauchen, wobei es ihm gar nicht in den Kopf kam,
daß der Bauer nur fortwollte, um sich zu betrinken. Zuweilen betrachtete
er von der Flurtreppe aus seinen Hof und seinen Teich, dann verbreitete
er sich wohl darüber, wie schön es doch wäre, wenn man vom Hause aus
einen unterirdischen Gang anlegen oder eine steinerne Brücke über den
Teich bauen könnte, zu dessen beiden Seiten Buden lägen, wo Kaufleute
allerhand Waren, die die Bauern brauchten, feilböten. Hierbei hatten
seine Augen etwas ungemein Süßes und sein Gesicht nahm einen äußerst
zufriedenen Ausdruck an. Übrigens blieb es trotz aller Projekte stets
nur bei den Worten. In seinem Arbeitszimmer lag immer ein Buch mit einem
Lesezeichen auf Seite 14 aufgeschlagen, in diesem Buche las er
beständig, schon seit zwei Jahren. Im Hause fehlte es immer an etwas; im
Salon standen prachtvolle Möbel, die mit eleganten Seidenstoffen bezogen
und sicherlich nichts weniger als billig waren; aber der Stoff hatte
wohl für die letzten zwei Lehnstühle nicht gereicht, denn sie standen
noch immer so da, bloß mit Sackleinwand überspannt; übrigens warnte der
Hausherr seine Gäste schon seit vielen Jahren jedesmal davor, sich auf
einen der Stühle niederzulassen und sagte: »Setzen Sie sich nicht auf
diese Stühle, sie sind noch nicht fertig.« In einzelnen Zimmern standen
überhaupt keine Möbel, obwohl Manilow zwei Tage nach der Hochzeit zu
seiner Frau gesagt hatte: »Herz, wir müssen morgen dafür sorgen, daß wir
uns wenigstens für die erste Zeit Möbel kommen lassen.« Abends wurde ein
höchst eleganter Armleuchter aus dunkler Bronze, mit drei antiken
Grazien und einem reizenden Perlmutterschirm auf den Tisch gestellt,
neben ihm aber stand irgend ein gewöhnlicher kupferner, hinkender,
verbogener, und ganz mit Talg bedeckter Invalide, und weder der Hausherr
noch die Hausfrau, noch die Diener schienen etwas davon zu bemerken.
Seine Frau ..., doch sie waren ja vollkommen mit einander zufrieden.
Trotzdem sie schon mehr als acht Jahre miteinander verheiratet waren,
schenkten sie sich noch immer Apfelscheibchen, Bonbons oder Nüsse und
sprachen mit einer rührend zärtlichen Stimme, welche von inniger Liebe
zeugte: »Mach doch dein Mündchen auf, Herzchen, ich will dir dies
Stückchen hineinstecken.« Es versteht sich von selbst, daß sich das
Mündchen in solchen Fällen äußerst graziös öffnete. Zum Geburtstag
bereitete man sich allerhand Überraschungen -- man schenkte sich z. B.
ein Perlenfutteral für die Zahnbürste usw. Und es geschah gar nicht
selten, daß, während sie beide auf dem Sofa saßen, ohne besonderen Grund
_er_ seine Pfeife und sie ihre Arbeit sinken ließ, die sie bis dahin in
der Hand hatten, um sich einen langen schmachtenden Kuß auf die Lippen
zu drücken, währenddessen man eine kleine Strohhalmzigarre hätte
ausrauchen können. Mit einem Worte, sie waren das, was man glücklich
nennt. Man könnte freilich einwenden, es gäbe im Hause noch manches
andre zu tun, als sich lange Küsse zu geben und Überraschungen zu
bereiten, man könnte überhaupt noch vieles andre einwenden. Warum wurden
z. B. die Speisen so schlecht und so töricht zubereitet? Warum waren die
Vorratskammern so leer? Warum stahl die Haushälterin? Warum waren die
Diener immer so unsauber und betrunken? Warum schliefen die Knechte
beständig oder lungerten müßig herum? Aber dies alles sind gemeine
Dinge, und Frau Manilow war eine Dame von guter Erziehung. Wie bekannt
wird die gute Erziehung in Pensionaten erworben, und in diesen
Pensionaten gibt es, wie jedermann weiß, drei Gegenstände, die die
Grundlage aller menschlichen Tugend ausmachen: die französische Sprache,
deren man für das häusliche Glück der Familie bedarf: das Klavierspiel,
das dazu dient, dem Gatten ein Paar angenehme Stunden zu bereiten, und
schließlich der eigentlich wirtschaftliche Teil: das Häkeln von
Geldbeuteln und ähnlichen Überraschungen. Übrigens gibt es mancherlei
Verbesserungen und Vervollkommnungen in den Methoden, besonders in
neuerer Zeit: es hängt eben alles von der Verständigkeit und der
Fähigkeit der Pensionsvorsteherin ab. In gewissen Pensionaten ist es so,
daß zuerst das Klavier, dann die französische Sprache und erst zuletzt
der wirtschaftliche Teil kommt. Mitunter aber ist es auch gerade
umgekehrt: erst kommt der wirtschaftliche Teil: das Häkeln von kleinen
Geschenken usw., dann erst die französische Sprache und endlich das
Klavierspiel. Die Methoden sind eben verschieden. Doch hier wäre es am
Platze, noch die Bemerkung zu machen, daß Frau Manilow .... allein, ich
muß gestehen, daß ich mich ein wenig fürchte, über die Damen zu reden,
und außerdem ist es längst Zeit, daß ich zu unseren Helden zurückkehre,
die schon seit einigen Minuten vor der Türe des Salons stehen und sich
gegenseitig bitten, doch voranzugehen.

»Bitte machen Sie sich doch meinetwegen keine Umstände, bitte nach
Ihnen,« sagte Tschitschikow.

»Nein, bitte, Pawel Iwanowitsch, Sie sind mein Gast,« antwortete Manilow
und zeigte mit der Hand auf die Tür.

»Aber ich bitte, bemühen Sie sich doch nicht, nein, bitte bemühen Sie
sich nicht; bitte gehen Sie doch voran,« sagte Tschitschikow.

»Nein, ich bitte um Entschuldigung, ich kann es nicht zugeben, daß mein
Gast, ein so liebenswürdiger und feingebildeter Herr, nach mir
eintrete.«

»Warum denn feingebildet? Bitte gehen Sie voran!«

»Nein, seien Sie doch so freundlich und treten Sie ein.«

»Warum denn nur?«

»Nun, so!« sagte Manilow mit einem freundlichen Lächeln. Endlich
zwängten sich beide Freunde seitwärts durch die Tür, wobei einer den
andern leicht zusammendrückte.

»Erlauben Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle,« sagte Manilow.
»Herzchen! Dies ist Pawel Iwanowitsch.«

Tschitschikow erblickte jetzt eine Dame, die er gar nicht bemerkt hatte,
während er und Manilow sich in das Zimmer hineinkomplimentierten. Sie
war ziemlich hübsch und trug ein Kleid, das ihr gut zu Gesichte stand.
Sie hatte einen hellen Kapott von Seidenstoff an, der ihr sehr gut saß;
die kleine schmale Hand ließ schnell etwas auf den Tisch fallen und
preßte ein Battisttaschentuch mit gestickten Ecken zusammen. Dabei erhob
sie sich vom Sofa, auf dem sie gesessen hatte. Tschitschikow küßte ihr
nicht ohne ein gewisses Vergnügen die Hand. Frau Manilow sagte mit ihrer
etwas gaumigen Aussprache zu ihm, er habe ihnen eine große Freude mit
seinem Besuch bereitet, und es verginge kein Tag, daß ihr Mann sich
seiner nicht erinnere.

»Ja!« murmelte Manilow, »meine Frau hat mich oft gefragt: >Warum kommt
denn dein Freund nicht?< Ich aber antwortete: >Warte nur, er wird schon
kommen!< Und nun haben Sie uns endlich doch noch mit Ihrem Besuche
beehrt. Sie haben uns wirklich einen großen Genuß bereitet -- es ist wie
ein Maitag, wie ein Fest des Herzens.« ...

Als Tschitschikow vernahm, daß schon von Festen des Herzens die Rede
war, wurde er ein wenig verlegen und versetzte, er sei weder ein Mann
von berühmtem Namen, noch besitze er einen hohen Rang und Titel.

»Sie besitzen alles,« unterbrach ihn Manilow mit demselben einnehmenden
Lächeln, »Sie besitzen alles und sogar noch mehr!«

»Wie haben Sie unsere Stadt gefunden?« fragte jetzt Frau Manilow. »Haben
Sie Ihre Zeit angenehm verbracht?«

»Eine vortreffliche Stadt, eine herrliche Stadt!« versetzte
Tschitschikow, »ich habe dort wunderschöne Stunden verlebt; die
Gesellschaft ist äußerst liebenswürdig und zuvorkommend!«

»Und wie hat Ihnen unser Gouverneur gefallen?« fragte Frau Manilow
weiter.

»Nicht wahr? ein äußerst ehrenwerter und liebenswürdiger Mann?« fügte
Manilow hinzu.

»Sehr richtig,« sagte Tschitschikow, »ein höchst ehrenwerter Mann! Und
wie vortrefflich er seine Stellung ausfüllt, welches Verständnis er für
sie hat! Es wäre zu wünschen, wir hätten mehr solche Menschen!«

»Wie er es versteht, einen jeden zu behandeln, und in all seinen
Handlungen den richtigen Takt zu wahren,« fuhr Manilow lächelnd fort,
und dabei kniff er vor Vergnügen die Augen zusammen wie ein Kater, den
man sanft hinter den Ohren krabbelt.

»Ein ungemein liebenswürdiger und höflicher Mann!« sagte Tschitschikow,
»und welch ein Künstler! Ich hätte mir gar nicht vorstellen können, daß
er so reizende Stickereien und Handarbeiten machen kann. Er hat mir eine
Börse gezeigt, die er selbst verfertigt hat; man findet selten Damen,
die so schön sticken.«

»Und der Vizegouverneur? Ein reizender Mensch! nicht wahr?« bemerkte
Manilow und kniff die Augen wieder zusammen.

»Eine äußerst würdige und hochachtbare Persönlichkeit!« versetzte
Tschitschikow.

»Erlauben Sie mir noch eine Frage: Wie hat Ihnen der Polizeimeister
gefallen? Auch ein sehr liebenswürdiger Herr? Nicht wahr?«

»Oh, ein äußerst liebenswürdiger Herr! Und wie klug und belesen er ist!
Ich habe zusammen mit dem Staatsanwalt und dem Gerichtspräsidenten bis
zum frühen Morgen Whist bei ihm gespielt. Ein ganz ungemein würdiger
Herr!«

»Und wie denken Sie von der Gattin des Polizeimeisters?« fragte hier
Frau Manilow. »Finden Sie nicht auch, daß es eine äußerst liebenswürdige
Dame ist?«

»Oh, das ist eine der würdigsten und achtbarsten Damen, die ich kennen
gelernt habe!« erwiderte Tschitschikow.

Auch der Gerichtspräsident und der Postmeister wurden nicht vergessen;
so nahm man allmählich wohl sämtliche Beamten der Stadt durch, und es
zeigte sich, daß es lauter höchst ehrenwerte Männer waren.

»Leben Sie immer auf dem Lande?« fragte endlich Tschitschikow.

»Den größten Teil des Jahres!« antwortete Manilow. »Wir fahren auch wohl
hin und wieder in die Stadt, um mit gebildeten Menschen zusammen zu
sein. Man verwildert ja ganz, wissen Sie, wenn man sich gänzlich vor der
Welt verschließt.«

»Sehr wahr, sehr richtig!« versetzte Tschitschikow.

»Es wäre ja natürlich etwas andres,« fuhr Manilow fort, »wenn man
angenehme Nachbarn, wenn man z. B. einen Menschen hätte, mit dem man
sich sozusagen aussprechen, über die guten Manieren und feinen
Umgangsformen unterhalten, irgend eine Wissenschaft treiben könnte, --
wissen Sie, so was fürs Herz, was einen über sich selbst hinaushebt ...«
Er wollte noch etwas hinzufügen, da er aber merkte, daß er sich ein
wenig vergaloppiert hatte, fuhr er nur mit der Hand durch die Luft und
sagte: »Dann hätten natürlich das Land und die Einsamkeit viele
Annehmlichkeiten. Aber ich habe tatsächlich niemanden. Höchstens liest
man einmal den »Sohn des Vaterlandes«.

Tschitschikow war vollkommen damit einverstanden und fügte hinzu, es
könne in der Tat gar nichts Schöneres geben, als ganz für sich allein zu
leben, den herrlichen Anblick der Natur zu genießen und nur hin und
wieder ein Buch zu lesen ...

»Aber wissen Sie,« versetzte Manilow, »wenn man keinen Freund hat, dem
man sich mitteilen kann ...«

»Oh ja, das ist richtig, das ist ganz richtig!« unterbrach ihn
Tschitschikow, »was könnten uns denn alle Schätze der Welt helfen?
>_Gute Freunde sind besser als alle Reichtümer der Erde_< hat einmal ein
weiser Mann gesagt.«

»Und wissen Sie, Pawel Iwanowitsch,« sagte Manilow und machte dabei ein
freundliches oder vielmehr unangenehm süßliches Gesicht, gleich einer
Mixtur, die der allzu gewandte Arzt in der Absicht, dem Patienten einen
besonderen Gefallen zu erweisen, mit garzuviel Syrup versetzt hat, »dann
spürt man einen ganz besonderen, sozusagen -- geistigen Genuß ... Wie
zum Beispiel gleich heute, wo mir der Zufall das Glück, ich möchte
sagen, das seltene, ungetrübte Glück verschaffte, mich mit Ihnen
unterhalten und Ihre angenehme Gesellschaft genießen zu können ...«

»Nein, ich muß doch bitten, was für eine angenehme Gesellschaft? ... Ich
bin nur ein unbedeutender Mensch und sonst nichts,« erwiderte
Tschitschikow.

»Ach, Pawel Iwanowitsch! Lassen Sie mich ganz aufrichtig sein! Ich würde
mit Freuden die Hälfte meines Vermögens hingeben, um nur einen Teil
Ihrer großen Vorzüge zu besitzen!«

»Im Gegenteil, ich hätte vielmehr allen Anlaß, mich zu freuen ...«

Es läßt sich kaum sagen, wie dieser gegenseitige Gefühlserguß der beiden
Freunde geendigt hätte, wenn nicht der Diener eingetreten wäre, um zu
melden, das Essen sei aufgetragen.

»Darf ich bitten,« sagte Manilow.

»Sie werden entschuldigen, wenn wir Ihnen nicht mit einem Mittagessen
aufwarten können, wie Sie es wohl in den Hauptstädten und in vornehmen
Häusern gewohnt sind: bei uns ist's nur einfach, nach russischer Sitte,
nichts wie Kohlsuppe, aber es kommt von Herzen. Bitte seien Sie so
freundlich.«

Hierauf stritten sie sich noch eine Weile herum, wer zuerst eintreten
solle, bis sich Tschitschikow endlich dazu entschloß und sich seitwärts
durch die Tür drückte.

Im Speisezimmer warteten zwei Knaben, Manilows Söhne; sie befanden sich
in dem Alter, wo man die Kinder schon am Tische mitessen, aber sie noch
auf hohen Stühlen sitzen läßt. Neben ihnen stand der Hauslehrer, der
sich höflich lächelnd verbeugte. Die Hausfrau setzte sich vor die
Suppenterrine; der Gast mußte zwischen dem Hausherrn und der Hausfrau
Platz nehmen, der Diener band den Kindern die Servietten vor.

»Was für reizende Knaben!« sagte Tschitschikow mit einem Blick auf die
Kinder. »Wie alt sind sie?«

»Der ältere ist sieben Jahre, der jüngere ist gestern sechs Jahre alt
geworden,« erklärte Frau Manilow.

»Themistokljus!« sagte Manilow und wandte sich an den älteren, der sein
Kinn unter der Serviette hervorzuziehen suchte, die ihm der Diener
vorgebunden hatte. Tschitschikow zog die Augenbrauen leicht in die Höhe,
als er diesen halbgriechischen Namen hörte, dem Manilow aus einem
unbekannten Grunde die Endung _jus_ gegeben hatte; aber er beeilte sich,
seinem Gesicht sofort wieder den gewohnten Ausdruck zu verleihen.

»Themistokljus, sage mir doch, welches ist die schönste Stadt in
Frankreich?«

Jetzt richtete der Lehrer seine ganze Aufmerksamkeit auf Themistokljus,
als wolle er ihm in die Augen springen, aber schließlich beruhigte er
sich wieder und nickte nur mit dem Kopf, als Themistokljus antwortete:
»Paris.«

»Und welches ist bei uns die schönste Stadt?« fragte Manilow wieder.

Wieder heftete der Lehrer den Blick auf den Knaben.

»Petersburg!« antwortete Themistokljus.

»Und weiter?«

»Moskau,« sagte Themistokljus.

»Ein kluger Knabe! Brav, mein Junge!« sagte Tschitschikow. »Sagen sie
bloß ...,« fuhr er fort, indem er sich mit dem Ausdruck höchsten
Erstaunens an Manilow wandte. »So jung und schon ein solches Wissen. Ich
muß Ihnen gestehen, dieses Kind hat außerordentliche Fähigkeiten!«

»Oh, Sie kennen ihn noch nicht!« erwiderte Manilow, »er ist ungemein
scharfsinnig. Bei dem Jüngeren, Alcid, geht es nicht so schnell, dieser
dagegen ... wenn der irgend etwas bemerkt, einen Käfer oder ein
Würmchen, da blitzen seine Augen nur so, gleich läuft er hin und merkt
sich's. Ich will ihn die diplomatische Karriere ergreifen lassen.
Themistokljus!« fuhr er fort, indem er sich wieder an den Knaben wandte,
»willst du Gesandter werden?«

»Ja« antwortete Themistokljus, während er an seinem Brot kaute und mit
dem Kopfe hin und her wackelte.

Jetzt aber wischte der hinter dem Stuhl stehende Diener dem Gesandten
die Nase ab, und das war nötig, sonst wäre ihm ein großer, recht
überflüssiger Tropfen in die Suppe gefallen. Das Gespräch wandte sich
jetzt den Genüssen des stillen und zurückgezogenen Landlebens zu und
wurde nur durch einige Bemerkungen der Hausfrau über das Stadttheater
und die Schauspieler unterbrochen. Der Lehrer beobachtete die
Sprechenden mit gespannter Aufmerksamkeit, und sowie er bemerkte, daß
sie ihre Gesichter zu einem Lächeln verzogen, machte er seinen Mund weit
auf und lachte krampfhaft. Wahrscheinlich hatte er ein dankbares Gemüt
und wollte sich dem Hausherrn auf diese Weise für die gute Behandlung
erkenntlich zeigen. Nur einmal machte er eine ernste Miene und klopfte
streng auf den Tisch, wobei er seinen Blick auf die ihm
gegenübersitzenden Kinder richtete. Und das hatte seinen guten Grund,
denn Themistokljus hatte den Alcid ins Ohr gebissen, welcher die Augen
zusammenkniff, den Mund weit öffnete und in ein klägliches Geschrei
ausbrechen wollte; da er aber wohl ahnte, daß er dadurch um die süße
Speise kommen würde, brachte er den Mund wieder in seine frühere
Stellung und begann an seiner Hammelkeule zu nagen, während ihm die
Tränen über die Wangen liefen, die nur so vom Fette glänzten.

Die Hausfrau wandte sich mehrmals mit folgenden Worten an Tschitschikow:
»Sie essen ja gar nichts, Sie haben sich aber so wenig genommen,« worauf
Tschitschikow regelmäßig versetzte: »Ich danke bestens, ich bin satt.
Eine angenehme Unterhaltung schmeckt besser als der schönste
Leckerbissen.« Dann stand man vom Tische auf. Manilow war äußerst
zufrieden und wollte seinen Gast eben in den Salon geleiten, indem er
ihm die Hand auf den Rücken legte und ihn sanft unterstützte, als
Tschitschikow plötzlich mit höchst bedeutungsvoller Miene erklärte, er
müsse ihn in einer sehr wichtigen Angelegenheit sprechen.

»Dann möchte ich Sie bitten, mir in mein Zimmer zu folgen,« versetzte
Manilow und führte den Gast in ein kleines Gemach, dessen Fenster auf
den bläulich schimmernden Wald hinausging. »Dies ist mein kleiner
Winkel,« sagte Manilow.

»Ein freundliches Stübchen,« sprach Tschitschikow und ließ seinen Blick
durch das Zimmer schweifen. Dieses hatte in der Tat mancherlei
Annehmlichkeiten: die Wände waren mit einer undefinierbaren Farbe, halb
blau, halb grau angestrichen; das Ameublement bestand aus vier Stühlen,
einem Lehnstuhl und dem Tisch, auf dem man das Buch mit dem eingelegten
Lesezeichen, das wir schon bei Gelegenheit erwähnt haben, ein paar
vollgeschriebene Bogen Papier und vor allem sehr viel Tabak erblickte.
Der Tabak war in mancherlei Gestalt vertreten: in Form von Paketen, als
Inhalt der Tabaksdose, oder er lag einfach in Häufchen auf dem Tische
herum. Auf beiden Fensterbänken sah man auch ein paar Häuflein
Pfeifenasche, die sorgfältig in hübschen und regelmäßigen Abständen
angeordnet waren. Man hatte den Eindruck, daß diese Beschäftigung dem
Hausherrn mitunter zum Zeitvertreib diente.

»Darf ich Sie bitten, in diesem Lehnstuhl Platz zu nehmen,« sagte
Manilow. »Hier sitzen Sie bequemer.«

»Erlauben Sie mir, auf dem Stuhl Platz zu nehmen!«

»Erlauben Sie mir, Ihnen das nicht zu erlauben!« sagte Manilow lächelnd.
»Dieser Lehnstuhl ist nun einmal für den Gast bestimmt. Ob Sie nun
wollen oder nicht -- Sie müssen drin Platz nehmen!«

Tschitschikow setzte sich.

»Gestatten Sie, daß ich Ihnen eine Pfeife anbiete!«

»Nein danke, ich rauche nicht!« sagte Tschitschikow freundlich und wie
bedauernd.

»Warum nicht?« fragte Manilow ebenfalls freundlich und mit dem Tone des
Bedauerns.

»Ich bin es nicht gewöhnt und fürchte mich, es mir anzugewöhnen; man
sagt, das Rauchen sei schlecht für die Gesundheit!«

»Erlauben Sie mir, zu bemerken, daß dies ein Vorurteil ist. Ich bin
sogar der Ansicht, daß das Pfeifenrauchen weit gesünder ist als das
Tabakschnupfen. Wir hatten einen Leutnant in unserem Regiment, einen
herrlichen, außerordentlich gebildeten Menschen, der legte die Pfeife
nie aus dem Munde, und nicht nur bei Tisch, sondern mit Respekt zu
sagen, auch nicht an anderen Orten. Und heute ist er bereits vierzig
Jahre alt und Gott sei dank so gesund, wie nur möglich.«

Tschitschikow wandte ein, daß dies in der Tat vorkomme; überhaupt gäbe
es viele Dinge in der Natur, die auch ein großer Geist nicht begreifen
könne.

»Aber erlauben Sie mir, Ihnen zuvor eine Bitte vorzutragen ...« fuhr er
mit einer Stimme fort, in der ein seltsamer, oder doch beinahe seltsamer
Ausdruck lag, und dabei sah er sich aus irgend einem Grunde um. Auch
Manilow sah sich um, ohne daß man hätte sagen können weshalb. »Wie lange
ist es her, daß Sie die Revisionsliste zum letztenmal einreichten?«

»Ja, das ist schon sehr lange her, oder um die Wahrheit zu sagen, ich
erinnere mich nicht mehr.«

»Sind Ihnen seitdem viele Bauern gestorben?«

»Das weiß ich leider nicht; darnach muß man den Verwalter fragen.
Hollah! Bursch! Ruf doch den Verwalter, er muß heute hier sein.«

Bald darauf erschien der Verwalter. Das war ein Mann von etwa vierzig
Jahren; er hatte ein glattrasiertes Kinn und einen Gehrock an, offenbar
führte er ein sehr ruhiges Leben, denn sein Gesicht war rundlich und
wohlgenährt, die gelbe Hautfarbe und die kleinen Äuglein waren ein
Beweis dafür, daß er mit weichen Daunendecken und Plumeaus aufs beste
vertraut war. Man sah sofort, daß er seine Laufbahn vollendet hatte,
gleich allen Leibeigenen, die die Güter ihrer Herrn verwalten; erst war
er ein gewöhnlicher Junge gewesen, der im Hause seines Herrn
aufgewachsen und Lesen und Schreiben gelernt hatte; dann hatte er irgend
eine Agaschka, die Wirtschafterin war und bei der Hausfrau in besonderer
Gunst stand, geheiratet, und war dann selbst Hausmeister und endlich
Verwalter geworden. In seinem neuen Amt als Verwalter benahm er sich
natürlich genau so wie alle Verwalter: er verkehrte und befreundete sich
mit den reicheren Leuten im Dorf, legte den Ärmeren noch neue Lasten
auf, stand morgens früh gegen neun Uhr auf, wartete auf seine
Teemaschine und trank Tee.

»Hör mal, mein Lieber! Wieviel Bauern sind bei uns gestorben, seit wir
die Revisionsliste zum letztenmal eingereicht haben?«

»Wie meinen Sie das. Wie viele? Seitdem sind viele gestorben,« sagte der
Verwalter, rülpste und hielt sich die Hand wie ein Schild vor den Mund.

»Ja, ja, das habe ich mir auch gedacht,« nahm jetzt Manilow das Wort,
»es sind sehr viele gestorben!« Hierbei wandte er sich an Tschitschikow,
indem er noch hinzufügte: »Wirklich sehr viele!«

»Und wieviel werden es ungefähr sein?« fragte Tschitschikow.

»Ja, wie viele ungefähr?« fiel Manilow ein.

»Ja, wie soll ich sagen -- wie viele ungefähr. Das weiß man ja nicht,
wie viele gestorben sind. Niemand hat sie gezählt.«

»Natürlich,« sagte Manilow, indem er sich an Tschitschikow wandte, »das
dachte ich mir gleich, die Sterblichkeit war sehr groß; wir wissen gar
nicht, wie viele gestorben sind.«

»Bitte, zähle sie doch einmal,« sagte Tschitschikow, »und stelle mir ein
ausführliches Verzeichnis aller Namen auf.«

»Jawohl, aller Namen!« sagte Manilow.

Der Verwalter sagte: »Zu Befehl!« und entfernte sich.

»Und aus welchem Grunde interessieren Sie sich dafür?« fragte Manilow,
nachdem der Verwalter fortgegangen war.

Diese Frage schien dem Gast einige Verlegenheit zu bereiten: in dem
Ausdruck seines Gesichtes machte sich eine gewisse Anstrengung
bemerkbar, die ihn sogar ein wenig erröten ließ -- die Anstrengung, die
man macht, wenn man etwas aussprechen will, und die Worte wollen sich
nicht fügen. Und in der Tat, was Manilow endlich zu hören bekam, waren
so seltsame und unerhörte Dinge, wie sie noch nie ein menschliches Ohr
vernommen hat.

»Sie fragen mich: aus welchem Grunde? Der Grund ist folgender: ich hätte
Lust, die Bauern zu kaufen,« sagte Tschitschikow, fing an zu stottern,
und schloß seine Rede.

»Und darf ich mir die Frage erlauben,« sagte Manilow, »wie wollen Sie
die Bauern kaufen, mit dem Lande, oder um sie mitzunehmen, d. h. also
ohne Land?«

»Nein, ich will eigentlich keine Bauern,« sagte Tschitschikow, »ich
möchte tote ... haben.«

»Wie? Verzeihen Sie ..., ich höre ein wenig schlecht, mir schien, ich
hätte ein ganz seltsames Wort gehört ...«

»Ich möchte die toten Bauern kaufen, die aber nach der letzten Revision
noch als lebendig eingetragen sind,« erklärte Tschitschikow.

Manilow ließ die Pfeife auf den Boden fallen, machte den Mund weit auf
und saß ein paar Minuten lang mit offenem Munde da. Die beiden Freunde,
die noch soeben von den Annehmlichkeiten der Freundschaft gesprochen
hatten, blieben unbeweglich sitzen und starrten sich gegenseitig an wie
zwei Porträts, die man in der guten alten Zeit zu beiden Seiten des
Spiegels aufzuhängen pflegte. Endlich hob Manilow die Pfeife auf und sah
seinem Gast von unten ins Gesicht, wie um zu erforschen, ob nicht ein
Lächeln um seine Lippen spiele, und ob er sich nicht bloß einen Spaß
erlaubt hätte: aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil,
das Gesicht erschien ihm noch ernster und würdevoller als gewöhnlich.
Dann überlegte er ein wenig, ob der Gast nicht plötzlich verrückt
geworden sei, und sah ihn aufmerksam und mit einigem Grauen an, aber
seine Augen waren ganz klar, er konnte nichts von jenem wilden,
unruhigen Feuer in ihnen entdecken, wie es im Auge des Wahnsinnigen
flackert: alles war in Ordnung, ganz wie es sich gehört. Und so sehr
Manilow auch darüber nachsann, was nun geschehen sollte und was hier zu
tun sei, es wollte ihm nichts andres einfallen, als den Tabakrauch in
feinen Strahlen auszublasen.

»Ich möchte also wissen, ob Sie mir diese zwar tatsächlich toten, aber
vom Standpunkt der gesetzlichen Form noch lebenden Seelen, überweisen
oder abtreten wollen, wie es Ihnen am besten erscheint.«

Aber Manilow war so verwirrt und verlegen, daß er ihn nur ansah, ohne
ein Wort finden zu können.

»Mir scheint, Sie können sich nicht dazu entschließen?« bemerkte
Tschitschikow.

»Ich ... oh nein, das ist es nicht,« sagte Manilow, »aber ich kann nicht
verstehen ... entschuldigen Sie ... ich war natürlich nicht in der Lage,
mir eine so glänzende Bildung anzueignen, von der gewissermaßen jede
Ihrer Bewegungen Zeugnis ablegt; auch besitze ich nicht die hohe Gabe,
mich so kunstvoll auszudrücken .... Vielleicht ... verbirgt sich hier
... hinter Ihrer Erklärung, die Sie soeben abgaben ... etwas andres ...
Vielleicht war es nur eine stilistische Schönheit, um deretwillen Sie
sich so auszudrücken beliebten?«

»Oh nein!« fiel hier Tschitschikow lebhaft ein, »nein, ich nehme den
Gegenstand ganz buchstäblich, ganz so wie er ist, d. h. ich meine die
Seelen, die tatsächlich schon gestorben sind.«

Manilow kam ganz aus der Fassung. Er fühlte, daß hier etwas geschehen,
daß er ihm irgend eine Frage stellen müsse, und doch konnte nur der
Teufel wissen, was das für eine Frage war. Der einzige Ausweg, den er
schließlich fand, bestand wiederum darin, daß er eine Wolke Tabakrauch
ausblies, diesmal aber nicht durch den Mund, sondern durch die
Nasenlöcher.

»Wenn die Sache also keine Schwierigkeiten hat, so können wir mit Gottes
Hilfe gleich an die Aufstellung des Kaufvertrages gehen,« sagte
Tschitschikow.

»Wie? Ein Kaufvertrag über tote Seelen?«

»Nein! Das nicht!« antwortete Tschitschikow. »Wir sagen natürlich, sie
seien lebendig, wie es ja in der Tat in den Revisionslisten steht. Ich
pflege nie von den bürgerlichen Gesetzen abzuweichen; und obwohl ich
schon oft im Dienste darunter zu leiden hatte, ich kann nun mal nicht
anders; die Pflicht ist mir heilig, und das Gesetz ... vor dem Gesetz
muß ich verstummen.«

Die letzten Worte erregten Manilows Beifall, obgleich er den
eigentlichen Sinn der Sache noch immer nicht erfassen konnte; statt zu
antworten, nahm er ein paar so heftige Züge aus seiner Pfeife, daß diese
zu tönen begann wie ein Fagott. Es war fast so, als ob er sich aus der
Pfeife eine Ansicht über diesen geradezu unerhörten Fall herausholen
wollte; die Pfeife aber gab nur heisere Töne von sich und sonst nichts.

»Vielleicht haben Sie noch irgend einen Zweifel?«

»Nicht doch! Nicht im geringsten! Sie dürfen nicht etwa glauben, ich
hätte ein ... gewissermaßen kritisches Vorurteil in bezug auf Ihre
Persönlichkeit. Aber darf ich mir die Frage gestatten: wird dieses
Unternehmen ... oder um mich sozusagen deutlicher auszudrücken ... dies
Geschäft ... wird dieses Geschäft nicht am Ende im Widerspruch mit den
bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven Rußlands stehen?«

Bei diesen Worten machte Manilow eine lebhafte Kopfbewegung und sah
Tschitschikow mit bedeutungsvoller Miene gerade ins Gesicht; hierbei lag
in all seinen Zügen und besonders in den zusammengepreßten Lippen ein so
ernster Ausdruck, wie man ihn wohl noch nie an einem Menschenantlitz
beobachtet hat, es sei denn bei einem ganz ungewöhnlich klugen Minister,
und auch bei dem nur, während er über ein ganz besonders schwieriges
Problem nachsann.

Aber Tschitschikow erklärte einfach, ein solches Unternehmen oder
Geschäft könne den bürgerlichen Satzungen und den weiteren Perspektiven
Rußlands durchaus nicht zuwiderlaufen, und fügte nach einem Augenblick
noch hinzu, es würde dabei sogar noch etwas für den Fiskus abfallen, da
der Staat ja seine gesetzlichen Gebühren erhalte.

»So meinen Sie also ...?«

»Ich glaube, es geht sehr gut!«

»Nun, wenn es gut geht, ist es freilich eine andre Sache. Dann habe ich
nichts dagegen,« sagte Manilow völlig beruhigt.

»Jetzt müssen wir uns noch über den Preis einigen ...«

»Wie? über den Preis?« sagte Manilow wieder ein wenig verblüfft. »Sie
glauben doch nicht, daß ich Geld für Seelen nehmen werde, die doch
gewissermaßen ... ihr Dasein vollendet haben? Aber selbst wenn Sie eine,
ich möchte sagen, so phantastische Laune anwandelte, dann würde ich für
meinen Teil sie Ihnen ohne jede Vergütung überlassen und auch den
Kaufvertrag auf mich nehmen.«

Der Geschichtsschreiber, der über die hier mitgeteilten Begebenheiten
berichtet, verdiente sicherlich den schärfsten Tadel, wenn er an dieser
Stelle zu erwähnen unterließe, daß unser Gast von einer hohen Freude
erfüllt wurde, als er Manilow solche Worte aussprechen hörte. So gesetzt
und besonnen er auch war, er hätte am liebsten einen Luftsprung gemacht,
wie ein Ziegenbock, was, wie bekannt, nur im Ausbruche höchster Freude
geschieht. Er drehte sich so heftig im Lehnstuhl um, daß der wollene
Stoff, mit dem der Sitz überzogen war, platzte; auch Manilow wurde
aufmerksam und betrachtete ihn mit einigem Erstaunen. In seiner
überquellenden Dankbarkeit _überschüttete_ ihn der Gast förmlich mit
Worten der Anerkennung, bis jener ganz verlegen wurde, errötete, eine
abwehrende Bewegung mit dem Kopfe machte und endlich erklärte, das sei
ja ein reines Nichts, er habe ihm eigentlich nur einen Beweis für seine
herzliche Zuneigung und den magnetischen Zug seiner Seele geben wollen,
und tote Seelen -- das sei doch sozusagen eine Bagatelle -- die reinste
Lumperei.

»Durchaus keine Lumperei,« sagte Tschitschikow und drückte ihm die Hand.

Hierbei stieß er einen sehr tiefen Seufzer aus. Wie es scheint, hatte er
große Lust, sein Herz auszuschütten; und nicht ohne Ausdruck und Gefühl
sprach er zuletzt folgende Worte: »Oh! wenn Sie wüßten, was Sie einem
Menschen ohne Namen und Titel mit diesem Geschenk, das anscheinend nur
eine Kleinigkeit ist, für einen Dienst erwiesen haben. Wahrlich! Was
habe ich nicht alles gelitten! Wie ein einsamer Kahn inmitten wütender
Wogen ... Was für Verfolgungen hatte ich nicht zu erdulden! Welcher
Schmerz blieb mir erspart! Und weswegen? Weil ich der Wahrheit treu
blieb, mein Gewissen rein bewahrte, weil ich meine Hand den hilflosen
Witwen und armen Waisen entgegenstreckte!« Und hierbei wischte er sich
sogar eine Träne aus dem Auge.

Manilow war ganz gerührt. Beide Freunde drückten sich fortwährend die
Hand und sahen sich lange stumm in die Augen, in denen schöne Tränen
blinkten. Manilow wollte die Hand unseres Helden durchaus nicht aus der
seinen lassen und fuhr fort, sie so herzlich zu drücken, daß jener kaum
noch wußte, wie er sie befreien solle. Nachdem er sie endlich sanft
zurückgezogen hatte, sagte er, es wäre gut, wenn man den Kaufkontrakt
gleich aufsetzen könnte und wenn Manilow selbst in der Stadt die nötigen
Erkundigungen einziehen wollte; dann nahm er seinen Hut und
verabschiedete sich.

»Wie? Sie wollen schon fahren?« fragte Manilow, der wie aus einem Traum
erwachte und beinahe erschrocken war.

In diesem Augenblick trat Frau Manilow ins Zimmer.

»Lisanka!« sagte Manilow mit etwas kläglicher Miene, »Pawel Iwanowitsch
will uns verlassen!«

»Pawel Iwanowitsch ist unser wohl überdrüssig,« versetzte Frau Manilow.

»Gnädige Frau!« sagte Tschitschikow, »hier, sehen Sie hier« -- und dabei
legte er seine Hand aufs Herz -- »Ja hier werde ich mir die Erinnerung
an die schönen Stunden bewahren, die ich mit Ihnen verlebt habe! Und
glauben Sie mir, ich kann mir keine größere Seligkeit vorstellen, als
mit Ihnen, wenn auch nicht in einem Hause, so doch wenigstens in
nächster Nachbarschaft zu leben!«

»Wissen Sie was, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow, dem dieser Gedanke
offenbar sehr gefiel, »es wäre doch wirklich herrlich, wenn wir so
zusammen unter einem Dach leben, im Schatten einer Ulme miteinander
philosophieren und uns gemeinsam in die Dinge vertiefen könnten ...«

»Oh, das wäre himmlisch!« sagte Tschitschikow mit einem Seufzer. »Leben
Sie wohl, gnädige Frau!« fuhr er fort, indem er Frau Manilow die Hand
küßte. »Leben Sie wohl, verehrter Freund! und vergessen Sie meine Bitte
nicht!«

»Oh, seien Sie ganz ruhig!« erwiderte Manilow, »wir trennen uns doch
nicht auf länger als zwei Tage!«

Sie betraten das Speisezimmer.

»Adieu, meine lieben Kleinen!« sagte Tschitschikow, als er Alcid und
Themistokljus erblickte, die mit einem hölzernen Husaren spielten, der
übrigens weder Hände noch Nase mehr hatte. »Lebt wohl, liebe Kinder.
Verzeiht, daß ich euch nichts zum Naschen mitgebracht habe, aber ich muß
gestehen, ich wußte ja gar nicht, daß ihr auf der Welt seid. Aber wenn
ich das nächstemal wiederkomme, bringe ich euch sicher etwas mit. Dir
bringe ich einen Säbel. Willst du einen Säbel haben? Wie?«

»Ja!« antwortete Themistokljus.

»Und dir bringe ich eine Trommel mit. Nicht wahr, du möchtest doch eine
Trommel haben?« fuhr Tschitschikow fort, indem er sich über Alcid
beugte.

»Ja, eine Prommel,« sagte Alcid leise, indem er den Kopf senkte.

»Schön also, ich will dir eine Trommel kaufen. -- Weißt du eine feine
Trommel. Die wird immer Trrr .... ru ... tra, ta, ta, tra, ta, ta
machen. Leb wohl, Herzchen! Adieu!« Er küßte ihn auf den Kopf und wandte
sich mit jenem Lächeln an Manilow und seine Frau, mit dem man sich an
alle Eltern zu wenden pflegt, wenn man ihnen zu verstehen geben will,
wie unschuldig doch die Wünsche ihrer Kinder sind.

»Ach bleiben Sie doch noch ein wenig, Pawel Iwanowitsch!« sagte Manilow,
als schon alle auf die Freitreppe hinausgetreten waren. »Sehen Sie doch,
was dort für Wolken heraufziehen!«

»Das sind nur kleine Wölkchen,« meinte Tschitschikow.

»Kennen Sie aber auch den Weg zu Sabakewitsch?«

»Danach wollte ich Sie gerade fragen.«

»Erlauben Sie, ich will ihn Ihrem Kutscher erklären!« Und Manilow machte
dem Kutscher die Sache in der liebenswürdigsten Weise klar, und sagte
sogar einmal _Sie_ zu ihm.

Als der Kutscher hörte, daß er zwei Wegkreuzungen abseits liegen lassen
und erst bei der dritten einbiegen müsse, sagte er: »Wir werden's schon
finden,« und Tschitschikow fuhr davon, begleitet von den Abschiedsgrüßen
der Gatten, die noch lange auf den Fußspitzen standen und ihre
Taschentücher schwenkten.

Manilow blieb noch lange auf der Treppe stehen und folgte dem
davonrollenden Wagen mit den Augen, und als dieser schon längst nicht
mehr zu sehen war, stand er noch immer mit der Pfeife im Munde da.
Endlich ging er wieder ins Haus zurück, ließ sich auf einem Stuhl nieder
und versank in Sinnen, von Herzen froh, daß er seinem Gast eine kleine
Freude bereitet hatte. Dann schweiften seine Gedanken, ohne daß er es
merkte, zu anderen Gegenständen hinüber, um endlich, Gott weiß wo, zu
landen. Er dachte an die Seligkeiten der Freundschaft, wie schön es doch
wäre, mit dem Freunde am Ufer eines Flusses zu leben, dann baute er in
Gedanken eine Brücke über den Fluß und darauf ein Haus mit einem
gewaltigen Pavillon, von dem aus man sogar Moskau sehen konnte, und er
stellte sich vor, wie herrlich es sein müßte, dort abends im Freien
seinen Tee zu trinken und sich über angenehme Gegenstände zu
unterhalten; oder er malte es sich aus, wie er und Tschitschikow, in
eleganten Equipagen zu einer Abendgesellschaft fahren und alle
Anwesenden durch ihr feines Benehmen in Entzückung versetzen, und wie
dann der Kaiser, der von der Freundschaft der beiden gehört hatte, sie
zu Generälen ernennt, und so träumte er immer weiter; was nun noch alles
folgte, weiß Gott allein, wußte er es doch selbst nicht mehr genau. Aber
plötzlich drängte sich Tschitschikows seltsame Bitte jäh in seine
Träumereien, und dieser Gedanke wollte ihm nicht recht in den Kopf: er
mochte ihn drehen und wenden soviel er wollte, er konnte sich nicht klar
über ihn werden. So saß er noch lange mit der Pfeife im Munde da, bis
das Abendessen auf dem Tische stand.


                            Drittes Kapitel

Unterdessen saß Tschitschikow vergnügt in seinem Wagen, der schon seit
einiger Zeit auf der Landstraße dahinrollte. Aus dem vorigen Kapitel
konnten wir schon erfahren, was der eigentliche Gegenstand seiner
Neigung und seines Geschmacks war, und es war daher auch kein Wunder,
wenn er sich bald mit Leib und Seele in ihn versenkte. Die Vermutungen,
Überschläge und Berechnungen, die er anstellte und die sich auf seinem
Gesichte spiegelten, mußten höchst angenehmer Art sein, denn sie
hinterließen in einem fort die Spuren eines vergnügten Lächelns auf
seinen Zügen. Ganz mit seinen Gedanken beschäftigt, achtete er gar nicht
darauf, was für treffende Worte sein Kutscher, der offenbar von dem
Empfang durch die Bedienten und Knechte Manilows äußerst befriedigt war,
an den Schecken, das rechte Beipferd richtete. Dieser Schecke war sehr
schlau, und _tat_ bloß so, als ob er den Wagen auch vorwärts ziehe,
während sich das mittlere braune und der Fuchs, das linke Beipferd, das
den Namen Assessor trug, weil man es irgend einem Assessor abgekauft
hatte, aus allen Kräften abquälten, das Gefährt weiter zu bringen, so
daß man ihnen das Vergnügen, welches ihnen das bereitete, von den Augen
ablesen konnte: »Brauch soviel Listen als du willst! Es hilft dir doch
nichts! Ich will dich doch überlisten!« sagte Seliphan, indem er sich
etwas erhob und dem Trägen einen Peitschenhieb versetzte. »Tu deine
Pflicht, du deutscher .......! Der Braune ... das ist ein braves Pferd,
der tut seine Schuldigkeit; darum gebe ich ihm auch gern ein Maß Hafer
mehr, weil er ein braves Pferd ist. Und der Assessor -- der ist auch ein
gutes Pferd ... Nun, was schüttelst du die Ohren? Dummkopf, paß auf,
wenn man mir dir spricht! Ich werde dich schon nichts Schlechtes lehren,
du Esel! Seh einer, wo der hin will!« Hierbei gab er ihm wieder eins mit
der Peitsche und murmelte: »Uf! Barbar! Bonaparte, Verfluchter!« Dann
rief er allen miteinander ein: »He! Ihr Lieben!« zu, und gab allen
dreien eins mit der Peitsche, nicht etwa, um sie zu strafen, sondern zum
Beweise, daß er mit ihnen zufrieden war. Nachdem er ihnen diese kleine
Freude bereitet hatte, wandte er sich wieder an den Schecken: »Du
glaubst, es wird dir gelingen, dein schlechtes Betragen zu verbergen.
Nein, mein Lieber, tue recht, wenn du willst, daß man Achtung vor dir
haben soll. Siehst du! Die Leute des Herrn, bei dem wir waren -- das
sind gute Menschen! Mit einem guten Menschen plaudere ich immer gern,
ein guter Mensch -- das ist mein Freund und lieber Kamerad; mit ihm
setze ich mich gerne zu Tisch oder trinke mein Glas Tee mit ihm. Ein
guter Mensch wird von jedermann geachtet! Unseren Herrn zum Beispiel --
den achten alle Leute, hörst du wohl, weil er unserem Kaiser gut gedient
hat und Skollegenrat ist ....«

In dieser Weise ging es weiter, bis Seliphan bei den entferntesten und
abstraktesten Materien angelangt war. Hätte Tschitschikow aufmerksam
zugehört, er hätte noch manche Einzelheit erfahren, die auf seine Person
Bezug hatte; aber seine Gedanken waren so sehr mit seinen eigenen
Angelegenheiten beschäftigt, daß erst ein heftiger Donnerschlag ihn aus
seinen Träumen weckte und ihn veranlaßte, sich ein wenig umzusehen; der
ganze Himmel war mit Wolken bedeckt, und große Regentropfen trafen die
staubige Chaussee. Ein zweiter noch stärkerer Donnerschlag folgte dem
ersten aus noch größerer Nähe, und plötzlich prasselte der Regen in
Strömen wie aus Gießkannen nieder. Zuerst fiel er in schräger Richtung
herab und peitschte bald die eine Seite, bald die andere Seite des
Kutschbocks, dann änderte er seine Angriffsmethode und rieselte
senkrecht auf den Kutschbock nieder, bis die Tropfen Tschitschikow ins
Gesicht spritzten. Er ließ also das lederne Wagendeck mit den zwei
kleinen runden Fensterchen aufspannen, die eine freie Aussicht auf die
Landschaft gestatteten und befahl Seliphan, schneller zu fahren.
Seliphan, mitten in der Rede unterbrochen, sah wohl auch ein, daß jetzt
nicht Zeit zum Säumen war, holte etwas wie einen Mantel aus grauem Stoff
unter dem Bock hervor, steckte die Hände in die Ärmel, ergriff die Zügel
und spornte die drei Gäule durch einen Zuruf an, welche unter dem
Eindruck seiner erbaulichen Reden eine angenehme Schwäche in den Beinen
spürten und sie kaum vom Flecke brachten. Aber Seliphan konnte sich
absolut nicht erinnern, wieviel Wegekreuzungen sie bereits hinter sich
hatten, ob es zwei oder drei waren. Nachdem er sich die Sache überlegt
und über den Weg nachgedacht hatte, kam er zur Überzeugung, daß sie
schon manchen Weg gekreuzt und links liegen gelassen hatten. Da aber ein
Russe im entscheidenden Augenblick die Fassung nie verliert und, ohne
lange nachzudenken, immer irgend einen Ausweg findet, so machte er bei
dem nächsten Kreuzweg eine Wendung nach rechts, indem er den Pferden
zurief: »Hüh! liebe Freunde!« und dann jagte er im Galopp dahin, ohne
sich viel Gedanken darüber zu machen, wohin sie der eingeschlagene Weg
führen werde.

Der Regen schien indessen nicht bald aufhören zu wollen. Der Staub, der
die Landstraße bedeckte, verwandelte sich schnell in weichen Dreck, es
wurde den Pferden mit jedem Augenblick schwerer, den Wagen
fortzubewegen. Tschitschikow geriet bereits in eine lebhafte Unruhe, da
noch immer nichts von dem Gute Sabakewitschs zu sehen war. Seiner
Berechnung nach hätten sie schon längst da sein müssen. Er blickte nach
beiden Seiten zum Fenster hinaus, aber es war stockfinster, und er
konnte nichts sehen.

»Seliphan!« rief er endlich, indem er den Kopf aus dem Fenster steckte.

»Ja, Gnädiger Herr?« antwortete Seliphan.

»Schau dich mal um; ist das Dorf noch nicht zu sehen!«

»Nein, gnädiger Herr, es ist nichts zu sehen!« und Seliphan schwang
seine Peitsche und stimmte etwas wie einen Gesang an. Ein Lied konnte
man es nicht nennen, denn es dehnte und zog sich so in die Länge, daß es
gar kein Ende nehmen wollte. Seliphan brachte alles darin unter, alle
aufmunternden und anspornenden Rufe, mit denen man im weiten Rußland,
von einem Ende bis zum andern, die Pferde zu beglücken pflegt, und alle
nur möglichen Adjektiva, ohne jede Auswahl, wie sie ihm gerade auf die
Zunge kamen. Schließlich ging er sogar so weit, daß er seine Pferde
Sekretäre nannte.

Jetzt aber machte Tschitschikow die Entdeckung, daß sein Wagen von einer
Seite auf die andre schwankte, wobei der Insasse jedesmal einen
kräftigen Stoß erhielt; das brachte ihn auf den Gedanken, daß sie von
der Straße abgekommen seien und wahrscheinlich über ein gepflügtes
Ackerfeld führen. Auch Seliphan mußte es wohl bemerkt haben, aber er
sagte kein Wort.

»Auf was für einem Wege fährst du eigentlich? du Spitzbube!« schrie
Tschitschikow.

»Was ist zu machen, gnädiger Herr, es ist halt schon spät am Abend. Ich
sehe nicht einmal meine Peitsche, so finster ist es!« Bei diesen Worten
neigte sich der Wagen so sehr auf die Seite, daß Tschitschikow sich mit
beiden Händen festhalten mußte. Erst jetzt bemerkte er, daß Seliphan
einen tüchtigen Rausch hatte.

»Halt! Halt! Du wirfst mich um!« rief er ihm zu.

»Nicht doch, gnädiger Herr, wie können Sie denken, daß ich Sie umwerfe,«
sagte Seliphan. »Das wäre schlecht von mir, wenn ich das täte, das weiß
ich selbst; o nein, das tue ich nicht, unter keinen Umständen werfe ich
Sie um!« Hierauf versuchte er den Wagen umzuwenden, aber er drehte und
wendete ihn so lange, bis er ihn ganz umwarf. Tschitschikow fiel mit
Füßen und Händen in den Dreck. Übrigens gelang es Seliphan wenigstens
die Pferde zum Stehen zu bringen; wahrscheinlich aber wären sie auch
schon von selber stehen geblieben, weil sie sehr müde waren. Dieses
unerwartete Ereignis brachte Seliphan ganz aus der Fassung. Er kroch von
seinem Bock herunter, stellte sich vor den Wagen hin, stemmte beide
Hände in die Seite und sagte, während sein Herr sich im Schmutze
herumwälzte und sich vergeblich zu erheben versuchte: »Ist das Ding also
doch umgefallen!«

»Du bist betrunken wie ein Schwein!« sagte Tschitschikow.

»Nicht doch, gnädiger Herr! Wie könnte ich auch betrunken sein! Ich weiß
doch, daß es schlecht ist, betrunken zu sein. Ich hab' nur ein wenig mit
einem guten Freunde geplaudert; mit einem guten Menschen darf man doch
sprechen -- das ist doch nichts Schlimmes -- und nachher haben wir
zusammen gegessen. Das ist doch auch nichts Unrechtes -- ein wenig mit
einem guten Menschen zu schmausen.«

»Was habe ich dir gesagt, als du das letztemal betrunken warst, wie?
Hast du's schon wieder vergessen?« sagte Tschitschikow.

»Gewiß nicht, Euer Gnaden, wie könnte ich so etwas vergessen? Ich kenne
doch meine Pflicht! Ich weiß doch, wie unrecht es ist, betrunken zu
sein. Ich habe doch nur mit dem braven Menschen da gesprochen, es ist
doch nicht ...«

»Ich lasse dir eine Tracht Prügel geben, dann wirst du schon wissen, was
es heißt, mit einem braven Menschen zu sprechen ...«

»Wie es Euer Gnaden belieben wird,« antwortete Seliphan, der mit allem
zufrieden war. »Wenn's denn Prügel geben soll, nun gut, ich widersetze
mich nicht. Warum sollte es keine Prügel geben, wenn man's verdient hat;
das steht ganz bei Ihnen, dafür sind Sie der Herr! Der Bauer _muß_
mitunter Prügel haben, sonst sticht ihn der Haber. Ordnung muß sein.
Wenn ich's verdient habe, dann laß mich nur durchprügeln, warum sollte
es auch keine Prügel geben?«

Auf eine solche Überlegung fand Tschitschikow keine Antwort. In diesem
Augenblick aber schien sich das Schicksal selbst seiner erbarmen zu
wollen. Plötzlich erklang Hundegebell aus der Ferne. Hocherfreut gab
Tschitschikow Seliphan den Befehl zum Aufbruch und schärfte ihm ein,
recht schnell zu fahren. Ein russischer Kutscher hat einen feinen
Instinkt, wo ihn seine Augen verlassen; so kann es geschehen, daß er die
Augen zumacht, im Galopp dahinjagt und dennoch irgend ein Ziel erreicht.
Obgleich Seliphan nichts mehr sah, steuerte er mit seinen Pferden gerade
auf das Dorf los und machte erst Halt, als der Wagen mit der Deichsel
auf einen Zaun stieß, und durchaus nicht mehr weiter kommen wollte.
Tschitschikow konnte durch die dichte Nebelhülle nichts außer einem
Fleck entdecken, der wie ein Dach aussah. Er gab Seliphan den Auftrag,
nach dem Tor zu suchen, was ohne Zweifel recht lange gedauert hätte,
wenn es in Rußland nicht statt des Portiers flinke Hunde gäbe, die in so
lauter Weise Meldung von seiner Ankunft erstatteten, daß er sich die
Ohren mit den Fingern zustopfte. In einem Fenster leuchtete ein Licht
auf, dessen trübe Strahlen auch auf den Zaun fielen, und unseren
Reisenden den Weg zum Tore wiesen. Seliphan klopfte an, worauf sich bald
eine Pforte auftat und eine in einen Schlafrock gehüllte Gestalt sehen
ließ. Herr und Diener hörten eine heitere Frauenstimme, die ihnen
zurief: »Wer klopft da? Wer lärmt hier so?«

»Wir sind Reisende, Mütterchen, wir suchen ein Nachtquartier,« sagte
Tschitschikow.

»So? Seh einer den Leichtfuß!« murmelte die Alte. »Kommt zu so später
Abendstunde angefahren. Hier ist keine Herberge. Hier wohnt eine
Gutsbesitzerin.«

»Was soll ich machen, Mütterchen? Wir haben uns verirrt. Wir können doch
bei dem Wetter nicht im Freien übernachten.«

»Ja das Wetter ist trübe und schlecht,« bemerkte Seliphan.

»Schweig! Esel,« sagte Tschitschikow.

»Wer sind Sie?« fragte die Alte.

»Ein Edelmann, Mütterchen.«

Das Wort _Edelmann_ schien einigen Eindruck auf die Alte gemacht zu
haben. »Wart' ich will's der gnädigen Frau melden,« murmelte sie,
entfernte sich und kam nach zwei Minuten mit einer Laterne in der Hand
wieder zurück. Das Tor öffnete sich. Jetzt wurde auch das andere Fenster
hell. Der Wagen fuhr durch das Tor und machte vor einem kleinen Häuschen
halt, das in der Dunkelheit nur mit Mühe zu erkennen war. Nur die eine
Seite war von dem Lichte erleuchtet, das aus den Fenstern fiel; vor dem
Hause sah man noch eine Pfütze im Lichte daliegen. Der Regen trommelte
laut auf das Holzdach und rieselte wie ein rauschender Bach in eine
daruntergestellte Tonne. Die Hunde heulten in allen Tonarten; der eine
hatte den Kopf hoch empor geworfen und stieß fortgesetzt lange klägliche
Töne hervor; dabei war er mit einem solchen Eifer bei der Sache, als ob
er Gott weiß wieviel dafür bezahlt bekäme; ein anderer produzierte sich
mit der Fertigkeit eines Küsters; zwischendurch erklang ununterbrochen
wie ein Postglöckchen der Diskant eines wahrscheinlich noch jungen
Köters, und dies ganze Konzert wurde getragen von dem gewaltigen Baß
eines alten, der wohl mit einer robusten Hundenatur ausgestattet war,
denn er schnarrte wie der Konterbaß eines Gesangchors, wenn das Konzert
in vollem Gange ist; die Tenöre stellen sich auf die Fußspitzen, um die
hohen Töne besser herauszubringen, alles strebt in die Höhe, und wirft
die Köpfe in den Nacken; nur _er_ allein, der Konterbaßspieler, steckt
das unrasierte Kinn in den Halskragen, hockt mit gebeugten Knieen fast
am Fußboden, und schmettert nun plötzlich von dort aus seine Note in die
Luft, daß alle Fensterscheiben erklirren und erzittern. Schon allein das
Hundegebell, das von diesen Musikanten herrührte, brachte einen auf die
Vermutung, daß dies ein recht ansehnliches Dorf sei; aber unser halb
erfrorener und durchnäßter Held dachte an gar nichts mehr, außer an ein
warmes Bett. Noch ehe der Wagen halten konnte, sprang er hinaus,
stolperte und wäre beinahe auf der Treppe hingefallen. Aus dem Flur trat
jetzt eine andere Frau, die etwas jünger war als die erste, aber ihr
dennoch recht ähnlich sah. Sie geleitete Tschitschikow ins Zimmer. Hier
angelangt, warf er einen flüchtigen Blick auf das Innere; das Zimmer war
mit alten gestreiften Tapeten bekleidet; an den Wänden hingen ein paar
Bilder, auf denen allerhand Vögel abgebildet waren, und zwischen den
Fenstern waren kleine altertümliche Spiegel mit dunklen Rahmen
aufgehängt, die die Form zusammengerollter Blätter hatten. Hinter jedem
Spiegel steckte ein Brief, ein altes Spiel Karten, ein Strumpf oder
dergleichen; dazu kam noch eine Wanduhr mit einem geblümten Zifferblatt
... Tschitschikow konnte nicht alles übersehen. Er fühlte, daß seine
Augen zufielen und seine Augenlider zusammenklebten, wie wenn sie jemand
mit Honig bestrichen hätte. Nach ein paar Minuten erschien die Hausfrau,
eine ältere Dame mit einer Nachthaube, die sie offenbar in der Eile
aufgesetzt hatte, und mit einem Flanelltuch um den Hals, eine von jenen
Matronen und kleinen Gutsbesitzerinnen, die immer über Mißernte und
Verluste jammern und den Kopf hängen lassen, während sie ganz im
Stillen, wenn auch langsam ein Geldstück nach dem andern in ihren bunten
Leinwandbeutel tun, den sie in der Schublade ihrer Kommode verschließen.
In den einen Geldsack legen sie die Rubel, in den nächsten die
Fünfzigkopeken-, in den dritten die Fünfundzwanzigkopekenstücke, und
doch sieht es so aus, als wenn in der Kommode nichts sei, als Wäsche,
Nachtjacken, Garnrollen und ein aufgetrennter Rock, der sich in ein
neues Kleid verwandelt, wenn das alte vor dem Fest beim Backen von
Stollen und Pfefferkuchen anbrennt oder von selbst verschleißt. Wenn das
Kleid jedoch nicht anbrennt und noch weiter vorhält, dann läßt unsere
sparsame Alte den Rock noch lange aufgetrennt in der Schublade liegen,
um ihn in ihrem Testament, zugleich mit manchem anderen Gerümpel, irgend
einer Nichte oder Cousine zweiten Grades zu vermachen.

Tschitschikow bat um Entschuldigung wegen der Beunruhigung, die er ihr
mit seiner Ankunft verursacht habe. »Macht nichts, macht nichts!« sagte
die Hausfrau, »zu wie später Stunde Sie auch der Herrgott hierher
geführt hat! Bei dem Sturm und Schneewetter! Nach dem langen Weg sollte
ich Ihnen eigentlich was zu essen anbieten, aber es ist schon so spät in
der Nacht; ich kann nichts mehr herrichten!«

Die Worte der Hausfrau wurden durch ein merkwürdiges Zischen
unterbrochen, sodaß Tschitschikow nicht wenig erschrak. Es war ein
Geräusch, als wenn sich das Zimmer plötzlich mit Schlangen angefüllt
hätte; aber ein Blick nach oben genügte, um ihn völlig zu beruhigen; er
überzeugte sich, daß der Ton von der Wanduhr herrührte, die offenbar
schlagen wollte. Auf das Zischen folgte denn auch gleich ein Schnarren,
und endlich schlug sie, nachdem sie alle Kräfte zusammengenommen hatte,
zwei Uhr und zwar in einem Ton, als ob jemand mit einem Stock auf einen
zerbrochenen Topf klopfte, worauf das Pendel aufs neue fortfuhr, sich im
ruhigen Takte hin- und herzubewegen.

Tschitschikow dankte der Hausfrau, indem er versicherte, er brauche gar
nichts, sie möge sich nur nicht beunruhigen, außer dem Verlangen nach
einem Bett habe er keine anderen Wünsche. Zugleich erkundigte er sich,
wohin er sich eigentlich verirrt habe, und ob es noch weit von hier bis
zum Gut des Herrn Sabakewitsch sei, worauf die Alte erklärte, sie hätte
diesen Namen noch nie gehört, einen Gutsbesitzer dieses Namens gäbe es
überhaupt nicht.

»Kennen sie wenigstens Manilow?« fragte Tschitschikow.

»Wer ist das, Manilow?«

»Ein Gutsbesitzer, Mütterchen.«

»Nein, ich habe seinen Namen noch nie gehört, einen solchen Gutsbesitzer
gibt es nicht.«

»Was gibt es denn hier für Gutsbesitzer?«

»Bobrow, Swinjin, Kanapatjew, Charankin, Trepakin, Pljeschako.«

»Sind es reiche Leute oder nicht?«

»Nein, Väterchen, allzu reiche gibt's hier nicht. Der eine hat zwanzig,
der andere hat dreißig Seelen; solche mit hundert gibt's hier zu Lande
nicht.«

Jetzt erst merkte Tschitschikow in was für eine abgelegene Gegend er
sich verirrt hatte.

»Können Sie mir zum mindesten sagen, wie weit es von hier bis zur Stadt
ist?«

»Es werden wohl gegen 60 Werst sein. Es tut mir wirklich leid, daß ich
Ihnen gar nichts vorsetzen kann! Haben Sie nicht Lust zu einem Glas Tee,
Väterchen?«

»Danke schön, Mütterchen. Ich brauche nichts als ein Bett.«

»Ja, wahrhaftig, nach einem so weiten Weg will man sich ordentlich
ausruhen. Sie können sich hier auf diesem Sofa ausstrecken, Väterchen.
He! Fetinja, bring doch eine Decke, ein Kissen und ein Handtuch. Gott,
was für ein Wetter! Wie das stürmt! Die ganze Nacht hindurch brennt bei
mir die Kerze vor dem Heiligenbild. Ach, Herr Gott, dein Rücken und die
eine Seite sind ja voller Dreck, wie bei einem Eber. Wo hast du dich
denn so schmutzig gemacht?«

»Gott sei dank, daß ich bloß schmutzig bin; ich kann froh sein, daß ich
mir nicht das ganze Rückgrat zerbrochen habe!«

»Heiliger Jesus, was sprichst du? Willst du nicht etwas, um dir den
Rücken einzureiben?«

»Nein, danke bestens! Bitte beunruhigen Sie sich nicht! Bitte sagen Sie
nur Ihrem Mädchen, sie möchte mir meine Kleider ein wenig trocknen und
rein machen!«

»Hör mal, Fetinja!« sagte die Hausfrau, indem sie sich an das Weib
wandte, das mit dem Licht auf die Treppe hinausgetreten war und schon
ein Unterbett hereinbrachte, welches sie mit beiden Händen
aufschüttelte, sodaß eine ganze Wolke von Daunen durch das Zimmer flog.
»Nimm doch den Rock und den Mantel und trockne ihn am Feuer, wie du es
dem seligen Herrn zu tun pflegtest, und klopfe und bürste ihn nachher
gründlich aus.«

»Jawohl, gnädige Frau!« sagte Fetinja, indem sie ein Laken über das
Unterbett breitete und ein paar Kopfkissen darauflegte.

»So, nun ist das Bett fertig!« sagte die Hausfrau. »Gute Nacht,
Väterchen, schlaf gut. Brauchst du nicht noch irgend etwas? Vielleicht
bist du es gewöhnt, daß dir jemand die Fersen streicht. Mein seliger
Mann konnte ohne das gar nicht einschlafen.«

Aber der Gast verzichtete auch auf dies Vergnügen. Die Hausfrau ging
hinaus, worauf er sich schleunigst entkleidete. Er gab Fetinja seine
ganze Rüstung, die obere wie die untere, und sie zog mit den nassen
Trophäen ab, nachdem sie ihm gleichfalls eine gute Nacht gewünscht
hatte. Als er allein war, vertiefte er sich nicht ohne Vergnügen in die
Betrachtung seines Bettes, das beinahe bis an die Decke reichte. Er
stellte einen Stuhl daran, stieg mit seiner Hilfe ins Bett, das unter
ihm beinahe bis zum Fußboden herabsank, und die aus ihren Schranken
verdrängten Daunen flogen nach allen Richtungen im Zimmer auseinander.
Nachdem er das Licht ausgelöscht hatte, zog er sich die Kattundecke über
den Kopf, rollte sich unter ihr wie eine Brezel zusammen und schlief
ohne Verzug ein. Am andern Tage wachte er ziemlich spät auf. Die Sonne
schien ihm durch das Fenster gerade ins Gesicht, und die Fliegen, die
gestern abend ruhig an den Wänden und an der Decke geschlafen hatten,
wendeten ihm jetzt ihre ganze Aufmerksamkeit zu: eine setzte sich ihm
auf die Unterlippe, eine andre aufs Ohr, eine dritte traf Anstalten,
sich ihm aufs Auge zu setzen; eine dagegen, welche so unvorsichtig war,
gerade unterm Nasenloch Platz zu nehmen, zog er beim Erwachen mit einem
Atemzuge in die Nase hinein, was ihn natürlich veranlaßte, kräftig zu
niesen -- ein Umstand, der den Grund für sein Erwachen abgab. Er warf
einen Blick auf das Zimmer und bemerkte jetzt, daß nicht nur Vogelbilder
an der Wand hingen, es fand sich auch ein Porträt von Kutusow und ein
Ölgemälde, das einen alten Mann in einer Uniform mit roten Aufschlägen,
wie man sie unter Pawel Petrowitsch trug, darstellte. Die Wanduhr
schnarrte und schlug neun; der Kopf einer Frau guckte zur Türe hinein
und verschwand sofort wieder, denn Tschitschikow hatte seine sämtlichen
Kleidungsstücke abgelegt, um besser einschlafen zu können. Das Gesicht
kam ihm übrigens bekannt vor. Er suchte sich zu erinnern, wer das wohl
gewesen sein könnte, und besann sich schließlich darauf, daß es die
Wirtin selbst war. Er zog schnell sein Hemd an, seine Kleider lagen
trocken und reingebürstet neben ihm. Nachdem er sich angekleidet hatte,
trat er vor den Spiegel und nieste noch einmal so laut, daß ein
Truthahn, der sich gerade dem Fenster genähert hatte -- es lag nicht
sehr hoch über dem Erdboden -- plötzlich laut zu gackern anfing und ihm
in seiner seltsamen Sprache ganz schnell etwas zurief, wahrscheinlich
sollte es soviel bedeuten als »Prosit«, worauf ihn Tschitschikow einen
Trottel nannte. Dann trat er ans Fenster, um sich die Gegend anzusehen;
das Fenster ging, wie es schien, auf den Hühnerhof hinaus; wenigstens
war der kleine enge Hof, der vor ihm lag, voller Vögel und anderer
Haustiere. Eine unendliche Anzahl von Hühnern und Puten tummelte sich
dort umher; zwischen ihnen hindurch stolzierte gemessenen Schrittes ein
Hahn, schüttelte seinen Kamm und legte seinen Kopf auf die Seite, als
lausche er auf etwas. Auch eine Schweinefamilie war hier vertreten; das
alte Mutterschwein wühlte in einem Schutthaufen herum, wie im
Vorbeigehen verschlang es ein Küchel und fuhr gleich darauf wieder ruhig
fort, die Schalen alter Wassermelonen, die hier herumlagen, weiter zu
fressen. Dieser kleine Hof oder Hühnerhof wurde von einem Bretterzaun
umgrenzt, hinter dem sich große Gemüsegärten mit Kohl, Zwiebeln,
Kartoffeln, roten Rüben und anderen Gemüsearten ausdehnten. In den
Gemüsegärten bemerkte man hie und da Apfelbäume und andere Obstbäume,
die zum Schutz gegen die Elstern und Sperlinge mit Netzen bedeckt waren.
Und in der Tat schwirrten die Spatzen immerfort wie eine schräge Wolke
von einer Stelle zur andern. Aus demselben Grunde waren mehrfach
Vogelscheuchen auf langen Stangen und mit ausgebreiteten Armen
aufgestellt; eine von ihnen hatte sogar die Haube der Hausfrau auf. Auf
den Gemüsegarten folgten Bauernhütten, die zwar recht zerstreut dalagen
und keine regelmäßige Häuserflucht mit Plätzen und Straßen bildeten,
aber doch nach Tschitschikows Ansicht vom Wohlstand der Bewohner
zeugten, denn sie waren alle gut instand gehalten: das Bretterdach war
überall renoviert, wo es alt und schlecht zu werden begann, nirgends sah
man ein schiefes verfallenes Tor, und in den gedeckten Scheunen und
Ställen, in die man vom Fenster aus hineinsehen konnte, erblickte er
meist _einen_, häufig aber auch zwei beinah neue Reservewagen. »Hm! Das
Dörflein ist gar nicht so klein!« sagte er zu sich selbst und beschloß
sogleich, mit der Hausfrau zu sprechen, um sie näher kennen zu lernen.
Er guckte durch die Türspalte, durch die sie ihren Kopf hineingesteckt
hatte, und als er sie am Teetisch sitzen sah, trat er ins Zimmer und
ging ihr heiter und freundlich entgegen.

»Guten Tag, Väterchen! Wie haben Sie geruht?« sagte die Hausfrau, indem
sie sich von ihrem Platze erhob. Sie war heute eleganter gekleidet als
gestern und hatte statt der Nachthaube ein schwarzes Häubchen auf dem
Kopfe. Der Hals war jedoch noch immer mit allerhand Tüchern umwickelt.

»Vortrefflich, ausgezeichnet,« sprach Tschitschikow und ließ sich im
Lehnsessel nieder. »Und Sie, Mütterchen?«

»Schlecht! Väterchen!«

»Wieso?«

»Ich kann nicht schlafen. Das Kreuz tut mir weh, und mein Bein schmerzt
mich, hier über'm Knöchel.«

»Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht darauf.«

»Gott gebe, daß es schnell vorübergeht. Ich habe es schon mit
Schweinefett und Terpentin eingerieben. Was nehmen Sie zum Tee? Dort im
Glas ist Fruchtsaft.«

Der Leser wird wohl schon bemerkt haben, daß Tschitschikow trotz seiner
Freundlichkeit sich viel ungezwungener ausdrückte und überhaupt nicht
viel Umstände machte. Man kann zugeben, daß Rußland vielleicht noch in
mancher Hinsicht hinter dem Ausland zurücksteht: was aber das feine
Benehmen anbelangt, so haben wir die Ausländer weit hinter uns gelassen.
Die vielen Schattierungen und Finessen in unseren Verkehrsformen sind
gar nicht aufzuzählen. Ein Franzose oder ein Deutscher kommen ihr Lebtag
nicht dahinter, nie werden sie die Eigenart und die feinen Unterschiede
in unserem Verhalten verstehen; sie sprechen fast in dem nämlichen Ton
und mit derselben Stimme mit einem Millionär und mit einem kleinen
Tabakkrämer, wenn sie sich auch in ihrer Seele vor dem ersteren noch so
sehr beugen und erniedrigen. Bei uns ist das ganz anders: wir haben
solche Künstler, die mit einem Gutsherrn, der zweihundert Seelen hat,
ganz anders sprechen, wie mit einem solchen, der dreihundert besitzt;
und mit diesem sprechen sie wieder ganz anders, wie mit einem, dem
fünfhundert gehören; und den letzteren behandeln sie wiederum anders,
wie einen reichen Gutsbesitzer, der über achthundert Seelen gebietet; so
kann man meinetwegen bis zu einer Million weiter fortgehen, immer findet
sich eine bestimmte Nüance. Nehmen wir einmal an, es gäbe, nicht bei
uns, sondern irgendwo in einem fernen Königreiche, eine Kanzlei, und
nehmen wir ferner an, diese Kanzlei habe einen Vorsteher oder Chef. Ich
bitte den Leser, sich diesen Mann einmal anzusehen, wenn er mitten unter
seinen Untergebenen dasitzt -- ich wette, das Wort würde ihm vor
Schrecken im Munde stecken bleiben. Stolz und Edelmut -- und was nicht
alles _noch_ liegt in seinem Blick? Man möchte zum Pinsel greifen und
ihn malen, um ihn in dieser Stellung festzuhalten: der reinste
Prometheus! wahrhaftig: ein Prometheus! Er blickt wie ein Adler, und
sein Gang ist biegsam, gesetzt und fest. Aber seht euch einmal diesen
Adler an, wenn er den Saal verläßt und sich dem Zimmer seines Chefs
nähert, er ist kaum wiederzuerkennen; wie ein flüchtiges Schneehuhn eilt
er mit seinem Aktenbündel unterm Arme dahin, daß ihm fast der Atem
ausgeht. In einer Gesellschaft oder auf einer Soiree, wo nicht allzu
hochstehende Persönlichkeiten zugegen sind, bleibt unser Prometheus ein
echter Prometheus, aber es braucht nur einer da zu sein, der etwas höher
steht als er, und mit unserem Prometheus geht eine solche Verwandlung
vor, wie sie sich selbst ein Ovid nicht träumen ließe: eine Fliege kann
nicht kleiner sein, er ist ganz wie vernichtet, wie ein Sandkorn! »Aber
das ist doch nicht Iwan Petrowitsch!« sagt man sich, wenn man ihn
erblickt, »Iwan Petrowitsch ist größer, der da ist ja ganz klein und
mager; jener spricht laut, hat eine Baßstimme und lacht niemals, aber
dieser hier, Teufel auch, der piepst ja wie ein Vogel und lacht
immerzu.« Kommt man aber näher und sieht genauer zu -- dann ist es
_doch_ Iwan Petrowitsch. »Aha, soso!« sagt man zu sich selbst .... Aber
wenden wir uns wieder zu den handelnden Personen. Wie wir sahen, war
Tschitschikow entschlossen, keine Umstände zu machen; so nahm er denn
eine Tasse Tee und etwas Fruchtsaft und sagte:

»Sie haben aber ein schönes Gut, Mütterchen. Wieviel Seelen hat es
wohl?«

»Etwas weniger als achtzig,« sagte die Hausfrau, »leider haben wir bloß
so schlechte Zeiten; voriges Jahr gab's wieder eine Mißernte, daß Gott
erbarm!«

»Aber die Bauern sehen doch recht kräftig aus, und die Hütten sind ganz
stattlich. Gestatten Sie mir übrigens eine Frage: Wie ist Ihr
Familienname? Ich war so zerstreut, als ich gestern so spät ankam ....«

»Karobotschka,[2] Kollegiensekretärswitwe.«

»Danke bestens. Und Ihr Vor- und Vatername?«

»Nasstassja Petrowna.«

»Nasstassja Petrowna? Ein schöner Name! -- Nasstassja Petrowna. Ich habe
eine leibliche Tante, die Schwester meiner Mutter, die heißt auch
Nasstassja Petrowna.«

»Und wie ist Ihr Name?« fragte die Gutsbesitzerin. »Sie sind doch
Assessor? Nicht?«

»Nein, Mütterchen,« antwortete Tschitschikow lächelnd. »Ich bin nicht
Assessor; ich reise in eigenen Geschäften.«

»So sind Sie Lieferant? Wie schade! ich habe meinen Honig so billig
verkauft; du hättest ihn mir sicher abgenommen, Väterchen, wie?«

»Nein, Honig hätte ich wohl kaum gekauft.«

»Nun, dann was anderes. Vielleicht Hanf? Davon habe ich jetzt zwar auch
nicht mehr viel -- ein halbes Pud höchstens.«

»Ach nein, Mütterchen, ich brauch' eine andere Ware; sagen Sie mal, sind
bei Ihnen viele Bauern gestorben?«

[Fußnote 2: Kästchen.]

»Oh je! Väterchen, achtzehn Mann!« sagte die Alte seufzend. »Und lauter
so prächtige Leute, alles tüchtige Arbeiter. Es ist ja freilich auch
Nachwuchs da, aber was hat man davon, lauter schmächtiges Volk, und der
Steuereinnehmer kommt und will seine Steuer für jede Seele haben. Sie
sind doch schon tot, und doch muß man für sie zahlen, wie wenn sie noch
am Leben wären. Vorige Woche ist mir ein Schmied verbrannt, ein so
geschickter Schmied! Der hat auch das Schlosserhandwerk verstanden.«

»War denn im Dorfe eine Feuersbrunst, Mütterchen?«

»Gott verhüte ein solches Unglück! Eine Feuersbrunst, das wäre ja noch
viel schrecklicher. Nein, er ist ganz von selbst verbrannt. Das Feuer
ist da irgendwo im Innern bei ihm entstanden; er hat auch gar zu viel
getrunken, man sah nichts wie ein blaues Flämmchen, und so ist er
allmählich verkohlt, bis er auch ganz schwarz wurde wie eine Kohle; ach
war das ein geschickter Schmied. Jetzt kann ich gar nicht mehr
ausfahren. Es ist niemand da, der die Pferde beschlagen kann.«

»Das war wohl Gottes Wille, Mütterchen,« sagte Tschitschikow seufzend,
»gegen Gottes Weisheit darf man nicht murren. Wissen Sie was? Überlassen
Sie sie mir, Nasstassja Petrowna?«

»Wie Väterchen?«

»Nun, all diese Leute, die gestorben sind.«

»Wie kann ich sie Ihnen denn überlassen?«

»Nun sehr einfach. Oder meinetwegen, ich kann sie Ihnen auch abkaufen.
Ich will Ihnen Geld für sie geben.«

»Ja wie denn nur? Wirklich, ich verstehe Sie noch nicht. Willst du sie
aus der Erde ausgraben?«

Tschitschikow merkte, daß die Alte übers Ziel hinausgeschossen hatte,
und hielt es daher für notwendig ihr klar zu machen, worum es sich
handele. Er erklärte ihr mit wenigen Worten, daß die Abtretung oder der
Verkauf nur auf dem Papiere statthaben und die Seelen als lebende gelten
sollten.

»Ja, wozu brauchst du sie nur,« sagte die Alte, indem sie ihn verwundert
anstarrte.

»Das ist schon meine Sache!«

»Aber sie sind doch tot!«

»Ja wer sagt denn, daß sie lebendig sind? Es ist doch Ihr eigener
Schade, daß sie tot sind. Sie zahlen doch Steuern für sie, und ich will
Sie von dieser Last und Sorge befreien. Verstehen Sie jetzt? Und nicht
nur befreien; ich will Ihnen noch fünfzehn Rubel dazu schenken. Nun,
ist's Ihnen jetzt klar?«

»Ich weiß wirklich nicht,« sagte die Alte zögernd, »Tote habe ich noch
niemals verkauft.«

»Das ist doch kein Wunder! Es wäre eher eins, _wenn_ Sie schon welche
verkauft hätten. Oder glauben Sie tatsächlich, daß sie überhaupt irgend
einen Wert haben?«

»Nein, das glaube ich freilich nicht. Was könnten sie auch für einen
Wert haben? Sie sind ja zu nichts nütze! Mich beunruhigt bloß dies eine:
daß sie schon tot sind.«

»Hat das Weib aber ein Brett vorm Kopf,« dachte Tschitschikow. »Hören
Sie, Mütterchen; denken Sie doch ein wenig nach! Das ist doch eine
bedeutende Einbuße für Sie. Sie müssen doch für jeden die Steuern
bezahlen, als ob er noch am Leben wäre.«

»Ach, Väterchen, erinnere mich bloß nicht daran,« unterbrach ihn die
Gutsbesitzerin. »Vor drei Wochen habe ich erst wieder hundertfünfzig
Rubel einzahlen müssen, und dabei mußte ich noch den Steuerbeamten
gründlich spicken.«

»Sehen Sie, Mütterchen, und nun denken Sie mal, von heute ab brauchen
Sie den Beamten nicht mehr zu spicken, denn jetzt zahle ich die Steuern
und nicht Sie. Ich nehme alle Lasten auf mich, auch die Kosten des
Kaufvertrags. Verstehen Sie!«

Die Alte wurde nachdenklich; sie fing an einzusehen, daß das Geschäft
nicht so übel wäre; nur war es schon gar zu neu und unerhört, und sie
fürchtete, der Käufer könne sie wohl gar übers Ohr hauen. War er doch
Gott weiß woher und noch zu so später Stunde herein geschneit.

»Also schlagen Sie ein, Mütterchen,« sprach Tschitschikow.

»Wahrhaftig, Väterchen, Verstorbene habe ich noch nie verkauft.
Lebendige schon öfters, so noch vor drei Jahren: da habe ich dem
Protopopoff zwei Mädchen überlassen, jede für hundert Rubel; und er war
sehr zufrieden. Es sind vorzügliche Arbeiterinnen geworden. Sie können
sogar Servietten weben.«

»Hier handelt es sich aber nicht um Lebende. Gott mit ihnen! Ich brauche
Tote!«

»Wirklich, ich fürchte vor allem, ein schlechtes Geschäft zu machen. Du
willst mich am Ende betrügen, Väterchen. Vielleicht sind sie ..., kosten
sie gar viel mehr.«

»Hören Sie, Mütterchen ... Wie Sie sich bloß anstellen! Was können sie
denn wert sein; überlegen Sie sich es doch nur! Das ist doch nichts!
Begreifen Sie doch, ein reines Nichts! Nehmen Sie das letzte, unnützeste
Ding, sagen wir sogar irgend einen alten Lappen: selbst der hat noch
einen Wert; den kauft Ihnen noch der Lumpenhändler ab. Aber die da, die
braucht doch überhaupt Keiner! Nein, sagen sie selbst, zu was sind sie
nütze!?«

»Das ist schon ganz richtig! Freilich sind sie nichts nütze. Mich hält
auch nur ab, daß sie schon tot sind.«

»Herr Gott, ist das eine klotzige Dickköpfigkeit,« sagte Tschitschikow
zu sich selber, und fing bereits an, die Geduld zu verlieren. »Mit der
soll einer auskommen. Wahrhaftig, ich schwitze! Verdammte Alte!« Und er
nahm sein Schnupftuch aus der Tasche und wischte sich den Schweiß von
der Stirne. Übrigens hatte Tschitschikow eigentlich keinen Grund zu
seinem Ärger. Es gibt höchst achtbare Leute, sogar unter den
Staatsmännern, die, wenn man näher zusieht, auch nicht besser wie
Karobotschka sind. Hat sich so einer mal was in den Kopf gesetzt, so
bringst du es mit zehn Pferden nicht wieder heraus. Mach ihm Einwände
soviel du willst. Sie mögen so klar sein wie der lichte Tag, sie prallen
doch immer wieder zurück wie ein Gummiball von einer Steinmauer. Nachdem
sich Tschitschikow den Schweiß abgetrocknet hatte, kam er auf den
Gedanken, noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, sie von
einer anderen Seite her auf den rechten Weg zu bringen.

»Mütterchen,« sagte er, »entweder Sie wollen mich nicht verstehen, oder
Sie reden das alles nur, um nur überhaupt etwas zu reden ... Ich gebe
Ihnen Geld, fünfzehn Rubel in Banknoten; verstehen Sie? Das ist doch
Geld und liegt nicht auf der Straße. Wie teuer haben Sie zum Beispiel
Ihren Honig verkauft? Gestehen Sie mal!«

»Für zwölf Rubel das Pud.«

»Versündigen Sie sich nicht, Mütterchen! Zwölf haben Sie gewiß nicht
dafür bekommen.«

»Bei Gott, Väterchen!«

»Nun also sehen Sie, dafür war das auch Honig. Sie haben vielleicht ein
Jahr gebraucht, voller Sorgen und Mühe und Arbeit, bis Sie ihn
einsammeln konnten. Sind hin und her gefahren; haben die armen Bienen
geplagt. Sie einen ganzen Winter über im Keller gefüttert. Sehen Sie
wohl! Dagegen die toten Seelen, die sind doch nicht von dieser Welt. An
die haben Sie keinerlei Mühe und Arbeit gewendet. Es war halt Gottes
Wille, daß sie diese Welt verlassen und ihrem Hause Abbruch tun mußten.
Dort haben Sie für alle Ihre Sorge und Mühe zwölf Rubel bekommen, und
hier sollen Sie für ein reines Nichts, ganz umsonst, nicht zwölf,
sondern sogar fünfzehn Rubel und nicht in Silber, sondern in lauter
schönen blauen Scheinen ausbezahlt erhalten.« Nachdem Tschitschikow so
starke und überzeugende Gründe ins Feld geführt hatte, zweifelte er kaum
noch, daß die Alte endlich nachgeben werde.

»Nein wirklich,« versetzte die Gutsbesitzerin, »ich bin eine arme und
unerfahrene Witwe, lieber will ich noch ein wenig warten, bis noch
andere Käufer kommen. Damit ich mich über den Preis vergewissern kann.«

»Schämen Sie sich, Mütterchen! Denken Sie bloß selbst, was Sie da reden.
Wer wird denn so etwas kaufen wollen. Was soll er denn bloß damit
anfangen.«

»Vielleicht kann man sie doch bei Gelegenheit in der Wirtschaft
verwenden ...« erwiderte die Alte. -- Aber sie vollendete ihre Rede
nicht, machte den Mund auf und starrte ihn beinahe mit Entsetzen an,
gespannt auf seine Antwort harrend.

»Die Toten in der Wirtschaft! -- Herr Gott, wozu Sie sich wieder
verstiegen haben! Etwa um nachts die Spatzen in Ihrem Garten zu
scheuchen?! Wie?«

»Heiliger Jesus hilf uns! Welch schreckliche Dinge du da sprichst,«
sagte die Alte, indem sie das Kreuz schlug.

»Wozu wollen Sie sie denn sonst verwenden? Übrigens das Grab und die
Knochen können sie ja behalten. Der Kauf findet ja nur auf dem Papiere
statt. Nun also wie steht es? Geben Sie mir doch zum wenigsten eine
Antwort.«

Die Alte versank wieder in Nachdenken.

»Woran denken Sie bloß, Nastassja Petrowna?«

»Wirklich, ich weiß nicht recht, was ich da machen soll? Kaufen Sie mir
lieber etwas Hanf ab!«

»Ach was Hanf! Ich bitte Sie! Ich will was ganz anderes von Ihnen, und
Sie schwatzen mir Ihren Hanf auf. Lassen Sie den Hanf ruhig Hanf
bleiben! Wenn ich ein anderes Mal vorspreche, kaufe ich Ihnen vielleicht
auch Hanf ab. Nun, wie ist es, Nastassja Petrowna?«

»Bei Gott es ist eine so seltene Ware, mit der ich noch nie was zu tun
gehabt habe.«

Hier war Tschitschikows Geduld zu Ende. In seiner Wut packte er einen
Stuhl, stieß ihn auf die Erde und wünschte ihr den Teufel an den Hals.

Vor dem Teufel war die Gutsbesitzerin aufs höchste entsetzt.

»Ach, sprich mir nicht von ihm! Gott mit ihm!« rief sie aus und
erbleichte. »Noch die ganze vorige Nacht hab ich ihn fortwährend im
Traume gesehen, den Verfluchten. Ich wollte mir nach dem Gebet noch
einmal die Karten legen. Da hat ihn mir Gott offenbar zur Strafe
hergesandt. So greulich sah er aus. Seine Hörner waren länger als die
eines Ochsen.«

»Ich wundere mich, daß sie Ihnen nicht zu Dutzenden erscheinen! Mich
leitet nichts wie die reinste Christenliebe; ich sehe eine arme Witwe,
die sich plagt und Not leidet ... Daß du doch krepiertest zusamt deinem
Gute.«

»Ach, was für schreckliche Flüche du da ausstößt,« sagte die Alte und
sah ihn entsetzt an.

»Wahrhaftig, es fehlen einem ja die Worte, rein wie ein -- entschuldigen
Sie den harten Ausdruck -- wie ein Kettenhund, der auf seinem Stroh
liegt; frißt das Stroh selbst nicht und läßt doch keinen andern ran. Ich
wollte Ihnen allerhand von Ihren landwirtschaftlichen Erzeugnissen
abkaufen, weil ich ja auch Lieferungen für den Staat übernehme ...« Hier
log er etwas hinzu, so ganz nebenher, und ohne es sich recht überlegt zu
haben, aber sehr geschickt.

Diese Lieferungen für den Staat machten einen tiefen Eindruck auf
Nastassja Petrowna; wenigstens sagte sie mit beinahe flehender Stimme:
»Warum wirst du denn gleich so zornig? Hätte ich früher gewußt, daß du
so wild werden kannst, dann hätte ich lieber garnicht widersprochen.«

»Ach was, ich bin garnicht zornig! Die ganze Sache ist keine ausgepreßte
Zitrone wert. Und ich sollte mich ärgern?«

»Schön, schön, ich will sie dir ja für 15 Rubelscheine lassen. Nur eins,
Väterchen, vergiß mich nicht bei den Lieferungen, wenn du etwa Roggen
oder Gerstenmehl oder Buchweizen oder Fleisch brauchen solltest.«

»Nein, nein, Mütterchen, ich werde dich schon nicht vergessen,« sagte
er, während er sich den Schweiß mit der Hand abtrocknete, der in drei
Sturzbächen über sein Gesicht floß. Er erkundigte sich bei ihr, ob sie
nicht in der Stadt einen Vertrauensmann beim Gericht, einen Vertreter
oder einen Bekannten habe, den sie zum Abschluß des Kaufkontraktes und
aller übrigen notwendigen Maßnahmen bevollmächtigen könnte. »Gewiß, den
Probst, Vater Kirill; sein Sohn ist am Gericht,« sagte Karobotschka.
Hierauf bat Tschitschikow sie, ihm eine Vollmacht zu schicken, ja er
übernahm es sogar, diese selbst aufzusetzen, um der Alten jegliche
unnütze Arbeit zu ersparen.

