The Project Gutenberg eBook, Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung, by Elsbeth Georgi This eBook is for the use of anyone anywhere at no cost and with almost no restrictions whatsoever. You may copy it, give it away or re-use it under the terms of the Project Gutenberg License included with this eBook or online at www.gutenberg.org Title: Theorie und Praxis des Generalstreiks in der modernen Arbeiterbewegung Inauguraldissertation Author: Elsbeth Georgi Release Date: September 7, 2013 [eBook #43664] Language: German ***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK THEORIE UND PRAXIS DES GENERALSTREIKS IN DER MODERNEN ARBEITERBEWEGUNG*** E-text prepared by Odessa Paige Turner and the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net) from page images generously made available by the Google Books Library Project (http://books.google.com) Note: Images of the original pages are available through the Google Books Library Project. See http://www.google.com/books?id=IhJBAAAAIAAJ Transcriber's note/Anmerkung zur Transkription: Alte Schreibweisen des Originals (wie z.B. "hiedurch", "misverstandener" oder "Schiffahrt") haben wir so weit wie möglich beibehalten. "G-str." steht für "Generalstreik", "Kl-str." für Klassenstreik und "Str., str." für "Streik"; siehe Liste der Abkürzungen. Hervorhebungen im Original durch _gesperrten_ Druck haben wir mit _Unterstrichen_ dargestellt. Die Abkürzungen "z.B." und "Z.B." erscheinen zur besseren Lesbarkeit hier ohne Leerzeichen. THEORIE UND PRAXIS DES GENERALSTREIKS IN DER MODERNEN ARBEITERBEWEGUNG. INAUGURALDISSERTATION DER HOHEN STAATSWISSENSCHAFTLICHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT ZÜRICH ZUR ERLANGUNG DER WÜRDE EINES DOCTOR OECONOMIAE PUBLICAE VORGELEGT VON ELSBETH GEORGI Aus Breslau. Genehmigt auf Antrag von Herrn Prof. Dr. _Heinrich Sieveking_ am 29. Februar 1908. Die staatswissenschaftliche Fakultät gestattet hiedurch die Drucklegung vorliegender Dissertation, ohne damit zu den darin ausgesprochenen Anschauungen Stellung nehmen zu wollen. _Zürich_, den 15. Februar 1908. Der Dekan der staatswissenschaftlichen Fakultät: Professor Dr. _Max Huber_. Weimar. -- Druck von R. Wagner Sohn. Herrn Professor Dr. Heinrich Herkner zugeeignet. Vorwort. Vorliegende Arbeit ist auf Anregung und unter Förderung von Herrn Professor Dr. _Heinrich Herkner_ entstanden; ich bin meinem verehrten Lehrer auch hierfür zu dauerndem Dank verpflichtet. Herr Professor Dr. _Heinrich Sieveking_ hatte die Güte, mir wertvolle redaktionelle Ratschläge zu erteilen. An dieser Stelle möchte ich auch allen denen danken, die mich bei der Sammlung des Materials unterstützt haben. _Zürich_, 2. März 1908. Elsbeth Georgi. Inhaltsverzeichnis. Seite Abkürzungen IX Einleitung 1 _Erster Teil:_ Das Wesen des Klassenstreiks. § 1. Definition 3 § 2. Eigenschaften des Klassenstreiks 6 § 3. Ziele des Klassenstreiks 9 § 4. Wirkungsweise des Klassenstreiks 12 § 5. Die Arten des Klassenstreiks 17 § 6. Vergleich des Klassenstreiks mit verwandten Aktionsmitteln 21 _Zweiter Teil:_ Geschichte des Klassenstreiks und der Klassenstreik-Idee. Erstes Kapitel: _Vorläufer_. § 7. Klassenstreikähnliche Bewegungen im Altertum und in neuerer Zeit 30 § 8. Die Klassenstreik-Idee im englischen Chartismus 32 § 9. Die Klassenstreik-Idee unter dem zweiten Kaiserreich 38 Zweites Kapitel: _Die moderne Arbeiterbewegung_. (a) Geschichte des politischen Massenstreiks. § 10. Belgien 41 § 11. Schweden 50 § 12. Österreich 55 § 13. Deutschland 58 (b) Geschichte des Generalstreiks. § 14. Frankreich 72 § 15. Schweiz 80 § 16. Italien 80 § 17. Spanien 89 § 18. Holland 90 § 19. Rußland 95 (c) Die internationalen Arbeiterkongresse und der Klassenstreik. § 20. 99 _Dritter Teil:_ Zur Kritik des Klassenstreiks. Erstes Kapitel: _Bedingungen des Klassenstreiks_. § 21. Bedingungen des Ausbruchs des Klassenstreiks 103 § 22. Bedingungen der Durchführung des Klassenstreiks 116 § 23. Bedingungen des Erfolgs des Klassenstreiks 125 Zweites Kapitel: _Wert des Klassenstreiks_. §24. 131 _Schlußwort:_ Aufgaben der Gesellschaft. 135 Literaturverzeichnis 137 Übersichtstafel über die Streikarten 144 Abkürzungen. Allg. Ztg. = Allgemeine Zeitung München. Arb. Ztg. = Arbeiter-Zeitung Wien. Bernstein, "Pol. M-str. u. pol. Lage" = Bernstein, "Der politische Massenstreik und die politische Lage der Sozialdemokratie in Deutschland". Congrès général ... Paris 1899 = Congrès général des organisations socialistes françaises, Paris 1899, compte rendu sténographique officiel. Enquête = Lagardelle, "La Grève Générale et le Socialisme, Enquête internationale." Friedeberg, "Weltansch." = Friedeberg, "Weltanschauung und Taktik des deutschen Proletariats". Frankf. Ztg. = Frankfurter Zeitung. G-str. = Generalstreik. Hdwb. d. Staatswft. = Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Kl-str. = Klassenstreik. Leitart. = Leitartikel. M-str. = Massenstreik. N. Z. Z. = Neue Zürcher Zeitung. N. Zt. = "Die Neue Zeit". Prot. Gwft. Kongr. = Protokoll des Gewerkschaftskongresses zu ... Prot. int. Kongr. = Protokoll des internationalen Kongresses zu ... Prot. Parteitg. = Protokoll des Parteitags zu ... Rdsch. Soz. Mh. = Rundschau der Sozialistischen Monatshefte. Roland-Holst, "G-str. u. Sozd." = Roland-Holst. "Generalstreik u. Sozialdemokratie". Soz. Mh. = Sozialistische Monatshefte. Soz. Prx. = Soziale Praxis. Str., str. = Streik. Einleitung. Auch dem oberflächlichsten Beobachter der modernen Arbeiterbewegung kann es nicht entgehen, welche Bedeutung seit einiger Zeit das "Generalstreik"-Problem erlangt hat. Kaum ein Monat, ohne daß irgendwo ein "Generalstreik" ausbricht, versucht oder angedroht wird, kaum ein Gewerkschafts- oder Parteikongreß, kaum eine sozialistische Zeitung oder Zeitschrift, die sich nicht auch damit zu beschäftigen hätte. Eine umfassende Darstellung des "Generalstreiks" wäre daher gewiß eine verlockende und lohnende, aber auch eine äußerst schwierige Aufgabe. Ein vielsprachiges, in Flugschriften, Vereinsberichten, Zeitungsartikeln zerstreutes Material müßte gesammelt werden. Dies kann besonders dem, der der Arbeiterbewegung fernsteht, nicht leicht fallen. Zu dieser äußeren Schwierigkeit tritt aber noch eine bedeutendere innere. Sie ergibt sich daraus, daß die "Generalstreik"-Frage aufs Engste mit allen übrigen sozialen Problemen verknüpft ist. Der Versuch, trotzdem ein solches Thema zu behandeln, läßt sich aber vielleicht dadurch rechtfertigen, daß die folgenden Seiten nur den Zweck verfolgen, den Leser mit den hauptsächlichsten "Generalstreik"-Erfahrungen und "Generalstreik"-Lehren bekannt zu machen. _Erster Teil:_ Das Wesen des Klassenstreiks. § 1. Definition. Wollen wir aus dem Begriffskonglomerat, das sich hinter dem Schlagwort "Generalstreik" versteckt, einen wissenschaftlich brauchbaren Begriff herausschälen, so müssen wir von vornherein jene Streikformen ausschalten, die lediglich Spezialfälle des innergewerblichen Kampfes der Arbeiter darstellen,[1] also Streiks, die lediglich eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die beteiligten Berufsangehörigen bezwecken. [Fußnote 1: Vgl. _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15.] Zu diesen auszuschaltenden Streiks gehört z.B. der große österreichische Kohlengräberausstand, der, dank seinem ökonomischen Druck (Mangel an Brennmaterial, Gefährdung der Industrie) und der ihm in der öffentlichen Meinung zu teil gewordenen Unterstützung, das Gesetz über die Arbeitsdauer in Bergwerken, den gesetzlichen Neunstundentag herbeiführte.[2] Ferner gehört hierher der Bergarbeiterstreik im Ruhrgebiet 1905, der ebenfalls einzig gegen die Unternehmer gerichtet,[3] ebenfalls von der Öffentlichkeit unterstützt war[4] und ebenfalls die Zusicherung einer legislativen Regelung wirtschaftlicher Verhältnisse herbeiführte.[5] Hierher gehört weiter der ungarische Eisenbahnerstreik 1904, der mit einem Mißerfolg endigte,[6] in gewissem Sinne läßt sich endlich noch der erfolgreiche "Musterstreik" der Arbeiter und Beamten der Schweizerischen Nordostbahn im Jahre 1897 hierzu rechnen.[7] Alle diese Ausstände werden häufig als "Generalstreiks", günstigstenfalls als "Berufsgeneralstreiks" bezeichnet. Sie unterscheiden sich aber von einem gewöhnlichen Ausstand in nichts, als in ihrer Ausdehnung. Und allein um eben dieser Ausdehnung willen wurden sie zu "Generalstreiks" gestempelt. [Fußnote 2: Soz. Prx. 17./1. 07, "Wahlreform und Sozialpolitik in Österreich"; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 305; Prot. Parteitg. Wien 03, p. 45; vgl. auch _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd." p. 42, dort auch über den Massenstreik der pennsylvanischen und den der französischen Bergleute (p. 42).] [Fußnote 3: 200 000 Arbeiter streikten, trotz Abratens der Führer, trotz schlechter Konjunktur, so groß war die allgemeine Erregung über das Vorgehen der Unternehmer (betr. das "Wagennullen", Berechnung der Ein- und Ausfahrtszeit usw.); vgl. _Hue_ über den Generalstreik im Ruhrgebiet.] [Fußnote 4: Die Streikenden fanden Unterstützung sowohl in den Kreisen der Arbeiterschaft, (auch bei den ausländischen Arbeitern; die belgischen Arbeiter traten in den Solidaritätsstreik, vgl. _Roland-Holst_ a. a. O. p. 10, Note), als auch im Bürgertum: die Öffentlichkeit stellte sich auf ihre Seite; die Regierung unterstützte die Streikleitung; die Polizei besorgte Säle für die Ausständigen, schaltete die Anwendung einer Reihe von Bestimmungen des Vereinsgesetzes aus, hielt mit der Streikleitung vielfach telephonische Verbindung; es kam überhaupt nicht zu Ruhestörungen (_Leimpeters_, "Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften", p. 929); der Streik mußte aus Mangel an Mitteln abgebrochen werden.] [Fußnote 5: Die spärliche Berggesetznovelle, die den Arbeitern aber keineswegs genügte, vgl. z.B. _Bebel_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 305.] [Fußnote 6: Seit 1899 hatte das Eisenbahnpersonal sich mehrfach um wirtschaftliche Verbesserungen bemüht; mit dem endlich 1904 erscheinenden Gesetzentwurf betr. die Regelung der Bezüge der Staatsbahnangestellten waren diese nicht zufrieden. Ein geringfügiger Anlaß am 19./4. 04 genügte, um sofort den allgemeinen Streik herbeizuführen. Der Eisenbahnbetrieb im ganzen Land ruhte. Es streikten 30 000 (Chronique du Musée social, Mai 04, p. 193, 194; nach "Der Massenstreik der Eisenbahner in Ungarn", von einem _Ungarn_, streikten 42 000 Personen); die Streikenden strömten nach Pest; am 20. April wurde mit der Regierung unterhandelt, aber erfolglos. 10 000 Streikende wurden als Reservisten eingezogen (vgl. _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15; auch _Ungar_, a. a. O.), das Eisenbahnregiment mobilisiert, die Arbeiterführer verhaftet, die Truppen konsigniert. Nach 5 Tagen nahmen die Arbeiter die Arbeit wieder auf, nachdem die oppositionellen Abgeordneten ihnen die Förderung ihrer Angelegenheit zugesichert hatten; die Eisenbahnerforderungen wurden erst 3/4 Jahre später erfüllt (vgl. Soz. Prx. XIV. 51. Sp. 1347, 1348).] [Fußnote 7: Vgl. _ab-Yberg_, "Die Strikes und ihre Rechtsfolgen", p. 15, 16; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 307.] Ein großer Streik ist aber an sich noch kein "Generalstreik". Vielmehr wird der "Generalstreik" definiert bald als "einheitliche Verabredung verschiedener Berufskategorien zum Zwecke gewaltsamer Erzwingung von Zugeständnissen der Unternehmer oder gar der Staatsgewalt,... die zu dem geltenden Recht in Widerspruch stehen",[8] bald als friedliche Arbeitsniederlegung in einem ganzen Staatswesen, sodaß alle Produktion und aller Verkehr gehemmt wird,[9] bald als gleichzeitige Arbeitseinstellung der "wichtigsten Gruppen, welche das ganze Reproduktionssystem repräsentieren".[10] Aber Ausdehnung über das ganze Land, oder Gleichzeitigkeit, oder Hemmung allen Verkehrs und aller Produktion, oder friedliche Form, oder rechtswidrige Forderungen lassen sich keineswegs bei sämtlichen der in Frage kommenden Erscheinungen konstatieren. Diese differieren vielmehr in Eigenschaften, Zielen und Wirkungsweise ganz außerordentlich von einander; nur ein äußerst weitmaschiges Begriffsnetz wird zugleich den schwedischen und den italienischen, die spanischen und die russischen sogenannten Generalstreiks, die Anschauungen von _Pouget_ und _Bernstein_, _Nieuwenhuis_ und _Kautsky_ zu umspannen vermögen. Daher müssen wir uns begnügen, den sogenannten Generalstreik als _demonstrativen Massenausstand zur Förderung proletarischer Klasseninteressen_ zu definieren. [Fußnote 8: _v. Reiswitz_, "Generalstreik?", p. 82, 83.] [Fußnote 9: _Eckstein_, "Was bedeutet der Generalstreik?", p. 358.] [Fußnote 10: _ab-Yberg_, "Die Strikes und ihre Rechtsfolgen"; ebenso fordert _Jaurès_ (Enquête, p. 97) "que les corporations les plus importantes, celles qui dominent tout le système de la production, arrêteront à la fois le travail".] Aber der lässige Sprachgebrauch etikettiert nicht nur Unternehmungen und Theorien allerverschiedensten Stils gleichmäßig mit der Marke "Generalstreik". Er ersetzt diese auch beliebig durch verwandte Ausdrücke, wie "Massenstreik", "politischer Massenstreik", "Solidaritätsstreik", "Sympathiestreik", "generalisierter Sympathiestreik (grève généralisée)"; ja, er versteht unter "Generalstreik" ("general strike", "grève générale", "sciopero generale")[11] bald die Gesamtheit der in Frage stehenden Erscheinungen, bald nur einen Spezialfall derselben.[12] [Fußnote 11: Der Ausdruck stammt aus der Chartistenbewegung, wo man neben "sacred week", resp. "sacred month" auch von "national holiday", "national strike", "general holiday" und "_general strike_" sprach.] [Fußnote 12: Als nämlich in den 1890er Jahren neue Klassenstreikarten auftauchten, drangen die Vertreter sowohl der alten, wie auch der neuen Lehre auf eine Differenzierung in der Benennung, um das eigne Dogma vor der diskreditierenden Verwechslung mit dem der feindlichen Schule zu bewahren (vgl. z.B. _Ledebours_ Äußerungen gegen Friedeberg auf der Generalvers. des Wahlvereins für den 6. Wahlkreis am 29. IX. 1905 ["Vorwärts" Nr. 230, 1. X. 05]; _Kautsky_: "Der Bremer Parteitag", p. 7-9). In den interessierten Kreisen wird unter "Generalstreik" daher jetzt im allgemeinen das alte Steckenpferd der Anarchisten verstanden, während das bei den Sozialdemokraten akkreditierte Kampfmittel "politischer Massenstreik" heißt.] Zur Vermeidung der üblichen Verwechslungen ist daher die Einführung eines neuen Terminus für unsere Untersuchung unentbehrlich. So brauchen wir denn im folgenden für den _Oberbegriff_, also den demonstrativen Massenausstand zur Förderung proletarischer Klasseninteressen, die Bezeichnung "_Klassenstreik_", und wir reservieren den Ausdruck "_Generalstreik_" für den _Unterbegriff_, für eine ganz spezielle Form des Klassenstreiks. § 2. Eigenschaften des Klassenstreiks. (a) _Größe._ Die Ausdehnung des Klassenstreiks wird nach oben begrifflich durch die Gesamtheit der Lohnarbeiter begrenzt. Ein _totaler_ Streik, d. h. ein Streik aller Arbeiter, aller Gewerbe, allüberall, ein Stillstehen "aller Räder" im mathematischen Sinne, wie es den ersten anarchistischen Generalstreikpropagandisten vorschweben mochte, wird heute von keiner Seite mehr als Erfordernis irgend einer Klassenstreik-Spezies betrachtet,[13] sondern es wird nur von gewissen Gesichtspunkten aus eine _relative Allgemeinheit_ verlangt. Die _untere_ Grenze des Klassenstreiks liegt nämlich (räumlich) bei derjenigen Arbeitergruppe, deren Streik in einer gegebenen Zeit, und (zeitlich) bei demjenigen Zeitraum, während dessen der Streik einer gegebenen Arbeitergruppe genügt, um eine bedeutende gesellschaftliche Wirkung zu erzielen. Demzufolge weist die Ausdehnung des Klassenstreiks zahlreiche Variationen auf. [Fußnote 13: _Girardin_ forderte seinerzeit für seine grève universelle die Beteiligung "de toutes les professions manuelles dans tous les pays civilisés" (cit. bei _Weill_, "Histoire du Mouvement social en France", p. 34).] Die _räumliche Ausdehnung_ kann in gewerblicher oder geographischer Richtung liegen. 1. Bei der _gewerblichen_ Ausdehnung des Klassenstreiks handelt es sich vor allem um die _Bedeutung_ der beteiligten _Gewerbe_; diese richtet sich einerseits rein _quantitativ_ nach der Anzahl der zugehörigen Lohnarbeiter, andererseits _qualitativ_ nach dem Grad ihrer sozialen Unentbehrlichkeit. Je weniger die Gesamtwirtschaft und das Gesamtleben auf die Funktion einer bestimmten Gewerbegruppe angewiesen ist, eine umso größere quantitative Ausdehnung ist zum Zustandekommen eines Klassenstreiks erforderlich; je größer aber die qualitative Bedeutung einer Gewerbegruppe, eine umso geringere Teilnehmerzahl genügt zur Herbeiführung des Klassenstreiks.[14] Die _qualitative_ Ausdehnung läßt sich _positiv_ umschreiben, z.B. Beteiligung derjenigen Gewerbe, die das ganze Produktionssystem und das ganze Verkehrsleben stützen,[15] die das ganze soziale Leben unterhalten: also Streik nicht nur im Transportgewerbe und den Kraftlieferungsbetrieben (Kohle, Gas, Elektrizität), sondern auch bei der Lebensmittellieferung (ausnahmsweise nur wird auch die Beteiligung der Landarbeiter gefordert[16]) und in den sogenannten öffentlichen Diensten. Sie läßt sich auch _negativ_ bestimmen, z.B. werden unter Umständen "die wesentlichen Erfordernisse des öffentlichen Lebens, die Produktionszweige von unbedingter allgemeiner Notwendigkeit" vom Ausstand ausgenommen;[17] doch zeigt sich hierbei das Bestreben, "keine Masche im Gewebe der Solidarität unnötig" zu zerschneiden.[18] Die wenigsten gehen so weit, wie _Turati_, der Licht, Brot, Trinkwasser, Sanitätsdienst, Post und Telegraph, Tagespresse usw. respektiert wünscht (da "die Aufhebung dieser Institutionen... den höheren Forderungen der Zivilisation" widerstreite, auch dem Ziel des Streiks durch Verstärkung der "reaktionären Strömungen" schade).[19] Die prinzipiellen Streikeinschränkungen richten sich im allgemeinen nach dem Zwecke des Streiks.[20] Natürlich werden regelmäßig Ausnahmen zu gunsten der Nahrungsmittelversorgung der Arbeiter selbst gemacht. [Fußnote 14: Vgl. _Roland-Holst_, "G-str. und Sozd.", p. 6; _Cohnstaedt_, "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie" p. 748.] [Fußnote 15: So z.B. _Briand_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28); Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 54; _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 98, 99; ders. in der "Petite République", 29. Aug. 01 (cit. bei _Umrath_, p. 18); so schon _Lovett_ (vgl. _Gammage_, History of the Chartist Movement, p. 127); auch der "_Weckruf_" vom 28. Mai 04, Nr. 7, 2. Jahrg., im Leitart. "Der Generalstreik".] [Fußnote 16: So durch _Herbert_-Stettin (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 285); vgl. auch _Marchioni_, "Massenstreik und Landarbeiter".] [Fußnote 17: _Turati_, "Lehren und Folgen des Generalstreiks in Italien", p. 867.] [Fußnote 18: _Olberg_; _Roland-Holst_, a. a. O. p. 132.] [Fußnote 19: Das Weitererscheinen der Presse wünscht auch _Branting_, ("Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 420ff.); _Olberg_ ("Der italienische Generalstreik", p. 23) aber erblickt hierin eine ungerechtfertigte Ausnahme von der allgemeinen Arbeitsruhe; übrigens tritt sie für Aufrechterhaltung der Krankenpflege und der Nahrungsmittelversorgung der Hospitäler ein.] [Fußnote 20: Vgl. _Bernstein_, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?", p. 32.] Außer nach der Bedeutung der beteiligten Gewerbe kann der Umfang des Klassenstreiks auch nach ihrer _Betriebsform_ differieren; im allgemeinen handelt es sich um die Beteiligung der Groß- und Mittelbetriebe; die des Kleinbetriebes ist selten und wird auch kaum gefordert. 2. Die _geographische_ Ausdehnung des Klassenstreiks hängt einerseits _quantitativ_ von der Größe des Streikgebiets ab. Hiernach unterscheidet man lokale, regionale, nationale und internationale Klassenstreiks; je kleiner das Streikgebiet, umso größer im allgemeinen die gewerbliche Ausdehnung. Ausstand möglichst aller Lohnarbeiter an einem einzelnen Platze, das ist der typische Umfang des romanisch-anarchistischen Generalstreiks, des sogenannten Solidaritäts- und Sympathiestreiks, der übrigens stets die Tendenz nach Erweiterung bis zum Weltstreik zeigt, sich auch nicht selten zum regionalen Ausstand (sogenannte "grève généralisée") verallgemeinert. -- Gewöhnlich wird Ausdehnung über ein von vornherein beträchtliches Wirtschaftsgebiet gewünscht, das umso größer sein muß, je mehr auf gewerbliche Vollzähligkeit verzichtet wird. -- Andererseits hängt die geographische Ausdehnung _qualitativ_ von der sozialen Bedeutung des Streikgebietes ab; denn der Ausstand kann an allen Plätzen des Streikgebietes ausbrechen, sich unterschiedslos über Stadt und Land erstrecken, oder aber sich auf industrielle Zentren, vor allem auf die großen Städte beschränken.[21] [Fußnote 21: Vgl. hierüber Prot. Parteitg. Wien 1894, _Schuhmeier_, p. 67, _Resel_, p. 70 ff.; ferner _Lafargue_, Enquête p. 67.] Zwei Ausnahmefälle, übrigens ohne praktische Bedeutung, bildet die räumliche Umgrenzung eines Klassenstreiks einerseits nach dem Konsumtionskreis (nur die Arbeit für die "herrschenden Klassen",[22] oder für die mobilisierte Armee [so _Nieuwenhuis_] soll unterbrochen werden), oder andererseits nach der Zahl der einem Armeeverband (sei es im aktiven Dienst, sei es als Reservisten) angehörigen Proletarier. [Fußnote 22: "Weckruf" vom Dez. 04, Nr. 14 (cit. vom Sekretariat des _Schweiz_. _Gewerbevereins_, "Begleiterscheinungen bei Streiks", p. 11 ff.).] Die _zeitliche Ausdehnung_ muß über die Dauer der gewöhnlichen Demonstration hinausgehen. Gleichzeitigkeit und Kontinuität sind nicht unbedingt erforderlich; der Streik kann vielmehr "intermittieren", "in Unterbrechungen und Pausen arbeiten",[23] und zwar sowohl geographisch intermittieren (wie in Rußland), als auch gewerblich intermittieren (wie in Marseille). [Fußnote 23: Vgl. _Göhre_, "Sturmzeichen"; ferner _Roland-Holst_, a. a. O. p. 104 ff. und dieselbe "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 215.] (b) _Form._ Wie jeder Streik bedeutet der Klassenstreik nicht nur eine rein passive Arbeits_ruhe_, sondern auch eine ostentative Arbeits_verweigerung_. Die Form des Klassenstreiks hängt also von der Ausgestaltung der Arbeitsverweigerung ab. Bei _friedlicher_ Form gelangt die Arbeitsverweigerung nur durch die sich auf der Straße zeigende Masse der Feiernden zum Ausdruck, die sich prinzipiell in den Schranken der Gesetzlichkeit, "in den Grenzen der Mäßigung, Gesittung und Vernunft" halten oder doch halten wollen.[24] [Fußnote 24: Vgl. _Turati_, a. a. O.; _Bernstein_, a. a. O. p. 36; _Eckstein_, "Was bedeutet der Generalstreik", p. 358; systematische Anwendung des Streikrechts, nicht verhüllte Gewalt, fordert _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 99 ff., gewaltlose Demonstration _Bernstein_ ("Pol. M-str. und pol. Lage", p. 40).] Bei _gewaltsamer_ Form zeigt sich die Arbeitsverweigerung in absichtlicher Verletzung des Rechtszustandes, in absichtlicher Vollführung von Akten der physischen Gewalt. Die "bewaffnete Hand",[25] "Feuer und Schwert",[26] der "ökonomische Furor"[27] sind hierbei die normalen Attribute des Klassenstreiks. [Fußnote 25: Vgl. "Der Generalstreik", Leitart. des "_Weckruf_" vom 28. Mai 04.] [Fußnote 26: "Und arbeiten wir überhaupt nie mehr für die Ausbeuter! Brennen wir sie von dem Lande weg, auf dem wir leben wollen" (Conrad _Froehlich_, "Der Weg zur Freiheit", p. 10).] [Fußnote 27: Beim Generalstreik in Triest: Demolieren von Gebäuden, Umstürzen von Gaslaternen, Einschlagen von Fensterscheiben, Ermordung eines Polizeikommissärs, vgl. "Weckruf" Nr. 7, April 1905; ähnlich auch "Weckruf" Nr. 14, Dez. 04 (beide cit. vom Sekretariat des Schweiz. Gewerbevereins, a. a. O. p. 11, 12).] Eine dritte Richtung schließt "rohe Gewalt" zwar aus,[28] doch soll sich im übrigen hierbei die Form der Arbeitsverweigerung nach den besonderen Umständen richten. Rechtsverletzungen werden weder gesucht noch gemieden, spielen überhaupt eine ganz sekundäre Rolle. Das Proletariat dürfe sich nämlich "nicht blenden lassen durch das Wörtchen Gesetzlichkeit",[29] brauche in der Notwehr "die Gesetze des Klassenstaats" nicht mehr zu respektieren,[30] sondern "wenn die herrschenden Klassen den Boden der Gesetzlichkeit zertrümmern", dann sei das Proletariat "im Recht, zu sagen: ich stelle mich auf den granitenen Boden meiner Macht".[31] [Fußnote 28: _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31.] [Fußnote 29: _Zetkin_, Vortrag in einer öffentlichen Versammlung der Filiale Berlin des Zentralverbandes der Stukkateure am 21./8. 05 über den pol. M-str. (Bericht im Vorwärts, 23. Aug. 05).] [Fußnote 30: _Friedeberg_, a. a. O. p. 28, 29.] [Fußnote 31: _Zetkin_, Vortrag in einer öffentlichen Versammlung der Filiale Berlin des Zentralverbandes der Stukkateure am 21./8. 05 über den pol. M-str. (Bericht im Vorwärts, 23. Aug. 05).] § 3. Ziele des Klassenstreiks. Das Ziel eines Klassenstreiks kann die Erfüllung von Forderungen sein, die nur einen Teil der Streikenden unmittelbar interessieren, um deren Durchsetzung willen aber aus Solidaritätsgefühl auch nicht unmittelbar interessierte Arbeiterkategorien in den Ausstand treten; indem sie die Sonderforderung zu der ihren machen, bringen sie die Klassenzusammengehörigkeit des Proletariats zum Ausdruck, verwandeln sie das Sonderziel in ein _mittelbares Klassenziel_, wollen sie mittelbar die proletarischen Klasseninteressen fördern. (Hierher gehören vor allem die romanischen Sympathiestreiks.) Das Ziel des Klassenstreiks kann aber auch die Erfüllung von Forderungen sein, an denen die Gesamtheit des Proletariats interessiert ist (oder interessiert sein könnte), ein _unmittelbares Klassenziel_; und zwar handelt es sich hierbei um jede Art von Gesamtforderungen, um Teilpostulate, wie um Endpostulate. Die _Teilforderung_ kann _wirtschaftlicher_ Natur sein, sich z.B. auf die Einführung des Achtstundentages,[32] auf die Einführung von Versicherungseinrichtungen[33] usw. für eine Gesamtarbeiterschaft beziehen. Oder die Einzelforderung trägt, wie dies bei den bisherigen Klassenstreiks mit unmittelbarem Klassenziel die Regel war, _politischen_ Charakter. [Fußnote 32: Vgl. den auf dem intern. Kongr. in Zürich 1893 aufgetauchten Plan.] [Fußnote 33: Vgl. _Girardins_ Vorschlag.] In erster Linie handelt es sich hierbei um _prinzipielle_ politische Forderungen, um politische Rechte,[34] in allererster Reihe um das politische Wahlrecht.[35] In der _Defensive_: Schutz der Verfassung gegen den Staatsstreich;[36] Verteidigung des Wahlrechts gegen "reaktionäre Anschläge"; Bekämpfung eines als ungenügend und entwicklungshemmend empfundenen neuen Wahlprojekts (wie 1902 in Schweden); Effektuierung nur theoretisch vorhandener Rechte.[37] In der _Offensive_: Eroberung parlamentarischer Grundrechte (z.B. in Begleitung der bürgerlichen Revolution; Rußland); Ausbau der Demokratie, Erzwingung "drängender politischer Forderungen",[38] vor allem Eroberung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts.[39] [Fußnote 34: _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15; _Roland-Holst_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 25); Amsterdamer Resolution über den Generalstreik (Prot. p. 24 ff.); _v. Elm_ (Prot. Gwft. Kongreß Köln 05); _Destrée_ und _Vandervelde_, "Le Socialisme en Belgique", p. 22; _Bernstein_, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?", p. 36.] [Fußnote 35: Durch das zugleich das Koalitionsrecht bedingt wird, vgl. _Kloth_, "Generalstreik und Maifeier auf dem Gewerkschaftskongreß in Köln"; _Liebknecht_ (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 195, 196); vgl. auch Prot. Parteitg. Jena 05; _A. v. Elm_, "Rückblick auf den 5. deutschen Gewerkschaftskongreß".] [Fußnote 36: Vgl. z.B. _Girardins_ Plan von 1851 (unten p. 38); _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik".] [Fußnote 37: So wünscht _Lensch_ ("Politischer Massenstreik und politische Krisis") den Klassenstreik, um die tatsächliche Bedeutung des dem Proletariat zugänglichen Parlaments zu erhöhen; "pour briser la force de la soldatesque", die sich in der Dreifuskrise über das Parlament hinwegzusetzen schien, also um dieses und die parlamentarische Regierung zu unterstützen, würde _Kautsky_ ("Jaurès et Millerand", Mouvement socialiste 1899) seinerzeit den französischen Proletariern den Eintritt in einen Klassenstr. empfohlen haben, wenn _Kautsky_ nicht selbst -- und mit Recht -- gezweifelt hätte, daß ein bürgerliches Ministerium sich dieses Hilfsmittels bedienen würde.] [Fußnote 38: _Cohnstaedt_, a. a. O. p. 743, 744; ähnl. Amsterdamer Resolution über den Generalstreik, a. a. O.; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 193.] [Fußnote 39: Die Wahlrechtsforderung erschien schon in der Chartistenbewegung, und die verlockende "Idee, durch Einstellung der Arbeit die Gewährung politischer Forderungen zu erzwingen", taucht "in der Geschichte der modernen Demokratie" immer wieder auf (_Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel", p. 689).] Außerdem kommen auch _gelegentliche_ politische Teilforderungen vor, die sich auf einzelne unliebsame Maßnahmen der Regierung beziehen, deren Ausführung oder Wiederholung verhindert werden soll, z.B. auf kriegerische Unternehmungen,[40] oder auf die Beeinflussung der Wirtschaftskämpfe durch die öffentliche Gewalt.[41] [Fußnote 40: Durch den Kriegsstreik (Prot. int. Kongr. Brüssel 1891, p. 24, 27, 31; Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 20 ff.; Prot. int. Kongr. London 1896, p. 24;) _Jaeckh_, "Die Internationale", p. 76; _Hervé_ (cit. in der "Hilfe", XI. Jahrg. Nr. 21); Enquête sur l'idée de patrie et la classe ouvrière [Mouvement socialiste 1. und 15. Nov. 05, p. 327]; La "Patria" e l'Antimilitarismo, Inchiesta fra la classe operaia organizzata ["Il Divenire sociale", 16. XII. 04, p. 387, 388] und zwar entweder spez. Militärstreik (Dienst- und Stellungsweigerung), oder Streik der auf den Krieg bezüglichen Gewerbe, oder überhaupt Klassenstreik im Moment des Kriegsausbruchs.] [Fußnote 41: Klassenstreik z.B. als Protest gegen Soldatenverwendung bei Streiks (Italien 1904); oder als Protest gegen die Hinderung des Streikpostenstehens ("die famose Idee des Genossen _Wiesenthal_", deren Mitteilung durch _Bömelburg_ auf dem Kölner Gewerkschaftskongreß 05 große Heiterkeit erregte [vgl. Prot. p. 219]).] Bei den _Endzielen_, den proletarisch-revolutionären Zielen, handelt es sich einerseits um _positive Forderungen_: Eroberung der Staatsgewalt, "Ergreifung der politischen Macht",[42] "Diktatur des Proletariats",[43] sei es, daß der Klassenstreik nur als "letzte, ernsteste Drohung vor dem Sturm", als "Präludium" der Revolution auftritt,[44] sei es, daß er die direkte Einführung der proletarischen Aera beabsichtigt. [Fußnote 42: _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 394.] [Fußnote 43: _Leipziger Volkszeitung_ vom 8. 3. 04, Art. "Märzluft", zit. von _David_, "Rückblick auf Jena", p. 842, Note 1.] [Fußnote 44: _Eckstein_, "Was bedeutet der Generalstreik?" p. 363; --_Zetkin_, a.a.O.; _Block_, "Formen und Möglichkeiten des Massenstreiks"; _Cohnstaedt_, a. a. O.] Andererseits handelt es sich um _negative_ Forderungen: Beseitigung der kapitalistischen Ausbeutung,[45] Beseitigung, "Zersprengung des Klassenstaats",[46] "um Raum zu machen für die Freiheit",[47] in deren Schutz sich alsdann die neue Gesellschaftsordnung entwickeln werde.[48] Mehrfach wird übrigens auch die "transformation sociale" selbst, die Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums und die Einführung der neuen Ordnung, also nicht bloß das Niederreißen, zu den Obliegenheiten dieses sogenannten "Expropriationsstreiks" oder "absoluten Generalstreiks"[49] gerechnet.[50] [Fußnote 45: _Friedeberg_, "Weltansch."; ähnlich _Thesing_, "Per la questione dello sciopero generale."] [Fußnote 46: "Der Generalstreik" ("_Weckruf_", 28. Mai 04); _Sorel_, "Lo sciopero generale"; _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 4, 15, 26, 27, 31; derselbe, "Weltansch.", Nr. 40; _Mazuel_, vom P. S. R. ("Congrès général des organisations socialistes françaises Paris 1899", p. 254, 255).] [Fußnote 47: "_Weckruf_", a. a. O.] [Fußnote 48: So z.B. _Friedeberg_, "Weltansch."; "Antimilitarismus u. Generalstreik" (Beilage zur "_Wahrheit_", Nr. 11, p. 11).] [Fußnote 49: _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 5; _Louis_, "L'Avenir du Socialisme", p. 297.] [Fußnote 50: So _Bakunins_ Anhänger auf dem Kongreß in Brüssel (_Umrath_, "Zur Generalstreik-Debatte", p. 13, 14); so die in Brüssel erscheinende "Internationale" im März 1869, daß der G-str. "in einem die Gesellschaft erneuernden Zusammenbruch endigen" werde; so der Kongreß in Genf 1873 (vgl. _Weill_, p. 163); so die Allemanisten (_Richard_, "Manuel socialiste", p. 78 ff.); -- so die "Jungen" (vgl. _Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht"); _Briand_, "La grève générale et la révolution". -- _López Montenegro_ wünscht (in der Broschüre "La huelga general") die Herbeiführung der sozialen Revolution durch den allgemeinen, womöglich internationalen Ausstand, der nicht eher beendigt werden solle, "bis die Häuser den Bewohnern gehörten, die Erde und ihr Ertrag den Bebauern..." usw.; "Die Neugestaltung der Produktion werde sich schon von selber machen" (vgl. _Eltzbacher_, "Der Anarchismus und die soziale Revolution in Barcelona", p. 7).] § 4. Wirkungsweise des Klassenstreiks. Die Wirkung des Klassenstreiks kann sich einerseits in einem Druck auf die Gegner zur Herbeiführung des Zieles äußern; andererseits kann der Streik aber auch eine Beeinflussung der Arbeiter selbst zur Folge haben. Der _Druck auf die Gegner_ kann auf zweierlei Weise erfolgen: durch wirkliche Ausführung des Klassenstreiks, oder durch seine bloße Ankündigung. Bei der _wirklichen Ausführung_ kann dieser Druck vorwiegend _ideeller_ Natur sein: _Manifestations- oder Demonstrationsstreik_. Durch die Arbeitsverweigerung soll der Gegner und sollen die Indifferenten nachdrücklichst auf das Begehren der Arbeiter aufmerksam gemacht, zu seiner Erfüllung aufgefordert werden;[51] der Demonstrationsstreik bedeutet also einen starken "Appell an die Gewissen... eine Aufrüttelung der schlafenden Rechtsempfindung", einen "Gewissensschärfer", soll aber nicht bloß einen "Bittgang", sondern "immer auch ein eindrucksvolles Mene-Tekel",[52] eine Drohung darstellen; es soll "der Einheit des Willens der Massen in Bezug auf ein bestimmtes Ziel der stärkste, nachhaltigst wirkende Ausdruck gegeben",[53] "die in der Zahl liegende Wucht der Arbeiterklasse mit der nötigen Zähigkeit und Energie entfaltet" werden, damit sich "die herrschenden Klassen der Stärke der Gegner bewußt werden",[54] erkennen, "wie ernst es ihnen sei"[55] und aus diesem "Anschauungsunterricht"[56] lernen. Der auch vom Demonstrationsstreik unzertrennliche mehr oder minder starke materielle Druck soll zur Verschärfung des psychologischen Effekts dienen, zugleich, durch Erweckung von Furcht vor der Wiederholung oder Verstärkung der Arbeitseinstellung, wie eine Drohung wirken. [Fußnote 51: Denn die Arbeitsniederlegung ziehe so weite Kreise in Mitleidenschaft, "daß sich die Öffentlichkeit wohl oder übel genötigt sieht, sich mit dem Streik und seinen Ursachen eingehend zu befassen" (_Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 39).] [Fußnote 52: _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik".] [Fußnote 53: _Bernstein_, "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 417; _Kampffmeyer_, a. a. O. meint, auch der Kleinbetrieb könne sich Arbeitsruhe "im Interesse einer allgemeinen politischen Demonstration auferlegen".] [Fußnote 54: _Olberg_, "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik".] [Fußnote 55: _v. Elm_ (Prot. Gewft. Kongr. Köln 05, p. 226). -- In einem Aufruf der tschecho-slawischen Sozialisten zur Demonstration am 10. Okt. 05 in Prag für das allg. gl. Wahlrecht heißt es: "Erhebet Euch in Massen, damit Euer Wille unabwendbar erscheine, wie das Schicksal!... Erheben wir uns zu einer Manifestation, damit sie die Kraft und Entschlossenheit von Hunderttausenden klarlege, wenn sie gezwungen wären, von der Abwehr zum Angriff überzugehn" (vgl. Dokumente des Sozialismus, Nov. 05, p. 521).] [Fußnote 56: Z.B. "Der Generalstreik" ("_Weckruf_", 28. Mai 04), und _Kampffmeyer_, a. a. O. p. 877.] Beim _Pressionsstreik_ aber ist der beabsichtigte Druck vorwiegend _materieller_ Natur. Durch die Wirkungen des Ausstandes soll die Gegenseite unentrinnbar zu einem Tun oder Unterlassen genötigt werden.[57] [Fußnote 57: Vgl. _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"; vgl. auch Block, a. a. O.] Der Pressionsstreik ist in seiner zeitlichen Ausdehnung prinzipiell von der Kapitulation einer der beiden Parteien abhängig; seine Dauer läßt sich also gar nicht von vornherein bestimmen. Der Demonstrationsstreik, der nur Eindruck machen soll, ohne daß mit einer sofortigen Erzwingung von Konzessionen gerechnet würde, kann von Anfang an für eine bestimmte, meist kurze Dauer proklamiert werden. Von der _bloßen Ankündigung_, der "proklamierten Bereitschaft",[58] der Androhung des Klassenstreiks wird erwartet, daß sie unter Umständen genüge, um die Gegner zur Nachgiebigkeit zu veranlassen.[59] Und zwar kommt die Drohung sowohl für Teilziele in Betracht, (besonders Schutz der Volksrechte, "Hinter dem allgemeinen Wahlrecht muß stehen der Wille zum Generalstreik"),[60] als auch zur Durchsetzung des Endziels; man glaubt, daß die Gegner, wenn sie die Arbeiter im Besitz einer solchen Waffe wüßten, eher einen friedlichen Ausgleich suchen würden.[61] [Fußnote 58: Dr. _Liebknecht_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 281.] [Fußnote 59: Ähnlich wie mitunter bei Lohnkämpfen "die Besorgnis vor der Waffe, welche die Arbeiter gebrauchen können", die Unternehmer zu Konzessionen veranlasse (_Stieda_, Art. Arbeitseinstellungen im Hdwb. der Staatsw. 2. Aufl.); -- aus diesem Grund will z. B, _Adler_ den polit. M.str. nicht abschwören (vgl. Prot. Parteitg. Wien 03, p. 131).] [Fußnote 60: Dies der vielfach angefochtene Satz von _Hilferding_ ("Zur Frage des Generalstreiks"). -- Beispiele solcher Klassenstreikdrohung: in Belgien soll auf diese Weise Ende der 1890er Jahre der Versuch einer Wahlrechtsverschlechterung verhindert worden sein; in Frankreich soll die Kl-Str.-Drohung die Zurücknahme einer Antistreikvorlage bewirkt (_Briand_ a. a. O. p. 12 ff.), die Angst vor dem Generalstreik seinerzeit den Eintritt Millerands ins Ministerium gefördert haben (?), (vgl. _Dejeante_, "Congrès générale des Organisation socialistes françaises Paris 1899," p. 257 ff.), während z.B. die Generalstreikdrohungen, die Ende Juli 1906 in Zürich laut wurden, das kantonale Verbot des Streikpostenstehens, das bis Ende 1906 dauerte, nicht zu beseitigen vermochten.] [Fußnote 61: So _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 739, 740.] Die Androhung wird verschieden wirken, je nachdem ein Klassenstreik schon vorangegangen ist oder nicht, je nachdem eine größere oder geringere Beeinträchtigung zu erwarten steht.[62] Wie die Ausführung, so kann auch die Androhung unter Umständen das Gegenteil des gewünschten Effekts herbeiführen, indem sie z.B. den Gegner zu umso energischerem Widerstand reizt; oder indem sie von Dritten in verhängnisvoller Weise in Rechnung gezogen wird.[63] [Fußnote 62: Daß die Furcht vor dem Unbekannten, vor dem "adversaire mysterieux, dont la force doit être présumé d'autant plus grande, plus irrésistible, qu'on n'a pas eu encore l'occasion de la mesurer" (_Briand_, a. a. O. p. 12 ff.) hierbei eine Rolle spiele, ist bei den gegenwärtigen Verhältnissen des intern. Nachrichtendienstes, sowie bei dem Stande der an Hand der Statistik und der täglichen Erfahrung erlangten Voraussicht kaum anzunehmen.] [Fußnote 63: _Bernstein_, "Patriotismus, Militarismus und Sozialdemokratie", sagt: "Die Vorstellung, daß in dem in Frage kommenden Lande eine machtvolle Partei existiert, die nur auf den Krieg wartet, um der eigenen Regierung Schwierigkeiten zu bereiten, einen Militärstreik und dergleichen ins Werk zu setzen, kann zur größten Kriegsgefahr werden, für abenteuernde Politiker geradezu ein Anreiz sein, auf einen Krieg mit jenem Lande hinzuarbeiten."] Die _Wirkung auf die Arbeiter selbst_ kommt einerseits bei der _wirklichen Ausführung_ des Klassenstreiks zu Stande. Zunächst handelt es sich hierbei um eine Beeinflussung der _aktiv am Streik beteiligten Arbeiter_, die "im Kampf ihre Kraft erproben und sich für den späteren siegreichen Kampf schulen" sollen;[64] denn der Klassenstreik stärke das Klassenbewußtsein,[65] das revolutionäre Bewußtsein;[66] außerdem handelt es sich um die Wirkung auf die _übrigen Proletarier_, also um einen propagandistischen Zweck;[67] der Klassenstreik, der auch dem letzten Proletarier die gegenseitige soziale Abhängigkeit klar vor Augen führe, vermöge Gebiete und Gewerbe aufzurütteln, die für gewöhnlich der sozialistischen Agitation unzugänglich seien.[68] Außer der Propaganda für die proletarische Bewegung im allgemeinen soll aber auch die Propaganda für den Klassenstreik als solchen gefördert werden. Und in der Tat läßt sich eine derartige Wirkung, sogar über nationale Grenzen hinaus, auch mehrfach wahrnehmen.[69] [Fußnote 64: _Vanêk_ (Prot. Parteitg. Wien 03, p. 125); ähnl. _Olberg_, "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik"; _Block_, a. a. O. p. 563.] [Fußnote 65: _Umrath_, a. a. O. p. 18, 19; Resolution der Guesdisten (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 30).] [Fußnote 66: Dieses habe im Generalstreik "sein neues kommunistisches Manifest" geschrieben; die Generalstreikidee bedeute "nichts anderes, als die Ersetzung der großen unpersönlichen stimmzettelfrohen Masse durch die Vereinigung der zielklaren und zielwollenden Persönlichkeiten" (E. Th. "Der Parteitag von Jena und der Generalstreik" ["Einigkeit", 9. Dez. 05]; _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 3, 31, 32), während der Parlamentarismus dem "Klassenkampf den Todesstoß" gegeben habe, da er das Proletariat an der Legalität des "Klassenstaats" interessiere, das revolutionäre Bewußtsein einschläfere; nur durch die Erfahrung des Generalstreiks könne das Proletariat den endlichen Zerfall der bürgerlichen Gesellschaft kennen lernen (_Louis_, p. 301 ff.).] [Fußnote 67: _Luxemburg_ ("Und zum dritten Mal das belgische Experiment") nennt den Klassenstreik ein "wirksamstes Mittel der sozialistischen Agitation"; der "_Weckruf_" (Art. vom 9. Jan. 04, "Wo wollen wir hin? Der Generalstreik") nennt ihn "wirksamstes Propagandamittel"; die "_Wahrheit_" (Beilage zu Nr. 11, "Antimilitarismus und Generalstreik", p. 12) sagt: "Kein anderes Propagandamittel hat... so bedeutende Erfolge erzielt"; vgl. auch _Block_, p. 563; _Weill_, p. 410.] [Fußnote 68: So sei ein Teil der Hausindustrie beim belgischen Wahlrechtsstreik aufgerüttelt worden; der "_Weckruf_" (28. Mai) rühmt diesen Effekt den Solidaritätsstreiks nach, behauptet auch einen großen propagandistischen Erfolg (?) des Genfer Generalstreiks ("_Weckruf_" vom 9. Jan. 04).] [Fußnote 69: Einfluß des belgischen Kl-streiks auf den schwedischen von 1902 (vgl. Enquête, p. 377; Allg. Ztg. 21. 4. 02); Eindruck des finnischen Nationalstreiks auf die schwedischen Arbeiter (_Branting_ [Soz. Mh. Aug. 06, p. 664]); Einfluß der beiden belgischen Kl-streiks auf die österreichische Wahlrechtsbewegung (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 4-6, 31, 34, 58; Prot. Parteitg. Wien 1903, p. 131); Einfluß des schwedischen Streiks (_Bracke_, Enquête, p. 86), ital. Streiks (_Bömelburg_, Prot. Gwkft. Kongr. Köln 05, p. 215), der belgischen und österreichischen Bewegung (_Bernstein_, Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 193), der russischen Revolutionsstreiks (_Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; Prot. Parteitg. Jena, _Bebel_ [p. 307], _David_ [p. 328]; Prot. Parteitg. Mannheim, _Luxemburg_ [p. 261], _David_ [p. 259]) auf die deutsche Klassenstreikdiskussion.] Nicht nur mit der Ausführung, auch mit der _bloßen Verbreitung der Idee_ werden gewisse Wirkungen auf das Proletariat bezweckt. Einerseits soll die Überzeugung von der Anwendungsmöglichkeit dieses Mittels das "erhebende und stählende Gefühl der eigenen Kraft und Siegeszuversicht" entfachen und hierdurch dem Proletariat den Verzicht auf schwächende Zwergkämpfe (durch die es den Zusammenbruch hinauszuschieben trachte) ermöglichen.[70] Andererseits soll die Vorstellung einer scheinbar so gut fundamentierten, scheinbar so leicht zu erreichenden Eingangspforte zu den Herrlichkeiten des Zukunftsstaates, soll die "anziehende", "verführerische", "fascinierende" Idee, durch bloßes Nicht-Arbeiten die Erlösung von aller Mühsal zu erlangen,[71] im Proletariat den Glauben an eine bessere Zukunft befestigen. Der Klassenstreik erscheint in dieser Auffassung als "weithin leuchtende Fackel",[72] "Leitstern", "Richtschnur", "Symbol",[73] "Ideal",[74] "das große Endziel",[75] kurz, als Ersatz für die schon abgegriffene Vorstellung vom Zukunftsstaat. Wie diese wird auch die Klassenstreikidee als Propaganda-, Organisations-, Erziehungsmittel betrachtet,[76] und zwar soll sie nicht nur das Klassenbewußtsein fördern, indem sie die "Ideale des Klassenkampfes" in den Vordergrund rücke,[77] sondern durch Kräftigung des revolutionären Willens auch eine Beschleunigung der Entwicklung herbeiführen können; so daß sich infolge der Klassenstreik-Propaganda die Umwandlung der kapitalistischen in die sozialistische Gesellschaft weit früher vollziehen könne, als dies der bloß mechanische Ablauf der ökonomischen Verhältnisse gestatten würde. [Fußnote 70: _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 740.] [Fußnote 71: Diese Vorstellung sei nur zu sehr geeignet, den vielen "utopisch angelegten Naturen" in den Arbeiterkreisen aller Länder Nahrung zu geben (_Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 195).] [Fußnote 72: _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31.] [Fußnote 73: Der Sozialismus befasse sich mit dem Mysteriösen, der Transformation der Produktion; von dieser schweren Lehre gebe der Generalstreik ein leicht faßliches Bild (_Sorel_, "Lo sciopero generale").] [Fußnote 74: Vgl. z.B. auch _Weill_, p. 409 ff.] [Fußnote 75: _Friedeberg_, "Weltansch.".] [Fußnote 76: Vgl. _Thesing_, "Per la questione dello sciopero generale"; _Polledro_, "Per la terminologia dello sciopero generale"; die Erfüllung des proletarischen Seelenlebens mit der Generalstreikidee werde die Organisationen so stärken, daß gewaltsame Kämpfe vielleicht vermieden werden können (_Friedeberg_, a. a. O., und "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 27 ff.); "En indiquant aux travailleurs un but d'organisation, en leurs offrant un moyen d'emancipation, à l'efficacité duquel ils croient fermément, elle (die G-streiksidee) a puissament contribué à donner à l'action syndicale plus de confiance et de methode" (_Briand_, p. 15).] [Fußnote 77: _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 3, 4, 26, 27; derselbe: Prot. Parteitg. Dresden 03; ähnl. _Allemane_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam, p. 26); sowie die programmatische Erklärung des 7. Kongresses der "freien Vereinigung" im April 1906 (cit. bei _v. Elm_, "Die Gewerkschaftsdebatte auf dem Mannheimer Parteitag").] § 5. Die Arten des Klassenstreiks. Da der Begriff Klassenstreik so verschiedenerlei Eigenschaften, Ziele und Wirkungsweisen eines Ausstandes in sich schließt, so kann der Klassenstreik auch in einer großen Zahl von Variationen auftreten, unter denen man zwei Hauptarten zu unterscheiden pflegt: _Generalstreik_ und _politischer Massenstreik_. Der _Generalstreik_ strebt im allgemeinen mehr nach quantitativem, der _politische Massenstreik_ mehr nach qualitativem Umfang; ersterer begnügt sich unter Umständen mit lokaler, strebt aber meist nach internationaler Ausdehnung, letzterer tendiert in der Regel zu nationaler Ausdehnung. Der _Generalstreik_ neigt meist, doch nicht ausnahmslos (_Friedeberg_; _Briand_), zu gewaltsamen Formen; es soll ihm jeder gesetzliche Inhalt fehlen; er soll, insbesondere nach Ansicht der revolutionären Syndikalisten, "nicht mehr als Ausführung eines gesetzlich verbrieften Rechts, sondern... als der Typus der revolutionären Tat" gelten (_Lagardelle_). Der _politische Massenstreik_ hingegen fordert meist, aber ebenfalls nicht ausnahmslos (man denke an einige deutsche "Ultra-Radikale"!), nur eine friedliche Arbeitsverweigerung. Der _Generalstreik_ vertritt vorwiegend wirtschaftliche, antiparlamentarische, anarchistisch-revolutionäre mittelbare und unmittelbare Klassenziele, ohne doch politisch-parlamentarische Forderungen unter allen Umständen auszuschließen;[78] der _politische Massenstreik_ kennt nur politisch-parlamentarische, also nur unmittelbare Klassenziele. [Fußnote 78: Vgl. z.B. _Briand_, a. a. O. p. 6; Resolution der Kommissionsminderheit (Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 32); ebenda p. 7; Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28-30; ähnlich die Allemanisten (vgl. _Richard_, Mouvement socialiste, 1899, I. p. 619 ff.); Congrès corporatif de Marseille 1892; Conféd. générale du travail (vgl. "Antimilitarismus und Generalstreik", Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_"); "_Weckruf_" (28. Mai 04, "Der Generalstreik").] Der Zweck des _Generalstreiks_ besteht zum großen Teil in der Wirkung auf die Arbeiter selbst, der des _politischen_ Massenstreiks fast ausschließlich in der Wirkung auf ihre Gegner. Doch selbst diese hauptsächlichsten Unterscheidungspunkte ergeben keine feste Grenzlinie. Denn die Tatsachen der als Generalstreiks und der als politische Massenstreiks rubrizierten Unternehmungen und Projekte stehen sich oft außerordentlich nahe. Der einzige wirklich durchgreifende Unterschied zwischen Generalstreik und politischem Massenstreik besteht überhaupt nicht in objektiven Merkmalen, sondern in der _subjektiv_ umschriebenen Stellung und Funktion des Klassenstreiks, in dem _subjektiv_ ihm zugewiesenen Rang _innerhalb der proletarischen Bewegung_. Ein Klassenstreik heißt nämlich _Generalstreik_, sobald er als "_seule_ lutte qui soit digne de la classe ouvrière",[79] als das prinzipiell-proletarische, weil vom Parlamentarismus unabhängige[80] _Hauptmittel_ aller und jeder proletarischen Betätigung auftritt (so bei den Anarchisten, revolutionären Syndikalisten).[81] Dabei beschränken sich die Ergänzungswaffen des Klassenkampfs teils nur auf die übrigen Mittel der "direkten Aktion", (also Boykott, Sabot, bewaffneter Widerstand),[82] unter ausdrücklichem Ausschluß des Streiks zu politischen Zwecken;[83] teils umfassen sie aber neben allem anderen auch die parlamentarische Tätigkeit und den Streik zu politischen Zwecken,[84] und sei es eventl. auch nur, damit bei der Anwendung des letzteren den Arbeitern die Bedeutung der Massenaktion und des eigentlichen Generalstreiks klar werde.[85] [Fußnote 79: Léon _Quatrehomme_, ouvrier typographe (Enquête sur l'idée de patrie et la classe ouvrière, p. 337).] [Fußnote 80: Vgl. z.B. E. Th., "Der Parteitag von Jena"; _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 26, 27; _Thesing_, a. a. O.; _Kautsky_, "Maifeier und Generalstreik"; Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 26, 28, 30, 71; _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 157; _Umrath_, a. a. O. p. 19, 20. Nicht nur die Idee des Generalstreiks sei "concetto genuinamento operaio, che la classe lavoratrice ha ricavato dall' esperienza della vita" (_Labriola_, "Riforme e Rivoluzione sociale", p. 211; ähnl. _Briand_, p. 4, 5; _Kautsky_, a. a. O.; derselbe, "Die soziale Revolution" I. p. 51), sei das Produkt "de la mentalité ouvrière elle même", entspreche einer "profonde intuition populaire" (_Louis_, p. 293 ff.), sondern auch die Anwendung stehe "en dehors de toute direction politique" (_Richard_, "Manuel socialiste", p. 78, 79).] [Fußnote 81: Als stärkste, wirksamste, entscheidenste Waffe erscheint der Klassenstreik z.B. in der Resolution der Allemanisten (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 29, 30), in der Resol. der Kommissionsminderheit (Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 32), in der Auffassung der "Lokalisten" (vgl. Bericht im Vorwärts vom 18. Juli 06 über die Generalversammlung der "Freien Vereinigung der Bauarbeiter Berlins und Umgebung" am 15. Juli 1906) usw. --Nach dem Bericht der Étudiants socialistes révolutionnaires internationalistes de Paris an den internationalen revolutionären Arbeiterkongreß, der 1900 in Paris stattfinden sollte (aber verboten wurde), ist der (gewaltsame) allgemeine Ausstand "unter den gegenwärtigen Verhältnissen das beste und sicherste Mittel zur Herbeiführung der sozialen Revolution" (vgl. _Eltzbacher_, p. 5, 6).] [Fußnote 82: Der letzte Anarchistenkongreß (3. Aug. 1907 in Amsterdam) betrachtete übrigens, gemäß der Resolution _Malatesta_, die Gewerkschaften und den Generalstreik zwar "als mächtige revolutionäre Mittel, aber nicht als Surrogat der Revolution"; über diesen beiden dürfe man nicht "die direkteren Mittel im Kampf gegen die militärische Macht vergessen" (vgl. Frankf. Ztg. Sept. 07).] [Fußnote 83: Sobald der Generalstreik "zum Hilfsmittel politischer Aktionen herabsinkt" ("_Weckruf_", 28. Mai 04, vgl. auch z.B. _Friedeberg_, "Weltansch." Nr. 37, 40; derselbe: "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 3; _Sorel_, a. a. O. p. 23, 24; usw.) bedeutet er für die Anarchisten höchstens eine "kindliche Naivetät" ("_Weckruf_", 9. Jan. 04, "Wo wollen wir hin? Der Generalstreik"), die dazu führe, "den kraftvollen Gedanken des proletarischen Kampfes... zu verwässern" (_Friedeberg_, "Weltansch."; ähnl. Franz _Winter_, "Brief aus Österreich" ["_Weckruf_", 9. Jan. 1904]; "Der Generalstreik" ["_Weckruf_", 28. Mai 04]).] [Fußnote 84: Der Generalstreik "non sostituice, nè elimina l'uso degli altri mezzi risolutivi che la storia suggerisce, e che lo sciopero o condiziona o rafforza o potenzia"; denn der Generalstreik sei die "forma specifica della rivoluzione proletaria e delle successive conquiste che alla rivoluzione menano" (_Labriola_, a. a. O.).] [Fußnote 85: _Winter_, a. a. O.: "die Arbeiterschaft wird schon dahinter kommen, daß mit ihm (dem Kl-str.) nicht nur politische Rechte, sondern auch nützliche ökonomische Vorteile ... erobert werden können"; ähnl. das Anarchistenblatt "_Neues Leben_" (cit. in der Allg. Ztg. 19./4. 02); ferner "_Weckruf_" (9. Jan. 04, "Wo wollen wir hin? Der Generalstreik"); _Berth_ (vgl. Notes Bibliograph. du Mouvement socialiste, I. et 15. XI. 05, p. 374 ff.).] Ein Klassenstreik heißt aber _politischer Massenstreik_, sobald er als bloßes _Hilfsmittel_ im proletarischen Kampfe auftritt,[86] nur aus Zweckmäßigkeitsgründen angewandt,[87] dem Parlamentarismus höchstens koordiniert, fast regelmäßig subordiniert[88] wird. Dabei bedeutet er meist überhaupt nur ein ausnahmsweises Hilfsmittel, das, wie _Turati_ sagt, "niemals zum normalen Kampfmittel des Proletariats erhoben werden darf", die "ultima ratio",[89] die letzte, äußerste Kraftanstrengung in extremen Fällen.[90] [Fußnote 86: Prot. Parteitg. Jena 05, _Zetkin_, p. 324, _Bebel_, p. 338; _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 105).] [Fußnote 87: _Hilferding_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 141 ff.; _Delory_, P. O. F. (Congrès général des Organisations socialistes françaises Paris 1899, p. 246 ff); _Umrath_, a. a. O.; Kommissionsresolution des int. Kongr. Zürich, 1893 (cit. Prot. Parteitg. Jena 05, p. 302).] [Fußnote 88: Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 24 ff.; _Liebknecht_, (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 327); _Zetkin_ (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 196); _Bebel_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 227-241); Resolution der ital. Integralisten (vgl. _Olberg_, "Der Parteitag von Rom"); Congrès général... Paris 1899, p. VII, 236-60; _Kautsky_, "Die soziale Revolution", p. 50; ders. "Maifeier und Generalstreik"; _Zetkin_ (vgl. Vorwärts 23. Aug. 05); _Luxemburg_, "Und zum dritten Mal das belgische Experiment"; _Hilferding_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 141; _Umrath_, a. a. O.; _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 97-121.] [Fußnote 89: Z.B. _v. Elm_, (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 226); ähnl. _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 129); _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik".] [Fußnote 90: Z.B. _v. Elm_, "Die Gewerkschaftsdebatte auf dem Mannheimer Parteitag"; _Kautsky_, "Maifeier und Generalstreik"; Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 105 (Resolution _Adler_); Prot. Parteitg. Wien 03, p. 126; Prot. Parteitg., Wien 05, p. 66 ff., 121; Prot. int. Kongr. Amsterdam, p. 8, 24 ff.] Als solch extremer Fall erscheint einerseits die _soziale Revolution_; und zwar wird dem politischen Massenstreik eine um so bedeutendere Rolle "in den revolutionären Kämpfen der Zukunft"[91] zugewiesen, je mehr das Vertrauen auf die ökonomisch-automatische Einführung des Sozialismus verschwindet, der Glaube an den gewaltsamen Charakter der sozialen Umwälzung bestehen bleibt,[92] zugleich aber auch die "Revolution im Heugabelsinn"[93] an Kredit verliert. Durch die Entdeckung des politischen Massenstreiks soll daher das bis anhin verschwommene Bild von der proletarischen Revolution Leben und Farbe gewonnen haben.[94] Daneben wird der politische Massenstreik übrigens unter Umständen auch noch zu gelegentlicher Unterstützung des Klassenkampfs in seinen vorrevolutionären Stadien vorgesehen.[95] [Fußnote 91: _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 738; ders. "Die soziale Revolution" ("Formen und Waffen der sozialen Revolution"); _Umrath_, p. 19, 20; Enquête, p. 208; _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 169; _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 394; _Willert_, Guesdist (Prot. int. Kongr. Amsterdam, 04, p. 27). --Über den Kl-str. als modernen Ersatz für die Erhebung: _Bissolati_, "Das Ergebnis der italienischen Wahlen", p. 958; vgl. auch _Eckstein_, p. 360.] [Fußnote 92: Vgl. _Roland-Holst_, a. a. O., p. XII ff.] [Fußnote 93: _Liebknecht_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 327); vgl. auch _Briand_ (Congrès général... Paris 1899, p. 156); _Parvus_, a. a. O.; _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 694; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 193; "'Der politische Massenstreik' und der Staatsanwalt", Bericht über die Verhandlung im Prozeß gegen _Löbe_ (wegen Abdruck der _Bernstein_'schen Rede), im Vorwärts, 1. Beilage zu Nr. 196, 23. Aug. 05. -- Andere, wie z.B. _Hue_ (vgl. "Partei und Gewerkschaft"), _Vliegen_ (vgl. "Der zehnte Parteitag der niederländischen Sozialdemokratie"), _Bömelburg_ (vgl. Prot. Gwft. Kongr. Köln 05) glauben, daß es auch noch andere "schärfere" Mittel zur ev. Herbeiführung der Katastrophe gäbe, als den Klassenstreik, und daß der Augenblick diese schon mit sich bringen werde.] [Fußnote 94: Dies rühmt z.B. _Roland-Holst_, a. a. O. p. 182 ff.] [Fußnote 95: So spricht z.B. _Roland-Holst_ (p. 95 ff.) vom pol. M-str. am Anfang (zur Erwerbung), im Verlauf des politischen Kampfes (zur Erhaltung von Rechten) und am Schluß desselben (als soziale Revolution), während z.B. nach der _Leipziger Volkszeitung_ vom 8. März 04 (cit bei _David_, "Rückblick auf Jena") der Klassenstr. einzig für die soz. Revolution in Frage käme.] Andererseits erscheint die Bedrohung der _sozialen Evolution_ als der extreme Fall, der die ausnahmsweise Anwendung des politischen Massenstreiks rechtfertigen könne. Und entsprechend dem Parlamentarismus, den er schützen soll, erscheint hierbei auch der politische Massenstreik entweder als wirksamster, wenn auch nicht einziger "Faktor eines stetigen, organischen Fortschritts auf dem Wege.. der proletarischen.. Emanzipation",[96] oder geradezu als Voraussetzung des Sozialismus überhaupt.[97] [Fußnote 96: _Bernstein_, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?"; _Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht"; _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 8 ff., 34; ders. "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; _Bernstein_ als Zeuge im Prozeß gegen _Löbe_, a. a. O.; _v. Elm_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 323;) _Jaurès_, a. a. O.; -- _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 22. -- _Hilferding_, p. 142; _Destrée und Vandervelde_, p. 22; _Bebel_ (Prot. Parteitg. Jena 05).] [Fußnote 97: "Hinter dem allgemeinen Wahlrecht muß stehen der Wille zum Generalstreik" (_Hilferding_, a. a. O. p. 139 ff.), der Generalstr. müsse die "regulative Idee" im Klassenkampf sein; z.B. von _Vliegen_ ("Der Generalstreik als politisches Kampfmittel") als "Phrase" abgelehnt; (vgl. oben p. 14).] § 6. Vergleich des Klassenstreiks mit verwandten Aktionsmitteln. Dem Klassenstreik sind eine Reihe anderer Aktionsmittel des Proletariats verwandt, die ebenfalls auf massenhafter Verweigerung notwendiger Funktionen beruhen oder beruhen können. Praktisch kommt fast ausschließlich der Entzug _wirtschaftlicher_ Funktionen in Betracht, und zwar vor allem der Entzug wirtschaftlicher Funktionen innerhalb des Produktionskreises; hierbei handelt es sich in erster Linie um die Mittel mit _obligatorischer_ Arbeitsverweigerung. Unter diesen begreift der Normalfall, die _offene_ Arbeitsverweigerung, also der _Streik_, auch den Klassenstreik in sich. Und zwar gleicht letzterer in seinem gewerblichen Wirkungsvermögen völlig den übrigen großen Streiks, steht hierin also, wie diese, in genauem Gegensatz zum partiellen Streik. Die _gewerbliche Wirkung_ eines Streiks auf die Unternehmer beruht im allgemeinen auf dem Interesse derselben am Fortgang der Produktion. Dieses Interesse, das den Unternehmer unter Umständen zur Nachgiebigkeit gegenüber den Forderungen seiner Arbeiter bestimmt, ist ein doppeltes. Der Fortgang der Produktion sichert einerseits die Verzinsung des im Betrieb angelegten Kapitals, sowie den Unternehmergewinn (zugleich die Erhaltung der Betriebseinrichtungen in brauchbarem Zustand): positives Interesse, und erschwert andererseits die Verdrängung durch die Konkurrenz (Einführung neuer Verfahren, Abfangen der Kundschaft usw. während des Streiks): negatives Interesse. Das _positive Interesse_ wird zwar vom Massenstreik, also auch vom Klassenstreik, ähnlich berührt, wie vom partiellen Streik; etwas stärker noch insofern, als beim Massenstreik von einer Aushilfe durch die Streikversicherung viel weniger zu erwarten steht, als bei einem partiellen Ausstand; dafür vermindert sich aber beim Massenstreik (und erst recht beim Klassenstreik) die Rücksichtnahme seitens der Arbeiter auf die wirtschaftlichen Konjunkturverhältnisse,[98] so daß hierbei wohl ausnahmslos auch solche Unternehmungen getroffen werden, denen gerade eine momentane Betriebsstockung zum Vorteil gereicht; ja, auch die dem Unternehmer gewöhnlich aus dem Streik erwachsenden Schwierigkeiten gegenüber Dritten (Nichteinhaltung von Lieferfristen, Konventionalstrafen usw.) verringern sich, je größere Dimensionen der Streik annimmt, je mehr er als Kasus angesehen werden darf.[99] [Fußnote 98: Es kann beim Kl-str. um so weniger Rücksicht auf die wirtschaftliche Konjunktur genommen werden, je mehr Rücksicht auf den politisch günstigen Moment genommen werden muß (vgl. _Hanich_, Prot. Parteitg. Wien, 1894, p. 65); eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Konjunktur wird überdies um so schwerer, je größer der Streik ist, da sich bei starker gewerblicher und geographischer Differenzierung der Beteiligten kaum ein Zeitpunkt finden läßt, wo sich alle fraglichen Gewerbe und Plätze annähernd gleicher Prosperität erfreuen.] [Fußnote 99: Schon die gewöhnlichen Streiks, bes. Angriffsstreiks, pflegen als Casus angesehen zu werden (vgl. _ab-Yberg_, p. 95).] Erscheint hiernach schon das positive Interesse des Unternehmers normalerweise durch den Massenstreik eher weniger bedroht, als durch den partiellen Streik, so tritt eine völlige Umkehrung des Verhältnisses bezüglich des _negativen Interesses_ ein. Die Unternehmerkonkurrenz spielt nämlich eine um so kleinere Rolle, je größere Dimensionen der Streik annimmt; denn je vollständiger die Einbeziehung aller miteinander konkurrierender Unternehmungen, um so geringer für jede einzelne die Gefahr der Konkurrenzstärkung während der Arbeitsunterbrechung.[100] Den kräftigeren Unternehmungen kann der Massenstreik durch die Beseitigung schwächerer Konkurrenten[101] sogar noch direkten Vorteil bringen. --Das Konkurrenzmoment als Faktor des Entgegenkommens, als Faktor des Streikerfolges, verliert also mit Ausdehnung des Streiks immer mehr an Bedeutung[102] und verschwindet überhaupt völlig, sobald die Gesamtheit der konkurrierenden Betriebe stillliegt.[103] [Fußnote 100: Ähnlich liegen die Verhältnisse beim partiellen Streik gegen Monopolisten (vgl. _Düwell_, "Zur Frage des Generalstreiks").] [Fußnote 101: Da diese sich ev. schon an den positiven Beeinträchtigungen durch den Streik verbluten; um die großen Unternehmer empfindlicher zu treffen, schlug daher _Ellenbogen_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 54) vor, den Kleinbetrieb von einem ev. Wahlrechtsstreik ausdrücklich auszunehmen.] [Fußnote 102: _Eckstein_, p. 258, 259; _Grosch_, "Der Generalstreik", p. 14, 15; vgl. auch _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 687 ff.] [Fußnote 103: Soweit dies nicht der Fall ist, können die Unternehmer übrigens durch internationale und nationale Vereinbarungen den Konkurrenzausschluß selbst herbeiführen (vgl. _Düwell_).] Der Massenstreik, und mit ihm der Klassenstreik, werden also in ihrer Wirkung auf das Unternehmertum stets hinter der Wirkung des partiellen Streiks zurückbleiben müssen, da das positive Interesse des Unternehmers an der Aufrechterhaltung des Betriebes keinesfalls stärker berührt, sein negatives Interesse aber ausgeschaltet wird. Der Massenstreik kann also keineswegs von vornherein als der Superlativ des partiellen Streiks angesehen werden; noch weniger ist die Berechtigung seiner Anwendung aus etwaiger Erfolglosigkeit partieller Ausstände zu folgern.[104] [Fußnote 104: Dies tut z.B. _Briand_ (Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 32, und "La grève générale et la révolution", p. 4, 5); vgl. auch _Umrath_, a. a. O.; _Dejeante_ (Congrès général... Paris 1899, p. 257 ff.). -- Die tatsächliche Zunahme der Massenstreiks und die Wahrnehmung, daß dieselben immer häufiger den Charakter politischer Ereignisse tragen (bes. im Eisenbahnbetrieb und im Bergbau: Pennsylvanien, Kolorado, Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich usw.), förderte die Überzeugung, diese Waffe, die "die technische Entwicklung den Arbeitern in die Hand gegeben" habe (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 132), sei auch im politischen Kampf anzuwenden (vgl. _Kautsky_, "Der Kongreß in Köln"; ders.: "Die soziale Revolution", p. 49, 50; _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 32 ff., 54; _Bernstein_, "Trust und Streik"; ders.: "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 416; ders. am Parteitg. in Jena, Prot. p. 315; _Stadthagen_, ebenda, p. 330).] Was dem Massenstreik aber an gewerblicher Wirkung abgeht, das kann unter Umständen die außergewerbliche, die _soziale Wirkung_ ersetzen, die den partiellen Streiks überhaupt fehlt, oder doch nur den exzeptionellen unproletarischen Streiks[105] zukommt. [Fußnote 105: Streiks der Schüler, Advokaten, Ingenieure, Richter, Handelsgehilfen, Ärzte, Apotheker, Munizipalbeamten (Streik der Gemeinderäte bei der südfranzösischen Winzerbewegung 1907). Die österreichische Hausbesitzerversammlung soll gar den abenteuerlichen Plan gefaßt haben (sofern keine Zeitungsente vorliegt), alle Wohnungen zu kündigen, falls die Regierung nicht unverzüglich an die Abänderung der Hauszins- und Gebäudesteuer ginge (gemäß "Fremdenblatt", cit. von der Arbeiterzeitung Wien, 24. Juni 1906).] Die soziale Wirkung des Massenstreiks kann von der _Zahl_ der Streikenden abhängen; denn jede Arbeitsniederlegung sehr vieler Menschen veranlaßt eine allgemeine Beunruhigung, Erregung, Unsicherheit, eine allgemeine Störung von Handel und Wandel.[106] [Fußnote 106: _Resel_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 70 ff.) Die Minderung der Kaufkraft der Ausständigen wird sich auf dem das Proletariat versorgenden Markte fühlbar machen; das Stillliegen vieler Betriebe zwingt, infolge der arbeitsteiligen Entwickelung, auch zahlreiche Dritte zur Arbeitsunterbrechung; die Verlängerung der Umschlagsdauer des Kapitals wird ein Sinken der Industriewerte nach sich ziehen usw.] Doch es kommt nicht nur auf die Zahl der Ausständigen, sondern auch auf die soziale _Bedeutung_ der stillgelegten Werke an, wonach sich die soziale Wirkung in qualitativer Richtung bestimmt. Unter den sozial wichtigen Unternehmungen aber wird die Arbeitsruhe derjenigen Gruppen den bedeutendsten Effekt herbeiführen, von deren fortwährenden Leistungen, also von deren ununterbrochener Inbetriebhaltung das gesellschaftliche Dasein in besonderem Maße abhängt (wie Kraft- und Lebensmittelversorgung, Transport, Sanitätsdienst usw.). Je allgemeiner in diesen Unternehmungen der Streik, um so empfindlicher seine Wirkung auf die Gesellschaft.[107] [Fußnote 107: Zur Förderung des sozialen Druckes bemühen sich die Arbeiter daher auch um Fernhaltung der Konkurrenz beim Streik; so wurde z.B. beim Streik im Ruhrgebiet seitens der Arbeiterschaft versucht, die belgische und englische Kohle durch Verständigung mit den dortigen Genossen fernzuhalten.] Auch das staatliche Leben ist durch den Massenstreik mannigfachen Beunruhigungen, unter Umständen sogar geradezu einer Gefährdung ausgesetzt, -- ganz abgesehen davon, daß der Staat durch jede gesellschaftliche Krise indirekt mitgetroffen wird. Einerseits handelt es sich auch dem Staat gegenüber um quantitativ bestimmte Wirkungen, sofern dieser nämlich die streikenden Massen um ihrer Zahl willen nicht mehr in den Schranken von Recht und Ordnung zu halten vermag; andererseits um qualitativ bestimmte Wirkungen, wenn große Streiks "an Stellen, wo sie dem Staat und der öffentlichen Gewalt am empfindlichsten sind", ausbrechen (Verkehrs- und Nachrichtendienst, Militärverproviantierung usw.), infolge der Natur der streikenden Betriebe die eigensten Funktionen des Staates stören und eine "Desorganisation des Staatsmechanismus" einleiten würden.[108] [Fußnote 108: Auf eine solche Wirkung rechnen _Parvus_, a. a. O.; _Zetkin_ (vgl. Vorwärts, 23. Aug. 05); _Roland-Holst_, a. a. O. p. 100 ff.; _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres" p. 208.] Wenn qualitativ und quantitativ bestimmte gesellschaftliche Wirkungen sich vereinigen, wenn der Massenstreik "der ganzen bürgerlichen Gesellschaft Unbequemlichkeiten und Verluste" zufügt,[109] "die notwendigen Funktionen der Wirtschaft" stilllegt und Störungen im öffentlichen Betrieb bewirkt,[110] den "Lebensprozeß der kapitalistischen Gesellschaft" bedroht, wenn er als "maladie publique",[111] als "nationale Kalamität"[112] auftritt oder auftreten soll, dann wird es sich kaum um den _innergewerblichen Massenstreik_ handeln, dann wird in der Regel ein _Klassenstreik_ vorliegen, oder zum mindesten doch ein solcher gewerblicher Massenstreik, dem wir, eben um dieser Wirkungen willen, eine Grenzstellung anweisen, den wir als _Pseudo-Klassenstreik_ bezeichnen müssen. [Fußnote 109: _Kautsky_, a. a. O. p. 690.] [Fußnote 110: _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 126).] [Fußnote 111: M. _Fazy_, Zu den Motionen _Scherrer_ und _Sulzer_ (Amtl. Stenogr. Bulletin der Schweiz. Bundesversammlung, Jahrg. XVI, p. 912).] [Fußnote 112: _Kautsky_, "Die Soziale Revolution", p. 49 ff.; ähnl. _Ulrich_, "Die Arbeiterausstände und der Staat", p. 1, 2.] Die gewerblichen und die außergewerblichen Wirkungen des Klassenstreiks treten in verschiedenen Kombinationen auf, je nachdem es sich um Forderungen an die Unternehmer oder um solche an die Öffentlichkeit handelt. (Natürlich versuchen wir hier nur eine Schematisierung des Vorgangs, eine sozusagen geometrische Skizzierung der typischen Grundformen, die unter der vielfarbigen Übermalung durch die stets veränderliche Wirklichkeit noch hervorschimmern.) Bei _wirtschaftlichen_ Forderungen wird die Druckkraft des Streiks bloß auf die Unternehmer zwar nicht eben bedeutende Erfolge herbeiführen; hingegen vermag vielleicht der zugleich auftretende gesellschaftliche Druck die Öffentlichkeit dermaßen zu beunruhigen, daß sie einzuschreiten versucht, den empfangenen Druck weiterleitet, ihn auf die "widerspenstigen Unternehmer" überträgt. Je weniger die Allgemeinheit unter der Erfüllung der Streikforderung zu leiden hat, je mehr sie den Standpunkt der Arbeiter teilt und den der Unternehmer tadelt (wie dies manchmal großen Monopolisten gegenüber der Fall ist), um so energischer wird sie auch die Erfüllung der proletarischen Wünsche verlangen, so daß also auf den Unternehmern außer dem allerdings nur schwachen gewerblichen Druck ev. indirekt noch der bedeutendere gesellschaftliche Druck lastet. Von der politischen Stärkeverteilung hängt es ab, ob die Unternehmer ev. auch durch gesetzliche Regelung der fraglichen Verhältnisse zur Gewährung der Forderung gezwungen werden können.[113] [Fußnote 113: Ein derartiger Vorgang lag beim österr. Kohlengräberstr. vor (vgl. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 689 ff.), wäre aber auch beim reinen Kl-str. denkbar.] Bei _politischen_ Forderungen kommt es zwar hauptsächlich auf die Stärke des direkten gesellschaftlichen Druckes an, doch läßt sich dieser indirekt noch durch den gewerblichen Druck, den der Streik auf die Unternehmer ausübt, steigern; denn zeigen letztere auch wenig Entgegenkommen bei ökonomischen Forderungen, die sie ev. aus der eigenen Tasche befriedigen müßten, so neigen sie hier naturgemäß eher ein wenig zu Konzessionen, wo sich der immerhin auch bei Massenstreiks erwünschte gewerbliche Frieden auf Kosten dritter, nämlich auf Kosten der Regierung erkaufen läßt. Je nachdem im Arbeitgeber der Staatsbürger oder der Unternehmer vorherrscht, wird er seinen Einfluß für oder gegen die Arbeiterforderung in die Wagschale werfen.[114] [Fußnote 114: Je mehr der Unternehmer seinen Schaden "auf die politische Maschine" übertragen könne, "um so wirksamer wird der Streik sein" (_Adler_, Prot. Parteitg. Wien 05, p. 126 ff.; ähnl. _Kautsky_, a. a. O.).] Bricht der Klassenstreik in einem revolutionären Moment aus, wenn also eine Kluft zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und dem Staat besteht, so kann auf letzterem außer dem direkten unter Umständen auch noch der von Gesellschaft und Unternehmertum auf die Regierung überwälzte, also ein indirekter Streikdruck lasten. Eine Überwälzung eines indirekten Streikdrucks auf die Regierung ist natürlich in wirklich demokratischen Staatswesen völlig gegenstandslos,[115] da in solchen eine Kluft zwischen Regierung und Volksmajorität prinzipiell ausgeschlossen ist. Überhaupt ist in der durchgeführten politischen Demokratie jeder politische Streik so überflüssig,[116] wie es der gewöhnliche Streik bei durchgeführter gewerblicher Demokratie sein würde.[117] Nur wer, wie die französischen revolutionären Syndikalisten, an die ausschlaggebende Bedeutung sektiererischer Minoritäten glaubt, der wird auch in der Demokratie den Streik predigen.[118] [Fußnote 115: Gegen den pol. M-str. in der Demokratie äußerte sich z. B. der Schweizer. Arbeitersekretär _Greulich_; vgl. auch z.B. _Bourdeau_, p. 442.] [Fußnote 116: _Kautsky_, a. a. O. p. 732, 733.] [Fußnote 117: _Bernstein_, z.B. "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 416 ff.] [Fußnote 118: "La démocratie... opprime la minorité qui porte en elle l'avenir. La tactique de combat syndicaliste n'a aucun égard à la masse, qui ne veut pas vouloir, et met au premier rang ceux qui sont décidés à agir" (_Pouget_, cit. bei _Bourdeau_, p. 44; vgl. auch _Lagardelle_, "Die syndikalistische Bewegung in Frankreich", und _Deville_, "Revolutionärer und reformistischer Sozialismus in Frankreich", p. 26, 27). _Jaurès_ (vgl. "Aus Theorie u. Praxis", p. 119 ff., und "Grève et Révolution" [Humanité, 5. Nov. 05]), der diesen Standpunkt ursprünglich bekämpfte, macht den Syndikalisten doch insoweit Konzessionen, als er zugibt, "la grève générale en France... pourra communiquer à la masse lourde de la démocratie l'animation concentrée dans la classe ouvrière organisée. Elle pourra même abreger l'agonie du régime capitaliste".] Treten politische und wirtschaftliche Forderungen zusammen auf[119] so kann der Gesamtdruck hierdurch verringert oder verstärkt werden, je nach der Stellungnahme der Unternehmerschaft. Ist diese von vornherein zu unbedingter Ablehnung der wirtschaftlichen Forderungen entschlossen, so wird sie sich kaum für die Durchsetzung der politischen Wünsche bemühen, wenn deren Erfüllung den Streik doch noch nicht beendigen würde. Liegt den Unternehmern aber die politische Forderung selbst am Herzen, so kommen sie vielleicht ausnahmsweise den Arbeitern in ökonomischer Hinsicht entgegen, um deren Streikfähigkeit zu steigern.[120] [Fußnote 119: Bei den meisten polit. M-streiks traten die Arbeiter auch mit spez. wirtschaftlichen Forderungen an die Unternehmer heran: schon beim Plug-Plot; in Belgien, usw.; auch 1894 von einem Teil der österr. Sozialdemokratie für den projektierten Wahlrechtsstreik geplant (vgl. _Hueber_, Prot. Parteitg. Wien 94, p. 58, _Adler_, Prot. Parteitg. Wien 05, p. 131).] [Fußnote 120: Dies soll in Rußland vorgekommen sein (vgl. z.B. _Roland-Holst_, "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 216).] Ähnlich wie zu den verschiedenen Arten des Streiks, der offenen Arbeitsunterbrechung, verhält sich der Klassenstreik zu denen der versteckten, der trotz formeller Weiterarbeit tatsächlichen Arbeitsunterbrechung, zu den Arten des _verschleierten Streiks_. Seine legale Form bildet die sogenannte _passive Resistenz_ oder _Dienstobstruktion_. Durch verabredete, peinlichste Befolgung eines den Betriebserfordernissen nicht, resp. nicht mehr angepaßten Dienstreglements wird der Arbeitseffekt so herabgesetzt, daß tiefgreifende Betriebsstörungen oder Betriebslähmungen eintreten, die den Wirkungen einer direkten Arbeitsverweigerung völlig gleichen. In großem Maßstab wurde diese Methode bisher nur im Eisenbahnbetrieb angewandt (in Italien und Österreich, wo sie völlig den Effekt eines Massenstreiks ausübte).[121] Die Dienstobstruktion ist wirklich eine "verteufelt schlaue Idee..., wenn sie auch in der Praxis, weil zu fein zugespitzt, bald schartig werden kann";[122] "steht und fällt" sie doch mit dem Reglement, nach dessen zweckmäßiger Revision sie entweder erlöschen, oder den ihr eigentümlichen Boden formeller Legalität verlassen und in den _Sabot_[123] übergehen muß. Der Sabot bedeutet "systematisch langsam arbeiten oder Pfuscharbeit liefern",[124] "Unsichermachung des Betriebs, Zerstörung von Produktionsmitteln",[125] ist also völlig verwerflich. [Fußnote 121: Vgl. Rdsch. Soz. Mh. Juni 05, p. 557-558; _Olberg_, "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik", p. 380, 381; Rudolf Graf _Czernin_, "Die Bekämpfung der passiven Resistenz", p. 7 ff.] [Fußnote 122: Soz. Prx. 1905, Nr. 22.] [Fußnote 123: Sabot = Hemmschuh, Radschuh, Bremse. -- _Lagardelle_ ("Die syndikalistische Bewegung in Frankreich", p. 119) nennt das englische Ca' canny als Ursprung der Sabotage; letztere müsse man übrigens "als ein Kampfmittel der Verzweiflung betrachten, welches in das System der an sich nötigen Werkstättearbeiten, das der Syndikalismus aufstellt, nicht gehört".] [Fußnote 124: Aus der Taktik der Confédération générale du Travail (vgl. "Antimilitarismus und Generalstreik", Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_").] [Fußnote 125: "_Weckruf_" 05, cit. in der N. Z. Z. vom 12./10. 05, Nr. 283.] Auch _Demonstration_ und _Insurrektion_ sind häufig mit Arbeitsniederlegung verknüpft und kommen dann, da sie zudem meist Ziele verfolgen, wie sie auch bei gewissen Klassenstreiks begegnen, diesen äußerst nahe. Wenn z.B. die Versammlungs- oder Straßendemonstration durch Arbeitsruhe verstärkt wird,[126] so verwandelt sie sich bei genügender Ausdehnung und genügender Dauer in den demonstrativen Klassenstreik. Insbesondere kann dies bei der _Maifeier_ der Fall sein. Die Maifeier war ursprünglich wohl als ein kurzer demonstrativer Weltstreik geplant.[127] Entstammt sie doch der gleichen Quelle, wie der anarchistische Generalstreik selbst;[128] möglich auch, daß der internationale Arbeiterkongreß in Paris 1889 für die internationale Kundgebung zum 1. Mai 1890 die Arbeitsruhe im Sinne hatte; doch enthielt er sich jeder Vorschrift über die Form der Kundgebung;[129] auch auf den folgenden nationalen und internationalen Kongressen wurde die Arbeitsruhe nur als "würdigste" und "wirksamste", daher erstrebenswerteste Form der Maifeier, keineswegs als deren Bedingung hingestellt.[130] Da zudem, neben Tendenzen zur Abschaffung der Maifeier[131] auch Bestrebungen aufgetaucht sind, aus praktischen Gründen von der Arbeitsruhe überhaupt ganz abzusehen,[132] so läßt sich die Maifeier höchstens als "tentative de grève générale",[133] nur ganz ausnahmsweise als wirklicher Klassenstreik ansehen. [Fußnote 126: Durch die Arbeitsruhe soll die Wirkung der Demonstration in Bezug auf Eindrücklichkeit und Propagandakraft vertieft werden (vgl. _Eckstein_, p. 361; "'Der politische Streik' und der Staatsanwalt", a. a. O.; Bericht der Delegation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands... p. 51; A. _Rudolph_, "Zur Maifeier"; _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 33, 34; ders. "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 415, 416; _Block_, p. 563; _Cohnstaedt_, a. a. O.; _Bömelburg_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 233; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 193; Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 62.)] [Fußnote 127: Die Maifeier ist eine Demonstration "für die gesetzliche Einführung des achtstündigen Arbeitstags, für die Klassenforderungen des Proletariats und für den Weltfrieden" zwecks Aufrüttelung der "öffentlichen Gewalten" (vgl. die Protokolle der int. Kongr. von Amsterdam 04, p. 53 ff.; Paris 1889, p. 123; Brüssel 1891; Zürich 1893, p. 35; London 96, p. 29; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 141).] [Fußnote 128: Im Dez. 1888 beschloß der Kongreß der Federation of Labour in St. Louis, am 1. Mai 1890 eine Kundgebung für die Arbeiterforderungen zu veranstalten (vgl. z.B. Flugschrift zum 1. Mai 1895 [Buchdruckerei des Schweizerischen Grütlivereins]).] [Fußnote 129: Prot. Int. Kongr. Paris 1889, p. 123.] [Fußnote 130: _Kampffmeyer_, "Zur Maifeierfrage"; Protokolle der int. Kongresse Brüssel 91; Zürich 93, p. 35; London 96, p. 29; Amsterdam 04, p. 53 ff.] [Fußnote 131: So z.B. auf der 9. Generalvers. des Zentralverbandes der Schiffszimmerer Deutschlands im Mai 05; doch wurde der diesbezügl. Antrag abgelehnt (vgl. Vorwärts, 25. 5. 05).] [Fußnote 132: Vgl. Prot. Gwft. Kongr. Köln 05; man wollte die Feier auf den Abend (Resolution _Schmidt_ auf dem Gewerkschaftskongr. Köln), oder auf den ersten Sonntag im Mai verlegen (vgl. Prot. Gwft. Kongr. Köln; Rdsch. Soz. Mh., Juni 05, über den Kongr. der belg. Arbeiterpartei Ostern 05; Prot. int. Kongr. Brüssel 1891), wie dies tatsächlich in einigen Ländern geschehen ist (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 53 ff.).] [Fußnote 133: _Briand_, "La grève générale et la révolution", p. 14.] Hingegen wird die _Insurrektion_ wohl stets mit Arbeitsruhe verknüpft sein. Bei früheren Revolutionen, zur Zeit der Vorherrschaft der handwerksmäßigen Technik, mag die Arbeitsruhe freilich nur eine geringe Rolle gespielt haben, denn die unterbrochene Handwerksarbeit läßt sich nicht allzuschwer wieder aufnehmen, und wo etwa doch eine ernstliche Störung eintrat, berührte diese, wegen der Enge des Marktgebiets, nur einen verhältnismäßig kleinen Kreis; bei der heutigen industriellen Entwicklung aber dürfte die Revolution fast notwendig mit dem Klassenstreik verbunden sein.[134] [Fußnote 134: Ein Beispiel hierfür scheint die russ. Revolution zu bieten.] Neben der _Verweigerung_ der _Produktionskraft_ des Proletariats tritt die allgemeine Zurückziehung seiner _Konsumkraft_ aus dem bürgerlichen Wirtschaftsleben sowohl wegen der geringen proletarischen Kaufkraft, als auch wegen der fast unüberwindlichen Schwierigkeiten selbständiger Verproviantierung an Bedeutung vollständig zurück.[135] -- Praktisch ebenso erfolglos ist die Zurückhaltung von Leistungen gegenüber dem Staat, sei es auf dem legalen Weg der parlamentarischen Steuerverweigerung oder des Boykotts steuerbelasteter Waren,[136] sei es in rechtswidriger Weise durch die militärische Dienstverweigerung oder eigenmächtige Steuerverweigerung. [Fußnote 135: Schon in der Chartistenbewegung wurde "exclusive dealing" und "run on the banks for gold" (_Gammage_, p. 109), während der österr. M-streikdebatten Bezugsbeschränkung auf Konsumvereine und Kleinhändler vorgeschlagen (Prot. Parteitg. Wien 1903, p. 122ff.); es tauchte in Österreich auch der Plan auf, einen ev. pol. M-str. durch Verweigerung des Wohnungszinses zu unterstützen (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 105). Das Umgekehrte liegt bei den "Hungerstreiks" vor, wo nur das eigene Leben einer Gefahr ausgesetzt wird, um hierdurch zu demonstrieren, um "durch Imponderabilien, durch Furcht vor Skandalen, durch Erweckung menschlicher Empfindungen doch einen Eindruck zu erzielen" (vgl. _Liebknecht_, Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 195).] [Fußnote 136: "Abstinence from all excisable articles" (_Gammage_) schon bei den Chartisten geplant, ähnl. in der österr. Wahlrechtsbewegung vorgeschlagen (Prot. Parteitg. Wien 03, p. 122ff.).] _Zweiter Teil:_ Geschichte des Klassenstreiks und der Klassenstreikidee. Erstes Kapitel: _Vorläufer._ § 7. Klassenstreikähnliche Bewegungen im Altertum und in neuerer Zeit. Der Klassenstreik ist keineswegs so neu, wie es ihm manche seiner heutigen Entdecker nachrühmen.[137] Denn er trat schon in den sozialistischen "Flegeljahren" auf,[138] er erschien bereits an der Wiege der modernen Arbeiterbewegung. Und eigentlich ist er noch viel älter; eigentlich stammt er aus dem _Altertum_. Die antike Geschichte kennt zwar keinen wirklichen Klassenstreik in unserem modernen Sinn, aber doch immerhin klassenstreikähnliche Bewegungen: nämlich den "sagenhaften _Massenstreik der Juden in Ägypten_, der nach der Bibel ausbrach, weil die Beamten des Pharao den jüdischen Ziegelarbeitern nicht das nötige Stroh zum Ziegelbrennen lieferten, und am Ende der Dinge die Folge hatte, daß Pharao mit seinen Truppen im roten Meer ertrank".[139] Und eine klassenstreikähnliche Bewegung war auch der _Auszug der Plebejer auf den heiligen Berg_ im Jahre 494 v. Chr.[140] Wollten die gedrückten Bauern die Patrizier durch diesen Entzug militärischer und ökonomischer Kräfte in Verlegenheit setzen und dadurch zur Nachgiebigkeit bewegen? Wollten sie nur den unerträglichen Lasten entfliehen? Jedenfalls war den Römern die Wirkung der Sezession empfindlich genug, um ihre Beendigung durch ein kostbares politisches Recht, das Volkstribunat, zu erkaufen.[141] [Fußnote 137: Von der "neuen Strategie" spricht z.B. E. Th. in dem Artikel "Der Parteitag von Jena und der Generalstreik" ("Einigkeit" 9. 12. 05).] [Fußnote 138: _Vliegen_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28).] [Fußnote 139: _Bernstein_, "Der politische Massenstreik und die politische Lage der Sozialdemokratie in Deutschland", p. 18; auf den jüdischen Volksstreik verweist auch _Penzig_, "Massenstr. und Ethik", p. 3; ferner Nationalrat _Scherrer_, der Moses als Streikführer bezeichnet (vgl. das amtl. stenogr. Bulletin der schweizerischen Bundesversammlung, Bern 1906, Jahrg. XVI, p. 864); vgl. Exodus, Kap. 5 ff.] [Fußnote 140: Freilich handelte es sich auch hierbei nicht gerade um freie Lohnarbeiter. --Das aus dem Krieg heimkehrende römische Heer erfährt, daß die Reformen zu Gunsten der Bauern vom Senat abgelehnt worden sind; es verläßt darauf den Feldherrn und zieht in militärischer Ordnung auf den heiligen Berg, wo es Miene macht, eine neue Plebejerstadt zu gründen. "Dieser Abmarsch tat selbst den hartnäckigsten Pressern auf eine handgreifliche Art dar, daß ein solcher Bürgerkrieg auch mit ihrem ökonomischen Ruin enden müsse: der Senat gab nach." (_Mommsen_, "Römische Geschichte", 3. Aufl. 1861, 1. Band, 2. Buch, Kap. II, p. 263, 264).] [Fußnote 141: Auf den Auszug der Plebejer als auf einen der ältesten Klassenstreiks verweisen _Bernstein_ ("pol. M. Str. u. pol. Lage", p. 19; ders., "Der Streik", p. 9); _Penzig_ a. a. O. p. 3ff.; _Bourdeau_, "Les grèves politiques", p. 425.] Auch das ausgehende _Mittelalter_ weist, mit dem Beginn der kapitalistischen Produktionsweise, Erscheinungen auf, die dem modernen Klassenstreik nicht unähnlich sind. So in _Flandern_, wo sich im 14. Jahrhundert die soziale Gärung, deren Träger hauptsächlich die Arbeiter der Wollindustrie waren, in Volksbewegungen geltend machte, "bei denen sich leicht alle für einen Arbeiterstreik charakteristischen Erscheinungen wahrnehmen lassen".[142] Auch der sogenannte _Ciompi_-Aufstand in Florenz 1378, der von den niedersten Elementen der Wollenzunft ausging, scheint streikartigen Charakter getragen zu haben.[143] Als Vorläufer in neuerer Zeit wäre z.B. aus den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts die Lohnbewegung der _Hamburger_ Schlosser zu nennen, der sich aus Solidarität zunächst andere Gesellen, dann auch die Fabrikarbeiter anschlossen, so daß eine Zeit lang allgemeine Arbeitsruhe herrschte; die Bewegung wurde jedoch, da die Demonstrationen bald einen aufrührerischen Charakter annahmen, mit Waffengewalt beendigt.[144] [Fußnote 142: Vgl. _Pirenne_, Geschichte Belgiens, p. 419, 420.] [Fußnote 143: Vgl. _Doren_, "Die Florentiner Wollentuchindustrie", p. 240 ff., 410. --] [Fußnote 144: Vgl. A. _Heinrich_, "Ein Generalstreik in Hamburg vor 100 Jahren", p. 507.] Wenige Jahre, ehe sich in Hamburg aus einem partiellen Streik zufällig eine klassenstreikartige Erscheinung entwickelte, hatte bereits _Mirabeau_ geäußert, das Volk könne "se croiser les bras pour obtenir justice",[145] und als "erster Verkünder des Generalstreiks" den privilegierten Ständen in der Nationalversammlung zugerufen: "Prenez garde!... n'irritez pas ce peuple qui produit tout,[146] et qui pour être formidable n'aurait qu'à être immobile".[147] [Fußnote 145: Vgl. _Destrée_ und _Vandervelde_, "Le socialisme en Belgique", p. 258.] [Fußnote 146: Unter "peuple" ist natürlich der Tiers-Etat, also Bürgertum inkl. Lohnarbeiter, zu verstehen.] [Fußnote 147: Cit. bei _Jaurès_, (Enquête, p. 111) und _Umrath_, a. a. O. p. 13.] Nach den angeführten Beispielen kann zugegeben werden, daß "das große Wort 'Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!', dieses Wort mit allen Phantasien, mit allen Konsequenzen, besonders mit aller Begeisterung, die sich daran knüpft.... dem Proletariat selbstverständlich in Fleisch und Blut" liegt, so daß der Gedanke des Klassenstreiks "ganz selbstverständlich ... in verschiedenen Ländern, zu verschiedenen Zeiten, in verschiedenen Formen und mit verschiedener Bestimmtheit" auftritt.[148] Dennoch darf der proletarische Masseninstinkt nicht als einzige Quelle der Klassenstreikidee angesehen werden; diese wurde vielmehr zu gleicher Zeit "von Theoretikern ausgeheckt... philosophisch begründet... von einzelnen Denkern des Proletariats ersonnen".[149] Der theoretische und der praktische Faktor haben gemeinsam an der Ausgestaltung dieses Gedankens gearbeitet. [Fußnote 148: Dr. V. _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien, 05, p. 125).] [Fußnote 149: Dies bestreitet _Adler_ a. a. O.] § 8. Die Klassenstreikidee im englischen Chartismus. In den 1830er Jahren tauchte in England mehrfach der Plan eines "Universalstreiks" auf.[150] Doch der Gedanke, die allgemeine Arbeitseinstellung auch in den Dienst politischer Forderungen zu stellen, ist nicht in den englischen Arbeitermassen, sondern in den Köpfen bürgerlicher Chartistenführer entstanden. Es soll ihnen dabei der Auszug auf den heiligen Berg vorgeschwebt und sie zur Bezeichnung ihres projektierten Streiks als "heilige" Woche veranlaßt haben;[151] sonach wäre also auch unser moderner Klassenstreik durch ein geistiges Band mit der Antike verknüpft. [Fußnote 150: So forderte _Fielden_, angeregt durch die energische Propaganda der "Gesellschaft für nationale Wiedergeburt" (von _Owen_ im Dez. 1833 gegründet), die Textilarbeiter von Lancashire zu einem "Universalstreik" zur Erlangung des 8-St.-Tages auf. Ein derartiger Versuch, unter Führung der Baumwollspinner, scheiterte (vgl. S. & B. _Webb_, "Geschichte des britischen Trade-Unionismus", p. 102, 103, 124, 125). -- 1834 trat die "grand national consolidated trades union" ins Leben, und "es war die eingestandene Politik der Föderation, einen Generalstreik aller Lohnarbeiter des ganzen Landes ins Werk zu setzen" (S. & B. _Webb_, a. a. O. p. 104-106).] [Fußnote 151: Vgl. _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel", p. 960.] Die Klassenstreikidee, die im Frühling 1838 im Chartismus erschien, ging von der Birminghamer "political union" aus und wurde ganz besonders von _Atwood_ propagiert.[152] Würde das Parlament "wahnsinnig genug" sein, um die Petition[153] zu verachten, so wolle er das Volk "zu einem feierlichen, heiligen, allgemeinen Ausstand aufrufen, nicht des Arbeiters gegen den Herrn, sondern einem Ausstand aller gegen den gemeinsamen Feind!", "then the working men with such of the middle class as might be disposed to favour their views,[154] should proclaim a solemn and sacred strike from every kind of labour. Not a hand was to be raised to work, but every heart, every head, and every arm was to be directed to the furtherance of the people's cause, until victory smiled upon their efforts".[155] Denn durch "a national strike for one week, during which time not a hammer was to be wielded, nor an anvil sounded, nor a shuttle moved, throughout the country", könne das Volk auf das Unterhaus "exercise... a little gentle compulsion".[156] -- _Atwood_ war Gegner von Gewalttätigkeiten, bekämpfte also auch die Gruppe der "physischen Gewalt" im Chartismus. Wenn er trotzdem ein Mittel empfahl, das unweigerlich zur Revolution führen mußte, so war er sich entweder dieser Konsequenz nicht bewußt,[157] oder -- und dies erscheint als das Wahrscheinlichere -- er durfte diese Konsequenz außer Acht lassen, weil er gar nicht die Absicht hatte, die holy week wirklich zu inszenieren. Denn Atwood kannte sehr genau die Voraussetzungen ihrer siegreichen Durchführung und wußte, daß, wenn diese Voraussetzungen einmal erfüllt wären, die Chartisten auch ohne Streik siegen konnten. Aber die Vorbereitung eines solchen Ausstandes konnte nach seiner Ansicht die moralische Kraft des Volkes stärken und hierdurch gerade "die wilden und verbrecherischen Verirrungen physischer Kraft" erdrücken;[158] vielleicht glaubte er auch, daß das Parlament vor der Streikdrohung kapitulieren und die Charte gewähren würde, wodurch sich die Frage der heiligen Woche ja ohne weiteres erledigt hätte. [Fußnote 152: Vgl. _Gonner_, "The Early History of Chartism", p. 636. --_Atwood_ sprach für den Kl.Str. anläßlich der von der Birminghamer "political union" am 21. u. 28. Mai 1838 veranstalteten Meetings, an denen sich 150 000, resp. 200 000 Demonstranten beteiligten und ihm zujubelten (Birminghamer Journal, 26./5. 1838, cit. bei _Tildsley_, "Die Entstehung und die Grundsätze der Chartistenbewegung", p. 36, 37); am 16. Aug. 1838 setzte er in der Demonstrationsversammlung im Midland "die heilige Frist von einer Woche fest, wenn das Unterhaus die Petition nicht annähme" (_Tildsley_, a. a. O. p. 38); ähnlich sprach er auch auf dem großen Birminghamer Meeting 1838.] [Fußnote 153: Mit den 5 chartistischen Forderungen.] [Fußnote 154: Es sollte also nicht eine reine Lohnarbeiterbewegung werden.] [Fußnote 155: _Gammage_, "History of the Chartist Movement".] [Fußnote 156: Diese Worte machten großen Eindruck auf die Zuhörer (vgl. _Gammage_, a. a. O. p. 43).] [Fußnote 157: _Gammage_ a. a. O.] [Fußnote 158: _Tildsley_, a. a. O. p. 48, 49.] Dieser friedfertige Charakter des "national holiday" verschwand aber, als im Winter 1838/39 die Führung der Chartistensache mehr und mehr auf den extremen Flügel überging. Aus der demonstrativen "heiligen Woche" wurde ein "heiliger Monat" mit Pressionscharakter;[159] die linksstehenden Konventsmitglieder, die ihr eigenes revolutionäres Empfinden in die Massen projizierten, rechneten sogar stark mit seiner baldigen Verwirklichung. Immerhin befragte der Konvent das Volk in einem Manifest noch direkt nach seiner Kampfbereitschaft, ob es bei ev. Ablehnung der Charte "ulterior means", z.B. "an universal cessation of labour" anzuwenden geneigt sein würde.[160] Die sogenannten Simultaneous Meetings (Monstre-Versammlungen im ganzen Lande vom Mai-Juli 1839), bereiteten unter dem Einfluß der extremen Chartistenführer dem Manifest eine begeisterte Aufnahme.[161] Schließlich glaubte der ganze Konvent, "a holiday, or sacred month would be found to be the only effectual remedy for the sufferings of the people",[162] "that, until they had a sacred holiday they would never have universal suffrage".[163] Die Bedächtigeren freilich verlangten doch noch zuerst einen Versuch mit den übrigen Mitteln, oder mindestens eine Vorbereitung des heiligen Monats (z.B. Einsetzung einer Kommission zur Ausarbeitung des besten Aktionsplans, "to select a few trades whose cessation from labour would cause all other trades to leave off work"; Errichtung eines Streikfonds, dessen Größe zugleich einen Gradmesser für die Streikbereitschaft der großen Massen abgeben könne), und hintertrieben die sofortige Fixierung eines Termins für seinen Anfang; doch vermochten auch sie den "voreiligen und törichten Beschluß", daß der Konvent, bei Ablehnung der Charte, am 13. Juli zusammenkommen müsse, um den definitiven Tag des Streikbeginns festzusetzen,[164] nicht zu verhindern. -- Am 12. Juli wurde die Charte wirklich vom Unterhaus abgelehnt, und am folgenden Tage proklamierte der nur schwach besuchte Nationalkonvent, aller Warnungen unerachtet, den 12. August als Eröffnungstag des heiligen Monats.[165] Nun endlich aber kehrte dem Konvent die Einsicht in die realen Machtverhältnisse zurück, endlich kam er zur Erkenntnis, warum das Unterhaus sich durch die Streikdrohung nicht hatte einschüchtern lassen: war es doch ganz unmöglich, den heiligen Monat in irgendwie erheblichem Umfang zu verwirklichen; gerade unter der Majorität der wichtigsten Distrikte fehlte, bei aller Begeisterung für die Charte, doch jede Stimmung für den Ausstand;[166] nur die schlechtest gestellten Arbeiter traten für ihn ein, während die Gewerkvereine ihn durchweg ablehnten.[167] Daher erklärte sich der Konvent schon am 16. Juli für inkompetent, Zeit und Umstände eines nationalen Generalstreiks festzusetzen, und überließ dem Volke selbst die Entscheidung.[168] Die Kommission, der die Befragung desselben aufgetragen worden war, riet dringend, den Streikplan aufzugeben, und die ausschlaggebenden Konventsmitglieder pflichteten ihr bei.[169] Am 6. Aug. vervollständigte der Konvent seinen Rückzug durch die ausdrückliche Warnung vor dem heiligen Monat; alles, was von dem stolzen Plane übrig blieb, war die Empfehlung einer "grand national moral demonstration" (2-3tägige Arbeitsruhe vom 12. Aug. an,[170] die auch zu Stande kam); die Bewegung für den national holiday war vorläufig beendet. [Fußnote 159: Von einer Beteiligung der Mittelklassen war nicht mehr die Rede.] [Fußnote 160: _Gammage_, p. 109; auch _Tildsley_, p. 46.] [Fußnote 161: Wenigstens sagen dies die Berichte der Konventsmitglieder beim Wiederzusammentritt des Konvents am 1. Juli 1839 in Birmingham; vgl. _Gonner_, a. a. O. p. 640.] [Fußnote 162: _Gammage_, a. a. O. p. 127.] [Fußnote 163: So _O'Connor_; vgl. _Gammage_, a. a. O.] [Fußnote 164: Dieser sog. Motion Dr. _Taylor_ stimmten auch solche Konventsmitglieder zu, die von der Undurchführbarkeit eines heiligen Monats zwar überzeugt waren, aber fürchteten, bei Ablehnung als Feiglinge zu gelten; andere stimmten dafür, weil die Unternehmer mit einer einmonatlichen Aussperrung drohten (_Gammage_ a. a. O. p. 126-130).] [Fußnote 165: Man meinte, "the best time for commencing the sacred month was when the corn was ripe and the potatoes were on the ground" (cit. bei _Gammage_, a. a. O. p. 145).] [Fußnote 166: Zwar berichtete Dr. _Taylor_ noch nach Ablehnung der Charte, in den Industriebezirken sei die Organisation für den heiligen Monat "going on like a house on fire"; zwar verpflichtete sich auch noch nach Ablehnung der Charte ein Meeting in Newcastle einstimmig für den heiligen Monat; aber diese, wie die früheren Streikbeschlüsse, entstanden in der Aufwallung leidenschaftlicher Volksversammlungen und entbehrten jeder reellen Grundlage (vgl. _Gammage_ a. a. O. p. 129-145).] [Fußnote 167: Vgl. _Brentano_, "Die englische Chartistenbewegung".] [Fußnote 168: Weil der Konvent durch "desertion, absence and arbitrary arrests" sehr reduziert sei; weil sich im Konvent und in der Arbeiterschaft Meinungsdifferenzen über die momentane Durchführbarkeit eines heiligen Monats gezeigt hätten; weil man die Allgemeinheit des Streiks bezweifeln müsse, ein bloß partieller Streik aber als großes Unglück anzusehen sei, deshalb solle das Volk selbst entscheiden (vgl. _Gammage_, a. a. O. p. 146).] [Fußnote 169: _O'Connor_ verstieg sich jetzt sogar zu der ebenso kühnen wie unzutreffenden Behauptung, er und alle hervorragenden Führer seien von jeher gegen das Projekt überhaupt gewesen (_Gonner_, a. a. O. p. 641, 642; _Gammage_, a. a. O. p. 147, 148; _Tildsley_, a. a. O. p. 47, 48; _Bernstein_, "Der Streik als polit. Kampfmittel", p. 691).] [Fußnote 170: Für diese wurde die Unterstützung der "united trades" angerufen (_Gammage_, p. 154ff.).] Die gescheiterte Klassenstreikpropaganda war natürlich nicht dazu angetan, das ohnehin gesunkene Ansehen des Chartismus zu retten; doch die Bewegung begann von Neuem, als im Jahre 1840 zahlreiche Führer aus der Gefangenschaft zurückkehrten.[171] O'Connor's Parteidiktatur hinderte eine ersprießliche Reformarbeit, sowie den Anschluß an die Antikorngesetzliga und die Wahlgesetzreformbewegung der Mittelklassen. Als daher am 2. Mai 1842 auch die zweite Petition vom Parlament verworfen worden war, rückte die Gruppe der "physischen Gewalt" wieder in den Vordergrund des Chartismus, und "amidst the general dejection a few men clung to the idea, which had animated them in 1839".[172] Die Gelegenheit zum Streik bot sich bald. Denn durch unvermittelte Lohnreduktionen, sowie durch Entlassungen chartistischer, liga-feindlicher Arbeiter[173] stieg das Elend in den Industriegegenden, zugleich die Empörung und die Streiklust. Es erscheint gar nicht ausgeschlossen, daß die Antikornzoll-Liga den Streik absichtlich anzettelte,[174] um die daraus entstehende Aufregung für ihre Zwecke auszunützen. Sicherlich aber lag es weder in den Plänen der Liga, noch in denen der anerkannten Chartistenführer,[175] die nun ausbrechende Lohnbewegung zu einem heiligen Monat zu erweitern und die wirtschaftlichen Ziele mit chartistischen Forderungen zu verquicken. Und doch war letzteres unvermeidlich; denn, auch abgesehen von der Agitation der "few men", die immer noch an die Wunderkraft eines national holiday glaubten,[176] ist es durchaus begreiflich, daß die "durch die Chartistenagitation aufgewühlten" Arbeiter, "durch die Not zum Äußersten gebracht, von selbst auf die Idee des heiligen Monats zurückfielen".[177] [Fußnote 171: Vgl. für das Folgende insbes. _Brentano_, a. a. O.] [Fußnote 172: _Spencer Walpole_, "A History of England from the conclusion of the great war in 1815" p. 136, 137.] [Fußnote 173: _Gammage_, a. a. O. p. 217.] [Fußnote 174: _Bernstein_ behauptet dies (vgl. "Der Streik als pol. Kampfmittel"; "Pol. M. Str. u. pol. Lage" p. 20); auch _Tildsley_, a. a. O. p. 48.] [Fußnote 175: Vgl. _Brentano_ a. a. O.; nach _Gammage_ (a. a. O. p. 214 ff.) lag es nicht in den Plänen der einsichtsvolleren Chartistenminorität.] [Fußnote 176: _Spencer Walpole_, a. a. O. p. 136, 137.] [Fußnote 177: _Brentano_, a. a. O.] Der Ausstand, gew. als _Lancashire-Streik_ bezeichnet, begann am 5. August 1842[178] in Ashton und verbreitete sich rasch über Lancashire, Staffordshire, Cheshire, Warwickshire, Yorkshire, Schottland und Wales.