»Es wäre doch gut,« dachte unterdes Karobotschka, »wenn er mir etwas
Mehl und Vieh für den Staat abnähme. Ich muß ihn für mich gewinnen. Es
ist noch etwas Teig von gestern abend da. Ich will mal hingehen und der
Fetinja sagen, sie soll Pfannkuchen backen. Auch eine Eierpastete von
Butterteig wäre nicht übel. Die macht sich sehr gut, und es nimmt nicht
viel Zeit weg.« Damit ging die Hausfrau hinaus, um ihren Plan mit der
Pastete auszuführen und ihn noch durch andere Produkte der häuslichen
Koch- und Backkunst zu ergänzen. Tschitschikow aber ging in den Salon,
in dem er die Nacht zugebracht hatte, um die notwendigen Papiere aus
seiner Schatulle zu holen. Das Zimmer war schon längst aufgeräumt, die
üppigen Plumeaus und Unterbetten waren hinausgeschafft. Vor dem Sofa
stand ein Tisch mit einer Decke darauf. Er setzte seine Schatulle auf
ihn und ließ sich auf das Sofa nieder, um ein wenig auszuruhen; denn er
fühlte, daß er ganz in Schweiß gebadet sei: alles, was er am Leibe trug,
vom Hemd bis zu den Strümpfen, war vollständig naß. »Hat die mir
zugesetzt, die verfluchte Alte,« sagte er, nachdem er ein wenig
ausgeruht hatte, und öffnete die Schatulle. Der Autor ist überzeugt, daß
mancher Leser neugierig sein wird, den Plan und die innere
Fächereinteilung der Schatulle kennen zu lernen. Meinetwegen, warum
sollte ich diese Neugierde nicht befriedigen. Also, da habt ihr sie, die
Einteilung; in der Mitte befindet sich der Seifennapf; auf den
Seifennapf folgen sechs bis sieben schmale Fächer für die Rasiermesser.
Dann kommen zwei viereckige Behältnisse für die Streusandbüchse und das
Tintenfaß. Zwischen beiden ist eine Rille für Federn, Siegellack und
Gegenstände von längerer Statur. Weiter folgten allerhand Fächer _mit_
Deckel und _ohne_ Deckel, für die kürzeren Gegenstände, welche mit
Visitenkarten, Beerdigungsanzeigen, Theaterbilleten und anderen Zetteln
angefüllt waren, die hier als Reminiszenzen ruhten. Das ganze obere
Kästchen mit all seinen Fächern ließ sich herausheben. Unter ihm öffnete
sich ein weiter Raum, in dem Stöße von Papier in Bogengröße
aufgeschichtet lagen. Darunter befand sich ein kleines verborgenes
Kästchen, das sich unauffällig seitlich auftat, in dem er sein Geld zu
bewahren pflegte. Dieses Kästchen wurde von seinem Besitzer stets mit
einer solchen Geschwindigkeit auf- und im selben Augenblick wieder
zugemacht, daß man nicht mit Sicherheit angeben konnte, wieviel Geld es
enthielt. Tschitschikow ging sogleich an die Arbeit, schnitt die Feder
zurecht und begann zu schreiben. In diesem Moment trat die Hausfrau ins
Zimmer.

»Hast du aber einen schönen Kasten, Väterchen!« sagte sie, indem sie
sich neben ihn setzte, »den hast du wohl in Moskau gekauft?«

»Ja, in Moskau,« antwortete Tschitschikow und fuhr fort zu schreiben.

»Ich weiß, dort kriegt man's nur gut. Vor zwei Jahren hat meine
Schwester gefütterte Stiefel für die Kinder von dort mitgebracht.
Vortreffliche Ware! So dauerhaft! Sie tragen sie noch heute. Ach, hast
du viel Stempelpapier,« fuhr sie fort, während sie einen Blick in die
Schatulle warf. Und in der Tat, es war sehr viel Papier darin. »Du
könntest mir ein paar Bogen schenken. Bei mir herrscht solch ein Mangel
daran. Es kommt doch vor, daß man ein Schreiben ans Gericht zu senden
hat. Dann ist immer kein Papier da.«

Tschitschikow erklärte ihr, das sei kein Papier, wie sie es wünschte. Es
sei nur für Kaufkontrakte, und nicht für Gesuche geeignet. Übrigens gab
er ihr, um sie zu beruhigen, einen Bogen im Werte von einem Rubel.
Nachdem er seinen Brief vollendet hatte, ließ er sie unterschreiben und
bat sie um ein kurzes Verzeichnis der Bauern. Es stellte sich heraus,
daß die Gutsbesitzerin gar keine Listen über ihre Bauern führte, sondern
ihre Namen nur auswendig wußte. Er forderte sie auf, ihm diese zu
diktieren. Mehrfach geriet er in höchstes Erstaunen über ihre
Familiennamen und mehr noch über ihre Spitznamen, sodaß er jedesmal beim
Hören ein wenig innehielt, ehe er sie niederschrieb. Einen besondern
Eindruck machte auf ihn ein gewisser Peter Saweljew genannt der
Waschtrogverächter, sodaß er sich nicht enthalten konnte, auszurufen:
»Ist das aber ein langer Kerl!« Ein anderer trug den Beinamen Kuhfladen.
Ein dritter wurde einfach Johann das Rad genannt. Nachdem er mit dem
Schreiben fertig war, sog er die Luft tief durch die Nase ein und roch
den Duft einer in Butter schmorenden Speise.

»Bitte bedienen Sie sich,« sagte die Wirtin. Tschitschikow sah sich um
und bemerkte, daß der Tisch mit leckeren Gerichten reich besetzt war; da
gab es Pilze, Gebäck, Spiegeleier, Pfannkuchen, Käsekeulchen,
Splittertörtchen und Fladen mit allerhand Pastetchen: Pastetchen mit
Zwiebeln, Pastetchen mit Mohn, Pastetchen mit Quark, Pastetchen mit
Stinten und weiß Gott, was sonst noch alles.

»Bitte, vielleicht eine Eierpastete aus Butterteig gefällig?« sagte die
Wirtin.

Tschitschikow rückte näher an die Eierpastete aus Butterteig heran, und
sprach sich sehr lobend über sie aus, nachdem er eine gute Hälfte von
ihr verspeist hatte. Und in der Tat, die Pastete war schon an und für
sich nicht übel; nach all den Plackereien und dem Geplänkel mit der
Alten aber schmeckte sie noch weit vorzüglicher.

»Nehmen Sie Pfannkuchen?« sagte die Wirtin. Als Antwort auf diese Frage,
spießte Tschitschikow gleich drei Pfannkuchen auf, rollte sie zusammen,
tauchte sie in die geschmolzene Butter und beförderte sie in den Mund,
worauf er sich Lippen und Hände mit der Serviette abwischte. Nachdem er
dieses etwa dreimal wiederholt hatte, bat er die Hausfrau die Pferde
anspannen zu lassen. Nasstassja Petrowna schickte Fetinja sofort in den
Hof hinunter, und trug ihr zugleich auf, noch ein paar heiße Pfannkuchen
mitzubringen.

»Ihre Pfannkuchen sind ausgezeichnet, Mütterchen,« sagte Tschitschikow,
indem er sich über die frischen Pfannkuchen hermachte.

»Ja, das versteht meine Köchin sehr gut,« versetzte die Hausfrau,
»leider war nur die Ernte so schlecht, und das Mehl ist nicht so gut
geraten. Aber warum eilen Sie so? Väterchen?« fuhr sie fort, als sie
sah, daß Tschitschikow schon seinen Hut in der Hand hielt, »der Wagen
ist ja noch gar nicht fertig.«

»Oh der ist schnell fertig, Mütterchen. Bei mir geht das sehr schnell.«

»Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den Lieferungen?«

»Nein, nein,« sagte Tschitschikow, während er in den Flur hinaustrat.

»Sie wollen mir also keinen Speck abkaufen?« sagte die Hausfrau, indem
sie ihn hinausbegleitete.

»Warum nicht? Gewiß kaufe ich Ihnen welchen ab. Nur nicht gleich jetzt.«

»Zu Ostern werde ich schönen Speck haben.«

»Seien Sie ruhig, ich kaufe Ihnen welchen ab; ich kaufe ihnen alles ab,
was Sie wollen, auch Schweinespeck.«

»Vielleicht brauchen Sie auch Daunen? Während der Weihnachtsfasten werde
ich auch Daunen haben.«

»Schön, schön,« sagte Tschitschikow.

»Siehst du wohl, Väterchen, dein Wagen ist noch nicht fertig,« sprach
die Hausfrau, als sie auf die Treppe hinaustraten.

»Er ist gleich fertig. Sagen Sie mir bloß, wie ich auf die große
Landstraße gelange.«

»Wie mache ich das nur?« sagte die Hausfrau. »Es ist nicht leicht, dir
das klar zu machen, man muß so oft wenden; vielleicht ist es das Beste,
ich gebe dir ein Mädchen mit, die dir den Weg zeigt. Du wirst doch auf
dem Bock noch einen Platz haben, wo sie sich hinsetzen kann.«

»Natürlich.«

»Nun gut, dann gebe ich dir das Mädel mit, sie kennt den Weg, entführt
sie mir nur nicht gar, hörst du, neulich haben mir schon ein paar
Kaufleute einmal eine weggeholt.«

Tschitschikow gab ihr das Versprechen, das Mädchen nicht zu entführen
und Karobotschka kehrte wieder beruhigt zur Durchmusterung ihres Hofes
zurück. Erst glotzte sie die Haushälterin an, welche eine hölzerne Kanne
mit Honig aus der Speisekammer holte. Dann warf sie einen Blick auf
einen Bauern, -- der im Torweg erschien, um allmählich immer mehr in
ihrem Haushalt unterzutauchen. Wozu aber beschäftigen wir uns eigentlich
so lange mit Karobotschka? Was ist uns Karobotschka, Manilow,
wirtschaftliches oder unwirtschaftliches Leben? Lassen wir sie! Ist es
nicht wunderbar eingerichtet in dieser Welt! Jede Freude geht, ehe man
sich's versieht, in Trauer über, wenn man sich gar zu lange bei ihr
aufhält, und Gott weiß, was sich einem dann für Gedanken aufdrängen! Man
könnte gar auf die Idee kommen: Wie!? Steht denn Karobotschka wirklich
so tief auf der unendlich langen Stufenleiter menschlicher
Vollkommenheit? Sollte er wirklich so tief sein, der Abgrund, der sie
von ihrer Schwester trennt. Von ihr, welche unnahbare Mauern eines
aristokratischen Hauses mit seinen lieblich duftenden gußeisernen
Treppen beschützen, die mit Kupferglanz, Mahagoniholz und kostbaren
Teppichen prunken. Von ihr, welche gähnend neben ihrem halbgelesenen
Buche sitzt, in unruhiger Erwartung des weltmännisch-geistreichen
Besuchers, in dessen Gegenwart sich ihrem Geiste ein Feld eröffnet, wo
sie ihren Verstand leuchten und eingelernte Gedanken spielen lassen
kann. -- Gedanken, welche nach der heiligen Satzung der Mode eine ganze
Stadt wochenlang beschäftigen, Gedanken, die sich nicht darum drehen,
was in ihrem Hause und auf ihren Gütern vorgeht, die in Unordnung
geraten darniederliegen, sondern allein darauf gerichtet sind, welche
Umwälzung in der französischen Politik bevorsteht, oder welche Wendung
der moderne Katholizismus nehmen wird. Doch weiter, weiter! Wozu über
diese Dinge reden? Aber warum fällt bisweilen in Augenblicken froher,
sorgenfreier Gedankenlosigkeit wie von selbst ein wundersamer Strahl in
uns hinein? Noch fand das Lächeln kaum Zeit, dem Gesichte zu
entschwinden, und schon verwandelte es sich bei demselben Menschen in
ein anderes, und ein neues Licht erleuchtet jetzt sein Antlitz?

»Da ist er, da ist ja mein Wagen,« rief Tschitschikow, als er seine
Kutsche heranrollen sah, »was hast du nur solange getrödelt, du Esel!
Dein Rausch von gestern ist wohl noch nicht ganz verflogen.«

Hierauf erwiderte Seliphan kein Wort.

»Leben Sie wohl, Mütterchen! Nun wo ist Ihr Mädchen?«

»Heh! Pelagia!« rief die Alte einem Mädchen von etwa elf Jahren zu, das
in der Nähe der Treppe stand. Die Kleine hatte ein selbstgewebtes,
farbiges Leinenkleid an. Sie war barfüßig, und schien doch Stiefeln
anzuhaben, denn ihre Füße waren bis oben hinauf mit frischem
Straßenschmutz bedeckt. »Zeig dem Herrn den Weg!«

Seliphan half dem Mädchen auf den Bock, welches zuerst mit einem Fuß auf
das Trittbrett stieg, das sie bei dieser Gelegenheit ein wenig
beschmutzte. Hierauf schwang sie sich auf den Kutschersitz, wo sie sich
neben Seliphan niederließ. Nach ihr setzte Tschitschikow seinen Fuß auf
das Trittbrett und nahm endlich im Wagen Platz, der sich unter seinem
Gewichte nach rechts beugte. »So, jetzt ist alles in Ordnung. Leben Sie
wohl Mütterchen!« mit diesen Worten verabschiedete er sich von der
Gutsbesitzerin und die Pferde zogen an.

Seliphan war den Weg über sehr ernst und streng und widmete sich seinem
Dienst mit großer Aufmerksamkeit, was immer dann zu geschehen pflegte,
wenn er etwas verschuldet hatte oder betrunken gewesen war. Die Pferde
waren von einer bewundernswerten Sauberkeit. Das Kummet bei dem einen,
welches gewöhnlich zerlocht und zerfetzt war, sodaß das Werg unter dem
Leder hervorquoll, war sorgfältig genäht und ausgebessert. Er war
während des ganzen Weges sehr schweigsam, schwang nur hin und wieder die
Peitsche und unterließ es vollkommen, seine Pferde mit lehrhaften Reden
zu beehren, obwohl der Schecke natürlich gerne eine Belehrung
entgegengenommen hätte. Denn während einer solchen Rede pflegte der
wortfrohe Wagenlenker die Zügel immer recht lose in der Hand zu halten,
und er ließ auch die Peitsche nur _pro forma_ über den Rücken der Pferde
hüpfen. Aber der finstere Mund ließ dieses Mal nur monotone und
unfreundliche Ausrufe vernehmen, wie: »Hüh! Hüh! alte Krähe! was
trödelst du!« sonst nichts. Aber selbst der Braune und der Assessor
waren nicht zufrieden, weil sie kein einziges freundliches und Achtung
zollendes Wort zu hören bekamen. Der Schecke erhielt sogar häufig
äußerst unangenehme Schläge auf seine weichen, wohlgerundeten
Körperteile. »Sieh mal, was in den gefahren ist!?« dachte er sich, indem
er seine Ohren ein wenig spitzte. »Der weiß auch, wohin er haut; sucht
sich nicht etwa den Rücken aus, sondern gerade die empfindlichsten
Stellen. Schlägt einem die Peitsche um die Ohren oder geht einem sogar
an den Bauch.«

»Rechts? Wie?« Mit dieser trockenen Frage wandte sich Seliphan an das
neben ihm sitzende Mädchen, indem er mit der Peitsche auf den vom Regen
geschwärzten Weg hinwies, der sich zwischen frischen, in hellem Grün
leuchtenden Feldern dahinzog.

»Nein, noch nicht! Ich werde es dir schon sagen!« antwortete das
Mädchen.

»Nun, wohin denn?« fragte Seliphan, als sie sich dem Kreuzweg näherten.

»Dorthin!« sagte das Mädchen, indem es mit dem Finger die Richtung
anzeigte.

»Ach! du!« sagte Seliphan, »das ist doch rechts! Kann rechts und links
nicht unterscheiden.«

Obwohl der Tag sehr heiter war, war die Straße derartig schmutzig, daß
der Kot an den Wagenrädern kleben blieb und sie bald wie mit einer
Filzschicht bedeckte, was die Equipage am Fortkommen hinderte. Dazu war
der Boden noch sehr locker und lehmig. Dieses war die Ursache, daß sie
die Landstraße nicht vor Mittag erreichten. Ohne das Mädchen wäre es
ihnen wahrscheinlich auch schwerlich gelungen, weil die Wege nach allen
Richtungen auseinanderliefen, wie gefangene Krebse, wenn man sie aus dem
Netze schüttet. Und Seliphan hätte sich ohne seine Schuld leicht
verirren können. Bald darauf zeigte das Mädchen mit der Hand auf ein
Gebäude, das in der Ferne sichtbar wurde, und sagte: »Da ist die
Poststraße.«

»Und was ist das für ein Gebäude?« fragte Seliphan.

»Ein Wirtshaus,« sagte das Mädchen.

»So, nun werden wir schon selbst den Weg finden. Du kannst jetzt nach
Hause gehen.«

Er hielt an und half ihr beim Absteigen, während er vor sich
hinmurmelte: »Du Dreckbein!«

Tschitschikow gab ihr eine Kupfermünze, und sie lief munter nach Hause,
hocherfreut, daß sie auf dem Kutschbock hatte fahren dürfen.


                            Viertes Kapitel

Als man sich dem Wirtshause näherte, ließ Tschitschikow anhalten und
zwar aus zwei Gründen. Einmal wollte er die Pferde ausruhen lassen, und
dann wünschte er auch selbst etwas zu sich zu nehmen und sich zu
stärken. Der Autor muß gestehen, daß er diese Art Leute um ihren guten
Magen und ihren Appetit aufrichtig beneidet. Für ihn haben jene große
Herren nur wenig Bedeutung, welche in Petersburg oder Moskau wohnen und
deren ganze Zeit im Nachdenken darüber aufgeht, was sie morgen zu Mittag
speisen werden, und was für ein Menu sie für übermorgen zusammenstellen
könnten, sie, die sich nicht eher an die Mittagstafel setzen, bevor sie
ein paar Pillen geschluckt und ein paar Austern oder Krabben und andere
Meerwunder verschlungen haben, um sich zum Schluß nach Karlsbad oder in
den Kaukasus zu begeben. Nein, diese Herrschaften haben nie den Neid des
Autors wachrufen können. Wohl aber jene mittleren Leute, welche auf
_einer_ Station eine Portion Schinken bestellen, auf der nächsten ein
Spanferkel, auf der dritten ein Stück Stör oder Bratwurst mit Knoblauch,
und die sich dann zu Tische setzen, wie wenn nichts passiert wäre, und
zwar zu jeder beliebigen Zeit. Die Suppe aus Quappe, Sterlet und
Fischmilch zischt und brodelt zwischen ihren Zähnen, begleitet von
Fischpasteten oder einer Welspirogge, sodaß bei jedem Unbeteiligten der
Appetit rege werden muß. -- Diese Leute erfreuen sich einer
beneidenswerten Himmelsgabe. Mehr als einer von den großen Herren würde
sofort die Hälfte seiner Bauern und der verpfändeten und unverpfändeten
Güter mit all ihren modernen Errungenschaften, die das In- und Ausland
hervorbrachten, darangeben, um nur einen solchen Magen zu haben, wie so
ein Mann des guten Bürgerstandes. Das Unglück ist leider nur, daß man
sich weder für Geld noch Güter mit und ohne Errungenschaften einen
solchen Magen zulegen kann, wie ihn ein Herr der mittleren Stände
besitzt.

Das hölzerne, verwitterte Wirtshaus nahm Tschitschikow unter sein
gastliches Vordach, welches auf gedrechselten Säulen ruhte, die große
Ähnlichkeit mit altertümlichen Kirchenleuchtern hatten. Dieses Wirtshaus
war eine Art russische Bauernhütte, nur in etwas größerem Maßstab. Die
mit Schnitzwerk verzierten Karnise aus frischem Holze um die Fenster
herum und unter dem Dach hoben sich lebhaft von den dunklen Wänden ab.
Auf den Fensterläden waren Krüge mit Blumen abgebildet.

Nachdem Tschitschikow die enge Holztreppe hinaufgestiegen war, betrat er
den breiten Flur. Hier stieß er auf eine Tür, welche sich knarrend
auftat, sowie auf ein dickes altes Weib in einem bunten Kattunkleid, das
ihn mit folgenden Worten anredete: »Hierher, bitte!« In dem Gastzimmer
fand er lauter alte Bekannte, denen man immer in den kleinen hölzernen
Wirtshäusern an der Landstraße begegnet; den dampfbeschlagenen Samowar,
die glatt gehobelten Wände aus Fichtenholz, ein dreieckiges Spind mit
Teekannen und Tassen in der Ecke, vergoldete Porzellaneier vor den
Heiligen-Bildern, die an blauen und roten Bändern hingen, eine Katze,
die vor kurzem Junge geworfen hatte, einen Spiegel, der statt zwei Augen
vier und statt eines Gesichtes eine Art Pfannkuchen erkennen ließ,
endlich Sträuße aus wohlriechenden Kräutern und Nelken, welche hinter
die Heiligenbilder gesteckt und schon so stark vertrocknet waren, daß
jeder, den die Lust anwandelte an ihnen zu riechen, zu niesen begann,
sonst aber unbefriedigt blieb.

»Haben Sie Spanferkel?« Mit dieser Frage wandte sich Tschitschikow an
die dicke Alte.

»Gewiß!«

»Mit Meerrettich und saurer Sahne?«

»Freilich mit Sahne und Meerrettich.«

»Her damit!«

Die Alte ging, kramte im Speiseschrank umher und brachte einen Teller,
eine Serviette, steif gestärkt wie getrocknete Baumrinde, ferner ein
Messer mit einem gelblichen Knochengriff, und einer Klinge, dünn wie die
eines Federmessers und schließlich eine zweizinkige Gabel und ein
Salzfaß, das durchaus nicht geradestehen wollte.

Unser Held ließ sich nach seiner Gewohnheit sogleich in ein Gespräch mit
ihr ein. Er erkundigte sich, ob sie selbst die Besitzerin des Gasthofes
oder ob noch ein Wirt da sei; wieviel das Geschäft abwerfe; ob ihre
Söhne bei ihr wohnten; was der älteste Sohn für einen Beruf habe und ob
er schon verheiratet oder noch Junggeselle sei; was er für eine Frau
genommen habe, mit oder ohne Mitgift; ob der Schwiegervater zufrieden
und ob der Sohn nicht ärgerlich gewesen sei, daß er zu wenig
Hochzeitsgeschenke bekommen habe. Mit einem Wort, er vergaß nicht das
Mindeste. Es versteht sich von selbst, daß er auch Erkundigungen darüber
einzog, was für Gutsbesitzer in der Nähe wohnten, und er erfuhr, daß es
deren verschiedene gäbe, einen gewissen Blochin, Potschitajew, Mylny,
Oberst Tscherpakow, Sabakewitsch. »Ah! du kennst Sabakewitsch?« fragte
er die Alte, und er hörte sogleich, daß sie nicht nur Sabakewitsch,
sondern auch Manilow kenne, und daß Manilow etwas »dewikater« sei als
Sabakewitsch. »Er bestellte sofort ein Huhn oder Kalbsbraten; gibt es
Hammelleber, so verlangt er auch Hammelleber und ißt von allem nur ein
wenig. Dagegen bestellt Sabakewitsch immer nur ein einziges Gericht, das
er dann aber auch ganz aufißt. Ja, er verlangt sogar noch eine größere
Portion für dasselbe Geld.«

Während er sich in dieser Weise unterhielt und vergnügt sein Spanferkel
verzehrte, von dem nur noch ein kleines Stück auf dem Teller übrig
blieb, hörte er plötzlich das Rädergerassel einer heranrollenden
Equipage. Er blickte zum Fenster hinaus und sah eine zierliche Kutsche
vor dem Wirtshaus halten, die mit drei braven Pferden bespannt war. Aus
dem Wagen stiegen zwei Herren heraus. Der eine von ihnen war blond und
von hohem Wuchs, der andere etwas kleiner und brünett. Der Blonde trug
eine dunkelblaue Joppe, der andere hatte eine gewöhnliche buntgestreifte
Morgenjacke aus Bucharischem Stoffe an. Von ferne sah man noch ein
leeres Wägelchen herankommen, das von einem langhaarigen Viergespann mit
zerrissenen Halsbügeln und Halftern von Hanf gezogen wurde. Der Blonde
lief sofort die Treppe hinauf, während der Dunkelhaarige noch ein wenig
unten blieb, den Wagen untersuchte und, während er sich mit dem Knechte
unterhielt, dem herankommenden Gefährt allerhand Zeichen gab.
Tschitschikow kam seine Stimme ein wenig bekannt vor. Während er ihn
betrachtete, hatte der Blonde bereits die Tür gefunden und öffnete sie
eben. Dies war ein hochgewachsener Mann mit schmalem Gesicht oder, wie
man zu sagen pflegt, mit etwas verlebten Zügen und kleinem roten
Schnurrbart. Nach seiner gebräunten Gesichtsfarbe zu urteilen, hatte er
schon oft im Dampfe gestanden, wenn nicht im Pulverdampf, so doch im
Tabaksdampf. Er verbeugte sich höflich gegen Tschitschikow, worauf jener
mit einer gleichen Verbeugung antwortete. Sie hätten sicherlich schon
nach wenigen Minuten eine Unterhaltung angeknüpft und nähere
Bekanntschaft mit einander gemacht, weil der erste Schritt dazu ja schon
getan war und beide fast zu gleicher Zeit ihre Freude darüber äußerten,
daß der Staub auf der Landstraße durch den gestrigen Regen vollständig
niedergeschlagen und daß die Reise jetzt angenehm und kühl sei, wenn
nicht sein schwarzhaariger Gefährte plötzlich ins Zimmer getreten wäre;
er riß seinen Hut vom Kopfe und warf ihn auf den Tisch, indem er sich
mit einer kühnen Handbewegung durch das Haar fuhr. Dies war ein Mann von
mittlerem Wuchs, ein stattlicher Kerl mit vollen rosigen Wangen,
schneeweißen blitzenden Zähnen und pechschwarzem Backenbart. Dazu hatte
er so frische Farben wie Blut und Milch; sein Gesicht strotzte förmlich
vor Gesundheit.

»Ba, Ba, Ba,« rief er plötzlich und breitete beim Anblick Tschitschikows
die Arme weit aus. »Was führt Sie hierher?«

Hier erkannte Tschitschikow, daß es Nosdrjow war, jener Herr mit dem er
beim Staatsanwalt gespeist und der sich mit ihm schon nach wenigen
Minuten so vertraut gemacht hatte, daß er ihn zu duzen begann, obwohl
ihm Tschitschikow seinerseits nicht die geringste Veranlassung dazu
gegeben hatte.

»Wo warst du?« fragte Nosdrjow und fuhr ohne die Antwort abzuwarten,
sogleich fort: »Ich komme von der Messe lieber Freund; du kannst mir
gratulieren. Ich bin blank; ich habe den letzten Heller dagelassen. Du
wirst mir's nicht glauben, daß ich noch nie in meinem Leben so blank
war. Ich habe mir eine Droschke mieten müssen. Sieh einmal aus dem
Fenster; da steht sie noch!« Hierbei drückte er Tschitschikows Kopf
herunter, sodaß dieser sich beinah am Fensterkreuz gestoßen hätte. »Sieh
doch die Klepper an, die verdammten Viecher haben mich kaum bis hierher
geschleppt. -- Ich mußte schließlich sogar in seinen Wagen steigen.« Bei
diesen Worten zeigte Nosdrjow mit dem Finger auf seinen Gefährten:

»Ah -- ihr seid noch nicht bekannt. Mein Schwager Mishujew! Wir haben
schon den ganzen Morgen von dir gesprochen. >Paß mal auf,< habe ich
gesagt, >wenn wir Tschitschikow treffen.< Nein, wenn du wüßtest, Bruder,
wie blank ich bin. Glaub's oder nicht, ich bin nicht nur meine vier
Gäule los geworden, ich habe tatsächlich alles verjuchzt. Ich habe nicht
mal mehr Uhr und Kette.« Tschitschikow sah ihn an und überzeugte sich,
daß er wirklich weder Uhr noch Kette trug. Ja, es schien ihm sogar, daß
die eine Hälfte seines Backenbartes etwas kleiner und dünner war, als
die andre.

»Und doch, wenn ich nur zwanzig Rubel in der Tasche gehabt hätte,« fuhr
Nosdrjow fort, »genau zwanzig und nicht mehr noch weniger, ich hätte
wahrhaftig Alles wieder gewonnen, d. h. ich hätte es nicht nur
wiedergewonnen, sondern, -- so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich
hätte jetzt noch dreißigtausend dazu in der Tasche.«

»Das hast du auch schon da gesagt,« wandte ihm hier der Blonde ein.
»Aber als ich dir die fünfzig Rubel gab, hast du sie doch gleich darauf
verspielt.«

»Ich hätte sie bei Gott nicht verloren. Wahrhaftig nicht. Hätte ich
damals keine Dummheit gemacht, so besäße ich sie noch jetzt.

Hätte ich nach dem Paroli der verdammten Sieben keine Ecke geschlagen,
ich hätte die ganze Bank sprengen können.«

»Du hast sie doch aber nicht gesprengt,« sagte der Blonde.

»Natürlich nicht, weil ich eben die Ecke nicht zur rechten Zeit
geschlagen habe. Du glaubst wohl, daß dein Major sehr schön spielt?«

»Schön oder nicht schön, er hat dich doch gerupft.«

»Auch was Großes,« sagte Nosdrjow.

»So hätte ich ihn auch reinlegen können. Er sollte mal versuchen,
Doublet zu spielen, dann wollen wir mal sehen, was der Kerl kann. Dafür
haben wir aber auch die letzten Tage fein durchgebummelt, Freund
Tschitschikow. Nein wirklich, die Messe war großartig. Selbst die
Kaufleute sagen, daß es noch niemals so ein Leben gab. Wir haben alles,
was von meinem Gut kam, zu den höchsten Preisen losgeschlagen. Ach,
Freund, wie wir gezecht haben. Wenn ich jetzt noch daran denke, Teufel
.... es ist doch schade, daß du nicht dabei warst. Stell dir vor, drei
Werst vor der Stadt stand ein Dragonerregiment und denk dir nur,
sämtliche Offiziere, soviel überhaupt da waren, ich glaube, an die
vierzig Mann hoch, kamen in die Stadt, und als dann erst das Saufen
losging ...... der Stabsrittmeister Patzelujeff, das ist doch ein
famoser Mensch; -- hat der einen Schnurrbart, -- -- -- so groß. Statt
Kognak sagt er einfach Jäckchen. >Bring mir doch schnell ein Jäckchen,<
ruft er dem Kellner zu. Leutnant Kufschinnikow ... Weißt du, Freund, ein
zu netter Mensch! Ein richtiger Zechbruder, das kann man wohl sagen. Wir
waren immer zusammen. Und was uns der Ponomarjow für einen Wein
vorgesetzt hat! Der ist nämlich ein Gauner, mußt du wissen. Bei dem darf
man nichts kaufen. Der Teufel mag wissen, womit der den Wein vermengt.
Der Kerl färbt ihn mit Sandelholz, gebranntem Kork und Holundermark;
wenn man ihm aber aus dem letzten Zimmer, das er sein Allerheiligstes
nennt, eine Flasche herausschmuggelt, wahrhaftig Freund, dann glaubt man
sich gleich im siebenten Himmel. Einen Champagner hatten wir, sage ich
dir! ... Dagegen ist der des Gouverneurs das reinste Weißbier. Stell dir
vor, nicht Cliquot, sondern irgend ein Cliquot-Matradura, gewissermaßen
ein potenziertes Cliquot. Und dann holte ich noch eine Flasche
französischen Wein, Marke Bonbon. Na, der Geruch -- ff., wie
Rosenknospen und sonst noch alles, was dein Herz begehrt .. Donner,
haben wir gezecht! .. Nach uns kam noch ein Fürst hin. Der ließ nach
Champagner schicken. -- Denk dir, in der ganzen Stadt keine Flasche
aufzutreiben: die Offiziere hatten den ganzen Sekt ausgetrunken. Du
kannst mir's glauben, ich allein hab während des Diners siebzehn
Flaschen hinter die Binde gegossen!«

»Na, na! siebzehn Flaschen, das bringst du denn doch nicht fertig,«
bemerkte der Blonde.

»So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, ich hab sie doch ausgetrunken.«

»Du magst reden was du willst. Ich sage dir, du kannst nicht einmal zehn
bewältigen.«

»Was gilt die Wette!?«

»Wozu denn wetten!«

»Gut, wetten wir um die Flinte, die du dir in der Stadt gekauft hast!«

»Ich mag nicht.«

»Ach was, tu's doch, versuch's nur!«

»Ich will's aber nicht versuchen.«

»Du hast wohl keine Lust, deine Flinte zu verlieren! Hör mal, Freund
Tschitschikow, hab ich's aber bedauert, daß du nicht dabei warst. Ich
bin sicher, du hättest dich von Leutnant Kufschinnikow garnicht trennen
können. Ihr hättet euch gleich verstanden. Der ist nicht wie der
Staatsanwalt und die hiesigen Provinzgrößen unserer Stadt, die für jede
Kopeke zittern. Der macht alles mit: einen Landsknecht, Pharao, ein
Pokerchen, hält ein Bänkchen und alles, was du willst. Ach,
Tschitschikow, nun was hätte es dich gekostet, mitzumachen. Wirklich, du
bist ein Schwein, alter Saukerl du! Gib mir 'nen Kuß! Ich hab dich
schrecklich lieb. Nimm mal den Mishujew, das Schicksal hat uns
zusammengeführt; was ist er mir und was bin ich ihm? Kommt eines schönen
Tages angefahren, Gott weiß woher! Zufälliger Weise muß ich auch gerade
hier wohnen .... Und wieviel Wagen da waren, lieber Freund! Es ging
alles ins Große, weißt du. Engros! Ich hab auch mal Fortuna versucht und
zwei Büchschen Pomade, eine Porzellantasse und eine Gitarre gewonnen.
Dann hab ich nochmal mein Glück probiert und alles wieder verloren, so
'ne Gemeinheit, und noch sechs Rubel dazu. Wenn du wüßtest, was für ein
Don Juan der Kufschinnikow ist. Ich war auf allen Bällen mit ihm
zusammen. Da war eine, die war so aufgeputzt: Rüschen und Spitzen, und
weiß der Teufel, was die nicht alles an sich sitzen hatte. Ich dachte
mir immer, Teufel! Der Kufschinnikow aber -- so 'ne Bestie, was? --
Setzt sich zu ihr und bekomplimentiert sie auf französisch. Du kannst
mir's glauben, der würde nicht einmal ein Bauernweib durchlassen. Das
nennt er »Erdbeeren pflücken«. Es waren auch herrliche Fische, und vor
allem Störe angekommen. Ich habe einen mitgebracht -- noch gut, daß mir
der Gedanke kam einen zu kaufen, solange ich noch Geld hatte. Wo reist
du denn jetzt hin?«

»Ach, ich will zu einem Menschen hier,« sagte Tschitschikow.

»Zu was für einem Menschen? Ach was, laß ihn laufen! Komm! wir fahren
zusammen zu mir nach Hause!«

»Nein, nein, es geht nicht. Ich habe zu tun.«

»Ach was, zu tun! Hat sich was ausgedacht! Oh du Opodeldok Iwanowitsch!«

»Nein wirklich, ich habe zu tun, und sogar etwas sehr Wichtiges!«

»Ich möchte darauf wetten, du lügst! Also sag mal, zu wem fährst du?«

»Nun meinetwegen. Zu Sabakewitsch.«

Hier brach Nosdrjow in jenes laute und helle Lachen aus, dessen nur ein
frischer und gesunder Mensch fähig ist, der dabei seinen Mund weit
auftut, uns die ganze Reihe seiner Zähne sehen läßt, die tadellos und
blendend weiß sind wie Zucker, während seine Gesichtsmuskeln hüpfen und
springen, sodaß der Nachbar im dritten Zimmer, das durch zwei Türen von
ihm getrennt ist, aus dem Schlaf in die Höhe fährt, die Augen aufreißt
und ausruft: »Was mag bloß in den gefahren sein!«

»Was gibt es hier zu lachen?« sagte Tschitschikow, der sich ein wenig
über das Gelächter ärgerte.

Aber Nosdrjow fuhr fort, aus vollem Halse zu lachen, indem er
zwischendurch rief: »Nein, bitte, verschone mich; ich berste vor
Lachen!«

»Das ist durchaus nicht lächerlich: ich habe ihm mein Wort gegeben,«
sagte Tschitschikow.

»Aber du wirst ja deines Lebens nicht froh, wenn du zu ihm hinfährst;
das ist doch ein ganz gemeiner Geizhals, ein Halsabschneider! Ich kenne
doch deinen Charakter; du befindest dich in einem ungeheueren Irrtum,
wenn du glaubst, du findest dort Gelegenheit zu einem kleinen Spielchen,
eine gute Flasche Bonbon oder sonst was. Hör mal, lieber Freund! Hol
doch der Teufel diesen Sabakewitsch! Komm zu mir! Ich setze dir einen
Stör vor. Der Ponomarjow, diese Bestie hat nur immer Kratzfüße gemacht
und versichert: >Ich tue es nur für Sie! Sie können die ganze Messe
absuchen und werden keinen solchen finden.< Übrigens ein durchtriebener
Spitzbube. Ich habe es ihm gleich ins Gesicht gesagt: >Sie und unser
Branntweinpächter, ihr seid die größten Gauner, die es auf der Welt
gibt,< hab ich ihm gesagt. Dabei lacht die Bestie und streicht sich den
Bart. Kufschinnikow und ich, wir haben jeden Tag in seinem Laden
gefrühstückt. Richtig, lieber Freund, beinah hätte ich vergessen, es dir
zu sagen: ich weiß zwar, du wirst mich nicht in Ruhe lassen, aber ich
sage es dir im voraus, du kriegst ihn nicht einmal für zehntausend
Rubel!« »He Porphyr!« rief er seinem Diener zu, indem er ans Fenster
trat. Dieser stand mit einem Messer in der einen Hand da, während er in
der andern eine Brotrinde und ein Stück Stör hielt, das er mit einem
glücklichen Griff erwischt hatte, als er gerade etwas aus dem Wagen
holen wollte. »He, Porphyr!« schrie Nosdrjow, »bring doch mal den
kleinen Köter herauf!« »Ein feiner Köter! Was!« fuhr er fort, indem er
sich an Tschitschikow wandte. »Natürlich gestohlen! Der Besitzer wollte
ihn um keinen Preis hergeben. Ich bot ihm die hellbraune Stute dafür,
weißt du, die, welche ich vom Chwostyrjow erstanden habe.« Übrigens
hatte Tschitschikow sein Lebtag weder Chwostyrjow noch die braune Stute
gesehen.

»Wollen der gnädige Herr nichts zu sich nehmen?« sagte jetzt die Alte,
indem sie sich ihm näherte.

»Nein! Nichts! Ich sag dir Freund! Wir haben gebummelt! Übrigens kannst
du mir einen Schnaps geben! Was habt ihr für welchen?«

»Anis«, antwortete die Alte.

»Nun meinetwegen, einen Anis,« rief Nosdrjow.

»Dann gib mir gleich auch ein Gläschen!« sagte der Blonde.

»Im Theater war eine Sängerin, die sang ganz wie 'ne Nachtigall, so'ne
Kanaille! Kufschinnikow, der neben mir saß, sagte zu mir: >Weißt du
Freund das wär so was! Da möcht ich mal Erdbeeren pflücken!< Ich glaube
die Zahl der Meßbuden war allein größer als fünfzig. Thenardi drehte
sich vier Stunden lang herum, wie eine Windmühle.« Hierbei nahm er das
Gläschen aus der Hand der Alten, die sich tief vor ihm verneigte. »Her
mit ihm!« rief er plötzlich aus, als er Porphyr erblickte, der mit einem
jungen Hund ins Zimmer trat. Porphyr war ebenso gekleidet wie sein Herr,
auch er trug eine wattierte bucharische Joppe, die nur ein wenig
fettiger war.

»Gib ihn her, leg ihn hierher, auf den Fußboden!«

Porphyr legte das Hündchen auf den Fußboden, welches seine vier Pfoten
weit ausstreckte und die Diele zu beschnüffeln begann.

»Das ist ein Hund!« sagte Nosdrjow, indem er das Tier am Wickel nahm und
mit einer Hand in die Höhe hob. Das Hündchen stieß einen recht
kläglichen Ton aus.

»Du hast wieder nicht getan, was ich dir befohlen habe,« sagte Nosdrjow
zu Porphyr gewendet, während er den Bauch des Hündchens aufmerksam
betrachtete. »Es ist dir garnicht eingefallen, ihn zu kämmen.«

»Nein, ich habe ihn gekämmt.«

»Wo kommen denn die Flöhe her!«

»Das kann ich nicht wissen. So etwas kommt vor, vielleicht hat er sie
sich im Wagen geholt!«

»Du lügst! Unsinn! Es ist dir nicht im Traume eingefallen, ihn zu
kämmen; ich glaube, der Esel hat ihm noch von den seinigen abgegeben.
Sieh nur, Tschitschikow, sieh nur, was für Ohren! Komm doch, streichele
ihn mal!«

»Wozu! Ich sehe es ja auch so! Die Rasse ist gut,« sagte Tschitschikow.

»Nein, streichele ihn nur mal; befühle mal die Ohren!«

Tschitschikow tat Nosdrjow den Gefallen, und nahm den Hund bei den
Ohren. »Ja, es wird ein schönes Tier,« fügte er hinzu.

»Und fühle mal seine kalte Schnauze an! Nimm doch die Hand!« Um ihn
nicht zu beleidigen, befühlte Tschitschikow auch die Schnauze, indem er
bemerkte: »Kein übler Riecher!«

»Ein echter Bullenbeißer!« fuhr Nosdrjow fort. »Ich muß gestehen, ich
habe schon lange nach einem Bullenbeißer gefahndet. Da, Porphyr, trage
ihn fort.«

Porphyr nahm das Hündchen beim Bauche und brachte es in den Wagen
zurück.

»Hör mal, Tschitschikow, du mußt jetzt unbedingt zu mir kommen. Es sind
ja nur fünf Werst von hier. Wir sind im Handumdrehen da. Nachher kannst
du meinetwegen auch zu Sabakewitsch fahren.«

»Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich auch einen Besuch
bei Nosdrjow machen. Er ist am Ende nicht schlimmer als die andern. Ein
Mensch wie alle! Und zudem hat er noch Geld verloren. Der ist zu allem
fähig. Dem werd ich schon umsonst etwas abtrotzen. -- Also gut,
meinetwegen! Nur eins, du darfst mich nicht zurückhalten; meine Zeit ist
mir teuer.«

»Siehst du, Herzchen, so gefällst du mir; das ist nett von dir. Komm,
laß dir einen Kuß dafür geben!« Und Nosdrjow und Tschitschikow umarmten
und küßten sich herzlich. »Famos, jetzt fahren wir zu dritt!«

»Nein, mich mußt du schon entschuldigen,« sagte der Blonde. »Ich muß
nach Hause.«

»Ach, Torheiten, Freund! Ich laß dich nicht fort.«

»Nein wirklich, meine Frau wird sonst böse; übrigens kannst du ja jetzt
in seinen Wagen steigen.«

»Nein, nein, nein! Du sollst garnicht daran denken.«

Der Blonde war einer von jenen Menschen, in deren Charakter man zuerst
einen gewissen Starrsinn zu entdecken glaubt. Man hat kaum Zeit den Mund
zu öffnen, da fallen sie einem schon streitlustig ins Wort, und niemals
werden sie etwas zugeben, was ihrer Denkweise widerspricht. Es scheint
einem, daß sie nie einen Dummen klug nennen und vor allem niemals nach
der Pfeife eines anderen tanzen werden. Am Ende aber zeigt es sich, daß
in ihrem Wesen etwas Weiches, Nachgiebiges liegt, daß sie schließlich
gerade das zugeben, was sie erst bestritten haben, das Dumme -- klug
nennen und den herrlichsten Tanz nach der fremden Pfeife aufführen. Sie
fangen forsch an und enden schmählich.

»Ah, Torheiten,« antwortete Nosdrjow auf einen Einwand des Blonden,
drückte ihm den Hut auf den Kopf und -- der Blonde folgte ihnen auf dem
Fuße.

»Gnädiger Herr, der Schnaps ist noch nicht bezahlt,« rief die Alte ihnen
nach.

»Schon recht, schon recht, Mütterchen! Sei so gut, lieber Schwager,
bezahle du für mich! Ich habe nicht mal Kupfer in der Tasche.«

»Was bekommst du?« fragte der Schwager.

»Es ist nicht der Rede wert, Väterchen. Es macht ja nur achtzig
Kopeken.«

»Du lügst! Gib ihr 'nen halben Rubel! das ist mehr als genug.«

»Ein bissel wenig, gnädiger Herr,« sagte die Alte. Indessen nahm sie das
Geld dankend an und lief atemlos voraus, um die Türe zu öffnen. Sie
hatte nichts verloren, denn der Schnaps kostete nicht den vierten Teil
von dem, was sie gefordert hatte.

Die Reisenden stiegen ein und nahmen in ihren Kutschen Platz.
Tschitschikows Wagen fuhr neben der Equipage, in der Nosdrjow und sein
Schwager saßen, her, und so konnten sich alle drei während des ganzen
Weges bequem miteinander unterhalten. Nosdrjows kleiner, mit den dürren
Mietspferden bespannter Wagen folgte langsam nach und blieb immer mehr
zurück. In ihm saß Porphyr mit dem jungen Hunde.

Da das Gespräch, in welches unsere Reisenden vertieft waren, sicherlich
kein großes Interesse für den Leser haben dürfte, werden wir gut tun,
diese Zeit zu benutzen, um einige Worte über Nosdrjow selbst zu sagen,
der vielleicht nicht die geringste Rolle in unserer Dichtung spielen
wird.

Nosdrjows Gesicht ist dem Leser wahrscheinlich schon ein wenig bekannt.
Ein jeder von uns wird Leuten dieses Schlages sicherlich mehr als einmal
begegnet sein. Man nennt sie forsche Burschen; schon als Knaben und in
der Schule gelten sie als gute Kameraden und kriegen bei alledem ihre
Prügel, die oft sehr schmerzhaft sind. Aus ihrem Gesicht spricht
Offenheit, Gradheit und eine gewisse Bravour. Sie schließen schnell
Freundschaften, und eh man sich's versieht, duzen sie einen schon. Sie
schwören immer ewige Freundschaft, und fast scheint's, daß sie ihr
Versprechen auch halten werden; aber dann kommt es beinahe immer so, daß
der neue Freund sie noch am selben Abend beim freundschaftlichen Mahle
durchprügelt. Das sind stets Schwätzer, Zechbrüder, feine Jungens, mit
einem Wort Leute, die was bedeuten. Nosdrjow war mit fünfunddreißig
Jahren noch genau derselbe, wie mit siebzehn und zwanzig: er liebte es
noch immer, zu bummeln und sich zu amüsieren. Die Ehe hatte ihn nicht im
geringsten verändert, um so weniger, als seine Frau sehr bald ins
bessere Jenseits einging, und ihn mit zwei Kindern zurückließ, die er
absolut nicht brauchen konnte. Übrigens hatte er die Aufsicht über die
Kinder einer recht appetitlichen Wärterin anvertraut. Er konnte es zu
Hause nie länger als einen Tag aushalten. Seine feine Nase roch es auf
fünfzig Werst heraus, wenn es irgendwo eine Messe gab, wo viele Menschen
zusammenkamen und Feste und Bälle gefeiert wurden; im selben Augenblick
war er da, stiftete Streit und Unordnung am grünen Tisch, denn er war,
wie all diese Leute ein leidenschaftlicher Kartenspieler. Wie wir schon
aus dem ersten Kapitel erfahren haben, spielte er nicht ganz korrekt und
sauber, er kannte eine Reihe von Kniffen und Kunststücken, und daher
gab's am Ende des Spiels gewöhnlich ein andres Spiel: entweder er bekam
eine Tracht Prügel und ein paar tüchtige Fußtritte oder man zupfte ihn
an seinem schönen dicken Backenbart, so daß er manchmal nur mit einer
Bart-Hälfte nach Hause kam, die auch nur noch recht dürftig aussah. Aber
seine gesunden runden Backen waren aus so gutem Stoff gemacht und wurden
von einer so intensiven animalischen Kraft durchflutet, daß der
Backenbart bald wieder nachwuchs und noch schöner wurde, als früher. Und
was dabei das Merkwürdigste war, und sicherlich nur allein in Rußland
passieren kann, -- schon nach ganz kurzer Zeit war er wieder mit seinen
Freunden zusammen, die ihn so hergenommen hatten, man begrüßte sich, wie
wenn nichts vorgefallen wäre, und auch er tat seinerseits nicht im
geringsten beleidigt.

Nosdrjow war in gewisser Beziehung eine geschichtliche Persönlichkeit.
Es gab keine einzige Gesellschaft, an der er teilnahm, wo nicht irgend
eine »Geschichte« passierte. Irgendeine »Geschichte« gab es immer:
entweder er wurde von ein paar Gendarmen beim Arm gefaßt und aus dem
Saal geführt, oder seine eigenen Freunde sahen sich gezwungen, ihn
hinauszubefördern. Und wenn es nicht gerade dies war, _etwas_ ereignete
sich auf jeden Fall, was einem andern nie passiert wäre, sei es, daß er
sich in der Restauration so sehr betrank, daß er garnicht aus dem Lachen
herauskommen konnte, oder daß er sich so in seine eigenen Lügen
verstrickte, sodaß ihm zuletzt selbst davor übel wurde. Dazu log er ohne
jeden Grund und Anlaß. Plötzlich konnte es ihm einfallen, zu erzählen,
er habe einmal ein Pferd mit blau und rot gestreiftem Fell gehabt oder
irgend einen ähnlichen Blödsinn, bis alle Anwesenden weggingen und
sagten: »Na Bruder, mir scheint, du fängst an zu schwindeln!« Es gibt
Menschen, die eine wahre Leidenschaft haben, ihrem Nächsten einen üblen
Streich zu spielen, ohne die geringste Ursache dazu zu haben. So gibt es
zum Beispiel Leute von hohem Range, edlem Äußern und mit einem Stern auf
der Brust, die einem freundlich die Hand drücken, sich über die tiefsten
und erhabensten Gegenstände unterhalten, welche unseren Geist
beschäftigen, um einem plötzlich ganz offen vor aller Augen einen
niederträchtigen Streich zu spielen, wie er wohl eines ganz gewöhnlichen
Kollegienregistrators, nicht aber eines Mannes würdig ist, der einen
Stern auf der Brust trägt und über die tiefsten und erhabensten
Gegenstände spricht, die unseren Geist beschäftigen, sodaß man dasteht
und staunt, und höchstens mit den Achseln zuckt. Auch Nosdrjow hatte
diese merkwürdige Liebhaberei. Je näher sich einer ihm anschloß, um so
ärger trieb er es mit ihm: er verbreitete allerhand unmögliche Gerüchte,
wie sie sich kaum törichter und dümmer erfinden lassen, machte
Verlobungen rückgängig, verdarb einem das Geschäft und hielt sich dabei
keineswegs für den Feind des Betreffenden; im Gegenteil, fügte es sich
so, daß man wieder mit ihm zusammentraf, dann kam er einem höchst
freundschaftlich entgegen und sagte sogar: »Du bist doch ein ganz
gemeiner Kerl! Warum besuchst du mich niemals?« Nosdrjow war in mancher
Beziehung ein wirklich vielseitiger Mensch, d. h. er war in allen
Sätteln gerecht. In demselben Augenblick war er bereit, euch bis an alle
vier Enden der Welt zu begleiten, an jedem Abenteuer teilzunehmen, jeden
Tausch mit euch einzugehen. Flinten, Hunde, Pferde waren Tauschobjekte
für ihn, aber er hatte durchaus nicht etwa den Hintergedanken, dabei zu
gewinnen; dies war nur die Folge einer gewissen Lebhaftigkeit und
Keckheit, die in seinem Charakter lagen. War es ihm geglückt, auf der
Messe einem Einfaltspinsel zu begegnen und ihn im Spiel zu rupfen, dann
kaufte er alles Mögliche zusammen, was er im ersten besten Laden
vorfand: Halsbügel für seine Pferde, Räucherkerzchen, allerhand Tücher
für das Kindermädchen, einen Hengst, Rosinen, eine silberne
Waschschüssel, holländische Leinwand, Gerstenmehl, Tabak, Pistolen,
Heringe, Bilder, Schleifsteine, Töpfe, Stiefel, Porzellangeschirr, bis
ihm das Geld ausging. Übrigens passierte es nur höchst selten, daß er
all die schönen Dinge mit nach Hause brachte: gewöhnlich wurde er sie
noch am selben Tage wieder los, indem er sie an einen andern
glücklichern Spieler verspielte, der häufig noch die eigne Pfeife, den
Tabakbeutel und ein Mundstück, oder wohl gar noch das ganze Viergespann
mit allem Zubehör: Wagen und Kutscher dazu bekam, sodaß der Herr selbst
in einem kurzen Röckchen oder einer bucharischen Joppe auf die Suche
nach einem Freunde gehen mußte, der ihn in seinem Wagen mitnahm. So war
Nosdrjow! Vielleicht wird man ihn einen verbrauchten Typus nennen und
sagen, heutzutage gebe es ja gar keine Nosdrjows mehr! Ach nein! Die
Menschen, die so reden, haben sicherlich unrecht. Nosdrjow wird nicht so
bald aus dieser Welt verschwinden. Er ist überall, mitten unter uns, und
trägt vielleicht zufälligerweise nur einen andern Rock; aber die
Menschen sind leichtsinnig und oberflächlich; wie oft halten sie jemand,
wenn er nur einen andern Rock anhat, auch für einen ganz andern
Menschen!

Unterdessen hielten die drei Wagen bereits vor der Freitreppe des
Nosdrjowschen Hauses. Im Hause waren keinerlei Vorbereitungen für ihren
Empfang getroffen. Mitten im Speisezimmer standen zwei Arbeiter auf
einer Stehleiter, weißten die Wände und sangen ein monotones Lied dazu,
das gar kein Ende nehmen wollte; der ganze Fußboden war mit Kalk
bespritzt. Nosdrjow rief den Leuten sogleich zu, sie sollten sich
mitsamt ihrer Stehleiter hinauspacken und lief dann ins nächste Zimmer,
um dort weitere Befehle zu erteilen. Die Gäste hörten, wie er beim Koch
ein Mittagessen bestellte; Tschitschikow, der bereits wieder einigen
Appetit verspürte, ersah daraus, daß sie sich wohl kaum vor 5 Uhr zu
Tische setzen würden. Nosdrjow kam bald darauf zurück, um seine Gäste zu
einem Spaziergang durch sein Gut mitzunehmen und ihnen alle
Sehenswürdigkeiten desselben zu zeigen. Sie brauchten etwas mehr als
zwei Stunden, um alles in Augenschein zu nehmen. Nosdrjow ruhte nicht
eher, als bis er ihnen alles gezeigt hatte, bis ihm nichts mehr zu
zeigen übrig blieb. Zuerst begab man sich in den Pferdestall, wo man
zwei Stuten, einen grauen Apfelschimmel, einen Fuchs und einen braunen
Hengst besichtigte. Der Hengst sah nicht gerade stattlich aus, aber
Nosdrjow versicherte und schwor, daß er zehntausend Rubel für ihn
bezahlt habe.

»Zehntausend waren es sicher nicht,« bemerkte der Schwager, »der ist
noch keine tausend wert.«

»Bei Gott! Er kostet zehntausend!« sagte Nosdrjow.

»Du kannst schwören, soviel du willst,« erwiderte der Schwager.

»Nun gut, willst du wetten?« sagte Nosdrjow.

Aber der Schwager wollte nicht wetten.

Dann zeigte Nosdrjow den Gästen einen leeren Verschlag, in dem früher
ein paar gute Pferde gestanden hatten. Daselbst befand sich auch ein
Ziegenbock, der nach einem alten Aberglauben in keinem Pferdestall
fehlen darf, und der sich mit seinen Genossen offenbar recht gut
vertrug, denn er spazierte unter ihren Bäuchen hindurch, als ob er zu
Hause wäre. Dann führte Nosdrjow die beiden Herren weiter, um ihnen
einen kleinen Wolf zu zeigen, welcher an der Kette lag. »Das ist ein
junger Wolf!« sagte er, »ich füttere ihn absichtlich mit rohem Fleisch!«
Dann sah man sich noch einen Teich an, in dem sich, nach Nosdrjows
Worten, Fische von solcher Größe befanden, daß mindestens zwei Menschen
dazu gehörten, um einen davon aus dem Wasser zu ziehen. Übrigens
unterließ es der Schwager auch diesmal nicht, seine Zweifel zu äußern.
»Hör mal Tschitschikow,« sagte Nosdrjow, »ich will dir ein paar
herrliche Hunde zeigen: man glaubt gar nicht, was die für kräftige
Muskeln haben! Und die Nase! So spitz wie eine Nadel!« Mit diesen Worten
führte er sie zu einem hübschen kleinen Häuschen, das von einem großen
und ringsum eingefriedigten Hof umgeben war. Als sie diesen betraten,
erblickten sie eine ganze Kollektion von Hunden, wollhaarige und
schlichthaarige aller nur möglichen Farben und Rassen, dunkelbraune,
schwarze, schwarz- und braungefleckte, halbgescheckte, getigerte,
braungescheckte, schwarzohrige, grauohrige usw. usw. ... Hier bekam man
sämtliche Hundenamen und alle nur möglichen Imperative zu hören wie
Beiß, Wach, Schimpf, Funke, Frechdachs, Gottseibeiuns, Störenfried,
Stich, Pfeil, Schwälbchen, Schätzchen, Vorstehdame. Nosdrjow bewegte
sich unter ihnen ganz wie ein Vater in seiner Familie: sie kamen alle
mit freudig erhobenen Schwänzen, die man in der Jägersprache Ruten
nennt, auf die Gäste zugestürzt und begrüßten sie lebhaft. Etwa zehn
Stück sprangen an Nosdrjow empor und legten ihm ihre Pfoten auf die
Schultern. »Schimpf« bezeugte dieselbe Freundschaft für Tschitschikow
und versetzte ihm, indem er sich auf die Hinterbeine stellte, einen
herzhaften Kuß, sodaß jener schleunigst ausspie. Dann ging man zur
Besichtigung der Hunde über, deren Muskelkraft Nosdrjows Stolz bildete
-- und in der Tat, die Hunde waren gut. Hierauf sah man sich noch eine
Hündin aus der Krim an, welche schon blind war und nach Nosdrjows Worten
bald verrecken mußte. Vor zwei Jahren sei es noch eine recht gute Hündin
gewesen. Man nahm auch diese Hündin in Augenschein, und siehe da, sie
war wirklich blind. Von hier aus ging man weiter, um eine Wassermühle
anzusehen, der die Achse fehlte, an welcher der obere Mühlstein
befestigt ist, und um die er sich mit großer Geschwindigkeit dreht, oder
an der er nach dem seltsamen Ausdruck des russischen Bauern herauf und
herunter hüpft, weswegen er auch der »Hüpfer« genannt wird. »Nun kommt
bald die Schmiede,« sagte Nosdrjow. Nach einigen Schritten erblickten
sie tatsächlich eine Schmiede, deren Betrachtung man gleichfalls einige
Augenblicke widmete.

»Auf diesem Felde,« sagte Nosdrjow, indem er mit dem Finger hinzeigte,
»gibt es eine solche Unmenge von Hasen, daß man die Erde garnicht sieht.
Ich selbst habe neulich einen mit der Hand bei den Hinterläufen
erwischt.«

»Na, weißt du, mit der Hand erwischst du keinen Hasen.«

»Und ich hab doch einen gefangen! Wahrhaftig!« antwortete Nosdrjow. »So,
nun will ich dich an die Grenze meines Gutes führen,« setzte er hinzu,
indem er sich an Tschitschikow wandte.

Nosdrjow führte seine Gäste über das Feld, das stellenweise mit kleinen
Mooshügeln bedeckt war. Die Gäste mußten den Weg über Brachland und
geeggte Saatfelder nehmen. Tschitschikow verspürte eine gewisse
Ermüdung. An vielen Stellen sanken ihre Füße in dem Sumpfe ein: so tief
war das Land gelegen. Anfangs nahmen sie sich in acht und traten
vorsichtig auf, da sie aber sahen, daß das doch nichts half,
marschierten sie einfach drauflos, ohne zu fragen, wo der Dreck am
höchsten lag. Nachdem sie ein beträchtliches Stück Weges zurückgelegt
hatten, erblickten sie in der Tat die Grenze, welche durch einen
hölzernen Pfahl und einen schmalen Graben markiert wurde.

»Das ist die Grenze,« sagte Nosdrjow. »Alles was diesseits liegt -- dies
alles ist mein Eigentum, und sogar jener Wald, den ihr da auf der
anderen Seite schimmern seht, und das ganze Stück, das hinter dem Walde
liegt, gehört mir.«

»Seit wann ist denn das dein Wald?« fragte der Schwager. »Hast du ihn
etwa neulich angekauft? Früher gehörte er dir doch nicht.«

»Ja, ich habe ihn vor kurzem gekauft,« sagte Nosdrjow.

»Wie ging denn das so schnell?«

»Ich habe ihn erst vorgestern gekauft und teuer genug bezahlen müssen,
weiß der Teufel!«

»Aber du warst doch die ganze Zeit über auf der Messe?«

»Ach, du alter Sophron, kann man denn nicht auf der Messe sein und
zugleich Land kaufen. Nun ja, ich war auf der Messe und in meiner
Abwesenheit hat der Verwalter das Gehölz gekauft.«

»Es müßte denn schon der Verwalter sein,« sagte der Schwager, noch immer
zweifelnd und schüttelte den Kopf.

Die Gäste kehrten auf demselben elenden Wege nach Hause zurück. Nosdrjow
führte sie in seine Stube, in der übrigens nichts von alledem zu
entdecken war, was man gewöhnlich in einem Arbeitszimmer vorzufinden
pflegt, d. h. weder Bücher noch Papiere, an der Wand hingen nur ein
Säbel und zwei Flinten, eine zu dreihundert, und eine andere zu
achthundert Rubel. Der Schwager sah sich im Zimmer um und schüttelte
bloß den Kopf. Dann zeigte Nosdrjow seinen Freunden noch einige
türkische Dolche; auf einem von ihnen las man die Inschrift »Meister
Sawelij Sibirjakow«, die wohl nur durch ein Versehen in ihn eingegraben
worden war. Darnach bekamen die Gäste eine Drehorgel zu sehen, auf der
Nosdrjow sogleich irgend ein Stück vortrug. Die Drehorgel hatte keinen
unangenehmen Klang, nur schien in ihrem Inneren etwas passiert zu sein,
denn die Mazurka, welche Nosdrjow spielte, ging plötzlich in das Lied:
»Held Malborough zog in die Schlacht« über, und dieses schloß wiederum
mit einem altbekannten Walzer. Nosdrjow drehte schon lange nicht mehr,
aber das Instrument hatte eine sehr kecke Pfeife, die durchaus nicht zum
Schweigen zu bringen war und noch lange für sich allein weitertönte.
Dann ging man zu den Tabakspfeifen über, deren Nosdrjow eine ganze
Kollektion besaß: Holz-, Ton- und Meerschaumpfeifen, eingerauchte und
nicht eingerauchte, mit Lederüberzügen und ohne solche usw.; man sah
sich auch ein Pfeifenrohr mit einer Bernsteinspitze, das Nosdrjow erst
vor kurzem im Spiele gewonnen und einen gestickten Tabaksbeutel an, das
Geschenk einer Gräfin, welche sich auf einer Poststation bis über die
Ohren in ihn verliebt hatte, und deren Händchen das »subtilste
Superflüh« waren, ein Ausdruck, der für ihn wahrscheinlich soviel wie
die höchste Vollkommenheit bedeutete. Nachdem man ein paar Schnitten
Stör zu sich genommen hatte, setzte man sich gegen fünf Uhr zu Tisch.
Das Mittagessen spielte offenbar in Nosdrjows Leben keine sehr
bedeutende Rolle, denn er schien keinen sehr großen Wert auf die
Zubereitung der Speisen zu legen; sie waren teils angebrannt, teils noch
nicht ganz gar. Der Koch ließ sich wahrscheinlich mehr durch eine
gewisse Inspiration leiten und bediente sich bei der Herstellung der
Gerichte aller guten Dinge, die ihm gerade unter die Hand kamen: stand
zufälligerweise die Pfefferdose in seiner Nähe, dann schüttete er
Pfeffer in den Kochtopf -- lag ein Kohlkopf auf dem Tisch, so tat er
auch Kohl hinein und gab noch Milch, Schinken und Erbsen dazu -- mit
einem Wort: er schüttete aufs Geradewohl etwas zusammen, die Hauptsache
war, daß das Gericht recht heiß war, irgend einen Geschmack würde es
schon haben! Dafür legte Nosdrjow ein großes Gewicht auf die Weine: die
Suppe stand noch nicht auf dem Tisch, da schenkte er den Gästen schon
ein Glas Portwein und ein zweites mit Haut Sauterne ein. In den Provinz-
und in den Kreisstädten gibt es nämlich keinen gewöhnlichen Sauterne.
Dann ließ Nosdrjow noch eine Flasche Madeira auftragen, »wie ihn selbst
der Feldmarschall nicht besser getrunken hat«. Und in der Tat, der
Madeira brannte einem in der Kehle, denn die Kaufleute, welche den
Geschmack ihrer Kunden -- der Gutsbesitzer kannten, die einen
_kräftigen_ Madeira liebten, versetzten ihn tüchtig mit Rum und
bisweilen auch mit Königswasser, in der richtigen Erwägung, daß ein
russischer Magen alles vertragen könne. Zuletzt ließ sich Nosdrjow noch
eine ganz besondere Flasche bringen, die, wie er sagte, eine Art von
Synthese aus Champagner und Bourgognon enthielt. Er schenkte rechts und
links mit großem Eifer die Gläser voll und erwies dabei seinem Schwager
und Tschitschikow die gleiche Aufmerksamkeit; doch machte Tschitschikow
die Beobachtung, daß er sich selbst dabei am schlechtesten bedachte.
Dies veranlaßte ihn, auf der Hut zu sein; wenn Nosdrjow gerade ins
Gespräch mit seinem Schwager vertieft war, oder ihm das Glas
vollschenkte, benutzte Tschitschikow den Moment, um den Inhalt seines
Glases in den Teller zu schütten. Bald darauf wurde auch eine Flasche
Vogelbeerschnaps hereingetragen, die nach Nosdrjows Worten ganz wie
Sahne schmeckte, aber seltsamerweise nur kräftig nach Fusel roch.
Hierauf trank man noch einen Balsam, der einen Namen trug, welcher sich
sogar äußerst schwer aussprechen ließ, und den der Wirt selbst bei der
nächsten Gelegenheit ganz anders bezeichnete. Das Mittagessen war längst
zu Ende, die Weine waren alle ausprobiert, aber die Gäste saßen noch
immer an der Tafel, Tschitschikow konnte sich durchaus nicht
entschließen, mit Nosdrjow in Gegenwart des Schwagers über den
Gegenstand zu sprechen, der ihm am meisten am Herzen lag: der Schwager
war schließlich doch ein fremder Mensch, die Sache selbst aber konnte
nur in einer vertraulichen und freundschaftlichen Unterhaltung erledigt
werden. Übrigens war der Schwager schwerlich ein Mensch, der ihm
gefährlich werden konnte, denn wie es schien, hatte er gehörig geladen,
er saß nämlich stumm auf seinem Stuhle und sank beständig mit dem Kopf
vornüber. Endlich mußte er wohl selbst gemerkt haben, daß er sich in
einem ziemlich hoffnungslosen Zustande befand, denn er bat Nosdrjow, ihn
doch heimfahren zu lassen, und er tat dies mit einer so matten und müden
Stimme, als zöge man -- um mich eines volkstümlichen russischen
Ausdrucks zu bedienen -- dem Pferde das Zaumzeug mit der Zange über den
Kopf.

»Nein, nein, nein! Ich lasse dich nicht fort!« sagte Nosdrjow.

»Quäl mich doch nicht, lieber Freund! Wirklich, ich will fahren!« bat
der Schwager, »du mußt mich nicht so peinigen!«

»Unsinn! Torheiten! Komm wir spielen noch einen kleinen Pharao.«

»Nein, Bester, spiel lieber allein! Ich kann wirklich nicht, meine Frau
wird es mir sehr übel nehmen; ich muß ihr auch noch von der Messe
erzählen. Wahrhaftig Freund! es ist meine verfluchte Schuldigkeit, ihr
dies kleine Vergnügen zu bereiten. Bitte halte mich nicht auf!«

»Hol doch die Frau der T....! Als ob das so was wichtiges wäre, was ihr
miteinander zu tun habt!«

»Nein wirklich, Freund! Sie ist so gut, meine Frau -- so brav und treu,
eine musterhafte Gattin! Sie tut mir jeden Gefallen. Das kannst du mir
glauben, ich bin oft gerührt, bis zu Tränen gerührt. Nein, suche mich
nicht zum Bleiben zu veranlassen; so wahr ich ein ehrlicher Mann bin --
ich muß fahren. Ich gebe dir mein Wort darauf! Hand aufs Herz!«

»Laß ihn doch fahren, was haben wir von ihm?« sagte Tschitschikow leise
zu Nosdrjow.

»Du hast eigentlich recht!« meinte Nosdrjow, »ich kann diese Waschlappen
nicht leiden!« und er fügte laut hinzu: »Nun dann hol dich der Teufel.
Geh! fahr nur zu deiner Frau, du alter Pantoffelheld!«

»Nein, Freund! du darfst mich nicht Pantoffelheld schelten!« antwortete
der Schwager: »ich verdanke ihr mein Leben. Wirklich! Sie ist so lieb,
so gut, so sanft und zärtlich .... mir stehen oft die Tränen in den
Augen. Sie wird mich fragen, was ich auf der Messe gesehen habe -- ich
muß ihr alles erzählen -- sie ist so lieb ....«

»Also mach, daß du fortkommst, und schwindele ihr irgend einen Blödsinn
vor!«

»Nein, hör mal, lieber Freund! du darfst nicht so von ihr sprechen,
damit beleidigst du gewissermaßen auch mich, sie ist so gut und lieb.«

»Nun dann packe dich doch! Mach, daß du zu ihr kommst!«

»Ja, tatsächlich, Freund, ich will fahren; verzeih, daß ich nicht
bleiben kann. Ich wäre von Herzen froh, aber ich kann wahrhaftig nicht.«
Der Schwager stammelte noch lange allerhand Entschuldigungen, ohne zu
merken, daß er längst im Wagen saß, schon durchs Tor gerollt war und
sich unter freiem Himmel auf offenem Felde befand. Man darf annehmen,
daß seine Frau recht wenig von der Messe zu hören bekommen hat.

»So ein Dreckkerl!« sagte Nosdrjow, der ans Fenster getreten war und der
davonjagenden Equipage nachblickte. »Da fährt er! Das Beipferd ist nicht
übel, ich fahnde schon längst darauf. Aber mit dem Kerl wird man ja doch
nicht einig. Ein alter Waschlappen und weiter nichts!«

Man trat ins Nebenzimmer. Porphyr brachte Lichter herein und
Tschitschikow bemerkte plötzlich ein Spiel Karten in der Hand des
Hausherrn, ohne daß er hätte sagen können, woher er es genommen hatte.

»Was meinst du zu einem kleinen Pharao, Freund!« sagte Nosdrjow, indem
er das Spiel zusammendrückte und wieder los ließ, sodaß das Kreuzband
zerriß und zu Boden fiel. »So zum Zeitvertreib weißt du. Ich will die
Bank mit dreihundert Rubeln halten!«

Aber Tschitschikow tat so, als ob er garnicht gehört hätte, wovon
eigentlich die Rede war und sagte, wie wenn er sich plötzlich auf etwas
besönne. »Ach ja, um es nicht zu vergessen, ich habe eine kleine Bitte
an dich!«

»Was für eine Bitte?«

»Aber versprich mir zuerst, daß du sie erfüllen willst!«

»Was ist das für eine Bitte?«

»Nein, versprich mir's erst! Hörst du!«

»Also gut. Meinetwegen!«

»Dein Ehrenwort!«

»Mein Ehrenwort!«

»Also: du wirst doch wohl eine ganze Reihe von toten Bauern besitzen,
die noch nicht aus den Revisionslisten gestrichen sind.«

»Natürlich! und was soll das hier!«

»Übergib sie mir. Übertrage sie auf meinen Namen!«

»Und wozu brauchst du sie?«

»Ich brauche sie.«

»Nein, sag wozu?«

»Ich brauche sie eben .... das ist doch meine Sache -- mit einem Wort,
ich habe sie nötig.«

»Da steckt bestimmt was dahinter. Du hast sicher irgend einen Plan mit
ihnen ausgeheckt. Gesteh's nur. Was ist's?«

»Ach was für ein Plan! Solch eine Bagatelle. Was könnte ich damit
vorhaben?«

»Ja, wozu brauchst du sie denn dann?«

»Herr Gott! bist du neugierig! Du willst wohl jeden Dreck mit der Hand
befühlen, und wohl gar noch dran riechen!«

»Ja, warum willst du es denn nicht sagen?«

»Was hast du denn davon, wenn ich's dir sage? Ganz einfach, es ist so
eine Laune von mir!«

»Nun gut, wenn du's mir nicht sagt, dann tu ich's eben nicht!«

»Hör mal, das ist wirklich unanständig von dir. Hast mir dein Wort
gegeben, und willst es jetzt wieder zurücknehmen!«

»Schön, wie du willst. Ich tu's halt nicht, bevor du mir's sagst.«

»Was könnte ich ihm bloß sagen?« dachte Tschitschikow; er überlegte ein
wenig und erklärte dann, er brauche die toten Seelen, um sich Gewicht
und Einfluß in der Gesellschaft zu verschaffen, er habe keine großen
Besitzungen, und daher möchte er wenigstens einstweilen ein paar Seelen
haben.

»Du schwindelst,« sagte Nosdrjow, indem er ihm ins Wort fiel, »du
schwindelst Bruder!«

Tschitschikow mußte sich selbst gestehen, daß er nicht gerade geschickt
gelogen hatte, und die ersonnene Ausflucht eigentlich recht schwach war.
»Nun gut, dann will ich dir die Wahrheit sagen,« sagte er, indem er sich
verbesserte, »ich bitte dich nur um eins, es nicht weiter zu plaudern.
Ich habe die Absicht, mich zu verheiraten; aber leider sind der Vater
und die Mutter meiner Braut höchst ehrgeizige Leute, die hoch hinaus
wollen. Eine verfluchte Geschichte! ich ärgere mich beinahe, daß ich
mich überhaupt darauf eingelassen habe: sie wollen partout, daß der
Bräutigam mindestens dreihundert Seelen haben solle, und da mir beinahe
ganze hundertfünfzig daran fehlen, so .....«

»Ne Bruder, du schwindelst!« rief Nosdrjow wieder.

»Nein wirklich, diesmal hab' ich auch nicht einmal _so_viel gelogen,«
sagte Tschitschikow, indem er mit dem Daumen auf ein winziges Stück des
kleinen Fingers wies.

»Den Kopf zum Pfande, daß du schwindelst!«

»Hör mal, du beleidigt mich! Wer bin ich denn eigentlich? Warum soll ich
denn durchaus lügen?«

»Aber ich kenne dich doch: du bist ja ein großer Spitzbube -- gestatte
mir bitte, dir das einmal in aller Freundschaft zu sagen. Wenn ich dein
Chef wäre, ich ließe dich am ersten besten Baum aufhängen.«

Tschitschikow fühlte sich durch diese Bemerkung beleidigt. Jeder grobe,
die Grenzen der Schicklichkeit verletzende Ausdruck berührte ihn
peinlich. Alle Familiaritäten seitens anderer Personen waren ihm in der
Seele zuwider, und er suchte sich ihnen zu entziehen, es sei denn, daß
sie von hochgestellten Leuten ausgingen. Daher fühlte er sich jetzt im
Innersten gekränkt.

»Bei Gott, ich ließe dich hängen!« wiederholte Nosdrjow, »ich meine das
ganz aufrichtig und sage das nicht um dich zu beleidigen, sondern
erlaube es mir als dein Freund.«

»Alles hat seine Grenzen,« sagte Tschitschikow mit Würde. »Wenn du dich
mit solchen Redensarten brüsten willst, dann geh doch lieber in die
Kaserne.« -- Und er fügte hinzu: »Willst du sie mir nicht schenken, so
verkaufe sie mir wenigstens.«

»Verkaufen! Aber ich kenne dich doch. Du bist ein Hallunke. Du wirst ja
doch nicht viel dafür geben.«

»Na, du kannst so bleiben! Sieh einer an, du glaubst wohl, sie sind von
Edelstein, wie?«

»Da siehst du es, ich kenne dich doch.«

»Nein höre mal, Freund, was ist das für ein knickeriges Benehmen. Du
solltest sie mir wahrhaftig schenken.«

»Also gut, um dir zu beweisen, daß ich nicht so ein Filz bin, will ich
dir garnichts für sie abnehmen. Kauf mir einen Hengst ab, dann kriegst
du sie gratis.«

»Ich bitte dich, was soll ich mit dem Hengst?« sagte Tschitschikow,
höchst verwundert über diesen Vorschlag.

»Was du damit sollst? Ich habe zehntausend Rubel für den Racker bezahlt,
und du sollst ihn für viertausend haben.«

»Aber was soll ich bloß damit anfangen! Ich habe doch kein Gestüt.«

»Ja höre doch nur, du versteht mich noch nicht. Ich nehme dir doch jetzt
nur dreitausend ab. Die übrigen tausend kannst du mir ja später
bezahlen.«

»Ja aber, wenn ich ihn nun doch durchaus nicht brauchen kann! Gott mit
ihm!«

»Nun gut, dann kauf mir die hellbraune Stute ab!«

»Ich kann auch keine Stute brauchen.«

»Ich gebe dir die Stute und das graue Pferd dazu, das du vorhin gesehen
hat, für zweitausend Rubel.«

»Ich brauche keine Pferde!« sagte Tschitschikow.

»Du kannst sie ja weiter verkaufen. Auf jeder Messe kriegst du das
Dreifache für sie.«

»Dann verkauf sie doch lieber selbst, wenn du dir einen so großen Gewinn
davon versprichst.«

»Ich weiß, daß ich dabei gewinne: aber ich möchte dir auch einen kleinen
Vorteil zukommen lassen.«

Tschitschikow dankte ihm für seine freundliche Gesinnung und verzichtete
rundweg auf die braune Stute und das graue Roß.

»So kauf mir ein paar Hunde ab! Ich habe da ein Pärchen für dich; da
läuft dir gleich ein Freudenschauer über den Rücken. Einen
stichelhaarigen mit borstigem Bart; die Haare stehen ihm zu Berge wie
die Stacheln eines Igels, und die Rippen -- die reinsten Faßreifen. Dazu
die klumppatschigen Pfoten -- die berühren kaum die Erde! ...«

»Ach! Ich brauche keine Hunde. Ich bin doch kein Jäger.«

»Aber ich möchte gerne, daß du ein paar Hunde hast.

Übrigens weißt du, wenn du die Hunde nicht haben willst, dann kauf mir
die Drehorgel ab. Ein feines Stück, sage ich dir. Sie hat mich selbst,
so wahr ich ein ehrlicher Mann bin, anderthalb Tausend gekostet. Dir
will ich sie für neunhundert lassen.«

»Was soll ich mit der Drehorgel anfangen? Ich bin doch kein Deutscher,
daß ich mit ihr von Haus zu Haus wandern und um Geld betteln könnte!«

»Aber das ist doch kein Leierkasten, wie ihn die Deutschen haben. Das
ist eine Orgel, sieh sie dir mal genau an. Lauter echtes Mahagoni! Komm,
ich will sie dir noch mal zeigen!« Und Nosdrjow ergriff Tschitschikows
Hand und zog ihn nach sich in das Nebenzimmer, er mochte sich sträuben,
die Füße gegen den Fußboden stemmen und versichern, soviel er wollte, er
kenne die Drehorgel zur Genüge, es nützte ihm alles nichts, er mußte
noch einmal hören, wie Malborough in die Schlacht zog.

»Wenn du mir kein Geld geben willst, dann machen wir es folgendermaßen,
weißt du. Ich gebe dir die Drehorgel und dazu alle toten Seelen, die ich
habe und du überläßt mir dafür deine Kutsche und zahlst nur noch
dreihundert Rubel drauf.«

»Noch mehr? Und wie soll ich fortkommen?«

»Ich gebe dir einen andern Wagen. Komm herunter in den Stall, ich will
ihn dir gleich zeigen! Du mußt ihn nur neu anstreichen lassen. Dann ist
es eine herrliche Kutsche!«

»Ist der von einem unruhigen Geiste besessen,« dachte Tschitschikow und
faßte den heroischen Entschluß, Nosdrjow mit seinen Kutschen, Drehorgeln
und allen möglichen und unmöglichen Hunden, trotz der geradezu
unerhörten, faßreifenähnlichen Rippen und klumppatschigen Pfoten ein für
alle Mal loszuwerden.

»Aber du kriegst doch alles zusammen: die Kutsche, die Drehorgel und die
toten Seelen.«

»Ich will aber nichts,« sagte Tschitschikow noch einmal.

»Warum willst du bloß nicht?«

»Ganz einfach, weil ich nicht will, und damit basta!«

»Ach bist du ein Kerl! Mit dir kann man ja nicht verkehren wie mit einem
guten Freunde oder Kameraden. Wirklich so ein .....! Man merkt gleich,
daß du ein doppelzüngiger Mensch bist.«

»Ja bin ich denn ein Esel, wie?! Wozu soll ich mir Dinge anschaffen, die
ich absolut nicht brauchen kann.«

»Nein, bitte, rede nicht! Jetzt habe ich dich durchschaut.

So ein Schuft, wahrhaftig. Also gut, höre mal, machen wir ein Partiechen
Pharao. Ich setze alle toten Seelen auf eine Karte und die Drehorgel
dazu.«

»Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das hieße sich dem
dunklen Zufall aussetzen,« sagte Tschitschikow, während er nach den
Karten schielte, die jener in der Hand hielt. Beide Spiele machten einen
recht wenig Vertrauen erweckenden Eindruck auf ihn. Auch die Rückseite
sah recht verdächtig aus.

»Warum denn dem Zufall,« sagte Nosdrjow, »das ist doch kein Zufall; wenn
das Glück dir günstig ist, Hölle und Teufel, was kannst du da nicht
alles gewinnen. Sieh doch nur, welch ein Glück, du hast,« sagte er,
indem er ein paar Karten auflegte, um Tschitschikows Spiellust
anzuregen. »Nein, solch ein Glück, solch ein Glück! Das flutscht nur so.
Siehst du, da ist die verfluchte Zehn, durch die ich alles verloren
habe. Ich ahnte es, daß sie mich im Stiche lassen wird. Aber ich machte
die Augen zu und dachte nur, hol dich der Teufel! Tu's nur Verräterin!«

Während Nosdrjow noch sprach, brachte Porphyr eine Flasche herein. Aber
Tschitschikow lehnte entschieden ab und wollte weder spielen noch
trinken.

»Warum willst du denn nicht spielen?« sagte Nosdrjow.

»Weil ich keine Lust habe. Wenn ich ehrlich sein soll, bin ich überhaupt
kein Freund vom Spiel.«

»Warum bist du denn kein Freund davon?«

»Weil ich halt kein Freund davon bin,« sagte Tschitschikow und zuckte
die Achseln.

»Jammerlappen, du!«

»Was soll ich machen, wenn Gott mich mal so geschaffen hat.«

»Ein Schlappschwanz und nichts weiter. Früher hielt ich dich doch
wenigstens noch für einen etwas anständigeren Menschen. Aber du hast ja
keine Ahnung vom guten Benehmen. Mit dir kann man nicht sprechen wie mit
einem Freunde, keine Spur von Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit. Der
reinste Sabakewitsch! Solch ein Lump!«

»Sag mal, warum schimpfst du mich eigentlich? Bin ich denn schuld, daß
ich nicht spielen kann? Verkauf mir doch die Seelen, wenn du schon so
ein Kerl bist, der um jeden Dreck zittert!«

»Den Teufel kriegst du! Und noch dazu ohne Haare. Ich wollte sie dir
zuerst gratis geben, aber jetzt bekommst du überhaupt nichts, und wenn
du mir ein Königreich dafür bötest, ich geb sie nicht her. So ein
Beutelschneider! So'n dreckiger Lehmbudiker! Von nun ab will ich mit dir
überhaupt nichts zu tun haben. Porphyr geh mal runter und sag dem
Stalljungen, er soll seinen Pferden keinen Hafer geben. Die brauchen
nichts wie Heu zu fressen.«

Dieser Schluß kam Tschitschikow in der Tat unerwartet.

»Hätt' ich dich doch lieber gar nicht gesehen!« sagte Nosdrjow.

Dieser Zwist hinderte indessen den Hausherrn und seinen Gast nicht,
zusammen zu Abend zu speisen, obwohl diesmal keine Weine mit
komplizierten und merkwürdigen Namen auf dem Tische prangten. Nur eine
einzige Flasche stand einsam da, mit einer Art Cypernwein, der aber im
übrigen nichts anderes war, als was man einen sauren Krätzer zu nennen
pflegt. Nach dem Abendessen führte Nosdrjow Tschitschikow in ein
Seitengemach, wo bereits ein Bett für ihn aufgeschlagen war und sagte:
»Da ist dein Bett. Ich mag dir nicht einmal gute Nacht wünschen.«

Mit diesen Worten ging er hinaus und ließ Tschitschikow in der
allerschlechtesten Laune zurück. Er ärgerte sich innerlich über sich
selbst, und machte sich Vorwürfe, daß er mitgefahren war und seine
schöne Zeit unnütz verloren hatte; was er sich jedoch am wenigsten
verzeihen konnte, war dies, daß er über seine eigenste Angelegenheit mit
ihm gesprochen hatte; das war sehr unvorsichtig von ihm gewesen, er
hatte gehandelt wie ein Tor; denn die Sache selbst war durchaus nicht
von der Art, daß sie Nosdrjow -- anvertraut werden konnte ... Nosdrjow
war ein gemeiner Kerl; er konnte noch was hinzuschwindeln, weiß der
Teufel, was für Lügen darüber verbreiten, und schließlich konnte noch
eine dumme Klatschgeschichte daraus entstehen ... Fatal, höchst fatal!
»Ich bin doch wirklich ein Esel!« sprach er zu sich selber. Er schlief
die Nacht über sehr schlecht. Eine gewisse Gattung ganz kleiner aber
äußerst kecker und zudringlicher Insekten verfolgten ihn fortwährend mit
ihren Bissen, die unerträglich schmerzhaft waren, so daß er sich mit der
ganzen Hand an den betreffenden Stellen kratzte und murmelte: »Hol euch
der Teufel, mitsamt Nosdrjow!« Es war noch sehr früh, als er erwachte.
Sein erster Gang, nachdem er Stiefel und Schlafrock angezogen hatte, war
nach dem Stall, welcher sich am Ende des Hofes befand, wo er Seliphan
den Auftrag gab, die Pferde sofort anzuspannen. Auf dem Rückwege traf er
Nosdrjow, der ihm, gleichfalls im Schlafrock und mit der Pfeife im
Munde, im Hofe entgegen kam.

Nosdrjow grüßte ihn freundschaftlich und fragte, wie er die Nacht
geschlafen habe.

»Sehr mäßig!« antwortete Tschitschikow trocken.

»Ich auch, Freund ...« sagte Nosdrjow ... »weißt du, die ganze Nacht hat
mich dies verdammte Viehzeug geplagt, ich mag's garnicht erzählen; dazu
habe ich nach dem gestrigen Abend einen Geschmack im Munde, wie wenn
eine ganze Schwadron drin übernachtet hätte. Denk dir, mir träumte, daß
ich Ruten bekomme. Wahrhaftig! Und weißt du von wem? Ich möchte wetten,
daß du's nicht errätst: vom Stabsrittmeister Pozelyjew und von
Kufschinnikow.«

»Ja ja,« dachte Tschitschikow, »es wäre wirklich nicht schlecht, wenn du
einmal gründlich durchgebläut würdest.«

»Bei Gott! Es hat verflucht weh getan! Ich bin sogar davon aufgewacht;
und in der Tat, es juckte mich am ganzen Körper; das verdammte
Gelichter, diese Flöhe! So, gehe jetzt hinauf und zieh dich an; ich
komme gleich wieder zu dir. Ich muß nur dem Schuft von Verwalter noch
mal den Kopf waschen.«

Tschitschikow begab sich auf sein Zimmer, um sich zu waschen und
anzuziehen. Als er gleich darauf ins Speisezimmer trat, stand schon ein
Teeservice und eine Flasche Rum auf dem Tisch. Im Zimmer waren noch
Spuren vom gestrigen Diner und Souper bemerkbar; Bürste und Besen hatten
noch ihres Amtes nicht gewaltet. Auf dem Fußboden lagen Brodkrumen und
selbst auf dem Tischtuche sah man ganze Haufen von Tabakasche
herumliegen. Der Hausherr, der bald darauf hereinkam, hatte nichts an,
außer einem Schlafrock, unter dem die offene mit dichten Haaren
bewachsene Brust hervorguckte. So mit dem Pfeifenrohr in der einen, und
mit der Tasse, aus der er ab und zu nippte, in der anderen Hand, wäre er
so recht ein Bild für einen Maler gewesen, welcher die gelockten und
gekräuselten oder kurz geschorenen Köpfe nicht leiden kann, wie man sie
auf den Aushängeschildern der Barbierläden abgebildet findet.

»Nun also, wie denkst du?« fragte Nosdrjow nach einer kurzen Pause,
»willst du um die Seelen spielen oder nicht?«

»Ich hab dir doch schon gesagt, daß ich nicht mag; abkaufen -- tue ich
sie dir gern.«

»Verkaufen will ich sie nicht: das wäre nicht freundschaftlich. Ich will
doch nicht weiß der Teufel wovon die Decke runterziehen. Ein Spielchen
-- das ist eine andre Sache. Zieh doch eine Karte!«

»Ich hab dir doch schon gesagt: ich mag nicht.«

»Und tauschen willst du auch nicht?«

»Nein!«

»Nun dann höre, wollen wir Dame spielen? Gewinnst du -- so gehören sie
dir -- alle zusammen. Ich habe ja eine ganze Menge, die aus der
Revisionsliste gestrichen werden müssen. He Porphyr! Bring doch mal das
Damenbrett herein!«

»Bemühe dich bitte nicht: ich spiele _doch_ nicht!«

»Aber das ist doch kein Glücksspiel; hier kann doch weder von Glück noch
von Betrug die Rede sein, es hängt doch alles vom guten Spiel ab.
Übrigens mache ich dich darauf aufmerksam, daß ich sehr schlecht spiele;
du mußt mir etwas vorgeben.«

»Vielleicht ist's das beste, ich setze mich hin und versuche es,« dachte
Tschitschikow. »Ich habe doch früher einmal garnicht übel Dame gespielt,
zudem wird es ihm hier schwer werden, zu mogeln.«

»Also schön! Meinetwegen, eine Partie Dame will ich allenfalls mit dir
spielen.«

»Die Seelen -- gegen hundert Rubel? Gut?«

»Warum? Ich denke fünfzig sind auch genug.«

»Nein, hör mal, fünfzig, das ist doch kein Einsatz? Dann setze ich
lieber noch einen gewöhnlichen Jagdhund oder eine goldene Petschaft
dazu, weißt du, so eine, wie man sie an der Uhrkette trägt.«

»Nun gut! ich bin's zufrieden,« sagte Tschitschikow.

»Und wieviel gibst du mir vor?« fragte Nosdrjow.

»Wie käme ich dazu? Natürlich nichts.«

»Laß mich wenigstens die ersten zwei Züge machen!«

»Nein, ich spiele selbst schlecht genug.«

»Das kennt man schon, dies schlechte Spiel!« sagte Nosdrjow, während er
anzog.

»Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
Tschitschikow, der gleichfalls einen Zug machte.

»Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow und zog
wieder.

»Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen,« sprach
Tschitschikow und rückte weiter vor.

»Das kennt man schon -- dies schlechte Spiel,« sagte Nosdrjow, während
er wieder einen Zug machte, und dabei mit dem Ärmel seines Schlafrockes
einen andern Stein verschob.

»Ich habe schon lange keinen Stein mehr in die Hand genommen! .... He,
was soll das lieber Freund? nimm mal den Zug wieder zurück!« rief
Tschitschikow.