[179] Zu den ursprünglich rein wirtschaftlichen Forderungen[180] gesellte sich in kürzester Frist das politisch-chartistische Postulat.[181] Mit dem Rufe "suspension of labour, until such time as they obtained a fair day's wage for a fair day's work, and the Charter became the law of the land",[182] zogen die Ausständigen von Fabrik zu Fabrik, rissen die plugs (Pfropfen) von den Kesseln der Dampfmaschinen, (woher der Name "plug-plot" für die ganze Bewegung),[183] zwangen die Arbeitswilligen zum Streik[184] und die Kaufleute zu Kontributionen an Lebensmitteln und Geld. Dabei kam es zu Ausschreitungen; und mochte deren Umfang, verglichen mit der Größe der Bewegung, auch gering erscheinen,[185] mochten die Führer, soweit solche vorhanden waren, auch immer wieder raten, "to stand out for the Charter and to keep the peace",[186] so folgten nun doch Verhaftungen über Verhaftungen;[187] und da zudem der erhoffte Anschluß des ganzen Landes ausblieb,[188] so brach der Streik zusammen; Ende August war die Arbeit wieder aufgenommen.[189] [Fußnote 178: _Bourdeau_, "Les grèves politiques", nennt irrtümlich den 12. Mai als Beginn (p. 427).] [Fußnote 179: Der Streik der Kohlengräber zog die Arbeitsruhe in der Töpferei nach sich. --In Cheshire und Lancashire allein standen 150 Werke (mills) still (vgl. _Spencer Walpole_, p. 136, 137) und 50 000 Menschen waren arbeitslos (vgl. _Gammage_, p. 249 ff.). In Manchester und 50 Meilen im Umkreis ruhte alle Arbeit, bis auf die in den Kornmühlen (vgl. _Brentano_, a. a. O.)] [Fußnote 180: Im Juli 1842 begannen die Versammlungen in Ashton, Staleybridge, Heyde, "auf denen die Redner eine Arbeitseinstellung empfahlen, bis die Arbeitgeber ihren Arbeitern Gerechtigkeit widerfahren ließen" (_Brentano_, a. a. O.).] [Fußnote 181: Am 7. August beschloß man schon in Ashton und bei einem Meeting auf Mottram Moor (vgl. _Gammage_, a. a. O. p. 217), am 8. Aug. in Staleybridge, (vgl. _Brentano_, a, a. O.), die Arbeit nicht eher wieder aufzunehmen, bis die Charte Gesetz sei. -- Ein "meeting of the delegates of the factory districts" in Manchester erklärte am 12. August mit 320 von 358 Stimmen ebenfalls, der Streik solle für die Charte fortgeführt werden, und forderte in einer Adresse vom 16. August das Volk zum Ausharren bis zur Gewährung der Charte auf (_Gammage_ a. a. O. p. 217 ff.) -- Auch das Exekutiv-Komitee der "National Charter Association" erließ schließlich einen derartigen Aufruf, in welchem überdies die baldige Beteiligung von Schottland, Irland und Wales, sowie die Zustimmung der Gewerkschaften zur Charte verkündet wurde; "and when an universal holiday prevails, ... then of what use will bayonets be against public opinion?" (vgl. _Gammage_, a. a. O. p. 219.)] [Fußnote 182: _Gammage_, a. a. O. p. 217 ff.] [Fußnote 183: _Brentano_, a. a. O.] [Fußnote 184: Mit Erlaubnis der "comittees of public safety" durfte übrigens hie und da weiter gearbeitet werden, z.B. in den Kornmühlen und wo es sich um leicht verderbliche Produkte handelte (vgl. _Brentano_, a. a. O. und _Spencer Walpole_, p. 136 ff.).] [Fußnote 185: _Spencer Walpole_; _Brentano_, a. a. O.] [Fußnote 186: _Gammage_, a. a. O. p. 219, 226.] [Fußnote 187: Zahlreiche Chartisten wurden angeklagt, weil sie mit der Arbeitseinstellung den Zweck verfolgt hätten, Aufregung in den Gemütern der friedlichen Untertanen zu verursachen (so in der Anklageakte gegen 59 Chartisten im März 1843 vor den Lancaster-Assisen; vgl. _Gammage_, a. a. O. p. 231).] [Fußnote 188: Selbst im Streikdistrikt nahm nur etwa ein Siebentel der Gesamtbevölkerung teil, davon viele unfreiwillig (_Gammage_, a. a. O. p. 249). Vor allem waren die Trade-Unions dem Streik fast durchgehend abgeneigt (S. & B. _Webb_, a. a. O. p. 138). --Am 22. Aug. z.B. mußte man sich noch darum bemühen, durch Volksversammlungen die noch immer fehlenden Londoner Chartisten zum Anschluß zu bewegen.] [Fußnote 189: _Brentano_, a. a. O., sowie _Spencer Walpole_, a. a. O. p. 136, 137.] Der Lancashire-Streik war in jeder Beziehung erfolglos verlaufen; die Chartisten aber, trotz ihrer ursprünglichen Zurückhaltung, "got the blame off all the follies enacted during the strike".[190] Er versetzte dem nun langsam versandenden Chartismus den Todesstoß. [Fußnote 190: _Gammage_, a. a. O. p. 249.] Seither haben sich die maßgebenden Kreise der englischen Arbeiterwelt nie wieder mit dem Klassenstreik-Problem abgegeben.[191] [Fußnote 191: Nur noch bei den englischen Anarchisten, die aber keine Rolle spielen, werde vom Klassenstreik gesprochen (vgl. Henri _Quelch_ ["Enquête" p. 186]).] § 9. Die Klassenstreik-idee unter dem zweiten Kaiserreich. Nach dem Fiasko des heiligen Monats blieb es zunächst still in der Klassenstreik-Frage.[192] Sie wurde zwar in Frankreich theoretisch angetönt, aber ohne Erfolg. So erklärte am 3. Dezember 1851 der geistvolle Journalist _Girardin_, man müsse den Staatsstreich Louis Napoleons, statt mit vergeblicher Waffengewalt, mit der "grève universelle" beantworten:[193] "Que le marchand cesse de vendre, que le consomateur cesse d'acheter, que l'ouvrier cesse de travailler, que le boucher cesse de tuer, que le boulanger cesse de cuire, que tout chôme, jusqu'à l'Imprimerie nationale, que Louis Bonaparte ne trouve pas un compositeur pour composer le _Moniteur_, pas un pressier pour le tirer, pas un colleur pour l'afficher! L'isolement, la solitude, le vide autour de cet homme!.. Rien qu'en croisant les bras autour de lui, on le fera tomber.. Organisons la _grève universelle_!"[194] [Fußnote 192: In der internationalen Sozialdemokratie diente der Ausgang des Plug-plot noch viel später häufig als Argument gegen den Klassenstreik überhaupt (_Bernstein_, "Pol. M-Str. u. pol. Lage", p. 20); so bei _Liebknecht_ (vgl. Prot. int. Kongr. Paris 1889, p. 126), da der Mißerfolg trotz der damals schon vorzüglichen engl. Gewerkschaftsorganisation eingetreten sei; wobei _Liebknecht_ freilich übersieht, daß die Trade-Unions sich ja fast vollständig zurückhielten. -- Und _Greulich_ meint (in "Wo wollen wir hin?"), wäre der Kl-Str. "wirklich ein probates Mittel gewesen,... so hätte England lange nicht genug Soldaten gehabt, um über ihn Meister zu werden", übersieht aber ebenfalls, daß der Streik von 1842 ein ganz unvollständiger Kl-Str. war, der pol. Streik, wie er nicht sein soll, sagt _Bernstein_ ("Der Streik als pol. Kampfmittel"); daher kann sein Mißlingen auch in der Tat noch nichts gegen den Kl-Str. als solchen beweisen.] [Fußnote 193: Vgl. hierüber _Albert Thomas_, "Le second Empire" p. 396 ff.] [Fußnote 194: Nach den Berichten von _Victor Hugo_ und _Ténot_ (in seinem "Paris en Décembre 1851"), welch letzterer hierbei den Ausdruck "grève générale" gebraucht (vgl. _Thomas_ a. a. O.).] Aber entsprach diese Idee vielleicht auch dem "état d'hostilité et de découragement tout à la fois, où se trouvait le peuple", so war doch die Situation für eine erfolgreiche Durchführung völlig ungeeignet. Daher schenkten selbst _Girardins_ republikanische Gesinnungsgenossen dem merkwürdigen Projekt keine weitere Beachtung.[195] Vielleicht aber hat man in dem kurze Zeit später publizierten Satze _Auguste Comte's_, das Proletariat besitze in der Möglichkeit der Arbeitsniederlegung ein äußerstes Mittel "contre les violations graves et prolongées de l'ordre 'sociocratique'",[196] einen Reflex des Girardinschen Gedankens vor sich. _Girardin_ kam übrigens später noch einmal auf die grève universelle zurück, mit deren Hilfe er den Regierungen ein "grand système d'assurances au profit des ouvriers contre la misère et les accidents" abzunötigen gedachte,[197] fand aber auch hiermit keinen Anklang. [Fußnote 195: Vgl. hierüber _Thomas_ a. a. O.] [Fußnote 196: _Auguste Comte_, "Système de politique positive" (1852-54), cit. bei _Georges Weill_, "Histoire du Mouvement social en France (1852-1902)", p. 23.] [Fußnote 197: Vgl. _Girardin_, "Pouvoir et impuissance, Questions de l'année 1865", 1867 erschienen (cit. bei _Weill_, p. 34.).] In Deutschland und Frankreich trat man angesichts der kriegerischen Aussichten dem Generalstreik etwas näher, und nicht nur überzeugte Sozialisten,[198] sondern auch weitere Kreise, die der internationalen Arbeiter-Assoziation fernstanden, sollen im "Generalstreik" (Militär-Streik) das einzige Mittel gegen den drohenden Konflikt erblickt haben, so der "sozialistoide Nationalist Henri _Rochefort_" (in der "Lanterne") und der deutsche Demokrat Dr. F. _Goetz_.[199] [Fußnote 198: Z.B. Wilhelm _Liebknecht_, der die G-streiktendenzen des Brüsseler Kongresses auf dem 5. Vereinstag der deutschen Arbeitervereine zu Nürnberg im September 1868 vertrat (vgl. _Michels_, "Die deutsche Sozialdemokratie im internat. Verbande" p. 180 ff.); später änderte W. _Liebknecht_ seine Ansichten bezüglich des G-streiks übrigens total.] [Fußnote 199: Vgl. _Michels_, a. a. O. p. 180 ff.] Wenige Jahre zuvor war die Klassenstreikidee in der _internationalen Arbeiter-Assoziation_ aufgetaucht, ob auf Grund der eben erwähnten Andeutungen, ob in Wiederaufnahme der chartistischen Idee vom heiligen Monat, ob infolge der Wahrnehmung gewisser Wachstumstendenzen bei den modernen Arbeitskämpfen, muß freilich dahingestellt bleiben. Der Kongreß der internationalen Arbeiterassoziation in _Brüssel_ 1868 lehnte zwar den Streik als vollkommenes Emanzipationsmittel der Arbeiterklasse noch ab;[200] doch empfahl er auf Anregung von _Caesar de Paepe_[201] den Generalstreik "dans le cas d'un conflit entre les grandes puissances européennes";[202] denn da der Gesellschaftskörper nicht existieren könne, wenn die Produktion eine bestimmte Zeit hindurch unterbunden wäre, so würden die Produzenten im Stande sein, durch Arbeitseinstellungen die Unternehmungen persönlicher und despotischer Regierungen unmöglich zu machen.[203] Übrigens wurde auf jenem Kongreß auch die Militärdienstverweigerung in diesem Zusammenhang erwähnt.[204] Den in Brüssel mehr nur gestreiften Gedanken spannen besonders die belgischen Internationalisten weiter aus, und sie kamen zu dem Ergebnis, daß bei dem wachsenden Umfang der Streiks schließlich ein Generalstreik eintreten werde, "der bei den die Arbeiterschaft erfüllenden Emanzipationsgedanken 'nur in einem die Gesellschaft neugestaltenden Zusammenbruch auslaufen könnte'".[205] [Fußnote 200: Vgl. _James Guillaume_, "L'Internationale", p. 69.] [Fußnote 201: Vgl. _Michels_, "Die deutsche Sozialdemokratie im internationalen Verbande", p. 239.] [Fußnote 202: Die deutschen Sektionen hatten im Hinblick auf die drohende Kriegsgefahr gefragt, welche Stellung die Arbeiter im Kriegsfall einzunehmen hätten, vgl. _Jaeckh_, "Die Internationale", p. 76.] [Fußnote 203: _Guillaume_, p. 69; _Umrath_, a. a. O. p. 13.] [Fußnote 204: _Nieuwenhuis_ (Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 21 ff.).] [Fußnote 205: Cit. bei _Bernstein_, "Die Generalstreikgewerkschaft". Die belgischen Internationalisten forderten auf ihrem Kongreß in Antwerpen 1873 auch geradezu zur Vorbereitung des Weltstreiks auf (vgl. _Pouget_, Enquête, p. 39).] Die französischen Internationalisten (bes. in Lyon und Marseille), dachten 1869 übrigens an eine wirkliche Inszenierung des Klassenstreiks zur Unterstützung der politisch-republikanischen Bewegung. Von Marseille aus fragte _Bastelica_ am 6. Okt. 1869 bei _Richard_ an: "Pourrait-on compter sur Lyon pour faire une grève générale, le 26 octobre seulement?";[206] der Termin war offenbar mit Rücksicht auf die für denselben Tag angesetzte republikanisch-parlamentarische Aktion gewählt; aber diese unterblieb, und ebenso der Generalstreik. [Fußnote 206: Vgl. Albert _Thomas_, a. a. O. p. 358.] Unter den Mitgliedern der Internationalen Arbeiter-Assoziation waren es hauptsächlich die Anhänger _Bakunins_, revolutionäre und antipolitische Gewerkschafter, die den Generalstreik-Kultus betrieben. Allerdings mußte er während der inneren Kämpfe zwischen _Marx_ und _Bakunin_ etwas in den Hintergrund treten. Der Bakuninistische Flügel erklärte sogar auf seinem Kongreß in _Genf_ 1873[207] offiziell, daß "bei dem gegenwärtigen Stande der Internationale" die Lösung des Problems vorläufig ausgeschlossen sei; diesem resignierten Scheinbeschluß widersprachen übrigens die in geheimer, also maßgebender Sitzung geäußerten Anschauungen, die auf Befürwortung des Generalstreiks teils als Mittel der Expropriation, teils als Mittel der Agitation und Reform gingen.[208] [Fußnote 207: Vgl. _Umrath_, a. a. O. p. 13, 14.] [Fußnote 208: Vgl. _Pouget_ (Enquête, p. 39).] Die Klassenstreikidee verschwand nun vorläufig wieder von der Tagesordnung der internationalen Arbeiterbewegung[209] und kam erst in den 1880er Jahren, im Anschluß an die anarchistischen Versuche in Amerika, wieder zur Sprache. [Fußnote 209: Vgl. _Umrath_, a. a. O. p. 13, 14.] Zweites Kapitel: _Die moderne Arbeiterbewegung._ (a) Geschichte des politischen Massenstreiks. § 10. Belgien. Was den Chartisten Ende der 1830er Jahre vorgeschwebt hatte, das wurde von den belgischen Arbeitern gewissermaßen neu entdeckt und in Wirklichkeit umgesetzt: der Klassenstreik erschien zweimal als bedeutsame Episode in der belgischen Wahlrechtsbewegung.[210] Die ausgedehnten Streiks der Bergleute mochten den Gedanken nahe legen, den Ausstand auch einmal in den Dienst politischer Forderungen zu stellen.[211] Jedenfalls faßte seit dem Jahre 1890 die belgische Arbeiterpartei die Möglichkeit eines nationalen Ausstands zur Erringung der Verfassungsrevision ernstlich ins Auge. Schon 1891 traten, im Anschluß an die Maifeier, über 100 000 Bergleute in einen politischen Streik und errangen damit vorläufig wenigstens die Zusicherung der Revision.[212] Da der Wunsch nach einer solchen weiteste Kreise der Bevölkerung ergriffen hatte, willigte die Regierung im Februar 1893 schließlich auch darein,[213] lehnte aber das allgemeine, gleiche Wahlrecht von vornherein ab, obgleich ein Tags zuvor unter den 111 700 Stimmberechtigten von Brüssel und seinen Vorstädten veranstaltetes privates Referendum über die verschiedenen Wahlrechtsprojekte sich mit 46 000 von 60 279 abgegebenen Stimmen für den Antrag des Radikalen _Janson_, nämlich das allgemeine, gleiche Wahlrecht, ausgesprochen hatte.[214] Am lebhaftesten trat die Arbeiterpartei, die damals überhaupt noch keine parlamentarische Vertretung besaß, für die Ablösung des Zensussystems durch das demokratische Wahlsystem ein, und sie beschloß,[215] bei Ablehnung desselben, (oder bei Beeinträchtigung durch Pluralstimmen, die nicht auf allgemein menschlichen Kriterien, sondern auf Grund- oder Diplombesitz beruhen würden), sofort die "grève générale" zu proklamieren; sie forderte auch (am 8. April) die Arbeiterschaft auf, sich zum Äußersten bereit zu halten. Die maßgebenden politischen Kreise legten indeß dieser Drohung offenbar nur sehr geringe Bedeutung bei;[216] hatte doch auch kurz zuvor erst ein angesehener belgischer Arbeiterführer die Möglichkeit des Klassenstreiks, selbst bei so entwickeltem Industrialismus wie in Belgien, überhaupt in Abrede gestellt.[217] --Immerhin traf die Regierung für alle Fälle einige polizeiliche Vorkehrungen, die sich aber bald als ungenügend erwiesen. Denn nachdem der Verfassungsrat[218] den Antrag Janson mit 115 gegen 26 Stimmen abgelehnt und mit der Prüfung der übrigen Vorschläge begonnen hatte, dekretierte der Generalrat der belgischen Arbeiterpartei den allgemeinen Ausstand,[219] der alsbald ausbrach[220] und Brüssel,[221] die größeren Provinzstädte,[222] vor allem die Bergwerksdistrikte,[223] im ganzen ca. 250 000 Arbeiter[224] umfaßte und acht Tage lang währte. -- Die von den Ausständigen veranstalteten Protestversammlungen, Umzüge und anderen Manifestationen führten mehrfach zu Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht, besonders wenn diese Aktionen mit Ausschreitungen verbunden waren,[225] und sie forderten, vor allem auf Seiten der Arbeiter, zahlreiche Opfer.[226] --Diese Ruhestörungen verstimmten die Liberalen, so daß sie anfingen, ihr Zusammengehn mit den Arbeitern zu bedauern; andererseits währten auch ihnen die Kammerberatungen allzulang.[227] Sie forderten dringend eine Entscheidung,[228] verständigten sich am 16. April mit den Ultramontanen, und bereits am 18., während draußen der Streik noch auf seinem Höhepunkt stand, nahm die Kammer das Pluralwahlrecht nach überraschend kurzer Debatte, und ohne daß man sich über die Durchführbarkeit des komplizierten "Verlegenheitssystems" recht klar geworden wäre, mit 119 gegen 14 Stimmen (bei 11 Enthaltungen) an. -- Diese Nachricht erweckte in den demokratischen und sozialistischen Kreisen große Begeisterung und hatte fast überall eine sofortige Beruhigung der Gemüter zur Folge; am gleichen Abend noch beschlossen Versammlungen in Brüssel und Gent die Wiederaufnahme der Arbeit. Der Generalrat der Arbeiterpartei Belgiens behielt sich zwar weiteren Kampf gegen das Pluralwahlrecht vor, forderte die Arbeiterschaft aber auf, sich vorläufig mit der prinzipiellen Einführung des allgemeinen Wahlrechts zufrieden zu geben. Am 20. April war der politische Streik bereits beendigt und die Ruhe allgemein wieder hergestellt.[229] [Fußnote 210: Diese selbst geht auf das Jahr 1866 zurück, doch erst seit 1886 oder 1887 nahm auch das Proletariat daran teil, vgl. _Anseele_, "Der Kampf um das allgemeine Stimmrecht in Belgien".] [Fußnote 211: In den Jahren 1880-1891 soll die Streikbewegung ca. 200 000 Arbeiter umfaßt haben (vgl. N. Z. Z. 18./4. 93 u. ff.; vgl. auch _Bourdeau_, a. a. O.; _Roland-Holst_, "G-str. und Sozialdemokratie" p. 57.)] [Fußnote 212: Vgl. _Destrée und Vandervelde_, "Le Socialisme en Belgique", p. 116 ff. Im Interesse der Wahlrechtsbewegung fanden auch Massenmeetings statt, z.B. 1890 in Brüssel mit einer Teilnahme von 75-80 000 Personen (vgl. _Anseele_, a. a. O.; _Destrée_ und _Vandervelde_, a. a. O.); eine eifrige Wahlrechtspropaganda erfüllte die folgenden Jahre.] [Fußnote 213: Am 28./2. 1893 begann die Kammerdebatte über die Notwendigkeit einer Revision, die auch der Ministerpräsident, _Bernaert_, in der Eröffnungsrede anerkannte.] [Fußnote 214: N. Z. Z., 27./2. 93.] [Fußnote 215: Auf dem Kongreß in Gent am 2. u. 3./4. 1893 (Allg. Ztg. 4./4. 93). Mit der Frage des Klassenstreiks hatten sich auch schon zahlreiche frühere Kongresse beschäftigt: die von Brüssel, 5./4. 1891, und 21./2. 1892; Bergarbeiterkongreß in Frameries, August 1892; Kongreß vom 25./12. 1902 (vgl. _Destrée und Vandervelde_, a. a. O.)] [Fußnote 216: Regierung und Kammermehrheit bezweifelten offenbar, daß die Arbeiterführer die Proklamierung eines Klassenstreiks riskieren würden und noch mehr, daß eine ev. Proklamation auch Erfolg hätte (Allg. Ztg. 12. 4. 93); denn die sozialist. Partei machte mit ihren 80 000 Mitgliedern keineswegs einen imponierenden Eindruck.] [Fußnote 217: Auf dem Kongreß des P. O. fr. in Marseille (vgl. _Briand_, "La grève générale et la révolution", p. 14.)] [Fußnote 218: Am 11./4. begannen die Verhandlungen des Verfassungsrats.] [Fußnote 219: Die Radikalen hatten zwar im allgemeinen zum Aufschub geraten; doch sollen manche liberale Fabrikanten selbst ihre Arbeiter zum Streik aufgefordert haben. Die Freimaurer versprachen angeblich, Frauen und Kinder der Feiernden zu unterstützen (vgl. _Bourdeau_, p. 429; _Destrée_ und _Vandervelde_, p. 143 ff.)] [Fußnote 220: Leider ist man hier, wie überhaupt bei allen Klassenstreiks, von der Tagespresse abgesehen, hauptsächlich auf sozialistische Darstellungen angewiesen, bei denen eine gewisse Gefahr einseitiger Beurteilung nahe liegt.] [Fußnote 221: Der Ausstand begann daselbst am 12. mit dem Streik der Metallarbeiter, Holzarbeiter, Drucker und Lithographen, wurde aber nicht vollständig (vgl. _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 21.)] [Fußnote 222: Lacroyere, Haine, Verviers (65 Etablissements), Löwen, Antwerpen, Gent (am 16./4. 25 000 Ausständige), Mons.] [Fußnote 223: Aus wirtschaftlichen Gründen hatte eine von 4-5000 Mann besuchte Bergarbeiterversammlung in Quaregnon schon am 10./4. den allg. Ausstand im Borinage beschlossen, und 2000 Bergleute legten in Flenu (bei Mons), obgleich die Führer rieten, erst die Stellungnahme des Verfassungsrates abzuwarten, schon am 11./4. die Arbeit nieder. Am 14. streikten im Borinage und in La Louvière je 16 000 Bergleute; zugleich begann der Ausstand in Lüttich und Charleroi; die Bergarbeiter traten (am 15.) dem Beschluß des Genter Sozialistenklubs (vom 12./4.) bei, am 17. den allg. Streik zu beginnen; 20 000 von den 30 000 Bergleuten dieses Kohlenbeckens führten diesen Beschluß aus.] [Fußnote 224: _de Brouckère_, (Enquête, p. 163); im ganzen Lande soll die Streikbeteiligung am 13./4. ca. 30 000, am 15. schon gegen 100 000 betragen haben.] [Fußnote 225: So z.B. die Attentate gegen den Bürgermeister von Brüssel, _Buls_, am 14./4.; gegen _Woeste_, den Führer der Klerikalen; bes. zahlreich sind die Ausschreitungen im Hennegau (Angriffe auf ein kathol. Kasino, auf eine Kirche; am 12. in Quaregnon auf Bergwerksgebäude; am 13. in Cuesmes usw.) und in Ostflandern (noch am 19./4. Angriffe auf die Schiffe im Antwerpener Hafen [N. Z. Z., 19./4.]); in Brüssel fanden, trotz einer Verfügung des Bürgermeisters vom 14./4., die Ansammlungen und Umzüge verbot, Demonstrationen vor dem Parlamentsgebäude statt; der kgl. Palast in Brüssel wurde militärisch bewacht, überallhin wurde Militär verlangt (in Mons wird am 13. die Garnison konsigniert; am 14. gehen Truppen nach Charleroi und La Louvière.)] [Fußnote 226: So bei den Manifestationen in Brüssel am 12. u. 13. vor der Kammer; so bei den nächtlichen Massenumzügen, an denen sich Tausende beteiligten, revolutionäre Lieder singend, am 11. und 12., bes. aber am 13., 14., 16., wo es zu wüsten Straßenszenen kam; ähnlich geht es am 13. in Lüttich, Gent, Cuesmes, Quaregnon, Frameries zu, in Paturages und Quaregnon, am 14. in Vasmes, Wasmuel, Paturages (50 Verhaftete, 60 Verwundete), Jolimont; am 16. in Grammon, Mons, Antwerpen, Petit Wasmes; am 17. in Antwerpen, Renaix, Courtrai, Mons (7 Tote, 47 Verwundete [N. Z. Z., 18./4. 93.])] [Fußnote 227: Inzwischen hatte die Kammer am 12./4. die sämtlichen 16 Wahlreformvorschläge abgelehnt und sich vertagt, während der 21er-Ausschuß die neu eingegangenen Vorschläge prüfte.] [Fußnote 228: Allg. Ztg. 18./4. 93.] [Fußnote 229: Nur im Borinage wurde wegen Lohndifferenzen noch weiter gestreikt, und in Bernissart, Hennegau, kam es noch am 22./4. zu Ruhestörungen durch Ausständige.] Die Bewegung endete also mit einem bedeutenden Teilerfolg, und es scheint auf den ersten Blick, als ob dieses Resultat nur dem Ausstand zu danken sei;[230] doch hätte der Streik allein wohl kaum einen solchen Effekt gehabt, wenn nicht eine Reihe wichtiger Umstände ihn in hohem Maße unterstützt hätten:[231] er brach aus, nachdem eine vieljährige Agitation das Interesse am Wahlrecht außerordentlich gesteigert hatte; brach aus unter einer verhältnismäßig gut organisierten und an Massenaktionen gewöhnten Arbeiterschaft; brach aus für ein allgemein anerkanntes, leicht faßliches Ziel; nicht gerade spontan,[232] aber als etwas Neues, Unbekanntes, die Gesellschaft Überraschendes;[233] Einmütigkeit und Opferwilligkeit[234] eines solchen Arbeiterheeres machten Eindruck; man glaubte sich am Rand der Revolution,[235] und die Unzuverlässigkeit des belgischen Militärs steigerte das Unbehagen noch um ein Beträchtliches;[236] vor allem aber: er brach aus in einem Momente, wo die Wahlrechtsfrage wirklich "spruchreif"[237] war, wo nicht nur die Arbeiterschaft, sondern auch die liberalen Volksmassen energisch für eine Reform eintraten. Freilich gab das Parlament nur so weit nach, als diese liberalen Kreise wirklich an der Revision interessiert waren; da nun deren Ambitionen auch schon das Pluralsystem zu befriedigen vermochte, so mußten sich die Sozialisten mit diesem halben Sieg begnügen; denn trotz des durchgeführten Klassenstreiks konnte das sozialistische Fahrzeug eben doch nicht höher hinauf steigen, als die liberale Welle trug. [Fußnote 230: Überraschender Weise findet man diese Ansicht sogar auch in bürgerlichen Blättern vertreten; so schreibt der Brüsseler Korrespondent der Allg. Ztg. (vgl. die Nummer vom 23./4. 93) am 20. April vom "Rückzug der Regierung und ihrer Mehrheit" "unter dem Eindruck der zunehmenden Arbeiterbewegung und der Straßenunruhen, aus Furcht vor dem steigenden Wellenschlag des Volksaufruhrs", von der "Durchpeitschung des Antrages Nyssens" (Pluralsystem), die einer Kapitulation sehr ähnlich gesehen habe. -- Und ähnliches läßt sich z.B. die N. Z. Z. unterm 19. April aus Brüssel schreiben (vgl. Nr. vom 21./4.): "wären die Ausschreitungen unterblieben, so hätte tatsächlich kein Mensch gewagt, den grandiosen Charakter der Bewegung zu leugnen. Den herrschenden Klassen ist also die Macht der verkannten Arbeiterpartei zum unliebsamen Bewußtsein gekommen", und "der achttägige Ausstand hat genügt, um Regierung und Parlament zur Nachgiebigkeit in der Revisionsfrage zu zwingen".] [Fußnote 231: Es ist sogar die Meinung aufgetreten, daß der Kl-str. von 1893 eigentlich überflüssig war; die Wahlrechtsreform wäre auch ohne ihn, nur vielleicht etwas später, gekommen. Denn die Wahlrechtsforderung sei so populär gewesen, "daß die Regierung, weil sie die Mittelklasse... und selbst die Bourgeoisie nicht geschlossen hinter sich fühlt, schwach ist und nachgibt" (vgl. _Vliegen_, "Der Generalstreik als pol. Kampfmittel", p. 196; Enquête, p. 135). Doch geht dies wohl zu weit: denn eine Konstituante, die angesichts der Kl-str.-Drohung ruhig 16 Wahlprojekte verwarf, hätte ohne energischen Anstoß von außen die Wahlreform sicher noch sehr lange weiter verschleppt.] [Fußnote 232: Anders _Bernstein_, a. a. O. p. 20.] [Fußnote 233: Ähnliches habe Europa seit den Tagen der Kommune nicht mehr gesehen, schreibt die Allg. Ztg. 21./4. 93.] [Fußnote 234: Die auswärtige Unterstützung kann übrigens nur minimal gewesen sein; die ausländischen Gewerkschaften hatten eine diesbezügl. Anfrage der belgischen Gewerkschaften schon im April und Mai 1892 abschlägig beschieden (vgl. N. Z. Z. 21./4. 1893); die seltsame Annahme, daß die Bewegung aus Gründen der hohen Politik mit französischem Geld unterstützt worden sei, -- allgemeines Wahlrecht, belgische Republik, Annexion durch Frankreich -- (vgl. Allg. Ztg. a. a. O.), dürfte kaum ernst zu nehmen sein.] [Fußnote 235: N. Z. Z. 21./4. 93.] [Fußnote 236: Die Militärbehörden gaben es später selbst zu, daß die Reservisten "scharenweise, z. T. sogar in Uniform", an den Manifestationen der Arbeiter teilgenommen hatten (vgl. Allg. Ztg. 3./5. 93); als am Vormittag des 18. April in der Brüsseler Vorstadt Molenbeek eine Volksversammlung abgehalten werden sollte, die die Regierung zu inhibieren wünschte, weigerten sich Bürgermeister und Bürgerwehr erfolgreich, einem diesbezüglichen Befehl nachzukommen (vgl. N. Z. Z. 19./4. 1893). Diese militärische Zweifelhaftigkeit ist übrigens nur zum Teil der von den Sozialisten eifrig betriebenen antimilitaristischen Propaganda zuzuschreiben. Begreiflicherweise kamen im belgischen Heer, das überhaupt "keine Armee im Sinne des Militarismus" (so Dr. _Adler_, Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 77) war, und kamen vor allem in der Bürgerwehr die allgemeinen Postulate des Landes ebenfalls zum Ausdruck.] [Fußnote 237: _Bömelburg_, (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 228).] * * * * * Obgleich die belgische Arbeiterpartei unter dem Pluralwahlrecht 28 Parlamentssitze eroberte,[238] betrieb sie doch weiter eine eifrige antimilitaristische Agitation und eine lebhafte Propaganda für das S.U. (suffrage universelle), in deren Hintergrund wiederum der Klassenstreik schlummerte. Derartige Ausstandsdrohungen verhalfen ihr 1896 zu einer "Scheinkonzession" bezüglich des Kommunalwahlgesetzes[239] und bewirkten die Verwerfung einer konservativen Wahlrechtsnovelle,[240] sowie den Sturz des Ministeriums Vandenpeereboom.[241] Dieser "Erfolg" erhöhte den Optimismus der Anhänger des S.U., zu denen außer den Arbeitern auch die Progressisten (d. h. Demokraten) und viele Liberale zählten.[242] 1901 verstärkten die Sozialisten ihre Wahlrechtspropaganda, die sich nötigenfalls wieder bis zum Klassenstreik steigern sollte,[243] und forderten die Regierung immer dringender zur Gewährung der Verfassungsreform auf.[244] Schon Anfang _April 1902_ traten Tausende von Berg- und Hüttenarbeitern in den Streik, der sich rasch ausdehnte. Mit den Demonstrationen für das S.U. stieg auch die Zahl der Ausschreitungen[245] und Zusammenstöße,[246] die mit dem Beginn der Kammerverhandlungen (am 8. April) revolutionären Charakter annahmen.[247] Waren nun die sozialistischen Führer nicht mehr im Stande, die Ungeduld der Arbeiter zu zügeln,[248] oder verzweifelten sie daran, den Revisionsantrag der Linken angesichts des klerikalen Widerstands mit den gewöhnlichen Mitteln durchzusetzen, genug, sie proklamierten am 13. April, noch ehe ihr auf die Tagesordnung des 16. April gesetzter Antrag überhaupt zur Behandlung kommen konnte, mit der Parole: "un homme, un vote"[249] den Klassenstreik als "letzte Waffe zur Erlangung des allgemeinen Stimmrechts".[250] Der Ausstand verbreitete sich "blitzschnell über das ganze Land"[251] und erreichte am 18. April mit 300-350 000 Teilnehmern[252] Belgiens höchste Ausstandsziffer. Alle Großindustrien und alle industriellen Gegenden waren beteiligt,[253] wenngleich natürlich noch lange nicht die Gesamtheit der Arbeiter streikte,[254] und vor allem die Staatsarbeiter, (insbesondere die Eisenbahner, die Post- und Telegraphenangestellten),[255] sich zurückhielten.[256] Auch war die Beteiligung am Ausstand keineswegs in allen Fällen eine freiwillige. Die Unruhen nahmen übrigens von der Proklamation des Streiks an bedeutend ab; die Führer, die in ihrer Wahlrechtspropaganda vorher gelegentlich Perspektiven auch auf einen zu inszenierenden Aufruhr eröffnet hatten,[257] traten nun mehr und mehr für Respektierung der Legalität ein;[258] hatte doch die Kammermajorität, im Bewußtsein ihrer tatsächlichen Überlegenheit, von Anfang an der Drohung mit dem Bürgerkrieg[259] gegenüber vollste Kaltblütigkeit bewahrt; sie ließ sich auch nicht durch die nationale Arbeitsruhe erschüttern.[260] Die vereinigte Opposition[261] vermochte nicht einmal die Auflösung der Kammer durchzusetzen,[262] und da auch die erhoffte Initiative des Königs ausblieb,[263] so mußte die Linke in den Schluß der Debatte einwilligen. Am 18. April lehnte die Kammer mit 82 gegen 64 Stimmen die sofortige Revision ab, stellte deren Inangriffnahme nur für eine fernere Zukunft in Aussicht und vertagte sich.[264] In der Aufregung über dieses Resultat kam es in mehreren Provinzstädten zu blutigen Auftritten;[265] doch der Weisung des Generalrats der Arbeiterpartei folgend, begann schon am 21. die Wiederaufnahme der Arbeit, und bereits am 22. April kehrte das Land zu normalen Verhältnissen zurück.[266] [Fußnote 238: Zugleich nahmen die Liberalen ab; 1902 hatten die Sozialisten sogar 32 Vertreter.] [Fußnote 239: _Vliegen_, Enquête, p. 135, und "Der Generalstreik als pol. Kampfmittel", p. 196.] [Fußnote 240: Vgl. _Anseele_, a. a. O.] [Fußnote 241: Vgl. _Bourdeau_, p. 429. Damals (1899) hatten die Sozialisten parlamentarische Obstruktion gemacht; es kam zu Straßenunruhen in Brüssel, Lüttich, Gent usw.] [Fußnote 242: Rdsch. Soz. Mh., März 02, p. 226.] [Fußnote 243: Beschluß des Parteitags in Lüttich, 8./4. 01; übrigens ließen die Sozialisten auf Wunsch ihrer liberalen Bundesgenossen das Postulat des Frauenstimmrechts fallen, nahmen aber die Proportionalvertretung in ihr Programm auf (am Parteitg. in Brüssel, 30./3. 02; vgl. _Destrée_ und _Vandervelde_, a. a. O. p. 250 ff.; _Vandervelde_, "Die belgischen Wahlrechtskämpfe 1902"; Allg. Ztg. 4./4. 02).] [Fußnote 244: Vgl. Rdsch. Soz. Mh., a. a. O.] [Fußnote 245: Die sollen aber vor und während des Streiks nicht auf Konto der organisierten Arbeiter zu setzen sein, sondern vom "Abschaum der Bevölkerung" ausgegangen sein, der sich nicht von politischen Gründen leiten lasse; vgl. N. Z. Z. 16./4. 02; ähnlich Rundschau Soz. Mh., Mai 02, p. 392: "Die revolutionäre Bewegung in Belgien".] [Fußnote 246: Die Regierung mußte nach allen Seiten hin Truppen senden.] [Fußnote 247: Besonders in Brüssel, wo die sog. "jungen sozialistischen Garden" die Agitation betrieben.] [Fußnote 248: Berliner Lokalanzeiger (cit. in der N. Z. Z. 12./4. 02); _Vandervelde_ a. a. O. p. 45.] [Fußnote 249: _Bourdeau_, p. 429.] [Fußnote 250: Vgl. das Manifest an die Arbeiter (aus dem "Journal du Peuple" cit. in der Allg. Ztg. 16./4. 02).] [Fußnote 251: N. Z. Z.; vgl. auch _Luxemburg_, "Und zum dritten Mal das belgische Experiment". Am ersten Tag ist der Streik schon fast allgemein im Kohlenbergbau, am 15. begreift er nach amtlicher Feststellung über 150 000 Arbeiter in sich (Allg. Ztg. 18./4. 02); am 16. ruhen alle nennenswerten Betriebe; man spricht von 200000 Ausständigen, von einer "nationalen Kalamität" (N. Z. Z. 17./4. 02); am 17. tritt im gewerblichen Leben nahezu Stillstand ein, es streiken 300 000 Arbeiter.] [Fußnote 252: Vgl. _Anseele_, "Der Kampf um das allgemeine Stimmrecht in Belgien"; Enquête, p. 163; _Luxemburg_, a. a. O.; _Vandervelde_ a. a. O.; N. Z. Z.; Allg. Ztg.; Rdsch. Soz. Mh., a. a. O.; _Bourdeau_.] [Fußnote 253: _Vandervelde_, a. a. O. -- Der Streik erfaßte in erster Linie die Kohlenbecken (von Mons, Borinage, Charleroi, Lüttich, Centre), ferner die Steinbrüche, die Metall-, Glas-, Textil-, Zigarrenindustrie, teilweise auch Klein- und Hausindustrie; Brüssel, Gent, Antwerpen usw. haben nahezu volle Arbeitsruhe.] [Fußnote 254: Die Diamantarbeiter von Antwerpen, sowie die durch einen unglücklichen Arbeitskampf desorganisierten dortigen Docker schlossen sich aus.] [Fußnote 255: Trotz ihrer sozialistischen Gesinnungen und trotz _Destrées_ diesbezüglicher Bemühungen, blieben sie bei der Arbeit (vgl. _Vandervelde_ a. a. O.).] [Fußnote 256: Allerdings streikten z.B. bereits am 15./4. 1902 15 000 Arbeiter der staatlichen Waffenfabrik in Herstal.] [Fußnote 257: Vgl. Allg. Ztg. 9./4. und 15./4. 02.] [Fußnote 258: Vgl. die Aufforderung zum Wahlrechtsstreik im "Journal du Peuple", cit. in der Allg. Ztg. 16./4. 1902.] [Fußnote 259: Bei Eröffnung der Revisionsdebatten am 16./4. 1902 seitens _Vandervelde's_.] [Fußnote 260: Rdsch. Soz. Mh., a. a. O. Übrigens wurde der tägliche Produktionsausfall auf 3-4 Millionen Fr. geschätzt (Allg. Ztg. 18./4. 1902), und am 17./4. 1902 hatte die belgische Handels- und Geschäftswelt schon einen Schaden von "mindestens 100 Millionen Fr. zu tragen" (N. Z. Z. 19./4. 02).] [Fußnote 261: Sozialisten, Radikale und, trotz vorübergehender Verstimmung, Liberale; die liberalen Abgeordneten waren verstimmt durch die Unruhen; schon Anfang April stellte die gemäßigt-liberale "Etoile belge" für weitere Unruhen eine Vergeltung bei den Wahlen in Aussicht (N. Z. Z. 6./4. 02); vgl. auch das Votum des Gemeinderats von Schaerbeck (N. Z. Z. 17./4. 02); die liberalen Abgeordneten traten teilweise überhaupt nur aus politischer Notwendigkeit für das allgemeine Wahlrecht ein, ohne mit dem Herzen dabei zu sein (Vgl. Allg. Ztg.; _Anseele_).] [Fußnote 262: Allg. Ztg. 14./4. 02.] [Fußnote 263: Allg. Ztg. 18./4. 02; N. Z. Z. 12./4. 02.] [Fußnote 264: _Anseele_, a. a. O.; Rdsch. Soz. Mh., a. a. O.] [Fußnote 265: Besonders in Löwen, wo es mehrere Tote gab; Brüssel blieb, unter Einfluß der sozialistischen Führer, ruhig.--Der ganze Streik scheint übrigens im ganzen recht ruhig verlaufen zu sein. _Vandervelde_ (cit. in der N. Z. Z. 6./5. 02) spricht sogar von "vollkommener", von "imposanter Ruhe"; doch gibt er an anderer Stelle selbst zu, daß, wenn auch selten, Belästigungen Arbeitswilliger vorgekommen seien (in "Die belgischen Wahlrechtskämpfe 1902").] [Fußnote 266: Der Generalrat der Arbeiterpartei, der noch am Morgen des 18. die friedliche Verlängerung des Ausstands dekretiert hatte (vgl. Allg. Ztg. 18./4. 02; _Vandervelde_, "Die belgischen Wahlrechtskämpfe 1902"), beschloß einstimmig, aber gegen die Wünsche der Bergleute von Borinage und Charleroi, den Abbruch des Streiks. Am 20. wurde der Beendigungsbeschluß durch ein Manifest verbreitet (vgl. Allg. Ztg.; Rdsch. Soz. Mh., a. a. O.; _Destrée_ und _Vandervelde_, p. 261).] So war der Wahlrechtsstreik denn gescheitert. Was sich die belgische Sozialdemokratie allenfalls als "Erfolg" desselben herauskonstruierte: die Verheißung einer dereinstigen Revision,[267] die Einigung der Linken, die Einigung der Arbeiterschaft,[268] die Neubelebung des antiklerikalen und sozialistischen Geistes,[269] das waren teils höchst zweifelhafte Größen, teils solche Werte, die auch ohne den Klassenstreik zu erreichen waren, und die die Verluste an Gut und Blut und politischem Einfluß[270] nicht entfernt ausglichen. Die belgische Arbeiterpartei gab denn auch selbst zu, daß sie eine "Schlappe" erlitten habe,[271] an welcher übrigens nicht, wie den belgischen Sozialisten vielfach zur Last gelegt, taktische Fehler die Schuld trugen;[272] vielmehr mußte der Streik scheitern, weil er zu klein war, um die Gegner in Schrecken zu setzen, über zu geringe eigene Mittel verfügte, um den Widerstand durch längere Dauer zu besiegen, und weil er in einem Moment ausbrach, wo ihm von anderen Gesellschaftsklassen kein Zuzug gewährt wurde. In Erinnerung an den verhältnismäßig leichten Sieg des Jahres 1893 hatten sich die belgischen Arbeiter wohl über die Schwierigkeiten getäuscht; insbesondere hatten sie die Interessengemeinschaft mit den Liberalen zu hoch bewertet, die Machtmittel der Regierung aber unterschätzt. Das Kleinbürgertum, die liberalen Massen, befanden sich im allgemeinen beim Pluralrecht ganz wohl, traten also zwar aus Prinzip, nicht aber mit jener Wärme, die das persönliche Interesse verleiht, für das S. U. ein.[273] Daher fehlte dem Streik der "tiefe Resonanzboden im Volk", er "zündete nicht, er blieb Parteisache".[274] Je kühler die Bundesgenossen, um so energischer der klerikale Gegner, dem der Besitz überlegner Machtmittel,[275] die Kenntnis der Unzulänglichkeit der proletarischen Hilfsquellen und die auf Grund der Erfahrungen von 1893 getroffenen Vorbereitungen die Kraft des Beharrens verliehen. [Fußnote 267: Vgl. _Anseele_, a, a. O.; _Luxemburg_, a. a. O.; _Vandervelde_, cit. in der N. Z. Z. 6./5. 02.] [Fußnote 268: _Anseele_, a. a. O. p. 412.] [Fußnote 269: _Vandervelde_, "Die belgischen Wahlrechtskämpfe 1902", p. 47.] [Fußnote 270: Die Gewerkschaften wurden zwar nicht geradezu erschüttert, doch sie und die Partei erholten sich nur langsam von der Niederlage (vgl. _Vliegen_, Enquête, p. 135, und "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 196; _Bourdeau_, p. 430); -- bei den Erneuerungswahlen am 25./5. 02 triumphierten die Klerikalen (vgl. _Vandervelde_, a. a. O.; _Katz_, "Der politische Massenstreik", Nr. 33, p. 3); die Sozialisten verloren 7 Sitze; selbst bei den parlamentarischen Wahlen am 29./5. 04 soll sich die Wirkung des Streiks noch für die Sozialisten nachteilig erwiesen haben (vgl. _Anseele_, "Die belgischen Wahlen"). -- Im Innern der Partei hingegen scheint der Streik keine üblen Folgen gehabt zu haben; der Parteitag vom 4./5. 02 billigte den Rückzug und erteilte dem Vorstand Decharge (_Anseele, "Der Kampf um das allgemeine Stimmrecht in Belgien"; _Vandervelde_, a. a. O.).]_ [Fußnote 271: So _Anseele_, a. a. O.; ähnl. _Vandervelde_ (gemäß N. Z. Z. 6./5., sowie Neue Zeit 20. II. p. 166); "Le Peuple", Brüssel, 5./5. 02, cit. bei _Bourdeau_, p. 430.] [Fußnote 272: Man machte den belgischen Sozialisten zum Vorwurf: mangelnde Organisation (so z.B. _Zetkin_ [vgl. Vorwärts, 23./8. 05], welche übrigens, inkonsequenter-, aber richtigerweise, den geordneten Rückzug gerade der trefflichen Organisation zuschreibt), Überstürzung (vgl. _Bernstein_, "Pol. M-str. und pol. Lage"). Vorherankündigung (vgl. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 735), Zusicherung möglichster Gewaltlosigkeit (vgl. _Zetkin_ a. a. O.; _Luxemburg_, "Das belgische Experiment") und das Bündnis mit den Liberalen (vgl. _Mehring_, "Ein dunkler Maitag"; _Kautsky_, "Die Soziale Revolution" I; _Luxemburg_ a. a. O.; _Zetkin_ a. a. O.) (--) In der internationalen Sozialdemokratie entfachte insbesondere der Rückzugsbeschluß einen gelinden Federkrieg. Man beschuldigte die belgischen Arbeiterführer, sie hätten auf Anordnung der Liberalen gehandelt. Doch konnten letztere sie höchstens in der Überzeugung von der Beendigungsnotwendigkeit, die sich ihnen von selbst aufdrängen mußte, bestärken. Der Streik mußte vor allem aus pekuniären Rücksichten beendet werden. Bei der Riesenzahl der Streikenden reichten die Ausstandsfonds auch bei geringer Unterstützung nur für kurze Zeit; bis zum 20. April waren überhaupt nur 27 300 Fr. zusammengekommen, inkl. der 10 000 Mark-Spende der deutschen Sozialdemokratie (Allg. Ztg. 21./4. 02), die nach Beendigung des Streiks übrigens noch 5000 Mk. schickte (Prot. Parteitg. München 02, p. 18.). -- Die belgische Arbeiterschaft scheint sich bei der beginnenden wirtschaftlichen Streikunfähigkeit und der politischen Erfolglosigkeit doch auch nicht so durchaus zuversichtlich gezeigt zu haben, wie es _Vandervelde_ ("Die belgischen Wahlrechtskämpfe", p. 47) behauptet (vgl. z.B. Allg. Ztg. 21./4. 02 und N. Z. Z. 22./4. 02). Eine Fortführung des Ausstands hätte zur wirtschaftlichen Erschöpfung und zum "Versanden" der Bewegung geführt und war um so weniger angezeigt, als ein Nachgeben der Regierung doch völlig ausgeschlossen schien; so wären weitere Opfer also durchaus überflüssig gewesen (vgl. _Vandervelde_, cit. in der N. Z. Z. 6./5. 02; _Bernstein_, "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik"; _Vandervelde_, "Nochmals das belgische Experiment"; _Luxemburg_, "Und zum dritten Mal das belgische Experiment"; _David_, "Die Eroberung der politischen Macht", p. 203; Bericht des internationalen sozialistischen Bureau, cit. bei _Katz_, "Der politische Massenstreik", Nr. 33, p. 3; Rdsch. Soz. Mh. Mai 02, p. 392.)] [Fußnote 273: Nur ausnahmsweise, z.B. in Charleroi am 13./4., demonstrierten Sozialisten und Liberale gemeinsam (vgl. N. Z. Z. 14./4).] [Fußnote 274: _Bernstein_, "Pol. M-str. und pol. Lage", p. 21, und "Ist der politische Massenstreik in Deutschland möglich?" p. 33.] [Fußnote 275: Es kamen nur wenige militärische Unzuverlässigkeiten vor.] Mußte ein Erfolg aber auch ausbleiben, so darf man deswegen doch noch nicht von einem "schmählichen" Scheitern[276] reden; denn der Streik verlief ruhig, planmäßig. Die Arbeiter hatten sich "wie ein Mann" erhoben, und so zogen sie sich auch wieder zurück.[277] Maßgebende auswärtige Sozialisten schätzen sogar den korrekten Rückzug aus dem Kampf, die "Geschlossenheit und Einheitlichkeit" der belgischen Wahlrechtsstreiter[278] nicht nur als eine ihnen außerordentlich wertvolle Erfahrung, die weite Perspektiven auf neue Anwendungsmöglichkeiten des Klassenstreiks gestatte, sondern, ähnlich wie die Schweiz ihre nationale Waffen- und Trophäenhalle mit dem Bilde des Rückzugs von Marignano schmückt, so schreiben sie den Rückzug der belgischen Arbeiter aus dem Wahlrechtsstreik von 1902 geradezu auf die Ruhmestafel des kämpfenden Proletariats. [Fußnote 276: _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 193.] [Fußnote 277: Vgl. _Anseele_, "Der Kampf um das allgemeine Stimmrecht in Belgien".] [Fußnote 278: Vgl. _Bernstein_, "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik", p. 415; _Vandervelde_, cit. in der N. Z. Z. a. a. O.] Auch jetzt noch erachtet die belgische Sozialdemokratie die "grève générale" als "das vornehmste Mittel zur Erreichung des allgemeinen Wahlrechts", wendet aber ihr Hauptaugenmerk vorläufig doch lieber dem Ausbau des Gewerkschaftswesens zu.[279] [Fußnote 279: Parteitg. 1903, vgl. Rdsch. Soz. Mh., Mai. 03, p. 379.] § 11. Schweden. Unmittelbar nach dem zweiten belgischen Wahlrechtsstreik, vielleicht psychologisch durch ihn beeinflußt[280] und, wie er, den Höhepunkt in einer Wahlrechtsbewegung markierend, im Mai 1902, fand auch in Schweden ein Klassenstreik statt. Außer den Arbeitern hatten weite Volkskreise auch dort eine Reform des veralteten Zensus-Wahlrechts[281] gefordert, sodaß die Regierung im März 1902 dem Reichstag einen diesbezüglichen Entwurf vorlegte.[282] Da dieser aber das allgemeine Stimmrecht durch "Garantien"[283] einschränkte, so rief er einen "Sturm der Entrüstung" hervor,[284] der natürlich am lautesten in der Arbeiterschaft tobte, resp. in der sozialdemokratischen Partei, die die Führung des Proletariats in dieser Angelegenheit übernommen hatte.[285] Sie entwarf alsbald einen sorgfältig durchdachten Demonstrationsplan.[286] Es sollte "bis zur Einführung einer zufriedenstellenden Erweiterung des Stimmrechts"[287] eine permanente Klassenstreik-Agitation veranstaltet werden; insbesondere sollte das Volk durch sonntägliche, später allabendliche Massendemonstrationen im ganzen Lande so aufgerüttelt werden, "daß die Niederlegung der Arbeit aus der immer gespannter werdenden Situation organisch herauswachsen", und daß der Volksprotest "durch möglichst allgemeine Arbeitsruhe während der Parlamentsberatung der Wahlrechtsfrage noch mehr verstärkt werden" könne.[288] Nach diesem Plan wurde auch verfahren,[289] und da am 15. Mai die auf 2-3 Tage berechnete Reichstagsdebatte beginnen sollte, so proklamierte die sozialdemokratische Partei für den gleichen Tag und die gleiche Dauer einen allgemeinen Ausstand im ganzen Lande,[290] einen "Demonstrationsstreik",[291] der zeigen sollte, "daß die Arbeiterschaft nicht gesonnen sei, sich politisch als quantité négligeable behandeln zu lassen";[292] er sollte seine Spitze "nicht im geringsten gegen die Unternehmer richten", sondern, "ausschließlich gegen die Regierung und das Zensus-Parlament",[293] um letzterem die Abweisung der Wahlrechtsvorlage nahe zu legen. [Fußnote 280: Vgl. Allg. Ztg. 21./4.; Enquête, p. 377.] [Fußnote 281: Das schwedische Wahlsystem soll damals nur 6,7% der Bevölkerung das Wahlrecht gewährt haben, während z.B. in Norwegen 19,9%, in Deutschland 21,2% wahlberechtigt gewesen seien (vgl. N. Z. Z. 24./5.).] [Fußnote 282: Vgl. _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen", p. 54.] [Fußnote 283: Z.B. sollten Wähler über 40 Jahre 2 Stimmen haben.] [Fußnote 284: Vgl. _Branting_, a. a. O.] [Fußnote 285: Die Gewerkschaften wollten nicht in diese rein politische Angelegenheit gezogen werden, vgl. _Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne", p. 624.] [Fußnote 286: Auf einem außerordentlichen Kongreß in Stockholm vom 10.-13. April.] [Fußnote 287: Vgl. N. Z. Z. 14./4.] [Fußnote 288: _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 421 und "Die schwedischen Reichstagswahlen", p. 54.] [Fußnote 289: Am 20./4. fanden in ganz Schweden Kundgebungen zugunsten des allgem. Stimmrechts statt; in Malmö allein demonstrierten 15 000 Personen (vgl. Allg. Ztg. 21./4.); ebenso am 27./4. in den meisten schwedischen Städten; in Stockholm zählte man 30-40 000 Teilnehmer. Am 12./5. erschien der Bericht der Reichstagskommission, wonach das Stimmrecht erst von 25 Jahren an ausgeübt werden, ferner an Besitz usw. gebunden sein sollte (vgl. Allg. Ztg. 13./5.).] [Fußnote 290: Vgl. N. Z. Z., 15. und 24. Mai; Allg. Ztg. 15./5.] [Fußnote 291: Vgl. _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen", p. 54; man habe erkannt, "daß die Zeit für einen wirklichen, durch einen ökonomischen Druck auch politisch wirkenden Massenstreik noch nicht gekommen" sei.] [Fußnote 292: Allg. Ztg. 15./5. 02.] [Fußnote 293: _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 421 ff.] Die Massen, gut diszipliniert und vorbereitet, folgten in fast allen bedeutenderen Städten,[294] "in fast allen Teilen des Landes"[295] dem Streikgebot,[296] sodaß der Ausstand am 17. Mai mit 116 bis 120 000 Teilnehmern,[297] einen Umfang erreichte, "der die kühnsten Erwartungen weit übertraf". [Fußnote 294: _Leimpeters_, "Zum Generalstreik", p. 431.] [Fußnote 295: _Branting_, a. a. O. p. 420.] [Fußnote 296: Am 15. streikten bereits in Stockholm 15 000 Fabrik-, Werkstätten-, Verkehrsarbeiter und Setzer (vgl. N. Z. Z. und Allg. Ztg. 16./5.), am 16. über 30 000 (vgl. N. Z. Z. 17./5.), am 17. war die Arbeitsruhe in Stockholm mit über 42 000 Ausständigen fast vollständig (vgl. _Branting_, a. a. O. und "Die schwedischen Reichstagswahlen", p. 54); in Malmö war der Streik mit 13 000 Teilnehmern "fast vollständig" (_Branting_, a. a. O.); dort standen schon am 15./5. die Fabriken und Druckereien still (Allg. Ztg. 16./5.); 12 000 streikten in Gotenburg (_Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 422); schon am 15./5. herrschte allg. Streik in Helsingborg (Allg. Ztg. 16. Mai). Es wird als auffallend gemeldet, daß das "schwedische Manchester", Norrköping, sich nicht dem Streik anschloß (N. Z. Z.), daß am 15. der Streik in mehreren Städten "noch nicht allgemein" war, daß in Gotenburg z.B. am 15. noch die Drucker, Straßenbahner, Gasarbeiter, Droschkenkutscher arbeiteten (vgl. N. Z. Z. und Allg. Ztg. 16./5.); diese negative Umschreibung des Streikumfangs gibt einen Fingerzeig für die Größe der Bewegung; die Gesamtzahl der Streikenden im ganzen Land betrug am 16. Mai schon 75-100 000 (N. N. Z. 17./5.).] [Fußnote 297: _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen"; _Bourdeau_, p. 431.] Die Wirkungen des Streiks machten sich sofort sehr unangenehm bemerklich,[298] am meisten in Stockholm, das infolge der Verkehrsstockung den Eindruck einer kleinen Provinzstadt erweckt haben soll.[299] Die Zeitungen fehlten, wie auch anderwärts,[300] die Beleuchtung litt.[301] Hingegen konnte die Wasser-, und anscheinend auch die Nahrungsmittel-Versorgung aufrecht erhalten werden,[302] wie ja seitens der Ausständigen von Anfang an "die für das Leben und die Gesundheit der Bewohner unbedingt erforderliche Arbeit" als zulässig erklärt worden war.[303] Der in solchen Maßnahmen zum Ausdruck gelangenden Friedfertigkeit entsprach auch die von Freund und Feind anerkannte "imponierende Ruhe" und "musterhafte Ordnung"[304] während des Streiks, die denn auch den Arbeitern viele Bundesgenossen aus den Reihen der Intelligenz zugeführt haben soll.[305] Mit "ruhiger Präzision" wurde die Arbeit nach Schluß der Reichstagsdebatte am 17. Mai auch wieder aufgenommen.[306] [Fußnote 298: _Bourdeau_, a. a. O.; _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 422.] [Fußnote 299: N. Z. Z. 17./5.; der ganze Lokalverkehr lag danieder: vom Morgen des 15. an stockte der Verkehr der Trams, Droschken, Arbeitswagen, Dampfer (vgl. Allg. Ztg. 16./5.); in Malmö verkündeten die Arbeiter der Staatsbahnwerkstätten ihren Streik für den 16., so daß man schon den Anschluß der Eisenbahner fürchtete (vgl. Allg. Ztg. 15./5. und N. Z. Z. 16./5.).] [Fußnote 300: _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen"; die Zeitungen fehlten in Stockholm und Malmö vom 16. an (vgl. Allg. Ztg. 15./5., N. Z. Z. 16./5.); nur das Regierungsorgan erschien (vgl. Allg. Ztg. 17./5.); die Zeitungen drohten vergeblich mit einer 14tägigen Aussperrung (N. Z. Z. 17./5.).] [Fußnote 301: Stockholm war schlecht beleuchtet, da Gas- und Elektrizitätsarbeiter streikten, sogar die Theatervorstellungen mußten wegen des Streiks des Hilfspersonals abgesagt werden (Allg. Ztg. 17./5.).] [Fußnote 302: Allerdings wollten z.B. in Upsala die Bäckereien, in Malmö Kaffees und Restaurants für drei Tage den Betrieb einstellen (vgl. Allg. Ztg. 15. und 17. Mai).] [Fußnote 303: Allg. Ztg. 15./5.] [Fußnote 304: _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 420; _Bourdeau_, a. a. O.; "alle Welt auf den Straßen, aber nicht eine Fensterscheibe zerbrochen", "alles viel ruhiger als in gewöhnlichen Zeiten"(?), rühmt _Branting_ ("Die schwedischen Reichstagswahlen"). Auch bei den voraufgehenden Demonstrationen scheinen keine ernstlichen Zwischenfälle vorgefallen zu sein; ein Krawall am 21. April in Stockholm, bei dem mehrere Personen durch Säbelhiebe verwundet wurden (Allg. Ztg. 20./4, N. Z. Z. 24./4.; _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden"), soll insofern durch die Polizei veranlaßt worden sein (vgl. _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen"), als sie die Arbeiter am Demonstrieren habe hindern wollen (?). -- Bei der Kürze der Bewegung und dem ruhigen Temperament der Schweden ist der friedliche Verlauf nicht überraschend; auch drangen die Arbeiterführer energisch auf Ordnung, und die Regierung duldete im allgemeinen überall die friedlichen Straßendemonstrationen (_Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden"). Die Regierung hatte übrigens schon vor dem Ausstand Truppen aus den Provinzgarnisonen nach Stockholm gezogen; sie verfügte dort die Absperrung einiger innerer Stadtteile (Allg. Ztg. 15./5.).] [Fußnote 305: _Branting_, "Die schwedischen Reichstagswahlen".] [Fußnote 306: _Branting_, a. a. O. und "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 422; der sozialdemokratische Direktionsausschuß in Stockholm gab am 17./5. die telegraphische Parole aus, daß am gleichen Abend um 6 Uhr der Ausstand zu beendigen sei (vgl. Allg. Ztg. 18./5.; _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 422).] Der Reichstag hatte wirklich die Regierungsvorschläge verworfen und auf das Jahr 1904 einen neuen Entwurf mit allgemeinem Stimmrecht verlangt.