»Was?«

»Den Stein da sollst du zurückziehen,« sagte Tschitschikow; aber jetzt
erblickte er plötzlich dicht vor seiner Nase noch einen zweiten Stein,
der eben im Begriff war, ins Damenfeld einzurücken. Wie der dahin
gekommen war, das wußte wohl nur Gott allein. »Nein,« sagte
Tschitschikow, »mit dir kann man unmöglich spielen. Man macht doch nicht
drei Züge auf einmal!«

»Wieso denn drei? Das war doch nur ein Versehn. Der eine hat sich nur
zufällig verschoben; ich zieh ihn wieder zurück, wenn du willst.«

»Und wie kommt der hierher?«

»Welchen meinst du?«

»Hier diesen, der in die Damenreihe einrückt.«

»Da haben wir's! Als ob du's nicht weißt!«

»Nein, mein Bester, ich habe alle Züge gezählt und erinnere mich sehr
gut an alles, du hast ihn erst eben vorgeschoben. _Da_ ist sein Platz!«

-- »Was -- dort?« sagte Nosdrjow errötend, »du phantasierst wohl,
Freund!«

»Nein, Bester, _du_ scheinst zu phantasieren, aber leider nur mit wenig
Glück.«

»Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst du etwa, ich mogele?«

»Ich halte dich für gar nichts, ich werde mich nur hüten, jemals wieder
mit dir zu spielen.«

»Nein, jetzt kannst du nicht mehr vom Spiel zurücktreten,« ereiferte
sich Nosdrjow, »das Spiel ist angefangen!«

»Ich darf doch wohl verzichten, da du nicht spielst wie ein anständiger
Mensch!«

»Du lügst! Du hast kein Recht, so etwas zu behaupten!«

»Nein, mein Bester, du bist es, der da lügt!«

»Ich habe nicht gemogelt, und du kannst nicht mehr verzichten. Du mußt
die Partie zu Ende spielen!«

»Dazu kannst du mich nicht zwingen,« sprach Tschitschikow kaltblütig,
trat ans Brett und warf die Steine durcheinander.

Nosdrjow wurde rot vor Zorn und ging auf Tschitschikow los, so daß
dieser zwei Schritte zurücktrat.

»Ich werde dich doch zwingen, mit mir zu spielen. Das nützt dir nichts,
daß du das Brett umgestoßen hast! Ich erinnere mich an sämtliche Züge!
Wir können das Spiel wieder aufstellen.«

»Nein, mein Bester, ich spiele nicht mit dir, und damit Basta!«

»Du willst also nicht spielen? wie?«

»Du mußt doch selbst einsehen, daß man nicht mit dir spielen kann!«

»Nein, sag's gradheraus: Willst du spielen oder nicht?« sagte Nosdrjow,
indem er Tschitschikow noch näher auf den Leib rückte.

»Nein,« sprach Tschitschikow, während er seine Hände vor das Gesicht
hielt, er war auf alles gefaßt und fühlte, daß es einen heißen Kampf
geben würde. Diese Vorsicht war durchaus am Platze, denn Nosdrjow holte
aus, und es hätte leicht passieren können, daß eine von den schönen
runden Backen unseres Helden mit nie zu verwischender Schmach bedeckt
worden wäre; aber er parierte geschickt den Schlag, packte Nosdrjows
kampflustige Hände und hielt sie fest in den seinen.

»Porphyr, Pawluschka!« schrie Nosdrjow wie ein Rasender, indem er
versuchte sich loszuringen.

Bei diesen Worten ließ Tschitschikow, der die Knechte nicht gern zu
Zeugen dieser äußerst interessanten Szene machen wollte, und zugleich
fühlte, daß es doch keinen Wert hatte, Nosdrjow länger festzuhalten,
seine Hände fahren. In diesem Augenblick betrat Porphyr das Zimmer,
gefolgt von Pawluscha, einem handfesten Burschen, mit dem nicht gut
Kirschen essen war.

»Du willst also die Partie nicht zu Ende spielen?« sagte Nosdrjow. »Sag
ja oder nein.«

»Es ist mir unmöglich, sie zu Ende zu spielen,« sprach Tschitschikow und
warf einen Blick aus dem Fenster. Er sah seine Kutsche bereitstehen und
neben ihr Seliphan, der nur auf den Moment zu warten schien, wo er
vorfahren könnte; aber jeder Ausweg aus dem Zimmer war verschlossen,
denn in der Türe standen zwei kräftige Esel, die Leibeigenen Nosdrjows.

»Du willst also die Partie nicht beendigen?« wiederholte Nosdrjow,
dessen Antlitz vor Zorn glühte.

»Wenn du spielen würdest, wie ein anständiger Mensch .... aber so ....
Nein!«

»Also nicht? Du Schurke! Weil du merkst, daß du verlieren mußt, _kannst_
du auf einmal nicht! Haut ihn!« schrie er plötzlich in rasender Wut,
indem er sich an Porphyr und Pawluscha wandte und selbst sein
Pfeifenrohr von Weichselholz packte. Tschitschikow wurde bleich wie ein
Stück Leinwand. Er wollte etwas sagen, aber er fühlte, daß seine Lippen
sich bewegten, ohne einen Laut von sich zu geben.

»Haut ihn!« schrie Nosdrjow, während er mit seinem Weichselrohr auf ihn
losstürzte, zornglühend und schwitzend, als ob er gegen eine
unbezwingliche Festung Sturm liefe. -- »Haut ihn!« schrie er mit der
Stimme eines tollen Leutnants, der während eines gewaltigen
Sturmangriffes seiner Kompagnie: »Vorwärts, Kinder!« zuruft, und dessen
unsinnige Kühnheit solch eine Berühmtheit erlangt hat, so daß die Ordre
ausgegeben werden mußte, während eines heftigen Gefechtes, ihn an Händen
und Füßen festzuhalten. Aber der Rausch der Schlacht hat ihn schon
betört; um ihn herum scheint sich alles zu drehen. Die Gestalt des
Feldmarschalls Suworow scheint ihm voranzuschweben. Das große Ziel winkt
und blindlings stürzt er darauf zu. »Vorwärts, Kinder!« schreit er und
schon fliegt er voran, ohne zu überlegen, wie sehr er damit dem
wohlberechneten Angriffsplane schadet und ohne darauf zu achten, daß
Millionen von Büchsenläufen aus den Schießscharten der unbezwinglichen,
von Rauchwolken umzogenen Festungsmauern herlugen, daß seine ohnmächtige
Kompagnie in die Luft fliegen muß wie leichter Federflaum und daß die
verhängnisvolle Kugel sausend naht, um ihm den vorlauten Mund zu
schließen. Aber, wenn Nosdrjow einen solchen verzweifelt gegen eine
Festung anstürmenden tollköpfigen Leutnant darstellte, die Festung
_selbst_, auf die er den wahnsinnigen Angriff unternahm, schien
keineswegs uneinnehmbar, im Gegenteil, die Festung fühlte eine derartige
Furcht, daß ihr das Herz in die Hosen fiel. Schon ward ihm der Stuhl,
mit dem er sich verteidigen wollte, von den Leibeigenen aus den Händen
gerissen, schon bereitete er sich geschlossenen Auges und mehr tot als
lebendig, das tscherkessische Pfeifenrohr seines Gastfreundes mit dem
Rücken in Empfang zu nehmen, und Gott weiß, was ihm noch sonst alles
hätte blühen können. Aber der Vorsehung gefiel es, die Lenden, die
Schultern und alle wohlgepflegten Körperteile unseres Helden zu retten.
Ganz unerwartet erklangen plötzlich, wie die Stimme eines Himmelsboten,
die Töne eines Glöckchens, das Rädergerassel einer vorfahrenden Kutsche
und das bis ins Innerste der Stube vernehmbare schwere Schnaufen der
erhitzten Pferde eines Dreigespanns. Alles eilte unwillkürlich ans
Fenster: ein Mann mit einem martialischen Schnauzbart, im Interimsrock
stieg aus dem Wagen. Nachdem er im Flure nach dem Hausherrn gefragt
hatte, trat er ins Zimmer, noch bevor Tschitschikow sich von seinem
Schreck hatte erholen können und während er sich noch in der
jämmerlichsten Lage befand, die je ein Sterblicher durchgemacht hat.

»Darf ich fragen, wer von den Anwesenden Herr Nosdrjow ist?« sagte der
Unbekannte, indem er einen erstaunten Blick auf Nosdrjow, der mit dem
Pfeifenrohr in der Hand dastand, und auf Tschitschikow warf, der eben
aus seiner traurigen Lage wieder zu sich zu kommen begann.

»Darf ich zuerst erfahren, mit wem ich die Ehre habe?« sagte Nosdrjow
auf ihn zugehend.

»Ich bin der Kreisrichter!«

»Und was wünschen Sie?«

»Ich komme, um ihnen eine mir zugegangene amtliche Mitteilung zu
überbringen. Sie befinden sich im Anklagezustand bis zur gerichtlichen
Beschlußfassung in dem gegen Sie schwebenden Prozeß.«

»Ach Unsinn! Was für ein Prozeß?« sagte Nosdrjow.

»Sie sind in die Sache des Gutsbesitzers Maksimow verwickelt, anläßlich
einer persönlichen Beleidigung, die Sie ihm in trunkenem Zustande durch
Verabfolgung von Rutenschlägen zugefügt haben sollen.«

»Sie lügen, ich kenne den Gutsbesitzer Maksimow überhaupt nicht.«

»Geehrter Herr! Gestatten sie, daß ich Sie darauf aufmerksam mache: ich
bin Offizier. Sie können das ihrem Diener sagen, aber nicht mir.«

Hier ergriff Tschitschikow, ohne abzuwarten, was Nosdrjow darauf
antworten würde, schleunigst seine Mütze, schlüpfte hinterm Rücken des
Kreisrichters zur Türe hinaus, bestieg eilig seinen Wagen, und befahl
Seliphan die Pferde anzutreiben, so schnell er nur konnte.


                            Fünftes Kapitel

Unser Held hatte übrigens gehörige Angst bekommen. Obwohl der Wagen in
wildem Galopp dahinjagte und Nosdrjows Gut hinter Hügeln, Feldern und
Anhöhen verschwunden war, blickte er sich immer noch furchtsam um, wie
in Erwartung, daß die Verfolger bald angesprengt kämen. Er atmete
schwer, und als er seine Hand aufs Herz legte, fühlte er, daß es hüpfte
wie eine Wachtel im Käfig. »Herr Gott, hat der mich schwitzen machen.
Bist du ein Kerl!« Dann wünschte er ihm den Teufel und seine Großmutter
an den Hals. Ja, es fielen sogar ein paar unschöne Ausdrücke; aber was
ist da zu machen: ein Russe, und noch dazu wenn er zornig ist! Zudem war
die Sache durchaus nicht scherzhaft: »Man mag sagen, was man will,«
sprach er zu sich selber, »wäre der Kreisrichter nicht auf der
Bildfläche erschienen, wer weiß, ob ich mich jetzt noch des Anblickes
dieser schönen Gotteswelt erfreuen könnte! Vielleicht wäre ich geplatzt,
wie eine Blase auf dem Wasser, ohne eine Spur meines irdischen Daseins,
ohne Nachkommen, ohne meinen Kindern und Kindeskindern Geld und Gut und
einen ehrlichen Namen zu hinterlassen!« Unser Held war sehr besorgt um
seine Nachkommenschaft.

»So ein böser Herr!« dachte Seliphan. »Solch einen Herren hab' ich in
meinem Leben noch nicht gesehen. Wahrhaftig, dem sollte man ins Gesicht
spucken für dieses Betragen. Einen Menschen mag man noch eher hungern
lassen, aber einem Pferde muß man doch zu fressen geben. Denn so ein
Gaul liebt nun mal den Hafer. Das ist sozusagen seine Nahrung; was für
uns die Kost, ist für ihn der Hafer sozusagen. Das ist doch seine
Nahrung.«

Auch die Pferde schienen sich eine ungünstige Meinung von Nosdrjow
gebildet zu haben. Nicht nur der Braune und der Assessor, selbst der
Schecke war schlechter Laune. Obgleich er für seinen Teil immer etwas
geringeren Hafer bekam und Seliphan ihm diesen nie anders in den Trog
schüttete, als mit den Worten: »Da, du Lump!«, es war doch immer Hafer
und nicht gewöhnliches Heu: er kaute mit Vergnügen daran und steckte
sein langes Maul häufig in die Krippe seiner beiden Nachbarn, um zu
kosten, was für eine Nahrung sie bekämen. Besonders tat er dies, wenn
Seliphan nicht im Stalle war. Aber dieses Mal nichts wie Heu -- das war
nicht schön! Sie alle waren unzufrieden.

Aber bald wurden die Unzufriedenen mitten in ihren Herzensergießungen
durch ein ganz plötzliches und unerwartetes Ereignis unterbrochen, alle
Beteiligten mit Einschluß des Kutschers kamen erst wieder zur Besinnung,
als ein mit sechs Pferden bespannter Wagen gegen sie anrannte und das
Schreien der in dem Wagen sitzenden Damen und das Geschimpf und die
Drohungen der Kutscher fast über ihren Köpfen erklangen. »Ach, du
Spitzbube, verdammter, ich habe dir doch laut zugerufen: Weich aus nach
rechts, alte Krähe! Du bist wohl besoffen, wie?« Seliphan mußte sich
gestehen, daß er eine Ungeschicklichkeit begangen hatte; aber da der
Russe seine Schuld vor andern Leuten nicht gerne zugibt, warf er sich in
die Brust und rief: »Und was jagst du so blind darauf los?! Hast wohl
deine Augen in der Schenke gelassen?« Hierauf zog er die Zügel kräftig
an, um den Wagen zurückzulenken und aus dem Knäuel herauszuwickeln.
Aber, ohweh, seine Bemühungen waren vergeblich; die Pferde hatten sich
mit ihrem Geschirr verhakt. Der Schecke beschnupperte neugierig seine
neuen Freunde, die ihn umringten. Unterdessen blickten die in dem Wagen
sitzenden Damen mit ängstlichen Gesichtern auf die allgemeine
Verwirrung. Die eine war schon alt, die andere ein sechzehnjähriges
junges Mädchen mit goldigem Haar, welches glatt gescheitelt ihr Gesicht
kleidsam einrahmte. Das reizende Oval ihres Antlitzes rundete sich wie
ein junges Eichen und schimmerte gleich diesem von weißem durchsichtigen
Glanze, wenn es frisch gelegt von der braunen, prüfenden Hand der
Schließerin gegen das Licht gehalten wird, und die hellen Strahlen des
Sonnenscheines es durchdringen. Ihre zarten, dünnen Ohrmuskeln
erzitterten, als glühten sie, von der sie durchflutenden Wärme. Dazu der
Ausdruck des Schreckens, der auf ihren offnen erstarrten Lippen lag, die
Tränen, die im Auge schimmerten, dies alles war so reizend, daß unser
Held sie einige Minuten lang traumverloren anblickte, ohne im geringsten
auf den Wirrwarr von Kutschen, Pferden und Kutschern zu achten. »Zurück!
Du Nowgorodsche Krähe!« rief der fremde Kutscher Seliphan zu. Dieser zog
die Zügel an, sein fremder Kollege tat dasselbe, die Pferde stemmten
sich rückwärts, um sogleich wieder zusammenzuprallen und sich aufs neue
im Riemenwerk zu verwickeln. Bei dieser Gelegenheit machte die neue
Bekanntschaft einen so tiefen Eindruck auf unsern Schecken, daß er
durchaus nicht wieder aus der Rinne heraus wollte, in die er durch ein
unverhofftes Schicksal geraten war. Er legte seine Schnauze auf den Hals
des neuen Kameraden und schien ihm etwas ins Ohr zu flüstern:
wahrscheinlich irgend ein schreckliches Blech. Denn dieser schüttelte
beständig die Ohren. Während der großen Unordnung waren indessen Bauern
aus einem Dorf, das zum Glück nicht sehr weit entfernt war, hilfsbereit
herbeigeeilt. Da ein solches Schauspiel für einen Bauern eine wahre
Himmelsgabe ist, wie für den Deutschen seine Zeitungen oder sein Klub,
so hatte sich bald eine vielköpfige Schar um die Wagen gesammelt, und
nur die alten Weiber und Wickelkinder waren zu Hause geblieben. Man
schnürte die Riemen los, der Schecke bekam ein paar kräftige Püffe vor
die Schnauze, die ihn zum Rückzug veranlaßten: mit einem Wort, die
Pferde wurden getrennt und beiseite geführt. Aber war es der Ärger der
neuangekommenen Pferde, daß man sie von ihren neuen Freunden getrennt
hatte, war es Eigensinn, -- der Kutscher mochte auf sie loshauen soviel
er wollte, sie blieben wie angewurzelt stehen. Die Teilnahme und das
Interesse der Bauern wuchs bis zu ungeheuren Dimensionen an. Alle
drängten sich um die Wette mit weisen Ratschlägen vor. »Geh,
Andrjuschka, führ mal das rechte Beipferd vor. Onkel Mitjaj soll sich
auf das mittlere setzen. Schwing dich auf, Onkel Mitjaj!« Der lange und
hagere Onkel Mitjaj, ein Mann mit einem roten Bart, bestieg das
Mittelpferd. So glich er dem Glockenturm einer Dorfkirche oder richtiger
einem Brunnenhaken, mit dem man das Wasser aus dem Brunnen heraufzieht.
Der Kutscher hieb auf die Pferde ein, aber es wollte nicht fruchten,
auch Onkel Mitjaj konnte nicht viel ausrichten. »Halt! Halt!« riefen die
Bauern, »setz dich lieber aufs Beipferd, Onkel Mitjaj; Onkel Minjaj soll
aufs Mittelpferd steigen!« Onkel Minjaj, ein breitschultriger Bauer mit
einem kohlschwarzen Bart und einem Bauch wie jener Riesensamowar, in dem
das süße Zwetschengetränk für die frierenden Scharen gekocht wird, die
einen ganzen Markt bevölkern, schwang sich vergnügt aufs Mittelpferd,
welches sich unter seiner Last fast bis zur Erde beugte. »Jetzt wird's
schon gehen,« riefen die Bauern: »Hau zu! Hau doch zu. Versetz ihm eins
mit der Knute: hörst du, jenem Hellen, da! -- was sträubt und spreizt
sich's wie 'ne Wassermücke.« Aber da sie sahen, daß die Sache doch nicht
von der Stelle kam, und alle Prügel nichts nützten, setzten sich beide,
Onkel Mitjaj und Onkel Minjaj zusammen auf das Mittelpferd und ließen
Andrjuschka auf das Beipferd steigen. Endlich verlor der Kutscher die
Geduld und jagte alle beide: Onkel Mitjaj samt Onkel Minjaj zum Teufel.
Und er tat gut daran, denn die Pferde dampften so, als ob sie eine ganze
Poststation zurückgelegt hätten, ohne auch nur einen Augenblick Halt
gemacht zu haben. Er ließ sie sich erst verschnaufen, worauf sie den
Wagen ganz von selbst fortzogen. Während sich dieser Vorgang abspielte,
war Tschitschikow ganz in die Betrachtung der fremden jungen Dame
versunken. Er versuchte es mehrmals, sie anzureden, aber es wollte ihm
immer nicht recht gelingen. Unterdessen waren die Damen davongefahren,
das reizende Köpfchen mit den feinen Gesichtszügen und der schlanken
Gestalt war verschwunden, wie eine Vision; und wieder befand sich
Tschitschikow auf der Landstraße, in seiner Kutsche mit den drei
Pferden, die der Leser schon kennt, und in Gesellschaft von Seliphan,
den öden, leeren Flächen der rings sich dehnenden Felder gegenüber.
Überall im Leben, in seinen harten, rauhen und ärmlichen, in den
unsaubern, schimmelbedeckten niederen Schichten -- wie in der sauberen
Korrektheit und Monotonie der höheren Stände -- überall begegnet uns,
wenn auch nur ein einziges Mal im Leben eine Erscheinung, die nichts
gemein hat mit alledem, was wir bisher gesehen, die wenigstens _einmal_
ein neues Gefühl in uns entzündet, das keine Ähnlichkeit mit jenen hat,
die uns durch unser ganzes Leben begleiten. Bei jedem von uns bricht
einmal ein heller Strahl der Freude durch das Dunkel jener Leiden und
trüben Erfahrungen, aus denen unser Leben gewebt ist, so wie bisweilen
eine glänzende Equipage mit goldgezäumten malerischen Rossen und
blitzenden Fensterscheiben ganz plötzlich und unerwartet an einem öden
elenden Dorf vorbeijagt, welches nie ein andres Gefährt, als den
bekannten Bauernwagen gesehen hat: und lange noch stehen die Bauern
staunend mit offenem Munde da, und wagen es nicht, ihre Mützen wieder
aufzusetzen, obwohl die herrliche Equipage schon längst verschwunden und
über alle Berge ist. So ist auch die junge Blondine ganz plötzlich und
unerwartet in unserer Erzählung aufgetaucht, um auf dieselbe Weise
wieder zu verschwinden. Wäre ihr statt Tschitschikow irgend ein
zwanzigjähriger Jüngling begegnet -- ein Husar, oder ein Student oder
auch nur ein gewöhnlicher Sterblicher, der eben im Begriff ist, seinen
Lebensweg anzutreten. -- Du lieber Gott, was wäre nicht alles in ihm zum
Leben erwacht, was hätte nicht alles nach Ausdruck gedrängt! Er hätte
wohl noch lange wie betäubt auf demselben Flecke gestanden, während
seine Augen stumm die Ferne suchten, hätte den Weg und das Reiseziel und
alle Vorwürfe und Verweise, wegen seiner Saumseligkeit, ja er hätte sich
selbst vergessen, seinen Dienst, die Welt und überhaupt alles, was auf
der Welt existiert!

Aber unser Held war schon ein Mann in mittleren Jahren und hatte einen
kühlen, ruhigen, umsichtigen Charakter. Auch er versank in Sinnen und
dachte über vieles nach, aber sein Denken war weit positiverer Natur:
seine Gedanken waren bei weitem nicht so unklar und unbestimmt, sondern
weit genauer und gründlicher. »Ein herrliches Weibchen!« sagte er, indem
er seine Tabakdose öffnete und eine Prise nahm. »Was aber das Beste an
ihr ist .... das Beste an ihr ist, daß sie soeben aus einem Institut
oder Pensionat entlassen zu sein scheint und daß sie noch nichts
spezifisch Weibliches an sich hat, nichts von jenen Zügen, die das ganze
Geschlecht verunzieren. Jetzt ist sie noch das reine Kind, alles an ihr
ist schlicht und einfach; sie spricht, wie ihr's ums Herz ist und lacht,
wenn ihr darnach zumute ist. Es läßt sich noch alles aus ihr machen, sie
kann ein herrliches Geschöpf, aber ebensogut auch ein verkrüppeltes
Wesen werden -- und so wird es wohl auch kommen, wenn sich erst die
Tanten und Mamas an ihre Erziehung machen. Die werden sie in einem Jahr
mit ihrem Weiberkram vollpfropfen, daß ihr eigener Vater sie nicht
wiedererkennen wird. Sie wird ein aufgeblasenes und affektiertes Wesen
annehmen, wird sich nach auswendig gelernten Regeln drehen, wenden und
knicksen, sich den Kopf darüber zerbrechen, _was_ sie, mit _wem_ sie und
wie _viel_ sie sprechen, wie sie ihren Kavalier anblicken muß usw. usw.;
wird fortwährend in der größten Angst schweben, ob sie nun kein
überflüssiges Wort gesagt hat, schließlich garnicht mehr wissen, was sie
zu tun hat, und wie eine große Lüge durch das Leben wandeln. Pfui
Teufel!« Hier verstummte er einen Augenblick und fuhr dann fort:
»Übrigens wüßte ich gern, wer sie eigentlich ist. Wer mag ihr Vater
sein? Irgend ein ehrenwerter Gutsbesitzer oder nur ein rechtschaffen
denkender Mensch, der sich im Dienst ein kleines Kapital erspart hat?
Wenn die Kleine so ein paar Hunderttausende mitbekäme -- das wäre weiß
Gott kein übler -- gar kein übler Bissen. Ein ordentlicher Mensch könnte
mit ihr sein Glück machen.« Die Zweimalhunderttausend erschienen ihm in
so reizendem Lichte, daß er sich innerlich Vorwürfe zu machen begann,
weswegen er sich während des Trubels mit den Equipagen nicht beim
Vorreiter nach dem Namen der Reisenden erkundigt habe. Doch das jetzt
sichtbar werdende Dorf Sabakewitschs zerstreute seine Gedanken und
lenkte sie auf ihren eigentlichen Gegenstand zurück.

Das Dorf kam ihm recht groß vor; eine Birken- und eine Fichtenwaldung
rahmten es von beiden Seiten ein, wie zwei Flügel, von denen der eine
etwas dunkler erschien als der andre; in der Mitte stand ein hölzernes
Haus mit einem Anbau, einem roten Dach und dunkelgrauen -- oder
richtiger rohen Wänden -- eins von jenen Häusern, wie sie bei uns für
Soldaten und Kolonisten gebaut werden. Man merkte deutlich, daß der
Baumeister bei der Ausführung seines Planes beständig mit dem Geschmack
des Besitzers zu kämpfen hatte. Der Baumeister war ein Pedant und liebte
die Symmetrie, der Hausherr aber wollte es vor allem recht bequem haben
und hatte aus diesem Grunde offenbar auf einer Seite alle
korrespondierenden Fenster zumauern und statt ihrer nur eine kleine
runde Öffnung stehen lassen, die zu einer dunklen Kammer gehörte. Auch
der eine Erker war nicht in der Mitte des Hauses angebracht, so sehr
sich der Architekt bemüht hatte, dies durchzusetzen; der Hausherr wollte
durchaus die eine Säule beseitigt wissen, und so war es gekommen, daß
statt der vier Säulen nur drei dastanden. Der Hof war von einem
kräftigen und ungewöhnlich dicken Staketenzaun umgeben. Überhaupt schien
der Gutsherr vor allem auf Dauerhaftigkeit und Solidität bedacht zu
sein. Zum Bau der Ställe, der Scheunen und der Küche waren schwere dicke
Balken verwandt worden, die auf die Ewigkeit berechnet zu sein schienen.
Auch die Bauernhütten waren wunderbar fest und solide gebaut. Keine mit
Schnitzwerk verzierten Wände noch sonstiger Firlefanz -- es war alles
dicht und wie es sich gehört aneinandergepaßt und verkittet. Selbst der
Brunnen war mit so kräftigem Eichenholz eingefaßt, wie es sonst nur bei
Windmühlen und Schiffsbauten verwendet wird. Mit einem Wort -- alles was
Tschitschikow sah, war solide, und stand fest auf der Erde, in Reih und
Glied; wie es schien, nach einer plumpen unerschütterlichen Ordnung. Als
der Wagen vor der Freitreppe hielt, sah Tschitschikow zwei Gesichter,
die fast gleichzeitig zum Fenster hinausschauten: ein weibliches, das so
lang und schmal war, wie eine Gurke und eine Haube auf dem Kopfe trug,
und ein rundes männliches, so breit wie einer jener moldauischen
Kürbisse, die man in Rußland »Flaschen« nennt und aus denen man bei uns
die Balalaiken, jene leichten mit zwei Saiten bespannten
Musikinstrumente macht -- den Stolz und die Freude aller kecken und
lustigen Bauernburschen, dieser schmucken Jungen, welche den sie
umstehenden Mädchen mit weißem Hals und Busen, die gekommen sind, ihrem
sanften Saitengeklimper zu lauschen, kokett zublinzeln und zujuchzen.
Beide Gesichter verschwanden sogleich wieder, nachdem sie einen Blick
durchs Fenster geworfen hatten. Ein Lakai in einer grauen Jacke mit
einem blauen Stehkragen trat auf die Freitreppe hinaus und geleitete
Tschitschikow in den Flur, wo der Hausherr schon seiner wartete. Als er
den Gast erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die
inneren Gemächer führte.

Als Tschitschikow hierbei einen kurzen Seitenblick auf Sabakewitsch
warf, kam er ihm diesmal wie ein Bär von mittlerer Größe vor. Und wie um
die Ähnlichkeit zu vollenden, hatte auch der Frack, den er trug, die
Farbe des Bärenfells: Ärmel und Hosen waren sehr lang, seine Füße
steckten in mächtigen Filzpantoffeln, dazu hatte er einen so
tolpatschigen Gang, daß er andern Leuten beständig auf die Füße trat.
Seine Gesichtsfarbe war glühend rot, wie die eines Kupfergroschens. Es
gibt ja bekanntlich viele solche Gesichter auf der Welt, über deren
detaillierterer Ausarbeitung sich die Natur nicht viel Kopfzerbrechens
gemacht, bei der sie keine feineren Instrumente wie Feile, Bohrer usw.
gebraucht, sondern die sie einfach mit ein paar kräftigen Axthieben
herausgehauen hat. Ein Hieb -- und siehe da es entstand die Nase -- ein
zweiter -- und die Lippen saßen am rechten Fleck; dann machte sie noch
ein Paar Löcher an Stelle der Augen mit dem großen Bohrer und der ganze
Kerl war fertig. Und ohne ihn erst noch zu behobeln und zu glätten,
sandte sie ihn mit den Worten: »er lebt« in die Welt. Solch eine
festgefügte aufs Geratewohl zurechtgezimmerte Gestalt war auch
Sabakewitsch: seine Haltung war eher ein wenig gebeugt als aufrecht, nur
selten drehte er seinen Kopf um, und sah infolge dieser Unbeweglichkeit
seinen Mitunterredner nur selten an, sondern blickte stets auf die
Ofenecke oder auf die Tür. Tschitschikow warf noch einmal einen
Seitenblick auf ihn, als er mit ihm ins Speisezimmer trat, und wieder
fuhr ihm der Gedanke durch den Sinn: »ein Bär, wahrhaftig ein
vollkommener Bär.« Welch seltsames Spiel des Schicksals: zu alledem
mußte er noch Michael[3] Semjonowitsch heißen. Da Tschitschikow
Sabakewitschs Gewohnheit, andern Leuten auf die Füße zu treten, kannte,
trat er selbst sehr vorsichtig auf, indem er ihn vorausgehen ließ. Der
Hausherr schien sich übrigens dieser schlechten Angewohnheit selbst
bewußt zu sein, denn er fragte immerfort: »Habe ich Sie vielleicht
beunruhigt?« Aber Tschitschikow dankte und versicherte höflich, er habe
bisher noch nichts von einer Beunruhigung gemerkt.

Als sie in den Salon traten, zeigte Sabakewitsch auf einen Lehnstuhl und
sagte wieder: »Bitte.« Tschitschikow nahm Platz, warf aber zuvor noch
einen kurzen Blick auf die Wände und die Bilder, welche sie zierten. Es
waren alles lebensgroße Stahlstiche, welche lauter tüchtige Kerle, d. h.
griechische Feldherrn, wie Miauli, Kanari und Maurokordato darstellten,
letzteren in Uniform mit roten Beinkleidern und einer Brille auf der
Nase. All' diese Helden hatten so starke Lenden und so gewaltige
Schnauzbärte, daß einen schon eine Gänsehaut überlief, wenn man sie bloß
ansah. Unter diesen griechischen Athleten war wie durch einen
wunderbaren Zufall auch Fürst Bagration geraten, ein magerer, dünner
Mann mit einer kleinen Fahne und ein paar Kanonen zu seinen Füßen, der
noch dazu in einem ganz schmalen Rahmen steckte. Dann folgte wieder eine
griechische Heldin: die Bobelina, deren Beine allein größer waren, als
die ganze Figur eines jener Stutzer, die heute unsere Salons bevölkern.
Der Hausherr, der selbst ein ausnehmend gesunder und kräftiger Mann war,
wollte offenbar auch, daß lauter gesunde und kräftige Leute die Wände
seiner Zimmer zieren sollten. Neben der Bobelina, dicht am Fenster hing
noch ein Vogelkäfig, aus dem eine schwarze Amsel mit kleinen weißen
Pünktchen hervorguckte, die gleichfalls große Ähnlichkeit mit
Sabakewitsch hatte. Der Wirt und der Gast hatten noch keine zwei Minuten
stumm nebeneinander gesessen, als die Türe sich auftat, und die Frau des
Hauses, eine große Dame in einer Haube mit Bändern, die zu Hause gefärbt
zu sein schienen, ins Zimmer trat. Sie hatte einen wundervollen Gang und
hielt ihren Kopf gerade wie eine Palme.

[Fußnote 3: In Rußland werden die Bären wie bei uns »Petz« mit dem Namen
»Mischa«, dem Diminutivum von Michael gerufen.]

»Das ist meine Feodulia Iwanowna,« sagte Sabakewitsch.

Tschitschikow küßte Feodulia Iwanowna die Hand, die sie ihm fast in den
Mund stopfte; bei dieser Gelegenheit machte er die Beobachtung, daß ihre
Hände mit Gurkenwasser gewaschen waren.

»Herzchen, darf ich dir Pawel Iwanowitsch Tschitschikow vorstellen!«
fuhr Sabakewitsch fort. »Wir haben uns beim Gouverneur und beim
Postmeister kennen gelernt.«

Feodulia Iwanowna bat Tschitschikow Platz zu nehmen, indem sie
gleichfalls »Bitte« sagte, und eine Kopfbewegung dazu machte, wie jene
Schauspielerinnen, die eine Königin darzustellen haben. Dann setzte sie
sich auf das Sofa, hüllte sich in ihr wollenes Tuch ein und zuckte von
nun ab weder mit den Augen noch mit den Brauen.

Tschitschikow warf wieder einen Blick nach oben und wieder fiel ihm
Kanari mit seinen starken Lenden und dem nicht endenwollenden
Schnauzbart, die Bobelina und der Vogelbauer mit der Amsel in die Augen.

Fast fünf Minuten beobachteten alle ein feierliches Schweigen, das nur
durch das Lärmen der Amsel unterbrochen wurde, die fortwährend mit dem
Schnabel gegen den Holzboden des Vogelkäfigs pochte, wenn sie ein paar
Brotkrumen aufpickte. Tschitschikow sah sich noch einmal im Zimmer um:
auch hier war alles klobig, fest und ganz ungewöhnlich derb, und hatte
eine merkwürdige Ähnlichkeit mit dem Herrn des Hauses. In der Ecke des
Salons stand ein bauchiges Schreibpult auf vier äußerst plumpen Füßen --
ein richtiger Bär. Der Tisch, die Stühle, die Lehnsessel -- alles trug
einen schwerfälligen und geradezu gefährlichen Charakter, jeder
Gegenstand, jeder Stuhl schien sagen zu wollen: »Ich bin auch ein
Sabakewitsch« oder »Auch ich bin Sabakewitsch ähnlich.«

»Wir haben beim Gerichtspräsidenten Iwan Grigorjewitsch von Ihnen
gesprochen,« sagte endlich Tschitschikow, als er sah, daß keiner von den
Anwesenden Anstalten machte, das Gespräch zu beginnen: »Es war am
vorigen Donnerstag. Ich habe dort einen sehr schönen Abend verbracht.«

»Ja! ich war damals nicht beim Gerichtspräsidenten,« sagte Sabakewitsch.

»Ein prächtiger Mensch! Nicht wahr?«

»Wen meinen Sie?« sagte Sabakewitsch, indem er die Ofenecke anblickte.

»Den Gerichtspräsidenten!«

»Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen: er ist zwar Freimaurer, aber ein
solcher Esel, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat.«

Tschitschikow wurde ein wenig stutzig durch diese denn doch etwas zu
starke Charakteristik, aber er fand seine Fassung bald wieder und fuhr
gleich darauf fort: »Natürlich, ein jeder Mensch hat seine Schwächen;
aber nicht wahr? der Gouverneur, das ist doch ein ganz ausgezeichneter
Mensch?«

»Wie? der Gouverneur -- ein ausgezeichneter Mensch?«

»Ja! hab ich nicht Recht?«

»Ein Bandit, wie's keinen zweiten gibt.«

»Wie? -- Der Gouverneur ein Bandit?!« sagte Tschitschikow, der durchaus
nicht begreifen konnte, wie der Gouverneur unter die Banditen geraten
war. »Ich muß gestehen, das hätte ich wirklich nicht gedacht,« fuhr er
fort. »Doch erlauben Sie mir die Bemerkung: seine Handlungen sind gar
nicht derart; man könnte eher sagen, daß er einen sehr weichen Charakter
hat.« Und wie zum Beweise führte er die Geldtaschen an, die jener
gestickt hatte und sprach mit hoher Anerkennung über den freundlichen
Ausdruck seines Gesichtes.

»Aber das ist doch ein Banditengesicht!« sagte Sabakewitsch. »Geben Sie
ihm ein Messer in die Hand und schicken Sie ihn auf die Landstraße
hinaus, -- der schlachtet Sie kaltblütig ab -- um einen Groschen! Er und
der Vizegouverneur, -- das sind die reinsten -- Gogs und Magogs.«

»Hm, die haben wohl was miteinander gehabt,« dachte Tschitschikow. »Ich
will mal mit ihm über den Polizeimeister reden, der ist, glaub' ich,
sein Freund.« -- »Übrigens, was mich betrifft,« fuhr er fort, »so muß
ich gestehen, daß mir der Polizeimeister bei weitem am besten gefällt.
Was ist das doch für ein gerader und offener Charakter; er hat etwas so
Schlichtes und Treuherziges an sich.«

»Ein Gauner!« sagte Sabakewitsch ganz kaltblütig, »der ist fähig, Sie
zuerst zu betrügen und zu verraten und gleich darauf mit Ihnen zu Mittag
zu essen. Ich kenne sie alle miteinander: lauter Spitzbuben. Und so ist
die ganze Stadt; da sitzt ein Spitzbube auf dem andern, alles Judasse
und niederträchtige Verräter. Der einzige, der noch was taugt, ist der
Staatsanwalt -- aber auch der ist im Grunde genommen ein Schweinehund.«

Nach diesen so wohlwollenden, wenn auch etwas kurzen biographischen
Charakteristiken, sah Tschitschikow ein, daß eine Erwähnung der übrigen
Beamten sich kaum noch verlohne, und er erinnerte sich, daß Sabakewitsch
den Leuten nicht gern etwas Gutes nachsagte.

»Wie denkst du, Herzchen, gehen wir zu Tische?« sagte Frau Sabakewitsch
zu ihrem Gatten.

»Bitte,« sagte Sabakewitsch und schritt auf den Anrichtetisch zu; Wirt
und Gast tranken zuerst nach altem gutem Brauch einen Schnaps und ließen
sich's gut schmecken, wie das im ganzen weiten Rußland in Städten und
Dörfern üblich ist, wo man stets, eh man sich zum Mittagessen hinsetzt,
zuvor einen kleinen Imbiß aus allerhand gesalzenen und appetiterregenden
Speisen und allen möglichen guten Sachen zu sich nimmt, worauf sie sich
alle ins Speisezimmer begaben. Allen voran schritt die Hausfrau, wie ein
schlanker Schwan. Den kleinen Tisch schmückten vier Gedecke. Der vierte
Platz wurde bald von einer Person besetzt, von der es schwer zu sagen
war, was sie eigentlich vorstellte: eine Dame oder ein Fräulein, eine
Verwandte, eine Haushälterin oder nur irgend eine Gesellschafterin, die
mit im Hause wohnte -- ein Wesen von etwa dreißig Jahren, ohne Haube und
mit einem Tuch um die Schultern. Es gibt solche Geschöpfe in dieser
Welt, die nicht die selbständige Existenz eines Objekts besitzen,
sondern gewissermaßen nur die Flecken oder Pünktchen auf einem
Gegenstande darstellen. Sie sitzen immer auf derselben Stelle und haben
alle dieselbe Haltung des Kopfes; man ist geneigt, sie für ein
Möbelstück zu halten, und kann sich nicht denken, daß sie je in ihrem
Leben den Mund geöffnet haben, um ein Wort zu sagen; dagegen braucht man
sie nur im Mädchenzimmer oder in der Vorratskammer zu beobachten, um
sich zu überzeugen, daß sie es faustdick hinter den Ohren sitzen haben.

»Die Kohlsuppe ist heute ausgezeichnet, mein Schatz,« sagte
Sabakewitsch, während er die Suppe kostete und sich dazu ein mächtiges
Stück Saugbeutel vorlegte, von jenem berühmten Gericht, das gewöhnlich
zur Kohlsuppe gegessen wird und aus einem mit Buchweizen, Hirn und
Knöcheln gefüllten Hammelmagen besteht. »So eine Pastete,« fuhr er zu
Tschitschikow gewendet fort, »finden Sie in der ganzen Stadt nicht; dort
setzt man Ihnen, weiß der Teufel was vor!«

»Beim Gouverneur ißt man übrigens gar nicht schlecht,« meinte
Tschitschikow.

»Ja wissen Sie denn, wie diese Speisen zubereitet werden? Sie würden den
Appetit verlieren, wenn Sie das wüßten!«

»Wie die Speisen zubereitet werden, darüber kann ich freilich nicht
urteilen; aber die Schweinekoteletts und der Fisch waren vorzüglich.«

»Das ist Ihnen wohl nur so vorgekommen. Ich weiß genau, daß sie auf dem
Markte einkaufen. Der Schurke von Koch, der bei einem Franzosen in der
Lehre war, kauft einfach einen alten Kater, zieht ihm das Fell ab, und
serviert ihn dann als Hasen.«

»Pfui! Was für häßliche Sachen du da erzählst!« sagte Sabakewitschs
Gattin.

»Was kann ich dafür, Schätzchen! So macht man's nun einmal dort; ich bin
doch nicht schuld, daß das bei all den Leuten so Sitte ist. Alle
Abfälle, alles was unsere Akula mit Verlaub zu sagen in den Mülleimer
wirft, das tun die in die Suppe. Immer rein, alles rein.«

»Immer redest du bei Tisch solche Sachen!« warf wiederum Frau
Sabakewitsch ein.

»Was schadet denn das, Schätzchen,« versetzte Sabakewitsch. »Ja wenn
ich's noch selbst so machte, aber ich sage dir's ganz offen: solch ein
ekelhaftes Zeug würde ich nie essen. Nie würde ich einen Frosch in den
Mund nehmen, und wenn er in Zucker kandiert wäre, ebensowenig wie eine
Auster; ich weiß ganz gut wie so'ne Auster aussieht. Bitte nehmen Sie
doch noch ein Stück Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an
Tschitschikow wandte. »Das ist Hammellende mit Brei, und kein Frikassé,
wie es die vornehmen Herren lieben, wozu man Hammelfleisch nimmt, das
schon vier Tage lang auf dem Markte herumliegt. Das sind alles Finessen,
wie sie die Herrn Doktoren, die Deutschen und Franzosen erfunden haben;
ich würde sie dafür am liebsten alle hängen lassen. Die Diät -- das ist
auch so eine von ihren Erfindungen. Schöne Methode das -- einen mit
Hunger zu kurieren. Weil sie selbst eine so dünnblütige Natur haben,
bilden sie sich ein, sie könnten auch mit dem russischen Magen fertig
werden. Nein, das ist alles nichts Richtiges -- das sind lauter
Torheiten, das ist alles ...« Hierbei schüttelte Sabakewitsch sogar
zornig den Kopf. »Da reden sie immer von Aufklärung, und doch ist ihre
Aufklärung nichts als ein .... ff ....! Ich hätte fast was gesagt, aber
sowas schickt sich ja nicht bei Tische. Bei mir ist das ganz anders.
Wenn's bei mir Schweinebraten oder Gansbraten gibt, dann kommt gleich
ein ganzes Schwein oder eine ganze Gans auf den Tisch. Lieber will ich
nur zwei Gerichte haben, aber mich dafür auch ordentlich satt essen, bis
die liebe Seele Ruhe hat.« Und Sabakewitsch unterstützte seine Worte
eindrucksvoll durch die Tat: er legte sich den halben Hammelrücken auf
den Teller, schlang ihn hinunter und nagte noch die Knochen ab, bis
nichts mehr übrig blieb.

»Ja, ja,« dachte Tschitschikow, »der weiß auch, was gut tut.«

»Bei mir ist das anders,« sagte Sabakewitsch, indem er sich die Hände
mit der Serviette abwischte: »ich bin nicht so, wie irgend ein
Pljuschkin; der hat 800 Seelen und lebt und ißt dabei schlechter als
unser Kuhhirt.«

»Wer ist dieser Pljuschkin?« fragte Tschitschikow.

»Ein Hallunke,« versetzte Sabakewitsch. »So ein Geizhals, das kann man
sich gar nicht einmal vorstellen. Die Zuchthäusler leben noch besser als
der: er läßt ja all seine Leute verhungern.«

»Wahrhaftig?« unterbrach ihn hier Tschitschikow mit teilnehmender Miene.
»Ist das wirklich so, wie Sie sagen, daß bei dem so viele Bauern
sterben.«

»Wie die Fliegen.«

»Nein, wirklich? Wie die Fliegen? Und darf ich fragen, wohnt er weit von
hier?«

»Es werden etwa fünf Werst sein.«

»Fünf Werst!« rief Tschitschikow aus, und dabei fing sogar sein Herz ein
wenig an zu klopfen. »Wenn man das Tor verläßt, liegt dann sein Gut
rechts oder links?«

»Es ist besser, Sie wissen gar nicht, wie Sie zu diesem Hunde hinkommen!
Ich rate Ihnen, kümmern Sie sich lieber gar nicht darum,« sagte
Sabakewitsch, »es ist noch verzeihlicher, wenn jemand in ein
unanständiges Lokal geht als zu dem.«

»Nein, ich frage ja auch nicht, weil ich irgend welche Absichten ... ich
erkundigte mich bloß, weil ich ein großes Interesse für Land und Leute
habe,« entgegnete Tschitschikow.

Nach dem Hammelrücken gab es Käsekuchen, von denen jeder allein größer
war als ein Teller, und dann noch einen Truthahn von der Größe eines
Kalbes, der mit allerhand guten Sachen gefüllt war: mit Reis, Eiern,
Leber und weiß Gott mit was sonst noch, was einem nachträglich wie ein
Stein im Magen liegt. Damit war das Mittagessen zu Ende; aber als man
sich erhob, fühlte sich Tschitschikow um einen ganzen Zentner schwerer.
Man begab sich in den Salon, wo bereits ein kleiner Teller mit Kompott
und Marmelade auf dem Tische stand; -- es ließ sich nicht recht
definieren, was es eigentlich für ein Kompott darstellte -- es waren
weder Birnen, noch Pflaumen, noch Himbeeren -- übrigens rührte weder der
Wirt noch der Gast die Marmelade an. Die Hausfrau ging hinaus, um noch
ein paar Fruchttellerchen hereinzubringen. Diesen Augenblick benutzte
Tschitschikow, um sich an Sabakewitsch zu wenden, der ausgestreckt in
einem Lehnstuhl lag und nur noch stöhnte; so satt war er; hin und wieder
öffnete er den Mund, um ein paar unartikulierte Laute von sich zu geben,
wobei er das Kreuz schlug und sich die Hand vor den Mund hielt.
Tschitschikow also wandte sich zu ihm und sagte: »Ich möchte gern über
eine Sache mit Ihnen sprechen!«

»Nehmen Sie nicht noch etwas Eingemachtes!« sagte die Hausfrau, die mit
einem Fruchtteller zurückkehrte. »Es sind Rettichschnitten, in Honig
gekocht!«

»Nachher!« sagte Sabakewitsch, »geh jetzt mal auf dein Zimmer, Pawel
Iwanowitsch und ich möchten uns die Röcke ausziehen und ein wenig
ruhen!«

Die Hausfrau wollte sogleich Unterbetten und Kopfkissen holen lassen,
aber Sabakewitsch erklärte: »Laß nur, wir ruhen uns schon im Lehnstuhle
aus,« und seine Gattin entfernte sich.

Sabakewitsch streckte den Kopf ein wenig vor, um zu hören, um was für
eine Sache es sich handle.

Tschitschikow holte sehr weit aus, sprach zuerst ganz allgemein von dem
russischen Staate, dessen Geräumigkeit und Größe er nicht genug loben
konnte, meinte, selbst die alte römische Monarchie sei nicht so groß
gewesen, die Ausländer hätten ganz recht, wenn sie sich wunderten ...
(Sabakewitsch lauschte noch immer mit vorgestrecktem Kopfe) und nach den
bestehenden Gesetzen zählten in diesem Reiche, dessen Ruhm ihm kein
anderes Land streitig machen könne, die in die Revisionslisten
aufgenommenen Seelen, selbst wenn sie ihren irdischen Lebenslauf
abgeschlossen hätten, bis zur Aufstellung neuer Revisionslisten, genau
so viel, wie die Lebenden, weil doch die zuständigen Behörden nicht noch
mit neuen zeitraubenden Pflichten und Aufgaben belastet werden könnten,
welche mit solchen überaus zahlreichen und detaillierten Erhebungen für
sie verbunden wären; auch würde durch eine solche Maßregel die
Kompliziertheit des ja ohnedies so verwickelten Staatsmechanismus noch
gesteigert werden, (Sabakewitsch streckte den Kopf noch immer vor und
hörte zu) indessen müsse man doch gestehen, daß diese Maßregel trotz
ihrer unbestreitbaren Legalität doch für manchen Gutsbesitzer recht
lästig sei, da sie ihn dazu verpflichte, nach wie vor seine Steuern für
die Bauern zu bezahlen, ganz ohne Rücksicht darauf, ob sie noch leben
oder nicht, doch sei er, Tschitschikow, bereit, aus einer besonderen
persönlichen Hochachtung für ihn, einen Teil dieser so überaus
drückenden Verpflichtung auf sich zu nehmen. Über den Hauptpunkt äußerte
sich Tschitschikow nur mit großer Zurückhaltung und sprach nie von
verstorbenen, sondern nur von »nichtexistierenden« Seelen.

Sabakewitsch saß noch immer mit etwas vorgebeugtem Kopfe da und schien
ihm aufmerksam zuzuhören, aber sein Gesichtsausdruck ließ nicht das
leiseste Zeichen einer verborgenen Seelenregung erkennen. Man hätte
beinahe glauben können, daß man einen leblosen und unbeseelten Körper
vor sich habe, jedenfalls aber saß die Seele bei ihm nicht dort, wo sie
eigentlich sitzen soll, sondern weilte wie beim unsterblichen
Koschtschej[4] irgendwo in der Ferne hinter Bergen und Tälern und war
mit einer so dicken Schale umgeben, daß alles, was sich auf ihrem Grunde
regte, nicht die geringste Erschütterung an der Oberfläche hervorrief.

»Nun also?« sagte Tschitschikow und wartete nicht ohne innere Aufregung
auf die Antwort.

»Sie brauchen tote Seelen?« sagte Sabakewitsch ganz ruhig, ohne jeden
Ausdruck des Erstaunens, wie wenn hier von Roggen oder Weizen die Rede
wäre.

[Fußnote 4: Spielt in dem russischen Sagenkreis die Rolle des Thanatos,
d. h. des Todes.]

»Ja,« antwortete Tschitschikow, indem er versuchte, dem Wort etwas von
seiner Härte zu nehmen und hinzufügte: »solche, die nicht mehr
existieren.«

»Es werden sich schon welche finden, gewiß! Warum nicht?« sagte
Sabakewitsch.

»Ja, nicht wahr? Und wenn Sie welche haben sollten, werden Sie ohne
Zweifel froh sein, sie los zu werden?«

»Bitte sehr! Ich bin gern bereit, die Ihnen zu verkaufen,« versetzte
Sabakewitsch, indem er den Kopf wieder emporrichtete. Offenbar witterte
er schon, daß der Käufer irgend einen Vorteil dabei haben mußte.

»Teufel!« dachte Tschitschikow, »der Kerl verkauft sie mir, noch ehe ich
überhaupt ein Wort fallen ließ!« Und er fügte laut hinzu: »Und darf man
fragen: was Sie wohl dafür nehmen würden? Obwohl ... das eigentlich ein
Gegenstand ist ... bei dem man nicht gut von einem Preise reden kann
...«

»Also! um nicht viel zu verlangen: Hundert Rubel pro Stück,« sagte
Sabakewitsch.

»Hundert Rubel!« rief Tschitschikow aus, indem er den Mund weit aufriß
und Sabakewitsch erschrocken ins Gesicht starrte; er war sich nicht ganz
klar, ob er sich verhört, oder ob vielleicht Sabakewitschs Zunge infolge
ihrer Schwerfälligkeit eine ungeschickte Wendung gemacht habe, und mit
einem falschen Wort herausgeplatzt sei.

»Ja finden Sie denn das zu teuer?« sagte Sabakewitsch und fügte sogleich
hinzu: »Und was ist Ihr Preis?«

»Mein Preis? Wir befinden uns wohl in einem kleinen Irrtum oder
verstehen uns gegenseitig nicht und haben vergessen, worum es sich hier
eigentlich handelt. Hand aufs Herz. Ich denke achtzig Kopeken -- das ist
das äußerste.«

»Herrgott! Ist das ein Einfall! Achtzig Kopeken?«

»Nun, was denn? Meiner Ansicht nach kann man nicht mehr wie achtzig
Kopeken dafür bieten.«

»Ich handle doch nicht mit alten Schuhen!«

»Sie müssen aber doch auch zugeben, daß es keine Menschen sind.«

»Ja, glauben Sie wirklich, Sie finden jemand, der Ihnen eine
eingetragene Seele für zwei Groschen verkauft!«

»Nein, erlauben Sie, warum sagen Sie >eingetrageneOnkelchen, haben Sie nicht
etwas zu essen?< Dabei bin ich ebensowenig sein Onkel, wie er mein
Großvater ist. Wahrscheinlich hat er selbst zu Hause nichts zu essen,
darum treibt er sich überall herum! Sie brauchen also ein Verzeichnis
von all diesen Faulenzern? Natürlich, Sie haben ganz recht! Ich habe sie
alle miteinander, so gut es ging, auf einen besonderen Zettel
geschrieben, um sie bei der nächsten Revision gleich streichen zu
lassen.« Pljuschkin setzte die Brille auf und begann in seinen Papieren
herumzuwühlen. Dabei löste er die Schnur von so manchem Päckchen und
warf die Papiere so durcheinander, daß eine Staubwolke dem Gaste in die
Nase stieg, und dieser niesen mußte. Endlich zog er einen Zettel hervor,
der beiderseits eng beschrieben war. Die Bauernnamen bedeckten ihn so
dicht wie Fliegenschmutz. Da waren alle Kategorien vertreten, da gab es
einen Paramonoff und Pimenow, einen Panteleimonow, ja es tauchte sogar
ein gewisser Grigorij »Immerlangsamvoran« aus der ganzen Menschenflut
hervor. Im ganzen waren es etwas mehr als hundertundzwanzig.
Tschitschikow lächelte unwillkürlich als er diese stattliche Zahl
übersah. Er steckte den Zettel in die Tasche und erklärte Pljuschkin, er
werde wohl zum Abschluß des Kaufes nach der Stadt fahren müssen.

»Nach der Stadt? Wie kann ich denn ...? Ich kann doch mein Haus nicht
sich selbst überlassen! Meine Dienstboten sind lauter Diebe und
Spitzbuben; die ziehen mich in einem Tage so aus, daß ich keinen Nagel
mehr übrig behalte, an dem ich meinen Rock aufhängen könnte.«

»Haben Sie nicht wenigstens irgend einen Bekannten?«

»Wer sollte das sein? Meine Bekannten sind alle schon tot, oder wollen
nichts mehr von mir wissen. Ach ja, _doch_, Väterchen! Wie denn
nicht! Natürlich habe ich einen,« rief er plötzlich aus. »Der
Gerichtspräsident, das ist ja mein guter Freund! Der hat mich früher oft
besucht; wie sollte ich den nicht kennen! Das ist ja mein Jugendfreund.
Wie oft sind wir zusammen über so manchen Zaun geklettert. Keinen
Bekannten? Ich sage Ihnen, das ist ein Bekannter! ... Ich könnte doch an
ihn schreiben?«

»Aber natürlich.«

»Ein so guter Bekannter! Ein alter Schulkamerad!«

Und über das erstarrte Gesicht huschte plötzlich etwas wie ein warmer
Strahl, ein schwacher Ausdruck oder doch wenigstens ein matter Abglanz
eines Gefühls belebte die toten Züge; wie wenn auf der Oberfläche eines
Gewässers ganz plötzlich und unerwartet ein Ertrinkender auftaucht und
nun die am Ufer versammelte Menge in freudiges Jauchzen ausbricht; aber
vergebens werfen die freudig erregten Schwestern und Brüder das rettende
Seil aus und warten ungeduldig darauf, daß sich eine Schulter oder der
vom Todeskampfe ermattete Arm aus den Fluten emporstrecke -- er war zum
letzten Mal emporgetaucht. Und stumm wird's ringsumher, und
schrecklicher noch, und öder erscheint jetzt die glatte ruhige Fläche
des launischen Elementes. So wurde auch Pljuschkins Gesicht, nachdem der
Schimmer eines Gefühls darüber hinweggeglitten war, fast noch kälter,
gemeiner und gefühlloser.

»Auf dem Tisch lag doch ein Stückchen reines Papier,« sagte er, »aber
ich weiß nicht, wo es hingekommen ist: diese Taugenichtse von
Dienstboten!« -- Und er guckte _unter_ den Tisch und _auf_ den Tisch,
kramte überall herum und rief schließlich: »Mawra, he! Mawra!« Auf sein
Geschrei erschien ein Weib mit einem Teller in der Hand, auf dem der dem
Leser schon bekannte Zwieback thronte. Jetzt entspann sich folgendes
Gespräch zwischen beiden:

»Wo hast du das Papier gelassen, du Diebin?«

»Bei Gott, gnädiger Herr! Ich habe kein Papier gesehen, außer dem
Stückchen, mit dem Sie das Spitzglas bedeckt haben.«

»Man sieht dir's ja an den Augen an, daß du es stibitzt hast.«

»Wie käme ich dazu, es zu stibitzen? Ich wüßte doch nichts damit
anzufangen. Ich kann ja nicht einmal lesen und schreiben.«

»Das lügst du, du hast es zum Küster hingetragen, das ist ein
Tintenklexer, dem wirst du's wohl gegeben haben.«

»Wenn der will, so kann er sich jederzeit Papier verschaffen. Der Küster
hat Ihren Papierfetzen überhaupt nicht zu sehen bekommen!«

»Warte nur! Die Teufel werden dir beim jüngsten Gericht tüchtig zusetzen
mit ihren eisernen Halseisen. Paß einmal auf, wie die dich plagen
werden!«

»Wofür sollten sie mich denn quälen, wenn ich doch das Papierstückchen
garnicht in der Hand gehabt habe. Sie können mir jede andere weibliche
Schwäche vorwerfen, aber daß ich stehle, das hat mir noch niemand
gesagt.«

»Du wirst schon sehen, wie die Teufel dir zusetzen werden! Das hast du
dafür, daß du deinen Herrn beschwindelt hast, werden sie sagen und dich
mit ihren glühenden Zangen zwacken!«

»Dann werd' ich eben antworten: Ich bin unschuldig, bei Gott, ich bin
unschuldig ... Aber da liegt es ja auf dem Tisch. Immer machen Sie einem
unnütze Vorwürfe!«

Pljuschkin sah den Papierschnitzel in der Tat daliegen, hielt einen
Augenblick inne, kaute an seinen Lippen und sagte: »Na was regst du dich
denn gleich so auf? So ein Trotzkopf. Man sagt ihr ein Wort, und sie
kommt einem gleich mit einem ganzen Dutzend. Geh', bring mir etwas
Feuer, damit ich den Brief versiegeln kann. Halt! du bringst mir
womöglich noch eine Talgkerze; der Talg schmilzt so schnell, weg ist er,
und man hat das Nachsehen! Bring mir lieber einen brennenden Kienspan!«

Mawra entfernte sich, Pljuschkin aber setzte sich in den Lehnstuhl, nahm
die Feder in die Hand und drehte und wendete den Zettel noch lange in
den Fingern hin und her; er überlegte wohl, ob er nicht noch die Hälfte
davon abschneiden könne, aber schließlich sah er wohl ein, daß das nicht
ging; er tauchte also die Feder ins Tintenfaß, das mit einer
verschimmelten Flüssigkeit angefüllt war, in der eine Menge Fliegen
herumschwammen, und begann zu schreiben; er setzte die Buchstaben, die
große Ähnlichkeit mit Noten hatten, dicht nebeneinander, und mußte
fortwährend den Lauf der Feder hemmen, die sich auf dem Papier in
übermütigen Sprüngen erging. Ängstlich fügte er Zeile an Zeile mit dem
lebhaften Bedauern, daß trotzdem noch immer etwas leerer Raum zwischen
ihnen übrig blieb.

Und bis zu einer solchen Armseligkeit, Kleinlichkeit und Erbärmlichkeit
konnte ein Mensch herabsinken? So furchtbar konnte er sich wandeln? Hat
das überhaupt noch den Schein der Wahrheit? -- Jawohl! -- Es gibt
überhaupt nichts Unwahrscheinliches. Alles kann mit dem Menschen
geschehen! Ein feuriger Jüngling von heute würde vielleicht mit
Entsetzen zurückprallen, wenn man ihm das Bild seines eigenen
Greisenalters vorhielte. O, hütet sorgsam auf eurem Lebenswege, wenn ihr
heraustretet aus euren milden zarten Jugendtagen in das ernste härtende
Mannesalter -- o, hütet sorgsam jede menschliche Regung, verschwendet,
verliert sie nicht unbedacht unterwegs: ihr findet sie nie wieder!
Furchtbar und grauenvoll ist das in der Ferne drohende Greisenalter, es
liefert nichts wieder aus, es gibt uns nichts zurück. Das Grab selbst
ist barmherziger; auf dem Leichenstein wird vielleicht die Inschrift
stehen: »hier liegt ein Mensch begraben.« Aber kein Schriftzeichen
belebt die kalten gefühllosen Züge des menschlichen Alters.

»Haben Sie nicht vielleicht einen Freund,« sagte Pljuschkin, während er
den Brief zusammenfaltete, »der flüchtige Bauern brauchen könnte?«

»Haben Sie auch flüchtige?« fragte Tschitschikow schnell, wie aus einem
Traume erwachend.

»Das ist es ja gerade, daß ich welche habe. Mein Schwager hat schon
Erkundigungen eingezogen, und sagt, er hätte gar keine Spur von ihnen
entdecken können; aber er ist Soldat, der kann nur mit den Sporen
klirren, wenn man sich dagegen beim Gericht darum bemühen wollte, so
....«

»Und wieviel werden's wohl sein?«

»So an die siebzig Mann, mindestens.«

»Wahrhaftig?«

»Bei Gott! Es vergeht kein Jahr, ohne daß mir ein paar davonlaufen. Die
Leute sind heutzutage alle so unmäßig; tun den ganzen Tag nichts und
wollen nur immer fressen, und ich habe doch selbst nichts zu essen ...
Wahrhaftig ich würde sie fast umsonst hergeben. Nicht wahr, Sie sagens
doch Ihrem Freunde: wenn er auch nur ein Dutzend wiederbekommt, hat er
ein hübsches Sümmchen verdient. Eine eingetragene Seele ist doch an die
fünfhundert Rubel wert.«

»Die soll der Freund nicht einmal zu riechen bekommen!« dachte
Tschitschikow, und erklärte, daß er leider keinen solchen Freund besäße,
und daß allein die Kosten dieses Verfahrens mehr betragen würden; die
Gerichte hält man sich am liebsten ganz vom Leibe, denn da muß man ja
selbst noch die Rockschöße hingeben. Aber wenn Pljuschkin sich wirklich
in einer so bedrängten Lage befände, dann sei er, Tschitschikow, aus
Sympathie für ihn bereit, eine kleine Summe zu bezahlen ... Aber das
sei, wie gesagt, eine solche Kleinigkeit, die nicht einmal der Rede wert
sei.

»Und wieviel würden Sie geben?« fragte Pljuschkin, der vor Habgier
bebte, und seine Hände zitterten wie Espenlaub.

»Ich könnte fünfundzwanzig Kopeken pro Stück anlegen.«

»Und zahlen Sie bar?«

»Ja, Sie können das Geld gleich bekommen.«

»Hören Sie Väterchen, Sie wissen doch, wie arm ich bin, Sie könnten mir
wirklich vierzig Kopeken geben.«

»Verehrtester, ich würde Ihnen gerne nicht nur vierzig Kopeken, sondern
selbst fünfhundert Rubel pro Kopf bezahlen! Mit dem größten Vergnügen,
denn ich sehe, daß ein hochachtbarer, edler Geist infolge seiner
Gutmütigkeit Not leidet.«

»Ja, nicht wahr! Bei Gott!« sagte Pljuschkin, ließ den Kopf hängen und
schüttelte ihn heftig. »Das macht alles die Gutmütigkeit.«

»Nun sehen Sie, ich habe Ihren Charakter sofort erkannt. Warum sollte
ich nicht fünfhundert Rubel pro Mann geben? Aber ich bin eben auch nicht
vermögend; fünf Kopeken will ich meinetwegen noch zulegen, dann kostet
jede Seele rund dreißig Kopeken.«

»Legen Sie noch zwei Kopeken zu, Väterchen!«

»Also gut, meinetwegen noch zwei Kopeken! Wieviel Seelen waren es doch,
sagten Sie nicht siebzig?«

»Nein, es sind sogar achtundsiebzig.«

»Achtundsiebzig, achtundsiebzig zu dreißig Kopeken, das macht ...« hier
dachte unser Held eine Sekunde und nicht einen Augenblick länger nach
und sagte, »das macht vierundzwanzig Rubel sechsundneunzig Kopeken!« Er
war sehr stark in der Arithmetik. Dann ließ er Pljuschkin die Quittung
schreiben und händigte ihm das Geld aus, welches jener mit beiden Händen
ergriff und mit ängstlicher Vorsicht nach dem Schreibpulte trug, als
hielte er in seinen Händen eine Flüssigkeit, die er jeden Augenblick zu
verschütten fürchtete. Als er vor dem Pulte stand, betrachtete er die
Banknoten noch einmal genau und legte sie ebenso vorsichtig in eines der
Schubfächer, wo das Geld wahrscheinlich begraben blieb, bis Pater Karp
und Pater Polikarp, die zwei Priester des Dorfes, ihn selbst zur ewigen
Ruhe bestatteten: zur unbeschreiblichen Freude seiner Tochter und des
Schwiegersohnes -- und vielleicht auch des Hauptmanns, der durchaus mit
ihm verwandt sein wollte. Nachdem Pljuschkin das Geld eingeschlossen
hatte, ließ er sich auf dem Lehnstuhle nieder, ohne, wie es schien,
einen neuen Gesprächsstoff finden zu können.

»Wie, Sie wollen schon fahren,« sagte er, als er Tschitschikow, der im
Begriff war, sein Taschentuch herauszuholen, eine kleine Bewegung machen
sah. Diese Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos sei,
sich hier noch länger aufzuhalten. »Ja, es ist Zeit!« sprach er und
griff nach dem Hute.

»Wollen Sie denn keinen Tee?«

»Nein, ich danke! Ich spreche lieber bei anderer Gelegenheit einmal zum
Tee vor.«

»Ja, wie denn nur? Ich habe doch die Teemaschine aufsetzen lassen! Wenn
ich ehrlich sein soll, ich mache mir auch nichts aus Tee: es ist ein
teures Getränk, und dann sind auch die Zuckerpreise so unerhört
gestiegen. Proschka! Wir brauchen die Teemaschine nicht mehr. Und den
Zwieback bringst du der Mawra! Hörst du? Sie soll ihn wieder auf den
alten Platz legen; oder nein, gib ihn lieber her, ich will ihn schon
selbst hintragen. Leben Sie wohl, Väterchen; Gott segne Sie! Und den
Brief geben Sie dem Gerichtspräsidenten, nicht wahr? Er soll ihn lesen!
Er ist doch ein alter Freund von mir. Ja, ja, ein Jugendgespiele.«

Hierauf begleitete ihn diese seltsame Gestalt, dieser merkwürdig
eingeschrumpfte alte Mann in den Hof hinab. Nachdem Tschitschikow
davongefahren war, ließ Pljuschkin das Tor sofort schließen. Dann
schritt er durch alle Vorratskammern und Speicher, um sich zu
überzeugen, ob auch alle Wächter an ihrem Platze seien, die an jeder
Ecke standen und mit Holzschaufeln auf ein leeres Faß statt auf eine
Blechtrommel schlugen; er warf auch einen Blick in die Küche, sah dort
nach, ob auch das Essen für die Dienstboten gut und schmackhaft
zubereitet sei, was für ihn jedoch nur ein Vorwand war, sich selbst
gründlichst an Brei und Kohlsuppe satt zu essen. Nachdem er schließlich
noch alle bis auf den letzten wegen ihrer schlechten Aufführung tüchtig
gescholten und ihnen Diebstahl vorgeworfen hatte, kehrte er in sein
Zimmer zurück. Als er allein war, kam ihm einen Augenblick sogar die
Idee, sich dem Gast gegenüber für dessen beispiellosen Edelmut
erkenntlich zu erweisen: »Ich will ihm die Taschenuhr zum Geschenk
machen,« dachte er -- »es ist doch eine schöne silberne Uhr, und nicht
etwa von Tomback oder Bronze; sie ist freilich etwas verdorben, aber er
kann sie ja reparieren lassen; er ist noch ein junger Mann, und braucht
eine Taschenuhr, wenn er bei seiner Braut Eindruck machen will. Oder
nein!« -- fuhr er nach einigem Nachdenken fort: »ich will sie ihm lieber
vermachen; er soll sie erst nach meinem Tode erhalten, damit er sich
später noch meiner erinnert.«

Aber unser Held war auch ohne Uhr in höchst vergnügter Stimmung. Eine so
unerwartete Akquisition war eine wahre Gottesgabe. In der Tat, dagegen
ließ sich nichts einwenden: nicht nur ein Paar Schock tote Seelen,
sondern auch noch einige Dutzend flüchtige dazu: zusammen etwa
zweihundert Stück! Er hatte ja freilich schon so eine Ahnung gehabt, als
er sich Pljuschkins Landgute näherte, daß es hier was zu verdienen geben
würde, aber auf ein so gutes Geschäft hatte er nicht gerechnet. Den
ganzen Weg über war er außergewöhnlich lustig, pfiff und sang vor sich
hin, indem er sich die Faust vor den Mund hielt und hineinblies wie in
eine Trompete. Zuletzt stimmte er sogar ein Lied an, welches so seltsam
und sonderbar klang, daß selbst Seliphan verwundert aufhorchte, den Kopf
schüttelte und sagte: »Sieh mal an, wie mein Herr singen kann!« Es war
schon ganz dunkel, als sie sich der Stadt näherten. Licht und Finsternis
gingen vollkommen ineinander über, und alle Gegenstände schienen
zusammenzufließen. Der gestreifte Schlagbaum hatte eine ganz unbestimmte
undefinierbare Farbe angenommen; dem Posten vor der Stadt schien der
Schnurrbart hoch über den Augenbrauen zu sitzen, und seine Nase schien
überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Das Gerassel der Räder und die
Luftsprünge, die die Equipage machte, ließen erkennen, daß man sich
bereits wieder auf der gepflasterten Straße befand. Die Laternen waren
noch nicht angezündet, hie und da blitzte in den Fenstern der Häuser ein
Licht auf, und in den Winkeln und Gassen spielten sich die bekannten
Vorgänge ab; man hörte es munkeln und flüstern, was um die nächtlichen
Stunden in Städten stets zu geschehen pflegt, wo es viele Soldaten,
Kutscher, Arbeiter und jene besondere Menschengattung gibt, eine Art von
Damen mit roten Shawls, in Schuhen und ohne Strümpfe, die an den
Straßenkreuzungen herumschwirren wie die Fledermäuse. Aber Tschitschikow
bemerkte sie nicht, ebensowenig wie die schlanken Beamten, die mit
Spazierstöckchen in der Hand wohl von einer Promenade außerhalb der
Stadt zurückkehrten. Hie und da drangen Rufe an sein Ohr, die von
weiblichen Stimmen herzurühren schienen: »Das lügst du, du bist wohl
besoffen; ich hätte ihm nie eine solche Frechheit erlaubt!« oder »du
suchst wieder Händel du Grobian, komm mal mit auf die Polizei, da will
ich dir's schon zeigen.« Mit einem Wort, all jene Reden, die wie ein
Dampfbad auf einen phantasiereichen zwanzigjährigen Jüngling wirken,
wenn er aus dem Theater zurückkehrend eine spanische Gasse, eine dunkle
Mondnacht und ein herrliches Frauenbild mit einer Gitarre in seinem
Kopfe trägt. Welch wundersame Träume, welche tollen Phantasien wirbeln
in seinem Hirne durcheinander. Er glaubt im siebenten Himmel zu
schweben, und stattet sogar dem Dichter Schiller einen Besuch ab -- da
schlagen plötzlich jene verhängnisvollen Worte wie ein Donnerschlag
neben ihm ein, er fühlt sich wieder auf die Erde zurückversetzt, ja
sogar auf den »Heumarkt« in die nächste Nähe einer Schenke, und aufs
neue verschlingt ihn des Werktages altersgraue Öde.

Endlich machte der Wagen noch einen kräftigen Satz und tauchte wie in
einem Erdloch im Tore unter. Tschitschikow wurde von Petruschka
empfangen, welcher, einen seiner Rockschöße in der einen Hand haltend --
denn er liebte es nicht, daß die Schöße sich entzweiten -- mit der
anderen seinem Herrn aus dem Wagen half. Auch der Kellner kam mit einer
Kerze, die Serviette über die Schulter geworfen, angelaufen. Es läßt
sich nicht sagen, ob Petruschka über die Ankunft seines Herrn sehr
erfreut war, jedenfalls zwinkerten Seliphan und er sich verständnisinnig
mit dem Auge zu, und sein sonst so strenges Gesicht schien sich ein
wenig zu erhellen.

»Sie haben aber eine lange Spazierfahrt zu machen geruht,« sagte der
Kellner, indem er ihm auf der Treppe voranleuchtete.

»Ja,« sagte Tschitschikow und stieg die Stufen empor. »Und wie gehts bei
euch?«

»Gottlob!« antwortete der Kellner mit einer Verbeugung. »Gestern ist ein
Offizier angekommen. Er wohnt auf Nummer sechzehn.«

»Ein Leutnant?«

»Ich weiß nicht. Er kommt aus Rjasan und hat braune Pferde.«

»Schön, schön! Benimm dich auch fernerhin gut!« sagte Tschitschikow und
trat in sein Zimmer. Während er durch den Flur schritt, rümpfte er die
Nase und sprach zu Petruschka gewandt: »Du hättest auch die Fenster
aufmachen können.«

»Ich habe sie ja aufgemacht,« entgegnete Petruschka; aber er log.
Uebrigens wußte sein Herr selbst, daß es eine Lüge war. Doch er wollte
nicht widersprechen. Nach der langen Fahrt bemächtigte sich eine starke
Ermattung aller seiner Glieder. Er bestellte sich eine ganz leichte
Abendplatte, die nur aus einem Stück Spanferkel bestand, entkleidete
sich sofort, kroch unter die Decke und versank sogleich in einen tiefen,
festen Schlaf, in jenen wundersamen Schlaf, den nur die Glückspilze
kennen, welche nichts ahnen: weder von Hämorrhoiden, noch von Flöhen,
noch von einer allzu regen Geistestätigkeit.


                           Siebentes Kapitel

Glücklich der Reisende, der nach einer weiten, langweiligen Fahrt mit
ihrer Kälte, ihrem Schmutz und Kot, ihren verschlafenen Posthaltern,
ihrem Schellengeklingel, ihren Reparaturen, ihrem Herumgezanke, ihren
Postknechten, Schmieden und ähnlichen Vagabunden, endlich das traute
Dach mit dem immer heller werdenden Lichterglanz erblickt -- schon
taucht vor seinem geistigen Auge sein liebes Heim mit den bekannten
Zimmern auf, schon hört er die jubelnden Rufe der ihm entgegeneilenden
Hausgenossen, die freudige Aufregung und das Gelärm der Kinder, stille
sanfte Worte unterbrochen von glühenden Zärtlichkeiten, die die Kraft
haben, alles vergangene Leid aus dem Gedächtnis zu tilgen. Glücklich der
Familienvater, dem ein solches Heim beschieden ward; aber wehe dem
Hagestolzen! Glücklich der Schriftsteller, der an den langweiligen,
widerwärtigen, durch ihre traurige Blöße erschreckenden Gestalten der
Wirklichkeit flüchtig vorüber eilend sich Charakteren nähert, welche des
Menschen hohe Würde verkörpern und erscheinen lassen, der aus dem großen
Wirbel ewig wechselnder Formen sich nur die wenigen Ausnahmen erkiest,
der auch nicht _einmal_ dem heiligen Schwunge seiner Leier untreu ward,
der nie von seiner eigenen Höhe zu seinen armseligen, schwachen Brüdern
herab stieg und, ohne das Irdische zu berühren, sich selig stürzte in
den erdentrückten Chor erhabener Gestalten. Doppelt beneidenswert ist
sein herrliches Los, er wandelt unter ihnen wie im trauten Kreise der
Familie; indes schallt weit und laut sein Ruhm durch alle Lande. Mit
Weihrauchwolken hat er die Augen der Menschen umhüllt, mit Zauberworten
nahm er schmeichelnd ihren Geist gefangen, verbergend vor ihnen des
Lebens rauhe Wirklichkeit und ihnen den schönen Menschen weisend.
Händeklatschend folgt alles seiner Spur und umschwärmt jauchzend seinen
Wagen. Einen großen Weltendichter nennt man ihn, der im hohen Raume
schwebt ob allen andern Genien dieser Welt, wie der Aar über allem
hochfliegenden Getier. Sein Name schon weckt heilige Schauer in jungen
glühenden Herzen, Tränen der Sympathie erglänzen in jedem Auge ... An
Macht kommt ihm kein Wesen gleich -- er ist ein Gott! Wie ganz anders
ist das Los des Schriftstellers, der sich erkühnte, all das ans Licht zu
ziehen, was jederzeit vor jedem Auge liegt und doch dem gleichgültigen
Blicke entgeht: den grauenvollen Schlamm des Nichtigen, der unser Leben
umstrickt, die ganze abgründige Tiefe jener kalten zerklüfteten
Alltagscharaktere, die unsern dornigen, oft öden Erdenweg bevölkern, und
mit dem kräftigen Schlag des unerbittlichen Meißels es wagte, sie klar
und plastisch dem Blick der Menschen preiszugeben! Er erntet nicht des
Volkes lauten Beifall, kein Dank strahlt ihm aus den Tränen und der
einmütigen Begeisterung tieferregter Seelen, die sein Wort tief im
Innersten aufwühlte; ihm fliegt keine sechzehnjährige Jungfrau
entzückten Sinnes voll heroischer Leidenschaft entgegen; er kann sich
nicht berauschen am süßen Klang der Töne, die er der eigenen Leier
entlockte, und nicht wird er dem Gerichte des Tages entgehen, dem
heuchlerisch gefühllosen Richterspruch des Augenblicks, der die am
eignen warmen Busen genährten Geschöpfe armselig, gemein und nichtig
nennen, ihm einen elenden Winkel anweisen wird inmitten jener
Schriftsteller, die die Menschheit schänden, ihm die Charakterzüge
seiner eigenen Helden beilegen und ihm Herz und Seele und den göttlichen
Funken des Talentes rauben wird; denn das Gericht des Tages erkennt
nicht an, daß gleich bewundernswürdig _jene_ Gläser sind, in denen sich
die Sternenheere spiegeln und jene, durch die man die zarten Bewegungen
unsichtbarer Lebewesen wahrnehmen kann, denn das Gericht des Tages
erkennt nicht an, daß hohes begeistertes Lachen sich wohl messen kann
mit hohem lyrischen Schwunge, und daß ein Abgrund gähnt zwischen jenem
und den unwürdigen Fratzen des Jahrmarktgauklers. Das Gericht des Tages
versteht dies nicht und verwandelt alles in Schimpf und Vorwurf für den
verachteten Dichter: ohne Mitleid, ohne Antwort, ohne Teilnahme wie ein
heimatloser Wanderer steht er allein auf öder Straße. Schwer und hart
ist sein Beruf und bitter fühlt er seine Einsamkeit.

Und lange noch ist mir's von der geheimnisvollen Schicksalsmacht
beschieden, den Weg fortzuwandeln Hand in Hand mit meinem Helden, das
ganze gewaltig treibende Leben zu überschauen, durch das aller Welt
_sichtbare_ Lachen und die keinem bekannten _unsichtbaren_ Tränen. Und
noch fern ist die Zeit, wo ein andrer Springquell hoher Begeisterung wie
ein Wirbelsturm aus dem von heiligem Schauer erschütterten flammenden
Haupte aufsteigen, und wo verzagt die Menge dem majestätischen Donner
anderer Reden lauschen wird ...

Vorwärts! Vorwärts! fort mit der finsteren Miene, fort mit der
grämlichen Runzel, die deine Stirne furcht. Laßt uns geschwind wieder
untertauchen in das Leben mit all seinem tonlosen Gelärm und
Schellengeklingel: laßt uns zusehen was Tschitschikow macht.

Tschitschikow war soeben aufgewacht, er dehnte und streckte sich, denn
er hatte das behagliche Gefühl, sich gut ausgeschlafen zu haben. Nachdem
er noch ein paar Minuten ruhig auf dem Rücken gelegen hatte, schnalzte
er mit den Fingern, und sein Gesicht verklärte sich bei dem Gedanken,
daß er jetzt nahezu vierhundert Seelen besaß. Dann sprang er aus dem
Bett, betrachtete sich nicht einmal im Spiegel, und warf keinen Blick
auf sein Gesicht, das er aufrichtig liebte, und an dem ihm das Kinn ganz
besonders gefiel, denn er pries es bei jeder Gelegenheit vor seinen
Freunden, ganz besonders während des Rasierens. »Sieh mal,« pflegte er
dann gewöhnlich zu sagen, »was ich für ein schönes rundes Kinn habe.«
Und dabei streichelte er es mit der Hand. Heute aber warf er keinen
einzigen Blick weder auf sein Kinn noch auf sein Antlitz, sondern zog
sich sogleich seine Saffianstiefel mit dem gestickten Blumenbesatz an,
mit denen die Stadt Torshok einen so schwunghaften Handel treibt,
welcher in unserer russischen Bequemlichkeit eine so reiche Nahrung
findet. Hierauf machte Tschitschikow in einem kurzen schottischen
Hemdchen zwei kühne Luftsprünge, wobei er sich nicht ohne
Geschicklichkeit eins mit dem Hacken auswischte. Und dann ging er sofort
ans Werk: er rieb sich vor der Schatulle ebenso vergnügt die Hände wie
ein unbestechlicher Kreisrichter, der hinausfuhr, um eine Untersuchung
vorzunehmen und nun vor das Anrichtetischchen tritt, beugte sich über
das Kästchen und holte ein Päckchen Papier hervor. Er wollte die Sache
so schnell als möglich erledigen, um sie nicht auf die lange Bank zu
schieben. Daher ging er rasch entschlossen an die Aufsetzung des
Kaufkontraktes und kopierte ihn dann eigenhändig, um sich die Unkosten
für den Notar zu sparen. Auf die Formalitäten verstand er sich
vortrefflich; zuerst malte er mit schwungvollen, großen Buchstaben die
Jahreszahl achtzehnhundert und so und so viel hin; hierauf schrieb er
mit kleinen Buchstaben darunter: Gutsbesitzer Soundso und was noch sonst
drum und dran hängt. In zwei Stunden war alles fix und fertig. Als er
danach auf diese Blätter hinblickte, auf die Namen der Bauern, welche
tatsächlich einmal gelebt, gearbeitet, geackert, getrunken,
Kutscherdienste geleistet, ihre Herren betrogen hatten oder vielleicht
einfach brave Bauern gewesen waren, da beschlich ihn ein wundersames,
unheimliches Gefühl. Jeder Zettel schien seinen eigenen Charakter zu
besitzen, und das schien den Bauern selbst eine eigentümliche Wesensart
zu verleihen. Die Bauern, welche Karobotschka gehört hatten, trugen alle
irgend einen Spitznamen als Anhängsel. Pljuschkins Liste zeichnete sich
durch Kürze und Gedrängtheit des Stiles aus: oft standen nur die
Anfangssilben der Vor- und Beinamen da, worauf ein paar Punkte folgten.
Sabakewitschs Register setzte durch seine außerordentliche
Ausführlichkeit und Vollständigkeit in Erstaunen; da gab es keine noch
so geringe Eigentümlichkeit, die nicht sorgfältig gebucht war: von einem
hieß es: »Ein guter Tischler,« von einem andern: »Er versteht seine
Sache und säuft nicht.« Ebenso sorgfältig waren die Eltern eines jeden
aufgezählt und ihr Charakter wie ihr Benehmen genau beschrieben. Nur von
einem gewissen Fedotow stand vermerkt: »Der Vater ist unbekannt, die
Mutter ist eine meiner Dienstmägde, namens Kapitolina, die jedoch einen
guten Charakter hat und nicht stiehlt.« All diese Einzelheiten verliehen
dem Ganzen eine gewisse Frische. Man gewann den Eindruck, als hätten die
Bauern gestern noch gelebt. Tschitschikow überlas die Namen noch einmal
genau und sorgfältig. Eine seltsame Rührung erfaßte ihn, er seufzte und
sprach leise vor sich hin: »Herrgott welche Menge da dichtgedrängt
beieinander steht! Was mögt ihr wohl alles getrieben haben, euer Leben
lang, ihr Lieben? Wie mögt ihr euch durchgeschlagen haben?« Und seine
Augen hefteten sich auf eine Stelle, wie unwillkürlich angezogen von
einem Namen. Dies war der bekannte Peter Saweljewitsch, der
Trogverächter, welcher einst der Gutsbesitzerin Karobotschka gehört
hatte. Und abermals konnte er den Ausruf nicht unterdrücken: »Herrjeh,
ist der aber lang, der nimmt ja die ganze Zeile ein! Was magst du wohl
gewesen sein: ein Meister deines Handwerks, oder ein schlichter Bauer,
und wie hat der Tod dich ereilt? War's in der Schenke, oder hat dich gar
auf breiter Straße eine plumpe Fuhre überfahren, du Schlafmütze? --
Stepan Probka, der Tischler, _ein braver nüchterner Mann_. -- Sieh da
bist du ja, mein Stepan Probka, du großer Held, der du für die Garde
geboren warst! Hast wohl manch weites Stück Weges durchwandert, die Axt
am Gürtel und die Stiefel über die Schulter geworfen, für einen Groschen
Brod verzehrt und für zwei Groschen gedörrten Fisch und du brachtest
dann wohl jedes Mal einen Hunderter in deinem Beutel mit oder nähtest
dir gar einen Tausender in deine Nangkinghose ein oder stecktest ihn dir
in den Stiefel. Wo holte dich der Tod? Bist du vielleicht nur um des
gemeinen Mammons willen bis auf die Kirchenkuppel hinaufgestiegen oder
gar bis aufs Kreuz emporgeklettert und von dem Gerüst herabgestürzt zu
Füßen irgend eines Onkel Michei, der sich nur den Kopf kratzte und
mitleidig murmelte: >Ach Wanja, was ist nur in dich gefahren!< um sich
sogleich den Strick um den Leib zu binden und ruhig an deiner Stelle
hinaufzuklettern. -- Maxim Telhatnikow, der Schuster. Der Schuster? He?
>Besoffen wie ein Schuster<, sagt ein Sprichwort. Ich kenn' dich, kenne
dich, mein Liebling; willst du's, so erzähle ich dir deine ganze
Lebensgeschichte. Du kamst zu einem Deutschen in die Lehre, der euch
allesamt fütterte, für eure Nachlässigkeit mit dem Riemen züchtigte und
nie auf die Straße ließ, damit ihr keine Streiche macht. Du warst ein
wahres Weltwunder und kein Schuster, und der Deutsche konnte dein Lob
nicht hell genug singen, wenn er mit seiner Frau oder seinem Kameraden
über dich sprach. Und als deine Lehrzeit aus war, da sprachst du zu dir
selbst: >Jetzt will ich mir ein eigenes Häuschen kaufen, aber ich will's
nicht machen wie der Deutsche, der einen Groschen zum andern legt, ich
will mit einem Schlage ein reicher Mann werden!< Und du zahltest deinem
Herrn einen reichen Erbzins, schafftest dir einen Laden an, besorgtest
dir einen Haufen Aufträge und legtest los. Dann triebst du irgendwo zum
Drittel des Preises ein Stück halbverfaulten Leders auf und verkauftest
jeden Stiefel mit doppeltem Gewinn, aber deine Schuhe platzten schon
nach zwei Wochen und deine Kunden schimpften dich kräftig aus, wie du's
verdientest. So kam es, daß es in deinem Laden leer ward, du fingst an
zu trinken, dich auf der Straße herumzutreiben und sprachst: >Ist das
eine schlimme Welt! Wir Russen können rein verhungern: und an alledem
ist niemand schuld als der Deutsche!< -- Und was ist das für ein Mann:
Jelisawetus Sperling? Verdammt noch einmal: das ist ja ein Weibsbild!
Wie ist die hierhergekommen? Der Sabakewitsch, der Schurke hat sie mit
hineingeschmuggelt!« Tschitschikow hatte ganz recht: dies war wirklich
eine Frau. Wie sie in diese Gesellschaft gekommen war, das wußte Gott
allein; aber ihr Name war so geschickt und kunstvoll hingemalt, daß man
sie von ferne wirklich für ein Mannsbild halten konnte, ja der Vorname
hatte sogar die männliche Endung und lautete: Jelisawetus, statt
Jelisaweta. Allein Tschitschikow nahm keine Rücksicht darauf und strich
sie einfach aus der Liste. -- »Und du Grigorij Immerlangsamvoran! Was
warst du wohl für ein Mensch? Warst du ein Postknecht, der sich ein
Dreigespann samt einem gedeckten Wagen anschaffte, und dem eignen Heim,
dem trauten Winkel für immer Valet sagte, um sich mit den Kaufleuten auf
den Jahrmärkten herumzuplagen? Gabst du unterwegs deinen Geist auf,
brachten dich deine eigenen Freunde wegen eines dicken rotbackigen
Soldatenweibes um, oder fand irgend ein Wegelagerer Gefallen an deinen
ledernen Fausthandschuhen und dem Dreigespann deiner kleinen aber
kräftigen Pferde, oder fiel's dir vielleicht ein, derweil du auf deinem
Lager lagst und vor dich hingrübeltest, plötzlich ohne jeden Grund und
Anlaß in die Schenke hineinzuspazieren und von dort geradewegs in ein
Eisloch, so daß keine Menschenseele weiß, wo du verschwunden bist? Oh du
mein russisches Volk! Du liebst es nicht, eines natürlichen Todes zu
sterben! -- Und ihr meine Lieblinge,« fuhr er fort, indem er einen Blick
auf die Liste warf, auf der Pljuschkins flüchtige Seelen verzeichnet
standen: »ihr freut euch zwar noch eures Lebens, aber was für einen Wert
habt ihr? Ihr seid so gut wie tot. Und wohin tragen euch wohl jetzt eure
schnellen Füße! Hattet ihr's wirklich gar so schlecht bei dem
Pljuschkin, oder machte es euch bloß Spaß im Walde herumzustreichen und
die Reisenden auszuplündern? Sitzt ihr vielleicht im Gefängnis oder habt
ihr euch einen anderen Herrn gesucht, dessen Felder ihr nun pflügt?
Jeremej Leichtfuß, Nikita Renner, Anton Renner, dessen Sohn, euch merkt
man's schon an euren Namen an, daß ihr gute Läufer seid; Popor, der
Knecht ... War wohl ein gelehrter Mann, der sich auf's Lesen und
Schreiben verstand! der hat sicher kein Messer in die Hand genommen und
sich ein hübsches Vermögen zusammengestohlen. Paß auf! paßloses
Individuum, du fällst noch einmal dem Polizeihauptmann in die Hände.
Zwar stellst du mutig deinen Mann: >Wer ist dein Herr?< fragt dich der
Hauptmann und begleitet, da sich eine so gute Gelegenheit dazu bietet,
seine Worte mit einem kräftigen Fluch: -- >Gutsbesitzer Soundso,<
antwortest du keck. >Und wie kommst du hierher?< fragt dich der
Hauptmann. >Ich bin gegen Bezahlung des Erbzinses freigelassen,<
erwiderst du ohne Zaudern. >Wo ist dein Paß?< >Bei meinem Herrn, dem
Kleinbürger Pimenow.< Pimenow wird gerufen. >Bist du Pimenow?< >Jawohl.<
>Hat er dir seinen Paß gegeben?< >Nein, er hat mir keinen Paß gegeben.<
>Du lügst also?< sagt der Polizeihauptmann und läßt wieder ein kräftiges
Wort folgen. >Zu Befehl,< antwortest du frech: >ich gab ihm den Paß
nicht, weil ich sehr spät nach Hause kam, ich habe ihn dem Glöckner zur
Aufbewahrung gegeben.< -- >Der Glöckner soll herkommen! Hat er dir
seinen Paß gegeben.< -- >Nein, ich habe keinen Paß von ihm bekommen.<
>Warum lügst du schon wieder!< fragt der Polizeihauptmann aufs neue und
flicht zur Bestätigung abermals ein kräftiges Wörtlein ein. >Wo ist denn
dein Paß?< >Ich weiß genau, daß ich ihn bei mir hatte,< antwortest du
sicher, >wahrscheinlich werde ich ihn wohl unterwegs irgendwo verloren
haben.< -- >Und warum hast du dem Soldaten den Mantel und dem Pfarrer
einen Kasten mit Kupfermünzen gestohlen?< sagt der Polizeihauptmann,
indem er zur Bekräftigung wiederum ein kerniges Wörtlein anfügt.
>Wahrhaftig nicht,< sagst du ohne mit der Wimper zu zucken, >beim
Stehlen hat mich noch keiner ertappt.< >Und wie kommt es, daß man den
Mantel bei dir gefunden hat?< >Ich weiß nicht, wahrscheinlich hat ihn
ein anderer bei mir liegen lassen!< -- >O, du Hallunke, du Bestie!< sagt
der Polizeihauptmann kopfschüttelnd, und stemmt die Hände in die Seiten.
>Legt ihm Fußschellen an und führt ihn ins Gefängnis.< -- >Zu Befehl,
ich habe nichts dagegen,< antwortet du. Und du ziehst deine Tabaksdose
aus der Tasche, reichst sie gutmütig den zwei Invaliden, die dir die
Fußschellen angelegt haben und fragt sie aus, ob es schon lange her ist,
daß sie beim Militär waren und an welchem Kriege sie teilgenommen haben.
Und dann wanderst du ins Gefängnis und bleibst ruhig drin sitzen,
während das Gericht deine Sache prüft. Schließlich fällt es seinen
Spruch, und du wirst aus Zarewo-Kokschaisk nach dem ***er Gefängnis
transportiert. Das dortige Gericht läßt dich nach Wessjegonsk oder sonst
wohin weiterbefördern usw.; so wandert du aus einem Gefängnis ins andre
und sprichst jedesmal, wenn du dein neues Heim erblickst: >Nein das
Wessjegonskische Gefängnis ist doch netter, da ist doch mehr Platz, da
kann man auch einmal das Knöchelspiel spielen, und da gibt's auch mehr
Gesellschaft.< -- Abakum Fyrow? Na und du mein Bester? Wo, in welcher
Gegend treibst du dich herum? Lebst _du_ vielleicht irgendwo an der
Wolga und bist ein Fährmann geworden, weil du ein freies Leben liebst?
...« Hier hielt Tschitschikow inne und wurde ein wenig nachdenklich.
Worüber sann er wohl nach? Dachte er an das Schicksal Abakum Fyrows,
oder war es jene natürliche, fast selbstverständliche Nachdenklichkeit,
die jeden Russen in jedem Lebensalter überfällt, welchem Stande und
Berufe er auch angehören mag, wenn er an die Lust eines freien
ungebundenen Lebens denkt? »In der Tat wo war jetzt Fyrow?
Wahrscheinlich spazierte er laut und fröhlich am Landungsplatze herum,
sich heiter unter die Kaufleute mischend. Mit Blumen und Bändern an den
Hüten plaudert und lärmt der ganze Troß der Bootsführer, welche sich von
ihren schlanken, hohen Frauen und Schätzen verabschieden, die
Perlenbänder um den Hals und bunte Schleifen im Haar tragen; es schwingt
sich der Reigen, helle Lieder ertönen aus fröhlichen Kehlen, der ganze
Landungsplatz wogt auf und nieder, während die Last- und Gepäckträger
unter Lärmen, Gezänk und ermunternden Zurufen sich mit einem Haken neun
Pud schwere Ballen auf den Rücken laden, Weizen und Erbsen geräuschvoll
in geräumige Schiffe schütten und Säcke mit Hafer und Buchweizen
fortschleppen; weithin blinken die gewaltigen Haufen gleich einer
Pyramide von Kanonenkugeln aufeinander getürmter Säcke und Ballen, die
den ganzen Platz bedecken, und machtvoll ragt dieses ganze
Getreidearsenal empor, bis es in all' die geräumigen Barken und
Fahrzeuge verladen ist, und diese endlose Flotte zugleich mit dem
Frühjahrseise den Fluß hinabschwimmt. Da gibt's Arbeit für euch in Hülle
und Fülle, ihr Schiffer, und vereint, so wie ihr einst munter geschwärmt
und über alle Stränge geschlagen, geht ihr nun ans Werk und zieht im
Schweiße eures Angesichts an dem Strange, unter Liedern und Gesängen,
die so unendlich sind, wie die russische Heimat selbst!