[307] Damit war durchaus erreicht, was erreicht werden sollte: ein Unerwünschtes war abgewehrt, ein Erwünschtes zudem in greifbare Nähe gerückt.[308] Immerhin kann bezweifelt werden, ob diese Fortschritte nicht vielleicht auch ohne den kostspieligen Apparat eines Klassenstreiks zu erringen gewesen wären.[309] [Fußnote 307: N. N. Z. 15. und 24. Mai; Allg. Ztg. 17./5.] [Fußnote 308: Wenn man zunächst auch nur "eine vieldeutige, tastende, sehr wenig verpflichtende Reichstagsresolution" gewonnen habe, so sei nun doch die Stimmung im Reichstag dem allg. Wahlrecht günstiger, jede Partei sich der Dringlichkeit der Reform bewußt geworden (_Branting_, "Die schwed. Reichstagswahlen"; _Bömelburg_, Prot. Gwft. Kongr. Köln 1905, p. 220 ff.), wodurch die schwedische Stimmrechtsfrage "in eine neue Phase getreten" sei (_Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne"); doch da es sich von Anfang an nur um eine Demonstration handelte, kann "von Gelingen oder Nicht-Gelingen hier keine Rede sein" (_Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel").] [Fußnote 309: Die N. Z. Z. 24./5., nimmt sogar an, der Streik habe überhaupt keinen Einfluß auf die Reichstagsbeschlüsse gehabt.] Die Arbeiter scheinen nur wenig unter den Nachwirkungen des Streiks gelitten zu haben. Die unmittelbar folgenden Maßregelungen waren nicht sehr erheblich,[310] und der angedrohte Streikrechtsentzug kam um so weniger zu Stande,[311] als die Arbeiterorganisationen den Klassenstreik inzwischen "begraben" hatten. Denn obgleich die Wahlreform sich über Erwarten verzögerte, obgleich der finnische Nationalstreik seinen Eindruck auf die schwedischen Arbeiter nicht verfehlte,[312] und obgleich eine kleine "anarchosozialistische" Partei-Opposition zum Generalstreik drängte,[313] ergab eine detaillierte Umfrage bei den Arbeitern, besonders bei den gewerkschaftlich organisierten,[314] die Ablehnung zwar nicht des Klassenstreiks an sich, wohl aber des Klassenstreiks im damals vorliegenden. Falle.[315] Da die bloße Wiederholung des Demonstrationsstreiks überdies gar keine Wirkung versprochen, ein mehrwöchentlicher Ausstand aber die Arbeiterschaft den größten Gefahren ausgesetzt hätte,[316] so ließ die Partei den Gedanken des Klassenstreiks vorläufig fallen. [Fußnote 310: _Branting_ ("Die Generalstreikprobe in Schweden" p. 423) nimmt an, die schwedischen Arbeiter seien durch den Kampf gestärkt worden; dies ist doch wohl fraglich: ein vor dem Streik angesammelter Fonds von 80 000 Kr., um "Bürger, die ohne eigenes Verschulden vielleicht von den Behörden drangsaliert werden", zu unterstützen (Gerichtskosten und dergl.), soll "durch die Konflikte unter den Streikenden stark mitgenommen" worden sein (_Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne", p. 623). _Branting_ ("Die schwed. Reichstagswahlen") gibt auch einige Fälle zu, "wo fanatische Feinde der Arbeiterbewegung die Situation für Repressalien auszunützen sich bemühten". -- Nach _Roland-Holst_ ("G-str. u. Sozd.", p. 62) soll es nur in einer großen Fabrik zu einer kurzen Aussperrung gekommen sein; den Gewerkschaften habe der Streik "so gut wie keine Opfer" gekostet.] [Fußnote 311: Der infolge des Streiks entstandene Gesetzentwurf gegen gemeingefährliche Streiks wurde im Mai 1905 im Reichstag behandelt, von der 2. Kammer aber abgelehnt (vgl. _Axel Hirsch_, "Lagförslaget mot allmänfarliga sträjker").] [Fußnote 312: Es soll "das Beispiel Finnlands, das durch seinen Nationalstreik das Einkammersystem und allgemeines Stimmrecht für Männer und Frauen mit einem Schlage erreicht hat,... auf die Arbeiter Schwedens tief gewirkt" haben (_Branting_, "Die liberale Episode im schwedischen Wahlrechtskampf").] [Fußnote 313: Die sog. "Jungsozialisten", unter Führung von _Hinke Bergegren_, "die nach anarchistischem Muster den Generalstreik als sozialrevolutionäre Tat feiern" und eine eifrige G-str.-Propaganda betrieben (vgl. _Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne"; Rdsch. Soz. Mh. Jan. 07).] [Fußnote 314: Die Umfrage wurde von der Parteileitung veranstaltet, um dem Parteitag im Februar 1905 zuverlässiges Material über die Stimmung der Massen zu liefern; schon 1904 hatte die Partei, bei allem Interesse für die Wahlreform, vorläufig von einem G-str. abgesehen (Rdsch. Soz. Mh. Mai 04, p. 410).] [Fußnote 315: Rdsch. Soz. Mh. 05, p. 354, 355; _Branting_, a. a. O. p. 623, 624.] [Fußnote 316: Die gefestigte Unternehmerorganisation würde sich "nicht noch einmal überrumpeln" lassen (_Branting_; _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 62); auch würden die Arbeiter bei einem zweiten Streik das Publikum gegen sich gehabt haben (_Branting_); der Streik würde zu Konflikten mit der bewaffneten Macht geführt haben.] § 12. Österreich. In der österreichischen Wahlrechtsbewegung spielte der Klassenstreik ebenfalls eine beträchtliche Rolle, wenngleich es hier bei der bloßen Androhung sein Bewenden haben sollte. Der belgische Wahlrechtsstreik von 1893 legte der österreichischen Sozialdemokratie damals schon den Gedanken nahe, das veraltete Wahlsystem nach belgischem Muster zu bekämpfen.[317] Da die erlangte mäßige Wahlreform nicht befriedigte,[318] so zog der Wiener Parteitag von 1894[319] als letztes Auskunftsmittel den Klassenstreik in Betracht, nahm aber von dessen momentaner Ausführung wegen zu geringer Entwicklung der Organisationen noch Abstand.[320] Mit der Steigerung der Wahlrechtsbewegung[321] entwickelte sich auch wieder eine eifrigere Diskussion des Klassenstreiks, dessen Ansehen seit der von den belgischen Arbeitern 1902 erwiesenen Rückzugsmöglichkeit beträchtlich zugenommen hatte.[322] Der besonders von den Bergarbeitern längere Zeit vertretene Standpunkt,[323] den Klassenstreik nicht nur für das Wahlrecht, sondern zugleich auch für den Achtstundentag zu inszenieren,[324] wurde gänzlich aufgegeben. Doch handelte es sich für die österreichische Sozialdemokratie auch jetzt noch mehr um akademische Erörterungen.[325] Akut wurde die Frage erst, nachdem in Ungarn das allgemeine Wahlrecht zugesichert worden war. Die Kampflust des Parteitags von 1905 wurde durch die Kunde von dem gleichzeitig erlassenen russischen Oktobermanifest noch um ein Beträchtliches gesteigert; so forderte er denn die Arbeiter zur Bereitschaft für den politischen Massenstreik auf und wies die Vertrauensmänner an, denselben im entscheidenden Moment zu proklamieren.[326] Dem Drängen nicht nur des Proletariats, sondern weitester Kreise des Bürgertums[327] nachgebend, erfolgte endlich die Zusicherung der Wahlreform;[328] die Sozialdemokratie hielt daher vorerst noch mit dem Äußersten zurück.[329] Sobald indeß die Reform im Parlament auf Schwierigkeiten stieß, wurde das Arbeiterheer mobilisiert.[330] Und zwar sah das sozialistische Aktionsprogramm bei weiterer "Wahlreformverschleppung" zunächst einen dreitägigen Demonstrationsstreik nur der Wiener Arbeiterschaft vor, um dem Gegner gleichsam einen Vorgeschmack des allgemeinen Ausstands zu geben; sollte auch diese letzte Drohung keinen Eindruck machen, so hätte der Massenstreik in ganz Österreich zu folgen.[331] Die Wiener Massenmeetings und zahlreiche andere Versammlungen pflichteten diesem Plan, sowie den von den Führern getroffenen Vorbereitungen durchaus bei.[332] Die Massenstreikbereitschaft veranlaßte natürlich Gegenmaßregeln: die Regierung verstärkte die Wiener Garnison;[333] die Vereinigung der Arbeitgeber Österreichs beschloß, trotz ihrer Sympathie für das allgemeine Wahlrecht, dem dreitägigen Ausstand event. mit einer entsprechenden Aussperrung zu begegnen;[334] im Parlament wurden Stimmen laut, man solle die Wahlreform nun erst recht verweigern, als Protest gegen den beabsichtigten Druck von außen.[335] Dennoch kam sie zu Stande, und glücklicherweise ohne daß der angekündigte politische Ausstand ausgeführt wurde. Aber die Wahlreform ist nicht eigentlich der Klassenstreikdrohung zu danken, oder doch nur zum kleinsten Teil.[336] Die _Klassenstreikdrohung_ mag den Gang der Ereignisse etwas _beschleunigt_ haben; diese selbst aber hatten ihre Ursache nicht in proletarischen Sonderwünschen, sondern im Gesamtempfinden des österreichischen Volkes. [Fußnote 317: Vgl. Prot. Parteitg. Wien 1894, Bericht der Parteileitung, p. 4-6, _Adler_, p. 31, 34. Am 20. Aug. 1893 war gelegentlich einer Massendemonstration für das allg. Wahlrecht im Wiener Prater zum ersten Mal öffentlich vom "Generalstreik" die Rede.] [Fußnote 318: Nach dem Scheitern des Taaffe'schen Wahlprojekts (_Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 21).] [Fußnote 319: 25.-31. März 1904. Auf Anregung der Parteivertretung und gemäß dem Beschluß einer am 8. Okt. 1893 in Wien zusammengetretenen Reichskonferenz der österreichischen Sozialdemokratie wurde "das allgemeine Wahlrecht und der Generalstreik" als dritter Punkt der Tagesordnung behandelt und eine _Adler_'sche Resolution hierüber angenommen.] [Fußnote 320: Prot. Parteitage Wien 1894 (p. 105), 1905 (p. 127, 128).] [Fußnote 321: Diese nahm schon 1903 wieder recht energische Formen an und führte sogar zu blutigen Zusammenstößen mit dem Militär, z.B. in Brünn am 7./9. 03 (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 127 ff.); in den folgenden Jahren fanden allenthalben große Wahlrechtsdemonstrationen statt, z.B. am 10. Okt 05 in Prag, (bei Eröffnung des Landtags), wobei ca. 40 000 Menschen teilnahmen, unter allgemeiner Arbeitsruhe (Alfred _Weber_, "Die Wahlrechtsfrage in Österreich").] [Fußnote 322: Vgl. Prot. Parteitg. Wien 1903, p. 122-133.] [Fußnote 323: Bes. am Budweiser Parteitag (vgl. Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 55, 71 ff., 97).] [Fußnote 324: Prot. Parteitag Wien 1905, p. 131.] [Fußnote 325: Prot. Parteitag Wien 1905, _Adler_, p. 125.] [Fußnote 326: Prot. Parteitag Wien 05, p. 66-69. -- An den Parteitag schlossen sich große Demonstrationen in Wien an, die sich (gemäß Parteitagsbeschluß, vgl. Prot. p. 110) am 28. Nov., dem Tag der Parlamentseröffnung, nicht nur in Wien, sondern im ganzen Lande wiederholten, wodurch eine kurze allgemeine Arbeitsruhe entstand (vgl. "Die neue Gesellschaft", Nr. 37, 1905, Glossen); in Wien beteiligten sich ca. 1/4 Million, in Prag ca. 150 000 Personen (Rdsch. Soz. Mh. Jan. 1906, p. 85). -- Ein analoger Vorgang fand übrigens beim Zusammentritt des _ungarischen_ Reichstags am 10. Okt. 1907 statt: vor allem in Pest, doch auch im übrigen Reich, herrschte Arbeitsruhe, da die Arbeiter, unter dem Beifall der ganzen Bevölkerung, für das allg. Wahlrecht demonstrierten. (Vgl. z.B. "Züricher Post" vom 12. Okt. 07). -- Der Parteitag der ungarischen Sozialdemokratie hatte Ostern 1905 für den Massenstreik zur ev. Erkämpfung des allg. Wahlrechts votiert (Vgl. Rdsch. Soz. Mh. Juni 05, p. 551).] [Fußnote 327: Selbst bei den Demonstrationen sollen Angehörige der Mittelklassen sich scharenweis beteiligt haben (_Weber_, a. a. O.; Soz. Mh. Rdsch. Jan. 06, p. 85).] [Fußnote 328: Arbeiter-Ztg., 12. Juni 06.] [Fußnote 329: Prot. Parteitg. Wien 05, p. 132 ff., sowie Versammlungsberichte usw. in der Arbeiter-Ztg. 19. Nov. ff.] [Fußnote 330: Vgl. Rdsch. Soz. Mh. Juni 06, p. 516. Vertreter der Partei, der Gewerkschaften und der Fraktion forderten im Manifest vom 9. (oder 10.) Juni die Arbeiterschaft zur Vorbereitung des Massenstreiks auf (Arbeiter-Ztg. 10. Juni 06).] [Fußnote 331: Arbeiter-Ztg. 12. Juni 06.] [Fußnote 332: Vgl. Vorwärts, 19. Juni 06. Am 14. Juni war die von der Gesamtparteivertretung berufene und von allen Landesorganisationen und sämtlichen gewerkschaftlichen Verbänden beschickte Konferenz in Wien zusammengetreten und hatte über die Vorbereitung eines ev. Massenstreiks beraten (vgl. Arbeiter-Ztg. 15. Juni), sich mit dem Manifest vom 9. Juni einverstanden erklärt, die Arbeiter aufgefordert, unverzüglich die letzten Vorbereitungen zu treffen, sowie einem aus Mitgliedern der Parteivertretung, der Gewerkschaftskommission und der Fraktion gebildeten Zentralkomitee in Wien die Aufgabe zugewiesen, sobald die Wahlreform im Parlament stockte, sofort die Parole zum 3tägigen Wiener Ausstand, resp. zum allg. österr. Massenstreik zu geben, zu dessen Ausführung in den einzelnen Ländern dem Zentralkomitee entsprechend zusammengesetzte Landeskomitees bestanden, die sich dann direkt mit den Lokalkomitees in Verbindung setzen sollten (Arbeiter-Ztg. 15. Juni 06).] [Fußnote 333: Vgl. Arbeiter-Ztg. 24. Juni 06.] [Fußnote 334: Arbeitgeber-Versammlung in Wien am 26. Juni 06 (vgl. Arbeiter-Ztg. 27. Juni und Frankfurter Ztg. 27. Juni 06).] [Fußnote 335: Arbeiter-Ztg. 24. Juni 06.] [Fußnote 336: Selbst der Vorwärts, 12. Juli 06, erklärt, die österr. Wahlreform sei "weniger die Frucht des proletarischen Kampfes, als der nationalistischen Verlegenheiten der Krone" gewesen.] * * * * * Gegenüber dem Umfang dieser Wahlrechtsstreik-Propaganda treten die übrigen klassenstreikartigen Erlebnisse Österreichs beträchtlich zurück. Immerhin muß an den _Generalstreik in Triest_ vom Jahre 1902 erinnert werden, der übrigens seinem ganzen Charakter nach den romanischen Klassenstreiks zuzuzählen wäre. Er soll wegen "der rücksichtslosen Habgier der Lloydinteressenten"[337] ausgebrochen sein und sich "gegen ein 150 Jahre altes Gesetz über den Seedienst und gegen den Mißbrauch der Marinesoldaten zu Streikbrecherdiensten"[338] gerichtet haben. Das ganze Triester Proletariat habe sich aus Solidarität am Ausstand der Seeleute beteiligt.[339] Es kam zu blutigen Zusammenstößen;[340] doch die Arbeiter sollen die Sympathien der Gesamtbevölkerung auf ihrer Seite gehabt haben,[341] und diesem Umstand, nicht aber dem "ökonomischen Furor",[342] dürften sie den freilich teuer erkauften Sieg[343] verdanken. [Fußnote 337: Rdsch. Soz. Mh., April 02, p. 318.] [Fußnote 338: Bericht der italienischen Parteiexekutive in Triest an den Parteitag (vgl. Prot. Parteitg. Wien 1903, p. 32, 33).] [Fußnote 339: Mit diesem Ausstand dürfte wohl der G-str. in _Fiume_ in Verbindung stehen, der am 1. April unter den Hafenarbeitern und Heizern der ungarischen Schiffahrtsgesellschaft "Adria" ausbrach, dem sich am 3. April zahlreiche Fabrikarbeiter anschlossen, der aber schon am folgenden Tage als beendigt angesehen wurde (vgl. N. Z. Z. 2.-4. April 02).] [Fußnote 340: Da Ruhestörungen vorfielen, wurde der Ausnahmezustand verhängt (vgl. Prot. Parteitg. Wien 03, p. 54) und Militär gegen die Streikenden aufgeboten (vgl. Rdsch. Soz. Mh., April 02, p. 318).] [Fußnote 341: Soz. Mh., April 02.] [Fußnote 342: Dessen wüste Szenen der "_Weckruf_", April 05, Nr. 7, ausmalt (cit. vom Sekretariat des _Schweizerischen Gewerbevereins_, "Begleiterscheinungen bei Streiks", p. 12).] [Fußnote 343: Die Arbeiter des Seeverkehrs sollen sich die Organisationsmöglichkeit erkämpft haben; der Streik habe 12 Menschenleben, unzählige Verwundungen und Jahre Kerkers gekostet; die Partei habe übrigens aus dem Streik nur Nutzen gezogen (Prot. Parteitg. Wien 1903, p. 32, 33, 38).] § 13. Deutschland. In Deutschland begegnete der Klassenstreik-Gedanke ursprünglich energischer Ablehnung.[344] "Das Wort des Genossen _Auer_: Generalstreik ist Generalunsinn, wurde so ziemlich allgemein (in der sozialdemokratischen Partei) als zutreffend akzeptiert".[345] Allerdings erklärten sich anfangs der 1890er Jahre die "_Jungen_" (auch Berliner Opposition genannt)[346] für den "gewaltrevolutionären Generalstreik zur Niederwerfung der politischen und ökonomischen Herrschaft der Bourgeoisie";[347] sie erlitten aber mit derartigen Anschauungen auf dem Erfurter Parteitag (1891) eine vollständige Niederlage.[348] Anderthalb Jahrzehnte später beherrschte die Klassenstreikidee das ganze Parteileben der deutschen Sozialdemokratie. Freilich erschien diese Idee nicht in ihrer alten, revolutionär-anarchistischen Form, sondern zumeist in der "durch materialistische Geschichtsauffassung vertieften" Spielart,[349] als politischer Massenstreik. Eine ganze Reihe zusammentreffender Umstände haben diese Wandlung veranlaßt. Es lassen sich _fünf Hauptquellen der deutschen Massenstreikbewegung_ nachweisen. [Fußnote 344: Vgl. z.B. Edm. _Fischer_, "Die neueste Revision unserer Theorie und Taktik", p. 292.] [Fußnote 345: _Kolb_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 207.] [Fußnote 346: Die Bewegung der "Jungen" entwickelte sich nach den Wahlerfolgen von 1890; in ihrem Tatendrang verachteten die "Jungen" den Parlamentarismus; es schwebte ihnen eine revolutionär-sozialistische Gewerkschaftsbewegung vor.] [Fußnote 347: Vgl. _Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht", und ders., "Eine Wiedergeburt der Unabhängig-sozialistischen Bewegung?".] [Fußnote 348: Prot. Parteitg. Erfurt 1891, p. 222. Aus den G-str.-Schwärmern unter den "Jungen" wurden später vielfach überzeugte Gegner, wie z.B. _Kampffmeyer_; vgl. auch _Kloth_, "Generalstreik und Maifeier auf dem Gewerkschaftskongreß in Köln".] [Fußnote 349: Frankf. Ztg., Leitart. über den M-str., 5./7. 06, Nr. 183.] 1. In erster Linie waren es die _inneren politischen Verhältnisse_, die die Diskussion des politischen Massenstreiks heraufbeschworen. Der politische Einfluß des Proletariats entsprach keineswegs den Erwartungen, die im Jahre 1903 von der Partei an ihren 3 Millionen-Sieg geknüpft worden waren;[350] alles war beim alten geblieben,[351] ja, "die in verschiedenen Staaten versuchte oder durchgeführte" Wahlrechtsverschlechterung[352] schien sogar auf eine Verstärkung der Reaktion hinzuweisen. Je mehr die Partei sich der eigenen Machtlosigkeit bewußt wurde, um so größere Besorgnisse hegte sie hinsichtlich einer Verkürzung der politischen Rechte, insbesondere des Reichstagswahlrechts.[353] Beim sächsischen "Wahlrechtsraub" freilich hatte, nach Bebels eigenen Worten, "überhaupt noch kein Mensch an den politischen Streik... gedacht";[354] später aber veranlaßten Enttäuschung und Besorgnis die deutschen Sozialisten, oder doch gewisse politisch führende Kreise derselben, zu einer _Revision_ ihrer _Taktik_. Auf zwei Wegen konnten sie das verlorene Ansehen zurückzugewinnen versuchen: waren sie einsichtig genug, ihre Ohnmacht aus der doktrinären Intoleranz herzuleiten,[355] so mußten sie die in Dresden beschlossene Intransigenz aufgeben und, mit Benutzung der erreichbaren parlamentarischen Wege, eine praktische Sozialpolitik anstreben; sahen sie ihre Einflußlosigkeit aber gerade als Folge einseitiger Pflege oder Überschätzung[356] des Parlamentarismus an, so mußten sie auf weitere Isolierung halten und neben (oder statt) dem für ungenügend befundenen Parlamentarismus außerparlamentarische Aktionen, "eindringlichere Kampfmittel",[357] suchen. Diesen letzteren Weg schlug die deutsche Sozialdemokratie ein, und das Resultat war die "Aufzäumung des Generalstreikgauls".[358] [Fußnote 350: Vgl. _Giesberts_, "Die Utopie des Generalstreiks", p. 35.] [Fußnote 351: Dr. _Liebknecht_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 326).] [Fußnote 352: Vgl. "Hamburger Echo", Leitart. über "Anarcho-Sozialismus" (27. Aug. 05, Nr. 200). -- Es handelte sich um "die Wahlrechtsräubereien in Sachsen, Lübeck und Hamburg, die Verschlechterung des Gemeindewahlrechts in zahlreichen Städten, die... immer offener heraustretenden Absichten auf Einschränkung des Reichstagswahlrechts" (_David_, "Rückblick auf Jena", p. 841).] [Fußnote 353: Vgl. _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 215); vgl. auch _Cohnstaedt_, "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie", p. 748. Eine Resolution des Breslauer sozialdemokratischen Vereins vom 29. Mai 05 (vgl. Vorwärts, 1./6. 05) forderte bereits, "in solchen Fällen, wo dem Volke wirkl. Rechte genommen werden sollen", den pol. Str. ev. ernsthaft in Betracht zu ziehen. Mit dem Reichstagswahlrecht sei zugleich auch das Koalitionsrecht bedroht (_Kautsky_, Vorwort zu _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.").] [Fußnote 354: Prot. Parteitg. Jena 05, p. 337.] [Fußnote 355: Frankf. Ztg. a. a. O.; Eugen _Katz_, "Der politische Massenstreik" Nr. 33, p. 3.] [Fußnote 356: Vgl. _Michels_, "Le Socialisme allemand et le Congrès d'Jéna", p. 281-307.] [Fußnote 357: Vgl. z.B. _Roland-Holst_, "Zur Massenstreikdebatte", p. 685 und Dr. _Liebknecht_, a. a. O.] [Fußnote 358: v. _Gerlach_, "Maifeier und Massenstreik". _Katz_, a. a. O., wirft die Frage auf, ob man den Arbeitern nicht etwa deshalb "das Opium des Massenstreiks" eingegeben habe, "damit sie die Unfruchtbarkeit der marxistischen Politik so bald nicht erkennen?"] 2. Es ist nicht überraschend, daß man auf der Suche nach dem außerordentlichen Rettungsmittel gerade auf den Klassenstreik verfiel. Praktische _Versuche in andern Ländern_ standen schon reichlich als _Vorbilder_ zu Gebote.[359] So soll der schwedische und der italienische, sollen die belgischen Klassenstreiks einen Einfluß auf die deutsche Arbeiterbewegung ausgeübt haben.[360] Der Ruhrstreik Anfang 1906 lenkte ebenfalls die Aufmerksamkeit auf Massenaktionen mit politischer Tragweite. Später mag auch die österreichische Wahlbewegung, vor allem aber die russische Revolution[361] die Klassenstreik-Neigungen gefördert haben. [Fußnote 359: Übrigens wäre, wie _Heine_ ("Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?" p. 754) hervorhebt, bloß um der ausländischen Versuche willen die Massenstreikdiskussion in Deutschland nicht notwendig gewesen.] [Fußnote 360: _Bracke_, Enquête, p. 86; _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 215); _Bebel_ (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 307); _Cohnstaedt_, a. a. O.] [Fußnote 361: _Bernstein_, "Politischer Massenstr. und Revolutionsromantik"; vgl. auch _Lensch_, "Politischer Massenstreik und politische Krisis"; _Liebknecht_ in Bremen: "die Frage des Massenstreiks ist die aktuellste Frage unserer gegenwärtigen und künftigen Politik" (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 196); _Kautsky_ ("Zum Parteitag") rechnete schon "mit der Möglichkeit, ja Wahrscheinlichkeit revolutionärer Situationen"; Edm. _Fischer_, a. a. O., wirft der _Leipziger Volkszeitung_ vor, daß sie, nach ihrem Artikel "Märzluft" vom 8. (oder 18.?) März 04, den revolutionären Generalstreik schon nahe glaube; "zum Glück", meint _Fischer_, "denkt in unserer Partei kein Mensch daran, diese Phrasen ernst zu nehmen".] 3. Einen ferneren Hinweis auf den politischen Ausstand gaben die _internationalen Kongresse_, voraus der Kongreß von Amsterdam. 4. Weit größere Bedeutung aber erlangten die _akademischen Erörterungen_ des Problems.[362] Sie gingen übrigens von sehr verschiedenen Seiten aus: die größten Partei-Antipoden traten gleich warm für den Klassenstreik ein; freilich dachten sie sich oft ganz verschiedene Dinge darunter, was nicht wenig zu den späteren Verwirrungen beitrug. [Fußnote 362: _Heine_, a. a. O.; bei der geringen politischen Bedeutung der deutschen Sozialdemokratie hätten diese akademischen Erörterungen übermäßige Bedeutung erlangt.] _Kautsky_ hatte schon 1891 darauf hingewiesen, daß unter Umständen "ausgedehnte Arbeitseinstellungen große politische Wirkungen hervorrufen können".[363] -- Angeregt durch den ersten belgischen Wahlrechtsstreik sprach _Bernstein_ sich 1894 für den "Streik als politisches Kampfmittel" aus, speziell für den Streik als politisches Demonstrationsmittel.[364] 1896 untersuchte _Parvus_ die Wahrscheinlichkeit eines Staatsstreichs und kam zu dem Ergebnis, daß nur der politische Massenstreik im Stande sei, unter Umständen eine bedrohte Verfassung zu schützen.[365] Aber alle diese Anregungen, selbst _Parvus'_ "Kassandrarufe", verhallten, "ohne in der Arbeiterschaft besondere Beachtung zu finden".[366] [Fußnote 363: _Kautsky_, "Die soziale Revolution" I, p. 50.] [Fußnote 364: _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel".] [Fußnote 365: _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 199ff. Auch 1901 noch fand _Parvus_ mit seiner aus Handelskrise und Generalstreik kombinierten Zusammenbruchstheorie, die er am 24. Sept. 1901 in der Dortmunder Arbeiter-Zeitung auseinandersetzte, wenig Anklang (vgl. _Fischer_, "Die neueste Revision... usw.", p. 295).] [Fußnote 366: _Flüchtig_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 445.] Der zweite belgische Wahlrechtsstreik brachte die literarische Diskussion des Klassenstreiks von neuem in Fluß: _Bernstein_[367] verwies, bei vollster Ablehnung anarchistischer Gedankengänge, auf die Möglichkeit, ja Wünschbarkeit des friedlichen Demonstrationsstreiks zu politischen Zwecken, wie speziell zur Reform des preußischen Wahlsystems, und er bemühte sich vielfach in Wort und Schrift, diesem Gedanken Geltung zu verschaffen. Auch _Kautsky_ griff den Gedanken des Klassenstreiks wieder auf, der für ihn hauptsächlich das Mittel der sozialen Revolution bedeutete. Deshalb erschien ihm auch der politische Massenausstand für Deutschland vorläufig noch unanwendbar, seine Diskussion also auch nicht dringlich, doch lehrreich und wünschenswert.[368] Diese Diskussion nahm aber erst seit 1904, "vor, während und nach dem Kongreß von Amsterdam"[369] einen lebhafteren Charakter in Presse[370] und Versammlungen an; sie erhielt im Sommer 1905 durch die Veröffentlichung von _Roland-Holst's_ "Generalstreik und Sozialdemokratie" neue Nahrung.[371] Dieses Buch, auf _Kautskys_ Veranlassung geschrieben und von ihm in einem Geleitwort der deutschen Arbeiterschaft an's Herz gelegt, erschien gerade im geeigneten Augenblick, um einen bedeutenden, aber nicht ungefährlichen Einfluß ausüben zu können, da es sich ebenso sehr durch Übersichtlichkeit und fesselnde Darstellung, als durch Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse Deutschlands auszeichnete.[372] [Fußnote 367: _Bernstein_, "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik".] [Fußnote 368: Zum besseren Verständnis des Auslands, zur klaren Erkenntnis der eigenen Widerstandskraft, zur Vorbereitung auf den Amsterdamer Kongreß wünschte _Kautsky_ eine lebhafte Diskussion der noch wenig geklärten Frage (vgl. die Anmerkung der Redaktion in der "Neuen Zeit", 22, I, p. 134; vgl. _Kautsky_, a. a. O.; ders., "Zum Parteitag", "Der Bremer Parteitag", "Allerhand Revolutionäres"; ferner Vorwärts, 4. Juli 06).] [Fußnote 369: _Bebel_, "Der Bremer Parteitag", p. 742.] [Fußnote 370: Z.B. in der "Neuen Zeit" im Anschluß an den Artikel von _Hilferding_, "Zur Frage des Generalstreiks".] [Fußnote 371: Hingegen gab das _Roland-Holst_'sche Buch nicht, wie der _Vorwärts_ (4. Juli 06) annimmt, überhaupt erst den Anstoß zur deutschen Massenstreikdebatte.] [Fußnote 372: _Roland-Holst's_ Buch erschien sehr bald schon in 2. Auflage; sicher hat es einen beträchtlichen Einfluß auf den Jenaer Parteitag ausgeübt, obgleich es nicht an scharfer Kritik fehlte: _Bernstein_ (in "Dokumente des Sozialismus", V. 9) wandte sich besonders gegen die von _Roland-Holst_ vertretene Katastrophentheorie, griff auch ihre Darstellung der belgischen Wahlrechtsbewegung an; _Heine_ verurteilt das "Gerede" über den Verlauf eines Massenstreiks in Deutschland als ein "Phantasieprodukt ohne Realität" (a. a. O.); vgl. auch die kritischen Bemerkungen bei _Katz_, a. a. O. Nr. 34.] 5. Eine wesentlich andre Auffassung vom Klassenstreik, als die Parteischriftsteller verschiedener Richtung, vertraten, (vertreten noch), die "_Anarchosozialisten_", (auch Berliner Lokalisten genannt).[373] Der "Wahlrechtsraub in Sachsen", der "Bruch der Geschäftsordnung im Reichstag", die Neutralitätserklärung der Gewerkschaften hatten auch den Führer der Lokalisten, Dr. R. _Friedeberg_, zu einer _Revision der Taktik_ veranlaßt, die ihn geradewegs zu "proletarischen Massenaktionen", mit deren Hilfe die "Ideale des Klassenkampfs" wieder in den Vordergrund gerückt werden sollten,[374] zum anarchistischen Generalstreik führte. Um seine Anschauungen auch dem Amsterdamer Kongreß nahe zu legen, sprach _Friedeberg_ am 3. August 1904 in Berlin unter großem Beifall der Anwesenden über "Parlamentarismus und Generalstreik".[375] Ebenso versuchte er dem Jenaer Parteitag vorzudemonstrieren, daß die deutschen Proletarier einen "neuen Kurs" verlangten.[376] Zu diesem Zweck sprach er am 23. August 1905 in Berlin über "Weltanschauung und Taktik des deutschen Proletariats" und veranlaßte seine 3-4000 Zuhörer,[377] eine anarchosozialistische Resolution, mit Generalstreik als pièce de resistence, anzunehmen (sogen. Feenpalast-Resolution, nach dem Namen des Versammlungslokals).[378] Freilich wies die sozialdemokratische Partei die Friedebergsche Generalstreikpropaganda zurück, wie überhaupt den ganzen "anarchosozialistischen Spuk";[379] dennoch fühlte die Partei sich eingestandenermaßen zum Teil gerade durch die großen Berliner Versammlungen der Lokalisten zur Erörterung des Klassenstreik-Problems genötigt.[380] [Fußnote 373: _Giesberts_, a. a. O. p. 30, berechnet ihre Zahl auf 17 000; sie liegen in beständiger Fehde mit den Zentralverbänden; _Kampffmeyer_ ("Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht") setzt die anarchosozialistische Bewegung in Parallele zur Bewegung der "Jungen" von 1891; die Anarchosozialisten hatten sich unter Führung von Dr. R. _Friedeberg_ samt ihrem Blatt, "Die Einigkeit", immer mehr von den offiziellen Gedankengängen der Partei ab- und dem Anarchismus zugewandt.] [Fußnote 374: _Friedeberg_, Prot. Parteitg. Dresden 03.] [Fußnote 375: Seine Resolution, die den Parlamentarismus verurteilt, der Partei und den Gewerkschaften aber den Generalstreik als ethisches Befreiungsmittel empfiehlt, (vgl. _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31, 32), soll mit Tausenden gegen 6 Stimmen angenommen worden sein (vgl. _Friedeberg_, "Weltanschauung und Taktik des deutschen Proletariats", Nr. 41); _Friedeberg_ erklärte in einer Berliner Versammlung am 29./8. 04 die Stellungnahme des Amsterdamer Kongresses für eine Konzession an seine Richtung (vgl. Allg. Ztg. 1./9. 04).] [Fußnote 376: Die gleiche Absicht verfolgte die "_Einigkeit_" (Nr. 35, Sept. 05, Beilage) mit ihrem Artikel "Jena".] [Fußnote 377: Vgl. "_Einigkeit_", 2./9. 05; _Michels_, a. a. O. p. 287 ff.] [Fußnote 378: _Friedeberg_, a. a. O.] [Fußnote 379: Der Anarchosozialismus sei der unvermeidliche Ausbruch "fortschrittshungriger Ungeduld", der "das Kind mit dem Bade" ausschütten wolle (_Hue_, "Partei und Gewerkschaft"). Vorwärts, Leitart. vom 4. Juli 06, Nr. 152, "Der politische Massenstreik"; _Kautsky_ ("Der Bremer Parteitag", p. 7 ff.) meint, man müsse die Massenstreikdiskussion nicht wegen, sondern trotz _Friedeberg_ betreiben; vgl. ders., Rezension über _Friedebergs_ "Parlamentarismus und Generalstreik".] [Fußnote 380: Vgl. _Bebel_ (Prot. Parteitag Bremen 04, p. 307); mehrfach in der sozialdemokratischen Presse ausgesprochene Vorwürfe, die Parteileitung lasse sich zu sehr durch die Lokalisten beeinflussen, weisen ebenfalls darauf hin, daß die anarchosozialistische Propaganda nicht ohne Einfluß auf die allgemeine Massenstreikbewegung in Deutschland war.] Das Zusammentreffen all dieser Faktoren macht es begreiflich, daß die deutsche Sozialdemokratie sich dem Klassenstreik zuwandte, dessen sie sich doch so lange Zeit hindurch erfolgreich erwehrt hatte, so auch noch auf dem _Dresdener Parteitag_ 1903, wo _Friedebergs_ Anstrengungen, den Klassenstreik auf die Tagesordnung des nächsten Parteitags zu setzen, nur bei _Kautsky_ und einigen wenigen andern, "die zur sog. "radikalen" Richtung zählen",[381] Unterstützung fanden. Denn obgleich der Klassenstreik doch nur eine logische Konsequenz der neu beschworenen Katastrophentheorie[382] und der Annahme eines "in greifbare Nähe gerückten" Sieges der Sozialdemokratie dargestellt hätte, gelang es dem Einfluß _Legiens_ und _Ledebours_, die offiziell radikale Dresdener Mehrheit zur Verwerfung des Friedebergschen Antrags zu bewegen. [Fußnote 381: Vgl. _Kolb_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 207, und _Flüchtig_, "Zur Frage des Generalstreiks"; vgl. auch Prot. Parteitg. Dresden 03, p. 134, 431 ff.] [Fußnote 382: Vgl. _Bernstein_, "Ist der pol. Streik in Deutschland möglich?"] Doch schon auf dem _Bremer Parteitag_ 1904 trat ein Umschwung in der Beurteilung des Klassenstreiks zu Tage. Zwar fehlte es nicht an Stimmen, die die neuen Bestrebungen für "einfach lächerlich" erklärten.[383] Aber als Dr. _Liebknecht_, unter Hinweis auf den Wert des Massenstreiks für den Wahlrechtsschutz, auf die Bedeutung der ausländischen Diskussion und das Ansehen der inländischen Verteidiger des Klassenstreiks und unter ausdrücklicher Ablehnung des Generalstreiks Friedeberg'scher Observanz, die Behandlung des Problems auf dem folgenden Parteitag verlangte, und als unter anderen auch _Bernstein_ und _Zetkin_ eine Diskussion der Frage befürworteten, da wurde der Liebknechtsche Antrag mit großer Mehrheit dem Parteivorstand zur Erwägung überwiesen.[384] [Fußnote 383: So die "_Chemnitzer Volksstimme_", cit. von Dr. _Liebknecht_, (Prot. Parteitg. Bremen, p. 190). _Katzenstein_ meinte, die Anhänger des _Generalstreiks_ hätten einen unfruchtbaren Boden zu beackern (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 190).] [Fußnote 384: Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 190-198; _Bebel_, der über den Amsterdamer Kongreß referierte, ohne sich aber persönlich zur Klassenstreik-Frage zu äußern, befürwortete deren gründliche literarische Diskussion, ehe die Partei sich offiziell mit ihr zu beschäftigen habe (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 307); _Kautsky_ erklärte, "mehr als solche Studien sind zunächst in Deutschland nicht erforderlich" ("Der Bremer Parteitag", p. 9).] Während der Klassenstreik in der Partei Anhänger gewann, beharrten die _freien Gewerkschaften_ auf seiner Ablehnung, "einerlei, für welche Zwecke er inszeniert werden soll"[385] und schienen "gegen den Generalstreik-Bazillus immun zu sein".[386] Um jedoch die immerhin gefährlichen Infektionsversuche zu verhindern, sowie um etwaigen, von der Partei zu gewärtigenden, unerwünschten Direktiven zuvorzukommen,[387] wurde der Klassenstreik im Mai 1905 vom _Gewerkschaftskongreß in Köln_ behandelt.[388] Nur ganz wenige Gewerkschaftsführer (so z.B. _von Elm_) traten dort für den politischen Streik ein. Die Mehrzahl glaubte, in entscheidenden Augenblicken auch ohne vorherige Beschlußfassung die richtige Taktik finden, und selbst eine Zeit der Wahlrechtsverkürzung ohne Klassenstreik überstehen zu können;[389] sie sah in dessen Diskussion daher eine überflüssige Beunruhigung organischer Gewerkschaftsentwicklung und wies "alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen", entschieden zurück.[390] Übrigens sollte durch den Kölner Beschluß dem politischen Massenstreik eine _event_. Funktion in einer _event_. sozialen Revolution nicht abgesprochen werden.[391] Fast die ganze Partei, voraus die in Köln nicht allzusehr gefeierten Literaten, verurteilten die Stellungnahme der Gewerkschaften.[392] Diese hatten gehofft, durch ihre Resolution die Massenstreikdebatte einzudämmen; aber das Gegenteil trat ein:[393] die Massenstreikdebatte beherrschte mehr und mehr das Parteileben. Sie erreichte ihren Höhepunkt im Herbst 1905 am _Parteitag_ in _Jena_, wo der Klassenstreik überhaupt im Mittelpunkt des Interesses stand.[394] Von der Stellung der Partei zum Klassenstreik-Problem hing ja auch ihr Verhältnis zu den Gewerkschaften ab. Vergeblich mahnte eine kleine Minderheit zur Mäßigung. In einem "Taumel" von Begeisterung und Unbesonnenheit nahm der Parteitag, gemäß der Resolution _Bebel_, den politischen Massenstreik unter die "gegebenenfalls" in Betracht zu ziehenden Eroberungs- und Verteidigungsmittel der Sozialdemokratie auf.[395] Der schon hierdurch, gewollt oder ungewollt, entstandene Gegensatz zur Kölner Resolution[396] wurde übrigens durch den leidenschaftlichen Tatendurst, der einen Teil der Debatte beherrschte, noch bedeutend verschärft. -- Der Gedanke, daß der Massenstreikbeschluß dem Parteirenommé wenig dienlich, daß die deutsche Sozialdemokratie hiermit vollständig in eine schon zu Dresden betretene Sackgasse hineingeraten[397] sei, war der Partei selbst vorläufig noch fremd; wurde doch die Jenaer Resolution von einem Teil der Parteipresse geradezu "als ein Weltereignis" gefeiert.[398] Sie befriedigte ja im allgemeinen die Klassenstreikpropheten aller Richtungen: Marxisten sahen den Klassenstreik mit Genugtuung dem Arsenal des deutschen Proletariats eingereiht; Revisionisten (bes. _Bernstein_) sprachen _Bebels_ Referat in Jena als einen Sieg ihrer Bestrebungen an;[399] Antiparlamentarier und Anarchosozialisten konstatierten zuversichtlich einen "Ruck nach links",[400] ein erstes In-Betracht-ziehen der direkten Aktion. [Fußnote 385: Vgl. _Bebel_, vgl. "Der Bremer Parteitag", p. 742.] [Fußnote 386: _Legien_, "In Köln am Rhein", p. 378.] [Fußnote 387: Vgl. _Bömelburg_, in einer öffentlichen Maurerversammlung in Leipzig am 14. Nov. 05 (Bericht hierüber im Vorwärts, 16. Nov. 05, 2. Beilage). -- Bei den üblichen Meinungsverschiedenheiten zwischen der Partei und der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands fürchtete die letztere nicht mit Unrecht, der nächste Parteitag werde einseitig über den M-str. Beschlüsse fassen, die den Gewerkschaftstendenzen zuwiderlaufen könnten (vgl. _Bömelburg_, Prot. Gewft. Kongr. Köln 05, p. 215).] [Fußnote 388: Vgl. Prot. Gwft. Köln 05, p. 215-229.] [Fußnote 389: Man habe einst das Sozialistengesetz auch ohne Massenstreik überdauern können. (Vgl. Edm. _Fischer_, a. a. O. p. 299).] [Fußnote 390: Resolution _Bömelburg_; mit allen gegen 7 Stimmen angenommen (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 30).] [Fußnote 391: Wenigstens soll in der Resolution _Bömelburg_ ein solcher Sinn ursprünglich nicht gelegen haben (vgl. _Legien_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 241 ff.).] [Fußnote 392: So z.B. die _Leipziger Volkszeitung_ (cit. im Vorwärts, 31./5. 05.). Zu den wenigen Parteiblättern, die den Kölner Beschluß billigten, gehörte damals auch der Vorwärts (vgl. _Kautsky_, Vorwort zu _Roland-Holst_, p. VIII).] [Fußnote 393: Vgl. A. v. _Elm_, "Partei und Gewerkschaft", p. 734, 735.] [Fußnote 394: Vgl. Prot. Parteitg. Jena 05.] [Fußnote 395: Prot. Parteitg. Jena 05, p. 285 ff.; Annahme der Resolution Bebel mit 287 gegen 14 Stimmen (bei 2 Stimmenthaltungen); die Partei war aber durchaus nicht so einig, wie man nach diesem Ergebnis und nach dem _Singer_'schen Schlußwort (p. 364) annehmen könnte.] [Fußnote 396: Die Rdsch. Soz. Mh. meint, man habe sich in Jena "absichtlich in Gegensatz zu der Kölner Resolution der Gewerkschaften" gestellt.] [Fußnote 397: Vgl. v. _Gerlach_, "Maifeier und Massenstreik"; _Katz_, a. a. O. Nr. 33.] [Fußnote 398: _Leimpeters_, "Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften", p. 928.] [Fußnote 399: _Bernstein_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 315); vgl. auch _Fournière_ in der Revue socialiste (cit. Rdsch. Soz. Mh. Nov. 05 p. 984).] [Fußnote 400: Vgl. _Michels_, a. a. O.] Alsbald begann auch in Presse und Versammlungen eine muntere _Massenstreik-Agitation_, mehrfach sogar unter direkter Bezugnahme auf die russische Revolution.[401] Dies steigerte sich noch, als die Absichten der Parteileitung bezüglich der preußischen Wahlrechtsbewegung bekannt wurden; denn zahlreiche Phantasten glaubten nun zuversichtlich, daß die für Januar, März und Mai 1906 vorgesehenen Massendemonstrationen nur ein Vorspiel bedeuten würden, daß die Bewegung sich steigern und im Massenstreik gipfeln müsse. [Fußnote 401: Vgl. z.B. Paul _Göhre_, "Sturmzeichen in Deutschland".] Doch schon nach kurzer Zeit erfolgte der _Rückschlag_. Verschiedene _ursprüngliche Verfechter_ der Massenstreikidee begannen, deren unzeitgemäße Propaganda, die "Revolutionsromantik", die in Presse und Versammlungen aufblühte, energisch zu bekämpfen.[402] Besonders aber setzte die Umkehr des _Parteivorstandes_ dem Massenstreiklärm einen wirksamen Dämpfer auf. Im Sommer 1906 wurde es nämlich bekannt,[403] daß zwischen dem Parteivorstand und der Generalkommission bereits am 16. Febr. 1906 ein "unverbindlicher" Meinungsaustausch betreffend die Opportunität eines momentanen politischen Streiks in Preußen und über die bei einem solchen ev. innezuhaltende Taktik stattgefunden habe, und daß hierbei sechs von _Bebel_ formulierte Thesen zur Annahme gelangt waren, von denen es nun hieß, sie stellten eine Preisgabe der Jenaer Resolution dar.[404] _Bebel_ und der Parteivorstand verwahrten sich aufs bestimmteste gegen eine solche Verdächtigung,[405] die sie auf Entstellung des ersten und wichtigsten der _Bebel_'schen Sätze zurückzuführen versuchten.[406] Zwischen beiden Fassungen besteht aber durchaus kein prinzipieller, sondern bloß ein formeller und allenfalls gradueller Unterschied; denn in beiden spiegelt sich gleichmäßig der deutliche Wunsch: wenn irgend möglich, nur jetzt keinen Massenstreik![407] Die Abmachungen der Februarkonferenz beschränkten sich nämlich auf die augenblickliche Situation[408] und sollten die Frage des Klassenstreiks an sich nicht weiter berühren. -- Diese Angelegenheit bot der Parteipresse reichlichen Stoff zu nicht eben allzu freundlichen Erörterungen.[409] Es handelte sich aber hierbei nicht nur um die Formalitäten;[410] vielmehr tauchten auch materielle Fragen über den Inhalt der Vereinbarung auf, insbesondere, ob der Parteivorstand im Frühjahr 1906 mit Recht von einer Inszenierung des politischen Streiks abgesehen habe, und ob diese seine Handlungsweise im Einklang mit der Jenaer Resolution stehe. Beide Fragen wurden vom _Parteitag_ 1906 in _Mannheim_ bejaht.[411] Nach gründlicher Reproduktion aller diesbezüglicher Streitpunkte erklärte der Parteitag schließlich die Massenstreikbeschlüsse von Köln und Jena als "nicht im Widerspruch" miteinander,[412] als innerlich wesensgleich, so daß die Mannheimer Resolution, trotz zahlreicher "Schönheitsfehler",[413] den Frieden zwischen Partei und Gewerkschaft wieder herstellte. Diese Resolution entsprach im Grunde durchaus den Tendenzen der Februar-Konferenz, da sie auch den politischen Massenstreik zum ganz ausnahmsweisen, vornehmlich defensiven Kampfmittel stempelte und ihn in den hintersten Hintergrund der deutschen Arbeiterpolitik verwies.[414] [Fußnote 402: Dies führte natürlich zu unerfreulichen Auseinandersetzungen, z.B. zwischen dem Vorwärts und _Bernstein_ (vgl. "Eine Legendenbildung", Leitart. des Vorwärts vom 30. Dez, 05, Nr. 304; _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"). Die "Einigkeit" (9./12. 05) verhöhnte in einem "Chamäleon" überschriebenen Artikel die sogenannten "Hirtenbriefe" von v. _Elm_, _Frohme_ und _Lesche_ im "Hamburger Echo" vom 23. Nov. 05, Erklärungen, in denen sich die Genannten gegen die revolutionäre Auslegung der Jenaer Resolution wandten (vgl. Prot. Parteitg. Mannheim 06 p. 288). -- _Bernstein_ klagte, daß die "Revolutionsverbrämung" die an sich legitime Form seines gewaltlosen Demonstrationsstreiks kompromittiere (a. a. O. und Vorwärts, 30. Jan. 06); vgl. auch Rob. _Schmidt_, "Irrgänge der Massenstreiktaktik".] [Fußnote 403: Infolge einer Indiskretion der "Einigkeit", die sich wohl besonders ärgerte, daß die preußische Wahlrechtsbewegung so kläglich im Sande verlaufen war.] [Fußnote 404: Die 6 _Bebel_'schen Sätze notierte sich, da kein Protokoll geführt wurde, ein Teilnehmer, _Silberschmidt_; in der _Silberschmidt_'schen Fassung legte die Generalkommission diese Thesen einer Konferenz der Vertreter der Zentralverbände der Gewerkschaften vor (die vom 19. bis 23. Febr. 06 stattfand), die sie ebenfalls akzeptierte.] [Fußnote 405: Vorwärts, 27. Juni, 1. Juli 06.] [Fußnote 406: Jener Satz sei am 16./2. 06 anders von _Bebel_ formuliert worden, als er später im Protokoll der Gewerkschaftskonferenz erschienen sei, und ihn demzufolge auch die "plumpe" Enthüllung der Einigkeit wiedergebe. Die Generalkommission bestritt die Entstellung (Vorwärts, 1. Juli 06). -- Nach _Bebel_ soll dieser Satz gelautet haben: "der Parteivorstand hat nicht die Absicht, _gegenwärtig_ den politischen Massenstreik zu propagieren; sollte derselbe aber propagiert werden _müssen_, so wird sich der Parteivorstand mit der Generalkommission zuvor ins Benehmen setzen". Nach dem Protokoll der Konferenz der Zentralvorstände lautete dieser Satz: "der Parteivorstand hat nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu propagieren, sondern wird, soweit es ihm möglich ist, einen solchen zu verhindern suchen" (Vorwärts, 1. Juli 06).] [Fußnote 407: Die übrigen Sätze enthielten Abmachungen, wie sich Partei und Gewerkschaften zu verhalten hätten, wenn dennoch ein Massenstreik ausbrechen würde.] [Fußnote 408: _Bebel_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 228 ff.), _Silberschmidt_ (ebenda, p. 301 ff.).] [Fußnote 409: Vgl. Vorwärts, insbes. 27. Juni, 4. bis 12. Juli 06; die Angelegenheit zog übrigens auch noch die Veröffentlichung eines Teils des bis zur "Einigkeits"-Enthüllung geheimen Protokolls der Gewerkschaftsvorstände gegen deren Willen nach sich ("Partei und Gewerkschaft", wörtlicher Abdruck des Punktes Partei und Gewerkschaft aus dem Protokoll der Gewerkschaftsvorstände vom 19. bis 23. Februar 06 [Beilage zum Vorwärts, Nr. 185, 11. August 06]).] [Fußnote 410: Man stritt, ob die von _Bebel_ verteidigte Fassung der Thesen die ursprüngliche sei (dies nimmt z.B. die "Leipziger Volkszeitung" an [vgl. Vorwärts, 4. Juli]), oder die _Silberschmidt_'sche (dies behauptet z.B. die Karlsruher Volksstimme [vgl. Vorwärts, 6. Juli 06], übrigens auch die Frankf. Ztg. vom 27. Juni 06, Nr. 175); ob _Silberschmidt_ die _Bebel_'schen Thesen "sinngemäß" niedergeschrieben habe, ob er sich eine Abschrift hätte nehmen sollen oder können; ob _Molkenbuhr_ den Parteivorstand rechtzeitig vom Eingang der Konferenzprotokolle unterrichtete; ob der Parteivorstand korrekt gehandelt habe; ob er den an ihn zu stellenden Anforderungen überhaupt genüge; ob die Spannung zwischen Partei und Gewerkschaften, die an allen "Mißverständnissen" schuld sei, sich nicht beseitigen lasse.] [Fußnote 411: In Mannheim referierte wiederum _Bebel_ über den pol. M-str.; auf vielseitigen Wunsch übernahm _Legien_ das Korreferat (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 155, 241-254).] [Fußnote 412: Prot. p. 138; 276 ff.: die Kölner Resolution verbiete den M-str. ja nicht, die Jenaer fordere ihn aber nur "gegebenenfalls".] [Fußnote 413: So die Rdsch. Soz. Mh. Okt. 06 p. 895, 896.] [Fußnote 414: Vgl. Prot p. 227-306; Annahme der Resolution _Bebel_ mit Amendement _Bebel_ und _Legien_ und einem Teil des Amendements _Kautsky_ durch 386 gegen 5 Stimmen.] Da der Mannheimer Parteitag sozusagen in einem Atem die Jenaer Resolution und die sechs Bebelschen Thesen billigte, so kann von einem Widerspruch zwischen beiden, wenigstens in formellem Sinn, nicht wohl die Rede sein. Trotzdem war eine _Wandlung_ vor sich gegangen.[415] Es wurde zwar versucht, alle Zwistigkeiten aus der verschiedenartigen Betrachtungsweise des Klassenstreiks in der bisherigen Diskussion herzuleiten.[416] Aber diese Bemäntelungen verdecken nur unvollkommen den tatsächlichen Gesinnungswechsel, den materiellen Rückzug, der sich in der veränderten Auslegung der Jenaer Resolution kund gab. [Fußnote 415: Das geht schon daraus hervor, daß die zielbewußten Gewerkschaftsführer die Jenaer Resolution in Jena ablehnten (_Hoffmann_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 271), sie aber in Mannheim billigten.] [Fußnote 416: In Jena sei der Massenstreik an sich, in Köln seine praktische Durchführbarkeit erörtert worden (so _Rob. Schmidt_, Prot. Mannheim, p. 262, 263), was übrigens nicht zutrifft.] Dem Wortlaut nach war die vielbesprochene _Jenaer Resolution_ eine kleine historische Abhandlung über die für die Partei betrübenden Zustände in deutschen Landen und über die Notwendigkeit, sich gegen Bedrohungen und Vorenthaltungen unentbehrlicher Rechte zu wappnen. Die Resolution empfahl daher, neben andern Mitteln und unter Voraussetzung genügender Organisation und Aufklärung, "gegebenenfalls" die In-Betrachtziehung des politischen Massenstreiks.[417] Das bedeutete an sich wirklich nur "die Freigabe des Themas zur Diskussion"; das bisher partei-offiziell verpönte Mittel wurde "parteihoffähig",[418] "moyen "permis".[419] Eine Festlegung der Taktik fand nicht einmal in defensiver Hinsicht statt,[420] so daß es "praktisch ... bei der Gewerkschaftsdevise 'kommt Zeit, kommt Rat'" blieb.[421] -- In dieser äußerlich so harmlosen Resolution wurde aber vielerorts eine "Fanfare", die Ankündigung großer Aktionen für die nächste Zukunft erblickt.[422] Begreiflich genug! Mußte doch jede Maßregel, die auf einem Parteitag zur Sprache kam, um so mehr den Anschein unmittelbarer Aktualität gewinnen, als die deutsche Sozialdemokratie bisher rein akademische Disputationen auf Parteitagen prinzipiell mißbilligt hatte.[423] Daher kann es nicht überraschen, daß aus der bloßen In-Betrachtziehung des Klassenstreiks auch auf seine baldige Inszenierung geschlossen wurde. Eine scheinbare Bestätigung fand diese Annahme in dem "revolutionären Taumel",[424] "der kühnen Sprache von Jena".[425] Dies war die Quelle, aus der einige Ultraradikale den Glauben an einen baldigen katastrophalen Massenstreik zur Herbeiführung der sozialen Revolution,[426] verschiedene Revisionisten[427] die Zuversicht sofortiger Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen mittels politischen Massenstreiks,[428] die Anarchosozialisten die Hoffnung auf weitere Konzessionen seitens der Partei[429] geschöpft hatten. [Fußnote 417: Prot Parteitg. Jena 05, p. 142.] [Fußnote 418: E. Th. "Der Parteitag von Jena und der Generalstreik". ("Einigkeit", 9. Dez. 05.)] [Fußnote 419: _Michels_, a. a. O. p. 305.] [Fußnote 420: Vgl. _Legien_ (Prot Parteitg. Mannheim 06, p. 241 ff.); _David_, _Michels_ (a. a. O.) _Labriola_ (cit. bei _Michels_) und andere sprachen der Jenaer Mstr.-Resolution einen rein defensiven Charakter zu.] [Fußnote 421: _David_, "Rückblick auf Jena".] [Fußnote 422: Vgl. z.B. die _Sächsische Arbeiterzeitung_, cit. im Vorwärts, 14. Juli 06.] [Fußnote 423: Vgl. _Bebel_, "Der Bremer Parteitag"; _Liebknecht_, Prot. Parteitag Köln a. Rh. 1893, p. 171; _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"] [Fußnote 424: Rdsch. Soz. Mh. Okt. 06, p. 895, 896; auch Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 297 ff.] [Fußnote 425: _Sächsische Arbeiterzeitung_, cit. im Vorwärts, 4. Juli 06. Diese "kühne Sprache" zeigte sich in dem äußerst temperamentvollen _Bebel_'schen Referat (vgl. auch Prot. Parteitg. Mannheim, p. 297 ff.), ferner in der Debatte, in der lebhaft auf den "Heldenkampf des russischen Proletariats" verwiesen wurde.] [Fußnote 426: Sie hofften, das russische Feuer werde auch nach Deutschland hinüber zünden.] [Fußnote 427: Z.B. Kurt _Eisner_ in der "Neuen Gesellschaft", cit. im Vorwärts, 12. Juli 06; _Stapfer_, "Wahlrechtsbewegung und Massenstreik".] [Fußnote 428: Diese Annahme sei nach der Art der Einleitung der Wahlrechtsbewegung begreiflich (vgl. Frankf. Ztg. 5. Juli 06).] [Fußnote 429: Als eine solche faßten sie die Jenaer Resolution auf (vgl. die "_Einigkeit_", 2./9. 05); ähnlich auch z.B. _Nieuwenhuis_ (cit. bei _Michels_ a. a. O.) und Ed. _Berth_ (Notes Bibliographiques, Mouvement socialiste, 1. u. 15. Nov. 05, p. 374).] Eine ganz andere Auffassung der Jenaer Resolution trat in der _Februar-Konferenz_ und in der Verteidigung der _Bebelschen Thesen_[430] zu Tage. Man bemühte sich, "die irrtümliche Auffassung, die mancherorts durch die Jenaer Resolution verbreitet war, zu zerstreuen".[431] Von maßgebender Seite wurde dieser auf einmal nur noch _defensiver_, der Diskussion darüber nur _akademischer_ Charakter zugebilligt.[432] Es wurde auch bestritten, daß im Frühling 1906 ein Massenstreik berechtigt gewesen wäre.[433] Diese _Interpretationswandlung_ aber wurde von den tatendurstigen Genossen als ein unliebsames "Bremsen",[434] als eine "Preisgabe" der Jenaer Beschlüsse empfunden und beklagt.