»Herrjeh! Schon zwölf Uhr!« rief Tschitschikow plötzlich aus, indem er
auf die Uhr blickte. »Was säume ich bloß so lange? Wenn ich noch etwas
Vernünftiges getan hätte, aber da rede ich erst allerhand albernes Zeug
und versinke dann noch in törichte Träumereien! Ich bin doch ein rechter
Narr! Wahrhaftig!« Mit diesen Worten vertauschte er sein schottisches
Kostüm mit einem europäischen, zog seine Hosenschnalle etwas fester an,
um sein kräftiges Bäuchlein nicht so hervortreten zu lassen, besprengte
sich mit Eau de Cologne, nahm seinen warmen Hut in die Hand und die
Aktenmappe unter den Arm und begab sich nach dem Zivilgericht, um die
Kaufkontrakte perfekt zu machen. Dabei beeilte er sich sehr, nicht weil
er sich zu verspäten fürchtete -- davor brauchte er keine Angst zu
haben, denn der Präsident war sein guter Bekannter und konnte auf Wunsch
die Sitzung ausdehnen oder aufheben, ganz wie der alte Zeus Homers, der
die Tage verlängerte und frühe Nächte herabsandte, wenn er den Streit
seiner geliebten Helden unterbrechen oder ihnen ein Mittel an die Hand
geben wollte, um ihn auszutragen; aber Tschitschikow hatte selbst den
lebhaften Wunsch, die Sache so schnell als möglich zum Abschluß zu
bringen; solange dies nicht geschehen war, fühlte er sich unruhig und
unbehaglich: denn er konnte den Gedanken nicht ganz los werden, daß es
sich hier doch eigentlich nicht um richtige Seelen handele und daß es in
solchen Fällen besser sei, eine solche Last möglichst schnell
abzuwerfen. Unter solchen Gedanken hüllte er sich in einen warmen Pelz
von braunem Tuch, der mit Bärenfell gefüttert war, und kaum war er auf
die Straße getreten, als er an der Ecke der Gasse mit einem Herrn
zusammenstieß, der gleichfalls einen mit Bärenpelz gefütterten Überwurf
um die Schultern geschlagen hatte und eine Pelzkappe mit Ohrenklappen
auf dem Kopfe trug. Der Herr stieß einen Freudenschrei aus -- es war
Manilow. Beide schlossen einander in die Arme und verharrten etwa fünf
Minuten lang in dieser Stellung. Dabei waren die Küsse, die sie
austauschten, so kräftig und inbrünstig, daß ihnen beiden nachher den
ganzen Tag über die Vorderzähne schmerzten. Von Manilows Gesicht blieben
vor Freude nichts wie die Nase und die Lippen übrig, seine Augen waren
überhaupt nicht mehr zu sehen. Etwa fünfzehn Minuten lang hielt er
Tschitschikows Hand in seinen beiden Händen, bis sie ganz warm wurde. In
der feinsten und liebenswürdigsten Weise erzählte er ihm, wie er
herbeigeflogen wäre, um Pawel Iwanowitsch in seine Arme zu schließen,
und er schloß seine Rede mit einem Kompliment, wie man es höchstens
einem jungen Mädchen zu sagen pflegt, das man zum Tanze auffordert.
Tschitschikow hatte kaum seinen Mund geöffnet, ohne noch recht zu
wissen, wie er ihm danken sollte, als Manilow einen zusammengerollten
Bogen Papier, der mit einem roten Bändchen zusammengebunden war, aus
seinem Pelze hervorholte.

»Was ist das?«

»Das sind die Bauern.«

»Ah!« -- Er rollte den Bogen sogleich auf, überflog ihn schnell mit den
Augen und war erstaunt über die Schönheit und Sauberkeit der
Handschrift. »Ist das aber schön geschrieben!« sagte er, »man braucht es
gar nicht erst abschreiben zu lassen. Dazu noch der Rand rund herum! Wer
hat denn diese wundervolle Einfassung gezeichnet!«

»Ach fragen Sie lieber gar nicht,« sagte Manilow.

»Sie?«

»Meine Frau!«

»O mein Gott! Es tut mir wirklich leid, daß ich Ihnen soviel Mühe
gemacht habe!«

»Für Pawel Iwanowitsch ist uns keine Mühe zu groß!«

Tschitschikow verbeugte sich dankend. Als Manilow erfuhr, daß er nach
der Zivilkammer ging, um den Kaufkontrakt abzuschließen, erklärte
Manilow sich bereit, ihn dorthin zu begleiten. Die Freunde faßten sich
unter und gingen zusammen weiter. Bei jeder kleinen Erhöhung, bei jedem
Hügel, oder jeder Stufe stützte Manilow Tschitschikow mit der Hand und
hob ihn beinahe in die Höhe, wobei er angenehm lächelte und hinzufügte,
er werde es nie zugeben, daß Pawel Iwanowitsch sich weh tue.
Tschitschikow wurde verlegen, da er nicht wußte, wie er sich erkenntlich
erweisen solle, denn er fühlte, daß er nicht ganz leicht war. So halfen
sie sich gegenseitig, bis sie endlich auf dem Platze anlangten, wo das
Gerichtsgebäude lag -- ein großes dreistöckiges Haus, das so weiß war,
wie ein Stück Kreide, wahrscheinlich, um die Seelenreinheit der in ihm
tätigen Beamten zu symbolisieren. Die andern Häuser, die sich noch sonst
auf dem Platze befanden, konnten sich an Größe nicht im geringsten mit
dem steinernen Amtsgebäude messen. Dies waren: ein Wächterhäuschen, vor
dem ein Soldat mit einer Flinte stand, zwei bis drei Standplätze für
Mietskutschen, und endlich gab es noch hie und da einen von jenen langen
Bretterzäunen, mit den bekannten Aufschriften und Zeichnungen, die mit
Kohle oder Kreide hingemalt waren. Sonst war nichts auf diesem einsamen,
oder wie man sich bei uns zu Lande auszudrücken pflegt, _schönen_ Platze
zu sehen. Aus den Fenstern des zweiten oder dritten Stockes guckten ein
paar unbestechliche Häupter der Themispriester heraus, um im selben
Augenblick wieder zu verschwinden: wahrscheinlich weil der Kanzlei-Chef
gerade ins Zimmer trat. Die beiden Freunde _traten_ nicht ein, sondern
liefen eilig die Treppe hinauf, weil Tschitschikow seine Schritte
beschleunigte, da er nicht wollte, daß Manilow ihn mit der Hand
unterstützen solle, dieser aber lief seinerseits wieder voraus, weil er
Tschitschikow nicht müde werden lassen wollte, und so kam es, daß beide
ganz atemlos waren, als sie den dunkelen Korridor betraten. Weder der
Korridor noch die Säle fielen ihnen durch ihre Reinlichkeit besonders
auf. Damals kümmerte man sich noch recht wenig darum, und was einmal
schmutzig war, blieb schmutzig und nahm niemals ein freundlicheres und
angenehmeres Äußeres an. Themis empfing ihre Gäste ganz so wie sie war,
im Negligé und im Schlafrock. Eigentlich sollten wir auch noch die
Kanzleiräume beschreiben, durch die unsere Helden hindurchschritten,
aber der Autor hat eine große Ehrfurcht vor allen Amtsgebäuden. Selbst
wenn er Gelegenheit hatte, sie in der Periode ihres höchsten Glanzes, in
einem gleichsam veredelten und verschönten Zustande kennen zu lernen und
zu durchwandeln, das heißt, wenn die Dielen frisch gewichst und die
Tische neu lackiert waren, lief er eilig, mit demütig gesenktem Blicke
hindurch, daher hat er auch keine Ahnung davon, wie wohl sich dort alles
fühlt und wie dort alles blüht und gedeiht. Unsere Helden sahen
gewaltige Mengen Papier, reines und vollgeschriebenes, über den Tisch
gebeugte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke von kleinstädtischem
Schnitt, oder sogar eine ganz gewöhnliche hellgraue Jacke, die recht
stark von den andern abstach und deren Besitzer den Kopf auf die
Schulter gebeugt, sodaß er fast auf dem Papier lag, mit schwungvollen
Lettern ein Protokoll niederschrieb; wahrscheinlich handelte es von
einem Gut, welches sein friedlicher Besitzer, irgend ein Gutsherr, der
ein Menschenalter lang darum prozessiert und im ruhigen Genuß seines
Eigentums Kinder und Enkel gezeugt, nun verloren hatte, oder das ihm
irgendwo konfisziert worden war. Hie und da hörte man ein paar Worte
oder kurze Sätze, die von einer heiseren Stimme gesprochen wurden:
»Fedossej Iwanowitsch, reichen Sie mir doch die Akten Nr. 368! Immer
werfen Sie den Deckel von dem Tintenfaß weg; er gehört doch dem Staat!«
Dazwischen hörte man eine majestätische Stimme, die ohne Zweifel einem
Kanzleichef angehörte, gebieterisch rufen: »Da, schreib das ab, sonst
laß ich dir die Schuhe ausziehen und dich einsperren, daß du mir sechs
Tage lang nichts zu essen kriegst!« Das Geräusch vom Federgekritzel war
sehr stark und erinnerte an den Lärm, den ein paar Fuhren mit Reisig
verursachen, wenn sie durch einen Wald fahren, dessen Wege einen Fuß
hoch mit dürren Blättern bedeckt sind.

Tschitschikow und Manilow traten an den ersten Tisch, an dem zwei
jüngere Beamten saßen, und fragten diese: »Bitte! Können Sie uns sagen,
wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«

»Was wollen Sie?« sagten die beiden Beamten zugleich, indem sie sich
umwandten.

»Ich habe ein Gesuch einzureichen!«

»Haben Sie etwas gekauft?«

»Ich möchte zuvor wissen, wo die Abteilung für Kaufverträge ist? Hier
oder anderswo?«

»Sagen Sie uns doch, was Sie gekauft haben, und zu welchem Preise, dann
werden wir Ihnen sagen, wohin Sie sich wenden müssen. So geht es doch
nicht!«

Tschitschikow merkte sogleich, daß die Beamten einfach neugierig waren,
wie alle jungen Beamten, und sich und ihrer Stellung mehr Gewicht und
Bedeutung geben wollten.

»Hören Sie, meine verehrten Herren,« sagte er, »ich weiß sehr gut, daß
alle Angelegenheiten, die sich auf Kaufverträge beziehen, in ein und
dasselbe Ressort gehören, ich bitte Sie daher, mir den Ort zu nennen,
wohin ich mich zu wenden habe; wenn Sie nicht wissen, was in diesen
Räumen vorgeht, dann müssen wir uns eben bei jemand anders erkundigen!«
Hierauf antworteten die Beamten gar nicht mehr, der eine zeigte bloß mit
einem Finger auf eine Zimmerecke, wo ein alter Herr saß, der damit
beschäftigt war, Akten zu numerieren. Tschitschikow und Manilow
schritten zwischen den Tischen hindurch gerade auf ihn los. Der Alte war
ganz in seine Tätigkeit versunken.

»Darf ich fragen,« sagte Tschitschikow mit einer Verbeugung, »ob dies
die Abteilung für Kaufverträge ist?«

Der Alte sah auf und sagte gedehnt: »Nein, hier ist keine Abteilung für
Kaufverträge.«

»Wo denn?«

»Die ist in der Kontraktabteilung.«

»Und wo ist die Kontraktabteilung?«

»Bei Iwan Antonowitsch.«

»Und wo ist Iwan Antonowitsch?«

Der Alte zeigte mit dem Finger auf eine andere Zimmerecke, worauf
Tschitschikow und Manilow sich zu Iwan Antonowitsch begaben. Iwan
Antonowitsch hatte schon mit einem Auge nach ihnen hingeschielt und sie
von der Seite angesehen, aber er beugte sich sogleich wieder über sein
Papier und schrieb eifrig weiter.

»Darf ich fragen, ob dies die Abteilung für Kaufverträge ist,« sagte
Tschitschikow mit einer Verbeugung.

Iwan Antonowitsch schien ihn nicht gehört zu haben, denn er war ganz in
seine Akten vertieft und antwortete nichts. Man sah sofort, daß dies ein
Mann von reiferen Jahren war und kein junger Schwätzer und
Springinsfeld. Anscheinend war Iwan Antonowitsch ein hoher Vierziger; er
hatte dichtes, schwarzes Haar, die ganze mittlere Partie seines Gesichts
trat stark hervor und schien sich gewissermaßen in der Nase konzentriert
zu haben; mit einem Wort, es war eins von jenen Gesichtern, die man bei
uns gewöhnlich als »Kannenschnauze« zu bezeichnen pflegt.

»Darf ich fragen, wo hier die Abteilung für Kaufverträge ist?«
wiederholte Tschitschikow.

»Hier,« sagte Iwan Antonowitsch, indem er seinen Rüssel ein wenig empor
hob und sogleich wieder zu schreiben begann.

»Ich komme in folgender Angelegenheit: ich habe bei einigen
Gutsbesitzern dieser Provinz Bauern gekauft, die ich zu
Ansiedlungszwecken benutzen will; ich habe den Kontrakt mitgebracht, er
muß bloß noch unterschrieben werden.«

»Und sind die Verkäufer zugegen?«

»Einige sind da, und von den anderen habe ich Vollmachten.«

»Haben Sie das Gesuch mitgebracht?«

»Jawohl, ich habe es hier! Ich möchte gern ... Ich habe große Eile ...
Könnte ich die Sache nicht schon heute erledigen?«

»Hm! Heute! Nein heute geht es nicht,« sagte Iwan Antonowitsch. »Man muß
noch Erkundigungen einziehen, ob sie nicht verpfändet sind.«

»Übrigens ist Iwan Grigorowitsch, der Präsident, ein guter Freund von
mir; da ließe sich ja etwas zur Beschleunigung der Sache tun.«

»Es handelt sich hier doch nicht bloß um Iwan Grigorowitsch; es sind
doch noch andere da,« sagte Iwan Antonowitsch mürrisch.

Tschitschikow merkte jetzt, wo der Hase im Pfeffer lag und sagte: »Die
anderen sollen schon nicht zu kurz kommen. Ich habe selbst gedient und
kenne den Instanzenweg.«

»Gehen Sie also zu Iwan Grigorowitsch,« sagte Iwan Antonowitsch etwas
besänftigt. »Er mag an passender Stelle seine Order geben. An uns soll
es nicht liegen.«

Tschitschikow nahm einen Schein aus der Tasche und legte ihn vor Iwan
Antonowitsch hin. Dieser nahm gar keine Notiz von ihm und deckte ihn
sofort mit einem Buche zu. Tschitschikow wollte ihn darauf aufmerksam
machen, aber Iwan Antonowitsch gab ihm durch eine Kopfbewegung zu
verstehen, daß er das nicht wünsche!

»Der da wird Euch in die Kanzlei führen!« sagte Iwan Antonowitsch, indem
er mit dem Kopfe nickte. Und einer von den anwesenden Hohenpriestern,
welcher Themis mit solchem Eifer opferte, daß seine beiden Ärmel an den
Ellenbogen geplatzt waren und das Futter aus den Löchern hervorquoll,
wofür er seinerzeit den Rang eines Kollegienregistrators erhalten hatte,
übernahm die Führerrolle bei unseren Freunden, wie einst Vergil bei
Dante, und geleitete sie in die Kanzlei, in der lauter breite Lehnstühle
standen, auf deren einem vor einem Spiegeltisch und zwei dicken Büchern
der Präsident gleich dem Sonnengott thronte. Hier fühlte sich der neue
Vergil von einer solchen Ehrfurcht beseelt, daß er sich durchaus nicht
entschließen konnte, seinen Fuß über die Schwelle zu setzen. Er kehrte
daher um, indem er den Freunden seinen Rücken zuwandte, welcher
abgerieben war wie eine Bastmatte, und an dem eine Hühnerfeder klebte.
Als sie ins Zimmer traten, bemerkten sie, daß der Präsident nicht allein
war, neben ihm saß Sabakewitsch, der ganz von dem Spiegel verdeckt
wurde. Die Ankunft der Gäste entlockte den Anwesenden ein paar freudige
Rufe, und der Präsidentensessel wurde geräuschvoll beiseite geschoben.
Auch Sabakewitsch erhob sich und stand nun mit seinen langen Ärmeln von
allen Seiten sichtbar da. Der Präsident umarmte Tschitschikow, und das
Amtszimmer hallte wieder von den Küssen der Freunde. Man erkundigte sich
gegenseitig nach dem Wohlergehen, und hierbei stellte sich heraus, daß
beide an Hexenschuß litten, was man flugs der sitzenden Lebensweise aufs
Konto setzte. Wie es schien war der Präsident von Sabakewitsch schon
über das Kaufgeschäft unterrichtet; denn er gratulierte Tschitschikow
aufs herzlichste, was unsern Helden zunächst ein wenig in Verlegenheit
setzte, besonders jetzt, wo Sabakewitsch und Manilow, die beiden
Verkäufer, mit denen er doch im geheimen, unter vier Augen verhandelt
hatte, sich nun Aug in Auge gegenüberstanden. Er bedankte sich indessen
beim Präsidenten und sagte dann, indem er sich zu Sabakewitsch wandte:

»Und wie befinden Sie sich?«

»Gott sei Dank, ich kann nicht klagen,« sagte Sabakewitsch, und in der
Tat, er hatte wirklich keinen Grund zur Klage, eher hätte sich ein Stück
Eisen erkälten und den Husten bekommen können, als dieser wunderbar
gebaute Gutsbesitzer.

»Ja, Sie durften sich immer einer guten Gesundheit rühmen,« sagte der
Präsident. »Ihr seliger Herr Vater war auch so stark wie Sie.«

»Ja, der ging auch allein auf die Bärenjagd!« antwortete Sabakewitsch.

»Mir scheint, Sie würden es auch fertig bringen, einen Bären
umzuschmeißen, wenn Sie allein mit ihm in den Kampf gerieten,« meinte
der Präsident.

»Nein, das bringe ich doch nicht fertig,« antwortete Sabakewitsch. »Mein
seliger alter Herr war doch kräftiger als ich,« und er fuhr seufzend
fort: »Nein, heutzutage gibt's keine solchen Menschen mehr. Nehmen Sie
z. B. gleich mein Leben. Was ist das für ein Leben, nur so, so, lala
...«

»Und warum ist Ihr Leben nicht schön?« fragte der Präsident.

»Nein, schön kann man es wirklich nicht nennen,« sagte Sabakewitsch
kopfschüttelnd. »Denken Sie doch selbst, Iwan Grigorjewitsch, ich bin
schon in den Fünfzigern und bin noch nie krank gewesen; wenn ich auch
nur ein einziges Mal Halsschmerzen, ein Geschwür, oder einen Furunkel
gehabt hätte .... Das nimmt sicher kein gutes Ende! Das wird sich noch
einmal rächen ...« Bei diesen Worten wurde Sabakewitsch sehr
melancholisch.

»Daß dich der ...!« dachten fast gleichzeitig Tschitschikow und der
Präsident: »Worüber der nicht zu klagen hat!«

»Ich habe auch einen Brief für Sie,« sagte Tschitschikow, während er
Pljuschkins Schreiben aus der Tasche zog.

»Von wem?« fragte der Präsident. Er nahm den Brief in Empfang,
entsiegelte ihn und rief erstaunt aus: »Von Pljuschkin! Existiert der
auch noch auf dieser Welt? Das ist auch ein Leben! Was war das doch für
ein kluger und wohlhabender Mann! Und nun ...«

»Ein Schweinehund!« sagte Sabakewitsch. »So ein Schuft, der läßt all
seine Leute verhungern!«

»Gern, mit Vergnügen!« rief der Präsident, nachdem er den Brief gelesen
hatte, »ich will ihn gerne vertreten! Wann wünschen Sie den Kauf
abzuschließen? Jetzt gleich oder etwas später?«

»Gleich!« versetzte Tschitschikow: »Ich möchte Sie sogar bitten, dafür
zu sorgen, daß es gleich _heute_ geschieht. Ich möchte nämlich schon
morgen wieder weiterreisen, den Kontrakt und das Gesuch habe ich gleich
mitgebracht!«

»Das ist alles sehr schön und gut, aber Sie werden schon verzeihen: so
früh können wir Sie unmöglich fortlassen. Die Kontrakte sollen noch
heute unterschrieben werden, aber Sie werden sich schon entschließen
müssen, noch ein paar Tage mit uns zu verleben. Ich will sogleich Order
erteilen,« fuhr er fort, indem er die Tür der Kanzlei öffnete, welche
ganz voll von Beamten war, die wie ein Bienenschwarm ihre Zellen
umschwärmten, wenn nur ein Vergleich der Akten mit Bienenzellen zulässig
ist: »Ist Iwan Antonowitsch hier?«

»Ja! Hier!« antwortete eine Stimme aus dem Innern des Zimmers.

»Er soll herkommen!«

Iwan Antonowitsch, die Kannenschnauze, deren Bekanntschaft der Leser
schon gemacht hat, erschien im Amtszimmer und machte eine devote
Verbeugung.

»Bitte, Iwan Antonowitsch, nehmen Sie doch alle diese Kaufverträge und
...«

»Iwan Grigorjewitsch!« fiel hier Sabakewitsch ein, »bitte vergessen Sie
nicht, daß wir auch noch Zeugen brauchen, wenigstens zwei Mann von jeder
Partei. Schicken Sie doch gleich zum Staatsanwalt, er hat nicht viel zu
tun und sitzt sicher zu Hause: Solotucha, der Anwalt, besorgt all seine
Arbeiten; einen größeren Räuber wie den gibt's auf der Welt nicht
wieder! Der Sanitätsinspektor ist auch nicht sehr beschäftigt, und ist
wahrscheinlich auch zu Hause, wenn er nicht bei einem Bekannten sitzt
und Karten spielt; ach, und dann gibt's ja noch eine ganze Reihe von
Leuten, die hier in der Nähe wohnen: Truchatschewski, Bjeguschkin --
lauter Leute, die der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last
fallen!«

»Richtig! Sehr richtig!« sprach der Präsident, und schickte sofort einen
Kanzleibeamten fort, um sie holen zu lassen.

»Ich habe noch eine Bitte,« sagte Tschitschikow: »Schicken Sie doch
bitte noch nach dem Vertrauensmann einer Gutsbesitzerin, mit der ich
auch ein kleines Geschäft abgeschlossen habe -- es ist der Sohn des
Oberpriesters Pater Cyrill; er dient bei Ihnen.«

»Mit Vergnügen, ich will ihn gleich holen lassen!« sprach der Präsident:
»es wird alles besorgt, ich bitte Sie nur eins, geben Sie den Beamten
nichts. Meine Freunde brauchen nicht zu zahlen.« Hierauf gab er Iwan
Antonowitsch noch einen Auftrag, der diesem recht wenig zu gefallen
schien. Die Verträge schienen einen vortrefflichen Eindruck auf den
Präsidenten gemacht zu haben, besonders als er sah, daß die Kaufsumme
nahezu hunderttausend Rubel betrug. Er sah Tschitschikow einige Minuten
lang in die Augen und sagte schließlich: »Sehen Sie wohl, Pawel
Iwanowitsch. Sie haben also eine Akquisition gemacht!«

»Sehr richtig!« antwortete Tschitschikow.

»Daran haben Sie wohl getan. Wahrhaftig! Daran haben Sie sehr wohl
getan!«

»Ja, jetzt sehe ich selbst, daß ich nichts Besseres tun konnte. Mag es
sein, wie es will, der Lebenszweck des Menschen ist noch nicht endgültig
fixiert, solange er nicht festen Fuß auf dauerndem Grunde gefaßt hat,
und noch irgend einem chimärischen Jugendideal der Freidenker nachjagt.«
Bei dieser Gelegenheit verfehlte er nicht ein paar tadelnde Worte über
die jungen Leute und ihren Liberalismus zu sagen, und das von Rechts
wegen. Aber, was sehr merkwürdig war, es lag in seinen Worten noch immer
eine gewisse Unsicherheit, wie wenn er gleich darauf zu sich sagen
wollte: >Ach was? Bester, du schwindelst, und nicht zu knapp!< Ja, er
wagte es nicht einmal, Sabakewitsch und Manilow anzusehen, weil er sich
fürchtete, einem unliebsamen Ausdruck in ihren Gesichtern zu begegnen.
Aber seine Sorge war unnütz; in Sabakewitschs Gesicht regte und rührte
sich nichts, Manilow aber war ganz hingerissen von der schönen Rede,
schüttelte bloß den Kopf vor Vergnügen, und geriet dabei in eine solche
seelische Verzücktheit, wie sie sich wohl eines Musikkenners zu
bemächtigen pflegt, wenn die Sängerin noch die Violine überbietet und
einen so feinen hohen Ton in die Luft schmettert, wie ihn selbst eine
Vogelkehle nicht herauszubringen vermag.

»Warum sagen Sie denn Iwan Grigorjewitsch nicht, was Sie eigentlich
gekauft haben?« bemerkte Sabakewitsch. »Und Sie, Iwan Grigorjewitsch?
Fragen Sie denn garnicht, was für einen Kauf er gemacht hat? Wüßten Sie
nur, was für prächtige Leute das sind! Gold ist nichts dagegen! Ich habe
ihm doch auch den Wagenmacher Michejew verkauft.«

»Wahrhaftig? Nein?« versetzte der Präsident. »Ich kenne den Michejew;
der Mann ist ein Meister in seinem Fach; er hat mir einmal eine Droschke
repariert. Aber erlauben Sie mal ... Wie ist denn das? ... Haben Sie mir
denn nicht gesagt, daß er gestorben ist? ...«

»Wer? Michejew tot?« fragte Sabakewitsch, der auch nicht einen
Augenblick die Fassung verlor. »Sie meinen wohl seinen Bruder, der ist
allerdings tot; dieser hier ist so gesund, wie ein Fisch im Wasser; der
fühlt sich noch wohler als früher. Vor kurzem hat er mir noch eine
solche Kutsche gebaut, wie Sie sie nicht einmal in Moskau bekommen. Der
sollte eigentlich zum Hoflieferanten des Kaisers ernannt werden.«

»Ja, Michejew ist ein Meister,« versetzte der Präsident, »ich wundere
mich eigentlich, daß Sie sich so leicht von ihm trennen konnten.«

»Ja, wenn's nur der eine Michejew wäre! Stepan Probka, der Tischler, der
Ziegelbrenner Miluschkin, der Schuster Maksim Teljatnikow -- sie gehen
alle fort, ich habe sie alle zusammen verkauft.« Und als der Präsident
fragte, warum er sie denn gehen lasse, wenn es doch lauter nützliche
Leute und Handwerker seien, die er in seinem Haushalt brauchen könne,
antwortete Sabakewitsch, indem er eine gleichgültige Handbewegung
machte: »Ich weiß nicht, es ist mir mal so'ne dumme Idee in den Kopf
gekommen! Ich habe mir halt gedacht: ach was, ich verkaufe sie, und hab'
sie dann dummer Weise wirklich verkauft!« Hierauf ließ er den Kopf
hängen, wie wenn es ihn jetzt tatsächlich reute, und er fügte hinzu: »Da
wird man alt und grau und wird doch nicht klüger!«

»Aber erlauben Sie mal, Pawel Iwanowitsch,« sagte der Präsident. »Wozu
kaufen Sie eigentlich Bauern, ohne Land? Brauchen Sie sie etwa zu
Ansiedelungszwecken?«

»Natürlich zu Ansiedelungszwecken!«

»So, das ist freilich was andres. Und wo wollen Sie sie ansiedeln?«

»In dem .... Im Gouvernement Cherson.«

»O, da gibt es ausgezeichneten Boden!« sprach der Präsident, und er
sprach sich sehr lobend über die Höhe und Güte des dortigen Grases aus.

»Und haben Sie auch Land genug?«

»Vollkommen genug -- genau soviel, als ich brauche, um die Bauern
anzusiedeln.«

»Gibt's dort auch einen Fluß oder nur einen Teich?«

»Einen Fluß. Übrigens ist auch ein Teich da.« Bei diesen Worten sah
Tschitschikow im Versehen Sabakewitsch an, und obwohl dieser ebenso
unbeweglich wie vorher in seiner Stellung verharrte, schien es
Tschitschikow doch, als läse er in dessen Gesichte die Worte: »Du
schwindelt, mein Lieber! Ich bezweifle sehr, daß dieser Teich und Fluß
und das ganze Land überhaupt existieren.«

Während die Unterhaltung noch ihren Fortgang nahm, erschienen allmählich
die Zeugen: der Staatsanwalt, den der Leser schon kennt und der ewig mit
dem linken Augenlide zuckte, der Inspektor der Sanitätskommission,
ferner die Herren Truchatschewski, Bjeguschkin und die andern, die nach
Sabakewitschs Worten der Erde durch ihren Müßigang zur Last fallen.
Viele von ihnen kannte Tschitschikow noch garnicht; die fehlenden Zeugen
wurden durch einige diensthabende Beamte ersetzt. Man hatte nicht nur
den _Sohn_ des Oberpriesters, Pater Cyrill, sondern auch den
Oberpriester selbst herangeholt. Jeder von den Zeugen setzte seine
Unterschrift mit Aufführung all seiner Titel und Würden unter das
Dokument, der eine in runder, der andre in schräger Schrift; bei einem
dritten schienen sozusagen die Buchstaben auf dem Kopf zu spazieren,
oder es liefen solche Lettern mit unter, wie sie im russischen Alphabet
garnicht einmal vorkommen. Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und
sicher, die Kontrakte wurden notifiziert, mit dem Datum versehen, und in
die Bücher und wohin sich's sonst noch gehört, eingetragen, nachdem die
ein halbes Prozent betragenden Gebühren und Spesen für die Ankündigung
im Amtsblatt erhoben worden waren, sodaß Tschitschikow nur eine
Kleinigkeit zu bezahlen brauchte. Ja, der Präsident gab sogar Order ihm
nur die Hälfte von den Gebühren anzurechnen, während die andre Hälfte
einem andern Kontrahenten auf die Rechnung gestellt wurde. Wie man das
fertig brachte, weiß der liebe Himmel.

»Und nun,« sagte der Präsident, nachdem alles glücklich erledigt war,
»hätten wir das Geschäft nur noch zu begießen.«

»Mit Vergnügen,« sagte Tschitschikow. »Ich überlasse es Ihnen, die Zeit
zu bestimmen. Es wäre eine Sünde, wenn ich meinerseits mich weigern
wollte, in so angenehmer Gesellschaft ein paar Flaschen Sekt springen zu
lassen.«

»Nein, das fassen Sie falsch auf: den Sekt stellen wir selbst,« sagte
der Präsident; »das ist nur unsere Pflicht und Schuldigkeit. Sie sind
unser Gast: also laden wir Sie ein. Wissen Sie was meine Herren? Gehen
wir doch einstweilen mal zum Polizeimeister: das ist ein richtiger
Zauberkünstler; wenn der am Fischmarkt oder an einer Weinhandlung
vorübergeht, braucht er nur zu winken, und es steht gleich ein
glänzendes Frühstück da, zu dem man sich gratulieren kann. Bei dieser
Gelegenheit können wir auch eine Partie Whist machen.«

Ein solch vernünftiges Anerbieten konnte niemand ausschlagen. Den Zeugen
lief schon bei der bloßen Erwähnung des Fischmarktes das Wasser im Munde
zusammen; alles griff sofort zu Hut oder Mütze, und die Sitzung war zu
Ende. Als man durch die Kanzlei schritt, sagte Iwan Antonowitsch -- die
Kannenschnauze -- mit einer höflichen Verbeugung zu Tschitschikow: »Sie
haben für hunderttausend Rubel Bauern gekauft, und ich habe nur
fünfundzwanzig für meine Mühe bekommen.«

»Ja, was sind denn das für Bauern,« flüsterte ihm Tschitschikow leise
zu: »lauter schlechtes nichtsnutziges Volk, die sind noch nicht die
Hälfte wert.« Iwan Antonowitsch begriff, daß er einem Mann von festem
Charakter gegenüberstand, von dem er nicht mehr herausbekommen würde.

»Wieviel hat Ihnen Pljuschkin für die Seele abgenommen?« flüsterte ihm
Sabakewitsch ins andere Ohr.

»Und warum haben Sie den Sperling eingeschmuggelt?« antwortete ihm
Tschitschikow.

»Welchen Sperling?« fragte Sabakewitsch.

»Na das Weibsbild, die Elisabetha Sperling. Sie haben ja noch us statt a
geschrieben.«

»Von diesem Sperling weiß ich nichts,« sagte Sabakewitsch und mischte
sich unter die anderen Gäste.

Die Gäste begaben sich schließlich _in corpore_ nach dem Hause des
Polizeimeisters. Der Polizeimeister war tatsächlich ein Zauberkünstler;
kaum hatte er gehört, worum es sich handelte, als er schon einen
Polizeikommissar, einen schneidigen Kerl in hohen Lackstiefeln, zu sich
heranrief und ihm, wie es schien, kaum mehr als zwei Worte ins Ohr
flüsterte; dann fragte er ihn nur noch kurz: »Hast du verstanden?«, und
schon erschienen im andern Zimmer, während die Gäste noch ihren Whist
droschen, die herrlichsten Dinge auf dem Tische: Störe, Hausen,
geräucherter Lachs, frischer und gepreßter Kaviar, Hering, Wels,
allerhand Käsesorten, geräucherte Zunge -- dies wenigstens war das Menu,
soweit es den Fischmarkt betraf. Dazu kamen noch einige Zugaben, die aus
dem eigenen Haushalt und der eigenen Küche stammten: eine Fischpastete,
die mit dem Knorpel und den Kiemen eines neun Pud schweren Störs gefüllt
war, eine Pastete mit Pfifferlingen, Pastetchen aus Butterteig,
Splittertörtchen usw. Der Polizeimeister war in gewissem Sinne der Vater
und der Wohltäter der Stadt. Er benahm sich im Kreise der Bürger ganz
wie im eigenen Familienkreise, und in den Läden oder auf dem Tuchmarkt
wußte er Bescheid wie in seiner eigenen Speisekammer. Er war überhaupt,
wie man zu sagen pflegt, ganz an seinem Platz und hatte seinen Beruf aus
dem ff heraus. Es wäre sicherlich schwer zu entscheiden gewesen, ob _er_
für sein _Amt_ oder sein _Amt_ für _ihn_ geschaffen war. Er wußte seinen
Posten so gut auszufüllen, daß seine Einnahmen sich beinahe auf das
Doppelte von dem beliefen, was seine Vorgänger erhalten hatten, und doch
war er in der ganzen Stadt allgemein beliebt. Die Kaufleute schätzten
ihn am meisten, ganz besonders weil er gar nicht stolz war; und in der
Tat, er hob ihre Kinder aus der Taufe, stand mit ihnen Gevatter, und
obwohl er sie tüchtig bluten ließ, machte er doch auch dies mit einer
ganz besonderen Geschicklichkeit: entweder klopfte er ihnen freundlich
auf die Schulter und lächelte ihnen zu, oder er lud sie zum Tee ein,
ließ sich zu einer Partie Dame auffordern und fragte sie nach allem aus:
wie die Geschäfte gehen und wie es sonst stände; wenn er erfuhr, daß
eins der Kinder krank sei, dann wußte er gleich Rat und verschrieb ihm
die richtige Arzenei; mit einem Wort, er war ein ganz famoser Kerl. Kam
er in seinem Wagen daher gefahren, um überall für Ordnung zu sorgen,
dann hatte er immer für den einen oder andern das rechte Wort bereit:
»Nun Michej, sollen wir nicht einmal unser Spielchen zu Ende spielen.«
-- »Freilich, Alexei Iwanowitsch,« antwortet dieser und zieht die Mütze,
»freilich sollten wir!« »Hör doch, Ilja Paramonowitsch, komm doch mal zu
mir und sieh dir mein Rennpferd an; das läuft noch schneller als das
deine; laß es doch auch mal vor den Rennschlitten spannen, und dann
wollen wir sehen!« Der Kaufmann, der ein passionierter Pferdefreund war,
lächelte hierbei ganz besonders zufrieden, strich sich den Bart und
sagte: »Gut, wir wollen sehen! Alexei Antonowitsch!« Selbst die
Ladendiener nahmen hierbei ihre Mützen ab und sahen sich vergnügt an,
wie wenn sie sagen wollten: »Alexei Antonowitsch ist doch ein prächtiger
Mensch!« Mit einem Wort, er war sehr populär, und die Kaufleute hatten
eine sehr hohe Meinung von ihm und sagten: »Alexei Antonowitsch nimmt
zwar ein bissel viel, dafür hält er aber auch sein Wort.«

Als der Polizeimeister sich überzeugte, daß das Frühstück fertig sei,
forderte er seine Gäste auf, den Whist nach Tisch fortzusetzen, und alle
begaben sich in das Zimmer, von dem aus sich schon lange ein angenehmer
Geruch bis in die Nebengemächer verbreitete. Dieser Geruch hatte die
Nasen unserer Gäste schon längst in angenehmer Weise gekitzelt, und
Sabakewitsch schielte fortwährend durch die Türe nach dem Tisch, da er
bereits von dem Stör Notiz genommen hatte, der etwas abseits auf einem
großen Teller lag. Nachdem die Gäste erst einen Likör von jener
dunkelgrünen Olivenfarbe gekostet hatten, wie man sie nur an den
durchsichtigen sibirischen Steinen beobachtet, aus denen bei uns in
Rußland Petschaften gemacht werden, trat man von allen Seiten mit Gabeln
bewaffnet an den Tisch. Hierbei zeigten sich, wie man zu sagen pflegt,
der Charakter und die Neigungen eines jeden in ihrem wahren Lichte,
indem der eine sich an den Kaviar, ein anderer an den Lachs, ein dritter
an den Käse heranmachte. Sabakewitsch würdigte indessen all diese
Kleinigkeiten keines Blickes und richtete sich in nächster Nachbarschaft
vom Stör ein; während jene aßen, tranken und sich unterhielten,
verleibte er ihn sich in einer kurzen Viertelstunde völlig ein, und als
der Polizeimeister sich an den Fisch erinnerte und mit den Worten: »Und
was denken Sie von diesem Naturprodukt, meine Herren!« zugleich die
andern aufforderte, ihm zu folgen und mit der Gabel in der Hand vor den
Stör hintrat, da merkte er, daß von dem Naturprodukt nur noch der
Schwanz übrig geblieben war; Sabakewitsch aber tat so, als ob ihn die
Sache garnichts anginge, trat vor einen Teller, der etwas abseits von
den andern stand, und stocherte mit der Gabel auf einem kleinen
getrockneten Fischchen herum. Nachdem er den Stör verarbeitet hatte,
ließ sich Sabakewitsch in einen Lehnstuhl sinken und aß und trank von da
ab nichts mehr, sondern blinzelte nur noch mit den Augen. Der
Polizeimeister liebte, wie es schien, nicht mit dem Wein zu sparen. Der
erste Toast wurde, wie die Leser vielleicht selbst erraten werden, auf
das Wohl des neuen Gutsbesitzers von Cherson ausgebracht. Der zweite
galt dem Wohlergehen seiner Bauern und ihrer glücklichen Ansiedlung.
Dann trank man auf die Gesundheit seiner künftigen reizenden Ehehälfte,
was unserm Helden ein freundliches Lächeln entlockte. Dann drängten sich
alle um ihn und suchten ihn zu überreden, daß er doch noch wenigstens
zwei Wochen in der Stadt bleiben möge. »Nein, Pawel Iwanowitsch! Das
hieße ja die Wohnung kalt werden lassen: über die Schwelle und gleich
wieder fort! Nein, bleiben Sie doch noch eine Zeitlang bei uns! Kommen
Sie, wir wollen Sie verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir
verschaffen ihm eine Frau?«

»Ja, ja, eine Frau!« fiel der Präsident ein, »sträuben Sie sich mit
Händen und Füßen, soviel Sie wollen, Sie werden doch verheiratet! Nichts
da, mein Bester! Mitgefangen, mitgehangen! Da dürfen Sie sich nicht
beklagen, wir lieben nicht zu spaßen!«

»Warum nicht, wozu sollte ich mich mit Händen und Füßen dagegen stemmen?
Die Heirat ist doch nicht solch eine Sache, daß man darüber gleich ...
Wenn nur eine Braut da wäre.«

»Die Braut wird sich schon finden! Wie sollte sie nicht? Es wird sich
alles finden, alles was Sie nur wollen.«

»Nun, unter diesen Umständen ...«

»Bravo, er bleibt!« schrieen alle: »Vivat Hurrah! Pawel Iwanowitsch,
Hurrah!« Und alle traten mit den Gläsern in der Hand auf Tschitschikow
zu, um mit ihm anzustoßen. Tschitschikow stieß mit allen an.

»Nein, noch einmal!« sagten die Tollsten, und die Gläser mußten noch
einmal erklingen; ja sie wollten noch zum dritten Mal anstoßen, und so
machte man es denn zum dritten Male. In kurzer Zeit wurden alle
außerordentlich lustig. Der Präsident, welcher in angeheitertem Zustande
ein äußerst lieber Mensch war, schloß Tschitschikow mehrmals in seine
Arme und stammelte im Übermaß seines Gefühles: »Mein liebes Herz, mein
liebes Mamachen!« Ja, er knipste sogar mit den Fingern und begann um
Tschitschikow herumzutanzen, wobei er das bekannte Volkslied anstimmte:
»Ach du Hundesohn! du Bauer aus Komarinsk.« Nach dem Sekt ging man zu
den Ungarweinen über, welche die Stimmung noch mehr hoben und noch mehr
zur Erheiterung der Gesellschaft beitrugen. Der Whist war ganz und gar
vergessen: man schrie, man zankte, man unterhielt sich über alle
möglichen und unmöglichen Dinge -- über Politik, ja sogar über
militärische Fragen, man führte freie Reden, für die ein jeder unter
gewöhnlichen Umständen seine eigenen Kinder durchgeprügelt hätte. Bei
dieser Gelegenheit wurde eine ganze Reihe höchst schwieriger Probleme
zur Lösung gebracht. Tschitschikow hatte sich noch nie so froh und
heiter gefühlt, er kam sich tatsächlich schon als Chersonscher
Gutsbesitzer vor, sprach von allerhand wirtschaftlichen Neuerungen und
Verbesserungen, von dem Dreifeldersystem, von dem Glück und der
Seligkeit zweier Seelen und deklamierte Sabakewitsch sogar eine gereimte
Epistel von Werther an Charlotte vor, wozu jener nur mit den Augen
blinzelte, denn er saß in seinem Lehnstuhl und fühlte nach dem Stör eine
starke Neigung zum Schlafen. Tschitschikow sah bald selbst ein, daß er
sich vielleicht zu sehr habe gehen lassen, er erkundigte sich, ob er
nicht einen Wagen bekommen könne und benutzte schließlich die Equipage
des Staatsanwalts, um nach Hause zu fahren. Der Kutscher war, wie es
sich unterwegs herausstellte, ein gewiegter Wagenlenker, denn er hielt
die Zügel in der einen Hand, während er die andere zurückstreckte, um
den bedenklich hin und her schwankenden Tschitschikow festzuhalten. So
langte dieser im Wagen des Staatsanwalts im Gasthof an, wo er noch lange
Zeit allerhand tolles Zeug schwatzte: von einer blonden Braut mit roten
Backen und einem Grübchen auf der rechten Wange, von Chersonschen
Gütern, Kapitalien und dergleichen mehr. Seliphan erhielt sogar
verschiedene Aufträge, die sich auf die Gutsverwaltung bezogen: so
sollte er zum Beispiel alle neu angesiedelten Bauern herbeiholen und
jeden einzeln aufrufen. Seliphan hörte lange schweigend zu und verließ
dann das Zimmer, nachdem er zu Petruschka gesagt hatte: »Geh, kleide den
Herrn aus!« Petruschka versuchte es zunächst, Tschitschikow die Stiefel
auszuziehen, wobei er ihn beinahe selbst vom Bette heruntergezogen
hätte. Schließlich war er damit fertig, der Herr entkleidete sich, wie
es sich gehört, wälzte sich noch ein paar Minuten im Bette herum,
welches gewaltig krachte und ächzte, und schlief tatsächlich als
Chersonscher Gutsbesitzer ein. Unterdessen trug Petruschka die Hosen und
den preißelbeerfarbenen Frack mit den Sternchen ins Vorzimmer hinaus,
hängte sie über den hölzernen Kleiderhalter und bearbeitete sie so
kräftig mit dem Ausklopfer und der Kleiderbürste, daß der ganze Korridor
in eine Staubwolke gehüllt zu sein schien. Als er die Kleider oben
herunternehmen wollte, erblickte er Seliphan von der Gallerie aus, der
soeben aus dem Stall zurückkehrte. Ihre Augen begegneten sich, und sie
verstanden sich sofort wie durch einen gewissen Instinkt: der Herr
schlief, warum sollte man da nicht einem bekannten Lokal einen kleinen
Besuch abstatten? Petruschka trug also Frack und Hosen schnell wieder
ins Zimmer, lief die Treppe hinunter, und beide machten sich, ohne ein
Wort über ihr eigentliches Reiseziel zu verlieren, unter ganz
gleichgültigen Gesprächen auf den Weg. Ihr Spaziergang nahm nicht
allzuviel Zeit in Anspruch, sie gingen bloß über die Straße, bewegten
sich auf ein Haus zu, das dem Gasthof gerade gegenüberlag, und traten
durch eine niedrige rauchgeschwärzte Glastür, die in eine Art Kellerraum
führte, in das Lokal, wo schon eine ganze Gesellschaft von allerhand
Leuten ihrer wartete: da gab's Rasierte und Unrasierte, Männer mit
Pelzen und ohne solche, im bloßen Hemd und hie und da auch einen in
einem Mantel. Wie Petruschka und Seliphan hier ihre Zeit verbrachten, --
weiß nur der liebe Gott; genug sie kamen nach einer Stunde Arm in Arm
und stumm wieder heraus, wobei sie sehr besorgt umeinander zu sein
schienen und sich gegenseitig auf jede Straßenecke aufmerksam machten.
Dann stiegen sie wohl eine Viertelstunde lang Arm in Arm und ohne
einander auch nur einen Augenblick loszulassen, die Treppe hinauf, bis
auch dies Hindernis genommen war und sie oben anlangten. Petruschka
blieb einen Moment vor seinem niedrigen Bette stehen, still erwägend,
wie er sich wohl am besten darin plazieren könnte, dann legte er sich
quer darüber, sodaß seine Füße den Fußboden berührten. Seliphan stieg in
dasselbe Bett, indem er seinen Kopf auf Petruschkas Bauch legte; er
hatte ganz vergessen, daß dies ja nicht seine eigentliche Schlafstätte,
und daß sein Platz irgendwo in der Bedientenstube oder im Stall bei den
Pferden war. Beide schliefen sofort ein, indem sie ein Schnarchduett von
gewaltiger Kraft und Stärke anstimmten, dem ihr Herr mit seinem feinen
Zephyrsäuseln durch die Nase sekundierte. Bald darauf wurde es auch im
ganzen Gasthofe still, und ein tiefer Schlaf bemächtigte sich aller
Bewohner; nur in einem Fenster schimmerte noch ein schwacher
Lichtschein; dort wohnte ein angereister Leutnant aus Rjasan, der eine
große Leidenschaft für Stiefel zu haben schien, denn er hatte sich
bereits vier Paar Schuhe bestellt, und ließ sich nun schon das fünfte
Paar anmessen. Wiederholt trat er ans Bett, um sich die Stiefel
auszuziehen und sich niederzulegen, aber er konnte sich nicht dazu
entschließen: die Stiefel saßen wirklich vorzüglich und immer wieder hob
er den Fuß in die Höhe und betrachtete wohlgefällig den schneidigen,
wunderbar geformten Absatz.


                             Achtes Kapitel

Tschitschikows Einkäufe waren bereits der Gegenstand des Stadtgespräches
geworden. Man stritt, man unterhielt sich und debattierte darüber, ob es
vorteilhaft sei, Bauern zu Ansiedelungszwecken anzukaufen. Viele von
diesen Debatten zeichneten sich durch Gründlichkeit und Sachlichkeit
aus: »Natürlich ist das so,« sagten die einen, »das läßt sich nicht
bestreiten, der Boden ist in den südlichen Gouvernements wirklich gut
und sehr fruchtbar; aber was werden Tschitschikows Bauern ohne Wasser
anfangen? da gibt's doch gar keine Flüsse.« -- »Das wäre noch nicht
schlimm, daß es kein Wasser gibt, das macht noch nichts, Stepan
Dimitrwejewitsch; aber die Kolonisation ist eine sehr riskante Sache.
Man weiß ja, wie so'n Bauer ist: da wird er auf eine ganz jungfräuliche
Scholle verpflanzt, und soll nun Ackerbau treiben -- und dabei ist
nichts da -- weder Haus noch Hof -- ich sag Ihnen, der läuft davon, das
ist so sicher wie zwei mal zwei vier, schnallt sich seine Schuhe an,
macht daß er fortkommt, dann können Sie lange suchen, bis Sie ihn
finden!« -- »Nein, erlauben Sie mal, Alexei Iwanowitsch, ich bin
durchaus nicht Ihrer Ansicht, wenn Sie sagen, die Bauern werden dem
Tschitschikow davonlaufen. Ein rechter Russe ist zu allem fähig und
gewöhnt sich an jedes Klima. Geben Sie ihm nur ein Paar warme
Handschuhe, dann können Sie ihn schicken, wohin Sie wollen, meinetwegen
bis nach Kamtschatka, der läuft ein bißchen herum, bis er warm ist,
nimmt die Axt und baut sich eine neue Hütte.« »Aber lieber Iwan
Grigorjewitsch, du hast eins ganz vergessen: du hast garnicht
berücksichtigt, was das für Leute sind, die Tschitschikow da gekauft
hat. Du vergißt ganz, daß ein Gutsbesitzer doch einen tüchtigen Kerl
nicht so leicht ziehen läßt, ich möchte meinen Kopf dafür geben, daß das
lauter Säufer, Trunkenbolde und wilde arbeitsscheue Leute sind.« --
»Schon gut, das gebe ich zu, das ist freilich richtig, daß niemand einen
tüchtigen Kerl verkaufen wird, und daß Tschitschikows Leute
wahrscheinlich größtenteils Trinker sind, aber man muß doch beachten,
daß ja gerade dies die Moral von der Geschichte ist: jetzt sind es
vielleicht lauter Taugenichtse, wenn man sie aber ansiedelt, können
plötzlich brave und tüchtige Untertanen daraus werden. Das ist doch
nicht der erste Präzedenzfall in der Welt und in der Geschichte.« »Nie
-- niemals,« versetzte der Verwalter der Staatsfabriken: »glauben Sie
mir, das kann niemals passieren, denn gegen Tschitschikows Bauern werden
sich jetzt zwei mächtige Feinde erheben. Der eine Feind -- das ist die
Nähe der kleinrussischen Gouvernements, wo, wie bekannt, der
Branntweinverkauf frei ist. Ich versichere Ihnen, in zwei Wochen werden
sie dem Suff verfallen und Faullenzer und Tagediebe sein. Der zweite
Feind -- das ist die Gewohnheit und der Hang zum Vagabundenleben, den
sich die Bauern durch die Übersiedelung erwerben werden. Es müßte denn
sein, daß Tschitschikow sie beständig im Auge behält und beaufsichtigt,
er müßte sie sehr streng behandeln, für jede Kleinigkeit hart bestrafen
und sich dabei nicht etwa auf einen anderen verlassen, sondern selbst
überall, wo es nötig ist, Püffe und Maulschellen austeilen.« -- »Wozu
soll Tschitschikow denn die Püffe selbst austeilen? Dazu kann er sich
doch einen Verwalter nehmen.« -- »Ja finden Sie gefälligst einen guten
Verwalter? Das sind lauter Gauner und Halunken!« -- »Sie sind nur darum
Gauner, weil die Besitzer es eben nicht richtig anzustellen wissen.« --
»Das ist richtig,« fielen hier viele ein. -- »Wenn der Gutsherr nun
selbst etwas von der Landwirtschaft versteht, und seine Leute kennt --
dann wird er immer einen tüchtigen Verwalter finden.« Aber der Direktor
der Staatsfabriken wandte ein, für weniger als 5000 Rubel könne man
keinen guten Verwalter finden. Dagegen bemerkte der Präsident, man könne
auch schon für 3000 einen haben, worauf der Direktor erklärte: »Wo
wollen Sie ihn denn hernehmen? Sie können ihn sich doch nicht aus der
Nase ziehen?« worauf der Präsident versetzte: »Aus der Nase freilich
nicht, nein, aber hier, im hiesigen Kreise, da gibt es einen, nämlich
Peter Petrowitsch Samoilow: das ist der rechte Mann, wie ihn
Tschitschikow für seine Bauern braucht!« Viele versuchten sich in
Tschitschikows Lage zu versetzen, und die große Schwierigkeit, eine
solche Menge von Bauern in einem fremden Lande anzusiedeln, erfüllte sie
mit Angst und Besorgnis; jemand äußerte sogar die Befürchtung, es könne
noch ein Aufruhr unter diesen unruhigen Elementen, wie die Bauern
Tschitschikows es wären, ausbrechen. Darauf bemerkte der Polizeimeister,
einen Aufruhr brauche man nicht zu befürchten; um dies zu verhindern,
gebe es ja Gottlob eine Macht: nämlich den Kreisrichter; der
Kreisrichter brauche sich nicht einmal selbst an Ort und Stelle zu
begeben, sondern nur seinen Hut hinzusenden, dieser Hut würde schon
genügen, um die Bauern zur Raison zu bringen, sodaß sie sich zerstreuen
und ruhig nach Hause gehen würden. Viele äußerten ihre Ansichten und
machten Vorschläge, wie der aufrührerische Geist niederzuhalten sei, der
Tschitschikows Bauern ergriffen habe. Die Meinungen darüber gingen recht
weit auseinander. Es gab solche, die sich gar zu sehr durch eine gewisse
militärische Strenge und überflüssige Grausamkeit auszeichneten, und
dann wieder andere, welche eine gewisse Milde ausströmten. Der
Postmeister machte die Bemerkung, Tschitschikow sehe sich jetzt einer
heiligen Pflicht gegenüber; er könne gewissermaßen der Vater seiner
Bauern werden, und, wie er sich auszudrücken beliebte, eine wohltuende
Aufklärung unter ihnen verbreiten. Bei dieser Gelegenheit unterließ er
es nicht, sich höchst lobend über die Lancastersche Methode des
gegenseitigen Unterrichts zu äußern.

So redete und disputierte man in der Stadt, und viele teilten
Tschitschikow aus persönlichem Interesse ihre Ansicht mit, gaben ihm
gute Ratschläge und boten ihm sogar eine Eskorte an, um die Bauern auch
sicher an ihren Bestimmungsort zu transportieren. Für die Ratschläge
dankte Tschitschikow höflichst, indem er versprach, sie bei Gelegenheit
zu verwerten, dagegen verzichtete er sehr entschieden auf die Eskorte
und erklärte, sie sei vollständig überflüssig; die von ihm gekauften
Bauern hätten einen ganz besonders friedfertigen Charakter. Sie würden
den Umzug bereitwilligst mitmachen und begrüßten ihn sogar freudig. Von
einem Aufruhr könne überhaupt nicht die Rede sein.

All diese Gespräche und Unterhaltungen hatten indessen für Tschitschikow
die allergünstigsten Folgen, die er für sich nur erhoffen konnte. Es
verbreitete sich nämlich das Gerücht, er sei nicht mehr und nicht
weniger als ein Millionär. Die Stadtbewohner hatten, wie wir schon im
ersten Kapitel gesehen haben, Tschitschikow auch ohnedies in ihr Herz
geschlossen. Nach diesen Gerüchten aber gewannen sie ihn noch weit
lieber. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen: es waren lauter brave,
gutmütige Leute, die sich gut miteinander vertrugen, auf
freundschaftlichem Fuße miteinander lebten, und ihre Unterhaltungen
trugen den Stempel ganz besonderer Treuherzigkeit und Milde: »Lieber
Freund, Ilja Iljitsch!« »Hör mal, Antipater Zararowitsch, mein Bester!«
»Du schwindelst, Mütterchen, Iwan Grigorowitsch!« Zum Postmeister, der
Iwan Andrejewitsch hieß, pflegte man gewöhnlich zu sagen: »Sprechen Sie
deutsch, Iwan Andreitsch?«

Mit einem Wort, es ging dort sehr familiär zu. Viele waren nicht ganz
ohne Bildung: der Gerichtspräsident kannte sogar die »Ludmilla« von
Shukowski auswendig, welche damals noch den vollen Reiz der Neuheit
hatte, und er trug manche Stellen daraus geradezu meisterhaft vor, so
zum Beispiel den Vers: »Es schläft der Wald, die Täler schlummern«, ganz
besonders schön aber klang das Wort »hu« in seinem Munde, sodaß man
tatsächlich zu sehen glaubte, wie die Täler schlummerten; um die
Ähnlichkeit noch vollkommener zu machen, kniff er bei dieser Gelegenheit
auch noch die Augen zusammen. Der Postmeister neigte mehr der
Philosophie zu und las ganze Nächte hindurch sehr fleißig in Youngs
»Nächten«, sowie im »Schlüssel zu den Geheimnissen der Natur« von
Eckartshausen, aus dem er sich lange Exzerpte machte; worauf sie sich
bezogen, konnte freilich niemand mit Bestimmtheit angeben. Übrigens war
er ein großer Witzbold, er hatte eine überaus blühende Sprache und
liebte es, wie er sich selbst ausdrückte, seine Rede »auszuschmücken«.
Und zwar schmückte er seine Reden mit einer Menge von Flickworten aus,
als da sind: »Lieber Herr, so und so, wissen Sie, verstehen Sie, können
Sie sich vorstellen, gewissermaßen, sozusagen« und andre mehr, mit denen
er nur so um sich warf; ferner schmückte er seine Reden noch recht
geschickt durch ein verständnisinniges Augenblinzeln aus, oder indem er
das eine Auge ganz zukniff, womit er vielen von seinen satirischen
Anspielungen einen recht boshaften Ausdruck lieh. Auch die übrigen
Herren waren meist recht gebildete und aufgeklärte Leute: der eine las
Karamsin, der andre die »Moskauer Nachrichten« und ein dritter las sogar
überhaupt _nichts_. Der eine war was man eine Schlafmütze zu nennen
pflegt, d. h. ein Mensch, dem man immer erst einen kräftigen Rippenstoß
geben muß, wenn man ihn zu etwas bewegen will, ein anderer war ganz
einfach ein Faulpelz, der sein ganzes Leben lang auf der Bärenhaut lag
und bei dem jeder Versuch vergeblich gewesen wäre, ihn überhaupt
aufzurütteln, da er ja doch nicht aufgestanden wäre. Was ihr Äußeres
anbelangt, so waren sie natürlich alle hübsche, stattliche,
vertraueneinflößende Leute -- einen Schwindsüchtigen gab es unter ihnen
nicht. Sie gehörten alle zu jener Menschengattung, welcher die Frauen in
zärtlichen Schäferstündchen unter vier Augen Namen wie die folgenden zu
geben pflegen: mein Dickerchen, mein lieber Dickwanst, mein
Schnudelchen, mein Tönnchen, mein Moppelchen usw. Aber im allgemeinen
war es ein guter Menschenschlag, liebe, freigiebige Leute, und ein
Mensch, der ihre Gastfreundschaft genossen oder einen Abend mit ihnen am
Whisttisch verbracht hatte, kam ihnen sehr schnell nahe und wurde
gewissermaßen einer der ihren. -- Dies traf aber noch mehr auf
Tschitschikow mit seinem bezaubernden Wesen zu, denn er kannte wirklich
das Geheimnis, sich beliebt zu machen. Sie schlossen ihn so in ihr Herz,
daß er garnicht wußte, wie er aus der Stadt herauskommen sollte; er
hörte immer nur: »Ach nur noch eine Woche; bleiben Sie doch noch eine
einzige Woche bei uns, Pawel Iwanowitsch« -- mit einem Worte, er wurde
geradezu auf Händen getragen, wie man zu sagen pflegt. Aber
unvergleichlich viel stärker und bedeutender, ja höchst erstaunlich und
wunderbar war der Eindruck, den Tschitschikow auf die Damen machte. Um
das einigermaßen verständlich zu machen, müßten wir eigentlich
mancherlei über die Damen selbst sagen, über ihre Gesellschaften usw.,
müßten sozusagen ihre seelischen Eigenschaften mit lebendigen
leuchtenden Farben ausmalen: aber das wird dem Autor sehr schwer.
Einerseits hält ihn seine unbegrenzte Achtung und Ehrfurcht vor den
Gattinnen der hohen Beamten davon ab, und andererseits ... ja
andererseits ... ist es eben einfach sehr schwierig. Die Damen der Stadt
N. waren ... nein es geht unmöglich: tatsächlich, ich habe Angst. -- Was
an den Damen der Stadt N. am bemerkenswertesten war ... Nein, es ist zu
seltsam, die Feder will nicht vom Fleck, wie wenn sie ein Bleiklumpen
wäre. Also gut: ich werde es wohl schon einem andern überlassen müssen,
der eine reichere Auswahl von hellen und leuchtenden Farben auf seiner
Palette hat, als ich, ihren Charakter zu schildern; wir werden uns
darauf beschränken müssen, zwei, drei Worte über ihr Äußeres und das,
was gewissermaßen mehr an der Oberfläche liegt, zu sagen. Die Damen der
Stadt N. waren das, was man präsentabel nennt, und in dieser Beziehung
dürften alle Frauen sie sich zum Muster nehmen. Was korrektes Benehmen,
was guten Ton, Etikette und jene feinsten und zartesten Gebote des
Anstands anbelangt, vor allem was die Beobachtung der Mode in ihren
letzten Einzelheiten anbetrifft, so waren sie hierin selbst den
Petersburger und Moskauer Damen um eine Ellenlänge voraus. Sie kleideten
sich mit großem Geschmack, fuhren in schönen Equipagen durch die Stadt:
wie die letzte Mode dies vorschrieb, begleitet von einem Lakai mit
goldenen Tressen, der auf dem Trittbrett hin- und herschwankte. Eine
Visitenkarte war, selbst wenn der Name auf einer Treff-Zwei oder einem
Karo-Aß stand, eine heilige Sache. Zwei Damen, die vordem große
Freundinnen und Basen gewesen waren, kamen wegen solch einer
Visitenkarte ganz auseinander -- eine von ihnen hatte es nämlich
unterlassen, der anderen einen Gegenbesuch abzustatten. Und so sehr sich
ihre Männer und Verwandten nachher bemühten, sie wieder zu versöhnen, es
war vergebens -- es stellte sich vielmehr heraus, daß alles auf der Welt
möglich ist, nur dies eine nicht: zwei Damen zu versöhnen, die sich
wegen eines unterlassenen Gegenbesuches verfeindet haben. Die Damen
verharrten also in »gegenseitiger Abneigung«, wie sich die Gesellschaft
der Stadt ausdrückte. Wegen der Frage, wem der Vorrang gebühre, gab es
auch eine Menge äußerst erregter Auftritte, welche in den Herren oftmals
höchst erhabene und ritterliche Vorstellungen von ihrer Beschützerrolle
entstehen ließen. Zu einem Duell kam es unter ihnen natürlich nicht,
weil sie alle Zivilbeamte waren; dafür aber suchten sie einander etwas
am Zeuge zu flicken, wo sie nur konnten, was bekanntlich unter Umständen
weit schwieriger ist als ein Duell. In ihren Sitten waren die Damen der
Stadt N. sehr streng und voll edler Entrüstung gegen alle Laster und
Versuchungen, sie verurteilten unbarmherzig jede Schwäche, wo sie nur
eine solche wahrnahmen. Und wenn in ihrem Kreise selbst etwas vorkam,
was man das eine oder andere nennt, so spielte es sich stets ganz im
Geheimen ab, und niemand ließ sich merken, was eigentlich vorgegangen
war. Das Dekorum wurde stets gewahrt. Selbst der Mann wurde rechtzeitig
vorbereitet, sodaß er, auch wenn er dies eine oder andere bemerkte oder
davon hörte, kurz und bündig antworten konnte: »Was ich nicht weiß,
macht mich nicht heiß,« wie das Sprichwort sagt. Hier muß noch erwähnt
werden, daß die Damen der Stadt N. sich wie ihre Petersburger
Gefährtinnen stets einer großen Vorsicht und eines sicheren Taktes in
Worten und Ausdrücken befleißigten. Niemals hörte man sie sagen: »Ich
habe mich geschneuzt.« »Ich schwitze.« »Ich habe ausgespuckt,« sondern
sie drückten sich stattdessen folgendermaßen aus: »Ich habe mir die Nase
geputzt« oder »Ich habe von meinem Taschentuch Gebrauch gemacht.« Unter
keinen Umständen aber durfte man sagen: »Dieses Glas oder dieser Teller
stinkt.« Ja, man durfte nicht einmal etwas sagen, was wie eine
Anspielung darauf erscheinen konnte, sondern, man wählte stattdessen
einen Ausdruck wie den folgenden: »Dieses Glas benimmt sich nicht gut«
oder sonst etwas in dieser Art. Um die russische Sprache noch mehr zu
veredeln, wurde nahezu die Hälfte aller Worte aus dem Sprachgebrauch
verbannt, weswegen man sehr oft seine Zuflucht zum Französischen nehmen
mußte. Das war dann eine ganz andere Sache. Im Französischen waren noch
ganz andere, weit kräftigere Worte gestattet als die oben erwähnten. Das
also ist es, was sich von den Damen der Stadt N., oberflächlich
gesprochen, sagen läßt. Freilich, wenn man etwas tiefer hineinblickte,
so würden noch ganz andere Dinge zum Vorschein kommen; aber es ist sehr
gefährlich, zu tief in ein Frauenherz zu blicken. Ich bleibe also an der
Oberfläche und fahre fort. Bis dahin hatten alle Damen merkwürdigerweise
nur wenig von Tschitschikow gesprochen, obwohl sie ihm natürlich, was
seine angenehmen und weltmännischen Umgangsformen anbelangt, volle
Gerechtigkeit widerfahren ließen. Aber seitdem sich das Gerücht von
seinen Millionen verbreitet hatte, wurde die Aufmerksamkeit auch auf
seine sonstigen Eigenschaften gelenkt. Übrigens waren unsere Damen
keineswegs eigennützig oder gar habgierig. An alledem war nur das Wort
Millionär -- nicht der Millionär selbst, sondern eben das Wort allein
schuld; denn in dem bloßen Klang dieses Wortes ist neben der Anspielung
auf den Geldsack noch ein gewisses Etwas enthalten, welches in gleicher
Weise auf die Schurken wie auf die guten Menschen und auch die, welche
weder das eine noch das andere sind, einen starken Eindruck macht; mit
einem Wort, es verfehlt seine Wirkung auf keinen. Der Millionär hat den
Vorzug, daß er die ganz uneigennützige Niedertracht, die reine
Niedertracht, die auf keinerlei Berechnung und Hintergedanken beruht,
vortrefflich beobachten kann: Viele Menschen wissen sehr gut, daß sie
nichts von ihm bekommen werden und auch gar keinen Anspruch darauf
haben, und doch laufen sie vor ihm her, lächeln ihm freundlich zu,
nehmen den Hut vor ihm ab, oder provozieren eine Einladung zu einem
Mittagessen, an dem der Millionär teilnehmen wird. Man kann nicht sagen,
daß diese sanfte Hinneigung zur Niedertracht auch von den Damen geteilt
wurde. Allein man fing doch in vielen Salons an, darüber zu reden, daß
Tschitschikow zwar kein Ausbund von Schönheit, aber doch ein stattlicher
Mann sei, wie er sein soll, und daß er schon nicht mehr so hübsch wäre,
wenn er auch nur ein ganz klein wenig dicker und voller wäre. Bei dieser
Gelegenheit fielen sogar einige beinahe verletzende Worte über die
dünnen Männer: das seien ja eigentlich Zahnstocher und keine Männer. An
den Toiletten der Damen konnte man auch allerhand Ergänzungen
wahrnehmen. Auf dem Tuchmarkt herrschte ein großes Gedränge, man schob
und stieß sich dort geradezu. Es war die reinste Kirmeß. Soviel
Equipagen reihten sich aneinander. Die Kaufleute waren erstaunt, als sie
sahen, daß ein paar Tuchsorten, die sie von der Messe mitgebracht und
wegen ihres allzu hohen Preises bisher nicht hatten loswerden können,
eine gesuchte Ware wurden und reißenden Absatz fanden. Während des
Gottesdienstes bemerkte man bei einer der Damen unten am Kleide eine
Schleppe, welche den Rock so aufbauschte, daß er die ganze Kirche
einnahm, und daß der anwesende Polizeikommissar dem Volke befehlen
mußte, Platz zu machen und sich in die Vorhalle zurückzuziehen, um das
Kleid der Gnädigen nicht zu beschädigen. Auch Tschitschikow mußte
schließlich etwas von der ungewöhnlichen Aufmerksamkeit auffallen, die
ihm gezollt wurde. Als er eines schönen Tages zu sich nach Hause kam,
fand er einen Brief auf seinem Schreibtisch. Es ließ sich durchaus nicht
herausbekommen, von wem er stammte und wer ihn gebracht habe: Der
Kellner erzählte, der Überbringer habe ihm verboten, zu sagen, wer der
Absender sei. Der Brief fing sehr bestimmt und entschlossen an und zwar
folgendermaßen: »Nein, ich muß dir schreiben!« Dann war davon die Rede,
daß es eine geheime Sympathie der Seelen gebe, und diese Wahrheit fand
ihre Bekräftigung in einer Reihe von Punkten und Gedankenstrichen,
welche beinahe eine halbe Zeile einnahmen. Weiter folgten einige
Sentenzen, deren Richtigkeit ihnen eine so hohe Bedeutung verleiht, daß
wir es fast für unsere Pflicht halten, sie hier anzuführen: »Was ist
unser Leben? -- Ein Tal, in dem sich unsere Leiden angesiedelt haben.
Was ist die Welt? -- Ein Haufen von Menschen, der nichts empfindet.«
Hierauf erwähnte die Schreiberin, daß sie die Briefe ihrer zärtlichen
Mutter, welche seit fünfundzwanzig Jahren nicht mehr auf der Welt sei,
mit Tränen benetze; sie forderte Tschitschikow auf, ihr in eine Wüste zu
folgen und die Stadt für immer zu verlassen, wo die Menschen in der
Gefangenschaft geistiger Mauern und aus Luftmangel erstickten; das Ende
des Briefes strömte sogar eine wirkliche Verzweiflung aus, und folgende
Zeilen bildeten den Abschluß:

   Zwei Turteltäubchen bringen
   Dich flugs zum Grabesstein,
   Sie werden girren und singen
   Dir von meiner Todespein.

In der letzten Zeile war zwar das Versmaß nicht ganz in Ordnung, aber
das machte nichts: der Brief war ganz im Geiste der damaligen Zeit. Auch
fehlte die Unterschrift, der Vor- und Familienname, selbst Datum und
Jahreszahl fehlten. In einem Postskriptum hieß es bloß, Tschitschikows
eigenes Herz müsse die Schreiberin des Briefes erraten, und auf dem Ball
des Gouverneurs, der morgen stattfinde, werde das Original persönlich
zugegen sein.

Das war alles sehr interessant. In der Anonymität lag soviel Reiz und
Lockung, soviel was die Neugierde herausforderte, daß Tschitschikow den
Brief noch ein zweites und drittes Mal überlas und schließlich ausrief:
»Es wäre doch höchst interessant, zu erfahren, wer eigentlich die
Schreiberin ist!« Mit einem Wort, die Sache begann ersichtlich eine
ernste Wendung zu nehmen; mehr als eine Stunde sann er über sein
seltsames Abenteuer nach, dann machte er eine nachlässige Gebärde, ließ
den Kopf herabsinken und murmelte: »Der Brief hat doch etwas
außerordentlich Geziertes!« Hierauf wurde der Bogen, wie sich das von
selbst versteht, sorgfältig zusammengefaltet und in die Schatulle
gelegt, wo er in nächster Nachbarschaft mit einem Theaterzettel und
einer Hochzeitseinladung zu liegen kam, welche nun schon sieben Jahre
unberührt auf demselben Flecke lag. Bald darauf brachte man ihm
tatsächlich eine Einladung zum Ball beim Gouverneur. Das ist in
Provinzstädten etwas sehr Gewöhnliches: wo es einen Gouverneur gibt, da
muß es auch Bälle geben, sonst könnte es der Adel leicht an der
gebührenden Liebe und Achtung fehlen lassen.

Er ließ nun sofort alles nicht zur Sache Gehörige liegen und machte sich
davon frei, um sich voll und ganz den Vorbereitungen zum Balle zu
widmen; denn dazu gab's so manchen Sporn und Stachel. Dafür ist aber
wohl auch noch nie seit Erschaffung der Welt soviel Zeit und Sorgfalt
auf die Toilette verwendet worden. Die Besichtigung und Prüfung des
eigenen Angesichts vor dem Spiegel nahm allein eine ganze Stunde in
Anspruch. Er versuchte es, seinem Antlitz eine ganze Reihe und Skala
verschiedenartigster Ausdrücke zu verleihen: bald sollte es Ernst und
Würde, bald eine gewisse durch ein Lächeln gemilderte Achtung, bald
wieder nur Achtung ohne jedes Lächeln widerspiegeln; dann verbeugte er
sich einige Male vor dem Spiegel, welche Bewegung von einigen
unartikulierten Lauten begleitet wurde, die einige Ähnlichkeit mit
französischen Worten hatten, obwohl Tschitschikow absolut kein
Französisch verstand. Hierbei bereitete er sich selbst eine Menge höchst
angenehmer Überraschungen, zwinkerte sich mit den Augenbrauen und den
Lippen zu und bewegte sogar die Zunge ein paar Mal hin und her; du
lieber Gott, was macht man nicht alles, wenn man mit sich allein und
sich bewußt ist, daß man ein schöner Mann ist, und noch dazu die sichere
Überzeugung hat, daß niemand durch das Schlüsselloch guckt. Endlich
kraute er sich noch ein bißchen am Kinn und sagte: »Ei, ei, du kleiner
Bullenbeißer!« und begann sich anzuziehen. Während dieses Prozesses
befand er sich die ganze Zeit über in der glücklichsten Stimmung: wenn
er die Hosenträger anlegte, oder sich den Schlips umband, machte er
Kratzfüße, anmutige Verbeugungen und sogar einen Luftsprung, obwohl er
nie tanzen gelernt hatte. Dieser Luftsprung hatte nun allerdings einige
Folgen, die übrigens recht harmloser Natur waren: die Kommode fing an zu
zittern, und die Kleiderbürste fiel vom Tisch herunter.

Sein Erscheinen auf dem Ball machte einen ganz außerordentlichen
Eindruck. Alle Anwesenden eilten ihm entgegen -- der eine hatte noch ein
Spiel Karten in der Hand, ein anderer brach das Gespräch am
interessantesten Punkte ab, als er gerade sagte: »Und denken Sie,
hierauf erwiderte das Kreisgericht ...« Was das Kreisgericht eigentlich
erwiderte, führte er gar nicht mehr aus, und stürmte auf unseren Helden
los, um ihn zu begrüßen: »Pawel Iwanowitsch!« »O, mein Gott, Pawel
Iwanowitsch!« »Lieber Pawel Iwanowitsch!« »Verehrtester Pawel
Iwanowitsch!« »Pawel Iwanowitsch, Herzchen!« »Da sind Sie ja Pawel
Iwanowitsch!« »Da ist er, _unser_ Pawel Iwanowitsch!« »Lassen Sie sich
umarmen, Pawel Iwanowitsch!« »Her mit ihm, seien Sie recht herzlich
geküßt, mein teurer Pawel Iwanowitsch!« Tschitschikow fühlte, wie er
fast gleichzeitig von mehreren umarmt wurde. Er hatte noch nicht Zeit,
sich aus der Umarmung des Gerichtspräsidenten zu befreien, als ihn schon
der Polizeimeister in _seine_ Arme schloß, dieser gab ihn an den
Inspektor des Sanitätswesens weiter, der Inspektor an den
Branntweinpächter, der Branntweinpächter an den Stadtbaumeister .... Der
Gouverneur, der währenddessen mit ein paar Damen zusammenstand und in
der einen Hand einen Zettel aus einer Bonbonniere, in der andern ein
Bologneserhündchen hielt, ließ, als er Tschitschikow erblickte, beides
-- Zettel und Hündchen -- auf den Boden fallen, sodaß das Hündchen laut
aufheulte ... mit einem Wort, der Ankömmling verbreitete Heiterkeit und
Freude um sich her. Es gab kein Gesicht, das nicht vor Vergnügen
strahlte, oder doch wenigstens etwas von der allgemeinen Freude
widerspiegelte. So glänzen die Gesichter der Beamten während des Besuchs
ihres Chefs, der gekommen ist, die ihrer Leitung unterstehenden Ressorts
zu inspizieren; nachdem der erste Schreck vorüber ist, bemerken sie, daß
manches seinen Beifall findet, ja daß er sich sogar leutselig zu einem
kleinen Scherz herabläßt, d. h. ein paar Worte sagt und angenehm dazu
lächelt -- und nun lachen die ihn umringenden, ihm zunächst stehenden
Beamten doppelt herzlich, und ebenso herzlich lachen jene, die zwar die
gesprochenen Worte kaum gehört und noch weniger verstanden haben, ja
selbst der weit abseits an der Tür stehende Polizist, der noch nie in
seinem Leben gelacht, und eben erst dem Volke die Faust gezeigt hat --
selbst er verzieht nach den unwandelbaren Gesetzen der Reflexion und der
Nachahmung sein Gesicht zu einem Lächeln, welches aber so wenig
Ähnlichkeit mit einem Lächeln hat, daß man eher meinen könnte, er habe
eine starke Prise genommen und müsse nun niesen. Unser Held beglückte
alle und jeden einzelnen mit einer Antwort und fühlte sich ganz
außergewöhnlich leicht und sicher: er verneigte sich nach rechts und
nach links, und zwar etwas seitwärts, wie das seine Gewohnheit war, aber
doch so ungezwungen, daß er alle Anwesenden entzückte. Die Damen
umringten ihn sogleich wie eine glänzende Girlande und hüllten ihn in
eine Wolke von Wohlgerüchen aller Art ein: die eine roch nach Rosen, die
andere brachte den Duft von Veilchen und Frühling mit, die dritte
strömte einen starken Resedaduft aus. Tschitschikow hob bloß die Nase
und zog den süßen Duft ein. In ihren Toiletten entwickelten sie
unendlich viel Geschmack; die Farben ihrer Mousselin-, Atlas- und
Tüllstoffe waren von einer so modernen Blässe und Mattigkeit, daß es
schwer wäre, auch nur einen Namen für jede Nuance zu finden -- eine
solche Höhe und Feinheit hatte Kultur und Geschmack hier erreicht!
Schleifen, Bänder und Blumensträuße umflatterten die Kleider in
malerischer Unordnung, obwohl an dieser Unordnung manch ordentlicher
Kopf sich viele Stunden abgemüht hatte. Der leichte Kopfputz ruhte
allein auf den Ohren und schien sagen zu wollen: »Halt! Ich fliege fort!
Schade nur, daß ich meine Schöne nicht mit mir forttragen kann!« Sie
hatten alle stark und eng geschnürte Taillen, welche dem Auge feste und
angenehme Formen darboten. (Bei dieser Gelegenheit muß ich erwähnen, daß
alle Damen der Stadt N. sich durch eine gewisse Fülle auszeichneten,
aber sie verstanden es, sich so kunstvoll zu schnüren und hatten dabei
so angenehme Umgangsformen, daß man es ihnen garnicht anmerkte, daß sie
dick waren). Alles war bei ihnen wohldurchdacht und zeugte von Umsicht
und Ueberlegung: der Hals und die Schultern waren nur gerade so weit
entblößt, als es unumgänglich notwendig war, auch nicht um einen Zoll
weiter: eine jede zeigte von ihren Besitzungen nur gerade soviel, als
nach ihrem eigenen Gefühl und ihrer Überzeugung nötig war, um einen Mann
zugrunde zu richten; der Rest war mit großem Takt und Geschmack verhüllt
und zugedeckt: irgend ein leichtes Halstuch aus einem Band, das noch
leichter und luftiger war, als jenes Gebäck, welches unter dem Namen
»Baiser« oder »Kuß« bekannt ist, schlang sich ätherisch um den Hals,
oder es ragte im Nacken unter dem Kleide eine kleine Spitzenwand aus
feinem Battist hervor, die man bei uns zu Lande »Sittenschild« zu nennen
pflegt. Diese Spitzenwand bedeckte vorn und hinten all das, was zwar
keinen Mann mehr zugrunde richten konnte, doch aber den Argwohn rege
hielt, daß gerade hier das eigentliche Verderben lauere. Lange
Handschuhe, die nicht ganz bis zu den Ärmeln reichten, ließen die
reizenden Teile des Armes oberhalb des Ellenbogens frei, welche bei
vielen eine beneidenswerte Fülle erkennen ließen; bei manchen waren die
Glacéhandschuhe sogar geplatzt, da sie zu hoch hinaufgeschoben waren --
mit einem Wort, es war so, als ob ein jedes Ding hätte sagen wollen:
»Nein, dies ist keine Provinz, das ist Paris!« Nur hie und da guckte
plötzlich eine Haube, wie noch nie ein Mensch sie gesehen hat, oder eine
Pfauenfeder, oder sonst was, das jeder Mode Hohn sprach und einer
Eingebung des eigensten Geschmackes entsprang, hervor. Aber ohne das
geht es halt nicht ab -- das ist nun einmal die Eigentümlichkeit einer
Provinzstadt: es gibt immer einen Punkt, wo sie sozusagen aus der Rolle
fällt. Tschitschikow stand vor den Damen und dachte sich: »Welche ist
denn nun aber die Verfasserin des Briefes?« Er versuchte es, einen
Augenblick seine Nase hervorzustrecken; aber da stieß er mit ihr gegen
eine ganze Reihe von Ellenbogen, Aufschlägen, Ärmeln, Schleifen,
duftigen Hemdchen und Kleidern. Eine wilde Galoppade jagte wie toll an
ihm vorüber: die Frau des Postmeisters, der Kreisrichter, eine Dame mit
einer blauen Feder, eine Dame mit einer weißen Feder, der Georgische
Prinz Tschiphaihilidsew, ein Beamter aus Petersburg, ein Beamter aus
Moskau, ein Franzose namens Coucou, ein Herr Perchunowski und ein Herr
Berebendowski -- dies alles wuchs plötzlich vor ihm aus der Erde und
stürmte davon ....

»Da haben wir die Provinz!« murmelte Tschitschikow, indem er zurückwich.
Aber als sich dann die Damen auf ihre Plätze begaben, fing er wieder an,
auszuschauen, ob er nicht nach dem Ausdruck des Gesichts und der Augen
erkennen könne, welche die Verfasserin des Briefes sei; allein weder die
Gesichter noch die Augen wollten ihm verraten, wer die Unbekannte sei.
Überall auf jedem Antlitz schwebte etwas kaum Merkliches, unendlich
Feines -- oh! wie Feines ...! »Nein,« sagte Tschitschikow zu sich
selbst: »Die Frau -- das ist ein Objekt« -- hierbei machte er eine
sprechende Handbewegung -- »darüber ist überhaupt kein Wort zu
verlieren! Es soll mal einer versuchen, all das zu erzählen oder
wiederzugeben, was über ihr Gesicht huscht, all diese Schlangenwindungen
und dies Wellengekräusel ... das läßt sich eben garnicht ausdrücken!
Ihre Augen allein sind ein so unendliches, grenzenloses Reich, wenn sich
da ein Mensch hinein verirrt, dann ist er verloren! Da holt ihn kein
Haken und keine Winde wieder heraus. Versuch' doch mal einer ihren Glanz
zu beschreiben: diesen feuchten, samtnen, zuckersüßen Glanz ... Gott
allein weiß, was es nicht alles für Arten solchen Glanzes gibt: einen
harten und weichen, ja selbst einen matten oder wie einige sich
ausdrücken, >wonnetrunkenen< Glanz und dann wieder einen ohne
Trunkenheit, der aber noch weit gefährlicher ist -- der einen nur so
beim Herzen packt und wie mit dem Fidelbogen über die Seele fährt. Nein,
da findet man kein Wort dafür: Es ist halt die >jalante< Hälfte des
Menschengeschlechts und weiter nichts!«

Oh weh! Ich fürchte, unserem Held entschlüpfte ein Wort, das er von der
Straße her kannte. Aber was soll ich tun? Das ist nun einmal das Los des
Schriftstellers in Rußland! Aber selbst wenn ein Wort von der Straße in
dies Buch hineingetragen wäre, so ist das nicht die Schuld des
Schriftstellers, sondern die der Leser und vor allem der Leser aus den
besseren Gesellschaftskreisen: sie sind die ersten, von denen man kein
anständiges russisches Wort zu hören bekommt, sie beglücken euch mit
deutschen, französischen und englischen Reden in solchem Übermaß, daß
man gern darauf verzichten würde, und selbst mit Beibehaltung und
Wahrung jeder nur möglichen Aussprache: sprechen das Französisch durch
die Nase oder schnarren es, reden englisch wie irgend ein Vogel es nicht
besser fertig brächte, ja sie machen ein richtiges Vogelgesicht dazu und
lachen einen noch aus, wenn man ihnen dies nicht nachmachen kann. Das
einzige, was sie sorgfältig vermeiden, ist alles Russische -- höchstens
lassen sie sich auf dem Lande eine Villa in russischem Stile bauen. So
sind nun mal die Leser aus den höheren Ständen, und alle, die sich
selbst zu den höheren Ständen rechnen! Aber andererseits wieder: welche
Strenge, welche Ansprüche! Sie wollen durchaus, daß alles in einem
absolut korrekten, reinen und edlen Stile abgefaßt werde -- wollen mit
einem Wort, daß die russische Sprache wie von selbst, ganz reif und
fertig aus den Wolken herabfalle und sich ihnen auf die Zunge setze,
sodaß sie nur den Mund zu öffnen und ihr freien Lauf zu lassen brauchen.
Die weibliche Hälfte des Menschengeschlechts ist freilich höchst
rätselhaft; aber ich muß gestehen, die verehrten Herren Leser sind mir
oft noch weit rätselhafter.

Unterdessen wurde Tschitschikows Ratlosigkeit immer größer, wie er die
Verfasserin des Briefes unter allen anwesenden Damen herauserkennen
sollte. Er machte noch einen Versuch, jede einzelne von den Damen mit
forschendem Blick zu mustern und bemerkte, daß in den Augen der holden
Weiblichkeit ein Etwas aufblitzte, was Hoffnung und süße Qual ins Herz
des armen Sterblichen einziehen ließ, sodaß er schließlich ausrief:
»Nein, es ist vergebens, ich errate es doch nicht!« Das hatte indessen
nicht den geringsten Einfluß auf seine gute Laune, die ihn die ganze
Zeit über nicht verließ. In seiner galanten ungezwungenen Art wechselte
er ein paar liebenswürdige Worte mit einigen Damen, ging mit schnellen
kleinen Schritten bald auf die eine und bald auf die andere zu, wie das
jene alten Gecken auf hohen Absätzen, welche man in Rußland
»Mäusehengste« nennt, zu tun pflegen, die sich gewandt und leicht um die
Damen herumbewegen. Wenn er sich schnell und sicher zwischen den
einzelnen Menschengruppen durchgewunden hatte, machte er einen Kratzfuß
und schlug dabei mit dem Füßchen ein wenig aus, was gewissermaßen die
Bedeutung eines Schnörkels oder eines Häkchens am Namenszug hatte. Die
Damen waren sehr glücklich und befriedigt und entdeckten an ihm nicht
nur einen ganzen Haufen von angenehmen und liebenswürdigen Seiten,
sondern fanden sogar etwas Majestätisches, Kriegerisches und
Martialisches im Ausdruck seines Gesichts, was den Frauen bekanntlich
sehr gefällt. Ja man hätte sich seinetwegen beinahe ein wenig gezankt:
es war bald von vielen bemerkt worden, daß Tschitschikow meist in der
Nähe der Türe stand, und nun suchte alles die der Türe zunächstehenden
Stühle zu besetzen, und als hierbei eine der Damen einer andern
zuvorkam, hätte es beinahe einen unangenehmen Auftritt gegeben, wobei
viele, die es selbst gern ebenso gemacht hätten, höchst empört über
diese Unverfrorenheit und Taktlosigkeit waren.

Tschitschikow verwickelte sich bald in eine lebhafte Unterhaltung mit
den Damen, oder wurde vielmehr von diesen in eine lebhafte Unterhaltung
verwickelt, wobei er von ihnen mit einer wahren Fülle höchst feiner und
geistreicher allegorischer Bemerkungen überschüttet wurde, die alle
gedeutet und enträtselt werden mußten, so daß ihm der Schweiß auf die
Stirn trat, und er sogar die vornehmste Anstandsregel zu erfüllen
vergaß: nämlich der Frau des Hauses seine Aufwartung zu machen. Er
erinnerte sich erst daran, als er dicht neben sich die Stimme der Frau
Gouverneurin vernahm, die ihm schon einige Minuten lang gegenüberstand.
Die Gouverneurin schüttelte freundlich den Kopf und sagte in zärtlichem
und etwas schelmischem Tone zu ihm: »So sind Sie also, Pawel
Iwanowitsch! ...« Ich kann die Rede der Gouverneurin hier nicht genau
reproduzieren, ich weiß nur, daß sie ihm einige äußerst freundliche und
liebenswürdige Worte sagte, in der Art, wie sich die Damen und Kavaliere
in den Romanen und Erzählungen unserer vornehmsten Schriftsteller
auszudrücken pflegen, die mit besonderer Vorliebe das Leben in unseren
Salons beschreiben und bei dieser Gelegenheit merken lassen, daß sie
große Kenner des feinen Tones sind: sie sagte etwa: »Hat man sich
bereits so sehr Ihres Herzens bemächtigt, daß darin gar kein Plätzchen,
ja nicht einmal ein kleiner Winkel für die übrig geblieben ist, die Sie
in so hartherziger Weise vergessen konnten?« Unser Held wandte sich
sogleich an die Gouverneurin und war schon im Begriff, ihr mit einer
Antwort aufzuwarten, die sicherlich nicht schlechter gewesen wäre, als
die, welche wir in unseren modernen Romanen und Novellen von den
Swonskijs, Linskis, Lidins, Gremins und andern weltmännisch-gewandten
Militärpersonen hören können, als er unwillkürlich die Augen aufschlug
und plötzlich wie vom Schlage gerührt stehen blieb.

Vor ihm stand die Gouverneurin, aber nicht allein: sie hielt ein
sechzehnjähriges junges Mädchen am Arm, eine frische Blondine, mit
feinen regelmäßigen Zügen, spitzem Kinn und schön gerundetem Oval des
Gesichts, das wohl einem Künstler als Modell zu einer Madonna hätte
dienen können, wie man es in Rußland nur selten findet, wo alle Dinge
mehr ins Weite schweifen: Berge und Wälder, Steppen, Gesichter, Lippen
und Füße -- es war dieselbe Blondine, welcher er unterwegs begegnet war,
als er von Nosdrjow kam, und als ihre Wagen durch die Dummheit der
Kutscher oder der Pferde auf so seltsame Weise zusammenstießen und mit
ihrem Geschirr in einander gerieten, und als Onkel Mitjai und Onkel
Minai den Knoten der Verwirrung lösen wollten. Tschitschikow wurde so
verlegen, daß er kein vernünftiges Wort über die Lippen bringen konnte
und einen so tollen Blödsinn herausstotterte, wie ihn allerdings weder
Gremin noch Swonskij noch Lidin jemals vom Stapel gelassen hätten.

»Kennen Sie meine Tochter noch nicht?« sagte die Gouverneurin. »Sie hat
soeben das Pensionat verlassen.«

Er erwiderte, er habe bereits das Vergnügen gehabt, ganz unerwartet ihre
Bekanntschaft zu machen; dann wollte er noch etwas hinzufügen, aber das
mißglückte ihm vollständig. Nachdem die Gouverneurin noch ein paar Worte
gesagt hatte, entfernte sie sich mit ihrer Tochter nach dem andern Ende
des Saals, um sich den andern Gästen zu widmen, und ließ Tschitschikow
wie angewurzelt stehen. Lange noch stand er auf demselben Fleck wie ein
Mensch, welcher heiter auf die Straße hinaustritt, um einen Spaziergang
zu machen, dessen Augen jedem Eindruck der Umgebung offen stehen, und
der plötzlich stehen bleibt, weil er sich erinnert, daß er noch etwas
vergessen hat; man kann sich überhaupt nichts Unbehilflicheres
vorstellen, als solch einen Menschen: Mit einem Schlage ist die
unbesorgte Miene von seinem Gesichte verschwunden. Mühsam sucht er sich
zu erinnern, was er denn eigentlich vergessen hat: das Taschentuch? Aber
das Taschentuch steckt in der Tasche! Sein Geld? Aber auch das Geld ist
da! Nichts scheint zu fehlen, und doch raunt ihm ein unbekannter Dämon
ins Ohr, er habe dennoch etwas vergessen. Verwirrt und kopflos blickt er
auf die vorüberwogende Menge, die vorbeijagenden Equipagen, auf die
Helme und Gewehre der Soldaten, die Aushängeschilder usw. und doch kommt
ihm nichts klar zu Bewußtsein. So auch wurde Tschitschikow allem
entfremdet, was um ihn her vor sich ging. Unterdessen flogen ihm von
duftigen Frauenlippen mancherlei Fragen und Anspielungen zu, die
Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen Erdenbewohner uns
wohl erkühnen, Sie zu fragen, worüber Sie nachsinnen?« -- »Wo liegen die
seligen Gefilde, wo Ihr Gedanke weilt?« -- »Kann man den Namen
derjenigen erfahren, die Sie in dieses holde Tal der Träume gelockt
hat?« Aber er beachtete keine dieser Fragen, und die freundlichen Worte
waren wie in den Wind gesprochen, ja er war so unliebenswürdig, daß er
die Damen ruhig stehen ließ und sich nach der andern Seite des Saales
begab, um auszuspähen, wohin die Gouverneurin mit ihrer Tochter
entschwunden war. Aber die Damen wollten ihn doch nicht so leichten
Kaufes davonkommen lassen -- eine jede von ihnen war innerlich fest
entschlossen, keins von jenen Mitteln, die unsern Herzen so gefährlich
werden und keinen ihrer stärksten Reize unbenutzt zu lassen. Hier muß
ich einschalten, daß einige Damen, ich sage einige und keineswegs alle
-- an einer kleinen Schwäche leiden: wenn sie etwas Reizvolles an sich
bemerken, sei es nun die Stirn, der Mund oder die Hände -- dann denken
sie gleich, dieser höchste Vorzug müsse auch allen anderen sofort
auffallen, sodaß alle wie ein Mann ausrufen sollten: »Seht, seht doch
nur, was sie für eine herrliche griechische Nase hat!« oder »Welch eine
entzückende regelmäßige Stirn!« Hat aber gar eine schöne Schultern, dann
ist sie im voraus überzeugt, daß alle jungen Leute von ihrem Anblick
ganz benommen sind und unbedingt ausrufen werden, wenn sie vorübergeht:
»Nein, was hat sie für herrliche Schultern!« während sie Gesicht, Haare,
Augen und Stirne keines Blickes würdigen, und wenn sie doch hinsehen,
diese Dinge als etwas ganz Nebensächliches behandeln werden. Wie gesagt,
so denken einzelne unter den Damen. Diesen Abend aber hatte sich eine
jede geschworen, beim Tanz so entzückend wie möglich zu erscheinen und
die Vorzüge ihrer größten Reize in vollem Glanze erstrahlen zu lassen.
Die Frau Postmeisterin ließ, während sie sich nach den Klängen eines
Walzers drehte, ihr Köpfchen so matt und müde auf die Schulter sinken,
daß man sich wirklich in eine höhere Welt versetzt glaubte. Eine äußerst
liebenswürdige Dame, welche garnicht in der Absicht zu tanzen auf den
Ball gekommen war, und bei der sich eine kleine Unannehmlichkeit oder
Inkommodität, wie sie sich selbst ausdrückte, in Form eines Hühnerauges
von der Größe einer Erbse auf dem rechten großen Zeh eingestellt hatte,
sodaß sie sogar Plüschstiefel hatte anziehen müssen, -- selbst diese
litt es nicht auf ihrem Platze, und auch sie machte einige Walzertouren
in ihren Plüschstiefeln, nur damit der Postmeisterin ihre Triumphe nicht
allzusehr zu Kopfe stiegen.

Aber dies alles übte nicht die gewünschte Wirkung auf Tschitschikow; er
blickte kaum hin auf die Pas und Figuren, welche die Damen ausführten,
sondern erhob sich nur immer auf den Zehenspitzen, um über die Köpfe
hinweg auszuschauen, wo sich die interessante Blondine gerade befand;
bald hockte er wieder ein wenig nieder, um zwischen Schultern und Armen
etwas von ihr zu erhaschen; und jetzt endlich hatte er gefunden, er sah
sie neben der Mutter sitzen, über deren Haupt sich majestätisch eine Art
orientalischer Turban mit einer Feder schaukelte. Fast schien es, als
wolle er die Festung im Sturme nehmen. War es die Frühlingsstimmung, die
so stark auf ihn wirkte, oder gab es jemand, der ihn von hinten stieß?
Genug, er drängte sich entschlossen und unter Mißachtung aller
Hindernisse bis zu ihnen durch: der Branntweinpächter erhielt von ihm
einen Rippenstoß, daß er sich nur mit Not auf einem Beine zu erhalten
vermochte, was noch ein Glück war, da er sonst den ganzen Reigen bei
seinem Falle in Mitleidenschaft gezogen hätte; auch der Postmeister
sprang zurück und sah ihn mit Staunen an, in das sich etwas wie feine
Ironie mischte; aber Tschitschikow würdigte sie keines Blickes: er hatte
für nichts ein Auge, als für die ferne Blondine, die gerade im Begriff
war, einen langen Handschuh anzuziehen und sicherlich vor Verlangen
brannte über das Parkett dahinzuschweben. Währenddessen holzten in der
andern Ecke schon vier Paare eine Mazurka ab: die Absätze zerstießen
fast den Boden, und ein Hauptmann der Armee arbeitete mit Leib und
Seele, Händen und Füßen, indem er sich in solchen Figuren produzierte,
wie sie die lebhafteste Phantasie sich nicht hätte träumen lassen.
Tschitschikow schoß fast über die Füße der Tänzer hinweg geradenwegs auf
den Platz zu, wo die Gouverneurin mit ihrer Tochter saß. Allein, er
näherte sich ihnen doch nur sehr zaghaft und trippelte nicht so forsch
und keck mit den Füßen, ja er wurde sogar etwas verlegen und in all
seinen Bewegungen kam eine gewisse Hilflosigkeit zum Ausdruck.

Es läßt sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob in unserm Helden sich
wirklich etwas wie Liebe regte; es ist sogar zweifelhaft, ob Männer wie
er, oder solche, die nicht gerade dick, aber doch auch nicht allzu dünn
sind, überhaupt der Liebe fähig sind; und doch spielte sich hier etwas
so Seltsames ab, daß er es sich selbst nicht erklären konnte: es kam ihm
so vor, wie er es nachher selbst eingestand, als ob der ganze Ball mit
all seinem Rausch und Trubel auf einige Augenblicke wie in weite Ferne
gerückt sei, die Geigen und Trompeten schienen wie hinter den Bergen zu
verhallen, und alles lag wie im Nebel gehüllt da, der einem nachlässig
hingemalten Felde auf einem Gemälde glich. Und von dem Hintergrunde
dieses trüben, nachlässig auf die Leinwand geworfenen Feldes hoben sich
allein die feinen Züge der entzückenden jungen Blondine scharf und
deutlich ab: das reizende Oval ihres Gesichtes, ihre schlanke elastische
Gestalt, wie man sie nur bei einem jungen Mädchen trifft, das eben aus
dem Pensionate kommt, ihr beinahe schlichtes weißes Kleid, welches sich
frei und leicht an die zarten jungen Glieder schmiegte, und überall die
herrlichen reinen Linien erkennen ließ. So glich sie einem wunderbaren,
kunstvoll geschnitzten Spielzeug aus Elfenbein; sie allein leuchtete
schneeweiß, klar und hell aus der trüben dunkelen Masse hervor.

Es ist wohl nicht anders auf dieser Welt; offenbar werden auch die
Tschitschikows einmal in ihrem Leben, wenn auch nur für einen kurzen
Augenblick, zu Dichtern; doch das Wort _Dichter_ ist ein wenig
übertrieben. Wenigstens kam er sich in diesem Moment ganz wie ein junger
Mann oder gar wie ein fescher Husar vor. Sowie ein Stuhl neben der
Schönen frei wurde, nahm er sofort auf ihm Platz. Das Gespräch wollte
zuerst nicht recht vom Flecke kommen, aber nach einiger Zeit kam es in
Fluß, er bekam sogar Mut, aber .... Hier muß ich zu meinem großen
Bedauern bemerken, daß ältere, würdige Leute, die wichtige Ämter im
Staate bekleiden, gerade in der Unterhaltung mit Damen ein bißchen
schwerfällig werden; so richtig raus haben das nur die Leutnants,
dagegen gilt dies nicht mehr für die höheren Offiziere, vom Hauptmann
aufwärts. Wie sie das anfangen, das weiß der liebe Gott: es sind doch
wahrhaftig keine abgrundtiefen Dinge, die sie da vorbringen, aber die
jungen Mädchen schütteln sich auf ihren Stühlen vor Lachen; dagegen kann
euch ein Staatsrat die wundersamsten Dinge erzählen: sich etwa darüber
verbreiten, daß Rußland ein gewaltiges Reich ist, oder ein Kompliment
vom Stapel lassen, das natürlich nicht ohne Geist ist, aber dies alles
schmeckt doch zu sehr nach Bücherweisheit, und wenn er etwas Komisches
sagt, dann lacht er sicherlich unvergleichlich viel mehr darüber, als
seine Dame. Ich mache diese Bemerkung an dieser Stelle, damit die Leser
verstehen, warum unsere Blondine während der Erzählungen unseres Helden
zu gähnen begann. Unser Held aber schien das garnicht zu bemerken und
fuhr fort all die schönen Dinge auszukramen, die er schon mehrfach und
bei verschiedenen Gelegenheiten zum Besten gegeben hatte, und zwar: im
Gouvernement Simbirsk bei Sophron Iwanowitsch Bespetschny, in Gegenwart
von dessen Tochter Adelheide Sophronowna und drei Schwägerinnen: Marha
Gawrilowna, Alexandra Gawrilowna und Adelheid Gawrilowna; ferner bei
Fjoder Fjodorowitsch Perekrojew im Gouvernement Rjasan; bei Frol
Wossiljewitsch Pobedonski im Gouvernement Pensa und bei dessen Bruder
Pjotr Wassiljewitsch, in Gegenwart von dessen Schwägerin Katarina
Michailowna und deren Enkelkindern: Rosa Fjodorowna und Emilia
Fjodorowna; und endlich im Gouvernement Wjatka bei Pjotr
Warßonowjewitsch in Gegenwart der Schwester seiner Schwiegertochter
Pelageja Jegorowna und seiner Nichte Sofja Rostislawna und deren beiden
Stiefschwestern Sofja Alexandrowna und Maklatura Alexandrowna.

Tschitschikows Benehmen erregte das Mißfallen aller Damen. Eine von
ihnen ging absichtlich an ihm vorbei, um ihm dies zu verstehen zu geben,
und streifte die Blondine sogar etwas nachlässig mit der breiten
Schleppe ihres Kleides, während sie den Shawl, der um ihre Schultern
flatterte, so dirigierte, daß sie die junge Dame mit dem Zipfel gerade
ins Gesicht traf; um dieselbe Zeit entfloh dem Munde einer anderen Dame
hinter Tschitschikows Rücken zugleich mit dem Veilchengeruch der von ihr
ausströmte, eine recht boshafte und bissige Bemerkung. Aber sei es nun,
daß er in der Tat nichts davon gehört hatte, sei es, daß er bloß so tat,
als ob er nichts höre, genug, seine Handlungsweise war in diesem Falle
nicht sehr korrekt und schön, denn man soll etwas auf die Meinung der
Damen geben: er sollte seinen Fehler bereuen, aber leider erst nachher,
als es schon zu spät war.

Eine wirklich berechtigte Empörung malte sich in vielen Zügen. So groß
auch Tschitschikows Ansehen in der Gesellschaft war, so sehr man davon
überzeugt war, daß er Millionär sei, und obwohl sein Gesicht einen
majestätischen und sogar martialischen Ausdruck hatte, -- es gibt Dinge,
welche die Damen keinem Manne verzeihen, er mag sein, wer er will, und
sein Untergang ist besiegelt. Es gibt Fälle, wo die Frau, so
charakterschwach sie auch im Vergleich mit dem Manne ist, plötzlich
nicht nur fester und unbeugsamer wird, als der _Mann_, sondern _als
alles in der Welt_. Die Mißachtung, die Tschitschikow, ohne es
eigentlich selbst zu bemerken, den Damen erwiesen hatte, führte wieder
zum Frieden und zur Einigung, die durch den Vorfall mit dem Stuhl
beinahe in die Brüche gegangen wäre. In den von ihm leicht hingeworfenen
ganz unwichtigen und belanglosen Reden entdeckte man plötzlich boshafte
und spitzige Anspielungen. Um das Unglück zu vollenden, hatte noch ein
junger Mann ein paar satirische Strophen auf die Tänzer gedichtet, ohne
das es bekanntlich bei Bällen in der Provinz, beinahe nie abgeht. Sofort
wurden diese Verse Tschitschikow zugeschrieben. Die Empörung wurde immer
größer, die Damen standen in den verschiedenen Ecken des Saales zusammen
und tuschelten miteinander, wobei einige sehr unfreundliche Äußerungen
über ihn fielen; die arme Blondine aber ward vollkommen vernichtet, ihr
Todesurteil war unterschrieben.

Inzwischen wartete unseres Helden eine höchst peinliche Überraschung;
während seine junge Nachbarin gähnte, und er ihr allerhand Geschichten
aus den entferntesten Zeitläuften erzählte, und sogar den griechischen
Philosophen Diogenes erwähnte, erschien plötzlich Nosdrjow auf der
Bildfläche, der gerade aus einem der hinteren Zimmer in den Saal trat.
Kam er aus dem Restaurationsraum oder war er aus dem kleinen grünen
Zimmer entsprungen, wo nicht bloß Whist, sondern weit weniger harmlose
Spiele gespielt wurden, erschien er aus freien Stücken, oder war er
herausgeschmissen worden, genug, er trat plötzlich fröhlich und sehr
aufgeräumt in den Saal, den Staatsanwalt am Arme, den er wohl schon eine
ganze Weile mit sich herumschleppte, denn der arme Staatsanwalt runzelte
seine Stirne und schaute nach allen Seiten aus, wahrscheinlich weil er
darüber nachsann, wie er sich von seinem freundlichen Reisebegleiter
befreien könne. Und in der Tat, seine Lage war wirklich unerträglich.
Nosdrjow hatte zwei Tassen Tee -- natürlich nicht ohne Rumzusatz
heruntergeschlürft und sich Mut getrunken. Jetzt log er wieder, daß sich
die Balken bogen. Als Tschitschikow ihn von ferne erblickte, entschloß
er sich sogar ein Opfer zu bringen, das heißt seinen angenehmen Platz zu
verlassen, und sich so schnell als möglich zu entfernen: denn er
versprach sich nichts Gutes von dieser Begegnung. Aber wie zum Trotz
tauchte plötzlich der Gouverneur neben ihm auf, um ihm seine große
Freude darüber auszudrücken, daß er Pawel Iwanowitsch endlich gefunden
habe, und hielt ihn fest, indem er ihn bat, Schiedsrichter in einem
kleinen Streit mit zwei Damen zu sein; man konnte sich nämlich nicht
darüber einigen ob die Liebe der Frau von Dauer sei oder nicht; jetzt
aber hatte Nosdrjow ihn schon bemerkt und ging geradewegs auf ihn zu:

»Ah! Der Chersoner Gutsbesitzer! Der Chersoner Gutsbesitzer!« schrie er,
während er näher kam und so laut lachte, daß seine frischen Backen, die
so rot waren wie Frühjahrsrosen, nur so zitterten: »Nun? Hast du viel
Tote gekauft? Sie wissen doch Exzellenz!« schrie er aus vollem Halse,
indem er sich an den Gouverneur wandte, »er handelt mit toten Seelen!
Bei Gott! Hör mal Tschitschikow! Hör doch, ich sag dir's in aller
Freundschaft, wir sind doch hier unter lauter Freunden, da ist ja auch
Seine Exzellenz, ich würde dich hängen lassen, bei Gott, ich lasse dich
hängen!«

Tschitschikow wußte nicht mehr, wie ihm wurde. »Sie werden mir's nicht
glauben, Exzellenz!« fuhr Nosdrjow fort: »wie er mir sagte: >Hör mal,
verkauf mir doch deine toten Seelen,< da bin ich fast geplatzt vor
Lachen. Dann komme ich in die Stadt, und da sagt man mir, er habe drei
Millionen Bauern gekauft, die er zur Kolonisation verwenden will, schöne
Kolonisation das! Er wollte mir doch Tote abkaufen. Hör mal
Tschitschikow: du bist ein Schwein, bei Gott, du bist ein Schwein! Da
ist ja auch seine Exzellenz, nicht wahr, Herr Staatsanwalt?«

Aber der Staatsanwalt und Tschitschikow waren so verlegen und verwirrt,
daß sie gar keine Antwort fanden; unterdessen aber fuhr Nosdrjow, der
ein wenig angeheitert war, ohne auf irgend jemand Rücksicht zu nehmen,
in seiner Rede fort: »Ja, ja mein Bester ... ich lasse dich nicht eher
los, als bist du mir sagst, wozu du die toten Seelen gekauft hast. Hör
mal, Tschitschikow, du solltest dich schämen; du weißt ja selbst, daß du
keinen besseren Freund hast, als mich. Sieh mal, da ist ja auch Seine
Exzellenz ... nicht wahr, Herr Staatsanwalt? Sie werden es nicht
glauben, Exzellenz, wie wir aneinander hängen, tatsächlich, wenn Sie
mich fragten -- hier steh ich, und wenn Sie mich fragten: >Nosdrjow, sag
mal auf Ehre und Gewissen, wer ist dir lieber, dein eigener Vater oder
Tschitschikow!< so müßte ich sagen: Tschitschikow! Bei Gott! ...
Herzchen komm laß mich dir einen Kuß, einen Baiser geben. Sie werden
wohl erlauben, daß ich ihn küsse, Exzellenz. Sträube dich doch nicht
Tschitschikow, laß mich dir doch ein Baiserchen auf deine schneeweiße
Wange drücken!« Aber Nosdrjow kam mit seinem Baiser so übel an, daß er
beinahe auf den Boden geflogen wäre. Alle zogen sich von ihm zurück und
hörten nicht mehr auf ihn. Allein seine Worte von dem Kauf der toten
Seelen waren doch so laut aus vollem Halse herausgeschrieen und von
einem so schallenden Gelächter begleitet worden, daß sie selbst die
Aufmerksamkeit _der_ Gäste auf sich lenkten, die sich in den
entferntesten Ecken des Zimmers befanden. Diese Nachricht klang so
seltsam, daß alle starr und stumm, mit einem halb fragenden, halb
törichten Ausdruck auf dem Gesichte dastanden. Tschitschikow bemerkte,
wie mehrere Damen sich mit den Augen Zeichen machten und sich boshaft
und gehässig zulächelten, und er glaubte in manchen Gesichtern etwas
ganz Eigentümliches und Zweideutiges zu entdecken, was die allgemeine
Verlegenheit noch verstärkte. Daß Nosdrjow ein Erzlügner und Schwindler
war, das wußte jedermann, und es wäre keinem Menschen aufgefallen, wenn
er etwas ganz Unsinniges und Törichtes von ihm gehört hätte; aber der
sterbliche Mensch ist -- nein, es ist wirklich schwer zu verstehen, wie
dieser sterbliche Mensch nun eigentlich beschaffen ist; so albern und
läppisch eine Neuigkeit auch sein mag, wenn es nur eine _Neuigkeit_ ist,
so wird er sie unbedingt einem andern Sterblichen mitteilen, wenn auch
nur um zu sagen: »Was sie da wieder für ein Lügenmärchen verbreiten!«
Und der andre Sterbliche wird höchst vergnügt die Ohren spitzen, wenn er
auch später sagen wird: »Aber das ist doch eine gemeine Lüge, der man
gar keine Beachtung schenken sollte!« Und gleich darauf wird er sich
aufmachen und sich einen dritten Sterblichen suchen, um ihm die
Geschichte zu erzählen und dann mit ihm zusammen in edler Empörung
auszurufen: »Was für eine gemeine Lüge!« Und so wird das Gerücht die
Runde durch die ganze Stadt machen, und alle Sterblichen, soviel ihrer
da sind, werden solange über die Sache sprechen, bis sie sie satt
kriegen, und dann behaupten, die ganze Geschichte sei es nicht wert, daß
man über sie rede.

Diese anscheinend so unbedeutende und belanglose Begebenheit hatte
unseren Helden indessen merklich verstimmt. So dumm und albern auch die
Reden eines Narren sind, oft reichen sie doch hin, um auch einen klugen
Mann in Verlegenheit zu bringen. Er fühlte sich plötzlich sehr
unbehaglich und peinlich berührt, wie wenn er mit einem schöngeputzten
Stiefel in eine schmutzige, stinkende Pfütze getreten wäre; mit einem
Wort, es war nicht schön, garnicht schön! Er versuchte es, nicht daran
zu denken, sich zu vergessen, zu zerstreuen, setzte sich sogar an den
Whisttisch, aber es ging alles schief wie ein verbogenes Rad: zweimal
spielte er die falsche Farbe aus, er vergaß sogar einmal, daß er eine
Karte nicht stechen durfte, holte mit der Hand aus und übertrumpfte
seine eigene Karte. Der Gerichtspräsident konnte es durchaus nicht
verstehen, wie es bloß möglich war, daß Pawel Iwanowitsch, der ein so
guter, ja man kann sagen feiner Spieler war, sich solche Schnitzer
zuschulden kommen und sogar seinen Pique-König übertrumpfen lassen
konnte, auf den er seine ganze Hoffnung gesetzt hatte, wie auf den
lieben Gott; dies waren seine eigenen Worte. Natürlich machten sich der
Postmeister, der Gerichtspräsident und sogar der Polizeimeister, wie das
zu geschehen pflegt, ein wenig über unsern Helden lustig und neckten ihn
damit, daß er wohl gar verliebt sei und daß Pawel Iwanowitsch, wie sie
ja wüßten, ein leicht entzündliches Herz habe. Auch sei es ihnen
bekannt, wer es verwundet hätte. Aber dieses war kein Trost für ihn, so
sehr er es auch versuchte, zu lächeln und die Scherze mit Scherzen zu
beantworten. Beim Abendessen wollte es ihm auch nicht gelingen, sich so
recht zur Geltung zu bringen, obwohl die Tischgesellschaft sehr angenehm
war und trotzdem man Nosdrjow schon längst hinausbefördert hatte, weil
selbst die Damen schließlich anerkennen mußten, daß sein Benehmen gar zu
skandalös war. Während des Kotillons hatte er nämlich ganz plötzlich auf
dem Parkett Platz genommen und die Tänzer bei den Frackschößen gepackt,
was nach dem Ausdruck der Damen, schon ein ganz unmögliches Betragen
war. Das Abendessen war sehr lustig: Alle Gesichter, die zwischen den
dreiarmigen Leuchtern, Blumen, Flaschen und Schüsseln mit Konfekt
hindurchschimmerten, glänzten vor eitel Freude und Befriedigung. Die
Offiziere, die Damen und die befrackten Herren -- flossen alle über vor
Liebenswürdigkeit bis zum Überdruß. Ein Oberst überreichte sogar seiner
Dame die Saucenschüssel, indem er sie auf der nackten Degenspitze
balancierte. Die älteren Herren, in deren Mitte auch Tschitschikow saß,
debattierten eifrig, und jedes treffende Wort wurde von einem kernhaften
Bissen Fisch oder Fleisch, der nur so von Senf triefte, begleitet; man
stritt gerade über die Gegenstände, für die sich Tschitschikow immer
lebhaft interessiert hatte, und doch glich er heute Abend einem
Menschen, der müde und zerschlagen von einem langen Wege heimgekehrt
ist, dessen Gehirn ihm den Dienst verweigert und dem nichts mehr
einfallen will. So wartete er denn nicht einmal das Ende des Soupers ab,
und fuhr viel früher nach Hause, als dies sonst seine Gewohnheit war.

Dort in jenem Zimmer, das der Leser so gut kennt, mit der Kommode, die
vor der Türe stand, und den hie und da aus den Ecken herausguckenden
Schwabenkäfern, wollten indessen sein Geist und seine Gedanken ebenso
wenig zur Ruhe kommen, wie der wacklige Lehnstuhl, in dem er saß. Es war
ihm sehr schwer ums Herz. Eine lastende Leere quälte ihn: »Wenn doch
alle die Menschen, welche diese Bälle erfunden haben, der Teufel holte!«
rief er wütend. »Welchen Anlaß haben sie nur, so zu jubeln? In der
Provinz herrschen Mißernte, Teuerung und Hungersnot, und sie geben
Bälle! Auch was Rechtes: hüllen sich da in alte Weiberlappen. Denken
Wunder was sie sind, wenn sie mehr als tausend Rubel auf ihrem Leibe
tragen! Das muß doch schließlich der Bauer mit seiner Steuer bezahlen,
und am Ende fällt es gar auf unsereinen zurück. Man weiß doch, weswegen
die Herren so heucheln und sich dennoch bezahlen lassen: um ihrer Frau
einen teuren Shawl, Roben und weiß der Teufel wie sie es sonst noch
nennen zu kaufen! Und wozu das alles? Damit nur ja keins von diesen
liederlichen Frauenzimmern sagen kann, die Frau Postmeisterin habe ein
besseres Kleid angehabt, -- deswegen schmeißt man tausend Rubel aus dem
Fenster. Da schreit man: ein Ball, ein Ball, wie amüsant! Ich mache mir
einen Dreck aus so 'nem Ball, das entspricht dem russischen Wesen gar
nicht, das ist eine ganz unrussische Einrichtung. Pfui Teufel noch
einmal: kommt da plötzlich ein reifer erwachsener Mensch im schwarzen
Frack wie ein nackter, gerupfter Teufel angesprungen und fuchtelt mit
den Beinen hin und her. Und ein anderer steht wohl gar mit einem andern
zusammen, unterhält sich mit ihm über eine ernste Angelegenheit und
führt rechts und links allerlei Arabesken auf dem Fußboden aus ... Das
ist alles nichts wie Nachäfferei; nichts wie Nachäfferei. Weil der
Franzose mit vierzig Jahren noch gerad so ein Kind ist, wie mit
fünfzehn, darum müssen wir's auch so machen! Nein wirklich, nach jedem
Ball ist mir zumute als hätte ich irgendein Verbrechen begangen, man
möchte lieber gar nicht daran denken! Der Kopf ist einem so leer wie
nach einem Gespräch mit einem vornehmen Weltmann: der schwatzt einem was
vor, berührt alles nur ganz obenhin, tischt einem was auf, was er sich
aus Büchern zusammengerafft hat; das klingt alles sehr schön und nett,
und doch ist einem der Kopf grad so leer, wie vordem; so daß man
schließlich überzeugt ist, daß eine Unterhaltung mit einem einfachen
Kaufmann, der nichts kennt wie sein Geschäft, es dafür aber auch
gründlich und aus dem ff kennt, mehr wert ist als all diese
Kinkerlitzchen. Was hat man nun von solch einem Ball? Wenn es zum
Beispiel einem Schriftsteller einfiele, diese ganze Szene zu schildern,
genau so wie sie sich abgespielt hat? Sie würde sich doch in einem Buche
genau so töricht und albern ausnehmen wie in Natur. Man weiß wirklich
nicht, wie sie wirken würde: sittlich oder unsittlich? Weiß der Teufel,
was das ist. Man würde nur ausspucken und das Buch zuklappen!« So
unfreundlich äußerte sich Tschitschikow über die Bälle im allgemeinen;
aber ich glaube, sein Unwillen hatte auch noch einen andern Grund. Was
ihn am meisten ärgerte, war in Wahrheit garnicht der Ball, sondern der
Umstand, daß er hereingefallen, plötzlich vor allen Leuten in Gott weiß
was für einem Lichte erschienen war, und dabei eine so seltsame und
höchst zweideutige Rolle gespielt hatte. Freilich, wenn er das
Vorgefallene mit dem Auge eines vernünftigen Menschen überschaute, sah
er, daß das alles nur Kleinigkeiten waren, und daß ein törichtes Wort
gar nichts zu bedeuten habe, besonders jetzt, wo die Hauptsache bereits
glücklich vollendet und erledigt war. Aber -- so seltsam ist nun einmal
der Mensch: was ihn so tief betrübte, war dies, daß er sich die
Zuneigung derselben Menschen verscherzt hatte, die er doch selbst nicht
achtete, über die er so hart urteilte und die er wegen ihrer Eitelkeit
und Putzsucht so scharf getadelt hatte. Das ärgerte ihn um so mehr, als
er sich bei genauerer Prüfung eingestehen mußte, daß er selbst einige
Schuld daran trug. Trotzdem zürnte er sich selber nicht im geringsten
und darin hatte er natürlich recht. Wir leiden alle an dieser kleinen
Schwäche, daß wir uns selbst gerne etwas schonen und uns lieber irgend
einen von unseren Nächsten aussuchen, an dem wir unseren Ärger auslassen
können, entweder einen Diener oder einen von unseren Untergebenen, der
uns gerade in den Weg läuft, oder unsere Frau, oder endlich gar einen
Stuhl, den wir gegen die Türe oder weiß der Teufel wohin schleudern,
sodaß ein Bein oder die Lehne bricht, damit die Herrschaften unseren
Zorn einmal gründlich kennen lernen! So fand auch Tschitschikow bald
einen Nächsten, der alles auf seinen Schultern davon tragen mußte, was
ihm sein Zorn eingab. Dieser liebe Nächste war Nosdrjow, und es läßt
sich nicht leugnen, daß er so kräftig von hinten und vorne und von allen
Seiten vermöbelt wurde, wie höchstens noch irgend ein Spitzbube von
einem Dorfschulzen oder ein Postkutscher von einem Reisenden, einem
Hauptmann mit reicher Erfahrung oder unter Umständen auch von einem
General vermöbelt wird, welcher zu den vielen klassischen Schimpfworten,
die er ihm an den Kopf wirft, noch eine ganze Reihe von andern
unbekannten auskramt, die seinem eigensten Erfindergeist entspringen.
Nosdrjows ganzer Stammbaum wurde hergenommen, und vielen Mitgliedern
seiner Familie in aufsteigender Linie wurde stark mitgespielt.

Aber während Tschitschikow so von trüben Gedanken geplagt, schlaflos in
seinem harten Lehnstuhle saß und Nosdrjow samt seiner ganzen Familie
tüchtig durchhechelte, während das Talglicht langsam niederbrannte,
dessen Docht schon ellenlang verkohlt war, sodaß die Kerze jede Minute
zu verlöschen drohte, während undurchdringliche nächtliche Finsternis
durchs Fenster blickte, und bei der nahenden Morgenröte schon im Begriff
war, in blaue Dämmerung umzuschlagen, während sich in der Ferne ab und
zu ein paar Hähne ihren Weckruf zukrähten, und irgendwo ein
Unglücklicher von unbekanntem Stand und Herkommen in einfachem
Wollmantel heimlich durch die stillen Straßen der verschlafenen Stadt
schlich, er, der nur den einen (leider nur den einen!) von dem
unbändigen russischen Volke ausgetretenen Weg kennt -- spielte sich am
andern Ende der Stadt ein Vorgang ab, welcher die peinliche Lage unseres
Helden noch verschlimmern sollte. Durch die entlegenen Straßen und
Gäßchen rasselte nämlich in diesem Augenblick ein gar seltsames Gefährt,
für welches nicht gleich ein Name zu finden wäre. Es hatte weder
Ähnlichkeit mit einem Bauernwagen, noch mit einer Kutsche, noch mit
einer Equipage, sondern glich eher einer pausbäckigen, dickbauchigen
Wassermelone, die man auf ein paar Räder gestellt hatte. Die Backen
dieser Wassermelone, d. h. die Wagentüren, welche noch Spuren von gelber
Farbe aufwiesen, schlossen sehr schlecht wegen des üblen Zustandes, in
dem sich die Klinken und Schlösser befanden, die nur notdürftig mit ein
paar Stricken zusammengebunden waren. Diese Wassermelone war mit
Kattunkopfkissen, die wie Tabaksbeutel, Rollkissen oder gewöhnliche
Kissen aussahen, und mit Säcken voll Getreide, Semmeln, Wecken und
Bretzeln aus gebrühtem Teig angefüllt. -- Oben guckten sogar eine
Hühner- und eine Salzpastete heraus. Auf dem Trittbrett stand eine
Gestalt, von lakaienhaftem Aussehen in einer gesprenkelten Jacke. Sie
war unrasiert, und ihre Haare begannen schon zu ergrauen. Mit einem
Wort, es war die bekannte Figur, die bei uns zu Lande »Bursch« genannt
zu werden pflegt. Der Lärm und das Gerassel der eisernen Klammern und
rostigen Schrauben weckten den Wächter am andern Ende der Stadt, sodaß
er seine Hellebarde aufrichtete und noch schlaftrunken aus voller Kehle:
Wer da? rief. Als er jedoch bemerkte, daß niemand da war, und nur ein
starkes Rasseln aus der Ferne herüber tönte, machte er sich flugs daran
ein Tierchen, das auf seinem Kragen saß, zu fangen, worauf er sich der
Laterne näherte, um hier eigenhändig das Todesurteil auf seinem Nagel zu
vollstrecken. Dann ließ er die Hellebarde wieder aus der Hand sinken, um
nach den Satzungen seines Ritterordens wieder einzuschlafen. Die Pferde
stolperten über ihre Vorderbeine, weil sie nicht beschlagen waren und
weil sie offenbar das bequeme Stadtpflaster noch nicht genügend kannten.
Die Kalesche machte noch ein paar Wendungen, indem sie aus einer Straße
in die andere einbog, und nahm endlich ihren Weg durch eine dunkle Gasse
an der kleinen Pfarrkirche St. Nikolaus vorüber, um vor dem Hause der
Frau Oberpfarrer Halt zu machen. Aus dem Wagen kroch ein Mädchen in
einem Flausrock und einem Tuch um den Kopf, und hämmerte mit beiden
Fäusten so stark auf das Tor los, wie ein Mann. (Der Bursche in dem
gesprenkelten Rock wurde erst nachher an den Füßen von seinem Standort
heruntergezogen, denn er schlief so fest wie ein Toter.) Die Hunde
fingen an zu bellen. Nach einiger Zeit öffnete sich auch das Tor und
verschlang, wenn auch nicht ohne Mühe, dieses plumpe Vehikel. Der Wagen
rollte in den engen Hof, in dem Holz aufgestapelt war, und in dem sich
mehrere Hühnerställe und andere Ställe befanden; zuletzt stieg noch eine
Dame aus dem Wagen; dies war die Gutsbesitzerin und Kollegiensekretärin
Korobotschka. Die alte Dame war bald nach der Abreise unseres Helden in
große Unruhe und Aufregung darüber geraten, daß sie von ihm betrogen
sein könnte, und hatte sich nach drei schlaflos verbrachten Nächten
endlich entschlossen, nach der Stadt zu fahren, obwohl die Pferde nicht
beschlagen waren, um dort Erkundigungen darüber einzuziehen, welchen
Kurs die toten Seelen hätten, und ob es nicht am Ende eine große Torheit
war, als sie sich überreden ließ, sie so billig zu verkaufen. Was ihre
Ankunft für Folgen hatte, kann der Leser aus einer Unterhaltung
entnehmen, welche bald darauf zwischen zwei Damen stattfand. Diese
Unterhaltung .... doch diese Unterhaltung mag lieber im nächsten Kapitel
stattfinden.


                            Neuntes Kapitel.

Eines Morgens, noch vor der Stunde, wo in der Stadt N. die Besuchszeit
beginnt, flatterte aus der Türe eines orangefarbenen, hölzernen Hauses
mit einem Erker und einigen blau angestrichenen Säulen, eine Dame in
einem eleganten gestreiften Kleidchen heraus, begleitet von einem Lakai
in einem Mantel mit mehreren Kragen und einem runden glänzenden Hut mit
goldenen Tressen. Die Dame hüpfte eilig die steile Treppe hinab, um
gleich darauf in dem vor der Türe haltenden Wagen zu verschwinden. Der
Lakai warf sogleich die Wagentüre zu, sprang auf das Trittbrett und
schrie dem Kutscher »Vorwärts!« zu. Die Dame brachte eine Neuigkeit mit,
die sie soeben erfahren hatte, und spürte ein schier unüberwindliches
Verlangen, sie auch anderen Leuten mitzuteilen. Sie blickte jeden
Augenblick aus dem Fenster und mußte sich zu ihrem unendlichen Ärger
überzeugen, daß sie kaum mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt
hatte. Jedes Haus kam ihr heute länger vor als gewöhnlich, das armselige
Asyl für alte Frauen mit seinen schmalen Fenstern schien gar kein Ende
nehmen zu wollen, so daß die Dame es schließlich nicht mehr aushielt und
ausrief: »Das verfluchte Haus, ist es denn noch immer nicht zu Ende!«
Der Kutscher hatte schon zweimal den Befehl erhalten, sich doch zu
beeilen: »Schneller, schneller, Andrjuschka! Du fährst ja heute
unerträglich langsam!« Endlich war das Ziel erreicht. Die Kutsche hielt
vor einem einstöckigen hölzernen Haus von dunkelgrauer Farbe mit weißen
Basreliefs über den Fenstern, vor denen sich ein hohes Holzgitter
befand; ein schmaler Staketenzaun friedigte das Ganze ein, dahinter
standen ein paar magere Bäumchen, die beständig mit Straßenstaub bedeckt
waren und daher ganz weiß aussahen. An den Fenstern sah man einige
Blumentöpfe, einen Papagei, der sich in seinem Käfig schaukelte, indem
er sich mit seinem Schnabel an ein Stäbchen anhakte, und zwei Hündchen,
die in der Sonne schliefen. In diesem Hause wohnte eine treue und
aufrichtige Freundin der soeben eingetroffenen Dame. Der Autor ist in
großer Verlegenheit, wie er beide Damen bezeichnen soll und zwar so, daß
ihm niemand deswegen zürne, wie man dies ehemals zu tun pflegte. Irgend
einen Familiennamen erfinden -- das wäre zu gefährlich. Was er auch für
einen Namen wählen würde -- es würde sich ganz sicher in irgend einem
Winkel unseres Landes -- groß genug ist es dazu -- jemand finden, der
denselben Namen trägt, ihm ganz ernstlich böse sein, sein Todfeind
werden und sagen würde, der Autor sei allein deswegen hingereist, um im
geheimen zu erforschen und zu erfahren, wer dieser Jemand eigentlich
sei, in was für einem Pelz er spazieren gehe, bei welcher Frau Agrafena
Iwanowna er verkehre, und was seine Lieblingsgerichte seien; oder nenne
ihn bei seinem Rang und Titel -- so begibst du dich in eine noch größere
Gefahr. Gott behüte! Heutzutage sind alle Berufe und Stände bei uns so
empfindlich geworden, daß sie alles, was sie in einem Buche gedruckt
lesen, sofort für eine persönliche Beleidigung halten: das liegt nun mal
so in der Luft. Man braucht nur zu erklären: in der und der Stadt gebe
es einen dummen Kerl -- sofort ist's eine persönliche Beleidigung: im
Handumdrehen meldet sich schon ein Herr von sehr würdigem Äußeren und
schreit einen an: »Ich bin doch auch ein Mensch, also bin ich wohl
dumm?« Mit einem Wort, er hat es sogleich heraus, um was es sich
handelt. Und darum wollen wir, um all diesen unangenehmen Eventualitäten
aus dem Wege zu gehen, _die_ Dame, welche den Besuch erhielt, so nennen,
wie sie fast einstimmig von der ganzen Stadt N. genannt wurde: nämlich:
die _in jeder Beziehung angenehme_ Dame. Diesen Namen hatte sie von
Rechts wegen erhalten, denn sie hatte in der Tat kein Mittel gescheut,
um im höchsten Grade angenehm und liebenswürdig zu erscheinen, obwohl
freilich aus ihrer Liebenswürdigkeit oft die ganze Schlauheit und
Gewandtheit des weiblichen Charakters hervorblickte, und in manch einem
ihrer stets angenehmen Worte eine ganz gefährliche Spitze verborgen lag!
Garnicht erst davon zu reden, was für ein Grimm gegen jede in ihrem
Herzen kochte, die es gewagt hätte, auf irgend eine Weise in eine erste
Stellung einzurücken. Aber dies alles kleidete sich in das Gewand
feinster weltmännischer Formen, wie man sie nur in einer Provinzstadt
finden kann. Jede ihrer Bewegungen war geschmackvoll, sie schwärmte sehr
für lyrische Gedichte, verstand es sogar, hin und wieder ihr Köpfchen
träumerisch auf die Schulter sinken zu lassen, mit einem Wort, alle
waren einverstanden, daß sie wirklich eine _in jeder Beziehung angenehme
Dame_ sei. Die andre Dame, das heißt jene, welche soeben angekommen war,
hatte keinen so vielseitig veranlagten Charakter, und daher wollen wir
sie _bloß die angenehme Dame_ nennen. Ihre Ankunft weckte die Hündchen,
welche sich auf der Fensterbank sonnten: die zottige Adèle, die sich
beständig in ihrem eigenen Pelze verstrickte und den Rüden Potpourri,
der zwei Paar äußerst dünne Beinchen hatte. Beide stürzten mit
geringelten Schwänzen und unter lebhaftem Gebell ins Vorzimmer, wo die
neuangekommene Dame sich soeben ihres Shawles entledigte und nun in
einem Kleid von neustem Schnitt und moderner Farbe, mit einer langen Boa
um den Hals dastand. Ein intensiver Jasmingeruch verbreitete sich durch
das ganze Zimmer. Kaum hatte die in jeder Beziehung angenehme Dame von
der Ankunft der bloß angenehmen Dame erfahren, als auch sie schon ins
Vorzimmer gelaufen kam. Beide Freundinnen ergriffen sich bei der Hand,
küßten sich und schrieen dabei auf, wie zwei junge Mädchen, die sich
bald nach ihrer Entlassung aus dem Pensionat wieder treffen, bevor noch
die beiden Mütter ihnen klar gemacht haben, daß der Vater der einen
ärmer und kein so hoher Beamter ist, als der Vater der andern. Sie
küßten sich so laut, daß beide Hündchen wieder zu bellen begannen, wofür
sie einen sanften Schlag mit dem Tuche erhielten, -- und beide Damen
begaben sich in den natürlich blautapezierten Salon, in dem ein Sofa,
ein ovaler Tisch und ein paar Fensterschirme standen, um die sich Efeu
rankte; nach ihnen kam die zottige Adèle und der große Potpourri mit den
langen Beinen knurrend ins Zimmer gelaufen. »Hierher, hierher, in dieses
Eckchen!« sagte die Hausfrau, indem sie den Gast in einer Ecke des Sofas
Platz nehmen ließ. »So ist's schön, so ist's recht! Da haben Sie auch
ein Kissen!« Mit diesen Worten schob sie jener ein schön gesticktes
Kissen in den Rücken; die Stickerei stellte einen von jenen Rittern dar,
wie sie gewöhnlich auf Tülle gestickt werden: seine Nase hatte große
Ähnlichkeit mit einer Treppe und die Lippen waren viereckig. »Wie froh
ich bin, daß Sie ... Ich höre jemand vorfahren und denke mir, wer könnte
das wohl sein, schon so früh? Parascha meinte, es sei die Frau
Vizegouverneur, und ich sage noch zu ihr: sollte die dumme Person schon
wieder gekommen sein, um mich zu langweilen? ich wollte mich schon
verleugnen lassen ...«

Die andre Dame war schon im Begriff zur Sache zu kommen und ihre
Neuigkeit auszukramen, aber ein Ausruf, den die in jeder Beziehung
angenehme Dame in diesem Augenblick tat, gab dem Gespräch eine ganz neue
Wendung.

»Was für ein hübscher heller Kattunstoff!« rief die in jeder Beziehung
angenehme Dame, während sie das Kleid der bloß angenehmen Dame
aufmerksam musterte.

»Ja ein sehr heller lebhafter Stoff! Praskowja Fjodorowna findet aber,
daß es hübscher aussehen würde, wenn die Karos noch etwas kleiner und
die Pünktchen nicht braun, sondern blau wären. Ich habe meiner Schwester
einen Stoff geschickt; der ist so entzückend! ich kann's gar nicht
sagen! Denken Sie nur: ganz schmale schmale Streifchen, auf blauem
Grunde, so schmal wie man sich's überhaupt nur vorstellen kann und
zwischen zwei Streifen immer Äuglein und Pfötchen, Äuglein und Pfötchen
.... Mit einem Wort, ganz herrlich! Man kann getrost behaupten, etwas
Schöneres hat es noch nie auf der Welt gegeben.«

»Wissen Sie, Liebste, das wirkt zu bunt.«

»Oh nein! Gar nicht bunt!«

»Oh doch! Viel zu bunt!«

Hier muß ich einschalten, daß die in jeder Beziehung angenehme Dame in
gewissem Sinne Materialistin war, eine starke Neigung zur Negation und
zum Zweifel hatte und sehr vieles an diesem Leben verneinte.

Jetzt aber erklärte die bloß angenehme Dame, daß es durchaus nicht zu
bunt sei, und rief: »Ach ja, ich gratuliere, man trägt keine
Faltenbesätze mehr!«

»Wieso trägt man keine mehr?«

»Statt dessen werden jetzt nur noch Festons getragen!«

»Ach! Festons sind doch aber nicht hübsch!«

»Ja man trägt nur noch Festons, nichts wie Festons. Pelerinen aus
Festons, auf den Ärmeln Festons, Aufsätze aus Festons, unten Festons,
mit einem Wort überall Festons.«

»Das ist aber schade Sofja Iwanowna, Festons sind nicht hübsch!«

»Doch Anna Grigorjewna, sie machen sich reizend, ganz entzückend, man
näht sie so: erst faltet man sie zweimal, läßt einen breiten Schlitz und
oben ... Aber warten Sie, jetzt muß ich Ihnen etwas erzählen, worüber
Sie sich wundern werden und sagen werden, daß ... Ja wundern Sie sich
nur: die Taillen werden jetzt viel länger getragen, vorn laufen sie ein
wenig spitz aus und das vordere Fischbein ragt ganz weit hervor; der
Rock wird rings herum gerafft wie bei den alten Reifröcken, und sogar
hinten ein wenig wattiert, ganz _à la belle femme_.«

»Nein, wissen Sie, das geht zu weit! Das muß ich denn doch sagen!« rief
die in jeder Beziehung angenehme Dame aus, machte eine empörte
Kopfbewegung und richtete sich im Gefühl ihrer Würde stolz auf.

»Sehr richtig, das geht zu weit, das muß ich auch sagen!« antwortete die
bloß angenehme Dame.

»Nein, Verehrteste, machen Sie was Sie wollen, aber da tue ich nicht
mit!«

»Ich auch nicht ... Wenn man sich vorstellt, was nicht alles Mode wird
... da hört doch alles auf! Ich habe meine Schwester um den Schnitt
gebeten, bloß so zum Scherz, wissen Sie. Meine Melanie ist eben am
Nähen.«

»Was, Sie haben den Schnitt?« rief die in jeder Beziehung angenehme Dame
aus, nicht ohne daß man ihr eine gewisse innere Bewegung angemerkt
hätte.

»Natürlich. Meine Schwester hat ihn mitgebracht!«

»Herzchen, geben Sie ihn mir, bei allem, was Ihnen heilig ist!«

»Schade, ich habe ihn schon Proskowja Iwanowna versprochen. Vielleicht
nach ihr?«

»Wer wird denn etwas tragen, was Proskowja Iwanowna schon getragen hat?
Ich fände das sehr merkwürdig von Ihnen, wenn Sie eine Fremde ihrer
nächsten Freundin vorzögen!«

»Aber sie ist doch meine Tante zweiten Grades?«

»Ach, was ist das für eine Tante. Sie sind doch nur durch Ihren Mann mit
ihr verwandt ... Nein, Sofja Iwanowna, davon will ich gar nichts hören
-- Sie wollen mich beleidigen, Sie haben mich wohl schon satt bekommen
und wollen die Bekanntschaft mit mir abbrechen ...«

Die arme Sofja Iwanowna wußte garnicht, was sie anfangen sollte. Sie
merkte sehr gut, in welch ein Kreuzfeuer sie geraten war. Das kam von
der Wichtigtuerei! Sie hätte sich ihre dumme Zunge mit Nadeln zerstechen
mögen.

»Nun, und was macht unser Galan?« fuhr jetzt die in jeder Beziehung
angenehme Dame fort.

»Ach Gott, ach Gott. Und da sitze ich die ganze Zeit über mit Ihnen
zusammen. Eine schöne Geschichte! Wissen Sie Anna Grigorjewna, was ich
Ihnen für eine Neuigkeit mitgebracht habe?« Hier ging ihr der Atem aus,
ein ganzer Schwall von Worten drängte sich ihr auf die Zunge wie eine
Schar von Habichten, die wie ein Sturmwind dahinjagen und sich in
schnellem Fluge zu überholen streben. Es gehörte schon die ganze
unmenschliche Härte und Grausamkeit ihrer treusten Freundin dazu, um ihr
an dieser Stelle ins Wort zu fallen.

»Loben Sie ihn und heben Sie ihn in den Himmel, soviel Sie wollen,«
sagte sie mit einer ungewöhnlichen Lebhaftigkeit. -- »Und ich sage Ihnen
-- ich will es ihm meinetwegen selbst ins Gesicht sagen: er ist ein
nichtswürdiger Mensch; ein _nichts_würdiger, nichts_würdiger_ Mensch!«

»Ja aber hören Sie doch nur, was ich Ihnen mitzuteilen habe!«

»Da redet alle Welt davon, daß er schön sei, und dabei ist er nichts
weniger als schön, nichts weniger -- seine Nase -- er hat eine geradezu
widerwärtige Nase.«

»Aber lassen Sie mich, lassen Sie mich Ihnen doch erzählen, Herzchen,
Anna Grigorjewna, so lassen Sie mich doch nur erzählen. Das ist ja eine
ganze Geschichte, ich sage Ihnen, eine Geschichte >Bö kon apell
istoar<,« sprach die Freundin mit dem Ausdruck vollkommenster
Verzweiflung und mit flehender Stimme. -- Es ist vielleicht nicht
überflüssig, bei dieser Gelegenheit zu erwähnen, daß beide Damen sehr
viel fremde Worte und sogar lange französische Phrasen in ihr Gespräch
einflochten. Aber so groß die Ehrfurcht ist, die der Verfasser für die
französische Sprache hegt, wegen der heilsamen Folgen, die sie für unser
Vaterland hat, so groß seine Achtung vor jener löblichen Sitte unserer
besseren Kreise ist, welche diese Sprache zu allen Tageszeiten,
natürlich nur aus innigster Liebe für ihr Vaterland, zu ihrer
Verständigung gebrauchen, er kann es trotzdem nicht über sich gewinnen,
einen Satz aus einer fremden Sprache in diese rein russische Dichtung
hineinzunehmen, und so fahren wir denn auch russisch fort.

»Was für eine Geschichte?«

»Ach, meine liebste Anna Grigorjewna, wenn Sie sich bloß vorstellen
könnten, in was für einer Lage ich mich befand! Denken Sie sich, da
kommt heute die Oberpfarrerin, die Frau Oberpfarrer, die Frau des Vater
Cyrill zu mir; na, und was denken Sie? unser sanfter Heinrich! Sie
wissen schon: der neue Gast, ja was sagen Sie bloß zu ihm?«

»Wie? Er schneidet doch nicht am Ende der Frau Oberpfarrer die Kur?«

»Ach, je! Anna Grigorjewna! Das wäre noch nicht das schlimmste! Nein,
hören Sie bloß, was die Frau Oberpfarrer mir erzählt hat! >Denken Sie
sich,< sagte sie, >kommt da plötzlich die Gutsbesitzerin Karobotschka
bleich wie der Tod zu mir gestürzt und erzählt mir, nein, Sie glauben
garnicht, was die mir erzählt hat. Hören Sie doch nur, was die mir
erzählt hat! Das ist ja der reinste Roman! Mitten in der Nacht, während
im Hause schon alles schlief, hört sie plötzlich einen Höllenlärm, wie
man ihn sich schlimmer garnicht denken kann; mit aller Gewalt wird ans
Tor geklopft, und sie hört eine menschliche Stimme rufen: >Macht auf!
Macht auf! Sonst stoß ich das Tor ein ...< Nun, wie gefällt Ihnen das?
Was sagen Sie bloß zu unserm Galan?«

»Ja, ist denn die Karobotschka jung und hübsch?«

»Ach, was! Eine alte Schachtel!«

»Das sind aber schöne Geschichten! Also hat er sich wohl an die Alte
rangemacht? Na, unsere Damen haben auch einen guten Geschmack, das kann
man wohl sagen. Haben gerade den Rechten erwischt zum Verlieben!«

»Aber nicht doch, Anna Gregorjewna! Es ist ganz anders, wie Sie
vermuten. Denken Sie sich, plötzlich steht er bis an die Zähne bewaffnet
vor ihr, der reinste Rinaldo Rinaldini, und brüllt sie an: >Verkaufe mir
die Seelen derer, die gestorben sind,< sagte er. Die Karobotschka
antwortet natürlich ganz vernünftig: >Ich kann sie nicht verkaufen; sie
sind doch schon tot.< -- >Nein,< ruft er, >sie sind nicht tot. Das ist
meine Sache, zu wissen, ob sie tot sind oder nicht,< sagte er. >Sie sind
nicht tot, sind nicht tot!< schreit er. >Sie sind nicht tot!< Mit einem
Wort, er macht einen furchtbaren Skandal, das ganze Dorf läuft zusammen,
die Kinder heulen, alles schreit durcheinander, kein Mensch versteht den
andern, kurz: ein Orrörrr, Orrörrr, Orrörrr! Sie können sich garnicht
vorstellen, Anna Grigorjewna, wie erschrocken ich war, als ich dies
alles hörte. >Liebe gnädige Frau,< sagt meine Maschka zu mir. >Besehen
Sie sich doch in dem Spiegel! Sie sind ganz bleich!< >Ach, jetzt ist mir
nicht darum zu tun,< sage ich, >ich muß schnell zu Anna Grigorjewna
hinfahren und es ihr erzählen.< Ich lasse sofort anspannen. Mein
Kutscher Andruschka fragt mich, wohin er fahren soll, aber ich bringe
kein Wort heraus und sehe ihm nur ganz blöde ins Gesicht. Ich glaube
wahrhaftig, er hat gedacht, ich sei verrückt geworden. Ach, Anna
Grigorjewna, wenn Sie sich nur vorstellen könnten, wie mich das
aufgeregt hat!«

»Hm! Das ist sehr merkwürdig!« sagte die in jeder Beziehung angenehme
Dame. »Was hat das wohl zu bedeuten, das mit den toten Seelen? Ich muß
gestehen, von dieser Geschichte verstehe ich nichts, rein garnichts.
Jetzt höre ich bereits zum zweiten Male von diesen toten Seelen. Und da
behauptet mein Mann, daß Nosdrjow lügt! Irgend etwas steckt sicher
dahinter!«

»Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage hinein, Anna Grigorjewna,
wie mir zu Mute war, als ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka,
»weiß ich gar nicht, was ich anfangen soll! Er hat mich gezwungen irgend
eine falsche Urkunde zu unterschreiben,« sagt sie, »und mir dann
fünfzehn Rubel in Papier auf den Tisch geworfen. Ich,« sagt sie, »bin
eine unerfahrene hilflose Witwe und verstehe nichts von diesen Sachen.«
Das ist 'ne Geschichte! Nein, wenn Sie sich bloß vorstellen könnten, wie
mich das alles aufgeregt hat.«

»Nein, sagen Sie was Sie wollen! Hier handelt es sich nicht um die toten
Seelen! Da steckt etwas ganz anderes dahinter.«

»Ich muß gestehen, ich dachte schon selbst daran,« sagte die bloß
angenehme Dame ein wenig erstaunt. Sie wurde sofort von der heftigsten
Begierde gepeinigt, zu erfahren, was wohl dahinter stecken könne, und
daher sprach sie gedehnt: »Und was glauben Sie, was dahinter steckt?«

»Nun, was denken Sie wohl?«

»Was ich denke ...? Ich muß sagen ich stehe wie vor einem Rätsel.«

»Ich möchte aber doch wissen, was Sie sich wohl dabei gedacht haben?«

Allein der angenehmen Dame fiel nichts ein und daher schwieg sie. Sie
konnte sich bloß über die Dinge aufregen, aber feine Vermutungen und
Kombinationen aufzustellen, das war nicht ihre Sache, und daher empfand
sie mehr als jede andere ein starkes Bedürfnis nach zärtlicher
Freundschaft, Rat und Beistand.

»Nun gut, dann will ich es Ihnen sagen, was diese toten Seelen zu
bedeuten haben,« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame und ihre
Freundin horchte auf und war ganz Ohr; ihre Ohren spitzten sich wie von
selbst. Sie richtete sich im Sitzen auf, sodaß sie das Sofa kaum noch
berührte und obwohl sie etwas kompakt war, wurde sie plötzlich beinahe
schlank und leicht wie Federflaum, sodaß man hätte glauben können, ein
noch so leichter Lufthauch müßte sie mit sich emportragen.

So scheint ein vornehmer russischer Junker, ein Hundefreund, Jäger und
Draufgänger, wenn er sich dem Walde nähert, aus dem eben ein von den
Treibern halb tot gehetzter Hase herausspringt, sich mit seinem Roß und
der hocherhobenen Koppelpeitsche in der Hand in einem geronnenen
Augenblick in ein Pulverfaß zu verwandeln, in das im nächsten Moment der
zündende Funke fallen soll. Seine Augen möchten die trübe Luft
durchbohren, und für das arme Tier gibts kein Entrinnen mehr. Er setzt
ihm unaufhaltsam nach, und selbst wenn tausend wirbelnde Schneefelder
sich gegen ihn erhöben, die ihm mit ganzen Garben silberner Sterne Mund
und Augen, Schnurrbart, Augenbrauen und die kostbare Bibermütze
überschütteten.

»Die toten Seelen ..« sagte die in jeder Beziehung angenehme Dame.

»Wie? Was?« fuhr die Freundin ganz aufgeregt dazwischen.

»Die toten Seelen ...!«

»Ach so sprechen Sie doch, um Gottes Willen!«

»Sind eine bloße Erfindung und nichts wie ein Vorwand. Hier handelt es
sich in Wahrheit um folgendes: er will die Tochter des Gouverneurs
entführen.«

Diese Schlußfolgerung kam in der Tat sehr unerwartet und war in jeder
Beziehung ungewöhnlich. Als die angenehme Dame dieses hörte, blieb sie
wie versteinert auf ihrem Platze sitzen; sie erbleichte, wurde blaß wie
der Tod, und geriet diesmal ernstlich in Aufregung. »Oh mein Gott!« rief
sie, indem sie die Hände zusammenschlug: »das hätte ich mir wirklich
nicht träumen lassen!«

»Ich muß sagen, Sie hatten kaum den Mund aufgetan, da wußte ich schon,
worum es sich handelt« antwortete die in jeder Beziehung angenehme Dame.

»Was soll man aber nach alledem von der Erziehung im Pensionat denken.
Die liebe Unschuld!«

»Schöne Unschuld! Ich habe die Dinge reden hören! wahrhaftig ich hätte
nicht den Mut gehabt, so etwas auszusprechen.«

»Wissen Sie, Anna Grigorjewna, es ist wirklich zu schmerzlich, wenn man
sieht, wie weit heute die Unsittlichkeit geht!«

»Und die Herren sind ganz verschossen in sie. Ich dagegen muß gestehen,
daß ich nichts an ihr finden kann.«

»Sie ist schrecklich affektiert, geradezu unerträglich affektiert.«

»Ach liebste Anna Grigorjewna, sie ist kalt wie ein Marmorbild, ohne den
geringsten Ausdruck im Gesicht.«

»Nein, wie affektiert, wie schrecklich affektiert sie ist, Gott, wie
affektiert! Wer sie das nur gelehrt haben mag? Aber ich habe noch nie
ein Mädchen gesehen, das ein so geziertes Wesen gehabt hätte.«

»Liebste, Sie ist eine Marmorstatue, und bleich wie der Tod.«

»Ach, sagen Sie doch das nicht, Sofia Iwanowna, sie legt ja Rot auf, daß
es 'ne Schande ist.«

»Nein, was sprechen Sie, Anna Grigorjewna; sie ist ja bleich wie Kreide,
ganz wie Kreide.«

»Meine Liebe, ich habe doch neben ihr gesessen, die Schminke sitzt ihr
ja fingerdick auf den Wangen, und bröckelt stückweise ab wie der Kalk
von der Wand. Das hat sie von ihrer Mutter. Die ist selbst eine
abgefeimte Kokette, aber die Tochter ist der Mutter noch über.«

»Nein, erlauben Sie, nein, sagen Sie selbst, wobei ich schwören soll,
ich gebe gleich alles hin, meinen Mann, meine Kinder, all mein Hab und
Gut, wenn sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen Anflug
von Farbe hat!«

»Ach, was reden Sie bloß, Sofia Iwanowna,« sagte die in jeder Beziehung
angenehme Dame, und schlug die Hände zusammen.

»Nein, wie sonderbar Sie sind! wirklich, Anna Grigorjewna, ich sehe Sie
bloß an und staune!« sagte die angenehme Dame, und schlug gleichfalls
die Hände zusammen.

Der Leser darf sich nicht darüber wundern, daß beide Damen sich durchaus
nicht über das einigen konnten, was sie doch fast zu gleicher Zeit
gesehen hatten. Es gibt tatsächlich sehr viele Dinge auf der Welt, die
diese merkwürdige Beschaffenheit haben; werden sie von _einer_ Dame
betrachtet, so sind sie ganz weiß; betrachtet sie dagegen eine andre
Dame, so sind sie ganz _rot_, rot wie Preißelbeeren.

»Nun, da haben Sie _noch_ einen Beweis dafür, daß sie blaß ist,« fuhr
die angenehme Dame fort: »ich erinnere mich noch ganz deutlich, wie wenn
es heute wäre, daß ich neben Manilow saß und zu ihm sagte: >Sehen Sie
doch, wie bleich sie ist!< Wirklich, man muß schon so unvernünftig sein,
wie unsere Herren, um sich für sie zu begeistern. Und unser Herr Galan
... Herrgott, wie er mir in diesem Augenblick widerwärtig war! Sie
können sich garnicht vorstellen, wie er mir widerwärtig war!«

»Und doch gab es gewisse Damen, denen er nicht ganz gleichgültig war.«

»Meinen Sie mich, Anna Grigorjewna? Das können Sie doch wirklich nicht
sagen. Niemals, niemals!«

»Ich spreche doch nicht von Ihnen, es gibt doch noch andre Frauen auf
der Welt!«

»Niemals, niemals, Anna Grigorjewna. Erlauben Sie mir zu bemerken, daß
ich mich sehr gut kenne; das trifft mich wirklich nicht, aber vielleicht
andre Damen, die sich den Schein der Unnahbarkeit zu geben suchen.«

»Nein, verzeihen Sie Sofia Iwanowna, bitte lassen Sie sich sagen, daß
ich noch nie in eine solche Skandalgeschichte verwickelt war. So etwas
mag vielleicht jeder andern begegnen, aber mir nicht, Sie müssen mir
schon gestatten, Ihnen dieses zu bemerken.«

»Warum sind Sie denn so gekränkt? Außer Ihnen waren doch noch andre
Damen anwesend, welche den Stuhl an der Türe zu allererst besetzen
wollten, um möglichst nahe bei ihm zu sitzen.«

Man hätte meinen sollen, diese Worte der angenehmen Dame hätten
unbedingt ein Ungewitter zur Folge haben müssen; aber merkwürdigerweise
verstummten beide Damen ganz plötzlich, und der erwartete Sturm blieb
aus. Die in jeder Beziehung angenehme Dame erinnerte sich noch zur
rechten Zeit, daß der Schnitt zum neuen Kleide noch nicht in ihrer Hand
war, und die bloß angenehme Dame war sich darüber klar, daß sie noch gar
keine Einzelheiten über die Entdeckung ihrer besten Freundin wußte, und
daher schloß man sehr schnell wieder Frieden. Übrigens kann man nicht
sagen, daß beide Damen von Natur das Bedürfnis hatten, sich
Unannehmlichkeiten zu bereiten, auch hatten sie nicht eigentlich einen
boshaften Charakter, es kam gleichsam ganz von selbst, daß sich während
des Gespräches der fast unmerkliche Wunsch in ihnen regte, einander
einen kleinen Hieb zu versetzen; da ereignete es sich denn zuweilen, daß
es der einen von beiden eine kleine Freude machte, der Freundin bei
Gelegenheit ein herzhaftes Wort zu sagen: »Da hast du's! nimm und friß
es!« So verschieden sind Herzensbedürfnisse beim männlichen und
weiblichen Geschlechte.

»Ich kann nur eins nicht verstehen,« sagte die bloß angenehme Dame, »wie
Tschitschikow, der doch hier nur auf der Durchreise ist, sich zu einem
so tollkühnen Abenteuer entschließen konnte. Er muß doch irgend welche
Helfershelfer haben.«

»Und Sie glauben wohl er hat keine?«

»Und was meinen Sie, wer könnte ihm dabei helfen?«

»Nun, zum Beispiel -- Nosdrjow!«

»Glauben Sie wirklich -- Nosdrjow?«

»Warum nicht. Der ist doch zu allem fähig. Wissen Sie denn nicht, er hat
seinen leiblichen Vater verkaufen oder richtiger am Kartentisch
verspielen wollen.«

»Gott, was für interessante Neuigkeiten ich von Ihnen erfahre! Ich hätte
nie gedacht, daß auch Nosdrjow in diese Geschichte verwickelt sei.«

»Und ich hab es mir gleich gedacht!«

»Wenn man denkt, was in der Welt alles vorfällt! Sagen Sie bloß, wer
hätte es damals vermuten können, als Tschitschikow zum Besuch in unsere
Stadt kam, daß er solche tolle Sprünge machen würde? Ach Anna
Grigorjewna, wenn Sie wüßten, wie mich das aufregt! Wenn ich Sie nicht
hätte, Ihre Freundschaft und Ihre Güte .... Ich stände wirklich wie vor
einem Abgrund .... Wo sollte ich nur hin? Meine Maschka schaut mich an,
sieht daß ich bleich bin wie der Tod, und sagt zu mir: >Liebe gnädige
Frau, Sie sind ja bleich wie der Tod!< Und ich sage ihr noch: >Ach
Maschka, mir gehen jetzt ganz andere Gedanken im Kopf herum!< Nein so
etwas! Und der Nosdrjow steckt auch dahinter! Schöne Geschichte das!«

Die angenehme Dame brannte darauf, noch weitere Details über die
Entführung d. h. etwas über den Tag, die Stunde und so weiter zu
erfahren, aber sie verlangte zu viel. Die in jeder Beziehung angenehme
Dame erklärte ganz einfach, sie wüßte nichts darüber. Und sie log
niemals: eine kühne Hypothese aufstellen -- das war eine andre Sache,
aber auch dies gelang ihr nur dann, wenn diese Hypothese auf einer
tiefen inneren Überzeugung beruhte; war diese innere Überzeugung aber
wirklich vorhanden, dann verstand es die Dame auch für sie einzustehen,
da hätte es der größte Advokat, der berühmteste Wortfechter und Sieger
über fremde Überzeugungen nur versuchen sollen, sich mit ihr im
Wettkampfe zu messen --: hier hätte er erst gemerkt, was das bedeutet:
eine innere Ueberzeugung.

Daß beide Damen zuletzt ganz fest davon überzeugt waren, was sie vordem
auf die bloße Vermutung hin angenommen hatten, das ist durchaus nicht
merkwürdig. Unser einer, mit einem Wort wir, die wir uns gescheidte
Leute nennen, handeln doch genau ebenso, und der beste Beweis dafür sind
unsere gelehrten Erörterungen. So ein Gelehrter geht zuerst auch an die
Sache heran wie ein richtiger Gauner, er beginnt ganz vorsichtig und
fast schüchtern mit einer ganz bescheidenen Frage: »Hat nicht dies Land
seinen Namen von dorther, von jenem Winkel der Erde?« oder »Gehört nicht
vielleicht diese Urkunde einer anderen, späteren Zeit an?« oder »Müssen
wir nicht dies Volk für das und das Volk halten?« Hierauf zitiert er
sofort den und den Schriftsteller des Altertums, kaum aber hat er irgend
eine Anspielung entdeckt oder doch etwas was _er_ für eine Anspielung
hält, so legt er auch schon im kühnen Galopp los, bekommt Mut, beginnt
mit den alten Schriftstellern zu sprechen wie mit seinesgleichen,
richtet Fragen an sie, die er sogar selbst in ihrem eigenen Namen
beantwortet, und er hat plötzlich ganz vergessen, mit welch bescheidener
Hypothese er angefangen hat; jetzt kommt es ihm schon so vor, als sähe
er dies alles vor Augen, so klar ist es ihm jetzt und er beschließt
seine Betrachtung mit den Worten: »Und so ist es gewesen. Dies Volk also
war es. Das ist der Standpunkt, von dem aus dieser Gegenstand beurteilt
werden muß!« Und dann wird es feierlich vom Katheder verkündet, daß alle
es hören können -- und die neue Wahrheit spaziert in die Welt hinaus, um
weitere Anhänger und Bewunderer zu gewinnen.

Während unsere beiden Damen eine so höchst verworrene und komplizierte
Sache so glücklich und mit soviel Scharfsinn geklärt und entwirrt
hatten, trat der Staatsanwalt mit seinem starren und ewig unbeweglichen
Gesicht, den dichten Augenbrauen und dem blitzenden Auge in den Salon.
Beide Damen teilten ihm sofort alle Neuigkeiten mit, erzählten ihm von
dem Kauf der toten Seelen, von Tschitschikows Absicht, die Tochter des
Gouverneurs zu entführen und redeten so lange auf ihn ein, bis er ganz
konfus wurde. Verwirrt stand er auf demselben Fleck, blinzelte mit dem
linken Augenlid, staubte sich mit einem Taschentuch den Tabak von seinem
Bart ab, und verstand auch nicht ein Wort von dem, was er vernahm. In
einer solchen Verfassung überließen ihn die Damen sich selbst und
stürmten davon, jede in ihrer Richtung, um die Stadt in Aufruhr zu
setzen. Dieses Unternehmen gelang ihnen in kaum mehr als einer halben
Stunde. Die Stadt war in ihrem Innersten aufgewühlt, alles befand sich
in wilder Gährung und bald begriff kein Mensch überhaupt noch etwas. Die
Damen verstanden es, einen solchen Rauch und Nebel zu erzeugen, daß
alle, besonders aber die Beamten, ihrer Sinne kaum noch mächtig waren.
Ihre Lage glich im ersten Moment der eines Schuljungen, dem seine
Kameraden während des Schlafes eine Papierdüte mit Tabak, oder wie man's
bei uns nennt »einen Husaren« in die Nase gesteckt haben. Schnaufend und
mit der ganzen Gewalt des Schnarchenden zieht der Schläfer den Tabak
ein, erwacht, springt auf, sperrt die Augen auf, sieht sich nach allen
Seiten um, wie ein Narr, und kann nicht begreifen, wo er sich befindet,
und was mit ihm vorgeht; doch nun erkennt er die Mauer, auf die der
schwache Lichtreflex eines Sonnenstrahles fällt, das Gelächter der
Kameraden, die hinter der Ecke hervorgucken, das nahende Morgenlicht,
das heiter durch das Fenster strahlt, den erwachenden Wald, aus dem
tausende von Vogelstimmen wiedertönen, das in der Morgensonne
erstrahlende Flüßchen, hie und da zwischen Schilfrohr versteckt, in
dessen glänzender Flut sich unzählige feuchte Knabenleiber tummeln, und
zum Bade laden -- und nun erst merkt er, daß ihm der Husar in der Nase
steckt. Genau so war im ersten Moment die Lage der Bewohner und Beamten
unserer Stadt. Ein jeder blieb stehen wie ein Hammel und sperrte die
Augen weit auf. Die toten Seelen, die Tochter des Gouverneurs, und
Tschitschikow; dies alles wogte und wirbelte in wunderlichster Weise in
ihren Köpfen durcheinander; erst später, nachdem die erste Verwirrung
sich gelegt hatte, fingen sie an diese verschiedenen Dinge einzeln
voneinander zu unterscheiden, eins vom andern zu trennen, Rechenschaft
zu fordern, und sie wurden zornig, als sie sahen, daß durchaus keine
Klarheit über die ganze Angelegenheit zu gewinnen war. »Was ist denn das
für eine Fabel, nein wirklich, was ist das für ein Gefasel von den toten
Seelen? Wo bleibt denn da die Logik in dieser Geschichte mit den toten
Seelen? Wie kann man denn tote Seelen kaufen? Wo gibt es denn einen
solchen Esel, der so etwas täte? Und für was für ein unnützes Geld wird
er sie denn kaufen? Und schließlich, wozu kann er diese toten Seelen
bloß brauchen? Und dann: was hat nur die Tochter des Gouverneurs mit der
Sache zu tun? Wenn er sie aber wirklich entführen wollte, warum sollte
er zu diesem Zwecke der toten Seelen bedürfen? Und wenn er sich tote
Seelen kaufen will, was braucht er dann die Tochter des Gouverneurs zu
entführen? Wollte er ihr etwa die toten Seelen schenken? Was für einen
Unsinn sie da in der Stadt verbreiten! Was ist das wieder für eine
Ordnung: man darf sich kaum bewegen, dann werden sofort Geschichten über
einen verbreitet ... Und wenn die Sache nur überhaupt irgend einen Sinn
hätte! ... Andererseits aber muß doch etwas dahinter stecken, sonst wäre
doch dies Gerücht nicht entstanden. Irgend einen Grund muß es doch
haben. Aber was könnten die toten Seelen für ein Grund sein? Da fehlt es
doch sogar an einem vernünftigen Grunde! Das ist doch wirklich fast so
wie: »ein hölzernes Eisen«, »ein paar weichgekochte Stiefel« oder »ein
gläserner Stelzfuß!« Mit einem Wort, man sprach, man klatschte, man
tuschelte, und die ganze Stadt redete von nichts anderem als von den
toten Seelen und von der Tochter des Gouverneurs, von Tschitschikow und
von den toten Seelen, von der Tochter des Gouverneurs und von
Tschitschikow, und alles kam in Bewegung. Wie ein Wirbelwind ging es
durch die Stadt, die bisher in Schlaf versunken schien. Sämtliche
Faullenzer und Stubenhocker, die jahrelang in ihren Schlafröcken hinter
dem Ofen hockten und die Schuld bald auf den Schuster, der ihnen zu enge
Stiefel gemacht hatte, bald auf den Schneider oder auf ihren betrunkenen
Kutscher schoben, kamen aus ihren Höhlen gekrochen, all die, welche
längst alle Beziehungen zu ihren Freunden und Bekannten abgebrochen
hatten und nur noch mit den beiden Gutsbesitzern Herrn Bärenhäuter und
Herrn Ofenhocker verkehrten (zwei berühmte Namen, die von den Ausdrücken
»auf der Bärenhaut« liegen und »hinterm Ofen hocken« abgeleitet und bei
uns sehr beliebt sind, ebenso wie die Redensart: Herrn Schnarchelaut und
Schlummersüß einen Besuch abstatten jenen totenähnlichen Schlaf auf der
Seite, auf dem Rücken und in allen möglichen anderen Lagen, bezeichnen
soll, der von einem kräftigen Schnarchen, sanftem Zephyrsäuseln durch
die Nase und allem sonstigen Zubehör begleitet ist); alle die, welche
man nicht einmal durch die Aussicht auf eine teure Fischsuppe mit
meterlangen Sterlets und allen nur erdenklichen Pasteten, die einem auf
der Zunge zergehen, aus ihrem Hause locken konnte, kamen hervor; mit
einem Worte, es zeigte sich, daß die Stadt menschenreich und groß war,
und daß ein so lebhafter Verkehr in ihr herrschte, wie man es nur
wünschen konnte. Es tauchten sogar ein Herr Ssyssoi Pafnutjewitsch und
ein Herr Makdonald Karlowitsch auf, von denen man bis dahin noch nie
etwas gehört hatte; in den Salons erschien plötzlich ein baumlanger Kerl
mit einem durchschossenen Arm, ein wahrer Riese, von einer Größe, wie
sie überhaupt noch nie dagewesen war. Auf den Straßen sah man gedeckte
Wagen, vorsintflutliche Droschken, Klapperkästen, Rumpelkutschen -- und
der Brei war eingerührt. Zu einer anderen Zeit und unter anderen
Umständen hätten diese Gerüchte vielleicht gar keine Beachtung gefunden,
aber die Stadt N. war schon lange ohne Neuigkeiten geblieben. Ja, es war
während der letzten drei Monate so gut wie gar nichts passiert, was man
in der Hauptstadt eine Kommerage oder eine Klatschgeschichte zu nennen
pflegt und was bekanntlich für eine Stadt unter Umständen ebenso wichtig
ist, wie die rechtzeitige Zufuhr der Lebensmittel. Die Bevölkerung der
Stadt teilte sich plötzlich in zwei völlig entgegengesetzte Parteien,
die zwei ganz verschiedene Standpunkte vertraten: die männliche und die
weibliche. Der Standpunkt der Männer war ganz unvernünftig und töricht;
sie legten das Hauptgewicht auf die toten Seelen. Die weibliche Partei
beschäftigte sich dagegen ausschließlich mit der Entführung der Tochter
des Gouverneurs. In dieser Partei -- zur Ehre der Damen sei es gesagt --
herrschte weit mehr Umsicht, Ordnung und Überlegung. Es ist offenbar
schon mal Bestimmung der Frauen, gute Wirtinnen zu sein und überall für
die richtige Ordnung zu sorgen. Bei ihnen nahm alles sehr bald ein
bestimmtes lebendiges Ansehen, scharfe und handgreifliche Formen an,
alles klärte sich und wurde durchsichtig und deutlich wie ein
vollendetes scharf umrissenes Gemälde. Jetzt kam es an den Tag, daß
Tschitschikow schon längst in jene Person verliebt war, daß sie sich im
Garten beim Mondenschein getroffen, daß der Gouverneur Tschitschikow
seine Tochter längst zur Frau gegeben hätte, weil jener reich wie ein
Jude war, wenn nicht Tschitschikows Frau, die von ihm verlassen worden
war, dazwischen gestanden hätte (woher man erfahren hatte, daß er
verheiratet war, wußte niemand anzugeben), daß diese Frau, die eine
hoffnungslose Liebe in ihrem Herzen hegte, einen rührenden Brief an den
Gouverneur geschrieben, und daß sich Tschitschikow angesichts der
entschiedenen Weigerung von Mutter und Vater, zu einer Entführung
entschlossen habe. In manchen Häusern wurde diese Geschichte allerdings
etwas anders erzählt: darnach hatte Tschitschikow überhaupt keine Frau,
hätte aber als der feine und stets sicher gehende Mann, sich, da er die
Tochter haben wollte, zunächst an die Mutter gemacht, und mit dieser
eine kleine Herzensaffäre angebahnt, erst später habe er um die Hand der
Tochter angehalten; die Mutter aber hätte gefürchtet, hier könne leicht
ein Verbrechen geschehen, das den heiligen Geboten der Religion
zuwiderlaufe und habe es ihm daher von Gewissensbissen gefoltert ganz
kurz abgeschlagen, erst jetzt habe sich Tschitschikow dazu entschlossen,
die Tochter zu entführen. Dazu kamen noch eine Menge von Aufklärungen
und Richtigstellungen, deren Zahl um so mehr anwuchs, je weiter die
Gerüchte sich verbreiteten und bis in die entlegensten Gassen und Winkel
der Stadt eindrangen. Bei uns in Rußland haben auch die unteren
Schichten der Gesellschaft eine große Vorliebe für Klatschgeschichten,
die aus den vornehmen Kreisen kommen, so begann man denn bald auch in
solchen Häusern von diesem Skandal zu reden, wo man Tschitschikow
überhaupt nicht kannte, und so entstanden bald wiederum neue Erklärungen
und Gerüchte. Der Gegenstand wurde jeden Augenblick interessanter, nahm
mit jedem neuen Tage immer neue und bestimmtere Formen an und kam so
schließlich in voller Bestimmtheit und Abgeschlossenheit der Frau
Gouverneurin selbst zu Ohren. Die Gouverneurin fühlte sich, als Mutter
einer Familie, und als erste Dame der Stadt, durch diese Geschichten
aufs tiefste beleidigt, besonders da sie nichts derartiges auch nur
vermutet hatte, und geriet in eine große und auch in jeder Beziehung
berechtigte Empörung. Die arme Blondine hatte ein höchst unangenehmes
Tete-a-tete mit ihr, wie es nur je ein sechzehnjähriges junges Mädchen
zu überstehen hatte. Eine ganze Flut von Fragen, Verweisen, Vorwürfen,
Ermahnungen und Drohungen ergoß sie über das arme Mädchen, sodaß diese
in Tränen ausbrach und laut zu schluchzen begann, ohne ein einziges Wort
von alledem zu verstehen; der Portier erhielt strengste Order
Tschitschikow nie wieder und unter keinem Vorwande mehr vorzulassen.

Nachdem die Damen ihre Mission, soweit diese nämlich die Gouverneurin
betraf, erfüllt hatten, nahmen sie sich die männliche Partei vor, um sie
für sich zu gewinnen. Sie erklärten die Sache mit den toten Seelen für
eine pure Erfindung, nur dazu geschaffen, um jeden Verdacht ablenken und
so den Mädchenraub ungestört ausführen zu können. Viele von den Männern
ließen sich bekehren und schlossen sich der Partei der Damen an,
trotzdem sie sich dadurch dem Tadel und den Vorwürfen ihrer Genossen
aussetzten, welche sie Pantoffelhelden und Weiberröcke nannten -- zwei
Epitheta, die bekanntlich für das männliche Geschlecht einen recht
kränkenden Sinn haben.