[435] Der Geist des Jenaer Parteitags war allerdings in der Februarkonferenz "verraten" worden, mußte verraten werden. Inzwischen war nämlich die dringend notwendige "Ernüchterung" eingetreten,[436] und es drängte sich den leitenden Persönlichkeiten nunmehr die Einsicht auf, "daß man sich zu weit vorgewagt habe".[437] Zu dieser peinlichen "Schamade"[438] wurde die Sozialdemokratie durch die Macht der Verhältnisse gezwungen. Diese aber bestanden 1. in der dauernden Ablehnung des Klassenstreikprojekts seitens der Gewerkschaften.[439] Man war sich darüber klar, daß ohne deren Mitwirkung, besonders ohne die Mitwirkung der mächtigen Zentralverbände eine Inszenierung des Klassenstreiks überhaupt nicht möglich sei.[440] 2. in dem gänzlichen Mangel einer irgendwie erheblichen Streikstimmung; denn die in Volksversammlungen angenommenen temperamentvollen Resolutionen zeugten viel mehr von der Unternehmungslust einiger Führer, als von "revolutionärer Energie" der Massen.[441] 3. in dem Mangel tatsächlicher Macht der deutschen Arbeiterbewegung gegenüber Staat und Gesellschaft. Dieser Mangel brachte selbst zahlreiche Anhänger des politischen Massenstreiks schließlich zu der Erkenntnis, daß dessen momentane Inszenierung nicht nur völlig aussichtslos,[442] sondern auch "im höchsten Maße gewissenlos" sein würde.[443] [Fußnote 430: Verteidigung durch den Vorwärts, den Parteivorstand, _Legien_ usw.] [Fußnote 431: v. _Elm_, "Die Gewerkschaftsdebatte auf dem Mannheimer Parteitag".] [Fußnote 432: Z.B. Vorwärts, 14. Juli 06.] [Fußnote 433: Da ja kein Attentat auf ein Grundrecht vorgelegen, so sei, gemäß der Jenaer Resolution, "der Fall nicht gegeben" gewesen (Vorwärts, 4. und 11. Juli).] [Fußnote 434: Vgl. z.B. _Sächs. Arbeiterztg._, cit. im Vorwärts, 4. Juli 06.] [Fußnote 435: Daher auch der Zorn der Lokalisten (vgl. "_Einigkeit_", 23. Juni 06, Nr. 25; ferner die Resolution der Generalversammlung der "freien Vereinigung der Bauarbeiter Berlins und Umgegend" vom 15. Juli, abgedruckt im Vorwärts vom 18. Juni 06). Die Lokalisten publizierten in ihrem Ärger die sechs "Thesen".] [Fußnote 436: Rdsch. Soz. Mh. Okt. 06, p. 895, 896.] [Fußnote 437: Frankf. Ztg. Leitart. 5. Juli 06, Nr. 183.] [Fußnote 438: So nennt z.B. _David_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 259) diesen Rückzug. Übrigens hatte man in bürgerlichen Kreisen den "Jenaer Rodomontaden" überhaupt nicht allzuviel Gewicht beigelegt; Geheimer Kriegsrat Dr. jur. _Romen_ ("Massenstreik und Revolution") erblickte in der Jenaer Resolution und der folgenden Agitation, "diesen wüstesten Verhetzungen der Arbeitermassen", "diesen offenen zügellosesten Aufreizungen zur Revolution" allerdings einen Anlaß zu ernster Besorgnis; doch z.B. die _Norddeutsche Allgemeine Zeitung_ bezweifelte sehr, daß die Sozialdemokratie gewillt oder auch nur im Stande sei, ihre Massenstreikdrohung auszuführen; sie liebe es eben, mit dem Gedanken des revolutionären Massenstreiks zu spielen, um den eigenen Reihen Mut zu machen und ihnen eine papierene Anweisung auf eine bessere Zukunft zu geben, den Gegnern aber Furcht einzujagen; die "_Nation_" vom 30./9. 05 zitiert mit Befriedigung diese "verständige Beurteilung". Die _Frankf. Ztg._ (5./7. 06) sprach von "großen Worten", "Fiasko" und "leisem Rückzug".] [Fußnote 439: Die freien Gewerkschaften blieben bei der Ablehnung, so sehr auch in gewissen Parteikreisen über ihr Ruhebedürfnis, über Stagnation und Nur-Gewerkschaftelei geklagt und gespottet wurde; noch viel ausgesprochener war die Abneigung gegen den pol. Massenstreik bei den christlichen Gewerkschaften.] [Fußnote 440: Es wurde in Mannheim deutlich ausgesprochen, daß man ohne die einflußreichen Führer und die starken Verbände nichts ausrichten könne.] [Fußnote 441: Daß im Frühjahr 1906 die M-str.-Stimmung nicht vorhanden war, geben z.B. _Leimpeters_, "Die sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften" p. 928, _Bebel_ und andere Redner am Mannheimer Parteitag (Prot. p. 236, 266, 273, 274, 286), ferner z.B. auch die _Düsseldorfer Volksztg._ (zit. im Vorwärts, 5./7. 06) und der _Vorwärts_ (14./7. 06) zu.] [Fußnote 442: Die Anhänger des katastrophalen M-streiks fanden, daß eine revolutionäre Situation vorläufig in Deutschland nicht gegeben, die Möglichkeit hierzu durch das Anwachsen der Reaktion in Rußland wieder verschwunden sei (_Roland-Holst_, "Zur Massenstreikdebatte"; _Kautsky_; Vorwärts [Prot. Parteitag Mannheim 06, p. 263, 269, 276]). Auch v. _Elm_ ("Massenstreik, Sozialdemokratie und Genossenschaftsbewegung", p. 734) und _Bebel_ hielten den Moment nicht für geeignet. Es brach die Erkenntnis durch, daß die russischen Vorbilder doch nicht für Preußen paßten (vgl. _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; _Bebel_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 227 ff.; _David_, ebenda, p. 259), daß auch die österreichische Wahlrechtsbewegung unter wesentlich andern Umständen vor sich gehe, als die preußische (_Legien_, Prot. Parteitg. Mannheim, p. 241 ff.; Vorwärts, 12. Juli 06). Schließlich teilte der größte Teil der Partei und der Parteipresse, sowie natürlich auch die Gewerkschafter, diese Meinung (vgl. auch Leo _Arons_, "Ergebnisse und Aussichten der preußischen Wahlrechtsbewegung"); nur wenige beklagten die momentane Ablehnung des pol. M-streiks (z.B. das Bochumer "_Volksblatt_" und die Dortmunder "_Arbeiterztg_.", vgl. Vorwärts, 5. u. 6. Juli).] [Fußnote 443: _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"; Rob. _Schmidt_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 332). -- Wie ungünstig die deutschen Verhältnisse überhaupt für den polit. Streik liegen, zeigt der _Massenstreikversuch_ in _Hamburg_ vom 17./1. 06. Da an diesem Tag die entscheidende Abstimmung über die Wahlrechtseinschränkung in der "Bürgerschaft" vor sich gehen sollte, hatte die sozialdemokratische Partei eine Reihe von Protestversammlungen veranstaltet; infolge starken Besuchs derselben ergab sich eine kurze Arbeitsunterbrechung in "fast sämtlichen Fabriken", auch eine Verkehrshemmung auf der Alster; es folgten nächtliche Krawalle im Schoppenstehl, die übrigens nicht von organisierten Arbeitern, sondern von zweifelhaftem Großstadtpöbel veranlaßt wurden; hiermit erreichte die Bewegung ein peinliches Ende (vgl. Vorwärts, 14. Juli 06; Prot. Parteitg. Mannheim 06 p. 27, 44).] In Deutschland bildet die Massenstreik-Diskussion einen _Gradmesser für das Verhältnis zwischen Partei und Gewerkschaft_. Mehr und mehr muß die Partei sich letzterer unterordnen.[444] Auch die gewünschte Einigung in der Massenstreikfrage kam nicht auf Grund der Parteiauffassung, sondern tatsächlich auf der Basis der Kölner Gewerkschaftsresolution zu Stande.[445] [Fußnote 444: Dies wurde beim Friedensschluß in Mannheim, im Anschluß an die Massenstreikdebatte, auch anerkannt.] [Fußnote 445: _Kautsky_ ("Maifeier und Generalstreik", Leipziger Volksztg. 20. 5. 05) wünschte die Einigung schon 1905, freilich im Sinne der Parteiauffassung.] Aus der vorläufig abgeschlossenen Diskussion ist den Arbeitern zum Glück kein Schaden erwachsen, es sei denn, daß der üble Eindruck, den die ganze Angelegenheit machen mußte, auch noch ein wenig bei der sozialdemokratischen Wahlniederlage von 1907 mitgewirkt hat; Nutzen brachte sie ihnen auch nicht,[446] außer daß die Sozialdemokratie dadurch vielleicht zu der Einsicht gekommen ist, daß sie mit der Phrase mehr, als dies bisher der Fall gewesen, aufräumen müsse. [Fußnote 446: _Kolb_ ("Von Dresden bis Essen") charakterisiert die M-str.-Diskussion als "total überflüssig".] (b) Geschichte des Generalstreiks. § 14. Frankreich. Der _amerikanische Gewerkschaftskongreß_ von 1885 hatte beschlossen, am 1. Mai 1886 zur Eroberung des Achtstundentags einen _Generalstreik_ zu inszenieren. Für dieses Unternehmen engagierte sich hauptsächlich die junge Chicagoer Anarchistenpartei.[447] Die "Knights of Labour" freilich beteiligten sich nur ungern; die sozialistische Partei wirkte überhaupt nicht mit.[448] Die Bewegung umfaßte ca. 300 000 Arbeiter.[449] Sie verlief ohne wesentlichen Erfolg und führte zur Hinrichtung der anarchistischen Führer in Chicago. [Fußnote 447: Anfang der 1880er Jahre hatte _Most_ unter den deutschen und böhmischen Arbeitern in Amerika bes. in Chicago Anhänger gefunden (vgl. Georg _Adler_, Art. "Anarchismus" im Hdwb. d. Staatswften., 2. Aufl. 1, p. 313, 314.)] [Fußnote 448: _Bourdeau_, "Les grèves politiques" p. 428.] [Fußnote 449: Vgl. _Umrath_, a. a. O. p. 13, 14.] Diese amerikanischen Ereignisse übten einen gewissen _Einfluß auf die Arbeiterbewegung_ auch in _Europa_ aus. Hier arbeiteten sie einerseits der späteren Maifeierbewegung vor,[450] andererseits frischten sie die Generalstreikidee auf, die nun unter der Pflege der Anarchisten besonders in den _romanischen Ländern_ festwurzelte. [Fußnote 450: Es soll, nach den "Temps nouveaux", seit 1886 von einer internationalen Manifestation für den G-str. die Rede gewesen sein (cit. bei _Weill_, a. a. O. p. 275, Note).] In _Frankreich_ wurde diese aus Amerika importierte Generalstreikpropaganda anfänglich (in den 1880er Jahren) kaum ernst genommen. Sie bemächtigte sich aber bezeichnenderweise alsbald des _Gewerkschaftswesens_ oder doch wenigstens seiner tonangebenden Kreise und bildete ein ständiges Thema aller Arbeiterkongresse.[451] Die "Fédération nationale des Syndicats" votierte schon 1888, wiewohl damals noch stark unter dem Einfluß der streng marxistischen _Guesdisten_ stehend, auf ihrem Kongreß in Bordeaux-le Bouscat, mit Enthusiasmus für den Generalstreik als Emanzipationsmittel. _Briand_, der sogenannte "Vater des Generalstreikgedankens", der "général gréviste",[452] entfaltete eine eifrige Propaganda für diese Idee, so daß sie rasch an Anhängern gewann und auch auf dem Syndikatskongreß in Marseille, 1892, zur peinlichen Überraschung der Guesdisten, den Sieg davontrug.[453] Ebenso erklärte sich der Pariser Kongreß von 1893, unter dem Eindruck der kurz zuvor durch das Ministerium _Dupuy_ verfügten Schließung der Pariser Arbeitsbörse, mit Begeisterung für das Generalstreikprinzip; immerhin nahm der Kongreß Abstand von der durch 25 Delegierte geforderten sofortigen Proklamation des allgemeinen Ausstandes.[454] Gerade wegen des Generalstreiks spaltete sich schließlich die "Fédération nationale des Syndicats" (in Nantes, 1894). Die Minorität schwenkte gänzlich zu den Guesdisten ab,[455] die Majorität verwandelte sich in die "_Confédération du Travail_" (C. T.), die sich zum Generalstreik bekannte[456] und ein "_Comité de la grève générale_" einsetzte.[457] [Fußnote 451: _Weill_, a. a. O. p. 275; vgl. für das Folgende auch p. 405 ff.; Léon de _Seilhac_, "Le monde social", p. 9, 27, 29, 36, 37, 85, 194-196, 211, 219, 293; _Halévy_, "Essais sur le Mouvement ouvrier en France", p. 79, 90, 124, 226, 285, 286; _Léon Blum_, "Les congrès ouvriers socialistes français", p. 111, 112, 125, 129, 134-139, 141, 144, 146, 147, 149-153, 156, 160, 161, 172, 180, 184, 190.] [Fußnote 452: Vgl. _Briand_, "La grève générale et la révolution" p. 3, 4.] [Fußnote 453: Als Mittel zur Erreichung wirtschaftlicher, politischer und revolutionärer Zwecke (vgl. _Briand_, a. a. O. p. 6; _Blum_, a. a. O. p. 134 ff.; _Buisson_, "La grève générale", p. 37).] [Fußnote 454: _Weill_, a. a. O. p. 282, 283.] [Fußnote 455: _Blum_, a. a. O. p. 145 ff.] [Fußnote 456: So z.B. in Tours 1896 (vgl. _Blum_, a. a. O. p. 159); schon in Nantes soll die Gründung einer Streikkasse beschlossen worden sein (vgl. Frh. von _Reiswitz_, "Generalstreik? Ein Rückblick auf den Hafenarbeiterstreik in Marseille", p. 12 ff.).] [Fußnote 457: _Weill_, a. a. O. p. 408, 409. Ursprünglich sollte sich dieses Komitee der Organisation des Generalstreiks widmen; später, als man die Unzweckmäßigkeit einer solchen Tätigkeit einsah, wurde ihm die Aufgabe, sich mit den in zahlreichen Städten bestehenden "Sous-Comités de la grève génerale" in Verbindung zu setzen (vgl. _Pouget_, [Enquête, p. 50 ff.]), jede sich bietende Streikgelegenheit zu benutzen, um die Arbeiter möglichst an den G-str. zu gewöhnen (dies sei z.B. der Fall gewesen beim Matrosenstreik 1900 und beim Streik in Marseille 1901 [vgl. _Weill_, a. a. O.]), wie überhaupt für die G-str.propaganda in Wort und Schrift zu sorgen.] Neben der C. T. entwickelte sich in der 1892 gegründeten "_Fédération des Bourses du Travail_" eine weitere gewerkschaftliche Organisation, die ebenfalls auf den Generalstreik eingeschworen war.[458] -- Die gemeinsame Vorliebe für den Generalstreik brachte beide Organisationen einander näher[459] und erleichterte 1902 ihre Vereinigung zur "_Confédération générale du Travail_" (C. G. T.), dem sogenannten Parti syndical. In diesem gelangten mehr und mehr antiparlamentarische Tendenzen zur Herrschaft. Wurden auf dem Kongreß in Paris (1900) neben dem Generalstreik auch noch andere Mittel der Revolution anerkannt,[460] so feierte am Kongreß in Bourges 1904 die von _Pouget_ gepredigte "action directe", also auch deren Hauptstück, der Generalstreik, den höchsten Triumph.[461] Wie kläglich auch der Versuch ausging, am 1. Mai 1906 durch Arbeitseinstellung nach 8 Stunden den Achtstundentag "direkt" einzuführen, so erklärte doch der Kongreß in Amiens 1906 den Generalstreik wiederum zu seinem Aktionsmittel.[462] [Fußnote 458: Unter _Pelloutiers_ Einfluß, und seit dem Regionalkongreß in Tours, (vgl. _Weill_, a. a. O. p. 275).] [Fußnote 459: _Weill_, a. a. O. p. 405 ff.] [Fußnote 460: _Blum_, a. a. O. p. 189.] [Fußnote 461: Albert _Thomas_, "Achtung! vor der 'direkten Aktion'".] [Fußnote 462: _Rappoport_, "Der sozialistische Kongreß in Limoges", p. 229; vgl. auch Soziale Praxis, 3. V. 06, Sp. 805; ferner die "Chronique" im Journal des Économistes vom 15. Mai 06; sowie Frankf. Ztg., "Der Geist der französischen Gewerkschaften", (25. Okt. 06 Nr. 295, 4. Morgenblatt).] Diese besondere Anhänglichkeit der französischen Syndikalisten an den Generalstreik wurzelt keineswegs in besonders günstigen praktischen Erfahrungen. Die bisherigen französischen Generalstreikversuche sind im Gegenteil recht wenig aufmunternd,[463] da man häufig "einen schlecht vorbereiteten, zu ungeeigneter Zeit begonnenen Streik durch die Erklärung des Generalstreiks zu retten sucht".[464] Für die Bevorzugung der grève générale sind vielmehr _psychologische_ und _politische Gründe_ maßgebend. [Fußnote 463: So sollte 1898 die Verlegenheit des Ministeriums (Dreifus-Handel) für den G-str. ausgenutzt werden; zu seiner Einleitung wurde einem Streik der terrassiers in Paris ein Eisenbahnerstreik angeschlossen, was, wenigstens nach _Briand_ (a. a. O. p. 11), der bürgerlichen Gesellschaft großen Schrecken verursacht haben soll. Das Unternehmen scheiterte an der energischen Intervention der Regierung (_Weill_, a. a. O. p. 406, und _Bourdeau_, a. a. O. p. 442). -- Etwas günstiger endete der große Bergarbeiterstreik, Oktober bis Dezember 1902, der auf seinem Höhepunkt 4/5 der französischen Bergarbeiter umfaßt haben soll; wegen Uneinheitlichkeit der Leitung und mangelhafter Disziplin seien die Erfolge aber nur sehr gering gewesen; nur einige wirtschaftliche Zugeständnisse der Bergwerksgesellschaften, sowie die Anhandnahme der Arbeitszeitregelung durch die Regierung seien erreicht worden (vgl. _Roland-Holst_, "Generalstreik und Sozialdemokratie", p. 14, 42, 43).] [Fußnote 464: _Delory_ (Rdsch. Soz. Mh. Febr. 04, p. 167).] Vor allem stellen die _Generalstreikbekenntnisse nur die Anschauungen eines Bruchteils der französischen Arbeiter_ dar. Die gewerkschaftliche Organisation Frankreichs steht trotz der syndikalistischen Selbstüberschätzung[465] auf ziemlich schwachen Füßen.[466] Die Generalkonföderation selbst umfaßt nur ca. ein Viertel der organisierten Arbeiterschaft und von diesem sind mehr als die Hälfte und gerade die großen und kräftigen Gewerkschaften[467] "reine Reformisten und wollen von der syndikalistischen Metaphysik nichts wissen". Zufolge eines merkwürdigen Abstimmungsmodus aber sollen diese Elemente durch eine _anarchistische Minorität_ majorisiert werden, da letztere über eine größere Anzahl freilich oft recht ephemerer Syndikate verfügte.[468] Also nicht etwa das organisierte Proletariat schlechthin[469] hat in Frankreich für den Generalstreik "nettement marqué ses préférences", sondern nur ein kleiner Bruchteil desselben. Von diesen Generalstreiklern glaubt aber auch wieder nur ein kleiner Teil allen Ernstes an die Ausführbarkeit der grève générale.[470] Diese spielt vielmehr meist nur die Rolle eines Propagandamittels, mit dessen Hilfe die spezifisch-französischen Organisationsschwierigkeiten überwunden und die zu allem Putschartigen neigenden französischen Arbeiter gepackt werden sollen. [Fußnote 465: Die Anarchisten reden von der "Machtentwickelung" der franz. Arbeitersyndikate (vgl. "Antimilitarismus und Generalstreik" [Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_"], p. 9), deren gewerkschaftliche Leistungen häufig hoch über die der deutschen erhoben werden (vgl. "Ein französischer Gewerkschaftler über die Taktik der deutschen Zentralverbände" [Übersetzung eines Artikels von V. _Griffuelhes_ aus der "Voix du Peuple" vom 29. Okt. 05, in der "Einigkeit" v. 11. Nov. 05]).] [Fußnote 466: Im Jahre 1905 zählte man im ganzen 4625 Organisationen mit 781 344 Mitgliedern, welch letztere aber in vielen Fällen bloß auf dem Papier stehen sollen (vgl. Soz. Mh. Dez. 05, p. 1067). Der Generalkonföderation sollen überhaupt nur höchstens 200000 Arbeiter angehören, "die über ein jährliches Budget von etwa 10 000 Fr. verfügen!!" (_Rappoport_, p. 233).] [Fußnote 467: Z.B. die Buchdrucker (vgl. Hue, "Partei und Gewerkschaft") und Eisenbahner (vgl. _Rappoport_ a. a. O.).] [Fußnote 468: Frankf. Ztg. a. a. O.; _Rappoport_, a. a. O.; _Weill_, a. a. O. p. 411; _Deville_, "Revolutionärer und reformistischer Sozialismus in Frankreich", p. 26, 27. -- Vgl. auch _Lagardelle_ ("Die syndikalistische Bewegung in Frankreich", p. 138), der das allgemeine Stimmrecht für die Kongresse der C. G. T. verwirft; denn "in der amorphen Masse der Trägen und Zurückgebliebenen würde der organische, klassenbewußte Kern, dieser glühende Herd, von dem der Kampf ausstrahlt, untergehen".] [Fußnote 469: Wie _Briand_, p. 16, behauptet.] [Fußnote 470: _Weill_, p. 410, 411.] Die Vorliebe der französischen Arbeiter für den Generalstreik wird durch die Ausdehnung des "_gelben_" _Gewerkschaftswesens_ in Frankreich noch künstlich verstärkt. Da die sozialistischen Syndikate in der Anwendung des normalen Streiks sich immer wieder durch die "jaunes", die organisierten Arbeitswilligen, gehindert sehen, so verfallen sie auf allerlei bizarre Auswege und erwarten, weil der partielle Streik oft scheitert, alles Heil vom generalisierten Ausstand.[471] [Fußnote 471: W. Z. in der sozialen Praxis (Nr. 36, Sp. 951, 6. Juni 07, Art. über den "Bund vaterländischer Arbeitervereine und die gelbe Gewerkschaftsidee"): die 5-600 000 "Jaunes" seien "ein Fluch der französischen Gewerkschaftsbewegung, die in ihrer legitimen Betätigung durch die Gelben gehemmt und gelähmt, zu der diabolischen Theorie der action directe, dem Generalstreik und der Sabotage gedrängt worden ist". -- Auch die Bedrohung des Streikrechts im Jahre 1896 -- (der Senat wollte den Arbeitern in den öffentlichen Anstalten das Streikrecht nehmen, was große Empörung in den Syndikaten hervorrief; das Projekt kam nie in die Kammer [vgl. _Weill_, p. 334]) -- soll die G-streiktendenzen gefördert haben (vgl. _Briand_, p. 12ff.).] Hierzu gesellten sich nun noch _politische Enttäuschungen_. Die übertriebenen Hoffnungen, die sich vielfach an die sozialistische Mitregierung geknüpft hatten, waren sehr bald enttäuscht worden.[472] Das Interesse am Parlamentarismus überhaupt wurde durch den chronischen Zwist in den sozialistischen Parteigruppen untergraben. Kein Wunder daher, daß die Gewerkschaften sich allein auf sich selbst angewiesen sehen wollten und die "direkte Aktion" predigten, mit der sie die zerspaltene Arbeiterbewegung zu kitten und neu zu beleben hofften.[473] [Fußnote 472: _Thomas_, "Achtung!.. usw.".] [Fußnote 473: _Weill_, p. 275, 405.] Bei der eigentümlichen Beschaffenheit der _sozialistischen Parteien_ Frankreichs (Abhängigkeit im Wahlkampf von der Freundschaft der Gewerkschaften),[474] mußten diese sich natürlich auch mit dem Generalstreik befassen, und je tiefer die Idee der grève générale in die syndikalistischen Kreise eindrang, um so mehr mußte sie auch politischerseits geschont werden.[475] Im vergeblichen Kampf gegen den Generalstreik büßten die _Guesdisten_ Anfang der 1890er Jahre ihren Einfluß in den Gewerkschaften ein,[476] und die _Allemanisten_ traten ihr Erbe an. Sie waren hierzu durch eine energische Generalstreikpropaganda aufs Beste vorbereitet.[477] [Fußnote 474: Vgl. meinen Aufsatz über "Die politische Arbeiterbewegung Frankreichs in den letzten Jahren" (Archiv f. Sozialwissenschaft und Sozialpolitik, XXIII, 2).] [Fußnote 475: _Weill_, p. 408.] [Fußnote 476: Die Guesdisten verstanden sich 1890 in Lille höchstens zur Konzedierung eines intern. Bergarbeiterstreiks für den 8-St.-Tg. (vgl. _Blum_, p. 124 ff.); später freilich machten auch sie einige Zugeständnisse: so auf dem Parteitag zu Ivry, 1900, wo sie ihre Unterstützung zusicherten, falls ein G-str. nötig werden sollte (vgl. Mouvement socialiste, IV. p. 553); ähnlich sprach sich auch ihr Parteitag zu Lille, 1904, aus (Enquête, p. 76 ff.).] [Fußnote 477: Die Allemanisten erkannten stets, z.B. auf ihren Kongressen 1891, 1892, 1894, den G-str. als bestes Kampfmittel und als Mittel der sozialen Revolution an (vgl. Weill, p. 405, 406; _Blum_, p. 128 ff.; Enquête, p. 2-24; Albert _Richard_, "Manuel socialiste", p. 78, 79.); sie gingen den extremen Syndikalisten aber noch lange nicht weit genug (vgl. z.B. _Pouget_, [Enquête, p. 63 ff.)].] Auch der sog. _Einigungskongreß_ von 1899 trug der syndikalistischen Strömung Rechnung[478] und setzte den Generalstreik unter die "Mittel und Wege zur Eroberung der Macht". [Fußnote 478: _Briand_ hielt, nach Ansicht des "Comité de la grève générale", ein "plaidoyer irrésistible en faveur de la grève générale" (vgl. Vorwort zu _Briand_, p. 2); in der folgenden Diskussion wurde hauptsächlich die Exklusivität, der G-str. aus Prinzip, bekämpft (vgl. _Delory_ [Enquête, p. 63 ff.] und "Congrès général des Organisation socialistes françaises Paris" 1899, p. 395, 410.).] _Jaurès_ nahm den Generalstreik in die Prinzipienerklärung des Kongresses von Tours auf,[479] vermutlich, um sich im Kampf gegen _Guesde_ der Gewerkschaften zu versichern, machte aber für die Syndikalisten dabei noch viel zu viele Einschränkungen.[480] [Fußnote 479: _Weill_, p. 408.] [Fußnote 480: _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 250; seine Einschränkungen zogen ihm den heftigsten Tadel der Syndikalisten zu (vgl. _Weill_, p. 408, und Enquête, p. 52 ff.).] Auch die _geeinte Partei_ mußte dem Syndikalismus ihre Reverenz erweisen und billigte in Limoges (auf Jaurès' Antrag) ausdrücklich die syndikalistischen Generalstreiktendenzen.[481] Derartige Beschlüsse bleiben freilich regelmäßig auf dem Papier, geben aber immerhin einen guten Maßstab ab für die reale Machtverteilung zwischen Partei und Gewerkschaft. [Fußnote 481: _Rappoport_, p. 231.] * * * * * Um einen Einblick in die Art und Weise der französischen Generalstreiks zu gewinnen, genügt ein typisches Beispiel, der _Generalstreik in Marseille vom Jahre_ 1904. In Marseille bestanden seit Jahren zwischen den Hafenarbeitern und Seeleuten (inscrits maritimes) einerseits und den Schiffahrtsgesellschaften andererseits beständige Reibereien teils wegen wirtschaftlicher Forderungen, teils und hauptsächlich wegen der Regelung der Disziplin an Bord.[482] So verlangten die inscrits z.B. die Einführung eines Beschwerdebuchs auf den Schiffen,[483] nachdem sie schon die Entfernung einiger mißliebiger Schiffsoffiziere gefordert und schließlich auch erreicht hatten. Dadurch gekränkt und aus Solidaritätsgefühl mit den gemaßregelten Kollegen, traten nun die Schiffsoffiziere in den Ausstand, was eine Aussperrung der Hafenarbeiter und Matrosen zur Folge hatte.[484] Hierauf antwortete die Arbeiterschaft mit Proklamierung des _Generalstreiks_ in Marseille und mit Aufforderungen an die Hafenarbeiter aller Häfen Frankreichs, ja aller Häfen des Mittelmeers zum _Solidaritätsstreik_.[485] Beide Ausstände nahmen bedeutende Dimensionen an. Der Hafenarbeiterstreik griff nicht nur auf andere französische, sondern auch auf die benachbarten spanischen und italienischen Häfen über.[486] Dem Generalausstand in Marseille selbst schloß sich eine Arbeiterkategorie um die andere an.[487] [Fußnote 482: Vgl. André-E. _Sayous_, Sécrétaire général de la Fédération des Industriels et Commerçants français, "Les Grèves de Marseille en 1904"; _Sayous_, wie auch v. _Reiswitz_ vertreten in ihren Darstellungen übrigens durchaus den Unternehmerstandpunkt.] [Fußnote 483: Allg. Ztg. 31. Aug. 04; Charles _Rist_ (Krit. Blätter f. d. ges. Sozialwissenschaften, März 1900, p. 156) meint, die beiden großen Arbeiter-Föderationen der Dockarbeiter und der "inscrits" (gegründet 1903), hätten den Streik gewollt, um ihre junge Macht zu erproben.] [Fußnote 484: Musée social, Mai 04, "Chronique", p. 194, 195.] [Fußnote 485: Das Syndikat der Dockarbeiter hatte die Kameraden aller See-, Fluß- und Kanalhäfen Frankreichs, Korsikas und Algeriens am 1./9. 04 zum allgem. Hafenarbeiterstreik aufgefordert (vgl. Allg. Ztg. 3./9. 04).] [Fußnote 486: In Cette z.B. traten die Dockarbeiter schon am 1./9. in den Ausstand, an den sich am 6./9. ein Straßenbahnerstreik anschloß. Vom 5.-6. Sept streikten die Dockarbeiter in Brest, am 6. die Docker in La Rochelle und die Seeleute in Dünkirchen. Die Hafenarbeiter von Bordeaux beschlossen den Boykott der Schiffe der Cie. Transatlantique, die in den Augen der Marseiller Arbeiterschaft die Hauptschuldige war (vgl. Allg. Ztg. 2., 6., 7. Sept. 04). Selbst die Hafenarbeiterverbände der benachbarten span. und ital. Häfen versprachen, die Löschung der aus Marseille kommenden Schiffe zu verweigern (vgl. v. _Reiswitz_, p. 58); die Genueser Kohlenarbeiter beschlossen den Boykott aller Schiffe, die wegen des Ausstands an Stelle von Marseille Genua anlaufen würden. Die Vereinigung der Handwerker und Arbeiter von Barcelona erklärte am 4./9. ihren Anschluß für den Fall, daß der Marseiller Streik auf alle Mittelmeerhäfen übergreifen würde (Allg. Ztg. 6./9.). Die Forderungen der Arbeiter sollen an den südfranzösischen Hafenplätzen überall auf Achtstundentag und 6 Fr. Tagelohn gelautet haben (v. _Reiswitz_, p. 58; vgl. auch Allg. Ztg. 4., 11., 13. Sept 04).] [Fußnote 487: So am 3./9. die Mühlenarbeiter, Packer, Arbeiter der Ölfabriken, Fuhrleute, Angestellte der Straßenreinigung (Allg. Ztg. 5./9. 04).] Die Lage in Marseille wurde äußerst unerquicklich:[488] es kam zu Ruhestörungen;[489] die Preise der Lebens- und Genußmittel stiegen wegen mangelnder Zufuhren beträchtlich in die Höhe;[490] der Hafenbetrieb stockte;[491] Handel und Industrie wurden auf's Empfindlichste getroffen;[492] die ganze maritime Stellung Marseilles schien bedroht.[493] Auch das von Marseille aus versorgte Gebiet wurde durch den Streik geschädigt; vor allem litt Korsika unter der Unterbrechung des Seeverkehrs.[494] Natürlich lastete der allgemeine Notstand ganz besonders schwer auf den Arbeitern selbst. Sie versuchten den Druck aber dadurch zu paralysieren, daß sie abwechselnd streikten, um sich durch zeitweilige Arbeitsaufnahme während der sechs Streikwochen bei Kräften zu erhalten.[495] Speziell den Seeleuten soll auch das Verhalten des Marineministers _Pelletan_ eine große Unterstützung gewährt haben;[496] der Minister habe nämlich einerseits den Matrosen ihr willkürliches Von-Bord-gehen nachgesehen, (obgleich dies, einer Verordnung gemäß, wie Desertion zu bestrafen gewesen wäre); andererseits habe er den mit dem Postdienst betrauten Gesellschaften wegen dessen Vernachlässigung mit Konventionalstrafen, Entziehung der Subvention und Entschädigungsansprüchen gedroht.[497] Auch die öffentliche Meinung scheint anfänglich auf Seiten der Arbeiter gestanden zu haben.[498] --Mehrere Einigungsversuche scheiterten,[499] sodaß der Streik erst am 14. Oktober mit der Niederlage der Arbeiter endete.[500] [Fußnote 488: Allg. Ztg. 6./9. 04.] [Fußnote 489: Am 3. Sept. Zusammenstoß der Ausständigen mit den Gensdarmen, weil erstere den Wagenverkehr hindern wollten (Allg. Ztg. 5./9.); die Garnison mußte verstärkt werden (_Sayous_); auch in Cette und Dünkirchen ereigneten sich Ruhestörungen (Allg. Ztg. 7./9. 04).] [Fußnote 490: Allg. Ztg. 30./8. 04, 6./9. 04. Schon am 5./9. machte sich ein so starker Mehlmangel geltend, daß die Docker den ausständigen Fuhrleuten die Wiederaufnahme des Mehltransports gestatten wollten.] [Fußnote 491: Auf den Quais türmten sich die Warenmassen. Am 7./9. waren 176 Schiffe verschiedener Nationalitäten, die im Hafen lagen, außer Dienst gestellt, meist mit Warenladungen an Bord (Allg. Ztg. 8./9. 04).] [Fußnote 492: _Sayous_; _P. Louis_, "Die Streiks in Frankreich", p. 596.--v. _Reiswitz_ (p. 67), berechnet den direkten Schaden von Handel und Industrie durch den G-str. auf 100 Mill. Franken, was wohl eher zu hoch, als zu niedrig angenommen sein dürfte.] [Fußnote 493: Die einheimischen Dampferlinien wurden reduziert, ausländische drohten, bei weiterer Unsicherheit statt Marseille Genua anzulaufen (so die Peninsular & Oriental Steamship-Navigation Cie.); von Mitte Aug. bis Mitte Sept. hatte die Marseiller Schiffahrt "einen Ausfall von 250 000 Tonnen für die Einfuhr und 150 000 Tonnen für die Ausfuhr zu verzeichnen; sie verlor über eine Million an Staatssubventionen. Der Zoll hat um 3 Mill. weniger ergeben, als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs" (Allg. Ztg. 21./9. 04; vgl. auch 6. und 13./9.); die Bank von Frankreich ließ 1500 unbezahlte Wechsel zurückgehen (Allg. Ztg. 3./9.).] [Fußnote 494: In Korsika war Mitte Sept. das kg Brot bereits von 30 auf 50 Cts. gestiegen (Allg. Ztg. 13./9. 04).] [Fußnote 495: Am 10./9. beschlossen z.B. die Dock- und Hafenarbeiter die Wiederaufnahme der Arbeit bei denjenigen Firmen, die dem Arbeitgeberbund nicht angehörten, sowie die Unterstützung der ausständigen Kameraden durch ein Drittel des Lohns; am 26./9. arbeiteten, trotz offizieller Verwerfung des Schiedsspruchs, doch 1000-1200 Docker, am 27./9. sogar 2500 Arbeiter im Hafen (vgl. Allg. Ztg. 11., 28., 29./9. 04).] [Fußnote 496: Vgl. _Sayous_; Allg. Ztg. 30./8., 13./9. 04.] [Fußnote 497: Allg. Ztg. 31./8. 04.] [Fußnote 498: Allg. Ztg. 30./8., 22./9. 04.] [Fußnote 499: Glaubte man den Konflikt endlich beigelegt, so wurden die Verhandlungen doch immer wieder abgebrochen. Am 19./9. beschloß der Ministerrat, neue Vermittlungsverhandlungen einzuleiten; am 22. unterwarfen sich die Docker sogar einem Schiedsgericht, dessen Urteil sie aber hernach doch nicht anerkannten, weil es den Unternehmern auch die Einstellung Unorganisierter gestattete usw. (vgl. Allg. Ztg. 14. und 28./9. 04).] [Fußnote 500: Vgl. _v. Reiswitz_, p. 58.] § 15. Schweiz. In der Schweiz wird der _Generalstreik_ fast ausschließlich von den Anarchisten propagiert,[501] hat aber in den Gewerkschaften keinen Boden.[502] Ebensowenig Anklang fanden die vereinzelten Empfehlungen des _politischen Massenstreiks_.[503] Der einzige schweizerische Ausstand, der mit einigem Recht als Klassenstreik bezeichnet werden dürfte, war ein Sympathiestreik nach französischem Muster; er fand bezeichnenderweise in _Genf_ statt.[504] [Fußnote 501: Vgl. den "_Weckruf_" z.B. vom 28. Mai 04.] [Fußnote 502: So lehnte z.B. der schweiz. Gewerkschaftskongreß in Basel 1906 die "direkte Aktion" ab (vgl. Rdsch. Soz. Mh. Juni 06, p. 522).] [Fußnote 503: Arbeitersekretär _Grimm_ verwies in seinem Vortrag "Der politische Massenstreik" auf die ev. Notwendigkeit eines pol. M-streiks, z.B. zur Erweiterung des polit. Wahlrechts auf Frauen und Fremde. Das Sekretariat des _Schweizer. Gewerbevereins_ ("Begleiterscheinungen bei Streiks") teilt mit, daß auch der "Grütlianer" den politischen Massenstreik empfohlen habe; dies dürfte aber wohl auf Irrtum beruhen, da der "Grütlianer" im allgemeinen sehr energisch gegen Anarchismus und direkte Aktion zu Felde zieht (vgl. z.B. den Artikel "Im Prinzip", 15. Juni 07, Nr. 136, 57. Jahrg.).] [Fußnote 504: Vgl. über den G-str. in Genf 1902 den XVI. Jahresbericht des leitenden Ausschusses des schweizerischen Arbeiterbundes... für das Jahr 1902, p. 4-8. Danach erklärten am 8. Okt. 234 Abgeordnete der Genfer Gewerkschaften den G-str. zur Unterstützung der (ökonomischen) Forderungen der Trambahner. Es erfolgte ein Truppenaufgebot; am 10. wurde das Streikkomitee verhaftet; das neue Streikkomitee proklamierte am 12. Okt. den Schluß des G-streiks, weil dieser "kein wirklich allgemeiner wurde, und seine Fortsetzung den Tramangestellten nichts mehr nützen konnte".] § 16. Italien. Auch in Italien fand die anarchistische Generalstreikidee früh Eingang. Die _sozialistische Partei_ scheint sie ursprünglich freilich abgelehnt zu haben. Der reformistische Flügel (_Turati_, _Bissolati_ u. A.), wie auch die sozialistische Parlamentsfraktion beklagten lebhaft die "Torheiten" der sog. revolutionären Syndikalisten (_Labriola_ usw.), die seit dem Parteitag von Bologna "das Wunder der entschlossenen Tat und die Wahnidee von dem befreienden Handstreich"[505] predigten und ihre praktische Tätigkeit auf die Steigerung der "revolutionären Temperatur des Proletariats", "auf die psychologische und materielle Vorbereitung des Generalstreiks" reduzierten.[506] Derartige Theorien nahmen in den angeblich durch "Cliquen von Intellektuellen" beherrschten italienischen Gewerkschaften einen breiten Raum ein;[507] vor allem dominierten sie in der Mailänder Arbeitskammer.[508] Die sozialistische Partei lehnt heute den Klassenstreik übrigens auch nicht mehr unbedingt ab,[509] "die Hauptforderungen des Proletariats" sollen "event. auch durch den Generalstreik" erkämpft werden.[510] Aber auf dem Kongreß in Rom 1906 verwarf sie ausdrücklich "den häufigen oder übertriebenen Gebrauch des Generalstreiks", sowie "die Verherrlichung der direkten Aktion, zur Diskreditierung, nicht zur Ergänzung der parlamentarischen Aktion". [Fußnote 505: Vgl. _Turati_, "Lehren und Folgen des Generalstreiks in Italien".] [Fußnote 506: _Bissolati_, "Die Entscheidung in Rom".] [Fußnote 507: _Bissolati_, "Die Krise in der italienischen Sozialdemokratie".] [Fußnote 508: Auf Anregung der Mailänder Arbeitskammer erklärte sich auch der vom 6. bis 9. Jan. 05 in Genua abgehaltene Gewerkschaftskongreß bedingungsweise für den G-str. (vgl. Rdsch. Soz. Mh. März 05, p. 282.).] [Fußnote 509: Die ital. soz.-demokratische Partei hat sich ausdrücklich zum G-str. des Jahres 1904 bekannt (vgl. _Olberg_, "Die italienischen Wahlen", p. 278).] [Fußnote 510: _Olberg_, "Der Parteitag in Rom".] Trotz aller solcher Kongreßbeschlüsse lassen sich die italienischen Arbeiter aber nur allzu leicht hinreißen, eine partielle Arbeitsstreitigkeit durch Sympathieausstände zum Klassenstreik zu erweitern. Die umfangreichste derartige Unternehmung, ja, einer der größten Streiks der modernen Arbeiterbewegung überhaupt,[511] war der _Generalstreik vom September_ 1904.[512] Die Veranlassung desselben bildete das mehrmalige Einschreiten der Regierung bei Ausständen.[513] Am 11. Sept. 1904 erklärte ein Mailänder Meeting, das italienische Proletariat solle innerhalb acht Tagen mit einem Generalstreik gegen derartiges Blutvergießen protestieren, und die Mailänder Camera del Lavoro solle diesen Beschluß den übrigen Organisationen übermitteln. Die Nachricht von einem neuen blutigen Zusammenstoß zwischen Arbeitern und Carabinieri[514] soll am 15. September "wie ein Donnerschlag" gewirkt haben.[515] Inmitten der allgemeinen Erregung übernahm das Exekutivkomitee der Mailänder Arbeitskammer die ihr am 11. September angebotene Führung und proklamierte noch am Abend des 15. September den sofortigen Ausstand sämtlicher Arbeiterkategorien Mailands, sowie einen dreitägigen Generalstreik in ganz Italien.[516] Ein gemeinsamer Aufruf des sozialistischen Parteivorstandes, der Parlamentsfraktion und des "Avanti" empfahl den Arbeitern die Beteiligung "als gesetzmäßigen und würdigen Ausdruck der Verurteilung jener Regierungsmethoden, die immer wieder den Brudermord erzeugen, und als feierlichen Akt der Klassenverteidigung des Proletariats und seines Rechtes auf das Dasein."[517] Sicherlich erwarteten die Syndikalisten vom Generalstreik einerseits die Bestätigung ihrer Theorie, andererseits die Wiederherstellung der Parteieinheit[518] oder den Sturz des Ministeriums. Es ist daher vielleicht nicht ganz unwahrscheinlich, daß der "Protest gegen das vergossene Proletarierblut" ihnen nur als "causa occasionale",[519] als Vorwand zum Streikbeginn diente. Hingegen in den breiten Volksmassen dürfte doch wohl das ursprüngliche Gefühl der Empörung und Solidarität den Ausschlag gegeben haben. [Fußnote 511: _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 19; _Bourdeau_, p. 432.] [Fußnote 512: Vgl. Allg. Ztg. 16. Sept. 04 ff.; ferner, den konservativen Standpunkt vertretend, _Marazio_, "Il partito socialista italiano e il governo", p. 137-164, und, den sozialistischen Standpunkt vertretend, insbes. _Olberg_, a. a. O. p. 18-24.] [Fußnote 513: Seit 1901 hatte sich die Regierung bei Streiks gewöhnlich neutral verhalten. Um so größer war daher jedesmal die Erbitterung, wenn die bewaffnete Macht bei Ausständen eingriff und Arbeiterblut vergossen wurde (Allg. Ztg. 20./9. 04), wie es z.B. in Torre Annunziata, Berra, Candela, Giarratana geschah; am 5./9. 04 wurden bei einem solchen Zusammenstoß zwei Arbeiter getötet (in Buggerru auf Sardinien).] [Fußnote 514: Am 13./9. in Castelluzzo auf Sizilien.] [Fußnote 515: _Olberg_ a. a. O.; vgl. auch _Leimpeters_, "Zum Generalstreik".] [Fußnote 516: So von den 2000 Teilnehmern der von der Arbeitskammer, im Einverständnis mit dem Segretariato della resistenza, einberufenen Generalversammlung, nach Anhörung von _Labriola_ und _Mocchi_, einstimmig beschlossen (vgl. auch _Bourdeau_, p. 433).] [Fußnote 517: Vgl. _Olberg_, a. a. O.] [Fußnote 518: "La grève générale en Italie" ("Chronique" des Musée social, Nov. 04).] [Fußnote 519: So faßt es _Marazio_ auf (p. 135).] Die Arbeiter folgten dem Streikgebot rasch und in großer Zahl.[520] Es beteiligten sich Parteiangehörige und Mitglieder der Arbeitskammern, besonders zahlreich auch die Unorganisierten,[521] im ganzen eine Million Menschen,[522] deren Ausstand den "Eindruck eines Elementarereignisses" gemacht haben soll.[523] Nur die Eisenbahner fehlten fast vollständig,[524] "sebbene i socialisti li pregassero e li scongiurassero a fare causa comune con essi".[525] Der Grund für diese Zurückhaltung wird teils in der außerordentlichen Tragweite eines Eisenbahnerausstandes erblickt (die Beteiligung der Eisenbahner sei deshalb unterblieben, weil sich die Bedeutung der ganzen Bewegung nicht gleich von Anfang an habe übersehen lassen),[526] teils in der Schwierigkeit rascher Inszenierung (da die Eisenbahner zwei verschiedenen Organisationen angehörten), teils in der Drohung mit "Militarisation" seitens der Regierung,[527] teils in der Rücksichtnahme auf eine bereits begonnene Lohnbewegung, deren in Aussicht stehende Früchte durch die Beteiligung der Eisenbahner am Generalstreik aufs Spiel gesetzt worden wären.[528] [Fußnote 520: Noch am gleichen Abend brach der allgem. Streik in Monza aus (ca. 7000 Teilnehmer); in Mailand streikten vom 16.-21./9. 80-100 000 Arbeiter (dort hatten nämlich zwei Monstreversammlungen am 16./9. die Fortsetzung des Streiks beschlossen); vom 17.-19. streikten in Genua Hafen-, Gas-, Elektrizitäts-, Nahrungsmittelarbeiter; in Rom alle Arbeiter, exkl. Gasarbeiter (vgl. _Olberg_, a. a. O.; nach der Allg. Ztg. streikten hauptsächlich Trambahner und Kutscher); G-str. in Turin; am 17. wurde der G-str. in Forte, Terni, Ancona, Bologna, Forli erklärt; Forli, Florenz, Neapel (ca. 12 000 Teilnehmer) proklamierten nur eine eintägige Demonstration; in Como streikten ca. 10 000, in Bari ca. 4000, in Ligurien ca. 120 000 Arbeiter, in der Prov. Mantua ca. 120 000 Feldarbeiter (vgl. _Olberg_ a. a. O.).] [Fußnote 521: Vgl. _Bebel_ (Prot. Parteitg. Jena, 05, p. 306).] [Fußnote 522: Vgl. _Bourdeau_, p. 433.] [Fußnote 523: _Olberg_, a. a. O.] [Fußnote 524: Die Eisenbahner streikten nur in Neapel und in Siena (vgl. _Olberg_ a. a. O., und Musée sociale, "Chronique", IX, Nr. 11, p. 465).] [Fußnote 525: Vgl. _Marazio_, p. 176.] [Fußnote 526: _Olberg_, a. a. O., und "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik", p. 380.] [Fußnote 527: Musée sociale, a. a. O.] [Fußnote 528: Vgl. _Marazio_, p. 176, 113-136; _Olberg_, a. a. O.] Die _unmittelbare Wirkung_ des Streiks war eine "schwere Erschütterung des öffentlichen Lebens".[529] Der Lokalverkehr in den Städten war unterbunden,[530] die Zeitungen fehlten,[531] die Lebensmittelversorgung versagte,[532] die Beleuchtung litt.[533] Es kam auch wiederholt zu Ruhestörungen, die vor allem in Mailand und Genua recht ernste Formen annahmen.[534] Bei der Verübung von allerlei Unfug[535] sollen übrigens weniger die Arbeiter, als allerhand zweifelhafte Existenzen beteiligt gewesen sein.[536] Auch scheint sich die Bewegung, berücksichtigt man ihre außerordentliche Ausdehnung, im allgemeinen in den Grenzen des Zulässigen gehalten zu haben.[537] Dieser relativ friedliche Verlauf mag teils der Reserve zu danken sein, die sich die Regierung auferlegte,[538] teils den Bemühungen der Arbeiterführer um die Aufrechterhaltung der Ordnung.[539] Dies alles vermochte aber nicht die steigende Mißstimmung über die aus dem Streik erwachsenden Unannehmlichkeiten zu dämpfen. Die Bürgerschaft begann, den Verhaftungen Beifall zu spenden.[540] Vor allem fühlte man sich, und zwar auch in sozialistischen Kreisen,[541] durch das Benehmen der Syndikalisten verletzt, die in Mailand eine Art "Diktatur des Proletariats" inszenierten: die dortige Arbeitskammer soll sich der öffentlichen Gewalt bemächtigt haben;[542] sie habe "die groteske Parodie einer provisorischen Regierung, die Ukase ausgab", errichtet, und sie habe der streikenden Masse eingeredet, daß sie "die absolute Herrin der Nation" geworden sei,[543] sodaß "ganz Mailand fünf Tage lang nach der Pfeife der Arbeiter tanzte und tanzen mußte".[544] [Fußnote 529: Allg. Ztg. 26./9. 04. An 900 Orten stockte das Wirtschaftsleben (vgl. _Bourdeau_, p. 433, bes. auch _Marazio_, p. 142-150).] [Fußnote 530: Weder Tram noch Wagen zirkulierten (in Mailand vom 16.-21./9.; in Rom usw.); selbst Leichenzüge und Krankenwagen sollen behindert gewesen sein (_Bourdeau_, p. 433).] [Fußnote 531: In Mailand erschien fünf Tage lang nur das Bolletino dello sciopero, so daß der "Corriere della Sera" bei seinem Wiedererscheinen "den unter nichtigen Vorwänden erlassenen Ausstandsbefehl ein unwürdiges Attentat auf die Preßfreiheit" nannte (vgl. Allg. Ztg. 23./9.).] [Fußnote 532: In Rom, Genua usw. trat Fleisch- und Brotknappheit ein, die sich in raschem Hinaufschnellen der Preise zeigte; in Sampierdarena stieg das Kilogramm Brot auf 0,80, in Genua sogar auf 1,60 Lire, so daß Schiffszwieback als Surrogat gegessen wurde. Übrigens durften z.B. in Ravenna, laut Dekret der dortigen Arbeitskammer, die Lebensmittelverkäufer bis 10 Uhr vormittag ihre Läden offen halten, sofern kein Ladenpersonal Verwendung fand; die Arbeitskammer von Sampierdarena empfahl den Milchhändlern die Weiterlieferung an Kinder und Kranke; der Mailänder Streikbeschluß nahm die Genossenschaftsbäckereien für die Versorgung der Arbeiter von der allg. Arbeitsruhe aus (vgl. _Olberg_, "Der ital. G-str." p. 19, 20; 24; Allg. Ztg. 17./9. 04; _Leimpeters_, "Zum Generalstreik", p. 883.).] [Fußnote 533: Die Beleuchtung fehlte in Genua drei Tage lang (_Olberg_, a. a. O.); in Mailand ging am 18. der Gasvorrat zu Ende, sodaß ein Teil der Stadt abends im Dunkel lag. Ähnlich stand es in Venedig (vgl. den Brief des Sindaco di Venezia an den Ministerpräsidenten, worin die Zustände während des Streiks geschildert werden, cit. bei _Marazio_, p. 143).] [Fußnote 534: _Olberg_, "Die ital. Wahlen", p. 278. In Mailand schlossen sich am 17. an eine Demonstration vor der Kathedrale Tumulte an; am 19., wo sich die Stadt "vollständig in den Händen des Mob" befunden haben soll, schritt die Polizei ein (Allg. Ztg. 21./9.); in Sestri Ponente war es schon am 15./9., vor Ausbruch des Streiks, anläßlich einer Protestversammlung wegen der Ereignisse in Buggerru, zu blutigen Zusammenstößen zwischen Manifestanten und Polizei gekommen; in der Nacht vom 16.-17./9. ereigneten sich ähnliche Zwischenfälle in Genua, die sich in der folgenden und, etwas schwächer, auch noch in der übernächsten Nacht wiederholten.] [Fußnote 535: Zertrümmern von Fensterscheiben, Löschen und Umstürzen der Straßenlaternen, Versuche, den Eisenbahn- und Telephonbetrieb zu stören, Erzwingung der Schließung von Läden, sogar von Apotheken, Zusammenstöße mit den Geschäftsleuten, Belästigung Arbeitswilliger, Hinderung des Tramverkehrs.] [Fußnote 536: Besonders dort, wo der Streik erst nachträglich proklamiert wurde, sollen ihn Anarchisten und Verbrecher zur Förderung ihrer Sonderinteressen benutzt haben; es begingen in Neapel am 19./9. "der Pöbel und Strafentlassene Personen" Ausschreitungen und richteten einige unerhebliche Schäden an", worauf die Polizei eingriff (Allg. Ztg. 21./9. 04; vgl. auch _Marazio_, p. 162).] [Fußnote 537: Freilich soll nach dem Journal des Débats vom 12. Oktober 04 (cit. bei _Bourdeau_, p. 433) in Venedig die für Kinder und Kranke bestimmte Milch in den Kanal gegossen worden sein; dies dürfte aber ein Ausnahmefall sein; im allgemeinen wurde friedlich demonstriert, bei guter Disziplin, was nicht nur von sozialistischer Seite bezeugt wird (vgl. _Olberg_, "Der ital. G-str."; _Turati_, "Lehren u. Folgen des G-streiks in Italien"; _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 22 ff.), sondern mir, bezgl. Florenz, auch von einem uninteressierten Augenzeugen bestätigt wurde; ähnl. auch Allg. Ztg. 21./9. 04.] [Fußnote 538: Dies zeigte sich z.B. in der vorsichtigen Haltung des Mailänder Präfekten. Polizei und Militär handhabten die Waffen "mit großer Mäßigung", wie von sozialistischer Seite ausdrücklich anerkannt wurde (_Olberg_, p. 24; _Bernstein_, a. a. O.; vgl. ferner Allg. Ztg. 20./9. 04).] [Fußnote 539: In Volksversammlungen wurde zur Ruhe gemahnt (z.B. am 16. in Mailand durch _Rigola_, _Taroni_, _Turati_), ebenso in den Aufrufen (z.B. forderte die Arbeitskammer von Genua auf, "mit den Urhebern von Gewalttaten nicht gemeinsame Sache zu machen"); auch organisierte die Mailänder Arbeitskammer am 17. einen Sicherheitsdienst durch Veloziped-Patrouillen zur Aufrechterhaltung der Ordnung während der Nacht (vgl. Allg. Ztg. 20./9. 1904).] [Fußnote 540: Vgl. _Turati_, cit. bei _Bourdeau_, p. 434; Musée sociale, "Chronique", IX. année, Nr. 11, p. 485.] [Fußnote 541: _Bissolati_, "Die Entscheidung in Rom"; _Turati_, "Lehren und Folgen des G-streiks in Italien".] [Fußnote 542: _Bourdeau_, p. 433; Musée sociale, a. a. O. p. 484, 485; _Bissolati_, a. a. O.] [Fußnote 543: Sobald die Verhältnisse übrigens die Beendigung des Streiks erforderten, wurde "die absolute Herrin der Nation" mit der Bemerkung heimgeschickt, es habe sich nur um einen ersten proletarischen Mobilisierungsversuch gehandelt (vgl. _Turati_, a. a. O.).] [Fußnote 544: "Corriere della Sera" (cit. in der Allg. Ztg. 23./9. 04).] Die Massen waren aus allgemeiner Empörung in einen Proteststreik getreten. Der Ausstand hatte von Anfang an kein weiteres Ziel, als eben diesen Protest zum Ausdruck zu bringen, und dies war auch gelungen. Aber es fehlte ein äußerer Zielpunkt, eine klar formulierte, greifbare Forderung. Allerdings war hier und da der Versuch aufgetaucht, der Bewegung ein solches Ziel zu geben: etwa die Demission des Ministeriums, oder ein Gesetz gegen die Verwendung von Militär bei Streiks. Aber all dies faßte nicht recht Wurzel, und es trat immer mehr zu Tage, "daß ein Ziel sowohl in der Sache selbst, als auch im Bewußtsein der Menge fehlte".[545] Immerhin war das Bedürfnis nach einer Art Quittung über die aufgewandte Anstrengung vorhanden, weil man doch nicht mit ganz leeren Taschen vom Kampfplatz abziehen wollte. Deshalb wandten sich die Bürgermeister von Mailand (_Barinetti_) und Turin (_Frola_) an den Ministerpräsidenten _Giolitti_ und erhielten von ihm die Zusicherung, daß die Regierung die Streikfreiheit nach wie vor anerkenne und sich bei friedlichen Konflikten zwischen Kapital und Arbeit Neutralität zur Pflicht mache; in diesem Sinne werde sie weiter regieren; auch bedaure sie die schmerzlichen Vorfälle im Süden.[546] Es gehört wirklich eine ziemliche Dosis von Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik dazu, um von dieser "nichtssagenden Erklärung",[547] diesem "ausgepusteten Ei",[548] diesem "Ministerversprechen ohne Garantie, daß es auch eingelöst wird", das sich allerdings in die zuvorkommendste Form kleidete, zu behaupten, "un atto simile di sottomissione (d. h. seitens der Regierung) alla piazza non s'era mai veduto".[549] Als _Barinetti_ das Resultat seiner Bemühungen nach Mailand telegraphierte und zugleich die Beendigung des Streiks empfahl, widersetzte sich die Volksversammlung vom 17. September denn auch energisch diesem Rate und forderte _Giolittis_ Demission.[550] Nachdem aber 25 Deputierte der äußersten Linken bei einer Zusammenkunft am 19. September in Mailand beschlossen hatten, auf den 21. September die ganze äußerste Linke nach Rom zu entbieten, um die sofortige Einberufung des Parlaments, die Demission des Ministerpräsidenten und die Verwirklichung eines radikalen Reformprogramms zu fordern, da gab sich die Mailänder Arbeitskammer zufrieden,[551] so gern auch die revolutionäre Gruppe die Bewegung durch möglichste Verlängerung zum Selbstzweck habe machen wollen.[552] [Fußnote 545: _Bissolati_, "Das Ergebnis der ital. Wahlen", p. 958.] [Fußnote 546: Allg. Ztg. 20. und 26./9. 04; Musée soc., a. a. O. p. 483, 484; _Bourdeau_, p. 434.] [Fußnote 547: _Bömelburg_, (Prot. Gewft. Kongr. Köln 05, p. 220).] [Fußnote 548: _Leimpeters_, "Zum G-str.", p. 883.] [Fußnote 549: _Marazio_, p. 158.] [Fußnote 550: Allg. Ztg. 20./9. 04.] [Fußnote 551: Da sie sich wohl der Nutzlosigkeit eines Fortsetzungsversuches bewußt war, so empfahl sie die Wiederaufnahme der Arbeit für den 19., welcher Beschluß am 18. den übrigen Arbeitskammern Italiens mitgeteilt wurde. Nur in Mailand selbst verschob ein Volksversammlungsbeschluß die Wiederaufnahme der Arbeit noch bis auf den 21., und auch in Neapel dauerte der Streik (der Lokomotivführer und Heizer) noch einige Zeit.] [Fußnote 552: _Bissolati_, a. a. O.] Der Streik endete im allgemeinen so rasch, wie er begonnen hatte. Die Arbeit wurde ohne belangreiche Schwierigkeiten wieder aufgenommen.[553] Trotzdem legte der Streik dem Proletariat "Riesenopfer", "ungeheure materielle Opfer" auf.[554] Der sogenannte Erfolg des Proletariats war also reichlich teuer erkauft. [Fußnote 553: _Roland-Holst_, "G-str. und Sozd.", p. 71; _Olberg_, p. 19, 24; _Bourdeau_, p. 433.] [Fußnote 554: _Leimpeters_, p. 883; _Olberg_, "Die ital. Wahlen", p. 278. 6 Personen wurden infolge des Streiks durch die bewaffnete Macht getötet (4 in Genua, je 1 in Turin und Neapel); dazu zahlreiche Verwundungen, Verhaftungen, einige Hunderte von Verurteilungen.] Und auch die Nachwirkungen des Ausstands ergeben keine günstigere Bilanz. Die nur schwach besuchte Versammlung der äußersten Linken war wenig erfolgreich,[555] da der Streik die linksliberalen Parteien verstimmt, weite Kreise aber geradezu empört hatte.[556] Auf deren Drängen löste die Regierung die Kammer auf und setzte die Neuwahlen schon für den 6. November an.[557] Diese, noch unter dem frischen Eindruck des Streiks vorgenommen, hatten natürlich eine Stärkung der Rechten zur Folge.[558] Kammer und Senat mißbilligten auf's Entschiedenste die Zurückhaltung der Regierung während des Streiks.[559] _Giolitti_, der bereits im Wahlaufruf der Regierung den Generalstreik einen "abuso di libertà" genannt hatte, versprach, die Angestellten der Eisenbahnen und der unentbehrlichsten "pubblici servizi" im Streikrecht zu beschränken.