Aber so sehr sich auch die Männer wappnen, so großen Widerstand sie auch
leisten mochten, es fehlte in ihrer Partei schließlich doch an jener
Ordnung und Disziplin, welche die Frauenpartei auszeichneten. Bei ihnen
war alles plump, ungeschickt, unzweckmäßig, unharmonisch und schlecht;
in den Köpfen herrschte Unordnung und Wirrwarr, in den Gedanken
Unklarheit und Verworrenheit -- mit einem Worte, es kam eben die
unglückliche Natur des Mannes so recht zum Vorschein, diese grobe plumpe
schwerfällige Natur, die weder zur Verwaltung des Haushalts zu brauchen,
noch tiefer ehrlicher Überzeugungen fähig ist, diese kleingläubige,
träge, von ewigen Zweifeln, von Ängstlichkeit und Furcht zerrüttete
Natur. Die Männer behaupteten, das seien alles Torheiten, die Entführung
einer Gouverneurstochter sei weit eher etwas für einen Husaren, als für
eine Zivilperson, so etwas würde Tschitschikow auf keinen Fall tun, den
Frauen sei nicht zu trauen, sie lögen alle, ein Weib sei wie ein leerer
Sack, was man in ihn hineinschütte, das käme auch wieder aus ihm heraus:
der Hauptpunkt, auf den man sein Augenmerk richten müsse, das seien die
toten Seelen, zwar wisse der Teufel allein, was sie zu bedeuten hätten,
sicherlich aber stecke etwas sehr Schlimmes und Häßliches dahinter.
Warum es den Männern aber schien, daß etwas so Häßliches und Schlimmes
dahinter stecke -- dies werden wir sogleich erfahren. Es war soeben ein
neuer Generalgouverneur für die Provinz ernannt worden -- bekanntlich
ein Ereignis, das die Beamten stets in einen Zustand voller Unruhe und
Aufregung versetzt: da gibt's dann immer allerhand Untersuchungen und
Rüffel, da wird einem der Kopf ordentlich gewaschen und zurechtgesetzt,
da muß man von Amts wegen alle Suppen ausessen, mit denen der
Vorgesetzte seine Untergebenen zu traktieren pflegt. -- »Herr Gott!«
dachten die Beamten, »wenn er auch nur das erfährt, daß in der Stadt
solche Gerüchte zirkulieren, dann wird er nicht zum Scherze, sondern
ernstlich zornig werden.« Der Inspektor der Sanitätsverwaltung wurde
plötzlich ganz bleich, ihm fiel etwas ganz Schreckliches ein, ob nicht
das Wort »tote Seelen« eine Anspielung auf die vielen Leute sei, die bei
der letzten Fieberepidemie erkrankt und wegen der mangelhaften
Vorsichtsmaßregeln in den Häusern und Lazaretten gestorben waren, und ob
Tschitschikow nicht am Ende ein Beamter aus der Kanzlei des
Generalgouverneurs sei, der hier im geheimen eine Untersuchung in die
Wege leiten solle. Er teilte seine Befürchtungen dem Gerichtspräsidenten
mit. Der Gerichtspräsident erklärte sie für Torheiten, erblaßte aber
gleich darauf selbst bei dem Gedanken: wie aber, wenn die von
Tschitschikow gekauften Seelen wirklich tot wären? Hatte er es doch
zugelassen, daß der Kaufvertrag abgeschlossen wurde und noch dazu selbst
die Rolle eines Vertrauensmannes bei Pljuschkin übernommen. Wie, wenn
das dem Generalgouverneur zu Ohren käme, was dann? Er teilte diesem und
jenem seine Besorgnisse mit, und plötzlich erblaßte auch dieser und
jener: die Angst ist ansteckender als die Pest und teilt sich in einem
Augenblicke mit. Alle entdeckten plötzlich solche Sünden an sich selbst,
wie sie sie garnicht mal begangen hatten. Die Worte »tote Seelen« hatten
einen so unbestimmten Klang, daß sogar der Argwohn laut wurde, ob es
sich hier nicht um zwei Fälle handle, wo zwei Menschen zu früh begraben
worden waren. Beide Ereignisse lagen noch nicht sehr weit zurück. Das
erste war mit ein paar Kaufleuten aus Ssolwytschiegodsk passiert, welche
zur Messe in die Stadt gekommen waren und nach Erledigung ihrer
Geschäfte mit ein paar befreundeten Kaufleuten aus Ustssyssolsk eine
solenne Zecherei veranstaltet hatten. Eine Zecherei nach russischer Art
aber mit deutschen Finessen: Grogs, Punschen, Bowlen usw. Diese Zecherei
endigte natürlich, wie das gewöhnlich zu passieren pflegt, mit einer
weidlichen Prügelei. Die Herren aus Ssolwytschiegodsk setzten denen aus
Ustssyssolsk tüchtig zu, obwohl sie von diesen ebenfalls ein paar
kräftige Rippenstöße und Püffe in die Bauch- und Magengegend erhielten,
welche von den ungeheuerlichen Dimensionen der Fäuste zeugten, mit denen
die seligen Prügelhelden begabt waren. Dem einen von den Siegern war
sogar der Erker eingetrommelt, wie sich unsere Boxer auszudrücken
pflegen, d. h. die Nase derart platt geschlagen, daß kaum mehr als ein
Fingerglied von ihr übrig war. Die Kaufleute gestanden ihre Schuld ein
und erklärten, sie hätten sich einen kleinen Scherz erlaubt. Man sprach
sogar davon, daß sie für jeden der von ihnen Erlegten je vier
Hundertrubelscheine bezahlt hätten; übrigens aber blieb das eine sehr
dunkle Sache. Aus den angestellten Ermittlungen und Nachforschungen ging
hervor, daß die Kaufleute von Ustssyssolsk an Kohlengasvergiftung
zugrunde gegangen seien. Und so wurden sie denn auch als solche
begraben. Der andere Fall, der sich vor kurzem ereignet hatte, war
folgender: die Ministerialbauern des Dorfes Wschiwaja Speß hatten sich
mit ebensolchen Bauern der Dörfer Borow, Borowka und Sadirailowo
vereinigt und angeblich die Gendarmerie in der Person eines gewissen
Schöffen, namens Drobjaschkin vom Erdboden vertilgt. Die Gendarmerie, d.
h. der Schöffe Drobjaschkin sollte sich gar zuviel herausgenommen und
allzuoft ihr Dorf heimgesucht haben, was unter Umständen fast so
gefährlich war, wie eine Epidemie. Der Grund aber sei gewesen, daß die
Gendarmerie aus einer gewissen Herzschwäche den Weibern und Dorfmädeln
gar zu eifrig nachgestellt habe. Ganz klar ist zwar die Sache nicht,
obwohl die Bauern geradezu aussagten, die Gendarmerie sei lüstern
gewesen, wie ein Kater, mehr als einmal hätten sie _ihn_ vertreiben und
einmal sogar ganz nackt aus einer Bauernhütte hinausjagen müssen.
Natürlich hatte die Gendarmerie wegen ihrer Herzschwäche eine harte
Strafe verdient, andererseits ließ sich aber die Eigenmächtigkeit der
Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo auch nicht rechtfertigen und
verteidigen, wenn sie wirklich an dem Morde teilgenommen hatten.
Immerhin blieb es doch eine ganz dunkle Sache; man fand die Gendarmerie
am Wege liegen; ihre Uniform oder ihr Rock glich einem Haufen von
Lumpen, und das Gesicht war auch fast unkenntlich. Die Sache kam vor die
Behörden und schließlich vor das Kriminalgericht, wo man sie zuerst ganz
unter sich erörterte und in folgendem Sinne entschied: da es unbekannt
sei, wer von den Bauern eigentlich an dem Tode der Gendarmerie Schuld
trug, alle zusammen jedoch eine zu respektable Anzahl ausmachten, da
Drobjaschkin andererseits aber ein toter Mann sei, und daher wenig davon
haben würde, wenn er den Prozeß gewönne, die Bauern hingegen noch am
Leben seien, weshalb denn auch eine günstige Wendung des Prozesses von
großer Bedeutung für sie sei, so habe das Gericht beschlossen: daß der
Schöffe Drobjaschkin selbst die Schuld an seinem Tode trage, weil er die
Bauern von Wschiwaja Speß und Sadirailowo in ungerechter Weise bedrückt
und verfolgt habe, und daß er demgemäß, als er eines Abends in seinem
Schlitten nach Hause zurückkehrte, an einem Schlaganfall gestorben sei.
Die Sache schien damit nach allen Regeln der Kunst erledigt; plötzlich
aber fingen die Beamten an zu glauben, daß es sich in diesem Falle um
die genannten toten Seelen handele. Dazu kam noch, daß gerade um die
Zeit, als sich die Herren Beamten ohnedies in einer schwierigen Lage
befanden, beim Gouverneur zwei Papiere eingingen. Das eine enthielt die
Mitteilung, daß auf gewisse Anzeichen hin sich in der Provinz ein
Falschmünzer aufhalte, welcher falsches Papiergeld herstelle und sich
hinter verschiedenen Namen verstecke. Und daher sei es nötig, eine
strenge Untersuchung in die Wege zu leiten. Das andere Papier enthielt
eine Mitteilung des Gouverneurs der Nachbarprovinz über einen Räuber,
der sich der gerichtlichen Verfolgung entzogen hatte, und die
Aufforderung, wenn in der Provinz des Herrn Kollegen eine verdächtige
Person auftauchen sollte, welche weder Paß, noch sonstige
Legitimationspapiere vorlegen könne, diese sofort zu verhaften. Beide
Papiere riefen eine allgemeine Bestürzung hervor; alle bisherigen
Vermutungen und Folgerungen waren plötzlich über den Haufen geworfen. Es
lag natürlich nicht der geringste Anlaß zur Annahme vor, daß sich auch
nur ein Wort davon auf Tschitschikow bezöge. Wenn man sich dagegen
überlegte und daran erinnerte, daß eigentlich niemand recht wußte, wer
Tschitschikow sei, daß er sich selbst nur sehr unklar und unbestimmt
über seine Person geäußert und bloß erklärt hatte, daß er in seiner
Karriere Schiffbruch gelitten, weil er der Wahrheit hätte dienen wollen,
so mußte das frischen Verdacht erregen. Aber das alles war doch zu
unklar und verschwommen. Und wenn er weiter sagte, er habe sich viele
Feinde erworben, die ihm nach dem Leben trachteten, so gab das noch mehr
Grund zum Nachdenken: also hatte er in Lebensgefahr geschwebt, also
wurde er doch verfolgt: also mußte er doch irgend etwas begangen haben
... Ja wer war er denn nun eigentlich? Man durfte natürlich nicht
annehmen, daß er falsches Papiergeld verfertige, oder gar ein Räuber sei
-- hatte er doch eine so gesinnungstüchtige Physiognomie; aber bei
alledem: wer war er denn nun tatsächlich? Und jetzt endlich stellten
sich die Herren Beamten die Frage, die sie sich gleich im Anfang, d. h.
im ersten Kapitel dieser Dichtung, hätten stellen sollen. Man beschloß
noch einige Nachforschungen bei all den Leuten anzustellen, die ihm die
toten Seelen verkauft hatten, um wenigstens zu erfahren, was das für ein
Geschäft gewesen sei, was man nun eigentlich unter diesen toten Seelen
zu verstehen habe und ob Tschitschikow nicht wenigstens einem von ihnen
zufällig oder so nebenher etwas von seinen Plänen und Absichten verraten
oder ihnen erzählt hätte, wer er sei. Zuerst wandte man sich an die
Karobotschka; aber aus der war nicht viel herauszubekommen: er hätte
halt für fünfzehn Rubel tote Seelen gekauft und kaufe auch Daunen ein,
ja er habe versprochen, ihr noch alles mögliche andere abzunehmen. Er
liefere auch Speck an den Staat und sei daher ganz gewiß ein Gauner;
denn es sei schon einmal einer dagewesen, der ihr Daunen abgekauft und
Specklieferungen an den Staat übernommen habe. Der habe alle miteinander
übers Ohr gehauen und die Frau Oberpfarrer um ganze hundert Rubel
betrogen. Mehr war nicht aus ihr herauszuholen; sie wiederholte immer
nur ein und dasselbe, und die Beamten überzeugten sich bald, daß
Karobotschka ganz einfach eine dämliche alte Schachtel sei. Manilow
erklärte, für Pawel Iwanowitsch werde er stets einstehen wie für sich
selber. Er würde gerne sein ganzes Gut dafür hingeben, wenn er nur einen
hundertsten Teil jener vortrefflichen Eigenschaften besäße, die
Pawel Iwanowitsch zierten; überhaupt äußerte er sich in der
schmeichelhaftesten Weise über ihn, indem er die Augen zusammenkniff und
noch einige Gedanken über Freundschaft von sich aus zugab. Diese
Gedanken zeugten natürlich in ausreichender Weise von den zarten
Regungen seines Herzens; aber sie klärten die Sache selbst eigentlich
doch nicht auf. Sabakewitsch erwiderte: seiner Ansicht nach sei
Tschitschikow ein braver Mensch, er Sabakewitsch habe ihm nur seine
besten Bauern verkauft: es seien Leute, die in jeder Hinsicht wohlauf
und munter seien; aber er könne natürlich nicht dafür garantieren, was
in Zukunft nicht noch alles geschehen könne. Wenn sie die Strapazen der
Übersiedelung nicht überstehen und unterwegs sterben sollten, so sei das
nicht seine Schuld; das liege in Gottes Hand. Es gäbe ja genug Epidemien
und andere tödliche Krankheiten in der Welt, und es habe schon Fälle
gegeben, wo ganze Dörfer ausgestorben seien. Die Herren Beamten nahmen
noch zu einem andern Mittel ihre Zuflucht, das man zwar nicht allzu
vornehm nennen kann, das aber doch zuweilen zur Anwendung kommt. Sie
ließen die Bedienten Tschitschikows auf allerhand Umwegen durch
befreundete Lakaien ausfragen, ob ihnen nicht irgend welche Einzelheiten
aus der Vergangenheit und den Lebensverhältnissen ihres Herrn bekannt
seien. Aber auch hier bekamen sie nur wenig zu hören. Von Petruschka
nahmen sie nichts mit als jenen etwas dumpfigen Geruch der Wohnstube,
und Seliphan erklärte nur kurz: »Er ist früher Beamter gewesen und hat
beim Zollamt gedient.« Das war alles. Diese Klasse von Menschen hat eine
seltsame Gewohnheit: wenn man sie direkt nach etwas fragt, dann können
sie sich nie auf etwas besinnen. Sie können sich die Dinge in ihrem
Kopfe nicht zusammenreimen, oder sagen einfach, daß sie nichts wissen.
Fragt man sie aber nach etwas anderem, dann bringen sie alles vor, was
ihr nur wünscht, und erzählen es euch mit solchen Einzelheiten, wie ihr
sie gar nicht mal hören wollt. Alle Nachforschungen, die von den Beamten
angestellt wurden, machten ihnen nur eins klar, daß sie wirklich nicht
wußten, wer Tschitschikow eigentlich war, und daß er doch aber sicher
etwas sein müßte. Schließlich beschlossen sie, sich endgültig über
diesen Gegenstand zu einigen, und wenigstens eine definitive
Entscheidung zu treffen, was hier zu tun sei, welche Maßregeln sie
ergreifen und wie sie ermitteln sollten, wer er sei: ob er ein Mensch,
den man als politisch unzuverlässig arretieren und verhaften müsse, oder
vielmehr ein solcher sei, der _sie selbst_ als politisch unzuverlässig
arretieren und verhaften könne. Zu diesem Zwecke verabredete man sich,
im Hause des Polizeimeisters zusammenzukommen, den der Leser ja schon
als Vater und Wohltäter der Stadt kennengelernt hat.


                            Zehntes Kapitel.

Man versammelte sich also im Hause des Polizeimeisters, der ja dem Leser
schon als Vater und Wohltäter der Stadt bekannt ist. Hier hatten die
Beamten die Gelegenheit, einander darauf aufmerksam zu machen, wie
eingefallen und abgemagert ihre Wangen von den beständigen Sorgen und
Aufregungen waren. Und in der Tat, die Ernennung des neuen
Generalgouverneurs, dann die kürzlich eingegangenen Papiere so
bedeutsamen Inhalts und endlich noch die schrecklichen Sorgen -- dies
alles hatte merkliche Spuren auf ihren Gesichtern hinterlassen, selbst
die Fräcke waren ihnen allen zu weit geworden. Alle waren ein wenig
heruntergekommen: der Gerichtspräsident, der Inspektor der
Sanitätsverwaltung, der Staatsanwalt sahen mager und bleich aus, ja
sogar ein gewisser Semjon Iwanowitsch, welchen man nie bei seinem
Familiennamen nannte, ein Herr mit einem goldenen Ring am Zeigefinger,
den er mit besonderer Vorliebe den Damen zeigte, selbst der war ein
wenig abgemagert. Natürlich gab es darunter auch ein paar von jenen
verwegenen Rittern ohne Furcht und Tadel, welche nie die
Geistesgegenwart verloren: aber ihre Zahl war nur klein: ja es gab
eigentlich nur einen einzigen den man dazu zählen konnte, nämlich den
Postmeister. Er allein blieb völlig unverändert in dem ruhigen Gleichmaß
seines Wesens und sagte wie gewöhnlich in derartigen Fällen: »euch kennt
man schon, ihr Herren Generalgouverneure. Von euch wird noch so mancher
dem anderen Platz machen müssen, ich aber stehe bald dreißig Jahre auf
meinem Posten.« Worauf die andern Beamten gewöhnlich zu erwidern
pflegten: »Sie haben es gut Herr!« »Sprechen Sie deutsch, Iwan
Andreitsch.« »Dein Geschäft ist der Postdienst -- du hast bloß die
eingelaufenen Briefe in Empfang zu nehmen und zu expedieren; du kannst
höchstens einmal dein Postamt eine Stunde zu früh schließen und dann
irgend einem Kaufmann, der sich verspätet hat, für die Annahme des
Briefes nach geschlossenem Schalter etwas abverlangen, oder du expediert
vielleicht ein Paket, welches nicht abgeschickt werden sollte. Unter
diesen Umständen kann natürlich jeder ein Heiliger sein. Aber versetze
dich mal in unsere Lage, wo dir täglich der Teufel in eigner Person
erscheint und dir fortwährend etwas in die Hände spielt. _Du selbst_
willst ja garnichts nehmen, er aber steckt es dir in die Hand. Bei dir
ist das Malheur nicht so groß; du hast bloß ein Söhnchen. Mir aber hat
Gott meine Praskowja Fjodrowna so reich gesegnet, daß sie mich jedes
Jahr mit irgend einem Praskuschka oder Petruschka beschenkt. Da würdest
du auch auf einer anderen Flöte pfeifen.« So sprachen die Beamten. Ob es
aber in der Tat möglich ist, dem Teufel auf die Dauer zu widerstehen,
das zu beurteilen, ist nicht Sache des Verfassers. In unserm Konzilium,
das sich bei dieser Gelegenheit versammelt hatte, machte sich vorzüglich
der Mangel dessen bemerkbar, was man in der Sprache des Volkes den
gesunden Menschenverstand zu nennen pflegt. Überhaupt sind wir, wie es
scheint, nicht so recht geschaffen für repräsentative Versammlungen. Bei
all unsern Sitzungen von denen der ländlichen Bauerngemeinden an bis zu
allen gelehrten und ungelehrten Komitees, herrscht, wenn nicht eine
leitende Persönlichkeit an der Spitze steht, ein recht bedenklicher
Wirrwarr. Es ist eigentlich schwer zu sagen warum das so ist;
wahrscheinlich ist unser Volk nun einmal so veranlagt, daß ihm nur _die_
Versammlungen und Beratungen gelingen, die irgend ein Diner oder eine
Zecherei zum Gegenstand haben, wie die Salon- und Klubversammlungen auf
deutsche Manier. Dagegen ist der gute Wille jederzeit und zu allen guten
Dingen vorhanden. Plötzlich fällt es uns ein, wenn der Wind günstig ist,
irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und Gott weiß was für andere
Vereine zu gründen. Und wenn die Sache nur einen guten Zweck hat, kann
man sicher sein, daß nichts dabei herauskommt. Vielleicht rührt das
daher, daß wir gleich im Anfang, d. h. zu früh, befriedigt sind, und
glauben, es sei schon alles getan. Wenn wir z. B. irgend eine
Gesellschaft mit wohltätigem Zweck gründen wollen und schon bedeutende
Summen dazu gestiftet haben, müssen wir unbedingt, um unsere so löbliche
Absicht bekannt zu machen, irgend ein Diner geben, zu dem alle Spitzen
der Stadt geladen sind und das mindestens die Hälfte der gezeichneten
Summe verschlingt. Für die andere Hälfte richtet sich das Komitee eine
prachtvolle Wohnung mit Heizung und Portier ein, worauf von der ganzen
Summe fünf und ein halber Rubel übrig bleiben. Aber auch hier sind sich
die Mitglieder des Komitees noch nicht einig über die Verwendung und
Verteilung dieser Summe, und ein jeder schiebt irgend eine arme Tante
oder Base vor. Übrigens war das Kollegium, das sich heute versammelt
hatte, ganz anderer Art: ein dringendes Bedürfnis hatte die Anwesenden
zusammengeführt. Und es handelte sich auch nicht um irgend welche Arme
oder Abseitsstehende, sondern die zur Verhandlung stehende Sache ging
jeden Beamten persönlich an; es handelte sich hier um eine Gefahr, die
allen in gleicher Weise drohte, und daher war es auch kein Wunder, wenn
sich alle Beteiligten unter solchen Verhältnissen einmütiger und enger
zusammenschlossen. Aber dennoch und trotzalledem nahm die Sitzung einen
ganz tollen Ausgang. Abgesehen von den Meinungsverschiedenheiten und
Streitigkeiten, wie sie ja bei all solchen Versammlungen
vorzukommen pflegen, kam in den Anschauungen und Äußerungen der
Versammlungsteilnehmer auch noch eine merkwürdige Unentschlossenheit zum
Ausdruck: der eine behauptete, Tschitschikow stelle falsche
Staatspapiere her, fügte jedoch gleich darauf hinzu: »vielleicht ist es
aber auch nicht so,« ein anderer erklärte, er sei ein Beamter aus dem
Büro des Generalgouverneurs, verbesserte sich aber sofort wieder und
meinte ȟbrigens: der Teufel mag wissen, wer er ist, vom Gesicht kann
man es einem Menschen doch nicht ablesen.« Gegen den Verdacht aber, daß
er ein verkleideter Dieb oder Räuber sei, lehnten sich alle in gleicher
Weise auf, man war der Ansicht, daß er doch ein vertraueneinflößendes
und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in seinen Worten läge
nichts, was auf einen Menschen schließen ließe, der einer solch
gewalttätigen Handlungsweise verdächtig sei. Plötzlich rief der
Postmeister, der eine Zeitlang, in tiefes Sinnen versunken, dagestanden
hatte -- sei es nun, daß ihm eine momentane Erleuchtung gekommen war,
sei es aus einem andern Grunde -- ganz unerwartet aus: »Wissen Sie,
meine Herren, wer er ist?« Er hatte diese Worte mit einer Stimme
herausgeschrieen, die geradezu etwas Erschütterndes an sich hatte, so
daß sich allen Anwesenden wie aus einem Munde der Ruf entrang: »Nun
wer?« »Das ist niemand anderes, meine Herren, das Verehrtester, ist kein
anderer, als der Hauptmann Kopeikin!«[5] Und als ihn darauf alle
zugleich fragten: »Wer ist denn dieser Kopeikin?« antwortete der
Postmeister erstaunt: »Wie? Sie wissen nicht, wer der Hauptmann Kopeikin
ist?«

Alle erwiderten, sie hätten noch nie etwas von diesem Hauptmann Kopeikin
gehört.

»Der Hauptmann Kopeikin,« versetzte der Postmeister, indem er seine
Tabakdose nur ganz wenig öffnete, weil er sich fürchtete, es könnte am
Ende noch einer von den ihm Zunächststehenden mit den Fingern
hineinlangen, von deren Sauberkeit er nicht recht überzeugt war; pflegte
er doch zuweilen sogar zu sagen: »Weiß schon, weiß schon, mein Bester,
wo Sie Ihre Finger reingesteckt haben mögen! Tabak -- das ist ein
Objekt, das mit peinlichster Sorgfalt und Sauberkeit behandelt sein
will.« -- »Der Hauptmann Kopeikin,« wiederholte er, nachdem er eine
Prise genommen hatte: »ja -- übrigens, wenn ich Ihnen von ihm erzählen
wollte -- das gäbe eine höchst interessante Geschichte; selbst für einen
Schriftsteller: sozusagen ein ganzes Poema.«

[Fußnote 5: Groschen.]

Alle Anwesenden äußerten den Wunsch, diese Geschichte oder dieses für
einen Schriftsteller so interessante »Poema«, wie sich der Postmeister
ausgedrückt hatte, kennen zu lernen, und er begann folgendermaßen:


                »Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.

Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
eingeliefert. Ein Bruder Leichtfuß und launenhaft wie der Teufel, hatte
er alles durchgemacht, was es auf der Welt gibt, war auf der Hauptwache
gewesen und hatte manche Stunde Arrest abgesessen. War es bei Krasnoje
oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, er hatte im Kriege ein
Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch, damals gab's noch keine
von den bekannten Einrichtungen für die Verwundeten: dieser
Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken, der wurde sozusagen erst
viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er
arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur einen Arm, nämlich
den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen Vater, aber der
Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht auch noch ernähren;
ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst mit knapper Not
meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, sehen Sie
wohl, Verehrtester, da beschloß er nach Petersburg zu reisen und sich an
die Behörden zu wenden, ob sie ihm nicht eine kleine Unterstützung
zukommen lassen könnten, er habe doch gewissermaßen, sozusagen sein
Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also in einem
Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt,
sehen Sie wohl Verehrtester, genug, er gelangte mit Mühe und Not nach
Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich _nun_ dieser
selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das sozusagen in
der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es um ihn herum
licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens, so eine Art
märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl. Also denken Sie nur,
plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
und noch ein paar Silbergroschen ... Nun also, Sie wissen ja, ein
Landgut läßt sich dafür nicht kaufen, d. h. es ließe sich vielleicht
kaufen, wenn man noch vierzig Tausend dazulegte; aber die vierzig
Tausend muß man sich erst beim König von Frankreich leihen. Genug, er
mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval ein, für einen
Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine
Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht also, daß sein
Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich, wohin er sich
wenden soll. >Wohin könntest du dich wenden,< sagt man ihm. >Die Beamten
der Regierung sind nicht mehr in der Stadt. Sehen Sie wohl, das ist
alles in Paris. Die Armee ist noch nicht zurück. Aber es gibt hier eine
sogenannte provisorische Kommission. Versuchen Sie's,< sagt man ihm,
>vielleicht können Sie dort was ausrichten.< -- >Nun gut, dann gehe ich
zur Kommission,< spricht Kopeikin. >Ich werd' es ihnen schon klar
machen. So und so steht die Sache. Ich habe, sozusagen, mein Blut
vergossen und gewissermaßen mein Leben geopfert.< So stand er denn also
eines Morgens etwas früher auf, kratzte sich mit der linken Hand seinen
Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre er zum Barbier gegangen, so hätte das
in gewissem Sinne neue Ausgaben verursacht, zog seine Uniform an und
begab sich auf seinem Holzfuß einherhinkend zum Vorsitzenden der
Kommission. Stellen Sie sich bloß vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende
wohnt. Da sagt man ihm, jenes Haus dort am Kai, das gehört ihm. Eine
richtige Bauernhütte, verstehen Sie! Fensterscheiben, meterlange
Spiegel, Marmor, Lack, denken Sie sich nur, Verehrtester! Mit einem
Wort, die Sinne schwinden einem. So 'ne Türklinke aus Metall, der
feinste Komfort, sodaß man zuerst in den Laden laufen, sich für einen
Groschen Seife kaufen und sich dann, sozusagen, stundenlang die Hände
reiben muß, ehe man es wagt, sie anzufassen. Vorn am Eingang, verstehen
Sie, da steht ein Portier mit einem großen Säbel, mit so 'ner
Grafenphysiognomie, und Batistkragen, rein wie ein wohlgepflegter Mops
... Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer,
setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein
Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete Porzellanvase, verstehen
Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich mußte er eine halbe
Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen war, wo der
Vorsitzende, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und sein
Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte, verstehen
Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also vier
Stunden lang; da kommt endlich der diensthabende Beamte und sagt:
>Gleich kommt der Präsident!< Und schon füllt sich das Zimmer mit
allerhand Epauletten und Achselbändern. Mit einem Worte die Menschen
drängen sich wie Bohnen in der Schüssel. Endlich, Verehrtester, tritt
auch der Präsident herein. Na, Sie können sich natürlich vorstellen: der
Präsident in eigener Person sozusagen. Und, natürlich, seinem Rang und
Titel entsprechend so eine Physiognomie, so ein Ausdruck, verstehen Sie.
Aus allem spricht die »Condewite« des Großstädters. Erst geht er zu
einem dann zum andern: >Warum sind Sie hier?< >Und Sie?< >Was wünschen
Sie?< >In welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein
Kopeikin an die Reihe: >So und so,< sagt er, >ich habe mein Blut
vergossen, ein Bein und einen Arm verloren, sozusagen. Ich kann nicht
mehr arbeiten und erlaube mir die Anfrage, ob ich nicht eine kleine
Unterstützung, irgend so 'ne Anweisung, beziehungsweise auf eine kleine
Gratifikation oder Pension, verstehen Sie wohl, bekommen kann.< Der
Vorsitzende sieht der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel
baumelt leer herunter. >Gut!< sagt er, >fragen Sie nach ein paar Tagen
mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz selig. >Na,< denkt er, >die Sache
macht sich.< Er ist in einer Laune, können Sie sich vorstellen; hüpft
geradezu auf dem Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkiku um
einen Schnaps zu nehmen, aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich
eine Kotelette mit Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand
Filets, nebst einer Flasche Wein -- mit einem Wort, es war eine feudale
Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine Engländerin
kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein Kopeikin,
dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach auf seinem
Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei einstweilen
der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe. Ich bin
schon gar zu sehr aus Rand und Band geraten.< Dabei hatte er an diesem
einen Tage, bitte ich zu bemerken, fast die Hälfte seines Geldes
durchgebracht. Nach drei vier Tagen, sehen Sie wohl, da kommt er wieder
in die Kommission zum Präsidenten: >Ich bin gekommen,< sagt er, >um mir
Bescheid zu holen, so und so, infolge der überstandenen Krankheiten und
meiner Verwundungen .... Ich habe sozusagen mein Blut vergossen usw.,
verstehen Sie wohl.< Alles in der amtlichen Sprache, natürlich! >Ja,
ja,< sagt der Präsident, >zunächst aber muß ich Ihnen mitteilen, daß ich
in Ihrer Sache ohne die Zustimmung der Regierung nichts zu tun vermag.
Sie sehen selber, was das für eine Zeit ist. Die kriegerischen
Operationen sind gewissermaßen, sozusagen, noch nicht beendigt. Warten
Sie die Ankunft des Herrn Ministers ab und gedulden Sie sich bis dahin
noch ein wenig. Sie können überzeugt sein, man wird Sie nicht vergessen.
Sollten Sie indessen nichts zum Leben haben, so nehmen Sie dies. Das ist
alles was ich geben kann ...< Na, Sie verstehen, er gab ihm natürlich
nicht viel, aber bei bescheidenen Ansprüchen hätte man bis zum
Entscheidungstermin damit auskommen können. Aber mein Kopeikin hatte
keine Lust dazu. Er dachte er würde gleich morgen ein paar Tausender
erhalten: >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
Termin. Und dabei spuken ihm, sehen Sie wohl, all diese Engländerinnen
und Soupers und Kotelettes im Kopfe herum. Da kommt er nun wie so'n Uhu,
oder Pudel, den der Koch mit Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus
-- hat den Schwanz eingezogen und läßt die Ohren hängen. Das Leben in
Petersburg hatte ihn schon ein wenig mitgenommen, von diesem und jenem
hatte er auch schon gekostet. Und nun heißt es: sieh zu, wie du
weiterkommt, von all diesen Schleckereien nicht die Spur, sehen Sie
wohl. Und dabei war er noch ein junger frischer Mensch mit gutem
Appetit, einem wahren Wolfshunger sozusagen. Wie oft kam er nicht an
irgend so einem Restaurant vorüber: und nun stellen Sie sich vor: der
Koch ist ein Ausländer, so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem
offenen Gesicht, trägt immer nur die feinste holländische Wäsche, und
eine Schürze, so weiß wie Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor
seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit
Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse, daß unser
Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor Appetit. Oder
er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da sozusagen
irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit Kirschen -- zu
fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von Wassermelone, so'n ganzer
Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen, und sucht nach einem
Narren, der einen überflüssigen Hunderter in der Tasche hat, verstehen
Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf Schritt und Tritt, es
läuft einem sozusagen das Wasser im Munde zusammen, für ihn aber
heißt's: warte gefälligst. Und nun stellen Sie sich seine Lage vor:
einerseits, sehen Sie wohl, dieser Lachs und die Wassermelone, und
andererseits irgend so ein bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm
morgen wieder._< >Ach was,< denkt er, >mögen Sie dort machen, was sie
wollen, ich gehe hin, setze die ganze Kommission und all die
Vorsitzenden in Bewegung und erkläre: nein, bitte schön, das geht nicht
so weiter!< Und in der Tat, frech und aufdringlich, wie er ist, -- je
weniger einer im Oberstübchen los hat, desto mehr Mut hat er -- kommt er
also in die Kommission: >Nun was wünschen Sie?< fragt man ihn, >was
wollen Sie noch weiter, Sie haben doch schon Bescheid erhalten.< -- >Ich
bitt' Sie,< sagt er, >ich kann doch nicht so von der Hand in den Mund
leben. Ich muß doch meine Kottelette und eine Flasche französischen
Rotwein zum Mittagessen haben und mich ein wenig zerstreuen, einmal ins
Theater gehen, verstehen Sie,< sagte er -- >Nein, da müssen Sie uns
schon entschuldigen,< sagte da der Vorsitzende .. >Was das anbelangt, so
müssen Sie sich schon gewissermaßen gedulden. Sie haben doch etwas
bekommen, um sich über Wasser zu halten, bis die Order von oben
eingelaufen ist, und Sie können überzeugt sein, daß Sie nach Gebühr
entschädigt werden sollen: denn es ist bisher ohne Beispiel, daß bei uns
in Rußland ein Mann, der seinem Vaterland gewissermaßen, sozusagen,
einen Dienst geleistet hat, daß der unversorgt geblieben wäre. Aber,
wenn Sie sich freilich jetzt an Koteletts delektieren und ins Theater
gehen wollen, nein, wissen Sie, dann müssen Sie schon entschuldigen.
Dazu verschaffen Sie sich nur gefälligst selbst die Mittel. Da müssen
Sie sich schon selbst helfen.< Aber denken Sie bloß, mein Kopeikin
verzieht keine Miene. Die Worte prallen von ihm ab wie Erbsen von einer
Wand. Er erhob ein großes Geschrei und brachte die ganze Gesellschaft in
Aufruhr. Er ließ ein wahres Hagelwetter über all diese Regierungsbeamten
und Sekretäre los ... >Ja dann seid ihr ja dies und jenes,< sagte er,
>ja, dann kennt ihr ja eure Pflicht und Schuldigkeit nicht, ihr
Gesetzesverdreher!< Mit einem Wort, er wischte ihnen allen kräftig eins
aus. Zufällig kam ihm auch noch irgend so'n General aus einem andern
Ressort unter die Finger. Und auch der bekam seinen Teil, verstehen Sie
wohl. Kurz, er brachte sie alle durcheinander. Was soll man nur mit so
einem rasenden Kerl anfangen? Der Präsident sieht, es gibt keinen andern
Ausweg, man muß gewissermaßen, sozusagen, zu strengeren Maßregeln seine
Zuflucht nehmen. >Schön,< sagte er, >wenn Sie nicht damit zufrieden sind
was man Ihnen gibt, und hier in der Hauptstadt nicht ruhig auf die
Entscheidung Ihrer Sache warten wollen, so lasse ich Sie sozusagen in
Ihre Heimat abschieben. Der Feldjäger soll kommen und ihn nach der
Heimat transportieren!< Der Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der
steht schon da und wartet schon hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl,
wissen Sie, mit einer Hand wie von der Natur selbst für den Kurierdienst
geschaffen. Mit einem Wort: ein richtiger Zahnzieher. So wird denn unser
braver Knecht Gottes in den Wagen befördert und ab geht's in Begleitung
des Feldjägers. >Na,< denkt Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das
Reisegeld. Auch dafür bin ich den Herren dankbar.< So fährt er denn,
Verehrtester, mit dem Feldjäger, und während er so an der Seite des
Feldjägers sitzt, spricht er gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber:
>Schön,< sagt er, >du erklärst mir, ich soll mir selbst helfen und die
Mittel suchen! Gut, schön,< sagt er, >ich will mir die Mittel schon
verschaffen!< Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin
er eigentlich gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und
daher sind denn auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im
Strome der Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie,
wie die Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier
schürzt sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also
Kopeikin verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor,
es vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
wohl, war kein anderer als ...«

»Aber erlaube mal, Iwan Andrejewitsch,« unterbrach ihn plötzlich der
Polizeimeister, »du sagtest doch selber, dem Hauptmann Kopeikin habe ein
Bein und ein Arm gefehlt; und Tschitschikow hat doch ...«

Da schrie der Postmeister laut auf, schlug sich mit aller Kraft vor die
Stirne und nannte sich vor versammeltem Publikum ein Rindvieh. Er konnte
garnicht verstehen, wie dieser Umstand ihm nicht gleich zu Anfang dieser
Erzählung eingefallen war, und erklärte, das russische Sprichwort: »der
Verstand des Russen ist von hinten am stärksten!« sei vollkommen wahr.
Aber gleich darauf fing er an, Winkelzüge zu machen und versuchte sogar
sich aus der Affäre zu ziehen, indem er behauptete, die Engländer
hätten, wie man aus den Zeitungen ersehen könne, die Mechanik sehr
vervollkommnet, und einer hätte sogar hölzerne Füße mit einem solchen
Mechanismus erfunden, daß man nur auf eine Spirale zu drücken brauche,
damit diese Füße einen in unbekannte Gegenden forttrügen, sodaß man den
Menschen überhaupt nicht mehr auffinden könne.

Aber trotzdem zweifelten alle, daß Tschitschikow der Hauptmann Kopeikin
sei, und fanden, daß der Postmeister schon gar zu weit über das Ziel
hinausgeschossen habe. Übrigens wollten sie sich ihrerseits auch nicht
lumpen lassen und verirrten sich, angeregt durch die geistvolle
Hypothese des Postmeisters, womöglich noch weiter. Unter den vielen in
ihrer Art geistreichen Vermutungen war besonders eine bemerkenswert: so
seltsam es klingt, es wurde die Ansicht laut, daß Tschitschikow
vielleicht _Napoleon_ sein könne, der sich verkleidet in ihrer Stadt
aufhielte; die Engländer seien schon längst eifersüchtig auf Rußland,
auf seine Macht und seine Größe, und es wären schon mehrmals Karikaturen
erschienen, auf denen ein Russe im Gespräch mit einem Engländer
abgebildet war: der Engländer steht da und hält einen Hund an der Leine,
dieser Hund aber soll _Napoleon_ vorstellen: >Paß auf,< sagt der
Engländer, >wenn mir etwas nicht behagt, dann hetze ich diesen Hund auf
dich.< Wer weiß, vielleicht hatten sie jetzt diesen Hund von St. Helena
losgelassen, und er schweifte nun unter der Maske Tschitschikows in
Rußland umher, während er doch in Wahrheit garnicht Tschitschikow sei.

Natürlich schenkten die Beamten dieser Hypothese keinen Glauben, aber
sie wurden doch nachdenklich und, wenn jeder von ihnen sich im stillen
die Sache überlegte, konnte er sich's nicht verhehlen, daß
Tschitschikows Profil eine verdächtige Ähnlichkeit mit dem Napoleons
hatte. Der Polizeimeister, welcher den Feldzug von 1812 mitgemacht
hatte, hatte Napoleon persönlich gesehen und mußte gleichfalls zugeben,
daß er sicherlich nicht größer als Tschitschikow und auch von Statur
weder allzu dick, aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn
gewesen sei. Vielleicht wird mancher Leser dies alles für sehr
unwahrscheinlich halten, -- nun auch der Autor ist bereit ihm zuliebe
zuzugestehen, daß die Geschichte sehr unwahrscheinlich ist; aber wie zum
Tort mußte sich alles geradeso abspielen, wie wir es hier erzählen, was
um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits vom Wege,
sondern in nächster Nähe von beiden Hauptstädten lag. Übrigens darf man
nicht vergessen, daß all diese Ereignisse bald nach der glorreichen
Vertreibung der Franzosen stattfanden. Um diese Zeit waren alle unsere
Gutsbesitzer, Beamten, Kaufleute, Handlungsgehilfen und alle gebildeten
und ungebildeten Leute wenigstens für die ersten acht Jahre
eingefleischte Politiker geworden. Die »Moskauer Nachrichten« und der
»Sohn des Vaterlandes« wurden so zerlesen, daß sie an den letzten Leser
nur noch als ein Häuflein Papierfetzen gelangten, der zu nichts mehr zu
gebrauchen war. Statt Fragen, wie die folgenden: Wie teuer haben Sie den
Scheffel Hafer verkauft, Väterchen? -- Was denken Sie vom gestrigen
Schneefall? -- hörte man nur noch Fragen: Nun, was steht in der Zeitung?
-- Ist Napoleon nicht wieder entwischt? -- Besonders die Kaufleute
fürchteten sich sehr davor, denn sie glaubten fest an die Prophezeiung
eines Wahrsagers, welcher schon seit drei Jahren im Kerker saß. Dieser
neue Prophet war plötzlich -- kein Mensch wußte woher -- in Bastschuhen
und in Felle gehüllt, die schrecklich nach faulen Fischen rochen, in der
Stadt aufgetaucht und hatte verkündigt, Napoleon sei der Antichrist, der
jetzt hinter sechs Mauern und sieben Meeren an einer steinernen Kette
schmachte, aber bald werde er seine Ketten sprengen und sich die ganze
Welt unterwerfen. Dieser Prophet war wegen seiner Prophezeiungen ins
Gefängnis geworfen worden, und das von Rechts wegen. Trotzdem aber hatte
er seine Mission erfüllt und die Kaufleute vollkommen um ihr bißchen
Verstand gebracht. Und lange noch, selbst während des flottesten
Geschäftsganges kamen die Kaufleute im Wirtshaus zusammen, um sich hier
beim Tee über den Antichrist zu unterhalten. Viele von den Kaufleuten
und den vornehmen Adeligen dachten auch, selbst ohne es zu wollen, über
die Sache nach und glaubten unter dem Einflusse der mystischen Stimmung,
welche bekanntlich damals alle Geister beherrschte, in jedem Buchstaben,
der in dem Wort Napoleon vorkam, einen besonderen, bedeutungsvollen Sinn
zu entdecken; viele wollten in ihm sogar die Zahlen aus der Apokalypse
wiedererkannt haben. Daher war es durchaus nicht so wunderbar, wenn auch
die Beamten in diesem Punkte stutzig wurden. Allein bald kamen sie
wieder zur Besinnung und merkten, daß ihre Phantasie schon allzu üppig
wucherte, und daß die Sache doch ganz anders liege. Sie dachten hin und
dachten her, überlegten her und überlegten hin, und kamen schließlich
zur Überzeugung, daß es vielleicht nicht übel wäre Nosdrjow einmal
gründlich auszuhorchen. Da er es ja gewesen war, der die Geschichte mit
den toten Seelen zuerst in die Welt gebracht hatte und, wie man sagte,
in so nahen Beziehungen zu Tschitschikow stand, mußte er doch etwas über
dessen Lebensverhältnisse wissen; und so beschloß man denn, erst einmal
zu hören was Nosdrjow sagen werde.

Höchst seltsame Leute, diese Herren Beamten, und mit ihnen die Vertreter
aller anderen Berufe: sie wußten doch ganz genau, daß Nosdrjow ein
Lügner sei, daß man ihm kein Wort glauben könne, selbst da nicht, wo es
sich um eine Bagatelle handelte und doch nahmen sie zu ihm ihre
Zuflucht. Da mag einer den Menschen verstehen! Er glaubt nicht an Gott,
aber glaubt dafür, daß er unbedingt sterben müsse, wenn ihm seine Nase
juckt; er geht gleichgültig an einer Schöpfung des Dichters vorbei,
welche so deutlich für sich zeugt, wie das Licht der Sonne, ganz
durchdrungen ist von innerer Harmonie und schlichter weiser Einfalt, um
sich gierig auf das Erzeugnis eines kecken Kopfes zu stürzen, der ihm
irgend ein wirres, krauses Zeug vorschwatzt und die Natur verrenkt und
vergewaltigt. Und das gefällt ihm. Da tut er den Mund weit auf und
schreit mit lauter Stimme: »Seht ihr! das ist reine Herzenskündigung!«
Sein ganzes Leben lang pfeift er auf die Ärzte, um am Ende zu einem
alten Weibe zu laufen, welches die Leute mit Sympathiemitteln und Spucke
kuriert, oder er braut sich gar selbst ein Dekokt aus irgend einem Zeug,
weil ihm plötzlich die tolle Idee kommt, es könne ihm etwas gegen seine
Krankheit nützen. Man hätte natürlich die Herren Beamten mit ihrer
schwierigen Lage entschuldigen können. Man sagt ja, daß ein Ertrinkender
nach einem Strohhalm greife, und daß er nicht soviel Überlegung habe, um
sich zu sagen, auf einem Strohhalm könne höchstens eine Fliege einen
Spazierritt wagen, nicht aber er, der vier oder gar fünf Zentner wiegt;
aber wie gesagt, in der Gefahr stellt er diese Überlegung überhaupt
nicht an und greift nach dem Strohhalm. So nahmen denn auch unsere
Herren schließlich ihre Zuflucht zu Nosdrjow. Der Polizeimeister schrieb
ihm sofort einen Brief, in dem er ihn einlud, bei ihm zu Abend zu
speisen, und ein Polizeikommissar in hohen Wasserstiefeln und mit
freundlichen roten Backen machte sich spornstreichs auf den Weg, nahm
seinen Säbel in die Hand und lief im Galopp zu Nosdrjow, um ihm das
Schreiben zu überbringen. Nosdrjow war gerade mit einem sehr wichtigen
Gegenstande beschäftigt; schon den vierten Tag verließ er das Haus
nicht, empfing keinen Menschen und ließ sich sogar das Mittagessen durch
das Fenster reichen -- mit einem Wort, er war ganz abgemagert und sah
beinah grün im Gesicht aus. Die Sache selbst erforderte die größte
Aufmerksamkeit und Sorgfalt: sie bestand in der Auswahl und
Zusammenstellung _eines_ Kartenspieles von gleicher Zeichnung aus einem
ganzen _Schock_. Dabei mußte die Zeichnung aber so scharf sein, daß man
sich auf sie verlassen konnte, wie auf seinen besten Freund. Eine solche
Arbeit erfordert mindestens zwei Wochen. Während dieser ganzen Zeit
mußte Porphyr dem kleinen Bullenbeißer den Nabel mit einer besonderen
Bürste reinigen und ihn dreimal am Tage mit Seife waschen. Nosdrjow war
sehr ärgerlich, daß er in seiner Einsamkeit gestört wurde; zuerst
schickte er den Polizeikommissar zum Teufel, als er jedoch von dem
Polizeimeister erfuhr, daß sich heute abend ein kleines Geschäftchen
machen ließe, da irgend ein Neuling zum Souper erwartet werde, war er
sofort milder gestimmt; er schloß also sein Zimmer schnell ab, kleidete
sich in aller Eile an und begab sich zum Polizeimeister. Nosdrjows
Aussagen, Zeugnisse und Vermutungen standen in so scharfem Gegensatz zu
denen der Herren Beamten, daß selbst ihre _kühnsten_ Hypothesen über den
Haufen geworfen wurden. Dies war tatsächlich ein Mensch, für den es
überhaupt kein Schwanken und kein Zweifeln gab; und so schüchtern und
vorsichtig _ihre_ Vermutungen waren, so fest und sicher waren die
_seinen_. Er antwortete sogleich, _ohne_ auch nur einen Moment zu
stocken auf alle Fragen. Er erklärte, Tschitschikow habe für einige
tausend Rubel tote Seelen gekauft, und er, Nosdrjow selbst, habe ihm
welche verkauft, weil er den Grund einsehe, warum man das nicht tun
solle. Auf die Frage, ob jener nicht ein Spitzel sei, der gekommen wäre,
um herumzuschnüffeln, antwortete Nosdrjow: natürlich sei er ein Spitzel;
schon in der Schule, die sie zusammen besucht hätten, sei er allgemein
eine Petze gescholten worden, sämtliche Kameraden, und unter ihnen auch
er, hätten ihn dafür einmal so kräftig durchgebläut, daß man ihm nachher
allein an den Schläfen zweihundertvierzig Blutegel setzen mußte -- er
hatte ursprünglich nur vierzig sagen wollen, aber die zweihundert waren
ihm wie von selbst entschlüpft. -- Auf die Frage, ob er nicht falsches
Papiergeld mache, antwortete Nosdrjow: natürlich mache er welches. Bei
dieser Gelegenheit erzählte er eine Geschichte von Tschitschikows
unglaublicher Geschicklichkeit und Gewandtheit: es sei nämlich
herausgekommen, daß er in seinem Hause für zwei Millionen falsches
Papiergeld versteckt habe. Da habe man denn das Haus gerichtlich
gesperrt, einen Posten vor den Eingang und zwei Soldaten vor jede Tür
gestellt; Tschitschikow aber hätte die Banknoten in einer Nacht alle
miteinander vertauscht, sodaß man am anderen Tage, als die Siegel gelöst
wurden, lauter echte Scheine vorfand. Auf die Frage: ob Tschitschikow
tatsächlich die Absicht habe, die Tochter des Gouverneurs zu entführen,
und ob es denn wahr sei, daß er, Nosdrjow, ihm seine Hilfe und Beistand
dazu angeboten habe, antwortete dieser: gewiß habe er ihm geholfen, und
wenn er nicht dabei gewesen wäre, so wäre die ganze Sache mißglückt.
Hier stockte er ein wenig; er sah nämlich, daß er ohne allen Grund
gelogen habe und dadurch leicht in Unannehmlichkeiten geraten konnte,
aber er hatte eben die Zunge nicht im Zaum halten können. Und dies war
auch keine Kleinigkeit, denn es drängten sich seiner Phantasie gleich so
interessante Einzelheiten auf, daß es tatsächlich ein Ding der
Unmöglichkeit war, ganz auf sie zu verzichten: so nannte er denn sogar
das Dorf, wo sich die Kreiskirche befand, in der die Trauung stattfinden
sollte; dies sei nämlich das Dorf Truchmatschowka, der Pope heiße Pater
Sidor, die Trauung sollte fünfundsiebzig Rubel kosten, trotzdem aber
hätte der Priester seine Einwilligung nie gegeben, wenn ihm
Tschitschikow nicht gedroht hätte, er werde es bekannt machen, daß jener
den Kaufmann Michael mit einer Verwandten getraut habe; er, Nosdrjow,
habe ihnen sogar seinen Wagen zur Verfügung gestellt und auf allen
Stationen für Pferde gesorgt. Er verlor sich bereits soweit in Details,
daß er sogar die Postillone bei ihrem Namen nannte. Hier wagte es
jemand, Napoleon zu erwähnen, aber er wurde dessen selbst nicht froh,
denn Nosdrjow schwatzte einen solchen Unsinn zusammen, der nicht nur gar
keine Ähnlichkeit mit der Wahrheit hatte, sondern in jeder Beziehung
unmöglich war, sodaß die Beamten schließlich aufstanden und seufzend
weggingen; nur der Polizeimeister hörte ihm noch lange aufmerksam zu,
weil er immer noch erwartete, daß sich was aus ihm herausholen ließe,
aber schließlich machte auch er eine hoffnungslose Gebärde und sagte
nur: »Pfui Teufel!« Und alle Anwesenden waren mit ihm einverstanden,
jede weitere Bemühung gliche wahrhaftig bloß dem Versuch, den Bock zu
melken. So war denn die Lage unserer Beamten noch schlimmer als vorher,
und man kam zum Schluß, daß es ganz unmöglich sei, herauszukriegen, wer
nun Tschitschikow eigentlich sei. Und hier kam es wieder so recht ans
Licht, was für ein Wesen der Mensch ist: er ist nur da klug, vernünftig
und weise, wo es sich um Sachen handelt, die _andere_ Leute, nicht aber
_ihn selbst_ was angehen. Mit was für umsichtigen und wohlüberlegten
Ratschlägen versorgt er euch nicht in den schwersten Lebenslagen! »Welch
ein gescheiter Kopf!« ruft die Menge: »welch ein unbeugsamer Charakter!«
Aber laßt nur einmal irgend ein Unglück über diesen »gescheiten Kopf«
hereinbrechen, laßt ihn selbst einmal in schwere Lebenslagen kommen --
wo ist da plötzlich sein Charakter geblieben! dieser unbeugsame Mann
steht völlig fassungslos da, er hat sich in einen erbärmlichen Feigling,
in ein schwaches, jammerndes Kind oder einfach in einen Waschlappen
verwandelt, wie Nosdrjow sich auszudrücken liebte.

All dies Gerede, diese Gerüchte und Hypothesen machten aus irgend einem
Grunde den größten Eindruck auf den armen Staatsanwalt. Dieser Eindruck
war so stark, daß er nach Hause ging, zu grübeln begann und so ins
Grübeln hineinkam, daß er sich eines schönen Tags ganz plötzlich, und
ohne daß man hätte sagen können, warum, hinlegte und starb. Hatte ihn
ein Schlag gerührt, oder war es etwas anders, genug, er fiel mit einem
Mal vom Stuhl herab und streckte sich lang auf den Fußboden aus. Wie das
in solchen Fällen zu geschehen pflegt, schrieen alle laut auf vor
Schrecken; schlugen die Hände zusammen, riefen: »Ach Gott, ach Gott!«
ließen den Arzt holen, um ihn zur Ader zu lassen, und überzeugten sich
schließlich, daß der Staatsanwalt nur noch ein seelenloser Leichnam war.
Jetzt erst erfuhr man zum allgemeinen Bedauern, daß der Verstorbene
tatsächlich eine Seele gehabt hatte, trotzdem er sich in seiner
Bescheidenheit nichts davon hatte merken lassen. Und doch war die
Erscheinung des Todes _hier_ genau so schrecklich, wo sie sich nur an
einem der kleinen Menschen offenbarte, wie wenn sie sich an einem großen
manifestiert hätte: er, der noch vor kurzem unter den Lebenden gewandelt
war, sich bewegt, Whist gespielt, alle möglichen Papiere unterschrieben
und so oft mit seinen buschigen Augenbrauen und den blinzelnden Augen
unter den Beamten geweilt hatte, er lag jetzt auf dem Tische, das linke
Auge blinzelte nicht mehr, und bloß die eine Augenbraue war noch ein
wenig emporgezogen, was dem Gesichte einen seltsamen fragenden Ausdruck
verlieh. Was das wohl für eine Frage war, die auf seinen Lippen
schwebte? ob er wissen wollte, wozu er gelebt hatte, oder wozu er
gestorben sei -- das weiß Gott allein.

»Aber das ist doch unmöglich, das ist ganz undenkbar! das kann doch
garnicht sein, daß die Beamten sich gegenseitig so in Furcht und
Schrecken jagten, eine solche Verwirrung anrichteten und sich so von der
Wahrheit entfernen konnten, wo doch jedes Kind einsehen mußte, um was es
sich hier handelte!« So wird mancher Leser sprechen und dem Autor
vorwerfen, er bringe unwahrscheinliche und unmögliche Dinge vor, oder
man wird die armen Beamten für Narren erklären, weil der Mensch ja
bekanntlich sehr freigiebig mit dem Worte »_Narr_« und zwanzigmal am
Tage dazu bereit ist, seinen Mitmenschen, diesen Kosenamen an den Kopf
zu werfen. Es genügt schon, daß man eine törichte Eigenschaft unter zehn
vernünftigen habe, um trotz alledem für einen Narren erklärt zu werden.
Der Leser hat es leicht, zu urteilen, wo er ruhig in seinem stillen
Winkel sitzt und von seinem hohen Standort, von dem aus sich ihm der
ganze weite Horizont auftut, auf das Treiben da unten herabzusehen, wo
der Mensch nur gerade _die_ Gegenstände erkennen kann, die sich
unmittelbar vor seiner Nase befinden. Und es gibt in der Chronik der
Weltgeschichte so manches Jahrhundert, das er einfach streichen und für
überflüssig erklären möchte. Wie reich an Irrtümern ist doch die Welt,
an Irrtümern die heute vielleicht ein Kind zu vermeiden wüßte. Was für
seltsame Schlangenwindungen, was für enge, verwachsene, unzugängliche,
abseitsführende Wege wählte die Menschheit in ihrem Streben nach der
ewigen Wahrheit, während der gerade Weg offen vor ihren Augen lag, wie
der Weg, der in das prunkende Heiligtum des königlichen Palastes führt.
Breiter und herrlicher ist er als alle Wege, im strahlenden Sonnenglanze
liegt er da und nachts erhellen ihn leuchtende Flammen; und doch irrten
die Menschen an ihm vorbei in düsterer Finsternis, oft schon stieg die
Vernunft vom Himmel herab und wies sie zurecht. Aber auch jetzt noch
schreckten sie zurück, kamen sie immer aufs neue vom rechten Wege ab,
verstanden sie es am hellichten Tage, sich in verborgene wüste Gegenden
zu verlaufen, immer wieder den andern undurchdringliche Nebel vor die
Augen zu weben, und trügenden Irrlichtern nachjagend, bis zu Abgründen
vorzudringen, um sich dann mit Entsetzen zu fragen: wo ist ein Steg, wo
gibt es einen Ausweg? Wohl ist dies alles unserem in der Klarheit
wandelnden Geschlechte bekannt. Es wundert sich über die Verirrungen, es
lacht über die Torheiten seiner Vorfahren, aber es sieht nicht, daß
diese Chronik mit der Flammenschrift des Himmels geschrieben ist, daß
jeder Buchstabe die Wahrheit laut verkündet, daß auf allen Seiten der
mahnenden Finger auf es selbst weist, auf unser heute lebendes
Geschlecht; aber es lacht das Geschlecht von heute, und stolz und seiner
selbst bewußt beginnt es eine neue Reihe von Verirrungen, über welche
die Nachkommen ebenso stolz lächeln werden.

Tschitschikow hatte nichts von alledem erfahren; wie mit Absicht hatte
er sich gerade um diese Zeit eine leichte Erkältung, Reißen im Gesicht
und eine kleine Halsentzündung zugezogen, eine von jenen Krankheiten,
mit denen das Klima vieler unserer Provinzstädte die Einwohner besonders
freigebig bedenkt. Damit nur sein Leben um Gottes Willen kein jähes Ende
nähme, ehe er noch Zeit gehabt, für seine Nachkommenschaft zu sorgen,
beschloß er lieber drei, vier Tage zu Hause zu bleiben. Während dieser
Zeit gurgelte er beständig mit Milch, in der eine Feige schwamm, welche
er jedesmal mit Genuß verzehrte, auch trug er ein kleines Säckchen mit
Kamillen und Kampfer auf der Wange. Um sich ein wenig zu zerstreuen,
legte er sich ein ausführliches Verzeichnis über die von ihm gekauften
Bauern an, las dann noch irgend ein Buch von der Herzogin Savallière,
das er in seinem Koffer fand, sah noch einmal alle Zettelchen und
Sächelchen durch, die sich in seiner Schatulle befanden, und überflog
manches noch einmal, bis ihm auch dies alles langweilig wurde. Er konnte
durchaus nicht verstehen, was es zu bedeuten habe, daß kein einziger von
den Beamten der Stadt zu ihm kam, um sich nach seiner Gesundheit zu
erkundigen, während doch noch vor wenigen Tagen fast immer ein Wagen vor
seiner Tür gehalten hatte -- bald der des Staatsanwalts, bald der des
Postmeisters, bald der des Präsidenten. Er zuckte fortwährend mit den
Achseln, während er im Zimmer auf- und abging. Endlich fühlte er sich
etwas besser, und er war ganz glücklich, als er wieder soweit
hergestellt war, daß er an die frische Luft gehen konnte. Er machte sich
ohne Verzug an die Toilette, öffnete die Schatulle, goß etwas warmes
Wasser in ein Glas, nahm Seife und Bürste heraus und ging daran, sich zu
rasieren, wozu es übrigens schon längst Zeit war, denn als er sein Kinn
mit der Hand befühlte und in den Spiegel blickte, rief er aus: »Das ist
ja der reinste Wald!« Und in der Tat: wenn's auch gerade kein Wald war,
so ließ sich's doch nicht leugnen, daß auf Kinn und Wangen die Saat
üppig sproßte. Nachdem er sich rasiert hatte, kleidete er sich ganz
schnell an, ja er sprang beinahe aus seinen Hosen heraus. Endlich war er
angezogen; er besprengte sich noch mit Kölnischem Wasser, hüllte sich
recht warm in seinen Mantel und trat auf die Straße hinaus, nachdem er
sich vorsichtiger Weise vorher noch ein Tuch um die Wange gebunden
hatte. Sein erster Ausgang hatte, wie der jedes wiedergenesenen Menschen
-- etwas wahrhaft Festliches. Alles, was er erblickte, schien ihm
freundlich zuzulächeln, die Häuser und die Bauern auf der Straße, die
eigentlich eine sehr ernste Miene zur Schau trugen und von denen schon
mancher seinen Bruder übers Ohr gehauen hatte. Sein erster Besuch sollte
dem Gouverneur gelten. Unterwegs kamen ihm allerhand Gedanken in den
Sinn: bald dachte er an die junge Blondine, ja seine Phantasie schlug
sogar ein wenig über die Schnur, und er begann über sich selbst zu
lachen und sich über sich selbst lustig zu machen. In solcher Stimmung
fand er sich plötzlich dem Hause des Gouverneurs gegenüber. Schon hatte
er den Flur betreten und war eben im Begriff, eilig seinen Mantel
abzulegen, als der Portier plötzlich auf ihn zuging und ihn durch
folgende Worte überraschte: »Ich habe den Befehl erhalten, Sie nicht
vorzulassen!«

»Wie? Was fällt dir ein? Du erkennst mich wohl nicht? Sieh mich doch
ordentlich an!« fiel Tschitschikow erstaunt ein.

»Gewiß habe ich Sie erkannt! Ich sehe Sie doch nicht zum ersten Mal,«
sagte der Portier. »Sie _allein_ darf ich ja gerade nicht vorlassen;
jeden andern, nur Sie nicht!«

»Ach was! Weswegen nur nicht, warum denn nicht?«

»So lautet der Befehl; es wird wohl seinen Grund haben,« sagte der
Portier und fügte noch ein »Ja« hinzu, worauf er in nachlässiger Haltung
vor ihm stehen blieb, ganz ohne jenes freundliche Lächeln, mit dem er
ihm sonst so dienstbeflissen aus seinem Mantel herausgeholfen hatte.
Wahrscheinlich dachte er sich: »He! wenn dich die Herrschaften von der
Schwelle jagen, dann bist du sicherlich irgend ein Prolet!«

»Unbegreiflich!« dachte Tschitschikow und begab sich sofort zum
Gerichtspräsidenten; aber der Präsident wurde bei seinem Anblick so
verlegen, daß er keine zwei Worte stammeln konnte und solch ein
törichtes Zeug zusammenschwatzte, daß alle beide verlegen wurden.
Tschitschikow entfernte sich und gab sich unterwegs alle mögliche Mühe,
herauszubekommen, was der Präsident eigentlich gemeint, und was seine
Worte für einen Sinn gehabt hätten, aber es wollte ihm durchaus nicht
gelingen. Dann ging er zu den andern: zum Polizeimeister, zum
Vize-Gouverneur, zum Postmeister, aber sie weigerten sich entweder, ihn
zu empfangen, oder bereiteten ihm einen so seltsamen Empfang, führten so
eigentümliche Reden, wurden so verlegen und benahmen sich so merkwürdig,
daß er wirklich annehmen mußte, sie seien nicht ganz bei Verstande. Er
machte noch einen Versuch und ging zu einigen Bekannten, um den Grund
dieser Veränderung zu erfahren, aber auch hier wollte es ihm nicht
glücken. Wie im Halbschlaf irrte er durch die Stadt, ohne entscheiden zu
können, ob er selbst verrückt sei, oder die Beamten den Kopf verloren
hätten, ob dies alles nur ein Traum, oder alberne törichte Wirklichkeit
sei, die noch abgeschmackter war als ein Traum. Erst spät am Abend, als
es schon dunkel zu werden begann, kehrte er in seinen Gasthof zurück,
den er in so glänzender Stimmung verlassen hatte, und ließ sich vor
Ärger und Langeweile Tee bringen. Nachdenklich und in Grübeln über die
Seltsamkeit seiner Lage versunken, schenkte er sich eine Tasse Tee ein,
als sich plötzlich die Zimmertür auftat und Nosdrjow, den er am
allerwenigsten erwartet hatte, hineintrat.

»Für einen Freund ist kein Weg zu weit! wie das Sprichwort sagt,« rief
dieser und nahm seinen Hut ab: »ich komme eben vorüber und sehe Licht in
deinem Fenster. >Wahrscheinlich schläft er noch nicht, denke ich mir,
ich muß doch mal rauf gehen und nachsehen.< Ah! das ist aber schön, daß
du Tee hast, ich trinke mit Vergnügen ein Täßchen mit: ich hab' heute
allerhand Zeug gegessen und fühle schon, daß mein Magen zu rebellieren
beginnt! Laß mir doch bitte eine Pfeife stopfen. Wo ist denn deine
Pfeife?«

»Ich rauche doch keine Pfeife,« sagte Tschitschikow trocken.

»Unsinn, als ob ich nicht weiß, daß du ein enragierter Raucher bist. He!
Wie heißt doch gleich dein Diener? He Bachrameus, hör mal!«

»Er heißt nicht Bachrameus, er heißt Petruschka.«

»Wie? Du hattest doch früher einen Bachrameus?«

»Ist mir nicht eingefallen!« sagte Tschitschikow. »Richtig, es ist ja
wahr. Das ist ja Derebin, der hat einen Bachrameus. Denk mal, was der
Derebin für ein Schwein hat: seine Tante hat sich mit ihrem Sohn
gezankt, weil der eine Leibeigne geheiratet hat, und nun hat sie dem
Derebin ihr ganzes Vermögen zugeschrieben. Das wär doch fein, wenn unser
einer so eine Tante hätte, weißt du, das wären schöne Aussichten, was?
Sag mal, Freund, was ist denn das mit dir, warum ziehst du dich
plötzlich so von uns allen zurück, man sieht dich ja überhaupt nicht
mehr. Ich weiß, du beschäftigst dich mit wissenschaftlichen
Gegenständen, du liest sehr viel (woraus Nosdrjow schloß, daß unser Held
sich mit wissenschaftlichen Gegenständen beschäftigt und sehr viel
liest, das können wir, wie wir zu unserem Bedauern gestehen müssen,
leider nicht verraten, noch weniger aber hätte es Tschitschikow können).
Hör mal Tschitschikow! Wenn du bloß gesehen hättest ... das wär' was für
deinen satirischen Geist gewesen. (Warum Tschitschikow einen satirischen
Geist haben sollte -- ist leider auch ganz unbekannt.) Denk mal, lieber
Freund, beim Kaufmann Liebatschew da haben wir neulich Karten gespielt,
nein, und haben wir da aber gelacht! Pererependjew, der mit mir dort
war, sagte immer, >wenn doch Tschitschikow bloß hier wäre, das wäre was
für ihn!< (Tschitschikow hatte Pererependjew überhaupt nie gesehen.)
Nein, gesteh's nur, Bester, damals hast du wirklich gemein an mir
gehandelt, weißt du noch, als wir Dame spielten? Ich hatte ja gewonnen
... Aber, du hast mich einfach beschwindelt! Aber, hol's der Teufel, ich
kann halt nicht lange böse sein. Neulich beim Präsidenten ... Ach ja,
ich muß dir noch sagen: in der Stadt sind alle gegen dich aufgebracht!
Sie glauben, daß du falsches Papiergeld machst .. Plötzlich fallen alle
über mich her -- na, ich stelle mich natürlich wie ein Berg vor dich hin
-- ich habe ihnen was vorerzählt: daß wir zusammen in die Schule
gegangen sind, und daß ich deinen Vater gekannt habe; mit einem Wort,
ich habe ihnen tüchtig was vorgeschwindelt!«

»Ich soll falsches Papiergeld machen?« rief Tschitschikow aus und sprang
vom Stuhl auf.

»Warum hast du sie denn auch so in Schrecken gejagt?« fuhr Nosdrjow
fort, »sie sind ja halb toll vor Angst: sie halten dich für einen
Spitzel und Räuber. -- Der Staatsanwalt ist ja vor lauter Schreck
gestorben .. morgen ist die Beerdigung. Du kommst doch bestimmt? Offen
gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen Generalgouverneur, und haben
Angst, es könnte deinetwegen noch eine Geschichte geben; was den
Generalgouverneur anbetrifft, so bin ich freilich der Ansicht, daß er
mit dem Adel nichts ausrichten wird, wenn er allzu hochnäsig ist und gar
zu dicke tut. Der Adel will mit Liebe behandelt sein: nicht wahr? Man
kann sich natürlich in seinem Zimmer verstecken und nie einen Ball
geben, aber was nützt das? Damit ist noch nichts gewonnen. Aber hör mal,
Tschitschikow, du hast da eine gefährliche Sache unternommen?«

»Was für eine gefährliche Sache?« fragte Tschitschikow unruhig.

»Na, das mit der Entführung der Gouverneurstochter. Offen gesagt, ich
habe das von dir erwartet, bei Gott, ich hab es erwartet! Gleich als ich
euch zum ersten Mal zusammen auf dem Ball sah: >Na! denke ich mir, der
Tschitschikow ist nicht umsonst hier ...< Übrigens hast du keine gute
Wahl getroffen; ich finde gar nichts Gutes an ihr. Es gibt da eine
andre, eine Verwandte von Bikussow, eine Tochter seiner Schwester, das
ist ein Prachtmädel! Da kann man sagen: Einfach entzückend!«

»Was redest du da für ein Blech zusammen? Wer will denn die Tochter des
Gouverneurs entführen. Was fällt dir ein?« sagte Tschitschikow und
starrte ihn verständnislos an.

»Mach doch keine Sachen, lieber Freund: so ein Geheimniskrämer! Ich will
ganz offen sein, ich bin eigentlich nur deswegen zu dir gekommen, um dir
meine Hilfe anzubieten. Ich will meinetwegen den Brautkranz halten und
dir meinen Wagen und meine Pferde zur Verfügung stellen, nur unter einer
Bedingung: du mußt mir dreitausend Rubel leihen. Ich hab sie unbedingt
nötig, ich bin in einer verzweifelten Lage.«

Während dieser törichten Reden Nosdrjows rieb sich Tschitschikow
mehrmals die Augen, um sich zu überzeugen, ob er nicht etwa träume. Das
falsche Papiergeld, die Entführung der Tochter des Gouverneurs, der Tod
des Staatsanwalts, dessen Ursache _er_ sein sollte, die Ankunft des
Generalgouverneurs, dies alles jagte ihm keinen geringen Schreck ein.
»Oh weh, wenn die Sache so steht,« dachte er, »dann darf ich nicht
länger säumen, dann muß ich mich schleunigst davonmachen.«

Er suchte sich Nosdrjow möglichst schnell vom Halse zu schaffen, ließ
sofort Seliphan rufen und befahl ihm, sich bei Sonnenaufgang bereit zu
halten, weil er am nächsten Morgen um 6 Uhr die Stadt verlassen wolle.
Daher trug er ihm noch einmal auf, nach allem zu sehen, den Wagen
ordentlich zu schmieren usw. usw. Seliphan sagte nur: Zu Befehl, Pawel
Iwanowitsch, blieb aber trotzdem eine Weile an der Türe stehen, ohne
sich vom Fleck zu rühren. Der Herr befahl Petruschka, sofort den Koffer
unter dem Bett hervorzuholen, der schon mit einer dicken Staubschicht
bedeckt war, und begann zusammen mit seinem Burschen all seine Sachen
einzupacken; dabei machte er nicht viel Umstände und warf alles, was ihm
unter die Hände kam, in einen Korb hinein: Strümpfe, Hemden, die _reine_
und die _schmutzige_ Wäsche, Stiefelbürsten, einen Kalender usw. Dies
alles wurde in aller Eile eingepackt, denn er wollte unbedingt noch am
selben Abend damit fertig sein, um am anderen Morgen nicht unnütz Zeit
zu verlieren. Seliphan stand noch ein paar Minuten an der Türe und
verließ dann leise das Zimmer. Ganz bedächtig und so langsam, wie man
sich's nur vorstellen kann, stieg er die Treppe hinunter, indem er den
Abdruck seiner feuchten Stiefel auf den abgetretenen Stufen zurückließ.
Und lange noch stand er da und kratzte sich den Hinterkopf. Was bedeutet
diese Gebärde? und was hat sie überhaupt zu bedeuten? War es der Ärger,
daß die für morgen verabredete Zusammenkunft mit irgend einem Kollegen
in einem ebenso ärmlichen Pelze und einem ähnlichen Gürtel um die Taille
in irgend einer kaiserlichen Schenke sich zerschlagen hatte; oder hatte
sich an dem neuen Ort schon eine Herzensaffäre angesponnen, und nun
sollte es aus sein mit dem Stehen unter dem Toreingange und mit dem
höflichen Händedrücken abends in der Dämmerung, wenn die Burschen im
roten Hemde vor den Mägden auf der Balalaika[6] klimperten und die bunte
Volksmenge nach des Tages Last und Mühe leise Reden wechselt -- oder war
es nur der Schmerz, das warme Plätzchen in der Küche am Ofen unter dem
Pelze, die Genossen, die Kohlsuppe und die weiche Pastete, wie man sie
nur in der Stadt bekommt, verlassen zu müssen, um sich aufs neue in den
Regen und Schnee hinauszubegeben und die Strapazen und Unbill der Reise
auf sich zu nehmen? Das mag Gott wissen -- errate wer's will. Gar
vielerlei hat es zu bedeuten, wenn sich das russische Volk hinter den
Ohren kratzt.

[Fußnote 6: Ein Saiteninstrument: eine Art Guitarre.]


                            Elftes Kapitel.

Es kam jedoch ganz anders als Tschitschikow vermutet hatte. Erstlich
wachte er viel später auf, als er beabsichtigte -- dies war die erste
Unannehmlichkeit -- dann stand er auf und schickte sofort jemand
hinunter, um zu erfahren, ob der Wagen in Ordnung, die Pferde angespannt
und alles zur Abreise bereit sei, mußte aber zu seinem Leidwesen
erfahren, daß die Pferde nicht angespannt und noch gar keine Anstalten
zur Abreise getroffen seien -- und dies war die zweite Unannehmlichkeit.
Das brachte ihn geradezu in Wut, er nahm sich sogar schon vor, unserem
Freunde Seliphan einen ordentlichen Nasenstüber zu versetzen, und
wartete mit Ungeduld, was der wohl für eine Ausrede zu seiner
Entschuldigung vorbringen würde. Bald erschien Seliphan auch in der Tür,
worauf sein Herr das Vergnügen hatte, dieselben Reden über sich ergehen
zu lassen, die man stets von den Bedienten zu hören bekommt, wenn man
verreisen will und große Eile hat.

»Man muß doch aber die Pferde zuerst beschlagen lassen, Pawel
Iwanowitsch!«

»Ach du Hundsfott! Du Klotz du! Warum hast du mir das denn nicht früher
gesagt? Du hast doch wohl Zeit genug dazu gehabt?«

»Hm, ja, Zeit hätt' ich freilich dazu gehabt ... Aber dann ist da noch
was mit dem Rade los, Pawel Iwanowitsch ... Man wird einen neuen Reifen
aufsetzen müssen, der Weg hat so viele Gruben und Löcher, und ist so
holperig ... Ja, und dann habe ich noch etwas vergessen: der Kutschbock
ist entzwei, der ist so wackelig, daß er keine zwei Stationen mehr
halten kann.«

»Schurke!« schrie Tschitschikow, schlug die Hände zusammen und ging auf
Seliphan los, daß dieser Angst bekam, sein Herr könne ihm ein recht
unangenehmes Geschenk machen, auswich und ein paar Schritte zurücktrat.

»Willst du mich umbringen? Willst du mich töten? Was? Du willst mich
wohl am Wege ermorden, wie ein Räuber und Strauchdieb? Du Schwein du, du
Meerungeheuer! Drei Wochen lang rühren wir uns nicht vom Fleck! Und wenn
er nur ein einziges Wort gesagt hätte, der nichtsnutzige Kerl! Statt
dessen verschiebt er alles bis auf die letzte Stunde! Jetzt wo schon
alles so weit ist, daß man einsteigen und fortfahren möchte, gerade da
muß er einem solch einen Streich spielen! Was ...? Du hast es doch
gewußt? Hast du es etwa nicht gewußt? Wie? Antworte! Nun?«

»Freilich!« antwortete Seliphan und ließ den Kopf hängen.

»Nun warum hast du dann nichts gesagt? Wie?« Auf diese Frage erfolgte
keine Antwort. Seliphan stand noch immer mit gesenktem Kopfe da, und
schien zu sich selbst zu sprechen: »Siehst du wohl, wie das gekommen
ist: ich hab's doch gewußt, und trotzdem nicht gesagt!«

»So, lauf jetzt zum Schmied und laß ihn kommen. In zwei Stunden muß
alles fertig sein, verstanden? Spätestens in zwei Stunden! Wenn's dann
nicht fertig ist, dann -- dann nehm ich dich und binde dich zu einem
Knoten zusammen!« Unser Held war ganz außer sich vor Wut.

Seliphan wollte schon hinausgehen, um den Befehl seines Herrn
auszuführen; aber er besann sich noch einen Augenblick, blieb stehen und
sagte: »Wissen Sie, gnädiger Herr, den Schecken, den sollte man
eigentlich verkaufen, wirklich Pawel Iwanowitsch, das ist so ein Schurke
... bei Gott, solch ein gemeiner Gaul, der hindert einen ja nur!«

»So? ich soll wohl gleich auf den Markt laufen und ihn verschachern.
Was?«

»Bei Gott, Pawel Iwanowitsch. Der sieht nur so kräftig aus; in
Wirklichkeit ist er höchst verschlagen und unzuverlässig, so ein Pferd
gibt's gar nicht wieder ...«

»Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon selbst. Hält der
Kerl hier noch lange Reden! Paß mal auf; wenn du mir nicht gleich ein
paar Schmiede holst, und wenn mir nicht in zwei Stunden alles fix und
fertig ist, dann kriegst du einen Nasenstüber, daß du nicht weißt, wo
dir der Kopf steht! Mach, daß du raus kommt! Marsch!« Seliphan verließ
das Zimmer.

Tschitschikow war in der schlechtesten Laune, die man sich denken kann,
und warf seinen Säbel, den er auf Reisen immer bei sich trug, um die
Leute in Furcht und Respekt zu halten, wütend auf den Boden. Mehr als
eine Viertelstunde zankte er sich mit den Schmieden herum, ehe er mit
ihnen einig wurde, denn diese waren, wie das zu geschehen pflegt, ganz
abgefeimte Gauner und forderten das Sechsfache, als sie merkten, daß
Tschitschikow es sehr eilig hatte. So sehr er sich auch ereiferte, sie
Diebe, Räuber und Wegelagerer nannte, es wollte alles nichts fruchten;
er versuchte es sogar, sie mit dem jüngsten Gericht zu schrecken; aber
auch das machte keinen Eindruck auf die Schmiedegesellen, sie blieben
fest, und ließen nicht nur nichts vom geforderten Preise ab, sondern
brauchten noch dazu statt zwei Stunden ganze fünfeinhalb, um den Wagen
in Ordnung zu bringen. Während dieser Zeit konnte Tschitschikow in
vollen Zügen jene schönen Minuten genießen, die jeder Reisende so gut
kennt, wenn die Koffer gepackt sind und nur noch einige Stücke
Bindfaden, ein paar Papierfetzen und anderer Plunder im Zimmer
herumliegen, wenn der Mensch noch nicht im Wagen sitzt, aber auch nicht
ruhig zu Hause bleiben kann, und schließlich ans Fenster tritt, um sich
die Leute anzusehen, die unten auf der Straße vorüber gehen oder eilen,
über ihre Groschen sprechen, ihre blöden Blicke neugierig auf ihn
richten und ruhig ihrer Wege gehen, was den armen Reisenden, der
durchaus nicht fort kann, noch mehr verstimmt. Alles was er sieht: der
vor ihm liegende Kaufladen, der Kopf der alten Frau, die im
gegenüberliegenden Hause wohnt, und von Zeit zu Zeit immer wieder an das
mit kurzen Gardinen verhängte Fenster tritt, -- alles widert ihm an, und
doch kann er sich nicht entschließen, vom Fenster wegzugehen. Er rührt
sich nicht vom Fleck, seine Gedanken verlieren sich ins Uferlose, er
vergißt _sich_ und seine ganze Umgebung, um gleich darauf wieder zu den
vertrauten Gegenständen zurückzukehren. Stumpfen Sinnes betrachtet er
alles, was um ihn herum lebt und webt, und zerdrückt schließlich
ärgerlich eine Fliege, die summend gegen die Fensterscheibe fliegt und
ihm dabei gerade unter die Finger kommt. Aber alles in der Welt hat ein
Ende, und der ersehnte Augenblick bricht an: endlich war alles in
Ordnung: der Kutschbock war repariert, wie es sich gehörte, das Rad
hatte einen neuen Reifen, die Pferde hatten zu trinken bekommen, und die
Schmiede entfernten sich, nachdem sie ihr Geld noch einmal nachgezählt
und Tschitschikow eine glückliche Reise gewünscht hatten. Endlich waren
auch die Pferde vor den Wagen gespannt; dann wurden noch schnell zwei
warme Bretzel, die man soeben gekauft hatte, in die Kutsche gepackt,
auch Seliphan steckte sich noch etwas in die Tasche, die am Kutschbock
angebracht war, und unser Held verließ den Gasthof, um seinen Wagen zu
besteigen, begleitet vom Kellner, der wie immer seinen baumwollenen Rock
anhatte, und grüßend seinen Hut schwenkte, sowie von ein paar Kutschern
und Lakaien, die teils zum Gasthof gehörten, teils herbeigelaufen waren,
um zu sehen, wie der fremde Herr abfährt; nebst allem sonstigen Zubehör,
wie es bei einer Abreise nie fehlen darf; Tschitschikow setzte sich in
die Equipage, und die bekannte Junggesellenkutsche, die so lange
unbenutzt im Stall gestanden hatte und den Leser vielleicht schon zu
langweilen beginnt, rollte zum Tore hinaus. »Gott sei Dank!« dachte
Tschitschikow und schlug ein Kreuz. Seliphan knallte mit der Peitsche,
Petruschka, der erst eine Weile auf dem Trittbrett gestanden hatte, nahm
neben ihm Platz, unser Held setzte sich recht bequem auf dem grusischen
Teppich zurecht, legte sich ein Lederkissen in den Rücken, wobei er die
beiden warmen Bretzel kräftig zusammendrückte, und der Wagen setzte sich
aufs neue, hopsend und springend in Bewegung, dank dem Pflaster, welches
ja bekanntlich eine beträchtliche Schwungkraft besaß. Mit einem
seltsamen unklaren Gefühl blickte Tschitschikow auf die Häuser, die
Mauern, die Zäune und Straßen, die gleichfalls auf und ab zu hüpfen
schienen und langsam an seinen Augen vorüberzogen. Weiß Gott, ob es ihm
beschieden sein würde, sie in seinem Leben noch einmal wiederzusehen.
Bei einer Straßenkreuzung mußte der Wagen Halt machen, er wurde nämlich
durch einen Leichenzug aufgehalten, der sich die ganze Straße entlang
dahin bewegte. Tschitschikow steckte den Kopf aus dem Wagen, und sagte
Petruschka, er solle einmal fragen, wer da beerdigt werde. Es stellte
sich heraus, daß es der Staatsanwalt war. Äußerst unangenehm berührt,
lehnte Tschitschikow sich schnell in eine Ecke zurück, ließ den Wagen
aufklappen und zog die Vorhänge zu. Während die Equipage still stand,
nahmen Seliphan und Petruschka fromm ihre Mützen ab und sahen sich den
Zug aufmerksam an, wobei sie sich besonders für die Wagen und ihre
Insassen zu interessieren und genau nachzuzählen schienen, wie viele von
den Leidtragenden fuhren, und wie viele zu Fuß gingen; auch ihr Herr,
der ihnen befohlen hatte, sich nicht zu erkennen zu geben und keinen von
den bekannten Lakaien zu grüßen, sah sich den Zug durch ein kleines
Fenster im ledernen Verdeck an. Alle Beamten folgten entblößten Hauptes
dem Sarge. Tschitschikow fürchtete sich einen Augenblick, sie könnten
seine Equipage erkennen; aber sie achteten gar nicht auf sie. Sie
unterhielten sich nicht einmal über jene praktischen Fragen, welche
gewöhnlich gestreift werden, wenn man an einer Beerdigung teilnimmt. All
ihre Gedanken konzentrierten sich auf sich selber; sie dachten darüber
nach, was der neue Generalgouverneur wohl für ein Mann sei, wie er die
Geschäfte verwalten, und wie er sich zu ihnen stellen werde. Auf die
Beamten, welche zu Fuß gingen, folgte eine Reihe von Wagen, aus denen
Damen mit schwarzen Hauben und Schleiern hervorblickten. Nach den
Bewegungen ihrer Hände und Lippen mußte man schließen, daß sie in einer
lebhaften Unterhaltung begriffen waren: vielleicht sprachen auch sie
über die Ankunft des neuen Generalgouverneurs, äußerten ihre Vermutungen
über die Bälle die er geben würde und sorgten schon jetzt für ihre neuen
Rüschen und Aufsätze. Zuletzt kamen noch einige leere Droschken hinter
den Equipagen hergefahren, eine hinter der andern, und dann kam lange
nichts mehr, die Bahn war frei, und unser Held konnte weiterfahren. Er
ließ das Lederverdeck herunter, seufzte aus tiefster Seele, und sagte:
»Das war der Staatsanwalt! Er lebte und lebte, und nun ist er tot! Jetzt
werden sie in den Zeitungen schreiben, er sei gestorben zum großen
Schmerz all seiner Untergebenen und der ganzen Menschheit, er der stets
ein geachteter Bürger, ein seltener Vater, das Muster von einem Gatten
gewesen sei; was werden sie nicht _noch_ alles schreiben: vielleicht
fügen sie auch noch hinzu, daß die Tränen der Witwen und Waisen ihn bis
ans Grab begleiteten; sieht man sich aber die Sache aus der Nähe an, und
geht man ihr ordentlich auf den Grund, dann war an dir eigentlich nichts
merkwürdig, außer deinen buschigen Augenbrauen.« Und er rief Seliphan
zu, er solle sich beeilen und sprach zu sich selber: »Eigentlich ist es
doch ganz gut, daß wir einem Leichenzuge begegnet sind, man sagt, es
bedeute Glück, wenn ein Leichenwagen vorüberfährt.«

Unterdessen fuhr der Wagen schon durch die öden und leeren Straßen der
Vorstadt, und bald sah man zu beiden Seiten nichts mehr, als lange
Bretterzäune, welche das Ende der Stadt ankündigten. Nun hörte auch
schon das Straßenpflaster auf, da war der Schlagbaum, die Stadt lag
hinter den Reisenden -- man befand sich auf der öden einsamen
Landstraße. Und wieder jagte der Wagen den Postweg entlang mit seinen
altbekannten Bildern zu beiden Seiten: seinen Meilensteinen,
Stationsbeamten, Brunnen, Fuhren, Lastwagen, den grauen Dörfern mit
ihren Teemaschinen, den Bauernfrauen und dem forschen bärtigen
Hausherrn, der mit einem Hafersack aus der Herberge gelaufen kommt, dem
Wanderer, in zerrissenen Bastschuhen, welcher vielleicht schon
siebenhundert Werst zurückgelegt hat, den munteren Städtchen mit ihren
hölzernen Läden, Mehlfässern, Bastschuhen, Bretzeln und dem übrigen
Plunder, den scheckigen Schlagbäumen, den ewig in Reparatur befindlichen
Brücken, den unübersehbaren Feldern hüben und drüben, den Erntewagen,
dem reitenden Soldaten, der einen grünen Kasten voll Artilleriefutter
mit der Inschrift: An die so und so vielste Artilleriebrigade! mit sich
führt, den grünen, gelben oder frisch aufgeworfenen _schwarzen_ Streifen
Ackerlandes, die hie und da in der Steppe auftauchen, dem aus der Ferne
herüberklingenden melancholischen Gesang, den Kiefernwipfeln in zartem
Nebeldunst, dem verhallenden Glockengeläute, den Scharen wilder Raben,
die vorüberziehen gleich Fliegenschwärmen und dem endlosen grenzenlosen
Horizont ... Oh, Rußland! mein Rußland! ich sehe dich, sehe dich aus
meiner herrlichen wundersamen Ferne. Arm, weit verstreut und
unfreundlich sind deine Gaue, kein frohes Wunder der Natur, gekrönt von
frechen Wunderwerken kühner Kunst -- erheitern oder schrecken hier den
Blick, keine Städte mit vielfenstrigen hohen Palästen in wilde Felsen
eingebaut, keine malerischen Bäume und Efeuranken, in Häuser
eingewachsen, umbraust vom Staube ewiger Wasserfälle; nicht braucht das
Haupt sich zurückzuneigen, um mit dem Blick den grenzenlos zur Höhe
emporgetürmten Gebirgsblöcken folgen zu können; nicht blitzen hinter
langgestreckten, dunklen Säulengängen, um die sich Rebenzweige, Efeu und
Millionen wilder Rosen schlingen: nicht blitzen hinter ihnen auf die
ewigen Linien ferner leuchtender Berge, die sich in silberklaren Himmeln
verlieren. Frei, wüst und offen liegst du da; wie kleine Pünktchen oder
Zeichen, so ragen aus der Ebene deine niedrigen Städte auf: nichts
lockt, verführt, bezaubert unseren Blick. Und dennoch, welch
unbegreifliche, geheimnisvolle Kraft zieht mich zu dir? Warum klingt
unaufhörlich dein melancholisches, nie verstummendes, die ganze
unermeßliche Weite durcheilendes, von Meer zu Meere dringendes Lied uns
im Ohr? Welch ein geheimer Zauber liegt in diesem Liede? Was ruft und
lockt, was schluchzt darin und greift so seltsam uns ans Herz? Was sind
das für Töne, die unsere Seele so zärtlich umschmeicheln und küssen, zum
Herzen dringen und es süß umspinnen? O, Rußland! sag, was willst du nur
von mir? Welch unbegreiflich Band ist zwischen uns geknüpft? Was blickst
du mich so an, und warum hält alles, alles was dich erfüllt, seine Augen
so erwartungsvoll auf mich gerichtet? ... Noch immer steh' ich zweifelnd
und unbeweglich da, schon hat die finstere regenschwangere Wolke mein
Haupt beschattet, und schon verstummt der Gedanke von deiner
grenzenlosen Ausdehnung. Was verheißt diese unermeßliche Freiheit und
Weite? Oder sollte hier, in deinem Schoße, auch der unendliche Gedanke
geboren werden, wo du doch selber kein Ende hast? Nicht hier der Held
erstehn? wo frei der Raum sich weitet, auf daß _er_ sich entfalte und
ausbreite und frei dahinschreite? Und furchtbar umfängt mich der
majestätische Raum, der tief mein Inneres erschüttert mit all seinen
Schrecken; von einer übernatürlichen Macht ward mein Auge erleuchtet ...
O, welch eine schimmernde, wunderbare unbekannte Ferne! Mein Rußland!
...

»Halt, halt, du Esel!« rief Tschitschikow Seliphan zu.

»Ich hau dir gleich eins mit meinem Pallasch runter!« schrie ihn ein
vorübersprengender Feldjäger an, der einen Schnurrbart von der Länge
eines Meters hatte. »Siehst du denn nicht, daß das ein staatlicher Wagen
ist? hol dich der Teufel!« Und wie eine Vision verschwand unter Donner
und Staubwolken das Dreigespann.

Welch eine seltsame, wunderbare Lockung liegt doch in dem Worte:
Landstraße! Und wie _herrlich_ ist sie selbst, diese _Landstraße_! Ein
heller Tag, Herbstblätter, die Luft ist kalt ... Hüll dich tiefer in
deinen Regenmantel! Die Mütze über die Ohren, und schmieg dich enger und
gemütlicher in deine Wagenecke! Ein letztes Mal noch läuft uns ein
Schauer durch unsere Glieder, und schon durchströmt uns behagliche
Wärme. Die Rosse jagen dahin ... Wie lockend naht der Schlummer. Die
Augenlider senken sich. Und wie im Halbschlaf erklingt noch einmal das
Lied: »Nicht weißer Schnee ...«, das Schnauben der Pferde und das
Rasseln der Räder und schon schnarchst du laut, indem du deinen Nachbar
tief in die Wagenecke drückst. Doch nun erwachst du: fünf Stationen
liegen hinter dir; der Mond steht hoch am Himmel; du fährst durch eine
unbekannte Stadt, vorbei an Kirchen mit altertümlichen Holzkuppeln und
dunkelen Turmspitzen, an finsteren hölzernen und weißen steinernen
Häusern vorüber: hie und da ein breiter Streifen schimmernden
Mondlichts, gleich als ob weiße Leinentücher über Wände und Straßen
gebreitet wären, kohlschwarze Schatten legen sich schräg darüber, wie
flimmerndes Metall glänzen die helleuchtenden Holzdächer: und keine
Seele rings umher: alles schläft. Nur ein einsamer Lichtschein fällt
hier oder dort aus einem kleinen Fenster: ist es ein Bürgersmann, der
seine Stiefel stopft, oder ein Bäcker, der sich beim Ofen zu schaffen
macht? -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! Himmlische Mächte! welch
eine Nacht webt droben in der Höhe! O Luft, o Himmel, weiter hoher
Himmel in deiner unerreichbaren Tiefe, der du dich so unfaßbar klar und
helltönend über uns breitest! ... Kühl weht dir in die Augen der kalte
Atem der Nacht und lullt dich ein in süßen Schlaf; nun schlummerst du,
vergißt dich ganz und schnarchst -- doch zornig bewegt und schüttelt
sich dein armer, in die Ecke gezwängter Nachbar unter deiner allzu
schweren Bürde. Von neuem erwachst du, und wieder liegen vor dir Felder
und Steppen; leer ist's um dich herum, frei dehnt die Ebene sich in die
Weite. Ein Meilenstein nach dem andern fliegt an dir vorüber; der Morgen
steigt empor; am bleichen kalten Horizont erscheint ein matter
Goldstreifen, kühler und kräftiger weht dir der Wind um die Ohren. Hüll
dich tiefer in deinen Mantel! Welch herrliche Kälte! Wie wunderbar
umfängt aufs neue dich der Schlummer! Ein Stoß und abermals erwachst du.
Die Sonne steht schon im Zenith. »Vorsicht, Vorsicht!« ruft's neben dir,
der Wagen jagt den steilen Berg hinab. Unten wartet eine Fähre: ein
breiter, klarer Teich, der wie ein kupferner Kessel in der Sonne glänzt;
ein Dorf, mit malerischen Hütten an den Hängen; wie ein Stern blitzt
abseits das Kreuz der Dorfkirche; wie tiefes Summen tönt der Bauern
munteres Geplauder, und unbezwinglicher Appetit regt sich im Magen ...
Mein Gott, wie schön ist doch bisweilen solch weiter, weiter Reiseweg!
Wie oft schon klammerte ich mich gleich einem Untergehenden und
Ertrinkenden an dich, und jedes Mal noch zogst du mich empor und
rettetest hochherzig mich Armen! Und wieviel herrliche Gedanken und
Träume voll wundersamer Poesie wurden auf solche Weise geboren, wie
viele beglückende Eindrücke erfüllen schon die Seele! ... Indessen auch
Freund Tschitschikows Träume waren durchaus nicht so ganz prosaischer
Art. Sehen wir einmal zu, was für Gefühle ihn beseelten! Anfangs empfand
er überhaupt nichts und sah sich immer wieder um, weil er sich
überzeugen wollte, ob die Stadt auch wirklich hinter ihm läge; aber als
er sah, daß sie längst verschwunden war, und keine Schmiede, keine
Mühle, noch sonst etwas von alledem, was um eine Stadt herum zu liegen
pflegt, mehr zu entdecken war, und selbst die weißen Spitzen der
steinernen Kirchen längst in die Erde gesunken waren, da richtete sich
seine ganze Aufmerksamkeit auf den Weg; er blickte nach rechts und nach
links, die Stadt N. war ganz vergessen, wie wenn er vor _langer, langer_
Zeit, in seiner frühesten Kindheit dort gewesen wäre. Schließlich fing
auch der Weg an, ihn zu langweilen, er machte die Augen ein wenig zu und
lehnte den Kopf an das Kissen. Der Autor muß gestehen, daß er sich
eigentlich darüber freut, da er doch _so_ endlich einmal Gelegenheit
findet, einige Worte über seinen Helden zu sagen, denn bisher wurde er
ja immer -- der Leser weiß es ja selbst -- bald durch Nosdrjow, bald
durch irgend einen Ball, bald durch die Damen oder den Stadtklatsch,
oder durch tausend andere Kleinigkeiten daran gehindert, die immer erst
dann als Kleinigkeiten erscheinen, wenn sie im Buche stehen, dagegen
immer für höchst wichtige Angelegenheiten gehalten werden, solange sie
noch in der Welt umherschwirren. Nun aber wollen wir alles beiseite
legen und uns ganz der Sache selbst widmen.