[560] Dementsprechend verfuhr er in seinem Entwurf für den Eisenbahnrückkauf. Die Eisenbahner wehrten sich durch die originelle Erfindung der "_Dienstobstruktion_", die am 26. Februar 1905 begann und erst am 5. März, nach _Giolittis_ Rücktritt, beendet wurde.[561] Aber die Verstaatlichungsvorlage seines Nachfolgers (_Fortis_) entzog den Eisenbahnern durch Verleihung der Beamtenqualität[562] ebenfalls das Streikrecht. Die Vorlage wurde von der Kammer angenommen, obgleich die Eisenbahner ihren Protest durch einen allgemeinen Ausstand zum Ausdruck brachten.[563] Dieser Entwicklung der Dinge entsprach es auch, daß trotz _Giolittis_ Zusage wieder Militär bei Streiks zur Verwendung kam.[564] Den Folgen auf parlamentarischem Gebiet entsprachen die auf kommunalem. Alle Städte, in denen die Sozialisten auch nur 24 Stunden regiert hatten, sollen sich von ihnen abgewandt haben; besonders verloren sie auch ihre Herrschaft im Mailänder Gemeinderat,[565] und viele Kommunalverwaltungen entzogen alsbald den Arbeitskammern die bisher gewährte Unterstützung.[566] [Fußnote 555: Allg. Ztg. 26./9. 04.] [Fußnote 556: _Bissolati_, "Die Entscheidung in Rom", und "Das Ergebnis der ital. Wahlen", p. 958; _Marazio_, p. 168, sagt: "lo sciopero generale colmò la misura, e destò un così vivo e profondo sdegno nella pubblica opinione, da indurla a mandare un grido d'orrore contro il governo, che aveva lasciato passare la furia devastatrice senza farle argine".] [Fußnote 557: Vgl. _Olberg_, "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik", p. 380; _Bissolati_, "Das Ergebnis der ital. Wahlen", p. 958; _Turati_, a. a. O.] [Fußnote 558: _Turati_, a. a. O.; _Bissolati_, a. a. O.; _Bömelburg_, a. a. O. Es hatte sich infolge des G-streiks das in der Bildung begriffene Kartell der Volksparteien gelöst; Radikale und Sozialisten schritten also getrennt zur Wahl; übrigens behaupteten die Sozialisten die Zahl ihrer Mandate (soweit dieselben selbständig erworbene waren, vgl. _Marazio_, p. 162), verdoppelten auch die Zahl ihrer Stimmen von 164 946 (1900) auf 316 000 (vgl. Rdsch. Soz. Mh. 05, p. 88); von einem Vergleich mit den Ergebnissen der dazwischenliegenden Erneuerungswahlen, deren Zahlen auf Grund von Wahlkompromissen unverhältnismäßig angewachsen sein sollen, sei abzusehen (vgl. _Olberg_, "Die ital. Wahlen").] [Fußnote 559: _Marazio_, p. 160, 173, 174.] [Fußnote 560: vgl. _Marazio_, p. 170; _Turati_, a. a. O.] [Fußnote 561: Rdsch. Soz. Mh. April 05, p. 345; _Lerda_, "Ostruzionismo ferroviario e politica proletaria", p. 376.] [Fußnote 562: _Marazio_, p. 177 ff.; _Olberg_, "Nachträgliches zum Eisenbahnerstreik", p. 380.] [Fußnote 563: Der Ausstand begann am 17. April und brach nach Annahme des Entwurfs in der Kammer sofort zusammen; offiziell wurde er übrigens erst am 21. April für beendet erklärt, nachdem die Versuche, die andern Gewerkschaften, besonders Tram- und Gasarbeiter zum Eintritt in einen allgem. Streik zu bewegen, völlig gescheitert waren (vgl. Rdsch. Soz. Mh. 05, p. 557-558; Soz. Praxis 1905; _Marazio_, a. a. O.).] [Fußnote 564: 1905 z.B. soll abermals eine solche "Metzelei" (vgl. _Bebel_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 306) stattgefunden haben. Auch bei dem eintägigen G-str., der am 10. Mai 06 aus Sympathie für streikende Turiner Baumwollarbeiter in einer größeren Zahl der bedeutendsten Städte Italiens ausbrach, kam es zu Zusammenstößen mit dem Militär (Soz. Prx. 17./5. 1906, Sp. 863). Auch der kurze Generalstreik vom Oktober 1907 (hauptsächlich in Mailand und Bologna) führte zu Zusammenstößen.] [Fußnote 565: _Bourdeau_, p. 434.] [Fußnote 566: _Turati_, a. a. O.] In materieller Hinsicht stellt der italienische Generalstreik also zweifelsohne eine "total verkrachte Aktion"[567] dar. Steht diesem Nachteil aber wirklich wenigstens ein "rein ideeller Vorteil"[568] gegenüber? Ein positiver Gewinn, wenn auch nur an Imponderabilien, wird in der Tatsache gefunden, daß der Generalstreik dazu beigetragen haben soll, "die Methode der Reformisten klar zu legen und dadurch zu stärken".[569] Zwar gelang es ihm nicht, das Proletariat vor einem weitern Fehlgriff, dem Eisenbahnerstreik 1905, zu bewahren. Immerhin schädigte er, als abschreckendes Beispiel, das Renommee der Syndikalisten und trug vielleicht auch einiges zum "Sieg" der Reformisten auf dem Parteitag in Rom bei. Man hat ferner auch darin einen Gewinn finden wollen, daß der Generalstreik, als schärfste Veranschaulichung des Klassenkampfs, die Partei von allen Gefühlssozialisten und kleinbürgerlichen Mitläufern gereinigt habe, so daß sie nun nur noch aus erprobten und zuverlässigen Klassenkämpfern bestehe; oder daß der Generalstreik das Solidaritätsgefühl, indem er es "vor eine Feuerprobe stellte", "unermeßlich" gesteigert habe;[570] der Generalstreik sei die "feierliche Mündigkeitserklärung" des italienischen Proletariats[571] und er bedeute, weil er sich wiederholen könne und wiederholen müsse,[572] eine nützliche "Drohung für die herrschenden Klassen".[573] Doch können solche Konstruktionen über den tatsächlichen Mißerfolg nicht hinwegtäuschen. Wenn man auch dem italienischen Generalstreik, dieser "grandiosa dimostrazione della forza proletaria",[574] die ihre Wurzel im moralischen Empfinden, im Solidaritätsgefühl von Hunderttausenden hatte, eine gewisse Bewunderung nicht versagen kann, so muß man sie doch, vom objektiven Standpunkt aus als eine vergebliche und schädliche Unternehmung aufs Tiefste bedauern. -- Der Generalstreik-Agitation im Herbst 1907 gegenüber hat das italienische Proletariat übrigens viel Zurückhaltung gezeigt. Es darf hieraus wohl geschlossen werden, daß die harte Lehre des Jahres 1904 nicht spurlos an ihm vorübergegangen ist.[575] [Fußnote 567: _Leimpeters_, a. a. O.; ähnl. Allg. Ztg. 20./9. 04.] [Fußnote 568: _Olberg_, "Die ital. Wahlen", p. 278.] [Fußnote 569: _Turati_, a. a. O.] [Fußnote 570: _Olberg_, "Der ital. G-str.", p. 21 ff.] [Fußnote 571: "Vorwärts", cit. bei v. _Reiswitz_, p. 78.] [Fußnote 572: _Olberg_, "Die ital. Wahlen", p. 278.] [Fußnote 573: _Olberg_, "Der ital. G-str.", p. 21 ff.] [Fußnote 574: Aus der Erklärung einer Versammlung von 1500 Unteroffizieren im Okt. 1905 über den G-str. von 1904 (cit. bei _Marazio_, p. 97).] [Fußnote 575: Große Zurückhaltung gegenüber den Generalstreik-Tendenzen bewies z.B. auch der Kongreß der lavoratori della terra vom März 1908 ("mentre non esclude la possibilità dello sciopero generale in determinate circostanze, lo esclude però nel caso presente"; vgl. "Il lavoro", Genua, 10. März 1908).] § 17. Spanien. So oft in Spanien ein Streik ausbricht, suchen sich die Anarchisten seiner zu bemächtigen[576] und ihn zum Generalstreik zu erweitern, wobei es wegen ihrer "violence sauvage"[577] in der Regel zu blutigen Tumulten kommt. Die spanischen Sozialisten halten sich daher auch von allen derartigen Unternehmungen möglichst fern.[578] [Fußnote 576: Vgl. _Bourdeau_, p. 431. Es sollen viele "ganze Städte und Provinzen umfassende Generalstreiks unter ungeheuren Opfern" stattfinden (vgl. _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15).] [Fußnote 577: P. _Louis_, "L'Avenir du Socialisme", p. 296.] [Fußnote 578: Vgl. _Iglesias_ (Enquête). Die spanische Literatur war mir leider unzugänglich. Die Sozialdemokratie Spaniens beteiligte sich nur ausnahmsweise beim G-str. der Minenarbeiter in Bilbao, 1903 (_Roland-Holst_, a. a. O. p. 18); von anarchistischer Seite wird behauptet, daß derselbe "nach 4tägiger Dauer mit dem vollständigen Sieg der Arbeiter endigte" (vgl. "Antimilitarismus und G-str.", Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_"), was aber doch wohl zweifelhaft erscheint.] Der bedeutendste der spanischen Generalstreiks dürfte wohl der _Generalstreik in Barcelona vom Februar 1902_ gewesen sein. Etwa 100 000 Metallarbeiter streikten für den Neunstundentag.[579] Als der Streik nach mehrwöchentlicher Dauer zu scheitern drohte, riefen die Gewerkschaftsführer, trotz Abratens seitens der Sozialdemokratie,[580] das gesamte Proletariat von Barcelona zum Ausstand auf. Diesem Rufe wurde in weitestem Maße Folge geleistet. Unter Führung der Autonomisten und Anarchisten[581] griffen die Streikenden die Gas- und Wasserwerke an, "raubten die Bäckereien, Keller, Getreidehandlungen, Lebensmittelläden aus, verhinderten die Verproviantierung mit Brot und Fleisch. Sie waren während eines Tages die Herren der ganzen Stadt und begingen alle möglichen Ausschreitungen und Gewaltsamkeiten." Natürlich schritt die bewaffnete Macht ein, und die Folge des Ausstands war eine Gefährdung des Koalitionsrechts.[582] [Fußnote 579: Rdsch. Soz. Mh. April 02, p. 315.] [Fußnote 580: Vgl. _Bourdeau_, p. 431. Es sollen viele "ganze Städte und Provinzen umfassende Generalstreiks unter ungeheuren Opfern" stattfinden (vgl. _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15).] [Fußnote 581: _Bebel_, a. a. O. p. 305; _Bourdeau_, p. 431.] [Fußnote 582: Vgl. _Bourdeau_, p. 431. Es sollen viele "ganze Städte und Provinzen umfassende Generalstreiks unter ungeheuren Opfern" stattfinden (vgl. _Umrath_, "Zur Generalstreikdebatte", p. 15).] Einen eigentümlichen und von der üblichen spanischen Manier ganz abweichenden, eintägigen Klassenstreik soll die sozialdemokratische Partei zusammen mit dem "Allgemeinen Arbeiterbund" am 20. Juli 1905 (?) veranstaltet haben, um den bis dahin erfolglosen Forderungen nach Herabsetzung der hohen Lebensmittelpreise Nachdruck zu verleihen. Es heißt, daß 100 000 Arbeiter die Arbeit verlassen hätten, um zu protestieren, und daß Tausende von Arbeitslosen sich den öffentlichen Kundgebungen anschlossen.[583] [Fußnote 583: Juan A. _Melia_, "Der Sozialismus in Spanien".] § 18. Holland. Auch in Holland hängt die Generalstreik-Propaganda mit der bezeichnenderweise großenteils anarchistischen Gewerkschaftsbewegung zusammen. Domela _Nieuwenhuis_ übte mit seinen abenteuerlichen Generalstreikplänen eine ziemlich große Anziehungskraft auf das holländische Proletariat aus[584] Gerade der Generalstreikidee dankte die holländische anarchistische Bewegung, die "seit 1896 und 1897 fast vollständig daniederlag", Neuerweckung und neue Lebenskraft.[585] Erst das Fiasko des _Generalstreiks im April 1903_ gab "dem Glauben an die Wirksamkeit dieses Kampfmittels einen starken Stoß."[586] [Fußnote 584: Das ungenügende Wahlrecht sei Schuld an dem geringen politischen Verständnis und also auch an der anarchistischen Disposition des holländischen Proletariats (vgl. _Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland", und "Zur Lage in Holland").] [Fußnote 585: _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 194.] [Fußnote 586: Dr. Gust. _Mayer_, "Der internationale Sozialistenkongreß", p. 446. Die Anarchisten hätten gesucht, aus dem glücklichen Eisenbahnerstreik im Jan. 1903 "für sich Kapital zu schlagen" (vgl. _Gorter_, "Der Massenstreik der Eisenbahner in Holland", p. 656); sie trügen auch die Hauptschuld an dem verhängnisvollen Aprilstreik.] Die holländischen Eisenbahner hatten im Januar 1903 zur Unterstützung streikender Amsterdamer Hafenarbeiter einen umfangreichen und bedeutenden Ausstand durchgeführt.[587] Der Hafenarbeiterstreik war ausgebrochen, weil die Docker den Ausschluß der Nichtorganisierten, der ihnen von den Unternehmern zuvor versprochen worden war, vergeblich verlangt hatten. Aus Solidarität mit den Hafenarbeitern boykottierten nun die Eisenbahner die von Arbeitswilligen beladenen Wagen, worauf einige Eisenbahner entlassen wurden. Da traten die Eisenbahner am _29. Januar_ in einen _Sympathiestreik_, stellten aber zugleich auch eigene ökonomische Forderungen, und zwar vereinigten sich die antiparlamentarische "Föderation" und die sozialdemokratische Gewerkschaft, die sich bis anhin bekämpft hatten, zu gemeinsamem Vorgehen. Viele Unorganisierte schlossen sich der Bewegung an. In und um Amsterdam, also auch auf den internationalen Linien, ruhte der Verkehr vollständig. Die Eisenbahner des ganzen Landes hielten sich überdies zum Anschluß an den Streik bereit. Diese plötzliche und beängstigende Verkehrserschütterung bewog die Eisenbahngesellschaften alsbald zu Konzessionen.[588] Der Sieg der Eisenbahner und der sich anschließende Erfolg des Hafenarbeiterstreiks bewirkte ein lebhaftes Wachstum der Organisationen. Unter Einfluß der anarchistischen Agitation entwickelte sich bei den Arbeitern aber auch zugleich eine starke Überschätzung ihrer tatsächlichen Macht, was ihnen in den folgenden Kämpfen noch verderblich werden sollte. Die Empörung der übrigen Gesellschaftskreise über die Wirkungen des Januarstreiks und die Besorgnis vor der Wiederholung einer solchen gefährlichen Verkehrsstockung kristallisierten sich nämlich alsbald in einer Ausstandsvorlage, die nicht nur die Schaffung einer Eisenbahnbrigade vorsah, sondern auch den Streik der Angestellten der öffentlichen Verkehrsanstalten, speziell den Streik der Eisenbahner, zur strafbaren Handlung stempelte.[589] Noch kurz vor Erscheinen der Vorlage, am 20. Februar 1903, bildete sich ein proletarisches Schutzkomitee,[590] das eine energische Agitation über das ganze Land hin entfaltete.[591] Doch weder die zahlreichen Demonstrationen, noch die sozialdemokratische Interpellation in der Kammer erreichten mehr, als eine gewisse Milderung der Vorlage,[592] deren Sieg so gut wie gewiß war. Verständnislos für die Bedeutung des parlamentarischen Kampfes, im Vertrauen auf die "revolutionäre Energie der Massen" und die im Januarstreik erfahrene Nachgiebigkeit der Gegner, beschloß nun die Versammlung der Verbands- und Vereinsvorstände, trotz der sozialdemokratischen Warnungen, für den 5. April den allgemeinen Ausstand sämtlicher bei der Beförderung von Waren und Personen beschäftigter Arbeiter. Man wollte hierdurch die Eisenbahngesellschaften zu wirtschaftlichen Konzessionen, vor allem aber die Regierung zur Zurücknahme der Streikvorlage nötigen. Der Ausstand begann auch sogleich, aber von einer Allgemeinheit der Arbeitsniederlegung war gar keine Rede.[593] Noch weniger kam es zu einer allgemeinen Verkehrsstockung, da zahlreiche Ausständige, aus Furcht vor der in Aussicht gestellten sofortigen Entlassung, schon am 7. April zur Arbeit zurückkehrten. Den Eisenbahngesellschaften standen überdies in den "Ordnungsbünden", den christlichen Gewerkschaften und im Militär genügend Arbeitswillige zur Verfügung.[594] Der Eisenbahnbetrieb wurde immer regelmäßiger,[595] der Streik immer schwächer. Daher konnte die Arbeitervertretung, als sie am 9. April mit den Eisenbahngesellschaften über die Beendigung des Streiks zu unterhandeln suchte, auch absolut keine Bedingungen stellen. Ebensowenig waren die übrigen Transportarbeiterstreiks[596] und etliche andere Hilfs-Streiks[597] dazu angetan, das öffentliche Leben und die Abgeordneten zu erschüttern. Schon begannen die Spezialdebatten über die gefürchtete Vorlage; die Zeit drängte. In dieser Not proklamierte das Schutzkomitee zur Unterstützung des bereits verlöschenden Eisenbahnerausstands den _Generalstreik_ für alle Betriebe des ganzen Landes. Aber nur zirka 60 000 Mann folgten dem Gebot.[598] Die Hälfte hiervon stellte Amsterdam, wo sich die Wirkungen des Ausstands daher auch am meisten fühlbar machten.[599] In den übrigen Orten, wo es nur zu vereinzelten Streiks kam,[600] ergab sich überhaupt keine wesentliche Beeinträchtigung des sozialen Daseins. Ob der Generalstreik bei längerer Dauer noch an Ausdehnung gewonnen hätte,[601] ist äußerst fraglich. Zwar protestierte eine Amsterdamer Massenversammlung mit vielem Lärm gegen den Beendigungsbeschluß, den das Schutzkomitee am 10. April mit Rücksicht auf die Annahme der Vorlage (in der zweiten Kammer, mit 81 gegen 14 Stimmen) und auf das sofortige Inkrafttreten des neuen Gesetzes faßte. Doch schon am folgenden Tag meldeten sich die noch Ausständigen wieder zur Arbeit. Die Bewegung war gescheitert. [Fußnote 587: Vgl. über die holländische G-streikbewegung: _Gorter_ a. a. O.; _Roland-Holst_, a. a. O., und "G-str. und Sozd.", p. 121 ff.; _van der Goes_, "Die beiden Tendenzen in Holland und der Parteitag zu Utrecht"; _Vliegen_, a. a. O.; Allg. Ztg. 1903.] [Fußnote 588: Insbesondere versprachen sie Anerkennung der Arbeiterorganisationen; vorläufige Suspendierung der Arbeit in dem boykottierten Hafen, bei weiterer Entlohnung der dort angestellten Arbeiter und Unterhandlungen mit der Regierung zwecks Streichung der bedingungslosen Güterbeförderungspflicht aus dem Eisenbahnreglement.] [Fußnote 589: Diese Vorlage habe das Streikrecht von 20 000 Arbeitern bedroht (vgl. _Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland").] [Fußnote 590: Das Komitee enthielt je 2 Vertreter der Hafenarbeiter und der Eisenbahner, je 1 Vertreter des "nationalen Arbeitssekretariats", der "freien Sozialisten" und der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, vorwiegend Anarchisten und Antipolitiker.] [Fußnote 591: Diese erreichte am 3. März ihren Höhepunkt: im ganzen Lande fanden gleichzeitige Protestversammlungen gegen die Ausstandsvorlage mit ca. 50 000 Teilnehmern statt.] [Fußnote 592: Das Strafmaß wurde herabgesetzt, so daß der Eisenbahnerstreik nur noch als politisches Delikt galt; zugleich wurde die Schaffung eines Schiedsgerichts vorgesehen. Die abgeänderte Vorlage ging schon Ende März der Kammer zu; dort bekämpfte sie _Troelstra_ (S.D.) als einen Angriff auf die Arbeiterorganisationen; alle übrigen Parteien hielten zur Regierung.] [Fußnote 593: Trotz der schon im Februar von den Eisenbahn- und Transportarbeitern erklärten, von der Sektion Haag des Allg. Verbandes der Eisenbahn- und Straßenbahnangestellten wiederholten Streikbereitschaft, trotz des fast einmütigen Streikbeschlusses der Amsterdamer Eisenbahnerversammlung vom 2. April war die Beteiligung schwach. Die Versammlung der Ausständigen am Abend des 6. April war schlecht besucht.] [Fußnote 594: Die Eisenbahngesellschaften waren durch die Drohungen der Arbeiter seit Wochen gewarnt und hatten sich vorbereitet. Der Postdienst wurde durch Automobile besorgt, der Postverkehr mit dem Ausland durch militärisch bedeckte Züge; in beschränktem Maß wurde auch der Personenverkehr aufrecht erhalten; die Verkehrsreduktion überstieg überhaupt nicht 25%.] [Fußnote 595: Am 8. April fehlten nur noch Rangierer und Weichensteller; für den 9. zeigten die holländ. Eisenbahngesellschaften den ausländischen Bahnen auch die Wiederaufnahme des Güterdurchgangsverkehrs an.] [Fußnote 596: Nur einen Tag lang streikte das Personal der Schiffahrtsgesellschaft London-Hull, ohne sonderliche Beeinträchtigung des Verkehrs. Der am 6. April von 3000 Dockarbeitern in Rotterdam beschlossene Hafenarbeiterstreik veranlaßte am 8. April die vereinigten Arbeitgeber des Schiffahrts- und Transportgewerbes zur Verhängung der Sperre, die 2000 Arbeitswillige mitbetroffen haben soll. Am 8. erfolgte auch die Aussperrung in der Großfabrik für Maschinen- und Eisenbahnmaterial.] [Fußnote 597: Ein Steinschneider-, sowie ein unzulänglicher Bäckerstreik.] [Fußnote 598: Die Metallarbeiter waren schon am 7. April in einen allg. Ausstand getreten, teilweise streikten auch bereits die Bauarbeiter, Auslader und städtischen Arbeiter in Amsterdam; ebendaselbst schlossen sich dem G-streik 8000 Diamantarbeiter, die Mehrzahl der Bauarbeiter, ein Teil der Kommunalarbeiter (Beleuchtung, Reinigung), ein Teil der Metzger und Bäcker (letztere zum Schaden der Arbeiterschaft hauptsächlich in den Arbeiter- und Konsumbäckereien, vgl. _Roland-Holst_ a. a. O.), und die Typographen an.] [Fußnote 599: Die Läden in den reichen Vierteln wurden geschlossen, die Wohlhabenden verproviantierten sich in den Arbeitervierteln, wobei die Lebensmittelpreise rasch stiegen (vgl. _Bourdeau_, p. 432; _Vliegen_, a. a. O. p. 197). Der Gaskonsum mußte eingeschränkt werden (vgl. Allg. Ztg.); nur ein Teil der Straßenlaternen wurde, unter militärischer Bedeckung übrigens, angezündet. Das Elektrizitätswerk wurde mit Hilfe des Bureaupersonals in Betrieb erhalten. Der Betrieb auf den Quais, der Güterverkehr, stockte vollständig.] [Fußnote 600: Es streikten Bauarbeiter, Metallarbeiter, Typographen. Im katholischen Süden wurde aber überhaupt nicht gestreikt.] [Fußnote 601: Dies nimmt _Roland-Holst_ an.] Es folgten nun noch stürmische Auftritte in der Versammlung der Arbeitervorstände. Die Anarchisten suchten nämlich den Mißerfolg auf sozialdemokratischen "Verrat" zurückzuführen, statt die Ursachen dafür in der mangelhaften Vorbereitung, Organisation und Führung,[602] in der Überschätzung der proletarischen und Unterschätzung der staatlichen Macht, kurz, in der Unrichtigkeit des Streikbeschlusses überhaupt zu erkennen. [Fußnote 602: Vgl. _Roland-Holst_, "Zur Lage in Holland", "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland" und "G-str. und Sozd.", p. 121.] Die _Opfer des Streiks_ waren außerordentlich groß. Es kam zwar nur zu wenigen Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht, da die Ausständigen im großen und ganzen gute Disziplin hielten.[603] Hingegen litten die Arbeiter auf's Empfindlichste unter den wirtschaftlichen Folgen des Streiks.[604] Die Unterstützung seitens der Organisationen[605] konnte die Gemaßregelten und deren Familien nicht vor Not und Elend bewahren.[606] Auch die Gewerkschaften erlitten einen schweren Stoß[607] und sollen sich erst neuerdings von der "ökonomischen Katastrophe" erholt haben.[608] [Fußnote 603: Es kamen allerdings auch Versuche vor, den Eisenbahnbetrieb durch Unbrauchbarmachung der Maschinenwasserbehälter und Wegschaffung von Lokomotivteilen zu gefährden (vgl. Allg. Ztg. 7./4. 03); andererseits verlangte z.B. eine Dockarbeiterversammlung in Rotterdam am 6./4. Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung, insbesondere Vermeidung von Tätlichkeiten gegenüber Arbeitswilligen, um der Regierung keinen Anlaß zu scharfen Maßregeln zu geben (vgl. Allg. Ztg. a. a. O.).] [Fußnote 604: In den ersten Wochen waren fast 5000 Arbeiter ausgesperrt; zwar wurde die Sperre im Transportgewerbe am 20./4. wieder aufgehoben; aber von den Eisenbahnern, die am meisten litten, waren bis zum 21./4. bereits 1600 Mann entlassen. "Hunger, Verzweiflung, selbst der Selbstmord hat unter den 5000 Opfern dieses Kampfes gewütet" (_Troelstra_, Prot. intern. Kongr. Amsterdam 04, p. 8).] [Fußnote 605: Die niederländische Partei gab 22016,32 Gulden; die deutsche sozialdemokratische Partei schickte, auf den Appell der niederländischen Partei, vom 21./4., an die internationale Solidarität, 9000 M (vgl. Bericht des Parteivorstands an den 10. Parteitag der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Hollands, Ostern 04, in Dordrecht).] [Fußnote 606: Vgl. _van der Goes_, a. a. O. p. 257.] [Fußnote 607: Eine Ausnahme bilden die gut organisierten Diamantarbeiter und die Rotterdamer Hafenarbeiter. Vor allem wurde "die große, prächtige, mächtige Eisenbahnerorganisation... zerstört" (vgl. _Troelstra_ a. a. O.; Prot. Gewerkschaftskongr. Köln 05, p. 225; _Roland-Holst_, "Zur Lage in Holland").] [Fußnote 608: Bericht des intern. sozialistischen Bureau über den G-str. in Holland (cit. bei _Katz_, "Der politische Massenstreik", Nr. 33, p. 3.); _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.".] Die sozialdemokratische Partei scheint ohne wesentliche Beeinträchtigung aus dem Generalstreik hervorgegangen zu sein.[609] Sie hatte von jeher die anarchistische Generalstreikidee bekämpft, sich aber, als proletarische Parteivertretung, verpflichtet gefühlt, der Arbeiterschaft beizustehen, obwohl sie den Aprilstreik von vornherein als eine aussichtslose und verfehlte Unternehmung angesehen hatte.[610] Die Erfahrungen dieses Streiks bestärkten einen Teil der niederländischen Sozialisten, so vor allem _Vliegen_, in der strikten Ablehnung jedes Klassenstreiks überhaupt. Die Mehrheit der Partei aber erklärte sich bereits auf dem Parteitag von Enschede, bloß zwei Monate nach dem unglücklichen Generalstreik ausdrücklich für den politischen Massenstreik.[611] Sie wiederholte dies auch auf dem Parteitag 1904 in Dordrecht und arbeitete hiermit dem internationalen Kongreß in Amsterdam vor.[612] [Fußnote 609: Wenigstens war dies die Auffassung der Partei selbst auf dem Parteitag zu Dordrecht 1904; vgl. _Roland-Holst_, "Zur Lage in Holland", "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland"; Prot. Gwftskongr. Köln 05, p. 225.] [Fußnote 610: Vgl. _Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland". Einige Parteimitglieder, wie z.B. _Roland-Holst_, sollen das von ihnen prinzipiell mißbilligte Unternehmen doch mit großen persönlichen Opfern unterstützt haben.] [Fußnote 611: Vgl. die Mitteilungen der Delegierten der holländischen Partei auf dem Parteitag in Jena 1905 (Prot. p. 342).] [Fußnote 612: Vgl. _Roland-Holst_, "Der politische Streik auf dem 10. Parteitag der niederländischen Sozialdemokratie". Im Auftrag des Internat. sozialist. Bureau (um "dem internationalen Kongreß einen Bericht und den Entwurf einer Resolution über diese Frage vorzulegen", vgl. _Vliegen_, "Der zehnte Parteitag der niederländischen Sozialdemokratie") arbeitete die Redaktion der Zeitschrift "_Die nieuwe tijd_" einen Entwurf aus, auf Grund dessen der Parteitag in Dordrecht eine Resolution annahm, die das fast wörtliche Vorbild derjenigen des intern. Kongresses in Amsterdam darstellt.] § 19. Russland. Die Darstellung und Beurteilung der russischen Klassenstreikbewegung begegnet so mannigfachen innern und äußern Schwierigkeiten,[613] daß wir uns hier mit einer Skizzierung der äußersten Umrisse begnügen müssen. [Fußnote 613: Die besonderen Schwierigkeiten beruhen auf der Verknüpfung der Streikbewegung mit der Revolution, der Unzugänglichkeit der russischen Literatur und der Unmöglichkeit einer Kontrolle unseres spärlichen Materials.] Trotz des Koalitionsverbots[614] kam seit der Mitte der 1890er Jahre der Streik, auch der Massenstreik, in Rußland immer häufiger zur Anwendung.[615] Als eine bedeutende Industriekrise im Süden die Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen und politischen Lage gesteigert hatte,[616] entlud sich die allgemeine Erregung schließlich im Juli 1903 in einer kolossalen Streikbewegung mit der bis dahin in Rußland unerreichten Ausstandsziffer von einer Viertelmillion.[617] Die Bewegung ergriff "epidemieartig" den ganzen _Süden_,[618] woselbst sie wegen der Beteiligung aller Gewerbe[619] eine mehrtägige völlige Stockung von Industrie, Handel und Verkehr, sowie empfindlichen Mangel an Lebensmitteln samt entsprechenden Preissteigerungen, auch das Versagen des Beleuchtungs- und Reinigungsdienstes zur Folge gehabt haben soll.[620] Während der Dauer das Ausstands waren die Arbeiter auf der Straße, forderten die Arbeitswilligen zum Anschluß auf, entleerten die Dampfkessel und hielten Demonstrationen ab.[621] Anfangs blieben sie unbehelligt. Dann, als der erste Elan vorüber war und die Bewegung nach und nach verlief, scheinen Militär und Polizei immer energischer eingegriffen zu haben, sodaß der Streik viele Opfer kostete.[622] Bei der Verschwommenheit der Ziele[623] konnte von einem direkten "Erfolg" keine Rede sein, wenn auch versucht worden ist, die Entwicklung des "Klassenbewußtseins" und die Entfaltung revolutionärer Energie als einen solchen zu konstruieren.[624] [Fußnote 614: Vgl. _Roland-Holst_, "Generalstreik und Sozd.", p. 35; ihre diesbezüglichen Angaben sind übrigens mit Vorsicht aufzunehmen.] [Fußnote 615: Vgl. "Die Sozialdemokratie in Rußland", Bericht der Delegation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Rußlands an den intern. sozialist. Kongreß in Amsterdam 1904, p. 3. Da die Regierung von jeher gegen Streiks mit Gewalt vorgegangen sein soll (_Bourdeau_, p. 436), hätten sich aus den rein ökonomischen Streiks häufig politische Streiks entwickelt, die bei zu geringer Ausdehnung den Arbeitern leicht gefährlich wurden, weshalb man sie zu vermeiden suchte (_Streltzow_, "Der politische Massenstreik in Rußland und seine Lehren"). 1902 fand in Rostow am Don ein großer Sympathiestreik mit pol. und ökonom. Forderungen statt (vgl. _Bourdeau_; _Roland-Holst_, "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution").] [Fußnote 616: In Odessa soll die Agitation der _Subatow_'schen Arbeiterorganisationen den von ihren Lenkern durchaus nicht beabsichtigten Anstoß zum Streik gegeben haben (Ber. der Delegation).] [Fußnote 617: Vgl. Bericht der Delegation p. 24 ff.; _Bourdeau_; _Roland-Holst_, "Gstr. u. Sozd."] [Fußnote 618: Vgl. Bericht der Delegation, p. 3, 24, 25. Am 1. Juli begann der Streik in Baku (Petrolarbeiter), Odessa (Hafenarbeiter); er war in diesen Städten und in Tiflis am 4. schon vollständig; es folgten Batum, Nikolajew, Kiew (21. Juli), Jelisawetgrad (28. Juli) und, nach Beendigung des Streiks in diesen Städten, Jekaterinoslaw (7. August) und Kertsch. In den drei kaukasischen Städten sollen 10 000 (?) in Odessa 50 000, in Kiew 30 000, in Nikolajew 10 000, in Jekaterinoslaw 20-30 000, in Jelisawetgrad 2000, in Feodosien, Kertsch, Konotop je mehrere Tausend Personen gestreikt haben.] [Fußnote 619: Es streikten Fabrik- und Werkstättenarbeiter, Verkehrsarbeiter (Tram-, Eisenbahn-, Hafenarbeiter), Lebensmittelarbeiter (Metzger, Bäcker, Müller; Hôtelpersonal), Schriftsetzer, Telegraphisten, Handelsgehilfen, Handwerker, selbst Stiefelputzer.] [Fußnote 620: Bericht der Delegation, p. 25 ff.] [Fußnote 621: Sie demonstrierten mit revolutionären Liedern und roten Fahnen, wobei sich die sozd. Arbeiterpartei Rußlands lebhaft beteiligt zu haben scheint.] [Fußnote 622: Bericht der Delegation, p. 25 ff.] [Fußnote 623: Ursprünglich handelte es sich um überall ziemlich gleichlautende, fest formulierte wirtschaftliche Forderungen (betr. Arbeitszeit und -lohn, Fabrikdisziplin, usw.) und polit. Forderungen (Volksvertretung und die verschiedenen Freiheitsrechte); diese lösten sich aber immer mehr in einen allgemeinen Protest gegen den gesamten wirtschaftlichen und politischen Druck auf (vgl. Bericht der Delegation; _Roland-Holst_ "G-str. u. Sozd.", p. 35, ist anderer Meinung).] [Fußnote 624: Bericht der Delegation, p. 28.] Ein ganz anderes Bild bietet die russische _Streikbewegung des Jahres 1905_, deren erste Phase sich unmittelbar an den sog. blutigen Sonntag (22., resp. 9. Januar 1905) anschloß.[625] Sie umfaßte 1-1/2 Monate, während welcher Zeit Streiks mit vorwiegend politischen Zielen in 150 Städten Rußlands ausgebrochen sein sollen.[626] Am intensivsten scheint sich die Bewegung in _Russisch-Polen_ entwickelt zu haben,[627] wo der proletarische Klassenstreik zudem noch einen "eigenartigen Widerhall" im _Gymnasialstreik_ fand.[628] -- Im Mai erfolgte eine neue Steigerung, die sich den Sommer hindurch fortsetzte.[629] Ihren Höhepunkt bildete der _politisch-revolutionäre Ausstand vom 7._ bis _17. Oktober 1905_, der einzige wirklich _allrussische_ Streik. Zu diesem gaben die Eisenbahner den Anstoß;[630] alsbald ruhte die Arbeit auf fast allen Eisenbahnlinien und in fast allen Städten des europäischen und asiatischen Rußlands.[631] [Fußnote 625: Schon vorher streikten 13 000 Arbeiter der Poutiloff-Werke (wegen Maßregelung von Kameraden, usw.); andere Arbeiter hatten sich angeschlossen; am 22. Jan. sollen es schon 200 000 Ausständige gewesen sein (_Bourdeau_, p. 436).] [Fußnote 626: Vgl. _Roland-Holst_, a. a. O. p. 79 ff. Es traten "auch ganz bestimmte Klassenansprüche" der Arbeiter (betr. Arbeitsbedingungen, Behandlung, Anerkennung der Organisationen usw.) hervor (vgl. Dr. v. _Wiese_, "Die Arbeiterfrage in Rußland"); die "Diktatur des Proletariats", die _Bourdeau_ unter Hinweis auf einen Vorwärts-Artikel von _Luxemburg_ erwähnt, dürfte in der Regel wohl kaum unter den offiziellen Zielen der Arbeiter figuriert haben. Forderte doch der Arbeiterdeputiertenrat --"eine Vertretung der spezif. großindustriellen Arbeiterelite" -- die Unternehmer zur Schließung der Fabriken auf, weil "ja auch ihre Interessen an Freiheit und Sicherheit von der Arbeiterschaft verfochten würden" (vgl. M. _Weber_, "Zur Lage der bürgerlichen Demokratie in Rußland", p. 286).] [Fußnote 627: Die Bewegung dauerte hier ungefähr vom 27. Januar bis 4. Februar (vgl. "Der politische Streik im Königreich Polen", Krakau, Verlag des Przedswit, besprochen in "Dokumente des Sozialismus", V, 9.). Es nahmen 400 000 Arbeiter daran teil (vgl. Rdsch. Soz. Mh. 05, April, p. 359). Der Streik wurde durchschnittlich nach 8-10 Tagen, in Warschau schon nach 3 Tagen, von den Parteikomitees der einzelnen Städte für beendet erklärt. Die Leitung scheint die polnische sozialistische Partei, P. P. S., gehabt zu haben. Für die gleichzeitig erhobenen wirtschaftlichen Forderungen wurde vielerorts nach Beendigung des des polit. Streiks noch weiter gestreikt, mit nur teilweisem Erfolg (vgl. Rdsch. Soz. Mh. a. a. O.).] [Fußnote 628: Vgl. Rdsch. Soz. Mh. Mai 05, p. 458, 459. Nach persönlichen Mitteilungen eines aktiv Beteiligten protestierte die polnische Gymnasialjugend, durch das Beispiel der Arbeiter zum Ausstand angeregt, durch den Schulstreik gegen die langverhaßte Russifizierung der Gymnasien.] [Fußnote 629: Im Sommer 1905 fand z.B. ein allgemein durchgeführter eintägiger Streik statt, den das Warschauer Komitee des P. P. S. als Protest gegen die blutigen Zusammenstöße zwischen demonstrierenden Arbeitern und Militär in Lodz (die im Juni 05 ca. 2000 Tote gekostet haben sollen) veranstaltete. (Rdsch. Soz. Mh. Aug. 05, p. 706).] [Fußnote 630: Im April 1905 hatte sich endlich der _all_russische Eisenbahnerverband gebildet (noch 1903 war eine diesbezügliche Anregung, die, unter Hinweis auf die Bedeutung der Eisenbahner bei einem ev. M-str., bezeichnenderweise von südrussischen Eisenbahnern ausgegangen war, erfolglos geblieben). Der Streik begann auf der Moskau-Kasaner Linie. Sogleich proklamierte das Zentralkomitee den Generalstreik (vgl. _Streltzow_, a. a. O.).] [Fußnote 631: _Streltzow_, p. 133 ff.] Die ungeheure Wirkung des Streiks[632] war für die Regierung einer der Beweggründe, die Erfüllung der dringendsten Forderungen im Oktobermanifest zuzusichern.[633] Dieser Erfolg war in den besonderen russischen Verhältnissen begründet. Kämpfte doch Schulter an Schulter mit den Arbeitern fast die ganze russische Gesellschaft gegen die Regierung.[634] Sogar zahlreiche Angehörige unproletarischer Berufe folgten dem Streikbeispiel der Lohnarbeiter.[635] Letztere scheinen im Bürgertum, selbst bei den Unternehmern, Sympathie und Unterstützung gefunden zu haben.[636] [Fußnote 632: Die Verkehrsstockung führte zu einer Isolierung der großen Wirtschaftszentren. Die Truppenbewegungen waren erschwert. Immerhin dürften Behauptungen, wie die, daß der Massenstreik "die gesamte Staatsmaschinerie" "desorganisiert" (vgl. _Roland-Holst_, "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 216), Rußland "aus den Angeln" gehoben, (vgl. _Lensch_, "Die Idylle im Sumpf"), den "Thron ins Wanken" gebracht (vgl. _Ellenbogen_, Prot. Parteitg. Wien 05, p. 121), "den Absolutismus für eine Weile niedergestreckt" habe, denn doch etwas übers Ziel hinausschießen.] [Fußnote 633: Weniger meßbar sind die übrigen sogenannten Erfolge des Streiks, wie Aufrüttelung der indifferenten Volksschichten. Förderung der proletarischen Organisation (die Gewerkschaften entwickelten sich allerdings nach dem Streik, aber wohl nicht, wie mehrfach behauptet wurde, wegen des Streiks an sich, sondern infolge der errungenen Freiheiten; vgl. _Streltzow_, p. 134) und Schwächung des Heeres. Die von _Roland-Holst_ (a. a. O., p. 218 ff., und "G-str. und Sozd.", p. XVI) prognostizierte "allmähliche Aufreibung der Armee durch die Streikbewegung" hat keineswegs stattgefunden.] [Fußnote 634: Vgl. _Streltzow_, a. a. O.] [Fußnote 635: Es streikten Handels- und Bankangestellte, Lehrer, Schauspieler, Advokaten, Ärzte, Apotheker, Seminaristen, Ingenieure, Staatsbeamte (Richter, Telegraphisten, Eisenbahnbeamte), Kellner, Dienstboten usw. (vgl. _Kropotkin_, "Die direkte Aktion und der Generalstreik in Rußland"; _Streltzow_, a. a. O.).] [Fußnote 636: Vgl. _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; _Streltzow_, a. a. O.; _Plechanow_ (cit. bei _Streltzow_) sagt: "die allgemeine Sympathie ersetzte den Arbeitern die Unzulänglichkeit der Organisation". -- Semstwoleute, Staatsbeamte, Ingenieure sollen Streikfonds zur Unterstützung streikender Arbeiter gegründet haben (_Streltzow_). In der Streikleitung seien bürgerliche Elemente, z.B. höhere Eisenbahnbeamte, vertreten gewesen. Die Unternehmer sollen mehrfach während des Streiks den Lohn weiter gezahlt und sich regelmäßig mit den Arbeitern solidarisch erklärt haben (_Streltzow_). Die Frage, inwieweit hierbei Furcht vor den Drohungen der Arbeiter eine Rolle spielte (vgl. N. Z. Z. 8. Dez. 05, 2. Beilage, Nr. 340), kann hier natürlich nicht entschieden werden. Die _Roland-Holst_'sche Auffassung, das russische Proletariat habe "den Angriff gleichzeitig gegen die ökonomischen Ausbeuter, wie gegen die staatlichen Unterdrücker gewendet", und es habe, "was es den Ersten abtrotzt, gebraucht, um die Zweiten weiter zu bekämpfen" (vgl. "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 215), geht wohl zu weit.] Der Klassenstreik war die typische Form, in der die russischen Arbeiter sich an der Revolution beteiligten.[637] Er war eine überaus bedeutende Begleiterscheinung der russischen Revolution, doch immerhin nicht diese selbst. Seinen Erfolg dankte er den ganz einzigartigen Umständen, unter denen er stattfand. Aber selbst in Rußland hat der Massenstreik zu politischen Zwecken vorläufig seine Rolle ausgespielt,[638] und um so mehr muß man sich hüten, in den russischen Erfahrungen einen Fingerzeig für die proletarischen Kämpfe anderer Länder zu erblicken.[639] [Fußnote 637: Wollten sich die Arbeiter überhaupt an der Revolution beteiligen, so mußten sie die Arbeit verlassen, woraus naturgemäß der Streik entstand. Der "spontane" Ausbruch desselben, ohne vorherige literarische Entdeckung und parteitägliche Sanktionierung, ist daher nichts Überraschendes. _Roland-Holst_ erachtete übrigens, trotz dieses sie so sehr befriedigenden politischen Streikdebuts der russischen Arbeiter, bei diesen die theoretische Vertiefung des Problems für notwendig. Ihr Generalstreikbuch erschien auch in russischer Sprache (vgl. "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 214 ff.).] [Fußnote 638: _Streltzow_: "Darin sind wohl alle namhaften russischen Politiker nur einer Meinung"; nur gewisse Sozialrevolutionäre glauben noch, daß jetzt die Ära der gewaltsamen Streiks beginne. Nach _Labriola_, "Riforme e Rivoluzione sociale", p. 163, bestünde die den russischen M-streiks entnommene Bereicherung der revolutionären Erfahrung in der "combinazione dello sciopero generale con la dimostrazione armata e l'uso personale degli esplosivi". Übrigens war natürlich nicht andauernd gestreikt worden, sondern die Bewegung ruhte vorübergehend hier und dort; die Arbeiter sammelten inzwischen wieder Kräfte; der Streik war also parzelliert (_Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 105 ff.). -- Es wurde noch bis in den Dezember 1905 hinein gestreikt, aber die Beteiligung nahm ab (_Streltzow_, a. a. O.), der Erfolg blieb aus, und durch die Mißerfolge wurde der Streik diskreditiert, "der Glaube an seine schöpferische Kraft ging verloren" (_Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; vgl. auch _Bebel_, Prot. Parteitg. Mannheim 06). Inzwischen hatten sich nämlich Staat und Gesellschaft organisiert. Im Oktober hatte die Regierung dem Streik isoliert gegenüber gestanden; andernfalls hätte sie gewiß die "in ihrer materiellen Bedeutung nicht sehr erheblichen Arbeiter" bald unterworfen gehabt (_Katz_). Die Arbeiter aber hatten sich durch ihre Methode der Abstoßung der liberalen Elemente selbst isoliert (_Streltzow_, p. 135). --Die Frankf. Ztg. meldet am 20. Juni 1907 aus Petersburg, die sozialdemokratische Konferenz habe darauf verzichtet, die Dumaauflösung mit dem Massenstreik zu beantworten, da dieser "mit Rücksicht auf die mangelnde Organisation des Proletariats" jetzt scheitern würde.] [Fußnote 639: Dies scheint z.B. M. _Beer_ ("La grève générale, son histoire et sa signification", Dez.-Nr. von "The Social-Democrat", vgl. Bulletin Bibliographique de la Revue socialiste, Janvier 06, p. 125) zu tun; ähnlich _Roland-Holst_ (a. a. O. und "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution"). Vor derartigen Verallgemeinerungen warnen z.B. _Streltzow_ a. a. O. und _Bernstein_ a. a. O.] (c) Die internationalen Arbeiterkongresse und der Klassenstreik. § 20. Die Sozialisten schenkten der Klassenstreik-Idee anfänglich keine besondere Beachtung, und sie ignorierten auch die auf dem internationalen Kongreß in _London_ 1888 französischerseits gemachten diesbezüglichen Andeutungen.[640] Um so eifriger bemühten sich die Anarchisten, diesen ihren Lieblingsgedanken[641] in die "_Neue Internationale_" einzuführen, erfuhren hierbei aber, wie bei allen ihren Projekten, schroffste Ablehnung. [Fußnote 640: Vgl. _Pouget_ (Enquête, p. 42).] [Fußnote 641: Die Anarchisten verdankten zum guten Teil dem G-str. die Wiederbelebung ihrer Bewegung (vgl. _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 195). Eine Anarchisten-Konferenz in London, im Frühling 1902, beriet über die Propaganda eines G-streiks in Deutschland, Österreich-Ungarn und Dänemark und beschloß die wöchentliche Verbreitung von 100 000 Exemplaren eines unter dem Titel "Generalstreik" zu gründenden Anarchistenblattes in den deutschen Gewerkschaften (vgl. N. Z. Z., Nr. 137, 17. Mai 02). -- Neuerdings erklären die Anarchisten übrigens den G-str. und die Gewerkschaft "als mächtige revolutionäre Mittel, aber nicht als Surrogat der Revolution" (vgl. die Resolution _Malatesta_ vom internat. Anarchistenkongr. in Amsterdam am 31. Aug. 1907 [vgl. Frankf. Ztg., Sept. 07]).] Auf dem internationalen Kongreß in _Paris_ 1889 hatte _Tressaud_ den Generalstreik zur Verstärkung der gerade damals beschlossenen Maidemonstration, ferner als Eröffnungsakt der sozialen Revolution empfohlen. Aber nur zwei Delegierte unterstützten diesen Antrag, der von _Liebknecht_ aufs Entschiedenste zurückgewiesen wurde.[642] [Fußnote 642: Vgl. Prot. int. Kongr. Paris 1889, p. 126.] Der folgende Kongreß, _Brüssel_ 1891, hatte sich u. a. mit der Stellung des Proletariats zum Militarismus zu befassen. Bei dieser Gelegenheit plädierte der holländische Anarchist _Nieuwenhuis_, nur von den holländischen und einem Teil der englischen und französischen Delegierten unterstützt, für den Generalstreik im Kriegsfalle. Aber sowohl dieser Vorschlag, wie auch _Nieuwenhuis'_ Plan der Stellungsweigerung, wurde abgelehnt.[643] Eine Resolution der Engländer und Franzosen, wonach die Arbeiter "sich durch eine starke Organisation auf die Möglichkeit eines Generalstreiks vorbereiten" sollten,[644] erfuhr das gleiche Schicksal. [Fußnote 643: Vgl. Prot. int. Kongr. Brüssel 1891, p. 24, 27-31.] [Fußnote 644: Vgl. Prot. int. Kongr. Brüssel 1891, p. 19.] Auf Antrag der französischen Sektion erschien sodann die Frage des Generalstreiks auf der Tagesordnung des Kongresses in _Zürich_ 1893.[645] Eine Kommissions-Resolution, die allerdings nicht mehr zur Erörterung im Plenum gelangte, lehnte den Weltstreik ausdrücklich ab. Aber, offenbar unter dem Eindruck des erst kurz zuvor stattgehabten belgischen Wahlrechtsstreiks, erklärte jene Resolution den Massenstreik für eine unter gewissen Voraussetzungen "höchst wirksame Waffe nicht bloß im ökonomischen, sondern auch im politischen Kampfe". Dies ist das erste Aufflackern eines Flämmchens, das nach und nach zu einem ansehnlichen Feuerwerk angewachsen ist, und das den internationalen, vor allem aber den deutschen Sozialismus eine Zeit lang völlig beherrschte. -- Der französische Antrag, den Generalstreik in allen Ländern zu dekretieren, sofern die Regierungen nicht innerhalb Jahresfrist dem Verlangen des Zürcher Kongresses nach einer internationalen Staatenkonferenz zur Durchführung des Achtstundentags entsprächen, wurde schon in der Kommissionsberatung abgelehnt. -- Bei dem Punkte "Stellung der Sozialdemokratie im Kriegsfall" empfahl _Nieuwenhuis_ wieder sein Militärstreikprojekt, das er diesmal auf die Reservisten und die für die Kriegsführung unentbehrlichsten Lohnarbeiter beschränkt hatte; es wurde aber wiederum abgewiesen. [Fußnote 645: Vgl. Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 11, 17, 53 ff.] Bei Behandlung der proletarischen Wirtschaftspolitik berührte auch der Kongreß in _London_ 1896 die Klassenstreikfrage.[646] Zwar hielt er "die Möglichkeit für einen internationalen Generalstreik nicht gegeben"; immerhin empfahl er den Ausbau der gewerkschaftlichen Organisation auch als Voraussetzung der Streikerweiterung auf ganze Industrien und Länder. [Fußnote 646: Vgl. Prot. int. Kongr. London 1896, p. 29.] Da ein Teil der französischen Sozialisten mit dem Londoner Resultat unzufrieden war, verlangten die Allemanisten die Behandlung des Klassenstreiks auch auf dem Kongreß in _Paris_ 1900.[647] Die Kommissionsminderheit, die sich, wie _Legien_ hervorhob, bezeichnenderweise aus französischen, italienischen und solchen Delegierten zusammensetzte, in deren Ländern überhaupt noch keine Gewerkschaftsorganisationen bestanden, verlangte durch _Briand_ die Vorbereitung des Generalstreiks zur Erreichung revolutionärer, wie reformistischer Ziele. Der Kongreß begnügte sich jedoch mit der Wiederholung des Londoner Beschlusses. [Fußnote 647: Vgl. Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 7, 31 ff.] Am _Amsterdamer Kongreß_ 1904 wehte aber bereits ein ganz anderer Wind. Auch in sozialistischen Kreisen hatte man nun nämlich angefangen, sich recht eifrig mit der Klassenstreikidee zu beschäftigen.[648] Infolge der Erfahrungen, die inzwischen bei mehreren Riesenausständen gemacht worden waren, infolge der Fortschritte anarchistischer Tendenzen in gewissen Gewerkschaftskreisen und infolge verstimmender politischer Ereignisse hatte sich eine Wandlung in der sozialistischen Kritik des Klassenstreiks vollzogen. Der Kongreß errichtete zwar wiederum eine scharfe theoretische Grenzlinie gegenüber der anarchistischen Generalstreikpropaganda, erklärte aber, daß der politische Massenstreik unter bestimmten Voraussetzungen, zu bestimmten Zwecken, _akzeptiert_ werden müsse.[649] -- Die Gegner des Klassenstreiks tadelten den kompromißartigen Charakter der Amsterdamer Resolution;[650] knüpfte sie doch die Verwirklichung des politischen Massenstreiks an so ungeheure Voraussetzungen, daß bei strikter Interpretation die Aufnahme des Klassenstreiks in das sogenannte Arsenal der proletarischen Kampfmittel illusorisch wurde. Die Anarchisten und Syndikalisten aber beklagten den parlamentarischen Beigeschmack der Resolution. Immerhin begrüßten sie dieselbe mit Genugtuung als eine Annäherung des internationalen Sozialismus an die "direkte Aktion".[651] Die Amsterdamer Resolution, diese Verlegenheitsresultante aus den von Land zu Land so verschiedenen proletarischen Tendenzen, gab allen Parteirichtungen Gelegenheit zu Lob und Tadel, weil sie im Grunde eben wirklich nur besagte: "Sans doute, la grève générale peut être utile, mais elle est impraticable".[652] -- Auf dem _Stuttgarter Kongreß_ von 1907 spielte der Klassenstreik keine Rolle mehr. [Fußnote 648: Hiervon legt die vom Juni bis September 1904 erschienene internationale Enquête Zeugnis ab.] [Fußnote 649: Die Resolution der Allemanisten, die das Studium und die Vorbereitung des G-streiks, dieses wirksamsten Mittels der sozialen Revolution, verlangte, wurde abgelehnt, ebenso die Resolution der Guesdisten, die den G-str. als Organisations- und Kampfmittel anerkannte, ihn aber zur reinen Gewerkschaftsangelegenheit erklärte, deren bloße Unterstützung der sozialist. Partei obliegen sollte (vgl. Prot. int. Kongr. Amsterdam 1904, p. 27-30).] [Fußnote 650: Vgl. Wolfg. _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?" p. 754.] [Fußnote 651: Diese Auffassung in anarchistischen Kreisen konstatiert z.B. _Bömelburg_ (Prot. Gewerkfts. Kongr. Köln 1905, p. 218.)] [Fußnote 652: Vgl. "Chronique" du Musée sociale, Oct. 1904, p. 455.] _Dritter Teil:_ Zur Kritik des Klassenstreiks. Erstes Kapitel: _Bedingungen des Klassenstreiks._ § 21. Bedingungen des Ausbruchs des Klassenstreiks. Der Ausbruch eines Klassenstreiks ist vor allem an gewisse _objektive Voraussetzungen_ gebunden: nämlich an das Vorhandensein einer zahlreichen Lohnarbeiterschaft, von deren Arbeitsleistung ein so großer Bruchteil der Gesamtheit abhängt, daß die Arbeitsverweigerung eine aufsehenerregende gesellschaftliche Störung herbeiführen kann. Diese Bedingung wird in vollem Umfang durch die moderne Wirtschaftsordnung erfüllt. Hierzu gesellt sich als _subjektive Voraussetzung_ die Fassung des Streik_entschlusses_ durch die erforderliche Anzahl von Arbeitern resp. Arbeitergruppen. (a) Der Streikentschluß kann _planmäßig_, überlegt gefaßt werden. Hierbei haben sich alle Beteiligten bereits vorher untereinander über ihr Vorhaben verständigt. Sie wissen, um was es sich handelt. Sie besitzen eine gewisse Organisation zur Durchführung des Streiks im konkreten Fall. Das "Kommando" zum Ausstand[653] wird von einer im Voraus bestimmten Leitung erwartet und gegeben. [Fußnote 653: Vgl. z.B. _Resel_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 70 ff.). Wir begegnen dieser Form des Streikentschlusses z.B. in Belgien und Schweden.] Anders beim _spontanen_ Streikentschluß. Dieser wird von jedem einzelnen für sich allein gefaßt. Es ist möglich, daß ein und dasselbe Ereignis in jedem einzelnen Teilnehmer den Streikentschluß ausgelöst hat, daß die Faktoren aller einzelnen Streikentschlüsse objektiv zusammenhängen, daß der Streik also mit innerer Notwendigkeit aus den allgemeinen Ereignissen herauswächst.[654] Es kann aber auch der Fall eintreten, daß die einzelnen Teilnehmer oder Teilnehmergruppen durch ganz verschiedene Ereignisse zum Streikentschluß geführt werden. Wenn nun eine größere Zahl partieller Ausstände zeitlich zusammenfällt, so kann sich aus diesem Streikkonglomerat leicht ein Klassenstreik entwickeln.[655] [Fußnote 654: So z.B. beim ital. G-str. 1904; so auch wohl beim Versuch des "heiligen Monats" 1842.] [Fußnote 655: Ein solches Streikkonglomerat schwebte wohl der Brüsseler Zeitung "Internationale" vor, als sie 1869 schrieb: "Wenn die Streiks sich ausbreiten und einander nähern, sind sie wohl nahe daran, ein Generalstreik zu werden" (cit. bei _Umrath_ p. 13, 14).] (b) Der Entschluß zum Klassenstreik entsteht nur, wenn eine tiefgreifende und _allgemeine proletarische Erregung_[656] die Widerstände gegen den Streik, die in der Arbeiterschaft selbst vorhanden sind, ausschaltet. Diese Erregung ist aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, von mannigfachen Faktoren abhängig. [Fußnote 656: Diese allgemeine Erregung betrachten _Bebel_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 277 ff.), _Bömelburg_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 333, u. Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 228), _Bernstein_ ("Pol. M-Str. u. pol. Lage"), _Adler_ (Prot. Parteitag Wien 1894, p. 78, und Parteitg. Wien 1905, p. 131), _Zetkin_ (vgl. Vorwärts, 23. Aug. 05), _Kautsky_ ("Allerhand Revolutionäres") p. 735, und viele andere als unerläßliche Voraussetzung des Klassenstreiks.] _Vorbedingung_ ist ein Ereignis oder ein Tatbestand, der in hohem Maße die _Unzufriedenheit_ des Proletariats erweckt, der, auch wenn er nur eine Gruppe von Arbeitern persönlich berühren sollte, doch als eine der Gesamtheit angetane wirtschaftliche, politische oder ethische Unbill empfunden wird.[657] Sei es, daß infolge allgemeiner Zeitumstände, (wie Krieg, Teuerung, Hungersnot, Krise,[658] Staatsstreich[659] oder Revolution), den Arbeitern der Druck ihrer Lage besonders deutlich zu Bewußtsein kommt, sei es, daß sie ihre bisherigen Rechte bedroht glauben, sei es endlich, daß ihnen infolge ihrer eigenen Entwicklung oder infolge von proletarischen Errungenschaften in anderen Ländern eine Verbesserung auch ihrer Position als dringende Notwendigkeit erscheint. [Fußnote 657: Ein Mitempfinden fremder Leiden, wie beim Sympathie- und Solidaritätsstreik, setze schon ein gewisses Maß von Klassengefühl, resp. Klassenbewußtsein voraus (vgl. auch _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 5, 10, 11); _Polledro_ (a. a. O., p. 383, 384) teilt die Klassenstreiks sogar geradezu ein in sciopero generale "di conquista" (resp. resistenza), und sciopero generale "di solidarietà".] [Fußnote 658: Vgl. _Parvus_ in der Dortmunder Arbeiterzeitung, 24./9. 