Ich bin sehr im Zweifel, ob der Held meiner Dichtung dem Leser gefallen
wird. Den Damen wird er ganz sicher nicht gefallen, das läßt sich schon
im Voraus mit Bestimmtheit behaupten -- denn die Damen wollen, daß ihr
Held ein Muster jeglicher Vollkommenheit darstelle, und wenn ihm nur der
kleinste leibliche oder seelische Makel anhaftet, dann ist es für immer
vorbei. Der Autor mag ihm noch so tief in die Seele hineinleuchten, sein
Bild reiner zurückstrahlen lassen, als ein Spiegel -- der Mann hätte
doch nicht den geringsten Wert in ihren Augen. Schon die Fülle und das
Alter Tschitschikows müssen ihm sehr schaden: diese Fülle wird man
unserem Helden nie verzeihen, und viele Damen werden sich verächtlich
abwenden und sagen: »Pfui, wie häßlich er ist!« Ach ja! Das alles ist
dem Autor wohl bekannt, und dennoch -- und trotz alledem kann er sich
keinen tugendhaften Menschen zum Helden wählen ... Allein ... vielleicht
wird man in dieser selben Erzählung noch nie angeschlagene Saiten
vernehmen, wird der russische Geist in ihr in seinem unendlichen
Reichtum vor uns erscheinen, ein Mann begabt mit göttlichen Vorzügen und
Tugenden an uns vorüberschreiten, oder ein herrliches russisches
Mädchen, wie man es auf der ganzen Welt nicht wieder findet,
ausgestattet mit allen Schönheiten der weiblichen Seele voll
hochherzigen Strebens und zu jedem höchsten Opfer bereit! Verblassen und
dahinschwinden werden vor ihnen alle tugendhaften Männer und Frauen
anderer Stämme, wie der tote Buchstabe vor dem lebendigen Wort! Zum
Lichte drängen werden sich alle mächtigen Regungen der russischen Seele,
.. und es wird an den Tag kommen, wie tief die slavische Natur ergreift
und festhält, was nur die Oberfläche fremder Völker streifte ... Allein,
warum soll ich davon reden, was noch vor uns liegt? Nicht ziemt sich's
für den Dichter, der längst des Mannes reifes Alter erreichte, und den
die ernste Strenge inneren Lebens und die erfrischende Nüchternheit der
Einsamkeit härteten und stählten, dem Knaben gleich sich zu vergessen.
Jedes Ding hat seinen Platz und seine Zeit! Und doch, trotz alledem ward
nicht der Tugendhafte zum Helden erwählt. Wir können es sogar sagen
warum er nicht erwählt ward. Weil es endlich einmal Zeit ist dem armen
Tugendbold etwas Ruhe zu gönnen; weil das Wort »tugendhafter Mensch«
fortwährend auf allen Lippen schwebt; weil man den tugendhaften Menschen
zu einem Steckenpferd gemacht hat, und weil es keinen Schriftsteller
mehr gibt, der nicht beständig auf ihm herumreitet und ihn fortgesetzt
mit seiner Peitsche und Gott weiß womit sonst noch, vorwärts treibt;
weil man den tugendhaften Menschen so zu Tode gehetzt hat, daß bald auch
nicht der Schatten einer Tugend mehr an ihm sein wird, und nur noch ein
paar Rippen und etwas Haut statt des Leibes von ihm übrig bleiben
werden, weil man den tugendhaften Menschen einfach nicht mehr achtet.
Nein, es ist endlich Zeit, auch mal den Schurken vor den Wagen zu
spannen. Und so wollen wir ihn denn vor unseren Wagen spannen!

Bescheiden und dunkel ist die Herkunft unseres Helden. Seine Eltern
waren Edelleute, ob freilich von altem oder _nur_ von persönlichem Adel
-- das weiß der liebe Gott. Äußerlich zeigte er keine Ähnlichkeit mit
ihnen: wenigstens hatte eine Verwandte, die bei seiner Geburt zugegen
war, eine kleine kurze Dame, die man bei uns zu Lande einen Kiebitz zu
nennen pflegt, das Kind auf die Arme genommen und ausgerufen: »Ach
herrjeh! der ist aber ganz anders, wie ich ihn mir vorgestellt habe! Er
sollte eigentlich der Großmama von mütterlicher Seite ähnlich sein, das
wäre sicherlich das Beste gewesen, statt dessen gleicht er, wie das
Sprichwort sagt: weder Vater noch Mutter sondern 'nem wandernden
Junker.« Das Leben sah ihn anfangs unfreundlich und mürrisch, wie durch
ein trübes vom Schnee verwehtes Fenster an: er hatte weder einen Freund,
noch Genossen seiner Kinderjahre! Ein kleines Stübchen, mit kleinen
Fensterchen, die weder im Sommer noch im Winter geöffnet wurden; sein
Vater war ein kranker Mann in einem langen mit Lammfell gefütterten
Rock, und in gestrickten Pantoffeln, die er über die nackten Füße zog;
beständig ging er im Zimmer auf und ab, seufzte und spuckte in den
Sandnapf in der Ecke, ewig mußte der Knabe auf der Bank sitzen, die
Feder in der Hand, Finger und Lippen mit Tinte beschmiert, die
unvermeidliche Vorschrift vor Augen: »Du sollst nicht lügen, sollst die
älteren Leute ehren und die Tugend im Herzen tragen!« Das ewige Klappern
und Schlürfen der Pantoffeln, die bekannte, ewig rauhe und strenge
Stimme: »Machst du schon wieder Dummheiten?« die sich immer dann
vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert von der Einförmigkeit seiner
Beschäftigung, irgend ein Häkchen oder Schnörkelchen an einem Buchstaben
anbrachte; und dann das lang bekannte aber immer peinliche Gefühl, das
den Worten folgte, wenn die Nägel der langen Finger sich von hinten
heranbewegten und das Ohrläppchen so schmerzhaft zusammendrehten. Das
ist das traurige Bild seiner ersten Kindheit, an die ihm nur eine
schwache Erinnerung geblieben war. Aber im Leben ändert sich alles
schnell und plötzlich: eines schönen Tages, als die ersten Strahlen der
Frühlingssonne die Erde erwärmten, und die Bäche zu rauschen begannen,
nahm der Vater seinen Sohn bei der Hand und bestieg mit ihm einen
Bauernwagen, der von einem braungescheckten Pferdchen gezogen wurde,
einem von jener Sorte, welche unsere Pferdehändler »Elstern« zu nennen
pflegen; der Wagen wurde von einem kleinen, buckligen Kutscher gelenkt,
dem Stammvater der einzigen Leibeigenenfamilie, die Tschitschikows Vater
gehörte. Fast anderthalb Tage lang dauerte die Fahrt, unterwegs
übernachtete man einmal, setzte über einen Fluß, nährte sich von kalten
Pasteten und gebratenem Hammelfleisch, und erreichte erst am dritten
Tage gegen Morgen die Stadt. Diese machte einen tiefen Eindruck auf den
Knaben durch den ungeahnten Glanz und die Pracht ihrer Straßen, daß er
den Mund vor Erstaunen weit aufriß. Dann plumpste die »Elster« mitsamt
dem Wagen in eine Grube, welche den Anfang einer engen, abschüssigen und
ganz mit Schmutz bedeckten Straße bildete; lange arbeitete sie dort aus
aller Kraft, watete mit den Beinen im Kot herum, angespornt und
ermuntert von dem buckligen Kutscher und dem Herrn selbst, bis sie die
Kutsche schließlich aus dem Dreck herauszog und in einem kleinen Hof
landete; dieser lag an einem kleinen Hügel; vor dem alten Häuschen
standen zwei blühende Apfelbäume und hinter demselben befand sich ein
kleines niedriges Gärtchen, das nur aus ein paar Ebereschen,
Hollunderbüschen und einem ganz tief im Innern liegenden kleinen
hölzernen Hüttchen bestand, welches mit Dachschindeln gedeckt war und
ein einziges halberblindetes Fensterchen hatte. Hier wohnte eine
Verwandte von Tschitschikow, ein altes vertrocknetes Mütterchen, die
aber noch jeden Morgen auf den Markt ging und ihre Strümpfe an der
Teemaschine trocknete. Sie klopfte den Jungen auf die Wange und freute
sich darüber, daß er so dick und wohlgenährt aussah. Hier sollte er von
nun ab bleiben und die städtische Schule besuchen. Der Vater blieb die
Nacht über bei der Alten. Am andern Tage machte er sich wieder auf den
Weg, um nach Hause zu fahren. Als er sich von seinem Sohne
verabschiedete, vergoß er keine Träne: er gab ihm einen halben Rubel
Kupfergeld für die kleinen Ausgaben und Naschwerk, und was bei weitem
wichtiger war, noch ein paar weise Lehren dazu: »Merk dir's Pawluscha,
lerne was Ordentliches, treib keine Dummheiten und mach keine schlechten
Streiche, vor allem aber: such stets deinen Vorgesetzten und Lehrern zu
gefallen. Wenn du's deinen Vorgesetzten recht machst, wird dir alles
gelingen, selbst wenn du unbegabt bist und keine großen Fortschritte in
den Wissenschaften machen solltest; und du wirst all deine Mitschüler
überholen. Laß dich nicht zu viel mit den Kameraden ein; sie werden dir
nicht viel Gutes beibringen; aber wenn es dennoch dazu kommt, dann wähle
dir die zu Freunden, die wohlhabend und reich sind, denn sie können dir
helfen und von Nutzen sein. Sei nicht zu freigiebig und gastfrei,
sondern mache es immer so, daß die anderen dich einladen und freihalten;
vor allem aber: sei sparsam und ehre den Pfennig: auf ihn kannst du dich
eher verlassen, als auf alles in der Welt. Deine Freunde und Kameraden
werden dich übers Ohr hauen, sie sind die ersten, die dich im Unglück
verlassen, der Pfennig aber wird dich _nie_ verlassen, weder in Not noch
Gefahr! Mit dem Pfennig kannst du alles durchsetzen, wirst du alles
erreichen, wonach dein Herz nur begehrt.« Nach diesen weisen Lehren
verabschiedete sich der Vater von seinem Sohne und trat die Rückreise
mit seiner »Elster« an. Der Sohn sollte ihn nie wiedersehen, allein, er
bewahrte seine Worte und Lehren tief in der Seele.

Noch am folgenden Tage fing Pawluscha an, die Schule zu besuchen.
Besondere Fähigkeiten für eine bestimmte Wissenschaft legte er nicht an
den Tag; er zeichnete sich mehr durch Fleiß und Ordnungsliebe aus; dafür
aber kam bei ihm bald eine andere Fähigkeit zum Durchbruch: ein großer
praktischer Verstand. Er begriff sofort, worum es sich handelte und
benahm sich im Verkehr mit den Kameraden ganz so, wie der Vater es ihn
gelehrt hatte, d. h., er ließ sich stets einladen und freihalten, er
selbst dagegen tat nie etwas derartiges, ja, er hob sich sogar mitunter
die erhaltenen Gaben und Geschenke auf, um sie später bei Gelegenheit an
den Geber selbst zu verkaufen. Schon als Kind hatte er es gelernt, sich
alles zu versagen. Von dem halben Rubel, den er vom Vater erhalten
hatte, nahm er keine Kopeke, sondern fügte noch im selben Jahre etwas zu
dieser Summe hinzu, wobei er einen großen Unternehmungsgeist an den Tag
legte: er knetete aus Wachs einen Dompfaffen, strich ihn hübsch an und
verkaufte ihn sehr vorteilhaft. Dann versuchte er es eine Zeitlang mit
andern Spekulationen und zwar mit folgenden: er kaufte auf dem Markte
Eßwaren ein und setzte sich in der Schule neben die, welche am reichsten
waren und das meiste Geld hatten; und wenn er bemerkte, daß einem
Kameraden schlecht wurde -- was ein Zeichen des eintretenden
Hungergefühles war -- ließ er ihn unter der Bank, wie im Versehen, die
Ecke eines Pfefferkuchens oder eines Brötchens sehen. Hatte er ihn dann
ganz wild gemacht, so nahm er ihm eine bestimmte Summe ab, die stets in
einem gewissen Verhältnisse zur Größe seines Appetites stand. Zwei
Monate lang machte er sich in seiner Wohnung ununterbrochen mit einer
Maus zu schaffen, die er in einen kleinen hölzernen Käfig eingesperrt
hielt; er brachte es endlich soweit, daß sich die Maus auf die
Hinterbeine stellte, sich auf Befehl hinlegte und wieder aufrichtete,
worauf er sie dann gleichfalls mit hohem Gewinn losschlug. Als er sich
auf diese Weise ungefähr fünf Rubel zurückgelegt hatte, nähte er sie in
ein Säckchen ein, und fuhr fort, neues Geld zu sparen. In seinem
Verhalten zur Schulobrigkeit war er noch klüger. Niemand verstand es so
gut, wie er, mäuschenstill auf der Bank zu sitzen. Hier müssen wir
bemerken, daß der Lehrer ein großer Freund der Ruhe und eines guten
Betragens war und die klugen und gescheiten Jungen nicht leiden konnte;
es schien ihm immer, daß diese über ihn lachten. Es braucht nur einer,
der im Verdacht stand, gescheit und witzig zu sein, sich ein wenig auf
der Bank zu bewegen oder im Versehen mit der Wimper zu zucken, um den
Zorn des Lehrers auf sich zu lenken. Er verfolgte und strafte ihn ganz
unbarmherzig. »Ich will dir deinen Hochmut und deine Aufsässigkeit
austreiben!« rief er, »ich kenne dich durch und durch, so wie du dich
selbst nicht kennst! Kniee einmal nieder! Du sollst schon erfahren, wie
der Hunger schmeckt!« Und der arme Knabe mußte sich die Kniee
durchscheuern und tagelang hungern, ohne selbst zu wissen, warum.
»Fähigkeit, Begabung, Talent -- das ist alles Unsinn!« pflegte der
Lehrer zu sagen, »ich sehe vor allem aufs Betragen. Einem Schüler, der
sich anständig benimmt, würde ich auch dann noch die besten Noten in
allen Fächern geben, wenn er keinen Deut von allem versteht; wo ich
dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches und der Spottlust entdecke
-- da gibt's eine 0 selbst wenn er einen Solon in die Tasche steckte!«
So pflegte der Lehrer zu sprechen; daher haßte er auch Krylow so
ingrimmig, weil dieser in einer seiner Fabeln gesagt hatte: »Sauf
meinethalben, doch verstehe deine Sache!« Auch erzählte er immer mit
großer Befriedigung, wobei sein Gesicht und seine Augen leuchteten, wie
in der Schule, in der er früher unterrichtet hatte, eine solche Stille
geherrscht habe, daß man eine Mücke durchs Zimmer fliegen hören konnte;
daß keiner von den Schülern während des ganzen Jahres auch nur _einmal_
zu husten und sich während der Stunde zu schneuzen wagte, und daß bis
zum Glockenzeichen niemand hätte entscheiden können, ob jemand in der
Klasse war oder nicht. Tschitschikow erfaßte sofort den Geist und die
Absichten des Lehrers und was dieser unter einem guten Betragen
verstand. Er bewegte kein Auge und zuckte während der ganzen Stunde auch
nicht _einmal_ mit der Wimper, man mochte ihn kneifen und zwicken,
soviel man wollte; sowie das Glockenzeichen ertönte, stürzte
Tschitschikow kopfüber an die Türe, um dem Lehrer als erster die Mütze
zu reichen -- der Lehrer trug eine gewöhnliche Bauernmütze; hierauf
verließ er zuerst die Klasse und suchte ihm recht häufig auf der Straße
zu begegnen, wobei er jedesmal ehrerbietig den Hut abnahm. Sein
Verhalten war vom schönsten Erfolge gekrönt. Die ganze Zeit über,
während er die Schule besuchte, war er sehr gut angeschrieben, und bei
seinem Abgang erhielt er ein vorzügliches Zeugnis mit den besten Noten
in sämtlichen Fächern und außerdem noch ein Buch mit einer Inschrift in
goldenen Lettern: »Für lobenswerten Fleiß und musterhaftes Betragen.«
Bei seinem Abgang von der Schule war er bereits ein Jüngling von recht
anziehendem Äußeren, mit einem Kinn, das der sorgsamen Pflege durchs
Rasiermesser bedurfte. Um diese Zeit starb sein Vater. Er hinterließ
seinem Sohne vier völlig abgetragene Flaushemden, zwei alte Röcke, die
mit Lammfell gefüttert waren und eine ganz unbedeutende Geldsumme. Der
Vater verstand es offenbar nur, gute Lehren im Sparen zu erteilen, er
selbst aber hatte nur wenig zurückgelegt. Tschitschikow verkaufte
sogleich das alte Häuschen samt dem dazugehörigen dürftigen Grund und
Boden für tausend Rubel, und schickte die Leibeigenen-Familie die es
bewohnt hatte, nach der Stadt, da er beabsichtigte, sich daselbst
niederzulassen und in den Staatsdienst einzutreten. Um diese Zeit wurde
sein armer Lehrer, der soviel Wert auf Ruhe und gutes Betragen legte,
wegen seiner Unfähigkeit oder einer andern Verfehlung halber entlassen;
er begann vor Gram zu trinken; aber bald reichten die Mittel nicht
einmal mehr dazu; krank, hilflos, ohne einen Bissen Brot verkam und
verhungerte er in irgend einer ungeheizten abgelegenen Dachkammer. Als
seine früheren Schüler, hinter deren Witz und Scharfsinn er immer
Ungehorsam und Aufsässigkeit gewittert hatte, von seiner Lage erfuhren,
veranstalteten sie sofort eine kleine Geldsammlung für ihn, und
verkauften sogar einige von ihren eigenen Sachen, die sie nur schwer
entbehren konnten; nur Pawluscha Tschitschikow machte Ausflüchte, er
habe nichts, und opferte bloß ein armseliges silbernes Fünfkopekenstück,
das ihm die Kameraden mit den Worten: Oh, du Geizhals! vor die Füße
warfen. Der arme Lehrer bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, als er
von dieser Handlung seiner früheren Schüler erfuhr; die Tränen stürzten
ihm in Bächen, wie bei einem hilflosen Kinde aus den erlöschenden Augen.
»Noch auf dem Totenbett schickt Gott mir diese Tränen!« rief er mit
schwacher Stimme, er seufzte schmerzlich, als er vernahm, wie
Tschitschikow an ihm gehandelt hatte und fügte hinzu: »Ach, Pawluscha,
Pawluscha! Wie sich doch der Mensch verändert! Was für ein braver
artiger Junge er doch war! Er hatte so gar nichts Wildes und war so
weich wie Seide. Wie hat er mich betrogen, o, wie hat er mich doch
betrogen! ...«

Und doch kann man nicht sagen, daß die Natur unseres Helden so rauh und
hart, und daß sein Gefühl so abgestumpft war, daß er weder Mitleid noch
Teilnahme kannte. Beide Gefühle waren ihm sehr wohl bekannt, und er wäre
zu jeder Hilfe bereit gewesen, nur durfte sie nicht in einem gar zu
großen Geldopfer bestehen, denn unter keinen Umständen hätte er die
Summe angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit einem
Wort, der väterliche Rat: »sei sparsam und ehre den Pfennig« war auf
guten Boden gefallen. Und doch hing er nicht am Gelde, um des Geldes
selbst willen; Geiz und Habsucht waren keineswegs die Triebfedern, die
ihn ganz beherrschten. Nein, nicht sie waren die Motive, von denen er
sich leiten ließ; was ihm vorschwebte, war ein Leben in Wohlstand und
Überfluß, mit jeglichem Komfort, Equipagen, ein wohlgeordneter Haushalt,
schmackhafte Diners -- das war es, was ihn ganz erfüllte und fortwährend
beschäftigte. Und dazu sparte und ehrte er die Kopeke, die er sich
selbst und andern versagte, um, wenn die Stunde schlagen würde, all
diese Herrlichkeiten voll auszukosten. Wenn irgend ein reicher Mann in
einem leichten eleganten Wagen, mit stolzen Pferden in schimmerndem
Geschirr an ihm vorüberjagte, dann blieb er wie festgewurzelt stehen,
und sprach dann wie wenn er aus tiefem Traum erwachte: »Und er war doch
ein gewöhnlicher Handlungsgehilfe und trug gekräuseltes Haar!« Alles,
was von Reichtum und Wohlstand zeugte, machte einen so tiefen Eindruck
auf ihn, daß er es mitunter selbst nicht recht verstehen konnte. Als er
die Schule verließ, ruhte er nicht einmal ein wenig aus: so stark war
sein Wunsch, so schnell als möglich ans Werk zu gehen und in den
Staatsdienst einzutreten. Allein trotz der vorzüglichen Zeugnisse gelang
es ihm nur eine unbedeutende Stelle in der Finanzkammer zu erhalten;
selbst in den entlegensten Nestern kommt man nicht ohne Protektion aus!
Schließlich fand sich doch noch ein kleines Pöstchen, mit einem Gehalt
von dreißig bis vierzig Rubel jährlich. Aber er war fest entschlossen,
sich ganz dem Dienste zu widmen und alle Hindernisse zu besiegen und zu
überwinden. Und in der Tat, er legte eine geradezu unerhörte
Selbstverleugnung und Geduld an den Tag, und schränkte seine Bedürfnisse
auf das Allernotwendigste ein. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend
saß er unermüdlich hinter seinem Tische, ohne daß seine geistigen und
körperlichen Kräfte nur im geringsten nachließen, schrieb und schrieb,
verschwand vollkommen hinter seinen Akten, ging kaum nach Hause, schlief
in der Kanzlei auf dem Tische, aß mitunter mit den Hausknechten und
Wächtern zu Mittag und verstand es bei alledem, sich ein sauberes
wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu kleiden, seinem
Gesicht einen angenehmen Ausdruck zu verleihen und sogar seinen
Bewegungen einen gewissen Adel zu geben. Man muß sagen, daß die Beamten
der Finanzkammer sich besonders durch ihre Unscheinbarkeit und
Häßlichkeit auszeichnen. Sie hatten alle Gesichter wie schlecht
gebackene Semmel; eine Backe war geschwollen, das Kinn war schief, die
Oberlippe aufgedunsen wie eine Blase, und noch dazu gesprungen; mit
einem Wort es sah gar nicht hübsch aus. Sie führten alle eine sehr
strenge Sprache, und ihre Stimme war so rauh, als wollten sie einen
durchhauen; sie brachten dem Gott Bachus reichliche Opfer, sie bewiesen,
daß sich bei den Slaven noch mancherlei Reste von Heidentum erhalten
haben; ja sie kamen sogar häufig etwas angeheitert in den Dienst, so daß
es im Amtszimmer recht ungemütlich wurde, da man die Luft nichts weniger
als aromatisch nennen konnte. Unter solchen Beamten mußte Tschitschikow
natürlich auffallen, war er doch fast in allem das vollkommene Gegenteil
von ihnen; seine Züge waren eindrucksvoll, seine Stimme angenehm, auch
enthielt er sich aller geistigen Getränke. Und doch wurde ihm die
Karriere durchaus nicht leicht gemacht. Er erhielt einen ganz alten
Aktuar zum Chef, ein wahres Muster starrer Gefühllosigkeit und
Unerschütterlichkeit; er blieb immer gleich unnahbar, nie belebte ein
Lächeln sein Gesicht, nie kam er einem freundlich grüßend entgegen, oder
erkundigte sich nach dem Befinden. Noch nie hatte ihn jemand anders
gesehen, als er sich immer zu geben pflegte, nicht einmal zu Hause oder
auf der Straße; nie äußerte er das geringste Interesse oder etwas wie
Teilnahme an fremdem Schicksal; nie war es ihm begegnet, daß er
betrunken gewesen wäre und in diesem Zustand einmal herzhaft gelacht
hätte; nie hatte er sich einem wilden Taumel hingegeben, wie es selbst
der Räuber in Augenblicken des Rausches tut; -- von alledem war auch
nicht ein Schatten bei ihm zu finden. Er war frei von Bosheit und Güte,
aber gerade in diesem vollständigen Mangel aller starken Gefühle und
Leidenschaften lag etwas Grauenerregendes. Sein hartes Marmorgesicht, an
dem man keinen unsymmetrischen Zug entdeckte, erinnerte an kein
Menschenantlitz und in seinen Linien herrschte eine rauhe Proportion.
Nur die zahlreichen Pockennarben und -Gruben, mit denen es übersät war,
machten es zu einem von jenen Gesichtern, auf denen der Teufel nachts
Erben drischt. Man sollte meinen, es hätte über alle Menschenkraft gehen
müssen, einem solchen Menschen näher zu treten und seine Zuneigung zu
gewinnen; Tschitschikow aber wagte dennoch diesen Versuch. Zuerst suchte
er sich ihm in allerhand unbedeutenden Kleinigkeiten gefällig zu
erweisen; er untersuchte sorgfältig wie die Federn geschnitten waren,
mit denen der Aktuar schrieb, dann besorgte er sich ein paar von der
genannten Art, und legte sie so hin, daß jener sie leicht finden konnte;
er blies und wischte den Streusand und Tabak von seinem Tische ab;
schaffte einen neuen Lappen für das Tintenfaß an; ferner lief er stets
nach seiner Mütze -- der häßlichsten Mütze, die es je auf der Welt gab,
und legte sie jedesmal kurz vor dem Schluß der Sitzung neben ihn hin;
oder er bürstete ihm den Rücken ab, wenn er sich an der Wand weiß
gemacht hatte u. s. f. Aber dies alles machte nicht den geringsten
Eindruck, gerad als ob es überhaupt nicht geschehen wäre. Schließlich
jedoch gelang es Tschitschikow, einen Einblick in das Familienleben
seines Chefs zu gewinnen: er erfuhr, daß er eine erwachsene Tochter
hatte, deren Gesicht gleichfalls so aussah, als ob »nachts Erbsen darauf
gedroschen« würden. Und nun versuchte er die Festung von dieser Seite zu
bestürmen. Er hatte in Erfahrung gebracht, welche Kirche sie Sonntags
besuchte; er stellte sich also jedesmal aufs feinste und tadelloseste
gekleidet, mit einem prachtvoll gestärkten Vorhemd _vis à vis_ von ihr
auf, und die Sache hatte Erfolg: der gestrenge Aktuar ließ sich
erweichen und lud ihn zum Tee ein! Im Handumdrehen war es so weit
gekommen, daß Tschitschikow zu ihm ins Haus zog und sich hier bald
geradezu unentbehrlich zu machen wußte; er kaufte Mehl und Zucker ein,
verkehrte mit der Tochter wie mit seiner Braut, nannte den Herrn Aktuar
»Papachen« und küßte ihm die Hand. Im Gericht war alles überzeugt, daß
Ende Februar, vor den großen Fasten die Hochzeit stattfinden werde. Der
gestrenge Aktuar bemühte sich sogar bei seinem Vorgesetzten für ihn, und
bald darauf saß Tschitschikow selbst als Aktuar auf einem Platz, der
gerade frei geworden war. Das war wohl der Hauptzweck seiner Annäherung
an den greisen Aktuar gewesen, denn noch am selbigen Tage ließ er seinen
Koffer heimlich zu sich nach Hause tragen und am folgenden Tage nahm er
sich schon eine andere Wohnung. Er hörte auf, den Aktuar »Papachen« zu
titulieren und ihm die Hand zu küssen, die Sache mit der Heirat wurde
immer weiter hinausgeschoben, fast als ob überhaupt niemals davon die
Rede gewesen wäre. Trotzdem drückte er dem Aktuar auch fürderhin, wenn
er ihm begegnete, zärtlich die Hand, lud ihn zu sich zum Tee ein, so daß
der Alte trotz seiner großen Schwerfälligkeit und seiner hartnäckigen
Gleichgültigkeit jedesmal den Kopf schüttelte und murmelte: »Hat der
mich beschwindelt, dieser Satan!«

Dies war das schwierigste Hindernis, das aber nun genommen war. Von da
ab ging es leichter und mit noch größerem Erfolge vorwärts. Man fing an,
ihn zu beachten. Besaß er doch alles, was man braucht, wenn man sich auf
dieser Welt durchschlagen will: die angenehmen Manieren, das feine
Betragen und den kecken Wagemut in allen geschäftlichen Unternehmungen.
Mit diesen Mitteln eroberte er sich in kürzester Zeit das, was man ein
»warmes Plätzchen« zu nennen pflegt, und wußte es aufs trefflichste
auszunützen. Man muß nämlich wissen, daß man um diese Zeit streng gegen
die Bestechlichkeit vorzugehen begann. Alle Maßnahmen hatten indes für
ihn keine Schrecken, da er sie vielmehr zu seinem eigenen Vorteil
auszunutzen wußte, und er legte hierbei einen echt russischen
Erfindungsgeist an den Tag, der sich während der Zeiten starken Drucks
stets in seiner höchsten Blüte zeigt. Er machte es nämlich
folgendermaßen: sobald ein Bittsteller erschien, und die Hand in die
Tasche steckte, um eins von den sattsam bekannten »Empfehlungsschreiben
des Fürsten Chowanski« wie man sich bei uns in Rußland ausdrückt,
hervorzuziehen -- sagte er sogleich mit einem freundlichen Lächeln,
wobei er den Bittsteller an der Hand festhielt: »Sie denken wohl, daß
ich .... nein, bitte! nein! Das ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, das
müssen wir auch ohne jede Entschädigung tun! Was das anbelangt, so
können Sie ganz ruhig sein. Morgen ist alles in schönster Ordnung! Darf
ich fragen, wo Sie wohnen? Sie brauchen sich selbst garnicht zu bemühen.
Es wird Ihnen alles nach Hause geschickt!« Der entzückte Bittsteller
kehrte ganz begeistert nach Hause zurück und dachte sich: »Endlich mal
ein Mensch! ach, wenn es doch mehr solcher gäbe, das ist ja ein wahres
Kleinod!« Jedoch der Bittsteller wartet einen Tag, wartet zwei, aber
seine Akten wollen noch immer nicht kommen. Am dritten Tag ist es
ebenso. Er geht noch einmal in die Kanzlei -- man hat seine Papiere noch
garnicht angesehen. Er geht wieder zu seinem Kleinod. »Ach entschuldigen
Sie,« sagt Tschitschikow sehr höflich, indem er den Herrn bei beiden
Händen ergreift: »Wir hatten so schrecklich viel zu tun, aber morgen,
morgen sollen Sie sie unbedingt haben! Es ist mir selbst höchst
peinlich!« All diese Worte wurden von geradezu bezaubernden Gesten
begleitet. Wenn bei dieser Gelegenheit der Rock aufgeknöpft wurde, so
suchte die Hand diesen Fehler sofort wieder gut zu machen, indem sie den
Bittsteller daran hinderte. Aber die Akten wollen trotzdem nicht kommen,
weder morgen, noch übermorgen, noch überübermorgen. Der Bittsteller
fängt an zu überlegen: »Hm! stimmt da vielleicht etwas nicht?« Er
erkundigt sich, und erhält die Antwort: »Die Schreiber müssen was
bekommen!« »Meinetwegen, warum sollte ich ihnen nichts geben: Sie sollen
ihre fünfundzwanzig, meinetwegen sogar fünfzig Kopeken haben.« -- »Nein,
damit ist's nicht getan, Sie müssen schon mindestens einen _weißen_
Zettel[7] hinlegen.« »Was? den Schreibern einen weißen?« ruft der
Bittsteller erstaunt aus. »Ja, warum regen Sie sich nur so auf?«
antwortet man ihm: »das stimmt doch: die Schreiber erhalten wirklich nur
ihre fünfundzwanzig Kopeken, der Rest geht an die Herren Vorgesetzten
weiter!« Hier schlägt sich der harmlose Bittsteller vor den Kopf und
flucht wütend über die neue Ordnung, über die Maßnahmen gegen das
Bestechungswesen, und die verfeinerten Umgangsformen der Beamten.
Früher, da wußte man wenigstens, was man zu machen hatte: da legte man
dem Geschäftsführer einen _roten_ Zettel auf den Tisch, und die Sache
war erledigt; jetzt muß man dagegen einen _weißen_ opfern und verliert
noch dazu eine ganze Woche, ehe man überhaupt heraus kriegt, was hier
eigentlich los ist! ... hol der Teufel diese Uneigennützigkeit und die
Vornehmtuerei der Herren Beamten! Der Bittsteller hat natürlich ganz
recht: aber dafür gibt's eben heute keine Bestechungen mehr: alle
geschäftsführenden Beamten sind rechtschaffene, ehrliche Leute und nur
die Schreiber und Sekretäre sind noch Halunken und Gauner. Bald jedoch
tat sich vor Tschitschikow ein weites Feld der Tätigkeit auf: es bildete
sich eine Kommission für den Bau eines großen Staatsgebäudes. In diese
Kommission ließ auch er sich hineinwählen, und wurde eins ihrer
tätigsten Mitglieder. Man schritt sofort zur Tat. Sechs Jahre lang
bemühte man sich um das Staatsgebäude, aber war es nun das Klima, oder
lag es an den Materialien, genug, der Bau wollte durchaus nicht
fortschreiten und kam nicht über das Fundament hinaus. Dafür aber
schafften sich die Mitglieder der Kommission an verschiedenen Enden der
Stadt eine Reihe von schönen Häusern in gut bürgerlichem Stile an;
offenbar war dort der Boden etwas besser. Die Herren Mitglieder fingen
schon an, sich eines gewissen Wohlstandes zu erfreuen und sich eine
Familie zu gründen. Erst jetzt und unter den neuen Verhältnissen begann
auch Tschitschikow, sich von dem schwer lastenden Druck seiner strengen
Enthaltsamkeitsprinzipien und der Selbstverleugnung zu befreien. Erst
jetzt entschloß er sich zu einer milderen Handhabung der
Fastenvorschriften, die er solange aufs strengste beobachtet hatte, und
nun erst stellte es sich heraus, daß er eigentlich nie ein Feind jener
Genüsse gewesen war, deren er sich in den Tagen einer feurigen Jugend so
gut zu enthalten verstand, gerade in den Jahren, wo der Mensch noch
nicht Herr seiner selbst ist. Er erlaubte sich sogar einen gewissen
Luxus: schaffte sich einen Koch und feine holländische Hemden an. Auch
kaufte er sich solche Stoffe, wie sie in der Provinz keineswegs
allgemein getragen wurden und bevorzugte besonders die braunen und
glänzenden hellroten Farben, er schaffte sich auch ein Paar stattliche
Pferde an und lenkte selbst seinen Wagen, wobei er wohl die Zügel selbst
in der Hand hielt und das Beipferd elegante Seitensprünge machen ließ;
jetzt wurde auch die Sitte eingeführt, sich mit einem Schwamm, der in
eine Mischung von Wasser und _Eau de Cologne_ getaucht wurde, zu
waschen; schon kaufte er sich teure Seife, um seine Haut weich und glatt
zu erhalten, schon ...

[Fußnote 7: Fünfundzwanzig Rubel.]

Da wurde plötzlich anstelle der alten Schlafmütze ein neuer Sektionschef
ernannt, ein strenger Herr, der beim Militär gedient hatte, und ein
geschworener Feind des Bestechungssystems, und alles dessen war, was man
Ungerechtigkeit und Unehrlichkeit nennt. Schon am folgenden Tage
scheuchte er alle Beamten bis auf den letzten auf, verlangte
Rechenschaftsberichte, entdeckte auf Schritt und Tritt Mißstände, sah,
daß überall Summen fehlten, bemerkte sofort die stattlichen Häuser im
bürgerlichen Stil -- und ordnete sogleich eine Untersuchung an. Die
Beamten wurden ihres Dienstes entsetzt; die Häuser im bürgerlichen Stil
vom Staate beschlagnahmt und in allerhand wohltätige Anstalten und
Schulen für Kantonisten umgewandelt; alle Beamten erhielten eine
kräftige Moralpauke, am meisten aber unser Freund Tschitschikow. Sein
Gesicht erregte plötzlich trotz seines angenehmen Ausdrucks das höchste
Mißfallen des Chefs -- warum eigentlich -- das weiß Gott allein; oft
gibt es überhaupt keinen Grund dafür -- genug, er warf einen tödlichen
Haß auf Tschitschikow. Und der unerbittliche Chef war geradezu furchtbar
in seinem Zorn! Da er aber schließlich doch nur ein alter Soldat war und
all die feinen Kniffe und Kunstgriffe des Zivils nicht kannte, gelang es
den andern Beamten durch Vortäuschung eines ehrlichen Gesichts und durch
die Kunst, sich an alles anzupassen, sich seine Gnade zu erwerben, und
der General kam bald in die Hand noch weit größerer und schlimmerer
Halunken, die er noch dazu garnicht dafür hielt; ja er war schließlich
sogar noch zufrieden, daß er die rechten Leute gefunden habe und rühmte
sich ernstlich, wie gut er es verstehe, die Menschen nach ihren Talenten
und Fähigkeiten zu würdigen und abzuschätzen. Die Beamten kamen sogleich
hinter seinen Charakter und seine Eigenschaften. Alle, die unter ihm
standen, wurden gewaltige Wahrheitsfanatiker, die jedes Unrecht und
jegliche Ungerechtigkeit unbarmherzig ahndeten; überall, wo sie
dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so wie ein Fischer mit seiner
Harpune einem fetten Stör nachjagt, und zwar mit so großem Erfolg, daß
ein jeder von ihnen in ganz kurzer Zeit im Besitz von einigen Tausend
Rubeln Kapital war. Um dieselbe Zeit bekehrten sich auch mehrere von den
früheren Beamten und wurden wieder in Gnaden aufgenommen. Tschitschikow
allein wollte es nicht glücken, sich wieder beim Chef einzuschmeicheln;
so sehr sich auch der erste Sekretär des Generals unter dem Eindruck
eines Empfehlungsbriefes des Fürsten Chowanski um ihn bemühte und für
ihn einsetzte, er, der so vortrefflich die Lenkung und Steuerung der
Nase des Gouverneurs verstand -- er vermochte dennoch nichts
auszurichten. Der General war nun einmal ein solcher Mensch, der sich
wohl an der Nase herumführen ließ (übrigens ohne, daß er es selbst
wußte); hatte sich aber einmal ein Gedanke in seinem Kopfe festgesetzt,
dann saß er so fest, wie ein eiserner Nagel und keine Macht der Welt
hätte ihn wieder herausziehen können. Alles was der kluge Sekretär
erreichen konnte, war, daß die alte schmutzige Dienstliste vernichtet
wurde, aber selbst hierzu konnte er seinen Chef nur veranlassen, indem
er an sein Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das traurige
Schicksal Tschitschikows und seiner unglücklichen Familie ausmalte, die
ja Gott sei Dank garnicht existierte.

»Was tun!« sprach Tschitschikow: »ich hab eingehakt, raufgezogen, und
das Ding ist mir doch wieder abgeschnappt -- da ist kein Wort zu
verlieren. Durch Geheul und Gegrein macht man das Unglück nicht wieder
gut. Man muß ans Werk gehen und handeln!« Und er beschloß, seine
Laufbahn von neuem zu beginnen, sich aufs neue mit Geduld zu wappnen und
sich wieder zu beschränken, so schön und herrlich er sich auch vordem zu
entfalten begonnen hatte. Er entschloß sich, in eine andere Stadt
überzusiedeln und dort bekannt und berühmt zu werden. Aber es wollte
alles nicht recht glücken. In ganz kurzer Zeit mußte er zwei- oder
dreimal sein Amt und seinen Beruf wechseln, denn die damit verbundene
Tätigkeit war höchst unsauber und widerwärtig. Der Leser muß nämlich
wissen, daß Tschitschikow soviel auf Anstand und Sauberkeit gab, wie
kaum sonst jemand in der Welt. Und obwohl er sich im Anfang auch in
einer unsauberen Gesellschaft bewegen mußte, blieb seine Seele doch
immer rein und fleckenlos, daher liebte er es auch, wenn die Tische in
den Amtsstuben lackiert waren und alles fein und nobel aussah. Nie
erlaubte er sich in seinen Reden ein unanständiges Wort, und es kränkte
ihn tief, wenn er in den Worten eines anderen die schuldige Achtung
gegen seine Titel und Würden vermißte. Ich glaube, es wird dem Leser
angenehm sein, zu erfahren, daß er jeden zweiten Tag seine Wäsche
wechselte; im Sommer während der heißesten Zeit sogar zweimal täglich:
jeder unangenehme Geruch beleidigte sein empfindliches Geruchsorgan.
Daher steckte er sich auch jedesmal, wenn Petruschka erschien, um ihn
anzukleiden und ihm die Stiefel auszuziehen, ein paar Nelken in die
Nase; und oft waren seine Nerven zarter als die eines jungen Mädchens;
daher wurde es ihm auch so schwer, wieder in jene Schichten
unterzutauchen, wo alles nach Fusel roch und die feinen Manieren ganz
unbekannt waren. So sehr er sich auch beherrschte, er magerte dennoch
ein wenig ab und bekam eine grünliche Gesichtsfarbe von all diesen
Widerwärtigkeiten und Schicksalsschlägen. Eben hatte er angefangen, dick
zu werden und sich jene runden und gefälligen Körperformen zuzulegen, in
deren Besitz der Leser ihn angetroffen hat, als er seine erste
Bekanntschaft machte; und oft schon hatte er, wenn er sich im Spiegel
betrachtete, an mancherlei irdische Annehmlichkeiten gedacht: an ein
reizendes Weibchen, eine volle Kinderstube, und ein Lächeln hatte bei
diesem Gedanken sein Gesicht belebt; wenn er jetzt dagegen unversehens
in den Spiegel blickte, konnte er nicht umhin, auszurufen: »Heilige
Mutter Gottes, wie häßlich ich geworden bin!« Und es verging ihm für
lange Zeit die Lust, sich im Spiegel zu betrachten. Aber unser Held
ertrug alles, ertrug es geduldig und mutig -- und so erhielt er denn
endlich eine Stellung beim Zollamt. Hier müssen wir erwähnen, daß ein
solcher Posten schon längst Gegenstand seiner geheimen Wünsche gewesen
war. Er hatte gesehen, was sich die Zollbeamten für wunderschöne
ausländische Sachen anschafften, was für herrlichen Batist und Porzellan
sie ihren Schwestern, Vettern und Basen zum Geschenk machten. Oft schon
hatte er seufzend ausgerufen: »Das wär so etwas für mich: die Grenze ist
nahe, man ist in der Nähe von gebildeten Leuten, was für feine
holländische Hemden man sich da zulegen könnte!« Und wir müssen
hinzufügen, daß er auch noch an eine besondere Sorte französischer Seife
dachte, welche der Haut eine außerordentliche Weiße und Geschmeidigkeit
und den Wangen Frische und Glanz verlieh; was das für eine Marke war,
das mag Gott wissen, jedenfalls hatte er Grund zu vermuten, daß sie nur
an der Grenze zu haben war. Genug, er sehnte sich schon lange nach dem
Zollamt, aber die augenblicklichen Vorteile, die ihm aus dem Dienst in
der Baukommission erwuchsen, hielten ihn noch zurück, und er sagte sich
mit Recht, daß das Zollamt eben doch nicht mehr als eine Taube auf dem
Dache sei, während die Baukommission doch immerhin ein Sperling in der
Hand war. Jetzt aber hatte er sich entschlossen, unter allen Umständen
beim Zollamt unterzukommen -- und das setzte er denn auch tatsächlich
durch. Mit wahrem Feuereifer machte er sich ans Werk. Das Schicksal
selbst schien ihn zum Zollbeamten prädestiniert zu haben. Eine gleiche
Geschäftigkeit und ein solch durchdringender Scharfblick war noch nie
vorgekommen. In drei oder vier Wochen hatte er sich bereits eine solche
Sicherheit im Zollfach angeeignet, daß er buchstäblich alles wußte: er
brauchte garnicht abzumessen oder nachzuwiegen; denn er erkannte sofort
nach der Faktur, wieviel Meter Stoff in einem Paket enthalten waren; und
wenn er ein Gepäckstück in die Hand nahm, konnte er sofort sagen,
wieviel es wog; was aber die Untersuchung anbetraf, so hatte er, wie
seine eigenen Kameraden sich ausdrückten, geradezu »eine Witterung wie
ein guter Jagdhund«: es war wirklich wunderbar, wie geduldig er jeden
Knopf befühlte, und dies alles geschah mit einer vernichtenden
Kaltblütigkeit und einer geradezu unglaublichen Höflichkeit. Während die
unglücklichen Objekte der Untersuchung vor Wut rasten, alle
Selbstbeherrschung verloren und eine unwiderstehliche Lust verspürten,
sein angenehmes Gesicht tüchtig durchzubläuen, verzog er keine Miene und
sagte immer mit der gleichen Liebenswürdigkeit: »Wollen Sie nicht die
Gefälligkeit besitzen, sich ein wenig zu bemühen und aufzustehen!« oder
»Wollen Sie nicht die Güte haben, gnädige Frau, und ein wenig ins
Nebenzimmer treten. Die Gattin eines unserer Beamten möchte ein paar
Worte mit Ihnen sprechen«, oder »Sie erlauben wohl, daß ich Ihnen das
Unterfutter Ihres Mantels ein wenig mit dem Messer auftrenne«. Und mit
diesen Worten zog er ganz kaltblütig alle möglichen Tücher, Shawls usw.
von dort hervor, ganz wie aus seinem eigenen Koffer. Selbst die
Vorgesetzten erklärten, das sei ein Teufel und kein Mensch. Überall fand
er etwas: zwischen den Rädern, in der Deichsel, in den Ohren der Pferde
und Gott weiß, wo noch sonst, wo es wohl selbst keinem Dichter in den
Kopf käme, etwas zu suchen, und wohin sich höchstens ein Zollbeamter
verirren kann. Der arme Reisende konnte sich noch lange, nachdem er die
Grenze passiert hatte, nicht auf sich selbst besinnen, wischte sich den
Schweiß, der ihm aus allen Poren getreten war, ab, schlug ein Kreuz und
murmelte: »Na, na!« Seine Lage erinnerte sehr an die eines Schuljungen,
der eben dem Karzer entronnen ist, wohin der Lehrer ihn rief, um ihm
eine kleine Standrede zu halten und ihn statt dessen zu seinem höchsten
Erstaunen kräftig durchwalkte. Bald wußten sich die Schmuggler vor ihm
nicht mehr zu retten: er war der Schrecken und die Verzweiflung der
gesamten polnischen Judenschaft. Seine Ehrlichkeit und Unbestechlichkeit
waren unvergleichlich und geradezu unnatürlich. Er legte sich nicht
einmal ein kleines Kapital aus den konfiszierten Waren und den
beschlagnahmten Sachen an, welche dem Staate vorenthalten wurden, um die
unnützen Schreibereien zu vermeiden. Ein solcher uneigennütziger Eifer
im Dienst mußte natürlich allgemeines Staunen erregen und schließlich
auch der Regierung zu Ohren kommen. Er erhielt einen Titel und wurde
befördert, woraufhin er der Regierung ein Projekt vorlegte, wie man
sämtliche Schmuggler fangen und dingfest machen könnte. Diesem Projekte
legte er nur noch die Bitte um Einsendung der hierzu erforderlichen
Mittel bei. Sogleich wurde ihm das Oberkommando und die unbeschränkte
Vollmacht zur Ausführung aller möglichen Untersuchungen und
Ermittelungen erteilt. Das war es allein, was er brauchte. Um diese Zeit
hatte sich gerade eine große Gesellschaft von Schmugglern gebildet,
welche ganz bewußt und planmäßig vorgingen: das freche Unternehmen
versprach, Millionen abzuwerfen. Tschitschikow hatte schon längst etwas
davon erfahren und sich sogar geweigert, die Abgesandten zu kaufen,
indem er ganz trocken erklärte, die Zeit sei noch nicht gekommen.
Nachdem er jedoch alle Fäden in seiner Hand hatte, benachrichtigte er
die Gesellschaft sofort, indem er ihr sagen ließ: Jetzt ist es Zeit. Er
hatte fast zu sicher gerechnet. In einem Jahre hätte er hier mehr
gewinnen können, als er sich je in zwanzig Jahren durch noch so eifrige
Diensttätigkeit erwerben konnte. _Vordem_ wollte er sich nicht mit ihnen
einlassen, weil er doch nichts wie eine Schachfigur war, und daher nicht
viel erhalten hätte. Jetzt dagegen lagen die Dinge ganz anders, jetzt
konnte er ihnen seine Bedingungen diktieren. Damit die Sache sich
möglichst glatt abwickle, versuchte er noch einen andern Beamten auf
seine Seite zu bringen und das Unternehmen gelang, der Kollege konnte
der Versuchung nicht widerstehen, trotzdem seine Haare schon zu grauen
begannen. Der Pakt wurde geschlossen und die Gesellschaft schritt zur
Tat. Ihre ersten Operationen waren von glänzenden Erfolgen gekrönt. Der
Leser hat sicher schon jene berühmte Geschichte von der Reise der
gescheidten, spanischen Hammel gehört, welche die Grenze in doppelten
Häuten überschritten und dabei für eine Million Brabanter Spitzen unter
dem Pelze mitnahmen. Dieses ereignete sich gerade zu der Zeit, als
Tschitschikow beim Zollamt war. Hätte er selbst nicht an diesem
Unternehmen teilgenommen, kein Jude in der ganzen Welt hätte es fertig
gebracht, einen ähnlichen Streich auszuführen. Nachdem die Hammel die
Grenze drei oder viermal überschritten hatten, stellte es sich heraus,
daß beide Beamten je vierhunderttausend Rubel Kapital besaßen. Ja man
munkelte, daß es bei Tschitschikow sogar in die Fünfhunderttausend
gegangen wäre, weil er noch etwas kecker war, als der andre. Gott weiß,
welche gewaltige Höhe diese gepriesenen Summen erreicht hätten, wenn
nicht irgend ein vertraktes Tier ihnen über den Weg gelaufen wäre. Der
Teufel verdrehte beiden Beamten den Kopf. Der Haber stach sie, und sie
gerieten ohne jeden Grund aneinander. Während einer lebhaften
Unterhaltung nannte Tschitschikow, der vielleicht auch etwas zu viel
getrunken hatte, den andern Beamten einen _Popensohn_, worauf dieser,
der _wirklich_ der Sohn eines Popen war, sich aus irgend einem Grunde
aufs tiefste beleidigt fühlte und ihn sehr heftig und außerordentlich
scharf anfuhr. Und zwar sagte er ihm folgendes: »Das lügst du! Ich bin
Staatsrat und kein Popensohn. Du bist vielleicht ein Popensohn,« und
dann fügte er, um ihm einen Stich zu versetzen und ihn noch mehr zu
ärgern, noch hinzu: »Jawohl, so ist's!« Obwohl er unseren Tschitschikow
damit noch übertrumpfte, indem er ihm das auf ihn selbst gemünzte
Schimpfwort zurückgab, und trotzdem die Wendung: »Jawohl, so ist's«
schon stark genug war, genügte ihm dies jedoch noch nicht, sondern er
sandte noch außerdem eine geheime Denunziation an die Behörde. Übrigens
ging die Rede, beide hätten überdies noch einen Streit wegen eines
frischen handfesten Weibleins gehabt, die nach dem Ausdruck der Beamten
»kernig« gewesen sei, wie eine Rübe, ja es seien sogar ein paar kräftige
Kerle gedungen worden, die unseren Helden eines Abends in einer dunkelen
Gasse tüchtig durchwalken sollten; schließlich aber hätten beide Beamten
eine Nase erhalten, und ein gewisser Hauptmann Schamschajew habe sich
der betreffenden Dame bemächtigt. Wie sich die Sache in Wahrheit
zugetragen hat, das weiß Gott allein. Genug, die geheimen Abmachungen
mit den Schmugglern wurden ruchbar und kamen an den Tag. Der Staatsrat
wurde zwar gleichfalls gestürzt, aber er zog seinen Kollegen mit in
seinen Sturz hinein. Die Beamten wurden vor Gericht gestellt, ihr ganzer
Besitz konfisziert und versiegelt, und dies alles brach über ihre
schuldigen Häupter herein, wie ein Donnerschlag aus heitrem Himmel. Ihr
Geist war wie von Rauch und Dunst umnebelt, und als sie wieder zu sich
kamen, bemerkten sie mit Entsetzen, was sie angerichtet hatten. Der
Staatsrat überlebte diesen Schicksalsschlag nicht und ging irgendwo
elendiglich zugrunde, der Kollegienrat aber hielt dem Schicksal stand
und blieb fest. Er verstand es, einen Teil der Summe in Sicherheit zu
bringen, so fein auch die Witterung der Beamten war, die erschienen
waren um die Untersuchung zu leiten; er wandte alle Schliche und
Ausflüchte an, deren sich ein erfahrener Mann, welcher die Menschen nur
allzu gut kennt, zu bedienen pflegt: hier suchte er durch seine
angenehmen Umgangsformen Eindruck zu machen, dort durch rührende Reden,
hier wirkte er durch Schmeicheleien, die nie etwas schaden können, und
da erwarb er sich die Gunst der Beamten, indem er ihnen etwas zusteckte,
mit einem Wort, er wußte seine Sache so gut zu führen, daß er wenigstens
keinen so schmählichen und unehrenhaften Abschied erhielt, wie sein
Kollege und, wenn auch mit knapper Not, dem Strafrichter entrann.
Freilich: das Kapital und all die schönen ausländischen Sachen waren
dabei draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber
gefunden. Es gelang ihm, sich höchstens zehntausend Rubel aus diesem
Zusammenbruch zu retten, die er sich für alle Fälle zurückgelegt hatte,
dazu noch zwei Dutzend holländische Hemden, eine kleine Kutsche, wie sie
Junggesellen zu besitzen pflegen und zwei Leibeigene: den Kutscher
Seliphan und den Bedienten Petruschka, außerdem hatten ihm die
Zollbeamten, aus reiner Herzensgüte noch fünf oder sechs Stück Seife
geschenkt: damit er sich seine Wangen rein und frisch erhalte -- das war
alles. In so trauriger Lage befand sich nun mit einem Male wieder unser
Held. Welch ungeheueres Mißgeschick war plötzlich über ihn
hereingebrochen! Das nannte er im Dienste der Wahrheit leiden. Man
sollte meinen, nach all diesen Stürmen, Versuchungen, Schicksalsschlägen
und den bösen Zufällen dieses Lebens hätte er sich mit seinen letzten
teuren Zehntausend in den friedlichen Erdenwinkel eines
Provinzstädtchens zurückgezogen, um dort für immer einzurosten: da hätte
er wohl im geblümten Schlafrock am Fenster eines niedrigen Häuschens
gesessen und zugesehen wie Sonntags die Bauern rauften, oder er wäre
vielleicht zur Erholung einmal in den Hühnerhof hinabgegangen, um sich
persönlich das Huhn anzusehen, aus dem die Suppe gekocht werden sollte,
und so hätte er sein Dasein zwar still, doch in seiner Art auch nicht
ganz nutzlos hingebracht. Aber es kam anders; man muß der
unbezwinglichen Charakterstärke unseres Helden Gerechtigkeit widerfahren
lassen. Nach all diesen Schlägen, welche genügt hätten, einen Menschen
wenn nicht umzubringen, so doch für immer gegen alles abzukühlen und
zahm zu machen, war in ihm jene unerhörte Leidenschaft noch immer nicht
erloschen. Er war ärgerlich und zornig, murrte wider die ganze Welt,
schimpfte über die Ungerechtigkeit des Schicksals, war empört über die
Schlechtigkeit der Menschen, und konnte es dennoch nicht lassen, neue
Versuche zu unternehmen. Mit einem Wort: er legte eine Mannhaftigkeit an
den Tag, vor der die träge Geduld des Deutschen zu Nichts
zusammenschrumpft, welche ja in dem ruhigen, langsamen Blutumlauf seinen
Grund hat. Tschitschikows Blut dagegen wallte feurig durch die Adern,
und es bedurfte eines starken, vernünftigen Willens, um all jene Triebe
zu zügeln, welche in ihm nach außen drängten, um sich hier frei zu
ergehen und auszuleben. Er überlegte lange hin und her, und in seinen
Überlegungen war immer etwas Richtiges enthalten. Warum bin _ich_ es
gerade? Warum mußte das Unglück jetzt über _mich_ hereinbrechen? Wer
säumt denn jetzt in seinem Berufe? Alles strebt nach _Erwerb_. Ich habe
doch niemand unglücklich gemacht, habe keine Witwe beraubt, keinen
Menschen an den Bettelstab gebracht, nur von dem Überflusse genommen
dort wo jeder andere an meiner Stelle auch die Hand ausgestreckt hätte.
Hätte ich nicht die Gelegenheit beim Schopfe gepackt, so hätten andere
es statt meiner getan. Warum sollen denn andere schwelgen und glücklich
sein? Und warum soll ich denn verfaulen wie ein Wurm? Was bin ich jetzt?
Wozu tauge ich? Wie soll ich jetzt einem braven Familienvater ins Auge
sehen? Muß ich nicht Gewissensbisse empfinden, wenn ich daran denke, daß
ich nur die Erde unnütz belaste? Und was sollen einst meine Kinder
sagen? -- »Seht unsern Vater an,« werden sie sagen; »er war ein
Schweinehund, und hat uns kein Vermögen hinterlassen.«

Wir wissen bereits, daß Tschitschikow sehr besorgt um seine Nachkommen
war. Es ist damit eine kitzliche Sache. So mancher würde nicht so tief
in den fremden Beutel greifen, wenn sich ihm nicht immer die seltsame,
unbegreifliche Frage wie von selbst auf die Lippen drängte: »Und was
werden meine Kinder sagen?« Und der künftige Stammvater greift eilig
nach dem, was ihm zu allererst unter die Finger kommt, wie ein
vorsichtiger Kater, welcher ängstlich zur Seite schielt, ob nicht der
Hausherr in der Nähe ist: sieht er ein Stück Seife liegen, eine Kerze,
ein Endchen Speck, kommt ihm ein Kanarienvogel unter die Pfoten, er
nimmt alles mit und verschmäht nichts. So jammerte und klagte unser
Held, und doch arbeitete sein Kopf unaufhörlich weiter. Unabläßlich
wollte sich etwas formen und wartete nur auf den Plan zu dem neu zu
errichtenden Bau. Und wiederum schrumpfte er zusammen, wieder begann er
ein hartes Arbeitsleben, wieder schränkte er sich in allem ein, wieder
stieg er aus der Sphäre des Wohlstandes und der Reinheit in den Schmutz
und das Elend des Daseins hinab. In Erwartung eines Besseren ließ er
sich sogar dazu herbei, das Amt eines Gerichtsvollziehers zu übernehmen,
ein Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft hat,
dessen Träger von allen Seiten Püffe und Stöße erdulden müssen, von den
niederen Gerichtsbeamten und von ihren Vorgesetzten verachtet werden und
zum Antichambrieren, zum Erleiden jeglicher Grobheiten und Beleidigungen
verurteilt sind. Allein die Not machte unsern Helden zu allem fähig.
Unter den mancherlei Aufträgen, mit deren Ausführung er betraut wurde,
gab es auch folgenden: es sollten einige hundert Bauern bei
Vormundschaftsgericht verpfändet werden. Das Gut, zu dem die Bauern
gehörten, stand vor dem Ruin. Furchtbare Viehseuchen, die Mißwirtschaft
spitzbübischer Verwalter, Epidemien, denen die besten Arbeiter zum Opfer
fielen, Mißernten und nicht zum mindesten die Unvernunft des Gutsherrn
hatten es dem Ruin entgegengeführt. Der Besitzer hatte sich in Moskau
ein modernes Haus im neusten und vornehmsten Geschmack erbaut, dabei
aber war sein ganzes Vermögen bis zur letzten Kopeke draufgegangen, so
daß ihm kaum noch was zum Essen übrig blieb. So sah er sich denn
gezwungen, sein einziges Gut, das ihm noch übrig geblieben war, zu
verpfänden. Hypothekengeschäfte mit dem Staate waren damals noch
ziemlich unbekannt und erst vor kurzem eingeführt, daher entschloß man
sich nicht ohne inneres Unbehagen zu einem solchen Schritt.
Tschitschikow hatte in seiner Eigenschaft als Gerichtsvollzieher
sämtliche Vorbereitungen zu treffen; vor allem sorgte er, daß auch alle
Anwesenden in der rechten Stimmung waren (ohne diese vorbereitende
Maßnahme ist es bekanntlich nicht einmal möglich, die einfachsten
Erkundigungen einzuziehen -- unter einer Flasche Madeira pro Kopf geht's
jedenfalls nicht ab), nachdem er also alle, auf die es hierbei ankam, in
die rechte Geistesverfassung versetzt hatte, erklärte er ihnen: es gäbe
bei dieser Sache noch einen Umstand, der unbedingt berücksichtigt werden
müsse: »die Hälfte der Bauern sei gestorben, da müsse man sich in acht
nehmen, daß später nicht etwa Klagen laut würden ...« »Sie stehen aber
doch in der Revisionsliste, nicht wahr?« sagte der Sekretär. »Freilich,«
erwiderte Tschitschikow. »Nun was fürchten Sie denn dann noch?« sagte
der Sekretär. »Der eine stirbt, ein andrer wird geboren, nun gut, dann
ist doch nichts verloren.« Wie man sieht, verstand es der Sekretär in
Versen zu sprechen. Hier aber blitzte in unserem Helden der genialste
Gedanke auf, der je einem Menschen in den Kopf gekommen war. »O, ich
Einfaltspinsel!« sprach er zu sich selbst, »ich suche meine Handschuhe
und sie stecken ruhig in meinem Gürtel! Hätte ich mir all diese Leute,
welche gestorben sind, gekauft, noch ehe die neuen Revisionslisten
aufgestellt wurden; hätte ich sie mir, sagen wir einmal, für tausend
Rubel erworben und dann beim Vormundschaftsgericht verpfändet; dann
hätte ich zweihundert Rubel für die Seele bekommen, und das würde heute
genau zweimal hunderttausend Rubel ausmachen! Und dazu ist jetzt gerade
der günstigste Augenblick: die Epidemie ist erst eben vorüber, die hat
gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer haben ihr Geld
verspielt, zechen jetzt herum, und haben ihr ganzes Vermögen
durchgebracht; alles will nach Petersburg und in den Staatsdienst
treten: die Güter liegen darnieder, die Verwalter kümmern sich kaum um
sie, mit jedem Jahre wird's schwerer, die Steuern einzutreiben; wie gern
wird mir da jeder seine toten Bauern abtreten, nur um keine Kopfsteuer
für sie bezahlen zu müssen, ja am Ende nehme ich noch diesem oder jenem
ein paar Kopeken dafür ab. Das ist natürlich nicht leicht, es kostet
viele Mühe, man muß ewig in Sorgen schweben, daß man hereinfällt, und
daß eine neue Geschichte daraus entsteht. Aber wozu hat denn der Mensch
schließlich seinen Verstand? Das Gute dabei ist ja eben dies: daß die
Sache so unwahrscheinlich ist: niemand wird es recht glauben wollen.
Freilich ohne Land kann man sie weder kaufen noch verpfänden; aber ich
werde sie eben zu Ansiedelungszwecken kaufen, natürlich: zu
Ansiedelungszwecken; jetzt bekommt man ja das Land im Gouvernement
Taurien und Cherson fast umsonst; dort kannst du kolonisieren soviel
dein Herz begehrt! Ich führe sie eben einfach dorthin: ins Chersonsche
Gouvernement; da mögen sie meinetwegen leben! Und die Ansiedelung läßt
sich ja auf ganz gesetzlichem Wege vollziehen, nach allen Regeln der
Kunst, durch das Gericht. Wenn sie ein Zeugnis verlangen, gut, ich habe
nichts dagegen: Warum nicht? Ich werde auch ein Zeugnis mit der
eigenhändigen Unterschrift irgend eines Kreisrichters vorlegen. Das Gut
wird »Tschitschikowka« oder nach meinem Taufnamen »Pawlowskoje«
genannt.« So kam im Kopfe unseres Helden dieser seltsame Plan zustande;
ich weiß garnicht, ob ihm die Leser sehr dankbar für ihn sein werden,
dagegen läßt es sich kaum ausdrücken, wie sehr der Verfasser sich ihm
verpflichtet fühlt; wie dem auch sei, wäre Tschitschikow nicht auf
diesen Gedanken gekommen -- nie hätte diese Dichtung das Licht der Welt
erblickt.

Er schlug nach russischer Sitte ein Kreuz und ging an die Ausführung
seines großen Planes. Indem er vorschützte, er suche sich ein Plätzchen,
wo er sich niederlassen könne, und noch unter mancherlei anderen
Vorwänden, begann er damit, sich alle Ecken und Enden unseres Reiches
anzusehen, vorzüglich aber die, welche mehr als andere unter allerhand
Unglücksfällen zu leiden hatten, als da sind: Mißernten, Todesfälle usw.
usw. Mit einem Wort, wo sich ihm die günstigste Gelegenheit bot, sich
möglichst billig Bauern zu erwerben, deren er ja bedurfte. Dabei wandte
er sich nicht aufs geradewohl an den ersten besten Gutsbesitzer, sondern
wählte sich Leute nach seinem Geschmack aus, nämlich solche, mit denen
sich ein Geschäft dieser Art ohne große Schwierigkeiten abwickeln ließ.
Hierbei suchte er zunächst ihre nähere Bekanntschaft zu machen und ihre
Zuneigung zu gewinnen, um die Bauern womöglich zum Geschenk zu erhalten
und sie nicht bar bezahlen zu müssen. Daher darf der Leser auch dem
Autor nicht böse sein, wenn die Personen, die bisher im Laufe unserer
Erzählung auftraten, nicht immer nach seinem Geschmacke waren: das ist
Tschitschikows Schuld; denn hier ist _er_ der Herr der Situation, und
wir müssen ihm folgen, wohin zu wandern es ihm einfällt. Wir
unsererseits können, wenn man uns den Vorwurf macht, unsere Personen und
Charaktere seien unscheinbar und blaß, nur immer wieder sagen, daß man
im Beginn einer Sache nie ihren ganzen Umfang und die ganze Breite und
Tiefe ihres Verlaufs ermessen kann. Die Einfahrt in eine Stadt, und sei
es selbst die in die Reichshauptstadt, ist immer uninteressant. Zunächst
erscheint alles grau und einförmig. Endlose Fabriken und
rauchgeschwärzte Werkstätten ziehen sich in trübseliger Monotonie dahin.
Erst später erscheinen die Ecken sechsstöckiger Häuser, vornehme Läden,
Aushängeschilder, die langen Zeilen der Straßen mit Türmen, Säulen,
Denkmälern, Kirchen, mit ihrem Straßenlärm und Glanz und all den
Wundern, die Menschenhand und Menschengeist erschaffen. Wie die ersten
Einkäufe zustande kamen hat der Leser selbst gesehen; wie die Sache
weiter gehen wird, welche Erfolge und Mißerfolge unsern Helden erwarten,
was für Hindernisse weit schwierigerer Art er zu besiegen und zu
überwinden haben wird, wie dann gewaltige Gestalten vor uns auftreten,
wie sich die geheimsten Hebel unserer sich breit ergießenden Erzählung
in Bewegung setzen werden, wie der Horizont auseinander treten, und sie
selbst in majestätisch-lyrischem Strome dahinfluten wird, dies werden
wir später sehen. Ein weiter Weg ist's, den unsere Brigade zurückzulegen
hat bestehend aus einem Herrn mittleren Alters, einer Kutsche, wie die
Junggesellen zu benutzen pflegen, dem Diener Petruschka, dem Kutscher
Seliphan und dem Dreigespann edler Rosse, denen wir ja vorgestellt sind,
vom Assessor bis zum niederträchtigen Schecken. Da haben wir unsern
Helden wie er leibt und lebt. Aber vielleicht wird man noch eine
Charakteristik durch einen letzten Strich von mir verlangen: was ist er
für ein Mann nach der Seite seiner moralischen Qualitäten? Daß er kein
Held, erfüllt von allen Tugenden, Vorzügen und allen nur möglichen
Vollkommenheiten ist -- das ist evident. Wer also ist er? Folglich wohl
ein Schurke? Warum ein Schurke? Warum sollen wir so streng gegen andere
Leute sein? Jetzt gibt's bei uns keine Schurken mehr. Es gibt
wohlgesinnte, gesinnungstüchtige, angenehme Menschen, aber solche, die
ihre Physiognomie zur öffentlichen Beschimpfung darbieten müßten, um den
Streich auf die Wange in Empfang zu nehmen, gibt es nur sehr selten. Von
dieser Sorte werden wir kaum zwei bis drei finden und selbst sie reden
heute schon laut von der Tugend. Das Richtigste wäre es wohl, ihn einen
guten Wirt oder ein Erwerbsgenie zu nennen. Der Erwerbstrieb -- trägt
die Schuld an allem: er ist die Ursache all jener Affären und Geschäfte,
die die Welt »nicht ganz sauber« nennt. Freilich, so ein Charakter hat
schon etwas Abstoßendes an sich, und derselbe Leser, der sich auf seinem
Lebenswege mit so einem Menschen anfreundet, ihn in sein Haus einführt
und manche angenehme Stunde mit ihm verbringt, wird ihn mißtrauisch
ansehen, sowie er ihm in irgend einem Drama oder einer Dichtung
begegnet. Aber dreimal weise ist der, der überhaupt keinen Charakter
verabscheut, sondern prüfend seinen Blick auf ihn heftet und ihn
begreifen lernt in seinen innersten Triebfedern; wie schnell wandelt
sich alles im Menschen: eh man sich's versieht, hat sich im Innern ein
furchtbarer Wurm eingenistet, der wächst und wächst und alle
Lebenskräfte herrisch in sich aufsaugt. Und mehr als einmal schon
geschah es, daß in einem Menschen, der zu Höherem geboren war, nicht nur
eine übermächtige Leidenschaft gewaltig emporwuchs und erstarkte, nein
oft schon ließ ein armseliger minderwertiger Trieb ihn all seine hohen
und heiligen Pflichten vergessen und in elenden Nichtigkeiten etwas
Großes und Verehrungswürdiges sehen. Unendlich wie der Sand am Meere
sind des Menschen Leidenschaften, und keine gleicht der andern, alle
sind sie dem Menschen im Anfang gefügig und gehorsam, die hohen wie die
niedrigen, und erst später werden sie zu furchtbaren Despoten. Selig ist
der zu preisen, der sich unter allen die herrlichste Leidenschaft
erwählte: er wächst und mehrt sich täglich und stündlich sein
grenzenloses Glück, tiefer und immer tiefer dringt er ein in das
unendliche Paradies seiner Seele. Aber es gibt Leidenschaften, deren
Wahl nicht vom Menschen abhängt. Sie werden mit ihm geboren in der
Stunde, da er zur Welt kommt, und keine Kraft ward ihm gegeben, sie weit
von sich zu stoßen. Ein höherer Plan ist es, der sie lenkt, und es liegt
etwas in ihnen, das ewig ruft und lockt und keinen Augenblick im Leben
verstummt. Ihre große irdische Laufbahn zu vollenden ist ihre
Bestimmung, ob sie nun als finstere Gestalten vorüberwandeln oder als
herrlich leuchtende Erscheinungen, die den lauten Jubel der Welt
entfachen, indem sie an uns vorüberziehen -- ganz gleich -- sie kamen,
um das dem Menschen unbekannte Gute zu erfüllen. Und vielleicht stammt
auch die Leidenschaft die unseren Helden Tschitschikow lenkt und
vorwärtstreibt nicht aus ihm selber, und es liegt auch in seinem kalten
frostigen Dasein etwas beschlossen, was einstmals den Menschen auf die
Kniee und in den Staub niederzwingen wird vor der Weisheit des Himmels.
Und es ist noch ein Geheimnis, warum diese Gestalt gerade in dieser
Dichtung erscheinen mußte, die hiermit den Schauplatz der Welt betritt.

Aber nicht das ist das Bittere, daß man mit unserem Helden unzufrieden
sein wird; weit bitterer und schmerzlicher ist dieses: in meiner Seele
lebt die unumstößliche Gewißheit, daß die Leser dennoch und trotz
alledem mit diesem Helden, mit demselben Tschitschikow zufrieden sein
könnten. Hätte der Autor ihm nicht so tief ins Herz geblickt, hätte er
nicht alles aufgerührt, was im tiefsten Grunde seiner Seele lebt und nur
dem Blick der Welt entgeht und verborgen bleibt, hätte er nicht seine
geheimsten Gedanken enthüllt, die kein Mensch dem andern vertraut,
sondern ihn so gezeigt, wie er der ganzen Stadt, Manilow und all den
anderen -- erschienen war, -- so wären alle Leute sehr befriedigt, und
jeder würde ihn für einen äußerst interessanten Menschen halten.
Freilich wäre dann sein Bild und seine Gestalt nicht so lebendig vor
unser Auge getreten: dafür hätte auch keine Erregung in unserer Seele
nachgezittert, nachdem wir das Buch aus der Hand gelegt hätten, und wir
könnten uns ruhig wieder an unseren Kartentisch setzen, welcher der
Trost und die Freude ganz Rußlands ist. Ja meine braven Leser, ihr wollt
der Menschen nackte Armut lieber nicht sehen: »Warum nur?« sprecht ihr,
»wozu dient das alles? Wissen wir denn nicht selber, daß es gar viel
Verächtliches und Törichtes in der Welt gibt? Auch ohnedies muß man oft
Dinge sehen, die keineswegs tröstlich sind. Zeigt uns doch lieber das
Schöne, das was entzückt und begeistert! Helft uns, uns lieber selbst zu
vergessen!« -- »Warum sagst du mir, daß es schlecht um meine Wirtschaft
steht, Bruder?« sagt ein Gutsbesitzer zu seinem Verwalter »ich weiß das
auch _ohne_ dich, lieber Freund: kannst du denn wirklich nicht von etwas
andrem reden? Wie? Hilf mir lieber das alles zu vergessen, und nicht
daran zu denken -- dann bin ich glücklich.« Und so wird das Geld, das
dazu hätte dienen können, um das Gut etwas in die Höhe zu bringen, für
allerhand Mittelchen ausgegeben, um sich selbst zu vergessen. Der Geist
wird eingeschläfert, der vielleicht plötzlich einen Quell gewaltiger
Reichtümer entdeckt hätte; das Gut kommt unter den Hammer, der Gutsherr
muß betteln gehen, um sich zu vergessen; mit einer Seele, die zu jeder
äußersten Niedertracht und Gemeinheit bereit ist, vor denen er selbst
einst zurückgeschreckt wäre.

Noch eine andere Klage wird gegen den Autor laut; sie rührt von den
sogenannten Patrioten her, welche ruhig in ihren Winkeln sitzen und sich
mit ganz gleichgültigen Dingen abgeben: sich ein Kapital aufhäufen und
sich ein schönes Los auf Kosten anderer bereiten; sowie aber etwas
geschieht, was nach ihrer Meinung dem Vaterland zur Unehre gereicht,
_sowie_ irgend ein Buch erscheint, das eine bittre Wahrheit enthält --
dann kommen sie aus allen Ecken und Winkeln herausgekrochen, wie die
Spinnen, welche eine Fliege entdeckt haben, die sich in ihr Netz
verstrickte, und erheben ein lautes Geschrei: »Ja, ist es denn gut,
solche Dinge ans Licht zu bringen, sie offen zu verkünden. All das, was
da beschrieben wird, gehört ja zu _uns_ -- ist's also klug, so etwas zu
tun? Und was sollen die Ausländer sagen? Ist es denn angenehm, zu hören,
daß andre Leute schlecht von uns reden?« Und sie denken: tut es uns denn
nicht weh? Denken: sind wir etwa nicht Patrioten? Auf solch weise
Bemerkungen, besonders hinsichtlich der Ausländer, kann ich keine
passende Antwort finden. Es wäre denn etwa diese: In irgend einem
entlegenen Winkel Rußlands lebten einmal zwei Männer. Der eine war der
Vater einer großen Familie und hieß Kifa Mokiewitsch; er war ein sanfter
friedlicher Mensch, der ein Freund eines bequemen und ruhigen Lebens
war. Mit seiner Familie beschäftigte er sich kaum; sein Dasein war mehr
der Spekulation gewidmet, ihn beschäftigten in erster Linie
»philosophische Fragen« wie er sie nannte: »Nehmt z. B. das Tier,«
pflegte er zu sagen, indem er im Zimmer auf und abging, »das Tier wird
doch ganz nackt geboren. Warum gerade nackt? Warum nicht vielmehr
befiedert wie der Vogel: warum kriecht es z. B. nicht aus dem Ei? Nein,
wirklich, es ist sonderbar ... man versteht die Natur immer weniger, je
mehr man sich in sie vertieft!« So dachte der Bürger Kifa Mokiewitsch.
Aber das war noch nicht das Wichtigste. Der andre Bürger war Mokij
Kifowitsch, sein leiblicher Sohn. Er war das, was man in Rußland einen
Helden zu nennen pflegt, und während sich der Vater mit der Geburt des
Tieres beschäftigte, drängte es _seine_ zwanzigjährige, breitschultrige
Gestalt mit aller Macht danach, sich zu entfalten und auszuleben. Er
konnte nie eine Sache leicht und nur so obenhin in Angriff nehmen --
stets brach sich jemand dabei den Arm oder er trug eine Beule auf der
Nase davon. Zu Hause und in der Nachbarschaft liefen alle, von den
Mädchen auf dem Hofe -- bis auf den letzten Hund -- davon, wenn sie ihn
erblickten, sogar sein eigenes Bett, das in seinem Schlafzimmer stand,
schlug er in Trümmer. So war Mokij Kifowitsch, sonst aber war er ein
braver, gutmütiger Mensch. Jedoch das ist nicht das Wichtigste. Das
Wichtigste hierbei ist das, was nun kommt: »Ich bitt dich gnädiger Herr
Kifa Mokiewitsch,« sagten die eigenen und fremden Knechte und Mägde zum
Vater: »was ist dein Mokij Kifowitsch doch für ein Herr? Der läßt keinen
Menschen in Ruhe, ist der zudringlich!« »Ja, ja, etwas mutwillig ist er
schon,« erwiderte gewöhnlich der Vater: »aber was ist da zu tun? Hauen
kann ich ihn doch nicht mehr, alle Menschen würden über meine Härte und
Grausamkeit schreien, und dann ist er ein so ehrgeiziger Mensch; wenn
ich ihm in Gegenwart anderer Leute einen Vorwurf machte -- würde er sich
wohl in acht nehmen; aber vergeßt auch die Öffentlichkeit nicht -- das
ist eben das Unglück. Wenn die Stadt es erfährt, wird sie ihn gleich
einen Schweinehund nennen. Glaubt ihr denn, daß mir das nicht weh tun
würde? Bin ich denn nicht sein Vater? Meint ihr, weil ich mich mit der
Philosophie beschäftige und mitunter keine Zeit für andere Dinge habe,
sei ich nicht Vater? O nein, ihr irrt euch. Ich _bin_ Vater, jawohl ich
bin _Vater_, zum Teufel noch einmal, das laß ich mir nicht nehmen. Mokij
Kifowitsch -- der sitzt mir hier ganz tief im Herzen.« Und Kifa
Mokijewitsch schlug sich mit der Faust kräftig auf die Brust und geriet
in die größte Erregung: »Und wenn er schon sein Leben lang ein
Schweinehund bleiben sollte, so soll man es wenigstens nicht von mir
erfahren; ich kann ihn doch nicht verraten!« Nachdem er so von seinem
väterlichen Gefühl Zeugnis abgelegt hatte, ließ er Mokij Kifowitsch
ruhig seine Heldentaten fortsetzen und kehrte selbst zu seinen geliebten
Gegenständen zurück, indem er sich plötzlich irgend eine Frage wie etwa
die folgende vorlegte: »Hm, wenn die Elefanten Eier legten, müßten die
Eierschalen da nicht so dick sein, daß keine Kanonenkugel sie
zertrümmern könnte; ja, ja, es ist Zeit ein neues Schießwerkzeug zu
erfinden!« So verbrachten unsere zwei Bewohner des friedlichen
Erdenwinkels ihr Leben, sie, die am Schluß unserer Dichtung so plötzlich
wie aus einem Fenster hervorguckten, um ihre bescheidene Antwort auf den
Vorwurf glühender Patrioten vorzubringen, welche sich vielleicht lange
ganz ruhig mit irgendwelchen Philosophemen oder mit der Vergrößerung
ihres Wohlstandes auf Kosten des von ihnen so glühend geliebten
Vaterlandes beschäftigten und keineswegs darum besorgt sind, daß nur
nichts Böses geschieht, sondern allein darum, daß nur ja niemand sage,
sie täten Schlimmes. Doch nein, weder der Patriotismus noch jenes erste
Gefühl sind der Grund all dieser Anklagen und Vorwürfe. Dahinter
versteckt sich etwas ganz andres. Warum soll ich es verheimlichen? Wer
anders, wenn nicht der Autor hätte die Pflicht, die heilige Wahrheit zu
verkündigen? Ihr fürchtet den tiefen forschend auf euch gerichteten
Blick. Ihr wagt es nicht, diesen Blick selbst auf die Gegenstände zu
richten, ihr liebt es, mit blinden Augen gedankenlos über alles
hinwegzugleiten. Ihr werdet vielleicht auch von Herzen über
Tschitschikow lachen: vielleicht sogar den Autor _loben_ und sagen:
»Übrigens, manches hat er wirklich sehr fein beobachtet! Das muß doch
ein Mensch von heiterem Temperament sein!« Und nach diesen Worten werdet
ihr mit verdoppeltem Stolze zu euch selbst zurückkehren, ein
selbstgefälliges Lächeln wird euer Gesicht verklären, und ihr werdet
fortfahren: »Man muß doch sagen: in einigen Gegenden Rußlands gibt es
wirklich höchst merkwürdige und komische Menschen, und recht abgefeimte
Schurken dazu!« Doch wer von euch wird sich voll christlicher Demut,
nicht laut und öffentlich, sondern in aller Stille, in jenen
Augenblicken wo die Seele einsame Selbstgespräche mit sich führt, tief
im Innern die Frage vorlegen: »Wie? lebt nicht vielleicht auch in _mir_
etwas von Tschitschikow?« Warum nicht gar. Laßt dagegen irgend einen
Beamten, einen Mann mittleren Ranges an einem andern vorübergehn --
sofort wird er seinen Nachbarn anstoßen, und während er sich fast
ausschütten möchte vor Lachen, zu ihm sagen: »Sieh, sieh, das ist
Tschitschikow, da geht er vorüber!« Und er wird allen Anstand, den er
seinem Rang und Alter schuldig ist, vergessen, ihm wie ein Kind
nachlaufen, ihn verhöhnen, necken und ihm nachrufen: »Tschitschikow!
Tschitschikow! Tschitschikow!«

Aber wir sprechen so laut und vergessen ganz, daß unser Held, der
während der Erzählung seiner Lebensgeschichte fest schlief, schon
aufgewacht ist und leicht hören könnte, daß man seinen Familiennamen so
oft wiederholt. Er ist doch ein Mensch, der sich leicht gekränkt fühlt
und sehr unzufrieden ist, wenn man ohne die schuldige Achtung von ihm
spricht. Dem Leser kann's freilich ziemlich gleich sein, ob ihm
Tschitschikow böse ist oder nicht; was dagegen den Autor anbelangt, so
darf er sich unter keinen Umständen mit seinem Helden veruneinigen: er
hat noch manches Stück Weges Hand in Hand mit ihm zurückzulegen; noch
liegen zwei große Teile dieser Dichtung vor ihm, und das ist doch
wirklich keine Kleinigkeit.

»He, he! Was fällt dir ein!« rief Tschitschikow Seliphan zu, »du ...?«

»Wie?« sagte Seliphan langsam.

»Wie? fragst du! Trottel du! Wie fährst du denn? Vorwärts, rühr dich!«

Und in der Tat, Seliphan saß schon lange auf seinem Bock und blinzelte
mit den Augen. Nur hie und da schlug er im Halbschlaf die gleichfalls
schlafenden Pferde mit den Zügeln leicht auf den Rücken. Auch Petruschka
hatte schon lange und, Gott weiß, wo seine Mütze verloren, er war auf
dem Bock zurückgesunken und stützte seinen Kopf auf Tschitschikows Knie,
von dem er manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde munter und
versetzte dem Schecken ein paar tüchtige Hiebe, worauf dieser einen
lebhaften Trab anschlug; dann ließ er seine Peitsche über den Rücken der
Pferde sausen und rief mit dünner Stimme gleichsam singend: »Nur keine
Furcht!« Die Pferde wachten auf und zogen den leichten Wagen mit sich
fort, der wie ein Flaum dahinflog. Seliphan schwenkte bloß die Peitsche
und rief: »He, he, he!« indem er auf seinem Bock rhythmisch hin und her
hopste, während der Wagen über die Berge und Täler der Landstraße
dahinjagte, welche langsam bergab führte. Tschitschikow wurde auf seinem
Polster leicht emporgehoben, er lächelte vergnügt, denn er liebte das
schnelle Fahren. Und welcher Russe liebt das schnelle Fahren nicht?
Sollte seine Seele, die sich überall und immer nach dem Taumel und
Wirbel sehnt, und oft laut ausrufen möchte: »Ach was, hol' doch alles
der Teufel,« sollte seine Seele es nicht lieben? Es nicht lieben, wenn
etwas so Wundersames, Beseeligendes darin liegt? Wie eine unbekannte
Gewalt hebt dich's auf seinen Flügel, du fliegst dahin und mit dir alles
um dich her: die Meilensteine, die Kaufleute auf ihren Wagensitzen, der
Wald zu beiden Seiten mit den dunklen Reihen seiner Tannen und Fichten,
dem Lärm der Äxte und dem Rabengekrächze: der ganze Weg flieht vorüber
-- weit fort in unbekannte Fernen; und etwas Furchtbares, Schreckliches
liegt in diesem rasenden Aufblitzen und Verschwinden, wo der
vorübergleitende Gegenstand kaum Zeit hat, feste Formen anzunehmen und
nur der Himmel über uns, die leichten Wolken und der sich Bahn brechende
Mond allein unbeweglich still zu stehen scheinen. Mein Dreigespann, o du
Vogeldreigespann! wer hat dich erfunden? Nur aus einem kecken mutigen
Volk konntest du hervorgehen -- in jenem Lande, das nicht zu spaßen
liebt, sondern sich wie die unendliche Ebene streckt und breitet über
die halbe Erde: versuch's doch die Meilensteine zu zählen, ohne daß
dir's vor den Augen flimmert! Wahrlich kein schlau ersonnenes Gefährt
bist du, genietet durch eiserne Klammern. Sondern schnell, aufs
geratewohl mit Axt und Meißel hat dich ein flinker Jaroslawscher Bauer
verfertigt und zusammengefügt. Dich lenkt kein Postillon in deutschen
Stulpenstiefeln, bebartet und behandschuht sitzt er da, der Teufel weiß
worauf; und wenn er aufsteht, seine Peitsche schwingt und sein
unendliches Lied anstimmt -- dann stürmen die Rosse dahin wie ein
Wirbelwind. Zu einer runden, glatten Fläche fließen die Speichen der
Räder zusammen. Es donnert der Weg. Erschrocken schreit der Fußgänger
auf und bleibt wie angewurzelt stehen. -- Und dahin fliegt das Gefährt,
fliegt und fliegt! ... Und schon sieht man in der Ferne nichts wie eine
dichte Staubwolke, und wirbelnd folgt die Luft.

Jagst nicht auch du, Rußland, so dahin, wie ein keckes unerreichbares
Dreigespann? Rauchend dampft unter dir der Boden; es dröhnen die Stege.
Und alles bleibt zurück, weit hinter dir zurück. Wie durch ein
göttliches Wunder betäubt, steht festgebannt der staunende Zuschauer.
Ist es ein Blitz, der aus den Wolken zuckte? Was bedeutet diese
grauenerweckende Bewegung? Und was für unbekannte Kräfte wohnen in
diesen, nie gesehenen Rossen? Oh, ihr Rosse! Ihr wunderbaren Rosse! Lebt
ein Wirbelwind in euren Mähnen? Bebt ein wachsames Ohr euch in jeder
Ader? Lauscht ihr auf ein trautes altbekanntes Lied von oben, und spannt
jetzt einträchtig eure ehernen Brüste? Kaum rühren eure flüchtigen Hufe
die Erde, in eine langgestreckte Linie verwandelt fliegt ihr durch die
Lüfte, und fort stürmt das ganze, gottbegeisterte! ... Rußland? Wohin
jagst du, gib Antwort! Du bleibst stumm. Wundersam ertönt der Gesang des
Glöckchens. Wie von Winden zerfetzt, braust und erstarrt die Luft;
alles, was auf Erden lebt und webt, fließt vorüber; und es weichen vor
dir, treten zur Seite, und geben dir Raum alle anderen Staaten und
Völker.




                         Anhang zum ersten Teil


                                   I.
                                Vorrede
                 zur zweiten Auflage des ersten Bandes
                                  der
                             »Toten Seelen«
                                  1846


                       Der Verfasser an den Leser

Wer du auch sein magst, lieber Leser, auf welchem Platze du stehst,
welches Amt du bekleidet, ob du Rang und Würden dein eigen nennt, ein
schlichter Mann von einfachem Stande bist, wenn dir Gott die edle Gabe
des Lesens verliehen hat und dir ein Zufall dieses Buch in die Hände
spielte, so bitte ich dich, mir zu helfen.

In dem Buche, das vor dir liegt und dessen erste Auflage du
wahrscheinlich schon gelesen hat, ist ein Mensch dargestellt, der mitten
aus dem russischen Staate herausgegriffen ward. Er bereist unser
russisches Vaterland, und trifft hier mit Menschen jeder Art und jedes
Standes, mit vornehmen und einfachen zusammen. Er ward mehr _darum_ zum
Helden ausersehen, um die _Laster_ und _Mängel_, als die _Vorzüge_ und
_Tugenden_ des Russen aufzuzeigen; aber auch all die Menschen, die ihn
umgeben, sind so gewählt worden, daß sie unsere Fehler und Schwächen
widerspiegeln, die besseren Menschen und Charaktere sollen erst in den
folgenden Teilen vorgeführt werden. In diesem Buche ist manches
unrichtig dargestellt, und nicht so, wie die Dinge sich wirklich im
russischen Vaterlande zutragen, weil ich ja nicht alles kennen lernen
und in Erfahrung bringen konnte. Ein ganzes Menschenleben würde nicht
ausreichen, um auch nur den hundertsten Teil von dem zu erforschen, was
in unserer Heimat vorgeht. Zudem mögen sich infolge meiner eigenen
Unachtsamkeit, Unreife und Übereilung mancherlei Irrtümer und
Fehlschlüsse eingeschlichen haben, sodaß es wohl keine Seite in diesem
Buche gibt, an der nicht irgend etwas zu berichtigen wäre, und daher
bitte ich dich, lieber Leser, wo du es kannst, mich zu verbessern. Du
darfst diese Mühe nicht gering schätzen. Auf welch hoher Stufe der
Bildung und des Lebens du auch stehen mögest, so unbedeutend und nichtig
dir auch mein Buch erscheinen und so kleinlich und unwichtig dir es
vorkommen mag, mein Werk zu verbessern und deine Bemerkungen dazu
niederzuschreiben, ich bitte dich dennoch darum, es zu tun. Aber auch
du, lieber Leser, von _schlichter_ Bildung und einfachem Stande, sollst
dich nicht für zu unwissend halten, mich zu belehren. Ein jeder Mensch,
der gelebt, die Welt gesehen hat, und mancherlei Menschen begegnet ist,
hat sicher vielerlei gemerkt, was einem andern entgangen ist, und vieles
erfahren, was andere nicht wissen. Ich möchte daher nicht gerne auf
deine Bemerkungen verzichten. Es ist unmöglich, daß du nicht etwas zu
irgend einer Stelle meines Buches zu sagen hättest, wenn du es nur
aufmerksam durchliest.

Wie schön wäre es zum Beispiel, wenn auch nur _einer_ von jenen Leuten,
deren Kenntnisse so groß, deren Lebenserfahrung so reich ist, und die
den Kreis von Menschen, die ich beschrieben habe, genau kennen, seine
Anmerkungen zu dem ganzen Buche niederschreiben und _gar nicht anders_
an die Lektüre gehen wollte, als mit einer Feder in der Hand und einem
Stück Papier, das er vor sich auf dem Tische liegen hat. Wie schön wäre
es, wenn er jedesmal, nachdem er einige Seiten gelesen hat, sich an sein
ganzes Leben und das aller der Menschen, denen er auf seinem Wege
begegnet ist, an alle Ereignisse, die sich vor seinen Augen abspielten,
und auch an alles das erinnern wollte, was er selbst sah oder hörte, ob
es nun Ähnlichkeit mit den Begebenheiten hat, die in meinem Buche
geschildert sind, oder ihnen gerade entgegengesetzt ist -- und wenn er
dann alles genau so beschriebe, wie es sich in seiner Erinnerung
darstellt und mir hierauf jedes vollgeschriebene Blatt zusenden würde,
bis er auf diese Weise das ganze Buch zu Ende gelesen hätte. Welch einen
großen wahrhaften Dienst würde er mir damit erweisen. Der Stil und die
Schönheit des Ausdrucks brauchen ihm hierbei keine Sorge zu machen: hier
handelt es sich nur um die Sache selbst und um ihre Wahrheit und nicht
um den Stil. Auch braucht er sich nicht zu zieren, wenn er mich tadeln,
oder mir einen Vorwurf machen, oder mich auf eine Gefahr und auf den
Schaden hinweisen wollte, den ich durch die falsche und unüberlegte
Darstellung einer Sache gestiftet habe, wo doch nur Nutzen und Besserung
meine wahre Absicht war. Für all dieses wäre ich ihm von Herzen dankbar.

Ferner wäre es sehr gut, wenn sich ein Mensch aus dem höheren Stande
finden würde, welcher durch alles -- durch das Leben selbst und durch
seine Bildung -- jenen Kreisen fernsteht, die in meinem Buche
geschildert sind, der aber das Leben des Standes kennt, zu dem er selbst
gehört, und wenn ein solcher Mensch sich entschließen könnte, mein Buch
auf die gleiche Weise von Anfang an zu lesen, alle Menschen der höheren
Stände an seinem geistigen Auge vorüber ziehen zu lassen und streng
darauf zu achten, ob es nicht doch etwas Gemeinsames zwischen allen
Ständen gibt, ob sich nicht doch zuweilen in den höheren Kreisen
dasselbe wiederholt, was in den niederen Sphären zu geschehen pflegt?
Und wenn er nun alles, was ihm hierüber einfällt, das heißt also jedes
Vorkommnis aus den höheren Gesellschaftskreisen, das zur Bestätigung
oder Widerlegung dieses Gedankens dienen kann, ganz so schildern wollte,
wie es sich vor seinen Augen abspielte, ohne die Menschen selbst mit
ihren Sitten, Neigungen und Gewohnheiten zu vergessen oder die
seelenlosen Sachen, die sie umgeben, zu übergehen, von der Kleidung bis
hinab zu den Möbeln und den Mauern der Häuser, die sie bewohnen. Ich
_muß_ diesen Stand kennen, der die Blüte der Nation repräsentiert. Ich
kann die letzten Bände meines Werkes nicht in die Welt hinausgehen
lassen, bevor ich das Leben Rußlands nach all seinen Seiten kennen
gelernt habe, wenigstens in dem Maße, als dies für mein Werk notwendig
ist.

Auch wäre es nicht schlecht, wenn irgend jemand, der mit einer reichen
Phantasie und der Fähigkeit ausgestattet ist, sich alle möglichen
menschlichen Verhältnisse recht lebhaft vorzustellen, und die Menschen
in Gedanken auf Schritt und Tritt in allen Lebenslagen zu begleiten --
mit einem Wort, wenn jemand der es versteht, sich in den Geist eines
jeden Autors, den er liest, hinein zu versetzen oder seine Ideen weiter
zu führen und zu entfalten -- jede Person, die ich in meinem Buche
auftreten lasse, aufmerksam verfolgen und mir dann sagen wollte, wie sie
sich in diesem oder jenem Falle verhalten muß, was ihr, nach dem Anfang
zu schließen, im weiteren Verlauf der Erzählung zustoßen müßte, was für
neue Situationen sich hieraus ergeben könnten, und was ich wohl noch zu
meiner Beschreibung hinzufügen sollte; ich würde nämlich dies alles
sorgsam berücksichtigen bis zu der Zeit, wo mein Buch in einer neuen,
besseren und würdigeren Ausgabe vor den Leser treten wird.

Um eines noch möchte ich den, der mich durch seine Anmerkungen erfreuen
will, herzlichst bitten: wenn er sie niederschreibt, soll er nicht daran
denken, daß er sie für einen Menschen schreibt, der ihm an Bildung
gleich steht, der denselben Geschmack und dieselben Gedanken hat, wie er
selbst, und vieles auch ohne weitere Erklärungen verstehen wird;
vielmehr bitte ich ihn, so zu tun, als ob er einen Menschen vor sich
hat, der sich in bezug auf Bildung nicht mit ihm messen kann, und der
fast gar nichts gelernt hat. Es wäre vielleicht noch besser, wenn er
sich an meiner Statt irgend einen Wilden vorstellen würde, der sein
ganzes Leben in einem entlegenen Dorfe verbracht hat, dem man jede
kleinste Einzelheit umständlich erklären muß, wenn er sie verstehen
soll, und dem gegenüber man sich der einfachsten Ausdrucksweise
befleißigen muß, fast wie vor einem Kinde, um nur ja kein Wort zu
gebrauchen, das über seinen Horizont geht. Wenn jeder das stets im Auge
behalten wird, wenn jeder von denen, die dazu bereit sind, ihre
Bemerkungen zu meinem Buche niederzuschreiben, das stets im Auge behält,
dann werden diese Anmerkungen noch weit interessanter werden und noch
mehr an Wert gewinnen, als er es selbst glaubt; mir aber wird er einen
großen und wahrhaften Dienst erweisen.

Wenn es sich also so fügen sollte, daß meine Leser meinen Herzenswunsch
berücksichtigen und erfüllen, und wenn sich unter ihnen wirklich ein
paar Menschen von so gutem Herzen finden sollten, die bereit wären,
meine Bitte zu erfüllen, dann können sie mir ihre Anmerkungen auf
folgendem Wege übersenden: sie mögen ein an mich adressiertes Paket in
ein andres Paket einpacken und dieses an eine der hier nambar gemachten
Personen schicken: entweder an den Rektor der St. Petersburger
Universität Seine Exzellenz Peter Alexandrowitsch Pletnew (zu
adressieren an die Universität von St. Petersburg) oder an den Professor
der Moskauer Universität S. H. Stepan Petrowitsch Schewyrew (zu
adressieren an die Universität Moskau) je nachdem, welche Stadt dem
Absender näher liegt.

Zuletzt spreche ich noch allen Journalisten und Literaten überhaupt,
meinen aufrichtigen Dank aus für die Rezensionen und Besprechungen,
welche sie meinem Buche angedeihen ließen; sie haben meinem Herzen und
meiner Seele, trotz mancher Maßlosigkeiten und Übertreibungen, wie sie
nun mal in der menschlichen Natur liegen, einen großen Vorteil und
Nutzen gebracht, und daher bitte ich sie alle, mich auch diesmal mit
ihrem Urteil nicht im Stiche zu lassen. Ich kann ihnen das aufrichtige
Versprechen geben, daß ich alles was sie mir zu meiner Aufklärung und
Belehrung zu sagen haben, mit Dank entgegennehmen werde.


                                  II.
                              Reflexionen,
                 die sich auf den ersten Teil beziehen.

Die Idee einer Stadt -- äußerster Grad von Hohlheit des in ihr
herrschenden Treibens. Klatschereien und Zwischenträgereien, die alle
Grenzen übersteigen. Wie dies alles aus dem Müßiggang entspringt und den
höchsten Grad der Lächerlichkeit angenommen hat, und wie ganz gescheite
Leute schließlich dazu kommen, die größten Dummheiten zu begehen.

Einzelheiten aus den Gesprächen der Frauen. Wie sich in die allgemeinen
Klatschereien noch solche von privatem Charakter mischen, und wie
hierbei keine die andere schont. Wie Gerüchte und Vermutungen entstehen.
Wie diese Vermutungen den Gipfel der Lächerlichkeit erreichen. Wie alle
unwillkürlich an diesen Klatschereien teilnehmen, und wie
Pantoffelhelden und Weiberknechte entstehen.

Wie die Hohlheit, die Ohnmacht und Tatenlosigkeit des Lebens abgelöst
werden durch einen trüben, nichtssagenden Tod. Wie sinnlos dieses
furchtbare Ereignis eintritt und vorübergeht. Nichts bewegt sich. Der
Tod überrascht dieses völlig unbewegte Leben. Dem Leser muß jedoch die
tote Gefühllosigkeit des Lebens dadurch noch furchtbarer erscheinen.

Die entsetzliche Dämmerung des Lebens zieht vorüber, darin liegt ein
tiefes Mysterium verborgen. Ist das nicht etwas ganz Furchtbares? Dieses
sich aufbäumende rebellierende müßige Leben -- ist es nicht eine
Erscheinung von furchtbarer Größe? ... Leben! ... Im Ballkostüm, im
Frack, da, wo man klatscht und Visitenkarten wechselt -- da glaubt
keiner an den Tod ....

_Einzelheiten._ Die Damen zanken sich gerade deswegen, weil die eine
haben möchte, daß Tschitschikow dies sei, während die andere wünscht,
daß er etwas anders sei -- und daher merken sie sich nur die Gerüchte,
die zu ihrer Idee von ihm passen.

Andere Damen erscheinen auf der Bildfläche.

Die in jeder Beziehung angenehme Dame hat einen Hang zur Sinnlichkeit
und liebt davon zu erzählen, wie sie diesen Hang zuweilen besiegt habe,
und zwar mit Hilfe ihres Verstandes, und wie sie es immer verstanden
habe, die Männer in einer gewissen Distanz zu halten. Übrigens geschah
das eigentlich ganz von selbst und auf ganz unschuldige Weise. Es trat
ihr nie einer zu nahe, aus dem einfachen Grunde, weil sie schon in ihrer
Jugend eine große Ähnlichkeit mit einem Nachtwächter hatte, trotzdem sie
so angenehm war und trotz all ihrer guten Eigenschaften. -- »Nein, meine
Liebe, wissen Sie, ich liebe es, den Mann erst ein wenig anzulocken, ihn
dann abzustoßen und dann _wieder_ anzulocken.« So verfährt sie auch auf
dem Ball mit Tschitschikow. Die andern überlegen sich es gleichfalls,
wie sie sich benehmen sollen. Die eine tritt sehr respektvoll auf. Zwei
Damen fassen sich unter, gehen auf und ab und nehmen sich vor, solange
als möglich zu lachen. Dann finden sie plötzlich, daß Tschitschikow
keine guten Manieren hat.

Die in jeder Beziehung angenehme Dame liebt es, Beschreibungen von
Bällen zu lesen. Auch die Beschreibung des Wiener Kongresses
interessiert sie sehr. Ferner interessiert sich diese Dame sehr für
Toiletten, d. h. sie liebt es, andre Damen daraufhin zu beobachten, ob
ihnen ein Kleid gut sitzt oder nicht.

Während sie auf ihrem Stuhl sitzt, beobachtet sie die Eintretenden. »Die
N. versteht sich garnicht zu kleiden, nein wirklich sie versteht es
nicht. Dieses Tuch kleidet sie garnicht.« -- »Wie reizend die Tochter
des Gouverneurs gekleidet ist!« -- »Aber Liebste, sie ist doch
abscheulich gekleidet.« -- Und wenn es selbst so wäre -- --

Die ganze Stadt mit ihrem wilden Durcheinander von Klatschereien und
Zwischenträgereien -- ist das Urbild der Tatenlosigkeit und Hohlheit des
menschlichen Lebens in seiner Masse. Das Geschwätz ist in die Welt
gesetzt und mit ihm alle nur möglichen Kombinationen. Die Hauptzüge der
Ballgesellschaft.

Das Urbild des Gegensatzes im II. Teil, der sich mit der in sich
zerrissenen und zerklüfteten Tatenlosigkeit beschäftigt.

Wie könnte man alle Welten der Tatenlosigkeit und des Müßigganges in all
ihren Spielarten auf die eine Art des städtischen Müßigganges
zurückführen, und wie könnte man den städtischen Müßiggang zum Urbild
der Untätigkeit und des Müßigganges der ganzen Welt erheben.

Dazu müssen alle ähnlichen Züge mit eingeschlossen werden, und es muß
eine gewisse Stetigkeit in die Erzählung kommen.


                                  III.
                       Ende des neunten Kapitels
                        in veränderter Fassung.

Sie dachten nach und überlegten und beschlossen endlich, die Verkäufer
auszufragen, mit denen Tschitschikow verhandelt, und denen er diese
rätselhaften toten Seelen abgekauft hatte. Dem Staatsanwalt fiel die
Aufgabe zu, zu Sabakewitsch zu gehen und mit ihm zu sprechen, und der
Präsident erbot sich persönlich zu Karobotschka zu fahren. Wir wollen
uns daher gleichfalls aufmachen, ihnen nachgehen und zusehen, was sie
dort alles erfuhren.


                              Kapitel ...

Sabakewitsch lebte mit seiner Gemahlin in einem Hause, das etwas abseits
von dem lauten und lärmenden Getriebe lag. Er hatte sich ein massives,
solide gebautes Haus gewählt, wo ihm die Decke nicht überm Kopfe
einzustürzen drohte, und in dem es sich bequem und glücklich leben ließ.
Der Besitzer des Hauses war ein Kaufmann namens Kolotyrkin, auch ein
sehr solider Herr. Sabakewitsch hatte nur seine Frau bei sich, seine
Kinder waren nicht mitgekommen. Er fing schon an, sich zu langweilen,
dachte bereits an die Abreise und wartete nur noch auf den Zins für ein
Stück Land, das drei Bürger der Stadt bei ihm gepachtet hatten, um Rüben
darauf zu pflanzen, sowie ferner auf ein modernes wattiertes Kleid, das
seine Frau bei einen Schneider bestellt hatte, und das bald fertig sein
sollte. Er wurde bereits ein wenig ungeduldig und schimpfte, während er
in seinem Lehnstuhl saß, beständig auf die Gaunereien und Launen anderer
Leute, wobei er an seiner Frau vorbeisah und auf die Ofenecke blickte.
In einem solchen Moment trat der Staatsanwalt ins Zimmer. Sobakewitsch
sagte: »Ich bitte,« indem er sich einen Augenblick erhob, um sich jedoch
sogleich wieder zu setzen. Der Staatsanwalt ging auf Feodulia Iwanowna
zu, küßte ihr die Hand und nahm gleichfalls auf einem Stuhle Platz. Auch
Feodulia Iwanowna ließ sich auf einem Stuhle nieder, nachdem sie den
Handkuß in Empfang genommen hatte. Alle drei Stühle waren mit grüner
Ölfarbe angestrichen, und die Ecken waren mit gelben Wasserlilien, der
rohen Malerei eines Dilettanten geziert.

»Ich bin gekommen, um über eine wichtige Angelegenheit mit Ihnen zu
sprechen,« sagte der Staatsanwalt.

»Herzchen, geh doch auf dein Zimmer! Die Schneiderin wartet
wahrscheinlich auf dich.«

Feodulia ging auf ihr Zimmer.

Der Staatsanwalt begann folgendermaßen: »Gestatten Sie mir eine Frage:
was für Bauern haben Sie an Pawel Iwanowitsch Tschitschikow verkauft?«

»Wie meinen Sie das: was für Bauern?« sagte Sabakewitsch. »Wir haben
doch einen Kaufkontrakt aufgesetzt; da steht es drin, was es für Leute
waren: der eine ist Wagenbauer ...«

»In der Stadt kursieren jedoch ....« versetzte der Staatsanwalt ein
wenig verlegen .... »In der Stadt kursieren Gerüchte ....«

»Es gibt eben zuviel Narren in der Stadt, von denen werden wohl die
Gerüchte herstammen,« sagte Sabakewitsch ruhig.

»Nein, nein, Michael Semjonytsch, das sind so merkwürdige Gerüchte, daß
einem davon ganz wirr im Kopfe wird, es heißt, es handele sich hier
garnicht um Bauern, und ihre Ansiedelung, und man behauptet, dieser
Tschitschikow sei eine höchst rätselhafte Persönlichkeit. Es werden
höchst verdächtige Vermutungen laut, man redet so eigentümliche Dinge in
der Stadt ...«

»Gestatten Sie mir bitte eine Frage: Sind Sie etwa ein altes Weib?«
fragte Sabakewitsch.

Diese Frage verblüffte den Staatsanwalt aufs äußerste. Er hatte sich
noch nie gefragt, ob er ein altes Weib sei, oder irgend etwas andres.

»Sie sollten sich schämen, solche Fragen zu stellen und noch damit zu
mir zu kommen,« fuhr Sabakewitsch fort.

Der Staatsanwalt stammelte einige Entschuldigungen.

»Gehen Sie doch zu den alten Klatschweibern, die hinter ihrem Webstuhl
sitzen und sich abends Schauergeschichten über Gespenster und Hexen
erzählen. Oder wenn Ihnen mit Gottes Hilfe nichts Besseres einfallen
will, dann spielen Sie doch lieber Knöchel mit den kleinen Jungen. Was
kommen Sie und beunruhigen Sie einen ehrlichen Menschen? Bin ich etwa
Ihr Hanswurst, wie? Sie kümmern sich zu wenig um Ihren Beruf, und denken
zu wenig daran, dem Vaterland zu dienen, Ihren Nächsten nützlich zu sein
und Ihre Kollegen zu schonen. Sie wollen immer der erste sein und laufen
gleich hin, wenn irgend ein Esel Sie irgendwo hinschickt. Passen Sie
auf, Sie werden noch einmal um nichts und wieder nichts zu Falle kommen,
und elendiglich zugrunde gehn, ohne eine gute Erinnerung an sich zu
hinterlassen.«

Der Staatsanwalt war ganz bestürzt und wußte absolut nicht, was er auf
diese unerwartete Moralpredigt antworten sollte. Ganz beschämt und
vernichtet verließ er Sabakewitsch: dieser aber rief ihm noch nach:
»Pack dich zum Teufel, du Hund!«

In diesem Augenblick erschien Feodulia: »Warum ist der Staatsanwalt so
plötzlich fortgegangen?« fragte sie.

»Der Kerl hat Gewissensbisse bekommen und ist weggelaufen,« versetzte
Sabakewitsch. »Da hast du wieder so ein Beispiel, Herzchen. So ein alter
Knabe! hat schon graue Haare und doch weiß ich, daß er noch immer den
Frauen anderer Leute keine Ruhe läßt. Das ist einmal die Art dieser
Menschen: sie sind eben Hundesöhne alle miteinander. Nicht genug, daß
sie der lieben Erde durch ihren Müßiggang zur Last fallen, sie machen
solche Sachen, daß man sie allesamt in einen Sack stecken und ins Wasser
werfen sollte! Die ganze Stadt ist nichts wie eine Räuberhöhle. Wir
haben hier nichts mehr zu suchen. Wir wollen nach Hause fahren.«

Frau Sabakewitsch wollte einwenden, daß ihr Kleid noch nicht fertig sei,
und daß sie sich noch zu den Feiertagen ein paar Haubenbänder kaufen
müsse, aber Sabakewitsch erklärte: »Das sind alles Modetorheiten,
Herzchen; das nimmt noch ein schlechtes Ende.« Er befahl, alles für die
Reise vorzubereiten; begab sich selbst mit einem Polizeikommissar zu den
drei Bürgern der Stadt, um die Pacht für die Rüben einzukassieren; ging
hierauf zu der Schneiderin, nahm ihr das unfertige Kleid, an dem noch
gearbeitet wurde, weg, ganz so wie es war, mit der darinsteckenden Nadel
und dem Faden, um es zu Hause fertig nähen zu lassen, und fuhr bald
darauf zur Stadt hinaus. Unterwegs wiederholte er fortwährend, es sei
geradezu gefährlich, in diese Stadt zu kommen, denn hier säße ja ein
Schuft und Gauner auf dem andern, und da könne es einem noch leicht
passieren, daß man mit ihnen in dem allgemeinen Sumpfe versinke.

Inzwischen eilte der Staatsanwalt in der höchsten Bestürzung über den
Empfang, den ihm Sabakewitsch bereitet hatte, nach Hause. Er befand sich
in einer solchen Verlegenheit, daß er sich nicht einmal darüber klar
werden konnte, wie er dem Präsidenten das Resultat seines Besuches
mitteilen sollte.

Indessen auch der Präsident hatte nur wenig zur Aufklärung der Sache
beigetragen. Er fuhr zuerst in seiner Kutsche in die Stadt und geriet
dabei in eine so enge und schmutzige Gasse, daß während des ganzen Weges
bald das rechte, bald das linke Rad seines Wagens höher stand als das
andre. So kam es, daß er erst mit seinem Kinn und dann mit dem
Hinterkopf sehr heftig auf seinen Spazierstock aufstieß und seine
Kleider ganz mit Kot bespritzt wurden. Quatschend und schlürfend bahnte
sich der Wagen den Weg durch den Kot, bis man endlich beim Probst
anlangte, wo die Insassen von lebhaftem Schweinegegrunze begrüßt wurden.
Der Präsident ließ seine Kutsche halt machen und ging zu Fuß an
allerhand Zimmern und Stuben vorüber nach dem Hausflur. Hier bat er sich
zunächst ein Handtuch aus, um sich das Gesicht abzuwischen. Karobotschka
empfing ihn ganz so wie Tschitschikow, mit demselben melancholischen
Ausdruck im Gesicht. Um den Hals hatte sie etwas wie ein Flanelltuch
geschlungen. In dem Zimmer schwirrten unzählige Scharen von Fliegen, und
auf dem Tisch stand ein undefinierbares Gericht, das ihnen offenbar sehr
widerwärtig war, an das sie sich jedoch schon gewöhnt zu haben schienen.
Korobotschka bat ihn Platz zu nehmen.

Der Präsident begann zuerst damit, daß er ihren Mann gekannt habe und
ging dann plötzlich zu der Frage über: »Sagen Sie bitte, ist es wahr,
daß neulich in der Nacht ein Mensch mit der Pistole in der Hand zu Ihnen
gekommen ist und Ihnen gedroht hat, Sie zu ermorden, wenn Sie ihm nicht,
der Teufel weiß was für Seelen abtreten wollten? Können Sie uns nicht
erklären, was er damit eigentlich für eine Absicht verfolgte.«

»Gewiß, warum sollte ich das nicht können! Versetzen Sie sich doch in
meine Lage: fünfundzwanzig Rubel in Banknoten! Ich weiß wirklich nicht:
ich bin Witwe und habe ja gar keine Erfahrung; es ist doch so leicht,
mich zu betrügen und noch dazu in einer Sache, von der ich wahrhaftig
auch nicht das Mindeste verstehe, Väterchen. Was Hanf kostet, das weiß
ich, Speck habe ich auch schon verkauft, noch voriges ...«

»Nein, bitte, erzählen Sie mir doch die Sache erst recht ausführlich.
Wie war das doch? Hatte er wirklich eine Pistole in der Hand?«

»Nein, Väterchen. Gott behüte, Pistolen habe ich keine gesehen. Aber ich
bin bloß eine Witwe -- ich kann doch wirklich nicht wissen, wie hoch die
toten Seelen im Preise stehen. Nicht wahr Väterchen, Sie werden mich
nicht im Stiche lassen, sagen Sie es mir doch bitte, damit ich den
richtigen Preis erfahre.«

»Was für einen Preis? Was für einen Preis, Mütterchen? Was für einen
Preis meinen Sie?«

»Den Preis für tote Seelen, Väterchen!«

»Ist sie dumm geboren oder ist sie übergeschnappt?« dachte der
Präsident, indem er ihr starr ins Gesicht sah.

»Fünfundzwanzig Rubel? Ich weiß wirklich nicht, vielleicht sind sie
fünfzig Rubel wert, oder sogar noch mehr.«

»Bitte zeigen Sie mir doch den Schein,« sagte der Präsident und hielt
ihn ans Licht, um sich zu überzeugen, ob er nicht falsch sei. Aber es
war ein ganz gewöhnlicher ordentlicher Schein.

»Aber so erzählen Sie doch bloß, wie der Kauf zustande kam, und was er
Ihnen eigentlich abgekauft hat. Es will mir nicht in den Kopf ... ich
kann absolut nichts verstehen ...«

»Gewiß hat er mir welche abgekauft,« sagte Karobotschka, »aber warum
wollen Sie mir bloß nicht sagen, was die tote Seele kostet, damit ich
doch ihren richtigen Preis kennen lerne.«

»Ich bitte Sie, was reden Sie da! Wo hat man denn je davon gehört, daß
tote Seelen verkauft werden?«

»Warum wollen Sie mir den Preis durchaus nicht sagen?«

»Ach was Preis! Ich bitte Sie, von was für einem Preise kann denn hier
die Rede sein? Sagen Sie mir doch ernstlich, wie die Sache war. Hat er
Ihnen mit etwas gedroht? Wollte er Sie etwa verführen?«

»Nein, Väterchen, was Sie für Dinge reden! ... Jetzt sehe ich, daß Sie
auch ein Käufer sind.« -- Und sie sah ihm argwöhnisch in die Augen.

»Ach was! ich bin doch Gerichtspräsident, Mütterchen!«

»Nein, Väterchen, sagen Sie, was Sie wollen, Sie wollen mich wohl auch
.... Sie haben auch die Absicht ... mich zu betrügen. Aber was haben Sie
bloß davon? Sie haben doch nur selbst den Schaden davon. Ich hätte Ihnen
gern Daunen verkauft: ich werde zu Weihnachten schöne Daunen haben.«

»Mütterchen! Ich sage Ihnen doch, daß ich der Gerichtspräsident bin. Was
mache ich mit ihren Daunen, sagen Sie doch selbst! Ich will Ihnen doch
gar nichts abkaufen.«

»Aber das ist doch ein ganz christliches Werk, Väterchen,« fuhr
Karobotschka fort. »Heute verkaufe _ich_ Ihnen was und morgen werden
vielleicht _Sie_ mir etwas verkaufen wollen. Sehen Sie, wenn wir uns
gegenseitig übers Ohr hauen, wo blieben da Recht und Gerechtigkeit? Das
wäre doch eine Sünde gegen Gott!«

»Ich bin aber doch kein Kaufmann, Mütterchen, ich bin
Gerichtspräsident!«

»Gott weiß, vielleicht sind Sie wirklich der Gerichtspräsident. Ich kann
das doch nicht wissen. Nun also? Ich bin doch eine arme Witwe? Warum
fragen Sie mich denn so aus? Nein, Väterchen, ich sehe, daß Sie selbst
... auch ... welche kaufen wollen.«

»Mütterchen, ich rate Ihnen, sich an den Arzt zu wenden,« sagte der
Gerichtspräsident wütend. »Bei Ihnen scheint's wirklich dort oben nicht
ganz richtig zu sein« -- fuhr er fort, indem er mit dem Finger auf seine
Stirn zeigte. Mit diesen Worten stand er auf und ging hinaus.

Karobotschka aber blieb dabei, daß sie es mit einem Kaufmann zu tun
gehabt habe und wunderte sich bloß, wie unfreundlich und bösartig die
Leute heutzutage geworden seien, und wie schwer es doch eine arme Witwe
auf dieser Welt habe. Der Präsident aber gelangte mit Mühe und Not, von
unten bis oben mit Kot bespritzt, nach Hause, nachdem ihm unterwegs noch
ein Wagenrad gebrochen war. Das war das Resultat dieser unfreundlichen
und erfolglosen Reise, wenn man nicht noch die Beule am Kinn mitrechnen
wollte, die er sich mit seinem Stock beigebracht hatte. In der Nähe
seines Hauses traf er den Staatsanwalt, der ihm in einer Kutsche
entgegengefahren kam. Er schien sehr schlechter Laune zu sein und ließ
den Kopf hängen.

»Nun was haben Sie von Sabakewitsch erfahren?«

Der Staatsanwalt senkte das Haupt und versetzte: »In meinem ganzen Leben
bin ich noch nicht so behandelt worden.« ...

»Wieso?«

»Er hat mir einen Fußtritt gegeben,« sagte der Staatsanwalt mit
betrübter Miene.

»Wie?«

»Er hat mir gesagt, ich sei ein unnützer Mensch und tauge nicht für
meinen Posten: und doch habe ich meine Kollegen noch nie denunziert.
Andere Staatsanwälte schreiben jede Woche Denunziationen, ich habe doch
unter jedes Aktenstück mein »Gelesen« gesetzt, selbst in solchen Fällen,
wo es eigentlich meine Pflicht gewesen wäre, über die Kollegen Bericht
zu erstatten. -- Ich habe auch nie eine Sache absichtlich in die Länge
gezogen.«

Der Staatsanwalt war ganz zerknirscht.

»Nun und was sagt er über Tschitschikow?« fragte der Präsident.

»Was er gesagt hat? Er hat uns alle alte Weiber und Schafsköpfe
genannt.«

Der Präsident wurde nachdenklich. Doch in diesem Augenblick kam eine
dritte Kutsche angefahren: es war der Vize-Gouverneur.

»Meine Herren! Ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß wir auf der Hut
sein müssen. Man sagt, unsere Provinz soll wirklich einen
Generalgouverneur erhalten.« Der Präsident und der Staatsanwalt rissen
den Mund auf, und der Gerichtspräsident dachte sich: »Der kommt auch
gerade zur rechten Zeit, um die Suppe auszuessen, die wir hier
eingebrockt haben, und für die sich der Teufel selbst bedanken würde.
Wenn der erfährt, was für eine Unordnung in der Stadt herrscht!«

»Schlag auf Schlag!« dachte der Staatsanwalt, der ganz geknickt dastand.

»Und wissen Sie nichts darüber, wer zum Generalgouverneur ernannt werden
soll, was er für ein Mensch ist, und was für einen Charakter er hat?«

»Davon ist noch nichts bekannt,« sagte der Vizegouverneur.

In diesem Moment kam der Postmeister in einer Droschke angefahren.

»Meine Herren! Ich gratuliere Ihnen zum neuen Generalgouverneur.«

»Wir wissen schon, wir wissen schon, aber es ist doch noch gar nichts
bekannt,« versetzte der Vizegouverneur.

»O, nein, man weiß schon, wer es ist,« erwiderte der Postmeister: »Fürst
Odnosorowski-Tschementinski.«

»Nun und was spricht man von ihm?«

»Er soll ein sehr strenger Herr sein,« sagte der Postmeister, »ein sehr
weitsichtiger Mann von sehr starkem Charakter. Er soll früher bei irgend
einer staatlichen Baukommission gewesen sein, verstehen Sie wohl. Da
seien einmal kleine Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Nun, was denken Sie
wohl Verehrtester, er hat alle miteinander zerschmettert, er hat sie
ganz zu Staub zermalmt, sodaß überhaupt nichts mehr von ihnen übrig
blieb, sehen Sie wohl.«

»Hier in der Stadt sind doch aber die strengen Maßregeln garnicht am
Platze.«

»O je, das ist ein gelehrtes Haus! lieber Herr! Ein Mensch von
kolossalen Dimensionen!« fuhr der Postmeister fort. »Einmal passierte
was ....«

»Aber meine Herren,« sagte der Postmeister, »wir reden hier ganz offen
auf der Straße in Gegenwart unserer Kutscher. Fahren wir doch lieber zu
...«

Erst jetzt kamen die Herren wieder zu sich. Auf der Straße hatten sich
nämlich schon mehrere Zuschauer angesammelt, welche dastanden und die
vier Herren, die sich von ihren Droschken aus miteinander unterhielten,
angafften. Die Kutscher spornten ihre Pferde an und die vier Droschken
fuhren eine hinter der andern zum Gerichtspräsidenten.

»Daß uns der Teufel diesen Tschitschikow auch gerade im ungünstigsten
Augenblick hierher senden mußte!« dachte der Präsident, während er im
Vorzimmer seinen bis oben mit Dreck bespritzten Pelz auszog.

»Mir wirbelt alles im Kopfe herum,« sagte der Staatsanwalt und legte
gleichfalls den Pelz ab.

»Aus dieser Sache werde ich nicht klug,« sprach der Vizegouverneur,
indem er sich seines Pelzes entledigte.

Der Postmeister sagte gar nichts und begnügte sich damit, seinen Pelz
abzulegen.

Man trat ins Zimmer, wo sofort ein kleiner Imbiß hereingetragen wurde.
Die Provinzialbehörden können nun mal nicht ohne solch einen Imbiß
auskommen, und wenn sich zwei Beamte in einer Provinz zusammenfinden, so
stellt sich der Imbiß ganz von selbst als dritter im Bunde ein.

Der Gerichtspräsident trat an den Tisch, goß sich ein Gläschen bitteren
Wermuth ein und sagte: »Schlagt mich tot, ich weiß nicht, wer dieser
Tschitschikow ist.«

»Ich noch weniger,« versetzte der Staatsanwalt. »Eine so verwickelte
Affäre ist mir in meiner ganzen Praxis noch nicht vorgekommen, ich habe
wirklich nicht den Mut, die Sache in die Hand zu nehmen.«

»Und doch! trotzalledem. Was der Mensch für einen weltmännischen Schliff
besitzt!« meinte der Postmeister, indem er sich erst einen dunklen Likör
einschenkte, ein paar Tropfen von einem rosafarbenen hinzugoß und beide
miteinander mischte: »Er war sicher in Paris. Ich glaube bestimmt, er
ist etwas Ähnliches, wie ein Diplomat gewesen.«

In diesem Augenblick betrat der Polizeimeister das Zimmer, der
allbekannte und so hoch verehrte Wohltäter der Stadt, der Abgott der
Kaufmannschaft und berühmte Künstler und Arrangeur opulenter Diners,
Soupers und sonstiger Festivitäten.

»Meine Herren,« rief er aus, »ich habe nicht das Geringste über
Tschitschikow erfahren können. Ich konnte doch nicht in seinen eigenen
Papieren herumstöbern: er verläßt ja auch sein Zimmer garnicht mehr, und
scheint krank zu sein. Ich habe mich auch bei seinen Leuten erkundigt.
Seinen Bedienten Petruschka und den Kutscher Seliphan ausgefragt. Der
erste war ein wenig betrunken, übrigens scheint er sich immer in solch
einem Zustande zu befinden.« Bei diesen Worten trat der Polizeimeister
an das Anrichtetischchen und bereitete sich eine Mischung aus drei
Likören. »Petruschka behauptet, sein Herr hätte mit allerhand Leuten zu
tun gehabt, ich glaube, es sind lauter ehrenwerte Männer, die er nannte,
so z. B. Perekrojewski ..... er führte dann noch eine Reihe von
Gutsbesitzern an -- alles Kollegienräte oder sogar Staatsräte. Der
Kutscher Seliphan erzählt, alle hätten ihn für einen gescheiten Mann
gehalten, weil er sich im Dienste vortrefflich bewährt und ausgezeichnet
habe. Er habe im Zollamt gedient und hätte in irgend einer staatlichen
Baukommission gesessen! Was das für eine Kommission gewesen sei, das
konnte er mir jedoch nicht sagen. Er habe drei Pferde: »Eins hätten sie
vor drei Jahren gekauft, den Schecken hätten sie gegen ein anderes von
gleicher Farbe umgetauscht und das dritte hätten sie gleichfalls gekauft
.....« sagte er. Er erklärt ganz bestimmt, Tschitschikow heiße wirklich
Pawel Iwanowitsch und sei Kollegienrat.«

Alle Beamten versanken in tiefes Sinnen.

»Ein anständiger Mensch, und dazu noch Kollegienrat!« dachte der
Staatsanwalt, »und entschließt sich zu einer solchen Sache! Will die
Tochter des Gouverneurs entführen, kommt auf die wahnsinnige Idee, tote
Seelen zu kaufen und in tiefer Nacht alte Scharteken von
Gutsbesitzerinnen aus dem Schlafe zu stören -- das schickt sich wohl für
einen Husarenleutnant, aber doch nicht für einen Kollegienrat!«

»Wenn er Kollegienrat ist, wie kann er sich denn dann zu einer so
verbrecherischen Handlung, zur Fälschung von Banknoten, entschließen,«
dachte der Vizegouverneur, der selbst auch Kollegienrat war, die Flöte
spielte und in seinem Innern weit mehr zu den schönen Künsten als zum
Verbrechen neigte.

»Sagen Sie, was Sie wollen, meine Herren, aber wir müssen dieser Sache
ein Ende machen! Komme was da wolle! Denken Sie doch, wenn der
Generalgouverneur erscheint und dahinter kommt, daß bei uns weiß der
Teufel was los ist!«

»Und wie denken Sie, daß wir handeln müssen?«

Der Polizeimeister versetzte: »Ich glaube wir müssen entschlossen
vorgehen.«

»Wie meinen Sie das: entschlossen?« wandte der Präsident ein.

»Wir müssen ihn verhaften lassen, als einen Menschen, der sich
verdächtig gemacht hat.«

»Ja aber wie? wenn er statt dessen _uns_ als verdächtige Individuen
verhaften läßt?«

»Waaas?«

»Nun, ich meine, wenn er etwa hierhergesandt worden ist und geheime
Vollmachten hat! Tote Seelen? Hm! Wenn das nur kein Vorwand ist, daß er
sie kauft, ein Vorwand, um etwas über jene Toten zu erfahren, die, wie
es im Bericht heißt, >aus unbekannten Ursachen< verstorben sind.«

Diese Worte ließen alle verstummen. Der Staatsanwalt war aufs äußerste
überrascht. Auch der Präsident, der sie selbst ausgesprochen hatte,
wurde nachdenklich. Beiden ...

»Also meine Herren, was sollen wir tun?« sagte der Polizeimeister, der
Wohltäter der Stadt und der Liebling der Kaufleute, indem er die
wunderbare Mischung aus dem süßen und bitteren Likör hinabstürzte und
einen Bissen in den Mund steckte.

Ein Diener brachte eine Flasche Madeira und einige Weingläser herein.

»Ich weiß wirklich nicht, was wir anfangen sollen?« sagte der Präsident.

»Meine Herren,« erklärte hier der Postmeister, nachdem er ein Glas
Madeira hinabgegossen und ein Stück holländischen Käse mit Butter nebst
einem Bissen Stör verschlungen hatte, »ich bin der Meinung, daß wir
diese Sache gründlich untersuchen müssen, wir müssen sie gründlich
durchforschen und gemeinsam _in corpore_ beraten, d. h. wir sollten alle
zusammenkommen wie im englischen Parlament, verstehen Sie wohl, um den
Gegenstand zu ergründen, damit er uns in all seinen feinsten Details
deutlich und durchsichtig wird, verstehen Sie?«

»Meinetwegen wollen wir uns irgendwo versammeln,« sagte der
Polizeimeister.

»Ja, wir wollen uns versammeln,« fiel der Präsident ein, »und gemeinsam
entscheiden, wer dieser Tschitschikow ist.«

»Ja, das wird das vernünftigste sein -- wir müssen entscheiden, wer
Tschitschikow ist.«

»Wir wollen jeden um seine Meinung fragen, und dann entscheiden, wer
Tschitschikow ist.«

Bei diesen Worten verspürten alle zugleich eine unbändige Lust nach ein
paar Flaschen Champagner. Man trennte sich, höchst befriedigt darüber,
daß das Komitee alles aufklären und den sicheren Beweis erbringen werde,
wer eigentlich Tschitschikow war.


                                  IV.


               A. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
                   (Nach einer der ersten Fassungen.)

»Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, werter Herr,« hub der Postmeister an,
obwohl nicht ein einzelner Herr, sondern ganze sechs im Zimmer anwesend
waren, »nach dem Feldzuge von 1812 wurde zusammen mit andern Verwundeten
auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett eingeliefert. War es bei
Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig gewesen, genug, lieber Herr,
er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie wissen doch,
damals gabs noch keine von den bekannten Veranstaltungen und
Einrichtungen für die Verwundeten: dieser Invalidenfonds -- das können
Sie sich wohl denken -- der wurde sozusagen erst viel später gegründet.
Unser Hauptmann Kopeikin sieht also, daß er arbeiten muß, aber verstehen
Sie wohl, er hatte ja doch nur einen Arm, nämlich den linken. Er schrieb
also nach Hause an seinen Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort:
>Ich kann dich nicht auch noch ernähren.< Denken Sie sich! >Ich verdiene
mir nur selbst mit knapper Not meinen Unterhalt.< Nun sehen Sie wohl,
werter Herr, da beschloß denn mein Kopeikin nach Petersburg zu reisen
und an die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine
kleine Unterstützung bewilligen wolle: er habe doch gewissermaßen,
sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen ... Er fuhr also
in einem Gepäckwagen oder in einem staatlichen Transportwagen nach der
Hauptstadt, Verehrtester, und gelangte so mit Mühe und Not nach
Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich nun dieser
selbe, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin plötzlich in der Hauptstadt, die
sozusagen in der ganzen Welt nicht ihresgleichen hat! Mit einem Male ist
es um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des
Lebens, so eine Art märchenhafte Scheherazade, verstehen Sie mich wohl.
Also denken Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder
solch eine Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine
Liteinaja, _da_ ragt irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_
ein paar Brücken, wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit
einem Wort die reinste Semiramis. Verehrtester, tatsächlich! Erst trieb
er sich eine Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten;
aber das war ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und
all das Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus fünf blauen Scheinen
das war alles, verstehen Sie wohl. So mietete er sich denn schließlich
ein Zimmer in einem Gasthaus zur Stadt Reval für einen Rubel pro Tag.
Sie wissen: ein Mittagessen aus zwei Gängen, eine Kohlsuppe und ein
Stück Suppenfleisch dazu. Er sieht also: große Sprünge kann er da nicht
machen. Er beschloß daher, am folgenden Tage zum Minister zu gehen,
Verehrtester. Der Kaiser war nämlich damals nicht in der Hauptstadt,
denn die Armee war noch nicht aus dem Kriege zurückgekehrt, das können
Sie sich wohl denken. So stand er denn eines Morgens etwas früher auf,
kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn sehen Sie wohl, wäre
er zum Barbier gegangen, so hätte das im gewissen Sinne neue Ausgaben
verursacht, zog sich seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
umherhumpelnd zum Minister. Und nun stellen Sie sich vor, er fragt erst
einen Schutzmann, wo der Minister wohnt. >Dort,< antwortet dieser und
zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte kann ich Ihnen
sagen! Große Fensterscheiben, meterlange Spiegel, Marmor und überall
Metall, denken Sie sich bloß, Verehrtester! So'ne Türklinke, wissen Sie,
da muß man zuerst in einen Laden laufen, sich für einen Groschen Seife
kaufen und sich sozusagen stundenlang die Hände reiben, ehe man es wagt
sie anzufassen! Mit einem Wort, nichts als Ebenholz und Lack, daß einem
fast die Sinne schwinden, Verehrtester! Am Eingang, verstehen Sie, da
steht so ein Portier: der reinste Generalissimus: so'ne
Grafenphisiognomie, mit einem Säbel in der Hand und einem Battistkragen,
Teufel auch! Wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich
also auf seinem Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um
nur nicht mit dem Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so
eine vergoldete Porzellanvase zu stoßen, verstehen Sie. Sehen Sie wohl,
natürlich mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer
Zeit gekommen war, wo der Minister sozusagen noch kaum aus dem Bette
gestiegen war und sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes
Becken reichte, verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein
Kopeikin wartet also vier Stunden lang, da kommt endlich der Adjutant
oder ein anderer diensthabender Beamter und sagt: Der Minister wird
gleich erscheinen. Im Vorzimmer aber drängen sich schon die Menschen wie
die Bohnen in einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten Klasse,
Oberste und hie und da sogar einer mit Markronen auf den Achselklappen,
verstehen Sie wohl, mit einem Wort sozusagen die ganze Generalität.
Schließlich betritt denn auch der Minister das Zimmer, Verehrtester! Sie
können sich vorstellen: er geht erst zum einen und dann zum andern:
Warum sind Sie gekommen? Und Sie? Was wünschen Sie? Zuletzt kommt auch
mein Kopeikin an die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt:
>so und so, ich habe mein Blut vergossen und ein Bein und einen Arm
verloren, sozusagen: ich kann nicht mehr arbeiten, und habe daher die
Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren.< Der Minister sieht:
der Mann hat einen Stelzfuß und der rechte Ärmel baumelt leer herunter.
>Gut,< sagte er, >fragen Sie nach ein paar Tagen wieder an.< Na also
Verehrtester, es vergehen keine vier oder fünf Tage, da erscheint mein
Kopeikin schon wieder bei dem Minister. Dieser erkennt ihn sogleich
wieder, verstehen Sie wohl. >Ah!< sagt er, >leider kann ich Ihnen
diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft des Kaisers
zu gedulden. Dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten und die
Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Hierauf macht er eine
kurze Verbeugung und die Audienz ist zu Ende. Sie können sich denken,
daß mein Kopeikin sich in einer recht prekären Lage befand, als er den
Minister verließ; hatte er doch gewissermaßen weder eine Zusage noch
eine Absage erhalten. Das Leben in der Hauptstadt aber wurde natürlich
immer schwieriger für ihn, das können Sie sich wohl vorstellen. Er denkt
sich also: >ich will doch noch einmal zum Minister gehen und ihm sagen:
Machen Sie was Sie wollen, Exzellenz, ich habe bald nichts mehr zu
essen; wenn Sie mir nicht helfen, dann muß ich gewissermaßen vor Hunger
sterben.< Aber wie er zum Minister hinkommt, da heißt es: >Es geht
nicht, der Minister empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.<
Am folgenden Tage -- dieselbe Geschichte, der Portier sieht ihn kaum
noch an. Mein Kopeikin hat nur noch ein Fünfzig-Kopekenstück in der
Tasche. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe, und ein
Stück Suppenfleisch dazu, jetzt aber kauft er sich höchstens irgend so
einen Häring oder so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot -- mit
einem Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen
Appetit wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber
und nun stellen Sie sich vor: der Koch das ist ein Teufelskerl, so ein
Ausländer, wissen Sie, der trägt immer nur die feinste holländische
Wäsche, steht vor seinem Herd und bereitet euch irgend so ein Finserb
oder Kottelets mit Trüffeln, mit einem Wort, irgend so eine Delikatesse,
daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst aufgefressen hätte vor
Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden vorbei: lacht ihm da
sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder ein Körbchen mit
Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin von
Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster entgegen,
und sucht nach einem Narren, der einem überflüssigen Hunderter in der
Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie Verführungen auf
Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser im Munde
zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen. Und nun
stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl, dieser
Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein bitteres
Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Endlich hielt es der
arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, sich um jeden Preis noch einmal
eine Audienz zu verschaffen. Er stellte sich also am Eingang auf und
wartete, ob nicht noch irgend ein Bittsteller erscheinen werde;
schließlich schlüpft er denn auch mit irgend so einen General, wissen
Sie, ins Haus, und humpelt auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer. Der
Minister erscheint wie gewöhnlich zur Audienz: >Was haben Sie? und was
wünschen Sie?< >Ah,< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
essen, sozusagen ...< -- >Was soll ich denn machen? Ich kann nichts für
Sie tun, Sie müssen sich schon selbst helfen und sich selbst die Mittel
zu verschaffen suchen.< -- >Aber Eure Exzellenz, das können Sie doch
selbst gewissermaßen beurteilen, was kann ich mir denn für Mittel
verschaffen, wo mir eine Hand und ein Fuß fehlt.< Er wollte noch
hinzufügen: >mit der Nase aber kann ich erst recht nichts anfangen; da
kann man sich höchstens einmal schneuzen, aber selbst dazu muß man sich
ein Taschentuch kaufen.< Allein der Minister, sehen wohl, lieber Herr,
-- sei es nun, daß Kopeikin ihn langweilte, oder daß er tatsächlich mit
wichtigen Staatsangelegenheiten beschäftigt war -- der Minister also,
können Sie sich vorstellen, wird ganz aufgeregt und zornig. >Gehen Sie!<
ruft er, >solche wie Sie, sind noch viele da, gehen Sie und warten Sie
ruhig, bis die Reihe an Sie kommt!< Jedoch mein Kopeikin antwortete --
der Hunger treibt ihn zum äußersten, wissen Sie --: >Tuen Sie was Sie
wollen, Exzellenz; ich rühre mich nicht vom Flecke, bevor Sie die
entsprechende Ordre erteilt haben.< Da aber, lieber Herr, können Sie
sich vorstellen, da geriet der Minister ganz außer sich. Und in der Tat,
bis dahin war es wohl in den Annalen der Weltgeschichte noch nie
vorgekommen, daß sich sozusagen irgend ein Kopeikin erkühnte, so mit
einem Minister zu sprechen. Sie können sich vorstellen, was ein
erzürnter Minister ist, das ist doch gewissermaßen ein Staatsmann
sozusagen. >Sie frecher Mensch!< schrie er: >Wo ist der Feldjäger? Der
Feldjäger soll kommen und ihn nach seiner Heimat abschieben!< Der
Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
Wagen befördert, und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >der
Minister erklärt mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen!
Gut, meinetwegen< sagt er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!<
Wie er nun an seinen Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich
gebracht wurde, darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn
auch die Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der
Vergessenheit untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die
Poeten es nennen. Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt
sich, kann man wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin
verschwunden ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es
vergingen auch nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine
Räuberbande auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie
wohl, war kein anderer als der Hauptmann Kopeikin. Er sammelte sich
allerhand fahnenflüchtige Soldaten und bildete aus ihnen gewissermaßen
eine ganze Räuberbande. Dies war, können Sie sich, natürlich vorstellen,
sogleich nach dem Kriege: da war noch alles an ein ungebundenes Leben
gewöhnt, wissen Sie -- das Leben galt damals kaum mehr als einen
Groschen: eine Freiheit und Zügellosigkeit sag ich Ihnen, man pfiff auf
alles -- mit einem Wort, Verehrtester, er hatte eine ganze Armee zu
seiner Verfügung. Kein Reisender konnte mehr ruhig passieren, und dies
alles richtete sich, sozusagen, nur gegen den Reichsschatz. Wenn einer
vorüber kam, der in seinen eigenen Geschäften reiste -- na, dann fragte
man nur: >was wollen Sie?< und ließ ihn laufen! Handelte es sich dagegen
um einen staatlichen Transport; Viehfutter, Proviant oder Geld, -- mit
einem Wort alles, was sozusagen den Namen des Staates trägt -- da gab's
kein Pardon. Nun, Sie können sich vorstellen, er brandschatzte den
Beutel des Fiskus gründlich. Oder er hört etwa, daß der Termin für die
Bezahlung der Staatssteuern vor der Tür steht -- sofort ist er an Ort
und Stelle. Er läßt sogleich den Dorfschulzen zu sich rufen und schreit:
>her mit dem Zins und den Staatssteuern.< Na, Sie können sich denken,
der Bauer sieht: >so ein hinkender Teufel, sein Rockkragen ist rot und
glänzt vor lauter Gold wie die Federn eines Phönix, Teufel auch, das
schmeckt nach Ohrfeigen.< >Da nimm, Väterchen, aber laß uns nur in
Ruhe.< Er denkt natürlich: >das ist irgend so ein Kreisrichter oder
womöglich noch was Schlimmeres sozusagen.< Das Geld aber, Verehrtester,
das nimmt er natürlich in Empfang, ganz wie es sich gehört, und stellt
den Bauern eine Quittung aus, um sie gewissermaßen vor den Behörden zu
entschuldigen, und ihnen zu bescheinigen, daß sie das Geld wirklich
abgeliefert und ihre Steuern vollzählich bezahlt haben, empfangen aber
habe es _der_ und _der_ d. h. der Hauptmann Kopeikin; ja er setzte sogar
noch sein Siegel darunter, mit einem Wort, Verehrtester, er raubt und
stiehlt, daß es nur so eine Art hat. Mehrere Male wurden
Soldatendetachements ausgesandt, um ihn zu fangen, aber mein Kopeikin
kümmert sich den Teufel darum. Das waren eben lauter Schinderhannesse,
verstehen Sie, die da zusammen gekommen waren ... Schließlich aber bekam
er doch wohl Angst, als er sah, daß dies kein Spaß war, und daß er sich
da sozusagen eine schöne Suppe eingebrockt hatte; die Verfolgungen
nahmen jeden Augenblick zu, er selbst aber hatte sich unterdessen ein
recht hübsches Kapitälchen zurückgelegt lieber Herr, na, und da rückte
er denn sozusagen eines Tages ins Ausland aus, ins Ausland,
Verehrtester, verstehen Sie wohl, d. h. in die Vereinigten Staaten. Von
dort aus schreibt er einen Brief an den Kaiser, können Sie sich denken,
einen äußerst redegewandten und so großartig stilisierten Brief, wie Sie
sich nur vorstellen können. All diese Platos und Demosthenesse im
Altertum -- das sind sozusagen die reinsten Waschlappen oder Küster
gegen ihn: >du darfst nicht glauben, Kaiser,< schreibt er, >daß ich
dieses und jenes< ... Mit einem Wort, er ließ euch Perioden vom Stapel
-- geradezu glänzend! >Nur die Notwendigkeit war die Ursache meines
Handelns,< sagt er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
gewissermaßen mein Leben nicht geschont und nun habe ich, denken Sie
sich bloß, nichts mehr zum Leben. Ich bitte dich, meine Kameraden
straflos ausgehen zu lassen,< sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich
habe sie sozusagen verführt, übe Gnade und verfüge, daß in Zukunft, wenn
die Verwundeten aus dem Kriege zurückkehren, können Sie sich denken,
gewissermaßen für sie gesorgt werde ..< Mit einem Wort, der Brief war
außerordentlich gewandt stilisiert. Na, Sie können sich denken, der
Kaiser war natürlich gerührt. Es tat seinem kaiserlichen Herzen leid um
den Mann, obwohl er tatsächlich ein Verbrecher war, und gewissermaßen
sozusagen die Todesstrafe verdient hatte, na, und da er sah, wie ein
Unschuldiger sozusagen zum Verbrecher werden kann und zugeben mußte, daß
hier eine Unterlassungsünde vorlag -- übrigens konnte man in jener
unruhigen Zeit auch nicht für alles sorgen -- Gott allein, kann man wohl
sagen, ist ganz ohne Verfehlungen -- mit einem Wort, lieber Herr, der
Kaiser geruhte diesmal, sozusagen ein einzig dastehendes Beispiel seiner
hochherzigen Gesinnung zu geben: er befahl, die Schuldigen nicht weiter
zu verfolgen und gab zugleich strenge Ordre, ein Komitee zu gründen, das
sich ausschließlich mit der Fürsorge um die Verwundeten zu beschäftigen
habe sozusagen und dies ... Verehrtester -- war gewissermaßen der Anlaß
für die Gründung des Invalidenfonds, durch den jetzt sozusagen in jeder
Hinsicht für die Verwundeten gesorgt ist, und ein ähnliches Institut
gibt es tatsächlich weder in England noch in allen übrigen aufgeklärten
Staaten, können Sie sich denken. Das also ist der Hauptmann Kopeikin,
Verehrtester. Nun aber glaube ich folgendes: wahrscheinlich wird er all
sein Geld in den Vereinigten Staaten vertan haben, und ist nun zu uns
zurückgekehrt, um noch einmal zu versuchen, ob es ihm nicht vielleicht
sozusagen, gewissermaßen mit einem neuen Unternehmen gelingen mag.«


               B. Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin.
               (In der vom Zensor gestrichenen Fassung.)

»Nach dem Feldzuge vom Jahre 1812, verehrter Herr,« hub der Postmeister
an, trotzdem nicht _ein einzelner_ Herr, sondern ganze sechs im Zimmer
saßen, »nach dem Feldzug vom Jahre 1812 wurde zusammen mit anderen
Verwundeten auch ein Hauptmann namens Kopeikin ins Lazarett
eingeliefert. War es bei Krasnoje oder in der Schlacht von Leipzig
gewesen, genug, er hatte im Kriege ein Bein und einen Arm verloren. Sie
wissen doch, damals gab's noch keine von den bekannten Einrichtungen für
die Verwundeten: dieser Invalidenfond, das können Sie sich wohl denken,
der wurde sozusagen erst viel später gegründet. Der Hauptmann Kopeikin
sieht also, daß er arbeiten muß, aber sehen Sie wohl, er hatte eben nur
einen Arm, nämlich den linken. Er wandte sich also nach Hause an seinen
Vater, aber der Vater gab ihm zur Antwort: >Ich kann dich nicht _auch_
noch ernähren; ich,< denken Sie sich nur, >ich verdiene mir selbst nur
mit knapper Not meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann
Kopeikin, sehen Sie wohl, Verehrtester, nach Petersburg zu reisen und an
die Gnade des Monarchen zu apellieren, ob dieser ihm nicht eine kleine
Unterstützung bewilligen wolle. So und so, er habe doch gewissermaßen,
sozusagen sein Leben geopfert und sein Blut vergossen .... Er fuhr also
in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen in die
Hauptstadt, sehen Sie wohl Verehrtester, genug er gelangte mit Mühe und
Not nach Petersburg. Und nun stellen Sie sich vor: da befindet sich
_nun_ dieser selbige, d. h. dieser Hauptmann Kopeikin in Petersburg, das
sozusagen in der ganzen Welt nicht seinesgleichen hat! Plötzlich ist es
um ihn herum licht und hell, gewissermaßen ein weites Feld des Lebens,
so eine Art märchenhafte Scheherazade verstehen Sie mich wohl. Denken
Sie nur, plötzlich liegt vor ihm so ein Newski-Prospekt oder solch eine
Erbsenstraße oder, hol's der Teufel, irgend so eine Liteinaja, _da_ ragt
irgend so ein Turm in die Luft und dort _hängen_ ein paar Brücken,
wissen Sie, so ohne jegliche Stützen und Pfeiler, mit einem Wort die
reinste Semiramis. Tatsächlich, Verehrtester! Erst trieb er sich eine
Weile in den Straßen herum, um sich eine Wohnung zu mieten; aber das war
ihm alles zu brenzlich: all diese Gardinen, Rouleaux und all das
Teufelszeug, verstehen Sie, diese Teppiche, das reinste Persien,
Verehrtester ... Mit einem Wort, beziehungsweise, man tritt das Kapital
nur so mit Füßen. Man geht über die Straße, und die Nase merkt schon von
ferne, daß es nach Tausenden riecht; und, Sie wissen doch, die ganze
Staatsbank meines Hauptmannes Kopeikin besteht aus zehn blauen Scheinen
... Genug, er mietet sich schließlich in einem Gasthaus zur Stadt Reval
ein, für einen Rubel pro Tag. Sie wissen, ein Mittagessen aus zwei
Gängen, eine Kohlsuppe und ein Stück Suppenfleisch dazu ... Er sieht
also, daß sein Geld nicht mehr allzu lange reicht. Er erkundigte sich,
wohin er sich wenden soll. Man sagt ihm, es gäbe so'ne Oberkommission,
gewissermaßen so ein Direktorium sozusagen, an dessen Spitze der General
_en chef_ soundso stehe. Der Kaiser, müssen Sie wissen, war nämlich um
jene Zeit noch nicht in der Hauptstadt, und die Armee, können Sie sich
vorstellen, war noch nicht aus Paris zurückgekehrt, alles war noch im
Ausland. So stand denn mein Kopeikin eines Morgens etwas früher auf,
kratzte sich mit der linken Hand seinen Bart, denn, sehen Sie wohl, wäre
er zum Barbier gegangen, so hätte das in gewissem Sinne neue Ausgaben
verursacht, zog seine Uniform an und begab sich auf seinem Holzfuß
einherhinkend zum Vorsitzenden der Kommission. Stellen Sie sich bloß
vor! Er fragt also, wo der Vorsitzende wohnt. >Da< antwortet man ihm und
zeigt auf ein Haus am Schloßquai. Eine feine Bauernhütte, können Sie
sich vorstellen. Meterlange Spiegelscheiben in den Fenstern, kann ich
Ihnen sagen, sodaß die Vasen und alles, was sich sonst noch in den
Zimmern befindet, gleichsam draußen vor einem zu stehen scheinen, und
man all diese schönen Dinge geradezu greifen zu können glaubt: die Wände
sind von kostbarem Marmor, wissen Sie, alles ist von Metall, und so'ne
Türklinke, denken Sie sich, da muß man zuerst in einen Laden laufen,
sich für einen Groschen Seife kaufen und sich dann sozusagen zwei
Stunden lang die Hände reiben, ehe man sie anzufassen wagt. Dazu alles
lackiert, mit einem Wort die Sinne schwinden einem gewissermaßen. Der
Portier sieht aus wie ein Generalissimus: so eine Grafenphisiognomie mit
einem goldenen Säbel in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch,
wie ein wohlgepflegter Mops. Mein Kopeikin schleppt sich also auf seinem
Holzfuß ins Vorzimmer, setzt sich in einen Winkel, um nur nicht mit dem
Arm gegen irgend so ein Amerika oder Indien, gegen so eine vergoldete
Porzellanvase, verstehen Sie wohl, zu stoßen. Sehen Sie wohl, natürlich
mußte er eine halbe Ewigkeit dort warten, weil er zu einer Zeit gekommen
war, wo der General, sozusagen, noch kaum aus dem Bett gestiegen war und
sein Kammerdiener ihm eben irgend so ein silbernes Becken reichte,
verstehen Sie wohl, wo man sich drin wäscht. Mein Kopeikin wartet also
vier Stunden lang; da kommt endlich der Adjutant oder irgend ein
diensthabender Beamter herein und sagt: >Gleich kommt der General!< Im
Empfangszimmer aber drängen sich schon die Menschen, wie die Bohnen in
einer Schüssel. Lauter hohe Beamte der vierten und fünften Klasse, nicht
solche elende Sklaven wie unsereiner sondern alles Oberste, und hie und
da sogar einer mit Makronen auf den Achselklappen, mit einem Wort, die
ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht eine kaum merkliche Bewegung
durch das Zimmer, wie so'n feiner Äther, wissen Sie. Hie und da hört man
jemand Pst ... Pst ... rufen und dann tritt eine fürchterliche Stille
ein. Der hohe Staatsbeamte hatte das Zimmer betreten. Na, Sie können
sich vorstellen, ein Staatsmann, sozusagen. Natürlich seinem Rang und
Titel entsprechend, so ein _Physionomio_, so ein Ausdruck, verstehen Sie
wohl. Alles was sich im Empfangszimmer befand, stand natürlich sofort
stramm, alles zittert und bebt und wartet auf die Entscheidung seines
Schicksals sozusagen. Der Minister oder Staatsmann geht erst zum einen,
und dann zum andern. >Warum sind Sie hier? Und Sie? Was wünschen Sie? In
welcher Angelegenheit kommen Sie?< Zuletzt kommt auch mein Kopeikin an
die Reihe, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und sagt: So und so,
Exzellenz ich habe sozusagen mein Blut vergossen, und gewissermaßen
einen Arm und ein Bein verloren. Ich kann nicht mehr arbeiten und habe
die Kühnheit, an die Gnade des Monarchen zu apellieren. Der Minister
sieht: der Mann hat einen Stelzfuß, und der rechte Ärmel baumelt leer
herunter verstehen Sie wohl. >Gut,< sagt er, >fragen Sie nach ein paar
Tagen mal wieder an!< Mein Kopeikin ist ganz seelig: schon allein, daß
ihm eine Audienz bewilligt wurde sozusagen, daß er gewürdigt wurde mit
einem der ersten Würdenträger des Staats zu sprechen, können Sie sich
denken, und dann die Hoffnung, daß sich endlich sein Schicksal,
gewissermaßen die Frage nach der Pension entscheiden sollte! Er ist in
der besten Laune, kann ich Ihnen sagen. Er hüpft geradezu auf dem
Trottoir. Dann ging er ins Restaurant von Palkin, um einen Schnaps zu
nehmen; aß in der Stadt London zu Mittag, ließ sich eine Kotelette mit
Kapern kommen, dazu 'ne Poularde und allerhand Filets, nebst einer
Flasche Wein, ging abends ins Theater -- mit einem Wort, es war eine
feudale Zeche, sozusagen. Auf dem Trottoir sieht er plötzlich eine
Engländerin kommen. Wissen Sie, schlank wie irgend so'n Schwan. Mein
Kopeikin, dessen Blut in Wallung geriet, läuft ihr trach, trach, trach
auf seinem Stelzfuß nach; >ach nein!< denkt er, >hol die Kurmacherei
einstweilen der Teufel; das kommt nachher, wenn ich meine Pension habe.
Ich bin schon gar zu sehr aus Rand und Band gekommen.< Nach drei vier
Tagen erscheint mein Kopeikin abermals beim Minister. Der Minister tritt
ein. >So und so,< sagt Kopeikin, >ich bin gekommen um zu erfahren, was
Eure Exzellenz über das Schicksal der Kranken und Verwundeten zu
verfügen geruht haben ... und dergleichen mehr, können Sie sich denken,
in der amtlichen Sprache natürlich!< Der hohe Staatsbeamte, stellen Sie
sich vor, erkennt ihn sogleich wieder. >Ah, gut,< sagt er, >leider kann
ich Ihnen diesmal keinen andern Rat geben, als sich bis zur Rückkunft
des Kaisers zu gedulden; dann wird sicherlich etwas für die Verwundeten
und Invaliden geschehen, aber ohne die Einwilligung des Monarchen,
sozusagen, vermag ich nichts für Sie zu tun.< Damit verbeugt er sich,
und die Audienz ist zu Ende, verstehen Sie. Sie können sich denken, daß
sich mein Kopeikin hiernach in einer höchst prekären Lage befand. Er
hatte schon damit gerechnet, daß ihm morgen das Geld ausbezahlt werden
würde. >Da hast du was, mein Lieber, trink eins und amüsier dich!<;
statt dessen aber muß er warten und weiß nicht einmal, bis zu welchem
Termin. Da kommt er nun wie so'n Uhu, oder Pudel, den der Koch mit
Wasser begossen hat, vom Präsidenten heraus -- hat den Schwanz
eingezogen und läßt die Ohren hängen. >Nee,< denkt er, >ich will doch
_noch_ einmal hingehen und dem Minister erklären, ich habe bald nichts
mehr zu essen, wenn Sie mir nicht helfen, muß ich, sozusagen, vor Hunger
sterben.< Mit einem Wort lieber Herr, er geht wieder an den Schloßquai
und fragt nach dem Minister: >Es geht nicht,< heißt es, >der Minister
empfängt heute niemand, kommen Sie morgen wieder.< Am folgenden Tage --
dieselbe Geschichte, der Portier will ihn kaum noch ansehen. Mein
Kopeikin aber hat nur noch einen blauen Schein in der Tasche, verstehen
Sie wohl. Früher da leistete er sich noch einen Teller Kohlsuppe und ein
Stück Suppenfleisch, jetzt aber kauft er sich höchstens so einen Häring
oder irgend so eine Salzgurke und für zwei Groschen Brot --, mit einem
Wort, der arme Kerl hungert tatsächlich, und doch hat er einen Appetit
wie ein Wolf. Oft kommt er an irgend so einem Restaurant vorüber und,
nun stellen Sie sich vor, der Koch -- das ist irgend so ein Ausländer,
so ein Franzose, wissen Sie, mit solch einem offenen Gesicht, trägt
immer nur die feinste holländische Wäsche, und eine Schürze, so weiß wie
Schnee sozusagen, da steht nun der Kerl vor seinem Herd und bereitet
euch irgend so ein Finserb, oder Koteletts mit Trüffeln, mit einem Wort,
irgend so eine Delikatesse, daß unser Hauptmann sich am liebsten selbst
aufgefressen hätte vor Appetit. Oder er kommt an den Miljutinschen Läden
vorbei: lacht ihm da sozusagen irgend so ein geräucherter Lachs, oder
ein Körbchen mit Kirschen -- zu fünf Rubel das Stück, oder so 'ne Riesin
von Wassermelone, so'n ganzer Omnibus, wissen Sie, aus dem Fenster
entgegen, und sucht nach einem Narren, der einen überflüssigen Hunderter
in der Tasche hat, verstehen Sie, mit einem Wort, nichts wie
Verführungen auf Schritt und Tritt, es läuft einem sozusagen das Wasser
im Munde zusammen, für ihn aber heißt's: warte gefälligst bis morgen.
Und nun stellen Sie sich seine Lage vor: einerseits, sehen Sie wohl,
dieser Lachs und die Wassermelone, und andererseits irgend so ein
bitteres Gericht unter dem Namen: >_Komm morgen wieder._< Schließlich
hielt es der arme Kerl nicht mehr aus und beschloß, die Festung
sozusagen im Sturme zu nehmen, verstehen Sie. Er stellte sich also am
Eingang auf und wartete, ob nicht noch ein Bittsteller erscheinen werde,
und richtig, es gelang ihm denn auch, mit irgend einem General
hindurchzuschlüpfen und auf seinem Stelzfuß bis ins Vorzimmer zu
humpeln. Der hohe Staatsmann erscheint wie gewöhnlich. >Was wünschen
Sie? Und Sie?< >Ah!< ruft er, wie er Kopeikin erblickt, >ich habe Ihnen
doch schon erklärt, daß Sie warten sollen, bis über Ihr Gesuch
entschieden wird.< -- >Ich bitte Sie, Exzellenz, ich habe nichts mehr zu
essen, sozusagen ...< >Was soll ich denn machen? ich kann nichts für Sie
tun, Sie müssen sich gewissermaßen einstweilen selbst helfen und sich
selbst die Mittel zu verschaffen suchen.< -- >Aber Exzellenz, daß müssen
Sie doch sozusagen selbst einsehen, wie kann ich mir denn die Mittel
verschaffen, wo mir ein Arm und ein Bein fehlt?< >Aber verstehen Sie
doch!< sagte der Minister, >ich kann Sie doch gewissermaßen nicht auf
meine Kosten erhalten, wir haben noch viele Verwundete, die könnten doch
alle dieselben Ansprüche machen. Wappnen Sie sich mit Geduld. Ich gebe
Ihnen mein Ehrenwort: wenn der Kaiser kommt, wird er Gnade üben und Sie
nicht im Stiche lassen.< -- >Aber ich kann doch nicht warten,
Exzellenz,< versetzte Kopeikin, und zwar fängt er schon an, grob zu
werden sozusagen. Da aber wurde der Staatsmann etwas ärgerlich,
verstehen Sie, und in der Tat: rings herum stehen lauter Generäle und
warten auf eine Antwort oder eine Ordre; hier handelte es sich sozusagen
um wichtige Staatsangelegenheiten, die gewissermaßen eine schleunige
Erledigung erfordern -- jeder verlorene Augenblick kann von Bedeutung
sein -- und da kommt so ein aufdringlicher Teufel und läßt einen nicht
los, können Sie sich denken. -- >Entschuldigen, ich habe keine Zeit --
ich habe noch andere wichtigere Dinge zu tun, als mit Ihnen zu reden.<
Er sagt es gewissermaßen durch die Blume, es sei nun die höchste Zeit,
daß er sich aus dem Staube mache, verstehen Sie wohl. Jedoch mein
Kopeikin antwortet -- der Hunger treibt ihn nämlich zum äußersten,
müssen Sie wissen. >Tun Sie, was Sie wollen, Exzellenz, ich rühre mich
nicht vom Flecke, bevor Sie die entsprechende Ordre erteilt haben.< Na,
Sie können sich denken: einem Staatsmann so zu antworten, der nur ein
Wort zu sagen braucht, damit man kopfüber rausfliegt, sodaß der Teufel
selbst einen nicht mehr auffinden kann sozusagen ... Wenn ein Beamter,
der auch nur um _einen_ Rang tiefer steht als wir, unsereinem so etwas
sagen wollte, so würde man es schon eine Frechheit nennen. Nun aber
denken Sie sich -- diese Distanz, diese gewaltige Distanz! Ein General
_en chef_ -- und irgend ein Kopeikin sozusagen! Neunzig Rubel und eine
Null. Der General, verstehen Sie, der maß ihn bloß mit einem Blick --
der reinste Kanonenschuß sozusagen: da hätte keiner Stand gehalten, da
wäre jedem das Herz in die Hosen gefallen. Mein Kopeikin aber, können
Sie sich vorstellen, rührt sich nicht vom Flecke und steht da wie
angewurzelt. >Nun? Was warten Sie?< sagt der General und packt ihn mit
beiden Händen bei den Schultern. Übrigens, um die Wahrheit zu sagen, er
behandelt ihn noch ziemlich gnädig: ein anderer hätte ihn so
angeschnauzt, daß die ganze Straße noch drei Tage nachher auf dem Kopfe
gestanden und sich mit ihm im Kreise gedreht hätte sozusagen, er aber
sagte nur >Gut, wenn das Leben für Sie hier zu teuer ist und Sie nicht
ruhig in der Hauptstadt auf die Entscheidung Ihres Schicksals warten
können, dann lasse ich Sie auf Staatskosten in die Heimat befördern. Der
Feldjäger soll kommen und ihn nach der Heimat transportieren!< Der
Feldjäger aber, verstehen Sie wohl, der steht schon da und wartet schon
hinter der Tür: so'n baumlanger Kerl, wissen Sie, mit einer Hand wie von
der Natur selbst für den Kurierdienst geschaffen. Mit einem Wort: ein
richtiger Zahnzieher. So wird denn unser braver Knecht Gottes in den
Wagen befördert und ab geht's in Begleitung des Feldjägers. >Na,< denkt
Kopeikin, >da spar' ich wenigstens das Reisegeld. Auch dafür bin ich den
Herren dankbar.< So fährt er denn, Verehrtester, mit dem Feldjäger, und
während er so an der Seite des Feldjägers sitzt, spricht er
gewissermaßen, sozusagen, zu sich selber: >Schön,< sagt er, >du erklärst
mir, ich soll mir selbst helfen und die Mittel suchen! Gut, schön,< sagt
er, >ich will mir die Mittel schon verschaffen!< Wie er nun an seinen
Bestimmungsort befördert, und wohin er eigentlich gebracht wurde,
darüber ist nichts bekannt geworden. Und daher sind denn auch die
Nachrichten über den Hauptmann Kopeikin im Strome der Vergessenheit
untergegangen, in so einer Lethe, wissen Sie, wie die Poeten es nennen.
Doch hier, sehen Sie wohl, meine Herren, hier schürzt sich, kann man
wohl sagen, der Knoten unseres Romans. Wo also Kopeikin verschwunden
ist, das weiß niemand; aber stellen Sie sich vor, es vergingen auch
nicht zwei Monate, als in den Wäldern von Rjasan eine Räuberbande
auftauchte, und der Hauptmann dieser Räuberbande, sehen Sie wohl, war
kein anderer als ...«

                   *       *       *       *       *

1. _Die Toten Seelen, Band I_, sind in der zweiten Hälfte des Jahres
1835 begonnen und 1841 vollendet. Sie erschienen am 21. Mai (2. Juni)
1842. Die Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 9. Mai (21. Mai)
1842. Die vom Zensor gestrichene »Geschichte vom Hauptmann Kopeikin«
wurde vom Autor in fünf Tagen vom 5.-9. (17.-21.) Mai 1842 umgearbeitet.

2. _Die Vorrede zur zweiten Auflage des I. Bandes der Toten Seelen_
(pag. 431) wurde Ende Juli entworfen und im September 1846 vollendet.
Sie erschien zugleich mit der zweiten Auflage dieser »Dichtung«. Die
Unterschrift des Zensors trägt das Datum: den 25. August (6. September)
1846.

3. _Die Reflexionen zum ersten Teil der Toten Seelen_ (pag. 436) stammen
wahrscheinlich aus dem Jahre 1846.

4. _Das Ende des IX. Kapitels in veränderter Fassung_ (pag. 439) wurde
etwa im Jahre 1843 niedergeschrieben.

5. _Die Geschichte vom Hauptmann Kopeikin_: _Variante A_ (pag. 452) ist
im August 1841, _Variante B_ (pag. 461), die vom Zensor gestrichen
wurde, im November 1841 vollendet. Der Text der vorliegenden deutschen
Ausgabe geht auf die russischen Ausgaben von N. S. Tichonrawow und W. I.
Schönrock zurück.

                                                    _Der Herausgeber._

                   *       *       *       *       *


                 Druck von Mänicke & Jahn, Rudolstadt.




Anmerkungen zur Transkription


Die Schreibweise der Buchvorlage wurde weitgehend beibehalten. Auch
Variationen in der Transliteration der russischen Namen wurden nicht
verändert.

Einige Übertragungsfehler wurden ebenfalls unverändert belassen. Auf
Seite 194 heißt es »jedes Jahr verlor er ein neues richtiges Stück von
seinem Haushalt aus dem Auge«. Tatsächlich steht im Original hier
»Hauptteil«, was wohl eher der Formulierung »wichtiges Stück«
entsprechen würde. An zwei Stellen im Anhang heißt es »Markronen« oder
»Makronen auf den Achselklappen«. Auch dies wurde so beibehalten. Das
russische Original hat aber an dieser Stelle »Makkaroni«, was wohl eher
die Fransen der Epauletten beschreibt.

Offensichtliche Fehler wurden, teilweise unter Zuhilfenahme des
russischen Originaltextes, korrigiert wie hier aufgeführt
(vorher/nachher):

   [S. XXXV]:
   ... und Leibeigenen gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...
   ... und Leibeigene gesellen. Aber das Gemälde erscheint ...

   [S. 8]:
   ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder eine Paar blaue ...
   ... denen ein Bretzel oder ein Stiefel, oder ein Paar blaue ...

   [S. 11]:
   ... Zum Gouverneuer sagte er wie beiläufig, wenn man in ...
   ... Zum Gouverneur sagte er wie beiläufig, wenn man in ...

   [S. 12]:
   ... wie es sich gehörte. Als Ttschitschikow den Saal betrat, ...
   ... wie es sich gehörte. Als Tschitschikow den Saal betrat, ...

   [S. 15]:
   ... müssig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...
   ... müßig herum; ihre Existenz hat etwas gar zu Leichtes, ...

   [S. 17]:
   ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Pieckchen, Piekchen, ...
   ... »Herzen! Herzchen! Pikentia!« oder »Piekchen, Piekchen, ...

   [S. 18]:
   ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigen ...
   ... mit höflichem Kopfnicken und warmem aufrichtigem ...

   [S. 18]:
   ... nochkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...
   ... nachkommen, sondern halte es sogar für seine heiligste ...

   [S. 19]:
   ... anfing, gaben der Polizeimeister und Staatsanwalt sehr ...
   ... anfing, gaben der Polizeimeister und der Staatsanwalt sehr ...

   [S. 25]:
   ... also noch am Abend sämliche notwendigen Anordnungen getroffen ...
   ... also noch am Abend sämtliche notwendigen Anordnungen
       getroffen ...

   [S. 29]:
   ... alten Uniformen unserer Garnisonsoldaten bemerken kann, ...
   ... alten Uniformen unserer Garnisonssoldaten bemerken kann, ...

   [S. 42]:
   ... werden!« ...
   ... werden?« ...

   [S. 48]:
   ... aber er konnte nicht derartiges entdecken, im Gegenteil, ...
   ... aber er konnte nichts derartiges entdecken, im Gegenteil, ...

   [S. 53]:
   ... konnten ...« ...
   ... könnten ...« ...

   [S. 55]:
   ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Ttschitschikow ...
   ... sagte er: »Wir werden's schon finden,« und Tschitschikow ...

   [S. 72]:
   ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten sie nur nicht ...
   ... »Das geht vorüber, Mütterchen, achten Sie nur nicht ...

   [S. 79]:
   ... noch einen Versuch zu machan, ob es ihm etwa gelänge, ...
   ... noch einen Versuch zu machen, ob es ihm etwa gelänge, ...

   [S. 87]:
   ... »Nicht war, Sie vergessen mich also nicht bei den ...
   ... »Nicht wahr, Sie vergessen mich also nicht bei den ...

   [S. 106]:
   ... »Hm!« dachte Titschikow, »ich könnte ja schließlich ...
   ... »Hm!« dachte Tschitschikow, »ich könnte ja schließlich ...

   [S. 118]:
   ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
       Merschaumpfeifen, ...
   ... eine ganze Kollektion besaß: Holz-, Ton- und
       Meerschaumpfeifen, ...

   [S. 128]:
   ... »Nein, nein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...
   ... »Nein, mein Bester, ein Glücksspiel verlieren, das ...

   [S. 135]:
   ... »Für wen hälst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...
   ... »Für wen hältst du mich,« sagte Nosdrjow, »glaubst ...

   [S. 149]:
   ... erblickte, sagt er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...
   ... erblickte, sagte er kurz: »Ich bitte,« worauf er ihn in die ...

   [S. 157]:
   ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschischikow ...
   ... Hammelbraten,« fuhr er fort, indem er sich an Tschitschikow ...

   [S. 158]:
   ... links!« ...
   ... links?« ...

   [S. 169]:
   ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot!« sagte Sabakewitsch ...
   ... »Also was ist Ihr höchstes Angebot?« sagte Sabakewitsch ...

   [S. 174]:
   ... Wohnhause vorüber zu kommen.« ...
   ... Wohnhause vorüber zu kommen?« ...

   [S. 176]:
   ... klingt uns aus dem Worte der Britanniers ...
   ... klingt uns aus dem Worte des Britanniers ...

   [S. 176]:
   ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Räselwort ...
   ... schlau ersinnt sein nicht leichtfaßlich dürres Rätselwort ...

   [S. 195]:
   ... und zu konzentieren liebt, und eine solche Erscheinung ...
   ... und zu konzentrieren liebt, und eine solche Erscheinung ...

   [S. 196]:
   ... den Anblick seines Wirtes uud der ganzen seltsamen ...
   ... den Anblick seines Wirtes und der ganzen seltsamen ...

   [S. 199]:
   ... eine solche Kälte und Teilnahmlosigkeit gegen fremdes ...
   ... eine solche Kälte und Teilnahmslosigkeit gegen fremdes ...

   [S. 210]:
   ... flüchtige Bauern brauchen könnte!« ...
   ... flüchtige Bauern brauchen könnte?« ...

   [S. 212]:
   ... Frage erinnerte jenen daran, das es in der Tat zwecklos ...
   ... Frage erinnerte jenen daran, daß es in der Tat zwecklos ...

   [S. 213]:
   ... »Wollen Sie denn keinen Tee.« ...
   ... »Wollen Sie denn keinen Tee?« ...

   [S. 233]:
   ... freundlicheres und angenehmeres Äußere an. Themis ...
   ... freundlicheres und angenehmeres Äußeres an. Themis ...

   [S. 244]:
   ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seinen, die ...
   ... es doch lauter nützliche Leute und Handwerker seien, die ...

   [S. 245]:
   ... Iwan Antonowitsch erledigt alles gewandt und sicher, die ...
   ... Iwan Antonowitsch erledigte alles gewandt und sicher, die ...

   [S. 251]:
   ... verheiraten. Nicht war, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...
   ... verheiraten. Nicht wahr, Iwan Grigorjewitsch, wir verschaffen ...

   [S. 256]:
   ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht ihrer Ansicht, ...
   ... Alexei Iwanowitsch, ich bin durchaus nicht Ihrer Ansicht, ...

   [S. 280]:
   ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir arme ...
   ... Feinheit und Zärtlichkeit atmeten. »Dürften wir armen ...

   [S. 306]:
   ... nichtwürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...
   ... nichtswürdiger Mensch; ein nichtswürdiger, nichtswürdiger ...

   [S. 309]:
   ... »Nein, aber denken Sie sich blos in meine Lage ...
   ... »Nein, aber denken Sie sich bloß in meine Lage ...

   [S. 309]:
   ... ich das hörte!« Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...
   ... ich das hörte!»Und jetzt,« sagt Karobotschka, »weiß ...

   [S. 310]:
   ... daher schwieg sie. Sie konnte sich blos über die Dinge ...
   ... daher schwieg sie. Sie konnte sich bloß über die Dinge ...

   [S. 311]:
   ... in einen geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...
   ... in einem geronnenen Augenblick in ein Pulverfaß zu ...

   [S. 313]:
   ... sie auch nur ein bischen, ein Fünkchen, auch nur einen ...
   ... sie auch nur ein bißchen, ein Fünkchen, auch nur einen ...

   [S. 318]:
   ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlied, staubte ...
   ... demselben Fleck, blinzelte mit dem linken Augenlid, staubte ...

   [S. 335]:
   ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeit-, Hilfs- und ...
   ... günstig ist, irgend welche Wohltätigkeits-, Hilfs- und ...

   [S. 336]:
   ... und gesinnungstüchtiges Äußere besitze, aber auch in ...
   ... und gesinnungstüchtiges Äußeres besitze, aber auch in ...

   [S. 338]: (mehrfache Fälle)
   ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptman Kopeikin, ...
   ... meinen Unterhalt.< Da beschloß denn mein Hauptmann Kopeikin, ...

   [S. 339]:
   ... oder einem statlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...
   ... oder einem staatlichen Transportwagen nach der Hauptstadt, ...

   [S. 348]:
   ... aber andererseis auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...
   ... aber andererseits auch wiederum nicht allzu dünn gewesen ...

   [S. 348]:
   ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgenwo abseits ...
   ... um so seltsamer ist, da die Stadt nicht irgendwo abseits ...

   [S. 364]:
   ... Offen gestanden, Sie haben Furcht vor dem neuen ...
   ... Offen gestanden, sie haben Furcht vor dem neuen ...

   [S. 370]:
   ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, Verstanden? ...
   ... In zwei Stunden muß alles fertig sein, verstanden? ...

   [S. 370]:
   ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihm schon ...
   ... »Esel! Wenn es mir paßt, dann verkaufe ich ihn schon ...

   [S. 377]:
   ... tief mein Inneres erschüttet mit all seinen Schrecken; ...
   ... tief mein Inneres erschüttert mit all seinen Schrecken; ...

   [S. 378]:
   ... und schon durchströmmt uns behagliche Wärme. Die ...
   ... und schon durchströmt uns behagliche Wärme. Die ...

   [S. 378]:
   ... -- was kümmert's dich, O, welche Nacht! ...
   ... -- was kümmert's dich, o, welche Nacht! ...

   [S. 383]:
   ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind,
       angewiedert ...
   ... die sich immer dann vernehmen ließ, wenn das Kind, angewidert ...

   [S. 388]:
   ... wo ich dagegen jenem bösen Geist des Widerspruches ...
   ... wo ich dagegen jenen bösen Geist des Widerspruches ...

   [S. 390]:
   ... angegriffen, die er beschlossen hätte, nie auszugeben; mit ...
   ... angegriffen, die er beschlossen hatte, nie auszugeben; mit ...

   [S. 392]:
   ... wohlgepflegtes Äußere zu bewahren, sich anständig zu kleiden, ...
   ... wohlgepflegtes Äußeres zu bewahren, sich anständig zu
       kleiden, ...

   [S. 400]:
   ... überall, wo sie dergleichen sie antrafen, verfolgten sie es,
       so ...
   ... überall, wo sie dergleichen antrafen, verfolgten sie es, so ...

   [S. 401]:
   ... Mitleid appellierte und ihm in glühenden Farben das ...
   ... Mitleid apellierte und ihm in glühenden Farben das ...

   [S. 408]:
   ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebehaber ...
   ... draufgegangen; für diese Dinge hatten sich andre Liebhaber ...

   [S. 411]:
   ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bügerrecht erkämpft ...
   ... Beruf, der sich bei uns noch nicht das Bürgerrecht erkämpft ...

   [S. 413]:
   ... gottlob nicht wenigen das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...
   ... gottlob nicht wenige das Leben gekostet! Die Gutsbesitzer ...

   [S. 425]:
   ... machen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...
   ... manchen kräftigen Puff empfing. Seliphan wurde ...

   [S. 460]:
   ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und
       gewissermassen ...
   ... er; >ich habe sozusagen mein Blut vergossen und gewissermaßen ...

   [S. 460]:
   ... sagt er, >Sie sind unschuldig, denn ich habe Sie sozusagen ...
   ... sagt er, >sie sind unschuldig, denn ich habe sie sozusagen ...

   [S. 460]:
   ... können Sie sich denken, gewissermaßen für Sie gesorgt ...
   ... können Sie sich denken, gewissermaßen für sie gesorgt ...

   [S. 460]:
   ... werde ..< mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...
   ... werde ..< Mit einem Wort, der Brief war außerordentlich ...

   [S. 460]:
   ... gründen, daß sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...
   ... gründen, das sich ausschließlich mit der Fürsorge um ...

   [S. 461]:
   ... in einem Gepäckwagen oder einem stattlichen Transportwagen ...
   ... in einem Gepäckwagen oder einem staatlichen Transportwagen ...

   [S. 463]:
   ... in der Hand und einem Battisikragen, Teufel auch, wie ...
   ... in der Hand und einem Battistkragen, Teufel auch, wie ...

   [S. 464]:
   ... Wort, die ganze Generalität sozuzagen. Plötzlich geht ...
   ... Wort, die ganze Generalität sozusagen. Plötzlich geht ...






End of the Project Gutenberg EBook of Sämmtliche Werke 1: Die Toten Seelen I, by 
Nikolaj Gogol

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Section 2. Information about the Mission of Project Gutenberg-tm

Project Gutenberg-tm is synonymous with the free distribution of
electronic works in formats readable by the widest variety of
computers including obsolete, old, middle-aged and new computers. It
exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations
from people in all walks of life.

Volunteers and financial support to provide volunteers with the
assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's
goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will
remain freely available for generations to come. In 2001, the Project
Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure
and permanent future for Project Gutenberg-tm and future
generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see
Sections 3 and 4 and the Foundation information page at
www.gutenberg.org



Section 3. Information about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation

The Project Gutenberg Literary Archive Foundation is a non profit
501(c)(3) educational corporation organized under the laws of the
state of Mississippi and granted tax exempt status by the Internal
Revenue Service. The Foundation's EIN or federal tax identification
number is 64-6221541. Contributions to the Project Gutenberg Literary
Archive Foundation are tax deductible to the full extent permitted by
U.S. federal laws and your state's laws.

The Foundation's principal office is in Fairbanks, Alaska, with the
mailing address: PO Box 750175, Fairbanks, AK 99775, but its
volunteers and employees are scattered throughout numerous
locations. Its business office is located at 809 North 1500 West, Salt
Lake City, UT 84116, (801) 596-1887. Email contact links and up to
date contact information can be found at the Foundation's web site and
official page at www.gutenberg.org/contact

For additional contact information:

    Dr. Gregory B. Newby
    Chief Executive and Director
    [email protected]

Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg
Literary Archive Foundation

Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide
spread public support and donations to carry out its mission of
increasing the number of public domain and licensed works that can be
freely distributed in machine readable form accessible by the widest
array of equipment including outdated equipment. Many small donations
($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt
status with the IRS.

The Foundation is committed to complying with the laws regulating
charities and charitable donations in all 50 states of the United
States. Compliance requirements are not uniform and it takes a
considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up
with these requirements. We do not solicit donations in locations
where we have not received written confirmation of compliance. To SEND
DONATIONS or determine the status of compliance for any particular
state visit www.gutenberg.org/donate

While we cannot and do not solicit contributions from states where we
have not met the solicitation requirements, we know of no prohibition
against accepting unsolicited donations from donors in such states who
approach us with offers to donate.

International donations are gratefully accepted, but we cannot make
any statements concerning tax treatment of donations received from
outside the United States. U.S. laws alone swamp our small staff.

Please check the Project Gutenberg Web pages for current donation
methods and addresses. Donations are accepted in a number of other
ways including checks, online payments and credit card donations. To
donate, please visit: www.gutenberg.org/donate

Section 5. General Information About Project Gutenberg-tm electronic works.

Professor Michael S. Hart was the originator of the Project
Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be
freely shared with anyone. For forty years, he produced and
distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of
volunteer support.

Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed
editions, all of which are confirmed as not protected by copyright in
the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not
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