01, cit. bei Edm. _Fischer_, "Die neueste Revision unserer Theorie und Taktik".] [Fußnote 659: Vgl. _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 394.] Daneben hängt es noch von einer Reihe teils gegebener, teils künstlicher Faktoren ab, ob ein solches Ereignis die zum Streikentschluß notwendige Erregung auszulösen, also auch wirklich einen Klassenstreik zu veranlassen vermag. 1. Eine bedeutende Rolle spielt hierbei die schon _erreichte Position des Proletariats_. "Moins un prolétariat a de droits politiques, plus il recourt à la grève générale."[660] Solange die Arbeiter wirklich "nichts... zu verlieren" haben, "als ihre Ketten", wird ihnen der Klassenstreikentschluß verhältnismäßig leicht fallen. Je geringer aber die Spannung zwischen dem schon Erreichten[661] und dem noch begehrten Fehlenden, um so größer die Zurückhaltung gegenüber gewagten Unternehmungen (wie bei den deutschen freien Gewerkschaften), um so sorgfältiger die Prüfung des Risikos in sozialer und persönlicher Richtung.[662] [Fußnote 660: _Jaurès_, "Grève et Révolution" (Humanité, 5. Nov. 05).] [Fußnote 661: Es handelt sich dabei um politische und wirtschaftliche Positionen. Z.B. wird auch die Rücksicht auf mühsam errichtete Tarifwerke ein Streikentschluß-Erschwernis bilden (vgl. _Giesberts_, "Die Utopie des Generalstreiks", p. 35).] [Fußnote 662: Es ist schon behauptet worden, daß die Arbeiter sich der schweren Waffe des Klassenstreiks überhaupt "nur in Notfällen, wenn ihre Lebensinteressen berührt werden, bedienen". Aber wenn auch "die ungeheuren Opfer, die jeder Generalstreik mit sich bringt für alle, die ihn beschließen müssen", "der beste Schutz gegen willkürlichen frivolen Gebrauch" sein mögen (_Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 22), so ist doch noch nicht erwiesen, daß die Arbeiter sich dieser Opfer vorher immer so genau bewußt wären oder die Konsequenzen des Ausstandes richtig vorher beurteilten.] 2. Einen weiteren wichtigen Faktor bildet das Maß der vorhandenen _Streikfreiheit_. Prinzipiell ist die Arbeitsniederlegung allerdings überall rechtlich zulässig.[663] Doch bestehen durch spezielle Streikverbote[664] und durch Verleihung von Beamtenqualität an gewisse Arbeiterkategorien[665] eine Reihe wichtiger Ausnahmen, und es ist offenbar eine _Tendenz_ zu weiteren Streikrechts_beschränkungen_ vorhanden, Beschränkungen, die der sozialen Bedeutung der einzelnen Betriebsgruppen, also den durch ihre Ausschaltung drohenden qualitativ-bestimmten Wirkungen entsprechen.[666] Diese Tendenz zeigt sich in staatlichen[667] und privaten[668] Vorschlägen, in parlamentarischen[669] und literarischen[670] Äußerungen. -- Immerhin befindet sich auch ein Klassenstreik unter Ausschluß der kriminalrechtlich gebundenen Arbeiter durchaus nicht in allen Fällen auf dem vielgerühmten "Boden der Legalität",[671] selbst wenn er durch die Vermeidung aller Gewalttätigkeiten die Klippen anderer Gesetzesverletzungen glücklich umschiffte. Ist doch ein Klassenstreik mehr, als eine private Interessenkollision; er hat vielmehr fast stets einen revolutionären Beigeschmack. Dies folgt schon aus der Verletzung des Rechtsgefühls breitester Massen durch eine solche Häufung von _Kontraktbrüchen_.[672] Mehr ergibt sich dies noch aus dem Bestreben, die Empörung einer ganzen Gesellschaftsklasse gegenüber allen übrigen Klassen drastisch zum Ausdruck zu bringen. Er könnte also unter Umständen die Verhängung eines Ausnahmezustandes, die zeitweilige Ausschaltung des Koalitionsrechts herbeiführen.[673] [Fußnote 663: Eine Ausnahme bildet vielleicht Rußland, wo der Streik als Kriminalverbrechen betrachtet wird oder wurde (Bericht der Delegation... usw., p. 32).] [Fußnote 664: Seit 1903 wird in Holland der Streik der Eisenbahner und der Arbeiter in öffentlichen Verkehrsanstalten als politisches Delikt betrachtet und mit Gefängnis bestraft (vgl. Allg. Ztg. 2.-4./4. 03; _Herkner_, "Die Arbeiterfrage", p. 505; _Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland"). -- In Rußland "ist mit Gesetz vom 2./12. 1905 die Beteiligung an Streiks bei Unternehmungen, die allgemeine oder staatliche Bedeutung haben, sowie in staatlichen Betrieben unter Strafe gestellt" (vgl. _Philippowich_, Grundriß, 2. Band, 2. Teil, p. 47); ferner sind am 15./4. 06 besondere Strafen für Beteiligung am Landarbeiterstreik oder Aufreizung zu demselben festgesetzt worden (vgl. Miscellen in Zeitschrift f. Sozialwissenschaft. IX. Jahrg. 1906, p. 525).] [Fußnote 665: Streiken Beamte und Angestellte der Verwaltung, so liegt bei Außerachtlassung der Kündigungsfrist Amtspflichtverletzung vor (vgl. Bundesrat _Brenner_, Bulletin der Schweiz. Bundesversammlung, p. 910). Des Vergehens der Amts- und Dienstpflichtverletzung "machen sich auch schuldig... Angestellte und Arbeiter, welche die Pflicht übernommen haben, öffentliche Betriebe von Staat und Gemeinde zu bedienen, wenn sie vorsätzlich oder rechtswidrig ihrer Dienstpflicht zuwiderhandeln" (Vorschlag des Züricherischen Regierungsrates an den Kantonsrat, betr. Revis. des Strafgesetzbuches [Streikinitiative], cit. in der N. Z. Z. vom 18. Juni 07). Den italienischen Eisenbahnern ist gerade deshalb, um ihnen den Streik unmöglich zu machen, die Beamtenqualität verliehen worden, sodaß jede Dienststörung für sie die Entlassung zur Folge hat (vgl. die "Hilfe", 1905 Nr. 16, p. 2, politische Notiz). Ausnahmsweise stellt in Frankreich die Halbbeamtenstellung kein Streikhindernis dar (z.B. drohten die französischen Marinearbeiter zur Verhinderung eines ihnen unerwünschten Lohnsystems erfolgreich mit dem Streik [vgl. Soz. Prx. XIV, Nr. 50, Sp. 1317.].)] [Fußnote 666: Bei einer fortschreitenden derartigen Rechtsentwickelung wäre also der Streik der gesellschaftlich entbehrlichsten Arbeiter am relativ zulässigsten und durchführbarsten; der Klassenstreik, mehr und mehr auf die quantitative Wirkung beschränkt, müßte seinen Zweck hauptsächlich in der Demonstration suchen.] [Fußnote 667: Der schwedische Gesetzentwurf gegen gemeingefährliche Streiks bedrohte den Kontraktbruch des staatlichen und privaten Eisenbahnpersonals, der Arbeiter in staatlichen und kommunalen Gas-, Elektrizitäts-, Wasserleitungs- und Reinhaltungswerken und den der festangestellten Feuerwehrleute mit Entlassung und Gefängnis, falls der Kontraktbruch "Schaden an einer Person oder groben Eigentumsschaden oder Hinderung oder Stillstand im Betrieb" verursachen würde (vgl. _Axel Hirsch_, "Lagförslaget mot allmänfarliga sträjker", p. 196). Ähnliches bestimmte ein spanischer Gesetzentwurf (vgl. _Herkner_, "Die Arbeiterfrage", p. 505). Der Entwurf des deutschen Berufsvereinsgesetzes hatte in § 20, Abs. 4, Ziff. 2 (cit. in der Soz. Prx. 1907, Sp. 635) bestimmt, daß einem Vereine dann die Rechtsfähigkeit entzogen werden kann, wenn er eine Arbeiteraussperrung oder einen Arbeiterausstand herbeiführt, die... geeignet sind,... eine Störung in der Versorgung der Bevölkerung mit Wasser oder Beleuchtung herbeizuführen oder eine gemeine Gefahr für Menschenleben zu verursachen.] [Fußnote 668: Nach dem Vorschlag der "Section des assoc. coop. et ouvrières" des "Musée social" vom 9. Mai 04 (vgl. "Musée social," Juli 1904, p. 318 ff.) sollen die "ouvriers et employés de l'Etat et des Services concédés d'eau, de gaz et de chemins de fer", und soll das "personnel des services publics administrés directement en régie par l'Etat les départements et les communes, et dont l'arrêt même momentané serait une cause de perturbation fâcheuse pour la vie nationale ou locale", veranlaßt werden, auf das Streikrecht zu verzichten, "à titre de clause essentielle du contrat de travail, et de respecter un délai de préavis d'une durée déterminée par le contrat et le règlement".] [Fußnote 669: Nationalrat _Sulzer_ (in der Begründung seiner Motion, vgl. Bulletin der Schweiz. Bundesversammlung, p. 863) z.B. hält den Streik in den öffentlichen Betrieben, spez. in den Bundesbetrieben (Bundesbahnen, Post, Telegraph, Grenzwacht- und Zolldienst, Eidg. Fabrikbetriebe, Waffen-, Munitions- und Pulverfabriken, Alkoholverwaltung) für "absolut unzulässig".] [Fußnote 670: _Marazio_, a. a. O. p. 116, 117, 159, hält den Streik mit politischem Ziel für ein Delikt, "quando vi partecipano gli operai dei pubblici servizi"; da deren Ausstand "la soddisfazione di grandi bisogni" unmöglich mache, "con danno gravissimo della generalità dei cittadini", so dürfe er nicht geduldet werden.] [Fußnote 671: Vgl. _Briand_, "La grève générale et la révolution"; _Jaurès_ ("Aus Theorie und Praxis" p. 30) nennt den Klassenstreik das "mächtigste Mittel legalen Zwangs".] [Fußnote 672: Der _Kontraktbruch_ ist bei der Ausdehnung des Klassenstreiks und der regelmäßigen Beteiligung mehrerer Gewerbe praktisch wohl unvermeidlich. Übrigens begegnen Versuche zu seiner Vermeidung: so wurde z.B. in Zürich in den Tarifvertrag der Holzarbeiter unter dem Eindruck der Streikbewegung im Sommer 1906 eine Generalstreikklausel aufgenommen (ich verdanke diese Mitteilung Herrn Prof. _Herkner_). -- Aus dem Kontraktbruch erwächst übrigens nicht überall ein Schadenersatzanspruch (vgl. _ab-Yberg_, p. 119 ff.). In Frankreich z.B. soll "keine Verpflichtung zu vorheriger Kündigung" vorliegen, "da der Streik eine zeitweilige Aufhebung der Arbeit ist" (gemäß Beschluß des französischen obersten Arbeitsrates betr. Kündigung und Streik, vom Juni 1905, angenommen mit 19 gegen 18 Stimmen [cit. in der Soz. Prx. 17. Aug. 05]). In England ist, gemäß der Conspiracy and Protection of Property-Act von 1875, der Kontraktbruch (nicht die Arbeitseinstellung als solche) unter Umständen mit einer Strafe bis zu 20 £ oder Gefängnis bis zu drei Monaten bedroht, und zwar tritt diese Strafe ein, "wenn jemand, der sich im Dienst einer Person befindet welche die Verpflichtung übernommen hat, eine Ortschaft mit Gas oder Wasser zu versorgen, den Dienstvertrag in böswilliger Weise bricht, obwohl er annehmen konnte, daß dadurch dieser Gas- oder Wasserbezug ganz oder zum Teil unterbrochen würde, ferner, wenn durch den Vertragsbruch Menschenleben, körperliche Sicherheit oder fremdes Eigentum in die Gefahr der Zerstörung oder ernstlichen Schadens gebracht wird." (_Herkner_, Arbeiterfrage, p. 504, 505.)] [Fußnote 673: Völlig zulässig soll der Klassenstreik nur in Frankreich, England u. Belgien sein (_Louis_, "L'Avenir du Socialisme", p. 312). In Deutschland könne der Streik, wenn er "einen Druck auf gesetzgebende Körperschaften bezweckte", besonders da Ausschreitungen und Zusammenstöße unvermeidlich wären, bis zum Zuchthaus führen, zum Hochverrat gestempelt werden, die Verhängung des Belagerungszustands und den Eingriff der Militärjustiz herbeiführen (vgl. _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"). 1843 wurden mehr als 30 Chartistenführer verurteilt, weil sie, wie es in der Anklage u. a. hieß, in der Absicht, "to bring about and produce a change in the laws and constitution of this realm", zum Streik aufforderten (vgl. _Gammage_, p. 231.)] Der Streikentschluß wird nun um so schwerer zu Stande kommen, je stärker die rechtlichen Schranken sind. Doch je fester die Arbeiter an den Streikerfolg glauben, und zwar an einen Streikerfolg, der sie zugleich vor den bisher üblichen Streikstrafen zu bewahren vermag,[674] und je lebhafter sie sich in ihren Lebensinteressen gefährdet fühlen,[675] um so weniger werden sie sich von rechtlichen Schranken zurückhalten lassen. [Fußnote 674: Bei gesetzlich besonders stark gebundenen Arbeitern müßte das Streikziel unter Umständen also eine Gesetzesänderung oder geradezu der Sturz der Regierung sein. _Kautsky_ ("Allerhand Revolutionäres", p. 736, 737) vergleicht den Klassenstreik mit dem Barrikadenkampf, bei dem man das Leben um so eher gewagt habe, je mehr auf dem Spiele stand, und je wahrscheinlicher der Sturz der Regierung erschien. -- Auch die Annahme, die Regierung werde bei einer außerordentlichen Ausdehnung des Streiks die Rechtsverfolgung aufgeben müssen, kann den Streikentschluß fördern.] [Fußnote 675: In gewissen Fällen seien "Geldstrafen und sogar Gefängnis weniger abschreckend..., als das, was durch die Arbeitsniederlegung bekämpft werden soll" (_Axel Hirsch_, a. a. O. p. 197).] 3. Natürlich kommt außerordentlich viel auf den _Charakter des Proletariats_ an. Je temperamentvoller, heißblütiger, je mehr in revolutionären Traditionen erzogen und zu putschistischen Aktionen geneigt es ist, um so wahrscheinlicher eine Disposition zu raschen Streikentschlüssen; je bedächtiger, kühler, allem Theatralischen abgewandt die Arbeiter sind,[676] um so schwerer fallen ihnen spontane Unternehmungen, und um so notwendiger werden zur Herbeiführung des Streikentschlusses eine starke Opferwilligkeit und ein starkes Solidaritätsgefühl. -- Der Streikentschluß wird also den romanischen Arbeitern leichter fallen, als den germanischen. Der Ausstand wird im allgemeinen den Verkehrs-, speziell den Hafenarbeitern mit ihrer oft unregelmäßigen Beschäftigung leichter fallen, als den meist strenger disziplinierten Industriearbeitern; er wird diesen wiederum leichter fallen, als den Landarbeitern.[677] [Fußnote 676: _Heine_, a. a. O., konstatiert dies beim deutschen Arbeiter.] [Fußnote 677: Vgl. z.B. _Hanisch_ über die österr. Agrarbevölkerung (Prot. Parteitg. Wien 1894).] 4. Auch die _Stellungnahme der proletarischen Organisationen_ zum Klassenstreik-Problem ist von großer Bedeutung. Dieser Einfluß wird um so stärker wirken, je größere Einigkeit zwischen Partei und Gewerkschaft herrscht.[678] Bei Differenzen zwischen ihnen gibt regelmäßig die Stellungnahme der _gewerkschaftlichen Organisation_ den Ausschlag.[679] Diese Stellungnahme selbst aber variiert je nach der Form, Stärke und Richtung, also nach dem ganzen Typus der in Frage kommenden Gewerkschaft.[680] [Fußnote 678: Diese Einigkeit war vorhanden z.B. bei den belgischen Wahlrechtsstreiks (vgl. _Kautsky_, "Maifeier und Generalstreik"), beim schwedischen Kl-str., beim projektierten österreichischen Kl-str.] [Fußnote 679: Vgl. _Cohnstaedt_, "Jena. Gewerkschaft oder Revolution?" p. 549; _Heine_, a. a. O.; _Bebel_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 227 ff.); _Hue_, "Partei und Gewerkschaft". In England hielt man 1839 die Mitwirkung der Gewerkschaften für so ausschlaggebend, daß man schon wegen der ablehnenden Haltung der Trade-Unions den Plan des heiligen Monats zurückzog (vgl. _Gammage_, p. 154, 155; _Brentano_, a. a. O.). Ähnlich mußte die deutsche sozialdemokratische Partei vor dem gewerkschaftlichen Gegenwind die Segel streichen; umgekehrt mußte sich die Partei sowohl in Italien (1904), wie in Holland (1903), bei innerlicher Mißbilligung, dem gewerkschaftlichen Streikunternehmen anschließen.] [Fußnote 680: Der Gewerkschaftstypus selbst ist natürlich auch von den allgemeinen Verhältnissen, den rechtlichen Zuständen, dem Charakter des Proletariats, der Stärke revolutionärer Strömungen und Gelegenheit zu deren anderweitigen Ableitung, bes. durch die Partei, abhängig. In den französischen und italienischen Arbeitersyndikaten z.B. soll die zeitweilige Blockpolitik der sozialistischen Parteien ein entschiedeneres Betonen revolutionärer Tendenzen, das Bestreben nach Verselbständigung und Unabhängigkeit, also auch die Generalstreiktendenzen, gefördert haben.] Die Syndikate mit _föderalistischer_ Organisationsform, geringen Mitglieder- und Kassenbeständen und revolutionären (anarchistischen, antimilitaristischen, antiparlamentarischen) Tendenzen[681] erblicken ihre Hauptaufgabe in der Vorbereitung und Inszenierung des Generalstreiks; ihre ganze Taktik wird dermaßen von diesem Gedanken beherrscht, daß man sie mit Recht als "Generalstreik-Gewerkschaften" bezeichnet hat.[682] [Fußnote 681: Dieser Art waren zuerst die _Bakunini_stischen Föderationen (vgl. _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 194; _Umrath_, p. 13 ff.; _Bernstein_, "Die Generalstreikgewerkschaft"); heute sind es großenteils die italienischen, spanischen, französischen Arbeitersyndikate, teilweise die holländischen, ausnahmsweise einige deutsche ("Freie Vereinigung", "Lokalisten") Gewerkschaften. Vgl. auch _Louis_, p. 297; _Thomas_, "Achtung! vor der 'direkten Aktion'"; _Friedeberg_, "Weltansch."; _Griffuelhes_ ("Ein französischer Gewerkschafter über die Taktik der deutschen Zentralverbände", in der "Einigkeit", 11. Nov. 05).] [Fußnote 682: So _Bernstein_ a. a. O.] Die _zentralistischen_ Gewerkschaften hingegen, die sich durch ansehnlichere ökonomische Leistungsfähigkeit und durch nüchtern-praktische, sich auf das Erreichbare beschränkende Tendenzen auszeichnen,[683] lehnen den Klassenstreik im allgemeinen ab oder lassen ihn höchstens im Interesse ganz unentbehrlicher politischer Forderungen gelten.[684] [Fußnote 683: So die deutschen Zentralverbände, die engl., österr., schwed., belg. Gewerkschaften; sie trachten, durch Tarifwerke auch die Berufsmassenstreiks einzuschränken.] [Fußnote 684: Dabei handelt es sich vorwiegend am die Verteidigung politischer Rechte (vgl. _Braun_, "Das Ergebnis des Gewerkschaftskongresses"; Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, cit. in Soz. Prx. XV Nr. 2, Sp. 38).] Eine _Wechselwirkung zwischen gewerkschaftlicher Schwäche und Generalstreikpropaganda_ ist unverkennbar,[685] und der Protest der Föderalisten[686] gegen diese Feststellung wäre nur dann gerechtfertigt, wenn man mit ihnen die Gewerkschaftsstärke nach dem Maß der revolutionären Gesinnung beurteilen wollte. [Fußnote 685: Dies konstatiert z.B. _Vliegen_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28); Enquête, p. 86; usw. -- _Greulich_, ("Wo wollen wir hin?" p. 37), bezeichnet den G-str. als "Kinderphantasie der mangelhaft organisierten Arbeiterschaft".] [Fußnote 686: Vgl. z.B. "_Weckruf_", 28. Mai 04, "Der Generalstreik".] Der Generalstreikkultus bricht die Kraft der Gewerkschaft.[687] Er verleitet die Arbeiter, "sich von der praktischen Gegenwartsarbeit abzuwenden und Utopistereien nachzuhängen",[688] da sie sich sagen müssen: "was sollen wir jetzt unsere Beiträge zahlen, um kleine Vorteile zu erringen, wenn wir durch den Generalstreik die ganze kapitalistische Wirtschaftsordnung stürzen können?"[689] Nun betreibt allerdings ein Teil der Generalstreikler die Generalstreikpropaganda gerade zum Zweck der Organisation und betrachtet die Organisation selbst wieder als Vorbedingung für die erfolgreiche Durchführung des Generalstreiks. Ihnen erscheint der Generalstreik als "la potenza e la maturità sindacale, che quello traduce o anche soltanto indica",[690] als "Prämie für die allgemeine gewerkschaftliche Organisation, wie der partielle Streik diejenige der Einzelgewerkschaft",[691] und ihnen bedeutet der Weltstreik das "aboutissement logique"[692] des Syndikalismus. Aber diese organisatorischen Tendenzen werden praktisch meistenteils überwuchert durch die Lehre, daß die methodische, aber mühselige Vorbereitung des Generalstreiks durch die Organisation einer bewußten Minderheit, durch den revolutionären Willen, durch die "Durchdringung jedes einzelnen mit dem Klassenbewußtsein"[693] ersetzt werden könne. Kein Wunder daher, daß die Leiter der großen, blühenden Gewerkschaften sich gegen diese organisationshindernde, "gefährliche", "lähmende", "destruktive" Idee energisch zur Wehr setzen,[694] und daß sie nicht nur die Ausbreitung der Generalstreikidee möglichst zu hindern suchen,[695] sondern auch die Diskussion des den Organisationen eigentlich ungefährlichen politischen Massenstreiks[696] möglichst einzuschränken trachten, weil sich mit dem politischen Massenstreik leicht auch der Generalstreik einschleichen könnte.[697] [Fußnote 687: So bezüglich der französischen Gewerkschaften _Legien_, "In Köln am Rhein", p. 378; _Hue_, "Partei und Gewerkschaft"; Rdsch. Soz. Mh. Okt. u. Dez. 05, p. 911, 1067.] [Fußnote 688: Vgl. v. _Gerlach_, "Maifeier und Massenstreik"; _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 217).] [Fußnote 689: _Legien_, Prot. Parteitg. Dresden 03.] [Fußnote 690: Vgl. _Labriola_, a. a. O., p. 211; auch _Friedeberg_, a. a. O., setzt starke Organisation voraus.] [Fußnote 691: Vgl. _Briand_, Prot. int. Kongr. Paris 1900, p. 32.] [Fußnote 692: Vgl. _Louis_, p. 308.] [Fußnote 693: Vgl. _Friedeberg_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 26); ähnl. _Pouget_, "Die Gewerkschaft", p. 18. Vgl. bezgl. der französ. Landarbeiterorganisationen P. _Groß_, "Die Weinkrise und die Landarbeitergewerkschaften im Languedoc".] [Fußnote 694: Korrespondenzblatt der Generalkommission... usw. (Citate in der Allg. Ztg. 19./4. 02, und in der Soz. Praxis XV. Nr. 2, Sp. 38); _Leimpeters_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05); ders. "Die sozialdemokratische Partei u. d. Gewerkschaften". -- _Hue_, p. 292; _Bernstein_, "Pol. Massenstreik u. pol. Lage", p. 10.] [Fußnote 695: Auf der 3. internationalen Konferenz der Sekretäre der Landesgewerkschaftsorganisationen am 9. und 10. Juli 03 in Dublin schlugen die französischen Gewerkschaftsvertreter vor, den andern Ländern die Taktik und die Prinzipien der französischen Arbeitersyndikate zur Kenntnis zu bringen. Die deutsche Gewerkschaftspresse nahm von dem entsprechenden Bericht der Conféd. gén. du Travail keine Notiz, nur die anarchistische "_Wahrheit_" publizierte ihn (unter dem Titel "Antimilitarismus und Generalstreik" als Beilage zu Nr. 11).] [Fußnote 696: v. _Elm_, Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 226.] [Fußnote 697: Vgl. _Bernstein_, "Die Generalstreikgewerkschaft", p. 642; _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 221); _Rob. Schmidt_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 27). Die Zustimmung zum pol. M-str. wird leicht als Konzession an den Anarchismus aufgefaßt (vgl. die "_Einigkeit_" 1905, Nr. 41).] Umgekehrt wird durch die Schwäche der Gewerkschaft auch die Generalstreiktendenz gestärkt. Je weniger eine Gewerkschaft auf reale Erfolge, auf zahlenmäßige Machtbeweise hindeuten kann, um so eher wird sie auf ein so einfaches und unter Umständen auch zugkräftiges Propagandamittel verfallen, um so weniger riskiert sie bei dessen Gebrauch.[698] [Fußnote 698: Die belgischen Gewerkschaften sollen sich seinerzeit um so bereitwilliger am Kl-str. beteiligt haben, als sie nicht durch "übermäßig gefüllte Kassen in ihrer Bewegungsfreiheit gehemmt" gewesen seien (_Kautsky_, "Maifeier und Generalstreik"). Das vielgeschmähte Ruhebedürfnis der deutschen Gewerkschaften, womit sie in Köln ihre Ablehnung des Kl-streiks motivierten (vgl. _Bömelburg_, Prot. p. 221), ist ein Beweis dafür, daß sie bereits etwas zu verlieren haben (so _Katz_, "Der politische Massenstreik"). Über die Behandlung des Kl-str.-Problems vom rein finanziellen Standpunkt aus, über die gewerkschaftliche "Versumpfung", klagen z.B. v. _Elm_ ("Rückblick auf den 5. deutschen Gewerkschaftskongreß", p. 568), _Kautsky_, ("Der Kongreß in Köln"), _Geithner_, ("Zur Taktik der Sozialdemokratie"), _Lensch_ ("Die Idylle im Sumpf"); vgl. auch _Braun_, "Der Kölner Gewerkschaftskongress". Die Annahme, die finanziellen Fortschritte der Gewerkschaften hätten die Generalstreikströmungen gestärkt (so _Düwell_, p. 248 ff.), ist also wohl zurückzuweisen.] Auch _zwischen der gewerkschaftlichen Organisationsform und der Generalstreikpropaganda_ dürften _Wechselwirkungen_ bestehen. Einerseits stärkt die Generalstreikidee das Gefühl der individuellen Selbstherrlichkeit. Sie vermag daher im hohem Grade die "Sonderbündelei"[699] zu fördern. Andererseits bietet die föderalistische Organisationsform den günstigsten Boden für die Generalstreikpropaganda, da aparte und extravagante Ideen in lokalen Gruppen (bourse du travail, camera di lavoro usw.) überhaupt leicht Eingang finden. In einer zentralistischen Organisation hingegen werden neu auftauchende Tendenzen erst durch mehrere Instanzen durchgesiebt, wobei der persönliche Nimbus der neuen Propheten erheblich abgeblendet und eine kritische Beurteilung unter Berücksichtigung der allgemeinen Verhältnisse[700] ermöglicht wird. Die Argumente "fortschrittshungriger Ungeduld"[701] verlieren um so mehr an Überzeugungskraft, je umfangreicher die Verbände sind, je weiter also der Blick, je größer das Verantwortlichkeitsgefühl ihrer Leiter. [Fußnote 699: Vgl. _Kautsky_, "Der Bremer Parteitag", p. 8, 9.] [Fußnote 700: Vgl. _Legien_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 241 ff.] [Fußnote 701: _Hue_, "Partei und Gewerkschaft".] 5. Auch die _Stellungnahme der Frauen_ wird als ein wichtiger allgemeiner Faktor des Klassenstreikentschlusses angesehen. Gewiß könnte die Aufforderung zum Streik seitens ihrer Frauen den Arbeitern eine moralische Unterstützung gewähren.[702] Im allgemeinen aber ist die Teilnahme der Proletarierinnen an den Klassenfragen noch so gering, daß dieser weiblichen Förderung des Streikentschlusses vorläufig keine erhebliche Bedeutung beigemessen werden kann. Wahrscheinlicher ist es, daß die Frauen, wegen der voraussichtlichen wirtschaftlichen Folgen des Ausstandes, eher ein retardierendes Element bilden. [Fußnote 702: Vgl. _Glas_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 88); ähnl. _Nieuwenhuis_ (Prot. Int. Kongr. Zürich 1893, p. 23 ff.). Vereinzelt kam diese Unterstützung wohl auch schon vor; so billigten z.B. in Rotterdam (1903) die Frauen ausdrücklich den Streikbeschluß der Männer (vgl. Allg. Ztg. 7./4. 03).] Die allgemeine Disposition zum Klassenstreik läßt sich übrigens noch durch spezielle, _künstliche Faktoren_ vergrößern.[703] Als solche erscheinen zunächst alle Bemühungen, die im allgemeinen der Förderung näherer und fernerer Ziele des Proletariats dienen,[704] außerdem aber auch die Mittel _spezieller Vorbereitung_ des Klassenstreiks: Propaganda und Agitation. [Fußnote 703: Nach _Louis_ (a. a. O. p. 298) soll überhaupt einzig die Form der Vorbereitung einen Anlaß zu Kontroversen in der gesamten Frage des Klassenstreiks bieten. (?!)] [Fußnote 704: Man wünscht als allgemeine Vorbereitung auf den pol. M-str.-Entschluß gewerkschaftliche Organisation in zentralistischen Verbänden (so _Bebel_, Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 227 ff.; _Bömelburg_, Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 222; _Hue_, a. a. O.; _Ledebour_, Prot. Parteitg. Dresden 03, p. 433; v. _Elm_, a. a. O.; _Legien_, "In Köln am Rhein"; _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 22; _Ströbel_, Vortrag über den pol. M.str. in einer Steinarbeiterversammlung in Berlin am 12. Nov. 05 [Vorwärts, 14. Nov. 05, 1. Beilage]), genossenschaftliche und politische Organisation, Aufklärung usw. (so _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik", p. 391; _Zietz_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 326, und viele andere). Als allgemeine Vorbereitung auf den Generalstreik-Entschluß wird bes. föderalistische Gewerkschaftsorganisation, Förderung des revolutionären Bewußtseins, theoretische (anarchistische) Ausbildung, "Erhöhung der Persönlichkeit jedes einzelnen" (_Friedeberg_, Prot. int. Kongr. Amsterdam 05, p. 26), sowie die Pflege der direkten Aktion, des Internationalismus und Antimilitarismus (vgl. "_Weckruf_", 28. Mai, "Der Generalstreik"; E. Th., "Der Parteitag von Jena und der Generalstreik" ["Einigkeit", 9. Dez. 05]; _Dejeante_, Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 28; _Quatrehomme_, Enquête sur l'idée de patrie et la classe ouvrière, p. 337); _Sironi_, Ernesto, "La Patria" e l'Antimilitarismo, Inchiesta... usw., p. 387, gefordert.] 1. Die _Propaganda_ betrachtet es als ihre Aufgabe, die Arbeiter mit dem Klassenstreik "gedanklich vertraut" zu machen, damit sie "allen Eventualitäten gewachsen" seien[705] und im entscheidenden Moment auch wüßten, was sie zu tun hätten.[706] Der Propaganda pflegt im allgemeinen die Diskussion vorauszugehen, die Aussprache über die Arten, Möglichkeiten und Aussichten des Klassenstreiks. Wie berechtigt akademische Erörterungen an sich auch sein mögen, so gefährlich kann ihre Häufigkeit innerhalb der praktischen Tagespolitik, kann der "Sport" mit dieser Idee, kann das "Spielen mit dem Feuer" werden.[707] Nicht etwa, weil durch "fortwährendes Reden darüber" der Gedanke des Klassenstreiks "lächerlich" gemacht und "verflacht"[708] würde, oder weil die Gegner dabei hinter die Pläne der Arbeiter kommen könnten,[709] sondern weil die darin enthaltenen meist noch ungeklärten, zu optimistischen Anschauungen nur allzuleicht trügerische Hoffnungen in den Arbeitern wecken,[710] weil die Arbeiter nur allzuleicht Untersuchung mit Empfehlung verwechseln, weil sich "aus der Gewohnheit, über eine Sache zu reden und reden zu hören, die Lust entwickeln" könnte, "sie einmal anzuwenden, ohne daß immer vorher die Tragweite davon gründlich geprüft worden wäre".[711] [Fußnote 705: _Kautsky_, "Maifeier und Generalstreik"; ders. "Der Parteitag in Jena".] [Fußnote 706: Vgl. _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; ders. "Ist der politische Massenstreik in Deutschland möglich?"; v. _Elm_, a. a. O. und Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 226; _Timm_, ebenda p. 222, 223; _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 738, 739; _Pouget_, "Die Gewerkschaft", p. 25 ff.; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 194, 196. -- _Bebel_ (Prot. Parteitg. Jena 05 p. 299) nimmt an, die Massen könnten sich für eine solche Maßregel nur nach erfolgter Orientierung über Wirkung und Zweck begeistern.] [Fußnote 707: _Leimpeters_, "Zum Generalstreik"; _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 22, und andere ähnlich.] [Fußnote 708: v. _Elm_, "Massenstreik, Sozialdemokratie und Genossenschaftsbewegung", p. 735; ders. "Partei und Gewerkschaft".] [Fußnote 709: Vgl. Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 195,196; _Hue_, "Partei und Gewerkschaft", p. 292; _Olberg_ ("Der italienische Generalstreik") meint, der Gedanke sei "nicht so zart, daß er durch die Diskussion abgegriffen würde", und die Redner des Proletariats seien "nicht so dumm", ihre "Betriebsgeheimnisse" auszuplaudern. -- Freilich können die Gegner aber in der bloßen Diskussion schon eine Drohung erblicken und mit entsprechenden Gegenmaßregeln antworten (vgl. _Heine_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 316).] [Fußnote 710: _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"] [Fußnote 711: _Heine_, a. a. O. p. 754. _Kolb_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 263, 264) fürchtet, die Arbeiter könnten sich in einem ungünstigen Moment zum Streik provozieren lassen.] 2. Die _Agitation_ betrachtet es nicht als ihre Aufgabe, das Thema zu klären oder die gewonnenen Einsichten zu verbreiten, sondern die Arbeiter nachdrücklich zum Handeln aufzufordern. Teils geschieht dies _generell_: durch die Anweisung, _jede_ Gelegenheit zum Streik zu ergreifen und _jeden_ Streik zum Klassenstreik zu erweitern (Praxis der Anarchisten); teils _speziell_: durch planmäßige Bearbeitung der Massen bei einem sich bietenden äußern Anlaß (wie in Schweden usw.), wobei es wesentlich darauf ankommt, der Bewegung ein geeignetes, nämlich ein bestimmtes, einheitliches und einleuchtendes Ziel zu geben.[712] [Fußnote 712: Je mehr Ziele zugleich auftreten, um so wahrscheinlicher ein Scheitern der Bewegung. Durch eine Verkoppelung der Wahlrechtsforderung mit dem Achtstunden-Postulat suchten seinerzeit die österr. Sozialisten die Beteiligung der Bergwerksarbeiter am geplanten Wahlrechtsstreik zu sichern, gaben aber, mit Rücksicht auf die allzu verschiedene Entwickelung der einzelnen Industrien und auf die allzu verschiedenen Erfordernisse eines ökonomischen und eines politischen Streiks, den Gedanken wieder auf (vgl. Prot. Parteitg. Wien 1894, _Krejci_, p. 55; _Hueber_, p. 58; _Reumann_, p. 62). -- _Jaurès_ ("Aus Theorie und Praxis") warf den französischen Syndikalisten vor, daß sie die Arbeiter, die für so unbestimmte Forderungen, wie "Kommunismus", nicht in den Streik treten würden, durch vorgeschobene Augenblicksziele in einen Generalstreik verlocken und diesem dann eine revolutionäre Wendung geben möchten.] Eine gewisse künstliche Förderung kann der Streikentschluß übrigens auch durch die Gegner erfahren;[713] doch spielt dies keine große Rolle. [Fußnote 713: So sollen beim Lancashire-Streik 1842 die Unternehmer die Hände im Spiel gehabt haben. Beim ital. Eisenbahnerstreik 1905 sollen die Eisenbahngesellschaften hinter der Szene die Streiktendenzen gefördert haben, um die Verstaatlichung zu hindern (vgl. Soz. Prx. 14. Jahrg. Nr. 30; "Die Hilfe", 1905, Nr. 16. p. 2, polit. Notiz).] Welchen unter den zahlreichen Faktoren kommt nun _ausschlaggebende Bedeutung_ zu? Die Möglichkeit unvorbereiteter Ausbrüche, wie die Vergeblichkeit künstlicher Inszenierungsversuche beweisen, daß die eigentlichen Triebfedern auf den _gegebenen_ Bedingungen, den _allgemeinen Verhältnissen_ beruhen. Haben doch überhaupt die großen Streiks "mehr den Charakter von Naturereignissen, als von bestimmten menschlichen Handlungen", weniger den "eines gewollten Mittels zu bestimmtem Zwecke, als den der unmittelbar gewollten Demonstration".[714] Sind sie aber in erster Linie "von der Entwicklung der Verhältnisse"[715] abhängig, so läßt sich eine wirksame Förderung oder Hinderung des Streikentschlusses allein von einer Beeinflussung dieser Verhältnisse erwarten. [Fußnote 714: "Sie entspringen den Stimmungen der Masse, zuweilen dem Druck der Not und Entbehrung, öfter dem allmählich angehäuften Unwillen, verletztem Ehrgefühl, sittlicher Entrüstung". (_Tönnies_, Über den Ruhrstreik 1905, "Freies Wort", IV, p. 894).] [Fußnote 715: Vgl. _Legien_, "In Köln am Rhein"; _Leimpeters_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 223); v. _Elm_, "Die Gewerkschaftsdebatte auf dem Mannheimer Parteitag".] Aber der Streikentschluß ist doch _nicht ausschließlich_ vom historischen Moment,[716] von der _geschichtlichen Notwendigkeit_[717] abhängig. Der Effekt der gegebenen Bedingungen kann in gewissen Grenzen durch die _künstlichen Faktoren_ modifiziert werden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Klassenstreik um so eher losbricht, je stärker die Arbeiter daraufhin bearbeitet worden sind, und um so schwerer, je mehr man sie durch spezielle Bemühungen am Streik zu hindern sucht. Natürlich läßt er sich um so leichter heraufbeschwören, je stärker die allgemeinen Umstände das Proletariat zum Massenstreik disponieren, und um so schwerer, je weniger die Arbeiter dazu neigen. Den größten Hindernissen begegnet die künstliche Streikförderung, wenn es sich, ceteris paribus, um den überlegten Streikentschluß handelt, weil hierbei, gerade infolge der Überlegung, auch die Hemmungsvorstellungen besonders deutlich ins Bewußtsein treten müssen. [Fußnote 716: _Legien_ (Prot. Parteitg. Mannheim 06, p. 241 ff.).] [Fußnote 717: _Luxemburg_, Vortrag über den pol. M-str. in einer von den sozialdemokratischen Frauen einberufenen Volksversammlung am 6. Dez. (vgl. Vorwärts, 2. Beilage, 8./12. 05).] Bei der relativ geringen Bedeutung der künstlichen Faktoren erscheint deren _Beeinflussung_ zwecks Förderung oder Hinderung des Streikentschlusses wenig verheißungsvoll. Ganz besonders _wertlos_ aber erscheinen von diesem Gesichtspunkt aus alle Bestrebungen, die Taktik des Proletariats von vornherein festzulegen und den Klassenstreik als Folge bestimmter Ereignisse vorauszuverkünden.[718] Hängt doch der Ausbruch des Klassenstreiks an tausend Imponderabilien, deren Gruppierungen sich kaum für wenige Tage voraussehen lassen. [Fußnote 718: Nichts sei verkehrter, als "eine große Aktion beschließen, für die das Angriffsobjekt noch fehlt" (_Bebel_, "Der Bremer Parteitg."; ders., Prot. Parteitg. Jena 05, p. 336). --Vgl. auch _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 738; _Bömelburg_ (Prot. Parteitg. Jena, p. 227, 333; Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 219); v. _Elm_, "Die Revisionisten an der Arbeit", p. 29; _Zetkin_ (vgl. Vorwärts, 23. Aug. 05).] § 22. Bedingungen der Durchführung des Klassenstreiks. 1. Die Durchführung eines Klassenstreiks hängt in erster Linie vom _Ausharrungsvermögen der Arbeiter_ ab, und dieses selbst wird zunächst durch das Maß _materieller Mittel_, über die das Proletariat verfügen kann, bedingt.[719] Denn beim Klassenstreik leidet ja das Proletariat nicht nur unter dem normalerweise eintretenden Lohnausfall, sondern, als Teil des sozialen Körpers, auch unter dem durch den Streik herbeigeführten allgemeinen gesellschaftlichen Druck (Lebensmittelknappheit, Preissteigerung usw.), der auf ihm, als der wirtschaftlich-schwächsten Klasse, am schwersten lasten muß.[720] Wie sehr die Arbeiter auch an Entbehrungen gewöhnt sein mögen, sie können denn doch nicht, wie Bebel meint, einfach "ein paar Wochen hungern";[721]; würden doch auch Frauen und Kinder in Mitleidenschaft gezogen werden. Vor dem _Hunger_ verblassen alle noch so leuchtenden Ziele,[722] alle noch so heiligen Vorsätze, und das Proletariat hat dann nur die Wahl zwischen Stürmung der Lebensmittelmagazine, also Hungerrevolte,[723] und Kapitulation.[724] Der Rückzug kann entweder gemeinsam und in guter Ordnung stattfinden oder in zerstreuten Trupps. Dann versandet die Bewegung, und die letzten, die am längsten ausharren, müssen die Zeche bezahlen.[725] [Fußnote 719: Über die Bedeutung der materiellen Mittel für den Kl-str. sind sich Vertreter aller Richtungen einig; vgl. die Resolutionen über Generalstreiks und über politische M-streiks, z.B. von den internationalen Kongressen in Zürich (p. 53), Amsterdam (p. 24 ff.); ferner _Legien_ (Prot. int. Kongr. Paris 1900 p. 31 ff.); Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 196; _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 30; Prot. Gwft. Kongr. Köln 05; Prot. Parteitg. Wien 05, p. 68, 69; v. _Elm_, "Massenstreik, Sozialdemokratie und Genossenschaftsbewegung", p. 734; ders., Prot. Parteitg. Jena 05, p. 331; _Grimm_, "Der politische Massenstreik"; _Branting_, "Die Generalstreikprobe in Schweden", p. 421; _Gorter_, "Der Massenstreik der Eisenbahner in Holland", p. 656; _Parvus_, "Staatsstreich und politischer Massenstreik"; _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31, 32; ders., "Weltansch."] [Fußnote 720: Vgl. _Turati_, "Lehren und Folgen des Generalstreiks in Italien", p. 866, 867; _Vliegen_, "Der zehnte Parteitag der niederländischen Sozialdemokratie"; ders., "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 196, 197; _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"; _Kolb_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 209; _Axel Hirsch_, p. 197; _Grosch_, "Der Generalstreik", p. 15 ff.; _Leimpeters_, "Zum Generalstreik", p. 883; ders., Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 223; _Cohnstaedt_, "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie", p. 749; _Eckstein_, p. 358, 359; _Düwell_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 252, 253; _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 689. -- Anderer Ansicht sind z.B. _Louis_, p. 301 ff., und _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 28, 29.] [Fußnote 721: Vgl. _Bebel_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 305; ähnl. ebenda _Zietz_, p. 319, und v. _Elm_, p. 331.] [Fußnote 722: Vgl. hierüber z.B. _Rob. Schmidt_ und _David_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 319, 328).] [Fußnote 723: Vgl. _Leimpeters_, "Zum Generalstreik"; _Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht"; _David_, "Die Eroberung der politischen Macht", III; _Düwell_, p. 248 ff.; _Grosch_, p. 16, 17.] [Fußnote 724: Vgl. z.B. Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 153 ff.] [Fußnote 725: Vgl. _David_, "Rückblick auf Jena".] Zur Verhütung solcher Ausgänge sind natürlich um so größere Mittel erforderlich, je mehr der Streik sich zeitlich und räumlich ausdehnt; aber je mehr er sich ausdehnt, um so schwerer wird auch die Beschaffung dieser Mittel, um so weniger genügen die Gewerkschaftskassen,[726] um so geringer fällt der Zuschuß aus, den die Nichtstreikenden gewähren können. Der Klassenstreik wird also im allgemeinen hinter der Dauer eines gewöhnlichen Streiks zurückbleiben müssen.[727] Unter den heutigen Umständen dürften die Vorräte der Arbeiter und der ihnen kreditierenden Kleinhändler sogar schon nach einer Woche erschöpft sein.[728] [Fußnote 726: Vgl. z.B. _Grosch_.] [Fußnote 727: Vgl. _Reumann_, Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 62; _Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne"; _Eckstein_, p. 358. Die Behauptung, der Klassenstreik werde die Regierung noch vor Erschöpfung der Arbeitervorräte zum Nachgeben zwingen (vgl. _Zietz_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 326), ist unbegründet.] [Fußnote 728: Vgl. _Leimpeters_, p. 883. "Die deutsche Arbeiterschaft ist nicht einmal im stande gewesen, 200 000 Bergleute auf einige Wochen mit Brot und Kartoffeln zu versorgen; wie soll das erst werden, wenn Millionen in Frage kommen?" ("Korrespondent" der Buchdrucker, cit. in der N. Z. Z.)] Daher sind denn auch eine Reihe von Plänen zur Lösung des _Hungerproblems_ aufgetaucht. Der Vorschlag einiger Chartisten, jede Arbeiterfamilie sollte sich vor Ausbruch des Streiks einen Sack mit Lebensmitteln anschaffen, aus dem sie gewiß ihre bescheidenen Bedürfnisse einen Monat lang befriedigen könnte, indes die verwöhnten Reichen bald kapitulieren müßten,[729] war ebenso rührend-naiv, wie undurchführbar. -- Die Schaffung eines einigermaßen genügenden Streikfonds[730] setzt eine vorläufig unerreichbare Stärke des Gewerkschaftswesens voraus. --Verproviantierungsschwierigkeiten wären beim parzellierten Klassenstreik allerdings geringer,[731] doch könnten die Unternehmer diese Vorteile durch Aussperrungen illusorisch machen. -- Die Unterstützung durch ausländische Arbeiter blieb bisher stets in bescheidenen Grenzen, kann die materielle Lage also auch nicht wesentlich verbessern. -- Durch weitgehende Ausbildung des Genossenschaftswesens ließe sich noch am ehesten eine mehrwöchentliche, wenn auch bescheidenste Ernährung großer Arbeitermassen aufrecht erhalten;[732] übrigens könnten sich die andern Klassen ebenfalls und vermutlich reichlicher vorsehen, und vielleicht würde der Staat im Interesse der Öffentlichkeit "die proletarischen Magazine beschlagnahmen und zum allgemeinen Wohle verwenden".[733] Immerhin wäre durch die genossenschaftliche Entwicklung die Möglichkeit einer starken Ausdehnung der Streiks näher gerückt. Eine materielle Unterstützung durch andere Klassen (Bezahlung der Streiktage durch die Unternehmer, Sammlungen im großen Publikum usw.) wird immer zu den Ausnahmen gehören, pflegt auch keine bedeutenden Dimensionen anzunehmen. -- Der einzige radikale Plan zur Vermeidung der Hungergefahr, nämlich die selbständige Organisation der proletarischen Produktion, oder auch Konsumtion,[734] ist im kapitalistischen Staat unausführbar. [Fußnote 729: Vgl. Henri _Quelch_, Enquête, p. 185.] [Fußnote 730: Vorgeschlagen von _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 104 ff.; _Kampffmeyer_ a. a. O.; vgl. auch Friedrich _Naumann_, "Innere Wandlungen der Sozialdemokratie".] [Fußnote 731: Das Proletariat versetze hierbei "die Gesellschaft in einen Zustand ununterbrochener Unruhe, ohne seine eigenen Kräfte völlig aufzureiben" (_Roland-Holst_, "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 215). Die Arbeiter können ihre Kräfte "jeweilig an solchen Punkten konzentrieren, wo sich ihnen besonders günstige Chancen bieten" (v. _Reiswitz_, a. a. O., p. 83) und die Arbeitenden können die Streikenden immer wieder unterstützen (vgl. bezgl. Marseille die Allg. Ztg. 11./9. 04).] [Fußnote 732: Vgl. v. _Elm_, a. a. O.; _David_, "Rückblick auf Jena"; ders., Prot. Parteitg. Jena 05, p. 328; _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 104 ff.] [Fußnote 733: _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 196.] [Fußnote 734: Vgl. _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31, 32.] Aber das Ausharrungsvermögen des Proletariats hängt nicht nur von seinen materiellen Mitteln, sondern in hohem Maße auch von seinen _moralischen Qualitäten_ ab. Denn mit Zahl und Erregung der Ausständigen wächst die Schwierigkeit, Ruhe und Ordnung zu bewahren, mehren sich die Gelegenheiten zu Zusammenstößen und Ausschreitungen. Die gewaltsame Form des Klassenstreiks führt natürlich ohne weiteres zu revolutionären Auftritten.[735] Aber auch bei einem ganz friedlich beabsichtigten Klassenstreik sind blutige Konflikte auf die Dauer fast unvermeidlich, und zwar nicht nur infolge der physischen Notlage (erhöhte Reizbarkeit der Hungernden), sondern auch deshalb, weil hierbei die üblichen Zusammenstöße mit Arbeitswilligen[736] durch die Klassenleidenschaften verschärft werden; weil ferner in Momenten allgemeiner Aufregung das sogenannte Lumpenproletariat, "alle Schranken der Gesetzlichkeit" durchbrechend, "auf der Bildfläche erscheint";[737] weil auch in solchen Zeiten gewalttätige Fanatiker am leichtesten Einfluß gewinnen, denn "innerhalb einer sich sinnlich berührenden Menschenmenge... gehen unzählige Suggestionen und nervöse Beeinflussungen hin und her, die dem einzelnen die Ruhe und Selbständigkeit des Überlegens und des Handelns rauben, so daß die flüchtigsten Anregungen innerhalb einer Menge oft lawinenartig zu den unverhältnismäßigsten Impulsivitäten anschwellen und die höheren, differenzierten, kritischen Funktionen wie ausgeschaltet sind";[738] weil endlich jeder Schritt der öffentlichen Gewalt, wie Verhaftungen von Arbeiterführern, ja auch die bloße Verschärfung der staatlichen Sicherheitsmaßregeln, von den gereizten Massen schon wie eine Provokation empfunden und beantwortet werden kann. Die Gefahr liegt also äußerst nahe, daß der Klassenstreik, die Revolution der "gekreuzten Arme", die Revolution "im Sonntagsanzug", "mit den Händen in den Hosentaschen", zu ernstlichen Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht, daß sie zur Straßenschlacht führe.[739] Dann aber ist die Niederlage des Proletariats so gut wie gewiß. Zwar läßt sich nicht in Abrede stellen, daß die Bedeutung der Armee durch den Streik selbst ausnahmsweise etwas gemindert werden kann:[740] wenn sich dieser nämlich wirklich bis in die entlegensten Flecken erstrecken, wenn er eine so "ungeheure Ausdehnung" erreichen[741] sollte, daß die Armee nicht groß genug wäre, um allerorten einzugreifen; oder wenn zudem den Soldaten wirklich ein richtiger Angriffspunkt, ein greifbarer Widerstand[742] fehlte, und wenn sie sich infolge bloßen Überwachungsdienstes gedrückt, ermüdet, unsicher fühlen würden.[743] Trotzdem aber ist auch beim Klassenstreik "die moderne Armee einem revoltierenden Volkshaufen stets weit überlegen".[744] [Fußnote 735: _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 11; ders., "Der Streik als politisches Kampfmittel". -- Ebenso würde der Militärstr., der übrigens von den Sozialisten fast durchweg abgelehnt wird (vgl. z.B. _Plechanoff_, _Adler_, _Liebknecht_ auf dem int. Kongr. Zürich, Prot. p. 20 ff.), sofort blutige Zusammenstöße veranlassen.] [Fußnote 736: Vgl. _Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne"; _Turati_, a. a. O. Auch _Bernstein_ ("Ist der politische Streik in Deutschland möglich?") gibt zu, daß es nicht "ohne jedes Opfer", nicht ohne "etwas Schrammen" abgehen werde.] [Fußnote 737: _Eckstein_; _Turati_. Dies war z.B. beim belgischen und beim ital. Klassenstreik der Fall (vgl. N. Z. Z. 6./4. 02; Rdsch. Soz. Mh. Mai 1902, p. 392).] [Fußnote 738: _Simmel_, "Soziologie der Über- und Unterordnung", p. 518 ff.] [Fußnote 739: Vgl. _Lusnia_, "Unbewaffnete Revolution?", p. 564 ff.; _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05); ähnl. auch _Deville_ (cit. bei _Weill_, p. 405), _Leimpeters_, p. 881, _Legien_, v. _Elm_ (Prot. Parteitg. Jena 05 p. 322), und zur Zeit des Chartismus z.B. _Stephens_ (vgl. _Tildsley_, p. 47, 48).] [Fußnote 740: Der Kl-str. könne "affaiblir l'armée entre les mains de la classe capitaliste" (_Briand_, "La grève générale et la révolution", p. 9 ff.).] [Fußnote 741: "Antimilitarismus und Generalstreik", Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_", p. 11 ff. Der Streik müsse allgemein sein, um die Kräfte des Gegners zu zersplittern, fordert z.B. _Parvus_, a. a. O.; vgl. ferner _Adler_, _Resel_ (Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 70 ff.); _Roland-Holst_, p. 88 ff.] [Fußnote 742: Vgl. _Briand_, "La grève générale et la révolution", p. 9 ff.] [Fußnote 743: Die Armee sei "insuffisante pour faire face à un pareil danger" (_Briand_. p. 9 ff.), sei in solchen Fällen "zur Ohnmacht verurteilt" (so "Antimilitarismus und Generalstreik", a. a. O.; ähnl. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 694, 695). Durch häufige persönliche Berührungen zwischen Streikenden und Soldaten kann natürlich in letzteren das Gefühl der Interessengemeinschaft geweckt werden (_Parvus_, a. a. O.); doch ist es unwahrscheinlich, daß dies bei den heutigen militärischen Verhältnissen zu einer ernstlichen "Zersetzung der militärischen Disziplin" (_Roland-Holst_, "Der politische Massenstreik in der russischen Revolution", p. 220 ff.) führen kann; die Disziplin müßte denn schon vorher sehr gelockert gewesen sein. Für Deutschland scheint dies völlig ausgeschlossen. Übrigens hat weder die Unzuverlässigkeit der belgischen Truppen (vgl. N. Z. Z. 26./3. 1893, Allg. Ztg. 3./5. 93), noch die des russischen Heeres die Ausständigen vor blutigen Zusammenstößen bewahrt.] [Fußnote 744: _Eckstein_, p. 362; ähnl. _David_.] Sofern freilich das Heer zu den Streikenden hielte, wären alle blutigen Zusammenstöße natürlich von vornherein ausgeschlossen. Daher die Bemühungen um Einführung des Milizsystems; daher die Versuche, durch allgemeine sozialistische, wie auch durch spezielle antimilitaristische[745] Propaganda einen Einfluß auf das Heer auszuüben.[746] [Fußnote 745: Vgl. "_Weckruf_", 28. Mai 04; _Dejeante_ (Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 28); _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 29 ff.; "Antimilitarismus und Generalstreik", a. a. O.] [Fußnote 746: v. _Elm_, "Rückblick auf den 5. deutschen Gewerkschaftskongress"; _Friedeberg_ a. a. O. Die Ansicht, das Milizsystem biete den Arbeitern beim Kl-str. größere Vorteile, wird z.B. durch die Schweiz. Streikerfahrungen widerlegt -- 1902 forderten die sozialistischen Frauen in Brüssel das Militär direkt in einem Manifest auf, nicht auf das Volk zu schießen, aber mit geringem Erfolg (vgl. N. Z. Z. April 1902).] Ein weniger radikales, aber praktisch nicht ganz aussichtsloses Schutzmittel (das aber keineswegs die Verhütung aller und jeder Konflikte gewährleistet),[747] besteht in der Beeinflussung der Arbeiter selbst: vor allem allgemeine Erziehung und Disziplinierung der Massen,[748] dann aber auch spezielle _Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Ordnung_ während des Streiks: wie Einrichtung eines Sicherheitsdienstes,[749] Ermahnungen einflußreicher Führer zur Ruhe und Ordnung,[750] Vorkehrungen gegen den in solchen Zeiten ganz besonders verderblichen Alkoholgenuß[751] usw. Hingegen möchte sich die vorherige Aufstellung eines detaillierten Streikplans wegen der Unberechenbarkeit der Verhältnisse als zwecklos erweisen.[752] --Natürlich kann auch durch ausnahmsweise Unterstützung aus anderen Gesellschaftskreisen die moralische Widerstandskraft der Streikenden gehoben werden.[753] [Fußnote 747: _Bernstein_, "Der Kampf in Belgien und der politische Massenstreik"; ders., "Der politische Massenstreik und der Staatsanwalt".] [Fußnote 748: Dies fordert z.B. die Amsterdamer Generalstreikresolution (Prot. p. 24 ff.); ebenso _Zietz_, (Prot. Parteitag Jena 1905 p. 326); _Bernstein_, a. a. O., und viele andere, auch _Roland-Holst_ ("G-str. u. Sozd."; doch fordert sie [p. 119] andererseits eine solche Erregung, daß die proletarische Disziplin durchbrochen werde). Es wird eine möglichst umfassende Organisation und Vorbereitung des Proletariats verlangt, Schulung im täglichen Kampf, sodaß die Möglichkeit des Zusammenhalts und der Ordnung auch nach Gefangennahme der gewohnten Führer bestehen bleibe, Einheitlichkeit der Leitung, wobei es irrelevant sei, ob Partei oder Gewerkschaft die Führung übernehmen, sofern sie sich nur gegenseitig in die Hände arbeiten (vgl. _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel"; _Umrath_, p. 19, 20; _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 689 ff., 732, 733; ders., "Maifeier und Generalstreik"; _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 23; _Jaurès_, "Grève et Révolution"; _Roland-Holst_, p. 107 ff.; _Friedeberg_ a. a. O.).] [Fußnote 749: Es wurde 1904 in Mailand eine Art Arbeiterpolizei eingerichtet (vgl. _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 22). Beim polit. Streik in Russisch-Polen verlangte das Arbeiterkomitee von Zawiercie in einem Manifest: Ruhe, Würde und Charakterfestigkeit, und es drohte, bei Diebstahl, Raub und Schlägerei gegen die Schuldigen einzuschreiten (vgl. Dokumente des Sozialismus, V. 9).] [Fußnote 750: "Es müssen die Männer, die bei der Masse Autorität haben, mögen sie den Streik billigen oder nicht, persönlich ihren ganzen Einfluß aufwenden", um ihn in gesitteten Grenzen zu halten (_Turati_, "Lehren und Folgen des Generalstreiks in Italien").] [Fußnote 751: Schon der Chartistenkonvent fragte in einem Manifest, ob das Volk bereit sei, während des heiligen Monats vom Genuß geistiger Getränke abzustehen (vgl. _Tildsley_, p. 46). Beim belgischen Streik warnten die Führer vor dem Alkoholgenuß (vgl. "Allg. Ztg." 16./4. 02; _Destrée und Vandervelde_, p. 259), der Branntweinausschank wurde eingeschränkt (_Destrée und Vandervelde_, p. 259): "à Verviers, les cabaretiers socialistes ne débitèrent point de genièvre (Wachholderbranntwein) pendant le temps de la grève; un peu partout, on remarqua la diminution de l'ivroguerie". Beim schwedischen Streik waren die Ausschankstellen für geistige Getränke überhaupt geschlossen (N. Z. Z. 16./5. 02). Das Komitee von Zawiercie (a. a. O.) bedrohte Betrunkene mit 20 Schlägen. In Italien forderte 1904 die Arbeitskammer von Sampierdarena die Verkäufer alkoholischer Getränke zur Einstellung des Verkaufs derselben während der Streikdauer auf (_Olberg_, a. a. O.).] [Fußnote 752: Vgl. _Leimpeters_, "Die Taktik des Bergarbeiterverbandes" p. 488; ders. "Zum Generalstreik", p. 884.] [Fußnote 753: Dies soll beim 1. belgischen Wahlrechtsstreik der Fall gewesen sein, desgl. in Rußland 1905; ähnl. auch beim Ruhrstreik.] Das Ausharrungsvermögen des Proletariats ist also von der Größe seiner eigenen materiellen und geistigen Vorräte, plus event. Unterstützung aus bürgerlichen Kreisen abhängig. Die tatsächliche Inanspruchnahme dieser Mittel wird um so größer, die Differenz zwischen proletarischer Opferfähigkeit und Opferwilligkeit um so geringer, die Durchführung des Streiks um so konsequenter sein, je lebhafter das Proletariat seine konkrete Forderung als gerecht und notwendig empfindet.[754] [Fußnote 754: Vgl. _Jaurès_, a. a. O.; ders. "Aus Theorie und Praxis", p. 99 ff.; _Roland-Holst_, a. a. O. p. 107 ff.; _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 34; Prot. Parteitag Wien 05, p. 68, 69. Zur Entwickelung dieser Gefühle im Proletariat wird Vorbereitung verlangt, vgl. z.B. Prot. Parteitag Wien 1894, p. 80 ff.; _Luxemburg_, (Vorwärts, 8. Dez. 05); _Thesing_, p. 334.] 2. Außer vom Ausharrungsvermögen der Arbeiter hängt die Durchführung des Klassenstreiks aber noch von der _Widerstandskraft_ ihrer _Gegner_ ab. Diese entspricht einerseits dem Umfang der Gegnerschaft überhaupt, ist also um so größer, je mehr der Streik sich gegen alle Gesellschaftsklassen wendet,[755] je weniger Sympathien er im Bürgertum wecken kann; andererseits entspricht sie den gegnerischen Machtmitteln, resp. deren Zuverlässigkeit und Anwendbarkeit. [Fußnote 755: _Streltzow_, a. a. O. p. 136, folgert aus den russischen Streikerfahrungen, daß ein Kl-str. ohne starke Organisationen nur möglich sei, "wenn er gegen die völlig isolierte Regierung geführt wird".] Da die Zuverlässigkeit der Machtmittel durch allgemeine politische Ereignisse beträchtlich modifiziert werden kann, so hängt der Widerstand der Gegner in hohem Maße vom Zeitpunkt ab, in dem der Klassenstreik ausbricht; dieser hat also um so größere Chancen, je verwickelter die politischen Verhältnisse gerade liegen (z.B. zur Zeit eines unglücklichen Krieges, oder bei tiefgreifender Unzufriedenheit im Volk,[756] oder wenn die Regierung innerlich morsch ist);[757] denn was für den gewerblichen Streik die wirtschaftliche Hochkonjunktur, das bedeutet für den Klassenstreik die allgemeine Krise. [Fußnote 756: _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel": der pol. M-str. solle "eine latente Krisis zu einer für die Arbeiterklasse möglichst günstigen Entscheidung treiben", nicht diese Krisis selbst herbeiführen (p. 693). Ähnlich wünschte _Resel_ (Prot. Parteitag Wien 1894, p. 70) für den Wahlrechtsstreik einen Zeitpunkt, "wenn sich die politischen Verhältnisse günstig gestalten, wenn im Parlament eine Konfusion eintreten wird".] [Fußnote 757: _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 132.] Da ferner die Anwendbarkeit der Machtmittel zum Teil eine Vorbereitung erfordert, so wird der Widerstand der Gegner um so geringer sein, je überraschender, spontaner der Streikentschluß zu Stande kommt.[758] [Fußnote 758: Deshalb hat man auch schon "in der Überrumpelung" (_Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland"), "in der Plötzlichkeit eine Bürgschaft des Erfolgs" (_Gorter_, "Der Massenstreik der Eisenbahner in Holland", p. 656; ähnl. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 735 ff.; Allg. Ztg. 10./4. 03; _Zietz_ [Prot. Parteitag Jena 05, p. 326]; _Thesing_, p. 534; vgl. auch _Cohnstaedt_, "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie", p. 750) sehen wollen, obgleich die Plötzlichkeit oft mit ungenügender Vorbereitung der Arbeiter zusammenfällt.] Die positive Machtfülle der Gegner wird aber nicht in allen Fällen voll zur Entfaltung gelangen. Vielmehr wird der Grad der Abwehr dem Grad der Beeinträchtigung entsprechen, die der Ausstand herbeiführt oder herbeiführen will. Der Widerstand wird also von Größe und Form, Ziel und Wirkungsweise des Klassenstreiks abhängen. Ceteris paribus löst ein Demonstrationsstreik beim Gegner eine geringere Reaktion aus, als ein Pressionsstreik; ein Pressionsstreik hat aber in der Defensive immer noch größere Chancen, als in der Offensive.[759] Eine Pression zu Gunsten von Teilforderungen ruft um so mehr Widerstand hervor, je mehr diese die Interessen des Gegners berühren;[760] sie wird aber immer noch weniger Widerstand erregen,[761] als ein Klassenstreik mit sozialrevolutionären Zielen, bei dem sich alle noch so entfernten Freunde der bestehenden Ordnung sofort um die Regierung scharen[762] und deren Aktionskraft auch in physischer Hinsicht beträchtlich steigern würden.[763] -- Verschiedene Sozialisten nehmen an, die Klassenstreiks müßten ständig zunehmen.[764] Denn weil bei der Entwicklungshöhe des Kapitalismus und der Reife der Arbeiterklasse für die Gegner immer mehr auf dem Spiel stehe,[765] sähen sie jeden Kampf als Existenzfrage an[766] und steigerten ihren Widerstand. Deshalb müßten die Streiks immer mehr revolutionären Charakter annehmen. Eine solche Behauptung übersieht die Möglichkeit einer sozialen Spannungsmilderung. [Fußnote 759: _Block_ a. a. O.; _Zetkin_ (Prot. Parteitag Jena 05, p. 324); zur Defensive brauche das Proletariat über weniger Kräfte zu verfügen, als zur revolutionären Offensive.] [Fußnote 760: So meint z.B. _Rob. Schmidt_, (Prot. Parteitag Jena 05, p. 332), der Ruhrstreik sei nur deshalb ohne Blutvergießen abgelaufen, weil es damals der Regierung nicht des Einsatzes wert gewesen wäre; "aber es würde ihr des Einsatzes wert sein, wenn es sich um so vitale Interessen der bürgerlichen Klasse handelte, wie das Wahlrecht".] [Fußnote 761: "Da er den Herrschenden nicht so schrecklich, nicht als der letzte Schritt zur Revolution erscheinen wird" (_Block_; ähnl. _Adler_, Prot. Parteitag Wien 05, p. 128).] [Fußnote 762: Vgl. _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik". Z.B. in England sollen sich 1848 250 000 Bürger als Spezialkonstabler in den Dienst der Regierung gestellt haben (vgl. _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage" p. 11).] [Fußnote 763: Vgl. _Düwell_, p. 248 ff.; _Bernstein_, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?" p. 33; _Jaurès_ ("Aus Theorie und Praxis", p. 115 ff.) verweist darauf, daß die Bürgerschaft infolge der Schieß-, Turn-, Sport- und Militärübungen wohl im Stande sein würde, eine energische Aktion auszuüben.] [Fußnote 764: Vgl. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 738; ders. "Zum Parteitag", p. 780; ders., "Lehren des Bergarbeiterstreiks", p. 781; _Luxemburg_ (Vorwärts, 8./12. 05).] [Fußnote 765: _Hilferding_, "Parlamentarismus und Massenstreik", p. 814 ff., meint, in Deutschland z.B. müsse jeder Klassenstreik "zur Entscheidungsschlacht" führen, "denn die herrschenden Klassen Deutschlands vertragen infolge der Entwicklung der ökonomischen Verhältnisse keinen Sieg des Proletariats, und sei es in welcher Frage immer". Weil aber das Proletariat zum Entscheidungskampf noch nicht stark genug sei, so müsse in Deutschland jeder Massenstreik vermieden werden. (Gewiß erscheint die Ablehnung eines pol. M-streiks für Deutschland durchaus gerechtfertigt; aber nicht deshalb, weil die "Herrschenden" daraus eine "Todesdrohung" hören würden, sondern weil ein pol. M-str. gerade in Deutschland infolge der politischen und militärischen Verhältnisse ganz bes. aussichtslos sein würde). In Österreich hält _Hilferding_ den Klassenstreik noch bei pol. Einzelforderungen für angebracht. Ähnl. _Kautsky_, "Der Bremer Parteitag" p. 9; _Roland-Holst_, "Zur Massenstreikdebatte". _Block_ billigt die _Hilferding_schen Ansichten über die Streikaussichten in Deutschland nur bezüglich des Pressionsstreiks. -- Als Pendant zu den _Hilferding_schen Ausführungen kann die in anderen Kreisen vertretene Ansicht gelten, daß "heutzutage jeder einzige Streik sozialdemokratisch organisierter Arbeiter ein politischer Streik" sei, weswegen man dem Streikunwesen energisch entgegenwirken müsse (vgl. v. _Reiswitz_, p. 58).] [Fußnote 766: _Roland-Holst_, a. a. O. p. 686.] Je mehr Widerstand die Gegner leisten, um so mehr Ausharrungsvermögen ist auf Seite der Arbeiter erforderlich. Also ist ein defensiver, friedlicher Demonstrationsstreik für Teilziele, von mäßigem Umfang und kurzer Dauer am relativ leichtesten,[767] der revolutionäre Pressionsstreik aber am schwersten durchführbar. Letzterer verlangt auf Seiten der Arbeiter ein so ungeheures Maß von Organisation, materiellen Mitteln, Disziplin, Opferwilligkeit und eine so ungeheure Beteiligung, oder er setzt auf Seiten der bürgerlichen Gesellschaft eine so schwache Regierung, eine so jämmerliche, zusammengeschrumpfte Bourgeoispartei, ein so vollkommen unzuverlässiges Heer voraus, daß er, sobald er möglich wäre, auch schon unnötig würde. Denn dann wären ja wirklich die Voraussetzungen des Sozialismus vorhanden, und es dürfte weder die einzige,[768] noch gerade die beste Art sein, das neue Arbeitssystem durch Proklamierung eines allgemeinen Ferienurlaubs einzuführen.[769] [Fußnote 767: Vgl. z.B. _Kautsky_, "Allerhand Revolutionäres", p. 734, 735; _Block_; _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien 03, p. 131).] [Fußnote 768: _Friedeberg_ ("Weltansch." und "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 3) behauptet, der "Klassenstaat" könne, da er auf der Ausbeutung des Proletariats beruhe, nur überwunden werden, indem man durch den Generalstreik die Ausbeutung aufhebe. Diese Beweisführung ist keineswegs zwingend. Der Lärm, den die gleichzeitige Stimmerhebung zahlreicher Personen verursacht, läßt sich nicht nur durch plötzliches Verstummen aller Beteiligten beseitigen, sondern auch durch die Einreihung der gleichzeitig ertönenden Stimmen in eine harmonische Ordnung, so daß, statt in gänzliche Totenstille, der Lärm sich in einen wohllautenden Chorgesang auflöst; auch gegen die "Ausbeutung" des "Klassenstaats" kann es noch andere Mittel geben, als die bloße Negation seiner Grundlagen.] [Fußnote 769: Aus diesen Gründen lehnten den Klassenstreik ab z.B. W. _Liebknecht_ (Prot. int. Kongr. Paris 1889, p. 126, Zürich 1893, p. 24; Prot. Parteitg. Köln 1893, p. 170, 171); _Vliegen_ ("Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 196); _Aveling_, _Plechanoff_ (Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 20, 27); _David_, "Die Eroberung der politischen Macht"; _Düwell_, p. 233; _Greulich_, "Wo wollen wir hin"? p. 35 ff.; Prot. Parteitg. Jena 05, p. 302; ähnlich schon _Atwood_ (vgl. _Tildsley_, p. 48, 49); anderer Meinung z.B. die Redaktion von "_De Nieuwe Tijd_" (Bericht an den Parteivorstand ... usw.), weil sich die tatsächlich vorhandene Macht erst durch die Praxis ausweisen könne, zudem die Praxis selbst ein Machtfaktor sei; Dr. _Liebknecht_ verwirft ebenfalls die Argumentation: "wenn wir den Generalstreik machen können, brauchen wir ihn nicht mehr", weil man ja auch durch aktuelle politische Ereignisse "in den Generalstreik hineingedrängt werden" könne. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so wäre damit doch noch nicht der Erfolg eines Kl-streiks, am wenigsten der eines revolutionären Kl-streiks garantiert!] § 23. Bedingungen des Erfolges des Klassenstreiks. Der Erfolg des Klassenstreiks, -- mit Ausnahme des reinen Demonstrationsstreiks, der keine unmittelbare Verwirklichung seiner Ziele erstrebt, -- besteht in der Erfüllung der Streikforderung, hängt also in erster Linie von deren _objektiver Realisierbarkeit_ ab. Zur Erfolglosigkeit wären daher von vornherein alle jene Klassenstreiks verurteilt, die sich die Einführung einer neuen Gesellschaftsordnung zum Ziele setzen würden.[770] Davon sind auch Sozialisten, wie _Bernstein_, _Jaurès_, _Roland-Holst_ usw. durchaus überzeugt. Selbst angenommen, daß ein Klassenstreik die einzelnen Unternehmer zu verdrängen,[771] die Betriebe wirklich in eine gewisse Abhängigkeit von der Arbeiterschaft zu bringen vermöchte und die Herrschaft in einem Industriegebiet eroberte, so wäre damit doch noch nicht das Unternehmertum als solches beseitigt, die proletarisch-politische Herrschaft konsolidiert.[772] Setzt doch die sozialistische Gesellschaftsordnung einen außerordentlich höher entwickelten Kapitalismus, ein außerordentlich größeres und vollkommener organisiertes Proletariat voraus, als vorhanden oder für absehbare Zeit vorauszusehen ist.[773] Nach Anschauung mancher Syndikalisten freilich wird "in den Wechselbeziehungen zwischen Umwelt und Inwelt der Faktor des Innenlebens immer wesentlicher" (_Friedeberg_); danach ließe sich also der Sozialismus auch schon vor Eintritt seiner materiellen Voraussetzungen herbeiführen, wenn nur in den Arbeitern mittels psychologischer Beeinflussung die Einsicht in das Wesen der "Klassenherrschaft" entwickelt worden ist. Diese Lehre, der sog. "_historische Psychismus_", dürfte wohl als natürliche Reaktion gegen die Übertreibung des _historischen Materialismus_ anzusehen sein. -- Nicht ganz so weit, wie _Friedeberg_, geht _Thesing_: der Wille des Menschen mache Geschichte, nicht automatische Gesetze, wie ein misverstandener Marxismus lehre; dieser sei auch schuld, wenn man die seiner Ansicht nach einzige wirksame Waffe, den politischen Generalstreik, verleugne.[774] [Fußnote 770: Vgl. _Bernstein_ (Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 194); _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 26 ff.; "Hamburger Echo", 27. Aug. 05, Art. "Anarcho-Sozialismus".] [Fußnote 771: "Die gefestigte ökonomische Macht der Kapitalisten kann nicht durch die wirtschaftliche Ohnmacht hungernder Arbeiter gestürzt werden" (_Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht"). Streiks scheinen nicht dazu führen zu können, "das Lohnsystem in seinen Grundfesten zu erschüttern und eine wesentlich andere Verteilung des Arbeitsertrages herbeizuführen" (_Stieda_, Art. "Arbeitseinstellungen", im Hdwb. d. Staatswften.). Durch Aufhören von Produktion und Zirkulation und durch Bedrohung von Person und Eigentum werde überhaupt die bürgerliche Gesellschaft noch nicht gestürzt, wie die großen Kriege und Invasionen bewiesen (_Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 111 ff.).] [Fußnote 772: Der Großbetrieb würde vielleicht einige Firmenänderungen aufweisen. -- _Jaurès_ meint, in den gerade durch den Streik selbst isolierten Wirtschaftszentren würden bald wieder reaktionäre Herde entstehen, so daß die Revolution sich selbst verzehren müsse.] [Fußnote 773: Eine Arbeiterschaft, "completamente organizzata e federata", wie _Thesing_ (p. 334) sie als Voraussetzung des G-streiks und des Sozialismus verlangt, sei aber "völlig unmöglich" (_Kautsky_, "Lehren des Bergarbeiterstreiks", p. 775), denn die Organisation werde "stets nur eine Elite oder Aristokratie der Arbeiterschaft umfassen."] [Fußnote 774: Vgl. die Kritik des "revolutionären Syndikalismus" bei _Sombart_ ("Sozialismus und soziale Bewegung", insbesondere p. 140 ff.); _Sombart_ folgert aus der Unhaltbarkeit der syndikalistischen "Gewerkvereinstheorie" auch die Unhaltbarkeit des Generalstreiks: wenn nämlich der Syndikalismus "nichts anderes, als die Erziehung des Arbeiters in den Gewerkvereinen für nötig hält, um alle erforderlichen Qualitäten des neuen Produzenten zur Entfaltung zu bringen", so wäre selbst bei vollständigem Sieg des Generalstreiks das Proletariat "doch nicht imstande,... ihn auszunützen", da eben die "subjektiven und objektiven Bedingungen der neuen Produktionsweise" noch nicht erfüllt sein würden (a. a. O. p. 141).] Bei weniger utopischen Forderungen hängt der Erfolg von der Stärke des _Streikdrucks_ ab. Dieser ist, soweit er vom Proletariat selbst ausgeht, nach oben durch die _tatsächliche Macht_ des Proletariats begrenzt, also einerseits durch seine _politische Bedeutung_, die auf der "gewaltigen Zahl seiner Köpfe"[775] beruht, und andrerseits durch seine _ökonomische Bedeutung_ (seine "gesamte organisierte wirtschaftliche Macht",[776] seine "reale Macht"),[777] die auf der tatsächlichen Abhängigkeit der Gesellschaft von der proletarischen Arbeitsleistung beruht. [Fußnote 775: Prot. Parteitg. Jena 05, p. 291; _Friedeberg_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 26, und "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 31, 32) behauptet, im G-str. komme die psychologische Macht der Arbeiterklasse zum Ausdruck; ihre wahre Macht bestehe nämlich in einer möglichst großen Zahl völlig freier Persönlichkeiten.] [Fußnote 776: _Lensch_, "Politischer Massenstreik und politische Krisis".] [Fußnote 777: _Hilferding_, a. a. O. Die ökonomische Macht des Proletariats wachse "organisch hervor... aus der Stellung und Funktion des Proletariats in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung" (Dr. _Liebknecht_, Prot. Parteitg. Jena 05, p. 327; vgl. auch _Hilferding_, "Zur Frage des Generalstreiks", p. 135 ff.); _Thesing_, p. 334, nennt als einzige Macht des Proletariats dessen Persönlichkeit und Arbeitskraft.] Diese Abhängigkeit ist eine ungeheure, aber keine absolute. Handelt es sich doch nicht um die gesamte soziale Arbeitsleistung, deren Verweigerung allerdings ohne weiteres den ganzen "Zirkulations- und Produktionsprozeß der bürgerlichen Gesellschaft... an einem Tage zum Stillstand" bringen[778] und eine tatsächliche Aushungerung der Gesellschaft bewirken würde,[779] sondern nur um den Bruchteil gewerblicher Tätigkeiten, der sich in den Händen des Proletariats befindet.[780] Dieser Bruchteil ist freilich keine Kleinigkeit; und da das Proletariat gerade im Verkehrs-, Transport- und Nachrichtenwesen, im Beleuchtungs- und Reinigungsdienst, in den Groß- und Mittelbetrieben von Industrie und Bergbau sehr stark vertreten ist, also durchaus nicht nur "für die Behaglichkeiten des Lebens"[781] sorgt, sondern einen großen Teil der gesellschaftlich unentbehrlichsten Arbeit verrichtet,[782] so würde ein Streik des gesamten Proletariats einer vollständigen sozialen Arbeitsunterbrechung immerhin sehr nahe kommen.[783] [Fußnote 778: Eine solche Wirkung erwartete vom Kl-str. z.B. _Werner_, Opposition der "Jungen" (Prot. Parteitg. Erfurt, 1891); ähnlich _Eckstein_, p. 363; _Quatrehomme_, Enquête sur l'idée de patrie et la classe ouvrière, p. 337, usw.] [Fußnote 779: _Henry George_ soll gesagt haben: "wollte einmal die produktive Arbeit in London gänzlich feiern, so würden die Menschen in wenigen Stunden hinzusterben beginnen" (cit. bei _Grosch_). Die Absicht, durch den Kl-str. die Gesellschaft "auszuhungern", ist heute übrigens allgemein als unhaltbar aufgegeben (vgl. z.B. _Bernstein_: "Der Streik als politisches Kampfmittel" p. 691; ders. "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; Prot. Parteitg. Bremen 04, p. 195 usw.).] [Fußnote 780: Es waren z.B. von den 22,1 Mill. Erwerbstätiger Deutschlands (1895) 3-4 Mill., 36,3 Proz. sämtlicher gewerblicher und industrieller Arbeiter, in Groß- und Mittelbetrieben beschäftigt (cit. bei _Kampffmeyer_, "Der Generalstreik und die Eroberung der ökonomischen Macht", p. 874 ff.). "Die Großindustrie wird lahmgelegt, aber eine absolute Arbeitseinstellung ist undenkbar" (_Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 197 ff.); vgl. auch Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 24 ff., usw.] [Fußnote 781: Wie _Grosch_, p. 14, 15 annimmt.] [Fußnote 782: _Hilferding_, a. a. O. p. 141.] [Fußnote 783: _Kautsky_ ("Die soziale Revolution", I, p. 50) meint, daß jede Existenz unmöglich gemacht würde, wenn alle Arbeiter eines Landes die Arbeit einstellten, worunter er wohl nur die Lohnarbeiter versteht. -- Übrigens können Landwirtschaft und industrielle Kleinbetriebe auch während des Kl-streiks, freilich unter erschwerenden Umständen, in einem gewissen Umfang weiterarbeiten.] Doch diese ungemein große relative Abhängigkeit der Gesellschaft von der proletarischen Arbeitsleistung wird insofern gemildert, als die Beteiligung des _gesamten_ Proletariats am Klassenstreik praktisch überhaupt ausgeschlossen erscheint. Denn die Arbeiterschaft enthält zahlreiche, und darunter allerbedeutsamste Elemente, die entweder aus Indifferenz der Bewegung fernbleiben, oder sich gar mit Absicht vom Streik ausschließen, teils, weil sie aus wirtschaftlichen oder rechtlichen Gründen nicht streiken können,[784] teils, weil sie aus prinzipiellen Gründen nicht streiken wollen.[785] Die Beteiligung des Proletariats wird im allgemeinen um so größer sein, je weitere Kreise das Streikziel als ein Bedürfnis empfinden,[786] je stärker die proletarischen Organisationen sind, je lebhafter sie sich am Ausstand beteiligen,[787] je intensiver also ihr Beispiel auf Unorganisierte und Indifferente wirken kann.[788] [Fußnote 784: Z.B. die Staatsarbeiter (vgl. _Katz_, "Der politische Massenstreik", Nr. 34, p. 7), also vor allem Eisenbahner (ca. 1/8 der deutschen Eisenbahner hat Beamtenqualität [vgl. _Kampffmeyer_, p. 874 ff.]), Post- u. Telegraphenangestellte (vgl. _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 112 ff.; _Parvus_, "Staatsstreik und politischer Massenstreik", p. 391). Wirtschaftlich gebunden sind z.B. meist auch die Hausindustriellen (vgl. Prot. Parteitg. Wien 1894).] [Fußnote 785: In Betracht kommen hier vor allem die sog. gelben Gewerkschaften, die prinzipiell den Klassenkampf verwerfen. --_Cohnstaedt_ ("Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie", p. 748) glaubt, daß einem Wahlrechtsstreik in Deutschland sich die christlichen und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften anschließen würden; das bezweifelt _Düwell_ (p. 249), und wohl mit Recht; er meint, daß diese Gewerkschaften höchstens bei spontanem Streik vorübergehend mitmachen würden. -- Das Zentralblatt der christlichen Gewerkschaften kann sich "keine größere Diskreditierung des Gewerkschaftswesens denken", als seine Indienststellung für den politischen M-str.; "im Interesse der Selbsterhaltung und der praktischen Reformarbeit müssen die Gewerkschaften aller Richtungen gegen alle Versuche, politische Massenstreiks zu inszenieren, Front machen", auch gegen die "gewaltlosen Demonstrationen, welche Bernstein empfiehlt" (cit. in der Soz. Prx. XIV, Nr. 50, Sp. 1318). Beim holländischen Aprilstreik 1903 standen die christlichen Gewerkschaften auf Seiten der Regierung (vgl. _Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland"). Der Gesamtverband der national gesinnten Eisenbahner Süddeutschlands schließt partielle und allgemeine Ausstände zur Erreichung seiner Zwecke (Pflege der gemeinsamen geistigen und materiellen Interessen) ausdrücklich aus (vgl. Soz. Prx. XIV, Nr. 51, Sp. 1346, 1347).] [Fußnote 786: _von Elm_ (Prot Parteitg. Jena 05, p. 33): beim Wahlrechtsstr. würden auch die Massen der Unorganisierten zuströmen; ähnlich _Luxemburg_ (vgl. Vorwärts, 8. Dez. 05) sobald die Notwendigkeit zum M-str. gegeben sei, würden die Unorganisierten zuströmen.] [Fußnote 787: "Die freien Gewerkschaften umfassen nur etwas über eine Million Arbeiter, die Sozialdemokratie beschränkt sich auf 1/8-1/4 des deutschen Volkes" (v. _Gerlach_, "Maifeier und Massenstreik"); übrigens soll auch bei diesen die vollzählige Beteiligung noch durch wirtschaftliche und prinzipielle Rücksichten sehr in Frage gestellt sein (vgl. _Leimpeters_, "Zum Generalstreik", p. 882; _Giesberts_, a. a. O. p. 35).] [Fußnote 788: Vgl. _Cohnstaedt_, a. a. O.; _Gorter_, "Der Massenstreik der Eisenbahner in Holland", p. 656; _Düwell_, p. 248 ff.; _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel"; _Luxemburg_ (cit. von Wilhelm _Schröder_, "Sisyphusarbeit"). Nach Ansicht der französischen Syndikalisten genügt zur Mobilisierung der Indifferenten schon der Streik einer bewußten Minorität. Nach _Louis_, p. 299, braucht nur ein Teil des Proletariats organisiert zu sein. _Kautsky_ ("Allerhand Revolutionäres", p. 732, 733) verlangt ein intelligentes Proletariat, das zudem einen überwiegenden Bruchteil der Bevölkerung bilden müsse.] Aber die effektive Arbeitsruhe, also auch die Größe der sozialen Wirkung des Klassenstreiks, entspricht doch noch keineswegs genau der Zahl der Ausständigen, vielmehr bleibt sie in der Regel hinter derselben zurück. Denn einerseits kehrt stets ein Teil der Streikenden, aus Furcht vor den Konsequenzen des Ausstandes (Entlassung, Aussperrung, Not, Verfolgung usw.), bald wieder zu den verlassenen Arbeitsplätzen zurück, und diese _Streikflucht_ nimmt natürlich mit der Dauer des Streiks zu. Andererseits stehen der Gesellschaft zur Verrichtung der notwendigsten Arbeit[789] stets zahlreiche _Ersatzkräfte_ zur Verfügung: vor allem die "_Reservearmee_". Diese wird um so größer sein, je geringere Rücksicht bei der Wahl des Streikbeginns auf die wirtschaftliche Konjunktur genommen werden konnte,[790] und je mehr die technische Verknüpfung der einzelnen Betriebe untereinander auch Gegner des Streiks zum Feiern zwingt. Weitere Hilfe leistet der Gesellschaft das _Militär_, und zwar sowohl die regulären Truppen[791] im aktiven Dienst und die Spezialtruppen,[792] als auch die Reserven, zu denen auch die Mehrzahl der Ausständigen zu gehören pflegt; durch "Militarisation" können diese also zu ihrer eigenen Arbeit und damit zum "Verrat" an ihrer eigenen Sache gezwungen werden.[793] Schließlich wird auch das _Bürgertum_ selbst einen Teil der Arbeit übernehmen, teils durch weitgehende Anspannung des Kleinbetriebes,[794] teils durch Aufrechterhaltung gemeinnütziger Betriebe mit Hilfe von qualifizierten bürgerlichen Kräften.[795] Letztere stehen um so reichlicher zur Verfügung, je mehr der Klassenstreik auch ihnen eine unfreiwillige Muße auferlegt. [Fußnote 789: Die _notwendigste_ Arbeit ist keineswegs immer die _komplizierteste_; neue Arbeitskräfte lassen sich also oft unschwer anlernen.] [Fußnote 790: Um die seitens der "Reservearmee" drohende Minderung des Streikdrucks zu paralysieren, wird möglichste Steigerung der gewerkschaftlichen Organisation gefordert (vgl. _Delory_, Congrès général... Paris 1899, p. 246 ff., vgl. auch v. _Reiswitz_, p. 32 ff.); übrigens kann dies event. durch den Bezug ausländischer Arbeitswilliger hinwiederum illusorisch gemacht werden (vgl. _Penzig_, p. 43).] [Fußnote 791: So fungierten die Soldaten als "Streikbrecher" beim Reisarbeiterstreik in Norditalien (vgl. _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 38), beim Elektrizitätsarbeiterstreik in Paris (vgl. _Kulemann_, "Das Streikrecht in öffentlichen Betrieben"). 1903 verwendete man sie in Holland zur Aufrechterhaltung des Verkehrs (_Roland-Holst_, "Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland").] [Fußnote 792: Man verwendet z.B. Eisenbahntruppen oder die Angehörigen der sog. Militärapprovisionierung (_Eckstein_, p. 359).] [Fußnote 793: Die Militarisation bringt den Arbeiter in einen wahrhaft tragischen Konflikt; es bleibt ihm nur die Wahl zwischen dem Vergehen der überdies meist aussichtslosen Meuterei (_Eckstein_, p. 360) und dem "Verrat" der eigenen Sache. -- Eine Militarisation fand z.B. in Ungarn beim Eisenbahnerstreik statt.] [Fußnote 794: _Eckstein_, p. 359: der Kleinbetrieb werde diese Gelegenheit gern benutzen, durch Produktionsanspannung seine Existenz zu festigen.] [Fußnote 795: Elektrische und andere Werke hat man in Streikzeiten schon durch Ingenieure, Studenten, technisches Personal aufrechterhalten (vgl. _Vliegen_, "Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", p. 197, 198; _Roland-Holst_, a. a. O.; _Grosch_).] Da die Arbeitsruhe unter den heutigen Verhältnissen nie eine vollkommene, sondern höchstens eine relativ-allgemeine sein wird,[796] so kann sie auch nur einen beschränkten Effekt ausüben, und es ist daher ein Erfolg des Streiks regelmäßig nur dann zu erwarten, wenn die Aktion der Arbeiter durch Unterstützung seitens anderer Klassen verstärkt wird.[797] Daß eine solche möglich ist, hat die praktische Erfahrung erwiesen.[798] Aber diese "so notwendige psychologische Unterstützung bei anderen Gesellschaftsklassen"[799] hängt nicht nur von einer vorhergehenden Bearbeitung der öffentlichen Meinung ab,[800] nicht nur davon, daß die Forderung von anderen Klassen begriffen oder gar geteilt wird,[801] sondern sehr wesentlich von den Eigenschaften des Streiks. Je stärker dieser das bürgerliche Leben beeinträchtigt, je länger und häufiger diese Beeinträchtigung auftritt, um so geringer wird die Unterstützung ausfallen: denn wo "die moralische Aufwallung mit dem Interesse kollidiert, da wird sie nie zu einer kräftigen Aktion führen".[802] [Fußnote 796: Es werde immer noch ganze Gegenden geben, "in denen man mit voller Kraft arbeitet und sogar die Produktion erhöht... In jeder Stadt ist die Produktion in gewissem Umfange im Gange zu erhalten" (_Vliegen_, a. a. O.).] [Fußnote 797: Daß das Proletariat allein noch nicht über die zum Streikerfolg erforderliche Macht verfügt, geben selbst Sozialisten zu, z.B. _Heine_ (Prot. Parteitg. Jena 05, p. 315 ff.), _Düwell_, (p. 248 ff.), _Adler_ (Prot. Parteitg. Wien 05, p. 126); _Streltzow_, p. 136, zieht aus der russischen Streikpraxis den Schluß, daß ein Kl-str. nur dann Erfolg habe, "wenn alle freiheitlichen Elemente mit ihm sympathisieren und ihn aktiv unterstützen."] [Fußnote 798: _Grosch_, wie auch _Vliegen_, nimmt an, daß alles, "was nicht Lohnarbeiter ist, die ganze Bourgeoisgesellschaft und... die ganze Landbevölkerung", die ganze öffentliche Meinung, sich feindlich zum Kl-str. stellen würden. -- _Bebel_ glaubt umgekehrt (vgl. Prot. Parteitg. Jena 05, p. 308), daß bei Wahlrechtsraub (und Wahlrechts-Streik) die Arbeiter in manchen bürgerlichen Kreisen Sympathie fänden; ähnl. v. _Elm_ (ebenda, p. 331). --_Penzig_, p. 41, meint, der legale Kl-str. habe "das rechtliche Empfinden jedes Denkenden" für sich. -- Die Bedeutung der öffentlichen Meinung bei proletarischen Bewegungen wird durch den Vorschlag des Grafen _Czernin_ ("Die Bekämpfung der passiven Resistenz" p. 9) illustriert; dieser schlägt vor, man solle sich bei einer etwa wiederkehrenden Eisenbahnerobstruktion um die Aufrechterhaltung des Personenverkehrs nicht so besonders bemühen; dann werde sich die öffentliche Meinung gegen die Eisenbahner wenden, und die Bewegung müsse bald ein Ende nehmen.] [Fußnote 799: _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik"; vgl. auch _Roland-Holst_, "G-str. u. Sozd.", p. 132 ff.; _ab-Yberg_, p. 9; _Cohnstaedt_, "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie"; _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel", p. 693; ders., "Ist der politische Massenstreik in Deutschland möglich?" p. 33, 34.] [Fußnote 800: Eine solche Bearbeitung verlangt _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 99 ff.; _David_ ("Rückblick auf Jena") wünscht, daß die Intelligenz, die geistigen Arbeiter, die die öffentliche Meinung machen, _Cohnstaedt_ (p. 749) fordert, daß, wenn möglich, Regierung und Staatshaupt gewonnen werden sollten.] [Fußnote 801: _Resel_, Prot. Parteitg. Wien 1894, p. 70; _Ellenbogen_, ebenda p. 54; _Cohnstaedt_, a. a. O. p. 749; _Hilferding_, "Parlamentarismus und Massenstreik". Politisch-revolutionäre Forderungen können wohl höchstens unter so exzeptionellen Umständen, wie gegenwärtig in Rußland, bei den bürgerlichen Klassen Unterstützung finden. -- _Branting_ ("Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne", p. 622, 623) hielt einen weiteren Kl-str. in Schweden auch deshalb für inopportun, weil die anderen Gesellschaftsklassen, auf deren Unterstützung die Arbeiter angewiesen gewesen wären, "es gar nicht verstehen würden, daß die Arbeiter solche Störungen wegen Einzelheiten in einem Stimmrechtsvorschlage hervorrufen wollten".] [Fußnote 802: _Bernstein_, "Ist der politische Streik in Deutschland möglich?" p. 34; _Heine_ ("Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?") nimmt an, daß die mit einem Kl-str. zusammenhängende Lebensmittelverteuerung die Mittelklassen sehr gegen den Streik aufbringen werde.] Je weniger ein Klassenstreik aus eigenen Mitteln siegen kann, um so mehr ist er von der Bundesgenossenschaft der Mittelklassen abhängig. Daraus folgt, daß seine Chancen um so größer sind, je friedlicher seine Form, je beschränkter seine Ausdehnung, je legaler seine Wirkungsart, je bescheidener sein Ziel und je seltener seine Anwendung. Zweites Kapitel: _Wert des Klassenstreiks._ § 24. Die bisherigen praktischen Erfahrungen haben keine besonders günstige Bilanz für den Klassenstreik ergeben.[803] Zwar erscheint unter gewissen Umständen die Möglichkeit eines Sieges theoretisch nicht ausgeschlossen. Der Klassenstreik kann also nicht in allen Fällen a priori als unzweckmäßig angesehen werden. Die _Aussichten auf einen Erfolg_ sind jedoch unter den heutigen Verhältnissen so _schwach_, daß man dem Klassenstreik nur einen recht geringen Wert beimessen darf. Dieser nimmt aber noch erheblich ab, wenn man die _bitteren Konsequenzen_ in's Auge faßt, die jeder versuchte oder durchgeführte Klassenstreik den Arbeitern zu bringen pflegt. [Fußnote 803: Dies wurde anerkannt z.B. von _Vliegen_ ("Der Generalstreik als politisches Kampfmittel", und Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28); _Braun_, "Das Ergebnis des Gewerkschaftskongresses", p. 113.] Er legt ihnen nicht nur spezielle _materielle Opfer_ auf,[804] sondern auch noch die allgemeinen Lasten einer solchen "Gesellschaftskatastrophe".[805] Von den strengen Marxisten wird diese letztere übrigens auch noch als eine unerfreuliche Hemmung der ökonomischen Entwicklung verurteilt. [Fußnote 804: Vgl. z.B. _Olberg_, "Der italienische Generalstreik", p. 22; _Umrath_, p. 20. Überraschend ist die Prophezeiung, bei einem Massenstreik in Deutschland würden "die gewerkschaftlichen Organisationen gleich den politischen nicht nur nichts zu befürchten haben, sondern würden noch einmal wiedergeboren und zehnfach gestärkt daraus hervorgehen" (vgl. _Luxemburg_, Vorwärts, 8. Dez. 05).] [Fußnote 805: Vgl. _David_, "Die Eroberung der politischen Macht", p. 21.] In _psychologischer_ Hinsicht gefährdet der Klassenstreik die Arbeiter ebenso sehr durch die gepriesene "revolutionierende Wirkung"[806] eines siegreichen Kampfes, wie durch die Wirkung des Mißerfolges: dort leicht Selbstüberschätzung, hier Entmutigung, Verstimmung und Erschütterung des Vertrauens der Arbeiter zu ihren Führern.[807] Freilich, wenn wirklich jeder einzelne Teilnehmer den Streikentschluß als eine Gewissenspflicht betrachtete,[808] wenn wirklich jeder einzelne es als Ehrenpflicht empfände, "seine Existenz einzusetzen für sein Recht",[809] oder von der Überzeugung durchdrungen wäre, "daß er einen Kampf für die Zukunft, für die Erhöhung der ganzen Menschenart kämpft",[810] dann könnte der Klassenstreik eine subjektive Heldentat darstellen.[811] Aber diesem _subjektiv-ethischen_ Gewinn stünde doch nur allzuhäufig ein _objektiv-ethischer_ Verlust gegenüber. Fragt man nämlich, ob der Klassenstreik "unter die Kampfmittel gerechnet werden darf, die bei einem das Endziel der _sozialen Versöhnung_ nicht aus dem Auge verlierenden Klassenkampf als erlaubt und berechtigt gelten können",[812] so wird man den Klassenstreik zwar allerdings als Mittel der _Notwehr_ billigen[813] und in solchen Fällen selbst die im Gefolge des Ausstandes auftretenden Gewalttaten entschuldigen.[814] Doch da der Klassenstreik in jedem Falle einen so außerordentlich schweren Schlag für die Gesamtheit bedeutet,[815] so dürfte sich seine moralische Zulässigkeit wohl auf diejenigen Fälle beschränken, in denen es sich nicht nur um ein wertvolles Ziel handelt, sondern in denen auch ein Erfolg als wahrscheinlich vorausgesehen werden kann.[816] -- Der direkten Revolution gegenüber stellt der Klassenstreik das friedlichere Mittel dar. Er kann die Revolution ersetzen, ähnlich wie die Friedensblockade unter Umständen den Ausbruch des Kriegs hindert. Wie diese jedoch leicht in offene Feindseligkeit übergeht, so kann auch der Klassenstreik leicht in die Revolution umschlagen. [Fußnote 806: Vgl. _Düwell_, p. 253. Die gewöhnliche Folge des Siegs, Übermut und Selbstüberschätzung, werden leicht die Veranlassung von Niederlagen, wie 1903 in Holland.] [Fußnote 807: Vgl. _Heine_, a. a. O.; _Bömelburg_ (Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 220 ff.). Auch schreckt der Mißerfolg vor der Wiederanwendung ab, was freilich nur in den Augen der Klassenstreikpropheten als Nachteil erscheinen wird.] [Fußnote 808: Vgl. _Tönnies_, "Der Massenstreik in ethischer Beleuchtung", p. 541.] [Fußnote 809: _Eckstein_, p. 363; vgl. die Motivierung des pol. M-streiks bei _Bernstein_ ("Pol. Mstr. u. pol. Lage", p. 28; ders., "Ist der pol. Streik in Deutschland möglich?", p. 36; ders. Prot. Parteitg. Bremen, p. 194); ähnl. _Bebel_ (Prot. Parteitg. Mannheim, 06, p. 230).] [Fußnote 810: _Friedeberg_, "Parlamentarismus und Generalstreik", p. 28; ähnl. "Antimilitarismus und Generalstreik" (Beilage zu Nr. 11 der "_Wahrheit_"), p. 10.] [Fußnote 811: _Tönnies_. -- Über den hohen sittlichen Mut der holländischen Arbeiter beim Streik 1903 vgl. _Roland-Holst_ ("Der Kampf und die Niederlage der Arbeiter in Holland"), die freilich selbst der Partei angehört.] [Fußnote 812: _Penzig_, "Massenstreik und Ethik", p. 23 ff. -- Die Absicht, durch den Klassenstreik das revolutionäre Gefühl, die sozialen Gegensätze zu verschärfen, ist ausgesprochen z.B. bei _Sorel_ ("Lo sciopero generale"); "Generalstreik! Die deutsche Arbeiterbewegung und der Klassenkampf"; vgl. auch _Kautsky_, "Die Soziale Revolution", p. 51; _Briand_, a. a. O.] [Fußnote 813: Vgl. _Tönnies_. -- Ein Streik, der einen Krieg hinderte, soll ebenfalls als moralisch gelten (_Penzig_, p. 26). -- _Comte_ hatte den allgemeinen Ausstand nur als Verteidigungsmittel erwähnt (vgl. _Weill_, p. 22, 23).] [Fußnote 814: Vgl. _Penzig_, p. 36 ff.] [Fußnote 815: Z.B. für Deutschland bedeute selbst der aussichtslose Versuch eines Kl-Streiks "Grauen und Elend; ein Zurückdrängen unserer Kultur um Jahrhunderte" (_Grosch_, p. 15 ff.), "unermeßliches Unheil" (_Tönnies_, p. 531) und "nicht nur für die Sozialdemokratie, sondern für die ganze Zukunft Deutschlands eine kaum heilbare Wunde" (_Cohnstaedt_, "Jena. Gewerkschaft oder Revolution", p. 548, 549). Er würde "die ganze Zukunft des Reichs, seine wirtschaftliche Macht und seine Kultur in Frage stellen" (_Mayer_, "Der internationale Sozialistenkongreß").] [Fußnote 816: "Seine Verwerflichkeit wird um so schwerer ins Gewicht fallen, wenn der Schade, der davon ausgeht, auf diejenigen, die das Mittel anwenden, selber zurückfällt" (_Tönnies_). Auch die Massenstreik-Drohung, selbst zur Wahrung sittlicher Güter, wie des Wahlrechts (vgl. _Tönnies_), werde, wenn jede Aussicht auf Erfolg fehlt, prinzipiell von der Ethik mißbilligt. -- Hingegen billigen manche Politiker, die prinzipiell einen defensiven Wahlrechtsstreik zur Unterstützung einer allgemeinen Volksbewegung begrüßen würden (vgl. v. _Gerlach_, "Maifeier und Massenstreik"; _Cohnstaedt_, a. a. O.; ders., "Generalstreik, Massenstreik und Sozialdemokratie", p. 749 ff.), aber aus praktischen Rücksichten "heute und für absehbare Zeit" seine Verwirklichung ablehnen (vgl. v. _Gerlach_, a. a. O.; _Tönnies_), doch die Kl-Str.-Drohung insofern, als sie gewisse Kreise "etwas bedächtiger, vorsichtiger, gewissenhafter in hohen politischen Angelegenheiten machen könne" (_Tönnies_).] Selbst auf einen _siegreichen_ Klassenstreik wird eine um so empfindlichere _Reaktion_ folgen, je weniger die Arbeiter mittels des Streiks eine Position errungen haben, durch die der "unvermeidliche reaktionäre Gegenschlag paralysiert werden kann",[817] und je mehr sie sich im Streik verausgabt haben, sodaß ihnen nun die "Ausnutzung und Festhaltung" des Erfolges unmöglich ist.[818] Noch viel stärker aber wird die Reaktion nach einem _verlorenen_ Streik auftreten. Ein solcher würde einen äußerst schweren Stoß für die ganze Arbeiterschaft bedeuten.[819] Denn die Gegenmaßregeln müßten sowohl an Ausdehnung, wie an Energie die Folgen eines verlorenen innergewerblichen Ausstandes weit übertreffen.[820] Sie würden um so schärfer ausfallen, je umfangreicher[821] der Streik war, je revolutionärer seine Ziele,[822] je häufiger oder wahrscheinlicher seine Wiederholung.[823] [Fußnote 817: _Bissolati_, "Das Ergebnis der italienischen Wahlen", p. 958.] [Fußnote 818: _Bömelburg_, Prot. Gwft. Kongr. Köln 05, p. 220 ff.; vgl. auch _Streltzow_, p. 136.] [Fußnote 819: Vgl. Prot. int. Kongr. Zürich 1893, p. 28; _Leimpeters_, "Zum Generalstreik", p. 884; _Rob. Schmidt_ (Prot. int. Kongr. Amsterdam p. 27; Gwft. Kongr. Köln 05, p. 225); _Roland-Holst_, "Zur Massenstreikdebatte"; _Bernstein_, "Politischer Massenstreik und Revolutionsromantik". Nur wenige werden optimistisch genug sein, eine event. Niederlage deshalb gering zu achten, weil sie ja -- "der Ausgangspunkt größerer Siege" sein könne (so _Allemane_, Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 26).] [Fußnote 820: Anderer Meinung: _Briand_, "La grève générale et la révolution", p. 15; _Louis_, p. 301 ff.] [Fußnote 821: Vgl. _Thesing_, p. 334.] [Fußnote 822: Vgl. _Jaurès_, "Aus Theorie und Praxis", p. 102. 103.] [Fußnote 823: Vgl. _Turati_, "Lehren und Folgen des Generalstreiks in Italien". Die sozialistische Partei Italiens erkennt den Klassenstreik übrigens an "als eine Lebensäußerung einer proletarischen, im Klassenkampf stehenden Partei, die sich wiederholen kann und wiederholen muß" (_Olberg_, "Die italienischen Wahlen").] Die Reaktion erscheint teils in speziellen Maßnahmen gegen die Ausstandsteilnehmer (Aussperrungen, Maßregelungen, Strafen, Bußen usw.), wodurch indirekt auch die proletarischen Organisationen, besonders die Gewerkschaften, getroffen werden.[824] Teils zeigt sie sich in generellen Maßnahmen gegen den Klassenstreik überhaupt, z.B. in der Verkürzung des Streikrechts[825] oder in einer Umstimmung der öffentlichen Meinung.[826] Solche Folgen können dann leicht auch die übrige Bewegungsfreiheit der Arbeiter hemmen. [Fußnote 824: Vgl. _Hue_, "Partei und Gewerkschaft", p. 292; _Heine_, "Politischer Massenstreik im gegenwärtigen Deutschland?"; _Eckstein_, p. 362.] [Fußnote 825: Vgl. _Branting_, "Schweden vor einer neuen Stimmrechtskampagne".] [Fußnote 826: Vgl. _Turati_, a. a. O.; _Giesberts_, p. 31.] Der Klassenstreik ist also immer ein "zweischneidiges Schwert",[827] _immer_ ein "desperates" Mittel.[828] In der _Mehrzahl_ der Fälle aber ist er "ein Messer ohne Klinge",[829] eine "Phrase",[830] "Unsinn",[831] "Utopie".[832] [Fußnote 827: So bezeichnet z.B. von _Bernstein_, "Der Streik als politisches Kampfmittel", _Umrath_, p. 20, _Turati_, a. a. O., _Eckstein_, p. 363, und anderen.] [Fußnote 828: _Jaurès_, _Kolb_, _Tönnies_ "Der Massenstreik in ethischer Beleuchtung".] [Fußnote 829: _Pfannkuch_, Prot. int. Kongr. Amsterdam 04, p. 28.] [Fußnote 830: _Liebknecht_, Prot. int. Kongr. Brüssel 1891.] [Fußnote 831: _Katz_, "Der politische Massenstreik", Nr. 33, p. 3. "_Generalunsinn_" (_Liebknecht_), "_Absurdität_" (_Turati_). Bezüglich des anarchistischen Generalstreiks sprachen sich auch die meisten internationalen Arbeiterkongresse in ähnlicher Weise aus (vgl. z.B. Prot. Zürich 1893, p. 53 ff.; London 1896, p. 29; Amsterdam, usw.).] [Fußnote 832: _Bernstein_, "Pol. M-str. u. pol. Lage", p. 8 ff., "_Traum_" (_Greulich_, "Wo wollen wir hin?", p. 37, 40); "_Illusion_" ("Korrespondent" der Buchdrucker, cit. in der Soz. Prx. XV. 15, Sp. 382, 11. Jan. 06, und "Hamburger Echo", Art "Anarcho-Sozialismus", 27. Aug. 05).] _Schlußwort:_ Aufgaben der Gesellschaft. Der Klassenstreik ist unter allen Umständen eine gefährliche Waffe. Seine Verhütung liegt daher im Interesse der Arbeiter und in dem der Gesamtheit. Dem bereits ausgebrochenen Klassenstreik mit Gewalt zu begegnen, wird das Übel kaum bessern, da ja auch schon der bloße Versuch des Massenstreiks die soziale Wohlfahrt auf's Schwerste gefährden kann. Aufgabe der Gesellschaft ist es vielmehr, den _Ausbruch_ eines Klassenstreiks möglichst zu _hindern_, also den Streikentschluß zu erschweren. Dies könnte durch Einschränkung des Streikrechts geschehen, freilich eine Durchbrechung des Koalitionsrechts, welche sich aber vielleicht doch durch die höhere "Rücksicht auf das Gemeinwohl"[833] rechtfertigen ließe. Dann aber müßten die Nachteile des Streikrechtentzuges durch Einräumung besonderer Vorteile für die solcherweise in ihrer Freiheit beschränkten Arbeiterkategorien wieder ausgeglichen werden.[834] Indeß stellen Gesetzesbestimmungen höchstens einen kleinen Hemmschuh dar, und ebenso wenig, wie etwa polizeiliche Hinderung der Klassenstreikpropaganda oder ethische Belehrungen, bieten sie einen absoluten Schutz gegen den Klassenstreik. [Fußnote 833: "Also durch soziale Sanktion" (_Penzig_, p. 13 ff.).] [Fußnote 834: Die Erwägung, daß es ungerecht wäre, "Arbeiterkategorien Beamtenpflichten zu geben, ohne ihnen die entsprechenden Rechte zu gewähren", soll seinerzeit zur Verwerfung der schwedischen Antistreikvorlage geführt haben (vgl. _Axel Hirsch_, p. 196). --Nationalrat _Scherrer_ (in der Begründung seiner Motion, vgl. Bulletin der Schweiz. Bundesversammlung, p. 368) fordert, daß als Korrelat für die Nachteile der Beamtenqualität den Arbeitern eine auskömmliche Lebensführung garantiert werden müsse. -- Wie _Kulemann_ ("Das Streikrecht in öffentlichen Betrieben"), um "einen geordneten Ausgleich von entstehenden Streitigkeiten zu schaffen", wünscht auch das "Musée social" (vgl. Juli 04, p. 318 ff.) "un droit de recours à des commissions arbitrales". -- _Penzig_ (p. 19, 20) hat einen interessanten Plan entworfen, wie die Arbeiter, entsprechend ihrer qualitativ-sozialen Bedeutung, in ihrer Streikfreiheit in verschiedenem Grade zu beschränken, und wie sie dafür in entsprechendem Maß anderweit zu berücksichtigen wären. -- _Herkner_, a. a. O. p. 509, hält den Streik der Staatsarbeiter für unzulässig, wünscht aber, daß dafür auch alles aufgeboten werde, "um den Staatsarbeitern mindestens diejenige Lage zu garantieren, die sie sich mittels des Koalitionsrechtes event. aus eigener Kraft erstreiten könnten". -- Im Jahre 1891 hat das Einigungsamt des Staates New-York anläßlich eines großen Eisenbahnerausstandes Vorschläge gemacht, welche die Störung des Eisenbahnbetriebs durch Arbeitseinstellung unter Strafe stellten, dafür aber eine Regelung der Arbeitsbedingungen unter staatlichem Einfluß forderten (vgl. _Philippovich_, Grundriß, 2. Bd., 2. Teil, p. 322).] Eine indirekte, doch allerwirksamste Bekämpfung des Klassenstreiks besteht hingegen in der _Verminderung der Gelegenheiten zu Massenstreikentschlüssen_. Nur dadurch läßt sich dem Unheil wirksam steuern, daß man den berechtigten Forderungen der Arbeiter nachkommt (besonders wertvoll wäre z.B. auch die Stärkung eines zentralistischen Gewerkschaftswesens), daß man ihnen Gelegenheit zur Teilnahme am öffentlichen und gewerblichen Leben gibt, daß man also ihr Interesse für die ungestörte Weiterentwicklung jener Gesellschaft weckt, von der sie doch selbst auch einen Teil bilden, und daß man in ihnen den Glauben an das alte Wort befestigt, mit dem schon Menenius Agrippa die "streikenden" Plebejer zur Rückkehr nach Rom bewogen haben soll, daß, wie die Glieder für den Magen, der Magen auch für die Glieder unentbehrlich sei. Literaturverzeichnis. I. Periodika. 1. Zeitungen. (a) _bürgerlich_: Allgemeine Zeitung München. Der Tag. Frankfurter Zeitung. Neue Zürcher Zeitung. 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Streik | +---------+---------+ | | | partieller | Streik Massenstreik | +--------------------+---+ | | | innergewerblicher | Massenstreik | _Klassenstreik_ | +--------+--------+ | | | _politischer Massenstreik_ | _Generalstreik_ ***END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK THEORIE UND PRAXIS DES GENERALSTREIKS IN DER MODERNEN ARBEITERBEWEGUNG*** ******* This file should be named 43664-8.txt or 43664-8.zip ******* This and all associated files of various formats will be found in: http://www.gutenberg.org/dirs/4/3/6/6/43664 Updated editions will replace the previous one--the old editions will be renamed. Creating the works from public domain print editions means that no one owns a United States copyright in these works, so the Foundation (and you!) can copy and distribute it in the United States without permission and without paying copyright royalties. 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It exists because of the efforts of hundreds of volunteers and donations from people in all walks of life. Volunteers and financial support to provide volunteers with the assistance they need are critical to reaching Project Gutenberg-tm's goals and ensuring that the Project Gutenberg-tm collection will remain freely available for generations to come. In 2001, the Project Gutenberg Literary Archive Foundation was created to provide a secure and permanent future for Project Gutenberg-tm and future generations. To learn more about the Project Gutenberg Literary Archive Foundation and how your efforts and donations can help, see Sections 3 and 4 and the Foundation information page at www.gutenberg.org Section 3. 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Newby Chief Executive and Director [email protected] Section 4. Information about Donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation Project Gutenberg-tm depends upon and cannot survive without wide spread public support and donations to carry out its mission of increasing the number of public domain and licensed works that can be freely distributed in machine readable form accessible by the widest array of equipment including outdated equipment. Many small donations ($1 to $5,000) are particularly important to maintaining tax exempt status with the IRS. The Foundation is committed to complying with the laws regulating charities and charitable donations in all 50 states of the United States. Compliance requirements are not uniform and it takes a considerable effort, much paperwork and many fees to meet and keep up with these requirements. We do not solicit donations in locations where we have not received written confirmation of compliance. 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Hart was the originator of the Project Gutenberg-tm concept of a library of electronic works that could be freely shared with anyone. For forty years, he produced and distributed Project Gutenberg-tm eBooks with only a loose network of volunteer support. Project Gutenberg-tm eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the U.S. unless a copyright notice is included. Thus, we do not necessarily keep eBooks in compliance with any particular paper edition. Most people start at our Web site which has the main PG search facility: www.gutenberg.org This Web site includes information about Project Gutenberg-tm, including how to make donations to the Project Gutenberg Literary Archive Foundation, how to help produce our new eBooks, and how to subscribe to our email newsletter to hear about new eBooks.